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Full text of "Germanistische Studien"

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GERMANISTISCHE STUDIEN. 


SUPPLEMENT ZUR GERMANIA. 


HERAUSGEGEBEN 
VON 


Ἐπ TI, BARTSCEH. 


ERSTER BAND. 


WIEN, 
DRUCK UND VERLAG VON CARL GERÜLD'S SOHN. 


1872. ie 


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Inhalt; 


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Seite 
Wetzels haılıgss Margarete, Von Karl Bartsch... .... 2... 2. ana. ] 
Die Handschriften des Tristan und ihre Bedeutung für die Kritik. Von Theodor 
Be 22:00 le nn ee a lee he mie 91 
Das sogenannte Christenrecht König Sverrirs. Von Konrad Maurer, ..... 57 
Der syntaktische Gebrauch des Optativs im Gothischen. Von Artur Köhler... . 77 
Über das niederrheinische Bruchstück der Schlacht von Aleschans. Von Hermann 
OR... .- στ τσ τι ae 134 
Pen Folsapermauas HarluMlowor.- ᾿ς τς. u. ae ee nn 159 
Die Allitteration in Lajamon, Von Karl Regel... . „22.2 2020. 171 
Bere VorsBsrlesichroder.. 2... 0 en . 247 


TS ES RE ET TEEN 316 


WETZELS HEILIGE MARGARETE 


VON 


KARL BARTSCH. 


ν 


In der 'bekannten literarischen Stelle seines Alexander, wo er der 
dichtenden Vorgänger und Zeitgenossen gedenkt, erwähnt Rudolf von 
Ems auch "seines Freundes ΟΥ̓ ο΄ οἷ (Minnesinger 4, 867®): 

sante Margareten leben 
hät vil gefuoge gegeben 
min friunt her Wetzel, des gih ich. 
So zahlreiche Bearbeitungen der Legende, die ihre Beliebtheit 
zum Theil wohl dem Auftreten des Teufels darin verdankt, aus dem 
zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert sich erhalten haben, so hat sich 
unter ihnen diejenige Wetzels noch nicht gefunden. Ich glaube mit 
Sicherheit ein namenlos überliefertes Bruchstück nach den darin vor- 

kommenden Beziehungen dem Freunde Rudolfs zusprechen zu dürfen. 
| Der oft bewährten Gefälligkeit des Freiherrn von Löffelholtz in Waller- 
stein verdanke ich die Kenntnif der Blätter, welche er auf meinen 
Wunsch mir bereitwilligst zusandte. 

Es ist eine Lage von zwölf Blättern in Folio, einer Handschrift 
Bis 15. Jahrbunderts, den Anfang des Gedichtes enthaltend. Am Schlusse 
steht der Anfangsvers der zweiten Lage, Schone margarete (= 2. 637). 
_ Die Seite zählt ungefähr 27—29 Zeilen. Die größeren Initialen, die 
‚die Absätze bezeichnen, sind roth gemalt, die Anfangsbuchstaben der 
einzelnen Verse roth durchstrichen. Das Original war eine Bilder- 
handschrift; für die Bilder ist Raum gelassen, dieselben sind aber nicht 
ausgeführt. Es sollten Bilder kommen nach V. 204. 268. 356. 410. 451. 
608; auf dem freigelassenen Raume nach 451 steht mit kleinerer Schrift 
die reine do kumpt der engel zu ir vn trost sie. Für Bilder war 
uch die Prager Handschrift der h. Margareta eingerichtet (Germania 4, 
62), die aber dort so wenig wie hier ausgeführt wurden. 
GERMANISTISCHE STUDIEN. 1 


> 


2 KARL BARTSCH 


Im Eingang nennt der Dichter als seine Gönnerin, die ihn zu dem 
Gedichte veranlalft habe, die Herzogin’ Clemende von Zäringen. Es 
kann, wenn wir die dichterische Darstellung in’s Auge fassen, welche 
noch die gute Zeit des 13. Jahrhunderts verräth, nur Clementia, die 
zweite Gemahlin Bertholds von Zäringen, gemeint sein. Berthold V., 
der 1186 zur Regierung kam, hatte sich 1183 mit Ida, der Tochter des 
Grafen Mattheus von Boulogne, vermählt. Die Ehe war nur von kurzer 
Dauer; die wollüstige Frau trennte sich ebenso schnell von ihm wie 
von anderen Männern, mit denen sie sich verheiratete. Bertholds zweite 
Gemahlin war die Tochter des Grafen Stephan von Auxonne und Bea- 
tricens von Chalons '). Der Herzog, den Freuden des Weltlebens geneigt, 
war auch ein Freund der Dichtkunst: in seinem Dienste dichtete Ber- 
thold von Herbolzheim seinen Alexander, den wir ebenfalls nur aus 
der Erwähnung Rudolfs im Alexander kennen: ?) 


86. manic wiser man 
vor mir sich hät genomen an 
ze tihtenne diu maere. 
dem edeln Zeringaere 
tiht ez durch siner hulden solt 
von Herbolz'’eim her Berhtolt. 
der hät als cin bescheiden man 
gefuoge und wol gesprochen dran, 
und tet bescheidenliche erkant 
des er von im geschriben vant. 
doch hät er getihtet niht, 
des diu historje von im giht, 
daz der zehende möhte wesen 
des ich von im hän gelesen. 


Berthold starb kinderlos 1218, mit ihm erlosch das herzogliche 
Geschlecht der Zäringer. Seine Güter kamen, so weit sie nicht an’s 
Reich zurückfielen, an seine Schwestern, von denen die eine, Agnes, 
mit Graf Egeno von Urach, die zweite, Anna, mit Graf Ulrich von 
Kiburg vermählt war. Clementia war Burgdorf in Kleinburgund als 
Leibgedinge zugesichert. Allein Graf Egeno, der auch mit dem Reiche 
wegen erhobener Erbansprüche in Zwist gerieth, machte ihr den Besitz 
streitig und hielt sie gefangen. Vergebens erließ 1224 König Heinrich 
einen Rechtsspruch, worin er ihre Befreiung und Einsetzung in die zu- 
' erkannten Güter anbefahl, oder an ihrer Stelle ihren Vater Stephan zum 


1) Schöpflin, Historia Zaringo-Badensis 1, 163. Stälin, Wirtembergische Ge- 
schichte 2, 299. ?) Mone, Badisches Archiv 1, 49. 


Sat 


WETZELS HEILIGE MARGARETE, 3 


Bevollmächtigten einsetzen- wollte. °) Auch als Egeno im Jahre 1230 
starb, wurde Clementia nicht frei: Egenos des Bärtigen Sohn, Egeno V. 
von Urach, setzte die Gewaltthätigkeit fort, und erst 1235 wurde sie 
aus dem Kerker erlöst. Ihr Vater hatte sich an Friedrich II. gewendet, 
und dieser entschied im August 1235 durch einen zu Mainz erlassenen 
Rechtsspruch ihre Freilassung. *) 

Während der Zeit vom Tode ihres Gemahls bis zu ihrer Befreiung 
(1218—1235) konnte demnach Clementia nicht wohl eines Dichters 
Gönnerin sein. Vor 1218 also oder nach 1235 wird Wetzel gedichtet 
haben: jenes ist, wenn er ein Freund Rudolfs war, offenbar zu früh 
angenommen; auch würde, wenn Berthold noch am Leben war, der 
Dichter ihn, den wir als Dichterfreund kennen, schwerlich unerwähnt 
gelassen haben. Wie lange nach 1235 die h. Margareta gedichtet ward, 
ließe sich näher bestimmen, wenn wir die Abfassungszeit von Rudolfs 
Alexander genauer kennten. 

Bekanntlich sind die Meinungen darüber getheilt, ob der Alexander 
früher oder später als Wilhelm verfaßt sei. Nach dem Wilhelm setzte 
ihn Haupt (guter Gerhard, S. XI), der jedoch, Zeitschrift 1, 199, seine 
Meinung änderte, vor den Wilhelm Pfeiffer (Münchener Gel. Anzeigen 
1842, Nr. 70, 71). So viel steht zunächst fest, daß der Wilhelm noch 
bei Lebzeiten des Schenken Konrad von Winterstetten gedichtet ward. 
Konrad aber starb nicht 1241, wie man bisher annahm, sondern 1243: 
er kommt noch am I. Mai 1242 in einer Urkunde Konrads IV. als 
C. pincerna de Wintersteten vor: von 1243—1245 führte den Schenken- 
titel sein Schwiegersohn Konrad von Schmalneck (Stälin 2, 615. 637). 
Der Grund nun, weswegen man den Alexander vor den Wilhelm setzte, 
ist, daß in diesem der Stricker unter den nicht mehr Lebenden an- 
geführt wird. Allein daß der Stricker vor 1243 gestorben war, geht 
aus der Stelle des Wilhelm nicht hervor: sie beweist nur, daß schon 
vor 1243 dieser Dichter sich von der epischen Poesie ab- und der lehr- 


3) Schöpflin 1, 164. 4, 169. Heinricus .. universis imperiü fidelibus . . significamus 
vobis guod coram nobis jam pridem apud Bernum in judicio residentibus talis lata Fuit 
sententia, quod, nos dominam Clementiam quondam ducissam Zeringie in captivitate, in 
qua tenetur, debeamus liberare .. altera etiam lata est sententia coram nobis, quod nos 
predictam dominam Clementiam mittere debeamus in possessionem castri Burcdorf εἰ 
 ommium bonorum quae .. Bertholdus .. in dote contulit eidem, aut loco ipsius domine 
Clementie patrem ejus Stephanum dominum Burgundie nomine tutoris. *) Schöpflin 
1, 164. 4, 198. Solothurner Wochenblatt 1826, 630. Stälin 2, 470. Die betreffenden 
Worte der Urkunde lauten: lata est sententia coram nobis ut ipsam Clementiam liberarı 
 castrum ipsum cum omnibus bonis in dotem sibi concessis ei restitui demandemus. 


4 KARL BARTSCH 


haften zugewendet hatte: darauf auch bezieht sich die eigenthümliche 
Erwähnung im Alexander: 


swenn er wil der Strickaere, 
50 machet er guotiu maere, 


ἃ. h. er kann wohl ein großes episches Gedicht liefern, wie er im 
Daniel von Blumenthal (nach Rudolfs Meinung) bewiesen, aber er will 
nicht mehr, er hat sich von dieser Richtung abgewendet. Eine Ver- 
derbniß mit Pfeiffer anzunehmen haben wir demnach nicht nöthig. °) 
Die h. Margareta unterstützt durchaus die von Pfeiffer und mir an- 
senommene Ühronologie. 

In dem vor 1243 gedichteten Wilhelm gedenkt Rudolf dreier dichten- 
der Freunde: Ulrichs von Türheim, Hesses von Straßburg und Vasolts. 
Da er Wetzels hier nicht erwähnt, so sind wir berechtigt anzunehmen, 
daß derselbe zu der Zeit, als der Wilhelm geschrieben wurde, als 
Dichter noch nicht aufgetreten war. Die Abfassung des Wilhelm begränzt 
sich somit genauer und fällt vor 1235. Damit stimmt die Reihenfolge 
von Rudolfs übrigen Schriften trefflich überein. 

Der gute Gerhard, unter den erhaltenen Werken das älteste, ist 
für Rudolf von Steinach gedichtet, der 1209—1221 °) urkundlich vor- 
kommt. Nach Haupt ist er später als 1229 zu setzen, weil ein Spruch 
Freidanks darin benutzt scheint. Allein nach den überzeugenden Unter- 
suchungen Pfeiffers über Freidank ist vielmehr wahrscheinlich, dal 
nicht dieser, sondern umgekehrt Rudolf benutzt worden ist. Es kann 
daher der gute Gerhard, dem schon Jugendgedichte Rudolfs, trügelichiu 
maere, wie er sie im Barlaam nennt, vorausgiengen, sehr wohl um 1225 
gedichtet sein. War Rudolf etwa um 1200 geboren, so war er 25 Jahre 
und konnte jene trüglichen Mären als zwanzigjähriger Jüngling gedichtet 
haben. 

Das zweite Gedicht Rudolfs, Barlaam und Josaphat, beruht nach 
des Dichters Aussage auf lateinischer Quelle, die ihm Abt Guido von 
Kappel verschaffte: dieser kommt in Urkunden 1217—1228 vor (Stälin 
2, 773). 1234 erscheint sein Nachfolger Ulrich. Spätestens etwa 1230 
wird der Barlaam vollendet sein. 

Wilhelm von Orlens ist Konrad von Winterstetten gewidmet, db 
das Schenkenamt von 1220—1243 führte. Das wälsche Buch, seine 
Quelle, bekam Rudolf von Johannes von Ravensburg, der es aus Frank- 
reich mitbrachte. Johannes erscheint 1250 in einer Urkunde des Klosters 


5) Vgl. meine Ausgabe von Strickers Karl, S. VII. δ) Stälin 2, 766, Anmerk. 6. 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 5 


Löwenthal, dessen Stifter er war, und ist der in späteren Urkunden 
(1259—60) vorkommende Predigermönch gleiches Namens (Stälin 2, 773, 
Anm. 2). Da er das Kloster in höheren Lebensjahren gestiftet haben 
wird, so konnte er um 1230 in Frankreich gewesen sein. Eine andere 
chronologische Beziehung bietet der Wilhelm durch die Erwähnung des 
Grafen Konrad von Öttingen, dessen Tod Rudolf beklagt. Die Klage 
über den Tod von Wilhelms Vater, sagt der Dichter (Pfeiffers Barlaam 
S. ΧΙ), war so allgemein, 


als man nü bi disen tagen 
den edeln Ötingaere klaget, 
der solhen pris hät bejaget, 
daz alsö kurzlich nie man 

80 gemeinez lop gewan 

sö der gräve Kuonrät 

bejaget in drin jären hät 

dö er ritter was genant 

6 daz er rümde tiutschiu lant. 


Konrad erscheint urkundlich zuerst im Jahre 1229. 7) Hier be- 
zeugen Ludewicus comes de Otingin et frater eius Cunradus eine Schen- 
kung, welche Graf Berthold von Lechsgemünd dem Kloster Kaisheim 
machte. 5) Im Jahre 1227 erscheint Konrad als Zeuge in einer Urkunde 
Heinrichs VII. als comes C. de Öttingen: Monum, Boica XXX, 1, 149. 
Böhmer, Regesta Henrici VII, p. 228, und schon das Jahr vorher in 
der Begleitung Heinrichs, als derselbe (15. Aug. 1226) eine Schenkung 
an den deutschen Orden machte. 1228 zeugt er bei einer vom Grafen 
Friedrich von Trühendingen für das Kloster ausgestellten Verzicht- 
leistung. 1229 (VIII. Καὶ. Mai) vergleichen sich Conradus et Ludovicus 
comites de Oetingen mit dem Kloster Ellwangen wegen der Schirm- 

ο΄  gerechtigkeit. In demselben Jahre (II. idus Julii) verpfändet Bischof 
_ Hermann von Würzburg sub pacto mutwi adiutorii Cunrado comiti de 
Otingen fratrigue eius Ludewico den Zehenten zu Frikenhausen (Regesta 
Βοῖοι 2, 183). 1231 ist er wieder am Hoflager König Heinrichs (Stälin 
2, 177). Dagegen schon 1238 bezeugt sein Sohn Ludwig, daß sein 
Oheim, der ältere Ludwig, mit dem Grafen von Trühendingen die Ein- 
willigung zu einer dem Kloster Ahausen gemachten Schenkung gegeben; 
er nennt sich Zudewieus fratruelis comitis de Otingen, “) eine Bezeich- 
nung, die auffallend wäre, wenn damals sein Vater noch am Leben war; 
_ abgesehen davon, dafs dieser an dem Consense auch hätte Theil nehmen 


7) Die folgenden Nachweisungen verdanke ich Freiherrn von Löffelholz. „ Die 
"Urkunde befindet sich im kgl. Reichsarchiv zu München. 9) Regesta Boica 2, 281 


6 KARL BARTSCH 


müssen. Ebenso handelt der genannte Oheim 1240 Chunrado fratris 
filio annuente. 1%) Also zwischen 1231 und 1238 ist Konrad gestorben; 
wohl jenem Jahre näher als diesem, da Rudolf ihn offenbar als in 
ziemlich jugendlichem Alter gestorben bezeichnet. 

Rudolf bezeichnet sich im Wilhelm als knappen : 


von dem (Johannes von Ravensburg) wart ditz maere 
wie ez geschehen waere 

einem knappen erkant, 

der ist Ruodolf genant, 

ein dienstman ze Montfort. 


Nach der von Pfeiffer (Gel. Anzeigen Nr. 70) angeführten Stelle 
aus Rudolfs Alexander verstand der Dichter selbst unter einem knaben 
oder knappen einen 24jährigen jungen Mann. Mit 24 Jahren bezeichnet 
eine deutsche Predigt ebenfalls die Grenze zwischen Jünglings- und 
Mannesalter. 11); nach der herrschenden, durch Reimsprüche bewiesenen 
Auffassung begann das Mannesalter mit 30 Jahren. 1 Bis zu dreißig 
Jahren durfte sich daher Rudolf wohl einen Knappen nennen. Somit 
fällt die Abfassung des Wilhelm schon bald nach 1231, und gewiß vor 
1235 wurde er beendet, wie aus der Nichterwähnung Wetzels hervorgeht. 

Zwischen 1235 und 1250 fallen der ἢ. Eustachius, Alexander und 
das Buch von Troja, wahrscheinlich in dieser Reihenfolge, da der 
Eustachius im Alexander erwähnt wird, nicht aber das Buch von Troja 
dessen zugleich mit Alexander die zwischen 1250—1254 entstandene 
Weltchronik, das letzte Werk Rudolfs, gedenkt. Dadurch ergibt sich 
als Durchschnittszahl für jedes der drei Werke, die dazwischen liegen- 
den Jahre mit eingerechnet, ein Zeitraum von fünf Jahren. Sonach 
tällt die Entstehung des Alexander ungefähr zwischen 1240 und 1245. 
Damals konnten von Rudolfs Freunden Hesse und Vasolt recht wohl 
nicht mehr am Leben sein; denn daß sie älter waren als er, ergibt sich 


10) Urkunde im Reichsarchiv zu München. 11) Wackernagel, die Lebensalter 
S. 19. 13) Wackernagel a. a. O. 5. 30. Älter als die dort angeführte Fassung von 
1482 ist die in einer Münchener Handschr. cod. germ. 379, Bl. 2128, vom Jahre 1422; 


Zechen jaur ein kind, 
Zwainezig jaur ein gingling, 
Treysig jaur ein man, 
Viertzig jaur wolgethän, 
Fünftzig jaur still stan, 
Sechezig jaur ... 

ἀπ πεν οῖν nym der sel war, 
Achezig jaur der welt παν", 
Neuntzig jaur der kind spot, 
Hundert jaur pfleg dein got. 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. γῇ 


schon aus dem Vorzuge, den er, der Knappe, im Wilhelm ihnen vor 
sich selbst in dichterischer Hinsicht ertheilt. Es lebte noch Ulrieh von 
Türheim, der bis 1246 in Urkunden seiner Heimat vorkommt; dieser 
wird daher auch im Alexander wieder erwähnt, und außerdem der im 
Wilhelm nicht genannte Wetzel, der inzwischen als Dichter aufgetreten 
war. Die ἢ. Margarete ist demnach zwischen 1235 — 1240 abgefaßt, was 
wiederum mit der Freilassung von Wetzels Gönnerin Clementia (1235) 
trefflich stimmt. 

Wetzel, d. h. Wernher, !?) war von ritterliche Herkunft, denn 
Rudolf gibt ihm das Prädicat her. Seinen Familiennamen hat er uns 
nicht überliefert. Der Eingang der Margarete deutet auf früher verfaßte 
Dichtungen weltlichen Inhalts hin. Der Dichter klagt sich an, daß er 
selten Mären von Gott sage; er sei bisher ein Kind gewesen und habe 
mehr Gefallen an Mären weltlichen Sinnes gehabt als nach Gottes Huld 
gerungen. Man könnte freilich nach V. 13 die Äußerung auch auf ge- 
sprochene müßige Reden beziehen; indeß, da er V. 49 die Worte, die 
er hier (in S. Margareten Buche) gesprochen, den früheren unnützen 
entgegengestellt, so ist es natürlich, auch bei diesen an schriftliche 
Kundgebungen zu denken. Die Stelle erinnert übrigens sehr an die in 
Rudolfs Barlaam, wo der Dichter seiner früheren, wahrscheinlich auch 
weltlichen Arbeiten '*) gedenkt, Barl. 5, 10, 


ich hän dä her in minen tagen 

leider dicke vil geloger 

und die liute betrogen 

mit trügelichen maeren (vgl. Marg. 5. 6): 
ze tröste ums sündaeren 

wil ich diz maere tihten, 

durch got in tiusche berihten (vgl. 25. 26). 


Da Wetzel Rudolfs frühere Werke gekannt haben wird, so ist an 
eine direete Nachahmung der Stelle des Barlaam wohl zu denken. Auch 
er war noch jung, gewils jünger als Rudolf; auch jene weltlichen Mären 
waren Jugendarbeiten, denn er nennt sie (V. 38) miniu tumbe wort, 
“meine Worte, die ich als tumber, unerfahrener Jüngling gesprochen habe‘. 

Was Wetzels Quelle betrifft, so haben wir wohl zunächst eine 
lateinische zu vermuthen, die er berihte in tiuschez getihte. War dieselbe 
die Vita 5. Margaritae in den Acta SS. Juli τ. V, 8. 33 ff., dann hat 
er sie mit ziemlicher Freiheit benutzt. Doch ist das immerhin mög- 


13) Vgl. meinen Herzog Ernst S. LXXXV, 14) Nach Pfeiffer, Barlaam 5. 2, 
waren es "vermuthlich Bearbeitungen fabelhafter Sagen aus dem Gral- oder Artuskreise . 


8 KARL BARTSCH 


lich, und einzelne Stellen, die ich in den Anmerkungen herbeigezogen, 
zeigen wörtliche Übereinstimmung. Der Vater heißt in der Vita Aedesius, 
bei Wetzel Theodosius, und damit stimmen die anderen deutschen Bear- 
beitungen wie auch die von Holland herausgegebene altfranzösische 
überein: 7) doch findet sich Theodosius bei Petrus de Natalibus, 
Mombritius und in mehreren Hss. der in den Acta SS. heraus- 
gegebenen Vita. 

Die Darstellung verräth den höfischen Dichter des dreizehnten 
Jahrhunderts, und mit Recht wendet daher Rudolf den Ausdruck gefuoge 
auf das Gedicht an. Die Sprache ist im Ganzen die reine höfische 
Dichtersprache jener Zeit, zeigt aber doch einzelne Eigenthümlichkeiten, 
die die alemannische Heimat des Dichters bestätigen. So a für das 
übliche o im Präteritum mahte (: ahte) 206; n im Reime auf m, mage- 
tuom: tuon 405. 533. 575, man: gehörsam 543; Abwerfung des ch in 
hö (: dö) 594, die Form niet (: schiet 256. : diet 262. 482) für niht, der 
nom. sing. fem. des Pronomens sie (: gie) 187. Das Participium präter. 
der schwachen Verba der ö-Klasse behält den Vocal o, entweder lang 
oder kurz, im Reime. bei: lang verwandelöt (: πὲ) 617, kurz geeriuzigot 
(: got) 379, gemarterot (: got) 578, wie auch Hug’s Martina dieselbe 
doppelte Verwendung zeigt (Weinhold, alemann. Grammatik $. 372, 
S. 380). 

Die Reime sind genau, nur einmal bindet der Dichter ἢ : (sin: 
hin 207) und einmal ö:0 (gehört: wort 579). Eine Vorliebe zeigt er 
für den rührenden Reim, aber keinmal ganz gleichlautende Wörter, 
sondern nur Zusammensetzungen: teile : urteile 9, dingen : gedingen 59, 
und dinge : gedinge 619, wile : kurzwile 185, boten : geboten 249, got : geeriu- 
zigot 379, magetuom : tuon 405. 533. 575, einmal auch zwei adv. in 
Tiche, wo beidemal t vorausgeht, güetliche : küntliche 431. Der erweiterte 
Reim findet sich in zartliche zöch : zitliche flöch 135. 

Der Versbau ist sorgfältig behandelt: manche Unebenheit mag 
noch auf Rechnung der jungen Überlieferung kommen. Die Senkungen 
werden etwa in demselben Mafle wie bei Rudolf ausgelassen; im Gan- 
zen ist eine Hinneigung zur Ausfüllung derselben nicht zu verkennen. 


15) Ich bemerke, dal) dieser altfranzösische Text noch heute als Volksbuch ge- 
druckt und verkauft wird: ich besitze durch P. Meyers Güte einen Druck in 16°, auf 
schlechtem Papier, aus Troyes, welcher einen verkürzten Text (S. I1—21) enthält; 
darauf folgt ein Cantique auf die Heilige und ein gereimtes Gebet zu ihr. Der Vater 
Margaretens heißt hier übrigens, übereinstimmend mit Surius, Baronius und den Acta 
SS. Aedesius; vgl. Hollands Anm, zu 33, 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 9 


Dem klingend ausgehenden Verse gibt der Dichter eine überzählige 
Silbe fast immer nur, wenn beide Reimzeilen sie haben: so 163. 247. 
285. 305. 385. 479. 619. 623; oder die eine Reimzeile hat sie, ist aber 
von der anderen durch eine stärkere Interpunktion getrennt (59). Ohne 
eine solche nur 239, vielleicht auch 213. 466. Zweisilbigkeit der Sen- 
kung wird nur geduldet bei zwei e, die durch einfache Consonanten 
getrennt sind, die zweite Silbe ist immer be oder ge (zu 36). Der zwei- 
silbige Auftakt ist nicht ganz unhäufig, aber nur wenig schwerere Fälle 
kommen vor (zu 187). Die erste Hebung bildet ein einsilbiges Wort 
ohne vorausgehenden Auftakt und nachfolgende Senkung einigemal, 
wo die Betonungsgesetze und der Gebrauch des 13. Jahrhunderts wider- 
sprechen (zu 118): vermuthlich ist hier die Überlieferung mangelhaft. 
Wortkürzungen im Reime erlaubt der Dichter sich gar nicht, und 
beschränkt sie innerhalb des Verses auf wenige, meist gewöhnliche Fälle 
(zu 70). 

Die Handschrift ist so sorgfältig geschrieben, wie man es von 
einem Schreiber des 15. Jahrhunderts nur irgend erwarten kann. Natür- 
lich verleugnen sich die sprachlichen Einwirkungen seiner Zeit nicht, 
aber dazwischen blicken ältere Formen hindurch, die er unverändert 
aus seiner Vorlage herübergenommen. e wird nach jüngerer Weise im 
Auslaut wie im Inlaut weggeworfen, herez 1, dann 14, gnad 42, wort 49, 
kunst 70, all 78, kert 142, wo es im Hiatus steht, aber auch ohne sol- 
chen, zung 2, lang 33, wag werd 86, red 71, sit: mit 97. 98, het : mar- 

 φαγοί 123. 4, gelaubt : beraubt 139. 140 u. s. w. Für ὦ steht zuweilen 
_ au, in schauff 292, aun 312. 313, und o in do für dä oft. Für 2 steht 
meist ei, doch hat sich © in ch (15. 16. 37) und der Endung lin er- 
halten (143. 144. 189. 190), außerdem in dem wohl nicht verstandenen 
wiezener (290. 593. 631), in wihte:: bichte 275. 6, und fricheit 245. Für 
ü steht au (auff 68, kaum 255), doch wird häufiger τὸ beibehalten. Für 
ΓΟ ae immer 6, mere 3.5, keme : beneme 163. 4. Für ei selten ai (arbait 35, 
_ maine 182, laid 200, aigen 341, baiden 259, vgl. auch zwarer für zwaier 
346). Für iu steht meist eu : teüsches 26, hewt 95, verleus 261, rewe 582, 
‘doch einmal Zute 427; in den Flexionen ist dafür e eingetreten; die, 
meine u. 8. w., erhalten hat sich τὲ für iu in grosw 200, eigenü 455, 
_ meistu 471, liechtu 461, beidu 563. Für οἷν steht immer au, vor w nur a, 
gelaubt : beraübt 139, frawelin 144. 189, frawen 193. Für uo meist u, 
_ doch auch ü. An Stelle der auslautenden Tenuis setzt der Schreiber 
_ die Media, mag 34, vieng : begieng 77, gäb 120, ward 311. Daß aber die 
"Vorlage die Tenuis hatte, beweisen Schreibfehler wie genüt : erschlut 
für genuoe : ersluoe 169. 170, und magt : pflat 529. 530 für mac : pflac, 


10 KARL BARTSCH 


Vor t setzt die Handschrift ch für h, berichte : gedichte, nicht : zuversicht 
25—28, für niht auch nit (55. 116. 270. 280); doch hat sich ein paar- 
mal A erhalten, wihte 275, baht 280, giht 326. Für n im Auslaute sehr 
häufig nn, gewesenn 9, vonn 6, jungstenn 10, gebenn : tebenn 11. 12 u. 8. w. 
Für anlautendes 5 vor ! und m steht sch in schlug 77, erschlüt 170, 
erschleichet 294, schlachen 561, schmeche 443, in welchen beiden Worten 
auch im Inlaute zwischen Vocalen ch für ἢ steht. Weiches z wird immer 
durch s oder ss ersetzt, alles, mussikeit, lasse : strasse 67, doch steht 
einmal gesaz 238. ir erscheint in flectierter Form, iren 143. 179, ürem 
175. Für das Correlativum swie steht wie 39. 70, wie wer für swer 56. 
Endlich bemerke ich, daß die Conjunction und niemals in der Form 
unde vorkommt, die der Vers mehrfach verlangt. 


(1°?) Min herze üst leider sö verzaget 
daz min zunge selten saget 
diu maere diu von gote sint. . 
ich bin gewesen dä her ein kint, 
5 daz mich der maere baz gezam 
dä von ich muot der welte nam 
dan dä mit ich geschulde 
des wären gotes hulde. 
muoz ich ze minem. teile 
10 ame jungsten urteile 
al der worte rede geben 
diu ich allez min leben 
durch miezikeit gesprochen hän, 
wie solz mir armen damne ergän? 
15 56 bin ich waetliche 
mir ze schedeliche 
gen der helle geheldet. 
sit nu dar zuo gebeldet 
mine kranke sinne 
20 diu edel herzoginne, 
daz ich durch sie genende, 
von Zeringen Cl&mende, 
und ich mich versuoche 
an sant Margreten buoche, 
25 sö daz ichz mir berihte 
in tiuschez getihte, 
so enwil ich ürs verzihen niht, 
ἢ drier hande zuoversiht: 


7 danne. 9 zu. 10 an dem. 11 aller,der. 14 sol es. 15 weltliche. 
22 zering,. 24 margareten puche. 26 gedichte. 27 verziehen, 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 1] 


zem Ersten daz mir Orist dar zuo 
(1°) verlihe unde helfe tuo 
daz ich ez volbringe. 
ἢ dar näch hän ich gedinge, 
und lät mich got sö lange leben, 
daz ich im ende mac gegeben, 

35 daz mir noch min arbeit 
üf die wäge werde geleit, 
sö man vil mitliche dort 
wiget miniu tumbe wort: 
so gedinge ich, swie vil ir si, 

40 daz sant Margret da bi 
mit ir vil schenen liste ste 
und sie die gnäde an mir bege 
daz mir sant Michel helfe tuo 
der dä leit diu gewihte zuo. 

45 miner worte müezikeit, 
diu üf die wäge sint geleit 
mir ze unheile, 
dem vil kleinen teile 
der worte, diu ich hie hän 

50 gesprochen üf ir helfe wän, 
mit nihte widerwegen müge. 
wan ich ir bete wol gehüge 
die sie durch uns ze Oriste böt 
in ir märterlichen nöt, 

55 daz der niht helfe lös belibe 
swer ir marter buoch geschribe 
oder swer ez schriben hieze, 

(2°) daz in got gemiezen lieze 
an allen sinen dingen. 

60 daz dritte des ich wil gedingen, 
daz muoz von mir sin verswigen. 
ich hän sö dicke genigen 
ir vil milten hende, 
durch die ich nu genende 

65 an ditze selbe büechelin, 

daz ich des wil vil sicher sin 
daz sie mich niht läze 
verderben üf der sträze. 
7 üf dise zuoversiht min, 
70 swie klein dar zuo min künste sin, 


1 29 zum. 30 verleich vnd hilffe, 35 noch] nach werde, 37 neydlich drot’ 
 38tumme. 40do. 43tuo fehlt. 44 legt. zuo fehl. 47 πὰ εἰσ. δὶ Seit. 
mag. 52 gehag. 55 hilf.  beleib. 56 puch geschreib. 60 das tritte 
das. 65 dit.  puchlein. 69 Absatz. min] dein. 


12 


75 


80 


85 


(2?) 


90 


95 


100 


- 105 


110 


81 cristus. 


KARL BARTSCH 


der rede ich sus beginne 
als ich mich versinne. 


Ze einen ziten daz geschach 
daz diu heidenschaft für brach, 
sö daz sie ze allen ziten riet 
üf die cristenlichen diet, 

und daz man sluog unde vienc 
alle die man ir begienc . 

als daz dö wesen solte, 

wan ez got verhengen wollte. 
swer sich cristenliches namen 
niht enwolte beschamen , 

vil unlange der wart 

vor der marter gespart, 

wan sie woltenz dä für hän, 
dö sie ve me heten getän 

den cristen ze sere, 

daz dä von wüehse ir re 
und daz sie dä mit ir gote 
gar nüch sinem gebote 
dienten wol ze danke. 

für wär daz sie ouch täten: 
wan der got den sie häten 
der hät noch hiute für guot 
swaz man ze übele getuot, 
und ist daz sin staeter site, 
daz im gedienet ist dä mite. 
von diu trat manliche 

den wec gein. himelriche 

dä vil maniger muoter kint, 
diu nu vil freliche sint 

für ir schepfer gestalt, 

zuo den marterern gezalt, 

die in des lambes bluote vöt, 
daz umbe uns leit den bittern töt, 
ir wizen stöle wuoschen sö 
daz sie ze himelriche frö 

dem selben lambe näüch gänt 
dem sie hie sus gevolget hänt. 


Bi den ziten dö daz was 
daz lützel ieman genas 


85 wolten es. 95 tätten. 94 hetten. 96 zu ubel. 98 ist 


gedient. 99 von die tratt vilmanlich. 102 frolich. 103 ire schopffer. 105 lammes. 


106 pittern. 


109 lamme. 111 den fehlt. 112 do so luczel mann, 


115 


(8°) 


120 


125 


130 


135 


140 


145 


(3°) 


150 


155 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 13 


der sich der cristenheit vermaz, 
Theodosius dö saz, 

ein vil richer herre, 

von Antioch nihi verre: 

dem hete diu heidenschaft 
verlihen die herschaft 

daz er ir patriarche was. 
dem gap got, als ich ez las 
ein weinigez tohterlin, 

daz niht schener kunde gesin. 
daz selbe kint daz h£te 

den namen Margaröte. 

näch siner bürte zehant 

wart von gote im gesant 

der vil heilige geist: 

der gab im quote volleist 
aller der reinikeit 

der ein kint in kintheit 
enpflegen sol oder mac. 

dar näch schiere kom der tac, 
dö gab ez vater und muoter 
einer ammen guoter , 

diu ez vil zartliche zöch. 

daz kint vil zitliche flöch 
allen heidenischen site 

und diu abgot dä mite 

und swaz ir vater geloubte. 
als sie dö got beroubte 

der muoter diu sie gebar, 

dö kerte ir amme erste gar 
ir ΠΣ an daz tohterlin. 

sie zöch daz selbe frouwelin. 
ez was ir lieb unde zart, 
wan mie kein kint schener wart, 
und minnet in ir kintheit 
Orist und die ceristenheit. 

des wart ir vater ir gehaz: 
vil kleine ahte sie daz. 


Sus wart diu heiliye maget, 
von der uns ditze buoch saget, 
in ir ammen gewalt 

wol fünfzehen jür alt, 

sö daz ir amme sie nie 

üz der pflihte verlie. 


125 purde. 127 helig. 131 magt. 132 schiere fehlt. 


150 achtet. 151 dise helig. 152 dits puch. 155 sie fehlt. 


14 


160 


165 


170 


(4) 


180 


185 


190 


195 


KARL BARTSCH 


ouch dulte diw vil guote 

ir lieben ammen huote 

mit scheenen zühten unde wol, 
als ein vil quote tohter sol. 
waer ez gestanden an ir, 

sö was daz wol ir herzen οἷν" 
daz sie nimmer von ir kaeme 
€ ez ir der töt benaeme. 

nu saget man ir alle tage 
grözen jümer unde clage, 

wie vil gröze swaere 

liten die marteraere, 

der man dö vil und genuoc 
in den ziten ersluoec, 

wan sie geloubten an Ürist, 
der unser aller schepfer ist. 
wan sie dö des vil vernam, 
der sin ir von gote kam 

das sie sich in ir muote 
bevalch in sine huote, 

und mante in staeticliche 

daz er reinicliche 

ir magetuom behielte 

und er ir sö wielte 

daz sie ir kiusche reine 

vor aller slahte meine 

unz an ir töt bewarte. 

des bat sie got vil harte, 
und hete bi der wile 

kein ander kurzwile 

in ir ammen hüse wan daz sie 
mit ir ebenalten gie, 

andern frouwelinen , 

mit ir ammen schefelinen: 
diu treip sie weiden an daz gras, 
alse dö der site was. 

es enpflägen juncfrouwen dö, 
da von enpflag ouch sie es 86. 


Nu was ein rihter überz lant, 
Olibrius was er genant, 

vil harte grimme an sinen siten. 
von dem was sere geniten 


163 nymermer. 165 sagent 169 und fehlt. genut. 170 erschlut. 


172 schopffer. 
182 schlache, 
er fehlt. 


173 wanne. 174 kom. 179 iren magtum. 181 sie fehlt. 
185 irem. 192 als do sitte was. 194 es. do. 196 was 


2 


200 


(4) 


205 


210 


215 


220 


(5°) 


225 


230 


235 


240 


199 eristus. 


226 kwelt. 
234 fleißeclichen, 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 


Cristes nam und diu cristenheit. 
er tet den cristen gröziu leit: 
ir wart von üm verräten , 
gesoten und gebräten, 
bestümbelt und gevangen, 
enthoubtet und erhangen 

als vil daz ir ahte 

nieman wizzen mahte. 

ir was sö vil daz er muoz sin 
immere mere hinne hin 

in der tiefen helle 

des tiufels yeselle: 

der giltet im mit voller hant 
swaz er entnam üf sin pfant, 
üf sin sele die vil armen, 

dö er sich niht erbarmen 

über die cristen wolte, 

als er ze rehte solte, 

ob er gerte in himelriche 
wesen ir geliche. 

er was sö sere in gehaz 

daz er noch trinken noch maz, 
weder singen noch sagen, 
weder beizen noch jagen, 

noch schoener frouwen friuntschaft 
noch seiten spil noch ritterschaft 
nimmer dar vor erwelte 

swenn er die cristen quelte. 
den truoc diu äventiure 

dä diu maget gehiure, 

diu vil edel hirtin, 

ir ammen schefelin 

mit ir gespilen huote. 

der vil unguote 

begunde die juncfrouwen 

gar flizecliche an schouwen. 

80 wol sie im behagte 

daz er durch sie verzagte 

und sines grimmes vergaz. 
Jrouwe Minne diu besaz 

80 vaste sine sinne 

daz er nihtes gerte danne ir minne. 


203 bestummelt. 204 enthaubt. 205 As. 
mochte. 207 müsse. 208 Ymmermer hinne hein. 217 im. 
227 Der trug die abentewr, 229 hirtinne, 
237 vnd er. 238 gesaz. 240 nichts gert. 


206 Nyemant. 
222 weder] noch. 
230 scheflinne. 


16 KARL BARTSCH 


er sante balde boten hin 
und hiez sie bringen für in. 
er sprach “ich wil, und ist sie fri, 
daz sie min @lich wip si. 
245 üst ἦγ verzigen der friheit, 
sö muoz ir doch sin bereit 
in minem hove immer möre 
beide gemach und ere. 


(5°) Vil schiere kömen die boten 
250 hin als in was geboten, 
ze den frouwen an die weide. 
dar an geschach in leide. 
sante Margarete, 
diu sin gen gote höte, 
255 von ir ammen küme schiet. 
dö was es kein rät niet. 
und dö sie rehte daz gesach, 
sie rief ze gote unde sprach 
"herre got, erbarme dich 
260 gemaedeclich über mich. 
verlius mine sele niet 
mit ungeloubiger diet. 
herre got, getreste mich 
daz ich mit freuden lobe dich, 
265 56 daz din reine güete 
vor flecken mich behilete. 
herre got, behalt an mir 
daz ich geloube von dir. 
(65) mine kumst diu von dir ist 
270 ζῶ niht verwandeln, herre Crist, 
in solher künste diu mir Di 
mit schaden miner sele si. 
der bluome und der reine nam 
miner megetlichen scham, 
den ich dir einen wihte 
in mines herzen bihte, 
dö ich von Erst den sin gewan 
daz ich verkös alle man, 
und den ich reine her han bräht, | 
280 Ζῶ mir niht werfen in daz büht 
keinen irdischen man, 
wan sin min herze nieman gan. 


τῷ 
“1 
σι 


241 potten, 242 pringen. 245 fricheit. . 249 Vil schiere] Nu: ein kleines 

n am Rande, was auf einen Absatz deutet. potten : gepoten. 251 zu. in. 

253 Sant. 258 ruffı zu. 260 genadeclich. 262 tiet. 264 frewde. 

270 herr ihesus erist. 271 solich’ kunst. 272 Nit schad. 279 rein her hab, 
282 niemant. 


285 


290 


295 


(6) 


300 


305 


310 


315 


320 


286 wollen, 


298 Auch wenn ich mir gotliche. 
ten. 314 poten. 319 Das enthat nit gut. 


GERMANISTISCHE STUDIEN. 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 


den engel du mir sende, 

der alle die geschende, 

die mich sümtlichen rüeren 

und mich dir wellen enpfüeren. 
verlich mir dine wisheit 

daz min zunge si bereit 

ze antwürten dem rihtaere, 

des tiufels wizenaere. 

mir ist gelich an dirre frist 
daz schäf daz undern wollen ist. 
der vogel sich mir gelichet, 

den der vogelaere erslichet, 

und der hase an der stunde, 
swenne er vor des hundes munde 
wenket soreliche. 

ouch waen sich mir geliche 

der visch swenne er kumt gevarn 
da in bestricket daz garn. 

sit ez mir sorclichen stät, 

sö suoche ich, herre, dinen rät 
und dine helfe an der zit, 

wan diu not üf mir lit. 

lese mich von ir handen 

die nie, herre, dich erkanden, 
noch diner wären gotheit, 

da von uns diu geschrift seit, 
nie war genümen. 

daz werde wär. ümen. 


Sus wart diu juncfrouwe hin 
ze hove brüht äne ir sin 

und äne ir guoten willen gar. 
die boten giengen für sich dar 
dä ir beit Olibrius. 

sie sprächen zuo im alsus 

"wir han die juncfrouwen bräht. 
und des du häst mit ir gedäht, 
daz enhät niht guote fuoge. 
dich schulten dar zuo gnuoge, 
wurde dir ein wip gegeben, 

der geloube und der leben 

dir niht ist gemeine. 

nu merke wie ichz meine: 


290 wiezener. 291 diser. 292 under den. 
301 Seid es nu mir. 


2 


294 vogler. 
306 er- 


18 


325 


(7°) 


330 


335 


340 


345 


360 


365 


KARL BARTSCH 


δὲ enhät mit dir ze tuonne niht, 
wan der got an den sie giht, 
daz ist Crist, Marien kint, 
dem die cristen undertän sint, 
den die juden viengen 

und an daz criuze hiengen: 
der ist ze aller stunde 

in ir herzen und ir munde. 
und dö der rihtaere 

vernam disiu maere, 

sich verwandelte garwe 

vor zorne sin varwe. 

dö wurden boten hin gesant, 
die brähten sie für in zehant. 
dö sprach er güetlich zuo ir 
"fröuwelin, sage mir, 

bistu fri ode eigen?’ 

“ditz wil ich dir zeigen, 
sprach Margareis diw maget 
in ir muote unverzaget. 

“got hät am mich geleit 

zweier hande vriheit. 

diu eine ist mich an geborn, 
die andern hän ich mir erkorn. 
von einer hän ich den gewin 
deich keines menschen eigen bin; 
von der andern ich hän 

daz ich den zwivel niht bestän. 
wan dö ich got mür erkös, 
die eigenschaft an mir verlös 
der tiufel des eigeniu kint 

alle sündaere sint. 

dick ist mir got gewesen bi 
und bin von abgoten fri. 

von disen dingen beiden 

kan mich nieman gescheiden. 
dö fräget er ir namen δῶ. 

“ich heize Margaret, 

sprach diu kindische maget. 
als sie im daz het gesaget, 

dö fräget er sie fürbaz. 

er sprach 'nu ζῶ mich wizzen daz, 


325 Sie enthat. tünt nit. 327 ist fehlt, 332 und ir] und in irem, 


336 varbe. 


337 poten gesant. 340 frewlin sagent. 341 oder. 342 Dits, 


346 Zwarer hant vrheit, 350 Das ich keins. 353 Wanne, 354 aigentschafft, 
356 sunder, 358 abgotern. 360 nyemant. 


369 zu 


370 


375 


(8°) 


380 


385 


390 


400 


405 


(8) 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 


welhem gote bistu undertän?” 
[sie sprach] 'nu here, ditz si getän. 
ich hän den einen ze gote 
von des worten und gebote 
himel und erde staete stät, 
und des gewalt erleset hät 
und sin menschlicher töt 

uns armen von der helle nöt: 
daz ist unser herre Ürist, 
der von dem töde erstanden ist 
und des gewalt die helle brach. 
der ungeloubige sprach 

“ich here wol, sö ist din got 
der dä wart gecriuzigot, 

der mit der trügeheit erwarp 
daz er schantlich erstarp 
enzwischen zwein mannen, 
verfluochet und verbannen, 
die mit sache daz verschulten 
daz sie den selben töt dulten. 
von minen vordern daz geschach. 
Margaretä dö sprach 

“du häst dar an wär geseit. 
unser schepfer erleit 

von dinen vordern den töt. 
dä von 86 müezen sie nöt 
liden Ewicliche. 

sie sint von himelriche 

immer mer verstözen 

ze wizen harte grözen 

in der vil tiefen helle. 

dä bistu ir geselle, 

wan du dich nu niht verstäst 
welhen mort du begamgen häst 
an den die cristen liute sint. 
dö hiez daz välandes kint, 
der vil übel rihtaere, 

in einen kerkaere 
Margaretam gehalten tuon 
unz daz er ir den magetuon 
mit fuoge benaeme, 

daz ez im rehte kaeme 


19 


370 und] von des. 373 und fehlt. 377 zerbrach, 378 Dar 


zu der ungelaubig. Ἢ : 
393 ewigelichenn. 394 himelrichenn. 402 des. 406 magatüm. 407 Mit 


dem füg. 


