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C^37f
• f ,
Johannes Rothes Passion
heraasgegeben
von
Alfred H einri ch
Germanisttsche AbbandiimgeD
begründet
von
Karl ^A/^einhold
heraasgegeben
von
Frieclficli Vogt
26. Heft
Johannes Rothes Passion
Mit einer Einleitung und einem Anhange
heransgegeben
von
Alfred Heinrich
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1906
Johannes Rothes Passion
Mit einer Einleitung und einem Anhange
herausgegeben
von
Alfred Heinrich
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1906
i^.
Meiner lieben Schwägerin
Martha
151715
Inhaltsübeisiclit
Seite
I. Einleitung
1. Uebersicht über Rothes Leben und Werke 1
2. Die Dresdener Handschrift der Passion
a. Beschreibung der hs., Wasserzeichen 6
b. Das Verhältnis der Dresdener Handschrift zu dem yerlorenen
Original 8
3. Rothes Sprache
a. Zum Yokalismus
a. Reime von Vokalen verschiedener Quantität 12
ß. Die e-Laute 21
y. Unüaut 24
h. Brechung 28
s. Weitere vokalische Erscheinungen 30
C. Synkope und Apokope 32
b. Zum Konsonantismus
a. Zur Lautverschiebung 36
ß. Sonstige konsonantische Erscheinungen 40
c. Charakteristische Formen einzelner Wörter und Wortbildungs-
suffixe
a. Substantiva 41
p. Adjektiva 43
y. Adverbia 44
8. Verba 46
d. Zur Formlehre
et. Zur Deklination ^ . . . . 53
ß. Zur Konjugation 54
e. Die Orthographie der Handschrift der Passion und ihr Ver-
hältnis zu Rothes Schreib- und Sprachgebrauch .... 56
4. Die Quellen der Passion 59
a. Zur Pilatussage 60
b. Die Judassage und die Erzählung von der ersten Münze und
den 30 silbernen Pfennigen 92
IL Der Text von Johannes Rothes Passion 100
in. Anhang
1. Cod. Heimst. No. 185 der Herzogl. Bibliothek zu Wolfen-
büttel: Vita Judae traditoris 165
2. Die Lesarten der hs. E der Vita Pilati gegenüber AB . . . 173
Berichtigungen
8. 4 Z. 9 von unten lies: „Literatur**
„ 6 „ 14 „ oben „ „literarhistorischer"
„ 7 „ 13 , „ „ „291" Verse
„ „ „ 19 „ „ „ „1265" statt „298"
w » » 20 „ „ „ „837"
„ 54 „ 10 „ „ „ statt „wintrenkere (no. pl.)" „w. (no. sg.)**.
„ 59 (Tabelle) lies unter Pa 2. Z. von oben: „cz, zc, tz, tcz "
„ „ ^ ist für „hs" stets „ß" zu lesen.
L Uebersicht über Rothes Leben und Werke.
§ 1. Was wir über das Leben des thüringischen Geschichts-
schreibers und Dichters Johannes ßothe mit Sicherheit fest-
stellen können, hat dieser selbst in einem Akrostichon in seiner
„Thüringischen Chronik" niedergelegt, das Pedor Bech in scharf-
sinniger Weise zuerst erkannt hat (Germania VI, 45—51). Dar-
nach war
Johannes Bothe von Crüzceborg
ein prister unde ein cappellän des bischofis und darnach ein vica-
rius und etzwannc ein stadschriber zcu Isenache unde darnach
ein tümeherre unde darzcu ouch schvlmeistir des stiftis unsir
liebjn frowin kerchin in der vor genantjn stad u. s. w. Unser
Dichter ist also in „Kreuzburg" (Crüzceborg) geboren (etwa um 1360),
wurde Geistlicher und war als solcher den grössten Teil seines
Lebens in Eisenach tätig. Nacheinander war er Stadtschreiber,
bischöflicher Kaplan, Vicar des Stiftes der „Frauenkirche" und
erlangte zuletzt die Würde eines „Scholasticus" (Schulmeisters)
desselben Stifts. Er starb am 5. Md 1434'). — Aus seinen
zahlreichen poetischen und prosaischen Werken ersehen wir, dass
er eine für seine Zeit umfassende gelehrte Bildung besessen hat.
Um unsere Kenntnis des Lebens und der Werke Johannes
Rothes hat sich hauptsächlich Fedor Bech verdient gemacht (Ger-
mania V, VI, VII und IX).
§ 2. Johannes Bothes Werke.
Ich lasse nun zun^ächst einen üeberblick über die gedruckten
und ungedruckten Werke des Dichters folgen.
») Im übrigen verweise ich auf; G.Gp. I, ^90 f. und A.D.B. XXIX, 350f.
Heinrich, Stadien in Johannes Bothe 1
— 2 —
a. Gedruckte.
1. Der Bitterspiegel.
Karl Bartsch gab in seinen „Mitteldeutschen Gedichten"
(Biblioth. des litter. Vereins 53. Stuttgart 1860, 98—211) ein
Gedicht von 4108 Versen in thüringischem Dialekt und von un-
bekanntem Verfasser heraus, das er in Bezug auf V. 4101 „der
Bitter Spiegel" nannte. Bech wies dann nach, dass dieser Bitter-
spiegel von Johannes Bothe yerfasst worden ist; (Germania VI,
52flF.). Durch Zusammenstellung der Anfangsbuchstaben (houbit-
büchstabin) der grösseren Abschnitte erhalt man nämlich das
Akrostichon: Johannes von Cruzceborg Bothe genant. A. a. 0.
fügte B. noch wertvolle, den Text der Casseler Hätidschrift be-
treffende Besserungen hinzu. -^ Das Gedicht ist etwa um 1400
zu Ehren des Bitterschlages Friedrichs, eines Sohnes des Länd-
grafen Balthasars von Thüringen, verfasst worden. Eine kritische
Ausgabe des B.'s näit Benutzung der Forschungen Bechs wäre
erwünscht.
2. Von des Bates Zucht.
Dieses Gedicht wurde zuerst abgedruckt von Aug. Friedr.
Chrn. Vilmar unter dem Titel: „Von der stete ampten und von
der fursten ratgeben ein deutsches Lehr- und Spruchgedicht aus
dem Anfänge des XV. Jahrhunderts" u. s. w. Marburg 1835.
Auch von diesem Gedicht zeigte Bech (häuptsächlich durch sprach-
liche Kriterien), dass es dem J. Bothe angehört (Germania VI, 273).
Er änderte weiter den unmitteldeutschen Titel, den Vilmar seinem
Abdruck gab, in „von der stede amichtin und von der forstin
rätgebin." Nach ihm ist das Lehrgedicht noch im 14. Jahrh.
entstanden.
Auch von dieser Dichtung Bothes ist eine kritische' Neu-
ausgabe notwendig: V. benutzte nämlich für seinen Abdruck nur
die Fuldaer Handschrift (No. 199) von des Bates Zucht; es gibt
aber auch noch eine Berliner Handschrift (aus dem Jahre 1454)^),
die nach Bech z. T. bessere Lesarten bietet (Germania VIIi, 354 ff.).
^) Vgl. Hagens und Büsohings Grundriss 420 f.
3. ist Johannes Bothe der Dichter eines „Lebens der
heiligen Elisabeth^, das von Mencken (Scriptores rer. germ. II,
2033 fiF.) . gedruckt ist. Die Ausgabe von M. genügt den An-
forderungen der Kritik durchaus nicht mehr; eine Neuausgabe
fehlt zur Zeit noch. Ueber dieses Werk hat hauptsächlich August
Witzschel gehandelt (Z. d. V. f. th. 6. u. A. VII, 359—412 und
493—95).
4. ist R. der Verfasser einer „Thüringischen Chronik**,
die mit zu seinen vei'dienstvoUsten Arbeiten gehört, geschrieben
um 1421. Sie ist herausgegeben worden von B. v. Liliencron.
(Thüringische Geschichtsquellen HL Jena 1859.) Die ünvoll-
kommenheiten der Liliencronschcn Ausgabe haben B. Bechstein *),
F. Bech (Germania V, 22G— 247) und besonders A. Witzschel *)
im einzelnen dargelegt. Um die Textkritik der Thür. Chr. hat
sich wieder Witzschel verdient gemacht*).
5. Nach F. Bech gehören dem Joh. Bothe auch an: „die
drei Bücher deutscher Stadtrechte", die Fr. OitloflF in der
Sammlung deutscher . Bechtsquellen (Jena 1836. I, 625 fif.
„Eisenacliisches Bechtsbueh") veröffentlicht hat; ferner das Bruch-
stück „von den sieben freien Künsten" (Prosa; gedr. im A.
f. K. d.^d. V. 1856. Sp. 273 fif. und 303 fif.)«).
b. üngedmekte.
. • f
Von ungedruckten Werken Botlies sind zu erwähnen:
1. Ein „Lob der Keuschheit".
2. Eine „Passion'*.
*) A. Witzschel, Die erste Bearbeitung der düringischen Chronik von
Joh. Rothe (Germania XVII, J29— 169). Vgl. Z. d. V. f. th. G. u. A. VII,
483-t485. Ferner A. Witzächel , Zu Joh. Bothes thüringischer Chronik
(A. f. K. d. d. V. 1874. Sp. 251—254). Reinh. Bechstein, Zu der thüring.
Chronik des J. R. (Germania IV, 472—482). A. Witzschel, Beiträge zur
Texteskritik der düringischen Chronik des J. Rothe. Eisenacher Progr.
1874 u. 75.
*) Für die historischen Schriften R.'s bereitet Herr Privatdozent Dr.
August Gebhardt-Erlangen eine kritische Ausgabe vor, wie er die Güte hatte,
mir Yor einiger Zeit mitzuteilen,
1*
— 41 —
§ 3. Z]i> Botha« »Lobi des EeiL&cliJibeii.''
Ifn Jähre I7M gab M. Job. Friedr. Aug. KinderliDg ^Nacb-
ricbt Ton einem altdeutschen bandschrifUieben Gediebte Jobann
Botbens oder Bodens von der Eenscbheit^ in Ad^nngs Magazin
für die dentsehe Sprache (Bd. II, St. 4, S. 108—137): derSehreibar
der hs., Johannes Bntinck van Segen, sagt in der Vorrede, dass
Johannes Bothe der Verfasser des Gedichtes ist (Adelg. M., S. IV2):
„Y doch sal man dencken nicht
Das ich es selber habe gedieht
Vnd mir di ere za sagen
Snnder ein prister der by sinen dagen
Grosse bncher had gemacht
Vss dem latin in dntsch ertraclit
Derglichen ich nach ny gesach
Vnd had gewönnet zu y^nnach
Sin name was heire Johannes rode
Sine sele beuele ich gode.^ n. s. w.
Zu Anfang seiner Arbeit gibt Hinderung an, der berühmte
Herr Professer ßebbardi in Lüneburg sei der Besitzer dier Hand-
schrift nnd durch die Vermittlung seines Freundes, dfes Herrn
Prof. Conrad Arnold Schmidt in Braunschweig, sei er auf sie
aufmerksam gemacht worden. E. hatte das betreifende Gedicht
Bothes nur bruchstückweise bekannt gemacht (a. a. 0.); es schien
daher ratsam, Ausführlicheres über das umfangreiche und besonders
in kulturhistorischer Hinsicht interessante Werk mitzuteilen.
Der erste, der sich wieder mit Bothes „Lob der Keuschheit"
beschäftigte, war der verdiente Botheforscher Fedor Bech: indiessen
er suchte vergeblich nach der ehemals Gebhardischen Handschrift
(vgl. seine diesbez. Anfrage Germania VII, 367). Seit jener Zeit
ist in der Litteratur über die betreffende hs. nichts bekannt
geworden.
Als ich anfing, mich mit Johannes Bothe zu beschälb'gen,
stellte ich zunächst erneute Nachforschungen nach der von Kinder-
ling erwähnten Handschrift an. Doch alle meine Anfragen in
Hannover (wohin der Gebhardische Nachlass nachweislich ge-
kommen ist), Lüneburg, Braunschweig u. s. w. blieben erfolglos,
ebenso erhielt ich auf eine Anfrage und Bitte im „Litterarischen
Centralblatt" keine Nachricht.
>Für ik AQScbeinffid Tetloren g&gmgem fiandsobrift von
Bofhes „Lob d«r Keuschrbeit" haben wir aber «inen Ersatz.
R6bert Priebsch (Deirtsche Handschriften in England. Erlangen 1896.
I, 97) fuhrt einen Codex CheKenfhamensis an (Phül. 8311. Pap.
18. Jh. 182 Seiten), der eine von Prof. Schmidt (vgl. o.) im
Jahre 17&4 gefertigte Abschrift der Gebhardischen Handschrift
enthält. Das Mannsrkript gehört augenblicklich einem Mr. Fitz
Roy Fenwick in Cheltenham *).
Leider war es aber unmöglich; mir eine Abschrift von diesem
Mannskript — das als Original gilt, so lange wir die ehemals
Gebliardiscbe lis. nicht wiedergefunden haben — zu verschaffen.
Zu erwähnen ist weiter, dass die Königliebe Bibliothek zu
Berlin nnter Ms. germ. i^ No. 186 (Pap. Hs. des 15. Jahrh.'s)
ein „Lob der Kenschhoit" in Versen besitzt, das auf Bothes Ge-
dicht zurückgeht. Anf die Berliner hs. hat zuerst Karl Bartsch
aufmerksam gemacht (Heidelb. Jahrb. 1872, S. 9 — 11) und zwar
auf eine erneute Anfrage August Witzschels nach der von F. Bech
schon vorher gesuchten Gebhardischen Handschrift (Z. d. V. f.
th. G. u. A. Vir, 418).
Auf meine Bitte wurde mir die betreffende Berliner hs. zur
Benutzung auf der hiesigen Königl. üniversrtäti^bibliotkefk über-
lassen, wofür ich d^r Verwaltung der Königlichen Bibliothek zu
herzlichem Dank verpflichtet bin.
Leider hat sich aber herausgestellt, dass die Berliner hs. nur
einen Auszug aus dem grösseren Werke Bothes über die Keusch-
heit enthält; im ganzen sind es 2201 Verse, während die Kinder-
lingsche Handschrift etwa ßOOO Verse «mfasst hat (vgl. Adel.
Magazin H, 4, S. 109). Gerade die för nns interessantesten Ab-
schnitte fehlen in der Berliner Handschrift: so die Anspielungen
auf das Leben in den Nonnenklöstern, die Bemerkungen über die
Trachten, ferner die allegorischen Auslegungen der Wappen
mehrerer thüringischen Adclsgeschlechter, der Herren von Wolfs-
kehl, derer von Venir, von Elsterberg und von Henneberg*).
Ausserdem ist die Berliner hs. in oberdeutschem Dialekt geschrieben.
Dem Codex Cheltenhamensis gegenüber besitzt sie zwar selbständigen
^) Herr Prof. Priebsch-London hatte die Freundlichkeit, uns Näheres
über den Cod. Cheltenham. mitzuteilen.
«) Vgl. Kinderling, a. a. 0., S. 121 und 130—132.
~ 6 —
Wert, da si« nicht aus der Gebliardischen hs. geflosseti ist;
aber erst wenn uns die leider in England befindliche Abschrift
des Prof. Schmidt wieder zugänglich ist, kann das Berl. „Lob
der Keuschheit" kritisch in Betracht kommen ^
§4. Kothes „Passion."
Bei der Aufzählung der Werke unseres Dichters verzeichnet
Goedeke (Grundr. I, 291) unter No. 5 und 6 getrennt „eine ge-
reimte Passion (Bech, Germania IX, 172)" und „ein , Gedicht
über Pilatus (Herschel, A. f. K. d. d. V. Sp. 364 ff. 1864)".
Aber Bechs und Herschels Angaben beziehen sich auf dieselbe
Handschrift M. 199 (M. 101 älterer Bezeichnung) der Königlich-
Oeflfentl. Bibliothek zu Dresden. Die betr. Handschrift ist bisher
weder abgedruckt noch untersucht worden: sie ist in sprachlicher
und in litterarhistorischer Hinsicht für die Kenntnis des Joh. Eotlic
von Wichtigkeit. Ich beabsichtige deshalb, eine Ausgabe und
Untersuchung dieser Dichtung im folgenden zu geben. Auf meine
Bitte wurde niir zu diesem Zwecke die Dresdener Handschrift
auf längere Zeit zur Benutzung auf der hiesigen Universitäts-
bibliothek überlassen, wofür ich der KönigJ. Bibliothcksverwaltung
zu Dresden auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank
ausspreche.
IL Die Dresdener Handschrift der Passion.
§5. I) Beschreibung der hs.; Wasserzeichen.
Die Handschrift M. 199 (M. 101 älterer Bezeichnung) der
Königl. Oefifentlichen Bibliothek zu Dresden ist eine Papierhand-
schrift aus dem 15. Jahrh. in Quart; sie ist im Jahre 1824 ^aus
freyer Hand erkauft*^ worden^). Die hs., die einen modernen Ein-
band erhalten hat, besteht aus 39 Blättern. Bl. l,a ist neu
überklebt worden und zeigt an . zwei freigelassenen Stellen die
Worte „Cronicka aus dem etc."
Auf Bl. l,b steht zunächst eine prosaische Vorrede, die mit
den Worten beginnt:
„Diet nachgeschrebin buchelin [ist] vssgeczogin vss dem
buche der passion ihü xpi, die er Johann Rothe, vorcziten Sco-
') Vgl. Schnorr von Carolsfeld, Katalog der HaiidBchriften (ior Königl.
OeffentlicheD Bibliothek zu Dresden. II, 493.
lasticus ufi dem Stiflfte zcu Isennache, beschrebin had" n. s. w. ;
sie füllt Bl l,b und Bl. 2,a aus, ist abgesetzt geschrieben und
enthält eine kurze Inhaltsangabe der hs. (etwa 60 Zeilen). Die
Handschrift selbst umfasst 2051 Verse, die von drei mitteldeutschen
(thüringischen) Schreibern geschrieben sind: die erste Schreiber-
hand reicht von V. 1 — 747, die zweite von V. 748—1677, die
dritte von V. 1678— Schluss. Hinsichtlich der Schriftzüge und
der Orthographie zeigen die Schreiber eine merkliche Verschieden-
heit von einander. Der mittlere Schreiber kommt dem Gebrauche
ßothes am nächsten '). Die Tinte des zweiten Schreibers ist blass-
braun, die der beiden anderen etwas dunkler.
Inhaltlich zerfällt die hs. in 4 grössere Abschnitte. Der
1. Abschnitt (bis Bl. 7,b; 292 Verse mit Bleistiftzahlen ver-
sehen) enthält die Lebensgeschichte des Judas Ischarioth. Der
folgende Abschnitt (Bl. 7,b— Bl. 9,b; 158 Verse ebenfalls mit
Bleistiftzahlen versehen) handelt von der ersten Münze und den
30 silbernen Pfennigen. Dann folgt der dritte und wichtigste
Abschnitt, der die vollständige Pilatussage bringt (Bl. 10,a —
Bl. 34,b; 298 Verse; Bleistiftzählung). Den 4. Abschnitt und
Schluss bildet die Zerstörung Jerusalems (Bl. 34,bff. ; 303 Verse;
Bleistiftzählung). Diese Erzählung ist breit und uninteressant
und von geringem Wert. — Bl. 32,b— Bl. 33,a ist versehentlich
vom Schreiber freigelassen worden. — Auf jeder Seite ist durch
4 Tintenstriche ein Rechteck abgegrenzt, das die Schriftzüge
enthält : auf einer Seite stehen im Durchschnitt 30 Verse. — Die
Blätter der hs. sind verschiedentlich mit Tintenzahlen paginiert
gewesen; die Zahlen wurden aber später z. T. durchgestrichen
und verbessert: ich habe deshalb — ebenso wie bei den Versen
— eine einheitliche Zählung durchgeführt.
Weder über die Abfassungszeit der Dresdener hs. noch über
die Schreiber ist irgend etwas in der Handschrift vermerkt. Vorn
ist ein Blatt eingeklebt, das -^ wahrscheinlich von der Hand
eines Bibliothekars — u. a. die Worte enthält „Geschrieben nms
Jahr 1460". Sollte aber diese Angabe viel mehr als eine Ver-
mutung sein? Jedenfalls bietet die Handschrift keinen Anhalts-
punkt, um näher zu bestimmen, wann Joh. Rothe sein Gedicht
über die Passion Christi verfasst hat.
») Vgl. § 59 f.
— 8 ~
Wasserzeichen.
Von den 39 Blättern der hs. haben im ganzen 20 ein Wasser-
zeichen und zwar begegnen vier verschiedene Muster. Be-
zeichnen wir dieselben mit a), b), c) und d), so haben das Wasser-
zeichen
a) die Blätter 3. 5. 13. 27. 28. 35. 36;
h) „ „ 2. 4. 12. 14. 31. 32. 39;
c) „ „ 15. 20. 22;
d) „ „ 17. 19. 24.
Dre Wasserzeichen a) und b) finden sich, zu einer Figur
vereinigt, bei Naumann ») auf Tafel IX, und zwar gehören sie
Handschriften aus dem Jahre 1447 und 1460 (?) an. c), ein
Teil einer dorischen Säule mit aufgesetzter Krone, und d), ein
Teil einer dorischen Säule mit Kapital, dagegen sind in den
WerJien von Naumann, Bodemann*), Kirchner») und Midoux et
Matten*) nicht verzeichnet. '
§ 6. II) Das Verhältnis der Dresdener Handschrift zu
dem verlorenen Original.
In der Einleitung der Dresdener hs. der „Passion** ßothes
sagt der Schreiber: „Diet nachgeschrebin buchelin [ist] vssgeczogin
vss dem buche der passion Jhesu Christi, die er Johann Rot he,
vorcziten Scolasticus uflF dem Si^flfte zcu Isenache, beschrebin had"
u. s. w. Wir haben es also mit einem Auszuge aus einem grösseren
Werke Rothes über die „Passion** zu tun, der das Original ver-
treten muss, da das vollständige Werk uns nicht erhalten ist.
Wie verhält sich nun unsere hs. zu dem verloren gegangenen
Original?
*) Catalogus librorum maDUScriptorum qui in bibliotheca scnatoria civi-
tatis Lipsiensis asscrvantur. Grimae 1838.
2) Die Inkunabeln der Königl. Bibliothek zu Hannover. Herausgegeben
von B., Hannover 1866.
") E. Kirchner, Die Papiere des 14. Jahrh.'s im Stadtarchiv zu Frank-
furt und deren Wasserzeichen. Frankfurt a. M. 1893.
*) E. Midoux et A. Matton, Etüde sur les filigranes des papiers
employes en France aux XlVe et XVe siecles. Accompagnee de 600 dessins
lithographi^ft. Paris 1868.
Was zunächst die Orthographie äer Dresdener hs. angeht, so
weicht sie von der bekannten Botheschen Schreibweise (ürknnde
und Akrosticha!) erheblich ab. Die orthographischen Eigenheiten
der Schreiber von M 199 gegenüber der Schreibweise E.'s werden
noch ipi einzelnen behandelt werden (vgl. §§ 59—61). Im
übrigen ist aber die Sprache des Originals unangetastet geblieben:
unrothische Ausdrücke und Reime sind mir nicht begegnet*).
Wohl aber sind an verschiedenen Stellen der hs. Lücken wahrzu-
nehmen. Einige Male ist der Reimvers von den Schreibern ver-
sehentlich ausgelassen worden: so V. 237 (kint:?), V. 508 (vor-
gingk: *enphing?)*), V. 727 (riebe: *gliche), V. 1452 (ungeferwit:?),
V. 1958 (gelebin: *ebin). Ausserdem fehlen an folgenden Stellen
der hs. augenscheinlich einige Verse: nach V. 7*29:
,,Alsso wart nu konnig herodes 7'25.
Von pylato wol gewar des,
Der damede em quam in syn riebe
Das her eme sine herschaift
Myt syner bossin geldis krafft (!)
Vnde den her hilt vor eynen besundirn frunt,
Den hatte da sin gelt entczunt."
Nach V. 729 ist etwa zu. ergänzen: „geroubit hatte." —
Ebenso erfordert der Zusammenhang nach V. 735 eine Einschaltung.
Von Herodes sagt der Dichter nämlich V. 734 ff.:
„Das clagete her vnde was eme leyt,
Das pylatus myt solchir bosheyt (!)
Pylatus myt S3men wortin gar harte
Konnige herode alzo antwarte."
Wegen kleinerer Versehen der Schreiber verweise ich auf den
Text der hs. Verse, die von den Abschreibern selbständig hinzu-
gedichtet worden wären, sind uns nicht begegnet. Auffällig da-
gegen ist folgende Wiederholung, die sich aus einem Versehen
des Schreibers erklärt. V. 1879 heisst es:
„Do wart alzo gros der geschtangk.
Das sy von geroche wurden krangk;"
und V. 1893:
*) ^?l« ^^^ Abschnitt III. der vorliegenden Arbeit: über die Sprache
R.'« und F. Bech, Germania IX, 172t
«) et V. 59.
— 10 —
„Do wart von on alzo grossser geschtaiigk,
Das sy von geroche wurden krangk/*
Aber auch grössere Lücken sind in der hs. wahrzunehmen.
Die Judaslegende bricht mit V. 291 in der Dresdener hs. mit den
Worten ab: ^JlyhaAcs eyn ende von juda, wy her geborn wart."
Erzählt ist nur das Leben des Judas bis zu dem Punkte, wo J.
von Christus zum Schaffner angenommen wird. Dass aber das
Original die ganze Judassage enthalten hat, ist als sicher anzu-
nehmen. Was in M. 199 von der Judassage noch fehlt, können
wir aus R.'s Thüring. Chronik (Kap. 82 „Wie Judas seyn ende
nam") erschliessen: der Salbenverkauf und die damit zusammen-
hängende Motivierung des Verrates Christi durch Judas und des
Judas scliimpfliches Ende.
Weiter ist anzunehmen, dass ein Werk über die „Passion"
Christi auch wirklich die Leidensgeschichte des Herrn enthalten
hat. Auf die Leiden und den Tod Christi wird in der Dresdner
hs. aber nur mit wenigen Worten Bezug genommen. Nachdem
der Streit zwischen Herodes und Pilatus geschildert ist, briclit
der erste Schreiber der hs. mit V. 747 ab. Der zweite Schreiber
wendet sich mit V. 748 unmittelbar dem Kaiser Tiberius und
dessen Heilung durch das Schweisstuch der Veronika zu:
„Tiberius der keiser.
Ich meyne, das her der derte wer.
Von der vnseligin judischeit
Cristus do dy martil leit."
V. 706 heisst es dann weiter:
„Dessir keisser, tiberius genant,
Wart darnach vzseczig alzcuhant,
Also cristus hatte dy martil geledin
Noch der aldin kronikin redin."
Also nur in den beiden Versen 751 und 768 wird die Leidens-
geschichte Cliristi erwähnt. Allerdings wird auch in der Thüring.
Chron. die eigentliche „Passion" Christi nur mit wenigen Worten
beschrieben: In Kap. 73 „Vonn dem keisser" heisst es nämlich
in Chr: „under des (— Tyberius) hirschaft wart Cristus gemartirt"
und in Kap. 74 „Von Cristo do her 20 jar alt was bis das her
starp" wird gesagt: „do starb hervor vnsser sunde an dem crutze
— 11 —
linder dem kqnige Herode unde von dem riqhter Pilalo vann rorrethe*
niss Judas Scarioth seynes jungern**. Dass die Darstellung der
Leidensgeschichte Christi in: Chr verhältnismässig kurz . ist,
hindert uns natürlich nicht anzunehmen, dass Kothes Original
der „Passion" einen ausführlichen Abschnitt über die Verurteilung
und den Tod Christi enthalten hat. Dieser Abschnitt wäre dann
am besten zwischen den Versen 747 und 748 der Dresdener hs.
einzuschalten. Denn dadurch, dass Pilatus den angeklagten
Christus dem Herodes sendet, werden beide wieder zu Freunden,
Der allgemeinen Ueberlicferung folgend, erzählt dies auch Ro in
Chr: Kap. 70 . , . ,jUnde dorumbe sso sante on (Cristum) Pilatus^
do die Juden on . toten wolden, dem konige Hcrode, umbe.das
her vonn Gallilea was, das an Jhcrusalem stosset unde ynn j^eyne
hirg^ehafft gehorte. Do worden Herodes unde. Pylatus gefrunde;
die lange zeit gefynde gcwest waren." Nehmen wir an dieser
Stelle die Einschaltung der Passionsgcschichte an, so sind auch
die folgenden Kapitel: die Botschaft des Kaisers , Tiberius an
Pilatus, des Kaisers Heilung durch Veronika u. s. w. an ihrem
richtigen Platze. Auch äusserlich erklärt sich die Auslassung
leicht daraus, dass ein neuer Schreiber mit V. 74& der .hs.
einsetzt.
III. Rothes Sprache.
§ 7. Als Vorarbeit zu einer Ausgabe der Passion war eine
Untersuchung über deren Sprache und ihr Verhältnis zur Sprache
der übrigen Werke Kothes um so unentbehrlicher, als diese Dich-
tung uns nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt überliefert ist.
Folgende Werke des Dichters wurden der sprachlichen
Untersuchung zu Grunde gelegt:
1. Der „Ritterspiegel", Ausg. Bartsch (vgl. S. 2);
2. Des „Rates Zucht", Ausg. Vilmar (vgl. S. 2);
3. Die „Passion", nach der Handschrift M. 199 der Königl.
Oeflfcntl. Bibliothek zu Dresden; ' '
4. Das „Widmungsgedicht zur Thüringischen Chronik", Ausg.
Liliencron S. 1—10 (vgl. S. 3);
5. Das „Leben der heiligen Elisabeth", Ausg.Mencken (vgl.S.3);
da* aber Menckens Abdruck durchaus nicht den Anforderungen
der Textkritik genügt^ konnte im folgenden keine Yollständige
§ 3.. Zui Botli09 »Lob» des EeiiiAohiieii.^
Im Jäbre 17S4 gab M. Job. Friede. Aug. Kinderling „Nach-
riobt von einem altdeutschen bandsohriftlicben Gedichte Jobann
Sothens oder Bodens von der Keuschheit^ in Ad^alnngs Magazin
für die deutsche Sprache (Bd. II, St. 4, S. ] 08— 137): der Schreiber
der hs., Johannes Bntinck van Segen, sagt in der Vorrede, dass
Johannes Bothe der Verfasser des Gedichtes ist (Adelg. M., S. 112):
„Y doch sal man dencken nicht
Das ich es selber habe gedieht
Vnd mir di ere za sagen
Sander ein prister der by sinen dagen
Grosse bnchar bad gemacht
Vss dem latin in dntsch ertraclit
Derglichen ich nach ny gesach
Vnd had gewönnet za y^ennach
Sin name was heire Johannes rode
Sine sele beaele ich gode.^ a. s. w.
Zu Anfang seiner Arbeit gibt Kinderling an, der berühmte
Herr Professer Gebhardi in Lüneburg sei der Besitzer dfer Hand-
schrift und durch die Vermittlung seines Freundes, dfes Herrn
Prof. Conrad Arnold Schmidt in Braunschweig, sei er auf sie
aufmerksam gemacht worden. K. hatte das betreffende Gedicht
Bothes nur bruchstückweise bekannt gemacht (a. a. 0.); es schien
daher ratsam, Ausfuhrlicheres über das umfangreiche und besonders
in kulturhistorischer Hinsicht interessante Werk mitzuteilen.
Der erste, der sich wieder mit Bothes „Lob der Keuschheit"
beschäftigte, war der verdiente Bothcforscher Fedor Bech: indessen
er suchte vergeblich nach der ehemals Gebhardischen Handschrift
(vgl. seine diesbez. Anfrage Germania VII, 367). Seit jener Zeit
ist in der Litteratur über die betreffende hs. nichts bekannt
geworden.
Als ich anfing, mich mit Johannes Bothe zu beschäftigen,
stellte ich zunächst erneute Nachforschungen nach der von Kinder-
ling erwähnten Handschrift an. Doch alle meine Anfragen in
Hannover (wohin der Gebhardische Nachlass nachweislich ge-
kommen ist), Lüneburg, Braunschweig u. s. w. blieben erfolglos,
ebenso erhielt ich auf eine Anfrage und Bitte im „Litterarischea
Centralblatt^ keine Nachricht.
iFür ük anecbeinffid ^etloren gqgfangene fiandsdirift von
Bofbes „Lob d^r Kensclrbeit" haben wir aber «inen Ersatz.
Robert Priebsdi (Deirtsche Handschriften in England. Erlangen 1896.
I, 97) führt einen Codex Chettenfhamensis an (Phöl. 8311. Pap.
18. Jh. 182 Seiten), der eine von Prof. Schmidt (vgl. o.) im
Jahre 17814 gefertigte Abschrift der Gebhardischen Handschrift
enthält. Das Manns*ript gehört augenblicfcKoh einem Mr. Fitz
Boy Fenwick in Cheltenham *).
Leider war es aber nnmöglich, mir eine Abschrift von diesem
Mannskript — das als Original gilt, so lange wir die ehemals
Gebhardiscb^ hs. niclit wiedergefunden haben — zu verschaffen.
Zu erwähnen ist weiter, dass die Königliche Bibliothek zu
Berlin unter Ms. genn. 4® No. 186 (Pap. Hs. des 15. Jahrh.'s)
ein „Lob der Keuschheit" in Versen besitzt, das auf Bothes Ge-
dicht zurückgeht. Auf die Berliner hs. hat zuerst Karl Bartsch
aufmerksam gemacht (^Heidelb. Jahrb. 1872, S. 9 — 11) und zwar
auf eine erneute Anfrage August Witzschels nach der von F. Bech
schon vorher gesuchten Gebhardischen Handschrift (Z. d. Y. f.
th. G. u. A. VII, 418).
Auf n>eine Bitte wurde mir die betreffende Berliner hs. zur
Benutzung auf der hiesigen Königl. üniversHätsbibliotbefk über-
lassen, wofür ich dQr Verwaltung der Königlichen Bibliothek zu
herzlichem Dank verpflichtet bin.
Leider hat sich aber herausgestellt, dass die Berliner hs. nur
einen Auszug aus dem grösseren Werke Bothes über die Keusch-
heit enthält; im ganzen sind es 2201 Verse, während die Kinder-
lingsche Handschrift etwa €000 Verse umfasst hat (vgl. Adel.
Magazin II, 4, S. 109). Gerade die för uns interessantesten Ab-
schnitte fehlen in der Berliner Handschrift: so die Anspielungen
auf das Leben in den Nonnenklöstern, die Bemerkungen über die
Trachten, ferner die allegorischen Auslegungen der Wappen
mehrerer thüringischen Adclsgeschlechter, der Herren von Wolfs-
kehl, derer von Vonir, von Elsterberg und von Henneberg*).
Ausserdem ist die Berliner hs. in oberdeutschem Dialekt geschrieben.
Dem Codex Cheltenhamensis gegenüber besitzt sie zwar selbständigen
^) Herr Prof. PriebBoh-London hatte die Freundlichkeit, uns Näheres
über den Cod. Cheltenham. mitzuteilen.
*) Vgl. Kinderling, a. a. 0., 8. 121 und 130^132«
~ 6 -^
Wert, da si« nicht aus der Gebliardischen hs. geflossen ist;
aber erst wenn uns die leider in England befindliche Abschrift
des Prof. Schmidt wieder zugänglich ist, kann das Berl. „Lob
der Keuschheit^ kritisch in Betracht kommen ^
§4. Kothes „Passion.**
Bei der Aufzahlung der Werke unseres Dichters verzeichnet
Goedeke (Grundr. I, 291) unter No. 5 und 6 getrennt „eine ge-
reimte Passion (Bech, Germania IX, 172)** und „ein .Gedicht
über Pilatus (Herschel, A. f. K. d. d. V. Sp. 364 ff. 1864)**.
Aber Bechs und Herschels Angaben beziehen sich auf dieselbe
Handschrift M. 199 (M. 101 älterer Bezeichnung) der Königlich-
Oeffentl. Bibliothek zu Dresden. Die betr. Handschrift ist bisher
weder abgedruckt noch untersucht worden: sie ist in sprachlicher
und in litterarhistorischer Hinsicht f&r die Kenntnis des Joh. Eotlic
von Wichtigkeit. Ich beabsichtige deshalb, eine Ausgabe und
Untersuchung dieser Dichtung im folgenden zu geben. Auf meine
Bitte wurde uiir zu diesem Zwecke die Dresdener Handschrift
auf längere Zeit zur Benutzung auf der hiesigen Universitäts-
bibliothek überlassen, wofür ich der KönigJ. Bibliothcksverwaltung
zu Dresden auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank
ausspreche.
II. Die Dresdener Handschrift der Passion.
§5. I) Beschreibung der hs.; Wasserzeichen.
Die Handschrift M. 199 (M. 101 älterer Bezeichnung) der
Königl. Oeffentlichen Bibliothek zu Dresden ist eine Papierhand-
schrift aus dem 15. Jahrh. in Quart; sie ist im Jahre 18'J4 ,.aus
freyer Hand erkauft^ worden ^). Die hs., die einen modernen Ein-
band erhalten hat, besteht aus 39 Blättern. Bl. l,a ist neu
überklebt worden und zeigt an zwei freigelassenen Stellen die
Worte „Cronicka aus dem etc."
Auf Bl. l,b steht zunächst eine prosaische Vorrede, die mit
den Worten beginnt:
„Diet nachgeschrebin buchelin [ist] vssgeczogin vss dem
buche der passion ihü xpi, die er Johann Eothe, vorcziten Sco-
') Vgl. Schnorr von Carolsfeld, Katalog der Hapäschriften (}or KÖnigl.
Oeffentlichen Bibliothek zu Dresden. II, 498.
lasticus uft dem Stiflfte zcu Iserwiache, beschrebin had" u. s. w.;
sie füllt Bl l,b und BI. 2,a aus, ist abgesetzt geschrieben und
enthält eine kurze Inhaltsangabe der lis. (etwa 60 Zeilen). Die
Handschrift selbst umfasst 2051 Verse, die von drei mitteldeutschen
(thüringischen) Schreibern geschrieben sind: die erste Schreiber-
hand reicht von V. 1 — 747, die zweite von V. 748— 1677, die
dritte von V. 1678— Schluss. Hinsichtlich der Schriftzüge und
der Orthographie zeigen die Schreiber eine merkliche Verschieden-
heit von einander. Der mittlere Schreiber kommt dem Gebrauche
Rothes am nächsten *). Die Tinte des zweiten Schreibers ist blass-
braun, die der beiden anderen etwas dunkler.
Inhaltlich zerfällt die hs. in 4 grössere Abschnitte. Der
1. Abschnitt (bis Bl. 7,b; 292 Verse mit Bleistiftzahlen ver-
sehen) enthält die Lebensgeschichte des Judas Ischarioth. Der
folgende Abschnitt (Bl. 7,b — Bl. 9,b; 158 Verse ebenfalls mit
Bleistiftzahlen versehen) handelt von der ersten Münze und den
30 silbernen Pfennigen. Dann folgt der dritte und wichtigste
Abschnitt, der die vollständige Pilatussage bringt (Bl. 10,a —
Bl. 34,b; 298 Verse; Bleistiftzählung). Den 4. Abschnitt und
Schluss bildet die Zerstörung Jerusalems (Bl. 34,bflF. ; 303 Verse;
Bleistiftzählung). Diese Erzählung ist breit und uninteressant
und von geringem Wert. — Bl. 32,b— Bl. 33,a ist versehentlich
vom Schreiber freigelassen worden. — Auf jeder Seite ist durch
4 Tintenstriche ein Rechteck abgegrenzt, das die Schriftzüge
enthält: auf einer Seite stehen im Durchschnitt 30 Verse. — Die
Blätter der hs. sind verschiedentlich mit Tintenzahlen paginiert
gewesen; die Zahlen wurden aber später z. T. durchgestrichen
und verbessert: ich habe deshalb — ebenso wie bei den Versen
— eine einheitliche Zählung durchgeführt.
Weder über die Abfassungszeit der Dresdener hs. noch über
die Schreiber ist irgend etwas in der Handschrift vermerkt. Vorn
ist ein Blatt eingeklebt, das -^ wahrscheinlich von der Hand
eines Bibliothekars — u. a. die Worte enthält „Geschrieben ums
Jahr 1460". Sollte aber diese Angabe viel mehr als eine Ver-
mutung sein? Jedenfalls bietet die Handschrift keinen Anhalts-
punkt, um näher zu bestimmen, wann Joh. Rothe sein Gedicht
über die Passion Christi verfasst hat.
>) Vgl. § 59 f.
— 8 ~
Wasserzeichen.
Von den 39 Blättern der hs. haben im ganzen 20 ein Wasser-
zeichen und zwar begegnen vier verschiedene Muster. Be-
zeichnen wir dieselben mit a), b), c) und d), so haben das Wasser-
zeichen
a) die Blätter 3. 5. 13. 27. 28. 35. 36;
^) ». « 2. 4. 12. 14. 31. 32. 39;
c) ,, „ 15. 20. 22;
d) „ „ 17. 19. 24.
Die Wasserzeichen a) und b) finden sich, zu einer Figur
vereinigt, bei Naumann ^ auf Tafel IX, und zwar gehören sie
Handschriften aus dem Jahre 1447 und 1460 (?) an. c), ein
Teil einer dorischen Säule mit aufgesetzter Krone, und d), ein
Teil einer dorischen Säule mit Kapital, dagegen sind in den
Werken von Naumann, Bodemann^), Kirchner») und Midoux et
Matten*) nicht verzeichnet. '
§ 6. II) Das Verhältnis der Dresdener Handschrift zu
dem verlorenen Original.
In der Einleitung der Dresdener hs. der „Passion« Eothes
sagt der Schreiber: „Diet nachgcschrebin buchelin [ist] vssgeczogin
vss dem buche der passion Jhesu Christi, die er Johatm Rothe,
vorcziten Scolasticus uflF dem Stiffte zcu Isenache, beschrebin had«
u. s. w. Wir haben es also mit einem Auszuge aus einem grösseren
Werke Eotlies über die „Passion« zu tun, der das Original ver-
treten muss, da das vollständige Werk uns nicht erhalten ist.
Wie verhält sich nun unsere hs. zu dem verloren gegangenen
Original?
*) Catalogus librorum maDuscriptorum qui in bibliotheca sonatoria civi-
tatis Lipsiensis asservantur. Grimae 1838.
2) Die Inkunabeln der König], Bibliothek zu Hannover. Herausgegeben
von B., Hannover 1866.
«) E. Kirchner, Die Papiere des 14. Jahrh.'s im Stadtarchiv zu Frank-
furt und deren Wasserzeichen. Frankfurt a. M. 1893.
*) E. Midoux et A. Matton, Etüde sur les filigranes des papiers
employ^s en France aux XIVc et XV« siecles. Accompagnee de 600 dessing
lithographi^g. Paris 1868.
— 9 —
Was zunächst die Orthographie der Dresdener hs. angebt, so
weicht sie von der bekannten Roth eschen Schreibweise (Urkunde
und Akrosticha!) erheblich ab. Die orthographischen Eigenheiten
der Schreiber von M 199 gegenüber der Schreibweise B.'s werden
noch ipi einzelnen behandelt werden (vgl. §§ 59—61). Im
übrigen ist aber die Sprache des Originals unangetastet geblieben:
unrothische Ausdrücke und Beime sind mir nicht begegnet').
Wohl aber sind an verschiedenen Stellen der hs. Lücken wahrzu-
nehmen. Einige Male ist der Reimvers von den Schreibern ver-
sehentlich ausgelassen worden: so V. 237 (kint:?), V. 508 (vor-
gingk: *enphing?)'), V. 727 (riebe: *gliche), V. 1452 (ungeferwit:?),
V. 1958 (gelebin: *ebin). Ausserdem fehlen an folgenden Stellen
der hs. augenscheinlich einige Verse: nach V. 729:
,,Alsso wart nu konnig herodes 725.
Von pylato wol gewar des,
Der damede em quam in syn riebe
Das her eme sine herschafft
Myt syner bossin geldis krafft — (!)
Vnde den her hilt vor eynen besundirn frunt,
Den hatte da sin gelt entczunt.^'
Nach V. 729 ist etwa zu. ergänzen: „geroubit hatte." —
Ebenso erfordert der Zusammenhang nach V. 735 eine Einschaltung.
Von Herodes sagt der Dichter nämlich V. 734 ff.:
„Das clagete her vnde was eme Icyt,
Das pylatus myt solchir bosheyt (!)
Pylatus myt synen wortin gar harte
Konnige herode alzo antwarte."
Wegen kleinerer Versehen der Schreiber verweise ich auf den
Text der hs. Verse, die von den Abschreibern selbständig hinzu-
gedichtet worden wären, sind uns nicht begegnet. Auffällig da-
gegen ist folgende Wiederholung, die sich aus einem Versehen
des Schreibers erklärt. V. 1879 beisst es:
„Do wart alzo gros der geschtangk.
Das sy von geroche wurden krangk;"
und V. 1893:
1) Vgl. den Abschnitt III. der yorliegenden Arbeit: über die Sprache
R.'8 und F. Bech, Germania IX, 1721
•) et V. 59.
— 10 ~
„Do wart von on alzo grossser geschtangk,
Das sy von geroche wurden krangk/^
Aber auch grössere Lücken sind in der hs. wahrzunehmen.
Die Judasiegende bricht mit V. 291 in der Dresdener hs. mit den
Worten ab: „Hyhades eyn ende von juda, wy her gebor n wart."
Erzahlt ist nur das Leben des Judas bis zu dem Punkte, wo J.
von Christus zum Schaifner angenommen wird. Dass aber das
Original die ganze Judassage enthalten hat, ist als sicher anzu-
nehmen. Was in M. 199 von der Judassage noch fehlt, können
wir aus E.'s Thüring. Chronik (Kap. 82 „Wie Judas seyn ende
nam") erscliliessen: der Salbenverkauf und die damit zusammen-
hängende Motivierung des Verrates Christi durch Judas und des
Judas scIiimpflicliesEnde.
Weiter ist anzunehmen, dass ein Werk über die „Passion"
Christi auch wirklich die Leidensgeschichte des Herrn enthalten
hat. Auf die Leiden und den Tod Christi wird in der Dresdner
hs. aber nur mit wenigen Worten Bezug genommen. Niichdem
der Streit zwischen Herodes und Pilatus geschildert ist, briclit
der erste Schreiber der hs. mit V. 747 ab. Der zweite Schreiber
wendet sich mit V. 748 unmittelbar dem Kaiser Tiberius und
dessen Heilung durch das Schweisstuch der Veronika zu:
„Tiberius der keiser.
Ich mcyne, das her der derte wer.
Von der vnseligin judischeit
Cristus do dy martil leit."
V. 706 heisst es dann weiter:
„Dessir keisser, tiberius genant.
Wart darnach vzseczig alzcuhant,
Also cristus hatte dy martil geledin
Noch der aldin kronikin redin."
Also nur in den beiden Versen 751 und 768 wird die Leidens-
geschichte Christi erwähnt. Allerdings wird auch in der Thüring.
Chron. die eigentliche „Passion" Christi nur mit wenigen Worten
beschrieben: In Kap. 73 „Vonn dem keisser" heisst es nämlich
in Chr: „under des (— Tyberius) hirschaft wart Cristus gemartirt"
und in Kap. 74 „Von Cristo do her 20 jar alt was bis das her
starp" wird gesagt: „do starb hervor vnsser sunde an dem crutze
— 11 —
under dem konige Herode unde von dem richter Pilato vonn Torrethe»
niss Jndas Scarioth seynes jungern". Dass die Darstellung der
Leidensgeschichte Christi in: Chr verhältnismässig kurz ist,
hindert uns natürlich nicht anzunehmen, dass Bothes Original
der „Passion" einen ausführlichen Abschnitt über die Verurteilung
tnd den Tod Christi enthalten hat. Dieser Abschnitt wäre dann
am besten zwischen den Versen 747 und 748 der Dresdener hs.
einzuschalten. Denn dadurch, dass Pilatus den angeklagten
Christus dem Herodes sendet, werden beide nieder zu Freunden,
Der allgemeinen üeberlicferung folgend, erzählt dies auch Ro in
Chr: Kap. 75 . . .„unde dorumbe sso sante on (Cristum) Pilatus^
do die Juden on. toten wolden, dem konige Hcrode, umbe.das
her vonn Gallilea was, das an Jhcrusalem stosset undo ynn seyne
hirgphafft gehorte. Do worden Herodes unde. Pylatus gefrunde^
die lange zeit gefynde gewest waren." Nehmen wir an dieser
Stelle die Einschaltung der Passionsgeschichte an, so sind auch
die folgenden Kapitel: die Botschaft des Kaisers . Tiberius an
Pilatus, des Kaisers Heilung durch Veronika u. s, w. an ihrem
richtigen Platze. Auch äussorlich erklärt sich die Auslassung
leicht daraus, dass ein neuer Schreiber mit V. 74& der .hs.
einsetzt.
T
III. Rothes Sprache.
§ 7. Als Vorarbeit zu einer Ausgabe der Passion war eine
Untersuchung über deren Sprache und ihr Verhältnis zur Sprache
der übrigen Werke Kothes um so unentbehrlicher, als diese Dich-
tung uns nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt überliefert ist.
Folgende Werke des Dichters wurden der sprachlichen
Untersuchung zu Grunde gelegt:
1. Der „Ritterspiegel", Ausg. Bartsch (vgl. S. 2);
2. Des „Rates Zucht", Ausg. Vilmar (vgl. S. 2);
3. Die „Passion", nach der Handschrift M. 199 der Königl.
Oeffcntl. Bibliothek zu Dresden;
4. Das „Widmungsgedicht zur Thüringischen Chronik", Ausg.
Liliencron S. 1—10 (vgl. S. 3);
5. Das „Leben der heiligen Elisabeth", Ausg.Mencken (vgl.S.3);
da aber Menckens Abdruck durchaus nicht den Anforderungen
der Textkritik genügt^ konnte im folgenden keine voUständigä
-^ ai —
fieiins^stifk der „EHsabetb'^ f^^cben werden, BonAeHi €S sind
üas ihr nur die wichtigen und anderweitig ^sichertien sprachlichen
Erscheinung^ berücksichtigt worden. Aus dem oben § 3 an-
gegebenen Grunde ist ferner B.'s „Lob der Keuschheit*' für die
sprachlidie Untersuchung nicht iFcrwertct worden.
6. Aussl^r diesen goreimten Werken des Dichters habe ich
die Ton Bothe geschriebene Urkunde herangezogen, die A. L. J.
Micbelsen in der Zeitscbr. des Vereins f. thüring. Geschichte (III,
35 f.) abgedruckt hat.
7. B.'s Akrostichen: a) das umfangreiche Akrost. der ^Thür.
Chronik", in der von F. Bech kritiscTi berichtigten Form (Ger-
mania VI, 4^ff.). b) Das Akrost. des Bitterspiegels (Germania VI,5"2).
Audi haben wir die heutige Eisemicher Mundart, die uns
für die Sprache unseres Dichters manche Aufschlüsse gibt, ^icbt
unbeachtet gelassen. Benutzt wurde dabei Flex. Beiträge zur 'Er-
forschung der Eisen. Mda. 2 Eisen. Programme 1893 und 1898.
Was den Gang der sprachlichen Untersuchung betrifft, so
habe ich mich methodisch hauptsächlich an Zwierzinas „Mittel-
hochdeutsche Studien^ (Z. f. d. A. Bd. 44 -und 45) angeschlossen,
daneben auch an A. Pcrdisch (der Laubacher Barlaam)^).
A. Zun yokallsmns.
I) Relmo von Vokalen i^rsebledener Quantit&t.
1. Alte Vokale«).
§ 8. a) a:ä.
Im einsilbigen Beim.
an: an. man (und Komposita): getan (und Komposita) BSp 9=,
BZ 1 =, Pa 5 = mal, : (ge-)hän BSp 7 =, BZ 11 =, Pa 6 = mal;
an, daran : getan BSp 7 =, Pa l = mal, : (ge-)hän BSp 15 =,
BZ 4 =, Pa 5 = ma:l; dan : getan BSp, : hän BSp und BZ je
1 = mal; kan : getan BSp 2 =, : (ge-)hän BSp 7 = mal. Ausser-
dem reimen noch je 1 = mal man : bestän BSp, : an, :län Pa;
>) Dias. Marburg 1903.
