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GERMANIA.
VIERTEUAHRSSOSRIFT
tÖR
DEUTSCHE ALTEETHÜMSKUNDE.
UllGÄÜNDiiT VON t^BANÄ PFEIFFER.
UNTER MITHILFE VoS .tOSfitfi STROBL
VON
KARL BARTSCH,
FÜNFZEHNTER JAHRGANG.
NEUE REIHE DRITTER JAHRGANG.
WIEN.
VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN.
1870.
INHALT.
Seit«
'Über das Alter einiger isländischer Rechtsbücher. Von Konrad Maurer ... . 1
Das Hildebranclslied. Von Karl Meyer 17
Über den Staiid berofsmllßiger Sänger im nationalen Epos germanischer Völker.
Von Arthur Köhler s 27
Zur Laulr, Wort- und Namenforschung. Von Albert Hoefer.
XVI. Der Rückumlaut 60
XVIL 2u JParticip uud Gerundium 53
XVni. Das intensive in 61
XIX. Verstärkung durch andere Wörter, insbesondere durch PraeposiÜonen 66
XX. Binnen und hüten und deren Steigerungen • . 67
XXI. Gotisch skaudaraip, Lederriemen 69
XXn. Das Pronomen diser ' 70
XXra. Brav. . \ 72
XXIV. Unsich im Niederdeutschen 73
XXV. Nd. r€r6f, r^röven 76
XXVI. S6 vt6 alsd und anderes Niederdeutsche 76
XXVn. Zu Germania 12, 826 und 13, 160 78
XXVm. Brot- und Semmelnamen 79
XXIX. Benennung nach der Mutter 88
XXX. NamiBn mit Vomamenbuchstaben zusammengesetzt? 88
Nachtrag zur Parzivalsaga. Von Eugen Kölbing 89
Zu Wolframs Willehalm. Von Joseph Strobl 94
Der KappenzipfeL Von Hermann Kurz 96
Gedicht auf Meister Eckhart Von G. Höfler 97
Zu den Volksbüchern. Schwäbische Zeugnisse. Von Anton Birlinger 99
Sprichwörter und Sprüche. Von Demselben 102
Zu Gesta Romanorum. Von H. Oesterley 104
Zum Spruch vom Nagel im Hufeisen. Von Reinhold Köhler • 106
Der umgelautete Conjunctivus Praeteriti rückumlautender Zeitwörter. Von Fedor
Bech 129
Der Dichter der Urstende. Von Richard Wülcker und Karl Bart ich . . . . 167
Lappländische Märchen. Von Felix Liebrecht 161
1. Der Fuchs und der Bär 162
2. Hacci^-aedne 168
8. Das Mädchen aus dem Meere 170
4. Die Hexe und JeS 173
5. Der Riese, dessen Leben in einem Hühnerei verborgen war 174
6. Der Riese und der kleine Junge 176
7. Der Riese und sein Knecht 181
8. Aschenputtel, Riese und Teufel 184
9. Das Stallomädchen 189
10. Stallo beim Biberfang 192
Zur Litteratnrgeschichte des Wolfdietrich. Von Demselben —
Zur HroswithjSrage. Von Karl Bartsch 194
Die erste Ausgabe der Sprichwörtersammlung des Antonius Tunnicius. Von Hoff-
mann von Fallersleben 196
Zur Geschichte des Meistergesanges. Von K. Goedeke.
L Der unerkannte Ton 197
H. Schnach RegOräu 201
Reste altdeutscher Handschriften zu Darmstadt. Von M.Rieger 203
Zum Leben Gottfrieds von Strasburg. Von Hermann Kurz 207
Zu Germ. IX, 46. Von R. Hildebrand 236
Seite
Straßennamen von Gewerben. 11. Von E. Förstemann 261
Zur Legende von Gregorius auf dem Steine. Von R. Köhler 4 284
Über Ari Thorgilssohn und sein Isländerbuch. Von K. Maurer 4 . 291
Zum Leben Gottfrieds von Straßbtirg (Schluß). Von H. Kurz ....<.... d22
Mittheilungen aus der Mttndhener k. Bibliothek. Von F. Keinz , , 4 d45
•Bruchstücke einer Handschrift der Erlösung. Vom Herausgeber. . . i . . . 857
Bruchstück aus Älfrics angelsächsischer Grammatik. Von A. Birlinger. i . . . 359
Bruchstück aus dem Boek van den houte« Von Demselben ; . . . • 86>0
Thomas a Kempis. Von Hoffmann v. Fallersleben ^ . . 365
Jesus und seine junge Braut. Von Demselben 4 . 366
Marien Himmelfahrt. Von Demselben i < . 369
Zu Heinrich von Morungen. Vom Herausgeber i 375
Der urdeutsche Sprachschatz. II. Von E. Förstemann 385
Zur Lautr, Wort- und Namenforschung. Von Albert Hcefer^
XXXI. Herr und Frau Hacke i ^ . . 411
XXXfI. Fander. Fanner .416
XXXIli. Altvüe im Sachsenspiegel 417
NiederlÄnclische Einwirkungen auf die Forlneii der Ordinalia am Niederrhein UtiA
im Elsass. Von Carl Schröder 419
Die Lieder Kaiser Heinrichs VI. Von Karl Meyer 1. .<.. 424
Zu Neidhards Liedern. Von Friedrich Keinz und Franz Wies er 431
Zu Walthers Vocalspiel. Von Reinhold Sechst ein . . , . * i 434
LiTTERATüß.
Köpke, Bttdolf, Ottonische Studien zur deutschen Geschichte des zehnten Jahr-
hunderts. II. Hrotsvit von Gandersheim. Von Karl Bartsch 106
Gradl, Heinrich, Lieder und Sprüche der beiden meister Spervogel. Von Joseph
S t r o b 1 237
Westphal, B., Philosophisch-historische Gramäiatik. Von AHcefer 245
Zupitza, Julius, Verbesserungen zu den Drachenkääipfen. Von K. Bartsch. • . 249
Storck, F. G. P., Der von Sahsendorf. Von Demselben 251
Piderit, K. W., Ein Weihnachtsspiel. Von C. Schröder 376
Wüleker, E., Beobachtungen auf dem Gebiete der Vocalsehwächung im Mittelbinneh-
deutschen. Von B. Bechstein 380
Catalogus codicum manu scriptorum bibliothecile reg^e Monäcensis. Vom Heraüs-
geber 382
Tabidae codicum manu scriptorum in bibliotheca pal. Vindobonensi asservatorum.
Von Demselben 382
Lilienoron, B. v., Die historisehen Volkslieder der Deutschen. Vierter Band und
Nachtrag. Von Demselben ^ ^. . . . 384
Konunga-Boken, eller Sagor om Tnglingame och Norges konüiigar intill ar 1177.
Af Snorre Sturleson. öfversatt och förklarad af Hans Olof Hildebrand Hilde-
brand. Von Konrad Maurer 449
BIBLIOGRAPHIE.
Bibliographische Übersicht der Erscheinungen auf dein Gebiete der germanischen
Philologie im Jahre 1869. Von Karl Bartsch 463
MISCELLEN.
Lammert Allard te Winkel. Von K. Bartsch 107
Franz Both. Von Demselben 108
Bericht über die Sitzungen der germanistischen Section der XXVH. PhUologen-
. Versammlung lu Kiel 27. bis 30. September 1869. Von Albert Freybe. . . 109
Pfeifferfeier in BetÜacth 29. Mai 1870. Von Johann Schmidt 262
Nachträgliche Bemerkung zu S. 160. Von Joseph Strobl 260
Joseph Diemer. Von Karl Bartsch 460
ÜBER DAS ALTER EINIGER ISLÄNDISCHER
RECHTSBÜCHER.
VOH
KONRAD MAURER.
Die Entstehungszeit der beiden Haupthandschriften, welche die
sogenannte Grägds enthalten, der Koniingsbök also oder des Codex
regius, und der Stadarhölsb6k oder des Codex Amamagnseanus , ist
durch die competentesten Autoritäten der neueren Zeit der Mitte oder
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zugewiesen worden. Während
die Herausgeber von Norges gamle Love (Bd. I, S. 120 und 437)
sich dieserhalb auf ein paar ganz kurze und unmotivierte Notizen be-
schränkten, hat Jon Sigurdsson im Diplomatarium Islandicum (Bd. I,
S. 74 — 75, und 87) diese Zeitbestimmung überdies einlässlich begrün-
det, und zumal die ältere, von Grimur Thorkelin, Finn Magniisson,
Rafh und Werlauff verfochtene Ansicht ^), daß beide Handschriften erst
um ein Beträchtliches später geschrieben seien, des Näheren widerlegt.
In einer längeren Abhandlung über die sogenannten Qr&g&Sy welch^
die Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste im
77. Bande ihrer Section I vor einigen Jahren brachte, habe ich mich
seinen AusftLhrungen einfach angeschlossen, imd auch jetzt noch schei-
nen sie mir in allen ihren Theilen vollkommen begründet zu sein; in-
dessen meine ich nunmehr auf einem bisher noch unbetretenen Wege
zu einer noch etwas engeren Begrenzung der beiden Handschriften
zuzuweisenden Entstehungszeit gelangen zu können, und aus diesem
Grunde erlaube ich mir hier auf die Frage nochmals zurückzukommen.
Die paläographische Seite der Untersuchung lasse ich vollkommen
unberührt. An sich wenig geeignet, ein sicheres Criterium flir eine ganz
genaue Bestimmung des Alters einer Handschrift zu bilden, ist der
*) Vgl. Schlegel Commentatio historica et critica de CodiciB Grig^ origine,
nomine, fontibus, indole et fatis, S. LXI, Anm. **).
GERMANIA« Nene Reihe III. (XV.) Jahrg. * 1
2 KONRAD MAURER
Charakter der Schriftzüge dies im vorliegenden Falle um so weniger,
je entschiedener die vergleichsweise geringe Anzahl sicher datierbarer
isländischer Handschriften aus früherer Zeit die Fällung eines bestimm-
ten Urtheiles in dieser Hinsicht erschwert. J6n Sigurdsson, der er-
fahrenste Kenner isländischer Handschriften, erklärt, daß K ihren
äußeren Merkmalen nach etwa in den Jahren 1230—60, doch eher in
der zweiten als in der ersten Hälfte dieser Zeitfrist geschrieben zu sein
scheine, während er keinen Anstand nimmt, die Entstehung von St in
die Jahre 1271 — 80 zu setzen; nach beiden Seiten hin lasse ich es
wie billig bei seinem Ausspruche bewenden. Gehe ich aber auf die
inneren Criterien über, so lege ich selbstverständlich mit Jon Sigurds-
son darauf Gewicht, daß K gleich an ihrem Anfange eine Novelle ent-
hält, welche erlassen wurde pd er Magnus Grizura/rson var biskup oräinn^
und daß diese Novelle auch in St an den einschlägigen Orten sich
durchgreifend berücksichtigt zeigt ') ; da Magnus erst im Jahre 1215
zum Bischöfe gewählt, und im Jahre 1216 geweiht wurde, kann hier-
nach die eine wie die andere Handschrift jedesfalls nicht vor diesem
letzteren Jahre geschrieben sein. Wenn J6n Sigurdsson femer darauf
aufmerksam gemacht hat, daß K in ihrem Festkataloge nur der por-
Idksmessa fyrir jöly welche im Jahre 1199 eingefiihrt wurde ^), nicht
aber der im Jahre 1237 eingefiihrten zweiten porldksmessa ^) gedenke,
während St beide Feste ganz gleichmäßig erwähne*), so halte ich
mit ihm dafür , daß daraus zwar mit voller Sicherheit auf die Ent-
stehung von St nach dem Jahre 1237, aber ganz und gar nicht mit der-
selben Bestimmtheit auf die Entstehung von K vor diesem Zeitpunkte
geschlossen werden darf. Der Festkatklog des älteren Christenrechtes
ist ja selbstverständlich ganz allmälig durch die Einschiebung der nach
und nach neu eingeführten Feste erweitert worden; wie leicht konnte
es da geschehen, daß ein Compilator oder Abschreiber in die ältere
Vorlage, deren er sich bediente, ein einzelnes neu aufgekommenes
Fest einzustellen vergaß? Für vollkommen zutreffend halte ich femer
die Bemerkung J6n Sigurdssons , daß St einerseits nicht vor dem
Jahre 1271 geschrieben sein könne, weil sie neben der Grägäs auch
die erst in diesem Jahre nach Island gebrachte Jämsida enthalte, und
andererseits auch nicht nach dem Jahre 1280 geschrieben sein werde.
*) K. §. 18, S. 36—37. «) Ältere })orläks bps. s., cap. 21, S. 116, und jüngere
Sage, cap. 36, S. 303; Pdls bps. s., cap. 8, 8. 134; Guamundar bps. s., cap. 30, 8.468, und
Sturliinga, m, cap. 36, 8. 188; Annälar, h. a. ') Anndlar, h. a. '•) K. §. 13,
cap. 30. 31; Kristinnr. hinn gamli, cap. 22, 8. 106 und 110.
ÜBER DAS ALTER EINIGER ISLÄNDISCHER RECHTSBÜCHER. 3
da man kaum nach der Einführung des jüngeren Christenrechtes (1275)
und der J6nsb6k (1281) noch auf das Abschreiben jener älteren, nicht
mehr geltenden Rechtsquellen so große Mühe und Sorgfalt verwendet
haben würde, ohne ihnen auch nur jene neueren beizufügen; in der
That, was hätte wohl Jemanden auf Island bestimmen sollen, die Jdm-
sida überhaupt noch zu copieren, nachdem sie erst durch die Jönsbök
ersetzt war, da sie ihrem Inhalte nach durchaus unnational, in mise-
rabelster Weise bearbeitet, und nur knapp sieben Jahre lang in Gel-
tung gewesen war, also bei der allgeiüeinen Abneigung, auf welche sie
schon bei ihrer Einfährung stieß , jedesfalls im Lande keine Wurzel
geschlagen üiid keinerlei bleibende Wirkung geäußert hatte? Endlich
bin ich aber auch darin mit Jon Sigurdsson vollkommen einverstanden,
daß auf die Erwähnung der Magnüsmessa Eyjajarls in unseren beiden
Handschriften bei der Bestimmung ihres Alters keinerlei Gewicht ge-
legt werden darf. Allerdings wissen wir aus den isländischen Annalen,
daß das Fest dieses Heiligen erst im Jahre 1326 auf der Insel gesetz-
lich eingefllhrt wurde, und hierauf scheinen die älteren Angaben gefaßt
zu haben, welche unsere beiden Handschriften erst im 14. Jahrhunderte
entstanden sein lassen ; aber wir wissen auch, daß auf den Orkneys
selbst das Fest des Jarles bereits im Jahre 1135 eingeführt worden war ^),
und daß bereits im Jahre 1298 Reliquien dieses Heiligen nach SkÄlholt
gebracht wurden ^), deren Aufiiahme in die Domkirche denn doch eine
gewisse Publicität und Verbreitung seiner Verehrung auf der Insel vor-
aussetzt , — ja wir finden dessen Fest sogar in fast allen unseren
Handschriften des neueren Christenrechtes unter den gebotenen Fest-
tagen mit aufgeführt^). Wenn hiernach schon 28 Jahre vor 1326 der
Heilige auf Island öflfentlich verehrt wurde, und weitere 23 Jahre zu-
vor allenfalls sogar schon sein Fest unter die gebotenen Tage einge-
reiht werden konnte, so mochte gewiß das Gleiche auch noch um ein
paar weitere Decennien vorher ebensogut geschehen sein, so daß aus
diesem Umstände kein Gegengrund gegen die sonstigen, auf ein höheres
Alter unserer Handschriften hinweisenden Anzeigen entnommen worden
darf. Weiter aber als bis zu diesem von J6n Sigurdsson bereits er-
reichten Puncto scheint die Betrachtung eines ganz isolierten Stückes
zu fiihren , welches , um mannfrehi überschrieben , in unseren beiden
Handschriften sich ganz gleichmäßig, nur freilich in beiden an ganz
verschiedenem Orte eingeschoben findet, sofeme dasselbe in K am
') Magnüss s. Eyjajarls, cap. 29, S. 612 ; Jarteiknir Magnus jarls, S, 626. ^ Ann-
Üar, fa. a. ') iuma bps. Eristinnr., cap. 26, S. 160.
1*
4 KONRAD MAUBEBj
Schlüsse des Körperverletzungsrechtes, m St dagegen mitten im Ehe-
rechte seine Stelle erhalten hat^).
Schlegel hat bereits darauf aufmerksam gemacht, daß dieses Stück
vom König und vom Jarl in einer Weise spricht, welche flir ein islän-
disches Bechtsbuch aus der Zeit des Freistaates nur übel passen will ^).
Er suchte sich durch die Annahme zu helfen, daß dasselbe mit jenen
Privilegien zusammengehangen haben möge/ welche der heilige Olaf
den Isländern ertheilt haben sollte; aber warum ist die Bestimmung,
wenn sie von daher stammen soil, nicht in jenem Weisthume mitent-
halten, aus welchem allein wir den Bestand jener Privilegien überhaupt
kennen^), und wie sollte man überhaupt je dazu gekommen sein, den
jedesfalls doch nur äußerst vereinzelt vorkommenden Fall, da ein islän-
discher Freigelassener in Norwegen vom Könige oder von einem Jarle
Land erhielt, in jenen Privilegien speciell hervorzuheben, zumal zu des
heiligen Olafs Zeit, wo außer dem ihm feindlichen Hause der Jarle
von Hladir in Norwegen überhaupt von keinen Jarlen die Bede war?
Dahlmann wollte an neuere Zusätze denken, welche das Bechtsbuch
in der norwegischen Zeit, und vielleicht sogar erst nach der Einführung
der Jönsbök, erlitten hätte ^); aber auch hiergegen lässt sich wieder
einwenden, daß von der Jarlswürde in Norwegen seit der Unterwerfung
Islands nur noch sehr wenig die Bede ist, sofeme Alfr Erlingsson
(1286—87) und Erzbischof Jörundr (1297—1309) die einzigen Männer
waren, welche dieselbe seit jenem Zeitpunkte überhaupt noch beklei-
deten, und lässt sich um so mehr fragen, wie man denn darauf ver-
fallen sein sollte, für isländische Freigelassene zu sorgen, die zu ihnen
etwa in Beziehungen treten könnten, als bekanntlich seit der Mitte des
13. Jahrhunderts auf Island sowohl als in Norwegen nur selten noch
von Unfreien oder Freigelassenen gesprochen wird. Ich selber habe
früher wohl die Vermuthung ausgesprochen *) , daß ein isländischer
Jurist hier norwegische Materialien verwerthet, und zwar nicht eben
mit großem Geschicke verwerthet haben möge; indessen lässt sich die
Sache vielleicht doch auch noch anders und in zufriedenstellenderer
Weise erklären.
Der erste Blick auf das hier in Frage stehende Stück zeigte daß
dasselbe seinem ganzen Umfange nach mit einziger Ausnahme jenes
Satzes, welcher den König und den Jarl nennt, isländisches und nicht
*) K. §. 112, S. 191—192; St Festa }>., cap. 43, S. 357-368. «) Comment,
S. TiXTX. *) E. §• 248, S. 196—197. *) Geschichte von D&nnemark, ü, S. 183.
•) A. a. O., S. 67.
OBEB das ALTEB EINIGEB ISLiNDISCHEB BEGHTSBÜCHER. 5
norwegisches Recht enthält. Der Gode^ nicht der König oder dessen
Beamter^ erscheint in demselben als der Inhaber der Staatsgewalt.
Nur des freien Mannes Recht wird dem des Unfreien entgegengesetzt ;
dem altisländischen Rechte vollkommen entsprechend, welches innerhalb
des Freienstandes von keiner weiteren Abstufung der Bußsätze wusste,
aber mit dem norwegischen in keiner Weise übereinstimmend, welches
solche in reichster Mannigfaltigkeit entwickelt zeigte. Die detaillierte
Fürsorge fOr den Unterhalt der hilflosen Leute, welche sich in dem
Stücke ausspricht^ ist dem altisländischen Rechte durchaus eigenthüm-
lieh, wogegen das norwegische der Armenpflege nur sehr geringe Be-
achtung schenkt Die Form der Freilassung, wie sie hier vorgeschrieben
ist, ist eine völlig andere als diejenige, welche die norwegischen Pro-
vinzialrechte anordnen. U. dgl. m. Zugleich zeigt sich, daß das Stück,
wiederum mit jener einzigen Ausnahme, sehr alter Entstehung sein muß.
Es deutet hierauf die Härte der Behandlung, welche dem Freigelas-
senen in Aussicht gestellt ist, so lange er noch nicht die sämmtlichen
Formen der Freilassung erfüllt hat. Es deutet hierauf femer, daß die
Stelle noch ausdrücklich das Halten von unfreien Kebsweibem gestattet^
was denn doch auf eine dem Heidenthume noch ziemlich nahe liegende
Zeit hinweist, und in dem jüngeren Rechtsbuche auch wirklich ge-
ändert ist ^). Es deutet endlich ebendarauf auch der neutrale Gebrauch
des Wortes goS in der angeftlhrten Eidesformel , welchen das jüngere
Bechtsbuch freilich ebenfalls wieder beseitigt hat ^). Dem Heidenthume,
welches Götter beiderlei Geschlechts kannte, war der neutrale Gebrauch
des Wortes ganz geläufig, wo es galt, beiderlei Gottheiten unter ^iner
Bezeichnung zusammenzufassen; dem Christenthume dagegen, welches
seinen Gott stets männlich aufgefasst hat, war ein solcher Sprach-
gebrauch jederzeit ein Gräuel, wenn er über das Bereich der heidni-
schen Götzen hinausgreifen wollte ^). Man sieht, das ganze Stück muß
in eine Zeit hinaufreichen, wo das Christenthum noch jung war im
Lande, wie denn zumal die auf die Kebsweiber bezügliche Bestimmung
in dieser Richtung gar sehr belehrend ist; im Heidenthume natürlich
war der Gebrauch von solchen schlechthin erlaubt gewesen, nach kirch-
^) E, S. 192 : fUt er at madr kaupi tu karnadar shr ambdt 12 aurum fyrir lof
from\ St, S. 358, liest: iXi eiginkanu ahr, ^ K, S. 192: heim ah god grämt er JM
nitir\ St. S. 357: peim er gud gramr, ^) So sagt z. B. K. Olafr Tryg^ason in höch-
stem Zorne zur Sigrid st6rräda: hygg at pvi, oh gjör pik eigi avo djarfa at pü gudlastir optarr
ndfu drotUru nafn med pinu heidingligu ordtaki at mer dheyramda^ avo cU pü kaUir god
hinn hauta himnakonüngf er ek trüi aiy FMS. 11, cap. 194, S. 130, und ^bk. I, 371 ; sie
hatte von pat god, er phr l(kar gesprochen!
g KONRAD MAUBER
liehen Begriffen musste derselbe umgekehrt geradezu unerlaubt heißen:
unsere Stelle sucht nun einen Mittelweg zu gehen, indem sie das Halten
von unfreien Kebsweibem ohne Weiteres gestattet, in anderen Fällen
dagegen, wie es scheint wenn es sich um freie Weiber handelte, die
Annahme von Kebsen von einer vorgängigen Erlaubniss der gesetz-
gebenden Versammlung abhängig machte *), ein Verfahren, welches
vollkommen zu einer Zeit passt, welche das Christenthum als gesetz-
liche Staatsreligion annehmen, aber dabei das althergebrachte Recht
der Eundesaussetzung und des Pferdefleischessens, ja sogar den heim-
lichen Opferdienst sich vorbehalten zu können meinte. Mag sein , daß
der Rechtsvortrag des Gesetzsprechers (die lögsaga oder uppsaga) ur-
sprünglich einen besonderen Abschnitt über die Unfreien und Frei-
lassungen enthalten hatte, welcher in die Haflidaskrä (1117 — 18) noch
aufgenommen, in den späteren Bearbeitungen des einheimischen Rechtes
aber weggelassen wurde, weil bei der sich mindernden Zahl der Knechte
ihr Recht an Bedeutung verlor; die verschiedene Stellung, welche un-
serem Stücke in den uns erhaltenen Rechtsbüchem eingeräumt wurde,
wäre solchenfalls daraus zu erklären, daß dasselbe nur ein einzelnes
Excerpt aus einem größeren Ganzen war, welches jeder der beiden
Compilatoren an derjenigen Stelle einreihte, wo ihm der Raum und
Zusammenhang dies eben zu gestatten schien. Möge übrigens diese
letztere Vermuthung begründet oder unbegründet sein, soviel darf jedes-
falls als feststehend betrachtet werden, daß der den Jarl und König
nennende Satz in unserem Stücke von dessen ganzem übrigen Inhalte
sich fremdartig abhebt*). Glaubt man die Erwähnung von König und
Jarl darauf zurückfiLhren zu sollen, daß die Verhältnisse isländischer
Freigelassener im Auslande reguliert werden wollten, so fUllt auf^ daß
alle anderen Bestimmungen sich nur auf deren Verhältnisse im Inlande
beziehen, welche die einheimische Legislation denn auch allein zu re-
gulieren im Stande war ; meint man dieselbe aus einer Benützung nor-
wegischen Rechts zur Ergänzung des isländischen ableiten zu dürfen,
') Schlegel, Comment., S. CXIV, Anm. 4, nnd Baldvin Einarsson, in der Juri-
disk Tidsskrift, Bd. XXII, S. 293, haben allerdings die Worte fyrir lof fram auf ein
Expropriationsrecht beziehen wollen, welches dem Liebhaber einer fremden Sklavin
ihrem Herrn gegenüber bezüglich ihrer zugestanden hätte. Aber mit vollem Recht hat
ViUijÄlmur Finsen in den Annaler for nordisk Oldkyndighed, 1849 8. 224, darauf auf-
merksam gemacht, daß hf die technische Bezeichnung für die von der lögi'^tta ge-
währten Dispensationen ist. ^) Er lautet: Halfan rktt akal kann tdka er kann
kemr d jarU jörd, en pd allan ok fuHan, er kann kemr d konünga jord»
ÜBER DAS ALTER EINIGER ISLÄNDISCHER RECHTSBÜCHER. 7
80 erscheint sonderbar, daß diese sich gerade auf diesen einzigen Satz
beschränkt haben sollte. Im einen wie im andern Falle wird man sich
zu der Vermuthung gedrängt sehen, daß der betreflfende Satz ein spä-
teres Einschiebsel sein möge, wie solches in der That von Dahlmann
bereits ausgesprochen worden ist, und diese Vermuthung wird durch
die weitere Wahrnehmung sehr entschieden bestätigt, daß derselbe
offenbar durch die Schuld eines ungeschickten Abschreibers an die
unrechte Stelle zu stehen gekommen ist. Die Grundanschauung, von
welcher unser Stück ausgeht, ist die, daß der Unfreie durch einen einsei-
tigen Act seines Herrn zwar von dessen Recht loskommen könne, aber
doch nach wie vor Sache verbleibe, wenn auch herrenlose Sache, bis
ein zweiter Act, bei welchem der Gode als Inhaber der Regierungs-
gewalt, und wie es scheint auch die Volksgemeinde mitwirkt, zu jenem
ersten hinzukommt, nämlich eine förmliche Einführung in den Rechts-
verband , bei welcher der Freigelassene zu beschwören hat , daß er
fortan mit dem übrigen Volke im Rechtsverbande stehen, und gegen
Alle den Rechtsvorschriften getreulich nachkommen wolle. Nur dem-
jenigen, dem bereits als Kind die Freiheit geschenkt wurde, wie dies
zumal bei Kindern vorkam, die ein freier Mann mit einer Sklavin er-
zeugte, soll dieser Eid und vielleicht die ganze Einftihrung in den
Rechtsverband nachgelassen werden, sonst aber Jeder verpflichtet sein,
dem Goden, der ihm zu dieser verhilft, eine bestimmte Gebühr ftlr
seine Bemühung zu entrichten. Nach ein paar weiteren Bemerkungen,
die uns hier nicht weiter berühren, wird dann zum Schlüsse noch be-
merkt, daß der Unfreie, welchem sein Herr zwar die Freiheit geschenkt,
welcher aber die Aufnahme in den Rechtsverband noch nicht erlangt
habe, weder das Recht eines Freien, noch das Recht eines Unfreien
nehmen soll, also gar kein Recht habe, — eine sehr harte, aber ganz
folgerichtige Consequenz der Thatsache, daß er durch die ihm geschenkte
Freiheit des Schutzes verlustig gegangen ist, den ihm bisher sein Herr
ertheilt hatte, während er doch in Fdge der noch nicht erlangten Auf-
nahme in den Rechtsverband der freien Leute des eigenen Rechts-
schutzes (der selbständigen mannhelgi) noch entbehrte. Der Satz,
daß der Freigelassene halbes Recht nehmen solle, wenn er auf Land
des Jarles, und volles Recht, wenn er auf Land des Königs komme,
kann nun offenbar nur als eine Begünstigung gemeint sein, welche ihm
zu Ehren des Herrn verwilligt wird, an welchen er sich anschließt,
und er kann sich eben darum nur auf den Freigelassenen beziehen,
der noch nicht in den Rechtsverband eingeführt worden war, sofeme
fiir den anderen, welcher die Aufrahme in diesen bereits erlangt hatte,
8 KOISTBAD KAUBEH
der Genuß des vollen Freienrechtes sich bereits unter allen Umständen
von selber verstand. Es ist demnach klar^ daß derselbe hinter den
oben erwähnten Schlußsatz unseres Stückes zu stehen kommen musste^
und daß; wenn unser Text ihn statt dessen zwischen die Worte: eigi
parf sd maS/r pann eid at vinna^ er honum vor ungum freUi geftty und die
andern Worte : penbig skal kann gefa goSa peim, er kann leütir % log,
einschiebt; dies nur aus der Annahme sich erklären lässt; daß das
Einschiebsel ursprünglich in einer Handschrift ^ die nur den ursprüng-
lichen Text des Stückes enthalten hatte ^ an den Band bemerkt, und
dann von einem Abschreiber, vielleicht auf Qrund eines ungeschickt
gesetzten Verweisimgszeichens , an der unrichtigen Stelle eingeschaltet
worden sei, wie ja dergleichen ^ zumal in K, nachweisbar an gar
manchen Stellen wirklich vorgekommen ist. Man wird zwar vielleicht
gegen diese Schlußfolgerung einwenden wollen , daß die Bestimmung
a auch in St an ganz gleichem Orte wie in K sich eingereiht finde;
indessen lässt sich dieser Umstand doch sehr eiofach aus der auch
durch andere Vorkommnisse erwiesenen Thatsache erklären , daß bei
der Herstellung dieser späteren Handschrift der Text, sei es nun
unserer K selbst oder doch einer ihr bereits sehr ähnlich gearteten
Vorlage, mit benützt wurde, und ftQlt damit jener Einwand selbstver-
ständlich von selbst zu Boden. — Fassen wir uns nun aber unser Ein*
schiebsei seinem Inhalte nach noch etwas schärfer ins Auge, so zeigt
sich sofort, daß dasselbe unmöglich direct aus dem norwegischen Rechte
entlehnt sein konnte, wenn auch unverkennbar das norwegische Becht
auf dessen Gestaltung nicht ohne Einfluß geblieben ist In Norwegen
waren die Bußsätze ftir die verschiedenen Classen der freien Leute
allzu verschiedene, als daß mit der einfachen Verweisung auf das ganze
oder halbe Becht irgend etwas bestimmt Verständliches hätte gesagt
sein können; in Norwegen hatte femer sowohl der Freigelassene, wel-
cher bereits sein Freilassungsbier gehalten hatte, als auch der andere,
welcher diese Form noch nicht erfüllt hatte, ein ftir allemal seinen be-
stimmt abgestuften Bußsatz, ohne daß hier oder dort jemals auf den
Stand seines Grundherrn Gewicht gelegt worden wäre: nur ftir Island,
wo der Freigelassene vor der lögleiding gar kein Becht, nach derselben
aber das gleiche Becht mit jedem anderen Freien anzusprechen hatte,
passt demnach jene einfache Anweisung auf half an ritt oder aUan ok
fullan. Ein Eii]iuß des norwegischen Bechtes lässt sich freilich inso-
feme etwa verspüren, als nach diesem der Satz galt, daß der vom
Könige Freigelassene sofort als vollkommen frei zu betrachten sei,
ÜBER DAS ALTES EINIGER ISLÄNDISCHER RECHTSBÜCHER. 9
ohne daß auf die Haltung des Freilassungsbieres etwas ankäme ^),
und als die Übernahme eines Gutes und die damit verbundene Be-
grttndimg eines selbständigen Haushaltes in Norwegen als der Zeit-
punkt gegolten zu haben scheint ^ in welchem das Freilassungsbier zu
halten und damit die Freilassung zu ihrem völligen Abschlüsse zu
bringen war ^). Aber keinen von beiden Sätzen hat unsere Stelle rein
aufgenommen ; vielmehr hat sie beide in der Art combiniert^ daß sie
zunächst an die Stelle der Freilassumg durch den König die Verleihung
von Land durch denselben schobt und an diese sofort den Erwerb des
vollen BVeienrechts knüpfte, wie es sonst nur die dem norwegischen
Freilassungsbiere allenfalls vergleichbare EinfUhnmg in den Rechts-
verband gewährt hatte ; dann aber, ohne dieserhalb im norwegischen
Rechte irgend ein Vorbild zu finden, auch der Stellung des Jarles noch
insoweit Rechnung trug, als derselbe, wie er in den norwegischen Buß-
sätzen halb so hoch als der König angesetzt zu werden pflegt'), auf
den von ihm mit Land ausgestatteten Freigelassenen halb so viel Recht
übertragen sollte, als der König dem seinigen verlieh. Von selbst drängt
sich auf Qrund derartiger Beobachtangen die Vermuthung auf, daß die
Entstehung des betreffenden Einschiebsels einer Zeit angehören müsse,
in welcher der König sowohl als ein Jarl auf Island selbst über Güter
zu verfolgen hatte; dies war aber nur während des einzigen Jahrzehntes
der Fall, während dessen Gizurr }>orvaldsson den Jarlsnamen auf der
Insel trug, also seit dem Sommer 1258, in welchem ihm dieser in
Bergen von K. Hä.kon gamU beigelegt wurde, bis zum 12. Januar 1268,
wo er starb *). Nur innerhalb dieser Zeitfrist kann jener Zusatz ent-
standen, und vor dem Herbste 1258 kann somit auch tmsere K un-
möglich geschrieben sein.
Vielleicht lässt sich indessen die Frist, welche fiir die Entstehung
imserer K verfftgbar bleibt, noch etwas enger begrenzen. An zwei
verschiedenen Stellen von St wird erwähnt, daß „jetzt" der Anspruch
eines isländischen Erben auf eine in Norwegen angefallene Erbschaft
unverjährbar sei®); andererseits aber wissen wir nicht nur aus der K,
daß solche Erbansprüche nach den Privilegien des heiligen Olafs binnen
*) Gula})fng8l. , §. 61. ') Fro8taJ)fng8l, , IX, §. 12. ») Gula))fng8l. , §. 91
und 186. Frostajjfngsl. , IV, §. 63, aber abweichend XIII , §. 16. *) Vgl. J6n })or-
kelsson, -ffifisaga Gizurar })oryalds80iiar, 8. 112 und 123. *) Arfa])., cap. 13, S. 208
bis 209 : Ätutrskaltaka arf vorralanda, ncesta-brcedri edr ndnari madr, enda er n^t heiniUng
ül fjärim hvegi lengi sem ßat liggr; cap. 17, S. 221 : Ef v<yrr\ laruU andaz auatr, pd skal
fhU taka fwssta-hroidri edr ndnari, enn ^hit liggr shr n& aldrigi.
10 KONBAD MAUBER
einer Frist von drei Jahren verjährten *) , sondern es wird auch in
dieser Handschrift diese dreijährige Verjährungsfrist an der jenen bei-
den Stellen der St entsprechenden Stelle festgehalten ^). Man sieht,
K gibt hier das ältere , St aber das neuere Recht , welches die
letztere Handschrift selbst als ein erst vor Kurzem eingeführtes be-
zeichnet ; glücklicher Weise lässt sich aber der Zeitpunkt, in welchem
die Neuerung durchgeftlhrt wurde, mit voller Sicherheit bestimmen.
J6n Sigurdsson hat aus vergleichsweise jüngeren Handschriften den
Text des Vertrages ans Licht gezogen, durch welchen sich nach der
Hdkonar saga gamla und Sturliinga im Jahre 1262 der größere Theil
des Südlandes sowohl als das ganze Nordland der Insel dem Könige
Häkon unterwarf; dieser Text aber, der unzweifelhaft auch bei der
sofort folgenden Unterwerfung des Westlandes und bei der um ein Jahr
späteren Unterwerfung der Oddaverjar, sowie bei der um zwei Jahre
späteren Unterwerfung des Ostlandes als Muster diente, fahrt ausdrück-
lich unter den Vertragsbedingungen auch die Unverjährbarkeit der
isländischen Erben in Norwegen anfallenden Erbschaften auf ^). Es ist
klar, daß diese Vertragsbestinunimg nur unter der Voraussetzung einen
Sinn hat, daß die alte Verjährbarkeit der Erbansprüche bis zum
Jahre 1262 fortwährend gegolten hatte; klar also auch, daß die Com-
pilation des Textes unserer St nicht vor eben diesem Jahre, also nur
wenig früher als die Handschrift geschrieben zu sein scheint, abge-
schlossen worden sein kann. Anderentheils aber möchte daraus,
daß K jener Neuerung noch nicht gedenkt, vielmehr umgekehrt die
durch sie beseitigte Verjährbarkeit der Erbrechte noch als geltendes
Recht vorträgt, doch wohl zu schließen sein, daß der Text, welcher
dieser Hs. zu Grunde liegt, bereits vor dem Jahre 1262 abgeschlossen
sein müsse; wenn nämlich zwar leicht begreiflich ist, daß ein Compi-
lator eine ganz vereinzelte Notiz von vergleichsweise geringer Bedeu-
tung, wie etwa die Einführung eines neuen Festtages, in den von ihm
überkommenen älteren Text einzustellen vergessen konnte, so ist doch
kaum anzunehmen, daß ein solcher, der unter Gizurr jarl an seiner
Sammlung arbeitete, übersehen haben könnte, einer Bestimmung zu
gedenken, die gerade damals wichtig genug beftmden wurde, um zu
^) E, §.248, S.196: En efeigi er Tihr arftökumadr^ pä akal halda hkrfhp<xt ad madr
vetr 3'' er kann var i hüaum med^ nema fyrr komi ncesta brcedri eda nänari madr.
^) E, §. 125) S. 239 : Efvdrr landi andaz atistr, pd skal fHt taka nceata brcedri eda ndnarif
enn fhlt ligyr shr jola nott ena pridju. ') Diplom. Islaud., I, S. 620, §.4: Erfdir shdu
upp gefaztfyrir Ulen&kum mönnum i Noregiy hvörsu Ungi aem pasr hafa atadity pegar rhUir
koma arfar tily eda pelrra löglegir ttmhod^menn.
ÜBER DAS ALTER EINIGER ISLÄNDISCHER RECHTSBÜCHER. H
einer der Bedingungen des ünterwerfungsvertrages gemacht zu werden, —
um 80 weniger anzunehmen, als die Erwähnung des durch diesen Ver-
trag abgeschafiten Bechtssatzes ihn ganz unzweifelhaft an die erst neuer-
lich eingetretene Veränderung hätte erinnern müssen. In die Jahre
1258 — 62 dürfte hiemach die Entstehung des Textes unserer K, in die
Jahre 1262 — 80 dagegen die Entstehung des Textes unserer St mit
ziemlicher Sicherheit zu setzen sein, und kann natürlich gegen die letz-
tere Zeitbestimmung in keiner Weise eingewendet werden, daß ja
St ganz in derselben Weise wie K an der weiter oben besproche-
nen Stelle neben dem Könige auch den Jarl nennt. Wenn nämlich
zwar mit Bestimmtheit behauptet werden darf, daß der den Jarl nen-
nende Zusatz nur während desjenigen Jahrzehntes entstanden sein könne,
während dessen es wirklich auf der Insel einen Jarl gab , so ist doch
damit nur die Unmöglichkeit der firüheren, nicht aber auch der späteren
Entstehung der Compilation bewiesen, da ja jener Zusatz, wenn einmal
entstanden, recht wohl auch in eine Compilation Aufnahme geftmden
haben konnte, zu deren Entstehungszeit er doch selber nicht mehr hätte
entstehen können. Nur das Jahr 1262 setzt ftir den Ursprung der im-
serer K, nur das in die Jahre 1271 — 80 zu setzende Alter der Hand-
schrift fiir den Ursprung der unserer St zu Grunde liegenden Compi-
lation eine bestimmte Endgrenze.
Zweierlei bleibt freilich auch dann noch zweifelhaft, wenn man
die hiemit gewonnene Zeitbestimmung als begründet annimmt. Einmal
nämlich ist durch dieselbe nur das Alter der Compilationen bestimmt,
welche in unseren beiden Handschriften niedergelegt sind, nicht aber
das Alter dieser Handschriften selbst, und es fehlt nicht an Anhalts-
puncten fiir die Vermuthung, daß wir bei beiden zwischen dem Com-
pilator des Textes und dem Schreiber der uns erhaltenen Handschrift
zu unterscheiden haben möchten. Bezüglich der K zunächst kann die
Nothwendigkeit einer solchen Unterscheidung nicht dem geringsten
Zweifel unterliegen. In einer Reihe von Fällen lässt sich nämlich die
G-estalt, welche deren Text zeigt, nur unter der Voraussetzung erklären,
daß ein ungeschickter Abschreiber Zusätze und Randbemerkungen,
welche, seine Vorlage enthalten hatte, am unrechten Orte und zum
Theile in sinnlosester Weise mit abgeschrieben habe. So wird z. B.
in K §. 86, S. 150 des Näheren bestimmt, was es heiße, wenn in der
„uppsaga" d. h. dem Texte der Haflidaskrä, vorgeschrieben werde,
die Bekanntmachung einer erlittenen Beschädigung müsse fyrir hina
pri^u 8Öl erfolgen; aber erst um einige Zeilen später folgt, §. 87, S. 150,
die Bestimmung selbst nach, welche durch jene Bemerkung glossiert
12 KONRAD MAURER
werden wollte. Offenbar hatte der Abschreiber das an den Rand ge-
schriebene Glossem irriger Weise an einem etwas zu frühen Orte ein-
gerückt So wird femer ein andermal eine Bestimmung über den Handel
mit fremden Kaufleuten mitten in die Vorschriften hineingeschoben,
welche die Verpflichtung der Bauern zur Hilfeleistung beim Schiffs-
zuge regeln; gerade an dem Punkte, wo §. 166, S. 72 diesen letzteren
Gegenstand fallen lässt, nimmt ihn §. 168, S. 74 wieder auf, so daß
man nur den jene andere Materie behandelnden §, 167 zu streichen
braucht, um den natürlichen Zusammenhang der Darstellung wieder
hergestellt zu sehen. Augenscheinlich hat der ungeschickte Copist jene,
auch durch ihren Inhalt als neues Recht sich verrathende Bestimmung
am Rande seiner Vorlage vorgefunden, und dann, vielleicht durch ein
verkehrt gesetztes Verweisungszeichen irregef&hrt , an der unrechten
Stelle eingeschaltet. Hin und wieder finden sich auch in der Hand-
schrift Verweisungen, welche sich auf Bestimmungen beziehen, die an
einer späteren Stelle in derselben in extenso mitgetheilt werden *).
Möglicherweise war die Meinung des Compilators dabei die gewesen,
daß gelegenthch einer späteren Überarbeitung seiner Materialiensamm-
lung die betreffende Bestimmung, auf die er erst später gestoßen war,
an dem durch die Referenz bezeichneten Orte bereits eingestellt, oder
doch wenigstens beiläufig erwähnt werden sollte ; möglicherweise war
es ihm auch nur um eine Marginalnotiz als Stütze fär sein eigenes Ge-
dächtniss zu thun gewesen: unmöglich aber konnte er diese so abge-
rissen wie sie dasteht in den Text seiner Compilation selbst eingestellt
haben, — unmöglich konnte er femer die Referenz fiiiher in diese ein-
getragen haben, als die vollständige Bestimmung selbst, auf welche sich
dieselbe bezieht, ü. dgl. m. In der That zeigt sich sofort, so wie man
nur erst zwischen dem Schreiber unserer Handschrift und dem Com-
pilator ihres Textes zu scheiden gelernt hat, daß der erstere zwar mit
seiner Vorlage ohne alles Verständniss umgegangen ist, daß aber der
letztere bei deren Herstellung in sehr umsichtiger Weise verfuhr. Ihm
war es augenscheinlich zimächst nur um eine möglichst vollständige
Sammlung des Materiales als solchen zu thun, während er an dessen
Verarbeitung, wenn überhaupt^ so doch jedesfalls erst in zweiter Linie
*) Vgl. z. B. §. 157, S. 62 : Ef kana er olhU, usque hewiilisbüa 9. konunnar, dann
§. 158, S. 54: Ef kona er olhtt, mit §. 161, S. 58 und 59, wo die Bestimmung vollständig
zu lesen ist. Femer §. 71, S. 121—122, welche Stelle nicht nur später in §. 244, S, 189,
sondern auch schon früher in §. 60, S. 109 in Bezug genommen wird, sowie §. 94, S. 168,
dann 169, wo eine Stelle in Bezug genommen wird, welche doch erst auf S. 170 nach*
olgt, u. dgl. m.
ÜB£R DAS ALTER EINIGER ISLÄNDISCHER RECHTSBÜCHER. 13
dachte. Er sclirieb demnach zunächst größere Stücke ab wie er sie fand^
ohne sich um deren Beihenfolge irgend zu kümmern ^ und er trug so-
dann theils an deren Band, theils aber auch an deren Schluß^ wie sich
eben dazu Baum finden wollte^ Ergänzungen theils in extenso^ theils
aber auch nur in Form von Beferenzen nach^ wenn es zu vollständiger
Mittheilung an Platz oder Zeit fehlte; zum Theil beruhen dabei diese
Ergänzungen auf späteren Novellen^ welche die Bestinmiungen des äl-
teren Bechtes in irgend welcher Beziehung erweiterten oder veränder-
ten^ zuweilen aber auch lediglich auf anderen Becensionen eines zuvor
schon in extenso mitgetheilten Textes^ oder es handelt sich wohl auch
um einzelne Glosseme, oder um die Benutzung anderweitiger juristischer
Aufeeichnungen, welche der Compilator zur Vervollständigung der von
ihm gebrauchten Haupttexte heranziehen zu sollen glaubte. Längere
Zeit scheint dieser an seiner Sammlimg gearbeitet zu haben, und daraus
sich zu erklären, daß, wie oben bemerkt, nicht selten an früheren Stellen
derselben Beferenzen vorkommen, welche auf später vollständig mitge-
theilte Stellen verweisen, — daß femer so mancherlei Wiederholungen
einerseits imd Widersprüche andererseits in den verschiedenen Theilen
des Textes sich ergeben, — daß endlich, zumal am Schlüsse des Ganzen,
ein buntes Gemisch von Stücken sich vorfindet, welche ihrem Inhalte
nach zu den verschiedensten Theilen des Ganzen gehören. Die Umsicht,
mit welcher das reiche Material zusammengetragen, jede irgend erheb-
liche Abweichung unter den verschiedenen, dem Compilator zugängli-
chen Becensionen verzeichnet^ endUch jede legislative Neuerung am
gehörigen Orte verzeichnet ist, lässt auf einen eben so kenntnissreichen
als sorgfältigen und fleißigen Juristen schließen; mag sein, daß die
ganze Compilation ihm nur als eine Vorarbeit fiir eine ins Auge ge-
fasste Bearbeitun£c des sesammten Landrechtes hatte dienen sollen, —
mag sein, daß^selbe nur zu Zwecken der Praxis von ihm angdegt
war, und zu einer litterarischen Verwerthung von Vornherein in g^
keiner Beziehung stand: gewiß ist nur soviel, daß die Ungeschlacht-
heit, mit welcher der Abschreiber die vollständigen Collectaneen, wie
er sie vorfand, copierte, ohne zwischen Text, Nachträgen, MarginaUen
irgendwie zu unterscheiden, — daß diese Ungeschlachtheit, welche
unserer K vielfach ein so monströses Aussehen verleiht , eben nur
ihrem Schreiber und in keiner Weise dem Compüator ihres Textes zur
Last fällt. — Ob bezüglich unserer St in gleicher Weise zwischen
einem Compilator ihres Textes und dem Schreiber der Handschrift zu
unterscheiden sei, lässt sich wohl kaum mit gleicher Bestimmtheit ent-
scheiden ; höchst wahrscheinlich möchte ich aber auch in diesem Falle
14 KONRAD MAÜEER
die Sache finden, und zumal folgendes VorkommnisB zu Gunsten dieser
Annahme geltend machen. In der K sowohl wie in der St ist ganz
gleichmäßig ein Abschnitt zu finden^ welcher \vm hrosareiMr über-
schrieben ist, und von dem widerrechtlichen Gebrauche fremder Pferde
handelt. In K folgt derselbe unmittelbar auf das Eherecht; in St.
ist er dagegen, seinem Inhalte weit angemessener, in das Vertrags-
recht eingeschaltet. Nun zeigt aber das Eherecht von St an seinem
Ende zwei Capitel, welche unzweifelhaft zu dem Abschnitte vm hrossr
reiäir gehören ') , und es ist somit klar , daß dieser in der Vorlage
von St ganz dieselbe Stelle' eingenommen hatte wie in der K; die der-
zeitige Anordnung, oder vielmehr Unordnung, lässt sich dabei kaum
anders erklären als durch die Annahme, daß der Compilator von St
den ganzen vom Pferderecht handelnden Abschnitt ausglich seiner
Vorlage folgend ebenfalls am Schlüsse des Ehereehtes hatte folgen lassen,
und dann hinterher erst an einen seinem Inhalte besser entsprechenden
Ort zu verweisen beschloß, — daß er femer, den Umstand benutzend,
daß derselbe mit einem neuen Bogen begann, einfach diesen Bogen
aus seiner Handschrift herausnahm und an einem späteren Orte in die-
selbe wieder einlegte, übersehend, daß die beiden letzten Capitel des
Pferderechtes noch auf den nächstfolgenden Bogen hinüberliefen, der
doch um seines übrigen Inhaltes willen an seiner Stelle verblieb, —
daß endlich der spätere Abschreiber, dieses Versehen nicht bemerkend,
an der früheren Stelle einfach fortschrieb, als ob nichts fehle und nichts
zu viel sei, und dadurch die izwei letzten Capitel des Pferderechtes in
das Eherecht herein zog, während er den ganzen übrigen Abschnitt
erst im Vertragsrecht brachte. Es scheint mir rein undenkbar, daß der
Compilator selbst einer solchen Gedankenlosigkeit sich hätte schuldig
machen können, zumal da derselbe sonst in der Verarbeitung der von
ihm überkommenen Materialien nichts weniger als ungeschickt sich er-
weist ; bei einem bloßen Abschreiber dagegen , möglicherweise einem
Menschen olme alle und jede juristische Bildung, wird mir der gleiche
Verstoß ganz wohl begreiflich. — Glaubt man übrigens auf diese An-
haltspunkte hin zMrischen den Compilatoren unserer Texte und den
Schreibern ihrer Handschriften unterscheiden zu dürfen, so ist doch
andererseits klar, daß zwischen der Zeit, in welcher diese und jene
wirkten, kein großer Abstand angenommen werden kann. Es wurde
oben bemerkt, daß wir und warum wir allen Grund haben anzunehmen,
daß unsere St in den Jahren 1271 — 80 geschrieben worden sei; konnte
*) Fe8ta}>., cap. 67 und 68, S. 382—383.
ÜBEß DAS ALTER EINIGER ISLÄNDISCHER RECHTSBÜCHER. 15
deren Text nach dem oben Angeführten nicht vor dem Jahre 1262 ab-
geschlossen worden sein^ so bleibt höchstens ein Abstand von 9—18 Jah-
ren zwischen dem Zeitpunkt übrig, in welchem der Compilator seine
Thätigkeit beendigte^ und dem anderen, in welchem der Schreiber seine
Copie anfertigfie. Wenn femer der Text der K nach dem Obigen in
den Jahren 1258 — 62 abgeschlossen wurde, so muß auch von ihm die
uns w>rliegende Abschrift nicht viel später genommen worden sein,
da alle Autoritäten darin übereinstimmen, daß die Schriftzüge dieser
Handschrift auf eine etwas frühere Entetehungszeit derselben vergUchen
mit St schließen lassen ') ; in den Jahren 1260—70 also dürfte diese
Handschrift etwa geschrieben sein. Beide Compilationen sowohl als
deren Handschriften gehören ganz gleichmäßig derjenigen Zeit an, in
welche wir die Vorarbeiten zu den späteren norwegisch -isländischen
Gesetzbüchern zu verlegen haben, und derselben Zeit, in welcher auch
die Sagenschreibimg eine ganz eigenthümlich juristische Richtung ein-
zuschlagen begann'); hiezu stimmt aber auch vollkommen die Art, in
welcher sie sich dem überlieferten Bechtsstoffe gegenüber verhalten,
und selbst die geringe Zeitfrist, welche zwischen der Entstehung des
einen und des anderen Rechtsbuches in Mitte lag, scheint auf deren
Verhalten in dieser Beziehung nicht ohne Einfluß geblieben zu sein.
In K wird noch auf staatsrechtlichem Gebiete eben so gut wie auf
privatrechtlichem frischweg das alte Recht des Freistaates als das gel-
tende Recht vorgetragen. Von den Goden nicht nur, sondern auch vom
Gesetzsprecher und von der nach althergebrachter Weise zusammen-
gesetzten lögritta wird ausftlhrlich gehandelt; die Beziehungen zu Nor-
wegen aber und zu dem dortigen Könige sind noch lediglich auf Grund
der vom heiligen Olaf ertheilten Privilegien geordnet, und nur an ganz
vereinzelten Stellen, wie etwa in einigen der mitgetheilten Vergleichs-
und Friedensformularien , macht sich die Thatsache bemerklich, daß,
wenn auch noch nicht im ganzen Lande, so doch in einem großen Theile
desselben, der norwegische König bereits als Oberherr betrachtet wurde.
Es entspricht dieses Verhalten vollkommen den Zuständen der Insel
unmittelbar vor ihrer rechtsförmlichen Unterwerfung, sofeme man da-
mals auf Island in (Jer That noch an das Fortbestehen der alten Ver-
fassung, vorbehaltlich nur etwa einer dem Könige imd dem Jarle als
seinem Vertreter zuzugestehenden Oberhoheit glauben, und mit einer
bloßen Mediatisierung durchzukommen hoffen konnte. In St dagegen
') Jon Sigurdsson meint, a. a. 0., S. 75, der Unterschied möge höchstens 20 Jahre
betragen. *) Vgl. hierüber meine Bemerkungen in Bd. 12, S. 481 - 482 dieser Zeitschrift.
16 KÖNEAD MAÜBER, ÜKBB DAS ALTER etc.
erscheinen zwar auch noch die Goden als die Inhalier der Staats-
gewalt; aber die von der gesetzgebenden Versammlung, vom öesetz-
sprecher, von der Dingordnung handelnden Abschnitte sind aus dieser
Compilation verschwunden, was doch wohl nur auf den Umstand zurück-
geführt werden darf, daß zu der Zeit, da dieser Text compiliert wurde,
das Staatsrecht der Insel bereits vöUig in der Schwebe war, so daß
man einerseits die altüberlieferten verfassungsrechtlichen Bestimmungen
nicht mehr als geltendes Recht zu behandeln vermochte, imd anderer-
seits doch auch noch keine bestimmt ausgeprägte neue Normen besiUJ,
welche jene älteren hätten ersetzen können '). In der That ließ sich in
dem Jahrzehnte, welches der Unterwerfung Islands unter den König
von Norwegen zunächst folgte, kaum ein anderer Standpunkt einneh-
men. Auch jetzt noch mochte man freilich darüber im Unklaren sein,
wie weit die im Flusse befindliche Neuerung greifen, bis zu welchem
Grade zumal die Schmälerung der den alten Godengeschlechtem zu-
stehenden Befagnisse reichen werde, bezüglich deren man ja bei der
Unterwerfang nur an eine Mediatisierung, nicht an eine völlige Unter-
drückung gedacht hatte *) ; aber den Glauben wenigstens musste man
von jetzt ab völlig fahren lassen, daß auch in anderen Beziehungen
die alten republicanischen Verfassungsformen sich forterhalten würden.
Auch von dieser Seite her wird demnach das Ergebniss bestätigt, wel-
ches die obige Auseinandersetzung in Bezug auf die Entstehungszeit
imserer beiden Texte geliefert hat, während sich zugleich erklärt, warum
man gerade in den Jahren 1258 — 71 oder allenfalls auch noch 1271 — 80*
am Abschi*eiben der neu entstandenen Compilationen ein sehr hohes
Interesse nahm, wogegen von der Einfilhrung der Jämsida, in höherem
Maße noch der Jönsbök an, mit welcher die Umgestaltung der isländischen
Verfassung im monarchischen Sinn als im Wesentlichen entschieden
gelten konnte, das Zurückgreifen auf das Recht des Freistaates alle
practische Bedeutung einbüßte und somit auch, mit einziger Ausnahme
des Christenrechtes, alle Veranlassung wegfiel, welche zu fernerem Ab-
schreiben der älteren Rechtsbücher führen konnte.
Ein zweiter und ungleich wichtigerer Pimkt aber, welchen die obige
Erörterung noch unaufgeklärt lässt, betrifit sodann die einzelnen von
^) Ich modificiere damit einigermaßen die in meinem An^wtze über die Grägis
S. 31 ausgesprochenen Ansichten. ^ In späteren Emenerongen des Unterwerfongs-
Vertrages tritt bekanntlich die Forderung ganz bestimmt formuliert auf at ialenzkir th
lögmenn ok syalumenn d landi vorOy a/p^rra cettum, aem atfdmu hafa godordin uppge/U;
vgl. Diplom. Island., I, S. 636, §. 3; Lagasafn, I, 8. 24 und S. 32; Safhtil sOgu fslands,
n, S. 168.
K. MEYER, DAS HILDEBRANDSLIED. 17
! den Compilatoren der K und der St benutzten älteren Stücke , deren
I Beschaffenheit und Entstehungszeit natürlich durchaus unabhängig ist
I von der Beschaffenheit und Entstehungszeit der Compilationen, als deren
Bestandtheile sie uns erhalten sind. Dieser Punct, dessen Aufklärung
allerdings in juristischer nicht nur, sondern auch philologischer Hinsicht
von ganz besonderem Werthe sein müsste, ist indessen ganz unendlich
schwer zu erledigen, da die in unsere Compilationen aufgenommenen
Stücke zumeist in sprachlicher wie in sachlicher Beziehung gar viel-
fach verändert, und gutentheils auch wohl schon von Anfang an nur
aus abgeleiteten Quellen entlehnt worden sind, und jedesfalls setzt seine
befriedigende Erörterung das detaillierteste Eingehen in alle Einzeln-
heiten eines jeden größeren Abschnittes beider Sammlungen voraus.
An dieser Stelle kann demnach jedesfalls schon aus räumlichen Grün-
det auf diesen Theil der Untersuchung nicht eingetreten werden, so
wünschenswerth auch deren Durchführung in mehr als einer Beziehung
erscheinen dürfte.
MÜNCHEN, den 8. August 1869.
DAS HILDEBRANDSLIED.
Das Hildebrandslied bildet in sprachlicher Hinsicht den diame-
tralen Gegensatz des Wessobrunner Gebets. Während dieses anfänglich
in der Sprache der alten Sachsen gedichtet war und zwar höchst wahr-
scheinlich als Anfang der altsächsischen Übertragung des alten Testaments
(vgl. Wackemagel , Ztschr. f. deutsche Philologie 1 , 291 fg. und
W. Scherer, Ztschr. f. d. österr. Gymnasien 1869), dann aber von
einem Mönche des bairischen Klosters Wessobrunn in eine hoch-
deutsche Mundart des Südens umgeschrieben wurde , ist beim Hilde-
brandsliede gerade das Gegentheil geschehen ; zuerst in althochdeutscher
Sprache und folglich von einem Sänger des südlichen Deutschlands
verfasst, ist es später durch zwei Fuldaer Mönche wenigstens theilweise
in die niederdeutsche oder altsächsische Sprache umgeschrieben worden.
Schon Holtzmann hat (Germania 9, 289 fg.) den richtigen Sachverhalt
dargestellt, hat jedoch, wie ich schon anderwärts (Dietrichssage S. 20
Anm. 1) bemerkt habe, sowohl zu viel als zu wenig ausgesprochen;
er hat namentlich (Untersuchungen über das Nibelungenlied S. 158 fg.)
aus dem an und fiir sich richtig erschauten sprachlichen Zustande des
GERMANIA. Neue Reihe III. (XV.) Jahrg. 2
18 K. MEYER
Liedes Schlüsse gezogen, welche mit demselben in keinerlei nothwen-
digem Zusammenhange stehen. Es wird daher nicht unpassend sein,
die ganze Untersuchung noch einmal aufzimehmen und das von ihm
Vorgebrachte je nach Umständen zu bestätigen oder zu berichtigen.
Wenn das eine Mal der hochdeutsche Diphthong ei und das an-
dere Mal das ihm entsprechende sächsische S steht, so weist schon
dieser Umstand auf Mischung hin. Wenn femer die Consonanten ein
und desselben Wortes einmal auf der gothisch-germanischen und dann
wieder auf der hochdeutschen Stufe stehen (ik, ih u. s. f.), so bestätigt
der Consonantenbestand die Vermuthung, welche sich schon aus dem
Vocalismus ergeben konnte. Auch die Allitteration erscheint in Folge
dieser Übertragung mehrfach gestört. Es heißt I, 15 u. 16 (ich eitlere
nach dem Facsimile W. Grimms):
hina miti TÄeotrihhe
enti sitierö degand filu.
Zwischen tJi und d ist keinerlei Allitteration möglich ; es muß entweder
beide Male th oder beide Male d gestanden haben. Setzen wir statt
der niederdeutschen Form 'Theotrthhe' die hochdeutsche mit der Media
anlautende, wie sie I, 18 richtig steht, so ist die Allitteration herge-
stellt. Sodann die angefochtene Stelle I, 16 fg.:
her f[xrl&i in {ante
Zuttila Sitten
prÄt in 6üre,
&am unwahsan,
arbeolaosa.
Entweder hatte prut wie hCt^re und harn die Media im Anlaut, oder
letztere Worte hatten wie pr€t die Tenuis, also
prüt in pure
pam unwahsan.
Im Übrigen enthält die Stelle durchaus nichts auffallendes, sobald
man Ivttila mit Grein (Hildebrandslied S. 20) substantivisch und prUii
als Apposition dazu fasst. Auch MüUenhoffs Verweisung auf Gudrünar-
kyiäa I, 19 war keineswegs so verkehrt, da durch dieselbe nur die
Bedeutung von luttily keineswegs aber die von pHU sollte imterstützt
werden.
Es muß also entweder ein niederdeutscher Schreiber eine hoch-
deutsche Vorlage abgeschrieben haben, oder es hat umgekehrt ein
Oberdeutscher ein niederdeutsches Original vor sich gehabt. Holtzmann
hat (a. a. 0. S. 291) aus unzweideutigen Anzeichen bewiesen, daß von
DAS HILDEBRANDSLIED. 19
den beiden denkbaren Fällen der erstere wirklich eingetreten ist ; doch
lässt sich die Zahl der Belege sehr leicht vermehren.
Das Pronomen reflexivnm oder reciprocum sih, welches Wacker-
nagel (a. a. O. S. 298) anflihrt, ist nur im Althochdeutschen, nicht aber
im Altsächsischen möglich. Nicht minder stichhaltig ist ein zweiter
von Wackemagel beigebrachter Grund, Es heißt II, 37:
dat du noh bi desemo riche
reccheo ni wurti.
Das Wort, um welches es sich handelt, heißt angelsächsich vreccea,
vrecca, vrcecca und muß im Altsächsichen wrekkio gelautet haben (vgl.
die Belege in Müllenhoffs und Scherers Denkmälern p. VIII) ; damit
aber wäre der Stabreim zerstört, während die vom Abschreiber nicht
geänderte hochdeutsche Form ohne w denselben gerettet hat. Endlich
noch ein dritter Grund. Der sonst übHche Name der beiden Helden
Hiltibrant' und 'Hadubrant' wechselt mehrmals mit den Formen 'Hilti-
braht' und 'Hadubraht*. Schon Holtzmann hat (S. 290) darauf aufinerk-
sam gemacht, daß ein Aufzeichner, welcher die Helden Hildebrand und
Hadubrand aus lebendiger Überlieferung kannte, über ihre Namen nicht
im Zweifel sein konnte, daß wir diese Abweichung mithin dem Ab-
schreiber verdanken; wenn der erste Strich des n zu groß gerathen
war, 80 konnte dasselbe fiLr einen bloßen Abschreiber leicht das Aus-
sehen eines h gewinnen. Aus hrard wurde also hrahJt. Das setzt aber
doch voraus, daß die Vorlage die hochdeutsche Wortform mit t und
nicht etwa die niederdeutsche mit d hatte; der Schreiber muß an hrdht
(stm. Lärm; vgl. H^Uand 4536. 4949) gedacht haben; daneben ließ er
freilich da und dort die richtige Form stehen. Hätte die hochdeutsche
Vorlage hrand gehabt, so hätte der Abschreiber nichts geändert; in
hrahd hätte er das Wort schwerlich entstellt, weil dieses ein Unding
gewesen wäre , und hrand hätte er als regelrecht sächsische Form *)
ruhig können stehen lassen.
Das Hildebrandslied ist also eine stark ins Altsächsische spielende
Abschrift einer althochdeutschen Vorlage. Es dürfte nun nicht uninteres-
sant sein, zu untersuchen, welcher hochdeutschen Mundart das Lied
ursprünglich mag angehört haben. Die überall, selbst nach l und n bei-
behaltenen t weisen auf eine streng hochdeutsche Mundart hin; ebenso
die anlautenden, niederdeutschem k entsprechenden eh. Während femer
Denkmäler der mittlem Mimdarten als Kennzeichen der schwachen Con-
*) Heyne Altniederdeutsche Eigennamen aus dem 9. bis 11. Jahrhundert S. .S5,
2*
20 K. MEYER
jugation entweder wie z. B. die thüringischen Merseburger Zaubersprüche
bei d stehen geblieben sind {heptidun, lezzidun, clühodun), oder wie der
fränkische Ludwigsieich zwischen d und t wechseln, ist t auch hierin
strenge durchgeführt. Das Hildebrandslied muß also ursprünglich in
entschieden oberdeutscher, alamannischer oder bairischer Mundart ge-
dichtet worden sein.
Die Mundart des Hildebrandsliedes zeigt sich am deutlichsten
auf dem Gebiete seines Vocalismus; es finden sich da nicht wenige
Worte, welche hinsichtlich ihrer Vocale und noch mehr ihrer Diph-
thonge von dem sogenannten gemeinen Althochdeutsch abweichen. Zu-
nächst eine Abweichung, welche bis ins neunte Jahrhundert hinein den
Mundarten des Südens mit derjenigen des mittleren Deutschlands ge-
mein ist, welche wir die hochfränkische nennen können (MüllenhoflF
und Scherer, Denkmäler S. X, XI), au für ow. Wir lesen demnach
hauwan (42), rauba (45), daneben freilich auch hougä (27).
Bezeichnender noch ist es aber, wenn das Lied häufig statt des
gemein althochdeutschen u^ bloßes ö, statt ö den diphthongischen Laut
ao setzt. Es heißt demnach frdtdro (7), frdtS (13) , gistontun (21), chon-
nim (23), fdrtds (12), gdtm (36), mdUi (48), stont (51); daneben auch
cnuosles (9), gistuontun (19), muotbi (49), hruomen (49). Femer findet
sich arbeolaosa (17), friuntlaos (20), aodhlihho (43), taoc (44) , daneben
fdhem (7), ^sta/r (14), flöh (15). Endlich wechselt noch, soweit nicht
sächsisches ^ eingetreten ist, ai mit ei; es steht einerseits ai in staim-
hört (51), andererseits ei in urheitun (1), heittu (14), giweit (15), gilei-
tds (26), cheismnngum (27), gimeinün (48).
Aus diesem Schwanken zwischen au und ow, 6 und wo, ao und 8
glaubte nun Holtzmann den Schluß ziehen zu müssen, daß das Hilde-
brandslied bairische Abschrift einer karlingischen Urschrift sei (Ger-
mania 9^ 292). Es wird diese Annahme scheinbar unterstützt durch
die Form , in welcher uns der Name von Dietrichs Gegner daselbst
überliefert ist, wenn wir mit Rieger *) annehmen, daß die ursprüngliche
Namensform Otawachar, Otwachar durch ein geläufigeres Otachari ver-
drängt worden sei, welch letzteres hinwiederum fränkische Form des
gemein ahd. Ötheri sei. Es lässt sich aber mit nicht geringerer Wahr-
scheinlichkeit behaupten, daß das ch nicht fränkische Eigenthümlichkeit
für gemein althochdeutsches ä, sondern hochdeutsche Aspirata statt
der ursprünglich germanischen Tenuis sei, und daß im übrigen Aphse-
«) Vgl. Zeitschrift für deutsche Mythologie, I, 234.
DAS HILDEBRANDSLIED. 21
rese des w hinzugekommen ist. In diesem Falle freilich beweist die
Namensform nichts mehr für die fränkische Heimat des Liedes; hin-
gegen stellt sie sich zu dem von Wackemagel besprochenen Gundia-
cus ^). Im Übrigen braucht diese Aphaerese nicht erst der Mundart
unseres Liedes anzugehören ; vielmehr findet sich dieselbe schon bei
Eugippius im Leben St. Severins Cap. 38 und 39, also schon zu Odoa-
kers Zeit»),
Also die Form, in welcher uns das Hildebrandslied Odoakers
Namen überliefert hat, bietet nichts^ was einen fränkischen Ursprung
des Liedes überzeugend bewiese ; im Übrigen aber ist der Consonanten-
bestand, wo er nicht streng althochdeutsche Formen aufweist, ein
durchaus niederdeutscher. Immerhin ließe sich die Behauptung auf-
stellen, die von Holtzmann angenommene zweimalige Übertragung des
Originals, zuerst in bairische, dann in sächsische Mundart habe den
ursprünglichen Consonantenbestand dergestalt verwischt, daß derselbe
jetzt schlechterdings nicht mehr erkennbar sei ; dieser Behauptung müsste
indessen der Bestand der Vocale in einer Weise zu Hilfe kommen,
welche entgegenstehende Ansichten schlechterdings unmöglich machte.
Was zunächst den Diphthongen au anbetriffit, so spielt er in den
firühesten Jahrhunderten unserer Litteratur eine bedeutende Rolle. Auf
alamannischem Boden herrscht er z. B. im Vocabularius S. Galli und
den sogenannten Keronischen Glossen; femer in bairischen Denkmälern,
also in der Exhortatio (Fuldaer Hs.), den Hrabanischen Glossen^ im
Gedicht vom jüngsten Gericht Daneben aber findet sich au auch in
fränkischen Denkmälern und zwar in denjenigen Theilen Frankens, fllr
welche der Name 'hochfränkisch' sich eignet (fränkisches Taufgelöbniss,
Frankfurter Glossen, Fuldaer Beichte, Tatian) ^). So wenig aber das
Hildebrandslied sein au ausschließlich verwendet, ebensowenig die hoch-
fränkischen Denkmäler einerseits und der Muspilli andererseits; letz-
terer hat laue und daneben poum, hugjü, houpit] dennoch zweifelt Nie-
mand an seinem bairischen Ursprung.
Sodann d statt des gemein althochdeutschen uo. Die alamannischen
Denkmäler (Kero, Interlinearversion der Benedictinerregel) haben frei-
lich vorherrschend ua] doch findet sich bei Kero und namentlich in dem
noch altern Vocabularius S. Galli auch a; letzterer hat demnach sonari,
Jrdtery durohgoot, goomo^ ploot, pldtadray stooly grSit, hloit, chdi, looc, md-
ter , steofmdter , fdriridt (Wackemagel Altd. LB , 2. Aufl. CLXCII),
*) In Bindings bur^ndisch-romanisehem Königreich, I, 345. ') Vgl. Rieger
a. a. O. ») MüUenhoff, Denkmäler p. XI.
22 K. MEYER
grooztuu'^ daneben freilich schon huorey gaduadi. Auch in fränkischen
Denkmälern erscheint hie und da & statt uo^ am häufigsten und noch
überwiegend in den Frankfurter Glossen, schon sehr vereinzelt im Isidor.
Den weitesten Spielraum indessen hat 5 in den bairischen Denkmälern
des achten und des beginnenden neunten Jahrhunderts, also in der
Exhortatio, den Hrabanischen Glossen und flir das neunte Jahrhundert
im Wessobrunner Gebet (Wackemagel, Ztschr. f. d. Phil. I, 308). Im
Muspilli ist uo schon durchgedrungen, wechselt aber theilweise mit i^a.
Endlich ao. Der Vocabularius S. Galli enthält ein Beispiel (Jbaona) ;
außerdem sind einzelne alamannische Eigennamen des achten Jahr-
hunderts zu nennen wie Aoto^ Aotahar, Oaozhert, Zaozzo (Weinhold
AI, Qt. 50). Auch ao herrscht gleich dem eben besprochenen ö am
durchgreifendsten auf bairischem Boden und ist demnach in der Ex-
hortatio (Fuldaer Hs.), den Hrabanischen Glossen, den Casseler Glos-
sen, den Freisinger, Emmeraner und Melker Glossen häufig. Der Mus-
pilli kennt diesen Laut nicht mehr ; hingegen im Wessobrunner Gebet
und den Wessobrunner Glossen mag er eher nur zufällig fehlen.
Aus alledem —- und es wäre unschwer, noch mehr Beispiele zu
sammeln — ergibt sich zur Genüge , wie wenig man berechtigt ist,
schon in den nicht niederdeutschen Bestandtheilen des Hildebrands-
liedes zwei Mundarten anzunehmen. Es ergibt sich überhaupt der*
Grundsatz , daß nur sehr wenige Sprachdenkmäler ganz genau jenem
Schema entsprechen, welches Holtzmann (Kelten und Germanen S. 177)
fUr den ältesten Vocalbestand der alamannischen, bairischen und firän-
kischen Quellen aufgestellt hat.
Da auch das Hochfränkische kein ao hat, und da sich schon aus
dem Consonantenbestand des Hildebrandsliedes (s. oben) ergeben hat,
daß wir es mit einem ursprünglich rein oberdeutschen Denkmal zu
thun haben, so kann das Original nur der bairischen oder der alaman-
nischen Mundart angehört haben. Gegen die alamannische Mundart
spricht aber einerseits das gänzliche Fehlen von wa, andererseits
die verhältnissmäßige Seltenheit von ao in alamannischen .Denkmälern
bei verhältnissmäßiger Häufigkeit dieses Diphthongs im Hildebrands-
lied. Das Hildebrandslied war mithin ursprünglich in bairischer
Mundart gedichtet. Im Übrigen aber bildet es von den strenger
bairischen Denkmälern (Exhortatio , Casseler Glossen , Wessobrunner
Gebet, Hrabanische Glossen) eine Art Übergang zum Muspilli, wel-
cher au zwar noch kennt, ö und ao hingegen nicht mehr. Ob damit
auch ein örtlicher Übergang vom eigentlich bairischen zum hochfrän-
kischen Gebiet verbunden war, ob mithin das Lied vielleicht im
DAS HILDfiBItANDSLlED. 23
bairisclien Nordgau (Oberpfalz) seine eigentliclie Heimat hat, lässt
sich leichter fragen als behaupten. Undenkbar wäre ein solches Yer-
hältniss nicht; der Nordgau war fränkischen Einflüssen schon durch
seine Lage in höherem Grade zugänglich als die übrigen Theile des
bairischen Sprachgebiets.
Nach alledem dürfte eine Übertragung des Gedichtes aus seiner
jetzigen Gestalt in seine rein oberdeutsche ursprüngliche wohl am Platze
sein. Ich folge dabei dem Rieger'schen Texte (Germania 9, 318 — 320).
Ih gihörta daz sagen *
daz sih ttrheizun etnon muotin
.Hiltibrant enti jETadubrant untar Aeijun zweim.
«unufatarungä ir6 «arawä rihtun,
jarutun siS ir6 ^unthamun, ^urtun sih swert ana
Aelitä ubar Aringä, dd si& zuo deru Ailtju ritun.
£nitibrant gimahalta, er was Aeroro man,
/erahes yrötöro, er fragen gistuont
fSh^m trortun, hwer stn /atar träri
/Irihö in /olche *
* ^eddo hwelihhes cnuosles du sts.
ibu du mir eman sages, ih mir di@ andre weiz,
cAint in cAunincrihhe, cAunt ist mir al irmindeot.^
J7adubrant gimahalta, .Hiltibrantes sunu:
^daz sag^tun mir unsar^ liuti, *
alt@ anti fröt^, di^ ^hina wärun,
daz ffiltibrant heizzi min fatar, ih heizzu jFfadubrant.
fom er dstar giweit, floh er Otachres nit
hinan miti Deotrihhe enti sinerd degano filu.
er forfiaz in {ante ^uzzila sizzan
2>rut in pure, joam unwahsan,
arbeolaosa, er reit dstar hinan.
*
des Sit Deotrihhe d!arbä gistuontun
/ateres mines, daz was so /riuntlaos man.
* er was Otachre
ummez i'rri ^
clegano (Zenchisto, unzi Deotrihhe
* darbä gistontun.
24 K. MEYER
er was eo /olches at enti, imo was eo /ehta zi leop,
cAunt was er cÄönem mannun *
ni waniu ih ju Sp habe fiuteo wiso."
„hwaztu ^rraingot [quad Hiltibrant] obana ab himile
#
daz du neo dana halt mit sus nähsippemo ^) man
dinc ni gileitos."
i^ant er do ar arme ^ tüuntane bougä,
cÄeisuringum gitän, so imo sie der cÄuninc gap,
fiiineo truhtin: „daz ih dir iz nu bi Äuldi gibu."
^adubrant gimahalta, fiiltibrantes suno:
„mit ^eru scal man geha. intfähan,
ort widar orte *
du bist dir, alter Hun, wmmez späher,
^anis mih mit dinem w?ortun, wili mih mit dinü «peru i«?erfan :
pist also gialtet man, so du ewin rnwit fortos.
daz «ag^tun mir seo lidantö
«£?estar ubar wentilseo, daz inan wie fumam:
tot ist fiiltibrant, fieribrantes suno."
JKltibrant gimahalta, Äeribrantes suno:
„tt?ela gisihu ih in dtnem i^ichrustim,
daz du ^ab^s Äeime ÄIrron goten,
daz du noh bi desemo rihhe reccheo ni wurti.*^
„tt?elaga nu, waltsint got! [quad Hiltibrant], t^ewurt skihit.
ih wallöta «umaro enti wintro sehstic ur lante,
dar man mih ^o scerita in folch «ceozantero,
so man mir at 6urc einigem &anun ni gifasta:
nu scal mih ^uäsaz chint «uertü hauwan,
fcreiton mit sinu ftillju, eddo ih imo zi &anin werdan.
doh mäht du nu aodlihho, ibu dir din ellc& faoc,
in sus Äeremo man Arusti giwinnan,
i*auba birahanen, ibu du dar einic reht habes.
der si doh nu argosto [quad Hiltibrant] östarliuteö,
der dir nu wiges ««ame, nu dih es so wel lustit,
gunteä giraeinun *
*) Vgl. Wacfcernagel, Ztschr. f. D. Phil. I, 306, 307.
DAS HILDEBRANDSLIED. 25
nius^ der muotti"
^huerdar sih Aiutü dero Äregilo Äruomen^) muotti
erdo desero &runn6nn6 fteiderö waltan."
dö liezun sie e!rist askim scritan,
«carfen «cürim, daz in dem «ciltim stönt
[do] «töfun zuo samane, ^aimbort chlubun,
Aiowun Aarmlihho Auizze scilli,
unzi im iro hintun Zuzzilo wurtuii;
giu^igan miti i&ambnum *
Und nun noch einige Folgerungen, welche der Sprachbestand des
Hildebrandsliedes an die Hand gibt. Daß das Lied in seiner jetzigen
Gestalt nicht aus dem Gedächtniss aufgezeichnet wurde, daß es viel-
mehr Abschrift ist, kann freilich nicht mehr bezweifelt werden; aber
keineswegs ist damit bewiesen, daß das Original nicht aus dem Ge-
dächtniss konnte aufgezeichnet sein. Ob und in w:elchem Grade das
Lied mit der Sammlung Kaiser Karls in irgendwelchem Zusammen-
hange stand, ist höchst zweifelhaft und überdies höchst gleichgiltig.
Hauptsache bleibt der Inhalt des Gedichtes imd nicht die Sammlung,
in welcher dasselbe sich wahrscheinlich nicht einmal befand.
Für den bairischen Ursprung der Dietrichssage überhaupt (E. Mar-
tin in den Heidelberger Jahrbüchern LXII, 151) bietet der des Hilde-
brandsliedes natürlich keinen Anhalt; welche Schlüsse müssten sich
in solchem Falle auf die Lieder der Edda, auf Valdere u. a. m. be-
gründen lassen? Die Harlunge werden freilich auf bairischem Gebiet
früher erwähnt als im Breisgau (W. Grimm, Heldensage S. 38 der
zweiten Ausgabe, Anm.) ; es wird sich also zunächst darum handeln, ob
die spätere Erwähnung des Breisgaus im Chronicon Urspergense wirk-
lieh beweist, daß die Sage dort später als in Osterreich bekannt war.
So lange man freilich das Trugbild eines „Harlungenmythus" schim-
mern lässt und den Markgrafen Rüdiger als mythische Persönlichkeit
hinstellt, begeht man den Fehler^ noch nicht bewiesene Dinge als Be-
weise anzuftQu*en, ein Verfahren, welches meines Wissens in der wissen-
schaftlichen Welt sonst nirgends gestattet ist. Der Harlungenmythus
hegt allerdings noch durchaus im Dunklen, und es wird auch in der
That am besten sein, ihn in seinem Dunkel ruhen zu lassen. Inwiefern
*) Oder hromen? — Hs. hrumen.
26 K. MEYER, DAS HILDEBRANDSLIED.
aber der skandinavische Mythus vom Weltbrand uns wieder auf die
Gothen selbst weisen soll (Ztschr. f. D. Phil. I, 376) , ist mir nicht
klar geworden. Seit Zamckes Aufsatz über Muspilli (Berichte tlber
d. Verh. d. kön. sächs. Ges. d. Wissensch. 17, 191 flf.) sind die Belege
fbr diesen Mythus auf deutschem Boden überhaupt etwas zusammen-
geschmolzen.
Ebensowenig aber vermag ich einzusehen, warum die verehrungs-
volle Erinnerung an Etzel (Martin a. a. O.) nicht den Gothen, sondern
durchaus dem bairisch-österreichischen Stamm angehören soll. Während
mir der für jene zuerst von Rieger beigebrachte Beweis (Ztschr. f. D.
Myth. I^ 232) stichhaltig genug zu sein scheint, lässt sich für diese
weit eher das Gegentheil behaupten. Wenn nämlich das Mittelalter
seine Ungern fllr Nachkommen der Hunnen, diese hinwiederum flir die
Vorfahren jener hielt, so lag es gewiß weit näher, auch die Vorfahren
der nach eigener Erfahrung so verhassten Ungern mit möglichst schwar-
zen Farben zu schildern. Verhindert aber konnte eine solche auf eigener
Erfahrung beruhende Schilderung nur werden, wenn eine noch ältere
Tradition, also die gothische Auffassung der Hunnen, sich in der Epik
schon festgesetzt hatte.
Der mythische Held des Hildebrandsliedes ist Hildebrand selbst.
Ein tieferes Eindringen in den heidnischen Glauben unserer Vorfahren
wird hinsichtlich dieser Sagenfigur wenig nützen, würde höchstens
wieder dazu flihren, die historische Grundlage Dietrichs zu bezweifeln;
Zweifel dieser Art scheinen mir jedoch aller Berechtigung zu entbehren.
Es sind jetzt gerade sechs und dreissig Jahre , seit Lachmann (Über
das Hildebrandslied S. 38) die einzig richtige Auffassung von Dietrichs
Persönlichkeit ausgesprochen hat; dieselbe ist bis auf den heutigen Tag
die Grundlage unserer Sagenforschimg geblieben.
Ebenso gebe ich gerne zu, daß den Rosengärten als solchen my-
thische Anschauungen zu Grunde liegen (Ztschr. f. D. Phil. I, 376);
aber auf die Kämpfe Dietrichs mit Siegfried haben dieselben durchaus
keinen Einfluß gehabt.
BASEL, Juni 1869. K. MEYEB.
27
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER
IM NATIONALEN EPOS GERMANISCHER VÖLKER. *)
Wir sind allzusehr geneigt, in allen menschlichen Dingen, in der
Weltgeschichte wie in der Culturgeschichte, der Freiheit des Indivi-
duums, der Willkür und dem blinden Zufall einen ungebührlichen Spiel-
raum zu verstatten und lassen gar zu sehr außer Acht, daß auch die
geistige Entwickelung der Menschheit, somit auch die Geschichte der
Poesie, als ein Theil der Naturgeschichte zu betrachten ist. Zwar haben
wir bereits gelernt, die Bildung der Sage als einen auf allgemeinen
Gesetzen beruhenden und nach denselben stetig verlaufenden Process
anzuschauen und der Ausdruck ^Naturgeschichte der Sage« ist uns
schon geläufig geworden. Bei der Dichtung aber, die auf ihren früheren
Stufen doch im innigsten Zusammenhange steht mit der Aus- und Um-
bildung der Sage, wollen wir uns noch immer nicht entschließen, ihren
regelrechten, stufenweisen, streng gesetzmäßigen Gang als einen natür-
lichen Process zu betrachten. Und doch entwickelt und gestaltet sich
auch die Poesie aller Völker, deren Geschichte der Dichtung wir ver-
folgen können, ebenso wie die Entwickelung des einzelnen Menschen
und ganzer Völker in ihrer Gesammtheit, wenn auch vielfach bedingt,
begünstigt oder beschränkt durch die gegebenen geographischen, klima-
tischen, staatlichen, internationalen, religiösen Verhältnisse, in steter
Regelmäßigkeit nach allgemeinen, überall und ewig geltenden Gesetzen,
in fest bestimmter Reihenfolge der einzelnen Entwickelungsstufen , auf
denen wir sie aufsteigen sehen zum höchsten Gipfel, der einem Volke
je nach seiner poetischen Begabung erreichbar ist, und wieder hinab-
sinken zu Verknöcherung in der Form, zu Geist- und Geschmacklosig-
keit. So erscheint denn auch bei allen Völkern das Epos, der nationale
*) Wenn des griechischen Nationalepos hierbei in ausführlicherer Weise Erwähnung
geschieht, so berufe ich mich für die Zulässigkeit dieses Heranziehens auf das, was
Moriz Haupt in den Berichten der königl. sächs. Ges. d. Wissensch. zu Leipzig, 2. Band,
1848, S. 100 ff. und Miklosich in der Begrüßungsrede der 18. Philologenversammlung
zu Wien über die Wechselbeziehungen der classischen und germanischen Philologie und ihre
gegenseitige Ergänzung sagen, namentlich rücksichtlich des nationalen Epos. Wenn ich
dagegen die Skaldenpoesie bei Seite gelassen habe, so habe ich das deswegen gethan,
weil trotz ihrer sehr bedeutenden Entwickelung diese Dichtung ein zusammenhän-
gendes Epos nicht hervorgebracht hat, weil es — kurz gesagt — kein altnordisches
Nationalepos gibt.
28 ARTUR KÖHLER
Heldengesang auf einer ganz bestimmt abgegrenzten Culturstufe in seiner
iiöchsten BMthe, Es ist diejenige Lebensperiode eines Volkes, wo Ge-
schichte und Sage, thatsächliche Erinnerung und Dichtung noch nicht
rgetrennt smd, wo das Gedächtniss an die großen Thaten des Volkes und
«einer vorzüglichsten Helden fortlebt, an Thaten nicht von vorüber-
;gehender Bedeutung, sondern solche, welche dauernde Zustände schufen,
an Helden, welche ihre. Kraft nicht nutzlos in kleinen Fehden vergeu-
deten, sondern aus dem nebelhaften Grau der Vorzeit als leuchtende
VorkäTapfer m nationalen Kriegen hervorglänzen, Helden, welche als
von Göttern «entsprossen vorgestellt werden oder auf welche Züge der
Göttersage übertragen sind, welche theilweise auch als in menschliche
Gestalt gekleidete und zu sterblichen Menschen herabgedrückte Götter
sich erkennen lassen, die Zeit, wo Erinnerungen aus der Urgeschichte
des Volkes, sagenhaft umgestaltet, jedem Einzelnen lebendig in der
Seele wohnen und von Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht
sich fortpflanzen. Da werden Lieder gesungen von den gewaltigsten
Thaten und Kämpfen alter Könige und Helden, Lieder in einer Form,
die jedem Volksgenossen geläufig und vertraut ist , mit feststehenden
Formeln und Wendungen, mit einer Fülle poetischen Ausdrucks, der
in seineoca Eeichthum und seiner Anschaulichkeit, in seiner ürsprüng-
Echkeit und Naturwüchsigkeit von keinem reflectierenden , bewusst
schaffenden Kimstdichter je erreicht wird ^). Diese Periode würde man
im Gegensatz zu späteren Entwickelungsstufen die altvolksmäßige zu
nennen haben. Auf sie folgt im naturgemäßen Verlaufe eine Mittelstufe,
die schon Merkmale der kunstmäßigen Dichtung erkennen lässt, aber
noch tief in der altepischen Form wurzelt, sich von ihr noch nicht los-
zuringen vermag. Es ist das rein stoffliche Interesse an der Helden-
sage, das sich an einfacher Wiedergabe der am meisten hervorsprin-
genden und leuchtendsten Züge genügen ließ und nur die Sage hören
wollte, wie sie von Geschlecht zu Geschlecht sich fortgeerbt und ohne
wesentliche Verändenmg sich fort und fort erhalten hatte, nicht mehr
rege genug; es entsteht das Verlangen nach Darstellungen eines größeren
zusammenhängenden Kreises von Sagen, die auf einen vielbesungenen
') trber die characteristischen Eigenthümlichkeiten dieser Stufe volksmäßi^r
Poeeie vgl. Lachmann Über das Hildebrandslied; histor. - philol. Abhandl. d. Berliner
Acad. d. Wissensch. 1833, S. 124 und im Nachtrag W. Grimms Bemerkungen zu Lach-
manns Behauptungen, ebd. S. 158, und dessen Erwiderung, ebd. S. 159; über die
eddischen Lieder und die späteren volksmäßigen Gedichte , W. Grimm Heldensage ^
S. 373 fF.; Wackernagel Geschichte der deutschen Litteratur S. 202; W. Grimm Alt-
dänische Heldenlieder, Balladen und Märchen, Ö. XVI ff.
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGEK etc. 29
Helden, einen sagenberühmten Krieg, auf ein ganzes durcb- ru&mwür-^
dige Thaten hervorragendes Volk Bezug haben ; aua den einzelnen
epischen Liedern erwächst somit naturgemäß die Epopceie ^X
Im Großen und Ganzen ist der Stil und Ton des Epos aus dieser
Periode der altvolksmäßigen Epik nahe verwandt ; die- aken Fomjeln
bleiben, die stehenden Beiwörter sind noch nicht getilgt und noch nicht
durch solche ersetzt, welche nur auf die jeweiligen augenblicklichen
Verhältnisse und Lagen Bezug haben, die Behandlung der Eigennamen
bleibt dieselbe wie auf derfrtlheren Stufe*), die Umschreibungen und
Bilder wachsen noch aus durchaus volksthtlmlicher Vorstelkmg heraus,
noch werden die berichteten Handlungen und Thaten mit kurzen,
knappen Sentenzen begleitet, daß es so recht ist oder daß ein Mann
in solcher Lage also handeln soll ') ; noch arten diese aus der eigensten
Denkweise des Volkes erwachsenen Sprüche nicht au» in weitschwei-
fige, lästige Reflexionen. Aber freilich die Zusammenfassung vieler ein-
zelner Züge der Sage zu einem einheitlichen großen Gebilde erfordert
Übergänge und Vermittelungen, Ausflillung der Lücken und Ausgleichung
mancher Verschiedenheit, manches Widerspruchs, und so entsteht ein
reichliches Füllwerk, Soweit dieses auch an Kraft und wirklicher Poesie
hinter den älteren Bestandtheilen zurücksteht, so weicht es doch in Stil und
Ton nicht wesentlich von der alten Epik ab. Characteristiseh aber fiir diese
spätere Entwickelungsstufe, die eingetreten ist bei einer höheren Gesit-
tung imd einer reichlicheren Behaglichkeit des Daseins der Völker, ist der
Zug, daß die Dichtung auch etwas von dieser allgemeinen Behaglichkeit und
Wohlhäbigkeit annimmt und gern bei ausführlicher Schilderung dessen
verweilt, was den Menschen jener Zeit lieb und werth ist: nicht Krieg
und Schlacht allein mehr erweckt Aufmerksamkeit und Spannung ;
man hört auch gern von dem freudigen Leben und Treiben am Für-
stenhofe und im stattlichen Hause, wie schön und herrlich alles da ist,
wie gute Sitte und vornehme Zucht da herrschen; man kennt schon
die Künste, die das Leben zieren und schmücken, vornehmlich Saiten-
spiel und Gesang. Bei jedem festlichen Gelage ist es der Sänger, der
die Freude der Männer weckt und erst zu wahrhafter Lust steigert.
*) Vgl. Wackeraagel a. a. O. S. 203. ') d. h. die Bezeichnung einer Person
einfach durch den Namen oder durch den Namen mit Hinzufügung eines Patronymi-
cums oder durch Angabe des Volkes , dem sie angehört ; oder andrerseits bloß durch
die Umschreibung ohne Nennung des Namens ; die Verwendung stehender Epitheta und
die Setzung solche!^ als Umschreibung. ') Ich erinnere hier nui beispielsweise an
das homerische ij Q-ifiig ^atlv , tpgsal yäg nsxQflt dya^^Oiv , aus den Nibelungen
€Us in wol gezantj aus dem Beövulf cüde dugude pedVy ae pe vel Penced.
30 ARTUR KÖHLER
Es begegnen zunächst Helden^ die neben ihrer ruhmvollen Waffen-
arbeit gelegentlich zur Leier oder Harfe oder Geige greifen; vor allen
aber sind es die Sänger von Beruf, welche die Aufgabe haben ^ mit
Erzählung von preiswerthen Thaten der Vorzeit oder auch des noch
lebenden und kämpfenden Geschlechts die Männer beim Mahle und
Gelage zu ergötzen.
Das ältere Epos nennt die Sänger nicht. Bei seiner Skizzenhaft
tigkeit hat es keine Zeit, bei behaglich breiter Schilderung heiter ge-
mächlichen Lebens zu verweilen. Von ihrem Dasein als berufsmäßiger
Stand imd von ihrer Wirksamkeit erfahren wir erst auf der späteren
Stufe der Epik. Daß aber auch in der Zeit der altepischen Einzellieder
Sänger von Beruf existiert haben müssen, das geht daraus hervor, daß
Völker, die eine reiche Fülle epischer Einzellieder besitzen, aber nicht
bis zum zusammenhängenden Epos vorgeschritten sind, einen Stand
berufsmäßiger Sänger aufweisen ; so die Serben, deren herrliche Volks-
lieder nur der ordnenden Hand warten, die aus ihnen eine nationale
Epopoeie schüfe.
Es liegt auf der Hand, welchen gewaltigen Einfluß ein geschlos-
sener Sängerstand auf die Gestalt der Poesie haben muß. Es ist oben
besprochen worden, daß diese in wesentlichen Puncten dieselbe blieb
wie bei der altvolksmäßigen Dichtung. Erklärlich wird diese lange
Forterhaltung der altüberlieferten Form durch deren innigen Zusammen-
hang mit der Anschauungs- und Denkweise des Volkes, femer durch
die Zeit, in der jeder Einzelne sich nur als Genossen des Volkes fählt,
dem er angehört und von dessen Denken und Fühlen er sich nicht
in vornehmer Uberhebung entfremden kann , endlich durch den Um-
stand, daß nur mündlicher Vortrag bekannt war und die Fortpflanzung
der Dichtung von Mund zu Mund erfolgte. Die erste Eigenthümlichkeit
dieser Poesie unter der Pflege einer bestimmten Classe ist also die
Wahrung der altepischen Form im Wesentlichen. Doch auch noch
außer den vorhin angeführten Einflüssen der veränderten Culturver-
hältnisse, der höheren Gesittung, der geläuterten sittlichen Anschauungs-
weise musste der Umstand von Bedeutung werden, daß die Dichtkunst
von Männern gepflegt wurde, denen diese Beschäftigung nicht eine
nebensächliche Thätigkeit neben anderen war, sondern die hauptsäch-
lichste, wirklicher Beruf. So erhält im weiteren Verlauf die Dichtung
größeren Reichthum des Ausdrucks, größere Kühnheit der Bilder, brei-
tere Ausftlhrung der Gleichnisse, reichlichere malerische Darstellung,
eine gewisse Neigimg zur Reflexion, aber noch nicht in lästiger Breite.
Aber alle diese halb schon kunstmäßigen Elemente werden zufolge der
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 31
Verhältnisse, unter denen diese Stufe des Epos sieh entwickelt, zu ste-
henden und bleibenden; selbst ziemlich kühne Übertragungen und Um-
schreibungen erhalten etwas Feststehendes und ruhig Beharrendes, das
diese Art der Poesie wesentlich vom wirklichen Kunstepos unterscheidet,
indem ein Haschen nach immer neuen, originellen Gedanken und Wen-
dungen nicht verstattet wird und die Individualität des Dichters trotz
eines öfters hervortretenden stark subjectiven Zuges niedergehalten wird,
und auch das Subjective auf allgemein gültiger Anschauimg und echt
volksthümlichen Gedanken beruht *). So wird die schrankenlose Herr-
schaft des Subjectivismus, welche das Wesen der Kunstpoesie ausmacht,
noch gehemmt und ihm eine stehende Form aufgeprägt, somit die An-
fänge des Kunstmäßigen in den etwas erweiterten Grenzen volksmäßiger
Dichtung gehalten. Sucht man nach einer kurzen Bezeichnung für diese
Mittelstufe der Epik, so würde man sie, eben weil das kunstmäßige
Element vom volksmäßigen noch überwogen wird, am besten die halb-
volksmäßige nennen*).
Für die homerischen Gedichte hat diese Mittelstufe, die man bis-
her noch viel zu wenig als solche anerkennt, Franz Schnorr von Carols-
feld in höchst einleuchtender Weise dargelegt ^). Auf derselben stehen
alle größeren Nationalepen, also vor allen die Nibelungen und Gudrun,
so wie — von kleineren Gedichten und Fragmenten abgesehen — das
angelsächsische Epos von Beövulf; aber auch die angelsächsischen
geistlichen Dichtungen, die, obwohl von gelehrt gebildeten Verfassern,
doch in fast durchaus volksmäßiger Weise gedichtet sind, und der alt-
sächsische Holland *) gehören hieher.
Auf dieser halbvolksmäßigen Stufe finden wir die Poesie haupt-
sächlich vertreten durch berufsmäßige Sänger; ihre Existenz ist eine
Voraussetzung und Vorbedingung ftlr den Eintritt dieses Entwickelungs-
stadiums, ein nothwendiges Erfordemiss.
Zunächst kommt es darauf an, den Stand, welchem die Sänger
angehörten, genauer festzustellen.
') ^S^ Wackemagel a. a. 0. S. 161. ^) Diesen Ansdnick halte ich für an-
gemessener als den von Wackemagel a. a. O. S. 203 gebrauchten „volksmäßige Kunst-
epik*, weil dieser wohl recht gut für den halb höfischen, halb volksmäßigen Gesang
der Fahrenden taugt, aber nicht füglich für die altsächsischen und angelsächsischen
£pen, bei denen das Volksmäßige noch entschieden vorherrscht. ^) „Über einige
Ähnlichkeiten zwischen den homerischen Gedichten und der Volkspoesie" , in Fleck-
eisens und Masius* Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik, Jahrgang 1865, S. 808.
Vgl. auch Kirchhoff Die homerische Odyssee und ihre Entstehung, S. VI ff. *) Ernst
Windisch Der Holland und seine Quellen , S. 12 : der Verfasser war „ein berühmter
Volksdichter oder besser Volkssänger".
32 ARTUR KÖHLER
Von den fahrenden Sängern des späteren Mittelalters^ zur Zeit
des Verfalls der Dichtung, die, vom Ftirstenhofe ausgeschlossen, zu
Bänkelsängern herabgesunken waren, darf uns selbstverständlich kein
Vorurtheil begleiten in jene alten Zeiten , wo die Poesie im innigsten
Zusammenhange stand mit der Götterverehrung, mit der Weissagung^
mit dem Rechte, dessen Formeln meist poetisch waren, wo man der
richtig gebundenen Rede zauberische Elraft zuschrieb. Und doch waren
die Fahrenden ursprünglich adeliches Standes gewesen, in Deutschland
wie auch in Frankreich und der Provence, wenngleich sie meist dem ärme-
ren niederen Adel angehörten, der die Kirnst als Broderwerb betrieb *), da
er vom Ertrage seiner Güter allein zu leben nicht vermochte. So waren
denn die Fahrenden an Fürstenhöfen gern gesehen und willkommene
Gäste; in späterer Zeit finden wir auch nichtadeliche Bürger und so-
gar ursprüngliche Unfi-eie in der persönlichen Umgebung der Könige
und Fürsten, unbeschadet der Ehre und des Ansehens, die sie bei Hofe
genossen ').
Die hohe Meinung, deren die Dichtkunst und ihre Jünger sich
erfreuten, findet ihren höchsten Ausdruck in dem Glauben an den gött-
lichen Ursprung der Poesie. Die germanischen Volksepen zwar, die
ihres heidnischen Gewandes völlig entkleidet sind und in deren Haupt-
persönlichkeiten erst die wissenschaftliche Kritik ursprünglich mythische
Figuren erkennen lehrt, bieten durchaus keine Andeutung über die
himndische Abstammung der Dichtkunst; aber aus nordischen Gedich-
ten ersehen wir, daß wie bei den Hellenen zwei der obersten Gott-
heiten, Zeus und Apollo, so bei den skandinavischen Germanen Odinn
und Bragi „als Bewahrer imd Pfleger der göttlichen Kunst** erscheinen;
„Saga ist Wuotans Tochter wie die Muse des Zeus und Freya gefiel
Minnegesang."*). Ahnlich begegnet im finnischen Epos Väinämöinen
als Gott des Gesanges, aber verblasst in märchenhafter Gestalt, der
zum Ersatz ftlr die wunderbare Harfe, die ins Meer gefallen ist, aus
einer Birke eine neue schafit, und diese wirkt so anziehend und ent-
zückend, „daß der Adler seine Jungen im Neste lässt und herangeflogen
kommt, um ihren Tönen zu lauschen." *) Dieser selbe Zug zur Bezeich-
nung der Wunder wirkenden Kraft des Gesanges erscheint wieder in
den bekannten hellenischen Sagen von Arion und Orpheus, in der
Kudrun an der lieblichen Stelle, wo Horant so süß singt, daß die Vögel
f
') Wackeraagel, a. a. O. S. 98 ; Diez Poesie der Troubadours S. 33 f. ') Diez
a. a. O. S. 258. *) J. Grimm Deutsche Mythologie S. 8ö4. *) J. Grimm Kleinero
Schriften II, S. 99.
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 33
verstummen und seinem Liede horchen; auch ein dänisches Volkslied
erzählt davon, daß £lben einen Jüngling durch ihren Gesang verlocken
wollen, mit ihnen zu tanzen, und daß sie so schön singen, daß sogar
der Bergstrom horchend und lauschend still steht, die Fische im Wasser
lustig zu spielen und die Vögel in der Luft hell zu singen beginnen *).
Das hellenische Epos ist sich der göttlichen Herkunft der Kunst noch
sehr wohl bewusst: an vielen Stellen wird dies ausgesprochen und
mehrmals kehrt die Äußerung wieder, daß deshalb dem Sänger Ehr-
furcht gebührt, der den Göttern gleich ist an Wohllaut, dem aufmerksam
zuzuhören die höchste Lust *). Die Göttin ruft der Sänger im Eingange
der Dias an, den Zorn des Achilleus zu singen und im Anfange der
Odyssee die Muse, ihm von Odysseus zii melden. So wird die Muse
oder werden die Musen öfters um Beistand angerufen, „weil es beson-
ders treuen Gedächtnisses bedarf, um etwas ganz genau anzugeben." ^)
Ist aber die Dichtkunst so hehres Ursprungs, so ziemt es sich
gar wohl ftlr Könige und Helden ersten Ranges, ihr obzuliegen. So
finden wir in der Ilias den vorzüglichsten Helden der Achseer, Achil-
leus, wie er zum Klange der fpoQfuyi in seinem Zelte xkia avÖQf^u singt,
während Patroklos ihm im Wechselgesange erwiedert. Diese xkia avögcov
müssen nothwendig altvolksmäßige Lieder epischen Inhalts gewesen sein,
wie sie bei den Hellenen in vorhistorischer Zeit überliefert wurden.
Im Nibelungenliede tritt besonders die prächtige, ritterliche Ge-
stalt Volkers von Alzei als eines Spielmanns in den Vordergrund *),
der vor Frau Götelinde, der edlen Markgräfin, videlte süeze dorne und
sanc ir dniu liet (1643, 3 des Lachmann'schen Textes), und der auf
der Wacht vor dem Saale die Bürgenden mit dem Wohllaut seiner
Saiten in süßen Schlaf spielt, der oft als der kilefm videlcpre genannt wird,
und dessen scharfes Schwert einem' Fiedelbogen, michel unde lanc^ ver-
glichen (1723. 1903). *) Auch die kühnen Spielleute aus Etzels Gefolge,
Wärbel und Swämel, die von ihrem Könige als Boten gesandt werden,
sind bekannt. Ob diese beiden Hunnenhelden auch sangen und was der
Inhalt von Volkers Liedern vor Frau Götelinde gewesen sei, davon
findet sich keine Andeutung. Jedesfalls hat man an höfische Lyrik zu
dUjufewn, die ja den Volkssängern des Nibelungenliedes so nahe gelegt
*) W. Grimm Altdäaische Heldenlieder usw. Nr. 33 , S. 156 f. und die Erläute-
rungen dazu S. 621. ^) Vgl. Ameis zu i;, 488 und jr, 347, besonders im Anhange
und die dort angeführte Litteratur. ^) Nitzsch Beiträge zur Geschichte der epischen
Poesie, S. 383. ■•) Über Volker vgl. Lachmann Zu den Nibelungen S. 11 fF.; W. Grimm
Heldensage' S. 363. *) 1941, 4 ez ist ein roter anstrich, den er zeni videlbogen hat,
und 1943, 3 Hn videlboge anidei durch den herten atäl,
GBRMANIA. Naaa Baihe III. (XV.) J&hrc 3
34 ARTUR KÖHLER
war *). — Ausschließlich an das Minnelied hat man zu denken bei
Horants lieblichem Gresang in der Kudrun, wo er für Hetel um Hilde
wirbt und sie gewinnt. Was Horant am Morgen gesungen hat, das
nennt Fruote (Str. 382) eine ungevilege tagemsey wohl mit Rücksicht auf
den bezaubernden Eindruck, den sein Singen gemacht hat. Deutet
schon dieser Ausdruck unzweifelhaft auf kunstmäßige, höfische Lyrik,
so noch viel mehr Str. 384, wo es heißt: do e?' d/n dcene sunder vol ge-
sancy was doch nichts anderes bedeuten kann, als daß er drei Lieder
vollständig zu Ende sang, jedes mit verschiedener Melodie, und Str. 397,
wo Horant in Hildens Kemenate eine Weise von Amile singt, die kein
Christen mensch je kannte, außer wer sie auf der großen Flut gehört
hätte. — Soviel ist aus dem oberdeutschen NationaJepos zu ersehen.
Das Kunstepos kennt auch Spielleute am Fürstenhofe: Parzival 33, 17
und Tristan 3561. 7563—7572.
Das angelsächsische Be6vulfslied erzählt (v. 3170 ff.) von zwölf
Geätenhelden, die nach Beovulfs Leichenbrand den Grabhügel umreiten
und zu seinem Preise Lieder anstimmen.
Dieses Absingen von Heldenliedern durch andere als durch Sänger
von Beruf bezeugt Jordanes (De rebus Geticis, cap. 41) von den West-
gothen bei Bestattimg ihres Königs Theoderich, der in der Völker-
schlacht auf den catalaunischen Feldern fiel, und (cap. 49) von den
Hunnen bei ihren Klagegesängen um die Völkergeißel Attila. Allgemein
bekannt ist die Erzählung des Procopius (Bell. Vand. II, 6) von dem
unglücklichen Vandalenkönig Gelimer, der von den Mauren hart be-
lagert, in seiner Bedrängniss deren Fürsten Pharas um ein Brod bittet,
weil er. keines mehr genossen, seit er auf das Gebirge geflohen sei,
um einen Schwamm, weil ihm das eine Auge vom vielen Weinen ge-
schwollen sei, und um eine Harfe, weil er sein Leid im Liede ausge-
sprochen habe und dieses nun singen wolle. ') Auch der Westgothen-
könig Theoderich II. wird bei Sidonius Apollinaris als ein Liederfi-eund
genannt (Epist. I, 11). Der sagenhafte^) Dänenkönig Hotherus (später
Hötherus geschrieben) erscheint bei Saxo Grammaticus als ein äußerst
rüstiger und geschickter Elrieger nicht bloß , sondern auch als ein
Meister im Saitenspiel.*)
*) Über das Vorwiegen des Minneliedes, auch bloßer Instrumentalmusik, über
epische Gedichte vgl. W. Grimm Heldensage* 384. *) xi'&tt^icrr^ Ss ayadtß ovzi mdij
Tig avvm ig ivfiq)OQav Tijv nagovaocv Trsno^rjtat, rjv9'^ ngoq %i^dQav &grjvijifai rs nal
anonXavaai insiysrcci, ') Die mythologische Bedeutung Hothers s. MüllenhofF in
den Nordalbingischen Studien I, S. 31 f. *) Saxo Gramm. I, S. 111 (Ausgabe von
P. E. Müller und Velschow) : Nejno ülo chelia aut lyrae scientior fuerat, Praeterea ^iatro
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 35
Wenn Fürsten und Edle sich nicht scheuten, die Leier oder Harfe
selbst zur Hand zu nelimen und zu ihrem Klange Lieder zum Preise
alter Helden zu singen, so ist es schon hiedurch außer Zweifel gestellt,
daß auch der Sänger von Beruf in heroischer Zeit wenigstens freies
Standes sein musste. Unter den Händen von Unfreien wäre die Kunst
entwürdigt worden. Außerdem wie wäre in jener Zeit bei der so strengen
Scheidung der Stände ein Unfreier außer zu niedriger Dienstleistung
in des Königs Halle und Hofburg gekommen?
Wenn in der Odyssee Telemachos seiner Mutter wehrt, den lieben,
trauten Sänger zu tadeln, weil er singt, wozu der Sinn ihn antreibt
(a, 346 ff.), wenn derselbe den Freiem vorwirft, daß sie dem Sänger
nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken, da es doch schön sei
ihm zuzuhören (a, 368 ff.) , wenn Odysseus sagt , das dünke ihm die
höchste Wonne, wenn Männer beim Mahle sitzen und maßvoller Froh-
sinn, BVipQOövvrij in der Versammlung herrscht, hervorgerufen durch
die Lieder des Sängers (t, 4 ff.) , wenn er ferner sagt, daß allen Men^
sehen auf der Erde die Sänger geehrt und geachtet seien (^, 479 ff.),
so stehen diesen Äußerungen vollkommen gleiche aus dem angelsäch
sischen Epos zur Seite : von der Königshalle Heorot, die der Dänen
Grebieter Hrödgär mit aller Pracht aufgeführt, wird rühmend gesagt,
daß dort Sang und Harfenklang ertönte (Beöv. 89 f.) und die Männer
zu hoher Freude stimmte, und Beövulf rühmt bei seiner Rückkehr zu
Hygeläc v. 2105 ff. pär väs gidd and gleö mit ausführlicher Schilderung
dieser Hallfreude; ebenso heißt es in der Überleitung zu der Episode
vom Kampfe in Finnsburg v. 1063 ff. pär väs sang and sveg samod
ätgädefi^e — , gomenvudu greted , gid oft vrecen , ponne healgamen
Hrddgäres scop äfter medobence mcenan scolde ; denn zu wahrer gesel-
liger Lust, wie sie guten Helden ziemt, gehört vor allem der Sänger,
sein Lied und Spiel. Als bedeutsam ist hervorzuheben der Gedanke
am Schlüsse der Rede jenes alten Heiden, der sich zu seinen Schätzen
in die Felsenhöhle verbirgt und sich zum Lindwurm verwandelt ^), daß
nun die Wonne der Harfe, die Lust des Saitenspiels zu Ende sei.
ac barhyto omnique fidUum modulatione ccUlebcU, Ad quoicumque voUbcU, motaa , variia
niodorum generibus humanoa impellebat affectiis; gaudio^ maestitiay miaeraUone vel odio
mortalea afficei^e noverat. IIa aurium voluptate aiU honore animoa implioare aolebat,
VgL die Anmerkungen z. d. St. und im Commentar, sowie über Uotherus Albert
Schott in Vollmers Ausgabe der Kudrun 8. XXV f. — Die Existenz eines Standes von
Sängern wird bewiesen durch Snorri hist reg. Norveg. II, p. 136.
*) So wird die Stelle von EttmüUer S. 167 seiner Beovulfübersetzung und Sim-
rock S. 201 richtig gedeutet.
3*
36
ARTUE KÖHLER
?
V. 2262 f. näs hearpan vyn, gomen gleöhed/mes. Ganz besonders trostlos
erscheint die Lage des Königs Hr^del nach Herebealds zuftllligem Tod
durch des Bruders unglücklichen Pfeilschuß, v. 2458 f. : nis pär hearpan
sveg, gomen in geardtim, svylce, pär tu vceron. Und wie sehr Harfenklang
und Liedessang fiir einen Hauptbestandtheil des irdischen Lebens er-
achtet werden, geht deutlich hervor aus den Worten des Boten, der
den Geäten von Beovulfs Tode im Drachenkampfe berichtet, v. 3020 f. :
nu se herevisa hleahtor dlegde , gamen and gleödredm, und weiter v. 3023
nun soll nalles hearpan sveg mgend veccean , da nun grimme Kampfes-
hoth hereinbrechen werde.
Wären die eben berührten Anschauungen von der Würde und
Hoheit der Gesangeskunst allein schon genügend, um die Annahme,
daß die Sänger adeliches Standes waren, als noth wendig erscheinen zu
lassen, so wird dieselbe doch noch wesentlich unterstützt durch die
Nachrichten , welche die Epen über das persönliche Verhältniss des
Sängers zum Fürsten darbieten.
Mit Scheu und Ehrerbietung wird ihm begegnet, was keinem
gemeinen Manne widerfahren wäre. Er verkehrt am Hofe wie in seinem
eigenen Hause. Wenn der König mit seinem Gefolge beim Mahle sitzt,
fehlt nie der Sänger; er gehört recht eigentlich mit zum Hofstaate, zu
den unentbehrlichsten Persönlichkeiten. Besonders beachtenswerth ist
in dieser Hinsicht Be6v. v. 2105 fF., wo der König unmittelbar neben
dem Sänger genannt wird. Horant sagt in der Kudrun (Str. 406), daß
am Hofe seines Herrn täglich zwölf Sänger sich vernehmen lassen, die
aber sämmtlich vom König übertroffen werden '). Noch wichtiger aber
ist, daß die Sänger mit bedeutenden, ehrenvollen Aufträgen betraut
werden; so werden sie namentlich oft als Boten gesandt, wie Wärbel
und Swämel in den Nibelungen*). Als Agamemnon nach Troja fährt,
tibergibt er seine Gemahlin Klytsemnestra einem otoidog in Obhut
(yy 267 sÜQved^ai axomv) '*). Eines nicht edelgeborenen Mannes Hütung
würde Agamemnon die Königin unmöglich haben überantworten können ;
nur die Aufsicht und den Umgang des adelichen Sängers konnte sie
sich mit Fug gefallen lassen. Etwas ganz Ahnliches berichtet das Vid-
sidlied. Der Sänger zählt alle Völker und ihre Könige und berühmte-
sten Helden auf, die er zu nennen weiß und von denen er viele auf
seinen weiten Fahrten persönlich kennen gelernt hat. Eine dieser Fahrten
•) Vgl. Uhland, Schriften z. G. d. D. u. S. UI, 204 f. *) Andere Beispiele
s. W. Grimm , Heldensage * S. 383. Wackemage! a. a. O. S. 97, Anm. 25. ') Vgl.
Ameis z. d. St. im Anhange. Athenaeus I, 14^.
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 37
aber, von denen sein Name Vidstd gebildet ist*), hat er unternommen \
nicht als Fahrender, sondern im Auftrage seines Königs Eädgils, des
Sohnes Ohtheres, der über die Sveönen herrscht, als Begleiter von ■
dessen Gemahlin Ealhhild zu dem Ostgothenkönig Eormanrfc; Vids.
V. 5 ff. Überall wird er an den Königshöfen gut aufgenommen, er sucht <*
die besten und vorzüglichsten Helden der königlichen Gefolge auf,
V. 110 ff., er kennt sie alle bei Namen und aus persönlicher Berührung;
an allen Höfen wird er reich beschenkt, v. 64 ff., mit Gaben, die er
bei seiner Rückkehr seinem Könige verehrt, v. 93 ff. Wohl zum Ersatz
flir diese dem Gefolgsherren dargebrachten Gaben schenkt Ealhhild
ihm andere. Lange verweilt er bei Eormanric, weil der Gothenkönig
sich ihm gewogen zeigt und ihm Schätze spendet, v. 88 f.*). Wie in
jeder Hinsicht dieses uralte Lied ^) von höchster Bedeutung ist ftlr die
Frage nach dem Sänger zur Zeit halbvolksmäßiger Epik, so auch in
Bezug auf den Stand, dem er angehört. Ausdrücklich wird v. 5 gesagt,
daß Vtdstd adelicher Abstammung war: himfrom Myrgingum äSelu anvo-
con^). Ebenso unzweifelnaft ist für Homer die Bezeichnung des Demo-
dokos als Heros auf adelichen Stand zu deuten (^d-, 482 ^qc) ^riiiodoxa)).
Wir haben oben gesehen, daß der Sänger zum Hofstaate des
Königs gehörte. Aus diesem Umstände wage ich den Schluß, daß nur
ein Sänger an jedem Fürstenhofe dauernd seinen Aufenhalt gehabt habe.
Flir die homerische Zeit haben schon andere dies angenommen*) und
mit vollem Rechte. Phemios auf Ithaka, Demodokos bei den Phseaken,
der Sänger des Agamemnon werden alle so erwähnt, daß man an andere
Sänger neben ihnen an demselben Orte nicht denken kann. Mit Recht
hebt Ameis (zu y, 267) hervor, daß jener Hüter der Klytsemnestra
Agamemnons „Haussänger" war.
Neben diesen hervorragenden Sängern, die ihrer reichen Sagen-
und Liederkenntniss solch ausgezeichnete Stellung in persönlicher Be-
ziehung zum Hofe verdankten, muß es natürlich noch andere, weniger
vollkommene gegeben haben, vielleicht Schüler jener Meister in der
*) Vgl. ühland a. a. O. III, 183. 289 f. — Gott. Gel. Anz. 1833, S. 1Ö93 ; Grein
Sprachschatz der angelsächsischen Dichter s. v. vidsid. ^) Ganz so werden in histo-
rischer, weit späterer Zeit die Fahrenden helohnt ; W. Grimm Heldensage * S. 384.
Diez Poesie der Troubadours S. öO S. 60 ff. Über ihre Bettelhaftigkeit vgl. besonders
J. Grimm Kleinere Schriften III, 16 f. ») Müllenhoff in Haupts Zeitschrift XI, 294:
„seiner Grundlage nach ist es gewiß das älteste, das die ags. Literatur besitzt.^ *) Über
die Myrginge vgl. Müllenhoff Nordalbing. Studien I, 140 f. und Haupts Zeitschrift XI,
279. Zeuß Die Deutschen und die Nachbarstämme 8. 472. ^) Terpstra antiquitas
homerica lib. IV, cap. 4, §. 1.
38 AKTUR KÖHLER
Kunst, die bei den Völkern und Höfen umherzogen, ganz in derselben
Weise, die wir von den Fahrenden unseres Mittelalters kennen. Auch
ausgezeichnete und hochberühmte Dichter müssen ein solches Wander-
leben gefiihrt haben, wie ß, 594 flf. bezeugt, wo von dem Thraker Tha-
rayris berichtet wird, daß er von Oichalia in Thessalien nach Dorion
in Nestors Gebiete, also in die Peloponnes, gekommen sei, wo die Strafe
für seine Uberhebung ihn traf durch Erblindung und Aufhören der Gabe
des Gesanges. Bedenklich ist die Stelle o, 720, wo bei Hektors Leichen-
feier der Plural aotdovg begegnet. Es würde sehr wohl der ganzen
Lage entsprechen und auch durch Analogieen aus den epischen Dich-
tungen anderer Völker gestützt werden, wenn wir annehmen dürften,
daß gerade so wie im angelsächsischen Nationalepos zwölf Helden den
Hügel, der über Beövulfs Asche aufgethürmt ist, umreiten und dazu
seine Heldenkraft und Ruhmesthaten preisen, so auch hier eine Anzahl
Troerhelden Gesänge anstimmt zum Lobe von Hektors kühnen Thaten
und gewaltiger Kraft ^), vielleicht Lieder, die noch bei seinen Lebzeiten
entstanden waren. Denn bei einem Volke , aessen^ Epik noch blüht,
entstehen in Zeiten, welche reich sind an Begebnissen, die zur Ver-
herrlichung durch das Lied auffordern, unmittelbar unter dem frischen
Eindrucke der Begebenheiten Lieder auf diese hehren Thaten. So be-
richtet Vuk Stephanovich, daß der serbische Volkssänger Philipp Wisch-
nich, genannt Sljepatz, d. h. der Blinde, dem Fürsten Stojan Lieder
vorgetragen hat auf Kämpfe g^gen die Türken, an denen dieser selbst
Theil genommen hatte ^). Dieser Annahme aber, so verlockend sie auch
scheint, tritt mit unabweisbarem Zwange der Ausdruck aoidol ent-
gegen, der bei Homer nur den Sänger von Beruf bezeichnen kann,
nie einen andern, der sich gelegentlich einmal als sangeskundig er-
weist. Ist auch dieses Stück späteres Ursprungs, so ist es doch immer
halbvolksmäßige Poesie und dieser wäre eine solche Ungenauigkeit der
Bezeichnung unerhört ; ebenso unmöglich wäre es, die singenden Helden
bei Beövulfs Bestattung scdpas zu nennen. Es hilft nicht, auf Auswege
sinnen: die Mehrzahl berufsmäßiger Sänger bleibt doch. Aber Sänger
von welcher Art ? Das sind nicht die ehrwürdigen Gestalten von Volks-
sängem, die bewandert sind in dem reichen Sagenschatz ihres Volkes
und geübt in der edlen Kunst, geehrt und gescheut von den Menschen,
') Es wären dann die aoL$ol eine Art Todtenwache gewesen , wie sie Simrock
(S. 199) zu Beövulf v. 446 annimmt. Doch ist Simrock jedesfalls im Unrecht mid die
gegentheilige Ansicht von Heyne z. d. St. (S. 90 der zweiten Auflage seiner Beövulf-
ausgabe) zu billigen. Über die ganze Stelle vgl. Müllenhoff, Haupts Zeitschrift , neue
Folge, Bd. n, S. 199. ') Vgl. Talvj, Volkslieder der Serben I, S. XXTH f.
ÜBER DEN STAND BEBUFSMÄSSIGEK SÄNGER etc. 39
gern gehört von den Besten ihrer Zeit- und Volksgenossen, sondern
Sänger der niedrigsten Art, die man gebrauchen darf als d-Qijvav i^äg-
Xovg. Die späte Zeit, in der die letzten Abschnitte der Ilias entstanden,
veiTäth sich in der wenig ehrenvollen Aufgabe, die den Sängern hier
gestellt wird, mit den Weibern um die Wette zu wehklagen. Der ganze
Stand muß von der Höhe, die er im heroischen Zeitalter einnahm, be
reits ziemlich tief herabgestiegen sein , der himmlische Beruf herab-
gesunken zum Gewerbe. Hat doch auch bei den Völkern germanischen
Stammes der Stand der Sänger ein ähnliches Schicksal erfahren.
Beim oberdeutschen Epos ist zufolge der Verhältnisse, unter denen
es erwuchs, sehr erklärlich, wenn Volkssänger außer seinem Kreise
stehen. Die zwölf Sänger an Hetels Hofe sind nattlrlich ritterliches
Standes, Wärbel und Swämel, des küneges spileman (1314, 1), die Ezelen
videlcere (1372, 2) gleichfalls, sowie Volker. Wenn bei Sigfrids Schwert-
nähme fahrendes Volk begegnet, dem reichlich gegeben wird'), so
mögen darunter wohl auch fahrende Sänger gewesen sein, besonders
genannt werden sie nicht. Der Volksgesang der Zeit^ in welcher das
Nibelungenlied entstand, steht schon in zu grellem Gegensatze zu der
höfischen Kunstepik, als daß seine Vertreter noch an Fürstenhöfen,
wie sie im Liede geschildert werden, besonders ausgezeichnete Ehre
genießen könnten : sie erscheinen mit unter der Menge, die sich bei
großen Festlichkeiten zu Hofe drängt, sie werden beschenkt, aber nie-
mand achtet ihrer sonderlich.
Was die Angelsachsen anlangt, deren Epos bei seiner ausführlichen
und anschaulichen Cultur- und Sittenschilderung vom größten Belang
ist, so ist zunächst zu beachten, daß hier nur der Singular sc&p begegnet.
Doch bedürfen einige Stellen einer eingehenden Prüfung ').
*) 39, 2 vü der varnden diele nufwe sich hewac: ai dlenden nach der gdbCy die
nian dd rtche vant und 42 , 1 vil lüzel man der varnden armen da vant , wozu noch
30, 4 des sach man vil der vremden suo in rtten in daz lanty wo D die Lesart hat vil
der varnden» Bei Günthers und Prünhilts Hochzeitsfeier 634, 3 hat C vil manigem
varnden man, A dagegen tnanegen küenen man, ?) Beachtenswerth ist die begriffliche
Übereinstimmung zwischen noirjzi^g, das noch nicht homerisch ist, und ags. «cq/?, ahd.
»ctu)f und 8c6f] Graff Sprachschatz VI, 457; Wackemagel a. a. O. S. 41 ; J. Grimm
Mythol. S. 379. 852 ; vgl. pro veno, trobaire (acc. trobador), nordfranz. trouvere, das den
Kunstdichter im Gegensatz zum Yolksdichter bezeichnet; Diez, a. a. O. S. 35, wo es
u. a. heißt: „es ist mehr als wahrscheinlich, daß man unter Troubadour keinen andern
als den lyrischen Dichter verstand.** — In der Bezeichnung aoidbs ist deutlich der
Gedanke an die Art des Vortrags ausgedrückt, acop aber wie noirjtrjg deuten mehr
den Finder der Mähre an (vgl. Gottfried von Straßburg, Tristan v. 4663 vindcere
wilder mare) , lassen also schon auf einigermaßen bewusste Thätigkeit des Dichters
40 ARTUB KÖHLER
Von der Halle Heorot wird v. 89 f. gesagt, daß Harfenklang dort
tönte und svutol sang scdpes. Hier ist nicht zu erkennen, ob ein be-
stimmtes einzelnes Individuum oder eine ganze Gattung gemeint sei.
Deutlicher ist v. 90 ff. sägde, se pe cüde
frumsceaft fira feorran reccan,
cväd pät 86 älmiktiga eordan vorhte etc.,
wo man nur an ^ine Person, an Hrodgärs Hofsänger, denken kann.
Dasselbe gilt von v. 496 scdp hvilum sang hädor on Heorote. Halten wir
dazu noch v. 1066, wo Hrodgäres 8c$p die Harfe rührt und von Hnäfs
Fall in Finnsburg zu singen anhebt, so ist es zweifellos, daß Hrodgär
seinen bestimmten Sänger am Hofe hatte und daß dieser an allen den
angeführten Stellen gemeint ist, mochten auch vielleicht andere gele-
gentlich auftreten. Wenn v. 90 f. von der Kunde gesprochen wird, die
von Dingen der Vorzeit dem Sänger eigen sein soll (diese Kunde be-
zieht sich hier allerdings nicht auf die Sage, sondern auf die Welt-
schöpfung, wovon nachher ausführlicher gehandelt werden wird) und
aus dem besondern Hervorheben dieser Kunde als eines nicht geringen
Vorzugs der Schluß gezogen werden durfte, daß nicht von einer ganzen
Gattung, sondern von einer einzelnen Person die Rede sei, so fällt
noch mehr ins Gewicht, wenn v. 867 ff. neben der Sagenkenntniss auch
die Geschicklichkeit im Vortrag betont wird:
hvilum cyninges Pegn
guma gilphläden gidda gemyndig,
se pe eal-fela ealdgesegena
vom gemunde^ vord oder fand
sdde gebunden: secg eft ongan
s^^ Beövulfes snyttrum styrian
and an sped vrecan spei gerade^
vordum vrixlan.
Daß V. 867 f. cyninges pegn, guma gilphläden und v. 871 secg eine und
dieselbe Person bezeichnen, wobei nach der Eigenthümlichkeit der alli-
schließen, wenn auch noch nicht auf selbständige Erfindung, so doch auf verständige
und geschmackvoUe Auswahl des Stoffes und schöpferische Gestaltung. Dieselbe Vor-
stellung liegt dem altn. skäldskapr zu Grunde Der doiöog ist nur der Sänger, der
Verbreiter des Liedes, nicht nothwendig sein Schöpfer, der scdp gehört bereits einer
etwas späteren Entwickelungsstufe an , wo die subjective Thätigkeit des dichtenden
Individuums mehr in Frage kommt. In dieser Benennung zeigt sich so wie in mancher
andern Hinsicht eine größere Volksmäßigkeit des hellenischen Epos vor dem angel-
sächsischen; in anderer Rücksicht, wie sich später zeigen wird, ist das Verhältniss
gerade umgekehrt.
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 41
terierenden Dichtung wiederholt Substantiva synonymer oder wenigstens
verwandter Bedeutung statt einförmiger Pronomina angewandt werden,
ist keineswegs fraglich. Bedenklicher ist die Stelle v. 2105 ff., wo es
heißt: pär väs gidd and gleö: gomela Scilding
fela frirgende feorran rehte;
hvUum hildedeör hearpan vynne
gomenvudu gr^te^ hvilum gyd ävräc
sdd and sdrUc, hvilum syllic spell
rehte äfter rihte i^mheort cyning,
hvilum eft ongan eldo gebunden
gomel güdviga giogude cvidan
hildestrengo : hreder inne veöll,
Jxmne he vintrum frQd vom gemunde.
Es leidet keinen Zweifel, daß der alte Scilding, der von vielen Thaten
der Vorzeit erfahren hat, Hrodgärs scdp ist, der seine Kenntniss mit-
theilt, erzählt (rehte) ^ bisweilen aber auch Lieder zur Harfe vorträgt.
Verkehrt würde es sein, hier zwei verschiedene Männer anzunehmen,
einen Erzähler und einen Sänger; denn der Erzähler müsste nach den
sonstigen Nachrichten der Pyle Hünferd sein , der aber nirgends als alt
bezeichnet wird, sondern im Gegentheil noch als vollkommen rüstiger,
vollkräftiger Mann zu denken ist, aufgelegt zu Zwist und Streit. Nun
aber wird auffiilligerweise der König selbst genannt, der auch zuweilen
der Wahrheit gemäß (äßer rihte) eine wunderbare Erzählung (sellic spell)
mittheilte. Daß Hrodgar gesungen habe, ist weder ausdrücklich gesagt,
noch irgendwie angedeutet ; im Gegentheil , der Ausdruck spell rehte
lässt, verglichen mit dem v. 2106 gebrauchten, nur auf einfache Er-
zählung schließen, und als Erzähler erscheint Hrodgar in der langen,
moralisierenden Rede v. 1700 — 1784, wo er von Heremods freudlosem
Leben und elendem Tode berichtet. Zum Schluß ist wieder von dem
alten Helden die Rede, aber in allgemeineren Ausdrücken, die weder
ausschließlich auf Gesang noch auf Erzählung zu deuten sind, sondern
auf beide Vortragsweisen zusammen, wenn es heißt, daß der vom Alter
Gebundene der jungen Mannschaft von Kampfeskraft meldete, und daß
die Brust bewegt ward, wenn der Alte der Fülle großer Mannesthaten
gedachte '). Die Erklärung dieser Stelle hätte durchaus keine Schwie-
') Simrock übersetzt: „Bald hub der alte Schilding, | der vielerfahrene, von alten
Zeiten an; | bald begann ein Held der Harfe Wqnne | sattsam zu wecken, bald ein Lied
zu singen, | süß und schaurig; Geschichten erzählte bald | der Wahrheit gemäß der
weitherzige König | Ein andermal hörten wir den altergebundenen | greisen Eüeger
!
42 ARTUB KÖHLER
rigkeit, wenn nicht Hrodgär so oft als Greis und altersgrau bezeichnet
würde und sonach nun hier zwei alte Helden neben einander erscheinen,
zwischen denen genau zu unterscheiden ist, Hrodgär und sein Sänger.
Das ist jedesfalls höchst ungeschickt und veranlasst Verwirrung; denn
mit dem viermal gesetzten hmlum werden folgende Puncte unter-
schieden : im ersten und zweiten Gliede ist bloß gesprochener und
musikalisch begleiteter Vortrag, aber eines imd desselben Mannes ein-
ander entgegengesetzt, im dritten Gliede, aber nur in diesem, wird auf
Hrodgärs Erzählungen hingedeutet, und im vierten Gliede kehrt der
Bericht wieder auf die im ersten und zweiten Gliede behandelte Person
zurück , indem das vorhin ausführlicher Besprochene nun in Kürze
nochmals zusammengefasst wird. Vom König als Sänger oder einem
anderen als dem ^inen Hofsänger ist also hier durchaus nicht die Rede,
auch wenn der Text dieser Stelle ganz in Ordnung wäre. Schleppend
und höchst unbeholfen aber ist die Einmengung der Person des Königs
mitten in die Darstellung vom Auftreten des Sängers; diese Störung
lässt sich aber einfach beseitigen durch Streichung von v. 2107 — 2110.
Ein anderweitiges zweifelloses Zeugniss flir die Existenz nur änes
Sängers im königlichen Hofstaate bietet Deors Klage v. 36 pät ic hvile
väs Heodeninga scöp, dryhtne dyre; Deör ist scdp und sein Nachfolger
im Amte ist Heorrenda, d. i. der Horant der Kudrun *).
von der Kampfes Strenge | der Bifite melden, daß die Brost ihm schwoll, | wenn der
Winterreiche der Wagnisse gedachte." Bei dieser Übersetzung muß Simrock unter dem
greisen Helden, der anfangs erwähnt wird, und dann wieder, nachdem von Hrodgär
ausdrücklich gesprochen worden ist, diesen, den König selbst, verstanden haben, dem
der Sänger nur da entgegengesetzt wird, wo die Begleitung der Harfe besonders her-
vorgehoben ist. Gewiß unrichtig. Eben so falsch ist die Beziehung der Worte hreder
inne veoll auf den Vortragenden, die auch MüUenhoff annimmt, während sie auf die
Hörer zu beziehen sind, die von den mitgeth eilten Sagen und Liedern mächtig ergriffen
und erschüttert werden, denn nicht das interessiert uns, daß der Sänger in Aufregung
geräth , sondern daß er durch seinen mächtigen Gesang diese bei seinen Zuhörern her-
vorruft. W. Grimm, Heldensage' S. 382 f. hat vollkommen Recht, wenn er behauptet,
daß der Gesang nicht ausschließlich an die Sänger gebunden war, sondern daß beides
stattfand „freier Gesang und bestimmter Beruf dazu" ; jedesfalls aber ist die Ausdeh-
nung der Behauptung auf unsere Stelle nicht richtig: „der alte König selbst übernimmt
ihr Amt und singt zur Harfe tapfere Thaten". MüUenhoff, der (Haupts Zeitschrift,
Neue Folge, H, S. 217 f.) die ganze Stelle. als Interpolation mit Recht ausscheidet,
bemerkt mit meiner Ansicht übereinstimmend: „Daß der alte Hrodgär mitunter selbst
die Harfe geschlagen habe, fällt doch auf, wenn auch die Kirnst eine hof- und helden-
mäßige war.« In den folgenden Versen findet MüUenhoff mit voUem Rechte „nur leere
Redensarten, die einer, der seinen HaupteinfaU ausgespielt, in der Noth herausbringt,
um noch ein paar Verse voU zu machen. V. 2105 f. und v. 2111—2114 sind eng zu-
sammenhängende Sätze und Gedanken, die 2107—2110 nxxx auseinander reiben-.
') Vgl. Albert Schott a. a. O. S. XXVII.
ÜBER DEN STAND BBBÜFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 43
Q-egen meine Behauptung könnte Vidsid v. 103 ff. angeführt wer-
den, wo Vidsid selbst sagt, daß er und der Sänger Scilling vor ihrem
Fürsten (/br uncrum siged/ryhtne) lauten Sang zur Harfe erhoben haben.
Es fehlt aber jegliche weitere Notiz über den Scilling, ob er an Eäd-
gils Hofe seinen dauernden Aufenthalt gehabt habe oder als Fahrender
dahin gekommen sei, wie ja auch Vidsid selbst nach seinen eigenen
Mittheilungen lange Zeit als fahrender Sänger die Länder der Menschen
durchwandert hat und vielen Fürsten gedient. Es ist aber auch mög-
lich, daß Scilling der Hofsänger irgend eines andern Fürsten war und
der Wettgesang bei Gelegenheit eines fürstlichen Besuchs angestellt
wurde. Auch das wäre möglich, daß Scilling an Eädgils Hofe öfters
verkehrte und gern gehört wurde ; aber der eigentliche Hofsänger kann
er nicht gewesen sein, diese bedeutende Stellung kaim nur Vidsid
selbst eingenommen haben.
Erinnert man sich noch, daß das Amt des pyle, d. h. des Gefolgs-
manns, dem die Sorge fllr Unterhaltung durch Erzählung bei geselliger
Vereinigung oblag, ein bestimmtes Hofamt war, daß als pyle Hrodgärs
V. 1165 und V. 1456 Hünferd genannt wird , daß dieses Amt auch
urkundlich bezeugt ist und Inhaber desselben namentlich genannt wer-
den, als pedissequus oder pedissessor ') , so stellt sich als unumstößlich
heraus, daß auch flir Unterhaltung durch Gesang ein bestimmtes Amt,
vertreten durch nur dinen Mann, dagewesen sein muß *).
Der Verkehr mit anderen Berufsgenossen war aber für die Sänger
eine Noth wendigkeit, damit ihnen neue Sagenstoffe zugeführt wurden
und sie nicht auf einen engen Kreis von Liedern, die allen durch oft-
maliges Anhören längst geläufig waren, beschränkt blieben, sondern
eine reiche Fülle manichfaltiger Gedichte ihnen zu Gebote stand , so
daß die Zuhörer einer erfreulichen Abwechselung genießen konnten.
Ein Volk, dem Ergötzung an Dichtung und Gesang Lebens-
bedürfniss ist, lässt keine festliche Gelegenheit, keine gesellige Ver-
einigung vorübergehen, sei dieselbe ernster oder heiterer Art, ohne daß
die Harfe gegrüßt wird und der Hort alter und neuer Lieder erschlossen.
Bei Beövulfs Bestattung heben die Geäten an sein Lob zu singen; bei
jedem größeren Mahle, wo Kriegsmänner zu fröhlichem Gelage nieder-
sitzen, ertönt alsbald ein Lied^ das ruhmwerthe Thaten der Vorzeit
oder auch der jüngsten Vergangenheit preist. Am Morgen nach Be6-
') Kemble Die Sachsen in England, übersetzt von H. Brandes, I, S. 87 f.
*)W. Grimm Heldensage ' S. 382 sagt von Hrödgärs Sänger: „ Offenbar verwaltete er
ein ihm zu Theil gewordenes Amt.**
44 ARTÜR KÖHLER
vulfs siegreichem Kampfe mit Grendel, als man die blutige Spur des
üngethüms verfolgt hat bis zum Strande, wo das Wasser noch wallt,
geförbt von des Unholds Blute , beginnt man Beövulfs heldenkühne
Kraft zu erheben und neben ihm von Sigemunds gewaltigen Thaten
Kunde zu geben, v. 856 ff., imd am Abend desselben Tages, als die
Dänen sich vor weiterem Ungemach sicher wähnen, erhebt sich lauter
Jubel auf den Methbänken von Heorot und Hrödgärs Sänger stimmt
das Lied an , wie in Finnsburg der Kampf tobte. Eine wie unerläss-
Hche Bedingung für rechte Freude und Lust der Vortrag von Helden-
liedern bei den Angelsachsen war, davon ist oben gesprochen worden.
Das Instrument, das zur Begleitung dient, ist die Harfe (auch
Vids. 105 erwähnt), als Bringerin der Lust gomenvudu genannt v. 1065
und 2108, gleöbedm v. 2263 '). Ausführlicher handelt über das Harfen-
spiel das Gedicht bi manna vyrde v. 80 f., wo das Plectron erwähnt
wird, mit dem man die Saiten anschlägt; die Stelle lautet:
Sum sceal mid hearpan ät his hläfordes
fdtum sittan, feoh picgan
and d snelUce snere vrcestan,
glädan scral Icetan gearo se pe hleäped
nägl neömegende: biä Mm neöd micel.
In diesen Versen findet auch die Frage ihre Erledigung, wo der Sänger
seinen Platz gehabt habe, nämlich ät Ms hläfordes fdtum. Das Beövulfs -
lied sowie auch das Vidsidlied geben durchaus keine weiteren Andeu-
tungen, als daß (Vids. v. 557) der Sänger vor auserlesenen Zuhörern
in der Methhalle auftritt: in meoduhealle^ hü me cynegode cystum dohten.
Der Platz des Sängers ist nach jenem Gedicht, den auch der Pyh ein-
nimmt, unter dem Hochsitze, zu den Füßen des Königs (Beöv. v. 500.
1166), an der großen Mittelsäule, welche das Dachgebälk der Halle
stützt*) und genau dem xtcoi/ fiaxgog der Odyssee entspricht. Beachtung
verdient auch die Hervorhebung des feoh picgan , des Gelderwerbens
durch den Gesang. So rühmt auch Vidsid, v. 64 f., von den Thyringen,
Throyenden und Bürgenden, daß ihm Ringe und Spangen geschenkt
wurden, und Güdhere, der Bürgenden König, gibt ihm kostbares Ge-
schmeide, glädlicne mäddum songes td ledne, v. 66 f. Von solcher Beloh-
*) Die von P. E. Möller zu Saxo Gramm. S. 111 genannten dänischen Mosik-
instromente stimmen mit den von Saxo gebrauchten lateinisch - griechischen Benen-
nungen nicht tiberein, sondern müssen Streichinstrumente gewesen sein. ') Vgl. Moriz
Heyne Über die Lage und Construction der Halle Heorot, S. 50. Zu obiger Stelle vgl.
auch W. Scherer in der Zeitschrift för die österreichischen Gymnasien 1869, S. 92.
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 45
nitng des Gesanges findet sich bei Homer gemäß den Sitten des he-
roischen Zeitalters der Hellenen keine Spur.
Gelegentlich haben wir schon Einiges zu bemerken gehabt über
die Stoffe, welche der Sänger behandelt. Es sind vorwiegend epische
Stoffe aus der Götter- und Heldensage oder Kunde von Ereignissen
der jüngsten Vergangenheit
Phemios singt von der Rückkehr der Achseer, vom votfrog ^Axaiäv,
a, 326, und wir wissen, daß diese Nosten volksmäßige epische Stoffe waren ;
obwohl er noch vieles andere weiß, Thaten der Götter und Menschen,
die von den Sängern sonst gepriesen werden («, 337 f.), so ist doch
der Bericht von den neuesten Dingen den Menschen am liebsten zu
hören ^). Und Ereignisse des trojanischen Itrieges behandelt Demodokos
bei den Phseaken, ^, 75 ff. und 500 ff. Es sind hier nur neue Thaten
in Betracht gezogen, von Ereignissen der Vorzeit kein Wort. Ich halte
es fiir erlaubt, aus dieser Beschränkung der Gegenstände der helleni-
schen Heldensage, die sich im Homer findet, einen doppelten Schluß
zu ziehen : erstens lagen den Sängern, in deren Munde die homerischen
Lieder entstanden, andere Sagenkreise schon etwas fern und das In-
teresse hatte sich bereits wesentlich auf den trojanischen beschränkt,
zweitens aber war zufolge der vorzugsweisen Behandlung neuerer Be-
gebenheiten der Improvisation ein größerer Spielraum gelassen. luden
gelegentlichen Äußerungen des Odysseus und Telemachos wird auch
ein weit geringeres Gewicht auf den Reichthum der Sagenkenntniss
und die Fülle des Liedervorraths gelegt, über den der Sänger gebietet,
als auf die Anschaulichkeit und Lebenswahrheit, mit der er vorträgt,
als ob er selbst dabei gewesen wäre oder von einem Augenzeugen der
erz^lten Handlungen berichtet worden ''). Wenn nun auch das angel-
sächsische Epos dem insofern entspricht, als von Hrodgärs Sänger ge-
rühmt wird (freilich in einer interpolierten Stelle, v.2109, s. o. S.41Anm.)
daß er seine Erzählung anhob sdd and säidic, „wahrhaft und traurig",
J. h. ergreifend, so wird doch bei weitem mehr die reiche Sagenkunde,
die LiederftlUe hervorgehoben, v. 90f.; 869; 2106. In diesem Puncte
ist das hellenische Nationalepos bereits weniger volksmäßig, nämlich
mehr auf die Form und Darstellung absehend, als das angelsächsische,
dem es überall mehr auf den Reichthum des Stoffes als auf den Glanz
der Darstellung ankommt.
') tfy 351 f. Tijt/ yaQ aoiSfiv fjkallov IniMlBiova av9'Qa>noi,
fjztg aitov6vx606i vcorari/ dfi*piniXqtat.
) 9" 491 wg ti nov rj avtos nccQBmv fj atXov ttKoveag, — Mit dem Erzählen
natu noaiioVf das Odysseiu an Demodokos rühmt, vgl. ä/ter rihte Beöv. v. 2110.
46 ARTÜR KÖHLER
Neben diesen Liedern auf Ereignisse der jüngsten Vergangenheit,
beinahe der Gegenwart, begegnet nur noch aus der Göttersage das
Lied von Ares und Aphrodite, d; 267 — 366, das Demodokos zu dem
pantomimischen Tanze der Phseaken singt, also eine Art mythologisches
Tanzlied, wie wir sie auch bei germanischen Völkern gehabt haben *).
Der Linosgesang, den ein Knabe bei der Weinlese zur (poQfiiyt sii^gt^
i, 570, ist ein mythologisches Volkslied, das uns hier nicht angeht.
Von Liedern aus der alten Göttersage kann bei dem angelsäch-
sischen Nationalepos, das Jahrhunderte nach der Bekehrung zum Chri-
stenthum seine jetzige Gestalt erhielt, kein unversehrter Rest mehr
sich finden. Die Göttersage ist zur Heldensage abgeblasst und sorg-
fältig sind auffiQlige Spuren des Heidenthums getilgt, obwohl es noch
mancher Orten unverkennbar unter dem christlichen Gewände hervor-
sieht. In noch höherem Grade theilte das oberdeutsche Epos dieses
Geschick.
Und doch schimmert eine deutliche Spur alter mythologischer
Lieder im Beövulf noch hervor, noch dazu an einer Stelle, die keines-
wegs zu den ältesten Bestandtheilen des Epos gehört, in der Schil-
derung der Hallfreude, die in Hrodgärs Königsbau herrschte und die
den Feind des Menschengeschlechts, Grendel, zu grimmem Wüthen
gegen die fröhlichen Ältrinkenden anreizte. Wo in dieser Schilderung
vom Sänger gesprochen wird, geben v. 92 — 98 den Inhalt seines Ge-
sanges an und dieser Inhalt ist die Weltschöpfung. Es wäre verkehrt,
wollte man hieraus auf einen entschieden kunstmäßigen Charakter des
Beovulfliedes schließen ; auch halte ich es nicht für nothwendig , ja
kaum flir zulässig, hier in einem an sich schon späteren Stücke eine
Interpolation anzunehmen^). Dazu wäre man vollkommen berechtigt,
wenn die Stelle eine ausgeprägt christliche Anschauung, eine gewisse
dogmatische Färbung, eine etwas anspruchsvoll auftretende moralisie-
rende Tendenz zeigte. Aber von alledem ist nicht die Spur. Obgleich
zwar diese Verse nichts enthalten, was mit der christlichen Schöpfimgs-
lehre in geradem Widerspruche stünde, vielmehr sogar v. 92 von dem
allmächtigen Gott die Rede ist, so kommt doch unmittelbar daneben
V. 94 der siegbei'ühmte Gott vor, der Sonne und Mond den Land-
bewohnenden zur Leuchte setzte , sowie der Ausdruck frumsceafi ^),
*) Über mythologische Tanzlieder der Faröer vgl. Talvj Versuch einer geschicht-
lichen Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen S. 190 f.; Willatzen Alt-
isländische Volksballaden und Heldenlieder der Färinger S. 11 f. ; 16 f. *) Wie Miülenhoff
thuty Haupt Zeitschrift, Neue Folge H, 8. 195 ') Grein (Sprachschatz der ai^elsfichsischen
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc, 47
unverkennbar heidnische Reminiscenzen. Dazu kommt die entschiedene
Volksthtimlichkeit des Ausdrucks wie der Gedanken, so daß mir we-
nigstens die Stelle trotz der Unterbrechung der Erzählung durchaus
ursprünglich erscheint. Erinnert man sich femer, daß biblische und
apokryphe Legendenstoffe von geistlichen Dichtern in der ttberkom-
menen epischen Weise, die ich die halb volksmäßige nenne, behandelt
wurden, daß ein sächsischer Sänger in derselben Weise die Evangelien
zu einem Epos gestaltete, so kann es durchaus nicht auffallen, wenn
in einem Epos volksthümlichen Inhalts die Weltschöpfung, noch dazu
in einer nicht gerade specifisch christlichen Auffassung, als Thema des
acßp erwähnt wird. Die echt epische Form dieses Abschnittes, sowie
der aus verblasster Farbe hervorbrechende Gedanke an den siegbe-
rühmten Gott und an die erste Schöpfung, im Gegensatz zu der zweiten
nach dem Untergange der jetzigen Welt nöthigen zu der Annahme,
daß hier die Erinnerung an ältere Lieder mythologischen Inhalts, wie
wir sie in der nordischen Poesie kennen, obwalte. Nur ist der altheid-
nische Charäcter dieses Gesanges zufolge der religiösen Umwandelung,
die bei den Angelsachsen vor der Abfassung des Be6vulfliedes als eines
einheitlichen Ganzen eingetreten war, verwischt bis auf eine schwache
Spur. Diese leichte Spur aber, in Verbindung mit analogen Erschei-
nungen der nordischen Dichtungen genügt vollkommen um darzuthun,
daß auch die Angelsachsen vor ihrer Bekehrung mythologische Lieder
besessen haben müssen und daß auch Jahrhunderte nach der Annahme
des Christenglaubens die Erinnerung an dieselben noch nicht voll-
kommen erloschen war.
Wo sonst noch im Beövulf Stoffe epischer Dichtung genannt
werden, sind sie der nationalen Heldensage entlehnt: v. 1063 ff. die
Sage vom Kampfe in Finnsburg und 875 ff. Sigemunds des Välsings
Dichter, s. v. I, 8. 354) tibersetzt /rttmffcco/if durch prima rreatio, im Gegensatz zu
edtceafi nach dem Weltbrande, das nur Dan. 112 6d edsceafte vorkommt, und führt
als Belegstellen an Seel. 79, wo aber der Codex Verc. JU frymde liest, Andr. 798,
Räthsel 4, 14. An allen diesen Stellen ist die mythologische Bedeutung durchaus nicht
nothwendig, es genügt überall die einfache „Schöpfung". Beöv. 4ö ist wohl nur aus
Versehen unter die Belegstellen für diese Bedeutung gekonmien ; denn dort, wo von
Scilds Aussendung als eines kleinen Kindes (umhor-vesende, puer reeens tuUus) berichtet
wird, kann ät frumsceafte nur die Bedeutung haben „im Anfange, das erste Mal"
(Heyne s. v. „d. h. bei seiner Geburt"), im Gegensatz zu der zweiten Aussendung nach
dem Tode auf steuerlosem Schiffe. Für unsere Stelle v. 91 gibt Grein in Parenthese
und mit Fragezeichen die Bedeutung originemf statum priHinumf Gerade hier aber
liegt die Erinnerung an die Kosmogonie nach heidnischer Vorstellung außerordentlich
nahe, Vf45 ist nicht die mindeste Veranlassung, an sie zu denken.
48 ARTUR KÖHLER
Thaten , dem hier der Drachenkampf zugeschrieben wird , den sonst
die Sage von seinem Sohne Sigfrid berichtet ^), also ein Stück Nibe-
lungensage in wesentlich veränderter Gestalt. Aber auch Thaten der
urihaittelbaren Gegenwart werden im Liede verherrlicht: auf dem Ritt
vom Grendelmoor zurück am Tage nach Beovulfs Kampf mit dem Un-
hold, wird diese herrliche That sofort als Lied gesungen, v. 872 ff.,
also auch eine vecovccT'q aoidij. Im Anschluß an die Vernichtung Gren-
dels, welche die Dänen von einer unerträglichen Plage befreite, geht
der Sänger über auf Sigemund, seinen Drachenkampf und seine weite
Berühmtheit. Die Episode von Heremöd, die hier v. 901 ff. angeschlossen
wird, gehört nicht zu den Sagen, die der Sänger behandelte, sondern
wird vom Uberarbeiter des Gegensatzes wegen angefugt.
Von hoher Wichtigkeit auch in dieser Hinsicht, für die Stoffe der
Sänger, ist das Vidsidlied. Der Sänger, der redend eingeführt ist, gibt
Bericht von seinen Fahrten bei allen Völkern, nennt ihre Namen und
ihre Könige, gibt nur gelegentlich etwas weitere Ausfuhrungen, streut
hie und da knappe Sentenzen ein, die volksthümliche Gedanken aus-
sprechen, und gibt namentlich über seine eigene Thätigkeit bedeutsame
Mittheilungen. Äußerst werthvoll ist dieses Lied flir den Character der
epischen Poesie bei den Angelsachsen, besonders für die Vorbereitung
und allmähliche Entwickelung der halbvolksmäßigen Periode derselben.
Der Gegenstand des Gedichtes ist, abgesehen von einigen Interpolationen
und eingeflochtenen Sentenzen, die uns hier nicht berühren, die Auf-
zählung der Völker und ihrer Könige, die dem Sänger bekannt waren.
In der Hauptsache ist diese trockene Aufzählung der vielen Namen
höchst eintönig und — ohne jeglichen poetischen Schmuck — für einen
Jjcser, der Genuß sucht, höchst unerquicklich, für unsere Frage aber
vom höchsten Gewichte. Denn wir erkennen aus diesem Liede, wie
das Interesse noch an der einfachen, schmucklosen Berichterstattung
von den nackten Thatsachen der Sage haftet, in so hohem Grade, daß
auch eine so unpoetische und langweilige Aufzählung erwünscht war,
gern gehört und lange Zeit mit diesen oder jenen späteren Zusätzen
fortgepflanzt ward, so daß das Lied, wenn auch in manichfach ver-
änderter Gestalt, uns heute noch erhalten ist. Eine ähnliche Erschei-
nung ist der sogenannte Schiffscatalog in der IHas, ß, 484 — 785; aber
auch hier zeigt sich der tiefgreifende Unterschied zwischen dem helle-
nischen und germanischen Nationalepos trotz aller sonstigen Überein-
*) Vgl. Uhland in dieser Zeitschrift 2, S. 344 ff.; W. Grimm Heldensage
S. 13 ff.
ÜBER DEN STAND BERUFSMÄSSIGER SÄNGER etc. 49
Stimmung und Verwandtschaft Hier erscheint ganz deutlich das oben
schon erwähnte stoffliche Interesse überwiegend über das künstlerische
bei den Angelsachsen. Während es ihnen vollkommen genügte, sich
die Völker und Könige, von denen die Sage zu melden wusste, auf-
zählen zu lassen und es flir ihr Unterhaltungsbedürfhiss völlig aus-
reichte, wenn neben solcher einfachen Aufzählung bei einigen wenigen
ausfiihrlichere Mittheilungen gemacht wurden, musste der hellenische
Sänger seine Aufzählung der Fürsten und Helden, die mit ihren Schaaren
nach Troja zogen, ausputzen durch mythologische, genealogische, geo-
graphische Notizen; so daß ein lebhaftes buntes Bild entstand ^). Ein
Gedicht von der Beschaffenheit des Vidstdliedes wäre bei den Hellenen
zur Blütezeit ihrer Epik nicht denkbar, ebenso wie auch die Angel-
sachsen diesen Standpunct überwanden und ihr Epos unter den Händen
berufsmäßiger Sänger ebenso wie das homerische einen halb schon
kunstmäßigen Character annahm , wie er im Beövulf, in den Liedern
vom Finnsburger Kampfe, von Valdhere, in den geistlichen Dichtungen
unverkennbar hervortritt. Rücksichtlich der Form aber ist zu beob-
achten, daß der eigenthümliche epische Stil und Ton bei den Griechen
alterthümlicher ist als bei den Germanen, daß die Sprache und die
Wendungen unserer Epen schon mehr kunstmäßiges Gepräge tragen
alsi die homerischen Dichtungen.
Aber nicht bloß rein epische Stoffe behandelten die Volkssänger
der Angelsachsen, auch Spuren von Lyrik sind zu bemerken. Vidstd
sagt V. 99 ff., daß er im Liede seine goldgeschmückte Königin Ealh-
hild gefeiert und daß von seinem Preisen ihr Lob sich über viele
Länder verbreitet habe. Daß dies freilich keine reine Lyrik gewesen
sein wird, sondern eine epische Darstellung mit lyrischen Reflexionen,
die vielleicht das epische Element überwogen , das beweisen ähnliche
lyrische Stellen im Beövulf z. B. v. 1925—1943, wo die edle Weiblich-
keit der Hygd und die unweibliche Strenge und Härte der M6dJ)ryd
einander gegenübergestellt und mit Reflexionen begleitet werden ^), femer
— allerdings in einer Interpolation — die Betrachtimgen, die Hrödgär
an Heremöds elenden Ausgang knüpft, v. 1709 ff., am Schlüsse des
Liedes v. 3170 ff. die Gesänge der Geä,ten bei Beövulfs Bestattung.
Lyrisch gefkrbt muß auch der Gesang gewesen sein, den Vidsid bei
*) Eine ausführlichere Parallele dieser im höchsten Grade beachtenswerthen Ka-
talogdichtung bei Hellenen und Germanen behalte jich mir für ein anderes Mal vor.
') Vgl. Grein in Eberts Jahrbuch für romanische und englische Literatur Bd. IV,
S. 279 ff. (Jber den Namen M6dprtfd, nicht M6dprydo, vgl. Müllenhoff in Haupts Zeit-
Behrifk, neue Folge, II, S. 216.
OBUMANIA. Neut Reih« III. (XV. Jahrg. 4
50 ALBERT HCEFER
Älfvfn (d. i. Alboin) in Italien anstimmt, um die Kraft (metonymisch
ausgedrückt hond) zu preisen, die am geschicktesten war, Ruhm zu
erwerben, und die Freigebigkeit des Herzens, v. 72 ff. Wie wenig aber
die lyrische Dichtung unter dem Einflüsse einer berufsmäßigen Sanges-
kunst des epischen Elementes als Grundlage zu entrathen vermochte
und wie sehr die Lyrik auf der halbvolksmäßigen Stufe der Dichtung
mehr als Schmuck und Verzierung eines epischen Qerttstes erscheint,
das erkennen wir an Liedern wie De6rs Klage. Überwiegend bleibt
immer das Epos und zwar in einer bestimmt gegebenen Form, der
halbvolksmäßigen, deren characteristische Eigenthümlichkeiten im We-
sentlichen bei allen Völkern dieselben sind, so daß ftlr die Epopoeie
ganz dieselbe Gesetzmäßigkeit sich geltend macht, wie anderseits fUr
das Volkslied.
DRESDEN 1868. ARTUR KÖHLER.
•^— ^KW— ^w»-
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG.
VON
ALBERT HOEFER. *)
XVI. Der Bückumlaut,
Der etwas ungewöhnlich gebildete und an sich kaum verständ-
liche; gleichwol allgemein aufgenommene Name ist von J. Grimm vor
flLnfzig Jahren in die deutsche Grammatik eingeführt für den im Hoch-
deutschen^ Sächsischen und Nordischen auftretenden Fall, 'daß mit dem
Ausfallen des i der Umlaut aufhört und der anfängliche reine Voeal
zurück kehrt'; oder, wie es auch heißt: 'wird die Ursache des Um-
lauts fählbar aufgehoben, so tritt der ungetrübte Vocal wieder an
seine Stelle', vgl. Gramm. 1' 9 und 1' 34. Also, wenn Umlaut hier
nicht in einem anderen als dem gewöhnlichen Sinne stehen soll,
so war 'Rückkehr vom Umlaut zurück' gemeint und der Begriff 'zum
ursprünglichen VocaT ward ergänzt: also z. B. a vor i wird e und
kehrt zurück beim Schwinden des i: also haut gab im Dativ henR,
hendi und dann wieder hant ftlr hent, wenn i schwand. Hätten wir nur
Fälle dieser Art zu berücksichtigen, wo das alte a stets in voller Kraft
daneben bestand , so wäre die aufgestellte Erklärung in der Tat we-
♦) Fortsetzung von Oennania 14, 197—226.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 51
niger anstößig, obgleich das vorauszusetzende hent unerweislieh , der
doppelte Wandel von henti zu hant also gleichzeitig und auf einen
Schlag eingetreten sein müste. Weitaus mislicher aber wird das Ding
da wo der alte unumgelautete Vocal schon in früher Zeit vollständig
aufgegeben war, also z. B. bei den Verben sentjan, wentjan, prennan
durch die gesammte Conjugation hindurch nirgends mehr zum Vorschein
kam. Der Hergang wäre sentüa, sentta, santa, das Bewustsein des äl-
teren santjan hätte sich also auch hier, anders als jetzt, wo Wenige
den Ursprung des e in senden noch ahnen, lebendig erhalten und ab-
gesehen von dem auch hier anzunehmenden Sprunge des senta zu santa
würden alle sogenannten rückumgelauteten Formen, sollte der Name
Sinn und Geltung haben, natürlich die jüngeren, die umgelauteten sen-
tüa notwendig die älteren, voraufgegangenen sein. Das ist aber wenig
wahrscheinlich zu machen, wenn auch umgekehrt die bekanntUch schön
von dem Übersetzer des Isidor beliebten chennida, sendida, setzida da-
rum nicht als die spätesten gelten sollen*) und so ist denn der Versuch
erlaubt, die in Frage stehende Erscheinung auf anderem, vielleicht ein-
facherem und natürlicherem Wege zu erklären.
Die ahd. sentjan, wentjan sind so gut wie z. B. trenkjan oder selbst
hringan auf ältere sanijan^ wantjan^ trankjaUy hrangan zurückzuftthren,
deren altes und ursprüngliches a teils unmittelbar erhalten ist, wie in
got. sandjan, vandjan, dragkjan, altfries. branga**), teils in nominalen
Bildungen Bestätigung findet. Von einem Ablautsverhältnisse, welches
Ghrimm GDS. 850 fUr dragkjan : drigkan annahm, oder von der noch
beliebteren Zurückf ührung des dragkjan, hrannjan auf die starken Prä-
terita drcyk^ brann darf nicht mehr die Rede sein, seit der Wechsel
von brinnan : hrann, giban : gab, gaf selbst richtig erkannt ist.
Von den in der älteren Zeit des Hochdeutschen sicher annehm-
baren a-Formen würden die Praeterita, den gotischen gleich, zunächst
nur santita, waTdüa^ tranküa, lagita, die Participien santit, vxintit, lagü
usw. gelautet haben und damit war denn Veranlassung zu beiden Bil-
dungen gegeben, einmal zu der verkürzten mit ausgestoOenem Ablei-
*) In den Fragm. Theot. stand neben cp. 7» 23 »4izzUa nach ed. 2 S. 46 in
cp. 29, 19 vielleicht saxta und Grimms Regel fflr das Part. Praet. bei K« nnd N. Gramm.
1^ 1010: kipreimU, kiprcMtir, aber nicht kiprarU, zeigt schon das in der Hauptsache
unterschiedloee Nebeneinanderbestehen beider Bildungen, anderer Denkmäler zu ge-
schweigen.
**) Gotisch hrahta kann nicht von hriggan kommen, sondern neben letzterem wer-
den wir wol ein braggan, braggianf anzunehmen haben, entsprechend dem alts. brengian,
noch heute nd. brengen neben bringeriy wozu hrakia wi<) thahta zu tkagkjan stehen würde.
4*
52 ALBERT Hü^FER
tungsvocal, santa, hranta, sazta, die das Gotische offenbar schon z. B.
in hrdhtay tkahta entwickelt hat, sodann zu der uragelauteten ^entita,
hreiinita, sezzita. Santa ist also nicht aus sentita, sondern neben ihm
und gleich ihm aus santita entwickelt. Ebenso bei dem Particip gtsant
und gisentit beide aus gisantit und ebenso bei den anderen umlautfähi-
gen Vocalen; ebenso auch in der Declination wo im Dativ Sg. hanti,
händig heräi, hendi, hende und später hant, makti und schon in Pa. und
K. makty von anst nur ensti und anst*), von chraft nur chrefti, dann
nahti und naht; kiwalti, giwelti und giwaü u. a. im Ahd. neben einander
bestehen. Daß die kürzeren im Ganzen die späteren sein werden, ist
zu erwarten ; indessen kommen sie schon frühe genug neben den vollen
vor, um meiner Auflfassung des Verhältnisses kein Hindernis in den Weg
zu legen, ohnehin kann man überall wo die Endung und damit der
Umlaut fehlt, vielleicht unflectirte Formen anzunehmen haben, daher
denn im Mhd. Genitive, zumal Dative dieser Art (z. B. hant^ kraft,
tat u. ä.) soviel häufiger als im Althd. begegnen.
In Betreff der Y^rba weiß ich die vermuteten Praeterita freilich
nicht nachzuweisen **) , allein Participia voller und unumgelauteter
Form, wie : arwachity casojzzit, zasacit, arwagit remotum, garachü^ canam^
nit, cafastit, archannitj arhskit, bieten insbesondere die Pariser und an-
dere Glossen, aus denen sie auch in den Sprachschatz geflossen sind,
in nicht geringer Anzahl. Außerdem begegnen alles in allem eine Menge
einzelner praesentischer Verbalformen, die uns das zwar unzweifelhafte
aber als längst völlig verschwunden betrachtete alte a lebendig vor
Augen führen, z. B. Graff 1, 662 erauakhit prae(ci)pitat, gl. Ker. bei
Hattemer 1, 227, in Ra. Diut. 1, 269** aruuankit'^ arwwacÄiY incitat Pa. ;
uuantenti Pa. uuententi Ra; aruuantit evertit Pa; uvxirit zu werjan, ve-
tat, prohibet Pa. K; piuttariantem K. =:: piuttargentem Pa; analagkende
abinmittentes Pa. {analojzcente K.); filakit reponit K; Inf. a/rktsken ex-
tinguere Pa ; über ra^hendi citatus , agilis in lingua und rachenteo vgl.
Grafi" 2, 365; mastenti Pa, mastendan alendum gl. K; erste und dritte
*) Grimm spricht in Bezug auf ensit^ anst nicht seihst von Rückumlaut, s. 1' 620.
677, desto öfter Andere, z. B. Vilmar ed. 5 S. 20 und Kelle Vergl. Gr. 1 S. 146. Übri-
gens sind die obigen Formen aus Gra£f genommen, das daselbst fehlende anat ans dem
Freis. Vat Uns. bei Docen 2, 290 »Gr. 1, 620; vgl. Kelle a.a.O. 146. 153; Dietrich
Histor. Ded. 27. Man wird solche Formen mit O. Schade also wol in die ahd. Para-
digmen aufzunehmen oder doch nicht völlig unbeachtet zu lassen haben,
**) Ein sehr altes rahata porrexit Graff 2, 366 aus Docens Glossen in Aretins Bei-
trägen (Da) neben rahta^ rehkita wage ich nicht in Anschlag zu bringen.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 53
Pers. Praes. Sg. archanniu, archannit nebst Part. Act. archannenti Pa.,
trchannendt gl. K. 110; dacchib, thacchit gl. K. 18, thahent ih.'^ Inf. /ar-
santan amittere Pa. 141" = forsantan gl. K. 17 , farsaintan Ra ; Inf.
casaceriy zweite und dritte Sg. praes. casacis (kisezzis K.), casacit (kisaz-
zu K.), pisadt instituit, zaaacis exponis, zasacit destituit (zisezzit K.)
neben dem Partie, zasacit (zisezzit K.) destitutus Pa.
Diese meist aus öraff oder direct aus den Pariser und s. g. Ke-
ronischen Glossen entnommenen Beispiele, welche sich ohne große Mühe
vermehren ließen, geben volles Zeugnis für das einstmalige Vorhanden-
sein des alten a wie im Participium Praet. Pass. vor erhaltenem i,
so im Praesens, Infinitiv und Partie. Act. und so dürfte wer Lust hätte
auch z. B. mfarsanJtan denselben von Grimm 1* 870 z. E. beim Praesens
vermisten s. g. Rückumlaut annehmen, den man in farsavia u. a. ge-
funden hat. öraff war vollberechtigt diese Verba, wie er zum Teile
getan, als sardjan, faljan, sazjan anzusetzen, sie haben einmal durchweg
gegolten und sicherlich in weiterem Umfange als das Althochdeutsche
erkennen lässt. Das zeigt in manchen Fällen noch das Mhd. und in eini-
gen selbst das Neuhd. das mehr altes bewahrt hat, als es nach Grimms
wunderlicher Behauptung 1*987 scheint. Aber der Umlaut griff alsbald
mit zerstörender Gewalt ein und ließ das alte a nur da fortbestehen
wo es, durch Zusammenziehung gesichert, unantastbar geworden war.
Unser sante zu sendete, gewant zu gewendet, oder kannte, gekannt
zu kennt oder das von Grimm geleugnete rannte, gerannt zu rennt liegt
in der Hauptsache genau so wie schcm zu schoen, fast zu fest und will
man dafür einen besonderen Namen, so wird man statt des als unwahr
aufzugebenden Rück Umlauts, dem man gleichwol schon eine Rück-
brechung nacherfdnden, sich mit dem einfachen Nichtumlaut zu
begnügen haben.
XVII. Zu Particip und Gerundium.
Die althochdeutschen Glossen gewähren gerade fllr die hier ge-
nannten beiden Formen eine Menge lehrreicher Beispiele die von Grimm
mit seiner wunderbaren, allumfassenden Umsicht und Spttrkraft keines-
wegs ganz übersehen, aber doch nicht immer schon Vollständig ver-
wertet und ausgebeutet scheinen. Auch Graff, der unvergessliche und
unentbehrlichie Meister, aus dem auch diejenigen ein gut Teil ihrer
Weisheit zu holen pflegen, die ihn oft am unwürdigsten behandeln,
hat sie sich nicht entgehen lassen, aber er hat bei seiner auf das Ein-
zelne gerichteten Arbeit eins und das andere vielleicht nicht immer
ganz richtig beurteilt und eins^ereiht. Ohnehin hat man oft Mühe, das
54 AI.BERT HCEFER
Zerstreute, wenn man es sonst nicht schon kannte, bei ihm herauszu-
finden. Ich beabsichtige durchaus nichts vollständiges, sondern hebe
nur heraus, was mir vorzugsweise Beachtung zu verdienen scheint.
1. Die Glossen bieten eine erstaunliche Menge von Substanti-
ven, die mit der Form der Participia Praes. Act fast äußerlich ganz
zusammenfallen, so z. B. mit nt oder mit nd und von kleinen Abwei-
chungen der einzelnen Sammlungen bei öraff Diut. 1 oder Hattemer 1,
auf die ich mich beschränke, abgesehen, nparfleozzandi afSuentia, uuin-
nanti vexatio, choronti conatus, prinnanti ardentia, »prehanti eloquentia,
suudkhendi flagor, kepandi und anstanti gratia, harenti clamor, deoh sla-
hanti plausus, püehanti spectatio u. A.
Graff stellt diese Bildungen meist ohne Unterscheidung zu den
Part. Act, bei upa/rfleozzandi jfragt er 'subst?'; Grimm der 2, 342 noch
keine bestimmte Kenntnis von ihnen hatte, sie aber 2, 1003 reichlich
belegt und 3, 528 dem mhd. diu wizzende vergleicht, bezeichnet sie als
von dem Part. Praes. gebildete Feminina, doch fiigt er hinzu: 'oder
wären es Neutra auf andi, wie heute das Tröstende, Erhebende? vgl.
Koros Bened. Reg. 20 heilanti dm salutare tuum, und die altn. indi\
wie hindindi abstinentia, hyggindi sapientia, Gr. 2, 343.
Aber gerade heHantü diin qhuad, so bei Graff 4, 870 = Hattemer
Cap. n S. 37 Z. 5, erweist das Femininum und dies ergibt sich deut-
licher aus Rb bei Graff Diut. 1, 505 tub§ et clangoris: des hornes inti
dera chlinganti, s. Sprachsch. 4, 563.
Das Femininum dieser Participialbildung ist also erwiesen* und so
werden wir hier wol eine eigene Abstractbildung mit altem Thema id
anzuerkennen haben, ähnlich wie die lat. auf rkJday oder dürfte man un-
mittelbarere Berührung mit dem alten Fem. der Part. Act. aft, antt,
ov6a ftlr oi/rtcx, also auch mit den masculinen Formen des Stammes
ntia annehmen, vgl. farlihantian Diut. 1, 266 ? *)
2. Ob diese Bildungen jedoch nur gen. fem. waren, oder ob auch
Masc. oder vielmehr Neutra auf i daneben bestanden, ist hiemit noch
nicht ausgemacht. Ich beziehe mich bei der Annahme solcher weniger
*) Wie sich dazu femer HdL 782 ihe neriandio kristj Isid. 33, 11 nerrendeo,
fragm. theot. 31, 17 nergenteo^ gl. Ker. 173 nergimdOf IdhaUhamdeo; raeJienteo Diut. 1,
219 u. a. verhalten, nntersuche ich hier nicht weiter, erinnere aber an Grafif 4, 563:
ehlinganta vorago, Diut 1, 229 cherranto toant -» gl. Ker. 134 kherrando (Hs. urspr.
nfd) toant, lat trepitum und trepitatum (sie) faciunt, neben amelzanti tuanti, liquefaciens,
Dint 1, 611, luuintan tuat, tabefacit, ib. 627, so da(S sogar in hofoimanutUa contio
Par. 172 etwas anderes als Jdsamanunffa Ra. ib. stecken könnte?
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 55
auf die bekannten nd. dcU etent, daJt ackngerd, des Itdendes (s. meine
Zeitschrift 3^ 195) oder auf das Altnordische^ wo guedandi, hyggiandi
nach Grimm 2, 342 auch als masc. gen. angesehen sind, als vielmehr,
da mammunti f. und n. nach Gr. 2, 344 nicht hieher gehören soll, auf
die flexionslosen t-Formen und namentlich auf die s. g. partici-
pialen Adverbia.
Solche Adverbia auf 0, welche sich bei Otfrid und im Tatian
(ir gSt drüirentOy Gr. 4, 125; hibento)^ häufiger bei Notker finden, be-
gegnen oftmals in den Glossen, z. B. Diut. 1, 274 suigento silenter, oder
takendo tskcitej folgende, horendo, stozento, betondo. Nicht selten entsprechen
sie lat. Gerundien: non asserendo, nolas zuarathonto; subdendo, untar-
tuanto etc. und so kommt man schon unwillkürlich auf den Gedanken,
zumal in den älteren Formen dieser Art alte Instrumentale zu suchen.
Ich sehe nun zwar, daß Grimm 1, 1019 (vgl. 3, 118. 238) sie den ge-
wöhnlichen Adverbien auf 0, rekto, scdno^ vergleicht und die Annahme
eines Dativ oder Instrumentalis, 'welche auf emu, ü endigen , bestimmt
abweist Allein daß dieses immerhin ursprtlngliche ü nicht unverkürzt
bestand, daß u in den ältesten Quellen auch als 0 erscheint (in den
Par. Gl. mezzOy wie bei 'Otfr. u)Crto y lioho j wäfanoj von dem späteren
o und selbst a abgesehen, s. Dietrich Hist. decl. 11, Kelle Vgl. Gr.
61-63) ist jetzt erwiesen, und femer, wie hat man denn jenes ahd.
liudonteo (Ra. liutanto , gl. Ker. 47 : litähondo) und hliäenteo (K. lu-
tendo) der Par. Gl. 168* neben lat. bumboso sonoso (=gl. K.; in den
gl. Sal. bumboso sono) zu verstehen? Es folgt caUacento, gl. E. kalazzando
furibundo. Dasselbe Uudando entspricht bei Notker in der Ps. dem lat
in jubilatione und wenn wir überhaupt solche part. Adverbien anzu-
nehmen haben, so werden wir sie auch hier wol nicht verkennen dürfen.
Oraff hat das erste 2, 200 gar nicht, das zweite 4, 1100 als P. A. be-
stimmt. Leider fehlt uns der Zusammenhang, um zu entscheiden, ob
diese dem Ablativ gegenüberstehenden liudonteo und hlutenteo hierüberall
Nom. Part Praes. sein könnten, der ja freilich manchmal ein Adverbium
vertritt. Aber auch hiebei kommen noch auffällige Dinge vor, z. B.
neben gcAunto festinando in Par. 182 daz ist cahonti upartrunehan, id
est subito in^briatus, vgl. unten no. 4.
3. Nur um zu erinnern, wie unvollständig bei allem Fortschritt
doch noch hie und da unsere Kenntnis des Altdeutschen sei, berühre
ich die Frage, ob die Partie. Praes. Act. auch Comparative gestatten?
Grimm^ 3, 584 kannte keine ahd. und mhd. Beispiele, nur Umschrei-
bungen mit bae, in den Nachträgen ebd. 786 bringt er aus Mone ein
späteres: der wolredenst man. Bei dem Part. Praet kommen dergleichen
56 ALBERT HCEFER
häufiger vor, fartanosto (Ra. furtanosta) deterrimum Par. 195 und einiges
andere ist schon Gramm. 3, 585 verzeichnet*), aber auch flir das ac-
tive, im Neudeutschen und im Lateinischen so oft adjectivische Particip
werden die Beispiele nicht fehlen, wie Rb. 525 foroMnentorun eminen-
tiores, Graff 4, 1095, neben forahlinenti eminens zeigt.
Dabei wäre manche andere participiale Ableitung und Bildung
leicht weiter zu verfolgen, ich trage nur zu dem adverbialen Genitiv
unarsuohtes bei Grimm 3, 90 aus den Schlettst. Gl. Haupt 5, 346 un-
gascawotes nach, das demselben lat. inexplorate entspricht. Selbst in dem
Niederdeutschen, dem man schöne Genitive dieser Art kaum zuzutrauen
pflegt, gibt es manches Beispiel, nicht bloß : tlendes dot hUven Zober
2, 155, unvorseendes Sap. Sal. 4 zu Ende, unvorhodeTis Ficker 312, son-
dern unvorwamdes Dittmer 154 neben unghewamedes QrautofF 1, 427,
unwaringes Dittmer 105, unvorwaringhes Grautoff 2, 103 usw., also auch
diese meist mit der Negation un.
4. Das flexionslose Particip Praes. Act. wird in allen Gramma-
tiken erwähnt, aber in keiner genauer bestimmt. Grimm 1, 1016; 4, 523
beschränkt den Gebrauch auf den Nominativ aller Geschlechter, GDS.
948 ebenso. Nur M. Heyne Gr. 264 spricht das alts. helpandi allen Ca-
sus zu. Ich bin nicht gerüstet die Frage in Betreff des Ahd. endgiltig
zu entscheiden , doch finde ich unter einer Menge nachgeschlagener
Beispiele die nti-Form fast nur nominativisch, selten accusativisch ge-
braucht , so mitunter bei Otfrid , im Tatian cp. 87 , 3 lebentt utmzzar
mehrmals filr aquam vivam, noch seltener fiir. andere Casus, wie das.
87 , 4 brunno uitazzares ufspringanti , aquae salientis , also wenigstens
fftr den lat. Genitiv. Und so wie hier kann es denn ohne Zweifel auch
andere Casus vertreten und die alten Glossen stellen es unflectirt in
der einen Gestalt oft genug allen Geschlechtem, Zahlen und Casus,
wie Substantiven sogar auch Adverbien gegenüber. So als Genitiv
Diut 1 , 220 uffontt f. uberis , 174 ampahti intfahanti f officium
clientis; als Dativ Sg. 194 uncimdhhardi f. devictissimo ; als Accu-
sativSg. 266 trSstenti f. paraclitum; als Genitiv PL 521 fartraganti
f. suferentium; als Dativ oder Ablativ PI. 227 ceohanti f. nutritus
und f. nutriendis, 248 unchunnenJbii. inexpertis neben unchunstigem und
uncalaertan f. indootis; vgl. 278 zilefnJbe f. conatibus, das Graff als züen-
tem erklärt, so wie Haupt 5, 349 aus den Schlettst. GL, Hs. des er-
sten Viertels des 12. Jhd. , aUisonte f. differendo (Graff 1 , 202 aUa-
*) Von durftera im Boethius, das Grimm 3, 90 als Part. Praet. ansieht, anders .
Graff 5, 208, sehe ich dabei ab. Davon später.
ZUK LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 57
sonto : dißerente) , so dali auch hier der Zweifel bestehen bleibt , ob
nicht mitunter statt unflectirter Formen Reste alter Casus annehmbar
seien. Andere wie D. 1, 238 pitd/panti f. humandi, 175 opoquemanti f. pro-
ventu, 264 hneigenti f. obsidione, 262 suepenti f. nando, suimmanti f.
natando werden aber wol fem. Subst. sein.
5. Im Anschluß hieran ist nun noch ein Blick auf die Bedeu-
tung zu richten, die, wie sich aus einigen der obigen Beispiele bereite
ergab, nicht selten erheblich abweicht, d. h. statt der des activen Part.
Praes. der lat. Form der Glossen zufolge vielmehr eine passive oder
gerundivische zu sein scheint. So oben in ceohantiy das von «ioAan,
ziehen, auch nutrire, doch nur nutriens bedeuten könnte. Aber derlei
kommt sehr oft vor und wenn Grimm 4, 113 als dem Isländischen eigen •
z. B. aÜ er segjanda alles ist zu sagen, oder varla er trüanda vix est
credendum, anfahrte, so finden wir hier 221 quedanti dicenda, in K.
chiuitethandy spr ehhanti loquenda,] 171 yrogrenit interrogamini, K, 61 fra-
kendi* 240 fu/rahtenti metuendus ; 258 terienti lesus, K. 178 teriendi\
260 gmekenti mulcendus, in K. 191 mit di] 243 traganti importatus =
K. 151 ; K. 152 unferaehandi invisus und ther ni kisihit qui non videtur,
wo in Par. 244 unfarhehanti y Ra. unfarreihardi '^ 251 histillandi naht
intempesta nox = K. 163; 256 unuuanenti inopinata = K. 171. Ebenda
uncadolentUh intolerabilis, uncatracantUh, unarlaupentUh, diese fast ganz
gleich in K.
Dem Ahd. hat Grimm 4, 64 nichts dieser Art nachzuweisen ge-
wust, das Mhd. und auch Mnd. bietet um so mehr Vergleichbares, z. B.
klagende n$tj ditz ansehende leit, nhd. tragende Kleider, essende Ware etc.
S. Grimm a. a. 0., Bartsch zu B. v. Holle S. 209, meine Zeitschr. 4, 197.
Von den obigen Beispielen, die sich leicht hätten häufen lassen,
mögen einige wenige auf Misverständnis beruhen, wie denn bekanntlich
die hier deshalb fast ganz aus dem Spiel gelassenen Deponentia oft
als Passiva genommen wurden, s. Gr. 4, 13 Anm., andere sind, wie die
Varianten erweisen, ofienbar verderbt, die meisten aber sind, entspre-
chend den neueren, gewis richtig und ebenso wie diese leicht erklärlich,
wie eine Erklärung denn auch längst richtig versucht ist. Auffällig ist
dabei ther ni kisihit der nicht sieht (im Sinne von aussieht?) wo kein
Sehen ist; terienti flir laesus (Tat. 168, 11 untaronti innocens) wo Scha-
den, Verletzung ist usw.
Aber dabei springt doch recht deutlich jene Berührung mancher
activer und passiver Formen in die Augen, auf die ich mich schon
sttltzte, als ich in früher Zeit die Identität z. B. von docens, docendus,
docendum, oder von seqaens und secundus u. dgl. behauptete, die ich im-
58 ALBERT HCEFER
berückt durch allerlei ältere, neuere und neueste Versuche heute nur
um so zuversichtlicher festhalte*).
6. Und dabei tritt denn die weitere Frage an uns heran, ob sich
hiemach nicht flir unser mit zu verbundenes Partie ip eine ganz
andere Auffassung ergebe, ob es überhaupt so jung sei wie man an-
nimmt? Die Praepos. zu wird ohne Zweifel dem Gerundium verdankt,
aber daß sie nun auch mit den Part. Act. sich verband und dies dann
flectirt eine neue Bildung ergab, das scheint durch Formen wie die
vorhin in Nr. 5 erwähnten veranlasst oder doch erleichtert, wol erst
ermöglicht. Ausdrücke wie im Tatian 180 z. E. buoh ihio zi scrtbanne
sint , libri qui scribendi sunt , hätten unser 'zu schreibende Bücher
nicht entstehen lassen , mein ich , wäre nicht daneben schon 'schrei-
bende Bücher (cf. oben quedanti dicenda) in fast gleichem Sinne be-
standen, unser nd ist mir hier also nicht aus dem nn des Gerundiums
erwachsen, sondern es gehört dem wirklichen Particip Praes. Act. an^
wie fö hitande, Ustande im Altfriesischen, td bdtende, td getende im Niederd.
regelmäßig, ze tragende selbst im Mhd. hin und wieder als Gerundium
auftritt.
Dergleichen Formen sind nun fiir das Althd. nicht bloß zu er-
warten, sondern auch wol nachweislich und schon Graff 4, 423 hat
Koros ze chundande nuntianda statt zi chundanne und aus cateches.
theot. ze habende bereits gegen Gramm. 4, 113 geltend gemacht und
wenn ich nicht irre, sind noch andere Zeugnisse vorhanden. Man könnte
versucht sein, dahin in Ra. 204 zisceidenti flir distinguuntur , neben za-
sceidane Par., aber in K. 99 zisceithenne zu rechnen, allein durch un-
ciscetdenti u. a. wird dies doch unwahrscheinlich. Ebenso wenig kommt
auch uncimahhontt in Betracht, obgleich zimahkdn sonst nicht belegbar
und wunderlich genug ist.
7. Das Gerundium, das noch unvertilgbar in allen Köpfen und
Lehrbüchern als flectirter Infinitiv fortspukt , ist doch , Dank dem
kostbaren altsächsischen hehianniaa neben liagannaSj fldkanna schon im
J. 1837 von J. Grimm 4, 105 richtig gewürdigt und es macht einen
heiteren Eindruck, wenn er, der bei wiederholter Besprechung der Form
einmal minder treffend geurteilt hatte, fast 30 Jahre später noch alles
Ernstes in den Denkmälern 484 belehrt wird, y^nn habe sich aus i ent-
*) Solche Yersuche die uns hier schon angehen, leiten auf ana-dkd, oder auf
ono-doy 6n-doj oder gar auf skr. suff. antja zurück, aus dem wie in jemand neben man
ein mehr als dunkles d aufschießen soll, im Grunde doch bloß deshalb, weil man nach
erfundenen Lautgesetzen lat. nd. für nt nicht als erlaubt einräumen zu dürfen glaubte.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNO. 59
Wickelt". Grimm sagte aber wörtlich und deutlich genug: die ahd. Ge-
mination nn tritt sehr oft an die Stelle von ni, also armes fUr anies wie
ehtmnea filr got. kunjis etc. Dazu hatte sich denn bekanntlich auch
schon Koene im J. 1860 bemüht, gleichfalls ohne Grimms Berichtigung
zu kennen, das immerhin aufi^lige nni durch Vergleichung der gewöhn-
lichen alts. hebbian, Uggian, settiaUy mirmiay den Gen. durch ImpräkidSy
hitias der Beichte, den Dat. durch to äldsannea C neben äldsienne M H^l.
523 ed. H., sowie durch te seggennea M neben te giseggeanne C H^l.
1839 H. zu erklären, das Ganze aber als ein adject Ntr. hdaianni,
Uagamd etc. anzusetzen. Und Koene wies dabei auf anderes Einschla-
gende hin, was wieder die Glossen bestätigen.
Die Declination dieser deutlich auf ein Thema nia, nja zurück-
weisenden Formen macht keine Schwierigkeit und wie sich stteriannias
schon durch hwnneaa neben kunnies im Hei. erläutert, so begreift sich
neben gibdtianna, za guedanne das dativische ti ßrthakenni, zi qu^thanm
Keros 172, ti ßnthanni 246 (ib. zi spuregenne) sofort durch die alts. Da-
tive kunnea^ kunnie, seit, heri, wo das Geschlecht nichts ausmacht.
Auch bei Otfr. herie und heri, wenn auch vor folgendem Vocale, 4,
4, 62, ist in Anschlag zu bringen.
Dabei zeigt sich die substantivische und wiederum die verbale
Natur des Gerundiums zunächst in der aus Otfrid bekannten Verbin-
dung mit dem Artikel und, neben dem Genitiv, auch mit dem Object-
casus des Verbums. Einiges der Art aus Otfrid und Notker hat Grimm
3, 538 ; 4, 400 berührt Man vgl. Diut. 1 in den Reich. Gl. b. S. 497 waz-
zaro des scotwnnes f. aqua lustrationis, 503 des zuaplasannes f. adspira-
tionis^ 500 zi uaranne uuikantero f. das misverstandene ir^ bellantium, das
gleich wunderliche lachanes naffizanne 524 filr pannis tormicio (dormi-
tione?) *), dann wieder 499 zafuattanne fihiu f. ad alenda iumenta, 524
zi kimelehanne miluh f. ad eliciendum lac, wobei man sich dann leicht
an NibeL *daz ir mich vil swachez grüezen taoi u. dgl. bei Grimm 4,
716 erinnert.
Bemerkenswert ist hiebei femer der dem lat. Ablativ entspre-
chende Instrumental oder, wenn man das vorzieht, instrumentale
Dativ des Gerundiums, den ich hier oben in naffizanne vermute und
*) Ich erwähne dabei Otfr. 5, 23, 66 liuto fillenne$^ noh fiuret hrennenne», Anßeiv
dem Diut. 1, 233 caleran managero f. collectio multorum, nur in Par., vielleicht Fehler.
Auf 226 wechseln lohacen f. falmen und lohaeenes. Und ebenso steht 181 * K. 66 in
Hhnnu th&narormes f. in Toce tonitruarmn. Dazu bei Graff 4 , 928 fcne dero chenun
haUenne \\, a. aus M. Cap.
60 ALBERT HCEFER
noch manchmal finde , so 525 flehonne f. adulatione, 528 minnironne f.
diminucione, vielleicht 518 prennanne f. concremacione(m) u. dgl. m.
Daß der Dativ des Gerundiums auch bei anderen Praeposi-
tionen als ziy za steht, was im Heliand nicht der Fall sein soll, z. B.
515 in liuhtanne edo in scouonney befremdet nach dem Gebrauch bei Otfrid
und in anderen Denkmälern nicht ; dagegen ist 515 ztia zi kafuacanne
f. ad iuncturas bemerkenswert, Grimm 4, 104 Anm., wenn es nicht etwa
für zi ztiakaf, verschrieben ist, GrafF 3, 424.
Nach alledem fragt sich zuletzt, ob das Gerundium auch in an-
deren Casus nachzuweisen sei als im Genitiv und Dativ des Singularis ?
Das oben angenommene Thema -nia, das sich zum Infinitiv for-
mell fast so verhält, wie die skr. Ableitung an-xja^ anxja zu dem im-
serem Infinitiv verwanten Suffix ana, berührt sich eines Teils offen-
bar mit der überaus häufigen ahd. Femininbildung auf n^, welche
Grimm 2, 162 lediglich als eine auf das Gebiet des Strengalthochdeut-
schen beschränkte, dem Got. Ags. und Altnord, ganz, dem Mhd. fast
ganz abgehende Bildung von dem Part. pass. freilich wol mit Recht
betrachtet. Aber dabei kommen Ausnamen imd Abweichungen vor,
die nicht durch eine hie und da, z. B. in kilitini, haüini wol annehm-
bare Assimilation zu beseitigen sind, wie giheUani, ir- und dv/rdhquemani
bei Grimm in der Note, irquemani und a/rchueman (sie) als Dative bei
Graff 4, 674, ir- und anthahani (s. GrafF 4, 736), uncaraisni u. a., wäh-
rend wparbrunchani Diut. 1, 182 f. aebrietas, untaruuoraffani 502 f. sub-
iectio, pinomani condemnatio und die meisten der reichhaltigen Grimm-
schen Sammlung schlagend auf das Particip weisen. Auch das genus
fem. steht wol fest genug, vgl. Diut 505 dera kilitini £ transituri^, 509
dera unbipifangani f. coronae usw.
Indessen, scheint es, werden hieneben im Anschluß an den Infi-
nitiv auch wol Neutra auf i, ia bestanden haben, kasiuni für kasihvani
ist fem. und ntr., arquemani pavor, gihellani responsio (obgleich qaemaUj
gihellan auch Particip) , deren Dative ebenso lauten, können sehr wol
Neutra sein und zugleich Gerundia, deren Dative eigentlich arquemanne,
gihellanne sein würden, aber gemäß den obigen Beispielen hier S. 59
auch auf i ausgehen konnten, also quemanni.
. Solche Neutra werden mit aller Bestimmtheit fiir die uns bekann-
ten, sehr merkwürdig auf Genitiv und Dativ beschränkten Gerundial-
formen vorausgesetzt werden dürfen; sie sind zum guten Glücke aber
auch durch drei bisher unbeachtet gebliebene plurale Dative erwie-
sen, welche sich wieder in den wertvollen Reichenauer Glossen Rb 'viel-
leicht noch des achten Jhd * finden. S. 505', 505** und 523** :
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMKNI'ORSCHUNG. Ol
1 troffizzannum &Xr lat. constillationibus, Graff 5, 529;
halsannum für lat. amplexibus, ib. 4, 928;
utianchonnum für lat. nutibus, ib. 1^ 720.
Graff fragt bei dem ersten : ist es als Inf. Dat. PL anzusehen ? Das
zweite nennt er Dat. PL des Infin. als Substantiv. Das dritte stellt er
nicht unter wanchdn, sondern unter vnnk mit der Frage: ist es richtig
oder in uuinclmm, uuinchungen zu verbessern? Allein es ist sicher rich-
tig, so gut wie die anderen beiden, toanchdn ist nur eine andere Form
fOr imnchjarif dessen altes a wie bei bringen noch heute in wenken^
brengen (s, hier Nr. XVI S. 51) erhalten ist
Unsere drei Formen verhalten sich zu den Genitiven troffizannes9
halsannes, utumchonnea genau wie Dat. pl. kunnjum oder kunnum zum
Gen. sg. kunnjes oder kunnes, ■— und so ist denn nun die Declination
des Gerundiums um einen sicheren Casus, wie ich denke, erweitert.
XVIII. Das intensive in.
Das s. g. intensive oder verstärkende in vor Adjectiven und Sub-
stantiven, das den meisten deutschen Sprachen gemein und ebenso flig-
lich neuhochdeutsch wie angelsächsisch, holländisch und niederdeutsch
wie altnordisch genannt werden darf, ist unlängst öfter besprochen
worden, dreimal allein von Dietrich, der es als 'eine wichtige Seltenheit'
bezeichnete, wogegen es Grein sogar als Unding erschienen sein muß,
denn die Anmerkungen zu Beovulf 1874 und 2449 versuchen noch das
daselbst vorfindliche infrod, das er im Wörterbuche 2, 141 dann durch
*peritissimus' übersetzt, durch Conjectur einfach zu beseitigen.
Vor achtzig Jahren wäre infr^d wahrscheinlich noch jedem pom-
merschen Bauern verständlich gewesen, das synonyme inklök und einige
ähnliche wird noch jetzt wol mancher verstehen. Auch war dergleichen
aus dem Bremischen Wörterbuche oder aus Dähnert leicht kennen zu
lernen, dazu bieten sich noch manche andere Quellen dar und so hat
denn Dietrich bereits zwei von Woeste Volksüberlieferungen in der
Grafschaft Mark S. 100 mitgeteilte Beispiele verwertet und darauf auf-
merksam gemacht, unser *in dauere im Isländischen und, was weniger
bekannt, außerdem auch im Niedersächsischen, in der Heimat des Alt-
und Angels. fort'. Haupt 11, 413, vgl. 13, 33 und diese Ztschr. 10, 264.
Daß Grimm diesen Gebrauch des in gekannt, vielleicht selbst
zuerst gelehrt, bedarf nicht der Bemerkung ; er handelt Gr. 2, 760. 761
von demselben und gibt einige unzweifelhafte ags. altn. mhd. und nhd.,
von anderen Zusammensetzungen mit in nicht gesonderte Beispiele.
62 ALBERT HCEFER
Auf das Ndl. und wie gewöhnlich auf das Nd. läßt er sich dabei
nicht ein.
Ob das Gotische Vergleichbares biete, hat Niemand gefragt,
seine lehrreichen in-Composita, von denen Grimm nur drei nominale
anführt, sind auch jetzt noch nicht hinreichend untersucht. Indessen
bedeutet das got in wie in ingards das Drinnensein, so in anderen deut-
lich genug die Innerlichkeit und wenn man inagjan 'in Angst setzen,
ingramjan 'in Zorn versetzen u. ä. wiedergeben mag, so zeigt doch das
daneben gebräuchliche grarnjan, daß der Begriff des Versetzen in' we-
niger in dem in als in der Ableitung des schwachen Verbums zu suchen
sei, der Inhalt des vorauszusetzenden Stammes vielmehr unserem recht
eigentlich hieher gehörigen Ingrimm^ ingrimmig möglichst gleich stehe.
Und so berührt sich meines Erachtens auch inahs, inahei neben aha
innig genug mit jenem infrdd, inkldk, oder indrdbnan neben simpl.
d/rohnan mit hoU. ind/roemg, intundnan mit Inbrunst u. a.
Den Übergang zu der verstärkenden Kraft dieses in, zu sehr, wird
unser Ingrimm, Inbrunst' leicht und vollständig deutlich machen, mit
denen Ausdrücke wie ^innerlich erbost, innig betrübt' oder nd. in sik
swartj durch und durch schwarz, also gleich holl. inzwaH, Brem. Wb.
2, 696, auf gleicher Stufe stehen. 'Innerlich, innig' wird allerdings die
ursprüngliche Bedeutung dieses in sein, das dann zuerst natürlich da
wo jene am besten passten, nachher auch in weiterem Umfange ver-
wendet ward, d. h. im Sinne des lat. per, des 'durch und durch, über
u. a. Dieses in bloß in Verbindung mit Adjectiven zu erwarten ist gar
kein Grund, Substantiva und Verba, auch Adverbia haben denselben
Anspruch.
Im Angelsächsischen ist das zusammengesetzte in nach Diet-
rich in dieser Ztschr. 10, 264 reichlich erhalten, allein er hat außer dem
freilich unbestreitbaren infrdd perprudens nur tndryA^enpernobiUs und das
von ihm selbst früher schon anders erklärte und mindestens unsichere
inflede peraquosus beigebracht, nachdem er darauf aufinerksam gemacht,
onforht könne ebenso gut aus inforht als aus anforht entstanden sein,
eine trotz Gramm. 2, 712 nicht imbedenkliche Annahme , die mit dem-
selben Rechte jedes andere on, an treffen imd bezweifeln lassen dürfte*).
*) Ohnehin haben wir im Ags. ähnliche Bildungen mit an^ on^ die, wenn letz-
teres auch zunächst die Nähe oder Annäherung bezeichnete, wie onlic (got analeikö,
unser ähnlich, neben iidic) mitunter doch auch eine Steigerung des Begpriffs enthalten
mögen, z. B. onsund^ Grimm 2, 712, zu Andr. 1012 und 1623 sanus, salvus, integer, nach
Heyne im Nachtrag zu Beoviilf y. 1001 ofnsund durchaus unyerletzt
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 63
Dagegen habe ich andere sichere Beispiele kaum gefunden, denn tn^e-
hygd, ingethanc, inaefa scheinen nicht völlig gleichartig.
Eine Anzahl klarer Bildungen gewährt sodann das Altnordische,
nur daß t an die Stelle des in tritt und nach Grimm 2, 761 ^den Sinn
des lat. sub gibt, also vermindert'. So bringt er selbst tbeishr subamarus,
thiugr subcurvus, tfeitr subpinguis, bei Woeste a. a. 0. infet, tgroen sub-
viridisy tgulr subflavus, ikaldr, und zum Teil bezeichnet t hier gewis
die Annäherung, während es in anderen doch gar leicht sehr, immer
meint, so z. B. tgroen in Alvissmal 11, wo Simrock aUgrün übersetzt.
Im Althochdeutschen findet sich nichts genau einschlagendes
außer etwa ingrü^ horrescere und ingrüenttih horridum Graff 4, 300;
im Mhd. aber kommt zu jenem aus dem Tristan 124, 34; 426, 21 und
436, 33 bekannten, von Grimm allein beigebrachten ingriiene (außer
inhrünste, ingedank, inkuct) noch indurstic, inviurec, ingruntlichf inguot
bei Wack. Altd. Leseb. 768, 22, inhitzec, insinneclich, inswarz u. a. hinzu,
vgl. mhd. Wtb. 1, 749 und Mystiker 1, 131, 24. 300, 4.
Was sich im Neuhoch d. erhalten hat, dürfte sich auf Inbrunst
(nach W. Wackemagel zu enbrennen gehörig) und Ingrimm beschränken,
aber Grimm nennt auch ingiU und volksmundartlich inhohl , inlieb ^ in- ,
schoen. Dazu kommen bei Vilmar Hess. Idiot. S. 184 indüerlich, inge-
scheid, inkrank, inschlScht, ingut und ingruen, letzteres auch schon bei
Stieler.
Mndl. und holl. Beispiele sind inbitter^ inbUd, indroeve undi -mg
indroog, ingierig, ingoedy ingroen (nach Plantin ein bestimmtes ELraut,
pervinca), inMt, inkoud, invergiß und -ig, inzovt sehr salzig (nicht etwa:
eingesalzen) , inzwart. Damit vergleiche man inrond und bei Plantin
tnborstich wild, stolz, böse, wahrscheinlich anders als holl. inborst An-
lage, Naturell usw.
Dem Alt friesischen dürfte der Gebrauch unseres in völlig ab-
gehen ; V. Richthofen hat nichts der Art verzeichnet , Outzen ebenso
wenig, obgleich im neueren Friesischen eins und das andere gleich-
artige vorzukommen scheint. Zwar wenn A. Lübben in seinem Olden-
burger Programm 1863 S. 12 für in, das er unmöglich genug als Rest
von sin darstellen möchte, neben singriln, holl. inztoart etc. unter Hin-
weis auf Old. Lagerb. 1428 und Ehrentraut Fries. Archiv 1, 463 auch
innelntien (b$r) anführt, so ist darunter keineswegs etwa 'schwarzbraun
Bier , was wahrscheinlich gemeint ist, zu verstehen, sondern ine tunnen
inwinHens bSrs heißt 'im Hause gebrautes Biers', d. h. brüens ist Genitiv
des starken, auch im Nd. nachweislichen Part, brüen, ahd. pruanSr,
Grimm 1, 860, 1026. Ebenso finde ich in Michelsen Altditm. Rechts-
(34 ALBERT HCEFER
quellen S. 76 §. 231 ene graue tunne ingebrmven bers (als ^einheimisches
Biers' übersetzt). — Stürenburg gewährt ein besseres Beispiel mit indisig
verstockt, hartnäckig, ingrimmig neben disenack und dem simpl. disig
mürrisch, verbissen, eigensinnig; vgl. diisag unklar, von der Luft, Jo-
hansen Nordfr. Spr. 153. Ebenso gilt hier noch didch.
Anders wieder das eigentliche Niederdeutsche, dem jenes in
noch jetzt nicht ganz erstorben ; obgleich das Altsächsische kei-
nerlei Vorgang zeigt. Was Woeste im Sinne hat, wenn er im Glossar
S. 100 den Gebrauch des in im Altsächsischen vergleichen läßt, weiß
ich nicht, ich finde kein Beispiel, man mttstfe denn etwa mit Lübben
a. a. O. inwit, invnd hieher ziehen.
Ich finde, meist schon in den Wörterbüchern verzeichnet:
inboesj Dähnert schreibt in hoes, sehr böse.
inhraf, bei Woeste, sehr brav. Kaum hergehörig ist :
indechtich, bei Dähnert und sonst, erinnerlich, oft zu belegen, z. B.
aus Lüntzel S. 13 n. und einem Magdeburger Bedeboekelin von 1540 AI**
wo es 'eingedenk' ist, vgl. oben mhd. ingedank und ags. ingethanc.
ind^psk, im Brem. Wtb., melancholisch, tiefsinnig.
infet, bei Woeste a. a. O. S. 100, sehr fett.
infin, bei Lübben a. a. O., vielleicht also Oldenburgisch.
infra/m, Dähnert, dat kint is in främ, sehr fromm.
infiindichy bei Dähnert, verschmitzt, listig, vgl. fünde Tücke, Er-
findungen, Ränke.
infürich, im Schäkspil 109* 10: wanne he denne invurich wert unde
mit Sporen roret sin pert, vgl. oben mhd. inviurec.
ingraemsch^ bei Danneil, oder besser mit «, doch vgl. grämlich.
Aber ingrimmelich des Brem. Wtb., welches gleich grimmelich unrein,
schmutzig ist, gehört eher zu ingrimmein, eingrummelny schmutzig werden.
inhemischy bei Dähnert, nicht bloß inländisch, sondern verschwie-
gen, geheimnisvoll, ebenso inheimach verschlossen, traui'ig in E.M.Amdts
Märchen S. 351, erinnert an hämisch, mhd. hemisch, wird aber wol nur
eine bildliche Übertragung von inheimisch sein, wobei in freilich wie
heim in heimtückisch, auch heimlich kalt, vgl. unten iniückschy auf das
Innere geht.
inkldk, allein bei Dähnert, sehr klug.
inmoer, Dähnert, sehr mürbe, durch und durch gar, mürbe.
innette, im Brem. Wtb., fein und sauber, sehr nett, besonders von
der Kleidung, s. innet bei Lübben.
in sik swartj d. h. durch und durch schwarz , im Brem. Wtb.,
s. oben holl. inzwart.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 65
intüksch, hier und in Stralsund noch gehräuchlich, innerlich tückisch,
verschlossen^ vergleicht sich mit heimtückisch, infUndich.
imdis, im Holst, und Brem. Wtb., bei Richey S. 342, grade wie
inktök, doch schon von Säuglingen, 'innerlich klug, ohne es zu äußern ,
im Brem. Wtb. 'bescheiden klug'. Endlich gehört wieder nur mittel-
bar hieher:
inw^, bei Ficker 123 qudden inwon maken Argwohn , Verdacht,
wie im Mhd. arcwän^ unwän.