381 triegheit. 383 zwaien. 385 versulten, 


Ὁ 


390 schopffer. 


20 


410 


415 


420 


425 


(9°) 


430 


435 


440 


445 


450 


(95) 


KARL BARTSCH 


und deiz im an sin ere 
niht gienge ze sere. 


Dö der gotes vertäne 

die maget eristäne 

als einen schäüchaere 

in sinen kerkaere 

alsö het gestözen, 

mit sö vesten slözen 

daz er niht dorfte gedenken 
daz sie im möhte entwenken, 
gen Antioch er dö reit 

ze siner unsaelikeit, 

wan er in der selben stat 
siniu abgot gnäden bat 

und brähte dar sin opfer in. 
des andern tages kom er hin 
wider dä diu gevangen lac, 
durch gerihte des er pflac. 
dö sante er übel lüute 

nüch der gotes briute. 

als sie für daz gerihte gie, 
der rihtaere enpfienc sie 

von Erste güetliche. 

er kunde küntliche 

verdecken sines herzen zorn 
mit schenen worten üz erkorn. 
er begunde die vil süezen 
senfteclichen grüezen 

unz er versuochte ob sie durch guot 
verkören wolte ir staeten muot, 
den er an ir sö vesten jach. 
alsö er ir dö zuo sprach 
"schoeniu maget, jungez kint, 
bistu sö tump daz dir joch sint 
alsö smaehe mine gote, 

daz du wider ür gebote 
frevelich getuon darst, 

so gedenke doch wie du varst 
dinem jungen libe mite, 

an den sö zuhtliche site 

und alsö michel schönheit 
got mit flize hät geleit, 

daz du dich wol nieten maht 
lieber tage und lieber naht, 


409 Und das es. 410 zu. 415 geschlossenn, 418 enwenckenn. 
428 des. preute, 430 richter. 442 tumbe. 445 freuelichen. 


423 pracht. 
447 leip. 


455 


460 


465 


470 


475 


485 


490 


WETZELS HEILIGE MARGARETE, 2] 


al die wile die du lebest, 

ob du niht gern näch leide strebest. 
wan ist nu daz din kintheit 
minen willen niht vertreit 

und dar zuo min gebot verbirt, 
80 soltu wizzen wol daz wirt 

din gemach ein arbeit, 

din herzeliep ein herzen leit, 

din liehtiu varıwe missevar , 

dins heiles tröst verdirbet gar 
ein zwivel wirt din zuoversiht, 
din gelücke ein ungeschiht. 

du wirst alsö gehandelt 

daz din lachen sich verwandelt 
in weinen daz von herzen gät. 
din freude trüren ze ende hät. 
vil schamliche wirt verleit 

din weltliche wirdikeit, 

und ist daz denn din meistiu nöt 
daz ein vil schamlicher töt 

dir her näch wirt gegeben. 

dä mit sö endet sich din leben. 
da von ist dir niht sö quotes 

sö daz du dich des muotes 
kurzeliche bewegest 

und. dich mit güete des verpflegest 
daz du neigest din houbet 

an die ditze lant geloubet 

und den diu höchgeborne diet 
verzihet ir opfers niet: 

sö nim ich dich ze wibe, 

und kunde dinem libe 

üf erden nimmer baz geschehen. 
daz läz ich dich wol ersehen. 

du gewinnest herlichen rät, 

beide schatz unde wät, 

dar zuo gib ich dir in din hant 
beide bürge und ouch lant. 

dä von berät dich waz du tuost: 
der zweier einz du nemen muost. 


Diu maget Margarete 
sich schiere beräten hete. 


k 453 die du nu lebst. 457 meine, 459 erbeit. 461 varb. 462 ver- 

derben. 463 wirt] wider, 471 denne, 475 nichtz. 477 kurczlich, 479 Das 

du dann ἢ, 480 diez. gelaubet, 481 hochgeborns. 482 Vercziehent irs, 
483 zu. 485 hie aufl. 490 purge. 492 niemer, 494 Schier sich. 


22 


495 


500 


505 


(10°) 


510 


515 


520 


525 


530 


535 


(11°) 


497 richter. 
520 die stund. 


KARL BARTSCH 


ir antwürte wart bereit 

mit vil grözer wisheit. 

sie sach den rihtaere an, 

mit im sie sus reden began. 
“ich wil dir und den liuten 
din rede anders tiuten. 

ez waere harte missetän, 

den ip, den ich von gote hän 
sö schoenen und alsö. gestalt 
als du mir häst vor gezalt, 
ob ich den für ein abgot 
neigte durch din gebot: 

sö wurde, als du mir häst geseit, 
min herzen liep ein herzen leit, 
min vil senftez lachen 

ze grözen ungemachen, 

min lachen wurde ein weinen , 
wolt ich din abgot meinen. 
miner liehten wange schin 

dag wurde ein ©wie vinsterin, 
mins heiles tröst verdurbe, 

min zuoversiht ersturbe, 

und müest ze jungest durch nöt 
fürhten den &wigen töt, 

der lip unde sele quelt, 

zuo dem die sünder sint gezelt. 
ist aber daz ich verbir 

din gebot, sö wirt mir 

ze gewissem löne 

diu himelische cröne 

und der Ewege hüsrät, 

der d& nimmer zergät. 

sö nimet mich ze wibe 

der mich ze sele und libe 
immer wol beräten mac, 

der got der min dü her pflac, 
des helfe und des wise rät 

im selben gesigelt hat 

minen reinen magetuon 

80 daz im nieman mac getuon 
dehein unreht dar an. 

der ist min herre und ouch min man, 


500 beteüten. 506 Neiget. 508 lieb mein, 510 grossem, 
523 gewisem. 525 ewig. 526 nymer. 528 und] vnd 


auch zu, 529 magt. 530 pflat. 531 hilffe. 532 selbe, 533 magtum, 
534 Do das jm nyemant 535 Kein. 


Ἐ 


540 


545 


550 


555 


560 


(11) 


565 


570 


575 


537 Den du sunst. 538 alles. 542 aber fehlt. 
547 vnheile, 548 ich] vil. zerteilen. 
564 Dulden. 565 Ich wil auch hencken. 


544 gehorsam. 
560 Das ich. 


WETZELS HEILIGE MARGARETE, 


dem du sus ungeloubie bist. 

der geschuof al daz der ist, 
und ist im ouch undertän. 

an den wil ich min dine län 
und wil in immer gnäden biten. 
dö sprach aber mit unsiten 

der ungeloubige man 

“wiltu niht sin gehörsan 

minem gote und ouch mir, 

sö soltu wizzen daz ich dir 

wil dienen mit unheile. 

din fleisch ich gar zerteile 

ze bräten üf die heizen gluot. 
dö sprach diu juncfrouwe qguot 
“ich wil daz fleisch und daz leben 
in sinem namen gerne geben, 
der sine heren gotheit 

verdacte mit der menscheit 

uns vil armen ze tröste, 

durch daz er uns erlöste 

mit sinem töde den er leit 

umb alle die menscheit. 

des hän ich mich beräten 

deich sieden unde bräten, 
slahen unde roufen 

beidiu schern und villen 

dol durch sinen willen, 

henken unde teeten, 

zuo allen den neten, 

die mir ieman vinden kan, 
durch in lide, ob er mirs gan, 
alles üf die zuoversiht 

daz ich vor siner gesiht, 
erliutert von den sünden gar, 
schine in der megede schar, 
die ouch der sinne wielten 

daz sie reine behielten 

der megde sun ir magetuon, 
als ouch ich arme gerne tuon. 
des helfe mir der got, : 
der durch mich wart gemarterot. 


568 leiden ob ers mir, 571 Erleuter. 572 meget. 


575 magtum, 


576 ich auch. 578 gemartort. 


23 


543 vngelaubig. 
551 vnd leben. 
567 yemant. 

574 rein. 


24 KARL BARTSCH 


Dö nu der rihter gehört 
580 höte wol ir süeze wort, 
da von sin herze solte wol 
worden sin riuwe vol, 
umbe sine missetät, 
80 was er leider gesät 
585 der guote süme üf hertez lant, 
da von der wuocher ouch verswant ; 
ir lere was an im verlorn. 
sinen muot begreif der zorn: 
er rief den wizenaeren dar 
590 und hiez die juncfrouwen gar 
(12°) enbloezen ir waete. 
der grimme meintaete 
geböt den wizenaeren dö 
daz sie sie hiengen üf hö, 
595 und sluogen die vil guoten 
mit langen dicken ruoten , 
alse man diu kint bert, 
sö man in ir unzuht wert, 
unze daz daz bluot flöz 
600 und allenthalben nider 90% 
ab ir mürwen lichamen. 
sie waen sich begunde schamen , 
wan sie ganze nacket hienc. 
ze herzen alsö vaste ir gienc 
605 sö die slege die sie leit 
ir jungen libes bleedikeit. 
umb ditz vil grözez ungemach 
sach sie zuo gote unde sprach 


“Herre, genaediger crist, 
610 wan du der gnäden brunme bist, 
(125) des läz ouch mich geniezen, 
und läz mir zuo fliezen 
der selben gnäden ein teil, 
80 daz min fleisch werde heil, 
615 daz dise hänt verseret, 
durch daz niht verkeret 
werde noch verwandelöt 
min herze durch des libes nöt. 


579 Wie nu: größeres W, aber nicht roth gemalt. 584 so gesat. 585 gut 

samen, 589 rufit, weissnern. 590 der. 591 Enplossen. 592 mendate. 

593 wiezner. 594 sie si. hoch, 597 Als. 599 plute, 600 und fehlt. 

601 leichnam. 602 Nu wen ich wol das sie sich begunt. 603 gancz nackent, 
'604 ir fehlt. 606 plodikeit, 610 Ban. 617 verwandolt. 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 25 


herre, schepfer aller dinge, 

620 an dir lit aller min gedinge, 
wan ich weiz wol daz sin wirt rät 
swer sich, herre, an dich verlät. 
da von läz mich niht geschenden: 
lese mich üz ir henden 

625 die dich an mir enterent 
und mich alsö verserent. 
behalt an mir den wären sin 
und hilf mir, herre, daz ich in 
niht ze spotte werde. 

630 got himels und der erde, 

Ja ist din nam und riche 
gesegnet Ewicliche , 

dar ie die rehten kämen. 
des hilf ouch mir. ümen. 


635 Bi den wilen sluogen sie 
die wizenaere und ruoften ie 
e X) 
schoene Margarete 


7. geschulden, verdienen. Vgl. ouch kunde er wol geschulden daz 
Tristan 512. w@ mite mac ich geschulden daz 1012. 

15. waetliche, auf angemessene Weise, d. h. mit Recht. Die Schrei- 
bung der Hs. weltlich findet sich in jüngeren Hss. für das nicht mehr 
verstandene waetlich nicht selten: so im Nib. 26, 4 b, und meist in b, 
33, 4. 105, 3. 194, 4 in h, und sogar schon in A waeltliche 43, 4. 

16. mir ze schedeliche : ze “allzu? ist auffallend, so sehr gewöhnlich 


‘ auch die Ausdrücke mir ze schaden und mir schedeliche sind. Daher ist 


schedeliche wohl als Subst. in gleicher Bedeutung wie schade zu fassen, 

und der Bildung nach mit heinliche, misseliche u. a. zu vergleichen. 
17. geheldet : helden ein nicht häufiges Wort, 'neigen‘, eben so das 

darauf reimende gebeldet, ‘'kühn, muthig machen, ermuthigen‘, im mhd. 


- Wörterbuche durch eine Stelle aus dem ebenfalls alemannischen Lanzelet 


Da 


belegt. 

"6, werde geleit : solche zweisilbige Senkung noch in helle geheldet 17, 
kunde gesin 122, dorfte gedenken 417, und bei be, schiere beräten 494, 
reine behielten 574. 
| 51. Der Conjunetiv müge verlangt das offenbar herzustellende gehüge ᾿ 
wovon aber derselbe abhängt, ist nicht recht klar. Man könnte 45 
schreiben daz miner worte müezikeit, besser indels ist wohl zu lesen 


619 schopffer. 629 spot». 631 vnd dein, 635 der, 


36 KARL BARTSCH 


waen dem vil kleinen teile (48) : waen, ohne beifolgendes ich, entstellt 
die Hs. auch sonst, vgl. 298, 602, und meine Beiträge zur Kudrun 
S. 5. Meist ohne Einfluß auf die Construction kann es doch auch den 
Conjunctiv nach sich ziehen. Der Gedanke wäre besser ausgedrückt, 
wenn es hieße daz vil kleine teil der worte mit nihte widerwegen müge 
miner worte müezikeit, "die wenigen guten Worte können nicht die vielen 
unnützen aufwiegen. 

70. klein dar zuo, eine ähnliche Kürzung wie klein für kleine ist 
noch gern (vor n) 454, ferner denn 471 und müest (vor ze) 517. gedient 
für gedienet habe ich durch Umstellung beseitigt, 98. 

92. etwa zu ergänzen daz wären sinne kranke, vgl. 19. 

113. die steht hier ganz richtig in der Hebung, weil es ‘eine solche’ 
bedeutet. Ebenso ist demonstr. des 577. Betont sind auch natürlich 
got 345, hin 250, nie 309. Für kein 535 habe ich lieber dehein ge- 
schrieben. Das ursprünglich zweisilbige ir 230 ist auch noch zu dulden; 
aber schwerlich noch 222, wofür ich weder geschrieben habe, auch dö 
337. 542 ist ebenso wenig wahrscheinlich, und nu 249 zu verwerfen 
lehrte schon die lat.: Quelle. 

125. burte : die Hs. purde, eine der wenigen Stellen, wo wirklich 
burt, nicht geburt, überliefert ist: meist wo die Ausgaben burt haben, 
entfernen sie sich damit von der Ueberlieferung. 

129. da alles für al vor dem Artikel auch V. 11 steht, so kann 
auch hier geschrieben werden al der reinikeite, der ein kint in kintheite. 

131. enpflegen, noch 193. 194. Die meisten Belege des nicht häufi- 
gen Uompositums kommen in alemannischen Denkmälern vor: ich sehe 
dabei von den unsichern Stellen ab, in denen en Negation sein kann. 

133. hie dedit eam nutriendam. Vita 6. 

147. et ipsa christiana erat et christianis operibus tenebatur 8. 

149. et quoniam pater suus eam eshorrens procul ejecerat 9. 

154. quinto decimo aetatis anno 6. 

157. in omnibus suae famulabatur nutriei atque magistrae 9. 

165. ff. audiens hujuscemodi atrocitatem contra christianos ebullire 
his verbis orationem ad dominum fudit 6. 

187. in ir als Auftact noch 332; vgl. mit ir 190, ob er 217, daz 
er 240, ze den 251, den der 294, dan die 328, der vil 403, uns vil 555, 
da von 475, alles dies sind leichte Fälle. Auch wo be ge die zweite 
Silbe bildet, 435. 446. 487 und selbst ver 335. daz din 466 kann mit 
üf sin 213 verglichen werden. Die beiden ersten Silben eines mehr- 
silbigen Wortes nur in Margarötam 405, wenn nicht verkürzte Namen- 
form anzunehmen. Zweisilbige Worte: welhem 367, wo man aber auch 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 27 


den Vocal von bistu elidieren darf. Meist ist wohl hier schwebende 
Betonung anzunehmen: so in Cristes 199, nimmer 225, welhen 400, 
fürhten 518. 

188. ebenalte, Altersgenosse, hier Altersgenossin, ein nicht häufig 
vorkommendes Wort. 

188. ff. ut etiam illius oviculas eustodiret et ad pascendum cum ceteris 
puellis educere non dedignaretur 9. Namentlich cum ceteris puellis (189) 
coaetaneis suis (188) 9. 

194. Der gleiche Reim dö:dö ist bei einem so kunstmäßigen 
Dichter nicht wahrscheinlich. 

195. quidam praefectus (195) nomine Olibrius (196) erudehtate et 
impietate tumidus (197) veniebat de Asia in Antiochiam propter persecu- 
tionem Christianorum (198 —200) 9. 

208. hinne hin, "fortan, bei dem ebenfalls alemannischen Truchsessen 
von 5. Gallen, Wackernagel-Rieger 220, 6. 

227. qui cum iter ageret, contigit (227) ut videret (234) beatam 
Margaretam (228) deambulantem in passu ovium (230). 9. 

238 ff. guam ob rem concupiscentia superatus praeses jussit ministris 
suis (241. 242) dicens (243)... si libera est (243) amantissime eam in 
conjugium sociabo (244), si autem servitutis conditione retinetur annewa 
(245) dignum pretium pro ea tribuam et erit in coneubinali jure sociata 
(vgl. 246—48). 10. 

240. Die harte Kürzung nihts gert ist dem Dichter nicht zuzu- 
trauen; vgl. zu 70. 

249. Nu wird mit vil häufig verwechselt; vgl. meine Beiträge zur 
Kudrun 3. 7. Die Vita hat, entsprechend dem wil schiere, ik autem 
celerius euntes (249) suique domini jussionem facientes (250) comprehende- 
runt illam 10. 

258. regem omnium seculorum deprecabatur, dicens (258): miserere, 
domine, miserere (259) famulae tuae (260) 12. 

258. ruoft würde eine Kürzung verlangen, die unüblich ist; erlaubt 
wäre ruoft den 589, wo ich ebenfalls rief geschrieben habe. Vgl. jedoch 
müest 517. 

263. da fortitudinem. 264 ut te laudem. 267 ne me permittas, domine, 
a tua sancta religione sequestrari. 12. 

231. Man würde eher erwarten von solher künste. 

273. Die Construction würde erfordern den bluomen und den reinen 
namen; um des Reimes willen bat der Dichter von der am häufigsten 
bei Wolfram vorkommenden Freibeit Gebrauch gemacht, einen auler- 


38 KARL BARTSCH 


halb der Construction stehenden Begriff an die Spitze des Satzes 
zu stellen. 

273 ff. et pudor virginitatis meae (273. 274) quem tibi domine 
consecravi (275) Ühibatus permaneat (280). 12. 

282. sin, auf bluome und reine name zu beziehen. 

283. guam ob rem, domine deus, mitte nune sanctum angelum tuum. 
286. qui tollere a tua pietate festinant. 12. 

290. wizenaere, noch 589. 593. 636; ein paarmal auch bei Rudolf 
von Ems, Barl. 121,24. 125,36. 

303. succurre mihi (303) in hac tribulatione (304). 12. 

314. statimque praesentati (314) dixerunt (316). 13. 

318. und ist vielleicht zu streichen. 

326. Üllumque Jesum colere se testatur (326. 327) quem Judaei (329) 
olim erueifizerunt (330). 

333. quibus auditis nequissimus judex (333. 4) admodum contristatus 
(vgl. 335. 6) jussit eam suo conspectui velocius praesentari (337. 8). ita 
eam alloqui coepit (339): o puella .. narra mihi (340) genus tuum, et utrum 
ancilla an libera fueris (341). 14. 

350. nullius servituti obnoxia sum. 14. 

361. οὐ praefectus: quo, inqwit, nomine nuncuparis? 15. Margareta 
respondit (363): apud homines Margareta vocor (362). 

377. der die helle brach. Friedrich von Hausen, MF. 49, 2. 

378. Wenn auch die verschleifbaren Silben ege der Dichter als 
Senkung duldet (525), so ist doch zweifelhaft, ob auch als letzte Sen- 
kung. Genau wie hier, wenn man dar zuo streicht, ist der V. 543 
gebildet. Wie hier stände Zwegen als vorletzte Hebung und Senkung, 


wenn nicht eher schwebende Betonung fürhten anzunehmen ist, 518. ᾿ 


Vgl. zu 187. 

381. trügeheit, ebenfalls mehrfach bei Rudolf von Ems und Gott- 
fried von Straßburg vorkommend. 

385. Der Schreibfehler versulten weist auf die Schreibung versculten 
in der Vorlage, wie auf gleiche Weise der häufige Fehler in den Nib. 
Hss. A, zum Theil auch B, gesach für gescach zu erklären ist. Statt 
verschulten : dulten kann der Dichter auch verscholten : dolten geschrieben 
haben; dulden für doln steht 564. | 
399. nu ist wohl zu streichen; es steht auch 301. 453 überflüssig. 


402. praecepit (402) praefeetus (403) in tenebroso carcere (404) 


concludi (4061)... quatenus .. facilius plecteretur ad ejus voluptatem (406. 7.) 


412. cristäne: das adj. cristän ist noch nicht belegt, als subst. 
kommt cristaene namentlich bei K. Flecke häufig vor; Sommer zu 325. 


vw 
x 


| 


———— 


WETZELS HEILIGE MARGARETE. 29 


415. geslozzen, was die Hs. bietet, würde die Form slozzen des 
darauf reimenden Subst. verlangen. Doch ist in den kerkaere stözen die 
übliche Ausdrucksweise, dazu kommt, daß der so vielfach verwandte 
Rudolf immer die Form slöz, nicht sloz hat. 

419. profeetus est Antiochiam. 16. 

429. quae cum praesentata fwisset (429) coepit eam blanda loeutione 
primum suadere dicens (430. 31. 434—36). 17. 

432. kündliche hat die Hs., was kündeliche sein könnte, doch ist 
die Form küntliche ebenso gut. Kudrun 1312, 1. 

435. Vielleicht Punkt nach zorn, und mit schenen worten üz erkorn 
begunde er die vil süezen. 

444. Vgl. nostrisgue monitis pertinaciter resistentem und V. 457. 

456. Auch hier ist wohl nu zu streichen; vgl. zu 399. 

469. verlegen, unhäufiges Wort: "deiner weltlichen Würdigkeit wer- 
den Hindernisse in den Weg gelegt. 

477. 78. Die Reimwörter sind wahrscheinlich zu vertauschen, denn 
wenn auch dich des muotes bewegest "die Gesinnung awfgibst bedeuten 
kann, so heißt dich verpflegest nicht "dich entschließest, "sondern eben- 
falls “aufgibst : also 


80 daz du dich des muotes 
kurzeliche verpflegest 
und dich mit güete des bewegest. 


Das reflex. verpflegen mit gen. ist nicht häufig. 

479. Vielleicht daz du in neigest din houbet. 
482. verzihent würde bei dem collectiven diet unanstößig sein, 
wenn nicht auch gelaubent 480 fälschlich für geloubet, und hochgeborne 
481 für höchgeborne stände. 

491. inveniat ergo animus twus consihum. IT. elige quod tibi melius 
videtur (492). Cui domini virgo (493) respondit (495). 18. 

505. 6. idolis vanis colla flectere. 23. 

510. ungemachen, der noch nicht belegte Plural; vgl. unheilen 547 
Lesart. 
1 513. wange in wangen zu verändern ist nicht nöthig. 
514. vinsterin kommt überwiegend in alem. Quellen vor. 
| 547. Um den auffälligen Plural mit unheilen, der indels einige 
Analogie i in ungemachen 510 hat, zu vermeiden, habe ich die Änderung 
der folgenden Zeile gewagt. Vgl. zu 482. 
559. consilium .. jam .. ünvent. 18. 
560. Vgl. oceide, reseca, incende. 23. 


30 K. BARTSCH, WETZELS HEILIGE MARGARETE. 


562. Das Reimwort war sicherlich stroufen, etwa die hüt abe strou- 
fen, vgl. Suchenwirt här und haut abstraufen mhd. Wörterb. 2, 2, 697°. 

568. Der harte Vers durch in liden ob er mirs gan, der beim Dichter 
keine Analogie hat, macht wahrscheinlich, daß ich wil auch 565 ein 
Zusatz des Schreibers ist, der auch schon 564 fehlerhaft den Infinitiv 
statt des Oonjunctivs setzte. 

579. audiens haec praeses. 24. 

584. Möglich, daß er durch ein Mißverständniß des Schreibers, 
worauf auch so weist, hineingekommen ist; aber das Pronomen deutet 
oft einen nachfolgenden Begriff im Voraus an: vgl. zu Strickers Karl 4124. 

592. meintaete, ebenfalls ein ziemlich seltenes Wort. 

593. jussit (599) eam a capite suspendi (594) et caedi (595) vürgis 
crudelibus (596). apparitores autem (593) ... corpus ejus verberabant (595), 
ut sanguis ejus veluti fons (599) inundaret super terram (600). 24. 

595. sluogen ist nicht mehr abhängig von geböt, wie man aus 
599 sieht. 

601. lichamen, nicht lichnamen, habe ich geschrieben nach dem, 
was ich Germania 9, 215 fg. geltend gemacht habe. 

617. verwandelöt reimt hier- mit ursprünglicher Länge (nöt), da- 
gegen mit 0 379. 578. Da der Dichter auch gehört : wort 579 bindet, so 
wäre auch hier ot oder dort öt denkbar. 


635. Entweder Bi der wile oder bi den wilen mußte geschrieben 
werden. 


TH. v. HAGEN, DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 31 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN UND IHRE 
BEDEUTUNG FÜR DIE KRITIK. 


VON 


THEODOR VON HAGEN. ἢ 


Den Ausgaben des Tristan ist bis jetzt eine ganz streng metho- 
dische Ausnutzung der Handschriften nicht zu Gute gekommen. Ich 
hoffe daher, daß die nachfolgende Abhandlung, welche eine Classificierung 
der Codices versucht und Regeln über deren Benutzung aufstellt und 
durch Beispiele erläutern will, den Freunden des Gedichtes einigen 
Anhalt für die genauere Betrachtung desselben gewähren möge. 

Ich beginne mit der Besprechung der Florentiner Handschrift F 
und ihrer Sippe. Erstere hat bekanntlich die Grundlage der ersten im 
Jahre 1785 von ©. H. Myller im zweiten Bande seiner Sammlung deutscher 
Gedichte besorgten Ausgabe gebildet. Sie befindet sich jetzt in der Lau- 
rentiana in Florenz, stammt aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts 5) 
und enthält auf 139 Blättern klein Folio den Tristan mit Heinrichs von 
Vribere Fortsetzung, ersteren jedoch nicht vollständig, da sie mit 4, 22 
erst beginnt. Eine Vergleichung dieser Handschrift ist sehr wünschens- 
werth, da der Züricher, auf dessen Abschrift unsere ganze Kenntniß 
derselben beruht — s. Groote p. LXV — Vieles falsch gelesen hat 
und namentlich Abkürzungen nicht aufzulösen verstand. ?) Der Dialekt 
des Schreibers war der alemannische, denn es tritt hier „die Spielart 
der Endung des Partieips Präsentis in —unde auf“, vgl. 91, 17 trahtunde: 
ahtunde; 177, 18 hurtunde; 459, 13 hurtunde, und ebenso weist auf 
diesen Dialekt die Verwendung des h als Dehnungszeichen in der Form 
lugohter (— lugeter) 438, 29, die noch dadurch merkwürdig ist, daß sie 


1) Theilweise umgearbeiteter Abdruck der Göttinger Dissertation “kritische Bei- 


träge zu Gottfrieds von Straßburg Tristan” Mühlhausen 1868. 2) So nach Schade, 
Altdeutsches Lesebuch pag. 223. 3) Er schreibt zum Beispiel 129, 40 stirfeit statt 


conterfeit; 217, 40 spaniune für companiune; 264, 15 stinanze statt conienanze, 


32 THEODOR VON HAGEN 


das ö der Flexion bewahrt hat, was ebenfalls im alemannischen Dialekte 
mit einer gewissen Zähigkeit geschah. Auch die Verdünnung des sch 
der Endsilbe isch zu s in dem Worte hövis — hövesch ist der Ein- 
wirkung dieses Dialektes zuzuschreiben. *) Was die Gestalt des Textes 
anlangt, die derselbe in dieser Handschrift gewonnen hat, so ist zu 
bemerken, daß zwar falsche Lesarten und selbst Willkürlichkeiten 
(235, 10; 236, 1; 239, 24) in ihr nicht selten sind, daß man sie aber 
doch zu den besseren mittelhochdeutschen Handschriften zählen kann, 
da das Gegebene im Allgemeinen ziemlich zuverlässig ist, und man 
sich aus ihr schon ein Bild der Poesie Gottfrieds machen könnte. Ein- 
zelne ihrer Abweichungen von der Lesart der übrigen Handschriften 
sind sogar nicht uninteressant °) und allein das Richtige hat sie 228, 6 
aufbewahrt, wo die übrigen Handschriften swibelen (taumeln) in zwäfelen 
corrumpiert haben, so dafs eine genaue Kenntniß ihrer Lesarten wahr- 
scheinlich ein noch günstigeres Urtheil über sie hervorrufen würde. — 
Eine durch das ganze Gedicht fortgesetzte Betrachtung der Lesarten 
lehrt nun, daß mit dieser Handschrift die von Groote mit N bezeichnete 
Berlin-Blankenheimer auf das engste zusammenhängt. Letztere ist im 
vierzehnten Jahrhundert und zwar consequent in niederrheinischer Mund- 
art geschrieben — ihre Beschreibung bei Groote p. LXVII f. —, 
Wendungen und Ausdrücke, welche der niederrheinischen Zunge nicht 
senehm oder nicht verständlich waren, werden hier geändert (stets zum 
Beispiel losen in lüstern verwandelt) und überhaupt nicht mit der Sorg- 
falt verfahren, als vom Schreiber von F geschehen war; doch zeigt 
sich durchaus noch nicht die Verwilderung, welche die Handschriften 
des fünfzehnten Jahrhunderts so berüchtigt gemacht hat. Lücken sind 
sehr selten, und nur einmal hat der Schreiber eigene Verse an die 
Stelle der Gottfriedischen zu setzen gewagt. Zu bemerken ist, daß der- 
selbe eine bessere Kenntniß des Französischen zeigt, als sonst die 
Schreiber pflegen (vgl. Groote 742; 743; 3022; 3159) und mit einigem 
Interesse geschrieben zu haben scheint, da er, was ihm anstößig war 
oder missfiel, wegläßst (vgl. Groote zu 2400). — Die Vorlage, aus der N 
erwuchs, war, wie bereits oben angedeutet ward, eine Handschrift, die 
mit F die größte Ähnlichkeit hatte. Dies wird sogleich aus folgenden 
Lesarten von ΕἾΝ deutlich werden, welche fast immer dem von den 
übrigen Handschriften Gebotenen, sowie auch dem, was der Sinn for- 


*) Vgl. Weinhold Alemannische Grammatik 8, 190. °) Z, B. 416, 5 Bi der 
rede erkenne ich mich statt: Bi der geberde erkenne ich mich; 487, 14 Gluot ... diu im 
berochen in dem herzen lac (cf, 388, 11) statt betrochen. 


er 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN, 32 


I) 


dert, schroff gegenüber stehen, denn ein Verwandtschaftsverhältniss 
zweier Handschriften können natürlich nur gemeinsame Abweichungen 
in der Lesart, in der Stellung und Anzahl der Verse beweisen. Es lesen 


FN die übrigen Handschriften 
27, 21 (Groote 1020) Daz weiz got Daz wizze got. 
29, 40 ( 1119) ritterschaft herschaft. 
92, 36 ( 3635) rede zal. 
105, 10 ( 4129) gotes halbe theils gnäden theils hulden. 
108, 40 ( 4279) hovegesinde ingesinde. 
114, 30 ( 4509) glöchent gehellent. 
114, 39 ( 4518) Den muot Die mäze. 
123, 16 ( 4855) von wizen von vorhten. 
158, 29 ( 6268) Alein si ez Als si ez. 
198, 6 ( 7850) Swen ez got Tantris, swenn ez. 
223, 3 ( 9050) werte er sich werte ez niht vil. 
232, ὃ ( 9215) verserte verschriet. 
315, 14 (12541) barken batelen. 
353, 14 (14061) An libe An liuten. 
364, 29 (14516) Brangaene brunnen. 
373, 32 (14879) rechen wil haben wil. 
380, 9 (15127) hande väre. 
411, 12 (16379) belegen beladen. 
480, 38 (19156) verirret verköret. 
209, 18 ( 8301) den choln dem golde. 


Ferner 205, 36 (8159) Wie er danne komen mahte Und wie er 
urloup .. statt: Mit wie gevüeger ahte Er urloup ..; 373, 40 (14887) Der 
megede sun muz mich bewarn statt: Herre sö müeze iuch got bewarn; end- 
lich: 364, 5 (14492) Mit näheme getwange statt: Mit armen nähe und 
‘ange. — Hierzu halte man die gemeinsame Lücke 233, 5. 6 (9352), 
‚die Versumstellungen 380, 25: 24: 381, 40: 382, 5: 6: 1: 2:8: δ: 7: 8 


und es wird zugegeben werden müssen, daß man — namentlich im 
Hinblick auf einige in ihrem Zusammenhange höchst auffällige Lese- 
‚arten — leicht zu der Ansicht kommen kann, N sei Abschrift aus F. 


Dies ist um so eher möglich, als manche kleine Abweichungen von F, 
welche N nicht theilt, mit Leichtigkeit und Wahrscheinlichkeit der 
unsichern Überlieferung zugeschrieben werden können, in der wir lei- 
‚der noch die Lesarten der Florentiner Handschrift besitzen. Doch ver- 
bieten eine Anzahl von Stellen, in denen die Handschrift B zweifellos 
aus F geflossen ist (siehe unten), bei näherer Betrachtung eine solche 


GERMANISTISCHE STUDIEN, 3 


34 THEODOR VON HAGEN 


Annahme ganz entschieden, denn es finden sich hier einige Verse, in 
denen F undB eine falsche Lesart bieten — so daß also von ungenauer 
Abschrift des Zürichers nicht die Rede sein kann — während N mit 
den übrigen Handschriften die richtige hat. Vergleiche 298, 35 (11881), 
wo FB falsch lesen: Daz ist div schame die si hät, N richtig: Daz ist 
der saym [säme] den si hat; 310, 26 (12353), wo FB unwertliche, N unruoch- 
liche; 335, 28 (13355), wo sie sinnlos üz grözer vröude haben, N dagegen 
richtig üz grözem unwerde bietet. — Dali aber in N die richtige Leseart 
in diesen Stellen durch Vermuthung oder Zufall hergestellt sei, wird 
Niemand glauben wollen, zumal da diese Handschrift selbst die Lücke 
nicht hat, welche sich in FB 321, 10--15 (12777—82) findet. Dagegen 
steht nichts der Annahme im Wege, dafs N direkt derselben Quelle ent- 
stamme als F; ja sämmtliche oben erwähnte Lesarten, namentlich aber 
die Versumstellungen scheinen eine solche gebieterisch zu fordern. 
Wiewol demnach die Handschrift N auf gleiche Linie mit F zu stellen 
ist, wird sie dennoch wegen ihres geringeren Alters und weil sie dialek- 
tisch umgeschrieben ist, für die Textkritik nicht denselben Werth 
beanspruchen können als diese, doch ist sie, besonders so lange unsere 
Kenntniß der Handschrift F auf dem Myllerischen Abdrucke beruht, 
gewißs nicht ohne Nutzen; sie wird denselben aber auch nach einer 
zuverlässigen Vergleichung von F gewähren, indem sie gewissermaßen 
dadurch eine Controlle derselben ermöglicht, daß sich durch Herbei- 
ziehung ihrer Lesarten an vielen Stellen mit größerer oder geringerer 
Wahrscheinlichkeit feststellen läßt, was in der Vorlage von F stand 
und was Abweichung des Schreibers ist. — Dieser verlorene Archetypus 
beider Handschriften aber war, wie die oben zusammengestellten fehler- 
haften Lesarten zeigen, nicht frei von Fehlern, doch vollständig und 
nicht ohne eine gewisse Sorgfalt geschrieben; was wenigstens die Vers- 
umstellungen wahrscheinlich machen, denn diese sind nicht etwa da- 
durch entstanden, daß ein Blatt an eine unrechte Stelle gerathen war, 
sondern das Auge des Schreibers war von Vers 381, 40 zu dem ebenso 
beginnenden 382, 6 abgeirrt, und er trug, nachdem er seinen Irrthum 
bemerkt hatte, die fehlenden Verse, wenn auch in falscher Ordnung 
nach, anstatt sie ganz wegzulassen. 

In engster Verwandtschaft zu dieser Gruppe stand die Handschrift, 
von der nur zwei Quartblätter — aus der Mitte des dreizehnten Jahr- 
hunderts stammend — erhalten sind, welche Docen im zweiten Bande 
seiner Miscellaneen Seite 110 besprochen hat. Nach seiner Versicherung 
stimmt der Text „mit dem Florentiner Ms. durchgängig überein“, so 
daß er einen Abdruck nicht für nöthig gehalten hat, sondern nur die 


ee. eV, ΠΡῸ 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 35 


Varianten von D — wie dieses Bruchstück bezeichnet wird — und F 
angibt. Diese sind für die 524 Zeilen, welche D enthält, allerdings 
gering an Zahl und Bedeutung. So hat D 267, 32: sprächent si statt 
sprach si; 268, 34: die vrowen hänt, F: diu vrouwe hat; 288, 4 D: Mit 
solhem liste vurbraht, ἘΠ: Mit solher kraft vollebraht — Differenzen, die 
bei dem genauesten Verhältniß zweier Handschriften vorkommen kön- 
nen, aber doch beweisen, daß D weder die Quelle von F gewesen sein, 
kann, noch umgekehrt. Nicht zu kühn wird dagegen die Annahme sein, 
daß D derselben Quelle als F und N entstammt. Der Umstand, daß 
D noch besser zu F als zu N stimmt, erklärt sich hauptsächlich daraus, 
daß D die Mundart der Vorlage ebenso wie F beibehält und beide 
älter und sorgfältiger sind als N. | 

Dieser Zweig der Handschriften des Tristan trieb überhaupt ver- 
hältnissmäßig zahlreiche Sprossen. Ihm entstammte auch die von Scherz- 
Oberlin in dem @lossarium Germanicum medii aevi benutzte Handschrift, 
welche man, um Verwechslung mit der Oberlin’schen Handschrift (Ὁ) 
zu vermeiden, die später in Herrn von Grootes Besitze war, mit S 
bezeichnen mag. Zwar finden sich unter den Lesarten von S einige, 
welche scheinbar auf einen Zusammenhang mit den Handschriften M 
und H hindeuten, so in dem 8. v. Schalke eitierten Verse: Der man sich 
mynder hät versehen (160, 6), wo niemer stehen sollte, oder in dem 
s. v. Houbetherren angeführten: Und versigelten ouch daz (475, 9), wo 
vergiselten richtig sein würde; doch sind diese Öorruptelen so leicht, 
daß den für die Verwandtschaft mit F anzuführenden Lesarten gegen- 
über hierauf kein Gewicht zu legen ist. %) Vielmehr beweisen die NF 
und S gemeinsamen Fehler δὲ statt Diu 274, 16; mir statt mich 292, 28; 
Satten statt Bunden 323, 31, daß S zu diesen Handschriften gehört, 
und sicher würden sich die Beweisstellen mehren lassen, wenn mehrere 
für diese Verhältnisse charakteristische Stellen aus ihr in jenem Glos- 
sarium erhalten wären. 

Die gewonnene Erkenntniß, daß die besprochenen vier Hand- 


schriften FNDS einem gemeinschaftlichen Archetypus entsprungen 


"sind, gewährt jedoch noch keine Einsicht darüber, in welchem Ver- 
_ hältnisse diese vorauszusetzende Handschrift zu dem ursprünglichen 
Texte gestanden habe. Wesentlich in’s Licht gesetzt wird diese Frage 


DE un 


6) Daß S nicht zu MH zu stellen sei, zeigen die Lesarten zu 69, 24, welche 
Zeile 5, v. Seig angeführt wird; MH haben hier verirte, S: verreib, das ist verreit der 
übrigen; ferner 143, 12 (s. v. Sinspien) liest $S mit FW und anderen spien, MH: stwont; 
163, 16 muis sich (5. v. feigen), wie auch WFNO statt des Richtigen diz muoz ich in 
ΜῊ aufweisen, 
3* 


36 THEODOR VON HAGEN 


durch zwei Manuscripte, welche mit jenen erst in einer höhern Einheit 
zusammentreffen: durch die Wiener (W) und durch die Oberlin’sche 
Handschrift (Ὁ). — Namentlich erstere ist, wie hierfür, so im All- 
gemeinen für die Textkritik äußerst wichtig. Eine genaue Beschreibung 
derselben lieferte Leo von Seckendorf im ersten Bande des „Museums 
für altdeutsche Literatur und Kunst“, der nur hinzuzufügen ist, daß 
auch hier sich Spuren des gröberen alemannischen Dialektes erhalten 
haben; so in dem’ Participium des Präsens turmelönde 178, 29 (Wein- 
hold Alem. Gramm. $. 357, p. 360) und in dem Superlativ oberösten, 
für welchen Weinhold a. a. Ὁ. 8. 284, p. 245 aus Reyscher noch einen 
Beleg beibringt. — An nicht wenigen Stellen hat diese Handschrift 
allein die Worte des Dichters richtig bewahrt (vgl. 90, 24; 177, 32; 
313, 23), an anderen gibt sie die Spuren des Richtigen, und wo ihr 
Text fehlerhaft ist, sind die Verderbnisse weniger der Willkür, als dem 
Unverstande des Schreibers entsprungen. Ob dagegen die nicht seltenen 
Auslassungen einzelner Verse demselben zur Last fallen, oder ob sie 
schon in der Vorlage vorhanden waren, ist nicht festzustellen. 

An sich weit weniger wichtig ist in Folge ihres geringeren Alters 
und ihrer Übertragung in den niederrheinischen Dialekt die Hand- 
schrift ©. Thorheit und Änderungslust des Schreibers zeigen sich hier 
schon häufig, so daß ein Rückschluß auf die Lesart der Vorlage oft 
sehr unsicher ist. Lücken finden sich dagegen nur sehr selten in dieser 
Handschrift, und die „sonderbare Versetzung“ der Zeilen 25, 7—28, 11] 
(Groote zu 926) zwischen 19, 5 und 19, 6 erklärt sich wohl daraus, 
daß in der Vorlage das Blatt, auf welchem diese Verse standen, an 
jene unrechte Stelle gerathen war. — Wie bereits oben bemerkt, stehen 
diese beiden Handschriften in einem nahen Verwandtschaftsverhältnisse 
zu den Handschriften FNDS; es folgen daher hier zunächst diejenigen 
Stellen, an welchen durch gemeinsame Fehler von WOFNDS diese 
Behauptung erwiesen wird. 


WOFN(DS) die anderen Handschriften: 


27,20 ( 1019) Von sinen schulden Durch sinen willen. 
34,33 ( 1717) kurzer (kurzen) kleinen. 

44, 88 ( 1815) iemer ervarn iemer suln ervarn. 

82, 33 ( 3232) hoveschal horneschal. 

128, 29 ( 5068) treit tuot. 

135, 8 ( 5327) reitkappen reisekappen. ᾿ 
140, 13 ( 5532) minner inner. 


150, 24 ( 5943) υἱΐ vermezzen wol vermezzen. 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 37 


WOFN(DS) 


161, 34 ( 4393) enlachet 
163, 16 ( 6455) muze sich 


173, 40 ( 6883) swie daz nie dehein 
man gelas. 

182, 10. 11 (7213) Gurmün der trü- 
rige man der hiez 

192, 36 ( 7634) arzatlichen 

217, 31 ( 8638) Der si uz sande 

295, 38 (11765) gevangene man 


die anderen Handschriften: 
enlichet. 
muoz ich. ᾿ 
swie ich doch daz nie gelas. 


Gurmün dö trüren began 
und Πίος. 

eteslichen. 

Der uz sande. 
vergangene man. 


345, 30 (13757) redent tuot. 
413, 34 (16481) dä ze 


289, 15 (11493) unrekantiu 


gar ze. 
unverwantiu. 


Gegen die angeführten Beweise der Zusammengehörigkeit dieser 
Handschriften, die sich leicht vermehren liefen, wollte man kleine 
Abweichungen, das Fehlen oder die falsche Stellung eines oder mehrerer 
Worte aufzählen 7), können natürlich einzelne Fälle, in dınen eine 
dieser Handschriften mit einem nicht zu dieser Familie gehörigen Codex 
‚ übereinstimmend eine falsche Lesart aufweist, nichts beweisen, nament- 
lich da dieselben sämmtlich paläographisch oder anderweitig leicht 
erklärlich sind. Man wird daher aus der Übereinstimmung von WO 
mit der Heidelberger Handschrift (H) 261, 29, wo diese drei Sich warte 
sitzet lesen statt: Sich wä der sitzet, nicht etwa auf eine Zusammen- 
gehörigkeit derselben schließen dürfen, da diese Corruptel sehr leicht 
entstehen konnte, indem das Abkürzungszeichen für r an der unrechten 
Stelle aufgelöst ward und so sich warte um so leichter gesetzt werden 
konnte, als diese Verbindung sich schon 237, 25 (Sich, warte, sprach 
diu künigen) findet. — Ebenso wenig kann 47, 12 beweisend sein, wo 
die Münchener Handschrift (M) mit W haben statt halben; oder 243, 19, 
_ wo dieselben Waz resp. Was statt Daz bieten; oder endlich 273, 39, 
wo W mit MH fälschlich dise statt die hat. — Bedenklicher scheint 
folgende Stelle: 141, 1.2 nämlich haben alle Handschriften: Jedoch geriet 
er die geschiht Umb Morgänes ritter niht, MW jedoch schaden statt ritter, 
aber der Zusammenhang lehrt, daß diese Variante niebts als eine hier 
sehr nahe liegende Verallgemeinerung ist, denn den Rittern des Morgan 
_ war eben ein schade geschehen. °) — Ganz ebenso wird man über die 


ἢ Vgl. 4, 39; 96, 9; 107, 6; 103, 27; 128, 33; 131, 19; 166, 88 ete. 22 117,2 
_ dagegen hat, einer gütigen Mittheilung des Herrn R. Bechstein zufolge, nur M die falsche 
 Lesart von riterlicher werdekheit, nicht aber W, wie Maßmann’s Lesarten angeben. 


38 THEODOR VON HAGEN 


Abweichungen zu urtheilen haben, welche F mit M theilt, wenn 179, 33 
diese beiden Handschriften ir arme statt ὧν" jämer; 194, 16 sinnen statt 
listen lesen, und über diejenigen, welche OÖ mit M gemeinsam hat, da 
beide 82, 39 kurtois in hövesch und 99, 2 Eines sunnen äbendes vruo in: 
Eines sundagis morgens vruo ändern, letzteres offenbar des folgenden 
Verses wegen, da den Schreibern die Erwähnung der Messe am Sonn- 
abend Abend anstößig schien. 