') Alte Vokale Deonc ich die a, o, i and u, die auch im Mfad. so lauten,
im Gegensatz zu den neuen, durch Monophthongiemng entstandenen i- and
u-Yokalen.
— la —
(dar)*aii: : a^fid, ; vorlän, : wän BSp; kau : roflBäit BSp; dacras :
getan Pa; angewan : undiriän Pa^).
SigeiiQAjiiaQ anf «^an (= lat «-anns) begegnen nicht selten
im Beim und «war reimen, sie pau langam' qndi knracem an^ neben-
einandsr. Nur mit kurzem an werden gebunden: Oo^avian (BSp
l =, Pa 1 = panl), German BSp und Stephan fuL Dagegen
reimen nnr lang; Judan Pa 2 =, volusian Pa 3 =, rodan Pa
1 = mal; albaa» und vespesian endlich kennen die Bindongen zu
langem und^ kurzem an : alban.: an Pa 2 =, :än . Pa 3 = naal;
vespesian: :anPa2=, :äu Pa 2'= mal..^ Sehltasalifik begegnet
in* Pa noch> I = mal albon : vespesian^ (Weber di« Unsicherheit
der Quantität des Beimvokals in Eigennamen vgl. Singen, in. der
Festsohrift für Oeinzel S. 4 10' ff. und Zwierz. Z. fl d. A. 44, 11.)
am« Von den Bt. auf am begegnet nur am.: am BSp 1:1 =,
B2 2 = nnd Fa 20 = mal. Die Bt. am: am und äm:ämt fehtea
auch in £1 und Wi; am: am dagegen^ ist auch in £1 häufig (z. B.
namiqaam).
Dia Ei^ennameut a^uf ant reimea duH)liweg zu. kurzem am.
So haben, wir Cham BSp, Abraliam BSp L ==, Pa 2 =, veronicam^
Pa 2 =, Judeam Pa 1 = mal.
£s r.eimt demnach, {wn den fiigennamani ak^esehw):
ItSp
RL
ra
Kl».
an:än
54
17
21
9Ö
äfl:äB
6
*
1
11
an: an-
53
12'
»
73;
am: am
n
*
20«
9S
Bfei dem Bt. an ist völlige Vermischung eingetreten.
ant. Eine Bindung von ant:änt und Tonant:$nt fl»hlt(BSp,
BZ, Pa, El, Wi), was z. T. sich aus der Mundart unseres Dichters
erklärt, die das t in der 3. pl. verloren liatte^, sodass Beime wie
hänt : genant, :gewant, :länt nicht mehr möglich waren. DerBt.
1) Den 57 Bindungen yon(ge-)h&n : -an gegenüber (RSp 30, RZ 16, Pa 11)
haben wir nur 10 Bindungen Yon (ge-)h&n' : -ftn (RSp 5, RZ 4, Pa 1). Hieraus
gebt hervor, dass h&n bei Rothe — der ja a und d nicht mehr scheidet —
weder bentammtr lang, noph bestimlirt kurz, sondern vielleicht voa^ mittlerer
Quantität war. Die unsicheren Eigennamen auf -an habe ich hierbei nicht
mit gereohnet. (Vgl. Zwiers. Z. f. d; A. 44^ 6, 9, 12, 363 u. ö.)
*) Vgl. § 57 (Apokope des t).
— 14 —
ant :ant dagegen ist: bequem nnd* hüufig :BSp 25=, BZ 3 =,
Pa 37 = mal (auch in El nicht selten).
arrär. Sicheres ar:ar haben wir in clär :var BZ 103, gewar
:\var BZ 1222, gebar :wär Pa 123, :iär El 6, 1856, 3798, :clär
El 1980, gewar :här El 1320, also im ganzen 8 = mal; daneben
begegnet der Et. änär (äre:äre) BSp 4 =>, BZ 1 =, Pa 1 =, El
9 = mal. Unsicher bleibt Isacliar:wär Pa 11. ar:ar. Das Adv.
gar (gare) reimt zu kurzem und langem ar (are), so gar:ar (are)
BSp 4 =, BZ 2 =, El 1 = mal, : är BSp 1 =, BZ 2 =, Pa 1 ^
mal. Unsicher bleibt ^r:stritbar BSp 2800. Also auch bei gar
haben wir Schwanken *), ebenso bei dem Adv. dar (dare). dar
(dare) : ar (are) BSp 4 =, BZ 2 =, Pa 6 (+ 1) =, El 8 = mal;
dar (da;re):är (are) BSp, Pa und El je 2 = mal; unsicher ist
d:ire:lhare (Eigenname) Pa 325. Weiter reimt das unsichere
Adv. uffinbar*) ebenfalls zu kurzem und langem ar, so zu ar
BSp, Pa, : är BSp 2 =, Pa 3 = mal. .
al:äl haben wir in Cardinal :zal BZ 27, sal : alczumäl BZ
1118, zal:mäl £1 382a, 3939. Sonst findet sidi regelmässig, al:
al BSp 7 =, Pa 1 =, El 5 = mal; äl : äl El 1 = mal. Dazu kommt
unsicheres Hanibal:obiral BSp 549. '
ach : äch. geschach : (dar-, her-) nach El 1079, 1403, 3833.
Begelm. achiach BSp5=, BZ 3 =, Pa 16 =, El (rund) 30 = mal;
äch : äch BSp, Pa je 1 = mal. •
acht: ächti i macht : voUinbrächt BZ 195 , nacht : brächt
Pa507, 1931, macht .-zcubrächt Pa 1064, gemacht : brächt Pa 1296.
Der Eigenname Albracht (!) reimt in BSp 2 = mal zu acht, so»
zu macht (subst.) 1667 u. : macht (3. sg.) 1699. Die übrigen
hierher gehörenden Bt. bleiben getrennt: acht: acht BSp 17 =,
BZ 4 =, Pa 8 = mal; acht : acht (oder acht : acht) jBSp 1 ^y
BZ 1 =, Pa3 = mal.
art : ärt findet sich BSp 7 =, BZ 1 — mal. Der .Eig£n-.
name Bernhard reimt zu kurzem (BSp 3 = mal) und langem
(ebend. 1, = mal) art. Von den 8 sicheren Bindungen von. art:
ärt sind getrennt art: art BSp 5 =, Pa 6 = mal; ärt: ärt BSp
3 = mal. — Inwieweit bei Bo in den Bt. art : ärt und ärt : ärt
eine Verkürzung des ä vor rt eingetreten ist, lässt sich nicht
1) lieber ein langes Adv. gftr bei Gotfried vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 44, 6.
«) Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 44, 9.
— 15 —
mit Sicherheit feststellen, weil der. Dichter a und ä nicht mehr
scheidet.
as : äs. Belegt sind nur die Reime häs : daz BZ 960 und
abeläz : was El 3907. Daneben ist regelra. as : as häufig. (BSp
14 =, BZ 4 =?, Pa 27 = mal u. s. w.) Dazu kommen noch die
Bindungen mit Eigennamen Judas : graz Pa 206, : das 228, 262
und sedechias : was 414.
at : ät : BSp 15 =, BZ 8 (+ 2) =, Pa 7 = mal u. s. w.
Demgegenüber finden sich die regelmässigen Bindungen at:at
BSp 2 =, Pa 6 - mal u. s. w.; ät : ät BSp 16 =, BZ und Pa
je 1 = mal. In BSp, BZ u. Pa stehen den 30 (+ 2) Bt. von
at : ät 8 Bindungen von at:at und 18 von ät :ät gegenüber;
also auch hier wieder starke Neigung zur Vermischung*).
Im zweisilbigen Beim.
Vor b. habe: gäbe BSp 2 =, gäbe iherabe El 1 =mal;
vor g. frägin : tragin BSp, ruzsagin BZ, : irslagin Pa, : sagin
Pa 1 =, El 2 = mal, irklagin : mägin BSp, frage :uzsage
BZ, geslagit : gewägit El, behagit : gefrägit El;
vor h. slahin : enphähin BSp, fähin : irslahin BSp und slahin :
gesähin BSp;
vor r. farin : gebärin BSp, : järin, : wärin, :ufflnbärin Pa, heim-
farin ; wärin, zugefarin : järin El ;
in fast sämtlichen Belegen haben wir im Nhd. Stammsilben-
dehnung. —
Bindungen von a : ä sind den Bayern und Ostfranken, aber
auch den mitteldeutschen Dichtern eigen *). Die Alemannen haben
sie erst seit der 2, Hälfte des 13. Jahrh.'s: rein reimende Ale-
mannen, Schwaben, Elsässer, Süd- und Bhein franken, Oberpfälzer
lassen sie gewöhnlich nicht zu'). Von einzelnen Dichtern der
guten Zeit gestatten sich Beime von a: ä Wolfr.,Wirnt, Freid., Konr.
V. Fussesbr., Heinr. und Ulr. v. Turheim, Ulr. v. Lichtenstein,
d. Nibel., Gudr., Bit. u. a., während Gotfriod keinen Beim von
a : ä kennt.
Bei Joh. Bothe sind Bindungen von a : ä ganz gewöhnlich.
') Unsicher bleiben die Bindungen sat (?) : hftt RZ 25 und stat : mag-
nificat (? -ät) RZ 193.
«) Vgl. Zwierz. Z. d. f. A. 44, 6, 12 ü. ö.
s Vgl. Zwierz. a. a. 0. 10, 865 ; 45, 68, 69 u. ö.
— 16 —
§ 9. b) : 6.
Im einsilbigen Beim.
on : 6n : BSp 5 =, Pa 3 = mal; daneben
on : on Pa I = mal. Die Eigennamen auf on reimen stets
za Kürze: Saloraon : liirvon BSp 2529, : davon BZ 157, eßron :
darvon Pa364; dazu kommt neutrales Salomon :Sampson BSp 261.
Der Bt. on: on fehlt (auch in El und Wi).
ort : ort : BSp 6 =, BZ 2 =, Pa 3 ="• mal; der Bt. ort : ort
(oute : orte) begegnet BSp 5 =, l^a 3 = mal; ort : ort fehlt (BSp,
BZ, Pa, Wi und El).
ot : 6t: BSp 3 =, Pa 2 == mal; der Eigenname scharioth
reimt 1 = mal zu tod Pa 77. Von den übripn Bt. sind zu er-
wähnen ot : ot (ote : ote) BSp 2 =, BZ 1 = mal; 6t : 6t BSp u.
Pa je 7 = mal, BZ 1 = mal. In BSp, BZ u. Pa stehen den 5
sicheren Bindungen von ot : 6t 3 ot : ot (ot« : ote) und 15 6t : 6t
gegenüber, also auch hier herrscht Schwanken.
Im zweisilbigen Beim.
a) In offener Silbe.
Vor r. gehorin : geborin BSp 1065, torin : vorlorin BZ 1 120 und
geborin : t6rin El 3518.
^) In gesohlossener Silbe.
h6rte : forte Pa 1573.
Beiraa zwischen o und 6 sind bayrischen und mitteldeutschen
Dioktern^ eigentümlich. Sonst rein reimende Alemannen lassen
lieber Beimo von o : 6 (bes. vor rt), als solche von a : ä zu *). —
Für Ufisei^n Bothe sind Beime von o : 6, ebenso wie solche von
a : ä, unbedenklich.
§ 10. c) i : i.
Im einsilbigen Beim.
in : In fehlt (BSp, BZ, Pa, El und Wi). Ueber das unsichere
Adv. in vgl. § 54^). Der Bt. -in : -in dagegen ist bequem und
häufig (min : diu, : sin, : lin, : finj : Bin u. ä.): BSp 16 =, BZ
*) Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 44, 11.
«) Dazu Zwierz. Z. f. d. A. 45, 75.
— 17 —
4 =5 Pa 6 — , El 18 = mal; -in : -in BSp nnd El je einmal.
Der Eigenname Augustin reimt nur zu langem -in ESp 6 ==,
RZ 1 = mal. — üeber -lieh, -lieh u. s. w. vgl. § 53, 2.
is : IS fehlt (BSp, BZ, Pa, El und Wi). Nur einmal findet
sich unsicheres Basis : gewis BSp 1587.
Im zweisilbigen Beim.
a) In offener Silbe.
Vor g. ligin ikrigin BSp 2946, wiglt.-krlgit BSp 1166, vorswigin
(3. pl. präter.) : krigin El 187, [Ludowigin : (ir-) krigin El 1413,
2289]. t ♦
ß) In geschlossener Silbe,
villichte : ufzurichte El 405, villichtin : uzrichtin El 1307.
§ 11. d) u : ü.
Im einsilbigen Beim.
US. Von den Bt. auf us begegnet nur üs : üs BSp 4 =,
El 7 = mal. Häufig stehen Eigennamen auf (latein.) us im Beim,
sowohl zu kurzem als auch zu langem us. So haben wir Valerius,
Tulius, Pilatus u.s.w. :us BSp 11 =, BZ 1 =, Pa 10 = mal u.sf.f.;
: üs BSp 6 =, Pa3 = mal u. s. f. (Vgl. auch § 45, 1. a.)
Bindungen von i : 1 und von u : ü sprechen gegen Bayern
und Ostfranken, auch gegen Süd- und Bheinfranken ^).
2. Neue, durch Monophthongierung entstandene. Vokale.
§ 12. Eine Eigenheit der mitteldeutschen Mundart Bothes
ist die Zusammenziehung der Diphtonge ie, uo und üe zu den
einfachen Vokalen i, ü und ü, wie in der nhd. Schriftsprache, die
auch in dieser Hinsicht auf md. Grundlage ruht. Diese neu ent-
standenen Monophthonge sind aber nicht mit den alten Längen
i, ü und in (u) zusammengefallen : dies geht namentlich daraus
hervor, dass sie die Wandlung zu nhd. ei, au und eu (äu) nicht
mitgemacht haben. Ferner reimen die meisten md. Schriftsteller
die neuen i und u zu kurzen i und ü, wenigstens in geschlossener
Silbe. Dies beweist, dass ein Unterschied in der Accentqualität
») Vgl. Zwierz. Z. f. d. A, 45,69.
Heinrich, Stadien xn Jobannes Rothe 2
— 18 —
iwis^n deo atten Länge» und den aeuen MonopbtboBgen ror^
banden war. Micbels unterscbeidet sie deshalb nach dem Vorbilde
des Griechisdien darcli Akat und Zirkumflex^).
Neben i (< ie) und u (< uo) begegnen in md. Dialekten (und
auch beißothe) e undo*). — mhd. iu weiter wird im Md. durch
u wiedergegeben, das meistens zu langem ü reimt.
§ 13. a) ije : i.
Im einsilbigen Beim.
ging») (und Komposita be-, irre-, ir-) : ding ESp 2347, EZ 765,
Pa 172, 23©, 436, 1663, El 7 = mal (149, 280, 525 u. s. w.),
enpfing : ding El 2369, ging : jungeling El 3 = mal, schir : ir El
1935, : mir Pa 3 = mal, tir : mir El 3539, damit : lit El 16.
Im zweisilbigen Eeim.
a) In offener Silbe,
spigil (mhd. .Spiegel): sigel ESp 4101, [vihi : zihi ESp 938].
ß) In geschlossener Silbe.
gingin : ringin ESp 3318, : singin El 3890, bilde : bilde ESp
642, dingin : (be-)gingin El 6 = mal ; gingin : Afterdingin El.
§ 14. b) ie : i.
Im zweisilbigen Eeim.
ESp: papire : vire 954, (ge-)stigin : krigin (subst.) 2709,
3663, vorswlgin : krigin (subst.) 3040, krige (siibst.) : geswlge 3198,
swigin : krigin 2178*); EZ: vorzeihe : enpflihe 496, fllze : slize 510,
gekrigit : enswigit 622*). Der Eigenname Lodowig reimt öfter zu krig
(ESp, El).
1) Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 68 £f. und Michels, Mhd. Elementarb.
§ 146, wo auch die übrige Litteratur gegeben ist.
') Vgl. V. Bahder, Ein vokalisches Problem des Mitteldeutschen, Leipzig
(Habilitationsschrift) 1880, 8. 16 und Wrede, A. f. d. A. XIX, 351 flf.
■) üeber die Verkürzung von ie (uo) vor n -f cons. im Md. vgl. Michels,
Mhd. Eiern. § 144, 2 A.
^) Ob hier kriegen (sw. v.) oder krtgen (st. v.) anzusetzen ist, bleibt
unsicher: beide können bedeuten „mit Worten streiten, zanken^, was für die
«ngeführten Stellen pa&st.
— 19 —
Nach den unter a) and b) gegebenen Belegen können wir
die Moiiopbthongiernng des ie > i in der Sprache B.'s auch ffir
die zahlreichen neutralen Bindungen annehmen. (RSp 24, BZ 2,
Pa 20 u. s. w.) —
Urk. : di 4, 17, 19, iclicbes 5, iclicher 7, briflfe 18, briflF21;
daneben 1 = mal fier 8.
Akr. : prister 2, dinste 12; daneben liebjn 7 und feir 22.
§ 15. c) ie : e.
scher : 6r BSp 201, Pa 642, El 315, 999.
schere : ere BSp 2 =, Pa 3 =, El 3 = mal,
werin : veiin (mhd. vieren) El 3478, wSre:vere El 1520^). —
Vgl. die heutige Eisenacher Mundart (Flex, Beitr. I, 12 f.).
§ 16. d) uo : ü.
Im einsilbigen Beim.
nu : (dar-)zu BSp 6 =, Pa 1 =, El 6 =, Wi 1 = mal»), un-
gefug : gesmug BSp 326, alsus : buz BSp 2318, muz : ummesus
BSp 1445, gesmug :trug BZ 762, irstuntikunt Pa 1098, umme-
sust:must Pa 1222, uf: geschuf Pa 1903, El 1901, 3514, (ir-)
stund : fund (subst.) El 1157, : kunt 1797, : mund 3717.
Im zweisilbigen Beim.
bestundin : irfundin Pa 697, (ufge-)stmidin : fundin El 678,
2768, : undirwundin 2782.
§ 17. e) uo : ü.
Im einsilbigen Beim.
BSp: swur : gebür 9; nu (mit langem oder kurzem u) : (ge-)
tu Pa 3 =, El 1 = mal. An Eigennamen begegnen Hug : klug
BSp 181 und Valerius : muz BSp 2762.
*) lieber dieses Rothesche e « ie) vgl. auch R. Bechstein, Germania
IV, 47.7.
') Der Bindang nu : zuo (md. und bayr.) liegt ungelängtes nu zu Gh'unde.
Vgl. Zwierz, Z. f. d, A. 45, 70, A. 1.
— 20 —
Im zwei- und dreisilbigen Beim.
RSp: buche : gebrüche 3406; gebüwete : ruwete 781; buze :
duze BZ 610.
§18. 1) ue (<uo):u, ü. .
mhd. uo wird in der Sprache B.'s ausser durch u (s. o.) ge-
legentlich auch durch ue wiedergegeben, das zu langem und
kurzem u reimt und ein Zeugnis für 2-gipfligen Accent ist: muez :
ummesus BSp 1445, geschuef : üf El 1901, 3515, unruewe : buwe
El 3119. — Sonst begegnen sporadisch neutrale Bindungen
(BSp 5, Pa 1 u. s. w.). Gestützt wird dieses ue durch die ur-
kundlich belegten Formen huen 7, (vastnacht-, michel-) huen 9,
13, 15. Aehnliqhes findet sich noch heute im Eisenachischen
(vgl. Elex, Beitr. I, 13).
§ 19. g) uo : 6.
Im zweisilbigen Beim : almosin : gelösin El 2024.
Nach den unter d), e) und g) gegebenen Belegen können wir
die Monophthongierung des uo auch für die zahlreichen neutralen
Fälle annehmen.
§ 20. h) iu : altem ü, ü; ü.
Im einsilbigen Beim,
frunt : enzcunt Pa 730.
Im zweisilbigen Beim.
frundin : sundin BSp 1200, : uzgrundin BSp 2509, : undir-
wundin El 2600, frunde : künde BSp 4 =, : sunde BZ 4 = mal;
gesture : gebüre El 1339.
§ 21. i) iu : neuem ü (< uo, üe).
Im einsilbigen Beim,
getru : gern (inf.) El 1115.
Im zweisilbigen Beim.
BSp : truwe:ruwe 2370, geruwin : getruwin 2973, fluhit : bluhit
8853, (buferie : duberie 34). Dazu kommen die neutralen Bindungen
(BSp 1, BZ 4, Pa3 u. s.w.).
— 21 —
Aus der Urkunde und den Akrostichen ist für u statt uo
hinzuzufügen: ürk. zcu 1, 20, eigirkuche (Eigenname) 12; Akr.
zcu 3, 11, 12, 17, darzcu 6, schulmeistir 7, tumeherre 6. Für u
statt iu : Cruzceborg 1 (auch Akr. ESp), dirluchtin 14. — üeber
mhd. uo und iu in der heutigen Eisenacher Mundart endlich vgl.
Elex, Beitr. I, 13 f.
II) Die e-Laute.
§ 22. 1. ä : ä.
Eine Eigentümlichkeit des Mitteldeutschen ist der Zusammen-
fall von e und ä, dem sekundären Umlaut von a ^). So bindet
auch Bothe e : ä unbedenklich *).
Im einsilbigen Beim.
phärt : swert, : wert (2 = mal), : begert BSp (auch in El
öfter).
Im zweisilbigen Beim.
werte (no. pl.) : gehärte, derte : gefärte, phärde : wärde; dör-
tin : gefärtin, werdin : phärdin (2 = mal), phärdin : ärdin; ge-
sterbit (st.) : geschärbit BSp, : vortärbit Pa; (ge-)werkin (inf.) :
märkin, werkin (3. pl.) : märkin BSp, werkin (inf.) : märkin BZ;
stärkit : werkit (2 = mal), uz werkit ; märkit, gewerkit : märkit
BSp; marke : werke (uz-, ge-), stärke : (ge-) werke BSp (im ganzen
6 = mal); geberge : färge Pa; gelernit : (ge-) ärnit BSp; ge-
slächte : knechte BSp 3 =, Pa 1 = mal, : rechte BSp 3 =; häl-
ditrmädit BSp 1 = mal.
§23. 2. 6:ae.
In der Sprache Bothes sind 6 und 3b im Beim nicht geschieden
(wie z. B. bei Hugo von Trimberg, Ulrich von Eschenbach u. a.)'),
sondern beide Laute sind vollständig zusammengefallen (wie z. B.
in Herborts Trojanerkrieg) •'^). In der Schreibung finden wir für
ae einfaches e, wie überhaupt für alle e-Laute (md.!).
») Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 299.
*) Auch in der heutigen Eisen. Mda. lauten 5 und & durchweg gleich.
Belege bringt Flex, Beitr. I, 9 £f.
») Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 285 f.
-- 23 -
Im einrilbigen Keim.
sw«r : mör, : wcdirker, : s6r (2 = mal); geschet ; gesmaet
BSp, : slsetPa, wedirstSt : vorlaet Pa; smsB : un§ BZ.
Im zweisilbigen Beim.
waere (esset) : schSre Pa (2 = mal), : §re BSp (3 = mal), BZ,
Pa, : sere BSp (2 = mal), Pa (3 = mal), : mere BSp, : lere Pa,
beswaere : ere BZ, : sere BSp, : here, : lere BZ; Endungs- aere :
sere BZ 5 =, Pa 2 = mal, : kere, : here Pa, : ere BSp; ere :
offinbaBre BZ,« maere ; ere, : sSre Pa; waerin : wedirkerin BSp,
rütaBiin ; erin BSp, beswaerin : 6rin BZ (2 == mal), : vorkerin BZ;
(un-) beswaerit : Ißrit BSp, BZ (2 = mal), : vorkerit BSp, : ge-
merit Pa; raete : grßte (inf.) BZ; ßrstin : swaerstin BZ; prophetc
: vorsmaete, prophetin : vorsmaßtin Pa. Auch in Wi und El sind
Bindungen von £ : ae ganz gewöhnlich.
§ 24. 8. ^, 6 und i, ae vor Liquiden.
Im einsilbigen Beim.
h?r (eiercitui) : m6r BSp 3767; her : naer BSp 893, 1957,
El 1893; -er der Endung reimt zu -ßr BSp 5 =, BZ l =, Pa4=,
^ El 2 = mal u. s. w. (z. B. : mer, : ler, : ser, : er, adv.); zu waer
(esset), : swaer Pa (3 = mal)'); daneben begegnen die reinen
Bindungen h^ : w^r BSp 2 = mal, : m^r Pa, m^r : \v§r Pa, ver-
zehr : m^r Pa; gör (no. sg.) : her Pa 792; mer : scher BSp, Pa,
: Ur Pa.
wel:sel (apima) BSp 108; [: Israhel BZ 774, : Ezechiel BSp].
Beine Bindungen von -ei : -el wie vel : wel, : spei, : snel u. i'i. be-
g^nen in BSp 12 =, BZ 2 =, Pa 2 = mal (auch in El und Wi
häufig).
Im zweisilbigen Beim.
a) In offener Silbe.
gere (subst.) : gemere Pa 928; gebere : beswaere Pa 29; ir-
n§rin : beswaerin BSp 2257; w§rit : gekörit BSp 138; ungen§rit :
begerit Pa 1289. Daneben finden sich die reinen Bindungen ge-
bere : gewörePa 49, -ere : -«re BSp 18 =, BZ 7 =, Pa 5 = mal u.s.w.
^) Oder haben wir waere, swaere anxuBetzenV
~ 2a —
(z. B. s@re : Sre, schüre : ISre, blie : 6re, fre : k§re, . . 0; *§f^ •
'^re BSp 5 =, Pa 1 = mal (z. B. gezc^re : h^re B8p 2770 u. a.);
gen§rit : zc^rit BSp 3426; -erin : -erin (z. B. herin : kerin, : Ißrin,
. . .) BSp 7 =, BZ 5 =, Pa 3 = mal u. s. w.; m§rit : 16rit BSp
338 (u. ö.); w^rin : irn^rin BSp (u. ö.).
vele : gezc^le BSp, : irzc§le BZ, uzirw^le : obirspele BSp, (? vel :
gezc^l El); im dreisilbigen Beim speletin : qu^letin (tr.) Pa 1567.
Daneben -ele : -ele (z. B. vele : obirspele BSp ü. s, w.); obirspelit
: quälit BSp; befelin : stälin BSp u. a.
b) In geschlossener Silbe.
werdin : gefserdin BSp. üebcr e : § (ä) vgl. § 22. Begel-
mässige Bindungen : -^rte : -§rte BSp 3 = mal (z. B. h§rte : irw§rte);
-erdin : -erdin (z. B. erdin : werdin BSp) BSp 14 =, BZ 1 =, Pa
2 == mal u. s. w.
§ 25. 4. 9 : 6 vor Muten.
l§ge : bewöge BSp 2678; anges^gin : gekrögin BSp (-ägin :
-§gin BSp 7 =, BZ 1 =, Pa 2 = mal u. s. w.); reine Bindungen:
-6ge : -6ge BZ 2 = mal (z. B. phlege : stege); -ögin : -ögin BSp
14 =, BZ 2 =, Pa 5 == mal u. s. w. (z. B. undirwögin : phlegin
BSp 69); -^gin : -§gin BSp 2 =, BZ 1 = mal (z. B. s^gin : f^gin
BSp 2789); -§te : -ete BSp 6 =, BZ 7 =, Pa 2 = mal u. s. w.
(z. B. st^te : darmete BSp 417, BZ 1256 u, ö.); -§tin : -etin BZ
7 =, Pa 1 = mal u. s. w. (z. B. statin : setin BZ 534, 664 u. a.);
irh^bin : irbebin BSp 2865 und getrebin : enzc^bin BSp 3202.
Der Bt. -ebin : -ebin ist bequem und häufig, z. B. ebin : gegebin,
: lebin (BSp 38 =, BZ 24 =, Pa 25 = mal u. s. w.); vorh^bin :
enzc^bin BSp 3226; -§bit : -ebit BSp 3 =, BZ, Pa je 1 = mal
(z. B. gebit : enzc^bit BZ 1098); enzc§bit : irh^bit BSp 2965.
§26. 5. Kurzes e (e, §) zu langem e (6, ae) im zwei-
silbigen Beim.
Vor b. grebin : uzwebin BSp;
vor m. beremit : zemit BSp, nemin : remin BSp;
vor h. sehist : vorsmehist BSp, gesehin : vorsmßhin El, v6hit
: irslghit BSp, sehe : wehe Pa;
- 24 —
vor r. Vgl; die Belegie in §24; " '
vor t. bäte : zu spßte BSp, rßtin : gebätin RSp, trßtin : retin
BZ, stete : böte, : trete BZ, böte : rete BZ, irbätin : retin BZ,
geträte : tete Pa, gebete : stete El (4 = mal), tete : smete El, stete
: trete ebend.; r§de : stete; tretin grßtin El, planete : getr§te BSp.
Aus B.'s Urkunde und Akrostichen ist zu den e-Lauten
folgendes zu erwähnen: Urk. : jerlich 4, henge 19; Akr. : behege-
lichkeid 12, gedechtenissis 19, sente 28.
III) Umlaut.
§ 27. Die Entscheidung, ob Umlaut eintrat oder nicht, ist
für die md. Mundart unseres Dichters besonders schwierig: denn
im Md. blieb er in den Handschriften (und auch noch in den
ersten Drucken) gänzlich unbezeichnct. Deswegen nahm man
lange Zeit an, dass das Md. — abgesehen von § und e — ihn
überhaupt nicht gekannt habe. Heute setzt man jedoch auch für
das Md. umgelautete Formen an, wofür besonders der Umstand
spricht, dass die lebenden Mundarten diese taisächlich kennen
(vgl. später die heutige Eisen. Mda.).
Fest steht jedenfalls, dass der Umlaut des u auch im Obd.
vor gewissen Konsonantenverbindungen unterblieben ist*).
Auch für Bothe lässt das Beimmaterial eine sichere Ent-
scheidung in Bezug auf den Umlaut oft nicht zu: ich stelle es
trotzdem kurz zusammen.
§ 28. 1. ü, u.
Vor nas. + cons.
Im einsilbigen Beim,
entzcunt : frunt Pa.
Im zweisilbigen Beim,
sundin : frundin, frundin : uzgrundin BSp , künde (conj.
präter.) : frunde BSp 3 =, frunde : sunde BZ4 = mal, kunnin :
injgunnin, : unvorsunnin BSp, : besunnin, : ingewunnin BZ, ge-
dünkin : getrunkin BZ, : irtrunkin Pa, formunde : stunde Pa,
kunstin : gunstin BSp, El, schrundin : wundin, unkundig : mundig.
^) Vgl. T. Babdcr, Grundlagen, S. 201 u. ö.; Michels, Mhd. Elementar-
bttch § 74.
- 25 -
geswumme : gekmmme RSp. Hier beweisen uns die Reime (auch
in El und Wi) Fehlen des Umlauts.
Vor liquid. + mut.
Im einsilbigen Beim.
irfult^: schult ESp und Pa je 1 = mal.
Im zweisilbigen Beim.
entbornin : zornin El 612 (spricht gegen den Umlaut); neu-
tral sind forstin : dorstin BSp2 =, forste : torste (conj. präter.),
: dorste (inf.) BSp und BZ je 1 = mal, irworbe : vortorbe BSp.
Vor tz.
Im zweisilbigen Beim.
nutze : (ge-)schutzeBSp5 = mal, schutzin : nutzin BSp 1 =,
BZ3 = mal u. s. w. Entscheidung unmöglich: sämtliche Belege
(auch in El und Wi) sind neutral.
Vor ck.
Im zweisilbigen Beim.
gesmucke (dat.) : rucke (inf.) El spricht gegen den Umlaut.
Die übrigen Falle sind neutral: (un-)glucke, rucke : (vor-)drucke
BSp 2 =, BZl = mal, : smucke, : uzgesmucke BSp, stucke : smucke,
smuckit : ufruckit BSp, stuckin : druckin BSp, BZ, smuckin :
stuckin B Sp, : vordruckin BZ, uzgesmuckt : gedruckt Pa, bruckin :
ruckin BSp u. s. w.
Vor cht.
Im zweisilbigen Beim.
fruchte : züchte BSp und zuchtig : tüchtig El (neutral!).
Vor g.
Im zweisilbigen Beim.
Gegen den Umlaut spricht der Beim mogin : gezcogin BSp
3042; neutral sind mugin : entugin BZ [und trugene ; lugene BZ].
El und Wi bieten keine neuen Fälle.
Vor r.
Im einsilbigen Beim,
vor : kor, : vorlor BSp [vielleicht auch köre : vore El].
Im zweisilbigen Beim.
gehorin : geborin (mhd. gebürn) BSp, geborin : vorlorin BSp :
auch hier scheint der Umlaut zu fehlen.
— 26 —
§ 29. 2. ö.
Nur neutrale Bindungen, forste : torste (conj. präter.) BSp,
mochte : toclite (conj. präter.) ßZ und El. Entscheidung unmöglich.
§ 30. 3. «.
Vor b. grebin : uzwebin KSp 693.
Vor h und t. Das mhd. trans. vcrb. vorijmsehen, -smähen
erscheint D == mal in der e-, 1 = mal in der ä-Form : vorsmehin
RSp 2 =, Pa 4 =, El 3 = mal, vorsmän Wi 1 = mal. Dagegen
ist das intrans. vcrb. — in üebereinstimmung mit dem Mhd. —
nur in der ä-Form belegt, so in BSp und Pa je 1 = mal (3065;
199). — üeber enphet, let u. s. w. vgl. die einzelnen Verba,
ebenso über die e-Forraen von hän und tuon.
Vor cht. Für den conj. von dächte und brächte haben wir
den Umlaut anzusetzen. Beweisend ist der Beim bcdechtin :
knechtin BSp 968. Neutrale Konjunktivformen begegnen ausser-
dem in BZ =, Pa 3 = mal im Beim (auch in El öfter).
Vor m. Für den conj. präter. der Verba „kommen* und
„nehmen" finden sich nur neutrale Bindungen (BSp 1 =, Pa
= mal u. s. w.), z. B. quaBme : (ge')n8erae BSp 3722, Pa 667,
683, 912, 1138, vornsemc : quseinc Pa 450, 1379.
Vor r. Der conj. präter. von „sein" lautet regelmässig were,
werin (= mhd. wa?re, waeren). Die Belege finden . sich unter e : st
in § 23.
mhd. när, nser. Der Komparativ von nähe, nä lautet bei B.
ner.(: her) BSp 2 =, El 1 = mal. Entsprechend haben wir für
den Superlativ (allir-)nest ( : gewest) BZ 1164 und El 428.
Aehnlich findet sich mhd. swaßr(e), swär nur in der e-Form. Vgl.
die Belege in §§23 und 24.
mhd. offenbaere, -bar, -bar (adj. und adv.). Für das
adj. steht die Form uffinbar im Beim ( : ar BSp und Pa je 1 =
mal; : är Pa 1 =, El 2 = mal). Das adv. reimt in der Form
uffinbär(e) in BSp 3 =, Pa 2 = mal. Daneben findet sich 1 =
mal uffinbere (: ere) BZ 626. — Das mhd. adj. stritbaere reimt
1 = mal als stritbar (: gar) BSp 2798.
Für die mhd. sw. verb. offenbaeren, -ären und ge-
bären, -aßren sind für B. die ä-Formen anzusetzen. So reimt
in BSp (ge-)uffinbart 3 = mal zu ai*t (ärt), ferner uffinbärin : ärin
— 27 —
BSp xind Pa je 1 5=mal, uffinbftre : äre Pa, gebarin : arin (ärin)
BSp 1111(1 Pa je 1 = mal. (Vgl. dazu noch gebarte : lärte BSp
4032 und lärtin : gebärtin BSp 38.) — Auch in El stehen uffin-
bärin und gebärin einige Male im Beim.
§ 31. 4. oe.
Im einsilbigen Beim.
gehört (partic.) : gebort BSp 3 =, Pa 1 = mal, : wort BSp
2 =y Pa 2 = mal, : vort B Sp 1 = mal, (ge-, ir-) lost (partic.) :
tröst BSp 1 =, Pa 2 = mal, gehört (paitic.) : kort, : wort, : dort
El u. s. w.
Im zweisilbigen Beim.
gehörin : geborin BSp, fröiich : hölich BSp, aftirköse : böse
BSp, almösin : gelösin El u. s. w. — Neutrale Bindungen BSp 5,
BZ 3, Pa 2 u. s, w.
Die Beime sprechen gegen den Umlaut.
§ 32. 5. A.
Die Entscheidung, ob Umlaut eintrat oder nicht, wird hier
besonders dadurch erschwert, dass wir sowohl für den alten
Diphthongen iu als auch für A (den Umlaut von ü und iu) die
Schreibung u haben, u : iu. lüte : hüte (= hodie) BSp 2 =, BZ 1 =,
Pal=mal u. s. w. [li : uo. lüt (mhd. liite)^ : tut BZ 211.]
A : fremdem iu, ü. lüte : büte (mhd. biutt«) BSp und Pa je 1 =
mal, lütin : bAtin BSp 1 = mal (2253). Neutrales A findet sich
im Beim in BSp 8 =, BZ 3 -, Pa 1 = mal u. s. w. Auch die
Untersuchung der A-Beime von El und Wi führte zu keiner
sicheren Entscheidung.
§ 33. 6. öu.
Nur wenig Beispiele. Gegen den Umlaut spricht der Beim
drowe (: gezcouwe) BSp G73; sonst finden sich nur neutrale
Bindungen BSp 3 =, BZ 1 = mal u. s. w. Urkundlich belegt ist
allerdings 1 = mal gekoift 17 (= mhd gekouft).
§ 34. 7. üe.
Vor b. ue : üe (uo). ubin : hubin BSp, (ge-) ubit : (un-)
betrubit BSp 3 = mal, (ge-) ubin : betrubin BSp 2 = mal; iu : üe
(uo) buferie : duberie BSp (34).
1) Oder = mhd ]iut?
- 28 —
Vor g. üe : üe. trüge : sliige ESp, : gefuge Pa, gefuge :
singe und gnuge : trüge Pa je 1 = mal; üe (uo) : üe (uo). (vor-)
fugin : gnugin BSp 2 =, Pa 1 = mal; üe : üe (uo). gnuge : fug«
RSp; üe (uo) : uo. enfuge : geruge EZ.
Vor r. üe : üe (uo). (ge-, be-) rurin : (vol-, ge-) furin
ESp 2 =, EZ und Pa je 1 = mal, furit : rurit ESp; üe :iu (ü).
gefurin : stadmurin Pa (1895).
Vor 1, n und m. üe : üe. ESp : stule : ummegewule,
grüne : kune; üe (uo) : üe. sune : kune, rurait : vortumit; : uo.
blumin : rumin ESp.
Vor t. üe : üe. gutig : scnftmutig, : demutig ESp; üe :uo.
gute : gcmute, lehingutin : behutin ESp.
Vor z. Nur gebuze :fuze Pa (802).
Der Beim begunde : stunde (conj. präter.) El 515 spricht
gegen den Umlaut. Im übrigen finden sich in El (und Wi) nur
neutrale Bindungen. — Urkundlich belegt sind die Formen huner
3, 4, G, 8, 12, suUin 4 und der Eigenname rudiger 5; in der
Schreibung fehlt also der Umlaut, ebenso im Akr.: Doringin 11,
for;itinnen 14. Zu dem ä-Umlaut sind aus dem Akr. noch folgende
Formen zu erwähnen: bebistin 13; landgrauinnen 15, marg-
grafinncn 16^). — Die heutige Eisenacher Mundart kennt'
den Umlaut: horn-hernr, worm : wcrmr, buoch-b6)rr. Weitere
Beispiele bringt Elex, Beitr. II, 6ff.
IV) Brechung.
§ 35. 1. Brechung des i.
Für mhd. i erscheint e im sing. ind. präs. der Verba nach
der 3. — 5. Ablautsreihe, der Mundart E.'s entsprechend.
Im zweisilbigen Beim.
zemit : bcremit, : vorl^mit BSp, (vor-)sehist : spehist, : vor-
smehist ESp, : vorstehist EZ, sehit : gehit ESp, EZ und Pa je
1 = mal, : (vor-)stehit ESp 2 = mal, gesterbit : gesch^rbit ESp,
: vort^rbit Pa, [geschet], geschehit : [gesmet], gehit ESp, [: ensted
ESp 2 = mal, : ummeget ESp], (vor-, be-) gebit : vorh^bit, : irh^bit
ESp und Pa je 1 = mal, : enzc^bit ESp und EZ je 2 = mal.
^) Ueber den Umlaut in der Sprache R.^s vgl. auch Bechstein, Zu
Rothes Thüring. Chronik (Germania IV, 473 flf.).
— 29 —
phlegist : s^gist Pa, gebäre : gewere, spreche : reche (inf.) Pa. —
Neutral sind folgende Bindungen: BSp 5, BZ 2, Pa 4.
Ausserdem haben wir dieses Brechungs-e:
Vor Dentalen (d, t).
Im zweisilbigen Beim,
frede : (nach-)r^de BSp 3 =, BZ 2 ^, Pa 2 = mal, darmede :
r^de BSp und BZ je 1 = mal, : st^te BZ 1 == mal, setin : statin
BSp und Pa je 1 = mal, BZ 5 = mal, geledin : st^din BZ 1 = mal,
betin : statin, irbüde : r^de BZ. Dazu kommen 32 nicht beweisende
Bcime : BSp 20, BZ 2, Pa 10.
Vor 1 und b.
Im einsilbigen Beim,
wel : sei (anima) BSp, : Israhel BZ, : Ezechiel BSp, spei :
snel BSp.
Im zwei- und dreisilbigen Beim.
obirspelit : qu^lit BSp, speletin ; qu^letin Pa, vele : irzc^le BZ.
— angetrebin : enzc^bin BZ. — Neutral sind 27Beime: BSp 14,
BZ 7, Pa 6.
Endlich kommt das Brechungs-e noch vor:
Im einsilbigen Beim.
Vor n. hen : ruben, : vihen Pa.
Im zweisilbigen Beim.
Vor g. gekrßgin : anges^gin BSp, legin : phlegin ebend.
Vor r + cons. dertin : gef^rtin, derte : gef^rte B Sp, wßrte
gehörte BSp, geberge : f^rge Pa. üeber werkin vgl. e : ii § 22.
Vor zz. wezze : gelydemezze BZ.
Das Verbum brengin, das Bahder (Grundlagen S. 188) mit
ümlauts-e ansetzt (= altsüchs. brengian), ist bei B. im Beim be-
liebt: e3 reimt zu sicherem e in BSp 9 =, BZ 4 =, Pa 3 — mal,
auch in El hüufig. — Das für die Sprache unseres Dichters so
charakteristische Brechungs-e finden wir auch noch in der heutigen
Eisenacher Mundart; zahlreiche Belege bringt Elex bei (Beitr. I,
10 ff.).
§ 36. 2. Brechung des u.
An Stelle von mhd. u haben wir häufig md. o.
— 30 —
Im einsilbigen Beim.
son ; getan RSp 1 =, Pa 3 = mal, : von Pa, kort : (sprich-)
wort BSp 2 = mal, gebort : gehört BSp 3 =, Pa 1 =, : vort Pa
2 = mal, dorst : forst (mhd. vrost) BSp, scholt : geholt Pa.
Im zweisilbigen Beim,
vorschozzin (prätcr.) : genozzin (part.) BSp, azkorin (präter.)
: geborin (part.) BSp, vorlorin (präter.) : irkorin (part.) BSp,
frome(n) : kome(n) BSp 4 =, BZ 7 =, Pa 2 =, : genomen BSp
2 = mal, flogin (präter.) i betrogin (part.) Pa, vorlorin (präter.)
: uffinbäriu Pa, zcogin : plagin Pa. (üeber Fälle wie forste u. s. w.
vgl. Kap. ni). — Neutral sind in BSp 6, BZ 1, Pa 5 Bindungen.
Der Brechungsvokal o findet sich ebenfalls noch in der heutigen
Eisenacher Mundart. (Vgl. Flex, Beitr. I, 11 u. ö.) — Auch in
den Beimen von Wi und El sind die Brechungsvokale e und o
häufig. Weiter bestätigen uns B.'s Urkunde und Akrostichen
die Brechung des i und u : ürk. kerchin 1 , dessc, 2, ] 6,
ab-, obgeschrebin 2, 17, 18, 19, er 7, erme 7, werdikeid 18,
gebe (1. sg.) 19, dessin 20; martborn 14. — Akr. Cruzceborg 1
(ausserdem in Akr. BSp); kerchin 8, desse 10; Doringin 11,
forstinnen 14, Swarczborg 18, gebort 21.
V) Weitere vokaltsche Epsebelnanfiren.
§ 37. Die Verdunkelung des langen und kurzen a in der
Sprache B.'s wird uns durch die Beime von o : ä und von o : a
bewiesen.
1. : ä.
Bindungen von o : ä sind im Beimschatz unseres Dichters
ganz gewohnlich.
Im einsilbigen Beim.
son : (wol-)getän BSp 1 =, Pa 3 = mal, darvon : getan, : wän
BSp, spod : täd BSp.
Im zweisilbigen Beim.
a) In offener Silbe : (vor-)botin : vorrätin, : bätin BSp und
Pa je 1 = mal, lobe : gäbe BSp, Pa, (ir-)botin : tätin BSp und
Pa je 1 = mal, vorlorin : uffinbärin Pa, (ir-, obir-) zcogin ; plägin,
: wägin Pa 1 =, BSp 2 = mal, uzgezcogin : lägin Pa, geböte, gote :
rate BZ, gelobit : begäbit, gokorin : uffinbärin, gesoön ; gesläfin
— 31 ~
RZ, böte : rate, globe (= ßelpben) : gäbe Pa, fromin : qnämin Pa.
— Auch in El häufig : gote : berate, gäbin : lobin, botin : be-
rätin u. s. w.
b) In geschlossener Silbe : mochte : brächte Pa. — Akr. : noch
(=mhd nach) 20.
Auch die Verdunkelung des langen ä lebt lieute noch im
Eisenachischen fort (vgl. Elex, Beitr. I, 9 flf).
§ 38. 2. : a.
Bindungen von o : a sind seltener als solche von o : ä. In
RSp, RZ, Pa, Wi und El finden sich nur 2 Belege : vor : gebar
Pa 61 und daran : darvon £1 2510.
§39. 3. Kontraktions-ei und t.
a) ei < ege, age.
Die md. Dichter reimen eit < eget und eist < egest nur in
treit und leit, ferner in meide < megede, getreide < getregede
aber nicht in seit < * seget *). Bei R. nun stehen folgende ei-
Formen im Reim: treit (3. sg.): wamlilberkeit, : undirscheit,
: kleit, : wisheit (2 = mal), : frolichkeit, vortreit (3. sg.) : orbeit
RSp, : frumekeit, : warheit, : girheit, : gerechtikeit RZ u. s. w.;
geleit (partic.) : sundirlicbkeit, : bebendikeit (2 = mal), : erbeit,
: kunheit, umme -(ge-)leit : manheit, : inuikeit, hengeleit : suzikeit,
: girheit, uzgeleit : senftmutikeit, zugeleit : eit RSp, geleit :
kintheit Pa u. s. w.; der md. Regel gemäss fehlt ein seit (in RSp,
RZ, Pa, El, Wi); es begegnen. nur die unkontrahierten Formen
segist (: phlegist) Pa 37, sagit (: geclagit) RSp 3121 u. ö. Neben
treit und geleit haben wir auch gelegentlich tregit (z. B. : bewegit
RSp 1341) und gelegit (z. B.: geegit RSp 2206) im Reim. Neu-
tral ist seinin : begeinin RSp 1006.
b) Kige (ihe)..
Häufig steht lit (und Komposita) im Reim (: zit, : sit u.s.w.),
in RSp 8 =, RZ 1 =, Pa 1 = mal u. s. w. Auch lin (infin. oder
3. pl.) ist im Reim beliebt (: sin, : min, : din u. ü.), in RSp 2 =,
Pa 1 = mal u. s. w., :.in (in) RSp 2 = mal; der apokopierte In-
finitiv 11 reimt zu -i in RSp und RZ je 1 = mal; phlit : -it RZ
») Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 845 ff.
— 32 —
1 =, El 2 = mal, neutral ist lit : phllt RSp 2 =, EZ 1 = mal,
ebenso zi : fli (< zihe : flihe) ßSp.
§40. 4. Znr Stammsilbendehnang.
Im Beimschatze B.'s begegnen häufig Bindungen von kurzem
zu langem Vokal in offener Stammsilbe, wie z. B. farin : gebärin
BSp 1988, und zwar vor folgendem b, g, h, r, m und t. Bei-
spiele:
Vor b. habe : gäbe BSp 1401, globe (= geloben) : gäbe Pa 1154;
vor g. frägin : tragin BSp 1016, uzgezcogin : lägin Pa 1867,
frage : uzsage BZ 568;
vor h. gesehin : vorsmShin El 1259, slahin : enphähin BSp 901;
vor r. gebere : beswere Pa 29, heimfarin : wärin El 1670;
vor m. fromin : quämin Pa 959, El 1227, berßmit : zümit
BSp 89;
vor t. gote : berate El 137, bete : rete BZ 842.
Die übrigen Belege finden sich in §§ 8, 9, 24, 26, 35, 37,
41, 42^ 46, 48« Diese Erscheinungen legen die Vermutung nahe,
dass B. die kurzen Vokale in offener Stammsilbe, wenn b, g, h,
r, m oder t folgten, gedehnt gesprochen hat. Fest steht jeden-
falls, dass die nhd. Schriftsprache in den angegebenen Fällen —
ausser vor m und t — die Stammsilbendehnung anerkannt hat^).
VI) Synkope und Apokope.
§ 41. 1. Synkope.
Gegen das bekannte mhd. Gesetz ist unbetontes e (bezw,
Bothesehes i) nach den Liquiden r und 1 mit vorhergehendem
kurzen Vokal in grösserem Umfange erhalten geblieben: so reimen
geborin : gehorin BSp, farin : gebärin BSp, : wärin, : järin, : uffin-
bärin Pa, heimfarin : wärin El, zugefärin : järin, irkorin : wärin,
geborin : torin El, werit : gekerit BSp, gekorin : uffinbärin BZ,
vorlorin : uffinbärin, : torin Pa, BZ; bcvolin : zcoUin Pa. Nach
diesen Bindungen können wir die Erhaltung des unbetonten Vokals
in den genannten Fällen auch für die zahlreichen neutralen Beime
annehmen, wie z. B geborin : vorlorin, bewarin : farin BSp, Pa,
»; Vgl. F. Vogt in der Festgabe für R. HUdebrand (1894) 8. 157 f. und
Wümanns, Deutsche Grammatik' I, § 241.
— 33 --
sparin : (ir-)farin RZ,E1; obirspelit : quelit BSp, unvorholin : be-
folin El, stelit : hellt RZ, speletin : queletin Pa.
Daneben beweisen uns die Reime den regelmässigen Vokal-
schwund: geborn ; zcorn RSp,Pa,El, vorlorn : zcorn RZ, Pa, be-
warn : adilarn RSp, (uz-, un-)gezcalt : gewalt RSp, Pa, begert:
pferd El u. s. w. — Für den Schwund des unbetonten Vokals
nach r hinter einer Nebensilbe (also bei der Silbenfolge .L ee)
sprechen Reime wie andirn : wandirn RSp 2 =, RZ und Pa je
1 = mal u. s. w.
In den übrigen Fällen finden sich synkopierte und un-
synkopierte Formen nebeneinander, ohne dass oft eine Entscheidung
möglich ist. Sicher haben wir Synkope in Reimen wie nicht :
gebricht, : spricht, : uzgericht RSp, RZ, Pa, El (bequem und
häufig!), macht (< ich mac) : swacht Pa u. ä. Sicher haben wir
weiter Synkope in den Fällen, wo dentaler Stammesauslaut mit
dem t der Endung verschmolzen ist, also in der 3. sg. ind. präs.,
im präter. und z. T. auch im partic. präter. : spricht : bericht,
: uzricht RSp, RZ, El, vicht : nicht, : uzricht Pa, RSp, sind :
bint, : vint RSp, Wi, acht : swacht, : nacht RSp, : macht RZ,
irmoite : werte RSp, hatte : schatte RSp, : (en-,be-)statte RZ,
El u. s. w. Häufig stehen synkopierte partic. präter. im Reim;
und zwar begegnen von deri langsilbigen schwachen Verben nur
die kürzeren, umlautlosen Formen (Reimbequemlichkeit!). So
finden wir bei R. häufig Reime wie gestalt (be-, wol-, obil-, un-)
: alt, : gewald, behaft : geselschaft, gewant, genant, gesand : lant,
: zuhant, : fand, behut : gut, : mut, : tud u. s. w. — Zu vollziehen
ist die Synkope in Fällen wie gehörit : wort, gesehen : gesehin,
wedirstet : vorlehit, vorsten : gehin, sted : twehit, nicht : sprichit,
gewest : nehest u. ä. — Zweifelhaft bleiben Bindungen wie nennit:
irkennit RSp, machit : uzsachit RZ, : swachit RSp, schickete : ir-
quickete Pa, schickte : irquickte El (!), schonte : lönete Pa (!), hou-
bit : irloubit RSp, gelobit : begäbit (daneben gelobt : begäbt) El u.s.w.