Ziehen wir hieron auch indechtich, das Substantiv tntodn und
etwa inhemisch ab, in denen in die ursprüngliche Bedeutung deutlicher
bewahrt, so bleibt noch immer eine stattliche Reihe von Beispielen übrig,
in denen in geradezu verstärkende Kraft hat. Dasselbe gilt aber von
einer Schar anderer Praepositionen und Wörter von denen ich einige
der wichtigsten hier noch kurz berühre.
XIX. Verstärkung durch andere Wörter, insbesondere durch
Praepositionen.
1. Den lehrreichsten Commentar zu jenem in bietet das verstär-
kende binnen welches, obgleich das Deutsche Wörterbuch nichts der
Art erwähnt, dennoch ebenso wie in durch Hervorhebung des Inner*
liehen. Innigen zur Steigerung des Begriffs gebräuchlich gewesen sein
muß, hochdeutsch wie niederdeutsch. Auf diese Annahme führten mich
längst die nun erst ganz verständlichen, noch jetzt nachweislichen Fa-
miliennamen Binnebös, Binnewiea, Binneweis^ gegenüber dem BtUen-
schoen*) zu dem also wol ein hinnenschoen oder inschoen vorauszusetzen
ist Jene liegen dem inbös, invAs, inklSk in Nr. XVIII ganz gleich und
finden ihrerseits wieder volle und hübsche Bestätigung durch solche
Überreste des lebendigen Sprachgebrauchs, wie hinnenkldky das aus der
Holsteinischen und Meklenburgischen Mundart überliefert wird, nach
Schütze 1, 105 einbilderisch, sich klug dünkend, nach Ritter Plattd.
Gramm. 121 gleich dem hochd. überklug in tadelndem Sinne, oder *8
reckt binnen vergnoegt, bei Fr. Reuter.
Hiebei dürfen Redensarten wie : he het it al binnen, er hat es inne,
begreift es, it is mi nich gants binneUy nicht ganz erinnerlich, nicht völlig
klar, oder hamb. und osnabr. he heft et binnen as de siege (zege) datfety
er hat es innerlich, ist geheim, versteckt u. a. berücksichtigt werden.
*) Vergleiche die Namen Butenop^ BtUentUh and die volkstümlichen binnen krank
un hüten hlanky oder in einem Rätsel: binnen blank un b(Uen blank, wie bei Ehrentraut
1, 88. 89 büt und bin, bei Bums but and 6en.
GBaMA.NIA.. Neue Reihe III. (XV.) Jahrg. 5
66 ALBERT HCEFER
ferner kommen neben den Verstärkungen durch heim, keimlich andere
durch grund in Betracht, so grundehrlich, grundgidf bei Ehrentraut 1, 24
gründüm d. h. sehr dumm, grünfalsk, grünrik, endlich durch eigen, z. B.
bei Johansen 158 änjklüky
2. Von andern verstärkenden Praepositionen ist die bekannteste
und gebräuchlichste iihery over, die eigentlich vielleicht nicht bloß die
Ausbreitung, sondern auch das Hinausgehen über etwas bezeichnet,
daher denn auch mehr als, bald genug schlechthin sehr ausdrückt, ja wol
zuweilen fiir das einfache Adjectiv steht Das Neuhochd. hat wie Stieler
271 dartut eine Fülle solcher wie überreif (jetzt mehr scherzhaft oberfaul)
gehabt, geläufiger sind sie offenbar dem Ndl. und Nd. gewesen, das letz-
tere haiover-oU, duer, glat, grdt, hillich, klär, kWc, koU, milde, ww>er (mürbe),
rip, schoene, snel, swinde, sogar overvele und oversere, z. B. in der Magdeb.
Schöppenchronik. Jetzt scheinen sie sich hauptsächlich in Hannover
erhalten zu haben, wenigstens sind sie von Schambach-Müller reichli-
cher verzeichnet als von Anderen. Grimm hat sie 2, 772 und 3, 108
nach einer und der anderen Seite etwas zu kurz abgetan.
3. Als Beispiele seltnerer Art erscheinen Zusammensetzungen mit
vor, bei Stieler vomötig per opus , vortüchtig prae aliis aptus , praecel-
lens ; sodann mit Ht in den Meklb. Jahrb. 3, 111 de ganze ütlange nacht;
femer mit durch , vgl. Grimm 2, 770 und D. Wtb. 2, 1578 , wonach
noch jetzt durchnaß, dwrchwa/rm gehört würde. Zu den daselbst aufge-
führten älteren Beispielen gesellt sich dwruhdichem percrebrius Diut. 1
500*, durchrich im Pass. bei Köpke, sodann kommen auch hier wieder
Namen in Betracht, z. B. Dorguth in Braunschweig bei Hoffinann S. 40
der mnl. doorgot, doorgroen, doorswaer u. a. anführt. Im Holl. ist noch
jetzt doorgoed u. a. gebräuchlich. Wieder vereinzelt steht afterwilUgen per-
volentes? da, Haupt 5, 334^, dem ich nichts zu vergleichen weiß.
Abweichend sind dagegen die deutschen Composita von Adjectiven
mit an, die nach dem D. Wtb. 1 Sp. 289 Venig im Gang, doch von
der Volkssprache hin und wieder gewahrt sind', insofern es nicht stei-
gei-t, sondern eigentlich schwächt, dem altnord. i, lat. sub entsprechend.
Grimm übergeht sie in der Gramm. 2, 712, im Wtb. nennt er nur an-
kalt und ansauer -^ ansäuerlich von Gemütskranken finde ich noch jetzt
gebraucht; das Bremische Wtb. verzeichnet nd. angel^ anrdt, anblau,
dann ansoete und anbitter (dazu: it rukt ansoete, es riecht süßlich, bei
Stuerenburg im Nachtrag ansoeten süß, angenehm werden), anharde der
wat anwSkes etwas weichliches. Dabei bleibt die Beurteilung einzehier
Ausdrücke schwierig oder zweifelhaft, anvQrich maken ignire im Voc,
theoton. neben anvüren anstecken, anrüchig neben anrüchtig oder wieder
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 67
nngeirunken neben * sich einen antrinken , die ich hier nicht weiter zu
verfolgen beabsichtige.
4. Außerdem hat aber zumal die volkstümliche und familiäre
Sprache eine große Menge der verschiedenartigsten Wörter, Adjectiva,
Adverbi* und Substantiva in gleicher, doch mehr scherzhafter und be-
zeichnender Weise zur Steigerung des Begriffs verwendet, zu deren
meist schon umfassenden Sammlungen, z. B. in Frommanns Zeitschrift
1, 229 und 5, 1 fl. leicht aus dem Gebrauche jeder Landschaft nachzu-
tragen ist Ich gebe nur einzelne Bemerkungen, wie sie mir eben zur
Hand sind und weise deshalb zunächst auf Ehrentraut 1; 24, wo zu
unserem bitterböse : bitterg$m sehr gern, biUei*liüf sehr lieb, bütemet und
btttersaum sehr schön, hinzu kommen. Dort steht in demselben Sinne
geluckelk net imd bei Johansen S. 159 sogar üngehickelk net, also wie
man 'verflucht, verdammt, verteufelt, teufelmäßig, höllisch, schrecklich,
furchtbar, gewaltig, ochsig schön etc. hört. Bemerkenswert sind daselbst
noch lifaUSn wie mutterseelenallein Gr. 2, 556, atüfstil ganz still, staf-ol
ganz alt, stabalt? stdsdd völlig satt, thronghwarm schwül, drangwarm,
lihrliik ganz klein, vielleich wiegen-, windelklein? vgl. Stuerenb. 143 und
Frommanns Ztschr. 5, 192. Zu dem bekannten hundmilde, hündisch kalt
finde ich bei Jean Paul 20, 146 schon den Ausdruck hundslangweilig
werden] bei Grautoff 1, 488 mecktich dorstich sehr durstig.
Eins der eigentümlichsten dieser Art ist wol imser hiesiges negen-
Tddk imd danach auch verhochdeutscht neunklug, wozu nun schon öfter
neun- und siebengescheid, z. B. Ztschr. f d. M. 3, 359 und Schmeller 2, 697
nachgewiesen worden sind und noch an älteres niunherzec von unge-
wohnlich begabten, zu erinnern ist, vgl. Mhd. Wtb. 1, 674 und Haupts
Ztschr. 2, 541. So wird die Steigerung hier also auf die äußerlichste
und deutlichste Weise durch Zahlenverhältnisse, ich weiß nicht, ob noch
durch andere Zahlen als 7 und 9 ausgedrückt und neunklug meint: so
klug wie neun, oder: neunmal klüger als Andere.
XX. Binnen und büten und deren Steigerungen.
Grimm hat im D. Wtb. 2, 36 die Bemerkung gemacht, der Aus-
druck von binnen sei nach dem nndl. van binnen gemacht, im Neuhochd.
heiße es richtig von innen wie von aussen, nicht von baussen. Letzteres,
hier mitunter, doch mehr scherzhaft als Übersetzung des van büten ge-
hört, konnte natürlich nicht eindringen, da baussen, an sich so gut wie
binnen, nebst büizen nie allgemein üblich war. Beide Zusammensetzungen
sind verwachsen und fast erstarrt von neuem mit Praepositionen ver-
5*
68 ALBERT HOEFER
blinden, Sigs, abütan, onbiltan^ abüf an , engl, ahout , above, was an sich
nicht schlechter als von draussen, vor alters y de chez vous u. a. Aber
wenn denn von binnen entlehnt sein müste, warum dann nicht lieber
von dem Nd.? Vgl. RV. 4271 de van büten dragen schtn anders dan se
van binnen sin, oder Schäksp. 75 van btäenne, Lauremberg 115, 50 und
sonst manchmal.
Als Nebenformen finden sich: büte glei unde binnene wei flir ipocri-
tus und : bütene ghüt unde binnene quaket im Voc. theoton., dar hefi di bUt
ghewo^yen im Redent. Spiel v. 741 , bin des, bin einer wile in der Sas-
senchr. 268. 289, neben büten bei Seibertz a. 1307 büter dat dorp , die
Compos. binnenwendichj bütenwendich und bütwennich, bütenUtndesch etc.
Wichtiger ist das adject comparativische dat bütere, bttetere, so in
der Sassenchr. S. 203 de bütere ridderschaft, bei Schambach: de bueter
morge der nach außen liegende Morgen Landes, ähnlich nhd. öfter, z. B.
bei Leoprechting Aus dem Lechrain S. 48 : auf der drüberen Seite.
Gewöhnlicher greift das Niederdeutsche jedoch darüber hinaus
und bedient sich gleich der superlativischen Formen, die von beiden
schon, dem mnl. het binneste^ holländ. binnenste, buitenste entsprechend,
in älterer Zeit mehrfach belegbar sind. So in der Sassenchr. 168 de
bütersten, Kantz. 52 und Balt. Stud. 12, 2, 45 de bütenste] ebenso in der
Barter Bibel, Matth. 23, 26 dat biitenste. In dieser letzten Stelle steht zu-
gleich dat binneste und daneben wieder in 4 B. der Könige S. 51 =
1 Sam. 24, 4 in deme binnensten dSle der stSnritsen. Dazu kommen dann
bei Fr. Reuter und zum Teil auch hier gebräuchlich : de binnelste, bin-
delste, bütelste-^ hier auch wol: dat innelste und uetehte^ sicherer de bae-
vehty de hinnelste, vörrehte etc.
Dabei entsteht dann die Frage, ob wir hier einen bloßen Wechsel
von l und r oder, was doch wahrscheinlicher, ähnliche Formen anzu-
nehmen haben, wie sie in mittelst oder jenem in dieser Ztschr. 14, 208
schon erwähnten endeist vorliegen.
Das ältere Englische gibt dazu, neben dem heutigen innermost^
ein benmost innerst, in Dialekten boonermost zuoberst, von boon oben
für boven. Ich behalte mir vor, diese dem Deutschen nicht so fem als
es scheint liegende Bildung in einem späteren Capitel zu verfolgen und
warne hier nur, sie etwa in Pfeiffers lankmSr Germ. 9, 268^^ zu suchen.
Die Note deutet selbst das richtige an, daß der hiidänglich bekannte
Comparativ lenk durch darüber gesetztes mSr in der Wiener Hs. ersetzt
werden , also statt lenk nur mer geschrieben sein sollte , wie in der
Hannov. Hs. denn auch bloß m^r steht.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 69
XXI. Gotisch skaudaraipi Lederriemen.
Das unaufgeklärte Wort Hteht im ersten, aus der Skeireins ge-
nommenen got. Bibel verse, Matth. 3, 11: thizei ik ni im vairths ei and-
bindau skaudaraip skdhis is^ ebenso, nur mit dem Gen. PI. sköhe is,
Marc. 1, 7 und Lue. 3, 16. Im Griechischen steht an der ersten Stelle
rä vxod'qfiata ßaötätfai, nachher Xvöai %6v Ifidvta xäv v7toÖ7i(idt<oi'
avtov. Grimm der mehrmals darauf zurückkommt, vergleicht Gramm.
1^ 346 mhd. schSte recrementum, res abiecta^ nord. skaud und übersetzt:
'elender rieme, da in tfidg bloss raip lorum liegt'; ebd. 3, 450: 'da skdhe,
sJcdhts folgen, hätte raip hingereicht^ warum also noch mit skauda com-
ponirt wird und was dies bedeutet, weiß ich nicht*; endlich bei Haupt
8, 13: 'durch das vorgesetzte skavda muß bestimmt werden, wie die
gotische Schuhbefestigung damals eingerichtet war *).
Ich schließe so : da skdhS, skdhis folgt, wird man skauda allerdings
nicht als einen unmittelbaren Verwanten desselben Wortes ansehen
und das ganze schwerlich *Schulireif übersetzen dürfen, oder der Inhalt
des ersten Teils müste verdunkelt und vergessen sein. Letzteres ist
aber keineswegs wahrscheinlich, daher liegt nichts näher als in skavda
eine Bezeichnung des Stoffs, des Materials der Keife oder Riemen zu
vermuten. Riemen bestehen aus mancherlei, aus Bast, Hanf, Haren,
Leder. Daß in unserem Falle Lederriemen gemeint sind, ist wie
ich glaube leicht wahrscheinlich zu machen.
Die volle Begründung hätte weiter in die Vergleichung der ver-
wanten Glieder einzugehen, als hier erlaubt scheint. Ich stütze mich
auf das altnord. skioda £ Beutel (Ledertasche) Grimm 3, 450, bei
Holmboe Det norske sprogs ordforraad S. 298 skjoda^ en skindpose,
zu sjöd^y en pung, gestellt, bei Dietrich im Glossar zu dem Altn. Leseb.
ed. 1. 275 skioäapangr Lederbeutel. Dann hat Dietrich bei Haupt 7, 181
shtdda Lederbalg nebst dem lappischen skhdo u. v. a. mit dem gr. öKVtog
öxvvtov verglichen und auf ein gotisches skeivan zurückgeflihrt , das
nocere heißen soll. Unser deutsches schaden selbst wird in Anspruch
genommen, was ich auf sich beruhen lasse. An den got. Stamm skauda
*) Die Anderen begnügen sich, * Schuhriemen* zu tibersetzen, so auch L. Meyer
dessen neues Buch ich mich ausnahmsweise einmal nachzuschlagen überwunden habe.
Nachdem man nlimlich acht Artikel in denen das Wort nach der Anzahl seiner Laute be-
sprochen wird, mühsam durchlaufen, lernt man, daß ein Teil nur mit dem anderen
vorkomme, daß raip m. oder n., skauda aber m. o d e r f. o d e r n. sei und wahrscheinlich
nicht Schuh bedeute. — Dabei bemerke ich, daß rip im Niederd. allerdings auch
m. und n. ist; das Masc. steht z. B. im RV. v. 1879. •
7Ö ALBERT HOEFER
ist aber dabei nicht erinnert und doch scheint dieser eher als das meiste
sonst Herbeigezogene hiehergehörig. Ist skioda bei Grimm die richtige
Form, so liegt die Abweichung nur in dem io ftlr auy das au erwarten
ließe; lautete jenes dagegen skioda^ so sollte got. d vielmehr p sein,
die Aspirate , auf welche ohnedies gr. öxvtog hinweist. Damit stehen
aber sehr viele formell und begrifflich verwante Wörter, wie ich an-
derswo ausflihren werde, im engsten Zusammenhange und zeigen un-
zweifelhaft, daß neben anderen erweiterten Gestalten sku, decken,
schützen, eine der ursprünglicheren Wurzelformen gewesen sein wird,
der sowol skioda wie skavda angehören. Beide brauchen aber nicht
unmittelbar identisch zu sein, eine andere gotische Form hätte näher
skiupa lauten und dieselbe Bedeutung haben können wie skavda o<der
skaupa d. h. Haut, Fell, Leder.
Meinte aber skavdaraip Lederriemen, so war der Zusatz skJdhe
oder skdhis is^ der sich in allen drei Stellen findet, natürlich nichts
weniger vals aufE^llig oder überflüssig.
XXIL Das Fronomen diser
wird im Accus, fem. gen. mit geschiht verbunden in sechs bekannten
Stellen Hartmanns so gebraucht, daß ihm, wenn der Vers vier He-
bungen haben soll , davon allein zwei einzuräumen sind : Erec v. 218
umbe dise geschiht, v. 5666, 6720, Gregor 579, 3020 (doch nur in der
Straßb. Hb.), selbst Iwein 1069 erziugen dise geschiht, wo Hs. b sine
liest. Wie ist nun hier zu helfen, wie zu erklären? Entweder ist dise
selbst fälschlich an die Stelle eines langsilbigen Wortes getreten, z. B.
sine das dreimal passen würde, oder es hat ein Beiwort hinter sich ge-
habt wie grdzey oder der Fehler steckt in geschiht^ oder dise wäre wirk-
lich, hier wenigstens, ausnahmsweise also langsUbig gesprochen worden.
In den drei ersten Fällen behielte dise seine gewöhnliche Betonimg und
das verdrängte oder ausgefallene Wort müste ftlr jede Stelle besonders
erraten werden, läge aber die Schuld, wie Lachmann zu Iwein S. 409
vermutete, an geschiht, so käme doch nach seiner eigenen Annahme
wol nur ungeschiht in Wahl , das im Lanzelet ed. Hahn v. 6724 von
einer grdzen ungeschiht , Heidelb. Hs. , mit geschiht der Wiener Hs.
wechselt Ich will indessen nicht untersuchen, ob ungeschiht, gew. Untat,
Misgeschick, unglückliches, widerwärtiges Ereignis, als ein Beispiel zu
dem in dieser Ztschr. 14, 202 Bemerkten im Sinne des nach Lachmann an
allen sechs Stellen passenden grdze geschiht 'erstaunliches Ereignis, außer-
ordentliche Begebenheit' hier annehmbar wäre, — Lachmann verwirft
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNQ. 71
dieses die beharrliche Entstellung der Worte diae geschiht am leichtesten
erklärende Auskunftsmittel, ^da ungeschiht im Iwein 1069 und im Gregor
3020 nicht statthaft scheint", und so darf, muß ja wol die Frage er-
örtert werden, ob denn doch die allein ttbrig bleibende vierte Mög-
lichkeit, die lange erste Silbe des Pronomens diser^ an sich wenigstens,
zu rechtfertigen sei, trotz des Machtspruches Lachmanns, der die An-
nahme eines düse im voraus ftir ungereimt erklärl^
Dazu gibt es aber ohne Zweifel mehr als einen Weg, insbeson-
dere die Etymologie des Wortes und seine Geschichte in den germa-
nischen Sprachen. Das Pronomen diser ist ein Compositum des indo
germ. Demonstrativums mit sich selbst oder seiner Nebenform , ja in
einigen Formen scheint sich letztere selbst verdoppelt zu haben. Der
Wechsel zwischen t und s = hochd. d und s, der uralt ist, hebt die
Identität beider nicht auf. Als Grundform läßt sich ansetzen: ta-ta
(oder : ta-sa), tja-tja, tja-ta, ta-tja. Daher in der ersten wie in der zweiten
Silbe des Deutschen hin und wieder Diphthonge oder Längen, daher
das im Anschluß an die vocalische Länge nicht selten entwickelte ss*).
Formen der ersten Art sind vielleicht ags. fem. peo8 und päs^ letz-
teres auch im Plural, dazu engl, these, those; Instr. peos] alts. fem. thius,
ebenso im Plural, dazu vielleicht nmd. dieses mhd. Wtb. 1, 367',
das ich nicht kenne (sicherer und häufiger dut^ dtisse, dosse **), dtissen
etc.) oder die noch erhaltenen dSsen^ d^e? Das Althd. aber bietet im
Isidor dheasa (oder dheasuj Grimm 1, 795 ; vgl. Holtzmann S. 181), bei
Koro und sonst deisu fem. und ntr., GrafT 5, 73 — 76.
Weit häufiger sind dagegen die aus Grimm und sonst leicht zu
ersehenden altnord., angels. imd besonders die niederd. ss-Formen, denen
sich einzelne im Ahd. und Mhd. anschließen , zumal im Genitiv,
dhesses thesses, bei Nötkgr meist disses, was Lachmann im Iwein v. 4094
bewahrt hat.
Gesetzt auch, dieses ss gerade des Genitivs ließe eine besondere
Erklärung zu, so bleibt die Frage, ob dem der disses sprach, gelegent-
lich auch disse zugetraut werden dürfte , eine seltnere, doch an sich
gerechtfertigte und Hartmann vielleicht nicht unbekannte Form?
*) Oder dürfte dieses m unabh&ngig davon ursprünglich als Assimilation eines
älteren sj gefasst werden? Im übrigen ist eine ähnliche Ansicht über die Zusammen-
setsnng des disSr im Wesentlichen schon von Bopp Yergl. Gramm. %, 357 aufgestellt
worden, vgl. W. Wackemagel in Haupts Zeitschrift 1, 425; Weinhold AI. Gr. §. 420.
**) Z. B. im Redent. Spiel nach Mone v. 618 dosse olvendes hüt, wo EttmüUer
▼. 619 deat schreibt und in der Note unrichtig deaae angibt als b^i Mone stehend.
'
72 ALBERT HCEFER
Absolut auf die obigen Stellen bliebe die Annahme des ss also
nicht beschränkt^ dennoch ist das Gewicht des Umstandes nicht zu
verkennen; daß in ihnen immer dasselbe Wort folgt das den Fehler
verschuldet haben kann.
XXTTI. Brav.
Das formell fl{id begrifflich fest ausgeprägte Wort, allbekannt und
gebräuchlich und doch völlig unerklärt, hat nach Grimms Ermittelungen
erst im Laufe des dreißigjährigen Krieges zunächst durch die Soldaten-
spräche bei uns Eingang gefunden und in der Tat sieht es auf den
ersten Blick auch ganz wie ein Fremdling aus. Man hat sich also zu-
erst an das ital. frz. bravo, braf gewant; ohne fUr die Erklärung des
Ausdruckes irgend welchen Aufschluß zu gewinnen. Fr. Diez, welcher
im Etym. Wtb. 1, 83 von der im Südwesten fortdauernden Bedeutung
'unbändig; stürmisch' ausgeht, obgleich diese sich auch wol umgekehrt
aus 'tüchtig, wacker entwickeln konnte; verwirft gleichwol den Ge-
danken an das ohnehin im Romanischen erhaltene lat. pravus imd bleibt
endlich bei ahd. raw crudus, mit der als selten zugegebenen 'Verstär-
kung des anlautenden r durch b' stehen. Grimms Erinnerung im D. Wtb.
2 Sp. 339 an sl. pravi recht; echt und lat. prohus scheint ihm wenig sich
zu empfehlen.
Sollen wir nun nicht aus noch ein wissend zum Keltischen flüchten
oder gibt es einen Weg, brav als ein echt deutsches Wort wiederzu-
erobem? Es ist ja bekannt, wie manches Urdeutsche wir an die Fremde
abgegeben und dann entstellt und verderbt als Fremdes wieder ent-
lehnt haben. Ich vermute, dies gilt auch von brav und ich bin über-
zeugt; es ist nichts als eine andere Form ftlr ahd. hidarhi, pitarpi.
Nehmen wir für dieses, das schon zu Ende der ahd. Zeit seinen Ton
veränderte und im Mhd. sehr gewöhnlich hiderbe (statt hiderbe : erbe)
gesprochen ward; eine später entwickelte Form biarbi an, so ist von
da über barbe , barve ein kurzer Weg zum roman. brave. Die ältere
ndl. Gestalt des Wortes ist nach dem Teuthonista 24 berve^ probus,
honestuS; mitis, mansuetus ; mnd. gewöhnlich bedarve, bederve, daneben
aber schon bai^e, berve. Vgl. das Brem. Wtb. 1; 64 und das das. 5, 331
nachgetragene barve, berve, cicm*; mitis, was dasselbe ist. Und letzteres
ist auch sonst oft nachweislich^ nicht bloß in den dem Ndl. sich nä-
hernden DialecteU; s. Grimms Rechtsalt. S. 294 Anm. 2 (berveman), die
Indices zu Seibertz, wo noch MisverständniS; Ficker Münst. Chron., das
Berl. Statb. 1, 91 und 136 etc. Im Mhd. reimt biderbe (also bidere)
zu widere, nidere, aber schlechtere Handschriften schreiben auch birve,
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 73
es wird also hier. fUr biderbef bidrbet auch wol außer dem Reime schon
mitunter birbe gesprochen sein.
Die Contraction und Umstellung kann aber immerhin erst im Ro-
manischen vor sich gegangen sein : der Ausstoß des d, den man fUr
das Ahd. nicht schon anzunehmen hat^ der im Mhd. sehr beschränkt,
im Ndl. und Nd. aber desto häufiger begegnet, ist im Roman, nicht
ohne manche Beispiele, vgl. Diez Gr. 1* S. 216. 291, und dasselbe gilt
von der Umstellung des r, das. 208. 290, sowie von dem v fiir b, vgl.
Everardo, icrevisse^ ^tuve, graver ib. 302.
Von der sprachlichen Seite scheint also ftir diese Erklärung kein
wesentliches Hindernis in den Weg zu treten und die Bedeutung fügt
sich, die oben angegebene Entwickelung selbst mit eingeschlossen, wie
mich dünkt vortrefflich. Denn beide decken sich beinahe imd die häu-
fige Verwendung ähnlicher Wörter (tüchtig, wacker) im Sinne von
'übermäßig, sehr, stark' macht es leichter und natürlicher, von hier zu
'kühn, trotzig, wild', den Verben ^brüllen, in Wut bringen fortzuschreiten
als umgekehrt.
Auf das von Diez zu bravo gestellte ital. brado junger Stier, dessen
d sehr aufiällig, nehme ich dabei keine Rücksicht.
XXIV. Unsich im Niederdeutschen.
Die dem mich, dich, euch genau entsprechende Form des Accus.
Plur. der ersten Person, welche im Althd. unsih, unsich lautet, im Mhd.
des 13. Jhd. aber schon veraltet und dem jetzt allein üblichen uns fast
ganz gewichen ist, sollte im Gotischen statt unsis, uns eigentlich unsik
heißen und so bietet das dichterische Angelsächsische für das gewöhn-
lichere üs auch noch manchmal v^sic, üsic, üsiht vgl. Rask-Thorpe
§. 167, Grein Sprachschatz 2, 633. Im Altnordischen, Altfriesischen und
in der Sprache des Heliand begegnet nichts der Art, dagegen ist den
von v.d. Hagen Breslau 1816, neulich auch von M. Heyne herausgege-
benen altniederdeutschen Psalmen unsig^ stets mit g geschrieben und
etwa zwölfmal nachweislich, noch ganz geläufig. Man vgl. Zi B. 59, 3
= 60, 3 Got, faruurpe unsig inde testördös unsig, thü irbulgi thi inde
genäthddös unsig (in der Barter Bibel: Got de du uns vorstöt und
vorstrowet hefst und t6mich wärest, tröste uns wedder), ib. v. 5 dren-
codös unsig, v. 12 thie faruurpi unsig, v. 13 gif unsig hulpa, 64, 6 u. ö.
Unsig ist also deutlich hier nicht bloß Accusativ, sondern es dient schon,
beidemale neben uns , zugleich als Dativ, den nach W. Wackernagel
Altd. Wtb. 144' auch unsih vertreten soll, gerade so wie unser eigent-
74 ALBERT HCEFER
lieh accüsativisches euch nun längst filr beide Casus gilt. Vom Mhd.
ist schon kurz die Rede gewesen, in den Nibelungenhandschriften kommt
imser Wort nicht mehr vor, denn in 1776, 4 L gehört unsich bekannt-
lich Lachmann, s. seine Anmerkung zu der Stelle und Holtzmann Un-
tersuchungen S. 15.
Unter diesen Umständen ist bemerkenswert, daß die mitteldeutsche
s. g. PraefatioRhythmica zum Sachsenspiegel unter Übereinstimmimg aller
Handschriften dreimal unsich als Accusativ bewahrt hat, v. 138: got
unsich selbe l^ret, v. 152 und v. 189 ; wichtiger daß das spätere Nie-
derdeutsche dasselbe Wort noch in Urkunden des 14. Jhd. und weit
darüber hinaus, vereinzelt vielleicht noch heute gebraucht. Was ich
darüber zur Hand habe, ist Folgendes :
1. Fabricius Rügensche Urkunden 4 Nr. 478 (3, 29'*) a. 1315: wy
en skölet vsyk nicht sonen äne ene unde n^ne dage nemen etc.
2. Meines Oheims L. F. Hoöfers Auswahl S. 359 z. 8 v. u. in einem
Bündnisse Heinrichs von Meklenburg mit Pommerschen Herzogen a. 1324:
dat we . . met eren erftiämen vsik gwichliken verbunden hebben etc.*)
3. V. Bohlens Krassowsche Urk. 2 S. 26 Nr. 11 a. 1326: dat wi
unseh gndrachtliken vorönet**).
4. Hodenberg Nieders. Calenb. Urk. 4 S. 327 Nr. 307 z. 3 a. 1340:
bekennen dat ussich dat witlich is etc., daneben oft os, üse.
5. Hieher gehört aus viel späterer Zeit noch ösk, z. B. in Uhlands
Volksliedern 1 S. 450 v. 14: de ösk düt l^dken ferst erdacht, wobei
ich an das in Predigten des 12. Jhd. umlautende Uns erinnere, z. B.
in Wackemagels Leseb. 300, 40.
Das Wort dessen Vorkommen in vier Formen üsik, bah, unsichy
ussich bis in die spätere Zeit des Niederdeutschen sonach als erwiesen
gelten kann, gibt ein lehrreiches Beispiel daftir, daß das Niederdeutsche
welches hier ohnehin einmal wieder das Hochdeutsche übertriffl;, man-
ches enthält und bewahrt das dem mütterlichen Altsächsischen völlig
abgeht. Es steht auch sonst mitimter zu dem letzteren in demselben
Verhältnis wie das Althochdeutsche zum Gotischen. Überdies kann das
Wort, mag es auch später eine gewisse örtliche Beschränkung gehabt
haben, nicht eben selten gewesen sein, denn es ist mir noch öfters
vorgekommen als ich oben mitgeteilt habe und leicht mag es hie und
da wo es stand verkannt und selbst beseitigt sein.
*) K. Nergers Meklenb. Qrammatik verzeichnet nichts der Art.
^ Dieselbe Urkunde schreibt auch sonst oft lichy och udgl.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHU|^G. 75
XXY. Nd. riröf, reröven.
Zu den selteneren und daiiun mitunter misverstandenen Wörtern
des älteren Niederdeutschen gehört das Subst rerßf, eigentlich Leichen-
raub , Ermordeten abgenommenes Gut , daher auch allgemein : die
schlimmste Art des Raubes, der besonders schmähliche Raub, von got.
hraiv, Bhä. hrSo y mhd. re (daher: rSrowp) ^ d.h. Fleisch, Leichnam,
Mord, Begräbnis und die Bahre selbst, so Nibel. 967* tnan leite in üf
den rS A und schon in den Pariser Glossen Diut. 1, 231 feretrum Äroe,
gl. K. Hatt. 1, 137 hreo. Die kürzlich von L. Hänselmann herausgege-
bene Braunschweigische Chronik verbindet S. 363, 21 rirdf unde rdf
heghän und gebraucht es dann S. 407 z. 27 in dem weiteren IKnne:
tt 18 jo ein recht rSrdf de an tünem güde heghän wert, von vorent-
haltenem Erbgute. Obgleich es allgemein üblich gewesen sein wird und
z. B. auch im Berliner Statbuche ed. Fidicin 1, 131, 13 als S^.^ und
im Plur. rßrßve, vorkommt, ist es mir vorzugsweise in Westfälischen
und Pommerschen Urkunden begegnet. Seibertz hat es in seiner Samm-
lung Nr. 938 als 'Aufruhr genommen und J. Ficker in den Münsterischen
Chroniken 1851 Band 1, 192. 193. 247 weiß es nicht zu erklären. Auch
Kosegarten versteht es in den Pommerschen Geschichtsdenkm. 1834
Bd. 1 S. 75 noch nicht, aber er sagt richtig, es scheine eine an einem
Erschlagenen begangene Beraubung zu bezeichnen. Die daselbst aus
einer Stralsunder Proscriptio v. J. 1306 mitgeteilte Stelle lautet: Joh.
Carrevisce*) proscriptus est... pro eo quod crudeliter occidit duos
homines lapicidas, quorum denarios et bona deduxit, committens r§rd£
Eine ähnliche im 4. Abschnitte daselbst gegebene Stelle aus dem Jahre
1301 weiß ich nicht gleich aufzufinden, dagegen ist unser Wort mehr-
mals in handschriftlichen Nachträgen zum Dähnertschen Wörterbuche
verzeichnet worden, gleichfalls aus dem Sundischen über proscriptorum
in dem es oft begegnet, z. B. a. 1278 spolium quod dicitur rferSf;
a. 1322 r^&f unde düv$r&f^ endlich noch a. 1420 : äS/r umme dat se De-
ghener Buggenhagen vormordeden unde rSrdveden und damit ist denn auch
das Verbum rSr&ven flir das Mnd. belegt, das zum Mhd. Wtb., wo es
fehlt, F. Bech in dieser Ztschr. 10, 400 erst nachgetragen hat. Die ange-
führte Stelle ist seitdem mehrmals gedruckt, von Lisch in den Behr-
schen Urkunden 3, 213, wo irrig veroveden steht, sodann von Otto Fock
in den Rügensch-Pommerschen Geschichten Band 4 S. 248.
*) So eben auch in F. Fabricius Stralsund. Statbuch 8. 176, 173 abgedruckt,
wo der interessante obige Name indiessen als Job. Tarrevisce erscheint, was wenn
richtig mir noch zweifelhaft ist.
76 ALBERT HCEFER
XX VI. Sd vr6 also u* anderes Niederdeutsche.
Ich benutze die Gelegenheit, auf einige andere früher oder später
in das Niederdeutsche eingedrungene Misverständnisse und Fehler hin-
zuweisen, die vorzugsweise bemerkenswert scheinen. An der Spitze steht
jenes fast berühmt gewordene nustroteren oder mist- in Bruns' Heimst.
Theophilus v. 204, das ich nach Dasents Stockholmer Theoph.*) v. 389
schon in meiner Zeitschrift f. d. W. der Spr. 3, 221 gleich 'mistro-
stegen genommen, während Ettmüller v. 196 ersteres bewahrte und
^nostrificandi , novitii* erklärte zu nicht geringem Spotte Hoffmanns
dessen Trierer Theoph. v. 687 meine Vermutung bestätigte. Das ge-
nannte Wort, sonst üblich genug, z. B. bei Ficker 132, in Hölschers
Geistlichen Liedern 62, 5, hat öfter böse Verderbnis erlitten: in der
Wiener Hs. des H. Komer steht nach Pfeiffers Angabe Germania 9, 264
z. 7 neßroHich und in der Marienklage ed. O. Schönemann v. 271 wird
wanteystich der Hs., welches das Wortregister flir ^phantastisch ? wahn-
sinnig' hält, schwerlich etwas anders meinen als wanirdstichf vgl. Stueren-
bürg OstfHes. Wtb. S. 324\
Vor Versehen ist sich ft'eilich Niemand sicher und Hofimann selbst
der darauf sein 'nachbrunsen gründet, hat sich im Theophilus arg ver-
griffen, indem er die ohnehin wol nicht gesunde Stelle der Trierer Hs.
V. 74 — 75 : sd en dede der anderen provenden ein — nauwe desjärs einen
beker slein, übersetzt: dann vermöchte eine der anderen Präbenden kaum
einen Becher zu schlagen, wogegen zuverlässig von *einem Becher
Schlehenweines' die Rede ist. Vgl. ib. v. 67: ik gSve se tdjdralumein
ei, im Mhd. niht einer slehen wert , bei Stieler 1832: Schlehen sein keine
Weinhere , sowie über Schlehenwein oder Branntwein K. Schiller Zur
Tierkunde 2, 31 und Schmeller 3, 447.
Aber Versehen und Misverständnisse dieser Art sind auch sonst
aus mangelhafter Kenntnis des Niederdeutschen hervorgegangen wel-
ches im Ganzen noch viel zu wenig erforscht, öfter lediglich als ein
Abklatsch des Mhd. behandelt imd darum nicht selten willkürlich an-
gegriffen, zerstört und verderbt worden ist. Hier zuerst noch ein Bei-
spiel, welches die zwar eigentümliche, jedoch in Mnd. geläufige Redens-
art «3 vr6 also oder alsd vrd betrifft, d. h. einleuchtend sobald als.
Dieser Ausdruck begegnet z. B. 1. in Michelsens Altditmarischen
.*) Das bekannte und leicht zugängliche Buch, Stockholm 1845 erschienen, ward
acht Jahre darauf von Hoffmann in Göttingen entdeckt und sofort abgedruckt, nach-
dem es a. a. O. und sonst von mir und von Anderen mehrfach benutzt und als Ett'
müUer entgangen bezeichnet war.
ZUR LAUT-, WORT- UNf) NAMENFOttSCHUNG. 77
Rechtsquellen, im Sundener S tatrecht vom J. 1529, S. 222, 47 Z. 3: so
frö ah he dat sine gedän heft, 2. in Th. Pjls Pommerschen Geschieht«'
denkmälern , in H. Rubenows Verfassung der Stadt Greifswald vom
J. 1451, S. 21 Nr. 5: Sn islik borgermSster schal 8$ vrd, ahe he karen is,
9weren\ daneben hochdeutsch a. 1651 : aohaldt er gekoren ist, 3. in Lap-
penbergs Hamburger Chroniken, Mitte des 16. Jhd., S. 110: de scolde
scip und gut vorboret hebben, s6fr& he echter in den Sund quSme. 4. Das-
selbe Wort steht nun auch in der W. Hs. des Komer 17': aisd de wort
Ute wSrenj sd vrd wart Amicus sund, aber Pfeiffer traute ihm so wenig,
daß er Germ. 9, 264, 38 (nur diese Zeile kann in der Note mit 36
gemeint sein) sQ vrd mit sd vord vertauschte. 5. Dennoch bestätigt die
Hannoversche Hs. desselben Komer 20* nicht bloß hier das richtige vrd
{also vrd), sondern sie gibt es noch manchmal, z. B. 88": sd vrd alsd se
dat dede, sd wart se vorldset, 213' : sd vrd aisd he bestSdighet was* 6. Glei-
ches Misgeschick hat das Wort endlich in dem s. g. Redentiner Spiel
^habt, wo beide Mono in den Schausp. des MA. 2, 78 v. 1244 und
Ettmüller Upstand. v. 1237 die Worte der Hs.: akld vrd dün stemme
wert ghehSrtj in alsd vere verwandelt haben, letzterer wieder so ver-
trauensvoll daß er die ursprüngliche Lesart nicht einmal angibt, auf
welche indes schon C. Schröder in dieser Ztschr. 14, 196 aufmerksam
gemacht liat.
Von anderen in neueren Ausgaben begegnenden Misverständnissen
abzusehen (z. B. quelik als qaälig, wach werlt! als Wagewelt, unturuchten
als unterrichten statt untvruchten) zeige ich lieber noch an einigen Bei-
spielen, wie man oft ohne Grund und Not die Überlieferung der Hss.
und dabei Altes, Seltenes, Mundartliches verwischt hat. Deminutive auf
Im sind selten, aber nicht unerhört : z. B. hüseUn, kindeUn, vgl. Sün-
denf. 1816 dat düveUn : sin ; ib. 1366 segge, iungeUn, wür kumesiu her f
Ebenso hat die Hann. Hs. Körners 8V: se tdch VI iunghelynen vrouwen
kUder an. Sonach ist denn in Germ. 9, 262 die Lesart der Hs. herzu-
stellen. Ich finde außerdem z. B. gegen die Hss. söck in sölk (cf. wek,
engl, such), naturiken zweimal in natMiken (Hölscher S. 38, 8 idmerken
dorwundet), sda (verlesen sela, s. zu ELI. Bür v. 51) in sM verändert.
So ist selbst wat vorborgens, zweimal sinte wi (daftir sint, sitte toi), leng
en für lenger, drafstUy wer für wSr, annome, vromedSf der Plural /runde«,
erlik, vindende werden , ik seggen f eder, scrien und manches andere was
gleich richtig oder doch unverfänglich in der sonst recht guten einen
Ausgabe des Sündenfalls ausgemerzt und in die Noten versetzt worden,
aus denen es ohne Bedenken in den Text zurück zu nehmen ist.
78 ALBKRT HOEFER
XXVII. Zu Germania 12, 326 und 13, 160.
1. Das Verbum nälen, hier 9, 263, 30 ohne sik^ wie 266, 6 mit
sik verbunden und ebenso in der Hannov. Hs. Körners teils refle-
xiv, teils intransitiv, ist schon von dem alten Bruns der es in den Wtb.
übersah, *^nicht selten genannt und es bedarf so wenig wie gpe-, he-,
er-ndlen, nelen, nahm, neken der Beispiele die sich leicht zu Dutzenden
häufen ließen. Dennoch ist hier manches zu bemerken oder noch zu
erforschen :
a. ndlen , in Urkunden zuweilen luilen verlesen , erscheint , wie
Gr. 2, 119 bloß vermutet, in älterer Form als ndhelen in Wiggert Scherf-
lein 5, 4 (ne sal nahelen, non appropinquabit, cf. näküton der Beichte,
nähida im H^L), es setzt also ein nähel voraus zu dem sich außer dem
bei Grimm 2, 103 und 114, hier Nr. 19 z. E. Bemerkten z. B. auch nd.
nülest nuper, das Verb, knelen, engl, Jcneel vergleicht.
h. So scheint auch dem ahd. nähUchßn gemäß ein nd. nelik vor-
zukommen, indessen eine Flut meist gewis verschiedener, doch ziem-
lich gleichsinniger Wörter: n^hke (Massm. in Eikes Zeitbuch schreibt ae),
nelekest, nü nelken nuper, nelkest, nelykest^ nyliky nyelk, nilliken^ nilUkesty
nilken u. a. vermischen sich mit einander, so daß man trotz des schwed.
nalkas doch nicht wagen wird, wenn selbst ndlik feststeht, dazu ein
Verbum naliken, nalken fiir näken vorauszusetzen?
c. Denn näken ^ neken sind durch alts. näkön, ginSkeda der Psal-
men, mnl. neken bei Bormanns zu S. Christine 1722, Gl. Bern. 201,
näkinge accessus ebd. 198, hoU. naken als alt und ursprünglicher dargetan,
bleiben aber nur um so rätselhafter, Soll man in ihnen nun eine ver-
einzelte Bildimg suchen, wie sie sich im Altnordischen nach Grimm 2,
283 in purka siccare, groenka virere und sonst findet? Oder darf man
weiter zurückgehen und neben dem freilich nicht ursprünglichen got.
n^hva eine andere, vielleicht reinere Gestalt annehmen?
2. Schwieriger noch sind die beiden Germ. 13, 160 besproche-
nen Wörter vorMet, vet^Mget und das von den neuesten Ausgaben des.
Reineke Vos als Druckfehler zweier Drucke trotz der erklärenden Va-
riante schalkhdt durch hovescheit beseitigte homschdt, 'gar kein Wort' H.
Beide völlig zu erklären ist noch nicht gelungen, aber sie lassen sich
um ein gutes weiter verfolgen. Ich bemerke einstweilen: eine Neben-
form des letzteren scheint hemscheit nequicia, 5Svme, das erweislich;
und da küscheit, küsheit usw. gewöhnliche Bildungen sind, kome, hom,
hörn der Winkel aber z. B. altfr. kerne lautet, so könnte die ursprüng-
liche Gestalt des Wortes homisch-heit sein. Dazu gesellt sich aber eine
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 79
Reihe anderer Wörter die, selbst dunkel, jene Verbindung zweifelhaft
machen. Es findet sich nicht bloß hemse, herensen nequam, böve, hem-
sachtich nequiciosus, sondern mit eren herien Graut. 2, 600, hemssm Fuchs
und Hase 110. 126, herien-, hergen-y herigen-, hirgens&ney femer wieder,
von C. Schroeder unberührt, im Red. Spiel v. 1151 herensen, doch in
offenbar verderbter Stelle. Neben hirgeneone ist ^Is Variante hSrensane
erwiesen; aber hat man nun ein Recht, dieses mit Ettmüller an Stelle
jenes zu setzen, weil man es nicht versteht?
3. Das Verbum hien, heien, meist vorh., das nach dem Hess. Wtb.
157 in ganz Oberdeutschland üblich, den Niederdeutschen aber völlig
unverständlich sein soll, ist von Scherz, Frisch, Stalder, Schmid,
Schmeller, Tobler, Weinhold, Lappenberg, Vilmar u. v. A. besprochen
imd in so verschiedenen JBedeutTmgen aufgefiihrt, daß man von vorne
herein mehrere Verba darin zu suchen geneigt ist Das Wort hat mit dem
engl, to hide nichts zu tun, es schUeßt sich vielmehr höchst wahrschein-
lich an mhd. htwen sich vermählen, paren, ungehtt (htwen, hten Hausleute,
Knechte, RA. 305) und hat bald einen schmutzigen Sinn bekommen,
denn verhiter zers meinte castratus; kuhgeheier, kugehwr, qui vaccas iniit,
wird ein unchristliches Wort genannt, der beinahe stehend gewordene,
überall begegnende Schimpf verhtet bdve, verheit schalk (Eulensp. 60.
110. 130) war mehrfach, nach der Soester Schrae mit 4 Schill, verpönt.
Dazu vielleicht: den hunt h^gen Lüntzel 234? Aber hien^ highen ist später
geradezu: moien, molestare, vexare, tribulare. Daher denn: einen heien,
laes mich ungeheit, schles. mägdegeheier, nach Weinh. Spötter? nd. de hie-
hasen^anten Laur. 238 cf. 115, d^ hiedehters Utlegg. 105 uva. derselben
Art, das offenbar nicht zu trennen sein wird.
Wie verhält sich aber dazu sichgeheien sich packen, scheren? In Wei-
ses Erzn. 75 gehet dich nwr hin, bei Uhland Volkslieder 1, 7 htet üaz arm
und rieh, das an engl, to hie, ags. higian (anders ndl. hijgen anhelare, nd.
heigen, biegen keuchen) erinnert und ein gleichsinniges brue hen neben
sich hat. Wer durchschaute ganz auch nur jenen Entwickelungsgang?
Wir lassen uns genügen ihn zu ahnen und erinnern, anderes bei Seite
setzend, an das mehrfach zustimmende Verhältnis zwischen hrüden^
brüen und hrilten. An Ableitung von Interjectionen ist nicht zu denken.
Aber hier liegen allerwärts noch Rätsel die der Lösung harren.
XXVlll. Brot- und Semmelnamen.
Die kleineren feineren Arten des s. g. Weißbrotes haben bekannt-
lich an fast jed^m Orte ihre besonderen Formen mit entsprechenden
80 ALBERT HOEFER
Namcn^ unter denen viele unbedeutende^ gleichgiltige^ aber auch manche
ältere; volkstümliche erhalten zu sein pflegen. Meine Absicht ist nicht
auf eine Sammlimg derselben gerichtet; sondern ich will in einem Nach-
trage zu den von Anderen, namentlich wenn ich nicht irre von Roch-
holz unlängst in der lUustr. Zeitung gelieferten Sammlungen zunächst
nur auf einiges hierorts noch gebräuchliche aufmerksam machen.
1. J. Grimm hat in Haupts Zeitschrift 2, 191 und 1 , 562 nach-
gewiesen, daß das bei Hartman im Gregorius und sonst vorkommende,
von Greith noch mit redelieh vertauschte, nun hinlänglich bekannte
crede michy vollständiger crede michi *) (Haupt 5, 42) in der Form crede
mihi noch im 17. Jhd. in dem niedorrh. Kloster Rommersdorf , ver-
gleichbar den Hennebergischen Klössen 'Herr Gott behuetes*, 'eine
Speise, seien es Klösse oder Backwerk' bezeichnete und wahrscheinlich
auch in dem mlat. credemica bei Ducange, mndl. credemicke erhalten sei.
Darin aber geht dann Grimm offenbar zu weit, daß er rom. micha,
miche, ndl. und Schweiz, micke^ eine Art Semmel, selbst fUr eine bloße
Abkürzung von jenem credemica mit Verlust des crede ansieht und er
deutet das Richtige wol selber an, wenn er am Schlüsse fragt: 'oder
will man annehmen, mica liege doch zum Grund und nur im Scherz
sei credemihi darauf angewant worden?'
Auch Diez fahrt frz. mie wie miche auf mica zurück und nur der
Anklang an crede michi ward Veranlassung, dieses in dem angegebenen
Sinne als credemica, crede-miclce zu verwenden. Denn micke, mike, mik
ist ein auch im Niederdeutschen weiter verbreitetes Wort, der Vocab.
theoton. hat : micke, is mx>nnike brdt und mick bezeichnet in Bergen auf
Rügen noch heute ein eingeschnittenes Backwerk. S. migge b. Dähnert.
2. Eine eigene Art sehr beliebter kleiner Zwiebäcke heißt hier
bei uns herkömmlich mu- oder selbst ?na- , meist m£8chtLcken m. gen.
Der erste Vocal ist ein unreiner, zweifelhafter, doch kurzer Laut, den-
noch gilt es bei Heimischen und Fremden ganz gewöhnlich soviel als
'Monsieurchen, kleine Herren . Das ist denn, wie man aus Dähnert er-
sieht, auch schon ältere Annahme gewesen, er verzeichnet, überein*
stimmend mit Danneil im Altmärk. Wb., der die hi^ besprochene Be-
deutung jedoch nicht kennt, neben Muach Johann oder, ohne Namen,
de muschü, unser muschv^ken 'ein kleiner Knabe von ansehnlichen Al-
*) So bei Pauli ed. Oesterlei S. 197 sie michi credas. Es war'^selir üblich, für
lat. h ein ck zu schreiben, ich finde in Calenberger Urk. a. 1140 nichilo minus, im
Meklbg. Jahrb. 3, 126 estomichi usw.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. gl
tem ; it. ein kleiner Butterzwieback' , aber er fiigt hinzu , im letzten
Verstände sei es wol frz. biscuit. Daß hierait das Richtige getroffen sei,
ist leicht zu beweisen. Die volle Deminutivform würde etwa heschvMken
lauten und schon daraus könnte, wie z. B. mäken^ gew. mäten für mäd-
chen, teils heschueten, teils beschueken geworden sein. Man vgl. femer
üke, ik {ehke bei Frommann Ztschr. 3, 378) neben iUisj emken Ameisen
neben emet, nordfrs. wermk neben hiesigem wörmt Wermut, swäelk von
schwalbe, swalwe] in Betracht kommen selbst, mit neuem Suffix hd. scar-
lach neben scarlatum, teppich neben tepif, teppet (im Sachsensp. tept, s. Alt-
vile S. 35) lat. tapes und m. a. Das erster e, was freilich hier direct
auf biscuit i. e. biscoctum, Zwieback (man versteht oft fälschlich : was
zwei Backen hat) gehen kann , findet sich z. B. im westf. beschuet^
s. Frommann Ztschr. 2, 507 und 510^; bei Lyra S. 119 Nr. 1
(ein Korb) vuU beschiite, holl. bescuit, in Meklenburg nach K. Schillers
Zur Thier- und Kräuterkunde 1, 26 meschüten, in Rostock aber auch
me-, mo-, muschüken, also schon in zweiter Gestalt und mit m fiir 6.
So kommt denn alles auf den manchmal behaupteten und öfter
bestrittenen Wechsel zwischen m und Labialen an, der dem Deutschen
nicht abzusprechen ist, wesentlich aber auf die volkstümliche Sprache be-
schränkt bleibt. Als ein sicheres Beispiel der entgegengesetzten Art, da m
zu b wird, habe ich aus Goldschmidts Volksmedicin S. 106 das oldenbg.
beschaten naet angemerkt dem Schiller a. a. O. noch ein augsburgisches
buskaten vom J. 1571 hinzufügt , das Birlinger und v. Schmid jedoch
nicht verzeichnen.
Ein anderes Beispiel dieser fast eigensinnigen Weise, m in 6 und
wiederum auch 6 in m zu wandeln, bietet, von verwanten Erscheinun-
gen wie z. B. der italienischen Aussprache des A-Anlautes und der Vo-
cale abgesehen, auch das Mhd. dar, wo neben rnan ein wan *) besteht,
während wieder die . einschränkende Partikel wany engl, but, im Nieder-
deutschen und selbst in dem familiären Neuhochdeutschen als man er-
scheint. Unser hier oft gehörtes man d. h. nur, z. B. sei man nicht böse,
wenn du man wolltest usw., nd. it sunt man d/rouwSy es sind lere Dro-
hungen, oder: herberget mi .man disse nacht in Eschenburgs Denkm.
S. 242 m. **), deckt sich so vollständig mit dem mhd. wan, daß es in
*) Man denkt dabei unwillkürlich an die noch unaufgeklärte Aussprache des
englischen cmc, alt ane, oone, on, welches jedoch zu unus^ ains gehört, denen wieder
litt, vienas, lett. veens gegenüber steht, s. Ed. Müllers etym. Wtb. 2 S. 143; wählend
man, frz. on , im Englischen merkwürdiger Weise verloren ist (Grimm 4 S. 221) und
durch 0716 ersetzt wird.
**) Vgl. das Brem. Wtb. 3, 123 und z. B. Germ. 9, 272 z. 30 und 33, wo men
GURMANIA. Neue Reihe III. (XV.) Jahrg. . g
82 ALBERT HCEFER
Wahrheit nur eine andere Aussprache desselben zu sein scheint. Das
ist denn auch schon mehrmals von Anderen, wenn ich nicht irre aufth
von Eschenburg und von Benecke mündlich und auch wol irgendwo
zum Wigalois aufgestellt worden, während Grimm 3, 240 und 280 es
auf andere Weise, aber ohne Glück, zu erklären versucht. Auch nennt
er es wie ich meine ohne Grund enklitisch.
Indem ich als weitere Beispiele des Wechsels zwischen m und w
das schweizer, naimer fUr neisswer bei Grimm 3, 73 oder ndl. nemaei*,
maer, maar nebst den dazu gehörigen nd. Formen für newäre, Tiewaer
ib. 245 übergehe , erinnere ich schließlich noch an die volkstümlichen
malmea&ry zum Cl. Bür v. 22, eine Assimilation für Malvasier, und den
aus dem Märchen bekannten Machandelbom, juniperus, wozu der Vo-
cab. theoton. die entsprechende Form Wachandelen bom darbietet.
3. Wieder ein anderes, sachlich merkwürdigeres Backwerk von
Semmelteig heißt hier sowie auch in anderen pommerschen Städten noch
heute Osterwolf, wie es denn, nur zu Ostern gebacken, in seiner
rohen, mit einem Maul und vier die Füße vertretenden Ausläufern ver-
sehenen Gestalt einen Wolf darzustellen sich bemüht. Dähnert sagt:
Wulf wird hier ein festliches Brot zum Ostern genannt und Schmeller
4, 67 berichtet eine ältere, unter anderen abergläubischen Gebräuchen
überlieferte Notiz : „zu Weihnachten bäckt man an der rauhen Ebrach
aus Teig allerlei, besonders Tierfiguren, unter dem Namen Hauswolf."
Zu unserer jedesfalls alten Sitte liefert nun H. Rubenows Verfassung
der Stadt Greifswald vom J. 1451 ein wichtiges Zeugnis in Th. Pyls
Pommerschen Geschichtsdenkmälem S. 41 Nr. 3 , wo erst von den
Pflichten des Ratsmitgliedes die Rede ist, devne de tolle unde de hoppen-
schepel hevalen weti:. Dann heißt es weiter in einem Zusätze zu Ende^
der in den renovirten Statuten vom J. 1651 fortgelassen ist, so : Ay»'
vor schal hee hebben alle jar en voder hoyges , to Paschen enen wulff
van den bekkeren, siven (seven f) herink van den haken, syn ward van den
nigen radluden unde 1 schepd roven. Vgl. Strals. Chron. 3, 37.
Grimm Myth. 741 vermutet daß die Osterfladen und osterstu/ypha
in den Rechtsalt 298 ein Backwerk von heidnischem Aussehen an-
zeigen, — hier haben wir den Wolf, das dem Wutan heilige Tier,
das als glücklicher Angang galt und in so manchen Gebräuchen und
Sagen eine Rolle spielt, daß er auch hier als ein Rest heidnischer An-
steht ^ dem gegenüber man daselbst zu me zu werden pflegt, im Abdruck meist ohne
Grund in men geändert.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 83
schauung nicht zu vorkemieii ist. Aber seine Bedeutung näher zu be-
stimmen überlasse ich Kundigeren, bis sich eine oder die andere mei-
ner Vermutungen bestätigt. Vielleicht hat sich der Gebrauch auch sonst
noch in einer reineren oder vollständigeren, Halt und Aufschluß ge-
benden Weise erhalten? Es wäre wünschenswert, darüber weitere Mit-
teilung zu bekommen.
XXIX« Benennung nach der Mutter u. a.
In dem Nibelungenliede A Str. 290 heißt Kriemhilde nach der
Mutter : der schoenen Uoten kint, ebenso 648 : vroun Uoten kint Desglei-
chen Giselher 125. 808. Femer wird Siegfried, 1097 Sigmundes kint,
oder 640 sun, in Str. 285 und sonst: daz Siglinde kird genannt, während
wieder Hagen 1479 Äldriänes kint heißt. Die Sitte, die Kinder gele-
gentlich auch nach der Mutter zu benennen, war also schon im Alter-
tum bekannt und sie lebt heute noch fort, wenn unehelichen Kindern
statt des Vatemamens der Name der Mutter , freilich nun schon ein
als solcher nicht mehr kenntlicher Familienname erteilt wird. Allein
es fehlt unserer Zeit auch nicht an Beispielen jener reineren, ursprüng-
licheren und zugleich deutlicheren Art der aus echt weiblichen Vor-
und Beinamen gebildeten allgemeinen Familiennamen. Diese ganze,
jetzt indessen ziemlich seltene Art mit ihren kleinen Unterschieden wird
um vieles verständlicher, wenn man sie in ihren Anfängen verfolgt,
welche die früheren Jahrhunderte der beginnenden Namenbildung in
reicherer Fülle darbieten.
1. Zur ersten Classe rechne ich die vollständigsten Formen bei
denen auf den Vornamen jUius oder stme , söhn mit dem Genitiv des
Muttemamens folgt. Letzterer ist entweder ein einfacher Vorname, z. B.
a. 1280 der Lübecker Hinric^is filius Lutga/rdis , um dieselbe Zeit in
Ditmarschen Petrus dne Wohbensone, Johannes Margareten Sohn*), oder
eine Ableitung vom Namen des Mannes , z. B. in Hannov. Urkunden
a. 1320 Joh, der Sidinghescen sone **). So vielleicht im Neocor. a. a. 0.
WiUer der Frauen Brometen Sohnf Eine Bestätigung gibt um 1284 im
Stralsunder Statbuche S. 57 Nr. 359: Johannes filius sororis AVieyd Val-
*) So im Anhange zu Neoc. 1, 663 und 670 wo jedoch einige Beispiele nicht
in ursprünglicher Form mitgeteilt sind.
**) So ist für Sidingheatensone in den Calenb. Urk. 4, 252 zu lesen, der ist Gen.
fem. und at ist oftmals für «c, d. h. ach, verschrieben oder verlesen. Vgl. ebd. 163
H. Evesten für S. 98 H, domine Eueaeen richtig.
6*
84 ALBERT HCEFER
kerschen, eine ohnehin bemerkenswerte Abart, denn es meint wahrschein-
lich: der Sohn der Schwester der A. Valkersche, uva. der Art.
Solche Bildungen sind ursprünglich nicht anders, als wenn wir
heute aus einem oder dem anderen Grunde, zumal nach dem Tode des
Vaters, der Sohn der Lange, der Langesche, der Frau Rat usw. sagen ;
wie sie dann zu Familiennamen werden konnten, werden wir alsbald
sehen ; daß sie sich zu solchen gestalteten , zeigt noch heute : Joseph
Elsensohn, Verfasser eines Sagenbuches, Teschen 1866.
2. Die zweite Classe hat weiteren Umfang: der raännUche Vor-
name (unter Umständen, obgleich seltener, auch wol der weibliche der
Tochter) wird, ohnefilius, Sohn usw. dem Genitiv der verschiedensten
Formen des Mutternamens hinzugefiigt. Hiezu gehört a. 1231 Henrico
Thedildis in Braunschw. Urkunden, a. 1383 Bertold Katerinen in Göt-
tinger, a. 1471 Dominus Niclaus Swagerschen in Holsteinischen Urkunden
was also sicher männlich ist, vgl. Nr. 3. Dazu hier in der letzten An.
merkung H, Domine Eaeacen.
Dabei hat der Genitiv einerseits den Artikel, andererseits, dem
dominae entsprechend, Vevj Vor oder flectirt Vrowen, Vem vor sich.
Und, was gleich hier erwähnt werden mag, zuweilen ist die Form des
Genitivs, wie in Nr. 3, dann schon verwischt. Beispiele älterer Zeit sind
Henneken der Hennemenschen in Calenb., a. 1318 H^ dei^ Voghedinnen in
,Gött. Urkunden und weiter, die wichtigsten aller, a. 1343 Thidericus
Verenherrades, Bürger in Hannover; a. 1277 Henr, Vroweleniken gleich
Hinricua Eyliken und Thidema Vorheliken im Strals. Stätb. 10^ 120. 185, 163.
Nun erklärt es sich leicht und von selbst, erstlich, wenn heute
noch eine Harzer Familie, Bildungen wie Friederici, Friederichs^ Clauaen
entsprechend, Odiliae heißt, sc. filius, Sohn usw. Familien dieses Na-
mens waren schon im 13. Jhd. und später sehr verbreitet : Heydenricus
Odilie ist a. 1281 Magdeburger Ratmann, Peter Odilien begegnet 1315
in der Magdeb. Schöppenchronik ed. K. Janicke S. 185 m. Anra.,
F, Odilie 1323 in Hoya, Her Frederic Odilien wieder in Bremen und
öfter. Zweitens aber begreift sich nun auch völlig und als recht alt
und ehrwürdig dazu der sehr besondere Name des auch aus weiterer
Tätigkeit bekannten Mitarbeiters unserer Zeitschrift, des Herrn Theo-
dor Vemaleken , der auch unseren großen Meister mehrfach gereizt
zu haben scheint. Er fragt Germ. 12, 126 1 „kann aber Naleke Ver-
kleinerung eines Frauennamens sein?" während er ebd. 11, 255 in einem
Briefe späteres Datums „den Sohn der Frau Aleke^ grüßen lässt. Und
so war es freilich allein richtig, denn Aleke, Alke, wie jetzt auch Aling,
war eine beliebte und überall verbreitete Deminutivform zu Adelheid
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 85
und anderen mit Adel beginnenden Namen^ denen auch ein männliches
Aleke zur Seite stand. Vgl. z. B. Seibertz Nr. 889 und Kosegartens
Wtb. S. 216 — 218, sowie in der Braunschw. Chronik S. 111 z. 2 Swagher
Otte langhen Aleken sone a. 1386, was allerdings Femin. sein könnte,
aber doch wol Masc. sein soll.
Ein ähnlicher , zweifelhafterer Name lebt noch jetzt in Vemickel
fort und da mag die Frage angebracht sein, ist auch hier Vem abzu-
lösen oder kann Nickel weiblich sein? Für beides sehe ich wol eine
Möglichkeit, doch entscheide ich noch nicht. Sorgsam zu trennen sind
aber solche wie Verheyden, Vermeulen, Verveer, die in der Regel anders
zu fassen sind, s. Potts Namenbuch S. 351. Konnte aber ver oder vr,
vor (Komer sagt : sine vrouwen vormechtilde, de vorstinne vorberta ; Grimms
Mutter ward schlechtweg Framtmännm genannt) so mit den Namen
verwachsen, so liegt es nahe, ein Gleiches für Herr^ Her zu erwarten
und wirklich scheint auch hier eine Verbindung desselben mitunter vor
sich gegangen oder angenommen zu sein, schwerlich in solchen wie
Herharty Herweg^ eher aber z. B. in Herhok (flir Herolds) oder Herge-
tiiis (ein M. Herrgott in Wien 1737) oder Heiramhof in Augsburg, ob-
gleich selbst das letzte keineswegs ganz sicher hieher gehört, sofern
daneben ein Name besteht wie Hei*renhof, Doch findet sich auch wol
bloi^es Amhof, Vgl. ferner z. B. Hefi*reilers in Bremen, Herkhtz, Herheck
und Herböck in Nürnberg, Herrose, Herhudt in Stettin u, a.
3. Die dritte umfangreichere Classe kann man leicht erschließen
denn die Namenbildung neigt allerwärts zur Vereinfachung und Er-
leichterung und die hier in Betracht kommetiden Namen vergleichen
sich genau u. a. denen, die einen bloßen Städtenamen, z. B. Berlin,
Bamberg, Regensburg enthalten, den in dem entsprechenden Casus
ursprünglich eine Praeposition mit dem Vornamen verknüpfte. Wie hier
die Praeposition, fiel dort der Zusatz Sohn fort und der reine Frauen-
name ohne Endung blieb übrig. Ich finde schon a. 1362 in den
Osnabr. Mitteilungen 2, 301 einen Sachwalt Johann und Botger Hadewich
und diesem entspricht noch heute der Familienname Hedwig, auch bei
Pott S. 213, wie dem ^Margareten Sohn' in Nr. 1 jetzt noch Marfft*eth,
Marjotj frz. im 17. Jh. Margeret u. a. gegenübersteht.
Mitunter begegnen hier auch die oben als Genitive bemerkten
Ableitungen auf inne, z. B. a. 1323 U, Huginne in den Mon. Boic, Hans
Herzogynn in Chmels Reg. Rup. Nr. 1425 usw. Dabei ist aber Vorsicht
nötig, denn häufig bleibt der Vorname des Mannes bei dem Femin,
stehen, vgl. z. B. S. 197 und 210 im Berl. Statb. v. J. 1397 Brandynne
86 ALBERT HCEFER
et uxor Clawes Arndesynne, oder alia dicta Pauwel Siferdynne, wo doch
sicher die Frau des Cl. Amdes und der P. Siferd, nicht: des P. Sifer-
dynne gemeint sein wird, was an sich möglich wäre. Vgl. unten die
Namen auf -sehe.
Daß sich auch diese Art bis in unsere Zeit fortgesetzt habe, ist
sehr wahrscheinlich, aber die zunächst in Betracht kommenden Bei-
spiele sind meist anders gedeutet, verdreht und njcht mehr sicher er-
kennbar. Ich erwähne z. B. Hindersin , das wie Amdes-yune auf das
genitivische Hinders gehen und in Wockesin, Lobesyn u. a. Verwante
haben kann*).
Hiervon zu trennen sind aber sieh er die z. B. in den Stralsunder
Chroniken häufig begegnenden Namen wie Dinnies Prutzeschey Chim
Sukesehe oder Joachim Foedebmmeschen ebd. 2, 173, Moritz Ntenbargesche
sampt erem manne ebd. 193, also die Frau des Ntenbarch dessen Vorname
bestehen bleibt. Ahnliches findet sich noch jetzt mannigfach ; in dem
dritten Beispiele, einem Nominativ, wird das n wol zu streichen und
auch nur die Frau des J. Foedebom gemeint sein.
Indem ich eine Schar neuerer Namen übergehe die zum Teil
offenbar hieher gehören wie Hilgard in Zttrich, Irmtraut, zum Teil un-
sicher und zweifelhaft sind wie Isabella in Stettin (Ysabeau Pott 196),
Auguste^ Justa, Thony in Ausburg, Nieny in Stralsund, Annecke in Bre-
men, Bömhild bei Pott 213 u. a., erwähne ich schließlich noch
4. einer Nebenart die weniger eigentlichen Muttemamen entstammt,
als vielmehr auf Spitz- und Spottnamen beruht welche sich ihrem Inhalte
nach zumeist für das weibliche Geschlecht eignen. Weinhold hat
in seinem hübschen Buche 'Altnordisches Leben S. 282 bereits z. B.
Hausfrau, Herrin, Dienstweib, Vettel, Braut u. dgl. als männliche Bei-
namen erwiesen: ähnliche Beinamen hat man, wie ich vermute, auch
schon unseren Vorfahren beigelegt und es wird wol unbedenklich sein,
*) Schein der Verw antschaft hat auch da» vieldeutige Seine Susemyvme, Bürger
in Tangermünde um 1375 in K. Karls Landbuche bei Fidicin S. 226, das trotz Joh, Myn-
neke a. 1357 in Göttinger Urk, oder des Brüsselers Joh» Minne d* Boele in Lüb. Urk.
a. 1334, vielleicht nichts als Suaeninne, also etwa einen Kinder- oder Wiegenmann meint.
Vgl. Günthers 'izt gehts (opp. dem Liede vom Klosterleben) auf susaninnen aus* und Luthers
'vom Himmel hoch\ femer Hölschers Lieder S. 124 'des kindes mdder wSghen l^t: sÜse
ninnine süse' und pg. VII nebst Weinhold im Schles. Wtb. 65; Germ. 6, 363 uva,. Es ist
mag ninne nun die Wiege selbst meinen oder nicht, ein Wiegensang, wie heute noch ein
solcher mit'süse leve brüse, wo weijet de wint' beginnt, der dann nach meiner Ansicht so-
gar jenen Namen erwachsen ließ.
^R LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 87
ihnen zunächst die folgenden zuzurechnen , falls sie nicht auf Misver-
Ständnissen und Verderbnissen beruhen. So hieß wol Venus, ein im
Briefwechsel von Göthe und Karl August 1 S. 29 und sonst erwähnter
Weimarscher Beamter, zunächst ein Mann wegen körperlicher, zumal
frauenhafter Schönheit und Jungfer ein anderer vielleicht wegen mäd-
chenhafter Scheu und Bescheidenheit (ähnlich wie, auch noch jetzt vor-
kommend, Jungeblodt)y es ist nur auffällig daß der letzte Name, heute
z. B. in Lübben, nach Pott 79 auch in Liegnitz fortlebend, schon 1280
in Lübeck erscheint : Hinricus Juncfruwe. Dabei zuerst an uneheliche
Kinder einer Jungfrau zu denken, ist natürlich unverwehrt. Dasselbe
gilt von Nonne und Nonnemann, indessen kann ja Nonne auch aus äl-
terem NuTw entstanden sein. Das Compositum mit -mann entscheidet
nicht, ob der Mann einer Nonne oder der Mann der Nonne hieß, ge-
meint sei. Vgl. z. B. Neidharts wol gefänez diernkint, dazu diemlinkint,
degenkint usw. Ein Analogen zu Jungfer bietet schon a. 1366 im Archiv
fttr Niedersachsen 1844 S. 500 : C, Hovedeme und wieder einen Gegen-
satz in Kosegartens Nds. Wtb. Vorrede p. VI : Alhert Oldewyf, leicht
versteckter als es scheint, vielleicht zu der merkwürdigen Variante des
dtifü im Sachsenspiegel {aide weyp) in unaufgeklärter Beziehung stehend.
Etwas anders steht, kürzlich aus Westfalen erwähnt, Marie Moder-
söhn, unverkennbar soviel als 'Muttersöhnchen von einem verzärtelten
und verzogenen Kinde. Man mag geneigt sein, solche Absonderlich-
keiten filr junges Fabricat zu halten, allein auf diesem Gebiete ist alles
schon dagewesen , ja die ältere Zeit besitzt eine Fülle ganz unglaub-
licher und unaussprechlicher Benennungen die später als völlig un-
möglich entweder verschwinden oder sich ausgleichende Entstellungen
gefallen lassen musten. Der vorliegende hübsche Name lebte in West-
falen schon im 16. Jhd. und wol früher , ein Bruder Joh, Modersonne
ist z. B. aus J. Fickers Münsterschen Chroniken S. 266 erweislich. Un-
erklärt lasse ich dabei wolweislich manche andere , z. B. das als n. pr.
aufgeführte Braunschw. Moymenscho , erinnere jedoch an Hans mit der
muter in Hegels Nümb. Chron. 1, 99, 13 a. 1406. Dieselbe Person be-
gegnet das. 66, 20 in den Worten : B. hat zu der e dez Hansen mit der
muter tochter, so daß der Name Hans also nach dem Zusammenlebe];!
mit seiiier Mutter oder auch etwa als ein Muttersöhnchen zubenannt
sein wird*).
*) Von anderen Analogien erwähne ich hier nur Namen wie Liebeskind, Liehe-
Jeneeht, Levekint, letzteres schon alter Judenname wie Süßkind, Sieaskind, Dabei hebe ich
aus der Glasse der Gomposita mit kind als aufiallig heraus a. 1536 Verloren Kind von Cöln,
88 ALBERT IICEFER.
Aber dies Capitel, eins der anziehendsten und lehrreichsten aus
dem schwierigen Abschnitte von den zusammengesetzten Namen, sollte
hier eben nur berührt, nicht abgeschlossen, dabei aber die Wichtigkeit
erwiesen werden, welche hier wie allerwärts die bei solchen Untersu-
chungen kaum schon nach Gebühr berücksichtigte Geschichte der Na-
men zumal der mittleren Zeit besitzt. Eine nun schon außerordentlich
erleichterte Sammlung derselben wäre wahrlich sehr an der Zeit, wenn
gleich noch immer schwierig genug; man geht ohne sie keinen Schritt
mit Sicherheit. ,
Das zeigt sich recht deutlich bei dem im folgenden Artikel be-
sprochenen, mitunter den Curiosis zugezählten, doch gleich beachtens-
werten Gegenstande.
XXX. Namen mit Vomamenbuchstaben verbunden?
Es ist bekannte Sitte der Handels- und Geschäftsleute, gangbaren
und üblicheren oder überhaupt solchen Namen die an einem und dem-
selben Orte mehreren Personen zukommen, zur bequemen Unterschei-
dung auch mündlich im täglichen Leben den Anfangsbuchstab der Vor-
namen voran zu setzen , also A. Meier und ß. Meier oder F. Müller
und P. Müller statt Adolf Meier oder Peter Müller kurz zusammenzu-
fassen und es ist daher an sich gar nicht unwahrscheinlich, daß der-
gleichen aus Abkürzung entsprungene Zusammensetzungen allmählich
sich fester gesetzt und allgemeinen Eingang gefunden haben möchten.
Nun gibt es in der Tat eine ansehnliche Menge von bekannten Namen,
denen in gewissen wirklich nachweisbaren heutigen Formen eine Silbe
vorangeht, die auf den ersten Blick den Anfang eines Vornamens zu
enthalten scheint.
Solche Namen sind Abesser, Abom, Ahammer, Alan dt
Ahmann, Amüller; Beguhl, Beholz, Behmann, Beschütz;
Zehbold, Zehmüller; Dehaan im 16. Jhd., Dehoff; Ehbauer,
Ehoff, Effeldt, Efflandt neben Iffland; Gehmann, Geh-
meyer, Gehwolf; Habecker, Hameier; Ibach, Ibarth, Iberg,
Idahl; Elborg, Elbusch, Elkamp; Endorff; Obuch, Ohagen,
Ohmann; Pemüller, auch mit ec, eÄ ; Erbeck; Esdohr^ Esdorn,
Eskuche, Esmarch, Issmeyer, Espeter; Uhmeyer, Uhsadel;
WehauB, Wehmüller und zuletzt sogar Zettwach.
Gleichen Schein haben außerdem Arandt, Ahrand, Nebenformen
vielleicht von einem Findlinge. Ein H. Verloren lebt a. 1540 in Hannover; dazu noch
heut« C J. 't kint de Rodenbeek in Belgien.
E. KÖLBING, NACHTRAG ZUR PARZIVALSSAGA. 89
für Arend, Begas, Behaghel, Behaim d.h. Böhme, Dewald und
Ewald, Dewitz und Elwitz, Gehbauer flir mhd. gebüre, Haman
und Hameister für Hage-, Imandt filr Jemand, Kamentz von
dem Ortsnamen, Emmelkamp und Emmelheintz, Emmermann
neben Imm., Oberg, ohnehin schon alter Name, nebst Oeberg,
Obereit neben Unbereit, Umbreit, Oland neben Uhland, Er-
man neben Ehrmann, Hermann, deren Ursprung zum Teil unver-
kennbar ist.
Und so werden auch die übrigen m eist nicht hieher gehören,
sondern vielmehr verderbt und entstellt sein. So kann AI an dt, alte
Form flir Elend, Ellendt oder Nebenform zu Oland sein; Ahmann
kann für Haman, Elbusch für Ellerbusch, Essmann für Asman
stehen (vgl. z.B. dessen neben Classen), kurz bei manchen bieten
sich verschiedene Wege der Erklärung dar , so daß man bis auf wei-
teres auf der Hut und selbst mistrauisch zu sein allen Grund hat.
Einzelne freilich wie Amti 11 er, Zeh müller (doch Zech- u. Zehe t-
meyer), Pemüller, Wehmüller, kaum Uhmeyer, allenfalls Ha-
meier^ Issmeier dürften am meisten Schein haben, aber völlig sicher
sind auch sie nicht, selbst sie mögen contrahirt sein (Wehmüller
könnte ein Wedemüller, wie Wedemeier, enthalten) oder ent-
stellt, wie z. B. Espeter sehr leicht zu Esper oder, wenn auslän-
disch, selbst mit Espartero zu sparterius gehören mag.
Die meisten sind ohne Zweifel neueres Ursprungs und weil hier
der Halt der Geschichte fehlt, so ist ihnen allen gegenüber die von
Pott 551 beobachtete , von Hofiinann minder geübte Vor sieht sehr gut
angebracht, eine völlig sichere Erklärung meist aber gar nicht möglich.
GREIFSWALD im November 1869.
NACHTRAC; ZUR PARZIVALSSAGA.
Wie ich bereits in dieser Zischr. 14, S. 170 bemerkt, verdanke ich
durch Hrn. Prof. Zamckes gütige Vennittelung dem bekannten dänischen
►Sprachforscher, Hrn. Dr. Ludwig Wiramer in Kopenhagen, ein Excerpt
aus dem Valvers})attr, durch welches ich meine oben ausgesprochene Ver-
muthung, das Bruchstück werde sich im Inhalt mit dem Rest des
Chrestienschen Gralsromanes decken, definitiv bestätigt sehe. Ich lasse
zum Beweis dafür eine gedrängte Inhaltsangabe mit theilweiser Herbei-
ziehung des französischen Textes folgen.
30 E. KÖLBING
Cap. 1. Valver reitet vom Schlosse weg und kommt zu emem
Baum, unter iem ein verwundeter Ritter liegt, den Parzival ungeachtet
der Bitten einer bei ihm sitzenden Dame aufweckt Der erwachende
Ritter bittet ihn, sich auf diesem Wege nicht weiter zu wagen, da er
sonst mit dem Ritter Baredogane zusammentreflfen werde, der ihn selbst
tödtlich verwundet habe. Valver folgt ihm nicht, verspricht ihm aber,
wenn er bei seiner Rückkehr todt sei, sich der verlassenen Jungfrau
anzunehmen.
Er kommt dann beim Weiterreiten zu einer Burg, und triflft hier
ein Mädchen, das unter einem Baum sitzt. Sie ruft ihm zu, er soll
sein ßoss schonen und nicht so sehr eilen ; vgl. im französischen Text
V. 8050:
Et eile li cric: „Mesure,
Mesure, sire, or belement!
Que vos ven^s moult folement.
Fols est, qui por noient sesploite.**
Valver fragt, warum sie ihn so zornig anschreie, vgl. v. 8056:
„Or me dites, amie biöle,
De coi vos estes apensee,
Qui si tos m'av^s escriee:
Mesure! et ne sav^s por coi."
Sie antwortet : „Darum , weil ich furchte , du willst mich entfilhren,
aber ich weiß, daß du dich nicht getrauen wirst, mein Ross hier aus
diesem Garten zu holen. Wenn du mein Ross erlangst, so folge ich
dir, aber nicht zu deinem Besten, sondern zu Leid und Qualen, die
durch meine Gesellschaft über dich kommen werden, vgl. v. 8062 :
Vous me voles
Prendre et porter ä, contreval
Sour le col de vostre ceval.
V. 8074:
Mais moi n'enporteras tu mie;
Et nonporquant, se tu voloies,
Mener avoec toi m'en poroies:
Se tant te voloies pener
Que tu m'osasses amener
De cel gardin mon palefroi,
Jou iroie tant avoec toi,
Que malaventure et pesance
Et duel et honte et mesqu^ance
T'avenroit en ma compagnie.
Valver bittet sie einstweilen sein Ross zu halten, weil er nicht in den
Garten hineinreiten könne. Sie verspricht dies zu thun; vgl. v. 8088:
NACHTRAG ZUR PARZIVALSSAGA. 91
Ha, damoisele, mes cbevaus
U remanra, se jou i pas?
Qne passer ne poroit il pas
Par cele plance que je voi.
V. 8094:
Le ceval vos garderai gi^
Tant com jou le porai tenir.
Valver tritt in den Garten : da rufen viele Männer und Frauen .
^Weh dir, verfluchtes Weib, so viele brave Männer haben deinetwegen
ihr Leben eingebüßt^ und du (90. Valver) würdest nicht dies ßoss holen,
wenn du wüsstest, wie viel Unglück den Mann trifft, der es fortflihrt** ;
vgl. V. 8111:
Atant a la plance pass^e,
Et trueve ass^ gent amass^e
Qui & grant mervelle Fesgardent
• Et dient: „Tuit dyable t'ardent,
Puci^le qui tant äs maufait
V. 8118: A maint preudome as fet trencier
- La teste, dont moult es grans dius.
Chevalier qui mener en vius
Le palefroiy que ne s^s ore
Les mauS) qui t'avenront encore
Se tu de ta main i atouces?
Ha, Chevalier, por coi aprouccs?
Que jk voir n'i aproceroies
Se tu les grans hontes savoies
Et les grans maus et les grans paines
Qui t'avenront se tu Tenmaines."
Valver kümmert sich nicht um sie, sondern nimmt das Ross. Er sieht
nahe dabei einen großen Ritter, der ihm räth , das Pferd zu lassen
weil es ihm sonst sein Leben kosten werde, v. 8140:
Et mesire Gauwains 8*adrece
Au palefroi et tent la main,
Si le va prendre par le frain,
Que frain ne siMe n'i faloit.
Mais I grant chevalier avoit
Sous I olivier verdoiant
Et dist: „Chevalier, por noiant
I6s venus por le palefroi
V. 8153: Mais je te loc que tu t'en alles,
Qu'allors qu'ici se tu le balles,
Trop grant desfense i troveras.
Valver fährt trotzdem das Pferd zu seiner Herrin. Der Kopf desselben
ist schwarz auf der einen , weiß auf der andern Seite , am (ihrigen
Körper ist es blutroth, das Reitzeug golden; vgl. v. 8184;
92 E. KÖLBING
Le palefroi ki la tieste ot
D^une part noire et Tautre blance
Valver will die Dame auf das Ross setzen; sie erlaubt es ihm nicht,
sondern besteigt selbst ihren Zelter und fordert ihn auf, seinen Weg
zu reiten; aber sie werde ihm folgen, ihm zur Schmach und Schande,
die nicht ausbleiben werde; v. 8198:
Et mesire Gauvaina li livre
Le palefroi atout la sele
Et dist: Or 9a, ven^s, pucele,
Si Yos aiderai k monter.
Ce ne te laist ja Dex conter,
Fait-ele, en liu \k ü tu viengnes,
Que tu entre tes bras me tiengnes
V. 8257: Issi la puci^le est montde,
Si 8*est Hie et afiiibMe)
Et dist: „Chevaliers, or al^s
Quel part que vous onques vol^s,
Et je VO8 ßivrai toute voie
Tant que pour moi honir vos voie.
Et ce ert ancui, se Dieu piaist/
Wir sehen aus der eben angestellten Vergleichung deutlich genug, wie
eng auch diese Saga sich an ihre französische Vorlage anschließt und
werde ich mich daher im Folgenden damit begnügen, kurz den übrigen
Inhalt des Valvers |)attrs anzugeben.
Der oben erwähnte verwundete Ritter, den Valver verbunden und
dem er ein Pferd verschafft hat, ist undankbar genug, ihm das seinige
zu rauben und sich nebst seiner Geliebten eilig zu entfernen. Von der
ihm folgenden Dame ob dieses Missgeschickes noch verhöhnt , reitet
er aus dem Walde heraus und gelangt zu einem großen Wasser, an
dessen Ufer eine schöne Burg steht. In dieser befindet sich ein pracht-
voller Saal mit vielen Fenstern, an denen schöne Frauen stehen.
Cap. 2. Der verwundete Ritter verfolgt Valver, wird aber von
ihm besiegt. Valver muß ihn in die Gewalt der Burgfrauen geben,
dann durch einen von ihnen abgesandten Kaufmann das Recht geltend
machen, das Ross des Besiegten oder ihn selbst für sich in Anspruch
zu nehmen. Dieser Kaufmann gewährt dann Valver Nachtquartier und
erzählt ihm auf sein Befragen am nächsten Morgen, daß eine Königin
die Burg inne habe , in deren Dienst mehrere tapfere Ritter ständen ;
außerdem habe sie eine Tochter, deren Schönheit in der ganzen Welt
berühmt sei ; vgl. v. 8904 :
Car je ne quic que sossiel ait
Plus bi^le ne mius ensegnie.
NACHTRAG ZUR PARZIVALSSAGA. 93
Die Burg aber habe die magische Eigenschaft, daß kein Verräther
hinein kommen könne; v. 8915:
Que Chevaliers ne puet entrer
Qui i puisse mie arriester
En nule fin, ne vis ne sains,
Qui de couardise soit plains
Ne quil ait en lui nul malisse
De losenge ne d^avarisse.
Aber es liegt jetzt ein Fluch auf ihr, von dem noch kein Ritter muthig
genug gewesen ist, sie zu befreien. Valver unternimmt dies und muß
sich erst gegen eine Menge auf ihn eindringender Pfeile, dann gegen
den Angriff eines Riesen und endlich eines wüthenden Löwen verthei-
digen. Nachdem er diese Proben bestanden , bieten ihm die Königiö
und ihre Tochter nebst ihrem Gefolge, einer Menge schöner Jungfrauen,
ihre Dienste an. Als er aber dann vom Burgthurm aus die Dame sieht,
die ihn seit gestern begleitet hat, und ihm gesagt wird, sie folge jetzt
dem besten Ritter in der Welt, Namens Prinsmas, da lässt er sich
durch die Königin nicht mehr zurückhalten, er greift jenen an, besiegt
ihn und überlässt ihn dann ebenfalls seinem Wirth. Dann folgt er der
Dame, die ihn nur verspottet, und verspricht, sich in alle ihre Wünsche
zu fUgen.
Cap. 3. Er setzt dann auf den Befehl seiner Dame über einen
tiefen Fluß, um am andern Ufer Blumen zu pflücken, trifft aber hier
einen früheren Liebhaber derselben, von dem jene veränderliche Dame
sich getrennt hat^ um dem Ritter zu folgen, den eben vorher Valver
besiegt hat. Jener belobt Valvers Muth und sie geloben sich gegen-
seitige Treue und Freundschaft.
Cap. 4. Eben dieser Ritter, der sich Grinomelas nennt, erzählt
Valver, die Königin in der Burg, in der er übernachtet hat, sei König
Artus Mutter, die andere schöne Dame aber, die er gesehen, sei König
Loths (?) Gattin, und deren Sohn heiße Valver. Die junge Schöne
aber, die Valver auch gesehen h^ben müsse, sei seine Verlobte und
die Schwester Valvers , den er von Grund aus hasse , weil er seinen
(sc. Grinomelas) Vater und zwei seiner Neffen erschlagen habe.
Als Valver seinen Namen genannt hat, wird eine bestimmte Zeit zum
Zweikampf festgesetzt, dem auch Artus selbst beiwohnen soll. Dann
kehrt Valver über den Fluß zurück und als seine Dame diese Probe
von Tapferkeit sieht, erbittet sie sich seine Verzeihung, die er ihr auch
. gewährt. Beide kehren zu Valvers Wirth zurück.
Cap. 5. Die Königin und ihre Frauen empfangen sie sehr freund-
lich. Valver überreicht seiner Schwester einen von Grinomelas ihm
94 J. STROBL, ZU WOLFRAMS WILLEHALM.
ftir sie übei^ebenen Kmg und unterhält sich so vertraulich mit ihr,
daß die übrigen Damen sie schon ftir ein Liebespaar halten. Hierauf
ruft er einen höfischen Jüngling zu sich und trägt ihm eine Botschaft
an Artus auf. . — Hier schließt, wie ich oben schon erörtert habe, die
Valverssaga, freilich, ohne sachlich zu einem irgend befriedigenden
Resultate gelangt zu sein, woran allerdings, wie wir gesehen haben
in der Hauptsache die ebenfalls unvollendete Vorlage Schuld ist.
E. KÖLBING.
ZU WOLFRAMS WILLEHALM.
58, 15 ff. Ir gun^rten Sarrazin,
ob bSdiu hunt unde svnn
iuch trüegen und da zuo diu lövp
sus manegen werlichen Ivp,
für war möjd ich wol sprechen doch
daz iioer ze vil wcer dannoch.
Diese Verse hat F. Bech in der Germania 7, 303 besprochen und um
sie verständlich zu machen, einige Änderungen nothwendig gefunden.
Heinrich von Neustadt, welcher um 1312 seinen Apollonius von Tyrlant
dichtete und wie ich an einem andern Orte nachweisen werde, Wolfram
von Eschenbach kennt und benutzt, hat auch obigen Gedankeji in sein
Gedicht aufgenommen. Die Verse lauten bei ihm:
7568 f. Do sie (die Feinde) der Tyrus ersach
ouz einem tobenden muote er sprach:
"^ztcdre ez mac tcol Bulgoir regen
odefi^ sie wahsent undenoegen!
ir ist doch so vil erslagen,
Meten sie d£u swm getragen
ir wcere dannoch ze vil,
ob ich die wdrheit reden wiV
Daraus erklären sich auch die Worte Wolframs : „Ihr verwünschten
Sarazenen, wenn Hunde uind Schweine euch getragen hätten und dazu
die Frauen so manchen kampfttichtigen Mann; ich könnte doch spre-
chen, daß euer immerhin zu viel wäre." Alle drei zusammen, von de-
nen noch dazu die ersteren durch ihre Fruchtbarkeit sich auszeichnen,
könnten ihm die nimmer enden wollende Menge der Sarazenen nicht
erklären. Passende Worte fiir den im Kampfe Ermüdeten, der seiner
Feinde keiji Ende .sieht.
WIEN. J. STBOBL.
95
DER KAPPENZIPFEL.
Im Frühling 1460 (30. April) stießen im Kriege zwischen Pfalz-
graf (Kurflirst) Friedrich und Graf Ulrich von Wtlrtemberg in der Ge-
gend von Lauffen die Würtembergischen mit den Pfälzischen zusammen,
wobei die letzteren geschlagen wurden. Die Sieger machten viele Ge-
fangene, die sich nach geleisteter Feldsicherheit in der Herberge zur
Elrone in Stuttgart einstellen mussten ; auch erbeuteten sie einen Kappen-
zipfel (einen „alten wüUinen Kappenzipfel" nennt ihn Sattler Gesch. W,
u. d. Gr. 2. A. II, 233), den sie nebst zwei ihrerseits gefallenen Rittern
nach Marbach in die Alexanderskirche brachten und daselbst über der
Begräbnissstätte der Beiden als Trophäe auf einer an der Wand befe-
stigten Stange aufsteckten. Des Folgenden wegen muß die Grabschrift
gegeben werden. Sie lautet so:
„Anno 1460 begab sich uf sant Philippi vnd jacob der zwelff-
botten abent, das die durchluchtigen hochgebomen Fürsten vnd herm
der Pfalzgrave vnd grave Virich von Wirttenberg um abgesagter vynd-
schafft uffeinander gestoßen an dem Furtraben (?) , als dei Pfalzgra-
vische etwan manch *) huss gebraut hetten. trafFen beiderseiten mit-
einander an zwischen wystenhausen vnd helfFenberg. alda wurden dise
zwen biderman erlich vnd ritterlich erschlagen vnd mit dem her heim
gefürt, der aJmechtig got sy inen gnedig. amen."
Über dem Haken aber^ der die Stange mit der Trophäe hielt,
steht auf einem an die Wand gemalten Spruchbande die Inschrift :
„Vnd uff die **) stimd wurd diser kappenzipfel in Fenlins schäm
den feinden abgewonnen."
Sattler, nach seiner Sprache zu urtheilen, hat den Kappenzipfel
auf der Stange noch gesehen. Jetzt ist nur noch der Haken nebst dem
Spruchbande übrig.
Was der Kappenzipfel bedeutete, ist nach RA. 151, 4 und nach
den Worten „in Fenlins schäm"" nicht zweifelhaft. Er war ein Feld-
zeichen, wahrscheinlich zugleich zum Wappen derjenigen Graf- oder
Herrschaft gehörig, die ihr ihn führendes Contingent zum pfälzischen
*) Die Oberamtsbeschreibung von Marbach hat wenig,
**) Die Oberamtsbeschreibung, die eine Abkürzung anzunehmen scheint, liest dieaey
was sich durch das ie widerlegt, eben so weiterhin dieser. Wie Sattler hat auch Stein-
hofer die. Sonstige Abweichungen zwischen Sattler und der Oberamtsbeschreibung
kommen bloi noch in der Grabschrift yor und sind unerheblich.
96 HERMANN KURZ, DER KAPPENZIPFEL.
Heere gestellt hatte. (Arzt, die speirische Chronik, Kremer, Häußer
haben nichts von diesem Beutestück.)
Aber es ist noch eine andere Merkwürdigkeit an der Sache. Die
kleine Inschrift liest sich ganz von selbst metrisch:
„Vnd uff die stund wurd diser Kappenzipfel In Fenlins schäm
den feinden abgewonnen."
Verlangt sie diese Lesung oder gestattet sie dieselbe bloß? Ist es
denkbar, daß zur Zeit Hennanns von Sachsenheim aus vollem Bewusst-
sein ein Verspaar entstand, das ganz unsem heutigen Jambus hat, das
modernen Tonfall und wahrhaft dramatische Bewegung kundgibt? Aber
gerade dieser Dichter, und er nicht allein, zeigt im Gegensatze zu der
ungeschlachten Silbenzählung dieses und noch mehr des folgenden Jahr-
hunderts eine Neigung nicht bloß zu vollsilbigen Versen, sondern auch
zu möglichster Accentuation*). Mit der Inschrift hat er jedesfalls nichts
zu thun: er war zwei Jahre vor jenem Treffen gestorben. Übrigens muß
diese Inschrift denn doch einen eigenthümlichen Kauz zum Verfasser
gehabt haben : man vergleiche nur ihren überraschenden Aufschwung
mit der hausbackenen Sprache der Grabschrift, die daneben steht. Die
Reimlosigkeit ist es freilich, was den Zweifel an der prosodischen In-
tention der Inschrift einflösst. Lag aber diese Form nicht vielleicht schon
in der Luft? Sie hatte sich schon früher angedeutet: und jetzt nur
noch ein halbes Jahrhundert, so stehen die italienischen Versi sciolti
da; ein ganzes, und der dramatische Blankvers der Engländer ist ge-
boren. Ob nun jedoch absichtlich oder zufällig entstanden, gleichviel,
es sind zwei entschiedene Blankverse , die uns aus der Inschrift an-
sprechen , deutsche Blankverse vom Jahr 1460 : und sollte auch nur
ein launiger Zufall ihr Vater sein, wer vermag zu sagen, welche
Fortwirkung unter Umständen, bei dem fruchtbaren Triebe zur Hand-
lung, den der Blankvers in sich trägt, sie hätten ausüben können? So
aber blieben sie Jahrhunderte lang in einer Kirche verborgen, an einem
Spruchbande dahinfahrend , wie ßoss und Reiter , die man niemals
wiedersieht.
HERMANN KÜRZ.
*) So in der Mörin , besonders aber in der selbstverfassten Grabschrift (Stalin
m, 769):
O Welt, du hast ^lassen mich,
Mein Schild und Helm hangt unter sich u. s. w.
Offenbar kündigt sich in dieser Prosodie eine moderne Entwickelung an , die im fol-
genden Jahrhundert gewaltsam unterbrochen wurde.
97
GEDICHT AUF MEISTER ECKHART.
Das nachfolgende Gedicht, welches die Empfindungen einer Nonne
ausspricht, die den hohen Meister Di de rieh und den wisen Meister
Hechart (den berühmten Bruder Eckhart) als *bredeger hörte, steht
auf der letzten Seite eines Pergamentcodex der gräfl. Thun-Hohenstein-
schen Bibliothek in Tetschen. Er enthält zuerst einen Kalender mit alten
Miniaturen, wobei auffallend ist, daß unter den Heiligen sich weder
S. Bemardus (20. Aug.)^ noch S. Dominions (4. Juli), noch S. Francis-
cus (4. Oct.) vorfinden, wohl aber der hl. Ulrich von Augsburg, hl. Ki-
lian von Würzburg, Columban, Othmar, Willibald von Eichstätt, Bur-
chardus von Worms, Bonifacius, auch S. Magnus von Füßen. Der
St. Wenceslaustag erscheint als Venczlai mart.
Die Heiligen würden also vorzugsweise auf Schwaben (Alemannien)
als die Heimat unseres Codex hinfiihren.
Von Einzeichnungen in den Kalender ist zu bemerken zum 5. März :
obiit Rupertus frater mens karissimus ; zum 18. April : obiit frater
Conradus di Rinawe amantissimus confessor (sie) meus. Bei dem Tage
des hl. Bischofs Martinus (11. Nov.): Menno mart.; zum 16. Nov.: obiit
Osanna soror mea karissima; zum 22. Nov.: obiit Wemherus Marc-
gravii. Diese sind (etwa mit Ausnahme von Menno mart.) von öiner Hand.
Das nachfolgende Psalterium ist von späterer Hand als der Ka-
lender, den ich in das 11., das Psalterium in das 13. Jhd. setzen möchte.
Auf der Rückseite der 4 (?) Miniaturbilder stehen theils lateinische,
theils deutsche Gebete. In der zweiten Hälfte des Codex wechselt die
Schrift mehrmals. Das copierte Gedicht trägt entschieden das Gepräge
der Schrift des 14. Jhd. Der Codex ist nicht numeriert und kein Merk-
mal weist auf den ursprünglichen Eigenthümer. Nur ist nach der
Beschaffenheit der Heiligen, was ich stets als untrügliches Merkmal
bei der Ortsbestimmuing von Kalendern gefunden habe, kein Zweifel,
daß der Codex aus einem schwäbischen oder oberrheinischen Nonnen-
kloster stammt. Die in dem Gedicht selbst vorkommenden Stellen weisen
•
gleichfalls entschieden auf die Mystiker des 14. Jhd. hin. Somit dürfte kein
Zweifel obwalten, daß das Gedicht sich aufden bekannten Meister Eckhart
beziehe; wer sollte auch sonst den Namen des Weisen verdienen? wem
die in dem Gedichte enthaltenen Lehren zukommen, wenn nicht ihm?
PRAG. C. HÖFLEE.
GERMANIA. Neue Reihe Ilj (XIV.) Jahrg. 7
98 C. HOFLEß, GEDICHT AUF MEISTER ECKHABT.
'Ich wil vch sagen mere/
sprach ein nvnne gvt,
'yns kvmment bredegere,
des frauwet sich min mvt
5 sie sagent vns gvde wort
sie wüllent vns entslizzen
den hymmelischen hört'
Scheidet abe gar,
nement godes in vch war,
10 senkent vch in eynekeit,
so werdent ires gewar.
Der werde lesemeister
der wil ir einer sin,
er wil dy sele reizzen
15 mit der minnen furbit.
siner minnen sticke
dvt er ir also heiz
daz sy uon recher minne»
uuderniden enweiz.
20 Scheden abe.
Der hohe meister Diderich
der wil vns machen fro,
er sprächet Ivterlichen
al in principio.
25 des adelares flvke
wil er vns machen kunt,
dy sele wil er versencken
in den grünt ane grünt.
Scheidet abe.
30 Der wise meister hechart
vil vns von niche san:
der des niden verstat,
der mag ez gode clan.
in den hat nit gelvchet
35 des gvdeliche schin.
Scheiden.
4 eine Zeile ausgelassen? 6 entssizzen. 11 gemeit? 19 nuä!*n%den? 31 == sagen,
32 = niht enverstät. 33 = clagen. 34 = geluchtet 36 fehlen zwei Zeilen.
A. BIRLINOER, ZU DEN VOLKSBÜCHERN. 99
Ich kan vch nit geduden
waz man vch hat gosat.
ir svlet vch gar vemichen
40 in der geschaffenheit.
geit in daz ungeschaffen^
verlisent vch selber gar,
aldar hat sich ein kaffen
al in das wesen gar.
46 Scheiden.
zu DEN VOLKSBÜCHERN.
SCHWÄBISCHE ZEUGNISSE.
I.
Eine 14 Blätter in 49 enthaltende Reformationsschrift mit Holz-
schnitt auf dem Titelblatt lautet:
„Ain gesprech büchlin, von ainem Weber vnd ainem Kramer über
das Büchlin Doctoris Mathie Kretz von der haimlichen Beycht, so er
zu Augsburg in unnser Frawen Thum geprediget hat: im MDXXIIII:
Vtz Rychßner Weber." Letztere drei Worte stehen unter dem Holz-
schnitt, der beinahe des ganzen Titelblattes Seite einnimmt.
Bl. 2^ bringt der Kramer im Zwiegespräch mit dem Weber das
Büchlein von der heimlichen Beicht vor, auf das er schwört. Der Weber
aweifelt imd sagt: ^Ja wann man über das haylig Römisch Buch will
gon, nach seiner Aufsatzung vnnd das Buch Brandonis Thondali
vnnd dergleichen Exempelbücher , so möcht man etwz darin finden,
aber auß der rechten hayligen geschrifit der Bybel glaub ich nit."
Auf Bl. 4*^ heißt es : „Item wie jr auch gelesen hond von der:
rechten Kirchenbeycht (als ers nennt) vnnd zeugt sy auß dem newen
Testament, so Christus spricht Johannis am 20. also zu seinen Jungern :
wölchen jr die sünd vergend, dem sollen sy vergeben seyn vnd wem
)rs behalten^ das ist: nit nachlaßent, dem sollen sy behalten seyn vnnd
macht aynen langen T hanhau ßer darauß wie man halt muß dem
priester beychten u. s. w."
37 lies nit henkten. 38 = geseit, 43 = hebt sieh,. Die Verbesserungen sind
von Pfeiffer.
100 A. BmLINGEB
n.
Eine zweite Flugschrift, wohl noch vorreformatorisch, heißt: „Christ-
liche Ermanung das den vneelichen kinden zu jrer leibsnaning vnbil-
licherweiß bis hieher lernung der hanndtwerk, einkommung der zünfiten
vnd burgerrecht aufgehalten werden usw." 4". 20 Bl. Getruckt zu Augs-
purg durch Sylvan Ottmar.
Bl. 9^ liest man : ^Ich muß hie mich besprechen mit den Maistem
und Gesellen, so genennt werden die Geschenkttn Handtwerk die sich
(wie die Gleißner) besser, dann annder Hanndtwerker bedunken, gleich
als sey jr Hanndtwerk nit Mechanica sunder Speculativa, erleide nit,
das der Dietherich von Bern, der Hildebrandt oder der alt
Danhewser dabei werde gesungen."
Aus der „Lampartischen Historie" theilt unser Verfasser — es sei
hier vorübergehend bemerkt — die bekannte Geschichte mit dem Er-
tränken der 7 oder 14 Hunde mit, wie die Ertränkerin die Knäblein
hieß. ^Ain gemain weyb gebar ainer geburt syben Süne vnd aus ver-
zaghait vnd schrecken, warf sy die in ainen weyer zu ertrenken, wel-
ches wunderbarlich Underkumen Nach volgends der ain sim in Lam-
parten zu Künig gekrönt ward."
m.
Das Buch, dem folgende Notizen entnommen sind, heißt: „Ein
newe Reyß beschraibung auß Teutschland nach Konstantinopel vnd
Jerusalem, darinn die gelegenheit derselben Länder, Stadt usw. —
mit hundert schönen newen figuren dergleichen nie wird gewesen sein
in in vnterschiedlichen Büchern auffs fleissigst eigner Person verzeich-
net und abgerissen durch Salomon Schweigger, damal Diener am Evan-
gelio übers dritt Jahr zu Constantinopel u. s. w." Nürnberg Johann Lantzen-
berger 1608, 4**. 341 S. Dieser echte Schwabe — aus Sulz am Neckar —
machte die Reise (a. 1576 den 26. Sept. verließ er Tübingen) wirklich
mit Gewinn. Seine Schilderung ist classisch. Mitunter laufen nun auch
folgende Notizen.
S. 74 spricht er von der großen Kraft der Saiten aus Schafdarm,
womit sich die türkischen Edlen hängen müssen: „sage nun einer mehr,
daß ein Schafdarm kein Kraft mehr hab, wan man sovil Gelt imd Gut
damit kan erwerben, es solt mancher ein solchen Darm nehmen ftlr
des Fortunati wünschhütlein vnd fttr den Chymicorum lapidem
philosophorum."
zu DEN VOLKSBÜCHERN. 101
Unter den Verehrungen kam an den Sultan auet eine „persia-
nische" , nämlich ein „Türkischer Alcoran" , von den Türken auf
20.000 Ducaten geschätzt: „so hoch und theur (sagt Schweigger) wird
die Lügen bey den elenden Leuten geacht, so doch andere Fabelbücher
als der Aesopus, Schimpf und Ernst, Eulenspiegel usw. jedes
derselben kaum auf ein Par Batzen gaschätzt wird, darin doch viel
mehr Kunst und Weisheit stecket dann im Alcoran."
Schweigger schildert die Umgebung des schwarzen Meeres und
sagt : „Weiter am schwarzen Meer hinab ist ein Gewölb in einem Berg,
ein zimlich lange Hole, darinn sollen die Sieben schlaffer geschlaflfen
haben; aber die Historia ist darwider; dann sie zeigt an, daß diese 7 Chri-
sten Männer im Berg Celto , nahe bei der Stadt Epheso 296 Jahr ge-
schlaflfen haben." S. 134.
Was sich die Türken vom Himmel denken und predigen lassen,
wo man liebliche Speisen ißt, tanzt, springt „oder wie die Alten von
dem Schlauraffenland ein Gedicht gemacht, faule, schleflferige Leut
damit aufzumuntern in welchem fließende Bach seyn mit Reinfal und Mal-
vasier usw." Die Wände an den Häusern seien mit Fladen, Leckzelten
und Kuchen getäfelt, was einem mangelt, das könne er alles von den Bäu-
men schütteln oder wie man von Frau Venusberg Gedicht und Lieder
gemacht hat, wie daselbst schöne Madonnen, darzu große Freud und
Kurtzweil mit fleischlicher unziemlicher Wollust. Vielleicht ist der Türken
Himmelreich aus disem heidnischen himmlischen Wolleben gezimmert
und zusammengeflickt worden. Also haben auch die Ketzer Cerinthus Pa-
pias vnd Nicolaitä ein FrawVenusberg aus dem ewigen Leben gedieht.
Zur Sage von der Herkunft der Franken macht uns Schweigger
eine Mittheilung, die ich schließlich anflihren will. S. 97 werden die
verschiedenen Nationalitäten der türkischen Gefangenen aufgezählt :
„wenig Teutsche, kein Franzos, dann sie halten die Franzosen für Brüder
von der Zeit als Troja noch stund ; dann Turcus soll Hektoris und
Francus des Priami Sohn gewesen sein. Zu dem haben sie einander
etlichmal brüderliche Treu bewisen, wie man weiß, daß Bruder Türk
seinem Bruder Franken so treulich Beistand gethan als er wider Ca-
rolum V Krieg in Italia fuhrt."
IV.
Eine andere Flugschrift, noch ganz wie in den Jahren 1520—40
abgefasst, von 1589, zubenannt „Ketzerkatz", bringt unter Anderm auch
die Notiz „Kein Katz lernet mehr, dan allein über die Hand springen
vnd Marcolfskatz dem König Salomon leichten,"
102 A. BIRLINGER
ülricus Molitor, der bischöflich Constanzische 'Korrichter , sagt in
seinem Buch von Hexen und Unholden: ^es ist ain gemain Sag, das
uß solichem bösen unfletigen Werckkind geboren werden, die man nennt
Wechselbald (d = g^ alem.) und hierumb so sagt man von einer Frowen
Mel isina genannt, die ein Graff geliebt und zu einer eefrowen genommen
habe ; also das von ir geboren sein vil Sun, die doch zeychen Anlaster
an yn haben gehabt, also das einer try äugen, der ander einen Eberzan
hatte. Diß ist ein fabel und ein mer ynd hat och solichs kain grunt-
licher lerrer geschriben. Hierumb trägt solch sag kein Kuntschaft uff ir."
A. BIRLINGER
SPRICHWÖRTER UND SPRÜCHE.
I.
Aus Forer-Gesners Thierbuch. 1563.
1. Vom Mormelstockfisch Forer 41': hat grosse Augen, eines fin-
stem Gesichts, von dannen ein Sprichwort geflossen: er hat Mormel-
äugen in die so ein kurz dunkel Gesicht habend.
2. Ein Kreß ist ein todtengreber (Gobio fluviatiHs) fressend: die
todten Leyb der menschen: daher das gemein Sprichwort 159^.
3. Davon (daß die Schleyen mit ihrem Schleim die Wunden hei-
len) das sprüchwort kommen ist bei den Frießländem : die Schleyen
seyn ein artztet aller Fischen, 168*.
4. In seinem Bauch (Nasen) hat er ein seer schwarzes fei, von
dannen das sprüchwort: Ein Nasen ist ein Schreiher. 170^.
5. Die Teutschen habend in gemeinem Sprüchwort : Ein Ruffolk
oder Trüsch ist ein Dieb, auß vrsach^ daß er seer listig andern fischen
aufsetzig sein soll. 172'.
6. Ein Hecht ist ein Räuber. 175^.
7. Ein sprüchwort hat man: Ein Berlin ist des Lempfrids hruder.
18P.
8. Er gadt brummen wie ein Bär als da yemants unwüest umb-
gadt mit jm selbs redende oder widerbäffzend. 20".
9. Er saugt an der dappen wie ein Bär so einer arm, dannocht
stolz, scheyn der reicbthum fttren wil.
SPRICHWÖRTER AUS FORER- GESNERS THIERBUCH. 103
10. JBr verkaufft die Bärenhaut und hat den Bären noch nit ge-
stochen (von den yhenigen , so sich hoher Sachen berümen und der-
selben kein außtrag zu geben vermögen). 20*.
11. Die Frommen müssen aUwegen geeslet sein 45^.
12. Dahär noch bey uns das sprüchwort, so em grober dölpel
bescholten wirt, daß wir zu jm sagen: du Eselskopf! 47*.
13. Auch weyl das thier zesommen so leydlich und starck, ist
gleych ein sprüchwort entstanden von arbeitsamen Leuten, da man sagt:
Er mag es alles ereßlen, 53^.
14. Zu Pfingsten auf dem Eyß oder wie die Niderlendischen und
Westphalen reden: So die weyden prunen tragend 54*.
15. Der Bock hat ein starken verhaßten Geruch von dannen das
sprüchwort auch auf den Menschen zogen : er stinkt loie ein Bock. f. Gl*«
16. Danriethär auch das sprüchwort kommen ist, so einer wenig
sieht oder lätz von Sachen urteilt: Er ist blinder' dann ein maulwerff.
107'.
17. Dannethär werdend sy auch so voll gestanks, daß es in ein
sprüchwort kommen in ein übelriechenden Menschen : du stinkst wie ein
Otter, Bl. 129*.
18. Den falben hengst streychen , die Farbe so an den Bossen fiir
d. andere gelobt wird. 132*.
19. Von den saugenden Flädermäusen sagen die Teutschen disen
reymen : Ein Vogel on zungen
Der ander saugt sein Jungen, Heußlin 54**.
20. Die Teutschen nennend ein par rüdigen Menschen, als rüdig
als ein Gu^ger^ darumb daß diser im winter so er seine faderen än-
demt einen rüdig bedunkt. 70^.
21. Der Bossträck machet sich zum Aepfel oder der Maußträck
mengt sich zum Pfeffer, welches von denen gesagt wirt, so sich ein un-
geleerter vnder die geleerten stäts vermischen und gesellen will.
HeußUn 171*.
n.
Aus andern Quellen.
Capp, rock, hemd, Hosen, wammesch und schuoch sind göt wenn
man jetlichs an das Glid legt, dem es gemacht ist. (Geiler v. K,
hell. Low.)
104 H. OESTERLEY, ZU GESTA ROMANORÜM.
(Fremde) Potentaten kommen, ein Gertlin oder Stecklin nach dem
andern aus desTeutschen Reichs Wellen nemen und zerbrechen volgends
uns übrige. (Diplom. Bericht Ende 16. Jhd. Alsatia 1862—67, S. 6.)
Man sagt in einem Sprichwort alt:
Wie einer ruffi in einen Walt,
Dergleichen hör er wieder schrein. (RorafFu. Pfen.)
Thu die mit Namen rügen .
Trag nit im Maul den Brey. (Pasquill 1592. Als. S. 102.)
Die Sachen aller Menschenkind
Hangen an einem Faden hint
Was jetzt ist starkh frisch und gesund
Durch kleinen Unfall gehet zu Grund. 1624.
Glück und par Gellt
Hatt mir nie gefeit
Hatt mir auch nie gebrochen
Alß am Sonntag und 6 Tag in der Wochen.
(17. Jhd. Bücherinschrift.)
BONN. A. BIRLINGER
ZU GESTA ROMANORÜM.
Cap. CXLII der lateinischen Gesta enthält bekanntlich eine Reihe
von Hundenamen, welche mehrfach als Beweismittel für den Ursprung
dieser wichtigen Sammlung benutzt sind, und zwar in der Weise, daß
sie von den Engländern und dem Herrn Graeße für deutsche Namen
erklärt wurden, freilich ohne den geringsten Versuch einer Begründung.
Sie sind indessen nicht deutsch, sondern englisch. In dem aus 181 Ca-
piteln bestehenden Vulgärtexte heißen sie : Richer, Emuleym, Hanegiff,
Bandyn, Crismel, Egofyn, Beamis, Renelin, zu denen in der Moralisation
noch Belyn hinzutritt. Die Vergleichung mit den Handschriften ergibt
nun zunächst, daß das fragliche Cäpitel mehrfach ohne die Hunde-
namen und demgemäß in verkürzter Gestalt vorkommt. Dies ist z. B.
der Fall im Cod. Stuttgard. theol. et philos. Nr. 181, Quart, Nr. 13;
Cod. Ratisbon. 47 Quart, Nr. 24; Cod. Wallerst. b, VI, fol., ebenfalls
Nr. 24, und schon diese Auslassung spricht daflir, daß die Namen in
Deutschland fftr unverständlich, also für fremd galten. Femer aber sind
sie in mehreren von deutschen Händen geschriebenen Codices wirklich
enthalten , und hier tritt die Unbekanntschaft der Schreiber mit den
K. KÖHLER, ZUM SPRUCH VOM NAGEL IM HUFEISEN. 105
fraglichen Wörtern in einer fortschreitenden Corruption derselben zu
Tage, die in den gedruckten Texten so ziemlich ihren Gipfelpunkt er-
reicht. Da hier auch die leisesten Abweichungen in der Schreibung
als bedeutsam sich erweisen können, so gebe ich die Namen sowohl
nach dem Texte, wie nach der Moralisation. Cod. T üb in g. X, 14 fol.
Nr. 13 hat im Texte : Richer, Ewylemin, hanegifF, Ebandin, tristuell,
egloff-firm, Beamis et remelin; in der Moralisation: Richer, ewilemin,
hanagiff, ebandin, tristuell, trebelin, beamis. Cod. Wirceb. M. eh. q. 89,
Nr. 17 im Texte : Richer, Ewylemin, HanegifF, bandin, Tristwel, Eglof-
fin, beami, Tribelin, in der Moralisation: Richer, ewylemin, HanegifF,
Ebandin, Tristwel, Tribelin, beamis. Cod. Monac. lat. 447, Nr. 13 im
Texte: Richer, ewilemin, hanegis, ebandi, Triswel, Trebesin; in der Mo-
ralisation: richer, ewilemin, hanegis, ebandi, Triswel, trebelin. Cod.
Fuldens. B, 12, fol., Nr. 10 endlich im Texte: Richer, ewilemin, ha-
negis, Ebandi, Bis wol, Trebesin ; in der Moralisation : Richer, ewilemin
henegis, Ebandi, Biswol, Triswol, Trebelin.
Einige von diesen Namen sind bis zur neuesten Zeit im Gebrauche
geblieben, so Richer, später Reacher ; Bandyn, später Bender, vgl. auch
Bando^ ; Renelin, verlesen für Reuelin, Revelin, später Reveller, s. z. B.
die Verzeichnisse von Hundenamen in : Beckford Thoughts upon hare
and fox hunting. Lond. 1796. Für das Emuleym des Vulgärtextes ist
nach dem übereinstimmenden Zeugnisse der Handschriften Ewylemyn
zu setzen; es ist mir freilich nicht gelungen, diese Form speciell nach-
zuweisen, aber der englische Ursprung derselben ist augenscheinlich.
Hanegiff, in der Moralisation durch 'Accipite et donate' übersetzt, ist
einfach verlesen fiir Hauegiff, Havegiflf (have-give). Für Crismel ist zu
setzen Triswel oder Triswol , wie Biswol eine Zusammensetzung des
altengl. woL Egofyn, Egloflfyn, Eglofffirm stammt vom ags. Ecgvulf,
im Deutschen parallel entwickelt zu Egloff, s. Förstemann NB. 20. In
Beamis scheint die alte Bezeichnung fiir Böhmen durch, wenn nicht
die altenglische Wurzel hearriy und Belyn, Trebelin endlich stammt von
heUin bellen.
GÖTTINGEN. H. OESTERLEY.
ZUM SPRUCH VOM NAGEL IM HUFEISEN.
Der bekannte Spruch vom Nagel im Hufeisen (vgl. MüUenhoflf u.
Scherer Denkmäler S. 149, XLIX, 5 und S. 433) findet sich ganz über-
einstimmend, nur mit Weglassung der Burg oder des Schlosses, auch
106 LITTEKATÜR
bei den Türken. Er lautet dort (Osmanische Sprichwörter, Wien 1865,
Nr. 152):
Der Nagel beschützt das Hufeisen,
das Hufeisen beschützt das Pferd,
das Pferd beschützt den Mann,
der Mann beschützt das Land.
WEIMAR. REINHOLD KÖHLER.
LITTEEATÜE.
Köpke, Kudolf, Ottonische Studien zur deutschen Geschichte des zehnten
Jahrhunderts. II. Hrotsvit von Gandersheim. Zur Litteraturgeschichte des
zehaten Jahrhunderts. Berlin, Mittler u. Sohn. 1869. XVI, 314 S, gr. 8.
Hrotsvit ist in den letzten drei Jahren der Gegenstand allgemeiner Aufberk*
samkeit geworden, seitdem Aschbach in seiner inzwischen in zweiter Auflage er-
schienenen Abhandlung den Beweis zu führen versuchte, daß die Werke der Dich-
terin eine Fälschung des ersten Herausgebers K. Celtes und seiner Freunde sei.
Die Kritik hat dieser zwar mit großem Scharfsinn und dem Aufgebote großer Ge-
lehrsamkeit durchgeführten Behauptung gegenüber sich theils zustimmend, theils
ablehnend verhalten, die wirklich gelehrte Kritik doch wohl nur letzteres, und mit
Recht« Der 'Einblick in die Münchener Hs. der Werke wehrt von vornherein jeden
Verdacht der Fälschung ab, und ihre Unechtheit zu erweisen, ist Aschbach nicht
gelungen. Die glänzendste Rechtfertigung der Echtheit erblicken wir aber inKöpkes
Buche, welches in der gediegenen Weise dieses Gelehrten das Leben und die
Schriften der Dichterin behandelt. Da Hrotsvit auch in der Geschichte der deut-
schen Litteratur ihre Stellung einnimmt, indem sie, wenn auch in lateinischem Ge-
wände einherschreitend, doch den Einfluß der heimischen Sprache, Denkart und
Form ihrer Zeit nicht verleugnen kann, so ist ihre Ehrenrettung ein Gewinn auch
für unsere deutsche Litteratur. Ein kritischer Abschnitt über die Hrotsvit-Litteratur
eröffnet das Buch, ihm schließt sich die Darstellung ihres Lebens an ; sodann wer-
den die einzelnen Werke ihren Quellen und ihrem Character nach untersucht; daß
die Gesta Oddonis hier eine besonders eingehende Würdigung gefunden, ist schon
bei ihrer historischen Wichtigkeit begreiflich. Hängt doch mit dem Nachweise, daß
Hr. nicht aus schon bekannten Quellen geschöpft habe, die Echtheit ihrer Werke
wesentlich zusammen. Von besonderem philologischen Interesse ist der Abschnitt
Gelehrsamkeit und Form* (S. 139 — 165), worin Sprache und Metrik der Dichterin
analysiert werden. In der Auffassung der in den Comödien durchbrechenden Reime,
die Hr. mit fast allen gleichzeitigen Schriftstellern theilt^ geht der Verf. doch wohl
etwas zu weit, wenn er darin ein in der Durchbildung begriffenes Kunstprincip er-
blickt. Daß eine dichterisch angelegte Natur, wenn sie einer mit Reimen durch-
flochtenen Prosa sich bedient, immer einem gewissen rhythmischen Gefühle folgen
wird, ist begreiflich; aber in der Aufeinanderfolge der Reime, die aufs bunteste
durcheinander gehen, eine bestimmte Reimordnung erblicken, heißt doch wohl eine ^
Spielerei treiben, bei der nichts herauskommt. Da9 allgemein richtige, der poetische
MISCELUSN. 107
Instiiict, wird sofort zur leeren Tändelei, wenn man ihm die Regeln ablauschen will.
Einen Tadel des trefflichen Buches wollen wir um so weniger damit aussprechen,
als der Verf. nicht Philolog von JPach ist; wir bekennen uns im Gcgentheil dankbar
für die werthyoUe Bereicherung unserer Kenntniss Hrotsvits, deren Bedeutung und
Character erst durch dies Buch zu voller Geltung kommt.
ROSTOCK, December 1869, KARL BARTSCH.
MI8CELLEN.
Lammert Allard te Winkel.
Die nachfolgende kurze Skizze von dem Leben des genannten holländischen
Gelehrten beabsichtigt, den Lesern dieser Zeitschrift das Bild eines Mannes vorzu-
führen, der sieh um die Sprache seines Vaterlandes die größten Verdienste erworben
hat. Einfach in seinen Umrissen ist dieses Leben. Am 13. September 1809 in Ari)-
hem geboren, besuchte te Winkel zuerst eine Elementarschule seiner Vaterstadt
und dann das Institut von De Jong. Nachdem er dieses, 18 Jahre alt, absolviert
hatte, galt es einen Beruf zu wählen. Er erkor den des Lehrers, zu welchem in-
nerste Neigung ihn hinzog. Seine erste Stellung bekam er als Assistent an dem
Erziehungsinstitut von J. Lagerwey in Geertruidenberg ; in dieser verblieb er zehn
Jahre, und das Zeugniss, womit der Vorsteher ihn entließ, bekundet wie sehr er
seinen Beruf erfüllte. Sein Wunsch war nun, die Leitung einer Schule zu über-
nehmen ; allein der erste Versuch, dies Ziel zu erreichen, schlug fehl, und er nahm
eine Stelle als Gouverneur bei Baron Sixma van Heemstra an, in welcher er vierzehn
Jahre blieb. Neben seinen Bemfspflichten fand er Zeit, seine wissensohaftiichen
Kenntnisse durch das Studium der alten Sprachen auszubreiten, zu welchem ihm
der Rector Dr. Julius in Franeker den Weg bahnte. Sein erstes litterarisches Her-
vortreten fällt in das Jahr 1837, wo er ein pssdagogisches Werk von W. Möller
bevorwortete ; seine erste Abhandlung *iets over het gebruik der werkwoorden h e b-
ben en zijn' erschien in demselben Jahre im 2. Jahrgang von Jagers taalkundig
magazijn S. 313 ff. Zehn Jahre lässt er dann nichts von sich hören: 1847 ver-
öffentlichte er in Jagers Archief voor Nederlandsche Taalkunde (I, 89) eine Ab-
handlung über die Wörter in ing und deren Geschlecht, die den bedeutenden Port-
schritt seines Wissens in den alten Sprachen, im Altholländischen und auch im
Sanskrit bekundet. Im Jahre 1851 ward er Lehrer der Niederländischen Sprache und
Litteratur am Gymnasium zu Leiden, wo er, geachtet von seinen CoUegen, geliebt
und verehrt von seinen Schülern, höchst segensreich wirkte. Den letzteren widmete
er die Samstagabende, um mit ihnen Gothisch zu treiben. 1854 wurde ihm der
ehrenvolle Auftrag, den Prinzen von Oranien, der zur Vollendung seiner Studien
nach Leiden kam, in der niederländischen Geschichte und Litteratur zu unterrichten.
Außerdem bekleidete er das Amt eines Bibliothecars der Maatschapij der neder-
landsche Letterkunde und redigierte das Nieuw Nederlandsch Taalmagazijn , in
welchem er eine Menge kleinerer Arbeiten niederlegte. Sein Lieblingsplan, dem
alle bisherige litterarische Thätigkeit, auch das Lehrbuch der niederländischen
Sprache (bereits in 5. Auflage erschienen) als Vorbereitung diente, war aber ein
Wörterbuch der holländischen Sprache ' der Ausführung desselben war sein übriges
108 MISCELLEN.
Leben fast ausschließlicb gewidmet. In Verbindung mit M. de Vries untemabm er
dieses Werk, welches ein würdiges Seitenstück zu dem Deutschen Wörterbuche der
Brüder Grimm bildet. Der Tod hat ihn an der Yollendung verhindert : an seine
Stelle ist E. Verwijs getreten, so daß die Fortsetzung keine Unterbrechung erfährt.
Er starb am 24. April 1868, ohne daß ein eigentliches Krankenlager ihn gefesselt
hätte, ruhig und sanft wie sein Leben gewesen war. Seine wissenschaftliche Be-
deutung hat die Leidener Hochschule 1855 durch Ernennung zum Dr. phil. honoris
causa, und die Akademie der Wissenschaften daselbst, die ihn seit einer Reihe von
Jahren zu ihren Mitgliedern zählte, anerkannt. Das niederländische Wörterbuch wird
seinen Namen, und nicht nur bei seinen Landsleuten, unvergesslich machen.
K. BARTSCH.
Franz Roth.
Am 26. September 1869 ist ein verdienter Fachgenosse aus unserem Kreise
geschieden, der Allen, die ihn gekannt, ein lieber, theurer Freund gewesen ist.
Johann Franz Roth""), geb. 8. März 1811 zu Offenbach als Sohn eines Hutfabri-
kanten , genoß den Schulunterricht zu Frankfurt a. M. , wohin die Mutter nach
des Vaters frühem Tode zurückgekehrt war, besuchte von 1828 bis 1830 das
Lehrerseminar zu Friedberg, und wurde, nachdem er vier Jahre als Privatlehrer,
dann neun Jahre als Hilfslehrer an der Weißfrauenschule in Frankfurt thätig ge-
wesen, 1843 als ordentlicher Lehrer an der Katharinenschule daselbst angestellt.
In Folge wiederholter Erkrankungen des Kehlkopfs und der Luftröhre (seit 1853)
wurde er 1861 unter Verwendung bei dem Stadtarchive pensioniert, 1864 als
Stadtarchivsecretär angestellt. Zu fester Gresundheit gelangte er nicht wieder;
schwer leidend und mit getrübtem Geiste verbrachte er sein letztes Lebensjahr.
Doch hatte sich sein Zustand in den letzten Monaten gebessert, und heiter und
schmerzlos, nachdem er noch wenige Minuten vorher mit den Seinigen sich unter-
halten, ist er heimgegangen.
Die Mängel seiner Jugendbildung suchte er frühe durch beharrlichen Fleiß
zu ersetzen. Sein Sprachsinn führte ihn bald auf ein historisches Studium der deut-
schen Sprache; J. Grimm wurde sein geistiger Führer, aus dessen Werken er ein
ebenso gründliches wie erfolgreiches Studium machte. Der Betrieb des Altdeut-
schen veranlasste ihn zum Besuch zahlreicher Bibliotheken, deren altdeutsche Hand-
schriften er für sich und für andere ausbeutete: so arbeitete er, zumTheil mehrere-
mal, auf den Bibliotheken zu Aschaffenburg, Bamberg, Berlin, Darmstadt, Gießen,
Gotha, Göttingen, Heidelberg, Kassel, Leipzig, Linz, München, Nürnberg, Pom-
mersfelde, Regensburg, Straßburg, Tübingen, Weimar, Wien, Wiesbaden, Wolfen-
büttel und Würzburg. Zum Gegenstande speciellster und liebevollster Forschung
machte er Konrad von Würzburg , für dessen Behandlung seine das kleinste Detail
mit größter Sorgfalt erwägende Natur besonders geeignet war. Seine Ausgaben von
Konrads 'DerWerlte Ion* (1843), des 'Herzmähre* (1846), womit er J. und W.Grimm
und L. Uhland beim ersten Germanistencongress in Frankfurt willkommen hieß, und
des Schwanritters* (1861), den er der in Frankfurt tagenden Philologenver-
sammlung widmete, gaben davon Zeugniss. Das größte Werk Konrads, den Tro-
*) Ich benutze bei den nachfolgenden biographischen und litterarischen Daten die
eigenhändigen für die Germania bestimmt gewesenen Aufzeichnungen.
MISCELLEN. 109
janerkrieg, batte er von FrommaDn, der den Apparat seit Jahren gesammelt, über-
nommen : die Ausgabe vollständig zum Druck zu besorgen, verhinderte ihn pein-
liche Ängstlichkeit und seine Kränklichkeit ; den Text hatte er vollständig ausge-
arbeitet, Keller übernahm die Weiterfuhrung des Druckes und so erschien, leider
ohne Apparat und Anmerkungen, die wichtige Dichtung (1858). Ausgaben des
'Tumei von Nantes* und der Lieder Konrads bereitete er seit Jahren vor, ich werde
sie demnächst aus seinem Nachlasse veröffentlichen. Den höchst werthvollen Ap-
parat zum Laurin trat er ebenfalls ab, auf ihm fußt die Ausgabe im 'Deutschen
Heldenbuch' I (1866). Kleinere Mittheilungen handschriftlicher Funde brachten
Mones Anzeiger (VII, 480 — 493 Bruchstücke der goldenen Schmiede), der An-
zeiger des germanischen Museums (II, 58 Beschreibung zweier mhd. poetischer Hss.
in Frankfurt; II, 109 Bruchstücke des Passionais; III, 5 Deutsche Sprüche),
V. d. Magens Germania (V, 209. VI, 116 Würzburger Nibelungenbruchstücke),
die Mittheilungen des Frankfurter Geschichtsvereins (I, 172. II, 325 Bruchstücke
des Passionais, und diese Zeitschrift (XI, 406 Bruchstücke des Eustachius und
der Sieben Schläfer). An Grimms Wört^rbuche war er ein fleißiger Mitarbeiter
und lieferte seit 1862 namentlich Auszüge aus dem Frankfurter Archive
Aber in dem , was er veröffentlicht , liegt nur ein Theil seiner litterarischen
Leistungen. Verborgener, aber nicht weniger dankenswerth ist, was er durch Nach-
weise und Notizen über Hss. u. s. w. zu den Arbeiten seiner Freunde beitrug. Und
hier war er von einer beispiellosen Gefälligkeit und Aufopferung. Eine so reine,
lautere, selbstlose Natur, wie F. Roth war, wird selten gefunden werden. Ein
ehrenvolles Andenken in der Wissenschaft, ein liebevolles im Herzen derer, die ihm
nahe standen, wird dem treuen Arbeiter, dem aufopfernden Freunde gesichert
bleiben. K. BARTSCH.
Bericht über die Sitzungen der germanistitohen Section der XXVII. Pili-
lologenversammlnng zu Sliel, 27. bis 30. Sept. 1869*).
Nach Schluß der allgemeinen Eröffnungssitzung constituierte sich unter Vor-
sitz von Prof. Dr. K. We,inhold aus Kiel als Präsidenten und Prof. Dr. Th. Mö-
bius als Vicepräsidenten in der kleinen Aula der Universität die germanistische
Section.
In das Album der Section haben sich folgende 67 Mitglieder eingetragen:
Bartsch, K., Prof., aus Rostock.
Bech, Fedor, Dr., aus Zeitz.
Bühl au, Franz Ad., Dr. aus Hamburg.
Burchardi, Dr., OAGR., aus Kiel.
Calebow, Gymnasiallehrer, aus Stettin.
Caro, Prof., Dr., aus Breslau.
Creizenach, Th., Prof., aus Frankfurt a. M.
Diestel, Oberlehrer, Dr., aus Dresden.
*) Zu Grunde liegen außer den Protokollen die mir von den betreffenden Herren
bereitwilligst anvertrauten Manuscripte der Vorträge von den Proff. Möbius, Hildebrand,
Zingerle, sowie der Abhandlung von Dr. Bühlau. Der Unterzeichnete ward durch die
Freundlichkeit dieser Herren in den Stand gesetzt, die Vorträge derselben ziemlich
vollständig wiederzugeben; außerdem lagen ihm vor die Skizzen der Herren Prof. Creize-
nach, Petersen und Bartsch. Mit besonderem Danke sind die eigenhändigen Mittheilungen
des Fräulein J. Mestorf zu nennen.
110 KiscEiiLCair.
Döring, Dr., Rector, aus Sonderburg.
Dunger, Herrn., Dr., aus Dresden.
Flügel, Felix, Dr., aus Leipzig.
Foerstemann, Prof. Dr., aus Dresden.
Francke, Dr., Gljrmnasial-Oberlehrer aus Torgau.
Freybe, A., Dr., aus Parchim.
Garlipp, Dr., aus Magdeburg.
Gesky, Th., Gymnasiallehrer, aus Eutin.
Grimm, Herrn., aus Berlin.
Gros eh, Dr., Oberlehrer, aus Wernigerode,
Grotefend, Dr., Archivrath; aus Hannover.
Groth, Klaus, Prof., aus Eael.
Hafer, Dr., aus Magdeburg.
Härtung, G., Dr., aus Wittstock.
Hempel, Dr., aus Salzwedel.
Hermann, Fr. C, aus Berlin.
Hildebrand, Rudolf, Prof, aus Leipzig.
Hölscher, Gymnasialdirector, aus Recklinghausen.
Hüffer, Dr., aus Berlin.
Jessen, Chr., Dr., Conrector, aus Hadersleben.
Imelmann, J., Dr., aus Berlin.
Jungclauszen, W., Conrector, au» Flensburg.
Kern, G., aus Stettin.
Knorr, W., CoUaborator aus Eutin.
Kohl, 0., Dr., aus Barmen.
Kuhn, Adalb., Professor, aus Berlin.
Kuhn, Ernst, Dr., aus Berlin.
Kürschner, J., Dr., aus Eutin.
Lasson, F., Dr., aus Berlin.
Lemcke, H., Dr., aus Stettin.
Lübben, A«, Dr., aus Oldenburg.
Maack, van^ Dr., aus Kiel.
Mahn, Dr., aus Berlin.
Menzer, Otto, Dr., Gymnasiallehrer, aus Freienwalde a. 0.
Merschberger, Georg, Dr., aus Güstrow,
Metger, C. H., Dr., aus Flensburg.
Meusel, H., Gymnasiallehrer, aus Berlin,
Meyer, K. W., aus Meldorf.
Meyer, Dr., aus Stettin.
Michelsen, Dr., Geh. Rath, aus Schleswig.
Möbius, Th., Prof., aus Kiel.
Müller, A., Dr., aus Plauen i. V.
Pansch, Dr., Gymnasialdirector aus Eutin.
Petersen, Prof., Dr., aus Hamburg.
Petters, J«, Gymnasialprofessor, aus Leitmeritz.
Pfundheller, Dr., Lehrer am Stadtgymnasium zu Stettin.
Procksch, A., Dr., aus Bautzen.
Rachel, M., Dr., aus Freiberg i. S.
Reimann, Dr., Oberlehrer, aus Breslau.
MISCELLEN. lÜ
Rödiger, Rieh., Dr., Gymnasiallehrer, attn Berlin.
Röpe, Georg, Dr., aus Hamburg.
Sanneg, Paul, Dr., aus Magdeburg.
Schirmer, J., Dr., aus Berlin.
Stähle, Dr., aus Parchim.
Usinger, R., Prof., aus Kiel.
Weinhold, K., Prof., aus Kiel.
Wilmanns, W., Dr., aus Berlin.
Zingerle, L, Prof., aus Innsbruck.
Z s c h e c h, Dr., aus Magdeburg.
Erste Sitzung. Dinstag den 28. Sept., 9 Uhr Vormittags. Nach Ernennung
zweier Schriftführer, des Dr. Herm. Dunger aus Dresden und des unterzeichneten
Berichterstatters, ergriff der Vorsitzende Prof. Weinhold das Wort, um die ger-
manistische Section in Kiel zu begrüßen, woran er einen Bericht über die Entwicke-
lung der deutschen Philologie in den letzten sieben Jahren knüpfte. In Augsburg
gebildet *), hat die Versammlung sieben Jahre hindurch getagt. Viele Germanisten
sind indeß geschieden und manche der entstandenen Lücken bleiben geschichtlich ;
in den letzten drei Jahren wurden uns Pfeiffer, Vilmar, Schleicher und Diemer ge-
nommen. Der Vortragende gab einen Überblick der germanistischen Leistungen
nach ihren verschiedenen Richtungen ; auf den Keichthum des einzelnen einzugehen
müssen wir uns versagen. Hierauf berichtete er über den günstigen Erfolg, welchen
die von der germanistischen Section in Halle beschlossene Petition um Unterstützung
der Herausgabe des Grimm'schen Wörterbuches bei dem hohen Norddeutschen Bun-
desrath gefunden. Unter dem 29. Juni 1869 ist von ihm an Prof. Zacher und den
Verleger eine Mittheilung gelangt, nach welcher der hohe Bundesrath fiif das Jahr
1869: 2100 Rthk., für 1870: 2100 Rthlr., für 1871: 2050 Rthlr., fiir 1872:
1850 Rthlr., für 1873: 1725 Rthlr. bewilligt. Der Vorsitzende Prof. Weinhold
stellt den Antrag, daß das Präsidium (Möbius und Weinhold) beauftragt werde,
im Namen der Section den Dank für solche Unterstützung auszusprechen. Der An-
trag wird ohne Weiteres angenommen.
Nachdem Prof. Weinhold noch einige Mittheilungen von Lezer aus Würzburg
und Friedrich Keinz, welche um wissenschaftliche Unterstützungen bei ihren For-
schungen bitten, der Versammlung vorgetragen und die Tagesordnung für die mor-
gende Sitzung bestimmt hatte, sprach Prof. Bartsch aus Rostock über die Ergeb-
nisse seiner Reise nach Italien im Winter 1868/69. Dieselbe war vorzugsweise der
Ausbeutung der provenzalischen Handschriften gewidmet. In Mailand fand sich der
bisher für verloren gehaltene Tesoro Sordellos , der allerdings nur durch Missver-
ständniss diesen Namen fuhrt ; in Florenz bot die dritte Laurenzianische Handschrift
unbekannte Texte und die ersten Spuren kritischer Teztbearbeitung im 15. Jahr-
hundert, die zweite Handschrift; manche unbekannte Biographieen. In einer Hand-
Bchrift der Riccardiana wurde eine der Hauptquellen von Nostradamus Biographieen
der Troubadours entdeckt. Die vorausgehende Schreibemotiz dieser Handschrift
wirft ein interessantes Licht auf die Entstehung und die Geschichte der Liederhand-
schriftent In Rom, wo manche Schwierigkeiten zu beseitigen waren, ehe der Vatican
benutzt werden konnte, eröffiieten sich die reichsten Schätze. In der Vaticana bot
Guillaume de Dole eine Menge anziehender Liederfragmente; die Handschrift von
♦) Vgl. diese Zeitschrift 8, 222 ff.
112 MISCELLEN.
Hartmanns Gregor wurde neu verglichen und das Resultat war kein unbedeutendes«
Die noch ganz unbekannte Liederhandschrift der Biblioteca Chigiana wurde voll-
ständig ausgenutzt , und diese Bibliothek bot noch ein zweites provenzalisches
Denkmal, das einzige provenzalische Drama, S. Agnes, welches so eben im Druck
erschienen ist. Die Barberina gewährte in zwei Papierhandschriften Abschriften
von verlorenen Quellen ; die dritte, ebenfalls eine Papierhandschrift, führte auf
eine wichtige Quelle, den Commentar von Francescos da Barberino Documentum
amoris, welcher unter anderm auch ein unbekanntes Distichon Dantes, das der
Vortragende mittheilte, enthält. Eine Liederhandschrift der Chigiana enthält meh-
rere, wenn auch vermuthlich unechte Sonette Dantes. In Venedig fand sich ein
ältfranzösischer Alexander, dessen Eingang eine Umarbeitung von Alberichs von
Besan9on Gedicht ist.
Prof. Möbius zeigt in dem nun sofort folgenden Vortrage „Über die dä-
nische Sprache in Dänemark und Norwegen" einerseits wie das Deutsche sich in
die dänische Sprache eingedrängt hat und noch eindrängt, anderseits wie in Nor-
wegen die norwegische Volkssprache das Dänische zu verdrängen sucht. Schon vor
dem 14. Jahrhundert beginnt das Eindringea des Deutschen in das Dänische und
erst mit dem Beginne unseres Jahrhunderts ist Dänemark in lebendiger bewusster
Weise bemüht, das bereits eingedrungene Deutsch zu beseitigen. In Norwegen er-
wehrt man sich des Dänischen in bewusster Weise eigentlich erst seit ungefähr
20 Jahren.
Nachdem die verwandtschaftliche Stellung. der betreffenden Sprachen zu ein-
ander angegeben und der Unterschied zwischen dem Deutschen und Nordischen in
linguistischer Beziehung dargestellt war, wurde insbesondere die sehr wesentliche
Gemeinsamkeit des Niederdeutschen mit dem Nordischen im Gegensatze zum Hoch-
deutschen in der Aussprache der b, d, g-Laute besprochen und gezeigt, wie in Folge
des gemeinsamen Standes der Muten im Nordischen und Niederdeutschen das Platt-
deutsche den weit überwiegenden Theil des deutschen Imports in der dänischen
Sprache bildet.
Die Frage: Wie kam überhaupt das Deutsche in das Dänische? wird in der
Weise beantwortet, daß zunächst der geographische Factor in Betracht gezogen
wird. Dänemark war mit seinen materiellen Bedürfnissen auf die südlichen Grenzen
und. Küsten angewiesen, hier aber herrschte das Plattdeutsche (nicht Hochdeutsche)
und so machte sich der deutsche Spracheinfluß auf das Dänische vor allem in der
Form des Plattdeutschen geltend. Es wird betont, daß Dänemark hier wie in mate-
rieller so in sprachlicher Beziehung das Empfangende war. Was dann die histori-
schen Factoren betrifft, so will der Redner zunächst ganz davon absehen, daß Däne-
mark das Christenthum nicht wie Norwegen von England aus, sondern gleich Schwe-
den von Deutschland her empfangen, da hier eher ein lateinischer als ein, jedoch
immerhin nachweisbarer, deutscher Einfluß in Betracht komme ^ er nennt vielmehr
als den ersten sehr einflußreichen historischen Factor die deutsche Hansa, er zeigt
wie sie sieh Eingang in Dänemark verschafft habe und wie durch sie ein sehr we-
sentlicher Import deutscher (auch hier zunächst plattdeutscher) Sprache in die dä-
nische erfolgt sei. Als zweiter historischer Factor wird die Regierung Dänemarks durch
Könige deutscher Abkunft während vier Jahrhunderten genannt. Manche derselbe»
sprachen nur deutsch, haben nie dänisch verstanden. Hof und Adel, Räthe, Be-
hörden, die herbeigezogenen Künstler und Handwerker hielten den deutschen 'Em-
guß aufrecht, Nur Christian IV. upd Friedrich XV. machen eine Ausnahme zu Gunsten
MISCELLEN. jl^
des dänischen Elements, wogegen dann wiederum Christian VI. und seine stolze Ge-
mahlin Sophie Magdalena das Deutsche am dänischen Hofe zum entschiedenen
Siege bringen. Nicht ^in dänischer Brief ist von ihm vorhanden, die Königin aber
verspottete sogar das Dänische, sie hasste ihren Sohn, den dänisch gesinnten Kron-
prinzen Friedrich V., sie bevorzugte den deutschen Adel, begünstigte, beschenkte
die nach Kopenhagen einwandernden Deutschen. Dieser Haß gegen das Dänische
wurde noch tiberboten von Struensee.
Zu dem Einfluß der Hansa und des oldenburgischen Regentenhauses auf die
dänische Sprache und Sitte kommen noch zwei Factoren mehr friedlicher Art: die
deutsche Keformation, sowie die deutsche Litteratur und Wissenschaft. Wirkte dort das
Deutsche in der Form des Platt- oder Niederdeutschen und zwar besonders auf die
Redesprache, so hier in der des Hochdeutschen auf die Schrift- und Bücheisprache.
Die Reformation hat der dänischen Litteratur eigentlich erst ihre Grundlage gege-
ben, sie war in aller Weise eine deutsche Reformation. Deutsche Prediger müssen
das Evangelium verkündigen und 'wie viele der wichtigsten kirchlichen Schriften,
so wurde vor allem die Bibel selbst zuerst nicht etwa nach der Vulgata, oder gar
dem Grundtexte, sondern nach Luthers deutscher Übersetzung in dänisches Gewand
gekleidet.* Die theologische Wissenschaft wurde von deutscher Seite her angeregt.
Auf dem Gebiete der Kirche und Schule machten sich gerade die kräftigsten deut-
schen Einwirkungen geltend. Der Einfluß der deutschen Litteratur und Wissen-
schaft auf die dänische Sprache, ein Einfluli, der damals schon ein sehr wesent-
licher war, reicht bis in den Anfang unsers Jahrhunderts ; seitdem ist er bedeutend
im Abnehmen begrifien. Es wird dabei hingewiesen auf die deutsche Heldensage,
die in Dänemark vermittelt ward und die dann in den 'Ksempeviser' einen so reichen
Ausdruck fand, auf die Volksbücher, die geistliche Liederdichtung, die im Deut-
schen durch Opitz vermittelte Litteratur der Renaissance, endlich auf unsere clas-
sische Litteratur, obwohl hier allerdings die Einwirkung auf die dichterische Form
die auf den sprachlichen Ausdruck überwiegen möchte (Ewald, Baggesen, Oehlen-
schläger u. A.). Die deutsche Wissenschaft konnte erst dann nachhaltigen Einfluß
auf die dänische Sprache üben, als sie sich in ihrer Darstelluiyg der früher allein
gültigen lateinischen Sprache begeben hatte. Dann aber gieng namentlich unsere
wissenschaftliche Terminologie, die philosophische wie die ästhetische, auch in
dänische Bücher über, sei es in treuer Übersetzung oder dänischer Nachbildung
oder auch sogar in der ursprünglichen deutschen Form.
Nachdem zu den behandelten vier positiven Factoren des deutschen Einflusses
auf die dänische Sprache noch einige negative genannt waren, wie der, daß die
dänische Sprache namentlich im 14. und 15. Jahrhundert in einem Zustande wider-
standsloser Schwäche und Machtlosigkeit gewesen, wie die öffentliche Beredsam-
keit am Gerichte geschwiegen, wie femer die Predigt und die Schriftstellerei latei-
nisch gewesen und wie endlich das poetische Bedürftiiss des Volks, unvermögend
etwas Neues zu schaffen, sich nur auf die mündliche Fortpflanzung und höchst
kümmerliche Weiterführung der überlieferten Kaempeviser beschränkt — wird die
Frage aufgeworfen: Wie zeigt sich nun das Deutsche im Dänischen? Im Allge-
meinen, so wird gezeigt, nicht in der Grammatik, sondern im Lexicon. 'Das was
in der lautlichen Form der Worte und in der Wortbeugung dem Nordischen über-
haupt wie insonderheit dem Dänischen eigenthümlich ist im Gegensatz zum Deut-
scheu; dies ist von diesem unbeirrt geblieben bis auf den heutigen Tag' — so die
Beschränkung des Dänischen auf zwei grammaticalische Geschlechter, auf einen
GERMANIA. Neue Reihe III. (XY.) Jahrg. 8
114 MISCELLEN.
casus obliquus, auf einen Modus, zum Theil auf einen Numerus, auf eine Person ;
solche Beschränkung ist bereits im 15. bis 16. Jahrhundert vollständig voll-
zogen. Dagegen der Wortschatz , die Wortbildung , gewisse Redefugungen sind
beeinflußt oder alterierl. Nach N. M. Petersen soll die Hälfte der dänischen Worte
deutsch sein.
Wie bestimmt man nun, was der einen und was der andern Sprache ange-
hört? Bei der nahen Verwandtschaft zwischen dem Dänischen und dem Deutschen
ist diese Bestimmung in manchen Fällen nicht so leicht und reichen die bis dahin
aufgestellten Criterien nicht aus. Zutre£Eender lässt sich sagen: ^das dänische Wort
ist deutsch, entweder dessen Eintritt in die dänische Sprache sich historisch nach-
weisen lässt, oder dessen Wortform nach Lauten oder nach Bildung dem Deutschen
ebenso eigenthümlieh, als sie dem Dänischen fremd ist. Die Wörter, die sich unter
Anwendung dieser Criterien als deutschen Ursprungs ergeben, scheiden sich in
solche, die bei ihrem Eintritt in die dänische Sprache entweder ganz unverändert
geblieben, oder aber mehr oder minder dänische Form angenommen. Der erstem
sind heutzutage nur noch äußerst wenige^ wenn auch im 17. und 18. Jahrhunderte
deren Zahl eine viel größere war. Die letzteren zeigen ihre Danisierung in stets
verschiedenen Abstufungen Die Veränderung, der das deutsche Wort unterliegt, trifft
vor Allem die Lautform, qualitativ (insofern an die Stelle des deutschen L«autes ein
anderer im Dänischen tritt), oder quantitativ (insofern im Dänischen ein Laut hinzu-
tritt [brunn — bruntj , oder, was viel häufiger geschieht, ein Laut hinwegfallt [so
z. B. — n in allen Infinitiven]); in Verbindung mit dieser Veränderung der Laut-
form theils eine solche des Accents, theils der Qualität; femer Veränderung der
grammatischen Form, endlich Veränderung der Bedeutung.
Wie empfindet man nun dies in Dänemark und wie verhält man sich dazu ?
Wie der Redner ausführt, anders in der (regenwart als sonst, indem das Dänische
gegen seinen deutschen Bestand eigentlich erst in den letzten vier bis fünf Jahr-
zehnten kämpfe und erst da dieser Kampf einen nationalen Character trage. Man
kämpft da aus litterarischen wie politischen Gründen. Der welcher das dänische
Volk zuerst wieder auf sein eigenes, längst vergessenes Alterthum zurückwies, war
Ohlenschläger. Er that es durch seine Dichtungen nach Inhalt und Form, er schrieb
ein möglichst nordisches Dänisch , er studierte die ältere dänische Litteratur,
besonders die RsBmpeviser und isländischen Sagas und gab seinem Volke einen
Schatz vergessener ureigner dänischer Worte zurück. Andere Schriftsteller folgten
ihm in dieser Richtung, dazu kam fördernd die beginnende nordische Alterthums-
forschung und die seit den letzten Jahrzehnten mit Eifer betriebenen Stadien der
dänischen Grammatik und dänischen Nationallitteratur. Das Interesse daran soll
ein so allgemein verbreitetes sein wie kaum anderswo. Die obenerwähnten politi-
schen Beweggründe sind zweierlei: Haß gegen Deutschland und der sogenannte
^Skandinavismus'. Von dem Streben nach politischem Anschluß an Schweden oder
Norwegen geleitet, suchen dänische Grammatiker seit einem Jahrzehnt auch die
dänische Sprache der so nah verwandten schwedischen äußerlich durch die Ortho-
graphie möglichst zu nähern.
Indessen trotz aller antideutschen und skandinavistischen Strebungen kann
man den deutschen Bestand nicht los werden, auch Grundtvigs gelehrte Bemühungen
sind gründlich gescheitert. Es ist ihm nicht möglich gewesen, auch nur ein paar
Zeilen ohne deutsche Worte zu schreiben.
In dem zweiten Theile seines Vortrags behandelt P^of. Möbius das Dänische
MISCELLEN. 115
gegenüber dem Norwegiscben. Er beantwortet zunächst die Frage: Wie kam das
Dänische nach Norwegen? Es geschah dies durch die von Dänemark aus in Nor^
wegen eingeführte Reformation, als das bisherige dänische Nebenreich, in welchem
allerdings schon vorher die kirchliche und weltliche Verwaltung von Dänemark aus-
gieng, geradezu als dänische Provinz erklärt wurde. Der dänische Einfluß ward
nun ein mehr intensiver, dauernder und nachhaltiger. Die alte heimische Landes-
sprache in Norwegen war damals gerade in machtlosem Zustande ^ seit dem Beginn
des 14. Jahrhunderts hatte dort die schwedische Sprache Eingang gefunden, schwe-
dische Könige hatten eine Zeit lang den norwegischen Thron inne gehabt und zu-
dem hatte sich der Brigittiner Orden von Schweden aus in Norwegen vielfach ver-
breitet. So konnte jetzt die dänische Sprache unbehindert in Norwegen eintreten,
die so eng verwandte schwedische Sprache erleichterte ihr nur den Eintritt, indem
beide Sprachen damals noch weit weniger unter sich verschieden waren, als sie es
jetzt sind. Nur außerhalb der Städte, in den Thälern des Landes und seinen Buchten
erhielt sich die heimische Sprache in mehreren Dialecten.
Seit ein paar Jahrzehnten nun will man die dänische Sprache aus Norwegen
wieder verdrängen, an ihre Stelle soll eine auf Grund der norwegischen Volkssprache
gebildete neue norwegische Schrift- und Landessprache treten: das ist das soge-
nannte ^Malstr8ev\ Dies Sprachstreben entstand mit dem 1814 neu erwachten Na-
tionalgefühl, als Norwegen aus seiner mehr als 400jährigen Abhängigkeit von Däne-
mark befreit, sich als selbständiges Königreich mit Schweden unter einem gemein-
samen Könige vereinigte; es wurde jenes Streben wesentlich gekräftigt durch den
Dichter Henrik Wergeland (der seinen dänischen Styl mit norwegischen, den Volks-
dialecten entlehnten Ausdrücken — freilich oft in arger Übertreibung — ausstattete)
wie besonders durch War Aasen, der im J. 1848 eine Grammatik, im Jahre 1850
ein Wörterbuch der verschiedenen norwegischen Volksdialecte veröffentlichte. Die
Bedeutung dieses Sprachwerks wird im weitern Verlauf der Rede nach der wissen-
schaftlichen wie nach der practischen Seite hin behandelt. Man kam durch dasselbe
zur Erkenutniss, daß die alte norwegische Sprache, die Sprache der Eddas und
Sagas, in jenen Dialecten sich im Wesentlichen ganz unverändert erhalten habe ;
man gelangte durch dies Sprachwerk zu einer richtigem oder vollständigem Ein-
sicht und Beurtheilung eben jener ^altnordischen' Sprache, die man bis dahin fast
ausschließlich nur vom isländischen Gesichtspunct aus kennen gelernt hatte. Zudem
veröffentlichte War Aasen eine Reihe von Darstellungen in den verschiedenen Dia-
lecten und zeigte an einzelnen Proben die muthmaßliche Gestalt der norwegischen
Sprache der Gegenwart unter Voraussetzung ihrer Entkleidung von dialectischen
Eigenthümlichkeiten. Was aber War Aasen nur als möglich sich dachte, wurde
nun von nationalen Heißspornen als nothwendig verkündet und damit beginnt das
eigentliche 'MalstraBv'. Eine große Zahl von Schriftstellern, unter ihnen 0. Vinje,
wirkten in dieser Richtung. Im Jahre 1867 erschien die zweite Ausgabe von Aasens
Grammatik. *Der Stoff ist vermehrt oder gesichtet und während in der ersten Aus-
gabe eine Darstellung der einzelnen Dialecte neben einander gegeben war nur
unter gedachter Voraussetzung der ihnen gemeinsamen Sprach^e, ist in der neuen
Ausgabe diese selbst in ihrer abstrahierten (oder vielmehr construierten) Form
wirklich zu Grunde gelegt und als Ausgangspunct für die in dialectischer Sonderung
derselben erscheinenden Formen dargestellt. Hierdurch bekennt sich denn War
Aasen selbst für die neue Sprache, der er gewissermaßen in dieser zweiten Ausgabe
die wissenschaftliche Sanction verlieh. Damit ist denn im vorigen Jahre 1867 das
8*
116 MISCELLEN.
M&lstrsßv in ein neues Stadium getreten ; ein heftiger Kampf hat begonnen, erst
die nächste Zeit wird von seinem Ausgang zu berichten haben/
Schluß der Sitzung 11% Uhr. Folgende litterarische Gaben wurden vertheilt:
Von Prof. Dr. Th. Möbius :
Are 8 Isländerbuch im isländischen Text mit deutscher Übersetzung, Namen-
und Wörterverzeichniss und einer Karte Zur Begrüßung der Germanisten bei der
XXVII. deutschen Philologenversammlung in Kael 27/30. September 1869
herausgegeben von Dr« Theodor Möbius, Professor an der Universität in Kiel.
Leipzig, Druck und Verlag von B. G. Teubner. 1869.
Von Prof. Dr. Karl Weinhold :
Die deutschen Monatnamen von Dr. Karl Weinhold, ord. Professor an der
Universität zu Kiel. Vom Verfasser überreicht. Halle, Verlag der Buchhandlung
des Waisenhauses. 1869.
Von Prof. Dr. I. V. Zingerle :
Bericht über die in Tirol im Jahre 1867 angestellten Weisthümer-Fonchon-
gen von Dr. I. V. Zingerle. Wien 1868.
Zweite Sitzung. Mittwoch den 29. Sept. Morgens 9 Uhr. Zunächst nimmt
Dr. Lübben das Wort zu einigen Mittheilungen über das von ihm und Dr.
Schiller in Angriff genommene mittelniederdeutsche Wörterbuch. Die buchhändle-
rischen Schwierigkeiten sind jetzt überwunden, ein Verleger (Kütemann in Bremen)
ist gewonnen. Der erste Bogen ist eben gedruckt, doch ist das Erscheinen des
ganzen Werkes noch abhängig von einer entsprechenden Anzahl Subscribenten ;
Dr. Lübben bittet daher die Fachgenossen wie um Unterstützung durch Beiträge
wissenschaftlicher Art, so um die durch Subscriptiou. Das Werk kann nur langsam
vorwärtsschreiten, indem sich die Herausgeber nur in Mußestunden damit beschäf-
tigen können und zudem thut sich alle Tage etwas Neues auf: zu einem Abschluß
ist noch nicht zu kommen, sondern nur zu einem vorläufigen Ende. Die Heraus-
geber werden sich nur auf das characteristisch Niederdeutsche beschränken« Das
erste Heft soll zur Subscriptiou einladen, mangelt dann die Gunst des Publicums,
so ist auf eine Fortsetzung vorläufig zu verzichten ; eine allseitige Unterstützung
des voraussichtlich in etwa drei nicht zu starken Bänden erscheinenden Werkes ist
darum dringend zu wünschen.
Der Vorsitzende Prof. W e i n h o 1 d unterstützt diese Bitte aufs Wärmste, in-
dem er zugleich darauf hinweist, welch großen Dienst die Herausgeber des mittel-
niederdeutschen Wörterbuches der Wissenschaft leisten.
Prof. Petersen fügt hinzu, daß namentlich auch die Juristen und die Hi-
storiker auf das Werk aufmerksam zu machen seien.
Es folgt dann der Vortrag des Geh. Justizrathes Dr. Michelsen: Über be-
sondere Merkzeichen auf den Runensteinen. Derselbe führte aus, wie auch die
Runensteine in Schleswig Gegenstand der Behandlung seitens der Gelehrten ge-
worden. Die runologischen Charactere sind mit nüchterner Besonnenheit erklärt,
man hat bei der Auslegung nicht gerathen und aus der Luft gegriffen. Georg Ste-
vensen aus Kopenhagen behandelt die Steine in Nordschleswig. (Er hat ein Pracht-
werk mit Kupfertafeln herausgegeben, in welchem u. a. auch ein Häuptling von
Angeln vor der Auswanderung sich befindet.) So befriedigend nun die Auslegung
im Ganzen ausgefallen ist, so wenig befriedigend ist die Deutung einiger Merk-
zeichen auf den betreffenden Steinen in Schleswig , Dänemark und Norwegen. Für
die Deutung derselben ist ein Schlüssel zu finden, der das Ganze löst, ein Schlüs-
MI8CELLEN. 117
sei) der ans zeigt, daß die betreffenden Merkzeichen nicht das sind, wofür man sie
wohl gehalten hat, 'wunderbare Complificationen\ 'capriciöse Marken', 'Zickzack,
womit nichts anzufangen ist.' Der Redner glaubt einen solchen Schlüssel gefunden
zu haben in einer Lehre der deutschen Alterthumskunde, nämlich in der Lehre von
der Hausmarke* Die Hausmarke ist nicht nur Zeichen des Eigenthums, sondern
hat noch drei wichtige Beziehungen und Anwendungen ; sie führen auf die Heraldik,
die Monogrammenlehre und die Steinmetzzeichen. Alle diese drei Beziehungen und
Anwendungen findet man auf den betreffenden Kunensteinen vertreten. Es kommen
z. B* gekrönte Löwen vor; Stevensen sagt, sie seien traditionelle Familienzeichen,
aber keine Wappen. Indessen unter den Wappen gibt es zwei Arten: Zeichen-
wappen (Bauten Wappen) und Bilderwappen ; ein Löwe ist jedesfalls ein Wappen.
Nachdem der Zusammenhang der betreffenden Zeichen mit der Monogrammenlehre
behandelt worden, werden die Steinmetzzeichen, insbesondere das auf dem Asfrid-
runenstein zu Louisenlund, eingehender besprochen. Daß ein dort befindliches Zei-
chen (ein Kreis mit einem Strich durch) ein Steinmetzzeichen und nichts anders sei,
glaubt der Kedner sicher annehmen zu dürfen ; es handle sich nur darum zu zeigen,
daß andere eben solcher Art vorkommen. Auf der Kehrseite des Asfridrunensteins
sollen dann noch eine Menge anderer Zeichen sein. Der Redner hat sie noch nicht
gesehen. Von diesen Zeichen hat man in Kopenhagen zwei Abzeichnungen. Es gilt
sie genau anzusehen. Eins dieser Zeichen wird für 'Hügel' erklärt.
Daß die Anwendung der Hausmarke so bedeutend hervortritt, darf nicht be-
fremden. Der Redner bezieht sich auf die Abhandlung von J. Grimm über den
Besitz, in welcher gezeigt ist, daß in den germanischen Sprachen die Viehweide
für alles Eigenthum der Grundbegriff ist. Es musste jedes Vieh unterschieden
werden, daher die häufige Anwendung der Hausmarke. Ein solches Eigenthums-
zeichen ist z. B. die 'Kimme im Ohr', wie sie sich in Thüringen öfters bei den
Schafen findet. Dasselbe Zeichen kommt auch in Holstein vor.
Was die genaue Erforschung des Asfridrunensteins betrifft, so ist der Besitzer
von Louisenlund geneigt^ dieselbe zu fördern und Herr Geheimrath Michelsen er-
klärt sich bereit, den Reisenden, der jenen Stein genauer erforschen würde, zu be-
gleiten. Das oben besprochene Prachtwerk legte dann Herr Prof. MÖbiüs der Ver-
sammlung vor.
Prof. Hildebrand redete hierauf 'über Sprachbewusstsein und Sprachgefühl*.
Beide Ausdrücke sind erst in neuerer Zeit gebräuchlich geworden, zuerst hat sie
wohl Karl Ferd. Becker (f 1849) gebraucht; sie haben sich dann rasch verbreitet,
ein Beweis, wie man bestrebt ist, 'den einzelnen Menschen wieder in sein Recht
einzusetzen, als einzige und letzte Quelle alles rechten Lebens in der Geistes- und
Gemüthswelt, während eine überlieferte Richtung als diese Quelle vielmehr eine
vergangene Gedankenwelt festhalten will, aus der man auf einsamer Studierstube
gewisse Formeln abgezogen hat, die, zu einem Gerüst zusammengesetzt, nur als
der eine Leisten dienen soll, über den man die ganze Menschheit schlagen will'.
Daß Regeln, noch dazu fremde Regeln die Sprache richten sollen, dagegen wird
schon lange gekämpft, theils bewusst, theils unbewusst, daher sind denn auch die
neuen Begriffe 'Sprachbewusstsein und Sprachgefühl' entstanden. Den Werth oder
die Natur derselben lernt jeder am besten aus sich selbst kennen, aber es gilt auch
auf wissenschaftlichem Wege 'das Werden und Wachsen der Sprache zu erforschen,
damit wir auch die Sprache in vergangenen Gestalten wieder als etwas Lebendiges
ergreifen können — denn das allein ist das rechte Ziel aller Sprachwissenschaft,
118 MISCELLEN.
nicht Aufhäufung von todten Stoffmassen. Dazu müssen wir aber die lebendige
Sprachquelle von damals wieder finden können, also das vergangene Sprachbewusst-
sein und Sprachgefühl der Zeit, mit der wir uns beschäftigen, in uns wieder erzeu-
gen. Nur so weit wir das vermögen, geht unser Thun über gelehrte Stoff krämerei
hinaus.' Es werden nun eine Anzahl Fälle vorgeführt, wo es möglich ist, in das
Sprachgefühl der Vergangenheit hineinzusehen ; zunächst Fälle aus der Lautlehre.
Auf der Versammlung zu Meißen hat Prof. Hildebrand vor nun sechs Jahren
einen Vortrag gehalten*), an den er jetzt wieder anknüpfen will. Es war da unter
anderm von einer Erscheinung in der süddeutschen Rede gehandelt, daß nämlich
in der Redesprache. ein schließendes t durch folgende Muten anderer Gattung in der
Weise beeinflußt wird, daß es sich diesen *^angleicht*, vgl. (/obbeware, lanygricht,
guggeschlafe^ stampunkty '5 ' tupmer leidj Bop{h)mer, es stang-gestem in der zeitunr/.
Auch in Mitteldeutschland hat in früheren Jahrhunderten das Gesetz gegolten, vgl.
empfelen, empfinden, empfangen^ früher auch empfallenj noch bei Logau entfinden
(entpfinden Alberus), entfangen. Man war sich des ent- in dem empfinden u. s. w. noch
klar bewußt. Jetzt hat man in Süddeutschland wohl kein Bewußtsein mehr von dem
Gesetz, früher hatte man es.
Man schrieb im Allgemeinen früher nach der Etymologie und sprach wahr-
scheinlich nach der Bequemlichkeit der Lautgesetze. Beim Schreiben aber kommen
Fehler vor; z. B. in dem sogenannten Eisenacher Rechtsbuche in Ortloffs Rechts-
quellen steht auf einer Seite wippild und witpild, letzteres kann nur falsche Rück-
übersetzung sein (aber es setzt voraus, daß wippild die herrschende Aussprache war).
Die Lamprete, mlat. lampreta, erscheint auch als lantprida ahd. (neben lampreda),
man musste das lampr. für angeglichen halten; aber auch als lantfrida, lantfrit,
entstanden aus lamphrida bei Graff ; d. h. : 1. man war ßich jener Anglei chung im
Munde bewußt, 2. man woUte sie im Schreiben nicht anwenden, 3. um sicher zu
gehen, überschrieb man lieber die Rückübersetzung, brauchte sie auch da, wo sie
falsch war/
Der Vortragende theilt dann mit, daß sich Handborg für Hamburg geschrie-
ben finde (in einem Schreiben des K. Ruprecht vom J. 1407) und behandelt ein-
gehender das liet in dem Liede H. v. Morungen (MF. 127, 34; LD. XIV, 74):
Ez ist site der nahtegal
swan si ir liet volendet so ge^swiget sie.
Dur daz volge ab ich der swal,
diu liez durch liebe noch dur leide ir singen nie,
Hagen und Lachmann lesen liet, Bartsch leit. Der Schreiber von C, sagt Prof. H.,
hat das liep volendet für angeglichen gehalten und das dem äußerlichen Gedanken
näher liegende liet daraus gemacht, es sei aber liep zu lesen.
Schon im 8. Jahrhunderte findet sich artpeitsam (im sogenannten vocab. Ke-
ronis, Hattemer).
Als es nun noch kein vermittelndes Hochdeutsch gab, wie verkehrten da die
verschiedenen hoch- und niederdeutschen Stämme miteinander? Sie hatten, wie der
Redner zeigt, offenbar eine Bekanntschaft mit den Lautgesetzen der verschiedenen
Sprachgruppen. Dafür werden nun Belege gegeben, unter andern folgende: Olden-
burg hieß im 16. Jahrhundert bei Hochdeutschen Altenburg, Mekelnborch wird
verhochdeutscht als Michilnburg (Adam v. Br.), Mölln, der nd. Ortsname, wird vou
*) Vgl. Germania 9, 131 ff.
MISCELBEN. 119
einem durchreisenden Schwaben B. v. Bachenbach im 1 6. Jahrhundert Mhülen ge-
nannt ('Mhülen, ein stattlin alda der Eulenspiegel begraben'). Helmstedt wird zu
Helmstatt, Oldesloe zu Altisloe. Auch die kleineren Abweichungen der nd. Mund-
art bemerkt B. von B., er gibt Newenburgh durch Naumburg, doch auch durch
Nawenburgh, d. h* er richtet sich einmal nach der Landesart, ein andermal nicht.
^ Th. Platter schreibt einfach Schweiz. Nümburg. Er kennt auch noch *Hall (ohne e)
in Sazen\
Noch wichtiger aber sei die Erforschung des syntactischen Sprachgefühls.
Der Redner gibt einige Proben, in denen er zeigt, wie es noch möglich sei, dem
nachzukommen, unter andern wird das Lied von Dietm. v. Eist in den Kreis der Be-
trachtung gezogen (MF 37, 4; LD H, i):
Ez siuont ein frouioe alleine
und warte über heide
unde warte ir liebe.
80 gesach si valken fliegen»
'so wol dir valke daz du bist!
du fliugest swar dir lieb ist" u. s. w.
valke sei hier zunächst Vocativ, aber zum Folgenden zugleich Prädicat, mithin No-
minativ; also könnten zwei eigentlich verschiedene Formen im Bewusstsein zusam-
men fallen, zu einer werden, wenn sie in der Form nicht mehr verschieden sind.
Oder: das Sprachgefühl entwickle, ändere sich an der Hand der sich ändernden
Formen. Hier seien Vocativ und Nominativ in einer Form vereinigt, zugleich ge-
fühlt. Ähnliches komme auch im Lateinischen imd Griechischen vor. Es wird
unter anderm hingewiesen auf Caes. ß. G. 6, 1 3 : neque bis (den von Druiden Ge-
bannten) petentibus jus redditur ; hier sei jus zugleich Accusativ und Nominativ ;
ebenso auf 1, 28, nach der Bezwingung der Helvetier: Bojos petentibus Haeduis,
quod egregia virtute erant cogniti, ut in finibus suis coUocarent, concessit ; auf
Aeschyl. inra inl Qijßotg 200 (Eteocl. zum Chor):
fislXti yocg avdgi, (iq yvvrj ßovXsvira
ric^md'sv, ivdov ö'ovaa firi ßloißrjv tid'St,
femer auf Stellen wie Hör. carm. 3, 3 v. 37 ff. Epist. 2, 83. Suet Jul. Caes. 7:
Qnaestori — ingemuit. Caes. B. G. 2, 29 ; 7, 13 ; 6, 8.
Der Vortragende fordert schließlich auf, dem Sprachgefühl vergangener Zei-
ten alle Beachtung zuzuwenden, vornehmlich wichtig sei die Erforschung des syn-
tactischen deutscheu Sprachgefühls und Sprachbewusstseins ; auf diesem Gebiete
habe die Begel, die Schule am meisten Unheil angerichtet.
Es folgte der Vortrag von Prof. Petersen, der über die antiquarische Aus-
stellung auf dem internationalen Archäologencongreß zu Kopenhagen berichtete.
Bei dei beschränkten Zeit, die ihm noch übrig gelassen war, begnügte er sich, nur
kurz das Wichtigste anzudeuten und behielt sich Weiteres für die gedruckten Ver-
handlungen vor, um etwas ausführlicher von einer Entdeckung sprechen zu können,
welche für die Geschichte der nordisch-deutschen Heldensage von nicht geringem
Interesse sei und sich an ein in Kopenhagen ausgestelltes Bild knüpfe.
Es wurden in Kopenhagen nach der Mittheilung des Prof. P. die wichtigsten
Entdeckungen und Forschungen der letzten Jahrzehnte kritisch besprochen und
zum Theil zur Anschauung gebracht durch Zeichnungen und Ausstellung der Ori-
ginale. Die in der Versammlung deutscher Geschieh ts- und Alterthumsforscher zu
Erfurt im vorigen Jahre erhobenen Zweifel gegen die gefundenen rohen Steingeräthe
(daß sie nicht von Menschen gemacht, sondern Naturspiele seien) und gegen die
120 MISCELLEN.
Echtheit der in der Dordogne gefundenen Zeichnungen auf Mammuth- und Renn-
thierknochen seien zurückgewiesen und von allen Seiten Protest gegen diese, in der
populären Zeitschrift *das Ausland' wiederholten Zweifel erhoben. Das größte Inte-
resse habe unter andern die unmittelbare Anschauung der so berühmt gewordenen
Kjökenmödins (Küchenabfälle) der ältesten Bewohner Dänemarks an dem Köskilder
Fiord, die später durch Vorträge von Steenstrup und Woorsaae erläutert seien,
erweckte Schriftlich eingesandte Mittheilungen über eine Entdeckung aus dem äl-
teren Steinalter habe eingehende Besprechung der Frage veranlasst : wie weit und
wie lange die älteren Bewohner Europas auch Menschenfleisch verzehrt ?
Die Kenntniss des späteren Steinalters sei bereichert worden durch Mitthei-
lungen über die Steinbauten und Steingerathe in Spanien, Westfrankreich, Rumä-
nien und einem Theil Schwedens. Besonderes Interesse hätten gewährt die ersten
in Norwegen gefundenen Steingerathe und andere aus dem Hafen von Ystadt, über
welche ein Vortrag gehalten sei, der die Senkung dieser Gegend in historischer
Zeit bewiesen, was dann zu Verhandlungen und Mittheilungen veranlasst über
Hebungen und Senkungen « besonders seitens des Prof. Nilsson, dem die Wissen-
schaft die ersten genaueren Untersuchungen über eben diese Frage verdanke.
Ausgestellt gewesen seien ausgewählte Stücke aus den Sammlungen von
Herrn Baron Zütphen Adler zu Adlersberg und von Herrn Hoigägermeister Beck,
ferner Zeichnungen von den in Gräbern Meklenburgs neuerdings entdeckten römi-
schen Gefäßen, sowie besonders merkwürdige Steinbauten in Dänemark und Schleswig.
Die Kopenhagener Mittheilungen und Verhandlungen über das Steinalter
haben nach dem Bericht von Prof. P. eine längere Zeit in Anspruch genommen, als
für dasselbe bestimmt gewesen, weshalb die Vorträge über die Bronze- und Eisen-
zeit zum Theil für die gedruckten Verhandlungen zurückgestellt worden. Doch seien
zwei Vorträge über das Bronzealter gehalten worden, die besonders wichtig genannt
werden dürften, der des Reichsarchivars Hildebrand über Felsenreliefs in Schweden,
welche dieser Zeit anzugehören scheinen und von denen Abbildungen vorgelegt
wurden, und der des Bibliothekars Lerch über russische Bronze. Daß indogerma-
nische Völker in Rußland eingewandert seien, hat sich nicht beweisen lassen, die
meisten Bronzesachen trugen einen ganz andern Character, andere stimmten frei-
lich mit unsem überein, weshalb das Bronzealter in Rußland im Verhältniss der
verschiedenen Ortlichkeiten und Zeiten noch einer weiteren Untersuchung bedürfe.
Unter den Ausstellungen seien Abbildungen irländischer Bronzen in wirklicher
Größe von* besonderem Interesse gewesen, da im Wesentlichen dieselben Formen
auch in Dänemark, Schweden und Norddeutschland vorkämen, in diesen Ländern
sich indessen auch Formen fänden, die in Irland fehlten.
Auf das mittlere Eisenalter hatte sich ein Vortrag des Herrn Engelhardt be-
zogen: über die Moorfiinde Schleswigs und Fühnens, die derselbe in besondern
Schriften erklärt und zur Anschauung gebracht hat. Die Funde führen auf die An-
fänge unserer Geschichte. Das Verhältniss zu den Römern habe neues Licht er-
halten durch eine der Kopenhagener Versammlung vorgelegte, in englischer Sprache
verfasste Schrift von Montelius, die besonders in chronologischer Rücksicht eine
wichtige Ergänzung bilde zu Wibergs Schrift über den Einfluß der classischen
Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr.
Die unmittelbarste Belehrung über die Entwicklung der Cultur von dem Stein-
alter bis zum Schluß des Eisenalters, d. h. bis zum Anfang der Geschichte, sei
durch die reiche und so schön aufgestellte als trefflich geordnete Sammlung nordi-
scher Alterthümer im Prinzenpalais geboten worden, die um so lehrreicher, da in
MI8CELLEN. 121
demselben Gebäude in unmittelbarer Nähe die ethnographische Sammlung aufge-
stellt sei, welche ein Bild gewähre von den verschiedenen Völkern aller Erdtheile
(die eigentlichen Culturvölker Europas ausgenommen), besonders derjenigen, die
bis auf die neueste Zeit auf der Stufe des Steinalters verharrten. Sehr zweckmäßig
bilde gleichsam die Einleitung eine Zusammenstellung der Alterthümer des Stein-
und Bronzealters der verschiedenen Länder Europas theils in Originalen, theils in
Facsimiles.
Das Merkwürdigste unter den ausgelegten Zeichnungen seien zwei Facsimiles
von Felsenbildern aus Schweden, welche an sich höchst merkwürdig, der Beachtung
der Versammlung empfohlen worden, da sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf
die deutsche oder Deutschland und Scandinavien gemeinsame Heldensage und zwar
auf die Sigurd- oder Sigfriedsage bezögen. Prof. P. gab der Versammlung darüber
ein durch Nachweisung anderer ähnlicher Denkmäler bereichertes Referat von Frau-
lein J. Mestorf in Hamburg, der Übersetzerin von S. Nilssons Stein- und Bronze-
alter, sowie von Wibergs Schrift über den Einfluß der classischen Völker auf den
Norden durch den Handelsverkehr. Fräulein Mestorf hat sich bereits früher mit
der Sigfriedsage beschäftigt und bevor sie durch ihre Theilnahme am Congresse in
Kopenhagen mit den schwedischen Felsenbildem bekannt geworden, Darstellungen
desselben Gegenstandes in norwegischen Sculpturen ihre Beachtung geschenkt, ja
.sogar vermuthet, daß auch das benachbarte Schleswig in dem Besitze eines ähnli-
chen Denkmals sei. Ihre freundliche, von eigener Hand geschriebene Mittheilung
lassen wir hier mit bestem Danke folgen:
„Die beiden von Professor Carl Säve beschriebenen und erklärten Runen-
steine sind nicht erst neuerdings aufgefunden, sondern bereits von Rudbeck in sei-
ner Atlantica abgebildet und von Piringsköld, Dybeck u. a. gelesen worden. Merk-
würdig genug hat keiner dieser Herren die Bedeutung der Figuren geahnt und
bleibt es Säves Verdienst, dieselbe zuerst erkannt zu haben. Beide Steine liegen
in der Provinz Södermannland, am südlichen Mälarufer, der eine eine Meile von
Strengnäs, der andere in der Nähe des Edelhofes Sund by holm und über drei Mei-
len entfernt von dem vorbenannten. Die Figuren sind auf beiden Steinen dieselben,
obgleich auf dem letztgenannten von geschickterer Hand eingehauen und deshalb
leichter erkennbar. Es sind Illustrationen zum Fafhismal : innerhalb des durch den
sich um die Figuren ringelnden Fafiiir gebildeten Rahmens sieht man den Baum
mit den redenden Vögeln, Grani mit dem Schatze auf dem Rücken, Regin mit den
Schmiedwerkzeugen u. s. w. und endlich Sigurd, der, wie es die Sage erzählt, den
Wurm von unten mit seinem Schwerte durchbohrt und dadurch außerhalb des Rah-
mens zu stehen kommt.
Die Inschriften sind Stäbe und stehen zu dem Bilde in keiner Beziehung.
Auf dem einen Steine liest man, daß eine Frau Sigrid zum Gedächtnisse ihres
Mannes einen Weg machen ließ (imd an dem Wege sich und ihm zu Ehren das
Denkmal errichtete); den andern setzte Sinjor seinem Vater und dessen Waffen-
bruder zum Gedächtnisse. Prof. Säve muthmaßt, daß Sigrid und Sinjor sich für
Nachkommen der glorreichen VÖlsunge hielten und durch die bildliche Darstellung
der Familientradition auf den ihren Anverwandten errichteten Gedenksteinen diesen
besondere Ehre zu erweisen glaubten. Aus Gründen, welche der Verfasser in seiner
Abhandlung näher entwickelt, glaubt er die Entstehung dieser Felsenbilder in das
11. Jahrhundert verlegen zu müssen — demnach wären sie älter als die Aufzeich-
nungen der Eddalieder. Da Schweden keinen Saxo und keinen Snorre Sturleson
besitzt, so sind diese Bilder als Bestätigung, daß auch Svithiod Theil an dem nor-
122 MISCELLEN.
dischen Sagenschatze hat, von größtem Werthe, Hoffentlich werden diese ersten
Beweise nicht die einzigen bleiben.
In Norwegen hat man schon vor mehreren Jahren ähnliche Darstellungen
der Sigurdsage entdeckt. Nicolassen erwähnt in dem zweiten Bande der von ihm
herausgegebenen Fornlerninges (Christiania 1863) einer kunstvoll geschnitzten
Kirchenthür im Nedenes Amt, wo man in verschiedenen Feldern den Baum mit den
Vögeln, Sigurd wie er Fafnirs Herz brat, den schmiedenden Kegin u. s. w. deutlich
erkennt. In demselben Amte befinden sich in einem Laudhause Überreste einer
alten Kirche, welche mit ähnlichen Holzschnitzereien geschmückt sind. Außer den
schon genannten Figuren findet man hier noch den Grani und Gunnar in der
Schlangengrube. — Den Gunnar mit der Harfe und umringt von Schlangen sieht
man auch an der Kirchenthür zu Opdal.
In dem ersten Bericht der Schlesw. Holst. Lauenbg. Gesellschaft für Erhal-
tung der vaterländischen Alterthümer 1836 berichtet Herr Pastor Augustini zu
Nelsby in Angeln über einen drei einen halben Fuß großen Stein in der Kirchen-
mauer des dortigen Gotteshauses. Obgleich stark verwittert, erkennt man doch noch
deutlich auf demselben einen Lindwurm, vier abgetheilte Felder und in diesen einen
Vogel und ein Pferd mit seinem Keiter. Herr A. fügt seinem Berichte eine Zeich-
nung des Steines bei. Sollte diese noch in Kiel vorhanden sein, so ließe sich viel-
leicht ermitteln, ob wir in diesem Nelsby er Stein auch für Schleswig ein Sigurdbild
gewonnen haben."
Diese Vermuthung nun hat sich nach dein Urtheil von Prof. Petersen als
richtig ergeben. Er äußeit sich darüber folgendermaßen: „Herr Prof. Handelmann,
der Vorsteher der hiesigen Sammlung heimischer Alterthümer, hat die Güte gehabt,
mir die Einsendung des Hm, Pastor Augustini nebst Abbildung des Steines anzu-
vertrauen. Sie werden sich, nachdem Sie dieselbe in Augenschein genommen, . ein
eigenes Urtheil darüber bilden können. Der Drache liegt oben, von rechts, um den
Rand des Steines, dessen untere Hälfte in vier oben abgerundete viereckige Felder
getheilt ist. Leider sind die beiden zur Rechten so stark verwittert, daß sich keine
Zeichnungen darin erkennen lassen ; zur Linken aber sieht man in dem ersten Felde
einen Vogel und in dem zweiten, wie Hr. Pastor Augustini meint, ein Pferd mit
Reiter ausgehauen ; doch ist hier vielleicht kein Pferd, sondern ein zweiter Vogel
zu erkennen. Ob die über dem Hals desselben sichtbare Figur eine menschliche,
ist mindestens zweifelhaft. Abgesehen davon, daß die ganze Anlage keine Ähnlich-
keit hat mit den allgemein verbreiteten Darstellungen des heiligen Georg, der den
Lindwurm ersticht, den Herr Pastor Augustini annehmen zu müssen glaubte, so
scheint der Vogel kaum einen Zweifel darüber zu lassen, daß wir hier den Sigurd
oder Sigfried zu erkennen haben, um so mehr wenp auch in dem zweiten Felde ein
Vogel sich befindet. Ist dies richtig, so sind wir auch berechtigt zu der Annahme,
daß ein zweiter Stein mit einer Schrift, die niemand lesen konnte, der sich nebst
dem Relief in der zerstörten Kapelle zu Stolck befand, aus welcher das Bildwerk
nach Nelsby versetzt wurde, nicht Mönchsschrift, sondern Runen enthalten habe."
Nach Prof. Petersens Urtheil ist der betreffende Stein ursprünglich nicht für
eine christliche Kirche bestimmt gewesen, stammt vielmehr aus heidnischer Vorzeit
und ist in das Gotteshaus eingefügt als ein Siegeszeichen des Christenthums über
das Heidenthum. Er wird demnach ein Gegenstand religiöser Verehnmg gewesen
sein. Von Beispielen dafür, daß dies überhaupt geschah, nennt der Vortragende
eine Schweizer Dorfkirche (Tüngenthal) 'Unsere liebe Frau zum Hasen*, so benannt
nach einem Bilde, welches die Erdgöttin mit dem Hasen darstellt (Wolf Ztschr. f.
MISCELLEN. 123
Myth. u. Sittenk. I , woselbst noch mehrere ähnliche Beispiele vorkommen) ; in
ehestes werde eine aus heidnischer Zeit stammende Statue der Minerva als Madonna
verehrt (Stephens Old-Norfhem Bunes I, 462) und in den nordischen Reichen träfe
man häufig heidnische Runensteine in die Kirchenmauern eingefügt. Der Redner
fordert auf ihm mitzutheilen, ob in andern Gegenden Deutschlands ähnliche Denk-
mäler bekannt seien. Auch in Süddeutschland soll in einem alten Denkmal eine
Abbildung der Sigfriedsage erkannt sein. Alle Vorstellungen, welche nach der bis-
herigen Auffassung die Kämpfe des heiligen Georg und des Erzengels Michael be-
treffen, sind genauer zu untersuchen. Diese Denkmäler seien umsomehr zu beachten,
da ihr Gegenstand auch den Stoff zu einem unserer beiden großen Nationalepen
liefere. Indem Prof. P. den Männern von Fach die Sache zu weiterm Nachdenken
anempfiehlt, bemerkt er zugleich, daß Fräulein Mestorf demnächst die Abhandlung
des Prof. Säve ins Deutsche übersetzen wird, nachdem ihr behufs der Herstellung
der Tafeln die Benutzung der lithographierten Steine von der schwedischen Aca-
demie der Wissenschaften etc. gestattet worden sei. Sie wird die Arbeit erweitern
durch Beschreibung und wenn möglich auch Abbildung der norwegischen Sculp-
turen, sowie des Anglischen Steines und dessen was ihr bis zur Vollendung der Ar-
beit sonst zukommt. Die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle hat den Verlag
übernommen.
Eine Vergleichung zwischen der Schleswiger und Kopenhagen er Sammlung
wollte Prof. Petersen noch anstellen, da aber die Zeit abgelaufen, hebt er nur noch
hervor, wie beschämend es sei, daß Schleswig-Holstein in Beti^eff der Sammlung
der Alterthümer hinter Kopenhagen zurückbleibe. Möge der Alterthumsverein ein
größeres Interesse dafür im Lande erwecken!
Nach dem Vortrage von Prof. Petersen bittet Prof. Förstemann die Mit-
glieder der Section um Beiträge zu seinen Straßennamen von Gewerben'; alle
Herren, besonders die aus kleinen Orten, mögen ihn in der von ihm bezeichneten
Weise unterstützen. Um 1 1 Uhr wurde die Sitzung geschlossen und es erfolgte dann
im Anschluß an den Vortrag des Prof. Petersen und von diesem geleitet die Besich-
tigung der ehemals Flensburger Alterthümersammlung, die in einem Saale des
Schlosses ausgestellt war.
Dritte Sitzung. Donnerstag den 30. September, Morgens S'/^ U^^* Prof.
C reizen ach sprach über ^Fr. Max. Klingers Jugend und erste Anfänge\ In Bezug
auf diesen merkwürdigen und einflußreichen Schriftsteller, dem sich neuerdings die
gelehrte Forschung wieder zuwendet, wurde zunächst nachgewiesen, daß er nicht
im GÖthehause geboren sei. Die bekannte Angabe Bulgarins, die sich auf den Dop-
pelvers stützt:
An diesem Brunnen hast auch du gespielt u. s. w.
Eine Schwelle hieß in's Leben
Uns verschiedne Wege gehn u. s. w.
muß als eine oberflächliche und unzuverlässige erscheinen, wenn man erwägt, daß
GÖthe den Doppelvers, welchen er mit einer Zeichnung im Jahre 1826 an Klinger
nach Petersburg übersandte, auch anderen Personen und zwar auch diesen mit
einem Exemplar jenes Bildchens, das den Hofraum hinter dem Hause auf dem
Hirschgraben darstellt, geschickt hat. Wohl hat Klinger als Knabe den Hof des
G<)thehanses gekannt und sich spielend darin bewegt ; beide, Klinger und Göthe,
werden einander in der Zeit der Knabenspiele gesehen haben, aber näher getreten
sind sie sich erst später. Jener ^Maximilian' in dem Gespräch zwischen ^Wolfgang'
und Maximilian' in den Aufsätzen ans Göthe's Knabenzeit, die Weismann heraus-
124 MISCELLEN.
gegeben hat, ist nicht unser Rlinger, wie Volger vermuthet, denn Vir können nicht
annehmen, daß der siebenjährige Wanderknabe, dem seine älteren Genossen kaum
zum Umgang genügten, mit einem damals 4 — öjährigUn Kinde zusammen Unter-
richt gehabt habe. Ohnedies war Klinger im Lernen ein Spätling\ In dem Ge-
spielen vermuthet Prof. Creizenach Maximilian Lersner. Göthe und Klinger traten
sich erst im Jahre 1770 näher, als Klinger etwa Schüler der Secunda war und
Göthe von Leipzig zurückkommend, seine Genesung abwaitete. Daß sie sich erst
um diese Zeit näher getreten, bestätigt übrigens auch ein Brief Klingers an Göthe
vom 26. Mai 1814. Keineswegs aber nÖthigt, wie der Vortragende zeigt, der Wid-
mungsvers anzunehmen, daß die 'Schwelle' dem Hause angehören müsse, worin der
Angeredete geboren sei. Derselbe Vers ist der Prinzessin Friedrike von Meklen-
burg, sowie ihrem Bruder Georg von Meklenburg-Strelitz gewidmet, beide beizogen
die Widmung ganz unbefangen auf sich, obwohl sie nicht in dem Göthehause
geboren sind, sondern gleich manchen Andern nur einige Tage als Kinder darin
verlebten.
Allerdings hat sich im Hofraume des Göthehauses früher (vor dem durch
Göthe's Vater seit 1754 vorgenommeneu Umbau) ein abgesonderter Nebenbau
befunden, der eine Zeit lang um 50 fl. Jahreszins an einen Schuhmacher ver-
miethet war, der Miether hieß Stauf ; daß aber Klingers Vater da gewohnt (Bul-
garin) lässt sich mit nichts beweisen. Wie überhaupt die Angaben Bulgarins
unzuverlässig sind, so ist es auch die von ihm gegebene Characteristik Klingers«
Ganz anders schildert ihn Fanny Tarnow, die Klinger selbst in einem noch vor-
handenen Briefe zur Veröffentlichung von Mittheilungen über ihn ermächtigte;
ebenso zuverlässig ist Musäus, Klingers vieljähriger Secretär; glaubwürdig sind
auch die Mittheilungen des Domherrn Meyer aus Hamburg in seiner Beschrei-
bung der russischen Kaiserstadt. Ganz besondern Werth aber haben die unge-
druckten Briefe Klingers selbst an die Gräfin von Eglofstein. Außerdem liegen
beachtenswerthe Mittheilungen vor von Muralt in Petersburg, von Wolzogen,
Seume , E. M. Arndt und Christoph Rommel ; wichtig sind die vom Freiherm
von Beaulieu-Marconnay in Dresden mit Feinheit und Sachkenntniss angelegten
Collectaneen. Keiner der Genannten hat aber jemals etwas verlauten lassen, was
die Notiz Bulgarins bestätigen könnte. Zu alledem kommt 'die mit aller Be-
stimmtheit gemachte Angabe der hochachtbaren Frau Charlotte Rieger ""), daß
ihr Oheim nicht in der Rittergasse , sondern in dem Hause zum Palmbaum auf
der Allerheiligengasse geboren wurde; eine Angabe, die sich auf das unmittel-
bare Zeugniss der Mutter und der Schwester Klingers stützt.*
Schließlich weist der Vortragende noch auf den Gewinn hin, der uns durch
eine nähere Beschäftigung mit Klinger zu Theil werden könne; unter anderm
auch auf die Ausbeute, welche aus der Wortforschung bei Klinger neben Leuz
und seinem rücksichtslosen Gegner Heinrich Leopold Wagner (für den Weigand
in Gießen das vollständigste Material besitzen soll) erwachsen würde. Außer der
Culturgeschichte würde auch die litterarische Kritik in diesem Kreise noch merk-
würdige Aufgaben zu lösen finden, indem z. B. bei ganzen Schauspielen die
Autorschaft in Frage gestellt werde.
*) In einer Darstellung von Klingers Leben in der Didascalia vom 26. u. 27. Sept.
1840. Frau Medicinalrath Charlotte Rieger in Darmstadt (die Mutter von Max Rieger)
starb 1867. Sie war eine gebome Authäus, Tochter des Stiftpfarrers Authäus zu Lieh
in Oberhessen, ihre Mutter war Agnes Elinger, die Schwester von Fr. Max KHnger,
geb. 1757.
MISCELLEN. 125
Prof. Zingerle aus Innsbruck hielt sodann seinen Vortrag über deutsche
Sprachinseln in Südtirol. Er sprach von seiner Heimat, dem Land der Berge,
das die Brücke bildet zwischen Deutschland und Italien, über welche die Schaa-
ren der Völkerwanderung einst nach dem Süden gezogen , um die sich einst
Römer und Germanen gestritten, wie im späteren Mittelalter und heutzutage
Wälsche und Deutsche. Im Kampfe blieb aber meist das deutsche Volk endlich
Sieger und am linken Etschufer erklang bis Belluno und Vicenza noch im
1 4. Jahrhunderte die deutsche Sprache. Das älteste Stadtrecht von Trient sei in
deutscher Sprache abgefasst, die Berge, Wälder, Höhen trügen nicht nur in
älteren Urkunden, sondern auch heutzutage noch deutsche Namen. Selbst zur
Zeit des Conciliums war Trient noch eine deutsche Stadt und das südlicher
gelegene Roveredo sei durch deutsche Industrie (16. 17. Jhd.) zu Blüte und Reich-
thum gelangt. Ein Deutscher habe dort das Gymnasium mit der ausdrücklichen
Bedingung gegründet , daß die Lehrer geborene Deutsche oder wenigstens der
deutschen Sprache ToUkommen mächtig sein müssten. Noch am Ende des vorigen
Jahrhunderts seien die meisten Höhen und Thäler am linken Etschufer bis zur
Veroneser Clause von Deutschredenden bewohnt gewesen und die deutsche Sprache
sei selbst in den Städten die Sprache der Gebildeten. Seitdem, besonders seit den
zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wäre in Südtirol nach dieser Beziehung vieles
anders geworden. Die kaiserlichen Behörden kokettierten mit den italienischen,
der Clerus sähe in Italien den einzigen Schlüssel zur Seligkeit. Die Polizei habe
im Deutschen demokratische Gelüste, die Clerisei religiöse Gefahren gewittert.
Thatsache sei es, daß man allem , was aus dem Reiche draußen käme, höchst miss-
trauisch begegne und daß vom Trientner Ordinariate ein förmlicher stiller Feldzug
gegen das Deutsche gefuhrt würde. 'Es war eine feine Tactik, daß man dorthin,
wo einige Wälsche sich angesiedelt hatten, alsogleich einen wälschen Hilfspriester
oder Pfarrer sandte und bald die wälsche Sprache in Schule und Kirche einschmug-
gelte. Deutsche Eander, die italienisch sprachen, wurden belobt, kleine, welche
die Muttersprache redeten, bitter getadelt, ja der Seelsorger Schlosser in Terra-
gunolo gieng so weit, daß er denen, welche ihr Sündenbekenntniss in deutscher
Sprache ablegten, die Lossprechung verweigerte. An andern Orten wurden deutsche
Urkunden verbrannt. Kein Wunder^ daß die italienische Sprache allenthalben vor-
drang und die deutsche besiegt zurückwich. Die Regierung sah mit stillem Ver-
gnügen diesem Treiben zu. Schon hatte das Italienische seine Vorposten bis in die
Gegend von Botzen und Meran geschoben, als Dr. Ludwig Steub und Lentnerl842
ihre mahnenden und warnenden Stimmen erhoben. Doch vergebens ! — Der all-
gewaltige Generalvicar verfolgte mit zäher Consequenz seinen Feldzugsplan gegen
deutsche Sprache und Sitte im Etschthale. Den deutschen Theologen in Trient
wurde ein gründlicher Abscheu gegen alles Deutsche beigebracht. Priester durften
nicht wagen, öffentlich die Gedichte von Pet. Hebel oder Guido Gör res zu lesen.
Die deutschen Classiker galten als Verführer der Jugend, deutsche Bildung galt
als Same des Bösen. Welcher Hailoh deshalb, als Dr. Streiter den Einfall hatte,
in seinem Garten zwischen Mjrthen und Lorbeerbüschen Göthes und Schillers Bü-
sten aufzustellen! — Wenn aber auch so das deutsche Element aufs Ärgste ge-
schädigt wurde, so ist es dennoch nicht so weit gekommen, daß Botzen schon dem
Italianismus anheimgefallen wäre. Botzei» wahrt energisch seine deutsche Ehre und
bis zur Clause von Salum, der ehemaligen Langobardengrenze, klingt die deutsche
Zunge im Thale. Auf dem Gelände des linken Etschufers halten die Hessencolo-
nieen deutiche Sprache und Sitte fest wie die anderen Bewohner des Mittelgebirges
126 MISCELLEN.
und selbst die walsche Schule in Buchholz, diese glänzende Errungenschaft; der
Italiener, ist ihnen neulich glücklich abgejagt worden. Etschab von Salurn hat sich
leider das Italienische festgesetzt. Die Thäler Vallarsa, Terragunolo, Folgaria
sind nun italianisiert und nur noch alte Leute sprechen ihre deutsche Mundart,
allein trotzdem haben mit wunderbarer Zähigkeit einige Gemeinden ihre alte
Muttersprache erhalten, so Luserna, hart an der Grenze des Königreichs Italien,
Palu und vier Dörfer (unter ihnen Boveda und Frassilongo). Im Jahre 1865 er-
hielten die Gemeinden Luserna und Palu deutsche Schulen und jubelten ebenso
über diese Gabe, als die Italiener sich darob ärgerten. Bald darauf, im Jahre 1866,
erzählt Prof. Zingerle, besuchte ich zum ersten Male diese Sprachinseln und fand
dort ein deutsches Nationalgefühl, das mich rühren musste. Nur einen Beleg. Ich
traf einen alten Bauern, der Brot in sein Dorf St. Franzesco trug. Ich begrüßte
ihn mit *Grüß Gott*. Er blickte mich verwundert an und grüßte mich in italienischer
Sprache. *Du biß jo a Tuitscher, sproch tuitsch', erwiderte ich und reichte ihm eine
Prise — die höchste Ehre, die ein Herr einem Bauer in dortiger Gegend erweisen
kann. Nun war der Bann gelöst und Domenico, mit dem ich 1 Vg Stunden wanderte,
klagte mir, daß die Kinder, die nur deutsch redende Mütter haben, in der Schule
wälsch lernen müssen und der PfafF predige nur wälsch. Mit Entrüstung sagte er
mir, daß das Dorf Tan Ochola eigentlich 'Oachholz' heiße und fuhr dann fort, er
habe stets gehört, daß die 'duitsche Natiun' die mächtigste auf der Welt sei,
*der Kaaser' reicher sei als alle Potentaten, aber um sie ^arme Tuitsche' küm-
mere sich keine Seele und in etlichen Jahren würden auch diese deutschen
Gemeinden verwälscht sein. Der biedere Alte fragte mich, was die tuitsche Na-
tiun mache und ob der tuitsche Kaaser ganz vergessen, daß er hier auch seine
Kinder habe. — Die Antwort hielt schwer.
Ich fasste damals den Entschluß, diese deutschen Gemeinden nach Kräften
zu unterstützen und in ihrem Kampfe für ihre Muttersprache zu fördern. Gleich-
gesinnte Freunde waren bald gewonnen und wir sandten den beiden Schulen
Lehrmittel, Bücher und kleine Belohnungen für die Kinder. Dies zog. — Bald
hielten die Gemeinden der Dörfer Koveda und Frassilongo bei der Regierung
um deutsche Schulen an, die ihnen sogleich bewilligt wurden, ja in jüngster
Zeit bat eine ganze italienische Gemeinde , RuflPre , um eine deutsche Schule,
sie wollte sich 'germanizzare'. Auch ihre Bitte wurde sogleich vom Ministe-
rium erfüllt. Ahnliche Schritte anderer Gemeinden stehen in Aussicht. Die Re-
gierung kommt solchen Wünschen aufs beste entgegen und gründet deutsche
Schulen; allein es gilt diese Schulen zu unterstützen, die Kinder durch zweck-
mäßige Gaben heranzuziehen, ihnen deutsche Bücher in die Hände zu spielen,
Knaben dieser Gemeinde nach Innsbruck zu ziehen und sie zu Lehrern bilden
zu lassen. Es gilt diesen Gemeinden zu zeigen, daß sie im Kampfe
nicht verlassen den über mächtigen Italienern gegenüberstehen,
dondern daß wir Deutsche hinter ihnen stehen und ihre Sache
als die unserige ansehen*). — Wie sehr die Italiener fürchten, daß die deut-
schen Gemeinden sich ermannen, zeige die Wuth, mit der ihre Blätter gegen die
deutschen Schulen eifern, zeige die Thatsache, daß in Trient, wo 6000 Deutsche
wohnen, von dem Magistrate verboten worden, Leichensteine mit deutscher In-
*) Ostern gedenkt der Unterzeichnete» Gaben für die deutschen Gemeinden nach
Innsbruck abzusenden. Die Freunde der deutschen Sache in Meklenburg und Umgegend
werden um rechtzeitige freundliche Beiträge unter der Adresse : Dr. A. Freybe in Par*
chim recht' dringend gebeten.
MISCELLEN. 127
Schrift auf den dortigen Friedhof zu setzen. Dies sollte eine Gegendemonstration
ge gen die Förderung des deutschen Elementes sein/
Was die Mundart dieser Gemeinden betrifft, so zählen nach dem Vortrage
des Redners die Lusemer zum alemannisc hen Stamme, die andern weichen in
ihrer Mundart weit von einander ab. Pergine, Roncegro, Roveda, Palu liegen
einander sehr nahe und dennoch bat jede dieser Gegenden ihre eigene Mund-
art. £s wäre wohl der Mühe werth, daß jemand, der ein feines Gehör hat,
diese Mundarten, die sehr viel Altes enthalten, näher untersuchte. Ebenso wären
die Sagen und Märchen zu sammeln. Viele Einwanderungen in diese Gegenden
geschahen am Beginne des 13. Jahrhunderts, andere noch viel später. Zu den
ehemals blühenden Bergwerken von Palu wurden wiederholt deutsche Bergleute
— man sagt auch aus Sachsen — herbeigezogen. Das rechte Etschufer mit
seinen Nebenthälem ist von der Salumer Clause an von Italienern bewohnt.
Nur im Nonsberge haben sich hoch im Gebirge vier deutsche Gemeinden, Unser
Frau im Walde, St. Felix, Proveis und Laurin, erhalten. Die Bewohner gehören
dem baierischen Stamme an. So verschieden an Abstammung und Mundart alle
diese Deutschen sind und obwohl sie mitten unter den Wälschen leben, fühlen
sie siph doch als deutsche Brüder und wollen deutsch bleiben. Ja selbst In-
wohner ehemaliger deutscher Gemeinden, denen ihre Muttersprache abhanden
gekommen ist, versichern, sie seien deutsch und bezeugen es auch durch die That.
Als im vorigen Jahre das Gerücht verbreitet war, es würde ein Theil Südtirols
an Italien abgetreten, ward von Lusema und drei verwälschten Gemeinden eine
Adresse dem Statthalter übersandt, in weicher um das fernere Verbleiben bei
Osterreich gebeten wurde. Sollte jedoch die Abtretung jener Gegenden unwider-
ruflich sein, so möchte eine hohe Regierung ihnen einen Platz in einem deutschen
Lande anweisen, sie wollen alsdann ihr Besitzthum an die Wälschen verkaufen
und sich mit dem Erlös in dem zu bezeichnenden Lande Grund und Boden er-
werben. Die Ehrenpflicht eines jeden Deutschen ist es , diese vorgeschobenen
deutschen Posten im Kampfe für ihre deutsche Muttersprache und deutsche Sitte
zu unterstützen« Sehr wünschenswerth wäre es, daß diese Sprachinseln Öfters von
Deutschen besucht und daß die Mundarten dei'selben erforscht, sowie der rdche
Schatz der Volksüberlieferungen gehoben würde.'