Wie gesagt, können alle diese willkürlichen, unursprünglichen 
Abweichungen keinen Zweifel an der Zusammengehörigkeit dieser Klasse 
rechtfertigen. Beachtung verdienen dagegen eine Anzahl von Stellen, 
an denen W und F gemeinsame Fehler, die jüngeren Glieder dieser 
Familie N und OÖ aber das Richtige mit MH aufweisen. Wenn hier 
nicht eine ungenaue Vergleichung und Angabe der Lesarten von 
Seiten des Herrn v. Groote vorliegt, was mir sehr wahrscheinlich ist, 
so hat man anzunehmen, daß die Schreiber von NO das Richtige 
durch Verbesserung hergestellt haben. Es findet dies in folgenden 
Versen statt: 


WE falsch: NO mit MH richtig: 


4,39 ( 119) ich weiz ez als Ich weiz ez wärez als den töt. 
münen töt 
29, 23 ( 1162) minnete meinte (cf. 371, 4). 
40, 33 ( 1552) langer leider. 
41,15 ( 1574) näch im geben wart im näch gegeben. 
206, 24 ( 8187) stät mir αἰδὸ  stät also. 
472, 6 (18813) dä zuo helfe helfe dar zuo. 


Keinesfalls beweisen diese Stellen etwa, daß WF unter sich enger 
zusammengehörten als NO mit ihnen, oder gar, daß NO ganz von 
dieser Gruppe zu trennen seien. Die Verwandtschaft aller dieser Hand- 
schriften war im Gegentheil eine sehr enge, und man muß sich daher 
vor einer falschen, nahe liegenden Auffassung dieses Verhältnisses hüten. 
An eine Dependenz der Handschrift W von der oben besprochenen 
. Vorlage von FNDS, die der Kürze halber mit x bezeichnet werden 
mag, darf durchaus nicht gedacht werden, Denn, wie oben bei der 
Besprechung dieser Handschriften (FNDS) bemerkt wurde, existieren 
zahlreiche Stellen, an denen x Falsches hatte, was sich nicht in W 
findet, und ebenso umgekehrt solche, in denen jene Handschriften das 
Richtige erhalten haben, W dagegen fehlerhaft ist. Allerdings kommt 
der ganzen Gruppe WOFNDS ein Archetypus zu, wie schon ihre 
gemeinsamen Fehler zeigen, doch verdanken die vier letzten einerseits 


u en TE NE 
cu Ὁ 


DIE HANDSCHRIFTEN DES 'TRISTAN. 39 


und W andererseits erst je einem Mittelgliede ihren eigenthümlichen 
Charakter. Denn da für jene ein solches Verhältniss mit Nothwendig- 
keit vorauszusetzen ist, ihre Vorlage aber nicht zugleich die von W 
gewesen sein kann, so bleibt nur entweder übrig, W direkt wieder aus 
der Vorlage von x abzuleiten, oder aber ein Mittelglied anzunehmen. 
Letztere Annahme hat aber deshalb größere Wahrscheinlichkeit für sich, 
weil die Gruppe FNDS durch W nicht so bedeutend an Güte über- 
troffen wird, dal man sie vor dieser Handschrift eine ganze Stufe 
zurückstehen lassen könnte. — O dagegen ist aus dem Archetypus der 
ganzen Familie durch eine nicht mehr zu bestimmende Reihe von 
Mittelgliedern hervorgegangen, denn während Niemand ihre Zusammen- 
gehörigkeit mit den übrigen Gliedern den oben angeführten Lesarten 
gegenüber läugnen wird, will es nicht gelingen, derselben eine Stellung 
näher bei x oder bei der Vorlage von W anzuweisen. Für letztere 
Ansicht scheinen zwar die Lesarten 269, 23 gewisliche statt geswäsliche; 
270, 7 sitzet statt lüzet; 393, 28 Vast üf statt Vaste unz zu sprechen, 
welche W und O gemeinsam haben, 5) doch lassen sich ebenso gewichtige 
Gründe für die Verwandtschaft mit x anführen. So theilt O die Varianten 
29, 40; 74,29; 131, 14; 148, 23; 238, 31 mit den Repräsentanten dieser 
Klasse. — Die oben ausgesprochene Ansicht von der Stellung der 
Handschrift O erhält aber ferner eine Bestätigung dadurch, daß an 
mehreren Stellen dieser verhältnissmäßig späte Üodex richtigere Les- 
arten hat, als alle übrigen Glieder dieser Familie, so 78, 4, wo jene 
iuwer hunt, O richtig iuwer hüt,; 92, 7, wo sie maneger sinnlos, O richtig 
manegez; 125, 9, wo O statt want der übrigen mit Recht und liest. End- 
lich ist hier noch zweimal das Richtige aufbewahrt worden, wo auch 
die übrigen erhaltenen Handschriften Verderbnisse aufweisen; nämlich 
222, 20 Hyberne statt berne und 224, 24 Ienoch statt Noch oder Jedoch. 
Namentlich die erstere Stelle, sowie der Umstand, daß Ὁ die in ΕΝ 
allein erhaltenen wohl unechten Schlußverse des Tristan nicht auf- 
weist, machen mir Herrn OÖ. Jänicke’s Ansicht, daß Ὁ zuN zu stellen 
sei, sehr zweifelhaft. Die von ihm in der Zeitschrift für deutsche 
Philologie 2, 228 für jenes Verhältniß beigebrachten Belegstellen be- 
treffen nur geringe orthographische und andere Abweichungen, die 


sich zwanglos aus der Ähnlichkeit des Dialektes beider Handschriften 


erklären. — Es scheint demnach, daß O eine eigenthümliche W ichtig- 
keit zukommt, weil es durch diese Handschrift möglich sein wird, bei 


x 


Ὁ) Vgl. noch 114, 4; 121, 30. 


40 THEODOR VON HAGEN 


einer Differenz von W und F zu constatieren, in welcher Handschrift 
die Lesart des Archetypus erhalten worden ist. 

Zu dieser großen Familie gehören endlich noch zwei Bruch- 
stücke von Handschriften. Zunächst das von Seckendorf im „Museum 
für altdeutsche Literatur und Kunst,“ I, 632 f. besprochene, der Wiener 
Handschrift vorgebundene Blatt, Vers 52, 29—54, 24 enthaltend, das 
mit w bezeichnet werden mag. Dasselbe schien Seckendorf von der- 
selben Hand wie W zu stammen, steht mit dieser Han-schrift im 
engsten Verwandtschaftsverhältniss und stimmt in dem betreffenden 
Abschnitte fast wörtlich mit ihr überein. Da der Umfang dieses Frag- 
ments jedoch nur gering ist, so finden sich natürlich nur wenig signi- 
ficante Lesarten, in denen W und w vom Richtigen gemeinsam ab- 
weichen, doch scheinen 53, 29 wisheite statt vriheite; 54, 23 Über daz 
allez sö lernte er statt Über diz allez lernete er erwähnenswerth, und ent- 
schieden für Seckendorfs Ansicht zu sprechen. 

Ferner stellt sich ebenfalls hierher ein zerschnittenes, halb zer- 
störtes Pergamentblatt einer schönen alten Handschrift, Zeile 210, 9 bis 
213, 18 theilweise lückenhaft enthaltend, das Büsching in der Leipziger 
Literatur-Zeitung, April 1826, Nr. 98, bekannt gemacht hat und das 
man mit L bezeichnen mag. Doch muls es ungewiss bleiben, ob die 
Handschrift, der dies Blatt angehörte, der Vorlage von W oder F näher 
verwandt war. Dal sie zu dieser Familie gehörte, beweisen Vers 212, 
33.34, die hier lauten: Solt ich bi disem hazze wesen, Sone kunde ich 
niemer genesen, wo M und H die Indicative sol und kan haben. Zeile 
212, 32 stellt dieselbe mit W folgendermaßen um: I/ne mac mich niht 
vor in bewarn statt: Ine mac vor in mich niht bewarn, während 210, 11 
Von der werdekeite an das corrumpirte Donne der Florentiner Hand- 
schrift erinnert. Merkwürdig ist übrigens dieses Bruchstück noch da- 
durch, daß hier allein, bei sonst durchaus hochdeutschen Wortformen, 
auch außer dem Reime die unserem Dichter eigenthümliche Form van 
für von erscheint. 

Versuchen wir es, nach dem Allen uns das Abhängigkeitsverhältniss 
der Handschriften dieser Familie graphisch darzustellen, so erhalten 
wir folgendes Schema: 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. +] 


So viel sich aus dem allen Gliedern dieser Klasse Gemeinsamen 
schließen läßt, muß der im Vorstehenden mit Y bezeichnete Archetypus 


‚eine vorzügliche, von Lücken freie Handschrift gewesen sein, aus der 


die meisten Codices des Tristan hervorgiengen, welche so gewisser- 
maßen die Vulgata desselben bilden. Bestimmtere Rückschlüsse über 
seine Beschaffenheit sind nicht möglich, da keine direkte Abschrift aus 
ihm erhalten ist. 

Gleichsam in der Mitte zwischen dieser, durch so zahlreiche 
Repräsentanten ausgezeichneten Handschriften-Familie, die im Folgen- 
den der Kürze wegen mit Y bezeichnet werden mag, steht die in den 
Lesarten bei Groote und Maßmann mit B bezeichnete Blankenheim- 
Groote’sche Handschrift, 1°) einst zu der herrlichen Sammlung von Kunst- 
werken und Alterthümern gehörig, welche die Grafen von Manderscheidt 
auf ihrem Schlosse Blankenheim in der Eifel besaßen, jetzt im Besitze 
des Herrn E. v. Groote zu Köln. Malsmann bemerkt in Bezug auf die 
handschriftliche Grundlage derselben: „B ist wahrscheinlich nur eine 
Abschrift von M, wenigstens stimmt sie mit dieser in allen besonderen 


_ Lesarten und Lücken überein“, eine Behauptung, die nebst der Begrün- 
dung einer wesentlichen Modification bedarf, aber doch für den ersten 


Theil des Gedichtes — bis 249, 22 — richtig ist. Denn hier ist aller- 
lings B nur eine ziemlich sorgfältige Abschrift von M, die nur durch 
len niederrheinischen Dialekt, in den sie ihre Vorlage umschreibt, ein 
»twas verändertes Aussehen erhalten hat. Der Beweis hierfür ist bei 
der großen Menge besonderer Lesarten, welche M aufweist, mit Leichtig- 
keit zu führen. Folgende Beispiele der Übereinstimmung von M und B 
sind aus einer großen Masse analoger Fälle ausgewählt. 


MB lesen: die übrigen Handschriften: 
3, 18 Jene die andern werlde Ein ander werlt. 

21, 26 Min frouwe Si diu schoene. 
29, 27 verstuont wiste. 
44, 1 Riwalin Kanölengres. 
56, 21 juncherre vriunt Tristan. 
87, 27 stolze Tristan hövesche Tristan. 
91, 20 mange löre hövesche löre. 

21 spoteten spelleten. 

17 Rehte zuo im selben Ze sich an sine siten. 


10) Beschreibung derselben bei Groote pag. LXVII. 


42 THEODOR VON HAGEN 
MB lesen: die übrigen Handschriften: 
135, 1 Sin gesinde Die riter. 
145, 30 Als er an sinen triuwen Wan er im ze hövescheit was gewant. 
Fant 
166, 8 Wie schöne Wie lustie. 
176, 37 Unde tristande Und stritent. 
189, 18 Mit trürigem herzen Mit manegem trahene. 
206, 36 Diu ist mir als Die minne ich als. 
221, 24 Nu tuot ir herren alsö Durch gotes willen... 
235, 32 Wart rehte als Daz diu wart als. 
246, 30 Seht alle Nu kieset alle. 


Auch diejenigen sinnlosen Verse, welche eine spätere Hand in M 
da hinzufügte, wo eine Reimzeile ausgefallen war, finden sich in B 
wörtlich wieder. Beide setzen daher z. B. 81, 12 Verrihtet euh shire 
allent samt statt Wan varen ie zwene und zwene samet. Vergleiche 
169, 13; 160, 27; 182, 22. Gemeinsame Lücken finden sich 84, 17 bis 
30; 183, 27—32; 212, 15.16; 231, 33—232, 16; 232, 27—38; 234, 15—22. 
Für die erste kleinere Hälfte des Tristan ist demnach die Abstammung 
von B aus M erwiesen, dagegen wird sich von 249, 22 an ein anderes 
Verhältniss zeigen. Die Handschrift M hat nämlich von 247, 31—250, 29 
(= 9837—9955 Groote) eine Lücke, die in B ebenfalls vorhanden sein 
würde, wenn diese Handschrift hier noch aus M stammte. Dem ist 
jedoch nicht so, die Lücke ist in B allerdings auch, aber nur theil- 
weise !!) vorhanden: von 249, 26 (9913) an tritt B wieder ein. Es bleibt 
also nur entweder die Annahme, daß B überhaupt nicht direkt aus M 
stamme, oder daß der Schreiber von hier an einer andern Handschrift 
gefolgt sei. Das Letztere ist denn auch wirklich der Fall, und durch 
ein Spiel des Zufalls befindet sich auch diejenige Handschrift, welcher B 
hier folgt, unter den erhaltenen: es ist dies die Florentiner Handschrift, 
und zwar wird in B nicht bloß die.Lücke nach dieser ausgefüllt, son- 
dern auch, nachdem M wieder eingetreten ist, noch jene bis 251, 26 
copiert. Es tritt nun ein höchst eigenthümliches Verhältniss ein: der 
Schreiber von B wendet sich bald zu M, seiner ursprünglichen Vorlage, 
zurück, bald folgt er F'; letzterer insbesondere da, wo auch ihm die 
großse Lückenhaftigkeit von M nicht verborgen bleiben konnte. 


11) Die Angabe bei Mafımann in den Lesarten zu 247, 31 ist falsch, wie eine 
Vergleichung der Stelle bei Groote lehrt, 


DIE HANDSCHRIFTEN DES 'TRISTAN. 


e> 


+3 


Zunächst zeigt sich die Abstammung von B aus F in dem Ab- 
schnitte 249, 26—251, 26 (9913—9993) in folgenden besonderen, mit F 
übereinstimmenden, von M gänzlich verschiedenen Lesarten von B. Die 
Verse 249, 29.30 (9916. 17.) lauten in FB sinnlos: In der Frouwen 
tougenheit, Dä zuo hästu si vür geleit statt: In der frouwen tougenheit 
bedäht, Da zuo hästu si vürbräht; Zeile 249, 37 (9924) haben FB: Dir 
δὲ wol statt: Dir ist ouch wol; 249, 38 (9925) den selben für die selben; 
250, 22 (9949) sö entete für alsam tuot. Gleich nach diesem Verse ver- 
läßt jedoch B die Vorlage F und wendet sich M wieder zu, so dal 
beider Lesarten bis 273, 4 (10851) vollständig zu einander stimmen. 
So haben M und B 251, 26.27 dirre kamph were endehaft Und des..., 
wo die Worte were und Und fehlen sollten; 263, 6 (10453) 0 were 
unverendet unser nöt statt: Wizze Krist junevrouwe Isöt, vgl. noch die 
Lesarten zu 253, 13; 259, 37; 264, 28; 269, 30; 271, 10; 273, 1; end- 
lich 271, 12—24 fehlten in M ursprünglich; die Ergänzung einer späteren 
Hand, welche hier eine Lücke wahrnahm, findet sich natürlich auch 
in B, so schlecht sie auch ist. 

Die folgenden Verse 273, 4—279, 11 (10851—11098) zeigen da- 
gegen B wieder an der Hand von F. Es läßt sich dies zwar bei dem 
Mangel an auffallenden, abweichenden Lesarten in F positiv nur an 
der einzigen Stelle 276, 20 (10987) zeigen, wo FB were in mannes wis- 
heit statt wercmannes wisheit lesen, daß aber B bier nicht aus M fließt, 
beweisen klar die Zusammenziehung der Verse 273, 13—24 und die 
Lücke 274, 23—276, 31, welche sich in M, nicht aber in B finden, 
wie eine Vergleichung der betreffenden Stellen bei Groote zeigt. Von 
279, 11 (11098) an folgt B wieder der ursprünglichen Vorlage M in 
einer längeren Stelle, so fehlen die Verse 279, 11—16; 279, 25—280, 24 
in M und B, und beide Handschriften haben eine Reihe besonderer 
Lesarten gemein: 281, 24 (11191), Der ich nu nicht rekken wil = Der 
ich niht sunder rechen wil; 284, 20 (11307) Diu rede ist alle äne nöt = 
Du teidingest äne nöt; 288, 5 (11452) Swerz mit dem andern getrane = 
Mit swem sin iemen ἐμὲ getranc; 291, 20 (11587) Owe frouwe — 
Ei schene; vgl. 281, 16; 282, 38; 283, 6. 23; 284, 7; 285, 2; 289, 36; 
290, 31. 

Der Vers 292, 5 (11612) bezeichnet jedoch einen abermaligen 
Wendepunkt in der Stellung von B. Von hier ab nämlich fließt diese 
Handschrift wieder aus F, und zwar aus dem leicht einzusehenden 
Grunde, weil in M eine Lage, welche die Verse 292, 5—341, 22 ent- 
hielt, verloren gegangen ist. Die Übereinstimmung von FB erstreckt 


44 THEODOR VON HAGEN 


sich aber über diese Lücke in M hinaus bis 352, 9 (14008), wo der 
Schreiber von B wieder zu M zurückkehrt. 


FB lesen: die übrigen Codices: 
292, 28 (11635) mirz mich. 
307, 17 (12224) wäbe liebe. 
308, 35 (12228) minnen vriundes. 
310, 28 (12358) wir tretens vertreten. 
313, 23 (12470) si da stete se in z’urtcete. 
319, 40 (12727) von Yrlande von Engellande. 
323, 31 (12878) sazten si bunden si. 
335, 28 (13355) grözer vroude  grözem unwerde. 
337, 31 (13438) ruwesam truresam. 


347, 10 (13817) von herzen leit ein herzen leit. 


Außerdem fehlen 321, 10—15 (12778—81) in FB. — Der Vers 
52, 9 zeigt zunächst wieder die Abhängigkeit der Handschrift B von M, 
welche, ungerechnet die Lücke von M 355, 33—357, 40, die nach F 
in B erscheint, bis 446, 13 (17740) andauert. Es wird genügen, die 
bezeichnendsten unter der Menge gemeinsamer Fehler von M und B 
auszuwählen: 352, 9 bieten beide: Und anders niemen wan der töt; für 
Und ez enirre mich der töt; 358, 2 Daz was im liet unde gemach statt 
Daz sines willen niht ass: BUT; 17 (15024) Herze liebiu frouwe min — 
Und seligiu künegen (ähnliche Änderungen 382, 19; 388, 6); 399, 20 
(15997) vil wirs danne € statt vil der triure mis 451, 16 (16783) Sin 
vrouwe diu künegin statt Sin trüt gesellin; 433, 3 (17250) Sus lebeten si 
under in statt Als ir spil was under in; 442, 13 (17620) 56 schöne und 
als für 86 lustic und sö. Weitere Belege 354, 26; 363, 12; 368, 22 
390, 10; 410, 23; 439, 27 etc. 

Eine größere Lücke inM — es fehlt 445, 13—447, 20 — ist 
jetzt nochmals die Veranlassung, daß der Schreiber von B sich wieder F 
zuwendet (vgl. 447, 1; 247, 21.32), das er noch einmal von 449, 31 bis 
453, 35 verläßt (vgl. die Varianten zu 449, 31; 452, 8, und die gemein- 
same Lücke 451, 27—36), um von dieser Stelle an, wahrscheinlich 
in Folge der mehr und mehr hervortretenden Lückenhaftigkeit der 
Handschrift M, bis zum Schluß des Gedichts ausschließlich F zu 
befolgen. Folgende Lesarten beider Handschriften mögen als Beweis 
dienen: 460, 6 (18333) lesen FB: Und uch niemen näher gän für Und 
enlät iu niemen... 471, 14 (18781) an dem wege für üf ir wege; 473, ὃ 
(18855) den was für den wart; 478, 14 (19061) berochen für betrochen; 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 45 
480, 18 (19145) sinne statt minne; 484, 8 (19295) die enwas für dazn 
was. Endlich haben beide nebst N am Schlusse des Gedichts zwei 
Verse, die allen andern Handschriften fehlen, gemein. In M dagegen 
mangeln nicht bloß diese, sondern auch der Schluß des Tristan über- 
haupt von 485, 19 an, was beweist, daß B neben M noch eine andere 
Quelle benutzt haben mul. 

Es läßt sich nicht verkennen, dafs das besprochene Verhältniss 
von BzuM und F ein höchst eigenthümliches, nicht leicht glaubliches 
sei: und doch steht, wenn überhaupt gemeinschaftliche Fehler und 
Lücken etwas beweisen, einerseits fest, daß B aus M copiert ward, als 
die Lage, welche die Verse 292, 5—341, 22 enthielt, schon fehlte, und 
als eine spätere Hand M schon durchcorrigiert und hie und da Zusätze 
gemacht hatte, — andererseits, daß der Schreiber von B in der zweiten 
Hälfte des Gedichtes an den eben nachgewiesenen Stellen die Hand- 
schrift F gleichsam als Controle und untergeordnetes Hilfsmittel benutzte, 
wo ihm M unzureichend erschien. Es scheint ihm demnach aufgegeben 
worden zu sein, eine möglichst gute, vollständige Abschrift des Tristan 
zu liefern, und dal die Grafen von Manderscheidt, für welche die Hand- 
schrift gefertigt ward, ihm mehrere Vorlagen verschaffen konnten, ist 
bei ihrem Reichthum und ihren ausgedehnten Verbindungen an sich 
durchaus nicht unwahrscheinlich. 

Als Resultat für die Anwendung der Handschrift B bei der Recon- 
struction des Gottfriedischen Textes ergibt sich, daß dieselbe, weil 
ihre Vorlagen erhalten sind, nicht zu berücksichtigen ist, daß man 
namentlich in dem Abschnitte, der in M durch das Fehlen einer Lage 
mangelt, ihre Lesarten nicht etwa als aus M geflossen anzusehen und 
überhaupt nicht nöthig hat, den kritischen Apparat durch Angabe ihrer 
Lesarten zu beschweren. 

Es ist leicht ersichtlich, daß diejenigen Handschriften, welche von 
den Fehlern der Familie Y frei sind — die oft genannte Münchener 
und die Heidelberger — in Bezug auf ihre Abstammung jenen gegen- 


Ε über selbständig dastehen. Welches Verhältniss aber einerseits unter 


„4 sc 


ihnen und andererseits in ihrer Stellung zu Y obwaltet, läßt sich nur 
‚ wieder durch Betrachtung ihrer falschen Lesarten erkennen. 


Zunächst hat H, eine schöne, im dreizehnten Jahrbundert ge- 
schriebene Handschrift, welche der Grooteschen Ausgabe zu Grunde 
liegt, so daß man sich von ihrer Schreibweise ete. leicht ein Bild 
machen kann, den Herausgebern von jeher mit Recht als das vorzüg- 
lichste aller erhaltenen Hilfsmittel für die Textesconstitution gegolten. 


46 THEODOR VON HAGEN 


Selten findet sich in dieser Handschrift eine Lücke, die dann auch 
nur kurz ist; willkürliche Änderungen vorzunehmen hat sich der 
Schreiber nie erlaubt, die Fehler, welche er begieng, beruhen alle auf 
Missverständniss des Originals, das an manchen Stellen, wie es scheint, 
nicht ganz leicht lesbar war, wie denn z. B. der Schreiber für den 
Vers 138, 40 lieber leeren Raum ließ, als Unverständliches niederschrieb. 
Daß er sich freilich nicht immer davor bewahren konnte, Verkehrt- 
heiten vorzubringen, zeigen die Lesarten bei 276, 3; 280, 34; 281, 20 
zur Genüge. Doch hat er eine der besten mittelhochdeutschen Hand- 
schriften überhaupt geliefert; merkwürdig ist, daß er, aus Alemannien 
stammend, die höfische Sprache auch in dich Schreibung fast unverkürzt 
wiedergibt. Von gröberen alemannischen Formen verdiene nur an- 
gemerkt zu werden die 52, 35: 36 im Reime erscheinenden Präterita 
verdarpte: entarpte und die 55, 9 auftretende Form werdem — werendem, 
der sich werdiu leit 129, 2 inMW, sende nöt 3, 21 und weinde 364, 22 
in M an die Seite stellt. Vergl. Weinhold a. a. ©. $. 372, p. 380. 
‘ Namentlich aber verdankt H ihr Ansehen dem allgemeinen Charakter 
der Zuverlässigkeit, auf den diese Handschrift mit Recht Anspruch 
machen kann. — In naher Verwandtschaft zu dieser Handschrift H 
scheinen zwei von Zingerle in den Berichten der Wiener Akademie 
1867 (Bd. LV) p. 617—25 abgedruckte, pag. 613. 614 beschriebene 
Bruchstücke einer der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts an- 
gehörigen Handschrift zu stehen, die 60, 29—64, 28 und 88, 14 bis 
92, 13 fast lückenlos enthalten. Es ergibt sich dies aus folgenden, H 
und diesen unten von mir mit Z bezeichneten Fragmenten gemeinsamen 
falschen Lesarten. H und Z lesen 61, 3 enkan statt kan; 62, 10 bibenende 
statt bibende; 62, 24 genwsen statt generen; 88, 24 Tr istan der sprach 
diz sol statt Tr. sprach: daz sol; 89, 33 selbe der was statt selbe was; 
90, 28 si wol gezam für si vil ΠΣ] gezam; 91, 11 da für dar. Die An- 
klänge an die Lesarten anderer Handschriften sind sehr geringfügig. — 
Der Schreiber auch dieser Handschrift verfuhr genau und sorgfältig; 
ganz das Gegentheil hiervon zeichnet den des Münchener Codex aus. 
Schon die oben zum Beweise der Dependenz der Handschrift B von M 
angeführten Lesarten können eine Vorstellung von dem veränderten 
Aussehen gewähren, das Gottfrieds Gedicht in diesem Manuscripte er- 
halten hat; und daß diese Gestalt nicht etwa ursprünglich, vielmehr 
erst durch die ausgedehnteste, rücksichtsloseste Willkür herbeigeführt 
sei, springt in den meisten Fällen sofort in die Augen. Begreiflich und 
bis auf einen gewissen Grad für einen mittelalterlichen Schreiber natür- 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. Δ47 


lich sind Fehler, die auf Missverständniss beruhen, so daß seltene Worte 
geändert oder ausgelassen werden (vgl. 91, 20; 95, 14; 94, 2.9; 164, 10; 
216, 24; 269, 23), überhaupt ungewöhnliche Wendungen in flache Phrase 
übergehen (117, 29; 146, 3; 274, 7). Auch der Leichtsinn, der nur 
flüchtig die Vorlage betrachtet und dann ganz unbekümmert das sinn- 
loseste Zeug niederschreibt (s. 38, 37; 150, ‚31; 174, 14; 176, 37), hat 
seine Analogien, aber eine solche bewuste Anderungslust, die auch an 
Stellen, wo gar kein Grund abzusehen ist, sich breit macht, findet sich 
in keiner andern Handschrift des Tristan auch nur annähernd wieder. 
Zur Manie ist dieselbe dem Schreiber bei Personenbezeichnungen und 
Anreden geworden (349, 31; 352, 28; 377, 17; 106, 28; 278, 30.35.36; 
291, 22), ebenso bei Adjectiven, schmückenden Beiwörtern und ähn- 
lichen leicht veränderlichen Zusätzen (91,20; 95, 14; 103, 39; 104, 9.20: 
106, 34; 164, 10). Aber hiermit begnügt er sich noch nicht. Seine 
Gleichgiltiskeit gegen die Worte des Dichters geht so weit, daß er kein 
Bedenken trägt, eigene Geistesprodukte einzusetzen, wo es ihm gefällt; 
hat er zum Beispiel zufällig in einer Zeile Worte ausfallen lassen, so 
macht er sich das Übrigbleibende sofort in seiner Weise zurecht (272, 38; 
278, 30; 278, 36.37 u. ö.), ja selbst ohne solchen Grund treten seine 
Verse — die natürlich meist sinn- und formlos sind, im glücklichen 
Falle aber einen vom Dichter nicht beabsichtigten Gedanken aus- 
drücken — an die Stelle der echten; ein Verfahren, dem gegenüber die 
zahllosen Zusammenziehu: gen und Lücken, durch welche der Tristan 
hier fast um den vierten Theil verkürzt erscheint, kaum zu tadeln sind. 
Aber nicht immer tragen die Änderungen von M so offenkundig den 
Stempel der Willkür und Verkehrtheit; manchmal erscheint nur die 
Farbe stärker aufgetragen (156, 40; 157, 1; 285, 5), zuweilen tritt das 
Bestreben deutlich sein zu wollen hervor (3, 18), und in vielen Fällen 
besteht in Bezug auf den Gedankengang und auf die Ausdrucksweise 
zwischen dem was M bietet und der richtigen Lesart kein wesentlicher 
Unterschied, so daß man manchmal zweifeln könnte, welche Lesart die 
ursprüngliche sei. 12) 

Wie man sieht, sind also die Verschiedenheiten der beiden Hand- 
schriften nicht gering. Sie schließen jedoch die Möglichkeit einer Ver- 


12) Daß sich in M nicht selten Zusätze und auch Correeturen einer späteren 
Hand finden, ward bereits oben bei Besprechung der Handschrift B erwähnt; da sie 
sich hier, so weit B aus M stammt, sämmtlich wieder finden, so müssen sie vor dem 
Jahre 1323 gemacht worden sein, da in demselben die Handschrift B vollendet ward, 


48 THEODOR VON HAGEN 


wandtschaft keineswegs aus, da sie nur äußerliche, unursprüngliche sind. 
Vielmehr zeigt selbst eine oberflächliche Betrachtung der Lesarten, 
daß an sehr zahlreichen Stellen M und H gemeinsame Abweichungen 
von der in der andern Familie richtig bewahrten Überlieferung auf- 
weisen, deren hauptsächlichste, um eine Anschauung dieses Verhältnisses 


zu gewähren, hier verzeichnet werden sollen. 


MH lesen: Die übrigen Codices: 

1, 1 Gedenket Gedeehte. 

3, 3 Some vare ich sone vüere ich. 
14, 13 Söne site sin gedanke. 
30, 26 Jämerlichez clägelichez. 

45, 3 starkes leides teetliches leides. 
46, 35 triuwe ie riuwe. 

56, 8 des marketes des meres. 

69, 24 verirte verreit. 

110, 12 ein wunder üf ein spiegel üf. 
115, 1 muote guote. 

116, 32 hofschen man houbetman. 
124, 18 lieben liehten. 

143, 12 stuont im ? spuon im. 

144, 39 dise rede dise teile. 

400, 35 mit swelher rede m. w. nöt. 
145, 1 Und vurderte und, ante. 

148, 33 Waz leit ich nu mer Waz lenge ich iu nu mer. 
167, 3 in im υἱΐ wol νὴ wol an im. 
197, 13 harte wol allez wol. 

253, 1 ir vater umb ir herren umb. 
276, 34 vrö und vruot und. 
282, 5 wallen quellen. 

450, 9 wecket quicket. 

353, 2 von hinnen von lande. 
367, 8. 10 gewerbe. berc geberc. 

401, 19 verre an der brucke wer an der brucke, 
409, 5 verband ez verlimdez. 
438, 2 mit vorhten vorhtlichen. 
463, 27 zelen rechen. 

475, 29 versigelten vergüselten. 


Vergleiche außerdem 33, 21; 109,5; 121, 18; 123, 16. 19. 28; 
126, 8; 138, 16; 371, 5; 437, 20; 448, 20; 122, 36; 109, 5; 156, 26; 


253, 29; 394, 4. 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 49 


Auffallend ist ferner, daß beide Handschriften in vielen Versen 
ein oder zwei Worte, oft dasjenige, worauf es im Gedankenzusammen- 
hange nicht wenig ankommt, auslassen oder umstellen, so daß man in 
den meisten Fällen annehmen kann, diese Fehler seien ebenfalls aus 
der Vorlage herübergenommen. 1?) — Auch mehrere gemeinsame Lücken 
weisen M und H auf, und wenigstens die Verse 133, 27—32 sind sicher 
nicht in der Vorlage Beider vorhanden gewesen 12), bei den übrigen 
in beiden Handschriften zugleich fehlenden Versen — 7, 27; 461, 10 — 
kann der Zufall obgewaltet haben. 

Im Hinblick auf diese gemeinsame Lücke, die gemeinsamen Aus- 
lassungen und Fehler scheint es unzweifelhaft, daß MH sich nicht bloß 
auf das Bestimmteste von der oben besprochenen Familie scheiden, 
sondern auch in einem gewissen Grade der Verwandtschaft stehen. 
Die große Wichtigkeit beider Handschriften — ihr hohes Alter, sowie 
der Umstand, daß man durch Reconstruction ihrer Vorlagen einen 
dem Dichter fast gleichzeitigen Archetypus gewinnen würde, lassen die- 
selben leichter über- als unterschätzt werden — drängt die Frage auf, 
wie man sich dies Verwandtschaftsverhältniss zu denken habe. Der 
Mangel einer dritten vollständigen Handschrift, mit deren Hilfe man 
die Lesarten der beiden anderen controlieren und feststellen könnte, 
welche von ihnen im Falle der Differen# der Vorlage folgt, welche 
willkürlich verfährt, tritt hier um so fühlbarer hervor, als sich in der 
oben behandelten Handschriften-Familie Y das Spiel des Zufalls so 
günstig erwiesen hatte. Leider fehlen andere Anhaltepunkte, so daß 
man nur sagen kann, es hindert nichts die Annahme, dal beide 
direet aus einer und derselben Vorlage geflossen seien. Freilich läßt 
sich dieselbe den anderen möglichen gegenüber, daß ein oder selbst 
mehrere Mittelglieder erst die Einheit vermittelten, nicht leicht wahr- 
scheinlich machen. Auch ist diese Frage, so interessant auch eine ent- 
schiedene Beantwortung sein würde, gegenüber der Erkenntniss, dal 
M und H nahe verwandte Glieder einer, sämmtlichen übrigen Hand- 
schriften fremdartig gegenüber stehenden Gruppe sind, nicht sehr wesent- 
lich. — Im Rückblick auf die obige Untersuchung ist man berechtigt, 


18) Vgl. 50,27; 71, 18; 101, 11; 131, 17; 138, 17. 40; 124, 12; 185, 30; 216, 5; 
374, 11; 233, 12; 235, 2; 420, 34 und öfter. 14) Sie sehen überhaupt ans wie ein 
Zusatz, den der Dichter oder ein Anderer später als das Ubrige dichtete, als man 
bemerkte, daß Kurvenal neben den anderen Personen am Hofe des Rual ebenfalls 
Erwähnung verdiene. 
GERMANISTISCHE STUDIEN. 4 


50 THEODOR VON HAGEN 


sich das Verwandtschaftsverhältniss der bekannten !°) Handschriften und 
Fragmente des Tristan etwa so zu veranschaulichen: 


α 


Von der in diesem Schema mit X bezeichneten Vorlage von MH 
sich ein Bild zu machen ist nicht wohl möglich; wenn sie jedoch nur 
die in diesen beiden Manuscripten gemeinsamen Verderbnisse enthielt, 
muß sie eine sehr gute, wenn auch vielleicht nicht immer leicht les- 
bare, mit Ausnahme einer einzigen Lücke vollständige Handschrift 
gewesen sein. — An Vollständigkeit wie an Güte stand ihr 
jedoch der Archetypus der andern verbreiteten Recension 
ganz gleich: ihre sich ergänzenden Lesarten aus den erhaltenen 
Handschriften zu eruieren ist erste Aufgabe der Kritik. Weichen X und Y 
von einander ab, so muß festgestellt werden, welche der beiden Urhand- 
schriften die bessere Lesart hatte. — Wichtig wird die Erkenntniss des 
Verwandtschaftsverhältnisses der Handschriften auch dann, wenn die 
Repräsentanten ein und derselben Familie nicht mit einander überein- 
stimmen. Tritt in solchem Falle die Lesart der andern Familie zu der 
eines Gliedes der ersten, so wird man diese Lesart in der Regel als 
richtig anerkennen müssen. Ich betone dies namentlich in Rücksicht 
auf die Handschrift M. Ist die Verwandtschaft derselben mit H einmal 
erwiesen — und ich glaube man wird nicht umhin können dies zuzu- 
geben — so wird da, wo sie von H abweicht, die Lesart dieser Hand- 
schrift aber mit der von Y stimmt, sobald nicht Sinn, Sprachgebrauch 


15) Von der: bei Groote und Maflmann mit R bezeichneten Handschrift bin ich 
nicht im Stande anzugeben, welcher Familie sie zuzutheilen sei, da ihre Lesarten bei 
Groote nur „sehr selten“ angeführt werden, obwohl sie vielleicht mehr Aufmerksamkeit 
verdient hätte, da z. B, die Zeile 7, 38 allein in dieser Handschrift erhalten ist. Vgl, 
Groote pag. LXXI. - 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 51 


oder Metrik entgegen stehen, der Schreibung von HY unbedingt der 
Vorzug zu ertheilen sein. Dies gilt natürlich auch da, wo die Lesart 
von M der von HY in ästhetischem Betracht gleichsteht,‘ wie z. B. 
428, 38. °) 

Ein für das einzuschlagende Verfahren bezeichnendes Beispiel ist 
folgendes: 36, 11 liest Y Umb kein ander himelriche gegeben; H dagegen 
Umb kein ander küneeriche gegeben, mit M aber haben die Ausgaben: 
Umb tüsent künecriche gegeben. Der Sinn dieser Zeile macht keine 
Schwierigkeiten und ist offenbar derselbe, den auch Vers 424, 1.2 nur 
etwas drastischer ausdrücken. Auch ist nicht zu läugnen, daß derselbe 
in der Lesart von M so gut liegt als in der von Y, ja jene hat noch 
den Vorzug metrisch glatter zu sein voraus. Dennoch wird man den 
Anfang des Verses Umb kein ander wegen der Übereinstimmung von 
HY festhalten müssen, so lange kein entscheidendes Moment gegen 
diese Worte geltend gemacht werden kann. Umb kein ander himelriche 
stellt sodann sicher die Hand des Dichters dar, küneeriche aber ist eine 
leicht -erklärliche Verderbniss, die sich schon in der Vorlage von M 
und H befand, und während der sorgfältige Schreiber von H beibehielt, 
was er hier las, und so die verkehrte Lesart dieser Handschrift ent- 
stand, änderte der Schreiber von M, als er küneeröche in der Vorlage 
fand, nach beliebter Manier das, was nicht hiezu passte, wobei er denn 
freilich einmal mehr Geschick als gewöhnlich bewies. Erklärt sich bei 
dieser Annahme die Entstehung der verschiedenen Lesarten leicht und 
ungezwungen, so würde es schwer halten, die schwierigere Lesarf, von 
Y als entstanden aus der von M nachzuweisen. Doch verlangt erstere 
noch einige Worte der Erklärung: himelriche meint hier die Lage der 
im Himmel Befindlichen, ist also etwa durch „Himmelsglück* zu über- 
setzen, und obwohl weitere Belege für diese Bedeutung nicht zu Gebote 
stehen, scheint sie doch durch Analogien des Bedeutungswandels ge- 
sichert und kann auch durch Anführung von 270, 6 gestützt werden, 
wo himelriche ebenfalls in übertragenem Sinne steht. Auch Utto von 
Botenlauben sagt er giht ich sö sin himelriche. Die beiden Verse 36, 10. 1} 
würden demnach besagen, „daß sie ihre gegenwärtige Lage um kein 
' anderes Himmelsglück hingegeben hätte“, ein Gedanke, der ganz in 
Gottfrieds Manier ausgedrückt und seiner gewiss würdiger ist, als die 
flache Lesart von M; denn daß Riwalin und Blanscheflüw, die zärtlich 


16) Anders verhält es sich dagegen mit Stellen wie 226, 31, wo fröze von ἘΣ 
dem phnäste von M gegenüber ein leicht erklärliches, aber für das Alleinstehen der 
letzteren Handschrift gewiss Nichts beweisendes Verfahren ist, 


4* 


59 THEODOR VON HAGEN 


Liebenden, ihre günstige Situation nicht um tausend Königreiche weg- 
gegeben hätten, versteht sich bei des Dichters Charakteren eigentlich 
ganz von selbst. Keinerlei Anlaß zu Bedenken gegen die vorgeschlagene 
Lesart gibt aber bei Gottfried der schwere zweisilbige Auftakt des 
Verses, denn derselbe findet sich bei ihm, wie bei seinem Nachahmer 
Konrad Fleck nicht selten. '”) 

Ähnlich verhält es sich 85, 16. Hier liest W brun luter was im 
sin har / gerochet ete.; H Brun luter was ime daz har / gerucket...; NF 
Luter var was im daz har / gerucket...; M dagegen liest Brun reideloht 
was sin har | gechruspet etc. Letztere Lesart ist theilweise in die Maß- 
mann’sche, fast ganz in die Bechstein’sche Ausgabe übergegangen. 
Wirklich hat sie viel Ansprechendes. Brünreide wird Tristans Haar 
auch 100, 1 genannt; das räthselhafte gerucket, resp. gerochet in Zeile 17 
löst‘ sich in das einfache gekrüspet auf, und endlich wird der Anstoß 
einer zwischen zwei Wörtern fehlenden Senkung durch sie umgangen. 
Und doch würde die Aufnahme der Lesart von M ein Fehler sein. 
Wie sollten die Handschriften H einerseits und WF andererseits, die 
doch nicht verwandt sind, auf so merkwürdig übereinstimmende Fehler 
gekommen sein? Warum sollten sie hier das reideloht so einstimmig 
in läter corrigiert haben, während 100, 1 brunreide von keiner gemie- 
den ist? Oder will man etwa auf diese Stelle die Behauptung einer 
Verwandtschaft von H mit WF gründen? Es bedarf einer wohl weniger 
gewagten Annahme, um diese Räthsel zu lösen. Man vergegenwärtige 
sich den allgemeinen Charakter der Handschrift M, und erinnere sich, 
daß sie und die alte Münchener Handschrift des Parzival von ein und 
demselben Schreiber herrühren, und man wird einmal nicht unwahr- 
scheinlich finden, dafs die hier sich in M findende Lesart des Verses 16 
einer Reminiscenz aus jenem Gedichte entstammt, wo es 63, 20 heißt: 
Lieht reideloht was im sin här; ferner wird man aber anerkennen, daß 
gechruspet in Zeile 17 dem schwierigeren gerucket, gerochet gegenüber, 
das in zwei verschiedenen Handschriften-Familien erhalten ist, als zu- 
recht gemacht gelten muß, sobald für dies eine Erklärung gefunden ist. 
Wir behalten also zunächst die Lesarten von H und WF für Zeile 16 
übrig. Da aber brun lutervar von ΕἾΝ offenbar verderbt ist, so verbleibt 
als einzig richtig: Brün lüter was im sin här, denn sin verdient aus 
metrischen Gründen den Vorzug vor daz. — @erucket, gerochet in Zeile 17 
endlich halte ich für entstanden aus einem geruchet der Vorlagen, das 
ist gerühet, geriuhet -- rauh gemacht. Beide Zeilen würde ich so auf- 


1) Vgl, 184, 7; 446, 22; Sommer zu Flore Vers 11. 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 53 
fassen: Braun, glänzend war sein Haar, oben glatt gestrichen, 
am Ende dagegen rauh gemacht und dadurch in natürliche Locken 
gebracht. es 

Aus der Übereinstimmung von HY geht mit derselben Nothwendig- 
keit hervor, daf5 57, 13 weder die Pfeiffer’sche Lesart Da wart gekoufet 
ouch durch in (Germania III, 72), noch die Bechsteins Den wart οἵα. 
(nach M) richtig ist. In der That würde die falsche Stellung des ouch 
bei dieser Schreibung bedenklich sein, weil der Sinn nur der in der 
Lesart von HY (Den wart ouch dä gekouft durch in) ausgedrückte sein 
kann: „denen ward dort ebenfalls um seinetwillen gekauft“. Diese 
letztere wird man daher als die wahre anzuerkennen haben. 

Ganz ebenso wird man die Kritik handhaben müssen, wo das 
Zusammengehen eines Gliedes der Classe Y mit X für die eine oder 
die andere Lesart entscheidet. 106, 8 heifst es in den Ausgaben nach 
Handschrift W: Alle (seil. bäten) üz einem munde = Alle wie aus einem 
Munde. Die Hinzufügung des relativen als, welches hier den Vergleich 
bezeichnet, ist an sich angemessen, auch der Gleichklang Alle als nicht 
gegen des Dichters Gebrauch und daher die Lesart von X und F auf- 
zunehmen. 

Nicht anders wird man sich auch der besten Handschrift H gegen- 
über zu verhalten haben, und wo M zu Y tritt, diese Lesart nur auf 
zwingende Gründe hin zu Gunsten der von H gebotenen verwerfen 
dürfen. Heißt es also 118, 18 in YM 86 helfe iu got, in H dagegen 
86 helfe got, so wird man i« aufnehmen müssen, da Nichts die Strei- 
chung des Pronomens gebietet, denn. dasselbe braucht in dieser Formel 
nicht der Träger einer bestimmten Beziehung zu sein, die hier aller- 
dings unpassend sein würde (vergl. 129, 4). Die ganze Zeile aber 
möchte ich weder mit Wackernagel, kleines Lesebuch p. 256, 11, 56 
helfe iu got, sö läzen stän, noch mit Mafimann und Bechstein so wieder- 
geben: ‚86 helf iu got, sö läze wir’z stän, sondern (mit zweisilbigem Auf- 
takte) lesen: Self iu got, 80 lüze wir ez stän. 

Da wo die Familien X und Y einander mit verschiedenen Les- 
arten gegenüberstehen, die Thätigkeit des Kritikers sich also auf die 
Wahl zwischen ihnen zu beschränken hat, ist in den Ausgaben im 
Allgemeinen das Richtige gesetzt worden, doch scheint auch an man- 
chen Stellen fehlgegriffen worden zu sein. 113, 39 wird mit Y gelesen: 
Dane gät niht quotes muotes van, X hat höhes muotes, was passender zu 
sein scheint, wenn man bedenkt, dal gerade der Besitz höhes muotes 
in den höfischen Epen als beglückend und wünschenswerth hingestellt 
wird. So heißt es 120, 40 von den lyrischen Dichtern: Si gebent der 


54 THEODOR VON HAGEN 


werlte höhen muot; Parz. 127, 40 Daz git gelücke und höhen muot, und 
öfter. — Umgekehrt dürfte vielleicht 72, 16 in Y das Richtige H gegen- 
über bewahrt sein, wenn jene Familie list: Ezn kan niemen disen list, 
während die Herausgeber dieser folgend Ezn weiz in den Text gesetzt 
haben. Ezn weiz konnte aber sehr leicht aus dem vorigen Verse ein- 
dringen und das Richtige verdrängen; und wenn auch Gottfried im 
Allgemeinen die rasche Aufeinan lerfolge gleichlautender oder derselben 
Worte im Gegensatz zu Hartmann nicht scheut, so liegt doch der 
Anwendung solchen Gleichklings bei ihm immer eine bestimmte Absicht 
zu Grunde, was hier, wo ein Schmuck der Rede nicht angebracht wäre, 
nicht der Fall sein kann. Man wird daher berechtigt sein, kan aufzu- 
nehmen. — Ähnlich wird 74, 29 mit FNO und S zu lesen sein: Dar 
näch den panzen und den pas statt üf den pas; leider fehlen diese und 
die folgende Zeile in W, doch macht auch hier das Zusammengehen 
von OÖ mit FNS es mehr als wahrscheinlich, daß im Archetypus Y 
unt und nicht ἢ stand: uf den pas aber, wie X bietet, gibt keinen 
verständlichen Gedanken. Auch in der neuesten Ausgabe, welche af 
beibehält, vermisst man eine Erklärung. Daß, wenn wir und lesen, der- 
selbe Vers 77, 9 wiederkehrt, hat kein Bedenken, da auch ım Tristan 
wie in andern höfischen Epen dieselben Verse mehrfach erscheinen. 