Das unbetonte e der Partikeln in der Komposition (ge-, be-)
scheint meistens bei R. gefallen zu sein: indessen bietet uns die
Schreibung der Handschriften keinen sicheren Anhalt, auch Ur-
kunde und Akrostichen lassen uns im Stich. Nur soviel lässt
sich mit Sicherheit sagen: in RSp, RZ und Pa — El und Wi
bleiben als ganz unzuverlässig in der Schreibung ausser Betracht
Heiarieb, Studien /u Jubauues Eotbe 3
— 34 —
— finden wir gewöhnlich Formen wie glich, gloubin, glucke, gnng,
gnuge, blibin u. s, w. (für mhd. gelich, gelouben, genuoc, genuoge,
beliben). • — Auch die lebende Eisenacher Mundart synkopiert in
den genannten Fällen; Belege finden sich bei Flex, Beitr. I,
llff.
Aus B.'s ürk. und Akr. sind zur Synkope folgende Beispiele
zu erwähnen: ürk.: sullin 4 (= mhd. suln, süln); diese Form
spricht also für die teilweise Erhaltung des unbetonten Vokals.
Ferner mit Synkope sime 5, 16, erme 7, eyme 10, 11, 14 und
sammente Akr. 9.
§ 42. 2. Apokope.
Nach kurzen Stammsilben.
a) Nach 1 und r.
ale, al. zcal (dat. sg.) : sal (= sol) BSp, zcal (dat. sg.) : sal
(acc. sg.), zcal (acc. sg.) : mal El; in allen 3 Belegen ist also e
geschwunden. Ein sicheres ale fehlt.
ele, el. Die Bt. el und ele sind von einander geschieden,
vel (= unflekt. no. acc. sg. neutr.) reimt gern zu sicherem el
(spei, wel) BSp 6 =, BZ und Pa je 2 = mal u. s. w.; dazu
kommt eine neutrale Bindung in BSp. Daneben steht ole im
neutralen Beim (BSp 4 = , BZ 3 = mal u. s. w.).
ole, ol. vol (unflekt. no.) reimt oft zu sicherem ol (BSp 6 -,
BZ 4 =, Pa 1 = mal u. s. w.); dazu kommen noch einige sichere
Beime von ol : ol (BSp 4 =, BZ 1 = mal u. s. w.); 2 = mal ist
ol : ol neutral in BSp. ole begegnet nur in neutralen Bindungen
(BSp, BZ je 1 — mal u. s. w.).
are, ar. Das adv. dar {— mhd. dare, dar) reimt wiederholt
zu sicherem ar, är (BSp 3 =, BZ 2 =, Pa 4 = mal u. s. w.), da-
neben findet sich dare nur neutral (BSp 2 =, Pa 3 = mal u.s.w.).
Das adv. gar (= mhd. gar, gare) reimt ebenfalls zu sicherem ar,
är (BSp 5 =, BZ 1 =, Pa 3 — mal u. s. w.). Daneben steht es
öfter im neutralen Beim (BSp 1 ==, BZ 2 = mal u. s. w.); ein
sicheres gare fehlt wieder. Sonst ist noch zu erwähnen: var
(conj. präs.) : clär BZ, tar (1. sg.): bewar (inf.) El. Die übrigen
are sind sämtlich neutral (BSp und BZ je 1 =, Pa 2 = mal u.s.w.).
— 85 —
■ ' ere, er. . Sicheres er : er (er) ist einige Male belegt (ESp 3 =,
Pa 2 = mal u. s. w.), dazu kommen vielleicht noch einige neutrale
Bindungen (RSp, Pa u. El). Die gesetzwidrige Erhaltung des e
beim Et. ere beweisen uns die Reime gebere : beswere Pa 29 und
und gere : gemSre Pa 928. Sonst reimt ere nur neutral (ESp
5 — , EZ 1 =, Pa 2 ^ mal u. s. w.).
ore, or. Sicheres or haben wir in vor : kor ESp und tor :
dafor El, dazu stellen sich vielleicht einige neutrale Bindungen
(RSp 2, Pa 1 u. s. w.); ore ist nur einige Male im neutralen
Eeim belegt (EZ, El).
Passen wir das gewonnene Eesultat noch einmal kurz zu-
sammen: in den Eeimen Eothes. ist 1) die regelmässige mhd.
Apofcope dos e bezeugt beim Substantivum, Adjektivum, Adver-
bium und Verbum nach al, el, ol, ar, er und or; 2) die gesetz-
widrige Erhaltung des e nur für den Et. ere beim Substantivum
und Verbum festzustellen.
b) Nach m, n und t.
ame, am. In der Schreibung findet sich ame nur in dem neu-
tralen Eeim name : vorgrame (inf.)Wi. Mit apokopiertem e reimen
licham (ESp 3 =, Pa 1 = mal), schäm (ESp 3 = mal), adverbiales
alsam (ESp) und gehorsam (acc. sg. Wi). Daneben ist sicheres
am : am bequem und häufig: (quam : nam u. s. w.!) ESp 6 =,
EZ 2 =, Pa 25 = mal u. s. w. — Die Apokope ist also bezeugt
nur für das Substantivum und für das Adverbium.
eme, em. Der Et. em fehlt; eme findet sich einige Male
im nicht beweisenden Eeim (ESp 3 =^, EZ 1 =, Pa 2 = mal u.s.w.).
Der Et. ime, im felilt.
ome, om. om fehlt ebenfalls; ome ist nicht selten im neu-
tralen Eeim: (kome : frome!) ESp 1 =, EZ 2 =, Pa 1 = mal u.s.w.
ume, um. Der Et. ume ist unbelegt; um findet sich 1 = mal
in stum : pilatum Pa.
ane, an. Hier finden wir in der Schreibung ane und an neben-
einander. Die mhd. Präpositon ane, an reimt häufig zu sicherem
an, an (: man, : getan, : hän, : kan u. s. w.): ESp 53 =, EZ 12 =,
Pa 12 = mal u. s. w.; ane dagegen findet sich nur in neutralen
Bindungen (ESp). Das mhd. Adverbium dane, dan reimt ebenfalls
in der apokopierten Form dan zu festem an, an: ESp 3 =, EZ 1 =,
. 3* .
- So -
?a 2 = mal u. s. w., ein dane fehlt. Sonst ist noch zu erwähnen
ban (dat. sg.) : man (acc. pl.) Pa, also mit Apokope.
ene, en. Der Rt. ene fehlt; für en haben wir einige Be-
lege, z. B. h6n : ruben und : Vihen Pa.
one, on. Der Rt. one fehlt; rahd. von, vone erscheint bei
R. als von (van) im Reim zu festem on, 6n RSp 3 =, RZ l =,
Pa 3 = mal u. s. w. Sonst haben wir noch on in Eigennamen,
z. B. Salomon : Sampson RSp.
ate, at. Vom Rt. ate findet sich 2 = mal sicheres ate : äte
in bäte (mhd. böte) : gerate (inf.), : rate (subst.) Pa 878 und 1 ! 25.
Ueber sicheres at : ät und at s. S. 15.
ete, et. Es begegnen die Rt. ete und et. Das mhd. Adverb,
mit, mite reimt 1) als mete (mede) zu festem -ete RSp 14 =,
RZ 2 =, Pa 2 = mal u. s. w.; 2) als möt (med) RSp u. Pa je
1 = mal (ausserdem häufig in El : Elisabet). Daneben haben wir
noch einige Male -ete : festem -ete (-ete) RSp 2 =, RZ 4 =, Pa
1 = mal. Die Apokope ist demnach nur für das adv. met (neben
häufigerem m6te,m6de) bezeugt, üeber sicheres ete:etevgl.SS.23u.2D.
ote, ot. Der Rt. ote begegnet nur neutral RSp and RZ.
Üeber ot : 6t u. s. w. s. S. 16.
§ 43. Nach langen Tonsilben.
Sicher haben wir Apokope in Reimen wie keiser (no. sg.) : wer
(— esset), kleyne : steyn (acc. sg.) Pa, sw^r (no. sg. — sweUir)
: er (= §re) El u. s. w. üeber Apokope iu dÄ Substantivdekli-
nation und beim Adverbium s. §§ 53, 54 und 56.
§ 44. Nach Nebensilben.
Hierfür begegnen in den Reimen R.'s nur wenige neutrale
Fälle, sodass wir mit Sicherheit nichts feststellen können, so z. B.
wedele : edele RSp, sehinde : gehinde Pa, trugene : lugene RZ.
B. Zum Konsooantlsmus.
I) Zur Lautvepsehlebunfir-
§ 45. 1. germ. t.
a. Zusammenfatl von s und 3 (< t). Die aus germ. t ver-
schobene Spirans 3 ist in der Sprache R.'s mit s zusammen-
^ 87 -
cfefallen. Das beweisen uns: 1) die zahlreichen Bindungen von 8:3;
2) die Schreibungen in R.'s Urkunde und in seinem Akrostichon.
Zu 1 ). s : 5 im Auslaut.
bas : (spigil-)glas RSp, gros : (truwe-,erbe-)16s RSp u.
Pa je 3 = mal, das : was RSp l =, RZ 1 =, Pa 12 ~ mal, : las,
: gras RSp, : häs[t] RZ, : Judas Pa 2 = mal, bas : was RSp 2 =,
mues : umniesus, : ValiTius RSp, blos : ßrlös RSp, (her-)Ü3 : (gotis-)
hüs RSp 3 =, : Tulius RSp 1 =, : Vegecius RSp 4 = mal, : pilatus
Pa 2 =, : Julius Pa 1 = mal, büs : alsus RSp, has : palas RZ, : was
Pa, genos : was Pa, (be-)sa3 : was Pa 3 = mal. Auch in El und
Wi beweisen uns die Reime den Znsammenfall von s und 3 im
Auslaut, also z. B. vorgas : was, : las, abeläs : was u. s. w.
SS : 33 im Inlaut.
vorgessin ; selmessin El, wissin : gedechtenissin El.
Zu 2). 3 = s : ürk. [elisabeth 2,] sechs 10,11, als (2 = mal)
17, des (2= mal) 20; Akr. etswanne 2,17. s = 3 fehlt (Zufall?).
b. ünverschobenes t.
Unverscllobenes germ. t begegnet in den Beimen R.'s ver-
hältnismässig selten: kort (: sprich-wort) RSp 134, 662, (: gehört,
:wort) El 71, 359 und dit (: gesmit) Pa 334. Ein dat fehlt;
Tgl. die oben für das gegebenen Belege. Der einzige Reimbeleg für
dit wird gestützt durch ein „dit" im Akr. 19. In RZ, Wi und
ürk. fehlt ein ünverschobenes t. — Die heutige Eisenacher Mund-
art hat in d6s (= Rothesch. dit) verschobenes t. Vgl. Elex, Beitr.
II, 12.
§ 46. 2. germ. d.
Anlaut.
Im Anlaut ist germ. d zu t verschoben: Akr. tochtir 19, tage
24, 25, tag 29 [tvmherre 6]. In der Urkunde fehlt ein Beleg
hierfür. (Kürze!)
Inlaut.
Inlautend nach Vokal und nach Konsonant stehen ünver-
schobenes d und verschobenes t nebeneinander. Dies beweist uns-
1) die Schreibung in R.'s Urkunde und in seinem Akrostichon;
2) sein Keimgebrauch.
— 38 —
Zu 1). . ünverschobenes d: ürk. viscliirstade.6; geldis; (ge.
sg.) 3. .
Verschobenes t : genantin Akr. 8, sammente Akr. 9.
Zu 2). Dass in der Sprache R.'s gerni. d z. T. noch un-
verschoben war, beweisen uns zahlreiche Reime von t : d (= germ.
d : J)), die sporadisch neben Reimen von t:t und d:d auf-
treten.
Nach Vokal.
(dar-, her-)mete : (gotis-, un-)frede RSp 8 =, Pa i = mal,
: (dawedir-)r§de RSp 3 = mal (auch in El), : gelede RSp, lidin
:strltin RSp 2 = : gezcitin RSp 1 = RZ 2 =- mal (auch in El),
lidit : stritit RSp, mid in : gezcitin RSp, RZ, stgtiii : r^din RZ, El,
geledin : statin RZ, r^de : sete, : irbete RZ, : stete El, : mete RZ, El,
: st^te RZ, frede : säte RZ, gelede : damete Pa u. s. w.
Nach Konsonant.
(da-)hintin : findin, : kindin El, Wi, blintin : kindin El, RSp;
balde : voralte (inf.) RSp, : (ent-)halte (inf.) RSp 2 =, RZ l =,
Pa= 3 mal (auch in El), bilde : hilte RSp, : milte RZ, El, : her-
schilte RSp 2 =, felde : gezelte 3 = mal, : gelte (inf.) RSp, (un-)
saldin : altin RSp, : (ent-, be-, ge-)haltin RSp 1 =,' Pa 2 =, RZ
4 = mal, (un-)salde : behalte RSp 2 = mal (El), meldin : geltin,
• bescheltin RSp, meldit : heltit RSp, melde : gelte (subst.) Pa,
schuldin : gultin, (un-)schuldig : (un-)gedultig RSp, El, vorschuldit
: dultit RZ, wilde: schilte RSp 3 — mal, golde (subst.) : wolte Pa,
goldin (adj.) : soltin El u. s. w.
Auslaut.
Wie im Inlaut ist auch im Auslaut die Verschiebung des
germ. d > t nicht durchgedrungen : auch hier stehen d und t
nebeneinander.
1) ünverschobenes d : ürk. sted 18, werdikeid 18, sichirheid
20, Conrad 4, 11; Akr. stad-schriber 3, stad i), behegelichkeid 12,
land-grauinnen 15. — Zu t verschobenes d : Akr. gebort 21, tvsint
21, 27, genant Akr. RSp, mit ürk. 18.
2) Reime von t : d (= germ. d : J)):
leid : -heit RSp 13 =, R Z 1 =, Pa 7 = mal, (ge-)ward
[: Bernhart,] : uffinbart, : gekärt RSp, : zcart, : unbewart, : fart Pa»
-_ a9 —
El, geled : darmet ESp, smert : daimet Pa, kind : sint ESp 6 = mal
(El), : blint BZ u. Pa je 1 = mal, feld : gelt ESp, werd : swert
ESp 6=, : begert ESp, El u. Wi je 1 = mal, bad (subst.) : sat
ESp, fand : genant ESp 1 =, Pa 2 = mal, :irkant, : vorbrant,
: hant, : lant Pa, El, damit : lid El, ungedult : Unschuld El, Wi
u. s. w.
§ 47. 3. germ. g.
Auslautendes germ. g (= mhd c) ist in der Sprache unseres
Dichters als Verschlusslaut anzusehen: es hat sich also noch nicht
zur Spirans entwickelt. Das beweisen uns die Eeime von (inlaut.)
g:(inlaut.)k — ein Eeim von g : ch fehlt — , das beweist uns
ferner E.'s eigene Schreibung g (seltener c) für germ. g im
Auslaut.
Solche Eeime von g : k finden sich sporadisch in ESp, EZ,
Pa, ElundWi : gesrauc : ungefug ESp, : trug EZ, danc : twang
ESp, Pa, werc : Babinberg ESp, kranc : bedräng (subst.) EZ, : rang
Pa, gec : enweg EZ, tranc : muzeggang EZ, irschrac ; lag Pa,
gesraac : tag Pa, irtranc : lang Pa, danc : angefang Wi, sang (verb.)
: danc, gesang (verb.) : gedanc El, berg : werc, tag : irschrac, ge-
stanc : drang El u. s. w. ^).
Aus E.'s Urkunde und seinem Akrostichon sind noch folgende
Belege hinzuzufügen:
ürk. Schilling 9, 14, 16, teig-scherre (Eigenname) 6; iclichis,
iclicher 5, 7, ewiclichin 19. Akr. Cruzceborg 1 (auch in Akr. ESp),
Swarczborg 18, zwenzcig 22, tag 29.
§ 48. 4. germ. b.
Spirantische Aussprache des inlautenden germ. b ist uns
durch die Eeime von f (v) : b gesichert, die sporadisch bei E. be-
gegnen :
*) In El findet sich V. 3438 schoinbar ein Reim von g : oh in lag : sprach,
der aber als unrothisch zu beseitigen ist. Der Zusammenhang macht es
zweifellos, dass R. lag : pflag gereimt hat (vgl. auch V. 3264 lag : pflag).
El 3438:
Dyselbige fraw nicht ferne lag
Desselben gebets sy euch „sprach" (I).
— 40 —
grßvinruzw^bin RSp 693, hüvin (Hnfen) : ubin RSp 2199,
hofe : lobe RZ 784, büferie : düberie RSp 34, swävil : nebil Pa
1652, nevin : gegebin Pa 369 (in El u. Wi unbelegt).
Für den Auslaut fehlt ein beweisender Reim von f : b. —
Aus Akr. ist noch zu erwähnen: schreib 9, also mit Ausbleiben
der Verhärtung des ausl. b > p.
II) Sonstige konsonantische Ersehelnungren.
§ 49. 1. ht:cht.
Für mhd. ht ist bei R. die Schreibung clit durchgeführt: dem-
gemäss wird altes ht zu cht gereimt:
mäht : gemacht RSp, zcweitraht : gemacht Pa 2 = mal, gealit
(ge-)macht RSp 3 = mal, niht : (ge-)bricht RSp 12 =, RZ 1 = mal
u. s. w., : spricht RSp 8 =, RZ 2 = mal u. s. w., ahte : machte
RZ, Pa, irtraht(e) : macht(e) RZ, Pa, riht : spricht RZ, naht :
entwacht, nahtin : bewachtin, mäht : swacht, riht : irslicht Pa, ge-
macht : naht El, machte : ahte El, niht : gebrieht Wi u. s. w.
Entsprechend schreibt R. für mhd. hs „chs". Aus Urk. und
Akr. sind folgende Belege beizubringen:
ürk. fastnachthuner 3, 6, achte 3, vastnaclithucn 7, 9; sechs
(sechs) 8, 10, 11; Akr. dirlvchtin 13, 14, tochtir 19, godcclite-
nissis 19, voUinbracht 20.
§. 50. 2. Ausstossung eines h.
a. Zwischen Vokalen.
mhd. naeher und na^hest reimen bei R. als ner (: her RSp
893, 1957 und El 1893) und nest (: gewest RZ 11G4; allirnest
: gewest El 428). — üeber Formen wie van (< vähen), gesehen
(< geschehin), geschiet (< geschihet) u. s. w. vgl. die einzelnen
Verba § 55 und dazu § 57.
b. Nach 1. mhd. bevelhen steht als befelin im Reim, so zu
stelin RSp 2121; weiter befolin (: zcoUin) Pa 1194, (: unvorholin)
El 688, beval (: obiral, : zcal) El 3200, 39GG.
c. Zwischen r und t.
mhd. vorhte reimt als forte (: werte) RSp 2866, fortin (: wortin)
RSp 1994, 2926, (gotis-)f ortin (: wortin) EI 65, 2358.
- 41 ^
d. Im Auilaut.
mhd. hoch = liö, so reimt hö zu festem 6 (: zwo, ; dö, : also)
BSp 601, 182«), 3573, hö : also Wi 54, hölich : frölich RSp 1989;
nä (:dä) El 334, 1700, 4001, mhd. nähe, iiä; mhd. schuoch reimt
als scliü (: darczu) Pa 1 873.
§ 51. 3. Metathese des r.
Vereinzelt findet sich Methathese des r : forst (= nihd. vrost,
: dorst) RSp 3750, derte (= mhd. drite, : gef^rte) RSp 140->, El
4002, dertin (: gefgrtin) RSp 690, eiitbornin (: zcornin) El 612.
C Giiarakterlstlscbe Formen einzelner WOrter und
Wortblidnngssoffixe.
I) Substantiva.
§ 52. mhd. herre, herre. Die Rothesche Form für das
mhd. l.erre, herre = dominus ist liere. So reimen here, herin stets
zu -ere, -erin : here ; beswere RZ, : meiere Pa; (banir-)herin : erin
RSp 1 =, RZ 2 =, Pa 1 = mal, : kerin RSp u. Pa je 1 =, : ge-
merin RSp 1 =, : lerin Pa ! = mal. Auch in El reimt herin
(und Komposita) stets zu sicherem -erin (bezw. -jerin), so 456,
716, 758 u. s. w. In Akr. begegnen tumeherre 6 und herin 21;
bei letzterem schwankt Bech zwischen herin und herrin; die
Formen here und herin sind aber zweifellos für R. das Richtige;
in dieser Hinsicht ist also das Akrostichon noch zu berichtigen :
tumehere 6 und (sicheres) horin 21.
mhd. lere (=doctrina). Neben lere, 1er stehen auch läre,
lär im Reim : Jer : lerer, : Romer RSp, : mer Pa, lere : beswere RZ
: were, : sere Pa, ; ere El, lerin (dat. pl.) : erin RSp; neben diesen
8 e = Formen haben wir 6 ä = Formen : läre : uffinbäre RSp, Pa,
: järe El, lär : dar RSp 2 =, : jär Wi 1 = mal.
mhd. saelde. Das mhd. st. f. saelde erscheint in der um-
lautloseu Form saldo : so reimt saldo im ganzen 1 1 = mal zu
festem a : (un-)salde : behalde RSp 2 =, El 1 = mal, (un-)saldin
: (be-, ge-, ent-)haldin RSp 1 =, RZ 4 =, Pa 2 = mal, : aldin RZ.
mhd. jugent, tugent. Für mhd. jugent und tugent scheint
R. jogunt und togunt gesagt zu haben; beide Wörter begegnen
— 42 —
allerdings nur in neutralen Eeimen in RSp 5 =, RZ, El und Wi
je 1 = mal
mhd. licham. Die Rothesche Form ist wohl licham (: quam,
: gehorsam, : gram) RSp, (: genam) Pa; daneben einmal zu hän
El (3839); ein entstelltes lichnam ist nicht sicher nachzuweisen;
leichnam findet sich in der ganz unrothischen Schreibung von El *).
Das Suffix -nisse, -nüsse.
Im Reim steht das mehr md. -nisse; obd. beliebtes -uüsse
fehlt: so haben wir bekentenisse (.-gewisse) RSp "2775, liepnisse
(: gewisse) RZ 560, gedechtenissin (: wizzin) El 1972; dazu „ge-
dechtenissis" AJkr. 19.
Das Femininsuffix -inne, -in, -in^).
Häufig steht sicheres -inne im Reim : eselinne (: anbeginne)
RSp 531, koniginnin (: gewinnin) Pa 397, 492, kouiginne (: ge-
winne) El 857, forstinne (: sinne) El 882, marggrafinnc (: gewinne)
El 1730, landgrafinnin (: beginnin) El 1775, bürinne (: sinne)
El 2999, dinerinne (: sinne) El 3504 und herzcoginne (: gewinne)
El 4080.
Diese Belege für -inne werden durch folgende Formen aus
dem Akrostichon gestützt: forstinnen 14, landgrauinnen 15 und
marggrafinnen 16. — Den 13 sicheren Substantiven auf -inne
steht nur ein sicheres Feminimum auf -in gegenüber : mithelferin
:in') El 985; neutral bleiben folgende 5 Reime: landgrauinne
: forstinne Wi 113; landgrauin : sin (dat. sg.) El 899, 1295, 1690
und Wirtin : sin (dat. sg.) El. 2648. Für die letzten 4 Belege aus
der schlecht überlieferten „Elisabeth'' werden wir wohl annehmen
dürfen, dass unser Dichter landgrauinne : sinne u. s. w. gereimt hat. —
Ergebnis: R. gebraucht gewöhnlich das Femininsuffix -inne
im Reim; -in (-in) ist daneben selten.
Die Deminutivsuffixe -lin und -chin.
Im Reim steht ausschliesslich das sonst mehr obd. Deminutiv-
suffix -lin (Reimbequemlichkeit!) : buchelin(: min) RSp, kindelin
*) licham : -am ist Kriterium für Franken. Vgl. Zwierz. Z. f. d. A.
45, 97 ff.
>) Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 78 flf.
■) üeber langes in in der Sprache R.'s vgl. § 54.
— 43 —
(:mln) Pa,- (sin :) bnchelln ESp 1 =, : fingirlln 4=, (rubin :)
wengelin 1 = mal, tochtirlin (: sin), fingirlln (: min), (: sin) El. —
Ausserhalb des Beims finden sich -lin und -chin nebeneinander :
und zwar begegnet in ESp nur 2 = mal -lin in fingirlln (ein
-chin fehlt), in Pa dagegen nur -chin (in knechtchin, ledichin^
kindichin, körschin, stuckichin u. s. w.), [hier fehlt ein -lin]. In
El stehen -lin und -chin ausserhalb des Eeims nebeneinander, so
haben wir tochtirlin, kindelin, fingirlln, gebetlin, lemlin neben
lidichin, bildichin, gebetichin. - In BZ und Wi fehlen sowohl
-lin als auch -chin (innerhalb und ausserhalb des Beims).
ü) Ac^ektlva.
§ 53. 1. Dass B. bei den Adjektiven des Stoffes auf -in die
volle Endung bewahrt hat, beweist der Beim silberin : fln Pa 340
(in ESp, BZ, El und Wi ist ein solcher Beim nicht belegt).
2. -lieh, -llch^.
In den Eeimen unseres Dichters sind das unflektierte Adjek-
tivum und das apokopierte Adverbium auf -lieh zusammengefallen,
sodass wir sie hier zusammen behandeln wollen^).
Ich unterscheide: 1) selbständiges glich, teils unflektiertes
Adjektivum, teils gekürztes Adverbium. 2) -lieh (in der Kompo-
sition), teils unflektiertes Adjektivum, teils gekürztes Adverbium.
Dieses glich nun und ebenso -lieh reimen 1. zu sicher kurzem
-ich (wie ich, mich, dich, sich):
1) glich, unglich:sich ESp 101, 1086, 3949, Pa 310,
EZ 255.
2) gemelich : dich ESp 327, lobelich : sich ESp 3168, (un-)
gewonlich : sich ESp 3543, El 1791, eigintl ich : mich Pa 1459,
unerlich : dich ESp 1042, sichirlich : ich, : mich, : dich ESp 3971,
El 1245, 2191, 3617, jemmirlich : sich, : mich Pa 23, 1901, El 342,
unsubirlich : sich Pa 543, sundirlich : sich Wi 99, swerlich : sich
El 3346, heimlich : mich El 1237, barmiglich, inniglich : tnich,
:dich El 3155, 3422.
*) Ich setze im folgenden absichtlich keine Längezeichen.
') Denselben Zusammenfall hat Zwierzina für die md. „Erlösung" nach-
gewiesen. Z. f. d. A. 45, 84. A. 5.
— 44 -
2. Schwanken könnte man znnachst in Bezug auf folgende
Bindungen von -lieh ; -rieh (in der Komposition):
Zu 1). glich : franckriih Pa 597, El 15'>.'i, Wi '215, : konij,nich
RZ 790, : Ostirrich El 207, : crdrich El 270, 451, Wi 54, : Heinrich
El 2144, 2228, 3874.
Zu 2). gemelicü : franckrich RZ 1 106, suhirlich, gemechlich
: Ostirrich El 1758, 2270, weltlich : erd rieh El 1070, adelich
: Fridcrich El 38(>7. — Indessen -rieh in dm* Komposition ist bei
R. überkriegend auf Kürze gereimt, nämlich ertrich (d;it. sg.) : sich
RSp 222, Ostirricli (dat. sg.) : sich El 297, 18:i7, Friderich (no. sg.) :
sich El 10, 2108, Heinrich (no. sg.) : sich El :52, 351, 248G, 4070.
Diesen 9 sicheren Bindungen von -rieh in der Komposition zu kurzem
-ich können wir in*RSp, RZ, Pa, El u»d Wi nur 2 Bindungen
von Kompositions -rieh : langem -ich gegenüber stellen in himilrieh
:tich RZ 113 und Ostirrich : tich Pa 1655»).
Demnach ist auch für die unter 2. gegebenen Belege Kürzung
des i in glich und Kompositions-lich d:is Wahr^choinlirhtie (und
weiter auch für die zahlreichen neutralen Bindungen).
Ergebnis: R. reimt glich und -lieh (in der Komposition),
beide teils unllektiertes Adjoktivum, teils apokopiertes Adverbium,
überwiegend zu sicherer Kürze, viellcii ht daneben auch selten zu
Lange.
Von den 5 Klassen, die Zwierzina für adj. -lieh, -lieh auf-
stellte, haben wir unseren Rothe in die 1. Klasse zu stellen: „-lieh
ohne Nebenform (meist alemannisch und rheinfränkisch).'^ Denn
wir haben überwiegend sichere Kürze in -Hch, aber keine einzige
sichere Länge. R. stimmt also in Bezug auf den Reimgebrauch
von -lieh überein mit Albert, M. Himmelfahrt, Herb., Eraclius,
Erlösung u. s. w. (Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 89).
III) Advepbla.
§ 54. -liehe, -liehen. Neben -lieh ist die Rothesche Form
des Adverbium -lichin (selten -liehe). So reimt demutlichin : richin
Pa 992, sichirlichin : desglichin RSp 111)3, hochferticlichin : glichin
RSp 1098, teglichin : derglichin, zeitlichin : entwichin, raanig-
*) Ein selbständiges Substantivum rieh, das Reich und ebenso ein Ad-
jektivum rieh fehlen in den Reimen R.'s ganz (RSp, RZ, Pa, El, Wi).
- 46 -
feldiglichin : richin, [hertiglichin : Heinrichin] El 1 155, 2416, 2778,
2877; daneben haben wir einmal ewicliche : gerithe Pa 1361). —
Der Verl*, der g. Frau, der des Servatius und Konrad von Würz-
burg wechseln ähnlich wie R. im Adv. auf -liehen und -liehe ab').
adv. in, in-). Die meisten Dichter gebrauchen das Prä-
positionaladverb in kurz, so schon Otfried, dann Hartmann, Fleck,
Budolf von Ems u. s. w. Wolfram dagegen kennt nur langes in,
ebenso Franken und Rheinländer. Einige Alemannen wechseln
zwischen m und in. Bei R. nun reimt das adv. in (von einem
neutralen Fall abgesehen) stets zu sicherem -in, in RSp, RZ, Pa,
El (und Wi) zusammen 33 = mal : (hir-, dar-, hin-)in ; (vvedir-)
schin RSp 2 =, : sclirin Pa 1 =, : sin (inf., pron.) RSp 6 =,
RZ 2 =, Pa 1 =, El 10 = mal, : pin RSp 2 =, : win RSp u. El
je einmal, : lin, : Augustin RSp, : Katherin El 2 = mal, : rin
Pa 2 =, : swin El 1 = mal; neutral bleibt in : mithelferin El
(aber auch hier ist in : -in das Wahrscheinlichere)^).
Sit, sint und sider. Es stehen nebeneinander im Reim:
sint und .-edir, so sint (: kind) RSp 1459, El 2C47, 2952, (; se-
gilwint) Pa957; sedir (: wedir) RSp 555, Pa 20, 1725. Ein sit
fehlt. — sint ist nach Zwierzina die md. Form, wird aber z. B.
im Nib.-L. neben sit und sider verwandt. Bei Herbort und
Ölte stehen sint und si<ler nebeneinander im Reim, während sit
selten ist*).
schier, schiere. Für das mhd. Adverbium schier, schiere
gebraucht R. die Formen scher, schere und schir, schire neben-
einander im Reim; jedoch überwiegen die e- Formen (Reim-
bequemlichkeit!); scher : mer RSp 199, Pa 642, schere : lere
ESp 1898, : ere RSp 39u0, El 1045, 3207, : raere (= mhd. m«re)
Pa 35, : were Pa 1200, 1485, El 393, : predigere El 4038, scher:
wer (= esset) El 315, 999; daneben schir : mir Pa 515, 915,
1512, Wi 135, : ir El 1936 [schire : Tryre Wi 202]; neutral
sind schir : vir El 22, : tir RSp 623, : panir 3717 (vielleicht
scher : ver u. s. w.).
») Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 94 ff.
■) Vgl. Zwierz., a. a. 0., S. 71 ff.
') Ein dat. drin ('= tribus) ist nur einmal belegt: drin : dahin El 1028.
*) Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 4j, 96 f.
— 46 —
sus-,' sust. Häufig wird das bequeme adv. sus, alsus im
Reim vorwandt, daneb,en steht selten sust; die Form sunst, die
sonst noch im Mhd. begegnet, fehlt, sus, alsus reimt 28 = mal
zu sicherem -us (RSp 1 1 =, BZ 2 =, Pa. 10 =^, El 5 = mal), da-
neben haben wir nur 4 = mal sust, alsust : -ust (ßSp, ßZ, Pa
und Wi je 1 = mal). — Besonders gern reimt (al-)sus zu der
lateinischen Endung -us (: Gregorius, : Boecius, : Pilatus u. s, w.)
in ESp 10 ^^, RZ 2 =, Pa 10 =, El 5 = mal (Reimbequemlicji-
keit!). Ausserdem finden wir 1 = mal ummesus : muez RSp 1445,
alsust, ummesust reimt zu vorlust RSp 2899, : brüst RZ 202,
: must Pa 1222 und : lust Wi 129.
mit, mite. Das mhd. Adverbium mit, mite wird in den
Reimen R.'s wiedergegeben durch m6d, mede (bezw. met, mete).
Es begegnet häufig in Zusammensetzungen wie darmede, liermede
u. a. mede (mete) steht 26= mal im Reim (RSp 14 =, RZ 2 =, Pa
2 =, El 8 = mal), med (met) nur 12 = ynal (RSp, Pa je l = mal,
El 10 = mal, : Elisabet!). — In R.'s Urkunde lesen wir einmal
„mit" (18). — Vgl, auch SS. 23 und 29.
gar, gare und dar, dare. Die Adverbien gar, gare und
dar, dare reimen als gar und dar zu festem -ar und -är. gare
und dare finden sich nur in neutralen Bindungen, auch ein
garwe^) ist unbelegt. Im übrigen vgl. § 42.
IV) Verba.
§ 5[). län, läsen (und Komposita). Für den infin. be-
gegnen län und läzin (bezw. apok. läze) nebeneinander: so (abe-:, vor-)
län : daran RSp 2 =, : man Pa 1 = mal; daneben (ge-)läze : mäze
RSp 4 =, : gesäze 1 = mal, : sträze RZ 2 =, Pa 1 =, El 1 = mal,
vorläze : sträze El, läze : sloze RSp, El, geläzin, läzin : geäzin Pa,
: vormäzin El. — Die 3. sg. ind. präs. lautet mit Umlaut let
(oder „zerdehnt" lehit): let : slet RSp, (vor-)lehit : gehit RSp,
: vorstehit RZ, : wedirstet Pa. Die 3. sg. conj. präs. ist einmal
belegt in vorläze : vorwäze RSp 3918. — Das partic. präter. reimt
1 = mal in der unkontrahierten Form irläzin : vorwäzin RZ 658.
Das präter. endlich bogognet 7 = mal in der Form liez, liz im
Reim, so liz : hiz Pa 13, 146G, El 1748, 1987, 2308, : anblies
») Vgl. Zwierz. Z. f. d. A. 45, 1 flf.
— 47 —
El 400, ": vordriz 1875 ; ein präter. . lie' — die gew. mhd, Form
— ist unlyelegt ^). Den conj. präter, haben wir in lize : vordri^e
(inf.) El 1261. ;
kerte, lerte (und Komposita). Für das präter. erscheint
md. lärte, lärtin im Reim (: gebarte, : gebartin RSp), daneben
einmal kerte (; werte Wi 1 58). Das partic. präter. reimt 11 = mal
in der ä-Form, daneben einmal in der e-Form: (ge-,vor-)kärt :
(bG-)wart BSp 2 =, : art 1 =, : hochfart 2 =, : raerfart El 1 = mal;
gelärt, ■ wolgelärt : art RSp, RZ, : (ge-)uffinbart RSp 1- ==,: El
2 = mal. Neutral bleiben (ge-, vor-^ be-) kärt : (wol-)gelärt RSp
2 F=, El 1 = mal. Neben wolgelärt findet sich 1 = mal wolgelerft
(: unbeswerit RZ 543). In der Pa ist keine der genannten Formen
belegt (Zufall!): die Infinitive kerin und Ißrin dagegen begegnen
(auch hie^O häufig (547, 589, 691 u. s. w.). . .
entseben. Folgende Formen stehen im Reim: enzcebit ;
(vor-)gebit RSp 2 =, RZ 1 = mal, : irhebit RSp^ enzcebin (3. pl.)
: vorhebin RSp, : beschrebin Wi, enzcebin, enzcebe (inf.) : getrebin
RSp, : üfhebe Pa; das präter. heisst enzcub (: irhub Pa, enzcu-
bin : uzgrubin Pa), ein entsebete (entsebet) fehlt. Das partie.
prätor enzcabin reimt zu (ir-)habin RSp 3 =, Pa 1 =, : getragin
RSp 1 =, : grabin Pa 1 = mal.
sagen (and Komposita). Neben den häufigeren Formen
mit a stehen auch e-Formen (mit Analogieumlaut) im Reim: und
zwar reimt im ganzen sagin (und Komposita) 41 = mal, (RSp
4, RZ 5, Pa 9, El 22, Wi 1), daneben sqgin (und Komposita)
15 ■-= mal (RSp 9, RZ 1, Pa 3, El 2). Ich führe nur die Belege
für sogin an: (ange-, wedir-, uz-, nach-)segin : gekregin RSp 1=^,
: (ge-)phlegin RSp 3 =, El 1 =, : (ir-) wegin RSp, RZ, : fegin
RSp, : undirwegin Pa, El, : gelegin Pa, gesegit : angelegit RSp,
sogist : phlegist Pa; enzcegin : degin und : undirwegin RSp.
schämen. Die R. geläufige Form ist schemin, es begegnet
15 = mal im Reim, daneben steht nur 2 = mal schamin (in RSp).
So haben wir scheme(n) : nerae(n) RSp 5 =, RZ 2 =, El G = mal,
schemit : vorfemit RSp, schemin : Bremin El.
suln, süln. In der 2. sg. ind. präs. reimt einmal das md.
Salt (: gostalt Pa); in der 3. stehen sal und sol nebeneinder : sal
*) Fast nur liez hat Wolfram im Reim. Vgl. Michels, Mhd. Eiern.
§227A.
- 4ö -
: abefal RSp 1 =, : kal 1 =, : obiral 3 =, : zcal 1 = mal, : alzcu-
raal BZ. Daneben sol : wol ESp 4 =, BZ u. El Je i = mal.
Der plur. piiis. ist nur in der Urkunde als „sullin*' (4) bele^'t.
Das Präteritum lautet solde, soldit, soldin. So solde : golde BSp
3 =i : wolde El 2 =, soldit : woldit Pa 1 =, soldiu : woldin Pa
1 =, El 2 =, : goldiu El l = mal.
wellen. Von „wollen" sind durch den Beim festgelegt die
Formen wel (= mhd. wil) für die 1. und 3. sg. ind. präs. und
wolde, woldit, woldin für das Präteritum; der plur. piäs. fehlt.
(BSp, BZ, Pa, El, Wi, ürk. und Akr.) 1. sg. w6l : vel RSp;
3. sg. wel : sßl BSp l ==, : vel BSp, BZ, El und Wi je I = mal,
: (seitin-)spel BSp2=, : Ezechiel l =, : Israhel BZl =mal. — präter.
wolde (wolt) : golde Pa, : solde (: holt, : solt) El G = mal, woldin :
soldin Pa 1 =, El 2 = mal, woldit : soldit und wolde : wolde (!) Pa.
hän, haben. Für den ind. präs. sind die herrschenden
Formen hän, häs[t], hat, hän, für den infin. hän. Daneben kommen
sporadisch Formen mit b vor. Dreimal begegnet für die 3. sg. ind.
präs. die (thüringische) Form het im Beim. Das präter. lautet hatte,
hattin (ind.) und hette (conj.), das partic. präter. gehät. — hän
(1. sg.): man BZ, Pa, : dan BZ, : volusian, : vespesian Pa, : -an,
: -an El 3 =, Wi 1 = mal; häs[tj (2. sg.) nur einmal in häs : daz
BZ 960; hat (3. sg.) : stad BSp 8 -=, BZ 8 ==, Pa 5 = mal,
: (un-,misse-)täd BSp häufig (617, 1453, 1893 u. s. w.), Pa l =
mal, : sad BSp, BZ, : mad BSp, : räd BSp, : -at, -ätEl 1 1 = mal;
hat (2. pl.) : -at El 1 = mal; hän (3. pl.) : an BSp 4 =, BZ 1 =-
mal (gehän), : kan BSp 2 =, : enphän 1 =, : man BSp 3 =, BZ
3 =, Pa 1 = mal, : dan, : wän BSp, : wolgetän BZ, : -an El u.
Wi je 1 = mal. het (3. sg. ind. präs.) : nazareth Pa 1239, :
Elisabeth El 2630, 3823. — hän, gehän (inf.) : man BSp 5 ^,
BZ 7 =, Pa 4 = mal, : an BSp 7 =, BZ 3 =, Pa i> = mal, : getan
BSp 2 =, Pa 1 = mal, : kan BSp 5 =, : undirtän, : vorstän BZ
2 + 1 = mal, : Judan Pa, : -an, -an El 19 — mal. — präter. ind.
hatte : schatte BSp 1 =, : (en-)statte BZ 2 =, Pa 1 =, : (be-)
statte El 7 = mal, hattin : (be-,ge-)stattin El; conj. hette :
obiltette (subst.) Pa. — Das partic. präter. steht 3 = mal in der
kontrahierten Form im Beim : gehäd : -at Pa 848, El 1516, 3057.
Neben den kontrahierten Formen von „haben** finden sich
folgende Formen mit b: 1. sg. ind. präs. habe : -abe J]l 2 = mal,
— 49 —
3. eonj. (ge-)habe ; abe RSp 1 =, : gäbe BSp 2 = mal, 1. pl.
habin : begrabin Pa, 3. pl. : stabin RSp. — inf. (ge-)habin : (be-)
grabin BSp 4 =, BZ 1 =, Pa 2 =, : -abin El 3 = mal, : enzcabin
BSp u. Pa je 1 = mal, (ge-)habe : abe BvSp 4 =, Pa 2 =,
El 2 = mal, : snabe BSp, habin : stabin BZ. Urkundlich bezeugt
ist zweimal „ich habe" (17, 18).
beginnen. Von beginnen ist zu erwähnen, dass neben dem
starken Präteritum began, begunnin auch das schwache begunde,
begundin im Beim steht. Ein begunste, begonste, das sonst auch
im Thüringischen begegnet, fehlt, began : zcuvoran El 2396, :
gewan Wi 205, begunnin : gewunnin BSp 253; begunde : -unde
BSp 2364, El 95, 515, 3605, begundin : -undin Pa 138, El 2578,
3440. Das partic. präter. reimt regelmässig als begunnin
(: sunnin BSp 1590, 3295, ; kunnin 2822).
kunnen, künnen. Die 1. u. 3. sg. ind. präs. kan steht
häufig im Beim (: man, : an, : dan u. s. w.). Von den übrigen
Formen sind belegt : die 3. pl. ind. präs. kunnin (: be-, ingunnin
BSp, ebenda : unvorsunnin, : ingewunnin, : besunnin BZ); 3. conj.
präs. kunne (: gunne BSp neutral!). Das präter. lautet künde, kundin
(: stunde Pa; : obirwundin, : fundin BSp, : stundin l*a 3 = mal; :
-unde, : -undin El 11 = mal); conj. künde (: frunde BSp 4==, :
gunde Pa 2 = mal).
turren, türren. Belegt ist nur die 1. sg. ind. präs. tar
(: bewar) El 2802 und das präter. torste (: forste) BSp 722.
megen, mugen. Häufig reimt die 1. u. 3. sg. ind. präs.
mag (: tag, : slag u. s. w.). Die 2. sg. steht zweimal im Beim:
macht : swacht Pa 1276, : nacht El 3562.
Von den übrigen Formen sind belegt: die 3. pl. mogin (: ge-
zcogin) BSp 3042 und (: entogin) BZ 990 (neutral!).
Den ind. präter. haben wir in mochte : brachte Pa 85, : tochte
El 1024, vormochtin : tochtin El 2249, den conj. in mochte : tochte
BZ 1178, El 2993, Wi 142.
komen. Von dem Verbum „kommen" ist zu erwähnen, dass
für das Präteritum die spezifisch md. Formen quam, quämin (: nam,
: gram, : gezcam, : nämin mit Kompos. u. s. w.) ausschliesslich
im Beim stehen. Der Infinitiv und das Partizip. Präter. heissen
regelmässig komin.
Heinrich, Studien zu Johannes Rotbe. 4
— 50 —
tuon. Von „tun" reimen häufig die Formen tut (3. sg. ind.
präs.) und tu (apok. inf.), auch das partic. präter. getan. Belege
finden sich SS. 19 und 27.
Vom Präteritum sind die 3. pl. ind, tätin, die 3. sg. ind. töte
(tet) und die 3. sg. conj. tßte zu erwähnen : tätin : (ir-)botin
RSp,Pa, : brätin RSp, : (ge-)rätin RZ. — tete (t6t) : gebete (ge-
bet) El 4 = mal; t§te : spete, : selgßrete, : bete El, : geb6te, : ge-
trete, : vorsm§te Pa.
sin, wesen. Die regelmässigen Formen bist, ist (auch ürk.
u. Akr.), si (3. conj. präs.); was, wärin; w6re und wßrin stehen
häufig im Reim. Für die 3, pl. ind. präs. reimt gewöhnlich die
mhd. Form sint (: kind, : wind, : vind u. s. w.) RSp 10 =, RZ 5 =,
El 6 = mal, daneben begegnet aber 3 = mal md. sin (Analogie
nach dem conj.) in sin : Augustin, : hirin RSp 2291, 4105, : in
El 2729. Der Infinitiv reimt als sin (bezw. apok. sl) in RSp
etwa 35=, RZ etwa 10=, El etwa 30= und Pa 5 = mal, da-
neben steht 4 = mal wesin (: gelesin RSp 397, 2606, Pa 293,
: genesin El 1073). Das partic. präter. heisst gewest' (md!) (: ge-
brest RSp 3897, : allir-nest RZ1164, El 428, : fest Pa 2032).
gunnen, günnen. Belegt sind die Formen gan, gunne
und ^unde. So reimt gan (3. sg. ind. präs.) : kan RSp, : hän El,
gunne (conj.) : kunne RSp (neutral!); gunde (conj. präter.) : künde
Pa 2 = mal (ebenf. neutral!).
müesen. Es findet sich die 1. u. 3. sg. ind. präs. muz
und die 2. sg. must. So reimt muz : ummesus, : Valerius RSp,
: fuez Pa; must : ummesust Pa.
wissen. Es stehen im Reim; die 3. pl. ind. präs. wizzin
und der infin. wizze, wizzin; so haben wir wizzin (3. pl.) : be-
schizzin RSp; wezze (infin.) : geledemezze RZ und wizzin : ge-
dechtnissin El.
tu gen, tu gen. Belegt sind folgende Formen: woltougin
(inf.) : ougin RZ, entugin (3. pl. ind. präs.) : mugin RZ (oder
: o); tochte (ind.) : mochte RZ 1 =, El 1 = mal, tochtin : vor-
mochtin El; tochte (conj.) : mochte El, Wi.
van, vähen; släii, slahen (und Komposita). Der Infini-
tiv beider Verba begegnet in kontrahierter Form und in Formen
mit h : (abe-)slän : hän RSp, : vorsmän Pa, enphän (enphä) : hän,
(: Avicenna) RSp; daneben slahin : gesähin; : enphähin RSp. Auch
— 51 —
in der 3. sg. ind. präs. haben wir beide Formen nebeneinander
slet : enphet RSp 2 = mal, : let RSp, : geschiet Pa, enphet : vorstet
BZ, : beget El; daneben vehit : irslehit RSp, slehit : gehit RSp
2 = mal, : geschiet Wi. — Das präter. von „van" reimt als fing,
das von slän als slug. Beide Formen stehen häufig iih Beim,
so z. B. (ir-)ging ; enphing BSp 829, Pa 1403, sing : gnug Pa
329 u. s. w. — Das partic. präter. reimt als gefangin bezw.
geslagin; (: enphangin, : vor-,be-,gangin) BSp 3 = mal, gefangin
: (be-,ir-)gangin BSp 1 =, Pa 2 = mal; : enphangin BZ, : be-
drangin, : gehangin Pa; (ir-, ge-)slagin : clagin BSp, Pa, : (vor-)
zcagin, : sagin BSp 4 = mal, vorslagin : sagin Pa u. s. w.
g§n, sten (und ihre Komposita). Für die 2. und 3. sg.
und pl. ind. präs., sowie für den infin. begegnen in weiterem
Umfange sogenannte „zerdehnte" Formen, wie gehist, gehit, gehin
bezw. stehist, stehit, stehin ^). Diese h = Formen stehen auch
im Beim zu altem h : aber die alten intervokalischen h sind auch
nicht fest, und so ist es schwer festzustellen, inwieweit die h =
Formen der Sprache B.'s selbst angehören. In seiner Urkunde
und in seinen Akrostichen sind sie nicht belegt, in Urk. findet
sich nur einmal sted (18). — Neben den zerdehnten Formen
stehen sporadisch auch die alten Formen gest, get, gen (bezw.
st§st, stßt, stßn), und zwar verwendet B. im Beim gewöhnlich e =
Formen, nur von sten sind 2 ä = Formen belegt. Für das präter.
haben wir die Formen ging, gingin und stund, stundin; für das
partic. präter. werden gegangin, gegen und gegehin bezw. gestandin,
gesten und gestehin nebeneinander im Beim gebraucht.
Ich lege nun aus BSp, BZ und Pa das Material vor (die
Untersuchung der Beime von El und Wi ergab in Bezug auf die
Verba „gehen" und „stehen" keine neuen Besultate):
1. „gehen", „stehen" (und ihre Komposita) reimen unter sich.
a) in zerdehnter Form : 2. sg. ind. präs. gehist : gestehist BSp.
— 3. sg. ind. präs. gehit : -stehit (vor-, nach-, dorch-, : vor-, be-,
dorch-) BSp 4 = mal. — 3. pl. ind. präs. (umme-, undir-, be-)
gehin : (wedif-)stehin BSp 4 =, BZ 1 = mal. — 3. sg. conj.
*) Sie entstanden aus dem Bestreben, die Verba g^n und sten in den
Präsensformeu den Verben mit Bindevokal gleich zu bilden und sind im Md.
seit d. 14. Jh. nachweisbar (vgl. Weinh.« §§ 245. 352).
4*
— 52 —
präs. (abe-)gehe : bestehe ESp. — infin. (ge-)gehiii : (vor-,be-,en-)
stehin ESp 4 =, Pa 2 = mal.
b) in alter' (mhd. Form) : 3. sg. ind. präs. (obir-)get : (be-)
stM ESp 1 =, EZ 1 =, Pa 2 = mal; 3. pl. ind. präs. (umrae-)
gen : (vor-)st6n EZ 3 = mal. — infin. (vor-)gen : (vor-)sten EZ
1 =, Pa 3 = mal.