Der Vorsitzende , Herr Prof. W e i n h o 1 d , dankt im Namen der ganzen
Versammlung für diesen jedes deutsche Herz bewegenden Vortrag und empfiehlt
aufs Wärmste diese schöne nationale Sache. Herr Prof. Zingerle theilte zu-
gleich an alle anwesenden Mitglieder der Section eine gedruckte Bittschrift mit,
welche auffordert, den besprochenen edlen Zweck durch Sammlung von wo mög-
lich jährlichen, wenn auch noch so kleinen Geldbeiträgen und passenden Büchern
oder in jeder anderen Weise, die den Freunden dieser deutschen Schulen ange-
messen erscheint, zu unterstützen. Allfällige Beiträge jeder Art solle man gefäl-
ligst an die Wagnerische Universitätsbuchhandlung (in Innsbruck) gelangen lassen.
Die Bittschrift ist datiert: Innsbruck im März 1862, und unterzeichnet sind
Dr. Julius Ficker, k. k. Universitätsprofessor; Dr. Alfons Huber, k. k. Univer-
sitätsprofessor; Hans von Kripp, k. k. Gjmnasialprofessor ; Dr. Adolf Pichler,
k. k. Gymnasialprofessor ; Anton Schumacher, Buchhändler; Dr. I. V. Zingerle,
k. k. Universitätsprofessor.
Da die Zeit schon sehr vorgerückt war, konnte Dr. Bühl au aus jSamburg nur
Einiges aus dem von ihm angekündigten Vortrage: 'über zwei vergessene Dichter :
Paulli und Uhlich' mittheilen. Kaum irgendwem bekannt, in den Litteraturgeschich-
128 MISCELLEK.
ten nicht erwähnt sei es^ daß im Jahre 1750 zu Hamburg eines Wilh. Ad. Paulli
'Versuche in verschiedenen Arten der Dichtkunst^ erschienen. Dieselben sind den
Bürgermeistern der Kayserlichen Frejen Reichsstadt Hamburg^ gewidmet. Die Ge-
dichte dieser Sammlung tragen den Character der absterbenden vorclassischen
Periode, enthalten manches Unschöne, doch ist dem Verf. Selbständigkeit, Ge-
wandtheit und Humor nicht abzusprechen. Der Redner theilt einzelne Gedichte
mit: den 'Frühling*, 'Beweis, daß der Hunger nicht tödte', 'Die zwiefache Re-
gierung', 'Der wohlüberlegte Tod' und 'Die drei Ringe', eine Bearbeitung der
Novelle von den drei Ringen vor Lessing. Der Redner vergleicht damit Boc-
caccio und ein kleines Gedicht von Rückert, das aber in den gewöhnlichen Aus-
gaben nicht stehe, es sei erschienen in dem 'Frauentaschenbuch für das Jahr
1823', S. 354 fip., angefügt an die Parabel vom Mann im Syrerland, unterzeichnet
mit dem Namen Rückert: 'Der Sultan lässt den Mewlana' u. s. w. — Wer war
nun dieser Paulli? Darüber sei bis dahin so gut wie nichts gesagt. In Goedekes
Grundr. sei der Name nur einmal (H, 599) unter Klopstock citiert, auch in Feod.
Wehls 'Hamburgs Litteraturleben im 18. Jahrhundert Leipzig 1856' sei nichts
über ihn zu finden. Eine Notiz und wahrscheinlich die einzige über Paulli stehe
in den 'Hamburgischen Addreß-Comtoir-Nachrichten' von 1772, im 66. Stück,
S. 525 fg. Da stehe unter dem 24. Aug. 1772: 'Hiesige Vorfälle. Todesfälle.
Am 21. dieses des Abends um 8 Uhr verstarb hieselbst an einem bösartigen Fieber
der Großfürstl. Holsteinische Sekretär, Herr Wilhelm Adolph Pauli*), in seinem
53. Jahr,e. Er war zu Braunschweig in der Grafschaft Ranzau in (sie) Holstei-
nischen gebohren, und als ein guter Poet bekannt. Ausser einer Menge einzelner
Gelegenheitsgedichte hat man von ihm verschiedene Jahrgänge einer poetischen
Zeitung, wie auch zwey Wochenschriften, namens der Nachttisch**), an welchen
auch der verstorbene Sekretär Dreyer mitgearbeitet hat, und die Muse an der Nie-
der-Elbe. Er hatte bei einem sehr guten Genie eine ungemein leichte Versification.'
Paulirs Vorgänger sei Adam Gottfr. Uhlich aus Elsterwerda in Sachsen. Er ist
nicht in so merkwürdigem Grade unbekannt wie jener. Goedeke behandelt ihn
a. a. 0. n, 552, Nr. 503. Dort ist jedoch statt Elsterwerda unrichtig Bischofswerda
als Geburtsort angegeben. Der Redner theilt Einzelnes aus Uhlichs Poetischen
Zeitungen' mit und wünscht schließlich, daß sich ein Litterarhistoriker einmal daran
begebe, die gesammten Jahrgänge der Uhlich'schen und der PauUi'schen Wochen-
schrift wieder abdrucken zu lassen als einen schätzenswerthen Beitrag zur Littera-
turgeschichte der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.
Bedauerlich konnte nun wegen der schon abgelaufenen Zeit der von Dr.
Dunger in Aussicht gestellte Vortrag über Volkslieder und Verwandtes im Voigt -
lande' nicht mehr zur Ausführung kommen.
Um 10 Uhr erklärte der Vicepräsident Prof. Möbius die diesjährigen Sitzun-
gen für geschlossen. Als Ort der nächsten Philologenversammlung ist Leipzig be^
stimmt und schlägt Prof. Möbius vor, Prof. Zarncke zum Präsidenten der ger-
manistischen Section zu wählen. Der Antrag wird ohne Weiteres angenommen. Prof.
Bartsch dankt mit allen Anwesenden den Herren Professoren Wein hold und
Möbius für die fruchtbare Leitung der Verhandlungen, für alle Müh waltung und
Aufopferung ihres Präsidiums, sowie Prof. Möbius den Schriftführern.
PARCHIM, 12. October 1869. ALBERT FREYBE.
*) Druckfehler: der Verfasser hat sich nie anders geschrieben als Paulli.
**) Druckfehler für Nachtisch.
DER UMGELAUTETE CONJUNCTIVUS PRAE-
TERITI RÜCKUMLAUTENDER ZEITWÖRTER.
VON
FEDOR BECH.
Zu den characteristischen Eigenheiten mitteldeutscher Schrift-
steller gehört unstreitig die Weise , nach der sie von einer gewissen
Zahl langsilbiger Zeitwörter der ersten schwachen Conjugation ihren
Conjunctivus Praeteriti zu bilden pflegen. Und zwar verdienen hier
vor andern hervorgehoben zu werden die Corgunctive von brennen
kennen nennen rennen setzen stellen enden sehenden senden wenden, insofern
sie die häufigsten und verbreitetsten sind. Während im Althochdeutschen
Indicativus und Conjunctivus in der Vergangenheit noch deutlich durch
die Flexion von einander geschieden waren , also pranta von pranti,
arkanta von arkanti, nanta von nanti, ranta von ranti, sazta von sazti,
stalta von staUi, schanta von schantij santa von santi^ wanta von wanti^
so erscheinen bekanntlich schon im Beginn des Mittelhochdeutschen
die unterscheidenden Flexionsendungen beider Modi in e abgeschwächt,
so daß in lautlicher Beziehung, zumal bei Oberdeutschen, aller Unter-
schied verschwunden scheint. Den Indicativen völlig gleichlautend
finden sich dort die Oonjunctive hrante brande (z. B. bei Gottfried von
Neifen 39, 22 : minnebande, in der Kaiserchronik 2604. 9182. 15740,
diese Zeitschr. III, 420 Z. 4) enbrante (Neidhart 32, 31) verbrante (Hart-
manns 1. Büchlein 1776, Krone 15286) kante (Teichner hrsg. von Ka-
rajan S. 43 Nr. 101, Murner Lut. Narr 14 nach der Ausg. von 1522)
bekante (Nib. von Holtzmann 1257, 2, 1. Büchlein 213, Leutold von
Seven in MSH. I, 306% 4 =-. ed. Rieger und Wackernagel 263, 16,
Krone 11206) *) erkante (1. Büchlein 208, A. Heinrich 1115, Iwein 5695,
*) Jedesfalls ist als Fehler oder Versehen anzusehen^ was in dem oberdeutschen
Tractate eines Mystikers (herausg. von Franz Pfeiffer in Haupts Zeitschrift VIIT, 456)
sich findet: wosre uns aber rehte und bekenten wir] richtiger heißt es auch dort
sswölf Zeilen weiter: wan bekante ich^ waz daz an im selber woerey min herze mökte
d& von brechen \ dieselbe oberdeutsche Form begegnet auch noch auf S. 445 zweimal.
QBRMANIA.. Neue Reihe III. (XV.) Jahrg, 9
130 FEDOR BECH
Kraclius 801, Tristan 220, 27 und 240, 21, j. Titurel 5399, 4, Krone
21053, Rabenschlacht 948, Schreibers Urk. von Freib. I, S. 168 er-
hindin, S. 361 erkanti) nante (Krone 21054, Weinholds Alem. Gramm.
§. 368) rante rande (Gottfr. v. Neifen 39, 19) sazte (Parz. 230, 28, Tristan
317, 16) besetzte (Schreibers Urk. 1, S. 152) statte (Erec 7381) volante
TTristan 185, 12) schaute {Reinmar d. A. 195, 17, Wolfr. Willeh. 91, 26,
Kaiserchron. 14792) geschante geschande (Kaiserchron. 4247, 12703, 13722,
Altd. Wälder III, 215, 14) sante sande (Kaiserchron. 8534, 11445, Mil-
stäter Hs. ed. Diemer 53, 1, Trist. 151, 35, Krone 11215, Strickers
Kleine Ged. ed. Hahn XII, 334, Amis 941) hesande (Milst. Hs. 91, 27,
Trist. 444, 3) wante (Kaiserchron. 13721, 14791, Erec 6666, Parz. 742, 20,
Trist. 187, 5, Krone 11356) erwante (Parz. 105,43 u. 217, 4, Krone 12741).
Einen andern Weg hat seit dem 12. Jahrhundert das mittlere
Deutschland eingeschlagen, indem es, anfangs noch schwankend, bald
aber einer festen Regel folgend, die rückumlautende Form der genann-
ten Praeterita auf den Indicativ beschränkte, für den Conjunctiv aber
der umgelauteten Formen brente kente nente reute sezte stelte ente scheute
sente wente sich bediente. Der Mangel an geeigneten mitteld. Texten
ließ bisher den Umfang dieses Gebrauchs und somit die Regel nicht
erkennen. Die betreffenden Formen waren bis jetzt nur sporadisch
verzeichnet, und Hildebrand hat unter den Lexicographen meines Wi8-_
sens zuerst ihnen seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, vgl.
D. Wb. V, 532 — 534. Wenn daher J. Grimm in seiner Gramm. 1, 952
sagt, im Conj. Praeteriti finde sich nur „ausnahmsweise und selten e
statt des Rtickumlautes a, welcher Umlaut weniger der Conjunctiv-
flexion zuzuschreiben als aus der Contraction fUr kenneten brenneten
zu erklären sei," so reicht dies flir den heutigen Standpunkt der Be-
obachtung , wie sich gleich nachher ergeben wird , nicht mehr aus,
schon darum nicht, weil dort der Unterschied zwischen oberdeutschem
und mitteldeutschem Gebrauch noch keine Berücksichtigung gefunden
hat. Und muß man auch dem Herausgeber des Lebens der heiligen
Elisabet (sieh S. 42 seiner vortrefflichen Einleitung) zugeben , daß
sich in den vorstehenden Fällen das „Gesetz des Rückumlautes ver-
dunkelt hat," so darf man doch das Auge nicht verschließen gegen
das neue Gesetz, das an der Stelle des alten zur Erscheinung gelangt
ist. Auch kann nicht zugegeben werden, weder in Bezug auf die Eli-
sabet noch in Bezug auf andere md. Denkmäler, daß hier weiter
nichts als ein „gesetzloser Wechsel zwischen a und e" vorwalte.
Ebenso muß ich anstehen, die Conjunctivform mit e als eine ^nieder-
deutsche" zu bezeichnen, wie es z. B. im ersten Bande der deutscheni
DER UMGELAUTETE CONJÜNCTIVUS PRAET^RITI etc. 131
Mystiker in der Anmerkung zu 162', 3 geschehen ist. Zwar liegt es
nahe, hier, wo sich Hochdeutsch und Niederdeutsch gewissermaßen
berühren, diese Form dem letzteren zuzuweisen; auch mag die Nähe
des niederdeutschen Spracheletoentes zur Bildung dieses Conjunctives
mitgewirkt haben; allein seitdem z. B. der md. Conjunctiv erkente in
bewussten Gegensatz getreten ist zu dem Indicativ erkante^ hat er eine
wesentlich beschränktere Function erhalten und weckt in dem Spre-
chenden meiner Meinung nach eine ganz andere Empfindung als der
lediglich nd. Conj. erkente ^ welchem nur selten ein erkante , öfter ein
gleichlautender Indicativ erkente in seiner eigentlichen Heimat gegen-
über steht.
Bevor ich mich jedoch in nähere Erörterung hierüber einlasse,
wird es zunächst darauf ankommen, zu zeigen, welchen Gebrauch die
md. Schriftsteller von der genannten Form gemacht haben. Im Fol-
genden habe ich versucht , das Wichtigste zusammenzustellen ; aus
diesen und jenen Urkundensammlungen hätten sich jedesfalls noch mehr
beweisende Stellen entnehmen lassen; es würde dies auch geschehen
sein, wenn sie mir zugänglich gewesen wären. Von den hier aufge-
ftlhrten Quellen sind fast alle genau durchsucht worden mit Ausnahme
des Karl Meinet, des Passionales und des Nicolaus von Jeroschin, von
denen meist nur die im Reime vorkommenden Beispiele herangezogen
wurden. Das Gegebene soll vor der Hand nur dazu dienen, die Regel zu
zeigen da, wo bisher nur ein gesetzloser Wechsel wahrgenommen
wurde, und zu diesem Behufe wird es genügen.
A. Br ente enb rent e vorbrente.
a) Von brennen der Conj. Praet. hrente beim Pfaffen Lamprecht
im Alex. 5857 man gesach in allen enden Alse da vackelen hrenden ; —
Marienlieder herausg. von W. Grimm (Haupts Zeitschr. X) 44, G sage
selue^ wie dm herze h-ende (lende), während 45, 2 und 66, 31 der In-
dicativus Praet. brande und entbrande (: Kipet^lande) lautet ; — Rechts-
buch der Reichsstadt Mtihlhausen herausg. von Friedr. Stephan (Neue
Stoff lief. 1. Heft) S. 54 weiH abir daz di man brente (Nordh. Hs. h^enti)
von Unglücke von umi seibin edir daz un ein andir Tnan brente (Nordh. Hs.
brenti) di umi gram loere, und ebenso S. 55, Z. 3 — 4; — Kaiserchro-
nik 2604 nach der Heidelberger Hs. er varhte daz si in sdn ze
stunden Mengen oder brenten Und in da mite sehenden (nach der ober-
deutschen Vorauer Hs. dagegen: e?' vorhte daz si in sä Mengen
ode branten. Mit michelen scanden) ; — Passional H. 56 , 76 det' genä-
den glüt brante, S6 daz si nickt erwante Si enbrente in gotes willen ;
9*
132 FEDOR BECH
117, 47 hie von in vüwere wart gesant, Uf daz sin humender hrant In
deme herzen hrente, Daz sich gerne wente usw. ; 188, 14 der hiez, daz man
die rittere hrente (ihenente)] 216, 28 dd was Jäcobus rät y Daz man ir
nicht enbrente Und dar an erwente] Pass. K. 201, 45 er wolde^ Daz alle
die werlt hrente An minne und den hekente ; 482, 38 uf daz daz rat sich
ummewente Und mit krefien hrente] 482, 63 ez rizze oder hrente, Swar
ez an gewente ; 468 , 8 der kunic gehot , Daz man die Uchamen schente
Und offenlich sie hrente'^ dagegen im In die. Praet. hrante Pass. H. 199,
86; 228, 45; Pass. K. 127, 25; — Reimchronik von Meister Godefrit
Hagen 968 si enUizen dorp noch schuire, 8i enhrenten 't ; dagegen im
Indicat. hrante 786 ; — Livländische Reimchronik 3871 (nach der Hs.)
in totsten ir gehot , Daz sie die töten hrenten Und von hinnen senten ;
11566 sie liezen da mite gähen, Daz man Sydohre hrente] im In-
dicat. aber hranten 11629 und gehrante 11606 ; — Leysers Deutsche
Predigten (aus der Pergamenths. Nr. 760 auf der Universitätsbibl. zu
Leipzig, 14. Jh.) 102, 11 er sach einen husch humen und düchV in daz
er hrente und 63, 22 vorlure sie der {zehn dragma^s) eine, si enbrente ein
Hecht und ersuchte daz hüs (= Lucas 15, 8 ed. Vulgata) , dagegen der
Ind. 69, 34 dd rouhetin sie und hranten die cristenheit und 64, 20 die
wisheit — die inhrante daz Hecht ; — Rittertreue (Gedicht von einem
Düringer in GAbent. I, 106 — 128) 113, 293 ich hrenf e daz hüs en-
trüwen Und wolde ein anderz hüwen ; — Frauentreue (in den Altd. Blät-
tern I, 241—246; verhochdeutscht im Koloczaer Codex S. 277—288,
Laßbergs Liedersaal I, 117 — 128, GAbent. I, 261 — 276) 83 ir mundil
daz stunt rosenvar , Also rosenhletere weren dar Gestrowet und hrenten
von rote (Kolocz. Hs. hrunvar war rote, Laßb. Hs. 67 hriinnent in roßte) ;
— Heinrich von Freiberg in der Ritterfahrt Johanns von Michelsperg
(v. d. H. Germania II, 93 — 98) 95 als oh -. der degen rente Und
ob in flammen hrente Allez mi gewete] — Nicolaus von Jeroschin 11088
nü dücM iz dt hrud/re nutze stn, daz ein teil daz lant —
hernde durchrentin, Tilgtin unde hrentin) dagegen Indic. 6108 er vinc
rouhte brande (: lande)] — Hermann von Fritslar (D. Myst. von Fr.
Pfeiffer I.) 147, 11 dd schrei der hdse geist — daz in diße mertelere
hrenten] dagegen Indic. 104, 19 dd Gregoriüs gestarp, dd hrante man
vil sinet* bücher] — Ernst von Kirchberg (Joach. de Westphalen,
Monument, tom. IV) S. 706 ouch were ez mugelich virwdr, Daz man in
sm hüs hrente gar ; dagegen Indic. S. 658 hrante : ante ; — Die alten
Gesetze von Nordhausen (Förstemanns Neue Mitth. HI, 4, 73) dt iz
nach eines uf sezte und andiriceide hrente ; — Joh. von Guben , Jahr-
bücher ed. E. Fr. Haupt 43, 1 daz mans icht weder abe hrente] —
DER ÜMGELAUTETE CONJÜNOTIVUS PRAETERITI etc. 133
J. Rothe, Dür. Chronik c. 242 daa her in hülfe vor gote, daz si daz
ffler nicht brente] dagegen hrante als Indie. in c. 351; — Konrad Stolle,
Erfurt. Chronik 56 dd sie gewar worden, das is in orem heimet brente^
und gleich vorher der Indicativ die andere site die hrante gancz und
gar ahe.
h) Rechtsbuch der R. Mühlhausen S. 45 oh man Bmi man diz hette-
strd inprente (Nordhäus. Hs. inprenti), daz he dar üz nicht gige inmochte ; —
Hermann v. Fritslar 246, 10 si bat got, daz her in enprente in der libe,
aber der Indic. dazu 38, 23 her saz in sidendeme oleie und iz enbrante
in nit und vorbrante 206, 20; — Eisenachisches Rechtsbuch (Samm-
lung Deutscher Rechtsquellen von Fr. OrtlofF, I. B., S. 625 fg.) III, 20
enprente eime sin hüs äne sin und sins gesindes schult^ her tüd sin eid
darvor und ist des ledig, und wieder Indic. III, 1 si nämen gutes wi vel
si woMin vnd vorbranten di stad.
c) Herbort von Fritslar, Liet von Troye 13377 ich lo^re ivertj
Daz man mich umrfe in einen hert Und verbrente dar inne] — Pass. H.
355 , .40 si suchten daz gebeine TJf daz si ez verbrenten Und sin ere er-
loenten, und 293, 24 daz man Benevente Die stat gar virbrente, dagegen
Indic. Pass. K. 477, 13 verbrante : wante] — Heinrich von Krolewiz
üz Missen, Vater Unser 2377 do got hete des gegert, Daz er im Isaachen
sente Sinen sun unde den verbrente'^ — Leysers D. Predigten, in den
Altd. Bl. n, 181 uf daz er an »ime Übe vorbrente unsere sunde\ —
Magdeburger Fragen von Fr. Behrend S. 89 ab ein erbe vc^rbrente, ives
der schade ist und wenige Zeilen weiter daz hüs vorbrente d. h. ange-
nommen das Haus verbrennte; — Eisenach. Rechtsb. III, 89 als ab
ez verbrente adir nedir gehouwin loorde , und 110 were nw, daz etwaz
in der kirchin vorbrente] — Weisthümer I (Dreieicher Wildbann von
1338) 499, Z. 8 von unten biz ime sin solen verbrenten von sinen füzen ;
— Das alte Kulmische Recht, herausg. von Leman V, 7 vorbrente adir
abe ginge) — J. Rothes Chronik c. 735 die dd furchten, das sie die
stat vorbrenten,
B. Kente bekent e erkente.
a) Karl Meinet 362, 44 kende : sende \ dagegen der Indic. lautet
kante : schante 13**, 46; vgl. Conj. enkenden : nennen (?) 113, 42; —
Pass. H. 57 , 77 daz si uf titen iren sin Und kenten beide si und in ;
dagegen der Indic. kante : nante 160, 40 : — Alexander und Antiloie
(Altd. Bl. I, 250 — 266) ab he sinen va;ter kente, Wie note M den nente\ —
Der Wiener Meerfahrt von dem Freudeleeren (GAbent. H, 467 — 485)
295 si bäten umbe guoten wint, Daz in den Got gesente : Daz ein bruoder
134 FEDOE BECH
heute Den andern, des enwcene ick nicht '^ — Godefr. Hagens ßeimchron.
3411 men geleiz als men sm neit enkende (: sonder ende)] aber In die.
kante : sante 1538 und bekante 1208; — Nie. v. Jeroschin 10988 swer
da Cristum nente Und mit gekmbin kente; — Weist. VI, 35, Z. 9 (aus
der Nähe von Würzburg) sehe er dann einen^ dene er kente (a. 1409) ; —
J. Rothes Chron. e. 263 die sprachen^ die vnle dus sie kente ,
so tochte is nicht usw. ; dagegen Indic. c. 315 do woo^den sin zwene gewar,
die on kanten^ — Johannes Marienwerder, Das Leben der h. Dorothea
(Scriptores rer. Prussicarum II, 197 fg.) III, 6 hette ich keinen menschin,
der mich kente] — Der Seelen Trost (= Beiträge zur Kenntniss der
Kölnischen Mundart im 15. Jh. von Fr. Pfeiffer) Bl. 113* de hroder
vrdgeden siy of si des neit enkente. Ausführlich hat hierüber zuerst ge-
handelt Hildebrand in dem lesenswerthen Artikel des Deutschen Wb,
V, 533-534.
b) Grimms Marienlieder 17, 34 rechte alse he godes nit enbekente
(: hende) und 92, 2 it prophettrde dat it dtnen sun bekende] da-
gegen Indic. becande 42, 33 und 92, 4 ; — Interlinearversion der Psal-
men im Cod. Trevir. (Deutsche Interlinearvers, der Psalmen, herausg.
von Graff, S. 165 fg.) Ps. 72, 16 ut cognoscerem, daz ich bechente und
Ps. 141, 5 et non erat qui cognosceret me, unde nuit wa^ der da bechente
mich] aber Indic. in Ps. 118, 75 cognovi, bechante ich] — Karl Meinet
259, 28 u. 248, 53 u. 479, 31 bekende : gelende, aber im Indic. erkande :
lande 35, 46 ; — Rechtsbuch der R. Mühlhausen 54 weri abir daz
uz gene man nicht bikente (Nordh. Hs. bikenti)] — Pass. K. 75, 6 Ab-
jathar sprichet^ daz sich dikeiner nente Got unde dran bekente] 201, 46
brente : bekente vgl. Aa ; 438, 32 unz er bekente, Wd die gehugede wente ]
670^ 47 were dm herze also gut, Daz du bekentes dtnen got] — Frei-
berger Stadtrecht (Sammlungen zu den deutschen Land- und Stadt-
rechten herausg. von Friedr. Schott IIL Th.) S. 167 bekenten sis , so
musten si im daz abelegen ; dagegen Indic. bekante 197, Z. 13; — Magde-
burger Fragen S. 37, Dist. 26 bekente der hoveman, het^ wolde sines halses
bestanden sin (zwei Zeilen weiter der Indic. bekanten), Dist. 27 ab sich
ein man — — bekente] S. 30, Dist. 15 loere abir daz der bekente]
und S 76, Dist. 7; S. 83, Dist. 5 ab ein vorspreche beschuldiget worde
und das bekente und S. 198, Dist. 2; S. 85, Dist. 2 queme hermitfirteh
lüten, dl bekenten] S. 166, Dist. 18 des bekente im der schuldiger, d. h.
gesetzt den Fall, daß der Seh. ihm das bekennte; S. 201, Dist. ^ is eii
sei denne, das her das selbir bekente ; — Magdeb.-Breslauer Schöffenrecht
aus der Mitte des 14. Jh. herausg. von Laband I, 28 des seibin auch
ein gesessin rät bekente = angenommen, daß usw. und II, 1, 21 und so
DER UMGELAUTETE CONJUNCTIYUS PKAETERITI ett-. 135
in, 2, 125; III, 2, 13 da vorbaut her sich vor deme rofe, hekenfe sm
hofemaUj her weide usw.; III, 2, 21 noch dmi mole daz her des bekente;
m, 2, 96 geschege abir daz der man im des koußs bekente; da-
neben der Indicat. hekante III, 2, 13 und III, 2, 22 ; — Des Matthias
von Beheim Evangelienbuch (aus dem J. 1343) herausg. von Bechstein :
Lucas 19, 42 wan ob du ouch bekeMis = Vulg. quia si cognovisses et tu ;
Johannes 4, 10 ob du bekentis di gäbe gotis = Vulg. si scires donum
Dei; Joh. 8, 19 und ob ir mich bekentit^ lichte bekentit ir ouch minen
vatir = Vulg. si me sciretis, forsitan et patrem meum sciretis ; — Henne-
bergisches ürkundenbuch III, 101^ 16 bekente (a. 1378) ; — Urkunden-
buch der R. Frankfurt herausg. von Böhmer, S. 766 si bekenten
(a. 1388); — Rechtsbuch nach Distinctionen herausg. von OrtlofF III,
11, 19; — Eisenach. Rechtsb. I, 37 were ez abir , daz sine medeerbin
des selbir bekentin und en wissintlich were; und I, 43; — Gespräch
zwischen Seele und Leichnam (diese Zeitschr. III, 404, 187) wer dich
neit inbekente (: volente), de watende loail du hettes wair ; — J. Rothes
Chron. c. 528 disse preläthin swüren das si bekenten ; —
Weist, in, 508 , Z. 8 von unten darnach fragte her , weme man
bekente und so 511^ Z. 1 von oben; . — Seelentrost Bl. 18^ sent Get^-
mdnus vraigde sn, of si de güthoulden bekenten.
c) Altmitteid. Evangelienharmonie herausg. von Weigand (in
Haupts Zeitschr. VHI, 258 — 274 . = Friedberger Christ und Antichrist
in den Denkmälern von Müllenhoff u. Scherer S. 73 fg.) S. 271, 16
daz deder allaz umbe daz, Daz si irkenden des de baz ; — Pilatus (Deutsche
Ged. herausg. von Maßmann S. 145 fg.) 328 si vmrfen iz here unde dare^
Wenne Pyldtum si versenten, Wd si ein volc irkenten; — Herbort
von Fritslar 13839 Sie begunden fragen^ Ob da ieman wäre Der Achiües
erkente, Daz er si nente und 14307 in dem Oriente, Daz man erkente;
dagegen Indic. 13848 sine tochter ich wol erkande (: lande); — Salo-
monis Hüs*) (Adrians Mittheilungen S. 415 fg.) Bl. 56 ojfe daz du dar
ane irkentes, daz er din ganz frunt were; — Frauentrost von Siegfried
dem Dörfer (herausg. von Franz Pfeiffer in Haupts Zeitschr. VH, 109 fg.
= GAbent. HI, 433 fg.) 72 daz im got noch suhhen rät sente y Daz
er in erkente Und ir genedic w^re\ — Pass. K. 656, 52 si konde nicht
*) Gedichtet von einer Nonne, wie sich ergibt aus Bl. 58 gib mir^ diner armin
cridiürin Und diner ungetrüwin tochter, Daz ich noch dir getrüwe möge wesen und Bl.
87 — 88 ow^ süze herre, Gib mime herzen unde der aile min Rechte minne durch die güde din^
Daz du etat der holde herre mtn Unde ich die arme dochter din; vgl. auch Bl. 42 so seien
wir, die da heizint geistliche lüde , uns dar ane flizen , wie getane vAs wir unser leben
vore sezzen^
136 FEDOR BECH
gebringm, l)az si vruntlich sich nenten Und under in erkenten^ — Meister
Eümzlant in MS. I, 267*' ob wir den nicht rechte irkenten (: Elementen),
vgl. MS. IV, 683^ Anm. 3; — Der ältere Misnere in MS. III, 90' (11)
ich woldey daz den argen Menge ein schelle vor an der nasen, — — dd
man sie M erUente ; dagegen Indic. kanten 95^ (2) ; — Rüdiger von
Munre in seinem Irreganc und Girregar (GAbent. III^ 43 fg.) 1230
mich düchte guot, Daz du dinen tumhen muot An minen rat gewentes Und
ein teil haz erkentes und 671 si hiez ein liecht entzünden (: vrunden),
Daz 81 haz erkente sich] — Frauentumei (GAbenteuer I^ 371 — 382,
Kolocz. Cod. 77—87, AM. Bl. II, 398—399) 214 si muste sich des
sere schämen, Daz ir möge dehßiner pflac Tumeis, nach dem sti
sich nentey Da lH man si erkente*)] — Des Mönches Noth von dem
Zwickauer **) (herausg. von Franz Pfeiffer in Haupts Zeitschr. V,
434 — 448; GAbent. 11, 53—69) 516 M bat dicke dm riehen got, Daz
M ime sin kint gesente Daz iz cristen namen irkente (die oberdeutsche
Überlieferung hat hier sante : erkante) ; — Die alte Mutter (von Volrat?)
GAbent. I, 89-— 100 (vergl. auch die kürzere, aber noch mehr hoch-
deutsch gefkrbte Fassung bei Haupt in dessen Zeitschrift; VI, 497 — 503)
269 ob er iemandes wurde gewar , Den er dd erkente , Dem er rief
unde nente ***) ; — Heidelberger Hs. von Gottfrieds Tristan 3823 die
*) Der Frauen Tumei — wie sich das Gedicht selbst nennt in V. 407 — ist
jedesfalls von einem Düringer; man vgl. die Reime miibegi (Inf.) 11; : ergi 316;
: sti (Inf.) 366; wi : besti (Inf.) 254; zd : sld (=slahen) 236; tu (= oberdeutsch tuon)
: zu 111 und 381; sage (Inf.) : tage 64 und : mAntage 341; gefüge : genüge (Inf.) 378.
Von den oberdeutschen Schreibern sind diese verkürzten Infinitive natürlich verwischt;
auch der letzte Herausgeber hat sie nicht wieder hergestellt; doch hat sie das Frag-
ment in den Altd. Blättern, welches dem Original wohl am nächsten steht.
**) So nennt Wackernagel in der Litteraturgeschichte 8. 219 den Verfasser mit
Rücksicht auf die bessere Überlieferung des Gedichtes in dem von Pfeiffer heraus-
gegebenen Fragment (Haupts Zeitschr. V, 448) , in welchem Zwickowire steht statt
Zwingewer, der Lesart der oberdeutschen Handschriften. Letzteren folgend hat Hilde-
brand im D. Wb. s. v. knocken vermuthet, daß der Dichter aus Zwenkau bei Leipzig
stamme. Von dem ehemals in Czwigkow herrschenden Dialecte geben Zeugniss drei Ur-
kunden aus den Jahren 1333 — 1358, abgedruckt in dem Bericht an die Mitglieder der
deutschen Gesellschaft in Leipzig, herausg. von Espe im J. 1848.
***) In der Fassung bei Haupt steht dafür ob er ieman erkande, Daz erm ruofte
unde in nande. Allein schon die daselbst vorkommenden Reime ^^en : miren : X;lren 187
und 205, sowie habe{n) : schabe weisen auf Mitteldeutschland , noch mehr die in dem
y. d. Hagenschen Abdrucke hiren : m^ren 333 und 391, Mre : were 359, äne wer : w^r'416,
mir : schtr 234, lichtes : nichtes 24:1 , ich lebe : wil ich gebe 90, mochten st (= Infin. sin)
: bt 400; die dafür gesetzten oberdeutschen Formen haben an den genannten Stellen den
Reim zerstört.
DER ÜMGELAÜTETE CONJUNCTIVUS PRAETERITI etc. 137
walkßre hat er dd, Oh si die etat erkenten, Daz ti si 'm rechte nenten\ —
Tristan Heinrichs von Freiberg 4696 diz tet ladt umhe daz Tristan er-
kente dester haz die stat'^ — Leben der h. Elisabet herausg. von Rieger
5603 daz man da ht erkente, W% man si cristen nente und 7183 tci arm
si ummer wdreny Wz her si sie erkenten^ Daz ^ sie frouwe nenten*^ da-
neben Indic. erkande , vgl. davon die Beispiele im Glossar 372 ; —
Hermann v. Fritslar 131, 31 irkente iz der enget, sd irkente iz ouch der
tüvel und 162, 3 her — nam hdse kleiderchme ane daz in ntmant erkente]
dagegen heißt es 162, 14 hdse kleider — ^ — dt haten in vorstalt, daz
si sin nicht irkanten, aher. her irkante äi vil wol] — Freiberger Stadtr.
S. 294, 7a. W derkenten sy denne, das man sein nicht durfte J s$ magk
usw. ; — Eisenach. Rechtsb. H, 32 hette dei' gehrechen an sinen fünf
sinnen, daz der räd und daz gerichte irkente (= Rechtsb. nach Distinc-
tionen I, 49, 70), und 34 irkenten] — Henneberg. Urkundenb. HI,
72, 20 (a. 1371) wie die vir derkenten, als6 solten wir im der gut gunnen
und ähnlich Z. 23 ; — Alte Gesetze der Stadt Nordhausen (Neue Mit-
theilungen in, 4) 58, Z. 11 wolde der weder horger werden und erkente
der rdt^ daz her usw. — , der solde usw. ; — Heidelberger u. Koloczaer
Hs. des Armen Heinrich von Hartmann 1105 also wart sie teure heswom
Daz « sich erkente stSte; auf Mitteldeutschland weist auch der Ausdruck
w^t, den diese Hs. 1453 statt Mrät hat; — Salomon und Morolf (in
V. d. Hagens D. Ged. des Mittelalters I) 1 , 3689 und ist ez, daz si in
erkente, Sd was ez Morolf der hilgerin ; — Würzburger u. Wolfenbütteler
Hs. haben erkente statt des oberdeutschen Conj. erkante im Vridank
106, 14; — Der Väter Buch (Biblioth. des litterar. Vereins in Stuttg.
LXXH) §. 170 erkentes du die, du sizest darinne usw. ; ~ Job. Ma-
rienwerder L 1. in, 25 das sy irlaucht worde und irkente und 32 Do-
rqthSa wart gefrdget, wdhey sy erkente, das sy wSr entezockt und H, 22
das dy, dy sich irkentin, czu herczin nemin und sich hessirtin\
sonst flir den Indic. immer irkante'^ — J. Rothes Ritterspiegel 3380
si woldin heschermin di gotes hu£S, w6 si irkentin solchin ge-
hrechin] J. Rothes Rechtsbüch (= Rechtsbuch des Johannes Purgoldt ed.
Ortloff) 1^ Q uf das her gesege und erkente] J. Rothes Chron. c. 206 her
had, das sie den (schätz) gihen den armen, wd sie irkenten das is
ndt w$re] J. Rothes Elisabet 118' (Gothaer Hs.) ditz rieth auch der
hisschof — > daz sie sich lißen das ßrome lüthe leren, Was die fort
in orem hesten erkenten, Das sie das guttlich volenten und 130' da hegunde
sie gote umhe jlehin , Das her sine harmherczikeit ohir sie werde, Wanne
her yre gehrecMickeit erkente ; — Weisthum zu Massenheim (Grimms
Weist. I, 570) er frägete wen sy hiUen, erkenten und hetten vor
138 FEDOR BECH
iren rechten kern (a. 1424) ; — K. Stolles Chron. Bl. 120'' so meinte
der grdfe, sy erkenten nicht unrecht und BL 230'.
C Nente, henente.
a) Herbort v. Fritslar 13840 erkente : nente vgl. Bc; — Heinrich
und Kunigunde von Ebemand 4548 dorße ich iz tun ichein wis, Daz
ich sie nente paradis'^ — Pass. K. 75 nente : bekente und 656, 51 nenten :
bekenten^ vgl. Bb; dagegen im Indic. 18, 15 nande : lande] — Heinrich
von Krolewiz 829 got gebot uns also, Daz tvir ^nen namen — — nicht
unnutzelichen nenten Und uns ouch dar an wenten] — Heidelb.Hs. von Gott-
frieds Tristan 3824 erkenten : nenten, vgl. Bc; — Karl Meinet 479, 31 nente
: bekente, sonst Indic. nande : erkande 230, 18 ; — Meister God. Hagen 5672
node nente ich sy dl saraen, Ir vrunt solden sichs nämails schämen'^ — Die
alte Mutter (GAbent. I, 96) 270 erkente : nente, vgl. Bc; — Frauentumei
(ebenda I, 377) 213 nente: erkente, vgl. Bc; — Alex. u. Antiloie (Altd.
BL I, 251) 12 kente: nente, vgl. Ba; — Elisabet herausg. v. Rieger 5604
erkente : nente und 7184 erkenten : nenten, vgL Bc; — Nie. v. Jeroschin
10987 nente : kente, vgl. Ba ; dagegen Indic. 10697 bi eines wazzirs strande]
Daz man Durbin nande] — J. ßothes Chron. c. 373 wer stnen namen nente,
der sulde allewege stnen munt dorndch waschen und c. 407 da>s her
sich nicht mSr römischer konigk schrebe noch nente ; aber nante als Indic,
z. B. c. 374, Z. 6; — Konr. Stolles Chron. Bl. 227* die von Florenz
hatten laßen gebieten, wer den namen der Pacz nennete, der solde usw.
b) Pass. H. 24, 80 dl kuninge begunden räm£n, Daz sich ir
wech volente Unde man in den benente] 188, 15 brente : benente, vgl.Aa;
Pass. K. 411, 37 got unsete, daz sin sele were kumen da hin, daz man in
heilic hie benende (: complende)] — Nie. v. Jeroschin 11939 Mvon st des
in eine wurden, daz man sande botin kegn Liflande, Di den meistir vletin,
Daz er üf dt von Betin In hülfe benente Und in ouch dt sente und so
noch benente : sente 523, vgl. la; dagegen der Indic. 9705 zu Revil er
benande Ein stat in Liflande] — Magdeb.-BresL Schöflfenrecht IH, 2,
125 dorndch vmrde her begriffin und bekente (d. h. angenommen er würde
ergriffen usw.), das hei" dy goldyne unde gelt gestolin hette und benente
ouch dt leute und so c. 133 ; — Weisthum zu Ulmbach in der Wetterau
(Grimms Weist. HI) 397, Z. 4 von unten : unser herre bai ouch, daz ime
die gerichtes menner sageten und benenten, waz doife in dem gerichte ISgen
(a. 1415).
D. Rente berente dur ehr ente entrente.
a) Livländische Reimchron. S. 321, Z. 3 zupf erden man ouch hdde
hiez Daz sie die Ersten renten an ; dagegen Indic. rante : genante 3095,
DER UMGELAUTETE CONJUNCTIVÜS PRAETERITI etc. 139
ranten 8059; — Heinr. v. Freiberg in der Ritterfahrt ,Joh. v. M. 95
reffde : brente, vgl. Aa; — Konr. StoUes Chron. ITö*' item es ward gesagit,
das die Kölner renten.
b) Herbort v. Fritslar 17775 Alceonem dd Ulixes hat, daz er
sinerritter ein teilaerde, Daz er jene herente In dei* herherge*^ dagegen Indic.
beranterij z. B. Pass. K. 436, 16.
c) Nie. V. Jeroschin 11087 daz st dwrchrentin : hrentiny vgl. Aa;
aber Indic. 18360 dl hure — «^ durchrantin, V(yrhertin und vorhrantin,
d) Ernst v. Kirchberg 725 dö sante der Herzoge vor Guntzetiney
Daz her yo widerwente, Daz ymant (= ne quis) yn entrente Uz der hurge
czingeln'j dagegen im Indic. rante : inhrante S. 817, irranten S. 731, vir-
rante S. 812.
E. Setzte (seste sette) hesetzte entsetzte gesetzte
vorsetzte.
a) Vom Glauben, Gedicht des Armen Hartmann (Maßmanns
Deutsche Ged. des 12. Jh.) 2838 dt (= wenn jemand) dan dt (= dir)
sezte vore Eine aUus getane hure — Oh got daz wolde Daz iz also wesen solde
— daz du ein hdse wurm weris : — vil gerne du di ivwim weris ; — Gries-
habers Deutsche Sprachdenkmale (in seinem: Vaterländisches aus den
Gebieten der Literatur usw.) S. 286 Cledpatrd — diu trdst' in dai^üy daz
er sich vaste setzte wider deme heisere *) ; — Heinr. von Krolewiz 1215
et' nam des vil gute war, Daz er ein gesteine setzte dar'^ 1271 ein man vil
lichte werten wil, daz die steine auch in sine want vil manich herre
setzte wol\ 3027 daz sie sich ime sezten wider '^ — Der Jungherr und
sein Knecht Jleinrich (GAbent. III, 197—255) 1899 der künig des he-
gerte Das man iglich setzf nach sinem werde **) ; dagegen im Indic. sazte
546; — Wemher von Elmendorf (Haupts Zeitschr. IV, 284—317) 920
Juvenalis spricht : des hettis tu grozir ere^ Daz ein undiege din vater were,
Den du einen guten vaJter hettis Und dine dinc also hoslich settis (Hs. zetzis)
und 1167 der sinen müt ho sette (Hs. setzte), Oh er iz an deme gute "und
*) Einige Sätze zuvor heißt es dort: Antoniits — gerit mit den vuraten-, di inme
lande wären, daz si sich algemeinliche saziin wider deme keiaere; hier entsteht Zweifel,
oh aaztin als Conj. oder als Indic. gedacht ist.
**) Diese Novelle ist, nach V. 826—28 zu schließen, von einer Frau gedichtet, und
zwar in mittelniederrheinischem Dialecte, wie sich aus folgenden Formen ergibt : die Con-
junctive t?cr*ec/t/ {iknecht) 914, 1025, aechten (-.knechten) 2061, mechte (= faceret) 570»
1308, 1903 (wo V. d. Hagen gegen die Hs. machte gesetzt hat) , daneben die Indicative
aachie (so zu lesen für sagte) 1911, 1209, machte 2179, lachte (=» posuit) 549, 2154, 77
wo wieder gegen die Hs. legte gedruckt ist).
140 FEDOR BECH
an der gewaU jstete hette; aber im Indic. satzte 256; — Görlitzer Land-
recht herausg. von Homeyer (des Sachsenspiegels zweiter Theil, 11. B.)
S. 182* si sagen ahir, daz die vorstin bi keiser Fridenchis zitin under in
seztin, oh usw., im Indic. dagegen saztin S. 181* und S. 181^* ; — Cölner
Eidbücher (Fahnes Forschungen, II, 2) S. 78 sij annämen uns des, up
dat wir sij zu vredin settin und S. 80 up dat wir in setten ind hesechteu] —
Hermann von Fritslar 171, 20. 21 ein meister sprichit : satzte (?) got
alle kriatüren in einen geist, di fulleten in also wSninc, also her ein swalwen
nest setzte an den himel, wo das erste satzte gegen die Gewohnheit des
Dialectes und wahrscheinlich fllr setzte verschrieben oder verdruckt ist:
als Indic. satzete und saizite 103, 9 und 13 und sa^te 91, 10; — Nie.
V. Jeroschin 8397 er gab in sulche lere daz si: vor sich setztin Ir
Schilde und dt letztin Der cristnen pfert ; aber im Indic. satzte: platzte 16313
und satin 10255 ; — Hoppes Fragm. einer mitteld. Evangelienüber-
setzung (Haupts Zeitschr. IX) 299 si truogen in in Jerusalem^ daz si in
setzten dem herren = Luc. II , 22 , ed. Vulg. et tulerunt iUum in Jer.,
ut sisterent eum domino; dagegen im Indic. 284 tmd sazten pobere siin
houbet sine sacke geschreben = Matthaeus 27, 37 ed. Vulg. et imposue-
runt super caput ejus causam ipsius scriptam; — Henneberg. Urkundenb.
n, 12, 37 wer ahr, daz wir eine bete setzten (a. 1334) und ebenso III,
42, 22 (a. 1362) und 126, 23 wer ab ymand der unsem sich dowider
seczte und deme nicht loolde volgin (a. 1383) und 127, 14 wer abir der
were, d-er sich dawider setzte (a. 1383) ; sonst im Indic. sojzte, sauste z. B.
8, 30; — Magdeburger Fragen I, 2, Distinct. 6 des mannes wtp worde
(= gesetzt sie wurde) zu röte, daz sy der andern frouwen seczte ire kleider
zcu pfände und Distinct. 8 ab der miter einen andern seczte an syne stat^
der dy do hilde und II, 2, Dist. 9* und Dist. 14; dagegen Indic. saczte
z. B. I, 6, Dist. 1 ; — Kulm. Recht IV, 46 ouch geschege is, das
her ir ein genant gelt gelobete adir setzete yr borgen dovor ; im Indic.
satzte V, 49, §. 4 ; — Ernst v. Kirchberg S. 735 sy wachten daz sldfinde
her, Daz sy sich setzten zu irer wer und S. 794 sy hetten liebir dy vesten
nyder geleity wan daz sy wider den konig sich Besten also frevellich und
803 si sesten daruf iren rät; dawider im Indic. her sdste S. 740 und
759 und besaste : vaste 681 ; — Böhmers Urkundenb. von Frankfurt
S. 637 w^ es auch, daz yman einen dar seczete (a. 1355) und S. 669
es wSre wale ein güd zyt, — — das wir sie des sichir mechten und sesten
in dar für gysele (a. 1355 — 59) ; im Indic. dagegen alse he saste
S. 666 ; — Weseler Urkunde a. 1380 in den deutschen Reichstagsacten
von Weizsäcker I, 266, 48 wer der were^ der sich darivider seczte; —
Förstemanns Neue Mittheilungen HI, 4, 73 dt iz (= daz gebrante geU)
DER UMGELAUTETE C0NJÜNCTIVU8 PBAETEBIW etc. iÜ
nach eines (= noch einmal) uf sezte und andirweide hrente, da ginge abir
me ane ahe (a. 1360) und S. 167 were ouch, daz di icht sezten edir
noch seczen worden'^ — Eisenach. ßechtsb. lH, 106 (S. 742) worde ein wer-
der, aUd daz sich loaz sctisammene setzte mittene in dem wass€r\ der Indiö.
saczte dagegen 106 (S. 741); — Weisthum aus der Umgegend von Würz-
burg (Grimms Weist. VI, 89) wer ez dan, daz sich der hübner ein teil
dawider sezten (a. 1400) ; — Diocletianus von H. v. Bühel 7207 setzt' :
ergetzt ; sonst Indic. sat' : stat 4096 ; — Märchen u. Sagen in den Altd.
Bl. I, 131 (252') he gehcmt, wen sy sich zcu tische setczten, sd solden
sy usw.; aber Indic. sy satczte S. 144 (270^); — Joh. Marienwerder
in, 40 (S. 326) uff das ir b, diste rischlicher ire büsse setczte und sy
eTäpönde] — J. Bothes Chron. c. 144 her bat sie, das sie om büsse umb
die sunde setzten und c. 175 es troymte eirifie Rdmer, wie das man svnen
son uff s. Peters aliir setzte und c. 327 das her — abe setzte unde —
g^be und c. 736 das her sie in den rät setzte ; im Indic. wieder satzte
z. B. c. 140 und 736 ; — Seelentrost Bl. 209*^ he — bichte und
sachi% dat he eme dar vur boesse in setze (d. h. setzte) ; — Konr. StoUes
Chron. Bl. 118 der aide herre schickte keyn Erfort sine rechtickeit
zu vorczdne , in welcher macht he sich wedder synen brüder setczte, und
BL 264 das dy von Erffort also küne wSren, das sye dy wmmoß anders
setczten wan es vor getoest ist.
b) Spruch über Rückers in Hessen (Grimms Weist. III, 389, Z. 6)
toere, daz davon büze geviele oder daz sie die — besetzten oder entsetzten
(a. 1355); — J. Rothes Chron. c. 567 domoch nam her rätj vne her das
sloss Nuwinburgk besetzte y dagegen im Indic. sie besatzten c. 568.
c) Karl Meinet 507, 46 hey eme sagede, wat eme der ungetrüioe
WeUis geda£n hedde, Dat hey eme syn leynman entsette^ vgl. Eb.
d) Lamprechts Alexander 437 er sprah, «ö kunincriches nit
ne hete, Daz er sinen vinger uf gesetzte (oder gesette?); Indic. sazte 462; —
Riegers Elisab. 7634 man unde ander knechte da zu et*welet wären,
Daz si der armen lüde schar Gesezten ordenUche dar; — Henneberg. Urkun-
denbuch I, 68, 22 sd sulde der andere mit eime pferde leisten älsS
lange, biz her enin andern buergen gesetzte (a. 1317) : — Böhmers Ur-
kundenb. von Frankf. 522 wvrs also, daz icir des nicht inteden, s6 soldin
die andern leisten alsd lange, biz daz wir einen als6 guten bür-
gen an der virfam stat gesesten (a. 1333) ; — Nie. von Jeroschin
20054 dem i Vi was der vUz, tm er hd dt cristinheit gesetzte Und däbi
geletzte dt heidinschaß ; dagegen Indic. gesatzte : beschatzte 10366 ; —
J. Rothes Chron. c. 350 Lodewigk nam des rät, wie her sme kint
üfs gesetzte^
142 FEDOR BECH
e) Salfeldische Statuten (bei Walch^ Vermischte Beyträge zu dem
D. Recht I, 13 — 66) c. 193 hette ein man Wigüt und vorsetzte zcins
an deme Imgüte, und weiterhin ebenda vorseczte h^ ahir zcins an dem ei^he-
güte, daz solden usw. ; — Henneberg. Urk. III, 54, 17 und were das, dxis
unser einer icJd versetzt', s3 soW un^er izlicher usw. (a. 1365) ; — Weisthum
zu Arheiligen (Grimms Weist I, 487) c. 4 wer die strafie und wege
vergrübe, verschlüge oder versetzte, der soUe usw. (a. 1423).
F. Stelte hestelte g est elte verstelte,
a) Livländische Reimchron. 7871 dise herren manten alge-
tiche do Ir volc, daz sickz stelte so Ez solds striten; Indic. staW 7747; —
Karl Meinet 471, 52 stelde : velde, 507, 2 stelten : gekeilten, sonst im In-
dic. stalten: quaUen 238, 69 ; — ^ Hermann von Fritslar 108, 23 do hat si
unsen herren, daz her in dd zu stelte daz hei* hUhen muste] dagegen im
Indic. sie stalten sich 49, 35 und 213, 23; — Magdeburger Fragen
m, 2, Dist. 1 derselbe spreche unde clagete, ^ denne der cleger syne clage
stellte'^ — Böhmers ürkundenb. v. Frankf. hS begerete van mir, daz ich
yme stelte usw. (a. 1388) ; — Nie. von Jeroschin 23007 sv^ er di hure ge-
winnet vant Vil wol mit vrechin heldin, Dl sich zu wer ouch steldin Wol
menlich in den vristen*)] — J. Rothes Chron. c. 188 her hat on, das
her werete den SarrOjC^nen, das sie so getane ungndde nicht zu Hispa-
nien stelten und c. 601 ; dagegen der Indic. c. 133* dd sie zu lande gwo-
men unde sich dd zu hlthen stalten und 133^ und 197 dd zdch der konig
vor SpoUt unde vorhrante unde zuhrach die kirchen unde
stalte grdfie unßlr\ — Weisthum zu Trebur (Grimms Weist. I, 496)
stellte der ßscher einer sein nachen nicht, der sei mit acht halben Schilling
menzschin verfallen (a. 1425) und Seligenstädter Sendweisthum (ebenda
506) welcher under yne üz hlibe und sine dienst nicht dar stellte, — der
iglicher w^re schuldig usw.; — Konr. StoUes Chron. 263^ der rät zu
Erff<yrt vorklagete dy monche keyn oren obersten, das sy das abe stelten,
b) Karl Meinet 535 , 22 hestelte : weite, vgl. unter Fa ; — Eber-
nand 2948 der hdhesV dd te rate saz. Wie er sd hestelte daz Alse ez gote
gezSme (so nach der Hs., während in dem Texte der Ausgabe bestalte
dafiir gesetzt ist) ; — Herm. v. Fritslar 250, 9 sd bat di vrowe iren wirt,
daz her si sente nach irme sune, daz ei irtie hestelte daz si vnste beide wi iz
*) Di sich zu ioer ouch steldin^ d. h. die sick auch zur Wehr gesetzt haben würden
oder für den Fall setzen würden; nach Petrus de Dusburg 293: misit preelectos viros
et in armis expeditos plurimos [vool menlich^ d. i. oberdeutsch manndgilih ^ männiglicTi]
ad defensionem. «
DER UMGELAUTETE CONJUNCTIVUS PRAETERITI etc. 143
ime ginge; — Urkunde des Königs Wenzel a. 1379 (Deutsche Reichstags-
acten von Weizsäcker I) 250, 35 wer is sacke, das yemand dheinen
zoU hesteUe oder ujfheme; — J. Rothes Chron. c. 311 dit wart ent-
boten dem konige also : hesteUe her nicht besser were keigen den cristen, her
verlöre Anthiochia und 313 do riet herzöge Gotfridt > das sie ir spitzen
unde ir hanyr hestelten so sie beste mochten und 285 her hat on durch goty
das her hesteUe; dagegen im Indic. bestalte c. 131 und 583.
c) Magdeburger Fragen III, 9, Dist. 2 des so gestelte (= gesetzt
nun, es stellte) der horggreve den gefangen man vor gehegit ding unde
spreche,
d) Nie. von Jeroschin 19226 zu jungist vundin si den rät, Daz man
mit wtblichir lodt Einen man hewunde Und vorstelte im den lih ; aber Indic.
vorstaüin : vorwaltin 25083.
Gr. Ente verente volente,
a) Herbort v. Fritslar 9975 von dem (Ajax) was man ungewon,
Daz er alsd lange zit Dannen hebte gebtt, Daz er ente deheine tat; —
Philipps Marienleben 7686 woW mir komen nü der tot, Daz er endet
{ende = ente?) mir min leben; — Ernst von Kirchberg S. 632 vil bilch
ir dy (fursten) besented, Waz ir dan mit mir ented Unde mir zu brechtid,
daz müste ich Ltden von üch endelich ; dagegen lautet der Indic. S. 640
des morgens do dy nacht sich ante (: besante) und 658 brante : ante und 778
: mante.
b) Pass. K. 129, 76 er viel druf, daz er selbe schribe (: blibe) einen
brief und den briefso hinsente, Da Tnan ez gar verente; aber im Indic.
immer ante, z. B. Pass. H. 24, 3 und 86, 18 : bekante.
c) Pass. H. 24, 80 volente : benente^ vgl. Cb, und Pass. K. 646, 80
Bamahas — sprach dd zu demente: Die rede ich (im Text steht ist fiir ich)
wol volente Und sagete dmer willekur Die meinunge drüz hervur, W^e mir
dran nicht gestalt usw.; 68, 88 wie Petrus unde Paulus Qewiset heben in
alsusy Daz er nach im sente Und mit im gar volente; im Indic. dafür volante
223, 32 und 361, 13 und 572, 5; — Florentiner Pghs. von Gottfrieds
Tristan ed. Maßmann 185, 12 sus wurden si zwen enein ,
vrie er volente sine vart; — Gespräch zwischen Seele und Leichnam
(diese Zeitschr. III, 404) 186 volente : bekente, vgl. Bb ; — J. Rothes Eli-
sabet BL 118* ditz riet ouch der bischofvon Bamberg^ daz sie sich
lißen dasfrome lüde Uren, Was die fort in orem besten erkenten^ Das sie das
gütlich volenten; dagegen Indic. ante in J. Rothes Ritterspiegel 646, 2491.
Chronik c. ,363 und 366,
144 FEDOR BECH
H. Schente ges chente*
a) Heidelb. Pghs. der Kaiserchronik 13721 si inpu/ten dem hunige
Daz er die hervart wente, Sm gesiechte dd nine schente ; und 2604 brervten
: scheuten, vgl. Aa; — PasB. H. 354, 70 des keisers rät was druf gewanf,
Daz er in vollen schente Und verre hin ve^^sente] Pass. K. 120, 33 da liez
sin zom da nach in streben, Daz man sie beide schente Und von dem lebene
wente ; 468, 7 schente : brente vgl. Aa ; 660, 44 got half ouch hie ClSmenten,
Uf daz in nicht enschenten Des bösen herren knechte ; — Ernst von Kirch-
berg S. 677 nü quam des greven bodeschaft, Daz her syne kraft besente, Sd
daz her Swenne schente'^ dagegen Indic. besante : schante S. 712 und : vir-
brante S. 715; — Straßburger Pghs. der Kaiserchronik 9868 si begonde
werben, wie si schente die kristen.
b) Herzog Ernst herausg. von Bartsch (Bruchst. des niederrhei-
nischen Gedichtes aus dem 12. Jh.) S. 3, 35 dd dägter toat he rette, Dd
mide hers ime intwente, Dat her in so gescente ; — Pass. K. 656, 55 Simon
was mit vUze ie daran, Wie er Petrum gescheute Unde ez also wente, Daz usw. ;
aber Indic. schante, z. B. 389, 60 : gebraute und Pass. H. 296, 89 : be-
kante ; — Straßburger und Heidelb. Pghs. der Kaiserchron. 12703 ^ ich
mich so gescheute (schente), Gemer dole ich diz gebende.
I. 8 ente b e s ente g es ente versente^
a) Graf Rudolf [22], 9 dd bat die vrowe gute unseu herren got,
Daz her sie gewetzte, Daz her ir den wider seute (: ein ende) ; dagegen der
Indic. saute [18], 6; — Herbort von Fritslar 17774 sente : bereute vgl. Db ;
dagegen Indic. sante, z. B. 17833; — Pass. H. 84, 5 und Pass. K.
68, 87 sente : volente vgl. Gc; 129, 75 hinseute : verente vgl. Gb; 337, 57
Martha sprach, daz man sente Nach alle dem convente] aber im Indic.
stets sante, z. ß. Pass. H. 374, 60 : erwante und : lande 385, 53; —
Heinrich v. Kjolewiz 2376 sente : verbrente vgl. Ac ; — Godefiit Hagen
72 dus qudmeu ire boden , Dat men seute geleirde h^en, Dat
sy des Volkes moichteu beMreu, Dat eusolde usw. ; — Heidelb. (u. Straßb.)
Pghs. der Kaiserchron. 802 der böte bat, daz si daz bilide sente {sende) ;
1 1445 sie rieten im daz er sie nceme unde sente sie ubir sewe ; auch 8534
scheint sie erkcente : sceute zu haben; — Karl Meinet 362, 44 kende :
sende, sonst Indic. sande : lande 46, 26; 130, 22; — Frauentrost von
Siegfried dem Dörfer 71 seute : erkente , vgl. Bc ; — Hermann der
Damen in MSH. HI, 167' (IV, 11) genügen Hüten loundert des, Durch
waz got nicht ensende Ein ändeftm vur sich an daz zil^ Da er den tot en-
phie (: behende); — Livländische Reiiwchron. 10800 defi^ brüder botschaft
DER UMGELAUTETE C0NJUNCTIVU8 PRAETERTTI etc. 145
wcuf also: Die von Ntßant wceren vro, Daz man einen meister dar Und
hruoder sente, vgl. heaerde unter Ib; 3872 hrerden : aevdeny vgl. Aa; —
Riegers Elisabet 1138 si jähen unde fanden rät, Daz man dair an ge-
nente, Daz man si wider sente und 2522 vn daz mir nit gebr^he Stunde
unde ouch der unU, Ich sente verre m/dey Daz man dir cleider brechte ;
dagegen Indic. aante ifoUante 10427 ; — Nie. v. Jer. 1194Q benente : eente,
vgl. Cb ; 8065 des schrehin si an got, daz er in hülfe sente Und
iren kummir wente ; 524 da von wart al der herrin rät dar üf gesät, Daz
herzöge Friderich benente Boten^ die er sente Dem kunge\ — Ley-
sers Predigten aus dem 14. Jh. 80, 6 sente Johannes bat un^ßtn
herrin den almechtigen got einer genddeny daz er die dn sMen wider sente
zu irms Uchname] 87, 23 daz endar ich vor wäre nicht sprechen ^ daz
stz dar sente \ dawider im Indic. sante 86, 30; 94, 7; — Hermann von
Fritslar 250, 7 und got gap ir den sin, daz si rit irme manne, daz si
iren sun senten zu verrer schule und 8 sd b(xt di vrowe iren wirt, daz
her si sente nach irme sune\ — Bruder Philipps Marienleben 6464
Jesus sine junger hiz j Daz n wem an ir gebete, Daz der tievel
nicht enhete wec zu in, daz er si mute und kranken müt in ans sende
(: ende) ; im Indic. aber 5981 santen : manten , 8930 sanden : landen^
8745 sande*^ — Salomon und Morolf (in v. d. Hagens Deutschen Ged.
des Mittelalters I) I, 1622 si bot dem heiden yren gedang, Daz er an
syne güde genente Und ir baden dar sente, und gleich darauf der Indic.
er sante ir czwene spilman ; ebenda S. 24, V. 2263 g^e er mir schöne ant-
wort. Ich sentf yns wider über s^; — Ernst v. Kirchberg S. 620 ez wSre
grdze zid, daz got dem fursten vor uns syne ra^ihe sente Und uns dyt lyden
wente\ S. 626 ob uns daz glück w^e bescherd, daz god uns — ynumden
zu sente. Der uns noch vnderwente] S. 649 her bad gody daz her yn sente
an eine stad; 781 irm sone ried si sirCy daz her sente si iren
brOdem vnder'^ der Indic. dagegen sante^ z. B. S. 748 lande (Leid), 797
: kante; — Henneberg. Urkundenb. IH, 132, 24 w^ auch^ daz sie iht
boten zu uns senten oder teten usw. (a. 1384); — Margareten
Passie (in 0. Schades Geistlichen Gedichten vom Niederrhein S. 85)
72 want sie beval sich Ji&Ä Christo, Dat he ir an iren ende Sinen
heiigen engel sende; — Magdeb. Fragen I, 7, Dist. 19 ein man sente
synen son kSn Flandir mit czen stu^cken wachs = angenommen ein Mann
schickte usw., und in gleichem Sinne HI, 6, Dist. 2; im Indic. santen
in, 5, Dist. 1 ; — Märchen und Sagen (Altd. Blätter I) 301 , Z. 2 e«
were umbiUich, das du mich mynem vatere wedder sentest; — Görlitzer
Statuten 385, 40 item welch man ader weib weide sich rechfer-
tigen, das er em den botten zcuvorüss sente; — J. Rothes Chron. c. 99
GBaiIA.NIA.. Neu« Reihe 111. (XV.) Jahrg. 10
146 FEDOR BECK
der schreib om wedir^ An volk das serUe her om*^ c. 106 etzliche,
herren — — Seiten om die mer, daz Darius äbir sampnete unde sente
keigen Indien*^ c. 116 dd schreib her ir einen brief , her sente ir einen
gülden tempel; 'c. 146 sente PSter und sente Paul hißen on, das her sente
ndch dem bäbiste; c. 549 sz bäthin on, das her — sente y c. 660 her
schreib — sime swagir, das her om Ane frowen wedir sente '^ — Chronik
des Joh. von der Posilge S. 162 der koning von Polan sante sine botin
an den hßmeister^ begemde das her sente sine boten kegin der Wille; —
Seelentrost ÖO** Judas begont — zo vraigen, wS lank dat des were^
da^ A dat kint in dat mer sente,
V) Livländische Reimchr. 5876 den rät sie gäben ime sdn, Daz er
eine hervart Besende rasch und ungespart; — Karl Meinet 231, 28, be-
sendeipende, vgl. unter la; — Rheingauer Landweisthum (Grimms Weist.
4, 573) Z. 19 welcher herr dan kSm^ und besende in (a. 1324) ; — Ernst
V, Kirchberg S. 632 besented : ented, vgl. Ga; S. 677 besente : schenJte,
vgl Ha; aber besante imindic. z.B. S. 640 : ante^ 643 u. 712 : schante; —
Die alten Gesetze von Nordhausen (Förstemanns Neue Mitth.) III, 4, 42
v)$re ouch daz der — — aheginge, sd sullen dz y d/i on gekom heäen,
wanne si der rät besente, einen andern — kiesen.
c) Kuninc Ruother 3862 owi gesentin unse trechtin, h^ worde
etMcheme Daz in sivin nachtin Virsmerze nine mochte; — Godefrit Hagen
3935 hie veiU zS gode syne hende, Dat hie in myt Sren heim gesende;
im Indic. dagegen sante : kante 1539; — Wiener Meerfahrt 294 gesente
: kente^ vgl. Ba; — Des Mönches Noth von dem Zwickauer 515 gesente
: irkente, vgl. Bc ; — Friedr. Ködiz von Salfeld (Das Leben des h. Lu-
dewig) S. 14, 5 dar umhe was si besorgit, wi si ire tochtir her zu
lande gesente; 7a, 9 dagegen der Indic. si sante,
d) Pilatus 328 versenten : irkenten, vgl. Bc ; — Pass. H. 354, 71
schente : versende ^ vgl. Ha; 359, 16 Juliänus die list dd vant, Daz man
in hin zur wüste versente.
K. Wente entw ente erwente gewente ummewente
widerwente.
a) Heidclb. Pghs. der Kaiserchron. 13722 wente : schente, vgl. Ha^ —
Pass. H. 117, 48 brente : wente, vgl. Aa; Pass. K 9, 71 er bat — daz
A — got solden biten, — daz er ir wale unde ir spur Wente uf einen
guten mxin; 120, 34 schente : wente, vgl. Ha; 126, 22 unz an daz firma-
mente, Ouch sach er vne sie sich wente; 438, 33 bekente : wente, vgl. Bb ;
656, 56 geschente : wente, vgl. Hb ; 661, 36 rufet mir ot dementen . Sus
bat er, daz A senten Nach dem bischove ; 666, 24 dd der gelas die schonen
DER UMGELAUTETE CONJUNCTIVUS PßAETEEITI etc. 147.
Stift An dem guten demente, Wie sich des leben ie werde Zu gote; dagegen
im Indic, wante z. B. 477, 24 zver braute, 572, 5 wanten : volanten\ —
Heinr. v. ELrolewiz 830 nenten : wenten , vgl. Ca; 3638 und wolde er
geben richez gut , Daz sumeltche iren müt An in wenten gerne ; — Nie*
von Jeroschin 8066 senJbe : werde, vgl. la ; im Indic. wante z. B. 7694
: nante\ — Ernst von Kirchberg S. 620 serde : wente, vgl. la; und ebenso
S. 626, vgl. la; S. 725 widerwente: etdrerde, vgl. Dd; der Indic. aber her
tränte S. 643, 650 usw. ; — Kulmisch. Recht IV, 26 und loente ( ^ an-
genommen er wendete) is an sinen nutz] — Würdtwein Diplomataria
Maguntina I, S. 45 welche Judden zu Mentze mit der vorgen. summe geldes
gesatsSt gründen wurden, in waz stede sie sich wenten, die selben Judden
BOÜen usw. (a. 1294); — J. Rothes Elisabet 130* wente : erJcente, vgl. Bc;
im Indic. wante : erkante 129*; — Joh. Rothes Chron. c. 668 der sprach
zu einem male, her wenthe sich umbe den lantgräven nicht] — Grimms
Weisthümer I, 577, Z. 5 also dick als sie da ufioendeten uf dem mark-
lande, also dick hebten sie 10 pfenn, verloren (a. 1421); — Michelsens
Codex Thuringiae diplomat. S. 79, Z. 20 was mogeliches schadin die ge-
nanten kouffer doruff t^ten adir wenten (a. 1467).
b) Herzog Ernst ed. Bartsch S. 3, 34 inttcente : gescente, vgl. Hb.
c) Pass. H. 216, 29 enbrente : erwente, vgl. Aa ; 355, 41 verbrenten
lerwenten, vgl. Ac; Pass. K. 302, 21 st wolden dran beschowen. Ob si
in sd ei'wenten. Zu disen valschen renten Was im rechte liebe ; 600, 69
und wolden im des nicht gestaten, Daz er den heiligen schoten An irem
boume erwente (: die ml ubeln rente).
d) Pass. K. 482, 64 brente : gewente, vgl. Aa; — Rüdiger von Munre
im Irreg. und Girregar 1229 gewentes : erkentes, vgl. Bc; — Die alten
Gesetze von Nordhausen (Förstemanns N. Mitth.) IH, 4, 66 und welch
unsir borger edir borgerin daz ummer vorbrechte, gewende edir dar umme
redte , der edir d% sal usw. und ebenso S. 68, Z. 3, wenn nicht
vielmehr an beiden Stellen das Praeteritum von wehenen, gewehenen, ge-
wenen gemeint ist = gedenken, erwähnen.
e) Pass. K. 482, 37 ummewente : brente, vgl. Aa,
Von den hier aufgeführten Denkmälern zeigen die ältesten, die
dem 12. oder gar noch dem Ende des 11. Jahrhimderts angehören,
ein bedeutendes Schwanken, weil da die Regel erst im Entstehen ist
und sich noch nicht allgemein festgesetzt hat. Sie gehören alle in den
äußersten Westen, in die Gegend des Rheines. So die altmitteld. Evan-
gelienharmonie herausg. von Weigand (=Friedberger Christ, vgl. oben
Bc), in der sich neben erkenden noch der Conj. erkanden findet S. 272,
19; — eben dahin gehört der König Rother, wo noch die Conjunctive
10*
148 PEDOR BECH
sande 188. 2933. 3231. 3817 iwante n^engeaentey vgl. Ic; — W.Grimms
Marienlieder : brende neben brande, beide Male Indic.^ 107, 1 — 2, vgl.
auch 44, 6, ebenso ende, geende 124, 35 u. 46, 8; dagegen vgl. wieder
oben Bb; — Lamprechts Alexander*): Conj. sazte 3836, vgl. dagegen
Ec; femer die Conj. sande, gesande 2291. 2812. 1193. 2090. 3339. 6326,
erkande 5639. 6074, kanten 862, dagegen hrenten oben unter Aa. Theil-
weise, wenigstens bei den drei Letztgenannten, hat das Schwanken sei-
nen Grund in dem dort herrschenden Dialecte, der vom ünterrheiö
her stark beeinflußt war, worüber später. Endlich ist auch hierher zu
ziehen der Karl Meinet; dort findet sich an zwei Stellen noch der Conj.
kanten (: ranten : wantea) 504, 17 und 34, sowie der Indic. geende {: sende)
393, 20 und volende (ihende) 212, 50; im Übrigen herrscht hier schon
die mitteld. Regel. Ahnlicher Art sind die Abweichungen, welche sich
in den Schriften aus den deutschen Ansiedelungen des Ostens finden,
aus Böhmen, Schlesien, der Lausitz und Preußen. Dahin gehört Bruder
Philipps Marienleben 6554 sd haste ich got den vater min, der aant'
von Jiimel mir ein her, wo sant^ verderbt sein kann flir sent' (ein ähn-
licher Fehler scheint 7193 näm' flir n^' = sumeret), vgl. dagegen la; —
in Ludwig des Frommen Kreuzfahrt (gedichtet bekanntlich von einem
Schlesier in des Herzogs Bolko Diensten) die Conjunctive nande (: lande)
45 und außer Reime sante 2881 u. 3782, verhrante 3785, welche drei
letzten Stellen vielleicht auch unter oberdeutschen Händen gelitten haben ;
sonst findet sich freilich in diesem Gedichte keiner der oben genannten
Conjunctive auf e, nur 2890 wird der Conj. eracheUe deutlich geschieden
von dem Ind. erschalte 2893 ; — in der Livländischen Reimchronik der
Conj. sande (: Ntßande) 496 und 588, sonst überall die Form auf e,
vgl. die Beispiele unter Aa, Da, la^ Ib ; die Abweichung von dbr md.
Regel ist in dieser Chronik kaum anders als aus der Reimnoth zu er-
klären, wie dies auch bei Nie. v. Jeroschin der Fall scheint in Bezug
auf undersette : hestette (= bestätigte) 25281 ; auch bei diesem ist sonst
flir den Indic. nur der Rückumlaut a zu finden, vgl. Ea. Ein stä-
tiges Festhalten am Gebrauch darf endlich auch nicht bei den oben
angeflihrten md. Schreibern der Kaiserchronik^ des Tristan, des A. Hein-
rich**) gesucht werden; ihre Mundart kömmt eben nur da zum Durch-
bruch, wo die Fessel des Reimes sie nicht hindert.
*) Daß der Alexander Lamprechts niederrheinischen Ursprungs ist, schließt auch
Pfeiffer aus der Beschaffenheit der Keime , gegen Diemer und Wackemagel, vgl. diese
Zeitschr. III) 494 und Anm.
**) Aus Handschriften oberdeutscher Schriftsteller werden sich jedesfalls noch mehr
Beispiele auftreiben lassen; vgl. z.B. die Stelle im Freidank 106, 14 nach der Würz-
burger und der Helmstädter Hs.
DER UMGELAUTETE CONJUNCTIVüS PRAETERITI etc. 149
Für alle übrigen oben citierten Denkmäler gilt dagegen seit- dem
Ende des 12. Jahrhunderts die Regel, daß der Conjunctivus Praeteriti
der berührten Zeitwörter aus a in e umlautet, sich also lautlich von
dem entsprechenden Indicativ unterscheidet. Und dahin gehören:
1. aus den ßheingegenden oder deren Nachbarschaft: das Gedicht
des Armen Hartmann Vom Glauben , Graf Rudolf, Herzog Ernst, Pi-
latus^ der Jungherr und der treue Heinrich, Godefr. Hagens Chronik,
die Cölnischen Eidbücher, der Seelentrost, Salomon und Morolf, Ge-
spräch zwischen Seele und Leichnam, Diocletianus von H, v. Bühel;
2. aus der Wetterau und aus Hessen: die Trierer Interlinear-
Psalmen(?), Salomönis Hüs (bei Adrian), das Leben der h, Elisabet,
das Urkundenbuch von Frankfurt, Herborts Lied von Troja, das Hei-
ligenleben von Hermann von Fritslar;
3. aus Düringen und Henneberg : Wernhers von Elmendorf Tu-
gendlehre, Heinrich und Kunigunde von Ebemand, Rittertreue, Frauen-
tumier, die alte Mutter (?), das Mühlhäuser Rechtsbuch, das Leben des
h. Ludwig von Ködiz, Nordhäuser Rechtsbücher," Salfelder Statuten^
Eisenacher Rechtsbücher, Joh. Rothes Chronik nebst Ritterspiegel und
Elisabet, Konrad Steiles Chronik, Henneberger Urkundenbuch;
4. aus Obersachsen mit Meissen : Vaterunser Heinrichs von Kro-
lewiz, die Lieder von Rümzlant, vom altem Meissener und von Hermann
dem Damen , die Leipziger Predigten (Leyser) , der Tristan Hein-
richs von Freiberg nebst dessen Ritterfahrt Johanns von Michelberg,
des Mönches Noth vom Zwickauer, das Freiberger Recht, Matthias von
Beheim Evangelienbuch, Magdeburger Fragen, Rechtsbuch nach Di-
stinctionen , die Leipziger Novellen (= Märchen und Sagen in den
Altd. Bl.) ;
5. aus Böhmen, Schlesien, Lausitz, Preußen usw.: das alte Pas-
sional(?), das Kulm. Rechte das Leben der h. Dorothea, die Chronik
des Joh. von der Posilge, Wiener Meerfahrt, Veterbuch, Görlitzer Land-
recht, Magdeburg -Breslauer Schöffenrecht, Görlitzer Annalen, Jahr-
bücher Johanns von Guben.
Dazu kommen noch einige , die ihrer Heimat nach sich nicht
näher bestimmen lassen , wahrscheinlich aber dem östlicheren Mittel«
deutschland angehören, wie : der Frauentrost von Siegfried dem Dörfer,
Alexander und Antiloie, Chronik von Ernst von Kirchberg, Lregank
imd Girregar Rüdigers von Munre, Frauentreue, Hoppes Fragm. einer
md. Evangelienübersetzung usw.
Das in diesen Schriften waltende Gesetz ist, nach der Menge der
aufgeführten Beispiele zu urtheilen, ftlr das 13. bis 15. Jh. so durch«
150 FEDOR BECH
greifend, daß Verstöße dagegen äußerst selten und da wo sie sich
finden meist aus verderbender Überlieferung abzuleiten sind. So ist
ganz gegen den Geist und die Art des Dialectes sente statt sante ge-
schrieben in den Leipz. Predigten bei Leyser 84, 1 dd benam in (=un-
sen herren) in der hurggräve Felix und sente in zu einer stat die hiez
C^sared] Conj. und Indic. sind hier sonst streng auseinander gehalten,
Vgl. la. Bei H. v. Krolewiz 2359 got der sente (?) un^ sinen sun zu einem
tröste her nider nach der Schweriner Hs. , wo die Gothaer sante statt
sente list, vgl. dagegen 2218, 3443, 4769 und den Conj. sente oben
unter la. Bei Ernst v. Kirchberg S. 744 ist der Indic. in her stelte sich
durchaus regelwidrig und daher in stalte zu ändern, wie die Form S. 687
und 756 (bestalte) lautet; ebenso verderbt ist daselbst* S. 746 her gebod
dem bischoffe so Daz her quem zu Alexandra Oder sante (?) syne legäten
dar, vgl. unter la. Im Salomon und Morolf I, 199 ich sante {?) dir wol
drizig tüsent man ist der Conj. sante unerhört, vgl. oben la, das Rich-
tige bietet die Hs., welche hier füren ihfdren) hat, vgl. 168 und 181.
In Joh. von Guben Jahrb. 44, 27 si tötin deser stat grSsin schaden,
also das man noch den schepphen senten (?) von Ostros, wo der Sinn
und der dort herrschende Gebrauch die Form sante(n) verlangen, wenn
man nicht etwa annehmen will,- daß hier der Conj. nach lateinischer
Weise gesetzt sei = ita ut mitterent; vgl. la. Im Pass. K. 645, 77 ist
nach der Königsb. Hs. gedruckt daz im nie Ein einic mensche wider gie, Daz
verrens icht bekante (?) Und im hie benante (?) usw. ; mehr dem dort walten-
den Gebrauche entsprechend ist die Lesart der Stuttg. und Schwerin. Hs.
bekente : benente^ vgl. die Beispiele unter Bb und Cb. Im Tristan Hein-
richs V. Freib. 289 und westet vrz, daz her Tristan Uch üz dem herzen
hat gelänj Ir wantet (?) uwer gemüte an den kunic, wo wahrschein-
lich wentet das Richtige gewesen wäre; der Dichter sprach im Indic.
nur irkante, im Conj. dagegen erkente brente rente, vgl. oben Bc, Aa, Da.
Bei dem Minnesinger Meister Gervelin (in MSH. HI, 35 — 38 = Myller
II, 58) III, 1 heißt es kanf ich in bi namen, ich woUe in schelten, wo
wohl auch kente stehen sollte , denn der Verf. stammt jedesfalls aus
Mitteldeutschland, wie man annehmen muss aus seinen Reimen Idp:
stop I, 4, ich muoz geiwe I, 3, unsalde : walde HI, 3; seinen Aufent-
halt im untern Deutschland kennzeichnen auch die Worte in HI, 4
ich weiz noch singere die dort obene sint in Osterfranken. Im Pass. H.
249 , 64 ein bischof er dar nach wart unde ente (?) silecUch sin leben —
ist wahrscheinlich ante für ente zu lesen, denn so lautet hier der Indic;
24, 3 und 86, 18 (: bekante) \ über den Conj. ente dagegen sieh oben
Gb und Gc. Endlich in der Elisabet 219 des hatte er keinen bresten:
DER ÜMGELAUTETE CONJÜNCTIVUS PRAETERITI etc. IM
er kerde ez alles sanwnt gar lässt sich wol kente fllr Conj. nehmen im
Sinne von enkente (als beschränkender Satz), denn Schriftsteller jener
Zeit pflegen in diesem Falle schon öfter die Negation zu sparen ; wo
nicht, Bo wäre ein Verderbniss des Textes zu vermuthen; vgl. Riegers
Einl. S. 42 und oben unter Ba und Bc.
AuflFallen könnte es, daß diese mitteld. Conjunctivform in einer
Anzahl hierhergehöriger Schriftwerke nicht vertreten, man möchte sa-
gen verleugnet ist. Ich denke besonders an die Fragmente von Athis
und Prophilias, die Lieder Heinrichs von Morungen *), Marien Himmel-
fahrt (in Haupts Zeitschr. V, 515), die Fragmente Albrechts von Hal-
berstadt, die Erlösung, den Wartburgkrieg, die aus Heinrich Heslers
Apocalypse bekannt gemachten Stücke **) , die Marienlegende von
Heinr. Klüzener (in den Md. Ged. von Bartsch), von einer Menge klei-
nerer Werke ganz abgesehen. Bei einigen yon diesen kann das Zufall
sein, wie bei den kleineren und vielleicht auch zum Theil bei den nur
fragmentarisch überlieferten; bei andern dagegen scheint das Ver-
schweigen in der individuellen Abneigung des Schriftstellers seinen
Grund zu haben. Der mitteldeutsche Character dieser Werke ist hier
wenigstens dadurch gewahrt, daß bei keinem ein oberdeutscher Conj.
mit Eückumlaut nachgewiesen werden kann. Statt dessen bedienen sie
sich vielmehr der bekannten Umschreibung durch die geläufigeren
Hilfswörter mochte kcmde woMe solde, zu denen sich späterhin das jetzt
allgemein herrschende vmrde oder würde gesellt ***).
*) Bei dem Düringer H. v. Morungen ist mir immer verdächtig gewesen dl et
Stelle 142, 18 (in MF.) daz ich vil schiere gesunde in der helle gründe verbrünney i ich
ir iemer diende ine wisse umhe waz ; die Form verbrünne — allenfalls noch verbninne —
scheint der düringischen Mundart nicht ganz gerecht, während verhrente als Intransitiv
einem oberdeutschen Schreiber unerträglich vorkommen musste, wie man dies recht
deutlich aus dem Gedicht von der Frauentreue V. 83 (vgl. oben unter Aa) ersieht; in-
dessen obwohl brente schon im 12. Jh. als Intransitivum vorkömmt (vgl. unter Aa),
so vermag ich doch von einem intransitiven verbrente vor dem 14. Jh. noch kein Bei-
spiel nachzuweisen (vgl. oben Ac).
**) Heinr. Frauenlob übergehe ich hier absichtlich, obwohl auch bei ihm in der
überlieferten Gestalt seines Textes kein Beispiel von md. Conj. anzutreffen ist; an zwei
Stellen nämlich lässt sich bei ihm nicht mit Sicherheit bestimmen, ob Conj. oder Ind.
gemeint sei, so in den Sprüchen 78, 7, 12, 19 bei den ReimwÖrtem nante : erwante :
braute (nach der Weimarer Hs.) und 162, 7 bei nande (aus der Pariser Hs.). Wären es
Conjunctive, so müsste man wohl eine Verderbniss durch oberdeutsche Schreiber an-
nehmen; aus dem Munde eines Meisseners wären sonst solche Formen unglaublich.
***) ^gl« 2. B. Weist, IV, 592 (a. 1425) tvires sache^ das ein manwercker ader mShey
den alsa gehoden worde, einem erkennen worden der seholt; Görlitzer Annalen 389, 30
52: FEDOR BECH
Im Neuhochdeutschen sind die mitteld. Conjunctivformen auf eine
geringe Anzahl zusammengeschmolzen und genießen noch dazu nicht
in aller Leute Munde gleiches Ansehen. Der Düringer Stieler in seinem
deutschen Sprachschatz flihrt z. B. nur noch auf: brannte S. 228,
kante 950, sändete 2009, säizte 2039, wänte 2499.
Im Mittelalter dagegen erstreckte sich diese Art den Conj. Praet.
zu bilden durch ganz Mitteldeutschland hindurch und auf eine viel
größere Zahl von Verben. Außer den hier in Frage konmienden ge-
langte aber bei keinem der Gebrauch zu einer festen allgemeinen Norm ;
höchstens gelangte er in einzelnen Landstrichen Mitteldeutschlands zur
Herrschaft. Ich erwähne unter andern genente als Conj. neben dem
In die. genante in der Elisabeth vgl. Riegers Einl. S. 42 ; dieselbe Con-
junctivform im Karl Meinet 248, 53 genenden : behenden (Indic. genande :
lande 92, 26) imd im Sal. und Mor. II, 1622 ; — ei'schelte in Ludw. Kreuzf.
2890 neben Indic, erschaUe 2893; — recte im Pass. K. 121, 41 (: secte);
138, 87 ; 139, 2: gewecte, 244, 36 volrecteisecte; daneben der Indic. racte 17,
48 und 98, 35: 8tra4:te; 135, 52; 651, 47; doch 119, 25 stehen reckte: steckte
als Indicative; — entecteisecte im Pass. E. 358, 42 und 420, 35 und 596, 40,
daneben der Indic. dacte 155, 29 (als Indic. aber steht wieder entecte
435, 11); — bekSrte in Leysers Pred. 67, 37 und daneben gleich Indic.
bekärte 67, 38; abekerte bei Joh. Marien werder 216 imd vorkerte 270,
im Ind. dagegen du kärtist 218; Conj. k^rte in Joh. Rothes Chron. c. 483
neben Ind. karte 398, 399; Conj. bekerten c. 395 und 396 neben Ind.
bekärten c. 396; kerte in Posilges Chron. 83 neben Indic. karte 84; —
versmete in Pass. H. 233 , 60 , Pass. K. 98 , 25 : tr^te , dagegen Indic.
versmäte : rate Pass. H. 301, 47, Pass. K. 37, 36 u. 413, 63 u. 625, 95:
drdte; Conj. sm^te (: stete) in Nie. von Jeroschin 21536, vorsmetm 8311,
19589 : t^j Indic. vorsmdte : unvldte 21835 (aber als Indic. smetin : Jietin
14338) ; vgl. H. v. Krolew. 3527 und Elisab. 6700 ; — leckte = poneret,
von leggen lecgen lecken *), nur in Schriften, deren Verfasser in der Nähe
dorvff lösten ay gebyeten , wurde furhasa t/mandls (= Nom. , Jemand) hocknwerck trei-
t
&tn, der sal usw. Wer darauf achtet, wird bald noch mehr Beispiele aus dieser
Zeit finden.
*) Dieser Infinitiv schon bei GraflF II, 88 fg. lecgan Ukkin leggen^ femer in der Genes.
(Fnndgr. 11) 38, 15 leggen und so i|i der Milst. Hh. 68, 5; ecken : lecken im j. Tit. 402.
2207. 2215. 3455. 4436 . 4480 ; leggen : eggen bei Heinzelein v. Konstanz , Von dem
Bitter und von dem Pfaffen 163; lekken : ekken AM. TäL I, 339; vorlecgen bei Gaupp,
Das alte Magdeb. u. Hall. Recht S. 286. 314. 317; a/fleggen im Urknndenb. von Göt-
tingen herausg. von G. Schmidt 8. 163, 12 (a. 1348), leggen S. 306, 35 und im Ur-
knndenb. V. Hannover herausg. von Grotefend u. Fiedeler S. 229 ^ 9 (a. 1345). 230, 3.
DER UMGELAUTETE C0NJUNCTIVU8 PRAETERITI etc. 153
de« Rheines zu Hause sind, während ZacÄte =r= posuit sich in Mittel-
wie in Niederdeutschland überall findet; so in Lamprechts Alex, leck-
ten : ged^hten 435; Wernher v. Niederrhein 15, 30 : indSkten*^ EHsabet
1607 : erwehten (im Ind. lachte : machte 91 , 1468 , 1380 : achtem 3538) ;
Karl Meinet 310, 57 leckte i rechte (Indic. lachten : sachten 340, 12;
431, 46); lolante von Bruder Hermann (in PfeiflFers Altd. Übimgsb.)
106, 231 lehtenihrShten (Indic. Iahten : hrähten 104, 130); Q-odefr. Hagen
leichtm 3041. 3343 : kneichtm und 3398 (Ind. laichte 3857) ; Von den
sieben Meistern (in Kellers Altd. Gedichten) 140, 11 lechte : brechte
(Hs. leite : brecht), dagegen im Indic. lachte : hra^hie 145, 6 und ima^hte
208, 12; — sechte = diceret (von seggen secgen ? *) im Karl Meinet 123, 3
i rechte 112, 10, enseichten : brechten 230, 29 (Ind. lachte : sachte sieh
vorher) ; der Jungherr und der treue Heinrich 2061 sechten : knechten
914 und 1025 versechf : kriecht' (im Indic. sachte 1209. 1911) ; seichte :
hrechte in der Weberschlacht 383 hinter Q-odefr. Hagen ed. Groote
S. 226 (Ind. saichten 403) ; in den Cölner Eidbüchem bei Fahne Forsch,
n, 2, 78 segten =.dicerent und 80 besechten. Man blieb aber bei den
Verben der ersten schwachen Conjugation nicht stehen, sondern ließ
die der zweiten ebenfalls diesen Conjunctiv bilden. Am weitesten von
allen bisher bekannten Autoren ist meines Daflirhaltens hierin der Verf.
der Elisabet (nächst ihm der Verf. der Trierer Interlinearpsalmen)
gegangen. Seine Abweichungen hat Rieger verzeichnet in der öfter
genannten Einl. S. 42. Auch von dieser Art Verben werde ich nur
einige hervorheben : hebete Vom Glauben 1288 und 2306 (Indic. da-
gegen habete 1301 , 2755, 2816) ; — mechte Elisab. 528 und 6350, ge-
Tnechte 2916 (Ind. machte 1631, 1468, 3538) ; Salomönis Hüs (bei Adrian)
BL 24 daz er dich riche mechte ; Erlös, 398 daz ich icht mechte (= face-
rem) verdrozzen keinen man; der Jungherr und der treue Heinrich 570
kirne ez wider in voriger mc(£ , Ich ToecM ime des steines büz] 1308 er
gedächte y waz sin jung h^e MecM oder m^achen künde ; 1903 daz ich in
nü vil secht' (Hs. seit) dar dh, Daz mechtf mir ein grdz gebrechte.
Und brechf doch keinen vromen ; Salomon u. Mor. I, 3467 möchte ich es
gehdn an den hulden dUn, Ich mechte (im Druck steht machte) in noch hüite
gesund) H, 656 du sprecV fwrt, als ich wSnCy Din vater mechte ttz einem
249, 23; Homeyer, Stadtb. des Mittelalters S. 52. 53 u. 78. Vgl. altnd. leggian
ags. Uegan.
*) Vgl. das altnd. aeggtarij ags. aecgan, tmd die Forn^en aagjan, segjan bei GraflF VT,
94; ferner Infin. besecgen bei Ganpp Magdeb.-Hall. Kecbt S. 274 und ebenda das Präsens
*ecgit S. 283 u. 314, sovde Homeyers Glossare Eom Sachsensp. Tb. I u. ü.
154 FEDOR BECH
schaden ^wSne; Renner 24321 du aoU bedenken rekte, Warzü und wie und
wer dich mechte; Böhmers ürkundenbuch v. Frankf. S. 667, Z. 21
(a. 1355 — 59) daz man zwei büchir mechte und schrebe und S. 669, Z. 14
da>s wir sie des sichir mechten und sesten in gysele (Indic. machten
z. B. S. 668, 2) ; Weist, der Herschaft Rieneck in Franken (Grimm III)
520, Z. 4 von unten ah ein frawe ein man n&me und kind mit
einander mschten (a. 1380) ; Weist, von Florstad in der Wetterau
(ebenda) S. 448, Z. 13 von unten item wer unrechte toege mechte (a. 1416) ;
Weist, aus der Nähe von Aschaffenburg (Cxrimm VI) 72, Z. 3 si bäten
das sie ein gericht mechten, hegten und bes^szen (a. 1394); Cent-
weisthum von Remlingen in Franken (ebenda) S. 35, Z. 11 von unten
weres auch, das sich ein geschrei in der zente zu R. mechte oder erhübe
(a. 1409)- die alten Gesetze von Nordhausen (N. Mitth. III, 4) 46, §. 80
wer diz vor den rät brechte, — — daz man diser stucke ichein abe t^te
edir andirs mechte ^ der solte usw. ; Geistliche Priameln herausg. von
Leyser (in den Berichten der deutschen Gesellsch. zu Leipzig herausg.
von^ Richter und Espe 1837) S. 17 das (= ob) sunde gein got kein
veintschaft mecht Und dort der sele kein schaden precht: — noch w^
sunde besser gelassen dann vollbracht] Von den sieben Meistern (Kellers
Altd, Ged.) 141, 10 er sant im knechte ^ ,Das er sich balde uf mechte \
DiocIetianuB Leben 4053 meister Virgilius si bäten ^ das er mit stner
kunst in etwas machte (i gesiechte) '^ die histor. Volkslieder herausg. von
Liliencron I, Nr. 63, 393 die gemeine er {= ihr) frunde beschit zu Mren
steden riUem und knechten, Daz sie ir vomemen ouch kunt mechten
(a. 1428-30).
Das letzte der eben angeführten Beispiele ist zugleich dasjenige,
welches vom Rheine, seiner ursprünglichen Heimat aus am frühesten
und tiefeten nach dem Süden vorgedrungen scheint. Ob und seit wann
noch andere mitteld. Conjunctive in Oberdeutschland Eingang gefunden
haben, das zu untersuchen war hier nicht beabsichtigt. Über den Rhein
hinüber sowie in das nördliche Deutschland, die Gegend des Nieder-
deutschen, hinein ist der betreflfende Conj. nicht gedrungen. Die e-For-
men sind dort vielmehr neben den a-Formen alle auch als Indic. in
Gebrauch ; gleichwie die a-Formen in Oberdeutschland alle auch den
Conjunctiv vertraten. So z. B. findet sich in Bruder Hansens Marien-
liedem der Indic. kende (: ende) 2873, bekende (: hende) 488, : ende 1431,
: wende 2515 , und ebenso lautend der Conj. kende (: behende) 2081,
: wende 4422, bekende (: ende) 458 *) ; — in der mnd. Offenbarung Jo-
*) Das in Nyerups Symbolae S. 93 — 102 befindKche Fragmentum poe'matis ama-
* . torii e Yetustis biembranis a B. Temlero descriptum gebort auch hierher, bietet aber wegen
DER UMGELAUTETE CONJUNCTIVÜS PRAETERITI etc, 150
hannis , wovon Bruchstücke in v. d. Hagens Germ. X, 125 fg., triflS:
man sende ohne ünterscTiied fiir beide Modi gebraucht , z. B. S. 128
und 129; — in der Kronika fan Sassen herausg. von Scheller S. 33
der Indic. sende {lende), 139 sände : wende , und ebenso der Conj. er-
Jcende (: ende) 154 und branden (: bänden) 198 ; — bei dem Minnesänger
Wizlav in MSH. III, 78** der Indic. nente f : lente) ; — auch sezte in dem
alten Frühlingsliede bei Wiggert Scherfl. I, 36 (= MSH. HI, 468*^)
kann als Indicativ nur niederdeutsch sein. Ganz schroff gegen die
«-Bildung verhalten sich hier die Verf. einiger älterer Denkmale^ so
H. V. Veldeke in der Eneit, wo der Conj. nur verbrande : wände 191,
37, bekande : wände 106, 19 (nur die Heidelb. Hs. bringt bekenteiwente)
lautet, und ebenso Berthold von Holle im Crane 4775 bekande : lande
Im Niederdeutschen war das Schwanken zwischen a und e alte Über-
lieferung, denn schon im Heliand lautete der Indicativus Praet. ant-
kenda, sanda und senda, wenda ; der Conj. antkendi, sandi und sendiy
wendi.
Zum Schluß noch Einiges über die Frage nach der Entstehung
des md. Conjunctivus , auf welche bereits oben hingedeutet wurde.
J. Grimm war in der oben citierten Stelle seiner Gramm. I, 952 der
Meinung, daß der Umlaut in diesen Formen „weniger der Conjunctiv-
flexion zuzuschreiben, als aus der Contraction fiir kenneten brenn^ten
zu erklären sei ;" Rieger auf S. 42 seiner Einleitung zur EKsabet sagt
dagegen, daß „ein flexivisches Moment mitzuwirken scheine.** Gegen
Grimm spricht der Umstand, daß seine Erklärung, falls sie begründet
wäre, nur fiir einen Theil der umlautenden Conjunctive ausreichte,
nicht aber fiir die, welche von Verben der zweiten schwachen Conju-
gation sich vorfinden. Riegers Ansicht finde ich dagegen darum nicht
stichhaltig, weil dann eine andere, auf mitteldeutschem (oder genauer
niederrheinischem) Boden zumal häufige Erscheinung, die mit dem um-
gelauteten Conjunctiv Hand in Hand geht, unerklärt bliebe oder we-
nigstens auf einen andern Entstehungsgrund zurückgefiihrt werden
müsste. Wie nämlich der Conjunctivus, so pfiegt bei einigen Schrift-
steUem auch die zweite Person des Indicativus im Praeterito umge-
des arg verdorbenen Textes keine sichere Gewähr. Höchst wahrscheinlich ist das Ge-
dicht ebenfalls von dem oben genannten Bruder Hans und zwar aus seiner frühem
Lebensperiode, ehe er Mönch geworden war; nicht nur die Sprache und die gleiche
Gedichtform (Titurelstrophe), auch die Lebensverhältnisse des Dichters leiten auf diesö
Vermuthung, vgl. seine Marienlieder 874—880. 1574—1580. 2974—2980. 3674-3680
und die ' Einleitung dazu von Minzloff S. 14, sowie Göttinger Gel. Anz. vom J. 1863
St. 33, S. 1289.
156 FEDOB BECH, DER UMGELAUTETE CONJUNCTIVUS etc.
lautet zu werden. So findet man du hrente im Salomon und Morolf I,
1368 ; du hechente cognovisti in den Trierer Interlinearpsalmen ed. Graff
138, 1 und 4; 141, 3 (sonst 134, 5 ego cognovi ich irkande und so
118, 151; noverat kande 80, 5; noverant irkanten 118, 79); erkente du
in Sal. und Morolf 11, 1122; Trier. Ps. 43, 14 posuisti du sette und so
55, 8 u. 72, 18 sedde du, 102, 10 u. 118, 102, ponebas sezetes 49, 21,
posuisti gesedde 97, 7, constituisti gesedde 88, 51, imposuisti du ubersedde
65, 10 (sonst, z. B. 118, 10, posuerunt sadden)] 59, 4 potasti du d^enkte
und 64 , 10 inebriasti drenkte du (sonst potaverunt drankten 68 , 26) ;
Marienlieder von W. Grimm 18, 29 du lechtes (posuisti, sonst he lachte
= posuit 14, 1) ; — von Zeitwörtern nach der zweiten Conjugation Trier. Ps.
79, 10 plantasti flenzete (daftlr aber auch plantasti^ii25e*6 43, 2 u. 79, 9) ;
72, 23 tenuisti du hebede (sonst tenuit habede 12, 5) ; 44, 13 odisti hezete (und
so wohl auch zu lesen 49, 18 statt odisti hJorete, wo der Übersetzer audisti
verstand), sonst im Indic. oderunt hazeten; 51, 2 fecisti methe (siel) und so
73, 18 und 75, 8 ; 103, 21 posuisti laete (gleichwie es hier öfter knet-e heißt
fitatt knehte *)); 118, 98 fecisti methe {son&i ipse fecit er mathe 99, 3);
Erlösung 2148 du mehte, Aerre, mir bekant, wo die Prager Hs. du machtis
list; in dem Gedichte eines Mönchs von» Hailsbrunnen (Altd. Bl. 11)
S. 351 du dise spise mehte, Erlühte min getrehte und S. 352 herre ahneh-
tiger got, — der mit tiefem sinne Uns dise spise mehte (: knehte) ;
Trierer Ps. 88, 24 dixisti segete**). Gleichwie diese Formen, nach der
*) Z. B. Ps. 118, 23 »ennis knet, 118, 41 servo tuo kneti dtnes^ 118, 65 servo tuo
knete dime und so 118, 76; in d. Zeitschr. 14, S. 457, 460, 465; W. Grimms Marienlieder
42, 39 herrej du Uzes dinen knet nü ; Briinner Stadtrecht (Anfang des 14. Jh.) bei Eößler
S. 401, c. 226 Ueicheu chinty si sein chnetoder maitt und so c. 66, S. 360 und c. 187, S.390
er acholouch lidlon chnethen wnd diemen und andern arwaitem gelten; vgl. GraflFIV, 578 und
•579; Maßmann zu König Rother 3314; Sumerl. 19, 47 v emaculus cAne^ ; Altd. Gespräche
von W. Grimm S. 23. wo canet steht.
**) Die Trierer Psalmen sind eine wahre Fundgrube für diese Art Praeterita. Außer
den angeführten trifft man dort noch ahechirte avertisti S. 194 , aneleite induxisti S. 409,
herespete increpasti 557, hüwete habitasti 341, druckende siccasti 343, du gehörete exaudisti
552, gelebindegede vivicasti (wo Graff, die Hs. missverstehend, gelebende dede in den Text
gesetzt hat) 326, gelirte docuisti 325 , du geniderte humiliasti 429 und geniderde 569, du
gruntvestinte gruntvestinde gruntveste grundvestite fundasti 415, 469, 478, 573, du hineleite
und hineleide deduxisti 275 und 339, du inleide induxisti 294, du irhorte exaudiebas 458
und 550, du irldate eruisti 404, loste redemisti 327, du mathe formasti 482 und 525, du mm-
nedeund minnete 201, 231 , 237 u. 238, du sadde posuisti 294, üz leidede eduxisti 294,
du virkoufte vendidisti 194, du volewurte perfecisti 300, dn winde existimasti 228, toider-
vürte reduxisti 326, du ne loolde noluisti 175 und du wolde voluisti 183, zechnusete colli-
sisti 422 und ceknu^ete allisisti 466 , du zestdrte diripuisti und dispersisti 343 «und 415
und 80 mus8 es wohl auch 194 heißen statt xestozte dispersisti. Andere Stellen sind ge-
a WÜLCKER u. K. BARTSCH, DER DICHTER DER ÜRSTENDE, 157
gewiss richtigen Bemerkung Diemers zur Milst. Hs. 97, 1, „nach der
Analogie der starken Verba gebildet wurden^'' ebenso wird man sich
die Entstehung und Bildimg der hier in Frage kommenden Conjunctive
zu denken haben. Die Anomalie, von der hier mitteldeutsche Dialecte
insbesondere einen so ausgedehnten Gebrauch gemacht haben^ war hier
gleichsam schon vorgezeichnet durch den Gebrauch^ den man in Deutsch-
land ziemlich allgemein von den Praeteritis der anomalen Zeitwörter zu
machen pflegte ; gedeckte brcehte mehte waren fast überall üblich zum
Unterschiede von den Indicativen gedäkte bräkte mähte, und daß sie vom
Sprachgefühl als starkfbrmige Wörter gefasst wurden^ beweist auch hier
das Vorkommen starkgebildeter Indicative wie du gedäkte , du gedcehte,,
du brcehte (Reinbot von Dom 2341^ Kaiserchi*on. 3716, Haupts Zeitschr»
V, 531, 599, X, 18, 27, Weinholds Bair. Gramm. §. 322).
ZEITZ, in den Weihnachtsferien 1869. FEDOR ȣCH.
DER DICHTER DER ÜRSTENDE.
L
Die Frage, wer der Verfasser der Urstende sei, ist noch immer
eine schwebende, wenn auch die Untersuchungen von Pfeiffer (Haupts
Zeitschr. Bd. VIII) und von Bartsch (in dieser Zeitschrift Bd. VIII)
es fast zur Gewissheit gemacht haben, daß Eonrad von Heimesfurt
die Urstende dichtete. Mit einer Arbeit über die Urstende in ihrem
Verhältniss zum deutschen Evangelium Nicodemi und beider zum la-
teinischen Originale beschäftigt, fiel mir ein merkwürdiges Buchstaben-
verhältniss auf. Betrachten wir nämlich die An&nge der großem Ab-
schnitte, die auch noch die späte Wiener Hs. durch Initialen bezeich-
net, so ergeben sich folgende Buchstaben eines Acrostichons :
Chum herre hceiUger geüt Hahn 103, 1.
JVv höre recht wa:^ ich loa 103, 53.
AU der herre cayfas 104, 29.
Höret wa^ ei nv taten 105, 20.
In churzer weile geschah 105, 58.
E ez vollechleiche wurde Hecht 106, 22.
sammelt von Bartsch in der Einleitung snr Erlösung S. XXII u. XXIII und in dieser
Zeitschr. VII, 8 ; aus oberdeutschen Schriftdenkmälem bieten Beispiele Diemer 1. 1. und
Weinhold in der Alem. Gramm. §. 366 und in der Bairischen §. 314.
158 RICHARD WÜLCKER u, KARL BARTSCH
Sechse schieden sih her dafi 106; 62.
Heden swaz in gevaUe 107, 35.
Habet ir nu genue gerasü 108, 16.
Tobet iemen durch dich 108, 68.
Zehant ein iude her für trat 109, 34.
Vf stunt einer vU sprach 110, 2.
Chan ieman daz geschoenen 110, 48.
Gedaechten eis si funden da 111, 23.
Mir hat daz buch also veriehen 111, 79.
Centurio do er sach 112, 48.
Ein rat dovhte siv gut 113, 13.
Tac vnt nacht giengen hin 113, 53.
Zwischen diesen Abschnitten sind andere, die zwar die Wiener H».
nicht mehr als solche durch Initialen andeutet, die aber immer einen
neuen Gedanken einftlhren imd daher eben so gut als Abschnitte ge-
ftlhlt werden, wie die oben angeführten. Diese ergeben folgende
Buchstaben :
Vmhe 80 getanen haz 103, 35 *).
ßceiniu vnt libiu gotes chint 104, 5.
Tvt 80 zceglichen niht 104, 47.
Für die ceit immer mere 104, 65.
Owe verworchter iuda^s 104, 85.
Xoch Übet dein ungetriwer rat 105, 8.
Er lie sich vinden ane wer 105, 34.
Manigen grozzen vngelimf 105, 86.
Von diser starchen rüge 106, 82.
Tu darxv swaz du teil 107, 67.
Alsus sprach er wider sie 108, 40.
Der dro si manige taten 108, 84.
Mm vindet ander solche 109, 18.
Bei gotes hulden swur er do 109, 52.
Habt ir die ich genant 110, 78.
Iwer lantrecht ist en vncht 111, 41.
Als uns diu wäre schrift sceit 112, 15.
JHlceret waz si nu taten 112, 73.
. *) Vorher ist wohl noch bei 103, 19 ein Absatz zn machen:
Habe ich angeat dar zu]
denn vermuthlich schrieb der Dichter seinen Namen Chunrat. K. B.
DER DICHTER DER URSTENDE. 155^
Stellen wir nun die Anfangsbuchstaben beider Gruppen^ wie sie im
Texte folgen, zusammen, so ergibt sich folgendes Acrostichon (die An-
fangsbuchstaben, die die Wiener Hs. noch mit Initialen gibt, bezeichne'
ich mit großen, die andern mit kleinen Buchstaben):
OoNrAt f(m HelmESvRt
HaT diZ hVCh GiMaChET.
Gerne gebe ich zu, daß die Abschnitte, welche das Acrostichon erge-
ben, von sehr imgleicher Länge sind, so stehen zwischen o und n
(104, 85 und 105, 8) nur 10 Zeilen, zwischen e und s dagegen (106,
22 und 62) 40 Zeilen. Doch stets ergibt ein Buchstabe des Acrosti-
chons auch den Anfang eines neuen Gedankens und nirgends wird
durch dasselbe ein Reimpaar auseinandergerissen.
LEIPZIG. RICHARD WÜLCKER.
IL
Der sehr dankenswerthe Nachweis stellt die Autorschaft Konrad»
von Heimesfurt ftlr die Urstende sicher und bestätigt Pfeiffers scharf-
sinnige Vermuthung. Das von Wtllcker gefundene Acrostichon ist jedoch
mit 113, 53 nicht zu Ende, sondern geht bis fast an den Schluß des
Gedichtes weiter. Die Initialen der Abschnitte, welche die Wiener Hs.
bezeichnet, enthalten folgende Buchstaben:
Ez ist ungelouplich 114, 31.
Seit ir scelic unde fruot 114, 63.
JRoumet unibe, lat sehen 115, 23«
Toren unt stummen unde blint 115, 73.
]Vu lazze wir daz strafen hie 116, 25.
Vart in al der werlde ort 116, 67.
Diu m^cere schullen weiten 117, 28.
Ez geschach in chwrcen stunden 117, 54.
Von danne hüben sich die boten 118, 18.
Tür unt tor wart uf getan 118, 72.
Uf stunt der tugenthafte man 119, 40.
Ein stimme diu mich gruozte 120, 11.
JMu herre, sprach der bischof do 120, 53.
Aüez daz er hat gesoeit 121^ 1.
Ez stvxynJb lange dar nach 121, 55.
Swie vil si gebaten 122, 3.
JZe sprechen des ir da gert 122, 73.
Hie sint die briefe für getragen 123, 11.
Ez ist unwende er mvz her 124, 2.
Tut uf ir fursten iwer tor 125, 6.
160 R WÜLCKER u. K. BARTSCH, DER DICHTER DER URSTENDE.
Die übrigen Buchstaben des Acrostichons bilden in der Hs. nicht den
Anfang von Absätzen ^ sind aber ebenso wie beim ersten Theile an
einen Sinnesabschnitt gesetzt:
Do giengen si wadnunde dan 114, 11.
AlsiLs schieden si sich da 115, 55.
Ein immer werende erhenot 116, 5.
JVtt der hceilige christ 117, 4.
JR eicher got guter 118, 50.
Güter rede geschah da vil 119, 10.
Trost vnser aller chvnne 119, 64.
Meget ir uns dar an gefruTt^en) 121, 35.
IVu die herren sint gesezzen 121, 71.
U^ir vriwen uns der werdechcßit 122, 29.
An iv stet gar ane tadl 122, 49.
Bezeichnen wir die Buchstaben der zweiten Art durch kleine Buch-
staben, so ergibt sich:
dES RaTeN UnDE VrT
gVtE NAmEn SwaZHET.
Statt Z in der zweiten Zeile muss C gelesen werden, indem der Dichter,
dem Gebrauche der Hss. aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
gemäß nicht ze, sondern ce schrieb. Das ganze Acrostichon bildet dem-
nach demnach vier Reimzeilen:
Chunrat von Heimesv(u)rt
hat diz buch gimachet,
des raten unde v(u)rt
gute namen swachet.
Schwierigkeit macht die Erklärung der beiden letzten Zeilen. Mit raten
und vurt spielt der Dichter offenbar auf seinen Namen an : raten hat
er des Verses wegen fllr rät gesetzt. Er will wohl sagen: es gibt bes-
sere Leute als ich , deren Namen auf rdt ausgehen , und ebenso gibt
es Namen besseren Klanges in vurt^ als der meinige ist
Die vier letzten Abschnitte des Gedichtes beginnen:
Schier wart der sma^ so groz 125, 86.
Ein engel mir engegen quam 126, 30.
Ez ist Mute der dritte ta^ 127, 54.
JVu sint die briefe gelesen 128, 9.
Dazwischen liegen verschiedene kleinere Absätze, die von der Hs. nicht
bezeichnet sind. Auch bei 125, 34 / könnte man schon einen Abschnitt
annehmen; ferner bei 126, 56 D, 126, 74 iüf, 127, 14«. Allein damit
FELIX LDEBRECHT, LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. Ißl
ist nichts anzufangen. Jene vier Buchstaben ergeben se en'^ en nehme
ich filr geschwächt aus in, also sS en = ecce eum: 'da seht ihn^ da habt
ihr ihn ; eine neckende Anspielung auf den sich nennenden und doch
nicht nennenden Dichter. Diese Schlußworte sind also zu verstehen,
wie das Schlußwort ^apparet' auf dem Grabmal des Bäckers Eurysaces
in Rom, welches die Form eines Backofens hat: 'Es ist ersichtlich'
sc. daß der hier Begrabene ein Bäcker war, nämlich aus der Gestalt
des Denkmals.
ROSTOCK, Januar 1870. K. BARTSCH.
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEK
Der Herr Professor Friis von der Universität zu Christiania hat
während eines langem Aufenthaltes in dem norwegischen und russi-
schen Lappland unter anderer Ausbeute auch eine Anzahl Märchen
und Sagen gesammelt , die er einer von ihm , nach theilweis neuen
Quellen bearbeiteten lappischen Mythologie als Anhang beizugeben ge-
denkt. Der Werth derselben ist zuweilen nicht unbedeutend, entweder
an und flir sich oder in Bezug auf vergleichende Forschung; zuweilen
jedoch ist er nur untergeordnet; jedesfalls aber sind sie von Interesse
in mythologischer Beziehung. Herr Friis war so freundlich, mir einige
dieser Märchen und Sagen mitzutheilen, und mir zugleich zu gestatten,
dieselben in deutscher Übersetzung einem größern Kreise bekannt zu
machen. Ich gebe hier zuvörderst nur diejenigen, welche ihrem Stoffe
nach in das germanische Gebiet gehören oder sich mit demselben be-
rühren, von den Sagen also nur die sich auf die alten Skandinavier
beziehenden, und von den Märchen bloß solche, deren Verwandtschaft
mit deutschen oder nordischen zu Tage liegt. Besonders durch letztere
wird man das oben ausgesprochene Urtheil im Ganzen bestätigt finden;
namentlich ist das erste, ein Thiermärchen, eine wahre Perle, welche
mit wesentlich indigenen Elementen eine Episode des Reinekekreises
verbindet, die aber nicht eigentlich entliehen zu sein braucht, da sie
sich ja selbst unter den Hottentotten wiederfindet. Auch die andern
hier mitgetheilten Märchen werden, abgesehen von dem ihnen Eigen-
thümlichen, wenigstens noch in so weit anziehend erscheinen, als das
direct anderswo Entnommene (das Märchen von dem „geraubten Schleier"
kennen itber auch die Grönländer, Indier, Siamesen imd Zulus) doch
zuweilen in besonderer Form und Verbindung auftritt, überdies von
GERMANIA. Nene Reihe III. (XV.) Jahrg. 11
162 FELIX LIEBRECHT
lappischen Conoeptionen bisher fast Nichts oder doch nur sehr Weniges
und auch nicht aus erster Quelle Geschöpftes bekannt geworden ist
Die Fassung ist zuweilen weitschweifig, indess habe ich zunächst nur
wenig gekürzt, um von der Vortragsweise eine treue Idee zu geben;
bei einer Herausgabe der ganzen Sammlung jedoch könnte (trotz
Grimms Bemerkung zu den serbischen Märchen in der deutschen Über-
setzung S. XII) gar Manches „gekürzt und geschmeidigt" werden.
Hinweisungen auf verwandte Märchen habe ich zur Zeit nicht beige-
ftlgt, mir dies bis zu anderer Gelegenheit vorbehaltend,
1. Der Fuchs und der Bär.
(Aus Karasjok in Westfinnmarken.)
Ein Fuchs war einmal auf der Wanderung und kam zu einem
Wege, wo kurz zuvor ein Berglappe mit einer Raide (einer Reihe hin-
tereinander festgebundener Schlitten) gefahren war. Er setzte sich an
den Rand des Weges und sprach zu sich selbst : „Wie wär's^ wenn
ich mich todt stellte? *was würde wohl daraus, wenn ich mich todt
anstellte und hier auf dem Wege so lange Uegen bliebe, bis die nächste
Berglappenraide vorüberkommt ?^ Gesagt gethan: der Fuchs legte sich
auf den Weg, streckte die Beine aus und lag nun da, ganz so als ob
er todt und steif wäre. Es dauerte auch nicht lange, so kam wieder
ein Berglappe mit seiner Raide gefahren. Da dieser einen todten Fuchs
auf dem Wege liegen sah, warf er ihn ohne Zaudern auf einen Kjeris
(Rennthierschlitten) und schob ihn unter die Stricke, womit die Ladung
festgebunden war. Der Fuchs rührte sich nicht, und der Lappe fuhr
weiter; es dauerte aber nicht lange, so fiel der Fuchs von dem Schlitten
herab , und der Lappe , der ihn fUr mausetodt hielt, schmiß ihn auf
einen andern Schlitten. Indess auch von diesem purzelte der Fuchs
herab^ weshalb der Lappe ihn endlich auf den hintersten Kjeris warf,
dessen Ladung aus Fischen bestand. Nun war der Fuchs gekommen
wohin er wollte und fieng alsbald an wieder au£suleben. Demnächst
schob er sich ein wenig vorwärts und biß den Zugstrang durch, daher
der Schlitten mitten auf dem Wege stehen blieb. Da es eine sehr lange
Raide war, merkte der Lappe anfangs keinen Unrath; nachdem er aber
eine gute Strecke gefahren, fieng es heftig zu schneien an, und nun
erst blickte er auf die Raide zurück und sah den hintersten Kjeris
verschwunden. Er spannte daher ein Rennthier ab und machte sich
mit demselben auf den Weg, um den isurückgebliebenen Schlitten auf-
zusuchen; allein dieser war nicht mehr sichtbar und bei dem heftigen
Schneefall keine Möglichkeit ihn wiederzufinden. Der Fuchs hatte sich
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 163
•
mzwisohen mit einem Fische davon gemat^ht und miterwegB einen Bä-
ren angetroffen. Als nun dieser bemerkte/ daß der Fuchs einen Fiech
trug, so fragte er ihn: „Wo hast du den Fisch her, Fuchs ?** -^ ,,Ja,
sagte dieser, ich habe meinen Schwanz in einen Brunnen gesteckt, an
dem richtige Leute {retfolk, im Gegensatz zu den unterirdischen) woh-
nen, und der Fisch hat sich daran festgehängt. ** — „ Kantist du mir
nicht rathen , wie ich die Fische dazu bringe , sich auch an Meinen
Schwanz zu hängen?" fragte der Bär weiter» -**- „Du erträgst das nicht,
was ich ertragen habe," meinte der Fuchs. — „Ohol brummte der Bär,
sollte ich das nicht ertragen können, was du, alter Bursche?" — „Nun
gut, Großväterchen, erwiederte der Fuchs, dann kannst du es versuchen
und auch deinen Schwanz in richtiger Leute Brunnen tauchen ; ich will
dir den Weg weisen.* — Er fahrte ihn also zu einem Brunnen hin
und sprach: ^Schau, hier ist der Brunnen, wo ich meinen Fisch fieng."
Da steckte der Bär -seinen Schwanz ins Wasser, und der Fuchs spa-
zierte inzwischen eine Zeit lang dort in der Nähe umher, damit der
Schwanz des Bären in dem Eise gehörig festfrieren könne. Als er dann
dafOr hielt, daß dies geschehen sein müsse, fieng er an laut zu rufen:
^Kommet herbei, ihr braven Leute mit Bogen und Spießen, hier sitzt
ein Bär und macht in euren Brunnen !^ Da kamen di^ Leute mit Bogen
und Spießen herbeigelaufen und stürzten auf den Bären los ; dieser aber
ftihr empor imd riß in der Hast seinen Schwanz glatt ab, wäh.rend der Fuchs
nach dem Walde lief und sich unter einer Föhrenwurzel verkroch. Dort
sprach er zu seinem Fuße also : „Was willst du thun, lieber Fuß, wenu
ich verrathen werde?** — „Ich will hurtig springen.!" — Was willst
du thun, liebes Ohr, wenn ich verrathen werde?** — „Ich will genau
aufhorchen!** — „Was willst du thun, liebe Nase, wenn ich verrathen
werde?** — „Ich will weithin wittern!** — „Was willst du thun, lieber
S<^hwanz, wenn ich verrathen werde?** — „Ich will denCurs steuern;
lauf zu, lauf zu!** — Er war aber noch nicht fort, als der Bär bereits
anlangte und an der Föhrenwurzel zu reißen und zu zerren anfieng.
Endlich erwischte er den Schwanz des Fuchses, zog ihn daran hervor
und warf ihn sich auf den Rücken, worauf er mit ihm davon trabte.
Unterwegs kam er bei einem alten Baumstumpf vorüber, auf welchem
ein kleiner bunter Specht in die Rinde hackte. „Das waren bessere
Zeiten, klagte der Fuchs vor sich hin, als ich die kleinen Vögelein
bunt malte.** - — „Was sagst du da, alter Bursche?** fragte der Bär. — ►
^Ichr ich sage gar nichts,** antwortete der Fuchs; trag du midi nur
immer nach deinem Lager und friß mich au£** Sie zogeoa weiter, aber
es dauerte n cht lange, so kamen sie wieder bei einem Specht vorbei«
11*
164 FELIX LIEBRECHT
„Das waren bessere Zeiten, als ich die kleinen Vögelein bunt malte,"
sprach wiederum der Fuchs. — „Kannst du mich nicht auch bunt
malen?" fragte der Bär. — „Du erträgst die Schmerzen nicht und
kannst die Arbeit alle nicht verrichten, die dazu erforderlich ist, ver-
setzte der Fuchs; dazu muß man eine Grube graben, Weidenbänder
drehen, Pföhle einschlagen, Pech in die Grube thun und über dem
allen Feuer anzünden." — „Das hilft nichts, erwiederte der Bär; wie
groß die Arbeit auch sein mag, ich will sie sammt und sonders zu
Stande bringen," und alsbald machte er sich daran die Grube zu graben.
Als er fertig war, band der Fuchs ihn am äußersten Rande derselben
fest, zündete dann Feuer an, und als es gehörig brannte, sprang er
dem Bären auf dem Rücken, worauf er die Weiden, mit denen dieser
festgebunden war, durchzubeißen anfieng. Der Bär glaubte, daß der
Fuchs damit beschäftigt wäre , seinen Rücken zu verherrlichen und
sprach : „Haitis, haitis, rieppo gales ! (Heiß, heiß, alter Junge I)" — „Ich
dachte mir's gleich, daß du das bischen Schmerz nicht ertragen wür-
dest, welches jenes kleine Vögelchen ertrug," sagte der Fuchs. —
„Doch, doch!" rief der Bär; bereits aber fiengen seine Haare zu sengen
an und in demselben Augenblicke gab ihm der Fuchs, der eben die
letzte Wiede durchgebissen hatte, einen solchen Puff, daß er in die
Grube hinunterstürzte, während er selbst zu Walde lief. Dort nun blieb
er so lange, bis seiner Meinung nach alles verbrannt und verloschen
war , worauf er mit einem Sacke nach der Grube zurückkehrte , die
verbrannten Knochen in denselben sammelte und ihn auf dem Rücken
tragend davonzog. Unterwegs begegnete er wieder einem Lappen mit
einer Raide und der Fuchs schüttelte den Sack, so daß die Knochen
darin klapperten und der Lappe, als er dies hörte, bei sidi dachte:
„Klang es da nicht gerade wie Silber und Gold? — Was hast du da?"
fragte er dann den Fuchs. — „Mein elterliches Erbtheil," antwortete
dieser; wollen wir handeln?" — „Ja wohl, sprach der Lappe; doch
zeige mir erst das Geld, womit du mich bezahlen willst" „Das kann
ich nicht, versetzte der Fuchs, denn es ist mein Erbe von Vater und
Mutter; wenn du mir aber das Zugthier da geben willst, und den Zwei-
jährling da und den Dreijährling dort, dann sollst du den Sack be-
kommen und Alles mit einander was darin ist." Der Lappe gieng dar-
auf ein, nahm den Sack, und der Fuchs bekam die Rennthiere. „Aber,
sagte der Fuchs, du darfst nicht eher in den Sack gucken, als bis du
ein gutes Stück Weg fort bist, so über ftlnf oder sechs kleine Berge
weg. Siehst du früher hinein, so wird alles Silber und Gold zu lauter
verbrannten Knochen." So zog denn jeder seines Weges, der Lappe
. •
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 165
mit dem Geldsack und der Fuchs mit den Rennthieren. Jener aber
konnte sich gleichwohl nicht enthalten, noch ehe er „so über flinf oder
sechs kleine Berge weg" war, in den Sack zu gucken und fand bloß
verbrannte Knochen darin. Er sah nun, daß der Fuchs ihn geprellt
hatte und lief ihm deshalb alsbald auf Schneeschuhen nach. Als der
Fuchs merkte, daß er verfolgt wurde, so wünschte er: „Quer durch,
quer durch mit des Mannes Schneeschuhen!'' und in dem nämlichen
Augenblicke brachen des Lappen Sehneeschuhe mitten entzwei. Da
nahm er ein Zugrennthier und jagte wieder dem Fuchs nach. Als nun
dieser die neue Verfolgung merkte, so wünschte er: „Quer durch,
quer durch mit des Rennthiers Fuß!" und sogleich knackte der eine
Fuß des Rennthiers mitten entzwei, und der Lappe muaste die Ver-
folgung aufgeben. Nun zog der Fuchs in Frieden weiter bis zu der
Stelle, wo er seine Mahlzeiten zu halten pflegte. Dort suchte er sich
Leute zu verschaffen, die ihm beim Schlachten der Rennthiere Hilfe
leisten konnten, und er rief deshalb allerlei Raubthiere zusammen, den
Bären, den Wolf, den Vielfraß, das Hermelin, die Maus, den Weiß-
fuchs, die Schlange, die Natter und den Frosch; sie sollten seine Diener
sein imd ihm beim Schlachten helfen. Sie machten sich also daran,
jedes auf seine Weise, den Rennthieren das Leben zu nehmen. Der
Bär schoß in die Kinnlade ; deshalb findet sich in der Kinnlade des
Rennthiers ein Mark, welches noch heutzutage „der Bärenpfeil" heißt*
der Wolf schoß in den Hinterschenkel, deshalb findet sich da ein Zei-
chen wie ein Pfeil, welches »der Wolfspfeil" genannt wird; der Viel-
fraß schoß in den Nacken, weshalb das Rennthier dort ein Zeichen
von dem Pfeil des Vielfraßes behalten hat; das Hermelin schoß in
die Kehle, deshalb findet sich an der Wurzel derselben ein Zeichen
von diesem Pfeile ; die Maus schoß in die Hufspalte , deshalb findet
sich dort das Zeichen „der Mäusepfeil" ; die Natter schoß in den After,
wo sich deshalb das Zeichen ^der Natterpfeil" findet; der Weißfuchs
schoß in die Ohrwurzel , weshalb sich auf der Hinterseite des Ohres
ein ganz kleines Knöchelchen befindet, das „der Weißfdchspfeil" heißt;
die Schlange schoß in das Darmfett, weshalb sich zwischen diesem
und dem Darm ein Zeichen, genannt „der Schlangenpfeil^ findet; der
Frosch schoß in das Herzfett, und deshalb befindet sich zwischen die-
sem und dem Herzen ein kleiner Knorpel, welcher „der Froschpfeil"
heißt. Auf diese Weise brachten sie alle Rennthiere ums Leben. „Nun
gehe ich zum Bach , um den Unrath aus den Rennthiermägen auszu-
spülen ," sprach der Fuchs und gieng mit diesen hinter einen Stein,
\Y0 er heftig zu schreien und zu jammern anfieng, gerade als ob ihn
16B FELIX LIEBRECHT
jemand gepackt hätte und ihm den Garaus machen wollte; so daß die
RaubthierC; als sie das klägliche Geschrei vernahmen^ Angst bekamen
und nach allen Seiten davonliefen; bloß das Hermelin und die Maus
blieben zurück. Der Fuchs behielt also das ganze Fleisch für sich allein
und wollte gerade zu kochen anfangen^ als ein Berglappe herbeikam^ und
zwar eben der, welchen er so stark geprellt. „Was machst du da?". fragte
der Lappe; warum hast du mich belogen und mir verbrannte Knochen
verkauft? und warum hast du alle Rennthiere geschlachtet?" — ^.Lieber
Bruder, sprach der Fuchs mit kläglicher Stimme, ^aube ja nicht, daß
ich das gewesen bin ; meine Kameraden haben es gethan und die Thiere
geschlachtet* In demselben Augenblick wurde der Lappe das Her-
melin und die Maus gewahr, welche, mit Fett um das Maul beschmiert,
zwischen den Steinen umherschlichen. Er ergriff daher den Haken, an
dem der Kochtopf über dem Feuer hieng und schlug damit nach dem
Hermelin ; allein er traf es bloß an der Schwanzspitze, und deshalb
ist nur diese schwarz geblieben ; die Maus jedoch traf er mit einem
Brande dermaßen, daß sie über und über am ganzen Körper schwarz
geworden ist. Inzwischen aber sprang der Fuchs zu Walde und kam
an einen Fluß, wo eben ein Mann seinen Kahn ausbesserte. „Ich wollte,
ich hätte auch einen Kahn, den ich ausbessern müsste!" rief der Fuchs
aus. — „Oho! sprach der Mann, laß dergleichen dummes Geschwätz
unterwegs, sonst schmeiß' ich dich in den Fluß." — „Ich wallte, ich
hätte auch einen Kahn, den ich ausbessern müsste!" wiederholte der
Fuchs. Da erwisehte ihn der Mann und schleuderte ihn in den Fluß
hinaus, wo er jedoch auf einen Stein hinaufkroch und zu rufen anfieng:
„Kommet herbei, ihr Fische, und setzet mich hinüber ans andere Ufer!"
So kamen denn die Fische herangeschwommen und zwar i&uerst der Hecht.
„Nein, sprach aber der Fuchs, auf deinen flachen Rücken setze ich mich
nicht" Da kam die Quappe. „Nein, sprach wiederum der Fuchs, auf deine
schleimige Haut setze ich mich nicht" Dann kam die Äsche. „Nein>
auf deinen buckligen Rücken setze ich mich nicht." Dann kam der
Barsch. „Nein, auf deinen rauhen Rücken s^ze ich mich nicht.^' Dann
kam die Bergforelle. „Der Tausend! rief der Fuchs, bist du auch hier?
aber auch du taugst nicht fiir mich." Dann kam der Lachs. „Nun ja^
meinte der Fuchs> mit dir gienge es wohl; aber du musat ein bischen
näher herankommen, damit ich dir auf den Rücken steigen kann, ohne
mir die Füße naß zu machen." Als daher der Lachs ganz nahe an
den Stein heranschwamm , packte ihn der Fucha hurtig am Nacken,
warf ihn ans Land und steckte ihn, mushdem er ein Feuer angezilndei^
üA den Bratspieß* Sobald aber das Feuer sich erbrannte und..die>Ha9t
r
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 167
des Lachses za bersten und zu knistern anfieng, sprach der Fachs:
^SchaUy da kommen nun wieder Leute !^ denn er glaubte > es wären
die dürren Zweige, welche unter den FtLßen der sich nahenden Per-
sonen so knackten. Kaum jedoch hatte er dies gesagt, so fiel ihm der
Lachs ins Auge und er rief nun aus: „Das ist ja mein kleiner Fisch,
der so knistert!^ Zugleich ergriff er einen Stein und schlug damit den
Lachs dermaßen, daß das Fett ihm in die Augen spritzte und sie ihm
ttlchtig verbrannte. Er zog daher blindlings seines Weges und traf
zuerst die Birke, die er fragte: „Hast du nicht ein Paar Auglein übrig?"
— „Nein, antwortete die Birke, ich habe keine Augen übrig/' Dann
kam er zur Föhre und versuchte, von dieser ein Paar Augen geliehen
zu erhalten. „Hast du nicht ein Paar Augen übrig?** fragte er. —
„Nein, ich habe keine Augen,'' versetzte die Föhre. Dann kam er zur
Espe: „Hast du nicht ein Paar Auglein übrig?" — „Ja, die habe ich
Wohl , sprach die Espe , doch leihe ich sie nicht auf lange fort ; auf
kurze Zeit jedoch kannst du sie geliehen erhalten." — „Ich brauche
sie nicht lange, sagte der Fuchs; hinter dem Hügel dort habe ich ein
Paar ändere Augen." Er bekam also die Augen, und indem er mit
ihnen fortlief, rief er aus: „Von Geschlecht zu Geschlecht sollen die
Augen der Espe mir verbleiben I" Daher kommt es denn auch, daß
die Espe wegen des eingegangenen Tausches gleichsam verbrannte
Augen hat. Sie wurde darüber sehr aufgebracht und schlug nach dem
Fuchse, traf aber nur die Spitze seines Schwanzes, so daß bloß diese
weiß geblieben ist.
Gieddegaes-galggo, Haccil-aedne und iNjavis-aedne*).
In vielen von den lappländischen Märchen spieleü einige über-
natüriiche weibliche Wesen eine sehr wichtige Rolle. Das eine von ihnen
heißt Gieddegaes - galggo oder Gieddegaes - akko , die andere Haccis-
aedne öder Haccecan-nieidda , eine dritte Njavis-aedne oder Njaviöan-
nieidda« Die erstgenannte wird stets als ein wohlwollendes Wesen ge-
schildert, als eine sehr alte kluge Frau, die Alles weiß, was auf dem
ganzen Erdkreis vorgeht und ftlr Alles Rath findet. Sie nimmt in den
lappländischen Märchen die nämliche Stelle ein wie Leski-akka (Wittwe
-Hausfrau) in den finnischen. Sie hält sich in Einöden auf, woher sie
auch ihren Namen hat (Giedde-gaes- galggo, d.i. Fluren -Ende -Frau).
Wenn der Held eines Märchens sich in Noth befindet, so wendet er
sich häufig aa sie, um Rath zu erhalten. Vielleicht ist der Glaube an
*) i5 -■ sbj, e — r ts, i — tech.
168 FELIX LIEBRECHT
sie eine Reminiscenz der Göttin Madderakka (über welche Näheres in
der Mythologie). Haccis-aedne dagegen war ein boshaftes schlaues
Trollweib , welches durch allerlei Listen sich an die Stelle anderer
Frauen zu setzen suchte; sie entspricht in jeder Beziehung der finni-
schen Syöjäter (Fresserin). Njavis-aedne war gutmüthig, aber einföltig^
und ließ sich leicht von Haccis-aedne zum NaiTcn haben.
2. Haoois - äedne.
(Aus Skjaenrö.)
Es waren einmal zwei Waisen, ein Knabe und ein Mädchen. Sie
bauten sich eine Hütte tief in einer Einöde und lebten da so gut sie
konnten. So geschah es denn eines Tages, daß der Sohn eines Königs
dorthin kam und^ als er das Mädchen erblickte, sich dermaßen in sie
verliebte, daß er nicht so rasch wieder fortkonnte und deshalb einige
Tage bei ihnen blieb. Endlich aber musste er denn doch wieder zu
den Seinigen zurückkehren, imd da erfuhr er nach einem Jähre, daß
das Mädchen von ihm ein Kind geboren hatte, weshalb er ihr und
ihrem Bruder den Befehl zuschickte, sie sollten zu ihm auf sein Schloss
kommen. Da man um dorthin zu gelangen über einen großen See fahren
musste, so zimmerte der junge Bursche ein Boot und sie fuhren ab.
Als sie eine Strecke weit gerudert waren, kam Haccis-aedne an den
Strand hinabgesprungen, rief ihnen zu und bat flehentlich, sie als Magd
begleiten zu dürfen. Die Schwester jedoch wollte das Anerbieten nicht
annehmen. ^Ei, sprach der Bruder, warum kannst du sie nicht als
Magd mitnehmen?'^ und so wurde ihr denn erlaubt mitzukommen. Da
nun die Schwester auf dem Vordertheil des Bootes, der Bruder hinten
und Haccis-aedne in der Mitte saß, so konnte letztere sehr genau hören,
was die beiden andern sagten, während diese dagegen einander nicht
gut hören konnten. Als sie so eine gute Strecke gerudert wären, fiengen
sie endlich an, das Königsschloss in der Ferne zu erblicken. ^Zieh
dir nun die besten Kleider an, sprach der Bruder zur Schwester,
denn schon können wir da unten das königliche Schloss sehen " —
„Was sagt mein Bruder?" fragte die Schwester. — „Was dein Bruder
sagt ? antwortete Haccis-aedne ; er sagt , daß du dir deine besten
Kleider anziehen und ins Wasser springen sollst, dann wirst du zu
einer Goldente." Die Schwester hörte nun zu rudern auf und fieng an
sich zu schmücken. „Mach rasch, sagte der Bruder, denn das Schloss
ist schon ganz nahe.'' — „Was sagt mein Bruder ?** fragte wiederum
die Schwester. — „Er sagt, antwortete Haccis-aedne, daß du deine
besten Kleider anlegen und ins Wasser springen aollst, dann wirst du
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 169
eine Goldente , und der Königssohn wird dich dann noch viel lieber
haben als vorher." Die Schwester that wie der Bruder sagte und sprang
ins Wasser. Der Bruder wollte sie wieder herausziehen^ allein ehe er
«ie fassen konnte; war sie in eine Öoldente verwandelt und schwamm
fort, während Haccis-aedne alsobald das Kind ergriff, es an die Brust
legte und es säugte. Als sie an dem Ufer anlangten, wo das Königs-
schloss lag, kamen ihnen Leute entgegen, welche sie in das Schloss
fbhrten, wo aber der junge Bursche nicht zu erzählen wagte, was un-
terwegs vorgefallen war. Den Tag darauf jedoch nahm er das Kind^
und trug es an den Strand und fieng an zu rufen : „Liebe Schwester —
komm ans Ufer! — das Kind weint, — die Kuh brüllt, — komm ans
Ufer!" — Sogleich kam die Ente ans Ufer geschwommen, und da der
Bruder ihr das Kind entgegenhielt, verwandelte sie sich wieder in seine
Schwester, nahm das Kind und säugte es. Als sie damit fertig war^
gab «ie es dem Bruder zurück, der zugleich auch sie selbst festhalten
wollte, allein sie verwandelte sich wieder in eine Goldente und schwamm
in den See hinaus. Auf dem Rückwege nach dem Schlosse dachte der
Bruder darüber nach, wie er es anfangen sollte, um seine Schwester
wiederzubekommen, konnte aber nichts ausfindig machen und beschloß
daher, sich an Gieddegaes-galggo zu wenden. Diese gab ihm den ßath,
sich eine so weite Kleidung zu machen, daß zwei Menschen sie zu
gleicher Zeit anziehen könnten, ohne deshalb anders als ein einziger
Mensch auszusehto; dann sollten sie an das Ufer hinabgehen und wie
fiüher rufen: ^Liebe Schwester, komm ans Ufer u. s. w." Der junge
Bursche that wie ihm gerathen war, und als die Schwester ihm nun
das Kind, nachdem sie es gestillt, zurückgab, fasste der andere Mann,
den sie nicht gesehen hatte, sie um den Leib und hielt sie fest. Den-
noch wäre sie ihm fast wieder entschlüpft; denn bald verwandelte sie
sich in seinen Händen in einen ganz kleinen Wurm, bald in eine häß-
liche Kröte, bald in ein Stück Seegras, bald in eine Mücke, aber in
was sie sich auch verwandeln mochte, er ließ nicht los, und endlich
nahm sie wieder ihre menschliche Gestalt an. Da sie nun mit ihnen
nach dem Königsschloss kommen sollte, wollte sie, wie sehr sie auch
baten,* durchaus nicht eher mitgehen, als bis Haccis-aedne verbrannt
und jede Spur von ihr mit Schwefel, Feuer und Wasser ausgetilgt wäre.
Der Königssohn wurde daher von allem, was sich zugetragen, in Kennt-
niss gesetzt, so daß er alsbald eine große tiefe Grube graben, sie mit
Pech und Theer anfüllen und dies dann anzünden ließ. Hierauf begab
er feich mit Haccis-aedne dorthin unter dem Vorwand, das Feuer brennen
2U sehen, und während sie um dasselbe herumgiengen , gab er ihr
17Ö FELIX LIEBRECHT
pl5t2slic^ von hinten einen tüchtigen Stoß, so daß sie in die Grube
fitürzte und verbrannte. Nun machte et das arme Mädchen zu seiner
G-emahlin und hielt eine prächtige Hochzeit; ich aber reiste von dort
weg und weiß nicht, wie es später zugegangen ist
8. Das H&dohen aus dem Heere,
(Aus Lebesby.)
Ee war einmal eifi Baui^r, der hatte einen einzigen Sohn. Eines
Tages zog dieser auf die Jagd und kam zu einer Meeresbucht, wo
der Strand mit dem feinsten Sande bedeckt war und das Wasser weit
hinaus hell und klar über dem weißen Sandboden leuchtete. Der junge
Bursche setzte sich an dem Waldrande nieder und zog seinen Speise-
vorrath aus der Tasche. Während er es sich nun auf das Beste schmecken
ließ, tauchten drei Mädchen aus dem Meere empor, stiren ans Ufei^
und legten ihre Kleider auf den Rasen hin ; zwei von ihnen an dem-
selben Ort, die dritte aber legte die ihrigen ein wenig abseits von den
andern. Nachdem sie sich nun so entkleidet hatten , begaben sie sich
wieder hinaus in die See, um sich zu baden. Sie wateten hin und her,
spielten und scherzten und plätscherten mit den Händen im Wasser.
Bann giengen sie wieder ans Ufer, zogen ihre Kleider an und ver^
schwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren. Auch der junge
Bursche gieng seines Weges, kam aber den nächsten Tag wieder, um
zu sehen, ob a;ach die Mädchen sich von neuem zeigen würden, wo-
bei er ein Versteck suchte, von wo aus er sie ganz in der Nähe be-
obachten konnte, ohne von ihnen gesehen zu werden. Er hatte auch
wirklich nicht lange dagesessen, als die drei Mädchen sich wieder ein-'
stellten und ganz ebenso thaten , wie das erste Mal ; doch auch an>
diesem Tage störte der junge Bauemsohn sie nicht, bemerkte indeß,
daß die Kleider, welche das eine der Mädchen etwas abseits legte,
hübscher waren als die der andern beiden. Am dritten Tage jedoch
begab er sich hin mit dem Vorsatz, daß, wenn er die Mädchen noch ein^
mal zu sehen bekäme, er die Kleider, welche die eine von ihnen be^
sonders legte, verstecken wollte. Wie gedacht so gethan. Die Mädchen
kamen wieder, und während sie sich badeten, schlich der junge Bursche
herbei, nahm die schmucksten Kleider mit fort und versteckte sie. Als
nun die Mädchen sich gebadet, hatten und wieder ans Ufer stiegen,
landen zwei von ihnen ihre Kleider an dem Orte , wo sie dieselben
hingelegt, zogen sie an und vertichwanden ; die dritte hingegen fend
die ihrigen nicht. Sie wtBrde darüber sehr ba;nge und traurig, lief hin
und her und. rief aus: ^Wenn du, der du mir die Kleider geB^mmen>
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 171
ein Mjänn bist^ so verspredbe ich dir als Liebste dasjenige
das du selbst dir wünschest ; bist da aber ein Mädchen^ so verspreche ioh
dir denBräutigapi, den du selbst dir wünschest.^ Da kam der junge Bursche
aus seinem Versteck hervor und rief: ^Du bekommst deine Kleider nicht
eher, als bis du mir versprichst, selbst meine Frau zu werden.'' Das Mäd-
chen weinte und jammerte und sagte, daß dies nicht möglich wäre. „Ich
kann hier nicht leben, da ich hier nicht zur Welt gekommen bin, und
du kannst da nicht leben , wo ich herkomme.** Der junge Bursche
meinte indess^ daß dies doch wohl angienge, und er sprach, und bat so
lange, bis sie schließlich nachgeben und ihm versprechen musste, seine
Frau zu werden, obwohl sie dabei heftig weinte. Er fUhrte sie also zu
seinen Eltern, ließ sie taufen und gab ihr einen christlichen Namen,
worauf sie sich ehelich verbanden und nach einigen Jahren einen Sohn
bekamen. Als dieser so groß geworden war, daß er gehen konnte, be-
gleitete er eines Tages seinen Vater nach dem Vorrathshause. In dem
Kasten aber, aus welchem dieser etwas herauszunehmen hatte, lagen
obenauf einige Kleidungsstücke, die er zuvörderst bei Seite legte, und
da sie dem Knaben, der dabei stand, ganz besonders schmuck und rar
dünkten, so fragte er den Vater, wem sie denn gehörten. Der Vater
gab aber hierauf keine Antwort, sondern legte die Slleider wieder an
ihre Stelle. Des andern Tags jedoch, als er in den Wald gegangen
und die Mutter mit dem Knaben allein geblieben war, erzählte er ihr
von den schmucken und raren Kleidern, die er mit dem Vater im Vor-
rathshause gesehen. Die Mutter nahm den Knaben bei d^ Hand xmd
hieß ihn ihr zeigen, wo denn die Rarität läge. Als sie den Kasten öff^
ndie, erkannte sie gleich die Kleider wieder, die sie einst axLS dem Meere
mitgebracht hatte und empfand darüber zugleich Freude und Traurige
keit; doch nahm sie dieselben mit in die Stube. Hier legte sie sie an,
küsste das Söhnchen, welches auf der Schwelle- stehen blieb und ihr
nachhliokte^^ f^eng dann nach dem Strande hinab und verschwand
in dem Meere, aais dem sie gekommen war; Als nnn der Mann nach
Hause kehrte imd seine Frau nirgends sah, fragte er den Knaben:
„Wo ist deine Mutter?** — „Die Mutter, sagte dieser, ist ans Meer
gegangen.** Der Mann dachte sich nun gleich^ daß sie wohl ihre Meer-
frauenkleider, die er in dem Kasten aufgehoben, wiedergefunden hätte
und in ihre alte Heimat zurückgekehrt wäre. Er wurde also sehr traurig
und. wusstoi nicht , was er anfangen sollte; endlich jedoch suchte er
Oieddegaes-galggo und erzäUte ihr das Vorgefallene. „Hast du keine
Kinder?" fragte sie. — „Ja, antwortete er, einen kleinen Sohn.** — „So
sei nicht länger traurig, sprach jene; sie kommt noch dreimal wieder
172 FELIX LIEBRECHT
in dein Haus ; lassest du sie aber das dritte Mal fort , so kehrt sie
mmmer wieder. Heute Nacht kommt sie das erste Mal ; jedoch darfst
du dich in deinem Bette nicht rühren, sondern musst thun, als ob du
«chliefest. Sie wird sich bei dem Kinde niedersetzen und es eine Zeit
lang streicheln und liebkosen. In der zweiten Nacht wird sie wieder
kommen und eben so thun. Sobald es nun aber am dritten Tage Abend
zu werden beginnt, mache dir im Winkel bei der Thür ein Versteck
zurecht, und das Bett laß du so aussehen, als ob du darin lägest und
schliefest. Wann sie dann das dritte Mal kommt^ so hält sie sich am
längsten auf; in dem Augenblick aber, wo sie fortgehen will, fasse du
sie um den Leib und halte sie mit allen Kräften fest, sprich ihr liebe-
voll zu und suche sie zu überreden, daß sie bei dir bleibe. Wenn sie
nun nachgibt und nicht länger versucht sich von dir lossnireißen , so
führe sie zimi Bett und lege dich mit ihr hinein. Sobald sie aber ein-
geschlafen ist, stehe leise auf, geh hinaus und sieh zu, daß du die
Kleider findest, wejche sie trug, als sie aus dem Meere kam. Sie liegen
an der Ecke des Hauses, bring sie zu mir, und ich werde sie so auf-
heben , daß sie nimmer wieder von irdischen Menschenaugen erblickt
werden sollen." Es gieng alles wie Gieddegaes-galggo vorausgesagt.
Als die Mutter zweimal bei ihrem Kinde gewesen war und der Abend
des dritten Tages sich nahte, that der Mann wie Gieddegaes-galggo ihm
gerathen hatte. Noch brannte die Lampe, da hörte er seine Frau kom-
men , leise die Thüre öffiien und sich nach der Stelle hinschleichen,
wo das Kind lag. Da setzte sie sich nieder und fieng an das Söhnchen
zu streicheln und zu liebkosen. Als sie aber wieder fortgehen wollte
und mitten in der Stube war, ergriff sie ihr Mann und hielt sie fest
und sprach ihr liebevoll zu mit allen überredenden Worten , deren er
niächtig war, so daß sie endlich sich beruhigte und nicht länger sich
loszureißen versuchte. Dann führte er sie ans Bett und legte sicji mit
ihr hinein. Sie versank rasch in einen tiefen Schlaf, in welchem der
Mann sie ließ, während er aufstand, um die Kleider zu suchen, die sie
vor dem Hause abgelegt hatte. Er fand sie und brachte sie zu Giedde-
gaes-galggo, welche sagte: „Diese Kleider will ich so verbergen, daß
kein Menschenauge sie mehr sehen soll !" worauf der Mann wieder
nach Hause kehrte und sich an seiner Frau Seite legte. Von dieser
Zeit an ftihrten sie ein glückliches Leben ; alles schlug ihnen nach
Wunsch aus, und die Verwandten der Frau brachten ihr aus der Tiefe
des Meeres alles was sie nöthig hatte oder wünschte»
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 173»
4. Die Hexe und Jes.
(Aus dem schwedischen Lappmarken.)
Ein alter Lappe hatte sich einmal auf der Jagd dermaßen ver-
irrt, daß er nicht wieder nach Hause fand. Endlich kam er zu einer
kleinen Hütte auf einer Lichtung im Walde. Er gieng hinein, um da
die Nacht über zu bleiben, machte Feuer und fieng an, in einem kleinen
Kessel, den er mit sich flihrte, etwas von seiner Jagdbeute zu kochen.
Plötzlich trat eine Hexe (Troldkjerring) herein und fragte : »Wie heißest
du?" — „Ich heiße Jes (Selbst)," antwortete der Lappe, nahm aber
in demselben Augenblick einen Schöpflöffel voll kochenden Wassers
und goß ihn der Hexe in die Fratze. Da fieng sie an jämmerlich zu
schreien und zu heulen und rief aus: „Jes muo boldi, Jes muo boldi!
(Selbst mich verbrannte. Selbst mich verbrannte)." — „Hast du dich
selbst verbrannt, so musst du selbst daflLr leiden!** antwortete es von
dem nächsten Berge, wo sich die Genossen des Trollweibes befanden,
80 daß fiir dieses Mal der Lappe mit heiler Haut davon kam, obwohl
sie beim Fortgehen sagte: „Selbst kannte mich und Selbst verbrannte
mich imd Selbst soll bis zum nächsten Jahre schlafen!" Nach. der Mahl-
zeit legte der Lappe sich zur Ruhe; als er aber des Morgens aufwachte
und in seinen Speisesack griff, fand er ihn voll Schimmel und Fäulniss
und verdorbener Speisereste. Er konnte nicht begreifen, wie das zu-
gegangen; als er aber weiterhin Leute traf^ so erfuhr er, daß er ein
ganzes Jahr fortgewesen war.
Jetanas oder Jetanis.
Die Lappen besitzen viele Erzählungen von einem furchtbar
großen Ungeheuer in Menschengestalt, welches sie Jetanas oder Jetanis
nennen. Der Schilderung nach ist es eins mit. dem skandinavischen
Jaette oder Riese und dem finnischen Jatuni (oder in der Mythologie
Kalevan pojat). Ein lappischer Jetanas war so viel größer als ein ge-
wöhnlicher Mensch, daß er mit Leichtigkeit einen Lappen zwischen die
Finger nehmen und in die Westentasche stecken konnte ; ja, eine Ka-
levatochter nahm sogar einen Bauern zugleich mit seinem Pferde und
Pflug in die Schürze, trug sie zu ihrer Mutter und fragte: „Was ist das
för ein Käfer, den ich da draussen auf dem Felde fand, wie er in
der Erde wühlte?" (vgl. Grimm DM. 505 ff.) Wie im südlichen Skan-
dinavien, so zeigt man auch in Lappmarken ungeheuer große Steine,
die durch Riesen von weit entfernten Bergen sollen herabgeschleudert ^
worden sein. In Torneä-Lappmark haben mehrere Stellen noch ihren
174 FELIX LIEBRECHT
Jetanisnamen behalten; so findet man dort ein Jetanis-cielgge (Riesen-
rücken), Jetanisjänkä (Riesenmoor) n. s. w. Üngefehr eine Meile nörd-
licli von Karasuando befindet sich eine große Felsenplatte , die weit
in den Fluß hineingeht und wie eine steinerne BrtLcke aussieht. Diese
t^latte soll von einem Riesen, der sich eine Brücke über den Fluß
tnachen wollte, dorthin gelegt sein, und daher hat auch jene Stelle
ihren Namen Jatuni niva (Riesenstrom) erhalten» Die sogenannten Rie-
öentöpfe (Jaettegryder) , kleinere oder größere vom Wasser gebildete
Löcher in den Bergfelsen, finden sich auch in Lappmarken. In Betreflf
dieser glaubt man aber nicht, daß sie von Riesen herrühren oder von
ihnen benützt wurden. Man nennt sie Kadnika basatam garre (der
Unterirdischen oder Bergweiber Waschßlsser).
5. Der Biese, dessen Leben in einem EÜuierei verborgen war.
(Am Utcgok.)
Eine Frau hatte einen Mann, der sieben Jahre lang mit einem
Riesen in Fehde lag. Dieser fand nämlich Wohlgefallen an der Frau
und wollte den Mann ums Leben bringen, um letztere zum Weibe zu
nehmen. Nach sieben Jahren gelang es ihm endlich^ seinen Zweck zu
erreichen; jedoch hatte der Getödtete einen Sohn, welcher, herange-
wachsen, daran dachte, sich an dem Riesen zu rächen, der seinen Vater
getödtet und seine Mutter zur Frau genommen hatte. Es war aber dem
jungen Menschen nicht möglich, dem Riesen mit Feuer oder Schwert
ans Leben zu kommen^ alles was er that und versuchte half nichts;
es schien gerade, als ob sich in dem Riesen kein Leben befände.
„Liebe Mutter, sagte eines Tages der Sohn zu ihr, du weißt wohl nicht,
wo der Riese sein Leben verborgen hat?" Die Mutter wusste es nicht,
versprach aber, den Riesen auszuforschen, und da dieser eines Tages
sich bei guter Laune befand, fragte sie ihn unter anderm auch, wo er
denn sein Leben hätte. „Warum fragst du mich das?" antwortete der
Riese. — „Ja, meinte die Frau, wenn du oder ich einmal in Noth oder
Gefahr kommen , so ist es tröstlich zu wissen , daß wenigstens dein
Leben wohl bewahrt ist." Der Riese, der keinen Unrath merkte, er-
zählte nun der Frau von seinem Leben und sagte: „Draußen auf einem
brennenden Meere ist eine Insel, auf der Insel ist eine Tonne, in der
Tonne ein Schaf, in dem Schaf eine Henne, in der Henne ein Ei, und
in dem Ei steckt mein Leben !* Den Tag darauf kam der Sohn wieder
zur Mutter, die nun zu ihm sagte: „Jetzt, lieber Sohn, habe ich Kunde
über das Leben des Riesen erhalten; er hat mir gesagt, daß es sich
weit fort von hier befindet**, und darauf theilte sie ihm mit, was sie
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 175
von dem Riesen erfahren. Da sprach der Sohn: „So muß ich mir Ge-
hilfen miethen, mit denen ich über das brennende Meer fahren kann.**
Er miethete sieh also einen Bären, einen Wolf, einen Habicht und
einen Seetaucher (colymbus glacialis) und machte sich in einem Boote
iauf den Weg. Er setzte sich in die Mitte des Fahrzeuges unter einem
eisernen Zelte, und den Habicht so wie den Tauohvögel hatte er dort
gleichfalls bei sich, damit sie nicht verbrennen sollten, den Bären und
den Wolf aber ließ er rudern. Daher kommt es^ daß der Bär schwarz-
briiune Haare und der Wolf schwarzbraune Flecken hat; denn beide
haben eine Fahrt über das brennende Meer gemacht, dessen Wogen
wie Feuerflammen in die Höhe schlugen. So gelangten sie zu der Insel,
wo das Leben des Riesen f^in sollte. Nachdem sie die Tonne gefunden,
ßchlug der Bär ihr mit der Tatze den Boden ein und ein Schaf sprang
hervor , welches jedoch der Wolf einholte , am Hinterschenkel packte
uud in Stücke riß. Aus dem Schafe flog eine Henne, auf welche der
Habicht sich stürzte, worauf er sie mit seinen EJauen zerriu. In der
Henne war ein Ei, welches ins Meer fiel und versank, weshalb der
Seetaucher ausflog und dem Ei nachtauchte. Das erste Mal blieb er
geraume Zeit fort: da er es aber nicht länger unter dem Wasser aus*
hielt; ohne zu athmen, so kam er wieder auf die Oberfläche, um Luft
zu schöpfen Dann tauchte er wiederum unter, blieb länger fort als
das erste Mal, fand aber gleichwohl das Ei nicht Zum dritten Mal '
endlich fand er es auf dem Grunde des Meeres , brachte es auf die
Oberfläche empqr und übergab es dem jungen Menschen, der sich sehr
darüber fireute. Alsbald zündete er auf dem Ufer ein großes Feuer an,
legte ^ als es gehörig in Brand gekommen war, das Ei mitten hinein
und ruderte unverzüglich wieder über das Meer zurück» Sobald er ans
Land kam, eilte er gerades Weges nach dem Gehöfte des Riesen und
sah nun , daß dieser eben jetzt gerade so verbnsimte wie das Ei auf
der Insel. Die Mutter war nicht minder froh als der Sohn^ daß sie dem
Riesenungeheuer den Garaus gemacht hätten. Noch aber war ein wenig
Leben in dem Riesen, und da er ihre Freude sah, brach er in die
Worte aus: „Ich Thor, der ich mich habe verleiten lassen, dem alteii
bösen Weibe mein Leb^a zu verrathen I^ und zugleich ergriff er daa
eiserne Rohr, womit er den Menschen das Blut auszusaugen pflegte.
Die Frau hatte jedoch dasselbe mit dem einen Ende in die Gluth de»
Heerdes gesteckt, so daß er glühende Kohlen^ Asche imd Feuer ein-
schluckte und sowohl inwendig wie aufwendig verbrannte. Akdann
verlosch das Feuer und mit dem Feuer das Leben des Riese».
176 FELIX LIEBRECHT
6. Der Biese und der kleine Junge.
Ein kleiner Junge hütete die Schafe ^ da kam ein Riese zu ihm
imd wollte ihn als Knecht haben. Der Junge gieng darauf ein. ^Sobald
du die Schafe nach Hause getrieben hast, wirst du mich hier finden"^
«prach der Riese. Als nun der Junge zurück kam, machten sie sich
auf nach der Wohnung des Riesen. Unterwegs wurden sie beide einig
darüber, daß sie etwas trockenes Holz zum Kochen mit nach des
Riesen Wohnung bringen müssten, und so trafen sie denn eine Birke.
^Ich denke, wir nehmen diese Birke da.* — „Sie ist ein bischen klein,**
«agte der Junge. So giengen sie ein Stück wieder und fanden eine Eiche,
^ine große Eiche, die der Wind umgebrochen hatte. „Ich denke, wir
nehmen diese Eiche," sprach der Junge. — „Sie ist ein bischen groß**,
meinte der Riese. — „Warum nicht gar, sagte der Junge; fasse du
am Wipfel an, so will ich am Wurzelende anfassen,^ und zugleich fieng
«r an, ein Paar lange spitze Holzpflöcke zu schnitzen. „Was willst du
mit den Pflöcken?" fragte der Riese. — „Sie dir in die Augen stechen,
wenn du hinter dich siehst," sprach der Junge. Als nun der Riese
den Wipfel angriff und zu schleppen anfieng, setzte der Junge sich auf
■das Wurzelende; der Riese aber wagte nicht hinter sich zu sehen.
Sobald sie eine kurze Strecke weiter waren, sagte der Riese : „Schau,
* schau, das ist schwer!** — „Warum nicht gar, sprach der Junge; ich
bin noch nicht im mindesten müde." Als sie nun anfingen, sich der
Wohnung des Riesen zu nähern , sprach der Junge : „Du wirst den
Baum nicht eher zu Boden werfen, als bis ich es dich heiße.** Als nun
der Junge es hieß, warf er den Baum nieder. „Schau, schau, das war
schwer! rief der Riese. Nun werde ich dir einen Rath geben, fuhr er
fort; gehe nicht in den Pferdestall, noch auch in den Viehstall." Der
Riese war aber kaum im Hause, als der Junge schon in den Pferde-
stall lief. Dort fand er ein Pferd, welches zu ihm sagte: „Weißt du
was ftlr Arbeit der Hausherr dir morgen aufgibt?" — „Woher sollich
das wissen?" erwiederte der Junge. — „Er wird zu dir sagen, du
sollst das Boot ins Wasser schieben, sprach das Pferd; du aber ant-
worte ihm: „„Wenn ich das Boot anfasse, um es ins Wasser zu schieben^
so geht es ganz und gar in Stücke."" Am andern Tage als der Riese
sich zum Frtlhstück setzte, sagte er zu dem Jungen: „Geh und setze
das Boot aus." — „Soll ich das Boot aussetzen, so geht es ganz und
gar in Stücke," versetzte der Junge. — „Schau, schau! sagte der Riese,
da muss ich es wohl selbst aussetzen." Er schob also das Boot ins
Wasser, denn er wollte auf den Fischfang fahren. „Nimm die Ruder
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 177
und rudere!" befahl der Riese. — „Wenn ich rüdem soll, sagte def
Junge, so gehen die Ruder und das ganze öeräth in Stücke." — „Nun
gut, so will ich lieber selbst rudern," sprach wiederum der Riese. Sie
fuhren eine kleine Strecke. „Hier ist meine Schellfischbank,** sprach
der Riese. — „Hast du ^eine bessere Bank als eine Schellfischbank?*
sagte der Junge. Sie fuhren wieder eine kleine Strecke. „Hier ist meine
Kabeljaubank ^** sagte der Riese. — „Hast du keine bessere Bank als
so eine?" fragte der Junge. Sie fuhren wieder ein Stück. „Hier ist
meine Wallfischbank, sagte der Riese; nimm die Schnur und fange an
zu angeln.** Der Junge blieb ruhig sitzen und sah bloß die Schnur an.
„Was hast du auf mein Fischgeräth zu sehen?" fragte der Riese. —
„Also das ist dein Fischgeräth? sagte der Junge; soll ich damit fischen,
so geht es ganz und gar in die Brüche!** — „Nun gut, dann will ich
lieber allein fischen," sagte der Riese und ipachte sich selbst daran.
Kaum hatte er angefangen, so bissen zwei Wallfische auf einmal an und
er ruderte mit ihnen ans Ufer. Als sie dorthin kamen, ergriff der Riese
mit jeder Hand einen Wallfisch hinten beim Schwanz und zog sie ans
Land , worauf er sie zusammenband und im Trockenhause auf hieng.
„Geh nun und mach Feuer!** befahl er seinem Knechte. — „Wenn ich
Feuer anblasen soll, so blase ich das Dach vom Hause," sagte der
Junge. — „Nun gut, sprach der Riese, so will ich es lieber selbst thun;**
als er aber zu blasen anfieng, flog der Junge unter das Dach hinauf
imd drehte sich da henmi wie ein Kreisel. Der Riese schaute auf und
fragte: „Was hast du da oben vor?** — „Ich hole ein Paar Schindeln
zum Unterzünden des Feuers," antwortete der Junge, imd der Riese
sagte zu sich selbst: „Ich denke gar, der Junge kann fliegen." Hierauf
kam der Junge wieder herunter und sie kochten sich Essen. Nachdem
sie gekocht und gegessen hatten, legte der Riese sich zu einem Mittag-
schläfchen nieder. Als er eingeschlafen war, lief der Junge in den Stall
zum Pferde. „Geh in den Viehstall, sagte es zu ihm, und schlage die
Kuh todt, denn das Leben des Riesen steckt in der Kuh, und schneide
das Herz mitten entzwei; dann kehre in das Haus zurück, und sieh
ob ihm der Garaus gemacht ist; dann geh wieder zur Kuh und schneide
das Herz in kleine Stücke. Hast du das gethan, so komm wieder hier-
her zu mir, binde mich los und nimm eine Büchse, einen Degen, ein
Stück Schwefel, einen Feuerstein und einen Kamm mit." Wie das
Pferd ihn hieß, so that der Junge. Als er die Kuh todt geschlagen und
ihr das Herz gespalten hatte, gieng er zu dem Riesen hinein, um. zu
sehen, wie es mit ihm stand; dieser war aber in demselben Augenblick
gestorben, als der Junge der Kuh das Herz durchspaltete. Dann gieng
OERUANIA. N«ae Reihe TU. (XV.) Jahrg. 12
m
FELIX LIEBRECHT
der Junge zu dem Pferde, vergaß aber vorher das Kuhherz in kleine
Stücke zu zerschneiden, wie ihm das Pferd gesagt hatte. Dann machten
sich beide auf den Weg und legten eine große Strecke zurück , eine
ganze Tagereise, durch Thäler und über Berge, deren Namen der Junge
nicht einmal wusste. Sie gelangten zu großen Flüssen mit Furthen,
die der Junge gleichfalls nicht kannte. Sie kamen jedpch überall vor-
wärts und zogen immer weiter. Da sprach das Pferd zu dem Jungen:
„Hörst du nichts und siehst du nichts?* — „Ich höre nichts und sehe
auch nichts," antwortete der Junge. Sie zogen eine kleine Strecke
weiter. „Hörst du nichts und siehst du nichts?" fragte das Pferd aufs
neue. — „Es scheint mir, als ob ich am Himmel das Sausen eines
Windes hörte," sprach der Junge. — „Dann ist der Riese wieder auf-
gelebt, sagte das Pferd; wirf das Stück Schwefel hinter dich und wünsche,
daß es zu einem großen Wasser werde, so daß der Riese weder hin-
über noch hinum kommen kann." Der Junge that wie das Pferd ihn
hieß, und es entstand ein solches Wasser. Als der Riese bei demselben
anlangte, rief er: „Ach, ich wollte ich hätte meine große Schöpfkelle
hier, dann tränke ich alles aus wie nichts." Er lief daher zurück, holte
die Schöpfkelle und kam wieder an das Wasser, welches er ganz und
gar austrank. Dann sprach er zu der Kelle: „Bleib hier, bis ich wieder-
kehre," Da flog ein kleines Vögelein herbei, welches rief: „Pip, pip,
wenn du deine Schöpfkelle hier liegen lassest, so nehme ich sie, hacke
sie entzwei und trage sie zu Walde." — „Ei du kleiner Vogel, sprach
der Riese ; wenn ich dich in meiner Gewalt hätte, so hiebe ich dir den
Kopf ab. Lieber will ich jedoch meine Kelle zurücktragen, ehe ich sie
dir gönne." — Dann trug er die Kelle wieder zurück und eilte hierauf
dem Jungen und dem Pferde wieder nach. Da wiederholte sich das
Zwiegespräch zwischen dem Pferde und dem Jungen, der nun auf den
Rath jenes den Feuerstein hinter sich warf. Dieser verwandelte sich in
einen Berg, zu dessen Durchbohrung der Riese sich von Hause einen
Bohrer holte. Als er das Bohrloch durchschnitten und den Bohrer liegen
lassen wollte, musste er ihn auf die Drohung des Vögleins wieder nach
Hause tragen. Ebenso gieng es mit der Axt, die er gebraucht hatte
um einen langen imwegsamen Wald zu durchhauen, der aus dem Kamm
des Jungen entstanden war. Als er sich dann dem Jungen und dem
Pferde aufs neue näherte, so hatten sie nicht weit zu einer tiefen langen
Bergkluft, und über die B^luft gieng ein schmaler Steig. Wenn sie nur
wohlbehalten über die Kluft kommen konnten, so waren sie gerettet
und konnten ihren Weg in Frieden fortsetzen. Der Riese lief also aus
Leibeskräften, um sie noch vor der Kluft zu erreichen, so daß er sich
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 179
die eine Hand gegen einen Baumstumpf abstieß. Eben waren nun Pferd
und Junge im Begriff, über den Steig zu setzen , da langte der Riese
an und packte das Pferd beim Schwanz. ^Ach^ wenn ich doch meinö
beiden Hände hätte, dann hielte ich dich fest wie nichts,'' sprach der
Riese und in demselben Augenblicke riß der Schwanz glatt weg. Pferd
und Junge kamen glücklich hinüber, der Riese aber stürzte in die EUuft
und brach's Genick. „Jetzt sind wir aus aller Gefahr, sagte das Pferd,
aber nun haben wir einen kupfernen Wald vor uns, wo wir durchmüssen;
wenn du da nur emen einzigen Zweig abbrichst, so sind wir des Todes."
— „Ich werde mich wohl hüten," antwortete der Junge. So zogen sie
durch den Wald; aber als sie eben bei dem letzten Zweige vorüber-
kamen^ brach ihn der Junge ab. Da erschien der Riese, dem der Wald
gehörte; er hatte eifen Kupferhamisch an und einen Kupferhut auf
dem Kopfe und fragte: „Wer zieht durch meinen Wald und bricht
von meinen Bäumen?" — „Das thun wir, antwortete der Junge; wa&
wiUst du von uns?" — „Du sollst bald sehen, was ich will," sagte
der Riese, und nun begann ein Kampf zwischen ihm und dem Pferde;
dies aber erhielt den Sieg imd schlug ihn todt, nahm dann den Kupfer^
hämisch und Kupferhut und zog weiter. „Nun kommen wir zu einem
silbernen Walde, sprach das Pferd zu dem Jungen, und wenn du einen
einzigen Zweig abbrichst, so ist es mit uns vorbei." — „Ich werde
nichts abbrechen," sagte der Junge, brach jedoch einen Zweig von dem
letzten Baume, so daß der Riese, der Herr des Waldes, der im Silber-
hämisch und mit Silberhut erschien, einen Kampf begann, aber von
dem Pferde erschlagen wurde und dieses wiederum Harnisch und Hut
mitnahm. Bei dem nun folgenden goldenen Walde gieng es ganz ebenso;
der Junge brach trotz des Verbotes den letzten Zweig ab, und der mit
Goldhamisch und Goldhut erscheinende Riese, der Herr desselben, ver-
lor im Kampfe mit dem Pferde nicht nur diese, sondern auch das Leben.
So nun waren Junge und Pferd glücklich allen Gefahren entkommen
und langten bei einem Königsschlosse an. ^Du kannst mich draußen
lassen, sprach das Pferd, und allein in das Schloss gehen; vergiß aber
nicht, daß ich hier zurückgeblieben bin." Der Junge that wie das Pferd
ihn hieß und sprach: „Guten Tag, gnädiger Herr König!" — „Schönen
Dank!" antwortete dieser. Da der Junge mit der.Mütze auf dem Kopfe
stehen blieb, fragte ihn der König: „Warum nimmst du nicht die Mütze
ab?" — „Ich habe den Kopfgrind," antwortete der Junge, der seinen
Goldhut nicht zeigen wollte. Als der König dies hörte, ließ er ihn die
Mütze aufbehalten. „Was willst du hier?" fragte der König weiter. —
„Ja, sagte der Junge, ich nehme Dienste bei jedem, der mich haben
12*
' 180 FELIX LIEBKECHT
will." — „Nun 80 kannst du hier bleiben," sprach der König. Da war
der Tag zu Ende. Am nächsten Morgen schickte der König den Jungen
an die Arbeit; er hatte aber drei Töchter und von diesen war die
jüngste die schönste. Während nun der Junge im Garten arbeitete,
stand die jüngste Prinzessin am Fenster und sah ihm zu. Er kratzte
sich den Kopf und hob dabei die Mütze so weit auf, daß die Prin-
zessin ein wenig von dem Goldhute sah. „Sollte nicht der Vater bald
daran denken, uns Freier zu schaffen?" sagte sie in diesem Augen-
blick und wandte sich vom Fenster zu ihren Schwestern. „Ei was,
sprach der König, da müsset ihr selbst zusehen." — „Nun gut, ant-
wortete die jüngste Prinzessin, so nehme ich mir den Jungen zum Mann,
der gestern hierher gekommen ist" — „Du wirst doch nicht den Grind-
kopf nehmen?" fragte der König. — „Warum dicht? meinte die Prin-
zessin; er ist gut genug flir mich." Aber die zwei andern Schwestern
wählten jede einen Bräiöigam von hoher Geburt. Den nächsten Tag
schickte der König die zukünftigen Schwiegersöhne auf die Jagd und
gab jedem der beiden vornehmen eine neue gute Schrotflinte, während
der Grindkopf nur eine alte bekam, die zu nichts taugte. So zogen sie
hinaus in die Berge ; aber der Junge gieng zu seinem Pferde , nahm
da seine eigene Flinte und schlug dann einen besondern Weg ein.
Nach einiger Zeit trafen sie wieder zusammen, und die beiden vor-
nehmen Herren sahen nun, daß der Grindkopf so viele Vögel geschossen
hatte, wie er nur irgend tragen konnte, während es ihnen selbst noch
mit keinem einzigen gelimgen war; sie wollten daher dem Jimgen die
Vögel abkaufen. „Ich will sie euch wohl gerne überlassen, sagte der
Junge, aber dann müsst ihr mir auch die Geschenke geben, die ihr
von euren Bräuten bei der Verlobung bekommen habet. ** Sie giengen
darauf ein imd erhielten daftir die Vögel, jeder ein großes Bund, wäh-
rend der Junge dagegen leer blieb, weshalb er unterwegs doch wenig-
stens noch eine Nachteule schoß und damit nach Hause schlenderte.
Als sie hierauf vor den König und die Prinzessinnen traten, sprach
jener zu der jüngsten: „Was willst du mit dem Grindkopf da? siehst
du nicht, was die beiden andern nach Hause gebracht haben? und er,
er hat bloß eine 'Nachteule." — „Was thut's? sagte die Prinzessin; er
ist gut genug fdr mic];^.'' Alsdann fieng man an Hochzeit zu halten und
zu essen und zu trinken und zu tanzen, so daß der Junge das Pferd
vergaß« Es wieherte daher, um ihn zu erinnern ; allein der Jimge hörte
nicht darauf; es wieherte noch einmal, da fiel ihm sein Pferd ein und
er lief hinaus. „Haue mir den Kof ab!" sagte das Pferd. — „Dir den
Kopf abhauen ? sagte der Junge ; dir sollte ich den Kopf abhauen.
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 181
trotzdem du mir soviel Gutes erwiesen?** — „Haust du mir den Kopf
nicht ab, so beiße ich dir den deinigen vom Leibe!" sprach das Pferd',
So musste der Junge wohl Folge leisten und warf den Kopf hinter sich.
Dieser verwandelte sich in einen schönen Jüngling, der dem Jungen
in das Schloss folgte und daselbst der Hochzeit beiwohnte*
7. Der Biese und sein Knecht.
(Aus Tanen.)
Es war einmal ein Junge, der auf die Wanderschaft gieng und
an eine Stelle kam, wo ein Riese wohnte. Der Riese fragte den Jungen^
ob er als Knecht bei ihm in Dienst treten wollte, und dieser gieng
darauf ein. Am darauffolgenden Tage beabsichtigte der Riese, wie er
immer zu thun pflegte, seine Stärke gegen den Jungen zu versuchen
und sagte daher zu ihm: „Komm mit in den Wald hinaus!" Der Junge
wollte nicht gleich den ersten Tag mitgehen, sondern that dies erst
den zweiten Tag. Als sie nun im Walde waren, sprach der Biese zu
dem Jungen: „Wenn wir mit dem Kopf gegen ein Föhrenstamm ren-
nen, so können wir sehen, wer von uns den stärksten Schädel hat." —
„Nur zu!* sprach der Junge, und so lief jeder von ihnen mit dem Kopf
gegen eine Föhre. Der Kopf des Jungen gieng bis an die Ohren in
den Stamm hinein; denn er war so Ustig gewesen, den Tag vorher in
den Stamm ein Loch zu bohren und dies mit Rinde wieder zuzudecken.
Als aber der Riese gegen die Föhre stieß, so flog nur die Borke los..
„Ei der Tausend, stoß noch einmal, rief der Biese und setzte sich nieder^
ein wenig wirr im Kopf; stoß noch einmal gegen einen Föhrenstamm!*
Der Junge that wie ihm geheißen, und wiederum gieng sein Kopf in
einen solchen Stamm hinein , in den er gleichfalls ein Loch gemacht
hatte. „Schau, schau! rief der Riese; jetzt kann man mir wohl glauben,
daß ich einen Knecht bekommen habe, der so stark ist wie ein Stier f
wir wollen nun weiter gehen." Sie waren nicht lange gegangen, da
sprach der Riese : „Nun wollen wir einmal sehen , wer am lautesten
rufen kann;'' und zugleich erhob er ein so lautes Geschrei, daß rings,
umher die Berge einstürzten. Der Junge gieng in ein Weidengebtisch
und suchte sich da einen Reifstab aus. „Was wülst du damit anfangen?**
fragte der Riese. — „Ja, sagte der Junge, während er den Reifstab
glatt schnitzte, ich will der Sicherheit wegen dir erst diesen Reifen um
den Kopf legen, ehe ich zu schreien anfange ; ich bin bange, daß er dir
sonst springen könnte!** — „Nicht doch, bester Junge! bat der Riese;
schrei lieber nicht, denn mein Kopf ist ^twas schwächlich. Komm nur
weiter !** Sie waren aber nicht lange gegangen, so sprach der Riesa
182 FELIX LIEBREOHT
wieder: „Nun wollen Wir sehen, wer von uns im Werfen am tüchtigsten
ist. Sieh, hier habe ich einen Hammer von jftinf Centnern." — „Ja,
Sprach der Junge, wir wollen nur einmal einen Wurf versuchen." So
warf denn der Riese den fllnf Centner schweren Hammer so hoch in
die Luft, daß er nicht größer aussah als eine Mücke. Hierauf sollte
der Junge werfen; als er aber den Hammerschaft ergriff ^ war dieser
gerade so breit, daß er ihn aufstellen konnte. Indem er ihn nun so fest
hielt, sah er zum Himmel empor. „Was hast du zu gucken? fragte der
Kiese; warum wirfst du nicht?" — „0^ sagte der Junge, ich sehe bloß
zu, in welchen Wolketihaufen ich ihn werfen soll, Soll ich ihn in eineu
werfen, der still steht, oder in einen, der vor dem Winde treibt? —
„Nicht doch, lieber Junge! bat der Riese; wirf nicht meinen Hammer;
ich habe ihn von meinem Großvater geerbt. Komm lieber nach Hause."
Dazu war der Junge sehr gern bereit, und so kehrten sie nach Hause
zurück. Als es nun Abend wurde, flihrte der Riese den Jungen in ein
abseits liegendes Haus und sagte, daß er da sein Nachtlager haben
sollte, „Wann ist dein Schlaf am tiefsten?" fragte der Riese im Fort-
gehen. — «Um Mittemacht," antwortete der Junge und legte sich nieder.
Als aber der Riese fort war, stand er wieder auf, holte von draussen
eine Anzahl großer üngespaltener Holzkloben herein und legte sie unter
die Bettdecke. Er selbst gieng wieder hinaus, bohrte ein Loch in die
Wand und legte sich auf die Lauer. Um Mittemacht kam der Riese
mit seinem Schmiedehammer und begann auf die Bettdecke loszuhäm-
mern, so daß die EUoben knackten und krachten; er dachte, es wären
die Knochen, die er dem Jungen zerschlüge, und ^eng dann in sein
Haus zurück. Als er fort war, kam der Jimge wieder herein, warf die
Klötze vor die Thür und kroch unter die Decke, wo er bis zum Morgen
in Frieden schlief. „Hast du heute Nacht geträumt?" fragte ihn der
Biese am andern Tage. — „Nein, antwortete der Jimge; ich habe nicht
geträumt; einmal freilich war mir so, als ob mich eine Laus bisse. ^
Den folgenden Abend brachte der Riese den Jungen wieder zu Bett;
aber da er fortgegangen war, stand der Junge auf und legte die Holz-
kloben ins Bett wie das erste Mal. Bei Nacht kam der Riese, zündete
Feuer unter dem Bette an und gieng seines Weges. Bald darauf trat
der Junge wieder herein und löschte das Feuer aus, gleichwohl aber
verbranute die Hälfte des Bettes, die Hälfte des Rennthierfelles, welches
zu Unterst darin lag und die Hälfte der Pelzdecke. Der Junge kroch
indess unter die halbe Decke und schlief den Rest der Nacht in Frieden.
Des Morgens kam der Riese und rief dem Jungen zu : „Hast du auch
heute noch nichts geträumt?* — „Nein^ antwortete der Junge; ich habe
LAPPLÄNDISCHE ÄIÄEGHEN. l83
nichts geträumt; einmal freilich war es mir, als hörte ich einen Wind-
stoß vorbei sausen." Der Riese fieng nun an vor dem Jungen Furcht
zu haben und dachte in seinem Sinn, es wäre wohl am besten, wenn
er ihn mit guter Manier sich vom Halse schafile, ehe es noch schlimmer
würde. „Komm nur, sagte er zu ihm, ich will dir deinen Lohn bezahlen;
ich brauche dich nicht länger.^ — „Bis jetzt hast , du mich noch zu
sehr wenig gebraucht, meinte der Junge; aber wie du willst" Sie
giengen also mit einander fort und der Junge nahm einen dreischeff-
ligen Sack mit sich. Der Riese schüttete erst öine Schaufel mit Silber-
geld hinein imd fragte: ^Kannst du noch mehr tragen?" — „Warum
nicht? antwortete der Junge^ schütte noch eine Schaufel hinein; Geld-
bürde ist leicht zu tragen.^ Der Riese schüttete also noch eine Schaufel
hinein und sprach: „Du musst aber alles auf einmal mit dir forttragen,
ohne etvtsi» unterwegs zurückzulassen; ich komme nach und sehe zu,
ob du etwas abgelegt hast" Der Junge gieng fort^ aber da er über
einen Berg weg war, leerte er die Hälfte des Sackes aus. Dieses Geld
sah der Riese, der ihm nachgegangen war, am Wege liegen, lief also
wieder zurück, holte seine Frau und sie machten sich zusammen hinter
dem Jungen, her. Als sie ihm nahe waren, warf er ein Blatt hinter sich,
welches er von einem Baume in des Riesen Garten genommen hatte.
Dieses Blatt wurde zu einem großen und so dichten Walde, daß der
Riese nicht durchkommen konnte. Er musste also seine Axt holen und
sich einen Weg durchhauen, worauf er den Jungen weiter verfolgte.
Fast hatte er ihn erreicht, als der Junge einen Feuerstein hinter sich
warf, der sich in einen großen Berg verwandelte^ so daß der Riese
seinen großen Bohrer holen musste, womit er ein Loch durch den Berg
bohrte. Wiederum verfolgt warf der Junge ein Stück Schwefel hinter
sich, das zu einem See wurde. Der Riese, der ihn nicht umgehen konnte,
holte deshalb noch seine Tochter herbei, worauf er mit dieser und sei-
ner Frau"" den See auszutrinken anfieng^ während der Junge auf der
andern Seite saß. Sie tranken und tranken in einem fort und bald war
fast nichts mehr übrig. „Halt mir das hintere Ende zu, sagte die Riesin
zu ihrer Tochter, dann will ich es versuchen, den Rest auszutrinken."
In demselben Augenblick kam ein junger Rabe hinter einem Felsen
hervor und fieng an zu hopsen und zu tanzen und sich auf so schnur-
rige Weise zu benehmen, daß die Tochter des Riesen schließlich weder
sich noch des Hinterende der Mutter länger halten konnte, sonderü
plötzlich in ein heftiges Lachen ausbrach und jenes losließ. Da lief
dann alles Wasser wieder aus der Alten heraus, und alle drei ertranken
in dem See.
184 FEUX LIEBRECHT
8. Aschenputtel, Biese and Teufel.
(Aus Lyngen.)
Ein Mann hatte drei Söhne. Zuerst sollte der älteste hinaus in
die Welt, um sich einen Dienst zu suchen. Er machte sich also Speise-
vorrath zurecht und zog fort. Nachdem er eine Zeit lang gegangen war,
setzte er sich nieder um zu essen; während er nun aß, kam da zuerst
eine Axt herbeigesprungen, dann ein Bohrer, dann ein Hobel und so
fort allerlei Arten Werkzeuge und alle baten den jungen Burschen um
etwas Speise; dieser aber gab keinem von ihnen einen einzigen Bissen.
Nachdem er gegessen, stand er auf, zog weiter und kam zu einem
Königsschloss. „Wohin des Weges?" fragte der König. — „Ich suche
^inen Dienst," sprach der Bursche. — „Den kannst du bei mir finden,
antwortete der König; ich habe in meinem Garten einen Baum, auf
dem goldene Blätter wachsen: wenn du eine einzige Nacht den Baum
zu bewachen vermagst, dann sollst du meine Tochter und die Hälfte
meines Reiches bekommen.^ — „Ich will's versuchen," sagte der Bursche.
Des Abends begab er sich also in den Garten, wo der Baum^stand,
setzte sich nieder und sah zu , wie die Blätter hervorsprossten und
immer größer wurden. Endlich war^n sie fast ausgewachsen, aber da
überfiel ihn ein so schwerer Schlaf, daß er nicht länger Widerstand
zu leisten vermochte und einschlief. Als er wieder aufwachte, waren
alle Goldblätter fort, so daß er am andern Morgen auf die Frage des
Königs: »Nun, hast du Wache gehalten?" bloß antworten konnte:
„Nein, es war mir nicht möglich." Da befahl der König, daß man ihm
das Leben nehmen solle. Nun "wollte der zweite Sohn fort. Der Vater
ließ ihn nur ungern ziehen, aber es half nichts ; er machte seinen Speise-
vorrath fertig und begab sich auf den Weg. Es gieng ihm mit den
Werkzeugen und dem Dienst im Garten des Königs ganz ebenso wie
dem altern Bruder ; er schlief ein und verlor zur Strafe gleichfalls das Le-
ben. Nim wollte der dritte Sohn fort, den die andern Grindkopf(knöbba)
oder Aschenputtel (gudnavirus) nannten. Der Vater wollte ihn nicht
weglassen und meint e, es wtlrde ihm anderwärts schlimmer gehen als zu
Hause ; der Bursch e bestand aber auf seinem Sinn, und der Vater musste
endlich nachgeben. Große Speisevorräthe bekam er indess nicht; so
nahm er denn die Speisetasche in die eine Hand, einen großen Hand-
schuh in die andere imd zog fort. Nachdem er eine tüchtige Strecke
gegangen war, setzte er sich nieder um zu essen. Da kam mit einem
Mal eine Axt, dann ein Bohrer, dann ein Hobel, dann allerlei Arten
Werkzeuge und bettelten um et was Speise und der Bursche gab allen
LAPPLÄNDISCHE MÄECHEN. 185
von den paar Brosamen, die er hatte. Dann stand er wieder auf, zog
weiter und kam zu dem Königssehloss. »Wohin des Weges ?** fragte
der Eöni^. — „Ich suche Dienst bei jedem , der mich haben will,**
antwortete der Bursche. — „So kannst du bei mir in Dienst treten,"
sprach der König. — „Worin sollte ich dir wohl dienen können ?**
fragte der Bursche. — ^Ich habe in meinem Garten einen Baum, auf
dem goldene Blätter wachsen, versetzte der König; weim du ihn eine
einzige Nacht zu hüten im Stande bist, so sollst du meine Tochter und
das halbe Reich bekommen." — „Ich wilFs versuchen,* sprach der
Bursche. Gegen Abend führte man ihn in den Garten zu dem Baumey
hob ihn, da er klein war, auf einen der untersten Zweige und ließ ihn
da sitzen. Als es dunkel wurde, fiengen die Blätter zu wachsen an,
aber je mehr sie wuchsen, desto schläfriger wurde der junge Bursche.
Gleichwohl that er sich eine Zeit lang Gewalt an und schlief nicht ein;
endlich aber war er nahe daran, vom Schlafe überwältigt zu werden,
da hörte er plötzlich ein gräuliches Getöse in der Luffc, so daß er
Furcht bekam und die Sehläfrigkeit verschwand. Hierauf sah er zwei
häßhche Kerle herbeigefahren kommen; der eine war ein Riese, der
andere war der Teufel; aber alle beide hatten zusammen nicht mehir
als ein einziges Auge. „Sieh zu, ob da ein Wächter bei dem Baume
ist,*^ sagte der Riese zum Teufel, der das Auge trug. „Ei schäme dich,
sprach der Teufel; wir nehmen die Blätter trotz aller Wächter; wir
haben sie ja auch früher genommen wie nichts!" — „Nun gut, so steig
du auf den Baum hinauf," sagte der Riese. — „Nein, steig du hinauf,
antwortete der Teufel; ich werde dir das Auge reichen." So kletterte
denn der Riese auf den Baum. „Gib mir nun das Auge", sagte er. Der
Teufel reichte ihm das Auge hinauf, aber in demselben Augenblick
griff der Bursche zu und steckte es in seinen Handschuh. „Gib mir
nun das Auge, zum Teufel noch einmal!" schrie der Riese. — „Du hast
es ja bekommen, du Blindschleiche!" sagte der Teufel. Hierüber wurde
der Riese so böse, daß er von dem Baume auf den Teufel herabsprang
imd sich mit ihm herumbalgte, bis sie alle beide entzweisprangen.
Hierauf brach der Tag an, und der junge Bursche gieng zu dem Könige.
„Wie ist's? fragte dieser, hast du Wache gehalten?" — „Ja freilich,
versetzte der Bursche. Darauf schickte der König Leute hin, welche
nachsehen sollten, und es wies sich, daß der Bursche die Wahrheit ge-
sagt hatte; der Baum stand voll der schönsten goldenen Blätter. „Be-
komme ich nun deine Tochter?" fragte der Bursche. — „Noch nicht!"
antwortete d^r König. — „Was muss ich dann noch thun, um sie zu
bekommen?" — „Wenn du ein Schiff in einer Ns^cht fertig bauen.
186 FELIX LUSBRECHT
und es vor meine Thür herbringen kannst^ so sollst du meine Tochter
haben." — „Das ist ja rein unmöglich ^ sprach der Bursche; wie soll
ich in einer einzuigen Nacht ein ganzes Schiff fertig bauen und hierher
bringen können? Doch will ich es versuchen." Gegen Abend gieng der
Bursche mit einer Axt aufs Feld und dort angelangt, hieb er sie in
einen Baum und sprach : „Nun ihr Werkzeuge alle mit einander, denen
ich zu essen gegeben habe, kommet jetzt herbei und machet ein Schiff
bis morgen fertig und bringet es vor des Königs Thür!" Da begann
rings umher im ganzen Walde ein gewaltiges Leben und Treiben ;
man hörte überall hauen und hämmern, und hobeln, und alles war
lauter Geschäftigkeit. Der Bursche setzte sich nieder und sah zu. Es
dauerte auch nicht lange, so stand ein Schiff da, imd es wurde immer
größer und größer, bis es endlich ganz fertig war. Hierauf stieg er in
das 'Schiff hinein und fuhr fort. Während es nun so fuhr, erblickte der
Bursche einen Mann, welcher Knochen benagte. Als er zu ihm hinkam,
fragte er ihn: „Was hast du da vor, lieber Mann? — „Mein Lebelang
habe ich Knochen benagt, sagte der Mann,« bin aber noch nicht satt
geworden." — „Tritt herein in mein Schiff, sagte der Bursche, du
sollst Markknochen bekommen." Der Mann that wie ihm geheißen,
und so hatte der Bursche einen Kameraden. Bald nachher fuhr er bei
einem andern Manne vorbei, der ein Stück Eis benagte. „Was hast
du da vor, lieber Mann? fragte der Bursche. — „Mein Lebelang habe
ich Eis genagt, aber noch ist mein Durst nicht gelöscht." — „Tritt
herein in mein Schiff, du sollst einen Löschtrank bekommen," sprach
der Bursche. So hatte er noch einen Geführten. Dann fuhr er weiter
und sah wieder einen Mann, welcher da stand und bald das eine, bald
das andere Bein in die Höhe hob, aber nicht von der Stelle kam.
„Was hast du da vor, lieber Mann?" fragte der Bursche. „Mein ganzes
Lebelang habe ich es versucht einen Schritt zu machen, aber noch
immer bin ich auf demselben Fleck." — „Tritt in mein Schiff, du sollst
endlich vom Fleck kommen/ sprach der Bursche imd hatte nun drei
Kameraden. Er fuhr noch weiter und, sah wieder Einen, welcher zielte
ohne zu schießen. „Was hast du vor, lieber Mann?" fragte der Bursche.
„Mein ganzes Lebelang habe ich gezielt, aber es noch nicht so weit
gebracht, daß es losgeht." — „Tritt in mein Schiff, es wird dann schon
losgehen," sprach der Bursche. Der Mann that es, und so hatte der
Bursche nun Mannschaft genug. Dann setzte er seinen Weg fort, kam
des Morgens an die Thür des Königs und trat zu ihm hinein. „Nun,
sprach der König, ist das Schiff fertig?" — „Ei freilich," antwortete
jener» Der König gieng hinaus um nachzuschauen, und allerdings stand
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 187
^as Schiff fix und fertig vor der Thür. — „Gibst du mir jetzt deine
Tochter?** fragte der Bursche. — „Noch nicht!** sagte der König. —
„Was hindert nun noch?" fragte jejier weiter. — „Wenn du heute
Nacht von dem Könige j meinem Nachbarn j seinen goldenen Becher
holen und morgen auf meinen Tisch stellen kannst , dann sollst du
meine Tochter haben." — „Das bin ich nicht im Stande^ sprach der
Bursche^ das ist unmöglich; wie soll ich in einer einzigen Nacht dort-
hin gelangen und morgen früh wieder hier sein können?" — „Ja, das
ist deine Sache," antwortete der König. — „Ich will's versuchen, sagte
der Bursche, gieng dann zu dem Weitschreiter und sprach zu ihm:
„Wohlan du Weitstapfer, wenn du niemals früher in deinem Leben
einen Schritt hast zu thun vermocht y so sollst du ihn jetzt thun !
Schreite zu dem Nachbarkönig hin, hole seinen Goldbecher und bringe
ihn bis morgen früh hierher.* Er machte sich auf den Weg, war aber^
als der Morgen zu grauen anfieng, noch nicht wieder da. „Wohlan, du
Weitschießer, sprach der Bursche , schieß jetzt dem Weitschreiter ins
Fußblatt, so daß er sich ein bischen sputet." Der Weitschreiter war
unterwegs einem Mädchen begegnet tmd hielt sich mit ihr auf. Als
aber der Schütze schoß, so erinnerte er sich an das was ihm oblag,
machte sich wieder auf den Weg und war mit dem öoldbecher zur
Stelle, ehe es noch ganz Tag geworden. Der Bursche brachte den Becher
zum Könige und stellte ihn auf den Tisch. „Bekomme ich nun deine
Tochter?" fragte er. — „Ja, nun bekommst du sie," antwortete der
König, und so hielten sie Hochzeit; ich aber giehg meiner Wege.
Stalle.
Ein mehr menschUches Wesen als Jetanas war der Stalle. Nichts-
destoweniger besaß auch dieser eine große Vorliebe ftlr Menschenfleisch
und deshalb war das Zusammentreffen mit ihm sehr gefährlich. Er wird
übrigens als ein großer wohlbewafiheter Mann geschildert, dem man
häufig in Einöden oder Wäldern begegnete. Er war gewöhnlich mit
einem rothen Rocke bekleidet und trug einen silbernen Qürtel, woran
ein großes Messer mit silbernem Schafte hieng. Außerdem hatte er noch
zahlreiche andere Zieraten aus demselben Metall an sich hängen, sa
wie er auch stets einen großen Beutel mit Silbergeld bei sich ülihrte.
Sein steter Begleiter war ein Hund, der sorg<ig Acht gab, daß ihn
Niemand im Schlafe überfiel. Allein obwohl Stalle größer, stärker und
besser bewa£Ehet war als die kleinen Lappen, ließ er sich doch in Folge
seiner Dummheit, Leichtgläubigkeit oder Plumpheit oft von diesen über-
Kfiten^ wenn zuftllig einer von ihnenan »eine Gewalt kam; besonders
188 FELIX LIEBBECHT
geschah ihm dies oft von den sogenannten Gudnavirucak (Aschen-
gräber, Aschenputtel), welche ihre meiste Zeit damit zubrachten, nicht nur
in der Herdasche herumzuwühlen, sondern auch den Leuten allerlei Schel-
menstreiche zu spielen. Zuweilen ereignete ea sich, daß einer oder der
andere wegen seiner Stärke bekannte Lappe von Stalle zum Zweikampf
herausgefordert wurde und in diesem Falle half es nichts , wenn er
denselben auch ablehnte; denn er wurde dann fortwährend von Stallö
verfolgt und schließlich von ihm ermordet» Ehe ein solcher Zweikampf
begann, pflegten die Kämpfenden erst einander zu offenbaren, wo ihre
Schätze verborgen lagen ^ und der Sieger behielt das ganze Gut des
Gefallenen, wie dies auch bei den. Holmgängen der alten Vikinger der
Fall war. Dergleichen im Kampf mit StaJlo erworbenes Silber hieß
„Stallosilber^. Laestadius erzählt, daß im schwedischen Lappmarken
sich noch zu seiner Zeit derartiges von Vater auf Sohn vererbtes Stallo-
silber vorfand» Es bestand besonders aus Knöpfen und Spangen, welche
die Lappen an ihre Gürtel befestigten. Die Form dieser Süberzieraten
war ganz verschieden von der Form derjenigen, die bei den Lappen
jetzt in Gebrauch sind oder es früher waren. — In den Zweikämpfen
mit Stallo wurde der als Sieger betrachtet, welcher den andern zu Boden
warf, und er hatte das Recht, denselben zu tödten. Dies geschah in
Bezug auf Stallo gewöhnlich mit seinem eigenen silberschäfügen Messer^
Schwert oder Beil; denn mit andern Waffen war er nicht leicht ver-
wundbar. Auch seinen Hund musste man todtschlagen; denn wenn
dieser seines Herrn Blut zu lecken bekam, so lebte derselbe wieder
auf. Blieb Stallo Sieger, so war er nicht verpflichtet den Lappen zu
begraben, sondern konnte ihn liegen lassen oder ins Wasser werfen;
Stallo dagegen bedang sich jederzeit aus^ daß der Lappe, im Falle er
siegte, ihn ordentlich begraben solle. Der Lappe, der einen Stallo über-
wunden hatte, musste auch dessen zwei Brüder oder im Ganzen drei
Stalles erlegen; denn eher fand er weder Ruhe noch Frieden. War
ihm aber jenes gelungen, so brauchte er nachher nie wieder Stallo zu
farchten, wobei er außerdem natürlich in den Besitz unermesslicher
Schätze kam. Die Lappen weisen noch mehrere Stellen, wo dergleichen
Zweikämpfe Statt gehabt und Stalles begraben sein sollen. Man sagt^
die an solchen Orten gefundenen Menschengebeine seien doppelt so
groß gewesen wie die der Lappen. — Das Verhältniss zu Stallo war
jedoch nicht immer feindlich, und zuweilen geschah es, daß der Sohn
eines Lappen eine Stallotochter zum Weibe nahm. Laestadius berichtet^
^daß vor nicht langer Zeit in Jukkajärvi eine Lappin lebte ^ welche
im 24. Gliede von Stallo abzustanunen behauptete. Rechnet man drei
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 189
Glieder auf jedes Jahrhundert, so xnüsste der Stalle, den sie ftir ihren
Ahnherrn ansah, ungef^r um das Jahr 1000 vor Christi gelebt haben.^
Hieraus sowohl wie aus mancherlei Umständen, welche in den Sagen
vorkommen, ist leicht zu ersehen, daß diese Stalles ursprünglich nichts
anderes gewesen sind, als altnordische Vikinger, die in dem norwegi-'
sehen imd schwedischen Lappland umherstreiften, um zu rauben und
zu plündern. Stahl heißt auf Lappisch staUe, und StaUo bedeutet daher
soviel wie Stahlmann oder der in Stahl Gehüllte, wozu auch noch
kommt, daß man in den Erzählungen der Lappen von Stalle oft auch
dem Ausdrucke ruovde-gaJde, d. i. Eisenrock begegnet, weil Stalle einen
solchen trug. Man hat also ganz deutlich einen alten Nordlandskrieger
mit seinem Panzerhemd oder Brünne vor sich. Auch die Helden*
gewohnheit hatte Stalle, daß wenn er einmal von einem Lappenkämpen
zu Boden geworfen war, er nicht wieder aufstand, sondern ruhig liegen
blieb, bis jener Messer oder Axt herbeigeholt, um ihm das Leben zu
nehmen, wobei man wiederum an die Vikinger denkt, wie es auch in
der Frithjofssage heißt:
„Det skall ej hinder bringa",
sad' Atle, stolt i häg.
mG& du och tag din klinga,
jag ligger som jag lag."
9. Das Stallomädchen.
(Ans dem schwedischen Lappmarken.)
Es war einmal ein Ehepaar aus dem Stallogeschlecht , welches
zwei Kinder hatten, einen Sohn und eine Tochter. Nun trug es sich zu,
daß ein Mangel an Lebensmitteln eintrat, weshalb die Eltern daran
dachten, eins von den Kindern zu schlachten und zu verzehren; nur
konnten sie sich nicht darüber einigen, ob es der Sohn oder die Tochter
sein sollte. Der Mann wollte den Sohn schonto und sagte deshalb zu
der Frau: ^Ich schlage meinen Bogenträger nicht todt!^ Die Frau
dagegen wollte die Tochter geschont sehen und rief deshalb mit zor*
niger und kreischender Stimme: ^Ich schlage meine Spinnerin nicht
todt!" Die Tochter, welche vor der Thür stand und horchte, hörte
diese Unterhaltung, so wie auch, daß schließlich die Mutter nachgeben
musste und sie selbst (die Tochter) dem Tode geweiht war. Sie ergriff
daher die Flucht und kam zu einer Lappenhütte , wo man sie fragte,
wer sie wäre und woher sie käme. „Ach, antwortete sie, ich bin ge-
flohen, um mir mein Leben zu retten ; meine Eltern wollten mich auf«
fressen! Möchtet ihr nicht so freundlich sein, mich als Wasserträgerin
ßO . FELIX LIEBRECHT
axusunehinen?*^ (Dies ist aber i^t niedrigste Dienst bei den Lappen.)
Sie giengen darauf ein; das Stallomädchen verblieb bei ihnen und wurde
späterhin die Frau des Sohnes vom Hause. Nach einigen Jahren bekam
letzterer Lust, seine Schwiegereltern^ die Stallofamilie; zu besuchen und
zugleich zu erfahren, ob er nicht einige Mitgift erlangen könne« Seine
Frau suchte ihm zwar von seinem Beginne abzurathen, indem sie meinte,
wenn er hingienge, würde er gewiss aufgefressen ; allein er wollte nicht
glauben, daß das Verlangen nach Menschenfleisch bei Stalle so groß
wäre, „Ich habe ja Rennthiere, sagte er, und werde ihnen ein fettes
Thier geben; so lange also das dauert, brauchen sie uns nicht zu
Terzehren." — „Doch, doch! antwortete die Frau; du wirst schon sehen
wie es geht." So begaben sich denn die jungen Fheleute. mit Sack und
Pack nach der Wohnstätte Stalles und hatten auch ihr kleines Kind,
ein einjähriges Knäblein, bei sich. Sie wurden sehr freundlich empfangen,
und der Lappe gab seinem Schwiegervater alsbald ein feistes Renn-
lliier, so daß es also an frischem Fleisch nicht mangelte. Auch die
Schwiegermutter schien sich über die Angekommenen sehr zu freuen;
sie nahm das Enkelchen aus der Wiege, küsste es imd sprach: „Liebe
Tochter, ich kann wohl unterdess das Kind halten, während ihr das
Zelt aufstellt?" Die Tochter hatte freilich keine rechte Lust, ihrer
Mutter das Kind anzuvertrauen, konnte jedoch nichts dagegen ein-
wenden. Ludak (das Stalloweib), die Blutsaugerin, ging ohne Verzug
in ihre Hütte, drehte dem Kinde den Hals um, und fing an es auf-
zufressen. Ein jüngerer, erst nach der Schwester Flucht geborener Sohn
Stalles, welcher dabei stand und seiner Mutter zusah, bekam auch Lust,
von dem Fleische, das sie verzehrte, zu kosten und verlangte welches
zu wiederholten Malen. „Mamma, Mamma, gib mir etwas von meines
Schwestersohns Auge!" — „Morgen sollst du deiner Schwester Brüste
zu kauen bekommen," antwortete Ludak. Die Tochter, welche draußen
stand und horchte, stieß ihren Mann an und sagte: „Glaubst du nun was
ich gesagt habe? Jetzt hat sie das Kind gefressen und morgen kommen
wir an die Reihe." Indess konnten sie für den Augenblick nichts thun.
Als sie ihr Zelt aufgestellt und alles in Ordnung gebracht hatten, kam
Stalle und sein ältester Sohn zum Besuch, um den langen Winterabend
mit Plaudern hinzubringen. Während man nun über dies und jenes
schwatzte, fragte Stallo seinen Schwiegersohn gleichsam in aller Ver-
traulichkeit: „Wann schläfst du am festesten?" Der junge Lappe that,
als merkte er nicht den eigentlichen Zweck dieser Frage, sondern ant-
wortete ganz ruhig: „Wenn die Morgenröthe sich zeigt, schlafe ich
am besten." Dann fragte er seinerseits den Schwiegervater : „Wann
LAPPLÄNDISCHE MÄRCHEN. 19X'
schläfst du denn am besten?" — ^Um Mittemächt!** antwortete
Stallo. Nachdem nun so beide einander ausgefragt y schieden sie ;
Stallo und sein Sohn kehrten in ihre Hütte heim; und die jungen Ehe-
leute blieben im Zelte zurück. Um Mittemacht aber^ wo Stalle im
tiefsten Schlafe liegen sollte^ standen sie auf und flohen in aller Stille
auf demselben Wege, den sie gekommen waren. Der Mann zog voran
mit der Rennthierheerde^ während die Frau eine Strecke weit Ton dem
Zelte, welches sie hatten stehen lassen, zurückbKeb, um zu sehen, was,
ihr Vater zur Zeit der Morgenröthe vornehmen würde; auch hatte sie
der Sicherheit wegen eine Stainak oder gelte Rennthierkuh (eine solche
wird nämlich fhr ganz besonders schnell und ausdauernd gehalten)
vor ihren SchUtten gespannt und wartete nun so hinter einer großen
TannC; welche ihr Mann quer über den Weg geworfen hatte. Als die
Morgenröthe sich zeigte ^ kam Stalle mit seinem ältesten Sohne aus
der Hütte , beide mit Spießen bewaffnet ; sie eilten nach des Lappen
Zelt und stachen an verschiedenen Stellen durch die Leinwand, da
wo sie eben vermutheten, daß die Schläfer im tiefsten Schlafe lagen,
wobei der Sohn noch jedes Mal hinzufUgte : „Das gieng in des Schwa-
gers Herz! — Das gieng in der Schwester Herz!" Bald nachher kam
Ludak, die Blutsaugerin, mit einem Trog und rief: „Liebe Kinder,
lasset das Blut nicht fortlaufen!" Sie wollte wohl Würste daraus machen.