109, 37. wande er ouch in sinen tagen. Sämmtliche in Betracht 
kommende Handschriften beider Familien haben zwischen ouch und in 
ein in allen verschiedenes Wort, und zwar M #4 W vl; H und F 
stellen das Verbum hete aus dem folgenden Verse hierher, H setzt am 
Anfange des letzteren in Folge .davon harte, F vil; Varianten von 
NO gibt Groote nicht an, doch ist es mehr als unwahrscheinlich, daß 
sie mit der von ihm befolgten von H übereinstimmen. Wie man sieht, 
stimmen die Repräsentanten von Y überein, abgesehen davon, daß F 
die Worte vil und hete umstellt. Man hat demnach zwischen & von M, 
der Lesart von H und υἱΐ von Y zu wählen. Für Letzteres gibt aber 
die Vergleichung von 12, 20: er hete vil geheret sagen den Ausschlag, 
man schreibe daher: wande er ouch vil in simen tagen. 

121, 24. von der gedenke ich vil und gnuoc. Die Kürzung gnuoe 
ist bei Gottfried an sich nicht, auffällig, denn er lief, wie noch heute 
in vielen Gegenden Deutschlands geschieht, das e der Vorsatzsilbe ge 
beim Sprechen wohl nicht hören. So erklären sich die Verse 30, 11: 
Er vaht mit im und gsiget im an, 484, 19 Deheine zit sö gnöte, 191, 14 Als 
50 gtän liut von rehte sol; 454, 14 Ahi ein sö gtän paradis; 69, 30 Ze 
jungest dö glac phert und ich; 149, 11 Dö der verschiet, dö gviel daz lant, 
wo überall die Annahme dreisilbigen Auftaktes durch Nichts gerecht- 


DIE HANDSCHRIFTEN DES TRISTAN. 55 


Jr 


fertigt ist, und eine Änderung der übereinstimmenden Überlieferung — 


nur in M fehlt zuweilen ge — in der Bechstein’schen Ausgabe nicht 
hätte vorgenommen werden sollen. Doch scheint mit Wackernagel, 


kl. Leseb. 259, 30 an unserer Stelle Von der denk ich wil und genuoe 
gelesen werden zu müssen, da beide Lesarten handschriftlich gleich 
gut bezeugt sind, jene durch Y, diese durch X und für die letztere 
entscheidet, daß an der letzten Hebung des Verses die Kürzung des 
ge zu g’ sich sonst nicht findet. — 294, 4 scheint die Streichung des 
grammatisch nicht nothwendigen hin, welche Wackernagel kl. Leseb. 
261, 19 mit Y vornimmt, aus metrischen Gründen genügend gerecht- 
fertigt. Auch an andern Stellen unterscheiden sich beide Familien durch 
Setzen oder Weglassen des hin, so 138,17; 138, 40, an welcher letzteren 
sich vielleicht die Einsetzung des hin nach ἢ mit Y empfiehlt. 

Da, wo beide Familien in ihren Lesarten übereinstimmen und die- 
selben dennoch auf den ersten Blick nicht richtig zu sein scheinen, 
ist doppelte Vorsicht nöthig. Es ist daher zu tadeln, wenn in der Maß- 
mann’schen Ausgabe 316, 25 Si unt Brangene mit Tristan gelesen wird, 
während beide Handschriften-Familien und Tristan offenbar richtig 
haben, denn die Conjectur mit Tristan verlangt vom Leser im letzten 
Versfuße unregelmäßige Betonung und ist auch deshalb nicht aufrecht 
zu erhalten, weil der Dativ von Tristan entweder in der Form Tristande 
(115, 10, 475, 35 : erkande) oder seltener als Tristane (460, 16 : mane) 
erscheint, und zwar so stereotyp, daß man an der einzigen Stelle 80, 2 
wo die unflectierte Form Tristan steht, berechtigt sein wird, ohne eigent- 
liche Änderung zu schreiben: Tristande der. — Ähnlich lesen die Aus- 
gaben 45, 37 mit B falsch: Die wile und ez got wolte, während die 
sämmtlichen anderen Handschriften und auch M, das Original von B, 
dies und weglassen. Daß bei Gottfried gewöhnlich und nach die wile 
folgt, ist richtig, doch zeigen Stellen wie 1, 16; 298, 26 zur Genüge, 
daß es durchaus nicht nothwendig ist. 

Trotz alledem wird man an einigen Stellen, selbst der überein- 
stimmenden Überlieferung gegenüber, um einen befriedigenden Gedanken 
zu erhalten, zur Conjectur greifen müssen. Von mir sind folgende 
als änderungsbedürftig bemerkt worden: 69, 13. Hier soll Tristans vor- 
zeitige und außergewöhnliche Klugheit hervorgehoben werden, und es 
heißt: Tristan der was vil wol bedäht Und sinnesam von sinen tagen; 
das in dem letzten Verse Gesagte ist selbstverständlich und wäre eine 
müssige Äußerung, wenn man nicht von in vor verwandelt, '%) eine Ande- 


18) Vergl. Walther 107, 20: Des alte ich vor den tagen, 


56 TH. v. HAGEN, DIE HANDSCHRIFTEN DFS TRISTAN. 


rung, die auch 367, 30 geboten zu sein scheint, denn Dä beide schate 
unde gras Von dem öleboume was wäre allenfalls bei Wolfram erträg- 
lich, — man construiere: Dä beide schate von dem öleboume unde gras 
was — aber unseres Dichters flüssige klare Rede kennt solche ver- 
schränkte Wortstellung nicht. Man lese vor dem öleboume und Alles wird 
in Ordnung sein. — Der offenbar verdorbene Vers: Ern körte balde- 
richen ie (226, 8) ist im Mhd. Wb. auf verschiedene Weise verbessert 
worden. 1, 82* wird vorgeschlagen belde riche ie zu lesen, so daß er 
ironisch zu fassen wäre, worauf jedoch der Ton der ganzen Stelle nicht 
zu deuten scheint, wiewohl an sich eine solche Auffassung sehr gut 
möglich ist, da der Truchsess im Tristan die Rolle des Kei spielt; 
beldeclichen aber zu lesen (11, 688) scheint deshalb bedenklich, weil 
beide Familien belderichen haben und wohl beldeclichen aus dem nicht 
verstandenen belderichen gemacht worden sein könnte, aber nicht um- 
gekehrt. Da die beiden Zeilen 226, 7. 8 augenscheinlich eine Begrün- 
dung des Vorhergehenden — und insbesondere des Verses 6 — ent- 
halten, so kann nur der Zusammenhang auf die richtige Erklärung und 
Schreibung hinweisen. Der Truchsess, heißt es 225, 36 ff., wollte gern 
der Isolde ämis sein, aus diesem Grunde gab er sich vor den Leuten 
den Anschein der Tapferkeit. Etwas anderes war mit seinen Ritten in 
den Wald — denn er hatte den Drachen nie gesehen — nicht ver- 
bunden, als daß er stets unverschämter (in seinen Bewerbungen um 
Isolde) zurückkehrte. Dieser Gedanke läßt sich in den gegebenen 
Worten und Schriftzügen leicht dadurch wiederfinden, daß man das in 
den Handschriften zusammengeschriebene belderichen in belde richer auf- 
löst, die Zeile 226, 7 in Klammern schließt und ern in Zeile 8 von 
niht in Vers 6 abhängen läßt. — Daß man das n in balderichen nicht 
ohne Weiteres entfernen darf (Germ. XII, 318 fg.) ist richtig, aber 
die Beobachtung, daß die Hand des Archetypus beider Familien ein 
dem n sehr ähnliches » schrieb (vergl. das oben zu 69, 13, 367, 30, 
311, 28 Gesagte) räumt dies Bedenken hinweg. Auch spricht für die 
Trennung in belde richer, daß Gottfried — und er allein — das Wort 
belde noch 301, 18 braucht. 


K. MAURER, DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS, 5 


| 


DAS SOGENANNTE CHRISTENRECHT KÖNIG 
SV ERRIRS. 


VON 


KONRAD MAURER. 


Unter der langen Reihe älterer norwegischer Rechtsquellen, welehe 
ein günstiges Geschick uns aufbewahrt hat, befindet sich ein ziemlich 
umfangreiches Rechtsbuch, welches den Titel eines Christenrechtes 
des Königs Sverrir an seiner Spitze trägt. Die älteren Schriftsteller 
haben diesen Titel sämmtlich unangefochten gelassen; so der sonst so 
kritische Ärni Magnüsson, welcher dessen Entstehung in das Jahr 
1190 setzte, 1) — so der fleißige Jön Ölafsson in seinem Syntagma 
de baptismo, Proleg. S. 6 (1770), und nicht minder Jön Eiriksson, 
bei Kongslew, Den Danske og Norske Private Rets förste Grunde, I, S. 133 
(1781), — ebenso aber auch noch unter den Neueren Fr. Brandt, in 
seinem Grundrids af den norske Retshistorie, 5. 9 (1853), wiewohl dieser 
bereits zweifelnd. In neuerer Zeit sind dagegen allerdings kritische 
Zweifel über die Verlässigkeit jener Verfasserschaft laut geworden, und 
zwar wurden solche ziemlich gleichzeitig von R. Keyser, Den norske 
Kirkes Historie, I, 5. 273—4 (1856), und von P. A. Munch, Det 
norske Folks Historie, IH, S. 263—4 (1857) erhoben; indessen haben 
doch auch diese Anfechtungen den Zusammenhang der Quelle mit 
K. Sverrirs Regierungszeit wenigstens unbeanstandet gelassen, und über- 
dies scheinen auch die von diesen neuesten Forschern gewonnenen 
Ergebnisse noch keineswegs gesichert; so will ich denn eine weitere 
und etwas eingehendere Untersuchung meinerseits hervortreten lassen, 
in der Hoffnung, daß derselben in den einschlägigen Kreisen einige 
Beachtung werde geschenkt werden wollen. 

Ich beginne mit der Feststellung des handschriftlichen 
Befundes. Es ist uns aber unser Rechtsbuch nur in einer einzigen 


1) Vergl. Jön Eiriksson, de expositione infantum, $. 212; ferner Norges 
 gamle Love, I. S. 409, Anm. 


58 KONRAD MAURER 


Hs. erhalten, welche als A. M. 78 in 4" bezeichnet und ungefähr im ersten 
Viertel des 14. Jahrhunderts geschrieben ist; 2) die Hs. enthält außer 
unserer Quelle auch noch das ältere Ohristenrecht des Borgarpinges, 
das Christenrecht Erzbischof Jöns, das jüngere Stadtrecht und einige 
andere Stücke, und zwar so, daß das Chrisienrecht Jöns unserem 
Rechtsbuche unmittelbar vorangeht. In dieser Hs. nun steht an der 
Spitze dieses letzteren, wenn ich mich zunächst so ungenau ausdrücken 
darf, die Überschrift: „Her hefr upp eristins doms bolk pen sem 
skipade Sverrir konongr oc aller biskupar.* Sodann folgt ein Erlaß 
K. Sverrirs, welcher den Erzbischof Eirik, sowie die Bischöfe Päll, 
Helgi, Njäll und börir als Mitaussteller nennt, und welcher alle die- 
jenigen mit dem Banne bedroht, welche sich an Kirchen oder Klerikern 
vergreifen, Weibern Gewalt anthun, bewaffnet zur Kirche oder zum 
Dinge kommen würden u. dgl. m. An diesen Erlaß schließt sich wie- 
der, und zwar ohne weitere Überschrift, ein Verzeichniß der 88. an, 
welche das sofort, und zwar gleichfalls wieder ohne Überschrift, folgende 
Rechtsbuch enthält; jedoch fehlen im Texte des Rechtsbuches die bei- 
den ersten, im Inhaltsverzeichnisse aufgeführten Bestimmungen. Am 
Schlusse des Rechtsbuches endlich findet sich keinerlei weitere Bemer- 
kung; dasselbe bricht vielmehr lediglich mit der letzten Bestimmung 
ab, welche im Inhaltsverzeichnisse als zu demselben ‘gehörig bezeichnet 
worden war. — Der erste Blick zeigt, daß hier zwei Dinge zu einem 
Ganzen zusammengefaßt sind, welche ganz und gar nichts mit einander 
gemein haben. Der Erlaß K. Sverrirs über die Bannfälle kann niemalen 
einen Bestandtheil des ihm folgenden Rechtsbuches gebildet haben, da 
er, von allem Anderen abgesehen, in dem Verzeichnisse seiner 88. nicht 
mit aufgeführt und durch dieses Verzeichniss von dessen Text getrennt 
wird, während er doch seinem Inhalte nach unmöglich als eine zu ihm 
gehörige Einleitung betrachtet werden kann. Die Vereinigung beider 
Stücke unter einer und derselben Überschrift muß demnach unzweifel- 
haft als ein Verstoß bezeichnet werden, und wird jedes der beiden 
Stücke für sich gesondert einer näheren Untersuchung hinsichtlich 
seiner Ächtheit sowohl als Entstehungszeit unterzogen werden müssen. 

Trete ich nun zunächst an die Prüfung des Erlasses über 
die Bannfälle heran, so finde ich keinen Grund, der mich bestimmen 
könnte, dessen eigenen Angaben über seine Entstehung zu misstrauen, 
und andererseits nicht die mindeste Schwierigkeit, dessen Entstehungs- 


?) So die Herausgeber der Quelle, in: Norges gamle Love, I, S. 408, vgl. 
5, 338. 


a νυνδὴ τὐδαβχ δον 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS. 59 
zeit zu bestimmen. Wir wissen, daß Erzbischof Eysteinn im Jahre 1188 
starb, und daß) noch in ln Jahre Bischof Eirikr von Stafängr, 

zu Ben Nachfolger gewählt, das Land verließ, um sich die W öibe 
zu erholen; ®) dafs er diese erhielt und sodann im folgenden Sommer, 
‘also im ERS 1189, nach Norwegen heim kam; *) daß er endlich nicht 
allzu lange Zeit darauf mit dem Könige in Streit gerieth und vor ihm 
nach Dänemark flüchten mußte, von wo er erst nach Sverrirs Tod 
(1202) wieder in seine Provinz heimzukehren vermochte. Allerdings ist 
das Jahr seiner Flucht nicht vollständig festgestellt, soferne Munch 
dieselbe, wie mir scheint mit Recht, auf Grund eines Schreibens, wel- 
ches Abt Wilhelm von Ebelholt in des Erzbischofs eigenem Namen an 
den Papst richtete, in das Jahr 1190 setzt;°) Keyser dagegen, auf 
Grund der unbestimmteren Angaben der Sverriss. das Jahr 1191 an- 
nehmen zu sollen glaubt; ἢ gering wie sie ist, hat übrigens diese 
Abweichung in der Berechnung für unseren Zweck jedenfalls gar keine 
Bedeutung, da wir wissen, dafs Bischof Helgi von Oslö, welchen unser 
Erlaß unter seinen Mitausstellern nennt, bereits im Jahre 1190 ver- 
starb. ”) Im Frühlinge des Jahres 1190 etwa mag hiernach dieser Erlafs 
entstanden sein, und hiezu stimmt vortrefflich ein Schreiben, welches 
Erzbischof Eirikr an die Bischöfe, Häuptlinge und alles Volk auf Island 
richtete, und welches uns in isländischer Übersetzung erhalten: ist. °) 
Durch dieses gibt der Erzbischof den Isländern Dekanılı daß er in Nor- 
wegen eine Synode abgehalten, und auf dieser mit seinen vier dortigen 
Suffraganen und zahlreichen anderen Klerikern eine Bannandrohung 
für seine gesammte Kirchenprovinz erlassen habe. Die Zahl der be- 
theiligten Bischöfe sowohl als auch das, was über die Bannfälle gesagt 
wird, stimmt vollkommen zu dem Inhalte unseres Erlasses; da aber das 
Schreiben einerseits augenscheinlich noch von Norwegen aus erlassen 
ist, und andererseits doch auch eines anderen Schreibens gedenkt, welches 
derselbe Erzbischof bereits um einige Zeit früher nach Island habe 
abgehen lassen, so ist klar, daß auch dieses Document die Entstehung 
unseres Erlasses auf das Frühjahr 1190 herabbringen mufi. Die Über- 

einstimmung beider Urkunden bei aller Selbstständigkeit ihrer Fassung 
gibt aber eine weitere Stütze für die Glaubwürdigkeit beider ab, und 


3) Sverriss., cap. 107, 8.258, und cap. 108, 5. 259 (FMS VII; Islenzkir 


Annälar, ἢ, a, ‘) Sverriss., cap. 111, S. 267; Annälar, h. a. 5) Munch 
IH, 83. 267, Anm.; vgl. Diplom. Norveg. VI, nr. 3, 8. 4-6. Die entscheidenden 
Worte sind: „Anno przterito, pallio a vestra Sanctitate suscepto.“ ὃ Keyser: 
I, S. 276—77, Anm. Ἢ Annälar, h. a.; vgl. Sverriss., cap. 11], 8. 269. 


8) Diplom, Island., 1, nr. 72, S. 290—1. 


60 KONRAD MAURER 


stellt die Ächtheit der in ihnen gleichmässig berichteten Synodalbeschlüsse 
vollkommen sicher; dafs die Sverriss. von diesen schweigt, kann dem 
gegenüber bei deren vergleichsweise wenig wichtigem Inhalte nicht in 
Betracht kommen, und ebenso wenig Werth wird man zwei anderen 
Einwendungen beimessen dürfen, die sich allenfalls noch gegen unseren 
Erlaß erheben liefen. Allerdings nämlich ist richtig, daß dieser in 
soferne mit dem eben erwähnten erzbischöflichen Schreiben an die 
Isländer nicht übereinstimmt, als in ihm K. Sverrir unter den bei der 
Ausstellung Mitwirkenden genannt, und zwar in erster Linie genannt 
wird, während jenes Schreiben lediglich von einer Synodalbeschlusse 
spricht, den der Erzbischof mit seinen Bischöfen gefaßt habe, ohne 
irgend welcher Betheiligung des Königs zu gedenken. Allein die Ab- 
weichung erklärt sich leicht, wenn man erwägt, daß für Norwegen zwar 
der enge Zusammenhang, in welchem das kirchliche Strafrecht mit dem 
weltlichen stand, und die Schirmvogtei, welche das Königthum der 
Kirche gegenüber übte, eine Heranziehung des Monarchen zu dem 
Beschlusse und zu dessen Verkündung wünschenswerth, wenn nicht 
nothwendig machen mußte, dal aber für Island, welches zwar in kirch- 
licher Beziehung dem Metropoliten zu Nidarös untergeben war, in 
politischer Beziehung aber einen von der Krone Norwegens völlig 
unabhängigen Freistaat bildet, die Bezugnahme auf solche Betheiligung 
des Königs keinen Sinn gehabt hätte, ja wohl gar Ärgerniß geben | 
konnte. Richtig ist ferner auch, daß die Namen der Bischöfe, welche | 
als Mitaussteller des Erlasses genannt werden, einige Schwierigkeiten 
machen; indessen scheinen doch auch diese sich befriedigend lösen zu 
lassen. Wir wissen, daß der im Jahre 1194 verstorbene Päll Bischof 
von Bergen war, °) und den pörir sehen wir stets als Bischof von Hamar! 
auftreten; 1) den Helgi haben wir bereits als Bischof von Oslö kennen’ 
gelernt, 1.) und somit bleibt für Bischof Njäll nur die Diöcese Stafängr 
übrig, in deren Besitz wir ihn denn auch wirklich später noch mehr- 
fach finden. Vergleichen wir nun aber mit diesen Ergebnissen den! 
Bericht, welchen die sonst so gut unterrichtete Lebensbeschreibung‘ 
K. Sverrirs über die Besetzung der letzteren Diöcese gibt, so stößt! 
man auf einen gewaltigen Widerspruch. Diese Biographie nämlich er-) 


Ὁ) Sverriss., cap. 120, 8.287; Gudämundar bpss., cap. 23, 8. 445; Annä- 

lar, h. a. Vgl. Anekdoton Sverreri, 8, 18, 8. 186; porläks bps s., cap. 11. 
S. 101. 10%) Sverriss, cap. 123, 5. 296; vgl. Päls bps s., cap. 4, 8. 129.) 
11) Vgl, über ihn auch Saxo Grammat,, XIV, 5. 852-3. Ich bemerke, daß did 

uns erhaltenen Bischofsverzeichnisse in allen Punkten mit den obigen Angaber] 
stimmen, 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS. 61 


zählt, '?) daß unmittelbar nach Erzbischof Eiriks Heimkehr zur Wieder- 
besetzung des Bisthumes Stafängr, welches durch seine Beförderung 
auf den erzbischöflichen Stuhl erledigt worden war, geschritten worden 
sei; dabei sei die Wahl, aller Leute nach den gewöhnlichen Texten, 
vieler Leute nach dem ältesten und besten Texte, 15) auf Nikoläs Arnasson 
gefallen. Seiner Wahl habe der König sich Anfangs widersetzt, dieselbe 


aber später dennoch genehmigt, den Bitten seiner Königin nachzebend, 
‚an welche Nikoläs sich gewandt hatte; darauf hin habe dieser die 
‚ Bischofsweihe empfangen, und sei ihm, da um dieselbe Zeit der Bischof 
von Oslö verstorben sei, die Übernahme der Diöcese Oslö bewilligt 


worden, wogegen Njäll für den Stuhl zu Stafängr geweiht worden sei. 


| Es ist klar, daß die Darstellung der Sage, wenn strengstens richtig, 
jede Möglichkeit ausschließt, dafs Njäll zu gleicher Zeit mit Helgi als 


Bischof auftreten konnte, wie er doch in unserem Erlasse als solcher 


neben ihm genannt wird; erst nach Helgis Tod wäre Nikoläs nach 


Oslö transferiert worden, erst nach seiner Translation hätte Njäll die 
Weihe für Stafäangr empfangen, und mulste demnach in der letzten 
Lebenszeit Helgis diese letztere Diöcese unbesetzt, oder aber durch die 
Person des Nikoläs Arnason besetzt sein. Munch, welcher diese Schwierig- 
keit richtig herausgefunden hatte, glaubte dieselbe nur durch die An- 
nahme beseitigen zu können, dafs der Name Njäll in unserem Erlasse 
für Nikoläs verschrieben sein müsse; '*) der Abschreiber möge in seiner 
Vorlage den Namen abgekürzt vorgefunden und falsch aufgelöst, oder 
auch eine der in Schweden und Dänemark üblichen Diminutivformen 
für Nikolaus (Nigels, Niels, Nils) fälschlich für Njäll genommen haben, 
was beides um so eher möglich gewesen sei, da die rasche Transferierung 
des Nikoläs nach Oslö seine vorgängigen Beziehungen zu Stafäangr bald 
habe in Vergessenheit bringen müssen. Glücklicher Weise braucht man 
indessen diesen immerhin bedenklichen Ausweg nicht zu ergreifen, 
soferne eine von Keyser gewiesene Spur einen ungleich besseren er- 
öffnet. 15) In der oben bereits um eines chronologischen Punktes willen 
in Bezug genommenen Beschwerdeschrift nämlich, welche Erzbischof 
Eirikr beim päpstlichen Stuhle einreichen ließ, wird unter den übrigen 
Beschuldigungen, welche gegen K. Sverrir erhoben werden, auch fol- 


12) Sverriss., cap. 111, 5, 268—9. 1) Flateyjarbök, II, 8. 632; auch 
im weiteren Verlaufe der Darstellung weicht dieser Text nicht unerheblich von dem 
gewöhnlichen ab, indem es hier heißt: enn pä var Njäll biskup vigdr us Stalängrs 
ok var hann par, im gewöhnlichen Texte dagegen: Njäll biskup var μά vigdr sidan 


til Stafängrs; var hann par biskup. 1 Munch, III, 5, 261, Anm. ) Keyser, 


62 KONRAD MAURER 


gende angeführt. '%) Als es sich um die Wiederbesetzung derjenigen 
Diöcese gehandelt habe, welche durch des Erzbischofs eigene Beförde- 
rung erledigt worden war, sei durch Klerus und Volk übereinstimmend 
ein vollkommen hadsander' Mann gewählt worden. Diese Wahl nun habe 
der König als nichtig ängefochtent, weil ihm auf deren Gang nicht jener 
Einfluß zuzestinlden. worden sei, welchen die norwegischen Könige vor- 
dem allerdings geübt, aber schon längst durch eidlichen Verzicht und 
versiegelte Urkunden aufgegeben hätten, und nachdem er Klerus und 
Volk zu einer neuen Wahl genöthigt habe, sei er so weit gegangen, 
von ihm, dem Erzbischofe, die Ertheilung der Weihe an diesen Zweit- 
gewählten zu verlangen. Allerdings werden dabei keine Namen genannt; 
aber doch kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Bisthum, um dessen 
Besetzung, es sich handelte, das von Stafängr, dals der Erstgewählte 
Nikolas Arnason, und daß der Zweitgewählte Njall war. Vergleicht 
man sodann, hievon ausgehend, die beiden Berichte mit einander, so 
wird man finden, dafs beide sich recht wohl mit einander in Überein- 
stimmung bringen. lassen, und daß jeder von beiden eben nur einseitig 
gefaßt ist, und diejenige Seite der Vorgänge verschweigt oder doch 
zurücktreten läßt, welche der eigenen Partei ungünstig ist. Die erz- 
bischöfliche Beschwerdeschrift betont vielleicht zu scharf die Einstimmig- 
keit der Wahl des Nikoläs, welche vielmehr, nach den Worten der 
Flbk. zu schließen, von Arfang an eine zwiespältige gewesen zu sein 
scheint, und sie verschweigt jedenfalls, daß der Erzbischof selbst hinter- 
her dem Könige sich fügte, indem er den Njäll für Stafängr und den 
Nikoläs für Oslö weihte; sie hatte für diese Reticenz ihre guten Gründe, 
da Nikoläs, wenn für Stafängr gültig gewählt, nur mit päpstlicher 
Dispensation nach Oslö versetzt, 17) und Njäll erst, nachdem solche 
ertheilt und eine Neuwahl erfolgt war, für Stafängr geweiht werden 
konnte, so daß der Erzbischof sich selbst der Mitschuld hätte anklagen 
müssen, wenn er zugestand, ohne Mitwirkung des päpstlichen Stuhles 
in der angegebenen Richtung vorgegangen zu sein. Umgekehrt deutet 
die Sverriss. nicht mit einem Worte an, daß der König anstatt des von 
ihm nicht bestätigten Nikoläs sofort einen anderen Mann für das Bis- 
thum Stafängr wählen ließ, und daß die hinterher von ihm ertheilte 
Genehmigung der Weihe des Ersteren sich nur auf Oslö, nicht auf 
Stafängr bezog; indessen darf doch nicht unbeachtet bleiben, daß die- 
selbe, wenn wir der Lesart der Fibk. folgen, auch nicht bestimmt aus- 


16) Diplom. Norveg,, VI, 8. 5. 17) 0,4, X, de elect, I, 6; c. 1und2, X, 
de transalat. I, 7. 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS. 63 
spricht, daß Njall erst nach Nikoläs die Bischofsweihe empfangen habe, 
und daß auch sie somit nur einer Reticenz, nicht einer direct unrichtigen 
Angabe sich schuldig macht. Aller Wahrscheinlichkeit nach stand dem- 
nach die Sache so, daß der König, die von der kirchlichen Partei aus- 
gegangene Wahl des Nikoläs als nichtig behandelnd, von seiner eigenen 
Partei den Njäll wählen ließ, — daß er dann hinterher, zum Theil 
durch die Bitten der Königin bewogen, mit dem Erzbischofe, mit dem 
er dazumal noch in leidlichem Einverständnisse war, sich dahin einigte, 
daß Njall für die Diöcese Stafängr geweiht, Nikoläs dagegen mit der 
Anwartschaft auf das nächste sich erledigende Bisthum abgefunden 
werden sollte, wozu vielleicht Helgis Erkrankung bereits bestimmte 
Aussichten an die Hand gab, — daß endlich nach Helgis rasch erfolgen- 
dem Tode die Zusage erfüllt und Nikoläs auf den Stuhl zu Oslö be- 
fördert wurde. Unter dieser Voraussetzung konnte dann Njäll, auf der- 
selben Synode geweiht, auf welcher die Beschlüsse über die Bannfälle 
gefaßt wurden, diese bereits als Bischof neben Helgi unterzeichnen, 
wogegen Nikoläs damals nur im Besitze der Aussicht auf ein Bisthum, 
aber nicht im Besitze eines Bisthumes war, und ist auch nach dieser 
Seite hin jeder gegen die Ächtheit unseres Erlasses zu erhebende 
Anstand beseitigt. 

Wende ich mich aber in zweiter Linie zur Prüfung unseres 
Rechtsbuches selbst, so ist sofort so viel klar und auch allgemein 
zugestanden, daß dasselbe lediglich eine Compilation aus den Christen- 
rechten der Gulapingslög und der Frostapingslög sei. Bezüglich der 
GpL ist dabei jedenfalls eine Hs. benützt worden, welche bereits die 
Recension dieses Rechtsbuches, welche den Namen K. Olafs trug, und 
jene andere Recension, welche auf K. Magnüs Erlingsson zurückzu- 
führen ist, in ähnlicher Weise zu einem Ganzen verschmolzen hatte, 
wie dies in unserer Haupths. der Quelle ebenfalls geschehen ist; doch 
kann die von dem Compilator gebrauchte Hs. nicht mit dieser letzteren 
identisch gewesen sein, vielmehr muß dieselbe derjenigen ähnlich ge- 
wesen sein, von welcher das in Norges gamle Love, II, ὃ. 495 —500 
abgedruckte Fragment erhalten ist. In diesem letzteren Fragmente 
finden sich nämlich zwei Bestimmungen, welche in unserem Rechtsbuche 
eingestellt sind, 1%) während sie in unserer Haupths. der GpL fehlen, 
und auch eine dritte Stelle, welche sich weder in unseren GpL noch 
FrpL findet, obwohl es nicht völlig an entfernteren Parallelen für die- 
selbe fehlt, 15) mag wohl in derselben Hs. gestanden haben, von welcher 


18) Vgl, Sverris KrR 8. 79 nnd 98 mit Norges gamle Love, Il, 5.496 und 495, 
16) Sverris KrR 8. 69; vgl. GpL 8. 125, und FrpL, II, ὃ. 10. 


64 KONRAD MAURER 


jenes Bruchstück, herrührt; im Übrigen aber benützt unser Rechtsbuch 
bald Stücke der Ölaf’schen Bo) welche doch in der Magnüs’schen 
beseitigt waren, ?0) bald Stücke, welche in beiden Recensionen nel 
aber abweichend enthalten waren, nach der von Magnüs, ?!) oder auch 
so, daß die Texte beider Recensionen vollständig hinter einander gestellt 
wird, 295) und sogar eine entschiedene Novelle des K. Magnüs ΠΣ 
findet sich in dasselbe eingestellt. 25) Die FrpL andererseits sind eben- 
falls in einer Fassung benützt, welche der uns vorliegenden durchaus 
ähnlich ist, und es ist dies um so auffälliger, als wir allen Grund haben 
anzunehmen, dafs diese Fassung, wenigstens was das Christenrecht 
betrifft, auf einer im Jahre 1244 zwischen K. Häkon gamli und seinem 
Erzbischofe Sigurd erzielten Übereinkunft beruht, und daß dieselbe im 
Wesentlichen auf jenes ältere Kirchenrecht gebaut ist, welches Erzbischof 
Eysteinn unter dem Namen der „Goldfeder“ hatte verfassen lassen. 
Von hier aus ergeben sich die bedenklichsten Zweifel gegen die Richtig- 
keit der Annahme, daß unser Rechtsbuch ein Erzeugniss der gesetz- 
geberischen Thätigkeit K. Sverrirs sei, und zwar Zweifel in mehr als 
einer Beziehung, welche an Stärke nur noch gewinnen, wenn man mit 
diesem Rechtsbuche die geschichtlichen Thatsachen vergleicht, welche 
uns die Sverriss. an die Hand gibt. 

Von Vornherein schon erscheint höchst verdächtig, daß die aus- 
führliche Lebensbeschreibung des Königs, welche dieser durch einen 
von ihm selber ausgewählten Mann und theilweise unter seinen eigenen 
Augen hatte schreiben lassen, und welche somit sicherlich auf die er- 
schöpfendste Kenntniss aller seiner Leistungen begründet ist, gar nichts 
von dessen Christenrecht zu erzählen wissen sollte, falls wirklich ein 
solches von ihm erlassen worden sein sollte, — höchst verdächtig auch, 
daß sich ebensowenig sonstwo irgend eine Bezugnahme auf dasselbe 
findet, während doch bei den späteren Conflieten zwischen Kirche und 
Staat oft genug Veranlassung zu einer Berufung auf dasselbe geboten 
gewesen wäre. Auffälliger noch ist, daß die Sverriss. sogar ganz bestimmt 
die Möglichkeit eines Christenrechtes auszuschließen scheint, welches 
von K. Sverrir verfaßt wäre. Bei jenem Streite, welcher der Flucht 
Erzbischof Eiriks nach Dänemark unmittelbar vorausgieng, suchten beide 
Theile nach dem Berichte jenes Geschichtswerkes **) ihre Behauptungen 
rechtlich zu begründen; der Erzbischof wies aber dabei nur auf das 


20) So z. B, Sverris Kr. R, 8. 3—4. 21) So z. B. Sverris Kr. R. 8, 2; 
8, 80, 22) So z, Β, Sverris Kr. R, $8.7—8. 232) Vgl. Sverris Kr. R, 8. 82—88, 
mit GpL 8, 32. 24) Sverriss,, cap, 117, 5, 277. 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS, 65 
canonische Recht vor, einige päpstliche Bullen, sowie jene „Goldfeder“ 
seines Vorgängers Eysteinn, wogegen der König sich anf das alte Land- 
recht von Drontheim berief, wie es der heil. Ölaf gesetzt und der gute 
Magnüs zur Aufzeichnung gebracht habe. Im Jahre 1190 also war ein von 
K. Sverrir selbst erlassenes Christenrecht noch nicht vorhanden, denn 
sonst hätte der eine oder andere Streittheil sich unzweifelhaft auf dieses 
berufen müssen; daß aber der König während der zwölf letzten Jahre 
seiner Regierung nicht an die Erlassung eines solchen gedacht haben 
konnte, während deren er in den erbittertsten Kampf mit seiner Kirche 
verwickelt, der Erzbischof aber fortwährend im Exile war, ist nicht 
minder einleuchtend. Betrachtet man sich ferner das uns vorliegende 
Rechtsbuch, so spricht schon die Beschaffenheit der Quellen, aus welchen, 
und die unglaubliche Ungeschicklichkeit, mit welcher dasselbe compiliert 
ist, ganz entschieden gegen die Möglichkeit, daß K. Sverrir bei dessen 
Entstehung die Hand im Spiel gehabt haben könnte. Die vortreffliche 
Darstellung in der Sverriss., die kraftvolle Schreibweise in der Streit- 
schrift gegen die Kirche zeigen deutlich, wie gut dieser König die 
Federn zu wählen wußte, die er für seinen Zweck zu verwenden ge- 
dachte; sollte derselbe Regent nicht einen fähigeren Bearbeiter für sein 
Christenrecht aufzutreiben im Stande gewesen sein, wenn er ein solches 
überhaupt erlassen wollte, und sollte ein so klarer und zugleich so 
schneidiger Machthaber wie Sverrir in einem von ihm ausgegangenen 
Gesetzbuche nicht einmal eine einzige selbständige Bestimmung nieder- 
gelegt haben, die nicht bereits in den älteren Recensionen der Provineial- 
rechte enthalten gewesen wäre, und dies in einem Gesetzbuche, wel- 
ches ‚gerade das Gebiet behandelte, auf dem er seine heftigsten Kämpfe 
auszufechten hatte? Sollte ferner K. Sverrir, wenn er ein Christenrecht 
denn doch verfassen wollte, bereits auf den, erst um ein volles Jahr- 
hundert nach ihm auftauchenden Gedanken verfallen sein, ein solches, 
im Gegensatze zu dem damals noch herrschenden Systeme der Provincial- 
rechte für das ganze Reich gemeinsam zu entwerfen, wie doch ‚hierauf 
die Compilierung unseres Rechtsbuches aus zwei ganz verschiedenen 
Rechten offenbar schließen läßt, und sollte er bezüglich der Gulapingslög 
‘dazu eine Recension verwendet haben, welche guten Theils von seinem 
bittersten Gegner, dem von ihm stets als illegitim behandelten K. Magnüs 
Erlingsson herrührte? Überdieß ist ein guter Theil der Bestimmungen, 
welche in unserem Rechtsbuche sich finden, von einer jeschaffenheit, 
daß sie in einem von K. Sverrir publicierten Christenrechte gar nicht 
_ enthalten gewesen sein konnten. Wir kennen zum Theil die Punkte, 
um die der König mit seinem Erzbischofe zu streiten hatte. Es handelte 


- 


GERMANISTISCHE STUDIEN, Ὁ 


66 KONRAD MAURER 


sich einmal um die Bezahlung der kirchlichen Geldbußen nach reinem 
Silberwerthe, statt nach dem gewöhnlichen Sachwerthe, wie solche Erz- 
bischof Eysteinn durchgesetzt hatte, nicht ohne Anfangs bei Erlingr jarl 
auf Widerstand zu stoßen; 35) es handelte sich zweitens um das Laien- 
patronat, welches der Erzbischof schlechterdings nicht anerkennen 
wollte; 35) es handelte sich endlich drittens um die Begleitung, welche 
der E zbischof bei seinen Rundreisen im Lande um sich haben sollte, 
und zwar wollte ihm der König nur 30 Männer und 12 weiße Schilde 
gestatten, wie dieß das ältere Recht mit sich brachte, während der 
Erzbischof eine unbeschränkte Zahl für sich in Anspruch genommen 
zu haben scheint. 27) In allen drei Fragen stellt sich nun unser Rechts- 
buch ganz entschieden auf die Seite des Erzbischofes, nicht des Königs. 
In Bezug auf die Geldbuißen schreibt dasselbe den Satz: „allar szektir 
sylfrmetnar i kristnum rette* gerade so ab, wie er in unseren FrbL 
steht. 35) Seine Bestimmungen über die Besetzung der Kirchenämter 
compiliert es zwar aus den einschlägigen Vorschriften der GpL und 
der FrpL;‘”) aber es räumt dabei dem Bischofe wie diese ein unbe- 
dingtes Besetzungsrecht ein, und wenn es aus den FrpL die Worte 
entlehnt: „oc han hxfir ospui hzitid at ver skulum pa kenne menn 
hafa sem os bokkaz“, so läßt es denselben sogar die dort vorgefundene 
weitere Bemerkung folgen: „pt er forn rettr“, die doch zweifellos in 
den FrpL selbst nur ein späteres Glossem ist. Was endlich die Zahl 
der Begleiter betrifft, so schreibt unser Rechtsbruch frischweg aus den 
FrbL die Bestimmung ab, 35) daß die Bauern jedes Pferd zu stellen 
verpflichtet sind, auf welches jemals Geschirr gelegt worden ist, und 
wenn wir dem gegenüber bemerken, dafs die anderen Christenrechte 
dem Bischofe nur höchstens 30 Pferde stellen lassen, 3) oder 30 Be- 
gleiter verwilligen, 535) oder 30 Begleiter und ebenso viele Pferde, 33) 
so ist klar, daß ursprünglich in allen Diöcesen des Landes das gleiche 
Recht gegolten haben muß, welches hinterher Eysteinn zu Gunsten 
seines erzbischöflichen Stuhles um dessen höherer Würde willen änderte, 


25) Sverris s.,, cap. 112, 5. 269—71; vgl. Magnüss. Erlingssonar, cap. 8, 

S. 2939—300, und cap. 13, S. 304—7, (FMS. VID); Heimskr., cap. 16, S. 792, und 
cap. 21, S. 795-7; Fagrsk., $. 268, S. 179—80, 26) Sverriss., cap. 117, 8. 277 
bis 278, 7) 8. 275—80, ebenda. 26) Sverris KrR 8. 57; vgl. FrpLL, IH, S.2. # 
29) Sverris Kr, $. 17; vgl. GpL, $. 15, und FrpLL, II, $. 11. 50) Sverris | 
Kr, 8. 53, vgl. mit FrpL, II, $. 44. Da übrigens die erstere Stelle auch von der 
Beförderung zur See spricht, von der die letztere nichts weiß, ist klar, daß dort ein 


etwas anderer Text als der unserige benützt sein mul. 8) GpL, 8. 33. ®) BpL, | 


I, 10; 8.19; IL S.14. °)EpL LS. 34, 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIES. 67 


während K. Sverrir diese Änderung als zu Recht nicht beständig an- 
focht, und daß unser Rechtsbuch sowohl wie unsere FrpL umgekehrt 
die Neuerung anerkennen. Dem Compilator des ersteren ist dabei noch 
obendrein der Streich widerfahren, daß er den erhöhten Anspruch, 
welcher nach Ausweis späterer Quellen 55) nur für den Erzbischof, 
nicht auch für die Suffraganbischöfe erhoben wurde, auch auf diese 
letzteren ausdehnt, indem er die betreffende Stelle der FrbL für ein 
allgemein norwegisches Christenrecht passend zu machen suchte; aber 
ganz abgesehen von solchen Nebensachen kann ein Rechtsbnch unmög- 
lich von K. Sverrir herrühren, welches in allen den Punkten, welche 
zwischen ihm und seinem Erzbischofe so heftig bestritten waren, die 
von dem letzteren verfochtene Ansicht festhält. In dem Inhaltsverzeich- 
nisse, welches dem Rechtsbuche voransteht, ist an zweiter Stelle jene 
Thronfolgeordnung des K. Magntis Erlingsson aufgeführt, welche auch 
ia unseren GpL 8. 2 denselben Platz einnimmt. Im Texte selbst fehlt 
freilich dieses Stück, sei es nun, weil dem Compilator hinterher Zweifel 
über dessen Rechtsgültiskeit gekommen waren, oder weil er eingesehen 
hatte, daß dasselbe mit dem Christenrechte nichts zu thun habe, oder 
auch aus einem dritten, später noch zu erwähnenden Grunde; aber 
konnte auch nur in das Inhaltsverzeichniß eines von K. Sverrir er- 
lassenen Gesetzbuches eine Bestimmung aufgenommen werden, deren 
bloße Überschrift: „At sä skal konüngr vera, er skilgetinn er“, ihn, den 
unehelich Geborenen, vom Throne ausschließen mußte, und kann man 
sich überhaupt vorstellen, daß der König sein Gesetzgebungswerk mit 
dem Niederschreiben eines Inhaltsverzeichnisses begonnen haben sollte? 
Endlich. In unserem Rechtsbuche ist, und zwar genau mit denselben 
Worten wie in den FrpL, das Gebot der österlichen Communion aus- 
gesprochen. 35) Nun wissen wir, dal dieses Gebot, das sogenannte pr#- 
ceptum paschale, erst durch die IV. lateranische Synode eingeführt 
wurde; 36) wie konnte dasselbe somit in einem Gesetzbuche berück- 
sichtigt sein, welches den im Jahre 1202 verstorbenen K. Sverrir zum 
Verfasser hat? 

Während von den älteren Schriftstellern alle diese Schwierigkeiten 


ἶ völlig unbemerkt gelassen wurden, hat P. A. Munch sowohl als R. Keyser 


x) 


i 
Ξ- 
= 
ἢ 
i 


dieselben allerdings beachtet; Beide beruhigen sich indessen bei der 


84) Vgl. das neuere Christenrecht des Borgarpings, 8. 5, und > 
Gulapings, 8. 14; der Zusatz in BpL, II, 8. 27, kann hiegegen nicht in er 
kommen. 35) Sverris Kr, 8. 37; vgl. FrpL, II, 8. 40. 6) Vgl, ο. 12, X, de 


pönit., V, 38. Er 


68 KONRAD MAURER 


Vermuthung, daß unser Rechtsbuch eben kein wirkliches Gesetzbuch 
sein werde, sondern nur ein Entwurf zu einem solchen, welchen man 
kirchlicherseits dem K. Sverrir vorgelegt, welchem aber dieser seine 
Sanction versagt, und welcher somit auch niemals gesetzliche Geltung 
erlangt habe, und daß vereinzelte Spuren späteren Rechtes in demselben 
als hinterher in dessen Text eingeschobene Zusätze zu betrachten seien. 
Mit diesem Auskunftsmittel vermag ich mich nun aber in keiner Weise 
einverstanden zu erklären. Die einzige Quellenstelle, welche Sverrirs 
Namen überhaupt mit unserem Rechtsbuche in Verbindung bringt, ist 
die Überschrift, welche diesem vorgesetzt ist; diese einzige Stelle aber 
bezeichnet dasselbe nicht als einen von dem norwegischen Episcopate 
dem Könige vorgelegten Entwurf, sondern als ein von diesem gemein- 
sam mit seinen Bischöfen erlassenes Gesetz. Ist somit jene Überschrift 
glaubwürdig, so ist das Rechtsbuch, auf welches sie sich bezieht, für 
ein wirkliches zu Stande gekommenes Gesetzbuch zu halten, — ist sie 
unglaubwürdig, so fehlt uns auch aller Grund, in demselben einen dem 
Könige vorgelegten Entwurf zu sehen; in keinem Falle aber sind wir 
berechtigt, jenem Zeugnisse zugleich unseren Glauben zu schenken und 
zu versagen, indem wir zwar die durch dasselbe gebotene Anknüpfung 
der Compilation an K. Sverrirs Namen acceptieren, aber ihr sofort eine 
ganz andere Bedeutung unterschieben, als welche die Hs.-selbst ihr 
beilegt. Steht hiernach der Munch-Keyser’sche Erklärungsversuch ohne 
die mindeste quellenmäßige Stütze da, vielmehr mit allen unseren 
Quellen ohne Ausnahme in Widerspruch, so läßt uns derselbe überdieß 
völlig unerklärt, wie es komme, daß die sonst so ausführliche Sverris s. 
von der doch jedenfalls sehr bedeutungsvollen Vorlage eines derartigen 
Entwurfes gänzlich schweige, und daß dieser auch in der oben er- 
wähnten Streitschrift, dem sogenannten Anekdoton Sverreri, mit keiner 
Sylbe berührt werde. Zudem ist der Inhalt des Rechtsbuches, wie oben 
dargelegt, ein so einseitig kirchlich ausgeprägter, daß die Möglichkeit 
geradezu ausgeschlossen scheint, daß dasselbe jemals auch nur als ein 
von den Bischöfen ausgehender Entwurf einem so eigenwilligen Könige 
wie Sverrir hätte vorgelegt werden können. Endlich begreift sich zwar 
leicht, wie man dazu kommen konnte, und in nicht wenigen Fällen 
auch wirklich nachweisbar dazu kam, in Hss. einer wirklich geltenden 
Rechtsquelle spätere Rechtsvorschriften nachträglich einzuschalten; wie 
aber Jemand dazu gekommen sein sollte, solche Zusätze einem Texte 
einzuverleiben, der niemals rechtliche Geltung besessen hatte, ist darum 
denn doch noch nicht abzusehen. Der Zweck der Einschaltung konnte 
denn doch nur darin bestehen, daß die einzelne Rechtsaufzeichnung 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS. 69 
für den praktischen Gebrauch stets evident und auf der Höhe des gelten- 
den Rechts gehalten werden wollte; aber was in aller Welt sollte man 
damit bezweckt haben, neuere Novellen in ein Project einzuflicken, 
das, weil niemals sanctioniert, für die Praxis selbst gar keine 3edeutung 
hatte? Glücklicherweise bietet sich aber auch statt dieses zweifelhaften 
Versuches, die bezüglich unseres Rechtsbuches vorliegenden Schwierig- 
keiten zu beseitigen, ein anderer, ungleich einfacherer und zugleich 
ungleich radikalerer, zum Ziele führender Ausweg an, von dem mich 
nur wundert, daß noch Niemand auf denselben verfallen ist. 