2. reimen zerdehnte Formen von gen und sten zu Formen
mit altem h.
a) gehin. 3. sg. ind. präs. (nach-)gehit : geschehit ESp, :
slehit ESp, : sebit ESp u. EZ je 1 ==, Pa 2 =mal, : vorsmehit
ESp, Pa. — 2. pl. ind. präs. ummegehit : flehit ESp. — 3. pl.
ind, präs. (be-, vor-)gehin : lehin (subst.) ESp, : (ge-)sehin ESp
3 =, (: vor-, be-)s6hin EZ 2 = mal. — partic. präs. gehinde
: sehinde Pa 2 = mal. — infin. (en-,ummege-,be-,ir-)gehin : (be-,
ge-)sehin ESp 7 = EZ 1 = mal; : geschehin ESp 3 =, Pa 1 = mal,
: drghin ESp.
b) stehin. 2. sg. ind. präs. vorstehist : vorsehist EZ. — 3. sg.
ind. präs. (vor-)stehit : (ane-,vor-)sehit ESp 2 =, : wehit 1 = mal.
— 3. pl. ind. präs. wedirstehin : flehin ESp. — infin. (vor-, be-,
ir-, ent-, ane-)stehin : (ge-, ir-, vor-, be-, an-)sehin ESp 3 =, EZ
= mal, : (vor-)jehin ESp, Pa, : lehin (subst.) ESp.
Neben diesen „zerdehnten" Formen von gen und sten haben
wir folgende mhd. Formen : 3. sg. ind. präs. (umme-)get : ge-
sehnt, geschiet ESp 1 =, EZ 2 = mal, (wedir-, vor-, en-)sted
: gesched ESp 2 =, : (vor-)let EZ, Pa, : twet, : enphet EZ. —
3. pl. ind. präs. sten : gesehen EZ. — 3. sg. conj. präs. (vor-)
ste : nummirme EZ, : gesche. — infin. (ge-,vor-,nmme-,en-)gen,
-ge : me ESp 2 =, : Josuen ESp 1 =, : gesehen EZ 1 ==, : we
Pa 1 = mal; (vor-)ste : me ESp, : se Pa, : gesche EZ. Diesen
zahlreichen e = Formen können wir nur 2 ä == Formen gegenüber-
stellen : bestän (inf.) : man EZ 1139 und vorstän : hän 273. —
Präteritum, ging, ginge, gingin und stund, stundin (und ihre
Komposita) sind als Eeimwörter beliebt. Belege finden sich in §§ 13
u. 16. — partic. präter : gegangin (und Komposita) reimt in ESp 4 =,
EZ 1 =, Pa 9 = mal, (ge-)standin (und Komposita) in ESp und
EZ je 1 = mal. Daneben stehen die seltenen Partizipien auf -en,
-ehin 5 = mal im Eeim : durchgen : gesten EZ 853, ummegen
: gesehen Pa 842; irgehin : gesehin Pa 1020, (ir-, vor-)stehin :
— 53 —
geschehin, : gesehin Pa 1110, 1638. (In El stehen die Partizipien
[ir-, ge-] gehin, vorstehin und irgen auch einige Male im Reim.)
D. Zur Formenlebre.
I) Zar Deklination.
§56. 1. Im gen. und dat. sg. der starken Feminina nach
der i = Klasse und bei (dem alten u = Stamm) haut stehen in
den Reimen R.'s gewöhnlich die unflektierten (also umlautlosen)
Formen, die flektierten (umgelauteten) sind daneben selten : hoch-
fart (gen. sg.) : art (acc. sg.) RSp 194, kraft (dat. sg.) : rittirschaft
(acc. sg.) RSp 3505, stat (dat. sg.) : betrad Pa 477, : trat El 313, :
bat El 2570, fart (dat. sg.) ; wart El 1063 (u. ö.), gewalt (dat. sg.) :
manigfalt RZ 39 u. s. w. Daneben findet sich die flektierte Form
z. B. in obiltete (dat. sg.) : rete (acc. pl.) RZ 894. Widerstand
gegen den Umlaut in der flektierten Form zeigt der Reim gewalde
(dat. sg.) : halde RZ 299 (vgl. ausserh. d. Reims gewelde V. 619).
2. Im plur. stehen in den genannten Fällen umgelautete und
umlautlose Formen nebeneinander (Reimbedürfnis!). Den Umlaut
haben wir z. B. in hendin : endin RSp 437, : sendin Pa 1036, :
wendin Pa 1947, El 2550, kreftin : beheftin RSp 3970 u. s. w.
Daneben sind umlautlos : handin : schandin RSp 1078, : phandin
RZ 422, : vorstandin RZ 535, nachtin : bewachtin Pa 1096, handin
: landin Wi 218, manchirhandin : landin El 1454 u. s. w.
3. Gelegentlich ist das Endungs-e geschwunden (hauptsächlich
bei den starken 6 = Femininen) : sei (no. sg.) : wel RSp 106, lär
(no. sg.) : dar RSp 2841, lär (dat. sg.) : dar RSp 1956, 1er (acc.
sg.) : lerer RSp 1029, : Romer RSp 2581, lär (acc. sg.) : jär (acc.
pl.) Wi 15, er (acc. sg. = ere) : swer (no. = swehir) El 1636, 1er
(dat. sg.) : mer Pa 2021; unfur (no. sg, = mhd. unvuore) : flur
(acc. sg.) Pa 1707, ertrich (dat. sg.) : sich RSp 222, hüs (dat.
sg.) : üz RSp 2189 (u. ö.), behendikeid (no. pl.) : geleid RSp 2693,
cardinäl (no. pl.) : zcal (no. sg.) RZ 27, rin (dat. sg.) : sin Pa
455 u. s. w.
4. Auch für die entgegengesetzte Erscheinung, den Antritt
eines unechten e, haben wir einige Belege : keisere (no. sg.) : ere
RSp 449, Schilde (no. sg.) : wilde RSp 3310, dinge (acc. pl.) :
- 54 -
geringe BSp 2661, wlbe (no. pl.) : schrtbe, : bllbe El 632, 1702,
kinde (no. acc. pl.) : gesinde, : swinde El 1311, 2548 (u. ö.).
5. Bei den nomin. agent. auf -ere ist das Endungs-e, der
md. Neigung gemäss, in grösserem umfange erhalten geblieben;
daneben beweisen uns die Reime allerdings auch den Schwund
desselben. So ist e erhalten in rittßrin : erin BSp 1246, mertelSre
(acc. pl.) : ere BSp 1293, weppenere (no. pl.) : beswere BSp 3829,
: s§re BZ 185, wechtere (no. pl.) : sere BZ 163, kemerere (no. pl.)
: sere BZ 296, dinere (acc. pl.) ; ere BZ 680, richtere (no. sg.) :
kere Pa 695, wintrenkßre (no. pl.) : sere Pa 771, malere (dat. sg.)
: wßre Pa 894, meiere (dat. sg.) : here Pa 900, schopföre : sere El
3238, prediggre : schere El 4040. Neutral ist z. B. tregere :
phleg§re BZ 247. — Andererseits ist in folgenden Fällen das e
gefallen : rittir (no. sg.) : bittir BSp 902, 3217, kuwerittir (no. pl.)
: bittir BSp 961, seidener (no. pl.) : mer BSp 1237, Bomer (no.
pl.) : mer BSp 2849, BZ 1028, : ser Pa 2043, moller (acc. sg.)
ser Pa 619, romer (no. pl.) m§r Pa 1855; neutral sind fogeler
buteler BSp 3465, fleischower : lower BSp 3477 und Wucherer
mortborner BZ 887.
6. Im Plural der starken Neutra stehen gewöhnlich suffixlose
Formen im Beim, Formen aut -er sind daneben selten. Suffixlose
Formen haben wir z. B. in kindin : undirwindin BSp 190, : findin
BZ 821, : blindin Pa 1228, : dahindin El 1810 (u. ö.), kind (no.
acc. pl.) : sint BSp, BZ, Pa, El (häufig!), wip (no. pL) : lip BZ
249 u. s. w. Daneben stehen einige Formen auf -ir (in El) :
kleidir : leidir El 658, 1566, 1873, : beidir El, kinder : er El 4072.
7. man. Vom Substantivum man reimen flektierte und un-
flektierte Formen nebeneinander : man (und Komposita, no. acc.
pl.) ; hän BSp 3 =, BZ 3 =, Pa 1 = mal (auch in El), : an BSp
3 =, BZ 2 = mal (El!), : vespesian, : bau Pa, : getan BZ, dinstman
(ge. pl.) : an Pa 784, man (dat. sg.) : an Pa 1525. Daneben *
flektiert : (mer-)manne (no. pl.; dat. sg.) : danne BSp 427, Pa 73, ;
mannen i dannen BSp 2246, Pa 1794, El 1684 u. s. w. I
II) Zur Kolvjugatlon. I
Brechung : i-e; iu-ie.
§ 57. Der Wechsel von i und e in der Konjugation ist nach \
md. Eigentümlichkeit so ausgeglichen, dass im sing. ind. präs. und •
/
1
\
r
l
— 55 —
im iraperat. bei den Verben der 3. — 5. Ablautsreihe altes 6 für 1
;seht; solche e = Formen sind für die Sprache R.'s charak-
teristisch (v^l. die S. 28 f. gegebenen Belege). Daneben sind
aber Formen nicht unerhört, die das mhd. i noch haben. Sehr
bequem sind vor allem Reime wie gebricht : nicht (z. B. BSp 23,
372, BZ 992, Pa 1221 u. s. w.), ferner spricht : nicht (z. B. BSp
105, 149, BZ 690, 856, El 1263 u. s. w.), : bericht, : undirricht,
weiter auch Beime wie vorgist : ist BSp 360, vicht : nicht 1327,
sprich (imper.) : mich Pa 1212. Diese Formen sind hauptsächlich
dem Beirabedürfnis entsprungen : das Charakteristische für den
Beimgebrauch unseres Dichters bleiben aber die e — Formen. —
Aus B.'s Urkunde füge ich noch hinzu : gebe (1. sg.) 19.
Zu erwähnen sind endlich noch folgende Doppelformen :
1) geschßt, gescheit, geschehit und 2) geschit (< geschihet). BSp :
gesched, geschehit : gesmet, : gehit, : ensted 4 = mal, gescheit : ge-
sehit Pa876, : ansehit Pa 1308 ; daneben geschiet : get BZ 281, 1075>
gehit : geschiht El 3055, : sl6t Pa 1706, geschiet : slehit Wi 74.
Der Wechsel von iu und ie im Präsens der Verba nach
der 2. Ablautsreihe ist im Md. (schon seit dem 12. Jahrh.) in
der Art ausgeglichen, dass ie in die 1. sg. ind. präs. dringt.
Bei unserem B. sind nur Formen in der 3. sg. mit u = iu be-
legt : fluhit : schuhit, : bluhit BSp, irbutit : bedutit BSp, besluzit ;
genuzit, gelugit : betrugit, czuhit : fluhit BZ, fluhit : vorzcuhit El
(1803), trugit : bezcugit Wi (82).
Auch der Wechsel von u und o in der 1. plur. ind. präter.
und dem partic. präter. ist in der Sprache B.'s ausgeglichen. Vgl.
die Belege auf S. 30.
Der Analogieumlaut in der 2. und 3. sg. ind. präs. der
ursprünglich reduplizierenden Verba der a = Klasse ist der Mund-
art B.'s entsprechend durchgeführt. Also let, enphet u. s. w. sind
die stehenden Formen bei unserem Dichter. Vgl. die Belege bei
den einzelnen Verben § 55. Hier füge ich noch hinzu : vellit : stellit
BSp 454, heldit : meldit 2386, obirfellit : bestellit 3712. Neutral
: heldit : weldit BSp 3 =, BZ 1 = mal, beheldist : feldist BSp.
Der apokopierte Infinitiv.
Der thüringischen Mundart B.'s entsprechen die apokopierten
Infinitive, die in seinen Beimen häufig begegnen; so haben wir
— 56 —
z. B. glucke : vordrncke BSp 18, czu : tu KZ 692, mer(mare)
: vorzcer Pa 791, mitteile: heile El 119, schütze : nutze (adj.) Wi
67. Neben diesen apokopierten Infinitiven reimen sporadisch auch
solche mit festem n (wie im Mhd.): z. B. behutin : lehingutin
RSp 583, werdin : begerdin EZ 1040, blibin : wibin Pa 1870.
Sehen wir von den neutralen Bindungen ab, so ist das Verhältnis
für ESp, EZ und.Pa zwischen apokopierten und unapokopierten
Infinitiven folgendes:
unapok. apok.
ESp etwa 240 etwa 210
EZ „ 70 „75
Pa „ 85 „ 80
Im ganzen stehen also etwa 400 n-Infinitiven nur rund 370
apokopierte Infinitive gegenüber : oft wird der Dichter durch das
Eeimbedürfnis sich gezwungen gesehen haben, die n-Form des
Infinitivs zu gebrauchen, urkundlich belegt ist der inf. gebin 4.
(In der heutigen Eisen. Mda. lebt der charakteristische apokopierte
Infinitiv noch fort. Zahlreiche Belege finden sich bei Elex,
Beitr. I und II.)
Apokope des t.
1) in der 2. sg. ind. präs.
Hierfür haben wir den Beleg häs : daz EZ 960.
2) in der 3. pl. ind. präs. Diese Form wird im Md. schon
frühzeitig (12. 13. Jahrh.) in Analogie nach dem conj. ohne t ge-
bildet, wie im späteren Mhd. und im Nhd. Im 14. Jahrh. sind die
t-losen Formen fest. — So finden wir bei Eothe fast ausschliesslich
die t-losen Formen im Eeim zu festem -en (bezw. -in) : gezcemen
:nemen (inf.) ESp 403, machen : sachen (subst.) EZ 1251, habin
: begrabin Pa 1017 und zahlreiche andere Belege. —
Die 3. pl. ind. präs. von dem Verbum „sein" reimt gewöhn-
ich als sint (seltener als sin), vgl. S. 50. Urkundlich belegt ist
die 3. pl. ind. präs. gebin 4, also ohne t.
E. Die Orthographie der Handschrift der Passion und ihr
Verhältnis zu Rothes Schreib- und Sprachgebrauch.
§ 58. Die Dresdener Handschrift der Passion Eothes weicht
in ihrer Schreibung von dem bekannten Schreibgebrauche des
— 57 —
Dichters (wie wir ihn 1 . aus seiner Urkunde und seinen Akrostichen
und 2. aus seinem Beimgebrauch kennen gelernt haben) ab. Im
folgenden sollen nun die Hauptunterschiede zwischen der Ortho-
graphie der Dresdener Handschrift und der Rothes selbst kurz
zusammengestellt werden.
1. Vokalismus.
§ 59. -eist. Interessant ist die Schreibung ei in der Nebensilbe
in segeist (: phlegist Pa 37), die auf die Unsicherheit des Schreibers
zurückzuführen ist, der zwischen (irrationalem) i und e schwankte^).
6e, 6i; äe, äL Die Neigung der md. Schreiber, dem langen
6 oder ä einen unbestimmten Laut (e, i) folgen zu lassen, finden
wir auch in der hs. der Pa : froe (: also) 45, kloiss (: gross) 303,
slain (: vorsmaen) 199.
Weiter sind vokalisch ungenaue Reime zu erwähnen, die
durch Einsetzung der Rotheschen Wortformen zu bessern sind.
Hierher gehören Reime von i : e, wie widir : sedir 19, widdir :
neddir 207, : sedir 1726; schire : mere 35, mßr : schir 641; von
u : 0. stundin : begondin 137, fürte : berorte 394, gewonnen : be-
sunnen 1106, woldin : suldin 1164, wolde : wulde 1557, enzcubin :
vzgrobin 1609, darczu : scho 1873, sterben : erwürben 1941, ge-
hellt ; schult 1998, kummen : vernommen 2034 2).
Ausserdem sind noch zu nennen: leid : czid Pa 1647, reyne : ^
gemyne 1042, mäyt : vorsagit 500 (vgl. magit : vorsagit 486),
zcouberie : maledige 1062, darumme : stymme 1599.
Fehlendes -e, oder -e-, -i- haben wir in : richter (no. sg.) :
kere (inf.) 695, Jherusalem : vngeneme 701, maier : were 894, ging :
enphinge 906, ertriche : gliche 1831, geschreye : manchirleye 1863,
schonte : lonete 115 (oder schonte : lonte?), jarin : warn 135, 1829,
2008, : varn 382, jarin : uffinbarn 2018. In silbern (: fyn) 340 fehlt i. '
^) Für dieses ei bei md. Schreibern gibt Weinhold (§81) noch weitere
Beispiele. — Im allgemeinen finden wir in der Sprache Rothes das für
seine Mundart charakteristische i der Nebensilben. Freilich bieten uns seine
Reime keine sichere Gewähr. Ein^beweisender Reim von irrationalem i zu
Yollvokalischem ist mir nicht begegnet. In Rothes Urkunde finden wir
überwiegend dieses i in der ]^eben8ilbe, also vnsir, frowin, kerchin, abge-
schrebin, geldis, gebin, sullin u. s. w.
^) Auch in der hs. von R Z sind Reime wie geliden : stcden 267, furste :
dorste 780 garnicht selten. Ich habe sie meist stillschweigend gebessert.
- 58 -
Andererseits findet sich überschiessendes e in steyn (acc. sg.) :
kleyne 1703 nnd gab (präter.) : abe 2028.
ee = e. Die Doppelschreibung ee zur Bezeichnung der Länge
des e ist in der hs. der Passion garnicht selten: z. B. geseen :
gesehen 27, widdirsteet : vorlehit 719, eer : keiser 1172, we : engee
1861 u. s. w.
2. Konsonantismus.
§ 60. seh + cons. Interessant ist die Schreibung seh vor Kon-
sonannten, wo Rothe (wie das Mhd.) einfaches s hat. So finden
sich in der hs. die Verbindungen schl, schw, sehn, seht und schm;
ein schp fehlt. Diese sch-Schreibungen begegnen in der hs.
sporadisch, und zwar nur beim 1. und 3. Schreiber (1 — 747 S';
1678— 2051 S»): schlugk 139, schlug 336, erschlug 622, schleet
1705, geschlagin 142; beschwere 29, schwinde 151, 189, schwumme
1709; schnöden 29, schnöder 1714; vorschten 107, geschtorbin
217, geschtalt 331, schteyn 1703; vorschmaen 200, schmed 314,
schmachten 1970.
th. Ferner ist die Schreibung th (= mhd. t) zu erwähnen.
Dieses th steht in der Handschrift an allen Stellen im Worte und
gehört allen drei Schreibern (sporadisch) an: scharioth 77, guth 223,
both286; luthe, buthe 294; thun 625, thatin 688, gethan 946;
armuthe 1431, 1426, bothe 1471. Zum Teil waren diese h-Laute
wohl Dehnungszeichen und wurden als Ballast in die nhd. Schrift-
sprache mitgeschleppt^).
dd. Die Schreibung dd für mhd. = Bothesches d findet sich
einige Male in der hs.: z. B. widdir : neddir 207, : nyddir 444, 478
und : sedir 1725 (md.!).
g, gk. In Bezug auf die gutturalen Verschlusslaute g und k
haben wir zwischen den verschiedenen Schreibern zu unterscheiden.
Der 2. Schreiber — der überhaupt der Rotheschen Schreibweise
am nächsten kommt — hat im allgemeinen das Rothesche aus-
lautende g (= mhd. inl. g und inl. k) : z. B. ging, enphing 906,
1022, 1284, 1402, bedräng : getwang 1344, mag 808, 929, ding
1237, 1239. — dang, kräng 1495. Der 1. und 3. Schreiber
dagegen (V. 1—747 und V. 1678— Schluss) setzen für Rothesches
^) In Rotheg Urkunde und in seinen Akrostichen fehlt ein Beleg für
th, wobei ich natürlich von Eigennamen absehe.
— 69 —
g (z= mhd. inl. g und inl. k) gewöhnlich die Lautverbindung gk,
welche von ihrem Schwanken zeugt: z. B. vorgingk 59, gnugk,
schlugk 139, 329, twangk 65], gangk 119, bergk 1692. — dangk
651, geschtangk, krangk 1879. Auch im Inl. steht bei S* und
S' gk für Bothesch. = mhd. k und ck, so z. B. in gedungkin 181,
genigke 203.
s und z. Das Verhältnis der einzelnen Handschriften zu-
einander in Bezug auf die Orthographie der s = und z = Laute
möge folgende Tabelle veranschaulichen:
mhd.
RSp
RZ
Pa
ürk.
Akr.
S
s, z
s, z
s, z, hs
S, Z
s, z
z
(Anl. u. Ausl.)
z
cz, z
cz, zc, tz
ZC, cz
zc [cz]
tz
(Inl. n. Vok.)
tz
cz
tcz, tz, czc
tz
fehlt
3
z
sz, z
hs, shs,
SS, s, z
z, hs
n
33
zz
sz
shs, hs, SS
hs
99
IV. Die Quellen der Passion.
§ 61. Die Dresdener Handschrift der Passion Rothes ist be-
sonders dadurch wertvoll, dass sie die Sagen von Pilatus und
Judas enthält. Bothe ist wahrscheinlich durch die im Mittelalter
verbreitete und beliebte Legenda Aurea — die beide Sagen gibt
— zu seiner poetischen Darstellung angeregt worden. Dass der
Dichter aber die Legenda Aurea nicht allein für seine Passion
benutzt hat, werden wir im folgenden noch zu zeigen haben.
— 60 —
§ 62. I) Zur Pilatussasre.
Ueber das Leben des Pontius Pilatus wissen wir nur wenig.
Historisch steht fest, dass er der römische Landpfleger (Prokn-
rator, ^TrixpoTco?) von Judäa zur Zeit des öffentlichen Lebens und
Leidens Jesu war (27 — 37 n. Chr.). Infolge mehrerer Gewalt-
taten und Grausamkeiten, die er sich in seinem Amte zu Schulden
kommen liess, (u. a. hat er den Juden heidnische Götzenbilder
aufgezwungen) wurde er zur Bestrafung nach Eom berufen. Be-
kannt ist dann weiter seine schwankende und unglückliche Stellung
bei der Verurteilung Jesu. Ueber seinen Tod fehlt eine sichere
Nachricht. Er soll durch Selbstmord im Exil in Vienne (Gallien)
geendet haben*).
Schon im frühen Mittelalter bemächtigten sich Sagen und
Legenden der Person des Pilatus und verbanden sich mit lokalen
üeberlieferungen, so in der Schweiz, Pilatusberg bei Luzern (vgl.
sp.), ja auch in Spanien^).
Im Zusammenhang hat zuerst Wilhelm Creizenach über „die
Legenden und Sagen von Pilatus" gehandelt^), nachdem schon
Massmann*) und du M6riP) wertvolle Vorarbeiten geliefert hatten.
Verfolgen wir zunächst in grossen Zügen — und nur das
kann hier unsere Aufgabe sein — den Inhalt von Creizenachs
Arbeit. Der Verfasser stellt die allgemeinste Gestaltung der
Pilatussage voran. Ausgehend vom historischen Pilatus, behandelt
er dann die Entstehung und Bildung der Legende von der Ver-
urteilung und dem Tode des Pilatus in der deutschen, französi-
1) Nach Eu8. h. e. 2,7; Oros. 7,5; Frcculf Chron. II, 1.12; nach
Malalac chron. (ed. Bonn p. 256) ist er dagegen unter Nero hingerichtet
worden. — Im übrigen verweise ich auf: Herzogs Rcalcncyclopädie XI, 685 ff.
(2. Aufl.); Wetzers und Welters Kirchenlexikon X, 2 f. (2. Aufl.); Schenkels
Bibellexikon IV, 581 ff. und Gustav Adolf Müller, Pontius Pilatus der fünfte
Prokurator von Judäa und Richter Jesu von Nazareth. Mit einem Anhang
„Die Sagen über Pilatus" und einem Verzeichnis der Pilatus-Literatur. Stutt-
gart 1888 S. 1—47.
'j Vgl. Herzogs Realencyclop., a. a. 0., S. 686 und dazu die Be-
merkung Creizenachs P B B I, 107.
») PBB I, 89—107. 1874.
*) In den Anm. zur Kaiserchronik III. 594 f. Pilatus' Schicksal; vgl.
573 ff. Veronika.
^) Poesies populaires latines du moyen äge p. 315 ff.
— 61 ' —
sehen und englischen Literatur. Nach ihm steht die gewöhnliche
Version der Sage in engera Zusammenhang mit der Legende von
der üebertragung des Schweisstuches der heiligen Veronika nach
Bom. Vfeiter geht C. auf die Veronikasage näher ein. Bei der
Behandlung der „Grabstätte" des Pilatus sodann bespricht er die
Vermischung einheimischer Elemente mit der Sage. So ist der
Name des Schweizer Berges „Pilatus*^ wahrscheinlich aus pileatus')
(sc. mons = der mit einem Hute [Nebel] bedeckte) entstanden, und
erst später wurde er mit Pontius Pilatus in Verbindung gebracht.
Am Schlüsse seiner Abhandlung kommt der Verf. auf den Ursprung
des jüngsten Teils der Sage zu sprechen, der von der Geburt und
Jugend des Pilatus handelt; er bringt diesen Teil der Sage mit
der sagenhaften Geburt und Jugend Karls des Grossen in Zu-
sammenhangt).
Die andere grundlegende und noch wichtigere Arbeit über die
„Pilatussagen" gab uns — 2 Jahre später — Anton Schönbach
in einer Anzeige der Evangelia apocrypba von Tischendorf ^). Seh.
geht in seiner Untersuchung ganz anders zu Werke als Creizenach:
diesem wirft er vor — und ich glaube mit Recht*) — dass seine
Arbeit unmethodiscli angelegt sei: anstatt eine historische Ent-
wicklung der Pilatussage zu geben, liefere er nur unter sich
wenig zusammenhängende Anmerkungen^).
*) C. zitiert u. a. auch den bekannten Spruch, der den Pilatusberg als
Wetterpropheten kennzeichnet: „Wenn der Pilatus hat einen Hut" u. s. w.
*) In diesem Punkte stimmt Schönbach mit ihm überein (A. f. d. A. II, 2.
1876. S. 192).
») A. f. d. A. II, 2. 1876. S. 149-212. — Von neuereu Arbeiten
über die Pilatussage sind noch zu nennen: G. Nordmeyer, Pontius Pilatus in
der Sage. Allg. Ztg. 1895, Beil. No. 92 (Gegenwärtiger Volksglaube) und
K. Borinski, Die Pilatuslegende im 17. Jahrb., vgl. A. f. d. A. XY, 222 f.
Eine „Skizzierung der Pilatus-Sagen** gibt G. A. Müller in seiner S. 60 Anm. 1
angeführten Schrift im Anhang I. S. 48 — 54. Vgl. dazu sein Verzeichnis der
Literatur über Pilatus, a. a. 0., S. V — VIII. — Uu Monte di Pilato in Italia.
Nota di Arturo Graf. Torino. Ermanne Loeschero Libraio della R. Academia
delle Scienze 1889. Angez. von Edm. Veckenstedt (Zeitschrift für Volks-
kunde I, 367). — Ignaz Zingerle, Pilatus-Seo in Tirol (a. a. O. S. 426).
*j Für die vorstehende Untersuchung wenigstens ist die Arbeit Schön-
bachs von grösserem Nutzen gewesen als die ('reizeuachs.
*) Im übrigen verweise ich in Bezug auf ihren Streit auf die von ihnen
im A. f. d. A. (U, 2. 1876. S. 328 ff.) abgegebenen Erklärungen.
— 62 —
t
(
§ 63. Die verschiedenen Fassungen der Pilatussage stellte
Seh., nun in einem Handschrifben-Stammbauni zusammen, dem er
auch Johannes Bothes „Passion" einverleibte. Für unsere Unter-
suchung interessiert uns der folgende Teil seines Stammbaumes:
A
\
K
\
LM(N)
VTT
Die Erklärung der Buchstaben des Stammbaums ist nach
Seh. folgende^):
A = Mors Pilati, Tischendorf Evangelia apocrypha S. 456
bis 458.
K = Vindicta salvatoris, Tischendorf S. 471—481.
L = Lateinische Pilatusprosa, Mon. Anz. 1838. S. 526— 529-
M = Grazer Handschrift 37/45. 4« fol. 157b fif.
N = Lateinische Pilatusprosa, Mon. Anz. 1838. S. 529 f.
= Lateinisches Pilatusgedicht. Die älteste bekannte Hand-
schrift erwähnt Wackernagel Zs. V, 293. Gedruckt von Mone,
Anzeiger 1835. S. 425— 433, vgl. 1838. S. 530—532. DuM6ril,
Po6sies populaires S. 343 — 357.
V = Enenkels Weltchronik, nach den Angaben von Mass-
mann a. a. 0. (M., Deutsche Ged. L) S. 574 f., vgl. auch S. 577
Anmerkg.
ir = Johannes Rothe in zwei seiner Schriften : 1 . Düringische
Chronik, Ausgabe v. Liliencrons S. 64—66^). 2. Passion. Vgl.
die Angaben Herschels im Anzeiger für Kunde der deutschen
») Vgl. Seh., A. f. d. A. II, 2. 1876. 8. 167 ff.
*) Ueber das Verhältnis der Pilatussage in der „Passion" zur Pilatus
sage in der „Thüringischen Chronik*^ vgl. sp.
- 68 —
Vorzeit 1864. S. 364-369 und Bechs, Gennania IX, 172—179,
insbesondere die Stellen in dem ausgehobenen Wörterverzeichnis.
Wie aus der letzten Bemerkung Schönbachs hervorgeht, hat
er die Dresdener hs. der Passion B.'s nur aus den verhältnismässig
dürftigen Angaben Herschels (a. a. 0.) und Bechs (a. a. 0.) ge-
kannt. Daher konnte er in Bezug auf die Quelle unseres Dichters
nur die Vermutung aussprechen, dass wir bezw. L M als solche
zu betrachten hätten, ohne seine Ansicht im einzelnen zu begründen.
Die lateinischen Fassungen der Sage behandelt Seh. später im
Zusammenhang S. 186 ff.; und zwar sind seine Ausführungen
auch deshalb für uns besonders wertvoll, weil er den Teil der
lateinischen Pilatusprosa L, den Mone im Anzeiger 1838. S. 526 flf.
nur deutsch im Auszuge wiedergibt, vollständig abgedruckt hat
(S. 186ff.).
§ 64. Der Zweck der folgenden Untersuchung ist es nun
darzulegen, in welchem Verhältnis die Lebensgeschichte des Pilatus
nach Job. Rothe (Dresdener Handschrift der Passion) einerseits
zu dem lateinischen Pilatusgedicht (s. o.) und andererseits zu
der lateinischen Pilatusprosa LMN (s. ebenf. o.) steht. Da die
Grazer Handschrift M mit L identisch ist (vgl. Schönbachs Aus-
führungen a. a. 0.), und da weiter die kürzere Prosafassung N
mit den beiden zuletzt genannten Fassungen im grossen und
ganzen übereinstimmt, — die geringen Abweichungen werden im
Laufe der Untersuchung noch genannt werden — so behandle ich
(nach dem Vorgange Schönbachs) LMN stets zusammen. Die Be-
zeichnungen L, M, N und 0, wie sie Seh. in seiner Abhandlung
anwandte, behalte ich bei, nur für tu (= Rothe nach Seh.) setze
ich „Ro" oder „Rothe" ein.
1. Die lateinischen Fassungen „de vlta PUatl": und LMN.
§ 65. a. Zu dem lateinischen Pilatusgedicht 0.
Unter dem Titel „Die Sage von Pilatus" gab Mone im „An-
zeiger für Kunde der teutschen Vorzeit" (IV. 1835. S. 421—446)
zwei Pilatusgedichte heraus, ein lateinisches (gleich unserem 0) und
das Bruchstück eines deutschen^). Das lateinische Pilatusgedicht
*) Ueber dieses deutsche Pilatusgedicht, das ich hier nur flüchtig er-
wähnen kann, hat Karl Weinhold ausführlich gehandelt (Z. f. d. Ph. VIII,
— 64 —
ist von Mone vollständig abgedruckt worden: es reicht von Sp.
425 — 433 und umfasst 369 Verse. Mone entnahm diese Pilatusversion
einer Strassburger hs. Johan. C. No. 105 (im Abdruck A), ver-
glichen mit Johan. C. No. 102 (im Abdruck B); beide Hand-
schriften (Papier und Quart) gehören dem 15. Jahrh. an. Ausserdem
teilte Mone aus 2 Wiener Handschriften des latein. Gedichtes
(No. 277 und 390) die abweichenden Lesarten mit (a. a. 0. 1838,
Sp. 530—532). Du Meril druckte den Text der Wiener hs.
No. 277 ab, während er die Varianten der 3 übrigen Handschriften
in den Anmerkungen gab (Poes, popul. p. 343 flf.). Er bot also
nichts Neues. Ausser den 4 genannten Handschriften der Vita
Pilati gibt es aber noch eine 5., die Mone und du M6ril nur dem
Namen nach gekannt haben. Diese ehemals Helmstedtische, jetzt
Wolfenbütteler hs. (Cod. Heimst. No. 185 der Herzogl. Bibl.) habe
ich verglichen und teile ihre Varianten im Anhange mit. ^) Die
Lesarten der sämtlichen 5 Handschriften berücksichtige ich in
Abschnitt 2. dieses Kapitels nur soweit, als sie für die Untersuchung
von Wichtigkeit sind^). Im übrigen zitiere ich das latein. Pilatus-
gedicht nach dem von Mone (a. a. 0.) abgedruckten Text
(gleich unserem 0). Nimmt man also Mones und die unten mit-
geteilten Lesarten zusammen, so hat man den Text der sämtlichen
5 bekannten Handschriften des lateinischen Pilatusgedichtes.^ —
In der Einleitung, die Mone den Pilatusgedichten vorausschickt,
sucht er kurz die Entstehung und Bildung der Pilatussage dar-
zulegen: er unterscheidet einen römischen Grundbestandteil „mit
gallischen und teutschen" Erweiterungen (a. a. 0. Sp. 422). Die
Verbindung von Judäa mit Mainz in der (jüngeren) Sage von der
253 — 288). — Eine niederdeutsche Prosa-Pilatuslegende, die sich inhaltlich
an die von Mone (Anzeiger VII) mitgeteilte lateinische Ifassung (gleich
unserem L) anschliesst, gab L. Weiland in der Z. f. d. A. XVII, 147—160
heraus. Diese Version ist von Schönbach a. a. 0. nicht erwähnt worden,
lieber eine Berner Pilatusversion berichtet Friedrich Vogt (PBB IV, 50).
^) Für die Übersendung der betr. Hs. spreche ich der Verwaltung der
Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel auch an dieser Stelle meinen Dank aus.
2) Die fünf Handschriften bezeichne ich folgendermassen: A = Strass-
burger hs. Johan. C. No. 105; B == Strassburger hs. Johan. C. No. 102;
C = Wiener hs. No. 277; D = Wiener hs. No. 390; E = Wolfenbütteler
Cod. Heimst. No. 185.
— 65 —
Jugend des Pilatus sucht er auf die 22. Legion zurückzuführen,
„die zur Zeit von Jerusalems Zerstörung in Judäa lag, bald darauf
nach Mainz kam und viele Jahre dort verblieb" (a. a. 0. Sp. 424).
Mones Ausführungen sind aber durch die (oben genannten) Ar-
beiten von Creizeuach und Schönbach überholt worden. Letzterer
hat (im A. f. d. A. XX, 194f.) kurz das Verhältnis von zu
der Prosafassung LMN charakterisiert. Auf das Verhältnis von
zu Eo einerseits und zu LMN andererseits werde ich noch im
2. Abschnitt dieses Kapitels zurückzukommen haben, üeber das
Alter der Passung sei hinzugefügt, dass Schönbach sie
noch in das 12. Jahrhundert setzt (a. a. 0. S. 193 u.). Dieselbe
Vermutung hat vor ihm schon Wilhelm Grimm ausgesprochen
in seiner Abhandlung „Über die Sage vom Ursprung der Christus-
bilder" (Abh. Akad. Berl. 1842 S. 130). Grimm hat den Teil des
Pilatusgedichtes 0, der sich auf die Heilung des Kaisers durch
Veronika bezieht — der Name der V. kommt übrigens im ganzen
Gedicht nicht vor vgl. u. — in der ebengenannten Abhandlung
dem Inhalte nach deutsch wiedergegeben (a. a. 0. S. 130 f.).
§66. b. Zu der lateinischen Pilatusprosa „LM(N)".
Die (lateinischen) Prosafassungen der Pilatussage hat eben-
falls Mone abgedruckt (Mon. Anz. VII. 1838. Sp. 526—530);
und zwar gab er 1) die ausführliche prosaische Sage (=L unserer
Untersuchung) und 2) die kürzere prosaische Sage (=z=N u. U.)
Die Fassung 1) gehört einer Pergamenthandschrift des 12. Jahr-
hunderts an, Münch. codex ignotus No. 86,*) in Duodez; der Pi-
latustext beginnt auf Bl. 44 der hs. • Die 2. Fassung gehört nach
Mone einer ehemals Garster jetzt Linzer Handschrift (A. I. 11)
an, die ebenfalls in das 12. Jahrh. zu setzen ist. Mit L ist —
wie schon oben erwähnt — die Grazer Handschrift 37/45 4®
(unser M) identisch. Auf die geringen Abweichungen von L und
N untereinander soll — soweit es nötig ist — noch unten ein-
gegangen werden. (Vgl. auch Schönbach, A. f. d. A. XX, 186 fif.)
Auch die beiden Prosaerzählungen von Pilatus, L und N, werden
von Wilh. Grimm in seiner oben erwähnten Abhandlung (S. 131 ff.)
kurz besprochen.
») Die heutige Bezeichung der hs. ist: „23390*^ (zz. 390) membr. 8». s.
Xll/Xm 73 fol. (Vgl. Catalogus bibliothecae Monacensis II, 4 S. 67).
Heinrich. Studien zn Johannes Rothe 5
— 66 —
Leider hat nun Mone (a. a. 0.) den lateinischen Text der
Prosafassungen L und N nur im Auszuge — mit eingeschobenen
deutschen Inhaltsangaben — wiedergegeben. Diesen üebelstand
hat Schönbach dadurch zu beseitigen gesucht^ dass er die von
Mone ausgezogenen deutschen Stellen der Fassung L M lateinisch
wiedergab (a. a. 0. S. 186—190).
2. Das Vorhftltnls dep.Pllatussasre nach Rothes Passion zu den
latelnlsehen Fassungen LM(N) und 0.
§ 67. . 1) Geburt und Jugend des Pilatus; sein Leben
bis zu seinem Aufenthalt in Pontus.
In üebereinstimmung mit dem latein. Pilatusgedicht be-
richtet „Bothe** zunächst von einem gewaltigen König Atus —
nach unserem Dichter im Volksmunde gewöhnlich Artus genannt
— der in seiner Hauptstadt „Maguntia" am Rhein regiert. Zwei
Nebenflüsse des Rheins, der „Mögen" und die „Tia", haben seiner
Residenz den Namen gegeben^). Diese Erklärung des Namens
Maguntia findet sich nicht in der lateinischen Prosafassung LM(N).
Hier wird nur erwähnt, dass der König Tyrus (LM) bezw. Cirus
(N) — der also dem „Atus" in Ro und entspricht — ein
Mainzer seiner Abstammung nach ist; der Name Maguntia selbst
begegnet nur in N^). Der König, der in dem Rufe steht, ein
kundiger Sterndeuter zu sein, befindet sich nun einmal mit seinen
Mannen auf der Jagd, und zwar in einem von Mainz weit ent-
fernten Walde. Im Gegensatz zu Ro und wird in LM(N)
sogar eine Stadt genannt, in deren Nähe sie jagen. Die Stadt
■
heisst „Berleich" im Babenbergischen Gebiet (nach LM) oder
„Babenberch" (nach N)^). Von der Nacht überrascht, kehrt die
^) „Urbs erat insigDis, veteres quam constituere,
Moganus atque Tia (Cia A, Scia C, D, tya E) rivus flumenque dedere
nomcD, et inde fuit primum Maguntia dicta
(Moguncia A, C, E, Moguntia D)
nomine composito, non est assertio ficta*^.
(„0** : V. 23 ff. Ygl. dazu Pa Y. 455 ff. — Mon. Anz. 1835 Sp. 425 u.)
*)„... regem nomine Tyrum, Mogonciensem natione, . . . venari"
(Mon. Anz. 1838 Sp. 526. „L^). ?, . . . accidit regem Cirum de Maguntia
nationc . . . venari" (ebenda Sp. 529. „N").
*)„... accidit regem ... de quodam oppido, videlicet appeUatione
peregrina Berleich nuncupato, in partibus Babenbergensium venari.** («L:**
— 67 —
königliche Jagdgesellschaft in einem Dorfe ein und findet dort
gastliche Aufnahme. (Ueber das Dorf selbst erfahren wir nichts
Genaueres.) Nach Bo bewirtet sie ein „rittir", in tut dies ein
Bekannter, während in LM(N) weder von einem Dorfe noch von
einem Gastgeber die Bede ist ^). Der König beobachtet dann den
Sternenhimmel [so allgemein gesagt in LM(N)]; und zwar ge-
schieht dies bei Bo und in nach Aufhebung der AbendtafeP).
Sogleich teilt er seinem Gefolge mit, was er aus den Sternen zu
ersehen glaubt: wenn um dieselbe Zeit — so berichtet der
König — seine Gattin von ihm empfinge, so würde sie einen Sohn
gebären, der einstmals als ein gewaltiger Machthaber viele Wunder-
taten auf Erden verüben und die Welt in Staunen und Furcht
versetzen würde. Seine Diener machen ihn darauf aufmerksam,
dass er unmöglich zu seinem in Mainz befindlichen Weibe ge-
langen könne. Aber dennoch solle er dem Winke des Schicksals
folgen, und unter keinen Umständen dürfe er eine so wichtige
Sache — gemeint ist natürlich die Zeugung eines Sohnes in jener
Nacht — aufgeben. Der König ist damit einverstanden, und Pila,
die schmucke und tugendhafte Tochter des Dorfmüllers, wird ihm
zum Beilager gebracht. Der Bat, der Voraussage der Sterne ge-
mäss, sich unter allen Umständen noch in derselben Nacht mit
einem Weibe in Liebe zu vereinigen, wird dem Könige in den
verschiedenen Pilatusfassungen von verschiedener Seite erteilt:
bei Bo tut dies der „Bitter", der den König bei sich aufgenommen
hat, während in es von selten seiner Mannen geschieht. Eben-
so sind es die Begleiter des Königs (0) bezw. der Bitter (Bo),
die ihn auf Pila (Pyla) aufmerksam machen: dagegen wird in
LM(N) nur ganz kurz gesagt, dass die Diener, dem Befehle des
Königs gemäss, diesem die Pila zuführen. Der Vater der Pila
M.A.Sp. 526.) — In „Berleich" vermutet M. die Stadt „Berneck" bei Bayreuth,
„welche durch ihre alte Burg bis zui* Abfassung der Sage hinaufreichen mag.**
(M, Anm. a. a. 0.) — ^ „ . . . accidit regem . . . juxta Babenberch venari
(„N'': ebend. Sp. 529j.
^) Ygl. Pa V. 480 und „0" : „unius hospitium subeunt hominis sibi
BOti*^ (M.A.Sp. 426 o. V. 36).
2) „surgunt a mensa, facti pro tempore Iseti.
rex ut homo sapiens stellis Ventura videbat,
prospiciens igitur sie visa suis referebat:
. . . «^ („0" : V. 38 ff. Sp. 426 oben). Vgl. dazu Pa V. 488 ff.
5*
. — 68 —
ist in der Pilatusprosa LM(N) und ebenso bei „Rothe'' ein „Müller''
(molendinarius, molendinator), während das Gedicht ihn zu
einem „villicus ^)" (= Meier, Wirtschaftsverwalter) gemacht hat.
Wichtiger noch ist der Name des Vaters der Pila. In und
bei „Rothe" wird er garnicht genannt, während er in LM(N)
^Atus" heisst (= König in und bei Ro). Die Pila („pyla" E)
nun empfängt von dem König in jener Nacht und gebiert nach
Jahresfrist in der Tat einen Knaben, der — auf den Wunsch des
Königs — nach seinem Vater Atus und seiner Mutter Pila „Pi-
latus" („pylatus" E) genannt wird. — Dies ist die Darstellung
in 0, welcher Ro folgt. In LM(N) erhält der neugeborene Knabe
naturgemäss nach seinem Grossvater (vgl. oben) und seiner Mutter
den Namen Pilatus, was der Verfasser von L(M) — etwas künst-
lich — damit zu begründen sucht, dass Pila den Namen des
Vaters ihres Kindes nicht gekannt habe^). Als der Knabe drei
Jahre alt ist, wird er von seiner Mutter an den Königshof nach
Mainz gebracht [LM(N) und „Rothe*'] •'^). Nach kommt Pilatus
erst als „Jüngling" an den Hof seines Vaters*;. Der König ist
über seinen natürlichen Sohn hocherfreut und zeichnet ihn vor den
übrigen aus (nur bei Ro und in 0). Am Hofe findet Pilatus in
einem etwa gleichalterigen ^) Stiefbruder — einem ehelichen Sohn
des Königs — bald einen munteren Spielgefährten. Doch die
Freundschaft zwischen beiden währt nicht lange. Der eheliche
Sohn ist dem Pilatus an Körperkraft und an ritterlichen Tugenden
bei weitem überlegen. Dies erfüllt den schwächeren mit Neid
und Hass; es kommt zu Streitigkeiten zwischen den Brüdern
und zuletzt wird der eheliche Sohn von Pilatus getötet. Diese
1) „0": Mon. Anz. 1835 Sp. 426 V. 49.
*) »Regis autem nominis ignara Pila, . . . indidit oi nomcn Pilatus"
(„L«: M.A. 1838 Sp. 527).
') „Annis vero tribus completis puer transmittitur patri suo Tiro**.
(„L" : ebend.) — „Post tres annos puer a matre nutritug patri suo Ciro
regi transmittitur" („N" : ebend. Sp. 529. Vgl. Pa V. 520).
*) „crevit Pylatus et fit prudens adolescens,
aulam regis adit, ..." (V. G3 f. „0" : M.A.
1835 Sp. 426).
6) Nach „Rothe" ist der Stiefbruder ein Jahr älter (V. 531), in LM ist
er ihm „fere coffitaneus" (a. o. 0. Sp. 527), in N „coaetaneus" (Sp. 529),
während in O sein Alter nicht genannt wird.
— 69 r-
Szene ist von Bothe nicht ungeschickt weiter ausgeführt als in
den lateinischen Fassungen. In LM^) und N^) wird nur gesagt.,
dass Pilatus aus Eifersucht den ihm tiberlegenen Stiefbruder tötet;
nach 0^) kommt es zwischen beiden zu häufigen Zwistigkeiten,
ohne dass die Ursache näher angegeben wird, unser Dichter
lässt — in einer aufgeregten Streitszene — den ehelichen Sohn
seinen Bruder Pilatus einen „banghart, " einen Bastard schelten*)
und hinzufügen, dass Pilatus in Zukunft ihm, seinem Herrn,
grössere Ehren erweisen müsse. Hierüber ist natürlich Pilatus
tief gekränkt: er fasst den Entschluss, seinen Bruder zu töten,
worin ihn noch die Erwägung bestärkt, dass er nur so Thronfolger
werden könne. Deswegen ersticht er seinen Bruder heimlich.
Der König und mit ihm sein ganzes Haus werden natürlich durch
diese Tat in grosse Trauer versetzt. In einer von ihm selbst be-
rufenen Volksversammlung stimmt man zunächst für die Hin-
richtung des Brudermörders. Aber man will nicht ein üebel
durch ein zweites noch schlimmer machen; und so kommt man
zuletzt überein, Pilatus als Geisel nach Eom zu schicken. Bei
Eo macht ein alter Ritter, „ein weiser Mann," dem König diesen
Vorschlag (V. 575): „Ir sult nicht schadin bossin myt schadin!"
ruft er ihm zu. Denn wenn dem König kein männlicher Spross
mehr geschenkt würde, könne Pilatus einstmals den Thron be-
steigen — im anderen Falle könne es ihnen allen gleichgültig
sein, ob er in Bom sterbe und verderbe. In geben die Be-
^) „8cd gemina nobilitatis natura reginse filius ut erat nobilior sie in
omni joco, paleestra, disco vel quocunque ludorum certamine nobilior et aptior
Pilato prseeminebat. unde dolens^et feile doloris commotus fratrem suum la-
tenter occidit Pilatus** (,.L": M.A. 1838 Sp. 527).
') „Cumque ... et puer legitimus nobilitate morum et ludorum aptitu-
dine eum longe praecelleret, Pylatus motus invidia fratrem sibi colludentem
occidit" („N**: ebend. Sp. 529).
') „huic (sc. filio legitime) colludendo Pylatus se sociare
ccBpit et in ludo puerum ti*actabat amare:
litibus assiduis discordia multiplicatur,
dum puer a puero crudeli morte necatur" („O": V. 73flF.
M.A. 1835 Sp. 427 o.).
*) Pa V. 544 ff.:
„Der eliche son irczornete do sich
Vnde sprach: du tust nach dyner art,
Du schemlichir bossir banghart!**
— 70 —
rater des Königs ihm diesen Bat, während er in LM(N) seihst
darauf kommt ^)^). Zu erwähnen ist noch, dass der schon ohen
herangezogene V. 575 der Pa: „Ir sult nicht schadin hossin mit
schadin!" sich fast wörtlich auch in den lateinischen Pilatus-
fassungen findet So heisst es in LM(N): „rex ad se reversus
iniquitatem noluit iniquitate duplicare" (M.A. 1838 Sp. 527)
und in 0:
„praesens namque malum suadet Ventura timeri
et monet a simili merito dehere caveri.*'
(M.A. 1835 Sp. 427 V. 85 f. Diese Verse stehen in A, B,
C, fehlen aher in D und E.)
Pilatus kommt dann nach Rom; zu derselhen Zeit befindet
sich ein (französischer) Königssohn ebenfalls als Geisel am römischen
Hofe. Mit ihm schliesst Pilatus zunächst Freundschaft, zuletzt
tötet er aber auch ihn wie seinen Bruder. Eothe spricht von
„des Königs Sohn von Frankreich" (V. 598), und ebenso haben
wir auch in der Prosa LM(N) es mit einem französischen Prinzen
zu tun; in LM ist sogar sein Name „Paginus" genannt^). InO
dagegen ist es ein englischer Prinz, den Pilatus in Rom tötet*). —
Auch hier sehen wir wieder, dass Johannes Rothe seine lateinische
Vorlage mit Nachdenken gelesen und in verständiger Weise
wiedergegeben hat. Er sagt nicht fdnlach „und er tötete ihn",
— das occidit bezw. jugulavit der latein. Fassung übersetzend
— sondern er sucht den Totschlag zu begründen. Der französische
Prinz ist von einer zahlreichen Dienerschaft umgeben, trägt
*) „tunc adeunt regem, cui talia verba loquuntur:
inclyte rex, salve, tibi cuncti compatiuntur,
nil juvat extinotum, si victurus moriatur, . . .
Pylatus meniit mortem, sed ne moriatur,
Romam transmissus obses numquam redimatur" („O** : M.A.
1835 Sp. 427 Y. 81 flf.).
■) „rex ad se reversus . . . eum misit in obsidem" („L** : M.A. 1838
Sp. 527).
•) »Sed item Romce quendam nobilem, cui sociatus erat, Paginura, Pa-
gini iilium regis videlicet Francise missum Romanis etiam in obsidem pro
tributis, latenter occidit" („L": M.A. 1838 Sp. 527).
*) „Anglorum regis natus rectä ratione
obses erat RomsB pro census redditione,
cui se Pylatus non absque dolo sociavit
et puerum sicut l'ratrcm proprium jugulavit" (M.A. 1835
8p. 427 „0": V.93ff.).
— 71 —
höfische Kleidung und macht auch sonst grossen Aufwand — der
verstossene Pilatus dagegen geht in ärmlicher Kleidung, unedel,
äne knechte einher. Natürlich bleibt der Makel seiner Geburt
am römischen Hofe nicht lange unbekannt. Eines Tages —
vielleicht infolge eines Zerwürfnisses, oder auch im Scherze —
wirft ihm der französische Königssohn ein „Herr Müller" an den
Kopl: der tief gekränkte Pilatus erschlägt ihn" hierauf. — So
sucht ßothe überall seine Gestalten dem Leser lebendig vor Augen
zu stellen.