Nun rief Stalles Tochter hinter der Tanne hervor: »Hier ist noch der
Schwester Herz!" Da sagte Stallo : „Das konnte ich mir wohl denken!"
worauf er und seine Frau der Tochter nachzulaufen anfiengen. Da sie
aber bald merkten, daß sie die Stainak nimmer einholen würden, fieng
der Stallo an zu rufen : „Warte, mein Kind, warte, mein Kind ! ich will
dir einen Schatz als Mitgift in den Schlitten werfen; so warte doch,
mein Kind!'' l'fun hielt die Tochter das Rennthier an und wartete, bis
der Vater die Hände nach dem .Schlitten ausstreckte ; in dem näm-
lichen Augenblicke aber hieb sie ihm mit einer Axt, die sie bei sich
führte, die Finger ab und fuhr dann im gestreckten Qalop davon.
Stallo wies die Stümpfe seiner Frau, welche nachgelaufen kam und
rief: „Mutter, Mutter, sieh her!" — „Das konnte ich mir wohl denken,
daß du nicht mit ihr fertig wirst, antwortete Ludak, ich will es selbst
versuchen." Nun fing sie an HBchzulaufen und zu rufen: „Warte,
warte, Tochter, ich habe hier einen raren Schatz, den du als Mitgift
bekommen sollst; so warte doch nur ein bischen!" Die Tochter hielt
wiederum an und wartete, bis die Alte den Schlitten anfasste, dann
aber hieb sie auch ihr mit der Axt die Finger von den Händen, so
daß Schatz und Finger in den Schlitten fielen , worauf sie wieder das
1^ FELIX LIEBBECHT
Bennthier peitschte und im vollen Galop den Spuren der Heerde nach-
jagte. Lange aber hörte man noch Stallo und' seine Frau hinterher
rufen: „Wirf die Fingerstümpfe zurück, du schamlose Höllenbrut!**
— Dies war das Ende.
10. Stallo beim Biberfang.
(Aus dem schwedischen Lappmarken.)
Stalle hatte ein Q^arn aufgestellt, um Biber zu fangen, und in
einiger Entfernung ein Feuer angezündet, worauf er sich bei demselben
auskleidete tmd zur Ruhe legte. Um aber zu wissen, wann ein Biber
ins Garn kam, und ihn packen zu können, ehe er sich wieder losmachte,
hatte er eine Schnur an das Garn gebunden und an das andere Ende,
welches bei ihm an dem Feuer lag, eine Schelle befestigt, die ihn davon
in Kenntniss setzen imd nöthigenfalls aus dem Schlafe aufwecken sollte.
Ein Lappe hatte aber diese Vorrichtung wahrgenommen, und als nun
Alles in Ordnung war und Stallo sich niedergelegt, gieng der Lappe
hin und zog an der Schnur. Stallo eilte nackt nach dem Garn,* fand
jedoch nichts. Inzwischen war der Lappe nach dem Feuer gelaufen
und hatte alle B3eider Stalles hineingeworfen, daher dieser bei seiner
Zurückkunft dieselben verbrannt fand und sich schwer ärgerte, daß
er vor lauter Eile die Kleider ins Feuer geschoben. Er setzte sich
indess nieder und wärmte sich so lange, bis die Schelle von Neuem
erklang, worauf er wieder zum Garn lief, aber darin ebenso wenig
einen Biber fand wie das erste Mal. Das Schlimmste war, daß, als er
zurückkam, das Feuer nicht mehr brannte und er nun jämmerlich zu
frieren begann, in welcher Noth er endlich zu dem Monde gieng, der
eben über den Horizont heraufkam und ihm zurief: „Sieh, Vater, wie
dein Sohn friert 1" wobei er die Hände emporstreckte; aber es half
nichts, er erfror trotz allem dem.
LÜTTICH. FELIX LIEBRECHT.
ZUR LITTERATURGESCHICHTE DES WOLF-
DIETRICH.
(NACHTRAG ZU GERM. XIV, 226.)
Der gelehrte Graf Albert von Circourt zu Paris hat mir über
meine in dieser Zeitschrift erschienene Abhandlung freundlicherweise
manigfache interessante Bemerkungen mitgetheilt, von denen ich die
folgenden aushebe^ da sie auch zur Berichtigung des von mir a. a. 0.
S. 234. 235 Gesagten dienen können:
ZUR LITTERATURGESCHICHTE DES WOLFDEETRICH. 19$
^Si vous voulez poursnivre k Besanjon vos recherches sur le
manuscrit dont a pu se servir du Pinet, vous ne pouvez mieux vous
renseigner qu'en vous adressant k M. Castan^ biblioth^eaire de la ville^
C'est un vöritable örudit et un digne sueoesseur de Weiß. Mais je nö
crois pas que le manuscrit existe ^ ni surtout qu'il ait pu se trouver
parmi les rares documents que poss^dait la confr^rie de St. George.
Dans le livre intitulö: Apergu sur Tordre de St. George du comtö de
Bourgogne. Vesoul 1833; qu'a publik le Marquis de St. Mauris^ je lis
que les registres originaux ont dte perdu. . . Le Marquis donne la liste
des auteurs qui ont traitö avant lui de Fordre de St George
Dans ce m^me ouvrage je lis que d'apr^s une lettre du Marquis de
Ghrammont, gouvemeur de Fordre en 1767, lettre qui se trouve dans
les archives de la maison de St Mauris, les registres anterieurs k Fan-
nie 1448 avaient d^s cette ^poque dispanu Les archives fiirent ou bru-
l^es ou anäanties d'une autre mani^re par la personne chez qui elles
avaient ^t^ cach^es pendant la Terreur (page 9). Page 14 est dti le
passage suivant du pfere Fedorö (p. 745 de son ouvrage): „La con-
fr^rie de St George de Chalon a ^t^ dtablie sur le model de celle de
St. Qeorge-les-Soeurs en 1315 , et cette demifere sur le model de St.
George de Rougemont. Celle-ci est donc la plus ancienne et ses con-
fr^res ätaient Chevaliers d'armes.'' A Fappui de cette assertion Fon
invoque une charte d'Aimont, archev&que de Besangen qui fait appel
k plusieurs seigneurs et aux princes issus des ducs et comtes de Bour-
gogne „Premiers fondateurs de la confrdrie de Fordre des Chevaliers
de St George." La charte est de 1366. Les seigneurs auxquels il
s'adresse sont la plus part comtois et point bourguignons. ..... Le
Marquis de St. Mauris en conclut que la confrdrie de St. George fiit
fo^d^e k Rougemont vers Fan 1300, par les souverains du duch^ et
du comt^ de Bourgogne."
„Ce qu*il y a de certain est que Philibert de Mo 11 ans [also
nicht Mio 1 ans], &anc-comtois, ftit le restaurateur de cette confr^rie
en 1390 et que Fassemblde des confr^res se faisait d^abord k Rouge-
mont, ou Philibert avait ddposä dans une chapelle qu^l y possedait,
les reliques de St George, rapportöes par lui de Terre sainte. (II dut
etre le compagnon de Bouciquaut ou du comte d'Eu, pendant le voyage
d'outremer qu'ils firent en 1387, 1388, 1389). Ce Rougemont n'est
pas celui du dept. Cote d*Or , comme vous Favez pens^ ,* mais il se
trouve dans Farrondissement de Baume, dept du Doubs [aber auch
dieses Rougemont ist von Dijon nicht sehr weit entfernt], et a donnö
son nom k Fune des familles des grands barons franc-comtois. . . . .
GERMANIA. Neue Reibe IIL (KV,) Jahrg. 13
194 K. BARTSCH, ZUR HROSWITHAFRA GE.
L'assembl^e des Chevaliers de St. George se fit plus tard k Besangen
dans le couvent des Cannes. L'ordre ne retrouva qu'un semblant d'exi-
stence pendant la restauration et s'^teignit de lui-m§me aprfes 1830."
Noch bemerkt der Herr Graf von Circourt, daß zwischen den von mir
ä. a. 0. S. 236 erwähnten Saulx Tavannes und den dAgoult de
Sault keine verwandtschaftliche Verbindung bestand.
Aus dem Obigen erhellt also, daß der St. Georgenorden von
Rougemont zwar schon vor 1390 existierte , daß er aber in diesem
Jahre erneuert und hierdurch erst recht bekannt wurde, da diese Er-
neuerung sich oft als dessen Stiftung angeführt findet, das fiühere Be-
stehen desselben aber im Dunkeln geblieben ist. Immerhin indess dari
nunmehr die Möglichkeit nicht zurückgewiesen werden, daß das Kloster
Tischen, Kloster Titschal und der Fürst St. Jörge im Eckenliede wie
im Wolfdietrich schon vor dem J. 1390 ihre Stelle gefunden hatten.
Noch bemerke ich, daß in meiner Abhandlung S. 233. Z. 19 v. o.
so zu lesen ist: „das nicht weit von Trawnik entfernt ist und in dem
oben (S. 230) erwähnten Lehnbriefe gleichfalls genannt sein
mochte;" femer ebend. jZ. 22: „von dem er gehört haben mochte,
oder aus Salnecke, Sebenico und Nakel hat Du Pinet sein Sdben-
necket zusammengeschweißt.
LÜTTICH. FELIX LIEBRECHT.
ZUR HROSWITHAFRAGE.
Nachdem neuerdings der Münchener Codex, der die Werke der
Gandersheimer Nonne enthält, wieder Gegenstand sorgfältiger Prüfling
geworden, wird die Mittheilung von Interesse sein, welche mir Herr
Prof. Const. Höfler in Prag macht. Auf der Rückseite des letzten Blattes
stehen acht Zeilen in altglagolitischer Schrift, die bisher niemand be-
achtet hatte. Sie sind nicht in den langen glagolitischen Zügen des
XIV., sondern in den älteren des X. Jahrhunderts gehalten, und nehmen
den leeren Raum ein, der nach dem Schluße des lateinischen Textes
übrig blieb. Wie kommen sie in den Codex? War derselbe in einem
böhmischen oder mährischen Kloster? Jedenfalls dürfte diese Thatsache
ein neues Moment in Bezug auf die Controverse über die Echtheit
des Codex abgeben.
K. BARTSCH*
195
DIE ERSTE AUSGABE DER SPRICHWORTER-
SAMMLUNG DES ANTONIUS TUNNICIUS.
Als ich im Jahre 1855 die Sprichwörtersammlung, des Tunnicius
abschrieb und dann im Weimarischen Jahrbuch 2, Bd. S. 178 ff. eine
nähere Nachricht darClber mittheilte^ galt die Ausgabe von 1515 fdr die
einzige noch vorhandene so wie das Berliner Exemplar Air das einzige.
Bei weiteren Nachforschungen fand sich ein zweites in der Wolfen-
bütteler Bibliothek; dann ein älterer Druck (von 1514) in der Lübecker
Bibliothek und außer diesem Exemplar noch ein unvollständiges in
der Bibliothek zu Münster, so wie neulich ein ebenfalls unvollständiges
in der Stadtbibliothek zu Hamburg. Ich begnügte mich damit und
suchte meine Ausgabe nach und nach zu vollenden. Kaum ist sie nun
erschienen, so überrascht mich Herr Oberbibliothecar Prof. Dr. Karl
Hopf in Königsberg mit der Nachricht, daß in der dortigen Bibliothek
die 'prima editio' vorhanden sei. Auf sein gütiges Anerbieten, mir die-
selbe mitzutheilen, gieng ich dankbar ein; ich erhielt sie sofort zuge-
schickt, und so kann ich denn jetzt über das Verhältniss dieser Aus-
gabe von 1513 zu den beiden späteren (A B) von 1514 und 1515
Näheres mittheilen.
Der Titel lautet übereinstimmend mit A also:
ÄNtonzj Tunnidj Monaste
riensis . in germanorum paroemi
as studiose iuuentuti perutiles
Monosticha . cum germanica in-
terpretatione .
q Eiusdem epigrammatuTn Ubellus
q Ad puerum latinitatis et honeste vite studiosum
Joannis Murmellij Epigramma
Plena bone frugis si te prouerbia ducimt
Conditus salibus si tibi sermo placet
Hunc euolue librum . dulceis hos perlege versus
Hec edisce libens verba venusta puer
Hinc poteris linguamqwö tuam moresqt^ß polire
ConuictU7iiqu6 bonis exhilarare iocis
Que subiecta vides epigrammata . ni tibi virtus
Sordet . erunt vite non minus apta tue.
13*
196 HOPFMANN VON FALLEESLEBEN, TÜNNICIUS.
4®. 32 Blätter. Auf der vorletzten Seite:
q Impressum Colonle hoc opusculum in domo Quentell
pnma edittbne Anno domini • M . ceccc . xiij .
So stimmt auch die Zueignung ganz mit A bis auf die Schluß-
worte ^supra Millesimum quingentesimo decimo tercio'^ wie sie in B
vorkommen.
Es folgen dann in fortlaufender Bogenbezeichnung g i — i iij
14 Blätter Epigrammata Tunnicii^ gewidmet Johannes Pering^ dem
Nachfolger des Johannes Murmellius im Rectorate der Schola Paulina
zu Münster. Die Widmung ist vom October 1512. Diese Gedichte,
32 an der Zahl; sind einigen hohen Personen, verschiedenen GreistUchen,
Juristen und Freunden zugeeignet. Sie sind meist didactischen und
ascetischen Inhalts, als: de virtute, de fortunae varietate, virtus et
scientiae sunt aetemae, de potorum legibus, moribus et obitu.
Daß die Gedichte der Ausgabe von 1514 beigedruckt waren,
sollte man nach dem Titel, der mit dem der Editio prima überein-
stimmt, vermuthen. An den vier Exemplaren, die mir zu Gesicht ge-
kommen, fehlten sie, ebenso bei der Ausgabe von 1515, in deren Titel
aber auch die beiden Schlußverse: Quae subiecta vides epigrammata
cet weggelassen sind.
Auslassungen.
20 8ik — 43. 60 it — 72 god — 116 lange — 166 men — 337 he —
357 Ä — 697 to — 723 dat — 758 loagm — 876 en — 891 de —
1007 ü — 1157 in.
Druckfehler.
130 sak f. hudel — 164 deckt f. delt — 205 snuffen f. snop —
232 dun bregen f. dulbr^gen — 258 horsch f. hovisch — 304 hetwe —
415 stopen f. gtoken — 593 holde f. aide — 704 dur f. durer — 729 is
enis {, enis — 799 syen f. teien — 841 versuet f. vort&t — 1019 wyttet
f. vnt — 1036 daren denge — 1163 weynen f. wo einem — 1211 dl lachen
f. al lachende — 1243 suuercTce f. suverlike — 1293 h>oet dor f. hode dy
vor — 1322 vorseyn sich f. vortein sik — 1335 otierscJiappen f. over-
schatten — 1345 ersten f. ernster,
Eigenthümliches.
Die Partikel ge ist öfter weggelassen: 165 geven — 355 love —
500 mälde — 563 stolm — 805 unlyke — 1026 richte — 1066. 1233.
1337 nSch — 1135 snifrdem — 1189 laden.
K. . GOEDEKE, ZUB GESCHICHTE DES MEISTERGESANGES. 197
bolerer f. hokr 230. 750 — ende masc. 190. 614. 870. 1349. 1362,
dagegen 1032 dat ende — brennen f. bemen — gecke f. gecken —
krege f. kreie — me f. wen — ofi f. of — tot {, to — vryg f. vry.
Lateinisches.
Viele Druckfehler dieser ersten Ausgabe sind in die nachfolgen-
den übergegangen, zu denen dann noch neue hinzugekommen, die nun
nebst einigen durch meine Schuld entstandenen geändert werden mögen.
228 muUiinlma — 277 tetendit — 391 connivere — 527 nos f. non —
999 hlandttiae — 1123 gaaae.
163 findet sich ein eigener Vers : Nemo sma assumit ortus möge
viribus altum, für: Est licet aUa aedes, non presbyter hinc möge clamat.
Beachtenswerthe Abweichungen.
89 hefstu f. hesiu — 149 vorwaren f. bewaren — 153 monke f. mo-
nike — 168 lange borgen (auch in A) f. lank geboreht — 182 scJiapen
f. schäp — 223 wy'Wyi.wo-wo — 237 aide (plde) f. sade — 239 gr&t —
250 besoken (wie in A) f. vorsuken — 348 drysten f. drystigen — 378
du8 f. sus — 390 hed f. heß — 414 löpt f.ldp — 471 messem f. messen
— 487 des f. dat dat — 638 vele geven (jgegeven) kebbe f. vele to geven
(P. Syrus 81 : Beneficium qui dedisse se dicit, petit) — 723 we i. de —
911 wer-keren f. wedder-keren — 927 he de {, de de — 937 gewdnt f. gewSn
— 969 he£. it — 979 alden enden f. an aUen enden — 1147 jo f. wo —
1204 socktet f. soke it — 1224 muse unde mauwe nicht^ das Richtige für A
muse en mauwen nicht»
SCHLOSS CORVEY, 6. März 1870. HOFFMANN VON FALLEBSLEBEN.
ZUR GESCHICHTE DES MEISTERGESANGES.
I. Der unerkannte Ton.
Der Schreiber der Eolmarer Liederhandschrift, deren geno^ue
Eenntniss wir Karl Bartsch und dem Litterarischen Vereine in Stutt-
gart verdanken, berichtet, daß er in dem unerkannten Tone, dessen er
sich BL 478 als des seinigen bedient, kein anderes Lied als das über
die Namen der Jungfrau Maria gedichtet habe, daß aber die Meister
zu Nürnberg ein Bar oder drei, das heißt eine nicht näher zu bestim-
mende Anzahl von Meisterliedem, in diesem Tone gedichtet haben.
Da unmittelbar auf jenes Marienlied ein anderer Meistergesang in dem-
selben unerkannten Tone folgt ^ ist es mit der ausschließlichen Ver«
198 K. GOEOEKE
Wendung des Tones iUr ein Lied, wie es scheint, so genau nicht zu
nehmen y es müBste denn das zweite Lied, das Bartsch nicht hat ab-
drucken lassen, nicht von dem Schreiber der Hs. verfasst, vielmehr
eins von denen sein, welche die Meister zu Nürnberg gedichtet haben.
Der Schreiber der Hs. und Erfinder des Tones ist imbekannt; ein
weiteres Lied, das ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden könnte,
findet sich nicht; auch kommt, so viel bis jetzt zu erkennen ist, der
Ton genau ebenso weder bei den Nürnberger Meistern, noch sonstwo
vor. Seine Eigenthümlichkeit besteht darin, daß die dreißig Verse der
Strophe (9:9 + 12) 32 Reime haben, da dem vorletzten* Verse der
Stollen ein Binnenreim gegeben ist. Dagegen findet sich bei Meister-
sängen! eine ganz ebenso gebaute Strophe von 30 Versen (9 : 9 -t- 12), die
sich nur durch Weglassung des Binnenreims unterscheidet. Ph. Wacker-
nagel, der in seinem Kirchenliede einige Gedichte in dieser Form mit-
theilt, hält sie für die ältere und ist nicht ganz abgeneigt, sie Frauen-
lob zuzuweisen, also in das 14. Jhd. hinaufzurücken, wie er denn die
mitgetheilten Gedichte, die noch näher zu erörtern sein werden, wirk-
lich unter die Lieder des 14. Jhd. gesetzt hat. Seine Ansicht ist auch
die einiger späten Meistersänger , unter denen ich nur Valentin Vogt
nenne, der in der Jenaer Hs. seiner Gedichte, über die Wiedeburg,
S. 140 ff., eine ausfuhrliche aber imgenügende Nachricht gegebeij hat,
in der Abtheilung über die Töne Bl. 32 (121) die Noten des Tones gibt
und diesen selbst den unbekannten Ton Frauenlobs nennt. Der als Text
beigeschriebenen Strophe, die aus Vogts eigenem am 1. Sept. 1544 ver-
fassten Liede über die Opferung Isaacs (Genes. 22) entnommen ist,
BL 28 (40), fehlt der Binnenreim in den 8. und 16. Zeilen der Stollen
gänzlich. Auch Hans Sachs, der größte Kenner meistersängerischer
Töne, von denen er 272 selbst benutzte, die er „in seiner Jugend und
auf seiner Wanderschaft, auch später in Nürnberg mit großer ünkost
und Mühe überkommen und gelernt" hatte, wie er im Register aller
seiner Gedichte bemerkt, hörte in seinen jimgen Jahren diesen „unbe-
kannten Ton" von 30 Versen ohne Binnenreim als einen Ton Frauen-
lobs bezeichnen imd setzte die 8 Gedichte, die er in seiner Sammlung
älterer Meisterlieder unter diesem Tone vorfand, unter Frauenlobs Namen
(Berlin ms. germ. 4®, 414). Wahrscheinlich hatte sein Lehrer Leonhart
Nunnenbeck ihm den Ton als einen Frauenlobs genannt, da ein Gedicht
dieses Meisters {Heiliger geist erleuchte Bl. 74) unter der Bezeichnung
im unbekannten Tone Frauenlobs eingereiht wurde, während die übrigen,
unter denen eins von Kunrat Nachtigall ( Von Jease ist entsprossen Bl. 414),
drei namenlose und drei von Hans Folz begegnen, nur den Namen des
ZUR GESCHICHTE DES MEISTERGESANGES. 199
Tones, nicht auch den des Erfinders tragen. Daß aber die Tradition
nicht immer zuverlässig war und daß ein Ton, dessen Erfinder man
nicht kannte, auf den Namen Frauenlobs, des Tönereichen, gesetzt wurde,
geht imter anderm daraus hervor, daß dieselbe Hs. einen „verholnen
Ton** dem Frauenlob beilegte, der sich in der Folge als Eigenthum
Fritz Zorns auswies. Hans Sachs selblst kam von seinem Irrthume zurück
und änderte in späteren Jahren den Namen des Erfinders bei dem Liede
Nunnenbecks und im Register der Töne, hat sich auch selbst, nach
Ausweis des Registers über alle seine Gedichte, das aus dem Raths-
archive der Stadt Zwickau mir vorliegt, dieses Tones als eines Frauen-
lobischen niemals bedient. Unter den echten Liedern Frauenlobs kommt
keines in diesem Tone vor, weder mit noch ohne Binnenreim; die Tra-
dition der Meistersinger legt ihm auch keinen Ton in 32 oder 30 Reimen
bei. Doch ist nicht zu verschweigen, daß die Liedersamndung von der
Hand des Hans Sachs, jener Berliner cod. 414, Bl. 277, 274, 276 in
dieser Folge drei zusammengehörige Lieder imter diesem Tone gibt,
bei deren erstem, Bl. 277^ H. F. als Verfasser genannt wird. Es sind
die drei Bar:
Bl. 277^. Ave virgo et mater. Das. erst par. 7 Lieder. HF.
Bl. 274\ Ave fons castitatis. Das ^ ander par. 7 lieder.
Bl. 276*. Ave tu vitae via. Das drit par. 7 lieder.
Eben jene Lieder, die Ph. Wackemagel theilweise veröffentlicht hat,
doch nicht nach dieser lautem Quelle, sondern das dritte nach einem
Drucke (Kirchenlied 2 Nr. 433) und (Nr. 1443) einen Mischmasch aus
den beiden andern nach der Heidelberger Hs. 109, in welcher durch
Simprecht Kröll der reine Fluß des Gedichtes oft bis zum baaren Un-
sinn entstellt ist. Simprecht Kröll nennt in der Überschrift den Ton
den imerkannten, während die genaue Hs., die H. Sachs sich anlegte,
die leise Änderung des Namens darbietet, wie sie von einem älteren
Dichter vorgenommen war, um die Abweichung von der ursprünglichen
Zahl der Reime anzuzeigen. Daß die Buchstaben H. F. nicht auf
Heinrich Frauenlob zu beziehen sind, lehrt der Gebrauch der Hs., die
den Namen des älteren Dichters immer ganz ausschreibt und mit H. F.
durchweg Hans Folz bezeichnet. Von diesem sind jene drei Gedichte
also verfasst und gehören, wie auch die Sprache und Behandlung des
Reimes ausweist, keineswegs Frauenlob oder seiner Zeit, sondern der
zweiten Hälfte des 15. Jhd. Jeden Zweifel an der Urheberschaft de»
Hans Folz beseitigt dieselbe Berliner Hs. 414, die ich als N 2 an-
zuftlhren gewohnt bin und in einem vorbereiteten Meistergesangbuche
vielfach vorführen werde, völlig durch einen von anderer Hand ge-
200 K. GOEDEKE
schriebenen Anhang von sieben Gedichten^ deren seclis erste ausschließ-
lich in dem unbekannten Tone gesungen sind und unter sich im Zu-
sammenhange stehen. Beim ersten, vierten, fiinften und sechsten wird
Folz ausdrücklich als Verfasser genannt, während die Bezeichnung
beim zweiten und dritten: „im unbekanten don Hans volczen 5 lieder^
den Zweifel übrig lässt, ob Folz als Erfinder des Tones oder als Dichter
genannt oder als beides bezeichnet sein soll. Am Schlüsse des sechsten
Gedichtes nennt er sich mit Namen imd Gewerbe: Hans Volcz bar-
birere. In diesen Liedern, die für die dunkle Geschichte des Meister-
gesanges von großem Interesse sind, tritt Folz mit aller Lebhaftigkeit
des Begründers einer neuen Richtung gegen Herkonmien und Gebrauch
der Meisterschulen auf, immer nur die alten Töne der angeblichen alten
Meister, die in der Regel keiner kenne, zu benutzen und dieselben mit
neuen Worten zu versehen. Wenn ein Dichter einen neuen Ton schaffe,
finde er nur missbilligende Verächter, wenn er aber vorgebe, sein neuer-
fundener Ton sei einer eines alten Meisters, z. B. des Canzlers Blütweis,
so heiße es einstimmig, ja das sei wahr, er bringe in alle seine Töne
solche Melodie. Da sich Folz in diesen polemischen Gedichten durch-
weg des unbekannten Tones bedient imd diesen wie die neugeschaffenen
Töne überhaupt weit über di^ der alten Meister erhebt und sich dabei
gegen „etlich meistersinger zu vor aus unden an dem Rein^ erklärt,
so scheint daraus zu folgen^ daß dieser unbekannte Ton bei der Sing-
Bchule in Mainz Anfechtung erfahren und daß Folz seine Lieder noch in
Worms imd zwar zu Gxmsten eines befi*eundeten Sängers und Dichters
abfasste, der aber kein anderer sein kann als der Erfinder des Tones,
Nun sind die in der Berliner Hs. 414 auf Frauenlobs Namen geschrie-
benen Lieder durch eine spätere Correctur von Hans Sachsens altern-
der Hand diesem genommen und Nestler von Speier zugewiesen, wie
denn auch die zwölf Meistergesänge, die H. Sachs im unbekannten
Tone gedichtet hat, in seinem Register über alle seine Gedichte unter
dem Namen Nestlers von Speier stehen. An der Richtigkeit dieser An-
gabe, daß der unbekannte Ton diesem Nestler von Speier gehöre, zu
zweifeln, liegt kein zwingender Grund vor, da Hans Sachs sehr wohl
in der Lage sein konnte, den rechten Namen, den Folz mit nach Nürn-
berg gebracht hatte, zu erfahren. Wir hätten somit den Namen eines
Dichters gewonnen, über den freilich weiter nichts bekannt ist und
dessen Zeit erst durch die Kolmarer Hs. und die Lieder von Folz
einigermaßen bestimmt wird. Sein Ton, der um 1460 fallen mag und
wie die Hs, anzeigt schon von den Meistern zu Nürnberg benutzt war,
m^g aber von Foh^ vereinfacht sein und dann dem Kunrat Nachtigal
ZUR GESCHICHTE DES MEISTERGESANGES. 201
und Lienhart Nunnenbeck, auch wohl Andern, fiir ihre Lieder gedient
haben y so daß man mit der Berliner Hs. 414 zweifelhaft sein könnte^
ob der durch leichte Änderung vom unerkannten zum unbekannten
gewordene Ton nicht auch unter die Töne Folzens zu setzen sei. Eine
Stelle 9 wo dies ausdrücklich geschehen wäre^ ist mir nicht bekannt
geworden. Als feststehend darf aber angenommen werden, daß Gedichte
in diesem Tone nicht über die Mitte des 15. Jhd. hinaufgerückt werden
können imd daß bei den von Ph. Wackemagel veröffentlichten Ge-
dichten (2, 433 und 1443) also weder an Frauenlob als Verfasser noch
an seine Zeit zu denken ist.
n. SchnachRegilräu.
Eine Sammlung von Meistergesängen des 16. und 17. Jhd. in
Weimar (Fol. 419) enthält ein Lied; das die drei stärksten Kämpfer
feiert; zuerst Dietrich von Bern, der den König Fasolt, das ungefüge
Weib Räzen^ den großen Riesen Sigenot^ den starken Ecken ; den
Hürnen Seifiit und den alten Hillebrant erlegt habe. Als zweiter wird
Geoffi*oi; Melusina sun^ genannt ^ und als dritter ein noch lebender
Kämpfer^ dessen Schilderung ich folgen lasse: „Schnach Begilräu so
war der drit,' | ein kempfer noch im leben; | der holt noch gar manchen
tumier | im spitalbier^ | kein zug tut er verzagen; | Tag unde nacht
kempfet er mit, | tet nie kein zagen geben; | kalt oder warm imd wie
es war, | so ander gar | mit kämpf darob erlagen. || Eins morgens
bstunt er ein bierkampf | ungefer auf drei stunde^ | achzehen saidlein
in eim dampf | erleget und verschlunde | mit seinem weiten rächen
schon; | der kunstreich mon | hat aller Weisheit gründe." Das ganz
ernsthaft anhebende Gedicht springt im dritten Liede in persönliche
Satire um imd verhöhnt einen Bierschlund ^ dessen Name zu Anfangs
offenbar anagrammatisch, genannt wird und damals, in Nürnberg wohl,
sofort erkannt wurde. Wer war dieser Schnach Regilräu? Es würde
ohne Interesse sein, den Namen eines bloßen Bierzapfen kennen zu
lernen, der es nur bis auf 18 Seidel innerhalb dreier Stunden gebracht
hatte, eine Leistungsfähigkeit, in der ihm heutiges Tages mehr als ein
akademischer Bürger überlegen sein mag. Es scheint hier vielmehr
ein Spottgedicht vorzuliegen, das zunächst innerhalb der Schule, im
Exeise der Meistersänger seine Beziehungen hatte. Gedichte der Art
in denen der Gegner oder Nebenbuhler in der Kunst mit einem Esel
oder sonstigen übel beleumundeten Thieren verglichen wurde, begegnen
m den Schulgezänken vielfach; keines aber, soviel ich weiss, in welchen
wie hier der Gegner, ganz außerhalb der Kunst, von Seiten seines
Frivattreibens angegriffen und mit kenntlichen Namen bezeichnet wurde..
202 K. GOEDEKE, ZUR GESCHICHTE DES MEISTERGESANGES.
So misslich es erscheinen mag, diese jetzt dunkle Bezeichnimg zn deu^
ten, will ich doch versuchen, das Anagramm auf einen Namen zurück-
zuführen. Dabei bevorworte ich, daß die Niederschrift dem 17. Jhd.
angehört und daß dem Aufzeichner die Bedeutung des vielleicht nur
um wenige Jahre älteren Anagramms wohl nicht mehr zu Gebote
stand. Er konnte deshalb leicht den einen oder andern Buchstaben
anders wiedergeben, als seine Vorlage ihm darbot, obwohl ich die Treue
und Genauigkeit seiner Abschriften, selbst wo es sich um Namen fremder
Völker und entlegener Zeiten handelt, ausdrücklich bezeugen muss. Wa»
das Schnach betrifft, so glaube ich darin eine bloße mit einigen überflüs-
sigen Zeichen versehene Umdrehung des Namens Hans zu erkennen^
der durch die Annäherung an Schach ein heldenhafteres Ansehen er-
halten sollte. Es bliebe nur Regilräu zu deuten, was, rückwärts gelesen^
Värliger ergeben würde. Aber der eine Name zeigt so wenig wie der
andere auf eine sonst bekannte Persönlichkeit. Dagegen scheint ein
Igelauer deutlich durchzuschimmern, wobei nur das ä in ae umzu-
wandeln ist und freilich ein nicht unterzubringendes B übrig bleibt.
Wir hätten, die Richtigkeit der Deutung vorausgesetzt, also einen Hans
Igelauer, einen Hans aus Iglau, ein Name, mit dem jedoch noch nichts
gewonnen zu sein scheint. Unter den von Görres herausgegebenen
Meisterliedem steht S. 126 eins mit der Aufschrift 'Ritt zum Mädchen,
das, nach Mones Anzeiger VH, 386, aus der Heidelberger Hs. Nr. 343
entlehnt ist. Die Anfangsbuchstaben der sechs Strophen dieses Gedichtes
bilden den Namen Igelau, entweder den Namen des Dichters oder der
mährischen Stadt; in beiden Fällen würde ein und dasselbe angedeutet,
eine Beziehung zu Iglau und einem Iglauer. Es ist wohl nicht allzu
gewagt, wenn ich das Meisterlied mit diesem Gedichte in Verbindung
setze und das erstere auf einen Iglauer Dichter Hans gerichtet nenne,
über den nichts weiter bekannt ist, wenigstens mir nicht. Wäre das
Gedicht erst im 17. Jhd. gemacht, so würde freilich der in der Heidel-
berger Hs. genannte Igelau nicht heranzuziehen sein, aber eine Deutung
auf einen Iglauer noch weniger beanstandet werden können, da durch
den jtlngeren Hager, einen Sohn Georgs, des Schülers von Hans Sachs,
eine Verbindung zwischen den Iglauer und Nürnberger Meistersängem
urkundlich erwiesen ist. Philipp Hager, Schuhmacher und Meistersänger
wie sein Vater Georg, -war in Iglau und Gedichte von ihm liefert die
von Wolfskron näher bekannt gemachte Iglauer Meistersängerhand-
schrift, wie er von dorther Gedichte mitbrachte, die in späteren Nürn-
berger Sammlungen vorkommen.
GÖTTINGEN, Nov. 1869. K. GOEDEKE.
203
RESTE ALTDEUTSCHER HANDSCHRIFTEN
ZU DARMSTADT.
1 * got trug an siner ceswen hant (Äpoe. 1,16)
siben steme da dar iohannez vant
sin ceswe ist die cristenheit
die got in sinen banden treit
5 daz sie nit gevallen mac 45
▼ntz an den iungstep tac
si mac wol yf der ei^den
so sere bekort werden,
daz die zwifelere myt des han
10 die werlt die mvz gar zur gan 50
swie sie doeb nimmer vnder glit
vnz ander iungsten stunde zit
so die cristenbeit zur git
vnd in ein pesezzer uf erstet
15 des nieman zwifebi darf 55
ein swert beidentbalben scbai-f (ebd,)
daz gienc uz sine munde
daz ist die leste stunde
so got an de sieb riebet
20 der sin gebot bie zubricbet 60
vnd er dem lonet
der sins gebotes bie sebonet
sus tut got yenes vn dit
daz swert bat zweier bände snit
25 der ein zu berge set {aofllr stet) 65
swenne man da mit slet
der ander zu der erden
ynd wezeicbent die werden
cristenbeit prelate
30 die mit ire gude rate 70
nacb dem sie schult vinde
bie binde vnd entbinde - c
vnd tutet daz geistlicb swert
daz snidet beiden halben wert
35 Sin anilitz als di sunne schin (ebd,)
75
1^ die künde in nit wetruben
do schein als durch einen schaten
sin gern in sulchn baten
als er den iungem erschein
40 docA weis des zwifel kein 80
als er sich veränderte
mit den zwel]^oten wanderte
vnd v{ montethabur was
do moses vnd eHas
beide «chinlicb ir scheuen
Iren heimlichen wienen
den sie sich da scbolden tugen {lies
also kt^mt er ane lugen ugen)
dem ^te zu angeschibte
zu dem aller lesten geribte
dem ar^e wirt er sorcblich
also er hoch, er ugent sich
vnd Wirt tunde danne
dem gt^te iohanne
mit als Übte in lubten
daz er der unne duhten
sin von ewiclicb mugent
so sie scHnet in ir pesten tugent
irs lihte« vnzubrochen
ditz ist also gesprochen
daz got daz hoch geribte
sin scbep&isse sich gelichte
Got schein zum ersten deine
wan erschein alters eine
sint mals da die starcken
Propheten patriarchen
zwelboden bihtere meygde
merterer von ire getreide
durch ih'm . x" giengen
vnd den tot entpfiengen
gotes • luterer dan e
want sines schines wart me
do crist erstunt von dem grabe
do gie sin vinstemis abe
daz er wegonde schinen
den vremden vnd den sinen
vnd die cristenbeit nam zu
der sunnen glich so sie vru
schinet daz man sie kume weiz
vnd sider wirt witer ir creiz
204
M. RIEOEB
also schein crist znm ersten
sint schein er mit dS her^^en
zeigen glich der sannen tugen
weYom schein er in d ngem
85 tonkel so ich do von sprac
sider do die werlt gesach
daz er was erstanden
von des todes banden
ynd die iuden bürden vberrede
90 vnd ir •plut wort* also vertrede
mit zeichen mit vrkunden
ynd vz irs selbes munden
der heidenschaft; wart vil beA^rt
vnd den gluben gelert
95 ynd der abgot ere gelag
do schein got vm mitten tag
glich der vollen sonnen craft
dar mitte si das geschaft
Und als sach de snzzen (Äpöe, Jf , 1 7)
100 do Til ich zn den vnzzen
als ich erstorben were
do sprac er nit irrere
von minen angeschihten dich
vnd legete san vfe mich
105 sin ceswS hant durch n
Yord dan er mac getragen
durch daz ir vrohte daz nit iohan
wan min gwalt ist so getan
130 daz er alles des geweidet
daz sin leben von mir heldet
Durch daz heb an vnd scrip (Apoc.
ynd gruzze man ynd wip i, 19)
vnd sage in was in sal geschehen
135 vnd was du tugen has gesehen
daz vrkunde offenbare
daz die cristenheit zu vare
sol stene vnz an die lesten zit
so gestillet der argen nit
140 nn merke wenne daz gesche
1*^ vnd ich pin sprach er der herste
der leste vnd auch der erste
daz bedutet sus ich bringe
begin vnd ende der dinge
110 wan alle sache beginnen
vnd enden in minen sinnen
ynd ich was tot vnd leben nv (Äpoc,
da darf man vil gosen zu ij IS)
wan ich sol leben ymmer
115 der got gewint mich nimmer
wan an mir ist nit brodes
die sluzzel des todes
han ich ynd der helle
daz sprac sus nieman yelle
120 von vorhten in den tot sich
daz er also yrohte mich
oder ir yrochte die teufele
daz er do yon verzwifelo
daz er werd verloren
125 wan ich niman bekoren
laze in a Ue sinen tagen
2^ des gieng die wäre snnne
menneschlichen gesiebten
tmder des gerehten
daz sie der werlte nit irschein
145 durch iren ybelichen mein
stu wart ein zwifelnisse
Sit nieman nit inwisse
mit keiner irdischen list
waz got waz ynd waz er ist
150 <mch waz daz yolk yerwildet
sin got nac im gepildet
von rehte sam ein wildez tier
daz waz des leiden tevfels smier
ez was sin honlicher spot
155 des spotes erbarmte got
dsLZ er satzte gotliche gedulte
durch sine gnade vor die schulte
er liez sin liht den sinen
« von verrens vz in erschinen
160 sine . die werlt gienc irre
vz diser verren virre
daz got der werlde zukumftic waa
der toissage sprac ysaias
der herre von verrens küftic ist
165 vil tummen irrende red er dis
M den sinen lebenden iaren
meit vns mute die sint waren
werlde kumfüic
nu si wir des vemunftic
170 vil rechte daz got sulde
gebiete als er wulde
daz wir in enpfingen
KESTE ALTDEUTSCHEB HANDSCHRIFTEN ZU DARMSTADT. 206
und im zukegen giengen daz er schinet in der naht
im danketen vnder gnaden vnd ist sines schines pfant
175 iz den hohsten graden ein plinder hat em in der hant
ich wunne künden hiez 195 want er in mac sin nit entrinden
— — als mohte wir nit sehenden plifuf en
2^ den dort in sinen tagen got nit erkennen pi der vrist
gesan nie kein vgen wan wis vns q*m ^is wäre gnht
daz den got vnser angen san daz got vns simdigen armen
180 vnd noch in handelungen han 200 sich wolde lazzen erbarmen
der vns von nihte geschuf vnd er sich vns wolde vgen
ditz was der wissagen ruf do begunde er iz an den vgen
mit samte den patriarchen ' die got zum ersten vns entslos;
daz sie die knmfte des starcken daz sich die werlt sehe sinnen ^loz
185 gottes vns hant gekündet 205 vnd rihte sich nah der angesih^
vnd in zu vns vrundet wan sie gotes erkante nit
von siner verhenchnisse Die vgen der wir nit heten
den nieman wesen wisse die langen an den propheten
wan sin schin schein also tunkel vnd an den patriarchen sam
190 als de plindS der karuunkel 210 von in daz liht zum ersten quam
der stein ist also geslaht daz in von gotes gnaden schein
Die vorstehenden' Brackstücke gehören zu H. Heslers poetischer
Auslegung der Offenbarung Johannis^ von welcher K. Köpke in Hagen»
Germania X; 81—102 einen Auszug gegeben^ andere Reste durch Karl
Both in seinen Dichtungen d. deutschen Mittelalters bereits 1845^ durch
B. Greiff (in dieser Zeitschrift XI, 70—74) und Pfeiffer (Altd. Übungs-
buch S. 21 — 26) veröffentlicht sind. Die Handschrift, aus welcher die von
Both abgedruckten Saarbrücker Bruchstücke stammen, war wie die
unsrige zweispaltig auf Pergament in Folio, und eine Vergleichung
der Orthographie beweist zuverlässig, daß wir in den Darmstädter
und Saarbrücker Bruchstücken Beste einer und derselben Handschrift,
nur nicht, wie Both meinte, des 13., sondern des 14. Jahrhunderts,
zu erkennen haben. Es findet ^sich, um nur die auffallendsten Über-
einstimmimgen hervorzuheben, hier wie dort ftLr ou regelmäßig u, was
man freiUch bei Both nur aus den Anmerkungen ersieht, da er es im
Texte corrigiert hat: tilgen lugen ugen D (= Darmstädter Bruchstücke)
47 f. 52. 83 f. 135. 177 f. 201 f. 207. lugen ugm uch hubt druwm S
(= Saarbrücker Bruchstücke) 28. 83. 115. 136. 179; j^ für i im Anlaut:
yenes ymmer ysaicullD 23. 114. 163. ylJten ytd ymmer S 85. 92. 147. 166.
282; to ftLr & und h für w im Anlaut: wezeichent wetruhen wegonde we-
vom uns D 28. 36. 75. 84. 198. vxdach flir Bedach n. pr. westan S 94. 128.
Jmrden für wwrden D 89. webart ftlr hewart S. 208; c ftlr ch im Auslaut
nach Vocalen: spracnac D 85. 102. 119. 151. sprac nac noc S. 31. 223.
260. 296; desgleichen in der Verbindung scr : scrihen D 132. S 171.
206 M. RIEGER, RESTE ALTDEUTSCHER HANDSCHRIFTEN etc.
174. 216; dagegen ch fiir c im Auslaut nach Liquida: verhenchnisse
sorchlich D 187. 51. wrsprinch dinch S 323 f. Die Mundart ist nach
Roth fuldisch oder, wie er sich ausdrückt, buchisch; das herrschende
baierische p flir & im Anlaut und ew fiir t2 = m (teufel D. 122. 153.
S 234. 251), ew für iko {ewer rewe trewe häufig in S) deutet mehr auf
osterfränkische als hessische Heimat des Schreibers. Der Dichter sprach
jedoch nicht teufel, sondern tifel = tiefet , denn er reimt es auf ztmfel.
Das erste der beiden Blätter, auf denen die obigen Verse stehen,
ist der Länge nach in der Art durchgeschnitten, daß auf der zweiten
Spalte der ersten Seite die Anfänge und*auf der ersten Spalte der
zweiten Seite theilweise die Schlüsse der Zeilen abgetrennt sind und sich
je auf dem andern Stück des zerschnittenen Blattes vorfinden. Leider
fehlt aber, wenn man beide Stücke zusammenfügt, dazwischen ein
schmaler Streifen, um welchen das eine beschnitten worden ist ; daher
die Lücke von Z. 36 — 53, die ich, wie auch die fehlenden Anfänge
und Schlüsse des zweiten Blattes, durch cursiv gedruckte Ergänzungen
größtentheils ausgefiillt habe.
Außer diesen Bruchstücken sind folgende nichts Neues enthal-
tende im vorigen Jahre auf hiesiger Hof bibliothek aufgefunden worden :
1. Reste einer sehr guten Folio-Handschrift des Passionais, Perg.,
enthalten S. 138, 49—66. 69—78. S. 141,52—68. 72—81. S. 204, 43—71.
S. 207, 51—79. des Druckes von Hahn.
2. Ein Doppelblatt zu 3 Spalten und 50 Zeilen aus der Welt-
chronik Rudolfs von Ems, Perg,, reicht in dem Drucke von Schütze
(Die histor. Bücher des a. Testam. usw. Hamburg 1779 — 81) im er-
sten Theil von S. 188 — 205. Die Handschrifl; zeigt mitteldeutsches
Sprachgepräge, ist aber, einige Auslassimgen imgeachtet, sehr gut und
wird noch dem 13. Jhd. angehören.
3. Ein zweispaltiges Doppelblatt aus Enenkels Weltchronik, Perg.,
entspricht dem von Maßmann in seinem Eraclius mitgetheilten Stücke
dieses Werkes von V. 12 — 168 und von 447 bis ans Ende, nachher
wird noch die Geschichte vom klingenden Bilde zu Rom angefangen.
Auch diese Handschrift ist in den Sprachformen mitteldeutsch gefärbt,
aber weder alt noch gut.
4. Ein Papierdoppelblatt, das den Anfang des Namenbuches von
*Konrad Danckortzheim*, wie er hier heißt, enthält und in dem Druck
von Strobel (Beiträge zur d. Lit. Straßb. 1827) bis S. 112 reicht
DARMSTADT, Juni 1869. M. RIEGEB.
207
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. *)
VON
HERMANN KURZ.
Ich weii^ wolf ir tat vil gewesen,
die von Goifride hänt gelesen,
und ist ir doch niht vil gewesen^
die Schöpfltnen rehte haben gelesen.
So könnte man mit einer kleinen Veränderung der Worte, die
Meister Gottfried von seinen Vorgängern braucht, dem ganzen Kreise
seiner Herausgeber, Bearbeiter und sonstigen Besprecher zurufen, wel-
chem Schreiber dieses in etwas anzugehören sich so geehrt als mit-
schuldig fiihlt. Denn keiner von Allen hat bis jetzt den Wegweiser
entdeckt, der schon seit stark hundert Jahren in SchÖpflins Alsatia
illustrata aufgerichtet steht imd, ob auch weit vom eigentlichen Ziel
entfernt, doch redlich nach der rechten Straße deutet. Dort im zweiten
Bande brauchte man nur den Index rerum zu befragen, dann fand man
s. V. „Strasburg" eine „Familia nobilis" und wurde auf S. 634 ver-
wiesen, wo man weiter erfahr, daß ein Mitglied dieses Geschlechts in
den Jahren 1219 und 1220, also zu Gottfrieds Zeit oder doch dieser
Zeit höchst nahestehend, sich abwechslungsweise Waltherus de Argen-
tina und Waltherus de Strasburg geschrieben habe« Grund genug,
diesem Namen nachzugehen und zu erkunden, wie Gottfried „von
Straßburg" zu dem Namen steht.
Allein Schöpflin hat sich selbst den Weg verrannt : ohne viel nach
Gottfried umzusehen, fiihrt er ihn bloß einmal (Als. ill. I, 816) neben-
her imter den elsässischen Dichtem der sogenannten Manessischen
Liederhandschrift auf, imd zwar imter den „bürgerlichen". Dies ist
ohne Zweifel die Ursache, wa^^um er weder bei Gottfried an das Ge-
schlecht de Argentina, noch bei diesem Geschlechte an Gottfried denkt.
Nun hat es aber bekanntlich mit bürgerlichen Personen zu Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts, so historisch richtig an sich der Ausdruck ist,
eine eigene Bewandtniss, eine ganz andere als mit den Bürgern des
vierzehnten und flinfzehnten Jahrhunderts , seit dem Aufkommen der
*) Ich habe den Wiederabdruck dieser vom Verfasser durchgesehenen und ver-
mehrten Abhandlung veranlasst, weil die 'Wochenausgabe der Allgemeinen Zeitung',
in welcher sie erschien, wohl den wenigsten Fachgenossen zu Gesichte kommt. K. B.
208 HEEMANN KURZ
Zünfte. Es kann wohl nur der Titel Meister gewesen sein, der den
gewiegten Historiker verführte ; denn er lässt an jener Stelle auf die
adelichen und „bürgerlichen" Minnesänger des Elsasses gleich die spä-
teren Meistersänger folgen, die ihm, als Gevatter Schneider, Hand-
und andere Schuhmacher, ziemlich geringschätzenswerthe „Poetaster"
%ind. Mag ihm nun auch Gottfried als Dichter mehr gewesen sein, von
Seiten des Standes scheint ihm dieser „Meister" einen Übergang zu
den bürgerlichen Meistern des späteren Mittelalters gebildet zu haben.
Aber zu Gottfrieds Zeit hatte der Titel Meister keinen so beschränkten
Sinn. Man ersieht dies zunächst bei ihm selbst gleich aus der Stelle,
wo Isolde Herrn Tristan, als Schiffsmeister und Seneschall, mit „Meister"
anredet (291, 16. 293, 20. 294, 7); ein genügender Wink, daß es da-
mals Meisterschaften gab, die sich mit adelicher Geburt vertragen.
Schöpflin dagegen hätte von seinem Standpunct die Namensbruder-
schaft eines im modernen Sinn des Worts bürgerlich vermeinten Poeten
mit einem gleichzeitigen edeln Geschlechte nur um so erstaunlicher
finden und deshalb in Untersuchung ziehen sollen ; allein sie fkllt ihm
gar nicht auf.
So steht denn der berühmte Verfasser der Alsatia illustrata selbst
an der Spitze derer, die der Vorwurf trifft, den Schöpflin nicht recht
gelesen zu haben. Im gleichen Falle ist sein Schüler Oberlin, der in
der Dissertation „De poetis Alsatiae eroticis medii aevi, vulgo von den
elsaessischen Minnesingern" den großen Landsmann nach Würden preist,
mit dem Bekenntniss jedoch, von seinem Geschlecht und seinen Um-
ständen nichts zu wissen, nur daß er ein Bürgerlicher gewesen zu sein
scheine. Mit diesen Vorgängen in des Dichters Heimath selbst und
ihrer Diplomatik wie Litterarhistorie mögen die Späteren wegen des
jetzt zu Tage kommenden Ubersehens entschuldigt sein.
Gleichwohl werden wir dem Wegweiser, den uns Schöpflin hinter-
liess, dankbar zu folgen haben. Er weist uns zu den Urkunden: denn
wo anders als aus diesen käme seine Nachricht von Waltherus de Ar-
gentina her? Deren nun gibt es fär gegenwärtigen Bedarf in seiner
Alsatia diplomatica fast genug, zumal wenn wir zur Ergänzimg Würdt-
weins Nova subsidia diplomatica herbeiziehen. Nur bleibt bei jenen
meist kaiserlichen imd bischöflichen Urkunden, in welchen oft viele
reichsständische , bischöfliche , städtische und landschaftliche Zeugen
neben einander auftreten, immer noch ein Zweifel übrig, ob nicht der
Beisatz de Argentina bloß Angehörige der Stadt bedeuten könnte,
gerade wie auch Gottfried so lange Zeit bloß filr einen Meister aus
Straßburg gehalten worden ist.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURÖ. g09
Wir sehen uns daher vorläufig noch nach einem weiteren Zeugniss
uni; das diesen Zweifel zu beseitigen geeignet sein möchte. Zu diesem
Behufe müssen wir die alten Straßburger Rathsverzeichnisse aufschlagen,
welche Schilter in seiner Vorrede zu Königshofens Chronik gibt Und
siehe da, gleich in dem ersten derselben, das vom Jahr 1220 ißt, er-
scheint unter den flinf ersten Rathsherren Waltherus de Strasburg.
Es wird einleuchten, daß das Vorkommen dieses Namens im Schöße
einer Versammlung, die aus lauter Straßburgern im strengsten Sinn
des Worts bestand, jede andere Erklärung ausschließt : der Name kann
nur ein Familienname sein.
Jetzt dtlrfen wir uns ohne Besorgniss an die Urkunden halten.
In diesen nun kommt seit den achtziger Jahren des vorangegangenen
Jahrhunderts bis 1215 wiederholt, theils mit eineih Bruder Waltherus
zusammen, theils allein, ein Rudolfus unter dem Titel Scultetus oder
Causidicus, d. i. Schultheiß, vor. Im Jahr 1219 sodann taucht der auch
bei Schöpflin verzeichnete Waltherus de Argentina auf, der weiterhin
in einer Urkunde von 1220 und in der gleichzeitigen Rathsliste bei
Schilter Waltherus de Strasburg heißt, dazwischen aber, in einer Ur-
kunde vom Anfang des Jahrs 1220, Waltherus filius sculteti quondam
genannt wird. (Als. dipl. I, 304. 338. 342. 344. Würdtwein X, 149.
.151. 196. 201. 207. 226. 287. Schilter Vorrede zu KönigshofeA §. X.)
Der Name gehört somit einer schon vor dem 13. Jahrhundert in
Straßburg angesessenen Familie an. Daß es in Basel damals eine Familie
dieses Namens gegeben, hat man längst gewusst, wie denn W. Wacker-
nagel (in dieser Zeitschrift III, 260) dieselbe fiir unsem Dichter ins
Auge fasst, mit rühmlicher Entsagung jedoch zugibt, daß seine Sprache
nicht gestatte, in Gottfried einen Basler zu erkennen. Um so merk-
würdiger, daß noch Niemand darauf gekommen ist, eine Verzweigung
dieser Familie nach Straßburg zu vermuthen; denn die wahrschein-
lichste Annahme ist doch wohl die, daß ursprünglich ein Straßburger
Geschlecht in Basel einwanderte, wo es den Namen de Argentina er*
hielt, imd daß ein Zweig dieses Geschlechtes später mit dem festste-
henden Familiennamen von Basel nach Straßburg zurückkam, dort
also, nach neuerem genealogischem Brauch zu reden, eine Linie Straß-
burg-Straßburg bildete.
Hiermit haben wir ohne Zweifel Gottfrieds Familie aufgefunden,
ihn selbst noch nicht. In der That, von den großen Dichtem der Vor-
zeit hat bis jetzt kaum äner seine Person der liebevollen Theilnahme
nachlebender Geschlechter so gründlich zu entziehen gewusst, wie der
Sänger von Tristan und Isolde. Bezeugt ist nur sein Name, und neben
GKUMANIA. Neue Reihe ITI. (XV.) Jahrg. 14
210 HERMANN KURZ
iBeinem Dichterwerthe, der keines Zeugnisses bedurfte, sein der Vollen-
dung des unsterblichen Gedichtes zuvorgekommener Tod. Die Entste-
hungszeit des Gedichtes, zwischen 1200 und 1215, lässt sich bloß aus
den chronologischen Verhältnissen der Gedichte Wolframs von Eschen-
bach entnehmen, ist aber, da dieselben hierftlr ausreichende Anhalts-
punkte bieten, in dieser Allgemeinheit über jeden Zweifel festgestellt.
Daß der eine der beiden Fortsetzer des Tristan, Ulrich von Ttlrheim,
um die Mitte des Jahrhunderts den Verlust Meister Gottfrieds als ein
frisches Ereigniss zu beklagen scheint, darf nicht täuschen: der andere,
Heinrich von Friberg, der erst um 1300 schrieb, klagt noch viel lauter,
fast als ob er an dem "oflfenen Grabe stünde, um den unersetzlichen
Meister, den der Tod hingenommen habe von dieser schnöden Welt.
Dieses nebelhafte Lebensbild, kaum nur der Schatten eines Schat-
tens, ist indessen doch jetzt der greifbaren Wirklichkeit um so viel
tiäher gerückt, daß wir endliich wenigstens im Stande sind, mit einem be-
friedigenden Grade von Gewissheit zu sagen, welche Stellung Meister
Gottfried im Leben eingenommen hat. Dem Verfasser einer Schrift,
die mit ihrem übrigen Inhalt keinen großen Glauben findet: Walther
von der Vogelweido identisch mit Schenk Walther von Schipfe (S. 5),
«Elard Hugo Meyer, gebührt das Verdienst, die erste Spur aufgezeigt
zu habön, die auf dem hier eingeschlagenen Wege nunmehr mit Sicher-
heit verfolgt werden kann. Sie findet sich bei Muratori in den Esten-
sischen Antiquitäten I, 383 (auch in Lünigs Codex Italise dipl. 1, 1555).
Am 18. Juni 1207 stellte König Philipp vor Straßburg, mit wel-
cher Stadt er seit sieben Jahren im besten Einvernehmen stand, zwei
Urkunden zu Gunsten des Markgrafen Azzo von Este aus. Unter den
vielen geistlichen und weltlichen Zeugen der einen dieser Urkunden
werden, neben Graf Eudolf von Habsburg, dem Großvater des gleich-
namigen Königs, und einem Grafen 'Heinrich' von Wirtenberg (offenbar
verschrieben oder vielmehr falsch gelesen fUr Hartman; vgl. Stalin H,
J^J;^;;^^;^ . 481. 490), zuletzt aufgeflihrt ^Rodulp'hus de Argentina, Godefredus
TviAwuiA>^ I Rodelarius de Argentina, et alii plures". Zwei Tage zuvor war der
X ttÄ^ ^König in der Stadt gewesen, um einem Feste beizuwohnen, bei welchem
^ a/r«2i»^'»*^^der Bischof nach langen Wirren seine bischöflichen Bechte ausüben
^*>in^*«^ionnte. Es ist somit doppelt begreiflich, daß unter denen, die sich jetzt
***^ ^^äu!uV ft°^ Hoflager einfanden, nicht bloß der Bischof, sondern auch hervor-
i\^^'^'^^.' ragende Vertreter der Stadtgemeinde waren, daher es sehr nahe liegt,
^vwi*^*^ die letzteren in den mit „de Argentina* bezeichneten Männern zu su-
^«1»>^**^ chen. Und das sind sie auch gewesen, nur daß sie nicht durch den
Namen als solche bezeichnet sind. Jedoch den einen kennen wir ja
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS TON STRASSBURG. 211
bereits : es ist der Schultheiß Eudolf, der Vater WaJthers von Straß-
burg. In dem andern begrüßen wir eine neue Bekanntschaft; die unsere
Aufmerksamkeit zunächst von Seiten des Amtes in Anspruch nimmt.
Eotulariusy denn so heißt eigentlich das Wort, bedeutet, wie Notarius,
einen Schreiber, geistlich oder weltlich. Doch über diesen Punkt kann
keine Frage entstehen: denn ist der vorletzte Zeuge der Schultheiß,
so kann der Rotularius hur noch der Stadtschreiber sein. Einen 'meister
Gotfrid' hatten die Straßburger auch im Jahr 1299 wieder zum *stette-
schriber (Monumenta XVII, 92). Der Titel Meister passt also zu dem
Amte. Das bezeugt auch der Kölner Stadtschreiber um 1270, Gottfried
Hagen, der sich, nicht in seiner Eigenschaft als Reimchronist, sondern
in seiner amtlichen Stellung, mit vollem Selbstgeftlhle Meister Gottfried
nennt Aber auch mit adelicher Abkunft verträgt sich der Titel wie das
Amt, laut eben genannter Urkunde : denn neben Rudolfus aus dem
Geschlecht de Argentina ist Godefredus selbstverständlich nicht als
Rotularius de Argentina, was auch eher R. Argentinensis oder R. civi-
tatis Argentinensis heißen müsste, sondern er ist als Godefredus de
Argentina, Rotularius, bezeichnet.
Dieser Edelmann von der Feder nun ftlllt genau in die Zeit, die
dem unter dem Namen Meister Gottfried von Straßburg bekannten
Dichter angewiesen werden muß und ohne Widerspruch angewiesen
wird. Die beiden Benennungen decken einander, auch wenn man nicht
wüsste, daß ein Familienname in ihnen enthalten ist. Denn man braucht
sich nur zu erinnern, daß Meister Gottfried ein Gelehrter war. So
gibt er ßich selbst in seinem Gedichte, und so ist er auch auf dem im
Übrigen immer noch sehr erklärungsbedürfügen Bilde der Manessischen
Handschrift dargestellt: ein völliger homo litter atus mit Schreibtafel
und Griffel. Da er nun weder Ritter noch Geistlicher war — daß
„Schildesamt" nicht seine „Art" sei, gibt er in der Schwertleite deut-
lich zu verstehen, und eben so deutlich stellt er sich an andern Stellen
den ^Pfaffen" gegenüber — , da er andererseits den fahrenden Sängern
durch seine ganze Haltung noch viel ferner steht, so bleibt gar nichts
Anderes ftlr ihn übrig als eben die Stellung, die wir seinen Doppel-
gänger von 1207 einnehmen sehen. Godefredus Rotularius de Argentina
und Meister Gottfried von Straßburg sind eine und dieselbe Person.
Durch diese Identität wird auch die bereits festgestellte !ß^deutung dieses
Rotularius noch nebenher bekräftigt: denn die Weltgesinnung, welche
Gottfried gleich zu Eingang seines Gedichts und weiterhin bekundet,
besonders aber die Freigeisterei, die er sich in der Schilderung der
14*
212 HERMANN KURZ '
Feuerprobe gestattet, würde einem blschö fliehen^ einem allerminde*
stens halbgeistlichen Notar nieht so leicht hingegangen sein.
Da hätten wir es also mit dem geliebten Sänger herrlich weit
gebracht — bis zum Stadtschreiber! Freilich: „Das ist ihm zu gönnen!**
sagte schmunzelnd eine altwirtenbergische Biederseele, der Fleischtöpfe
unseres weiland Stadt- und Amtsschreibereiwesens eingedenk. Allein
mit diesen schmackhaften Erinnerungen wird nicht Jedermann gedient
sein. Indessen nur gemach : ein Straßburger Stadtschreiber des 13. Jahr-
hunderts stand auf einem Posten, dem sich bei der heutigen Arbeits-
theilung kaum noch eines der höchsten Staatsämter vergleichen kann.
Als rechtsgelehrtes und geschäftskundiges Mitglied des Raths hatte er
die Hand in allen inneren und äußeren Angelegenheiten seiner mäch-
tigen Vaterstadt*), die zwischen Bischofs- und Reichsstadt eine eigen-
thttmliche Mittelstellung einnahm. Dem Bischöfe stand zwar von Alters
her die Gerichtsbarkeit zu : er ernannte den Burggrafen, den Schult-
heiß, den Münzmeister und den Zoller aus seinen Ministerialen ; aber
diese Lehnsmannen waren eben hiemit zugleich Vorsteher einer freien
Bürgerschaft, und so sehen wir schon zu Anfang des Jahrhunderts sein
Emennungsrecht auf dem Wege , zur bloßen Bestätigung selbständiger
Wahlen herabzusinken. Sodann war die Bedeutimg der Stadtgemeinde
vom Bischof selbst schon im Jahr 1201 so sehr anerkannt, daß er bei
einem Vergleich zwischen dem Bisthum imd dem Grafen von Habsburg
neben der Stiftsgeistlichkeit imd den Ministerialen auch die Bürger als
Rathgeber zuzog und die betreffende ürkuüde von einer großen An-
*) Von den Verrichtungen, die einem Mann in diesem Amte zufallen konnten,
mag man sich nach einigen aus dem Leben des vorgenannten Stadtschreibers von E6hi
bekannten Hergängen ein Bild entwerfen. Als am 27. September 1270 ein päpstlicher
Bannstrahl gegen die Stadt und ihre Verbündeten in der Kölner Domkirche vor Geist-
lichkeit und Volk verkündet werden sollte, unterbrach der Stadtschreiber den hiemit
beauftragten Subdecan durch Verlesung einer Appellationsschrift , welche begann :
„ . . . ego magister Godefridus , clericus Cploniensis , procurator judicum , scabinorum,
consilii et aliorum civium Coloniensium , habens ab eisdem singulis et nniversis pote-
statem et speciale mandatum** etc. Der Subdecan wagte die Publication dennoch,
worauf aber der Stadtschreiber die Berufung an den Papst laut wiederholte. (Lacom-
blet Urkundenbuch f. d. Gesch. d. Niederrheins II, ß51. 854.) Und als im folgenden
Jahre die Versöhnung zwischen der Stadt und dem Erzbischof zu Stande kam, war es
wiederum Meister Gottfried Hagen, der, wie er am Schlüsse seiner Reimchronik be-
richtet, den von ihm verfassten Sühnebrief öffentlich verlas. Auch der Fingerzeig, den
die Übersetzung seines Meistertitels ins Lateinische gibt, ist zu beachten. Den gleichen
Titel fährt der päpstliche Capellan imd Nuntius, von welchem jener Bannspruch aus-
gieng ; er ist magister Bemardus de Castaneto genannt. Man sieht, mit den „Meistern''
des 13. Jahrhunderts muss säuberlich verfahren werden.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRÄSSBUBG. 2I3
zahl derselben mitbezeugen Hess. Diese Bedeutung wucLs^ als König
Philipp 1205 der Stadt eine Urkunde ertheilte, durch welche er sie in
seinen „besondem Schutz" nahm. Aber eben hiedurch waren die Ver-
hältnisse höchst schwankend geworden^ so daß man sie heutigen Rechts-
begriffen gemäß mit festen und klaren Ausdrücken nicht bezeichnen
kann. Eine unvollkommene Oberherrlichkeit des Bischofs und eine un-
vollkommene Reichsunmittelbarkeit der Stadt: welche Kämpfe musste
dies nach sich ziehen !
Die Straßburgischen de Argentina gehörten, wie ihre Basler Vet-
tern, zu jenen Ministerialen, welche die ehrenvolle und schwierige Auf-
gabe hatten, ihre bischöfliche Vasallenstellung mit der Regierung der
Stadtgemeinde zu vereinigen. Von der allmählichen Änderung^ die in
dieser Stellung eintrat, geben die früher aufgeführten bischöflichen Ur-
kunden in gewissen symbolischen Äußerlichkeiten ein anschauliches Bild.
Die älteren ftlhren theils nach den Ministerialen gar keine weiteren
Zeugen mehr auf, theils stellen sie wenigstens die Ministerialen von den
Bürgern getrennt und ihnen vorangehend als besondere Zeugenclasse
hin: in den späteren Urkunden dagegen, um 1220, stehen theils still-
schweigend, theils ausgesprochenermaßen Ministerialen und Bürger
den Zeugen vom Capitel als vereinigte Zeugenschaft geschlossen gegen-
über. Das kann nichts Anderes bedeuten, als daß die (aristocratisch-)
republicanische Umgestaltung in vollem Gange war.
Mitten in diese zugleich politische und sociale Bewegung, die ge-
mäßigte, von einer mit Recht zu rühmenden Erbweisheit getragene Vor-
läuferin späterer Stürme der wildesten Art, &llt Meister Gottfrieds Leben.
Letztgenanntes Jahr indessen hat er nicht erreicht Er war schon 1216
nicht mehr unter den Lebenden. Das ersehen wir aus einer Urkunde
über den Verkauf eines stiftischen Zehntens an eines der herrschenden
Geschlechter, welche, wie die Vergleichung mit andern gleichzeitigen
Urkunden ergibt, von lauter CoUegen des Käufers, nämlich von Raths-
herren, vielleicht nebenher als Bürgen ftlr die Gegenleistung, und unter
diesen zuletzt von — „Walthero notario" bezeugt ist. (WürdtweinX,
290 f.) Die Umgebung, worin wir den letzten Zeugen finden, beweist,
daß er nicht bischöflicher, sondern städtischer Notarius, also der Stadt-
schreiber ist, den das Capitel als besonders geeignete Urkundsperson
beigezogen wünschen mochte. Nun hat es wenig Wahrscheinlichkeit,
daß ein so schwer zu wechselnder Posten, wie der des städtischen
Kanzlers, seinen Inhaber zu andern Magistratsämtem enüassen habe;
auch wäre dann unausbleibliche Veranlassung gegeben gewesen^ daß,
wir ihn noch in weiteren Urkunden als in der von 1207 ftüaden^ was
214 HERMANN KURZ
nicht der Fall ist ; und so dürfen wir also für gewiss annehmen, daß
Meister Gottfried bei Ausstellung der Urkunde von 1216 nicht mehr
am Leben war.
Dies stimmt auch zu den Beziehungen zwischen dem Tristan und
WiUehahni: denn um die Zeit, da Wolfram den letztem dicti^rte, um
1215, muss der erstere nahezu so weit, als wir ihn besitzen, fertig ge-
wesen sein, da die Anklage, die Wölfram zu Anfang seines Gedichtes
ankündigt, zwar im Allgemeinen der ganzen Richtung des Tristan, im
Besonderen aber offenbar der Stelle vom vü tugenthaßen Krist ganz vor-
nehmlich gilt, somit ein mindestens bis zu dieser Stelle reichendes
Bruchstück voraussetzt. Ob der Tristan, wie sich wohl eher vom Par-
zival vermuthen lassen möchte, abschnittweise an das Licht getreten,
steht dahin. Die Erzählung fließt zum größten Theil so zusammen-
hängend fort, daß sie kaum ohne Schaden in nach und nach erschei-
nende Abschnitte zerfällt werden konnte. Auch die Ungleichheit, mit
welcher die eigenthümlich gereimten Vierzeilen über das Gedicht ver-
theUt suid, spricht dafUr, daß demselben, bei aller innem Vollendung,
eine letzte Feile bevorstand. Vielleicht also hat das große Bruchstück
in seiner Gesammtheit erst dann bekannt werden können, als die Ar-
beit durch den Tod des Dichters unterbrochen war. Dies sehließt jedoch
die Möglichkeit nicht aus, daß Einzelheiten, z. B. Einstreuungen wie
die Schwertleite, oder auch Stücke der Erzählung wie das Gottes-
gericht u. a., vorher abgesondert in die Öffentlichkeit kamen; und es
bleibt sonach unentschieden, ob Wolfram seinen Angriff gegen einen
Lebenden oder gegen einen Todten gerichtet hat.
Wie dem jedoch sein möge, wir müssen jedesfalls aus den vor-
liegenden Daten mit Bestinmiliieit schließen, daß die ftLr alle Zeiten
schmerzliche Unterbrechung des Tristan zwischen die Jahre 1207 und
1216 fkllt. Auch frlr den Beginn der Dichtung ließe sich ein annä-
hernder Zeitpunkt namhaft machen, der Tod des in der Schwertleite
verherrlichten Reinmar, der Nachtigall von Hagenau: aber über diesen
Zeitpunct ist bis jetzt nichts Sicheres ermittelt. Aus der Bemerkung
endlich, daß er Heinrich von Veldeken nicht mehr gesehen habe, darf
man keineswegs entnehmen, daß Gottfried erst nach dessen Tod ge-
boren, sondern nur, daß er beträchtlich jünger war. Um ihn zu sehen,
musste er reisen können, und dazu bedurfte er eines gewissen Lebens-
alters, das mit Heinrichs Lebensfrist nicht mehr zusammentraf. Indessen
wenn dieser auch bis an den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts
heran gelebt haben sollte, so streitet das nicht gegen die Möglichkeit,
daß Gottfried seine Jahre auf eine Grenze brachte, die etwa in der
ZUM LEBEN GOTTFEIEDS VON STRASSBUEG, 215
Mitte zwischen einem Dreißiger und Vierziger liegen mag, und die
einerseits dem jugendwarmen Tone seines Gedichts , andererseits der
Klage Ulrichs entsprechen würde,
da^ ime der tdt sin l^>ende tage
leider S der zU zehrach^
da^l^ er di:^ huoch mJd voUeaprtieh,
Daß er jung, d« fa* ^icht eben als Jüngling, aber iii d^n schönsten
Jahren, wie man zu sagen pflegt, geschieden ist, das wird durch den
Altersabstand von Veldeken in Verbindung mit dem Hingang vor 1216
allerdings über jeden Zweifel hinaus entschieden« Kaum weiß man,
was man bei dieser Jugend mehr bewundem soll, die dichterische
Vollendung oder die Fähigkeit, einem Amte vorzustehen, das so
schwierig wie nur irgend eines war. Die vorhin bezeichneten Verhält-
nisse werden dem Gesammtminister der städtiBchen Regenten, dem
Stadtschreiber, wohl am meisten zu schaffen gemacht haben, und es
kann überhaupt kein Zweifel ßein, daß das Amt einen sehr subtilen
Kopf erforderte. Da dürfte denn auch die mitunter faßt schlangenhafte
Feinheit, die man bei unserm Dichter trifft, mit der Ausübung seines
diplomatischen Berufes in eiligem Zusammenhange stehen*
Noch eine andere persönliche Eigenschaft, die sich an ihm be-
merklidbi macht, wird jetzt ihre nähere Erklärung finden, nämlich die
stolze Haltung, in weldier er dem ritterlichen Adel gegenüber steht.
Er überlässt es den ELnappen, die Schäfte zu zählen, die im Turnier
zerbrochen wurden, d. h. er wendet sich gleichgültig vom Ritterspiel;
imd wo er über sme adelichen Sanggenossen Heerschau hält, da macht
er gerade mit dem, was für Wolfram die Hauptsache ist, mit ihrem
Ritterthum, die allerwenigsten Umstände. Den eben genannten Gegner
kennzeichnet er, ohne ihn zu nennen, und im Pr^se Walthers umgeht
er dessen Titulatur mit einer zierlichen Wendung, wie sie nur ihm
eigen ist; denen aber, die er mit vollem Namen nennt, versagt er beim
reichsten Dichterlobe die Standesbezeichnung, womit sie selbst gegen
einander so freigebig sind. Wolfram spricht nicht anders alp „Herr
Walther" oder „.Herr Vogelweid"; dagegen „Hartman der Ouw«dre^S
so hebt Gottfried an, indem er recht geflissentlich den Auftact unaus-
geftillt lässt, und „Von Steinahe BlikkSr'^ ist ihm gut genug, so daß
es wie eine leise Auflehnung gegen den verehrten Meister klingt, wenn
Rudolf von Ems nicht umhin kann, ihm „Von Steinahe her Blikker'^
nachzubessern. Zu einem so unceremoniösen Auftreten hat in jenen
Tagen nicht bloß Character, sondern auch eine entsprechende Stellung
gehört. Nim begann ja eben damals die Herrschaft der Geschlechter
216 HERMANN KURZ
in den Städten ihre Blüthe zu entfalten, und es versteht sich von selbst,
wenn wir auch nichts von Gottfrieds Herkunft wtissten, daß der Stadt-
achreiber zu den herrschenden Familien zählte. Jener städtische Adel
war dem Landadel ebenbürtig und filhlte sich bald wegen seines Reich-
thums hoch über ihm. Wenn aber Wolfram, der arme Ritter, sich auf
seine Soldatenschaft etwas einbildete, so konnte Gottfried den gelehrten
Meister in Amt imd Würden dagegen setzen. Die dichterische Mei-
sterschaft jedoch war er gerne mit den ritterlichen Säugern zu theilen
bereit, soweit er sie ihnen zugestehen konnte.
Nicht leicht mag sich das Bewusstsein des Dichterberufes schöner
aussprechen, als wenn der Inhaber eines so arbeitseligen Postens sägt,
er würde müßig dahinzuleben glauben, wofern er nicht dichtete.
(Tristan 3, 1 ff.) Und ein ganzer, voller Dichter ist er gewesen, wie
viel man auch über die Welt streiten möge, der er gewerldet wan
Wohl stand jene Welt auf nicht ganz gesundem Boden imd deshalb
welkte ihre frühe Blüthe schnell dahin: er aber hat Alles, was man
für seine Zeit von einem Künstler fordern kann, geleistet oder viel-
mehr überboten. „Auf sich selber steht er da ganz allein'^, imd eitel
ist jeder Versuch, ihm das lorzuoi zu entreissen.
Nun wir mit Meister Gottfried etwas näher bekannt geworden sind,
sollte es auch nicht mehr so gar unmöglich sein, jenen Dieterich
zu erkunden, dem er sein Gedicht gewidmet hat. Einen Gönner oder
Freund des Dichters dürfen wir jetzt nirgends anders mehr suchen,
als in den Kreisen seiner vaterstädtischen Aristocratie, unter den Män-
nern, die im Rath zu oberst saßen; und seltsam müsste es zugehen,
wenn sich der Name nicht in den Urkunden fände. Daß Gottfrieds
Name in denselben (bis jetzt imd vielleicht flir immer) nur einmal vor-
kommt, ist nicht verwunderlich: bei Verhandlimgen, zu welchen damals
städtische Zeugen zugezogen wurden, war das Zeugniss des Stadt-
schreibers eigentlich immer als selbstverständlich mit eingeschlossen,
denn er war es ja, der für diese alle zusammen das gemeinsame Stadt-
siegel, das ihn stillschweigend mitvertrat, an die Urkunde hängte. Ja,
Gottfrieds Erscheinen in der Urkunde von 1207 dürfte vielleicht als
eine Auszeichnung angesehen werden, die der staufische König im
Geiste meines gesangliebenden Hauses dem Dichter erwies. Aber das
Dasein eines Mannes von der muthmaßlichen Stellung jenes Dieterich
muss sich nothwendig öfter in den Pergamenten spiegeln.
Wohlan denn, gleich in der bereits angeftthrten bischöflichen Ver-
gleichsurkunde von 1201 finden sich unter den Zeugen „Burchardus
burggravius, Deheodericus- frater ejus" etc. Schon früher, 1196, habeu
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBUßG. 217
j,Burchardus burgravius et frater ejus Deodericus" eine Urkunde Hein-
richs VI, der .damals im Lande weilte, mitbezeugt. Im Jahre 1209
heißt Burkard befremdlicherweise Schultheiß und die Zeugschaf); lautet:
„Burchardus scoltetus et frater ejus Theodoricus/' Dies darf uns aber
jedesfalls nicht aufhalten, denn zwei Jahre nachher, in einer Urkunde
von 1211, ist Burchardus wieder Burgravius. Im Jahre 1216 sodann
folgt ihm Diethericus burgravius, und dieser erscheint in Urkunden
von 1216 und 1220 mit einem Oheim, Dietherico patruo ejusdem, zu-
sammen. Ganz übereinstimmend hiermit treten auch in dem ältesten
Bathsverzeichniss, das Schilter aus dem gleichen Jahre 1220 beibringt,
Dietericus Burgkgraf und Dietrich patruus ejusdem au£ Später kommt
Dieterich Burggraf noch, allein imd offenbar verwaist, bis 1234 in den
Listen der Begimentsherren vor, und weiterhin entwickelt sich der Amts-
name zum Familiennamen. (Als. dipl. I, 304 344. Würdtwein X, 196.
250. 263. 289. 290. Schilter Vorrede zu Königshofen §. X. Königs-
hofen Cap. IV. §. XXXVIH. Bemhart Hertzog VI, 158, Als. ill.
n, 330.)
Da nun die Burggrafenfamilie, ganz eben so wie das Geschlecht,
welchem Gottfried angehörte, die Ministerialität mit einem der obersten
Kathssitze vereint besaß, so würden hiedurch allein schon zwei andere
Dieteriche, bloße Ministerialen, deren einer einmal, der andere zwei-
mal begegnet, von dem Anspruch auf jenes nähere Verhältniss zu dem
Dichter ausgeschlossen sein. Aber es gibt noch einen ganz andern
Grund, bei dieser FamiUe zu verharren. In einer schon früher ange-
zogenen Urkunde nämlich, worin der Schultheiß Rudolf vorkommt,
von 1208, wird Burggraf Burkard Burchardus Burgravius de Arg en-
tin a genannt, und, um jedem Zweifel über den Namen zu steuern,
folgt ihm ein Eberhardus filius Waltheri de Argentina auf dem Fuße
nach. (Würdtwein X, 226.) Die Burggrafen haben somit ursprünglich
zu dem Geschlechte der Argentiner gehört, von welchem sie sich erst
im Laufe des 13. Jahrhunderts durch Annahme ihres Amtsnamens ab-
zweigten. Wie ungleich aber imd nachlässig (weil wohlbekannt) die
Zeugennamen in diesen Urkunden verzeichnet worden sind, davon gibt
eben die gegenwärtige ein Beispiel^ die den Schultheiß Rudolf, als ob
er die Andern de Argentina gar nichts angienge, neben ihnen bloß Ru-
dolfus scultetus nennt. Und nicht bloß hier, sondern in all den zahl-
reichen sonstigen Urkunden, die sich aus Schöpfiin und Würdtwein bei-
bringen lassen, widerfährt ihm ausnahmslos das Gleiche, so daß er
überall als unbekannt durchschlüpfen würde, wenn er nicht in jener
Urkunde von 1 220 4er Vater des jüngeren Walther , der sich von
21 8 HERMANN KÜEZ
Straßburg schreibt^ und in der von 1207 geradezu Rudolfus de Argen-
tina genannt wäre.
Die Erklärung des Namens Burchardus Burgravius de Argentina
wird durch einen weiteren Zug nicht wenig unterstützt Anis einer Ur-r
künde von 1^15, die ebenfalls schon früher benutzt wurde^ ersehen wir,
daß nicht bloß der Burggraf, sondern auch der Zoller zum Gescfalechte
derer von Straßburg gehörte, ja daß der damalige ein Bruder des
Schultheißen war. (Würdtwein X, 286.) Hiemit sind von den vier
höchsten städtischen Ämtern mindestens drei als im Besitze eines und
desselben adelichen G^eschlechts befindlich nachgewiesen, und es öfinet
sich ein Verwandtschaftshimmel, von dessen Glanz und Macht man
beinahe geblendet wird. Unter solchen Umständen ist es kein Wunder^
daß das S^aßburger Oapitel in der Urkunde von 1216, in welcher
sich der Stadtschreiber Walther findet, bei Verleihung jenes Zehntens
an die Burggrafenfamilie gegen Lieferung von sechs Fudern guten
rothen Weines jährlich, von diesen Herren als von domino Theodo-
rico Burgravio (et fratribus etc.) ac patruo eorum domino Theodorico
spricht (Würdtwein X^ 29Ö); eine Betitelung, die ihres Eindruckes
auf Herrn Wolfram von Eschenbach gewisslich nicht verfehlt haben
würde.
Die ganze vornehme Sippschaft bleibt uns übrigens gleichgültige
nachdem wir den ^inen geliebten Anverwandten herausgeftmden, wel-
chen unser Dichter durch die acrostichische Widmung des Tristan ver-
ewigt hat. Er muss ein Geistes- und Herzensverwandter gewesen sein,
sonst wäre es wohl nicht geschehen. Von Person aber ist er ofienbar
kein Anderer, als jener Dieterich, den wir aus der Zeit von 1196 bis
1220 als Bruder des Burggrafen Burkart und als Oheim des Burg-
grafen Dieterich kennen*). Da er schon so früh als Zeuge auftritt,
so war er vermuthlich ein älterer Freund des Dichters, hat jedoch
diesen, wie die Urkunden von 1216 und 1220 zeigen, noch um einige
Jahre überlebt. Der Dank, den ihm Gottfried zollt, deutet nicht auf
Verpflichtungen gröberer Art: der Dichter scheint nichts bedurft zu
haben als Anerkennung. Dieses Bedürfrdss spricht er zu Eingang de»
Gedichtes lebhaft aus. Ohne Anerkennung ist alles, was in der Welt
Gutes geschieht, so viel wie nichts. Ehre imd Lob schaffen Kunst,
und wo diese walten, da blühet jede Art von Kirnst. Aber die Welt
*) Wollte man jedoch den Gegenstand der Widmung nebenbei anch nnter den
gleiebzetUgen Basler Verwandten suchen, so ist zu erwidern, daß es unter diesen
keinen beurkundeten Dieterich gibt (TjouiJlat Monument^ jetc. I.)
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 219
ist undankbar: mit ihren schiefen Urtheilen, die das Gute schlecht,
das Schlechte gut nennen, droht sie alle schöne Bildung zu zerstören ;
und leider helfen die Kunstgenossen selbst dazu, denn der Neid ver-
derbt die Besten. O Tugend, wie schmal ist dein Steg, wie kümmer-
lich dein Weg: wohl ihm, der ihn wandelt I Den Mittelpimct dieser
Betrachtungen bildet der Zuru^ womit der Gegenstand der Widmung
gefeiert wird:
Tiwr unde wert ist Tnir der man,
der guot und übel hetrahten kan^
der mich und iegelithen man
ndeh einem werde erkennen kan.
Indem er auf diese Weise den edeln Vetter Dieterich an den
Eingang des Gedichtes stellt, begrüßt er ihn gewissermaßen als einen
Hauptvertreter jener andern bessern Welt, die er der oberflächlichen
Tageswelt entgegensetzt, der werlde, in die min herze eiktf ftir die er
allein dichten wül und die er mit jenen unnachahmlich schönen Worten
3, 15 ff. schildert Hinter dem kahlen Namen, den die Urkunden bieten,
steht also ein feinsinniger, geistreicher Mann. Und wenn wir nochmals
in diese Urkunden blicken, so scheint Dieterichs eigenthümliohes Zu*
rückstehen nicht bloß neben dem Bruder, sondern später auch neben
dem Neffen, mehr Würde als Bürde zu bedeuten, scheint somit treff-
lich zu einem Manne zu passen, der lieber als in Rathssaal oder Amts-
stube im „engen hochgewölbten Zimmer^' *) über seinen Folianten sitzt.
Fragt man weiter nach seinen Umständen, so ist noch anzumerken,
daß von den jährlich an das Hochstift zu entrichtenden sechs Fudern
Weins Herr Dieterich der Ältere allein die Hälfte trug.
Vielleicht haben wir noch einen andern Verwandten Gottfrieds
gestreift, von dem wir doch nicht ganz ohne Theilnahme scheiden dürfen.
Wie nämlich in der Burggrafenlinie der Name Dieterich, so zeigt sich
in dem andern Zweige der Name Walther vorherrschend, daher wahr-
scheinlich audi Gottfrieds Nachfolger dieses Namens (der ebenfalls nur
einmal in den Urkunden erscheint) dem Gesammthause Straßburg^
das ja ohnehin die wichtigsten Amter in seinen Händen zu vereinigen
wusste, angehört haben wird. Einen Sohn des Frühvollendeten aber
darf man gewiss kaum in ihm vermuthen. Dagegen , was der große
*) Übrigens ist aus der inMennm. XVII, 282—237 heransgegebeaen Au&eich-
mmg De rebus alsaticis ineniitis saeeuli XIII hier beisabringeii , daß die betreffende
Wohnnng Manches in wünschen übrig gelassen haben dürfte. ^Civitates Argenünennis
et BasUiensis in rnnris et edificiis viles fa6nmt, sed in domibus viliores. Domus fortes
et bone fenestras paucas et parviüas habueront et lumine canienmt" (p. 236).
220 HERMANN KURZ
Dichter sich selbst nicht leisten konnte üoch zu leisten brauchte^
feilen und am Zeuge flicken, das wird von einem späteren Berufs-
genossen gegen die Mitte des Jahrhunderts gerühmt, daß er es Andern
leistete. Meister Hesse von Strdi^rg, der schnhasre, war, wie uns Rudolf
von Ems in seinem Wilhelm von Orlens versichert, der rechte Mann,
öedichte zu „überhören" und zu „bessern". Er besaß also von Gott-
frieds Ader wenigstens einen Tropfen, und wer wird es dem wackem
Rudolf nicht gerne glauben , daß derselbe kein ganz unechter war ?
Selbst an leibliche Blutsverwandtschaft zu denken, falls Meister Hesse
unbedingt als städtischer Schreiber festgehalten werden dürfte^ wäre
nicht allzu gewagt; denn in dem aristocratischen Stadtregiment jener
Zeiten herrschte eine gewisse Stätigkeit^ die in manchen Ämterbesetzun-
gen bis zur Erblichkeit gehen konnte. Bei dem spätem Straßburger
Stadtschreiber vollends, bei dem Meister Gottfried von 1299, dient
auch noch der Name zur Erhöhung einer solchen Wahrscheinlichkeit.
Nur ist es fraglich, ob eine Untersuchung, wenn sie auch Aussiebt
hätte, einen erfreulichen Fund verspricht : denn zur Zeit Gottfrieds II
war die Herrschaft des Adels zwar noch fest, aber sehr ausgeartet*)
und reif zum Übergehen an das Bürgerthum, das freilich erst nach
langen Winter- und Frühlingsstürmen eine frische, dauerhaftere Geistes-
blüthe bringen sollte.
Das Leben eines Mannes besteht jedoch nicht allein in seinen persön-
lichen Verhältnissen, sondern oft weit mehr noch in der Zeitgeschichte,
die er mit erlebt. So wenig nun Gottfried in seinem fremden Stoffe
Veranlassung hat, von heimischen Dingen zu reden, so erwähnt er doch
mit einer selbst durch die leidigen französischen Brocken hindurch
sichtbaren Vorliebe, wie Tristan unter anderem nach Deutschland kommt
und dort in großem Orlog dem römischen Reiche, dem Scepter und
der Krone treffliche Dienste leistet. Auf welcher Seite aber der Dichter
bei Philipps Lebzeiten das Reich erblickte, dem er einen solchen Kämpen
wünschte, das thut sein Erscheinen in dessen Hoflager klärlich dar.
Viermal zu jener Zeit, in den Jahren 1200, 1205, 1207, und noch ein-
mal zu Anfang des folgenden Jahres, war der rechtmäßige Inhaber
*) Königshofen 2. J. 1308 : Zu dirre zit atunt der gewdU dlrre stette miitenander
an den edeln, und under den edeln wart etlicher m hochtragende^ wenne yme «in enyder oder
ein sehuchsüter oder ein ander antwergman phennige hieach , so slug der edelman den ant-
wergman und gap yme streiche dran. Su» künde under den aniwerglüten nieman wol hezalei
werden, er machte eich denne an einen edeln man in der stat, dem erjoree diente, also zu den
dörfem ein gebure aime herren dienet, der beechirmete den antwergman vor gewalte und ludf
ime das er hezalet wart.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRA8SBURG. 221
der Krone in oder bei Straßburg. Das prächtigste aber und heiterste
dieser Hof iager muss das von 1207 gewesen sein. Es fiel in die Zeit
des Festes der Freude, das da feiern Wald und Haide. Die glänzende
Versammlung also, in welche uns die „apud Argentinam" ausgestellten
Urkunden vom 18. Juni blicken lassen, mit dem Patriarchen Wolfger
von Aquileja an der Spitze der Großen des Reichs, weilte im Freien,
auf* einer grünen Aue, wo reiche Zelte aufgeschlagen waren; und wer
sich ein volleres Bild von diesem Schauspiel machen will, der lese nur
die reizende, Schauspielen solcher Art abgewonnene Schilderung von
König Markes Hochgezeit.
Ein Jahr nach diesem Feste , dem der Dichter angewohnt, lag
der edelste Herrscher aus dem staufischen Hause ermordet in Bamberg,
und seine Witwe Irene-Maria floh verzweifelnd dem Hohenstaufen zu,
wo sie den Schicksalsschlag nur um wenige Wochen überlebte. ,Ju-
dicia Dei abyssus multa!" beginnt die Urkunde, krafb welcher sie in
ihren letzten Tagen als Erbin aller Güter ihres Gemahls^ wozu er sie
lange vor seinem Tode einsetzte, zum Heil seiner Seele eine fromme
Stiftung macht. Der leise Wehruf des gebrochenen Herzens, der aus
diesen und andern rührenden Worten der Urkunde klingt, zeigt die
^Rose ohne Dom** ganz jener andern weißen Rose gleich, deren stummes
Zusammenbrechen im tödtlichen Schmerz der Dichter so ergreifend
schildert. Überhaupt ist das Ende Philipps und Irenens dem Untergange
Riwalins und Blancheflurs so vielfach ähnlich, daß die Übereinstimmung
den Zeitgenossen nothwendig aufgefallen sein muss. Philipp fiel zwar
nicht in der Schlacht, sondern vom Schwerte des Meuchelmörders, aber
im jähen Falle zog er das Weib seines Herzens, die verlassene Tochter
der Fremde, nach sich, daß sie in Seelen- und Geburtswehen starb.
Von ihrem Kinde kann man zwar nicht sagen, wie es im Gedichte heißt:
Seht, da^ genas und lac si tdt] aber dennoch findet sich zu dem Waisen
Tristan ein Ebenbild, das verwaiste Kind in Sicilien, das damals als
der einzige männliche Nachkomme des kurz zuvor noch so blühenden
staufischen Geschlechtes zurückblieb. Und auch dem Marschall Rual
kann man in jenem Trauerspiele seinesgleichen suchen: den Grafen
Ludwig von Wirtenberg, den Beschützer der sterbenden Königin auf
Hohenstaufen; doch mehr noch Heinrich von Kalentin- Pappenheim,
den unermüdlichen und imerbittlichen Rächer seines erschlagenen Herrn,
den getreuen Marschall, der vom Rothbart bis zum zweiten Friedrich
mit dem Hause Staufen durch die Geschichte geht.
Die Quelle, nach welcher Gottfried dichtete, ist (bis auf wenige
Fragmente) verloren: man weiß also nicht, ob er in der Behandlung
222 HERMANN KURZ
des SägenstofFes selbst sich Freiheiten erlaubte^ und besonders ob der
blutige Tod Biwalins^ der nicht in allen Gestaltungen der Tristanssage
tiberliefert ist, sdion seiner Vorlage eignet. So viel ist jedoch sicher,
daß, wenn die Bearbeitung dieses Abschnitts zur Zeit der Catastrophe
von 1208 bereits geschrieben und bekannt war, das Zusammentreffen
der Geschichte mit der Dichtung den Dichter und Jeden, der diese
kannte, tief ergriffen haben muss. Denn daß die Aventiure von Biwalin
und Blancheflur, die für sich ein geschlossenes Ganzes bildet, abge-
sondert von dem größeren Gedicht veröffentlifcht werden konnte und
eben deshalb auch in dieser Weise veröffentlicht worden ist, dies leidet
wohl keinen Zweifel. Ist dem aber so, dann spricht die Gestalt, in
welcher sie vorliegt, fUr ein Vorhandensein vor 1208: denn andersfalla
scheint es kaum möglich, daß der Dichter sie ohne eine bewegte An-
spielung auf die erschütternden Begebenheiten dieses Jahres zu Ende
hätte fdhreti können. Noch mehr : der etwas kühle Zuspruch, mit wel-
chem er sich und seine Hörer beim Abschied von dem „guten" Riwalin
tröstet, müsste nach dem Tode Philipps, dem der Dichter erst jüngst
noch huldigend genaht war, fast geradezu wie Spott erschienen sein.
Andere herzbrechende Ereignisse, wenn er das Jahr 1212 erlebte,
sah Gottfried in seiner Vaterstadt. Damals riss der wahnsinnige Kinder-
kreuzzug, auf welchem Tausende und Tausende armer Geschöpfe ver-
kamen, aus Straßburg allein über sechzehnhundert Personen, Knaben,
Mädchen, Weiber, Männer, mit sich fort* Im gleichen Jahre brach über
diese Stadt das erste jener Ketzergerichte herein, die nun auch den
deutschen Boden fUr einige Zeit schänden doUten. Von Innocenz HI
zum Kampfe für die Einheit der Eorche angespornt, über die der Geist
der Geschichte bereits das Todesurtheü gesprochen hatte, begann der
fromme Bischof Heinrich eine Untersuchung, die ihm fiinfhundert ver-
dächtige Personen in die Hände lieferte. Achtzig oder mehr derselben
hielten Stand. Da sie ihren Verfolgern im Disputieren zu stark waren,
so nöthigte man ihnen das glühende Eisen auf, durch welches sie un-
fehlbar überwiesen wurden. Von diesem Gottesurtheil hat der Decan
Konrad von Speier, nachmals Bischof von Hüdesheim, der wahrschein-
lichdabeigewesen'*'), einem gewissen Abte und dieser dem guten Mönche
Cäsarius in Heisterbach ein erbauliches Wunderhistörchen aufgebunden,
das im Verfolg zur Sprache kommen soll. Dem weltlichen Arme über-
*) Hierin wird er häufig mit seinem Freunde, dem schrecklichen Kon'rad von
Marburg, verwechselt. Der ViTortlaut des Cäsarius aber (Dialogns miraculorum, III,
14 — 17 gestattet keinen Zweifel an der Person.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRAS8BURG; 223
geben („Eccieda non sitit sanguinem^); wurden die Vemrtheilten unter
dem Wehklagen ihrer Verwandten^ Geschwister und Kinder^ die sie
vergebens um Widerruf anflehten ^ erst auf den Frohnhof vor dem
Münster^ wo man ihnen vom Erker der Pfalz herab ihre gehässig ent-
stellten Glaubenssätze verlas^ und dann vor die Stadt zum Hochgerichte
geführt, wo sie den Heldentod in den Flammen der Ketzergrube starben.
Da sich unter diesen Härterem; neben Priestern , auch adeliche
Personen beiderlei Geschlechts befanden , da es femer so gut wie er-
wiesen ist; daß ihnen achtzehn Jahre nachher gar noch ein Mitglied
des Rathes selbst beigesellt wurde ^ so mag man wohl für Jeden , der
um das Jahr 1212 aus den Straßburger Urkunden verschwindet, etwas
bange sein. Zumal für ein Weltkind, welchem gerade um diese Zeit
ein frommes Herz eine Anklage in Aussicht stellt, die man ihrem voll-
ständigen Titel nach etwa als „Klage der gesammten Christenheit von
Anbeginn bis heute über den Unglauben und die Verderbtheit dieser
Welt^ zu formulieren hätte *). Mit Meister Gottfried jedoch hat es gute
Wege: der ganze Ton, in welchem die späteren Dichter des 13. Jahr-
hunderts von ihm reden, setzt es außer Zweifel, daß er eines natflr-
lichen Todes gestorben ist, und daß sein Fortsetzer Heinrich mit dem
Ausdruck, der Tod habe ihn von dieser schnöden Welt hinweg-
genommen, nichts Absonderliches, nichts Schnöderes, als was die Welt
i&u allen Zeiten war und sein wird, bezeichnen will.
Dagegen drängt sich hier jene schon früher berührte Stelle noch-
mals auf, an welcher Gottfried die Feuerprobe, also eben das gegen
die Straßburger Ketzer angewendete Gottesurtheil, in so merkwürdiger
Form verspottet Und zwar wird dieser Stelle eine eingehende Auf-
merksamkeit gewidmet werden müssen, nicht bloß weil sie immer noch
zu einer erschöpfenderen Sinnerklärung aufzufordern scheint, sondern
hier besonders darum, weil sie offenbar, als ein von einem sonst milden
und weichen Gemüthe mit aufiallender Schärfe, in seine Zeit hinein-
geworfener Ausspruch, eine dem zeitgeschichtlichen und persönlichen
Leben des Mannes angehörige Bedeutung hat Um nun aber einmal
*) Gan mir got »d vil der tage
8$ eag ich nUne und ander klagen
der mit irhoen pflac wip unde man^
eii JUu9 in den Jordan
durch toufe wart gestd^en,
droht Wolfram von Eschenbach am Eingang des Willehalm den „Vielen," die seinen
Parzival smcehten
und ba% ir rede wcehten
224 HERMANN KURZ
ganz zu verstehen > was Gottfried mit dem Ausspruch sa^en wolHe^
der manchem Heutigen bedenklich und jedesfalls fbr den Dichter selbst
gefährlich klingt^ müssen wir uns so gut wie möglich in dessen eigene
Zeit zu vernetzen suchen.
Die Gottesurtheile^ um hiemit zu beginnen^ waren damals^ obgleich
von den Päpsten seit Jahrhunderten verworfen, noch immer sehr im
Schwang. Wenn auch der sie verdammende Ausspruch« welcher Gregor
dem Großen zugeschrieben wird, des Beleges entbehrt, so ist es doch
sicher, daß sie an der Spitze der Kirche niemals Billigung und schon
von zwei Päpsten des 9. Jahrhunderts ausdrtlckliche Verwerfung er-
fahren haben. Nicolaus I erklärte im Jahr 867 den Zweikampf ftlr
eine Versuchung Gottes, die sich auf keine kirchliche Autorität berufen
könne, und um das Jahr 885 nannte Stephan V die Feuer- und Wasser-
probe eine abergläubische Erfindung, die in keinen Canon von den
heiligen Vätern aufgenommen sei. (Mansi XV, 319—20. XVIII, 25.)
Aber nur zehn Jahre später brannte im zweiundzwanzigsten Canon des
großen deutschen Nationalconcils vonTribur das glühende Eisen; imd
während die Päpste, freilich fast mehr in gutachtlicher als decretaler
Form, nebst einzelnen Bischöfen gegen die Gottesurtheile zu prote-
stieren fortfuhren, hielten die ProvinziaJkirchen mit den Völkern und
Fürsten au denselben fest. Noch der Rothbart nahm sie, sehr im Gegen-
satze gegen Papst Alexander III (Mansi XXI, 934), in den zwölften
Artikel seines ersten Landfriedens, in den zehnten seiner Kriegsgesetze
auf, und sie stehen auch noch im Sachsen- wie im Schwabenspiegel.
Dem weltlichen Arme jedoch blieb nur das der Klirche verhasste Kampf-
recht ganz überlassen: die übrigen Gottesurtheile, wie viel er sich daran
betheiligen mochte, waren vorherrschend in den Händen der Geistlich-
keit. Sie mussten in den Kirchen oder auf den Kirchhöfen vorgenommen
werden, und Geistliche segneten das zur Probe dienende Feuer oder
Wasser ein, wobei Gebete, Messen, Exorcismen und andere reichliche
Kitualien stattfanden, von welchen uns (bei Martene u. A.) so ausgie-
bige Muster aufbehalten sind, daß der historische Roman über Mangel
an Verarbeitungsmaterial nicht zu klagen hätte.
Man wird als Regel annehmen können, daß die Gottesurtheile,
wo sie unvermeidlich waren, nur Rechtlose und Leibeigene getroffen
haben^ und obendrein wird man zugeben müssen, daß sie auch von
diesen in sehr vielen Fällen freiwillig übernommen worden sind. Allein
das sind Begriffe, bei denen viel Blendwerk mit unterläuft. Rechtlos
konnte Jeder werden, der nicht etwa die Macht besaß, sich über alles
Recht hinwegzusetzen. Jener Triburer Canon setzt fest: ein edler und
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 2^5
freier Mann, der von früherer Verurtheilung her beßcholten sei, dürfe
bei einer neuen Anklage nicht mehr zum Eidschwur zugelassen werden,
sondern könne sich gleich dem Unfreien nur durch das glühende Eisen
reinigen. Er mag aber nicht bloß in dem neuen Falle unschuldig sein,
er mag es schon in dem früheren gewesen sein, wenn falscher Schein
oder Ungerechtigkeit ihn verurtheilt hatte. Jener Artikel in Friedrichs I
Landfrieden verordnet: wenn ein Bauer einen Ritter wegen Frieden-
bruchs anklagt, reinigt sich der Ritter mit drei Eideshelfem, klagt
aber der Ritter den Bauern an, so hat dieser zwischen dem Gottes-
urtheil und dem weltlichen Recht zu wählen; wählt er das Letztere,
so braucht er sieben Eideshelfer, und dem Richter steht deren Auslese
(d. h. Ablehnimg) zu. Der Richter hat es also in der Hand , ihm den
Eid unmöglich zu machen, und der Bauer mag sich dann besinnen,
ob er zur Eisenprobe oder zum Kesselfange schreiten will; dieses Be*
wusstsein schwebt auch dem Gesetzgeber vor, indem er ganz richtig
das Gottesurtheil als das Näherliegende voranschickt.
Wahrhaft freiwillige Übernahme des Ordals sodann ist allerdingd
nicht ohne Beispiel, und wir werden demnächst an einen Fall kommen,
der keinen Zweifel duldet, sich aber auch mit Händen greifen lässt.
Schwärmer andererseits und einfältige Seelen , die felsenfest auf ihre
Gotteskraft oder ihre Unschuld bauten, gab es nothwendig in jener
glaubensvollen Zeit, nur daß sie eben, mit Feuerkünsten unbekannt,
in trauriger Enttäuschung dem Naturgesetz verfielen. Doch dies sind
Ausnahmen: in den meisten Fällen aber welche Art von Freiwilligkeit!
Peinlich Angeklagte, Männer, die es nicht zum Reinigungseide bringen
konnten, Frauen, die keinen Rechtsbeistand fanden, hatten nur die Wahl,
ohne Weiteres in den schimpflichen Tod zu gehen oder vorher noch
zu versuchen, ob vielleicht die göttliche Barmherzigkeit ein Wunder
an ihnen thun wollte. Auch der unglückliche Civilkläger, dem der
Spruch geworden, daß er sein Recht nur durch ein Gottesurtheil be-
weisen könne, — je nach Beschaffenheit des Falles, den Verlust der Habe
und Ehre nebst dem Untergang der Familie vor Augen, sah er sich
fast in ähnlicher Weise diesem Äußersten gegenübergestellt. Wer sich
rein flihlte, hatte wohl an seinem Glauben einigermaßen eine Stütze,
ja mitunter einen Sporn : aber bekanntlich ist auch ein guter Glaube
bald groß und stark, bald wieder klein und schwach, und mit diesem
Maße muss man die Freiheit des Entschlusses messen. Auch der to-
bende Volkswahn, der sein Opfer gewaltsam zur Probe drängt, ist
mit einzurechnen. Noch tiefer auf der Stufe der Freiwilligkeit stehen
Diener und Knechte, die im Gottesurtheil die Sache ihrer Herrschaft
GERMANIA. Neue Reihe III. (XV ) Jahrg. 15
226 HERMANN KURZ
vertraten: denn um diese willig zu machen^ boten sich selbsverständ-
lich mehr oder minder gelinde Zwangsmittel dar. Es werden freilich
Wunderdinge von ihren Leistungen berichtet, jedoch meist aus stich-
dunkler Zeit; man hat aber auch Erzählungen anderer Art, z. B. wie
ein solcher Stellvertreter, nachdem er schon halb ohnmächtig an den
wallenden Kessel getreten war, die Hand aus demselben gekocht her-
vorzog (Ducange s. v. Aquae ferventis Judicium). Der angeklagte
Leibeigene vollends war gänzlich ohne freien Willen : denn bei der
Aussicht, die Buße Air ihn bezahlen zu müssen, hatte sein Herr das
größte Interesse, es (im Sinne Montesquieus, Espr. des 1. XXV ULI, 17)
darauf ankommen zu lassen, ob nicht seine harte Haut der Probe trotzen
werde ; falls die Hofl&iung fehlschlug, war ihm wenigstens ftlr den ver-
ursachten Schaden eine gehörige Marter angethan*
Rechtloser endlich und imfreier als der letzte Knecht, wes Standes
sie auch sein mochten, waren Ketzer und Ketzereiverdächtige. Es ist
daher gleichgültig, in welcher Form und unter welchem Titel ihnen
das GottesurtheiL auferlegt wurde. Nach einer gleichzeitigen Quelle
(s. T. W. Röhrich und C. Schmidt in der Zeitschr. f. d. bist. Theol.
1840,' I, 123. ni, 38) hat man den Straßburger Ketzern so zu sagen
freie Wahl gelassen, indem man ihnen erklärte, aus der göttlichen
Schrift ohne Erlaubniss des Papstes zu reden, stehe niemand zu, am
wenigsten einem Ketzer; wollten sie ihren Glauben beweisen, sollten
sie solches mit dem „gleügenden eissen" thim. Ihr Sprecher entgegnete,
man solle Gott nicht versuchen. Daflir wurde er verspottet, „er fercht,
er verbrenne die Finger" ; er erwiderte : „Ich habe Gottes Wort, darauf
begehr ich nit die Finger, sondern meinen Leib lassen zu verbrennen.*
Daß ihnen dann wirklich das Eisen geglüht wurde, spricht diese QueUe
nicht förmlich aus. Um so bestimmter aber findet sich die Thatsache,
nämlich daß man sie mit Hülfe des glühenden Eisens überführt und
verurtheilt hat, in einer andern gleichzeitigen und» ebenfalls in der Nähe
des Schauplatzes geschriebenen Quelle mitgetheilt, in den diesfalls
durchaus zuverlässigen Marbacher Amaalen*). Es hat auch wenig Wahr-
scheinlichkeit, daß sie selbst aus freien Stücken bereit gewesen sein
sollten, eine Überzeugung, die auf geistigem Grunde ruhte, einem Ver-
fahren preiszugeben, bei welchem ihre Niederlage im Voraus entschieden
*) Monamenta XVII, 174 : Producti vero cum negarent heresim , judicio ferri
candentis ad legittimum terminum reservantor, quomm numeros foit octoginta vel am-
plius de utroque sexu. Et pauci quidem ex eis innocentes apparaerunt,
reliqui omnes coram ecclesia convictl, per adnstionem manuum dampnati sunt,
et incendio perienmt.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 227
war. Deshalb wird der letzteren Quelle zu glaul^en seih, welche deut-
lich genug merken lässt, daß sie, ob auch ohne Zweifel opferbereit,
zu der Feuerprobe gezwungen wurden. Das Verfahren war also in
diesem, wie eigentlich in allen nicht ganz freiwilligen Fällen, eine Art
von Folter, die, nur ohne das Geständniss des Angeklagten erpressen
zu müssen, durch rein physische Wirkung den gewünschten Beweis
erzielte ; bei aller Abscheulichkeit somit immer noch leidlicher als die
Tortur des späteren Gerichtswesens, wodurch es nachher recht wie ein
Teufel durch der Teufel Obersten ausgetrieben worden ist.
Innocenz III jedoch, so sehr ihm die Vertilgung des „schlei-
chenden Krebses der Ketzerei* am Herzen lag, war dennoch mit der
beliebten Untersuchung des Übels nichts weniger als einverstanden.
Er schrieb am 9. Januar 1212, zu welcher Zeit also das dortige Ketzer-
gericht bereits in Arbeit war, an den Bischof und den Gustos von
Straßburg: bei den weltlichen Richtern zwar seien vulgäre ürtheile,
wie Wasser-, Feuerprobe, Zweikampf, gebräuchlich, aber die Kirche
lasse dergleichen ürtheile nicht zu, nach dem Worte der Schrift: Du
sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen; daher will er correcte
Behandlung flir den Überbringer des Schreibens, einen gewissen Reim-
bold, ohne Zweifel einen Cleriker, den er ihnen als der Ketzerei be-
schuldigt zur Untersuchung schickt (Epistolae Innocentii HE, L. XTV,
ep. 138). Der Papst ist somit hinsichtlich des Gottesurtheils (vulgare
Judicium nennt er es im Gegensatz zu der canonischen Purgation durch
den Reioigungseid) nicht bloß mit seinen Vorfahrern auf Petri Stuhl,
sondern merkwürdigerweise mit dem Straßburger Oberketzer selbst
der gleichen Meinung. Um indessen seinen Standpunct in der Frage
genauer kennen zu lernen, müssen wir herbeiziehen, was er an andern
Orten darüber spricht. Er schreibt im Jahre. 1202 dem Bischof von
Besan$on: Mit Befremden vernehme er, daß man in diesem Sprengel
Geistliche dem Gottesurtheil zu unterwerfen wage, uneingedenk, daß
die heiligen Canones dergleichen Extorquierung des Bekenntnisses nicht
statuieren (wobei er die Worte Stephans V wiederholt); er gebiete hie-
rait der dortigen Kirche, den Schuldigen solches Vorgehen bei Strafe
des Kirchenbannes zu imtersagen. Im Jahre 1208 sodann bescheidet
er denselben Bischof auf ergangene Anfrage, daß das Gottesurtheil
nicht bloß in Ehe-, sondern in Earchensachen überhaupt durch cano-
nische Satzungen verboten sei. (Epp. V, 107. Xl, 46.)
Wir finden also das Gutachten allmählich zum Canon fortge-
schritten. Während aber der päpstliche Spruch die Saiten anspannt,
beschränkt er sich zugleich auf einen gewissen engeren Kreis. Nur
15*
228 HERMANN KÜBZ
kirchliche Angelegenheiten und kirchliche Personen sind ausdrücklich
dem Richter entzogen, der das öottesurtheil verhängt: der Bauer in
des Rothbarts Landfiieden, der Knecht in dessen Kriegsgesetzen,
werden der „abergläubischen Erfindung," obgleich sie im Allgemeinen
verworfen wird, stillschweigend preisgegeben. Ein Vorwurf kann des-
halb den Papst nicht trefien : man sieht wohl, daß er eben nicht ganz
freie Hand hatte; er mochte hoffen, die Welt werde den Greuel der-
einst lassen, wenn nur erst die Kirche davon gesäubert sei.
Welche Wirkung aber das päpstliche Schreiben in Straßburg
hatte, ist durch das Verfahren gegen die achtzig Ketzer bereits hin-
länglich dargethan; und doch gehörte ein Ketzergericht in eminentem
Sinne zu den Kirchensachen, auf welche ja kein Gottesurtheil ange-
wendet werden sollte, und waren unter den Gefolterten außer ihrem
Führer , einem Priester Johannes , noch an die zwölf andere Priester
(Zeitschr. f. d. hist. Theol. III, 38), die ja ganz besonders auf Befreiung
Anspruch hatten. Oder kam das Schreiben zu spät in Straßburg an?
Die Worte des Papstes geben zu vermuthen, das Verfahren falle
bloß dem weltlichen Richter zur Last: allein der Ausdruck des
Marbacher Annalisten, die Angeklagten seien durch Verbrennung der
Hände coram ecclesia überführt worden, scheint eine ganz andere
Deutung zu verlangen. Jedesfalls muss man die Wendung vorsichtig
au&ehmen, mit welcher Innocenz vom weltlichen Richter spricht. Wenn
er damit sagen will, daß nur der weltliche Richter das Gottesurtheil
anwende, so ist er mit sich selbst im Widerspruch: denn vier Jahre
vorher noch musste er ja im Bisanzer Sprengel gerade demjenigen,
der über Ehe- und sonstige Kirchensachen zu richten hatte, also dem
geistlichen Richter, die Anwendung desselben verbieten. Vier Jahre
aber können nicht durch alle Kirchenprovinzen hindurch eine solche
Änderung bewirkt haben, daß der Unfug hinfort nur noch dem welt-
lichen Richter beizumessen war. Und daß die Äußerung in der That
nichts weniger als untrüglich ist, das wird sich alsbald zeigen. Zwei
Jahre später nämlich hat ein deutscher Bischof durch eiien Rechts-
spruch eine Feuerprobe angeordnet, die obendrein einem Priester auf-
erlegt wurde, und hat am heiligen Orte in eigener Person das glühende
Eisen geweiht. Das ist jedoch ein Vorgang, der noch ganz andere Seiten
zeigt, daher wir uns vorderhand mit dieser kurzen Erwähnung begnü-
gen, um gleich nachher im geeigneten Zusammenhange ausAihrlich auf
den Fall zurückzukommen.
Drei Jahre nach dem Straßburger Ketzergerichte endlich, auf
dem großen Lateranconcil von 1215, setzte Innocenz das Verbot der
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBUBG. 229
kirchlichen Einsegnung von Wasser- und Feuerproben durch. Diese
Maßregel, der Anfang eines noch sehr entfernten Endes, ist 'nur eben
ein Beweis, wie eng bis dahin der weltliche und der geistliche Richter
Arm in Arm gegangen waren. Daß es auch in Straßburg so gewesen,
ist schon nach dem bisherigen Thatbestande nicht zu bezweifeln, wird
aber, wenn wir an den rechten Zeugen kommen, bald vollends ganz
im Klaren sein. Und hätten die Geistlichen sich damals auch nur im
Verborgenen arbeitend des weltlichen Armes bedient, so war die Wir-
kung doch die gleiche; und so blieb es auch fernerhin: denn durch
jenes Verbot war es ihnen ja keineswegs niedergelegt, den weltlichen
Arm in Bewegung zu setzen. Man sollte nun freilich glauben, die Ent-
ziehung der kirchlichen Weihe habe dem Gottesurtheil den Boden im
Volke untergraben, und das hat auch offenbar Innocenz mit dem Ver-
bote von 1215 bezweckt Allein es scheint nicht einmal, daß das Mittel
zum Zwecke auch nur in der Kirche selbst überall mit dem nöthigen
Gehorsam aufgenommen worden sei, sofern wenigstens noch um das
Jahr 1300 eine Diöcesansynode in Bayeux sich veranlasst sah , das
Verbot der Einsegnung von Wasser- und Feuerproben durch Geistliche
buchstäblich, wie es im achtzehnten Canon jener vierten Lateransynode
steht, zu wiederholen (Mansi XXV, 67. c. 35) ; und was den Volks-
glauben betrifft, so hat im nördlichen Deutschland zum mindesten noch
das 15. Jahrhundert zahlreiche Beispiele von Gottesurtheilen aufzu-
weisen, ja noch das 16. Jahrhundert sah sie gedruckt im Landboek
der protestantischen Ditmarsen*). So war denn also mit dem Canon
von 1215, obwohl er übrigens so blutscheu ist, daß er den Diaconen
und Priestern die Ausübung der Chirurgie verbietet, in der Sache noch
nicht sehr viel gethan; und eines ganz andern Verdienstes kann sich
Friedrich 11 rühmen, der, allerdings innerhalb eines imbeschränkten
Machtgebietes, die Ordalien mit dem stolzen Hohne des wissenschaft-
lichen Kopfes aus seiner sicilischen Gesetzgebung strich.
*) Daß aber noch 1563 ein Franenzimmer dort die Eisenprobe glücklich be-
standen habe, wie norddeutsche Gelehrte aus der Ditmarsischen Chronik des Neoconis
(n, 247) schließen , das beraht auf einem kurzweiligen 3iissyerstaDd. Der Text erzählt
nämlich, von einer Rüge handelnd, die sich jene Person abseiten ihres Pfarrers zuzog,
daß, „deioile na Vorwerpinge eines laene se gelickwol im jungfruwlichen Vlege
(Kopfputz) de Kerken besochte, he solches mit gehörender JEmsthaffticheit gestrafft' unnd
under andern geseeht: dar sistu und dregst dine Blomen im Nacken ^ averst de besten
Blomen de. sindt dar all van wech" Die hervorgehobenen Worte aber bedeuten ganz
und gar nicht die glückliche Bestehung einer Eisenprobe , sie lauten vielmehr hoch-
deutsch : ,,nach Abwerfung (Verlust) eines Hufeisens", — ein allbekannter volksthüm-
lieber Ausdrucki der keiner Erklärung bedarf. (Vgl. übrigens Grimm D. W. UI, 3^.)
230 HERMANN KUKZ
Allein nicht nur Ereignisse des Tages waren die Gottesurtheile
flir den damals Lebenden : sie traten auch in der Gestalt der Vergan-
genheit an ihn heran und forderten auch so noch seinen Glanben. Jene
Richardis^ jene Knnigunde^ die uns aus den Geschichts- und Legenden-
büchem so fragend ansehen ^ ihm standen sie nicht bloß in diesen^
sondern auch im Heiligenkalender: sie waren von der Kirche selbst
seinem Nachdenken empfohlen, die eine, man weiß nicht recht seit wie
lange, die andere erst ganz neuerdings.
Diese Ksiseriii des 11. Jahrhunderts, Gemahlin Heinrichs H, ist
als angehende Heilige gewissermaßen unseres Dichters Zeitgenossin
geworden. Am 3. April 1200 hat der Bamberger Clerus ihre Heilig-
sprechung erlangt In der noch vorhandenen Oanonisationsbulle geht
Papst Linocenz zwar nicht ganz so weit wie die Acta Sanctorum, die
von ihr erzählen, sie habe einst ihren Handschuh an einem Sonnen-
strahle aufgehängt : doch rühmt er ihr nebst vielen über ihrem Grabe
geschehenden .Wunderheilungen nach , daß Staub , von dieser Gruft
genommen, sich häufig schon in Korn verwandelt habe. Auch vergisst
er nicht, in ihrer Lebensgeschichte hervorzuheben, daß sie, um sich
von einem ^gewissen Verdachte" zu reinigen, über glühend gemachte
Pflugscharen mit nackten Füßen unversehrt gewandelt sei. (A. S. Mart. I,
275. 282.) Daß sothaner Wandel in den Augen der Kirche eine Ver-
suchung Gottes war, blieb ihm flir diesmal aus dem Spiele.
Nun haben, wie wir ja hinreichend aus Gottfried wissen, derlei
Wimder damals so gut wie heute ihre Critik gefunden, aber die da-
malige Critik hatte einen etwas andern Standpunct als die heutige.
Diese wirft legendenartige Bestandtheile der Geschichte, wie die Er-
zählungen von den beiden genannten Kaiserinnen, meist stiUschweigend
oder ausdrücklich weg: jene war schon durch das kirchliche Gebot
herausgefordert, in gewissem Sinne an ihre Thatsächlichkeit zu glauben.
Auch hatte sie dazu ihre guten Gründe : ftlr die Anschauung der Den-
kenden jener Zeit nämlich hat die betreffende Wundergeschichte einen
greifbaren Kern, und das Wunder, ob es sich nun zu Gunsten oder
zu Ungunsten des Angeklagten entscheidet, ob dieser feuerfest und
unschuldig oder versengt und schuldig aus der Probe hervorgeht, das
Wunder ist flir sie das gleiche, nur daß eö in ersterer Form dem Tech-
niker ein wenig mehr zu schaffen macht. Denn die Sache verhielt sich
keineswegs etwa so, daß alle Gottesurtheile mit glücklichem Ausgang
der Vergangenheit angehörten und die entgegengesetzten der Gegen-
wart, daß man jene flir zweifei- und fabelhaft erklären konnte oder
musstC; weil diese nur allzu glaublich Waren. Nein, Gottesurtheile mit
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBUKG. 231
glücklichem Ausgang gab es auch jetzt noch im zweifellosen Tages-
lichte der Gegenwart, imd si& waren ganz und gar keine Fabeln*).
Nur zwei Jahre nach der scheußlichen Straßburger Feuerprobe wurde
in Halberstadt eine ganz andere aufgeführt, die aufs allerangenehmste
ablief und uns in einer mit selbstvärrätherischem Behagen abgefässten
Urkunde überliefert ist**).
Dies ist jener vorhin kurz berührte Fall, auf den wir jetzt aus-
führlich zurückzukommen haben. Der Vorgänger des dortigen Bischofs
Friedrich, Bischof Konmd, hatte im Jahre 1206 ein Nonnenkloster ge-
stiftet, welches bald hernach aus der Stadt in ein vor dem Thore ge-
legenes Haus verlegt wurde, dessen bisherige Insassen, Tempelherren,
mit den Nonnen tauschen mussten. Offenbar haben die letzteren bei
dem Tausche gewonnen, denn noch Caspar Abel in seiner Chronik
von 1754 bezeichnet ihr oder vielmehr ihrer Nachfolgerinnen 'Kloster
als ein Haus, „wonnnen sich diese Nonnen mit ihrem Probste gar wohl
befinden.* Sie besaßen aber auch, die Vorfahrerinnen nämlich, einen
Versorger, der seines GHeichen suchte, Bruder öoswin, zugleich ersten
Probst am Chorhermstifte zu U. L. Frauen. Unsere Urkunde rühmt
von ihm, „er habe diesen Weinberg des Herrn, die neue Pflanzung
der heiligen Jungfrauen, als ein fleißiger Pflanzer angebaut und Grotte
wie dem Nächsten fruchttragend gemacht, also daß sozusagen der Reb-
stock selbst die Süße des Geruchs vervielfältiget habe." Er war es
ohne Zweifel, auf dessen Betrieb die Templer das Haus räumen muss-
ten, das sie als. Donation vom Bischof inne hatten; ja schon die erste
Anlage des heiligen Weinbergs mag sein Werk gewesen sein.
*) Später noch berichten die Colmarer Annalen z. J. 1278 lakonisch : Item ni-
sticos quidam de Villingen candens ferrum portavit nuda manu sine corporis laesione.
Es wäre verdienstlich , sämmtliehe einzelne Fälle , die man als historisch beglaubigt
ansehen kann, sowohl die glücklichen als die unglücklichen, besotiders aber diejenigen,
über welche Näheres berichtet ist, der Zeitfolge nach zusammenzusteUen.
**) Diese so nützlich als lustig zu lesende Urkunde ist von Wigand ohne allen
Commentar, bloß mit der Bemerkung, sie beweise, „daß man damals schon die Mittel
kennen musste, durch welche in unsem Tagen Unverbrennliche bloß im Gaukelspiel
getäuscht haben, ** im Archiv für Geschichte und Alterthumskunde Westphalens Y, 46 ff.
veröffentlicht. Über die Gründung und Verlegung des Nonnenklosters, wovon oben ge-
handelt wird, gibt es eine Urkunde des Bischofs Eonrad von 1208, die in Leuckfelds
Antiquitates nummaiiae, S« 119—124, abgedruckt ist, nur daß man S. 122 Gosvinum
statt Corvinum lesen muss« Derselbe wird dort vir utique providus et Domino devotus
genannt. !Bine Urkunde von 1218 sodann, worin Gosvin als Praepositus Novi operis
in Halberstadt vorkommt, findet sich bei Meibom Rer. germ. T. III^ 150. — So viel
für denjenigen, der sich über die betreffenden Verhältnisse näher zu unterrichten wünscht.
232 HERMANN KURZ
Als nun Bischof Konrad , der Welt-^ und Kirchenläufe herzlich
müde, 1209 mit Gewalt abgedankt hatte, trat der Probst vom neuen
Werke (wie er anderwärtig heißt) vor den neuen Bischof und klagte
die bösen Templer an, weil sie seiner Pflanzung anderthalb Höfe und
ein Wiesenland nicht in Gutem lassen wollten. Die Angelegenheit muss
freilich etwas unklar gewesen sein, denn sie wurde nach langem Streite
schiedsgerichtlich dahin entschieden, daß der Probst zwar im Besitze
blieb, den Tempelbrüdem aber zur Vergütung zwanzig Mark — nach
heutigem Sachwerth beiläufig zweitausend Gulden *) — zahlen musste.
Kaum war dieser Handel, der bis gegen 1214 gewährt zu haben scheint,
geschlichtet, so brachte der unverdrossene Pflanzer abermals eine Klage
vor, des Inhalts, die Templer hätten bei ihrer Conventverlegung (1208)
verschiedene kirchliche und weltliche Geräthschaften, dazu Bücher wie
auch Urkunden mitgenommen und bisher mäuschenstill in Verschluss
behalten; was aber diese „beharrlich leugneten". Ob hiebei das Mit-
nehmen überhaupt geleugnet oder ob nur in Abrede gezogen wurde,
daß das Mitgenommene Eigenthum des neuen HausQS sei, das lässt
die Urkunde weislich im Dunkeln.
Um nun beiden Theilen gerecht zu werden und die Wahrheit an
den Tag zu bringen, beschließt der Bischof — der, wie aus dem Winzer-
liede auf seinen in Christo geliebten Probst fast überlaut herausklingt,
ein jovialer Herr gewesen sein muss — der Bischof beschließt im Rathe
nachbenannter Cleriker und Laien, den Fall durch das glühende Eisen
entscheiden zu lassen. Nicht etwa, daß die Templer Gott versuchen
sollten, ei bewahre: der Probst vielmehr, der treue Weinberghüter,
durfte für seine Eebst3cklein durchs Feuer gehen, und siehe, aus wil-
ligem Herzen und mit heiterer Stime sagte er zu dem Spruche Ja.
Die Templer hatten entweder keine Witterung, welch ein Salamander
in dem Manne steckte, oder, was wahrscheinlicher, ihre Einsprache
war ohne Kfaft. Und so geschah es den 14. Juni im Jahre des Herrn
1214, daß in der Domkirche zu Halberstadt in feierlicher Synode, vor
geistlichen imd weltlichen Zeugen, der Bischof am Altar des h. Stephan
das Eisen weihte und der Probst Feuerkönig das durchaus glühende
Eisen von diesem Altar durch das SchilflF der Kirche bis zum Marien-
altare tragend die Probe bestand. Ja und er bestand sie „mit Eleganz" :
*) Walther von der Vogelweide klagt, Herr Gerhard Atze habe ihm zu Eisenach
ein Pferd erschossen, das wohl drei Mark werth gewesen sei. Nun wird der Werth
eines damaligen Kitterpferdes mindestens dem eines heutigen guten Cavaleriepferdes
entsprechen, den man durchschnittlich zu dreihundert Gulden anschlagen kann. (VgU
S^d^If Mensel Da« Leben Walthers von der Vogelweide S. 251.)
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 233
denn wenn man dem in seinem Herrn und Gott so kreuzvergnügten
Bischöfe glauben darf, so hatte das Eisen die Hand nicht bloß in keiner
Weise versengt, sondern sie wurde nachher noch viel heiler,
denn sie zuvor gewesen. Worauf die versammelte Menge in Zuruf
und Lobgesang ausbrach und die Templer den Spott zum Schaden
hatten. Sie werden nämlich jetzt als verblüffte, überführte, geständige
und genugthuungswillige Sünder dai'gestellt.
Die Urkunden, die sie nebst den andern kostbaren Habseligkeiten
herausgeben mussten, betrafen ohne Zweifel wichtige Besitzrecbte,
deren Geltendmachung für künftig hintertrieben war.
Der Bischof aber stellte über das Geschehene, „auf daß es nicht
mit der Zeit in Vergessenheit gerathe oder in Zweifel gezogen werde",
eine Urkunde aus, unter welcher nebst seinem gesammten Capitel zwölf
Abte und Pröbste der zugehörigen Klöster und siebzehn edle Laien,
worunter drei Grafen, im Ganzen dreiundvierzig Genannte „et alii quam
plures", als Zeugen stehen*). Ein Magister Joannes, den man in der
*) Die YoUständige Urkunde, die der Liebhaber doch wobl ungern hier ver-
missen würde, lautet (nur mit Weglassung der massenhaften Zeugennamen) wie folgt:
In nomine sanctae et individuae Trinitatis.
Fridericus Bei gratia Halberst. Episcopus in perpetuum. Ut ea, quae ad bonum
pacis ordüiata sunt, robur obtineant» et ne illa, quae pro muniendo ipsius Concordiae
bono in nostra Praesentia facta fuerunt, diductu temporis deleantur oblivione, aut vo-
centnr in dubium, idcirco notum esse volumus omnibus et singulis Christi fidelibus,
qualiter dilectum in Christo fratrem Goswinum sanctae Mariae in suburbio civitatis
nostrae primum praepositum, qui vineam hanc Domini, noveUam scilicet plantationem
sacrarum Yirginum, ut sedulus Plantator ezcoluit et fructiferam Deo et proximo red-
didit, ut ipsa quasi vitis multiplicaverit suavitatem odoris, et dilectos in Christo firatres
militiae Templi, qui ipsi praeposito in restituendis quibusdam bonis, quae injusta pos-
sessione retinuisse argnebantur, hucusque graves extiterunt, dante Domino fecimus con-
cordari. Jam dictus siquidem praepositus cum firatribus Templi commutationem locorum
suorum, procurante venerabili domino nostro Conrado Episcopo, Praedecessore nostro,
nunc autem Domino in contemplatione mandatorum suomm serviente in Sichern, com-
muni hinc inde consensu fecisse dinoscitur. Super quibusdam autem bonis, uno Manso
scilicet in Campo Langensteen, dimidio Manso in Neindorp, uno prato juxta Holtemma,
diu inter se disceptabant, quae tandem causa prudentum virorum studio, quorum arbi-
trio se quaelibet pars sponte submiserat, eo judicio composita est, ut praepositus prae-
dicta bona quidem pro usu suae Ecclesiae retineat, sed fratribus Templi in aliqualem
recompensam aut solatium viginti Marcas prae)l»eat, quod et factum est in praesentia
plurium Testium. Sed paulo post iteratam ad nos Praepositus retulit querimoniam,
quatenus fratres Templi varia Supellectilium tam ecclesiasticarum quam profanarum
genera, et Libros, seu Chartas in translatione Conventus secum tulissent et hucusque
danculum reservassent. Unde Nos utrique Justitiam fieri et Yeritatem eruere cupientes,.
habito prius tam Clericorum quam Laiconmi; quorum nomina subscripta sunt, ConsiUO|
234 HERMANN KURZ
Reihe der Capitularen liest^ ist wahrscheinlich der unter dem Namen
Johannes Teutonicus berühmte Rechtslehrer imd Glossator des Decretum
Gratiani^ der in dieser Gewissensfrage sein allenfalls rechthaberisches
Herz den goldnen Satz „Gehorsam ist des Christen Schmuck^ lehren
musstC; seine Glossen über das Prodigium jedoch der Nachwelt vor-
enthalten zu haben scheint ''^)«
Papst Innocenz war allerdings herzlich unschuldig an solcher „vul-
gären^ Justiz^ schon deshalb , weil er diesen Bischof als Anhänger
Kaiser Ottos entsetzt imd in den Bann gethan hatte. Bereits im vorher-
gegangenen Jahre hatte er geklagt^ daß derselbe trotz derExcomniu-
nication öffentlich Gottesdienst halte^ und hatte Commissäre gegen ihn
aufgeboten (Ep. XVI, 71), obwohl, wie der so eben erzählte Vorgang
aufs Grellste darthut, ohne allen Erfolg. Im Sinne des Papstes nun
freilich war jene Synode eher alles andere als ein geistliches Gericht:
allein hiermit ist der Beweis nicht entkräftet, den der Vorgang gegen
die päpstliche Bemerkung fOhrt, daß nur der weltliche Richter sich
des Gottesurtheils bediene. Nicht daß der Bischof eine Feuerprobe an-
ordnete, sondern daß er dem päpstlichen Bannsprach zum Trotz sein
Amt auszuüben fortfiihr, war der große Frevel wider das Haupt der
Kirche, den jene Zugabe höchstens, Angesichts d^ wohlbekannten ober-
hirtlichen MissbiUigung der Gottesurtheile, ein wenig erschwert, übri-
gens hat der Rebell zeitig seinen Frieden mit dem Papst gemacht;
drei Jahre nach der Scandalsjnode von Halberstadt finden wir (in der
ad praelibatam discordiam sopiendam, cum Fratres TempH instanter negarent, caaasam
igniti fem examinatione determinandam statuimns, cm sententiae non sponte minufi ac
hilariter Praepositus annuebat. Ergo decima octava Calendas Julii in majore nostra
Ecclesia cnm alüs Dei famulis, nostri videlicet majoris Capitoli Canonieis, AbbaÜbu»
et Praepositis, Synodmn celebrayimas et cum ploribns tarn Clericis quam Laicis con-
venientes ibidem in Altari S. Stephani Protomartyris Ferrum benediximus, quod ferrum
omnino candens et plane ignitum Praepositi manum illud per Ecclesiae navem ad Al-
tare Stae. Mariae portantis non solum nullatenus combussit, sed, ut Tidebatur, multo
aftniorem postea reliquit. Quo viso omnis praesentium multitudo acclamabat, Laude»
Deo coneinens, et Fratres Tempil non modice stupefacti eoque prodigio palam confhsi
nobis ealpam professi sunt, seque in omnibus juste satisfacere aut retenta reddere yelle
sposponderunt. Quod et placitum fuit utrobique. Hujus rei Testes snikt etc. Acta sunt
haec Anno Dominicae Ineamationis 1214, Indictione prima, Oonsecrationis nostrae
quinto. Ne igitur super hoc £acto aliqnod impostemm habeatar ambigunm, hanc Pagi-
nam inde conscriptam Sigilli nostri Impressione fecimus insigniri.
*) t^brigens steht in dem Becretnm Gratiani bei dem Canon, in welchem Papst
ßtephan V von den Gottesurtheilen als von einer superstitiosa adinventione spricht
(Causa n, quaestio 5, c. 20), die getroste Glosse: Superstitiosa. Utili enim, et neces-
saria licet. Zu deutsch : „Abergläubisch ! Heißt das : nützlich und allewege nothwendtg.*^
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 235
Ursperger Chronik) den Bischof Friedrich in Gemeinschaft mit Konrad
von Marburg beflissen, den Kreozzug zu predigen. Er hatte noch zu
Innocenz' Lebzeiten damit begonnen und dauerte jetzt aus, während
nach dessen Tode die andern Prediger erkalteten; das sicherste Mittel,
die Gunst der Curie wieder zu gewinnen« Auch hat er von da an un-
angefochten noch zwanzig Jahre lang regiert. Es ist also gleichwohl
zureichend dargethan, daß unter Innocenz HI nicht bloß der weltliche,
sondern auch der geistliche Bichter, wenn es ihm beliebte, zu dem
vom Papst verworfenen Auskunftsmittel griff, ja daß selbst ein Bischof,
imd ein gebannter gar, die Posse mit dem höchsten kirchlichen Pompe
«mgestraft in Scene setzen konnte^ wenn er sich nur wegen der un-
befugten Amtsführung übeirhaupt mit der Eorche wieder auszusöhnen
wusste. Und welcher Zustimmung er sich dabei in der eigenen nächsten
Umgebung erfreute, dafür gibt die Synode des Halberstadter Sprengeis
einen Vollbeweis. Bei solchem Stand der Dinge mag man die Schüch*
temheit begreifen, womit der Beschluß des Concils von 1215 dem
alten Giftgewächse eine so schwach geschliffene Axt an die zähe Wurzel
legt. Auch fragt es sich jetzt sehr, ob nicht Innocenz mit jener Be-
merkung in dem Schreiben an den Bischof von Straßburg — wofern
man auf eine vulgäre Sache ein vulgäres Sprichwort anwenden darf —
den Sack schlug und den Esel meinte *).
Die herausfordernde Frivolität indessen, die in der Veranstaltung
und Beurkundung des Halberstadter Wunders athmet, macht es zur
Pflicht, aus weiteren Zeugnissen zu erforschen, in welchem Geiste die
Pfaffheit jener Tage von dergleichen Dingen zu reden fähig war. Und
zwar wird man die Predigt zugleich in ihren Wirkungen kennen lernen,
wenn man sie aus dem Munde der Unmündigen hört, in deren Kopfe
sie nicht gewachsen ist, die vielmehr Andern nachsprechen und atys
ihren Reden jene Füchse und Wölfe, wie Probst Goswin imd Bischof
*) Man muss ihm übrigens das Zeugniss geben, daß er in Italien selbst, im Mittel-
puncte seiner Herrschaft;, etwas strenger yerfdhr« Im Sprengel des Bischofs von Albenga
war, wie ihm berichtet wurde, ein Mann wegen Diebstahls angeklagt worden und hatte
sich, sei es in Verzweiflung, sei es im gottvertrauenden Bewusstsein der Unschuld, zum
glühenden Eisen erboten. Das Eisen verbrannte ihm die Hand, und der Bischof ließ ihn
hängen. Der Papst aber erkannte auf erhaltenen Bericht hin, der Bischof habe sich durch
die Anordnung der Feuerprobe und die Hinrichtung des Mannes schwer vergangen, daher
derselbe zu entsetzen sei. Doch ließ er sich durch zwei Jahre langes Bitten des Suspen-
dierten zu einer erneuerten Untersuchung bewegen, deren Ausgang unbekannt geblieben ist;
nur daß er der Behauptung des Bischofs, der Bericht sei nicht ganz wahrheitsgetreu ge-
wesen, mehr Glauben geschenkt zu haben 'scheint, als sie offenbar verdiente. (Eptst In*
»ocentü III, XI, 187. XIII, 134.)
236 R- HILDEBRAND, ZU GEEM. X, 146.
Friedrich, leibhaftig durchblicken lassen. Hierzu eignet sich Niemand
besser, als ein unmittelbarer Zeitgenosse Gottfrieds, der schon genannte
Wimdemovellist Cäsarius von Heisterbach. Derselbe wird mit Recht
al» eine Fundgrube flir die Culturgeschichte gepriesen, sofern er nämlich
nicht bloß einen reichen Schatz christlicher und christlich verkleidet fort-
lebender heidnischer Mythen enthält, sondern auch durch imbewusste
Winke den Leser in den Stand setzt, denen, welche diese Mythen mehr
oder minder arglos verbreiteten, psychologisch-critisch in die Karten
zu schauen. Dieser imerschöpfliche Fabulant nun, der viel zu treu-
herzig war, um bei dem Gedanken zu erschrecken, daß die Beispiele
des Guten und Bösen, die er für seine dämmerungsseligen Kloster-
brüder zusammentrug, auf eine Behendere Nachwelt kommen könnten,
widmet den dritten Abschnitt seines Dialogus miraculorum den wunder-
baren Wirkungen der Beichte, des kirchlichen Gnadenmittels, ohne
welches ihm die innere Reue und Zerknirschung gar nicht» ist. Einigeia
dieser Geschichtchen müssen wir auf den Zahn fühlen, *)
zu GERM, X, 145.
Die kurze Mittheilung dort über das mittelalterliche höfische dringen
endigte mit einer Nachweisung, daß die wunderliche Sitte sich in Eng-
land als zierende Zuthat zu Staatsactionen bis in die Gegenwart er-
halten habe, von der öffentlichen Meinung aber, z. B. von den Times,
bekämpft werde. Ich schloß mit der Frage, ob der wunderliche Ge-
brauch endlich abgeschafft worden sei, und bin darauf die Antwoi*t
schuldig. Wirklich ist wenige Jahre nachher, im J. 1867, jener lustige
und lästige Rest des mittelalterlichen Hoflebens endlich beseitigt worden^
bei der Parlamentseröffnung am 5. Februar jenes Jahres. Da hat zu
diesem Zwecke vor dem Einrücken in den Thronsaal der Sprecher
eine Ansprache gehalten an die Herren vom Unterhause, nachdrücklich
und etwas schulmeisterlich, und im Corridor ist eine eiserne Barriere
gezogen gewesen, daß die Herren nur zwei Mann hoch antreten konn-
ten, und so ist da zum ersten Mal seit Jahrhunderten die edle Schaar
nicht dringend und drängelnd, wie Kinder des dreizehnten, sondern
ehrbar schreitend wie Kinder des neunzehnten Jahrhunderts in den
Thronsaal eingerückt. Genaueres in der Augsb. Allg. Zeit, vom 9.
und 10. Febr. 1867.
LEIPZIG. R. HILDEBRAND.
*) Der Bchluß des Artikels folgt im näclisten Hefte. DIE RED.
237
LITTEEATÜR.
Lieder und sprüche der beiden meister Spervogel. Mit einleitung, textkritik
und Übersetzung herausgegeben von Heinrich Gradl. Mit Subvention der
k. k. akademie der Wissenschaften in Wien, (Auch u. d. T. : Zur Literatur
des Egerlandes. Herausgegeben von Heinrich Gradl. 1« band: Lieder und
Sprüche der Spervogel.) Prag, J. G. Calve'sche k. k. Üniversitätsbuchhandlung.
1869. Vn und 71 Seiten. 8®.
Bei dem Mangel an Nachrichten von dem Leben imserer mittelalterlichen
Dichter ist es von großem Werthe, ihre Namen in Urkunden nachweisen zu können.
Und wirklich ist es unseren Forschem gelungen, auf diesem Wege unter sorgfältiger
Berücksichtigung aller Momente, welche hier in Betracht kommen, für eine Anzahl
der Dichter bald mit größerer, bald mit geringerer Sicherheit Zeit und Heimat
festzustellen.
Zu denen, welche sich bisher allen Bemühungen entzogen, gehört Spervogel.
Es ist ein besonderer Zufall, daß zwei Versuche, auch diesen Dichter urkundlich
nachzuweisen, jetzt fast zu gleicher Zeit hervortreten. Der eine von Seiten des
wackeren Freiherrn von Laßberg, von dem wir allerdings schon früher durch Hoff-
mann von Fallersleben in seinen Fundgruben I, 268 und durch v. d. Hagen in den
Minnesängern IV, 655 dunkele Kunde hatten. Der eben erschienene Briefwechsel
zwischen Laßberg und Uhland, der uns des alten Jägermeisters Bild und Verdienste
wieder lebhaft in Erinnerung bringt, gibt Näheres auf Seite 78, 82 und 84. Ich
bin in der angenehmen Lage, die urkundlichen Mittheilungen, auf welche Laßberg
Seite 78 anspielt, hier geben zu können, indem mein lieber Freund Wagner seine
zu eigenem Gebrauche aus Laßbergs Nachlass gemachten Aufzeichnungen mir
bereitwilligst zur Verfügung stellt.
Im Besitze des Bischofs Keller zu Rotenburg befand sich eine Pergament-
handschrift aus dem 14. Jh. in Großfolio M, Nr. 82 : Jarzeit buch der kirchen in der
Uffiiau. Daselbst findet sich auf Blatt 29^: Item do man zollt nach der gehurt unsera
heren Jesu christj MCCCClxxxvij Jar do hat gerold apuogel Amen des wirdig&a
gotz hua eisidlen buwen die cajppel zu hurden und die lasen wichen in der ere der hei-
ligen tryfaUikaity unser liehen frowen der muter gotz und der heligan appostlen petri
und paulj und geualt jarlich kilchwichung am sontag nach sant ferenatag und hat
gehen.v Ih, geltz ewiger giSilt an de huw der ohgemellten cappel. Auf derselben Seite
kommt der Name noch zweimal vor. Andere desselben Geschlechtes verzeichnet
das Necrologium Bl. 18^: august:ij kal: ohiit Johes Speruogel de Hürden» , .,
Bl. 19": Septeniber: iiij, non : ohiit Rudolfus Speruogel de hurden,., und
BL 19^: Verena Spervoglin de Hurden, . .
Es ist nicht zu verwundem, daß unserm Freiherm, der ja alle alten Dichter
so gerne zu Schwaben und Alemannen machte, auch für unsem Spervogel alsbald
die schweizerische Herkunft einleuchtete. Mit dem Nachweis, daß der Name irgend-
wo und irgendeinmal vorkomme, ist indess nichts gewonnen. Es verhält sich hier
wie mit d^m Vogelweide. Denn mag man den Namen deuten wie Jacob Grimm, als
*Zuruf an Vögel, die man füttert, aufzusperren'*), oder wie Albert Schott als 'Sperr'
*) Gedrungene, oft harte ja herbe Kürze ist bei unsem Fachgenossen bekanntlich
beliebt, wo es sich um entgegenstehende Meinungen liandelt. Tadeln muss ich es aber,
238 LITTERATÜR.
(den) Vogel (ein) = aviarios, Vogelhalter' oder wie Uhland scUeclitliin als *Sper-
liug', er ist im einen Falle der Beiname eines niedem Dienstmannes, im andern
der eines Bürgerlichen und mag häufig vorgekommen sein, wenn auch alte Ur-
kunden seiner nicht erwähnen.
Größeren Wert, als den eines Citates für ein Namenbuch, hat auch der zweite
Versuch unseren Dichter nachzuweisen, mit dem wir uns hier zu beschäftigen
haben, nicht.
Herr Gradl beginnt S* 1 seines Schriftchens folgendermaßen : In Eger
existirten die Spervogel als ein uraltes bürger* und patriziergeschlecht* Bereits
im jähre 1292 treten sie schon als eines der reicheren auf, indem sie den neu-
bau deshiesigen dominikanerklosters bedeutend dotirten, weshalb auch ihr geschlechts-
Wappen früher oberhalb der hauptpforte aufgehängt war. Urkundlich kann ich den
namen Spervogel, der vom jähre 1292 tradizionell erhalten ist, seit 1340 und 1342
nachweisen/ In einer Egerer Urkunde vom J. 1340 erscheinen nämlich Conra(n)d
Forestarius dictus Spcrnvogel, Nicolaus Forestarius, fratruelis suus, cives
Egrenses', und in einer vom J* 1342 Conradus Spernvogel; Nicolaus dictus
Forster, fratres, cives Egrenses. Also ^iner aus dem Geschlechte der Forster,
Namens Conrad, fuhrt 1340 und 1342 den Beinamen Spemvogel, den Herr Gradl
urkundlich nicht früher noch später bei diesem Geschlechte nachweisen kann, welches
im Gegentheil stets das der Forster oder Forestarii heißt. Gleich Nicolaus hat
diesen Beinamen nicht. Es war also unrichtig ausgedrückt, daß sich der Name
seit 1340 und 1342 nachweisen lasse, nein, nur in den genannten Jahren und nur
bei der ^inen Person. Traditionell ist der Name seit 1292 erhalten, wie es Seite 2
heißt. Worin diese Tradition besteht, erfahren wir erst später deutlich. Das oben
genannte ^Geschlechtswappen' von 1292 zeigt 'einen vogel unbestimmter art mit
zum finge bereiten fittigen, der auf einem schräg gelegenen spere steht\ In dem
Vogel und in dem Speere liegt der Nachweis des Namens'Spervogel' bereits für 1292.
Fadenscheiniger ist wahrlich nicht leicht etwas auf diesem Gebiete gewesen, und
ich könnte mit gutem Gewissen die Anzeige eines Buches schließen, das auf der
ersten Seite einen so gänzlichen Mangel an historischer Methode aufweist Die Pa-
riser Handschrift hat freilich auch ein sprechendes Wappen, aber es kann doch
nicht erlaubt sein, aus einem beliebigen Wappen nach einem Namen zu rathen,
da man erstens nachweisen müsste, daß das Wappen ein sprechendes sei, und
zweitens, daß es keine andere Aufiösung zulasse. Dazu ist es noch sehr fraglich,
ob der Vogel wirklich auf einem Speere steht, was sich bei einem aus dem Jahre
1292 herrührenden auf Holz gemalten Wappen nicht so ohne weiters wird sagen
lassen. Jedesfalls hätte das Wappen^ auf das der Vf. alles baut, in Abbildung mit-
getheilt werden sollen.
Dies Wappen spielt dann wieder eine große Rolle im zweiten Theile der Unter-
suchung, worin nachgewiesen werden soll, daß dem Geschlechte, das Herr Gradl ge*
funden zuhaben glaubt, der oder die Dichter wirklich angehören. Das Bild der Pariser
Handschrift wird mit den Worten v. d. Hagens beschrieben : 'Der sänger steht mit einem
spere (gesperrt auch bei H. Gradl) oder spiesse in der band, an welchem viele
wenn Herr Gradl über obige Meinmig Grimms sich äußert 'ist abzuweisen . Eine so ein-
fache hochmüthige Censur verdient Jacob Grimm noch nicht, in keinem Falle ist Herr
Gradl dazu berechtigt, der aus der Form *Spemvoger schließt, der Name sei nicht impe-
rativisch aufzufassen, während doch gerade diese Form noch mehr fflr solche Auf-
fassung spricht.
LITTERATÜR. 239
Vogel (wie oben) stecken; vor ihm ein mann und eine fraü, von denen er etwa sobe«
wirthet wird* (S. 5). *) Das Wappenbild zu Eger zeigt, wie oben erwähnt, einen Vogel
' unbestimmter Art mit znm Fluge bereiten Fittigen auf einem schräg gelegenen
Speere. Man sieht, wo hinaus der Verfasser will. Das unglückliche Wappen-
bild I Weil es Speer und Vogel führt, so muss das Geschlecht, dem es gehörte,
Spervogel geheißen haben. Da also die Sperrogel in Eger Speer und Vogel im
Wappen haben, so muss ihr Geschlecht identisch sein mit dem der Dichter, deren
einen die Pariser Handschrift an einen Speer aufgespiesste Vögel als Magenstär-
kung anbieten lässt. Werje einen Beweis zu führen gesucht, mag beschämt sein Haupt
verhüllen. Weiter! ^Die religiöse pietät und der moralische ernst, wie sie in den liedem
beider dichter ausdruck finden, scheinen charakterzüge des ganzen geschlechtes ge-
wesen zu sein ; wenigstens deuten die grossartige Stiftung beim aufbaue des domini-
kanerklosters und noch manch andere kirchendotazionen mit ziemliclier Sicherheit
darauf hin. (So stiftete 1. Urkunde vom j. 1381 Erhart Forster von Selb zwei jMhmes-
sen, die könig Wenzel 1387 und im gleichen jähre der regensburger bischof Johannes
bestätigten)'. Da der Vf. fortfährt: Weitere parallelen zwischen den Spervogeln
der literaturgeschichte und denen in egerischen Urkunden ergeben noch andere
punkte für deren identität', so müssen wir auch in diesen Bemerkungen einen
solchen Punct* sehen. Ich hielte es für eine Beleidigung gegen meine Leser, wollte
ich diese Sätze weiter beleuchten. Abgesehen von dem umstände, dass das Eger-
land und dessen Umgebung in der präzis der bierconsumtion , wie noch die gegen-
wart beweist, eben so gut vertreten und berühmt sind, als das Donauland von der
Hagens und dass demnach des jüngeren dichten bieranspielungen und malzvergleiche
gerade so gut an den Egerländem und umwohnem erfahrene zuhörer und kunst-
verständige finden konnten, als an den Südbaiem, also von diesem punkte ab-
gesehen — es passen auch alle andern namentlichen ortsbeziehungen, wie sie in
den gedichten des älteren Spervogel vorkommen, zur egerländischen heimat. Die
darin erwähnten lokalitäten fallen sämmtlich nach Franken und zwar derart, dass
man fast, vom Egerlande ausgehend, eine gebräuchliche tour in den reisen auf-
stellen konnte.' Wo ist hier nur die Spur eines Beweises ? Die Bieranspielungen
und Malzvergleiche gehören, wie ich unten zu zeigen hoffe, einem Dritten und die
'gebräuchliche Tour in den Beisen ist eine Erfindung. Zur Ejrönung des Ganzen
folgen weiters noch Bemerkungen über den Dialect der Spervogel: 'Spuren eines
speciellen mitteldeutschen dialectes finden sich in den gedichten seltener, und es
ist ausserdem dabei noch oft die frage, ob sie vom dichter selbst oder nicht viel-
mehr vom Schreiber herrühren.' Erwähnenswert sei indess grcswe**) und darb. Das
erste habe auch in der Mundart des Egerlandes den Umlaut. Möglich, aber wenn
*) Herr Gradl schreibt den letzten drolligen Einfall v. d. Hs. nicht etwa hin, um
das Citat vollständig zu geben, er benutzt ihn auch S. 7 ganz ernstlich: 'Dass man in
ihnen fahrende Sänger erblicken dürfe, begründet für den filtern. . . ausserdem das bild
der pariser handschrift, auf dem er bewirthet erscheint*. Ein interessanter Beitrag zu den
deutschen Hausalterthümem, über den wir uns nur weitem Aufschluß erbitten möchten !
**) Ohne mich in die allgemeine Frage, ob der Umlaut von a bei Spervogel zulässig
sei oder nicht, einzulassen, muss ich doch die angezweifelte, seither jedoch öfter nach-
gewiesene Form BechdoBre aus der Mundart vertheidigen. Ich habe mir von mehreren
Umwohnem den Namen sprechen lassen und hörte stets Peehfdm. also Bechelcere, ein un-
umgelautetes Beeheldre müsste heute Fechlam^ mit einem nach o gefärbten a lauten.
Derselbe Unterschied besteht zwischen Indicativ warn {=^ wären) und Conjunctiv wätn
(= weeren).
240 LITTERATUR
iikbt mit PfeiffSer und Bartsch grdwe : alwäre zu setzen ist, so ist doch nicht abzu-
sehen, wie eine Nebenform gränvi -mitteldeutsche Eigenthümlichkeit sein soll. Das
darb der Jenaer Handschrift wäre besser weggeblieben, warum wird nicht o/, vur-
sldnj vurlom derselben Handschrift angeführt? Dem gegenüber behaupte ich, daß
Spervogel nicht das Oeringste von mitteldeutscher Mundart verräth, die wir genau
kennen und die sich bei dem mit dem jungem Dichter gleichzeitigen Friedrich von
Hausen deutlich zeigt.
Das sind die Gründe, welche Herr Gradl für seine Ansicht beibringt; ich
habe keinen verschwiegen und gezeigt, wie haltlos sie sind. So leicht lässt sich
unsere Litteraturgeschichte nicht bereichem und wir müssen an der alten wohl-
begründeten Ansicht vor der Hand festhalten, welche im alten Spervogel einen
Baier sieht. Um nichts verdient Herrn Gradls Meinung einen Vorzug vor der Laß-
bergs. Im Jahre 1827 konnte dieser treffliche Mann auf seiner alten Burg noch
irren in BeÄug auf die Zeit der Spervogel, er konnte noch an die Schlacht bei Mor-
garten denken und die Schweiz als ihre Heimat. Wie viel besser aber hat er seine
Handschriften gekannt und das Alemannische von A und C herausgefühlt!
Doch genug davon. Was sonst die Einleitung enthält, ist das was Pfeiffer
und Bartsch in ihren Recensionen von MF. gesagt, nur breitgetretener, fadenschei-
niger. Seite 3 f. spricht Herr G. über die Scheidung in einen jungen und alten Dichter.
Mit Bartsch hält er MF. 20, 18 für die Veranlassung dazu. Ich werde mich unten
darüber weiter aussprechen. Wenn er aber meint, daß ein gegenseitiger Einfluß
nirgends sichtbar werde, so übersieht er, daß die Strophe des Jüngern aus der
des altem entstanden ist und das Vorbild des letztem im ersten unverkennbar ist.
Wer das so einfach leugnet, hat überhaupt keinen Blick für den Zusammenhang
litterargeschichtlicher Thatsachen. Wenn Herr Gradl ferner mit einem unrichtigen
Ausdruck meint, Wackeraagel Litteraturgeschichte 228, Anm. 22 stimme Bart-
schen bei (man kann doch nur einer früher ausgesprochenen Ansicht beistimmen),
so hat er sich das Verhältniss nicht klar gemacht. Wackernagel hält nämlich noch
an dinem Dichter fest und müsste bei der Annahme der heutigen Scheidung die
genannte Strophe einem Dritten zuschreiben. Dafür lässt sich vielleicht ein Grund
beibringen, wenn man die Verse 20, 15 und 20, 17 vergleicht. Man kann aber auch
die Worte der habe danc betonen und meinen, die citierte Strophe müsse auch
diesen letzten Gedanken enthalten haben, was große Wahrscheinlichkeit für sich
hat *). Auch der ältere Dichter citiert einen Fahrenden Kerlinc. Nur möchte ich die
Anführung mit 28, 3 schließen: Ich hörte Kerlingen sagen, ein Mann kann sich
so viel gefallen lassen, daß man ihn zuletzt um so übler behandelt. Ist er aber
widerhaarig, so*^ wird ihm bald geholfen. Natürlich, fährt der Dichter fort, es ist
die alte Geschichte von den zwein Hunden. Diese ausführlichere Fabel folgt nun
in den Handschriften, welche es lieben verwandte Strophen zusammenzustellen.
Die Strophe des Kerlinc war also Veranlassung zu 28, 6. Man thut hier einen
kurzen Blick in das Schaffen der Fahrenden. Der Zeit nach setzt Herr Gradl den
altern Spervogel S. 9 in die Jahre 1130 — 1140, die Blütezeit des jungem fällt
*) NACHTRÄGLICHE BEMERKUNG. Es ist übrigens, wie mich Prof. MüUen-
hoff belehrt, weder das eine noch das andere nöthig. Der unter dem Namen Spervogel
Dichtende meint mit *min geselle Spervogel' Niemand als sich selbst. Es ist daher
weder die Annahme berechtigt, daß Spervogel den altem Dichter hier anziehe, noch
darf man die Strophe ausscheiden.
BERLIN, 2. 6. 70. ST.
LITTERATUR ~^^ 241
«rst mit Dietmar von Eist zusammen (Seite 4) zwiseben 1150 und 1160 (Seite 10),
weil auch der jüngere sich nicht auf politische Didaxis warf , welche erst mit dem
Bekanntwerden der provenzalischen Troubadours (1170 — 1180 nach Hm. G.) in
Deutschland der Poesie einverleibt worden sei. Man braucht die Schranke von 1170
nicht festzuhalten, um diese ganze Zeitbestimmung, die aller besonnenen Forschung
widerstreitet, absurd zu finden.
Nachdem nun Heimat und Zeit für die Dichter festgestellt ist, geht der Ver-
fasser einen Schritt weiter und findet, daß die bisherigen Herausgeber — er kennt
oder nennt wenigstens nur Lachmann und Haupt — irrten, wenn sie den Hand-
schriften A und C folgten, denen gegenüber 'als aus gegenden stammend, wohin
der Spervogel heimat schon nach den andeutungen in den gedichten kaum fallen
koante, J mehr beachtung verdient hätte. Es ist das eine ganz sonderbare
Theorie, die nur jemand, der sich offenbar nie ernstlich mit Handschriftencritik ,
beschäftigt hat, aufstellen konnte, die auch keine Stütze findet durch die Note
Seite 18, welche die Ansicht weiter ins Blaue fuhrt» Hier erfahren wir nämlich,
daß bei der Verbindung, in der die Dominicanerklöster Egers und Jenas schon
in frühester Zeit *zu* einander standen, leicht eine *Specialhandschrift* des Klosters
in Eger dahin gelangt sein und der Jenenser zu Gr runde liegen könne. Nun, wenn
die Spervogel wirklich Egerlander waren und die Dominicaner daselbst Hand-
schriften von ihren Gedichten besaßen, so haben sich die letztern einen sehr
schlechten Spaß erlaubt, indem sie eine unvollständige und theilweise überarbeitete
*Specialhandschrift' nach Jena schickten.
Diese Specialhandschrift hatte nämlich vom altern Spervogel gar nichts,
vom jungem dreizehn Strophen. Ihr Werth für Spervogel — von einigen Einzel-
heiten abgesehen — besteht darin, daß sie fünf Strophen, die in andern Hand-
schriften fehlen, gibt. Hätte Herr Gradl das Handschriftenverhältniss etwas ge-
nauer untersucht und nicht mit dieser oberflächlichen Ansicht sich begnügt, so
hätte er das und einiges Andere noch finden müssen. Die Handschriften AC geben
die Strophen in folgender Eeihe : MF. 20, 1 bis 22, 24, hierauf 25, 13 bis 28, 12
(Strophen 1 — 11 und 12 — 26 der Hs.), also eilf Strophen des 'jungem Spervogel'
und fünfzehn Strophen des altem. Dann folgen sieben Strophen in A und C, näm-
Uch MF. 242, 1. 13. 243, 25. 37. 244, 61. 30, 45. 244, 77, die Heidelberger
allein hat noch sieben Strophen, Neidhart und Leutold von Seven, Wackemagel
261, 15, Bartsch LD.XXVHI, 1—10. Mit Strophe 41 kehrt A wieder zu C zu-
rück und es folgen in beiden dreizehn Strophen des altem Dichters, womit* A
schließt. C hat noch weitere sieben Strophen, welche dem jungem angehören.
Man sieht, es ist etwas gestört. Die alten Lieder, denk* ich mir, bildeten ursprüng-
lich ein Liederbüchlein, in dasselbe wurden die obigen 7+7 Strophen hineinge-
sprengt, denn in diesem Heftchen muss Strophe 28, 6 den Schluß einer rückwär-
tigen Blattseite gebildet haben, mit 28, 13 begann die Vorderseite des folgenden
Blattes. Nur so erklärt sich der Einschub, wahrscheinlich von zwei Blättern mit je
sieben Strophen, von denen die zweiten sieben dem Schreiber von C noch nicht
vorlagen.
Vollständig war jedoch das Liederbüchlein, das AC zu Grunde liegt, nicht,
das beweist für den jungem Dichter J, für den altem MF. 20, 17 und vielleicht
noch ein anderer Umstand. Liutwin, der Dichter von Adam und Eva, den ich
nächstens vorführen werde, hat folgende Verse 324 ff. :
GEBMANIA. Neue Reihe III. (XV.) Jahrg. IG
242 LITTEIUTÜR.
Wer zimbem "wil und drsBxne
von fülem holze guote maz,
der sliffe sin isen baz,
onde lä mich danne sehen
wes ime die wisen jehen
and wie die 4se sin gestalt«
daz weter si warm oder kalt,
doch sei der gast wesen fruo.
ich gewan nie so guote ruo
do kom ein ungewiter nach.
Wie die vier letzten Verse an Spervogel 27, 6 tf. erinnern, so mögen auch die
erstem einem solchen Gedichte ihre Entstehung verdanken.
Wie kömmt aber — die Frage darf wohl hier erörtert werden — A zur Be-
zeichnung der junge Spervogel ? Wir haben oben gesehen, daß das Liederheft,
aus dem AC schöpfen, C früher vorgelegen haben muss als A, denn letzteres hat
in dem bekannten Einschube noch sieben Strophen mehr. Als es C vorlag, war
auch noch kein junger Spervogel genannt. Diese Bezeichnung, welche die Litte-
raturgeschichte für den Verfasser der Strophen MF. 20, 1 — 25, 12 angenommen
hat, verwendet aber A nicht einmal für diese Strophen, sondern bezeichnet damit
die MF. in den Anmerkungen S.241 ff. mitgetheilten, sowie auch die fremdartigen
Leutolds, Neidharts usw. und auch die auf den Einschub folgenden Strophen des
alten Dichters aus dem ursprünglichen Liederbüchlein. Man sieht, die in den An-
merkungen gedruckten Strophen haben Ursache zu der Bezeichnung gegeben, viel-
leicht gelingt es uns, dieselbe zu finden. '
Strophe 242, 1—12 lautet:
Ich bin ein wegemüeder man.
nü vert mir einer vor,
der rennet swenne ich drabe.
als ich der sträze niht enkan,
so volge ich süme spor.
na wirfet er mir abe
die brügge d& ich über sol.
doch het er mir geheizen woL
ir stimme ist bezzer danne ir muot,
die mit dem blate da, glient.
ein valscher vriunt der schät noch mör
dan offenbar ein vient.
In der lehrhaften Tendenz, in der Strophe zeigt sich deutlich der Nachahmer
der Spervogel. Die sechs letzten Verse entsprechen genau den sechs letzten der
Strophe des jungen' Spervogel. Das ist aus den mitgetheilten Versen klar, daß der
Dichter sieh über einen Mann beklagt, der ihm den Rang abgelaufen hat und der
ihm ^och als nachahmungswürdiges Beispiel erschienen war. 'Ich bin ein müder
Mann, nun geht einer vor mir, der rennt, während ich trabe. Mir ist die Straße
fremd, drum folge ich seiner Spur. Nun wirft er mir die Brücke ab, da ich hinüber
soll, und doch hat er mir schöne Versprechungen gegeben . . . ' Wer sind nun die
mit dem blate da gltent'i Das thun nachUlr. Trist. 550 jene, welche, die Stimme
des Weibchens nachahmend, die Männchen der Thiere locken. Das kann sprich-
wörtlich gemeint sein : die mit süßen Worten ins Verderben locken. Wie aber,
LTTTERATUR. 243
wenn eine weitere Beziebang in den Worten läge? Noch ist das Wort Spervogel
nicht unzweifelhaft erklärt; es kann aber wohl, mag man die erste Silbe deuten
wie immer, einen Vogelsteller meinen. Von solchen lässt sich wohl sagen, daß sie
mit dem blate gUent und die Worte enthielten dann eine Anspielung auf den Namen
Spervogel'. Diesen ahmt der Dichter nach, wird aber von demselben im Stiche
gelassen. Jene Hand, welche den Einschub des Liederbüchleins erweiterte, oder
sonst ein Fahrender, der es beimtzte und um die Anspielung wusste, schrieb .der
junge Spervoger hin. So wäre die Überschrift im Heftchen und daraus' in A
entstanden.
Vielleicht führt uns aber die Überschrift in A überhaupt irre, und ist der
junge Spervogel nur ein sammelnder Fahrender wie Niune, G-edrüt, Reimar der
Fiedler (Müllenhoff zur Cresch. d. NN. S* 19), dessen Sammelheft uns in diesem
Einschube vorliegt. Bedenklich für diesen Fall bleibt jedoch das Verhältniss von
A und C. Das ist wohl aber klar, daß den jungen Spervogel der geselle Spervogel
nicht verschuldet hat. Dieser Vers konnte höchstens Anlass zu dem Namen Sper-
vogel überhaupt sein, ähnlich wie der Schreiber des sog. SeiMt HelbeHnc diesen
aus einer Stelle der Gedichte u. z. fälschlich gemuthmaßt hat.
f **
Ich habe nun noch zu sprechen über Text und Übersetzung, welche Herr Gradl
beizugeben für gut gefunden hat. Den erstem rechtfertigt er damit, daß J, als der
Heimat des Dichters die nächste, mehr Berücksichtigung verdiene« Es ist richtig,
daß die Jenenser in vielen Fällen das Bessere hat ; an den obigen Grund wird aber
Niemand außer Herrn Gradl denken, der auch in unzweifelhaften Verderbnissen J
folgt. So 34, 3 (=MF. 24, 3) da» si Hl schone blüet stät oder 37, 1 (=MF. 23, 13)
daz ich ungdUcklich bin* Es widerstrebt mir, auch hier Alles anzuführen, wie ich
bezüglich der Einleitung gethan, denn auch wo Herr Gradl seine Vorlage änderungs-
bedürftig hält und von den Verbesserungen in MF, abweicht, ist er sehr unglück-
lich. Vers 31, 3 (=MF. 24, 19) lautet nach der einzigen Handschrift J er neme in
bestmder Mn dan, was Haupt in er neme besunder in hin dan, Bartsch in er neme in
sunder hine dan ändert, Gradl hingegen gibt das unmögliche er neme hin in besunder
dan, Vers 19, 6 (^MF. 29, 4) lautet in A: wol im daz er ie wart, C, dem der
Vers zu kurz vorkommt oder aus einem andern Grunde, schreibt w, i, d, er ie gebom
wart und Herr Gradl w* i. d» er gd>om wart, das richtige Verhältniss der Texte und
den geforderten Sinn des Verses verkennend. Ein schöner Vers ist auch — me-
trisch wie grammatisch — züht diu wellent grdwen bart und 25, 3 ime erzomte daz.
Statt Hergire MF. 26, 21 setzt Herr Gradl Hegcere, Er meint nämlich wie Simrock,
daß der Dichter sich hier selbst nenne. Entschieden richtig hat Haupt MF. 238 über
diese Vermuthung geurtheilt. In unserm Büchlein wird* allerdings diese Stelle wie-
derholt, man sieht aber nicht recht wozu, denn der Verfasser widerlegt sie nicht
und — thut gerade das Gegentheil von dem, was Haupt lehrt. Hegasre soll *pseu-
donym für Forster sein, und der Dichter sich darunter verstecken. Ich habe diese
Ansicht der Vollständigkeit halber angeführt, sie ernstlich widerlegen zu wollen,
fällt mir nicht ein.
Zum Schlüsse Einiges über die Übersetzung. Nirgends verzeihe ich eine
solche eher als bei den trotz scheinbarer Einfachheit oft so schwierigen Lyrikern.
Ich werde es nächst der Erklärung Wolframs zu den größten Verdiensten der
Deutschen Classiker des Mittelalters' rechnen, wenn man zur Herausgabe eines '
Liederbuches schreitet und das in die rechten Hände legt. Es kommt aber bei der
Übersetzung nicht bloß darauf an, Wort und Sinn zu trefibn ; manche, fast die
16*
244 UTTERATÜE.
meisten Strophen bedürfen einer eigenen Erklänmg, nm sie in das rechte Licht za
stellen, was dnrch einfache Überschriften nicht erreicht wird« Was heißt z. B. :
des er dem biderben [biderbem G] man rerz^ch,
desn moht [des enmoht G] er niht gewinnen,
daz was der wiUe: kom diu state
si schieden sich ze jungest mit minnen.
Herr Gradl übersetzt:
wess' er dem biedern mann verzieh,
das mocht' er nicht gewinnen«
So war der wille: kam die zeit,
so schieden sie zu allerletzt mit minnen.
Was er einem braven Mann versagte, davon konnte er keinen Gewinn haben (denn
er versagte nichts). Das war sein Grundsatz, den er auch in der That ausübte,
wenn die Gelegenheit kam. Da schieden Bittender und Gewährender in Freund-
schaft. So wäre meines Erachtens die Strophe zu deuten ; aus der Übersetzung
wird man aber schlechterdings nicht klug. Aber es kommen auch arge Bocke vor.
Ich will von Absonderlichkeiten im Ausdruck, wie : 'Das kam von schlimmen (!)
Heile , Es schaden wol dem Bronne schweigen, ich meine Übersetzungen wie :
Es geht das glück schon vor der kunst, und ärmlichkeit
gar oft dem feigen reichen nach in schlechtem Kleid,
für MF. 21, 29 :
Diu ssBlde dringet für die kunst, daz eilen gät
vil dicke nach dem riehen zagen in swacher wät; oder:
WiU er sich halten, dass er docK
als bettler nicht verdirbet,
das muss mit gottes hilf geschehen
wenn er mit glück erwirbet (t) —
für MF. 21, 25 (mit triuwen st. riuwen im letzten Verse, wie auch Bartsch schreibt):
ob er sich wil als6 betragen
dSr arman niht verdirbet,
daz muoz von gotes helfe komen,
wan er mit triuwen wirbet; oder:
Entworfen ist die schlaue List.
Da kommt der Spott dazu
nach f rubrem neidischem späh*n, für MF. S« 242 :
Entwerfen ist ein spaeher list
da beeret spotten zuo
alnäch der ougen spehen.
Ich habe drei der auffälligsten Beispiele hervorgehoben und bemerke noch,
daß für Herrn W. Busch, den geistvollen Zeichner, manch ein schönes Verslein
mit dem bekannten Rhythmus in dem Buche zu finden ist, z. B. :
Denn reichthum, wenn er recht gedeiht,
die besten freunde schnell entzweit, — oder:
Der eine war so witzig,
verschlagen auch und hitzig,
wo 'witzig antlcBze (den Druckfehler in MF. S. 240 für antsmtze) übersetzen soll.
Ich habe mich mit dem Büchlein lange beschäftigt. Zu lange? Man beachte
freundlichst die Bemerkung auf dem Titel des Buches!
LITTERATUB. 345
Die von einer Academie der Wissenscliaffcen gewälirte Unterstützung hat
bisher — und mit vollem Beeht — immer als eine Auszeichnung gegelten. Sie
hört aber auf es zu bleiben, wenn sie an Arbeiten verschw^idet wird, welche, wi»
die vorliegende, offenkundige Zeichen von Unfähigkeit und Unwissenheit an sich
tragen. Man liebt es hierzulande nicht, an Masteranstalten anderer Länder erinnert
zu werden. Sollte ich das Verpönte dennoch wagen, so würde ich äkir erlauben,
den — mir übrigens unbekannten — Beurtheüem des Gradl'schen Elaborates das
•Studium der Geschichte einer anderen, etwas nördlicher gelegenen Aeademie sa
empfehlen, einer Acadtmie, in deren Schriften allerdings Arbeiten von Grimm,
Lachmann, Moriz Haupt u. A. niedergelegt sind.
Schließlich auch noch ein Wort für Herrn GradL Obwohl er sehr zuvor-
sichtlich seine Eroberung (!) des Spervogel für Österreichs Gaue erst als eine na-
tionale That herausstreieht, klopft am Schlüsse seiner Vorrede doch das böse Ge-
wissen an und er bittet um eine freundliche Critik^ die Schlechtes nicht verschweigt,
ihm aber doch den Muth erhielte zu weherem Streben. Nun, das Streben wollen
wir ihm nicht verleiden ; mit weiteren Veröffentlichungen 'zur Litteratur des Eger*
landes' möge er uns aber verschonen, bis er gereiftere Früchte wirklieher Studien
vorzulegen hat.
WIEN. JOSEPH STROBL.
Philoflophiseh-hifttoriflche Grammatik der deutschen Sprache von B. W e s t-
phal. Jena 1869.*)
Die Erwartung mit welcher ich nach desselbeD Verfassers scharfsinniger
Arbeit über das gotische Auslautgesetz diese 'deutsche Grammatik' in die Hand
nahm, ist auf den ersten Blick in Vorrede und Buch elendiglieh zu Wasser geworden.
Eine vollständige Grammatik darf man zunächst so wenig erwarten, daß vielmehr
auf Begehren noch eine zweite gleichstarke Abteilung verheüSen wird. Am meisten
berücksichtigt ist das Gotische, nächst ihm das Althochdeutsche und Altsächsische.
Der vorliegende Teil handelt von Wurzeln, Vocalen und Consonanten, von Stämmen
und Flexionen, vom Verbnm, insbesondere von der germanischen Conjugation.
Den eigentlichen Kern, an den ^ch alles andere als philosophische Einleitung und
als Fortsetzung anlehnt, bildet die oben gmaante, zum T^l unverändert gebliebene,
zum größeren Teile ausgeführte Abhandlung. Aber wenn der Vf. in dieser lediglich
die ursprünglichere Gestalt, das lautliche Urbild der gotischen Formen und ihrer
Ausgänge feststellen wollte, so hat er nun die weiter gehende Absicht, in sie selbst
einzudringen, ihre Entstehung, ihr Werden, ihren Inhalt so weit als möglich auf-
zudecken. Anstatt sich jedoch, wie man billig erwartete, hiebei der bisherigen
Forschung anzuschließen, ihr Verfahren und ihre Ergebnisse wo nötig oder wo
möglich fester, strenger zu bestimmen und auszubessern, verlässt er sie, die er von
neuem als 'Agglutinationstheorie' brandmarken zu dürfen meint und stellt
ihr zur Abwechslung wieder einmal die alte, abgetane, halt- und wissenschaftslose
Art gegenüber, welche er, gegen die 'geistlose Äußerlichkeit der mechanisch-mate-
rialistischen' selbst als die 'idealistische, suprauaturaHstische' bezeichnet und gegen
ein im voraus befürchtetes 'Anathem durch Hinweis auf die chemische Bildimg des
Kristalles schützen will, vgl. S. XIV. Der Vf. geht dabei in auffskllend einseitiger
♦) Vgl. hierzu die Anzeige von L. Tobler in dieser Zeitschrift XIV, 380-383.
246 LITTERATUR.
Weise von einer völlig falschen Vorstellung über die Entstehung der Sprache aus,
die er sich, weil sie in verhältnismäßig früher Zeit zu einem gewissen Abschlüsse
gelangt und überhaupt körperlich und formell dem unbeschränkten Fort-
schritte des Geistes nicht zu folgen vermag, während sie sich freilich stets berei-
chert und veredelt und ihm innerlich vollständig zu dienen weiß, — formell verengt
und verworden, aber innerlich erweitert und neu belebt, vergeistigt, — schon *in
den ersten Anfangen der Menschheit, wenn nicht innerhalb der ersten Gene-
ration, doch bei den frühesten Generationen unserer indogermanischen Vorfahren
im rdehsten und vollkommensten Zustande^ denkt, XIV, 93. Er verkennt das un-
ermeßliche Werden der Sprache von Anfang an, er kennt im Grunde nur ein Ge-
wordensein und ein Verwerden, er verkennt, richtiger er leugnet die ganze gewal-
tige, unerforschliche, tausendjährige Arbeit des Geistes in Sprache bis zu ihrem
Höhenpunkte bin, — die ersten und grösten Zeiträume aller sprachlichen Ent-
wiekelung in Ur- und Vorzeit sind für ihn nicht vorhanden, ein 'einheitliches, von
Cnltur unberührtes, im philosophischen Denken sich noch nicht abmühendes Volk^
ist ihm gleich von vorne herein im Besitze formell fertigster Sprache gewesen und
er beruft sieh für solch Wunderwerk auf den Kristall! und — auf die Zustimmung
unseres Jahrhunderts, letzteres leider und zum Schaden der Sache nicht ohne allen
Grund, zum größeren Teile gottlob mit offenbarstem Unrecht. Und mit gröberem
und verderblicherem Unrechte stellt er die Behauptung auf, daß die Wissenschaft
unserer Tage die Sprache zu 'einer geistlosen Äußerlichkeit, zu einem bloß inecha-
nischen Gemenge der Erden und Steine mache, was einfach und erweislich unwahr,
wogegen er, wenn seine Auffassung die richtige wäre, mit besserem Rechte folgern
dürfte, daß sprachliche Forschung *und Begründung an der Hand der Sprachge-
schichte^ so wie man sie heute anstrebt und mit unvergleichlichen und hoffentlich
auch unvergänglichen Früchten bewährt und bewiesen hat, mehr oder minder über-
flüssige ja unmöglich werde.
Der Verf. sagt dies nicht so klar wie jenes, aber er verfährt darnach. Und
man lese z. B. S. 92, wie noch hundertmal ähnliches begegnet: die Bereicherung
des Wurzelbegriffes um eine Bestimmtheit führt jedesmal zur Bereicherung der
Wurzelform um einen Laut, der sowol einer der Vocale a, », u, wie auch einer
der zunächst liegenden Consonanten, ein Nasal oder Dental,^ Zischlaut sein
kann* An sich besteht ganz und gar kein Zusammenhang zwischen der Be-
deutung eines dieser Laute und der begrifflichen Bestimmtheit, die derselbe in der
Verbalflexion ausdrückt, vielmehr entsteht eine Congruenz beider erst innerhalb
der letzteren, oder, wie es sonst heißt, bedeutungslose Laute werden erst
durch den Gegensatz zu einander, die dialektische Reihenfolge im notwendigen
Kategoriensystem fähig zum Ausdruck für Beziehungen der Wurzel oder des durch
eben dieselben Laute selbst schon ebenso gebildeten Stammes, hinter welchen sie
als Flexionselemente gesprochen werden, S. XIV. So leugnet er denn folgerichtig
die Bedeutung der Verbalen^ungen m, 8, t und ihre Entstehung aus selbständigen
Pronominibus, die nach ihm umgekehrt vielmehr wieder aus jenen abgezogen sein
sollen. Allein dieser ohnehin sattsam bekannte Modus scheint noch mäßig, fast
erträglich, wenn man damit die Erklärung anderer Fürwörter vergleicht, in denen
wahrhaft monströs z. B. die Anlaute am, aa, tm, is, au für bedeutungslose fulcra,
Stützsüben oder paragogische Erweiterungen, deren man eben glücklich los ge-
worden zu sein glaubte, ausgegeben werden.
LITTERATÜK. 247
Und Willkürlichkeiten solcher Art die hart an Unsinn streifen und völMg
unnütz nichts erklären und nichts erhellen, die höchstens die Schwäche und Unzu-
länglichkeit dieses ganzen Verfahrens offen legen, begegnen aller Orten in Menge.
Dennoch maß der Verf. selbst eine Beihe ron ^Zusammensetzungen im Sinne der
heutigen Forschung, Bildungen wie liebte, amavi u. v. a. einräumen und überall ist
er genötigt, seine inhaltlosen, leren, angeblich zunächst liegenden, in Wahr-
heit willkürlichen Laute und Silben, seine fulcra und Erweiterungen, nichtigen
Prä- und Suffixe udglm. antreten zu lassen. Merkt er denn nicht, daß er dabei in
seiner Weise auch *agglutinirt*, — ja sein Verfahren verdieDte noch einen derberen
Ausdruck an dem es dem Deutschen nicht fehlt, — daß» er aber der von ihm nach
einem bekannten, längst abgefertigten Vorgange so genannten 'Agglutination'
gegenüber in dem erheblichsten Nachteile sich befindet, wenn er überall nur zu
begrifflich bestimmten, lautlich aber unbestimmten d. h. balbwahren
Gebilden kommt? Da ist nirgends Notwendigkeit und Wahrheit des Zusammen-
hanges zwischen Äußerem und Innerem, beide sind von Hause aus willkürlich
oder zufällig in der yagesten, laxesten Weise mit einander rerknüpft und wenn
das was nun einmal 9id<oiii, dldmoi lautet, statt dessen, nach seinem Principe, mit
demselben Rechte didopi oder didöJd hieße, so würde unser Verf. sie ebenso gut
oder ebenso schlecht als Formen desselben Inhalts bezeichnen und erklären können.
Daß der hier behauptete Standpunkt für einen noch unaufgeklärten Teil der
Sprachbildung sowie selbst für einzelne Formen nicht ganz abzuweisen sei, daß
namentlich Verhältnisse wie das Nebeneinander und der Gegensatz, die Spaltung
und Differenzirnng, Individuaüsirung und wie diese längst von mir selbst benutzten
und nunmehr weidlich in Schwung gekommenen Dinge sonst heißen mögen, im
Leben der Sprache ihre Bedeutung haben, daß ein vollkommenes, unmittelbares
Decken von Laut und Begriff nicht stattfinde, das Innere vielmehr weit, selbst
himmelweit über das Äußere hinausgehe, dies und anderes ist ja alles längst an«
erkannt, ohne daß man deshalb die Ansicht des Verf. und sein unerquickliches
Verfahren als gerechtfertigt ansehen oder Idlligen könnte.
Und was lässt sich denn gegen diese über alle Zweifel hinweg gehobene s. g.
Agglutinationstheorie mit gutem Fug einwenden? Leistet sie nicht was die Wissen-
schaft zu fordern berechtigt ist, indem sie für die wesentlichsten Teile der Formen
den entsprechenden Ausdruck darbietet? Geht sie dabei nicht den Weg den die
Sprache als Ausdruck vernünftig denkender Wesen selbst gegangen sein muß? Um
zu einem Ausdrucke wie dadd-mif 8lS<oitij da-dd-ti 9Cd(oai zu gelangen, muß der
erweiterten oder durch neue Begriffe bestimmten Vorstellung, dem Inhalte des da
oder dctdä nicht auch äußerlich ein neues Lautliches hinzugetreten sein, das, wenn es
verständlich und wahr sein sollte, nicht willkürlich x, sondern wirkliches ich, er
oder das was ich, er einschließt, hier, da sein muste? mi, ti die sich nicht
neben W. da allein, sondern neben allen Verbal wurzeln mit gleicher Kraft fin-
den, können nicht aus ihnen herausgewachsen, noch gleichsam herausgequollen,
ausgeschwitzt sein ; sie müssen also von außen — eine andere Möglichkeit gibt es
eben nicht, — neu und mehr oder minder fertig und entwickelt hinzukommen. Will
man dabei sagen, der volle Begriff des ich, er entstehe nicht an sich, sondern in
Verbindung mit anderen Begriffen, so ist dagegen nichts einzuwenden; aber das
ist zu behaupten und das bildet den gewaltigsten Unterschied der verschiedenen
Auffassungen, daß selbständiges mi^ ti äußerlich hinzugefügt, von außen anwuchs
und wenn nicht schon volles ich, er war, dieses vollständig enthielt^ einschloß.
248 LITTERATÜß.
Wie das bei m, t möglieb war, wie m, t von Hause aus Ausdruck aucb nur für
bier, da werden konnte, dcmnäcbst für icb, er, das ist im vorliegenden Falle
nicbt eben rätselbaft, gebort aber genau zusammen mit der Frage, wie dd geben,
Btä stehen, hhar tragen als seinen Inhalt erlangen konnte. Ob mi sieb für sieb als No-
min, ich erhielt oder vielleicht entwickelte, ist vollständig gleicbgiltig, es liegt klar
genug in mai oder in me, mik usw. vor^ die an sich aucb keine unmittelbaren Ac-
cusative sind. Und das ist biebei wichtig und beweisend zugleich, daß die Sprach«
diesen ihr mit Grund zugetrauten und auch hinreichend erwiesenen Weg teilweise
von neuem betritt: denn indem sie später sagt: ich gebe, er gibt, der Mensch,
6 Xoyog^ wiederholt sie nur den Process den die ursprünglichen Formen schon ein-
mal durchgemacht haben, wenn auch auf etwas andere Art. Die statt dessen von
dem Verf. aufgestellte und durch das Buch durchgeführte Theorie von den zu-
nächst liegenden Lauten* stützt sich im Grunde auf die vorzugsweise Ver-
wendung eben dieser Laute in Wortbildungen und Flexionen und hat sonst nichts
zu bedeuten«.
Und was veranlasste denn, fragt man erstaunt weiter, den Verf. zu seinem
völlig abenteuerlichen und nutzlosen, ja verderblichen neuen Versuche? Außer
inancbem anderen was man in der Vorrede liest — auch Beckers Auffassung hat
poch mitgewirkt — verführt ihn seine grundverkehrte Vorstellung von der Sprach-
geschichte ; beide Theorieen, meint er, seien nichts anderes als unerwiesene Hypo-
thesen; der Nachweis, den die geöchicbtliche versucht, wird bei der s. g. or-
ganischen, sagen wir lieber bei der Wundertbeorie unnötig oder unmöglich ;
endlich die Leistungen jener, die immerhin noch unvollkommen genug sind, befrie-
digen ihn nicht; so gibt es ihm, wie schon erwähnt, unüberwindlichen Anstoß,
daß mi, ma ich bedeuten soll und doch als Nominativ nicht nachweislich, vielmehr
durch (iham, ego, ik (d. h. ihm : ich habe es gesagt, ich der Sprechende bin es)
ersetzt wird , obgleich er die gewöhnliche Erklärung von amabam einräumt , ohne
(am für sich nachzuweisen ; so ist ihm femer z. B. anstößig, daß die Länge des i im
lat. fuisti (ihm fuistai) bisher unerklärt geblieben, während ihm meder plintir slub
Ißindas keine Schwierigkeit macht, — das und anderes der Art was sich bei seiner
dürftigen Auffassung völlig erledigen soll, ist ihm Hindernis den gewöhnlichen Weg
zu verfolgen und treibt ihn mit zur Verwerfung der glänzendsten Errungenschaft
unserer Tage.
Dabei werden nicht selten die schönsten und sichersten Erklärungen statt
fruchtloser Äußerlichkeiten bei Seite geworfen, wie denn z. B. a-0/i£g für a/u/ufg
einem cift-fttg weichen muß, um mit fulcrum am zu m statt zu ü'ham zu gehören ;
Verwinungen der Personalendungen, wie sie wol für das gotische Medium beliebt
sind, werden weiter auf das Altsächsische und Altnordische übertragen, wo die
eine Endung unorganisch aus der anderen herübergenommen sein soll ; Ungenauig-
keiten und auch falsche Behauptungen laufen hie und da mit in den Weg : daß
die Hs. des Ludwigsieichs verschwunden sei und anderes Auffällige im Quellen-
verzeichnisse übergehe ich , aber daran ist doch zu erinnern, daß für gaganga des
Stiraßburger Eides bei Roquefort Grimm nebst allen neueren Herausgebern gegangu
gibt, und zu S. 224, daß nicht bloß im Taufgel. hdlogan gdst^ sondern im H^L
1,71, 7 Mlag dthö, wie ib. 2 kcelago dag im Mon. (H. v. 5773 hilag, 5766 hilago)
vorkommt; außerdem ist abd. sa^dta u. dgl. bekannt genug.
Dennoch begegnet einige Male Lehrreiches oder doch Beachtenswertes^
kb. 4«ibte jeclQQh iu dem ganzen Buche uur vier oder fmi Stellexu So istj e^
LITTERATUR. 249
ein feiner, wenn auch nicht gerade glücklicher , für amaham absolut unbrauch-
barer Einfall, in legehamy um die Lange des e zu rechtfertigen und der Zu-
sammensetzung mit dem Stamme los zu werden., le^ als einen alten zu legier
gehörigen Infinitiv zu nehmen* Wichtiger ist was weiterhin über den germanischen
Conjunctir und Optativ, got. nimau, imp« nimam, die bekannten ahd* ^-Formen^
(legam neben attingem) gesagt wird , freilich weder ganz neu noch auch voll-
ständig, wie denn z. B« die plur. Gonjunctive nemdn, Idzdny geloufän nicht er-
wähnt sind. Endlich ist auch wol einiges Brauchbare über den Zusammenhang
zwischen dem Part* ans, anir (ana, dna) und dem Infin. an neben den grieclu
^£vop, lisvai, Bvai und den Suffixen man imd an zu finden.
Allein wenn dergleichen hier nicht völlig vermist wird, and spärlich ge-
nug begegnet es überdies, so ist das nur ein Grrund mehr zu bedauern, daß
der scharfisinnige und kenntnisreiche Verfasser sich nicht entschließen kannte,
auf dem gebahnten und man sollte meinen glänzend bewährten ,^ allein rechten
Pfade aller heutigen Sprachforscher fortzuschreiten, auf dem ihm sicher mehr
Wahres und Schönes zu finden beschieden gewesen wäre«
Der Weg, den statt dessen der Verf. betritt, führt von Neumn in mühsam
gelichtetes Dunkel und Dickicht zurück, ein Unweg, den man zumal für die
Zeit der Formenbildung der vernünftigen Sprache gar nicht zutrauen sollte.
Und so ist es denn leider Pflicht, vor dem Gebrauche dieses Buches, was die
bedeutendste Aufgabe desselben angeht, auf das Nachdrücklichste zu warnen.
GKEIFSWALD, im August 1869. A. HCEFER.
Zupitza, Julius, Verbesserungen zu den Draclienkämpfen. Geschrieben behufs
Habilitation an der Breslauer Universität« Oppeln 1869. Reisewitz. 32 S« 8^.
Als Vorläufer seiner für das 'Deutsche Heldenbuch' bestimmten Ausgabe
behandelt der Verf. eine Anzahl verderbter Stellen der Drachenkämpfe, nachdem
er im Eingange die handschriftlichen Hilfsmittel und deren Verhältniss zu einander
dargelegt hat. Die Verbesserungen sind meist besonnen und scharfsinnig, ich hebe
namentlich 21, 11. 197, 6. 225, 12. 277, 1. 318, 8. 626, 4 hervor. In Str. 21
wird aber die letzte Zeile, auch wenn die Überladung der ersten Hebung keinen
Anstoss erregt, wegen des zweimaligen in zu bessern sein : statt in kelden sich man-
heit nie verbarc ist zu lesen sich helde manheit nie verbarc, -^ 96, 2 wird statt us
balten der Hs. vermuthet Hz spalten, was die stufenweise Entstellung üfs spalten —
uz palten — uz balten voraussetzt. Allein 'das Schwert spaltete wohl manchen
Nagel heraus' ist nicht sehr glaublich ; ich halte vielmehr balten verschrieben für
blaten, — 109, 1 ist trUckd mit Z. in dürkel, vielmehr aber in türkel zu ändern i
t steht nach alter Weise für d nach dem vorausgehenden z, — 230, 12 ist nur
theilweise befriedigend : die Hs. hat die (ihre Augen) erbrechent vensch vnd tum
ir hertze die sü vindet ganz. Z. schreibt diu erbrechent wünschen tür in herzen diu
si vindent ganz. Wahrscheinlich ist mir diu erbrechent venster unde tilr in herze^
denn -auch herzen zu schreiben ist nicht nothwendig. — 244, 10 ist die Besserung
in iender statt siu irgent annehmbar, aber pinen in pine zu verändern mindestens,
unnöthig, da es substant. gebrauchter Infinitiv ist. — 269, 5 ist richtig erkannt,
daß der Fehler in siu steckt, aber es steht nicht für sin, auch in der folgenden Zeil^
ist nichts zu ändern. Die Besserung v. d. Hagens wie für und hat Z« mit Becht
aufgenommen \ beide Zeilen sind daher zu schreiben :
250 LITTERATUB.
wie wir sin (= si in) ganzer vrihtden wer
und endeltche enphdhen,
296, 12 er unde sin swert stürten mich schlägt Z. für das überlieferte durfent mich
vor. Ich halte durtent eher für entstellt aus derwerten oder demerten» Die Abkür-
zung c^werten oder d^nerten konnte, wenn das Abkürzungszeichen yerwischt war^
sehr leicht duerten, durten gelesen werden. Auch fällt dann twert richtiger in die
Hebung als in die Senkung. — 342, 7 ff. ist mehr als nöthig geändert: die ver-
suchte Umstellung ist nicht gut, da das Adj. ganz besser zu doste vr^ude als zu
hochgemüete passt. Der Fehler liegt im ersten Reimworte: statt wunneclicher white
ist zu schreiben in wunnecUch erhlUete, Vgl. do erblUete ir liehtiu varwe Nib. 240, 4.
Auch in der Schlußzeile der Strophe ist fromde» nicht in unvremdez zu ändern^
sondern zu schreiben friundes küssen, friunt kann Geliebter und Geliebte heißen r
die Vertauschung von fremde und friunde ist in Hss. sehr häufig: zwei Beispiele
außer der ersten Zeile in Eürenbergs Liedern geben meine Liederdichter, Anm«
zu I, 1; andere sind Erec 2682. j. Titurel 764, 4. 1140, 4. Nib. 323,1b.
1082, la. 1324, 3a. 1449, ID. — 367, 6 ist lip schwerlich in leit zu verwandeln^
vielmehr statt gemiret ist gunSret zu bessern und zu lesen tun Up wirt drumb guneret^
Auch in der angezogenen Stelle 258, 12 ist die Änderung lip in leit ungut; vielmehr
statt lip zu schreiben liep: die hdnt ir liep und ouch ir gruoz, . .gesant liep in Gruß-
formeln ist sehr gebräuchlich, vgl. auch S. 16 zu 416, 5. — 393, 3 wird daz
prissen in daz krizen verändert: wenn man jedoch bedenkt, daß hraht 358, 3 in
h-uch entstellt ist, so scheint sich zu ergeben, daß prissen eher aus prehten = brehten
verderbt ist: p steht für h wiederum nach », vgl. zu 109, 1. — 407, 3 hie ist
wohl nicht in uns zu verwandeln, sondern ganz zu streichen; der Schreiber setzte
es, weil er die Stelle falsch verstand. In der folgenden Zeile ist bi eine besser al&
in bt deme in bime zu verbessern : Meme stände der Überlieferung noch näher , wie
man ö/ewc, aneme u. s. w. findet. — 559, 10 statt rock ist nicht rittery sondern
das näher liegende recken zu schreiben. — 687, 7 diu edeZe herzoginne ist durchaus
nicht unrichtig, und diu nicht in du zu ändern, denn der bestimmte Artikel beim
Vocativ ist nicht selten. Vgl. Nibel. 1539, 2. 1542, 4. — 696, 5 echowen ist
ohne Frage unrichtig und wahrscheinlich aus der folgenden Zeile eingedrungen,^
wo auch sulen, wenn auch nicht unmittelbar, vorhergeht. Z. schlägt vor zouweny
doch wird dies Verbum so absolut wie hier kaum gebraucht, sondern entweder
mit reflex. sich oder mit dem Genetiv. Der häufigste Gebrauch ist aber der
unpersönliche mir zouwet, und hier setzen es jüngere Hss. häufig für zogen^
vgl. Nibel. 738, 3. 767, 1. 1649, 3 meiner Ausgabe. Daher ist am wahr-
scheinlichsten wir sulen zogen ftlr den berc» — 718, 12 wird und in end geändert,
eine von Lachmann in seiner Nibelungenausgabe mit Vorliebe gesetzte, aber
nicht durch die Hss. bestätigte Form: «na, wie Hagen besserte, ist ganz richtig,
nur muß es in der Bedeutung 'während', nicht 'bis* genommen werden. —
745, 11 ist clagestu nicht in dagestu zu ändern, weil dagen in der hier gefor-
derten Construction nicht vorkommt, sondern zu schreiben hügestu an Ecken not»
w hat denselben Sinn: denkst du nit an des Ecken tdt, — 1068, 10 ist richtig
erkannt, daß mit in niht zu bessern ist ; aber es muß auch die Wortstellung
verändert werden, und wohl auch iwer in «r, also ich hdn ir niht Verluste. So
wenig man sagen kann ich hdn niht des ere, ebensowenig ich hdn niht iwer Verluste,
ROSTOCK, December 1869. K. BARTSCH.
LITTERATÜR. 251
Der von Sahsendorf. Carmina quot supersunt recognovit emendavitque F. G. P.
Storck. Monaaterii 1868. 40 S. gr. 8.
4
Die Lieder dieses österreichischen Dichters sind uns allein in der Pariser Hs.
überliefert und nicht frei von Verderbnissen, daher der Conjecturalcritik nicht
selten Spielraum gegeben werden musste. Der Herausgeber hat zum ersten Mal
den Text der Lieder critisch hergestellt und ihn mit einer geschmackvollen Über-
setzung in der Form des Originals und mit fleißigen Anmerkungen begleitet. Ein
Dichter, dessen Werke so wenig zahlreich sind, gibt wenig Anlass seine Eigenart
kennen zu lernen und erschwert damit der Critik ihre Aufgabe. Denn dadurch ist
bei verderbten Stellen der ELreis des Wahrscheinlichen größer als wo es sich um
eine bestimmter ausgeprägte dichterische Persönlichkeit handelt. Gleich die ersten
Verse des ersten Liedes zeigen eineVerderbniss; überliefert ist i>i«e Ziehten tage dnt
uns komen und des meien zit vil kleinen vogel sang. Dafür schreibt Storck des meien
scMn gU vil der kleinen vögele sanc* schtn hatte schon Hagen gesetzt. Die Besserung
ist scharfsinnig und man kaim etwa nur an der Satzverbindung durch und geringen
Anstoss nehmen. Einfacher scheint mir jedoch, statt zit für Fehler aus schin git zu
halten, zit für Schreibfehler statt schin zu erklären: des meien zit^ eine häufige
Ausdrucksweise, kam dem Schreiber in die Feder. Dann wäre etwa zu schreiben
des meien schin und der vil kleinen vögele sanc. — 10 ist PTen, wie die Hs» liest^
nicht in Wenne zu ändern, denn es müsste Swenne heißen, sondern wen steht nach
alemannischer Art für wein : der Dichter schrieb wohl Weln^ — 16 wapen der Hs .
ist ohne Noth mit Hagen in wäfen verändert worden. — 55 ist überliefert iw künde
min herze nie nebringen, St. schreibt ich enkunde daz herze^ und entfernt sich damit
zu weit vdh der Überlieferung. Die unregelmäßige Betonung in kundh^ die nament-
lich bei Burkart von Hohenfels häufig ist, darf man wohl beibehalten (zu m. Lie-
derdicht. 34, 62) : scheint sie anstößig, dann ist zu schreiben in kund* et mtn herze,
ich konnte nun einmal nicht', kund in der Senkung ist wie rehte 82. — 69 ist
hite statt des hs. bit geschrieben worden, aber der Imper. bit ist ohne Anstoss ;
dagegen war bitte 7 1 nicht in bite, sondern in bit zu ändern, weil es in der Senkung
steht. Die Orthographie bedarf auch wohl noch kleiner Nachhilfe: 74 1. dan ich
statt danne ich ; 8 1 lies soWlouVich , denn wenn der Vers auftactlos ist , muss auf
so die Hebung fallen 5 82 1. reht\ 153 1. wolt diu statt wolde diu, — 84 ist daz
in dez verwandelt, wahrscheinlich um den Vers auftactlos zu machen, aber auch
so dez kann nicht die erste Hebung bilden, man müsste dann schon schreiben so ea.
Indess in der Regulierung des Auftactes ist der Herausgeber wohl überhaupt zu
strenge und ergänzt aus diesem Princip vielfach kleine Worte, so Z. 2^. 140 wan^
119 dar, 127. 133. 150 »e, 131. 136 cw, 139 ww, 144. 154 vil, 146. 152 daz,
148 doch, 157 nü, 159 aZ, und dabei bleibt Z. 130 doch auftactlos. Ich glaube
kaum, daß die Critik so weit gehen darf. — 128 höhte in hcehe zu verändern ist
kein genügender Grund vorhanden: höhte ist Conj. im Sinne 'erhöhen dürfte'. —
141. Wenn man auch den Versuch, den Inreim herzustellen, in V. 132 gelten
lassen will, wiewohl nicht zu leugnen, daß der Ausdruck in aller reine mit trivjwen
gestdt etwas befremdliches hat, so ist doch gegen die zu kühnen Änderungen der
letzten Strophe Bedenken zu erheben, namentlich was die letzte Zeile betrifft:
doch wollen wir damit dem Scharfsinn des Herausgebers nicht zu nahe treten, der
hübsch darthut, wie aus der verderbten Stelle das Bild der Hs. sich erklärt. Im
Hinblick auf den nicht seltenen Mangel der Durchführung des inneren Reimes
252 MISCELLEN.
(vgl. diese Zeitschrift Xu, 155 — 156) werden wir die dritte Strophe und schoji
den Schluß der zweiten als nicht mit Inreimen versehen betrachten. Von guten
Besserungen des Textes heben wir die zu Y. 26. 41. 76. 85. 130 hervor.
ROSTOCK, December 1869. K. BAETSCIL
MISCELLEN.
FFEIFFERFEIEE IK BETTLACH 29. MAI 1870.
Die Idee, PfeifPers Andenken durch Errichtung eines G-edenksteines in seinem
Heimatorte Bettlach*) zu festigen, gieng aus von dem durch Herausgabe von Ge-
dichten und Sagen in Solothumer Mundart bekannten Dr. F. J. Schild in Gren>
eben **). Der Ausfuhrung des einmal gefassten Gedankens unterzogen sich die
Bettlacher auf bewunderungswürdige Weise. Mit S4 Pferden und einem Aufwände
von außerordentlicher Mühe — das ganze Dorf war mehrere Tage hindurch in
Bewegung — wurde der als passend erkorene Granitblock, ein sogenannter Find-
ling, im Gewichte von nahezu 300 Centnem, nachdem er durch Sprengen handlich
geworden, von einem hochgelegenen Acker auf seinen Platz vor dem Schulhause
gebracht, und ihn hier aufzustellen kostete nicht geringere Arbeit.
Der unterzeichnete Berichterstatter, von Sr. Exe. dem Statthalter für Tirol
und Vorarlberg telegraphisch aufgefordert, als Vertreter der österr. Regierung an
der Feier theilzunehmen, begab sich Sonntag den 2&. Mai in Begleitung des Kec-
tors - der Cantonsschule in Solothum, Prof. G. Schlatter, jenes um das^Andenken
Pfeiffers so hochverdienten Mannes, auf den Festplatz. Der mit Epheu bekränzte
und von einem Gebüsche junger Tannen umgebene Denkstein bot einen über-
raschend imposanten Eindruck. Die in den Stein gemeißelte Inschrift lautet also :
DEM ANDENKEN
AN
DR. FRANZ PFEIFFER VON BETTLACH
GEBOREN ZU SOLOTHÜRN 27. FEBRUAR 1815
GESTORBEN ALS PROFESSOR DER DEUTSCHEN SPRACHE UND
LITTERATUR AN DER UNIVERSITAET WIEN 29. MAI 1868.
SEINE MITßUERGER 1870.
Die Gastfreundschaft des Hm. Pfarrers Tro^xler hatte mir über die Stunden
bis zum Beginn des Festes hinübergeholfen. Mittags 1272 ^^^ begann die Feier,
angekündet durch vier Kanonenschüsse ; die Regienmg von Solothum hatte nämlich
zum Feste eigens eine Kanone aus dem Zeughause nach Bettlach geschickt, welche
von Artilleristen aus Bettlach bedient wurde. Um 1 Uhr versammelten sich die
Festtheilnehmer vor dem Hause des Herrn alt-Statthalters Paul Marti, in wel-
chem Pfeiffers Vater seine Kindheit zugebracht hatte und noch jetzt entfernte Ver-
wandte von ihm wohnen. Es war bekränzt und trug die Aufschrift: ^Pfeiffera
*) Nach Mittheilmig des Hm. Rectors Schlatter ist es durch die Angaben der
Kirchenbücher außer allen Zweifel gesetzt, daß Pfeiffer in Solothum geboren ist.