Einzig und allein auf der oben mitgetheilten Überschrift unseres 
Rechtsbuches beruht die Verbindung, welehe man zwischen diesem und 
K. Sverrir als bestehend annehmen zu sollen glaubt, und nur auf einer 
einzigen, vergleichsweise späten Hs. beruht unsere Überlieferung wie 
des Rechtsbuches selbst, so auch dieser seiner Überschrift. Nun ist 
diese Überschrift schon durch den Ort, an welchem sie steht, in hohem 
Grade auffällig. Nicht unmittelbar vor dem Rechtsbuche selbst, auf 
welches sie sich bezieht, und auch nicht unmittelbar vor dem Inhalts- 
verzeichnisse ist sie angebracht, welches diesem vorausgeht, sondern 
sie ist von beiden noch durch jenen Erlaß über die Bannfälle getrennt, 
welcher doch, wie oben bereits bemerkt wurde, zu dem Rechtsbuche 
und seinem Inhaltsverzeichnisse in ganz und gar keiner Beziehung 
steht. Diese eigenthümliche Stellung der Überschrift scheint aber mit 
Sicherheit darauf schließen zu lassen, daß dieselbe in dem Originale, 
welches der Schreiber unserer Hs. copierte, noch nicht enthalten gewesen 
war, und jedenfalls ursprünglich nicht zu dem Rechtsbuche gehörte; 
ohne Überschrift war dieses dem Copisten, in welchem Munch bereits 
einen Menschen erkannte, der das Abschreiben gewerbsmäßig betrieben 
habe, 37) vorgelegen, und da dasselbe auch, wie noch jetzt, an seinem 
Schlusse keine Notiz über seine Entstehung und Bedeutung enthalten 
hatte, mag dieser sich selbst veranlaßt gefühlt haben, den Mangel zu 
ergänzen. Daß er seine Überschrift nicht dem Rechtsbuche selbst, son- 
dern dem Erlasse über die Bannfälle vorsetzte, welcher doch mit jenem 
ebenso wenig zu thun hatte, wie das noch weiter voranstehende Christen- 


recht Erzbischofs Jöns oder die übrigen Stücke der Sammelhandschrift, 


nr N ee 


zeigt jedenfalls, daß er auch diesen ohne Überschrift vorfand, und daß 
er ihn irrthümlich als zu dem nachfolgenden Rechtsbuche gehörig 
betrachtete. Wie nun, wenn er die Eingangsworte dieses Erlasses: 
„Sverrir Magnus konongr, sun Sigurdar konongs, Eirikr erehibiskup, 


3”) Munch, III, S. 263, Anm. 2. 


70 KONRAD MAURER 


oc Poll biskup, Hxlgi biskup oc Niall biskup, oc porer biskup, oc 
aller bodorda men i Noreghe, senda qusdiu allum guds uinum oc sinum, 
er hetta bref hoyra, Guds oc sina*, verkehrter Weise als eine Eingangs- 
formel zu dem folgenden Rechtsbuche betrachtet, und lediglich auf dieses 
Missverständniss hin jene Überschrift dem Ganzen vorgesetzt hätte, 
welche ja gleichfalls den „K. Sverrir und alle Bischöfe“ als den Ver- 
fasser des folgenden Christenrechtes bezeichnet? Nur eine schlechte 
Conjeetur eines einzelnen Schreibers wäre es dann, welche dieses über- 
haupt mit K. Sverrir in Verbindung gebracht hätte; mit der Aufdeckung 
dieses Sachverhaltes wäre aller Grund, sich mit Versuchen abzuquälen, 
die der Annahme einer solchen Verbindung eutgegenstehenden Hinder- 
nisse zu beseitigen, vollkommen aus dem Wege geräumt; unser Rechts- 
buch aber dürfte unbedenklich als eine frühestens der Mitte des 13. Jahr- 
hunderts angehörige Compilation betrachtet werden, bezüglich deren 
erst noch nachzuweisen käme, wann und wie dieselbe entstanden sei. 

Gerathener wäre vielleicht, es bei diesem negativen Ergebnisse 
bewenden zu lassen; indessen kann ich mir nicht versagen, auch in 
positiver Richtung eine Vermuthung auszusprechen, bezüglich deren 
ich freilich zufolge der Weitschichtigkeit des in Betracht kommenden 
Materiales und der Zahl der zu dessen klarer Sichtung erforderlichen 
Speeialuntersuchungen auf einige allgemeinere Andeutungen mich be- 
schränken, auf eine detailliertere Durchführung aber an diesem Orte 
verzichten muß. 

Bekannt sind die umfangreichen gesetzgeberischen Arbeiten, wel- 
chen K. Magnüs Häkonarson (1263—80) den ehrenden Beinamen 
lagabstir, der Gesetzverbesserer, verdankt; über den Gang, welchen Ὁ 
sein Gesetzgebungswerk nahm, sowie über die verschiedenen Phasen, 


welche dasselbe durchzumachen hatte, ist indessen meines Erachtens | 


durch die bisherigen Forschungen noch immer nicht die wünschens- 
werthe Klarheit gewonnen. Mir scheint der König sich Anfangs 
lediglich auf dem hergebrachten Wege gehalten, und lediglich eine 
Verbesserung der vier von Alters her bestehenden Provineialrechte 
beabsichtigt zu haben; ich beziehe auf diese Phase seiner Thätigkeit |) 
die uns erhaltene Nachricht, daß es ihm gelungen sei, im Jahre 1267 |) 
für das Gulabing und im Jahre 1268 für das Eiäsifjaping und Borgar- | 
Ping die gesetzliche Annahme der von ihm verfaßsten Entwürfe durch- ὦ 
zusetzen. 35) Für uns sind diese drei neuen Gesetzbücher nahezu völlig 


38. Annälar, a. 1267: lögtekin Gulapingsbök, sü er Magnüs konüngr gjördi; 
a. 1268: lögtekin lögbök Upplendinga ok Vikverja, sü er Magnüs konüngr skipadi. 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS. 71 


verloren; doch besitzen wir von zweien derselben, von den neueren 
Gulapingslög nämlich und den neueren Borgarpingslög, wenig- 
stens den auf das Christenrecht bezüglichen Abschnitt, 49) und dieß 
genügt, um uns die Feststellung des Charakters dieser neuen Legislation 
zu gestatten. Die alte Sonderung der Provineialrechte ist beibehalten, 
wenn auch insoferne Einiges zu deren Ausgleichung geschehen ist, als 
hin und wieder das eine Recht zur Ergänzung und Besserung des 
anderen benützt wurde. Das Christenrecht ferner ist noch in alther- 
gebrachter Weise als ein Theil des Landrechtes behandelt, und somit 
in soweit der kirchlichen Forderung des Selbstgesetzgebungsrechtes 
auf kirchlichem Gebiete ganz und gar nicht Rechnung getragen. Aber 
neu und in hohem Grade bezeichnend für den Geist der Zeit ist die 
Thatsache, daß wir nunmehr an die Spitze des Christenrechtes des 
Gulapinges ein Bekenntnils des christlichen Glaubens und ihm folgend 
eine Auseinandersetzung über die zweifache Gewalt des Königs und 
des Bischofs gestellt finden, an welche letztere sich sodann jenes Gesetz 
über die Thronfolgeordnung anschlieist, das K. Häkon der Alte im 
Jahre 1260 zu Stande gebracht hatte; aller Wahrscheinlichkeit nach 
hatten auch die neueren Borgarpingslög ursprünglich an ihrer Spitze 
dieselbe Einleitung gezeigt, und ist dieselbe erst hinterher in unseren 
überhaupt nicht wörtlich getreuen Abschriften weggefallen. — In glei- 
cher Weise wie in den genannten drei Dingverbänden, suchte der König 
auch in dem vierten, der Landschaft Drontheim, eine Revision des 
alten Rechtes durchzusetzen; hier aber stießen dessen Bemühungen 
auf entschiedenen Widerstand, und zwar war es der Klerus, welcher 
ihnen solchen entgegensetzte. Seit Erzbischof Einars Tod (1263) war 
der erzbischöfliche Stuhl mehrere Jahre lang unbesetzt geblieben, und 
als dann endlich der im Jahre 1265 gewählte Nachfolger, Häkon, im 
Frühjahr 1267 mit dem Pallium bekleidet worden war, starb auch er 
bereits nach wenigen Monaten; noch in demselben Jahre zu seinem 
Nachfolger gewählt, war sodann Jön raudi sofort nach Rom gegangen, 
von wo er erst kurz vor Weihnachten des Jahres 1268 zurückkam. 
Es mag wohl sein, daß die längere Sedisvacanz, dann Erzbischof Häkon’s 
‘Krankheit und Erzbischof Jöns Abwesenheit es dem Könige so leicht 
gemacht hatten, am Gulapinge, Eidsifjapinge und Borgarpinge seinen 
Willen durchzusetzen; jedenfalls kann es nur der Widerstand des per- 
sönlich anwesenden Erzbischofes gewesen sein, welcher im Jahre 1269 
am Frostapinge des Königs Absichten scheitern machte. Die genaueren 


39) Gedruckt in Norges gamle Love, II, 5, 231-358, 


72 KONRAD MAURER 


Vorgänge am Dinge sind uns allerdings nicht bekannt; aber doch wird 
uns so viel berichtet, 19) dafs der König von diesem nur die Ermächti- 
gung erhielt, die ältere Gesetzgebung in soweit einer Revision zu unter- 
ziehen, als dieselbe das weltliche Recht betraf, und kann die damit 
ausgesprochene Ausschließung des Christenrechtes von der neuen Legis- 
lation natürlich nur vom Erzbischofe durchgesetzt worden sein. Damit 
war nun der principielle Streit zwischen Kirche und Staat um das 
Gesetzgebungsrecht auf kirchlichem Gebiete angeregt; doch scheint 
derselbe zunächst noch nicht zum offenen Ausbruche gediehen zu sein, 
vielmehr scheint der König sich vorerst noch der Hoffnung hingegeben 
zu haben, auf dem Wege der Verhandlung mit seinem Erzbischofe zu 
einem Christenrechte zu gelangen. Mag sein, dafs Erzbischof Jön bei 
dieser Gelegenheit, sei es nun um eine gleichheitliche Regelung der 
kirchlichen Zustände für das ganze Reich zu erzielen, oder auch um 
auf gute Art die bereits rechtsförmlich angenommenen Christenrechte 
des Gulapinges, Eidsifjapinges und Borgarpinges los zu werden, den 
Gedanken anregte, daß man lieber gleich ein gemeinsames Christen- 
recht für das ganze Reich in Angriff nehmen solle; wie dem auch 
sei, gewiss ist jedenfalls, daß von jetzt ab die legislativen Producte 
des Königs in zweifacher Beziehung einen von dem früheren abweichen- 
den Charakter tragen, nämlich einmal in soferne, als es sich von jetzt 
ab nicht mehr um eine Revision der älteren Provincialrechte, sondern 
nur noch um die Herstellung eines gemeinsamen Rechtes für das ganze 
Reich handelt, und zweitens in soferne, als diese neueren gesetzgeberi- 
schen Erzeugnisse nur noch formell, nicht aber materiell ein Christen- 
recht enthalten. — Das erste Gesetzbuch des Königs, welches diesen 
modernen Charakter trägt, ist die Järnsida, von den Neueren auch 
wohl, auf Grund einer völlig haltlosen Conjectur, als Häkonarbök 
bezeichnet. Für Island bestimmt, wurde dieses Gesetzbuch bereits im 
Jahre 1271 dahin geschickt, und nicht ohne Schwierigkeit in den 
Jahren 1271—73 am Alldinge dessen Annahme durchgesetzt; 51) den- 
noch ist dasselbe, von einigen wenigen, der älteren einheimischen 
Legislation entnommenen Stücken abgesehen, lediglich eine ungemein 
rohe Compilation aus den älteren Gulapingslög und Frostapingslög, 


4 Annälar, a. 1269: Magnüs konüngr ok Jön erkibiskup voru & Frostapingi. 
pä fekk Magnüs konüngr sam pykkt allra Frostapingsmanna at skipa svä Frostapings- 
bökum alla μά luti sem til veraldar heyra ok konlingdömsins, sem honum syndist best 
bera, 41) So die AÄrna bps s., cap. 9, 8. 688—90, und cap. 11, 5. 695, sowie die 
Annälar, 8. 1271—73. 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS, 73 


sowie einigen späteren norwegischen Gesetzen, was sich doch nur unter 
der Voraussetzung erklärt, daß man damals bereits mit dem Plane sich 
trug, auch in Norwegen selbst die Vielheit der Provincialrechte durch 
ein einziges gemeinsames Landrecht zu ersetzen, und dieses wesentlich 
aus einer Compilation der beiden genannten Rechte hervorgehen zu 
lassen. Andererseits enthält dieses nur noch nominell einen Kristin- 
dömsbälk, indem unter diesem Titel nur noch die oben besprochene 
Einleitung zum jüngeren Gulabingsrechte zu lesen ist, jenes Glaubens- 
bekenntniss also, die Erörterung über das Amt des Königs und des 
Bischofs, endlich die Thronfolgeordnung vom Jahre 1260; ἴοι eine 
Wunderlichkeit, welche deutlich darthut, daß man zur Zeit der Ab- 
fassung des Gesetzbuches noch die Hoffnung hegte, dals es hinterher 
noch gelingen werde, ein wirkliches Christenrecht dem einstweilen 
eingestellten Eingange zu einem solchen folgen lassen zu können. Hatte 
man übrigens wirklich die Absicht gehabt, ein der Järnsida wesentlich 
ähnliches Gesetzbuch in Norwegen einzuführen, so muß man dieselbe 
jedenfalls bald aufgegeben haben. Mas sein, dal) man sich denn doch 
der ungeschlachten Art bewußst wurde, in welcher jenes Gesetz bearbeitet 
war, und darum dessen vorgängige Revision abwarten wollte. Mag sein 
auch, daß man zweckmäßig fand, erst einzelne wichtigere Punkte auf 
dem Wege der Einzelgesetzgebung zu ordnen, wie denn wirklich im 
Jahre 1273 ein neues Thronfolgegesetz zu Stande gebracht wurde. 
Mag sein endlich, dal man erst noch den Erfolg weiterer Unterhand- 
lungen mit dem Erzbischofe abwarten zu sollen glaubte, welcher im 
Winter 1272--73 seinerseits mit der Abfassung eines Christenrechtes 
beschäftigt war, *°) und wohl im letzteren Jahre im Wesentlichen das 
Kirchenrecht zu Stande brachte, welches uns unter dem Namen Jöns 
erkibiskups kristinröttr erhalten ist. #?) Gewiss ist jedenfalls so 
viel, daß) man erst, nachdem das Thronfolgegesetz beschlossen war und 
die Unterhandlungen mit dem Erzbischofe durch den Bergen’schen 
Vergleich vom 1. August 1273 einen, wenn auch nur trügerischen 
Abschluß erreicht hatten, die Codificationsarbeit wieder energischer in 
Angriff nahm, und daß nun in rascher Folge die ganze Reihe von 
'Gesetzbüchern publiciert wurde, welche den Glanzpunkt der Regierung 


u) ἄτιμα bps s., cap. 10, 5, 691, Anm. 2, 43) Das Datum ergiebt sich theils 
daraus, daß dem Werke das im Jahre 1274 eingeführte festum coron® spine® noch 
fremd ist, theils aus der anderen Thatsache, dal) dasselbe dem Christenrechte als Muster 
diente, welches B. Ärni von Skälholt im Winter 1273—74 bearbeitete und am Alldinge 
des Jahres 1275 zur Annahme brachte. 


74 KONRAD MAURER 


des K. Magnüs bilden. Über die Entstehungszeit dieser einzelnen Gesetz- 
bücher herrscht allerdings einige Unklarheit, und kann ich mich mit 
den von P. A. Munch und R. Keyser dieserhalb ausgesprochenen 
Ansichten nur sehr theilweise einverstanden erklären; indessen verbietet 
die Rücksicht auf den Raum ein näheres Eingehen in die ziemlich ver- 
wickelte und zum Theil auch auf einzelne, oben schon vorgetragene 
Angaben sich erstreckende Controverse, und so mag, da die Frage 
für meine dermalige Aufgabe ohnehin nur sehr beiläufige Bedeutung 
hat, die Darlegung der Ergebnisse eigener Quellenprüfung ohne alle 
Beweisführung verstattet sein. Ich nehme aber an, daß das gemeine 
norwegische Landrecht, die Landslög, zunächst für die Landschaft 
Drontheim im Jahre 1274 zu Stande gekommen, und sodann unter 
Beibehaltung des für diesen Dingbezirk eigentlich allein bestimmten 
Prologes und Epiloges in nicht näher zu bestimmender Zeit auch auf 
die übrigen Dingverbände erstreckt worden sei; daß sodann das gemeine 
Stadtrecht, Bjarkeyjarrettr, im Jahre 1276 für die Stadt Bergen 
publiciert worden sei, ohne daß sich bestimmen ließe, wann dessen 
Reception für die übrigen Städte erfolgte; daß das Dienstmannen- 
recht, die Hirdskrä, in den Jahren 1273—76 entstand; endlich daß 
das neuere Gesetzbuch für Island, die Jönsbök, noch im Jahre 1280 
nach der Insel gesandt, und im folgenden Jahre von deren Allding 
angenommen wurde. Dabei ist zu bemerken, daß das Landrecht, das 
Stadtrecht und die Jönsbök ganz gleichmäßig zwar auch noch einen 
Kristindömsbälk enthalten, aber nur in demselben höchst uneigentlichen 
Sinne wie die Järnsida einen solchen zeigte, nur mit der selbstver- 
ständlichen Abweichung, daß in ihnen allen an die Stelle der Thron- 
folgeordnung von 1260 nunmehr die neuere von 1273 getreten ist; 
mag sein, daß man immer noch hoffte, ein wirkliches Christenrecht 
mit der Zeit einrücken zu können, — mag aber auch sein, daß man 
sich lediglich durch das Beispiel der Järnsida bestimmen ließ, un daß 
man allenfalls auch den Titel des Abschnittes als eine Art von Protest 
stehen lassen wollte, gegen das eigenmächtige Vorgehen, welches der 
Erzbischof inzwischen mittelst der Abfassung seines eigenen Christen- 
rechtes sich hatte zu Schulden kommen lassen. 

Was hat nun aber diese Erörterung über Καὶ. Magnüs lagabetir’s 
Gesetzgebungswerk mit dem angeblichen ChristenrechteK. Sver- 
rirs zu schaffen, wird der Leser fragen. Einfach Folgendes. Es ist 
oben bereits nachgewiesen worden, 481) dessen Compilator die Frosta- 
pingslög wesentlich in der Gestalt benützt hat, in welcher sie uns vor- 
liegen, und welche sie um das Jahr 1244 angenommen haben. Alter 


| 
I 


DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS. 75 


als dieses Jahr kann demnach die Compilation nicht sein; dagegen 
steht nichts im Wege, derselben auch ein einigermaßen jüngeres Alter 
anzuweisen, und wird man zumal daraus, daß sie die Eisenprobe noch 
als ein geltendes Rechtsinstitut behandelt, **) während dieselbe doch 
bereits im Jahre 1247 auf Betreiben des Cardinals Wilhelm von Sabina 
abgeschafft worden war, ?°) keinen Gegengrund gegen solche Annahme 
entnehmen dürfen, da bei der ungemein flüchtigen Art, wie der Com- 
pilator seine Quellen ausschrieb, auch sonst gar Mancherlei von ihm 
eingestellt wurde, was schon längst unpraktisch geworden war, wie 
z. B. die in der älteren Recension der GPL angeordnete, aber schon 
durch K. Magnüs Erlingsson gestrichene alljährliche Freilassung von 
Unfreien, *°) die doch längst unmöglich geworden war, da es im 13. Jahr- 
hundert kaum noch viele Unfreie in Norwegen gab. ?”) Man wird hier- 
nach von Vornherein geneigt sein, dem Rechtsbuche in der legislativ 
so überaus thätigen Zeit des K. Magnüs lagabzxtir seine Stelle anzu- 
weisen, und eine genauere Vergleichung des specifischen Charakters 
jenes ersteren mit den verschiedenen legislativen Producten dieses 
Königs wird diese Vermuthung zugleich bestätigen und näher präci- 
sieren. Es ist oben bereits gelegentlich darauf hingedeutet worden, daß 
die Compilation unseres Rechtsbuches aus zwei verschiedenen älteren 
Provinecialrechten sich nur aus der Absicht erklärt, für das ganze Reich 
ein gemeinsames Christenrecht zu entwerfen; diese Absicht aber ist 
den gesetzgeberischen Arbeiten des Königs aus den Jahren 1267 und 
1268, dann dem Antrage, welchen er im Jahre 1269 an das Frosta ping 
richtete, noch völlig fremd. Dagegen zeigt die Järnsida, welche im 
Jahre 1271 vollendet wurde, bereits vollständig denselben Charakter 
wie unser Rechtsbuch; wie dieses ist sie im Wesentlichen aus den 
Gulapingslög und Frostabingslög compiliert, und zwar vollkommen in 
derselben abstoßend rohen Weise wie dieses, während die späteren 
Gesetzbücher des Königs, wenn auch keineswegs besonders gut gearbeitet, 
doch einen ohne allen Vergleich reiferen Eindruck machen. Berück- 
sichtigt man nun, daß der König durch die Haltung des Frostapinges 


im Jahre 1269 sich doch wohl zur Anknüpfung von Verhandlungen 


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ν 


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| 


‘mit dem Erzbischofe veranlaßt sehen mußte, und daß gerade auf kirchen- 


rechtlichem Gebiete der Gedanke einer gemeinsamen Legislation für 


#1) SverrisKrR 8. 30 und 54; vgl. FrpL, II, 8.1 und 45. #5) Häkonars, 
gamla, cap, 255, S. 22. 4) Sverris Kr, $.3—4; vgl. GpL, 8. 45. “ἢ Der 
letzte in den Sagen genannte Unfreie ist Bärdr skjöldr, der auf Weihnachten des Jahres 
1181 für seinen Herrn, K. Magnüs, fiel; Sverris s,, cap. 64, 8. 166, 


76 K. MAURER, DAS CHRISTENRECHT KÖNIG SVERRIRS, 


das ganze Reich am ersten entstehen konnte, so möchte man die Ver- 
muthung wagen, dal gerade gelegentlich jener Verhandlungen unsere 
Aufzeichnung in aller Eile entworfen worden, und als die Verhandlungen 
sich zerschlugen, ein bloßes Projeet geblieben sein möge, welches, von 
beiden Theilen fallen gelassen, niemalen praktische Bedeutung erlangte. 
Von hier aus würde sich dann leicht erklären, daß unser Rechtsbuch, 
ehe es durch einen Irrthum eines Abschreibers als ein Christenrecht 
K. Sverrirs bezeichnet wurde, überhaupt keine Überschrift trug, — 
erklären auch, warum an dessen Spitze die Thronfolgeordnung von 
1164 zwar im Inhaltsverzeichnisse aufgeführt, aber in den Text selbst 
nicht eingerückt wurde, in welchem vielmehr beabsichtigt sein mußte, 
an ihrer Stelle dasjenige einzurücken, was den Kristindömsbälk der 
Järnsida ausmacht. 

Möge man übrigens diese letztere Vermuthung stichhaltig finden 
oder nicht; so viel wenigstens wird man immerhin als festgestellt be- 
trachten dürfen, daß jede Zurückführung unseres Rechtsbuches auf 
K. Sverrir vollkommen unstatthaft ist. 


A. KÖHLER, SYNTAKT. GEBRAUCH DES GOTH. OPTATIVS, 77 


DER SYNTAKTISCHE GEBRAUCH DES OPTATIVS 
IM GOTHISCHEN. 


VON 


ARTUR KÖHLER. 


Es wird nicht allzu kühn sein, den Modus der Abhängigkeit, der 
in den germanischen Sprachen die Functionen des griechischen Con- 
junetivs und Öptativs zusammen vertreten muß, als Optativ zu be- 
zeichnen. Vermuthlich hat das Urgermanische beide Modi der Abhängig- 
keit nebeneinander besessen, und ist der Optativ zu suchen im ab- 
hängigen Modus des Prateritums, der Conjunctiv in dem des Presens. ') 
Da sich jedoch das Bedürfniss nach einbeitlicher Benennung herausstellt, 
so scheint mir — obwohl die Benennung Conjunctiv durch die Ana- 
logie des Lateinischen empfohlen wird — die Bezeichnung als Optativ 
wesentlich vorzuziehen, einestheils wegen der Bildung mit ableiten- 
dem 1, 2) andrestheils wegen der Bedeutung, die mehr auf ursprünglich 
optativische als conjunctivische Geltung hinweist; so wesentliche Func- 
tionen des Optativs wie die als Adhortativus, als Potentialis können 
schwerlich von einem ursprünglichen Conjunctiv hergeleitet werden. 

Bei Untersuchung des syntaktischen Gebrauches des Optativs halte 
ich es nicht für angemessen, die schulmäßige Eintheilung nach dem 
Vorkommen in selbständigen und in abhängigen Sätzen zum Haupt- 
eintheilungsgrunde zu machen; durch Scheidung nach einem so äulser- 
lichen Umstande werden die allgemeineren Gesichtspunkte, aus welchen 
syntaktische Erscheinungen betrachtet werden müssen, herabgedrückt 
und getrübt. Für noch weniger passend erachte ich es, in der Weise, 
wie es in einem Lexikon geschieht und nothwendig geschehen mul, 
die Eintheilung hauptsächlich zu treffen nach dem, was das griechische 
Original an den betreffenden Stellen bietet. Es wird sich z. B. im Ver- 


1) J. Grimm, Gramm. IV, 72; C. Fr. Koch, hist. Gramm. der engl. Sprache, II, 
8. 48 fi, 2) Leo Meyer, die gothische Sprache, ihre Lautgestaltung u. s. w. S. 698 fi, 


78 ARTUR KÖHLER 


laufe der Untersuchung zeigen, daß der gothische Optativ durchaus 
nicht willkürlich neben dem Indieativ zur Wiedergabe des griechischen 
Futurums verwendet wird, sondern daß der Übersetzer überall mit 
gutem Bedacht verfuhr und ein Unterschied der Bedeutung obwaltet, 
je nachdem Vulfila den Indicativ oder den Optativ dafür setzte. Auch 
die vielfachen Abweichungen vom Wortlaute und der Auffassung des 
Originals verbietet eine derartige Anordnung. Vielmehr erscheint es 
mir geboten und für die vorliegende Untersuchung allein nutzbringend, 
die verschiedenen Functionen des Optativs in’s Auge zu fassen, und 
diesen die verschiedenen Formen der Sätze, in denen er in der einen 
oder anderen Bedeutung begegnet, unterzuordnen. 


Sl 
Dereigentliche Optativ. 


Zunächst ist der Optativ in seiner eigentlichen Bedeutung als 
Modus des Wunsches in Betracht zu ziehen, wie er sich findet 


a) in selbständigen Sätzen. 


Die Stellen, in denen ein solcher Opt. begegnet, sind nicht allzu 
zahlreich. Außer dem formelhaften nis-sijai, μὴ γένοιτο, Luc. 20, 16; 
Rom. 7, 7. 13; 9, 14; 11, 1. 11; Gal. 2, 17, sind folgende Stellen zu 
verzeichnen: Marc. 11, 14 ni panaseips us bus aiv manna akran 
matjai, μηκέτι φάγοι, Luther: „nun esse von dir Niemand keine 
Frucht ewiglich“; hier möchte man vielleicht geneigt sein, adhortative 
Geltung des Opt. anzunehmen, aber dem steht die griechische Fassung 
entgegen, und außerdem enthalten die Worte kein Verbot, sondern eine 
Verfluchung, also einen Wunsch. Luc. I, 38 vairbai mis bi vaurda 
beinamma, γένοιτό μοι κατὰ τὸ ῥῆμα σου. Luc, 19, 42 steht hatei 
zur Einleitung directer Rede nach qibands und die folgenden Worte 
haben entschieden optativische Geltung: pateiip vissedeis..., ip nu 
gafulgin ist faura augam peinaim; im Griechischen steht dafür 
ein hypothetischer Vordersatz mit εὐ ὁ. Ind. Aor., weil die Bedingung 
das gerade Gegentheil der Wirklichkeit ist, und statt des Nachsatzes 
folgt ein Adversativsatz, aus dem der Schluß des Bedingungssatzes mit 
Leichtigkeit sich ergänzen läßt: ὅτι εὐ ἔγνως .. νῦν δὲ ἐκρύβη ἀπὸ 
ὀφθαλμῶν σου, vergl. Winer, Grammatik des neutestamentlichen Sprach- 
idioms, 7. Auflage, besorgt von Prof. Lünemann, 1867, S. 557: „wenn 
auch du wüßtest, was zu deinem Frieden dient! sc. wie heilsam wäre 
das (für dich).“ Rom. 15, 5 ib gup..gibai izvis pata samo frap- 

an u, V. 13 ib gup..fulljai izvis allaizos fahedais, für die 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 79 


griech. Opt. don und πληρώσαι; ebenso Gal. 6, 14 ip misnisijaihvo- 
paninni vaihtai, ἐμοὶ δὲ un γένοιτο καυχᾶσϑαι, wo das entsprechende 
griech. Adverbiale für das Gothische in ni vaihtai fehlt:' vgl. Löbe 
z. d. St. Ferner I Thess. 3, 11. 12; 5, 23 abban silba gup gavair- 
pjis gaveihai izvis allandjo, jah gahails izvar ahman jah 
saivala jah leik usfaininonain quma fraujinsunsaris Jesuis 
Xristaus gafastaindau, αὐτὸς δὲ ὁ ϑεὸς τῆς εἰρήνης ἁγιάσαι ὑμᾶς 
ὁμοτελεῖς, καὶ ὁμόκληρον ὑμῶν τὸ πνεῦμα καὶ ἡ ψυχὴ καὶ τὸ σῶμα.. 
τηρηϑείη, wo der Acc. ahman (Stamm und Heyne setzen gegen die 
Handschriften den Nom. ahma) wohl durch ein Versehen des Über- 
setzers zu erklären ist, indem er die Worte καὶ ὁμόκληρον ὑμῶν τὸ 
πνεῦμα zu ἁγιάσαι zog, während sie ebenso wie ψυχὴ und σῶμα zu 
τηρηϑείη gehören, vgl. Löbe z. ἃ. St. II Thess. 2, 17; 3, 5. 16; II Tim. 
I, 16. 18; Philem. v. 20. Daneben begegnet Goth. der Opt. verstärkt 
durch vainei für ὄφελον sq. ind. I Cor. 4, 8 jah vainei piuda- 
nodedeip, xai ὄφελον γε ἐβασιλείσατε, 11 Cor. I], 1 vainei us- 
bulaidedeip meinaizos leitilhvaunfrodeins, ὄφελον ἀνείχεσϑέ 
μου μικρόν τι ἀφροσύνης, Luther: „Wollte Gott, ihr hieltet mir ein 
wenig Thorheit zu Gute“, und Gal. 5, 12 vainei jah usmaitain- 
dau hai drobjandans izvis, ὄφελον καὶ ἀποκόψονται οἵ ἀναστα- 
τοῦντες ὑμᾶς. 
b) In abhängigen Sätzen. 

Abhängige Sätze, die den Opt. in seiner eigentlichen Bedeutung 
aufzeigen, sind zunächst diejenigen nach den Verben des Fürchtens: 
dieselben sind zwar als Fragesätze behandelt, eingeleitet durch die 
Fragepartikel ibai; da aber die rein optativische Geltung ganz unver- 
kennbar ist, so trage ich kein Bedenken sie hier zu behandeln. 


1. Nach den Verben des Fürchtens. 


Löbe bemerkt II, 2, 8. 273 (ὃ. 272): „Unter die Kategorie der 
indirecten Frage gehört im Gothischen fürchten daß, indem der 
abhängige Satz durch die Fragepartikel ibai oder ibai aufto ὁ. Con]. 


an den Hauptsatz angefügt wird.“ Die Form ist allerdings die der 


Fragesätze: ibai und ibai aufto sind zunächst Fragewörter und wer- 
den als solche in Fragen, auf die man eine verneinende Antwort er- 
wartet, angewandt, c. Ind., nur Rom. 11, 21 ce. Opt. (Gal. 2, 2 gehört 
nicht hieher, sondern ibai hat finale Geltung, vgl. Winer, S. 470), 
gehen aber vollständig über in die Bedeutung von Finaleonjunetionen 
und übersetzen als solche geradezu ἵνα un, finales un, un πῶς, un 


ποτε. Man könnte sonach die Sätze, welche eine Befürchtung aus- 


80 ARTUR KÖHLER 


sprechen, mit unter die Absichtssätze rechnen. Weil aber hier die Vor- 
stellung des Wunsches, daß etwas nicht eintreten, beziehentlich nicht 
ausbleiben möge, ganz besonders deutlich hervortritt, noch sichtbarer 
als bei den Finalsätzen, auch eine eigentliche Absicht nicht wohl vor- 
liegt, so nehme ich sie vorweg, als den Übergang bildend zu diesen, 
den eigentlichen Absichtssätzen. Anfänglich war ich geneigt, Löbes 
Auffassung vollständig zu theilen, so daß in der Construction der Sätze, 
die eine Befürchtung ausdrücken, nicht nur die Form der Fragesätze 
sich zeigte, sondern auch diese Construction auf der ursprünglichen 
Vorstellung des Befürchteten, als eines in Frage Stehenden, durch den 
Opt. deliberativus Auszudrückenden beruhte. Es würde dann, was man 
fürchtet, also was man abzuwenden, zu verhindern sucht, oder wenn 
dies nicht in der Macht des Subjeetes steht, abgewandt, verhütet zu 
sehen wünscht, als zweifelnde Frage negativ ausgedrückt werden („ob 
nicht etwa“); ist aber das Befürchtete negativer Art, so würde doppelte 
Negation zu setzen sein, daher Griechisch un ov, Lateinisch ne non 
oder einfacher ut. Auf diese Weise schiene das Auffallende, daß 
Befürchtungssätze affrmativen Inhalts negativ und solche negativen 
Inhalts durch doppelte, sich aufhebende Negation, also affırmativ aus- 
gedrückt werden, ein neues Licht zu erhalten. Dem steht aber ent- 
gegen, daß μὴ und lat. ne Finalconjunctionen aus einfachen negativen 
Adverbien geworden sind, sowie goth. ibai aus einer Fragepartikel 
ebenfalls negative Finaleonjunction; ferner daß es im Lat. und Griech. 
eine ganz geläufige Erscheinung ist, daß auf Verba von negativer 
Bedeutung negative Conjunctionen oder der Infinitiv in Verbindung 
mit der Negation folgt (z. B. prohibere, quo minus 85. ne, cavere 
ne; χωλύειν 54. μὴ c. Inf., ἀπαγορεύειν, agveiv, εὐλαβεῖσϑαι u. 5. W. SQ. 
μὴ ce. Inf.), die auch im Goth. Analogien hat, z.B. faurbiudan ei ni 
(vgl. Germania XII, 446; Löbe II, 2, δ. 209) und Negation im abhängigen 
Satze nach negiertem Verbum (Löbe, a. a. O.). Wir dürfen sonach 
die rücksichtlich der Form dieser Sätze durchaus richtige Bemerkung 
Löbes nicht so weit ausdehnen, daß wir annehmen, dieselben haben 
auch die Bedeutung von Fragesätzen, und ihre Form verdanke ihre 
Entstehung der Vorstellung des Befürchteten als eines in zweifelnde 
Frage Gezogenen. — Nach ogan finden sich Wunschsätze in der Form 
indirecter Frage II Cor. 11, 3appan og, ibai aufto svasve vaurms | 
Aivvanuslutodafiludeisein seinai, riurja vairbaina frapja | 
izvara af ainfalbein, φοβοῦμαι δὲ, μήπως .. φϑαρῇ τὰ νοήματα 
κτλ. und 12, 20, wohl noch fortgesetzt in V.21: unte og, ibai aufto 
qimands ni svaleikans sve viljau bigitau izvis jah ik bigi- 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN, 8] 


taidau izvis svaleiks 506 πὶ vileib mik, ibai aufto pvair- 
heins.. (86. sijaina); ibai aftra qimandan mik gup gahaunjai 
at izvis jah gaino managans, φοβοῦμαι γὰρ, μή πως. «εὕρω ὑμᾶς 
κἀγὼ εὑρεϑὼ ὑμῖν, «ἡ πως ἔρις .. (sc. ὦσιν): μὴ πάλιν... ταπεινώσει 
μὲ ὁ ϑεός μου καὶ πενθήσω κτλ. Auffällig ist allerdings der Wechsel 
von Conj. aor. und Ind. fut.; letzteres kann freilich nach un πῶς auch 
recht wohl final gedeutet werden (Winer, $. 468 f.), und so hat viel- 
leicht auch Luther die Stelle gefaßt: „daß ich nicht abermal komme 
und mich mein Gott demüthige bei euch.“ Aus Löbes Übersetzung: 
„ne iterum venientem me deus humiliet“ läßt sich nicht er- 
sehen, ob das ne einen neuen Finalsatz einleiten soll oder die Fort- 
setzung des mit ne forte begonnenen Befürchtungssatzes anschließen. 
Winer fasst V. 21 als einen neu angefügten Finalsatz (S. 515, Anm. ]), 
indem er übersetzt: „damit nicht abermals mich, wenn ich komme, 
Gott demüthige.“ Sonst noch Gal. 4, 11 og izvis, ibai svare arbai- 
dedjau in izvis, φοβοῦμαι ὑμᾶς μή πως εἰκῆ κεκοπίακα εἰς ὑμᾶς. 
Auf der Grenze zwischen Wunsch- und Absichtssätzen, den ersteren 
aber noch näher, stehen die Sätze, die auf Verba folgen, welche be- 
deuten „sich hüten, vorsehen, zusehen, daß nicht etwa.“ Auch diese 
sind in die Form von Fragesätzen gekleidet. Gal. 5, 15 saihvipb, ibai 
fram izvis misso fragimaindau, βλέπετε un ὑπὸ ἀλλήλων ἀνα- 
Aodyte, und 6, I atsaihvands puk silban, ibai jah bu fraisai- 
zau, σκοπῶν σεαυτὸν μὴ καὶ σὺ πειρασϑῇς, I Thess. 5, 15 saihvih, 
ibai hvas ubil und ubilamma hvamma usgildai, ὁρᾶτε μή τις 
κακὸν ἀντὶ κακοῦ τινὶ ἀποδῷ. Elliptisch zu erklären und ein Imperativ 
zu ergänzen „hütet euch“ Gal. 5, 13 patainei ibai pana freihals 
du leva leikistaujaip, akin friapvos ahmins skalkino} izvis 
misso, griech. kürzer: μόνον un τὴν ἐλευϑερίαν εἰς ἀφορμὴν τῇ σαρκὶ, 
ἀλλὰ διὰ τῆς ἀγάπης δουλεύετε ἀλλήλοις, Luther: „allein sehet zu, dal 
ihr durch die Freiheit dem Fleische nicht Raum gebet, sondern durch 
die Liebe diene einer dem andern“. Vgl. Winer 5. 554 ἢ 

Hieher gehört noch Matth. 9, 30 saihvats, ei manna ni viti, 
wo griech. ein asyndetisch coordinierter Imperativ vorlag, ὁρᾶτε, μηδεὶς 
γινωσκέτω, sowie die Stellen, wo im Griech. der bloße Conj. steht: 
Matth. 8, 4 saihv ei mann ni gihais, ὅρα, μηδενὶ εἴπῃς und fast 
gleichlautend Marc. 1, 44 saihv, ei mannhun ni gipais vaiht, 
ὅρα μηδενὶ μηδὲν εἴπῃς. ͵ ; 
ον, Als eigentliche Wunschsätze sind trotz des griech. ἵνα. auch an- 
zusehen Eph. 1, 17 ei gup fraujins unsaris Jesuis Xristaus, 
‚atta vulbaus, gibai izvis ahman handugeins etc., ἵνα ὁ ϑεὸς.. 

GERMANISTISCHE STUDIEN, 6 


Zah 


82 ARTUR KÖHLER 


δῴη ὑμῖν πνεῦμα σοφίας κτλ., hervorgerufen durch das vorausgehende 
in bidom meinaim, ἐπὶ τῶν προςευχῶν μου, und 3, 16, veranlaßt 
durch biuga kniva, χάμπτω τὰ γόνατα in V. 14: ei gibai izvis 
bi gabein vulpaus seinis mahtai gasvinpnan etc, ἵνα δῴη 
ὑμῖν. δυνάμει κραταιωϑῆναι. Winer (S. 273) bemerkt zu diesen Stellen: 
„Wo auf ἵνα der Opt. (nach Präs.) folgt.., ist ἕνα nicht eigentlich 
Absichtspartikel, sondern der Satz, den es beginnt, drückt den Gegen- 
stand des Wunsches und Gebetes aus (daß er geben möge), und der 
Opt. als modus optandi ist eben deshalb gewählt.“ 

Als wirklicher Optativ, als Modus des Wunsches, erscheint der 
goth. Opt. ferner 


9. ın Finalsätzen. 