Die Römer nehmen den Mörder Pilatus sofort gefangen; sie
getrauen sich aber nicht, ihn hinzurichten, weil sein Vater dann
gegen sie feindlich gesinnt werden und ihnen die Steuerzahlung
verweigern könnte. Er wird deshalb nach der Insel Pontus zu
einem barbarischen Volke als Richter gesandt: dabei hegt man
im geheimen die Hoffnung, dass er dort den verdienten Tod finden
werde. — In der Angabe des Grundes, weshalb die Römer den
Pilatus nicht töten, sondern nach Poncien schicken (s. o.), stimmt
unser Ro mit dem latein. Pilatusgedicht genau überein ^). In
der Prosa LM(N) dagegen tragen sie deswegen Bedenken, ihn zn
töten, weil der, der seinen Bruder und den Paginus getötet hat,
ihnen in ihren künftigen Kriegen von Nutzen sein könnte*).
Weiter ist zu erwähnen, dass sowohl in 0^) als auch in LM(N)*)
*) „quo facto (nach der Ermordung) cives perturbati doluerunt,
et quidam punire nefas tantum voluerunt:
decretum tarnen est, ut non interficiatur,
ne pater illius contrarius efficiatur
imperioque dari solitum censum prohibere,
utpote vir, qui consiliis armisque valeret.** (»0": M.A. 1835
Sp. 427; vgl. dazu Pa V. 627 ff.)
*)„... cives Romani dolentes, an digna pena plectenda esset, an reser-
vanda, dubitaverunt dicentes : 'hie si supervicturus esset, qui fratrem necavit,
obsidem nostrum jugulavit, sua nequitia forsitan reipublice in debellandis
hostibus utilis esset pro futuro.'^ (A. f. d. A. XX, 186 u.)
«) „Insula grandis erat, Pontus hucusque vocata,
incultisque viris et inhumanis habitata,
qui sine prselato, sine judice quseque gerebant,
nam dominos regesque suos ferro perimebant* (»0":
M.A. 1835 Sp. 427 V. 103 ff.).
*)„..., in Ponte insula in gentibus illis, qui nulluni paciuntur ju-
dicem," . . . (A. f. d. A. XX, 186 u.).
-^ 72 -
die Roheit und Grausamkeit des richterlosen Volkes der Poncier
geschildert wird: hiervon weiss ßo nichts.
Wider Erwarten gelingt es jedoch dem Pilatus, in Poncien
geordnete Verhältnisse herzustellen und die rohen Barbaren an
mildere Sitten zu gewöhnen: ja, er erwirbt sich sogar den ehrenden
Namen „Pilatus von Poncien".
§ 68. 2) Pilatus und Herodes.
Zu derselben Zeit herrscht in Jerusalem Herodes über die
Juden, die den heidnischen Eroberer hassen. — In LM(N) ist
seine Persönlichkeit näher bestimmt als „H. minor, filius Arche-
lai, magni Herodis filii^)." — Er hört von dem Herrschertalent
des Pilatus und beschliesst, ihn durch Geschenke und Ver-
sprechungen als Mitregeriten und Helfer nach Jerusalem zu be-
rufen. Pilatus nimmt auch das Geld an und geht nach Jeru-
salem. Bald bricht er ihm aber die Treue und weiss es beim
Kaiser (Tiberius) durch Bestechung durchzusetzen, dass er zum
alleinigen Herrscher von Judäa ernannt wird: infolgedessen wird
natürlich Herodes sein erbitterter Gegner. Beide wollen ihre
Sache in Bom entscheiden lassen.
„ßothe" folgt insofern dem Prosapilatus LM(N), als in beiden
Darstellungen 1) Pilatus ohne Wissen des Herodes sich nach Rom
begibt und 2) der Name des Kaisers — Tiberius — genannt
wird. Demgegenüber bringt Pilatus es in 1) durch Sendung
von Geschenken dahin, den Herodes aus seiner Stellung zu ver-
drängen und 2) wird der Name des Kaisers nicht genannt, er
heisst nur allgemein „Caesar". Ferner ist in dem Pilatusgedicht
der ganze Verkehr zwischen Pilatus und Herodes — des ersteren
Empfang, seine Vorstellung vor dem Volke u. s. f.^)' — weit-
läufiger geschildert als in LM(N) und bei Rothe, die auch in
dieser Beziehung zusammengehen. Auf der anderen Seite finden
wir eine üebereinstimmung zwischen Ro und 0: der Umstand,
dass Pilatus des Geldes wegen an Herodes zum Verräter wird,
gibt dem Dichter in Gelegenheit, eine allgemeine Betrachtung
über das Geld und das von ihm oft angerichtete Unglück einzu-
1) M.A. „L«* 1838 Sp. 527. u.
«) Vgl. „0": Y. 119 ff. M.A. 1835 Sp. 428 o.
— 78 —
Schalten. Eine Einschaltung ähnlicher Art, teilweise sogar mit
denselben Ausdrücken, findet sich bei unserem Eothe (V. 709
bis 724), weshalb ich es für angebracht halte, die Stelle aus
unten wiederzugeben ^). —
Bis zu dem Ausbruch der Feindschaft zwischen Pilatus und
Herodes stimmt ßothe — wie wir sahen — in allen wesent-
lichen Punkten mit den lateinischen Fassungen LM(N) und
überein. Doch hier bricht der erste Schreiber der Dresdener
Handschrift auf Bl. H,b mit den Worten ab:
„Des beriffin sy sych da beiden
kegen rome: da solde man sy entscheiden,
Er iclichen noch syme rechtin.
Nicht andirs kondin sy gefechtin." (Pa. V. 744 flf.).
§ 69. 3) Der kranke Kaiser in Eom und seine Heilung
durch das wundertätige Schweisstuch der Veronika.
Auf Bl. 15,a der Dresdener Handschrift wendet sich der
zweite Schreiber unmittelbar dem Kaiser Tiberius und dessen
Heilung durch das wundertätige Schweisstuch der Veronika zu:
er setzt also die Leidensgeschichte Christi als bekannt voraus; nur
ganz kurz erwähnt er seinen Tod (V. 750 f.).
Verfolgen wir zunächst den Fortgang der Ereignisse aut Grund
der lateinischen Fassungen der Pilatusage.
Um die Zeit als Pilatus und Herodes die bittersten Feinde
geworden sind, ist Jesus Christus dem Tode nahe. Er ist von
Judas verraten, den Juden überliefert und vor Pilatus gebracht
^) »Heu quantum virtutis habes mala copia dandi!
per te dampnantur ju8ti florentque nefandi,
per te consequitur, quidquid mens captat habere,
narn vix est aliquis, qui spem non ponat in aere :
surripis omne bonum, supplantas omnia jura,
illicitum licitumque simul misces sine cura;
tu das ecclesias, praebendas, pontificatum,
ordine mutato laicis das presbyteratum ;
regibus et ducibus cum praesulibua do miliaris,
subduuturque tibi, quorum deus esse probaris:
prostituis dominas, peraguntquc vicem meretrices,
nulli namque fidem servas, nee parcis amicis." (»0**: V.
155—166. M.A. 1835 Sp. 428 u. — 429 o.)
— 74 -^
worden. Doch letzterer hat nicht den Mut, ihn nach dem Wunsche
der Juden zu verurteilen, sondern überweist ihn dem Herodes.
Aber auch Herodes will an dem Blute Christi unschuldig sein
und schickt ihn deshalb an Pilatus zurück. Zuletzt gibt Pilatus
dem Drängen des jüdischen Volkes nach und lässt Jesum kreuzigen.
Das ist etwa der Hauptinhalt sowohl der lateinischen Pilatus-
prosa LM(N), als auch des lateinischen Pilatusgedichtes 0.
Im einzelnen wäre noch hinzuzufügen, dass Herodes in der
üeberweisung Christi an ihn eine Ehrung von selten des Pilatus
sieht, und dass so eine Versöhnung zwischen beiden zu Stande
kommt ^) 2).
Der Dichter von — der Einschaltungen reflektierender Art
liebt — beklagt (V. 196—203) die Torheit des jüdischen Volkes,
das seinen Erlöser und Heiland schnöde von sich gestossen hat.
Hieran schliesst sich eine kurze Erwähnung der Grablegung, Auf-
erstehung und Himmelfahrt Christi, der am jüngsten Tage als
Eichter wiederkehren soll").
Diese Erwähnung der Leiden Christi fehlt also bei Rothe.
Unser Dichter wendet sich vielmehr (mit V. 748) gleich dem
Kaiser Tiberius in Rom zu: dieser leidet am Aussatz, kein Arzt
kann ihm helfen. Da hört er von einem wundertätigen „Arzte"
in Jerusalem und hofft von ihm gerettet zu werden — er weiss
ja noch nichts von dem Tode Christi. Der Kaiser schickt des-
halb seinen vertrauten Diener Volusian mit dem Befehl zu Pilatus,
ihm möglichst bald „den Propheten und Arzt" nach Rom zu
senden. —
Nach herrscht in Rom Titus (= Tiberius bei Ro) und zu-
gleich mit ihm Vespasianus: beide sind unheilbar krank; jener
*) „quem (sc. Jesum) Pilatus induit veste purpurca et misit Herodi,
volens se servare innocentem a sanguirae ejus. Herodes autem credens hec
ad honorem et reverentiam esse facta, mutuo dilectionis honore reraisit eum
Pilato et reconciliati sunt Pilatus et Herodes in die iUa". („L" : A. f. d. A.
XX, 187 0.)
') „Herodes secum reputans quod conciliari
y eilet Pilatus, rursumque sibi famulari,
ut domino regique suo fit verus amicus,
ejus cujus erat gravis et fervens inimicus".
(„0": >I. A. 1835 Sp. 429 V. 186 ff.)
3) „0": M. A. 1835 V. 204—207 Sp. 430.
. — 75 —
ist aussätzig, dieser hat Wespen in seiner Nase (Vespasianus wird
bei Ro erst später erwähnt; vgl. u.). Titns beherrscht Rom und
dessen Umgebung, während Vespasianus der Regent des westlichen
Teiles des römischen Reiches ist. Sie hören von dem „Arzte"
Christus in Jerusalem und hoflfen durch ihn geheilt zu werden.
Zu diesem Zwecke beauftragt Titus den Pilatus durch eine Gesandt-
schaft — bei Ro und in LM(N) ist es nur ein Bote — ihm Jesus
zu senden.
In der lateinischen Prosaversion LM(N) folgt auf die kurze
Erwähnung der Leidensgeschichte Christi die Reue des Pilatus und
die Entsendung eines Boten nach Rom, der ihn vor dem Reich ent-
schuldigen soll. — Jedoch wollen wir den Pilatusboten zunächst
beiseite lassen, um im Zusammenhang genauer auf ihn zurück-
zukommen.
Im übrigen stimmt die Pilatusprosa LM(N) — im Gegensatz
zu — ziemlich genau zu unserem „Rothe". Auch hier heisst
der aussätzige Kaiser in Rom Tiberius, sein Bote an Pilatus heisst
in M zuerst Volusian (= Ro!), später Albanus, wie auch in L(N);
so ist bei Rothe der Bote, den dann Pilatus dem zurückkehrenden
Volusian nachschickt, Albanus. Rothe hat den lateinischen Fassungen
gegenüber wieder einige Zutaten. Er zählt die ersten römischen
Kaiser kurz auf: Julius, Oktavian, Tiberius und Gajus. — Der
Kaiser Tiberius hat seine furchtbare Krankheit übermässigem
Weingenusse zu verdanken; drei Jahre leidet er schon an ihr. —
Seinem Boten Volusian gibt er nicht nur einen Auftrag, sondern
einen ausführlichen Brief an Pilatus mit. —
Weiter kommt dann der Bote des Kaisers zu Pilatus, teilt diesem
den Auftrag seines Herrn mit und bringt ihn dadurch in nicht ge-
ringe Verlegenheit und Furcht. Pilatus bittet sich eine vierzehn-
tägige Bedenkzeit aus: erst dann könne er ihm eine An wort geben.
Unterdessen stellt der kaiserliche Gesandte in Jerusalem Nach-
forschungen nach Christus an; zufällig lernt er eine Frau, Vero-
nika, kennen: diese erzählt ihm von dem Leben ihres geliebten
Herrn, von seinem unschuldigen Leiden und Sterben. Auch be-
richtet sie ihm die Geschichte von dem Schleier mit dem Christus-
bilde, den ihr Jesus kurz vor seinem Tode zum Andenken ge-
schenkt habe. Durch jenes Schweisstuch würden Kranke aller Art
geheilt. Auf des Boten Bitte zieht Veronika dann mit nach Rom,
— 76 —
»
heilt dort den Kaiser durch ihr wundertätiges Tuch und kehrt
hochgeehrt und reich beschenkt nach ihrer Heimat zurück.
Bei „Rothe" folgt auf die Abreise des Volusian und der
Veronika nach Rom (V. 959) die Episode der Sendung eines
Boten Alban durch Pilatus an den römischen Kaiser, auf die wir
an späterer Stelle ausführlich zurückkommen. —
Die Verhandlungen des Boten Volusian mit der Veronika in
Jerusalem, ihre heimliche Abreise nach Rom zum Kaiser Tiberius,
des letzteren Heilung^) durch den wundertätigen Schleier, endlich
auch Veronikas Empfang, Ehrung und Heimkehr stimmen bei Rothe
ziemlich genau mit dem latein. Prosapilatus LM(N) — im Gegen-
satz zu — überein. In beiden Darstellungen bittet Pilatus den
Boten Volusian -Alban um eine vierzehntägige Bedenkzeit. — Der
Bote ist äusserst betrübt, als er aus dem Munde der Veronika
hört, dass Christus nicht mehr am Leben ist und seinem Herrn
also nicht mehr helfen kann. Traurig ruft er aus:
„Her (der kaisir) wirdit darum eyn betrubetir man,
Wanne her das nü geset,
Das sin begerunge nicht geschet
Vnd ich werde eyn vnnuczter bathe." (V. 875 ff.) 2)
Ferner schildert Veronika in beiden Fassungen (Ko und LM)
genau, wie sie ihr mit dem Bildnis Christi geschmücktes Schweiss-
tuch von diesem erhalten hat. Sie beschreibt dem Boten ihren
Gang zu dem Maler, ihre Begegnung mit Christus auf der Strasse
u. s. w. — Bei Ro fragte der Bote weiter die Veronika auf ihre
Erzählung von dem heilkräftigen Schweisstuche, ob dasselbe für
Silber und Gold für seinen Herrn feil sei, worauf sie ihm ant-
wortet, dass sie nicht des Geldes wegen, sondern aus Frömmig-
*) Der ausführliche Bericht der HeiluDg fehlt freilich in LM, aber wahr-
scheinlich durch ein Verseheu des Abschreibers (vgl. die Anm. Schönbachs,
A. f. d. A. XX, 189).
*) Vgl. dazu das Gespräch zwischen dem Boten und der Veronika in
LM: „revertar ego sine spe nee domino meo qui leprosorum detinetur in-
firmitate reportabo solacium, non amplius sperabit medicaminis subsidium?
Veronica: 'qui sperat in domino nostro non confundetur. speret in eo et dabit
ei petitionem cordis sui, quia petentibus dabitur et pulsantibus aperietur.'
Albanus: * vehementer doleo quod legationem domini mei nullatenus expleo/"
(A. f. d. A. XX, 189 o.)
— 77 —
keit allein mit ihm zum Kaiser nach Eom ziehen und diesem das
Tuch bringen wolle.'' (Pa. V. 926 flf.) Dies ist ebenso im latein.
Prosapilatas LM dargestellt^)
Auch noch in einem anderen Punkte geht „Eothe* mit der
Prosa LM. Bei ihm lesen wir über den Empfang der Veronika
in Rom (V. 1314 ff.):
„Der keisir hiez sich di frowin bereite
Vnd liez di wege bebreite
Mit sidin tuchirn vnd kostlichin gewanden
Vnd mit teptin manchir bände,
Do si das bilde an dem tage*
Czu eme in das palas solde trage."
Diese Erwähnung der Ausschmückung der Strassen, durch die
Veronika kam, finden wir von den lateinischen Pilatusfassungen
nur in LM wieder, wo es heisst: „Cesar igitur jubet afferri im-
aginem stratis palliis in viam purpureis, cujus viso aspectu con-
secutus est graciam sanitatis."
(A. f. d. A. XX, 189 f.) 2).
Endlich sei noch erwähnt, dass die kürzere lateinische Pilatus-
prosa N uns allein überliefert, Veronika sei das von Christus
(durch Berührung des Saumes seines Kleides) vom Blutfluss ge-
heilte Weib gewesen^). In Rothes Passion findet sich hiervon
nichts. —
Während so unser Dichter in Bezug auf die Darstellung der
Legende vom Schweisstuch der heiligen Veronika und der Heilung
des Kaisers in Rom mit dem lateinischen Prosapilatus LM(N) fast
bis auf Einzelheiten übereinstimmt, zeigt die Fassung (latein.
Pilatusgedicht) doch mannigfache Abweichungen.
*) „Albanus: 'estne imago talis argento vel auro comparabilis?' Veronica
dixit: 'non, sed pie devotionis aftectu'. Albanus: *quid ergo faciam ?' Vero-
nica: (160a ) Hccum si placet proficiscar et medendam cesari deferam ima-
ginem et revertar'". (A. f. d. A. XX, 189.)
2) Auf diese Uebereinstimmung hat schon Schönbach (Anz. XX, 210)
flüchtig aufmerksam gemacht. Er kannte die Stelle in der Pa Rothes aus
dem Zitat, das Bech (Germania IX, 174) in dem ausgehobenen Wörterver-
zeichnis unter „bebreiten" gibt.
8) „Veronica erat mulier illa, quam prius sanaverat dominus a fluxu
sanguinis per tactum fimbriao suao" (Mon. Anz. 1838 Sp. 530 o. „N").
— 78 -
Allgemein können wir sagen, dass in — gegenüber Eo
und LM(N) — Namen und genauere Angaben weggelassen sind.
Der durch die Botschaft des Kaisers In Schrecken versetzte Pilatus
bittet den Boten (oder vielmehr die Boten) um „Bedenkzeit" —
gegenüber der „vierzehntägigen" Bedenkzeit in LM(N) uiidEo. —
[Der Name des üeberbringers der Botschaft ist nicht genannt;
es heisst nur ganz allgemein „legati" in (V. 221).] An dieser
Stelle finden wir in eingeschoben : die Sendung von Geschenken
des Pilatus an den römischen Kaiser, wodurch ersterer sich der
Kreuzigung des unschuldigen Christi wegen entschuldigen will.
Doch hiervon erst später! —
Sodann verschweigt uns der Dichter den Namen der Veronika
in 0; sie wird allgemein mit „mulier" oder „femina" bezeichnet
(z. B. V. 260). Ueberhaupt ist die Unterhandlung des Boten mit
der Veronika und der letzteren Erzählung von der Erlangung des
heilkräftigen Schweisstuches in der Fassung zu kurz gekommen:
hier erfahren wir nichts von dem Maler, zu dem Veronika sich
begeben will, nichts von ihrem Zusammentreffen mit Christus
auf der Strasse, nichts endlich von der Frage des Boten, ob ihr
Schleier für Silber und Gold feil sei. Und weiter ist ihre An-
kunft in Eom und die Heilung des Kaisers in wenige Verse zu-
sammengefasst: ihr Empfang, ihre Ehrung und glückliche Heim-
kehr - alles dies wird mit Stillschweigen übergangen.
Nur in einem Punkte finden wir eine üebereinstimmung
zwischen Eo und 0. Vor ihrer Abreise nach Eom lässt sich
Veronika von dem Boten einen Eid schwören, dass ihr unterwegs
und in Eom selbst kein Haar gekrümmt werden dürfe*).
§ 70. 4) Der Bericht des Pilatus an den römischen
Kaiser.
Als Pilatus von der heimlichen Abreise des Boten Volusian
und der Veronika gehört hat, sendet er — nach Eothe — vom
bösen Gewissen beunruhigt, seinen Boten Alban mit einem
Entschuldigungsschreiben an den Kaiser Tiberius nach Eom.
*) » • • • jurate mihi, quando secura redibo. . . .
jurant statim mulieri
quod voluit, spondentque nihil debere tiraeri.* („0" : M.A.
1835 Sp. 432 o. Vgl. Pa V. 934 ff.^
— 79 —
Es ist nun an der Zeit, auf das Thema ,,der Sendung eines
Boten von Pilatus an den Kaiser" näher einzugehen und zu ver-
suchen, die in den verschiedenen Fassungen auseinandergehenden
Darstellungen klarzulegen. Sowohl der mittelhochdeutschen als
auch den lateinischen Fassungen liegt etwa folgender Sagenbe-
stand zu Grunde: Pilatus schickt — aus Eeue — einen Boten
nach Rom, der ihn vor dem Kaiser wegen der Kreuzigung Christi
entschuldigen soll. Infolge eines Seesturms wird der Bote jedoch
verschlagen und kommt zu dem römischen Statthalter Vespasian,
der ebenso wie der Kaiser an einer unheilbaren Krankheit leidet —
er hat Wespen in seiner Nase. — Diesem erzählt er von dem
Leben und den Wunderwerken Christi und seinem unschuldigen
Tode durch Pilatus und die Juden. Im Glauben an Christus
wird Vespasian von seiner Krankheit geheilt: er entlässt den Boten
reich beschenkt und begibt sich selbst nach Rom, um dem
Kaiser von seiner glücklichen Genesung Bericht zu erstatten und
des Pilatus und der Juden Bestrafung zu veranlassen.
Was die Einzelfassungen in Bezug auf diesen Teil der Pilatus-
sage betrifft, so wollen wir in der nachstehenden Untersuchung
von folgenden Gesichtspunkten ausgehen:
a. Veranlassung.
Pilatus hat der Kreuzigung Christi wegen grosse Furcht vor
einer Bestrafung durch den Kaiser. Er sucht sich deshalb durch
eine Botschaft an diesen von aller Schuld rein zu waschen.
Nach Ro veranlasst ihn hierzu die plötzliche Abreise des
Boten Volusian mit der Veronika: den kaiserlichen Boten hat er
ja vierzehn Tage mit einer Antwort hingehalten, auch war er so
unvorsichtig, diesem mitzuteilen, dass Christus nicht mehr
am Leben sei und „ein wunderliches Ende erworben habe."
(V. 834 f.)
Aehnlich ist die Darstellung in 0: nachdem die Gesandten
des Kaisers (Titus) sich ihres Auftrages an Pilatus entledigt haben,
gerät dieser in grosse Furcht. Er bittet um Bendenkzeit und
fasst inzwischen den Entschluss, durch Sendung von Geschenken
zu versuchen, Straflosigkeit beim Kaiser zu erwirken ^).
^) „cogitat interea regi dare munera multa,
ut pro muueribus Christi mors esset iu ulta." („O** : M.A.
1835 Sp. 430 M. V. 224 f.)
— 80 - .
Auch was die zeitliche Aneinanderreihung der einzelnen
Tatsachen angeht, stimmt demnach Bo mit überein: bei beiden
wird Pilatus, durch eine kaiserliche Botschaft in Furcht versetzt,
veranlasst, eine Gegenbotschaft zu senden.
Abweichend hiervon berichtet der Prosapilatus LM(N), sowohl
was die Veranlassung, als auch was die zeitliche Einordnung der
Absendung der Botschaft des Pilatus angeht. Unmittelbar nach der
Erzählung von der Kreuzigung Christi — so heisst es in LM(N)
— lässt dem Pilatus das böse Gewissen keine Euhe: er kann
nicht umhin, über den Tod Christi — zugleich zu seiner Ent-
schuldigung — nach Eom Bericht zu erstatten^).
ß. Der Name des Boton.
Pur den Boten, welchen Pilatus an den römischen Kaiser
sendet, begegnen in den verschiedenen Sagenversionen verschiedene
Namen. Bei Eo heisst der 'Bote des Pilatus „Alban", im Prosa-
pilatus L dagegen (mit leichter Aenderung) „Adanus", während
die Prosafassung M (die sonst mit L identisch ist)^) ihm den
Namen „Adrianus" beilegt. Mit M geht der „kürzere Prosa-
pilatus" N, der übrigens nicht den Pilatus, sondern den Herodes
den Boten nach Eom senden lässt^). Im Pilatusgedicht endlich
sind die Boten -^ der uns schon bekannten Neigung des Dichters
,ent5prechend — gamicht mit Namen genannt; es heisst dort
einfach :
„munera mittun tur, sed qui deferre volebant ..."
(Mon. Anz. 1835 Sp. 430 M. V. 226).
Die ursprüngliche Form des Namens ist wahrscheinlich
„Alban" (— Eothe), denn es gibt einen Mainzer Märtyrer, „St.
Alban**, dessen Leben von dem Mainzer Kanonikus Goswin um
1072 beschrieben wurde. Da nun Mainz als Eesidenz des Vaters
^) „Sciens autem (Pilatus) per iuvidiam traditum esse Jhesura et timcnB
offensam Tiberii csesaris, quod san^inem innoceiitem condemnaverat, appa-
rato nayigio multis muneribus onerato Adanum quendam sibi ^familiärem
ad excusandum se misit Tiberio', . . ." „LM" : (M.A. 1838 Sp. 528 o.); ähn-
lich in „N" (a. a. O. Sp. 529 u.).
8) Vgl. A. f. d. A. XX, 136.
«) Vgl. Mon. Anz. 1838 Sp. 529 u.
•— 81 —
des Pilatus eine grossfe Bolle in der Sage spielt/ könnte doch
sehr leicht der Name „Alban'' mit Pilatus in Zusammenhang ge-
bracht worden sein*). Die lateinischen Passungen L[M] und N
mussten den Namen des Pilatusboten ändern, denn sie hatten
„Albanus*" ja schon für den „Tiberiusboten" verwandt: so werden
wohl die Namen Adanus (L) und Adrianus (MN) zu erklaren sein 2).
Y- Inhalt der Botschaft.
Den Inhalt der Pilatusbotschaft stellt Eothe den lateini-
schen Fassungen gegenüber etwas anders dar. Zwei Gesichts-
punkte sind hier für die Beurteilung des Verhältnisses der
lateinischen Versionen zu unserer mittelhochdeutschen von Wichtig-
keit. 1. In dem lateinischen Prosapilatus stellt Pilatus Christus
als einen schlechten Menschen hin, der gerecht verurteilt worden
sei und 2.* sendet er dem Kaiser reichliche Geschenke, um ihn
zu bestechen^). In dem Pilatusged. wird mit dem in anderem
Zusammenhang schon oben beigebrachten V. 226 flüchtig über
den Inhalt der Pilatusbotschaft hinweggegangen und nur noch
hinzugefügt, dass Pilatus
„cogitat . . . regi dare munera multa,
ut pro muneribus Christi mors esset inulta.'^
(Mon. Anz. 1835 Sp. 430.)
Ganz anders bei unserem Johannes Bothe: er führt die
Gestalt des Pilatus dem Herzen seiner Leser dadurch etwas
näher, dass er ihn die Verdienste Jesu voll anerkennen lässt.
') Andere Yermutungen hierüber spricht Schönbach aus (A. f. d. A.
XX, 193).
«) Vgl. auch Schönbach, Anz. XX, 206.
') „LM*^: „(Pilatus) . . . apparato navigio multis muneribus onerato
Adanum quendam sibi familiärem ad cxcusandum se missit Tiberio, qui dice-
ret ei, quoniam ad honorem sui et conservationem juris et judicii magum
quendam nomine Jhesum, regem se facientem, caesari contradicentem, justa
in eum data sententia captum vinxisse et ad crucifigendum tradidisse populo.^
(M.A. 1838 Sp. 528 o.) Und ähnlich berichtet „N" : „Herodes (anstatt Pilatus)
. . . Adrianum sibi quendam familiärem ad excusandum se Tiberio destina-
yit, dicens se quendam magum nomine Jhesum, impcratori contradicentem,
CTUcifigendam populo tradidisse.^ (Ebenda Sp. 529 u.)
Heinrich, Studien za Joliannes Rothe 6
— 82 — '
In einem Briefe — und einen solchen lässt unser Dichter den
Pilatus schreiben — teilt dieser dem Kaiser Tiberius mit, dass
die Juden durch die Kreuzigung des unschuldigen Christi ewige
Verdammnis auf sich geladen hätten. Dann zählt er begeistert
die Wundertaten auf, die der Herr auf Erden vollbracht habe.
Nur mit Widörwillen und mit heimlicher Furcht habe er dem
Drängen des jüdischen Volkes nachgegeben, das Jesus als Zauberer
und Betrüger bei ihm verschrieen habe. Weiterhin schildert er
noch kurz die Kreuzigung, Grablegung, Auferstehung un.d Himmel-
fahrt Christi. Am Schlüsse seines Schreibens versichert er dem
Kaiser endlich noch, dass er die volle Wahrheit gesagt habe
(V. 1114 ff.): ''
„Dit habe ich uch in warheit geschrebin.
Ab ymant login hette getrebin.
Das ir nicht gloubin soldit,
Ab ir di warheit wissen woldit."
8. Schicksal des Boten.
Besonders wichtig ist dann 4. die Frage nach dem Schicksal
des von Pilatus nach Rom gesandten Boten. Versuchen wir zu-
nächst wieder, den Grundgedankengang aller Fassungen festzu-
legen: der Bote des Pilatus wird durch Unwetter auf dem Meere
verschlagen und kommt nicht nach Rom, sondern zu Vespasian,
einem Statthalter des römischen Kaisers im Westen des Reichs.
Dieser ist unheilbar krank, erfährt durch den Boten von dem
„Arzte" Christus und wird durch den Glauben an diesen auf der
Stelle von seiner Krankheit geheilt. Zuletzt zieht er aus Freude
und Dankbarkeit über seine glückliche Genesung zum Kaiser
nach Rom, um die Mörder des unschuldigen Jesu — die Juden
und vor allem den Pilatus — zur Bestrafung ziehen zu lassen.
Durch seinen Bericht bestärkt er den Kaiser in dem Entschlüsse,
den Pilatus zu töten.
So liegt eine gewisse Tragik darin, dass derselbe Bote, der
den Pilatus retten soll, mittelbar zu seinem Verderben beiträgt.
Wenden wir uns nun den einzelnen Versionen der Sage
zu. Der Pilatusbote wird nach Ro an die Küste „Welschlands"
verschlagen, der Prosapilatus lässt ihn an der „galicischen"
— 83 —
Küste Schiflfbrucb erleiden^), während in die Pilatusboten in
Spanien landen und von dort zu Fuss nach Rom weiter wandern *).
Auf dem Wege gelangen sie zu Vespasian.
Der Prosa LM und unserem mittelhochdeutschen Gedichte
gemeinsam ist die Erzählung, dass nach der Sitte des Landes, an
dessen Küste der Bote geworfen wird, Schiffbrüchige ihr lieben
verwirkt haben'). Hiervon wissen und N nichts. — Was
weiter die unheilbare Krankheit des Vespasian betrifft, so be-
richten uns alle Fassungen übereinstimmend, — also Ro, LM[N]
und — dass er Wespen (von Jugend auf) in seiner Nase ge-
habt habe. Die Prosa LM und Ro fügen noch hinzu, dass er
diesem Umstände auch seinen Namen [„Vespesian'' (Ro,LM) oder
„Vespasian" (N,0)] verdankt (!):
(Pa V. 1214 ff.)
„Nu hatte her vespin — horte ich sagin —
Von jogunt in siner nasin getragin.
Vnd darvon so wart her genant
'Vespesianus' obir alle laut."
Entsprechend lesen wir in der Prosaversion LM: „Vespesia-
nus enim quoddam genus vermium forsitan ad manifestanda
opera dei insitum naribus gerebat ab infancia, undeavespis dice-
batur Vespesianus*)."
Ueberraschend ist die Uebereinstimmung des Gesprächs
zwischen dem Pilatusboten und Vespesian bei Ro mit dem Prosa-
pilatus LM. Die Prosa hat hier die direkte Rede wie Ro, der
oft wörtliche Anklänge an das Lateinische zeigt ^). In N und vor
allem in haben wir auch hier wieder starke Kürzung.
Es bleibt nun noch übrig, einige Worte über das Eintreffen
des Pilatusboten bezw. des Vespesian in Rom nach den ver-
*)„... ventis sibi contrariis in Galiciam mittitur." [„LM(N)": M.A.
1838 Sp. 528 o.]
*) n • • • Hispanosque legunt portus, tunc egrediuntur,
perque yiam loDgam redeunt, Romam repeteDtes.'^ (Ebenda 1835
V. 229 f. Sp. 430.)
') „Erat autem consuctudo, ut quicunque hujusmodi relegationis exilium
patieus terris aliquibus impcHeretur, principibus et terrae illius incolis rebus
et Servitute subjiceretur.** (Ebenda 1838 Sp. 528 o. Vgl. dazu Pa V. 1186 ff.)
*) A. f. d. A. XX, 187 u.
•) Vgl. Anz. XX, 187 f. und dazu Pa V. 1200 flf.
6*
— 84 —
schiedenen Versionen zu sagen. In diesem Punkte weichen die
einzelnen Fassungen stark von einander ab. Bo steht mit seiner
Auffassung aliein : bei ihm entlässt Yespesian nach seiner Heilung
den Pilatusboten reich beschenkt nach Rom, wo er auch dem
kranken Kaiser Tiberius helfen soll (Pa V. 1274—1279). Der
Bote trifft in der Hauptstadt gerade in dem Augenblick ein, wo
der Kaiser — nach seiner glücklichen Heilung durch das Schweiss-
tach der Veronika — seine Diener zur Ergreifung des ruchlosen
Pilatus nach Jerusalem gesandt hat. Tiberius findet in dem
Briefe des Boten alles bestätigt, was Veronika und Volusian ihm
über Pilatus gesagt haben. — Vespesian dagegen kommt erst
später nach Rom, als Pilatus schon in die Verbannung geschickt
ist. Durch den Bericht des Vespesian und seine erneute Anklage
gegen Pilatus wird des letzteren Hinrichtung vom Kaiser end-
gültig befohlen. — In LM(N) kehrt der „Bote** von Vespesian
aus unmittelbar nach Hause zurück. Der Statthalter selbst wird
nachher nach Rom berufen und stimmt natürlich auch für die
Hinrichtung des Pilatus"). Nach endlich begeben sich Ves-
pasian und die „Pilatusboten" gemeinschaftlich nach Rom —
und zwar gleich nach des ersteren Heilung — und tragen durch
ihre Aussagen wesentlich dazu bei, Pilatus ins Verderben zu
stürzen ^).
§ 71. 5) Verurteilung des Pilatus und sein tragisches
Ende.
Hinsichtlich der Verurteilung und des Todes des Pilatus
liegt den lateinischen Versionen und unserem mittelhochdeutschen
^) „Yespasianus qui advocatus (est) principain consilio morte turpissina
dampnandum censuit Pilatum.'^ („LM^: Anz. XX, 190 o.)
') Yespasianus und die Boten treten die Reise nach Rom an:
„dispositis igitur cunctis iter aggrediuntur
rex equitesque sui, cum quo pariter gradiuntur
hi, quoB ut dixi, Pylatus miserat ante
excusa^e malum fraudisque pericula tantae.*^ („0.*^M.A. 1835
Sp. 4SI o. y. 248 If.) Des Yespasianus Ankunft in Rom:
„äuget laetitiam veniens quoque Yespasianus,
namque refert simili se curatum ratione,
ut doluit de morte dei vel perditione.
consilioque pari prodit sententia regum:
perdere Pylatum justo moderamine legum*^ (ebend. Sp. 432 u.).
— 85 —
Gedichte knrz etwa folgender Sagenbestand zn Grande. Auf
kaiserlichen Befehl wird Pilatus, der Kreuzigung des unschaldi-
gen Christi wegen aufs schwerste belastet, ^ gefangen nach Born
gef&hrt und bald darauf zum Tode verurteilt. Seiner Hinrichtung
kommt er aber durch Selbstmord zuvor.
Das berichten kurz sowohl LM(N) als auch 0. In der Prosa
LM(N) findet sich noch folgender Ausruf des Kaisers, als man
ihm die Nachricht vom Selbstmorde des Pilatus überbringt: „vere
mortuus est morte turpissima cui manus non pepercit propria . , .^
(Anz. XX, 190).
Ganz ähnlich lässt Bothe den Tiberius auf die Kunde von
dem tragischen Ende des Pilatus ausrufen (V. 1545 flf.):
„ . . . werlichin! der tod
Ist schemelichir danne keynerlei nod,
Wan eyner selber obir sich rieht
Vnd vmme sine cigin bossheit irsticht."
Sonst ist die Darstellung bei Bo ausführlicher als die der
lateinischen Fassungen. Vor allem ist zu erwähnen, dass bei
ihm die Schuld des Pilatus durch eine Anklage der Juden —
von der die lateinischen Versionen nichts wissen — noch ver-
grössert wird. Der Dichter hat diese Anklage fein motiviert:
die Juden erfahren, dass ihr Statthalter in dem Berichte an den
Kaiser die ganze Schuld an der Verurteilung Christi auf sie ab-
gewälzt habe; deshalb senden sie ihrerseits heimlich einen Boten
nach Bom ab, der den Pilatus aufs schwerste beschuldigen soll:
er habe sein Amt schlecht geführt; sie bitten um einen anderen
Bichter. (Pa VV. 1118— 1171; 1406 f.)
Eine gewisse Tragik ist auch hier unverkennbar. Die Juden, '
durch die Pilatus unbestraft zu bleiben hofft — indem er sie
für den Tod Christi verantwortlich macht — tragen später nicht
unwesentlich zu seiner Verurteilung bei. —
In den lateinischen Fassungen der Sage ersticht sich Pilatus
bald nach dem Bekanntwerden seiner Verurteilung. Bei Bothe
wird er nicht sofort zum Tode verurteilt, sondern zunächst nach
Lugdunum in Burgund in die Verbannung geschickt (im J. 39
n. Chr.), wo er ein Jahr lang in grösster Armut sein Leben fristet.
Erst des Vespasianus Bericht gibt dem Kaiser die unmittelbare
Veranlassung, den Hinrichtungsbefehl gegen Pilatus zu erlassen.
— 86 —
(Bei Ro kommen also für die Schuld des Pilatus in Betracht: die
Aussagen des Volusian und der Veronika, die Anklage der Juden,
des Pilatus eigener Brief und der Bericht des Vespasian.)
In unserer mittelhochdeutschen Version endlich ersticht sich
Pilatus in „Vihen": hiervon wissen LM(N) und nichts. Viel-
mehr macht Pilatus in den lateinischen Fassungen in Born seinem
Leben ein Ende.
Auf die Namen „Lugdunum" und „Vihen" kommen wir im
nächsten Abschnitt zurück.
§ 72. 6) Das Schicksal der Leiche des Pilatus.
üeber das Schicksal der Leiche des Pilatus mit besonderer
Beziehung auf den Schweizer Pilatusberg als Grabstätte derselben
besitzen wir eine Vorarbeit. Im „Anz. f. Kunde der deutschen
Vorzeit« (N. F. Bd. XI, Sp. 364—369. 1864) druckte Herschel
mit einer kurzen Abhandlung „zur Pilatussage" den Teil unserer
Dresdener Handschrift M. 199 ab, der sich auf das Schicksal der
Leiche des Pilatus bezieht (Pa V. 1551— 1714). i)
H. weist nach, dass die uns bekannte älteste Erwähnung des
Schweizer Pilatusberges (des alten „Frakmont")in unserer (Münchener)
Prosafassung L stattfindet*). Weiter verfolgt er die späteren Er-
wähnungen des Pilatusgrabes: 1. bei dem Züricher Chorherm
Konrad von Mur (vgl. Capellerii historia montis pilati. Basil. 1767
pag. 3).
2. in der Legenda aurea des Jacobus a Voragine (Grässische Aus-
gabe, S. 234) und
3. bei dem Züricher Chorherrn Felix Hämmerlin,
a) in dessen tractatu exorcismorum alio (Bl. 79 der in Eberts
bibliograph. Lexikon unter 9430 aufgeführten Ausgabe) und
b) ausführlicher in dem dialogo de nobilitate et rusticitate (in der
bei Ebert mit 9429 bezeichneten Ausgabe, Kap. 32, Bl. 126).
Herschel hat jedoch die Vergleichung der lateinischen Ge-
staltungen der Sage mit der Darstellung Eothes im einzelnen nicht
durchgeführt, sodass uns dies zu tun noch übrig bleibt.
*) Nach Herschels Zählung V. 803—966. — AUerdiiigs Btimme ich in
dem Lesen der handschriftlichen Ueberlieferung nicht immer mit ihm überein
(vgl. unten den Text der hs.).
■) Vgl. unten die betr. Stelle nach M. A.
— 87 —
Welches ist zunächst wieder der Kern aller Sagen Versionen ?
— Der Leichnam des Selbstmörders Pilatus darf nicht bestattet
werden. Er wird deshalb, mit einem Mühlstein am Halse be-
schwert, in einen Fluss (in der Nähe einer Stadt) geworfen. Doch
hier verursacht er grosses Unheil: Sturm und Gewitter, Hagel
und Ueberschwemmung. Deshalb wird er nach einem See (, Brunnen")
in den Alpen (in der Nähe des Frakmont oder mons septimus,
des heutigen „Pilatus" bei Luzern) an einen tibelberüchtigten Ort
gebracht, wo er bis heute im Bunde mit teuflischen Geistern sein
Unwesen treibt. —
Nach dem Pilatusgedicht wird des Pilatus Leiche in die
„Rhone" geworfen und zwar in der Nähe der Stadt „Vienna."
Zuletzt bringt man sie an einen unheimlichen Ort hoch in den
Alpen. In LM(N) kommt sein Leichman zuerst in den Tiber,
dann in die Rhone bei Vienna; später versucht man ihn in „Lo-
sanne" zu beerdigen, sieht sich aber zuletzt genötigt, ihn nach
einem „Brunnen" (puteus) in den Alpen zu schaffen (in LM wird
übrigens Vienna als „Weg der Hölle", via Gehennae erklärt).
Ro schliesst sich wieder der Prosa LM an: der Leichnam
wird in die Rhone geworfen, in „Losanne" versuchsweise bestattet
und findet endlich in einem Alpensee eine Ruhestätte.
Vor seinem Tode muss Pilatus nach Ro zunächst nach „Lug-
dun um" (Lyon) in die Verbannung gehen und stirbt in „Vihen**.
„Vihen" ist offenbar gleich dem „Vienna" der lateinischen Vor-
lagen. „Lugdunum" dagegen finde ich nur in erwähnt, in
einer wahrscheinlich nicht altsagenmässigen Erweiterung des
Dichters. An der betr. Stelle wird in gesagt, die Einwohner
von Vienna kommen in Lugdunum zusammen, um über die Ab-
wehr des durch die Pilatusleiche entstandenen Unglücks zu berat-
schlagen („0":. M.A. 1835 Sp. 433 V. 346 ff.).
Sonst hat Rothe den altsagenmässigen Bestand mit
mancherlei phantastischen Zutaten ausgeschmückt: das Spiel der
Geister mit dem Leichnam — die Steine auf dem Grabe in Lo-
sanne, die mit mächtigem Getöse auseinanderfliegen — die ört-
lichen Angaben in Bezug auf den Alpensee: Kostnicz u. s. w. —
der Besitzer des Sees: Herzog von Oesterreich — und vor allem
das in der Nähe desselben zur Abwehr des Teufelsspuks errichtete
Kloster — — von allen diesen Dingen wissen die lateinischen
— 88 —
Pilatusversionen nichts. Herschel bemerkt deshalb wohl mit Recht,
dass Bothe in Bezug auf die Ausschmückung des letzten Teils
der Pilatussage „von einer argen Verwechslung oder gar von
einer Erdichtung kaum freizusprechen sein wird". (A. a. 0.
Sp. 369 u.)0.
§73.
Schönbach hatte die Vermutung ausgesprochen, dass Bo auf
das Pilatusgedicht zurückgehe (vgl. seinen Stammbaum). Im
Verlaufe seiner Abhandlung modifizierte er jedoch seine Ver-
mutung dahin, dass Bo, „alles in allem genommen, nach einer
Fassung gearbeitet sei, die unserer Prosa M am nächsten
stehe.*
Fassen wir zunächst die Ergebnisse unserer Untersuchung noch
einmal kurz zusammen.
§74.
In folgenden Hauptpunkten stimmt Bo mit dem lateinischen
Pilatusgedicht übereiu^):
') Die Beschreibung der Grabstätte des Pilatus in den verschiedenen
lateinischen Gestaltungen der Sage möchte ich — als einige der ältesten
uns bekannten Zeugnisse über den „Pilatus*^ bei Luzern — hier noch hin-
zufügen.
„LM": Jlli (sc. incolae) yero non »quanimiter ferentes pr^memoratas
deeraoniorum insanias Alpibus ipsum remittebant et in puteo quodam futili
et montibus circumsepto submergebant. ubi relatione quorundam usque in
eeternum moYentur et ebulliunt plurimse machinationes et impuritates diabo-
licee. Puteus autem hie vicinus est monti, qui vocatur septimus mens,
Tel quod montibus aliis circumseptus vel septimus mons tanquam de Septem
montibus eminentioribus unus*^ (M.A. 1838 Sp. 528.). In „N" fehlt die letzte
Erklärung des mons septimus.
„0*': Alpibus in mediis locus est, sicut memoratur,
tartareas flammas a se proferre probatur,
in quem Pylatum traxerunt praecipitandum
atque gehennali sicut decet igne cremandum.
Tox ibi multotiens auditur daemoniorum,
quorum gaudia sunt mors et poenae miserorum*S (M. A.
1835 Sp. 433 u.)
') Bei der Aufzählung der einzelnen Punkte verfahre ich wieder chrono-
logisch.
— 89 —
1. Der Vater des Pilatus ist der König Atu8(!).
2. Seine Hauptstadt heisst Maguntia und ist nach dem
„Mögen" und der „Tia" so genannt.
3. Nachdem die Abendtafel aufgehoben ist, beobachtet König
Atus den Sternenhimmel.
4. Die Bömer töten den Mörder Pilatus deshalb nicht, weil
sein Vater ihnen dadurch feindlich gesinnt werden und ihnen den
Zins verweigern könnte.
5. Einschaltung einer allgemeinen Betrachtung über das Un-
heil, welches das Oeld anrichten kann.
6. Veronika lässt sich einen Eid für ihre Sicherheit
schwören, beTor sie einwilligt, mit dem Boten und dem Schweiss-
tuche nach Bom zum Kaiser zu ziehen,
7. Veranlassung für Pilatus, eine Botschaft an den Kaiser in
Bom zu seiner Entschuldigung zu senden.
8. Die Erwähnung der Stadt Lyon (Lugdunum).
§75.
Dem gegenüber stimmt „Bothe" in folgenden Punkten mit
der Prosafassung LM(N) überein.
1. Der Vater der Pila ist von Beruf ein Müller (molen-
dinarius).
2. Pilatus kommt im Alter von drei Jahren an den Hof
seines natürlichen Vaters.
3. In Bom erschlägt er einen französichen Königssohn.
4. Pilatus begibt sich ohne Wissen des Herodes* nach Bom
zum Kaiser, um seine Beförderung durchzusetzen, und zwar wird
der Name des Kaisers — Tiberius — genannt.
5. Der (aussätzige) Kaiser heisst „Tiberius."(!)
6. Sein Bote heisst in M zunächst „Volusian", später
„Alban" und so auch in LN.(!!) [BeiBothe heisst der Kaiserbote
Volusian, der Pilatusbote Alban].
7. Der Statthalter des Kaisers heisst gewöhnlich „Vespesian"
(statt „Vespasian").
8. Die Schicksale des kaiserlichen Boten in Jerusalem und
sein Verkehr mit der Veronika (teilweise wörtliche Ueberein-
stimmung!).
— 90 —
9. Schilderung der Festlichkeiten in Rom zu Ehren der
Veronika.
10. Der Pilatusbote wird an die „welsche" (|galicische) Küste
verschlagen.
11. Nach der Sitte des L ndes — an dessen Küste der Bote
des Pilatus verschlagen wird — sind Schififbrüchige dem Fürsten
mit Leib und Leben verfallen.
12. Der Statthalter Vespesianus hat daher seinen Namen
erhalten, dass er von Jugend auf Wespen in seiner Nase getragen
hat (fast wörtlich!).
13. Gespräch zwischen dem Boten des Pilatus und Ves-
pesian (!).
14. Der Ausruf des Kaisers, als man ihm die Kunde von
dem Selbstmorde des Pilatus überbringt.
15. Die Leiche des Pilatus wird mit einem Mühlstein am
Halse ins Wasser geworfen.
16. Erwähnung der Stadt „Losaune."
17. Der Schluss der Pilatussage im allgemeinen.
§ 76.
Hieraus ergibt sich, dass Rothe eine Quelle für seine Pilatus-
darstellung benutzt hat, die sowohl auf die Pilatusprosa LM(N),
als auch auf das Pilatusgedicht zurückgeht oder die gemein-
same Grundlage von beiden bildet. Schönbachs Stammbaum (S. 62)
ist also dahin zu ändern, dass nicht unmittelbar auf LM(N)
zurückgeht, und dass weiter tt (= ßothe) nicht allein aus 0, sondern
aus LM(N) und^O geflossen ist.
§ 77. S. Die Pllatutoage In der „Passion'' und In der
„Thüringischen Chronik'' Rothes.
Ausser in der „Passion" hat Rothe auch in seiner „Thüringi-
schen Chronik" die ganze Pitatussage dargestellt. In Chr um-
fasst die Pilatussage folgende '4 Kapitel:
,76. Wie Pylatus geborn wart. 77. Wie Pylatus zu Jheru-
salem richter wart. 78. Wie Pylatus dem keisser schreib. 79.
Wie Pylatus seyn ende nam." (S. 64—66.) Im Vergleich zu
Pa ist die Sage aber wesentlich gekürzt: alle Detailschilderung
ist weggelassen, nur die Hauptzüge sind wiedergegeben. So fehlt
— 91 —
die Angabe, dass der König Atus in der Astronomie bewandert
ist. Unerwähnt bleibt ferner die Jagd, die Voraussage der Geburt
des Pilatus, die Beratung über die Bestrafung des Mörders. Weiter
fehlt die nähere Beschreibung von Pilatus' Aufenthalt am römi-
schen Hofe und die Motivierung der Ermordung des französischen
Königssohnes. Auch der Verkehr zwischen Volusian und Pilatus
ist nur angedeutet, ebenso die Unterhandlung des Boten mit der
Veronika und die Heilung des Kaisers Tiberius. Nichts erfahren
wir davon, dass Pilatus einen Boten an den Kaiser sendet, nichts
von der wunderbaren Heilung des Vespasian. Das Ende des Pilatus
und das Schicksal seines Leichnams wird nur mit wenigen Worten
beschrieben: Pilatus wird in ein „bruch" geworfen; von einem
Alpensee wird nichts erwähnt. Endlich sendet der Kaiser zwei
Boten an Pilatus, zuerst den Volusian und nachher den^Alban.
— Nur die Erwähnung des Traumes, den die Frau des Pilatus
hat, fehlt in Pa gegenüber Chr.
§ 78. 4. Die PUatassage In der „Passion'' Rothes In Ihrem
Verhftltnls zur PUatassage der „Legenda Aurea''.
Auch Jacobus a Voragine behandelt in seiner Legenda Aurea
(Cap. 53 „De passiohe domini") die ganze Pilatussage. Ein Ver-
gleich zwischen seiner Darstellung und der Kothes zeigt, dass
L-A die Sage äusserst gekürzt wiedergibt. Schon der Anfang
„über die Zeugung und Geburt" des Pilatus beweist uns dies.
L-A: „fuit quidara rex nomine Tyrus (!), qui quandam puellam
nomine Pylam, filiam cujus molendinarii nomine Atus (!) carna-
liter cognovit et de ea filium generavit, Pyla autem ex nomine
suo et nomine patris sui, qui dicebatur Atus, unum nomen com-
posuit et nato puero imposuit nomen Pylatus." — Die Hauptstadt
Maguntia — die Weissagung der Geburt des Pilatus — die Jagd
— die näheren Umstände bei dem Verkehr zwischen dem König
und der Pyla — Alles dies bleibt in L-A unerwähnt, während
Pa oft in wörtlicher üebereinstimmung mit LM(N) bezw. uns
alle diese Einzelheiten berichtet. Vor allem fehlt in L-A auch
der Bote Alban und die ganze Episode von der Heilung des
Vespasian (!). Der Beweis liesse sich leicht weiter führen, dass
die Legenda Aurea in vielen Punkten von Pa abweicht.