In Bettlach aber als dem Heimatorte seines Vaters besaß die Familie das Bürgerrechte
**} Grenchen ist ein von Bettlach Va Stunde westlich entferntes Dorf..
MISCELLEN. 253
Stammliaas.' Von da bewegte der Zug sich unter Musik und Kanonensalven durch
die festlich geschmückte untere Dorfstraße nach dem Festplatze in der durch das
Programm vorgeschriebenen Ordnung:
L Abtheiiung*
Militärmusik des Bat. Nr. 44. — Schützengesellschaft Grenchen. — Ab-
ordnung der h. Regierung. — Bezirksbeamte. — Festredner mit dem Abgeord-
neten des k. k. Ministerii. — Hochw. HH. Pfarrer der Nachbarsgemeindeut —
HH. Professoren der Cantonsschule in Solothum und historischer Verein. — In-
stitut Breidenstein in Grenchen. — Studentenvereine Zofingia, Helvetia und die
übrigen Studenten in Solothum. — Lehrerseminar in Solothum.
n. Abtheilung.
Militärmusik von Selzach. — Schützengesellschaft von Selzach. — Fest-
-comitö. — Gemeindebehörden von Grenchen, Selzach und Bettlach. — Leseverein
von Grenchen. — Turnverein von Grenchen. — ^Liederkranz* von Grenchen. —
Männerchor von Bettlach. — Freunde imd Bekannte des Gefeierten. — Einwohner-
schaft von Bettlach u. A.
Die Schützenvereine bildeten einen weiten Kreis um das Denkmal, hinter
ihnen stellten die übrigen festfeiemden Vereine und das zahlreich zusammen-
geströmte Publicum sich auf.
Die Feierlichkeit wurde erö&et durch ein Begrüßungslied von Seiten des
Männerchors Bettlach, welchem eine Production der Musik von Selzach folgte und
ein Chorlied (Schweizerpsalm von Zwyssig) : 'Trittst im Morgenroth daher . Sodann
hielt Bector Schlatter folgende Festrede:
„Um die gleiche Tageszeit, zu welcher wir hier beisammen sind, bewegte
sich h«ute vor zwei Jahren ein Wagen von dem nah bei Wien gelegenen Curorte
Baden nach der Residenz. Ein Gelehrter mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen
saß darin, ein kranker Mann, dem die Überanstrengung in seiner Thätigkeit ein
Kopfieiden zugezogen^ das ihn schon den ganzen Winter über ans Schmerzens-
lager gefesselt. Auf Anrathen seiner Ärzte hatte er sich in den Frühlingstagen des
Jahres 1868 nach jenem Orte begeben, um in dessen milder Luft Linderung seiner
Leiden zu finden. Dieser Zweck schien erreicht. Gestärkt durch die Bewegung im
Freien kehrte der Kranke, jetzt nach seinem Wohnorte zurück, um sich zu rüsten
zu einem Ausfluge in die steierischen Alpen. Von der reinen Luft der Berge hoffte
er gründliche und dauernde Heilung des lange eingewurzelten Übels. In solch froher
Hoffiiung sprach er heiter mit Frau und Kindern von der nahen Reise , seiner Ge-
nesung und den Plänen für die Zukunft. In fröhlicher Stimmung und gesprächig
wie lange nicht mehr traf er in Wien ein* Er fühlte sich so munter, daß er der
Gewöhnung an freie Luft nicht gleich wieder entsagen wollte, um sich in die
Krankenstube einzuschließen. In Begleitung eines Freundes begab er sich noch
in den nahen Stadtpark^ um dort die Kühle zu genießen. Mit dem lebhaftesten
Interesse unterhielt er sich mit seinem Begleiter über die neuesten Erscheinungen
und Ereignisse im geistigen Leben der Hauptstadt. Doch mitten im Fluße der Rede
ereilte ihn ein neuer Anfall des Übels, tückischer als alle früheren. Sprachlos, ein
verlorner Mann, wurde er nach seiner Wohnung gebracht und zwei Stunden später,
um 1 0 y^ Uhr, war er eine Leiche. —
254 MISCELLEN.
Wohl achtzig Jahre früher war im Derfe Bettlach ein fremder Knabe er-
schienen. Niemand hatte ihn noch gesehen, niemand kannte ihn. Aus den Schriften
und Briefen, die er mitbrachte, erfuhr man aber, daß er ein Bürger von Bettlach
sei, den seine in Savoyen lebenden Altem den Verwandten nach Hause schickten,
um für seine Erziehung zu sorgen. Und er wurde erzogen in dem Hause, vor welchem
unsere Festgenossen heute zum feierlichen Zuge sich versammelten •). Der arme
fremde Knabe ist später der Vater des Wiener Gelehrten geworden. Der Gelehrte
aber ist der Bürger von Bettlach Franz PfeiflEer, unser Pfeiffer, dessen Andenken
dieser Denkstein heute geweiht wird.
Schön und sinnig trifft sichs, daß aus diesem Stammhause ein berühmter
Kenner deutscher Sprache und deutschen Alterthumes hervorgehen musste, aus
diesem Hause, von dem die Volkssage berichtet, daß in uralten Zeiten in ihm
zu nächtlicher Stunde die Erdweiblein zusammenkamen um zu spinnen, und in
welchem man noch lauge in den Vertiefungen des Getäfels die Löcher zeigte, worein
dieselben ihre Spinnrocken steckten.
Aber lang, mühsam und voller Klippen war der Weg, der von jenem Hause
zum Wohnsitze des geachteten Gelehrten in Wien führte **).
Heute feiern wir das Andenken des früh Dahingeschiedenen durch das Setzen
eines Denksteines und fragen uns: Was bewegt Pfeiffers Mitbürger, ihm, den sein
Schicksal früh dem Vaterland entrissen, der seine Stellung im Auslande hatte und
der sein schweizerisches Bürgerrecht sogar aufgeben musste, was bewegt seine
frühem Mitbürger, sein Andenken so festlich zu begehen ? Wir sagen : Es ist der
gerechte Stolz, daß dies Rind unserer Berge, unseres Volkes durch die Energie
seines Willens zu einer so hoch geachteten, von den Gelehrtesten der deutschen
Nation anerkannten Stellung sich emporgerungen hat. Nicht vornehme, nicht reiche
Altem oder Verwandte standen an der Wiege des Gefeierten ; seine Heimat war
ein kleines Dorf, dessen Name kaum je genannt wurde außer den Grenzen des
Vaterlandes, und dennoch hat er es weiter gebracht als tausend Andere, denen vor-
nehme Geburt oder Heichthum die Wege zu Ruhm und Ehren ebnen, und Ihm
haben wir es zu danken, wenn der Name seiner Heimat heute ein weithin ge-
kannter ist. — Der heutigen Feier liegt der Stolz des ßepublicaners zu Grunde,
der nur den durch eigene Kraft errungenen Erfolg achten soll und Jeden verehrt,
der durch die Anstrengung des eigenen Willens sich emporgeschwungen, doppelt
verehrt, wenn er in ihm seinen Mitbürger begrüßen kann. — Pfeiffer ist für seine jün-
geren Mitbürger ein leuchtendes Beispiel geworden, was mit ernstlichem Streben
erreicht werden kann. Darauf möchten wir namentlich seine jungen Landsleute hin-
weisen, die an derselben Anstalt sich den Wissenschaften widmen, an der Er sich
die Grundlage seines Wissens geholt. Unsere Zeit ist nicht reich an energischen
Characteren, am wenigsten an solchen, die mit Begeistemng und ohne Bücksicht
auf materiellen Erfolg dem keuschen Dienste der Wissenschaften sich hingeben;
achtet somit, meine jungen Freunde, in Pfeiffer nicht bloß den großen Gelehrten,
sondern auch den edelen Menschen, der als Mann die Ideale seiner Jugendtage fest-
*) Das Haus führt heute noch den Namen: Savoyerhaus. Von Clemens Pfeiffer,
dem Vater, weiß man in Solothum noch viele histige Heldenthaten zu berichten, die
er während seiner Kriegsjahre vor den Augen Napoleons ausgeführt haben will.
**) Was der Redner hier aus dem Leben und Wirken des Gefeierten einfügt,
darf als in weiteren Kreisen bekannt überganwen worden.
MISCELLEN. 255
gehalten und ihrem Dienste sein ganzes Leben geweiht hat: Wenn die heutige
Feier in Euch den Funken der Begeisterung, den heiligen Vorsatz, edelen Zwecken
Euer Leben zu widmen, zur hellen Flamme anfacht, so hat sie ihren schönsten
Zweck erfüllt.
Aber auch noch aus einem anderen Grunde hat Pfeiffer es wohl um uns yer-
dient^ daß in seiner Heimat^ in der Schweiz, ihm ein dauerndes Andenken für
immer gesichert bleibe« Ist auch das Ausland der Schauplatz seines Wirkens ge-
wesen, so ist er doch ein treuer Schweizer geblieben sein Lebelang und nie hat er
seine Heimat verläugnet. Recht schweizerisch war der Freimuth, mit dem er in
seinen gelehrten Kämpfen auch den besten Freunden rücksichtlos seine Meinung
sagte. Die Wahrheit sagen und vertheidigen gieng ihm über Alles. 'Als Schweizer
mnss ich sagen, was meine Überzeugung ist', schrieb er einem seiner Gegner.
Viele hat er dadurch zu seinen Feinden gemacht, denn ungeschminkte Wahrheit
zu ertragen ist nicht Jedermanns Sache. Gerade die Edelsten aber zollten ihm
wegen seines Freimuths die höchste Achtung. Ein Schweizer ist Pfeiffer auch ge-
blieben durch seine fortwährende Anhänglichkeit an seine Heimat. Nahm er auch
warmen» Antheil an den Geschicken seines Adoptiwaterlandes Österreich, so l^at er
doch die Schweiz und seine Heimat Solothurn nie vergessen, und. seine ersten Ver-
suche eine Lebensstellung zu gewinnen galten seinem Vaterlande *). Wenn auch
durch die Verhältnisse gezwungen, seinen heimischen Herd sich auswärts zu grün-
den, kehrte er doch immer gern in die heimatlichen Berge zurück, so oft seine
Beisen ihn in ihre Nähe führten. Noch wenige Monate vor seinem Tode, auf seiner
letzten Ferienreise, trieb ihn unbezwingliche Sehnsucht dahin. An Allem, was in
seinem Heimatorte Löbliches geschah, hat er immer den regsten Antheil genommen.
Nie besuchte er Solothurn, ohne daß er von seinen Freunden aufs genaueste sich
hätte berichten lassen, was für Hebung der Schulen und des Unterrichtes daselbst
geschehen war. Eines seiner letzten Geschäfte war, der Solothurner Cantonsschule
eine Sammlung aller von ihm herausgegebenen Werke zu schenken, und er war nicht
beruhigt, ehe er die Sendung richtig angekommen und nach seinem Wunsche auf-
gestellt wusste.
Diese Anhänglichkeit an seine Heimat zeugt von seinem tiefen Gemüthe ;
und von tiefem Gemüthe auch, daß er seine Mutter imd Schwester nie vergaß
und beide nach ELräften unterstützte, so lange er lebte. Zu seiner Mutter nach
Solothurn flüchtete er, als ihm seine erste Frau gestorben; bei ihr wollte er Trost
suchen für seinen herben Verlust. Sowenig wie seiner Altem vergaß er derjenigen,
die in den Tagen der Noth ihn unterstützt hatten. Seine Dankbarkeit fand stets
einen sinnigen zartgefühlten Weg sich zu äußern. In lebendigem Angedenken steht
*) Ende des J. 1844 und Anfangs 1845 bewarb er sich eifrig um die Stellung
eines Stiftsbibliothecars zu St. Gallen, war aber in seinen Unterhandlungen nicht glück-
lich; sieh die Briefe des Frhm. von Laßberg an Pfeiffer im Anhange des von ihm
herausgegebenen Briefwechsels zwischen Jos. Frhm. von Laßberg und Ludwig Uhland
(Wien 1869) S. 288 u. 295. *Es ist keineswegs meine Absicht, in Deutschland länger
als ich muss zu bleiben. Es ist vielmehr schon längst mein lebhaftester Wunsch, in
meiner Heimat einen Wirkungskreis zu finden, und ich halte mich nun
genug vorbereitet, um meinem schweizerischen Vaterlande auf irgend
eine Weise nützlich zu werden , so schrieb er damals an einen einflußreichen
Mann in St. Gallen. Auch ein Gedicht aus seiner Studentenzeit, das Bartsch in seiner
dem erwähnten Buche beigegebenen Biographie S. XXI f. mittheilt , spricht die tiefe
Sehnsucht aus, womit es den jungen Maim nach seinem Vaterlande zog.
256 MSCELLEN.
er bei seiner Frau und seinen beiden Söhnen, steht er bei seinen Wiener Freunden
und Schülern. Davon legt Zeugniss ab das lebhafte Interesse, mit dem man in
Stuttgart und Wien das Zustandekommen dieses Denkmals verfolgte. Zwei Tele-
gramme, welche bekunden, wie man an beiden Orten unser Fest im G-eiste mit-
feiert, geben dieser Theilnahme Ausdruck.
I. Aus Stuttgart.
Wittwe und Sohne von Franz Pfeiffer nehmen gerührt im Geiste am heutigen
Feste Theil, dankbar für die dem Gefeierten von seinen Mitbürgern erwiesene Ehre,
und entbieten ihren Grui^ und Handschlag.
Emilie Pfeiffer.
Berthold und Hermann Pfeiffer.^
n. Aus Wien.
*Die Wiener Freunde und Schüler Pfeiffers den Bettlachem Festgenossen
herzlichen Gruß zur Feier ihres berühmten Mitbürgers!
Aschbach. Bathay. Thausing.
V. Bergmann. v. Rosner. Thumwald.
Braumüller. Schenkl. Johann Tomaschek.
Kuh. Schröer. Karl Tomaschek.
Kürschner. Schulz v. Strasznitzky. Vahlen.
Lambel. Sickel. Vemaleken.
V. Lang. Siegel. Wagner.
Lorenz. Simony. Welleba.
Mareta. Strobl. Womatzka.
Mussafia. Stülz. Zeißberg.'
In lebendigem und dankbarem Andenken steht sein Wirken auch bei der
österreichischen k* k. Kegierung, die einen besonderen Abgeordneten zu der heu
tigen Feier abgeschickt hat, der nach mir zu Euch sprechen wird.
Bürger von Bettlach, lasset mich heute, in diesem festlichen Augenblicke
Euch danken im Namen der Angehörigen und der vielen Freunde und Verehrer
Eueres berühmten Mitbürgers für die sinnige Art, wie Ihr sein Andenken ehrt.
Ihr habt dadurch Euch selbst geehrt und gezeigt, daß auch in jenen Kreisen, von
denen man gewöhnlich glaubt, alle Thätigkeit gehe auf in der Sorge für das leib-
liche Wohlsein des Tages, doch Sinn fortlebt für die höheren Güter des Lebens
und die Anerkennung für Diejenigen, welche diesen höheren Gütern ihr Dasein ge-
weiht. Seid überzeugt, daß man was Ihr für das Andenken Pfeiffers gethan habt,
in Deutschland zu schätzen weiß, daß man den Namen Eueres Dorfes mit Achtung
nennen wird, weil es seines Mitbürgers Verdienste so zu ehren versteht.
Für Euer junges Geschlecht aber möge das Andenken an den berühmt ge-
wordenen Heimatgenossen ein Sporn sein zur Arbeit und zu tüchtigem Streben.
Nicht Alle können Gelehrte werden und sollen es auch nicht. Aber Jeder ist ach-
tungswerth, der alle Kräfte seines Geistes daran setzt, im Leben ein tüchtiger
Mensch zu werden. Hängt Pfeiffers Bildniss, das dessen Wittwe der Gemeinde
Bettlach zur Erinnerung an den heutigen Tag schenkt, in Euerem Schulhause auf
und sagt Eueren Knaben : 'Seht, wir bilden nur ein kleines Dorf, und Wenige haben
von uns gewusst; dennoch ist aus unserer Mitte der Mann hervorgegangen, dessen
Bildniss ihr hier seht, ein Mann, der durch seine Verdienste um die Wissenschaft
und seinen trefflichen Character weithin sich einen Namen gemacht hat. Er sei
MSCELLEN. 257
Euer Vorbild; wenn ihr aach« nicht Gelehrte werdet, brsire^ tüchtige MeDscben
sollet ihr Alle werden wie Er es war«'
Dir aber^ verklärter Freund, wenn Da vernehmen kannst, wie heute Deine
alte Heimat und das Vaterland Deiner Wahl wetteifern Dein Andenken zu ehreii>
Dir darf ich mit dem Dichter zurufen :
Wer den Besten seiner Zeit genug
Gethan, der bat gelebt für alle Zeiten 1*^
Nach dieser von der zahlreich versammelten Menge mit lautloser, fast an-
dächtiger Stille aufgenommenen Bede folgte wieder ein Chorlied: 'Wir fühlen uns
zu jedem Thun entflammet/ Hieran schloß sich eine Ansprach^ des Unterzeich-
neten, worin er Dank und Anerkennung der österr. Regierung für die Beehrung
des Mannes auss^Hrach, den auch Osterreich den Beinen nennen dürfe, diejenigen
pries, welche den Werth eines solchen Mannes so zu würdigen verstünden und
Pfeiffem in kurzen Strichen zu schildern versuchte, wie er war als Lehrer und
Mensch, dessen hervorstechendste Züge Herzensgüte, Natursinn und unerschrocke-
ner Freimuth bildeten« Dadurch habe er sich immer als ächten Schweizer bewiesen«
Schließlich legte er unter der Versicherung, daß man in Österreich an der erhe-
benden Feier gerührten Antheil nehme und Pfeiffers Name ewig grünen würde-,
einen Lorbeerkranz auf den Stein«
Nun folgte eine Production der Liebhabermusik von Grenchen und darauf
eine mit großem Beifalle aufgenommene Kede des Dr. Franz Joseph Schild, pract.
Arztes in Grenchen, im Schweizerdeutsch :
„Mjni liebe BetÜecher,
myni Fründ und Noehbure l
'Du, Bethlehem, bist nicht die geringste unter den Städten Judäas !' so stoifs
g^schribe. Und du, Bettleeh, bisch au nit die g'ringschti Ortschaft im Schwyzer-
ländli, au nit i-n-üsem Kanton und nit emol im Läberbärg*). Me-n-übergit dir
hüt, festb'ger Wys, e Gidenkstei, da eine vo dyne Bürgere-n-ehrt, däm sj Name
wyt ußer üse Gränze hochgeachtet und g'ehrt wird; da Name heißt: 'Franz Pfeiffer'«
Was über- e -Pfeiffer z'säge -n-isch, het sy Fründ, der Herr Rector Schlatter vo
Solothum, und sy Schüeler, der Herr Pzofässer Schmidt as Abg'ardnete vo der
östrichische Regierig, scho g'seit» Ig erlaube mer numme no-xi-es paar Wort
i fründnoehburligem Sinn a- n- ech z'riehte.
Bettleeh und Grenche sy vo jeher guet Fründ gsy, sie heiV gäng^ guet mit
enangere chönne, 'aß es besser nüt nützt« Isch z'Grenche-n-äne-n-es Festli g'sy,
syt dir zue-n-üs übere cho und heit mitg'macht; isch by-n-euch öppis los g'sy,
sy mer uff Bettleeh cho, wie's Fründ solle mache. I mueß ech säge, am Afang,
wo's g'heiße het, dir wellet 'em Pfeiffer es Dänkmol stelle, hei mer ech schier welle
benyde; aber nei, het's do g'heiße, Bettleeh isch keis Steifching, üsem Fründ
isch au einisch öppis z'gönne, er soll au einiseh öppis ha. 'Aß mer üsi Freud d'ra
hei, chasch a dem g'seh, wil mer hüt so zahlrych ufg'rückt sy, au sy no angeri
Nochbure do und hei ihri Freud d'ra ; Selzech isch do, Solothum isch do, d'Re-
gierig isch do und sogar e«n- Abordnig vo Wien us isch 'em hütige Tag z'lieb acho
und macht mit
Bettleeh! Wie g'sehseh, fyrisch hüt e-n-Ebretag, vo dem dyniChinder und
Chinds-Chinder na rede werde! Schueljuged vo Bettleeh!. Me het dir da Gidenkstei
*) So heißt der Bezirk, in welchem die Dörfer Bettlach und Grenchen Hegen»
&EKMA.NIA« N«a« Reih* lU. (ZV.) Jabr^. 17
258 MISCELLEN'.
absichtlig Tor's SchuelboB gestellt , 'sl& du-n-es Bjspiel d'ra nä ehasch , wie-n-es
möglig isch, *aß es Eine mit Talent, Fljß und Usdar vom Acher- oder Herbstweid-
bueb dohi bringe cba, wo'« der Pfeiffer broeht het. Dermit will ig aber nit säge,
-n-'aß me-n-ns jedem Bettlecher e ^Pfeiffer' mache «511, 'aß es aber e jede mit Flyß
und Usdor dohi zubringe suechi, wie-n-em's 's Talent erlaubt und wie's em müg-
lig isch.
Bürger vo Bettlech! Mit obe so tu Fljß, Entschlosseheit und Usdur as
es der Pfeiffer dohi broeht het, was er worde-n-iseh, mit ebe so vi^l Entschlosse-
heit und Chraffcansträngig heit dir da mächtig Granit yor*s Schuelhus g*fuert, um
dermit Eue groß Bürger z^ehre. Dir syt werth, der Pfeiffer zum Mitbürger z'ha.
Bettlech! Du fyrisch hüt e-n>Ehretag! Wen süseh e Grencher im-e-Johr
demo, wo d'r Wy g'rothet, uff Solothum ne chunnt, und me frogt e: *Wohär
chunnscli?' do setzt er nj H»et uff d'Syte-n-und seit: *Vo Grenche-n-obe-n-abe,
hy Gott!* Chunnt er aber im-e Fehljohr, so redt er ganz angersch. Du, Bettlecher,
aber darfisch i*me Grotbjohr oder Tme Fehljohr, i-n-eim vo de siebe feiße, oder
«im vo de aiebQ magere Johre d*r Huet uff d'Syte setze, und frogt me di : ^Wohär
chvnnsch?' «o darfsck du mit Fueg und Rächt au säge : ^Vo BetÜech obe-n-abe,
bj Gott! TO dort här, mo d*r Pfeiffer deheime-n-isch!*
Bettlech! Du fyrisch hCt e-n- Ehretag, wo di ehre-n- und empfähle wird,
and «o wyt der Name 'Pfeiffer reicht, «o wyt wirseh du g*aehtet sy und anerkannt.
— Ig ersueche d*Militibrmusig ro Grenche, de BetUechere zur Gratulation für ihre
hiitig TsLg Eis a-z stimme.''
Nachdem noch die Militärmusik des Bat. 44 der Aufforderung des Redners
nachgekommen, schloß die Feierlichkeit, welche, wie nicht mit Unrecht von den
Bednem henrorgehoben wurde, «tets einen ehrenvollen Punet in der Geschichte
des Dorfes büldea wird und durch den regen Antheil aller Anwesenden den erhe-
bendsten Eindruck machte. Nicht wenig trug zur Erhöhung der Festlichkeit bei
das von Fraa Prof* Pfeiffer gespendete Lkhtbild ihres Gatten, das auf einer be-
kränzten Terrasse hinter dem Denksteine aufgehängt, von den B&rgem Bettiachs,
deren Wenigste den Verewigten gekannt, in Menge umdrängt wurde.
Das Fest endete naeh Schweizersitte mit einem Gelage im Freien, das durch
mancherlei Gesang der Studiosen aus Solothum und zahlreiche Trinksprüche belebt
und erheitert wurde. Wie in seinem ersten Theile ernst und würdig , verlief das
Fest heiter iznd ohne jeden Missklsuig in diesem zweiten« Auf dem Festplatze
prangte der von Dr. Schild angegebene acht volksmäßige Spruch:
'Was aus dem Bauer werden kann.
Wenn er poliert und fein geschliffen,
Hat um der Pfeiffer vorgepfiffen:
Ob klein der Ort, doch groß der Mann.*
Die Reihe der Toaste eröffnete der um die Besorgung und Anortoing des
ganzen Festes viel verdiente Präsident des Festaussohusses J. Stellimit einem Preis
des Vaterlands. Ihm folgte der Gerichtspräsident Urs Vigier, der anknüpfend an
obige Xnsehrilt die Volksbildung erhob. Daran schloßen sich Seminardirector
Domherr F* Flala, Professor J. Affolter, Pfarrer Walser, Student Vögtli und Be-
zirksschullehrer F^enmutsch. Ein vom Berichterstatter anknüpfend an den be-
kannten Scherz Maßmanns üb^ Pfeiffer als Solo-Turner auf die Solothumer aus-
gebrachter T^i^ksp^^ph wurde durch Adv. J. Amiet ungefähr auf folgende Weise
erwiedertf
MISCELLEN. 259
^Die Abordnung eines Repräsentanten deutscher VVissensehaft von Seite der
hohen Regierung ron Oaterreich au das Fest, das die kleine Ortschaft Bettlach
ihrem um die Wissenschaft hochrerdienten Mitbürger Pfeiffer gibt^ ist ein Beweis
des großen Antheils, welchen das Ausland an dieser Feier nimmt.- Die Wissenschaft
kennt keine Orts-, keine Landesgrenzen. Der Mann der Wissenschaft ist überall
Bürger, wirke er in seinem engeren Yaterlande, in dem Lande wo er geboren,
oder in weit entfernten Landen. Das Bürgerrecht der Wissenschaft ist universell.
Wie der Schweizer Pfeiffer in Deutschland und Österreich durch seine Wissenschaft
wirkte, so verdankt die Schweiz unendlich Vieles so manchen Männern, die auf
deutschem Boden geboren zu uns hergekommen und hier bei uns ihre zweite Hei-
mat fanden. Ich erinnere an den Deutschen Zschokke, der eine Geschichte der
Schweiz gesehrieben, an Folien , Wackemagel, Schnell, Vogt und die vielen An-
deren auf jedem Gebiete des Wissens, die in der Schweiz einst gewirkt oder gegen-
wärtig noch da wirken.
Im J. 1834 saß ich mit Pfeiffer auf der gleichen Schulbank in Solothurn.
Damais empfieng Pf. die erste Anregung zu seinen germanistischen Stadien in
dem Curse, den Prof. Weishaupt über gothische und altdeutsche Sprache gab.
Wir lasen auch in den Fabeln des Bonerius, der an einer Stelle u. a. auch vo^
der thörichten Schulweisheit «pricht im Gegensatz zur eigentlichen Wissenschaft«
Pfeiffer war keiner der Vielen, die da fortgegangen, um sich Bildung zu erwerben;
ohne diese zum Nutzen Anderer zu verwerthen ; keiner Derjenigen, die Bonerius
lächerlich macht, wenn er spricht:
Wer von natür ist unbesint,
und minr hat witzen denn ein rint,
den mag diu schuole ze Parts •
an sinnen niemer machen wts.
Ist er ein esel und ein gouch,
daz selb ist er ze Parts ouch.
Waz hilft, daz einr ze schuole vert,
und grdz guot äne nutz verzert?
er hoert vil hoher meister lesen,
ein tdr muoz er doch iemer wesen.
Ein solcher Thor war Pfeiffer nicht, sondern er hat sein Wissen segensvoll ver-
werthet zum Nutzen des großen weiten Vaterlandes, das alle Männer der
Wissenschaft als Bürger aufnimmt und keine Landesmarken kennt in Sachen der
Bildung, Wissenschaft und Kunst.
Dem Repräsentanten der österr. Regierung und der deutschen Wissenschaft,
der auch bei uns heute Bürger geworden, all den Männern deutscher Wissenschaft,
die in unserem engeren schweizerischen Vaterlande ihr Wissen verwerthet und
segensreich gewirkt, mein dreifaches Hoch!"
Um 6 Uhr Abends war das Fest, ein Volksfest im schönsten Sinne und ganz
in des Gefeierten Greiste gehalten, vorbei; es bildete einen lebendigen Beleg zu
den Worten, welche der an letzter Stelle genannte Redner, Jacob Amiet, an einer
Stelle seiner Werke geschrieben: „Was der Sohn der Schweiz außer seinem Vater-
lande Großes vollbringt, das Vaterland hat ein Anrecht darauf."
Ich habe schließlich noch mitzutheilen ein Dankschreiben der Solothumer
Regierung und meinen eigenen Dank und die Versicherung steter freundlicher Er-
innerung auszusprechen Hm. Fürsprech J. Ainiet, Hm» Rector Schlatter und Hm.
17*
260 MISCELLEX.
Dr. Schild für die bereitwillige Mittbeilang der Niederschriften ihrer gehaltenen
Beden, wie nicht minder den Grenannten und den Herren : Staatsschreiber J. J.
Amiet, Director Fiala, Prof. Zetter — sämmtlich alten Freunden Pfeiffers — für
die angenehmen und genußreichen Stunden, die ich in ihrer Gesellschaft verlebte.
Da» erwähnte Schreiben lautet also :
^»Solothum den 29. Mai 1870.
Der Begienmgsrath des Cantons Solothum an Herrn Professor Schnndt aus Feld-
kirch, d. Z. in Solothum.
Hochgeachteter Herr!
Im Auftrage und im Namen der k. k. österr. Regierung haben Sie heute
dem Volksfeste beigewohnt, das bei Errichtung eines Gedenksteines zu Ehren des
den 29. Mai 1868 als Professor und als Mitglied der Academie der Wissenschaften
in Wien verstorbenen Mitbürgers Dr. Franz Pfeiffer in Bettlach, dem gewesenen
Heimatsorte desselben, veranstaltet wurde.
Als oberste administrative Behörde des Cantons, dem der Gelehrte. von Ge-
burt angehörte, fühlen wir uns verpflichtet, sowohl Ihnen, als auch zu Händen der
hohen Behörde, welche die anerkennenswerthe Aufmerksamkeit hatte, Sie zu dem
Feste aus so weiter Feme abzuordnen, unseren aufrichtigen Dank abzustatten.
Wir danken Ihnen zu Händen Ihrer zuständigen Behörden sowohl für die
hohe Anerkennung, die Sie den Verdiensten unseres gelehrten Mitbürgers im Leben
zollten, als auch für die Erinnerung, die Sie ihm noch nach dem Tode bewahrten
und in so ehrender Weise äußerten.
Empfangen Sie, verehrtester Herr Professor, die Versicherung unserer voll-
kommensten Hochachtung.
Der Landammann:
(gez.) A. Jecker.
Der Staatsschreiber:
(gez,) Amiet."
FELDKIRCH IN VORARLBERG. JOHANN SCHMIDT.
NACHTRÄGLICHE BEMERKüNa
au S. 160, Z. 13 if. v. u. Nach meiner Ansicht versteckt sich hinter diesen
Worten eine Prahlerei des Dichters, der sich rühmt, durch seine Schöpfungen die
Namen früher gefeierter Dichter verblassön z^ nrachen. Das Wortspiel ist aller-
dings weniger als mittelmäßig, allein die Stellung der geistlichen Dichtung der
weltlichen, höfischen gegenüber scheint mir die vorstehende Deutung sehr nahe
SU legen. STROBL.
STRASSENNAMEN VON GEWERBEN.
VOM
K FÖRSTEMANN.
(Zweite Sammlung. Vgl. Jahrgang XIV, 1— *26.)
Je mehr die einzelnen Zweige der Wissenschaft sieh bis ins Ün^
übersehliche ausdehnen, desto mehr ist ein gewisser Organismus nöthig*
Der neue Stoff muss zu rechter Zeit und am rechten Orte mitgetheilt
werden; versprengte Miscellen sind möglichst zu meiden, das Sammeln
muss gleich beim ersten Wurfe nach Möglichkeit ausgedehnt werden»
Was hätte es viel geholfen, wenn zu meinem ersten Aufsatze übel*
gewerbliche Straßennamen etwa ein Dutzend Männer in verschiedenen
Zeitschriften oder Tagesblättem je ein Häuflein von Nachträgen nieder*
gelegt hätte?
Indem ich solches erwog, beschloß ich, die fernere Sammlung
auch nach dem Erscheinen jener Abhandlung, so weit es gieng, noch
in der Hand zu behalten und habe deshalb sowohl in dem Aufsatze
selbst als auch bei anderer Gelegenheit herzlich gebeten, die Nachträge
nicht zerstreut zu veröffentlichen, sondern mir einzusenden. Der Erfolg
hat, wie das Folgende zeigt, die Erwartung weit übertrofföü. Zunächst
hat mir eine Anzahl von Männern aus den verschiedensten Gegenden
des Vaterlandes handschriftliche, zum' Theil sehr reichhaltige Beiträge
eingeschickt ; ich nenne deren Namen hier mit innigem Dankgeftihl, imd
zwar in der Reihenfolge, wie ihre ersten Zusendungen (denn mehrere haben
deren zwei, ja drei geliefert) in meine Hände kamen: Prof. Bartsch in Ro-
stock, Dr, Euler in Frankfurt sS. M. , Oberlehrer Frahnert in Halle,
Dr. Dzialas in Breslau, Oberstlieutenant Gauby in Weimar, Prediger
Bertheau in Hamburg, Prof. Weigand in Gießen, Lehrer Wurth in
Münchendorf bei Laxenburg nächst Wien (f 8, Juli 1870), Gymnasial-
director Krause in Rostock, Prof Dr. Ilwof in Grätz, Primaner Spengel
in Hamburg, Gymnasialdirector Borrmann in Stralsund, Realschullehrer
Dr. Bülau in Bern, Bürgermeister Francke in Stralsund. Dazwischen
fiel die Zusendung einer Sammlung von Sammlungen; Prof. Dr. Reuß
in Straßburg hatte nämlich nicht allein seine Notizen über diese Stadt
GERMANIA. Nene Reihe III. (XV.) Jnhrg. 18
262 E. FÖKSTEMANN
zusammengestellt, sondern auch Beiträge aus dem ganzen Elsaß ver-
einigt mir zugeschickt, und zwar von Pfarrer Hirt in Hagenau, Pfarrer
Zwilling in Schlettstadt^ Pfarrer Schnell in Buchsweiler, Prof. Oleyer
in Weißenburg, Oberconsistorialrath Reuß in Zabem^ Prof. Stoeber in
Mühlhausen, Pfarrer Dr. Schäflfer in Colmar (ich bitte um Verzeihung,
wenn bei einem der Herren der Titel unrichtig angegeben sein sollte).
Dieser überaus dankenswerthen Sendung hatte der genannte Dr. Schäflfer
eine nur in 50 Exemplaren gedruckte Schrift (Les enseignes de Colmar
au moyen-äge, Colmar 1858. 8.) beigefügt, die höchst werthvoUe No-
tizen Tind darunter auch einiges in unser Fach Einschlagendes enthält
und unten mehrmals citiert ist. Dr. Fr. Latendorf in Schwerin schickte
mir die Mecklenburgische Zeitung von 1869 Nr. 187, worin er die ge-
werblichen Straßennamen aus Mecklenburg in Folge der Anregung durch
meinen Aufsatz in großer Reichhaltigkeit vereinigt hatte.
Alle diese Zusendungen nach einander einzeln abgedruckt, würden
eine große Anzahl von Blättern fiillen. Hier kürzen sie sich aus meh-
reren Gründen merklich ab. Denn erstens war öfters dieselbe Notiz in
zweien oder dreien jener Mittheilungen enthalten, zweitens habe ich
einiges wegen undeutlicher Handschrift übergehen müssen, drittens
aber hatten meistens die Zusender den Gegenstand etwas weiter be-
gränzt als ich; namentlich zwei naheliegende Classen, die Straßen-
namen von Gebäuden und die von Producten, liegen außerhalb meines
Kreises; ich sammle beispielsweise nur für die Müllergassen, weder
für die Mühl- noch für die Mehlgassen und erwähne höchstens gelegent-
lich eine Form der letzten beiden Arten*).
Zu alle dem, was mir von den Genannten zur Verfiigung gestellt
wurde, kommt nun noch manches, was ich selbst nachträglich gesam-
melt habe. Unter den hiezu benutzten Quellen befindet sich eine, wegen
deren Benutzung ich mich entschuldigen muss. Ich meine PhiHpp von
Zesen Beschreibung der Stadt Amsterdam, Amst. 1664. 4. In diesem
Buche findet sich zerstreut eine Anzahl von Straßennamen jener Stadt,
aber theils in niederländischer, theilfe in hochdeutscher, theils in einer
zwischen beiden Sprachen mitten inne stehenden Form. Wenn ich so
mangelhaftes Material dennoch benutzt habe (obwohl ich sonst für die
Niederlande nichts beibringe), so möge man darin nichts als eine freund-
liche Herausforderung an unsere niederländischen Brüder sehen, gleich-
*) Ein nagelneu erfundener Straßenname in Wien ist Anilingasse in einem
Bezirke, der stark von Färbern bewohnt wird. Ähnlich daselbst die Seidengasse.
Man sieht hieraus das Bestreben, die alte Gewohnheit der Straßenbezeichnung nach
Gewerben wieder auf den Plan zu bringen, nur freilich in modemer Abschwächung.
8TRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 263
falls Hand anzulegen an eine Sammlung der Art; vielleicht ist mein
Freund de Vries in Leiden in der Lage, solche Arbeit zu unternehmen
oder zu veranlassen.
^ Die ganze so entstandene Sammlung bringe ich wieder wie das
erste Mal in alphabetischer Ordnung. Wo eine Bezeichnung eines Ge-
werbes schon in meinem früheren Aufsatze vorkommt, habe ich dies
durch ein vorgesetztes Sternchen bemerkt; wo also dies Zeichen fehlt,
kommt das betreffende Wort neu zur alten Sammlung hinzu.
Aalstechergasse Rostock. Aalstecher fehlt bei Grimm. Das
Aalstechen geschieht mit einem Dreizack, zwischen dessen Eisen der
Aal sich klemmt, besonders im Winter durch Löcher, die ins Eis ge-
hauen sind. Eine zu Stade im 14. Jahrhundert begegnende Stekerstrate
soll gleichfalls den Namen davon haben.
Ackerbürgerstraße Böbel (Mecklenburg), wahrscheinlich neu.
*Aldböterstraße Wismar. Die Altböttcherstraße in Stralsund
ist aus diesem Worte verdreht, sie heißt urkundlich Oldbuterstrate,
platea antiquorum sutorum. Vgl. unten Oltmakenigenstrate.
Altschmiedestraße Rostock; sie scheint nicht von einem be-
sondem Gewerbe der Altschmiede herzukommen, sondern nur die
Schmiedestraße der Altstadt (urkundlich platea fabrorum major) zu
sein, während die Schmiedestraße der Neustadt die pl. fahr, minor ist
^Amidammacher. Daß die Amiunggasse zu Mühlhausen im
Elsaß hieher gehört, würde niemand ahnen, wenn nicht der französische
Name rue des Amidonniers daneben bestände. Dort ist ein altes Ar-
beiterquartier und in der Nabe liegen Fabriken von Stärkemehl.
Ammengasse Wien (Hormayr Gesch. Wiens 11. Jahrg. 4. Bd.
2. 3. Heft S. 121).
Amtmannsgasse Reichenbach in Sachsen, Wernigerode.
^Apothekergasse Lengenfeld in Sachsen (in welcher der ein-
zige Apotheker der Stadt aber jetzt nicht mehr wohnt) , Marburg in
Steiermark, Merseburg. Apothekerstraße Parchim, Schwerin. Auch
die Apothekenstraße in Lüneburg mag hier erwähnt werden.
„Apothekergasse, genannt die Neue Gasse hinter den Karthäusem"
schon 1485 in Nürnberg ; s. Anzeiger flir Kunde der deutschen Vorzeit
1869, S. 329. Ältere Nachweise für die deutsche Form Apotheker
(aus K. V. Megenberg, Beheim usw.) gewährt Lexers Handwörterbuch
s. V., wo allenfalls noch die Belege aus des Teufels Netz ed. Barack
V. 9926 und in den Lesarten zu V. 10056 nachzutragen wären. In
Frankfurter Urkunden erscheint das Wort besonders häufig seit 1438
und wohl auch schon früher, s. Kriegk D. Bürgerthum im Mittelalter
18*
264 E. FÖRSTEMANN
(1868) S. 560 Note 273 und an vielen anderen Stellen. Lateinisch ist
das Wort aus noch älterer Zeit als in Deutschland eingebürgert nach-
zuweisen; in Hamburger Urkunden begegnet ein Heinricus apotheca-
rius schon a. 1264, während er 1266 heißt Heinricus dictus Crudenere*
Letzteres (auch als Familienname Krüdener) ist das niederländische
kruidenier pharmacopola ; das mhd. Wb. enthält nur kriutelcere her-
barius.
*B äckergang Hamburg, dsgl. Hamm bei Hamburg. Bäcker-
gasse Breslau (früher, jetzt ein Theil der Kupferschmiedstraße), Col-
mar, Mtihlhausen im Elsaß. Bäckerstraße Dömitz (Mecklenburg),
Lüneburg, Parchim, Posen, Rostock (pistorum platea a. 1292; die große
Bäckerstraße in R. verlor 1856 ihren Namen). Eine platea pistorum
a. 1290 in Stade.
Bademutterstraße Wismar. Bademutter ist Hebamme, vgl. bei
Grimm sowohl Bademutter als Bädemuhme.
*Badergasse Zürich, Zittau (a. 1604, Pescheck Handb. der Gesch.
von Zittau' I, 630). Die Badergasse in Breslau hieß früher Aschkorbe-
gässchen, von den Aschkörben, welche die dort wohnenden Seifensieder
hinaussetzten. Badergässchen Breslau (jetzt Röhrgasse)» Bader-
straße Schwerin. Badgässchen Grätz, Badgasse Wien.
*ßadstüberstraße Neubrand enburg (Mecklenburg) , Rostock
(stupenatorum platea) , Stralsund, Greifswald (Gesterding , Beitr. zur
Gesch. Greifsw. S. 301). Die Stralsunder Straße hieß früher Heilgeist-
badstüberstraße , von der Badstube des Heiligengeisthospitals , stupa
sancti Spiritus, welche schon im 13. Jahrhundert dort lag. Zu Rostock
begegnet die platea stupenatorum a. 1324, die mit der später dort vor-
kommenden pl. balneatorum identisch sein muss. Die balneatores sind
wohl die eigentlichen Bader, die stupenatores die Badstubeneigenthümer,
von denen jene mietheten. Von diesen Badstuben haben auch den
Namen z. B. die Stubenstraße in Northeim bei Göttingen, die Staven-
brtigge in Stade , die Stavenpforte in Hamburg an der Alster , das
Stubenviertel und Stubenthor in Wien (Ich stuont hi stuhen hurctor
Seifr. Helbling), welche alle eigentlich nicht hierher gehören.
*Bandschneider. Über diese geht erst jetzt Licht auf: die
hentsnidere gehörten in Hamburg zum Amt der Böttcher; sie verfer-
tigten das Gebinde zu den Tonnen, s. Koppmann Hamburg. Kämmerei-
rechnungen I, S. XXX. In der Magdeburger Zeitung vom 18. Jan. 1870
zeigt ein Böttcher Bände (so) und Bandstöcke als verkäuflich an ;
beide Ausdrücke fehlen bei Grimm. Vgl. auch unser nhd. Fassbinder
{d^n, fadbinder) und Gebinde-Fas».
STRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 265
Barbergasse Amsterdam (Zesen S. 322). Holländisch schreibt
man jetzt wie hochdeutsch hcurhier.
Battinmacherstraße Stralsund; früher Fatinemakerstrate ; in
einer Feuerordnung von 1710 Patenemacherstraße. Sie ist die Fort-
setzung der Bechermacherstraße {also von lat. patina ?). Im Mittelalter
hieß sie Travenemunderstrate nach der Patricierfamilie von Travene-
munde; in einer Urkunde von 1492: patinemakerstrate alias dicta
Travenemunderstrate.
Bauerngasse Colmar. Baurensteg Amsterdam (Zesen S. 310).
Bauernmarkt Wien.
Bechermacherstraße Stralsund.
*Beckmacher. In Hamburg bildeten die Bekemaker seit 1464
ein Amt mit den Bütten- und Eimermachem (Eoppmann a. a. 0.).
Beinsiedergasse Wien.
Besenbinderhof Hamburg (St. Georg).
*Beutler. In Lübeck erscheinen sie urkuudlich als tudelmakere,
in Hamburg a. 1265 als bursariL
Bierbrauergasse Mühlhausen im Elsaß; seit 1798 nie des
brasseurs.
*Bindergasse Grätz, Wien. Die Bindergasse in Frankfurt a* M.
heißt a. 1324 unter den Bindern, a. 1358 Bendirgasze (s. Battonn Be-
schreibung der Stadt Frankfurt a. M., herausgegeben von L. H. Euler.
Frankfurt 1861 ff. 8. Bd. IV, S. 294).
*Bleicher Straße Crivitz (Mecklenburg), Parchim, Rostock (ist
erst neu, in der Vorstadt). Bleicherweg Enge (Cant Zürich), Zürich.
Zu berichtigen ist noch, daß der Bleichergang sich noch jetzt in Ham-
bürg imd zwar außer der Bleicherstraße findet (let2rtere in St. Georg)»
Bleichergasse Wien.
*Böttchergasse (so) Amsterdam (Zesen S. 322; der Böttcher
pflegt holländisch huiper zu heißen). Böttcherstraße Rostock (ur-
kundlich platea bodicariorum oder doliariorum), Stralsund (urkundlich
pL doleatorum, doch ist ihr älterer Name pI. sacerdotum oder cleri-
corum), Wismar (um 1270 pl. dolificum, doliatorum). Auch in Ham-
burg heißen die Böttcher dolifices, doleatores, bodekare, bodekarii.
Dagegen ist die Böttchergasse in Weimar eine ganz neue Benennung
und gehört zum Familiennamen Böttcher.
*Brauergasse Wien. Brauersgraft Amsterdam (Zesen S. 222).
*Brauerknecht. Der Brauerknechtgraben in Hamburg
•xistiert noch jetzt.
266 E- FÖRSTEMANN
Breitschmiedstraße Stralsund, urkundlich pl. fabrorum. Ich
kann ein besonderes Gewerbe der Breitschmiede (den Kleinschmieden
entgegengesetzt?)* bis jetzt weder aus sprachlichen noch aus technolo-
gischen Quellen nachweisen.
Buchbinderstraße Neu-Buckow (Mecklenburg), Rostock. Buch-
binder scheint im Mhd. noch nicht nachgewiesen zu sein.
Burmeisterstraße Lüneburg, nach demBur- oder Bauermeister,
einem städtischen Diener.
*Btittelstraße Ribnitz (Mecklenburg), Wismar, Hamburg
(a. 1268 ; die zwei Büttelhäuser darin heißen donaus praeconis, bödels-
hus, kaakhus). Bedelersbrücke Stade (daran lag die Straße „by der
bödelie", früher St. Odilienstraße, jetzt Rosenstraße). Nach den Bütteln
hatte auch die Blücherstraße in Rostock (wo Bl. geboren ist) ursprüng-
lich ihren Namen; urkundlich heißt sie „by der rakeryo**, später miss-
verstanden Altbedelmönchsstrate.
*Caffamacher. Die Caffamacherreihe in Hamburg ist noch
jetzt vorhanden.
*Diener. Eine kühne Bildung Reitende -Dienerstraße be-
gegnet in Lüneburg. Den Dienern sind überall die Herren entgegen-
gesetzt, worunter man nach alter Sprechweise die Senatoren oder Raths-
herren versteht; daher z. B. der Herrengraben in Hamburg. Der oben
genannten Lüneburger Straße entspricht begrifflich genau die Ro-
stockische Bezeichnung „hinter dem Herrenstall **.
Drahtschmiedgasse Nürnberg, sie verschwindet gegen Ende
de» 16. Jahrhunderts. Drahtschmid fehlt sowohl bei Ghrimm als im
mhd. Wb.
*Dreher^ Drechsler« Die Drehergasse in Frankfurt a. M.
heißt schon a. 1321 inter tomatores, a. 1353, 1388, 1409 xmter den
Dresselem, a. 1417 Dresselergasse (Battonn IV, 213). Drechsler-
gasse Colmar.
*Eimermacher. In Hamburg bilden sie seit 1464 ein Amt zu-
sammen mit den Bekemakem. In Osterode am Harz haben die Eimer-
macher ein schwunghaftes Gewerbe , besonders auf der sogenannten
Freiheit.
Eseltreibergasse Weißenburg im Elsaß, ,jetzt auf Begehren
der Bewohner in me du muletier verwandelt".
*FärbergasseGrätz, Marburg (Steiermark). Färbergässchen
Merseburg. Verberstrazze Wien a. 1314 (Hormayr Gesch. Wiens
I. Urk. LH.) Färbergassel das. (a. 1770). Färbersgraft Amster-
dam (Zesen S. 306). Färberstraßo Gadebusch (Mecklenburg)»
STRASSENNAMEN' VON GEWERBEN. 267
Fassziehergasse Wien.
Fechtergasse Wien.
*Filterstraße Schwerin (früher, jetzt Königsstraße), Stralsund
(urkundlich platea pileatorum). Die Filterstraße in Hamburg, welche
seit 1842 nicht mehr existiert, ist schon a. 1269 bekannt; sie wird
auch Hutwalkerstraße genannt. Vilzerstrazz Wien a. 1272 (Hor-
mayr Gesch. Wiens I. Urk. S. XCI).
*Fischerbruch Rostock. Fischerbrunnen, früher in Frank-
furt a. M. (a. 1350 puteus piscatorum. Battonn IH, 31). Fischergang
Stralsund. Fi seh er gas se Amsterdam (Zesen S. 225), Colmar (kommt
schon a. 1479 vor , Les enseignes de Colmar S. 20) , Frankfurt a. M.
(Battonn I, 47 usw.), Merseburg, Nürnberg, Solothum (a. 1666), Wien.
Fischergässchen SchaflThausen, Straßburg. Fischerpforte, früher
in Frankfiirt a, M. (a. 1350 porta "piscatorum. Battonn I, 193). Fi-
scherreiho Wismar. Fischerstaden Colmar (auch schon a. 1384,
Les enseignes de Colmar S. 19), Hagenau im Elsaß, Straßburg. Fi-
scherstadt Eisenach. Fischerstiege Wien. Fischerstraße Cri-
vitz, Dömitz, Grabow (alle drei in Mecklenburg), Hamburg, Kiel, Rib-
nitz (Mecklenburg) , Rostock (pl. piscatorum a. 1324) , Schwerin (bis
a. 1778, seitdem Münzstraße), Stemberg (Mecklenburg), Stralsund, Neu-
strelitz (jetzt Georgsstraße). Fischerthor Rostock. Fischerweg
Basel. Dafür öfter als erster Theil bloß Fisch-, z. B. Fischbank
Rostock, Fischplatz Grätz , Fischstrate, Fischstraße, Fisch-
straßenthor Greifswald. Eine tmpasse des pechemrs zu Schlettstadt
im Elsaß. Der Ausdruck Fischmenger (engl, fishmonger), der z. B. in
Lüneburg gebräuchlich war, scheint sich in keinem Straßennamen mehr
zu finden. Die in Rostock noch jetzt getrennten Bruchfischer und
Straßenfischer bezeichnen nicht verschiedene Classen des Gewerbes,
sondern die aus dem Fischerbruch und die aus der Fischerstraße.
Flecksiedergasse Wien (Horm. H. Jahrg. 4, 132). Synonym
mit Kuttlergasse, s. d.
•Fleischergasse Dresden, Marburg in Steiermark. Fleischer-
thor, Fleischer vor Stadt Greifswald. In Frankfurt a. M. a. 1316
inter macella vetera (Böhmer Cod. dipl. moenofrancof. I, 429.) In Wien
ssec. Xin. XIV inter maceUas (Hormayr V. 2. 3. Heft Urk. S. CII).
*Fleischhauerdhörke Greifswald a. 1491. Fleischhauer-
straße Lübeck. Fleischhauergasse Wien.
Flössergasse Marburg in Steiermark.
Fütterergasse Wien, vgl. Schmeller I, 578.
268 E. FÖRSTEMANN
Garb räters traße Rostock (urkundlich pL popinariorum). In
Hamburg a. 1308 pl. assatorum oder Garbraderstraße. Auch das
Bremisch-niedersächsische Wörterbuch kennt garhrader als einen ham-
burgischen Ausdruck fiir das gewöhnlichere Garkoch,
*Gärtnergasse Mühlhausen im Elsaß, einst von Gärtnern be-
wohnt. Gärtnerstraße Rostock (früher Kohlgärtnerstraße), desgleichen
in, dem Dorfe Eppendorf und auf der Uhlenhorst (beides bei Hamburg).
Der Gartnersmarkt in Straßburg (jetzt place GvUenherg) hieher
oder zu einem Familiennamen?
Geigergasse Zürich. Schön mhd. gigcere.
*Gerberbruch Rostock. Gerbergasse Basel, Colmar (noch
jetzt , aber auch schon a. 1422 , s. Les enseignes de Colmar. S. 20),
St, Gallen (früher, später Neugasse), Mühlhausen im Elsaß (hieß früher
mit Recht so, da ein Arm der 111 hindurchfloß), Reichenbach in Sach-
sen. Gerwergasse früher in Zürich, jetzt Badergasse. Gerbergäss-
chen Basel. Gerbergraben Hagenau im Elsaß, Straßburg. Der
GerberHofa. 1373 in Colmar (Les enseignes de Colmar S. 11). Ger-
berngasse, Gerberngraben, Gerbernlaube Bern. Gerber-
Straße Posen, Treuen in Sachsen.
Gießergasse Wien.
Gläsergässchen früher in Frankftirt a. M.; a. 1350 vicus ar*
tus. (arctus) vitrorum (Battonn m 104). Davon zu unterscheiden Gl e-
S.ergasse a. 1412, ssec. XV und XVI auch unter den Glesern
genannt, jetzt Saalgasse (Battonn IH, 59, 61). Glaser führt schon das
mhd. Wb. auf.
*Glocknergasse Colmar a. 1388, 1419, 1489 (Les enseignes de
Colmar S. 28). Glockengießerstraße Lübeck. Glockengießer-
wall Hamburg, ein seltenes Beispiel von einer ganz neuen Namen-
gebung der Art ; sie erfolgte erst 1842 (nach der Bieberschen Glocken-
gießerei).
♦Goldschmidgasse Straßburg, noch jetzt mit Recht so be-
nannt ; früher in Frankfurt a. M. (Battonn IH, 122) , früher in Nürn-
berg. Li Eisenach sagt man Goldschmiedengasse.
*Gräbschnergasse. Diese in meiner ersten Sammlung aufge-
führte Straßenbezeichnung ist zu streichen; sie ist genommen von dem
Dorfe Gräbschen bei Breslau; mir ist damit also dasselbe Unglück
passiert wie früher mit der Laufergasse in Nürnberg.
*Grapengießer Straße Anclam, Lüneburg, Rostock (a. 1285
Gropengheterestrate). In Hamburger Urkunden begegnen gleichfalls
QUarum fusores.
STRA.SSENNAMEN VON GEWERBEN. 269
' *Gröpertwiete frühei* in Hamburg, jetzt Springeltwiete. Da sie
seit a. 1325 als twita figulorum begegnet , so erledigt sich damit eine
Ungewissheit in Bezug auf die Bedeutung (s. meine erste Sammlung).
Eine sonst mir nicht vorgekommene Erweiterung des Wortes durch
ein Suf5fix findet sich in Gräplerstraße Güstrow (welcher Name sich
gleichfalls auf Töpfer bezieht). Die urkundlichen Bezeichnungen flir
Töpfer sind in Hamburg groper, ptitger, figuli.
*örützmachergang Hamburg (St. Georg). Grtitznerstraße
Glogau. Grützmacherstraße Wismar. Eine von den Grützmachern
(avenatici) hergeleitete Straße in Hamburg heißt auch Gruttetwiete
jetzt Görttwiete, früher auch holtene twiete.
Haltergasse (s. v» a. Hirtengasse) Wien (Horm. H. Jahrg. 3,
Urk. &. CCLXI).
*Höckergässchen Reichenbach in Sachsen. Hökerstraße
Stade (ssßc. XrV platea penesticorum). Dazu gehört auch die Haken-
straße a. 1271 in Hamburg, identisch mit der Garbraderstraße (wahr-
scheinlich ein Theil davon), femer die Hakstraße in Stralsund^ schon
im ältesten Stadtbuche hokestrate, platea penesticorum.
*Hafnergasse Qrätz, Marburg in Steiermark. Hafnerriegl
(d. h. Hafherhügel) Grätz. Hafnersteig Wien. Unter den Hafnern
das. a. 1340 (Zappert Über das Badewesen mittelalt. und späterer Zeit
S. 35) und bei den Hafnern (platöa, quae dicitur vicus figulorum)
in Regensburg (Gemeiner ad a. 1181).
Helmsleghere hus, juxta domum galeatorum in platea fabro-
rum, contra domum helmsleghere a. 1344 u. 1352 in Hamburg. Vgl.
die Platenaleghere zu Lübeck (erste Sammlxmg).
*Hänfergässchen Straßburg.
*Hirtengasse Ghrätz, Merseburg. Hirtenstraße im Dorfe
Hamm bei Hamburg.
Holz sägersteg Amsterdam (Zesen S. 306) ; hell, hmdzager. .
In Danzig sagt man Bretschneider.
Unter den Holzschuern Frankfurt a. M. a. 1417, dafiir un-
der den Schuchkremen a. 1438, Holtzergasse a. 1536 (Battonn
IV, 277).
Unter den Holzern Wien (Schlager, alterthüml. Überliefe-
rungen usw. S. 13).
Hufschmiedgasse früher in Frankfurt a. M. Man würde aber
in der Deutung fehlgehen, wenn man nicht wüsste, daß die Straße
a. 1368 untern Hubensmeden genannt wird. Sie ist also von den
Verfertigem der Stahlhauben (vgl. mhd. bickelkOhe, tsenhuot , stahel-
270 E. FÖRSTEMANN
huoi) benannt; später hieß sie aucli Schmiedgasse. Auf das wirkliche
Hufschmied mag gehen die impasse des mc^eehatix zu Schlettstadt
im Elsaß.
Jlundemetzelerhof a, 1421 in Frankfurt a. M. (Battonn U,
l&l). Was soll man von diesem sonderbaren Gewerbe, wenn es wirk-
lich eins gewesen ist, denken?
Hueterstraß Wien, ssec. XTTL XIV. (Hormayr V. 2. 3. Heft.
Urk. S. CII).
*Hutfilter. In Bremen gilt nicht die hochdeutsche, sondern die
niederd. Form Hutfilterstraße, eben so in Rostock.
Hutwalker Straße = Filterstraße in Hamburg, existiert seit
1842 nicht mehr.
„Huydevettersgraft das ist Gerbersgraft" Amsterdam (Zeseu
S. 206). Hell kuidvetter Gerber.
*Irrer. Die frühere Irrerstraße in Nttmberg lag ganz wo anders
als die jetzige. Aber die Irervorstadt in St. Gallen hieß so vom Ira-
bach, gehört also nicht hieher. Hinter den Irhern Wien a. 1477
(Schlagers Wiener Skizzen I, 176).
Jägerstraße Berlin, Potsdam, Schwerin und gewiss an vielen
andern Orten, Jägerzeil Wien. Die Jäger schlagen meistens (doch
nicht immer) ins militärische Fach ein und ich hatte deshalb fiir sie
nicht gesammelt.
*Kannengießer. Die Kannengießergasse in Frankfurt a.M.
hieß ssec. XV vicus Cantrifusorum (Battonn IV, 214) oder unter den
Kangießem (ebds. IV, 228) , ssec. XVII platea fiisorum poculariorum
(ebds. IV, 228). Der noch jetzt vorhandene Kann^ngießerortin Ham-
burg ist schon a. 1582 nachzuweisen.
Kaufleuten- (oder Kirch-) gässlein Bern.
Kellnergasse Halle; kelncere schon im mhd. Wb.; cellenarius
schon ssec. IX.
Kesslergasse Bern. Kessler ist = Kaltschmid, Kupferschmid;
vgl. (ärimm Wb.
Kibbenibberstraße Rostock (früher Scharfrichterstraße). Kie-
benhieberstraße Stralsund (urkundlich Kibbenibberstrate , Kybe-
nibberstrate). Das dunkle Wort habe ich sonst nirgend angefahrt oder
gedeutet gefunden ; der Rostocker Tradition nach soll wirklich der Sinn
von Scharfrichter darin liegen. Dort hat früher auch eine Familie Ky-
bcnibbe gewohnt, eben so kommt der Familienname Kibbenibbe in den
Hamburger Kämmereirechnungen vor; in Stralsund ist eine solche Fa-
milie bisher urkundlich nicht nachgewiesen.
STRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 271
Kistenmacherstraße Rostock, wahrscheinlich die urkundliche
platea capsariorum Unter den Kistnern a. 1395 in Frankfurt a. M.
(Battonn II, 179). Kistenmakere, cistifices, bilden Amter in Hamburg und
Lübeck und kommen auch in Stade vor.
Klefekerstraße in Hamburg, wie zu verstehen? Ob unmit-
telbar zu dem Familiennamen Klefeker (Pott. FN. S. 548)?
Kleffergasse Hagenau im Elsaß. Ein zweifelhafter Ausdruck;
klaffer heißt ein Röhrenkasten, Röhrenbrunnen (s, Schmeller H, 353).
Kleinschmiedstraße Stade (jetzt kleine Schmiedestraße),
Stralsund, Wismar. Kleinschmiedgasse Wien, vielleicht nur kleine
Schmiedgasse, da man in Wien sonst von Kleinschmieden nichts weiß
und nach dem Mangel urkundlicher Belege zu schließen auch früher
nichts wusste.
*Knochenhauerweide vor Stade. Auch in Buxtehude bei Stade
ist ein Knochenhaueramt. In den mecklenburgischen Städten wechseln
urkundlich Knakenhowere (Rostock etc.), Schlächter (Rostock), Vlesch-
howere (Neu-Brandenburg).
Kohlgärtnerstrasse Rostock (innerhalb der Stadt). Wohl vom
Krauthandel, wie auch die mehrfachen Petersilienstraßen, die nicht
hieher gehören.
Körblergasse Grätz, Wien. Körbler = Korbflechter (gebildet
wie Tischler).
Kohlmessergasse Wien. Die Ordnung der Kohlmesser vom
J. 1420 s. bei Hormayr V, 2. 3. Heft ürk. S. CCXXXI.
♦Korbmacher. Die Korbmachertwiete in Hamburg ist seit dem
Brande von 1842 eingegangen. Korbmachersteglein Amsterdam
(Zesen S. 228).
*Korkenmacher. Auch litauisch bedeutet kurke Pantoffel.
*Kornträger. Der Komträgergang in Hamburg existiertnoch jetzt.
*Krämergasse Einsiedeln (nach dem Plan in Zeillers topogr.
Helvet. a. 1654), Straßburg.
*Kramergässel Wien a. 1770 (Weiskem Beschreib, v. Wien)
und heute noch. Krämerstraße Neubrandenburg, Parchim, Rostock
(urkundlich institorum platea, jetzt Poststraße), Wismar, Woldegk
(Mecklenburg). In Colmar begegnet a. 1362, 1422 eine Straße unter
den Krämern, a. 1540 eine Krämergasse, daneben auch a. 1373
usw. ein Krämerbrück (Les enseignes de Colmar S. 28 f.). Unter den
Kramen Regensburg a. 1332 (Gemeiner). Kram- oder Kronwinkel
das. (Gem. 1 , 318). Eine platea institorum zu Stade bezeichnet einen
Theil der späteren Hökerstraße; eben so ist es zweifelhaft, ob die zu
272 E. FÖRSTEMANN
Colmar und die zu Schlettstadt im Elsaß begegnende rue des marchands
von den Krämern ausgeht: Gerhard Kremer, der große deutsche Geo-
graph, hat sich in Mercator übersetzt.
Krugerstraße (so) Wien a. 1770 (Weiskem Beschr. von Wien
Anhang S. 28) und heute noch. In den Grundbüchern des XIV. XV. Jh.
Strata amphorarum oder anfrorum, Krugerstrazz (Hormayr V. 2. 3.
Heft Urk. S. CIV). Also synonym mit der in Wien auch vorkommen-
den Kri e gier- (Krügler-) gasse.
*Küfergasse Hagenau im Elsaß; ungenauer geschrieben Kie-
fergasse Straßburg, Küferplätzchen Mühlhausen im Elsaß. Dazu
auch vielleicht die impasse des haquetiers zu Schlettstadt im Elsaß.
Kunstpfeiferstraße Neubrandenburg (Mecklenburg^.
*Kupferschmidgasse Hagenau im Elsaß. Kupferschmid-
g äs sei Wien a. 1770 (Weiskem Anhang S. 43) und heute noch.
Küt er Straße Kiel. Küterwall Hamburg; ebendaselbst be-
gegnen a. 1394 Küterhäuser (domus fartorum), a. 1356 Küter-
buden im Fleischschrangen (bodas der kutere), a. 1375 porta farto-
rum (später die Stavenpforte). In Rostock: Küterbruch (fartorum
palus a. 1279) und Küt er haus (domus fartorum, mactatorum). In
Stralsund: Küterthor (urkundlich valva camificum) ; hier lag im
Mittelalter das Kuterhus (domus camificum, mactatorum). In Wis-
mar: Kütermühle, Küterhaus (domus kutere schon vor 1300,
sonst domus fartorum, mactatorum). In Stemberg (Meckl.): Küter^
Straße (auch Kütinerstraße) und Küterbrink. Die Küter (vgl. dän.
kjoed, schwed. JcöU Fleisch) sind die eigentlich Schlachtenden, während
die Knochenhauer das geschlachtete Thier zerlegen und das Fleisch
verkaufen.
Kutscher wirthgasse Grätz; also wohl von eii^er Fuhr-
mannskneipe.
Kuttlergasse Zürich. Schon mhd. kutelcere fartor (also = Küter)
von kutel Eingeweide. In Nordhausen führt die Kutteltreppe aus der
Oberstadt in die Unterstadt.
Lackirergasse Wien.
*Lakemacher. Laken hieß auch in Hamburg im vorigen Jahr-
hundert noch Tuch.
Landreiterstraße Grabow (Mecklenburg), Schwerin. Land-
reiter sind die ünterbedienten der Domanialämter.
"^Laucher. Die Lauch ergasse in Eisenach könnte auch auf
Gemüsehändler gehen. Vgl. oben Kohlgärtner.
' STRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 275
*Lederergasse Gtätz. Ledererhof Wien a. 1770 und da-
selbst heute noch Lederergasse. Eine jetzt nicht mehr bestehende
Straße in Wien hieß unter den Lednern, Urk, a. 1349 im Stif-
tungsbuch des Klosters St. Bernhard ed. Zeibig (1853) S. 298. Lede-
rerthürlein Nürnberg a. 1383; die frühere Ledergasse in Nümberg^
heißt jetzt Tuchersstraße und lag ganz wo anders als die beiden jetzigen
Ledergassen daselbst. Die Ledergasse in Luzern mag wie andere
desselben Namens aus Lederergasse corrumpiert sein.
Linweidirgasse Frankfurt a. M. a. 1322—1326; Linwedir-
gasse a. 1337, 1351; unter den linwedern a. 1353; Lynwid-
dergasze a. 1372, sonst auch inter linifices, Lengademgasse a. 1399
(Battonn IV, 282). Das Wort ist wohl eine sonst noch unbekannte un-
mittelbare Ableitung von mhd. Vmw6a Leinwand (wie Tucher von Tuch
u. dgl.). In Frankfurt begegnen urkundlich auch Tuchgader; vgl. ebds.
a. 1475 die Gewandgader, letztere also von mhd. gadem. Linnen-
gäzzlein Wien a/ 1382, im Stadtbuche von 1382 Gässlein, so man
das leinein tuch veil hat (Schlager W. Skizzen L 238 f.)
*Loder. Die Loderstraße in Nürnberg heißt so bis a. 1866,
jetzt Ottostraße.
*Löher- oder Löwerp forte (porta cerdonum) früher in Frank-
furt a. M. (schon a. 1330 wohnt daselbst ein L(ywer , Battonn I, 47),
Ebendaselbst gab es auch eine Lörgasse, jetzt kleine Fischergasse
(Battonn III, 37). Lojersgraft xmd Lojersgasse (von Lohgerbern
genannt) Amsterdam (Zesen S. 208). Hieher auch vielleicht die rae
des tcmneurs und der quai des tanneti/rs zu Schlettstadt im Elsaß?
Lohgerberstraße Rostock (urkundlich platea cerdonum; sie
hat noch jetzt mit Recht den Namen).
*Mälzergasse Merseburg.
Maurergässchen Straßburg. Maurerstubgasse Hagenau
im Elsaß (früher, jetzt Rauchhausgasse).
Mehlhändlerstraße Teterow (Mecklenburg).
*Metz gerbruck, gegen der Metzig, hinter der Metzig Colmar
a. 1408 (Les enseignes de Colmar S. 13 f.). Metzgergasse und
Metzgerthörchen (-thörle) St. Gallen. Metzgergasse Bern,-
Mühlhausen im Elsaß, Riesbach (Canton Zürich), Zürich. Metzger-
gießen Straßburg, in der Nähe des Metzgerthors (porte d' Austerlitz).
Metzgerstraße Grätz ssec. XVI; die Gegend heißt jetzt allgemein
„das kälbeme Viertel". Metzgasse (abgekürzt aus Metzger- oder aus
Metziggasse) Straßburg, Weissenburg im Elsaß.
274 E- FÖRSTEMANN
♦Metzlerpforte, porta camificum, porta lanionum Frankfurt a. M.
a. 1^9 (Battonn I, 48).
*Müll ergang Hamburg (St. Pauli). Müllergässchen Straß-
burg. Mtillergasse, Mtillerläube, Müllerläublein Bern. Müller-
thor St. Gallen a. 1683. Molerthor (wohl Müller-), früher in Nürn-
berg, kommt noch a. 1493 in der xmverstandenen Form Malerthor vor
(am Ausgange des Heugässleins). Mühlgasse u.dgl. überall, wird
hier übergangen.
Multergasse xmd Multerthor früher in St. Gallen (daselbst
wohnten Bäcker). Etwa zu mhd. multer = Mulde (nihd. Wb. II, 232).
Etwa Multerer = Muldenmacher?
♦Münzerstraße Wien ssec. XIIL XIV (Hormayr V. 2.3. Heft
ürk. S. CHI) und daselbst noch jetzt eine Münzgasse und eine
Münz war deingasse.
*Nadlergasse Wien.
*Nagelschmidgasse Hagenau im Elsaß.
Naglergasse Grätz, Wien. Nagler begegnet noch nicht im
mhd. Wb.
*Oehlschlägersteg Amsterdam (Zesen S. 302).
Oltmakenigenstrate, renovatorum platea Rostock a. 1289.
Das kühne Wort bietet eine anziehende Bereicherung der zahlreichen
Synonyma fiir Altbüßer.
„P asseer der straat oder Lederbereitersgasse" Amsterdam (Ze-
sen S. 208). Zesen setzt hinzu : „vom Lederbereiten, das man hier zu
Lande passeeren nennet". In neueren Wörterbüchern vermisse ich
das Wort.
*Pelzer. Die Pelzerstraße in Hamburg, welche noch jetzt
existiert, kommt schon seit 1266 vor. .
*Pergamentergasse Erfurt, Straßburg. Palmentirerstraße
Stralsund (wegen des Lautwandels vgl. die gewöhnliche Form Baibier).
Früher wurde die letztere Straße Perminterstrate geschrieben. Die Per-
gamentmacher heißen in lateinischen Stralsunder Urkunden permintarii.
Pfännerhöhe Halle, von den Salzpßlnnem sogenannt, zu mlat.
phanna aus patina.
Pfistergasse Luzem. Auch in Bern ist Pfister ganz gewöhnlich
für Bäcker.
Pflastorgasse Grätz; dort wohnt der städtische Pflastermeister.
*Pläterstraße Rostock (wahrscheinlich die urkundliche platea
aeramentariorura).
STRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 275
Pümperstraße Rostock. Pumperstraße, urkundlich Pumper-
strate, früher in Stralsund, jetzt Papenstraße, Vielleicht von Pumpen-
macher, Brunnenmacher, schwerlich von einer noch im Stettiner Haff
gebräuchlichen Art des Fischens, die 'pumpen genannt wird,
Pütterweg Rostock (in der Vorstadt), vgl. vor Stade ^bei den
Pütjerkulen", den Thongruben der Töpfer. Dann also hier zu niedd.
pot = Topf, während der Familienname Pütter sonst immerhin auch
zu putearius Brunnengräber (Pott FN. 365, 645) gehören mag.
Rackerstraße Lüneburg. Niedd. rackery hoU. rakkery schwed.
rackare = Schinder.
*Rademacher. Der Rademachergang in Hamburg besteht
noch jetzt. *
Rauchfangkehrergasse Wien (Hormayr H. Jahrg. 4. Band,
2. 3. Heft, S. 119. 122). Rauchfangkehrergässchen Grätz.
*Reperhagen Stralsund. Reifergraben (Repergrave) , Rei-
ferweg (Repergang) Rostock. Reiferbahn Schwerin. Reperbahn
vor Lüneburg. Reifer straße Neubrandenburg (Mecklenburg). In
Lüneburg sollen sich Reper und Seiler so unterscheiden, daß jene das
Tau mit der linken, diese mit der rechten Hand drehen.
Remensniderstrate früher (schon 1369) in Hamburg, jetzt
Schmiedestraße. Unter den Riemensnydern a. 1428 u. 1444 in
Frankfurt a. M. (Battonn H, 59).
Riemerzeile früher in Breslau, jetzt die nördliche Seite der
Häuser „am Rathaus". Riemerstraße oder Römerstraße Wien
a. 1770 (Weiskem Anhang S. 20).
Rüdlerg^asse (jetzt Rindsfußgasse von einem Bierhausschilde,
wie in Wien eine Kühfußgasse) Weißenburg im Elsaß , soll vom Dres-
sieren der Rüden (Hunde) genannt sein. Die Rüdengasse in Wien
fährt ihren Namen von dem ehemals sogenannten Hundsthurm, einem
Jagdschlosse Kaiser Karl VI.
*Säger. Auf dem Sägerplatz in Hamburg werden jetzt nicht
Bretter, sondern Sandsteine gesägt, was wegen der Bedeutung nicht
irre führen darf,
Sargmacherstraße Wismar.
Sattlerstraße (seit 1293 platea sellificum) früher in Hamburg,
jetzt ein Theil der Schmiedestraße. Unter den Sattlern Wien a. 1770
(Weiskem Anh. S. 33), unter der Bezeichnung sub sellatoribus schon
im XIII. XIV. Jh. (Hormayr V. 2. 3. Heft Urk. S. CIV). Auch die
Cölner Straße inter sellatores, bei welchen ich in der ersten Sammlung
auf Stuhlmacher rieth, wird wohl hieher zu rechnen sein. Dagegen die
276 E. FÖRSTEMANN
impasse des seUiers zu Weißenburg im Elsaß gehört nicht hieher; sie
ist nur falsche Übersetzung fiir dtt, ceUier (Kellerhofgasse). Sattel-
macherstraße Stade (urkundlich a. 1340^ woselbst die „Sadeler-
boden" Sattlerbuden schon a. 1320 vorkommen).
*Schäferkamp in der Hamburgischen Ortschaft Eimsbüttel.
Schäferstraße Grevismühlen (Mecklenburg), Schwerin.
*Scharfrichterstraße Dömitz (Mecklenburg), Schwerin ; früher
in Rostock (jetzt Bäbbenibberstraße^ s. d.).
*Schauflergasse a. 1314 Schowfelluchen (Hormayr Gesch.
Wiens I. ürk. LH.
Schenkenstraße Wien.
Scherenschleiferstraße Lüneburg.
*Scherer. Unter den Scherern a. 1243 in Regensburg (Ge-
meiner I, 348) und a. 1463 in Frankfurt a. M. (auch lat. inter raso-
res, tonsores; Battonn III, 121). Dagegen unter den Scherläden
oder Scherlauben in Wien ssec. XIV. XV. von den dort sesshaften
Tuchscherem.
*Schilterstrazze Wien a. 1325 (Hormayr IL Jahrg. 2 , Urk.
S. CCXV).
Schüferdekkersteglein (so) Amsterdam (Zesen S. 337). Etwa
Druckfehler fiir Schilferdekker?
*Schiffbauerbrook früher in Hamburg (jetzt blos Bropk);
die Gegend heißt a. 1380 palus ubi naves construimtur imd ist Straße
seit 1535. Schiffbauer dämm Berlin.
*Schiffergässlein Amsterdam (Zesen S. 309). Schiffer-
straße Dömitz, Fürstenberg (beides in Mecklenburg). Schiffer-
thor Stade;
Schiffleutstaden Straßburg.
*Schildergas sei oder (volksetymologisch) Schultergassel
Wien a. 1770 (Weiskem Anhang S. 32).
*Schindergasse Mühlhausen im Elsaß, seit 1 798 rwe de la justice.
*Schlachterstraße Schwerin, Sternberg. *Schlachterwiese
Rostock. Auch in Hamburg sagt man nicht Schlächtergasse, sondern
Schlachterstraße.
*Schlägertwiete Lüneburg.
*Schleifergä8slein Bern.
*Schlossergasse Colmar, Erfurt, Grätz, Marburg in Steiermark,
Straßburg. Schlossergässel Wien a. 1770. Schlossergässlein
Bern. Rue des serruriers Schlettstadt im Elsaß.
STRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 277
•■^Schmidgasse (Schmiedegasse) St. Gallen, Grätz, Herisau
(Canton Appenzell), Mühlhausen (Elsaß), Straßburg (früher, jetzt
Schlossergasse), Weissenburg (Elsaß), Zürich (früher, jetzt Thorgasse).
Schmidgässchen Grätz. Schmiedestraße Rostock, Schwerin,
Stade , Wismar. Die Schmiedestraße in Hamburg hieß früher auch
Remensniderstrate (s. oben) , Schusterstraße , ein Theil davon auch
Sattlerstraße. Die Schmiedestraße in Stade a. 1328 platea fabrorum.
Schmidtenthörlein Schafhausen (nach dem Plan zu Zeillers Topo-
graphia Helvetiae a. 1654). Eine porta fabrorum begegnet auch ur-
kundlich in Schwerin. Bei Battonn 11, 7 wird die Fahrgasse zu Frank-
furt a. M. (in der ich verderbtes lat. faber vermuthete) von der Furt
über den Main hergeleitet ; eine handschriftliche mir zugegangene Mit-
theilung spricht die Vermuthung aus, das Wort komme „vom vielen
Fahren" vor der Schmiede (?).
*Schneidergasse Basel. Schneidergraben Straßburg.
Schneiderwall Greifswald^ Rue des taiUeurs Schlettstadt im Elsaß,
In der Gegend des in meiner ersten Sammlung erwähnten Schneider-
bergs zu Hannover lag die Schneiderburg, erbaut vom Inhaber des
Schneiderschen Galanteriegeschäfts (also nicht hieher gehörig).
*Schreibergasse Merseburg, Wien, Schreiberstubgasse
Straßburg.
*Schröderstraße Lüneburg. Der Schrödersplatz in Rostock
dagegen, wie auch die Form andeutet, zu einem Familiennamen.
Schrottgießergasse Wien.
*Schuhmachergasse Straßburg. Schuhmacherstraße Dö-
mitz (Mecklenburg), Kiel, Lübeck. Schustergasse Weißenburg im El-
saß. Schusterstraße Dömitz (MeckL), Schwerin, früher in Hamburg
(jetzt Schmiedestraße). Schoisters- oder Straß enleulSfer steglein Amster-
dam (Zesen S. 337). Schuhgasse Erfurt. Inter calcifices oder die
Schuhgasse a. 1341 Frankfurt a. M. (Battonn IV, 275).
Schützenstrasse Berlin, St. Gallen, Goldberg (Mecklenburg),
Posen, Rostock. Schützengasse Wien; ich hatte ursprünglich hiefür
eben so wenig wie fftr die Jäger gesammelt. Der Schützenhof in
Hamburg ist seit 1387 als curia sagittariorum bekannt. In Hamburg
gehören schon ^a. 1350 die sagittarii als Stadtsöldner zur familia con-
sulum. Das Schützenfest heißt im Göttingischen noch beständig Schützen-
hof (vgl. die verschiedenen Artushöfe).
*Schwertfeger. In Frankfurt a.M. ssec. XVI vicus gladiatorum,
a. 1378 u. 1443 Swertfegergasse (Battonn IV, 281).
QERVIANIA. Neue Reihe Tit. (XV.) Jahrg. 19
278 E- FÖKSTEMANN
Unter den Segnern, ante portam insularum Wien saec. XIII.
XIV (Horm. V, 2. 3. Heft S. Cm). Sind hier die s. g. Segenfischer
gemeint, Fischer nämlich, welche das Recht hatten, mit Segen (großen
Zugnetzen) zu fischen, im Gegensatze der Klein fi scher (Schmeller
m, 213) oder etwa die Verfertiger solcher Netze ? Schmeller a. a. O.
fitlhrt auch noch an: Segener, Segner, kleinere Art SchiflFer auf dem
Bodensee. In Österreich ist Segner ein häufig vorkommender Per-
sonenname. Die Karpfenseigen, eine Gegend in Danzig (am Wasser).
*ünter den Seilern Frankfurt a. M. a. 1476 (Battonn IV, 284).
Seilergasse Weißenburg im Elsaß. Seilergässchen Straßburg.
Seilerstatt Wien a. 1770 und jetzt noch Seilerstätte.
'^'Siebenmacherstraße Stralsund, urkundlich Sevemakerstrate.
*S peermache r. Sie kommen in Hamburger Kämmereirechnungen
seit 1262 als Sperwarii vor. Giebt es nicht irgendwo dahingehörige
Sperbergassen?
Speisergasse imd Speiserthor, früher in St. Gallen. Daselbst
wohnten Krämer imd Elaufieute, daher wol zu mhd. sptsaere Speise-
meister, dispensator. Die Speisergasse in Cöln hatte ich 'dagegen in
meinem ersten Aufsatze zu den Spermachern gesetzt.
*Spenglergasse Bern, irüher zu Weißenburg im Elsaß. Un-
ter den Spängiern Wien saec. XIII. XIV (Hormayr V. 23. Heft
Urk. S. CH) und noch a. 1770 (Weiskem Anhang S. 34), jetzt
Spängiergasse.
Spindlergasse Wien.
*Sporgasse Grätz.
Stampfmüll er Straße Rostock. Die Stampfmühle ist die Loh-
mühle. Sollten dahin auch die Stempfer in Grätz gehören? Doch ist
fUr meine frühere Erklärung zu erwähnen, daß sich dort eine sehr alte
Papierhandlung und die älteste Buchdruckerei von Grätz befindet.
Stärkmachergasse Wien (Hormayr IL Jahrg. 4. Bd., 2. 3. Hft.
S. 125).
Steinhauer Steg Amsterdam (Zesen S. 322).
Stekerstrate Stade seßc. XIV, soll sich auf die Aalstecher (s.d.)
beziehen. Sollte damit auch Licht auf die Stechergasse in Braunschweig
fallen?
Stellmacher Straße Flau (Mecklenburg).
*Strohschnitter. Die Strohschnitter zogen früher (z. B. in der
Wetterau) mit einer Schneide- oder Häckselbank auf der Schulter
bei den vermögenden Bauern, Pächtern usw. umher und schnitten
Häckerling.
' STRASSENNAMEN VON aEWERBEN. 279
Taschenmacherstraße Stralsund, vielleicht von den Beutlem
unterschieden. Taschnergässlein Wien ssec. XIII. XIV (HormayrV,
2. 3. Heft ürk. S. CV).
Todtengräbergasse Merseburg.
*Töpferberg Neustrelitz. Töpfergasse Treuen in Sachsen,
Weimar; die Töpfergasse in Breslau ist jetzt ein Theil der Weißgerber-
gasse. Töpferplan Halle. Töpfersteg Amsterdam (Zesen S. 348).
Töpferstraße Wittenburg, Zarrentin (beides in Mecklenburg). Der
ehemalige Töpfenmarkt (so) in Weimar heißt jetzt Herderplatz.
*Trägerstraße Rostock, urkundlich platea bajulorum. DasAmt
der Träger, welche die Kaufmannsgüter usw. besorgen, besteht in Ro-
stock noch als Realgerechtsame. Eine platea bajularum (so) a. 1389
in Stade ist vielleicht verwechselt mit baginarum.
Trompetersteg Amsterdam (Zesen S. 337); holl. trompetter,
Tüchergasse Frankfurt a. M. a. 1603, 1611 (Battonn HI, 80),
wahrscheinlich von Tuchläden benannt. Tuchergasse Mühlhausen im
Elsaß, seit 1798 rue des drapiers] hier waren ehemals Tuchläden. Öa-
gegen heißt die Tucherstraße in Nürnberg, früher Ledergasse, so von
dem Geschlechte der Tucher. Tucherstubgasse Straßburg. Unter
den Tuchlauben (inter lubiis a. 1288) Wien.
*Tuchmacherstraße Flau (Mecklenburg).Tuch scher er gas se
Reichenbach in Sachsen, Muhlhausen im Elsaß, seit 1798 ruedestondeurs.
*üllnergasse a. 1405 in Frankfurt a. M., schon ssec. XIV vicus
oUarum, a. 1398 unter den Ulnern (Battonn IH, 104 f.)
Wachsbleichgasse Wien (Horm. U. Jahrg. 4. Bd., 2. 3. Hft.
S. 132), Dresden.
*Wachtergasse Wien.
*Wagnergasse Grätz, Merseburg, Wien; doch die Wagnergasse
zu Mühlhausen im Elsaß heißt so von einer Familie, nicht vom Hand-
werk, scheint deshalb auch nicht französisch übertüncht zu sein.
Walkerdamm Kiel, wohl vom Walken des Tuches. „VuUers-
graft, das ist Walkersgraben, weil an demselben die Walker gewöhnet**,
Amsterdam (Zesen S. 295; vgl. holl. volder Walker).
*Wandbereiter. Sie sind nicht bloß vom Krempen, sondern
auch vom Weben des Tuches benannt. Es sind die pannorum rasores
(Tuchscherer), auch pannorum praeparatores in Hamburg; sie liefern
das noch weiße Tuch (wand, laken) an die Wandftlrber.
Wandfärberstraße Lüneburg.
Wäschergasse Wien, Grätz.
*Waytmengere. Sicherlich Watmenger, Tuchhändler.
19*
280 E. FÖRSTEMANN
*Webergasse Basel, Colmar, St. Glallen, Marburg in Steiermark,
Mühlhausen im Elsaß (auch neue Gasse genannt), Reichenbach in
Sachsen. Weberstraße Hamburg (früher, um 1250 platea textorum),
Penzlin, Stavenhägen, Wismar (alle drei in Mecklenburg).
Weinstichergasse früher in Straßburg, jetzt Blauwolkengasse,
wenn ich recht lese. Wtnsticher werden mhd. Wb. III, 677 erwähnt,
fehlen jedoch 11 , 2 , S. 624. Bei Schmeller begegnen die Ausdrücke
Stichwein und Stichmaß fUr Probewein.
*Weißgerberstraße Rostock. Unter den Weißgärbern
Wien a. 1770 und jetzt noch (amtlich Weißgärberstraße). Cam-
pus der Wisgerber Frankftirt a. M. a. 1350, unter den wis-
gerwern a. 1448 (Battonn I, 197; 11, 107). Weißgerbergraben
Regensburg (Gemeiner ad a. 1181). Der Gerberhof (Verkaufshalle der
Weißgerber) heißt in den Hamburger Kämmereirechnungen seit 1355
die Weißbeutelei.
Untern Wendkremen Wien saec. XIV (Schlager W. Skizzen
I, 242 f.). Wendkremer wohl sva. Kurzwaarenhändler, vgl. den Schied-
spruch Herzog Albrecht H. a. 1432 : Wenn so die kaufleut in vre gewelbe
alle die klein ding verkaufen, die vormals die Wendkremer ... Meten
verkauft usw. (Kurz Österreichs Handel S. 401).
Wendlerstraße Wien, schon a. 1770 verschollen (Weiskem
Anhang S. 55). Zu mhd. wandelcere viator? Wendler ist auch ein Fa-
milienname (ahd. wohl Wandilhari, BavSctXäQwg bei Procop).
Wildwerkerstraße oder Wildbergerstraße Wien a. 1770 (Weis-
kem Anh. S. 30), in älteren Urkunden Wiltwercherstrazze, z.B.
a. 1272 (Hormayr Gesch. Wiens I. Urk. S. XC) , später zu Wiltperger-
strazz entartet (Schlager W. Skizz. I, 251) und jetzt Wipplingerstraße.
Mhd. wiltwerc Pelzwerk (vgl. auch nhd. Rauchwerk), wiltwerkcere
Kürschner.
Windemachergasse soll in München sein, doch weiß ich nichts
Näheres darüber.
*Wollenwebergasse früher zu Weißenburg im Elsaß (jetzt
Wollengasse). WuUwebergasse früher in Zürich. Wollenweber-
straße Bützow, Neubrandenburg, Rostock^ urkundlich platea lanificum),
Woldegk; sämmtlich in Mecklenburg.
Zieglerhäuser (Tegelerhus), domus lathomorum vor Hamburg :
dieselben kommen auch seit a. 1293 als domus laterum vor. Vor Stade
liegt ein Teielcamp, Teigelcamp. Zieglergasse Wien. Ziegelgassen
gibt es manche.
STRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 281
Zimmerieutgasse Straßburg, Weißenburg im Elsaß, an bei-
den Orten von der ehemaligen Zunftstube so genannt.
Zuckerbäckersteglein Amsterdam (Zesen S. 228; holl. sui-
Jcerhakker),
So weit das neue Material. Dadurch werden aber auch die An-
merkungen, die ich in meinem ersten Aufsatze dem alphabetischen Ver-
zeichnisse folgen ließ, bedeutend bereichert. Zu S. 20 bemerke ich^
daß das bis dahin nur aus Cöln nachgewiesene unter (unter Gewand-
schneider usw.) seitdem auch in Colmar, Frankfurt a. M., Passau, Wien
begegnet ist (überall mit dem Dat. Plur.) ; es wird wohl in den meisten
rheinischen Städten vorkommen. In Wien (Horm. I, Urk. LVIII) be-
gegnet a. 1398 sogar die Bezeichnung 'In der vergezznen gassen inter
cerdones' — also unter den Handwerkern xaz i^oxTJv. Diese Wendung
ist echt deutsch ; vgl. Grimm Gr. IV, 289. Selbst ülfilas scheint mit die-
ser Art von Namengebung schon vertraut gewesen zu sein; Luc. 19, 23
übersetzt er ijcl TQdns%av durch du skaUjam (ad numularios) und
1. Cor. 10, 25 iv (laxelkoj (zur Fleischbank) mit at sküjam (apus la-
nios). Grimm a. a. O. führt auch als alte Straßennamen an zen metze-
Iceren (rue avjx houchers) j zen webcereuy die ich beide noch nicht auf-
gefunden habe ; zum rechten Beweise , daß noch immer viel nachzu-
sammeln ist.
Zu der S. 21 — 25 von mir gegebenen sachlichen Übersicht über
die in den Straßennamen vorkommenden Gewerbe unterlasse ich es,
die zahlreichen neugewonnenen Bereicherungen beizufligen; das kann
jeder, den es näher interessiert, nun leicht selbst thun.
S. 25 hatte ich auf den gewaltigen Gewerbesprachschatz unserer
Sprache hingewiesen und seinen Reichthum durch die Lübeckischen
Zunftrollen dargethan. Wer dergleichen, wie ich wünsche, zusammen-
zustellen gedenkt, findet ein Verzeichniss der Nürnberger Hand-
werke aus ssec. XVI im Anzeiger flir Kunde der deutschen Vorzeit 1869
Nr. 4, S. 97 f. Merkwürdige, zum Theil aber sehr moderne Verzeichnisse
der Wiener Gewerbe s. in Pezzls Beschreibung von Wien 7. Aufl.
(1826) S. 543 u. 566; Wienerisches aus alter Zeit bieten Jos. Feils
Beiträge zur älteren Geschichte der Kunst- und Gewerbsthätigkeit in
Wien (Berichte und Mittheilungen des Alterthumsvereines zu Wien 1860,
und besonders abgedruckt^ 104 SS. 4®*).
*) Zu erwähnen wäre hier auch G. Zapperts Abhandlang: TVlens ältester Plan
[nach Z. etwa aus den JJ. 1050—1150] in den Sitzungsberichten der phil.-hist. Classe
der kais. Academie der Wiss. XXI. Bd. (1857) S. 399—444, wenn nicht gegen di&
Echtheit dieses Planes gegrOndete Bedenken von Kennern vorliegen würden.
282 E. FÖRSTEMANN
Mehr liegt mir am Herzen diesmal darauf hinzuweisen^ daß das
jetzt zusammengebrachte Material für einzelne Gewerbebezeichnungen
schon ein hübsches Bild davon gibt, in welchen Gegenden das betref-
fende Wort wirklich volksthümlich war ; denn so ein Straßenname lie-
fert hiefür immer einen besseren Beweis als das Vorkommen des Wortes
bei einem Schriftsteller, der den Ausdruck vielleicht aus seiner Heimat
mitgebracht oder an einem andern Orte sich angeeignet und an einem
dritten niedergeschrieben hat. Ich gebe hier eine Anzahl von Beispielen
über den Umfang des Gebrauchs solcher Worte; diejenigen Städte,
in denen das Wort durch meine beiden Sammlungen nachgewiesen ist,
fahre ich dabei in geographischer Reihenfolge an.
Unter den norddeutschen Ausdrücken scheinen einige bloß
den nördlichen Küstenlandschaften anzugehören. Dahin rechne ich :
Reper (Reifer). Hamburg, Lüneburg, Lübeck, Rostock, Schwerin,
Neubrandenburg, Stralsund, Stettin, Danzig, Elbing, Königsberg.
Badstüber. Lübeck, Rostock, Neubrandenburg, Stralsund, Cöslin.
Küter. Hamburg, Kiel, Rostock, Wispiar, Stemberg, Stralsund.
Schlächter (Schlachter). Glückstadt, Altena, Hamburg, Schwe-
rin, Sternberg, Rostock.
Andere Worte erstrecken sich weiter durch das niederdeutsche
Gebiet, sowohl durch die Binnenländer als die Küstenstriche :
Filter (Hutfilter). Sowohl in Cöln und Braunschweig, als in
Bremen, Hamburg, Schwerin, Rostock, Stralsund.
Grapengießer (Gröper, Gröpler). Sowohl in Hannover imd
Halberstadt als in Hamburg, Lüneburg, Lübeck, Rostock, Güstrow,
Anclam, Stettin.
Knochenhauer. Sowohl in Hannover, Braimschweig, Magdeburg,
Zerbst , ja sogar im hochdeutschen Nordhausen , als auch in Stade,
Hamburg, Lübeck, Rostock, Stettin.
Merkwürdig ist mir ein ganz gewöhnliches, der Schriftsprache
überall angehöriges Wort durch das Gebiet seines Gebrauches in die-
sen Straßennamen:
Töpfer. In Thüringen und dem preußischen Sachsen: Mtihlhau-
«en, Nordhausen, Weimar, Halle, Eilenburg. Im Königreich Sachsen:
Zwickau, Leisnig, Colditz, Dresden, Bautzen. In Brandenburg: Jüter-
bogk, Kalau. In Schlesien: Breslau. In Mecklenburg: Neustrelitz, Wit-
tenburg, Zarrentin. In Pommern: Gartz. In Preußen: Danzig, Elbing.
Das Wort erstreckt sich also weiter, als die oben angeflihrten nieder-
deutschen Ausdrücke, scheint aber in den Ortsnamen doch dem ganzen
Westen und Süden Deutschlands abzugehen.
8TRASSENNAMEN VON GEWERBEN. 283
Nun einige speciell süddeutsche Wörter:
Küfer. Mühlhausen, Schlettstadt, Hagenau, Straßburg ^ alle im
Elsaß, femer Mainz und Saarbrücken. Also nur im Westen^ auffallend
außerdem in Göttingen.
Le derer. Nürnberg, München, Passau, Wasserburg, Salzburg,
Grätz, Wien. Einfaches Leder- als erster Theil der Composition auch
in Luzem, femer im norddeutschen Duderstadt, wo die geographische
Lage dafiir spricht, daß in dem letzteren Orte *Leder nicht aus Lederer
gekürzt ist.
Spengler. Bern, Weissenburg, Mainz, Augsburg, Wien.
Seiler. Straßburg, Weißenburg, Prankfurt a. M., Passau, Wien.
Auffallend, und deshalb fast verdächtig oder neu, in Hannover.
Hafner. Augsburg, Grätz, Marburg in Steiermark, Wien. Der
nördlichste Ort ist Schleusingen, welches auf der fränkischen Seite des
Thüringer Waldes liegt.
Am weitesten tmter den süddeutschen Ausdrücken verbreitet ist:
Metzger. In der Schweiz: St. Gallen, Bern, Riesbach, Zürich.
Im Elsaß: Colmar, Mühlhausen, Straßburg, Weißenburg. In Schwaben:
Heilbronn, Heutlingen. In Rheinfranken: Frankfurt a. M., Seligenstadt,
Wiesbaden, Alsfeld. Man würde dem Worte den Character eines süd-
westlichen zuschreiben, wenn man es nicht außerdem noch in Grätz fände.
Ich gerathe hier unabsichtlich ganz auf dasselbe Gebiet der Sprach-
geographie, das ich in meinen deutschen Ortsnamen S. 253 — 293 zum
ersten Male zu betreten wagte, ein Gebiet, auf welchem ich bald Nach-
folger zu sehen wünschte; die Resultate würden nicht ausbleiben.
In diesem Sinne würden auch die Grundwörter der Compositionen
einiges ergeben. In meinem eben angeführten Buche S. 74 hatte ich
das Wort twiete nur aus Holstein, Hamburg und Braunschweig nach-
gewiesen; oben habe ich eine Schlägertwiete aus Lüneburg beigebracht
imd außerdem kann ich nun auch eine nicht zu den Gewerbenamen
gehörige Hahntwete aus Homburg bei Halberstadt nennen. Meine in
dem genannten Werke gemachten Bemerkungen über die Verbreitung
der Namen auf -hrink, -gracht {-grafft) u. a. lassen sich nun durch Zu-
ziehung der Straßennamen noch bestimmter fassen. In meiner dies-
maligen Sammlung tritt auch ein wie es scheint bloß elsässisches -staden
auf, von dem ich noch nicht weiß , wie nahe es etwa zu dem süd-
deutschen Stadd (Scheune) gehört.
Noch manche andere Untersuchungen drängen sich beim Anblick
dieses Materials auf. Wie mag z. B. das sprachgeschichtliche oder geo-
graphische Verhältniss der Ableitungen Beutler ^ Grützner, Kistner,
284 REINHOtD KÖHLER
Schuster, Sieber, Tücher zu den schwerfMligen Zusammensetzungen
Beutelmacher, Grützmacher usw. sein?
Alle solche Fragen dürfen fiir jetzt nur angedeutet, noch nicht
erledigt werden. Es zeigt sich nämlich, daß der für diese Gegenstände
vorhandene Stoff über alle Erwartung hinaus reichhaltig und auch mit
dieser meiner zweiten Sammlung noch lange nicht erschöpft ist. Mit
einer dritten Sammlung könnte man sich der Vollständigkeit des Stoffes
schon um ein ganz Bedeutendes nähern. Darum möchte ich die aber-
malige Bitte aussprechen in der Zusendung von Beiträgen und Berich-
tigungen fortzufahren, namentlich aus kleineren Städten, denn ftlr die
großen wird nicht mehr viel zu thun sein. Besonders aus dem Süden,
der in meinen Sammlungen weit weniger vertreten ist als der Norden,
würden mir weitere Sendungen höchst willkommen sein. Ich bemerke
noch, daß ich die dritte Sammlung nicht vor dem Beginne des nächsten
Jahres zu schließen gedenke; auch die Bemerkung ist practisch, daß
jeder unter meinem Namen nach "Dresden gerichtete Brief sicher in
meine Hände kommt, auch ohne Hinzufügung meiner Wohnung und
der leidigen Titulatur.
DEESDEN, den 23. Januar 1870.
ZUR LEGENDE VON GREGORIUS AUF DEM
STEINE.
1. Die Gregoriuslegende in schwedischer Sprache.
Daß in der deutschen Legendensammlimg, welche unter den Ti-
teln *Der Heiligen Leben oder 'Passional der Heiligen seit dem Jahre
1471 bis. in die Zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts oft gedruckt
worden ist *), auch ein Prosaauszug aus Hartmanns Gedichte Gregorius
sich findet, ist bekaimt (s. Lachmann in Haupts Zeitschrift V, 33 und
Wackemagel, Geschichte der deutschen Litteratur S. 165 imd 354.
Ich erinnere mich aber nicht, irgendwo erwähnt zu finden, daß
dieser Prosaauszug auch ins Schwedische übersetzt worden ist. Diese
schwedische Übersetzung findet sich in folgender Greifswalder Doctor-
dissertation ; Legenda Sancti Gregorii Svecana, prooemio thesibusque
*) Man sehe über dieT verschiedenen Ausgaben Panzers Annalen der altem
deutschen Litteratur und E. Weller, Die deutsche Literatur im ersten Viertel des
16. Jahrhunderts, Nördlingen 1864, an den in den Begistem beider Bücher unter
'lieben der Heiligen verzeichneten Stellen.
ZUR LEGENDE VON GREOORIUS AUF DEM STEINE. 285
adjunctis , quse , venia ampl. fac. phil. Giyph. praeside öust. Salom.
Tillberg, phil. doct aa. U. mag. math. et physie. prof. reg. et ord.
p. p. Sam. Th. Ostman, a sacris Ostrogothus, in audit maj. die XIV.
aug. MDCCCXV. h. a. m. s. Gryphise litteris P. W. Kunike, reg.
acad. typogr* 4®. Über die schwedische Legende äußert sich der
Herausgeber im Vorwort: Legendam Sancti Grregorii, ex codice Mo-
nasterii Wadstenensis [nunc Regii Gymnasii Lincopensis] membranaceo
descriptam, non ut materiam de qua disputabimus, sed ut monumentum
inprimis linguse nostrae medii sevi, cultoribus jam florescentis forsan
haud ingratum, divulgasse juvabit. Hanc Sancti Gregorii Legendam,
quse sine dubio ficta est, in vitas saltem, quantum nos audiverimus,
Pontificum, qui hoc nomine sunt insigniti, non quadrat, Monachus, se-
cundum Diarium Wadstenense, Johannes MatthisB, qui in Monasterio
Wadstenensi anno MDXXIV mortuus est, a Monacha, Christine Elff-
dotter svetice nominata, acceptam et ex Teutonica in Svecanam lin-
guam versam, sie tradidit.
Daß die schwedische Legende eine Übersetzung aus 'Der Hei-
ligen Leben ist, möge der Anfang zeigen, der im Schwedischen also
lautet:
I Aquitania i Waland war en aedhla riker man. han haffde med
sine hwstru ij bam, en son oc ena dotter, the waro ganzska daeghliken,
oc ther aepther doo hans hwstru. tha bamen waro widh X aar, tha
wart oc theras fadher sywker , oc wiste wael at han skulle döö , oc
saendhe aepther the yppersta ther i landet, them han baest trodhe. tha
the waro komne, tha saa han sorgelika oppa sin bam, oc sagdhe, nw
skal jak fran idher, jak wille nw haelst haff^a glaedhi äff idher , oc
antwardadthe tha bamen enom thera. tha han saa sin bam grata oc
sörghia, tha sagdhe han til sonen, hwi grather thu, thu faar een deel
äff landet, jak sörgher meer om thina syster, thy war henne tro, oc
aelska henne, oc aelska gud ower altingh, swa gömer han idher badhen,
de laat mina siael wara tik beffalna, oc ther med doo han.
Der Anfang der deutschen Legende lautet in der von Anth. Ko-
berger zu Nürnberg 1488 gedruckten Ausgabe des Passionais S. CCLP :
Es was ein reycher edelman in Aquitania in den welschen landen
er het zwey kind bey seiner frawen einen sun vnd ein t echter, dy
waren gar schön, da starb in ir muter schier, vnd da die kind bey
zehen iaren waren da ward der vater auch siech, vnd west wol das
er sterben must. vnnd sandt nach den besten in dem land den er wol
getrawet. vnnd da sy nun zu im kamen da sach er seine kind mit
grossem iamer an. vnd sprach. Sol ich yetzund von euch scheyden.
286 REHraOLD KÖHLER
nun wolt ich erst freud mit euch haben gehabt, vnd beuaihe die kind
den herren. vnd da er sach das die kind weynten. da sprach er zu
dem sun. warumm weynest du. nun gefeit dir doch ein michel land.
ich sorg nur vmb dein Schwester, vnd sprach. Sun biß deiner Schwe-
ster getrew. vnd hab sie lieb, vnd hab vor allen dingen gott lieb der
muß ewer beyder pflegen, vnd laß dir mein sei empfolhen sein, da-
mit verschyed er.
2. Die Gregoriuslegende als spanisches Drama.
Eine arge Entstellung hat die Gregoriuslegende in einem Drama
des im 17. Jahrhunderte lebenden spanischen Dichters Juan de Matos
Fragoso erlitten. In diesem Stück, welches *E1 marido de su madre*
betitelt ist *) , ist Gregorio der Sohn des Fürsten Carlos von Antiochia
und seiner Schwester ßosaura. Carlos hat der Bosaura Gewalt ange-
than und hierauf heimlich das Land verlassen. Bosaura hat einen
Knaben zur Welt gebracht, den sie bald nach seiner Geburt in einem
Kasten auf den Fluß, der durch ihren Park fließt, setzt. Der Kasten
trieb ins Meer und ein am Meer wohnender Landmann Enrique be-
merkte den schwimmenden Kasten, ließ ihn ans Land schaflen und zog
den Findling als seinen Sohn auf. Als Gregorio herangewachsen ist,
entdeckt ihm Em'ique eines Tages — im Zorn darüber, daß Gregorio
für das ihm zu wirtschaftlichen Einkäufen in der Stadt gegebene
Geld Bücher**) und einen Degen gekauft hat — daß er nicht sein Sohn,
sondern ein Findelkind ist, und übergibt ihm ein bei ihm gefundenes
Täfelchen, worauf eingraviert steht, daß er der Sohn einer unglücklichen
Mutter und eines verrätherischen Vaters sei ***). Damals hatte gerade
der Herzog von Tyrus, dessen Heiratsantrag Bosaura zurückgewiesen
hatte, mit ihr Krieg begonnen. Gregorio tritt in das Heer der Fürstin,
nimmt den Herzog gefangen, wird zum General gemacht und besiegt
die Tyrier, die ihren Herzog befreien wollen. Auf den Wunsch ihres
Volkes muß ihm Bosaura ihre Hand reichen. Kurz vorher aber war
*) Y. Schack, Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien III,
365 , hat es kurz erwähnt , indem er es * eine merkwürdige Bearbeitung der bei uns
durch das Gedicht Hartmanns von der Aue bekannten Legende von Gregorius auf
dem Steine' nennt.
**) Darunter *el grande Plutarco*.
***) Sabed, si acaso los Cielos
en salvo este Infante admiten,
que siendo traydor su padre,
naciö de madre infeliee.
ZUR LEGENDE VON GBEGOBIÜS ,ÄUF DEM STEINE. 287
gerade Fürst Carlos, der seine Schwester noch immer leidenschaffclich
liebt, verkleidet an Rosauras Hof gekommen und hatte sich fiir einen
gewissen Gerardo , der in der Armee des tapfem Gottfrieds (von
Bouillon) gedient habe, ausgegeben. Rosauren war sogleich die Ähn-
lichkeit Gerardos mit ihrem Bruder aufgefallen, und sie konnte den
Verdacht nicht los werden, daß es wirklich Carlos sei. Daher erklärte
sie dem Gregorio am Hochzeitstage, sie habe gelobt, nicht eher zu
heiraten, als bis sie Nachricht von ihrem Bruder habe, und sie hoffe
sie bald zu erhalten, bis dahin aber solle die Ehe zwar vor der Welt
als vollzogen gelten, in der That aber nicht vollzogen werden. Gre-
gorio ist damit zufrieden. In derselben Nacht will der Herzog von
Tyrus, durch eine Hofdame Rosauras befreit, Gerardo ermorden, aber
Carlos, der den Herzog belauscht hat, macht noch zeitig Lärm. Bei
dieser Gelegenheit, wo Gregorio halb angekleidet aus seinem Schlaf-
zimmer kommt, bemerkt Rosaura das an seinem Hal^e hängende Tä-
felchen und erfährt so seine Herkunft. Sie gibt sich ihm aber nicht
als seine Mutter zu erkennen, sondern erklärt ihm nur, daß sie, da er
ein Findelkind sei, niemals wirklich seine Gemahlin werden könne.
Gregorio verlässt hierauf Antiochia heimlich, um in dem wilden Ge-
birge Syriens Einsiedler zu werden. Dahin versetzt ims der dritte und
letzte Act des Sttlcks. Wir treffen dort den Gregorio als Einsiedler,
der im Rufe großer Heiligkeit steht. Enrique erscheint^ um dem heiligen
Einsiedler, von dem er natürlich nicht weiß, daß es sein Pflegsohn
Gregorio ist, ein flir das ganze Reich wichtiges Geheimniss anzuver-
trauen. Ziemlich gleichzeitig kommt Rosaura mit ihren Damen, um den
Heiligen zu sehen, imd Abgesandte des Clerus, um ihn nach Anwei-
sung einer himmlischen Stimme zum Patriarchen von Syrien zu er-
klären. Enrique entdeckt, daß Carlos nicht der leibliche Bruder Ro-
sauras sei, sondern von ihren Altem, um einen männlichen Erben zu
haben, heimlich als Sohn angenommen worden sei, er sei übrigens
von edler Abkunft gewesen. Sofort gibt sich der im Gefolge Rosauras
befindliche Gerardo als Carlos zu erkennen, und Rosaura erklärt, ihm
ihre Hand reichen zu wollen. Dagegen wendet Gregorio ein, sie sei
ja bereits an Gregorio verheiratet. Da entdeckt Rosaura, daß Gregorio
ihr und Carlos Sohn sei, und beklagt sein Verschwinden. Gregorio
gibt sich zu erkennen, nachdem vorher ein Engel ihm den Patriarchen-
stab überreicht hat.
Bekanntlich befindet sich auch in Juan Timonedas 1576 zu Al-
cala erschienener Novellensammlung 'el Patranuelo' eine Bearbeitung
der Gregoriuslegende (Nr. 5). Auch hier wie b^ Matos Fragoso
288 REINHOLD KÖHLER
kommt die Ehe Gregors mit seiner Mutter nicht zu wirklichem Voll-
zug. Timoneda scheint aus den Gresta Romanorum Cap. 81 geschöpft
zu haben, Woftlr besonders spricht^ daß bei ihm ein Fürst von Bur-
gund , wie in den Gesta Bomanorum ein Herzog von Burgund , der
Bedränger der Mutter des Gregor ist. Auch Matos Fragoso wird die
Legende aus den Gesta Romanorum unmittelbar oder mittelbar haben.
3. Die Legende von Paul von Cäsarea.
Aus einer bulgarischen Handschrift des 17. Jahrhunderts, welche
aus Kopitars Nachlass in die Gyminasialbibliothek zu Laibach ge-
kommen ist, hat ein russischer Gelehrter Lamansky im Journal des
(russischen) Ministeriums der Volksaufklärung (Schumäl Ministdrstva
Narödnago Prosvjeschtschenija) CXLIV, 2, 112 — 114, eine Legende
herausgegeben, die an eine apokryphe Homilie des h. Johannes Chry-
sostomus über die Herzensreue angefügt ist imd mit der Gregoriusle-
gende sehr übereinstimmt. Mein Freund A. Schiefher in St. Petersburg,
der mir von dieser Legende geschrieben hatte, hat mir auf meine Bitte
eine wörtliche Übersetzung derselben geschickt^ die ich hier mit' seiner
Erlaubniss mittheile.
Wie sehr sich die Apostel im Himmel freuen über einen Sünder,
wenn er Buße thut, mehr als über einen Gerechten, höret zu, geseg-
nete Christen , wenn wir euch ein Wunder erzählen , das sich zuge-
tragen hat.
Es war ein gewisser König Namens Anthon in der Stadt Cäsarea,
und er zeugte einen Sohn und eine Tochter, und endlich starb der
König Anthon imd die Königin, und es blieb ein Sohn nach und eine
Tochter, und sie regierten das väterliche Land, imd von einem andern
König wurde verlangt die Schwester und die Hälfte des Landes, und es
besprachen sich der Bruder und die Schwester und sagten: 'Was werden
wir thun, wenn einer die Schwester und die Hälfte nimmt? So wird das
väterliche'Land zerstückelt werden.' Und es nahm der Bruder die Schwe-
ster imd sie zeugten einen Sohn und sagten : 'Es ist nicht anständig, dies
Kind zu halten, weil es von Bruder und Schwester ist.' Und sie mach-
ten eine Kiste und schrieben einen Brief und legten ihn auf die Kiste
mit dem Kinde und besagten : 'Dies ist ein Kind von Bruder und Schwe*
ster,' und warfen sie in das Meer, daß wer sie finde wisse wer es sei.
Und endlich starb der Vater, und es blieb die Mutter nach und regierte
das Reich. Und der Wind hatte jene Kiste damals ergriffen und trieb
sie an das Land des Herodes. Und es fand sie ein Mönch, Namens
Hermolaus, und er verbarg den Brief, das Kind aber erhielt er am Leben,
ZUB LEGENDE VON ÖREÖORIUS AUF DEM STEINE. 289
und es wuchs und wurde sehriftkundig und gar tapfer. Er erbte das
Land des Herodes. Und es erfuhr die Mutter, daß es einen jungen
König in jenem Lände gebe, und sie wusste nicht, daß es ihr Sohn war,
und sandte ein Schreiben an ihn, um ihn zum Mann zu nehmen. Und
er feierte die Verlobung mit seiner Mutter und nahm sie sich zur Kö-
nigin und wurde König in der Stadt Cäsarea. Seine Name war Paul,
imd er kam zum Mönche Hermolaus, damit dieser ihn segnete. Und
es sprach zu ihm Hermolaus: 'O Sohn Paul, wenn du wüsstest, wer
du bist, wäre es dir nicht anständig, auf dieser Welt zu wandeln,
geschweige zu herrschen 1' Und es sagte ihm Paul: 'Weshalb ist es
mir unanständig zu herrschen? Ich bin weise, ich bin tapfer, ich bin
schriftkundig imd verstehe mich auf alles, sowohl schlechtes als gut^s.'
Und es nahm Hermolaus den Brief und gab ihm denselben und sagte :
'Lies imd du wirst sehen, wer du bist* Paul aber nahm den Brief und
wollte ihn nicht lesen, sondern gab ihn einem Knappen, setzte sich aufs
Pferd imd ritt nach Cäsarea. Und dann dachte er an den Brief, wel-
chen Hermolaus ihm gegeben hatte, und gieng an einen geheimen Ort
und las ihn und sah, was er besagte, und fieng an heftig zu weinen
und schlug sich sehr und dachte: 'O weh mir, weh mir, dem Ver-
dammten! Wie duldet es die Erde, daß sie mich nicht lebend ver-
schlingt! Ich aber wollte über sie herrschen!' Und von da an nahte
er nicht mehr seiner Mutter, imd die Königin wunderte sich, daß er
nicht mehr zu ihr aufs Lager kam. Paul aber gieng jeden Abend in
sein Zimmerlein und weinte sehr, und die Königin rief einen Knappen
und fragte ihn, weshalb der König in Kummer sei. Und es sprach der
Knappe: ^Er hat einen Brief, den ihm der Mönch Hermolaus gegeben
hat, und liest ihn und weinet?' Und es sprach die Königin: *Auch ich
will gehen, um zu vernehmen, was der Brief besagt,' und sie gieng
hin und las ihn und sprach: *0 weh mir, weh mir, wie ich gefehlt
habe, weh mir, ^mein Sohn, da ich nicht nur mit meinem Bruder Sünde
verübt habe, sondern auch mit dem Sohn in Verblendung gerathen
bin.' Und sie erzählte dem Sohn alles, wie es in Wahrheit gewesen war.
Und von Stund an kleidete sich die Königin in einen Sack und jeg-
lichen Tag nahm sie fünf Bissen Brot mit Asche zu sich. Und es kam
Paul zu Johannes Chrysostomus und erzählte ihm alles. Als Johannes
seine Unthat vernommen, da wich seine Seele in ihm, und die Haare
richteten sich empor auf seinem Haupte, und sein Herz zog sich zu-
sammen*). Und er sprach: 'Bruder, wo wird solche iSünde Beichte
*) Im Original: 'als ich Johanaes*, "deine Unthat', 'meine Seele in mir' usw.
290 REINHOLD KÖHLER, ZUR LEGENDE VON OREGORIUS etc.
oder Vergebung finden?' Da erhob Paul gar sehr seine Stimme, schrie
imd sagte: 'O großer Chrysostomus, übergib mich dem Tode!' Und
Johannes kannte *) eine kleine Insel im Meere, wo das Wasser ringsum
fließt und darin eine marmorne Säule ist. Und dort band er den Paul
inmitten der Säule an und fesselte ihm Hände und Füße und schloß ihn
innerhalb der Säule ein mit den eisernen Schlüsseln. Und Paul sprach
zu ihm: 'Wann wirst du wieder zu mir kommen, großer Meister?*
Und er warf die Schlüssel ins Meer und sprach **) : ^Wenn diese
Schlüssel aus dem Meere hervorkommen, dann werde ich zu dir kommen.'
Und er gieng fort in seine Patriarchei. Und es vergiengen zwölf Jahre,
und an einem Tage , am Tage der Verkündigung der allerheiligsten
Mutter Gottes, brachte man ihm frische Fische, und er fand in einem
Fische die Schlüssel und wunderte sich, und er erkannte sie nicht,
weil so viele Jahre verflossen waren, und in einer Nacht erinnerte er
sich des Paul imd am Morgen erzählte er es den Brüdern und sprach:
*Lebendig ist der Herr und lebendig meine Seele! Lasset uns gehen
und dort auf jene Säule sehen!' Und er gieng und versuchte die Schltlssel,
imd sie fassten, und er öffnete und sah den Paul strahlen wie die Sonne,
und Salbe floß ihm vom Antlitz, und er sagte ihm: 'Wie wohl ist mir!
Freue dich, guter Lehrer!' Und er ward von ihm gesegnet und bewies
ihm Verehrung, und darauf übergab er seine Seele in die Hände Gottes.
Und endlich kam zu ihm die Mutter, und sie fand Rettung ihrer Seele,
weil sie von ganzem Herzen Buße gethan hatte.'
Lamansky bemerkt ohne Zweifel mit Recht, daß uns in diesem
bulgarischen Texte gewiß eine Übersetzung aus einem griechischen —
noch nicht nachgewiesenen — Original vorliege, daß aber die Erwäh-
nung des Johannes Chrysostomus vielleicht erst eine Interpolation des
slawischen Übersetzers oder Erzählers sei. Er vergleicht sodann die
serbischen epischen Lieder von Simon den Findling, welche uns aus
Talvjs und Gerhards Übersetzungen bekannt sind und jieuerditigs von
AI. D^Ancona in seiner Einleitung zu *La Leggenda di Vergogna e
la Leggenda di Giuda', Bologna 1869, S. 77 ff. und von Friedr. Lip-
pold, Über die Quelle des Gregorius Hartmanns von Aue, Leipzig 1869,
S. 55 ff. mit der Gregoriuslegende verglichen worden sind.
Die Legenden von Paul von Cäsarea, von Simon dem Findling
und von Gregorius sind verschiedene Gestaltungen einer und derselben
Grundlage; ob das Geburtsland dieser letztem der Westen oder der
*) Im Original: 'und ich Johannes kenne*.
**) Im Original: 'Und ich warf . .. und er sprach' ,
KONRAD MAURER, ÜBER ARI THORGILSSÖN etc. 291
Osten Europas ist, darüber eine bestimmte Ansicht zu gewinnen, würde
vielleicht die Entdeckung des griechischen Originals der Legende von
Paul von Cäsarea uns ermöglichen.
WEIMAR. EEINHOLD KÖHLER.
ÜBER ARI THORGILSSÖN UND SEIN ISLÄNDER-
BUCH.
Soeben hat Theodor Möbius die in Kiel tagende Versammlung
deutscher Philologen und Schulmänner durch eine neue Ausgabe der
Islendingabök des alten Ari begrüßt *). Der Text jfreilich, welchen diese
neue Ausgabe bietet, ist, von wenigen orthographischen Punkten ab-
gesehen, derselbe, wie ihn J6n Sigurdsson bereits vor einer Reihe von
Jahren in den Islendinga sögur gegeben hatte (1843)* Die Übersetzung
ferner hat ebenfalls in derjenigen , welche Dahlmann in seinen „For-
schungen auf dem Gebiete der Geschichte'* veröffentlichte (1822), be-
reits eine Vorgängerin, und wenn sie zwar dieser ohne alle Frage sehr
erheblich überlegen ist, so wird doch solcher Vorzug kaum von Je-
manden seinem vollen Umfange nach gewürdigt werden ; der des Ori-
ginals Mächtige wird ja kaum jemals nach der Übersetzung greifen,
der des Isländischen Unkundige dagegen schwerlich tief genug in das
Studium des Werkes sich einlassen, um an Dahlmanns doch immerhin
nur minder wichtigen Übersetzungsfehlern vielen Anstoß zu nehmen.
Die sonstigen Zuthaten des Herausgebers endlich verrathen eine ge-
wisse Unsicherheit de^r Begrenzung, und mancher Leser wird wohl
der Meinung sein, daß hinsichtlich derselben entweder zu wenig oder
zu viel geschehen sei, — daß zumal, wenn der Herausgeber zu der
Beigabe fortlaufender erläuternder Anmerkungen sich einmal nicht ent-
schließen konnte, besser auch die dürftigeren von ihm gebotenen weg-
gelassen worden wären. Indessen wird doch durch die hübsch ausg^
stattete und sehr handliche Ausgabe das nach Form und Inhalt gleich
interessante Werk sicherlich an Verbreitung gewinnen, und zumal durch
das mit bekannter Sorgfalt ausgearbeitete Wörterverzeichniss dessen
^) Are^s Isländerbuch, im isländischen Text mit deutscher Übersetzung, Namen-
und Wörterverzeichniss und einer Karte , zai Begrüßung der Germanisten bei der
XXV 11. deutschen Philologenversammlung in Kiel 27./30. September 1869, herausge-
geben von Dr, Theodor Möbius, Professor an der Universität zu Kiel. Leipzig, Druck
und Verlag von B. a. Teubner, 1869. XXIV und 88 S. 8« sammt Karte.
292 KONBAD MAUKER
Verständniss auch dem Anfänger gar sehr erleichtert werden. So mag
es denn verstattet sein, anknüpfend an die Erörterungen, welche M.
in seinem Vorwarte über Aris Person und Schriften gibt, hier ein paar
eigene Scherflein nach beiden Richtungen hin beizuschießen, um soviel
möglich noch streitige Puncte feststellen, oder nicht hinreichend ge-
würdigte in ein helleres Licht rücken zu helfen; da M. mehrfach auf
früher von mir bei verschiedenen Gelegenheiten über Ari gethane
Äußerungen Bezug genommen hat, flihle ich mich zu solchem Beitrage
nur um so mehr berechtigt sowohl als verpflichtet.
An erster Stelle möchte ich aber eine Berichtigung des
Textes anregen, welche freilich nicht nur dieser neuesten Ausgabe,
sondern auch den meisten ihrer Vorgängerinnen gegenüber nothwendig
zu werden scheint. Die Islendingabök enthält bekanntlich an ihrem Ende
die Namen der Vorfahren ihres Verfassers bis zu Yngvi hinauf, dem
Stammvater der Ynglfngar, und sie schließt in unserer Ausgabe, S. 14,
mit den Worten: y^XXXVL Geller falper peira porkels oc Brands oc
porgilsy föpor mins, en ec heiter Are,^ Eine Anmerkung unter dem Texte
belehrt uns aber, daß die Lesung oc Brands auf einer Conjectur des
Arni Magnussen beruht, wogegen die beiden Abschriften, welche sfera
J6n Erlendsson im Jahre 1651 von der nunmehl* verlorenen Perga-
menths. nahm, und auf welchen allein unsere Textesüberlieferung be-
ruht, übereinstimmend anstatt oc ein /, d. h. fopur, geben. Wirklich
liest die Skälholter Ausgabe der Islendingabök (1688) noch porkels
F. Brannsj wogegen Bussseus (1733), welcher Arnis handschriftlichen
Apparat zu der Quelle benützte , das / bereits tilgte •) , die Kopen-
hagener Ausgabe von 1829 aber ebensowohl wie die von 1843 unter
Berufung auf Amis Conjectur oc setzten. Wie Christen Worms Aus-
gabe von 1696, resp. 1716, liest, weiß ich nicht anzugeben, da sie
mir nicht zur Hand ist ; da indessen auch er schon auf Arnis Beihilfe
sich stützte, mag auch bei ihm schon dessen Emendation zu lesen sein.
Fragt sich also nur, ob diese Änderung des handschriftlich überlieferten
Textes wirklich nothwendig und gerechtfertigt sei? Dieselbe stützt sich,
soviel ich sehen kann, lediglich auf die Thatsache, daß Ari selbst in
cap. 1 seines Werkes den ])orkel Gellisson seinen Vatersbruder (S. 3),
und in cap. 9 den Gellir })orkelsson seinen Vatersvater nennt (S. 10);
die Möglichkeit, daß })orkell Gellisson der Vater des Brand sowohl
als })orgils, und damit der Großvater Aris gewesen wäre, ist dadurch
allerdings ausgeschlossen, aber lässt denn nicht vielleicht die hand-
') Ebenso Fiimr J6nsson, Hist. eceles. Island., I, S. 196, Anm.
ÜBER ARI THORGILSSON UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 298
schriftlich überlieferte Lesart noch eine weitere Deutung zu? Ich meine
ja und interpungiere: OeUir fa^ir peirra porkeU ^ foSmr Brands ^ ok
(sc.fdäir) porgtlsy fodur mins] J)orkell und J)orgils sind, so verstanden,
als Brüder und Söhne öellis bezeichnet, zugleich aber J)orkell als
Vater Brands, und J)orgil8 als Vater Aris; die einzige Schwierigkeit
aber, welche den Ami Magnussen zu seiner Conjectur bestimmte, ist
damit vollständig beseitigt, da Ari bei dieser Auslegung immerhin
Sohnessohn des öellir und Bruderssohn des J)orkell bleibt, und nur
Brand gegenüber seine verwandtschaftliche Stellung vertauscht, was
mit den angefiihrten Stellen ganz wohl verträglich ist. Ich wüsste nicht,
was meiner Auslegung der Textesworte von sprachlicher Seite her im
Wege stehen könnte, und ebenso wenig ist mir irgend eine Quellen-
stelle bekannt^ welche einen Brand Gellisson in den' Stammbaum Aris
einzuschieben zwingen würde; dagegen weiß ich allerdings noch einen
Uiiistand anzuftlhren, welcher meine Vermuthung entschieden bekräf-
tigen dürfte. In dem Verzeichnisse eingeborener isländischer Priester,
welches im Jahre 1143 aufgenommen wurde, figuriert neben J)orgils
Arason , dem Sohne unseres Q-eschichtschreibers , auch ein Brandr
})orkelsson^). Wenn wfr bedenken, daß Ari selbst im Jahre 1067 oder
1068 geboren war, und seinen Vater noch bei Lebzeiten seines Groß-
vaters, welcher letsitere im Jahre 1073 starb, verloren hatte *) , liegt
die Vermuihung nah«, daß Jxirgils der ältere und J)orkell der jüngere
der beiden Brüder gewesen sein möge; aber auch wenn man dies
nicht annehmen will, kann nicht auffallen, daß Brandr })orkelsson und
})orgils Arason gleichzeitig als Priester genannt werden, da ja der
letztere jedesfalls mit seinem eigenen Vater, dem Geschichtschreiber,
gleichzeitig die Priesterwürde bekleidete. J6n Sigurdssons Versuch, den
Brand mit einem Gudmundr prestr Brandsson aus ganz anderem Hause
in Verbindung zu bringen •), mag hiemach als überflüßig aufgegeben,
daftr in seiner Erwähnung in jenem Priesterverzeichnisse ein Beleg
ftir die Richtigkeit der obigen Deutung unserer Textesworte gesehen
werden.
Zweitens möchte ich etwas eingehender als dies von Anderen,
und zumal auch jetzt wieder von M. geschehen ist, die Abkunft
und die durch sie bedingte Lebensstellung Aris betont und
beiilcksichtigt wissen. Wir erfahren, daß schon der erste unter den
Vorfahren dieses letzteren im Mannsstamme, welcher sich in Island
«) Vgl. Diplom. Island. I, Nr. 29, S. 186. ♦) Vgl. islendingabök, cap. 9, S. 10,
und Laxdsela, cap. 78, S. 334. *) Diplom. Island. S. 191.
OEBMANIA. Neue Reihe HI. (XV.) Jahrg. 20
294 KONEAD MAURER
niederließ, Olafr feilan nämlich, ein „großer Häuptling", und zu
Hvammr im HvrammsQördr wohnhaft war "). Dessen Sohn, J)6rdr gellir,
wird um 930 zu den mächtigsten Häuptlingen des Landes gezählt^),
und etwas später als „der größte Häuptling im Breidi^ördr'* bezeich-
net®); in Hvammr wohnhaft**), war er es, der um 965 die Ordnung
der Bezirksverfassung Islands durchzusetzen wusste '**), und bald nach
dieser Neuerung setzte er das Viertelsding auf der Halbinsel })6rsn6B
ein, welches flir das ganze Westland gelten sollte ^^); seine hervor-
ragende Stellung in diesem Landesviertel ist endlich recht deutlich
auch aus jener Sage zu erkennen, welche gerade seine Fylgja al&
Schutzgeist dieses Landestheiles dem von H. Haraldr Gormsson ge-
schickten Zauberer gegentibertreten lässt '*). Wiederum zählt der Sohn
des eben genannten J)6rdr, Eyjulfr hinn gräi, gegen das Ende des
10. Jahrhunderts zu den angesehensten Häuptlingen der Insel *®) ; er
wohnte freilich im Otrardalr im Amarfjördr **), während zu Hvammr
ein Bruder, J)6rarinn fylsenni, und später dessen Sohn Skeggi, hauste **),
aber als godi wird er ebenso gut bezeichnet ^**) , wie })6rarin8 Frau^
Fridgerdr, als gydja *'), und es scheint somit, daß die Brüder an dem
ererbten Q-odorde gleichmäßig Antheil hatten, wenn auch der väter-
liche. Hof nur ^inem unter ihnen zu ausschließlichem Besitze zufiel.
Nach den Annalen im Jahre 979 geboren, konnte Eyjdlfs Sohn, })orkell,
unter solchen Umständen mit vollem Rechte als ein junger Mann be-
zeichnet werden, der schon durch seine Abkimft berufen sei, ein Häupt-
ling zu werden ^®) ; er erwuchs denn auch zu einem solchen, gab aber
zugleich seinem Hause in einer flir uns bedeutsamen Weise einen neuen
Wohnsitz. Er heiratete, als der letzte von vier Männern, die Gudrun
Osvifsdöttir '®), und gelangte durch diese Heirat in den Besitz de&
Hofes zu Helgafell, welchen diese kurz zuvor von Snorri godi einge-
tauscht hatte ***). Von J)6r61fr Mostrarskegg errichtet, und dann in ge-
rader Linie auf dessen Sohn J)orsteinn J)or8kabitr und Enkel J)orgi'imr
•) Laxdsela, cap. 7, S. 16. ') Landnima, V, cap. 16. S. 321. •) Eyrbyggja,
cap. 10, S. 11. •) Ebenda, cap. 9, S. 9; H8BnsaJ)6ris s., cap. 11, 8. 161. ••) fslend-
ingabök, cap. 6, S. 6—7; H8en8a)>6ris s. cap. 14, S. 173, Anm. **) Eyrbyggja, cap, 10,
8. 12; Landnima, H, cap. 12, 8. 98. ^*) Heimskr. Olafs s. Trjggvasonar, cap. 37, 8.152.
'^) Kristnis., cap. 1. 8.4; daß es wirklich des ])6rdrgellir Sohn war, welcher den
hier genannten Beinamen führte, zeigt die Eyrbyggja, cap. 13, S. 15, und Lazdsela,
cap. 7, S. 16. **) Gisla s. Sürssonar, I, S. 40; Eyrbyggja, cap. 13, S. 15. '*) Kristni s.»
cap. 2, 8. 6; Grettla, cap. 26, 8. 62. VgL Laxdsela, ang. O. 141. *«) ÖlkofraJ)., 8. 68.
") Kristni s., ang. O. ; ))orvalds J). vfdförla, cap. 4, 8. 42-43 u. dgl. m. *») Laz-
dsela, cap. 58, 8. 252; vgl. cap. 68, 8, 292. *») Ebenda, cap. 68 S. 294; Landnima,
II, cap. 17, 8. 213. '• ^ n^^.«ia, cap. 56, 8,46-48; Eyrbyggja, cap. 56, S. 103»
ÜBER ARI THORGILSSON UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 295
J)orstein8Son vererbt, nach dessen Tod ihn hinwiederum des letzteren
Sohn, eben jener Snorri godi, überkommen hatte, war dieser Hof hart
bei der Dingstätte des ))6rsness]3inges gelegen ; die Nachkommenschaft
des jjörölfr Mostrarskegg hatte darum bisher den Namen der jjörsnes-
Ingar getragen, ganz wie man die Nachkommenschaft des Olafr feilan
als Hvammuerjar bezeichnet hatte * ') ; von jetzt ab konnte der letztere
Name selbstverständlich ftlr die von J)orkell Ejrjülfsson abstammende
Linie nicht mehr passen, dagegen der erstere auf sein Haus statt auf
das des Snorri Anwendung finden. Auf Helgafell wohnend, wurde übri-
gens J)orkell bald höfdingi mikill ok heradsrikr **), wie denn nach seinem
Tode Gudrun selber von ihm sagt, er sei unter ihren vier Männern
maär rikastr ok höfdingi mestr gewesen**); im Jahre 1026 aber ertrank
er im BreidiQördr **). In einem Alter von nur 14 Jahren übernimmt
sofort Gellir , der Sohn ))orkels und der Gudrun , das manna förrad
seines Vaters***); als Inhaber eines Godordes wird er uns auch sonst
noch genannt ^^) , und außerdem erfahren wir von ihm , daß er zu
Helgafell wohnen blieb, bis er als alter Mann eine Romfahrt unternahm
und auf der Rückreise in Roeskilde starb *') ; die Annalen setzen sei-
nen Tod in das Jahr 1073, und Aris eigener Bericht über seines Groß-
vaters Tod stimmt hiermit überein*'). Da Aris Vater, J)orgils, noch
bei Gellirs Lebzeiten ertrunken war, übernahm den Hof zu Helgafell,
und mit ihm doch wohl auch das Godord, der andere Sohn, ])orkell*®),
und mag beiläufig bemerkt als eine weitere Bestätigung meiner obigen
Auslegung des Schlusses der Islendingabök dienen, daß von einem
dritten Bruder bei dieser Gelegenheit keine Erwähnung geschieht; in-
dessen muss bald auch die andere Linie Antheil am Hofe und Godorde
erlangt haben, da wir sie nach kurzer Frist wieder an diesem wie
jenem berechtigt finden. Ari frödi selbst wird bekanntlich unter die
isländischen Häuptlinge gezählt , welche sich vom Bischof Gizurr die
Priesterweihe ertheilen ließen^®), und im Mitbesitze wenigstens eines
Godordes muss er sich somit befunden haben. Wir wissen femer, daß
er einen Sohn Namens ])orgils, und daß dieser wieder einen Sohn hatte,
welcher Ari hinn sterki hieß ^^); es kann auch keinem Zweifel unter-
'') l^rsteres in der Ejrbyggja) passim; letzteres z. B. in der LaxdsBla, cap. 16,
8. 50. ") Laxdfela, cap. 70, 8. 298; vgl. cap. 76. 8. 326. ") Ebenda, cap. 78, 8. 322.
") Ebenda, cap. 76 8. 326; Anndlar. ") Laxdsela, cap. 76, 8. 328. **) Banda-
manna s., 8. 20; über die falsche Bezeichnung als })6rdarson statt ])orkelsson in den
Ausgaben der 8age vgl. Gudbrand Vfgfiisson, in den Nj fölagsrit, XVIII, 8. 167—68.
*') Laxdaela, cap. 78, 8. 334. **) Islendingabok , cap. 9, 8. 10. ") Laxdaela,
cap. 78, 8. 334. »®;.Kristni s., cap. 13. 8. 29. »') Laxdsela, cap. 78, 8. 332.
20 .*.
296 KONHAP MAURER
liegen, daß jener J)orgils Arason, welchen das obenerwähnte Priester-
verzeichniss im Jahre 1143 unter den angesehensten Priestern des We&t-
landes nennt, dann jener J)orgiIs prestr Arason, welchen die Annalen
im Jahre 1170 sterben lassen, mit diesem Sohne unseres Q-eschicht-
schreibers identisch sei. Nun wissen wir einerseits, daß eben dieser
])orgil8 prestr Arason, welcher zu Stadr wohnte, eine Tochter Namens
Hallfridr hatte , w:elche den Priester Magnus Pä^lsson aus dem Hause
der Beykhyltingar heiratete, upid mit ihm auf Helgafell wohnte, bis er
nach seines Vaters Tod Hof ifnd Kirche zu Eeykbolt übernahm ® •) ;
andererseits aber auch, daß Ari binn sterki, gleichfalls zu Staär ä Sneß-
fellsnesi wohnhaft, seine Tochter Helga dem J^ördr Sturluson 74ur Ehe.
gab, und den Hof sowohl als sein mannaforrä4 diesem seinem Se^wie-^
gersohne überließ , als er n^^ph Norwegen, hinüberfuhr ¥) , wo er„ am
18. Juni. 1188 starb **). Nup, ist klar, daß. weder, der Hof zu Helgafell'
der Hallfridr, noch das Godpr/J dem Ari yon, anderer als von väter-
licher Seite her angefallei^ sein koi^nte^ i^nd in der letzteren Beziethung
beseitigt vollends allen Zweifel^ wenn uns an einer anderen Stelle ge-
sagt wird, es. sei d^ Hälfte des J)6rsnesinga godord gewesen, welche;
Ari hinn sterki auf seinen Schwiegersolm übertragen habe®*); das.
zwar weiß ich nicht zu erklären, wie die andere Hälfte dieses Godordes
in die Hand des Priesters J>6tgils Snorrason von den Skardsströnd
geskommen war, der solche hinterher ebenfalls dem JxSrdr Sturluson.
tiberließ ^^) , und ebensowenig vermag ich anzugeben , wann und in
welcher Weise die Linie unseres Geschichtschreibers wieder zu einem
Antheile am Godord und Hofe gelangt war,, — aber soviel wenigstens
kann keinem Zweifel unterliegen, daß unter dem J)6rsnesingagodord
nur das Godord verstanden werden kann, welches dem seit dem An-.
fange des 11. Jhd., zu Helgafell sitzenden Hause des })orkeU Eyjiilfsson
gehörte, und nicht etwa das von dem eben damals vpn Helgafell, ab-
ziehenden Snorri godi auf seine Nachkommen vererbte Godord, denn dieses
letztere wird als Snorrünga godord ausdrücklich d^m ))örsnesingagodord.
entgegengesetzt, und war ein Erbstück in dem Hause der Sturlüngar,
nicht erst, wie dieses letztere, später von ihnen .erworben ''). — Man
sieht, ganz abgesehen von den verwandtschaftlichen Beziehungen, in
welchen Ari zu den mächtigen Häusern der Oddaverjar, der Reyknes-
") Sturlünga, II, cap. 38, S. 106, und III, cap. 20, S. 224. ") Ebenda, lU,
cap. 37, S. 192, und cap. 38, S. 194. ") Ebenda. HI, cap. 38, S. 194; AnnÜar, a...ll88j
Nekrologium Islandicum, bei Langebek II, S. 511. *^) Sturlünga, III, cap. 4^, S,,198„
3ß) Ebenda.' »^) Sturlünga, II, cap. 9, S. 65, und IV, cap^ 64, S. 94; vgl. HI,
cap. 41, S. 198.
ÜBER ARI THORQILSSON UNB SEIN ISLÄNDERBUCH. 297
fngar u. dgl. m. stand, tvar derselbe auch durch den persönliclien Be-
sitz oder doch wenigstens Mitbesitz eines der angesehensten und älte-
steü Godorde des Landes aü der Regierung seiner Heimat selbst auf
das Engste betheiligt. Wie seih eigener Stammbaum ihn mit dem nor-
wegischen Königshause, dann den Jarlen und Heerkönigen des We-
stens in Verbindung brachte, ändere Traditionen seines Hauses an diö
Geschichte der grönländischen Colonie oder selbst der noch weiter iiii
Westen gemachten Entdeckungen anknüpften, zumal aber die innere
Geschichte Islands selbst mit der Geschichte seines eigenen Hauses
«ehr genau verflochten war, und somit geschichtliche Forschungen dein
alten Ari schon durch seine Herkunft hiehr als Anderen nahe gelegt
waren, so musste ihm nicht nur seine Eigenschaft als Priester die
Eirchehgeschichte , sondern auch seine Stellung innerhalb der herr-
schenden Aristocratie seiner Heimat deren weltliche Verfassungsge-
schichte ganz besonders nahe legen; die genealogische, die kirchen-
geschichtliche und vor Allem die rechtshistorische Richtung sind aber
gerade das, Was seiner Geschichtschreibung ihren eigenthümlichen Cha-
rakter und ihren hohen Werth verleiht. Chronologisch geordnete Auf-
zeichnungen über die äußeren geschichtlichen Ereignisse hat auch
anderwärts im Mittelalter der Fleiß der Mönche und Weltpriester zu
Tage gefördert; eine mit so tiefem Bück und so gesundem politischem
Verständnisse entworfene, alles Nebensächliche vermeidende und alles
durchgreifend Bedeutsame mit sicherer Hand hervorhebende Gesammt-
geschichte der inneren Entwickelung des Landes konnte dagegen nur
von einem Manne ausgehen, der mit den gelehrten Kenntnissen, wie
sie dazumal nur der Geistlichkeit eigen waren, zugleich den feinen
Blick des geborenen Aristocraten und die ötaatsmännische Einsicht eines
regierenden Herrn verband. Es ist ein trauriges Symptom dürrster
Buehgelehrsamkeit, wenn einer der verdientesten Schriftsteller auf alt-
nordischem Gebiete gerade Aris Schrift „wenig wichtig" nennen konnte,
^da sie nur eine trockene Darstellung von Begebenheiten sei, die wir,'
mit wenigen Ausnahmen, aus anderen Quellen viel vollständiger
kennen^ 3®).
Drittens möchte ich noch der litter aris eben Thätigkeit Aris
eine kleine Erörterung widmen, welche die Zahl und den Inhalt der
Schriften des Mannes, sowie deren Verhältniss zu ^einander zwar nicht
erschöpfend, aher doch nach einigen Seiten hin zu behandeln beab-
sichtigt, die mir gerade jetzt besonders wichtige brennende Fragen dai?-
38
) P. E» Müller, SagabibUothek, I, S. 36.
298 KONRAD MAURER
zubieten scheinen. Ich »ehe dabei völlig ab von denjenigen Werken,
welche man, wie etwa die Eyrbyggja-, Laxdsela- oder Gunnlaugssaga
ormstdngu, die Olafssaga ens helga oder Vigagliima u. dgl. m. ohne
irgend welchen ernsthaften Anhaltspunkt dem Ari zugeschrieben hat,
und lasse mich auch auf die meines Erachtens einer sorgfältigeren
Prüfung allerdings werthe Frage nicht specieller ein, wieweit etwa auf
ihn der erste Entwurf der Kristnisaga zurückgeführt werden dürfe;
ich erwähne endlich nur im Vorübergehen jenes schon mehrfach an-
gefiihrte Priesterverzeichniss aus dem Jahre 1143, von welchem J6n
Sigurdsson allerdings wahrscheinlich gemacht hat, daß es von unserm
Ari herrühren möge, welches aber jedesfalls mit Rücksicht auf seinen
Inhalt nicht zu dessen litterarischen Producten gezählt werden kann.
So bleiben mir denn, neben dem uns allein erhaltenen Isländerbüchlein,
noch viererlei wirkliche oder angebliche Werke Aris zur Besprechung
übrig, dessen Schrift nämlich über das isländische Alphabet, dessen
Aufzeichnungen über die norwegische Königsgeschichte, dessen auf die
ersten Ansiedelungen in Island bezügliches Werk, endlich dessen, uns
verlorene, erste Redaction der Islendingabök, — dieselben Werke also,
welche auch Möbius im Vorworte zu seiner neuen Ausgabe der uns
erhaltenen Schrift in Kürze besprochen hat.
Über Aris Thätigkeit för die Feststellung eines isländi-
schen Alphabets gibt lediglich das Vorwort zu den grammatischen
Tractaten der jüngeren Edda Aufschluß; es heißt hier, S. 4 — 6 (ed.
Arnamagn. , II) : Skal ydr syna hinn fyrsta Utrs hdtt , snd ritinn, eptir
aeosjtdn stafa stafrofi % danskri tungu, eptir pvi sem pöroddr runameistari
ok Ari prestr hinrif frödi hafa seit i möti Latinuraanna stafrofi^ er meistaH
Priscianus hefir seit Arngrimr Jönsson, und ihm folgend Peter
Johann Resen^?), hat diese Worte so verstanden, als ob damit dem
Ari die Verfasserschaft einer Abhandlung über die Runen zugeschrieben
werden wolle. Arni Magniisson ist denselben Weg gegangen*^);
Bussseus dagegen (1733) hat als zweifelhaft bezeichnet, ob Ari wirk-
lieh eine Grammatik verfasst, oder etwa nur das überlieferte Alphabet
für den Gebrauch zweckmäßiger eingerichtet habe * *) , und Niels
*') Im Anhange zu dem Vorworte, welches seine Ausgabe der jüngeren Kdda be-
gleitete (1666). *°) In seinem ungedruckten Commentar zur Islendingabök ; siehe
das Citat bei Werlauff, S. 59. *Ö ^^ ^^^ ^^** ^^'^ « welche er seiner Ausgabe der
Islendingabök vorangesetzt hat; ob schon vor ihm Chr. Worm denselben Weg gegan-
gen, wie dies Werlauff S. 60 andeutet, vermag ich nicht zu entscheiden, da mir seine
Ausgabe der IsUnduigabök abgeht.
ÜBER ARI THORGILSSON UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 299
Äe inhold Brocman in ganz ähnlichem Sinne sich geäußert (1762)*').
Werl au ff folgt wesentlich dieser letzteren Meinung (1808), wenn er
meint , daß Aris Thätigkeit sich auf eine neue Anordnung , bessere
Erklärung und allenfalls eine Vermehrung des Runenalphabetes durch
Punctierung beschränkt habe**); J6n Olafsson aus Grunnavik
aber hatte inzwischen die andere Vermuthung ausgesprochen, daß Ari
wohl eine Anpassung des fremden, d. h. doch wohl lateinischen Alpha-
betes an die isländische Sprache in seiner Abhandlung versucht haben
möge **). Im gleichen Sinne wird es zu verstehen sein, wenn Hdlf-
dan Einarsson (1777) den Ari zu den ersten Grammatikern der
Insel zählt**), und die neuesten Herausgeber der Snorra-
Edda erklären sich in einer Anmerkung zu deren oben angeführter
Stelle ausdrücklich ebendahin (1852) ; es ist im Grunde auch nichts
Anderes, wenn Munch **) (1855) und R. Keyser) **) (1857) die Sache
näher dahin ausfahren, daß Ari im Vereine mit ])6rodd gelegentlich
der im Winter 1117 — 18 erfolgten Aufzeichnung der Haflidaskrä in
officiellem Auftrage eine gemeinsame grammatische Abhandlung ver-
fasst hätten, um die lateinische Buchstabenschrift für den verfolgten
legislativen Zweck erst brauchbar zu machen. Ohne mich auf die Wider-
legimg dieser verschiedenen Ansichten im Einzelnen einzulassen, be-
schränke ich mich darauf im vollen Einverständnisse mit Möbius,
S. VI, auszusprechen, daß meines Erachtens die oben angeführten Worte
der jüngeren Edda überhaupt nicht von irgend einer besonderen Ab-
handlung, sei es nun des Ari allein oder des Ari und J)6rodd zusammen,
sprechen wollen, sondern nur von der Aufstellung eines, vorwiegend
aus lateinischen Buchstaben gebildeten Alphabetes flir die isländische
Sprache , wie ein solches von Ari schon um seiner eigenen Schriften
willen nöthig befunden worden sein mochte. Eine eigene Abhandlung
grammatischen Inhalts brauchte darum noch keineswegs von ihm ge-
schrieben worden zu sein, und fftr die Existenz einer solchen scheint
es mir denn auch an jeglichem Beweise zu fehlen; ein vollkommenes
Phantasiestück ist es aber, wenn die angeblichen Bemühungen Afis
und J)6rodd8 mit der Gesetzgebung des Jahres 1118 in Verbindung
gebracht werden wollen. Nichts berechtigt ims, an ein gleichzeitiges
und gemeinsames Wirken der beiden Männer zu denken, und in Aris
*^) In der Untersuchung über das Alter der nordischen Runensteine , welche
seine Ausgabe der Ingvärs s. vidförla begleitet; vgl. zumal S. 277. *^) In seiner
Abhandlung De Ario multiscio, S. 60—61. **) In seinem ungedruckten Werke über
tdie Edda; vgl. Werlauff S. 59. "**) Sciagraphia, 8. 14. *^) Norweg. Geschicljte, II,
ß. 636. *') Norweg. Litteraturgeschichte, .^. 96 und 438.
300 KONKAD MAUBEB
eigenem Berichte über jene Legislation weist nichts darauf hin, daß
gelegentlich derselben eine officielle Regelung der Schriftsprache oder
Schrifkzeichen stattgefunden habe ; endlich ist auch nicht einleuchtend,
warum eine solche im Jahre 1117 hätte nöthig erscheinen soUen, nach-
dem man doch um reichlich 20 Jahre früher bei der Einfiüyrung der
Zehentlast von ihr absehen zu können gemeint hatte.
Ließ sich diese erste unter den vier auf Aris schriftstellerische
Thätigkeit bezüglichen Fragen recht wohl einer gesonderten Prüfung
unterziehen^ so ist bezüglich der drei anderen das gleiche Verfahren
einzuhalten in keiner Weise möglich , vielmehr muss die Erörterung
der Frage nach Aris Betheiligung an der Entstehung der
Landnäma und der anderen nach seiner Wirksamkeit für die
norwegische Königsgeschichte nothwendig zugleich mit der
Prüfung des Verhältnisses verbunden werden, in welchem die beiden
Redactionen seines Isländerbuches zu einander standen. Ich
setze darum die drei in erster Linie nach diesen drei Seiten hin
maßgebenden Quellenstellen zunächst sämmtlich hieher, und gehe dann
zur gleichzeitigen Besprechung ihres Inhaltes über. Es sagt aber die
Hauksbök über Aris Antheil an der Landnäma Folgendes*®): JVS
er yfir farü um landndm pau, er verit hafa d lalandi eptir pvi aemfrödir
menn hafa ahrifat, fyrst Ari prestr hinn froWi, porgihson, ok Kohkeggr
hinn vitri. En pessa bök rüada ek Hauhr Erlendsson ep^r peirri hök sem
ritad hafdi hefrra Sturla lögmadr, hinn frödasti madr , ok &pUr peirri
bök annarri, er ritad hafdi Styrmir hinn frödy ok hafda ek pat ör hverri
seni framar greindi , en mikiU porri var pat er pcer sögdu eins bddar^f
ok pvi er pat ekki at und/ra pö petsi landndmabök sd lengri enn nokhur
ttanttr- Die entscheidende Stelle über Aris Leistungen auf dem Gebiete
der norwegischen Geschichte steht in dem Prologe zur Heims-
kringla, und wenig abweichend in dem der geschichtlichen Olafssaga
ens helga *") ; sie lautet nach der ersteren Fassung folgendermaßen :
ffÄri prestr hinn frödi porgilsson Oeüissonar ritadi Jyrstr manna hh* d
landi aJt norrcenu mdli froedi hcedi foma ok nyjaj ritadi hann wie«***)
{ upphafi sinnar hökar um Islands bygd ok lagasetning, sidan frd lögsögur
monnumy hversu lengi hverr hafdi sagt, ok hafdi dratal fyrst til pess er
hristni kom d Island, en sidan alt til sinna daga. Hann tök par ok viS
mörg önnu/r dcemi, boßdi konunga o^fi i Noregi ok Danmörk ok sud i Eng-
") Landnima, V, cap. 16, S. 320. *^ Heimskringla, S. 2-3 (ed. Unger); vgl.
Olafs 8. ens helga, S. 1—2 (ed. Munch und Unger). Ich bemerke nm: die für den Sin»
erheblichen Abweichungen. *«) Fyrst Olafs s.
ÜBER ARI THORGIL880N UND SJöIN ISLÄNDERBUCH. 301
landi, eda enn störtiäindiy er gerzt höffu hir d landi, ok pffkld mSr hans
ßögn öU merkiligvM : var hann forvitri ok 8vd gamall, <xt hann varfoeddr
>fueeta vetr eptir faU Haralds ßigu/rdarsonar, Hann ritaSi, sem hann sjdlfr
segir, cefi Noregs konümga eptir eögn Odds Kolsaonar Hallesonar af Sidu;
en Oddr nam at porgeiri afrddakoü, peim manni er vUr var ok evd gamaU,
(U turnn bfö pd t Niäameeiy er Hdkonjarl hinn riki var d/repinn, 1 peim
^sama stad IM Ölqfr konüngr Tryggvaaon efna til kaupdngs, par sem nü
0r ^^)- AH jpreftr kom 7 vetra gamall i Haukadal til Halls pörarinssonar
ok var par 14 vetr. Hdlir var ma/dr störvitr ok minnigr , hann mtmdi
pal er pangbrandr prestr skirdi hann prevetran , pat var vetri fyrr en
hristni voeri i log tekin d Islandi. Äri prestr var 12 vetra gcmiaüy pd er
Isle^ hyskup andadist. HaUrfdr miüi landa ok hafdi fih^ Olafs kofiüngs
hins hdga ok f^kk af pvi uppreist miMa y var honum pvi kunnigt wm
riki hans. Im pd er Isleifr hyskup andaäist, var lidit frd falli Olafs
konüngs Tryggvasonar nasr **) 80 vetra» HaVr andadist 9 veirum sidar
en Isleifr hysksup, pd var HaUr at vetratali nircedr ok 4 vetra, hann hafdi
gert hü i Bdvkadal prÜugr ok lj6 par 60 vetra ok 4 vetr, 8vd ritaSi
Ari. Teitr son Isleifs hyskups var med HaUi i Haukadal at föstri ok hj6
par sidan; hann leerdi Ära presty ok marga fro^i sagdi harnt honwm,
pd er Art ritadi sidan. Ari Tiam ok marga frcedi at puridi döttur Snorra
godSa ; hon var spök at vüiy hon mundi Snorra födwr sinn^ en hoakn vor
pd nasr hdlfjfertügr, er kristni kom d Island, en andadist einum vetri eptir
faU Olafs konüngs hins helga. pat var eigi undarligt, at Ari vceri sann--
frddr at fomum iidindum, heedi hdr ok vtanlands, at hann hafdi numit
0t göndwn mönnwm ok vitruMy en var sjdlfr ndmgjam ok minnigr.^
Endlich über das VerkältnisB seiner beiden Redactionen des Is*
länderbaches zu einander äußert sich Ari selbst in der Vorrede zu
der uns yorliegenden jüngeren wie folgt ^*): y^Islendingahöc görpa ecfyrst
byscopom örom porldke oe CaÜe oc syndae hoepa peim oc Scemunpi preste,
JSn mep pvi at peim licape s^d at hafa epa par vipr auca, pd sorifapa
ec pessa of et sßma far , fyr ntan oRttartölo oe conunga asfe oc jöcc pvi
es mer varp sipan cunnara oc nü es gerr sagt d pesse en d pdri, iSn
hvatke es missagt es i fraepom pessom, pd es scyU at hafa pat heidr es
sannara regnisc,^ — Die Schlüsse^ welche man aus diesen Hauptstellen,
allenfalls unter Zuhülfenahme einiger anderer zerstreuterer Notizen in
Bezug auf Aris litterarische Leistungen ziehen zu sollen geglaubt hat,
gehen weit auseinander^ und zwar handelt es sich dabei ganz und gar
^*) TU kaupdngMttu en Olafr etvn heigt rsUti kauptttuUfin ^ Öl. s. **) Fehlt,
ÖL 8. ") Ed. Möbius, S. 3.
302 KONKAD MAURER
nicht bloß um eine der neuesten Zeit angehörige Meinungsverschieden-
heit zwischen J6n Sigurdsson einerseits und Gudbrandr Vigfusson,
dann meiner selbst andererseits, wie man dies nach den Worten glauben
könnte, welche bei Möbius S. XIII zu lesen stehen, sondern um einen
Conflict von Ansichten, welche, im Einzelnen sehr manigfaltig aus-
geprägt, schon seit den ersten Zeiten sich gegenüberstehen, in welchen
man mit den älteren isländischen Quellen sich einlässlicher zu beschäf-
tigen überhaupt anfieng. Ohne irgend welchen Anspruch auf litterar-
geschichtliche Vollständigkeit zu machen, will ich nur zur Erläuterung
und zugleich Begründung meiner Behauptung eine Reihe von Aus-
sprüchen nahmhafterer Männer zusammenstellen, wobei ich vorläufig
lediglich die chronologische Ordnung einhalte, im Übrigen aber neben
Äußerungen, die sich auf alle Seiten der Geschichtschreibung Aris
beziehen, auch andere berücksichtige, welche nur einzelne Zweige der-
selben ins Auge gefasst haben.
Es hat aber bereits Björn .Jönsson von Skardsd (f 1656)
im Vorworte zu seinen Annalen **) sich dahin ausgesprochen, daß Ari
die ersten Niederlassungen im Nord- und Westviertel, Kolskeggr aber
die im Ost- und Südviertel Islands aufgezeichnet habe, und er meint,
aus den uns erhaltenen Texten der Landndma lasse sich noch wohl
erkennen, wie genau Beide dabei zu Werke gegangen seien. Bischof
J)6rdr J)orläk8son von Skälholt, welcher im Jahre 1688 die Islend-
ingabök sowohl als die Landnäma zum ersten Male drucken ließ,
bemerkt nicht nur am Rande des Prologes zur ersteren, daß unter der
von Ari erwähnten ersten Redaction derselben die Landnäma zu ver-
stehen sei **), sondern er rechnet auch sowohl in seinem Vorworte zur
Islendlngabök als in einer Randglosse zu der oben angefllhrten Stelle
der Landnäma den Ari ausdrücklich unter die Verfasser dieser letzteren.
J)orm6dr Torfason erwähnt in seiner Series Dynastarum et Regum
Datiis^ (1702) S. 45. 6 der doppelten Redaction der Islendingabök,
dann auch der Schrift Aris über die nordische Königsgeschichte und
seine? AntheÜQs an der Entstehung der Landnäma, und zwar der letz-
teren unter Bezugnahme auf Björn von Skardsä und in seinem Sinne,
jedoch ohne sich irgend über das Verhältniss zu erklären, in welchem
diese verschiedenen Arbeiten zu einander gestanden seien; in den Pro-
legomena dagegen zu seiner Historia rerum Norvegicarum (1711) nennt
er einerseits den Ari gan? entschieden als den ersten Verfasser der
**) Gedruckt zu Hrappsey, in 2 Bändep, 1774—76. ?*) hlendinyabok meinasl
Landnäma sind seine Worte.
ÜBER ARI THOKGILSSON UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 303
Landndma, und zwar der ganzen, indem er ausdrücklich die von Björn
aufgestellte Scheidung als in den Quellen nicht begründet zurückweist,
während er andererseits diese Landnäma sehr bestimmt von der Islend-
ingabök, und zwar nicht nur in ihrer uns erhaltenen zweiten, sondera
auch in ihrer uns verlorenen ersten Redaction scheidet : ob er die Ar-
beiten Aris für die nordische Königsgeschichte, deren er gleichfalls ge-
denkt, ebenfalls als gesonderte ansah, oder aber in der älteren Redacr
tion der Islendingab6k begriffen glaubte, ist mir nicht völlig klar, doch
das letztere wahrscheinlicher. Übrigens scheint er in seinen Ansichten
über diesen Punct sich nicht immer gleich geblieben zu sein. Da näm-:
lieh der jüngere Otto Sperling, der selber in einer handschriftlich
erhaltenen Abhandlung die Meinung aussprach, die ältere Islendlnga-
b6k habe die Königsgeschichten sowohl als Genealogieen mit enthalT
ten*"), ihn um seine Ansicht über Aris Werk und dessen Verhältniss
zur Heimskringla interpellierte, antwortete er (1704), daß er jenes flir
eine ziemlich kurze Schrift halten möchte, übrigens aber nicht zugeben
könne, daß dessen Schede, d.h. unsere Islendingab6k ein bloßer Aust
zug aus einem älteren, weitläufigeren Werke seien, da ja der Verfasser
selber von Zusätzen spreche, die er gemacht habe *^). Arni Mag-
nussen sowohl, als durch ihn bestimmt Christen Worm , unter-
scheiden wiederum die ältere Islendingabök von Aris Arbeiten zur
norwegischen Königsgeschichte *^) ; Bussseus aber in seiner Vita Arü
(1733) spricht dem Ari die ganze sowohl als halbe Verfasserschaft der
Landnä^ma ab, indem er meint, daß die oben angeführten Worte der
Hauksbök lediglich auf die uns vorliegende Islendingabök zu beziehen
seien, und scheint andererseits dessen Arbeiten über die norwegischeu
Könige als vollkommen selbständige zu betrachten, obwohl allerdings
seine Äusserungen in dieser Beziehung nicht völlig concludent sind.
Bischof Finnr J6nsson (1772) ^^) erklärt des Busssdus Ansicht be-
züglich der Landnäma mit aller Bestimmtheit flir falsch, und scheint
im Übrigen Aris Arbeiten über die norwegische Königsgeschichte eben-
sogut wie dessen Landnäma von beiden Recensionen der Islendingabök
scheiden zn wollen; dessen Sohn und Nachfolger aber, Dr. Hannes^
Pinnsson, beschränkt sich wieder auf die Angabe (1774), daß Ari
der erste Verfs^sser unßerer Landnäma sei, welche nur hinterher von
") Vgl. Werlauflf, S. 18, Anm. Ob schon Bischof Brynjölfr Sveinsson (f 1676)
4er gleichen Anstellt war, sAa er von dem „ingens Yolumen Historiarum ab Odino ad
sua tempora oontextum** des Ari schrieb (Stephanii notse ad Saxonem, p. 15, resp. 17)
weiß ich nicht zu sagen; doch i^t es mir wahrscheinlich. ^^) Torfseana, S. 142.
") So nach Werlauff, S. 18. *») Ri^toria ecclesiaatica Lslandiae, I, S. 194.
804 KONKAD MAUBER
Anderen überarbeitet worden sei"* ). HÄlfdan Einarsson behandelt
die Biographieen der norwegischen Könige dieses Verfassers als ein
Werk f&r sich, von welchem er die Islendingabök sowohl als die Land-
näma sorgfUtig scheidet, welche letztere er ebenfalls von ihm zuerst
bearbeitet sein lässt (1777) •'). Schöning spricht (1777) von einer
Lebensbeschreibung der norwegischen Könige, die Ari geschrieben
habe**), und Suhm wiederholt diese Angabe (1781), womit Beide
die weitere Annahme verbinden, daß dieses Werk eine der wichtigsteü
Quellen der Heimskringla gewesen sei**); zugleich berichtet der letztere
aber auch, daß Jon Eiriksson „mit gutem Grunde^ vermuthe, daß
die von uns sogenannte Fagrskinna nur ein in späterer Zeit inter-
polierter und mit einer Fortsetzung versehener Auszug aus Ari sein
möge. Dem gegenüber trat Werlauff mit der Behauptung auf, daß
die Angaben über Aris Betheiligung an der Abfassung der Landndma
sowohl als die über seine Thätigkeit auf dem Gebiete der norwegischen
Geschichte lediglich auf die uns verlorene erste Redaction seiner Islend-
ingabök zu beziehen seien (1808) **), eine Behauptung, die er zugleich
durch eine Reihe von Argumenten zu begründen suchte. Umgekehrt
hat Bischof P. E. Müller trotz alles Fleißes, welchen er auf die Ge-
schichte der isländischen Sagenschreibung verwandte, es nicht der Mühe
Werth gefunden, auf die uns hier vorliegenden Fragen sich irgend ge-
nauer einzulassen. In keiner seiner zahlreichen Schriften auf diesem
Gebiete wird das Verhältniss der beiden Redactionen der Islendingabök
zu einander, dann zu Aris Antheil an der Landnäma oder den Noregs
koniinga sögur einer ernsthaften Prüfung unterzogen, und nur aus ge-
legentlichen Äußerungen lässt sich schließen, daß der Verfasser die
Landnäma wesentlich fttr Aris Werk hielt, und somit doch wohl von
unserer IslendingalxSk principiell unterschieden wissen wollte, — daß
er femer jene Chronologie der norwegischen Könige, auf welche er
Aris Verdienst um die norwegische Geschichte beschränken zu müssen
glaubte, als einen Anhang ansah, welcher ursprünglich der ersten Re-
daction eben dieser islendingabök angefugt gewesen sei ®*). Eine Ver-
nachlässigung des zugleich ältesten und wichtigsten Geschichtschreibers
lonter den Isländern, welche sich nur aus dem geringen Werthe erklärt,
den der dänische Bischof Aris Isländerbuch beimiöst, die aber zugleich
für seine ganze Auffassung der isländischen Litteraturgeschichte in hohem
••*) Vorrede zur LandnÄma. •*) Soiagraphia, 8. 115 Und 119. •') Vorwort
au Bd. I der Heimakrfngla, 8. XII. «•) CritiBk Historie af Danmark, IV, 8. V.
**) De Ario multiscio, 8. 14—26; •*) Vgl. zumal seine Schrift „Om den islandske
Historieskrivning'' , 8. 34 u. 40, in der Kordisk Tidsskrift for Oldkyndighed, I (1832).
ÜBER AM THORGILSSON UND SEIN tSLÄNDERBUCH. 305
Grade characteristisch ist In Werlauffs Sinn spricht sicK dagegen
wieder Dabl^La^n aus (1822) "•). Nach ihm hatte Ari „zuerst ein
ziemlich großes Buch zu Stande gebracht^ welches aber mit den Nach->
richten über Island die Geschlecht&tafeln und Lebensgeschichten yieler
norwegischen, dänischen imd englischen Könige verflocht, und das wir
leider nicht, mehr besitzen, außer daß Snorre Sturleson und Andere es^
zu unserem Besten benutzt haben. An dem Werke fänden die erfahrenen
Männer, deren Urtheile er es vertraute, mancherlei zu berichtigen;
Ari samnielte diese Bemerkungen, vervollständigte seine Nachrichten
über Island, schied hierauf alle fremdartige Zusätze ab, so entstand
das schlichte Buch, dessen wir uns freuen." Einigermaßen abweichende
Ansichten trug sodann Finn Magnus son vor (1838 und 1843*'').
Er unterschied von dem uns vorliegenden Isländerbuche Aris sowohl
dessen Schriften über die norwegische Königsgeschichte, als auch die
Landnäma, deren ersten Entwurf auch er diesem Verfasser vindiciert,
übrigens dahingestellt lassend , wieweit Björn Jönssons Angabe über
die Arbeitstheilimg zwischen Ari und Kolskegg begründet sei; er ver-
muthete aber zugleich, daß es gerade dieser erste Entwurf der Land-
näma sei, welchen Ari ursprünglich als Islendingabök bezeichnet habe,
und daß der uns erhaltene libellus Islandorum ursprünglich nur eine
historisch-chronologische Einleitung oder Vorerinnerung, oder allenfalls
auch ein Supplement und einen späteren Zusatz zu einer zweiten Be-
arbeitung derselben gebildet habe. Umgekehrt nimmt Munch (1855)
an, daß Alles was Ari über die norwegische Königsgeschichte ge-
schrieben habe, in der verlorenen ersten Redaction der Islendingabök
entboten gewesen sei, wogegen er den ersten Entwurf der Landnäma,
welchen er ihm auch seinerseits zuschreibt, als ein selbstständiges Werk
ansehcA zu wollen scheint <^®). Ebenso meint auch N. M. Petersen
in seiner : altnordischen Litt^ratu^geschichte ®^), daß die erste Redaction
der Islendingabök über die Könige des Nordens mitgehandelt habe^
während die uns vorliegende zweite Redaction wesentlich nur als ein
Auszug aus jener ersteren betrachtet werden dürfe ^ bei dessen Her-
stellung zumal alles auf f]?emde Lande Bezügliche beseitigt, und dafUr .
das auf Island Bezügliche hin und wieder näher ausgeführt und ergänzt
wprden. sei; er bestreitet aber auch, ausdriücklicb Finn Magniissons,
Vermuthung, daß jene erste Redaction mit der urspxünglichen Grundlage .
*•) Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte, I, S. 346. 7. *') Grönlands
historiske Mindesmserker, T, 8. 12 — 15, 25, und öfter; Vorwort zu Bd. I der fslendinga
sögur, S. m und XIII— IV. «*) Det norske Folks Historie, II, S. 634 - 5; vgl. I, 1,
S. 68 und 308. "; Annaler for nordisk Oldkyndighed, 1861, S. 37.
306 KONRAD MAURER
der Landnäma identisch gewesen sei, und zwar aus dem Grunde, weil
diese letztere keine Königssage sei. Hinwiederum kehrt R, Keyser
in seiner altnorwegischen Litteraturgeschichte (1857?) '®) wiederum zu
der älteren Ansicht zurück, welche den ersten Entwurf der Landnäma,
die Noregs konünga sefi und die Islendlngabök als eben so viele ver-
schiedene Werke Aris scheidet; er erwähnt dabei der zweifachen Re-
daction dieser letzteren, und gedenkt auch der Vermuthung Finns,
daß deren ältere mit jener ersten Bearbeitung der Landnäma zusam-
mengefallen sei, jedoch ohne sich derselben anzuschließen. Gudbrandr
Vigfiisson hat gelegentlich die Überzeugung ausgesprochen (1864)'*),
daß die sogenannten verlorenen Schriften Aris mit jener älteren Re-
daction seines Isländerbuches zusammenfielen, welche Ari allein als
Islendingabök oder liber Islandorum bezeichnet habe, wogegen der uns
allein erhaltenen, vielfach verkürzten Umarbeitung desselben von ihm
nur der Titel eines libellus Islandorum beigelegt worden sei : in münd-
lichem sowohl als brieflichem Verkehre hat mir derselbe seine Ansicht
über die hier in Frage stehenden Puncto auch noch des Näheren aus-
einandergesetzt, und stimmt dieselbe wesentlich mit derjenigen überein,
welche ich selber in ein paar academischen Abhandlungen ausgesprochen
habe, welche man bei Möbius S. XXII angeflihrt findet. Andererseits
hat sich aber nicht nur J6n Sigurdsson gegen Möbius'*), sondern
auch J6n J)orkelsson gegen mich selber brieflich dahin ausgespro-
chen, daß in der uns vorliegenden Islendingabök nicht etwa eine we-
sentlich geänderte Umarbeitung, sondern nur eine wenig modificierte
Ausgabe des ursprünglichen Werkes zu erkennen sei, bei welcher nicht
etwa die früher vorhandenen Genealogieen isländischer Häuser, aus
welchen hinterher die Landnäma, und Notizen über die norwegischen,
dänischen und englischen Königsgeschichten, aus welchen hinterher die
Noregs konünga sögur geschöpft haben, weggelassen, vielmehr umge-
kehrt die früher nicht vorhandenen Genealogieen der isländischen Bi-
schöfe einerseits und der Breidfirdingar andererseits erst hinzugeftlgt
worden seien. Bis auf den heutigen Tag herab sind demnach die ein-
schlägigen Fragen in hohem Grade bestritten, und zwar bestritten
nicht etwa bloß in Bezug auf wenig bedeutsame Einzelnheiten, sondern
in Hauptpunkten, von deren Entscheidung, wie Möbius mit vollem
Rechte geltend macht, „nicht allein unser Urtheil über den Umfang
'") Efterladte Skriffcer, I, S. 438. 9. '*) In der Vorrede zu den von ihm und
Th. Möbius herausgegebenen Fomsögur, ß. XIV, Anm. ") Vgl. S. XIII— XVI in des
letzteren Vorwort.
ÜBER ARI TH0RGIL8S0N UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 307
von Are's schriftstellerischer Thätigkeit abhängt, sondern auch einzelne
Fragen und Zweifel, die theils in der Islendingabök selber, theils in
den Verweisungen auf Are begegnen , zum Theil mindestens ihre Er-
ledigung finden". Da M. sich der von mir früher schon verfochtenen
Ansicht ausdrücklich angeschlossen, aber die für sie sprechenden Gründe
nur sehr kurz angedeutet hat, halte ich nicht flir überflüßig, etwas
einlässlicher auf deren Motivierung hier meinerseits einzutreten.
Als vollkommen sicher darf aber zunächst bezeichnet werden^
daß Ari über die Geschichte der norwegischen Könige irgend etwas
geschrieben habe, gleichviel übrigens wieviel und in welcher Gestalt
und Richtung ; der Prolog zur Heimskr. sowohl als so manche Citate,
welche sich in älteren Quellenschriften zerstreut finden, lassen über
diesen Punkt nicht dem mindesten Zweifel Raum, und über ihn hat
denn auch zu keiner Zeit irgend welche Meinungsverschiedenheit be-
standen. Als eben so sicher glaube ich aber auch die zweite Thatsache
bezeichnen zu dürfen, daß von Ari irgend welche Aufzeichnungen ver-
fasst wurden, welche hinterher die erste Grundlage fClr die verschie-
denen Bearbeitungen unserer Landnäma abgaben. Es ist vollkommen
willkürlich, wenn Björn von Skardsä, und durch ihn verftlhrt so manche
Andere, auf Ari nur die erste Bearbeitung der Ansiedelungen im Nord-
lande und Westlande zurückfuhren, dagegen die Bearbeitung der dem
Ostlande und Südlande angehörigen dem Kolskeggr Asbjamarson zu-
weisen wollen. Wir wissen, daß dieser, seiner Abkunft nach selber dem
Ostlande angehörig'*), über die Ansiedelungen von Hüsavlk, im jetzi'
gen Borgarfjardarhreppur der Nordrmüla sysla, ab südwärts Aufzeich-
nungen gemacht'*), und daß er sich auch noch über eine das Haus
des Sidu-Hallr betreffende Thatsache ausgesprochen hatte''*); aber
nirgends wird uns gesagt, wie weit seine Aufzeichnungen reichten,
nirgends auch gesagt, daß Ari das Süd- und Ostland nicht mitbehandelt
habe, so daß also jene mit apodictischer Bestimmtheit ausgesprochene
Behauptung sich nur als eine durch kein Quellenzeugniss gestützte
Vermuthung des an solchen Einfällen so fruchtbaren Bauern von Skardsä
herausstellt. Vollends verkehrt ist es aber, wenn Bussseus dem Ari allen
Antheil an der Entstehimg der uns vorliegenden Landnäma aberkennen,
und die einschlägige Angabe der Hauksb6k lediglich auf die uns er-
haltene Redaction der Islendingabök beziehen will; die einfachste Ver-
gleichung einer Reihe von Citaten aus Aris Schriften , welche islän-
") LandnÄma, IV, cap. 3, S. 245. '^^} Landnäma, IV, cap. 4, 8. 249. '*) Ebenda,
cap. 9, S. 261—2.
308 KONRAD MAURER
dische VerhältniBse und zumal auch Genealogieen betreffen, und doch
in unserem Texte des Isländerbuches nicht zu finden sind, genagt^
um die Haltlosigkeit jener Behauptung darzuthun, und wie sollte über^
dies Herr Haukr darauf verfallen sein, den Mann als deb ersten zu
bezeichnen, der über die Ansiedelungen auf Island geschrieben hahe,
wenn von ihm weiter nichts in dieser Beziehung gesagt worden wäre,
als was die beiden ersten Capitel jeries Schriftchens enthalten? In der
That könnte man mit ganz gleichem Bechte auch Snorris Angabe Qber
die Leistungen Aris für die norwegische Königsgeschichte auf unser
tsländerbuch beziehen , das ja auch in dieser Bichtung ein paar ver-
einzelte Angaben enthält, eine Verkehrtheit, welche vielleicht nur darum
Niemanden eingefallen ist, weil Snorri zufilllig die Gewährsleute nennt,
auf deren Aussage hin der Geschichtsforscher seine auf Norwegen sich
beziehenden Angaben gemacht hatte, und deren Namen in unserem
Büchlein, nicht wiederkehren. — Steht aber fest, daß Ari sowohl über-
die ersten Ansiedelungen auf Island, als auch über die nordische Kö*-
nigsgeschichte geschrieben, und zwar weit mehr geschrieben hat, als
was unsere Becension der islendingabök enthält, so bleibt lediglich
die Frage offen, ob jene ersteren Arbeiten, oder doch die eine oder
andere von ihnen vollkommen selbständig ausgegeben worden seien,
oder ob dieselben, sei ed nun beide oder doch die eine oder andere
von ihnen, mit. der älteren Bedaction der lslendingab6k in einem we-
sentlichen Zusammenhange gestanden sei? Diese Frage ist es demi
auch, über welche die Ansichten so weit auseinandergehen, ohne daß
freilich immer der Punkt, um den es sich handelt, gehörig klar ins
Auge gefasst worden wäre. Schon Torfaeus scheidet wenigstens die
Landnäma Aris völlig von seiner islendingabök, und umgekehrt trennen
Arni Magniisson und Chr. Worm von dieser wenigstens dessen Konünga
sßfi ; Finnr J6nsson, Hilfdan Einarsson und neuerdings wieder B. Eeyser
halten alle drei Werke getrezmt, während Bussseus, Schöning, J6n
Eiriksson, Suhm wenigstenfi die norwegische Eönigsgeschichte, und P. A.
Munch, dann N. M. Petersen umgekehrt wenigstens die Landndma als
ein selbstständiges Werk betrachtet wissen wollen. Dem gegenüber
scheint aber bereits Brynjölfr Sveinsson nur den Verlust eines einzigen •
Werkes unseres Geschichtschreibers zu bedauern, welches denn doch
nur jene erste Bedaction seines Isländerbuches gewesen sein kann,
und })6rdr })orläksson erklärt ausdrücklich, daß in dieser dessen erster
Entwurf der Landndma enthalten gewesen sei; sehr bestimmt spricht
sich Otto Sperling darüber aus, daß- Aris Arbeiten über die Königs-
geschichte des Nordens sowohl als über die isländischen Landnamen
ÜBER ARI THORGILSSON UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 309
ebendaselbst zu finden gewesen seien, und WerlaujBr, sowie Dahlmann
halten die gleiche Ansicht mit aller Entschiedenheit fest; während
P. E. Müller und P. A. Munch wenigstens die norwegische Königs-
geschichte; Finnr Magnussen umgekehrt wenigstens die Landnäma in
der älteren Islendingabök mitinbegriffen glauben. Es ist somit eine alt?
überlieferte Controverse, um welche es sich hier handelt, und insbesondere
die von Gudbrandr Vigfdsson und mir neuerdings gelegentlich ausge-
sprochene Meinung keine von uns erfundene, vielmehr dieselbe, welche
0. Sperling, Werlauff und Dahlmann bereits ihrem vollen Umfange
nach scharf formuliert , imd Andere frtLher oder später ebenfalls we-
nigstens theilweise vertheidigt haben; die Entscheidung der Controverse
aber wird zunächst von einer genauem Betrachtung der Worte aus-
zugehen haben, in welchen Ari selbst sich über die zwischen beiden
Redactionen seines Isländerbuches bestehenden Unterschiede ausspricht.
jiOf et sama, fair,^ sagt er, habe er die zweite Redaction geschrieben,
und die gleiche Grundanlage wie die zweite muss demnach auch die
erste bereits gezeigt haben; er fiigt aber auch sofort einschränkend bei
yfyr utan astbartöh oc conünga cefi,^ und bemerkt überdies noch, daß er
nur hinzugesetzt habe, was er etwa inzwischen durch neue Erkundi-
gungen erfahren habe, und daß in Folge dessen die neue Bearbeitung
in. Manchem vollständiger sei als die frühere. Die Worte „mit Aus-
nahme des Geschlechtsregisters und des Lebens der Könige^ sind
neuerdings verschieden ausgelegt worden. J6n Sigurdsson sowohl als
Jon })orkelsson beziehen solche, völlig übereinstimmend, auf einen zwei«
fachen Zusatz, welchen Ari in seiner zweiten Bearbeitung gemacht hätte,
und wollen die »ttartala in jenen Genealogieen der ersten Bischöfe
Islands finden, welche, ausdrücklich als settartala bezeichnet^ am Schlüsse
des Buches sich finden, die koniinga »fi aber in dem ebendaselbst
aufgenommenen Stammbaume der Ynglingar und Breidfirdingar; sie
legen dabei ein entscheidendes Gewicht auf die jenen Genealogieen
und diesem Stammbaume unmittelbar vorhergehenden Worte: hdrlyksk
8jd bök, hier schließt dieses Buch, womit doch der Schluß des ursprüng-
lichen Werkes imd der Beginn des später gemachten Anhanges deut-
lich bezeichnet sei. Ich meinerseits dagegen habe, hierin mit Gudbrandr
Vigfüsson übereinstimmend, jene Worte auf einen Theil des Inhaltes
der ersten Redaction bezogen, welche bei deren Überarbeitung gestri-
chen worden sei> und ich glaube diese Deutung auch jetzt noch fest-
halten zu müssen, wie sich denn auch Möbius derselben angeschlossen
hat. Daß der Ausdruck an und für sich mehrdeutig ist, wird wohl
zugegeben werden müssen. Er weist eben nur auf die Thatsache hin|
GERMANIA. N«a« R«lh« III. (XV.) Jabr|, 21
310 KONRAD MAURER
daß neben principieiler Gleichartigkeit beider Redactionen eine Diffe-
renz zwischen denselben darin bestehe ^ daß die eine vor der andern
eine settartala und koniinga sefi voraus habe^ aber er sagt nicht^ wel-
ches die reichere und welches die ärmere Bedaction gewesen sei, und
insoweit sind wir demnach lediglich auf Vermuthungen angewiesen.
Auf das Wiederkehren des Ausdruckes »ttartala bei den Bischofs-
genealogieen vermag ich dabei eben so wenig Grewicht zu legen ^ als
darauf; daß Ari den Singular und nicht den Plural braucht, der doch
bei einem genealogischen Materialc; wie es die Landnäma enthält;
näher zu liegen scheine. Auch der Bischofsgenealogieen sind es vier^
nicht bloß eine, und wenn auf sie der Singular statt des Pluralis An-
wendung finden konnte^ so war dasselbe doch wohl auch noch gegen-
über einer größeren Zahl von Stammbäumen zulässig; indem eben hier
wie dort settartala collectiv genonmien werden kann und muss; das
Wiederkehren des Ausdruckes aber beweist meines Erachtens gar nichts^
da dasselbe lediglich dadurch bedingt ist, daß hier und dort gleich-
mäßig von Genealogieen die Rede ist. Ebensowenig vermag ich aber
auch dem Satze „hier schließt dieses Buch^ entscheidende Bedeutung
zuzuerkennen. Er hätte meines Erachtens solche; wenn er sich in der
ersten Bedaction fände ; in der zweiten aber weggelassen wäre; nun
er aber in der zweiten steht, die doch unzweifelhaft nicht mit cap. 10
schließt; wird doch wohl gefragt werden müssen, ob die Worte nicht
etwa in einem etwas anderen als dem zunächst liegenden Sinne ge-
nommen werden dürfen, imd wirklich bietet sich ungesucht eine ziem-
lich nahe liegende anderweitige Erklärung derselben dar. Mit dem
Inhalte des Werkes stehen weder die Bischofsgenealogieen noch die
Namen der Vorfahren Aris in irgend welchem Zusammenhang. Bischof
KetiU wenigstens wird; abgesehen vom Vorworte; in diesem gar nicht
einmal genannt; imd ebensowenig bietet dieses irgend welchen An-
haltspunct zur gesonderten Aufftihrung von Aris Stammbaum; wollte
er diesen dem Werke als solchem einverleiben; so fand sich in cap. 2
gelegentlich der Erwähnung der Stammmutter der Breidfirdingar Gele-
genheit, — war es ihm um die Mittheilung des Stammbaumes der Bi-
schöfe zu thuu; so musste deren Erwähnung im Verlaufe seiner geschicht-
lichen Darstellung hiezu die passlichste Veranlassung bieten; wie deim
wirklich isleifs und Gizurs Stammbaum bei solchem Anlasse sich be-
reits eingestellt findet (cap. 7; S. 7; und cap. 9 — 10; S. 10 — 11); und
B. Ketill im Grunde ebensogut wie B. })orläkr in cap. 10 sich noch
hätte erwähnen lassen. Als etwas außerhalb des Buches Stehendes
wollten demnach beiderlei Stammbäume offenbar betrachtet sein, und
ÜBER ARI THORGELSSON UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 311
aus diesem Qrunde konnte schon vor ihrem Beginn jenes als beendigt
bezeichnet werden ; eine von öudbrandr Vigfiisson, wenn ich nicht irre,
mir einmal ausgesprochene Vermuthung hat in der That viel Wahr-
scheinliches^ daß nämlich die Bischofsgenealogieen nur die Stelle einer
Widmung an die beiden Landesbischöfe ; und der Stammbaum der
Breidfirdingar^ mit den Worten schließend: »ich aber heiße Ari", nur
die Stelle eines Vor- oder Nachwortes des Verfassers vertreten sollte.
Beides kann hiernach wohl bereits der ersten ßedaction des Isländer-
buches gefolgt sein, und wird ihr wohl schon gefolgt sein, da die zweite
Bedaction desselben, wie sich zeigen wird, nicht vor dem Jahre 1134
abgeschlossen worden sein kann, sondern erst nach dem Tode Bischof
})orläks ''®) zu Ende gebracht wurde, und somit, wenn erst gelegentlich
ihrer jene Genealogieen beigeftLgt worden wären, gewiss die des Bischofs
Magnus Einarsson nicht weggeblieben wäre, welcher bereits im Sommer
1133 zu dessen Nachfolger gewählt worden war ^^). Als positive Gründe
für meine Auslegung aber möchte ich zimächst noch anführen, daß
der Zusammenhang die Deutimg des fyr läan auf eine Weglassung
statt auf eine Zufligung zu fordern scheint , da nur unter ihrer Vor-
aussetzung der richtige Gegensatz zu der sofort folgenden Bemerkung
über wirklich gemachte Zusätze sich ergibt, — dann aber auch, daß
die Bezeichnung als konünga cefi auf den in cap. 12 enthaltenen Stamm-
batun Aris in keiner Weise zu passen scheint. Wenn nämlich in die-
sem Stammbaume zwar die älteren Glieder bis auf den rothen ])orsteinn
herab sich allentalls als Könige bezeichnen lassen, so ist diese Bezeich-
nung doch auf die späteren von Olafr feilan ab nicht mehr anwendbar,
imd der alte Ari hätte sich gewiss nicht beigehen lassen, als konünga
cßß eine Namensliste anzufahren, die mit seiner eigenen Person schUeßt;
ein »ttartala und nichts anderes ist auch diese Namensliste, und un-
möglich konnte Jemand darauf verfallen , sie als konünga sefi direct
einer »ttartala gegenüberzustellen. Führt mich aber die Auslegung des
von An selbst geschriebenen Vorwortes zu der Überzeugung, daß die
erste Kecension seines Isländerbuches um die cettartölu ok konünga cefi
reicher gewesen sei als deren zweite, so glaube ich, mit Gudbrand
auch hierin übereinstimmend, eine Bestätigung dieser Annahme in Dem
sehen zu dürfen^ was derselbe Ari über die Namen sagt, die er beiden
Bedaotionen beilegte. Als hlendingabök bezeichnet er selbst in- seinem
^*) Als dessen Todestag nennt die Hiing^ryaka, cap. 12, S. 74—5, den 31. Januar
1133; das Jahr wird von denAunalen bestätigt, wogegen das Kecrologium islandicum,
bei Langebek U, IS. ö05, als Tag den 1. Februar nennt. ^') Hüngrvaka, cap. 13,
S. 76. Vgl übrigens aucb, was unten, noch über diesen Punct gesagt weffdien wii*d.
21*
312 KONRAD MAURER
Prologe seine erste Bedaction; die zweite Redaction dagegen scheint
er nicht ebenso betitelt zu haben^ obwohl die neueren Ausgaben^ ohne
alle handschriftliche Gewähr ; auch auf sie die gleiche Bezeichnung
ausdehnen, sondern liheUus Islandorum, was sich nur durch hlendinga
bceklingr wiedergeben ließe. Diese Überschrift haben die Hss. unmit-
telbar vor cap. 1, während sie freilich vor dem Prologe die andere
Aufschrift setzen: Schedes Ära prests fr6da\ diese letztere kann un-
möglich acht sein, da Ari den Beinamen hinn frödi sich nicht selbst
beilegen konnte, und überdies noch weit später erweislich nicht führte '®),
— sie wird demnach wohl eine Zuthat des Abschreibers aus dem
17. Jh. sein, wogegen die erstere Überschrift eben durch diese spätere
Beigabe um so entschiedener als von dem alten Ari selber herrührend
sich erweist. Daß in dem Büchlein selbst dieses dennoch wiederholt
als hök bezeichnet wird, wie M. richtig bemerkt und nachgewiesen hat
(S. VIII, Anm. 1), wird Niemand als Gegengrund gegen diese Annahme
anführen wollen; als namentliche Bezeichnung ist der Ausdruck dabei
nicht gebraucht, und unter den Gattungsbegriff des Buches fällt ja
immerhin auch das Büchlein. Betitelte aber Ari selbst seine zweite Be-
daction des Isländerbuches nur noch als Isländerbüchlein, so ist doch
auch hieraus zu entnehmen, daß sie die bedeutend kürzere war, und
daß wesentlich in Weglassungen, nicht aber in Zusätzen der Unter-
schied bestand , der sie von jener ersten Bedaction trennte ; einzelne
Zusätze geringeren Umfanges, wie solche allerdings in unserem Pro-
loge angedeutet werden, sind dadurch natürlich in keiner Weise aus-
geschlossen, womit sich der von })ormödr Torfason gegen O. Sperling
erhobene Einwand von selber erledigt. — Zu einem gleichen Ziele
flihrt aber auch, und hierauf hat Möbius (S. XIV — V) mit vollem Bechte
hingewiesen, eine genauere Erwägung des Prologs der Heimskringla.
Indem Snorri hier die Quellen bespricht, die er für seine Königssagen
benützte, konunt er auch auf Aris Leistungen zu reden; es ist aber
nur ein einziges Werk, dessen er dabei erwähnt (i v/pphafi dtmcvr bökar)^
und dieses einzige Werk handelte einerseits, wie unser Isländerbüch«
lein, von den Ansiedelungen auf Island und der Ordnung der dortigen
Gesetze, dann von der Chronologie imd Beihenfolge der Gesetzsprecher,
und wie es scheint auch von der Einftihrung des Christenthumes auf
der Insel, sowie manchen anderen erheblicheren Begebenheiten daselbst,
^') In der älteren Abhandlung der Snorra Edda, um stafrofit, cap. 1, S. 12, heißt
er schlechthin Ari ])orgils8on, in der Eiistni s» cap. 12, S. 26, Ari hinn gamü, aber
freilich eben da S. 27 und cap. 13, S. 29, hinn frödi, doch wohl nur in Folge späterer
Überarbeitung.
ÜBEB ABI THOBGItSSON UND BEIN ISLÄNDEBBUCH. 313
andererseits aber auch von den hmünga asfi in Norwegen, Dänemark
und England, und zwar dieses in einer Weise, die von der Diarstellung
des uns erhaltenen Wf^rkehens deutlich sich unterscheidet. Also keine
Rede davon, daß Ari ein der Heimskringla ähnliches Werk, wie dies
eine Überschrift in der Frissbök andeutet ''^^), oder ein der Fagrskinna
entsprechendes, wie dies J6n Eiriksson angenommen hatte, oder jenes
ingena volumen historiarum, an welches Bischof Brynj61fr geglaubt hatte,
— keine Bede überhaupt von einem selbstständigen Werke Ans über
die nordische Königsgeschichte, während doch Snorri von einem solchen
hätte sowohl wissen als sprechen müssen, wenn überhaupt ein solches
vorhanden gewesen wäre; was der Mann fiir diese Geschichte geleistet
hatte, lag vielmehr lediglich in einem Werke vor, welches vorzugs-
weise von der isländischen Geschichte handelte , und of et aama far
wie unser Isländerbüchlein geschrieben war, nur daß es noch konünga
{ßfi vor diesem voraus hattC; d. h. mit andern Worten in dem größeren
Isländerbuche, aus dessen Überarbeitung unser Isländerbuchlein hervor-
gegangen ist. Bei den sämmtlichen Citaten aus Ari, die sich bei Oddr
Snorrason und Gunnlaugr Leifsson, dann in der Olafssaga Tryggva-
sonar und Olafssaga helga der Heimskringla, wie auch deren späteren
Bearbeitungen, oder wieder in der Kristnisaga finden®®), handelt es
sich in der That auch nur um einzelne chronologische Daten oder doch
so abgerissene Notizen, daß solche recht wohl in einem wesentlich
der isländischen Geschichte gewidmeten Werke Platz gefunden haben
konnten. , Man sieht, bezüglich der konilnga sefi führt Snorris Prolog
auch seinerseits ganz entschieden zu dem Ergebnisse, daß diese in dem
größeren Isländerbuche mit enthalten waren, und erst hinterher bei
dessen Überarbeitung und Abkürzung weggestrichen wurden, und durch
nichts sind wir berechtigt, in denselben ein für sich bestehendes selb-
ständiges Werk zu sehen. — In Betreff der auf die Landnäma bezüg-
lichen Arbeiten Ari's fehlen uns gleich bestimmte Behelfe. Snorri, der
selber nur die norwegische Geschichte behandelte, hatte keine Ver-
anlassung, über sie sich zu äußern, und wenn zwar die Angabe, daß
Ari in seinem Werke unter Andern um Islands hygd gehandelt habe, '
auf die ältere Islendingabök, falls diese jene Arbeiten enthielt, ganSs
vortrefflich passen würde, so lässt sich doch nicht bestreiten, daß sie
zur Noth auch auf unser jüngeres Isländerbüchlein bezogen werden
") Vor dem Beg^inne der Ynglinga s. : JShr he/r upp Konünga bökf eptir aÖgu
Ära presU fr6da. •*) Siehe deren Nachweise in meinen Quellenzeugnissen über
das erste Landrecht und die Ordnung der Bezirksverfassung des isländischen Freistaats,
Anm. 22, S. 98—99.
314 KONRAü MAURER
könnte, und somit insoweit einen erheblich anderen Inhalt jener er-
steren nicht nothwendig voraussetzen müsste. Die Worte der Hauksh6k
ferner stellen nur die Existenz derartiger Arbeiten Aris fest, s:eben
aher über deren Character und Erscheinungsform nicht den mindesten
Aufschluß ; wir können hiemach zwar N. M. Petersen nicht Recht geben,
wenn er gegen die Annahme, daß auch sie der ersten Redaction des
Tsländerbuches angehört hätten, einwendet, daß der Character einer
norwegischen Königssage mit dem der Landnima unverträglich sei,
aber wir können doch insoweit auch noch nicht schlechthin die Mög-
lichkeit abweisen, daß sie ein gesondertes Werk ftlr sich gebildet haben
mögen. Indessen wird doch die Thatsache, daß Aris Prolog nach
meiner Ausle^ng neben der kominga aefi auch eine settartala als in
der zweiten Redaction seines Isländerbuches weggelassen bezeichnet,
und daß der Prolog Snorris diese Ausleanmg bezüglich der ersteren
entschieden bestätigt, auch bezüglich der letzteren dieselbe um so wahr-
scheinlicher machen, und wird andererseits anerkannt werden müssen,
daß Aufzeichnungen, wie solche unserer Landnäraa zu Grunde liegen,
als „Geschlechtsregister" recht wohl bezeichnet werden konnten. Ich
glaube aber auch noch andere Gründe flir die von mir verfochtene
Ansicht anfiihren zu können. Dahin gehört zunächst die Thatsache,
daß von den auf isländische Verhältnisse bezüglichen Citaten aus Ari,
welche sich in späteren Quellen finden, zwar einzelne sich auf unser
Isländerbüchlein beziehen lassen ®')? andere dagegen nicht ®?), während
doch hier wie dort immer nur Aris Name genannt, nie aber das Werk
angreffthrt wird, aus welchem im einzelnen Falle geschöpft wurde ; das
erklärt sich vollkommen, wenn alle diese Citate aus einem und dem-
selben Hauptwerke, dem großen Isländerbuche nämlich, entlehnt waren,
neben dem sich das kleinere als ein bloßer Auszug allenfalls ignorieren
ließ, ganz wie dies Snorri wirklich that, würde aber kaum erklärlich
sein , wenn dieselben aus verschiedenen Werken entnommen wären,
deren keines mit dem anderen irgendwie zusammenhienge. Dahin rechne
ich aber auch den anderen Umstand, daß in unserem Isländerbüchlein
noch hin und wieder Spuren einer früheren weit umfangreicheren Re-
daction stehen geblieben sind , 'welche zumal auch auf einen mit der
•^) Kristni s., cap. 12, S. 27; Pals bps s., cap. 18, S. 145; Jons bps s., I, cap. 6,
S. 158, und Gunnlaugs Recension, cap. 18, S. 231. •") Eyrbyggja, cap. 7, S. 8 ; Lax-
daela, cap. 4, S. 8, und cap. 78, S. 330—2; Njdla, cap. 115, S. 173; auch Landnama,
II, cap. 14, S. 106 , Anm. 1 , welche Stelle man nicht mit Möbius, S. TII, auf unsere
Islendingabök, cap. 6, beziehen darf, wo gerade das nicht steht, wofür die Hauksbök
auf Ari sich beruft. Vielleicht auch Flate^arbök, I, S. 526.
ÜBEB AM THORÖIL880N UND SEIN ISLÄNDERBÜCH. 316
Landnäma wesentlich verwandten Inhalt der letzteren hinweisen^ wäh-
rend andererseits wieder in der Landnäma zahlreiche Stellen sich zer-
streut finden, welche fast wörtlich aus der Islendingabök geschöpft «ich
erweisen. Möbius hat (S. XV— VI) bereits darauf hingewiesen , daß
unser Büchlein in seinen Bischofsgenealogieen den ])orläk Runölfsson
(t 1133) als denjenigen bezeichne, es nü es hyscop i ScdiahoUej zugleich
aber doch in seinem cap. 10 dem Gesetzsprecher Gudmundr ])orgeirs-
son eine Amtsperiode von 12 Sommern zuweise, was zwar an und für
sich richtig ist, aber unmöglich vor dem Sommer 1134 geschrieben
sein kann, da ja erst nach diesem jene 12jährige Amtsfrist abgelaufen
war, und erst im Sommer 1135 Gudmunds Nachfolger ins Amt trat.
Es liegt kein Grund vor, die Zahlangabe, wie wohl vorgeschlagen
wurde, fUr ein hinterher von fremder Hand eingeschobenes Glossem
zu erklären; richtiger dürfte die Annahme sein, daß Ari selbst bei
der Überarbeitung seines ursprünglichen Werkes den Zusatz gemacht,
aber die Berichtigung und Ergänzung der Bischofsgenealogieen ent-
weder übersehen, oder auch absichtlich unterlassen habe, weil er die
ursprünglich mit ihnen gemeinte Dedication fortgelten lassen wollte.
Auch auf die zerhackte Art hat M. aufmerksam gemacht, wie in cap. 1
die Notiz über K. Haralds Lebens- und Regierungsdauer mitten in
einen andern Bericht hineingeschoben ist, dessen ganzer Zusammen-
hang durch dieselbe unterbrochen wird, oder wie zwischen den Prolog
und das Capitelverzeichniss eine Notiz über desselben K. Haralds Vor-
fahren imd die ihm selber gelungene Herstellung der Alleinherrschaft
in Norwegen zu stehen gekommen ist. Das sind nun freilich Beispiele,
die mit unserer Landnäma wenig zu thun zu haben scheinen; aber
sie characterisieren doch bereits die ziemlich mechanische Art, in wel-
cher bei der Überarbeitung des größeren Isländerbuches verfahren wurde,
und in welcher man fast versucht sein möchte, die Spur von Aris
höherem Greisenalter herauszufühlen, und der zuletzt erwähnte Beleg
wenigstens flihrt überdies auch schon direct zu unserem Thema herüber,
sofeme sich in Landnäma, I, cap. 1, S. 24 — 5 noch ziemlich deutlich
die Stelle und der Zusammenhang erkennen lässt, an welcher und in
welchem jene Notiz ursprünglich gestanden sein musste. Deutlicher
noch spricht, wenn in dem Verzeichnisse der Capitel unseres Büchleins
das erste frd Islandshygä, das zweite aber frd landndTosmJmnum 6k laga-
setning überschrieben wird, was sehr genau der Angabe Snorris ent-
spricht, daß Ari i upphaß sinnar bökar um Islands hyg^ ok lagasetning
gehandelt habe. Der Landnämsmenn brauchte Snorri keine Erwähnung
zu thun, da sie in der hygd des Landes mitbegriffen werden konnten;
316 KONRAD MAURER
aber wenn wir nun in jenem zweiten Capitel neben dem über die Ge-
setzgebung Gesagten nur vier Landnämsmenn erwähnt finden, je einen
aus jedem Landesviertel, und dann sofort den Verfasser zu jener Zeit
hinüberspringen sehen, es Island vas vipa hygd arpit, so regt sich un-
willkürUch die Vermuthung, daß gerade hier ursprünglich jene »ttar-
tala eingeschaltet gewesen sein werde, welche die Hauksbök als die
erste Grundlage der Landnäma bezeichnete, nämlich eine ungleich aus-
gefilhrtere Aufzählung der wichtigeren Geschlechter, die sich in jedem
einzelnen Landestheile niedergelassen hatten. Ich habe anderwärts
wahrscheinlich zu machen gesucht ®^) , daß eine Reihe von Notizen,
welche unser Isländerbüchlein in geschichtlicher Reihenfolge auflftihrt,
in dem älteren Isländerbuche noch in jener settartala zerstreut gewesen
waren. Leicht ließen sich die dort zu bestimmt begrenztem Zwecke
hervorgehobenen Belege durch weitere vermehren; ich beschränke mich
aber hier darauf, beispielsweise bemerklich zu machen, wie die Worte
/ pann tip vas Island vipi vaxit d mipli fjalls oc fj'&ni (cap. 1, S. 4)
in der Landnäma, I, cap. 1, S. 28 wiederkehren : oh var pd skögr miUi
fjaUs ok ßöru, — femer cap. 1, S. 4: pd vöro hdr menn cristnir usw.
im Prologus Landn., S. 23. 24: En dar Island hygdist af Ntyregi, vom
par peir menn usw., — die Bemerkung über Gunnar Ülfljotsson in cap. 2,
S. 4 in Landn. III, cap. liß, S. 219, und die Nachrichten über die Ülf-
Ijötslög ebenda, IV, cap. 7, S. 257 — 9, — die Angaben über das Kjalar-
ness})ing, cap. 3, S. 5, in Landn. I, cap. 9, S. 38, und der Satz : Svd
hafa oc spaker menn sagt, at d LX vetra yrpi Island albygt svd at eigi
vcere meirr sipan fast wörtlich in Landn. V, cap. 15, S. 321 u. dgl. m.
Aller Wahrscheinlichkeit nach schloßen die Worte, welche jetzt im
letzten Capitel der Landnäma stehen, bereits im älteren Isländerbuche
den auf die ersten Niederlassungen bezüglichen Abschnitt, indem sie
zugleich den Übergang zum nächstfolgenden Gegenstande bildeten.
Snorri sagt, daß auf den um Islands bygS ok lagasebning handelnden
Abschnitt die Chronologie der Gesetzsprecher gefolgt sei, und zwar
zunächst bis zur Reception des Christenthums, dann aber von hier ab
bis auf Aris Zeit herunter. Dem entspricht nun vollständig, daß im
Schlußcapitel der Landnäma nach einer Recapitulation der mächtigsten
Landnämsmenn im Südlande, wie eine solche am Ende jedes Landes-
viertels vorkommt, dann nach jener Notiz über den Abschluß der
Niederlassungen innerhalb einer Frist von 60 Jahren, und einem Ver-
zeichnisse der mächtigsten Häuptlinge, die am Ende dieser Frist lebten,
'^) Quellenzeugnisse über das_erste Landrecht, zumal S. 70 u. ff.
ÜBER AEl THORGü^SSON UND SEIN ISLÄNDERBUCH. 317
die Bemerkung folgt: Hrafa Hcengsson hafdi pd lögsögu, worauf dann
das Werk mit einer Bemerkung über die einzelnen Christen schließt^
welche sich unter den Landndmsmenn befanden. Für die Landnäma^
wie sie uns vorliegt, ist dieser letztere Schluß völlig unerklärlich; er
wird aber vollkommen begreiflich, wenn wir ihn auf die ältere Islend-
Ingabök zurückfuhren. In ihr hatte das Verzeichniss der am Schlüsse
der landndmatid mächtigsten Häuptlinge ganz naturgemäß den von den
Landnämsmenn handelnden Abschnitt abgeschlossen ; die Erwähnung
aber des Hrafii Hsengsson als des ersten Gesetzsprechers, welche sich
auch noch in imserem Isländerbüchlein , cap. 3, S. 5, unmittelbar an
jene Notiz über die öOjährige Dauer der Landnamszeit anschließt,
hatte sodann das Verzeichniss der Gesetzsprecher eingefiihrt, und waren
die auf dieses bezüglichen Angaben, die nun in cap. 3, S. 5, und cap. 5,
S. 7 des neueren Werkchens getrennt stehen , ursprunglich wohl hier
vereinigt gestanden, worauf dann jene Bemerkung über die christlichen
Landnimsmänner und über den hundertjährigen Bestand des Heiden-
thumes im Lande einen ganz sachgemäßen Übergang zu der nun fol-
genden Schilderung der Bekehrung des Landes zum Christenthume
bildete. Hält man diese Folgerung ftlr stichhaltig, so wird man auch
sofort zugeben müssen, daß die bisher noch unbesprochenen Nach-
richten, welche die 6 ersten Capitel unseres libellus enthalten, auch
ihrerseits in dem auf die Landname bezüglichen Abschnitte zerstreut
gewesen waren. So muss die in cap. 4, S. 5 — 6 enthaltene Angabe über
die Ordnung des Kalenders ursprünglich in Landn. H, cap. 23, S. 131
gestanden sein, wo ihrer in der That noch Erwähnung gethan wird,
und sie ist in unserem Isländerbüchlein wirklich nicht an der richtigen
Stelle eingeschoben, da der Vorgang in die Amtsperiode des ))orkell
roäni (970—84), also erst in spätere Zeit als die Ordnung der Bezirks-
verfassung filllt; mag sein, daß der in einer alten computistischen Hs.
enthaltene Bericht über jenen Vorgang ®*), welcher in der Wortfassung
einigermaßen abweicht, aus dem älteren Isländerbuche abgeschrieben
ist Der Bericht über die Ordnung der Bezirksverfassung, welchen
cap. 5, S. 6 — 7 gibt, mochte ursprünglich in Landn. II, cap. 12, S. 98
und cap. 18, S. 115, vielleicht auch cap. 19, S. 116, gestanden sein,
wie denn einzelne Bestandtheile desselben sich wirklich noch an den
ersteren beiden Stellen finden ; die Nachricht endlich über die Ent-
deckung und Besiedelung Grönlands, welche sich in cap. 6, S. 7 findet,
hatte unzweifelhaft ursprünglich, nur in etwas ausflihrlicherer Fassung,
**) Abgedruokt in den Islendinga sogar, I, 8. 386 (1843).
318 KONEAD MAURER
in Landn. 11 , cap. 14, S. 105—6 ihre Stelle gehabt, wo ja noch jetzt
entsprechende Notizen, und in der Hauksbök so^ar eine ausdrückliche
Verweisung auf Ari zu finden sind. Wenn also Snorri von Islands bygS
ok lagasetning spricht, ist dies nicht etwa so zu verstehen, als wäre
damit gesagt, daß Ari zuerst von den Ansiedelungen auf der Insel und
dann von der Ordnung ihrer Gesetzgebung gehandelt habe, sondern so,
daß Gesetzgebung und Landname als in einem Abschnitte vermischt
besprochen bezeichnet werden wollten. Was sodann den weiteren Ver-
lauf des älteren Werkes betrifft , so ist bereits bemerkt worden , daß
an die Notiz über die christlichen Landnamsmänner sich zunächst die
Bekehrungsgeschichte Islands schloß. Diese wird in cap. 7 des Büch-
leins nur sehr unvollständig vorgetragen; in dem älterem Buche da-
gegen dürfte sie weitläufiger behandelt worden sein, und fehlt es nicht
an Spuren, die hierauf hinweisen. In cap. 8 wird Bischof Friedrich er-
wähnt als einer, der schon im Heidenthume die Insel besucht hatte.