Denn was man erstrebt, das wünscht man. Es ist also der Opt. 
in seiner eigentlichen Bedeutung, der hier begegnet. In erster Linie 
steht die Conjunction ei, die am häufigsten ἕνα übersetzt. Freilich ist 
ei durchaus nicht ausschließlich Finaleonjunetion, sondern ebenso viel- 
fach verwandt zur Einleitung von Subjectiv- und Objectivsätzen, von 
consecutiven, causalen, relativen, epexegetischen wie unser heutiges 
daß. Beachtenswerth ist hiebei, daß ἕνα im neutestamentlichen Idiome 
äußerst häufig auch in solchen Sätzen begegnet, die keinesfalls als 
finale angesehen werden dürfen, sondern welche zu den Objectivsätzen 
gerechnet werden müssen, so nach den Verben des Wollens und Begeh- 
rens, des Befehlens, Verbietens, Bittens, Suchens, Beschließens u. s. w., 
die Löbe $. 276 als Verba der „Willensäußerung“ zusammenfasst, aber 
nichtsdestoweniger unter dem Capitel von den Absichtssätzen behandelt. 
Wirklich final erscheint ei c. Opt., bisweilen verstärkt dupe ei, in 
bis ei, du pamma ei (vgl. Löbe 8. 277) Matth. 27, 42 atsteigai- 
dau nu af pamma galgin, ei gasaihvaima jah galaubjam 
imma, wo der finale Zusatz im Griech. fehlt; καταβάτω νῦν ἀπὸ τοῦ 
σταυροῦ καὶ πιστεύσομεν αὐτῷ. Der Wechsel des Modus müßte höchst 
auffallend erscheinen, wenn nicht der Finalsatz auf Interpolation aus ἢ 
dem Codex Brixianus beruhte (Löbe z. d. St. und Ernst Bernhardt, 
kritische Untersuchungen über die gothische Bibelübersetzung I, S. 9), ἢ" 
so daß offenbar wird, daß galaubjam selbständiges Verbum des Haupt- ἢ" 
satzes ist, nicht von ei abhängt. Für finalen Inf. begegnet ei Mare. ἢ" 
8, 7; Luce. 2, 3. 24. 27; 4, 42; Rom. 7,4; 14,13; II Cor. 1,4; 3,13; 8 
4, 4; Gal 2, 17; Eph. 1, 4. 12. 18; 6, 11; Col. 1, 10; 4, 6; 1 Thess. ft 
3, 2.3.10; 5, 27; II Thess. 3, 8 für ὥστε c. Inf., aber in finaler Bedeu- | 
tung Matth. 27, 1 runa nemun allai gudjans jah pai sinistans Jh 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 83 


manageinsbiJesu,eiafdaupidedeinaina, συ, βούλιον ἔλαβον.. 
ὥστε ϑανατῶσαι αὐτόν, für ὅπως Matth. 5, 16. 45: 6, 2. 4. 5.16. .18; 
ΘΙ [Mare 5, 65. Rom.9, 17; IL Cor. 8, 14; Gal. 1, 4; II Thess. 
1, 12 und ὅπως av Luc. 2, 35 ei andhuljaindau us managaiın 
hairtam mitoneis, ὅπως ἂν ἀποκαλυφϑῶσιν xrA., sonst überall für 
220. Matth.,,9,5,6;; Mare. 1, 38; 2, 10; 3, 2. 9. 10. 12. 14:74, 1212.09 
5, 10; 23;,8,6; 9, 12. 22; 10,13. 17.48; 11,25; 12, 2. 13. 15; 14,10; 
15, 11. 15. 20. 21.32; 16, 1; Lue. 1, 4; 5, 24; 6, 7. 34; 8, 10. 12. 16: 
9, 12.45; 14, 10.23; 15, 29; 16, 4.9; 18, 15. 39; 19, 4. 15; 20, 10. 14. 20; 
Joh. 5, 23. 36; 6, 5. 15. 28. 30. 50; 7, 3. 23. 32; 8, 59: 9, 39; 
10, 10. 17. 31. 38; 11,4. 11. .15. 16. 19. 31. 42; 12, 9. 10. 20. 35. 36. 
38. 40. 42. 46. 47; 13, 15. 19. 29; 14, 13. 16. 29. 31; 15, 2. 11. 16; 
16, 1. 4. 24; 17, 1. 2. 11. 12. 13. 19. 21. 22. 23. 26; 18, 9. 28. 32. 36. 37; 
19, 4; Rom. 7,4.13; 8,4; 9, 11. 23; 11, 11. 19. 25. 31. 32; 15, 4. 6: 
ΠΥ ΠΡΟ 8... 5.75 7.558, 135. 9;19.20.,21..22.:23, 24.26; 
ἐὺ τὺ πε 5 δὸς 16,;2: 6.:10., 11. 16; 11. στ. 1, 9. 21. 16: 17; 
Ὃν 27. 11.15; .δ,. 4..10. 15.-215 6,35 .7,.9;:8, 9, 14; 
Bars, 7.12, 16; -12, 7.9; 13, 7.10; Gal42,-4.5..10.,19; 
Be 173 6,.12..15:; Eph: 2,7..9..10. 15-f.; .3,.10..18.°719; 4,10. 148 
2026 ,13.,119: 204.21. 22 ; Phil. 1,,26,.27;,2,27, ‚2 

re 181 98: 3,27; 4,8..12,..17;, I Thess.;2, 16;:4, 12.13; 
ΗΠ ἸΠΗΡΕΞΗΝ ΓΕ 1.9. 1,2, Ὁ. Πάν} Tim. 1.3. 16. 20;;,2, 2; 
3, 7. 15; 5, 7. 16 (das Verbum fehlt zwar im Goth., müßte aber im 
Opt. stehen). 20. 21; 6, 1; II Tim. 1,4; 2, 4. 10; 3, 17; Tit.1, 5.9. 13; 
Philem. V. 13. 14. 15. 19. Sonst erscheint noch finales ei Neh. 5, 14. 18; 
Skeir. I, a. d.; IV, d.; V,a. ce; VL Ὁ; VI d. — I Cor. 4, 6 und 
Gal. 4, 17 steht finales .ei für ἕνα ὁ. Ind. (φυσιοῦσϑε und ζηλοῦτε); 
vgl. Winer, S. 272 f. — Eine beachtenswerthe Abweichung vom griechi- 
schen Texte begegnet Luce. 5, 7 jah bandvidedun gamanam, b οὶ 
vesun in anparamma skipa, ei atiddjedeina hilpan ize, καὶ 
κατένευσαν τοῖς μετόχοις .. τοῦ ἐλϑόντας συλλαβέσϑαι αὑτοῖς, indem 
das Verbum des Kommens im Griech. in Form eines appositiven Parti- 
eips untergeordnet ist und das Helfen als die Hauptsache erscheint, 
als der Zweck des Winkens, im Goth. dagegen das Herbeikommen 
wesentlich hervorgehoben ist, und von diesem Verbum erst der Spaß 
Inf. hilpan abhängt. Diese Stelle ist charakteristisch für die Ver- 
schiedenheit der germanischen und der antiken Sprachen, sofern zufolge 
der leichten Verwendbarkeit der participialen Ausdrucksweise es dem 
Griech. und Lat. besser möglich ist, die Hauptsache stark hervorzu- 
heben und nebensächliche Momente zurücktreten zu lassen, indem man 


6*r 


28. 80: 
2. Al 


ἡ ARTUR KÖHLER 


sie in Form von Partieipien untergeordnet auftreten lälst, während bei 
uns auch das weniger Wichtige als Verbum finitum gesetzt werden muß. 
Final gewendet ist der prohibitive Conj. des Griech. nach οὐ un Lue. 
6, 37 jah ni stojid, ei ni stojaindau, καὶ un κρένετε καὶ οὐ μὴ 
κριϑῆτε, während unmittelbar daneben das Goth. dem Griech. genau 
nachgebildet ist: ni afdomjaid, jah ni afdomjaindau, un κατα- 
δικάξετε καὶ οὐ μὴ καταδικασϑῆτε. Mehrfach begegnen Rllipsen, indem 
aus dem Zusammenhange ein Satz ergänzt werden muß, von dem der 
Finalsatz abhängt: Marc. 14, 49 daga hvammeh vas at izvis ih 
alh laisjands jah nigripup mik: ak eiusfullnodedeina bokos, 
ἀλλ᾽ ἵνα πληρωϑῶσιν al γραφαί, wo ergänzt werden muß: ak ni mahte- 
dup mik greipan. So muß) man ergänzen blinds gabaurans varp 
Joh. 9, 3nih sa fravaurhta nih fadrein is, ak ei bairhta vaur- 
beina vaurstvagubsanaimma, οὔτε οὗτος ἥμαρτεν οὔτε ol γονεῖς 
αὐτοῦ. ἀλλ ἵνα φανερωϑῇ τὰ ἔργα τοῦ ϑεοῦ ἐν αὐτῷ. Ganz ähnlich 
Joh. 13, 18 ak ei usfullip vaurpi pata gamelido, ἀλλ wen 
γραφὴ πληρωϑῇ und 15, 25 ak eiusfullnodedi vaurd pata game- 
lido in vitoda ize, ἀλλ ἵνα πληρωϑῇ ὁ λόγος κτλ. An letzterer 
Stelle, Joh. 15, 25 ist auch ein Aussagesatz in directer Rede des Griech., 
der den Inhalt des Schriftwortes angibt, welches erfüllt werden soll, 
goth. in einen Finalsatz umgewandelt, denn als solchen sehe ich ihn 
an, nicht als einen Objectivsatz, weil der Eintritt des in demselben 
Satze Ausgesagten die Absicht Gottes bei jedem Ausspruche ist, dieser 
Satz also erklärend zu dem vorausgehenden Finalsatze ei usfullno-| 
dedietc. steht: ei fijaidedun mik arvjo, ὅτι ἐμέσησάν μὲ δωρεᾶν. 
Ähnlich ist ein selbständiger Aussagesatz des Griech. in einen Finalsatz 
verwandelt, abhängig von dem vorausgehenden Satze; von diesem Final- 
satze hängt dann wieder ein Finalsatz ab, wie im Griech. von dem 
entsprechenden Hauptsatze: II Cor. 5, 12 (V. 11 heißt es: venja 
svikunpans visan uns, und davon abhängig lautet das Folgende:) 
nieiaftra uns silbans uskannjaima izvis, ak lev gibandans 
izvis hvoftuljos fram uns, ei habaip ete., οὐ γὰρ πάλιν ἑαυτοὺς 
Gvvioravousv..., ἵνα ἔχητε κτλ. Es ist nämlich aus dem vorhergehen- 
den uskannjaima, ovvıoravousv, ein allgemeineres Verbum des 
Sagens, Behauptens zu ergänzen: vgl. Winer, S. 330, der sich auf der 
Commentar von Meyer z.d. St. beruft. Auch ein Relativsatz von finaleı 
Geltung des Griech. wird goth. durch einen einfachen Absichtssatz 
wiedergegeben Eph. 3,4 duppe ei siggvandans mageip frapjaı 
frodein meinai, πρὸς ὃ δύνασϑε ἀναγινώσκοντες νοῆσαι τῆν σύνεσί; 
μου. Phil. 3, 16 steht Griech. ein appositiver Inf, der goth. durel 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 85 


einen Finalsatz wiedergegeben wird: appan svepauh du bammei 
gasnevum, ei samo Ruin jah samo frapjaima samon 
gaggan garaideinai, πλὴν εἰς ὃ (d. h. zu welchem Zwecke, wozu) 
ἐφϑάσαμεν, τῷ αὐτῷ στοιχεῖν κανόνι τὸ αὐτὸ φρονεῖν. Diesen Inf., der 
in dem von Tischendorf herausgegebenen Texte fehlt, erklärt Bi 
Ὁ. 297 für gesetzt in a eretung des Born und bemerkt 
dazu: „er markiert hier gut das unabänderliche Gesetz für die christ- 
liche Lebensentwickelung.“ Die Worte samon gaggan ga raideinai, 
die nur die Hs. A enthält, sind, wie Bernhardt, krit. Untersuchungen 
I, S. 17, nachweist, aus dem Codex Brixianus hieher gekommen, und 
zwar mit wörtlicher Entlehnung, wodurch die Oonstruction gestört wird ; 
Stamm und nach ihm Heyne lesen statt dieses störenden Inf. den Opt. 
jah samon gaggaima garaideinai, allerdings gegen die Autorität 
der Hs., die hier recht deutlich Interpolation erkennen läßt, aber zu 
den übrigen Worten durchaus passend. 

Synonym mit ei ist das verstärkte peei oder bei, etwa ent- 
sprechend unserem „damit daß“, welches Luther mehrfach anwendet. 
Besonders häufig begegnet diese Conjunetion im Johannes-Evang-lium, 
Joh. 6, 7. 12. 38; 16, 33, sonst noch II Cor. 2, 4, stets für ἵνα. 

Wie einfaches ei as in finaler Bedeutung wiedergibt, so auch 
das gleich dem griech. ὥστε eigentlich consecutive sve oder svaei 
Luc. 9, 52 jah gaggandans galibun in haim Samareite, sve 
manvjanimma, ὥστε ἑτοιμάσαι αὐτῷ, Luther: „daß sie ihm Herberge 
bestellten.“ Nicht einräumen kann ich dem svaei ausschließlich finale 
Geltung Gal. 2,9 Paitrus jah Jakobus jah Johannes, paiei puhte- 
dunsauleis visan, taihsvons atgebun misjah Barnabin gamai- 
neins, svaei veis du piudom, ip eis du bimaita, trotz der 
griech. Fassung ἵνα ἡμεῖς εἰς τὰ ἔϑνη κυλ. Es ist klar, dal die con- 
secutive Auffassung der Stelle ebenso berechtigt ist als die finale: es 
kommt darauf an, ob die Vertheilung der Bezirke, in denen die Apostel 
thätig sein sollen, als Folge und Ergebniss ihrer Übereinkunft oder als 
Ziel und Zweck ale bezeichnet werden soll. 

Häufig ist der Gebrauch von ibai und ibai aufto als Final- 
partikeln. Eigentlich Fragepartikeln, konnten sie leicht zu dieser ihrer 
finalen Geltung kommen, indem etwas nur erst Beabsichtigtes doch 
immer als etwas Fragliches, Zweifelhaftes erscheint. Man hat nicht 
nöthig ein Verbum des Fürchtens zu ergänzen, von dem dieser Wunsch- 
satz abhienge. Matth. 27, 64 ibai aufto qgimandans hai siponjos 
sbinimaina imma jah qihaina du managein, μήποτε. «κλέψωσιν 
χὐτὸν καὶ εἴπωσι τῷ λαῷ, Luc. 14, 29 ibai aufto,.allai duginnaina 


86 ARTUR KÖHLER 


bilaikan ina, {va μήποτε... «ἄρξωνται ἐμπαίξειν αὐτῷ, 18, 5 ibai 
und andi qimandei usagljai mis, ivye μὴ. .ὑπωπιάξῃ we, 1 Cor. 
9,27ibaianbaraim merjandssilba uskusans vairpau, μήπως.. 
γεένωμαϊ; IL Cor. 2,7; 8, 20; 9, 4; 11, 16; 12, 6; Gal. 2, 2; I: Thess. 
3, 5; I Tim. 3, 6, für ἕνα μή, einfaches μὴ sq. Conj., un πῶς sq. Conj., 
auch sq. Ind. (I Thess. 3, 5) und mit beiden Modis wechselnd Gal. 2, 2, 
worüber zu vergleichen Winer S. 470. — Bedeutsam ist der mehrmals 
eintretende Wechsel der Modi im Goth., so daß auf einen ganz correcten 
Opt. der Ind. folgt. Dies muß daraus erklärt werden, dal) das, was 
im ersten Satzgliede, beziehentlich in den ersten Satzgliedern steht und 
zunächst verhütet werden soll, als Ursache des zweiten erscheint, das 
beim Eintritte des ersteren, das verhütet werden soll, als unausbleib- 
liche Folge mit Nothwendigkeit eintreten würde; daher der Ind. So 
Matth. 5, 25 ibai hvan atgibai puk sa andastaua stauin jah 
sa staua puk atgibai andbahta jah in karkara galagjaza, 
μήποτέ δε παραδῷ ὁ ἀντίδικος τῷ κριτῇ, καὶ ὁ κριτής σε παραδῷ τῷ 
ὑπερέτῃ, καὶ εἰς φυλακὴν βληϑήσῃ. Griech. hier überall Conj., goth. 
aber schließlich der Ind., weil die Gefangensetzung das nothwendige 
Ende sein würde. Freier wieder gegeben durch Finalsätze sind hypo- 
thetische Perioden des griech. Textes, in denen der Vordersatz elliptisch 
gestaltet ist Marc. 2, 21 ibai afnımai fullon af bamma so niuja 
bamma fairnjin, εὐ δὲ un, αἴρει am αὐτοῦ τὸ πλήρωμα τὸ καινὸν 
τοῦ παλαιοῦ und V. 22 ibai aufto distairai vein pata niujo 
pansbalginsjah vein usgutnip jah pai balgeis fragistnand, 
εἶ δὲ un, ῥήσσει ὁ οἶνος τοὺς ἀσκοὺς καὶ ὁ οἶνος ἀπόλλυται καὶ οἵ 
ἀσκοί. Luc. 14, 12 ibai aufto jah eis aftra haitaina puk 18} 
vairbhib pus usguldan, μήποτε καὶ αὐτοὶ ἀντικαλέσωσίν σὲ καὶ 
γένηται ἀνταπόδομα σοι, ἃ. h. damit sie dich nicht wieder einladen, 
in welchem Falle dir vergolten würde. — Ein einziges Mal kommt auch 
nibai, das eigentlich „wenn nicht“ bedeutet, als Finalconjunction 
ὁ. Opt. vor, Marc. 4, 12 nibai hvan gavandjaina sik jah afle- 
taindau im fravaurhteis, μήποτε ἐπιστρέψωσι καὶ ἀφεθῇ αὐτοῖς 
τὰ ἁμαρτήματα. Löbe bemerkt hiezu: „male vertunt viri docti: 
nisi quando, pro: (timeo), ne quando“. Allerdings ist der Final- 
satz nicht in unmittelbare Verbindung mit den vorhergehenden Worten 
zu bringen: denn es ist doch unmöglich, dafs Gott absichtlich die Bekeh- 
rung der Sünder hindere, um ihnen die Vergebung verweigern zu kön- 
nen; aber die Auffassung der Worte nibai hvan ete., wie bei Löbe, 
als eines Befürchtungssatzes bringt einen durchaus fremden Gedanken 
herein, der durch nichts vermittelt wird. Ganz einfach ist diese Stelle 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 87 


wie manche andere zu beurtheilen, die einen Hinweis auf eine ander- 
weitige, besonders prophetische Äußerung enthält, und in welcher ein 
Finalsatz nicht direct vom vorhergehenden abhängig gedacht werden 
kann, sondern elliptisch zu erklären ist durch Ergänzung der Worte: 
„damit erfüllet würde;“ vgl. Winer 5. 429 £. 


8. 2. 
Optativus adhortativus. 


Aus dem Wunsche, daß etwas geschehen möge, entspringt sehr 
leicht die Aufforderung dies zu thun. Vgl. Grimm, Gramm. IV, 75. 
Daher die so ausgedehnte Verwendung des Opt. als Adhortativus, zu- 
nächst 


a) in selbständigen Sätzen, 


Hier wird die Verwendung des Opt. in dieser Function wesentlich 
begünstigt durch den Umstand, dafs das Goth. keine 3. Person des 
Imperativs besitzt. So finden wir gothischen Opt. für die 3. sg. oder 
Plur. des griechischen Imperativs Matth. 5, 16. 31, wo batei nur zur 
Einleitung der directen Rede dient: qgipanuh ban ist, patei..gibai 
izvis afstassais bokos, ἐρρέϑη δὲ, Orı..dorw xrA., so daß ein Ein- 
fluß der Conjunction batei hier nicht angenommen werden kann; 
ferner 6, 3. 9. 10; 8, 13 neben dem Imperativ, mit dem der Hauptmann 
von Capernaum angeredet und direct aufgefordert wird sofort zu gehen, 
während der Opt. sich auf etwas, das in der Ferne geschehen soll, auf 
die Heilung des kranken Knechtes bezieht: gagg jah svasve galau- 
bides, vairbai bus, ὕπαγε καὶ ὡς ἐπίστευσας γενηϑήτω σοι, ferner 
ΟΞ ΠΟ 55 275143; Mare. 4, 9.2357, 10! 16; 8, 34; 10, 9; Luc. 
3, 11; 8, 8; 9, 23; 14, 34; 17, 31°); Joh. 7, 37; 12, 26; 14, 1. 27; 
Rom. 12, 19 mis fraveit letaidau, ἐμοὶ ἐνδίκησις, ohne Verbum, 
zu ergänzen ἔστω; 13, 1; 14, 3. 16; 15, 11; I Cor. 7, 9. 12. 13. 15. 
17. 18. 20. 24; 10, 25; 11, 28; 14, 26; 16, 2. 14; II Cor. 10, 7. 11. 17; 
Gal. 6, 4. 6. 17; Eph. 4, 26. 28. 29. 31; 5, 3. 6; Phil. 2, 5; 4, 5. 6; 
Col. 2, 16. 18; 3, 15. 16; (Col. 3, 8 us munpa izvaramma ni us- 
gaggai, wofür im Griech. ein entsprechendes Verbum fehlt; es heilt 
im Anschlusse an die vorhergehenden Substantiva blos ἐκ τοῦ στόματος 
ὑμῶν, vgl. E. Bernhardt, a. a. Ὁ. I, 19) I Tim. 2,11; 31, 2741285 
5,4. 9. 16; 6, 1.2; II Tim. 2, 19; Neh. 7, 3. 


A Über Luc. 2, 29 vgl. Ernst Bernhardt, kritische Untersuchungen über die 
gothische Bibelübersetzung II, 8. 11. 


88 ARTUR KÖHLER 


Ebenso natürlich ist es, daß für griechisches Futurum im Sinne 
des Imperativs, das sich besonders häufig in Verbindung mit der Nega- 
tion, also prohibitiv findet (vgl. Winer S. 296) goth. der Opt. gesetzt 
wird: Matth. 5, 21. 27. 33. 43. 48; 6, 5, wo der verschiedene Numerus, 
griech. der Sing., goth. der Plural, zu beachten ist: ni sijaib sve 
pailiutans, οὐκ ἔσῃ ὥσπερ ol ὑποκριταί; Vulfila scheint das Incorreete 
gefühlt zu haben, das darin liegt, wenn zu dem Befehl im Sing. ein 
verglichener Gegenstand im Plural hinzugesetzt wird, und darum auch 
die Aufforderung durch den Plural ausgedrückt zu haben. Ferner Mare. 
9,35; 10, 43. 44; 12, 30. 31; Luc. 1, 20; 4, 8. 12; 6, 40. 42; 10, 27 
(frijos mul dem Sinne der Stelle nach Opt. sein); 17, 4; auffallend 
ist Luc. 17, 8 der Wechsel von Ind. und Opt.: jah bibe gamatjis 
jah gadrigkais bu, χαὶ μετὰ ταῦτα φάγεσαι nal πίεσαι σύ, und 
jedesfalls daraus zu erklären, daß Vulfila das griechische Futurum 
nicht ausschließlich in imperativischem Sinne fasste, sondern mehr als 
wirkliches Futurum; Luc. 19, 31; Job. 9, 21; Rom. 7,7; 13, 9; I Cor. 
8,9; Gal. 5,14. Phil. 4, 9 neben dem Imperativ πράσσετε, taujaip, das 
Futurum ἔσται, das hier sicherlich eigentliches Futurum ist; der gothische 
Übersetzer scheint es aber nicht so verstanden zu haben, sonst würde 
er statt jah gups gavairbeis sijai mip izvis wohl gesagt haben 
vairbip mip izvis. Ähnlich ist Rom. 13, 3 piup taujais jah habais 
hazein us bamma, τὸ ἀγαϑὸν ποίει καὶ ἕξεις ἔπαινον ἐξ αὐτῆς, Wo 
das Futurum keinen Befehl ausdrückt, sondern eine Verheißung, deren 
Eintritt an die Erfüllung des vorausgehenden Gebotes geknüpft wird; 
Vulfila aber nimmt in beiden Stellen die Verheißsung als einen Theil 
der Aufforderung. Schließlich gehört noch hieher I Tim. 5, 18. 

Für den adhortativen Conjunctiv in der 1. Plur. konnte gothisch 
nicht füglich etwas anderes gesetzt werden als die 1. Plur. opt.: Marc. 
9,,55,.Luc.,2, 15;,.8,,22; 9, 33;,, Rom. ;13, }13;, 14, 19;, Ib Cor. 3,12; 
Gal. 5, 26; 6, 9; Phil. 3, 15; I Thess. 5, 6. 8; Skeir. V, d. Auch lag 
es nahe, den prohibitiven Conjunctiv des Griech. durch ni mit dem 
Opt. wiederzugeben: Matth. 5, 17..36. 42 (neben dem positiven Imp. 
des Griechischen und un ὁ. conj., goth. beidemal der Opt.: pamma 
bidjandin puk gibais jah pamma viljandin af pus leihvan 
sis ni usvandjais, τῷ αἰτοῦντι σὲ δίδου καὶ τὸν ϑέλοντα ἀπὸ σοῦ 
δεινάσασϑαι μὴ ἀποστραφῇς); 6, 2. 7. 8; 10, 34; Mare. 5, 7; 8, 26; 
9, 25 griech. und goth. Imp. und un c. Conj., beziehentlich ni c. Opt. 
nebeneinander: usgagg us pamma jah panaseips ni galeipais 
in ina, ἔξελϑε ἐξ αὐτοῦ καὶ μηκέτι εἰσέλϑῃς εἰς αὐτόν, ebenso 10, 19, 
wo nicht blos das prohibitive μὴ c. Conj., sondern auch am Schlusse 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 89 


der positive Imp. τίμα durch den Opt. sverai wiedergegeben ist; 13, 21; 
Lue. 3, 8; 8, 28; 17, 23; 18, 20 (wie Marc. 10, 19 behandelt: griech, 
un c. Conj., dann Imp., goth. nur Opt.); Rom. 13, 14; I Cor. 16, 11, 
wo griech. Imp. und μὴ c. Conj. bloß durch goth. Opt. wiedergegeben 
wird, Col. 2, 21; II Thess. 2, 3; I Tim. 5, 1, wo auf den Opt. mit 
ni der Imp. folgt, ganz wie im Griech. der Imp. auf un ce. Con). ; 
seneigana ni andbeitais, ak gablaih, πρεσβυτέρῳ un emimAykng, 
ἀλλὰ παρακάλει. Sehr häufig ist die Verwendung des Opt. sowohl positiv 
als negativ, für griechischen Imperativ. Natürlich und unvermeidlich 
ist dieser Opt. bei visan, das keinen Imp. bildet. Die Stellen sind 
folgende: Matth. 5, 25. 37. 41. 44; 6, 9. 13 (briggais neben dem Imp. 
lausei; V. 11 und 12 auch noch gif und aflet, übrigens im Vater- 
unser lauter Optative) 19. 20; 7,12. 13; Mare. 5, 34. 6, 10. 11; 7, 10. 16; 
9,7; 11,3. 25; 14, 14. 15; Luc. 3, 13; 6, 27. 28. 29. 31, unterbrochen 
durch die Imp. gif und lausei V. 30; 6, 35. 36. 37. 38; 9, 3. 5. 35; 
10, 4—11, unterbrochen durch den Ind. gahveilaip sik, V. 6, für 
griech. Fut. und die Imp. lekinop und qipib V.9; der letzte adhor- 
tative Opt. V. 11 viteip ist nicht an die Jünger gerichtet, sondern so 
sollen diese zu denen sprechen, von denen sie nicht aufgenommen wer- 
den; 14,12; 16, 9; 17, 3.10; 18, 13; 19, 17; Joh. 6, 27; 7,24; 10, 38; 
15, 4.9; 16, 24; Rom. 10, 6; 12, 14. 16. 21; 13, 6. 8; 14, 1. 13. 15; 
1527: 1 Vor. 2,5. 7, 5. 21.23. 245, 9,24; 10,.27: 28.131: 32; 11,-1.,24, 
25. 26; 14, 20; 15, 33. 34. 58; 16, 10. 13. 18; II Cor. 6, 13. 14. 17; 
Gal. 5, 1; 6,2; Eph. 4, 25. 30. 32; 5, 1.2.7.8. 11.17.18; 6, 9. 10. 17; 
Phil..1, 27; 2,29; 3,.17;. 4, 3.6; .Col..3,.2..9. 18. 19,20. 21..22. 23; 
4,1. 5. 10. 16. 17. 19; (Col. 3, 13 fehlt im Griech. das Verbum, οὕτω 
καὶ ὑμεῖς, svajah justaujaip); I Thess. 5, 11. 14. 15. 17. 19. 21. 25. 26 
(V. 16 faginopb und V. 22 afhabaib können auch Imp. sein, doch 
sind sie der Gleichmäßigkeit wegen lieber als Opt. anzusehen); Il Thess. 
3, 13. 14. 15; I Tim. 4, 12. 14. 15 (neben dem Imp. sido, μελέτα): 
5, 19. 22. 23; 6, 11; II Tim. 3, 14; 4, 5. — I Cor. 4, 1 gibt Hs. B 
die Lesart ni vairbaima usgrudjans, während A den Ind. vairba'm 
darbietet, οὐκ &yxaxodusv; vgl. Bernhardt, I, 18. 

Einige Stellen erfordern besondere Erwähnung. Matth 9, 13 findet 
sich der adhortative Opt. neben dem Imp., wäbrend im Griech. parti- 
eipium conjunetum angewandt ist: appan gaggai), ganimip hva 
sijai, πορευϑέντες δὲ μάϑετε τί ἐστιν. Luc. 2, 29 ist die einfache 
Aussage νῦν ἀπολύεις τὸν δοῦλον σου. «ἐν εἰρήνῃ in eine Aufforderung 
verwandelt: nu fraleitais skalk peinana..in gavairpja. Das 

_ griechische διὸ ἀνάγκη ὑποτάσσεσϑαι, Rom. 13, 5 ist in einen adhor- 


90 ARTUR KÖHLER 


tiven Ausdruck umgewandelt: duppe ufhausjaip ni pataineiin 
pvairheins, ak jah in mipvisseins. Luther ebenso: „so seid 
nun aus Noth unterthan u. s. w.“ Rom. 15, 11 ist die angeredete Per- 
son einmal im Vocativ wiedergegeben und daneben steht der Imp., wie 
beidemal im Griech., während das andremal statt dessen der Nominativ 
gesetzt ist, und zu diesem, weil eine 3. Person des Imp. nicht existiert, 
der adhortative Opt.: hazjip allos piudos jah hazjaina ina 
allai manageins, αἰνεῖτε τὸν κύριον, πάντα τὰ ἔϑνη, καὶ ἐπαινέ- 
σατε αὐτὸν, mavreg ol λαοί. 1 Cor. 5,9 ni blandaip izvis horam 
kann sowohl Imp. als Opt. sein, ist aber wohl mit Grimm, Gramm. ], 
565 als prohibitiver Opt. zu fassen; im Griech. steht der Inf., abhängig 
von ἔγραψα: ἔγραψα ὑμῖν ἐν τῇ ἐπιστολῇ μὴ συναναμίγνυσϑαι πόρνοις, 
gamelida izvisin pizai aipistaulein: ni blandaip izvis 
horam. Ein eben solcher objectiver Inf., abhängig von einem voraus- 
gehenden Verbum, wiedergegeben durch adhortativen Opt. begegnet 
Eph. 3, 13 in pize bidja, ni vairbaip usgrudjans, dio αὐ- 
τοῦμαι um ἐγκακεῖν und ebd. 4, 23 anub-pan niujaip ahmin 
frabjis izvaris, avavsovodaı δὲ τῷ πνεύματι τοῦ νοὸς ὑμῶν, ab- 
hängig von ἠκούσατε in V. 21; möglicherweise könnte der Opt. auch 
hervorgerufen sein durch ei in V. 22. Eine durchaus ändere Wendung, 
als das Griechische darbot, liegt vor Il Cor. 7, 2 gamoteima in 
izvis, „wir wollen Raum unter euch finden,* Löbe: „locum in- 
veniamus in vobis,“ wofür griech. die Anrede an die Korinther 
gegeben war: χωρήσατε ἡμᾶς, Luther: „Fasset uns.“ Trotz des Nomi- 
nativs mit Geltung des Vocativs, der die Anwendung des Imp. in der 
2. Person Plur. nahe legte, ist der Opt. gesetzt; Eph. 5, 22 genes 
seinaim abnam ufhausjaina, αἵ γυναῖκες, τοῖς ἰδίοις ἀνδράσι 
ὑποτάσσεσϑε. 

Dem adhortativen Gebrauche des Opt. sind noch folgende Stellen 
anzureihen: Matth. 7, 16 und wörtlich ebenso V. 20 bi akranam ize 
ufkunnaip ins, ἀπὸ τῶν καρπῶν αὐτῶν ἐπιγνώσεσϑε αὐτούς, wofern 
ufkunnaip nicht vielmehr Ind. ist, was der Form nach sein kann, 
zumal da in den folgenden Versen mehrfach das griech. Futurum durch 
den Ind. wiedergegeben wird; Marc. 10, 7 ἃ inuh his bileipai 
manna attin seinamma jah aipein seinai, jah sijaina bo tva 
du leika samin, ἕνεκεν τούτου καταλείψει ἄνθρωπος τὸν πατέρα 
αὐτοῦ καὶ τὴν μητέρα καὶ ἔσονται ol δύο εἰς σάρκα μίαν: zwar liegt 
hierin kein eigentlicher Befehl, keine wirkliche Aufforderung, aber es 
wird ein Verhältniss angegeben, das naturgemäß so, wie hier aus- 
gesprochen wird, sein soll und sein wird, und daher muß dieser Opt. 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 9] 


als adhortativer angesehen werden. Zweifelhaft, ob Ind. oder Opt. an- 
zunehmen sei, da die Form beides zuläßt, sind die Verheißungen Mare. 
10, 21 und Luc. 18, 22 jah habais huzd in himinam, sowie neben 
zweifellosem adhortativem Opt. Rom. 13, 3 Piup taujais jah habais 
hazein us bamma, wofür im Griech. überall das Fut. ἕξεις steht; 
diese letzte Analogie nöthigt aber hier adhortativen Opt. anzunehmen. 
Offenbar im Sinne des Befehls steht der Opt. Luc. 1, 60 ne, ak haitai. 
dau Johannes, οὐχὶ, ἀλλὰ κληϑήσεται Ἰωάννης, und neben Indica- 
tiven, welche eine Verheißung ausdrücken Lue. 1, 13 gens beina 
Aileisabaip gabairid sunu bus jah haitaisnamo is Johannen, 
ἡ γυνή σου Ἔλισαβετ γεννήσει viov σοι καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ 
Ἰωάννην, und V. 31 ganimis in kilbein jah gabairis sunu jah 
haitais namo is Jesu, συλλήψῃ ἐν γαστρὶ καὶ τέξῃ υἱὸν καὶ καλέ- 
Geis τὸ ὄνομα αὐτοῦ Ἰησοῦν. Der Grund für die Abweichung des Modus 
ist hier deutlich zu erkennen: die verheißene Thatsache, zu welcher die 
Menschen, denen der Engel sie verkündist, aus eigener Macht nichts 
hinzuthun und die sie ebensowenig abändern können, wird durch den 
Ind. als Stellvertreter des griech. Fut. gegeben; das aber, was nach 
der Geburt des Kindes gethan werden soll, also auch allesfalls unter- 
lassen werden könnte, wird nicht wie im Griech. als ein Theil der 
Verheißung, sondern als Befehl hinzugefügt. 

Ein prohibitiver Satz ist auch folgender: II Cor. 11, 16 in directer 
Rede, wo die Abmahnung eingeleitet ist durch ibai: aftra qipa, ibai 
hvas mik muni unfrodana, πάλιν λέγω, un τίς μὲ δόξῃ ἄφρονα, 
Es ist nicht anzunehmen, ἦα! hier ein negativer Finalsatz vorliege. 
denn zu qiba kann aus dem Vorhergehenden kein Object (etwa pata) 
ergänzt werden; das Object ist vielmehr die folgende directe Rede selbst. 
Es sollte daher nach 41} 8 statt des Komma ein Kolon gesetzt werden. 
Daß diese Auffassung die richtige ist, ergibt sich aus den Worten, mit 
denen fortgefahren wird: abban vaila pau sve unfrodana nimih 
mik, εἰ δὲ un γε, κἂν ὡς ἄφρονα δέξασϑέ με. 


b) In abhängigen Sätzen. 


Hieher gehört ein Theil der Objectivsätze, sofern dieselben eine 
Aufforderung, einen Befehl enthalten, also den Finalsätzen sich in ihrer 
Geltung wesentlich nähern. Wohl von diesen zu unterscheiden sind die- 
jenigen, die ich im Gegensatze zu den hier zu besprechenden die eigent- 
lichen Objectivsätze nennen möchte, d. h. die, welche den Inhalt des 
 Gesagten, Gedachten, überhaupt irgendwie Geäußerten, sowie diejenigen, 
die etwas Wahrgenommenes bezeichnen, bei denen also keine Spur von 


92 ARTUR KÖHLER 


finaler Schattierung zu finden ist. In jenen hat der Opt. vielmehr finale 
Geltung. Von den Finalsätzen aber mussten diese getrennt werden, weil 
sie nicht sowohl einen Wunsch, als vielmehr eine Aufforderung ent- 
halten, also nicht den Opt. in seiner allereigentlichsten Bedeutung, 
sondern als modus adhortativus aufweisen. Begreiflicherweise wechseln 
abhängige Sätze, eingeleitet durch ei sq. Opt., hier mit infinitivischer 
Construction. So finden sich adhortative Objectivsätze nach anabiu- 
dan, gebieten, für ἵνα Mare. 7, 36; epexegetisch zu einem voraus- 
gehenden objectiven Inf. Joh. 15, 17; II Thess. 3, 10 und zugleich 
nach bidjan ebd. V. 12; vgl. Germ. XI, 445. Nie mit Inf., nur mit 


ei sq. Opt. begegnet das entgegengesetzte faurbiudan, Lue. 5, 145 


8, 56; 9, 21; I Tim. 1, 3 für παραγγέλλειν sq. Inf. mit der Negation 
μή, Marc. 6, 8; 8, 30 für παραγγέλλειν und ἐπιτιμᾶν 54. ἵνα μή; vgl. 
Germ. XII, 446. qipan und gagiban im Sinne des Befehls haben 
ei c. Opt. nach sich für griech. ἕνα Marc. 3, 9; 9, 18; Luc. 4, 3; Joh. 
9, 22; 13, 29; für griech. Inf. Marc. 8, 7 und für griech. Imp. Gal. 5, 16; 
bei Verboten aber folgt ni c. Inf.; vgl. Germ. XII, 442. Ebenso wird 
meljan, γράφειν, in den gleichlautenden Stellen Mare. 12, 19 und 
Luc. 20, 28, Griech. {va entsprechend: Moses gamelida unsis, 
batei jabai hvis bropar gadaupnai jah bileipai genai jah 
barne ni bileipai, ei nimai bropar is po gen is jah ussatjai 
barna bropr seinamma, Moveng ἔγραψεν ἡμῖν, ὃτι ἐάν τινος.. 
ἵνα λάβῃ ὁ ἀδελφὸς αὐτοῦ τὴν γυναῖκα καὶ ἀναστήσῃ σπέρμα τῷ 
ἀδελῳῷ αὐτοῦ. Etwas anderes ist der wirkliche Objectivsatz nach mel- 
jan Marc. 9, 12. Desgleichen merjan Mare. 6, 12 jalı usgaggan- 
dans meridedun, ei idreigodedeina, ἐκήρυξαν ἵνα μετανοῶσιν. 
So auch folgt auf bidjan ei c. Opt. für ὅπως Matth. 8, 34; Luc. 7, 3; 
10, 2; für acc. c. Inf. II Cor. 13, 7 appan bidja du gupa, eini 
vaiht ubilis taujaip; ni ei veis gakusanai pugkjaima, ak 
eijus pata godo taujaip, ib veis ungakusanai pugkjaima; 
der folgende Finalsatz hängt nicht von bidja ab, sondern gibt den 
Zweck an, welcher der Bitte zu Grunde liegt, warum die Korinther 
nichts Übles thun sollen; daher auch im Griech. der Wechsel des Aus- 
drucks: εὐχόμεϑα δὲ πρὸς τὸν ϑεὸν un ποῆσαι ὑμᾶς κακὸν μηδέν, οὐχ 
ἵνα ἡμεῖς δόκιμοι φανῶμεν, ἀλλ᾿ ἵνα ὑμεῖς τὸ καλὸν ποιῆτε, ἡμεῖς δὲ 
ὡς ἀδόκιμοι ὦμεν. Luc. 8, 38 für bloßen Inf.; II Cor. 10, 2 für zo 
c. inf.; I Thess. 3, 10 für εἰς τὸ c. inf. An allen übrigen Stellen folgt 
im Griech. auf das Verbum des Bittens ἕνα: Mare. δ, 10. 18. 23; 6, 56; 
7,..26..823 8,22; 13,, 18». Zue..7,.86;.8,.31.,825 9, A0saloh. Tal 
I Cor. 16, 12; II: Cor. 8, 6;:9, 5;.:12, 8; Col. 4,3. £; I Thess. ‚4,,1 


ER nn 7 =." 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 93 


(svasve gaggip, καϑῶὼς καὶ περιπατεῖτε, das in einigen griechischen 
Hss. fehlt, ist Parenthese und hängt nicht von ei ab); II Thess. 1.11; 
3, 12 (neben anabiudan). — Über den Gebrauch von {ve in Objkehr- 
sätzen, welcher der classischen Gräcität fremd, der χοινὴ διάλεκτος 
aber sehr geläufig, vgl. Winer S. 314 f. -- Ein Verbum dicendi muß 
ergänzt werden II Thess. 3, 1 pata anpar, ei bidjaib jah bi unsis, 
broprjus, wofür Griech. der einfache Imperativ stand: τὸ λοιπὸν 
προσεύχεσϑε; vgl. Löbe z. d. St., der Gal. 5, 16 wegen der Analogie 
herbeizieht. 


Se 


Optativus dubitativuss. deliberativus. 


Der Opt. als derjenige Modus, der etwas als nur gedacht, nur 
vorgestellt bezeichnet, ist demgemäß auch anzuwenden, wenn gefragt 
wird, was man thun solle, was geschehen solle, was wohl der Fall sein 
könnte, also in zweifelnder, überlegender Frage. ἢ) 


a) In unabhängigen Sätzen. 


Häufig begegnet hier der Opt. für griech. Futurum. Vgl. Winer 
S. 262. Dubitativer Conjunctiv im Griechischen lag vor Matth. 6, 31 
hva matjam aippau ἔνα drigkam aippau hve vasjaima? τί 
payausv ἢ τί πίωμεν ἢ τί περιβαλωώμεϑα;: 11,5 pu is sa gimanda 
bau anbarizuh beidaima? σὺ εἶ ὁ ἐρχόμενος ἢ ἕτερον προσδο- 
κῶμεν; Marc. 10, 17 hva taujau? τέ ποιήσω; hier kanı ποιήσω 
nicht füglich Futurum, sondern mufßs Conj. Aor. sein; 12, 14 skuldu 
ist kaisaragild giban kaisara, bau niu gibaima? ἔξεστι κῆν- 
σον Καίσαρι δοῦναι 7 οὔ; δῶμεν ἢ un δῶμεν; hier sind die zwei 
Doppelfragen des griech. Originals in ine zusammengezogen, bestehend 
aus deren äußeren Gliedern; Luc. 7, 19 und 20 gleichlautend: bu is 
sa qimanda pau anparana venjaima? ἢ ἄλλον προσδοκῶμεν: 
Joh. 6, 28 hva taujaima? τί ποιῶμεν; 12, 27 788 hva qipau? καὶ 
τί εἴπ 18, 11 stikl..niu drigkau μοῦ οὐ μὴ πίω αὐτό. Da- 
Be war griech. Futurum eg Marc. 6, 24 hvis bidjau? 
τί αἰτήσομαι: a8 19 und hvaatizvis eijauf undhva pulau izvis? 
EWG πότε πρὸς ὑμᾶς ἔσομαι; ἕως πότε ἀνέξομαι ὑμῶν; fast gleich- 
lautend Luc. 9, 41; Mare. 12,9 να πὰ taujai frauja? τί οὖν ποιήσει; 


4 Obgleich der Opt. hier mehrfach in potentiale Bedeutung übergeht, so habe 
ich doch zur Vermeidung von bedenklicher Verwirrung die Fragesätze nicht in ver- 
schiedene Paragraphen vertheilen mögen; es hätten auch Sätze von consecutiver Bedeu- 


tung sonst ausgeschieden werden müssen. 


94 ARTUR KÖHLER 


ferner Marc. 16, 3; Lue. 1, 34; 3, 10. 12. 14; 10. 8:.18.18. 18: 2013485; 
Joh. 5, 47; 6, 68; 7, 31, wo in wörtlicher Nachbildung des griechischen 
Textes ei für patei, ὅτε, zur Einleitung directer Rede gebraucht ist, 
und wo die Form der Attraction (paimei — aim, pozei) angewandt 
ist: ei Xristus, bangimip, 10 41 managizeins taiknins taujai, 
paimei sa tavida? ὅτι ὁ Χριστὸς. μὴ πλείονα σημεῖα ποιήσει ὧν 
οὗτος ἐποίησεν: Joh. 7, 35 hvadre sa skuli gaggan? ποῦ οὗτος 
μέλλει πορεύεσϑαι; d.h. „wohin sollte, könnte der wohl gehen?“ Luther 
übersetzt ähnlich: „wo will dieser hingehen?“ Rom. 8, 35 hvas uns 
afskaidai af friapvai Xristaus? τίς ἡμᾶς χωρίσει ἀπὸ τῆς ἀγάπης 
τοῦ Χριστοῦ; Luther durchaus treffend: „wer will uns scheiden?“ 
II Cor. 3, 8 hvaiva nei mais andbahti ahmins vairpaiin vul- 
pau? πῶς οὐχὶ μᾶλλον ἡ διακονία τοῦ πνεύματος ἔσται ἐν δόξῃ; 
Skeir. I, ce ne puhtedi bau in garaihteins gaaggvein ufar- 
gaggan bo faura ju us anastodeinai garaidon garehsn? — 
Beachtenswerth sind die Fälle, wo die einfache Frage, die griech. im 
Ind. steht, im Goth. zu einer zweifelnden umgestaltet und darum der Opt. 
gesetzt wird. Marc. 4, 41 hvas bannu sa sijai? τίς ἄρα οὗτός ἐστιν; 
„wer mag, wer könnte der wohl sein?“ Luc. 1, 66 hva skuli hata 
barn vairban? τί ἄρα τὸ παιδίον τοῦτο ἔσται; 8,25 hva siai sa, ei 
Jah vindam faurbiudip οἷο. ὃ τίς ἄρα οὗτός ἐστιν ὅτι κτλ.; Schulze 
im goth. Glossar s.v. giban (S. 269 b) meint, der Opt. stehe vielleicht 
wegen der Partikel ἄρα oder wegen des griech. Futurum; dies kann 
jedoch nicht der Fall sein, denn an anderen Stellen findet sich eben- 
falls goth. der Opt. in directer Frage für griech. Ind. ohne ἄρα, so 
Marc. 1,27 hva sijai pata? τί ἐστι τοῦτο; wir könnten etwa sagen: 
„was soll das sein?“ und für Präs. neben Fut. (vielleicht auch conj. 
aor.) Luc. 7, 3l hve nu galeiko hans mans pis kunjis jah hve 
sijaina galeikai? zivı οὖν ὁμοιώσω τοὺς ἀνθρώπους τῆς γενεᾶς 
ταύτης; καὶ τίνι εἰσὶν ὅμοιοι; für einfachen Ind. ohne ἄρα II Cor. 1, 17 
aippau patei mito, bi leika pagkjau ete.? ἢ ἃ BovAsvouaı κατὰ 
σάρκα BovAsvoucı κτλ.; Optativ wechselnd mit dem Ind. begegnet 
Luce. 18, 7 ib σὰ niu gavrikai bans gavalidans seinans... 
jah usbeidands ist ana im? ὁ δὲ ϑεὸς οὐ um ποιήσῃ τὴν ἐνδίκησιν 
τῶν ἐκλεκτῶν αὐτοῦ... .καὶ μακροθυμεῖ ἐπ᾽ αὐτοῖς ; Nicht das Futurum, 
das der gewöhnliche griechische Text darbietet, war hier mafsgebend, 
sondern die zweifelnde Beschaffenheit der Frage: „sollte Gott nicht 
seinen Auserwählten Recht verschaffen?“ Die bessere Lesart οὐ un 56: 
conj. aor. nöthigt, den Opt. hier nicht für einen Lückenbüsser für ein 
nicht vorhandenes Futurum anzunehmen, sondern als modus dubitativus. 