— 92 —
Diese Tatsache bestärkt uns in der Annahme, dass Bothe für
die Darstellung seiner Pilatussage in Pa nicht die Legenda Aurea,
sondern die lateinischen Pilatusfassungen LM(N) und unmittel-
bar oder mittelbar benutzt hat. Allerdings ist es wahrscheinlich^
dass unser Dichter auch die Pilatussage in der Fassung von L-A
gekannt hat (vgl. hierüber später).
§ 79.
II) Die Jttdassagre und die Erzählung: von der ersten Mflnze
und den 80 silbernen Pfennigen.
Ausser der Pilatussage enthält die Dresdener hs. der Passion
Bothes fast die vollständige Sage von Judas Ischarioth. üeber
die Judassage haben gehandelt: a) du M6ril, Po6sies populaires
latines du moyen äge. Paris 1847. (L6gendes de Pilate et de
Judas Ischariote p. 315 — 368.) b) d'Ancona, La Leggenda di
Vergogna testi del buon secolo in prosa e in verso e la Leggenda
di Giuda teste italiano antico in prosa et francese antico in verso.
Bologna 1869 p. 94 f. c) Creizenach, PBB II, 177 fif. („Judas
Ischarioth in Legende und Sage des Mittelalters.") d) Constans,
La Legende d'QEdipe. Paris 1881 (III. La Legende d'(Edipe dans
les traditions populaires Sect. 1 „La L6gende de Judas")*). Die
4 genannten Forscher kannten von den ältesten (lateinischen)
Fassungen der Sage 1. die Darstellung der Legenda Aurea (Kap. 45)
und 2. ein Judasgedicht (abgedr. bei Mone im A. f. K. d. d. V.
Bd. VII [1838] Sp. 532—536 und bei du M6ril a. a. 0. S. 326
—335)2). Wie du M6ril (S. 326 f. Anm.) im einzelnen darge-
legt hat, geht das unter 2. erwähnte lateinische Judasgedicht auf
L-A zurück. Auch die von d'Ancona (a. a. 0. S. 63 — 73) abge-
druckte italienische Fassung der Sage'), sowie die altfranzösische*)
^) lieber die Entstehung der Judasdage und ihre Verwandtschaft mit der
Oedipussage handelt Constans ausführlich S. 97 if.
') Anf.: Dicta vetusta patrum jam deseruere theatrum
et nova succedunt, quae prisca poemata laedunt.
Schluss: botryficam vitem scimus Christum fore mitem,
a quo distractus Judas noxae luit actus.
') Anf.: Leggesi [in] una storia u. s. w.
*) Ygl. hierzu R. Köhlers Anzeige Ton d'Ancona, Leggenda ... in
Eberts Jahrbuch für roman. und engl. Litter. Bd. XI, S. 817.
— 93 —
(ebend. S. 75 — 100) sind aus L-A geflossen.. Ausserdem erwähnen
die genannten Gelehrten, dass Leyser in seiner Historia poetamm
et poematum medii aevi 1721 S. 2125 ein anderes latein. Jadas-
gedicht mit dem Anfange „Canctorum veteram placuere poemata
mnltum" zitiert hat.
Dieses bisher noch ungedmckte latein. Jadasgedicht findet
sich in dem Cod. Heimst. No. 1 85 der Herzog!. Bibl. zu Wolfen-
büttel, den wir schon auf S. 64 dieser Arbeit in anderem Zu-
sammenhange erwähnt haben. Es steht vor dem ebenfalls auf
S. 64 erwähnten latein. Pilatusgedicht und nimmt Bl. 215, b, ß
— Bl. 217, a, a der hs. ein (=256 V.). Wir teilen diese Vita
Judae traditoris im Anhange mit.
Wie verhält sich nun Rothes Judassage — wie er sie in Pa
und Chr darstellt — zur Legenda Aurea und zu der Wolfen-
bütteler Vita Judae ?^)
Pa (V. 1 — 77): In Jerusalem lebt ein Mann Namens Buben
aus dem Oeschlechte Juda (nach Hieronimus aus dem Geschlechte
Isachar), dessen Weib Ciborea heisst. Nach einer ehelichen Um-
armung wird Ciborea von einem so unangenehmen Traum be-
unruhigt, dass sie unter Seufzern erwacht und ihrem geängstigten
Mann den Inhalt des Traumes erzählt: sie würde einen schändlichen
Sohn gebären, der sie und ihr ganzes Geschlecht ins Verderben
stürzen würde. Buben sucht sie zu beruhigen: ein „böser Geist''
habe sie betrogen ; an leere Träume dürfe sie nicht glauben.
Doch Ciborea antwortet ihm, falls sie einen Sohn zur Welt brächte,
würde der hässliche Traum sicherlich in Erfüllung gehen. In der
Tat gebiert sie bald darauf einen Knaben : die Bestürzung der Eltern
ist gross. Nach langem Ueberlegen — sie können doch ihr eigenes
Kind nicht töten — legen sie den Neugeborenen in ein Kästchen
und lassen ihn durch einen Fischer auf dem Meere aussetzen. Der
Wind führt das Kästchen nach der Insel Scharioth. —
Mit Pa stimmt Chr (S. G6f.) in allen wesentlichen Punkten
überein: nur ist die Darstellung gedrängter; daraus erklären sich
^) Das von Mone und du Meril abgedruckte latein. Judasgedicht kommt
auB dem oben angeführten Grunde für unsere Untersuchung nicht besonders
in Betracht.
— 94 —
auch die geringen Abweichungen. Buben aus dem Geschlechte
Isachar — Ciborea träumt einen Sohn zu gebären, ,,der dem tufel
gleich were" — die Eltern selbst setzen den Knaben aus. Die
Bemerkung, dass Judas von der Insel Scharioth seinen Beinamen
erhält, fehlt in Pa, findet sich aber in Chr.
Soweit stimmt auch die Legenda Aurea (S. 184) der Haupt-
sache nach mit der Darstellung E.'s überein; teilweise finden
sich sogar wörtliche Anklänge: „vel secundum Hieronymum
de tribu Ysachar" (= Pa V, 10) — „videbatur mihi, quod filium
flagitiosum parerem, qui totius gentis' nostrae causa perditionis
exsisteret" (= Pa V. 27 flf.) — „si me concepisse sensero et filium
peperero, absque dubio non spiritus phitonicus exstitit, sed reve-
latio certa fuit^ (= Pa V. 47 ff.).
Die Wolfenbütteler Vita Judae begjnnt (nach einer Einleitung
des Dichters) in V. 21 mit der Darstellung der Judassage.
Gegenüber Pa ist die Erzählung in Bezug auf Einzelheiten gekürzt:
so werden nur die Namen der Eltern des Judas, Euben und
Cyborea, kurz erwähnt; für „Jerusalem" ist allgemein „in vrbe
ebrea" gesagt, auch fehlt eine Angabe aus welchem Geschlechte
' Buben stamme.
Dass Judas von den Eltern selbst ausgesetzt wird, dass er
von der Insel Scharioth seinen Beinamen erhalten hat, berichtet
L-A zusammen mit Ohr und der Wolfenbutt. V. J. Dass Kuben
auch „Syraon de tribu Dan" genannt wird, findet sich in L-A
allein. In der Wolfenbütt. V. J. erinnert der Dichter, nachdem
er von der Aussetzung des Judas erzählt hat, an ähnliche sagen-
geschichtliche Fälle, so an Bomulus und Remus u. s. w. ^)
Pa (V. 78—160): Ein Fischer findet das Knäblein und bringt
es der Königin von Scharioth, die (selbst kinderlos) bei seinem
Anblick in lautes Wehklagen ausbricht. Auf ihren Wunsch wird
der Findling heimlich der Frau des Fischers zur Erziehung über-
geben. In der Folgezeit gibt die Königin vor, schwanger zu sein :
der unbekannte Knabe wird später als Königssohn untergeschoben.
Kurze Zeit darauf empfängt die Königin in Wirklichkeit von
ihrem Gatten und schenkt ihm einen Sohn. Die Kinder werden
^) Das Gedicht ist überhaupt reich an eingestreuten Beispielen • und
Sentenzen.
— 95 —
Spielgefährten; doch Judas misshandelt oft seinen Stiefbruder,
wofür er von der Mutter gezüchtigt wird. Da aber die Bestrafung
nichts nützt, eröffnet ihm die Königin zuletzt die Geschichte seiner
Auffindung. Natürlich verdriesst dies Judas, sodass er zuletzt
den verhassten Bruder tötet. Um sich seiner Strafe zu entziehen,
entflieht er nach Jerusalem. —
In Chr findet die „furstynne des landes" selbst den Knaben
am Strande und nimmt ihn heimlich zu sich. Ferner wird noch
gesagt, dass sie einen Sohn von ihrem Manne empfängt, als Judas
ein Jahr alt ist.
Auch in"L-A fehlt der „Fischer", ebenso in der Wolfenbütt.
V. J., sonst haben wir wieder (z. T. wörtliche) üebereinstimmung
mit Pa (Chr)): z. B. „o si solatiis tantae sublevarer spbolis, ne
regni mei privarer successore" (= Pa V. 92 ff.). Die Erwähnung
des Alters des Judas fehlt auch hier (wie in Pa und in der
Wolfenbütt. V. J.).
Pa (V. 161 — 253): In Jerusalem tritt Judas in den Dienst
des Pilatus, der ihn bald lieb gewinnt und ihm grossen Einfluss
verschafft. Eines Tages wird Pilatus von leidenschaftlichem Ver-
langen nach schönen Aepfeln erfüllt, die er in einem Garten sieht.
Der Besitzer des Gartens ist Ruhen. Auf seines Herrn Bitte
macht sich dann Judas auf, die Aepfel zu stehlen. Hierbei wird
er jedoch von seinem Vater Euben — den er nicht kennt —
überrascht: es kommt zu einem Handgemenge, in dem Judas den
Buben tötet. Pilatus gibt dem Mörder die Witwe des Erschlagenen,
Ciborea, zur Frau. Bald kommt aber die fürchterliche Wahrheit
ans Licht, dass Judas seinen Vater erschlagen und seine Mutter
geheiratet hat. Dem Verzweifelten rät Ciborea, zu Christus zu
gehen und für seine Sünde Busse zu tun. —
Auch in Bezug auf diesen Teil der Sage berichtet uns Chr im
wesentlichen dasselbe wie Pa (es fehlt in Chr nur die Bemerkung,
dass Judas in Jerusalem Einfluss gewinnt; ausserdem „ersticht^
J. seinen Vater). Dasselbe gilt auch für L-A (und die Wolfenbütt.
V. J.). Ich hebe einige charakteristische Stellen heraus: L-A „et
quoniam res similes sibi sunt habiles**. (= Pa V. 161: „glich
gesellit sich gerne"; Chr „eyn itzlichs hat seynen gleichen liep"
S. 67 ; Wolfenbütt. V. J. V. 69 f. :
- 96 -
„Serunpi vir reprobus letatar habere scelestnm
Et seruum dominus honestus querit honestum".) —
„Judas, quis pater aut quae patria sua fuerit, penitus ignorabat.^
(=Pa V. 183 f.; Wolfenbütt. V. J. V. 85:
„Est pater ignotus nato natusque parenti.*') —
„tanto illorum fructunm captus sum desiderio, quod, si his
frustratus fuero, spiritum exlialabo" (= Pa V. 189 flf.; Wolfenbütt.
V. J. V. 75 f.). — „Tandem Judas Buben in ea parte, qua cervix
coUo fconnectitur, lapide percussit, pariter et occidit." (= Pa
V. 201 flf.; vgl. Wolfenbütt. V. J. V. 87 f.) — „heu infelicissima
sum omnium feminarum" etc. (= Pa V. 231 ff.; Chr: „Ach ich
armis unseliges weip vor allen weihen" etc. S. 67; Wolfenbütt. V. J.
V. 125: „pauperrima sum mulierum!"). In der Wolfenbütt. V.J.
sind wieder mehrere Beispiele und Sentenzen in die Erzählung
eingestreut (z. B. V. 117 ff.). Sonst wird hier noch abweichend
von Pa (Chr und L-A) berichtet, dass Judas aus eigenem Antriebe
sich zu Christus begibt.
Pa (V. 254—291): Judas wird von Christus zum Apostel an-
genommen und zu einem „scheffenere" gemacht. Dann folgt ein
Vergleich zwischen Moses und Judas. Mit V. 291 bricht die
Judassage in Pa ab. —
Auch Chr erzählt, dass Judas des Herrn Apostel und „Schaffner"
wird. Während sich aber Pa hiermit begnügt, fugt Chr noch
folgendes hinzu (S. 68): Judas stiehlt von dem ihm anvertrauten
Qeldo stets den zehnten Teil. Weiter wird berichtet, dass er den
Herrn aus A erger darüber för 30 Pfennige verrät, dass Maria
Magdalena Christus mit einer kostbaren Salbe — sie kostete
300 grosse Pfennige — gesalbt hat. J. wollte nämlich diese
Salbe verkaufen, angeblich um das Geld armen Leuten zu geben,
in Wirklichkeit aber, „uf das om der zehnde werde dorvon".
Deshalb verrät er den Herrn später für die 30 Pfennige, die er
beim Salbenverkauf bekommen hätte. Nach dem Verrat Christi
wirft er aus Beue das Oeld in den Tempel und erhängt sich:
sein Körper aber platzt auf, sodass die Eingeweide heraustreten:
^denn seine Seele durfte nicht aus dem Munde herausfahren, der
Christus geküsst hatte." — Der Vergleich zwischen Moses und
Judas fehlt in Chr.
— 97 —
Die Legen da Aurea erzählt ebenfalls, dass Christus den Judas
zu einem Apostel und Schaffner (procurator) annimmt; der Ver-
gleich zwischen Moses und Judas fehlt auch hier (wie in Chr).
Mit der Geschichte von dem Salbenverkauf und dem Ende des
Judas findet sie sich folgendermassen ab (S. 185 f.): „Dolens vero
tempore dominicae passionis, quod unguentum, quod trecentos
denarios valebat, non fuerat venditum, ut illos etiam denarios
furaretur, abiit et dominum XXX denariis vendidit, quorum unus-
quisque valebat decem denarios usuales et damnum unguenti
tricentorum denariorum recompensavit; vel (ut quidam ajunt)
omnium, quae pro Christo dabantur, decimam partem furabatur
et ideo pro decima parte, quam in unguento amiserat, scilicet pro
XXX denariis, dominum vendidit, quos tamen poenitentia ductus
retulit et abiens laqueo se suspendit et suspensus crepuit medius
et diffusa sunt omnia viscera ejus. In hoc autem delatum est
ori, ne per os effundeietur, non enim dignum erat, ut os tam
viliter inquinaretur, quod tam gloriosum os scilicet Christi con-
tingerat". —
Nach der Wolfenbütt. V. J. wird Judas ein Jünger Christi.
Dann folgt eine längere Einschaltung über die Wundertaten des
Herrn, worauf ausführlich erzählt wird, wie Judas den HeiTn für
30 Silberlinge verraten hat. Das Ende des Verräters wird im
wesentlichen ebenso wie in L-A dargestellt. Für das Sündengeld
wird ein Acker gekauft, auf dem Pilger bestattet werden sollen
(ähnlich Pa). Den Schluss der Wolfenbütteler Version bildet die
Schilderung der Ereignisse nach Christi Tode und ein Hinweis
auf die Zerstörung Jerusalems.
Bis zu dem Punkte der Sage, wo Judas von Christus zu
einem „scheffenere*' eingesetzt wird, stimmt also Pa sowohl mit
Chr und der Wolfenbütt. V. J. als auch besonders mit L-A der
Hauptsache nach überein. Auf V. 291. folgt nun aber nicht in
der Dresdener hs. die Erzählung von dem Salbenverkauf und dem
Ende des Judas — beides fehlt in Pa — sondern eine längere
Erzählung von der ersten Münze und den 30 silbernen Pfennigen,
für die zuerst Joseph nach Ägypten verkauft und später Christas
von Judas verraten wurde.
Pa (V. 292—449) : Nach der Sintflut bedienen sich die Leute
im Handelsverkehr silberner und goldener Stücke, die je nach
Helnricli, Stadien za Johannes Rothe 7
— 98 —
ihrem Gewichte hezeichnet sind. Da dies aber zn Irrtümern Ver-
anlassung gibt, lässt der König Ninns kleine Stücke machen; aber
auch so ist dem Uebel noch nicht abgeholfen. Der Schmied
Thare, Abrahams Vater, prägt nun zuerst Geldstücke, sogen,
„schouwephennige", die des Königs Bildnis tragen. Er verfertigt
grosse und kleine Pfennige; 10 kleine Pfennige kommen auf einen
grossen, 10 grosse Pfennige sind einem Gulden gleich. Von dem
geprägten Gelde behält Thare 30 grosse silberne Pfennige für sich;
mit diesem Schatze zieht er in Begleitung seines Sohnes Abraham
von „Caldea" nach „Mesopothanea". Nach seines Vaters Tode
erbt Abraham das Geld; als dessen Weib Sara stirbt, kauft er
von einem gewissen „Effron*^ einen Acker, in dem Adam und
Eva begraben liegen. Die 30 Pfennige kommen dann an einen
Neffen Eflfrons, der sie zu einer „brutgift** verwendet; weiter ge-
langen sie unter die „Hismaheliten^. Ein Kaufmann zieht nach
Ägypten und kauft mit dem Gelde den Joseph seinen Brüdern
ab. Später begeben sich Josephs Brüder während der Teurung
nach Ägypten und kaufen für das Geld Korn ein, sodass die
30 Pfennige in Pharaos Schatzkammer kommen. Von Pharao
gelangt das Geld zuerst an Moses, dann an sein Weib, die Königin
von „Morenland", die es auf ihre Töchter vererbt, bis die Königin
von Saba es der Tempelkasse in Jerusalem zuwendet. Als die
Stadt Jerusalem von König Nabuchodonosor zerstört wird, nimmt
er die 30 Pfennige mit nach Babylonien ; weiter kommt das Geld
an den König der Araber, Nabuchodonosors Bundesgenossen. Nach
Christi Geburt schenken dann die hl. drei Könige die 30 Pfennige
der Maria, die sie der Kirche vermacht. Endlich geben die Priester
das Geld dem Judas, der es nach Christi Verrat aus Reue wieder
in den Tempel wirft. Zuletzt erwirbt man für die 30 silbernen
Pfennige einen Acker, der den Pilgern als Begräbnisstätte dienen
soll (vgl. oben die Wolfenbütt. V. J.). —
Diese Münzgeschichte findet sich weder in der Legenda Aurea,
noch in dem lateinischen Judasgedicht (Mone, du M6ril), noch in der
Wolfenbütteler Vita Judae traditoris, auch nicht in der Thüringischen
Chronik. — Nach Creizenach war die Erzählung von den 30 Silber-
lingen, die der Schmied Thare prägte und für welche Joseph und
Christus verkauft wurden, „der Mittelpunkt einer eigentümlichen
und vielverbreiteten Sage" (a. a. 0.). In der Legende vom Grendel
— 99 —
werden ^drlzig gülden (!) pfenninge" erwähnt*). Eine lateinische
Behandlung erfuhr die Geschichte der Silberlinge in einem Ge-
dichte Gotfrieds von Viterbo (abgedruckt bei du Meril, Po6s. popul.
p. 321 ff.). Ein Vergleich der Darstellung E.'s mit der Gotfrieds
ergibt, dass beide Sagen Versionen zwar in den Hauptzügen über-
einstimmen, dass sie im einzelnen aber doch Abweichungen zeigen.
Beiden Erzählungen ist gemeinsam die Erwähnung des Königs
Ninus, der Thares, den Vater Abrahams, die ersten Geldstücke
und die 30 Silberlinge („denarios" bei Gotfried) prägen lässt.
Thares vererbt sie an seinen Sohn, der sich einen Acker dafür
kauft; für das Geld wird Joseph nach Ägypten verkauft; später
gelangt es in die Schatzkammer Pharaos, durch den König
Nabuchodonosor kommt es nach Babylon, dann an die hl. 3 Könige,
die es der Maria schenken; weiter kommen die 30 Silberlinge in die
Tempelkasse, aus der sie Judas als Lohn für seinen Verrat erhält;
nachher wirft J. aus Eeue sie wieder in den Tempel. — Auf der
anderen Seite weiss Gotfried von Viterbo nichts von den Anfängen
des Handelsverkehrs mit silbernen und goldenen Stücken. Es fehlt
bei ihm ferner, dass Abraham einem gewissen Effron den Acker
abkauft; dass die Brüder Josephs für die 30 Silberlinge Korn
bei Pharao einkaufen. Weiter sind nicht erwähnt: Moses und sein
Weib, die Königin von „Morenland" mit ihren Töchtern, der
König Sedechias, der Gottesacker, üeberhaupt ist die Darstellung
Rothes viel ausführlicher gegenüber der Gotfrieds von Viterbo.
Dass B. alle diese Züge frei erfunden habe, ist wohl nicht anzu-
nehmen.
Bis jetzt habe ich die Münzgeschichte sonst nirgends finden
können: auch in dem „alten Passional"^) fehlt die Erzählung von
der ersten Münze und den 30 silbernen Pfennigen; ebenso in dem
schwedischen „Volksbuch von Judas Ischarioth", das K. Tamms
übersetzt hat (im neuen Jahrbuch der Berlinischen Gesellschaft
») Grendel (Ausg. Berger, Bonn 1888 S. 28) V. 744 ff.:
„T>6 meister Ise daz ersach, umb die drizig gülden pfenninge:
daz der roe als fül was, als vil was euch der ^rste schätz,
dd gab er in im vil ringe da got unser her umb verkoufet wart.*^
*) K. A. Hahn, Das alte Passional. Frankfurt a. M. 1845. Vgl. hierzu
Constans, Legende d'CEdipe p. 98 Anm. 2) : „La version du vieux ,PassionaP
allemand . . . semble tiree de la , Legende Doree' !"
7*
: : ; ; ■• : V-
• « • • • •
— 100 —
für deutsche Sprache und Altertumskunde Bd. VI S. 144 — 153)
und in d'Ancona, La Leggenda . . . di Giuda, die ja auf L-A
zurückgeht (vgl. oben). Der Dichter selbst macht über seine
Quelle zur Münzgeschichte nur die allgemeine Angabe:
„In eyme buche han ich gelessin
Das mag villichte war wessin" (V. 292 f.).
§ 80. Ergebnis.
1. Für seine Pilattcasage hat Bothe wahrscheinlich eine uns
nicht erhaltene lateinische Fassung benutzt, die wir nur aus LM(N)
und kombinieren können, d. h. welche entweder aus der latei-
nischen Pilatusprosa LM(N) und dem lateinischen Pilatusgedicht
zugleich geflossen ist oder die Grundlage für beide gebildet hat.
Dass er daneben auch die Pilatussage der Legen da Aurea gekannt
hat, ist anzunehmen (vgl. 2).
2. Von den uns bekannten lateinischen Darstellungen der
Judasaage (Legenda Aurea und Wolfenbütteler Vita Judae traditoris)
kommt die Legenda Aurea der Fassung Rothes ^m nächsten.
3. Für Rothes Erzählung von der ersten Münze und den
30 silbernen Pfennigen konnte bis jetzt eine (lateinische) Quelle
nicht nachgewiesen werden.
V. Der Text von Johannes Rothes Passion.
§ 81. Im folgenden habe ich versucht, den Text der Hand-
schrift M. 199 der Königl. Oefifentl. Bibliothek zu Dresden, der
einzigen bekannten Handschrift von Rothes Passion, in die Sprache
Rothes zu übertragen — soweit dies auf Grund der Untersuchung
über die Sprache des Dichters (S. 11—59) möglich war.
Die Eigennamen, die in der hs. meistens*) klein geschrieben
sind, haben durchweg grosse Anfangsbuchstaben erhalten. Die
Abkürzungen Jhüs, Jhü; xpüs, xpi, xpö, xpm sind stets in Jhesus,
1) */b aUer vorkommenden Eigennamen sind in der hs. klein geschrieben.
— In Urk. sind die zahlreichen Eigennamen ebenfalls überwiegend klein ge-
schrieben, also: rudiger, sommer, keiser, teigscherre u. s. w. Daneben finden
sich allerdings: Else, Arnold, Isenache u. s. w.
— 101 —
*
Jhesu, Jhesum; Kristus, Kristi, Kristo, Kristum aufgelöst worden
(vgl. „Jhesu Kristi« Akr. 21).
Nach Urk. 10, 11 ist „phennige" für „phenninge", bezw.
„phenge" eingesetzt worden. In Ueberein Stimmung mit Rothes
Gebrauch (vgl. S. 46) habe ich die handschriftliche 'Schreibung
„mit (myt), met, mede" und „iar, jar" (vgl. Akr. 23, 24 „iar(e)"
und ürk. 4 Jerlich") beibehalten. Für mhd. „künic, küniginne",
das für Rothe nicht belegt ist, gebe ich die Schreibung der hs.
„konig (konnig), kong, koning, kon(i)gin(n)e, konniginne, . konin-
gin(ne)" wieder.
Doppel Schreibungen wie zc, cz (= z), s, z (=s), z, ss (=3);
y, i (= i), V, u (= u), welche sämtlich auch bei Rothe vorkommen,
sind beibehalten worden.
In den Nebensilben ist i (= mhd. e), das Rothe in Akr. und
ürk. überwiegend hat (vgl. S. 57 Anm. 1), stets durchgeführt
worden: nur in Eigennamen und (selbstverständlich) in Reimen
wie z. B, keisere : ere (V. 974) habe ich e stehen lassen.
Nichtmittelhochdeutsche Doppelkonsonanz ist stets vereinfacht
worden: beibehalten wurde sie nur in den wenigen Fällen, in
denen Rothe abweichend vom Mittelhochdeutschen Doppelkonsonanz
schreibt, nämlich in „desse, (auch Akr.) [eilff,] briffe, briff, suUin",
sämtlich in Urk.
Die übrigen geringen Abweichungen von der handschriftlichen
Ueberlieferung sind in den Anmerkungen verzeichnet worden. In
zweifelhaften Fällen habe ich mich der Schreibung der hs. ange-
schlossen, anstatt in mehr oder minder willkürlicher Weise zu
ändern.
Die prosaische Einleitung und die Kapitelüberschriften habe
ich in der Schreibung der hs. wiedergegeben, da sie wahrschein-
lich nicht von Rothe verfasst worden sind. Die Interpunktion
endlich ist hinzugefügt worden.
Bl. l,b.
Diet nachgeschrebin buchelin [ist] vssgeczogin vss dem buche
der passion Jhesu Christi*), die er Johann Rothe, vorcziten*)
Scolasticus uff dem Stiflfte zcu Isennache, beschrebin had vnd sagit
von den nachvolginden selczen stugkin:
*) ihu xpT. •) Vczite.
— 102 —
Das erste Capittel sagit von dem vorretir Juda, wy der geborn
vnd vff das wassir in eyme schrin glich moysi geworffln, auch
von eynir konnigin fundin vnd irczogin ist vnd der konnigin
rechtin Son, der sin bruder sin sulde, zcu tode brachte vnd
darnach zcu Jherusalem quam vnd pilatus des valschen Richters
dyner gewest ist, der auch sin eygin*) vatir by pilato ermortte
vnd sine eigin mutir zcu der ehe besliff vnd darnach vnssirs
hern*) Jhesup junger vnd apostel wart.
Das ander Capittel: wy die erste muncze nach der sindflut
erdacht wart; vnd von den drizig») silbern pfennigen in der seibin
ersten muncze geslagin, darvmmb erst Joseph in egipten vorkauflFt
wart; dy seibin pfeninge von den heiligin dren konigin Jhesu
vnssirm*) herren mit dem golde, mirren vnd wyrouche geopphirt
wurdin vnd hernach von marian mit yrem kinde In den Tempel
zcu Jherusalem^) geopphirt wurdin, als sy zcu der kirchin ging
In festo purificationis®); vnd also wurdin die hirnach in vnssirs
heren^) liden Judan dem vorreter In dem kouffe gegebin, der die
in®) falscher ruwe weder®) in den tempel warfif, dar vmmb eyn
agkir gekaufft wart den pilgeryn zcu begrepenisse; die erde von
dem agkir hernach von tyto vespesiano ^®) uflf schiffin ufiF dem
mere gein rome bracht wart vnd an die ende quam, da man nach
die (!) pilgerym begribit (!) vnd heisset der gotis agkir.
Bl. 2,a.
Das dritte capittel: von dem valschen Richter pilato, wy der
by Menczce von konig artus vnd von eynes mullers tocliter geborn
wurdin ist; sinen bruder des konniges elichin Son irstach, darnach
kein Rome zcu gysel geschigkt wart, daselbis er auch eyns konnigis
son [von] frangkinrich ermorte vnd darnach gein poncio vnd
furder gein Jherusalem quam vnd da richter wart by keyser
Tyberio etc.
Darnach volgit, wy sichs by keyser Tyberio vand, vnder des
gecziten Cristus den tod leyd; derselbe keysir Tyberius") wart
zcuhant noch gotis martil ussseczig vnd [von] der heiligin veroniken
gesünt, dauon sich by dessselbin geczyten die vrsache irhubin,
*) eygn. «) vnsss h'n. •) X X (verderbt in der hs,)- *) TnBsm. ») A«.
verderbt: Jherusal . . . •) purificä . ') VDSsrs h're. ®) hs. verd.: n; von hier
an ist der Rand von Bl. 1 beschädigt. •) w . . der. *•) vespesia • »>) Tyberi^.
— 103 —
das gotis liden vnd sin tod obir firczig') Jar nach cristus tode
an den joden gerochin vnd Jherusalem vorstorit wart vnd vndir
des pylatus vor den keyser geheissit wart; vnd wy her in das
enelende wart gesand vnd sich selber irstach; vnd wy on*) die
erde nicht wulde tragin vnd vil gross obels von ym geschach,
wo man on in wassir adir in die erden brachte.
Das leczte Capittel: wy die Juden uss allen orten des judi-
schin*) ßichs vnd landin nff die ostirlichin*) czit gemynlichin (!)
zcu dem^) grossen feste gein Jhemsalem komen weren. da wurdin
sy*) vnuorsehnlichin da berant vnd belegen von Tyto vnd ves-
pesiano*^) den Komischen furstin vnd was mancherley vn . . .®)
drie gancze jare sie in der seibin Stad vndir eynandir hattin^)
mit mordin ^"), todslaen, hungers noit vnd anders, als vil darufif
das mal tod blebin zcu zcen^^) mahel hundert thusint Juden ^^).
So wurdin or dar obir verkaufift Sieben vnd nunczig thusint ^') vnd
drizig^*) Juden gegebin vor eynen grossin phenning; die also in^^)
alle land verteylit vnd vorfurt wurdin, als das Joseph der judin
houbptman^®) beschrebin had gelassin, als man in dem^^) seibin
Capittel egintlichin *®) beschrebin vindyt.
Bl. 2,b.
Wy iudas grebom, erezogin, Erst pylatus dyner gewest
vnde dar naeh vnssirs hern jungrir wurden ist^^).
Wenig lute habin daz vornomin, 1
Wo dan der vorretir sy komin,
Judas Scariod genant.
In eyme buche ich beschrebin vant,
. Daz eyn man zcu Jherusalem sesse, 5
*) XL *) Die Formen on, om (= mhd, in, im) begegnen in dei' hs. ge-
legentlich; sie sind bes, Ihüring, und ripuarisch. (Vgl. Weinh.' §§ 57, 476.)
■) jüdisch . . . Von hier an ist der* Rand des Blattes wieder stark beschädigt
*) ostirlichn. *) de . . . •) s . . . '') v . . . siano. ^) Vielleicht unfride?
») hat . . . ^ mord ... ") x. ") Jude ... ") thu . . . i*) xxx.
**) i . . . *•) Die interessante Schreibung — bpt zeugt von dem Schwanken des
Schreibers, ") d . . . ") egitlichn. ") Die üeberschnft ist mit roter Tinte
geschrieben,
1 vomöme. 4 boche.
— 104 —
Der sich synis richtums gross vormesse;
Des name hiss Buben,
Der lebite rolichin hen
Vnde were von dem gesiechte Jnda. —
Sente leronimus segit andirs da, 10
Her were geborn von Isachar,
Dez rede halde ich, daz sy synt war. —
Syn wyp by namin Ciboria hiss,
Dy synin willin nicht in liss.
Ez geschach do yn eynir nacht, 15
Daz sy beyde warin entwacht
Vnd tadin da waz yn was ebin,
Also sich geheischit daz eliche lebin.
Darnach enslif Ciborea wedir;
Eyn swerir troum der troumite er sedir, 20
Darvon sy also sere irschrag,
Daz sy vort vngeslafin lag,
Sundim sy irsufzte jerairlich.
Buben der vorwundirte sich
Vnde fragite sy der mere, 25
Waz er wedirvarin were.
Sy sprach: „ich habe eynin troum geseen,
Daz ich forte, vns sy obil gesehen,
Daz ich eynin snodin son gebere,
Der alle vnse gesiechte suUe beswere, 30
Vnde dich vnde mich vns beyde El. 3,a.
Brengin zcu grossim leide;
Vnde sulle des obils werdin eyn sache.
Davon sich der Judin vorterbin mache."
Buben der antwerte daruf schere: 35
,,Du segist nu gar böse mere!
Ez ist nicht gut, daz du ez segist
Adir betrupinisse darvmb phlegist.
Wann ich achte daz allirmeist,
8 =frolichin? [Vgl V. 1285) oder zu niwe? {Vgl. berorte V. 395.)
16 Das dae. 23 ersufftzte. 24 verwunderte. 27 traom. 28 furohte. 35 sohire.
38 betropenisBe.
— 105 —
Dich habe betrogin eyn bosir geist. 40
Der had dir daz na yn gegebin,
Daz her dir betmbe dyn lebin.
Nem dich solchir tronme nicht an,
Welta andirs gemwig lebin han,
Adir du werdist nummir fro/' 45
Ciborea dy antwertte also:
„Ist daz ich nn dyt war irfinde,
Daz ich ben beswert myt eyme Idnde
Vnde darnach eynin son gebere.
So wel ich des vorwar gewere, 50
Daz myne rede synt yngelogin
Vnde mich keyn geist hat betrogin;
Sondim god lezt myr daz vorkunde
Vnde wel nn strafin ynse snnde,
Vnde daz wir nn allin ynsim mnd 55
Habin gekart nf czitUch gud/'
Buben sprach: „geswig der rede,
Tronme synt kogin, slaf, hab frede!*^
Also nn vaste dy czyt vorging
Nach dem tage daz sy enphing, 60
Da wart er alliz leidir wan vor, Bl. 3,b.
Biz daz sy daz kint gebar.
Da irfnndin sy vnde sahin daz,
Daz ez eyn knechtchin was.
Da betmbitin sy sich beide 65
Ynd en wart zcn male leide
Ynd wnstin nicht, wes sy soldin begynnin.
Sy begnndin manchirley besynnin
Ynd mochtin doch yn den notin
Eris eigin kindis nicht getotin. 70
Cznlest do gefil en daz yn,
Daz sy ez legitin yn eyn schrin
44 lebin am Bande der At. 45 firoe. 53 list 55 aUir. 58 Trenme
F(^. F. Bech, Germaiiia IX, 179. 63 eye. 64 ki, knechin (!) = moMCulus
fmeTj KMoUem; wuL! Weitere Belege out Rotke «. a. bringt F. Bech bei
{Oermamm IX, 177). 67 snldm. 69 noffi. 70 eigin itm Bande der ki.
71 Cza leiit
— 106 —
Ynde lonitin eyme mermanne,
Der ez myt eme fürte von danne.
Vnde der warf ez uf daz mer 75
Da nam ez der wint ane wer
Vnd fürte ez hen keyn Scharioth.
Da was ez vel nahe gestorbin tod,
Da begunde ez eynir irwische,
Der uf dem mer wolde vische. 80
Gzuhant her daz ledichin uf brach,
Vnde da her daz kindichin gesach
In eyme korschin, daz was bunt,
Vnde daz em nach wagite der munt
Vnde nuname geschrigin mochte, 85
Gzuhant her ez der kongin brachte
Vnde liss daz vischin vndir wegin
Vnde begunde da er zcuhant segin,
Wy ez eme were irgaugin,
Daz her daz kint hatte gefangin. 90
Also dy konnlgynne daz kint gesach,
Do hub sy an vnde sprach: Bl. 4,a.
„Ach! hette ich eynin solchin trost.
So worde ich von seuin gancz irlost,
Vnde gewunne eyn solchiz kindelin 95
Uns zcu erbin vnde dem lande myn,
Waz wolde ich dan mer clagin,?"
Der vischir sprach: „ich wel ez tragin
Von stunt enheym zcu mynim wibe,
Dy ez nu beheldit by lybe, 100
Vf daz ez icht sterbe alzo drate.
Indes so sullit ir uch berate,
Wy yr ez damede wullit halde.
Ich muss nu vischin alzo balde
Vnde dy in dy kuchin brengin. 105
Wes uch myn here wel vorhengin,
78 jnermanne seltenes Wort = nauta (vgl. Germania IX, 177). 79 bc-
gonde. 80 wulde. 83 korschin == mhd. kärsen, kürten. 88 begonde. Ol kö-
nigyne. 93,95 sulchin; sulchis. 97 wulde. 103 wült ; haldin. 104 nu.
— 107 —
Daz suUit ir mich danne lassin vorsten,
Ez sal lieh nach uwirme willin gen.
Sy sprach: „gang, halt ez vorswegin,
Sage nicht, wy du ez hast irkregin!" 110
Der vischir daz kint syme wibe brachte,
Dy des nymande vort gedachte,
Snndirn ez heymlichin czoch
Vnde alle lute darmede floch.
Der konigynne sy damede schonite, 115
Dy er daz vel wol lonite.
Dy konigynne machte sich gefuge
Vnde ted, ab sy eyn kint trüge
Vnde machte gross erin lib
Mit vel tuchirn also eyn wib, 120
Dy zcuhant sal gelyn
Vnde liz er vaste wehe sin. Bl. 4,b.
Darnach sy daz kint gebar.
Also sprachin dy wyp, ez was nicht war.
Der lumunt ging do alzcuhant 125
Czu Scariod obir alliz daz lant.
Dy lute yn deme lande do
Dy wordin alle des kindis fro.
Ez wart frischlichin irczogin,
Syn adil wart alzo gelogin. 130
Obir etliche czid darnach irging,
Daz dy kongin von dem konige enphing
Vnde gebar eme eynin rechtin son:
Do irhub sich grosse froide von.
Vnde alzo dy kindir nach etzlichin jarin 135
Gewuchsin vnd gross warin
Vnde myt eynandir zcu den stundin
Manchirley spelis begundin,
Judas allis den jungin sing
Vnde ted em ouch leidis genug. 140
y. 107 ist in der h», itceimal getchrieben, 108 geh in. 115 schonte
(: lonete). 117 mhd. gevüege {vgl Germania 1X,176). 119 lieb (: wip). 134 freude.
135 etczlichn. 136 warn. 138 begondin. 140 ouoh. F^/. Akr. 17; h$,'. auch.
— 108 —
Daz mochte dy kongin nicht vortragin.
Judas wart sere dammb geslagin
Ynde trag uf en grossiu czorn,
Wan her von er nicht was geborn.
Nach^) was Judas alzo gar eyn wicht, 145
Her liz en vngeslagin nicht.
Czulest sagite em dy konigin daz,
Wy ez Tmme en komin was,
Daz her er son nicht were.
Daz muite Judam also sere 150
Ynde schemite sich des also swinde,
Daz her do des kongis kinde.
Den her zcu brudir solde han, Bl. 5,a.
Heymlichin legite den tod an.
Gzuhant alzo her das beging, 155
Syne flucht her do an gefing:
Her forte, her muste darvmme sterbin.
In eyn schif begunde her werbin,
Daz zcu Jherusalem wolde var,
Also quam her ouch dar. 160
Nu spricht man: „glich gesellit sich gerne. ^
Daz mochte man do wol lerne
An em ynde Pilato,
Der nam en zcu eynim dinere do
Ynde gewan Judam zcu male lib. 165
Da irkante eyn schalg eynin dib. —
Judas by Pilato da wilt,
Synin hof her eme schone hilt,
Daz her allir dinge hatte macht
Ymme schulde vnde vmme czweitracht. 170
An eyme tage geschach eyn ding,
Daz Pilatus uss syme palas ging
») = Daz?
141 muchte. 147 Czu letcz. 150 muete. 153 sulde. 158 begonde (oefer
begon do?). 159 walde yarin. 160 auch. 161 Vgl, RZ Y. 1268 f.:
„dit mag man wole daran lerne,
Glich daz gesellit sich gerne*' und Germama IX,] 79.
164 din'e. 165 lieb (rdyp). 168 hoaff. — Vgl. Chr S. 712.
— 109 —
Ynd begande do schonir ephil wartin
In eyme synis nackeburis bonmgartin.
Ynde begerte sere der zcu essin, 175
Wann eyn krangheyt hatte en besessin,
£n gelaste do her der genas.
Der selbe bonmgarte Rubens was,
Judas vatir, den her nicht kante.
Der Judam uf daz mer sante, 180
Vnd hilt daz vor war yn syme gedunkin,
Her were vor langir czyt yrtrunkin.
Vnde Judan dem was vnbekant Bl. 5,b.
Syne eldirn vnd ouch syn vatirlant;
Vnde hatte von nymande vornömin, 185
Wo danne her were komin.
Do pilatus dy schonin ephil gesach,
Wedir synin dynir Judam her sprach:
„Mich gelustit der ephil alzo gar s winde,
Ist daz ich des keyne busse vinde, 190
Daz ich er zcu «ssin nicht mag irwerbin,
So dunkit mich, ich müsse sterbin. ^
Also Judas desse rede vornam,
Ueymlichin her yn den gartin quam
Vnde brach er, waz her mochte gelangin. 195
Indes quam da Buben gegangin
Vnde wolde Judan daz werin.
Her begunde scheidin vnde swerin
Vnde en vmme synin schadin slan;
Daz begunde Judan vorsman 200
Vnde irwischt« eynin steyn,
Da sy warin yn dem gartin alleyn
Vnde slug Buben yn daz genicke
Alzo hart vnd ouch alzo dicke,
Daz her tod vil yn daz gras. 205
Gzuhant irhub sich Judas
173 begonde; epphel. 174 baumgartin. 177 genoss. 184 auch.
187,189 epphel; epphil. 197 wulde. 199 schlain (: vorschmaen). 200 be-
gonde. 204 auch. 205 graz.
— 110 —
Vnd steyg nss dem gartin wedir
Ynde ging zca hns vnde legite sich nedir,
Biz daz der tag anbrach.
Nymant desse geschichte sach. 210
Dy ephil brachte her Pilato;
Der az sy vnde wart er fro.
Da Babens [dinir] üfgestnndin,
In deme gartin sy en tod fandia. BI. 6,a.
Sy wnstin nicht, wy em was gesehen, 215
Eeyne wandin knndin sy an em gesen.
Wanne sy achtin, her were snellichin gestorbin
Vnde des abundis aUo vortorbin.
Also nu gesehen warn desse ding,
Pylatus zcu Cyborien ging 220
Vnde friite sy da Judan;
Dy muste en zcu eyme manne han.
Also quam her yn synis fatir gud
Vnwissin vnde had gndin mud.
£z geschach darnach yn eynir nacht, 225
Daz Ciboria wart vortracht
Vnde irsufczte jemirlichin vmme daz.
Do sprach zcu er do Judas:
„Frowe, yr suUit myr nu sage,
Waz ist uwir leid vnde clage?" 230
Sy sprach: „ich muss leidir blibin
Eyn vnselige vor allin wibin!
Wann ich habe myn kint lassin irtrenkin
Vnde yn daz wilde mer vorsenkin.
So ist myn man gelingin gestorbin. 235
Darnach so han ich dich irworbin.
So habe ich ouch wedir frunde adir kint —
Also hat mich Pilatus myt dyr beswerit
Vnde myn betrupinisse gemerit."
211 epphel. 218 dinir fehlt in der ha.; uff geschundin (Schreib fehler).
216 gesehin. 217 geschorbin (SchreUtfehier), 225 geschagk (!). 226 vor-
trachten 8w. v. = grübeln^ sich in Gedanken verlieren (vgl» Germania IX, 175).
231 blieben (: wiben). 237 auch ; der Reimvers fehlt.
— 111 —
Also Judas hatte gehört 240
Von enne kinde solche wort,
Vnde wy manig jar ez wasy
Daz sy desselbin kindis genaä,
Do wart an er beydir rede fundin, ' Bl. 6,b.
Daz her sich synir mutir hatte vndirwundin 245
Vnd ouch synin vatir irslagin.
Daz begunde her jemirlichin clagin
Vnde gewan vmme sine sunde ruwe.
Do rit Ciborea di getrowe,
Daz her zcu Jhesu Kristo ginge 250
Vnde dammme bnsse enphinge.
Der were eyn prophete, eyn heyligir man,
So mochte her der sunde werdin' an.
Do Judas zcu vnsirme herin quam,
Czu eyme apostiln her en nam 255
Vnde satzte en zcu eyme schejSenere,
Wann her was gescheffig sere. -^
Dyt ist her, der andir Moyses.
By dem erstin gedenkit man des,
Wy her dy iudin yn Egiptin tröste . 260
Vnde sy von gotis wegin irloste.
Abir dessir andir Moyses, der Judas,
Kunde wol zcu wege brengin daz,
Daz der judin riebe vorging '
Vnde daz sy konig Tytus ving * 265
Vnde teylite sy wedir yn daz laut,
Also sint sy noch des richis phant.
Beyde wordin sy in der kintheit
In schringin uf daz wassir geleyt;
Beyde sy zcu den konigin quamin, 270
Dy sy zcu kindirn an sich namin;
Beyde habin sy myt gote gewandirt,
Abir Judas hat sich obil geandirt.
Wann her hat Kristum vorratin.
241 sulcbe. 243 dezselbin. 246 auch; irsclagin. 247 begonde^ - 249 die.
251 darynne. 255 appostiln. 256 sattzte. 257 gescheffig. Vgl. die Belege
in der Gennania IX, 175 f. 263 Konde. 264 juddin. ' 267 nach.
— 112 —
Sy warin beide gotis botin: 275
Moyses den jadin gnade irwarb, Bl. 7,a.
Von Jadas botschaft Kristus starb.
Moyses fürte oblr mer
Dy Jüdin myt eyme grossin her,
Do konig Pharao ynne irtrang. 280
Der jndin irlosnnge wart nicht lang.
Judas fürte sy yn den gartin,
Do sy Kristus soldin wartin.
Darvon wordin dy cristin irlost
Vnde dy yn der helle enphingin trost. 285
Moysen gab god daz hymilbrod,
Krist Judan synin licham bot.
Ood Moysen zcen gebot gab,
Judas der ted sy wedir ab.
Waz Moyses den judin gutis irwarb, 290
Von Judan ez alzcumal vortarb.
Hy had es eyn ende von juda, wy her groborn wart.
Bl. 7,b.
Wy dy erste muneze naeh der Sintflut erdacht wart; vnde
von den drissigr silbirn phenningin *) in der seibin erstin
sreslagin muntezen, darvmmb erst') Joseph^) in egripten
vnde hernach vnssir herre Jhesus vorkaufft wurdin^).
In eyme buche han ich gelesin —
Daz mag vellichte war wesin -—
Daz nach der sintflut dy lute
Mustin koifin myt der buto 295
Also eyne habe vmine di andirn.
Vnde dy obir feit soldin wandirn,
278 meher. 280 pharo (!). 283 Buldin. 287 lichnam (vgl. S. 42).
295 keuffin ; bäte st. f. = compensatio m^rcium, sonst bei Rothe gleich ftraeda
(vgl, Germania 1X,175). 296,297 die, dye.
^) Mä roter Tinte geschrieben {in der Mitte von BL 7^a); ebenso ist
die lieber Schrift des folgenden Kapitels (HL 7yb) mit roter Tinte geschrieben.
■) phenign. •) ^st. *) Josep (!). •) wurdu.
— 113 —
Dy furtin silbir vnde golt gewegin
An stuckichin, alzo noch etzliche phlegin.
Dy warin geczeichint nach dem gesichte, 300
Wy vel sy hattin an dem gewichte.
Dyt machte dicke ertura gross,
Wann zcu vel adir zcu wenig wog der kloss. .
Darvmme der konig Nynus
Vant eyne solche wise alzns: 305
Man sülde kleyne stuckichin machin —
Dy werin nutze yn allin sachin —
Von silbir vnde von golde.
Daz ted man, alzo der konig wolde.
Dy stuckichin wordin da vnglich, 310
Darvmme errite daz volk sich.
Wann man dy sweristin usslas,
Darynne abir eyn forteil was.
Nu was yn syme lande eyn smed.
Der alzo wol künde darmed, 315
Daz man dy stucke glich machte.
Deme konige her eyne wyse irtrachte,
Daz her daran syn bilde sluge,
So wolde her sy machin alzo gefuge,
Daz man er wol dy gnuge 320
Obir feit uf dy merte trüge.
Dyt daz ist zcu Nyneuen,
In der grossin stad, gesehen. Bl. 8,a.
Da machte sy der smed Thare,
Der nuwelichin was komin dare. 325
Abrahames vatir derselbe was,
Der also dem konige ussrichte daz
Vnde machte eme der phennige gnug;
Darnach her andir kleyne slug,
Der zcene eyn grossin da galt, 330
Dy warin euch subirlich gestalt.
299 Btuchin (!). 300 geczichent den. nach fehlt 301 wol. 303 woug.
kloBS st. m. = ungeprägtes Metallstück (vgl. Germania 1X,176). 305 sulche.
306 Bulde; stuchichin. 315 alzcu. 319 wulde. 322 Dyt daz; vgl. V.V.
770,1642 und 1995. 331 Dyt; auch.
Heinrich, Stndien zo Johannes Bothe 8
— 114 —
Myt dessin munczin sich entrichte
Daz volg vnde errite sich an nichte.
Dy erste muncze was nu dyt,
Dy uf erdin y wart gesmyt, 335
Do Thare den erstin phennig slug,
Der behende was vnde klug,
Vnde dy schowephennige ^) dem konige wiste,
Dar her syne kunst myt pryste;
Dy guldin vnde dy silberin 340
Da warin so schone vnd fyn,
Beyde dy wissin vnd dy rotin
Dy wogin da alle zcu lotin:
Zcen kleyne guldin eynin grossin,
Darnach so warin sy gestossin, 345
Zcen grosse phennige an den schuldin
Do beczalte man mede eynin guldin.
Also guldin der kleynin phennige hundirt
Eynin guldin vngesundirt.
Thare was czum munczin gar flissig; 350
Der grossin silberin phennige drissig
Behilt her da gar schone
Vnde ouch der guldin zcu syme lone. Bl. 8,b.
Darnach her von dannin quam
Myt sjone sone Abraham. 355
Vnde czogin von Caldea
Vnde wontin zcu Mesopothanea.
Do starb Thare vnde wart begrabin;
Wer solde syn gelt billichir habin
Dann syn son Abraham, 360
Der alle syn gut zcu eme nam.
Darnach alzo Sara gestarb,
Abraham vmme eynin ackir warb
Von eyme, der hiss Effron;
Vnde dyt geschach darvon, 365
Daz Adam vnd ouch Ena
1) Vgl, Germania IX, 178.
343 wugen. 351 phenninge {und so noch öfter in der /<«.); vgl, hierzu
y. 408 und S. 101. 353 auch. 359 sulde. 366 auch.
— 115 —
Beyde login begrabin iä.
Da wordin desse phennige vmme ge^bin
Vnde quamin an eyne synin nebin.
Deme wordin sy zcn eynir brutgift ^)j . 370
Alzo wart eyn ee darmede gestift,
Alzo qnamjn sy zcu den geczytin
An dy Hismahelitin.
Nu was derselbe, der sy gewan,
In dem lande eyn richir koufman. 375
Der czoch da in Egiptenland
Vnde hatte vel gatis vndir sinir band,
Do her koufmanschacz mede treyb;
Dyt gelt in syme bntil bleyb.
Der koifte myt der seibin habe 380
Josephen synin brudir abe.
Darnach in den tnrin jarin
Dy bmdir woldin nach körne varin
In Egiptin vnde holin spise.
Da quamin dy phennige in solchir wise Bl. 9,a. 385
In des konigis kastin alzo,
Der genant was Pharao.
Darnach obir lange cz3rt geschach daz.
Also Moyses yn des konigis hofe was.