Ari hatte «omit Kenntniss von seiner Mission , und konnte sie eben-
darum kaum ignoriert haben. Die Ej'istnisaga femer, welche ganz
ex professo die Kirchengeschichte Islands behandelt, beginnt gerade
mit dieser Mission, ohne mit einem Worte der ersten Christen irischer
Abkunft, oder wieder jener christlicher Landnamsmänner zu gedenken,
deren doch der auf Ari zurückzufiihrende Anfang und Schluß der
Landnäma Erwähnung thut. Nun ist uns die Kristnisaga nur in der
Hauksbök erhalten, und bildet in dieser, wie Gudbrandr Vigfilsson
•bereits bemerkt hat ®*), nur eine Fortsetzung der Landnäma ; während
jene mit jener Notiz über die christlichen Landnamsmänner schließt,
beginnt diese mit den Worten : Nu hefr pat^ hversu kristni kom d Island,
und geht sogleich auf jjorvaldr vidforli, den Begleiter B. Friedrichs über.
Ein Verzeichniss der mächtigsten Häuptlinge auf Island^ die zur Zeit
der Ankunft dieses letzteren daselbst lebten, ist ganz im Geschmacke
der entsprechenden Zusammenstellungen in der Landnäma gehalten,
die doch zweifellos den synchronistischen Bestrebungen Aris ihre Ent-
stehung verdanken ; Grund genug zu der Vermuthung, daß wir in der
Kri'Stnisaga eine selbstständige Überarbeitung der letzten Abschnitte
des älteren Isländerbuches erhalten haben, welche denn auch, wenn
ich von ein paar abgerissenen und offenbar est später ihr angehängten
Notizen absehe, genau mit demselben Zeitpuncte schließt, wie unser
Isländerbüchlein. Die weitere Fortsetzung des Cataloges der Gesetz-
sprecher einerseits , und das nunmehr hinzutretende Verzeichniss der
•^) Vorrede zu den Bibkupa sögur, I, S. XX.
ÜBER ABI THORGILSSON UND SEIN ISLÄNDEBBüCH. 31^
Bischöfe andererseits schloß das Werk , wobei wohl, wie in unserem
Büchlein, die hervorragenderen Begebenheiten, welche sidi während
der Amtsperiode der einzelnen Bischöfe und Gesetzsprecher ereigneten,
in die Verzeichnisse mit eingeschoben wurden. Die Notizen aber zur
Eönigsgeschichte des Nordens dürften , wie Snorri dies ausdrücklich
andeutet, und wie es im Grunde audi schon der Titel des Werkes als
IslmiingaMk mit sich bringt, lediglich in derselben Weise gelegentlich
an verschiedenen Stellen desselben eingeschaltet gewesen sein, wie sie
dies, so weit sie überhaupt in demselben stehen geblieben sind, noch
in unserem Isländerbüchlein sind, mit alleiniger Ausnabme der Nach-
richten über K. Haraldr hdrfagri, seine Vorgänger und die ihm gleich-
zeitigen Könige Dänemarks , Schwedens und Englands , welche , wie
oben schon bemerkt, eine außerhalb des Buches stehende Einleitung
zu demselben gebildet zu haben scheinen.
Man sieht, meine Ansicht über die schriftstellerischen Leistungen
Aris , soweit sie überhaupt hier in Frage kommen , geht dahin , daß
derselbe weder über die norwegische Königsgeschichte noch über die
Ansiedelungen auf Island selbstständige Werke geschrieben habe, son-
dern lediglich eine doppelte Redaction des Isländerbuches, von welcher
die ältere, ungleich umfassendere auch seine Arbeiten in jenen beiden
Richtungen in sich begriff, während diese aus der zweiten , weniger
umfassenden, weggelassen worden waren. Insoweit also stehe ich mit
Gudbrandr Vigfüsson nicht nur, sondern auch mit Dahlmann, Werlauff
und weiter hinauf mit O. Sperling auf derselben Linie, und mit Gudbrandr
theile ich auch die Überzeugung, daß bereits Ari selbst diesem Ver-
hälüiisse der beiden Redactionen zu einander durch die Titel Rück-
sicht getragen habe, die er ihnen beilegte. Was aber meine Ansicht
über das Aussehen des älteren Isländerbuches betrifft, nähere ich mich
am meisten den Anschauungen Finn Magnüssons, wiewohl ich auch
von ihnen nicht unerheblich abweiche. Ich halte nämlich dafür, um ' es
kurz zusammenzufassen^ daß die ältere Islendingabök mit einer Ein-
leitung begann, welche von K. Harald härfagri und seinen Vorfahren
handelte, und einerseits die Herstellimg der Alleinherrschaft in Nor-
wegen durch ihn berichtete, andererseits in synchronistischer Weise
der mit ihm 'gleichzeitigen Regenten in einer Reihe anderer Staaten
gedachte. Dann folgte die Geschichte der Entdeckung Islands, und
mit ihr zusammenhängend eine Besprechung der wichtigeren Ansiedler-
familien, bereits nach Landesvierteln geordnet und am Schhiße jedes
Viertels mit einer Zusammenstellung der mächtigsten landnämsmenn
versehen, wie in unserer Landnäma ; mittelst zerstreuter Bemerkungen
320 KONKAD MAURER
war dabei zugleich gelegentlich bemerkt worden, was der Verfasser
ttber die Geschichte der Rechtsordnung auf der Insel anzugeben wusste,
und der Abschnitt schloß mit einer Zusammenstellung der Häuptlinge,
welche am Schluße der Landnamszeit, oder was dasselbe ist, zur Zeit
des Todes K. Haralds, die mächtigsten waren. Hier schloß sich nun
zunächst die Chronologie der Gesetzsprecher an bis zu jjorgeirr Ljds-
vetningagodi (985 — 1001) herab, und mag sein, daß bei dieser Gelegen-
heit auch die gleichzeitig im Norden regierenden Könige und Kö-
nigsgeschlechter kurz besprochen wurden; sodann aber führte eine
kurze Notiz über die christlichen Landnämsmänner zur Besprechung
der Missionen B. Friedrichs , Stefnis und Dankbrands , sowie zu der
Schilderung der endlichen Bekehrung Islands im Jahre 1000 hinüber.
Mit ihr verband sich ungesucht, was der Verfasser über K. Olaf Tryggva-
son und seine Gegner zu sagen hatte ; von da ab aber fUhrten dann
einerseits die Verzeichnisse der Gesetzsprecher und andererseits die
der Bischöfe die Geschichte Islands bis zum Jahre 1120 herab, mit
welchem das Werk schloß, wobei die Synchronismen der Königsregie-
rungen und was sonst etwa noch der Erwähnung werth schien , sich
leicht am einen oder andern Orte mit einflochten. Anhangsweise end-
lich waren dann noch die Bischofsgenealogieen als eine Art von Wid-
mung an die regierenden Bischöfe, und war der Stammbaum Aris
selbst als eine Art von Einfahrung seines, des Verfassers, Namens bei-
gegeben, diese wie jene als ein nicht mehr zum Werke selbst gehöriges
Parergon. Bei seiner zweiten Bearbeitung aber beseitigte Ari nicht
nur die konünga sefi und die settartala bis auf wenige von beiden
stehen gebliebene Spuren^ sondern er sah sich durch diese Weglassung
der früheren Notizen über die einzelnen einwandernden Geschlechter
auch genöthigt, die einzelnen Angaben zur Verfassungsgeschichte der
Insel, welche er an diese angeknüpft hatte, aus diesem Zusammenhange
zu lösen , und zu einer fortlaufenden Geschichtserzählung zusaramen-
zufUgen; manche interessante Nachricht über einzelne Puncto der islän-
dischen Rechtsgeschichte gieng bei dieser Umgestaltung verloren, ganz
wie die Kirchengeschichte der Insel aus derselben Veranlassung we-
sentlich abgekürzt wurde, und hin und wieder mag es gelingen, aus
anderen Quellen, welche die ältere Islendingabök noch benutzt und
ausgeschrieben haben, noch einzelne erhebliche Angaben herauszuziehen,
die sich mit voller Bestimmtheit oder doch hoher Wahrscheinlichkeit
auf dieses Werk zurückfiihren lassen, — in einzelnen anderen Fällen
mag freilich auch umgekehrt der Text des jüngeren Isländerbüchleins
ÜBER Aßl THOßÖILßSOK tJKD SEIN ISLÄNBERBUCH. 321
kleinere Zusätze oder Berichtigungen erhalten haben; welche den Inhalt
des älteren und größeren Werkes in etwas verbesserten oder ergänzten.
Sehr au£[kllig ist aber die mechanische Art; in welcher Ari bei seiner
Überarbeitung verfuhr. Er strich zahli:eiche Stellen aus seinem älteren
Werke weg, — er stellte die einzelnen Stücke ; welche er aus ihm
herübemahm, dem neuen Plane gemäß vollständig um; aber die ein-
zelnen Stellen, welche er in die neue Bearbeitung überhaupt aufiiahm,
ließ er, soviel sich erkennen lässt, in ihrem Wortlaute so gut wie völlig
unverändert, und daraus erklärt sich die gehackte, nicht selten übel
zusammenhängende Haltung der Darstellung in unserem Isländerbüch-
lein, welche mit dem markigen, wohlgeordneten Vortrage in größeren
einheitlichen Stücken, wie etwa in cap. 5 oder cap. 7, auffallend con-
trastiert, — erklärt sich femer das Stehenbleiben so mancher Sätze
der ersten Kedaction, welche zu der Abfassungszeit und dem dadurch
bedingten anderweitigen Inhalte der zweiten in keiner Weise harmo-
nieren. Man möchte annehmen, daß Ari, durch die Critik der beiden
Bischöfe und des gelehrten Ssemunds unangenehm berührt, nur ungern
an die Umgestaltung seines Werkes gegangen, imd darum bei dieser
so wenig sorgfältig verfahren sei, — oder noch lieber, daß er, wie
dies oben schon gelegentlich angedeutet wurde, in den 10, 15 Jahren,
die zwischen dem Abschlüsse beider Bedactionen in der Mitte liegen
mochten, sehr gealtert, und darum nicht mehr die frühere geistige Kraft
besessen habe; im Jahre 1067 oder 1068 geboren, musste er im Jahre
1134 schon volle 66 — 67 Jahre alt sein, alt genug, um zu einer in der
Schriftstellerei noch ganz und gar nicht bewanderten Zeit nur mit
lahmer Kraft an das neue Werk zu gehen. Wie dem aber auch sei,
an dem Ergebnisse meiner Beweisführung wird durch die Stichhaltig-
keit oder UnStichhaltigkeit derartiger Vermuthungen nichts geändert;
ich kann nur wünschen, daß sachkundige Leser dieselbe vorurtheilslos
prtlfen, und in ihren Hauptpuncten eben so günstig au&ehmen mögen,
wie dies Th* Möbius soeben zu meiner großen Befriedigung ge-
than hat.
MÜNCHEN, 18. Oct. 1869. KONRAD MAUREB.
322 HEBMANN KURZ
ZUM LEBEN GOTTFßlEDÖ VON STB ASSBÜßG *).
VON
HERMAfßf KURZ.
Am j besten beginnt sichs mit dem gottesgerichtlichen Wunder,
dessen früher schon gedacht worden ist Unter den zu Straßburg durch
die Feuerprobe tiberfährten Ketzern war einer^ der sich auf dem Gang
zur Flammengrube von einem theilnehmenden Begleiter überreden ließ,
daß das Leben doch schön sei. Er widerrief also und gieng zur Beichte,
und siehe, stracks war seine vom glühenden Eisen verbrannte Hand
wieder heil. Jetzt aber begab sich noch ein ganz anderes Wunder.
Seine Frau war nicht bloß eine so verstockte Ketzerin, daß sie mit
sehenden Augen der geheilten Hand nicht glaubte, sondern übte auch
obendrein mit ihrem Munde einen Zauber, der ihn selbst verblendete
imd zum Rückfall bewog. Daß hierauf erstens blitzplötzUch an der Hand
des Mannes der Brand wieder ausbrach und zweitens sich auch der
Hand der Frau mittheilte, ist sicherlich fdr das kleinere Wunder zu
achten. Allein der unschuldige Cäsarius ahnt nichts hiervon: er erzählt
vielmehr ganz ehrlich, wie die Frau den Mann beschwor, des kurzen
Schmerzes nicht zu achten, ja lieber hundertmal den Leib dem Feuer
preiszugeben, als von dem einmal bewährt erfundenen Glauben abzu-
fallen; so daß man den wahren Hergang leicht erräth. Das Ende ist
natürlich, daß beide zusammen in die Gluth gestossen werden.
Dies ist die Tonart, aus welcher diese Legenden gehen. Mit den
andern kann man jetzt schneller fertig sein. Nur zuvor noch ein paar
kurze Bemerkungen über einen Punct, in welchem sich die erste von
den übrigen unterscheidet. Sie enthält nämlich, ob auch eine raschere
Critik sie leicht mit Haut und Haar ins Kehricht werfen dürfte, offen-
bar dennoch eiuen Bestandtheil von Wirklichkeit. Hiemit stimmt auch
der angeführte Marbacher Annalist überein, nach dessen strengem
Wortlaut unter denen, die in Straßburg das gltlhende Eisen tragen
mussten, einige Wenige unschuldig, also unversehrt befanden worden
wären; das steht nun einmal Schwarz auf Weiß und gibt zu denken,
um so mehr, als es nicht allein steht **). Welche Hände es aber waren^
*) Vgl. oben S. 207 ff.
**) Im Jahr 1183 hauste in Arras ein Ketzergericht, von welchem eine gleich-
zeitige Feder im benachbarten Kloster Anchin (die sogenannte Continuatlo Aquicinctin«
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBÜRÖ. 323
die das Eisen nach Gefallen heiß oder kalt zu glühen wussten, darüber
wird^ nachdem wir den Hauptzeugen gehört haben ; kein Wort mehr
zu verlieren sein.
Und nun die andern Geschichtchen.
Ein Geistlicher hat Ehebruch mit der Frau eines Ritters getrieben,
der ihn, als er halben Wind davon bekommt, einem Besessenen zu-
führt, aus welchem ein allwissender Dämon spricht. Der Priester aber
findet Zeit, geschwind vorher im Stall dem Ejiecht des Ritters zu
beichten, der ihm klüglich auferlegt, aich seine BuÜe selbst zu bestimmen,
wie er selbst sie einem andern Priester im gleichen Falle vorschreiben
würde. Als nun der Ritter mit ihm zu dem Dämon kommt, erklärt
dieser, er wisse nichts über den Mann zu sagen, der — wie er bos-
haft auf lateinisch beisetzt — im Stall gerechtfertigt worden sei.
Ein drittes. Der Ejiecht eines Ritters, der mit dessen Frau ge-
sündigt, wird von seinem Herrn in gleicher Absicht zu dem gleichen
Orakel gefilhrt. Unterwegs schützt er ein natürliches Bedürfiiiss vor
(womit sich auch der Priester im vorigen Geschichtchen den Weg zur
Beichte bahnte) und springt in den Wald, um einem dort wahrgenom-
menen Holzhauer seine Nothbeichte aufzudringen imd seine Buße von
ihm zu empfangen. Der Erfolg ist derselbe: „ich habe allerlei von dem
Mann gewusst," sagt der Dämon, „aber jetzt weiß ich nichts mehr
von ihm.**
Ein viertes. Ein Hauskobold, dem es Spaß macht, die Leute ans
Messer zu liefern, ruft in Frauengesellschaft einer mit ihrer Tochter
anwesenden Mutter zu, sie habe ihr Kind schlecht gehütet, es sei nicht
mehr rein. Die Tochter, auf diese Worte hin jählings Verstössen, ent-
fernt sich mit heuchlerischen Thränen (so sagt Cäsarius) und lauten
Unschuldsbetheuerungen , läuft aber (durch Eingebung Gottes, sagt
des Sigebert von Gembloux, Mon. YIII, Scr. VI, 421) erzählt, daß die wunderbare
Kraft der Beichte Viele der Angeklagten aus der Feuer- und Wasserprobe unverletzt
habe hervorgehen lassen. ,,Hic apparuit preclara virtus confessionis. Nam ut ab his,
qui interfuerunt, veraciter probatum est, multi ante in heresi culpabiles per
Dei misericordem gratiam a ferri cauterio et aque periculo evasemnt incolumes. In
Castro Yprensi duodecim ad iudicium ferri sunt adducti, sed per eamdem confessionis
virtutem omnes salvati«** Es ist treilich kaum recht abzusehen, warum man sie, nach-
dem sie gebeichtet oder beichten zu wollen erklärt, also jedesfalls widerrufen hatten,
doch noch dem Gottesurtheil unterwarf. Daß es in Wirklichkeit geschehen, daß irgend
ein entsprechender Hokuspokus vorgenomm^i worden ist, kann gegenüber der Yersi^
cherung von Augenzeugen nicht bezweifelt werden« Vielleicht wollte man die Hart-
näckigeren, ehe man die letzten Schritte that, durch ein Wunder bekehren; und ein
Wunder war im Übrigen immer Tortheilhaft
324 HERMANN KÜRZ
Cäsarius) zu einem benachbarten Priester und beichtet diesem, daß
der Dämon die Wahrheit gesagt habe. Der absolviert sie und heißt sie
thun, was folgt. Das gehorsame Beichtkind nämlich kehrt zur Gesell-
schaft zurück und macht der Mutter die größten Vorwürfe über die
schwere Sünde, dem Lügner, dem Sohn des Vaters der Lügen, geglaubt
zu haben. Hierüber zur Rede gestellt, erklärt, der Dämon verschüchtert,
er habe ja gar nichts Böses von dem Mädchen gesagt und könne auch
nichts Böses von ihr sagen, sie sei gut und rein.
So der glaubensstarke Novizenmeister und Prior von Heisterbach,
ftir dessen novellistische Kraftstücke natürlich die Berichterstattung
jede Verantwortlichkeit ablehnt. Wenn man ihm gerecht sein will, so
muss man beifügen, daß er neben der Beue^ Beichte und Buße auch
von den Vorsätzen für das künftige Verhalten spricht. Deren aber
scheint ihm eigentlich nur Einer zur Qnadenwirkung absolut unerläss-
lich, der Vorsatz, die auferlegte Buße (z. B. das Beten eines Psalms)
auch wirklich zu erfiillen ; wofür er gleich wieder ein Beispielchen weiß.
Indessen gibt er sich zufrieden, wenn der Sünder sogar mit dem Vor-
sätze des Wiedersündigens zur Beichte kommt, weil er hofft, der Beich-
tiger werde ihm den bösen Willen schon austreiben; wofür er alsbald
wieder ein Exempel in Bereitschaft hat.
Die Idealität des dritten Innocenz auf sich beruhen gelassen —
die Zeugnisse echt und tief religiösen Geistes, die uns von hervor-
ragend.en Predigern jener Zeit hinterlassen sind, in vollen Ehren und
Würden gehalten — das also war die Art, mit Predigtmärlein und
LehmoveUen von helfershelferischen Gnadenwundem — und durch
wahrhaft fromme Seelen, die, wie ein Cäsarius und seine Novizenschaar,
wahrhaftig dem zahmen Elephanten gleichen, der zur Einfangung des
wilden abgerichtet wird — die Geister in das Joch der allherrschenden
Kirche zu spannen I Mag man nun auch diesen Geschichtchen andere
gegenüber stellen, worin der Legendenschreiber allerdings, und beson-
ders jungen Clerikem zur Warnung, die Zügel etwas straffer führt,
mag man dazu, was unwidersprechlich, geltend machen, daß er über-
haupt mit reinem Herzen schrieb, so bleibt nicht bloß bei alledem
einmal der Welt die Theorie von den für den Nothfall so billigen
Stallknechten oder Holzhauern gepredigt (denn Predigten sind es, zu
welchen die vielverbreitete Beispielsammlung diente); sondern neben der
Predigt thut sich eine Praxis auf, die über jegliche Theorie hinausgeht:
ja, hundertmal billiger noch als jene Stall- und Waldbeichtväter ist,
wenn man's versteht, der sonst so wüthende Zelot zu finden, der Glau-^
bensrichter und Kreuzprediger, der, während er zahllose Ketzer ver»
Zmi LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 325
meintlich zur Hölle sendet; während er einen Engel durch die schmälste
Pforte in den Himmel zu quälen sich abmüht^ fUr ausgemachte Höllen-
braten ein wagenweites Paradiesesthor ofifen hat*).
Was von solcher Theorie und Praxis zu halten sei, das sollte
man nachgerade auf jeder Kanzel sagen können. So viel ist gewiß:
wenn das Halberstädter Wunder imd Seinesgleichen mit übernatürlichen
Dingen zugegangen wäre, so wären wir mit einer Weltregierung heim-
gesucht, die unter polizeiliche Aufsicht gestellt zu werden verdiente;
und wären vollends die ausgehobenen Geschichtchen des Cäsarius wahr,
so hätten wir ja einen Gott, der zur Übertretung des in seinem Namen
gegebenen Gesetzes selber mithilft, einen Gott des Luges und des Truges,
der, schlimmer als der Teufel, selbst diesen, wo er die Wahrheit sagen
will, zum Lügen zwingt!
Nun, und gerade das ist es, was auch Gottfried ausspricht, nur
*) Eonrad von Marburg, der geistliche Vater nnd Peiniger der heiligen Elisa-
bei, nahm bekanntlich als päpstlicher Eetzerrichter das yerworfenste Gesindel an,
das durch Denunciation und Verfolgung wirklicher oder angeblicher Häretiker sowohl
entsündigt wurde , als auch Gelegenheit erhielt , neue Schandthaten straflos (so lang
der Inquisitor lebte) zu begehen. Eine gewisse Alaidis, die ihm zulief, brachte, wie
der Chronist Alberich (Leibnitz Accessiones bist. 11, 544) erzählt, ihre nächsten Ver-
wandten auf den Scheiterhaufen, weil sie von ihnen enterbt zu werden fürchtete. Aber
freilich, Gregor IX. hatte ihm ja Vollmacht ertheilt, selbst excommnnicierte Mörder
nnd Mordbrenner (nur besonders schwierige und „enorme** Fälle dem apostolischen
Stuhle Torbehalten) zu absolvieren, wenn sie das Kreuz zur Ausrottung der Ketzer
nehmen. (Bullarium Ord. F. F. Praedicatorum op. Th. RipoU, I, 62; vgl. Henke
Konrad yon Marburg, Anm. 30.) Ein großer Sündenyergeber war auch sein Ketzer-
jagdgenosse, der Bischof Konrad yon Hildesheim. Es gibt eine Urkunde yon ihm, die
einen einschlägigen Fall berichtet Ein Edelmann hatte eine Reihe yon Verbrechen
begangen, in Folge deren er sich ohne allen Zweifel nicht mehr halten konnte. Der
Bischof bewog ihn zu dem Entschlüsse, freiwillig seinem Eigenthum zu entsagen, sich
auf Nimmerwiedersehen mit dem Kreuze zeichnen zu lassen , im Wege des Selbst-
schubes und des Bettels dem deutschen Hause in Jerusalem zuzuziehen, dort den
Übersehuss der gesammelten Almosen niederzulegen und den Rest seines Lebens im
Dienste Gottes zu verbringen , zu welchem Behufe er ihm ein Empfehlungssehreiben
an alle Christ^äubigen mitgab, das denen, die ihm hilari animo ihre Spenden reichen
würden, stattlichen Ablass ertheilt und den Wallfahrer selbst als unverletzlichen homo
religiosus in den Schutz der Kirche nimmt, mit folgender Aufzählung seiner Verbrechen:
„Sex vires interfecit; spoliis interfuit; predonibus a puericia se miscuit; ecclesias de-
predatus est; sorori sue accubuit, que per ipsum puerum unum (sie) peperit" (Parerga
Gottingensia, I, 4, S. 34—36). — Diese Thatsachen, die als besonders sprechende Bei-
spiele zeigen, wie sehr unsere Herren Missethäter, zumal die stiftungsfähigen, sich in
das milde Mittelalter zurückzusehnen Ursache haben, fallen immer noch in Gottfrieds
Zeit, obgleich er selbst sie nicht mehr erlebt hat; übrigens wird es ja unbestritten
bleiben, daß die Praxis (wie man sie auch wenden und deuten möge) älter ist
QBRUANIA. Ncutt Reihe TU. (XV.) Jahrg« 22
326 HERMANN KURZ
sagt er es, bei aller Wärme, etwas weniger hitzig und in seiner Weise;
Auch hat er in jenem Abschnitt des Gedichtes einen höchst eigenthüm-
lichen Standpunct, der mit in Betracht gezogen werden muss. Allein
hier fragt es sich zuvor abermals, wie weit er etwa in der Behandlung
der Sage selbstständig ist, und wir müssen daher zunächst auf seine
schon früher berührte Quelle noch einmal zurückkommen.
Gottfried sagt, er habe sich den Thomas von Bretagne zur Vor-
lage genommen, und gibt dabei zu verstehen, er ziehe denselben wegen
seiner zuverlässigeren Berichterstattung andern Quellen vor. Diese hi-
storische Gewissenhaftigkeit zunächst, dieses Wichtignehmen, ob Ri-
walin Herr von Lohnois oder Parmenien war, muss dem Heutigen
befremdlich, ja, sofern Gottfried und sein Fortsetzer Heinrich über den
Thomas in offenem Widerspruche sind, fast verdächtig scheinen. In-
dessen der merkwürdige historisch sein sollende Excurs über das Lehns-
verhältniss zwischen Komwall, Irland und Rom macht es dennoch
wahrscheinlich , daß der Dichter dem chronicalischen Geschmacke
seiner Zeit, wenn er ihn nicht gar in etwas theilte, doch ein wenig
huldigte. Weitere Zweifel könnte die Angabe erregen, durch welche
Gottfried jenen Thomas als einen Geschichtschreiber zu bezeichnen
scheint, während Spuren vorliegen, die es wahrscheinlich machen, daß
er vielmehr ein Gedicht, wenigstens so weit dessen erhaltene Frag-
mente reichen , zur Vorlage hatte *). Allein wie dem sein möge , die
♦) Sine sprächen in der rihte nihtj
als Thdmas von Britanje giht,
der dventiure meiater was
und an hritünschen btioehen las
aller der lanthirren leben
und ez um ze künde hat gegeben.
Die Bezeichnung dventiure meisUr spricht zwar mehr für als gegen die Annahme, daß
ein Dichter gemeint sei, und würde vortrefflich zu den mit Gottfried so auffallend
verwandten Fragmenten stimmen, deren Dichter sich Thomas nennt. (Vgl. diese Zeit-
sehr. XI, 495.) Dieser Thomas beruft sich ganz mit den gleichen Worten, mit welchen
sich Gottfried auf Thomas von Britanje beruft, auf einen Breri« Das wäre also eines
der bretonischen Bücher, von welchen Gottfried redet, und so weit kSme Alles mit
einander überein. Aber Gottfried sagt, sein Thomas habe das Leben sSmmtlicher
Landesherren geschrieben , und das scheint doch etwas mehr als eine bloße Vorge-
schichte der Trifltansage, wie die Aventiure von ßiwalin und Blancheflur, es scheint
vielmehr eine förmliche Geschichte oder Chronik der Bretagne zu bedeuten, die, ob
in Prosa oder in Reimen abgefasst, nur einen kurzen Abriss der Sage hätte enthalten
9
und nur gleichsam zum Leitfaden hätte dienen können, um die in widersprechenden
Gestaltungen vorliegenden längeren Bearbeitungen auf das richtige Maß zu bringen.
Dem entsprechend scheinen auch die Y. 327 (M. 10, 9) bezeichnete!» Aventiuren mehr
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VOX 8TEASSBURG. 327
Angabe, daß er nach einer fremden Quelle gearbeitet habe, lässt auf
alle Fälle keinen Zweifel zu. Jede Zeit hat ihre eigene Art: wie man
heutzutage auf den Schultern der Classiker des vorigen Jahrhunderts
(nicht bloß der großen) meist besser fortkommt, als auf eigenen Beinen,
so war man damals in der Regel darauf beschränkt, tiberlieferte und
bereits behandelte Stoffe abermals in Behandlung zu nehmen. Obgleich
großentheils vom Auslande stammend, waren sie eben bei jener Welt
in Gunst Das Geschäft des Bearbeiters bestand in nicht viel mehr als
einer Übersetzung , die er mit seinen Bemerkungen und Gesinnungs-
äußerungen, mit fortwährendem subjectivem Dreinreden begleitete. Ob
auch Gottfried sich hieran genügen ließ , oder ob er es wagte und
wagen konnte, in die Sage selbst gestaltend einzugreifen, das eben
wäre zu wissen wünschenswerth ; daher es auch hier wieder, wie früher
bei der Frage vom Tode Riwalins, zu beklagen ist, daß wir seine
Quelle nicht haben.
Jedesfalls aber fand er die Tristansage in abweichenden Gestal-
tungen vor, zwischen welchen er zu wählen hatte, und hierin, wenn
auch in nichts anderem, lag eine gewisse Selbstständigkeit. Er spottet
über seinen Vorgänger Eilhard, weil dieser einer (mythisch übrigens
ganz unverwerflichen) Sagenspur folgt , nach welcher eine Schwalbe
ein Frauenhaar über das Meer von Irland nach Komwall getragen
hätte. Eilhards Bearbeitung, obwohl von ihr nur Bruchstücke erhalten
sind, ist uns doch insofern zugänglich, als sie in jüngeren Überarbei-
historischer Natur und somit ihr Meister in diesem Falle mehr Chronist als Poet zu
sein. Dieser Punct dürfte eine nähere Untersuchung erfordern. Koch fraglicher wird
die Sache hei Heinrich von Friberg, der, in einem ganz andern Sagengeleise als Gott-
fried wandelnd, dennoch ebenfalls yersichert, er erzähle die wahre Märe nach Thomas
von Britania. Und zwar setzt er hinzu, derselbe habe in lampar tischer Zunge ge-
sprochen. Das ist, wie die alten deutschen Übersetzungen der Goldenen Bulle bestä-
tigen, nichts anderes als Italienisch, während Gottfried sich sprachlich zu einer
nordfranzösischen Vorlage bekennt. Da muss man wahrlich sagen:
Jci diverse la matyre,
weiz gotf hie epellet sich der leieh^
hie liepet daz mare.
Oder sollte die Bedeutung des Ausdrucks Lampartisch , wegen der Verwandtschaft
zwischen dem Norditalienischen und ProvenzaUschen, bis auf dieses erstreckt werden
müssen? Während Wolframs „Provenzale'' Ejot immer sicherer nach Kordfrankreich
rückt, würde das alte Leiden auf Gottfrieds Thomas übergehen? Kein,
<£te fabeleriy die hier under nnt^
die eol ich werfen an den wint.
fiUr ist doch mit der wärheit
ein michel arbeit üfgeleit,
22*
328 HERMANN KURZ
tungen bewahrt und in das noch vorhandene Volksbuch übergegangen ist.
Diese Sagenform nun weiß von der Feuerprobe nichts; und da
wir soeben gesehen haben, daß Gottfried in der Ablehnung eines Sagen-
zuges mit Bewusstsein und Absicht verfuhr, so können wir nicht mehr
im Zweifel sein, daß er in der Aufnahme eines solchen das Gleiche ge-
than habe. Ob er nun frei erfinden durfte, ob er einzelne Sagenzüge
. nach Belieben bald aus dieser, bald aus jener Vorlage nehmen konnte,
oder ob er gar nur im Ganzen die Wahl der Vorlage frei hatte und dann
an den Gang derselben gebunden war — selbst in dem letzteren Falle
zog er doch augenscheinlich diejenige vor, die ihm die Feuerprobe ent-
gegenbrachte. Sei es also reine Erfindung, sei es Anlehnung an eine
bereits bestehende Erzählung, die Feuerprobe ist sein eigenes Werk.
Wenn sie, was immerhin das Wahrscheinlichere sein dürfte, schon bei
seinem Thomas vorgezeichnet war*), so hatte er an diesem eine gleich-
gesinnte Autorität, mit welcher er sich für gewisse Bedenklichkeiten
decken konnte. Dies läge so recht im Geiste seiner Zeit, wäre eine
dieser Zeit durchaus angemessene, ins Gegentheil verkehrte Anwen-
dung des Satzes: quod quis per alium facit, id ipse fecisse putandus est.
Wer nun auch zuerst die Feuerprobe in die Tristansage gebracht
haben mag, er hat einen äußerst glücklichen Griff gethan, denn sie ist
hier wie nicht leicht anderswo an ihrem Platze. Ob der erste Erfinder
(falls es nicht Gottfried gewesen) sich der ganzen Bedeutung dieser
Einlage bewusst war, bleibt in Frage : sicher aber ist es^ daß er dem
Gottesurtheil, dieser Pestbeule des mittelalterlichen Culturlebens, einen
Stoss versetzen wollte ; denn auch in der weltlichen Sage ist gar nicht
Alles so absichtlos entstanden, wie die fromme Denkungsart der my-
thologischen Forschung zu glauben scheint.
Unserm Gottfried jedoch, mag er nun Erfinder oder Entlehner
der Aventiure sein, ihm darf man standhaft vertrauen, daß er die Be-
deutung, die dem Gottesurtheil in diesem Gedichte zu geben war,
*) Die Wahrscheinliclikeit, daß Gottfried die Fenerprob« bereits in seiner Vor-
lage fand, wird yerstärkt durch eine Vergleichung dieses Sagenznges mit den indischen
und mongolischen Sagen ähnlichen Inhalts, die so besonders sprechende Beispiele für
den Zusammenhang des gesaramten ostwestlichen ErzShlungssehatzes sind. (Theodor
Benfey Pantschatantra I, 457 f. ; in Gott. Gel. Anz., 1867, S. 679 f. Anton Schiefner im
'■ Bull. hist.-phil. de TAcad. de St. P^,tersb. XV, 71. Bernhard Jülg Mongolische Märchen,
1867; 1868, S. 111 ff.; Felix Liebrecht in Orient und Occident I, 124; in Heidelb. Jahrb.
1866, S. 936; zu Dunlop Anm. 383, 4; Karl Bartsch in dieser Zeitschr. V, 94 f.; Rein-
hold Köhler im Lit. Centralblatt , 1867, S. 968 f.; D. Comparetti in der Bevue crit,
1867, I, 185 ff.)
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 329
vollkommen klar überschaut habe. Die Sage, die er sich erkoren,
handelt von einem Liebespaare, das göttlichen und menschlichen Satzun-
gen entgegentritt. Diese Schuld zu tilgen oder doch zu überschleiem,
griflf die Sage nach dem Minnetrank, und sie hat ihren Zweck so gut
erreicht, daß die beiden Liebenden unantastbare Ideale des Mittelalters
wurden*). Gleichwohl bleibt zwischen der Dichtung und der Satzung
ein Widerspruch bestehen, gegen welchen man die Augen nicht ver-
schließen kann. Ein modemer Dichter wie Immermann sagt in diesem
Fall : „Gesetze kämpfen mit Gesetzen**, und greift in die eigene Brust,
greift in die Tiefen des Geistes seiner Zeit, um der vervehmten Leiden-
schaft eine Rechtfertigung zu finden. Dem Dichter und Juristen des
13. Jahrhunderts aber wird es nicht so gut: ihm steht nicht bloß das
Sittengesetz und ein weltlicher Strafcodex im Wege, sondern das cano-
nische Recht. Nicht etwa so, daß von diesem seiner Feder eine Ver-
folgung droht: aber ein Geist wie Gottfried gewinnt es nicht über sich,
an dem aufgehobenen Finger der höchsten Strafgewalt auch nur von
ferne niedergeschlagenen Auges oder blinzelnd vorbeizugehen. Seine
Liebenden, schuldig wie sie vor dem Gesetze sind, ftihlt er auch durch
die liebevollste Theilnahme, die er ihnen widmet, nicht durchgreifend
fi*eigesprochen : sie bedürfen noch einer weiteren Absolution, die er
selbst, ohne das Amt der Schlüssel, nicht ertheilen kann. Er wendet
sich also zu der einzigen Behörde, die hier auszuhelfen geeignet ist,
die nicht bloß die Macht hat, sondern auch die Mitschuld.
Welche Behörde konnte Gottfried auch ftlr seine sündigen Lieb-
linge besser in Anspruch nehmen, als eben jene, die ganz die gleichen,
ja noch weit andere Sünder • (falls sie nur keine Ketzer waren) frei-
sprach, sie, die im Verzeihen oft fast noch stärker als im Nichtverzeihen
*) Und bis in dessen späteste Zeiten blieben. Es ist ein sehr großer Zeftranm,
den das hiergegen gerichtete Verdammnngsurtheil zu bekämpfen hat, tmd erreicht in Zeiten
hinein, die sonst vornehmlich um ihrer sittlichon Gesundheit willen gepriesen werden. Man
lese nur, wie sich das am Ende des 16. Jahrhunderts in der protestantischen Stadt Frankfurt
bei dem berühmten Sigmund Fejerabend erschienene Buch der Liebe über die Ver-
urtheilung Tristans und Isoldens zum Tode ausspricht. „Höret, wie ungleiche und un-
gerechte Urtheile das sind! Wie ist die Gerechtigkeit allda hinter sich gedrungen
worden! Wer hat je gehöret, daß zwei liebhabende Menschen von Liebe wegen offen-
barlich zu dem Tode verurtheilet sind worden (es seien denn andere Ursachen dabei
gewesen, dadurch solches geschehen sei)? Aber was sage ich von diesen zweien
Menschen? Es war ihnen von allererst von Neids wegen erdacht und zugerichtet,
darum hatte die Gerechtigkeit nichts da zu schicken oder zu schaffen, allein Neid und
Hass war da Richter und Ankläger, alles mit einander. ** Die in Klammem stehenden
Worte klingen freilich ein yrenig duckmäuseriBclu
830 HERMANN KURZ
war? Die Geneigtheit der Kirche, einen Übelthäter unter ihre Flügel
zu nehmen, der sich ganz an sie ergab, mag er in seiner eigenen Amts-
thätigkeit wohl mehr als einmal erfahren haben. Auch wird ihm die
Predigt von den Gnadenwundem , wie wir sie aus Cäsarius kennen,
gewiss nicht unbekannt geblieben sein. Am nächsten aber lag ihm jene
jüngst mehr als losgesprochene Angeschuldigte, die Heilige des Tages
nämlich, und diese war es, die sofort auch jedem Leser der Aventiure
von der Feuerprobe in den Sinn kommen musste. Denn mochte das
Motiv kein neues sein, mochte es aus Veranlassung eines ähnlichen
Falles — und der Fall hat sich merkwürdig oft wiederholt *) — schon
einem fiüheren Erzähler eingeleuchtet haben: jetzt angewandt, hatte
es dennoch den Werth der Neuheit , es griff durch die stille Hindeu-
tung auf St. Kunigunden' mitten in des Dichters Zeit hinein.
Die Legende erzählte derselben von dieser Kaiserin, der Teufel
habe einst, um ihr einen Streich zu spielen, die Gestalt eines schönen
Ritters angenommen, in welcher er, von Mägden und andern Personen
gesehen, ihnen auch unbegreiflich bekannt erscheinend, drei Tage nach
einander früh Morgens aus dem Schlafgemach der jungfräulichen Ehe-
genossin des gleichfalls heiligen Heinrich hervorgegangen sei; desshalb
nun bei ihrem Gemahle angeklagt, habe sie die Feuerprobe gefordert
und bestanden. (Mon. scr. IV, 789, n. 27. 819. 805.) Wenn Letzteres
Wahrheit ist, so hat die höchstgestellte Frau der Christenheit, während
ihr Herr und Gemahl dem Verfahren, das er niederschlagen konnte,
den Lauf ließ, in dessen ganzer Ritterschaft nicht einen einzigen Käm-
pfer zu ihrer Vertheidigung gefunden^ wie Ottos I Tochter Liutgarde
in ähnlichem Falle einen fand. Der Zweikampf nämlich war gerade
im Sinne jener Zeit das oberste der Gottesurtheile , das vorzugweise
adelige, so daß um eine angegriffene und trotzdem schuldlos geglaubte
Kaiserin sich der gesammte wehrbare Adel hätte drängen und vom
Kaiser fordern müssen, daß er einen Ankläger in die Schranken sende.
Die Legende sagt aber nicht einmal, daß die Beschuldigte auch nur
im Fall gewesen sei, das Kampfrecht ablehnen zu können, betont
vielmehr bloß den schweren Verdacht, der auf ihr geruht, wonach nur
*) Aus der Mitte des 14. Jahrhunderts erzählt Joannes Eantakuzenos von einem
Bischof, den er persönlich gekannt hat und hoch verehrt, wie derselbe einer ihrem
Manne wegen Untreue ^mit Recht" verdächtigen Frau durch die Feuerprobe durch-
geholfen habe (Hist III, 27). Der kaiserlithe Geschichtschreiber weiß das Wunder,
dem er vollen Glauben zollt, zwar nur vom Hörensagen, aber er spricht davon als
von einem zeitgenössischen Ereigniss , so daß der Erzählung doch nicht wohl jede
thatsächliche Unterlage fehlen kann.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 331
noch der Schluß übrig bliebe, der Teufel sei ein großer Schelm ge-
wesen und der Schein habe so überwiegend gegen sie gezeugt, daß
Niemand mehr offen filr sie einzustehen wagen konnte. Geschieht ihr
mit dieser Folgerung Unrecht, so kommt das eben auf Rechnung ihrer
Heiligkeit.
Die Legende negativ-critisch abthun oder rationalistisch hin-
nehmen — in Ermangelung von Urkunden ist eines so willkürlich wie
das andere : nur hatte, wie bereits angedeutet, einer frischen Apotheose
gegenüber der Schalksglaube sein billiges Theil von Recht. Und auf
dem Boden der Thatsachen^ welche die Legende feilbietet, wenn man
sie menschlich-natürlich, was allein geschichtlich-möglich ist, deuten
sollte, konnte man nichts anderes erheben, als die Summe, die der
muthwillige Nie. Hieronymus Gundling (Otia III, Cap. 3) in seiner
drolligen Zopfsprache über jene „so galante als bigotte Dame'' zieht:
nämlich daß gewisse heilige Männer aus der kaiserlichen Umgebung
mit ihr unter der Decke gespielt haben müssen. Der Vocativus hätte
sich übrigens noch viel fester auf besagten Boden stellen können:
denn wenn die Legende von dem morgendlichen Gespenst erzählt,
es sei den Leuten miro modo bekannt vorgekommen, ohne daß sie
doch aus der Person klug werden konnten, so gibt ja der unbekannte
Urheber dieses Legendenzuges gleichsam durch die Blume zu ver-
stehen, daß es ein geistlicher Herr in Rittertracht gewesen sei. Mag
das jedoch an seinem Ort verbleiben : unter allen Umständen dankte
Frau Kunigunde, falls sie wirklich „auf den glühenden Pflugscharen
tantzete,** die Freundlichkeit des Elements ganz andern Waffen als
ihrer Unschuld oder ihrer Heiligkeit: denn die Gesetze, welchen die
Natur gehorcht, sind in Bamberg wie in Halberstadt, sind allerwärts
und jederzeit dieselben gewesen.
Wie es also auch um die geschichtliche Gemahlin Heinrichs II
bewandt sein mag, die Kunigunde der Legende ist im allergünstig-
sten Falle hochverdächtig, und als ihre Mitverschworene, zum min-
desten als ihre geheime Helferin, muss die Kirche angesehen werden,
unter deren ausschließlicher Gewalt und Aufsicht ja das Gottesurtheil
stand.
In der gleichen Lage befindet sich nun auch Gottfrieds Heldin,
wenn schon nur äußerlich: wie freigesprochen und wie tausendfach
reiner sie ihm vor Gott erscheinen mag, vor menschlichem Urtheil ist
sie derselben Sünde bloß, wie die heilige Kunigunde; und deren un-
zweifelhafte Mitschuldige, die Kirche, ist ihr darum auch dieselbe Ab-
solution schuldig. Gedacht also und gethan. Der Dichter, sei es in der
332 HERMANN KUKZ
Maske des Thomas oder auf Grund des Thomas^ jedesfalls auf diesen
Namen gestützt^ lässt den König Marke ein Concilium berufen, um
den vntzegen arUüten,
die gotes reht vx>l tcisten,
die auf seine Gemahlin und seinen Neffen gefallene Bezieht zu klagen.
Da erhebt sich ein alter Bischof, greis und weise, und leitet das Ver-
fahren ein mit Worten so voll Theilnahme fUr die Königin, so voll
Glaubens an ihre Unschuld, daß man sogleich sieht: die Kirche ist auf
ihrer Seite und wird das Mögliche fftr sie thun. Der König (der welt-
liche Richter) verweist sie an das glühende Eisen, sie erklärt sich be-
reit, imd der Spruch wird von dem Concilium genehmigt. Die Zeit bis
zum Tage des Gottesurtheils verbringt die Angeklagte in Gebet und
Fasten ; all ihr Silber und Gold, ihren Schmuck, ihre Pferde und Ge-
wände gibt sie hin (an wen? sagt der Dichter nicht), um Gottes Huld
zu erwerben; dem gnädigen hilfreichen Christ befiehlt sie ihre Noth
und macht dabei einen Anschlag, flir dessen Ausführung sie sich auf
Gottes Courtoisie (hövescheit) verlässt. Daß zu Gebet und Fasten kirch-
licher Beistand nicht fehlen darf, versteht sich auch ungesagt von selbst,
und ebenso versteht sich die Beichte, ohne welche, wie wir aus Cäsa-
rius wissen, alles Beten und Fasten vergeblich wäre. Der Dichter ge-
denkt deren freilich mit keiner Silbe^ weil es nicht räthlich war, an
die Beichte zu rtlhren: aber der Anschlag, um den es sich handelt,
gilt dem vor der Feuerprobe abzulegenden Reinigungseide, der auch
eine Art von Beichte enthält, so zwar, daß die Aufgabe gestellt ist,
in unschädlicher Form die Wahrheit zu sagen; und das Recept zu
diesem Kunststücke steht, preiswürdig, nur sehr verfeinerungsbedürftig,
in den Beichtgeschichten des Cäsarius *).
Durchsichtiger als die Aventiure dem modernen Leser sein mag,
war sie dem aufgeklärten Zeitgenossen. Der verlor die Kirche nicht
aus den Augen, obgleich sie sechs Wochen lang im Hintergrunde bleibt;
denn sichtbar wird sie erst wieder, als alles zum Gottesurtheil bereit ist:
hiachove und preläten^
die da:^ ambet täten
*) Nicht als ob Gottfried dmnim stofflich aus OSsarios oder Seinesgleichen
gescbOpft h&tte. Er trifft ja in der Fassung viel näher mit den vorhin angefahrten
orientalischen Sagen vom listigen Beinigungseide zusammen , so daß man auf eine
diesen näher stehende Vorlage schließen darf. Aber der Geist jener zeitgenössischen
Beichtgeschichten ließ den Dichter ganz gewiss nicht unberührt, ja er muss ihn theil-
weise cur WaM seiner Vorlage herausgefordert haben.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 333
und Regenten da:^ gerihte,
die wären ouch enrihte
mit ir dinge bereit
da:^ isen da:; wcts.in geleit.
Wie viel oder wenig das geistliche „Ding** bedeuten soll, will der
Dichter dem Leser zu rathen überlassen. Als Meister in der Farben-
gebung aber weiß er noch anschaulich mit einem grauen Klecks zu
malen, was eigentlich dem Blick entzogen bleiben soll.
Jetzt nur noch der Eid, mit welchem heimlich vor Gott die Wahr-
heit gebeichtet und öffentlich vor den Menschen gelogen wird, und dann :
y,nu neniet da:; isen üf die hant,
und ah ir uns habt vor genant^*
als helfe iu got ze din*e not,^
j^Ajnen^, sprach diu schome Is$t,
in gotes nameri greif si.:; an
und truog e;, da:; si:; niht verbran.
Da haben wir das Wunder. Auch in andern Aventiuren von wun-
derbarer Färbung, Minnetrank, Drachen- und Riesenkampf, Hündlein
Peticriu — nirgends mag der Dichter im Reiche des Übernatürlichen
recht heimisch werden *) : in der Feuerprobe aber ist er vollends ganzer
Rationalist. Den wahren Hergang erzählt er dem einsichtigen Leser
nur leise ins Ohr ; allein so stillschweigend aus dem kirchlichen Gnaden-
schatze seinen Vortheil zu ziehen, das genügt ihm nicht : er hat etwas
auf dem Herzen, und heraus muss es. Indem er sich die Miene gibt,
als ob er an das so eben vorgetragene Wunder glaube, zieht er die
nothwendig hieraus erfolgenden Schlüsse imd plötzlich losbrechend
fährt er fort:
dd wart wol goffenbceret
und al der werlt bewceret,
da:; der vil tugenthafte Krist
wintschaffen als ein ermel ist:
er viieget unde suochet an^
dd man^ an in gemochen kan,
als gevUege und alse wol,
als er von aUem rehte sol,
erst allen herzen bereit
ze dumehte unt ze trilgeheit.
*) So weist er auch (mit Berofong auf sein Buch nnd die wahre Märe) den
Berieht snrück, daß der Zwerg Melot verborgene Dinge im Qestim habe lesen können.
334 HERMANN KURZ
ist 6> etmesty ist e^ spil,
er ist ie swie sd man wil,
da:^ wart lool offenbeere schtn
an der gevilegen künegin:
die generte ir trügeheit
und ir gelüppeter eit,
der hin ze gote gelä:^en was,
da:^ si an ir eren genas usw.
Dies die vermeintliche Lästerung. Neben dem Texte des Cäsa-
rius, in dessen Sprache sich die Erzählung vom Gottesurtheil unge-
zwungen übersetzen lässt, wird die Glosse Gottfrieds nichts religiös
Anstößiges mehr haben.
Aber hat das kecke Wort nicht zu seiner Zeit kirchlich um so
mehr herausgefordert? Im Gegentheil, weniger als jetzt. Er sagt es ja
nur von Christus. Ja, wenn ers von Papst und Barche gesagt hätte,
das möchte ihm, der dena Krummstab des Bischofs so nahe wohnte,
vielleicht nicht allzu wohl bekommen sein. Allein wir haben gesehen,
daß der Papst, daß die Kirche als solche, als Einheit von Haupt und
Gliedern, an den Gottesurtheilen nicht schuldig war: der Dichter konnte
somit, falls man ihm etwa seine Worte deuteln wollte, vor jedem geist-
lichen Gerichte, glücklicher als der Kobold des Cäsarius in jenem Fall,
den Beweis fähren, daß er die Kirche nicht gemeint habe, nicht habe
meinen können. Vielmehr kommt er, genau besehen, den Päpsten selbst
mit seinem Ausspruch ziemlich nahe: denn Gott versuchen und Gott
missbrauchen, läuft nahezu auf Eines hinaus. . Der Sinn der Rede ist
ja doch nichts anderes als was vor und nach ihm, innerhalb wie außer-
halb der Kirche, so mancher fromme Seufzer ausgesprochen hat: daß
das imsichtbare Oberhaupt derselben seinen Namen zu Schlechtigkeiten
aller Art hergeben müsse. Die Form allerdings, in welcher er es sagt,
würde ihm bei einem protestantischen Glaubensgerichte späterer Zeiten
vermuthlich geschadet haben; allein die Kirche der Innocenze hatte
Anderes zu thun. Im Ringen mit dem Kaiserthum, im Kampfe gegen
Sonderkirchen und Sonderlehren, fand diese Kirche wenig Zeit, gegen
ein hingeworfenes Witzwort, mochte es auch bitter sein, ins Feld zu
ziehen. Ja, bei ihr war ein Weltkind wie Gottfried sicherer, als sein
geistlich gesinnter, aber etwas separatistisch gefärbter Gegner Wolfram,
der Einzige, dessen religiös verletzliches Gefllhl an dem Worte Anstoss
genommen zu haben scheint*).
*) Doch hat eine niederdeutsche Ab- und Umschrift des 14. Jahrhunderts (di*
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 335
•
So ist es denn nicht die Kirche in ihrem unangreifbaren Bestände,
die der Spott des Dichters trifft: und doch ist es die Kirche, gespalten,
wie wir sie aus der Bemerkung des Gratianischen Glossators kennen;
es ist die Geistlichkeit, die dem Papst zum Trotze das Gottesurtheil
hegt und pflegt, das Werkzeug des schändlichsten Betruges ; auch die
öcumenische Kirche selbst ist nebenher wieder mitgetroflfen, sofern ihr
die Duldung des Unkrauts zur Last gelegt werden kann, und mehr
noch, sofern sie zweideutige Heiliginnen aufstellt, die ausgesprochener-
maßen einen Theil ihrer Heiligkeit dem schnöden Gaukelspiel ver-
danken. Diese eben so kenntliche als unfindbare Barche ist es , bei
welcher er die Freisprechung seiner Heldin borgt, das Anlehen zugleich
mit einem brennenden Hiebe verzinsend, dessen Empfang ihm nicht
einmal canonisch bescheinigt werden kann. Ein Meisterstreich, den ihm
Vetter Dieterich mit seinem feinsten Lächeln lohnen mochte.
Und doch konnte es einem unbestochenen Kunstverstande kaum
verborgen bleiben, daß mitten im Glänze der Polemik ein kleiner
ästhetischer Riss durch die Stelle geht. Daß diese Stelle keineswegs
so frivol ist, wie sie auf den ersten Blick aussieht, davon haben wir
uns bereits überzeugt : sie ist vielmehr nicht bloß eine der ernsthaf-
testen Äußerungen in dem ganzen Gedichte, sondern sie ist nur etwas
gar zu ernsthaft. Statt sich des glücklichen Ausgangs eines für seine
Lieben so gefahrvollen Handels zu freuen, wird der Dichter auf ein-
mal über das ganze Rettungswerk böse und Retter wie Gerettete er-
fahren seinen zornigen Spott. Obgleich er auch iin Zorne die Anmuth
nicht verleugnen kann, seine Ausdrücke zeugen bei alledem von be-
trächtlicher Wärme und Erregung; und im Gefüge des Gedichtes,
einem Wunder gegenüber, das doch nicht offen für Betrug erklärt wird,
einer Entscheidung gegenüber, die nach allem Vorangegangenen und
Folgenden als gerecht gelten sollte , nimmt das plötzliche Scheltwort
eine Stellung ein, die denn doch einigermaßen an das alte Facit in-
dignatio versum erinnert.
Berliner Handschrift, vgl. die Ausgabe von Groote, V. 15748 ff.) die Hauptstelle eben-
falls zu stark befunden und also abgeändert:
dat der dogenthofte Criat
zu nüden eyn erloser Ut,
während die übrigen Verse dem Erlöser in den Köthen unverändert das Gleiche nach-
sagen, wie die des Originals. Die Verbesserung ist ungefähr so glücklich wie jene,
die ein Reisender in einem frommen ländlichen Gasthause an dem vielbekannten Bilde
vom Köhrle und Napoleon bewerkstelligt fand, wo das Kemwort Napoleons so emen-
diert war: „Röhrle Röhrle, Er ist ein — braver Mann."
336 HERMANN KURZ
Ein Seitenstück zu dieser pathologischen Erscheinung findet sich
im ersten Theil von Shakespeares Heinrich VI (IV, 7, Globe Ed. [489]
60 flF., 72 ff.), wo der Dichter ebenfalls einen Augenblick aus dem Tone
Mit. Auch dort entladet sich, obwohl unter andern Verhältnissen, ein
wohlgezielter Witz mit einer Leidenschaftlichkeit, die das Grieichgewicht
der Dichtung ein wenig gefehrdet. Große Meister kommen ohne erheb-
lichen Schaden über eine solche Klippe hinüber ; doch ist sie ein Wahr-
zeicHen eines innem Vorgangs in dem Dichter, der dem Gedichte mehr
oder weniger äußerlich bleibt. Und zwar ist bei Shakespeare, der bloß
einem persönlichen Grolle Luft macht, die Anwandlung dem Gedichte
gänzlich fremd: aber auch bei Gottfried wird sie nur sehr von ferne
durch dasselbe hervorgerufen.
Dem heutigen Geflihle zwar drängt es sich unabweislich auf,
daß die beiden Liebenden von der idealen Höhe, die ihnen die Dich-
timg angewiesen hat, mit dem durchsichtig geschilderten Trugwerke
mehr als wünschenswerth herabsteigen: allein wir würden uns irren,
wenn wir annähmen, daß dies der Grund von Gottfrieds Aufwallung
sei. Er hat vorher eine Reihe von ähnlichen Ränken und Trügereien
berichtet, bei welchen es ihm erstaunlich leicht zu Muthe war, und
die Anschauung, die er hierin an den Tag gelegt, ist von der heutigen
offenbar verschieden. Übrigens muss diese Anschauung nicht mit unserem,
sondern mit dem Maße seiner Zeit gemessen werden, einer Zeit, in
der das Recht selbst, wenn es sich behaupten wollte, krumme Wege
einzuschlagen genöthigt war.
Wir haben also ftlr seinen Unwillen schon eine mehr äußerliche
Ursache zu suchen. Es ist nicht sowohl der Trug selbst, als vielmehr
das Mittel , durch welches der Trug ausgeübt wird , die Feuerprobe
ist es, was ihn diesmal ungewöhnlich in Harnisch bringt. Obgleich sie
ihm zu einer seiner geistreichsten Wendungen dient, so will er ihr
dennoch ganz und gar keinen Dank schuldig sein, sondern beeilt sich,
dem angewandten Beweisverfahren das schärfste Verdammungsurtheil
zu sprechen. Auch hierin wird ihm das moderne Gefühl sofort zu-
stimmen : aber auch hier muss man sich wieder vor einem raschen
Schlüsse hüten, der die Bedeutung der Stelle unmöglich ganz erschöpft.
Dieselbe lässt allerdings keinen Zweifel darüber bestehen, daß unser
Dichter das Gottesurtheil überhaupt verwarf: allein wie sehr Gefühl
und Verstand des Einzelnen gegen eine Einrichtung, die nun einmal
seiner Zeit gefällt, ankämpfen mögen, die nothgedrungene Gewöhnung
an das ftir jetzt noch Unabänderliche ist dennoch mächtiger und muss
das Menschengemüth bis zu einem gewissen Grade abhärten. Wenn die
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STEASSBURG. 337
vom Mittelalter her noch immer vielbeliebte Kopfabhackerei endlich
einmal beseitigt sein wird, so mag sich wohl der Nachlebende wundem,
daß diesen oder jenen Heutigen, die er etwa auf besonderer Wage zu
wägen geneigt sein sollte, durch die Gegenwart der Menschenfleisch-
bank nicht das ganze Leben verdorben und vergiftet war. Hohe und
milde Geister haben gelebt, als noch die Folter wüthete: das jetzige
Geflihl ist von ihnen zu fordern geneigt, was sie aus Unmacht und
Gewohnheit unterlassen haben. So dachte auch zur Zeit der Gottes-
urtheile, an welchen ja sogar die Päpste vergebens Tüttelten, Niemand
an einen täglichen und stündlichen Protest.
Je weiter aber eine Zeit zurückliegt und je größer die Rohheit
der Zeitgenossen ist, um so mehr kann man versichert sein, daß der
Angriff eines Einzelnen auf einen bestehenden Missbrauch oder Greuel
nicht bloß von diesem allgemeinen hilflosen Protestgeflihl , sondern
durch eine bestimmte nähere Veranlassung eingegeben wurde. Als Gott-
fried den Stoff seines Gedichtes anordnete oder sich die Quelle wählte,
nach welcher er arbeiten wdftte, schwebte ihm ohne allen Zweifel be-
reits die heilige Kunigunde mit ihrer Feuerprobe vor. Einerseits darf
man ja nach den über seine Lebenszeit gemachten Erhebungen zuver-
sichtlich annehmen, daß er seine unmüe^^ekheit eher nach als vor dem
Jahre 1200 , in welchem jene Unverbrennliche canonisiert wurde^ be-
gonnen hat: da musste ihm das Vorbild in die Augen springen; und
andererseits würde die Wahl des Motivs allein schon zu dem Schluß
berechtigen, daß er ein frisches Vorbild dieser Art vor Augen hatte.
Die Bamberger Heilige jedoch, wenn sie mit einem angemessenen
Ehrenschuss begrüßt werden sollte, verdiente einen zierlichen Eohrpfeil
mit leicht geglühter Spitze , nicht aber einen zürnenden Blitzstrahl,
der zugleich gegen den Himmel selbst gerichtet schien. Bis der Dichter
sich zu dieser scheinbaren Gotteslästerung hinreißen ließ, musste noch
ein ganz anderer Fall hinzugekommen sein, ein Fall, der ihn aufs
Persönlichste berührte, eine Anwendung des gottesgerichtlichen Ver-
fahrens unter besonders empörenden Umständen und in seiner eigenen
nächsten Umgebung-
Mit all der Wahrscheinlichkeit also , die in Ermanglung eines
urkundlichen Beweises geltend gemacht werden kann, dürfen wir als
Gegenstand seines Angriffs den Fall bezeichnen, den wir bereits kennen
gelernt haben: die Straßburger Feuerprobe von 1212. Gerade wie aus
der Kühlheit, womit der Dichter Riwalins Tod behandelt, zu schließen
war, daß er diesen Abschnitt vor König Philipps Ermordung ge-
schrieben habe, so ist noch weit mehr aus der Wärme, womit er dem
338 HERMANN KÜRZ
Gottesurtheil gegenübertritt, zu schließen, daß die heftige Stelle in
Folge jenes Ketzergerichts geschrieben sei.
Abermals jedoch gilt es, einer voreiligen Folgerung auszuweichen,
die wenigstens dem protestantischen Bewusstsein nahe liegen möchte.
Gottfrieds unmittelbare Theilnahme an jenen Ketzern, obgleich sie
wahrscheinlich großentheils der achtungswerthen vorprotestantischen
Partei der Waldenser angehörten, wird zweifelsohne mäßig gewesen
sein. Ein Geist seiner Art war nothwendig allem Secten- und Conven-
tikelwesen fremd, und wie er von theologischen Subtilitäten, oder was
ihm so schien, dachte, lässt er in seiner Botanik des Paradiesgartens
(Vers 17947 f., M. 450, 29 f.) lachend durchblicken. Er war sichtlich
einigermaßen geistesverwandt mit Kaiser Friedrich II, der die Ketzer
gewiss nicht bloß aus Wohldienerei gegen die Kirche verfolgte*); nur
daß in diesem zum Freigeist noch der Despot hinzukam, der in jeder
Häresis einen Act der persönlichen Freiheit empfindet und instinct-
mäßig hassen muss. „Pendez les bougres !" sagte Napoleon I zum
Landesherm einer Secte, die ihn selbst äts Gesandten Gottes verehrte.
Mag hienach der Dichter gegen die häretische Richtung selbst
sich völlig kühl verhalten haben — dennoch, wenn er, wie wir anzu-
nehmen gedrungen sind, die Tage des Ketzergerichtes mit durchgelebt
hat, muss seine Goethe'sche Ruhe stark erschüttert worden sein. Wel-
chen Eindruck in einer ohnehin schrecklichen Zeit die Grausamkeit
gegen die Angeklagten und das Jammergeschrei der Ihrigen, das die
Stadt erfüllte, auf ein humanes Gemüth ausüben mochten, daflir hat
unser Jahrhundert schwerlich das rechte Maß: aber es gab noch An-
deres, was auf Meister Gottfried einstürmen musste. Ihn selbst dürfen
wir uns als rein bei dem Trauerspiele denken: der Verleser der Sen-
tenz, welche die Glaubenssätze der Häretiker enthielt, war selbstver-
ständlich kein städtischer Schreiber, sondern ein bischöflicher Notar.
Der weltliche Arm aber, der sich mit der Hinrichtung befleckte und
vorher mit dem Antheil an der Feuerprobe befleckt hatte, das waren,
wie wir früher gesehen haben, lauter Verwandte des Dichters. Am
Tiefsten jedoch, und wenn sein Gefühl ganz stumpf gewesen wäre,
musste einen Geist wie ihn das viehische Thun empören, eine geistige
Kraft, der man nicht gewachsen war, mit dem glühenden Eisen nieder-
zudisputieren. Der Makel, der durch diese That seiner Stadt und
seiner Sippschaft angehängt wurde , er ist doch allein vermögend,
*) Wiewohl der pfaffische Ton seiner in den verschiedensten Phasen seines Ver-
hältnisses zu der Kirche wiederholt promulgierten Ketzergesetze höchst auffallend bleibt.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 339
nns ganz die Temperatur des Ausrufs zu erklären, daß der Strohmann,
den die PfaflFen aus ihrem Gotte machen, nach Belieben zur Wahrheit
und zum Truge, zum Ernst und zum Spiele zu gebrauchen sei.
Wir haben uns der Überzeugung hingeben zu dürfen geglaubt,
daß Q-ottfried vom geistlichen Richter fiir dieses Zornwort keine Strafe
zu befahren hatte. Gleichwohl musste er sich bewusst sein, mit dem-
selben in ein Wespennest zu stechen, und so wird sein Characterbild
durch den Zug erweitert, daß er nicht bloß, wie wir aus seinem An-
griflF auf Wolfram wissen, bei aller Weichheit Schneide, sondern daß
er Mannesmuth besaß. Bei seiner Verwandtschaft auf ungetheilten Bei-
fall zu rechnen, kam ihm sicher nicht in den Sinn: unbedingt aber
musste er sich sagen, daß ihm die Straßburger Cleriker den „eriweZ^
nie vergessen werden. So hat denn auch eine geistliche Feder, die am
Schlüsse des Jahrhunderts über elsäßische Zustände aus dessen erster
Hälfte schrieb und selbst durchwandernder Dichter zu gedenken nicht
verschmähte, neben einem Freidank, den ihr Zeugniss über jeden wei-
teren Streit hinaus feststellt, neben einem Konrad von Wirzburg, den
sie wegen eines zweifellosen Lobgesangs auf die Jungfrau Maria preisen
konnte, einen Gottfried von Straßburg richtig zum ungesehenen Mann
zu machen vermeint (Monum. XVII, 233.) Thörichter Versuch freilich
eines späten Todtschweigens: denn daß der Todte den Lebendigen be-
gräbt, das gelingt doch höchstens so lange dieser selbst noch über Gräbern
wandelt.
So würde sich denn schließlich den früher erhobenen Zeitbestim-
mungen noch eine weitere anreihen, die ganz mit denselben in Ein-
klang steht. Um 1215 föUt die Entstehungszeit des Willehalm, dessen
Eingang eine Bekanntschaft Wolframs mit dem Tristan wenigstens bis
zu Vers 15768 (M. 396, 10) voraussetzt: die Aventiure vom Gottes-
urtheil aber, die mit diesem Verse schließt, ist, wie man annehmen
darf, im Laufe des Jahres 1212 geschrieben. Dies stimmt einerseits zu
jener Bekanntschaft, während es andererseits die Wahrscheinlichkeit
der Annahme erhöht, daß die ersten 1750 Verse, welche die Erzählung
von Riwalin und Blancheflur enthalten, im Jahre 1208 schon eine Strecke
hinter dem Dichter lagen; Vom Schlüsse des Gottesurtheils endlich bis
zur Unterbrechung des ganzen Gedichtes sind es gerade noch 3786 Zei-
len, welche Gottfried seit längerer oder kürzerer Frist vollendet hatte,
als an einem ungenannten Tage des Jahres 1216 seine Geschäftsfeder
in den Händen eines Andern und Tristan wieder Waise war.
Pausanias in seiner wunderlichen (übrigens vielleicht noch nicht
ganz erklärten) Weise liebt es, die Beschreibung eines Ortes oder einer
340 HERMANN KURZ
Gegend mit den Worten abzuscUießen, außer dem Geschilderten gebe
es hier nichts Bemerkenswerthes mehr. Wir sind, am Ende des in Be-
tracht genommenen Lebensweges anlangend, im entgegengesetzten Fall,
obgleich uns das keine Veranlassung geben wird, allzu lang mehr zu
verweilen. Gerade zum Schlüsse nämlich tritt uns noch etwas sehr
Merkwürdiges entgegen, über welches wir jedoch nur sagen können, daß
unser Wissen davon nicht einmal Stückwerk ist.
Es handelt sich um das schon erwähnte Bild der Pariser Lieder-
handschrift, um jenes beredte Bild, das uns so viel erzählen könnte,
wenn wir seine Sprache verstünden.
Statt dessen jedoch lässt sich an diesem Bilde nur ein Nebenpunct
richtig stellen, der, daß man zu viel geschlossen hat, wenn man in dem
Fehlen des Wappens die Andeutung erblicken wollte, daß Gottfried
bürgerlichen Standes gewesen sei. Dieselbe Handschrift gibt dem
Schmiedmeister Barthel Regenbogen, den sie als solchen darstellt, ein
Wappen mit Hammer und Zange in silbernem Feld: sie hätte also
auch dem Meister Gottfried , selbst wenn er ihr ftlr bürgerlich im
gleichen Sinne galt, ein Wappen geben können. Die Bürger seines
Standes aber fiihrten zu der Zeit, da die Handschrift gefertigt wurde,
bereits durchaus rittermäßige Siegel (Heusler, Verf.-Gesch. der Stadt
Basel im Mittelalter, S. 136); und da sein Geschlecht, wie Schöpflins
Aufzeichnungen beweisen, noch um 1318 geblüht hat, so musste —
besonders wenn es mit Zürich als Heimat der Handschrift richtig stehen
sollte — die Erkundung seines Wappens dem Maler ein Leichtes sein.
Das Wappen fehlt vermuthlich darum, weil Gottfried nicht allein, son-
dern von andern Gestalten umgeben ist, welche offenbar meist oder
durchgängig Ebenbürtige vorstellen, deren Wappen neben dem seinigen
wegzulassen nicht thunlich schien: der Künstler bringt also lieber gar
keines an und hilft sich dafiir mit dem an goldenem Knaufe befestigten
Baldachin, unter welchem er die Gesellschaft versammelt.
Wir müssten ihm freilich dankbar sein, wenn er das Gegentheü
gethan und uns Gelegenheit geboten hätte, durch die Wappen den Namen
auf die Spur zu kommen; er aber mochte denken, es sei genug, die
Mehrzahl dieser Wappen einmal 'gegeben zu haben: denn es kann
doch wohl nicht im Zweifel bleiben, daß sie auf andern Bildern der
Handschrift, nur für uns unausfindbar, vorhanden sind.
Daß nämlich die fünf Gestalten, in deren Mitte der Dichter mit
Schreibtafel und Griffel sitzend abgebildet ist, wenigstens der Mehrzahl
nach aus hervorragenden, also noth wendig in der Liederhandschrift
mitvertretenen Sanggenossen bestehen, und daß ihre zum Theil sehr
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG. 341
lebhaften Gebärden dem Inhalte der Schreibtafel sowie dem Dichter
selbst gelten, das geht aus dem Bilde mit sprechender Deutlichkeit
hervor: aber nebst den Personen bleibt — auch nach Zuziehung ver-
wandter Bilder, die etwas zur Deutung beitragen mögen — der eigent-
liche Inhalt der Verhandlung ein Räthsel. Gäbe es fUr die mittelalter-
liche Hand- und Fingersprache ein vollständiges Formular, so könnte
man diese Gebärden in Reden übertragen, die einigen Aufschluß ge-
währen würden: allein so manches Einzelne wir von jener Symbolik
wissen, im Ganzen ist sie doch immer noch ein Buch mit vielen Sie-
geln, das auch der mächtige Bezwinger der Rechtsalterthümer (S. 142)
nicht völlig eröffnet hat.
Von den Dreien, die, jeder mit der einen Hand auf dem Knie,
zur Rechten des Meisters sitzend dargestellt sind, hebt der Erste den
linken Zeigefinger gerade in die Höhe. Nimmt man hiezu das andere
Manessische Bild, auf welchem sich der Ritter Nithart unter den un-
geschlachten Händen der Bauern befindet, so zeigt der hinterste Bauer
zur Rechten der Hauptfigur fast die gleiche Gebärde, die diesmal nur
eine Drohung oder Schelte bedeuten kann. Eine ähnliche ist auf dem
Bild des Wartburgsängerkrieges bei dem letzten rechts Sitzenden wahr-
zunehmen, der fUr Biterolf gilt; aber dieser spricht mit dem Zeigefinger
der Rechten; und hinwieder hält der Bauer auf dem Nithartsbilde sei-
nen Finger nicht steilrecht, sondern ziemlich rückwärts gekehrt; so
daß wir zwar auf sämmtlichen drei Manessischen Bildern eine und die-
selbe Gebärde haben, aber doch der streng genommenen Form nach
dreierlei , die vielleicht mehr als man glaubt von einander abweichen.
Und streng muss man es mit diesen Abweichungen nehmen : denn wir
stehen hier einer Zeit gegenüber, die ganz in Formel- und Zeichen-
wesen lebte, demgemäß auch in der Darstellung mehr Sinn als Kunst
besaßt und keinen Strich machte^ der nicht bedeutsam war.
Unzweideutiger ist das Gebahren der letzten Figur auf der Gegen-
seite, welche die Linke gegen Gottfried ausstreckt und mit der Rechten
seinen Oberarm erfasst: in dieser Gebärde kann man, wenn man das
so ähnliche Angreifen der gewaltthätigen Bauern auf dem Nithartsbilde
vergleicht, nur eine feindselige Antastung erkennen. Gleiche Verwandt-
schaft scheint zwischen der zweiten Figur auf 'dieser Seite und den
beiden ebenfalls links befindlichen letzten Figuren der beiden andern
Bilder, dem Bauer hinter dem linken Angreifer des Nithartbildes und
dem tugendhaften Schreiber des Wartburgbildes, zu herrschen: sie
holen sämmtlich, mehr oder minder gewaltsam, mit der Rechten wie
zum Höhnen oder gar zum Schlagen aus. Zwar hält die ausholende
GERMilNIA. Neue Reihe 111. (XV.) Jahrjr. 23
342 HEKMAXN KUEZ
Figur des Gottfirledbildes hierin noch am meisten Maß: doch zeugt
ihre Haltung und ihr einverstandenes Daherkommen mit dem anta-
stenden Gefährten nicht von freimdschaftlicher Gesinnung.
Da nun diese beiden Figuren, die man fhr feindselig ansprechen
darf, links hinter dem Dichter stehen, während die drei andern, die
jedenfalls eine friedlichere Haltung zeigen, rechts bei ihm sitzen, so
könnte man nach bekanntem Symbol annehmen, daß Rechte imd Linke
hier Freund und Feind bedeuten sollen: hienach müssten alsdann die
Gebärden der drei Sitzenden zu erkläi^en sein» Der aufgehobene Zeige-
finger des Ersten wäre etwa ein zu Gunsten des Dichters gebotenes
„Hört!" oder eine Abwehr der Gegner, wenn man nicht lieber dem
Zweiten, dessen Kopfbewegung und mit der Fläche nach außen ge-
wendete Rechte ablehnend aussieht, diese Abwehr überlassen will. Der
Dritte macht wohl am wenigsten Schwierigkeit, der mit der dem Ge-
sicht zugekehrten rechten Handfläche ruhige Erwägung, wo nicht Zu-
stimmung zu dem Vortrag des Meisters ausdrücken möchte.
Dieser selbst sitzt mit übergeschlagenen Beinen, den GriflFel zier-
lich gegen die Tafel haltend, den Kopf mit kaum merklicher Bewegung
nach den Gegnern wendend, in unzerstörbarer Ruhe und Heiterkeit da.
Wenn aber auch hiemit das Bild richtig gedeutet wäre, was noch
immer sehr fraglich ist, so wäre doch nicht viel gewonnen. Ob dieses
Bild ein verlorenes Stück Geschichte aus dem Leben Gottfrieds oder
eine später aufgekommene Sage darstellt, ob es bloß eine spielende
Zusammenstellung seiner Lobredner und Tadler sein will, ob es unter
die letzteren Wolfram von Eschenbach, unter die ersteren Rudolf von
Ems und Konrad von Würzburg oder seine Fortsetzer Ulrich und
Heinrich aufnahm, das Alles bleibt nach wie vor ungewiss. Ja es ist
obendrein noch in Frage gestellt, ob nicht vielleicht die Beisitzer rechts,
statt als Zustimmende, vielmehr bloß als wohlgesinnte Berather, Zweifler
und Warner aufzufassen sind, während links der entschiedene Wider-
part an den Dichter herantritt; oder ob er gar mit lauter Gegnern,
mit vieren wenigstens, zu kämpfen hat, und mit welchen? Soll der
Antaster Wolfram sein, wer ist dann sein GefUhrte? Oder aber, wenn
die Figur mit aufgehobenem Zeigefinger, die einzige, die ein ritter-
liches Barett trägt, obgleich die andern sicher nicht minder adelig sind,
wenn die Figur durch die Ähnlichkeit mit dem (so gedeuteten) Wolfram
des Wartburgbildes als solcher gekennzeichnet ist, dann ist die ver-
suchte Deutung der rechten Seite unseres Bildes freilich von Grund
aus umgewälzt; aber dann werden die beiden Figuren zur Linken nur
um so räthselhafter.
ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSE ÜRG. 343
4
So müssen wir es denn bei der schon früher ausgesprochenen
Klage bewenden lassen, daß das Bild eben immer noch sehr erklärungs-
bedürftig sei. Q-ewiss ist nur so viel, daß dasselbe nicht auf die in der
Schwertleite genannten Dichter bezogen werden kann: schon desshalb
nicht, weil da gerade Walther von der Vogelweide fehlen würde, dessen
bärtige Gestalt mit dem Ritterbarett dem ihm selbst vor seinen Liedern
gewidmeten Bilde so ähnlich auf dem Wartburgbilde wiederkehrt, daß
die Handschrift ihn bei abermaligem Auftreten durchaus in der gleichen
Gestalt hätte bringen müssen.
Daß die Darstellung unseres Bildes auffallend an die des Wart-
burgkrieges (wo übrigens Klingsor und Heinrich von Ofterdingen rechts
und links von Gegnern umgeben sind) erinnert, das hat sich der For-
schung längst aufgedrängt. Ob Gottfried einen ähnlichen Wettstreit zu
bestehen gehabt habe, wie der Wartburgische, dem es ja selbst an
fester geschichtlicher Grundlage fehlt, das mag dahingestellt bleiben.
Dagegen wird sich eine von der Forschung bis jetzt nicht berück-
sichtigte Vermuthung wiederholt geltend machen dürfen, nämlich, daß
Gottfried selbst zu der Wartburgsage in einer verdunkelten Bezie-
hung steht.
Unser dreizehntes Jahrhundert hat zwei Dichterkriege aufzuweisen,
einen geschichtlichen und einen sagenhaften. Ersterer ist nicht etwa
in dem Zwiste Reinmars und Walthers, der nur das persönliche Miss-
verhältniss zwischen älterem und jüngerem Dichter war, oder in ähn-
lichen Reibungen zu erblicken, sondern in dem Kampfe von Schule
gegen Schule, der sich an die Namen Gottfrieds und Wolframs, an die
Vertreter zweier Principien, knüpft. Dieser Kampf zwischen zwei großen
Richtungen, von den beiden ersten Dichtergrößen der Zeit geführt,
die sich gegenseitig Mysticismus und Unglauben vorwarfen, hat die
bedeutenderen Geister der Zeit nothwendig in* ihren Tiefen bewegt;
und wie stumm uns auch das Manessische Bild Meister Gottfrieds ge-
blieben ist, so kann doch kein Zweifel sein, daß aus ihm ein Nachklang
jener geschichtlichen Bewegung redet.
Andererseits erscheint in dem sagenhaften Wartburgkriege und
dessen mit unserem Bilde so verwandter bildlicher Darstellung Gott-
frieds Gegner Wolfram in einem Kampfe begriffen, der, wenn er nicht
leere Erfindung sein soll, nur den gleichen Nachklang enthalten kann.
Leere Erfindung aber wird in modernen Zeiten ausgebrütet, dergleichen
bis jetzt am Schlüsse größerer Zeiträume eingetreten sind : in der
Frühe des Zeitraumes bildet sich keine Dichtung, die nicht auf irgend
einer Art von geschichtlichem Grunde ruhte. Die Wartburgsfage stam-
23*
344 HERMANN KURZ, ZUM LEBEN GOTTFRIEDS VON STRASSBURG.
melt — neben einer geschichtlichen Erinnerung an den Wetteifer ver-
schiedener Höfe in Glanz und Freigebigkeit — von einer ebenfalls
geschichtlichen Erscheinung, von dem Parzivalsdichter, wie er (nach
San Hartes gewiss treffender Auffassung) nicht als Sänger, sondern als
Mann des Glaubens sich im Andenken der seit der Mitte des Jahrhunderts
immer mehr sinkenden Kunst erhielt. In verworrener und doch durch-
sichtiger Erinnerung macht ihn die Sage zum Mittelpunct und Helden
eines Kampfes, der nach kurzem Geplänkel auf anderem Felde sofort
das theologische, dogmatische, mystische Gebiet betritt: daß er wirklich
in seinem Leben ein Glaubenskärapfer war, der dem Unglauben Fehde
ansagte, ist ihr verwischt und doch nur halb erloschen, denn was sie
ihm statt des Unglaubens zum Kampfe gegenüberstellt, das ist die
Magie, mit welcher bekanntlich die Sage den Unglauben gerne über-
kleidet.
Dieser sagenhafte Kampf ist gleichsam eine von dem Geschicht-
lichen zurückgelassene Staubwolke , die , ihre Straße dahinwirbelnd,
ursprüngliche Bestandtheile abgesetzt und neue fremde aufgenommen hat.
Daß Gottfried dabei gänzlich aus der Sage schwand, deutet auf ein
uniühmliches Vergessen, dessen Schuld besonders auch die Meister-
sänger trifft: aber wundem wird man sich nicht über die Entstellung,
wenn man liest, wie Herman der Damen, der doch noch sehr tief in
das dreizehnte Jahrhundert hereinreichen muss, unter den verstorbenen
großen Dichtem der nächsten Vergangenheit neben Wolfram alles
Ernstes einen Klingsor von Ungerland und einen Heinrich von Ofter-
dingen aufführt. Die Sage wird wohl zeitig in der wirren zweiten Hälfte
des Jahrhunderts entstanden sein. Schon 1289 weiß ja Dietrich von
Apolda in seinem Leben der h. Elisabet von sechs Rittern an Land-
graf Hermans Hofe und ihrem Sangesstreite , welchen zu entscheiden
der Philosoph, Necromant und Astronom Klingsor aus Siebenbürgen
in Ungarn berufen wird, der dann zugleich die Geburt der Heiligen
in den Sternen liest; und die Namen der Sechs, die sein schwerlich
um viel mehr als zehn Jahre späterer Bearbeiter in Reimen*) über-
einstimmend mit der Sage nennt, hat Dietrich vielleicht nur der Kürze
halber beizusetzen unterlassen.
So liegen sie denn seltsam neben einander, die beiden Bilder in
ihrer Ähnlichkeit und ihrem Gegensatz, das eine mit Gottfried, das
*) In der Bibliothek des Litterarischen Vereins ron Max Rieger herausgegeben.
— Eine neue Ausgabe des Tristan , von Reinhold Bechstein , liegt in den von Pfeiffer
begründeten i^eutschen Classikem des Mittelalters vor. /
FRIEDRICH KEINZ, MITTHEILUNGEN etc. 345
andere mit Klingsor in der Mitte. Aber in dem Kreise, aus welchem
jenes in die Handschrift übergieng, muss sich mehr oder weniger un-
getrübt die Erinnerung an den geschichtlichen Kampf erhalten
haben, die in dem Wartburglied und -Bilde ganz versunken ist. Wieder
und wieder lenkt sich daher der Blick auf die Gruppe, die unsern
Meister in so lebhafter Verhandlung umgibt: und wenn wir uns schließ-
lich fragen^ ob nicht doch hier vielleicht vom tugenthafien Krist die Rede
sein könnte, so dürfte die früher geäußerte Muthmaßung, daß dieses
Wort wohl nur einem Einzigen anstößig gewesen sei, wenigstens in
BetreflF der Einzahl einen Stoß erleiden. Um so tröstlicher bleibt dann
die Wahrnehmung, daß der Held des Bildes sich den AngriflF der Wider-
sacher, wie viel oder wenige deren sein mögen, so ganz und gar nicht
anfechten lässt.
Doch genug der üngewissheiten. Spärlich und an vereinzelten
Stellen ist der Nebelschleier gelüftet, der das Leben des großen Dich-
ters deckt: aber nur ein Geringes ist damit erreicht; gerade das Haupt-
bild, räthselhaft sieht es uns an und will nicht lebendig werden; und
über diesem Leben oder doch über dem größten, bedeutungsvollsten
Theil desselben „waltet", wie Pfeiffer jene reiche Abhandlung schloß,
^das frühere undurchdringliche Dunkel".
TÜBINGEN.
MITTHEILUNGEN AUS DER MÜNCHENER
K. BIBLIOTHEK,
. TON
FRIEDRICH KEINZ.
Unter dieser Überschrift beabsichtige ich, den Lesern der Ger-
mania den Inhalt der wichtigeren altdeutschen Bruchstücke der hiesigen
Bibliothek, wie es mit einigen schon in den Sitzungsberichten der
k. b. Akademie der Wissenschaften (Phil.-hist, Classe, 1869, I, 4 und
11? 3) geschehen ist, sowie verschiedene deutsche, in lateinischen Hand-
schriften vorkommende kleinere Stücke vorzuflihren; gelegentlich auch
litterarische Notizen nach Art der am Schlüsse dieses Berichtes sich
befindenden beizufügen. Den Anfang mögen ungedruckte althoch-
deutsche Glossen machen.
Von mehr als sechzig der hiesigen Glossenhandschriften habe ich
mir in fiilheren Jahren genaue Abschrift angefertigt; darunter ist die
346 FRIEDRICH KEINZ
Mehrzahl von Docen, Graff und Schmeller für ihre lexicographischen
Arbeiten benützt worden: einige aber sind dem allgemeinen Gebrauche
noch nicht zugänglich gemacht. Bei ersteren halte ich eine erneute
Veröffentlichung vorläufig fiir unnöthig, da bei ihnen gegebenen Falls
eine genaue Collation genügen möchte; letztere aber dürften, wenn
gleich die Ausbeute der meist wenig umfangreichen Stücke, wie jede
Nachlese hinter großen Arbeiten, nur beschränkten Nutzen bietet, den
Abdruck wohl verdienen. Der Genauigkeit wegen bemerke ich, daß
die meisten von diesen auch schon Schmeller seinen handschriftlichen
Auszügen einverleibt hat.
1. Clm 6355. IX. Jahrh. 2" min. 270 BU. aus Freising.
Inhalt: Canones conciliorum. Constituta paparum. Am Schlüsse
ist auf Palimpsestblättem eine Sammlung von lateinischen, wohl auf
die Canones bezüglichen Glossen, unter welchen sich folgende deutsche
befinden :
seditiosua ungareh proteruus abuh
pernitiosum fi*auali emergentes farsenehen
pernitio est freisa ist ignauia unuuistuam
suggestionem manunga ludricis (so) einuuigi.
sollicitare holon
2. Clm 6375. IX. J. 2^ 227 Bll. aus Freising.
Inhalt: Eusebii bistoriarum über XL (i. e. cum duobus a Rufino
additis). Die erste Glosse ist übergeschrieben; die andern sind am
obem Rande der letzten Seite eingetragen, welche außerdem ein lat.
Vocabular aus den Buchstaben t und u enthält.
signiferi — cundfanara
de monarchia — suntriger hertom
propria conspiratione — eiganeru piratidu
conitiebant — dahtun
demolumentis (so) uuouu und noch 3 vergilbte Buchstaben,
die wie ast aussehen, also wohl uuouuast = uouiiahsty
vgl. Graff I, 687.
3. Clm 6225. IX. J. 4^ 115 BU. aus Freising.
Inhalt: Vom alten Testament die Bücher Job, Tobiae, Judith,
Esdrae, Nehemiae und Hester. Die deutschen Glossen nebst einigen
lateinischen sind von mehreren Händen theils übergeschrieben, theils
am Rande mit Verweisungszeichen angebracht. Die Schrift derselben
zeugt in ihrer Schwerfälligkeit von sehr wenig geübten Schreibern.
MITTHEILUNGEN AUS DER MÜNCHENEß K. BIBLIOTHEK.
347
Liber Job.
testa (saniem deradebat) mit
hauen scripine (1. scirpine)
molesta ungimago
in porta vrteUi
onager uuildar esill
concuties horrore gigruzes
Buspendium altasunga
ut gluttiam daz ih uirsUnta
fulciet gispruz&
de loco suo (commouit terram)
uuonna hir. . .
confutaberis giualscot iiird[ist]
odorem fvhti
adteratur (caelum) zigange
excauant irholont
et alluuione ynta uona anagaulu-
zido
attonitos (habes occulos) stornenti
turnet mertisot (1. meitisot; vgl.
GraflF II, 701 ff.)
tyrannidis vuotrihtuomeB
aruina spint
redactae (domus in tumulos) pi-
kertiu
onerosi ungimaha
rugae zuhhun
maxillam meam min kinni
sorduimus pismah&om (so, d. h.
pismahetomes)
maculis marcun
decipula valla
inedia azalosi
Biccentur gidorrit
exorruit leidezta
sicut paleae iso stro
sicut fauilla ioso ualauisco
torrentes cihisilinga (1. chisilin-
ga, vgl. GrafflV, 501.)
obstetricante foUeistantero
commutatione chouffe (das u
über dem o)
in nidulo meo in minemo nesta
squalentes unsupronta
(sub) sentibus domun
deuoluti sunt picalt urtun
nefas est ubil ist
lineam sprattun
rinocerus einhurno
hinnitum uueihot
plumiscet uidirith
accipiter hapoh
cartilago qrustali
calami rorahes
gurgustium auarhaco und ein ra-
dierter Buchstabe
frustrabitur pitriugit
fusilia gozana (unter dem o steht
von der Glossenhand ein lan-
ges Ä)
Bternutatio uanastunga (filr fna-
stunga? Grafflll, 782).
ted^ kihena (über dem i ein c,
GrafflV, 451),
incus anapoz
thorax prunna
paleas stro
fund^ slingun
malleum hama^
bulliunt uualent
quasi senescentem iso eruer-
denten
Liber Tobiae.
nutaret ttduiloti
carta prieue
de cassidile suo vonna sinero
tascim.
(f. 52*) Liber Judith,
sandalia scuoha
dextraliola pouga
348
FKIEDRICH KEINZj
ascopam flascun
polentam polla
industria ginmimtrido
expendet ginuzit
copia frist
egredi usc (fehlt weiteres, das c
könnte auch der erste Strich
eines ^ sein)
suade speni (das i ist unsicher)
agendo sih ueriento
ut inmunis das ungemein
non uereatur ni scame sih
grandi (strepitu) cradame
tdulatu screie
perstrepentes luittonta.
Liber Hesdrae.
cimentariis murarun
ut urguerent daz sa frumitiu
salis SYOzi
lesiones vnhuldi
recensuerunt lartvn.
Liber Nehemiae.
leuitae ampatman.
Liber Hester.
deferant (uxores maritis) era
irpite
(mundum?) sconiu
percrebuisset irmarit uurti
excoleret pisahi
triclinio stuola
permagnificum (convivium) filo-
stiurra
principalem (magnificentiam) her-
tuomliha
sententiam vuillun
experimento ursohunga
duxit (pro nihilo) ahtota
mutuo vnterin
scita panna
insolescat irgeillisota
(per) licentiam muoza
arcariis trisachamarun
anulum das fingir. . .
pependit (edictum regis) ziuuiz-
zanne vuart
pareris irscinis
reputans trahtunter
tyrannis her? (herren)
redundat (cuius crudelitas — in
regem) qmmit
opprimere piliccan
machina mahhunga
librariis prieuarun
ueredarioa potun
ueteres erirun
§renis lust üben
inhiabant kerotun
dignitas hertum
redUndauit irgoz.
uertebatur irginc
4. Clm 6413. IX/X. 6. 8^ 24 BU. aus Freising.
Inhalt: Grammatäker. Auf der letzten Seite sind folgende meist
deutsche Worte am obern und untern Rande eingetragen (Federproben ?) :
kiloup mit imten durchstrichenem p (also kilouper) — ficpoum uas imte
in den niuorun poetis — orde das seltonost — cigiualgane is cutinna —
Adnexique globum zephy — uscerscrechan den uesan, transiliendum
est — durah urloup, per licen[tiam]*
Obiges ^adnexique/ eine Schreiblehrformel, findet sich auch in an-
dern Freisinger Handschriften.
MITTHEILUNGEN AUS DER MÜNCHENER K. BIBLIOTHEK. 349
5. Clm 6230. X. J. 4^ 126 BU. aus Freising.
Inhalt: Epistolae canonicae. Apocalypsis.
potens (in scriptura) qunftiger stelle tero stemo
possunt megin castra heriperga.
ergo gauuisso (undeutlich)
Fol. 56 steht am Rande einer Zeile, in der 'Sadducei' vorkommt :
pero, pucko, und ebenda über 'Pharisäorum' : ratolt (Namen von damit
geneckten Schulkameraden?).
6. Clm 6295. X. J. 4^. 224 BIL aus Freising.
Inhalt: Gregorii homiliae. f. 65** folgende Glossen:
contusionibus (oliua expressa) torculun pizsuaridun
per trituram driscun
a paleis uon dem helluun
portico forcih frithof.
7. Clm 6414. X. J. 8^ 53 BU. aus Freising.
Inhalt: 'Erchanberti tractatulus super Donati grammaticam.' (Vgl.
Keil, De Grammaticis quibusdam lat. Erlangae 1868, pag. 23.)
cortex rinta linx luhs
grus chreia (Ä nachgetragen) comprehenditur farsten ist
bubo uuo herodio falcho.
damma steingeiz
f. 51 ist in dem vergilianischen Verse *aut parthus ararim (so)
bibit aut germania tygrim' von einem geographischen Glossator (wio
es scheint von derselben Hand, wie die obigen Glossen) über ararim
geschrieben suovua.
8. Clm 14737. X. J. 4». 226 BU. aus S. Emeramm.
Inhalt: Grammatiker.
tuber moltsuuom colus chunecla
puber grana sprunger acus aceris agana
concolor ebanuaro carex riot.
fomes zunterah
Auf der letzten Seite der Handschrift sind unter der Überschrift
'Glosa incipit de arte Albini' 23 Glossen eingetragen, wovon obige
lat.-deut8ch , die übrigen lateinisch. Unter letzteren findet sich auch:
'Duumuir: qui senos digitos habet.'
9. Clm 15965. X. J. 4^ 28 BU. aus Salzburg.
Inhalt: In Persii satiras commentarius.
garum sulci tesserula chrinna
sumine spunnirunse cannabe hanaf.
uelina chastinari
350 FRIEDRICH KEINZ
10. Clm 6411. X. J. 4^ 96 Bll aus I^reising.
Inhalt: Grammaticalia. Einige von den deutschen und sehr viele
lat. Glossen dieses Codex sind in jener Geheimschrift geschrieben, in
welcher a durch ., e durch :-, i durch :, • , o durch :•:, u durch :
dargestellt ist.
1) cassilide pursa impostura' kitroc
mataxa uuid serum chasiuazar
alfita prio fungus suam
sciutile & teca uesa amaglosa uuegarih maior
peripsima agana & cliuua plantago minor uuegarih.
Diese Glossen stehen auf der frei gebliebenen Rückseite eines
halben Blattes zugleich mit griechisch-lateinischen Glossen, den hebräi-
schen Namen der Monate und anderen Erklärungen, von denen der
Curiosität halber angeführt werden mögen: alemnus fluuius unde di-
cuntur alamanni; Scotta fuit filia pharaonis & fuit meretrix unde di-
cuntur scotii; außerdem hilta. huf. catax. qui dolorem hüte habet; am
untern Rande: carbonan al. musach.
2) muscus m : • : • : s vectis krintil
asseres 1 . tt : . : n anulus rinc
tigna r * u : . : n ansala nestila
incastratura nvoa acetabulum ezzihuaz
pellis ianctina losces hüt cyatvs stovph.
basis svelli
Diese sind am Ende einer Regel über die Accente beigefügt von
zwei Händen; [über der Mehrzahl der lat. Worte ist das Geschlecht
durch m. f. n. bemerkt.
3) depretio giuntiuro missio apostolatus santunga
lenio slihto inspico splizon
decurio inthingon trutino libro uuigo
insignio zehhino quadro quadras fierekgon
domum paruam statuo selidon hibemo uuintran
uerriculum besemo colum siha
salax schrichilmar ari&o turro
uas uadis burgo doto uuidamo
fulchrum banch vel quicquid aero aeras gieron
domum fulcit merx scaz
lenimentum slihtunga molo malo
polio & quatio epinunga odoror stincho
tonstrina scurt rum itaruchi
textrina giuuebida procrastino furdirscalto
MITTHEILUNGEN AUS DER MÜNCHENER K. ^BIBLIOTHEK. ' 35I
uellico zuangon arcesso holon
fidico seito texo uuibo
oscito cheuuom (vom m der nexo hefto
letzte Strich radiert) quisquiliae aganahi
caicius scuoh zabema ceu tabema pulga
venor iagon satyra sehem?
Diese Glossen stehen unter einer großen Anzahl von lateinischen,
auch lateinisch-griechischen; die Schrift ist so klein ^ daß die kleine
Quartseite 52 Zeilen zeigt.
4) exactor sculdhaizo muscus m : . : • : s
catilo ch • zilon colus rocho
stupa uspunna coepe forr : . :
cholossis irmansül tuber quod nos nominamus
limbus linz h : . : u . r & tuber alio
therm^ padasteti modointerpretaturgenuscibi
fata (si — uirum servant) heil quod nos dicimus s : : am
inproperabant ituizotun Cancer genus morbi Cancer
fortuna salida dicitur er : . p. z : :
Von diesen Glossen steht die erste in der Zeile mitten unter latei-
nischen Erklärungen biblischer Namen und Wörter, die weiteren bis
therme am Rande, ohne Beziehung auf den eigentlichen Text, die übrigen
endlich sind übergeschrieben» Auf f. 44 findet sich mitten unter gram-
matikalischen Regeln folgender, wohl auf die Heimat des Schreibers
verweisender Satz : Slone flumen in finibus longinensium. Ille locus in
dextrali parte hibemi^ situs est et uicus ipse chedni dicitur quod nos
cellam interpretamur a uiro quodam. Den Schluß dieser Seite bilden
lat. Verse, die sämmtlich mit 'sub illo schließen. Übrigens scheinen
die beiden Blätter, welche die sub 3) und 4) gegebenen Glossen ent-
halten, willkürlich mit der Handschrift vereinigt zu sein: sie zeigen
starke Verschiedenheit sowohl in Pergament als Schrift.
Das erste Blatt des Codex enthält eine lat. Urkunde des Passauer
Bischofs Hartwich (940 — 966), welche bei einer andern Gelegenheit
zum Abdruck kommen wird.
11. Clm 22038. XH. J. 4«. 142 BU. aus Wessobrunn.
Inhalt: Gregorii dialogi.
operimentum uberloch intimauerit chonte.
12. Clm 22307. XIL J. 8«. 195 Bll. aus Windberg.
Inhalt : DifSfinitiones diversarum dictionmn in veteri & novo testa-
mento. Glosula vocabulorum in genesi. Grammaticalia. Die im ersten
Stücke weit verstreuten Glossen sind sämmtlich von öiner Hand über-
352 FRIEDRICH KEINZ
schrieben, mit Ausnahme der dritten, welche schon der Schreiber des
Codex in die Zeile gesetzt hat.
praesagio forauuizzictuomo mnliebria vuipzieridä seu lii-
obtrectatorum pispraharo stunga
cudere, scribere mächun clamor ruora
cudo munizun velamen heli (?)
proferamus furiziomes dure vnfroliho
deliramenta topazunga agnas chilpur
hispanicas uanitates spaniskiu ad meditandum zi vopanne
giposi coUidebantur spumtun
paedagogus magazoho imposuisti pitrugi
contulisse chöscvn copulae hirates
emendatiora puozvuirdigorun respondebit gihillit
exemplaria pilidpuoh castra h^ri
«ubire hintersten vadimonium uuetti
ßtamen vuarf rubus domstuda
subtemen vuöual odorem liumunt.
desierant stalgapun
13. eim 22258. XH. J. 4^ 111 BU. aus Windberg.
Inhalt: Euangelium Matthei cum commentario anonymi copioso.
Expositio prologorum Hieronymi. In letzterer die Glossen in der unten
folgenden Abtheilung, sämmtlich übergeschrieben, von ^iner Hand.
Nach einem Eintrag auf f. 1 liess diese Handschrift 'secundus eiusdem
ecclesiae (in Windberg) abbas Gebehardus' schreiben. In der Abtreihe
der Mon. Boica ist dieser als 'primus abbas' mit dem Todesjahr 1191
angegeben.
Für Solche, welche sich eingehender mit unsern alten Glossatoren
beschäftigen, bemerke ich noch, daß sich diese Glossen größtentheils
(vom Evang. s. Joh. an bis zu der Glosse cremium — spahha) genau
in derselben Reihenfolge in der Weingartner Handschrift B. 110 in 4®
befinden, welche GraflF in der Diutisca H, p. 41 — 54 ausgebeutet hat.
Nach obiger Glosse hat die hiesige Handschrift mehrere, die sich in
der Weingartner nicht finden. Die vorliegenden stehen bei Graff 1. c.
S. 42, dann 49 und 50.
Super Matheuo (so). paraliticus firgihta
Ventilabrum wint scuuala nent spingent
reficientes psozenta*) utres putiustar
*) So deutlich. Da schon aus der Übereinstimmung mit der Weingarter Hs.,
so wie aus den vorliegenden Wortformen ersichtlich ist, daß diese Glossen aus einer
MITTHEILUNGEN AUS DER MÜNCHENER K. BIBLIOTHEK. 353
sinapis senapher
fantasma pitroch
seceösum gisuasi
nummulariorum Tuechsilara
peregre in ellent
, ., ^ , f phouchar (Graff I,
philactena j ^_j. ^^^^
mentam minzan
anetum tilli
ciminum chumi
excolantes sihinta
culicem muccan
pasca oster frisginc
figuli hauanari
clamidem mantel
caluariae gepales.
Euangelium secundam Marcum.
luscum enocun
vapulabitis kiuillit vuerdat.
Euangelium secundum Lueam.
timoratus giuorhtelarer
euertit irsturit
, .,. . ( cheua
de sihquis { ^^^^
ßicomorum wildimulpouma
: ieiuno bis (in sabbato) in dero
wecha
cribraret ritereta
confertis chosat.
Euangelium secundum Johannem.
ydrie waze uaz (so)
architriclino demo wirsistemo
(1. uuristemo) stulsazan
seenophegia gizeit (1. gizelt)
wahta
Bcribebat reiz
natatoria (Syloe) ursprinch
scinma gistrita
encenia (nova templi dedicatio)
chir wahta (es steht ohir)
veniit firchoufit
sudarium suezuanch.
Super prologum libri psalmorum.
unus sumi welcher
exaltans kihoheitter.
Psalterium Romae et rel.
cursim kizalo
cissum kiprachotaz
obliquis duerehan
editionem antfristunga
non defluet nirder niriset.
vasa mortis (sagittas) kizwinga
exacerbauit irgremit
magniloquam uila sprachila
conuenticula cusaminachunsta
(so)
corruptionem fuulnussida
.„ ( aphol
pupillam < \
^ ^ ( sehan
peruerteris kunur siriduwirdist
(Vorlage kauur oder kiuur-
sirit?)
sole offani
foderunt durichstachun
refloruit piquam
( laster
vituperationem < ,
' sceiiax
imputabit wizzeit (-ett?)
enge wach
emulari
. ( hazzan
( pilid
an
älteren Handschrift abgeschrieben sind, so dürfte obige unmögliche Form sich als
Lese- oder Schreibfehler des Abschreibers erklären lassen. Chn 4606 (Graffs Bib. G),
der zu dieser Handschrift in ähnlichem Verhältnisse steht, wie die Weingarter, hat an
dieser Stelle reficientes — pozzenta.
354
FRIEDRICH KEINZ
, . ( hazzist
celauens < , ,
( vehest
intenderunt spiennunt (so)
piagas chestigan
tabescere slaffan
refrigerer irchuole
afaeam tuuorda
mutationibas chouffan
conclutinatus est zuokilimit ist
calamus rora
vacate virat
propositionem ratinisca
, ( uersina
calcaneo { ,
f sola
depascet frizit
desursum üf
, , ( machota
concinnabat ^ ,. i ,
( stiphta
nouaciila scara scahis
precipitacionis kahi
emigrabit uzitripit
despexit firmanat
dimidiabunt kimitti uerhunt
obdurantis pituontes
incantantis kalstruntes
ramnum agalein
significationem puochun
macerie steinzunes
stateris wagun
stillicidiis rophazunga
cleros (graece; lat. sors) herden
ascia dechsala
de post fetantes aflfter zuhtingun
singularis char
cophino chorpa
contestabor zurcundi ziuho
adinuentionibus irouindungan
meridiano mittagolichemo
decachordo zehan seitigemo
cremium spahha
merges carpa
frixorium rost phanna
nocticora nathram
domicilio husilin
opertorium decha
longanimis lagmuotiger
herinaeiis higli
cinomia huntasfliuga
quasquilas wahtala
salsuginem sulzi
lebes kezili
scabellum scamal
f vterpalch
i putüstar
eruetabunt wiriprigant (so)
nouelle phlanzun
timporibus tuniwingan
vir linguosus viliehosiger
incensum rouch
ancipites zui yuassi
manieis hantiröhon (1. hantdrö-
hun)
tympanistriarum spiliwipa
14. Verzeichniss der von Graff benützten Glossenhandschriften.
Da die jetzt gebräuchliche Bezeichnung der hiesigen Handschriften
zur Zeit^ als Graff sie benützte, noch nicht eingeführt war, die Kennt-
niss derselben aber dem Forscher im einzelnen Falle von Wichtigkeit
ist, so wird mit der Bekanntgabe derselben Manchem um so mehr ein
angenehmer Dienst erwiesen sein, als ein vollständiges solches Ver-
zeichniss bisher noch gar nicht vorhanden gewesen war. Die Herstel-
lung desselben hat selbst mir in einzelnen Fällen viele Mühe verursacht.
MITTHEILUNGEN AUS DER MÜNCHENER K. BIBLIOTHEK.
355
Ich führe dabei die Handschriften in derselben. Reihe auf, die
Graff in der Vorrede zum ersten Bande seines Wortschatzes aufstellte.
AI.
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*) Em 29 scheint nie auf der Bibliothek gewesen zu sein,
**) Gc 9 ist mir noch nicht zur Hand gekommen.
**») Die dabei erwähnte Schäftlamer Handschrift ist Clm 17194.
356
FRIEDBICH KEINZ, MITTHEILUNGEN etc.
NO.
Clm
7607
Sal.
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OA.
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Virg.
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Prud.
1
»
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»
2
n
55
18922
VP.
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n
3
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2622 (?)
n
2
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7)
4
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57
475
55
3
„ Bib. 7
Ps.
2
57
Bib.
2
Wb.
, Clm 22236
Ran.
»
Clm
12625
Wess.
„ „ 12053
RR.
»
Bib.
1
Wm.
1
r Cgm 19
Sal.
1
M
Clm 17152
X frtJher
in Clm 14429, j<
2
55
Bib.
5
Cgm i
5153*.
15. Herzog Friedrich von Schwaben.
In den jüngsten Bänden der Bibliothek des Litterarischen Vereins
in Stuttgart ist die bevorstehende Ausgabe des unter obigem Titel be-
kannten, bisher, kleine Stücke daraus abgerechnet, ungedruckten Ge-
dichtes angekündigt. Da die hiesige Handschrift wegen ihrer ünbe-
kanntheit, so viel ich weiß, hiezu nicht benützt ist, so wird es vielleicht
dem Herausgeber angenehm sein, auf diesem Wege ihr Vorhandensein
zu erfahren. Ihre Bezeichnung ist Cgm 5237.
Dieselbe kam einige Zeit, nachdem der deutsche Handschriften-
catalog veröflfentlicht war, durch Kauf in den Besitz der Bibliothek.
Sie trägt auf einem Vorsetzblatte folgende schriftliche Angaben von
unbekannter Hand : ^Olim Codex Rinckianus 8611 , cf Bibliotheca
Rinckiana, Lips. 1747, Tom. II. p. 1033. Gräter, Bragur, Leipzig 1798
Bd. VI. St. 1 S. 181', womit auch ein Stückchen Geschichte der lange
verschollenen Handschrift bereits gegeben ist. Auf dem Rückenschilde
sind folgende Worte gedruckt : 'WoUr. ab Eschenb. Leb. Hertz. Frid.
Aus. Schw. Mst.', womit die Angabe obiger 'Bibliotheca' übereinstimmt:
'Auetor huius codicis est Wolframus ab Eschenbach, qui Ludovici pii
vitam iisdem rhythmis sub nomine ficto Parcefalis descripsit.' Weitere
Angaben halte ich unter dem obenangegebenen Verhältnisse vorläufig
für überflüßig.
K. BARTSCH, BRÜCHSTÜCKE EINER HS. DER ERLÖSUNG. 357
16. Zu Helmbrecht V. 1418:
des morgens gie si Itne stap.
Eine gewöhnliche Redensart, mit der man junge Frauen nach der
Hochzeitnacht neckte, wie aus nachstehendem Beispiel erhellt, das dem
Rennewart des Ulrich von Türhoim entnommen ist.
Nachdem Rennewart und Alise die erste Nacht mit einander zu-
gebracht :
nu kom Heimrich von Naribon
guoten morgen er in gap :
'Alise, mäht du ane stap
gen? daz laze uns besehen;
ist dir leides iht geschehen,
daz geamet Rennewartes lip*.
AUse daz vil reine wip
sprach ^herre lieber ane,
ganc mit der künigin hin danCi
und laze uns beide uf stan;
geloube mir, ich mac wol gan
ane stap swar ich wil hin.'
In meiner Abschrift des Gedichtes sind dies die Verse 5370 — 81.
Obige Verse sind zunächst nach dem hiesigen Cgm .42 gegeben, nur
ohne Beachtung der Orthographie des bairischen Abschreibers aus dem
XrV. Jh., z. B. ch für ft, j fllr i u. dgl. Das gen der 4. und gan der
vorletzten Zeile steht in der Handschrift.
BRUCHSTÜCKE EINER HANDSCHRIFT DER
ERLÖSUNG.
In seinem LXXIV. Cataloge unter Nr. 1131 (S. 37) theilte Herr
Antiquar Heberle in Cöln einige Verse eines altdeutschen Gedichtes
mit, von welchem er eine Anzahl von Pergamentblättem besitzt. Auf
eine Anfrage hatte er die G-efälligkeit, mir zwei der Blätter zur Ein-
sicht zu übersenden. Sie gehören der von mir (Quedlinburg 1858)
herausgegebenen Erlösung an. Im Ganzen sind acht vollständige und
fünf halbe Blätter erhalten. Das erste der mir mitgetheilten umfasst die
V. 5087 — 5226 meiner Ausgabe. Der Text stimmt sehr mit dem Nürn-
berger ^ und die Einrichtung ist auch insofern dieselbe, als vor 5170
sich die Auferstehung in roher Federzeichnung abgebildet findet; die
Darstellung ist genau entsprechend. Bemerkenswertbe Lesarten sind
aSRMANIA. M«tt« Reihe UI. (XV.) Jjüirf. 24
358 K. BARTSCH, BRÜCHSTÜCKE EINER HS. DER ERLÖSUNG.
5100 da] sa, 5109 sie sa, und so häufig sa für so, vgl. zur Erlös. 5694.
5111 und mit ime erfrauwete. 5114 der eren got 5115 liehten. 5117 in dirre.
5118 herre] er» 5124 in vinstemisse. 5125 seht — gewisse. 5151 Den mil-
ten henken godeheü. 5142. 43 vertauscht. 5142 des fehlt, tounedicher, 5143
seien, 5144 «i sungen vn, 5145 a2fe aW 5149 da du, 5140 Ain^ in dirre.
5156 erlanget. 5158 Di». 5163 {sol)ich. 5168 cJa &K&6W «te die t?. 5171
der] daz. 5177 &2etcA «am als eyn. 5186 tcA fehlt. 5188 mit deme da, 5190
Daz si mokte, 5191 ia meide manne fr. 5195 cZa er. 5197 erhiebet, 5199 der
AVe heilant, 5210 t^on de«. 5212 ich fehlt. 5219 re^te «am ein linden laut.
5226 tn aller wise det alsus.
Das zweite Blatt enthält die Schlußverse des Gedichtes 6580 — 6593
mit den Varianten 6580 vmlle auch an. 6584 die quäle also — erlieden.
6585 da er sa. 6592 ie fehlt. Nach 6593 folgende Schreiberverse, die
abwechselnd roth und schwarz geschrieben sind:
Nu höret der rede ein lützel fort
waz uns bedudent diese wort
die geschribent stant hie bi
post anno domini
die dudet man als ich sie las
von cristes geborthe daz iz was
do man zalte sunder bar
dusent und dru hundert iar
drizzig und auch siesse do
in dem siebende vememet so
als ein nuwe iar ensthat
und (durchstrichen) den zwelften dag begangen hat
darnach an me sesthen dage
daz waz der fritdag horich sage
der in dem mande gefil alsus
der da heizzith ianuarius
da wart dit buchg geschriben da
in marien kindes hende iesa
müzze auch hie bevalen sin
an deme diese schrift hie wirdet shin
Uli auch kurzliche kume dar
in der heiigen engel shar
des hielf ime un uns der heiige crist
der aller dinge geweidig ist. Amen.
Der Rest des Blattes (Sp. b— d) ist leer.
KARL BARTSCH,
359
BRUCHSTUCK AUS ALFRICS ANGELSACH
SISCHER GRAMMATIK.
(a) tnfinitiao quire ueneo tc gange to ceape. odde ic beo geseaid
uenibam, ueaivl, uenibo. et cetera. Sum ic emn. is eävistlic vord. aüd
gebyrad to gade anum synderlice, forJ)aii J)e god is cefre unbegunnen,
and ungeendod. on himsylfum, and purh hine sylfiie Ynmigende, Sum
ic eom. es. \>vi eart. est. he is. and pluraL sumus ve sind, estis gesind,
sunt, hz sind. Preterito imperfec, eram. ic vaes. eras. erat, preterito per-
/ecto fiii. and sva ford. sva on promgendlicnm vorde stent avriten,
futuTO. ero. ic beo. eris. erit. et plwraliter erimus eritis. erunt. Impera-
tiuo. sis. heo pu, sit. beo he. and pl'r simus. beon ye. sitis sint. futuvo.
esto. beo })a. sit et plv/raliter estote beon ge, sunto Tel suntote. beon hi.
Optatiuo futuro t^tinam sim. cum sim etc. EaU sva gad of}>isum gie . . .
(b) • . . s feos vana. Desunt mihi nvmmi. me sind vana penegas
et similia.
De verbis defectiuis (roth).
Sum>e vord sindon gehatene cJefectiva. J)8et sind sA,eorigendlice, for-
pan ]>e hi ateoriad on sumer« stove. ferio. ic slea, nsefd nanne pteritum.
perfectum. buton hit nime of o})rum yorde. })sbs yUan andgites, percutio.
ic slea. percussi. ic shh. fero ic bere macad preteritum tvli. of pam
vorde toUo ic nime. odde bere. sisto ic sitte nimd preteritum. of statuo.
tc sette staiui. furo ic vede. furis. furit. macad insaniui of insanio. ic
vede. uescor. ic gereordige. wesceris. uescitur. is deponerw. and nim>d
preteritum pastus sum. of J)am vorde pascor. ic eom afed oJ)J)e gelaes-
vod. medeor. ic lacnige nimp preteritum of medicor medicattLS sum. re-
miniscor. ic gemune, nimd of recordor. recordatus
Ein Pergamentblatt des 11. Jahrhunderts, an beiden Seiten und
oben beschnitten; oben fehlen vermuthlich sieben Zeilen, so daß die
volle Seite 26 Zeilen hatte. Das Blatt fand ich beim Notar Strauven
in Düsseldorf; gegenwärtig gehört es der fllrstl. Hohenz. Bibliothek
in Sigmaringen. In der Ausgabe von Somner (im Anhange zu seinem
Dictionariura Saxonico-Latino-Anglicum, Oxonii 1659) steht das ent-
sprechende Stück S. 36; danach ist das Fehlende in Cursivschrift er-
gänzt worden.
BONN. ^- BffiLINGEB.
24*
360 A. BIBLINGER
BRUCHSTÜCK AUS DEM BOEK VAN DEN
HOUTE.
1* Ic bin bereet te doen algader (66)
Du lief is efi ghi ghibiet
Her ic en kan des wegen niet
Soene gaet op minen troest
Efi Yocht ene wech int oest
Dat ic seg merct wael
1^ Bi ghinc alden selue pat (88)
Als hem sijn vader had beuolen
Hi gheraecte donder dolen
, D* die voetsporen stonden
V^ualaet van adams senden
Die uolchde hi soe lange naer
2" Dander riuier die ic mene (146)
heit gion na mine wane
Efi loept om Üant yan Moriane'^)
Die derde in corte bedtide
heit tygruB als ic Y^stae
Efi loept om tlant ran A»ia
Die vierde riuier sijt gheiwea
Is gheheiten effi:ates
Efi loept om die YfQveU al
haer groeth* is ghene tal
Op dese fontein scoe cn daer
Die seth ghesien had doer
Stent ene boem gewmsen groet
Alle sijn telge waren hloet
Hi en droech vrucht noch blade
Noch scorse docht hem weaen scads
Dat hi Stent soe hog^
Efi verdorret also drogA«
Hi sloech sijn oge neder en sack'**)
Een serpent enstelic efi groet
Die wortel vande boem hhet
«) Fehlt eine Zeile. •*) Pehlt eine Zeile.
BRÜCHSTÜCKE AUS DEM BOEK VAN DEN HOUTE. 361
Liep doer die eerde in die helle
Jy Bach hi die ziel van cibdle
Hi sach d^ Bond^linge vfonder
An den boe boue eSi onder
0 Opt haegete vande boem lach
Een Joint als ic v segge mach
Niboren in doelie ghewonden
Hi hordet wenen tot dien stonden
AUe hi die stede wel had ghesien
Keerdi weder na dien
Daer hi den engel ataen vant
Iffi hi vraghede he te hant
Wut dat^Une kint meenden
Dat op dem boem lach eil weendd
Die daer soe verdorret stont
Die enghd eprac ic maect v cont
Dat kint daer ghi na vraget
Dat sal van ener maget
ontfa>en menscheWo figuer
boven den loep d^ natuer
aal god hehhen dz kijnt ghemeen
bi ener maghet die alleen
weder sal vinde die ghenade '
die adam bi even rade
V^loes bi oTz^Aehoersamhede
dat se doe beede misdeden
K
dat moet dz kint alleen becopen
als aUe die jaeren syn om lopen
volcomelijc te bore tiden
3* Om tsayons te neme rüste
LXXn paulcoe vondense daer
Efi XX fonteinen ciaer
Beslote op dat grone weit
Neue dz wat^ haer getelt
( ) es and^ dagen sijt ghewes
3** .... droevet seere
Doe bat hi onsen here
Dat hi hem gaue sulc boet
Dat'twatf werde zoet
362 A. BIBLINGER
Dat volc en liet hem ni geroen
Doe ghinc hi m een paulcoen
4' Mochtmen openbaer ßien
Dat hi v^ßceide was in drien
Die CO. dede ten seluS tiden (499)
Sing hof lenge en widen
Datme den boe d*in brocht
Efi mit eng tum omwrocht
Doe hi d^een iaer had ghestaen
Ded^ die cö, om slaen
Van silu^ ene rinc
Die den boem al om vinc
En wies al tot XXX iaren
En elc iaers int twaren
Ded^ dauid die coninc
Om slaen enen rinc
Dit waren die XXX ringen
Die vele lüde heten penninge
Want iudas vercoft d^om
Den gods sone ihm (514)
Hi versamende silu^ en gout (519)
Om te copen steen en hout
En wende t^stat een bedehois maken
Mer god v^baerde hem in spraken
Du bist ein orlogus man*) (524)
Du ensult ghene tempel richten
Dz heuet geda6n dijn vechten
C) En onderwynti nz te doen >
Het sal seien bi salemoen
Die na di sal besittS^'dat rijc
Lange tijt eerwerdelijc
Soe coninc dauid sterf
En trijc an salemö y^steri
En wH een weldich h*e
Bracht hem god tot sulc eer
Dz hi een bedehuis dede maken
Vanden alre besten saken^
*) Fehlt eine Zcüe.
BRÜCHSTÜCKE AUS DEM BOEK VAN DEN HOUTE. 363
Diemen dHoe vynden mocht
Het was lange eerment volbrocht
Soe dieren werc wit vorwaer
Ene balc ontbrac hem d*
Die meester voeren eli sochten
Tlant doer mer si en mochten
Ghenen balc vjmden soe groet
Die hem docht tot höre noet
Des waren si bedrouet zeer
En qnamen weder tot horö beer. "
Efl seiden wy en connen vynden
Ghenen balc die wy int werc mögen bynden
Ten si dat ghi doet houwen of
Den boem die staet in uwg hof
Ghebonden mitten XXX ringhen. ''^
5* Hangen die hoep d* werelt al (644)
Die vrou was als ic v^sta
Coningin van saba
Si gaf d^töe siluer eü gout
D^ men mede besloech dz hout
En salemon die wise here
Dedet nemen in groter eer
En deedt wt den tempel dragen doe
En mit stenen metsen toe
AI die doren groet en cleen
Die d* waren sonder een
D* dede hijt dwers in voegen
Op dat niemant en soude mögen
D* inspreken sijn ghebede
Hi en nege thout d^ stede
Diet te uoren hadden betreden
Mosten d^ allen anbeden
Salemon starf en d* na quam
Een coninc biet robaam
En een ander d^ na
Die was gheheiten abia
Die nam vande hout reen
Tgout siluer en duere stene
Dert in was beslagen
En deedt wt den tempel draghen
364 A. BIRLINGER, BRUCHSTÜCKE A. D. BOEK VAN DEN HOUTE.
Q) Daert in was bewrocht
Die ioden waren säen bedocht
En nament heymelic bi nacht
En grouent wel XX ghelacht
Onder die eerde daert lach
n*' jaer dat niemant sach
Daer na vielt als god woude
Datme een pissijn grauen soude
D* men tflees in soude dwaen
Dz inden tempel wH ontfaen
Van de volc vandS lande
Alsme brenct ter offerhande
Het was sede int oude wit
Datmen lammer eü caluer vet
Te offeren plach en ander beesten
Alsme hoechtijt hielt en feesten
Men groef enen put t* stede
D* thout lach onser salicheden
Het was v^geten lange stonde
Het hief he seluen tot de gronde
Efi dreef in dz water ciaer
S* ian seget ouerwaer
Dat alle daghe voer middachtijt
Een engel quam en dreef ioHjt
En roerde twater in die pissijn.
Die voraufgehenden Bruchstücke sind erhalten in dem Reste eines
Doppelbattes, einem der Länge nach durchschnittenen einfachen Blatte,
und einem vollständigen Doppelblatte. Jenes erste Doppelblatt war aus
der ersten Lage der Hs., das zweite und sechste der Lage ; erhalten ist
nur der untere Streifen von je sechs Zeilen. Von dem folgenden Doppel-
blatte ist die vordere Hälfte, Bl. 3 der Lage, erhalten. Das vollstän-
dige Doppelblatt ist aus der zweiten Lage der Hs, und bildete in der-
selben das dritte und sechste Blatt. Die Handschrift ist aus dem
14. Jahrhundert, Pergament: jede Seite hat 25 Zeilen.
Der Text weicht von dem durch Tideman (Dboec van den heute,
Leiden 1844) herausgegebenen, so wie von der niederdeutschen Über-
setzung (ed. Schröder, Erlangen 1869) an manchen Stellen ab, stimmt
aber mehr zu jenem als zu diesem. Ich habe in ELlammem die Zahlen
der niederländischen Ausgabe und in Cursiv das Fehlende beigefligt.
BONN. A. BIELINGEß.
365
THOMAS A KEMPIS.
▼an goeden woerden to hören ende die to spreken. *)
Onse Heue here ihesus christus secht.
Salich sijn sy die dat woert godes hören ende dat bewaren.
Nu meret dat hier na volghei
Een goet woert . is loues weert.
Een ydel woert . is beter ghesweghen.
Een oetmoedich woert . dat stychtet meest
Een sacht woert . breet den toem.
Een hart woert . verstuert die horten«
Een bescheiden woert . gheuet verstandenisse.
Een zuet godlic woert . maket vroude.
Een troestlic woert . is goldes weert.
Een wijslic woert . is seer uut in sijnre tijt.
Een haestich woert . veriaghet die vrende.
Een loes woert . is schände weert.
Een waerachtich woert . is eren weerdich.
Een dienstich woert . is danckes weert.
Een voersienich woert • is seer kostel. ende allen menschen noet.
die onbegrepen wil wesen in sinen leuen.
Dat moet een seer goet stichtich woert wesen. dat een swighen
sal verbeteren.
Beter is ghesweghen . dan ghekeuen.
Allen woerden en sal men nyet ghelouen. noch oec voert segghen.
Swighen ende lyden. maket vrede ende doet verbliden.
Also langhe als ghi leuet . so seldi leren lyden . luttel spreken.
vake beden. die crancken draghen . den quaden wyken.
Luttel onderwyndens . maket vele vredes.
Ghene hoecheit sueken . noch eer begheren . is die rechte wech
ten ewighen leuen.
Set uwen troest ende hope in gode alleen. west oetmodich ende
barmhertich totten armen int ghemeen.
Doet na godes raet. ende schouwet die quade paede, so seldi
gode wel behaghen . ende des viants stricke ontgaen . mitter hulpe
godes in doechden wassen . ende vast van bynnen staen.
*) Diese Überschrift, wie auch die fettgedruckten Anfangsbuchstaben der ein«
sehien Absätee und das Datum am Schlüsse roth.
366 HOPFMANN VON FALLERSLEBEN
So edel is die doghet ende een goet heilich leuen . dattet gaet
bouen alle schoenheit ende rijcheit . ende starcheit ♦ ende verdient se-
kerlike dat ewighe leuen.
Die doeghet verwint alle boesheit . ende ydelheit der werelt . si
wederstaet des viants becoringhe . ende dwinghet dat crancke licham
te volghen der reden ende den heilighen gheist.
God moet ons alle gader in doechden stercken . ende voer alle
Sunden behoeden . dat wi na desen sterfliken leuen weerdich werden
te comen in dat ewighe leuen Amen
In allen noden ende stonden . in allen beghinne ende eynde so
come ons te hulpe die heilighe moder gods maria . mit ihesus hören
lyeue kynde. Amen.
Anno dnj. M. oooc. lyj.
Finitus et script9 p ma9 fris thöe kepis
Das einzige Vlämische, welches bis jetzt von Thomas a Eempis
bekannt ist. Es steht in der Brüsseler Handschrift Nr. 4587, die eigen-
händig von Thomas geschrieben ist. ^Die obigen Sprüche sind freilich
schon gedrackt, aber ungenau in J. B. Malou, Recherches bist, et cri-
tiques sur le v^ritable auteur du Iivre de Fimitation de Jösus-Christ
(Paris 1858) p. 389 — 391. Ich theile sie ganz genau aus dem Originale
mit, welches mein Freund, der Herr Hauptpastor Hirsche in Hamburg,
zum Behuf einer critischen Ausgabe aller Werke des Thomas geliehen
erhalten hat. Der rhythmische Character, der in allen Werken des
Thomas von Hirsche entdeckt ist und nachgewiesen werden wird,
findet sich auch hier im Vlämischen.
AUF DER REISE, 23. Nov. 1869. HOFFMANN VON FALLFRSLEBEN.
JESUS UND SEINE JUNGE BRAUT.
Jesus.
Hef up dyn cruce, myn leveste brüt,
volge my na unde gank dynes sulves üt,
wente ik dat gedragen hebbe vordy;
hestu my lef, so volge my.
De brüt.
O Jesu allerleveste h§r,
ik bin noch junk unde altot§r;
ik hebbe dy l^f, dat is jummer war,
mer dat cruce is my altoswär.
JESUS UND SEINE JUNGE BRAUT, 367
Jesus.
Ik was junk; do ik it dr6ch:
10 klage nicht, du bist stark genöch.
wannSr du bist olt unde kolt,
so en hestu des cruces neine wolt.
De bröt.
We mochte lyden den dwank?
der dage is vele, dat jär is lank.
15 ik bin des cruces ungewön,
och schön myn, allerleveste schön!
Jesus.
Wo bistu, lef, alsus vorlagen?
du most noch stryden also ein degen.
ik wil castygen dyn junge lyf, v
20 lyt unde w^s duldich unde blyf.
De brüt.
Here, wat du wult dat mot w^sen;
mer des cruces en mach ik nicht plegen.
mot dat syn unde schal ik dat dragen,
so mot ik kranken unde Torzagen,
Jesus.
25 M^nstu in den rosen to baden,
du most noch in den dornen waden.
SÄ an dyn cruce unde dat myn,
wo ungelyk swär dat se syn.
De brüt.
Wy l^sen in der hilgen schrift,
30 dyn juk is sote, dyn borden is licht.
wo bistu nu dus anxtlik hart,
myn allerleveste brodegam zart?
Jesus.
ünbewonen beswärt den möt,
men lyt unde swych, it wert noch gut.
35 myn cruce is ein so kostelik punt,
w§m ik des gunne, de is myn vrunt.
De brüt.
Den vrunden gevestu rast
my gruwet vor de swaren last.
ik sorge, ik en möge des nicht herden,
40 0 leveste here, wes schal nu my r&t wSrden?
I
368 HOPPBiANN V. F., JESUS UND SEINE JUNGE BRAUT.
Jesus.
Dat himmelryke Ht gewolt,
men du bist noch van leve kolt.
hestu my l§f, it wert noch gut,
wente dat maket alle dinge s6t.
De brüt
45 0 here, gif my der leve brant,
myn krankheit is dy wol bekant.
letestu dat up my sulven stSn,
so westu wol, ik mot vorgän.
Jesus.
Ik bin swart unde suverlik,
50 ik bin suverlik unde minnichlik,
ik geve arbeit unde rast,
getruwe uppe my, so steistu vast.
De brüt
0 here, eft it jummer w^sen mach,
des cruces bin ik nicht wSrt einen dach;
55 men wultu, dat it mot syn,
so schfe dyn wille unde nicht de wille myn.
Jesus.
To dem himmelryke is ein wech allein,
dat is des cruces wech unde anders nein,
al dyn wolvärt unde ewich heil
60 steit an dem cruce, nu keis einen deil.
De brüt.
Scholde ik dyn ryke unde hulde vorleisen,
ik wolde lever hundert cruce ütkeisen.
here, gif my macht unde lytsamicheit
unde crucige my wol, it sy my Ifef efte leit.
Jesus.
65 Also dy düt cruce to gände heit,
so denke wat ik dy hebbe bereit:
my sulven geve ik dy to lone,
mit den engein de ewigen crone.
De brüt.
0 myn allerleveste seil,
70 myn gut, myn leif, der werlde heil,
sA an dat gut dat Jesus is,
des himmelryke» bistu wis.
Amen.
HOFFMANN v. F., MARIEN HIMMELFAHRT. 369
Aus der Wolfenbütteler Hs. Nr. 1155 unter verschiedenen erbau-
lichen Schriften von verschiedenen HändeU; BL 284*— 285^ Von der-
selben Hand findet sich Bl. 427* die Jahrszahl 1473.
Ein ähnliches Gedicht^ ebenfalls aus dem 15. Jh.^ fand ich im
J. 1821 zu Coblenz auf der Rückseite eines Gemäldes ^ das aus dem
Kloster Camp bei Boppard stammte. Ich theilte es später mit im Auf-
sessischen Anzeiger 1834. Sp. 27. 28. Die Verse sind dort in derselben
Folge ; aber neben einander, was in der Hs. nicht der Fall ist; da
stehen nämlich erst die 9 Strophen, die Jesus spricht und dann folgen
die 9 der Braut und zwar so, daß die meisten mit falschen Über-
schriften versehen sind, indem Jesfus sprikt und de brüt sprikt von
Strophe zu Strophe abwechselt.
Der Text der Hs. ist nicht sonderlich, ich habe deshalb keinen
Anstand genommen, Einiges daran zu ändern. 22 nicht Wfsen für nicht
plfgen — 27 dat cruce für dyn cnice — 35 koatelik pant für kostelik
punt — 36 vrunt fiir vint — 54 werdach für wert einen dach — QO nu
kusch far nu keis — 65 heiten geit flir gände heit — 70 werde fiir werlde.
HOFFMAKN VON FALLERSLEBEN.
MARIEN HIMMELFAHRT.
Van der hmmelTftrt tuiBer leyen vrouwen, wo b6 in den OTertten
tr6n quam.
Benedyet systu sonerinne,
w^s uns ein ewich bidderinne,
unde aller sünder ein trösterinne
Ave spes mundi Mcma!
du bist der werlde trost unde toverlät,
unde alle de in djnem dunste stät,
de en schullen nummer vorderven,
se schullen in goddes hulde sterven,
se schullen ök mit der hulpe dyn
ewich leven unde salich syn,
86 schullen mit der sele unde mit d^me lyvo
ewich mit dy blyven.
De engele sungen: Tota pukhra es amica mea,
vrouwe dy Maria in dem oversten trone,
da bist van allen vlecken schono;
370 HOFFMANN VON FALLEKSLEBEN
wente du ny sunde anevengest
unde du ny sunde begingest,
unde ny sunde an dyn herte quam,
dar umme got de minscheit van dy nam.
De sund^re bidden Marien alle gader:
Recordare virgo mater!
Maria, eddele juncfrouwe reine,
denke an de werft gemeine
unde bidde vor se in goddes angesichte,
wente got weigert dy mit nichte,
dat got dorch synen hilgen dot
entsachte synen unmöt,
dat he dorch syne gotliken ere
synen törn van der werlde kere,
dat he der werlde gn^dich sy
dorch de leve, de he heft to dy.
De engele sungen: Regina coeli laetare!
vrouwe dy, Maria, himmelsche koninginne,
vrouwe dy, unse keiserinne
mit alle dussem himmelschen gesinde,
wente wol dusent jär er du wurdest geboren,
do werest du to dusser vroude uterkoren.
De engele sungen: Benedictua venter
tuusj in quo Christum portastL
Maria eddele juncfrouwe fyn,
benedyet sy de licham dyn,
dar du usen heren inne bereidest,
unde one to der werlde teledest.
benedyet syn dyne hilgen brüste,
d^r 6m in syner kintheit sugen luste.
De engele sungen: Gaude, Maria, in te
verbum caro factum est,
vrouwe dy, Maria juncfrouwe fyn,
dat wört des himmelschen vaders
is vleisch geworden in dem licham dyn.
des schaltu jummer gelovet syn.
De engele sungen : Ave praeclara marisJBtella,
vrouwe dy, juncfrouwe fynl
also de steme luchtet in dem mere,
00 bistu ein vrouwe aller himmelschen here«
MARIEN HIMMELFAHRT. 371
dar horestu Maria dussen soten sank
unde andere vroude vele dar mank,
harpen, luten unde seidenspei,
des machstu dar hören v^l,
vedelen, orgelen, discanteren,
singen unde jubileren,
jowelk köre na syner wyse.
also singen se wol to pryse
beide nacht unde dach.
salich is he de dat hören mach.
dat alle lof unde gras hedden tungen,
unde alle bome spr^ken künden,
se künden de ere nicht vullen loven,
de du sote Maria hest dar boven.
Maria eddele juncfrouwe schone,
mit gode in dem oversten trone,
alle vroude, de ye wart vomomen,
de is dar alle yuHenkomen^
dar is alle vroude gans.
boven allen vrouden drechstu den krans.
dar is vroude ungem^ten
dar is alle sorgent vorgetten,
dar is vroude unde sekerheit,
dar is vrede sunder herteleit,
dar is rouwe sunder arbeit,
dar is levent sunder dotheit,
dar is nein kulde edder vrost,
dar is nein hunger edder dorst,
dar is de joget, dar wert nemet olt,
dar is vroude so mannichvolt,
dar is nein nacht, men schone dach,
d^n gift got, de alle dink vormach,
dar is nein weinent edder schryen,
men got loven, eren unde benedyen,
dar is leve sunder leide,
dar is so lustich ogenweide,
dar is Sommer wunnichlik,
lilien, vielen, rosenblomen lustelik.
me secht dat al vorware,
de eddelste roke boven alle crude de is dare.
372 HOFFMANN VON FALLERSLEBEN
dar is neines dinges to imgevoge^
ein islik heft d&r syn genoge.
dar is neines dinges to kleine,
unspr^klike vroude is dar gemeine.
also me in der schrift kan l^sen^
so mot it dar gans schone w^sen.
eia it is dar gans schone.
dar sit got in dem oversten trone
in syner dryvaldicheit
mit also groter klärheit.
ach wat is dar dar du bist
du salige hilge moder Christ.
de vroude neinen ende hat
dach unde nacht sunder underlät.
nein minsche kan to vuUen r^ken,
nein tunge kan to vullen spr^ken,
nein herte kan to vullen gründen
de vroude, de du hefst to allen stunden.
alle vroude der werlde is nicht lyke
der minsten vroude in dem himmelryke,
dat me mit der schrift bewysen mach.
dusent jär sint d£r alse hyr ein dach.
wol d^m de dar komen mach,
de levede nywerlde leveren dach,
we dar kumt in groter ere,
de beg^rt neines dinges mere.
de minsche is salich geboren^
de to der vroude is uterkoren.
dat wy alle moten komen d&r,
unde schouwen got al openbär,
des help uns Maria juncfrouwe klär.
Als Maria in den Himmel kommt, erstaunen die £ngel und fragen sich
unter einander:
ach, we mach dusse juncfrouwe syn?
se is so schone unde also fyn. . .
Da sendet ihnen Jesus den Engel Gabriel und dieser thut ihnen kimd,
wer es ist:
och vrouwet ju alle, gy engele fyn,
Maria dat reine kusche m^gedyn.
MARIEN HIMMELFAHRT. 373
goddes moder unses heren^
de kumt in so groten vrouden unde eren,
hogeste hilgeste eddelste creature. . .
Nun freuen sich die Engel ihrer Himmelfahrt und begrüßen sie, doch
Maria w^s van uns bericht,
du schalt hyr nedden blyven nicht,
vär up in groten eren,
to der hilgen dryvaldicheit schaltu dy keren.
Da ßihrt Maria höher gen Himmel empor und
Got vader 6r sulven entegen quam,
he grote se lefliken do
unde sprak 6r lefliken to:
w^s wilkome myn alderleveste dochter myn,
w^s wilkome myn alderleveste juncfrouwe fyn,
kum in dat himmelsche pallas,
dat dy overlank bereit was. . .
kum myn turtelduve reine,
du bist my sunderliken lef alleine . . .
unde hyr by my in dussem trone
schaltu Sitten by myner syden
unde vrouwen dy to ewigen tyden.
Darauf empfängt sie Jesus:
w§s wilkome leveste moder myn,
hyr schaltu ewichliken mit my syn. . .
du schalt heiten ein moder der barmherticheit
nu unde to ewigen tyden,
we dy biddet, d^n machstu twydeii.
Zuletzt begrüßen sie noch der heilige Geist, der Engel Gabriel, die
Patriarchen, die Propheten, die 24 Altherren (Offenb. Joh. 12, 16) und
andere, auch David:
do Maria quam to dem himmelschen hove,
do entfenk he se mit sunderlikem love,
mit syner harpen suverlik
entfenk he Marien lovelik
unde to der sulven stunde
einen soten rei he to speien begunde . . .
Auch Simon findet sich ein, Herr Joachim, Frau Anna und Herr Joseph
endlich die drei Könige, nebst vielen anderen Heiligen.
Der Dichter reiht daran ein Gebet an die heilige Jungfrau:
GKRMANIA. Neue R«ihe III. (XV.) Jahrg. 25
374 HOFFMANN v. F., MARIEN HIMMELFAHRT-
O sote koninginne, juncfrouwe irnde here,
dit is dy gelesen to dyner ere,
lät dy dat anname w^sen^
dit is dy to love unde to eren gelesen ...
Darin folgende bemerkenswerthe Stelle:
du hefst bedwungen dat panther,
dar to ein grot elpender,
de starke louwe is worden tarn
an dynem schote also ein lam.
den hogesten hesta entfangen,
d^n nemant künde aflangen
sunder du alleine^
du werest ötmodich, kusch unde reine.
by dussen deren alle gemeine
so meine ik goddes sone alleine
unde Marie den leven sone dyn. . .
Aus der Wolfenbütteler Handschrift Nr. 1084, Bl. 70^— 88*. Papier-
handschrift des 15. Jh.
Dieselbe Handschrift enthält noch einige erbauliche Gedichte:
I. Bl. 262''~269'.
„In dem namen vnses heren Jesu Christi so beginnen
sik hir naturleke bede**
Diese ^natürlichen Gebete' sind gerichtet an den Garten, worin
Christus sein Marterleiden begann , an das weiße Kleid, welches man
ihm vor Gericht anlegte, an die Säule, die Bande, das Bindeltuch,
die Dornenkrone, das Purpurkleid, den blauen Rock von Marions
Händen, das heilige Kreuz, die Überschrift desselben und das heilige
Grab. Anfang:
Gegrotet sy de eddele gärde,
I an d^n sik Jesus Chriatus kärde,
do he to der marter wolde gän...
II. Bl. 272*-273\
Gebet an Maria.
Gegrotet systu der juncfrouwen ere sunderlik alleine
ein middelerinne der werlt gemeine. . .
III. BL 278*— 286^
O eddele innige sele,
wultu mit godde gän to dele,
wultu syn ryke mit ome untfön,
K. BARTSCH, ZU HEINRICH VON MORUNGEN. 3*75
SO mostu medelinge mit ome gän.
ove dik in dussem breve,
de drecht leve boven alle leve.
wtdtu dy in goddes werken oven,
so schaitu twolf stucke proven,
de syn lyden sere beswaren.
wnltu dat anders rechte vorvaren,
so machstu ome des te bet danken^
mit ome suchten, mit ome anken.
och sele, slüt up de krefte dyner sinne
unde dyner klage aldus beginne ...
HOFFMANN VON FALLER8LEBKN.
ZU HEINRICH VON MORUNGEN.
Der florentinische Dichter Chiaro Davanzati antwortet auf ein
Sonett seines Landsmannes Monte Andrea, welches beginnt (Poeti del
primo secolo 11, 43):
Siccome ciascun non puö sua figura
veder, la quäle nello specchio smira ;
similmente vorria, che per natura
d' ogni uom lä ove sua opera tira,
mit folgendem Sonett (11, 44) :
Come '1 fantin, che nello specchio mira
e vede a proprietk la sua figura;
81 gli abbelisce, di presente gira
paarte per qu»l veder da se rancura.
Vüole pigliare per traiersi d*ira,
non val neente a contastar paura.
prende lo speglio e frangelo per ira,
allora adoppia piü danno e arsura.
E ciö diven chfe '1 concedette dio,
e rende tutte cose in temporale,
e noi da lui le possediamo in fio.
Dunque chi Tuole contra ad animale
che fii ed ^, e fia come di rio
sara biasmato, rimprocciando 'I male.
25*
376 LITTER.ATUK.
Der Inhalt der beiden Quatrains hat eine überraschende Ähnlichkeit,
die sich auch auf den Ausdruck erstreckt, mit einer Strophe Heinrichs
von Morungen, wo aber der Vergleich ganz anders gewendet ist.
MF. 145, 1 :
Mirst geschehen als eime kindeline,
daz sin schoenez bilde in eime glase gesach,
unde greif dar nach sin selbes schine
so vil biz daz ez den Spiegel gar zerbrach.
do wart al sin wünne ein leitlich ungemach.
also däht ich iemer fro ze sine,
do ich gesach die lieben frouwen mine,
von der mir bi liebe leides vil geschach.
K. BABTSCH.
LITTERATÜß.
£in Wcihnachtsspiel. Aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts unter Be-
nutzung einer Abschrift derselben von Vil mar und mit dessen Anmerkungen
zum erstenmale herausgegeben von Dr. K. W. Piderit. Parchim 1869.
V u. 57 S. 8.
Die Zahl der uns überlieferten deutschen Weihnachtsspiele des Mittelalters
ist eine überaus geringe. Diese Erscheinung ist an und für sich auffallend : denn
warum sollte die Kirche Weihnachten weniger gefeiert haben als Ostern? Weshalb
sollte das Volk, welches seine Freude fand an geistlichen Spielen, diese gerade zu
Weihnachten, an dem volksthümlichsten Kirchenfeste, vernachlässigt haben? Den-,
noch lässt sich die Spärlichkeit der deutschen Weihnachtsspiele vielleicht erklären.
Wir besitzen lateinische Weihnachts- und Dreikönigsspiele in nicht allzu spärlicher
Zahl, ein Beweis, daß. die Kirche es an Thätigkeit für die Festfeier nicht fehlen
ließ. Allein im 14. Jahrhundert entwuchs das geistliche Schauspiel mehr und mehr
den Händen der Kirche: mit der deutschen Sprache, die allmählich eindrang, um
bald zur unbestrittenen Herrschaft zu gelangen, schlichen sich auch die volksthüm-
lichen Elemente, die comischen und burlesken Scenen ein, die an Ausdehnung ge-
wannen und den geistlichen Kern der Stücke zu überwuchern drohten, bis endlich
die mehr und mehr verweltlichte Form der Schauspiele den Anlass gab, ihnen die
Kirchen zu verschließen und den Geistlichen die Theilnahme an der Aufführung
zu untersagen.
Es ist wohl glaublich, daß die Osterspiele schon im 14. Jahrhundert sich
von der Kirche allmählich lösten und ihre Bühne im Freien aufzuschlagen begannen.
£s ihnen darin gleichzuthun, verbot den Weihnachtsspielen die Ungunst der Jah-
reszeit : sie waren durchaus genöthigt, sich an den geschlossenen Baum der Kirche
zu halten. So erklärt es sich, daß die Weihnachtsspiele noch einen streng kirch-
lichen Character bewahrten, während in der Passion schon lange Maria Magdalena
und der Salbenkrämer ihr Wesen trieben. Welche Art der Darstellung beim Volke
LITTEIUTUR. 377
den größeren Beifall fand, ist klar ; so mochte anch die Produetion beim Weih-
nachtsspiel etwas ins Stocken gerathen. Erst als im 15. Jahrhundert die Bühne
ganz aus der Kirche verschwunden war, fiel auch das Weihnachtsspiel der Volks-
thümlichkeit und ihren Possen anheim. Immerhin aber wird der winterliche Schnee
ihren Aufführungen viele Hindernisse bereitet und somit naturgemäß auch der Lust,
Weihnachtsspiele zu bearbeiten, Abbruch gethan haben, bis man eben wieder zu
ganz geschlossenen Räumen zurückkehrte. So, meinen wir, ließe sich das spär-
liche Vorkommen von deutschen Weihnachtsspielen im 14. und 15. Jahrhundert
etwa erklären.
Je geringer nun deren Zahl ist, desto wünschenswei*ther ist die Publication
aller etwa neu aufgefundenen, und so begrüßen wir mit Freuden die YeröfFentli-
chung des vorliegenden Stückes, des einzigen bekannten Weihnachtsspieles aus
dem 15. Jahrhundert. Das Stück, knapp gehalten, frisch und lebendig geschrieben,
trägt alle Merkmale der geistlichen Schauspiele seines Jahrhunderts an sich, wie
eine Vergleichung mit entsprechenden Stücken des 14. Jahrhunderts, z. B. der
'Kindheit Jesu' (bei Mone, Schauspiele des Mittelalters I, S. 132 — 181) auf den
ersten Blick darthut. Zunächst fehlt die Einleitung, die endlosen Verkündigungen
und Weissagungen der Propheten und Altväter, welche in den lateinischen Spielen
nicht fehlen (z. B* Carmina Burana S. 80 ff.) und auch noch in der ^Kindheit Jesu'
sich so ungebührlich breit machen; vielmehr folgt nach einer kurzen Ansprache
des Proclamator gleich die Verkündigung. Es folgt dann weiter, der Schrift gemäß,
der Verdacht Josephs und dessen Beschwichtigung durch den Engel, die Beise
nach Bethlehem, die Geburt Christi, die Verkündigung derselben bei den Hirten
und deren Anbetung, hier im Verein mit mehreren puellae , die in andern Stücken,
z. B. 'Kindheit Jesu , als Töchter von Syon' auftreten, — aber alle diese bibli-
schen Elemente sind äußerst kurz behandelt und die einzelnen Handlungen mit
burlesken, possenhaften Episoden durchflochten, die ihrerseits ziemlich breit aus-
geführt sind. Alle Personen des Stückes mit einziger Ausnahme der Maria und
der Engel — selbst das Christkindlein erhält für die wenigen Worte, die es spricht,
eine Zurechtweisung von seiner Mutter, — bewegen sich stark auf dem Gebiet der
derben Comik jener Zeiten. So ist das Benehmen der beiden Bethlehemiten Arnold
und Czulrich, bei denen Joseph Quartier sucht, einigermaßen pöbelhaft; die beiden
Mägde Hillegart und Gutte, von denen Joseph Dienstleistung verlangt, prügeln
ihn tüchtig durch und gerathen dann, nach dem üblichen Geschimpfe, selber ein-
ander in die Haare ; auch die Hirten führen derbe Reden, und die Scene, in welcher
Arnold und Czulrich mit den beiden Mägden zum Tanz um die Wiege antreten,
ist mehr oder minder possenhaft. Auf diese letztere Scene folgt dann ein ziemlich
ausgeführtes Teufelspiel, dem sich ziemlich ungeschickt ein Hinweis des En-
gels auf den Kindermord und der Befehl zur Flucht nach Ägypten anschließt.
Joseph schließt das Stück mit den Worten:
Nu wol uff vnd volge mir
mir woln geen zu dem guden bier. —
Das Eintreten des Teufelspiels an diesem Orte hat etwas entschieden Befrem-
dendes. Zwar ist der Teufel, der überall seine Hand im Spiel hat, auch den älteren
Weihnachtsspielen nicht ganz fremd^ aber ihm fällt lediglich die bescheidene Rolle
zu, die Hirten an der Verkündigung des Engels irre zu machen (Carm. Bur. S. 89 f.\
und den Herodes zu holen in denjenigen späteren Stücken , welche auch noch den
Bcthlchcmitischen Kindcnnord behandeln. (Jubinal, Mysturcj? inodits II p* 136 j
378 LITTERATUE.
Schröer, deutsche Weihnachtsspiele aus Ungern S. 107. 121. Vgl. Weinhold
Weihnacht-Spiele und Lieder S. 126.) Wenn nun ein ausgeführtes Teufelspiel
einem Osterspiel einverleibt ist, welches den descensus ad inferos darstellt, so hat
das nichts Auffallendes; daß es aber den Beschluß eines Weihnachtsspieles bildet,
ist ein Unicum*), erklärlich nur aus der von der kirchlichen Lehre sich entfer-
nenden Auffassung, daß die Erlösung der Menschheit und damit die Entleerung
der Hölle schon mit der Geburt Christi statt mit dessen Tode und Auferstehung
eintritt, daß also schon hier der Teufel gerathen findet, sich nach neuen Seelen
umzusehen.
Was nun das Tenfelspiel selber anlangt, so zeigt es in Einzelheiten eine
merkwürdige Übereinstimmung mit dem des Redentiner Spieles. Man vergleiche
9* B. gleich die ersten Worte des Lucifer in unserm Stücke v. 716:
Wol her wol her wol her
Alle tufels here
Wol her wol us der helle
Sathanas mit dynen gesellen,
Qiit V. 371 des Redentiner Spiels:
Wol her, wol her, wol wol her,
alle duvelsche her!
wol her ut der helle
Satanä leve gheselle!
Man erinnere sieh ferner, daß nach der Structur des Redentiner Spiels ein-
zelne Teufel sich dem Lucifer mit einer uniäthigen Redensail vorstellen und daß
ihnen dann von Lucifer eben so unfiäthig gedankt wird. So heißt es dort v. 1312:
Lucifer here, ik bete Puk,
ik te minen ers dorch meneghen struk,
und in unserem Spiele v. 760:
Herre ich heiss beelczebuck
Ich springe den meiden nach als eyn bück.
Man vergleiche auch die Reden Lucifer» an Puk im Redentiner Spiel v. 1467:
So hebbe dat der su entvolt,
\ind an Funkeldune v. 1669:
Du scholt eneme olden wive in den ers varen,
mit V« 817 des Weihnachtsspiels :
Krentzelin habe dir zu lone
Schauff lorbern vnd zegen bonen
Belial vnnd machedantz haben uch allermeist
Das eyn aide nunne vor der metten scheuss.
Eine directe Einwirkung des einen Spieles auf das andere anzunehmen, liegt kein
Grund vor. Vielmehr muss aus diesen Übereinstinmiungen der Schluß gezogen
werden, wie sehr im 15. Jahrhundert die Structur und die einzelnen Redewen-
dungen auch der Teufelspiele, obwohl nicht auf unwandelbaren Worten der Schrift
oder der Liturgie beruhend, conventioneli geworden, so zu sagen crystallisiert
waren.
Übrigens muss bemerkt werden, daß das ganze Teufelspiel in unserem Stücke
*) Das Auftreten der Teufel in dem sog. Myst^re de la nativit^, (bei Jubinal II
1^, S4 ff>) bietet bei der fundamental verschiedenen Anlage dieses Stückes kein Analogon«
LITTERATÜR. 379
. etwas verdächtig ist. Daß die Teufelei überhaupt in der Idee des Weihnacht8»pie]:&
keinen Platz findet, ist bereits bemerkt; ebenso, daß die Anflickung des Befehls
zur Flucht an die Schlußpriamel Lucifers eine ungeschicktere Hand verräth, als
die des Verfassers ist. Es kommt noch Eines hinzu, was den Verdacht verstärkt.
Das Teufelspiel beginnt nach dem Tanz um die Wiege und füllt in der Hs.
Bl. 10** — 12*. Auf Bl. 14^ aber findet sich von anderer Hand ein abweichender,
bedeutend kürzerer Schluß^ der, etwa an v. 617 des Stückes anknüpfend, weder
die Schimpfereien und Prügeleien noch das Teufelspiel mit seinem Anhang enthält.
Vielmehr bringt dieser zweite Schluß ganz kurz den Tanz um die Wiege und führt
dann Lucifer als Conclusor ein, der mit seiner Priamel und der conventioneilen
Anrede an das Publicum und einer Vertröstung auf das nächste Jahr das Stück
schließt. Bei diesem Schluß bleiben, wie man sieht, gerade die biblischen Elemente
des Stückes mit nur geringen Episoden stehen. Daß das Stück auf einer älteren
Vorlage beruht, ist aus einzelnen Reimen nachgewiesen (s. darüber die Einleitung).
Ich kann die Vermuthung nicht unterdrücken, daß wir hier den echten Schluß
des Stückes haben, den ein Leser der Hs. kannte und restituierte. So steht auch
das Stück der Form der Weihnachtsspiele des 1 4. Jahrhunderts erheblich näher.
Der Abschreiber jener Vorlage nun, der den Geschmack seinjB» Publicums kannte,
fand den Schluß zu einfach und erweiterte ihn nach den Bedürfnissen der Zeit.
Vermuthlich waren die Teufeleien sehr populär und wollte das Publicum & toutpriz
eine solche haben: so setzte der Bearbeiter denn eine hinzu, auch wo sie nicht
hingehört. Selbstverständlich gebe ich dies nicht für mehr als für eine Vermuthung.
Denkbar wäre natürlich auch das gegentheiüge Verhältniss : daß der Schreiber des
Nachtrags, durch die Rohheit der letzten Scenen verletzt, an deren Stelle einen
neuen Schluß setzte.
Was nun die Arbeit des Herausgeber» an dem Stücke anlangt, so ist die-
selbe nicht bedeutend. Der Abdruck folgt genau der Hs. und ihrer Orthographie,
nicht einmal Schreibfehler sind verbessert und kein Interpunctionszeichen gesetzt»
Von den Anmerkungen rührt der weitaus größte Theil von Vilmar her. Dem Her-
ausgeber gehört das Vorwort und ein Theil der Anmerkungen. Von diesen letz-
teren sei hier zum Schluß noch eine hervorgehoben, die uns arg verfehlt scheint.
Die Verse 790 ff. lauten:
Ab er wol geborn ist
Der da heisst ihesu crist
Er wird dannige ejn gut teil
Die da kummen an vnss seil.
Dazu bemerkt der Herausgeber: dannige ^= dan rdgen wie v. 764. 767 beginne
st. heginnen, d. h. er (Chiistus) wird dann im jüngsten Gericht viele niederbeugen^
erniedrigen, in die Tiefe, die Hölle weisen, d. h. verdammen. Ich erlaube mir,
folgende Deutung an die Stelle zu »etz&i: er ist gen. pl. des geschlechtigen Per-
sonalprom. 3. pers. = tV, wie häufig im Stück der = dir, mer = mir (s. die Anm.
zu V. 115). dannige ist entweder eine seltene Form für dennoch, dannoch^ oder
aber, vielleicht noch richtiger, ein Adv. in der Bedeutung von später, nachher,
wie es in der Zusammensetzung nachdannig noch heute in Hessen gebräuchlich ist.
(S. Vilmar Idiotikon S. 279.) Der Sinn der Stelle ist in jedem Falle der: Ob er
gleich geboren ist, der da heißet Jesus Christ, ihrer wird doch (später, nachher)
ein gut Theil, die da kommen an unser Seil.
ERLANGEN. CARL SCHÄÖDEIL
380 LITTERATUR.
Beobachtiingen auf dem Gebiete der Vocalschwäcliiing im Mittelbinnen-
deutschen, bes. im Hessischen und Thüringischen. Inaugural- Dissertation
zur Erlangung der philosophischen Doctorwürde auf der Universität zu
Leipzig von Ernst Wülcker aus Frankfurt am Main. H. L, Brönners
Druckerei in Frankfurt am Main. 1868. 64 S. 8.
Die Inaugural-Dissertationen, welche Themata aus dem Gebiete der germa-
nischen Philologie behandeln, beginnen sich zu mehren, und es ist eine Freude
zu sehen, wie trefflich, sorgsam und wissenschaftlich diese Erstlingsschriften meist
gearbeitet sind. Auch die vorliegende Arbeit verdient lobende Anerkennung. Wenn
der Verfasser am Schluße bemerkt, daß er wesentliche Züge nicht vergessen zu
haben glaube, so ist diese Zuversicht eine wohl berechtigte« Er hat in der That
sein Thema nach allen Seiten hin entwickelt, und die Reihe der Quellen, welche er
heranzieht, ist eine ganz stattliche. Und dennoch vermissen wir die Benutzung
mancher vorhergehenden ähnlichen Arbeiten, die dem Verfasser überdies seine
eigene Mühe erleichtert hätten. So citiert Wülcker öfters, wie es sich gehörte, den
Heinrich von Krolewiz. Da hätte er einfach auf meinen Aufsatz in dieser Zeit-
schrift VIII, 355 verweisen können. Von Rothe ist öfters Rsp. (der Ritterspiegel)
citiert; für die Elisabet, die unberücksichtigt blieb, bot Bechs Recension von
Liliencrons Ausgabe der Rotheschen Chronik in dieser Zeitschrift V, 226, sowie
meine Aufsätze ebd. III, 385 und IV, 472 manigfache Hülfe. Die zuletzt ange-
führte Arbeit ist allerdings bei Wülcker S. 41 einmal genannt, aber das scheint
mir nur ein nachträglich gebrachtes Citat. Mein Aufsatz über das Spiel von den
zehn Jungfrauen in dieser Zeitschrift XI, 129 kam wohl zu spät, um noch benutzt
werden zu können.
Der Verfasser hätte seine Abhandlung betiteln können : „Über den mittel-
deutschen** oder, wenn er auch die Zeit hervorheben wollte, „über den mittelbinnen-
deutschen Tocalismus. " Er bringt aber alle Erscheinungen des Vocalismus unter
den Begriff der Vocalschwächung , offenbar um seiner Untersuchung einen mehr
sprachwissenschaftlichen Character zu geben. Für die jüngeren Sprachperioden
mit reicher und ausgebildeter Litteratur haben wir uns aber gewöhnt, die Schwä-
chung nur in ganz bestimmtem Sinne zu nehmen, und so fürchten wir, daß der
gewählte Titel vielfach missverstanden wird. Auch mit der Benennung „mittel-
binnendeutsch", welche offenbar zur Vermeidung des übelklingenden „mittelmittel-
deutsch'' gewählt wurde, kann ich mich nicht einverstanden erklären. Einen neu-
mitteldeutschen Vocalismus haben wir nicht, da uns eine neumitteldeutsche Schrift-
sprache abgeht. Will aber ein Grammatiker diesen Ausdruck als einen zusammen-
fassenden gebrauchen, um die mitteldeutschen Mundarten zu characterisieren, so
mag er es thun. Es wird aber selten genug geschehen. Wenn wir „Mitteldeutsch"
sagen, so meinen wir eben das Mitteldeutsch der älteren Zeit. Warum nun wieder
einen neuen Ausdruck einführen wollen, der sonst in der Sprache keine Analogie
$ndet? denn sagen wir etwa: Binnendeutschland? Daß man den mitteldeutschen
Dialect auch den „gürteldeutschen" nenne, wie Wülcker auf S. 2 anführt, davon
ist mir nichts bekannt. Der Ausdruck „binnendeutsch" ist keineswegs „bequemem",
und darum wollen wir jenen Dialect wie „bisher" auch fernerhin den mitteldeutschen
nennen. Noch weniger Glück wird Wülcker mit dem Ausdruck „innerdeutsch"
(S. 5) machen, den er einmal auf S. 5, jedesfalls nur aus stilistischen Gründen^
lua der Abwechslung willen anwendet.
LITTERATUR. . 881
Eine Zasammenfassung der bis jetzt gewonnenen Ergebnisse, wie sie in
Wülckers Schrift versucbt wird, scheint mir sehr verdienstlich, und darum möchte
ich Allen, welche sich noch nicht mit dem Mitteldeutschen näher befassen konnten
oder denen die bis jetzt gelieferten Einzelarbeiten zu speciell gewesen sein mögen, .
dieses bequeme Mittel zur Orientierung empfehlen* Indes ist damit die Beschrän-
kung auf einzelne Denkmäler, w:e sie im geschichtlichen Grange dieser Studien lag
und liegen musste, noch nicht beendet. Des Zusammenhangs mit andern ähnlichen
Erzeugnissen der Litteratur ist sich überdies jeder Arbeiter auf diesem G-ebiete
bewusst gewesen. Und so mögen auch künftig die Eigenthümlichkeiten mittel-
deutscher Dicht- und Prosawerke der grammatischen Einzelarbeit anheimfallen.
Zu einigen Bemerkungen gibt mir Wülckers Dissertation im Einzelnen Anlass.
S. 25 heißt es: „Ebemand von Erfurt hat kein brengen statt bringen.
Und doch hat er eines. Er reimt einmal hr enget : entphenget (entzündet) 4641.
Vgl. zu 521.
Bei Besprechung der Ä- und I-Formen in g&n und atdn wird S. 34 be-
merkt : y^gdn und stdn werden von den höfischen Dichtem den e-Formen vor-
gezogen; freilich mag mitgewirkt haben, daß man auf die <£-Formen bequemere
Reime fand." Das ist richtig für Infinitiv und IndicativJ dagegen herrschen die
^-Formen im Conj. praes. vor.
Bei Besprechung der Reime ä : 6 sagt Wülcker S. 42 : ^^Es lasst sich hier
gleich noch eine Frage erledigen, die, wie ich glaube, * bisher noch nicht richtig
gelöst wurde, deren Lösung aber auf der Hand Hegt. Das Schwanken nämlich
der verschiedenen Hss. zwischen ä und d lässt uns entschieden auf einen Mittel-
laut schließen, . . . ^ Soviel mir bekannt, ist über diesen Mittellaut längst kein
Zweifel mehr.
S. 44 fg. kommt der Verfasser auf die Frage, ob es überhaupt einmal
eine Zeit gegeben habe, da die Binnendeutscben gleich den Oberdeutschen uo
und ie gesprochen haben. Ich selbst habe die Frage va, der Einleitung zu Eber^
nand berührt und dann weiter besprochen in dieser Zeitschrift VI, 422. Es freut
mich, daß dieser wichtige Punct von Wülcker nicht unbeachtet gelassen wurde,
und daß auch ix zu dem Ergebnisse gelangt, „daß alle binnendeutschen ü einst-
mals müssen uo, alle ?, ia oder io gewesen sein.^ Dagegen kann ich einzelnen
Reimbeweisen, die er anführt, keine Kraft zugestehen. Er verzeichnet aus Lud-
wigs Kreuzfahrt tu : nw, frü : ww, tdn : sun. Auch im Folgenden bringt er solche
Reime, dazu auch zCl: du (pron. 2 pers.). Sehr richtig bemerkt Wülcker: „Solche
Reime kommen auch in oberdeutschen Dichtern vor.'' Aber unrichtig ist es,
wenn fortgefahren wird : „doch sind sie da gewiss anders zu beurtheilen. Denn
im Binnendeutschen müssen wir ein Verfallen in die Volkssprache , im Ober-
deutschen eine Ungenauigkeit des Reims annehmen. '^ Letzteres gilt höchstens
vom Reime tuon : suuy der ein altüberkommener, beinahe typischer ist, aber eben-
deshalb auch nicht zu einem Beweise herangezogen werden kann. Und die Worte nu
(nÄ) und du {di)i) erscheinen, wie ich mich überzeugt habe, auch in der schrift-
gemäßen Nebenform niM) und duo , welche die Dichter sich zu Nutze machen.
Finden sie sich doch bei dem Reimkünstler Gottfried von Straßburg, der dem
Reim tuon : mn aus dem Wege geht: zao : nuo 5489. 6983. 11331. 12281.
zuo'.duoy 'tuo 2687. 3707. 7789. 9311. 10309. tuo (Conj. von tuon) \ duo
10299. Daraus folgt, daß diese Heime nicht unrein sind^ und ferner, daß si^
382 LITTEKATUß.
für das Mitteldeutsche ebensowenig zum Beweise der Lantwandelung von tto zu
ü dienen können. ,
Daß der mitteldeutsche Yoealismus in der Mitte steht zwischen dem o1»er-
und nied^deutschen, ist eine Thatsache» die schon oft ausgesprochen worden ist.
Wülcker hätte demnach, wenn er am Schlüsse seiner Untersuchung die Resultate
Eusanmtenfassen wollte, statt ,, gefunden^ sagen sollen ,, bestätigt gefunden^*
Unsere heutige Schriftsprache ist nicht, wie am Schlüsse bemerkt wird,
aus dem Mitteldeutschen entsprungen, sondern nur zum Theil entsprungen. Ein
Theil ist bekanntlich österreichisch. Diese fremden Bestandtheile hat sich selbst
die Volksmundart zu eigen gemacht. Es wäre eine lohnende Aufgabe, einmal
darzustellen, wie der alte mitteldeutsche Yoealismus nach und nach sieh selber
untreu den fremden Einflüssen nachgegeben und so zur „sächsischen Canzlei**
sich gewandelt hat. Nach den Andeutungen auf S. 5 dürfen wir wohl von Wülcker
eine solche Arbeit erwarten.
JENA, November 1869. REINHOLD BECKSTEIN.
Catalogns codicnm manu scriptorum bibliothecae regiae Monacensis. Tomi m
pars I Codices latinos continens. Tomus V, VI Codices germanicos comple-
ctens. Monachi 1866—68. 8. 666 u. 294 S.
Tabulae codicum manu scriptornm praeter graecos et orientales in bibliotheca
Palatina Vindobonensi asservatorum. Edidit academia caesarea Vindobonensis.
Vol. I— IIL Vindobonae 1864—69. 8. 442, 461 u. 654 S.
Neben einander her gehen die Veröffentlichungen der Handschriftenverzeich-
nisse der beiden an Manuscripten reichsten Bibliotheken Deutschlands, in Wien
und München. Wie hochwillkommen dieselben den Forschem auf allen Gebieten
sind, braucht kaum erwähnt zu werden. Hier wo uns zunächst die deutschen Hand-
schriften beschäftigen, sei hervorgehoben, daß allerdings durch Hoffmanns Ver-
zeichniss der Inhalt der meisten deutschen Handschriften in Wien bekannt war,
daß jedoch manche ihm ^ntgieng und seitdem ein nicht unbeträchtlicher Theil hin-
zugekommen ist. Von den altdeutschen Handschriften in München hat Schmeller
einen sehr ausführliehen Catalog mit genauester Beschreibung hinterlassen ; da-
neben einen gedrängten Auszug mit kurzer Inhaltsangabe* Die Veröffentlichung
des größeren Cataloges wäre allerdings in vieler Hinsicht das Erwünschteste ge-
wesen, was die Vorrede auch anerkennt; allein sie hebt mit Recht die großen
Schwierigkeiten und Kosten einer derartigen Veröffentlichung hervor, und gewiss
that der Herausgeber gut daran, daß er sich entschloß, lieber das weniger ein-
gehende Verzeichniss zu geben, als die Herausgabe in vielleicht unabsehbare Ferne
hinauszuschieben. Wir zweifeln nicht, daß durch diesen Catalog die Auftnerksam-
keit der Fachmänner aufs neue auf die Schätze der Münchener Bibliothek gerichtet
werden wird. Wenn man etwas vermisst, so ist es die Angabe der Anfangszeilen
einzelner Stücke, und hierin hätte bei etwas compendiöserem Drucke auf demselben
Baume mehr gegeben werden können. Der Wiener Catalog hat in dieser Beziehung
einen Vorzug; hier ist dadurch viel Kaum gewonnen, daß die einzelnen Stücke
einer Hs. numeriert in fortlaufender Zeilenfolge gedruckt sind, und kein Absatz
gemacht ist. Die Angabe der Anfangsworte hat den Vortbeil, daß man in jedem
Falle leicht überblicken kann, ob ein Stück schon bekannt ist oder nicht.
Der erstaunliche Reichthum an deutschen Handschriften ist in den beiden
Bänden (V. VI) nicht erschöpft; auch der erste Theil des lateinischen Handschrif-
LITTERATÜR. 383
tencfttaloges (Nr* 1 — 2329) enthält manches Deutsche, and K. Hofmann wie
F* Keinz haben inzwischen manches werthvolle Stück yeröffentlicht. Ich will hier
nur Einiges hervorheben: deutsche Glossen des 11* und 12. Jahrhunderts in cod.
latin. 305 und 375; ein botanisches Fragment des 13. Jhd. anfangend Ain erat
hajset jsencrut' (^verbena) lat. 614, Bl. 10; Stück aus Freidank Ton 1463,
lat. 692, BL 157, bei W. Grimm nicht erwähnt; niederdeutsche Segens- und Be-
schwörungsformeln in cod. 849, BL 118 — 132, aus dem 15. Jhd., und ebenda
155 — 156 der manen boec (liber lunae); deutsche Gebete des 12. Jhd. in cod.
935, BL 23, leider vermittelst Durchstreichens fast unleserlich gemacht. Anderes
von minderem Belang in cod. lat. 61. 213. 251. 444. 589. 641. 653. 1231.
Verweisungen auf Drucke finden sich in dem lateinischen Cataloge häufiger
als im Heutschen ; und in der That war es am gerathensten, sie auf ein Geringes
zu beschränken, weil sonst schwer gewesen wäre, eine Grenze zu finden. Auch der
Wiener Catalog verfolgt dasselbe Princip, nur ist natürlich auf Endlicher, HofT-
mann und Denis hingewiesen worden. Die sorgfältigsten Register nach Verfassern
und Materien sind beiden Catalogen gemeinsam, und diese müssen bei dem Wiener
den Vortheil ersetzen, den der Münchener bietet, daß die Handschriften der Wiener
Bibliothek nicht nach Sprachen geordnet sind. Indem wir diejenigen deutschen
Handschriften, welche aus Hoffinanns Verzeichniss bekannt sind, hier übergehen^
können wir aus dem großen Reichthum des Übrigen nur Einiges herausgreifen.
1262, BL 114—124 deutsche Predigten des 13. Jhd.; 1757, lateinisch-deutsches
Vocabular des 12. Jhd. BL 235 — 237; 1885, Namen der Monate, 12. Jhd.;
2245, Bl. 83*^ deutsches Gebet aus dem 12. Jhd.; 23 72, niederdeutsches alchy-
mistisches Werk zum Theil in Versen ; 2524, allerdings von Hofimann schon ange-
führt, aber nicht seinem ganzen Inhalt nach, enthält auf Bl. 15 — 32 das Arzneibuch
des Bartholomaeus in deutscher Sprache, dasselbe Werk, welches Pfeiffer in seinen
'Deutschen Arzneibüchern (Wien 1863) als Nr. II herausgegeben. Der Anfang
stimmt, der Schluß nicht, Pfeiffer bemerkt S. 9, daß die Handschriften sehr aus-
einander gehen, er scheint diese Wiener Hs. nicht gekannt zu haben. Eine zweite
Hs. des 14. Jhd. ist 3217, aber mit anderem Anfang, also wohl ein wesentlich
abweichender Text. Letztere Hs. enthält auch andere deutsche Arzneibücher^ so-
wie eine deutsche Rossarznei (Bl. 126 — 127), welche vielleicht nicht ohne Inter-
esse ist. Ferner 2528, chemische Tractate, wie es scheint, in niederrheinischer
Sprache; 2675, eine schon von Hofimann erwähnte Titurelhandschrift, enthält eine
Strophe des Gedichtes in Musik gesetzt; 2684*, deutsche Predigten von Konrad;
2713, ein Psalterium in isländischer Sprache aus dem 14. Jhd.; 3041, eine Papier-
handschrift des jungem Titurel, 15. Jhd.; 3214, deutscher Cato; 4058, BL 119
bis 121 ein hochdeutscher Text des Mühlenliedes, der auch nochmals 4117,
BL 65—68 sich findet; 4117 enthält außerdem auf BL 38 — 43 ein Gedicht 'Der
Vögel rat', welches von dem durch Pfeiffer und mich (Germania VI, 80. 7, 185)
besprochenen verschieden scheint; BL 114 — 128 deutscher Cato; 4119 mehrere
Meisterlieder; 4120, Bl. 70* eine Tischzucht; 92 — 95 Schmecher, vom Neidhart;
4556 niederdeutsche Gedichte des 15. Jhd.; 4868 enthält einen Text (14. Jhd.)
des in meiner 'Erlösung' S. 193 — 195 gedruckten Dreifaltigkeitsliedes, welches
ans einer andern Wiener Hs. (theol. 457) Hagen (MS. 3, 468^^) herausgab, mit
einem lateinischen Commentar (vgl. Germania VII, 276); 4995, ein Kochbuch mit
gereimtem Prolog, BL 191 — 224, aus dem 15. Jhd., und vieles Andere.
ROSTOCK, Juni 1870. K. BARTSCH.
384 LITTERÄ.TUR.
Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert ge-
sammelt und erläutert von R. v. Lilien cron. 4. Band. (XVI u. 634 S.)
gr. 8. Leipzig 1869. F. C. W. Vogel.
Nachtrag, enthaltend die Töne und das alphabetische Verzeichniss. (VI, 106 und
XLIV S.) gr. 8. Ebenda.
Mit dem vorliegenden Bande schließt das bedeutende Werk, dessen ersten
Band wir in dieser Zeitschrift XI, 102 — 110 ausführlich besprochen haben. Auf
die Wichtigkeit des Unternehmens wurde schon damals hingewiesen; wenn ein-
zelne Mängel hervorzuheben waren, so gereicht es uns zur Freude sagen zu dürfen,
daß jeder Band an Gediegenheit der Ausführung seinen Vorgänger übertroflPen,
daß die Methode sich immer sicherer ausgebildet hat. Die von mir gerügte Auf-
nahme auch größerer historischer Gedichte von zum Theil bedeutendem Umfange
wie Nr. 40 (2178 Reimzeilen) hat der Herausgeber in der Vorrede zum zweiten
Bande zu rechtfertigen gesucht: wenngleich ich bekennen muss, auch jetzt noch in
derartigen Productionen nicht den Character und noch weniger die Formen des
Volksliedes finden zu können, so will ich und wollte ich damit nicht behaupten,
daß an sich diese Dichtungen werthlos seien und den Druck nicht verdient hätten.
Der ursprüngliche Plan war, mit dem Beginne des 30jährigen Krieges abzu-
schließen: diese Grenze war gesetzt worden, weil für die Volksdichtung des 30jäh-
rigen Krieges bereits durch mehrere Sammlungen das Hauptsächliche geleistet ist.
Abgesehen davon, daß das Material und demnach der Umfang der Sammlung beim
Beginn noch nicht hinreichend übersehen werden konnte, haben indes auch innere
Gründe den Herausgeber bestimmt, mit 1554: abzuschließen, hauptsächlich weil
das Volkslied der folgenden Zeit bis. zum 30jährigen Kriege einen veränderten
Character an sich trägt und durch denselben mehr die Folgezeit vorbereitet als an
die voraüfgehende sich anschließt. Es sind eine Menge politisch-kirchlicher Fra-
gen, die diese Zwischenzeit beschäftigen und die eben zu dem großen 'deutscheu
Kriege* herüberleiten. Hoffen wir, daß es Liliencron vergönnt ist, auch diese Über-
gangszeit in einer besonderen Sammlung zu bearbeiten und daran die nothwendigen
Ergänzungen zu den Liedern des 30jährigen Krieges zu knüpfen; denn es möchte
wenige Männer geben, die wie er das Material und die Litteratur beherrschen.
Noch besonders aufmerksam machen wir auf den Nachtrag, der den musica-
lischen Theil der Sammlung enthält. Mit dieser Seite unserer mittelalterlichen Lyrik
hat sich L. bekanntlich schon seit Jahren beschäftigt, indem er die Lieder der
späteren Kunstdichtung nach ihrer musicalischen Seite behandelte. Für die He-
urtheilung des Volksliedes, das immer gesungen wurde, ist die Kenntniss der Musik
geradezu unentbehrlich. Dieser Nachtrag nun gibt ein alphabetisches Verzeichniss
der Töne, nach denen die Lieder der Sammlung gedichtet sind, und theilt die Töne
selbst mit. Zugleich enthält er ein alphabetisches Register sämmtlicher in den vier
Bänden enthaltenen Lieder. Der historischen Commission in München, v.on der so
wichtige Unternehmungen ausgi engen, schuldet die Wissenschaft für die Anregung
und Förderung des Werkes, dem Herausgeber , für dessen gewissenhafte Durch-
führung, dem Verleger für die vorzügliche Ausstattung den gebührenden Dank.
ROSTOCK, Deccmbcr 1869. - K. BARTSCH.
Beilage.
Soeben erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
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Zwanzig Fabeln und Erzählungen aus einer Wolfenbüttler Hs. des
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Mit dieser vierten Lieferung wird der Erste Band dieses für Theologen xmd
'prachforscher wichtigen Werkes abgeschlossen, imd zugleich der für die Einzelnen
ieferungen ausgesetzt gewesene billigere SnbscriptloDspreis aufgehoben.
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Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
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Gottfried's von Strassbarg Tristan. Herausgegeben von BeinholdBechstein.
Zweiter Theil.
Mit dem vorliegenden zweiten Theil ist das classische Epos Gottfried's von
Strassborg abgeschlossen. Derselbe enthält ausser dem Schluss des Gedichts die
Nacherzählung der Fortsetzungen Ulrich*s von Türheim und Heinrichs von Freiberg,
sowie Wortregister und Namenverzeichniss zu beiden Theilen.
Als neunter und zehnter Band der Sammlung wird Wolfram's von Eschen-
bach Parzival, herausgegeben von Karl Bartsch,^ binnen kurzem erscheinen.
Inhalt des L—VUI Bandes:
I. Walter von der Vogelweide. Herausgegeben tod Franz Pfeiffer.
Zweite Auflage.
n. Kudron. Herausgegeben von Karl Bartsch. Zweite Auflage.
ni. Das Nibelungenlied. Herausgegeben von Karl Bartsch. Zweite Aufl.
IV. — VI. Hartmann von Aue. Herausgegeben von Fedor Bech. Drei Theile.
yil. Vin. dottfried's von ^trassburg Tristan. Herausgegeben von Beinhold
Beckstein. Zwei Theile.
Verlag von Otto Meissner in Hamburg.
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Mit 16 lithogr. Tafeln. 2 Rthb.
Nilsson S., Das Broncealter.
Aus dem Schwedischen von JT. Movtorfl
Mit 62 Holzschn. und 5 lithogr. Tafeln. 2 Rthlr.
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Aus dem Schwedischen übersetzt und mit Nachträgen versehen von J. MostOrf.
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der klassischen Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr.
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und die
Formen der schlesisclien Mundart
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DER UEDEUTSCHE SPRACHSCHATZ.
VON
E. FÖRSTEMANN.
ZWEITER ARTIKEL.
Ehe. ich an meine diesmalige Aufgabe gehe, habe ich zunächst
zum ersten Artikel (in dieser Zeitschrift 14, 337 — 372) manigfache
Nachträge zu liefern, die sich mir ergaben, da ich bei Ausarbeitung
dieses Aufsatzes stets jenen zur Seite haben musste, wie sie auch be-
stimmt sind, beide neben einander aufgeschlagen gelesen zu werden.
Zuerst f&ge ich zu jener Arbeit noch einige neue Wortgruppen
hinzu, deren eine oder die andere schon in meiner ursprünglichen Hand-
schrift gestanden haben und nur durch ein Versehen von meiner oder
des Setzers Seite ausgefallen sein mag.
Zu S. 342: Ags. finc (nhd. Fink), gr. öiei^yyo.
S. 344: Altn. ai (Vorfahr), altsl. uj (Onkel; altpreuss. awis dsgl.),
lat. avo.
S. 344 : Goth. leikja (Nom. leikeis), ir. leigh, altsl. lökari medicus.
8. 345: Ahd. art (genus), lat. ordo, altsl. rodü (genus, gens).
S. 348: Ahd. iwa (Eibe), altsL iva (salix), ir. iubhar.
S. 350 : Goth. alhi (Nom. alhs), lat. arc.
S. 351 : Altn. 6ss (Flußmündung), lit. osta (dsgl.), lat. ostio.
S. 352: Goth. vikön (Nom. vikö, nhd. Woche), altsl. vekü (Zeit-
alter), lat. vic (vices).
S. 353 : Alts, themar, skr. tamas, lit. tamsa, lat. tenebrae.
S. 359: Goth. hveleika, altsl. kolikü (quantus), gr. arjXixo.
Goth. svaleika, altsl. selikü (tantus), gr. r^Xixo.
Altbi. thvfltkr, altsl. tolikü (tantus), gr. rrjXixo. '
Dazu noch die von Bopp verglichenen skr. tädrga, kidrja und
auch jädr^a, welches letztere im Deutschen keinen Reflex mehr hat.
S. 359 : Goth. ainaha, altsl. inogü u. inokü, lat. unico.
S. 364 : Neben stracchju möge gleich stehen Ahd. strichu (lino^
foveo, caedo, eo), altsl. strüzq, (Inf. strügati tondeo), lat. tergo (ftir stergo).
OBRMANIA. N«iM Reihe UI. (XV.) Jahrf. 26
386 E. PÖRSTEBiANN
S. 366: Ahd. sihu (seihe), altsl. sic^ (Inf. sicati mingere), skr.
Wurzel siö rigare.
S. 369 : Goth. hatja, lat. odi, gr. xiff o.
Zweitens aber glaube ich viele in jenem Aufsatze mitgetheilten
Wortgruppen vervollständigen fcu können, namentlich durch Hin-
zufbgung eines litauischen oder altslavischen Ausdrucks. Dadurch tritt
die Berechtigung jener Gruppen vielfach in ein noch helleres Licht.
Ich stelle des leichteren Auffindens wegen das germanische Wort stets
in Parenthese voran.
S. 341 : (Ahd. . affo) altsl. opica.
S. 342: (Ahd. hiruz) altpreuß. sirwis (Reh). — (Ahd. gauch)
altsl. kukuli. — (Goth. sparva) lit. sparis (Mauerschwalbe). — (Ahd.
drossela) altpreuss. tresde (lit. strazdas). — (Ahd. «peht) lit spakas
(Staar).
S. 343: (Altn. karfi) lit. karpa (entlehnt?), — (Ags. crabba) zwei-
felhaft altsl. crüvi (vermis).
S. 344: (Ahd. dioma) lit. tamas (Diener). — (Goth. atta) altsl.
otici. — (Goth. arbja) altsl. rabü (Blnecht). — (Goth. viduvö) altsl. vi dova.
S. 347: (Ahd. här) altsl. kosa (coma). — (Goth. qvijjus) lit. we-
daras (Magen). — (Altn. hlaun) altpreuß. slaunis (Schenkel). — (Goth.
skauta) altsl. skutü (extrema vestis). — (Ags. skeam) altsl. skvrüna
(inquinamentum). — (Ags. teter) lit dederwyne.
S. 348: (Goth. vaurts) altsl. vrütü (hortus, nach Miklosich ent-
lehnt). — (Ahd. strao) altsl. strüm (Stoppeln). — (Goth. baris) altsl.
bürü neben proso (beides bedeutet Hirse).
S. 349: (Ahd. linsi) lit lensi-s. — (Goth. aiz) lit vielleicht waras
(Erz, Kupfer)? — (Altn. griot), lit. grauzas (grober Sand). — (Ahd. sahs)
altsl. secivo (securis).
S. 350: (Goth. fana) altsl. ponjava (linteum). — (Ahd. bruoch) alt-
preuss. Plur. broakay. — (Altn. men) altsl. monisto. — (Goth. thaurp)
lit. troba (Gebäude). — (Niedd. tun) altsl. tynü (Mauer).
S. 351: (Altn. log, logi) altsl. luci. — (Ahd. stürm) lit durmas
(Sturm)? — (Altn. oegir) lit. ezeras (See, Teich). — (Altn. kelda) lit
szaltinnis?
S. 352: (Goth. gavi) lit gojus (Hain). — (Goth. avi) lit weja
(Rasenplatz). — (Goth. hlaiv) lit kalwa (Hügel). — (Altn. höll) lit.
kalnas (Berg)? — (Ags. päd) lat pont, altsl. p^ti (Weg). -— (Ahd. Ziu)
altsl. divü (msc.) und divo (ntr., Stamm [dives) Wunder. — Zu goth.
Bunna ist zu erwägen, ob nicht statt der Zusammenstellung mit suvana
und huan lieber die mit altsl. slünice (sol) vorzuziehen ist.
DER URDEÜTSCHE SPRACHSCHATZ. 387
S. 353: (Ahd. fezzil) altsl. petlja (Henkel, Bändchen). — (Goth.
bandi) altpreuß. panto (Fessel). — (Goth. vruggö) altsl. veruga (Kette).
— (NhdL Hippe) lit. kaplys (abgenutzte Axt). — (Goth. aqvizi) lit. jekszis.
S. 354: (Ahd. ritara) lit. r^tas (Bastsieb). — (Ahd. mez) lit. mera.
— (Goth. sitls) altsl. sedalo.
S. 355: (Goth. namö) ir. ainm. — (Goth. möds) lit. masti-s. —
(Alts, hadu) vgl. altsl. kotera, kotora (pugna; nhd. Hader?) — (Goth.
doms) altsl. duma (Rath, Rathsversammlung).
S. 356: (Goth. vlits) lit. lyte (Foi-m, Gestalt). — (Goth. junda)
altsl. jonosti. — (Ags. greät) altsl. grüdü (stolz)? — (Ahd. flah) altsl.
ploskü (breit)? — (Ags. scort) altsl. kratükü (kurz). — (Altn. hvassr)
altsl. kosti (zart, dünn). — (Goth. smals) lit. smailas (spitzig) ? — (Mhd.
schief) lit. szeiwas (krumm). — (Goth. vraiqvs) altsl. razoku (verdreht) ?
S. 357 : (Goth. hveits) altsl. svetlü (hell). — (Ahd. heitar) lit. gedras.
S. 358: (Goth. kaurs) altsl. gorij (schlechter), gorikü (bitter). —
Goth. (sads) lit. sotus. — (Goth. naus) altsl. navt.
S. 359: (Goth. bleij)s) lit. lötas (blöde, dumm). — (Ahd. geil)
lit. gailus (wüthend) ? — (Ahd. war) altsl. verinü (treu) ? — (Altn. sadr)
altsl. s^sti (weise)? — (Goth. veis) altsL Dual ve. — (Goth. si) lit. szi.
— (Goth. ains) lit. viena-s.
S. 361 : (Goth. brukja) lit. brukoju (brauche ; entlehnt?) — (Ahd.
sügu) altsl. süs%. — (Ahd. sluccu) altsl. luzgaj^ (kaue) ? — * (Alts, wa-
rom) altsl. varuj% (caveo). — (Goth. saihva) lit. seikiu (messe, ermesse).
S. 362: (Goth. ana) altsl. vonjaj^ (oleo). — (Ahd. stirbu) lit. tirpau
(erstarre). — (Goth. gita) altpreuß. sen-gydi (er empfange).
S. 363 : (Nhd. kneife) lit. knebju (kneife). — (Goth. hulja) lit. kloju
(bedecke). — (Goth. bairga) altsl. breg% (besorge, bewahre). — (Goth.
stiurja) altsl. stroj% (bereite, rüste zu). — (Ahd. hlinSm) altsl. slonj^ (lehne).
— (Goth. vairpa) lit. werbju (Heu umwenden). — (Goth. skiuba) altsl.
Inf. zybati (Praes. zybljq.).
S. 364: (Ahd. berju) altsl. borj% (pugno). — (Altn. drepa) altsl.
Infin. trepati. — (Goth. draga) altsl. drüz% (halte). — (Ags. vringe) lit.
ringoju (kriLmme). — (Goth. )>reiha) altsl. tr^ (Inf. treti)? — (Ahd.
fiihtu) altsl. plet%.
S. 365: (Goth. lausja) Ut. losoju (löse). — (Goth. skaida) lit. skedu.
— (Goth. mita) lit. matoju. — (Goth. salta) altsl. o-solj%.
S. 366: (Altn. kala) lit. szalu (friere). — (Ags. thäve) altsl. taj^.
— (Altn. sküma) lit. spomoju.
S. 367: (Goth. niuja) lit. naujinu.
S* 368 : (Goth. qvi]>a) lit. zadu ; vgl. altsL gataj^ (vermuthe). -^
26*
388 £• FÖBSTEMANN
— (Goth. namnja) altsl. namenja. — (Goth. teiha) altsl. des% (Inf. desiti)
finden, nach Miklosich hieher. — (Ahd. gerom) altsL zelej% (cupio),
nach Miklosich hieher.
S. 370 : (Alts, dorn) lat do (in condo usw.). — (Mhd. vement) lit.
pemay? — (Ahd. fruo) altsl. prüvo, prüvoje (primum), prüveje (prius).
S. 371 : (Goth. sve) altsl. si-ko.
S. 372: (Goth. mij)) altsl. mitg (abwechsehid). — (Goth. -k) altsl.
go und ze. — (Goth. i])) altsl. to, te.
Ich könnte noch eine Anzahl anderer Nachträge zu meinem ersten
Artikel beibringen^ deren einige die dort etliche Mal schwankende Or-
thographie ins Gleiche brächten, während andere statt einiger dort er-
wähnten jüngeren Wortgestaltungen schon ältere anfiihren würden;
alles das aber ist so imerheblich imd für das Ergebniss des Ganzen
von so gar keinem Belang, daß ich darüber hinweggehen und mich
gleich meiner heutigen Aufgabe zuwenden kann.
n. Die slavogermanische Schicht.
Wohl weiß ich, daß es ein Wagestück ist, welches ich hier unter-
nehme. Daß bei der Vergleichung von Germanischem und Lituslavi-
schem die Scheidung zwischen Entlehntem und Verwandtem eine außer-
ordentlich schwierige, gegenwärtig noch oft geradezu unmögliche ist,
das wird von Allen anerkannt, die jemals dem Gegenstande näher ge-
treten sind, so z. B. von Schleicher in seiner Formenlehre der kirchen-
slavischen Sprache S. 142, von Lettner in Kuhns Zeitschrift XI, 172,
von Conrad Hoftnann in unserer Germania 8, 5. Es nützt nichts,
weitere Stellen dafür zu häufen, dagegen mag auch hier auf die Art
dieser Schwierigkeiten kurz hingedeutet werden:
1. Das Herabsinken der alten Aspiraten zu Medien wird vom
Lituslavischen mit dem Germanischen (auch dem Keltischen und theil-
weise dem Römischen) getheilt, so daß in unzähligen Fällen ein Haupt-
kennzeichen der Verwandtschaft, der Eintritt der Lautverschiebung,
nicht stattfindet
2. Andererseits tritt gerade in entlehnten ursprünglich germani-
schen Wörtern im lituslavischen Gebiete eine Art Rück-Lautverschie-
bung ein, die dadurch bedingt wird, daß diese Sprachen die drei ger-
manischen Spiranten %, th und./ gar nicht kennen und daher häufig
an ihrer Stelle eine Tenuis verwenden, so daß ganz junge Entlehnun-
gen den Schein urverwandter Wörter annehmen.
3. Auch von dem unter 1 gedachten Falle abgesehen, finden
zwischen beiden Sprachgebieten zahlreiche Fälle von Mangel der Laut-
DER URDEUTSCHE SPRACHSCHATZ. 389
verscliiebiing (entweder durch Beharrung im Oermanischen oder durch
Beschleunigung im Lituslavischen) statt , bei Gutturalen mehr als bei
Dentalen und Labialen; derjenigen Beispiele ganz zu geschweigen, in
denen die Bildung von Lautgruppen oder die Gesetze des Auslauts
die Lautverschiebung hindern.
4. Das Germanische und Lituslavische haben von uralten uns
gar nicht mehr zugänglichen Sprachperioden her bis auf die neueste
Zeit herab einen ungemein regen Verkehr gehabt. Die Entlehnung
von beiden Seiten ist eine außerordentlich umfangreiche und oft ist es
sehr schwierig zu entscheiden^ wer der Geber und wer der Empfänger ist.
5. Die verhältnissmäßig späte Zeit, aus welcher uns die ältesten
Denkmäler des Lituslavischen erhalten sind, trägt zur Erhöhung der
Schwierigkeiten nicht wenig bei.
6. Wenn ein Ausdruck nur in lituslavischen imd germanischen
Formen vorliegt, so fehlt uns jede Gestalt desselben aus hohem vor«
christlichem Alterthum und gerade diese Gestalten bilden häufig den
festen Punct, von dem aus man zwischen Urverwandtschaft und Ent-
lehnung entscheiden kann.
Welche Mittel stehen uns nun aber zu Gebote, um diese Schwie-
rigkeiten zu mildem und in vielen Fällen gänzlich zu beseitigen?
1. Es ist trotz des oben Bemerkten doch noch in vielen Fällen
der regelrechte Eintritt der Lautverschiebung ein sicherer Leitstern,
namentlich wo lituslavische Media der deutschen Tenuis entspricht.
2. Wq in jedem der beiden Sprachgebiete das betreffende Wort
nicht vereinsamt dasteht, sondern in Ableitungen und Zusammensetzun-
gen wuchert, da ist es sicherer, eine Verwandtschaft als eine Entlehnung
anzunehmen; doch ist hier gleich einschränkend zu bemerken, daß
nicht jedes Wort, welches in einer alten Sprache verwaist zu sein
scheint, es auch wirklich war; denn wir kennen ja ven keiner, na-
mentlich von keiner alten Sprache das ganze Lexicon, sondern nur
ein größeres oder geringeres Fragment desselben.
3. Wo ein Ausdruck sich über ein ganzes Sprachgebiet verbreitet,
nicht auf eine oder einige Mundarten desselben beschränkt, ftlUt ein
Moment fftr Annahme von Urverwandtschaft in die Wagschale. Was
allen germanischen und allen lituslavischen Sprachen gemein ist, wird
in der Regel (an christliche Fremdwörter denke ich dabei natürlich
nicht) verwandt sein ; was dagegen z. B. auf der einen Seite nur als
hochdeutsch und niederdeutsch, nicht als gothisch oder nordisch, auf
der andern nur als litauisch, preußisch und lettisch, nicht als slavisch
überliefert ist, bei dem wird man misstrauischer an die Annahme von
390 E. FÖBSTEMANN
Urverwandtschaft gehen. Im Folgenden überlasse ich es dem Leser,
der Verbreitung eines Ausdrucks auf der germanischen Seite selbst
nachzuspüren, gebe aber ftlr die lituslavische Seite gern eine Andeu-
tung darüber, ob das Wort sowohl dem lettischen als dem eigentlich
slavischen Aste angehört.
4. Es gibt einen gewissen Tact dafür, ob ein Wort dem Begriffs-
kreise nach, dem es angehört, sich gut zur Entlehnung eignet Man
sollte sich stets, wo man unsicher ist, die Frage stellen, ob es wohl
wahrscheinlich ist, daß das betreffende Wort in Folge des Einwirkens
einer höheren Cultur (denn diese veranlasst doch in der Regel die Ent-
lehnungen) einem in der betreffenden Beziehung weniger entwickelten
Volke zugebracht worden ist. Dieser Tact kann täuschen, aber um
so mehr sollte man ihn auszubilden und zu verfeinem streben.
5. Nicht bloß die rein lautliche, sondern auch die morphologische
Gestalt eines Ausdrucks, die Art seiner Herleitung aus der Wurzel,
gibt oft ein nicht zu unterschätzendes Kriterium flir die Entscheidung
unserer Frage ab.
Und so wagen wir es denn, ein erstes Angebot zu machen über
den Schritt, den das slavogermanische Volk in lexicalischer Hinsicht
über den urindogermanischen oder wenigstens westindogermanischen
Sprachschatz und damit über die ältesten Culturstufen hinaus gemacht
hat; solches Angebot ist inuner nützlich, wenn auch nur dazu, um
überboten zu werden. Daß ich bei den folgenden Zusammenstellungen
vieles andern Sprachforschem verdanke, vor allem den Vergleichungen,
die Miklosich in der zweiten Ausgabe seines Lexicon7palaeos]ovenico-
graeco-latinum (1862 — 1865) beibringt, versteht sich von ^selbst, in-
dessen wird der Kenner auch manche neue Gruppe entdecken, die ich
selbst glaube aufgespürt zu haben; ich wünsche, daß der größte Theil
dieser Gruppen sich bewähren möge. Die Rechtfertigung der einzelnen
Gruppen muß ich aus Rücksicht auf Raumerspamiss und Übersichtlich-
keit auch hier unterlassen; es wird daher sehr leicht sein, mich im Ein-
zelnen anzugreifen, weit schwerer, mich zu überzeugen.
Auf der germanischen Seite hebe ich wie im ersten Artikel wo
möglich den gothischen Ausdruck hervor; wo er fehlt, gebe ich dem
Altnordischen den Vorzug. Sollte eine Gruppe, in der altnordisch und
altslavisch vorkommen, sich nicht als urverwandt, sondern als entlehnt
erweisen, so ist wenigstens die Entlehnung eine uralte und damit höchst
anziehende. In solchen alten Entlehnungen stecken unschätzbare Stücke
Culturgeschichte, Schätze, zu deren Hebung der Meister freilich noch
erwartet wird. Aber auch schon ohne solchen Meister wird uns die
DER ÜRDEUTSCHE SPRACHSCHATZ. 391
Vollendung mehrerer großer, jetzt im Werke befindlicher lexicalischer
Untersuchungen schon um ein gutes Stück weiter bringen.
Die Anordnung nach Begrifi'sclassen läuft dem ersten Artikel
ganz parallel, nur sind hie und da ein Paar weniger vertretene benach-
barte Classen in eine zusammengezogen worden.
SÜBSTANTIVA. Säugethiere:
Goth. hairda (Herde) , altsL creda (dsgl.) , illyr. csredo usw.
Scheint litauisch und altpreußisch zu fehlen.
Goth. skatts (Schatz), altsl. skotü (Vieh). Das lii skatikkas (Gro-
schen) erinnert ganz an lat. pecunia.
Altn. stod (Pferdeherde, jetzt Stute), lit. stodas (Herde), altsl.
stado (Herde).
Altn. boli (Bulle), lit. bullus; dazu etwa altsl. volü (Ochs?).
Goth. svein (Schwein), altsl. svinija; beide entsprächen einem lat.
Adj. suinus. Altpreuß. swintian (gebildet wie mehrere Thiernamen).
Ahd. hengist, altsl. koni (vgl. mit dem deutschen Worte besonders
konistvo Pferdeherde, also Bedeutungsübergang wie bei Stute), lit.kuinas.
Von wilden Säugethieren fehlt jede Spur.
Übrige Thiere:
Altn. älft (ahd. albiz Schwan), altsl. lebedi (serb. labud, poln.
lab^dz usw.). Im Lit. heißt der Vogel gulbe, im Altpreuß. gulbis.
Formen, deren Erwägung zu anziehenden Ergebnissen filhren könnte.
Ahd. aro (Thema arin), altsl. orilü, lit. erelis,. altpreuß. arelie.
Man vergleiche noch das armor. er, welsch eryr, durch die vielleicht
das Wort aus der zweiten Schicht unseres Sprachschatzes in die erste
versetzt wird.
Altn. storkr (Storch) , lit. starkus , altsl. strükü , wohl kaum
entlehnt.
(Das deutsche Rebhuhn übergehe ich als wahrscheinlich aus
dem altsl. r^bü usw. entlehnt).
Altn. lax, lit. laszi-s Lachs; leider fehlt mir der altsl. Ausdruck.
Altn. Sil, sild (Hering), altsl. seldi, altpreuß. sylecke, lit. silke,
letztere beiden wohl Deminutivbildungen.
Trotz der Ungeheuern Anzahl uns bekannter litauischer Fisch-
namen kann ich darunter keine weiter entdecken, die auf Urverwandt-
schaft mit dem Deutschen Anspruch haben.
Altn. mölr (Motte, Schabe), altsl. molü, moli (Motte),
Altn. skel (Muschel), altsL skolika (Auster),
392 £. FÖBSTEMANN
Der Mensch:
Goth. bam (Eind)^ lit* bemas^ seheint im Altsl. zu fehlen. Mit
Fick das skr: bhrüna herbeizuziehen wage ich noch nicht.
Goth. hörs (adulter), lit. kurwa (meretrix), altsl. kurüva (dsgl.).
Altn. kolta (mulier inhonesta)^ womit ich das altsl. giluda (magae
genus) zusammenzustellen wage.
Ahd. friudil, lit. pretelus, altsl. prijateli (Freund). Die Sache hat
ihre Bedenken, da das slavische Wort ein deutliches nomen agentis
von prijati ist.
Zu den alten Wörtern, welche Verwandtschaftsgrade bezeichnen,
kommt auf dieser Stufe absolut nichts neues hinzu.
Unter die Standesbezeichnungen ist hier nicht aufzunehmen das
aus dem deutschen König offenbar entlehnte lit. kuningas, altpreuß.
konagis, altsl. knegi^ kn^zi.
Goth. hairdeis, lit. kerdzus.(Hirt).
Goth. ])ius (Knecht), altsl. tiunü (oeconomus etc.), lit. tijunas
(Amtmann). Liegt hier wirklich Urverwandtschaft vor, so ist die an-
lockende Zusammenstellung von goth. thivi (Magd) mit altsl. djeva
(virgo) aufzugeben.
Goth. vargs, altsl. vragü (Feind); vgl. das lit. Adject. vargas
schlecht.
Ahd. (widar-)sacho (adversarius) , altsl. sokü accusator, lit* sa-
kas actor.
Höchst wichtig sind mir, wie sich weiter unten ergeben wird,
die drei folgenden Gruppen:
Ahd. folc, lit. pulka, altsl. plükü. Auch bemerke ich (wie man
zerstreut in den scriptores rerum Prussicarum finden kann), daß in
samländischen Urkunden das lat. territorium öfters durch das wahr-
scheinlich preußische polca tibersetzt wird. Wenn nun mit den ge-
nannten Ausdrücken von Curtius griech. nX^d'Os und lat. plebes, da-
gegen von Grimm, Kuhn und Fick kretisches aolx^S ^^^^ l^t« vulgus
zusammengestellt werden, so steht doch, wenn eine dieser Ansichten
auch richtig sein sollte, das germanische Wort mit den lituslavischen
Formen in einer so entschieden engeren Verbindung, daß die Auf-
nahme dieser Gruppe an dieser Stelle gewiss gerechtfertigt ist
Goth. harjis, altpreuß. kragis (Heer). Das altpreuß. Wort ver-
danken wir, wie manches, was ich hier erst in die Vergleichung ein-
ftlhre, dem von Nesselmann neuerdings herausgegebenen Elbinger
Vocabular.
DER URDEÜTSCHE SPRACHSCHATZ. 393
Ahd. trust (agmen; Tross?), altsl. druzistvo (societas). Goth.
drauhts exercitus usw. gehören jedesfalls zu demselben Stamme.
Wie ich im ersten Artikel hier eine Bemerkung über Personen-
und Völkemamen einschob; so muss ich mich auch an dieser Stelle
wenigstens über die ersteren äußern; für die letzteren liegt mir noch
kein StoflF vor. Während wir dort nur einige wenige AnkläT^ge von
germanischen Personennamen an fremde anführen konnten, so wären
wir hier im Stande, ganze Reihen von slavischen Namen den deutschen
mit Sicherheit gegenüberzustellen. Das Material dazu würde eine aus- *
gezeichnete Arbeit von Miklosich hefem (die Bildung der slavischen
Personennamen, im 10. Bande der Denkschriften der philos. - histor.