--.......ὦἡ. .ἡὃ. 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT, IM GOTHISCHEN. 95 


Allerdings ist der Ind. usbeidands ist auffällig; aber er erklärt sich 
wohl aus dem Streben, den Wortlaut des Originals möglichst wenig zu 
verlassen, mochte Vulfila nun den Ind. μακροϑυμεῖ oder das .appositive 
Partieipium μακροϑυμῶν vor sich haben. — Für mag mit einem nicht 
existierenden inf. Pass. von gabairan ist dubitativer Opt. gesetzt in 
der bekannten Stelle Joh. 3,4 und Skeir. II, b ibai mag in vamba 
aipeins seinaizos aftra galeibpan jag-gabairaidau? für einen 
negativen Fragesatz des Griech.: un δύναται εἰς τὴν κοιλίαν τῆς μητρὸς 
αὐτοῦ δεύτερον εἰσελϑεῖν καὶ γεννηϑῆναι; Maßmann verweist bei dieser 
offenbar schweren Stelle auf das seiner Ausgabe der Skeireins bei- 
gegebene Glossar s. v. bairan; dort aber findet sich weiter nichts als 
die Worte (S. 125): „quem usum prtrt. conjunct, bene notes,“ 
eine Anmerkung, mit der sich freilich nicht viel machen läßt. J. Grimm, 
Gramm. IV, 59 Anm,, sagt sehr richtig: „um hier nicht zu sagen: jah 
mahts ist gabairan, bedient er (Vulfila) sich minder schleppend 
des passiven Conjunctivs: et renascatur, et regeneretur.“ Auf 
jeden Fall verlor der Ausdruck durch diese Umschreibung an Eintönig- 
keit, die unvermeidlich gewesen wäre bei Anwendung des sonst üblichen 
mahts ist c. inf. act. für δύνασϑαι ce. inf. pass. (vgl. Grimm, Gramm. IV, 
58 f.), und gewann durch Abwechselung an Lebhaftigkeit. Für unseren 
Zweck aber tritt die stilistische Bedeutung dieser Wendung zurück 
gegenüber der Frage nach der syntaktischen Geltung dieses auffälligen 
Optativs. Zwei Möglichkeiten liegen vor: entweder dieser Opt. hat 
dubitative Geltung, in diesem Falle der potentialen ziemlich gleich- 
kommend („wie kann er in den Mutterleib zurückkehren und wie wäre 
es möglich, daß er wieder geboren würde? wie sollte er wieder geboren 
werden?“) oder rein potentiale in einem Satze von consecutiver Bedeu- 
tung („wie kann er zurückkehren, so daß er wieder geboren würde?“). 
Jedesfalls ist die erstere Möglichkeit, dubitativer Opt., die wahrschein- 
lichere: erstens die Form der Frage, die griechisch wie gothisch vor- 
liegt, spricht dafür, und zweitens die Leichtigkeit, mit der im Griechi- 
schen aus dem zweiten Inf. ysvvn®yjvaı eine selbständige Frage gebildet 
werden kann: πῶς δεύτερον γεννηθῇ; oder πῶς δεύτερον ἂν γεννη- 
ein; (beziehentlich γεννηθῆναι δυναιτο). Diese Umformung liegt weit 
näher, ist weit leichter und gefälliger, als die in einen consecutiven 
Satz mit ὥστε: denn beide Handlungen werden hier durchaus eoordiniert 
vorgestellt, so daß beide in ihrer Verbindung nur den einen Begriff der 
Wiedergeburt recht nachdrücklich bezeichnen, nicht aber wird an die 
physiologische Reihenfolge gedacht, zu Folge deren erst eine Rückkehr 
in den Leib der Mutter stattfinden müßte, ehe die Wiedergeburt mög- 


96 ARTUR KÖHLER 


lich werden könnte. Ferner begegnet dubitativer Opt. für einfache directe 
Frage Joh. 7, 36 hva sijai pata vaurd etec.? τίς ἐστιν ὁ λόγος 
οὗτος κτλ.; und ganz ähnlich 16, 18 pata hva sijai, batei qipip? 
τοῦτο τί ἐστιν ὃ λέγει; 7, 48 und Skeir. VIII, ce sai, jau ainshun 
bize reike galaubidedi imma aibpau (pize) Fareisaie? μή 
τις ἐκ τῶν ἀρχόντων ἐπίστευσεν εἰς αὐτόν χτλ. Hier wie Joh. 3, 4 
für eine Frage, die eine verneinende Antwort verlangt. Ebenfalls gleich- 
bedeutend mit einem negativen Aussagesatze wird ein Fragesatz ein- 
geleitet durch ibai c. Ind. (Griech. un ce. Ind.) und dann trotz des im 
Griech. wiederkehrenden Ind. mit dem Opt. fortgefahren I Cor. 1, 13 
ibai Pavlus ushramips varp in izvara aibbau in namin Pav- 
laus daupidai veseib? un Παῦλος ἐσταυρώϑη ὑπὲρ ὑμῶν ἢ εἰς 
τὸ ὄνομα Παύλου ἐβαπτίσϑητε: wir könnten auch sagen: „oder wäret 
ihr stwa in Pauli Namen getauft?“ I Cor. 9, 7 finden sich zwei zwei- 
gliederige Fragen, deren zweites Glied allemal die Folge von dem aus- 
drückt, was im ersten ausgesagt ist; statt eines consecutiven Nebensatzes 
aber oder eines Relativsatzes mit dem Opt. (lateinisch würde wegen 
der negativen Beschaffenheit des Nebensatzes quin stehen) tritt ein 
ccordinierter Hauptsatz mit dem Opt. ein: hvas satjip veinatriva 
jah akran pize ni matjai? hvas haldip avepi jah miluks pis 
avebjis ni matjai? Im Griech. steht hier überall der Ind.: rig 
φυτεύει ἀμπελῶνα καὶ τὸν καρπὸν αὐτοῦ οὐκ ἐσϑίει; τίς ποιμαΐένει 
ποίμνην καὶ ἐκ τοῦ γάλακτος τῆς ποίμνης οὐκ ἐσϑίει; Im Griech. sind 
sonach die verschiedenen verbalen Begriffe, das Besitzen des Weinberges 
und der Herde einerseits und der daraus gezogene Gewinn andrerseits, 
einfach als neben einander existierend coordiniert, im Goth. aber ist richtig 
der innerliche Zusammenhang erkannt und das Vorausgesetzte, der 
Besitz, als thatsächlich im Ind. ausgedrückt, das daraus sich Ergebende, 
die Benutzung, aber als zweifelhaft hingestellt: „wer besitzt einen 
Weinberg und sollte nicht seine Frucht genießen?“ Hier neigt sich die 
Bedeutung des Opt. schon sehr entschieden der potentialen zu, wie sie 
in consecutiven Sätzen zur Geltung kommt. Ebenso II Cor. 11, 29 
hvas siukip jah ni siukau? hvas afmarzjada jah ik ni tun- 
dnau? τίς ἀσϑενεῖ καὶ οὐκ ἀσϑενῶ; τίς σκανδαλίξεται καὶ οὐκ ἐγὼ 
πυροῦμαι; Luther setzt aueh den Ind.; Vulfila aber hat auch hier richtig 
das Verhältniss der Sätze erkannt πᾶ durch seine Übersetzung zur 
deutlichen Geltung gebracht: das Mitkranksein und das Entbranntsein 
sind Folgen der Voraussetzung, des Schwachseins Anderer und des 
Ärgernisses Anderer. Ganz ebenso zu beurtheilen ist Matth. 25, 44 
hvan puk sehvun gredagana aippau afpaursidana..jan-ni 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 97 


andbahtidedeima pus? πότε σὲ εἴδομεν πεινῶντα... καὶ οὐ διη- 
κονήσαμέν σοι; auch Luther hat hier den Ind. „und haben dir nicht 
gedienet?“ Mit feinem Verständniss gibt Vulfila die Stelle &0 wieder, 
daß der consecutive Sinn des zweiten Fragegliedes deutlich wird: 
„Wann haben wir dich bedürftig gesehen und hätten dir nicht gedient?“ 
d.h. „wenn wir dich bedürftig gesehen hätten, so würden wir dir gedient 
haben; aber da wir dich nie in solcher Lage fanden, so haben wir dir 
nicht dienen können; an unserem Willen hat es nicht gefehlt, sondern 
nur an der Gelegenheit.“ 

Wegen der Form der Frage muß hier eine ganz ähnliche Stelle 
aufgeführt werden, die sonst unter dem potentialen Opt. in Consecutiv- 
sätzen ihre Besprechung gefunden haben würde, Joh. 12, 5 duhve 
pata balsan ni frabauht vas in Ὃ skatte jah fradailib vesi 
parbam? διὰ. τέ τοῦτὸ τὸ μύρον οὐκ ἐπράϑη τριακοσίων δηναρίων 
καὶ ἐδόϑη πτωχοῖς. Die zweite Frage enthält das, was unter Voraus- 
setzung des Eintritts des im ersten Frageglied ausgesagten hätte ein- 
treten können: „Warum wurde der Balsam nicht verkauft? Das Geld 
hätte dann den Armen gegeben werden können.“ 

Wirklich und rein dubitativ sind die Opt. in den mit nibai, für 
griech. un c. Ind., eingeleiteten Fragesätzen Joh. 7, 35 (im Anschlusse 
an die oben besprochene Stelle: hvadre sa skuli gaggan?) nibai 
in distahein piudo skuli gaggan jah laisjan biudos? un εἰς 
τὴν διασπορὰν τῶν Ἑλλήνων μέλλει πορεύεσϑαι κτλ. und 8,22 nibai 
usgqimai sis silbin οἷο. μήτι ἀποκχτενεῖ ἑαυτόν κτλ. In beiden 
Fällen würden wir die Frage, die erwartangsvoll und bedenklich aus- 
gesprochen wird, einleiten mit den Worten: „doch nicht etwa.“ 

Eine schwierige Stelle ist Rom. 9, 11. Die absoluten Genetive des 
griech. Textes sind aufgelöst wiedergegeben durch zwei coordinierte 
Verba, deren erstes im Ind., deren zweites im Opt. steht: μήπω yao 
γεννηϑέντων μηδὲ πραξάντων τι ἀγαϑὸν ἢ φαῦλον, appan nauhhanuh 
ni gabauranai vesun, aibpau tavidedeinahva piupisaippau 
unpiupis. Zufällig kann dieser Wechsel des Modus keinesfalls sein. 
Löbe bemerkt z. ἃ. St.: aippau pro alioquin, gr. μηδὲ, salvo 
'tamen sensu, quod interpres sensum, non verba reddit, und 
übersetzt demnach: alioquin facerent aliquid boni aut mali, 
so daß das zweite Glied des Satzes als Bedingungshauptsatz erscheint 
und ein Vordersatz des Sinnes zu ergänzen ist: „wenn sie schon ge- 
boren gewesen wären.“ Bei dieser Auffassung und Übersetzung müßte 
wenigstens der Conj. plsgperf. fecissent gesetzt worden sein. Auch 
Schulze im gothischen Glossar 5, v. aippau schließt sich dieser Ansicht 


» 


GERMANISTISCHE STUDIEN, ‘ 


98 ARTUR KÖHLER 


an. Jedesfalls soll das zweite Glied durch den Opt. das ausdrücken, 
was unter Voraussetzung des im ersten Gliede Ausgesagten eingetreten 
sein würde, so daß Löbe mit seiner Übersetzung gewiss das richtige 
getroffen hat, wenn man am Texte nicht das geringste ändern will. 
Der Sinn aber bliebe in der Hauptsache derselbe und der Opt. würde 
in sehr natürlicher Weise dubitativ erklärt, wenn man die Worte 
aibpau—unpiupis als Frage in Form einer Parenthese fasst: „noch 
waren sie nicht geboren — und sollten sie da schon etwas Gutes oder 
Böses gethan haben? — damit Gottes Rathschluss bliebe, da wurde ihr 
gesagt u. 5. w.“ Eine derartige Abweichung vom Originale zum Zwecke 
größerer Deutlichkeit und klareres Verständnisses begegnet ja bis- 
weilen an schwierigeren Stellen bei Vulfila. 


b) In abhängigen Sätzen, in indirecter Frage, 


Mehrfach lag " im griech. Texte dubitativer Conj. in indirecter 
Frage vor: Matth. 6, 25 ni maurnaip saıvalai izvarai, hva mat- 
jaip jah hva He nih leika izvaramma, hve vasjaip, 
τί φάγητε καὶ τί πίητε μηδὲ. .τί ἐνδύσησϑε, Marc. 8, I ni habandam, 
hva matidedeina, μὴ ἐχόντων τί φάγωσιν, und V. 2 ganz ähnlich, 
derselbe Fall wie Matth. 8, 20; Marc. 14, 11 sokida, hvaiva gati- 
laba ina galevidedi, ἐζήτει πῶς εὐκαίρως αὐτὸν παραδοῖ, 15, 24; 
Luc. 5, 19; 7, 42 freier für μὴ ἐχόντων δὲ αὐτῶν ἀποδοῦναι, ni haban- | 
dam ban, hvapro usgebeina; 19, 48; II Tim. 2, 25 in qairrein 
talzjandans pans andstaldandans, niu hvan gibai im guh 
idreiga du ufkunpja sunjos jah usskavjaindau us unhulpins 
vruggon, μήποτε δῷ (bessere Lesart freilich Opt. δῴη) αὐτοῖς ὁ ϑεὸς 
μετάνοιαν εἰς ἐπίγνωσιν ἀληϑείας καὶ ἀνανήψωσιν ἐκ τῆς τοῦ διαβό- 
Aov παγίδος (im zweiten Satze haben alle Codices nur den Conj.), | 
Luther: „ob ihnen Gott Buße gäbe u. s. w.“ Zweifellos ist Opt. von 
dubitativer Geltung Marc. 9, 34 du sis misso andrunnun, hvarjis 
maists vesi, διελέχϑησαν ἐν τῇ ὁδῷ τίς μείζων. Schwieriger ist Marc- 
9, 6: nachdem Petrus bei der Verklärung Christi gesagt hat, man solle 
für Jesus, Moses und Elias je eine Hütte bauen, heißt es: ni auk 
vissa, hva rodidedi, οὐ γὰρ ἤδει τί λαλήσῃ (bessere Lesart ἀπο-- 
κριϑῇ, die aber Vulfila nicht vorgelegen haben kann, da er sonst | 
ἀποκρίνασϑαι nie durch rodjan wiedergibt), Luther: „er wußte aber 
nicht, was er redete.“ Nach der lutherischen Übersetzung wäre dies. 
ein kaheh objectiver Fragesatz: das geht aber nicht wohl an, denn ἢ 
dann müßte griech. der Ind. oder zufolge des vorausgehenden Plus- ἢ 
quamperfectum der bloße Opt. stehen. Verallgemeinernd und unbestimmt 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 99 


kann dieser Satz auch nicht gefaßt werden, denn dann dürfte kein 
Fragesatz, sondern es müßte ein sogenannter hypothetischer Relativsatz, 
hier mit.bloßem Opt. ohne ἂν folgen. Trotzdem also, daß Petrus bereits 
gesprochen hat, muß dieser Opt. als dubitativ gelten: „er wußte nicht, 
was er sagen sollte,“ und in Gedanken mul; man etwa hinzuergänzen: 
„und darum that er diese Äußerung, bei der er offenbar nicht recht 
wußte, was er damit sagen wollte; er redete unter dem Einflusse eines 
instinctiven, nicht bewußten Dranges.* — Auch der Ind. Fut. begegnet 
in indirecter Frage (Winer S. 280 mit Berufung auf Gottfrieil Hermann 
zu Eur. Ion pag. 155) und wird goth. durch den Opt. wiedergegeben, 
doch nicht aus der äußerlichen Rücksicht, um die Form des Futurums 
möglichst annähernd wiederzugeben, sondern wegen der zweifelnden 
Beschaffenheit: Luc. 16, 4 andbahta mik, ἔνα taujau, ἔγνων τί 
ποιήσω, Luther: „ich weiß wohl, was ich thun will;“ diese Übersetzung 
Luthers bestimmt mich, ποιήσω für das Fut. zu nehmen, während es 
ja ebenso gut conj. aor. sein könnte, sowie der Umstand, dafs der 
Gedanke des ungerechten Haushalters im folgenden sofort zur Aus- 
führung kommt; ebenso Phil. 1, 22 jah hvapar valjau, ni kann, 
καὶ τί αἱρήσομαι, οὐ γνωρίξω. Zweitelnde Frage liegt auch vor Lue. 
5,18sokidedun, hvaiva inainn atbereinajah galagidedeina 
in andvairbja is, καὶ ἐξήτουν αὐτὸν εἰσενεγκεῖν θεῖναι ἐνώπιον 
αὐτοῦ. — Mehrfach findet sich auch griech. der Opt. in indirecter 
Frage nach historischen temporibus, einigemal höchst unelassisch mit 
ἄν: durch die Wiedergabe mit σοί. Opt. erhalten die Fragen zweifelnde 
Bedeutung, die durch den griech. Ausdruck nicht deutlich zur Geltung 
gebracht wird. Luc. 1, 29 pahta sis, hveleika vesi so goleins, 
διελογίζετο, ποταπὸς εἴη ὁ ἀσπασμὸς οὗτος, V. 62 gabandvidedun 
banattinis, pata hvaiva vildedihaitan ina, ἐπένευον τῷ πατρὶ 
αὐτοῦ τὸ τί ἂν ϑέλοι καλεῖσϑαι αὐτόν (bessere Lesart αὐτό), 3, 15 
bagkjandam allaim, niu aufto sa vesi Xristus, διαλογιξομένων 
πάντων μήποτε αὐτὸς εἴη ὁ Χριστύς, 6, 11 rodidedun du sis misso, 
hva tavidedeina hamma Jesua, καὶ διελάλουν πρὸς ἀλλήλους, 
τί ἂν ποιήσειαν τῷ Ἰησοῦ, 8, 9 frehun..hvasijai po gajuko, ἐπηρῶ- 
τῶν. «τές εἴη ἡ ὑπερβολὴ αὕτη, 9, 40 galaip pan mitons in ins, 
pata hvarjis pau ize maists vesi, εἰσηλϑε δὲ διαλογισμος ἐν 
αὐτοῖς τὸ τίς ἂν εἴη μείξων αὐτῶν, wobei pau zur Wiedergabe IUETE 
dient; beachtenswerth ist auch die ängstliche Nachahmung des griech. 
Originals durch Setzung des Artikels, gleichwie oben 1, 62; 15, 26 
frahuh, hva vesi pata, ἐπυνϑάνετο τέ εἴη ταῦτα und fast gleich- 


lautend 18, 36; Joh, 13, 24 du fraihnan, hvas word, "δὶ panei 
7 


100 ARTUR KÖHLER 


gab, πυϑέσϑαι τίς ἂν εἴη περὶ οὗ λέγει (bessere Lesart, die Vulfila 
nicht kannte: εἰπὲ τίς ἐστιν περὶ οὗ λέγει). Trotzdem der Opt. griech., 
wie aus dem gelegentlich hinzugesetzten ἂν hervorgeht, potentiale 
Bedeutung hat (dubitative hat er ja nirgends, auch nicht in indirecter 
Frage), so liegt diese doch keineswegs im Goth. vor, sondern entschie- 
den zweifelnde. Anders ist das Verhältniss an den oben behandelten 
Stellen Matth. 25, 44; I Cor. 9, 7; II Cor. 11, 29. — Und da dasjenige, 
was noch zukünftig, also noch nicht wirklich ist, sondern nur erst als 
möglich oder wahrscheinlich gedacht wird, nothwendig bloß als etwas 
Vorgestelltes erscheint, so lag es natürlich sehr nahe, in solchen Stellen, 
wo im Griech. auf Fragewörter oder auf das als Einleitung der Frage 
gebrauchte εὐ der Ind. fut. folgte, goth. den Opt. zu setzen. Es sind 
das diejenigen Fälle, welche auf der Grenze stehen zwischen Frage- 
sätzen und Finalsätzen. Marc. 3, 2 vitaidedun imma, hailidedi-u 
sabbato daga, εἰ τοῖς σάββασιν ϑεραπεύσει αὐτόν, wo die Frage 
goth. nur durch das suffigierte u ausgedrückt ist; fast gleichlautend 
Luc. 6, 7 (bessere Lesart freilich das Präs. ϑεραπεύει); Marc. 11, 13 
atiddja, ei aufto bigeti hva ana imma, el ἄρα τι εὑρήσει ἐν 
αὐτῇ, V. 18 sokidedun, hvaiva imma usqistidedeina, ἐξήτουν 
πῶς αὐτὸν ἀπολέσουσιν (andere Lesart freilich Conj. δου. ἀπολέ- 
σωσιν), I Cor. 7, 16 hva nu kannt, ginon, ei aban ganisjis? 
aippau hva kannt, guma, patei gen peina ganasjais? τί γὰρ 
οἷδας, γύναι, εἰ τὸν ἄνδρα σώσεις; ἢ τί οἶδας, ἄνερ, εἰ τὴν γυναῖκα 
σώσεις. Der Ind. der ersten Frage, der von Uppström für den früher 
auch hier gelesenen Opt. hergestellt ist, muß entschieden auffallen; 
da aber diese Stelle nur im Codex Ambrosianus A erhalten ist und 
Uppström zu dem betreffenden Blatte ausdrücklich bemerkt „diff. leg.,“ 
so dürfen wir wohl ohne Bedenken hier einen Fehler der Handschrift 
annehmen; auch Luther übersetzt mit zweifelnder Frage: „ob du wer- 
dest selig machen.“ Sonst noch Phil. 3, 11 mipkaurips vas daupau 
is, ei hyaiva gagimau in usstassai us daupaim, εἴ πως καταν- 
τήσω εἰς τὴν ἐξανάστασιν τῶν νεκρῶν, wo Luther geradezu einen 
Finalsatz bildet: „damit ich entgegem komme zur Auferstehung der 
Todten;* Rom. 11,14 andbahti mein mikilja, eihvaivainaljana 
briggau leik mein jah ganasjau sumans usim, εἴ πῶς παραζη- 
λώσω μου τὴν σάρκα καὶ σώσω τινὰς ἐξ αὐτῶν. Final gewendet im 
Griech., aber doch im Grunde zweifelnde Frage enthält die Stelle I Cor, 
4, 2 (die ersten Worte fehlen) ei hvas triggs bigitaidau, ὃ δὲ 
λοιπὸν, ξητεῖται Ev τοῖς οἰκονόμοις ἵνα πιστός τις εὐρεϑῇ, Luther: 
„nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn daß sie treu 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 101 


erfunden werden.“ Ein adverbialer Infinitiv des Griech., den Luther 
durch einen Objectivsatz mit „daß“ wiedergibt, wird von Vulfila ganz 
angemessen in einen Fragesatz umgewandelt Luc. 1, 2] jah silda- 
leikidedun, ἔνα latidedi ina in pizai alh, χαὶ ἐθαύμαζον ἐν 
τῷ χρονίζειν αὐτὸν ἐν τῷ von. Hieher gehört auch Skeir. IH, a, wo 
das Verbum skulan auf ein Futurum, das im griech. Texte vorlag, 
schließen lässt: ni kunnandans, hvapar skuldedi maiza (sc. 
visan oder vairpan). Mafjmann übersetzt: non discernentes, eujus 
causa esset major, Stamm aber hat in seinem Exemplar der Maß- 
mannischen Ausgabe handschriftlich corrigiert: uter foret major, 
eine Übersetzung, die mit meiner Annahme, dafs die griech. Vorlage 
hier ein Fut. bot, vollständig übereinstimmt. — Da es Sache der sub- 
jectiven Auffassung ist, ob man eine indirecte Frage bestimmt oder 
unbestimmt ausdrücken will, bestimmt, indem man fragt, ob etwas ist, 
unbestimmt, ob etwas vielleicht sei, sein dürfte, also schon weniger 
dubitativ als vielmehr potential, so ist es erklärlich, daß Vulfila öfters 
den Opt. setzte, wo er im Griech. den Ind. fand. Brauchen wir ja doch 
auch in unserer heutigen Sprache in indireceter Frage ziemlich willkür- 
lich den Ind. abwechselnd mit dem Opt. Matth. 9, 13 ganimip hva 
sijai, μάϑετε τί ἐστιν, Mare. 5, 14 jah gemun saihvan, hva vesi 
pata vaurpano, ideiv τί ἐστι τὸ γεγονός, 8,23 frah ina, gau-hva- 
sehvi, ἐπηρώτα εἴ τι βλέπει, 10,2; 15, 44.47; Luc. 14, 28. 31; 19,3. 15; 
Joh. 7, 51; 13, 22; 18, 21; I Cor. 1, 16; II Cor. 2,9; 13, 5; Phil. 3, 12. 
Vergleichsätze im Griech. und Goth., aber mit dem Sinne indirecter 
Fragen, sind zu beachten: Eph. 6, 20 ei in 1281] gadaursjau, sve 
skuljau rodjan, ἵνα ἐν αὐτῷ παῤῥησιάσωμαι, ὡς δεῖ μὲ λαλῆσαι, 
und ganz ähnlich Col. 4, 4 ei gabairhtjai po, svasve skuljau 
rodjan, ἵνα φανερώσω αὐτὸ wg δεῖ μὲ λαλῆσαι, während Col. 4, 6 
auch die Partikeln der indirecten Frage in einem Satze von gleicher 
Beschaffenheit beibehalten sind: ei vitup, hvaiva skuleip ainhvar- 
jammeh andhafjan, εἰδέναι πῶς δεῖ ὑμᾶς ἑνὶ ἑκάστω ἀποκρένεσϑαι. 
Ferner findet sich noch goth. Opt., wo das Verbum im Griech. fehlt, 
Rom. 12,2 du gakiusan, hva sijai vilja gups, τί τὸ ϑέλημα τοῦ 
ϑεοῦ, Eph. 3, 18; 5, 17. Ein ganz eigenthümlicher Wechsel der Modi, 
für den ein Grund sich nicht entdecken läßt, findet statt Joh. 7, 17 
ufkunnaip bi po laisein, framuh guba sijai pau ik fram mis 
silbin rodja, πότερον ἐκ τοῦ ϑεοῦ ἐστιν ἢ ἐγὼ an ἐμαυτοῦ λαλῶ. -- 
Zufolge völlig wortgetreuer Übersetzung ist das Verbum im Gothischen 
wie im Griechischen weggelassen und dafür ein Objectivsatz mıt patei, 
ὅτι, gesetzt Luc. 7, 39 ufkunpedi hau, hvo jah hvileiko sogqino, 


102 ARTUR KÖHLER 


. . ’ . . N 1 ‚ x 
seitekip imma, hatei fravaurhta ist, ἐγίνωσκεν av τίς καὶ ποταπὴ 
ἡ γυνὴ..., ὅτι ἁμαρτωλὸς ἐστιν, 


8. 4. 
Optativus potentialis, 


a) In selbständigen Sätzen. 


Sehr ausgedehnt ist der Gebrauch des Opt. als Modus potentialis 
zur Bezeichnung dessen, was möglicherweise wohl eintreten oder der 
Fall sein könnte, zur Bezeichnung einer Wahrscheinlichkeit, eines bloß 
subjectiven Meinens. 

Ganz besonders häufig wird der Opt. verwendet zur Bezeichnung 
dessen, was noch zukünftig ist, sofern dieses noch nicht wirklich und 
thatsächlich, sondern nur erst möglich oder wahrscheinlich ist, und 
dient hier zur Wiedergabe des griech. Futurums. Löbe bemerkt ($. 182): 
„Da der Gothe keine besondere Form für das Futurum hat, so gibt 
er dieses im Griech. ihm häufig dargebotene Tempus entweder durch 
das Präsens oder durch eine Umschreibung,“ und fährt fort: „Gewöhn- 
lich setzt er für das griech. Fut. das Präsens, und zwar a) den Indi- 
cativus, b) den Conjunctivus Präs., gewöhnlich in abhängigen Sätzen, 
in Fragen, ferner wo der Sinn des Fut. an den mittelbaren Imperativ 
anstreift* (Fälle, die oben besprochen worden sind), und fügt ganz 
richtig (Anm. 1) hinzu, dafs der Unterschied, ob der Ind. oder Opt. 
gesetzt werde, oft in der verschiedenen Auffassung liege, eine That- 
sache, die wir z. B. oben Luce. 1, 13. 31 zu beobachten Gelegenheit 
hatten. Darauf ist aber nicht aufmerksam gemacht, daß Vulfila das 
griech. Fut. einfach durch den Ind. Präs. wiedergibt, wo eine wirkliche 
Thatsache der Zukunft bezeichnet wird, dagegen durch den Opt. Präs., 
wenn das Zukünftige als nur gedacht, nur möglich hingestellt wird. 
Dieser potentiale Opt. kann natürlich nicht für jedes Futurum gesetzt 
werden, sondern nur für eines von der oben erwähnten Beschaffenheit, 
wohl aber kann bisweilen ein Ind. eintreten, wo man dem Sinne nach 
eher einen potentialen Opt. erwarten sollte. 

In solcher Bedeutung finden wir den Opt. für griech. Fut. Mare. | 
3, 27” nimanna mag kasa svinpis galeipands in gard is vi- 
van, niba faurpis pana svinpan gabindip; jah (pan) pana 
gard is disvilvai, οὐ δύναται οὐδεὶς... διαρπάσαι. ἐὰν un πρῶτον | 
τὸν ἰσχυρὸν δήσῃ, καὶ τότε τὴν οἰκίαν αὐτοῦ διαρπάσει, wo der Zu- | 
sammenhang und der griech. Text es deutlich machen, dafs der Satz 
jah pana gard is disvilvai ein selbständiger Satz ist; pan ist aus 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT, IM GOTHISCHEN. 103 


Conjectur von Stamm zur Übersetzung von τότε hinzugefügt, vor pana 
konnte es leicht ausfallen. Der Sinn ist: „Und dann mag, kann er das 
Haus wohl plündern.“ Recht deutlich wird die potentiale Geltung des 
Opt. durch den Wechsel des Modus Rom. 1], 35 aibbau hvas imma 
fruma gaf jah fragildaidau imma? ἢ τίς προέδωκεν αὐτῷ καὶ 
ἀνταποδοϑήσεται αὐτῷ; Luther hat dies auch recht gut gefühlt, und 
darum übersetzt: „Oder wer hat ihm etwas zuvorgegeben, das ihm 
werde wiedervergolten?“ Etwas Verheifsenes wird auf diese Weise aus- 
gedrückt I Cor. 15, 49 sva bairaima jah frisaht bis himina- 
kundins, φορέσομεν καὶ τὴν εἰκόνα τοῦ ἐπουρανίου, eine Drohung 
Gal. 5, 10 appan sa drobjands izvis sa bairai bo vargipa, 
ὁ δὲ ταράσσων ὑμᾶς βαστάσει τὸ κρῖμα, an eine Ermahnung an- 
geschlossen, der Lohn ihrer Befolgung Gal. 6, 4 ib vaurstv sein 
silbis kiusai hvarjizuh, jah banin sis silbin hvoftulja habai 
jah ni in anbaramma, ro δὲ ἔργον ἑαυτοῦ δοκιμαξέτω ἕκαστος. καὶ 
τότε εἰς ἑαυτὸν μόνον TO καύχημα ἕξει καὶ οὐκ εἰς τὸν ἕτερον. Ganz 
ähnlich ist der Wechsel des Modus zu beurtheilen II Cor. 9, 10 ΔΡ} δὴ 
sa andstaldans fraiva pana saiandan jah hlaiba du mata 
andstaldib jah managjai fraiv izvar jah vahsjan gataujai 
akrana usvaurhtais izvaraizos, ὁ δὲ ἐπιχορηγῶν σπέρμα τῷ 
σπείροντι καὶ ἄρτον εἰς βρῶσιν χορηγήσαι καὶ πληϑύναι τὸν σπόρον 
ὑμῶν καὶ αὐξήσαι τὰ γεννήματα τῆς δικαιοσύνης ὑμῶν. Die bessere 
handschriftliche Lesart hat hier freilich überall Futurum: χορηγήσει, 
πληϑυνεῖ, αὐξήσει. Vulfila hat durch diese Übersetzung das einfache 
darreichen, gewähren des Samens als in Zukunft wirklich eintretend, 
die Vermehrung und das Gedeihen desselben als wahrscheinliche Folge 
bezeichnet. 

Sehr ausgedehnt ist der Gebrauch des potentialen Opt. im Nach- 
satze von Bedingungssätzen, und zwar von solchen, welche einen Gegen- 
satz zur Wirklichkeit ausdrücken (im Vordersatze steht jabai c. opt. 
praet.). Diese werden zur Besprechung kommen bei Gelegenheit des 
Opt. in Bedingungsnebensätzen. 

Subjeetivsätze mit Opt., eingeleitet durch die Conjunetion ei, sind 
dem potentialen Opt. anzureihen. Die vieldeutige Conjunetion ei regiert 
zwar meistentheils den Opt., doch kann das hier wohl nicht der mal- 
gebende Grund für die Setzung des Opt. gewesen sein, denn Objectiv- 
sätze haben sonst mehrfach ei c. Ind. (Joh. 14,28; 16, 30; 17, 7; 1 Cor. 
15, 3 u. a.), sowie die Epexegese Joh. 15, 13; Subjectivsätze könnten 
also ebenso gut den Ind. haben. Auch das mehrfach vorliegende ἵνα 
kann nicht als genügender Grund für den goth. Opt. angesehen wer- 


104 ARTUR KÖHLER 


den, da auch dafür mitunter ei c. Ind. gesetzt wird, wie Joh. 15, 13 
in einem epexegetischen Satze (vgl. Winer 5. 318), in Objectivsätzen, 
wie Joh. 14, 3; 15, 16 (trotz finaler Bedeutung); 16, 2; 16, 32 (temporal). 
Es muß angenommen werden, «als der in Rede stehende Fall durch 
die Anwendung des Opt. als unter gegebenen Verhältnissen möglich 
oder auch wahrscheinlich bezeichnet werden soll. So Joh. 18, 39 ip 
ist biuhti izvis, ei ainana izvis fraletau in pasxa, ἔστιν δὲ 
συνήϑεια ὑμῖν, ἵνα Eva ὑμῖν ἀπολύσω Ev τῷ πάσχα. Zur Umschrei- 
bung eines Inf. pass. dient ei c. Opt. I Thess. 3, 1 galeikaida uns, 
ei bilibanai veseima in Apeinim ainai, εὐδοκήσαμεν κατα- 
λειφϑῆναι Ev ’Adnvaıg μόνοι, der Inf. ist im Griech. Object, im Goth. 
der Satz mit ei Object. Recht ersichtlich ist die potentiale Geltung 
dieses Opt. an folgenden Stellen, wo überall der Subjectivsatz durch 
einen Bedingungssatz wiedergegeben werden könnte: Matth. 5, 29 und 
gleichlautend V. 30 batizo ist auk pus, eifragistnai ainslipive 
beinaize jah ni allata leik pein gadriusai in gaiainnan, 
συμφέρει γάρ σοι, ἵνα ἀπόληται Ev τῶν μελῶν δου καὶ un ὅλον τὸ 
σῶμα σου βληϑῇ εἰς γέενναν, 10, 25 ganah siponi, ei vairpai 
sve laisareis is, ἀρκετὸν τῷ μαϑητῇ ἵνα γένηται ὡς διδάσκαλος 
αὐτοῦ, Marc. 9, 42 go ist imma mais, ei galagjaidau asilu- 
qairnus ana halsaggan is jah fravaurpans vesi in marein, 
καλόν ἐστιν αὐτῷ μᾶλλον εἰ περίκειται μύλος ὀνικὸς περὶ τὸν τράχη- 
λον αὐτοῦ καὶ βέβληται εἰς τὴν ϑάλασσαν (hier steht sogar griech. 
ein Bedingungssatz); Joh. 16, 7 batizo ist izvis, δἱ ik galeipau, 
συμφέρει ὑμῖν ἵνα ἐγὼ ἀπέλθω, 1 Cor. 4, 3 appan mis in minni- 
stin ist, ei fram izvis ussokjaidau, ἐμοὶ δὲ εἰς ἐλάχιστόν ἐστιν 
ἵνα ὑφ᾽ ὑμῶν ἀνακριϑώῶ. 

Zwar nicht ganz selbständige Sätze, ihnen aber näher stehend als 
den abhängigen, sind die epexegetischen, dem entsprechend, was unter 
den nominalen Bestandtheilen des Satzes die Apposition ist. Eben des- 
wegen, weil sie einen nominalen Ausdruck umschreiben, lasse ich sie 
hier folgen, im Anschlusse an die Subjectivsätze, obwohl ich mir keines- 
wegs verhehle, daß sie vielleicht ebenso gut unter den consecutiven 
Nebensätzen hätten aufgeführt werden können, indem eine Epexegese 
ein Demonstrativpronomen, oder ein stark hervorgehobenes, so zu sagen 
‚demonstratives Wort voraussetzt, das nun näher erläutert, gewisser- 
maßen in seinen Folgen dargestellt wird. Nach der üblichen Auffassung 
der lateinischen Grammatiken wird ja auch — allerdings missbräuchlicher 
Weise — das erklärende ut wohl oder übel unter den verschiedenen 
Verwendungen des consecutiven ut mit untergebracht. Aber diese 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 105 


Ungenauigkeit der lateinischen Grammatik darf uns nicht verführen, 
denselben Fehler in der gothischen einzubürgern. Vielmehr muß das 
ἵνα des griech. Textes, das mit infinitivischem Ausdrucke wechselnd 
vorlag, uns davon fern halten, epexegetische Erweiterungen als ihrem 
Wesen nach consecutive Nebensätze anzusehen. Über die unelassische 
Vertretung des Inf. durch ἕνα im Idiome des neuen Testamentes, vgl. 
Winer 8. 314 f. Übrigens begegnet ἵνα consecutiv für ὥστε nur einmal 
„in der fehlerhaften Sprache der Apokalypse.“ (Winer $. 430.) — Solche 
Epexegesen mit ei sq. opt. sind folgende: Marc. 4, 12 ib baim uta 
in gajukom allata vairpip, ei saihvandans saihvaina jahni 
gaumjaina, jah hausjandans hausjaina jah ni frabjaina, τὰ 
πάντα γίνεται, ἵνα βλέποντες βλέπωσιν καὶ un ἴδωσιν κτλ., 7,9 vaila 
invidip anabusn gups, ei pata anafulhano izvis fastaip‘ 
καλῶς ἀϑετεῖτε τὴν ἐντολὴν τοῦ ϑεοῦ, ἵνα τὴν παράδοσιν ὑμῶν τηρή- 
önre, Luc. 1, 43 jah hvapro mis pata, ei gemi aibei fraujins 
meinis at mis? καὶ πόϑὲεν wor τοῦτο ἵνα ἔλθῃ ἡ μήτηρ τοῦ κυρίου 
μου πρός με; 1,73 aipis pana svor vibra Abraham attan unsa- 
rana, eigebi unsis unagein us handau fijande unsaraize ete., 
ὅρκον ὃν ὥμοσεν.. «τοῦ δοῦναι ἡμῖν ἀφόβως ἐκ χειρὸς ἐχϑρῶν κτλ. 
Joh. 6, 29 patist vaurstv gups, ei galaubjaib pammei in- 
sandida jains, τοῦτό ἐστιν τὸ ἔργον τοῦ Pod, ἵνα πιστεύσητε εἰς 
ὃν ἀπέστειλεν ἐκεῖνος, 6, 40 patuh han ist vilja bis sandjandins 
mik, ei hvazuh saei saihvib pana sunu jah galaubeih du 
imma, aigi libain aiveinon, jah urraisja ina ik inspedistin 
daga, τοῦτο γάρ ἐστι τὸ ϑέλημα τοῦ πατρός μου, ἵνα πᾶς ὃ ϑεω- 
ρῶν... ἔχῃ ζωὴν αἰώνιον καὶ ἀναστήσω αὐτὸν ἐγὼ κτλ., WO ἀναστήσω 
Ind. Fut. ist, oder wenigstens von Vulfila als solches, nicht als Con). 
Aor. von ἵνα abhängig aufgefaßst, und darum durch den Ind. Präs. 
urraisja gegeben; 13, 34 anabusn niuja giba izvis, ei frijop 
izvis misso, ἐντολὴν καινὴν δίδωμι ὑμῖν, ἵνα ἀγαπᾶτε ἀλλήλους. 
15, 12 fast slelöhlaktend: 17, 3 so han ist so aiveino libains, ei 
kunneina pbuk ainana sunja gup jah panei insandides, αὕτη 
2 ἐστιν ἡ ἀιώνιος kon ἵνα γινώσκωσι (bessere Lesart γνωσκουσιν) 
χτλ.; Rom. 7, 3 ip jabai gasvilti) vair, frija ist pis vitodis, 
ei ni 5178] horinondei, vaurpana abin anparamma, ἐλευϑέρα 
ἐστὶν ἀπὸ τοῦ νόμου τοῦ μὴ εἶναι αὐτὴν μοιχαλίδα γενομένην ἀνδρὶ 
ἑτέρῳ und ganz ähnlich I Thess. 4, 3—6 pata auk ist vilja gubs, 
veihipai izvara,ei gahabaipi izvisafkalkinassau, ei vitihvar- 
jizuh izvara gastaldan sein kasin veihipai jah sveripai.. 

eihvasniufargaggainih bifaiho in toja bropar seinana, τοῦτο 


106 ARTUR KÖHLER 


γάρ ἐστιν ϑέλημα τοῦ ϑεοῦ, ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν, ἀπέχεσϑαι ὑμᾶς ἀπὸ 
τῆς πορνείας, εἰδέναι ἕκαστον ὑμῶν τὸ ἕαυτοῦ σκεῦος κτᾶσϑαι ἐν 
ἁγιασμῶ καὶ τιμῇ... τὸ μὴ ὑπερβαίνειν καὶ πλεονεκτεῖν, I Cor. 4, 6 
po ban, broprjus pairhgaleikoda in mis jah Apaullon in 
izvara, ei in ugkis ganimaib ni ufar patei gamelih ist 
frapjan, ei ains faur ainanaanaanparana ufblesansnisijai, 
ταῦτα δὲ... μετεσχημάτισα... ἵνα ἐν ὑμῖν μάϑητε κτλ., II Cor. 2, 1 
appan gastauida pata silbo at mis, ei aftra in saurgaini 
gimau atizvis, ἔκρινα δὲ ἐμαυτῷ τοῦτο, τὸ μὴ πάλιν ἐν λύπῃ ἐλϑεῖν 
πρὸς ὑμᾶς, Phil. 3, 16 abwechselnd mit appositivem Inf.: appan sve- 
pauh du pammei gasnevum, ei samo hugjaima jah samo 
frabjaima samon gaggan garaideinai, πλὴν εἰς ὃ ἐφθάσαμεν, 
τῷ αὐτῷ στοιχεῖν (κακόνι, τὸ αὐτὸ φρονεῖν), Löbe: attamen, ad 
quod pervenimus, ut idem sentiamus et idem cogitemus, 
eadem ire regula. Vgl. jedoch Bernhardt 1, 17: „Wahrscheinlich 
war die ursprüngliche Lesart: ei samo hugjaima jah samo gag- 
gaima (usmitaima?), ut idem sentiamus et eodem modo am- 
bulemus; gaggaima aber wurde von frabjaima (am Rande bei- 

geschrieben als Glossemzu hugjaima) durch Versehen eines Abschreibers | 
verdrängt.“ I Tim. 1, 18 po anabusn anafilha pus, barnilo Tei- 
maubeiu,... ei driugaisin pbaim pata godo drauhtivitop ete, 
ταύτην τὴν παραγγελίαν παρατίϑεμαί 60L..., ἵνα στρατεύῃ ἐν αὐταῖς 
τὴν καλὴν στρατείαν κτλ. --- Hieher gehört Skeir. I, ὁ (patuh vesuh 
vibra pata gadob, οἱ 584. opt.), doch muß ich diese Stelle auf- 
sparen, weil sie im engen Zusammenhange mit dem unmittelbar vor- 
ausgehenden Satze zu betrachten ist; sie wird unter den Objectivsätzen 
mit besprochen werden. Schließlich Skeir. III, Ὁ jah so bi gupa 
hrainei anabudana vas, ni panaseips judaiviskom ufar- 
ranneinim jah sinteino daupeinim brukjan usdaudjaina; 
ni kommt zwar für ei ni in der Bibelübersetzung nicht vor, mufs aber 
hier in dieser Bedeutung genommen werden (handschriftliche Bemerkung 
von Stamm). 


b) In abhängigen Sätzen. 


Hieher gehören alle bisher noch nicht besprochenen Arten von] 
Nebensätzen, sofern sie durch den Opt. ausdrücken, daß die in Rede 
stehenden Handlungen und Zustände nicht als thatsächlich, wirklich, 
sondern nur als gedacht, vorgestellt in Betracht kommen, theilweise 
sogar in geradem Gegensatze zur Wirklichkeit. Zunächst sind es 


-- 
j 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT, IM GOTHISCHEN. 107 


α) die Objectivsätze, 
in denen neben dem häufigen Ind. oder nach gewissen Verben neben 
infinitivischer Construction die Conjunctionen patei oder ei 6. Opt. 
vorkommen. Wider Erwarten begegnet statt eines einfachen objectiven 
Infinitivs die Umschreibung mit ei sq. opt. sogar 


aa) bei Hilfsverben. 

Allerdings sind dies Ausnahmen, die sich auf zwei Verba, magan 
und paurban, und auf drei Stellen beschränken: Mare. 10, 38 für 
nicht existierenden Inf. pass.: magutsu drigekan stikl, panei 
ik driggka, jah daupeinai, pizaiei ik daupjada, ei daup- 


. . d >) ὃ 4 9 Fr x , x ᾽ x , Ἢ \ ’ 
 jaindau? δυνασϑὲ πιεῖν τὸ ποτήρων, ὃ ἐγὼ πίνω, ἢ τὸ βάπτισμα 
τι x - . D 
0 ἐγὼ βαπτίξομαι, Bamıodnver; Joh. 16, 30 nu vitum, ei pu kant 


alla jah ni parft, ei buk hvas fraihnai, καὶ οὐ χρείαν ἔχεις, 
ἵνα τίς σε ἐρωτᾷ und 1 Thess. 5, I ni Ppaurbum, ei izvis mel. 
0) 93 ,᾽ ᾿ Cam ’ > 

Jalma, οὐ χρείαν ἔχετε ὑμῖν yoapeodaı, wo der Wechsel der Per- 


sonen, der Subjecte zu beachten ist. Vgl. Germ. XII, 430. 


Ebenfalls selten sind Objectivsätze (vgl. Germ. XII, 448 ἢ) 


bb) nach den Verbis des Gewährens, Zulassens, 


bei denen der Nebensatz sich merklich der Bedeutung eines Finalsatzes 
zuneigt. Nach fragiban Mare. 10, 37 fragif ugkis, ei ains af 
taihsvon peinai jah ains af hleidumein heinai sitaivainvul- 
pau peinamma, δὸς ἡμῖν, ἵνα. .καϑίσωμεν, und Skeir. III, ἃ. jah 
fragibands im, patei sunjus piudangardjos vairhbaina, d. h. 
daß sie Söhne des Himmelreiches werden könnten, vorausgesetzt näm- 
lich, daß sie den gestellten Bedingungen genügen, sowie nach letan 
Marc. 11,16 jah ni lailot, eihvas pairhberi kas pairh bo alh, 
καὶ οὐκ ἤφιεν ἵνα τις διενέγκῃ σκεῦος διὰ τοῦ ἱεροῦ. Dagegen ei 
c. Ind. 15, 36 let ei saihvam, für griech. asyndetischen conj. adhort. 
ἄφετε, ἴδωμεν. 


ce) Von Verbis der Wahrnehmung 


hat nur eines, hausjan, an drei Stellen ei sq. opt. nach sich (vgl. 
Germ. XII, 441): Mare. 6,55 padei hausidedun, ei is vesi, ὅπου 
ἤκουον ὅτι ἐκεῖ ἐστίν, Joh. 12, 34 veis hausidedun ana vitoda, 
patei Xristus sijai du aiva, ἡμεῖς ἠκούσαμεν ἐκ τοῦ νόμου, ὅτι 
ὃ Χριστὸς μένει εἰς τὸν αἰῶνα, wo der Opt. wohl deswegen gebraucht 
ist, weil der Ausspruch der Schrift, auf den das Volk sich beruft, in 
Widerspruch zu stehen scheint mit den eben gesprochenen Worten 


108 ARTUR KÖHLER 


Christi über seinen bevorstehenden Tod am Kreuze; Eph. 4, 22 jabai 
svepauh hausidedup inajahin imma uslaisidaisijup, svasve 
ist sunja in Jesu, ei aflagjaip 105 bi frumin usmeta pana 
fairnjan mannan, εἴ γε αὐτὸν ἠκούσατε καὶ ἐν αὐτῷ ἐδιδάχϑητε 
καϑῶς ἐστιν ἀλήϑεια ἐν τῷ Ἰησοῦ, ἀποϑέσϑαι ὑμᾶς. «τὸν παλαιὸν 
ἄνϑρωπον. Dafs der Nebensatz nicht rein objective, sondern der finalen 
sehr nahe liegende Bedeutung hat, lehrt Winer 5, 302. 


dd) Verba sentiendi. 