Da wart her myt eyme here gesant 390
Vf dy konyngynnin in Morenland.
Da gab eme czeregelt konig Pharao;
Da wordin eme desse phennige do
Myt andirme gelde, daz her fürte.
Doch der desse phennige ny berurte, 395
Biz daz her begunde gewynnin
Daz lant do myt der konigynnin,
Dy her zcu eyme wibe nam;
Dyt gelt do an dy konigynne quam.
*) Vgl GermaDia IX,175.
375 kauffmaa. 378 kouffmansczatcz (!). 383 wuldeD;vam. 385 sulohir.
Am Rande stehen von jüngerer Hand die Worte: „Und Jesus sprach zu seinen
Jüngern." 388 gesczach. 389 hoffe. Vgl. aber hofe ürk. 5, 7, 16.
395 berorte. 396 begonde. 398 wiebe.
8'
— 116 -^
Dy hilt ez erin tochtirn vort 400
Von eynir yn dy andira gebort,
Biz daz dy konigin von Saba quam
Czu Jherasalem, dy ez myt er |nam
Vnde beschowite Salomonis ere
Vnd waz czirunge yn deme tempil were. 405
Da gab sy dy phennige myt andir gäbe
In den tempil, gote zcn lobe.
In dy schaezkamere sy do quamin,
Dy prystir sy zcu behaldin namin.
Do quam der konig Nabuchodonosor, 410
Von demejdyjprophetin sagitin vor,
Vnde vorstorit en Jherusalem dy stad
Vmme der judin obiltad.
Alzo der konig, genant Sedechias,
In deme judischin lande eyn konig was, 415
Da wart der tempil beroubit gar,
Daz her wart allis schatzis bar. Bl. 9,b.
Dy drissig phennige vndir andirme gelde
Mustin sich darmede melde,
Dy wordin zcu Babilonien bracht, 420
Alzo Nabuchodonosor hatte gedacht.
Der konig von Arabien myt eme da was,
Deme wart des geldis, vmme daz
Her eme gefolgit hatte dar
Myt eynir grossin mechtigin schar; 425
Da wordin eme drissig phennige vndir.
In Kristi gebort geschach daz wundir,
Daz dy dry konige geleitte der sterre
Von Oriente kegin Bethlehem gar verre.
Da brachtin sy dy phennige dar 430
Vnde gabin sy Kristo myt andirn gewar.
Alzo quamin sy in Marian hende,
Dy begunde sy yn den tempil wende,
Da sy zcu der kerchin ging:
406 phenge. Doch vgl. „phennige" Urk. 10, 11 und V. 351. 408 quam.
412 vostoreten (!). 427 xpiis. Doch vgl. Akr. 21. 428 stere. 431 gewar(e)
= Gepäck, Kau/mannsgut; vgl. Germania IX, 176. 433 begonde.
— 117 —
God schickite alzo desse ding. 435
Wy dicke desse phennige in den jarin
Von eynandir geteilt warin
Adir vndir andir gelt gemengit,
God ez alle czyt vorhengit,
Daz sy by eynandir quamin. 440
Czulest sy da dy pristir namin
Von des tempils gelde vnde gabin sy Judan.
Da der sach, daz her hatte obilgetan,
Da gab her den judin dy phennige wedir
Vnde warf sy in dem tempil nedir. 445
Darnach wordin sy ufgehabin
Vnde vmme eynin ackir zcu begrabin
Den pilgerimin gegebin.
Dyt was en wol ebin. —
Wer nu gerne daz vorneme, Bl. 10,a. 450
Wy Pilatus zcu Jherusalem queme,
Vnde wy her do worde eyn richtere,
Dem wel ich sagin desse mere,
Dy vel lichte ouch war syn.
Ez was eyn konig an dem Ryn, 455
Des name was koning Atus,
Den dy lute nach nennin Artus.
By dem Ryne eyn stad da lag,
Da her synir herschaft ynnin phlag,
Da der Mogin ged yn den Eyn, 460
Vnde da bynedir Scia flussit yn.
Von dessin zcwen sy den namin hat,
Daz Maguncia heissit dy stad.
Mentcz ist ez, als ich uch dute.
Also heissin sy gemeynlichin dy lute^). 465
441 Czu letzt, 452 richtir (: mehir). 454 auch. 459 hirschafft. Doch
vgL herschaft Akr. 11. 463 magücia.
*) F. 458 — 465 druckte schon August Witzschel ah {Beiträge zur Textes-
kritik der Düringischen Chronik des Johannes Rothe II. Jahresbericht über das
Karl-Friedrichs -Gymnasium zu Eisenach 1874—75, S, 2),
— llS —
Da sass konüig Artus ynae,
Gewaldig, riche vnde wise von synne;
Vnmassin gross was syn ere.
Man spricht, daz her eyn meystir were
In der kunst, dy von dem gesterne gehit, 470
Daz man zcukunftige ding wol sehit.
Eynis tagis reyt her gagin
Myt synin mannin noch syme behagin.
Vnd sy quamin yn eynin walt gar verre
Vnde retin dar ynne alzo lange erre, 475
Biz daz sy dy nacht betrad,
Daz sy nicht mocbtin zeu der stad
Czn Mentcz komin heym wedir;
In eyn dorf slngin sy sich nedir.
Da was eyn rittir ynne gesessin, 480
Der myt trynkin vnde myt essin
Des konigis da gar wol phlag. — Bl. 10,b.
Eyn mole vor dem dorfe lag.
Da hatte der selbe moUir da
Eyn tochtir, dy hyss Pyla, 485
Alzo eyn geczuchtige stolcze magit,
Daz man verre dar von sagit. —
Do dy geste alle wordin sad.
An eyn venstir her da trad,
Daz gesterne her do ansach; 490
Wedir syne dynir her do sprach:
„Ach! hette ich nu dy kongynnin.
Ich wolde in dessir nacht gewynnin
Eynin son, daz suld yr gesee.
Von deme vel wundirs uf erdin geschee." 495
Dy dynir sprachin: „tud uch des abe!
Ir mogit der konigin nicht gehabe,
Ir hat zcu verre zcu der stad.
Der moUir hy eyne tochtir had,"
Sprach der rittir, „eyne stolcze magit, 500
467 wiesse. 482 plagk (!). 486 stulcse. 493 wulde. 495 gesehe.
499 muller. 500 sttilcze; mayt.
— 119 —
Ich meyne, daz her sy uch nicht vorsagit.
Noch der so suUit ir sendin
Vnde daz biz hint mit ere endin,
Daz so getan frucht nicht dahindin blibe,
Dy komin mochte von nwirme libe." 505
Des moUirs tochtir wart em bracht:
By der so slif her da dy nacht,
Alzo daz^) darnach der nunde raande vorging
Eynin schonin son sy da gebar.
Dyt tet man dem koninge nffinbar. 510
Der frowite sich des gar swinde. .
Der böte frogite nach dem kinde,
Wy man daz solde myt namin nenne,
Daz man ez recht mochte irkenne.
Der konig antworte daruf schir: Bl. ll,a. 515
„Man nenne ez nach synir mutir vnde myr!
So werdit ez onch alcznhant
Von vns beidin Pilatus genant."
Daz kint was von libe czart.
Da ez dryir jar alt wart, 520
Pila, syn mutir, des gedachte,
Daz sy ez yn dy stad zcu Mentcze brachte
Vnde andelogite*) ez zcu hofe da.
Der koning was des kindis fro.
Ez wart gar listig und geschide 525
Vnde wolde zcuhant nicht gerne lide.
Ez ging da yn des konigis sal
Vnde behagite den herin obiral.
Der selbe koning hatte eyn elidiin son,
Der was hobisch vnde wolgeton 530
Vnde eldir kegin eyme jare
Vnde künde gar edilich gebare.
Dy zcwei kint myt eynandir
501 myne; md.=^mhd. meine. 503 nit ore. 504 bliebe. 513 sulde.
517 auch. 519 liebe. 523 hoffe; vgl. V. 389. 525 gescheide (: leide). 526 wulde.
531 kegein(!). 532 konde.
*) Der fehlende Reimvers ist vielleicht hier durch si dy frucht enphing zu
ergänzen. *) md. = mhd, an€Ula(n)gen, überantworten ; vgl. Chr S, 463,
— 120 —
Begundin unglichin wandirn.
Vnde da sy zcu erin jarin quamin, 535
Daz sy böse vnd gud vornamin,
Da begundin sy myt eynandir rangin')
Sy worfln den steyn vnd schossin dy stangin
Vnde trebin manchir hande spei.
Der elichir son was sterkir vel 540
Wan der banghart Pylatus was.
Myt bosin tuckin vorgalt her daz
Vnde schemphte mjt em vnsubirlich.
Der eliche son irczornite do sich
Vnde sprach: „du tust nach dynir art, 545
Du schemlichir, bosir banghart!
Wy schemphistu nu myt dime herin! Bl. IIb.
Sal ich lebin, ich wel dich lerin,
Daz du mich baz must vor ougin han,
Den du biz her hast getan. ** 550
Pylatus gedachte yn syme synne:
„Du kanst ez nummir gut gewynne,
Du wordist dan des brudir los;
Her vortribit dich, wan her werdit gross.
Vnde wan vnsir fatir gesterbit, 555
So werdistu von eme vorterbit.
Du weit en brengin von dem libe,
So mag dir daz riche blibe.
Der koning dich libir dan en had,
Du besitzist wol syne stad." 560
Dy truwe her an dem brudir brach,
Daz her en heymilichin irstach.
Do der koning daz vornam.
In gross betrupinisse her quam.
Der koning vorbotte do synin rod 565
Vmme dy seibin bosin tod.
Vnde bat sy alle daruf synne,
1) =zluctari. Ebenso RZ V. 191 ( : bedrangin) ; vgl, Germania IX, 177.
534; 537 Begondin elichin. Vor diesem Wort ist radiert; vgl. „geliche
wandern '^ Passional 3,90. 549 angin. 557 liebe (: bliebe). 559 lieber. 560 8tadtt(!).
— 121 —
Wez her myt dem mordir sulle begynne.
Sy sprachin alle, her solde sterbin.
Her mochte wol andir kindir irwerbin, 570
Solde her andirs lebin.
Eynin andirn rat begunde eme gebin
Eyn aldir rittir, eyn wysir man.
Her sprach: „here, yr suUit ez lan,
Ir suUit nicht schadin bnzin myt schadin! 575
Ir wordit andirs obirladin
Myt betrupinisse yn nwirn synnin.
Ab ir nicht kindir mochtit gewynnin,
Do storbe nwir land erbelos, Bl. 12,a.
Der schade worde dan zcn gross. 580
Wir woldin libir Pylatum zcu herin han
Dann eynin andirn fromdin man.
Ir mussit den Eomirn jarzcins gebin.
So werdit uch Pylatus dar zcu ebin,
Daz yr en zcu gisil da setzit. 585
Werdit yr dan hyrnach irgetzit,
Daz yr gewynnit eliche erbin,
So lassit en dy Romir vorterbin
Adir machin zcu eyme herin
Vnde suUit uch dan numme an en kerin. 590
Gewinnit yr abir erbin nicht,
So hat yr balde daz ussgericht,
Daz ir wedir nach eme sendit
Vnde uwir gnade zcu em wendit." —
Alzo wart her do alczuhant 595
Den Eomirn zcu eyme gisil gesant.
Czu der cz3rt, dem seibin glich.
Wart des konigis son von Frankrich
Ouch kegin Rome gesant
Alzo eyn gisil vnde eyn phant, 600
Daz her nicht wol de abekere,
Sundirn den Romirn dynin vnd sy ere.
Czu deme gesellite sich Pylatus
575 boBBin. 581 wuldin; lieber. 596 Der(!) 598,605 franckrioh.
122
Vnd ging myt ^m in vnd uss.
Von Frankrich des konigis son 605
Der was gar hobelich getan,
Der hatte dynir, dy namin syn war.
So was Pylatus komin dar
Ane dynir vnd ane knechte,
Also ab vnedil were syn gesiechte. Bl. 12,b. 610
Wann der vatir was eme gram,
So was vnelich oueh syn stam.
Gar nerlich*) so was ouch sin kleyt,
Darvmme her vel spottis leid
Also lange, biz man irfur daz, 615
Wy ez vmme syne mutir was.
Do eme syn vatir nicht dar sante.
Des von Frankinrichis son en do irkante
Vnde hiss en da „er moller!*'
Daz muite en da alzo ser, 620
Daz her eme nicht was gut genug,
Daz her en darvmme ouch irslug.
Czuhant alzo daz was irgangin^
Da wart her. von den Bomirn gefangin.
Sy sprachin da nu rad zcn: 625
„Was wuUin wir mjrt dessim tu?
Ist daz wir eme nemin daz lebin,
Syme vatir wir dann sache gebin,
Daz her vns vint wert vnd wedir
Vnde legit vns den zcins nedir. 630
Noch so hat her vordynt den tod,
Brengin wir en in solche nod,
Daz her den an vnse schult irwerbit
Vnde von andirn lutin sterbit.
Czu Poncien wuUin wir en sendin. 635
Ean her dan daz do geendin,
1) =imhd. ncErlich{e\ vilis; vgl, Germania V,242; VI, 62 und K,177.
610 gesclechte. 618 franckinrichis. 622 auch. 625 raid. 62^ yient.
636 woln.
— 123 —
Daz 'her blibit vnirslagin,
So mag her wol von gluoke sagin.
Der richtir sal her da syn,
Dy alzo syne sdialgheyt eme brengin yn, 640
Daz her vns nicht hindirt mer.**
Her wart dar hene bracht gar scher.
Gar snel so hatte her daz vornomin, Bl. 13,a.
Daz her darumme dar was komin,
Daz her von en werde irslagin. 645
Her begunde nach den richstin > fragin,
Dy yn der insiln warin
Ynde begunde frnntlich zcu en gebarin
Myt gäbe vnd myt gelde,
Daz en nymant torste scheide. 650
Dy andirn her myt drowin twang,
Daz sy eme wordin gehorsam ane dang.
Also Pylatus solche liste hatte fundin
Vnde dy von Poncien alzo obirwundin,
Daz her darvon obir alle laut 655
Pylatus von Poncien wert genant,
Konig Herodes daz vornam,
Demo dy judin warin gram,
Vmme daz her zcu Jherusalem saz
Vnde nicht eyn Jude geborn was, 660
Sundirn eyn heydin vnde eyn komin.
Wann den judin was daz riebe genomin.
Also der patriarche her Jacob
Syme sone ted wissagindiz lob,
Daz syn riebe alzo lange solde besten 665
Vnde syn herczogetum euch nicht vorgen,
Biz der heilige der heiligin queme
Vnde dy menscheyt an sich neme
Vnde her werde eyn beytunge der heidin,
Dy von dem vngloubin soldin scheidin. 670
646,648 begonde. 648 gebani. 651 drauwin. 660 judde. 663—72
interpoliert? (Vogt). 664 tad. 666 auch; Torgeen. 670 aoldin.
— 124 —
Der heiige der heiligin Kristns was komin
Do wart den jndin daz riche genomin.
Darvmme hastin sy Herodem sere
Vnde woldin sich an syne gebot nicht kere;
Vnde warin eme vngehorsam Bl. 13,b. 675
Vnde von ganczim herczin gram.
Da gedachte Herodes yn sjrme synne,
Kundistu Pylatum zcu richtir gewynne,
Daz her dyr desse judin hetwunge,
Vellichte dyr dan baz gelange. 680
Her sante zcu eme syne botin,
Dy eme gut gelobide tatin,
Daz her zcu Jherusalem queme
Vnde daz gerichte zcu eme da neme.
Da wolde her eme vele gutis vmme gebin 685
Vnde en riche mache, solde her lebin.
Pylatus zcu Herode do quam,
Golt vnde gut her von eme nam.
Des samminte her vel vnde gnug,
Her was geschide vnd ouch klug. 690
Vnde czoch myt dem gelde do
Czu dem keisir Tyberio
Vnde irwarb daz von eme zcu der stunde,
Daz her wart des richis formunde
Vnde eyn bestegtir*) romischir richtere 695
Vnde wolde sich an Herodera numme kere,
Des eme dy judin do bestundin.
Do Herodes an eme daz hatte irfundin
Daz her was also eyn vngetruwir man
Vnde gewan eme daz gericht also an 700
Vnd dy formundeschaft zcu Jherusaleme,
Da wart her eme gar vngeneme
Vnd was syn vint uffinbar.
Des achte Pylatus nicht eyn har,
678 Kondistu. 685 wulde. 686 sulde. 689 samentze; vgl. Akr. 9
pSammente". 690 auch. 691 czogh. 699 her her.
') < bestegin {mdJ) = mhd. bestetigen.
— 125 —
Sundirn her was des keysirs knecht 705
Vnd gab den von Jherusalem recht
Ynde samminte des keisirs zcins da Bl. 14,a.
In dem lande zcxi Judea.
Nu merkit, waz daz gelt macht,
Daz alzo vel bosheit sacht. 710
Dy gutin vnde fromin ez begebit,
Dy vngetruwin vnd bosin ez irhebit.
Dy gerechtin myt den vngerechtin ez mengit,
Daz gerichte obir dy vnschuldigin vorhengit,
Den vnediln gebit ez gewalt vnd ere, 715
Ez wel sich wedir an god nu kere
Noch an recht noch an daz gesetze.
Den rechtin gloubin kan ez vorletze,
Kongin vnde forstin ez wedirsteet,
Wibe vnd kindir ez vorlet. 720
Sele vnd ere dy lute begebin,
Vmme gelt vorlisin si er lebin.
Keyne truwe wert da gehaldin,
Wo dy geltgiftigin ^) wuUin waldin.
Also wart nu konig Herodes 725
Von Pylato wol gewar des,
Der damede em quam in .syn riche^) — —
Daz her eme sine herschaft
Myt synir bosin geldis kraft
Vnde den her Mit vor eynin besundirn frunt, 730
Den hatte da sin gelt entczunt,
Daz her sin vint darmede wart,
Ouch synir ere vnbewart.
Daz clagite her vnde was eme leyt,
Daz Pylalus myt solchir bosheyt — — 735
Pylatus myt synin wortin gar harte
Konige Herode alzo antwarte:
707 sämete. 710 sachtt (sachit). 712 vngetrouwin. 719 widdirsteet
(: vorlehet). 722 sie (über geschrieben). 733 Auch.
1) Vgl. Germania IX,175; dazu „obirgiftig" a. a. 0. Y,243 und VI,57.
*) Der Reimvers fehlt.
— 12ß —
Her hette kejm recht an eme gebrodiin Bl. 14,b.
Noch eme yn syne herschaft gesprochin;.
Her were ouch myt keynir fruntsdiaft 740
Noch myt eydin eme behaft —
Sundirn der keysir hette eme gegebin
Daz gerichte vnde waz eme were ebin.
Des berifin sy sych da beide
Eegin Borne: da solde man sy entscheyde, 745
Er iclichin nach syme rechtin.
Nicht andirs kundin sy gefechtin.
Tiberius*) der keiser, BL 15,a.
Ich meyne, daz her der derte wer,
Von der. vnseligin judischeit 750
Kristus do dy martil leit.
Wan der erstir der hiz Julius.
In dez gezcitin ging vns vz
Maria, di mutir Kristi,
Ez mochte na vor syme ende sy. 755
Der andir was Octauian;
Kristus menscheid hub sich do an.
So starb her vndir Tiberio,
Dez riche hub siph an also,
Do Kristus sechzcen iar alt was; 760
Noch sime tode her daz riche besaz
Dan noch wol sechs gancze iar.
Noch eme quam keysir Gayus dar,
Virczig iar nach Kristus gebort,
Der richite firdehalb iar vort. 765
Dessir keisir, Tiberius genant.
Wart darnach vzsetzig alzcuhant,
Also Kristus hatte dy martil geledin
Noch der aldin cronikin redin.
Dit daz quam darvone gar sere, 770
739 hirschafift. Vgl. V. 459. 740 auch. 744 beiden (: entscheydeo).
747 kondin. 769 kronikin; vgl, aber Akr. 10. 770 quame.
^) Rot und gelh gemalte Initiale. Mit Bl. 15,a beginnt der 2. Schreiben
— 127 —
Her was ein grossir wintrenkere.-
Dy erczte eme zcu den stundin
Von der suche nicht gehelfin kundin.
Dit werte mit eme dri gancze iar; Bl. 15,b.
Darnach so wart eme uffinbar 775
Vnd gesagit vor wäre mere,
Daz zca Jherusalem eyn prophete were,
Der künde mit sinin wortin zcnstunt
AUirlei sichin machin gesnnt.
Her wnste dan noch nicht daz, 780
Daz her von den judin getotit was
Vnd Pilatus obir en hatte gericht.
Do stundin vor sinir angesicht
Vele sinir friin dinstman,
Dy sach her do gutlichin an 785
Vnd sprach zcu Volusiano,
Sime besundirn dynir also:
^Nn bereit» dich alzcuhand
Vnd zeuch hene in daz indische land.
Nem mit dir, daz du macht vorzcer 790
Vnd var zcu Jherusalem obir mer
Vnd sprich z(m Pilato, daz sy myn ger,
Daz her mir den prophetin sende her.
Eynin briflf^) den schreib her eme alsus:
„Der romischir keisir Tiberius 795
Enputit sine gnade vnd blibin fro •
Deme richtir von Poncien Pilato.
Vor vnsir orin ist nuwelichin komin,
Daz wir gar gerne habin vornomin,
Wy daz zcu Jherusalem hy sy * 800
Eyn prophete, der dir wone by.
Der kunne wedir alle suche gebusse^). Bl. 16,a.
Nu sint vns vortorbin vnsir fusse,
Daz wir nicht wale mogin gegehin
Vnd vnsenfte geritin vnd gestehin. 805
771 wintrenkire (!). 779 siechin. 794 hir.
^) Vgl. Urk. 18 „briflfe« und 21 „briff«. «) Am Rande steht von
jüngerer Hand: „der künnc wedir alle suchen gebüsse".
— 128 —
Dammme wallin wir daz von dir hau,
Daz da yns sendist den seibin man.
Der VHS mag gesant gemache.
Vnd wer ez abir sache,
Daz her di reise vngerne tete, 810
Wan man en von vnsir wegin gebete.
So laz ez an gelde nicht gebreche.
AUiz daz da von vnsir wegin tadist spreche,
Daz wallin wir stete vnd gancz haldin.
Des gedingis salta selbir waldin. 815
Ta hirzca daz allir beste
Vnd laz desse botschaft sin dy leste*^.
Do Volnsianas zea Pilnto qaam
Vnd her den briff von eme genam.
Her brach en af vnd las, 820
Was daran geschrebin was.
Her dirschrag darvon also sere,
Daz her nicht mochte gesprechin mere
Vnd vorte des keisirs czorn,
Daz her sine gnade hette vorlorn, 825
Vmme daz her des vnschuldigin Jhesa lebin
In der jadin hende hette gegebin,
Di erin willin mit eme hettin begangin
Vnd en smelichin an eyn crazce gehangin. Bl. 16,b.
Czolest do antworte her also 830
Demo seibin botin Volnsiano:
Daz her sich enthilde virzcen tage,
So wolde her eme eyne antwerte sage.
Der prophete der ist gestorbin
Vnd hette ejm wnndirlich ende irworbin. 835
Daz her nicht er künde wedir geschribe,
Her muste also lange bi eme blibe,
Biz daz her mit rate daruf gedechte
Vnd eyne gade botschaft wedirbrechte.
Also bleib her do di virzcen tage 840
806 wollin. 809 weris (!). 8U wollin. 821 gescrebin. 824 vorchte.
829 krucze. Vgl. „Cruzceborg" Akr. 1 und Akt. RSp. 833 wulde. 836 konde.
840 vierczen.
— 129 —
Ynd begande alle ding Yzfrage,
Wi man mit Kristo hette vmmegegen,
Vnd waz wundirs von eme were gesehen.
Vnd begnnde do alle stete beschowin;
Do wart her gewist zcn eynir frowin, 845
Dy wonite in der stat alda
Vnd was geheissin Veroniea.
Di hatte vele heymlichkeid gehad
Mit Jhesn Kristo an manchir stad.
Czu der qnam her gegangin do 850
Vnd frogite von Jhesu Kristo,
Der eyn prophete gewest were,
Daz si eme sagite von sinir lere.
Wan her were darumme dar gesand,
Daz her en solde alzcuhant 855
Deme keisir zcn Borne brengin. Bl. 17,a.
Nu wolde eme Pilatus nicht vorhengin,
Daz her wandirt also balde.
Her wolde en do virzcen tage halde
Vnd spreche na, her were gestorbin 860
Vnd hette di botschaft vmb sus geworbin.
Si sprach: ach! leidir der here myn
Leid vor sime ende grosse pyn
Vnd eynin iemirlichin tod.
Her was myn here vnd myn god, 865
Den Pilatus durch der judin haz
Vortumite vnd gestatte en daz,
Daz sy groz vnrecht mit eme^) begingin
Vnd en an eyn cruzce hingin.''
Volusianus sprach: „daz ist mir leid, 870
Daz ich vorlise myne arbeid
Vnd vmb suz ben her gezcogin
Vnd myn here des ist betrogin, :
Daz ich en nicht gebrengin kan.
844 begonde ; beschauwin (: frouwen). 847 geheisin (!). 848-Die^£53 sie.
855 on. 857 wulde. 872 gezcagin (: betragin).
') one; md, accus, nach miti {Vgl, Weinhold, mhd. Gr.« § 334.) Rothe:
„mit allem nutzen" Urk. 18.
Heinrieh, Stadien zn Johannes Bothe 9
^ • V
~ ISO —
Her werdit daram eyn betrubitir man, 875
Wanne her daz nu ges^it,
Daz sin befemnge nicht gescbehit
Vnde idi werde eyn vnnutzir böte.
Ach! frowe, kund ir mir icht gerate?*
Veronica wedir den botin sprach: 880
„Czn eynin gecEitin daz geschach,
Daz myn here predigite vnd andir lare Bl. 17,b.
Ynd begande daz ouch nffinbare,
Daz her mit sinie Übe
Yf erdin nicht lange solde blibe. 885
Also ich daz nu hatte vomomin
Vnd wedir enheyto was komin,
Da bedachte ich ebin sine wert,
Di ich von enfie hatte gebort.
Daz ich scher sinir keginwertikeid 890
Enpmn solde, daz was mir leid.
Vnd wart^) do des zcu rate,
Daz ich also drate
Wolde gehin zcu eyme malere,
I>er sinis hantwerkis eyn meistir were, 895
Der mir noch sinir kanste wit2e
Sin bilde malite noch sime antlitze.
Eynin sleigir ich do zca handin nam.
Do ich nf di Strasse qnam
Vnd wolde zca deme malere, 900
Do begeynite mir myii libir here
Vnd fragite mich, war ich weide gehin,
Daz ich en daz lisse vorstehin.
Ach! wi wole wüste her daz,
Worumme ich nzgegangin was 905
Vnd fragite doch, war ich ginge,
Vf daz ich trost von eme enphinge.
Do ich eme gesagite dy Sache,
Vnd waz ich wolde lassin mache, Bl. 18,a.
876 gesellet. 877 gescheit 878 ynaaczter (!) bathe. 879 frauwe kSnd.
888 begondc. 884 liebe. 899 die. 900 meiere. 901 lieber;
*) übergeschrieben.
- 131 ^—
Eyi) Wilde, daz ich gin ged^Hte, " • 910
Wan her sine worte voUinbrechte
Vnd von dessir werlde quenie,
Daz ich trost darvone geneme,
Do hisch her daz taeh von mir
Vnd druckite ez an sia antlitze schir 915
Ynd gab ;nir schone gemalit sin bilde.
Desse rede di ist uch gar wilde
Ynd ist doch di warheid sichirlieh
Ynd syme ersamin antUts^e glich.
Nu saltn des sin von mir bericht:. 920
Wan dessis bildis angesieht
üwir here mit ynnikeit anesehe,
So ist eme nergin also ^ehe.
Her worde y(m sinir suche zcustunt
Beide frisch, heile vnd gesunt^ 925
Her sprach: „daz bilde, ist daz feile,
Min here der sal dir medeteile
Silbir vnd gold noch dinir gere."
Sy sprach: „ich mag sin nicht ^) gemere,
Ymb ynnikeid wel ich mit dir dar 930
Obir mer kegin Borne var
Ynd wel ez selbir furin.
Andirs sal ez nymant berurin.
Ir suUit mir abir eynin eyd
Swerin, daz mir nummir leid 935
Yf deme weg« wediryare, Bl. 18,b.
Ynd daz ich sichir kome dare
In des keisirs geleite,
Ynd wi länge ich zcu Eome beite
Ynd mit dem antlitze do Mibe, 940
Daz nymant do mir armin wibe
Tu mit deme bilde gewalt,
Ynd daz ich habe sichirn enthalt
911 volbrechte. Doch vgl „voinnbracht** Akr. 20. 917 die. 925 friesch.
.939 wi«, 941 wiebe.
*) übergeschrieben (?).
9*
— 132 —
Vnd sichir darmede her wedir kome,
Ez frome dem keisir, adir ab ez nicht frome, 945
Daz mir keyn leid werde getan."
Daz gelobite er da Volusian
Vnd swur er des eynin eyd
Vor sinir gote werdikeid
Vnd hi des keisirs heile darzcu, 950
Daz er nymant solde leide tn.
Also begundin sy do beide
Heymilichin von Jhemsalem ^qjheide
Mit deme antlitze vnd erme gesinde
Vnd ilitin do zcu schiffe swinde. 955
Qod bescherte en gudin segilwint,
Daz si gar czowilichin sint
Obir mer kegin Borne qaamin.
Des gewunnin si ere vnd fromin. —
Do Pilatus daz hatte vornomin, 960
Daz Volusian enweg was komin
Vnd hatte der czid nicht gebeitit,
Daz her sine antworte hette bereitit Bl. 19,a.
Vnd sich kegin deme keisir entschuldigt,
Do wart her darumme gar vngfeduldig. 965
Vnd sante sinin eigin bötin von dan.
Der was geheissin Alban.
Deme was kegin Bome gach
Vnd schiffite Volusiano nach
Mit eyme briflfe, den Pilatus 970
Deme keisir schreib vnd der lutte alsus:
„Deme allir hoisten konige togintlich,*
Deme uf erdin nymant ist glich,
Tyberio, deme romischin keysere,
Deme enputit lob vnd ere 975
Poncius Pylatus, sine vndirtenikeid .
Vnd noch sime dinste bereid (?). \
Czu Jhemsalem ist daz geschehin, i
951 ur. 952 begondin. 954 orme. 958 meer. 959 framen. 962 gebeid.
971 Bcreib. 978 gesehen.
\
— 13a —
Daz ich geprnfit habe vnd gesehin
Also daz di judin dorch erin haz 980
In grossir bosheid tadin daz,
Daz si sich vnd ere nachkomin
In freislich vortumnisse han genomin,
Daz zculesrt^ obir sy gehit;
Wann si habin gotis woltad vorsmehit. 985
Wan nu erin vetirn, di heilig warin,
God hatte gelobit vor manchin iarin
Synin son zcu sendin,
Der en al ere nod solde swendin
Vnd solde er konig werde genant, BI. 19,b. 990
Also wit, also do worin ere lant.
Vnd her solde obir sy richin
In grossin togundin demutlichin.
Den globite her en zcu gebin
Von eynir magit in kuschime lebin. 995
Den hatte er en gesant
In ere stete vnd in er lant;
In dem was en god vorborgin.
Der wolde sy alleczid besorgin.
Gade lere knnde her en gegebin, 1000
Wy sy haldin soldin er lebin.
Her machte en di blindin sehinde
Vnd di lamin gehinde;
Di vzsetzigin machte her reyne,
Sy worin gross adir kleyne, 1005
Vnd di zcubrochin hatte der gicht,
Dy liz her vngetrostit nicht.
Her gab en wedir ere gelede,
Dy si vorlorin hattin dormede,
Di wordin en gancz vnd heile. 1010
Solche gnade künde her en medegeteile.
Di bosin geiste her vztreib.
982 ore. 993 togindin. 999 wulde. 1000 konde. 1006 gicht sonst nur
St. n. oder /,; bei Rothe auch m. {Vgl F. Bech, Germania IX,179). 1009 sie.
1010 Die.
— lai' —
Daz er keynir by den lutin bleib.
Di totin her wedir irqmckite
Vnd zcu rechtim lebin her sy schickite, 1015
Di gereide^) warin begrabin,
Der noch vel daz lebin habin
Vnd noch den lutin wundir sagin, Bl. 20,a.
Di sy gntlichin danimme fragin,
Wy ez en dy wile habe irgehin, 1020
Vnd waz sy wandirs habin gesehin.
Uf dem wassir her hene ging,
Daz her nnmmir nezze enphing.
Her gebod derae winde nf der Strasse,
Daz her mnste sin wehin lasse. 1025
Her künde ouch wole gewere
Deme vngewettir nf deme mere.
Di vische warin eme gehorsam,
Der grosse menige vor en quam,
Wor her sy wolde habin, 1030
Gesnntheid had man enzcabin,
Wan man sin kleid rurte an.
Also grosse zceichin had her getan,
Daz her veletnsint mensche spisite
Von fünf*) brotin, do her bewisite, 1035
Daz ez wnchs in erin hendin.
Daz oberie muste her von eme sendin.
Des warin zcwelf korbe vol.
An den lutin ted her dicke wol,
Nymant kan däz vol achte, 1040
Waz her wundirwerke machte.
Sin lebin hilt her zcu male re3me,
Do en alliz judisch volg gemeyne
Hilt, daz her eris gotis son were.
Daz muwite der judin pristir sere Bl. 20,b. 1045
Vnd wordin eme darumme gram,
1016 Die. 1023 her fehlt, neczce. 1037 ome. 1043 gemyne. 1044 eris
übergesekrteben.
*) bereits; adv, {Vgl Germania IX, 175). «) Vgi, »von fiinf «ckirii«
Urk. 18.
— 135 —
Daz her en di ere bitnana,
Vnd daz her sy starafte sere
Mit sinir bestendigen lere.
Gzolest si met em« ymmegingin, 1050
Daz si en geslugin vnd gefingin.
Vnd bracbtin en vor mich vßd gebatin gerichte
Vnd machtin en 9cn male gar zcn nicbte.
Ynd sagitin der vntad von eme gnug,
Daz her alliz gednldiclichin vortrug. 1055
Vnd irdachtin vele loginmer,
Dy myr zcu hörne warin swer.
Ere gecznge falsohin si vurtin,
Di mich sere berariin.
Noch künde ich mich des nicht irwerin, 1060
Daz ich en vor en mochte irnerin.
Si sprachin, her knnde zcouberie,
Ynd begnndin en sere maledie,
Ynd bette der tnfil gnde macht:
Mit den hette her sine werke zenbracht. 1065
Her were eyn bosir^ snodir man
Ynd bette wedir ere gesetze getan.
Daz ich daz gerichte lisse irgehin,
Ynd wan daz von mir were geschehin,
Ez were böse adir gud, 1070
So solde obir sy gebin sin bind Bl. 21,a.
Ynd darezQ obir alle ere kind.
Sy machtin mich mit wortin also blind,
Daz ich glonbite erin wortin.
Wol daz ich daz tede mit fortin, 1075
So Hz ich en mit geisiln howin
Ynd ted, nf daz si daz soldin schowin,
Daz ich en darnmme gecznchtigit bette
Ymme di seibin obiltette.
Ynd meynte, ich wolde ez vorfugin, 1080
1061 sie; on {übergcBchriebtn}. 1054 gagittin. 1062 konde. 1063 begon-
diu; maledige. 1068 iigehekin (!). 1076 ho&win (:8oh»uwen}. 107« bete;
obütete? 1079 die.
— 1«6 —
Si soldin en darane lassin gnngin
Ynd des enwoldin sjr nicht tu.
Do gab ich en di loube darzcn,
Daz si selbir obir en richtin
Noch erme gesetze vnd enn geschichtin. 1085
Do kartiu si sich abir nicht an,
Si woldin en gecmzcigit han.
Also wart daz gerichte begangin,
Ynd her wart an eyn cmzce gehangin
Ynd an deme seibin tage begrabin. 1090
Si woldin des eyne gewisheid habin,
Also [her] en vor hatte voriehin,
Her wolde von deme tode irstehin.
Ynd sacztin hntir bi daz grab,
Di nicht torstin gehin er ab 1095
Nach dren tagin ynd dren nachtin;
Stetlichin sy daz bewachtin. Bl. 21,b.
An deme dertin tage her irstnnt.
Also en daz was wordin tont,
Do brante in en dannoch der haz. 1100
Den hutim gabin si gelt vmme daz,
Daz si sprechin, sine iangim werin komin
Ynd hettin en vz dem grabe genomin,
Des nachtis heymilichin vorholin
Ynd hettin en duplichin gestolin. 1105
Abir do di hntir daz gelt gewunnin,
Erin haz si do besunnin
Ynd sagitin di rechtin warheit,
Ez were en lib adir leid.
Ynd sagitin, daz si ez hettin gesehin, 1110
Daz her von deme tode were irstehin.
Ynd bekantin des oueh gar ebin,
Daz en daz gelt were gegebin. —
Dit habe ich uch in warheit geschrebin;
1084 on. 1085 ern? (übergeschrieben.) 1087 wuldin; gecrucigit (!).
1091 Sie wulden. 1092 on. 1093 wulde. 1094 bie. 1095 Die. 1106 ge-
wonnen. 1109 lab. 1110 sagittin.
— 187 —
Ab ymant login hette getrebin, 1115
Daz ir nicht glonbin soldit,
Ab ir di warheit wessin woldit.** —
Dy judin hattin daz vorstehin,
Daz clage obir si was geschehin
Vor deme romischin keisere. 1120
Daz vorsmahite en gar sere
Vnd irfurin daz ouch alzcuhant,
Daz Pilatus sinin botin hatte gesant.
Dar umme gingin si zcn rate: Bl. 22,a.
Von en wart uzgesand eyn böte, 1125
Der si entschuldigite vor deme riebe
Vnd si mochte behaldin bi gliche. (?)
Vnd enpotin deme keiser,
Daz en Pilatus were zcu swer,
Daz her en seczte eynin amchtman, 1130
Si mochtin sin numme bi en gehan.
Wann her tede en grossin vordriz
Vnd vele vnrechtis umme sinin geniz.
Her machte en ere gesetze wilde
Vnd seczte sine gote vnd sine bilde 1135
In erin tempil zcu smacheid
Vnd tede en vnzcellichiz leid.
Daz gelt, daz in den tempil queme
Czu ophir, mit gewalt her neme
Vnd tede daz in sinin nucz 1140
Vnd hettin von eme keynin schucz.
Her vorteidinge wedir sy dy heidin
Vnd wordin nummir recht entscheidin
Von eynandir mit orteile,
Wan sin gerichte daz were feile. 1145
Her Verc' ouch in den tempil komin
Vnd hette des bischofis kleid genomin
Vnd sinin gesmug, den her solde han
1115 login. 1125 bathe. 1127 sie. 1132 vordriez (igeniez). 1137 Tn-
oeUiohes. 1139 opphir. 1142 vorteidingege (!). 1147 bischoffis. Doch vgl,
„bischofis« Akr.4. 1148 gesmug. Vgl. Germania VI,276 und IX, 176. j
— 138 —
Vnd ZGU herin gezdtin tan m,
Ynd hette den mit eme hejm getragin: BL22,b. 1150
Daz woldin sy sinin gnadin clagin.
Ynd wanne her des solde gebmchin.
So mnstin ä ez kegin eme rorsnchin
Mit gelde vnd mit gäbe
Ynd mastin eme daz globe, 1153
Wann si daz feart Yollinbrechtin,
Daz si eme daz wedirbrechtin,
Ynd daz selbir nicht behiidin
Ynd des erin selbir wildin.
Also phlege her sy zcn bedrangin, 1160
Glich also ab si werin sin gefaogin.
Des vnrechtis vnd des gliehin
Were gar vele sichirlichin
Daz si wole bewise w<ddin
Yor sinin gnadin, wann si soldin. 1165
Ynd betin en des fielichin bb, ^
Daz her en gnade wolde tn
Ynd en des eyn wandil schicke,
Daz her si vordir me nicht also dicke
Yorvnrechle vnd tede en vordriz 1170
Ymme schinderie^) vnd bosin geniz.
Desse botschaft quam nn er
Kegin Borne zcn dem keiser
Danne der büte genant Alban,
Der Pilatus botschaft sold habe getan. 1175
Dit was nu di sache: , Bl. 23,a.
Eyn gross wettir begande sich mache
Yf dem mere allinendin,
Ynd der wint begnnde sich wendin,
Daz her stant in welsche land. 1180
Do slug her en hene uf den sand,
1151 wuldin. 1153 sie. 1155 glabe (= gelobe). 1156, 1164, 1165 sie.
1165 snldin. 1166 Vor en noch es. 1170 vordriez (igenyez). 1172 eer.
1176 die. 1177 begonde. 1178 meere.
>) tt, /. = exspoliaUo; vgl, Oenniuua 1X,178.
— 1S9 —
Daz eme dar vone daz schif zcnbraeh.
Mit grossir nod eme daz geschadi,
Daz her der late hülfe genam
Vnd mit dem lebin dar vone quam. 1185
Nu was do di gewonheid, '
Wer den schifbrach uf deme wassir leid, •
Wo danne her were geborin,
So hatte her lib vnd gut vorlorin.
Vnd her was des forstin eigin, 1190
Her wolde eme dan gnode irczeigin.
Nu was do Vespesianus,
Der hatte ynne welsche land alsus,
Daz si eme Tiberius hatte bevolin
Mit zcinsin, rentin vnd mit zeoUin 1195
Vnd mit der herschaft vngezcalt;
Von deme keisir hatte her di gewalt.
Vor den wart bracht der böte Alban,
Der den schif bruch hatte getan.
Den frogite Vespesianus gar schere, 1200
Wo danne her queme, vnd wer her were, .
Vnd wo her hene wolde varin, Bl. 23,b.
Daz solde her eme uffinbarin.
Her sprach: „von Jherusalem ben ich gesand
Vnd ben Albanus genant. 1205
Czu Bome so hatte ich gedacht,
Nu had mich der wint her bracht."
Do sprach zcu eme zcuhant alsus
Der forste Vespesianus:
„Du bist von wisir lute landin, 1210
Do man vele kunste had zcu handin.
Bistu eyn arczit nu, daz sprich,
So saltu ouch gesunt machin micL"
Nu hatte her vespin — horte ich sagin —
Von jogunt in sinir nasin getragin. 1215
Vnd dar von so*) wart her genant
1212 arez (?).
*) übergeschrieben.
— HO —
Yespesianog obir alle lant.
Do autweiie eme dorof Alban:
„Here, der arezdige ich nicht kan!
Dar DDune kso ich nch nicht 1220
Gehelfin, wan mir der kaust gebricht".
Vespesianiis sprach: ,ez ist nicht Tmme sost
Czn deine keisir zca zcihin: helfio dn mnst
Hir na, adir da mast sterbin.
So kansta keynin dang irwerbin. 1225
Wan da bist also eyn arczit gestalt,
In ernste da mir faelfin salt."
Her sprach: „ich sterbe vngeme mynin kindin. B1.24,a.
Lebite der noch, der di blindin
Uit sinin wortin machte sehinde 1230
Vnd di lamin oach machte gehinde
Vnd di tnfite') vz dem Intin schickite
Vnd di totin wedir irqaickite.
So wolde ich di botschaft ta,
Daz ir gesant wordit iin." 1235
Do sprach Vespesianns: „wer was der man,
Der sogetane ding had getan?"
Der böte sprach: „Jhesas von NazareÜi
Sogetane ding begangin het.
Wer an en glonbite, deme ted her daz. 1240
Den cmzcigitia di jadin vmme erin haz.
Vnd lebite her vnd hettit eme glonbit,
Ir werit nwir snche gancz beronbit."
Vespesianns sprach: „had her totin irqaickit
Vnd han di jndin daz mit eme geschickit, 1245
Snmme myn nase!*) daz neme ich en abe*).
1226 srczt(¥). Vgl. V. 1212. 1231,1232 die. 1234 wulde.
') Die Stelle ist verwiicht; darüber tuflle. •} „Bei meiner Neue! Dafür
»e ich ti* büttea {abenemen, it. v.), leenn ander» ich dat Leben habe.' summe
mhd. M mir, *am mir, lemniir. Aehalich B8p 1106 f.:
„daz di JBraheliechia woldeti reche
Vnd den von Qabaa das nemen abe.'
H'eitere Bei»piele ditter leUenea md, Autdrucksioeitii tiad beigeiraclil
nnonis V, 236 u. IX, 174.
— 141 —
Sal ich andirs daz lebin habe.^
Dy vespin vilin eme do zcuhant
Yz der nasin in sine hant.
Also Vespesianus dit gesach, 1250
Mit lutir stymme her do sprach:
„Tud dit nu der totir man,
Waz solde her danne habe getan,
Do her daz lebin dannoeh hatte. Bl. 24,b.
Ach! daz man den jadin des statte, 1255
Daz si also mit eme vmmegingin
Vnd en an eyn crnzce hingin.
Vor mynin gotin daz ich spreche:
„Ich wel noch sinin tod reche,
Ist daz ich behalde daz lebin 1260
Vnd werdit mir di lonbe gegebin."
Her antworte em: „dit was die sache,
Daz ich mich begnnde vz zca mache,
Daz ich vnsirme herin dem keisir gesagite
Vnd obir di bosin judin geclagite, 1265
Daz si Jhesum, den gotisson.
Von deme übe hettin getan**.
Do antworte eme damf alsus
Der höre Vespesianus:
„Gewislichin han ich irfundin daz, 1270
Daz her gotis son was.
Der mich zcu dessin stundin
Von mynir suche had enpundin.
Nem wedir, waz du hast verlorn
Vnd irhebe dich fru biz raom 1275
Vnd var kegin Bome, wan du macht.
Der keisir an dem libe euch s wacht.
Brechstu deme also gude mere
Also mir, du irworbist gut vnd ere,"
Endes — also ich han vornomin — Bl. 25,a. 1280
Was Volusian kegin Bom enkomin
1263 begonde; zcu in der hs. verwischt. 1264 vnssme {vgL „unsirs
herin« \kr. 20). 1277 liebe.
\.f i'i
\
uur
» >• > ' : i
— :U2 —
Ynd hatte wt ^mci Vieronicani
Dare bradit, also eme wol gezcam.
Do her vor den keisir ging,
Tiberius en gar frolichin enphing 1285
Ynd sprach: j^hastn den mdsür bracht,
Vf den ich lange habe gedacht?"
Her sprach: „here, des ir begerit,
Des meistirs sit ir vngeneiit
Wan Pilatus vnd di judin han 1290
Vnschuldiclichin getotit den seibin man
Ynd habin en an eyn cmzce gehangin
Ynd da? in grossime hasse begangin;
Ynd ist obir sy di grosse clage,
Daz ich daz alliz nicht kaa volsage 1295
Yon den lutin, di her had gesaut gemacht.
Eyn wibisnamin hau ich mit mir bracht^
Di hat des seibin Jhesus bilde.
Lassit nch 4i rede nicht wesln wilde!
Daz had her aelbir vzgeamuckt 1300
Ynd yon syme antlitze gedruckt
Des habe ich er mynin eid getan,
Daz si keynin schadin neme darvon,.
Daz si mit mir her ist komin.
Si suUe sin habe -ere vnd fromin 1305
Ynd in uwirme geleite zcihin hi danniii
Bi uwir achte vnd bi uwirm bannin. Bl. 25,b.
Ist daz ir daz bilde ansehit,
Ynd daz mit ynnikeid geschehit.
So sullit ir daz irwerhin zcu stunt, 1310
Daz ir heile w^rdit vnd gesunt.
Daz wesse si sichirlichin vor war,
Also had si *gesprochin uffinbar,"
Der keisir hiz sich di frowin bereite
Ynd liz di wege bebreite ^) 1315
1289 vngeneret. Vielleicht ist ungewerit zu lesen, 1291 Ynatihuldkli-
lichin. 1308 dar van. 1304 beer. 1309 gescheit.
») Vgl, Germania IX,174i
— 143 —
Mit sidin tnchirn viid kostlichin gewaoden
Vnd mit teptin manchir hande,
Do si daz bilde an dem tage
Czn em in daz palas solde trage.
Ker<?zin hiz her enpornin gnug, 1320
Di man schone vor er trug.
Gzu hant also her das antlitze gesaeh,
Vffinberlichin her do sprach:
„Jhesüs, gotis son, irbarme dich
Doirch dine togunde obir mich! 1325
Also du obir manchin man
Vf dessir erdin hast getan
Vnd mache mich nu ouch gesunt!*
Sehit, do vilin eme zcustunt
Di schupifl von sime libe. • 1330
Her nam daz bilde von dem wibe Bl. 26,a.
Vnd druckite ez vndir sin antlitze.
Do quam eme eyn sweiz vnd eyn hitze
Vnd gesuntheit obir alle sine licham.
Er dann« her ez y dar von genam, 1335
So sagite Volusianus di mere,
Wi ez vmme Jhesum Kristum were.
Wi her von den judin were gestorbin,
Vnd wi Veronica hette irworbin,
Do her noch was an sime lebiu, 1840
Daz er daz bilde wart gegebin.
Dar nach obir etliche tage
Quam vor den keisir der judin clage,
Wi en Pilatus tede bedrängt)
Vnd legite an si grossin getwang. 1345
Daz sin gnade en wolde wandil tu
Vnd gnediclichin en ratin dar zcu.
1825 toginde. 1330 schupe; vgl Germania IX, 178. 1842 egliche oder
igliche (?).
*) 8t. m.; vgl. RZV. 88 f.:
„wanne dit houbit werdit kräng,
so hdin di armin groBzin bedräng.^
Weitere Belege finden sich Germania IX, 175.
— 144 —
Erin briflf her do uf brach:
Dar ane her beschrebin sach,
Wi her ez hatte angefangin 1350
Vnd mit en vmme hatte gegangin.
Do wart her vor grossime wundir stum
Vnd gar czornig nf Pilatuin,
Der sogetane schalgheit hatte begangin .
Vnd Jhesum ynsehaldiclichin gehangin, 1355
Der den lutin allin nutze was. Bl. 26,b.
Vnd ted daz ymme der jadin haz
Vnd Yorterbite also daz romisch gerichte
Vnd machte ez onch gar zca nichte
Vnd ted den judin wedir recht vordriz 1360
Vnd wedir willin vmme sinin geniz.
Pilatus wart her zca male gram.
Her begabite do Veronicam
Mit kleynotin vnd mit gewande
Vnd mit friheitin manchirhande. 1365
Geldis des enwolde si nicht,
Her hette si andirs do ussgericht,
Daz si were wordin geriche ^)
Vnd si geholfin hette ewicliche.
Her liz si do sine eigin man 1370
Von Bome geleitin bi sime ban
Obir mer biz kegin Jherasalem.
Si was eme gewest gar genem,
Vnd hette si gerne bi eme behaldin
Mit deme bilde, den lutin zcu saldin ^): 1375
Do wolde si zcu Bome nicht blibin.
Eynin briflf liz her Pilato schribin,
Daz her zcu stunt zcu Bome queme,
Wann her sinin briflf vomeme.
Mit sinin mannin, di her hatte gesant, 1880
Di Veronikin brachtin in er laut.
1355 ynschuldichlichin. 1369 gehulffin.
*) adj.-dines; vgl. Germania IX,175. *) Vgl. S. 41 und Germania VI,
278; IX, 177.
— 145 —
Indes so quam alerst Alban
Von dem forstin Vespesian,
Den der wint hatte vorslagin Bl. 27,a.
Vf deme mere, vnd begande sagin, 1385
Wi en der richtir Pilatus
Mit sime briffe hette gesant yz.
Do her vor den keisir quam
Vnd den brifif von eme genam
Vnd mit flisse den obirlas, 1390
Waz daran geschrebin was,
Do sprach her: ,, Pilatus had bekant,
Darumme ich nach eme habe gesant.
Ich finde beschrebin an dessir stad,
Waz mir Veronica gesagit had 1395
Vnd ouch myn dynir Volusian.
Di rechtin worheit ich nu han/
Pilatus torste nicht lange beite,
Her muste zcuhant werde gereite
Vnd mit des keisirs dinirn varin 1400
Eegin Bome schiffin, di do warin.