Class^ der Wiener Akademie, und daraus besonders abgedruckt Wien
1860). Aus dieser Schrift, in welcher die Wortstämme der slavischen
Personennamen ganz dem altdeutschen 'Namenbuche parallel gemustert
werden, geht unwiderleglich hervor, daß die Germanen und Slaven
sich in Bezug auf ihre Namen ganz erheblich näher stehen als die
Germanen und andere Völker; nur der Abstand der Germanen von
den Kelten dürfte sich etwa (doch dafUr fehlen uns noch die Samm-
lungen) damit vergleichen, gewiss jedoch nicht damit gleichstellen lassen.
Es würde eine besondere Abhandlung reichlich lohnen, wenn jemand
das slavische und germanische Wesen in ihrem Parallelismus wie in
ihrer Divergenz auf diesem Felde darstellen wollte. Nur ist in Folge
der Ungeheuern Macht, welche auf dem Gebiete der Personennamen
die Analogie ausübt, nie zu vergessen, daß ein bestimmter zusammen-
gesetzter deutscher Personenname , der sich im Slavischen genau so
wiederfindet, deshalb durchaus noch nicht auch der slavogermanischen
Periode angehört zu haben braucht. Im Wesentlichen können nur die
Wortstämme, neben ihnen auch die Suffixe, hier Gegenstand der
Erwägung sein.
Thierischer Körper (ganz geordnet wie im ersten Artikel).
Altn. koUr (Kopf), lit. galwa, altsl. glawa.
Altn. hauss (Schädel), lit. kiauszia (cranium). Das Altsl. und sogar
das Altpreuß. haben hier ganz andere Ausdrücke.
Nhd. Nüster, altsl. nozdri (nares), lit. nasrai (Maul, Bachen). Ich
stelle diese Gruppe nur als zweifelhaft hin und gebe auch das ags.
naesj)3rrel zur Erwägung.
Ahd. floccho (lanugo), lit. plaukas (crinis); sonst finde ich das
Wort auf lituslavischem Gebiete nicht.
Altn. hnakki (Nacken), altsl. nakü (occiput), neusloven. znaga.
Ags. hofer, lit. kupra (Höcker).
394 E. FÖRSTEMANN
Goth. vamba (venter), litbamba (Nabel); altsl. freilich p^pü (dsgl.).
Ahd. rippi (Rippe), altsl. u. russ. rebro.
Altn. mergr (Mark), altsl. mozgü. Dieser Begriff wird im Altpreuß.
durch mulgeno , im Lit. durch smagenos wiedergegeben ; ich mochte
diese Formen nicht verschweigen, mag aber durch ihre Anführung
nichts gesagt haben.
Altn. istra (Schmeer, Fett), altpreuß. instran (dsgl.). Lit. inkstas
(Niere) damit zu verbinden wage ich nicht; altpreuß. ist uns dies Wort
in der Schreibung inxcze überliefert.
Altn.hräki (Speichel), altsl. o-chrakii von der Wurzel chrük (dsgl.);
sonst vermag ich das Wort nicht aufzuspüren.
Altn. vax (Wachs), altsl. voskü. Grimm Gramm. III, 464 ist ge-
neigt, das slavische Wort für entlehnt zu halten; seine Lebendigkeit
im Altsl. so wie das lit. waszkas spricht wohl mehr flir Verwandtschaft,
Ahd. palo (morbus), poln. bol, illyr. hol, russ. bolezni.
Altn. sigg (Schorf, dicke Haut), altsl. suga (Krätze). Erinnert
werden muss auch an lit. szaszas (Grind, Ausschlag), so wie an lit.
sausis (Räude).
Alt. hrufi, hr^fi (Aussatz); ich erinnere zunächst an lit. karpa
(Warze) , da ich nicht weiß , was flir eine Krankheit mit dem altsl.
choroba gemeint ist.
Ahd. warza (Warze); vgl. altsl. vredü (Aussatz, Schaden, Wunde);
darf man auch russ. borodavka (Warze) herbeiziehen?
Altn. eitr (Gift, Eiter), altsl. jadü (Gift); wohin soll man das lit.
nudai (Gift) bringen?
Altn. mok (Schlaf), lit. megas, altpreuß. 'Acc. maiggün.
Pflanzen:
Goth. lauf 8, lit. lapas (Laub); vielleicht auch altsl. lepeni (Blatt)
hieher?
Altn. tjalga (ramus), altsl. talij (ramus virens), talije (rami); vgl.
ahd. zwelga. ^
Goth. bagms (Baum), lit. bömas, bom^lis, bömgirre; sonst ist das
Wort nirgends aufzuspüren, wenn man nicht mit Fick griech. tpv^a
und skr. bhüman (Wesen) herbeiziehen will ; ja sogar das lit. Wort
ist nicht frei von dem Verdachte der Entlehnung.
Altn. meidr (arbor), lit. medis arbor, lignum.
Ahd. eih (quercus), lit. auzolas, altpreuß. ausonis; im Altsl. heißt
aber das lautlich nahe liegende osina die Schwarzpappel. Das lit. Wort
steht in seiner Bildung unserm Eichel nahe.
Altn, askr (Esche), lit. usis, altsl. jasika. Letzteres scheint darauf
DER URDEÜTSCHE SPRACHSCHATZ. 395
hinzudeuten, daß auch das deutsche Wort ein Suffix enthält, während
uns das Stammwort im Lit. vorliegt.
Altn. elri (Eller), lit elksnis, altsl. olicha und jelucha. Alles deutet
daraufhin, daß im Deutschen ein Guttural ausgefallen ist, elri also
fllr elhri stehe. Der lat. alnus liegt weiter ab.
Ahd. sleha (Schlehe), altsl. sliva prunus, lit. slywa.
Goth. seths (Saat), altsl. setva satio und s^tnje seges.
Ahd. roggo (Roggen), lit. ruggei (Plur.), altsl. rüzi; ins if eltische
ist das Wort wohl erst aus dem Ags. entlehnt; Entlehnung des deut-
schen aus dem Lituslavischen anzunehmen, ist wohl kein ausreichender
Grund da.
Goth. hvaiteis (Weizen), lit. kwetys. Man könnte hier leicht an
Entlehnung denken , wenn nicht ein altpreußisches gaydis im Inlaute
die Media enthielte.
Ahd. hirsi (Hirse). Damit vergleicht Grimm das altsl. proso, zu
dem wir nun auch noch altpreuß. prassan hinzufügen können ; über-
zeugend ist die Zusammenstellung keineswegs, zuAial wenn man das
goth. baris usw. (s. den ersten Artikel) erwägt.
Ags. oföt (Obst), altsl. ovosti. Grimm neigt zur Annahme von
Entlehnung aus dem Deutschen ins Slavische.
Altn. laukr (Lauch), altsl. lukü, lit. lukai.
Minerale:
Goth. gulth, altsl. zlato (aber lit. auksas, altpreuß. ausis).
Goth. silubr, lit. sidabras, altsl. srebro usw.
Goth. svibls, altsl. zupelü usw., aber nichts im lettischen Sprach-
stamme. Lat sulphur mögen wir nicht herbeiziehen.
Ahd. und altn. hamar bezeichnen gewiß zuerst den Stein, dann
das Steingeräth, wie sahs (s. den ersten Artikel) zuerst den Stein, dann
die Steinwaffe. Mit hamar ist sicher altsl. kameni zusammenzustellen.
Ist mit beiden noch, wie gewöhnlich behauptet wird, /skr. a9män, gr-
ax(iG}v, lit. akmu (gen. akmens) identisch, so muss man bei dem deut-
schen und altslavischen Wort eine doch höchst auffallende Metathesis
annehmen.
Altn. ryd (Rost), lit. rudis, altsl. rüzda.
Altn. sandr (Sand) erinnert auffällig an altsl. sedra (fragmentum,
gutta, grumus). Im Lit. werden für die Begriffe Sand oder Kies die
Formen z^gzdras, zwizdra, iwirgzdas, im Altpreuß. sixdo angegeben,
deren reinste Gestaltung mir noch nicht klar werden will.
Bemerkenswerth ist, daß bei den Mineralen das Slavische dem
Deutschen näher steht als das Litauische, während sonst das umgekehrt^
396 E. FÖRSTEMANN
Verhältniss stattzufinden scheint. Im Hinblick hierauf scheint es mir
auch sehr wichtig zu sein, daß einmal altsl. med! (aes) und ahd. smida
met allum), so wie altsl mßdari (Schmid) und ahd. smidari oder smeidar
in Bezug auf Entlehnung oder Verwandtschaft untersucht werden.
Nahrung.
Ahd. fleisc (Fleisch), altsl. plutiskü (Adj. von pluti Fleisch, lit.
paltis Speckseite).
Ahd. bior (goth. wohl *biuz), lit. pivas, altsl. und russ. pivo.
Altn. öl (Bier, engl, ale), lit. alus (Bier). Das Wort mag sich erst
später im Begriffe fixiert haben als das vorige, denn altpreuß. alu heißt
Meth, und was fUr ein Getränk altsl. olü, olovina bezeichnet hat, wissen
wir nicht.
Altn. dregg (fermentum), altpreuß. dragios (dsgl).
Ahd. truosana (faex), altsl. drozdij^ (dsgl.). Vielleicht hängen die
•beiden letzten Gruppen nahe mit einander zusammen.
Altn. syra (s^ure Molken), lit. und altpreuß. suris (Käse), altsl.
syrü (dsgl.).
Kleidung:
Altn. thofi (Wollenzeug, Filz), lit. tuba (Filz).
Altn. silki, lit. szilkai, altsl. und russ. selkü (Seide) ; auch altpreuß.
ist ims das Wort in silkas-drunber (Seidenschleier) erhalten. Erwägt
man, daß im AltsL auch svila Seide heißt, so scheint in dem Stamme
silk eine Weiterbildung hievon vorzuliegen, wodurch wir vielleicht der
herkömmlichen Ableitung von sericus entgehen.
Altn. serkr, altsl. sraka, lit. szarkas (Tuchrock).
Altn. kofri (Mütze, Kapuze), lit. kepurre (Hut).
Altn. motr (weibliche Kopfbedeckung), lit. muturis (Kopftuch).
Altn. boti (Stiefel), lit. batas (dsgl.), wozu ich auch noch altpreuß.
peadey (ßocken) nehme, dessen inlautende Media besser stimmt.
Neben diesen Gruppen^ bei denen mir Verwandtschaft wenigstens
etwas wahrscheinlicher ist als Entlehnung, geht auf dem Gebiete der
Kleidung und des Schmuckes noch manches sicher Entlehnte her. Das
merkwürdige deutsche gudvefr, gotavebbi, godveb ist z. B. schon im
Altsl. als godovablif, femer aber auch im Polnischen, Böhmischen usw.
zu finden imd Altsl. bugü (Armband) ist vollends ein alter Bekannter.
Die neueren Mundarten auf beiden Seiten wimmeln vollends von
Lehngut.
Wohnung:
Goth. hüs, altsl. chyza, chyzii (Haus), lit; kize (Hütte).
DEE ÜRDEÜTSCHE SPRACHSCHATZ. 397
Ahd. hutta (Hütte); altsl. kotici^ kq.ticr; k£),sta (mansiuncula) ; ein
lit. kutis bedeutet Stall.
Altn. bü, lit. buwis (Wohnsitz).
Altn. büd (Bude), altpreuß. buttan (Haus), lit. buta (Gebäude,
Zimmer); daneben mit inlautender Media, also mehr mit dem Scheine
der Entlehnung lit buda, böhm. bauda, poln. buda usw.
Goth. hlija (Hütte, Zelt), altsl. cblövü (stabulum, casa), chlevina
(domus). Im Litauischen könnte klStis (Nebengebäude) eine Weiter-
bildung des Wortes sein; klajus heißt eine Hecke von Stauden und
liegt deshalb wohl begrifflich zu fem.
Altn. klefi (Speisekammer), lit. kalupa (Hütte), altsl. koliba (dsgl.),
wo man wiederum sieht, daß man in dem lituslavischen Gebiete selbst
öfters Wechsel von Media und Tenuis findet.
Altn. stolpi (Säule), altsl. stlubü (dsgl.), stluba (Treppe) ; daneben
auch altsl. stlüpü und lit. stulpas; wer letztere Formen allein kennt,
wird mehr an Entlehnimg denken.
Ags. hr6f (Dach), altsl. krovü (Dach, Zelt, Haus); hier müsste
man im Altsl. unorganische Erweichung annehmen.
Altn. })il, })ilia (Diele), altsl. tlo, tlja (Fußboden).
Altn. torg (Markt), altsl. trügü, lit. turgus. Hier möchte ich die
Entlehnung doch nicht mit solcher Bestimmtheit aussprechen^ wie es
anderwärts geschehen ist.
Ahd. grab, lit. grabas (Sarg), altsl. grebü (Grab) neben grobü
(Grube).
Neben diesen Gruppen stehen wahrhaft unzählige, zu dieser Be-
griffssphäre gehörige Ausdrücke, bei denen kaum irgend ein Zweifel
an bloßer Entlehnung gehegt werden darf. Nur einige führe ich kurz
an: altsl. istuba (Zelt), lit. stuba, altpreuß. stubo (Stube), lit. staldks,
altpreuß. staldis (Stall), altsl. stodolja (Scheune, Stadel), lit. alkörus,
balkis, trepas, swelis (Erker, Balken, Treppe, Schwelle), altpreuß. spa-
ris (Sparren). Ich erinnere auch an altsl. selo, selitva (Wohnung), letz-
teres völlig das goth. sali))va, das doch sonst im Deutschen überall
sein v aufgegeben hat.
Feuer, Licht, Wärme:
Altn. myrkr, altsl. mrakü (caligo), fehlt bis jetzt im Lit. und
Altpreuß.
Goth. azgö Asche (Stamm azgin), womit ich altsl. iskra (Funke)
zu vergleichen wage. Einander formell genähert werden beide Aus-
drücke durch das deutsche Aescher (s. Grimm Wb.).
398 K- FÖRST£liANN
iiit rukis (Rauch), parbas (Farbe; in letzterem z. B. ein Fall der
oben angedeuteten Rück-Lautverschiebung) sind der Entlehnung mehr
als verdächtig.
Wasser:
Altn. vor, vörr (Meer, Hafen, Spur im Fahrwasser), altsl. virü
(Strudel); altpreuß. wurs bezeichnet Teich.
Altn. sund (fretum), altsL sudü (dsgl.). Entlehnung?
Ahd. wella (Welle), lit. wilnis^ altsl. vlüna; vgl. auch altsl. valii
(WeUe).
Ahd. fiirt, altsl. brodü, lit. brasta, letzteres wohl ungenaue Schrei-
bung einer aus *bradja hervorgegangenen assibilierten Form.
Erde, Land:
Goth. land, altsl. l^dina (terra inculta); altpreuß/ acc. lindan,
(Thal) hieher? Das gadhel. lann (ager) seheint dieses Wort noch un-
serer ersten Sprachschicht zuzuweisen.
Goth. grundus, lit. gruntas. Russ. gruntü scheint nur den Grund
eines Gemäldes zu bezeichnen und ist deshalb wohl entlehnt. Aber
auch hier tritt ein gadhel. grunnd (Amdus, solum usw.) auf, welches
dem Worte wohl schon ein höheres Alter verleiht.
Ags. folde (terra), altsl. polje (campus). Man hat hiemit mehrfach
skr. padam, gr. niSov, umbr. perum vergUchen, was mir doch nicht
sicher genug schien, um das Wort dem ersten Artikel zuzuweisen.
Goth. *bairgs ; hiemit verbindet Miklosich das altsl. bregu (Ufer,
Abhang), welches z. B. im illyr. breg, brig, brjeg schon die Bedeutung
von mons hat.
Altn. haugr (collis), lit. kaukura, kauguris (dsgl.), schon von
Lettner in Kuhns Zeitschr. XI, 190 verglichen.
Gott, Himmel, Zeit:
Altn. Freyr, altsl. Prove; s. Germania 8, 6.
Altn. Fiörgyn, lit. Perkunas, schon von Grimm verglichen; vgl.
altsl. perünü (Blitz), altpreuß. percunis (Donner).
Ahd. lenzo, altsl. l^to (Sommer, Jahr). Miklosich ist gegen diese
mehrfach versuchte Zusammenstellung. Leider geht uns hier das lit.
und altpreuß. Wort ab.
Waffen:
Ahd. sträla, altsl. strela, lit. str^la.
Goth. hilms (Thema hilma), lit. szalmas, altpreuß. salmis, altsl.
slemü, chlümü, chilemü.
Ahd. brunja, lett. brunnas, altpreuß. brunjos, altsl. brünja, Miklo-
sich hält das Wort fUr entlehnt aus dem Deutsehen.
DER URDEUTSCHE SPRACHSCHATZ. 399
Goth. sarva (Rüstung), lit. szarwa (Harnisch), altpreuß. sarwis:
mindestens ganz fern stehen zend. haurva (schützen), lat. servo (Schütz-
ling), gr. d'ij'CavQOy 0avQcitrig] s. Fick S. 174.
Solche Wörter wie altsl. sablja (Säbel), l^sta (Lanze), pans^rü
(Panzer), spata (Schwert), lit. knie (Keule) gehen uns schwerlich hier
etwas an.
Werkzeuge; a) zum Verbinden:
Altn. lina (Leine), lit. lyna; entlehnt?
Altn. hUnki (Riemen, Seil), lit. anka (Schlinge), altsl. ^ze, £).za
(Strick).
Altn. viiT (Draht), lit. wirwas (Seil), altpr. wirbe (dsgl.), altsl.
vrübi (dsgl.).
Altn. yadr (Angelschnur), lit. udas (Aalschnur), altsl. ^da (Angel).
Altn. kadall (Tau, Kabel), lit. kardelus (starkes Tau).
Ahd. brittil (Zaum), altsl. briizda (d. h. brudja) ; im Lit. begegnet
mir ftLr Zaum das wohl tmgenaue brizgelas.
Altn. reim (Riemen), altsl. remeni.
Ahd. seid (laqueus), saito (fidis), altsl. seti (laqueus), lit. sätas
(restis).
Lit. strangas (Strang) lasse ich bei Seite.
b) zum Theilen,. Schneiden, Stechen:
Goth. qvaimus (Mühle), lit. gima, altsl. zrüny (Thema zrünüv).
Altn. stafir, altsl. stapü (Stab).
Altn. bredda (großes Messer) , lit. britwa (Rasirmesser) , altsl.
britva (dsgl.).
Ahd. barta (Beil), altsl. brady (dsgl.), lit. bartiszus (Hellebarde).
Wörter wie lit sztanga (Stange), kneipis (Kneif) sind wohl erst
junge Entlehnungen; ob altsl. pila (Säge) zu unserm Feile gehört?
c) Ge&sse:
Altn. lärr (Korb), altsl. larT (cista).
Goth. stikls (Trinkbecher), lit. stiklas, altsl. stiklo, altpreuß. stiklo
(Glas). Da zu Untersuchungen hier kein Platz ist, möge nur verzeichnet
werden, daß man bisher hier stets Entlehnung angenommen hat, Die-
fenbach und Jülg aus dem Slavischen ins Deutsche, Grimm und Ebel
umgekehrt. Da mag ja auch die Ansicht von der Verwandtschaft nicht
ganz zu verwerfen sein.
d) Wagen, Pflug, Schiff:
Altn. hvel (Rad), altsl. kolo (Stamm koles), altpreuß. kelan. Ge-
wöhnlich wird dazu, was jedoch nicht ganz sicher ist, gr. xvxXog und
skr. k'akra gestellt.
400 E. PÖRSTEMANN
Ältn. plögr (Pflug) y lit plugas y altpreuß. plugis y altsl. plugü.
Grimms ursprüngliche Ansicht war , die Slaven hätten das Wort von
den Deutschen^ die Deutschen aus unbestimmter Quelle, später nahm
er und neben ihm Andere (Miklosich, Ebel) slavischen Ursprung an,
während wiederum Andere (Diefenbach, Kuhn) nicht fllr Entlehnung
sind. Das vorliegende Material ist allerdings noch nicht genügend zur
Entscheidung dieser höchst wichtigen Frage.
Ahd. farm (celox, navis), lit. paramas, altsl. pramü (beides Fähre
bedeutend) ; gr. jssgafia ist wohl eine selbständige Bildung.
Altn. segl, lit zeglas; entlehnt? im Altsl. ist das Wort nicht vor-
handen.
e) übrige Geräthe:
Altn. stalli, stallr (Kissen, Bett, vgl. nhd. Bettstelle), altsl. stell
(Bett); fehlt lit. und altpr.
Ahd. stuol (Stuhl), lit. stalas, altsl. stolü ; dagegen wird dem altpr.
Acc. stallan die Bedeutung von Tisch beigelegt.
Goth. hnutho, russ. und poln. knut (scutica). Die schwierige Frage
wegen Entlehnung oder Verwandtschaft bespricht am Vollständigsten
Diefenbach im goth. Wb. Bemerkenswerth ist hier, daß das Altsl. und
Lit., deren Sprachschatz doch ein ganzes Arsenal von Prügelinstru-
menten aufweist, dieses Wort nicht kennen.
Altn.möndull (Drehholz), altpreuß. mandiwelis^ lit. menturis (Quirl).
Femer liegende Anklänge, sogar aus dem Sanskrit, lasse ich hier
bei Seite.
Goth. svamms (Schwamm), lett. swammis, lit. szamas; vgl. Diefen-
bach goth. Wb. II, 355.
Was auf dem Gebiete des Besitzes, Gewinnes und Verlu-
stes zwischen Slavischem und Germanischem seit uralter Zeit aus-
getauscht ist (nicht bloß im Bereiche der Substantiva) , das verdient
eine besondere, fiir Handelsgeschichte höchst wichtige Untersuchung.
Das goth. kintus (Heller) uud das altsl. ceta (Münze) sind schon oft
verglichen worden ; dem deutschen Schilling entspricht altsl. selegü und
skl^zif und dem deutschen Pfennig genau so die Doppelform pSn^gü
und penezi. Mehr Anspruch auf Urverwandtschaft haben :
Ahd. scherf (vgl. nhd. Scherflein), altsl. skarbü (thesaurus), lit
skarbas (dsgl.).
Altn. leiga (Wucher, Zinsen), altsl. lichva (Wucher).
Ahd. nuz, lit. naudas, nauswa (Nutzen, Besitz).
Für Form und Ort, Ruhe und Bewegung, dann flir ver-
mischte Gegenstände bringe ich bei:
DER URDEÜTSCHE SPRACHSCHATZ. 401
Altn. hringr, altsl. kr£|;gü; daher lit. kring^lis (Bretzel^ deutsch
dialectisch Kringel).
Ahd. chliwa, chluiwa (glomus), altsl. • kl^i-bo (dsgl.); ob auch lat.
globus oder auch glomus herbeizuziehen sind?
Ahd. sceit (discissio; gasceit divisio), altsl, c^sti (pars); lit. skeda
heißt Spahn oder Splitter. ' »
Dagegen wollen wir lit. randas (Rand), ruimas (Raum), altsl. stopa
(Fußtapfe) den Lehnwörtern überlassen.
Goth. rasta Rast (finn. wirsta), russ. werst.
G-oth. laiks (Tanz), altsl. l^kü, Ijakü.
Ahd. fadam (Faden), altsl. p^di (palmus, spithama); altpreuß.
pauto (Fessel) lässt freilich mehr an das deutsche Band denken.
Goth. vaihts, altsl. vesti (Sache, Natur).
That und Kraft:
Goth. mahts (Thema mahti), altsl. mosti, lit. mace; das stimmt
gut zum zend. majti (Größe), welches aber vielleicht selbständig ge-
bildet ist.
Altn. kraptr (Kraft), altsl. kreposti.
Altn. thraut (Arbeit)^ altsl. trudü (dsgl.) ; dazu vielleicht lit. trusas
(Bemühung).
Altn. örendi, eyrindi (Geschäft, Botschaft), altsl. or£|.dije (Geschäft,
Werkzeug).
Aber goth. arbaijjs (Arbeit) ist aus den lituslavischen Sprachen
(lit. rabata, altsl. rabota) zu uns herübergekommen, und zwar ehe in
letzteren die Metathesis des Anlauts stattgefunden hat.
Sprache:
Altn. skalp (Rede), lit. kalba (dsgl.). Altn. thula (Rede, Gedicht),
altsl. mit weiterer Ableitung tlükü (Erklärung, Übersetzung), wozu das
lit tulkas (Dolmetscher) gehört, das ins altn. tulkr hinübergenommen ist.
Verhältnissmäßig zahlreich sind unsere Gruppen auf dem Gebiete
des Geistes:
' Ahd. liubi, altsl Ijuby Liebe (lit. lubiju lieben).
Goth. triggva (Bündniss), altpreuß. druwis (fides); weitere Ver-
wandtschaft bei Diefenbach 11, 678 f.
Altn. lof (Lob) ; das lit. laupse (Ehre, Ruhm) scheint darauf hin-
zudeuten, daß auch unser Lob den verdunkelten Neutralstämmen auf
-as angehört, von denen einmal besonders gehandelt werden müsste,
seitdem sie nun sogar im Keltischen entdeckt sind.
Goth. lists (List), altsl. listJ, das Lottner in Kuhns Zeitschr. XI, 173
wohl ohne hinreichenden Grund aus dem Deutschen entlehnt glaubt.
GERMANIA. Neue Reihe III. (XV.) Jahr^. 27
402 F.. FÖRSTEMANN
Goth. skanda (Schande), altsL skada (defectus), sk^dota (inopia);
lit. iszkada (Verlust) erinnert zugleich an unser Schaden.
Goth. nau})s (Thema naudi), altsl. nuzda (Noth, altpreuß. Acc.
nautin dsgl.). In Kuhns Zeitschr. XIV, 101 hat Pauli das Wort geist-
reich auf ein älteres nahujji zurückgeflihrt, das einem griech. vdxv6ig
indogerm. *nakutis entsprechen würde.
Altn. harmr (Harm), altsl. sramü (Scham), lit. sarmata (Ungemach),
Verdruß).
Ahd. mohi (Mühe)^ lit. muka (Qual, Angst).
Ahd. leid (Leid), altsl. Ijuto (Stamm Ijutes Anstrengung, Leid).
Ahd. wära (Bündniss), altsl. vera (Treue), lit. vöra (Wahrheit).
Altn. thing (Ding), altsl. t^za (Judicium, lis, pugna), verwandt mit
t^gü (Arbeit). Damit stimmt ganz gut, daß Grimm unserm Ding
(s. Wb.) die ursprüngliche Bedeutung von res gravis, litigium zuge-
wiesen hat, indem er vom ags. ]>ingan ausgieng.
ADJECTIVA. Raum, Menge.
Altn.storr (magnus), lit.storas (dick, stark, schwer), altsl. 8tarü(alt).
Ahd. stumph, lit. stambus (grob, dick), altsl, t^pü (stumpf).
.Mhd. slanc, altsl. s^kü (inflexus); entlehnt?
Goth. diups (tief), Ht. dubus (hohl, tief), altsl. dupinü, dupll (hohl).
Goth. manags (mancher), altsl. mnogü ; scheint im lettischen Sprach-
stamme zu fehlen.
Licht, Farbe, Wärme:
Goth. skeirs, lit. skaidrus (hell, klar); Miklosich vergleicht wohl
mit Unrecht altsl. stirü integer.
Ahd. gruoni (grün), schon von Schleicher mit altsl. zelenü ver-
glichen; ich stelle dazu noch lit zalas, altpreuß. saligan; weit femer
steht skr. hari. Doch ist mir die ganze Gruppe nicht ohne Bedenken.
Aus den Gebieten von Zeit und Alter, Gefühl, Geschmack,
Geruch, Stoff und Form theils nichts, theils nur vei;einzelte8.
Ahd. slaph slaf, nhd. schlaff, altsl. slabü debilis; dazu wohl lit.
slubnas (schwach, matt).
Altn. sür (sauer); altsl. surovti, syrovü bezeichnet crudus, viridis
usw.; es scheint also der Begriff des Sauem zunächst von unreifen
Früchten hergenommen zu sein; lit. surus heißt dagegen salzig.
Stoff und Form:
Goth. hrains, altsl. srenü (weiß); dazu lit. czumus (rein?)
Altn. miukr (weich, sanft, öfters an den Begriff des Fließenden
streifend); altsl. mokrü feucht (zu moc% anfeuchten). Wohl nicht zu
vergleichen ist altsl. m^kükü und lit. minksztas (weich, mürbe).
DER URDEUTSCHE SPRACHSCHATZ. 403
Mhd. glat (glatt), altsl. gladükti, lit. glodas, glotus.
Goth. galeiks (gleich), lit. lygus, altpreiiß. po-ligu.
Bewegung, Kraft, Leben:
Ahd. sciori (schnell), altsl. skorti (dsgl.).
Ahd. taphar, altsl. dobrü (gut, aber auch tapfer).
Ahd. muntar (munter), lit mandrus.
Altn. feigr, nhd. feig, lit. paikas (schlecht) ; sollte auch an lat. piger
zu denken sein?
Altn. hrumr (infirmus, debilis; föthrumr pedibus infirmus); altsl.
chromü (claudus); lit. klumbas (lahm) ist wohl nicht zu vergleichen.
Geist:
Goth. Hubs (lieb), altsl. liubti, lett. Ijub.
Goth. milds (mild), altsl. mladü (zart, weich). Dagegen scheinen
weniger zu passen altsl. milü (miserabilis), lit. melas (carus), altpreuß.
mils (dsgl.). Ist an lat. moUis zu denken?
Goth. tharbs (necessarius), altsl. trebü (dsgl.).
Übrige Adjectiva:
Goth. laus, lit. losas (los).
Ahd. läri (leer), lit. laiswas (frei, unabhängig).
Ahd. bar (nudus), lit. basas (barfuß), altsl. bosü (dsgl.).
PRONOMINA.
Hier ist vor allem zu erwähnen die in der ersten Person des
persönlichen und Possessivpronomens eintretende Erweiterung um das
Suffix -ina, also goth. meina, meins und ebenso in allen andern deut-
schen Sprachen, während durch die lituslavischen eine bemerkens-
werthe Scheidung geht: lit. mano, manas, russ. menja, poln. mnie,
böhm. mne nach deutscher Weise, dagegen altsl. moj, altpreuß. mais
nach lateinischer usw. Das Deutsche allein führt diese Abtheilung auch
fiir die zweite und dritte Person durch , während im Lituslavischen
nichts dazu stimmt (lit. tavo tavas, savo savas usw.).
Im Übrigen habe ich unter den Fürwörtern nur noch auf die
Übereinstimmung des goth. hvarjis mit lit. kurja (welcher, wer) hin-
zuweisen.
ZAHLWÖRTER.
Goth. ainlif (Stamm ainlibi), lit. vienulika; ebenso *ainliftas =•-
vienuliktas.
Goth. tvalif (Stamm tvalibi), lit. dvylika ; ebenso *tvaliftas = dvy-
liktas.
Nur das Lit., nicht das Altsl. stimmt hier zum Deutschen, ja er-
. ^ 27* .
404 E. FÖRSTEMANN
steres setzt diese Art der Zählung auch fllr die Zahlen von 13 bis 19
fort, trylika usw.
Goth. tShund (-zig flir die höheren Decaden) hat nur im pohii-
schen dziesi^it und böhmischen desat etwas Entsprechendes unter allen
lituslavischen Sprachen.
Goth. ])usundi, altsl. tysi^sta, lit. tukstantis, altpreuß. tusimton
(auch finn. tuhansi). Über die Frage wegen Entlehnung vgl. Scherer
zur Gesch. d. deutschen ^pr. S. 456. Ich bin nicht für Entlehnung.
VERBA. Verschiedene Körperfunctionen (essen, trin-
ken, Stimme, Sinne usw.).
Ahd. chiuwu (kaue), altsl. zivajj^, zv^ (dsgl.); vielleicht dazu lit.
zebju (langsam, mit Widerwillen essen).
Altn. svelgja (verschlingen, nhd, schwelgen), lit. walgau (essen).
Aber altsl. postiti (fasten) ist, wie auch Grimm und Miklosich
annehmen, aus dem Deutschen entlehnt.
■Goth. svogja (seufzen), lit. sugiu (heulen, winseln).
Ahd. kräju (krähen), altsl. graj^ '^dsgl.), lit. groju (krächzen).
Altn. anga (duften), altsl. J|,chati (Praes. ^chaj^).
Goth. gaumja (wahrnehmen), vgl. altsl. umöj^ (wissen, merken),
abgeleitet von umu (Sinn, Verstand).
Ahd. huostju (huste), lit. kosu, kostu, russ. Inf. kasljati.
Nehmen, geben, fassen, halten:
Goth. leiliva (leihe), lit. lykau (dsgl.); vgl. altsl. lichvujq, (privare,
fenerari) von licliü redundans.
Goth. giba (gebe), Ht. gabenu, in andern lituslavischen Sprachen
kaum etwas genau Entsprechendes.
Zu dem Begrifife von heben, tragen, stellen, stützen weiß
ich nur goth. hlatha (lade, onero) und altsl. klad^ anzuführen, fiir den
Sinn von decken oder schützen nichts.
Werfen, schlagen:
Altn. skiota (schiessje) , lit. szaudau (dsgl. , neben szauju und
szaunu).
Ahd. bozju (stosse, schlage), lit. badau (stosse, steche), altsl. boda,
badaja (steche); vgl. lit. baudu, baudziu (züchtige).
Ahd. liauan (hauen), altsl. kovati (hämmern), lett. kau; man darf
vielleicht an lat. cudo denken.
Goth. gadraba (aushauen), altsl. drobiti (Praes, droblj^ conterere,
scindere). Zu dem naheliegenden altn. drepa (treffe) usw. stimmt (viel-
leicht entlehnt) lit. tropiju, welches wie das nhd. Wort^die Bedeutungen
des Schiagens und Antreffens vereinigt.
DER URDEUTSCHE SPRACHSCHATZ. 405
Zur Sphäre des D ahnen s und Ziehens gehört altn. spenja
(spanne); altsl. pinati.
Drehen, biegen.
Mhd. lenke, lit. lenkiu, altsl. l^k^j;.
Goih. vinda (winde), altsl. v§zq. (Inf. v^zati) heißt binden und mag
verwandt sein, aber lit. windoju (winde) ist wohl aus dem Deutschen
entlehnt.
Verbinden, trennen:
Goth. managja, altsl. mnoz£|, (multiplico).
Goth. faltha (falte), lit. plotiju.
Altn. smuga (schmiegen), altsl. smyc^ (Inf. smjkati s^ serpere);
hieher vielleicht lit. smaugiu (würge).
Goth. blanda (mische), altsl. . bl^dq. (irre, schwatze, hure), Ver-
gleichung von Miklosich.
Goth. dailja (theile), altsl. delj^, lit. dalyju.
Altn. slita (schleissen), lit. sklaidau (zerstreuen, ausbreiten)^ viel-
leicht altsl. zlad^ (löse).
Ahd. scrotu (schneide), lit. skrodziu; altsl. crtita sieht wie ent-
lehnt aus.
Ackerbau, Technologie:
Goth. thriska (dresche), lit. treszkiu (presse, drücke); vgl. altsl.
tr-g|;ßa (Inf. trJfcsiti quatio, spargo) ; fern verwandt sind lat. tero, gr. tsigoD,
Ahd. 9U0ZJU (süsse), altsl. slazd^ (Inf. sladiti), lit. saldinu.
Goth. hailja (heile), altsl. cölj% (Inf. c^liti), lit. czelinu.
Licht, Wärme, Schall, Luft, Wasser:
Altn. kveikja, kveykja, kveykva (anzünden), altsl. zegq, (Inf.
zesti dsgl.).
Ahd. rot^ (erröthe), altsl. rüzdet (Inf. rüdeti), aber lit. mit jüngerer
Bildung raudonoju von raudonas.
Vergrösserung, Verkleinerung:
Goth. theiha (gedeihe), altsl. tyjjt (pinguesco); vgl. auch lit. tinnu
(schwelle).
Bewegung, Ruhe:
Goth. laika (springen), lett. ISku (dsgl.), altsl. likujq, (tanzen);
vgl. oben das 'dazu gehörige Substant. Dagegen das nur goth. plinsjan
(tanzen) sehe ich als slavisches Lehnwort an.
Ahd. swifh (schweife), altsl. svepiti s§ (Praes. sveplj^j, SQ agitari).
Ahd. jagön (jagen), altsl. jachajq. (vehor); dazu lit. joju (reite)?
Altn. beita (vertreiben), altsl. b^diti (Praes, b^zda dsgl.), lit. bai-
dau (scheuchen, jagen).
406 . E. FÖRSTEMANN
Für die Begriffe von Beginn und Ende^ Erhöhung und Er-
niedrigung, Besitz, Gewinn und Verlust weiß ich hier nichts
anzuführen. Was die letztgenannten angeht, so habe ich schon bei den
Substantiven darauf hingedeutet, daß gerade im Handel der. Haupt-
grund des lebhaften Wörteraustausches zwischen Slaven und Germanen
liegt; das häufigste hieher gehörige Verbum, goth. kaupon kaufen,
stimmt in der That genau zu altsl. kupiti; ob beide nur dem lat. cau-
ponari nachgebildet sind, lasse ich noch unentschieden.
Für lachen und weinen nichts- entschieden Verwandtes; lit.
wainoju (trauern) scheint mir entlehnt.
Sprache:
Goth. vopja (rufe), altsl. vupij^, ^py%; vgl- auch lit. wapu (reden,
plappern), weblu (plappern, nachspotten). Nach Miklosich ist das sla-
vische Wort aus dem Deutschen entlehnt, wogegen Benfey in der
Kieler Monatschrift 1854, 19 auch lat. voveo und gr. rjnva vergleicht.
Der Stamm ist im Altslavischen sehr lebendig.
Goth. siggva (singe), altsl. zv^g^ (dsgl.), lit. zwengiu (wiehere)
und zwigu (quike, schreie).
Altn. Inf. klaka (klagen), altsl. glas^, glasaj^ (Inf. glasiti, glasati
vocem emittere).
Altn. räda (rathen), lit. rodau (zeige).
Goth. liuga (lüge), altsl. lüz^ (Inf. lügati dsgl.), lett. leedzu, leegt
(verneine, verweigere).
Goth. sandja (sende), lit. siunczu ; scheint in den slavischen Spra-
chen zu fehlen.
Wie bei den Substantiven, so sehen wir endlich auch bei den
Verben die Sphäre der eigentlich geistigen Begriffe^ in der slävo-
germanischen Schicht besonders stark vertreten.
Altn. Unna (favere), altsl. unja (Inf. uniti volo, desidero, malo).
Alts. (bi-)hag6n (behagen), altsl. kochaj^ (lieben).
Altn. meina (meinen), lit. minu (denken), altsl. minj£jj (dsgl.).
Ahd. rohju (curo), lit. rokoju (rechnen, meinen, sagen), altsl. ra(5%
(wollen).
Goth. thugkjan (dünken), altsl. tuca (glauben), vielleicht auch tü-
cTnja (urtheilen , vergleichen) , obwohl letzteres deutlich von. tucinü
(ähnlich) hergeleitet ist,
Goth. (us-)gaisjan (erschrecken)^ altsl. zaslj£|; s§ (sich erschrecken).
Goth. (us-)geisnan (sich entsetzen) , altsl. zasn^ (stupefieri) ; ent-
fernter steht ahd. jesan, gr. §«o usw.
Goth. mag, nhd. mag (possum), altsl. mog^, lit. moku.
:rd
DER URDEUTSCHE SPRACHSCHATZ. " 407
öoth. daug (tauge) , böhm. duziti (gedeihen) ; vgl. Ht. dygstii
(keimen) ?
Goth. thaurba (egeo), altsl. tr^buj^ (indigeo), schon von Grimm
verglichen; an lit. triwoju (ertrage, dulde) ist wohl kaum zu denken.
Goth. Idta (lasse), lit leidmi (leidziu^ laidau); nichts dazu Gehö-
riges im Slavischen.
Goth. valda (walte), lit. waldau, altsl. vlad^.
Goth. nauthja (cogo), altsl. nuzd^ (Inf. nuditi dsgl.).
Goth. nauthja (audeo), altsl. n%zd% (Inf. nanditi vim inferre,
cogere).
Für die allgemeinen Begriffe des Seins und Thuns weiß ich nichts
specifisch Slavogermanisches anzufahren. «
Von den PARTIKELN bietet sich gleichfalls nur weniges dar.
Goth. vaila (wohl), altsl. vole (wohlan, also, ob) ; ich halte es gar
nicht für unmöglich, daß sogar das lit. welu (spät) hieher gehört;
man vgl. z. B. den Begriffsübergang von unserm schön zu schon.
Goth. seithu (sero), altsl. setino (tandem).
Ähd. nidar (nieder), altsl. nizü (deorsum).
Altn. ]>ä (da, tum), altsl. ta (tum); vgl. lit tad (tum). Aber den
Sinn von ibi drückt altsl, tu aus.
Goth. fram (von etwas her), lit pirm (vor, von der Zeit), altsl.
premo (gegenüber).
Versuchen wir nun, aus diesem kleinen Wörterschatze einige
Schlüße zu ziehen über denjenigen Fortschritt in der Cultur, den unser
Volk in seiner slavogermanischen Periode gemacht hat, so müssen wir
uns nochmals daran erinnern, daß der Grund, auf dem wir bauen,
zwar nicht völlig aus Sand besteht, aber doch eine bedenkliche Mi-
schung von Fels und Sand darstellt Doch wer nicht wagt, gewinnt nicht.
Ich möchte jenen slavogermanischen Fortschritt zunächst ganz
allgemein als eine Erweiterung des Gesichtskreises bezeichnen
und finde diese zuerst und am klarsten darin angedeutet, daß die Slavo-
germanen sich das natürlichste Maß aller Dinge, die Zahl, zu einem
gefttgeren Ausdruck zu gestalten versuchen, als dies durch schwer-
fllllige Addition und Multiplication der zehn Einer möglich ist. In arith-
metischer Reihe wird die Elf und Zwölf, in geometrischer die Zahl
tausend zu wenigstens einfach scheinenden Ausdrücken umgestaltet.
Wo solcher Vorgang zum Bedürfhiss in einer Sprache geworden ist,
da muss das Volk, welches diese Sprache redete, schon viel zu zählen
gehabt haben. Hier wirkt schon die Masse, nicht mehr das Einzelne
an sich; die Masse aber verlangt Organismus. Daher scheint mir
408 E. FÖRSTEMAIJN
ein politischer Begriff Volk (den z. B. Homer noch gar nicht kennt)
flir uns erst der slavogermanischen Periode anzugehören ; selbst das
hiemit zusammenhangende^ schon im ersten Artikel erwähnte ahd. Hut
und altsl. liudü könnte hieher zu setzen sein^ da das griechische laog
doch ziemlich fem steht. Der durch die Masse bedingte Organismus
wird aber von den Slavogermanen zunächst auf dieThierwelt über-
tragen; während die vorhergehende Periode zuerst das einzelne Thier
bezeichnete imd es daneben nur zu den ganz allgemeinen Worten für
Thier oder Vieh brachte, sehen wir oben als ganz neuen Begriff die
Herde (gewissermaßen dem Volke selbst entsprechend) auftreten^ xmd
zwar mit so manigfachen Bezeichnungen, daß zwei von diesen (Hengst
imd Stute) später wieder "zu Ausdrücken für einzelne Thiere herab-
sinken. Ein neues Hausthier tritt zwar in slavogermanischer Zeit nicht
mehr auf, aber wohl wird, wie sich oben zeigte, das Bedürfhiss noch
immer größer, die einzelnen Hausthiere nach Alter und Geschlecht mit
besondem Bezeichnungen zu belegen, ja auch die inneren und äußeren
Theile ihres Körpers sprachlich genauer zu sondern. Die außerhalb
der Hausthiere stehende Thierwelt hat dem Slavogermanen wenig Neues
dargeboten und ihm wenig Interesse erregt ; ist unsere Forschung erst
weiter vorgeschritten , so wird man aus den neu auftretenden Thier-
classen Schluß e auf die Lage des Slavogermanenlandes ziehen dürfen.
Das geringe Interesse flir die wilden Thiere geht parallel mit dem
großen Mangel an neuen Ausdrücken für Waldbäume; Esche, Eiche,
Erle sind hier, mit wunderbarem Zusammenklang unter sich, die we-
sentlichen Bereicherungen des Wortschatzes, keine Nadelhölzer hoher
Berggegenden.
Mit dem Begriffe der Herde ist aber auch der des Hirten ge-
geben, und in der That tritt uns dieses älteste der Gewerbe in dieser
Periode entgegen, aber auch nur dieses; nicht einmal der Schmid,
derjenige Handwerker, mit dem selbst in Europa tiefer stehende Völ-
ker, z. B. die Letten, fast bis heute allein auskommen, ist sicher der
slavogermanischen Periode zuzuschreiben. Ein Volk aber, das besondere
Hirten kennt, hat schon aufgehört ein eigentliches Hirtenvolk zu sein,
es widmet dem Ackerbau große Sorgfalt; Rpggen und Weizen,
außerdem Hirse werden von den Slavogermanen neben den älteren
Getreidearten gezogen und flir den Anbau und die Verwerthung des
Getreides scheinen neue Erfindungen gemacht worden zu sein; die
neuen neben den alten aufkommenden Wörter flir Pflug, Mühle und
das Dreschen deuten auf technologische Verbesserungen hin.
Die Ausdehnung des Ackerbaues auf neue Pflanzea und die Ver-
DER URDEUTSCHE SPRACHSCHATZ. 409
voUkommnung der Werkzeuge führt von selbst zur Erweiterung der
Nahrungsmittel. Namentlich dem Getränke scheint der Slavo-
germane besondere Aufmerksamkeit gewidmet zu haben; neben Meth
und Milch tritt Bier^ vielleicht schon in zwei Gattungen; der Gährungs-
process ist bekannt und der Übergang von Milch zu Käse nicht mehr
fremd. Völlerei wird hier schon vielfach zu Hause gewesen sein; der
später germanische Theil der alten Slavogermanen mag sich schon
damals das alte einfache Verbum fUr trinken (noch altpreuß. poutwei,
altsl. piti, pivati) abgewöhnt und, wie die Litauer ihr gerti, einen neuen
Ausdruck angenommen haben, der, wenn man erwägt, daß lit. trenku,
trinke waschen oder baden heißt, fast den Verdacht erregt, zunächst
nichts als ein euphemistischer Kneipausdruck gewesen zu sein. Der
Gesang und Tanz, wovon wir aus früherer Zeit noch keine sprach-
liche Spur haben, hat sicher schon damals die Gelage und andere Feste
verherlicht ; von musikalischen Instrumenten fehlt uns noch immer
jede Andeutung. Solcher Culturstufe sind sicherlich auch unzüchtige
Verbindungen nicht fremd gewesen und unter dem Begriffe des Men-
schen finden wir oben ein Paar Ausdrücke , die deutlich darauf hin-
weisen, wäbrend wir in der indogermanischen Periode, die schon mit
der größten Sorgfalt alle Familienverhältnisse ausgebildet und be-
zeichnet hatte, noch keine Andeutung davon finden. Bezeichnend ist,
daß für Arzt und heilen die Wörter erst dem Slavogermanischen
oder einer ganz kurz vorhergehenden Periode angehören ; die ins Auge
fallenden Hautkrankheiten scheinen ein besonders häufiges Object
fllr ärztliche Kunst gewesen zu sein.
In Hinsicht auf Zeugbereitung und Bekleidung sind oben
mehrfache Fortschritte angedeutet ; in dieser Periode scheint man auch
erfunden zu haben, den menschlichen Fuß mit einer eigens dafür zuge-
schnittenen^ nicht bloß untergebundenen oder umgewickelten Hülle zu
versehen.
Die Baukunst macht in Hinsicht des einzelnen Gebäudes je
nach seiner Bestimmung entschiedene Fortschritte, wogegen man dem
heutigen Begriffe von Städten und Dörfern in keiner Weise näher ge-
treten zu sein scheint; in Bezug auf Meubel und Geräthe werden
wir nach den obigen Mittheilungen dieser Periode manigfache Erfin-
dungen zugestehen müssen.
Daß der Handel erheblich sich entwickelt haben muss, ist von
mir schon angedeutet. Durch ihn und nicht durch eigene Production
der Slavogermanen ist Silber und Gold zu den alten Metallen, Seide
zu den alten Zeugen gekommen. Aber von Seefahrt ist noch kaum
410 E, FÖBSTEMANN, DER URDEUTSCHE SPRACHSCHATZ.
eine Spur vorhanden, sonst würde der Anker gewiß seinen slavoger-
manischen Ausdruck haben und auch eine sichere und genauere Be-
zeichnung der Weltgegenden eingefllhrt worden sein; höchst wichtig
wäre es, zu wissen, ob neben dem alten Ruder schon das Segel als
zweites Bewegungswerkzeug auftritt.
Zum Kampfe scheint man ungleich besser gerüstet gewesen zu
sein, als in der früheren Periode; neben die alten Waffen zum Schla-
gen, Stechen und Werfen tritt nun der Pfeil und damit der Bogen,
auch das Verbum schießen, und während zum Parieren von jenen
ein einfacher Schutz flir das Haupt und ein roher Schild genügte, wird
jetzt schon, wie wir oben zu sehen glaubten, eine Art förmlicher Rü-
stung zur Nothwendigkeit. Ein besonderes Wort für Heer tritt schon
dem filr Volk überhaupt gegenüber. Ob man schon die Reitkunst ge-
kannt hat, bleibt ungewiß.
Der Öötterglaube hat sich gewiß weiter entwickelt, doch
dürfen wir von diesem Qebiete , wo täglich neues Licht auf andern
sicherem Wegen gewonnen wird, hier nicht weiter reden.
Aus den wechselnden Erscheinungen der Temperatur und des
Wetters hat man noch immer nicht ganz bestimmte Ausdrücke fUr die
Jahreszeiten abstrahiert , noch weniger ist man auf Monatsnamen ge-
kommen.
Zur genaueren Erforschung aller dieser Verhältnisse bezeichne
ich noch zwei Wege, die ich für jetzt Andern überlassen muss, erst-
lich weiteres Herbeiziehen des Keltischen (ich wende mich hiebei be-
sonders an Ebel) und zweitens Erwägimg des in der slavogermanischen
Periode bereits verloren gegangenen älteren Sprachguts.
Genug, wir haben hier eine vielseitig schon ansehnlich vorge-
schrittene Cultur vor uns , doch immer noch eine bedeutend tiefere
als sie in den homerischen Liedern uns entgegentritt, auch liegt die
slavogermanische Zeit uns wohl eben so fern. In Bezug auf die Ort-
lichkeit macht mir diese slavogermanische Schicht den Eindruck, als
wiese sie hin auf weite, fruchtbare Ebenen. Ich halte hier an, da die
Gefahr zu nahe tritt, dies Slavogermanenland noch näher auszumalen,
und zu solchem Gemälde gehört mehr Phantasie als hier gut ist. Ein
dritter Artikel wird zu zeigen versuchen, wie sich die ältesten Ger-
manen nach ihrer Sonderung von denLituslaven in Hinsicht auf Sprache
und Cultur verhielten.
DRESDEN, den 14. November 1859.
411
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG.
VON
ALBERT HCEFER*).
XXXI. Herr und Frau Hacke.
Die dritte Strophe des Hartmannschen Kreuzliedes welche uns
das hier genannte edle Paar kennen lehrt, ist in der Pariser Hand-
schrift im Wesentlichen so überliefert:
Der hacchen hän ich manigen tac
geloufen nach,
da niemen stsete vinden mac
dar was mir gäch;
diu werlt lachet mich triegende an
und winket mir,
nü h&n ich als ein tumber man
gevolget ir:
nü hilf mir, herre Krist,
der mtn da värende ist
daz ich mich dem entsage
mit dinem zeichen das ich hie trage.
Damit stimmt die Weingartener Hs. genau überein, nur daß sie
geloffen, weit, underwilent gäch^ deme entsage und in v. 1 Her hacchen
schreibt, das H des letzteren rot und blau.
Aber die Herausgeber haben sich, von manegen^ mich Ixichet
triegent, deich hie abgesehen, mehrfach erhebliche Änderungen erlaubt :
so hat Lachmann nach Haupt zu den Liedern 10, 18 und MSF.
210, 11 mit Umstellung der Stollen Z. 1—4 nach Z. 5—8 gesetzt, in-
dem er der hacken liest. Ebenso ordnet W. Wackernagel, aber er
schreibt 1839 der haken (haken?), d. h. nach dem kleinen Wb. deren
Fersen*} wobei der als Genitiv genommen wird. (Anders 1861: der
hucken, der Hexe.) Ahnlich F. Bech der die handschriftliche Ordnung
innehält, aber Der hacken ich hdn dl^ vbraufgehenden Relativsatz
auf das folgende diu werlt bezieht, Mie Welt, deren Lockungen, Nach-
stellungen ich nachgelaufen bin usw.
Eins wie das andere höchst überflüßig, ja unerlaubt, sobald
man der Hacken als weibliche Personification der Verlockungen und
•) Fortsetzung von Germania 15, 60—89,
412 ALBERT HCEFER
des verftilirerischen Blendwerkes der Welt auffasst. Die ganze Strophe
enthält nur einen Gedanken : bisher habe ich weltlicher Lust gefiröhnt,
nun hilf du^ Herr Christ^ indem ich das Kreuz nehme, daß ich den
Nachstellungen des Bösen entgehe. Aber dieser eine Gedanke, der in
y. 1 — 4 mit offenbar volkstümlichem Ausdruck bildlich laut wird,
wiederholt sich in V. 5 — 8 unmittelbarer und deutlicher und kommt
endlich in V. 9 — 12 zu vollem, durch den Gegensatz bestimmtem Ab-
schluß. Und solche Wiederholungen, erst ein Bild, dann die nähere
Bestimmung oder Deutung hinterher, haben an sich nichts Unnatür-
liches, noch sind sie der Weise Hartmanns entgegen der mehr als
din ähnliches Beispiel bietet.
Von dieser Seite ist an unserer Strophe gewis nichts auszusetzen,
und wie sie im Ganzen ebenmäßig und wolgegliedert verläuft, so ist
sie auch im Einzelnen durchweg vortrefflich und ohne Anstoß. Der
Hauptsatz V. 1 — 2 ist durch 3 — 4 erweitert die ein Attribut zu der
Hacken enthalten und durch gäch den Ausdruck ridch lovfen begründen.
Dagegen »ist in 5 — 8 das trügerische Anlachen durch winket mir ge-
steigert, aber hier genügt das einfache nach volgen, wie dort dem gäch
hier als ein tumber man gegenübersteht. Dem entspricht dann in V. 9 — 12
das vdren des Välands und daz zeichen tragen das über seinen nächsten
Sinn hinaus zugleich die Nachfolge einschließt.
So ist denn gar kein Grund, der sei es demonstrativ oder relativ
als Genitiv auf diu werü zu beziehen und haken oder hacken appella-
tivisch zu nehmen, obgleich 'in der sunden haken treten gesagt wird
und obgleich das Verbum hecken^ hecchen, gehechen bekanntlich gerade
in Verbindung mit hitofy verse, versene von der Schlange, dem Wurm,
dem Bösen sehr gebräuchlich ist *).
FreiUch fragt sich dabei vor allen Dingen, ob denn die Existenz
der angenommenen Frau Hacke wenigstens wahrscheinlich zu ma-
chen sei und eben darum handelt es sich auch in Betreff des in B auf-
tretenden Herrn Hacke, den man ohne viel Umstände, doch viel-
leicht ein wenig zu hastig beseitigt hat. Wäre die Hs. B nicht be-
schnitten, sagt man^ so würde man bei Zeile 1 wol ein d vorgezeichnet
finden, statt dessen von dem Maler ein H gemalt worden. Her sei
unzweifelhaft ein Fehler des Malers usw. Warum kann denn nicht
vom Schreiber Her oder Hern beabsichtigt und H auch vorgezeichnet
*) Vgl. ahd. hahjan GraflF 4, 762 und z. B. Diut. 3, 63 vom Satanas: td hdt er
wu vol Idgit, an die versene gekekeJiet, bei Diemer Genes. 17, 37: ad hat er Hn läge
geitreehet und in daz versen gehechet, letzteres als Neutnim was bei Grimm, Graffund
im mhd. Wb. fehlt.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 413
sein? Daß man dabei an Hartmanns Dienstherrn gedacht^ ist kein
Grund dagegen. Und selbst wenn das H doch dem Maler gebührte,
muß er denn im Schlafe gewesen sein oder hat er besser als wir etwa
einen Herrn Hacke oder Hache gekannt, an den ihn vielleicht ge-
rade 'der Hacken erinnerte? Endlich wenn raten gilt, wenn der Maler
sich versehen, so könnte ja am Ende statt d ein V, ü vorgezeichnet
und statt der h. vielleicht vem h. gemeint sein?
Abgesehen von solchen Möglichkeiten führt der in den Hand-
schriften B und C oflfen vorliegende Gegensatz der hacchen und Her
hacchen schon auf ein Paar 'Herr und Fra^iHacke' und wenn sie
hier allein auftreten und wir von ihnen auch keine weitere Kunde ha-
ben, so ist doch kein Grund, sie argwöhnisch bei Seite zu werfen,
sondern wir haben die unab weisliche Pflicht, ihnen weiter nachzu-
spüren und wo möglich wieder zum Dasein zu verhelfen.
Dazu soll hier ein erster Versuch gemacht werden.
Das Wort als solches, scheint es, schließt sich an den Stamm
des Wortes Hexe und lehnt sich an Hacke, Haken welche die-
selben Formen zeigen, denselben Wechsel von Gutturalen, vgl. Grimm
1, 440, Holtzmann 1, 264. Für Hexe besteht gleich dem engl, hag in
der Schweiz hagg^ hobg, hak m. d. h. Gauner, Schalk, hagsch, hägsch f.
verschmitztes Weib, Hexe; in demselben Sinne Jiäggele, nach Stalder
2, 10 zugleich Name eines weiblichen Ungetüms, von dem das
Volk Märchen erzählt, im Ls. 2, 638 tcas grozer bdsheit truoc diu hächel
in ir, mhd. Wb. 1, 607 und Mythol. 992. Daneben bei Graff 4, 763
die Wörter hako^ hakko, hago, ^^go, haccho und kachele, mhd. gewöhn-
lich hake, haken j hacke usw., in der Schweiz hdgefa, haggen der männ-
liche Salmfisch, wegen des krummen Schnabels, häggeln und haeggeln
hadern, zanken uva. *)
Da wir neben dem Femininum die masculinen äo^, häg^
hak im Sinne von Gauner, Schalk und weiter häggeU als Namen
eines weiblichen Ungetüms neben hächel finden , so ist glaublich daß .
unser Wort sich in mehr als einem Eigennamen auch wol noch heute
erhalten habe. Solche Namen sind z. B. Hack, Hacke, Hach, Hache,
Haag, Haken, Hacken, femer Hackel, sowie ahd., um Hahicho,
Hache u. a. aus dem Spiele zulassen, namentlich Hagiko, Hachili
udglm. , immerhin, wie unsicher der einzelne bleiben mag, in bemer-
kenswerter Übereinstimmung.
*) Formell und begrifflich scheint Zusammenhang unleugbar, aber darum kann
die erste Reihe ihron besonderen Ursprung haben und vielleicht erst später an die
zweite volksetymolognch angelehnt sein.
414 ALBERT H(EFER
Dürfen wir nun aus den gloss. herrad. der Straßburger Hs. des
12. Jhd. hagebart, schaeme, larva bei Graflf Spr. 4, 762. 1091, Diut. 3, 217,
Schpeller 3, 362 (wie ib. 8chembaH) vergleichen und erinnern wir uns
weiter des von Kehrein Volkssprache in Nassau S. 182 angefllhrten,
mir besonders wichtigen hakemann, hokemann, d. h. Butzemann^
Wuwelackes, hier Brummel- oder Bummellux, Verlarvte Person, um
Kinder zu schrecken (nach Wuttke der d. Volksaberglaube S. 47
gleich Wasser-, Nickelmann ein Nickername), so ist kaum zweifelhaft,
daß der allbekannte, bisher zu künstlich erklärte Name des wilden
Jägers hier seinen ersten Ursprung, mithin unmittelbare Beziehung zu
dem Namen Hacke habe. Seine Namen sind nach Mythol. 873—4 u.a.
Hakke-, Hacken-, Hakelr und Hackelberg j Hackeinberg, Hackelblock und
Hakel- oder Hackelberend, dazu die localen Ha^culesthorp, Hakelbreite,
Hackehberg, Hackel und Hakel, daneben wieder die häufigen Personen-
namen Hackenberg, Hackelberg, Hagelberg? uva.
Die Entwickelung geht wie gewöhnlich und wie *^Hans von Hackeln-
berg' a. a. O. 873 zeigt, von den einfachen Hacke, Hackel über die lo-
calen nach Abstreifung des von zu den schlichten Eigennamen fort.
Dabei kann Hackel wie Myth. 875 ähnUch angenommen worden, Ab-
kürzung sein, aber in dem -berend des zweiten Teils kann ich, wenn
es nicht bloße Verderbnis ist, höchstens den Namen Bernhard finden,
das heißt den Bemer, 'Dietrich BemhardC , dessen Teilnahme an der
wilden Jagd feststeht, Mythol. S. 888.
So wäre Hacke oder Hackel^ verbunden mit -berg wie bekannt
selbst ein wilder Jäger, ein teuflisches Wesen, hier durch -ierend ver-
stärkt, fast erklärt und die sinnige, doch weithergeholte und flir die
meisten Formen gar nicht zutreffende Deutung als *MaJntel träger
wäre abzulehnen, obgleich hakel, hachel, ein altes weitverbreitetes Wort,
'Mantel, Kappe, GewaAd' bedeutet*).
Wie leicht und bequem fligt sich dagegen alles bei der Annahme
eines männlichen Hacke und Hackel auf welche, abgesehen von schwz.
hag^ ahd. Hachili und jenem bestrittenen 'her Hacke', doch schon
der Umstand weist, daß Wesen dieser Art in Doppelform, männUch
und weibUch au&utreten pflegen. Hin und wieder, heißt es Myth. 993,
bedient sich das Volk eines masc. Hex für Zauberer; in Schwaben
♦) Das von Grimm a. a. 0. 875 behandelte Wort ist auch in Uikes Zeitbach 526
in mUTiakel und bei Halliwell s. v. brait erhalten ; dennoch habe ich große Lust , es
als Fremd- und Lehnwort anzusehen, sammt dem got TiaJcuU welches Leo Meyer
wieder in 6 Paragraphen aufführt, um sechsmal zu lehren, daß es m. sei und Mantel
bedeute.
ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG. 415
ist nach v. Schmid 273 der Hengst 'Hexenmeister ; neben diu unholde
begegnet das m. der unholdaere, Mytliol. 992; ebenso erscheint neben
Wod die, wenn auch aus dem masc. fro hervorgegangene Frau Wod
oder God, neben Berchta tritt Berchtold auf oder Ruprecht und wieder
gehören zu einander Eckhart und Frau Holda, wilder Mann und Wald-
frau usw., vgl. Mythol. 880, 884, 887, 889.
In gleicher Weise wird sich auch flir die Frau Hacke als solche
noch manche Bestätigung gewinnen lassen, denn wenn man auch nicht
ernstlich bei Hartmann an ein vem Hauken denken und auf dieses gar
die auch noch etwas misliche Freche , frü Freke , Fruike bei Grimm
Mythol. 281, 1212 zurückleiten wollte^ so fragt sich doch, ob sie sich
nicht heute noch in dem bekannten volkstümlichen Fluche 'die schwere
Hacke! die schwere Hacke noch einmal!' erhalten habe. Er ist um
Frankfurt, in Hessen und weiter sehr gebräuchlich, ich finde ihn
z.B. in des vortrefflichen Heinrich Königs Seltsamen Geschichten
S. 106 — 109. 131. 135 benutzt, selbst in unserer Nähe hört man de
swere Haek^ in Meklenburg sagt man auch Ack. Vi 1 mar führt ihn im
Hessischen Idiotikon S. 378 aufialliger Weise nur beiläufig an und hält
ihn nebst 'schwere Nixen, Nacke' für hypokoristische Entstellung von
'schwere Not'. Bei Schmid und Kehrein fehlt er.
Daneben scheint noch manches andere Erwägung zu fordern, z. B.
hßch, ha^hely hägel bei Schmeller 2, 143, Kehrein 179. 180, verglichen
mit dem hier angeflihrten älteren ha>ch, hache. Indes lasse ich derglei-
chen unentschieden imd beschränke mich auf die Bemerkung, daß beide
Frau und selbst Herr Hacke in dem Hartmannschen Liede gar wol
am Orte wären, sie als eine Art Frau Holla gedacht, er als wilder
Jäger, Hackelberg. Frau Holla geleitet das wütende Her, das Volk
versammelte sich und sah seiner Ankunft entgegen. An der Spitze ihres
Geisterheres macht sie nach Mythol. 887 den Eindruck einer im Land
einziehenden heidnischen Göttin : das Volk läuft zusammen und geht
ihr entgegen usw. Auch bei Hackelberg finden wir mehr als einen
einschlagenden Zug, wie die Leute ihm nachschreien imd nachlaufen,
wie er einen Bauer zu sich in die Wolken zu ziehen sucht und dann
sich rühmt: 'mein wurden schon viele Männer, du bist der erste, der
mir widerstand'.
Die Jagd des Teufels war eine alte geläufige Vorstellung, ihm
oder Herrn Hacken nachlaufen mag ein bekannter Ausdruck ge-
wesen sein, der, wenn er hier gebraucht wäre, mit Vers 10 der mm
dd värende ist verbunden und durch V. 5 — 8 umschrieben und erläutert,
zu Jierre Krist und dem Schluße einen vortrefflichen Gegensatz bildete.
416 ALBERT HCEFER
Ich wollte indessen nur beweisen, daß die Lesart der Weing. Hs.
mehr Beachtung verdiene als man ihr geschenkt, räume aber ein, daß
der Hacken, besser beglaubigt, neben V. 5 wol vorzuziehen sei.
XXXII. Fander^ Fanner.
Der Namen ftlr Teufel, Hexen, Unholde und Kinderschreckbilder
aller Art sind Viele gesammelt, andere sind noch immer aus den Volks-
mundarten zu gewinnen oder in ihren Wörterbüchern versteckt ; wie
Manche mögen vergessen , verloren und untergegangen sein. So
verzeichnet allein der alte Dähnert in seinem Pommersch - platt-
deutschen Wörterbuche die Ausdrücke Brummelux, Bu {Buhu), Budde,
Chim, Dros (MythoL 487), Düdscher, Düker (Denker), Düvkater, Dioer
{dwerwint Wirbelwind), Fijend miA. Fmd (altßani), Rüjeclds, Ulks, die
meist auch sonst nachweislich leichter zu verstehen sind. Dazu finden
sich bei ihm noch zwei andere Fluch- und Teufelsnamen die kaum
bekannt und darum wichtiger sind, nämlich zuerst Krambeker, das
ich nur an krankt (Schmeller 3, 543, Frommann Zeitschrift 1, 141,
Register zu Lauremberg) anzuknüpfen weiß, obgleich der zweite Teil
dunkel bleibt.
Sodann verzeichnet er S. 112 das Wort Fander, Fanner als
Schelte und Benennung des Teufels, bei dem man fantj fent oder phantei"
udgl. schwerlich in Anschlag bringen darf. Vielmehr wird als unzweifel-
haft gleich ags. /andere a tempter, trier zu fandjan tentare, alts, fan-
dön id. (Grimm 2, 35. 4, 657), ahd. fanton bei GraflF 3, 539 gehören,
dem auch ndl. vanden im Teuthon., ebenso hoU. 'Kranke besuchen
zufallt. Im Niederdeutschen ist es nie ganz allgemein üblich gewesen,
aber doch manchmal nachweislich, nicht bloß beschränkt wie im Brem.
Wb. 1, 344, sondern in allgemeinerem Sinne. Ich kenne es z. B. aus
Wiggerts Scherflein, wo 13, 15 si vanneten an seh dem lat. captabant
in animara, S. 25 misverstanden , entspricht, aus der Freckenhorster
Kreuzlegende bei J. H. Schulte S. 8 : se tu vanden und visiterende =
Dorow Denkm. 1, 45, 31, worüber Grimms Bemerkung in den Recen-
sionen 1 S. 211 zu vergleichen ist, aus Koene zum Heliand v. 2149,
wo auch vandinge unde heim^okinge nachgewiesen ist, endlich aus HoflT-
manns Aesop 16^ 49, vgl. S. 58 und 82. Daß darauf auch unser fahnden
zurückgeführt wird, ist bekannt, für sicherer aber halte ich, daß fan-
der, fanner eigentlich 'der Versucher meinte. Doch ist merkwürdig,
daß es sich, weiter als in dem /andere des Dict. saxon. lat. angl. kaum
nachweisbar, so vereinzelt hier als Teufelsname erhalten hatte.
ZUR LAUT-, WORT. UND NAMENFORSCHUNG. 417
XXXlil, Altvile im Sachsenspiegel.
Meine gleichnamige kleine Schrift ist kürzlich einem Anonymus
im Literar. Centralblatte *) unter die Finger geraten, der sich die erste
Hälfte meiner Untersuchung, Anderen vöUig neue, ihm dagegen wol längst
bekannte Dinge, gefallen lässt, dafiir aber den zweiten Theil höchst
unwahrscheinlich findet, in summa als verfehlt und verkehrt bei Seite
schiebt. Er ficht mit den von mir selbst angefahrten und wie ich hoffe
beseitigten Gegengründen und greift sich willkürlich einen und den
anderen meiner Beweise heraus, er stutzt sich die von mir ihm in
den Mund gelegten Bedenken nach seinen Zwecken zu und verfährt
mit meinen Gründen einseitig und imgenau, wie es ihm passt.
Während ich von der in die Augen fallenden Eigenart der
unser Wort allein enthaltenden Stelle des Ssp. ausgehe und den an-
genommenen bildlichen, volksmäßigen Ausdruck gerade für sie
angemessen finde, lässt der Kritiker das allerwichtigste Verhältnis außer
Acht und erklärt den 'scherzhaften, unübersehbaren Misverständnissen
ausgesetzten Ausdruck in einem Bechtsbuche für unmögUch. Das von
mir beigebrachte engl, old fiU das er weiter auch aus Thiemes Wb.
kennen lernen kann, citiert er nur in der von mir nebenbei ange-
Aihrten Bedeutung, unehrlich genug, falls er odd und rum zu verstehen
im Stande war. Mit mehr Recht hätte ich seines Bedünkens 'alte Schraube
vergleichen sollen, an das er indes nur erinnert, um seine Verwendung
in einem juristischen Lehrbuche lächerlich zu machen, ein Triumph,
den er sich selbst bereitet und den man ihm als wolfeil gönnen darf.
Alle anderen Vergleichungen, durch die ich die Art des Wortes stütze,
sollen weit abstehen, teils technische Ausdrücke sein, teils jede Mög-
lichkeit des Misverständnisses ausschließen, — was, so hübsch diese
Unterscheidung sein mag, doch entschieden völlig falsch und unwahr
ist : z. B. dorksy veUstriken, stanthart und selbst das bekanntere hof-
waH sind wie jeder übertragene Ausdruck erst dann und da vor Mis-
verständnissen sicher, wann und wo sie allgemein gebräuchlich sind.
Daß auch aUftle in meinem Sinne einmal üblich und verständlich war,
nehme ich natürlich und mit gutem Rechte an, es erweisen die gleich-
lautenden Namen, die wie der ganze Laut- und Variantenbestaud von
selbst und mit zwingender Nötigung auf meine Deutung führen.
Aber das kümmert diesen Referenten wenig, dafür fehlt ihm
*) Eine kurze Anaeige, daß der Referent seine Antwort in dieser Zeitschrift
finde, hat Herr Zamcke standhaft verweigert.
GERMANIA. Neue Reihe III, (XV.) Jahrg, 28
418 ALBERT HCEFER, ZUR LAUT-, WORT- UND NAMENFORSCHUNG.
das Verständnis und so schließt er pomphaft, aber tiberflüßig und in-
correet genug mit dem Entscheide, mein "Versuch' sei eine bloße Hypo-
these, denn — den Beweis sei ich schuldig geblieben, daß in der
Heimat des Ssp. *alte Feile* ftlr 'Blödsinnige' üblich gewesen« sie!
'So^ Welt, nun weist du, woran du bist' — denn 'Zamcke' hat
gesprochen; aber vielleicht streuet er dir nur Sand in die Augen?
Ich widme ihm nur darum diese Zeilen, um die Bitte an sie zu knüpfen,
daß die Kenner unbeirrt durch ihn selbständig und ernstlicher an die
Prüfung meiner Schrift gehen. Aber vielleicht macht die Zamckesche
Anzeige diesen ohnehin denselben Eindruck wie mir, daß der Referent
Wort und Lage der Dinge erst aus meiner, nicht einmal ganz gele-
senen Arbeit kennen gelernt hat.
Von besonderem Wert war mir dagegen R. Hildebrands Zu-
stimmung in seiner 4. ed. des Weiskeschen Ssp., die trotz ihrer Kürze
mir etliche solcher s. g. Kritiken aufwiegt.
Übrigens liegen mir zum guten Glück auch noch andere, schrift-
liche und gedruckte Urteile vor, die mich mehr fördern und wol ver-
anlassen werden, demnächst auf die Sache zurückzukommen, der ich
selbst schon mancherlei hinzuzufdgen habe. Einiges davon mag auch
hier am Orte sein. So entnehme ich Homeyers dankenswerten Mit-
teilungen die wichtige Bemerkung, daß aUfiley die Hauptstütze meiner
Erklärung, auch noch in der übersehen Hs. Bu (D. Rb. no. 89, 14. Jh.,
mitteld.) und der Oldenburger Bilderhs. Ei, no. 659, 1336, vorkommt,
femer daß aü vilen S. 4 aus der Dresdener Ep, no. 168, 14. Jh., mit-
teldeutsch, stammt. Gegen S. 25, 5 weist er sodann auf das von mir
leider übersehene dingslete Ssp. 1, 59, 2 (ebenso in dem cod. Lips. bei
Weiske) hin, das, wenn es mir auch zwiefach anders zu liegen scheint,
als das angenommene al-tvil f(ir alzvnl, dennoch Beachtung forderte.
Das Wichtigste bietet aber die Anzeige meiner Schrift in den TTieuwe
Bijdragen 20, 1, 148 von Herrn J. J. Smit» in Nijkerk, der, in der
Hauptsache mit mir übereinstimmend, die Angemessenheit meiner Er-
klärung und des volkstümlichen Ausdrucks in Ssp. 1, 4 weiter beweist
als ich früher für nötig erachtete, dann die von mir benutzte Lesart
dommen luden und sötte anders beurteilt, daftlr aber endlich Wort und
Bedeutung, so wie ich sie angenommen, heute noch in
Twenthe als üblich nachweist. Seine eigenen Worte lauten S. 8
des Abdrucks also: Ik ontneem den sehr, dus twee zijner argumenJten,
waarvoor ik hem echter een, hem zonder tvrijfel nog meer welkom^ in de
plaats geven zal; het is dit: nog heden ten dage is in Twenthe, een ge-
deelfe van Overijssel, de uitdrukking olde feile OTider het volk in gebruik,
CARL SCHRÖDER, NIEDERLÄNDISCHE EINWIRKUNGEN eto. 419
juiBt in de beteekenis, door sehr, aan het woord altvile gegeven. Meine
'Hypothese* hat also doch wol besseren Grund, als das bekannte Blatt
glauben machen möchte; auf die versuchte Weise ist sie wenigstens
nicht zu beseitigen. — Über einen neuen haltlosen Versuch der Herren
de Fries und de Wal, altvile in meinem Sinne, aber als *ganz fehV
(allet-vile) zu erklären, später einmal mehr.
OREIFSWALD, Juni 1870.
NIEDERLÄNDISCHE EINWIRKUNGEN AUF DIE
FORMEN DER ORDINALIA AM NIEDERRHEIN
UND IM ELSASS.
Weinhold in seiner Alemannischen Grammatik erwähnt bei der
Bildung der Ordinalia niederer Ordnung das öftere Vorkommen un-
echter Formen, welche, wie die Grundzahlen auf zic zuc ihre Ordina-
lien regelmäßig als Superlative in t)8t ist bilden, ebenfalls das Super-
lativsuffix dst ist annehmen. Es heißt dort §. 326 (S. 309) : 'Bei 7. findet
sich ein unechtes siibemte Griesh. Pr. 1, 136, ebenso bei 8. achteste
Mem. 2. 8. Iw. c. 2940. Nie. Br. 158. Wst. 1, 717. Dankrotsh. 116.
achtest Maaler 10. achtisi Stalder 1, 98; verkürzt achste B. R. 1, 186.
Mersw. 104... . Bei 10. und seinen Zusammensetzungen begegnet die
Nebenform zehenste namentlich in elsässisch^n Denkmälern: drtzehenste
Nie. Br. 158. viertzehenste Mem. 14 usw. Mit doppelter Bildung zehendist
Lenz 127. viertzehendest (1423) Schreiber 2, 323.'
Die Zahl der Beispiele ist damit nicht erschöpft ; hier mögen noch
einige Stellen aus Königshofen (Städtechroniken VIII. IX.) stehen :
ahteste ausschließlich und zwar an 14 Stellen ; selb ahtest 687, 12. 872, 26.
1027, 39. zeJienste 359, 8. 639, 14. 875, 22. 880, 30 Var. vierzeheste 578, 25.
fiinfzehenste 614, 12. selbe sezehenste 857, 10. Endlich sei noch ein vier-
tzehendiste vom rechten Rheinufer erwähnt, welches mehr als andere
das wenig Auffällige der Form darthut : dies viertzehendiste stammt aus
der königlichen Kanzlei in Heidelberg (Urk. K. Ruprechts d. d. 14. Mai
1405 bei Lacomblet Urkundenb. flir die Gesch. d. Niederrheins IV, 37.)
Alle diese Stellen beweisen auf das Klarste, daß namentlich im
14. und 15. Jh. der Gebrauch dieser superlativischen Formen ein nicht
ungewöhnlicher war. Doch ist dabei zu beachten, daß fast alle citierten
Stellen aus der unmittelbaren Näh^ des Rheines stammen : weiter davon
weist Weinhold keinen Beleg auf; auf dem Gebiete der bairisch-öster-
28*
420 C^^I^ SCHRÖDER
reichischen Mundart finden sich ein paar vereinzelte cuMigUy — außer
der Stelle aus einer österr. Urkunde vom J. 1407 (Weinhold Bairische
Gramm. §. 259) siehe noch eine spätere bei Schmeller - Frommann
1, 26 und eine aus Äventin bei Schmeller Die Mundarten Bayerns p. 148,
keine im Mhd. Wb. I 14^, — aber nirgends sonst zeigt sich eine Spur
jener ziemlich tief eingedrungenen Formen.
Die Alem. Gramm, enthält sich weiterer Bemerkungen und fährt
dadurch den Leser in Versuchung zu glauben ^ er habe es mit einer
specifisch elsässischen oder oberrheinischen mundartlichen Eigenthüm-
lichkeit zu thun. Dem ist nicht so. Fände das Studium des Nieder-
ländischen mehr Verbreitung als leider! wenn auch aus begreiflichen
Ursachen der Fall ist, so würde sich herausstellen, daß eben derselbe
Gebrauch in noch größerem Maße sich am tiefsten Niederrhein findet.
Schon Jacob Grimm sagt Gr. 3, 645: 'Auch im Mnl. und Nnl. herrscht
das 8t... Ja, das st pflegt oft auch in die Ordinalien 5. — 19. vorzu-
dringen, namentUch findet sich mnl. neben zevende (septimus), nagende
(nonus), zevenste, negenste] und aus dem Mnl. kann ich aus Maerlant
belegen: tienste (decimus) 1, 117. 399 neben tiende 1, 61. 154; negenste
1, 166. elefste (undecimus) 1, 61. 152. 377. Rein. 2259*) findet sich
vifste (quintus), allein im Reim auf Mfie, so daß wohl t^/^ muss ge-
lesen werden.' **).
Hier mögen auch die Stellen Raum finden, die ich aus späterer
Zeit, aus dem Antwerpener Liederbuch beizubringen weiß: in Oestmaerd
den sevensten dach VI, 6 ; in Jammrio den ochsten dach CLXXXTV, 8 ;
endlich mehrmals tweeste : ha^r tweeste boelken CLXXXVEII, 5;ffcfen
tweesten dach CXCVII, 1 ; de tweetste was de camenier CCXVIII, 2, —
letztere Form dadurch besonders interessant, weil sie beweist, wie tief
die Auffassung der Ordinalia als Superlative wurzelte, daß man dem
erst auf der Grenze des Mnl. und Nnl. sich entwickelnden twede
(s. V. Richthofen Altfries. Wb. p. 1096) auch gleich das Superlativsuffix
anheftete. Ellefesten schreibt auch der jüngere Brandan 2055. 2111
bei Blommaert Oudvl. Ged. II).
*) Grimm hat später, wohl mit Recht, im Text des Reinaert 2267 vifte beibe-
halten und vifate dem Schreiber zugewiesen (Reinhart Fuchs p. 192). Von unserem
Standpunct aus müssen wir aber Act davon nehmen, daß der Schreiber der Comburger
Hs. die Form vifate brauchte. Auch führt De Vries Woordenboek der nederlandsche
taal p. 762 vijfste als vorkommend an, freilich ohne Beleg.
**) In der Anm. weist Grimm auch auf parallele Stellen in oberrheinischen
Quellen hin.
NIEDERLÄNDISCHE EINWIRKUNGEN etc. 421
Wie wir in Oberdeutschland Formen wie zehenste usw. auf das
linke Rheinufer beschränkt sahen ^ so werden wir uns auch außerhalb '
der Niederlande vergebens nach ihnen umsehen. Im gesammten Gebiet
des Mnd. sind sie nicht nachweisbar : erst in der Gegenwart wird das
sporadische Vorkommen eines cichteinste in Westfalen und Pommern
constatiert (s. Kosegarten Wb. der niederd. Sprache p. 50) , ähnlich
wie in später Zeit in bairischen Quellen ein achteste auftaucht und noch
heute anklingen soll. Auch das Nnl. hat sich abwehrend verhalten und
nur die Form achtste^ aber diese ganz und ausschließlich adoptiert.
S. De Vries Middelnederlandsch Woordenboek I, 17.
Das Alts, hat diesen unechten Superlativ nicht, wohl aber zeigen
ihn seit Alters einige westfriesische Mundarten an der Ems und Hunse.
Namentlich sind es die Ordinalien von 15. — 19., welche das st durch-
gehends aufweisen : ßfiindestCj ßßinste; sextiensta^ sextendesta] sogenten-
destay savntiensta\ achtiensta, achtendesta\ niogentiensta , niogentendesta
(s. V. Richthofcn Altfries. Wb. p. 740. 1009. 1014. 587. 952); ja dieser
Gebrauch sitzt noch heute in den genannten westfriesischen Mundarten
fest mit der Zähigkeit, welche die Friesen kennzeichnet und welche
uns eine Bürgschaft ist, daß wir es hier mit sehr alten Formen zu thun
haben. Die genannten Dialecte und das Saterländische haben auch
njoegensfe, alfste, toolfste (ib. 952. 606. 1097) in Gebrauch.
Man kann wohl darüber nicht zweifelhaft sein, daß die Bildung
der superlativisch geformten Ordinalien im Norden ihren Sitz hatte
und von dort ausgieng : ein friesischer Dialect war es , der zuerst in
das Mnl. eindrang und dann später am Oberrhein der Mundart seine
exotischen Formen aufprägte. Daß diese Wanderung rheinaufwärts
schon ziemlich fiüh begann, lehrt uns das Vorkommen von sübenste
schon Ende des 13. Jhd. (Griesh. 1, 136), also bald nach dem ersten
Auftreten Maerlants ; am häufigsten finden sich unsere Formen im
14. imd 15. Jhd. : später scheinen sie auch im Niederländischen er-
loschen.
Es wäre auffallend, wenn diese Einwirkung des Niederländischen
auf die elsässische Mundart auf ihrem Wege nicht sonst noch Spuren
hinterlassen hätte. In der That finden sich solche , wenn auch nicht .
allzu häufig, in Köln wieder. Das Suchen darnach wird zwar einiger-
maßen erschwert durch den Umstand, daß die Chroniken und Urkunden
bei den Ordinalien sich meist römischer Ziffern bedienen : wie manches
Mal mag ein kölnischer Chronist sevenste gesprochen haben, wenn er
VII. schrieb. Trotzdem bin ich im Stande, wenigsten^ einige derartige
Formen nachzuweisex^ und zwar vunffste in der Cronica van der hilliger
422 CAitL SCHRÖDEli
stat van Coellen fol. 19*; sevenste ib. fol. 20"*; zwelffste in einer Kölner
Hs. der sog. Agrippina in Köln (A. III. geschrieben um 1470) Bl.
104"; echtsten in einer kölnischen Urkunde v. J. 1353 (bei Lacomblet
Urkundenbuch für die Gesch. des Niederrheins III p. 421). S. auch
sybenzehesten und siebenzehetsteme bei Ennen Quellen zur Gesch. d. Stadt
KölnIV66.38. Der Umstand, daß das Deutsche Wb. 1, 167 fiir achteste nur
zwei Belege beizubringen weiß, beide aus dem Diocletian^ gewinnt damit
flir uns eine neue Bedeutung : man erinnere sich, daß der Büheler zu Pop-
pelsdorf bei Bonn lebte und in Diensten des Erzbischofs von Köln stand,
daß wir also wohl hier die Wirkung der kölnischen Mundart erkennen.
Gesetzt aber auch, man wollte für die genannten Formen den Abschreiber
verantwortlich machen , so bleibt immer das gewiß , daß die der
Edition zu Grunde liegende Hs. in Basel geschrieben ward: rheinisch
sind also die beiden achteste in jedem Falle.
In noch weiterer Ausdehnung, aber eben so wenig nachhaltig in
seiner Wirkung zeigte sich niederländischer Einfluß auf die Gestaltung
eines anderen Ordinale, nämlich dritte^ mnl. derde. Die Form des Alts,
für dieses Zahlwort ist thriddi^ thrtddjo] eine etwaige Mitwirkung des
Friesischen ist mindestens nicht nachweisbar, denn auch das Friesische
hat nur thredda (s. Richthofen a. a. O. p. 1077) ; eben so heißt es im Ags.
pridda *). Trotzdem ist schon im Beginn des 13. Jhd. im Mnl. die Form
derde im imgestörten Alleinbesitz der Sprache und ist es: auch im Nnl.
geblieben.
Wir haben oben hervorgehoben, daß der Gebrauch des st bei
Ordinalien nicht über das Rheingebiet hinaus nach Osten drang, daß
die ganze mnd. Literatur kein Beispiel eines sevenste usw. aufweist.
Dagegen eroberte sich die Form derde oder dirde ein nicht unbedeu-
tendes Gebiet auf niederdeutschem Boden. Wohl das älteste nachweis-
bare Beispiel dieser Umstellung der Buchstaben liefert fiir Niederdeutsch-
land der Sachse — wenn er auch hochdeutsch dichtete — Raumsland
um 1250 : die Form dirde ist durch den Reim wirde : dwde : zimirde
(MSH. n 370**) gesichert. Seither ist derde mit der mundartlichen Schat-
tierung dorde und darde (Brem.-nieders. Wb. 1, 185. 243) über ganz
Niederdeutschland verbreitet, aber wohlgemerkt keineswegs ausschließ-
lich, sondern nur neben drudde, dridde: wenn z. B. Arnold Immessen
*) Nur das Altnordhumbrische zeigt neben pridda auch dirda, doch scheint die
Sprache dieser mundartlichen Eigenthümlichkeit keinen Einfluß gestattet zu haben.
Im Nags. lautet die Form pridde, ebenso im Mengl. thridde^ seit dem Nengl. aber mit
aller Entschiedenheit third, S. Koch, Historische Gramm, d. engl. Spr. I 460 f.
NIEDERLÄNDISCHE EINWIRKUNGEN etc. 423
mit Vorliebe derde schreibt, — und wie viel mehr begünstigte der de
den Reim als d/rudde, namentlich da er für einen Theil seines Gedichtes
eine mnl. Vorlage hatte ! — so brauchen Ändere, wie auffallender Weise
namentUch Reinke de Vos, nur drtdde.
Anders am Rhein. Schon Gotfrid Hagen (1270) brajicht derde
auch ohne Nöthigung durch den Reim (ed. Groote v. 618); in der
Schreibung dirde findet es sich als herschende Form in kölnischen
Urkunden des 14. und 15. Jhd. (z. B. Lacomblet a. a. O. III 341. 381. 694.
Ennen und Eckertz Quellen zur Gesch. d. St. Köln I 109. 183. 184.
186. 236. 278. 439 usw.) , derde schreibt auch Christianus Wierstraat
im J. 1497 (ed. Groote, S. 110). Um diese Zeit aber findet sich schon
wieder neben noch vorwiegendem derde (Cronica v. d. hill. st. v. Coellen
fol. 34^ 39'. 42\ 51** usw.) auch ein und das andere dritte (fol. 36'.
43*.), und spätere Chronisten vom Niederrhein .schreiben meist dritte
(Eckertz Fontes rerum Rhenanarum I 99. 102. 127. II 16 usw.). Der
Theuthonista ed. ßlignett (p. 81) betrachtet beide Formen als gleich
gebräuchlich : de dryde of derde tercius.
Im Elsaß kann die Umstellung von dritte in diHe, oder richtiger
gesagt, die zu hochdeutsch dirte zugestutzte niederländische Form derde,
schon Ende des 13. Jhd. in einer Straßburger Hs. im Reim dirte : miüe
(Graff Diut. 1, 317; s. dritte, nicht im Reim, ebend. 321) nachgewiesen
werden ; s. Weinhold Alem. Gr. §. 326 p. 309. Eine ungeahnte Aus-
dehnung aber fand die Form dirte im 14. und . auf der Grenze des
15. Jhd. : Closener braucht nur ein Mal dritte (StädtQchron. VIII p. 26,
20) neben zahlreichen di^rte ; Königshofen , von dem ebenso wie bei
Closener das Autographum vorliegt, schreibt ganz ausschließlich dirte
(a. a. O. VIII. IX). Ein Jahrhundert später scheint drite wieder in seine
vollen Rechte eingetreten zu sein.
Es erübrigt noch die Bemerkung, daß dieses vlaemen wieder auf
das Elsaß und Basel beschränkt blieb. Daß sidh in der bairischen
Mundart keine Spur davon zeigt, s. bei Weinhold Bair. Gramm. §. 259.
Wir haben bei unserer Darlegung bisher den Mittelrhein ganz
außer Acht gelassen: darüber und über den Mangel an hierher gehö-
rigen Belegstellen noch einige wenige Worte. Ich kann für das Vor-
kommen unserer superlativischen Ordinalform vom Mittelrhein -r- und
hier muß natürlich vor allem Mainz in Frage kommen, — trotz eifrig-
sten Suchens nur ein Mal viertzeheste bei einem Mainzer Schreiber nach-
weisen (z. J. 1486; s. Würdtwein, Diplomataria Maguntinensia p. 545),
— gewiß eine schmale Ausbeute.. Im weiteren Umkreise von Mainz
sind mir noch einmal nunczeheste und ein mit einem gewissen Übermuth
424 KARL WSYWS,
in der Formgebung gebildetes newnciehendigiste begegnet, beide gleich-
zeitig (1419) in zwei Urkunden des Karthäuserklosters Neue Zelle bei
Grünau, unweit Lohr am Main (Würdtwein Diöcesis Mogunt. I 804.
806). Diese Formen könnten allerdings sehr viel beweisen: sie könnten
nämlich d^hun, daß, wie der Verkehr auf dem Rhein sich nicht auf
das große Strombett beschränkte, sondern auch in die Nebenflüsse und
unter ihnen besonders in den Main eindrang, ebenso mundartliche Ein-
flüsse nicht bloß in Köln und Straßburg und Basel zur Erscheinung
kamen , sondern sich stark genug bewiesen, bis in den Main vorzu-
dringen und dort an seinen Ufern fremde Formen abzulagern und der
Sprache mundgerecht zu machen. Diesen Beweis aber zu liefern, reicht
bei weitem nicht aus, was wir an Beispielen beizubringen vermögen.
Vielleicht daß ein anderer als ich geschickter im Suchen und im Finden
glücklicher ist. Bis auf weiteres werden wir daher die beiden Super-
lative der erwähnten Urkunde als versprengte, allen Zusammenhanges
baare Formen anzusehen haben* Daflir spricht auch in beredter Weise,
daß, was wir oben über d&i'de und dirte ausgeführt haben, gleichfalls
auf den Mittelrhein keine Anwendung findet, so zwar, daß nicht nur
die niederländischen Formen nicht, wie zeitweilig am Ober- und Nieder-
rhein, die herschenden waren, soödern daß sich von ihnen selbst dem
suchenden Blick keine Spur bietet. AuflFallend ist diese , wenn auch
unscheinbare Thatsache immerhin, obwohl es vielleicht voreilig wäre,
daraus zu schließen, daß die zahlreichen und tiefgreifenden commer-
ciellen und geistigen Interessen, die im Mittelalter am Rhein so lebhaft
und reich entwickelt waren, in Mainz ein weniger günstiges Emporium
gefimden hätten als in Straßburg oder Köln.
LEIPZIG, an St. Johanns Abend 1870. CARL SCHRÖDER.
DIE LIEDER KAISER HEINRICHS VL
Die Echtheit der in der Weingartner und der Pariser Lieder-
handschrift unter dem Namen Kaiser Heiiirichs überlieferten Strophen
hat Simrock gegen etwanige Zweifel zu schützen gesucht. (Vgl. Kaiser
Heinrich der Sechste als Liederdichter in Abels „König Philipp der
Hohenstaufe", S* 286 — 294). Simrock hat zugleich nachgewiesen, da(^
— die Berechtigung der Überlieferung zugegeben — nur an Kaiser Hein-
rich VI., den Sohn Barbarossas, könne gedacht werden. Das entgegen-
gesetzte Bestreben, dem Kaiser die betreffenden Strophen Abzusprechen
und sie als namenlos zu verzeichnen, hat seinen Vertreter in Moriz
DIE LIEDER KAISER HEINRICHS VI. 425
Haupt gefunden; vgl. MSF. S. 226-r-228. Da mir die Frage auch an
letzterm Orte nicht erledigt zu sein scheint, so glaube ich etwas nicht
ganz Überflüßiges zu unternehmen, wenn ich ihre Untersuchung neuer-
dings aufnehme.
Haupts erstes Argument stützt sich nicht auf die handschriftliche
Überlieferung, sondern auf eine Conjectur. Die Weingartner Hs. (B)
liest in dem ersten *) der betreffenden Lieder :
wol hcßher danne ricker (C riche)
bin ich al die z%
sd sS ffiietliche
diu guote hl mir Ut
Hinsichtlich der Attraction eines Positivs durch den vorhergehen-
den Comparativ oder des Positivs im zweiten Glied hat Haupt die
ohne Zweifel richtige Regel aufgestellt, dali dergleichen nur dann mög-
lich ist, wenn in beiden Fällen dasselbe Eigenschaftswort oder ein syno-
nymes vorliegt (a. a. O. S. 226). Während er aber nun eine Anwendung
dieser Regel speciell auf den vorliegenden Fall nicht zugibt, sondern
statt dessen schreibt :
wol hoehef dannez rtche^
glaube ich im Gcgentheil gerade an dieser Stelle einen neuen Beleg
zu der schon von ihm aufgellten Regel und ein weiteres Beispiel zu
den schon von ihm beigebrachten gefunden zu haben. Ich sehe nicht
ein, warum die beiden Worte hoch und riche' durchaus nicht sollen
können synonym sein. Wer reich ist, nimmt in der Regel auch eine
hohe Stellung ein, und umgekehrt gilt der Hochgestellte auch meisten-
theils flir reich. Nicht als ob man die beiden Worte in jedem einzelnen
Falle nach Belieben vertauschen könnte ; aber überaus zahlreich sind
doch die Fälle, in welchen riche weit weniger den hinlänglich mit Geld
versehenen als den mächtigen oder den vornehmen bezeichnet, am
augenscheinlichsten doch wohl , wenn von Gott selbst die Rede ist
(Iwein 5204, 5972; Nib. 1497, 1; 1668, 4; 1793, 3 usw.; damit vgl.
die Worte Walthers von der Vogelweide WR. 1, 6 ein got der hdhe
hSre und noch Hartm. Greg. 614; Wolfr. Parc. 12, 26 ; vdH. Ms. H,
219'). Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, daß das Sub-
stantiv riche in der von Haupt beanspruchten und auch sonst nach-
gewiesenen persönlichen Bedeutung von König oder Kaiser gerade im
Nominativ sonst nicht vorkommt, ein Umstand, aus welchem man wohl
mit Recht auf ein dem goth. i^eiks entsprechendes aber verloren gegan-
*) Ich citier« nach der Beihenfolge in MSF.
426 KARL METER
genes stm. rieh geschlossen hat (Mhd. Wb. 11 ', 693a, 40 ff.; vgl, auch
W. Wackemagel, Altdeutsches Wb., S. 234a). Von diesem Standpuncte
aus erscheint Haupts Conjectur nicht nur tiberflüßig, sqndem sogar
bedenklich. Die richtige Lesart hat C in dem Worte riche aufbewahrt,
indem die Reinheit der Reime in den zu besprechenden Liedern die
Lesart von B von vornherein ausschließt.
Sehen wir nun die zweite Stelle dieses Liedes an, aus welcher
Haupt dessen Unechtheit zu beweisen suchte. Der Dichter legt die
betreffenden Worte seiner Geliebten in den Mund:
ich hän den Ivp gewendet
an einen ritter guot
da^ ist alad verendet,
da:^ ich hin wol gemuot.
Das Anstößige soll hier darin liegen, daß das Mädchen seinen Ge-
liebten nur einen ritter guot nennt, während derselbe doch zufolge der
handschriftlichen Überlieferung der Kaiser selber war. Indessen auch
hieftir fehlt es nicht an ähnlichen Stellen, einmal Nib. 948, 3. Hagen
hat Siegfrieds Leiche in der Nacht vor Kriemhilds Kemenate legen
lassen ; frühmorgens will die Königin . mit ihren Frauen zur Messe
gehen, da ruft ihr ein Diener entgegen:
'vrouwe, ir suU stille stdn:
e^ Itt vor dem gademe ein riter tdt erslagen!
^ouw^j sprach vrou KriemhiU, 'wa:^ wil du solher masre sagen f
Der erschlagene Ritter ist Siegfried , also ein Mann von königlichem
Geblüt. Ich lege gleichwohl auf diese Stelle kein großes Gewicht; es
wäre ja denkbar, daß der Diener den Todten nicht sofort erkannt
oder daß er aus Schonung fUr seine Herrin den Namen absichtlich
verschwiegen hätte.
Sicherer ist schon eine zweite Stelle des Nibelungenliedes 152, 2.
Liudger, der König der Sachsen, und Liudgast, der Dänenkönig, haben
den Burgunden den Krieg erklärt, und König Günther ist in Folge •
dessen in großen Sorgen :
dem künege in sinen sorgen was idoch vil leit,
dd sach in trürende ein riter vil gemeit.
Aus 153, 1 geht hervor, daß der Ritter wiederum Siegfried ist. Was
sich auch gegen diese Stelle einwenden lässt, soll indessen nicht
verschwiegen werden ; es ist das Abhängigkeitsverhältniss, in welchem
Siegfried zu Günther steht, und durch welches seine hohe Stellung '
allerdings einigermaßen verdunkelt wird. Doch deutet das zweite Lied
sonst nirgends ein solches Verhältniss an, vielmehr wird dasselbe zu-
DIE LIEDER KAISER HEINRICHS VI. 427
erst im vierten (375, 3) erwähnt, so daß diese Einwendung nur für
die Gegner der Liedertheorie von Gewicht sein kann. Jedesfalls spricht
die Stelle in weit höherm Grade flir die Möglichkeit , daß ein König
sich je nach Umständen den Titel „Ritter" beilegen konnte, als dagegen.
Vollkommen sicher ist nun aber die dritte, ebenfalls dem Nibe-
lungenlied entnommene Stelle. Es ist von Brünhilds Heldenstärke die
Rede, mittelst welcher sich dieselbe lange Zeit hindurch aller Männer
entledigt hatte.
327. Da^ hete diu juncfrouwe unmäi^en vil getan,
da:^ vriesch bi dem Rine ein rtter wol verstdn:
' der wände »ine sinne an daz, schoene wvp u. s. f.
Hier ist der Ritter, der allerdings nach 324, 3 in etwas störender Weise
neu eingeführt wird, Niemand anders als Günther selbst, der leibhaf-
tige und allgemein anerkannte König der Burgunden *). Und es ist für
die hier zu erledigende Frage vollkommen bedeutungslos, daß die be-
treffende Strophe nicht dem ursprtlnglichen volksmäßigen Liede, son-
dern einem Uberarbeiter angehört. Haupt hat, wie mir däucht^ den
Beweis geleistet, daß das erste der beiden Lieder unter Umständen
auch einen andern Verfasser als den Kaiser Heinrich haben könnte;
daß aber zwingende Gründe hiefUr nicht vorliegen , glaube ich zur
Gentige erwiesen zu haben. Was die beiden Strophen MSF. 4^ 35 bis
5, 15 betrifft, so gehören dieselben allerdings nicht unmittelbar zu den
beiden vorhergehenden, wohl aber gehören sie demselben kaiserlichen
Dichter an. Directe Beweise bieten sie indessen nicht, und die Behaup-
tung J. Grimms (Germania II, 479) , das Wegreiten könnte auf den
'kühnen, keine rücksicht nehmenden besuch eines königssohns gehn
nimmt sich sehr gezwungen aus. Wenden wir uns nun zu dem zwei-
ten Liede.
IL
Es ist viel, von der Krone die Rede in diesen vier Strophen, und ein
moderner Democrat würde sich seiner Geliebten gegenüber schwerlich
so ausgesprochen, würde überhaupt schwerlich so empfunden haben,
wie der Verfasser derselben.
Der Dichter fühlt, wie das Reich ihm unterthan ist, wenn er bei
der Geliebten ist; ist er von ihr geschieden, so ist alle seine Macht
dahin (Str. 2); er will lieber auf die Krone verzichten, als auf sie (Str. 3) ;
wer ihm das nicht glaubt, daß er auch, ohne noch eine Krone auf
►) Vgl. aucb 441, 1.
428 KAEl. MEYER
sein Haupt zu bekommen, noch manchen lieben Tag leben möchte,
versündigt sich (Str. 4).
Konnte ein Mann wie Heinrich VI. in dieser Weise singen? Haupt
(a. a. O) verneint diese Frage entschieden. Er flihrt eine beträchtliche
Anzahl von Stellen aus andern Dichtem an, in welchen dieselben er-
klären, die Geliebte einer ihnen angebotenen Krone vorzuziehen. Ich
fuge selbst noch eine solche bei, welche für Haupts Ansicht zu sprechen
scheint, Nib. 1614, in welcher der Spielmann Volker die Tochter des
Markgrafen Rüdeger preist:
'o6 ich ein vürste wcere/ »prach der degen sän,
'und solde tragen kröne, ze wtbe wolde ich han
iuwer schcene tohter: des wünschet mir der nrnot,
diu ist minneclich ze sehene, dar zuo edel unde g^iotJ
Genau betrachtet beweisen indessen sowohl die von Haupt ge-
sammelten Beispiele als das so eben aus dem Nibelungenlied erbrachte
nichts flir unsere Strophen, überall in jenen wird die königliche Würde
oder das Tragen der Krone nur als eine neben der Geliebten zur Aus-
wahl vorgelegte Möglichkeit hingestellt; der Sprechende ist nicht wirk-
lich ein Fürst imd trägt nicht wirklich eine Krone; wenn ihm aber
einerseits eine solche und andererseits der Besitz seiner Herzenskönigin
angeboten würde, so würde er sich entschieden fllr letztere erklären.
Anders nun an unserer Stelle. Hier ist (Str. 2) die Fürstenmacht nicht
Bedingung, sondern Wirklichkeit, freilich so, daÜ der Dichter dieselbe
nur dann empfindet und nur dann sich ihrer erfreut, wenn der Besitz
des geliebten Weibes hinzutritt; daß seine äußere Macht dahin ist,
sowie er von letzterem geschieden ist. Und daß es nun wij'klich albern
ist, wenn ein König bei der Geliebten auf diese Weise" seines König-
thums gedenkt, scheint doch auch mehr als zweifelhaft. Wenn er es
thäte, nur um jene zu demüthigen oder um sie den Abstand zwischen
sich und ihr gehörig empfinden zu lassen, wäre es in der That albern
von ihm. Wenn aber ein König seine Krone nur erwähnt, um* sie im
Vergleich mit der Geliebten herabzusetzen und um dieser zu zeigen,
wie er sie höher als seine Krone schätze, so verhält sich die Sache
wesentlich anders. Ein anderer Dichter konnte andere Gegenstände
mit der Geliebten vergleichen, um schließlich dieser den Vorzug zu
geben; aber nur ein Fürst konnte sein Königthum in der Weise, wie
es hier geschieht, drei Strophen hindurch seiner Auserwählten gegen-
über als das geringere Kleinod gegenüber dem großem erwähnen*).
*) Auch J. Grimm (Germania II, 480) sieht in der Wiederholung das entschei-
dende Moment
DIE LIEDER KAISER HEINRICHS VI. 429
Auch in diesem Gedichte also sind es die triftigem und bessern Gründe,
welche für die Glaubwürdigkeit der handschriftlichen Überlieferung
sprechen.
ni.
Und an wen sind nun die beiden Lieder des Königs gerichtet?
An Heinrichs Gemahlin Constanzia sicherlich nicht; denn einmal war
diese zehn Jahre älter als ihr Gemahl, und die ganze Heirath war
lediglich ein Act der Politik gewesen; zweitens hätte gerade ihr gegen-
über die Erwähnung der Krone am allerwenigsten Werth gehabt, da
Constanzia selbst die Erbin des blühenden Normannenreiches in Unter-
italien war. Die Geliebte des Königs, welcher diese Herzensergüsse
gelten, gehörte ohne Zweifel einem niedrigem Stande an. Und war
dieselbe eine Nebenbuhlerin der rechtmäßigen Königin, oder haben wir
es mit einer Jugendliebe zu thun, welche der Vermählung deö Jahres
1186 vorangieng? .Undenkbar wäre der erstere Fall an und für sich
nicht, wahrscheinlicher aber doch der letztere.
Betrachten wir einmal die SchluÜzeilen der letzten Strophe ; der
Dichter spricht sich in denselben folgendermaßen aus:
verlwre ich si, wa^ hete ich dannef
da tökte ich ze vräuden noch vnbe noch mannej
und, wcere mtn bester trdst beidiu ze ähte und ze banne.
Im Munde eines Kaisers, und zumal Heinrichs VI., sollen sich diese
Worte seltsam ausnehmen. Indessen die Möglichkeit, mit dem Banne
belegt zu werden, war bekannthch für den Kaiser jederzeit vorhanden.
Und was zweitens die Acht anbetrifft, so zwingt uns ja Niemand zu der
Annahme, daß Heinrich diese Strophen als Kaiser gedichtet und ge-
sungen habe. Sehen wir uns in Kürze die Hauptmomente seines Le-
bens an.
Heinrich war im Jahre 1165 geboren*), und schon als vierjäh-
riger Knabe erhielt er 1169 zu Aachen die deutsche Königskrone**).
Seine Vermählung mit Constanzia erfolgte zu Mailand im Jahre 1186,
als der junge König einundzwanzig Jahre zählte; die Kaiserkrone end-
lich wurde ihm in Kom am Osterfeste des Jahres 1191 zu Theil***).
Als Kaiser, also nach dem 13. April 1191, konnte er allerdings nicht
wohl in der Weise von der Acht sprechen, wie es in der oben er-
wähnten Zeile geschieht. Als König aber, und so lange sein kaiser-
*) Toeche, Kaiser Heinrich VI, S. 27. *•) Ebend. S. 27. * ***) Ebend.
S. 189, 190.
430 KARL MEYER, DIE LIEDER KAISER HEINRICHS VI.
lieber Vater noch am Leben war, durfte er sich wohl so ausdrücken ;
beweist doch das Beispiel seines gleichnamigen Enkels ; was fUr ein
Schicksal selbst ein deutscher König zu erwarten hatte, wenn er dem
Kaiser gegenüber unbotmäßig war. Daß übrigens dergleichen nur mög-
lich war, wenn beide Würden nicht in einer Person vereinigt waren,
versteht sich von selbst. Übrigens stand die Acht dem mhd. Sprach-
gebrauche gemäß durchaus nicht dem Kaiser allein zu, am allerwenig-
sten in der mehr oder weniger formelhaften Verbindung, wie sie die
angeflihrte Stelle bietet (vgl. Mhd. Wb. I, 18).
Also Kaiser Heinrich VI. ist der Verfasser der besprochenen
Lieder, wenigstens so lange deren Echtheit nicht mit triftigem Grün-
den bestritten wu*d. Und gedichtet hat er dieselben vor dem Jahre 1191,
höchst wahrscheinlich auch vor dem Jahre 1186, also noch in jungen
Jahren ; für jene Zeit imd ftlr einen bekanntlich frühreifen Menschen
hat diese Annahme nichts befremdliches. Hingegen dient dieselbe end-
lich einer auch noch zu besprechenden Stelle des zweiten Liedes zur
Erläuterung. Es heißt nämlich in der dritten Strophe desselben:
er sündet sich sioer des nikb geUmbet,
ich möhte geleben mangen liehen tac^
obe joch niemer kröne kceme üf min houbet.
So konnte Heinrich besonders wohl singen, da er die deutsche Königs-
krone schon seit seinem vierten Jahre trug, die römische Kaiserkrone
aber noch zu erwarten hatte. An und ftir sich hätte ein Anderer sich
auch so äußern können; aber im Zusammenhange mit den übrigen
Stellen des Liedes, an welchen ebenfalls von der Krone die Rede ist,
betrachtet, gewinnt diese Stelle eine ganz andere Bedeutung.
Daß es bei der nach Ständen gruppierten Reihenfolge der Dichter
der Pariser Hs. deren Schreiber lieb sein musste, mit einem Kaiser
den Anfang machen zu können, ist an und ftir sich schon richtig. Es
geht aber daraus noch nicht hervor*), daß darum der Name des be-
treffenden Kaisers nur willkürlich ersonnen oder in Folge flüchtigen
Durchlesens der Lieder aus diesen selbst entnommen ist. Wäre uns
der Name nur in dieser Handschrift überliefert, so hätte dieser Schluß
einige Berechtigung. Lidessen dieWeingartner Hs. hat den Namen auch,
und es muß also derselbe auf älterer Überlieferung beruhen. Die Frage
endlich, ob bei einem Character wie bei dem Heinrichs die Möglich-
keit minnesängerischer Thätigkeit überhaupt anzunehmen sei oder nicht,
hat Haupt selbst (a. a. O. S. 227) bejahend beantwortet.
*) So versteht das literarische Ceutialblatt die Sache. Jahrg. 1858, Sp. 155.
FRIEDRICH KEINZ q. FRANZ WIESER, ZU NEIDHARDS LIEDERN. 431
Es Sind, wie Jeder leicht sehen wird, weniger einzehie unwider-
legliche und schlagende Gründe, als das Zusammenwirken mehrerer
und die Mangelhaftigkeit der bisher angeftlhrten Gegengrttnde , auf
welche die Vertheidiger der Überlieferung sich stützen müssen.
BASEL, Mäns 1870. KARL MEYER.
ZU NEIDHARDS LIEDERN.
I.
In geiner Ausgabe des Neidhard bringt M. Haupt S. 115 die Um-
bildung eines Neidhardischen Gedichtes zum wiederholten Abdruck^
welches zuerst Docen in Arnims Trösteinsamkeit 1808 Nr. 19 aus einer
Handschrift veröffentlicht hatte. In den dabei ausgesprochenen Tadel,
daß Docen 'nach seiner Art die Handschrift nicht näher bezeichne',
kann ich aus vollem Herzen einstimmen, da mir die Auffindung von
Docens Quellen in manchen Fällen schon ungemein viel Zeit gekostet
hat. Obiges Gedicht nun findet sich, wie sich bei der ftlr nächsten Band
des Handschriftencataloges in Gang befindlichen Beschreibung der be-
treffenden Codices herausgestellt hat, in der Papierhandschrift (193 Bll.
in 4", XV. J.) Chn 35t6. Dieselbe enthält: Bl. 1 Nicolai de Dinkels-
bühl tractatus de penitentia; Bl. 84 eiusdem sermones de oratione do-
minica; Bl. 113 Sermones varii inter quos unus de s. Udalrico et eins
miraculis. Mit Bl. 170* scheint die Handschrift ursprünglich abge-
schlossen zu haben; BL 171' beginnt eine ganz andere Hand; Bl. 182
erzählt ein Cunradus Smid im J. 1453, wie die Hussiten das Haus
seines Vaters Albertus in Smeistat, Eichstäter Diöcese, vergeblich zu
verbrennen suchten (Mirakel St. Ulrichs) ; Bl. 170^ ist die ganze Seite
zur Eintragung obigen Gedichtes benützt. Überschrift fehlt, obwohl
Zeilen daftlr gezogen sind. Die Strophen sind numeriert und abgesetzt,
die Verszeilen nicht. Die Orthographie hat Docen durchaus willkürlich
geändert, indem er sogar ganz moderne Schreibweisen wie sommef'j
noth, gott, soUte gegen die Handschrift anwendete. Ein genauer Ab-
druck dürfte sich daher rechtfertigen. In demselben sind nur die Ab-
kürzungen für er und en aufgelöst, die Zeilenabtheilung ist nach Haupt
gegeben, ebenso die Interpunction; die Hs. hat nur einige Puncte.
1 Der arge winter wil von hinn, sij sind befallen mit des maien tawe.
dij blümlin auf der haide der prech wir zwai ain krenczelein'
dij sind gel prawn vnde rot, sprach sich ain schöne janckfrawe.
mein höstw ägel waide. 2 Der süzze sumer wil yns kamen,
432
FRIEDRICH KEmZ n. FRANZ WIESER.
der wald hat sich helawbet.
vil laut so ruft ain gailw magt
meiner sinn bin ich berawbet.
ich bin beladen gar mit sender swere^
der ich disen somer lang
mit fugen wol enbere'.
Saga du mir, gut töchterlein,
waz sind dij fremden swere?
mich tnnckt wol wie du leidest not
an deiner varbe schöne,
mich hat ain stolczer rewter vmbe-
fangen'.
sagij (so) du mir, gut töchterlin,
ist dirs nit anders ergangen: ?*
^Nainas (so), liebes müterlin,
als ichs gemerken künde,
do kust er mich; des tragen ich
ain wort von seinem (e) munde,
er tett mir als man tuot den werden
weihen ;
er fürt mich in sein kemerlein,
da begund er beij mir beleiben
Dij weil auch dij er beij mir was
MÜNCHEN.
ff
er schwur beij seinen ayde
weger wer mir ain schneller tod
dann vnss baider schaiden."
er besiezt mein hercz vnd berawbet
mich aller sinne.'
^töchterlein daz sei got geklagt;
dich berüret mannes minne.
*Ach du libes mütefUn,
nun hastus wol beschÖnet.
was sölt mir ain fremdes tun,
so du mich selber hünest?
er ist mir lieb tu erfrewet als mein
gemüte.
dij liebe dij wir zeinen (zemen?)hawn
dij müss vns got behüte.
Ich will tun was er mich haist,
wil folgen seiner lere.
Rosental ist er genant;
er jst ain fein geselle ;
er kan wol dinen den vil werden
weihen,
'ach du libes tÖchterlin,
so sold du beij jm beleiben.
FRIEDRICH KEINZ.
II.
Die Sterzinger Miscellaneenhandschrift (vgl. Zingerles Bericht
über dieselbe, Wien 1867) enthält auf Bl. 52 ff. Neidharts Lied 73, 24
bis 75, 14. Der Text stimmt am meisten mit c, weicht aber häufig
auch von dieser ab.
1 Summer deiner suzzen wunne müssen wir uns anen,
seit uns der arge winter niht wann senes trawren geit.
des pleib ich ungetrostet von der rainen wolgetanen,
wie sol ich vertreiben dise swäre lange zeit,
die die haide velbet und manig plümli wolgetan?
davon sein die ?ogelin in dem velde des betzwungen das sie ir singen
müzzent lan.
2 Also hat die liebe mir daz hercze mein petwungen,
das ich one frewde muss verswenden meine tag.
mich vevahet (so) nit, was ich ir lange hau gesungen,
es ist ncwr alss mer, das ich newr stille von ir dag.
tzwar ich glawb nit, das sy den mannen ymmer werde holt.
wir Verliesen, was wir da gesingen und gerawnen, ich und gener hildepolt.
3 Der ist nw der twmest untter den geilen getelingen,
einen nennet man den jungen hildeger.
die chund ich disen ganczen snmer nye von ir verdringen,
zu NEIDHARDS LIEDERN. 433
wa er tanczt des abentz auff'der Strassen ging entwer.
mangen zwechen öden plick wurffen sie mich mit awgen an,
do ich meiiis guten willen sunder etwen für die torper muste gan.
4 Odeelichen wart zu ir auff meinen tracz gesprungen,
irs gelesses bin ich vom in meinem schöpfen gra«
awe das mich so manger von lieber stat hat verdrungen,
paide von der gütn und auch wielend anderswa.
yedoch so neyget mir die schöne über des Schildes rant,
gern mugt ir hörn, wie die torper seint; upicUch ist gewant.
5 Enge rocke tragens under smalen schapperawnen,
rotte hüte, rinckelehte schwhe, swarcze hosen.
Engelmayr der tet mir alss lejde an friderawnen,
alss di zwene taten mit den pfelleleinen pfosen,
die sie trwgen. da was in ein wurcz, die heizzet ingewere.
hildepolt der pot der schonen eine pey dem tancze; die gezukt ir Willeger.
6 Sagt ich ew die mer, wie siz under einander schwffen,
des enweiss ich nit; ich schiet von dannen so zehant.
manielichen hört ir lewte seinem frewnte ruffen.
einen hört ich schreien: hilf gevatter weigant.
der was leiht in notten, do er also lawt nach hilffe schrey.
hildepoltes swester hört ich ainest lawte schreyen: we mir meines prüder we.
7 Ein gailer geteling der kom geloffen von dem streite,
den fragt ich der mere, welher da mit allen streit,
hildepoldes schapperawne der wart zerzerret weite,
und sein enger rock paz danne zweyer spanne prait.
das was von der wurcze, die im die schon auss der hande prach.
des engalt vil mange spähe hawben, die man bey dem tancz da erzerret
ligen sach.
8 Clingelote sporn treit mir fridepreht zu laide,
spangelote gürtel paz dann einer hande preit,
striche für das affterraife niden an der schaide,
lieben frewnte, mercket, das ist meines herczen lait,
zewht er die hantschüh an den elenpogen hoch.
gern mügt ir hören, wie derselbe torperl von dem streite ab der gassen floch.
9 Wa pey sol man mein gepläcze nw hin für erkennen?
ee pevor do chant man mich so wol zu rewental.
do Von solte man mich noch zu allen rechten nennen;
aygen und dy hüben seint gemessen mir czu smal *).
chinder haizzet ew den singen, der sein nw geweidig sey;
ich pin vertrwngen gar an meine schulde; lieben frewnde macht mich
des namen frey.
10 Meiner veinde wiUen der ist nit an mir ergangen;
wolde got, so mohte meiner sorgen werden rat.
ich kom gen osterreich gevam; do wart ich schon enpfangen;
got Ion dem fursten^ der mich also wol behawset hat.
da cze medling siez ich sicher under meiner veinde danck.
*) imdl fehlt in der Hs.
QBRUANIA. Nene R«ih« JH. (XV.) Jahrg. 29
434 BEINHOLD B£GHST;BIN
mir ist leide» das ich czn rewental von gamppen und von eppen ye so
vil gesangk.
11 Neithart uns hat hie gelazzen, also die kra den stecken,,
di da flewget hinnen und siezt auff die sat.
niemant sol mit seiner schonen frawen mit im zecken,
wann sie doch der warn schul keine von im hat,
wann das wissen jung und alt, das sie doch hat 'schaden genug;
lazzet hildepolden mit gemache ; es was ein ajchel, die er im dem pewtel trug.
INNSBRUCK. FRANZ WIESER
ZU WALTHERS VOCALSPIEL.
Walthers schönes Lied Diu werU was gelf rdt unde blä wurde
zuerst in den Anmerkungen (S. 180. 181) zum ersten Theile von Sim-
rocks Übersetzung (1833) ein ^Vocalspiel* und dann mit wechselndem
Ausdrucke ein 'ReimspieF genannt. Pfeiffer gab dem Gedichte in seiner
Ausgabe (Nr. 2) zur Bezeichnung des Inhaltes die XJberschrifk *Winters-
überdruß', was die folgenden Auflagen beibehalten, und nannte es in
der Vorbemerkung 'ein Reimspiel mit den fünf Vocalen . Bei Wilmanns
heißt das Lied (60, 1) *Winterklage', und bei Simrock in seiner Text-
ausgabe (Nr. 118) ist die frühere Bezeichnung 'Vocalspiel' gewählt.
Dieser letztere Titel 'Vocalspiel', wenn er auch des Liedes Inhalt nicht
berührt, scheint mir der passendste. Der Inhalt tritt bei diesem Spiel
zurück ; es könnte der Hui^ior sich ebensogut auf einen andern Gegen-
stand gerichtet haben. Der Ausdruck 'Reimspier ist zu allgemein,
nicht treffend genug. Bei 'Vocalspiel* wissen wir sogleich, welches Lied
gemeint sei, da uns nur dies eine vollständige von Walther erhalten ist.
Zacher hat es in seiner Recension der Pfeiffer'schen Ausgabe
(Jahns Jahrbücher Jahrg. 1865, 2. Abth., 92. Bd., S. 459) scharf ge-
tadelt, daß der Leser durch den Herausgeber und Erklärer auch nicht
die geringste Auskunft erhalte, unter welche Gattung dieses Gedicht
Nr. 2 zu zählen sei. Mit Beziehung auf Lachmanns lakonische Ver-
weisung Vgl. Lichtenstein S. 443' sucht Zacher nachzuweisen, daß das
Lied keineswegs, wie es Simrock, Rieger und Pfeiffer wegen seines
einfachen Strophenbaues gethan, unter die frühesten Gedichte Walthers
zu stellen sei, da ja der jüngere Liechtensteiner ein ganz ähnlich ge-
bautes, wenn auch nicht alle Vocale durchreimendes Lied verfasst habe.
Dieses Lied nenne Ulrich selbst eine tanzunse; wir könnten also daraus
entnehmen^ daß wir auch in diesem Waltherischen Gedichte ein ^Tanz-
zu WALTHEBS VOCALSPIEL. 435
lied* vor uns haben*). Ein solches Tanzlied könne von Walther an
jedem Orte und zu jeder Zeit gedichtet sein.
Pfeiffer benutzte fiir die zweite Auflage seines Walthers diese Er-
innerung nicht; ebensowenig Bartsch flir die dritte. Wilmanns , der
weiteren Ausführung Zachers zustimmend, sucht des Liedes Entstehung
in Meißen**); somit ßült es nicht in die früheste Zeit des Dichters.
Dagegen schweigt Wilmanns ebenso wie der getadelte Pfeiffer voll-
ständig tlber Form und Fassung des Liedes, während er doch sonst
auf die Tanz weisen bei Walther aufmerksam macht. Wenn er, was
vermuthet werden darf, mit Zachers Annahme einer tanztoüse auch nicht
übereinstimmte, so hätte er doch die sentimentale ^ dem jovialen Cha-
rakter des Gedichtes wenig entsprechende Überschrift * Winterklage' ver-
meiden sollen.
Das Vocalspiel ist bekanntlich von Ulrich von Singenberg und
von Rudolf dem Schreiber parodiert worden. Letzterer kann nur nach
Hagens Minnesingern citiert werden; fiir die Verweisung auf Ulrich
aber würde es vortheilhaft sein, wenn in den Ausgaben künftig auch
die den weiteren Kreisen zugänglichere Ausgabe von Wackemagel und
Rieger berücksichtigt würde.
Eine dritte, in den Ausgaben nicht genannte Parodie findet sich
in dem einem Seyfried Helbling zugeschriebenen Gedichte, und zwar
bildet sie dort das 12. Büchlein (Haupts Zeitschrift 4, 208). Ich fand
bis jetzt nur einmal auf diese Parodie des Walther'schen Vocalspiels
hingewiesen in einem anziehenden Aufsatze Ernst Martins über dieses
flir die Culturgeschichte Österreichs wichtige Gedicht, der betitelt ist:
„Ein österreichischer Satiriker aus dem Ende des 13. Jahrhunderts" in
den Grenzboten 27. Jahrg. (1868) L Sem. L Bd. S.336***). Seltsamer-
weise hat Karajan in seinen Anmerkungen diese Parodie mit Still
schweigen übergangen.
Während die Parodieen Ulrichs und Rudolfs durchaus dem Stro-
*) Hier braucht Zacher die Ausdrücke tanzwtse und tanzlitt synonym, was auch
sonst von andern geschieht. Wird dadurch , namentlich wenn die Ausdrücke in die
moderne Sprache herübergenommen werden, das wirkliche Verhältniss nicht verwischt?
Ist jedes Tanzlied eine Tanz weise, so ist nicht jede Tanzweise auch ein Tanzlied.
*^) Für Meißen ließe sich auch noch geltend machen, daß eine Anzahl Reime
vorkommen, die nur mitteldeutsch sind durch Apocope des h oder eh. Es wurde viel-
leicht dem Dichter die spasshafte Aufgabe gestellt, mit den Mitteln, die der meißnische
Dialect an die Hand gab, sich In einem Vocalspiel zu versuchen.
***) Nachträglich muss ich bemerken, daß auch in Martins Recension der Wal-
therausgabe von Wilmanns in den Heidelberger Jahrbüchern 62. Jahrg. (1869) S. 917
auf das „religiöse Vocalspiel beim sogenannten Helbling XU aufmerksam gemacht ist.
29*
436 REINHOLD BECHSTEIN
phenbau des Vorbildes folgen^ abgesehen von dem Rhythmus der 3.
und 5. Zeile, die bei ihnen wie die andern jambisch, bei Walther aber
Ixochäisch sind*), hat der österreichische Dichter die siebenzeilige Strophe
zu einer zehnzeiligen erweitert, deren vorletzter Vers reimlos ist. Daß
wir aber trotz dieser Formveränderung eine wirkliche Parodie Wal-
thers vor uns haben, beweisen einzelne Wendungen und Reminisoenzen.
Die drei Parodien sind zunächst wichtig und interessant in litte-
rarischer Hinsicht. Auch sie zeigen uns den anregenden und nachhal-
tigen Einfluß von Walthers Dichterthätigkeit. Dann aber geben sie uns
auch ein Bild von der fortschreitenden Umwandelung des Inhaltes und
der Stimmung, welche die ursprünglich anmuthige und scherzende Form
nicht hindern konnte. Ulrichs Gedicht ist noch ziemlich frisch gehalten;
Rudolf schlägt schon einen sentimentalen Ton an, und der Österreicher
wendet das humoristische Liedchen Walthers geistlich, aus dem rei-
zenden Vocalspiel ist ein geschmacklos spielendes Bußlied geworden. —
Femerhaben dieParodieen deshalb einen Werth, weil sie uns in einzelnen
Fällen eine Stütze gewähren filr die Wahl und die Erklärung des Textes.
Zacher bemerkte in der genannten Recension, das ganze Gedicht
Walthers sei so leicht verständlich, daß es überhaupt keiner Erklärung
bedürfe, bis auf die Verse 18 und 35. Ich glaube, daß die Erklärungs-
bedürftigkeit sich noch weiter erstreckt, und daß fiir einzelne schon
öfter besprochene Verse noch mehr als bisher zu thun ist.
Vers 18 bei Lachmann, Wackemagel-Rieger, Pfeiffer, Simrock =
Vers 17 bei Wilmanns (S. 92 Einl.: ich habe die Umstellung, an die
Lachmann dachte ['gehört diese Zeile hinter die folgende?'] vollzogen)**):
der vrirdersorge (C des vnntera sorge) hän ick dri nach A übereinstim-
mend in allen Ausgaben.
Die Erklärung von Pfeiffer: „die Sorge, die der Winter mir ver-
ursacht, ist dreifach" (ebenso in der 2. u. 3. Auflage), übergeht zunächst
eine grammatische Schwierigkeit (der vnntersorge) und lässt dr^ = drei-
fach erscheinen. Das letztere erwähnt Zacher in seiner Recension nicht,
sondern tadelt nur die Übergehung einer grammatischen Schwierigkeit
und setzt hinzu: „Was sagen denn nun darüber die 'dürftigen Anmer-
kungen Lachmanns? Diese verweisen uns auf die Anmerkung zu Iwein
V. 554, und dort lesen wir: 'In fremden Wörtern, wie hrSne^ rotte (scharen),
viUe (dörfer), äventivre, mile pflegt der genitiv des pluralis kein n zu
*) In diesem Punkte weichen allerdings die Herausgeber^von einander ab. In
diese den Bhythmns und den Anftact betreffenden Verhältnisse gilt es noch Sicherheit
nnd Einklang zn bringen. Zum Glück berühren sie die Poesie des Inhaltes nicht.
**) Wamm ist nicht gesagt. Also weil Lachmann daran 'dachte'?
zu WALTHERS V0CAL8PIEL. 437
bekommen, iinde in Hartmanns liedem 14, 20. auch reiste y wie echt
deutsch es sein mag, Nib. 453, 3. Ottokar 44'. Wunderbar ist varwe
Parz. 57, 16. 129, 21. aber sorge, bei Walther 76, 4 ist wohl singular,
der vrintersorge hart ich dn, wie sterke in Türheims Wilhelm 115" d&i^
sehs der sterke kc&te der er niwan einer pflae,*
„Wer, so ftlhrt Zacher fort, eine mit allen zum Verständnisse die-
nenden Mitteln versehene Ausgabe verheißen hat, der hätte hier denn
doch entweder diese Lachmann'sche Erklärung wiederholen oder mit
Gründen widerlegen oder durch eine bessere ersetzen sollen." Darin
stimme ich Zacher bei, daß Pfeiffer diesen Fingerzeig Lachmanns sich
hätte zu Nutze machen und die Leser auf die Ungewöhnlichkeit des
Ausdrucks hinweisen sollen/*^), aber nicht darin, daß durch Lachmann
eine Erklärung gegeben sei, die mit Gründen zu widerlegen wäre**).
Lachmann hat zwei Erklärungen oder vielmehr zwei Vermuthungen
gegeben und dadurch die Schwierigkeit der Stelle' angedeutet. Durch
seinen Hinweis auf die Erscheinung , daß zumeist fremde , aber auch
einheimische starke Feminina der ersten Classe in der Regel oder
manchmal kein n im Genitiv des Plurals bekommen, hat er doch nichts
anderes sagen wollen, als daß der vmderaorge für der vnntersorgen stehe;
aber zugleich ist ihm die Möglichkeit vorhanden, daß vnntersorge Ge-
nitiv des Singularis ist. Das Beispiel von Türheims Wilhelm kann Lach-
mann aber unmöglich als zwingenden Beleg angesehen haben, denn
Sterke ist ja selbst ein Femininum, wie sorge. Dann hätte auch Lach-
mann nicht gesagt : aber sorge bei Walther ist Vohl' singular. Ein
ander Ding wäre es, wenn eine. Stelle zu Gebote stünde wie: der sehs
des Zornes j des sinneSj des willen^ des herzen u. dgl. hcete des er niwan
eines pflac. Da wäre alle Schwierigkeit gehoben. Warum sagt denn
Gottfried 4602 : ob ich der sinne hoste zwelve der ich einen hän imd nicht
des sinnesf
Bei Wilmanns ist der Vers folgendermaßen erklärt: „11 mntersarge
gen. sing.; der gen. plur. auf arme livU bezüglich: ich habe das drei-
fache ihrer Wintersorge, dreimal so viel Sorgen als sie. Türheim im
Wilhelm (115*) der sehs der sterJce haste der er niuwan einer pflac hätte
einer das sechsfache der Stärke. Ulrich von Singenberg (HMS. 1, 299*)***)
*) Daß aber Pfeiffer selbst die Bemerkung Lachmanns , daß tointertorge Gen,
Sing, sei, kannte und auch nicht unbeachtet ließ, muß aus seiner Übersetzung hervor-
gehen: Die Sorge ist dreifach, statt: die Sorgen sind dreifach.
**) Auch im mhd. Wb. n 2, 470^ der gleiche Fehler, daß wintersorge nach Lach-
mann zu Iwein 554 Singular sei; es sollte heißen: vielleicht Singular.
***) Warum mcht auch ein Citat nach Wackemagel-Riegers Ausgabe?
438 KEINHOLD BECH8TEIN
uni hcete ich mtner krefte dn und wenn ich das dreifache meiner Kraft
hätte, s. Lachm. zum Iwein 554."
In dieser Erklärung wird zu der ersten Schwierigkeit wintersorge
noch eine zweite (dri) und dritte (der) hinzugefiigt. Zunächst die dritte.
SchwerUch hat jemand, der diese Stelle einfach auf sich wirken läßt,
der auf arme Hute bezagen, sondern in der den Artikel (gleichviel ob
Sing, oder Plur.) zu wintersorge gesehen. Und so haben es auch die
Zeitgenossen und Nachkommen des Dichters aufgefasst, wie wir aus
den Parodieen herauslesen können. Selbst wenn Wilmanns Recht hätte,
gegen die Überlieferung den Vers umzustellen, damit wintersorge in die
Nähe von arme Hute rückt, hätte Walther, der klare Dichter, um Un-
klarheit zu vermeiden, gewiss gesagt : ir wintersorge statt der wintersorge.
Gegen der als Demonstrativ spricht auch das kurz darauf folgende
demonstrative der in Zeile 5.
Wilmanns erklärt wintersorge ftlr den Gen. Sing. Woher weiß
er denn das so bestimmt? Lachmann hat es zweifelhaft gelassen, das
wiederholte Citat aus des Türheimers Wilhelm belegt nicht, ebenso
wenig das neue aus Ulrich von Singenberg. Nur ein Masculinum oder
Neutrum im Singular kann zum Beweise dienen. So lange ein solcher
Beweis nicht gebracht wird, ist die andere Möglichkeit immer vorhan-
den, daß wintersorge Gen. Plur. ist für das sonst regelmäßige wintersorgen.
Um den Genitiv Sing, recht deutlich fühlen zu lassen, übersetzt
Wilmanns dr% mit dreifach, dreimal, oder mit: das dreifache, sehs mit:
das sechsfache. Dem Sinne nach kann man ja allerdings die Citate
aus Türheim und Singenberg so übersetzen wie Wilmanns, aber sehs
ist nicht und heißt nicht das sechsfache, dri nicht das dreifache. Wollte
der Dichter einen solchen Substantivbegriff wirklich ausdrücken, dann
hätte er drie fem. sagen müssen. Daß bei Walther dri = d/ne wäre
mit apocopiertem e, ist undenkbar. Das hätte Wilmanns, wenn er es
annähme, doch sicher nicht unerwähnt gelassen. Sollte der Neutral-
begriff, der in ^dreifach' enthalten ist, wie auch noch mit NominalelHpse
in unserm ^entzwei"* {= en zwei, in zwei sc. teil)y durch das Zahlwort selbst
ausgedrückt werden, so stünde nicht dri, sondern d/riu\ und daß d/n
für dHu gesetzt sei des Reimes wegen, ist flir Walther und seine Zeit
nicht anzunehmen.
Steht also dri als geschlechtiges Zahlwort und zwar nach dem
Substantivum , welches demnach in den Genitiv zu treten hat, so ist
in der Stelle bei Walther ein ganz anderes Verhältniss, als in denen
bei Türheim und Singenberg und in dem von mir beigebrachten Citat
aus dem Tristan. Durch den Vergleich und Gegensatz erst wird hier
zu WALTHEB« V0CAL8PIEL. 459
das einfache Zahlwort zu dem Begriff des dreifachen, sechsfachen, zwölf-
fachen in der Function des Comparativs gebracht; nun und nimmer
mehr kann es aber bei Walther heißen : ich habe 'dreimal mehr'
Wintersorge als sie, selbst wenn der wirklich = ir auf die armen Hute
zu beziehen wäre, sondern es hieße nur: ich habe von ihren Winter-
sorgen drei, ich habe wie die armen Leute drei Wintersorgen. Da aber
der nur als Artikel aufzufassen ist, so heißt es einfach: ich habe drei
Wintersorgen. Will man umschreiben, so kann man auch so sagen,
wie Pfeiffer übersetzt hat.
Das Zahlwort kann bekanntlich das Substantivum bei sich haben
im gleichen Casus oder unflectiert oder im Genitiv. Letzteres gewöhn-
lich, wenn das Substantivum vorangeht. In ganz seltenen Fällen, wenn
ein vergleichender Genitiv vorliegt, der auf eine einzelne Person geht,
gewahren wir das Substantivum im Singular (namentlich bei Wolfram),
sonst aber steht durchgängig der Plural, wie es in der Natur des Zahl-
wortes begründet ist Da kein vergleichender Genitiv an unserer Stelle
vorhanden ist, da überdies der Indicativ und nicht der Conjunctiv steht,
da selbst in solchen Sätzen wie die citierten kein Genitiv Sing, sich
zwingend hat belegen lassen, so ist wirdersorge als Gönitiv Plur. anzu-
sehen, fUr den Analogieen vorhanden sind und der sich gewiss auch
noch belegen lassen wird *). Somit stimme ich der. einen erklärenden
Vermuthung Lachmanns zu und glaube sie begründet zu haben, die
zweite, welche von Wilmanns als sicher hingenommen wurde, habe ich
zu widerlegen gesucht. — Nach verschiedenen Richtungen hin sollen
uns noch die Parodieen eine Hilfe gewähren.
Wenn der Dichter einer Parodie und selbst einer nur auf die
Form gerichteten Parodie bestrebt sein muß , an die Stelle des Origi-
nals neue Gedanken und Wendungen zu setzen, so wird er immer auch
von dem Wortlaute desselben beeinflusst sein. Unwillkürlich kommen
ihm auch an Stellen, die dem Vorbilde nicht entsprechen, Sätze in den
Sinn, die sich dort einmal vorfinden. Und öfters sucht der Umdichter
geradezu eine Variation des Ausdrucks zu erreichen.
Zuerst sagt Ulrich von Singenberg im Anschluß an Walthers der
lointersarge hän ich dm in der 3. Strophe im 5. Verse und hcete ich mmer
kreße d/ri^ eine Wendung, die, wie wir gesehen, grammatisch nicht
maßgebend ist. Dagegen zeigt gldch die 7. Zeile derselben Strophe
diu liebe tuo mich sorgen vriy daß dem Dichter wintersorge als Genitiv
*) Hahn mhd. Gr. 1, 92 bringt für den apocopierten Gen. Plur. der Feminina
erster Declination nur Walthers wintersorge bei ; in der zweiten Auflage von Friedrich
Pfeiffer finden sich solche Fälle nicht im Eineelnen erwähnt«
440 BEINHOLD BECHSTEIN
Plar. vorschwebte. Ferner geht auch aus 4^ 6 zuo minen vrötden, der
sint zwOy hcet ich usw. hervor ^ daß winterscrge Plar. ist nnd daß dti
einfach als ^drei' nnd nicht als 'dreimal mehr' aufgefasst wurde. Sodann
können wir aus den angefahrten Versen Ulrichs entnehmen^ wenn auch
nicht streng beweisen, daß er Walthers Wintersorgen als ausschließ-
Hohe, mit keiner Person in Vergleich gebrachte verstanden hat, d. h.
der als Artikel. Die Worte Walthers waren also einem Zeitgenossen,
wie wir sie eben auch auffassen müssen, gleich der Wendung: mtner
wintersorgen sint dri, ich hän d/ri vmdersorge.
Auch Rudolf der Schreiber hat die Stelle mehrmals im Sinne,
und seine Worte zeugen ebenfalls ftir meine Deutung: ich möhte sorgen
werden In4, soU ick der lieben wesen bi. . . 3, 4 und . . .ich ahte (conj.)
klein der merker hü und lieze gar der sorgen drü.
Wenn der Österreicher sagt 2, 1 ff.: Wetz wil ich bluomen unde
klef mir tuot ein ander sorge we. ick sten üf der sünden U. der solde ich
mich gelovben e, so bringt es hier der Zusammenhang mit sich , daß
der Singular gebraucht wird. Dagegen sagt er 1, 8: . . .«ö wird^ ich
nimmer sorgen grä. Eine besonders deutliche Anlehnung aber an Walther
ist 4, 3 grdzer sorgen hän ich zwo ^ die gar keinen Zweifel lässt über
seine Auffassimg der fraglichen Stelle.
28 daz (min herze) jaget der tvinier in ein stro, Pfeiffer erklärt :
j^in ein stro jagen, zurück ins Winterquartier treiben.^ Diese Erklärung
ist frei, der Sinn wird damit halbwegs erreicht, aber str& ist nicht
Winterquartier. Zacher übersetzt a. a. O. S. 458. 462 'Strohgenist', und
das ist besser. In der 2. Auflage ist Pfeiffer deutlicher: „etn stro, ein
Bund, Haufen Stroh, aber auch Strohhalm : der Winter treibt das Herz
in die Enge, macht daß es sich in den kleinsten Kaum zusammenzieht.^
Diese Erklärung, die Bartsch beibehält, weicht von der ersten ganz
bedeutend ab. Wilmanns: „in ein strSm einen Strohhalm, macht es ver-
zagt. Haupt vergleicht sie schwätzt ihn in einen Strohhalm y eine in
Schwaben gebräuchliche Redensart, und unser einen ins Bockshorn ja^en,^
Die letzten Erklärungen Pfeiffers und Wilmanns stimmen zusammen,
Zacher hat wohl die seine ^Strohgenisf aufgegeben. Ich glaube aber,
daß sie die richtige ist, wenn auch noch zu allgemein. Bei Pfeiffers
^Winterquartier' kann man an eine mit Stroh bedeckte und mit Stroh
gegen die Kälte ausgestopfte Wohnung denken ; aus einer entspre-
chenden Stelle in Ulrichs von Singenberg Parodie können wir aber
herausfühlen, daß stro bestimmt = bettestrd, dann = bette genommen
wurde; in ein str$ steht natürlich für unser: in das Stroh, ins Bette,
zu Bette. Ulrich sagt 3, 6. 7 : zuo minen vröiden^ der sint zwo, bcet ich
zu WALTHERS VOCALSPIEL. 441
die Schemen üf ein stro. Bis in die neueste Zeit hat ^Strob' die Bedeu-
tung ^Strohlager' behalten*). In Walthers Worten liegt aber zugleich
der Begriff des Armlichen, Elenden.
29 Ich hin verlegen als ein sü (A), als Esaü (C). Lachmann folgte A,
Wackemagel-Eieger und danach auch Pfeiffer C. Zacher trat fUr Lach-
manns Textwahl ein a. a. O. S. 458. Da dieser und der folgende Vers
große Schwierigkeiten enthalten und in Zachers Erörterung auch eine
Erklärung, die mit der Verwerfung der andern Lesart eng lausammen-
hä^gt, gegeben ist, so gestatte ich mir, seine Worte zu wiederholen,
zumal die Jahrbücher nicht jedem Theilnehmenden sofort zugänglich
sein werden. Zuerst gibt Zacher Pfeiffers Text und seine Erklärungen,
unter denen uns namentlich zwei wichtig sind, nämlich : verligen in Träg-
heit versinken, und rü = rüch^ rauh, struppig, und fährt dann fort:
„Ein aufmerksamer Leser wird aber doch sofort fragen: Wie kommt
denn nun gerade Esau dazu, der ja doch nach Gen. 25, 27 ein rüstiger
Jäger und Ackersmann war, und der als Jäger sich auch nicht einmal
im nordischen Winter verlegen hätte, als ein Beispiel des ^Verliegens'
zu gelten? Allein ftlr diese eben so natürliche wie berechtigte Frage
bietet Herrn Pfeiffers Commentar auch nicht eine Silbe der Belehrung
oder der Rechtfertigung. Lachmanns Text dagegen liest mit der Heidel-
berger Handschrift A ""als ein sü\ Diese Lesart aber gibt den Sinn:
mein Herz möchte sich gern draußen im Freien der Sommerwonne
freuen; aber der Winter hat es in ein Strohgenist gejagt. In diesem
habe ich mich verlegen, bin ich in schimpflicher Weise unlustig, bin ich
zu fröhlicher Bewegung schmählich träge worden, wie eine Sau. Mein
glattes Haar ist mir rauh, ist mir struppig worden usw. Dies ist nicht
nur ein an sich untadelicher und durch den Zusammenhang gebote-
ner und bestätigter Sinn, sondern es leuchtet auch klar genug ein,
wie der Schreiber der Handschrift C zu seiner Änderung gekommen ist.
Augenscheinlich hat er erstens Anstoß genommen an dem unmanier-
lichen Ausdrucke 'eine Sau', imd zweitens ist ihm bei der Gegenüber-
stellimg von sieht und rü in V. 30 die in den biblischen Geschichten
seiner Zeit genau mit denselben Worten bezeichnete Gegenüberstellung
des glatten Jacob und des rauhen Esau aus Gen. 27, 11 eingefallen
(vgl. z. B. die Genesis in Hoffmanns Fundgruben 2, 38, 8: rüch ist
min hruodery ich pin sieht unde linde und ebd. 36, 23. Diemer, Gen. 21,
15. 27). Aber jenes ästhetische Bedenken war übel angebracht, auch
*) Ich will nur erinnern an den Refrain des bekannten Tanzliedchens: Mit mir
und dir ins Federbett, mit mir und dir ins Stroh,
442 REINHOLD BECHSTEIN
wenn man Walthern den Vers L. 18, 10 absprechen will, und überdies
gi.eng dabei die Logik auf Kosten der Ästhetik so in die Brüche, daß
durch diese Änderung V. 29 seinen vortreflFlichen Sinn einbüßte , ja
genau genommen ganz sinnlos wurde. Wie aber andererseits ein Schrei-
ber von dem übelpassenden Esaü auf die vorzügliche Emendation ein sü
gekommen wäre, dafiir bietet sich gar keine wahrscheinliche Handhabe
der Vermuthung dar. Es ist also hier die Lachmann'sche Lesart, als
die allein richtige und mögliche, beizubehalten, und die von Herrn
Pfeiflfer aufgenommene Rieger' sehe, als eine bloße übelgerathene Än-
derung eines Schreibers, schlechthin zu verwerfen,"
Darauf antwortete Pfeiflfer in dem Aufsatz : Unhöfische Worte in
'Freie Forschung' (Wien 1867) S. 356. Zu den unhöfischen Worten ge-
hört 9Ü ; es bedeutet im Mittelhochdeutschen nicht im Allgemeinen
Sehwein, sondern auschließlich die Schweinmutter, serofa, „Das Wort
kommt überhaupt nur selten vor, in bildlicher Verwendung einzig bei
Walther in dem Reimspiel mit den fünf Vocalen, bei Lachmann 76, 15.
Lachmann , sonst so feinfühlig fiir Alles , was dem höfischen Brauch
zuwider läuft, hat an dem Ausdruck keinen Anstoß genommen, ob-
wohl dieser Lesart der Heidelberger Handschrift gegenüber die Pariser
Esaü darbietet. Fiir uns, die wir ims des Unterschiedes zwischen höfisch
und unhöfisch erinnern, kann die Wahl zwischen ein sü und Esaü keinen
Augenblick schwankend sein, um so weniger, als die letztere Lesart
einen vollkommen passenden Sinn gewährt und die Heidelberger Hand-
schrift, obgleich unter den Liederhandschriften die älteste, auch sonst
wegen ihrer Nachlässigkeit und ihren groben Lesefehlern berüchtigt ist.
Wenn doch wenigstens svnn gebraucht wäre, das Eberschwein, mit dem
um seines Muthes und seiner Kühnheit willen von Alters her Helden
gerne verglichen wurden. Aber Mutterschwein! Dergleichen ist bei Wal-
ther unmöglich. Dennoch hat sich Einer für die Sau begeistert, die er
an dieser Stelle gar schön und sinnvoll findet, und mir unter allerlei
Gründen zum Vorwurf gemacht, daß ich sie in Übereinstimmung mit
Wackemagel-Rieger 'aus ästhetischen Bedenken' zu Gunsten des Esau
ausgemerzt habe.**
Somit war eine lediglich philologisch-kritische und hermeneutische
Frage ganz auf das Gebiet der Ästhetik geschoben. Der eine klagte
die Lesart Esaü als sinnlos an , der andere erklärte , sie gebe einen
vollkommen passenden Sinn; der eine vertheidigte ein sü trotz seiner
Unmanierlichkeit, der andere verwarf es als unhöfisch und unästhetisch.
Wer vorurtheilsfrei an die beiderseitigen AuflFassungen herantritt, muß
Zacher Recht geben, daß die Lesart Esaü unpassend ist, sobald näm-
zu WALTHERS VOCALSPIEL. 443
lieh, verlegen stricte von verligen in der Bedeutung von 'in Trägheit ver-
sinken' genommen wird. Das muß PfeiflFer auch gefühlt haben, denn
in der zweiten Auflage dehnt er seine erste Erklärung weiter aus und
setzt hinzu: „durch Liegen unansehnlich werden (vgl. verlegene Waare),*^
was Bartsch beibehält.
Als die Ausgabe von Wilmanns erschien, war es mein Erstes, in
Erinnerung an den heftigen Lesartenstreit, nachzusehen, nicht wie Wil-
manns seine Wahl getroffen — denn daß er Lachmann und Zacher
folgen würde , stand mir fest, •— sondern wie er sich etwa über die
verworfene Lesart Esaü, die ich flir die richtige hielt, geäußert hätte.
Mit Erstaunen musste ich in seiner Ausgabe, die doch auch unter Za-
chers Namen in die Welt trat, die Lesart Esaü im Texte gewahren.
Das hat Zacher zugelassen oder so schnell hat er sich zu der andern
so eifrig und beredt verworfenen Lesart bekehrt! Und seine breit aus-
geführte und mit Ghründen gestützte Erörterung über die Entstehung
des Lesefehlers ilsaü lässt er von Wilmanns (S. 92 der Einl.) mit der
lakonischen Bemerkung abfertigen: „etw au ist gewiss nichts als ein
Lesefehler. Eine so überlegte Änderung wie Esau wäre, ist unserm
Abschreiber nicht zuzutrauen !"
Ist diese kritische Wahrnehmung richtig, so galt es, das schwie-
rige verlegen zu erklären. Wilmanns äußert sich darüber so: „ein Ritter,
der sich vom höfischen Verkehr fem hält und dadurch höfischer Sitte
entfremdet wird, verlit sich. Hartmann beschreibt einen solchen im Iwein
(2813 flF.) er gelouhet sich der heider ^ vr enden unde cleider die nach rUer-
Uchen siten sint gestaU ode gesniten: er treit den Itp swäre^ mit strü-
lendem häre, barschenkel unde harvuoz. Die Vorstellungen passen auch
wohl zu dem gewaltigen Jäger, dem rauhen Esau."
Pfeiffers letzte Erklärung und die. von Wilmanns nähern sich,
aber ein feiner Unterschied besteht doch noch zwischen ihnen.
Schießlich ist der jüngsten Ausgabe von Simrock zu gedenken,
welche der Lesart von A ein sü folgt ; dazu macht Simrock die Be-
merkung unter dem Texte : Z. 29 liest C Esau. War Esau verlegen?
Ich habe die sich widersprechenden Ansichten über Überlieferung
und Lahalt der Zeile 29 verfolgt ; es liegt mir nun ob, meine Meinung
kundzugeben. Dazu bedarf es auch der Betrachtung der Zeile 30, an
deren Schwierigkeit bis jetzt noch niemand gedacht hat.
Bei einer so verschiedenen und dabei graphisch ähnlichen Lesart
(wenn man sich den Namen klein geschrieben denkt) , kommt es zu-
nächst auf den Werth der Handschriften an. Beide, A und C, sündigen
oft, daher hat in diesem Falle keine einen Vorzug. Darum gilt es
444 BEINHOLD BECHSTEIN
zweitens zu prüfen; welche der beiden Lesarten die ursprüngliche^
welche ein Lese- und Schreibfehler ist. Da wird nun jeder, der sich
nicht bloß theoretisch^ sondern praktisch und handgreiflich mit Codices,
Urkunden und Lesarten beschäftigt hat, den Ausführungen Zachers
kopfschüttelnd gefolgt sein, dagegen aber der kurzen prägnanten Äuße-
rung Wilmanns seinen Beifall schenken, die ja nun auch von Zacher
thatsächlich mit ehrenwerther Selbstverleugnung gutgeheißen ist.
Auf das ästhetische Moment dürfte alsdann weniger Gewicht zu
legen sein. Warum hat Zacher nicht geltend gemacht, daß wir hier
ein humoristisches Gedicht vor uns haben, in welchem auch einem
feinen Dichter einmal eine Derbheit gestattet sein mochte, zumal es
hier darauf ankam, Reime zu finden?
Verdient aus kritischen Gründen &8aü vor ein sü den Vorzug,
so würde solche Entscheidung immer bedenklich sein, wenn eine neue
Handschrift entdeckt würde, welche ein ed gewährte, oder selbst wenn
in einer der Parodieen dieses verpönte Wort in der Ä-Strophe vorkäme.
Die Parodie hätte wenigstens den halben Werth einer Handschrift.
Zum Glücke ist es umgekehrt Die Parodie des Österreichers bestätigt
die Kritik, sie bietet 5, 10 ilsaü:
nu n&r mich, der Jacoben nert
vor stnem hruoder Esaü.
Der Werth dieser Wendung in der Parodie erhöht sich durch den Um-
stand, daß das Gedicht in einer früheren Zeit abgefasst ist, als die
Handschrift C geschrieben wurde ; Zachers Argument, daß der Schrei-
ber von C aus ästhetischen Gründen ein sü in Esaü geändert habe,
fällt somit ganz zu Boden. Daß der Österreicher nicht selbst auf die
Wendung mit Esaü gekommen ist, sondern sie lediglich dem Vorbilde
Walthers verdankt, wird niepiand bezweifeln.
&aü steht also fest. Die letzten Erklärungen von verlegen befrie-
digen halbwegs. Wir wollen uns für jetzt an ihnen genügen lassen.
Wie man auch über Zeile 29 denken mag, das wird überein-
stimmend gefühlt und angenommen werden, daß sich Zeile 30 mm sieht
här ist mir worden rü im Sinne an die vorhergehende anschließt und
ihren Inhalt erweitert und begründet. Pfeiffer übersetzt rü, wie wir an-
gedeutet, mit ^rauh, struppig', ebenso Zacher. Wümanns erinnert an den
verlegenen Ritter mit strOhendem hd/re, Wilmanns sagt nach Anfiihrung sei-
nes Citates aus Hartmanns Iwein, was ich hier wiederholen muß: „Die
Vorstellungen passen auch wohl zu dem gewaltigen Jäger 'dem rauhen
Esau'." Wenn wir an &aü festhalten, und dem Vergleiche weiter nach-
geheu; so müssen wir doch zu der Entscheidung kommen, daß diese
zu WALTHERS V0CAL8PIEL. 445
Vorstellungen nicht zu dem gewaltigen Jäger^ dem rauhen Esau passen.
Nirgends wird von ihm erzählt^ daß er ein struppiges Haar gehabt habe;
es heißt von ihm^ er sei Vauh' gewesen im Gegensatz zu dem ^glatten'
Jacob. Der Dichter will sagen, daß er, der ehedem ein glatter Jacob
gewesen, zu einem rauhen Esau geworden sei. Der Gegensatz von rauh
und glatt erstreckt sich aber nicht auf das Haar, das Haupthaar, son-
dern auf die Haut. Eebecca that die Felle von Böcklein ihrem Lieblings-
sohne um seine Hände, und wo er glatt war am Halse. Isaac befühlte
seinem Sohne die Hände und nicht das Haupt. Ein anderes Bedenken
gegen den Ausdruck mm sieht här ist mir worden rü ist das, daß in
der feinen Gesellschaft der damaligen Zeit das Haar gar nicht schlicht
getragen wurde, und nimmt man sieht = glatt, gestriegelt, frisiert, so
haben wir auch keinen Anhalt in dem Vergleiche mit Jacob, dessen
Haarbeschaffenheit uns ebenso wenig wie die seines Bruders berichtet
wird. Will somit der Vergleich nicht passen, so muss in Zeile 30 ein
Fehler angenommen werden, der sich leicht ergibt: ftlr här muß hüt
stehen. Graphisch sind har und hut in der Schrift des 12./13. Jahr-
hunderts sehr ähnlich, r und t sind oft nicht zu unterscheiden, a und u
sind schon verschiedener; oft aber begegnen auch a, die oben nicht
geschlossen sind und dann ganz wie u aussehen. Dazu kommt, daß
küt und här sehr oft wie noch heute formelhaft zusammengebraucht
werden, so daß eine Vertauschung sehr leicht geschehen konnte.
Zeile 30 ist dann anders und entsprechender zu übersetzen :
meine glatte {sieht) Haut *) ist mir rauh (rü) haarig geworden. Halten
wir die letzte bestimmte Äußerung, da ^rauh' Verschiedenes sein kann,
fest, so versteht es sich, daß der Dichter in dem beklagten Winter
nicht an den Händen behaart worden ist wie Esau, sondern am Halse,
d. h. er hat sich einen Bart stehen lassen müssen, was ganz gegen
die höfische Mode war. Wie wir sehen werden, lässt sich aber rü auch
noch anders fassen.
Kehren wir zu Zeile 29 und zu verlegen zurück, so haben wir
zu entscheiden, welche der beiden Erklärungen vorzuziehen sei, wenn
wir einen Einklang mit Zeile 30 suchen. Pfeiffers Erklärung von ver-
legen = unansehnlich scheint mir deshalb weniger zu passen, weil unter
den beiden Brüdern gewiss Jakob und nicht Esau der unansehnliche
war. Wilmanns bringt eine treffliche Stelle zur Erklärung bei, aber er
*) Neben linde wird gerade sieht von der Glätte und Weichheit der Haut ge-
braucht und bedeutet ebenso wie unser glatt je nach dem Zusammenhang : geglättet,
weich und unbehaart
446 REINHOLD BECHSTEIN
vermeidet eine wirkliche Übersetzung von verlegen^ die sich in Hinblick
auf das Aussehen des sich verliegenden, verlegenen Ritters etwa geben
lässt mit: Verphilistert, verbauert\ Das triflFt besser als *unansehnlich^
Aber doch will es nicht gentigen. Ich glaube nicht, daß ein Dichter
in der damaligen Zeit, so fein und geleckt auch ihre äußeren Gesell-
schaftsformen waren, dem kräftigen, heldenmäßigen, unschuldig betro-
genen £sau ein so tadelndes und nicht einmal ganz zutreffendes Epi-
theton wie vei^legen in der weiteren und übertragenen Bedeutung ge-
geben hätte« Die Schreiber haben es allerdings gethan, dezm verlegen
lesen beide Handschriften. Aber ich bin überzeugt, daß hier ein Fehler
steckt. Ich habe allerlei Vermuthungen, aber sie sind unsicher, darum
verschweig' ich sie.
Haben wir bis auf das noch immer zweifelhafte verlegen die schwie-
rigen Stellen im Vocalspiele Walthers, so weit dies überhaupt möglich,
erklärt, so erübrigt noch eine Betrachtung des Gesammtinhalts der
letzten Strophen, welche auch noch fUr eine Einzelheit von Vortheil
sein soll.
Bei Erwähnung der grammatischen Schwierigkeit im Verse der
wintersorge hdn ich dri sagt Zacher beiläufig, wir wüssten nicht, könnten
auch nicht herausgrübeln und brauchten jedesfalls auch nicht zu wissen,
welche bestimmte drei Sorgen den Dichter drückten. Ich meine da-
gegen, daß es mit zum Verständnisse des Gedichtes gehört, daß wir
das wissen , und wenn es sich nicht auf den ersten Blick darbietet,
daß wir es zu finden suchen. Zu grübeln braucht man deswegen
noch nicht.
Daß der Dichter dri bloß anwende, nur um einen Reim auszu-
ftillen, dürfen wir einem Meister wie Walther nicht zutrauen. Wäre
wirklich dri = dreifach und dreimal mehr , dann würde dri eine be-
liebige Vielheit bezeichnen, dem Sinne würde genügt, eine logisch folge-
richtige Auseinandersetzung oder selbst Andeutung, worin eigentlich
die Wintersorgen bestünden, wäre nicht von Nöthen. dri ist aber, wie
wir gesehen , eigentliches Zahlwort und dieses drückt eine viel zu
niedrige Zahl aus, als daß es fUr eine allgemeine Steigerung des Be-
griffes dienen könnte. Wir müssen in der That drei Wintersorgen an-
nehmen. Außer diesen hat der Dichter auch noch andere (swa:^ der und
der andern äi) , die nicht an den Winter gebunden sind ; von diesen
allgemeinen Sorgen und speciell von den drei Wintersorgen hofft er
durch den Sommer erlöst zu werden.
Ulrich von Singenberg lässt uns im Unklaren, welches seine zwei
Freuden sind (suo rmnen vröiden, der sint zwd) ; was aber dem Epigonen
zu WALTHERS VOCALSPIEL. 447
hingeht, wird dem Meister nicht erlaubt sein. Der viel jüngere öster-
reichische Dichter belehrt uns umgekehrt ganz genau über seine zwei
großen Sorgen : grozer sorgen hän ich zwd : diu eine^ sd mm ougenhrd
belüchent (sich schließen), wie mich vinde d$ der tot; diu sorge M mir
hd, diu ander nSt, wie unde wd wirt min geverte. Diese Auseinander-
setzung streift an den Predigerton, sie ist unpoetisch, und es ist ganz
natürlich, daß uns Walther in dem heiteren Gedichte nicht eine solche
Aufzählung seiner Sorgen gibt. Etwas ganz anderes ist es, wenn in
dem Gedichte ich setz üf einem steine die drei Dinge nach einander
genannt werden.
In den letzten Strophen sind die drei Wintersorgen nicht beson-
ders aufgeflihrt^ wohl aber angedeutet. Zuerst ist von der Kost die Rede.
Im Winter gibt es wenig und nichts Gutes zu essen, darum den krebz
wolt ich S ezzen rd. Zweitens: im Winter ist freudlose Zeit; statt daß
das Herz sich der Schwärmerei hingibt, muß es sich, um der Kälte
und Unlust zu entgehen, in ein elendes Bette flüchten. Und die dritte
Wintersorge? Wenn wir annehmen, daß die schreckliche Wandlung
des glatten Jacob in einen rauhen Esau darin bestanden habe, daß
der arme gefangene Dichter, vielleicht aus Mangel eines Barbiers, bärtig
geworden ist und sich so nicht in guter Gesellschaft sehen lassen kann,
so würde eine solche Auffassung wohl am ehesten zu der zuletzt ge-
wonnenen Bedeutung von verlegen stimmen, aber eine so recht charak-
teristische Wintersorge wäre damit nicht ausgedrückt. Ich glaube daher,
wir müssen die Stelle noch anders und besser zu erklären versuchen.
Das schlimmste im Winter ist die Kälte. Es ist schon in der
vorhergehenden Strophe ausgedrückt, daß der Dichter vor ihr Schutz
sucht, aber in solchem Falle ist sie nicht weiter geföhrlich. Sie ist es
erst dann, wenn sie Schmerzen verursacht. Verlegen ist unsicher, und
wir können es bei Seite lassen, wenn wir nur wissen, daß Vers 1 der
Ä-Strophe besagt : ich bin zu einem Esau geworden. Meine glatte Haut
ist mir rauh geworden wie dem Esau; er war rauh an Hand und Wange,
ich bin es auch , ich habe in Folge der Kälte aufgesprungene Haut
bekommen, ich muß zum Hunger und zur Unlust in Folge der Winter-
kälte auch noch Schmerzen erdulden. Der Dichter spielt mit dem Worte
rÄ, welches Vauh' und zugleich Vauch' bedeutet. Diese Auffassung hat
das vor jener voraus, daß rü nicht bloß auf jenen einen Körpertheil
geht, sondern auf beides, auf Hände und Hals oder Gesicht zugleich.
Gerade die Hände sind es, an denen Isaac seinen Sohn Esau zu er-
kennen glaubt , und gerade an den Händen frieren wir zumeist ; sie
springen noch eher auf als die Wangen.
448 REINHOLD BECHSTEIN, ZU WÄLTHERS VOCALSPIEL.
Um zu dieser Erklärung zu gelangen, habe ich nicht nöthig ge-
habt, zu grübeln; sie hat sich mir nach und nach ergeben, aber erst
dann, als ich zur Überzeugung kam, daß hüt für hdr gelesen werden
müsse.
Während ich den Plur. von vnntersorge und überhaupt die ganze
Zeile festgestellt, die Bedeutung von stro halbwegs gesichert, die Con-
jectur hüt wenigstens wahrscheinlich gemacht zu haben glaube, will
ich selbst meine Erörterung, worin die drei Wintersorgen besijanden,
nur als Vermuthung angesehen wissen.
Es ist nur ein einziges Gedicht Walthers, dem wir eine verhältniss-
mäßig ausgedehnte Betrachtung widmeten. Es ist keineswegs von die-
sem Vocalspiel zu sagen, wie Zacher thut (a. a. O. S. 457), daß es zu
den leichteren Dichtungen gehöre und weder in kritischer noch in
exegetischer Beziehung ernstere Schwierigkeiten darbiete. Verschiedene
und weit aus einander gehende Ansichten knüpften sich an mehrere
Einzelheiten des Gedichtes. Indem ich solche Ansichten gegen einander
abwog und mich aus Gründen für die eine oder andere erklärte, auch
einige neue Auffassungen beibrachte, glaube ich, einen kleinen, nicht
ganz unnützlichen Beitrag zur Exegese der Dichtungen Walthers ge-
geben zu haben, des Dichters, der, obwohl schon oft ediert und ver-
schiedenlich erklärt, noch gar viele Schwierigkeiten bietetitrotz seiner
Einfachheit und Klarheit, und der es vor allen verdient, daß wir uns
fort und fort um ihn bemühen. Selbst von ihm können wir noch lange
nicht behaupten, daß wir ihn ganz verstehen.
Bei dieser Gelegenheit, da ich einmal bei Walther bin, will ich
eine Berichtigung geben zu meiner Conjectur zu Walther L. 105, 14
(Germania 12, 475). Ich erhielt von dem kleinen Beitrag keine Cor-
rectur. S. 476, Zeile 2 v. o. ist statt ü zu lesen u oder ü und Z. 8 v. o.
u\ Gezzen. — u\Vehheny ebenso Z. 9 u\Vch}ien, 7a, 13 ist statt ßjbrbringen
zu lesen fürbrechen. — Meine Conjectur, an der ich auch heute noch
festhalte, ist weder von Wilmanns noch von Bartsch in der Anmerkung
erwähnt worden. Simrock dagegen hat sie S. 79 sogar in den Text
aufgenommen. Das ist mehr als ich verlangen konnte. Einen Ausspruch
von Simrock verstehe ich nicht: er sagt, er habe nach meinem Vor-
schlag vergezzen in den Text gesetzt, „obgleich es nicht den Genitiv
regiert", missetdt ist doch auch Form des Genitivs neben missetcete]
warum soll vergezzen also nicht den Genitiv regieren?
JENA, August 1870. REINHOLD BECHSTEIN.
449
LITTEBATÜß.
Konnnga-Boken, cller Sagor om Ynglingame och Norges konungar intill ar 1177.
* Af Snorre Sturleson. Of^ersatt och förklarad af Hans Ol of Hildebrand
Hildebrand. Pörsta delen, Örebro, Abr. Bohlin, 1869.
Eine sehr erfreuliche Thätigkeit wendet sich neuerdings in Schweden wie in
Norwegen der altnordischen Litteratur zu, und insbesondere kommt dieselbe auch
der geschichtlichen Litteratur bereits mehrfach zu gut. Ich erwähne in dieser Rieh-
tung eine Ton Anmerkungen begleitete Übersetzung der HaUfredars. yandr^eda-
k41ds, welche S.H. B. Svens so n in Lund vor wenigen Jahren herausgab (Lund,
Hakon Ohlssons Bogtryckeri, 1864)^ welche zumal um der Anmerkungen willen
auch für den Nichtschweden Interesse hat; eine von demselben Gelehrten begon-
nene neue Ausgabe der Njdla (Lund. J. Gleerup, 1867, und fg.)> welche bei der
Seltenheit der Kopenhagener Ausgabe von 1772 und der heillosen Masse von Druck-
fehlern in dem Videjer Abdrucke von 1844 gewiss nur erwünscht kommen kann;
eine Übersetzung und Erklärung der Hdfudlaum durch SÖrensson (Lund, Glee-
rup, 1868); endlich eine recht brauchbare Arbeit von 0. Kyhlberg über den
Dichter Sighvcttr pördarson, welcher eine Ausgabe und Übersetzung seiner Vestr-
vikingarvfsur und Nesjavisur , sammt erläuternden Anmerkungen zu beiden bei-
gegeben ist (Lund, Hakon Ohlssons Bogtryckeri, 1868). An diese Arbeiten schließt
sich nun ein neues Unternehmen an, welches der Abr. Bohlin'scheo Buchhandlung
zu Örebro seine Entstehung verdankt. Unter dem Gesammttitel „Böcker for Hem-
me^ hat diese neuerdings begonnen, . eine Auswahl tüchtiger Werke in schwe-
discher Sprache erscheinen zu lassen, welche sich zu allgemeinerer Verbreitung itt
gebildeten Kreisen empfehlen. Eine erste Serie von Heften ist dabei bestimmt, eine
Blumenlese aus Schwedens schöner Litteratur zu geben, während eine zweite für
die historische und geographische Lecture zu sorgen hat, und das erste Heft dieser
zweiten Serie ist es, welches unter dem oben stehenden Titel den Anfang einer
Übersetzung und Erklärung der sogenannten Heimskrfngla bringt.
Dreierlei kommt bei dem vorliegenden Werke in Betracht : die Übersetzung
des Textes , die ihr am Fuße jeder einzelnen Seite beigegebenen erläuternden An-
merkungen, endlich eine Reihe größerer Excurse, welche über einzelne wichtigere
Materien erschöpfenderen und zusammenhängenderen Aufschluß zu geben bestimn^t
sind, als welchen zerstreute Noten zu einzelnen Stellen zu geben vermocht hätten.
Von solchen Excursen bringt dieses erste Heft eine einleitende Besprechung der
Persönlichkeit und litterarischen Wirksamkeit Snorri's (S. I — LV), eine Erörterung
der Geographie der Heimskrfngla (S. LVH — LXXII), sowie eine kurze Vorbe-
merkung zur Ynglinga s. (S. 5. 6); doch soll der erste Band an seinem Schlüsse,
neben ein paar wie es scheint vorwiegend chronologischen Anhängen zur Olafs s.
I'iyggvasonar noch eine Erörterung über die Wohnungen in der Sagenzeit, eine
solche über die Schiffe, endlich eine weitere über das Brandalter und Hügelalter
bringen, während für den zweiten Band eine Besprechung der Kleidung und Be-
wachung, für den dritten und letzten aber eine chronologische Übersicht, eine
Charte von Norwegen und die Register in Aussicht gestellt sind. — Am Kürzesten
darf ich mich bezüglich der Übersetzung fassen, obwohl diese den Hauptbestand-
■
GERMANIA. N«a« Reihe III. (XV.) Jahrg. 30
450 LTTTERATUB.
■
theil d^8 Werkes ausmacht. Dem deutschen Leser wird sie von Vornherein das ge-
ringste Interesse bieten, und ihren Werth zu beurtheilen wird überdies dem Aus-
länder am Schwersten fallen : ich darf mich demnach wohl auf die Bemerkung be-
schränken, daß dieselbe mir so gut und getreu zu sein scheint, als man dies nur
Yon einer Übertragung verlangen kann, die nicht, wie weil. Ferd. Wächters deutsche
Übersetzung, jeden Anspruch auf Lesbarkeit vollkommen aufgibt. Nur ganz aus-
nahmsweise finden sich einzelne Stellen, hinsichtlich deren sich die Genauigkeit
im Wiedergeben des Originales beanstanden liesse, wie etwa wenn die Worte des
Prologes : ^^Hallr för milli landa, ok hafdi fMag Olafs konüngs hins helga, ok fekk
af pyi uppreist mikla," übersetzt werden: „Hall for emellan landen och umgicks
med konung Olof den heiige; deraf fick han mycket anseende;^ ich wenigstens
möchte, obwohl auch MÖbius in seinem Glossare, s. v. f&lag, in jener Weise über-
setzt, doch lieber wieder zu der von G. Sohjöning und J6n Olafsson bereits ge-
wählten, und auch von Ferd. Wächter sowohl als Jacob Aall festgehaltenen Deu-
tung zurückkehren, und somit annehmen, daß nicht vom Umgange Halls mit
K. Olaf, sondern von der Eingehung einer HandielsgeseUschaft zwischen beiden
die Rede sei, wie ja derselbe König eine solche mit Guäleikr gerzki nachweisbar
eingegangen hatte (Hskr. Olafs s. helga, cap. 64, S, 267), und nicht von einer
Steigerung des Ansehens, sondern von einer Vermehrung des Vermögens jenes
Isländers in Folge dieser Verbindung. Nicht einleuchten will mir die Art, wie
Hr. Hildebrand die altnordischen Personen- und Ortsnamen den neuschwedischen
Sprachformen entsprechend umgestaltet, sofern es mir wenigstens Mühe macht,
in Namen wie Udde, BÖkahult, Lider, Söda^äll die Formen Oddi, Reykholt,
Hleidrar, Saudafell der isländischen Quellen wieder zu erkennen; indessen weiß
ich wohl, daß es sich hier im Grunde nur um eine Geschmacksfrage handelt, be-
züglich deren die Meinungen weit auseinander gehen, wie denn z. B. Möbius erst
neuerlich £. Jessens gleiches Verfahren bei der Umsetzung altnordischer Namen
in dänische Formen als ein besonders verdienstliches hervorgehoben hat (Zeitschrift
für deutsche Philologie, I, S. 421 — 22). — Was sodann die Anmerkungen des
Übersetzers betrifft, so sind diese meines Erachtens vollkommen sachgemäß ge-
halten ; wenn nämlich zwar der Mann vom Fach gar manche Erläuterung überflüßig
finden mag, welche er zu lesen bekommt, so ist doch der Leserkreis, fär welchen
die Arbeit zunächst bestimmt ist, gewiss auch für solche Zuthaten dankbar, und
seine Bedürfnisse sind eben doch die allein entscheidenden. Ein gesunder, von
jeglicher Überspanntheit sich freihaltender Standpunct ist es, welchen Hr« Hilde-
brand einnimmt, wo immer es gilt, das schlüpferige Gebiet der Combination oder
die nicht minder verführerische Grenze zwischen Geschichte und Sage zu betreten,
und wie er in seiner geographischen Übersicht mit ein paar kurzen, schneidigen
Worten Rad. Keysers wunderliche Hypothese zurückweist, daß H&logaland der zu-
erst von den Nordleuten in Besitz genommene Landstrich gewesen sei (S. LXVI),
80 macht er sich auch mit gesundem Humor über die Vortheile lustig, welche das
300jährige Alter Starkads den chronologischen Conjecturen bietet (S. 29, Anm. 3),
lehnt er jede Vermuthung darüber ab, ob und wieviel geschichtlicher Kern in den
Erzählungen über Ivarr vidfadmi zu finden sei (S. 47. 48, Anm«), und erklärt es
für ein hoffiiungsloses Bemühen , wenn auf den Wechsel des Titels dr6ttinn und
koniingr, von welchem die- YngUnga s., cap. 21, berichtet, vielfach sofort staats-
rechtliche Systeme gebaut werden wollen (S. 24, Anm. 2). Mit vollstem Rechte
wird insbesondere in der Vorbemerkung zur Ynglinga s. sowohl als in mehreren
LITTERATÜE. 451
Anmerkungen zu einzelnen Stellen derselben (z. B. 8. 36, Anm. 1 ; S. 38, Anm. 1 ;
S. 45, Anm. 1) darauf aufmerksam gemacht, wie einzelne in dieser Sage auftre-
tende Personen und Geschlechter auch wieder im Beovulfsliede, oder wieder in der
Stammtafel des Ari frödi genannt werden, ohne daß doch die hier und dort über
sie gemachten Angaben unter sich in volle Übereinstimmung zu bringen wären ;
der schwanke Boden, auf welchem die ganze Vorgeschichte des Nordens bis in die
Mitte des 9. Jhd. herein ruht, tritt in derartigen Differenzen recht klai* zu Tage,
und wohl wäre einer eigenen Untersuchung werth, wieweit etwa die Überlieferungen
angelsächsischer Dichter und die Combinationen angelsächsischer Genealogien auf
die Darstellung der nordischen Sagenzeit in den isländischen Quellen bestimmend
eingewirkt haben. Die plumpe Art, in der Rühs seinerzeit den Einfluß der angel-
sächsischen Poesie und Historik auf die isländische zu Markt gebracht hat, darf
uns nicht bestimmen, jede derartige Einwirkung zu leugnen, oder auf die Unter-
suchung ihrer Beschaffenheit und ihres Umfanges zu verzichten. Selbstverständlich
fehlt es nicht an einzelnen Bemerkungen, bezüglich deren man gegen die vom Vei'f.
aufgestellten Sätze Einwendungen erheben könnte. Wenn derselbe z. B. hervorhebt,
daß Odins Name niemals zur Bildung von Personennamen verwendet worden sei
(S. 14, Anm. l), so mochte ich dem gegenüber auf die beiden Bischöfe Namens
Odinkar hinweisen, die nach Adam von Bremen (II, cap. 23, S. 314; cap. 34,
S. 318. 19), einem Scholiasten (Schol. 3 7, S. 323), dann Sazo Grammaticns
(X, S..506. 7; 523), vornehmster dänischer Abkunft und unter sich verwandt
waren; ihr Name, welchen der Scholiast Adams irrig als ^Deocarus*^ deutet
(Schol. 26, S. 319), der aber ebenso wie der Name ihrer Verwandten Asa augen-
scheinlich acht nordisch ist (vsl. Schol. 46,^ S. 328), kann doch wohl nur, nach
' der Analogie von l)orgeirr und Asgeirr, als Odingeirr, d. h, Odins Speer gedeutet
werden, nicht als Odinkaerr, d. h. Odins Freund (vgl. ags. Fre&vine)^ würde aber
im einen wie im anderen Falle des Vei*fassers Annahme widerlegen. Nicht ganz
richtig ist auch, wenn (S. 14, Anm. 3) gesagt wird , daß die alten Nordleute den
Winter mit dem 14. October, den Sommer mit dem 14. April begonnen hätten.
Für Norwegen mag die Angabe allenfalls richtig sein (vgl. Finn Magnussen , Spe-
cimen Calendarii, S. 1015; Chr. Lange, im Diplomatarium norvegicum, I, 2.
S. XXXVIII; Fritzner, s.v. sumardagr, dann vetradagr, vetramessa, vetmsstr);
von Island aber wissen wir ja, daß der erste Sommertag stets ein Donnerstag und
der erste Wintertag stets ein Samstag sein musste (Kgsbk. §. 19, S* 37), was allein
schon genügt um festzustellen, daß beide Tage nicht Jahr für Jahr auf den gleichen
Monatstag unseres Kalenders fallen konnten. Aus älteren kalendarischen Werken
erfahren wir denn auch wirklich, daß der erste Sommertag frühestens auf den 9 .
und spätestens auf den 15. April fiel (Rimbegla, I, cap. 8, §.26, S.42; IV, cap. 1,
§. 3, S. 430. 32; vgl. das Nekrologium islandicum, bei Langebek, II, S. 508. 9),
wonach also der erste Wintertag frühestens auf den 10. und spätestens auf den
16. October fallen musste (es ist ungenau oder vielmehr spätere Rechnungsweise,
wenn das angeführte Nekrologium S. 516 den 11. und 18. October als die Win-
tersgrenze angibt, vgl. Rfmbegla, 11, cap. 3, §. 25, S. 200); gelegentlich der
Reception des gregorianischen Kalenders auf Island trat durch einen Alldings-
beschluß vom 1. Juli 1700 (Lovsamling, I, S- 553) eine Verlegung jener Termine
ein, welche 10 Tage betrug, im Übrigen aber deren Beweglichkeit bestehen ließ.
Ungenau ist es, wenn „kvfsl'' schlechtweg als Flußmündung erklärt wird (S. 7,
Annu 4), während doch der Ausdruck; wie er sonst den Zweig eines Baumes oder
30*
452 LTTTERATÜR.
die Linie eines Geschlechtes bezeichnet, für jede Verästelung in einem Wasserlaofe
gebraucht wird, möge es sich nun dabei um mehrfache Zuflüsse eines Hauptstromes
handeln, oder um mehrfache Rinnsale eines Flusses in seinem Mittellaufe, oder
endlich um mehrfache Arme an einer Flufimündung. Ebenso ungenau will mir
scheinen, wenn unter dem „disir'' ausschließlich die fylgjur oder hamingjur ver-
standen werden wollen (S. 38, Anm, 5) ; wenn es in dem Kr&kum&l heißt:
heim bj6cta m^r disir,
sem frk Herjans höllu
hefir Odinn mör sendar,
so können darunter doch nur die Talkyriur gemeint sein, und wenn Freyja Vana-
dfs, Skadi Ondrdis heißt, so zeigen die ebenfalls nachweisbaren Formen Öndrgud,
Yanagud, daß das Wort hier die Göttin bezeichnet. Endlich ließe sich auch über
einzelne Bemerkungen mit dem Verf. rechten, welche er über altnordische Verfas-
sungsYcrhältnisse macht. Es fuhrt zu falschen Vorstellungen; wenn gesagt wird
(S. 8, Anm. l), unter ngodf* verstehe man den Vorsteher eines Tempels und des
Opferdienstes, auf Island aber, wo der Ausdruck am Längsten sich in Geltung
erhalten habe, bezeichne er den Inhaber einer bürgerlichen Gewalt, die mit der
des schwedischen Vorstehers eines hörad oder hundari vergleichbar sei. Das Rich-
tige ist bekanntlich, daß der vom Gottesdienste hergenommene Titel auf Island
einen Häuptling bezeichnete, der von einer Tempelvorsteherschaft ausgehend auch
die weltliche Gewalt an sich zu bringen wusste, und daß dieser Titel ihm auch
dann noch verblieb, als mit dem Übertritte des Volkes zum Christenthume die
priesterlichen Befugnisse der Würde wegfielen ; auch hier also ist es das Priester-
thum, von welchem diese ihren Namen hat, und das Eigenthümliche nur das, daß
dieser Name blieb, als an das Priesterthum bereits ganz andere Rechte sich ange-
schlossen hatten, ja sogar als diese nach Wegfall jenes ersteren allein stehen ge-
blieben waren. Der norwegische ^hersir'' soll femer „kaum mit Recht^' demselben
schwedischen Beamten verglichen werden (S. 31, Anm. l). Warum doch? Hersir
leitet sich eben so gut von „herr", wovon hörad, ab wie hära))shöf()ing], oder wie
hundarishöfpingi von dem gleichbedeutenden hundari, und in der Landn&ma (III,
cap. 9, S. 195) wird sogar ausdrücklich von einem hersir in Schweden gesprochen,
ganz wie ebenda (IV, cap. 6, S.254) von einem hofgodi in Norwegen die Rede ist;
die Sache war eben die, daß der isländische godi, der norwegische hersir und der
schwedische hundarishöf))ingi wesentlich dieselbe Gewalt ausübten, nur daß die
beiden letztem, an der Spitze einer Hundertschaft stehend, nach dieser ganz eben-
sogut benannt werden konnten wie der angelsächsische hundredes ealdorman, der
altsächsische hunno, der gothische hundafa})s oder der centenarius der lateinischen
Quellen des Frankenreiches, wogegen auf Island, wo geschlossene Hundertschaften
fehlten, ein von ihnen entlehnter Titel der Würde unmöglich wurde, und dafür
der priesterliche Titel eintrat, welchen, nach ein paar dänischen Runensteinen zu
schließen, ursprünglich ein Unterbeamter des hersir oder Königs geführt hatte.
Den Königstitel aber, dessen Etymologie lediglich auf die Abstammung von einem
bestimmten Geschlechte als characteristisches Moment hinweist, mochte der einzelne
hersir, der seine Würde in seinem Hause erblich zu machen wusste, ganz eben
«ogut annehmen, wie derjenige, der ein ganzes Volkland oder ein ganzes Stamm-
gebiet seiner Herrschaft unterwarf; dem ))j6ctan, fylkir, hersir entspricht demnach
ein })j<Sdkoi|üngr, fylkiskonüngr, höradskondngr, ohne daß ich einen Grund ab-
LITTERATÜR. 453
»eben könnte, warum mit dem Verf. (S. 42, Anm. 4) in der letzteren Zusammen-
setzung das Wort h^rad nicht technisch gebraucht stehen sollte. Entwickelte sich
etwa aus einer früheren Bnndesvorsteherschaft, wie solche in Island das alsherjar-
godord gewährte, eine bleibende erbliche Obergewalt, oder wurde eine solche
durch Gewalt und Eroberung begründet, so entstand eben damit der Gegensatz
eines Oberköniges (yfirkonüngr) und mehrerer Unterkönige (sm4konüngar), wie
dergleichen ja auch bei anderen germanischen Stämmen oft genug vorkam, und in
Anbetracht solcher Erscheinungen hat es denn auch nichts Auffälliges, wenn die
Ynglinga s. (cap. 38, S. 30) den Svipdagr blindi als h^radskoniing über Tiundaland
regieren lässt, während doch Braiit-Onundr und dessen Sohn Ingjaldr gleichzeitig
Oberkönig über ihn und andere hferadskoniingar ist, und konüngr at Uppsölum
heißt (cap. 40, S. 3 1 , ebenda), obwohl üppsalir in Tiundaland liegt. — Das zuletzt
Bemerkte führt mich von selbst zu den Excursen hinüber, welche der Verf.
seiner Übersetzung beigegeben hat. In seiner Erörterung über die Geographie
der Heimskr. spricht er nämlich aus (Ö, LVIII), daß in Norwegen, mit Ausnahme
etwa der Landschaft Vikin, eine Eintheilung des Landes in h^röd sich nicht be-
stimmt nachweisen lasse, und daß auch die Eintheilung des Landes in fylki erst eine
vergleichsweise späte sei. Damit möchte nun aber doch zuviel gesagt sein. Bichtig
ist allerdings, daß die mit dem Worte fylki zusammengesetzten Landschaftsnamen
jüngeren Datums sind, als die ihnen zu Grunde liegenden einfachen Benennungen
der Völkerschaften und Länder, daß man also früher von Sogn und Sygnir als von
einem Sygnafjlki, früher von Bogaland undBygir als von einem Ry'gjafylki u. dgl.m.
gesprochen hatte; aber daraus folgt denn doch in keiner Weise, daß die Eintheilung
in Volklande selbst nicht ungleich älter ist als jene Formen ihrer Benennung, da ja
Sogn oder Bogaland längst ein fylki sein mochte, ehe jene ausdrückliche Bezeich-
nung als solches in den Namen der Landschaft aufgenommen wurde, und in der That
spricht meines Erachtens Alles dafür, daß diese Eintheilung soweit zurückreicht,
als die norwegische Geschichte selbst. Von sehr vielen fylki können wir nachwei-
sen, von den übrigen wenigstens vermuthen, daß sie ursprünglich selbständige
Staaten gebildet ^hatten, und erst später zu bloßen Provinzen eines umfassenderen
Gesammtstaates herabsanken. Die Dingverbände insbesondere, mit alleiniger Aus-
nahme des drontheimischen, sehen wir erst in geschichtlicher Zeit aus früher un-
verbundenen Volklanden sich allmälich zusammensetzen, und sie wenigstens sind
hiemach entschieden jünger als die Volklande selbst. Endlich finden wir auch in
Schweden sowohl als in England die Bezeichnung folc, fplkland für einzelne Land-
schaften gebraucht, was denn doch auch wieder auf das Alter von Sache und Namen
zurückschließen lässt. Andemtheils aber ist zwar unbedingt zuzugeben, daß für
die Unterabtheilungen des fylki in den norwegischen Provincialrechten der Aus-
druck hferad nur selten gebraucht wird, und daß in Norwegen sowohl als zumal auf
Island diese Bezeichnung sehr häufig wirklich in untechnischem Sinne für „Bezirk"
gesetzt wird. Aber die })ridjungar und §6r dungar, von welchen in den ver-
schiedenen Rechtsbüchern die Rede ist , sind eben die alten hferÖct, welche hier
nur unter einem neueren, den Localverhältnissen angepassten Namen auftreten,
weshalb denn auch z. B. die hferadskirkja in Norwegen vollkommen dieselbe Rolle
spielt wie die hundariskirkja in Schweden. Die Etymologie sowohl als der schwe-
dische Sprachgebrauch der späteren Zeit thut überdies schlagend dar, daß das
schwedische hundari mit dem gotischen, dänischen und norwegischen hferad voll-
kommen identisch ist, womit sich, beiläufig bemerkt, auch des Verfassers Behaup-
454 LITTERATÜR.
tung von selbst erledigt, daß die Heimskr. nur in nntechnischem Sinne von höröä
in Schweden spreche (S. 42, Anm. 1); hier wie dort handelt es sich eben einfach
um den altgermanischen Gau oder pagus, welcher sich ja als centena, huntari oder
hundred bei den verschiedensten Abtheilungen der Südgermanen ganz ebenso wie
bei den Nordgermanen nachweisen lässt. Sonst möchte ich etwa noch zu dem geo-
graphischen Excurse des Verfassers bemerken, daß die Ableitung des Namens
Gardariki von den vielen Städten, welche in Bussland gelegen waren (S. LXXI;
vgl. S. 10, Anm. 3), doch etwas problematisch sein dürfte; mir wenigstens will
die ältere Ableitung von Gardar:^H61mgardar, und die Beziehung dieses Namens
auf die Stadt und das Beich von Nowgorod immerhin wahrscheinlicher vorkommen.
Entscheidendes Gewicht wird man freilich dem Umstände nicht beilegen dürfen,
daß in zwei Hss. der Gaungu-Hrölfs s., cap. 38 (FAS., III, S. 362, Anm. 4, und
Antiquitds Busses, I, S. 233, Anm. 6) ausdrücklich zu lesen steht: „i Hölmgarda-
borg er mest atsetr Gardakonüngs , })at er nü kallat Nögaräar,'' da keine der
beiden Hss. über den Anfang des 15. Jhd. zurückreicht; aber immerhin bleibt
soviel gewiss, daß die Pluralform „Gardar** recht wohl einen einzigen Hof oder
eine einzige Stadt bezeichnen kann, wie sich denn wirklich auf Island sowohl als
Grönland mehrere so benannte Höfe finden, und da anderseits Nowgorod die längste
Zeit als die mächtigste und ihres Handels wegen auswärts bekannteste russische
Stadt in der That zu betrachten war, erklärt sich leicht, daß von ihrem Namen
der des gesammten Landes abgeleitet worden mochte. — Einzugehen bleibt end-
lich noch auf des Verfassers Excurs über Snorri Sturluson und dessen
Werke, welcher in der That nicht wenig Verdienstliches bietet. Die Lebens-
beschreibung des merkwürdigen Mannes, welche wir hier erhalten, gibt in knapper
Form meines Erachtens alles Wissenswerthe, und bietet nur in Nebenpuncten allen-
falls zu einzelnen Einwendungen Anlass, wie ich denn z. B. Munchs Beurtheilung
des Bischofes Gudmundr Arason gegen des Verfassers scharfen Tadel (S.IX, Anm. l)
in Schutz nehmen möchte, nicht natürlich, weil ich die relative Berechtigung des streng
kirchlichen Standpunctes verkennen will, den derselbe vertrat, sondern weil ich die
ebenso leidenschaftliche als haltungslose und unvernünftige Art nicht übersehen
kann, wie er denselben verfocht. Erheblichere Zweifel dürften sich dagegen bezüglich
der Ausführungen geltend machen lassen, welche der Verf. über Snorri's litterarische
Wirksamkeit vorträgt, und zwar in zweifacher Bichtung. Auf der einen Seite näm-
lich bestreitet derselbe im Wesentlichen Snorri*s Verfasserschaft der jüngeren Edda,
indem er- ihn nur als Verfasser des metrischen H4ttalykill und allenfalls noch der
ihn begleitenden prosaischen Analyse, nicht aber auch der Gylfaginning, Braga-
raedur und des Sk41dskaparmäl gelten lassen ^11; auf der anderen Seite aber
schreibt er ihm die Verfasserschaft der gesammten sogenannten Heimskrfngla zu,
nicht bloß die einer Anzahl gesonderter Lebensbeschreibungen einzelner Könige
oder Königsreihen, und in beiden Beziehungen kann ich seine Beweisführung nicht
überzeugend finden, so gerne ich das Gewicht der vorgebrachten Gründe und zu-
mal auch die Vorsicht anerkenne, mit welcher der Verf. seine Ansichten ausspricht.
Die jüngere Edda betrefi^end stützt sich der Verf. lediglich auf die Widersprüche,
welche sich zwischen so manchen Stellen derselben und einzelnen Angaben der
Heimskr., und zumal ihrer Ynglfnga s. ergeben ; aber auf die^e darf man meines
Erachtens nicht gerade viel Gewicht legen. In einizelnen Fällen mochte solchen
Widersprüchen, wie diese bereits Munch bemerkt hat, ein Fortschreiten in der ge-
schichtlichen Kritik zu Grunde liegen, und hierauf liesse sich z. B. zurückführen^
LITTERATÜR. 455
wenn die Heimskr« in ihrer Haralds s. bÄrfagra (cap. 19, S. 62) eine Strophe dem
Homklofi zuschreibt, welche Gjlfag. (cap. 3. S. 34) mit der Fagrsk. (§. 13, S. 9)
und Flbk. (I, S. 574) dem ]3j6ct61f or Hvini beilegt. In anderen, und gewiss in den
meisten Fällen mochte dagegen der Widerspruch ein mehr oder minder zufälliger
sein, veranlasst durch das geringe Gewicht, welches der verständig prüfende Snorri
den mythischen Überlieferungen in geschichtlioher Beziehung überhaupt beilegte,
und durch die ganz verschiedene Tendenz, welche er bei der Abfassung der Edda
einerseits und der Ynglinga s. andererseits verfolgte, vielleicht auch durch die Ver-
schiedenheit der Quellen, welche er für beide Arbeiten benützte. Bei der Edda kam
es ihm lediglich darauf an, ein Handbuch für angehende Dichter zu liefern; er be-
nutzte demnach lediglich alte Lieder und Sagen, welche ihm in dieser Beziehung
Stoff und Muster bieten konnten, ohne sich um deren historischen Werth zu be«
kümmern, und ließ die in ihnen genannten Gtötter und Biesen als solche bestehen,
ohne sich mit dem Versuche zu plagen, aus ihnen geschichtliche Persönlichkeiten
herauszuschälen. Bei der Ynglinga s. dagegen, welche spater als die Edda verfasst
scheint, da in ihr einmal eine ziemlich deutliche Anspielung auf die in der Gylfa-
ginmng gewählte Einkleidung vorkommt (cap. 5, S. 7 : Mart Ättust ))eir Odinn vid-
ok Gylfi i brögdum ok sjönhver ffngum), gieng Snorri's Bestreben dahin, aus den
alten Überlieferungen eine Vorgeschichte des norwegischen Königshauses heraus-
zuziehen, und zu diesem Behufe benützte er denn auch neben Sagen und Liedern
nach seiner eigenen Angabe alte Stammtafeln ; diese letzteren waren es, welche
ihm den Weg wiesen zu seiner euhemeristischen Auffassung der Göttersagen, durch
welche selbstverständlich gar manche Abweichungen von der Darstellung der Edda
bedingt waren. Freilich lassen sich nicht alle Widersprüche, welche sich finden,
auf diesen Ursprung zurückführen, vielmehr tragen gar manche von ihnen, worauf
unser Verf. mit vollem Rechte hinweist, einen sehr zufälligen und in keiner Weise
motivierten Character ; aber insoweit werden wir eben berechtigt sein, auf die Ver-
schiedenheit der von Snorri benützten Sagen und auf das geringe Maß von Vertrauen
zu recurrieren, das er ihrer Verlässigkeit selbst schenkte, indem hiedurch eine ge-
wisse Sorglosigkeit bei der Benützung solchen Materiales sich sehr einfach erklärt.
Im Prologe zur Heimskr. erklärt dessen Verfasser den Ssemfng unter ausdrücklicher
Bezugnahme auf das H41eygjatal für einen Sohn Yngvi-Freys, während eine in der
Ynglfnga s. (cap. 9, S. 10) aus diesem Liede angeführte Strophe sammt dem ent-
sprechenden Prosatexte ihn zu einem Sohne Odins, oder bei anderer Auslegung
NjÖrds macht; konnte dergleichen in einem und demselben Werke vorkommen,
warum sollte da nicht derselbe Verfasser in dem Skaldskaparm41 (cap. 64, S. 520.
22) den Yngvi zu einem Sohne K. Hälfdans machen können, den er in der Yng-
lfnga s. (cap. 12, S. 11) mit dem Frcyr identificiert, und den An zu Njörds Vater
und zugleich zu einem Türkenkönig macht? Demgegenüber dürften denn doch die
ausdrücklichen Quellenzeugnissc, welche die gesammte Edda oder doch Sk&ldskap-
arm41 und H4ttatal als Suorri's Werk bezeichnen , und welche zum Theil kaum
.50 — 80 Jahre nach dessen Tod niedergeschrieben sind, nicht so leichthin bei Seite
zu schieben sein; mir wenigstens wollen die gegen sie vorgebrachten Gründe in
keiner Weise beweisend scheinen. Kürzer als dies eigentlich geschehen sollte,
glaube ich mich bezüglich der Heimskringia selbst fassen zu dürfen, da ich meine
eigene Ansicht über deren Entstehung schon an einem anderen Orte des Näheren
entwickelt, und mit dieser meiner Ansicht gutentheils des Verfassers Beifall ge-
funden habe. Auch Hr. Hildebraud geht ȊmHch wie iQb vop der Annahme aus,
456 LITTERATÜR.
daß Snorri znnäcbst nicht eine zusammenhängende Geschichte des gesan^mten nor-
wegischen Königshauses bis auf K. Magnus Erlingsson herab, sondern nur eine
Anzahl einzekier Biographieen einzebier Könige oder doch nur Königsreihen ge>
schrieben habe; die Olafs s. ens helga, meint er, sei wohl zuerst von Snorri ge-
schrieben worden, dann die ganze Reihe der älteren Königssagen, von der Yn-
glingas. bis zur Olafs s. Tryggvasonar, zuletzt endlich die Geschichte der späteren
Könige von Magnus gödi an bis zu Magnus Erkngsson herab, und zwar sollen die
beiden ersten Abtheilungen des gesammten Stoffes wahrscheinlich in den Jahren
1220 — 31 von ihm bearbeitet worden sein, während die letzte in den Jahren
1237 — 41 entstanden sein soll. Auch die Zusammenfiigung der drei getrennten
Stücke zu einem größeren Ganzen will der Verf. von Snorri selbst geschehen sein
lassen, obwohl er diesen Punct als einen schwer erweislichen und überdies nicht
besonders erheblichen bezeichnet; endlich erklärt derselbe sich sehr nachdrücklich
gegen die früher so verbreitete Annahme, daß Snorri im Grunde nur ein Compi-
lator älterer Materialien , nicht aber ein selbständiger Geschichtschreiber gewesen
sei, und nimmt das selbständige Verdienst seiner Leistung kräftig in Schutz, in
dieser Beziehung wieder mit meinen Ausführungen vollkommen übereinstimmend.
Die Puncto also, in welchen ich von dem Verf. abweiche, reducieren sich auf fol-
gende : Ich nehme an, daß Snorri von den älteren Königssagen nur die Ynglinga s.
einerseits und die Olafs s. ens helga andererseits wesentlich so geschrieben habe,
wie sie uns in der Heimskr. vorliegt, während er im Übrigen nur noch eine Olafs s.
Tryggvasonar verfasste, in welcher er einleitungsweise auch auf die Geschichte der
älteren Könige bis zu Haraldr h4rfagri und H41fdan svarti hinauf sich einließ;
nach meiner Meinung hätte demnach erst der Compilator, welcher die verschiedenen
Einzelsagen zu einem Ganzen verband, aus der Einleitung zur Olafs s. Tryggva-
sonar eine eigene H41fdanar s« svarta, Haralds s. h4rfagra, Häkonar s. goda und
Haralds s. gr4feldar ausgeschieden, wobei selbstverständlich nicht nur ganz ebenso,
wie dies in umgekehrter Bichtung auch von dem Schlüsse der Ynglinga s. und
Olafs s. Trjggvasonar, dann von dem Anfange und Ende der Olafs s. helga galt,
an den Anfangs- und Endpuncten der neugebildeten Abschnitte Manches geändert,
sondern auch der ziemlich magere Text Snorri's aus anderweitigen Materialien eini-
germaßen ergänzt werden musste, wenn die Lebensbeschreibung der dort nur im
Vorbeigehen erwähnten Könige und Jarle überhaupt als eine selbständige Ab-
theilung des Gesammtwerkes auftreten sollte. Ich stütze diese meine Annahme
theils darauf, daß uns noch mehrfache gesonderte Überarbeitungen der Olafs s.
Tryggvasonar erhalten sind, welche sich augenscheinlich auf Snorri*s Werk stützen,
und in ihrem Eingange von der Geschichte der älteren Könige wirklich nur ein
Gerippe geben, wie ich ein solches für diese ihre Vorlage vorausgesetzt habe ; theils
aber auch auf den andern Umstand, daß die H41fdanar s. und Häkonar s. sowohl
als die beiden Haraldssögur allzuwenig in sich abgerundet und abgeschlossen sind,
als daß sich annehmen Hesse, daß ihr ursprünglicher Verfasser sie als selbständige
Abschnitte habe auftreten lassen wollen, während zugleich gar manche kleinere
und größere Stücke in jenen vier Sagen nach Form und Inhalt als spätere Ein-
schiebsel sich zu verrathen scheinen« Lasse ich also die Frage bei Seite, in welcher
Zeit die einschlägigen Einzelsagen von Snorri geschrieben wurden, so wie die nur
durch mühevollste Detailerörterungen zu erledigende Frage nach den von ihm im
Einzelnen benützten Quellen, so gehe ich bezüglich der beiden ersten Drittel der
Heimskr. vom Verf. eigentlich nur darin ab, daß ich der Olaf« s. Trjggvasonar
LITTERATUR. 457
SDorri*s etwas größeren Umfang, und der Tbatigkeit des Oompilators der Heiniskr.
als eines Gesamrntwerkes etwas tiefer eingreifenden Einfloß auf die Gestaltung un-
seres Textes zugestehe als er thut; da zu einer eingehenderen Beweisführung hier
der Kaum fehlt, beschränke ich mich auf die Bemerkung , daß ich insoweit meine
früher ausgesprochenen Ansichten noch immer festhalte, ohne durch des Verfassers
Ausführungen wankend geworden zu sein. Anders stellt sich dagegen die Sache be-
züglich des letzten Drittels der Heimskringla* Unser Verf. hält dafür, daß auch diese
letzte Abtheilung des Gesammtwerkes von Snorri selbst verfasst sei; ich dagegen
hatte ihm früher nur die Magnüss s. g6da und die mit dieser ursprünglich ungetrennt
zusammenhängende Haralds s. hardrÄda bestimmt zuzusprechen gewagt, außerdem
aber nur noch als möglich bezeichnet, daß auch die Lebensgeschichte des Magnus
berfaetti, dann des Sigurdr Jörsalafari und seiner Brüder von ihm bearbeitet sein
könne, während ich ihm alle späteren Königssagen bestimmt absprechen zu sollen
meinte. Was mich zu meinen Annahmen bewogen hatte, war einmal das gesonderte
Vorkommien der vereinigten Magnüss s. und Haralds s. in der Flateyjarbok , sowie
deren vielfache wörtliche Benützung in der Fagrskinna, welche doch weder die
YngUnga s. noch die beiden Olafssagen Snorri*8 ausgeschrieben hat ; sodann aber
auch das bewusst motivierte, völlig gleiche Verhalten des Verfassers jener Doppel-
sage zu den Liedern als Geschichtsquellen, und andemtheils die auffällige Mager-
keit der Olafs s. kyrra, welche mit aller Bestimmtheit darauf hinzuweisen scheint,
daß sie nur eine spätere Erweiterung von dürftigen Notizen sei, welche ursprüng-
lich am Schlüsse einer Haralds s., am Eingange einer Magnüss s. berfastta, oder
endlich in einem kürzer gehaltenen Werke, wie etwa Ari's ältere Islendingabök
gestanden hatten. Wiesen diese Anhaltspuncte auf die ursprüngliche Selbständig-
keit jener Doppelsage, und auf Snorri als deren Verfasser, so legte andererseits
die Begrenzung des Stoffes bei Ari im Zusammenhalte mit einem in der Orknejj-
inga s. und Magnüss s. Ejjajarls enthaltenen Citate aus Snorri, welches zur Magn-
üss s. berfsBtta unserer Heimskr. passt , und zumal mit der durchaus verschiedenen
Behandlungsweise der späteren Sagen gegenüber den früheren die Vermuthung
nahe, daß von der Haralds s. gillis ab nicht mehr ein Werk Snorri*s uns vorliege,
sondern lediglich eine Überarbeitung des von Eirikr Oddsson bereits weit früher
verfassten Hryggjarstjkki, welche der spätere Oompilator der Heimskr., indem er
die von Snorri verfassten Einzelsagen mit einander verband, an diese anstiess, um
das Gesammtwerk noch um ein paar Jahrzehnte weiter als diese reichten, herab-
zuführen, daß dagegen bis zum Jahre 1130 herab eine von Snorri selbst verfasste
Lebensbeschreibung des Magnus berfsBtti und seiner Söhne gereicht haben möge.
Unser Verf. geht auf jenes gesonderte Vorkommen der Geschichte der Magnus gödi
und Haraldr hardr&di überhaupt nicht ein, und gesteht zwar die durchaus ver-
schiedene Behandlungsweise zu, welche sich in den späteren Königssagen im Ver-
gleiche zu den früheren« bemerklich macht, meint dieselbe jedoch theils aus einer
abweichenden Arbeitsmethode , welche Snorri hier und dort angewandt hätte, theils
sogar aus dem verschiedenen Character ableiten zu können, welchen das Volksleben
selbst vor und nach der festeren Begründung des Christenthums im Norden gezeigt
hätte ; er legt endlich ein entscheidendes Gewicht auf das vorhin erwähnte Oitat
aus der Magnüss s. berfsetta. Ich gestehe, daß seine Argumentation mich in keiner
Weise überzeugt hat, und was zumal den zuletzt angeführten Umstand betrifft, so
scheint mir denn doch zu beachten, daß die auf Snorri's Namen citierte Thntsache
ganz ebenso wie in der Heimskr, auch in der Fagrsk. (§. 240^ S» 159) und }/Lork
458 LITTERATÜR.
insk. (S. 155) berichtet wird, so daß die Möglichkeit nahe genug liegt, daß die«
selbe zunächst in einer von Snorri verfassten Einzelsage gestanden und von hier
aus erst ihren Weg in jene drei, von einander unabhängigen Sagensammlungen
gefunden hätte. Doch gebe ich gerne zu, daß meine früheren Ausführungen, vor
dem Erscheinen der Morkinskinna Ungers geschrieben und auf irrige Annahmen
über das Alter dieses letzteren Textes gestützt, einer durchgreifenden Kevision be-
dürfen ; um so entschiedener glaube ich dagegen an dem Satze festhalten zu müssen,
daß die Compilation der Heimskr., wie sie uns vorliegt, unmöglich von Snorri selbst
herrühren konnte, gleichviel, ob die in dieselbe übergegangenen größeren Stücke
sämmtlich oder nur theilweise seiner Feder zu verdanken seien. Ich hatte früher
unter Anderm darauf Gewicht gelegt, daß Kaiser Friedrich II. einmal mit dem
Beisatze besprochen wird, „er fyrir skömmu var keisari Römaborgar** (Sigurdar s.