Also dit nu also irging,
Der keisir en do nicht enphing,
Sundirn liz do also balde
Daz gerichte obir en halde. 1405
Di judin do obir en clagitin
Vnd vele vntad von eme sagitin.
So vorczalte ouch Volusian,
Waz her wedir Jhesum hatte getan.
Do wolde en der keisir lassin totin. 1410
Do wart eme daz irworbin notin, Bl. 27,b.
Daz man en solde sende
Kegin Lugdunum in daz endende.
Da was her vor wol bekant,
Vf daz her do mer worde geschant. 1415
Ez geschach noch Eristi gebort zcwar,
Do man schreib nuenvnddrissig iar,
1382 al e'st. 1385 begonde. 1399 gereite. 1410 wulde. 1413 lugdm^
Heinrich, Studien zu Johannes Rothe 10
— 146 —
Daz Pilatus, von Poncien genant,
Wart in daz enelende gesant
Von deme keisere Tiberio. 1420
Des wordin di judin alle fro,
Dy zcu Jherusalem warin,
Daz si des richtirs vnd sckalkis enparin.
Do her von Jherusalem was komin,
So wart eme alle sin gud genomin 1425
Biz uf di kleidir, di her ane trug.
So hatte her nicht zcu czerne gnug,
Wan her sich des nicht vorsach,
Daz eme do zcu Bome geschach,
Daz man en wolde sende 1430
Mit armute in daz enelende.
Do leit her hungir vnd ^maclit^).
Sinir herschaft wart wenig geacht,
Di her vor hatte getrebin,
Di sinin alle hindir eme blebin. 1435
Do ging her in armute vnd in nod,
Daz man eme gebin muste daz brod, Bl. 28,a.
Wan her künde nicht irwerbe
Vnd muste vorsmachtin vnd vorterbe.
Do her eyn jar do gewas, 1440
Also daz her kume do genas,
Do quam der forste Vespesian
Kegin Bome, also ich vornomin hau,
Geczogin vz welschin landiu
Vmme sache, di her hatte vorhandin 1445
Vz zcurichtin vor deme keisere.
Vndir andirn dingin lobite her en sere,
Daz her were wordin gesunt.
Der keisir der ted eme daz kunt,
Wi em dar zcu were geschehin, 1450
Daz her eyn bilde hette gesehin,
1423 enporin. 1450 gesehen.
') 8t. n.; vgl. Germania VI, 60 und IX, 178.
- 147 -■
Vngemalit vnd vngeferwit . . -0
„Daz had Jhesns, der grossir prophete,
Den daz judische volg vorsmete,
Vnd Pilatus obir en richte, 1455
Ane schult, glich eyme bosin wichte,
Daz her wart an eyn cruzce gehangin,
An sin antlitze gedruckit vnde an sine wangin,
Daz ez sine gestalt had eigintlich.
Daz bilde had geholfin mich, 1460
Daz ich ez vndir myn antlitze druckite.
Minin licham ez zcuhant smuckite
Czu gesuntheid, daz ich sin enczub. Bl. 28,b.
In froidin sich myn hercze irhub.
Di frowe Veronica hiz, 1465
Daz bilde si nicht hy liz.
Si had ez wedir zcu er genomin
Vnd ist wedir zcu Jherusalem komin."
Do begunde Vespesianus iehin:
„Here, mir ist des glichin geschehin. 1470
Pilatus böte, genant Alban,
Der hatte eynin schifbruch getan.
Wan der wint hatte en vortrebin,
Daz her uf eyme sandwerf*) was blebin.
Daz ^ngewettir was also gross, 1475
Daz her zcu vnsir stad floz
Vnd muste mit sime schiffe blibe.
Do greif ich enie zcu deme libe
Vnd wolde en behalde zcu eigin.
Do begunde her bezceigin, 1480
Daz her were zcu uch gesant
Vnd hette di botschaft nicht geant,
Sundirn begunde des sere clagin,
Daz en der wint hette vorslagin.
Do fragite ich en gar schere, 1485
1457 ozniooO). 1458 ane. 1460 gehulffin. 1464 froudin. 1469 begonde.
1482 die.
*) Der Reimvers fehlt. ') st.m. = Sandbank; vgl, Germania IX, 178.
10*
— 148 —
Waz dan sin botschaft were.
Do sagite her mir zcahant alsus:
Von Jherusalem Pilatus
Hette en mit syme briflf dar
Gesand — daz were sichir war — 1490
Vmme Jhesum, den prophetin, Bl. 29,a.
Den di judin vorsmetin,
Vnd di liste irdachtin,
Daz si en zcu dem tode brachtin,
Vnschuldiclichin an sinin dang, 1495
Der allin den half, di do warin kräng,
Daz si gesuntheit irworbin;
Vnd eczlichin, di do warin gestorbin,
Solchin trost had gegebin,
Daz si wedir enphingin daz lebin. 1500
Do ich gehorte desse mere,
Do irschrag ich er gar sere;
Wan ich hatte hoffenunge dar zcu,
Daz her mir uuch solde holfe tu
Vnd begunde daz bi mynir nasin spreche, 1505
Ich wolde sinin tod reche.
Ab uwir gnade mir des gunde.
So ich allirerst daz getun künde.
Czuhant also ich daz wort gesprach,
Eyn zceichin do von eme geschach. 1510
Di vespin vilin vz der nasin myr
Vnd wart von mynir krangheit schir
Czu den seibin stundin
AUir dinge enpundin.
Ach, libir here, solchin gebrechin 1515
Lassit vns an den judin rechin
Vnd euch an deme richtir Pilato,
Der des vorfolgit had also!**
Tiberius sprach: „also du hast gesprochin.
So ist ez an Pilato gerochin. Bl. 29,b. 1520
1495 Vnschuldichliohiii. 1500 ephingin (!). 1503 huffenüge. 1505 he-
gende. 1510 zcichiD. 1515 lieber.
— 149 —
Den habin wir in daz enelende gesant,
Do hene in Burgundienlant.*
Vespesianus sprach: „here myn,
Daz ir vmmir selig mussit sin!
Eyme solchin bosin lestirlichin man 1525
Deme snllit ir lassin legin an
Eyn bosin snodin ierairlichin tod,
Der Jhesum an had gelegit nod,
Vnd en iemirlichin vorterbit had *
Ane schult vnd ane missetad." 1530
Der keisir sante botin do hen
Czu Pilato in Vihen,
Daz man en solde lassin sterbin
Vnd eynin schemilichin tod irwerbin.
Also nu di botschaft do hene quam 1535
Vnd Pilatus daz vornam,
Daz ene worgin solde daz vngemach.
Mit sime messir her sich selbir irstach.
Obir sich selbir her also richte
In der lute angesichte. 1540
Di botin quamin wedir zcu Borne do
Vnd sagitin deme keisir also
Vnd deme forstin Vespesian,
Waz Pilatus eme selbir hette getan.
Do sprach der keisir: „werlichin! der tod 1545
Ist schemilichir danne keynirlei nod,
Wan eynir selbir obir sich rieht
Vnd vmme sine eigin bosheit irsticht.
Wi mochte vf dessir erdin Bl. 30,a.
Vmmir bosir tod werdin!'^ 1550
Do Pilatus was gestorbin^)
Vnd hatte eyn bosiz ende irworbin
Vnd sich selbir libelos getan,
Do warf man en in den Rodan.
1537 wügr.
*) Zum folgenden vgl, S, 86: „Das Schicksal der Leiche des Pilatus*
— 150 —
Daz ist eyn schifrich^) wassir groz. 1555
Sinir bosheid her genoz,
Daz en nymant begrabin wolde.
Ood ez onch nicht habin wolde.
Eyn grossir steyn zcn den stnndin
Wart eme an den hals gebundin 1560
Vnd wart do in daz wassir gesenkit,
Also man dibe vnd schal ke irtrenkit.
^er bosin geiste qnamin zcn eme vel
Vnd trebin gar wnndirlichiz spei.
Daz böse vorworfin gesinde 1565
Daz frowite sich sinir bosheid swinde.
Mit dem snndigin lichamin si spelitin,
In dem wassir si en qnelitin.
Icznnt si en nfnamin,
In di lüfte si mit eme quamin 1570
Mit eyme grossin schalle
Vnd lissin en dan in daz wassir valle,
Daz man ez gar wite horte.
Dit brachte di Inte sere in forte,
Di bi deme wassir warin gesessin, 1575
Wann dessiz spei was vngemessin.
Groz vngewettir dar nfe wart,
Daz ez sere hindirte di vart, Bl. 30,b.
Di schiffe di gingin vndir.
Man sach domfe grossiz wnndir 1580
Von donir vnd von blicke,
Daz di geiste begunde schicke.
Der schiffe vel vorsnnkin,
Der lute vel darumme irtmnkin.
Daz fuer nf derae wassir brante, 1585
Dar vone man gar wol irkante,
Daz ez Pilatus schnlt were,
Daz si geplagit wordin so sere.
Den bosin licham den^) vorfluchtin
») Vgl, Oermania VI, 62 und IX, 178. «) der.
1558 wulde. 1565 vorwurffin. 1566 frouwete oder frouwett. 1582 be-
gonde.
— 151 —
Si in deme wassir also lange suchtin, 1590
Biz daz si en dar inne fundin.
Den namin sy do zcu den stundin
Vnd meyntin, si woldin sin los werdin
Vnd begrubin en tif in di erdin
Vnd trugin dar uf grosse steyne 1595
Vnd meynitin, si werin sin los reyne.
Doran warin si sere betrogin.
Di steyne also wit do flogin,
Also di velt warin dar umme
Vnd hortin do also iemirliche stymme, 1600
Also sy noch ymir hattin vornomin,
Sedir si zcu der werlde warin komin.
Der hagil slug en al er kom,
So warin alle ere fruchte vorlorn,
Was darumme was gelegin, 1605
Daz bleib als gar vndir wegin,
Daz wettir ez also, vorterbite,
Daz man nicht nutzlichis erbite. Bl. 31,a.
Do des di lute abir enzcubin,
Czuhant si en do wedir vzgrubin, 1610
Vf daz si vor eme mochtin genesin.
Do was her gancz vnd vnvorwesin.
Dit was gesehen zcu Losannen.
Den vorfluchtin licham furtin si dannen,
Wann si mit eime grossin schadin 1615
Sere mit eme warin beladin.
Her wart do zcu der seibin zcid
Von en gefurt gar wid,
Vf daz der tufil mit sime getrete ^)
Den lutin nicht grossin schadin tete 1620
An erme vihe vnd an erin eigin libin
Vnd fruchte vnd obiz en mochte blibin,
Di en darvone storbin
1594 die. 1597 Dor ane. 1602 wer'lde. 1609 enzcübin (: vzgrobin).
*) Vgl. RSp V. 1601 getrete (iplanete) und Germania IX, 176.
— 152 —
Vnd mit eynandir vortorbin.
Si getorstin en in keyn wassir me 1625
Werfln. nu lid eyn tiflr se
In deme wildin geberge —
Do ryd en hen eyn ferge —
Vf eyme berge, der gar hoe sted,
Eyn Strasse do bynebin ged, 1630
Pobir Kostnicz zcwo mile adir dri,
Do mag der selbe tich sy.
Si woldin en nicht werfin in den Byn,
Sundirn do seibist worfin si en )m.
Hettin sy en in den Eyn geworfin, 1635
So were in stetin vnd in dorfin
Den latin grossir schade gesehen
Vnd were manig schif ouch vndirgegen Bl. 31,b.
Und uf deme Kyne vortorbin
Vnd manig mensche gestorbin, 1640
Daz dar nfe solde varin.
Dit daz woldin si na bewarin
Vnd worfln en in den wildin se,
Den man sehit uf dem berge ste,
Vf daz her keynin schadin na 1645
Den lutin^vort me mochte getu.
In dem seibin se her noch lid
Vnd gelegin had biz uf desse czid.
Do tribit der tafil noch mit eme wnndir,
Her furit en uf vnd senkit en vndir 1650
Vnd macht dicke eynin grossin nebil
Vnd stinkinde luft also von sweviL
Des nachtis man farige flammin sehit,
Des tagis ouch rouch darvzjgehit.
Dit geberge vnd ouch dessin tich 1655
Besitzit der herczoge von Ostirrich,
In des lande her ist gelegin,
Obin bi dem Byne höre ich segin.
Also Pilatus dar ynne gelag,
1626 See. 1628 ryd. 1643 see (rstee). 1647 sehe; leid. 1649 nach.
— 158 —
Manchis getrognissis der tnfil phlag. 1660
Wer bi den tich do hene ging,
Deme wedirforin ebintnrliche ding.
Eczliche do er synne vorlorin,
Eczlichin begunde her sich nffinbarin
Also eyn schoniz wip noch erme gednnkin^ 1665
Vnd brachte si darin, daz si ii-trunkin.
Eczlichin irschenin do grosse vische Bl. 32,a.
Vnd wan her di danne wolde irwische,
So vil her darin vnd irtrang.
Eczliche lute di wordin do kräng, 1670
Daz si snchiltin biz an er ende.
Des tufils liste sint gar behende.
Wer danne des tichis wassir bewegite
Adir etwaz darin legite,
Lussin^), rusin, hamin adir garn 1675
Noch den vischin, di darinne warn,
Der nam schadin also balde.
So hnb sich dan in') dem walde
Donir, blick vnde grossir regln,
Daz dy Inte, dy der Strasse phlegin, 1680
Dicke vortorbin von dem wettir.
Dy fruchte darvmme wordin schettir *),
Daz von deme seibin tufilischin plagin
Dy lute uss den dorfirn czogin
Vnde lissin lin den ackir vnde daz erbe 1685
Vnde woldin sich nicht lassin also vorterbe.
Do der herczoge von Osteriche dyt gesach,
Daz also gross schade den lutin geschach,
Do gab her daz gerichte dorch god,
Do dy lute ynne ledin solche not, 1690
Vnde liss eyn klostir schone vnde nuwe
Na by den seibin berg buwe.
3660 8t. n» = deliramentum; vgl. Germania IX,176. 1664 begonde.
1669 Si(!). Uli 8uchelen,8w.v,^ kränkeln; v^/. Geniiania IX,179. ]676Yara(!).
1690 Bulche.
*) Eine Art FUchemetz; vgl. Germania IX, 177. ■) Hier beginnt der
3, Schreiber. ') adj, = dünn^ mager ^ mangelhaft; vgl. Germania IX, 178.
— 154 —
Do dy monche sol(Jin ynne
Tag vnde nacht nichtis mer beginne
Den stetiglichin yn gotis lobe steen, 1695
Ab daz vngewettir da wolde vorgen^).
Also gehorin dy seibin lute . Bl. 33,b.
Czu dem clostir noch hnte;
Abir sy Tjiussin den ticji habin yu hüte,
SuUin yndy fruchte komin czu gute, 1700
Dy en wachsin uf dem felde.
Ez begynnit sich gar schere melde,
Wan man yn den tich werfit eyn steyn,
Her sy gross adir sy kleyn,
Adir myt.ichte dar yn sleet: 1705
Eyn stormwettir danne geschiet
Vnde also gross vnfur,
Daz ez en vorterbit den flur,
Vnde waz ist by eynir myle darvmme,
Daz syt man alliz swumrae. 1710
Daz wettir grossin schadin brengit.
Dit got alliz vmme Pylatum vorhengit,
Vf daz wyr irkennin da by,
Wy böse eyn snodir richtir sy. —
Vespesianus was gar eyn toginsamir man, 1715
Also ich von em gelesin han.
Von den Eomirn wart her uss gesant
In dutsche vnde yn welsche lant.
Wedir dy begunde her stritin
Zcwei vnde drissig mol czu den geczitin, 1720
Daz her en alle czyt angewan^)
Vnde machte sy den Bomirn vndirtan.
Den Bomirn her grosse ere irwarb.
1693 sulden. 1695 schteen. 1701 od. 1704 kleyne. 1705 schleet
.(•.geschyet). 1708, 1716, 1721 on; om.
*) Die nächsten beiden Seiten der hs. sind vom Schreiber- versehentlich
leer gelassen worden. Auf Bl. 32 ^a unten findet sich die hierauf bezügliche
Bemerkung: Verte duo folia. ■) Vor „«rngewan* steht noch jbOii.**
— 155 —
Biz daz der keysir Glaudins gestarb.
Do czoch her kegin Borne sedir 1725
Vnde wart da uss gesant wedir
Vf dy judin in daz lant Judeam.
Vmrae dy martyr Kristi nu daz qnam. Bl. 34,a.
God hatte en subinzcig jar gegebyn
Noch Kristi tode, daz sy er lebin 1730
Bessir soldin vnde ruwe gewynnin
Vnde ere sunde neme czu synnin,
Daz sy todtin den vnschuldigin man,
Dy zcwene Jacobi vnde Stephan
Vnde vnsirn herin Jhesum Krist, 1735
Der en von gote gesant ist,
Dem sy ane legitin martir gross
Vnde lissin Barrabam den mordir los.
Dyt beweynte obir sy Kristus,
Da her obir sy daz clagite alsns 1740
Vnde sprach: „Ach, wustu daz dich obirgeet!
Keyn hus yn dynir murin besteet,
Keyn steyn uf dem andirn blibit,
Grossiz jamir daz folg den tribit.*'
Wan an dem heiligin ostirtage 1745
Quamin dy judin, nach der buchir sage,
Czu Jherusalem uss allin stetin
In den tempil nach erme setin,
Daz sy daz fest begyngin dar ynne.
Nu quam noch dem seibin synne 1750
Vespesianus vor dy stad
Vnd brachte der Romir myt em sat
Vnd belag dy judin, daz sy nicht kundin
Her uss komin czu den stundin.
Do login sy vor, daz ist war, 1755
Volliglichin wol dry jar,
Er Man sy ez da gewunnin.
1729 BuczigO). 1730, 1732, 1736' or; ore; on. 1731 gülden. 1735
▼nssen. 1737 leytcn. 1742 bescliteet. 1745 heilgn; vgl. „heiligin** Akr. 23.
1752 om. 1755 wor.
— 156 —
AUiz judischiz lant sy dorch runnin Bl. 34,b.
ünde vorterbetin ez ^) al di wile gar.
Vespesianus, der herczoge, wart gewar, 1760
Da Josephus, der judin houbitman,
Hatte syne flucht eruss getan,
Dy seibin stad her ouch belag
Also lange biz uf eynin tag,
Daz sy dy ßomir irstegin 1765
Vnde Josephum dar ynne irkregin:
Den brachte man yn daz her gefangin,
Den wolde Vespesianus habe gehangin.
Do sagite em Josephus dy mere,
Daz her eyn czukunftigir keisir were. 1770
Daz solde her irfurin alczuhant
Vnde ted em vel fromdis dingis bekant.
Dar vmme so behilt her daz lebin
Vnde wart fry vnde ledig gegebin
Indes Claudius der keysir starb, 1775
Gaba vmme daz riebe warb.
Der wart czuhant czu Bome irslagin
Darnach quam Otto yn firczig tagin;
Der totte sich selbir, do quam alsus
Eyn andir, der liiss Vitellius. 1780
Der horte sagin, daz dy romischin man
Vor Jherusalem korin Vespasian.
Den woldin sy habe czu eyme keyser.
Daz was Viteliio czu Eome swer
Vnd wolde daz riebe begebin h'an; 1785
Daz wedirrytin eme syne man.
DaiTmme vorfolgite her alczuhant
Vespesianus brudir, Sabin genant. Bl. 35,a.
Den jagite her uf daz ralhus do
Vnd bisch holcz vnde stro 1790
Vnde vorbrante sy also gar myt ere habe,
1760 gewor. 1761 heutman. 1763 auch. 1769, 1772 om. 1770 hee.
1771 Bulde. 1788 wuldin. 1786, 1798 ome; on. 1787 vofulgete. 1789 he;
rathuez. 1791 orre.
^) vorterbeteiss.
— 157 —
Daz man sy ny doiffce begrabe.
Do czoch Vespesianus von danne
Eegin Borne myt eczlichin synin mannin
Vnde irfur, daz do alczuhant 1795
Vitellius synin brudir hatte vorbrant
Vnschuldiglichin, sjmir ere vnbewart.
Do begreif her en uf der fart
Myt allin den synin czu den standin.
Den wordin dy hende feste gebundin 1800
Vnde schentlichin gefurt obir den mart.
Myt gabiin vnde hakin man sy gar hart
In dy Tybir (sy) vorsenkite
Vnde uffinberlich irtrenkite.
In daz mer sy do flossin, 1805
Er vntruwe sy genossin,
Daz sy onch myt erin libin
Vnbegrabin mustin blibin.
Also bleib do czu Eome Vespesian.
Syn son Tytus nam sich des heris an, 1810
Daz vor Jhernsalcm noch lag,
Vnde grossir vnmyldikeyt do phlag.
Keynin her gefangin nam,
Got wolde daz her en were gram.
Daz selbe clagite her sere, 1815
Daz syn gemute en also harte were,
Daz her er nicht geschonin künde. Bl. 35,b.
Wi obile her en des schadin gande
Vnde her ere gnade wolde tu,
So woldin sy sich nicht ^chickin darczu, 1820
Vnde wan her en bod den frede.
So woldin sy nicht darvmme rede.
Vespesianus dy wile zu Bome was.
Den keysirstul her do besass
Vnde hub daz rathus czu buwin an 1825
1792 nye. 1805 meer. 1807 auch. 1807, 1814, 1816 oren; on. 1810
heeres 1814 wulde. 1818 Wie. 1818, 1819, 1821 onf ore. 1819, 1820,
1822 wulde; wulden. 1824 keysers schtol. 1825 rathues.
— 158 —
Also der stad eyn getmwir man.
Daz Capitolium ist ez genant^
Eyn houbitsloz obir alle lant,
Dy nf ertriche 'ergin warin,
Wan sy dintin darufe yn den jarin. 1830
Keyn hns was euch uf ertriche,
Daz eme mit richtnm were gliche.
Her was onch also togintsam,
Daz her sinis findis tochtir nam.
Der eme synin brudir hatte gebrant, 1835
Vitalins tochtir vorgenant,
Vnde gab dy nss eyme richin herin
Myt syme eigin gute, myt grossin erin.
Dar nach, also her wart kräng
Vnde vaste mjrt dem tode rang, 1840
Also her daz begande enczebe.
Da hiss her, man solde en nf hebe
Vnde en also stende halde
Vnde sprach: „eyn keysir sal des walde,
Daz her sterbe uf gericht 1845
Vnd uf der erdin lege nicht."
Also starb her, vnde dy Romir Bl. 36,a.
Korin czu eyme keysir
Tytum, der vor Jherusalem lag
Vnde des grossin heris pblag. 1850
Czu Jherusalem in der stad
Was der fromdin judin sad.
Vndir den wart gross czweitracht
Vmme dy spise vnde den trang gemacht.
Hir usse stormtin sy dy Eomer, 1855
Dar ynne hattin sy krigis mer.
Daz blut in dem tempil floss,
Wan daz mordin daz was vndir en gross.
Nergin endin was do frede.
1828 heubtsohlos. 1831, 1833 auch. 1835, 1842, 1843 ome; on. 1842
Bulde. 1857 blot, 1858 on.
— 159 —
Mort vnde brant ging vndir en tnede, 1860
Dar obir tet en der hungir we,
Dem yhgemache binde nymant enge.
Allin enden was forte vnde gescbrey
Von mannin vnde wibin manchirley.
Da irkantin sy, daz sy Barrabam lissin lebin 1865
Vnde Jhesus wart yn den tod gegebin.
In dem tempil da dy korpir lagin
Irworgit, irmordit, nss geczogin,
Beyde von mannin vnde von wibin,
Vnde stunkin, daz nymant da mochte blibin. 1870
Nymant sy alle begrabin künde,
Also vel wart er czu der stunde.
Der hungir wart also gross dar czu,
Daz sy frossin er aldin schu,
Spru, trebir^), vnde waz sy mochtin geban. 1875
Alrest hub sich er vngemach an,
Daz man sy warf obir dy murin, Bl. 36,b.
Dy fromdin borgir myt den geburin.
Do wart also gross der gestang,
Daz sy von geruche wordin kräng. 1880
Josephus der schribit daz,
Der judin forste, der da by was,
Daz er obir huudirt tusint storbin tod
Von hungir, wan sy hattin keyn brod,
Vnd sechs hundirt tusint wordin irslagin 1885
Man vnde wybe yn den tagin
In der stad vnde den gassin,
Wan sy begundin sich vndir eynandir hassin.
Er eyn gab es dem andirn schult
Vnde wordin myt vnbarmherczikeyt irfult. 1890
Also vel was do totin czu den stundin,
Daz sy dy nicht begrabin kundin.
Do wart von en also grossir gestang,
1860, 1861 on. 1862 engee. 1863 furchte; geschreye. 1872, 1874,
1876 or. 1874 Bcho. 1880 geroche. 1883, 1893 or; on.
*) 8t. f.; vgl. Germania IX, 179.
— 160 —
Daz dy andim wordin da von kräng.
Vnde mochtin der nicht gefdrin, 1895
Sandim worfln sy obir dy stadmnrin
Vnde Mtin dar mede cre grabin.
Da Tytus, der herczoge, des hatte enczabin,
Daz solchir mort geschadi dar ynne,
Daz bewegite eme syne synne 1900
Vnde irsufzte dar obir gar jemirlich
Myt betrupinissc vnde enschnldigite sich
Vnde hub syne hende kegin dem hymii nf
Vnde kegin gote, der en schnf
Vnde sprach: „nymant sal myr daz cznschribe, 1905
Daz ich vngnade an en tribe Bl- 37,a.
Vnde wolle en keyne gnode tu;
Er czweytracht brengit sy hirczu.
Vnde hettin sy frede gebetin
Adir czn stritin kegin uns getretin, 1910
Wir woldin er dy jnngin myt den aldin
By dem lebin habin behaldin."
Ez geschach uf eynin tag,
Daz er funczentusint tod lag
Vnde eyn vnd achczig vnde dryhundirt, 1915
An dy ediln, dy da wordin ussgesnndirt
Vnde yn der stad begrabin,
Der czal wir nicht nn habin.
Dy judin, dy dy Romir fingin
Vnde dy czu en yn daz her da gingin, 1920
Den man essin vnde trinkin gab
Vnde en dy gedouete spise ging ab.
So vant man yn den dreckin
Edil gesteyne vnde guldin steckin.
Also man des an en wart gcwar, 1925
Alle dy zcu en quamin dar.
Den wordin dy libe uf gesnetin
Vnde daz golt gesucht nach dem setin.
1896 wurffen. 1897 ore. 1899 sulcher. 1900, 1904, 1906 öme; on.
1901 erBufftzte. 1902 enschulgete (!). 1907, 1920, 1922 o,.. 1925, 1926 on.
— 161 --.
Alzo quam ez, daz yn eynir nacht
Zcweitusint wordin czu dem tode bracht^ 1930
Den man dy Übe begnnde uftrynne
Vnde suchtin da dy guldin ynne,
Dy sy yn sich hattin geslnndin,
Vf daz sy cznhant wordin fundin.
Er was vel also hungirig, waz sy geassin, Bl. 37,b. 1935
Daz sy dy masse nicht mochtin gelassin
Vnde storbin nf der stunde,
Wan sy dy spise hattin yn dem munde.
Eczliche warn vorsmacht also,
Wan sy sahin dy spise, daz si wordin also fro, 1940
Daz sy vor froidin den storbin,
Er dan sy dy irworbin.
Eyne riche frowe was yn der stad,
Dy hatte gutis vnde geldis sat.
Wan dy gekoifte er spise ture, 1945
So künde sy dem folke nicht gesture,
Ez werde er genomin uss erin hendin.
Czulest begunde sich ez also wendin,
Daz man keynirley veile fant,
Daz czu eynir spise worde irkant. 1950
Da sprach sy czu erme kinde:
„Der hungir beginnit mich nu dringe,
Daz ich nummiir kan gelebin. ^)
Du must euch nu sterbin, wer begrebit dich?
Bessir ist ez, daz du komist yn mich/ 1955
Also ted sy er ougin da czu
Vnde todte erin son nu
Weyninde also her daz gerit
Vnde kochte dar von vnde brit
Vnde ass sin mit grossira leyde 1960
Eyn teyl myt den yngeweyden
*) Der Reimvers fehlt»
1989 vorschmaacht (!). 1941 freuden. 1942 erwürben. 1943 frauwe
1945 gekaufifte. 1945, 1947 or; orin. 1948 Czu letcz. 1951 orme. 1954 aach.
1955 klimmest. 1956, 1957 or; orin. 1957 thodte.
Heinrich, Studien zu Johannes Rothe 11
— 162 —
Vnde beMlt daz andir üf den czukanftigiii tag,
Daz sy abir dar von hette erin gesmag.
Daz haldin vmme sust do was,
Der gernch der melte daz. Bl. 38,a. 1965
Dyt vor der judin forstin quam,
Dy rettyn dar vmbe also en geczam
Vnde sprachin, wo den sy were beratin,
Daz sy fleysch nu hette gebratin
Vnde si mustin fastin vnde smachtin 1970
Vnde stetlichin uf er were trachtin.
Si solde en euch gebe czu den stundin
Der spise, dy sy hette fundin.
Sy sprach: „habit nicht vor obil myr daz,
Ich habe der spise, dy ich ass, 1975
Vwir teyl nach behaldin
Czu mynin grossin vnsaldin.
Ich wel uch an mynin tisch setzin
Vnde uch myt mynir spise irgetzfn.
Nu essit eyne haut adir eynin fuess, 1980
Sint daz ich uch mede teylin muss,
Daz uss raynem Übe ist geborn,
Myn eyngia kint han ich verlorn,
Vf daz ich behilde mynin lib
Eyne kleyne czit, ich vnseligiz wip." 1985
Also man schreyb nach Kristi gebort
Sechs vnde sebinczyg jar, han ich gehört,
Da gewan Titus Jherusalem dy stad,
Dy sich selbir vorterbit hat.
Do wordin der judin forstin gefangin 1990
Vnde dy quamin vor en gegangin
Vnde batin, daz her en gnode tete.
Er bete Tytus da vorsmete,
Wy senftmutig her eyn man was. Bl. 38,b.
1962 czukuntigen(!). 1965 geroch. 1966 den. 1967 on. 1970 bu. 1971,
1972 or; on. 1972 sulde; auch. 1973 sye. 1978 an fehlt, 1982 myne.
1991, 1992 on. 1993 beete(!). 1994 senfftmotigk.
— 163 —
Dyt daz tet her vmme daz, 1995
Daz her gerne hette frede gegebin,
Daz dy lute hettin behaldin er lebin,
Woldin sy den Romirn habe gehult.
Des woldin sy nicht; daz was er schult.
Dar vmme dy räche an en geschach. 2000
Den tempil Salomonis man czubrach
Ynde man nam dar nss alliz, daz man fant.
Jherusalem wart da vorbrant
Vnde reyne verstört vnde czubrochin,
Also Kristus vor hatte gesprochin; 2005
Vmme daz sy den nicht hattin irkant,
Der en von gote wart gesant.
Dy heyligin fromin yn den jarin,
Dy czu Jherusalem wonh?iftig warin,
Den sante god daz yn ere synne da, 2010
Daz sy quamin yn ein sloss, hiss Pella.
Do blebin sy ynne myt gemache
Vnde warn vnbekummirt myt dossir sache.
Dy pristir, dy desse zcweitracht
Vndir dem volke hattin gemacht, 2015
Dy lyss her dar nmme totiu
Vnde irslaen vnde teigin yn grossin notin.
Da wordin yn den dren jarin
Gestorbin vnde irslagin^) uffinbarin
Zcen mal hnndirt tusint vnde mer 2020
Noch der aldin cronikin 1er.
So fürte man gefangin von dan
Sobin vnd nunczig tusint man. Bl. 39,a.
Dy wordin vorkoift yn dy laut
Vnde wordin allin endin hen gesant, 2025
Vnde do drissig judin myt lib vnde lebin
Vmme eynin grossin phennyg gegebin.
*) Es folgt noch : also daz.
1995 det. 1997, 1999 or. 1998, 1999 Wulden, wulden. 1998 gehollt.
2000, 2007 on. 2008 heylgin; vgL V. 1745. 2020 mere (:lere)V 2021 kro-
nikin; vgl. V. 769. 2023 Über das thüring. sobcn vgl Weinh. § 336,7.
2024 Yorkauift.
— 164 —
Also man Kristum vmme drissig phennyge gab,
Also nam der kouf nn wedir ab,
Daz nn von den seibin schnldin 2030
Drissig jndin eynin phennyg guldin.
Dar vmme ist er also vel do gewest,
Daz sy begyngin er ostirlichiz fest
Ynde mnstin alle da hen komin,
Also ir vor wol hat vornomin. — 2035
Nach synis fatir tode Tytns
Wart czn eyme keysir gekorn alsns
Vnde richte nicht lengir den dry jar
Vnd knnde Krigisch, Latin vnd Ebrehemsch gar
Vnde was also togintsam genant, 2040
Daz man zcu Rome synin glichin nicht fant.
Vmme synin tod betrubitin sich also ser
Alle edil vnd wise Romer,
Alzo ab sy alle werin wordin czn weysin,
Wan her was gar trostlich yn den reysin 2045
Vnde alliz, daz do was betlich.
Des geczwigite her dy Inte stetlich
Vnde sprach, daz nymant myt leyde
Solde von eyme keysir scheyde.
M3rt tognndin hat her daz geant, 2050
Daz her vor synin vatir werdit genant.
Vnsers hern^) Jhesu Christi lidin sy yn
vnsem herczin^).
*) he'n. *) herczn.
2029 kauff; abe. 2031 gülden oder golden? 2032, 2033 or. 2033 t?^/.
„ostirlichin" Akr. 23. 2034 kummen. 2042 betrobeten. 2049 SrMe. 2050
togenden.
Anhang.
I.
Cod. Heimst. No. 185 der Herzogl. Bibliothek zu Wolfen-
büttel: Vita Judae traditoris (Bl. 215, b,ß— Bl. 217,a,a)i).
Cvnctornm veterum placnere poemata multum, 1
Nunc nona scribentem pl^bs irridet quasi stultum,
Divicie modulis musarum preualuere,
Nemo placet populis, nisi quisquis habundat ia ere.
Vnde satis vereor, iam cum noua metra propino, 5
Inuidus irrisar me mordeat ore canino.
Vna tamen vires scripture res mihi prestat,
Quad sanctos eciam repröborum lingwa molestat:
Jeronimus pater egregius triplex ydeoma
Nouerat et nobis doctrine misit aroma; 10
Non timuit liuor huic obuius ire magistro,
Latratu lacerans illius scripta sinistro.
Talibus exemplis firmatus, carbasa ventis
Exponam. Faueat mihi virtus omnipotentis!
Eem referam gestam, que non est cognita multis. 15
Obsecro vos, socii, carmen qui discere vultis,
Quod, si pars operis vobis non vera videtur,
Non mea sed primi culpa scriptoris habetur.
Non ego materiam nugaci pectore finge,
Sed mihi narratam puerili carmine pingo. 20
*) Für die freundliche Unterhtützung heim Lesen und Emendieren des
schwierigen lateinischen Textes sage ich Herrn Qeheimrat Prof, Dr, Vogt \Mar-
hurg\ Herrn JProf. Dr. Kalbfleisch {Marburg) und Herrn Oberbibliothekar Prof,
Dr. Milchsack (Wolfenbüttel) auch an dieser Stelle meinen Dank,
5 propono. 6 mordet. ♦
— 166 —
Forte Buben dictns vir in vrbe manebat Ebrea,
üxorem ducens, cni nomen erat Cvborea.
lUa cnbans thalamo prenidit plena timore
Sompnia, qae sponso pauido dennnctiat ore:
„Heu mihi! me vidi natnm peperisse nephandnm, 25
Quo genus Ebreum sit honore suo spoliandum."
Hijs dictis mestus respondit voce molesta
Et monet, ut taceat, ne res fiat manifesta.
Infans concipitur; mater ventrem grauidatum
Comperit et certo producit tempore natum. 30
Quem calato claudunt illius vtrique parentes,
Demergunt freto, prosagia visa timentes.
Bomulus in fluuium positus fuit ipse Bemusque,
Dicitur, et veniens fit lupa nutrix vtriusque.
Stulta parens, frustra temptans submergere prolem, 35
Qui faciat verum morti succumbere solem!
Quid Thetidi prodest natum zelare tenellum,
Qui Troyam degestus agat laudabile bellum?
Consilium superum non euitabile durat,
Est ratum quicquid fatorum sanxio iurat. 40
Vas uatat in terram, Scharioth cui nomen inheret,
Cuius regina, cum nuUum pingnus haberet,
Vas vidit nimioque fuit percussa timore
Edueique iubet infra spacium breuis höre.
Fluctibus equoreis extractum vas aperitur: Bl. 216, a, a. 45
Pulcher et insignis infans in eo reperitur.
Quem regina iubet sibi clam pro tempore pasci
Atque fatetur eum proprio de corpore nasci.
Sic aluit quondam pastorum prouida cura
Inuentum Paridem, Troia quo fuit peritura. 50
Bex ouat et cuncti letantur regis amici
Totaque congaudet regio false genitrici.
Nomine de terrae nomen puero geminatur,
Nam Judas Schorioth scriptura teste vocatur.
21 Sorte. 23 cubes. 27 rndit vir vooe. 29 grauidatä. 82 Demer-
gentes. 37 prodest fehU, 88 troye gestus. 40 yatorum. 41 intcrea. 45 Flucti-
bus Cis'rcis vas extraotum. «52 geniti.
— 167 —
•
Interea coninnx concepit regia molem 55
Ventris; et eflfudit maturo tempore prolem
Barbarij sexas, cui Judas associari
Cepit; et assiduo pnerum fecit lacrimari.
Vnde dolet genitrix et Judam verbere mactat
Et non esse suo genitum de corpore iactat. 60
Erubuit Judas, et turbatns vehementer,
Legitimam regis sobulem necat ense latenter.
Qui modo leticiam cordi dederat puerorum,
Nunc in tristiciam risnm connertit eorum.
Hec vir neqniciae Judas preludia gessit. 65
Occidi gladio metuens a rege recessit.
Jerusalem veniens cepit seruire Pilato:
Congruit ille cliens sceleratus liero scelerato.
Seruum vir reprobus letatur habere scelestum,
Et seruum dominus honestus querit honestum. 70
Judex peruersus seruum dilexit iniquum
Et sibi pre cunctis specialem fecit amicum.
Uicina poma ferens ortus se visibus offert
Presidis. Ille suum servum vocat et sibi refert
Talia verba: „Fac ut comedam de fructibus istis, 75
Haut animam rapiat mihi mors de corpore tristis."
Accelerat Judas, orti repagula pandit,
Intrat et vnius super arboris ardua scandit,
Pomaque carpenti pater ipsius Buben astat.
Clamans ille: „Quis est, mea qui pomaria vastat? 80
Hercle! non pacior dampni zelus huius invltum!"
Non potuit Judas huius sufferre tumultum:
Desilit, et mangnum concepit vterque fuvorem,
In prolem genitor et proles in genitorem.
Est pater ignotus nato natusque parenti; 85
Verbera fert Judas reddit viceque ferenti,
Nam lapidem magnum, furia stimulante, leuavit
Ac patrem proprium letali vulnere strauit.
Exijt infelix ortum, genitore necato,
58 assidue oder assidua. 62 Legittimam. 73 poa. 80 pomeria. 86 ferienti.
— 168 —
Atque domum rediens manifestat queqne Pilato. 90
Noctis in aduentu redeunt in propria queque. BL216, a, ß.
Tempore cenandi Euben quesitiis vbiqne.
Ingrediens ortum famnlonim protinns vnus
Corporis extincti vidit miserabile fnnus.
Qui rediens inqnit: ^heu trislia visa reporto! 95 ,
Ecce, iacet dominus noster defanctus in orto."
Morte repentina Euben excubuisse putatur;
In tota rumor lacrimabilis vrbe vagatur.
Quas nunc, latro ferox, habuisses in pectore vires,
Criminis auctorem tanti cum te fore scires? 100
Perde, Pilate, reum! iudex, regis iuris habenas,
Patrator scelerum dignas debet dare penas.
Diflfert vindictam bonitas divina malignis,
Ut magis vrat eos post mortem demonis ignis.
Sic pietate dei latuerunt criniina Jude; 105
Po8t modicum tempus patuerunt omnia nude.
Presidis auxilio fit Judas vir Ziboree,
Et fit, in talamo ludum peragunt Cytheree.
Proch dolor! est matris conjunx et filius idem.
Eector Thebarum connubia talia pridem 110
Fecit et vlciscens facinus se priuat ocellis;
Fratemis Thebe ceciderunt postea belli«.
Sic Zmirna Ciniras cum nata concubuisse
Fertur et Adonidem Veneri gratum genuisse.
Forte die quadam Ziborea miserrima fleuit, 115
Vnde dolor Jude vehemens in pectore creuit.
Vxoris lacrime sunt sponsi maxima pena
Et superant que non posset superare leena.
Acrior est omni mulierum lacrima telo,
Sub toto non est tam bellica machina celo. 120
Sampsonem quondam, qui coUa rebellia fregit,
Fletibus et precibus muliercula sola subegit.
Sic lacrimis Judas et vi superatus amoris,
99 nc oder üc. 104 vret. 108 citharee. 112 Paternis. 113 Zmirna
Ciniras] zmerna mox -\- Schleife, nato. 114 autrouidem (?). 118 supat.
120 pellita.
— 169 —
Querit ab vxore, que sit hec* causa doloris.
Pemina respondit: ^pauperrima sum mnlierum!*' 125
Et cepit seriem gestarum pandere rerum.
„Abstulit infantem mihi, prach dolor! vnda marina,
Dilectumqne virum rapuit mihi mors inopina.
Tradidit vxorem tibi me ferus ille Pilatus,
Sic meus est animus triplici dolore grauatus." 130
Sponse compaciens Judas hec verba loquenti,
Que passus fuerat retulit discrimina fleuti:
„Me genitrix paruum dimersit in equoris vnda,
Sed tarnen euasi de tempestate profunda.
Fluctibus ereptum regine gracia pauit, 135
De qua me genitum provincia tota putauit.
Cuius occidit proprium mea dextera natum; Bl. 216, b, a.
Ne gladio peream, fugiens accedo Pilatum.
Missus ad hunc ortum, saxo prosterno maritum
Atque cibum rediens domino reporto cupitum." 140
Flebilis hie rumor matris precordia tangit,
Ingemit et tristi luctu sualumina frangit,
„Ve mihi!" proclamans „meus es puer atque maritus!
Et pater est a te crudeli verbere cesus!''
Se miser in tanto depressura crimine noscens, 145
Ad Christum properat, veniam prece supplice poscens.
Quod petit assequitur cordis contricio munus:
Fit de discipulis Christi specialibus vnus.
Jam varijs signis micuit deus inter Hebreos,
Jussa paterna docens et confnndens Phariseos, 150
Qui de virginei talamo processerat alui,
Vt peccatores per eum possent fore salui.
Principio limphas inter conviuia vino
Mutat et aflferri iubet potum architriclino.
Corpora debilium restaurat multa saluti, 155
Mutorum lingwas faciens sermonibus vti,
Auditum reparat surdis, obsessaque fuscis
Corpora demonijs absoluit, munere lucis
139 saxa. 142 Ingemuit. 144 lies tiitus statt cesus? 146 properans.
Ibl fusti8(?) 15S «bsoluat.
— 170 —
Exhilarat cecos, lepre contagia tergit,
Ac pedis incessu vada per neptunia pergit. 160
Ne remeare sinat populos miseratur inanes,
Quinqae inbet modicos mensis accrescere panes.
Imperat equoreis eciara qniescere ventis.
Restituit vitam fetentibus in monumentis.
Et faror Ebrens, non passns talia signa, 16o
Insidias domino tendebat fraude maligna.
Haut aliter quondam conspirauere gigantes,
Contra rectorem superam bellare parantes.
Quis potuit tua, liuor edax, euadere bella?
Propositum rectum conturbat iniqua procella. 170
Tu potes, infelix, magnos dampnare poetas,
Imperijsque tuis vetus et noua subditur etas,
Est homini per te paradisi ianua clausa,
Inpungnare deum tua seua manus fuit ausa!
Pontificis tenuit Caiphas hoc tempore sedem. 175
Scribe cum senibus veniunt illius in edem,
Consilioque pari dum querunt perdere Christum,
Vir scelerum Caiphas sermonem protulit istum:
„Vtile fit nobis, ut pro populo moriatur
Vnus homo, socij, ne tota gens pereatur." (!) Bl. 216, b, ß. 180
Pontificis, Caiphas, de iure datur tibi nomen,
Nam tua doctrina nostre fidei fuit omen:
Pontem fecisti nobis ad gaudia lucis,
Nam tecum tibi commissos ad tartara ducis.
Ni crucis ligno Christus mala nostra luisset, 185
Subdita seruicio Sathane gens tota fuisset.
Tunc Sathane stimulis Judas arreptus amaris,
•
Pontifices summos verbis compellit auaris,
Dicens: „quid precij dabitur mihi, si modo vadam
Protinus et vobis hunc certo tempore tradam?'' 190
Ista sacerdotes mulcet promissio summos,
Argenti statuunt sibi terdenos dare nummos.
Turpis auaricia, Sathane miserabile rethe.
159 Exhilarct. 169 tua/<;A/^ 170 rM. 184 /t>« Dum «^o^^ Nam? 185 In.
« • • • ■
— 171 —
Eveniunt mundo quam plurima vicia de te:
Preda, dolus, furtum, periuria, prelia, cedes! 195
In baratri fundo tibi ponitur horrida sedes,
Qua resides horum mangno circumdata vallo,
Quos tua damnauit fulgente dextra metallo.
Si liceat verum mihi salua pace fateri,
Intendit rerum lucrum pars maxima cleri. 200
Ipsi pontiflces tibi, pessima, subiacuerunt,
Muueribus comites et reges allicuerunt.
CoUa sacerdotum quamuis subdant tibi victi,
Non superare potes, quos ordo tenet Benedicti.
Ergo famem cupiens Judas saciare crvmene, 205
Tradidit insontem sacre post fercula cene.
Basia blanda ferens habitum pretendit amici.
Vir pie, sis merens, audis ubi talia dici !
Innocuum nocui cupientes perdere gratis,
Judicio tradunt, manibus post terga ligatis. 210
Talia cernentem Judam torquet dolor ingens;
Infelix abijt; laqueo sua guttura stringens,
Scinditür: exta solum fedant eflfusa per aluum;
Os, quod Acta deo porrexerat oscula, saluum
Permanet; sie pendens inter terramque polumque 215
Interijt, prodens qui perturbauit vtrumque.
Dignus erat tali für vitam perdere clade,
Qui plasmatorem prothoplasti tradidit ade.
Für pendet; merito mors est haec propria furis,
Sicut ciuilis poscit sententia iuris. 220
Pro precio sceleris ager est emptus peregrinis, Bl. 217, a, a.
Vt tumulentur ibi, quibus imminet vltima flnis.
Omnibus expletis, que vatum pagina dixit,
Inter latrones Judea deum crucifixit.
Territa terra trerait et scinditür arida petra, 225
Nox obschura premit mundum caligine tetra,
Corpora sanctorum tumulis abiere relictis:
195 plia. 199 pace salua. 201 obicierunt. 208 ubi] y\ 212 loqueo.
213 fedat. 215 hie iter. 216 prodens] iöndes (?).
— 172 —
Ex ewangelicis potes hec cognoscere dictis.
Inde datar tumnlo, qni yitam dat tumulatis,
Manitnrqne locus custodibus officiatis. 230
Post obitum Christi lux tercia quando reluxit,
Saluator yeram carnem de morte reduxit,
Que de visceribus fuerat concepta pudicis,
Diuersisqne modis se declarauit amicis.
Hinc repetit patriam vietor sedemque supernam 235
Et locat ad dextram terrestria membra paternam.
Ergo ne numerus sacer eclipsim paciatur,
Mathias tunc vice Jude sie connuniejatur.
Natalem Jude docui finemque nephan^' i :u:
Ebraiee gentis est excidium memorandum. 240
.Cumque quater denos Judea peregevat annos,
Tunc per Bomanos fuit expugnata nephandos
Jerusalem. Murum occisi plebis acerui
Equant et reliqui se subiciunt quasi serui
Romanis ducibus et flunt bellica preda, 245
Spernentes Christi postquam fuerant iuga feda.
Qui quondam sanctum deriserunt Helizeum,
Hij pueri populum signare videntur Ebreum:
Vr^orum rabies illos in frusta redegit,
Judaicas apiees Bomana potentia fregit. 250
Carminis efficiens huius se prodere causa
Non est inuidie stimulis obstanL'bus ausa.
Nam detractor atrox auctorem si bene nosset,
Hoc opus exiguum cicius vilescere posset.
Christo, tuum famulum solita bonitate guberna, 255
Pos8it ut in vita te coUaudare superna.
Explieit vita Jude Christi traditoris.
228 hac nosce. 234 möis. 236 dexteam. 241 peragerat. 243 Irlm.
Lies Muros? 246 preterquam. 249 frustra. 253 ii08cit {doch undeutlich).
254 vilescere vielleicht auch »veteresoere^ {undeuilich).
— 173 —
n.
Die Lesarten der hs. E^) der Vita Pilaü gegenüber AB^).
TUel fehlt. 2 docendo. 3 für „sio" „qTie«(?). 6 onmi(?).
7 ob invidiam. non. 8 placeat. 9 Etqae probant reprehendnnt
dictTim(?). 10 Cum. 13 Aut . . . aut. potentem. 14 maltis.
15 sint. sie scribam. 17 uel Actum nc(= nunc?) (üc?). IStribuas.
19 manavit. 22 iste labor. solito foue(!). ({Mq fehlt. 23 ftiit. haue.
24 tya. fiumen rivusque. 2d moguncia. 26 coiiiposita(!). est fehU.
assertia (!). 27 veteres cives monstrant mumm cecidisse. 31 qua-
dam. 33 yma. 34 utraque. 35 silua8(!). 42 Egregiem (!) prolem.
43 Temporibus mundus cuius tot mira videret (: videret [!]). 45
diuersa. 46 possimus. 47 Nee, 49 ViUä(?). 53 rex fehlt* 58
Gaudet rex. 60 Nomen eonveniens. 61 m. quoque. 65 adiife
letus tanto. 66 cum reliquis. 69 hie rex. 70 Et sie. 71 u. 72
fehlen. 73 Cui. 76 Nam. pylato {statt puero). 82 Inclite. 83
tunc si. 84 a facto tali. moriatur(!). 85 u. 86 fehlen. 87 mortem
meruit perimatur. 93 iusta. 96 proprium fratrem. 98 quidem.
statim {statt tantum). 100 ipsius. 101 Imperao' censumque dari
solitnm prohiberet, 102 Vtpote vir fortis qui consiliisqae valeret.
105 Hü. 106 iudices. gladio. 108 cito. 110 Für „et« „vt^.-
111 u. 112 fehlen. 115 locus est hie. 116 Pocius (!). 118 barbarion»
(?) convertat in sua vota. 122 Qui(!). 123 se credit, sua fehlt.
paciflcari(!). 125 Fmr „regem" „igitur''. sic^to^^sit. Ft«r Jussa"
• „verba". 126 iudee rex. te pilate, 129 WorUteUung: eg; s. eos
r. i. 1. 130 reoreansi 131 manifeste (h sibi teste)! 133 u. 134
fehlen. 136 mihi statt sibi. 137 summa; 138 Wortst.: s. ta.
i. f. 140 Accipere. parat, 141 u. 142 fekhen. 143 quemlibet.
144 Atque. 147 ducit. 148 N. m. t. respondit 150 quod.
151 Continuo. 152 venales. 153 petitus. 154 Arripit ad prava
quaeque. 158 mens que captatur h. — ponit. 159 piuifa. 160
miscens. für „cum** „et". 168 q. s. verum fidumque putabat a.
169 Vor „i^s" „rex". 171 se contra. 172 wieder: mendsse.
173 Cesareo. 175 quo. 181 oulpam fehlt 182 nece divinar.
183 fehlt. 184 quod(?). 189 verus i, 190 u. 191 fehlen. 192
vitam non vult dare morti. 193 statt ,,se vult" „sese". 196—199
später. Auf 195 folgen:
„0 quantum, rex Christe, dabit tua vita beandis,
Cuius mors pacem confert eciam reprobandis.
>) Vgl. S. 64.