Jorsalafara, cap. 9), einem Beisatze, der unmöglich vor dem Jahre 1245, also un-
möglich von Snorri (f 1241) geschrieben sein könne; unser Verf. wendet gegen
dieses Argument ein, daß dasselbe auf den Text, wie er sich in Ungers Ausgabe
der Heimskr. findet („er nü var keisari i Rilmaborg„) nicht passe, und jener er-
steren Wortfassung somit nur eine spätere Entstellung eines älteren anderen Textes
zu Grunde liege, indessen doch wohl mit Unrecht. Nicht darin, ob man liest „fyrir
skömmu", oder „nü" oder .sidan" (wie Peringsskjöld, und die FMS. VII, S. 86),
liegt meines Erachtens das Entscheidende, sondern in dem Worte »var", für wel-
ches lediglich die jüngsten Bearbeitungen (in den FMS.') das farblose „vard" haben;
Niemand wird von einem noch regierenden Kaiser sagen, daß er, gleichviel ob
„vor Kurzem", oder „eben noch", oder „seitdem "Kaiser„ war." Nun ist allerdings
recht wohl möglich, daß ursprünglich an der betreffenden Stelle geschrieben war
„er nd er keisari **, und es lässt sich nicht leugnen^ daß das Wörtlein ^^nü" besser
zu „er" als zu „var" passen würde; allein dies bleibt eben doch nur eine durch
nichts weiter begründete Möglichkeit, gegen welche sich sogar einwenden lässt,
daß die einschlägige Stelle der Fagrsk. (§. 244, S. 161) den Kaiser Friedrich gar
nicht nennt (die Morkinsk. hat hier eine Lücke), und überdies würde, zugegebeut
daß ursprünglich „er" geschrieben war, doch immerhin der Umstand, daß unsere
sämmtlichen Hss. der Heimskr. „var" lesen, darauf hindeuten, daß es sich hier
nicht um die Änderung eines bloßen Abschreibers, sondern um die des Compila-
tors unseres Textes handle. Ferner: in der Haralds s. hardr&da (cap. 103) wird
Skull B4i*dar8on als Herzog bezeichnet, und Ungers Ausgabe zeigt, daß diese Be-
zeichnung bereits im ältesten Texte der Heimskr. zu finden ist, wie sie denn auch
in der Haralds s. gilla (cap. 14) nochmals wiederkehrt. Skuli erhielt den Herzogs-
titel erst im Jahre 1237, während er bis dahin nur Jarl geheissen hatte, und unser
Verf. schließt gerade daraus, daß Snorri erst nach 1237 das letzte Drittel der
Heimskr. verfasst habe ; aber ist es glaublich, daß Snorri, welcher im Herbste eben
dieses Jahres aus Island nach Norwegen flüchten musste und erst zwei Jahre später
von dort in seine Heimat zurückkehrte, um hier wieder zwei Jahre später eines
gewaltsamen Todes zu sterben, gerade in dieser Zeit nicht nur ein reichliches
Drittheil der Heimskr. verfasst, sondern auch die Vereinigung der bisher getrennten
einzelnen Sagen zu einem Gesammtwerke besorgt haben sollte, und zwar in einer
Zeit, da er, bereits ein Sechziger, theils durch seine Parteinahme für Sküli gegen
H. H4kon, theils durch die Unruhen auf Island, in die er in erster Linie verwickelt
war, vollauf beschäftigt sein musste? Da dürfte denn doch zu beachten sein, daß
nicht nur die Fagrsk. an beiden Stellen den Sküli überhaupt nicht nennt, sondern
LITTERATUE. 469
auch die Morkinsk. (S. 174) an der zweiten seiner nicht gedenkt, an der ersten
aber (S. 122) ihn als Jarl, nicht Herzog bezeichnet, so daß auch hier der Gedanke
an eine spätere Änderung der Bezeichnung, oder auch Einschaltung des Namens,
nahe liegt. Endlich scheint mir aber auch darauf Gewicht gelegt werden zu dürfen,
daß der Compilator des Gesammtwerkes ganz unzweideutig eine ohne allen Ver-
gleich ungeschicktere Hand verräth, als welche wir dem Verfasser der größeren in
dieses eingestellten Stücke zuzutrauen berechtigt sind. Der Prolog der Heimskr.
bezieht sich, wie auch unser Verf. anerkennt, nur auf die älteren Königssagen bis
auf die Olafs s. helga herab ; wer wollte glauben, daß Snorri selbst, wenn er ledig-
lich ans eigenen Einzelwerken ein Gesammtwerk zusammengesetzt hätte, diesem
nicht einen neuen, für das Ganze passenden vorgesetzt haben sollte ? Die Abgren •
zung femer der einzelnen Königssagen von einander ist eine völlig stümperhafte,
und oft genug verräth sich das Bestreben, durch anderswoher entlehnte Notizen,
zuweilen bloß Volkssagen (z. B. Olafs s. kyrra, cap. 10, S. 634 — 5), zuweilen
Auszüge aus anderen Sagen (z. B. H41fdanar s. svarta, cap. 5, S, 44 — 46, aus der
Sigurdar s. hjartar, vgl, p. af Ragnars sonum, cap. 5, S. 358 — 9; Haralds s. h&r-
fagra, cap. 25, S. 66. 7, aus Agrip, cap. 3 — 4, S. 378 — 80), zuweilen auch nur
verschiedene Berichte über gleiche Vorgänge (vgl. Sigurdar s. Jörsalaf., cap. 30,
S. 687 — 9, wo Ottarr birtfngr, mit cap. 32, S. 690 — 1, wo Asl&kr hani die Haupt-
rolle spielt), die dürftigere Darstellung der älteren Vorläge zu erweitern ; die matte
Haltung derartiger Zusätze oder Verbindungsglieder pflegt dabei an sich schon den
ungeschickten Überarbeiter zu erkennen zu geben. Endlich würde Snom selbst,
wenn er die Zusammenstellung der Heimskringla besorgt hätte, dieser doch wohl
einen, wenn auch noch so kurzen und einfachen, Schluß gegeben haben; daß ein
solcher fehlt, kann aber ganz wohl daraus erklärt werden, daß der unbehülfliche
Compilator derselben entweder auch noch eine Überarbeitung, oder wenigstens
noch eine Abschrift der Souris s. beizugeben beabsichtigt, wiedergleichen denn wirk-
lich in zweien der vorhandenen vier Hss., der JÖfraskinna und des Eyrspennill,
geschehen ist.
Wenn ich aber in diesen wie in so manchen anderen Puncten von dem Verf.
abzuweichen, und meine den seinigen gegenüberstehenden Ansichten unverschwie-
gen lassen zu sollen glaubte, so möchte ich doch zum Schlüsse noch bemerken,
daß möglicherweise in mancher einzelnen Beziehung die wie mir scheint ungenü-
gende Motivierung seiner Sätze nur darin begründet sein mag, daß er sich ein ge-
naueres Eingehen auf die Einzelnheiten der Beweisführung auf die Anmerkungen
versparen wollte, welche der weiter fortschreitenden Übersetzung mit der Zeit zu
folgen bestimmt sind. Es wäre hiemach eine Unbilligkeit, wenn man jetzt schon
definitiv über die Begründung oder Nichtbegründung seiner Aufstellungen, zumal
bezüglich der allmäligen Genesis der Heimskr. absprechen wollte, und behalte ich
mir ausdrücklich vor , eventuell später nochmals auf die Frage zurückzukommen.
Einstweilen aber möchte ich die Arbeit, deren hohes Verdienst um das bessere
Verständniss des „Königsbuches'' ich freudig anerkenne, dem einschlägigen Leser-
kreise dringendst empfohlen haben.
4. September 1869. KONKAD MAURER.
460
MI8CELLEN.
Joseph Diemer.
Wenige Tage nachdem Pfeiffer» Tod jährig geworden, fanden die längeren
Leiden eines ihm seit einem Jahrzehent nahe stehenden Mannes ein Ziel : am
3. Juni 1869 starb in Perchtoldsdorf bei Wien Joseph Diemer. Seine Laufbahn
zeigt uns ähnlich wie die Pfeiffers ein mühevolles , aber starkes Ringen mit
äußeren Schwierigkeiten, dem der Erfolg schließlich sich nicht versagte. Geboren
1807 zu Stainz in Steiermark, verlor er in zarter Kindheit rasch nach einander
Mutter und Vater, und kam zu einer harten Muhme. Er ward nach Grätz auf
die Schule gethan , aber bald reichte das schmale Erbe nicht mehr hin , um
seine Ausbildung fortzusetzen. Da erboten sich die Franziskaner , ihn unent-
geltlich zu erziehen, wenn er später in ihren Orden treten wolle ^ das scheute
der Knabe und zog es vor, lieber mit den äußersten Entbehrungen zu kämpfen
und dabei frei zu bleiben. Sein Fleiß und sein Talent verschaffken ihm bald
Gönner und Freunde, die es vermittelten, daß er 1 823 von seinem Geburtsorte,
ein Stipendium bekam. Daneben gab er, schon seit dem 12. Jahre, Privat-
unterricht, um seine Subsistenzmittel zu vermehren. Ein glühender Wissensdurst
ließ ihn an dem in der Schule Gebotenen nicht Genüge finden; er lernte da-
neben für sich die hauptsächlichsten modernen Sprachen, Englisch, Französisch,
Italienisch, Spanisch, und verwendete die gewonnenen Kenntnisse alsbald wieder
praktisch , indem er in diesen Sprachen unterrichtete. Um für seine Studien
Nahrung zu holen , besuchte er die Johannenmsbibliothek in Grätz , wo man
bald auf ihn aufmerksam wurde und ihm^ dem achtzehnjährigen, eine Stellung
als Scriptor der Bibliothek gab (1825). In diesem Amte blieb er 17 Jahre,
still fortarbeitend und in den Ferien Deutschland, die Schweiz und Italien zu
Fuß durchstreifend. In den Kreis seiner Bestrebungen hatte er^ ebenfalls auf
dem Wege des Selbststudiums, auch das Altdeutsche gezogen, und seine Wan-
derungen durch Österreichs Klosterbibliotheken ließen ihn manchen werthvollen
Fund machen. Der bedeutendste war 1841 die Entdeckung einer Handschrift
im regulierten Chorhermstifte Voran in Steiermark, die unter dem Namen der
Vorauer Hs. jetzt allgemein bekannt ist und außer der Kaiserchronik und dem
Alezander eine bedeutende Anzahl hauptsächlich österreichischer Gedichte des
11. und 12. Jhd. enthielt, welche für unsere Kenntniss der Literatur dieser
Periode eine Hauptquelle bilden. Dieser Fund wurde für Diemers ganze Studien-
richtung entscheidend. Bald darauf (1842) siedelte er nach Wien über und
ward zum Scriptor der Universitätsbibliothek ernannt, deren Director er 1851
wurde. Durch die Herausgabe der Vorauer Handschrift wurde sein Name in den
germanistischen Kreisen bekannt und es folgte Anerkennung der verschiedensten
Art. Die Akademie der Wissenschaften in Wien ernannte ihn am 1. Februar
1848 zu ihrem correspondierenden Mitgliede. 1865 wurde er k. k. Begierungs-
rath und gelegentlich der 500jährigen Jubelfeier der Universität (1865) Ehren-
doctor der Philosophie. Zahlreiche wissenschaftliche Vereine wählten ihn zu ihrem
Mitgliede. Daß er seinen Einfluß verwendete, um für Pfeiffers Berufung nach
Wien (1857) zu wirken^ gereicht ihm zu bleibender Ehre. In seiner Stellung
als Director der Universitätsbibliothek erwarb er sich große Verdienste , auf
welche jedoch näher einzugehen hier nicht der Ort ist.
mSCELLEN. 461
Diemen erste literarische Versuche erschienen in der Steiermarkischen
Zeitschrift' ; auf sie hat er selbst später keinen Werth gelegt. Eine eigentliche
literarische Thätigkeit entwickelte er erst in Wien; dieselbe fand durch die
Entdeckung der Vorauer Hs. ihren Mittelpunkt in der österreichischen Poesie
des 11. und 12. Jahrhunderts. In richtiger Würdigung der Grenzen seiner
Kraft zog er es vor, einem kleinen Gebiete ein um so eindringenderes» inten -
sivereB Studium zuzuwenden. Seine Ausgabe der Kaiserchronik nach der Vor-
auer Hs. (1849) blieb ein Bruchstück, indem dem ersten Bande, der den ge-
treuen Abdruck des Textes enthält, der zweite, der Einleitung, Anmerkungen
und Lesarten der verwandten Hss. bringen sollte, nicht nachfolgte. Vielleicht
daß das fast gleichzeitige Erscheinen von Maßmanns Ausgabe den ursprüng-
lichen Plan umgestaltete. In der Ausgabe der übrigen Gedichte der Vorauer Hs.
dagegen (1849) ward das begleitende Material von Einleitung und Anmerkun-
gen gleich beigegeben. Wie weit die Kritik dieser kostbaren Denkmäler auch
seitdem vorgeschritten ist, immer wird die musterhafte, sorgfältige Arbeit Die-
mers die Grundlage bleiben, zu der man zurückkehren muss. In seinen Bei-
trägen (1851 — 1867) gab er theils Abdrücke von aufgefundenen Texten, meist
Bruchstücke, theils, und dies ist ihre Hauptbedeutung, führte er darin Unter-
suchungen über yerschiedene Punkte der österreichischen Litteraturgeschichte des
11. und 12. Jahrhunderts. Auch seine Veröffentlichung von Genesis und Exodus
nach der Milstäter Hs. (1862) schließt sich diesen Forschungen an. Seine Be-
arbeitung von Ezzos Anegenge, die den letzten Theil der Beiträge bildet und
seine letzte litterarische Arbeit war, zeigt die umfassende Beherrschung der be-
treffenden Periode und der lateinischen Quellen, die die damaligen Dichter be-
nutzten ; freilich sind ihre Resultate in ihrer Kühnheit , namentlich nach der
textkritischen Seite, nicht ohne Bedenken. Manches andere hatte er noch vor-
bereitet; so namentlich die Herausgabe eines mhd. Arzneibuches, welches im
mhd. Wörterbuch (H, 1. 2) nach Diemers Abschrift oft citiert ist und dessen
Veröffentlichung schon aus diesem Grunde erwünscht wäre. Seine Kränklichkeit
in den letzten Jahren ließ ihn nicht zur Ausführung dieser und anderer Pläne
gelangen. Immer aber wird durch sein hingebendes , liebevolles Studium der
österreichischen Litteratur ihm ein ehrendes Andenken in der Geschichte der
germanischen Philologie gesichert bleiben, auch wenn die von ihm gewonnenen
Resultate vom Fortschritt der Wissenschaft längst überholt sein werden, wie sie
es zum Theil schon jetzt sind. •
Nachstehend lasse ich eine Übersicht von Diemers litterarischer Thätigkeit
folgen, soweit mir dieselbe bekannt ist.
I. Selbständig erschienene Arbeiten.
1849. Deutsche Gedichte des XI. und XII. Jahrhunderts. Aufge-
funden im regulierten Chorherrenstifte zu Voran in der Steiermark und zum
ersten Male mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Joseph
Diemer, Scriptor etc. Mit 4 Nachbildungen der Handschrifft* Wien, W. BraU'
müller. LXU, 384 u. 118 S. gr. 8.
1839. Die Kaiserchronik nach der ältesten Handschrift des Stiftes
Voran aufgefunden, mit einer Einleitung, Anmerkungen und den Lesearten der
zunächst stehenden Hss. herausgegeben von Joseph Diemer. Theil I. Urtext.
Wien, W. Braumüller. VHI, 530 S. gr. 8.
462 MISCELLEN.
1851 — 67. Kleine Beiträge zur älteren deutschen Sprache und Lit-
teratur. Gesammelt und herausgegeben von J. D. I* TheiL Wien 1851. Hof-
und Staatsdruckerei. 128 S. gr. 8. Aus dem VI. und VII. Bande der Sitzungs-
berichte der philos. histor. Classe der Akademie.
1854. 2. Theil. 120 S. Aus dem XI. Bande.
1856. 3. Theil. Inhalt: 14. Über Heinrichs- Gedicht vom Allgemeinen Le-
ben und der Erinnerung au den Tod. 15. Über das Gedicht vom Pfaffenleben.
16. Heinrichs Gedicht von dem gemeinem lebene und des todes gehngede.
1858. 4. Theil. 120 S. Aus dem XXVH. und XXVIII. Bande. Inhalt:
17. Über die zwei von Herrn Th. G. von Karajan veröffentlichten deutschen
Sprachdenkmale aus heidnischer Zeit. 18. Über den Bruder Heinrich von Gott-
weig als den Dichter der Gehngede und des Pfaffenlebens. 19. Anmerkungen
und Verbesserungen zu Heinrichs Gedichte vom gemeinen Leben und der Er-
innerung an den Tod.
1865. Beiträge zur älteren deutschen Sprache und Literatur. 5. Theil.
131 S. Aus dem XLYiL und XLVIU. Bande. Inhalt: Geschichte Josephs in
Ägypten , deutsches Gedicht des XI. Jahrhunderts nach der Yorauer Hs. mit
Anmerkungen herausgegeben von J. P.
1867. 6. Theil. LXXl u. 63 S. Aus dem LH. Bande. Inhalt: Ezzos
Scholasticus in Bamberg Bede von dem Bebten Anegenge oder Lied von den
Wundem Christi aus dem J. 1065. Aufgefunden und mit einer Einleitung und
Anmerkungen neu herausgegeben von J. D.
1862. Genesis und Exodus, nach der Miistäter Handschrift heraus-
gegeben von Joseph Diemer , Voistand der k. k. Universitätsbibliothek etc.
I. Band. Einleitung und Text. U. Band. Anmerkangen und Wörterbuch. Wien
1862. 0. Gerold in Comm. XXXIX und 168; IV und 288 S. gr. 8.
IL Abhandlungen in Zeitschriften.
' 1. In*Wiener Zeitung 1844: Über Gratz und Grätz vom rein gramma-
tischen Standpunkte aus.
2. In Österreich. Blätter für Literatur und Kunst 1845: Über das älteste
Vorkommen des Namens Osterreich, Nr. 20 — 22; über den Antheil Österreichs
an der deutschen Dichtung des Mittelalters, Nr. 9 — 14.
3. In Pfeiffers Germania: Bruchstücke einer Legende vom h. Nicolaus U
. (1857), S. 96—98; Kleine Mittheilungen: 1*. Bruchstück eines ahd. Glossars
aus dem IX. Jhd. ; 2. Bruchstück eines unbekannten Gedichtes aus dem XHl. Jhd. ;
3. Bruchstücke deutscher Gebete an die h. Dreieinigkeit; 4. Die G^ttweiger Ab-
schrift des Otfried HI (1858), S. 351—360; Deutsche Predigtentwürfe aus
dem Xni. Jhd. S. 260—367; Zu Genesis und Exodus VIU (1863), S. 482
bis 489.
IIL Becensionen.
In Österreich. Blätter für Literatur und Kunst 1857: Gärtner, Chuonrad
Prälat von Göttweih und das Nibelungenlied, Pest 1856, Nr. 6—8.
ROSTOCK, 25. Sept. 1870. KAHL BARTSCH.
463
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT
DER
ERSCHEINUNGEN AUF DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN
PHILOLOGIE IM JAHRE 1869.
VON
KARL BARTSCH.*)
• I. Begriff und Geschichte der g e r m an i a c h e n Philologie.
1. Hoffmann, F. L., Erinnerung an preußische Bibliographen und Lite-
rarhistoriker. 31. Johann Gustav Gottlieb Büsching. 32. Friedrich Heinrich von
der Hagen. 50. Gottlieb Christian Friedrich Mohnike.
Serapeum 1869, Nr. 7. 19.
2. Diez, Etudes litt^raires sur TAUemagne contemporaine. Uhland. Kömer.
Les fr^res Grimm. Goethe. Paris 1869. La Hachette. 1 f. 50 c.
«
3. Briefwechsel zwischen Joseph Freiherrn von Laßberg und Ludwig
Uhland. Herausgegeben von Franz Pfeiffer. Mit einer Biographie Franz Pfeiffers
von Karl Bartsch und den Bildnissen von Pfeiffer, v. Laßberg und Uhland. gr. 8.
(CVn, 342 S.) Wien 1870, BraumiUler. 4 Rthlr.
Vgl. Athenaeum 1870, 12. Februar; Magazin für die Literatur des Ausl. 32;
Presse Nr. 40; Über Land und Meer 23, 17.
4. Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart. Herausgegeb. von R.
Gottschall. 1869.
Enthält im Märzhefte Necrologe von Franz Pfeiffer (S. 386-388) und von Aug.
Schleicher (S. 388 - 392).
6. Boaterwek. — Zur Erinnerung an Karl Wilhelm Bouterwek, Di-
rector des Gymnasiums in Elberfeld. gr. 8. (44 S.) Elberfeld 1869. Lucas.
V^ Rthlr.
6. Diemer. — Scherer, W., Josef Diemer.
Die Presse 1869, 22. Juni.
7. Meißner, Dr. L. F., Dr. Joseph Diemer.
Wiener Zeitung 1869, 18. JuU.
8. J. Grimm. — Ein Lebensabriß Jacob Grimms«
Zeitschrift für deutsche Philologie 1, 489—491.
9. Halbertsma. — Verwijs, E., Joost Hiddes Halbertsma.
Nederlandsche Spect 1869, Nr. 13.
10. Eckhoff, W., Voerlezing over het leven van Dr. Justus Hiddes Hal-
bertsma en zijne Verdiensten omtrent de geschiedenis , taal-en letterkunde, vooral
van Priesland, 8. (81 S.) Leeuwarden 1869, Eckhoff, f. 0,60.
*) Mit Unterstützung meiner Freunde K. Gislason , W. Lidforss, Tk Möbius,
H. Sweet, E. Verwijs, M. de Yries und J. M. Wagner.
464 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
11. HofEmann v. Fallerslebeii. — WB^ner^ J, M., Hoffinann t« Fal>
lersleben 1818 — 1868, 50 Jahre dichterischen und gelehrten Wirkens bibliogra-
phisch dargestellt, gr. 8. (40 S.) Wien 1869. Gerold. Va Rthlr.
Vgl. Germania 14, 383; Blätter t liter. Unterh. 1869, Nr. 42; Serapeum Nr. 6;
Petzholds Anzeiger Nr. 6; Lehmanns Magazin Nr. 28; Presse Nr. 158; Europa Nr. 34;
Jahreszeiten Nr. 38; Hannoy. Courier Nr. 4627; Voss. Zeitung Nr. 241.
12. Lennep. — Beets, N., Jacob van Lennep. 8. (4 und 104 S.) Haar-
lem 1869. Erren Bohn. f. 1, 10.
A. u. d. T. : Verscheidenheden meest op letterkundig gehied. Aflev. 4.
13. Beeloo, A., Mr. J. v. Lennep,
In : Levensherichten der afgestorvene medeleden van de Maatschappij der Ned.
Letterkunde te Leiden (Leiden 1869, Brill) S, 44— 69 imd Verzeichniss seiner Schriften
S. 73—122.
14. Rafn. — Breve fra og til Carl Christian Rafn^ med en Biographi ud-
givet af Benedict Gröndal. 8'. (330 S.) Kjövenhavn 1869. Gyldendal.
Vgl. Revue critique 1870, Nr. 10 (Beauvois).
1-5. Schleicher. — Schmidt, Joh., August Schleicher.
Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 18, 315—321.
16. Hovelacque, Abel, Auguste Schleicher. Notice biographique.
Revue de linguistique et de philologie eompar^e, 2. ann^e, Janv. 1869.
17. August Schleicher.
Illustr. Zeitung Nr. 1337.
18. Ein deutscher Sprachforscher (August Schleicher).
Sonntagshlatt von Fr. Duncker 1869, Nr. 23.
19. ühland. — Paulus, Ed., Ludwig ühland und seine Heimat Tübingen,
Eine Studie. Mit Blustrationen, 4. (52 S.) Berlin 1869. Grote. 1 Rthlr.
Vgl. Lehmanns Magazin 1869, Nr. 10; N. Preuß. Zeitung Nr. 55; Badische Lan-
deszeitung 1868, Nr. 292; Dresdn. Journal Nr. 289; Schwäh. Kronik Nr. 303; Wien.
Zeitung Nr. 298; Hannov. Courier Nr. 4377.
20. Ungedruckte Briefe von L. ühland. Herausgegeben von F. Notter.
Westermanns illustr. Monatshefte 1869, Novemher.
21*. W. Wackernagel. — Death of Wilhelm Wackemagel.
Trübners American and Orientäl Literary Record 1869, Nr. 52.
22. Blätter aus W. Wackemagels poetischem Nachlasse.
Monatsblätter für innere Zeitgeschichte von Geltzer 1869, December, S. 338 flf.
23. Wassmannsdorff, Ein turnerischer Trinkspruch von W. Wacker-
nagel aus dem Jahre 1845.
Neue Jahrbücher für die Tumkunst 1869, 6. Heft.
II. Handschriftenkunde und Bibliographie.
24. Tabulae codicum manu scriptorum praeter graecos et orientales in
bibliotheca' palatina Vindobonensi asservatorum , edidit academia caesarea Vin-
dobonensis. Vol. IH. gr. 8. (655 S.) Wien 1869. Gerold. 4 Rthlr. (Enthält
Nr. 3401—5000),
Vgl. German. 15, 382 fg. (K. B.); Liter. Centralbl. 1870, Nr. 13.
25. Toppen, M., Altdeutsche Handschriften in Preußen.
Altpreußische Monatsschrift 1869, 2. Heft.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 465
26. ArnamagnABanske Haandskrifter i fotolitografiske Aftryk.
Köbenhavn 1869. GyldendaL
Enthält: 1. Elucidariufl paa Islandsk (AM. 674 A, 4®). VH, 66 S. 8. - 2. Val-
demars sselandske Lov (AM. 24. 4"). VH S. 8 Bl. 8.
27. Sigurdur Jönasson, Skyrsla am handritasafn hins islenzka b6k-
mentafMags. 8. (XYI, 252 S.) Kaupmannaböfn 1869.
28. Bartsch, Karl, Bibliographische Übersicht der Erscheinangen auf dem
Gebiete der germanischen Philologie im Jahre 1868. gr. 8. (46 S.) Wien 1869.
Gerold. % Rthlr.
Aas der Germania 14, 467 — 510 abgedruckt
29. Bibliotheca philologica, oder geordnete Übersicht aller auf dem
Gebiete der classischen Alterthumswissenschaft wie der älteren und neueren Sprach-
wissenschaft in Deutschland und dem Ausland neu erschienenen Bücher. Heraus-
gegeben von Dr. Gustav Schmidt. 21. Jahrg. 2. Heft (S. 80—247), und 22. Jahrg.
1. Heft (S. 1 - 112). Göttingen 1869. Vandenhoek und Ruprecht. 13 und 9 Ngr.
30. Gräße, Theodor, Tresor de livres rares et pr^cieux ou nouveau dic-
tionnaire bibliographique. Suppl. 2. et derniSre partie (Livr. 4l) gr. 4. (IV und
S. 169 — 500). Dresden 1869. Kuntze. 10 Rthlr.
31. Well er, E., Geistliche Dichtungen. Zusätze zu Wackemagels Biblio-
gra^»hie und Wellers Annalen.
Serapeum 1869, Nr. 5—13.
32. Doorninck, J. J. van, Bibliothek van Nederlandsche Anonymen en
Pseudonymen, roy. 8. Afl. 7—8 (577—768 Sp.) 's Gravenhage 1869. Nijhoff
k f. 1,05.
33. G oll in, E. , Anonymer og Pseudonymer i den danske, norske og is-
landske Literatur, samt i fremmede Literaturer forsaavidt disse omhandle nordiske
Forhold, fra de aeldste Tidet intil Aaret 1860. gr. 8. (4 und 210 S.) Kjöben-
havn 1869.
ni. Sprachwissenschaft und Sprachvergleichung.
34. Benfey, Theodor, Geschichte der Sprachwissenschaft und orientali-
schen Philologie in Deutschland seit dem Anfange des 19. Jahrhunderts mit einem.
Rückblicke auf die früheren Zeiten, gr. 8. (X, 837 S.) München. 3 Rthlr. 16 Ngr.
A. u. d. T. : Geschichte der Wissenschaften in Deutschland/ Neuere Zeit. 8. Band.
Vgl. Literar. Centralbl. 1869, Nr. 47; Revue critique Nr. 61, S: 385 -389 (Br^al); The
Academy 1870, Nr. 6; Allgem. Zeitung 1869, Beil. Nr. 262 fg.; Philolog. Anz. II, 4.
35. Jäger, G., Über den Ursprung der Sprache.
Das Ausland 1869, Nr. 17, S. 394.
36. Rosny^ Löon de. De Torigine du langage. 8. (44 S.) Paris i869.
Vgl. Literar. Centralbl. 1870, Nr. 14.
37. Wessels, W., De wording der taal, eene bijdrage ter waardeering
van de wetenschap der ervaring. Met eene voorrede van J.' A. Alberdingk Thym,
Aus: De Katholiek. 8. (4 und 70 S.) 's Gravenhage 1869. Frentrop. f. 0, 35.
38. Berg, C.,. Gm Sprogenes Udbredelse og SIsBgtskab. Et forsög. 8.
(68 S.)
GERMANIA. Neae R«iha XU. (XV.) Jahrg. 31
466 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
39. Bopp) Fr.) Grammaire compar^e des langues iQdo-europ<^enne8 com-
prenant le sanscrit , le send , Tarmenien , le grec , le latin , le littuanien , rancien
slave, le gothique et Tallemand. Tradaite sur la 2*"* ödit. et pr^c^d^e d'une intro-
daction par M. M. Br^al. Tome III. gr. 8. Paris 1869. La Hachette. 8 fr.
40. Westphal, Rud., Grundriß der vergleicheDden Grammatik der indo-
germanischen Sprachen, gr. 8. Jena 1869. Döbereiner. 2 Rthlr.
Vgl. Zeitschrift fttr Völkerpsychologie 6. Bd., 3. Heft.
41. Indogermanische Chrestomathie. Schriftproben und Lesestücke
mit erklärenden Glossaren zu Aug. Schleichers Compendium der vergleichenden
Grammatik der indogermanischen Sprachen. Bearb. von H. Ebel, A. Leskien,
J. Schmidt und A. Schleicher. Nebst Zusätzen und Berichtigungen zur 2. Aufl. des
Compendiums von A. Schleicher, gr. 8. (VII u. 378 S.) VTeimar 1869. Böhlau.
2*/, Rthlr.
Vgl. Literar. Centralbl. 1869, Nr. 5; Kuhn-Schleicher, Beiträge 6, 3; Saturday-
Review Nr. 695; Contemporary Review 1869, Nr. 9.
42. Pott, Prof. Dr. Aug. Frdr., Etymologische Forschungen auf dem Ge-
biete der indogermanischen Sprachen unter Berücksichtigung ihrer Hauptformen,
Sanskrit, Zend-Persisch, Griechisch-Lateinisch etc. 2. Aufl. in völlig neuer Um-
arbeitung. 2. Theil, 3. Abth. Detmold 1869. Meyer. 5V3 Rthlr.
A. u. d. T.: Wurzel-Wörterbuch der indogermanischen Sprachen. 2. Bd.: Wur-
zeln mit consonantischem Ausgange. 1. Abth.: Wurzeln auf r- Laute und 1. gr. 8.
(XVm, 740 S.) Vgl. Revue crit 1869, Nr. 46; Heidelb. Jahrb. 1870, Nr. 8.
43. Förstemann, £., Der urdeutsche Sprachschatz. Erster Artikel.
Germania 14, 337-372.
44. Förstemann, E., Alt-, mittel-, neuurdeutsch.
Zeitschrift ftir vergleichende Sprachforschung 18, 161 — 186.
45. Thomsen, Vilh., Den gotiske sprogklasses indflydelse pä den flnske.
En sproghistorisk undersögelse. KÖbenhavn 1869.
Vgl. Zeitschrift für deutsche philologie 2, 221—226 (Schiefiier); Liter. Central-
blatt 1869, Nr. 20; Revue critique 1870, Nr. 5.
46. Freudenthal, A.O., Nogle bemaerkninger om svensk sprogkund-
skab, med saerligt hensyn til Finland.
Tidskrift for Philologi og Pädagogik 8, 79—89.
47. Rumpelt, Dr. H. B., Das natürliche System der Sprachlaute und sein
Verhältniss zu den wichtigsten Cultursprachen , mit besonderer Rücksicht auf
deutsche Grammatik und Orthographie. (Mit 8 Tafeln), gr. 8. (XH, 228 S.)
Halle 1869. Buchh. des Waisenhauses. 1V2 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869 Nr. 39 (R. v. Baumert; Kuhns Zeitschrift XIX, 4
(Schweizer-Sidler) ; Zeitschrift für Stenographie 1869, Nr. 4-6.
48. Humperdinck, G., Die Sprachlaute physiologisch und sprachwissen-
schaftlich betrachtet. Mit einer Tafel. (23 S.) 4. Berlin 1870. Calvary. 6 Ngr.
Programm des Gymnasiums zu Siegburg 1869.
49. De Caix de Saint- Aymour, sur la d^clinaison indoeuropeenne et sur la
döclinaison des langues classiques en particulier.
Revue de Lingnistique 1869, Janvier.
50. Weih rieh, F., De gradibus comparationis linguarum Sanscritae, Grae-
cae, Latinae, Gothicae. gr. 8. (108 S.) Giessen 1869. Ricker. 16 Ngr.
Gekrönte Preisschiift. Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 36; Kuhns Zeitschrift
19, 231—236 (Schweizer Sldler) ; Jahns Jahrbüclier 1870, S. 27—48.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 467
51. Gerland, Dr. Georg, Intens! va und Iterativa nnd ihr Verhaltniss zu
einander. Eine sprachwissenschaftliche Abhandlung, gr. 8. (X^ 197 S.) Leipzig
1869. 1 Rthlr.
Vgl. Qött. Gel. Anzeigen 1869, Nr. 42 (Beufey); Zeitschrift f(ir Völkerpsycho-
logie 7. Band, 2. Heft (L. Tobler).
52. Zu Gerlands 'Intensiva und Iterativa und Lepsius ^Standard Alphabet .
Zeitschrift fOr Stenographie und Orthographie von G. Michaelis 17. Band, 3. Heft.
53. Müller, F. Maz, Crimen und Leumund.
Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 19. Bd., 1. Heft.
IV. Deutsche Grammatik.
54. Grimm, Jacob, Deutsche Grammatik. 2. Ausgabe. Neuer vermehrter
Abdruck. 1. Theil, 1. Hälfte, gr. 8. (512 S^ Berlin 4869. Dümmler. 3 Rthlr.
55. Schleicher, August, Die deutsche Sprache. 2. verbesserte u. verm.
Auflage, gr. 8. (XI, 348 S.) Stuttgart 1869. Cotta. 2 Rthlr.
56. Hovelacque, A., Etudes germaniques.
Revue de linguistique et de philologie compar^e 1869, Janvier.
57. Meyer, Leo, Die gbthische Sprache. Ihre Lautgestaltung insbesondere
im Verhältniss zum Altindischen, Griechischen und Lateinischen, gr. 8. (XIV,
780 S.) Berlin 1869. Weidmann. 4 Rthlr.
Vgl. Zeitschrift für deutsche philologie 2, 226 — 228 ; Zeitschrift für vergleichende
Sprachforschung 19. Bd., 4. Heft; North British Review Nr. 53.
58. Kern, H., Die Glossen in der Lex Salica und die Sprache der salischen
Franken. Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprache. 8. (186 S.) Haag 1869.
Nijhoff.
Vgl. Revue critique 1870, Nr. 1 (K. Bartsch); Heidelb. Jahrbücher Nr. 10;
Magazin für die Literatur des Auslandes Nr. 5; Polybiblion, Sept. 1869.
59. Cosijn, G. J., Nederlandsche Spraakkunst. Etymologie. V Stuk.
2« Druk. 8. (4 u. 143 S.) Syntaris 2« Stuk (VIII, 166 S.) Haarlem 1869. Erven
Bohn. f. 2,00.
60« Koch, C. Friedr. , Historische Grammatik der englischen Sprache.
3. Band: Die Wortbildung der englischen Sprache. 2. Theil. Fremde Elemente.
gr. 8. (X, 232 S.) Cassel und Göttingen 1869. Wigand. 1% Rthlr.
Vgl. Zeitschrift für deutsche philologie 2, 238 fg. (M. Heyne); Lit. Centralbl.
1869, Nr. 33; Allgem. Zeitung 1869, Nr. 298.
61« Barnes, W., Early english and the Saxon English, with some notes
on the father stock of the Saxon English, the Frisians. 12. (178 S.) 3 s.
62. Om Forhold et mellem Dansk og Nabosprogene. I. 8. (20 S.) Kö-
benhavn 1869.
63. Jessen, E., Svensk Sproglaere, (IV, 48 S.) 8. Christiania 1869.
64. Hof er, A., Gotisches Hv und Th.
Germania 14, 222—224.
65. Wülcker, Dr. E. , Beobachtungen auf dem Gebiete der Vocalschwa-
chung im Mittelbinnendeutschen, besonders im Hessischen und Thüringischen. 8.
(64 S.) Prankfurt a. M. 1868.
Vgl. Germania 16, 4. Heft (R. Bechstein); Lit. Centralbl. 1869, Nr. 47.
31*
468 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
66. Sallwurt, Rector Dr. E. y., Bemerkungen über den Vocalismas der
englischen Sprache. 4. (16 S.)
Programm der höheren Bürgerschule in Hechingen 1869.
67. Koch, C. Fr., Die angelsächsische brechung ea.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 147—168.
68. Sallwurt, Dr. E. y., Der Laut ea im Englischen und seine historische
Entwickelung.
Archiv für das Studium der neueren Sprachen 46, 166 -160.
69. Koch, C. Fr., Angelsächsisch e& (Grimms e4).
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 339^-344.
70. Sweet, H., The history of Th english.
Philological Society 1869.
71. Ellis, Alexander J., On eorly english pronunciation with especial re-
ference to Shakespere and Chaucer. Part I. On the pronunciation of the XIV'**,
XVI'^ XVIV^ and XVIII'** centuries. Part H. On the pronunciation of the
XIII''* and previous centuries, of Anglosaxon, Icelandic, Old Norse and. Gothic,
with chronological tables of the value of letters and expression of spunds in English
writing. 8. (632 S.) London 1869. Asher. 10 s.,
PubUcation der Philological society. Vgl. Athenaeum 1870. 4. Juni.
72. Hommel, L. L., Det danske Sprogs Touelag*
Tidskrift for Philologi og Paedagogik 8, 1—31.
73. (Aur^n, J. A.), Bidrag tili Syenska sprakets Ijudlära. 96 S. Norr-
kÖping 1869.
74. Lübben, A., Usik (mhd. unsich).
Zeltschrift für deutsche philologie 2, 192.
75. Hof er, A., Gotisch saizl^p.
Germania 14, 224—226.
76. Bernhardt, E., Ga- als hilfsmittel der gotischen conjugation»
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 168-166.
77. Höfer, A., Präpositionale Adverbien auf -er. Ein Stücker acht.
Germania 14, 208. 209.
78. Bech, F., Wortformen auf -eze.
Germania 14, 431—432. Nachtrag zu 10, 396.
79. Leo, H., Die intensiven der deutschen spräche.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 167—172.
80. Nöldechen, Dr.^ Über den Gebrauch des Genitivs im Mittelhoch-
deutschen. 53 S. 4. '
Programm des Gymnasiums zu Quedlinburg 1868. Vgl. Herrigs Archiv 46, 222.
81. Buch er; J., Akkusativ mit Infinitiv im Deutschen.
Deutscher Sprachwart 4. Bd.. Nr. 11.
82. Schröder, C, Beide*
Germania 14, 83.
83. Opitz, Gymn. Oberl. Dr. E«, Über die Sprache Luthers. Ein Beitrag
zur Geschichte des Neuhochdeutschen, gr. 8. (53 S.) Halle 1869. Buchh. des
Waisenhauses. V. Rthlr.
84. Michaelis, Dr. G., Über J. Grimms Bechtschreibung. 2. Stück: Über
'den ursprünglichen Plan zur Rechtschreibung des deutschen Wörterbuches, gr. 8.
<S. 29— 66). Berlial869. Lobeck. V4 Rthlr.
BIBUOGBAPHISCHE Üfi£B»ICHT. 4gg
V. Deutsche Lexicographie.
85. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm.
Fortgesetzt von Dr. Rudolf Hildebrand und Dr. Karl Weigand. 4. Bd. 3. Lief.
[Fül — Fürders]. Bearb. von K. Weigand. hoch 4. (Sp. 481—720). Leipzig
1869. Hirael. Va Kt^r.
86. Hildebrand, Dr. Rud., Über Grimms Wörterbuch in seiner wissen-
schaftlichen und nationalen Bedeutung. Vorlesung, gr. 8. (23 S.) Leipzig 1869.
Hirzel. Ve Rthlr.
Vgl. AUgem. Zeitung 1869, Beil. 319; Köhi. Zeitung 326; Blätter für literar
Unterhaitang 1870, Nr. 36.
87. Sanders, Dr. Daniel, Handwörterbuch der deutschen Sprache. Lex. 8.
(rV, 1067 S.) Leipzig 1869. 0. Wigand. SVa Rthlr.
Vgl. Wissenschaftl. Beilage d. Leipz. Zeitung 1869, Nr. 47 ; Hessische Morgen-
zeitong Nr. 3410; Badischer Handelscourier Nr. 21; Trierische Zeitung Nr. 126;
Deutschland Nr. 163; Fränkischer Kurier Nr. 149; Berliner Montagszeitung Nr. 23;
Zeitung för Norddeutschland Nr. 6220; National-Zeitung Nr. 258; Posener Zeitang
Nr. 132; Mainzer Anzeiger Nr. 137.
88. Lexer, Prof. Dr. Matthias, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Zu-
gleich als Supplement und alphabetischer Index zum mittelhochdeutschen Wörter-
buche von Benecke-Müller-Zarncke. 1. Lieferung. Lex. 8. (320 Sp.) Leipzig
1869. Hirzel. 1 Rthlr.
Vgl. Zeitschrift für deutsche philologie 2, 367 (Steinmeyer) ; Lit. Centralbl. 1869,
Nr. 44; Zeitschrift flir die österr. Gymn. 1869, S. 831—838 (Scherer); Allgem. Zeitung
1870, Nr. 118; N. Zürcher Zeitung 1869, Nr. 307.
89. Nessel mann, G. H. F., Kritische Bemerkungen über das deutsch-
preußische Vocabular des Codex Neumannianus.
Altpreußische Monatsschrift 1869, Nr. 4.
90. Dietz, Ph., Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers deutschen Schriften.
3. Lieferung. Lex. 8. (S. 385—624). Leipzig 1869. Vogel. IV« Rthb«.
Vgl. Reusch, theol. Literaturblatt 1870, Nr. 12; Liter. Centralbl. Nr. 17; N. evang.
Kirchenzeitung 1870, Nr. 14.
91. Vries, M. de, en L. A. te Winkel, Woerdenboek der Nederlandsche
Taal. Aflev. 8. (Sp. 1121 — 1280): Afleen — Africhten. *s Gravenhage 1869.
16 Ngr.
Vries, M. de, en E. Verwijs, Woordenboek etc. Tweede reeks. Aflev. 1.
roy. 8. (Sp. 1—160): 0 — Oma. Ebenda.
92. Ou dem ans, A. C, Bijdrage tot een Middel-en Oudnederlandsch Woor-
denboek. Uit vele gloesaria en andere brennen bijeengezameld. 8. Aflev. 1 : A
(S. 1 — 272). Arnhem 1869. Nijhoff. f. 2, 25.
93. An Icelandic-English Dictionary, chiefly founded on the coUections
made from prose works of the 12^*^ — 14^^ centnries by the late Richard Cle asby,
enlarged and completed by Gudbrand Vigfusson. Part I: a — hastr. 4.
(XXXVI, 1—240). Oxford 1869.
Vgl. Allgem. Zeitung 1870, Nr. 6. 7 (K. Maurer); Athenaeum 1869, 27. Dec,
1870, 1. Jan., 14. Mai.
94. Dalin, A. F., Dansk-Norsk och Svensk ordbok. 8. (IV, 675 S.)
Stockholm 1869.
470 BIBLIOGRAPHISCHE UBEBSIOHT.
95. Höfer, A., Zur Laut-, Wort- und Namenforschung. 1. Nibel. str. 628
und das Gürtel. 2. Zu Nibel. str. 1280 zuo den wenden. 3. Die ungebatten.
4. Ungesühte und die Partikel un. 5. Endig, Uuende. 8. Swommen, Swummen.
9. Estrich und seine Formen. 10. In proquellis leben.
GermaniaU4, 197—215.
96. Woeste, F., Mhd. Drullgast.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 113.
97. Höfer, A., Gebesten.
Germania 14, 417—420.
98. Lübben, A., Nibelungenlied 1405, 4 L.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 191 (vergiseln).
99. Vries, M. de, De afleiding en beteekenis van het woord Buwaard.
Verslagen en Mededeeliogen der kon. Akad. van Wetenschapen 12, 171 — 208
(1869).
100. Höft, F., 'über den Ursprung und Bedeutung unserer geographischen
Namen in besonderer Berücksichtigung der Umgegend von Rendsburg. ELiel 1869.
Univ. Buchh. in Comm. Y3 Rthlr.
101. Göhlert, J. Vincenz, Über keltische Ortsnamen in Niederösterreich.
Mittheilungen der k. k. geograph. Anstalt, N. F. 12. Band.
102. B ronisch, P., Die deutschen Ortsnamen mit besonderer Berücksich-
tigung der ursprünglich wendischen in der Mittelmark und der Niederlausitz.
N. Lausitz. Magazin 46. Band (1869).
103. Die slavischen Ortsnamen des Thüringerwaldes und der umlie-
genden Gegenden.
Das Ausland 1869, Nr. 29, S. 689.
104. Edmunds, F., Traces of history in the names of places, with a voca-
bulary of the roots out of which names of places in England and Wales are formed.
kl. 8. 312 S.
105. Vries, M. de, Leiden of Leyden.
Haudelingen en Mededeelingen van de Maatschappij der Nederl. Letterkunde
1869, S. 35-49.
106. Stark, F., Keltische Forschungen. H. Keltische Personennamen
nachgewiesen in den Ortsbenennungen des Codex traditionum ecclesiae Ravenna-
tensis aus dem 7—10. Jahrh. 1. und 2. Theil. Lex. 8. (64 S.) Wien 1869. Ge-
rold in Comm. V» Rthlr.
Aus den Sitzungsberichten der Wiener Akademie.
107. Collectae ad augendam nominum propriorum Saxonicorum et Fri-
siorum scientiam spectantes. Edidit W. Crecelius. IP et III'. Elberfeldae 1 869
(21 S. 8.), Berolini 1869 (68 S. 8.)
108. Höf er, A., Namenbildung aus Namendeutung und Moneke de junge
Martenapens sone»
Germania 14, 216—220.
109. Hessel, C, Die deutschen Familiennamen und ihr Zusammenhang
mit der deutschen Cultur erläutert an dfn in Kreuznach vorkommenden Namen,
gr. 8. Kreuznach 1869. Voigtländer. 6 Ngr.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. - 471
110. Steub, Ludwig, Über deutsche und zunächst bayerische Familien-
namen.
Allgem. Zeitung 1869, Beilage 271 ff.
111* Bostocker Familiennamen.
Rostocker Zeitung 1869, Nr. 218.
112. Reinsberg>Düring8feid , Otto von, Spitznamen und Scherz-
worte in Tirol.
Illustrirte deutsche Monatshefte 1869, März.
113. Weinhold, K. , Die deutschen Monatnamen. Der germanischen
Abtheilung der XXVII. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner
zur Begrüßung in Kiel am 27. Sept. 1869. 8. (68 S.) Halle 1869. Buchh.
des Waisenhauses.
Vgl. Zeitschrift für deutsche philologie 2, 220.
114. Bacmeister, Ad., Thiernamen.
Das Ausland 1869, Nr. 44.
115. Wackernagel, Wilhelm , Voces variae animantium. Ein Beitrag
zur Naturkunde und zur Geschichte der Sprache. 2. verm. u. verb. Auflage. 8.
(179 S.) Basel 1869. Bahnmayer. 1 Rthlr. 18 Ngr.
Vgl. Gott. Gel. Anz. 3870, Nr. 13; S. Galler Blätter Nr. 31.
116. Nathusius, J., Die Blumenwelt nach ihrer deutschen Namen Sinn
und Deutung. 2. Auflage, gr. 8. Leipzig 1869. Arnold. 1 Rthlr. 6 Ngr.
VI. Deutsche Mundarten.
117. Gradl, Heinrich, Zur künde deutscher mundarten.
Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 19, 48—70. 126—130.
118. Schröer, K. J., Ein Ausflug nach Gottschee. Beitrag zur Erfor-
schung der Gottscheewer Mundart, gr. 8. (124 S.) Wien 1869. Gerold in Comm.
Aus dem 60. Bande der Sitzungsberichte abgedruckt. Vgl. Presse 1869, Nr. 96.
119. Schönwerth, Min. Rath v., Dr. Weinholds bairische Grammatik
und die oberpfälzische Mundart, gr. 8. (27 S.) Regensburg 1869. Manz. 8 Ngr.
120. Gradl, H., Zum ostfränkischen vokalismus.
Zeitschrift für vergleichend« Sprachforschung 18. Band, 4. 5. Heft.
121. Hildebrand, R., Ein wunderlicher rheinischer accusativ.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 442-448.
122. Bossler, L. , Einige bemerkungen über Hildebrands rheinischen
accusativ.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 190 — 191.
123. Stronck, Prof. M. , Historisch- philologische Studie über das bel-
gische Gallien und die in demselben entstandenen Sprachgrenzen, mit besonderer
Berücksichtigung des Luxemburgischen Dialektes. (Mit einer Karte.)
Publications de la soci^t6 historique de l'Institut. Vol. 24. Luxemb. 1869.
124. Rückert, H., Entwurf einer systematischen Darstellung der schle-
sisch-deutschen Mundart im Mittelalter.
Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 9 Band (Fort-
setzung).
125. Nergor, Karl, Gramme^tik des meklenburgischeo Dialektes ä,lterer
472 BIBUOGEAPHISCHE ÜBERSICHT.
und neuerer Zeit. Laut- und Flezionslehre. Grekrönte Preisschriffc. 8. (XII, 145 S.)
Leipzig 1869. Brockhaus. 28 Ngr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 20; Hamburg. Nachricht, Nr. 139.
126. Groß, Dr. R. , Ein Versuch über das deutsche Idiom in den bal-
tischen Provinzen. 8. (40 S.) Riga 1869. Bacmeister. V4 Rthlr.
127. Gibson, A. C, The folk speech of Cumberland and some districts
adjacent, being short histories and rhjmes in the dialects of the westborder
counties. 12. (230 S.) London 1869. Smith.
128. Uppmark, Gustaf, Uppljsningar om Folkspraket i Södertöm. Aka-
demisk Afhandling. 8. (38 S.) Stockholm 1869.
129. Rechenschaftsbericht des Schweizerischen Idiotikons an die
Mitarbeiter, abgestattet von der Central-Commission im Herbst 1868. (Zürich
1869). 8.
130. Zingerle, Dr. Ign. V., Lusemisches Wörterbuch. Lex. 8. (VT, 80 S.)
Innsbruck 1869. Wagner. 7s R*^^""-
Vgl. Reusch, theol. Literaturblatt 1869, Nr. 26.
181. Schmeller, J. Andr. , Bayerisches Wörterbuch. Zweite, mit des
Verfassers Nachträgen vermehrte Ausgabe im Auftrage der historischen Com-
mission bei der k. Akad. d. Wiss. bearbeitet von G. K. Frommann. 2 — 3. Lief.
(Sp. 241 — 768). München 1869. Lit. Artist. Anstalt k 24 Ngr.
Vgl. Literar. Centralbl. 1869, Nr. 40.
132. Wegeier, Dr. J., Wörterbuch der Coblenzer Mundart. [Aus dem
rheinischen Antiquarius]. gr. 8. (IV, 68 S.) Cobleuz 1869. Hergt. V« Rthlr.
133. Versuch eines bremisch* niedersächsischen Wörterbuchs. Heraus-
gegeben von der bremischen deutschen Gesellschaft. 6. Theil. 2. Nachtrag, ent-
haltend : Zusätze und Verbesserungen, gr. 8. (VII , 424 S.) Bremen 1869.
Tannen. 3 Rthlr.
Vgl. Literar. Centralbl. 1870, Nr. 32; Magazin f. d. Lit. d. Ausl. 1869, Nr. 13;
Allg. Lit. Anz. IH, 4.
134. Schuermans, L. W., Algemeen Vlaamsch Idioticon, uitgegeven
op last van bet Taal- en Letterlievend Genootschap Med Tijd en Vlijt. Be-
werkt met behulp van verscheidene taalminnaars van Zuid-Nederland; roy, 8.
(XXVII, 902 S.) Leuven 1865 — 1870. Vanlinthout.
135. van Dale, J. H. , Losse aantekeningen op het algemeen Vlaamsch
Idioticon, met het Oog op het Zeeuwsch- Vlaamsch in het voormalig 4* District
der Provincie Zeeland. (60 S.) A — Boer. 1869.
136. Morris, J. P«, a glossary of the words and phrases of Fumess
(North Lancashire) with illustrative quotations, principally from the old Nor-
thern writers. 8. London, Smith.
137. Tobler, Dr. Titus, Alte Dialectproben der Schweiz. Mit Einleitung
und Wörterbuch. 8. (72 S.) St. Gallen 1869. Huber & Co. 7 Ngr.
138. Birlinger, A., Mundartliche Proben von heut. I. Schwäbisch und
altwirtemb ergisch. II. Alemannisch.
Archiv für das Studium der neueren Sprachen 45, 450 - 478.
139. Hauff, G., Schwäbische und oberbairische Dialectdichtung.
Blätter für literar. Unterhaltung 1869, Nr. 35.
BIBLIOGRAPmSCHE ÜBERSICHT. 473
140. Hebel'sr J. P«, AllemaniBche Gedichte. VollBtändige berichtigte
Ausgabe mit Einleitong etc. gr. 16. Leipzig 1869. Dyk. 3 Ngr.
141. Hebers, J. P., Werke. 2 Bände. 2. Aufl. 16. (VIH, 344 und
VI, 814 SO Berlin 1869. Grote. Vs Bthlr.
142. Stein, Wilhelm, Us 'm Neckerdhai. Gedichte in schwäbischer Mund-
art 2. Aufl. gr. 16. (Vni, 138 S.) Stuttgart 1869. Grüninger. 18 Ngr.
143. Nadler, K.G., FröhHch Palz, Gott erhalts! Gedichte in Pfölzer
Mundart. 5. Aufl. 16. (X, 356 S.) Frankfurt a. M. 1869. Winter. % ßt^lr.
144. Seyfried, Ant., Altboarische G'schichtln und G^sangln. gr. 8.
(in, 90 S.) München 1869. Fleischmann. Va ^^^*
VgL MOnchener Propyläen 1869, Nr. 6.
145. Waldbrtihl, Wilh. Ton, Bhingscher Elaaf. Rheinfränkische Lieder
und Leuschen. Nebst einer Zugabe: Stöckelcher von Montanus. 16. (VIII, 312 S.)
Opladen 1869. Arndt. '/, Bthlr.
146. Bosegger, P.H., Zither und Hackbrett. Gedichte in obersteieri-
scher Mundart. IMQt einem Vorworte von Robert Hamerling. gr. 16. (VII, 170 S.)
Graz 1870. Pock. % Rthlr.
147. Feldzug kägen d'e Trichinen. Humoreske [ei schläs'scher Schproche].
.2. Aufl. 8. (13 S.) Leobschütz 1869. Schiflmann. IV9 Ngr.
148. Bilder und Klänge aus Rudolstadt. In Volksmundart. (Von Anton
Sommer.) 2. HefL 4. Aufl. 16. (96 S.) Rudolstadt 1869. Schwabe. % Rthlr.
149. Giebels hausen, C. F. A., Die Trichinengefahr. Ein frisches ehr-
liches Wort in. altmansfeldischer Weise. 16. (6 S.) Halle 1869. PfeflFer. INgr.
150. Müller's, Dr. Jos., Sämmtliche Schriften in Aachener Mundart.
2. Band. 8. Aachen 1869. Kaatzer. ly^BthL:.
Vgl. Allgemeine Zeitung 1869, Beilage 300.
151. Grimme, F.W., Schwanke und Gedichte in sauerländischer Mundart.
4. abermals bedeutend verm. Aufl. Mit einer Einleitung über die Eigenthüm-
lichkeiten des sauerländischen Dialectes. 16. (XI, 178 S.) Paderborn 1869.
Schöningh. 13Vj Ngr.
Vgl. Allgem. Literat. Zeitung 1869, Nr. 27; Köln. Volkszeitung Nr. 179.
152. Grimme, F. W. , de Musterung oder Gehannes Fiulbaum un syn
Sühn. Lustspiel in sauerländischer Mundart. 2. Aufl. 16. (112 S.) Paderborn
1869. Schöningh. 8 Ngr.
153. Album plattdeutscher Dichtungen. 16. (VII, 328 S.) Leipzig 1869.
Gmnow. 1 % Rthlr.
154. Kienner, de plattdütsche, up dat Jahr 1870, unner Byhulp van
Jan van Buten, Kassen Dukdal,. Dr. Swerenoth etc. herutgewen v. K. Fr. B — n.
8. (XVI, 108 S.) Jever 1869. Mettcker. 6 Ngr.
155. Volksboek, Plattdütsches. Die un nie Rimels un Verteilen. 8.
Berlin 1869. Eichhoff. V^ Rthlr.
156. Bornemann, W., Plattdeutsche Gedichte. Aus den hinterlassenen
Handschriften des verstorbenen Dichters herausgegeben von C. Bomemann.
7. Aufl. 8. (XV, 296 S.) Berlin 1869. Decker. 8/4 Bthlr.
VgL Berliner Revue 66, 10; Österr. Gartenlaube 1869, Nr. 6.
157. Woort, Lüder, Plattdütsche Dichtungen. 2. (Titel-) Ausgabe*
Bremen (18.61) 1869.
474 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
158* Schröder^ Dr. Willem^ Heidsnucken. Plattdütsche epassige Ge-
dichten un Geschichten. 8. (X, 228 S.) Berlin 1869. Hausfreund-Exp. '/a ßthlr.
159. Derselbe, Jan Peik de norddütsche Spaßmaker. Sammlung platt-
deutscher Humoresken, Schnurren, Gedichte etc. 16. (VIII, 216 S.) Berlin 1869.
Janke. y, Rthlr.
160. Derselbe, Swinegels Reise nach Paris as Friedensstifter. Eene
putzige plattdütsche Historje in 10 Kapitteln. 4. (186 S.) Berlin 1869. Haus-
freund-Exped. */g Rthlr.
161. Moor, Jan van, König Wilhelms Besök in Bremen am 15. Juny
1869. Humoreske. 1 — 6. Aufl. 16. (11 SO Bremen 1869. Tannen. 3 Ngr.
162. Linden, Arnold, 'Hie Weif \ Abentüer und Fahrten eenes Welfen-
legionärs. Plattdütsche komische Snurre in 10 Kapitteln mit Biller. 8. (56 S.)
Leipzig 1869, Minde. '/e Rthlr.
163. Harms, weil. Pastor L., Honnig. Verteilen un Utleggen in sin
Modersprak. Utgäwen van Th. Harms. 1. Heft. 8. (VII, 64 S.) Hermannsburg
1869. 4 Ngr.
164. Mahl, Joach., Stückschen ut de Mus'kist. 1. bis 3. Theil. 8. Altena
1868—69. Mentzel.
Inhalt: 1. Tater-Mariken. Ein Bild aus dem Volksleben. Nebst Glossar. 2. Aufl.
(139 S.) 12 Ngr. ; 2. Lütje Denkmal. Eine Theodicee in Fprm eines Cultur- und Liebes-
lebens. Nebst Glossar. (IV, 311 S.) 1 Rthlr.; 3. Fanny oder: Wat sik hebben schall,
dat krigt sik doch. Nebst Glossar. (179 S.) V3 Rthlr.
165. Reuter, F., Hanne Nute en de kleine poedel, eene geschiedenis
van vogels en menschen. Naa den 5. druk metrisch overgezet door F. Lau-
rillard, gr. 8. Leyden 1869. Engels. 4 f.
166. Neben, F., Plattdütsche Schnurren. Oedichte heiteren Inhalts in
mecklenburgischer Mundart. 8. (VIII, 88 ß.) Güstrow 1869. Opitz in Comm.
12 '4 Ngr.
167. Arndt, Pauline, Christel, 'ne Döi*p un Lewsgeschicht. 8. (200 S.)
Ludwigslust 1869. Hinstorff in Comm. /g Rthlr.
168. Arndt, Pauline, up Hohenmüren orer Anna Werner. 8. (168 S.)
Ebenda. V2 ßthlr.
169. Glöde, Carl, Zutemoos. Eine Sammlung plattdeutscher Original-
Gedichte. *8. Wismar 1869. Hinstorff. 22 Vg Ngr.
170. Lere, Vieruntwintig schöne, von Robert Burns*n, denn'n Schott-
länner. Noah Coarl Bartsch*n to Roschtock sien hochdütsch Oewersetting in't
Mäkelbörg'sch Plattdütsch oewerdragen von Bemdin Prinz'n, Molkenmeierin to
Dannenau. 8. (53 S.) Leipzig 1869. Kollmann.
171. För miene un' anner Lü*s Göären. Allergehand nüe Vertellnisse
för de leewe Kingher. Van'n olfn Nümärker. 16, (VIII, 253 S.) Leipzig 1869.
Grunow. 1 Rthlr.
172. Van mienen Keenich Willem. Vann* oll'n Nümarker. 1. und 2. Aufl.
8. (XVI, 302 S.) Jena 1869. Costenoble. 1^^ Rthb.
173. Vogel, Otto, PommemspeegeL Ut oUen Tieden. gr. 16. (III, 76 S)
Greifswald 1869. Scharff. Yg Rthlr.
174. Kasiski, F. W., Dei Dodg, die Todte. Gedicht in pomerellischer
Mundart.
Deutscher Sprachwart 4, 6.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 475
175. Swanneblummen» Jierboekje for it skrikkeljier 1868. Utjown
fen 't Selßcip foar Frjsce Taal in Scriftenkinnisse. 8. Liowerd 1869. Akke<
ringa. f. 0,30.
176. Iduna. Frisk riiu end ünrim. Utjown fen't selskip for Friske taal
end skriffcenkinnesse. Oarde Rige. 25. Jierg. Liowerd 1869. Akkeringa. f. 1,00.
177. VanBlom, J. G. , Blomme-koerke , oanbeau oan sjn lansljue.
8. (VIII, 174 S.) Doccum 1869. Schaafsma. f. 2,00.
178. De Byekoer, Frisk jierboekje för 1870. 25. Jahrgang. 8. (XVI,
80 S.) Freantsjer 1869. Telenga. f. 0,30.
179. Felder, F. M. , de frymitseler fen Zinsenbürren. In folksforhael,
fry biwirke nei \ Hooehdutske troch WalingDykstra, 8. (VIIT, 210 S.)
Freantsjer 1869. Telenga. f. 1,30.
VII. Deutsche Mythologie.
.«
180. Die Ursprünge der Mythologie. Eine Übersicht über die neueren
Forschungen. (Von W. H.),
Monatsblätter für innere Zeltgeschichte von Geizer 34. Band, 3. Heft.
181. R lalle, G. de. De la mdthode en mythologie et des divers sy-
stemes de critique mythologique.
Revue de llngoistlque 1869, Janvier,
182. Müller, Max, Essays. 2. Band: Beiträge zur vergleichenden My-
thologie und Ethologie. Nach der 2. englischen Ausgabe mit Autonsation des
Verfassers ins Deutsche übertragen. Mit einem ausführlichen Namen- und Sach-
register. 8. (V, 376 S.) Leipzig 1869. Engelmann. 2 Rthlr.
183. Simrock, Karl, Handbuch der deutschen Mythologie mit Einschluß
der nordischen. 3. sehr vermehrte Auflage, ^r, 8. (XIT, 625 S.) Bonn 1869.
Marcus. 2^/3 Rthlr.
Vgl. Zeltschrift für deutsche phllologie 2, 374; Grenzboten 1870, Nr. 13; Köln.
Zeitung Nr. 30; Allgem. Zeitung 1869, Nr. 315. Eine ausführliche Besprechung von
F. Liebrecht bringt die Germania nächstens.
184. Menzel, Wolfgang, die vorchristliche Unsterblichkeitslehre. 2 Bde.
8. (Vni, 287 u. V, 394 S.) Leipzig 1869. Fues. 4 Rthlr.
VgL Literar. Centralbl. 1870, Nr. 13; Saturday Review 751. Eine ausführliche
Besprechung von F. Liebrecht bringt demnächst die Germania.
185. Bratuschek, Ernst, Germanische Göttersage, gr. 8. (VIII^ 300 S.)
Berlin 1869. Löwenstein. 1 Rthlr.
Vgl. Literar. Centralbl. Nr. 30; Blätter f. liter. Unt. 26; Münchener Propyläen
Nr. 13; Dldaskalia Nr. 92; Jahrbücher f. Phüol. und Pädag. 10. Heft; Phllol. Anzeiger
Nr. 8; Allgem. LH. Anz. IV, 3; Stoa H, 3; Post Nr. 645; Europa Nr. 12; Spcnersche
Zeltung Nr. 67; N. Zürich. Zeltung Nr. 79; Bank- und Handelszeitung Nr. 49; Roman-
zeltung Nr. 9; Magazin f. d. Llt. d. Ausl. Nr. 19; Brandenb. Schulbl. Nr. 6. 6; Na-
tlonal-Zeltung Nr. 278; Hamb. Nachr. Nr. 95.
186. Winter, A. , Walhalla. Mythologie der alten Deutschen. 5. Aufl.
8. (22 S.) Langensalza 1869. öreßler. V^ Rthlr.
187. Vernaleken, Th., Aus der deutschen Mythologie. 4. Wien 1869.
Jahresbericht für die Realschule am Schottenfelde In Wien.
188. Petersen, N. M., Nordisk mytologl. Föreläsningar. Ofvers, fran
476 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
originalets andra uppl. af E. Hildebrand. Med afbildningar af C. S. Hallbeck.
Heft 1—4. (XXIV, 372 S. mit 9 Tafeln), 1869.
189. Grundtvig, N. F. S., Nordens Mythologi eller Sindbilledsprog,
historisk-poetisk udviklet og oplyst. 3. Ausgabe. 1 — 2. Heft. 8. (266 S.) Ko-
penhagen 1869.
19 Q. Nogetom nordisk Gudetros Historie. Poredrag ved Blangards semi-
narium. 1869.
191. Hink, H. ,^0m Grönlaendernes gamle Tro og hvad der af samme
er bevaret under Kristendommen.
Aarbö^er for nordisk Oldkyndighed 1868.
192. Rupp, Theophil/ Eddische Studien, gr. 8. (63 S.) Wien 1869. Gerold.
Sonderabdruck von Beiträgen zur Germania.
193. Sagor om Thor. Utdrag ur nordiska gudasagan, af - 1 - m - n. 8,
(12 S.) Linköping 1869.
194. Hammerich, Martin, Ragnaröksmythen.
Smaaskrifter om Cultor og Undervisning , leilighedsYtis udgivne af M. H. Firsta
Deel 1868. 8.
195. Schwarzkoppen, Frau HolFs Brautschleier. Potsdam 1869. Döring.
Vgl. Novellenzeitong 1869, Nr. 12.
196. Wuttke, Ad., Der deutsche Volksaberglaubc der Gegenwart.
2. völlig neue Bearbeitung, gr. 8. (XII, 500 S.) Berlin 1869. Wiegand und
Grieben, ^^j^ Rthlr.
Vgl. Literar. Centralbl. 1870, Nr. 8; Heidelb. Jahrb. 1869, Nr. 51 fg.; Saturday
Review 703; AUgem. lit Anz. IH, 4; Zeitschrift für Ethnologie Nr. 2; Volksblatt für
Stadt und Land Nr. 33; Voss. Zeitung Nr. 272.
197. Landsteiner, Prof., Reste des Heidenglaubens in Sagen und Gre-
brauchen des niederösterreichischen Volks. Krems 1869.
Vgl. Menzels Literatarblatt 1869, Nr. 67.
198. Pfannenschmid, Dr. Heino, Das Weihwasser im heidnischen und
christlichen Cultus, unter besonderer Berücksichtigung des germanischen Alter-
thums. Ein Beitrag zur vergleichenden Religionswissenschaft, gr. 8. (XV, 231 S.)
Hannover 1869. Hahn. iV, Rthlr.
Vgl. Literar. Centralbl. 1870, Nr. 15; Literaturblatt 1869, Nr. 66; Allgem. Lit.
Zeitang Nr. 47; Chilianeum H, 10; Zum Literaturblatt 1870, Nr. 24; Süddeutsch. Sonn-
tagsblatt Nr. 11; Europa 1869, Nr. 44; Hannov. Anzeig. 201.
199. Roskoff, Gustav, Geschichte des Teufels. 2 Bände, gr. 8. (X, 405
u. IV, 614 S.) Leipzig 1869. Brockhaus. 5 Rthlr.
Vgl. Literar. Centralbl. 1870, Nr. 9; Heidelb. Jahrb. Nr. 13 (Liebrecht) u. s. w.
200. Volle rt, Dr. A. , Die Hexen und Hexenprocesse. Eine criminal-
historische Skizze.
Der Salon IV, 595 ff. 661 ff.
201. Woeste, Fr., Auszüge aus Mendenschen Hexenprotoc ollen vom
J. 1592.
Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 6. Band (1869).
202. Schultz, Alwin^ FindUnge.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1869, Sp. 45—48. Enthält u. a. Segen-
sprüche aus einer Münchener Hs.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 477
Vlli. Märchen und Sagen.
**
203. Boxberge r, Über Märchen and Sagengeschichte.
Nene Jahrbücher für Philologie und Pädagogik 100. Band, 6. HefL
204. Märchen, Mythe und Sage und ihre Beziehung zu einander.
Die Biene 1869, Nr. 26.
205. Grimm, Bruder, Kinder- und Hausmärchen. Kleine Ausgabe.
14. Aufl. 16. (VI; Sil S.) Berlin 1869. Dümmler. % Bthlr.
206. Bechstein, Ludw., Neues deutsches Märchenbuch. 15. wohlf. Aufl.
8. (IV, 271 S.) Wien 1869. Hartieben. 12 Ngr.
207. Mulden er, Rud., Märchen aus Süd und West. 2. Aufl. 8. (200 S.)
Langensalza 1869. Greßler. 12 Ngr.
208. Der Hirschgulden. Deutsches Volksmärchen.
Über Land und Meer 1869, December.
209. Oude Kindervertelsels in den Brugschen Tongval verzameLd
en uitgegeven door Aoolf Lootens, met spraakkundige aanmerkningen over het
brugsche taaleigen door M. £. F. Brüssel 1868.
210. Liebrecht, F., Vlämische Märchen und Volkslieder.
Germania 14, 84—96.
211. Müldener, Rnd., Nordisches Märchenbuch. Dänische, schwedische
und norwegische Märchen, übersetzt und gesammelt. 3. verm. Aufl. 8. (VIII,
175 S.) Langensalza 1869. Greßler. 12 Ngr.
VgL NoYellenzeitung 1869, Nr. 43.
212. Kreutzwald, Friedrich, Esthnische Märchen. Aus dem Esthnischen
übersetzt von F. Lowe« Nebst einem Vorwort von A. Schiefner und Anmer-
kungen von R. Köhler und A. Schiefner. 8. (VIII, 366 S.) Halle 1869. Buchh.
d. Waisenhauses. 1 V4 Rthlr.
VgL Literar. CentralbL 1869, Nr 43.
213. Gerland, Georg, Altgriechische Märchen in der Odyssee. Ein Bei-
trag, zur vergleichenden Mythologie, gr. 8. (52 S.j Magdeburg 1869. Creutz.
V, Rthlr.
Vgl. Zeitschrift f&r deutsche philologie 1, 494—498 (Selbstanzeige); Liter. Cen-
tralbL 1869, Nr. 43; Revue critique Nr. 37 (Comparetti) ; Grenaboten Nr. 42; PhiloL
Anz. n, 4.
214. Lewald, A.^ Deutsche Volkssagen für die erwachsene Jugend be-
arbeitet. 2. Aufl. 8. (283 S.) Stuttgart 1869. Schmidt u. Spring. 1 Vs Rthlr.
215. Hoff mann, Franz, Deutsche Sagen. 5. Aufl. gr. 16. (V, 399 S.)
Stuttgart 1869. Chelius. 1^^ Rthlr.
216. Schade, O., Drei Sagen aus dem 14. Jahrhundert
Germania 14, 275 — 383. Lateinisch.
217.« Eine romantische Schweizersage.
Novellenzeitung 1869, Nr. 45: Über Kyburg.
218. Rosseeuw St. Hilaire, E., Legendes de TAIsace. Traduites de Tal-
lemand. 2* Edition revue et augment^e. 18. (345 S.) Paris, Meyrueis. 2 fr.
219. Patuzzi, A., Schwäbische Sagen-Chronik. 2. Aufl. 32. (111 S.)
Stuttgart 1869. Fischhaber.. 4 Ngr.
478 BIBLIÖGKÄPHISCHE ÜBERSICHT.
2120. Hübner, Julius, Schlafspan und Schlafbalken. Eine seh warzwälder
Köhlersage.
Westennanns illostr. Monathefte Nr., 156, S. 599—608.
221. Schönhuth, ehemal. Pfarr. 0. F. H., Erinnerung an Hohentwiel.
Beschreibung und Geschichte, Sagen und Lieder von der Bergveste Hohentwiel.
3. Aufl. 16. (64 S.) Tuttlingen 1869. Kling. Vc Rthlr.
222. Mayer, Jos. Mar., Das Bayern-Buch. Greschichtsbücher und Sagen
aus der Vorzeit der Bayern, Franken und Schwaben. 1. Halbband. 8. (884 S.)
München 1869. Lindauer. 1 Rthlr. 2 Ngr.
223. Kaufmann, Alex.-, Kleine Beiträge zur Geschieh ts- und Sagen-
forschung im Frankenlande. X. Ein Mythus der Edda im Mainthal.
Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaftenburg 20. Band.
(1869).
224. Specht, K. M. M., Donausagen. 16. Wien 1869. Perles. 16 Ngr.
225. 3aumgarten, P. Amand, Aus der volksmäOigen Überlieferung
der Heimat.
28. Bericht des Museum Francisco-Carolinum. Linz 1869.
226. Leder er, Ign., Sagen und Geschichten aus Böhmen, gr. 16. (HI,
59 S.) Pilsen 1869. Maasch. 6 Ngr.
227. Grässe, Dr. J. G. Th., Sagenbuch des preußischen Staates. 11. bis
14. Lieferung, gr. 8. (2. Bd., S. 1—320). Glogau 1869. Flemming. IV4 Rthlr.
228. Matzner, Dr. W., Sagen in und um Walstat.
-Rübezahl 1869, S. 466.
229. Wolfram, Sächsische Volkssagen. 2. Bändchen. Zwickau, Döhner.
3 Ngr.
230. Waizer, R., Der Schatz in Prosekstein. Gurkthaler Volkssage.
Die Biene 1869.
231. Spieß, Balthasar, Volksthümliches aus dem Fränkisch-Hennebergi-
schen, gesammelt und herausgegeben. Mit einem Vorworte von Reinhold Bech-
stein. gr. 8. (XVI, 216 S.) Wien 1869. Braumüller. 1 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 30; Blätter f. lit. Unterhalt Nr. 18; Allgem.
Lit. Zeitung Nr. 47; lUustr. Zeitung Nr. 1384.
232. Hoffmeister, Phil., Hessische Volksdichtung in Sagen und Mähr-
chen, Schwänken und Schnurren etc. gr. 8. (Xll, 184 S.) Marburg 1869. Ehr-
hardt. Vi ^^^r.
Vgl. Menzels Literaturblatt 1869, Nr. 102.
233. Bindewald, Theodor, Neue Sammlung von Volkssagen aus dem
Vogelsberg und seiner nächsten Umgebung- Dem Volksmunde nacherzählt.
Archiv für hessische Geschichte 12. Band, 2. Heft (1869).
234. Simrock, Karl, Rheinsagen aus dem Munde des Volkes und deut-
scher Dichter. Für Schule, Haus und Wanderschaft. 6. sehr verm. Aufl. 8.
(XI, 496 S.) Bonn 1869. Weber. 2 Rthlr.
Vgl. Allgem. Zeitung 1869, Nr. 284. 315.
235. Kiefer, F. J., The legends of the Rhine from Basle to Rotterdam.
Translated by L. W. Garnham. 2. edition. gr. 16. (VI, 313 S.) Mainz 1869.
Kapp. 1 Rthb.
236. Geschichten und Sagen vom Rhein zwischen Worms und Köln.
16. (IV, 128 S.) Heidelberg 1870. Groosw V3 Rthlr.
Zugleich auch französisch und englisch erschienen:.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 479
%•-
237. Zur Literatur der norddeutschen Sage.
Preußischer Staatsanzeiger 1869, Beilage Nr. 106.
238. Sagen, Legenden und alte Gebräuche.
Blätter zur näheren Kunde Westfalens 7. Jahrgang, 1869.
239. Sagen und Aberglauben aus Ostfriesland.
Ostfriesisches Jahrbuch 1. Band, 1. Heft.
240. Sundermann, Fr., Sagen und sagenhafte Erzählungen aus Ost-
friesland. 8. (V, 66 S.; Aurich 1869. Dunkmann. 6 Ngr.
Vgl. niustr. Zeitung Nr. 1384.
241. Handelmann, Prof. Dr.^ Zur Sammlung der Sagen, Märchen und
Lieder, der Sitten und Gebräuche der Herzogthümer. Nachträge.
Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogthümer Schleswig, Holstein und
Lauenburg 10. Band, Kiel 1869. Ebenda 3. Heft: Yolksthümliches. Nachträge.
242. Rode, Ch., Der Uglei-See. Nach einer Volkssagc. 16. (123 S.)
Altona 1869, Lehmkuhl. ^/a ß^^r.
243. Reinhard, K. v. ; Sagen und Märchen aus Potsdams Vorzeit.
3. Aufl. verm. von W. Riehl. Potsdam 1869. Rentel. 20 Ngr.
Vgl. Spenersche Zeitung Nr. 148; N. Preuß. Zeitung Nr. 161; Voss. Zeitung
Nr. 147; Berliner Gerichtszeitung Nr. 78; Nationalzeitung Nr. 372; Post Nr. 413.
244. Vries, J. de, Driekoningen.
Volks-Almanak voor 1869, S. 96-102.
245. Säve, Carl, Sigurds-ristningama ä Ramsondsberget och Grökstenen.
Tvänne fomsvenska minnesmärken om Sigurd Fafnesbane. Kongl. Vitterhets
Historie och Antiquitets Aluidemiens Handlingar. Deel 26. Stockholm 1869,
S. 321—364.
Vgl. Germania 16, 121 fiF.
246. Höfer, A., Volzo von Alzei^ ein Zeugnis für die deutsche Heldensage.
Germania 14, 220—221.
247. Köhler, Reinh., Zum Spruch vom König Etzeln.
Germania 14, 243—246.
248. Meyer, Karl, Zur Dietrichssage.
Germania 14, 432—434.
249. Meyer, Karl, Die Wielandssage.
Germania 14, 283—300.
250. Bartsch, K., und K. J. Schröer, Das Fortleben der Kudrunsage.
Germania 14, 323—336.
251. Pio, L., Sagnet om Holger Danske, dets utbredelse og forhold til
Mythologien. 8. (lOO S.) Copenhagen 1870. Gad.
Vgl. Liter. Centralbl. 1870, Nr. 8; Revue critique Nr. 7 (G. Paris); Faedre-
landet Nr. 88.
252. Dung er, Dr. Herrn., Die Sage vom trojanischen Kriege in den
Bearbeitungen des Mittelalters und ihren antiken Quellen. 8. (81 S.) Leipzig
1869. Vogel. 16 Ngr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 47; Heidelb. Jahrbücher Nr. 40 (Schröder);
Histor. Zeitschrift, 3. Heft; Saturday Review Nr. 712; Menzels Literaturblatt Nr. 45.
253. Moltzer, H. E., Bijdrage tot de geschiedenis der Alexandersage.
Dietsche Warande 8, 464—476 (1869).
480 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
254. Köhler^ Beinhold^ Zur Legende vom h. Albantrs.
Germania 14, 300—304.
255. Glennie, J. S. St., Arthurian localities: their historical origin,
Chief country and fingalian relations. With a map of Arthurian Scotland. 8.
(152 SO 1869. 7 8. 6 d.
256. Köhler, Beinhold, Zu Tristan.
Germania 14, 246—247.
257. Wormstall; Dr. Joseph, Die Herkunft der Franken von Troja.
Zur Lösung eines ethnographischen Problems, gr. 8. (III, 62 S.) Münster 1869.
Busseil. 15 Ngi*.
Vgl. Liter, Centralbl. 1869, Nr. 14; Kuhns Zeitschrift XIX, 77; Menzels Lite-
raturblatt Nr. 43; Magazin f. d. Lit. d. Ausl. 1870, Nr. 10.
258. Foß, Prof. Dr. B., Zur Carlssage. gr. 4. (31 S.) Berlin 1869.
Gärtner in Comm. 8 Ngr.
259. Karls Becht. Von K. M(üllenhoff)-
Zeitschrift für deutsches lalterthnm 14, 525 — 530. Ein Meistergesang.
260. Meyer, Dr. Hugo, Abhandlung über Boland.
Programm der Hauptschule in Bremen 1868. 4. 22 S. Vgl. Zeitschrift für deutsche
Philologie 1, 491 (Zacher); Eevue critique 1870, Nr. 7 (G. Paris).
261. Dümmler, E., Herzog Ernst.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 265—271, mit Nachtrag S. 559 - 560.
262. Beinsberg- Düringsfeld, Frh. V., Der Barbarossaglaube.
lUustrirte Zeitung Nr. 1381.
263. Bordier, H. L., Le Grütli et Guillaume Teil ou defense de la
tradition yulgaire sur les origines de la conf^deration suisse. 8. (92 S.) Gen^ve
et Bäle 1869. Georg.
Vgl. Bevue critique 1869, Nr. 29.
264. Haupt, Jos., Die Sage vom Venusberg und dem Tannhäuser.
Berichte und Mittheilungen des Alterthiunsvereins zu Wien 10. Band, 3. Heft.
Wien 1869. 4.
265. Oesterlej, H., Zu Gesta Bomanorum.
Germania 14, 82—83.
266. Köhler, Beinh., Zu von der Hagens Gesammtabenteuer Nr. 63.
Germania 14, 269-271.
267. Tube, Dr. P., Die Faustsage und der religiös-sittliche Standpunkt
in Goethe's Faust. Vortrag. 8. (30 S.) Dresden 1869. Naumann. Ve Bthlr.
Vgl. Zeitschrift für luth. Theol. 1870, Heft 4.
268. Beyer, Jos., Die Faustsage, das Volksbuch und das Puppenspiel
▼on Faust.
, Westermanns Monatshefte December 1869.
269. Deutschlands Schild- und Wappensagen,
niustrirte Zeitung Nr. 1331—1381.
270. Bochholz, E. L., Der storch nach- schweizerischem Volksglauben,
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 344-350.
271. Lei st, A., Deutsche und slavische Pflanzensagen.
Globus von Andree, 16. Band, 8. Heft.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 481
IX. Volks- und Kinderlieder, Sprichwörter, Sitten und
Gebräuche.
272. Lindner, Albert, Das deutsche Volkslied.
Ergänzungsblätter 5, 605—613.
273. Von der Volkspoesie. Nebst ausgewählten echten Volksliedern. Ein ^
Supplement zu 'Kleinpauls Poetik.' 2. Aufl. 8. (XV, 187 S.) Barmen 1870.
Langewiesche. ^/^ Rthlr.
Vgl. Menzels Literaturblatt 1869, Nr. 102; Allgem. Lit. Zeitung Nr. 62; Allgem.
Schulzeitung Nr. 50; Romanzeitung Nr. ]3; Köln. Zeitung Nr. 337; Blätter für liter.
Unterh. Nr. 38.
274. Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13 — 16.
Jahrhundert gesammelt und erläutert von R. v. Liliencron. 4. Band* Lex. 8.
(XV, 634 S.) Leipzig 1869. Vogel. Sy,, Rthlr. Nachtrag, enthaltend diö Töne
und das aiphabet. Verzeichniss. (VI, 150 S.) Ebenda. 1 Rthlr. (Complet
14% Rthlr.)
Vgl. German. 15, 384; Liter. Centralbl. 1869, Nr 26; Saturday Review 716;
N. Jahrb. f. Phil. u. Päd. Nr. 6; Westermann 1870, Februar; Dresd. Journal 1869, Nr. 140.
275. Hoffmann von Fallersleben, A. H., Unsere volksthümUchen
Lieder. 3. Aufl. Mit Fortsetzung und Nachträgen. 8. (XI, 214 S.) Leipzig 1869.
Engelmann, ly^ Rthlr.
276. Pogatschnigg, V., und E. Herrmann, Deutsche Liebeslieder
aus Kämthen. Gesammelt. Graz 1869. Pock.
Vgl. Menzels Literaturblatt 1869, Nr. 94; Romanzeitung' Nr. 18; Lehmanns Ma-
gazin 1870, Nr. 17; Allgem. Famil. Zeitung Nr. 23.
277. Boo^ of brave old ballads. 17. (238 S.) 5 s.
278. Hank er, R. S., The comish ballads and other poems, including
a second edition of the Quest of the Sangraal. London, Parker.
279. Danmarks gamle Folkeviser udgivne af S. Grundtvig. 4 Dels
1. Heft. 8. (192 S.) Köbenh. 1869.
280. Kristensen, E. T., Jydske Folkeviser og Toner i sagn og seventyr.
2. Hea 8. (48 S.) Köbenh. 1869.
281. Meier, Herm., Ostfriesische Kinder- und Volksreime. [Aus Ostfries-
land in Bildern und Skizzen] 8. (45 S.) Leer 1868. Securius. 4 Ngr.
282. Tobias, A«, Beiträge zur Sprich wörterlitteratur.
Serapeum 1869, Nr. 22.
283. Wander, K. F. W., Deutsches Sprichwörter-Lexicon. 23— 27.Lie.
ferung. hoch 4. (Band 2, Sp. 877—1636). Leipzig 1869. Brockhaus, k "/s Rthlr.
284. Masson, Mor«, Die Weisheit des Volks. Einiges aus dem Sprich -
Wörterschatz der Deutschen, Russen und Franzosen und anderer ihnen stamm-
verwandten Nationen. Gesammelt und nach der Analogie gruppirt. 8. (VIII,
390 S.) St. Petersburg 1868. Hoppe. 2 Rthlr.
285. Graf, Ed., und Math. Dietherr, Deutsche Rechtssprich wo rter unter
Mitwj|kung der Prof. F. C. Bluntschli und K. Maurer gesammelt und erklärt«
8. 2. (Titel-) Aasgabe. NördHngen (1864) 1869. Beck.
QBBMANIA. Neue Reihe lU. (XV.) Jahrg. 52
482 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
286. Sutermeister, Otto, Diö schweizerischen Sprichwörter der Gegen-
wart in ausgewählter Sammlung, gr. 8. (XI, 152 S.) Aarau 1869. Christen.
16 Ngr.
Vgl. Lehmanns Magazin Nr. 30; Ballien, Volksschule 14, 3; AUg. Famil. Zei-
tung Nr. 46; lUustr. Zeitung Nr. 1384; St. Gall. Blätter 1870, Nr. 23.
287. Schröder, C, Über hundert niederdeutsche Sprichwörter, gesam-
melt aus mittelniederd. und mittelniederländ. Dichtungen.
Archiv für das Studium der neueren Sprachen 44. Band, 2. 3. Heft.
288. Kern, W. G., und W. Willms, Ostfriesland wie es, denkt und
spricht. Eine Sammlung der gangbarsten ostfriesischen Sprichwörter. 8. 1869.
Vgl. Europa 1869, Nr. 41; Oldenburg. Schulbl. Nr. 12; Hlustr. Zeit. Nr. 1384.
289. W ander, K. F.,, Deutsch, Deutscher und Deutschland im Sprichwort.
Deutscher Sprachwart 4. Band, Nr. 6.
290. Roch holz, E. L., Ein schlechtes Tüchlein sein.*
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 459 - 465.
291. Höfer, A«, Ein X für ein U machen.
Germania 14, 215-216.
292. Hazlitt, W. Carew, English proverbs and proverbial phrases col-
lected from the most authentic sources alphabetically arranged and annotated.
8. Berlin und London 1869. Asher. 7 Rthlr. 15 Ngr.
Vgl. Athenaeum 1869, 11. Äept.
293. Rasmussen, H. V., Danske Ordsprog. Ved Udvalget for Folke-
oplysnings Fremme. 8. (28 S.) Köbenh. 1869.
Sonderabdruck aus: Folkelaesning Nr. 30.
294. Meier, Herm., Zweihundert plattdeutsche Bäthsel aus dem Volks-
munde der Ostfriesen. Für Jung und Alt gesammelt und herausgegeben. 8.
(24 S.) Leer 1869. Securius. 3% Ngr.
Vgl. Köln. Zeitung 1869, Nr. 146; Jahreszeiten Nr. 27.
295. Wilmanns, W., Disputatio Pippini cum Albino.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 530-555.
296. Volksbücher; auserlesene deutsche. In ihrer ursprünglichen Echt-
heit wiederhergestellt von K. Simrock. 2 Bde. 8. (III, 501 und IH, 528 S.)
Frankfurt a. M. 1869. Winter. 2V, Rthb.
Vgl. Blätter für liter. Unterhaltung 1870, Nr. 9 (Bartsch); Chilianeum I, 6.
297. Weller, E., Einige unbekannte Ausgaben alter Volksbücher.
Serapeum 1869, Nr. 3.
298. T7II Eulenspiegels Schnurren, Schwanke und Streiche. Eine
heitere Historie für lachlustige Leute. 2. Aufl. 16. (64 S.) Reutlingen 1869.
Enßlin. 2 Ngr.
299. Grieben, Herm., Till Eulenspiegel.
Der Salon 6, 193—200.
300. Lammert, Dr. G«, Volksmedizin und medizinischer Aberglao^ in
Bayern und d^n angrenzenden Bezirken, begründet auf die Geschichte der Me-
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 483
dizin und öultur. Mit historischer Einleitung und einer lith. Tafel. 8. (VI,
274 S.) Würzburg 1869. Julien. 1 Rthlr. 12 Ngr.
Vgl. Zeitschrift für die Staatsarzneikunde 27. Band, 2. Heft.
• 301. Stuhl mann, C. W., Sympathien und verwandte abergläubische Ge-
wohnheiten in Mecklenbuig.
Der Globus von Andree 15. Band, 8. 9. Heft.
3Q2. Kindt, Hermann, Folk lore: pig superstitions,
Notes and Queries Nr. 112, p. 195 S,
303. Kessel, Karl v., Der Aberglaube in der Naturgeschichte.
Hausfreund 1869, Nr. 47.
304. Wood, E. J., The wedding day in all ages and countries. 2 Vol.
8. (490 S.) London 1869. Bentley. 18 s.
305. Müller, Dr. Johannes, Ein merkwürdiger Hochzeitsgebrauch.
lUustr. Familienjoumal 1869, Nr. 25. Über das Strumpfband-Austheilen.
306. Amlacher, Albert, Eine sächsische Bauernhochzeit.
AUgem. Familien-Zeitung 1869, Nr. 27. Aus Siebenbürgen.
307. Hörmann, Dr. L. v., Die Sternsinger in Tirol.
Der Hausfreund 1869, Nr. 46.
308. CasseU Prof. Paulus^ Altkirchlicher Festkalender nach Ursprüngen
und Bräuchen. *8. (128 S.) Berlin 1869. Decker in Comm. % Rthlr.
309. Lübische Fastnachtgebräuche.
Europa 1869, Nr. 28.
310. Reinsberg-Düringsfeld, Frh. v.. Der erste Fastensonntag.
Blustrirte Zeitung Nr. 1392.
311. Pfingstfest in der Ukermark.
niustrirte Zeitung Nr. 1350.
312. Hör mann, Dr. L. v., St. Johannissegen.
niustrirte Zeitung Nr. 1380, S. 474.
313. Bund, Ludw., Johannisfest in Westfalen.
Daheim 1869, Nr. 38.
314. Bernard, H., Usages et superstitions qui se rattachent au culte de
Saint Jean, tant en Orient qu'en Occident. 2* Edition. 18. (57 S.) Paris, Maison-
neuve. 2y2 fr.
315. Haupt, K., Andreas heiiger Schutzpatron.
Rübezahl 1869, S. 295—300.
316. Das St. Niklasfest in Holland.
Die illustrirte Welt 1869, Nr. 16.
317. Hörmann, Dr. L. v.. Die Nikolaus- und Weihnachtsfeier in Tirol,
Der Hausfreund 1869, 6. Hefi;, S. 268.
318. Weihnachten in Norwegen,
niustrirte Zeitung Nr. 1382.
319. Das Fastnachtspiel in der Schweiz.
Illustrirte Zeitung Nr. 1340.
320. Zuckmuutler Passionsspiel heraosgeg. und erläutert von A. Peter,
Professor in Troppau. i. Troppau 1869. Schüler in Comm. (Fortsetz. u. Schluß.)-
32*
484 BBBLIOGRAPfflSCHE ÜBERSICHT.
s
X. Alterthümer und Cultargeschichte.
321. Anderes, J., Die Pfahlbauten im Bodensee zwischen Rorschach
und Staad,.
Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte. Herausg. vom histor. Verein in
St. Gallen. NF. 1. Heft. 1869.
322. Virchow, E., Die Pfahlbauten des nördlichen Deutschlands.
Zeitschrift für Ethnologie von A. Bastian und B. Hartmann. 1. Band, 6. Heft.
323. Kropatschek, H., de Gepidarum rebus. 8. (50 S.) Halle 1869.
Doctordissertation. Vgl. Liter. Centralhl. 1870, Nr. 25.
324. Taciti, P. Com., Germania. Ex Hauptii recensione recognovit et
perpetua annotatione illustravit Prof. Frid. Kritzius. Editio III emendata. 8.
(XVI, 181 S.) Berlin 1869. Weber. Vg Rthlr.
325. Tacitus' Germania. Text mit erklärenden Anmerkungen von Dr.
K. Tücking. 8. (56 S.) Paderborn 1869. Schöningh. 5 Ngr.
326. Tacitus, C. C. , Werke. 1. Bändchen: Agricola's Leben und Ger-
manien. Übersetzt von H. Gutmann. 4. Aufl. 16. (120 S.) Stuttgart 1869.
Metzler. 4 Ngr. , •
A. u. d. T. : Prosaiker, römische, in neuen Übersetzungen. 51. Bändchen.
327. Tacitus, C, Germania. Übersetzt von Dr. S. Dyckhoff, Progymna-
sialdirigent. 8. (48 S.) Paderborn 1869. Schöningh. 5 Ngr.
Vgl. Heidelb. Jahrb. 1870, N. 13; Allgem. Lit. Zeitung 1869, Nr. 49; Allgem.
Lit. Anzeig. V, 3.
328. Liebetrut, Dr. Friedr., Vorträge. 8. (VIU, 184 S.) Gotha 1869.
Schloßmann. 24 Ngr.
Enthält : 1. Unser deutsches Vaterland im Spiegel seines Jugendalters nach der
Germania des Tacitus.
329. Hennings, P. D. Ch.^ Über die agrarische Verfassung der alten
Deutschen nach Tacitus und Caesar. Beiträge zu Tacitus Germania cap. 26 und 30.
8. (III, 72 S.) Kiel 1869. Homann. 10 Ngr.
330. Bichter, G., Zur Frage über die Principes in der Germania des
Tacitus.
Bheinisches Museum für Philologie N. F. ^4. Jahrg. 2. Heft.
331. Hennings, P. D. Gh., Zu Tacitus' Germania (c. 32).
Neue Jahrbücher ftlr Philologie u. Pädagogik 99. Band, 4. Heft.
332. Die Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit. Nach den in öffent-
lichen und Privatsammlungen befindlichen Originalien zusammengestellt und heraus-
gegeben von dem römisch-germanischen Centralmuseum in Mainz durch dessen
Conservator L. Lindenschmit. 2. Band, 10. 11. Heft. gr. 4. (12 Steintafeln und
14 S. Erklärungen.) Mainz 1869. v. Zabern. k % ß^^l^lr«
333. Eye, Dr. A. v.; und Jac. Falke, Kunst und Leben der Vorzeit.
Vom Beginn des Mittelalters bis zu Anfang des 14. Jahrhunderts. 3. nach chrono-
logischer Beihenfolge zusammengestellte und verbesserte Aufl. in 3 Bänden. 4.
Nürnberg 1868 — 69. Bauer u. Raspe.
334. Riecke, Dr. med. C. F., Die Urbewohner und Alterthümer Deutsch-
lands. Nebst einer Karte und einer Tafel Abbildungen. 8. (VIII, 184 S.) Nord-
hausen 1868. Buchung. 18 Ngr.
A. u. d. T. : Beiträge zur Kenntniss der vorgeschichtlichen Zeit Deutschlands.
2. Theil. Vgl, Liter. Centralbl. 1869, Nr. 14 j Allgem. Lit. Zeitung Nr. 9.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 486
d35. Rupp, Theophily Aus der Vorzeit Reailingens und seiner Umgegend.
Ein Beitrag zur deutschen Alterthumskunde. Mit 4 Tafeln. 2. verm. Aufl. Lex. 8.
(V, 112 S.) Stuttgart 1869. Macken. iVa RtWr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1870, Nr. 1; Heidelb. Jahrb. 1869, Nr. 32; Menzels Lite-
raturbl. Nr. 61 ; zum theol. Literaturblatt Nr. 62 ; Allgem. Lit. Anz. IV, 2 ; Petzholds
Anzeiger Nr. 6; Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit Nr. 6; Über Land und
Meer Nr. 38.
336. Walther, Ph. A. F., Die Alterthümer der heidnischen Vorzeit inner-
halb des Großherzogthnms Hessen nach Gattung, UrspruDg und Ortlichkeit be-
sprochen. 8. (116 S.) Darmstadt 1869. Jonghaus in Comm. 1 Rthlr.
Vgl. Lit. Centralbl. 1870, Nr. 23.
337. Födisch, J. E., Die heidnische Todtenbestattung in Böhmen.
Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen, 7. Jahrg.
338. Schwanfelder, P., Die Gebräuche bei Bestattung der Todten vom
Alterthum bis auf die Neuzeit.
Allgem. Familien-Zeitung 1869, Nr. 40. 41.
339. Nilsson, S., Bidrag tili bronskulturens historia i Skandinavien. 8.
(31 S.) Stockholm 1869.
Abdruck aus des Verfassers Einleitung zu der schwedischen Übersetzung von
J. Lubbocks 'Prehistoric times'.
340. Nilsson, S., Das Broncealter. Aus dem Schwedischen von J. Mestorf.
Mit 62 in den Text gedruckten Abbildungen und 5 lith. Tafeln. Hamburg 1869.
Meissner. .2 Rthlr.
341. Nilsson, S., Les habitants primitifs de la Scandinavie. Essai d'ethno-
graphie compar^e, materiaux pour servir k l'histoire du developpement de l'homme.
1^ partie: L'äge de pierre. Traduit du Sn^dois sur le Ms. de la 3® Edition pr^par^e
par l'auteur. 8. (XXIII, 323 S. et 16 pl.) Paris, Reinwald.
342. Montelius, Oscar, Fran jernaldem. Figurerna tecknade och lito-
grafierade af C. F. Lindberg. Heft 1. 2. Stockholm 1869. Akademische Abhandlung.
343. Rygh, 0., Den SDldre jemalder i Norge.
Aarböger for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 149—184.
344. Derselbe, La premiöre p^riode de Tage de fer en Norv^ge.
MSmoires de la soci6t^ des antiqnaires du Nord. Nouv. s^rie, Copenh. 1869,
S. 196—226.
345. Worsaae, J. J. A., Om nogle norske oldsagsfund.
Aarböger for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 1—12.
346. Derselbe, De quelques antiquit^s norv^giennes.
M6moires de la soci6t6 des antiquaires du Nord. Nouv. S6rie. Copenh. 1869.
S. 186-196.
347. Derselbe, Mammen Fundet.
Aarböger for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 203—218 mit 9 Tafebi.
348. Madsen, A. P., Afbildningen af danske Oldsager og Mindesmaerker.
16 Hefte, fol. Kopenhagen 1869.
349. Engelhardt, C, Fjnske Mosefund. Nr. U. Vimose-Fundet. Med
19 Tavler Afbildninger. 4. (42 S.) Köbenhavn 1869.
350. Engelhardt, C, Sur la trouvaille de Vimos.
M^moires de la soci^t6 des antiquaires du Nord. Nouv. S6rie. Copenh. 1868.
351. Nordstrom, C. Fr. Th., Om bengrottor. 8. (29 S.) Upsala 1869.
Akademische Abhandlung.
486 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
352. Blom, 0., Analyse de quelques armes du I®' äge de fer.
M^moires de la soci6t6 des antiquaires da Nord 1869, S. 168—163.
353. Engelhardt; C, Coupe de bronze ^maill^.
Ebenda S. 151—157. Mit einer Tafel.
354. Skyrsla um forngripasafn Islands i Reykjavik. I. 1863 — 1866.
Gefin üt af bim Islenzka Bökmentafelagi. 8. (157 S.) Kaupmannaböp 1868.
355. Sidenbladh, Karl, Ofeersigt af Angermanlands fasta fomlemningar.
Antiquarisk Tidskriffc for Sverige. Utgifven af kgl* Yitterbets Historie ocb Anti-
quitets Akademien genom Bror Emil Hildebrand 11, 192—218.
356. Hildebrand, Hans, Fornlemningar i Medelpad ocb Helsingland.
Ebenda S. 219—221.
357. Derselbe, Den äldre jemäldern i Norrland.
Ebenda S. 222-232. Mit Abbildungen.
358. Viberg, Carl Friedrik, De klassiska folkens förbindelse med norden
och inflytande pa dess civilisation. Ett bidrag tili Osterjöländernäs kulturbistoria.
2. Aufl. 4. (64 S.) Gefle 1868.
359. Daa, Ludv. Kr., Have Germanerne indvandret til Skandinavien fra
nord eller fra syd?
. Nordisk Tidskrift, Lund 1869, S. 172—208.
360f Blom, Hans^ Nogle historik-ethnographiske Spörgsmaal.
Ebenda S. 364—382.
361. Hildebrand, Bror Emil, Till hvilken tid och hvilket folk böra de
Svenska Hällristningame henföras?
Antiquarisk Tidskrift for Sverige H, 417—432.
362. Roßbach, Dr. Job. Jos., Geschichte der Gesellschaft. 2. u. 3. Theil,
1. Abth. 8. (VII, 237 und 309 S.) Würzburg 1869. Stuber. 2 Rthlr.
2. Die Mittelklassen im Orient und im Mittelalter der Völker des Occidents.
3, 1. Die Mittelklassen in der Culturzeit der Völker. Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 2. 34;
Menzels Literaturbl. Nr. 34. 100; Glasers Jahrbücher Nr. 5; Lehmanns Magazin Nr. 34;
Reusch, theol. Literaturbl. 1870, Nr. 1; Blätter f. lit. Unterh. Nr. 14; Berliner Revue
61, 8; Novellen-Zeitung Nr. 23.
363. Zur Sittengeschichte unserer Ahnen.
Novellen-Zeitung 1869, Nr. 27.
364. De oude Tijd. Geschiedenis , maatschappelijk en huiselijk leven,
monumenten u. s. w. Onder leiding van David van der Kellen. 8. (IH, 408 S.)
Haarlem 1869. Kruseman. Mit vielen Holzschnitten.
365. Browne, M., Chaucer *s England. 2 Voll. 8. London 1869, Hurst-
and Blackett. 24 s.
366. Notiz über die mittelalterlichen Ritterspiele. Von F. K.
Anzeiger für Kimde der deutschen Vorzeit 1869, Sp. 71 — 72. Aus John Hewitt^s
Ancient armour and weapons in Europe, Oxf. 1855.
367. Müller, J. H., Die ältesten Complimentirbücher.
Die Erheiterungen 1869, Nr. 14, S. 626—628.
368. Eich wald, Karl, Cumpelmenteerbook vun*t J. 1572. Tor lust und
leere upt Nee 'rutgewen. 16. (11 S.) Bremen 1869. Tannen. 3 Ngr.
369. Eckstein, F. A., Zur Geschichte der Anrede im Deutschen durch die
Fürwörter. Ein Vortrag. 8. Leipzig 1869. Teubner.
Aus: Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik 1869, S. 469-487.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 487
370. Wright, Th., Womankind in Western Europe from thc earliest times
to the seventeenth Century. 8. London 1869.
Vgl. Athenaenm 1869, 11. December.
371. Kämmerei rechnungen der Stadt Hamburg. Herauegeg. vom Ver-
eine für hamburgische Gescbichte. 1. Band. Kämmereirechnungen von 1350 — 1400.
Von K. Koppmann. 8. (XII, 494 S.) Hamburg 1869. Grüning. 2 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 13.
372. Voß, Rudolf, Der Tanz und seine Geschichte. Eine kulturhistorisch-
choreographische Skizze. Mit einem Lexicon der Tänze. 8. Berlin 1869. Seehagen.
IV3 Rthlr.
Vgl. Novellen-Zeitung 1869, Nr. 48.
373. Schwan felder, Zur Geschichte des Tanzes.
Allgem. Familien-Zeitung 1869, Nr 21. 22.
374. Gouw, J, ter, De volksvermaken. 1. u. 2. Lief. 8. (S. 1 — 64, mit
Holzschnitten). Haarlem 1869. Erven Bohn. ä f. 0^40.
375. Furnivall,F. J., Education in earlj England. Somes notes used as
forewords to a collection of Treatises oh 'Manners and Meals in the Olden Time'
for the Early English Text Society. 8. (74 S.) London 1869. Trübner. 1 s.
376. Munimenta Academica or Documents illustrative of academical life
and studies at Oxford by Rev. H. Anstey. Vol. I. IL 8. (GL, 859 S.) London 1868.
Vgl. Histor. Zeitschrift 1870, I, 222 fg.
377. Baader, J., Eines fürstlichen Präceptors Eid und Bestallung vom
J. 1498.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1869, Sp. 268.
378. Aus der Küche der Altvorderen.
Gartenlaube 1869, Nr. 2.
379. Heyne, M., Das altdeutsche Haus.
Europa 1869, Nr. 61 fg.
380. Von der Burg. Von A. von C.
Der Bazar 1869, Nr. .84.
381. Hoff, H., Om Oldtidens Bygningsformer. 8. (64 S. und 3 Tafeln).
Programm der Schule zu Herlufsholm 1869.
382. Gröndal, Benedict, Orme og Ormegaarde i de norske Oldskrifter.
Aarböger for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 228—242.
383. van Lennep, J., en F. ter Gouw, Het boek der opschriften. Eene
bijdrage tot de geschiedenis van het Nederlandsche volksleven. Schluß. (S. 198
bis 412). Amsterdam 1869. Kraay. Complet f. 5,20.
384. Higson, John, Church bells.
Notes and Queries Nr. 103, S. 629. Glockenreime.
385. Ger 1 and, G., Bauemwenzel, Ziegenpeter, Mums.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 309—312. Vgl. Bibliographie 1868, Nr. 401.
386. Lindemann, W., Bilder aus der deutschen Sittengeschichte.
Monatsrosen 1869, Nr. 11, 8. 426. Handwerksbräuche.
387. Förstemann, E., Straßennamen nach Gewerben.
Germania 14, 1—26,
488 BIBUOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
388. Latendorf, Fr., Straßeonamen von Gewerben,
Rostocker Zeitung 1869, Nr. 195.
389. Well er, E., Die Buchdrucker, Formsebneider und Briefknaler von
Augsburg. Nachtrag.
Serapeum 1869, Nr. 19.
390. Stoppel aar, J. H. de, Het papier in de Nederlanden gedurende de
middeleeuwen, inzönderheid in Zeeland. Met 16 uitslaande platen. f. 1,80.
A. u. d. T.: Archief. Vroegere en latere mededeelingen voomamelijk in betrek-
king tot Zeeland. 7. Th. Middelburg 1869. Altorffer.
391. Ledeboer, A. M. , Het geslacht van Waesberghe. Eene bijdrage
tot de geschiedenis der boekdrukkunst in Nederland. *ß Gravenhage 1869. Nijhoff.
f. 4,50.
392. Falke, J., Geschichtlicher Gang der Stickerei bis zu ihrem Verfall
im Anfang des 16. Jahrhunderts.
Zeitschrift für bildende Kunst von Lützow 4. Band, 9. Heft.
393. Kellen, D. van der, Le moyen äge et la renaissance dans les Pays-
Bas. Choix d objets remarquables du XI P au XVIP si^cle. Livr. 7 et 8. gr. 4.
La Haye 1869. Nijhoff. k f. 2,00.
394. VioUet le Duc, Dictionnaire raisonn^ du mobilier fran^ais de T^-
poque carlovingienne k la Renaissance. Tome II, 1 . fascicule : Ustensiles. Paris,
Morel. 4 Rthlr. 24 Ngr.
395. Weiß, Hermann, Kostümkunde (HI. Abschnitt). Handbuch der
Geschichte der Tracht und des Geräthes vom 14. Jahrhundert bis auf die Gegen-
wart. Mit Illustrationen. 5. u. 6. Lieferung, gr. 8. (S. 465 — 672). Stuttgart 1869.
Ebner und Seubert. ä 24 Ngr.
396. Müller, Studienrath Dr., Der Kleiderluzus in früherer Zeit.
Blustrirtes Familien-Journal 1869, Nr. 40.
397. Schwanfelder, Paul, Zur Geschichte des Bartes. Kulturhistorische
Skizze.
Allgem. Familien-Zeitung 1869, Nr. 36.
398. Specht, Gen. Lieut! F. A. K., Geschichte der Waffen. Nachgewiesen
und erläutert durch die Kulturentwicklung der Völker und Beschreibung der Waffen
aus allen Zeiten. 1 — 4. Lief. gr. 8. (S. 1 — 469 mit 11 Steintafeln). Ca8sell869.
Luekhardt. k 1 Bthlr.
399. Demmin, Aug., Die Kriegswaffen in ihrer historifichen Entwickelung
von der Steinzeit bis zur Erfindung des Zündnadelgewehrs. Ein Handbuch der
Waffenkunde. Mit circa 2000 Illustr. 8. (VIH, 620 S.) Leipzig 1869. Seemann.
3 Rthlr. 6 Ngr.
Vgl Liter. CentralbL 1869, Nr. 29.
400. Hofmann, C., Über Schilde und ihre Farben, gr. 8. Vortrag im
Münchener Alterthumsverein.
401. V. Haugwitz, Rückblicke auf die Schußwaffen des deutschen Jägers
vom Mittelalter an bis zur Neuzeit.
Jagdzeitung 1869, Nr. 3.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 489
XI. Kunst.
402. Förster, Ernst, Denkmale deutscher Baukunst, Bildnerei und Malerei
von Einführung des Christenthums bis auf die neueste Zeit. 293 — 300. (Schluß)
Lieferung. Leipzig 1869. T. 0. Weigel. k V, Rthlr.
403. Lacroix; P., Les arts au moyen äge et k l'öpoque de la Renaissance.
Ouvrage illustr^ de 1 9 planches chromolithographiques ez^cut^s par F. Kellerhoven
et de 400 gravures sur bois. gr. 8. Paris 1869. Didot. 6 Rtblr. 20 Ngr,
404. Lacroiz, P., The arts in the middle ages and at the period of the
Renaissance, roy. 8. (540 S.) 31 s. 6 d.
405. Hildebrau d, Hans, Bidrag tili Svenska medeltidens konsthistoria.
Antiquarisk Tldskrift for Sverige II, 339—416.
406. Schultz, A., Beschreibung der Breslauer Bilderhandschrift des Frois-
sart. gr. 4. Breslau 1869. Max u. Comp, '/e Rthlr.
407. Gugel, E., Geschiedenis van de bouwstijlen in de hooftijdperken der
architectar. Met 500 in den texst gedrukte figuren. 1. Afdeel. 1. en 2. Aflev.
roy. 8. Amhem 1869. Nijhoff.
408. Hildebrand, R., Die bedeutung der krypta.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 448—462.
409. Naumann, Emil, Die Tonkunst in der Culturgeschichte. I.Band
1 . Hälfte : Die Tonkunst in ihren Beziehungen zu den Formen und Entwicklungs-
gesetzen alles Geisteslebens, gr. 8. (298 S.) Berlin 1869. Behr. 1^^ Rthlr.
Vgl. Allgem. lit. Anz. V, 1.
410. Scriptorumde musica medii aevi novam seriem a Gerbertiana alteram
collegit. . . E. de Coussemaker. Tom. lU. Paris 1869. Durand.
XU« Rechtsgeschichte und Rechtsalterthümer.
411. Schletter, Prof. Dr. Herrn., Beiträge zur deutschen, insbesondere
sächsischen Rechtsgeschichte. 2. Heft. gr. 8. (VH, 34 S.) Leipzig 1869. Roß-
berg. 6 Ngr.
A. u. d. T.: Die reyisio differentiarum juris civilis et saxonici in den J. 1571
und 1572. Das erste Heft erschien 1844.
412. Boretius, A. , Studien über die Gesetze und die Geschichte der
Burgunden.
Historische Zeitschrift 1869, 1. Band. Anknüpfend an Binding.
413. Simonnet, J. , Etudes sur Tancien droit Bourguignon d'apr^s les
protocoUes des notaires. (XIV® et XV® sifecles).
Revue historique de droit fran^ais XV, 161—207.
414. Simonnet, V6iSLt des personnes et T^tat civil dans l'ancien droit
Bourguignon.
Ebenda 13. Band.
415. SmetSf J. J., Nederland en de beoefening der Germaansche rechts-
geschiedenis. •
Nieuwe Bijdragen voor Regtsgeleerdheid 19, 105 — 129.
416. T eltin g, J«, Schets van het oud-&iesche privaatrecht. Stuk 4 en 5.
Themis 1869, 94 und 38 SS.
417. Maurer, Konr.^ Die Quellenzeugnisse über das erste Landrecht und
490 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
über die Ordnung der BezirksYerfassung des isländischen Freistaates, gr. 4. (101 S.)
München 1869. Franz in Comm. 1 Rthlr. 6 Ngr.
Ans den Abhandlangen der Münchener Akademie.
418. Maurer, Konr.. Über die Einziehung der norwegischen Odelsgüter
durch K. Harald H4rfagri.
Germania 14, 27 — 40.
419. Vocke, Heinr., Altfränkisches Eherecht und Kampfgericht.
Gartenlaube 1869, Nr. 23.
420. Agricola, Dr. Alfr., Die Gewere zu rechter Vormundschaft als
Princip des sächsischen ehelichen Güterrechts, gr. 8. (XXXVI, 652 S.) Gotha
1869. Perthes. 4 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1870, Nr. 4.
421. Kays er, P., Das Erbrecht nach den Edikten der langobardischen
Könige.
Zeitschrift für Rechtsgeschichte 8. Band, 3. Heft.
422. Brunn eV, Heinrich, Das anglonor mannische Erbfolgesystem. Ein
Beitrag zur Geschichte der Parentelordnung nebst einem Excurs über die älteren
normannischen Coutumes. gr. 8. (88 S.) Leipzig 1869. Duncker und Humblot.
% Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1870, Nr. 37; Pözl, Vierteljahrsschrift 12, 306-310 (Mau-
rer); Spenersche Zeitung Nr. 86.
423. B et h mann, M. A. v., Der Civilprocess des gemeinen Rechts in ge-
schichtlicher Entwicklung. 4. Band: Der germanisch-romanische Civilprocess im
Mittelalter. 1. Band: Vom 5—8. Jahrhundert, gr, 8. (XI, 562 S.) Bonn 1869.
Markus. 3 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 13.
424. Laband, Prof. Dr. Paul, Die yermögensrechtlichen EJagen nach
den sächsischen Rechtsquellen des Mittelalters dargestellt, gr. 8. (IX, 406 S.) Kö-
nigsberg 1869. Hübner u. Matz. ^% Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 6.
425. Fruin^ J. A., Over de anfang en de slichte klage um varende have,
in het oud-sahsische recht.
Verslagen en Mededeelingen der k. Akad. van Wetenschappen 12, 269 — 286.
426. Korn, G., De jure creditoris in personam debitoris, qui solvendo non
est, secundum jus aevi medii germanicum. 8. (37 S.) Vratisl. 1869.
Habilitationsschrift des im Kriege 1870 vor Metz gefallenen Verfassers.
427. Kommer, Über die Entwicklung des Bergregals bis zum J. 1273
und die Sachsenspiegelstelle I, 35.
Zeitschrift für Bergrecht 10. Band, 3. Heft.
428. Kirch hoff, Adv., Das Hofhoorighrecht in de Twente.
N. Magazin für hannöv. Recht 7, 3ö9 ff. Vgl. Schletters Jahrbücher 13, 103.
429. Semichon, Ernst, La paix et la tr^ve de dieu. 2^ Edition. 2 voll.
12. (XII, 294 u 318 S.) Paris 1869. Albanel.
Vgl. Revue critique 1870, Nr. 18.
430. Schröder, R., Corpus juris germanici poeticum.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 257—272. 1. Kudrun.
431. Das Bar-Recht und der Grünsoden-Eid.
Europa 1869, Nr. 2ö.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 491
432. Becker, August, Ein Scharfrichter in Nöthen. Kulturhistorische Skizze.
Allgem. Familien-Zeitung 1869, Nr. 22.
433. Weininger, H., Der Freimann oder Scharfrichter. Kulturhisto-
rische Skizze.
Erheiterungen 1869, S. 403—409.
434. Rechtsverfahren gegen Thiere. Von R. S.
Deutsche Roman-Zeitung 1869, Nr. 27.
435. Bisch off, Rechtsbandschriften im steiermärkischen Landesarchive.
Beiträge zur Kunde Steiermark. Geschichtsquellen, 6. Jahrgang. Gratz 1869;
436. Krone 8, Dr. Fr. X., Deutsche Geschichts- und Rechtsquellen aus
Oberungam. (42 S.) Wien, Gerold in Comm.
Aus dem Archiv für österr. Geschichtsquellen, Betrifft ein GöUnitzer Stadtbuch
(17. Jhd.) , ein Rechtslexicon von 1628 , eine Schwabenspiegelhs. in Kaschau (1430).
Vgl. Schletters Jahrbücher 13, 104.
437. Waitz, G., Über das Alter der beiden ersten Titel der Lex Baju-
variomm.
Nachrichten von der k. Gesellschaft d. Wissenschaften in Göttingen. 1869. Mit
Nachtrag.
438. Bluhme, Die neueste Ausgabe der Lex Burgundionum.
B[i8torische Zeitschrift 11. Jahrg. 1. Heft.
439. Boretius, A., Zur Lex Saxonum.
Historische Zeitschrift 11. Jahrg. 3. Heft. Anknüpfend an Richthofen, Bibliogr.
1868, Nr. 446.
440. Höf er, Alb., Altvile im Sachsenspiegel. Ein Erklärungsversuch, gr. 8.
(Vn, 40 S.) Halle, Buchh. des Waisenhauses. V, Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1870, Nr. 18, und Germania 16, 417.
441. Aanhalingen uit den Hollandschen Sahsenspiegel.
Nieuwe Bijdragen voor Regtsgeleertheid 19, 167.
442. Schröder, Rieh., Die neuesten Untersuchungen über die abfassungs-
zeit des Schwabenspiegels.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 273—274.
443. Rockinger, Über ein kurzgefasstes, aus dem sogenannten Schwaben-
spiegel und dem kleinen Kaiserrechte gebildetes Gerichtshandbuch.
Sitzungsberichte der k. bayer. Akad. d. Wiss. 1869. I. 2.
444. Bö hl au, H., Der Schwabenspiegelfund Rockingers.
Zeitschrift für Rechtsgeschichte 9, 181—184.
445. Rockinger^ Vorarbeiten zur Textausgabe von Kaiser Ludwigs ober-
baierischem Landrechte.
Abhandlungen der histor. Classe der k. bayer. Akad. d. Wissensch, 11. Band,
1. Abth. 1868. Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 20.
446. Laban d, Prof. Dr. Paul, Magdeburger Rechtsquellen. Zum akade-
mischen Gebrauch herausgegeben, gr. 8. (IV, 148 S.) Königsberg 1869. Hübner
und Matz. 28 Ngr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 43; Gott. GeU Anz. Nr. 49.
447. Bö h lau, H., Die „Summa der rechte weg gnant".
Zeitschrift für Rechtsgeschichte 8. Band, 2. Heft.
448. Weistümer gesammelt von Jacob Grimm und nach dessen Tode
492 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
unter Mitwirkung von F. X. Kraus etc. 6. Theil, bearbeitet von Riebard Schröder.
Auf Veranlassung und mit Unterstützung S. M. d. K. v. B. Maximilian II. herausg.
durch die histor. Comm. bei der k. Acad. d. Wiss. gr. 8. (IV, 782 S.) Göttingen
1869, Dieterich. 4 Rthlr. 12 Ngr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1870, Nr. 20.
449. Hardt, Luxemburger Weisthümer, als Nachlese zu Jacob Grimms
Weisthümern, gesammelt und eingeleitet. 8. Luxemburg 1868 — 69. Bück. 4 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr, 11; 187a, Nr. 20. 36; Anzeiger f. K. d. d. V.
1870, Nr. 6; Allgem. Lit. Anzeiger IV, 3; Archiv f. d. Gesch. d. Niederrheins NF. H, 1.
450. L am bei, Hans, Bericht über die im Augusf 1868 in Oberösterreich
angestellten Weisthümer-Forschungen. Lex. 8. (12 S.) Wien 1869. Gerold in
Comm. 2 Ngr.
Aus den Sitzungsberichten der Akademie.
451. Strobl, Jos., Reisebericht übef die in Niederösterreich (Viertel ob
und unter dem Wienerwalde) angestellten Weisthümer-Forschungen. Lex. 8. (8 S.)
Ebenda. 2 Ngr.
462. Zingerle, I. V., Bericht über die in Tirol im J. 1868 angestellten
Weisthümer-Forschungen. Lex. 8. (28 S.) Ebenda. 4 Ngr.
453. Wies er. F., Bericht über die in Vorarlberg angestellten Weisthümer-
Forschungen. Lex. 8. (40 S.) Ebenda. 2 Ngr.
454. Bohl au, H., Aus der Praxis des Magdeburger Schöffenstuhls während
des 14. und 15. Jahrhunderts.
Zeitschrift für Rechtsgcschichte 9, 1 — 50.
455. Corpus juris Suio-Gotorum antiqui. Edidit C. J. Schlüter, Vol. XII.
gr. 4. Lund 1869. 6 Rthlr. 12 Ngr.
456. Jon P^turspon, Timarit L kl. 8. (VIII, 88 S.) Reykjavik 1869.
XIII. Deutsche Litteraturgeschichte und Sprachdenkmäler.
457. Vi 1 mar, A. F. C. , Geschichte der deutschen National-Literatur.
13. verm. Aufl. gr. 8. (XII, 626 S.) Marburg 1869. Elwert. 2 Rthlr.
458. Vilmar, A. F. C, Lebensbilder deutscher Dichter. Nach dessen Tode
herausgegeben von Dir. Dr. K. W. Piderit. gr. 8. (IV, 175 S.) Frankfurt a. M.
1869. Völcker. 28 Ngr.
Vgl. Allgem. Lit. Anz. IV, 1; Grenzboten 1869, Nr. 22.
459. Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. 4. Band.
gr. 8. (VI, 406 S.) Stuttgart 1869. Cotta. 2 Rthlr. 16 Ngr.
Vgl. Gott. Gel. Anz. 1870, Nr. 10 (Liebrecht); Saturday Review Nr. 747;
Blätter f. Ht. Unterh. Nr. 22, S. 337—343 (Bechstein); Ergänzungsblätter V, 742—746.
460. Gödeke, Karl, GrundrüS zur Geschichte der deutschen Dichtung aus
den Quellen. 3. Band, 2. Heft. gr. 8. (S. 233—480). Dresden 1869. Ehler-
mann. 1 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 45 ; Saturday Review Nr. 712; Unsere Zeit Nr. 11;
Münchener Propylaeen Nr. 24; Vossische Zeitung Nr. 148.
461. Kurz, Heinrich, Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählteu
Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller. 1 — 3. Band^ 5. Aufl.
In 24 Lieferungen. Leipzig 1869. Teubner. k.y, Rthlr.
BIBLIOGRAPfflSCHE ÜBERSICHT. 493
462. Klage, Prof. Dr. Herrn.; Geschiebte der deutschen National-Literatur.
Zum Gebrauche an höheren Unterrichtsanstalten bearbeitet, gr. 8. (YHI, 168 S.)
Altenburg 1869. Bonde. 14 Ngr.
Vgl. Revue eritique 1870, Nr. 27; Blätter f. liter. Unterh. Nr. 26; Zeitschrift
für das Gymuasialwesen 1869, Nr. 5. 9; Stoa U, 3.
463. Frank, Paul, Handbtichlein der deutschen Literaturgeschichte. In
leichtfasslicher gedrängter Darstellung. 3. Aufl. 16. (VIII, 265 S.) Leipzig 1869.
Merseburger. '/, Rthlr.
Vgl. AUgem. Schulzeitung Nr. 30 ; Oldenb. Schulbl. Nr. 28 ; Schweizer Lehrer-
zeitung Nr. 14.
464. Gredy, Prof. Fr. M., Geschichte der deutschen Literatur für höhere
Lehranstalten, zum Privat- und Selbstunterricht. 4. verb. Aufl. gr. 8. (X, 138 S.)
Mannheim 1869. Earchheim. Vs Rthlr.
465. Horst, Klotilde v. d., Geschichte der deutschen Literatur von der
ältesten bis auf die neuere Zeit mit Beispielen aus den besten Werken der Poesie
und Prosa. Zum Gebrauch für Schulen und zum Selbstunterricht. 1. u. 2. Theil.
gr. 8. (XII, 275 und XII, ^39 S.") Detmold 1869. Meyer, k 1 Rthk,
Vgl. Lehmanns Magazin 1869, Nr. 39; Deutsche Blätter Nr. 43; N. Preuß. Zei-
tung Nr. 298; Allgem. Schulzeitung Nr. 51; Romanzeitung 1870, Nr. 8. 34; Süddeutsch.
Sonntagsbl. Nr. 17; Modenzeitung Nr. 20; Lehmanns Magazin Nr. 24; Deutsche Blätter
Nr. 24; Allgem. Familien-Zeitung Nr. 38.
466; Kr am er. Fr., Chronologische Übersicht der deutschen Literatur-
geschichte. Ein Anhang zu jeder Literaturgeschichte, namentlich zu den Hand-
büchern von Lindemann und Brugier. gr. 8. (55 S.) Freiburg i. B. 1869.
Herder. 6 Ngr.
467. Reuter, Dr. Wilh., Literaturkunde, enthaltend Abriß der Poetik und
Geschichte der deutschen Poesie. 3. Aufl. gr. 8. (X, 154 S.) Freiburg i. B. 1869.
Herder. 12 Ngr.
468. Stöhn, Dr. Herm.^ Lehrbuch der deutschen Literatur für höhere
Töchterschulen und die reifere weibliche Jugend, gr. 8. (XI, 236 S.) Leipzig
1869. Teubner. 1 Rthlr.
Vgl Allgem. lit. Zeitung 1869, Nr. 50.
469. Hahn, Wem., Deutsche Literaturgeschichte in Tabellen. 8. (56 S.)
BerUn 1869. Hertz. 8 Ngr.
470. Schäfer, Prof. Dr. Job. Wilh., Tabellen zur Geschichte der deut-
schen Literatur. Zum Gebrauch in höheren Unterrichtsanstalten. 2. verb. Aufl.
gr. 8. (IV, 68 S.) Altona 1869. Händcke u. Lehmkuhl. 12 Ngr.
Vgl. Elberfeld. Zeitung 1869, Nr. 241 ; Aachen. Zeitung Nr. 220.
471. Literatur- Merk büchlein. Merkbüchlein zur Geschichte der
deutschen Literatur. Zum Handgebrauche für Literaturfreunde. 2. wesentlich
verm. Aufl. 16. (IV, 112 S.) Leipzig 1869. Schäfer. % Rthb.
472. Scherr, Job., Allgemeine Geschichte der Literatur. Ein Handbuch
in zwei Bänden, umfassend die nationalliterar. Entwickelung sämmtlicher Völker
des Erdkreises. 3. neu bearb. u. stark verm. Aufl. 8. Stuttgart 1869. Conradi.
Vgl. Blatt, f. lit. Unterh. 1869, Nr. 17; Europa Nr. 8; Roman-Zeitung Nr. lö;
Lehmanns Magazin Nr. 20 ; Schwab. Mercur Nr. 138 ; Allgem. Lit. Anz. III, 4 ; Öster-
reich. Gartenl. Nr. 16; Frankfurt. Zeitung Nr. 225; Oldenb. Zeitung Nr. 243; Aachen.
Zeitung Nr, 168 j ßchttlzeitong f. JnaerOstenreich 1870, Nr. 10,
494 BIBLIOGBAPfflSCHE ÜBERSICHT,
473. Scherr, Joh., Bildersaal der Weltliteratur. 2. Aufl. Lex. 8, Stutt-
gart 1869. Kröner.
Vgl. Europa 1869, Nr. 16; Deutsche Blätter Nr. 16; Münchener Propyläen Nr. 20.
474. tenBrink, Dr. Jan, Schets eener geschiedenis der Nederlandsche
Letterkunde. 3. Aflev. 8. (S. 257 — 382). Leeuwarden 1869. Suringar. f. 0,85.
475. Bakhuizen van den Brink, R. C, Studien en schetsen over vader-
landsche geschiedenis en letteren. Verzameld en uitgegeven door E. J. Potgieter.
2. Deel, 1. Aflev. 8. (X, 86 S.) 's Gravenhage 1869. Nijhoff. f. 0,90.
476. Coleridge, Herbert, a glossarial index to the printed literature of
the 13**» Century. 8. (104 S.) London, Trübner. 2 s. 6 d.
4T7. Grundriß der Geschichte der englischen Sprache und Literatur (von
C. van Dalen). 4. Aufl. Lex. 8. (36 S.) Berlin 1869, Langenscheidt. 6 Ngr.
478. Petersen, N. M., Bidrag til den danske Literaturs Historie. Anden
Udgave ved C. E. Secher. 13 — 14. Heft. Kopenhagen 1869.
479. Bjursten, Herman, Of versigt af svenska spräkets och litteraturens
historia. Uppl. 3. 8. (123 S.) Stockholm 1869.
480. Lundblad, P. S. V., Lärobok i svenslca litteraturens historia. 8.
(112 S.) Stockholm 1869.
481. Grimm, Jacob, Kleinere Schriften. 4. Band. Recensionen und ver-
mischte Aufsätze. 1. Theil. Berlin 1869. Dümmler. gr. 8. (X, 467 S.) 3 Rthlr.
482. Scheyrer, L. , Die Schriftsteller Österreichs in Reim und Prosa auf
dem Gebiete der schönen Literatur aus der ältesten bis auf die neueste Zeit. 8.
Wien 1868.
483. Kurze, Dr., Ein Beitrag zur Würdigung unserer Volksepen. 4. (37 S.)
Programm der Realschule I. Ordnung zu Landeshut, 1868. VgL Herrigs Archiv
45, 223.
484. Meyer, C, Zur deutschen Heldensage.
Deutsche Vierteljahrsschrift 32. Jahrg. Nr. 128.
485. Scharlach, Fr. E., Die Kerlinger-Sage in ihrer allmähligen Ent-
wickelung. Dissertation. 8. (40 S.) Jena 1869.
486. Gosche, Rieh., Idyll und Dorfgeschichte im Alterthum und Mittelalter.
Gosche*s Archiv fttr Literaturgeschichte 1, 169 — 227.
487. Richtet, Otto, Die religiöse Lyrik in der Blütezeit des deutschen
Minnegesangs.
Osterprogramm der Realschule zu Görlitz 1868. VgL Blätter f. liter. Unterh.
1869, Nr. 49.
488. Wackernagel, Philipp, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten
Zeit bis zum Anfeng des 17. Jahrhunderts. 22—28. Lieferung (3. Bd., S. 13—864).
Leipzig 1869. Teubner. k Vs Rthlr.
489. Schletterer, H. M., Geschichte der geistlichen Dichtung und kirch-
lichen Tonkunst in ihrem Zusammenhange mit der politischen und socialen Ent-
wickelung insbesondere des deutschen Volkes. 1. Band. Lex. 8. (XIV, 588 S.)
Hannover 1869. Rümpler. 4 Rthlr.
Vgl. Blätter f. lit. Unterh. 1870, Nr, 18; Unsere Zeit 1869, Nr. 18; Chilianeum
n, 10; Augsb. Postzeitung Nr. 61.
490. Bech stein, R., Das deutsche Kirchenlied bis zur Reformation.
Ergänzungsblätter zur Kenntuiss der Gegenwart III, 524.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 495
491. Zur Geschichte des Kirchengesangs in der Volkssprache.
Kirchenschmuck: Ein Archiv etc. 26. Band, 1. Heft. 1869.
492* Oettingeuy AI. v., Über Textform und Sangweise. der alten kirchli-
chen Kemlieder.
Dorpater Zeitschrift für Theologie 11. Band, 3. Heft.
493. Moll, W., Over den staat van het kerkgezang in Nederland sijdens
de opkomst en den bloei van de oud-nederlandsche muziekschool.
Versl. en Meded. der k. Akademie van Wetenschappen XII, 105- 152.
494. Aus der deutschen Weihnachtsdichtung alter Zeit. I. Aus dem
altsächsischen Heliand. 2. Aus Kynewulfs Crist. 3. Aus der Dichtung der mhd. Zeit.
Allgem. Ev. luth. Kirchen-Zeitung 1869, Nr. 52. 53.
495. Leibin g, Dr. Franz, Die Inscenirung des zweitägigen Luzerner Oster-
Spieles vom J. 1583 durch Ren wart Cysat. Nach den handschriftl. Papieren Cy-
sats auf der Bürgerbibliothek zu Luzem dargestellt. Mit 2 Tafeln, gr. 4. (22 S.)
Elberfeld 1869 (Priderichs). V» ^t^r.
496. Gen^e, Rudolf, Das englische Drama in Deutschland im 16. und
! 17. Jahrhundert.
Münchener Propyläen 1869, Nr. 50 fg.
497. Hagen^ Privatdoc. Dr. Herm., Antike und mittelalterliche Räthsel-
poesie. Mit Benutzung noch nicht veröffentlichter Quellen aus den Handschriften-
Bibliotheken zu Bern und Einsiedeln. Eine populäre Skizze. 8. (51 S.) Biel 1869.
Steinheil. 8 Ngr.
Vgl. N. Zürcher Zeitung 1869, Nr. 285.
498. Preger, Wilh., Vorarbeiten zu einer Geschichte der deutschen Mystik
im 13. und 14. Jahrhundert.
Zeitschrift für die historische Theologie 1869, 1. Heft.
499. Reiche 1, Rud., Germanistische Kleinigkeiten, gr. 8. (6 S.)
Progranun des Gymnasiums in Marburg, Ostern 1869.
500. MÖbius, Theodor, Nordischer literaturbericht. I.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 389-437.
501. Richert,. M. B.^ Om nordisk bildning och fornnordisk literatur. 8.
(106 S.) Lund 1869.
Abdruck aas der Nordisk Tidskrift f. 1869.
502. (Daae, L.), Om den norröne litteraturs forhold til Norge og norsk
kultur. 8. (50 S.) Christiania l868.
Aus: Norden. Et Maanedskrift 5, 161—210.
503. Grundtvig, Svend, Er Nordens gamle literatur norsk eller er den
dels islandsk og. dels nordisk? svar pa indvendinger mod anmsßldelsen af R.Keysers
literaturhistorie. (113 S.) Köbenhavn 1869.
504. Jessen, E., Bemserkninger tili Hr. Docent Captain Svend Grundt-
vigs Artikel *er Nordens gamle literatur osv.
Tidskrift for Philologi og Pädagogik 8, 213-245.
505. Storm, G., Om den gamle norröne literatur, etindlseg i striden mellem
Docent Grundtvig og den norske historiske skole. 8. (47 S.) Christiania 1869.
506. Godron, A., Les sagas islandaises ou expeditions et (Etablissements
des Norwdgiens en Am^rique du JX - XXV® si^cle. 8. (20 S.) Paris, Thunot.
496 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT,
507. Frauer, Prof. Dr. Ludwig, Lehrbuch der althochdeutechen Sprache
und Literatur. Für höhere Schulen und zum Selbstunterricht. Nebst einem An-
hange, Stücke aus dem H§liand enthaltend. 2. verb. Aufl. gr. 8. (XI, 299 S.)
Oppenheim a. Rh. 1869. Kern. IV2 ßthbr.
508. Schreiber, Dr. Rud., Ubersetzungsproben aus mhd. Dichtem. 8.
Programm des Gymnasiums zu Ansbach 1869.
509. Ahn, Prof. Dr. F. H., Class-book of english poetry and prose comprising
select specimens of the most distinguished poets and prose writers from Chaucer to
the present time, with biographical notices etc. gr. 8. (XVI, 1136 S.) Cölnl869.
Du Mont- Schauberg. 2^^ Rthlr.
510. Jessen, E., Grundzüge der altgermanischen metrik.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 114—147.
511. Hügel, Dr. Rieh., Über Otfrid's Versbetonung, gr. 8. (III, 50 S.)
Leipzig 1869. Vogel. V, Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 46; Allgem. Zeitung 1870, Nr. 73; die Germania
wird im 16. Bande eine Anzeige bringen.
A. Gothisch. ,
512. Bibliothek der ältesten deutschen Literatur-Denkmäler. 1. Band.
gr. 8. Paderborn 1869. Schöningh. l^/s Rthlr.
Inhalt : Ulfilas oder die uns erhaltenen Denkmäler der gotbischen Sprache. Text,
Grammatik und Wörterbuch. Bearbeitet und herausgeg. von F. L. Stamm. 4. Aufl.
besorgt von M; Heyne. (XII, 386 S.). Vgl. Gott. Gel. Anz. 1870, Nr. 9 (L. Meyer);
Zeitschrift für die österr. Gymn. 1869, Nr. 9. 10.
513. Descheda all qua Brixiana ad Goticam librorum sacrorum interpre-
tationem.
Index lectionum quae in univ. Friderica Guilelma p. sem. aest. 1869 habebun-
tur. 4. (7 S.)
B. Althochdeutsch.
514. Bechstein, Reinhold, Althochdeutsche Funde und Forschungen.
Ergänzungsblätter z. Kenntn. d. Gegenwart 3, 268.
515. Rohmeder, W., Über den Inhalt des altdeutschen epischen Volks-
liedes. Das Hildebrandslied. ^
Album des liter. Vereins zu Nürnberg ftir 1869, S. 66—88.
516. Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch. Text, Einleitung, Gram-
matik, Metrik, Glossar von Dr. Job. Kelle. 2. Band. Die Formen* und Lautlehre
der Sprache Otfrids. Mit 6 Taf. Schriftproben. Lex. 8. (XXXVI, 536 S.) Regens-
burg 1869. Manz. 6 Rthlr.
Vgl. Zeitschrift für deutsche philologie 2, 366; Allgem. Zeitung 1870, Nr. 73.
517. Erdmann, 0., Bemerkungen zu Otfrid. ^
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 437—442.
518. Müllenhoff, K., Zum Ludwigsliede.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 566—558.
519. Zacher, J., Zur textkritik des Ludwigsliedes.
Zeitschrift Tür deutsche philologie 1, 473—489. •
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 497
520. Haupt, Jos., Zwei althochdeutsche Bruchstücke.
Germania 14, 66—68.
521. Hofmann, C, Über ueuentdeckte Fragmente des ahd. Isidorus de
nativitate domini.
Sitzungdberichte der Münchener Akademie 1869, I. 4.
522. Keinz, Friedr., über einige althochdeutsche Bruchstücke.
Sitzungsberichte der Münchener Akademie 1869, S. 637—659.
523. Schade, 0., Zu den deutschen Versen in der notkerischen Rhetorik.
Germania 14, 40 — 47.
524. Plew, E., Zu der notkerischen Rhetorik.
Germania 14, 47—66.
525. St. Gallivocabularius, auch Wörterbuch des h. Gallus aus dem
8. Jhd. Handschrift 913 der Stiftsbibliothek in St. Gallen. Nach den vorhandenen
Ab- und Druckschriften vergleichend zusammengestellt und alphabetisch sowohl
lateinisch-deutsch als deutsch-lateinisch geordnet durch J. C. H. Büchler. gr. 8.
(VI, 96 S.) Brüon 1869. Friedländer. V^ Rthlr.
526. Steinmeyer, Aem. £1., De glossis quibusdam Vergilianis. Disser-
tatio. gr. 8. (58 S.) Berolini 1869.
527. Dümmler, E., Kölner und Wirzburger glossen.
Zeitschrift ftir deutsches alterthum 14, 189 — 191.
528. Martin, E., Leidener und Brüsseler glossen.
Ebenda 14, 191—192.
529. Lexer, M., Würzburger glossen.
Ebenda 14, 498-603.
530. Haupt, Jos., Bruchstücke einer ahd. Übersetzung der vier Evangelien.
Germania 14, 440—466. Vgl. Blätter f. liter. ünterh. 1870, Nr. 1, S. 14 fg.
C. Mittelhochdeutsch.
531. Keinz, Über einige altdeutsche Denkmäler.
Sitzungsberichte der Münchener Akademie 1869, II, 290—321. Enthält: 1. Mün-
chener Glaube und Beichte. 2. Marienleben von Wemher. 3. Rother. 4. Roman in
niederdeutscher Prosa. 6. Strickers Karl. 6. Parzival. 7. Bruchstück eines (allegorischen ?)
Gedichtes. 8. Predigtbnichstück. 9. Gereimte biblische Geschichte.
532. Albrecht von Kemenaten. — Zingerle, Dr. Ign., Albrecht von
Kemenaten.
Allgem. Zeitung 1869, Beilage 236.
533. Annolied. — Camuth, 0., Zum Annoliede.
Germania 14, 74—81. Quellennachweis.
534. Blanschandin. Bruchstücke eines mhd. Gedichtes. Von Joseph Haupt.
Germania 14, 68— .74.
535. Bnrghart von Hohenfels.
Europa 1869, Nr. 27, S. 859.
Chroniken.
536. Chroniken, die, der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrh.
7. Band: Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Magdeburg. I.Band, gr. 8.
(LH, 568 S.) Leipzig 1879. Hirzel. 3 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 40; Gölt. Gel. Anz. Nr. 41; Hist. Zeitschrift
12, l, 207; Liter. Handweiser Nr. 82; Hassels Zeitschrift 1.
GERMANIA. Neue Reihe III. (XV.) Jahr($. 33
498 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
537. Chronik, Zimmerische, herausgegeben von Dr. K. A. Barack.
91 — 94. Publication des Litter. Vereins in Stuttgart. Stuttgart 1869. 8. 4 Bde.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 50; Gott. Gel. Anz. Nr. 33 (Liebrecht); Hei-
delb. Jahrb. Nr. 38 (Wattenbaeh) ; Reusch, Literaturbl. 1870, Nr. 13 (Birlinger); Allg.
Zeitung 1869, Nr. 180; Schwab. Mercur Nr. 103 (R. v. S.).
538. Liebrecht, F., Zur Zimmerischen Chronik.
Germania 14, 385—405.
Eckhart.
539. Preger, W., Meister Eckharts Theosophie und deren neueste Dar-
stellung.
Zeitschrift filr lutherische Theologie 1870, S. 59—74.
540. Preger, W. , Meister Eckhart und die Inquisition, gr. 4. (47 S.)
München 1869. Franz in Comm. 18 Ngr.
Aus den Abhandl. der München. Akademie. Vgl. Jahrb. f. d. Theol. 14, 3;
Dandiran, Conipte-rendu, Sept. 1869; Allg. Lit. Anz. IV, 4; Glasers Jahrbücher 12, 4;
Z. f. luth. Theol. 1870, Nr. 2; AUgem. Zeitimg 1869, Nr. 112.
541. Enenkel. — Schatzmayr, J., De Jansio Eninkel ejusque libro qui
inscribitur 'Fürstenbuch von Osterreich und Stejrland* commentatio historico-
eritiea. 9
Zeitschrift für die österr. Gymnasien 1869, 6. Heft
542. Ernst, Herzog. Herausgegeben von Karl Bartsch, gr. 8. (CLXXX,
308 S.) Wien 1869. Braumüller. 4 Rthlr.
Vgl. Revue critique 1869, Nr. 40 (G. Paris); Gott. Gel. Anz. 1870, Nr. 31
(Liebrecht); Heidelb. Jahrb. 1870, S. 163-65 (Martin); AUgem. Zeitung Nr. 149;
Magazin von Lehmann Nr. 17; Presse 1869, Nr. 278.
543. Freidank. — Grion, Justus, Freidanks grabmal in Treviso.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 172—177.
Gedichte.
544. Gedicht, ein, aus dem 14. Jahrhundert. Von Graf v. Oeynhauseii.
IMätter zur näheren Kunde Westfalens 7. Band, 1869.
545. L am bei, Johann, Ein Pasquill des 15. Jahrhunderts.
Germania 14, 26.
546. Zingerle, I. V., Eine alte bearbeitung der bürgschaft.
Zeitschrift tur deutsche philologie 2, 185—187.
547. Zingerle, I. V. , Zwei Travestien. 1. Der pater noster. 2. Das
avö Maria.
Germania 14, 405—408.
Oeistliche Prosa.
548. Eytenbenz, Bruchstücke altdeutscher Gebete.
Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 1. Heft. Lindau 1869.
549. Oratio aurea. Diz ist von dem guldime almusen. Von K. M.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 556.
Gottfried von Straßbnrg.
550. Gottfrieds von Straßburg Tristan. Herausgeg. von Reinhold
Buchstein. 2 Theile. 8. (XLVII, 328 u. 366 S.) Leipzig 1869. Brockhaus. 2 Rthlr.
Classiker, deutsche, des Mittelalters. 7. 8. Band. Vgl. Liter. Centralbl. 1869,
Nr. 13; Blätter f. Ut. Unterh. Nr. 31; 1870, Nr. 26.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT, 499
551. Hagen, Theodor v., Kritische Beiträge zu Gottfrieds von Straßburg
Tristan» Inaugural- Dissertation. 8. (53 S.) Mühlhausen 1868. '/a Rthlr.
Vgl. Zeitschrift fiir deutsche philologie 2, 228; Liter. Centralbl. 1869, Nr. 10.
552. Jänicke, 0., Setmunt in Gotfrieds Tristan.
Zeitschrift ftir deutsche philologie 2, 183 — 85.
553. Heinzel, R., Gottfrieds von Straßburg Tristan und seine quelle.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 272-447. Vgl. Menzels Literaturblatt
1869, S. 193—199.
554. Gottfried von Straßburg.
Ergäuzungsblätter zur Kenntniss der Gegenwart 3, 203.
Hartmann von Aue.
655. Hartmann von Aue, herausgegeben von F. Bech. 3. Theil. Iwein.
8. (XVir, 304 S.) Leipzig 1869. Brockhaus. 1 Rthlr.
Deutsche Classiker des Mittelalters 6. Band. Vgl. Blätter f. liter. Unterh. 1869,
Nr. 31; Allgem. Lit. Zeitung Nr. 47.
556. Höfer, A., Zu Gregorius V. 910 — 916. Weiteres zum Gregorius.
Germania 14, 420-427.
557. Bartsch, Karl, Zu Hartmanns Gregor.
Germania 14, 239—243. 427-431.
558. Lippold, Friedrich, Über die Quelle des Gregorius Hartmanns von
Aue. Dissertation, gr. 8. (64 S.) Leipzig 1869. Fritzsche. % Rtblr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 46; Germania 16. Band.
559. Rauchf Chr., Die wälsche, französische und deutsche Bearbeitung
der Iweinsage. 8. (36 S ) GÖttinger Dissertation. Berlin 1869. Adolf. 8 Ngr.
560. Heinrich von Breslau. — Rückert, H., Der .Minnesinger Heinrich
von Breslau.
Anhang von: Sehlesische Füretenbilder des Mittelalters, herausgegeben von Dr.
H. Luchs (Breslau 1869) 9. Heft Vgl Gott. Gel. Anz. 1869, Nr. 49; Liter. Central-
blatt Nr. 30.
561. Heinrich von Pfolspeunt. — Muffat, Heinrieh von Pfolspeunt
(nicht Pfolsprunt), Bruder dos deutschen Ordens. Ein medizinischer Schriftsteller
des 15. Jahrb., aus Bayern gebürtig.
Sitzungsberichte der Milnchener Akademie 1869, 1. 4. Vgl. schon Germania 9, 112.
Heldenbach.
562. Jänicke, 0., Zum deustchen heldenbuch.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 447 fg.
563. Zupitza, J. , Verbesserungen zu den dracbenkämpfen. 8. (32 S.)
Oppeln 1869. Reisewitz. 8 Ngr.
HabllitatioRssehrift. Vgl. Germania lö, 249—251 (Bartseh).
564. Herbort von Fritslar. — Benoit de Sainte-More et le roman deTroie
ou les metamorphoses d'Hom^re et de Tdpopde greco-latine au moyen-äge. Par
A. Joly, Prof. k la facultd des lettres de Caen. 4. (446 S.) Paris 1869. Franck.
6 Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1870, Nr. 12; Revue eritique Nr. 16. Die französische
Quelle Herborts,
565. Johann von Soest, ein altdeutscher Dichter. Von Friedr. Wilh. Grimm.
Monatsrosen 1869, Nr. 12.
566. Kaiserchronik. — Lexer, M., Bruchstücke der Kaiserchrouik.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 603 - 525.
33*
500 BIBLIOGRAPfflSCHE ÜBERSICHT.
Mariendicht nngen .
567. Liber de infantia Mariae et Christi salvatoris ex cod. Stuttgartensi
descripsit et emendavit 0. Schade, gr. 4. (45 S.) Halis 1869. Buchh. d. Waisen-
hauses. % Rthlr.
Quelle der altdeutschen Marienleben. Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 45 ; Reusch,
theol. Literaturbl. Nr, 24; Hauck, Jahresbericht V, 2.
568. Das Melker Marienlied, aus Franz Pfeiffers Nachlass in photogra-
phischer Nachbildung herausgegeben und eingeleitet von Jos. Strobl. gr. 4. (8 S.)
Wien 1869. Braumüller, l*/« Rthlr.
Vgl. Zeitschrift für die österr. Gymnasien 1870, Nr. 2. 3 (Scherer) ; Allgem. Zei-
tung 1869, Nr. 346,
569. Neidhart. — Richter, Dr. Otto, Neidhart von Reuenthal, als
Hauptvertreter der höfischen Dorfpoesie.
Neues Lausitz. Magazin 45. Band, 2, Heft.
Nibelungenlied.
570. Das Nibelungenlied. Herausgegeben von Karl Bartsch, 2. Auflage.
8. (XXVII, 420 S.) Leipzig 1869. Brockhaus. 1 Rthlr.
Deutsche Classiker des Mittelalters 3. Band.
571. Hocker» N., Karl Simrocks Nibelungenlied,
niustr. Zeitung 1869, Nr. 1349.
572. Martin, £., Mittelhochdeutsche Grammatik nebst Wörterbuch zu der
Nibelunge Not und zu den Gedichten Walthers von der Vogel weide. Für den Schul-
unterricht ausgearbeitet. 4. verb. Auflage. 8. (98 S.) Berlin 1869. Weidmann.
8 Ngr.
573. Briefwechsel über das Nibelungenlied von C. Lachmann und
Wilh. Grimm.
Zeitschrift für deutsche philologie 2, 193—215.
574. Müller, Wilh., Über Lachmanns Kritik der Sage von den Nibelungen.
Germania 14, 257—269.
575. Sonnenberg, Ferd., Schicksale des Nibelungenliedes.
Westennanns Monatshefte Nr. 152, S. 205, Mai 1869.
576. Jordan, Wilh., Nibelunge. Siegfriedsage. 2 Theile. 2. Aufl. gr. 16.
(256 u. 260 S.) Frankfurt a. M. 1869. Selbstverlag. 2 Rthlr.
577. Röpe, Dr. G. R., Die moderne Nibelungendichtung. Mit besonderer
Rücksicht auf Geibel, Hebbel und Jordan. 8. (XV, 224 S.) Hamburg 1869.
Meißner. 24 Ngr.
578. Röpe, G. R«, Über die epische Neudichtung der Nibelungensage in
W. Jordans 'Nibelunge*. 4. Hamburg 1869.
579. Eeinmar von Zweier.
Ergänztmgsblätter z. Kenntn. d. Gegenwart 3, 401.
580. Bothe. — Witzschel, Dr. Aug., Über das Leben der h. Elisabet
von Johannes Rothe. 8. (60 S.) Jena 1869. Frommann.
Abdruck aus der Zeitschrift des Vereins für thüring. Geschichte und Alterthums-
künde VII, 359-412.
581. Rabin. — Der Minnesänger Rubin.
Ergänzungsblätter zur Kenntniss der Gegenwart 3, 403.
582. Rudolf von Ems. — Bäß 1er, Ferd., Heldengeschichten des Mittel-
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 601
alters. Ihren Sängern nacherzählt. Neue Folge. 1. Heft. gr. 16. Berlin 1869.
Decker. V, Rthlr.
Inhalt: Der gute Gerhart. 2. Auflage. (90 S.)
Schauspiel. ^
583. Das große Thüringer Mysterium.
Europa 1870, Nr. 19, S. 681-690.
584. Weihnachtsspiel, ein, aus einer Handschrift des 15. Jahrhunderts
unter Benutzung einer Abschrift derselben von Yilmar und mit dessen Anmerkun-
gen zum erstenmale herausgegeben von Dir. Dr. K. W. Piderit. 8. (V, 57 S.)
Parchim 1869. Wehdemann. 12 Ngr.
Vgl. Rausch, theol. Literaturbl. 1869, Nr. 21; Hauck, Jahresbericht V, 2.
585. Weihnachtspiel, ein altes, nach meiner Hs. aus dem Nachlasse des
Prof. Vilmar ins Nhd. übertragen von Dr. A. Freybe.
Zeitschrift für die historische Theologie 1869, 4. Heft; in Separatabdruck Par-
chim, Wehdemann. Vgl. Allg. Lit. Anzeiger IV, 6.
586. Camesina, A. Ritter v.. Das Passionsspiel bei St. Stephan in Wien.
Berichte und Mittheilüngen des Alterthums-Vereines in Wien, 10. Band. 3. Heft.
Aus der Wiener Hs. 8227.
587. Pichle r, Dr. F., Unser Frauen Klag.
Mittheilungen des historischen Vereins für Steiermark; 17. Heft. Gratz 1869.
588. Spervogel. — Gradl, Heinrich, Lieder und Sprüche der beiden
Meister Spervogel. Mit Einleitung, Textkritik und Übersetzung herausgegeben.
Mit Subvention der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien. 8. (VII, 7 1 S.)
Prag 1869. Calve.
A, u. d. T.: Zur Literatur des Egerlandes. 1. Band. Vgl. Germania 14, 237—245
(Strobl); Liter. CentralbL 1870, Nr. 16.
589. Suso. — Volkmann, Dr. Wilh., Der Mystiker Heinrich Suso. 8.
(63 S.) Programm des Gymnasiums in Duisburg 1869.
Titurel.
590. Weinhold, K., Bruchstücke des jüngeren Titurel.
Zeitschrift für deutsche philologie 2« 80—108.
591. Wieser, F., Bruchstücke aus einer Hs. des jüngeren Titurel.
Ebenda 2, 109—113.
592. Tangdalus. — Visio Tnugdali. Herausgegeben von Dr. 0. Schade.
gr. 4. (IV, 26 S.) Halle 1869. Waisenhausbuchh. in Comm. V, RtWr.
Vgl. Liter. CentralbL 1869, Nr, 46; Revue critique 1870, Nr. 30. Quelle der
deutschen Dichtungen.
593. Walther von Sllingen. — Pupikofer, J. A.^ Geschichte der Frei-
herm von Klingen zu Altenklingen, Rlingenau und zu Hohenklingen.
Thurgauische Beiträge zur vaterl. Geschichte, 10. Heft.
Walther von der Togelweide«
594. Walther von der ^ogelweide, herausgegeben und erklärt von
W. Wilmanns. 8. (X, 402 S.) Halle 1869. Buchh. des Waisenh. \% Rthlr.
A. u. d. T. : Germanistische Handbibliothek herausgegeb. von JuL Zacher. 1. Band.
Vgl. Jahrbücher f. Phüol. u. Pädag. 1869, 8. 407—420 (K. Bartsch); 1870, S. 73-83
(Hildebrand) ; Lit. CentralbL 1869, Nr. 23; Presse Nr. 207; N. Preuß. Zeitung Nr. 258;
Allgem. Lit. Zeitung Nr. 46; Spenersche Zeitung Nr. 296; Revue critique 1870, Nr. 3;
Heidelb. Jahrb. 1869, Nr. 68; Allg. Lit. Anz. V, 3.
502 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
595. Walthers von der Vogelweide Gedichte übersetzt von K. Sim-
rock. 4. Aufl. 16. (XXXV, 360 S.) Leipzig 1869. Hirzel. IV3 Rthlr.
Vgl. Allgem. Zeitung 1869, Nr. 316 j AUgem. Lit Zeitung Nr. 46; Köhiische
Zeitung Nr. 223.
596. Höf er, A., Zur Erklärung mhd. Dichter. 1. Zu Walther 46, 30 L.
Germania 14, 416—417.
597. Thurnwald, A., Zur Spruchdichtung Walthers von der Vogel wreide.
4. (25 S.) Wien 1869.
14. Jahresbericht der Wiedner Kommunal-Oberrealschule in Wien.
698. Walther von der Vogel weide als Erzieher*
Leipziger Blätter fttr Pädagogik 3. Band, 2. Heft (1869).
599. Einer vom Wartburg^Sängerkrieg. Von H. v. C.
Die Gartenlaube 18l39, Nr, 6,
600. Wartburgkrieg, — Richter, Dr. Otto, Der Sängerkrieg auf
Wartburg.
Neues Lausitz. Magazin 46. Band. Görlitz 1869.
601. Wernher. — Bruder Wemher und der Dichter des Meier
Helmbrecht.
Ergänzungsblätter z. Kenntn. d. Gegenwart 3, 724.
602. Wolfdietrich. — Liebrecht, F., Zur Litteraturgeschichte des
Wolfdietrich.
Germania 14, 226-238; Archiv für Literaturgeschichte 1, 48—67.
603. Wolfram von Eschenbach. — ^ Rücker t, H., Fragmente einer neuen
Hs. von Wolframs Willehalm.
Germania 14, 271 — 276.
604. Die Reihenfolge der Dichtungen Wolframs von Eschenbach.
Ergünzungsblätter ü. Kenntn. d, Gegenwart 4, 148.
Zur Litteratur des 16. Jahrhunderts:
605. Frank. — Hase, Dr. C. A., Sebastian Frank von Word der Schwarm-
geist. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte, gr. 8. (XV, 300 8.) Leipzig 1869.
Breitkopf u. PI ärtel. 1*/« Rthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869 Nr. 37; Dandiran, compte rendu von 1869; Europa
Nr. 10; N. evang. Kirchen-Zeitung 1870, Nr. 18.
606. Ein Vielgemaßregelter (Seb. Frank).
Europa 1869, S. 107Ö-1082.
C07. Funkhelin. — Rochholz, E. L., Jakob Funkhelin.
Germania 14, 412 — 415,
608. Luther. — Franck, J., Hat Luther die von Seb. Franck übersetzte
Türkenchronik bevorwortet ?
Anzeig:er für Kunde der deutschen Vorzeit 1869, Sp. 11 — 16, 42 — 46.
609. Röhrich, W., Dr, Martin Luther*s Von Kauffshandlung vnd Wucher*
V. J. 1524 8, (14 S.) ^
Michaelis-Programm der Frankfurter Handelsschule 1869.
610. Murner. — Vier Capitel aus Murners Eulenspiegel von 1515.
Mittheilungen aus dem Antiquariate von S. Calvary in Berlin, 1. Jahrgang S. 6—12.
611. Sachs. — Well er, E., Hans Sachs. Eine Biographie. Zusätze.
Berapeum 1869, Nr. 6.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 503
612. Eltern und Geburtshaus des Hans Sachs.
Korrespondent von und für Deutschland 1869, Nr. 67.
613. Schauspiel. — Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts. Mit
Einleitungen und Worterklärungen. Herausgeg. von K. Gödeke und J. Tittmann.
3. Band. 8. (XXVIII, 318 S.) Leipzig 1868. Brockhaus. 1 Rthlr.
Inhalt: Schauspiele ans dem 16. Jahrhundert. Herausgeggeb. von J. Tittmann.
2. Theil. Bartolomäus Krüger. Jakob Ayrer. Vgl. Heidelb. Jahrb. 1868 , Nr. 60 ;
Blätter f. lit. Unterh. 1869, Nr. 17 ; AUg. Lit. Anz. III, 4.
614. SteinhöweL — Koch holz, E. L., Heinrich Steinhoewel.
Germania 14, 411^-412.
615. Archiv für Geschichte und Alteithumskunde Tirols. 5. Jahrg. Inns-
bruck 1868 — 1869. Enthält u. a. einen Abdruck des s. g. Tiroler Landreinis,
einer gereimten Beschreibung von Tirol nach der Ausgabe von 1558.
D. Altsächsisch.
616. Der Heiland oder die altsächsische Evangelien-Harmonie. Über-
setzung in Stabreimen nebst einem Anhang von Dr. Chr. W. M. Grein. 2. durchaus
neue Bearbeitung. 8. (VI, 188 S.) Cassel 1869. Krieger. 24 Ngr.
Vgl. Blätter f. liter. Unterh. 187), Nr. 42; Keusch, theol. Literaturblatt 1869,
Nr. 14; Allgem. Lit. Anz. IH, 5; Zeitschr. f. luth. Theol. 1869, Nr. 2 ; Ergänzun^s-
blätter IV, 3.
617. Wackernagely W. , Die altsächsische bibeldichtung und das
Wessobrunner gebet.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 291—309.
618. Heyne, M., Über den Heiland.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 275-290.
619. Vogel, F., Der Heliand.
Protestant. Kirchenzeitung 1869, Nr. 14.
620. Altmüller, R., Der Heliand.
Ergänzungsblätter z. Eenntn. d. Gegenwart IV, 146.
E. Mittelniederdeutsch.
621. Zeno oder die Legende von den heiligen drei Königen. Ancelnius,
vom Leiden Christi. Nach Handschriften herausgeg. von A. Lübben. gr. 8.
(XXIII, 146 S.) Bremen 1869. Kühlmann. V« Rthlr.
Vgl. Germania 16. Band (Schröder).
622. Lübben, A., Anseimus scal de Passio beten.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 469 — 473.
623. Vruwenlof. Van sunte Marinen. Mittelniederdeutsche Gediihte,
herausgeg. von dV. C. Schröder, gr. 8. (70 S.) Erlangen 1869. Besold. "/j, Rthlr.
Vgl. Blätter für liter. Unterh. 1870, Nr. 42.
624. Van deme holte des hilligen crutzes. Mittelniederdeutsches Gedicht
mit Einleitung, Anmerkungen und Wörterbuch herausgeg. von Dr. C. Schröder.
gr. 8. (125 S.) Ebenda. % Rthlr.
Vgl. Blätter f. lit. Unterh. 1870, Ur. 42.
625. Schröder, C, Zum Redentiner Spiel.
Germania 14, 181—196.
626. Schiller, K., Mittelniederdeutsche Sprachproben. UL
Germania 14, 408—411. Frauennamen.
504 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
F. Mittelniederländisch.
627. Verwijs, E., De Caerl ende Elegast aan een Fransche Chanson de
Gest onüeend.
De Taal-en Letterbode 1, 258—260.
628. Roman van Cassanus (Fragment) uitgcgeven door Dr. Eelco Yerwijs.
8. (XXVIII, 94 S.) Groningen 1869. Wolters, f. 1,50.
A. IL d. T.: Bibliotheek van Mittelnederlandsche Letterkmide, Aflev. 2. Vgl.
Heidelb. Jahrb. 1869, S. 924-926.
629. Gedichten, nederlandsche, uit de veertiende eeuw van Jan Boendale,
Hein van Aken en anderen, naar het Ozfordsch Handschrift uitgegeven door F. A.
SneUaert. 8. (XCVI, 833 S.) Brüssel 1869.
630. Vloten, J. van, Jacob van Oostvoorne (Bijdrage tot toelichting van
verschillende Maerlants-vragen).
De Taal-en Letterbode I, 83—93.
631. Buddingh, D. , De Dietscher Jacob van Maerlant en zijne zooge-
noemde Vlamingschap. 8. (VH!, 104 S.) Amhem 1869. Nijhoff. f. 1,00.
1. Stuk van het Archief voor nederlandsche oudheden.
632. Hellwald, Ferd. van, Een nieuw Maerlant-Handschriffc.
De Taal-en Letterbode I, 169—178.
633. Derselbe, Der zweite Theil von Maerlants Spieghel historiael.
Magazin für die Literatur des Auslandes 1869, Nr. 41.
634. Derselbe, Eine neue Maerlant-Handschrift.
Allgem. Zeitung 1869, Nr. 273.
635. Oude nederlandsche L lederen door G. A. Tiele.
Dietsche Warand« 8, 572—585.
636. Zwei niederländische lieder aus dem jähre 1593. Von W.Leverkus.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 465—469.
637. Frommann, G. K. , Ein Bruchstück des Romans der Lorreinen.
Mit Bemerkungen von J. Lambel.
Germania 14, 434—439.
638. Sloet, L. A. J., Mededeeling omtrent een handschrift te Njmegen,
over der Ridder met de Zwaan.
Verslagen en Mededeel. der k. Akad. ^an Wetenschappen 12, 253 ff.
639. Onuitgegeven Mittelnederlandsche V erzen, door J. van Vloten
(Haagsche Hs. Nr. 721).
Dietsche Warande VÜI, 73- 88. Vgl. VH, 370 und Zeitschrift für deutsches
alterthum 1, 227—262.
G. Angelsächsisch.
640. Bugge, S., Spredte iagttagelser vedkommende de oldengelske digte
om Beowulf og Waldere.
Tidskrift for Phüologie og Pädagogik 8, 40-78.
641. Müllen hoff, K., Die innere geschichte des Beovulfs.
Zeitschrift für deutsches alterthum 14, 193 — 244.
642. Rieger, M., Der Seefahrer als dialog hergestellt.
Zeitschrift für deutsche philologie 1, 334—339.
643. Rieger, M., Über Cynevulf. IH— V.
Ebenda 1, 313—334.
BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT. 505
H. Mittelenglisch.
644. A six tezt print of Chaucer's Canterbory Tales, in parallel Co-
lumns from the following Mss. 1. The Ellesmere. 2. The Hengwrt, 154. 3. The
Cambridge Univ. libr. Gg. 4, 27. 4. The corpus Christi College, Oxford.
5. The Petworth. 6. The Landsdowne 851. Part I. The prologue and knight's
tale. 8. London 1869. Trübner.
646. Essays on Chaucer , his words and works. Part L 1. Ebert's
Reriew of Sandras's Etüde sur Chaucer, consid^r^. comme imitateur des Trouvöres,
translated by J. W. van Rew Hoets. 2. A Thirteenth Century latin treatise on the
Chilindre : *For by my chilindre it is prime of day' (Shipmannes Tale). Edited by
E. Brock^ and illustrated by a Woodcut. London 1869. Trübner.
646. Furnivall, F. J., A temporary preface to the Six-Text edition of
Chaucer*s Canterbury Tales. Part I. Attempting to show the true order of the
Tales, and the Days and Stages of the Pilgrimage. London 1869. Trübner.
647. De cura rei familiaris etc. edited by J. R. Lumby. 8. London
1869. Trübner.
Vgl. Athenaeum 1870, 11. Juni.
648. Eger and Grime, an early English Roraance. Edited from Bishop
Percy*s Folio manuscript about 1650 a. d. By J, W. Haies and F. J. Furnivall.
4. (64 S.) London 1869. Trübner. 10 s. 6 d.
Nur in 100 Exemplaren.
649. The minor poems of W. Lau der edited by F. J. Furnivall. Lon-
don 1869. Trübner.
Vgl. Athenaeum 1870, 11. Juni.
650. Lyndsay's, Sir David, Works. Edited by F. Hall. Part IV. Lon-
don 1869. Trübner. 4 s.
651. Le Livre de Baiin le Sauvage de Sir Thomas Malory«
Athenaeum 1869, 11. December.
652. Merlin or the early history of King Arthur. A Prose romance
(about 1450 — 60 a. d.) edited from the unique Ms. in the university Library,
Cambridge , by H. B. Wheatley. With an essay on arthurian localities by
J. S. St. Glennie. Part III. London 1869. Trübner. 12 s.
Vgl. Revue Celtique 1870, Nr. 1; und oben Nr. 266.
653. Ratis raving and other moral and religious pieces in prose and
Verses. Edited by J. R. Lumby. London 1869.
Vgl. Athenaeum 1870, 11. Juni.
I. Altnordisch.
Eunen.
654. Bu gge, S., Bidrag til tydning af de »Idste runeindskrifter. IIL
Tidskrift for Philologi og Paedagogik 8, 163—204.
655. Gfslason, K., De aeldste Runeindskrifters sproglige Stilling. L
Aarböger for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 35—148.
656. Stephens, George, The runic hall in the danish old-northern Mu-
seum at Copenhagen. Imp. 8. London. Smith. 2 s. 6 d.
Vgl. BibUogr. 1868, Nr. 632.
657. Stephens, G., Brogäardstenen paa Bomholm.
IllustTf^rot Tidende 10, 301.
506 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
658. Derselbe, Rune-Dören fra Island.
Ebenda 10, 326—326.
Edda.
659. Den acldre Edda par Dansk ved F. W. Hörn. 8. (272 S.) Köben-
harn 1869.
660. Bugge, Sophus, Efterslaet til min udgave af Ssemondar-Edda.
Aarböger for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 243—276.
661. Ettmüller, L., Beiträge zur Kritik der Edda-Lieder« 1. Loka-
senna. 2. Gr6ugaldr und Fiölsvinnsmäl.
Germania 14, 305—323.
Skalden.
662. Maurer, K., Die Skida-rima. 4. (70 S.) München 1869. Franz in
Commission. 24 Ngr.
Aus den Abhandlungen der Münchener Akademie.
663. Jensen, R., Ljömur, et fseröisk gudeligt kvad.
Aarböger for nordisk Oldkyndighed 1869, S. 311—338.
664. Ettmüller, Prof. Dr. Ludw. , Altnordischer Sagenschatz in neun
Büchern. Übersetzt und erläutert, gr. 8. (VHI, 488 S.) Leipzig 1870. Fleischer.
2^/3 Rthlr.
Vgl. Presse 1869, Nr. 319.
665. Are*s Isländerbuch. Im isländischen Text mit deutscher Über-
setzung, Namen- und VVörterverzeichniss und einer Karte. Zur Begrüßung der
Germanisten in Kiel herausgeg. von Prof. Dr. Theod. Möbius. gr. 8. (XXIII,
88 S.) Leipzig 1869. Teubner. 1 Rthlr.
Vgl. Germania 16, 4. Heft; Zeitschrift für deutsche philologie 2, 220 ; Academy
1870, Nr. 6.
666. (Frissbök) Codex Frisianus. En Sämling af Norske Konge-Sagaer
udgiven efter offentl. Foranstaltning ved C. R. Unger. 2. (S. 193 — 384.)
Christiania 1869.
667. Gretis Saga- The story of Grettir the streng, translated by
W. Morris and Eiriker Magnusson. London 1869.
Vgl. Athenaeum 1869, 13. November.
668. Norges Konge-Sagaer fra de seldste Tider indtil an den Halv-
deel af det 13de Aarhuridrede efter Christi Födsel, forfattede af Snorre
Sturlassön, Sturla Thordssön o. fl. og oversatte af P. A. Munch. 2. Bindet
udg. og fortsat af 0. Rygh. 1. Heft. Christiania 1869.
669. Konunga-Boken eller Sagor om Ynglingarne och Norges konungar
intill är 1177 af Snorre Sturleson. Ofverstitt och förklarad af Hans Olof Hildebrand
Uildebrand. 2—5. Heft. (S. 49—240). Örebro 1869—70.
670. Konunga sögur eller Sagaer om Sverre og bans Efterfölgere
udgivne af C. R. Unger. 1. Heft. (S. 1 — 160). Christiania 1870.
Det nordiske Oldskriftselskabs Samlinger XIII. Fortsetzung der Heimskringla
von Unger: Bibliogr. 1868, Nr. 646.
671. Laxdselasagaog Gunnars jsattr jjidrandabana. 8. (XIV, 284 S.)
Akreyri 1867.
(Herausgegeben von Jon Thori elisson).
BIBLIOGRAPmSCfiE ÜBERSICHT. 507
672. Mariusaga, adgir. af C. R. Unger. 3. Heft. 8. (S. 625—864).
Christiatiia 1870.
673. Döring, B. , Die quellen der Niflungasaga in der darstellnng der
Thidrekssaga und der von dieser abhängigen fassungen.
Zeitschrift för deutsche philologie 2, 1—79. Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 46.
674. Kölbing, Eugen, Die nordische Parzivalsaga und ihre Quelle.
Germania 14, 129-181. Vgl. Liter. Centralbl 1869, Nr. 47.
675. Thomas saga erkibyskups. Fortselling om Thomas Becket Erke-
biskop af Canterbury. To Bearbeidelser samt Fragmenter af an tredie. Efter
gamle Haandskrifter udgiven af C. R. Unger. 8. (XII, 562 S.) Christiania 1869.
676. Sundby, Thor , Brunetto Latinos Levnet og Skrifter. EÖben-
havn 1869.
Enthält im Anhang: Philippi Gualteri morallum do^ma. Albertani Brixiensis Ars
loquendi et tacendi. Versio islandica c. XXVI. moralium dogmatis. Vgl. Rerue critique
1870, Nr. 27.
677. Diplomatarium Norregicum. Oldbreve til kundskab om Norges
indre og ydre Forholt, Sprog, Slaegter, Saeder, Lovgivning og Rettergang
i Middelalderen. YII, 2. Christiania 1869.
E. Altschwedisch.
678. Svenska Medeltidens Rimkröniker. 5— 7. haftet. 48. 49. 51. Heft
der Samlingar af Svenska Fomskrift-Sällskapet. Stockholm 1867—68.
679. Gudeliga Snilles Wäckare (Horologium aetemae sapientiae) af Hen-
rik Snso. 1. Haftet. 50. Heft der samlingar. Stockholm 1868.
680. Svenska Fomskrift - Sällskapets Allmänna Ars möte J868 — 1869.
Stockholm 1868—1869.
Enthält ein Fragment des Werkes 'Um Stjrilse Konunga ok Höfdinga*; und
Timmermäns Spra af ar 1454.
L. Mittellateinische Poesie.
681. Dümmler^ E.^ Zur Würdigung des Benzo.
Forschungen zur deutschen Geschichte 9. Band, 2. Heft.
682. Tournier, E.^ Notes critiques sur Collüthus.
Biblioth^que de T^cole des hautes ^tudes, fasc. 3. Vgl. Philol. Anzeiger II, 4,
683. Röpke, Rud. , Ottonische Studien zur deutschen Geschichte im
10. Jahrhundert. IL Hrotsuit von Gandersheim. Zur Litteraturgesehichte des
10. Jahrhunderts, gr. 8. (XV, 314 S.) Berlin 1869. Mittler. iV« Rthlr.
684. Köpke, Rud., Die älteste deutsche Dichterin. Kulturgeschichtliches
Bild aus dem 10. Jahrhundert. 8. (lU^ 127 S.) Berlin 1869. Mittler. V, Bthlr.
Vgl. (über beide Bücher) Germania 15, 106 (Bartsch); Liter. Centralbl. 1869,
Nr. 26; Revue critique Nr. 21; Liter. Handweiser Nr. 79; Gott. Gel. Anz. Nr. 21;
Lehmanns Magazin Nr. 24 ; Allg. Lit. Anz. IV, 2 ; Hassel, Zeitschrift Nr. 10 ; Reusch,
theol. Literaturbl. Nr. 23; Spenersche Zeitung Nr. 80; I^resse Nr. 172; National-Zoi-
tung Nr. 313; N. Preuß. Zeitung Nr. 169; Unsere Zeit Nr. 13; Europa Nr. 30; Köln.
Zeitung Nr. 188; Münch. Propyläen Nr. 41; Edelweiß Nr. 5; Blätter f. liter. Unterh.
1870, Nr. 9; Presse Nr. 89.
685. Justus, Th., Roswitha.
Sonntagsblatt von Fr. Duncker 1869, Nr. 11.
508 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT.
686. Waitz, G., Über das Verhältniss von Hrotsvits Gesta Oddonis zu
Widukind.
Forschxmgen zur deutschen Geschichte 9. Band, 2. Heft.
687. Munck, Eduard, Zur Roswithafrage.
Magazin fÜi die Literatur des Auslandes 1869, Nr. 10.
688. Loeper, H. v., Hymnen des Mittelalters. Frei nach dem Lateini-
schen. 16. (IV, 80 S.) Berlin 1869. Adolf. % Rthlr.
689. Mut her, Th., Der Occultus Erfordiensis und seine Bedeutung für
die Geschichte der Jurisprudenz in Deutschland.
Glasers Jahrbücher für Gesellschafts- und Staatsnwissenschafteu 12. Bd., 1. Heft.
690. Zu dem Aufsatze über den Occultus Erfordiensis.
Ebenda 12. Band, 5. Heft.
691. Sedulii Scotti Carmina XI. Ex codice Bruxellensi edidit Erne-
stus Dümmler. gr. 4. (36 S.) Halle 1869. Buchh. d. Waisenh. y^ Bthlr.
Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 26; Heidelb. Jahrb. Nr. 24.
692. König, Prof., Über Walafrid Strabo.
Freiburger Diöcesanarchiv. Organ des kirchl. histor. Vereins der Erzdiöcese
Freiburg 2. Band.
693. Grimm, Hermann, Das Reiterstandbild des Theodorich zu Aachen
und das Gedicht des Walafrid Strabua darauf, gr. 8. (VI, 93 S.) Berlin 1869.
Dümmler. Ve Rthb-.
694. Walther von Aquitanien. Heldengedicht in zwölf Gesängen
mit Erläuterungen und Beiträgen zur Heldensage und Mythologie von Franz
Linnig. gr. 16. (XVI, 144 S.) Paderborn 1869. Schöningh. Vg Rthlr.
Vgl. Menzels LiteraturbL 1869, Nr. ö7; Allg. Lit. Zeitung Nr. 39; Hist. polit.
Blätter 66, 147—151.
695. Peiper, Richard, Walther von Chatillon. 4. (16 S.) Breslau 1869.
Programm des Magdalenen-Gymnasiums. Vgl. Revue critique 1870, Nr. 8 ; Liter.
Centralbl. 1870, Nr. 28; Phüol. Anzeiger 11. 12.
696. Jaffd, Ph., Die Cambridger lieder.
Zeitschrift fiir deutsches alterthum 4, 449—495. Mit Nachtrag S. 560. Auch in
besonderem Abdruck. Berlin 1869 (2 Bl. 48 S.) Vgl. Liter. Centralbl. 1869, Nr. 25.
697. Dümmler, E., Gedichte aus Ivrea.
Ebenda 14, 245—265.
698. Weiland, Ludw., Zur thierfabel.
Ebenda 14, 496—498.
699. Grosse, E., Zu den Versus Scoti cuiusdam de alphabeto.
Rheinisches Museum fOr Philologie NF. 24. Bd. 4. Heft.
700. Wattenbach, W., Ein Blatt aus der Bibliothek des Klosters Laach.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1869, Sp. 39—42.
701. Wattenbach^ W., Der deutsche Michel.
Ebenda Sp. 164—166.
702. Curtze, M.; Bemerkung zu dem Aufsätze 'Geistliche Scherze des
Mittelalters III'.
Ebenda Sp. 9 fg. Vgl. BibUogr. 1868, Nr. 665.
703. Ein altes Gedicht auf den Mainzer Erzbischof Luitbert«
Der Katholik, November 1869.
REGISTER
ZUM DREIZEHNTEN BIS FÜNFZEHNTEN JAHRGANG
A.
aar 14, 263«
Accasati'y durch Nominativ
ersetzt 14, 120.
acht, ein Stttcker, 14, 209.
Achvart 14, 249«
Adjectiva im urdentsohen
14, 386. 15, 402.
Adverbien auf -er 14, 208.
Aefisaga 14, 114.
Aesopus in niederdeutschen
Versen 13, 469.
affalter 14, 252. 253.
agrarische Bräuche der
Schweiz 13, 210.
Akrostichon 15, 157.
Albanuslegende 14, 300.
alemannischer Dialect 14|
120.
Älfrics angelsftchs. Gram-
matik , Bruchstttck 15,
359. Grammatik, Glossar
und Golloquium 14, 122.
allein 14, 253.
alma 13, 81.
alteloB 14, 251.
Alterthümer, germanische,
im Be6vulf 13, 129. heid-
nisch - germanische 15,
119.
Althochdeutsche Beichten
13, 385. Evangelienüber-
setzung 14, 440. Glossen
ans Münchener Hand-
schriften 15, 346.
Altniederdeutsche Denkmä-
ler 13, 105. Eigennamen
13, 105.
Altsächsische Glossen 13,
478.
altvüe 15, 417.
Amicns ok Aemiliussaga 14,
129.
anke 14, 252.
Annolied , Quellen dessel-
ben, 14, 74.
Apokrypha, isländische 13,
59. Nachtrag dazu 1 3, 284.
Ari Thorgilsson und sein
Isländerbnch 15, 291.
Armanns saga 13, 63.
Aschenputtel 14, 91. 15, 184.
au- in Zusammensetzungen
14, 249.
audieb 14, 249.
auschelm 14, 249.
auvogel 14, 249.
Ave Maria, travestiert, 14,
407.
B.
Baiems Ortnamen 14, 123.
Baierisches Wörterbuch 14,
114. 247.
Balder 14, 258.
baudazl 14, 251.
bauxl 14, 251.
Beichten, althochdeutsche,
13, 385.
beide 14, 83.
Benecke, G. Fr«, Briefe von
ihm, 13, 118.
Benennung nach der Mutter
15, 83.
Beövulf , Alterthümer im,
13, 129.
Berg])ors stattita 13, 62.
Bericht über die Bitzungen
der germanistischen Sec-
tion der XXVI. Versamm-
lung deutscher Philologen
u. Schulmänner za Würe-
GSBHANU. N«ut Btihe JH. (XY.) Jahrg.
bürg 14, 118. XXVn. zu
Kiel 15, 109.
Bevussaga 14, 129. 130.
Bibliographische Übersicht
der Erscheinungen auf
dem Gebiete der germa-
nischen Philologie im J.
1867. 13, 321. 1868. 14,
467. 1869. 15, 463.
Bildwerke, nordische, 15,
121.
btna 13, 81.
binnen und seine Steigerun-
gen 15, 67.
Blanschandin, mhd. Gedicht,
Bruchstücke, 14, 68.
Blutrache 13, 154.
boek van den heute, Bruch-
stück daraus, 15, 360.
Botenbrod 14, 128.
Bragodürum 13, 113.
Brandanus 15, 99.
Bräuche , agrarische , der
Schweiz 13, 210.
brav 15, 72.
Briefsteller von 1492 , 13,
207.
Bronzeschwerter, die kurzen
Griffe derselben 13, 289.
Brot in der Schweizer Volks-
sprache und Sitte 14
117.
Brotnamen 15, 79.
Buchstaben als Tonzeichen
14, 443.
Bündth-Ertznei, Buch von
der; chirurgisches Werk,
14, 116.
Buschmann , Arnold , 13,
'XM.X»
hüten und seine Steigerun-
gen 15, 67.
34
510
REGISTER ZUM Xm.--XV. JAHRGANG,
C I. aoch E.
Cäsarias von Heisterbach
15, 322.
Celebrant, der Fisch, 13,
399.
Chronik, die Zimmerische,
14, 385.
Codex Sinaiticus des Neuen
Testamentes 13, 37.
Conjunctiv präteiiti rück-
umlautender Zeitwörter
15, 129v
cfede infch 15', 80.
Crestien de Troies , conte
del graal U, 140.
er bei unbestimmten Zah-
lenangaben 13, 202. 14,
209.
Erdmännchen 14, 403.
Erikr Vidfordi, saga, 14, 130.
Erlösung, Bruchstücke einer
Handschrift derselben, 15,
357.
estrich und seine Formen
1% 2t2.' *
EtzcA, ßpmoih Vön^KSnig,
14, 243.
« j, E^lenßptegper lü^, IJÖV .•
Evangelienubersetzungi alt- '
hochdeutsche, 14, 440.
-eze, Wortformen auf, 14,
431.
D.
. • -'. .?-^f \ : ■. ■■''
Dänische SpdbQh^i-.ln W^^
••.112w''- Oi'-.-l-i-,... V. f^'
]>^ikiKii^e]? V- altokderdäut-
»ßh«>, -ijS) lOö-^,;^ (-.i.
Dje«t«ch^o<Gtättkmatifc 14,
:j380; 16,2*5..-' .7
Diemeti' Jo$;b|>h) l^eibeb. Und
. .ßcjmft»ürl5f 46*'^.;-^
Dietmar von Eist 15^ 110.
Dietrich von Börta .15, 400;
DsüetF^S-' Dtaehonkämpfa;
Verbesserung^ön,«^ 15v 249.
PJAÜrioh^tfai^.rz^, £4^482.
dik,.döki^l4^'lS4. '.
diser 15, im , : . .
d(>ttft'a3v ßi-
DrAiiheiiikänipfe , Yetbesse-
rungen' 16, .249* - •
dringen 1S,.'23&.
ebenlang 14, 2ß3. •
Bckhartj Me^u^r^. ^ »ekicm
Leben i4, 373. Giadicht
^uf l^ lö, 97. '
Edda, ält^r©^ 4.3, 257,
E4d^e4e?y 2ur ^tik d^r,
^ 14, ^5. .
Eigennamen, altniederd^ut-
sehe, 1.3t,- 1.QÖ. (.
elb« 14 8t3.
Elemente, Nameiji, 14,3^0.
..15,.^3^T; .■ ^ ■"
Ejds^ga 14> 13a
Elsaß, Sprache, \&^ 419;
Qiner^ . 13, 91. ,<■ t ■
endig 14, 205.
engelpo^;. 1^: m
er, Adverbien ^ijif, ;J^4,,2;(^8.
4
Gregorius auf dem Steine,
Legende, 15, 284.
Grimm, Jacob, Briefe von,
13, 244. 365.
Grimm, Wilhelm, Briefe von,
13, 487.
Gröugaldr, zur Kritik, 14,
314. 316.
grüßen, Sitte desselben, 14,
126.
Gunnarslagur 13, 72. 284.
gürtel 14, 197.
> «
f. . 1
g5be«)ten 1^, 4il7*.;
9«!DKQbtr «WUf Mj^ifrt^If ]BQk-
;'h*rt[l|r, ^7. • .. •• : •
Gef||s«j€ ,.(i?a»eöi^ J4 > 3$4.
15, .899,;. ; j r i < -' ■ . /
G«6DlgfJQ^ftfl5 inj ß^^yuJI 1^,
geheien 15, 79. ,: . ,s
Gerstensau .tß,< 21il,.
Gerundiup» %6^^^S^jyj^
Gesammtal>e^^\MBr)'BU Njt*
Gesta Romano nun l^vV 8^*
15, 104.
Gewerbe , S^aßennamen
nach, 14^ ^1. 15, 261.
Gijur Jjocwald^ftQn 14, 114.-
(Jlpasep j . atthpchLdeutsche,
15, 346. ält^l^ohsi^Qhe
13, 478. - . '
göt 13, 82.
Gothisches hy , nnc^ th 14».
, 222. Medium 13, 17^.
Wörterbuch 13/ 116.
Gott, Namen, J4» ^52. 16,
39^. • .. ^.
GottesurtheiU 15, 224»
Qpt^lpe^.r y^on .Str*i^burg,i
zum Leben , 16 f i^Ö7.
322,
Gottheit, Ausdrücke im ^^6-
yüÄf,,13, l^a. .
. U, 32p.- . ..-:
Gr4«fe 16x 1. ■■.'...'
Qr^mm^ii 4eö«ti^be, J4,
f . "• ! .
' I
Habergeiß , Habersau 13,
211.
Hacken, Herr und Frau
15, 411. ^
haffen 13, 160.
hakel, hachel 16,'412J -
B^iSelia»&)rsfl{ga>^mla la, 76.
Hand, sicb^in; dU H« aohnei-
«■dtBn^l4,-:'24Ä:"' •.'..•
Handschriflek]^' alttdeujkache,
L id HKariiutaAt' 15^v203.
Handschjtften,yärzöicbnÜ3«e
^i?an.Müoebiea ukmI Wibit
15, 382... r , } : I ■?. •
Hflilaldr H^i£si#ri 14,^ 27.
Hartmann, 'i^ob Aue^iGrej^o-
rius ihid siüXi^ Quell«, 13,
188. GoJBatiott der V^ttksa-
nischen Säandsdirift des-
selben 14,. 289i iMtT&xi^
kliük ;i&]ld £iddäning' 14,
,4 420;421/427;. HärtmanaB
Ereuzlied 15, 411.
Haii«tiiarkän 15,. 117.
HseusiTlith« i^^aiMn, 14^ 854.
vl6^'ft99i
hbbb^ i4y 18ß.
Heimskringla.ld^ 44B.
Heinrich VI, Rsis^ , ab
Minnesäng£ir 16y 424.
Heinrich der;Löwe 14, 890.
Heimdch von Mogeltn 13,
; ,,104. S12;' - .
Heinrich von Morungeü 16,
; 118. 375.
Hdiirieh von Neuenatadt,
Aiwülbniiiä U,' 94.
Heistich', vorn Ffiodspnmfdt
14, ll»i
Hebtt d^ K«llner 14, 26^
hded'lS^ 82. .
Helbling, Seifried) 15, 4S6.
^Ideidied^ der FäHng^r
14, 97. ' •
Heldensag« 14^ 2201 -
REGISTER ZUM XIIL-XV. JAHRGANG.
511
Heliattd, Abfasvum^zeit XS,
111. Qa^Uen 13,. Ul. U^
122. 123.
Helmbrecht, ^um 1^, 357,
Heaber, Hwric^, Bruch-.
Johannis 16, 203,
Heiden 16, 173,
Hieb als Rechtssymbol 1,3,
401.
Wen 16, 79. f
Hildebrand 16, 100.
Hildebrap^slaed 16^- 17.
Himmd, Namjen« 14» 362.
16, 398.
Hifnmelfi^M«riA§ 1^,369.
Hjälimu*s 9aga 13^ 61*.
Hoffinami yo)x> FallerBleben
14, 380. .'
homsoheit 13, 160. 15, 78,
Hrotsvith ^6, 106. 1j94.
Huldar sag« 13, 7^.
Hutabnehmen , Si(i)e bei^i
6rüi^Q 14,1 l^^t
hv im Gothisohen 14 , 222.
I; J.
JesTW tmd^^emQJUQgie Braut ,
16, 3ee.
in-, intensiv 16, 61.
indogermanische Spraeh-
schicht 14, 339.
intensives ii^ 16, &1«
intematlenale Yeihältuisse
im Beövulf 13, 153.
Jönss^a Bvipdagssopar 14,
130.
Isidors Tractaf de natiyüate
domim, Bruchstücke [d^r
ahd. Übersetzung 14, 66.
Isländische Apolorypha 13,
, 69. 284. Rechjtsbüoher 16,
1. Velksballaden 14, 97.
Italienische Liederpoesie 15,
876. . , .
Jüdische Namen im Üittel-
aiter 14, 127.
Jüdisch-deutsche Litteratur j
14, 128.
jukfao 13, . 106.
jukruoda 1<3, 106.
Ivcntsaaga 14, 12ö:*l3Ö.
K (C).'
calda 13, 81.
can» 13,, 8Ä. /
Kippenzipfel iß, 9^. . .t
Clarenna 13, 114. '
Claru?^ag^ key^^i^ftrsonar
14, 130.. . ,
Kleidung 14, 349, 360. 16,
396.
K^pger, Fx. JM.,. 15, 123. . .
Königthum in^.ßecSywlf 13,
Konrad von Heimesfurt, y er-
iaa»er ; d^ ljrstea»de 16,
167. • .
Konradssaga keysararsonar
14, 130. / .
Komsau 13, m.
Körpertheils, Benennungen
14, 346. 15, 393.
Kosenamen, ftsiesische 13,
392. ostfriesisöhe 13, 301.
Krdmhipe . saiga , 13y 68^ . (
Kudrunsage, Fortleben deor-
ä«lbeii,> 14, 323L 827. [
KürenbBi:ger, ob Verfasser
dos Nibelungenliedes? 18,
241.' ■: .'•—-• . '
LadhmiinDyKiu'l, Btiefevoi^ '
13, 489.
Lapplifaftdisehe Mäfcbect 15,1
, 161. ' '!•-■,•...••- •>!
Laßberg , J. ' FrenU vöii,
Briefe a» fltn ; 13^ lld. •
244. 366. 487. 4H9. 496.
603. ■ .' .
Legieode vom hell. AlbftAus '
14 , 300. von Orfegorims
-amf detnSteincdd, ^84
Le^athAn amÄiigel 13, 168.
lida 13, 82.
likketupp^ 14, 153.
Lökasenna, zur -Kritik!, 14,
306.
Lorreinen, RomMi "^on den :
Bruchstück einer Haäd-
sehrift, 14^ 434v • .
Lustnau,' £e l'oittefn von,
13, 161.
> • T
M.
7
Märchen, lftp|>läBidia«he 16,
161. vlftmische 144 1 84»
Marien Himmelfahrt , nie-
derdeutsches^^edicht, 16,
369.
Medich),;zu2 OesehiQhAe dto-
Medium im Gothisohen 13,
Meistergesang , zur Ge-
>
schichte desselben 16 ,
197.
M/(|isterVed U,i 318.
Mßlusiua 16„ 102. .
.M9|iscii| Namei^,, 14» 343.
16, 392.
Jme- ma- musc)p|^ken 16, 80.
metod 13, 129.'
Metrik. V Aür «It&oehdedrt«' •
Bchen^ 14, 42i . >
Meüiflebaok, K^H^O., Briefe
von, 13, 603,- .' '
mik, ^uek' 14, 184i •
Minerafai«m«it 14, 349; 16,
396. ...
Mirmantssaga 14, 129. 130.
m£8 13, 82. .:: '
mittelbinnendeuiscblSvBdOi >
mittdlm^derd^'Spiaci^röben
•14, 408; .'!* , • •'
Mond, • M&cfcen ' voni, 14,
86. ' ' ■■
moneke, NaiM,<14. '^16.'
Mötulssaga 14, 130.
Mutter , Benennuti^ <Dftob
deir, 16^83; : '
m
.Naehtsegen.'«, ami^Wii)öi»ri
; tM4r,'iavOa99. .
Nagel im.Hufeiien, ^rttch
,'vibmf .16y 106.- .
Niduling 114,1 MS. Ifi, 3M.
näkeci'. u^ev lÄ^ 78i
natei^aeleil .16; 78;>
!N»meDL-iiat Vöriiameiibiieh* ■
Stäben verbunden 16,. 88.
Natnftenbildnng. tmd' Namen- i
deutung 14, 216.
NddhaiSdfSiiaeineALiedehi, '
16, 431;: .
Nibdun^ohlicid , \. znsr ,Ge* ^
schichte Und-'K^tik^ 13,
216.. SAiL »46. .: Bbnok*
stdckeNP13, 194. Häiid-
schiift b 13,196, Strophis '
628.14^ 197. Strophe IfiSO*
14, .19!9».. . !
Nibehingttisiaige <, Ladt-* v
, mannd ) Kritik derstlbea,
: 14, 267;..- !
Nibelunge^iüfttoplie 14) 128.
mod^cdAntoBher ^eite»p : 13, :
469. . ' .
niederländische Mn;#irkun* <
gen>'l'6y4ii9. .'i.A.r\ ^ ' j. ^ j
liiederrheinische SpMldietl6,
419.
34*
512
REGISTER ZUM XIII.— XV. JAHRGANG.
Nominativ statt AccusatiT
14, 120.
nön 13, 83.
Notkerische Rhetorik , die
Verse darin 14,40. Hand-
schrift derselben, 14, 47.
Oddmns Klage 18, 267.
Odelsgüter, Einziehung der-
selben durch Harald hAr-
fagri 14, 27.
oder bei unbestimmten Zah-
lenangaben 18, 202.
Offenbarung Johannis
8. Hesler.
olsig 14, 250.
Ordinalia, Formen super-
lativisch gebildet, 15, 419.
Ortsnamen , alemannische,
13, 118. bairi8chel4,123.
osnt 14, 250.
osterwolf 15, 82.
ost&iesische Kosenamen 18,
301.
6ta 18, 88.
Otfrieds Syntax 14, 883.
Participinm prSsentis 15,53
Partikeln im urdeutschen
14, 370. 15, 407.
Parzivalsaga, die nordische,
und ihre Quelle 14, 129.
Nachtrag dazu 16, 89.
Pasquill des 15. Jhd. 14, 26.
Passionsspiel, Zuckmantier,
13, 486.
Paternoster, travestiert, 14,
405.
Paul von Caesarea 15, 288.
PaulU, W. Ad., 15, 127.
Peter, der gescheidte, Mär-
chen, 14, 88. •
Peterchen imd Häuschen,
Märchen, 14, 89.
Pfälzer Beichte 13, 388.
Pfeiffer , Franz , Lebens-
skizze und Schriften 13,
252. Nachruf 13, 250.
Gedächtnissfeier 15, 252.
Pflanzennamen, urdentsche,
14, 348. 15, 394.
Philipp der Schöne von Spa-
nien 14, 94.
ponta 13, 83.
präpositionale Adverbien
14, 208.
Präpositionen, zur Verstär-
kung dienend, 15, 65.
Präteritum conjunctivi rück-
umlautender Zeitwörter
15, 129.
Pronomina, urdeutsche, 14,
359. 15, 403.
proquellis , in — leben , 14,
214.
provenzalische Litteratur
16, 112.
a.
quinon, quiron 18, 88.
B.
Rechtsbücher, isländische
15, 1.
Rechtsgeschichte, zur , 13,
208. 209. zur norwegi-
schen 14, 27.
Rechtssymbolik 13, 401.
Redentiner Spiel, zum, 14,
181.
Reduplication, deutsche, 14,
224.
Reineke de Vos, zur Er-
klärung und Kritik, 13,
127. 160. 14, 216.
relativer Gebrauch von und
13, 91.
r6r6f, r^röven 15, 76.
Rhetorik, die notkerische,
14, 40. 47.
Riesenmärchen , lappländi-
sche, 15, 174. 176. 181.
184.
Roggensau 13, 211.
rorot 13, 84.
Roman der Lorreinen,
Bruchstück einer Hs.,
14, 434.
Roth, Franz, Leben und
Schriften 15, 108.
Rückumlaut 15, 50, schwa-
cher Zeitwörter 15;, 129.
Rudolf der Schreiber 15, 435.
Runen, westfälische, 13, 77.
Runennamen 13, 80.
Rimensteine 15, 116.
s.
Sachsenspiegel 15, 417.
Sage, Rechtssymbole in ihr,
13, 401.
Sagen, drei, aus dem 14. Jhd.
14, 275. Sagennachweise
14, 387. von der Weiber-
treue 13, 311.
Sagenzüge 14,243.246.269.
Sahsendorf, der von, 15, 251.
saizlSp 14, 224.
Salomon und Marcolf 15,101.
Sängerstand bei den Ger-
manen 15, 27.
Schauspiel im 16. Jhd. 14,
413. geistliches Schau-
spiel im Mittelalter 13,
486. 14, 181. 384. 15,
376.
Schlauraffenland 15, 101.
Schmeller, J. A., Briefe von,
13, 496.
Schnach Regilräu 15 , 201.
Schwabenstreich 13, 76.
Schwedische Legende von
Gregorius 15, 284.
Schweiz, agrarische Bräu-
che, 13, 210. Sagen 13,
311. Volkssprache und
Sitte 14, 117.
Segensprüche 13, 178.
Seggen 14, 186.
Semmelnamen 15, 79.
Siebenschläfer 15, 101.
Siegfried 14, 258.
Siegfriedssage in nordischen
Bildwerken 15, 121.
sisso 13, 84.
Sitte des Hutabnehmens 14,
125.
skaudaraip 15, 69.
slavogermanische Sprach -
Schicht 15, 388.
Snorri Sturluson 15, 449.
sd vrö als, 15, 76.
Spanische Gregoriuslegende
15, 286.
Spervogel, die beiden, 15,
237.
SpiralS, 113.
Spitz- u. Spottnamen 15, 86.
Sprachbewusstsein und
Sprachgefühl 15, 117.
Sprache, deutsche, zur Ge-
schichte derselben 13,480.
Sprachinseln, deutsche, in
Südtirol, 15, 125.
Sprachschatz , der urdeut-
sche, 14, 337. 15, 385.
Sprichwörter 15, 102. Samm-
lung von Tunnidus 15,
195.
Spruch vom Nagel im Huf-
eisen 15, 105.
Stände im Beövulf 13, 142.
Steigerung von binnen und
REGISTER ZUM XIH.— XV. JAHRGANG.
513
bdten 15, 67. von Ordi-
nalzahlen 15, 419«
Steinhöwel , Heinricli , 14,
411.
Straßennamen nach Gewer-
ben 14, 1. 15. 261.
Substantiva aus Participien
gebildet 15, 54.
Saperlativbildung von Ordi-
nalien 15, 419.
Süßkind von Trimberg 14,
127. 128.
swommen, swummen 14, 211.
372.
Tanliäuger 15, 99. 100.
Tänze 14, 25'5.
Tatians Evangelienharmo-
nie 14, 122. 123.
Tegem in Ortsnamen 14,
124.
Teil als Zauberschütze 13,
39.
Teufehiamen 14, 192. 15,
416.
th gothisch, 14, 222.
Thiermärchen 15, 162.
Thiemamen 14, 216. 340.
Thomas a Kempis 15, 365.
Tirol , südliches , deutsche
Sprachinseln, 15, 125.
Tischchen deck dich 14, 84.
Titurel s. Wolfram.
Titurel, der jüngere, 13, 1.
Tod , Vorstellungen vom,
13,141. als Jäger 13, 104.
Todten, die, von Lustnau
13, 161.
Ton , der unbekannte , 15,
197.
Tonzeichen 14, 443.
Travestien, mittelhochdeut-
sche, 14, 405.
Tristansage 14, 246.
Tundalus 15, 99.
Tunnicius, Antonius, Sprich-
wörtersammlung: älteste
Ausgabe 15, 195.
u.
üeben 14, 253.
üblich, A. G., 15, 128,
Ulfila, Vulfila 13, 37. Turi-
ner Blätter seiner Bibel-
übersetzung 13, 271.
Ulrich von Singenberg 15,
435.
ultem 14, 253.
un- 14, 201.
und in relativemGebrauche
13, 91.
unende 14, 205.
unerkannter Ton 15, 197.
uugebatten, die, 14, 201.
ungesühte 14, 201.
unsselde 13, 318.
unsich im Niederdeutschen
15, 73.
nrdeutscher Sprachschatz
14, 337. 15, 385.
Urstende, der Dichter der,
15, 157.
US und uns 14, 185.
V(F).
V im Altnordischen abge-
fallen 14, 305.
ValversJ)attr 14, 129. 130.
178. 16, 89.
fander 15, 416.
fanner 15, 416.
Färinger, Lieder derselben,
14, 97.
faueta 13, 81.
uegon 13, 85.
Venusberg 16, 101.
Verba im urdeutschen 14,
361. 15, 404.
Vergleiche bei mittelhoch-
deutschen Dichtem 13,
294.
verhiget 15, 78,
Verkleinerung in Namen 13,
304.
Verstärkung besonders
durch Präpositionen 15,
65.
FiölsvinnsmS.1 , zur Kritik,
14, 314. 320.
Fischarts Bienenkorb 14,
126.
Fischer und seine Frau,
14, 91.
VlSmische Märchen und
Volkslieder 14, 84.
Fleeres 14, 85.
Floventssaga 14, 130.
Vocalschwächung im Mittel-
binnendeutschen 15, 380.
Vocalspiel , zu Walthers,
15, 434.
Volko von Alzei 14, 220.
Volksballaden der Färinger
14, 97.
Volksbücher, deutsche, 15,
99. 1
Volkslieder, deutsche, 14,
328. Gottscheewer 14, 333.
historische 15, 384. vlä-
mische 14, 84.
Volkstänze im Mittolalter
14, 255.
Volz 14, 220.
vorhien 15, 78. 79.
Fortunatus 15, 100.
Fragen, drei, 14, 269.
Franken, Herkunft der, 16,
101.
Frauennamen, mittelnieder-
deutsche, 14, 408.
Freidank 13, 320.
Friedensbündnisse 13, 154»
Friedrich von Schwaben,
Gedicht : Handschrift des-
selben 15, 366.
friesische Kosenamen 13,
392.
Fuldaer Beichte 13, 385.
fankeldune 14, 192.
Funkelin, Jacob, 14, 412.
Waflfen, Namen, 14, 858.
15, 398.
Walther von der Vogel-
weide, zur Erklärung sei-
ner Lieder 14, 201. 416.
Emendationen 15, 445.
448. Vocalspiel 15, 434.
Weibertreue, Sagen von ihr,
13, 311.
Weihnachtspiel 15, 376,
wende: zuo den wenden
14, 199.
westfälische Runen 13, 77.
Wieland 14, 289.
Wielandssage 14, 283.
Willehalm s. Wolfram.
Winkel, L. A. te, Leben
und Wirken 16, 107.
Wohnung im urdeutschen
14, 349. 360. 16, 396.
Wolf im Getreide 13, 211.
Wolfdietrich, zur Litteratnr-
geschichte 14, 226. 15,
192.
Wolfram von Eschenbach,
zwei neue Bruchstücke
seines Titurel 13, 1. Bruch-
stück einer neuen Hand-
schrift des Willehalm 14,
271. zum Willehalm 16,
94.
Wundsegen 13, 184.
514
BEQISl'fiH JSUM XI]t.~rV. JAHRQAKG.
WtU^ .ati Reclitssymbol Id,'
40i:
watendes Heer 14^ 401.
X.
X fttr U nificljen 13, t70.
14, 816.
TT 13, 86.
t..
Zahlenang^abeil', unbe-
stiinmte, 13, 202. 14, 20^.
Zahlwörter, urdentsche, \iy'
369, 16, 403.
Zähiischip!ei^e]!{ , Segea ge-
.gen, 13,17$. .
Zdnöbds 13, 2R'
Zanberacbnss 13, 39.
ZaviAbpoxn, de, Volkslied,
14, 9^.
ZeltaasdrQcke, utdentsche,
14, 362. 15, 398.
Zimm'eiische Chronik 14,
386.
j
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