Vielfach haben diese den Inf. nach sich oder Ace. ο. Inf. (Germ. XII, 
131 ff), doch sehr häufig auch ei sq. opt., wenn eine Ansicht, Mei- 
nung, Beobachtung nicht als objeetiv gültig hingestellt werden soll, 
sondern als subjectiv, als der Gesinnung einer bestimmten Einzel- 
persönlichkeit angehörig. So dient dieser Opt. zur Bezeichnung einer 
vielleicht vorhandenen irrigen Anschauung des Volkes, zu welchem 
Jesus spricht, Matth. 5, 17 πὶ hugjaip, ei gemjau gatairan vitop 
aibpau praufetuns, un νομίσητε, ὅτι ἦλθον #rA., wo im Griech, 
die Bezugnahme auf das irrige der widerlegten Ansicht fehlt; des- 
gleichen zur Bezeichnung einer verkehrten Meinung 6,7 pugkeip im 
auk, eiin filuvaurdein seinai andhausjaindau, δοκοῦσι γὰρ, 
ὅτι ἐν τῇ πολυλογίᾳ αὐτῶν εἰςακουσϑήσονται, wo nicht das Fut. des 
griech. Textes für die Wahl des Modus im Goth. maßgebend gewesen 
ist; 10, 34 nih ahjaip, patei gemjau galagjan gavairpi ana 
airbai, μὴ νομίσητε, ὅτι ἦλθον xrA., Luc. 19, 11 jah puhta im, 
ei suns skulda vesi piudangardi gubs gasvikunpjan, διὰ zo.. 
δοκεῖν αὐτοὺς, ὅτι παραχρῆμα μέλλει ἡ βασιλεία τοῦ ϑεοῦ ἀναφαί- 
νεσϑαι, Joh. 11,13 ib jainai hugidedun, patei is bi slep gepi, 
ἐχεῖνοι δὲ ἔδοξαν, ὅτι περὶ τῆς κοιμήσεως τοῦ ὕπνου λέγει, eX sen- 
tentia apostolorum gesagt; 13, 29 zur Bezeichnung einer subjectiven, 
aber irrigen Meinung: sumai mundedun..., patei qebei imma 
Jesus, τινὲς γὰρ ἐδόκουν..., ὅτι λέγει αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς. Auch nach 
venjan folgt ei sq. opt. Il Cor. 13, 6 appan venja, ei kunneip, 
patei veis ni sijum ungakusanai, ἐλπίζω δὲ ὅτι γνώσεσθε (da- 
degen ei 56: ind. II Cor. 1, 10 und zweifelhaft, ob Ind. oder Opt. 1, 13) 
und Philem. V. 22 venja auk, eipairh bidosizvaros fragibaidau 
izvis, ἐλπίζω γὰρ, ὅτι διὰ τῶν προσευχῶν ὑμῶν χαρισϑήσομαι ὑμῖν. 
An beiden Stellen ist das griech. Fut. nur insofern von Einfluß gewesen 


auf den Modus des Gothischen, als das Erhoffte als noch zukünftig nur Ἂν 


erst im Bereich der Möglichkeit, noch nicht in dem der Wirklich- 
keit liegt. Außerdem zeigt sich hier recht deutlich die nahe Verwandt- 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 109 


‚Ebenso leitet ei c. Opt. nach galaubjan solche Sätze ein, die einen 
Ifalschen Glauben, eine irrige Annahme enthalten, oder wenigstens eine 


δὲ der Fall Matth. 9, 28 ga-u-laubjats, patei magjau hata tau- 
jan? πιστεύετε, ὅτι δύναμαι τοῦτο ποιῆσαι. Das erstere Joh. 9, 18 
ni galaubidedun pan Judaieis bi ina, patei blinds vesi jah 
\ussehvi, οὐκ ἐπίστευσαν οὖν οἱ Ἰουδαῖοι περὶ αὐτοῦ, ὅτι τυφλὸς 
mv καὶ ἀνέβλεψεν, wo die Bedeutung des Opt. sofort deutlich wird, 
‚wenn man übersetzt: „Sie glaubten nicht, dafs er blind gewesen und 
sehend geworden sein sollte (wie es aber doch in Wirklichkeit geschehen 
war).“ Ein Verbum des Glaubens, Meinens, welches un δοκεῖτε über- 
‚setzt, ist im Gothischen ausgefallen und von diesem ni galaubjaibh 
‚oder ni pugkjaip, das man zu ergänzen hat, hängt ei sq. opt. ab 
‚Joh. 5, 45 patei vrohidedjau izvis du attin, un δοκεῖτε ὅτι κατη- 
γορήσω ὑμῶν πρὸς τὸν πατέρα, hier offenbar mit Beziehung auf die 
‚verkehrte Meinung der Juden. Gleichfalls einen unrichtigen Gedanken, 
eine der Wahrheit widersprechende Selbstüberschätzung deutet ei sq. 
| opt. an nach trauan sis, Luc. 18, 9 paiei silbans trauidedun 
sis, eiveseina garaihtai, πεποιϑότες ἐφ᾽ ἑαυτοῖς, ὅτι εἰσὶν δίκαιοι, 
und ein Zutrauen, das sich erst noch bewähren soll nach gatrauan 
Rom. 8, 38 f. gatraua auk, patei ni daupus nih libains...magi 
uns afskaidan af friabvai gubs, πέπεισμαι γὰρ, ὅτι οὔτε ϑάνα- 
τος οὔτε ξωὴ.. -«δυνηϑήσεται ἡμᾶς ywolocı κτλ. Einigermaßen bedenklich 
| ist Skeir. Ib—c zu behandeln: akei kunnands hateisvaleikamma 
aaldufnja mahtais naups ustaiknida vesi jan-ni banasei)s 
fastaida garaihteins gareshn (so Uppström nach der Hs. und 
‚ Maßmann; Löbe, Stamm und auch Heyne haben den Nom. garehsns), 
'aknaupaigavaurhtedimanneganist. Jabai auk diabulau 
fram anastodeinai nih naupjandin, ak uslutondin man- 
nan jah pairh liugn gahvatjandin ufargaggan anabusn, 
 batuh vesi vipra pata gadob, ei frauja qimands mahtai 
gudiskai jah valdufnja pana galausidedi jah naupai du 
gagudeingavandidedi. Man könntejan-nipanaseibs fastaida 
 garaihteins garehsn etc. als Hauptsatz annehmen, so dab die 
Worte batei—vesi von kunnands abhiengen, und auf diese Weise 
_ würde der scheinbare, unmotivierte Wechsel zwischen Opt. (vesi) und 
Ind. (fastaida) nach patei beseitigt; indessen, was fängt man dann 
mit den Worten ak naupai etc. an? Diese würden dann vollkommen 


110 ARTUR KÖHLER 


in der Luft schweben. Man müßte denn, wie Maßmann, der nach 
garehsn einen Punkt setzt und einen neuen Satz beginnt, sie als 
Bedingungshauptsatz ansehen zu dem Nebensatze jabai auk diabu- 
lau etc. Jedoch dieser Bedingungsnebensatz jabai (unterbrochen durch 


die absoluten Dative) patuh vesi vibra pata gadob etc. gehört Ir 


nothwendig zum folgenden: ne auk buhtedi etc. 

Die Schwierigkeit ist ziemlich einfach zu heben: das Partieip kun- 
nands steht an Stelle des Verbum finitum, indem vas zu ergänzen ist, 
und von ihm hängt der Objectivsatz patei etc, ab; fastaida aber ist 
nicht der Ind. Praet., sondern das Fem. Sing. Part. Praet., und dazu 
muß vesi ergänzt werden. So ist ein dreigliederiger Satz von patei ||| 
abhängig: 1. naubs ustaiknida vesi, 2. fastaida (sc. vesi), 3. ak | 
gavaurhtedi etc. Dann aber ist nothwendig der Nom. garehsns, ||| 
als Subject zu fastaida vesi zu lesen. Der Opt. in dem Objectivsatze 
erklärt sich daraus, daß er als potentialer Nachsatz zu fassen ist zu | 
einem leicht ergänzbaren Vordersatze des Inhalts: „wenn Gott die 


Menschen durch seine göttliche Kraft hätte erlösen wollen.“ In dem | 


folgenden Satze nun folgt wieder ein potentialer Hauptsatz patuh vesi |} 
vipra pata gadob, epexegetisch ausgeführt durch die Worte: ei 
frauja qimands mahtai gudiskai jah valdufnja pana galau- | 
sidedi jah naupai du gagudein gavandıdedi. Ganz dieselbe 
Erklärung finde ich auch in meinem Exemplar der Skeireins (Ausgabe | 
von Mafjmann) mit Bleistift beigeschrieben, vermuthlich von Stamm, 
dem Herausgeber des Vulfila und der Skeireins. Es ist da bemerkt, 
mit Bleistift unter dem Texte zu dem Worte garehsn: „garehsns 
(Nom.),“ und auf‘ dem leeren Raume der vorhergehenden Seite findet | 
sich folgende Übersetzung und Erklärung dieser Stelle: „kunnands | 
(sc. vas): aber er wußte, daß durch solche Kraft der Majestät ein | 
Zwang ausgeübt (gezeigt) und der Plan der Gerechtigkeit nicht mehr 
beobachtet wäre, sondern (dafs er) durch Zwang die Rettung der Men- 
schen bewirkt hätte (jabai auk = wenn doch), da doch der Teufel ἢ 
den Menschen nicht zwang, sondern verführte und durch Lüge dahin | 
brachte (es steht die Conj. jabai und zugleich der Dat. absol.) das | 
(Gebot zu übertreten. Hätte es da nicht aber geschienen, als wenn er | 
zur Beengung der Gerechtigkeit den von Anfang an festgesetzten Plan 
verlassen (übertreten, ufargaggan) hätte?“ 


ee) Kakbe N 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT, IM GOTHISCHEN. 111 


‚lediglich als Verba der Aussage gelten; freilich wird durch den Opt. 
ἀπ der indirecten Rede die Äußerung als eine subjeetive Meinung, 
‚ häufig als eine geradezu irrige ΤΡ ΩΝ während der Ind. einfach 


die Thatsache, dafs so gesprochen worden ist, anzeigt. Mehrfach finden 
wir patei oder ei sq. opt. nach qipan: Marc. 9, II unte giband 


‚pai bokarjos, patei Helias skuli qiman faurpis, ὅτι HAlav 


δεῖ ἐλϑεῖν πρῶτον, Luc. 9, 54 ohne Conj. der bloße Opt. für Ace. 
c. Inf. im Griech. vileizu, ei gebeima, for atgaggai us himina 
78} fragimai im? ϑέλεις εἴπωμεν πῦρ καταβῆναι ἀπὸ τοῦ οὐρανοῦ 


καὶ ἀναλῶσαν αὐτούς; Joh. 8,55 jabai gebjau, patei ni kunnjau 


ina, ὅτι οὐκ οἶδα αὐτόν, 9, 19 panei ‚jus gqibip, patei blinds 
Sabaurans vaurbi, ὃν ὑμεῖς λέγετε, ὅτι τυφλὸς ἐγεννήϑη, 10, 36 


5 qipip, patei vajamerjau, für directe Rede des griech. ὑμεῖς 
λέγετε, ὅτι βλασφημεῖς, 16, 26 jah ni gipa izvis, pei ik bidjau 
 attan bi izvis, καὶ οὐ λέγω ὑμῖν, ὅτι ἐγὼ ἐρωτήσω τὸν πατέρα περὶ 


ὑμῶν, 1 Cor. 1,15 ei hvas πὶ gibai, patei in meinamma namin 
daupidedjau, ἵνα un τις εἴπῃ, ὅτι εἰς τὸ ἐμὸν ὄνομα ἐβάπτισα, weil 
Paulus dies nie gethan hat; 10, 19 hva nu gipam? patei po galiu- 


| Bagyda hva sijaina TE pateig galiugam saljada ıvasijai? 
τί οὖν φημι; ὅτι εἴδωλον τί ἐστιν; ἢ ὅτι εἰδωλόϑυτον τί ἐστιν; und 


im Anschlusse hieran V.20 ni patei galiugaguda vaihts sijaina, 
welche Worte im Griech. fehlen; nach Heyne sind sie wahrscheinlich 
aus einer Randbemerkung in deu Text gekommen; nach ni ist qipa 
zu ergänzen und davon patei c. Opt. abhängig zu denken. Ferner 
I Cor. 11, 21, wo schon das vergleichende sve den angenommenen 
Fall als nicht wirklich bezeichnet: bi unsveripai gqipa, sve patei 
veis siukai veseima, κατὰ ἀτιμίαν λέγω, ὡς ὅτι ἡμεῖς ἠσϑενήσαμεν, 
Luther: „als wären wir schwach geworden.“ So auch nach qipan in 
Verbindung mit veitvodjan Eph. 4, 17 pata nu qipa jah veit- 


.vodja in fraujin, ei panaseips ni gaggaip, svasve jah anpa- 


ros piudos gaggand in usvissja hugis seinis, τοῦτο οὖν λέγω 
καὶ μαρτύρομαι ἐν κυρίῳ μηκέτι ὑμᾶς περιπατεῖν καϑὼς καὶ τὰ λοιπὰ 
ἔϑνη περιπατεῖ. 

Schon durch die regierenden Verba ist an folgenden zwei Stellen 
hinlänglich deutlich, daß eine geradezu unwahre Äußerung angegeben 
wird: Luc. 16, 1 jah sa fravrohips varp du imma, ei distahi- 
dedi aigin is, καὶ οὗτος διεβλήϑη αὐτῷ ὡς διασκορπίξων τὰ ὑπάρ- 
χοντα αὐτοῦ, und Skeir, VI, c. in pammei liugandans bigitanda, 


_ ei niainshun reike aippau Fareizaie galaubidedi imma. — 


Rein objective Geltung hat der Satz mit Opt. nach meljan Mare, 9, 12 


112 ARTUR KÖHLER 


jah hvaiva gamelip ist bi sunu mans, ei manag vinnai jah 
frakunps vairpai, καὶ πῶς γέγραπται ἐπὶ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου, 
ἵνα πολλὰ πάϑῃ καὶ ἐξουδενωθϑῇ (al. ἐξουδενηϑῇ). 


ß) Consecutivsätze. 


Löbe behauptet (8. 275), die Folge werde bezeichnet durch ei 
ὁ. Ind. praet. oder Öonj. praet. Diese Angabe ist ungenau. Schon die 
ersten Worte des Bruchstückes vom Matthäus-Evangelium enthalten 
einen consecutiven Satz mit Opt. praes., Matth. 3, 11 pizei ik ni im 
vairbs, ei anahneivands andbindau skaudaraip skohis is, 
οὐ οὐκ εἰμὶ ἱκανὸς τὰ ὑποδήματα βαστάσαι, und gleichlautend Skeir. III, d 
(vgl. Germ. XII, 452); ferner nach dem Adj. vairbs noch Matth. 8, 8. 
frauja, ni im vairps, ei uf hrot mein inngaggais, οὐκ εἰμὶ 
ἱκανὸς, ἵνα μου ὑπὸ τὴν στέγην eigeAdng, und gleichlautend Lue. 7, 6; 
Luce. 15, 19. 21 ju panaseips ni im vairps, ei haitaidau sunus. 
peins, καὶ οὐχέτι εἰμὶ ἄξιος κληϑῆναι υἱός σου, 1 Cor. 15, Yikei 
niim vairps, eihaitaidau apaustaulus, ὃς οὐκ εἰμὶ ἱκανὸς καλεῖσϑαι 
ἀπόστολος. Auch folgt ein Relativsatz ὁ. Ind. auf vairps Luc. 7,4 
patei vairps ist, pammei fragibis pata. Sollte etwa der Opt. in | 
diesen eben genannten Stellen durch die vorausgehende Negation bewirkt 
sein? Es wäre nicht unmöglich, denn auch in Fragesätzen folgt in con- 
secutivem Sinne ei c. Ind., z. B. Luc. 8, 25 hvas siai sa, ei..faur- 
biudip? ὅτι ἐπιτάσσει; Joh. 14, 22 ἔνα varp, ei unsis munais 
gabairhtjan puk silban? τί γέγονεν, ὅτι ἡμῖν μέλλεις ἐμφανίξειν 
σεαυτόν; und nur einmal begegnet der Opt. mit Vermeidung des knap- 
pen Ausdrucks, der durch das Partieipium im Griech. bewirkt wird, 
und zu richtiger Wiedergabe des Sinnes durch einen consecutiven 
Nebensatz Rom. 9, 20 pannu nu jai manna, bu hvas is, ei and- 
vaurpjais guba? σὺ τίς εἶ ὁ ἀνταποκρινόμενος τῷ ϑεῷ. 

Nach verbalen Ausdrücken, die ein Bewirken bezeichnen, begegnet | 
mehrmals ei ce. Opt. Joh. 11, 37 niu mahta sa. gatanjan; ei jahl 
sa ni gadaupnodedi? οὐκ ἠδύνατο οὗτος... ποιῆσαι ἵνα καὶ οὗτος 
μὴ ἀποϑαάνῃ; 11 Cor.9, Sappan mahteigs ist σα} alla anst ufarass- 
jan in izvis, eiin allamma sinteino allis ganauhan haban- 
dans ufarassjaip in allammo vaurstve godaize, δυνατὸς δὲ ὁ 
ϑεὸς πᾶσαν χάριν περισσεῦσαι εἰς ὑμᾶς, ἵνα ἐν παντὶ. .περισσεύητε, 
Gal. 5, 17 po πὰ sis misso andstandand, οἱ πὶ pishvah patei 
vileib, pata taujaip, ταῦτα δὲ ἀλλήλοις ἀντίκειται, ἵνα μὴ ἃ ἂν 
ϑέλητε ταῦτα ποιῆτε, Col. 4, 16 taujaip, ei jah in Laudekaion 
aikklesjon ussiggvaidau, ποιήσατε, ἵνα καὶ ἐν “αοδικέων ἐκκλησίᾳ 

| 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT, IM GOTHISCHEN. 113 


ναγνωσϑῇ. Wenn auch an allen diesen Steilen griech. ἕνα gebraucht 
st, so kann doch keinesfalls den Sätzen finale Geltung zugeschrieben 
erden, sondern griech. sind sie als objectiv, goth. geradezu als Con- 
ecutivsätze gefaßt. 

Die anderen consecutiven Conjunctionen sind sve, svasve, 
svaei. Mit dem Ind. werden sie nicht bloß da construiert, wo ὥστε 
ὁ. Ind. vorlag, Marc. 10, 8, sondern auch wo ὥστε sich ο, Inf. fand, 
Matth. 8, 28; Marc, 1,45; 2, 2.12; 3, 10. 20; 4, 32. 37; 9, 26; 15, 5, 
powie Skeir. VII, c, wo Maßmann zufolge seiner (falschen) Lesart den 
Inf. andniman von svaei abhängen läßt. Mit dem Opt. erscheinen 
diese Conjunctionen nur für ὥστε c. Inf., weil diese Construction die 
Folge theils als eine beabsichtigte, also gedachte, theils als eine bloß 
mögliche hinstellt: Rom. 7,6 svaei skalkinoma in niubjai ahmins, 
ὥστε δουλεύειν ἡμᾶς, I Cor. 13, 2 svasve fairgunja mihsatjau, 
ὥστε ὄρη μεϑιστάνειν, 11 Cor. 3, 7 svaei ni mahtedeina sunjus 
Israelis fairveitjan du vlita Mosezis, ὥστε un δύνασϑαι ἀτενί- 
6a τοὺς υἱοὺς Ἰσραὴλ εἰς τὸ πρόσωπον Μωυσέως, Skeir. III, ἃ svaei 
sijai daupeins Johannes ana midumai tvaddje ligandei, wo 
das griech. Original ὥστε c. Inf. dargeboten haben muß. — Eigen- 
thümlich ist die Construction des Acc. c. Inf. nach svasve Matth. 
8, 24 svasve pata skip gahulip vairpan fram vegim, ὥστε 
τὸ πλοῖον καλύπτεσϑαν ὑπὸ τῶν κυμάτων, Marc. 4, 1 svasve ina 
galeiban(dan) in skip gasitan in marein, ὥστε αὐτὸν ἐμβάντα 
εἰς πλοῖον χαϑῆσϑαι ἐν τῇ ϑαλάσσῃ, sowie nach svaei „nach griechi- 
‚schem Vorbilde“ (Löbe 8. 275) U Cor. 2, 7 svaei pata andaneipo 
izvis mais fragiban jah gaplaihan, ὥστε τοὐναντίον μᾶλλον 
ὑμᾶς χαρίσασϑαι καὶ παρακαλέσαι, u. II Thess. 2, 4 svaei(ina) in 
gups alh sitan; ina fehlt in der Hs., ist aber nothwendige Con- 
jectur, um ein Subject zum Inf. zu erhalten, ὥστε αὐτὸν εἰς τὸν 
ναὸν τοῦ ϑεοῦ καϑίσαι. Ein consecutiver Satz ist im Griech. durch 
präpositionalen Inf. ausgedrückt, so daß es für den ersten Augenblick 
aussieht, als stünde ein finaler Zusatz da, II Cor. 8, 6 εἰς ro παρα- 
καλέσαι ἡμᾶς Τίτον, Vulfila aber übersetzt richtig syvaei bedeima 
Titaun. Ein im Griech. final gefaßster Zusatz ist dem Sinne nach gotlh. 
richtiger als ein consecutiver gegeben, freilich fehlt zu Folge einer 
Ellipse das Verbum Gal. 2, 9 taihsvons atgebun mis jah Bar- 
nabin gamaineins, svasve veisdu piudom, ih eis du kinnala 
(sc. apaustaulaus veseima), ἵνα ἡμεῖς εἰς ra ἔϑη, αὐτοὶ δὲ εἰς τὴν 
περιτομήν. 

GEBMANISTISCHE STUDIEN, ὃ 


114 ARTUR KÖHLER 


Nicht hieher gehörig ist die von Löbe mit angeführte Stelle Lue. 
9, 52, dann svaei hat dort trotzdem, daß ὥστε c. Inf. vorlag, finale 
Geltung: Jah gaggandans galipun in haim Samareite, sve 
manvjan imma, ὥστε ἑτοιμάσαι αὐτῷ. Über diese Herren von | 
ὥστε nach τς}: der Bewegung statt des einfachen Inf. vgl. Winer 
S. 298. — Ein eigenthümlicher Wechsel der Construction findet statt 
II Cor. 1,8 ἢ, wo im Griech. der Ace. c. Inf. abgelöst wird durch den 
Ind., im Goth. der Opt. durch den Ind.: svasve skamaidedeima 
uns jah liban. akei silbans in uns silbam andahaft daupaus 
habaidedum, ὥστε ἐξαπορηϑῆναι ἡμᾶς καὶ τοῦ Eijv‘ ἀλλὰ αὐτοὶ ἐν 
ἑαυτοῖς τὸ ἀπόκριμα τοῦ ϑανάτου ἐσχήκαμεν. Der Wechsel des Μοάυβ 
ist jedesfalls durch das Original bedingt, seinen guten Grund hat er 
aber darin, daß durch den entschieden aussagenden Ind. der Gegensatz | ; 
zu dem Vorhergehenden noch stärker hervorgehoben und gesagt wird, 
daß der Apostel nicht bloß in seiner Stimmung keine Lust mehr am ° 
Leben gehabt habe, sondern in der That seinen Tod schon vor Augen [γι 
sah, wie Luther übersetzt: „und bei uns beschlossen hatten, wir müßten ἢ 
sterben.“ 


y) Causal- und Vergleichssätze. 


Gewöhnlich steht in Causalsätzen der Ind., jedoch nicht so, wie 
Löbe 8. 278, 4 angibt, daß der Opt. sich auf negative Causalsätze 
beschränkte. Folgende vier Beispiele habe ich gefunden für den Opt. 
in — so zu sagen — affırmativen Causalsätzen; Joh. 8,56 Abraham 
atta izvar sifaida, ei gasehvi dag meinana, ’Aßoaau ὁ πατὴρ 
ὑμῶν ἠγαλλιάσατο, ἵνα ἴδῃ τὴν ἡμέραν τὴν ἐμήν, 11, 15 jah fagino 
in izvara, ei galaubjaipb, unte ni vas jainar, χαὶ χαίρω dr | 
ὑμᾶς, ἵνα πιστεύσητε, Gal. 4, 17 ak usletan izvis vileina, ei im | 
aljanop, ἀλλὰ ἐκκλεῖσαι ὑμᾶς ϑέλουσιν, ἵνα αὐτοὺς ξηλοῦτε, Phil. 2, 2 
usfulleip meina fahed, ei pata samo hugjaip, πληρώσατέ μου ἢ". 
τὴν χαρὰν, ἵνα τὸ αὐτὸ φρονῆτε. An allen diesen Stellen steht der 
Opt., weil der angegebene Grund nur als für das Subject giltig, nur als 
für die in Rede stehende Person maßgebend bezeichnet werden soll. 

Den Übergang zu den Vergleichssätzen bilden die negativen Causal- |. 
sätze, solche, die einen Grund angeben, an den man denken könnte, 
der scheinbar recht wohl möglich wäre, der aber gerade in Wirklichkeit | 
nicht der richtige ist. Von dieser Art sind folgende Stellen: Joh. 7, 22 } 
duppe Moses atgaf izvis bimait, ni patei fram Mose sijai, 
ak us attam, οὐχ ὅτι ἐκ τοῦ Μωυσέως ἐστὶν, ἀλλ ἐκ τῶν πατέρων, 
und 12,6 ex sententia Judae Iscariotis: ni peei ina pize parbane | 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 115 


kara vesi, οὐχ ὅτι περὶ τῶν πτωχῶν ἔμελεν αὐτῷ, nachher, wo der 
wirkliche Grund angegeben wird, folgt unte c. Ind. für ἀλλ᾽ ὅτι e. Ind. 
Weit häufiger ist der Gebrauch von ni patei sq. Opt. an solchen 
Stellen, wo nicht gerade ein Grund für das unmittelbar Vorausgehende 
angegeben wird, sondern eine irrige Ansicht abgelehnt, auf welche 
dann die entgegenstehende Wahrheit folgt, so ziemlich entsprechend 
dem lateinischen tantum abest mit folgendem doppeltem ut. Es wird 
hier die Wirklichkeit mit dem, was ja sonst auch der Fall sein könnte, 
verglichen und beides einander gegenübergestellt, der Form nach als 
Causalsätze, der Sache nach aber als Vergleichssätze. So Joh. 6,46 ni: 
patei ahvan sehvi hvas, nibai saei vas fram attin, sa sahv 
attan, οὐχ ὅτι τὸν πατέρα Ewoaxev τις, εἰ μὴ ὁ ὧν παρὰ τοῦ ϑεοῦ, 
οὗτος ἑώρακεν τὸν πατέρα. Hier ist doch keine Spur von Angabe eines 
Grundes, sondern eine Möglichkeit wird in Abrede gestellt und dieser 
gegenüber das wirkliche, thatsächliche Verhältniß ausgesprochen, der 
Möglichkeit vergleichend die Wirklichkeit entgegengesetzt. Ebenso 
II Cor. 1, 24 ni patei fraujinoma izvarai galaubeinai, ak 
gavaurstvans sijum anstais izvaraizos, οὐχ ὅτι χυριξύομεν 
ὑμῶν τῆς πίστεως, ἀλλὰ συνεργοί ἐσμεν τῆς χαρᾶς, Luther: „nicht 
daß wir Herren seien über euern Glauben, sondern wir sind Gehilfen 
eurer Freude;“ ebd. 3, 5 ni hatei vairpai sijaima pagkjan hva 
af uns silbam, ak so vairpida unsara us gupa ist, οὐχ ὅτι 
ἵκανοί Eouev..., ἀλλ ἡ ἱκανότης ἡμῶν ἐκ τοῦ ϑεοῦ, Phil. 3, 12, ni 
patei ju andnemjau aibpau ju garaihts gadomips sijau; 
abban ik afar gagga, ei gafahau, οὐχ ὅτι ἤδη ἔλαβον ἢ ἤδη 
τετελείωμαι, διώκω δὲ εἰ καὶ καταλάβω, Luther: „nicht daß ich 
es schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei; ich jage ihm 
aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte;“ 4, 11 ni patei bi 
parbai qipau, unte ik galaisida mik, in paimei im, gano- 
hips visan, οὐχ ὅτι καϑ' ὑστέρησιν λέωγ᾽ ἐγὼ γὰρ ἔμαϑον Ev οἷς 
εἰμὶ αὐτάρκης εἶναι, der Causalsatz mit unte (γάρ) hat adversative 
Geltung; 4, 17 ni patei gasokjau giba, ak gasokja ak(ran), 
οὐχ ὅτι ἐπιξητῶ τὸ δόμα, ἀλλὰ ἐπιξητῶ τὸν καρπόν, 11 Thess. 3, 9 
ni batei ni habaidedeima valdufni, ak ei uns silbans du 
frisahtai gebeima du galeikon unsis, οὐχ ὅτι οὐκ ἔχομεν ἐξου- 
σίαν, ἀλλ᾿ ἵνα ἑαυτοὺς τύπον δῶμεν ὑμῖν εἰς τὸ μιμεῖσϑαι ἡμᾶς, mit 
finalem Adversativsatz; Skeir. IV, Ὁ πὶ patei ufaro visandan svare 
kannidedi, ak jah svalauda is mikildupais maht insok jah 
himinakundana jah iupapro qumanana gipands, uiiakh als ob 


116 ARTUR KÖHLER 


er den in der Höhe Lebenden vergebens verkündigte, sondern er stellte 
die Macht seiner Größe als so gewaltig dar u. s. w.“ 

Bei wirklichen Vergleichssätzen, die ich hier anschließe, weil 
die eben besprochenen Causalsätze einen Übergang zu ihnen bilden, 
begegnen dieselben Conjunctionen, welche auch zur Einleitung von 
Consecutivsätzen dienen, c. Opt., wenn das Verglichene nicht in Wirklich- 
keit, sondern nur in der Vorstellung existiert, oder wenigstens nur, 
sofern es ein Vorgestelltes ist, in Betracht gezogen wird. So findet 'sich 
sve 6, Opt. in der Bedeutung „als ob“ I Cor. 4, 7 να hvopis 
sve ni nemeis? τί χαυχᾶσαι ὡς μὴ λαβών; 5, 7 svasve sijaip 
unbeistjodai, #«®wg ἐστε ἄξυμοι, Luther: „gleichwie ihr ungesäuert 
seid;* hier ist der Opt. des Goth. dem Sinne entschieden angemessener 
als der Ind. des griech. Originals und der Lutherischen Übersetzung, 
denn der Ausdruck ist bildlich und wird durch den Opt. deutlich als 
solcher gekennzeichnet (I Cor. 12, 11 svasve vili, χαϑῶς βούλεται, 
beweist nichts, denn — abgesehen von dem lediglich optativischen 
Praes. von viljan — wird hier nichts bloß Gedachtes bezeichnet, 
sondern es heißt: wie er wirklich will; aus demselben Grunde steht 


der Ind. 12, 18 svasve vilda, καϑὼς ἠϑέλησεν.) — Ein vergleichen- ° 
der Bedingungssatz des Griech. ist goth. in einen einfachen Vergleichs- 


satz mit correlativem svasve verwandelt, zwar nicht, weil ein Gegen- 
satz zur Wirklichkeit bezeichnet werden sollte, sondern um das Haben 
und Nichthaben als gleich möglich zu bezeichnen: I Cor. 8, 12 jabai 
auk vilja in gagreiftai ist, svasve habai vaila andanem ist, 
ni svasve ni habai, εἰ γὰρ ἡ προϑυμία πρόκειται, καϑὸ ἐὰν ἔχῃ 
(tig) εὐπρόσδεκτος, οὐ καϑὸ οὐκ ἔχει, Luther: „nachdem er hat, nicht 
nachdem er nicht hat.“ 


δ) Bedingungs- und Concessivsätze, 
Bei der völlig gleichen Behandlung in Betreff des Modus je nach 
der obwaltenden Aukansung habe ich es für zulässig erachtet, Bedin- 
gungs- und Einräumungssätze nicht zu trennen: Folge gesonderter 


Behandlung beider Arten von Sätzen würde nur eine lästige Wieder- | ἡ 


holung gewesen sein. 


Bekanntlich haben wir im Griech. zufolge der Existenz zweier | 


Modi der Abhängigkeit vier Formen der hypothetischen Periode; Goth. 


und Lateinisch, die nur einen solchen Modus besitzen, Ehre nur 
drei Formen ΡΝ aufweisen. 


Sowohl für εὐ c. Ind. aller Tempora als für ἐὰν c. Con. it 


sich jabai c. Ind., negativ niba oder nibai, auch mit hinzugefügtem 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT, IM GOTHISCHEN, 117 


‚aufto, c. Ind., im Nachsatze der Ind. Hier kann, wie Löbe ($. 280) 
richtig hervorhebt, nicht ängstliches Festhalten am Ausdruck des griech. 
Originals maßgebend gewesen sein; es hätte sonst für ἐὼν jabai e. Opt. 
gesetzt werden müssen. Beruht ja doch die Entscheidung darüber, ob 
der gesetzte Fall als wirklich oder nur gedacht vorgestellt werden soll, 
wesentlich auf dem subjectiven Ermessen des Schreibers. Vgl. Zumpt, 
lat. Gramm. $. 524, Anm. 1. 

Jabai c. Ind. begegnet für ei c. Ind. Matth. 6, 23; 8, 31; 10, 25; 
Mare. 3, 26; 11, 26; Luc. 6, 32; 14, 26; (14, 32 für εἰ δὲ μή γε sind 
die goth. Worte vermuthlich Glossem; vgl. Heyne z. ἃ. St.) 16, 11. 12; 
18, 4; 19, 8; Joh. 7,4. 23; 9, 25; 10, 35; 11, 12; 13, 14. 32; 15, 20; 
18, 8. 23; Rom. 8,9 (zweimal); 11, 12. 15 (Ellipse, goth. wie griech., 
aber der Ind. müßte stehen); 11, 17. 18. 24; 13, 9..15; I Cor. 1,7; 
ὩΣ 28, 13:09:23: 10; 30; :11, 65°15, 11311 16. 17. 1929.32; 16,22; 
II Cor. 2, 2.5. 11; 3, 7 (3, 3 und 11 Rllipsen, Ind. zu ergänzen); 
4,3; 5,16. 17 (Ellipse); 7, 8 (zweimal); 7, 12. 14; 8, 12; 10, 7; 
11, 4. 6. 15. 20; 12, 11; 13, 4; Gal. 2, 17. 18; 5, 18. 25; 6, 3; Eph. 
3,2; 4,21; Phil. 3,4. 15; Col. 1,23; 2, 20; 1 Thess. 4, 14; II Thess. 
16:43 Dame ἢ 410;,3,)1.5; 5,8; I] Tim.'2, 11. 12. 13;, Philem. v. 17, 18; 
außerdem Skeir. IV, ce und c—d. Aus der Form nicht zu entscheiden, 
ob Ind. oder Opt. dasteht, ist Gal. 2, 14 jabai bu Judaius visands 
piudisko libais, εἰ σὺ Ἰουδαῖος ὑπάρχων ἐθϑνικῶς ing, doch hat 
der Ind. bessere Berechtigung als der Opt., da Petrus wirklich so han- 
delt wie Paulus ihm vorwirft. In dem anakolouthischen oder durch 
Wiederholung von ἤνεγκε zu vervollständigenden Satze Rom. 9, 22 ff. 
ist für das Verbum des Bedingungsvordersatzes ἤνεγκεν das Part. 
usbeidands gesetzt: ip jabai viljands gup ustaiknjan pvair- 
hein jah uskannjan pata mahteigo, usbeidands in managai 
laggamodein bi kasam pvairheins οἷο, εὐ δὲ ϑέλων ὁ ϑεὸς 
ἐνδείξασϑαι. «ἤνεγκεν. «σκεύη ὀργῆς, so daß goth. das Verbum fehlt. 
Es könnte scheinen, daß das voraüsgehende Part. viljands Vulfila 
die Construction des mit jabai begonnenen Satzes vergessen ließ; 
viel wahrscheinlicher aber ist zu dem Part. usbeidands als Vervoll- 
ständigung ist zu ergänzen; vgl. Luc. 18, 7. Vgl. übrigens z. d. St. 
Winer, S. 530 und (Lünemann) 531. II Cor. 11, 4 ist im engen An- 
schluß an das Griech. der Ind. Praes. gesetzt, während man den Ind. 
Imperf. ἐκήρυσσεν erwarten sollte: denn der Satz sagt etwas aus, das 
im Gegensatz steht zur Wirklichkeit, und der Nachsatz enthält ganz 
correct den Ind. Imperf. ἀνείχεσϑε, freilich ohne das in classischer 
Gräcität unentbehrliche ἄν. Daß aber Vulfila sich ganz streng an den 


118 ARTUR KÖHLER 


Wortlaut des Originals gehalten hat, ohne den Gegensatz zur Wirklich- 
keit zum Ausdruck zu bringen, geht daraus hervor, daß er im Nach- 
satz den Ind. Praet. setzt: jabai nu sa qimanda anparana Jesu 
mereip..., vaila uspulaidedup, εἰ μὲν γὰρ ὁ ἐρχόμενος ἄλλον 
Ἰησοῦν κηρύσσει..., καλῶς ἀνείχεσϑε, Luther: „so vertrüget ihr es 
billig.* Vgl. Winer S. 287. — nibai für ei μὴ c. Ind. findet sich nur 
Mare. 5, 5; 1 Cor. 15, 2; II Cor. 13, 3. Mit dem Ind. begegnet nıbai 
noch zweimal, aber das einemal nicht als Conjunction, sondern wie 
lat. nisi in der Bedeutung „außer,“ adverbial, Joh. 6, 46 nibai saei 
vas fram attin, sa sahv attan, und das anderemal für einen wirk- 
lichen Bedingungssatz des Griech., so daß für das indefinite τὶς goth. 
das Relativpronomen eintritt, Joh. 15, 6 nıba saei visib in mis, 
ἐὰν μή τις μείνῃ ἐν ἐμοί. --- An den übrigen Stellen entspricht jabai 
c. Ind.‘ dem ἐάν: Matth. 6, 14. 15. 22. 23; 9, 21; Marc. 8, 34. 25; 
ἀξ οι τ; 28; .8,13..3659,.503, 10,012; 11,731; πο 10634; 
19, 40; 20, 5. 6; Joh. 6, 62; 8, 14. 16. 24. 31. 36. 51. 54; 9, 31; 
10, 9; 11, 9. 10. 40; 12, 24. 26. 32; 13, 17; 14, 3. 14. 15. 23; 15, 7.14; 
16, 7; 19, 12; Rom. 7, 2. 3; 11, 22; 12, 20 (zweimal); 13, 4; I Cor. 
7,8.28; 8, 10; 14, 23. 24 (Wechsel von Ind. und Opt. ip jabai allai 
praufetjand, ib innatgaggai hvas ungalaubjands aippau 
unveis, gasakada fram allaim, ussokjada fram allaim; der 
vorausgesetzte allgemeine Zustand wird durch den Ind. ausgedrückt, 
der hiebei sich ereignende besondere Fall, die während des dauernden 
Zustandes eintretende Handlung durch den Opt., als ob im Griech. 
erst δὐ c. Ind. und dann beim zweiten Gliede ἐὰν stünde); 16, 4. 7; 
ll Cor. 5,1; 9,4; 10, 8; 12,6; 13,2; Gal. 5, 2; I Thess. 3, 8; I Tim. 
1,1 85721 Τοῖς; Ill Tim.ı2,1 Ὁ: 

Als nur gedacht, aber immerhin möglich und wirklich eintretend 
wird eine Bedingung bezeichnet durch jabai c. Opt. Praes. für εἰ 
c..Ind.; Matth. 5, 29. 30; Marc. 4, 23; 7, 16; 9, 22. 23; 13, 22; Luc. 
4,'3.:9; Joh. 10, 24. 38; 15, 18; Rom. 12, 18; I Cor. 7, 9, 10, 27; 
11, 6; II Cor. 5, 3; 11, 30; Gal. δ, 11; II Thess. 3, 14; I Tim. 5, 4; 
6, 3; für ἐάν: Matth. 5, 23. 29. 41; Mare. 7, 11; 9, 43. 45. 47; 11, 3; 
12,19; 13, 21; Luc. 6, 33; 10, 6; 17, 3.4; 19, 31; 20, 23; Joh. 7, 37; 
9, 22; 12, 26. 47; 13, 35; Rom. 10, 9; I Cor. 5, 11; 7, 11; 10, 28; 
12,15..16;: 13, 2.35.16, 105-1 Cor. 11,30; 'Gal. 6, 15),Col..3,,135 
4, 10; I Tim. 3, 15; I Tim. 2, 21. Weggelassen habe ich in dieser 
Aufzählung diejenigen Stellen, wo entweder viljan im Praes. vor- 
kommt, oder wo die Form den Modus nicht erkennen läßt, — nibai 
ὁ. Opt. Praes. für εἰ μὴ erscheint Luc. 9, 13; Joh. 10, 37 nıba tau- 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 119 


au für εἰ οὐ ποιῶ, wo οὐ für un steht, weil οὐ ποιεῖν einen einheit- 
ichen negativen Begriff bildet — unterlassen, vgl. Winer 5. 445, sowie 
Joh. 10, 38 für ἐὰν un. Der Wechsel von & und ἐὰν an dieser Stelle 
ip jabai taujau, nibai mis galaubjaip, aim vaurstvam 
galaubjaip, εὐ δὲ ποιῶ κἂν ἐμοὶ μή πιστεύητε, τοῖς ἔργοις πιστεύ- 
σατε) bedeutet wohl so ziemlich dasselbe, wie im Goth. der Wechsel von 
Ind. und Opt. nach jabai I Cor. 14, 24 (s. 0.) und II Thess. 2, 3 unte 
nibai qimip afstass faurpis jah andhulips vairpai manna 
fravaurhtais, ἐὰν μὴ ἔλϑῃ ἡ ἀποστασία πρῶτον καὶ ἀποχαλυφϑῇ 
ὁ ἄνϑρωπος τῆς ἁμαρτίας, wo auch die allgemeinere Bedingung durch 
nibai c. Ind. und die bei Gelegenheit derselben hervortretende ein- 
zelne Thatsache durch den Opt. ausgedrückt wird. Unerklärlich ist 
dagegen der Wechsel des Modus Joh. 6, 53 nibai matjip leik pis 
sunaus mans jah driggkaip is blop, ἐὰν un φάγητε... καὶ πέητε, 
"hier muß doch wohl ein Schreibfehler angenommen werden. Gerade 
der umgekehrte Fall als Joh. 10, 38 und I Cor. 14, 24 tritt ein I Cor. 
7, 12, wo erst der Opt. nach jabai steht und dann der Ind. folgt: 
jabai hvas bropar gen aigi ungalaubjandein, jas-so gavilja 
ist bauan mib imma, εἴ τίς ἀδελφὸς γυναῖκα ἔχει ἄπιστον καὶ 
αὕτη συνευδοκεῖ οἰκεῖν user αὐτοῦ. Die erste Bedingung, welche die 
' Voraussetzung enthält für die Möglichkeit der zweiten, kann nicht des- 
wegen in den Opt. gesetzt sein, weil der Fall wohl so leicht nicht vor- 
kommen möchte; denn in dem ganzen Abschnitt des Korintherbriefes 
ist ja eben von gemischten Ehen die Rede; die Reihenfolge der Modi 
verbietet aber auch anzunehmen, daß die erste Bedingung den bleiben- 
den, als thatsächlich angenommenen Zustand bezeichnen solle, auf Grund 
dessen nun möglicher Weise die zweite Bedingung einträte. Eher möchte 
| ich annehmen, dal folgender Gedanke ausgedrückt werden soll: „An- 
_ genommen, daß) ein Bruder ein heidnisches Weib hat — und das kana 
"ja recht wohl der Fall sein — und sie will trotz der Verschiedenheit 
des Bekenntnisses mit ihm leben, sie hat wirklich die ernstliche Absicht, 
so soll er sich nicht von ihr scheiden.“ 

In allen diesen Fällen folgt im Nachsatz ein Ind. Praes. oder 
Imperativ oder adhortativer Optativ. 

Ausnahmsweise ist ein Vordersatz mit ἐὰν wiedergegeben durch 
iabai c. Opt. Praet., obgleich im Nachsatz der Ind. Praes. für griech. 
Fut. folgt, Rom. 9, 27 jabai vesi rapjo sunive Israelis svasve 
malma mareins, laibos ganisand, ἐὰν ἡ ὁ ἀριϑμὸς τῶν υἱῶν 
᾿Ισραὴλ ὡς ἡ ἄμμος τῆς ϑαλάσσης τὸ κατάλειμμα (ὑπόλειμμα) σωϑή- 
σεται, wegen der Nichtwirklichkeit der Bedingung zufolge ihres para- 


120 ARTUR KÖHLER 


bolischen Ausdrucks. Außerdem folgt auf einen Vordersatz mit jabai 
ὁ. Opt. Praes. für ἐὰν im Nachsatze der Opt. Praes. trotz des griech. | 
Ind. Praes., ICor. 13,3 jah jabai fraatjau allos aihtins meinos 


jah jabai atgibau leik mein, ei gabrannjaidau, ip friapva) 
ni habau, ni vaiht botos mis taujau, καὶ ἐὰν ψωμίσω πάντα τὰ 
ὑπάρχοντά μου, καὶ ἐὰν παραδῶ τὸ σῶμά μου ἵνα καυϑήσομαι, ἀγάπην. 


δὲ μὴ ἔχω, οὐδὲν ὠφελοῦμαν (während in dem vorhergehenden Verse 
auf einen völlig gleich angelegten Vordersatz im Goth. wie Griech. der 
Nachsatz mit Ind. Praes. folgt), und ebenso Joh. 8, 55 jah jabai 
gqepjau, patei ni kunnjau ina, sijau galeiks izvis liugnja, 
καὶ ἐὰν εἴπω..., ἔσομαι ὅμοιος ὑμῶν ψεύστης. Alle diese Sätze soll- 
ten genau genommen im Nachsatz den Opt. Praet. enthalten; bei der 


Stelle aus dem Römerbrief ist Vulfila auch mit richtigem Tacte von 
der Vorlage abgewichen, an den beiden anderen ist die Auffassung des 


Originals in seine Übersetzung mit hinüber genommen worden. 
Joh. 8, 51 ..steht nach Pe, der Ind. und ebenso im Nachsatze: 


jabai hvas vaurd mein fastaip, daupu ni gasaihvip aivaı 


dage, ἐάν τις τὸν ἐμὸν λόγον τηρήσῃ, ϑάνατον οὐ un ϑεωρήσῃ εἰς 
τὸν αἰῶνα. So lauten die Worte in Christi Munde. Unmittelbar darauf, 
v. 52, wird dieselbe Äußerung von den Pharisäern wiederholt, und 
hier nun tritt der Opt. ein, da diese den Gedanken nicht an sich als 
wirklich, sondern nur ex sententia Christi ausgesprochen hinstellen: 
jabai hvas mein vaurd fastai, nikausjau daupau aivadage, 
ἐάν τις τὸν λόγον μου τηρήσῃ, οὐ um γεύσηται ϑανατον εἰς τὸν αἰῶνα. 

Ist aber die Bedingung eine unerfüllbare, steht sie im Gegensatz 
zur Wirklichkeit, und ist mithin auch die unter der gesetzten Bedin- 
gung angenommene Folge nicht möglich, so steht im Vordersatze wie 
im Nachsatze der Opt. Praet. Es sind das diejenigen Fälle, wo im 
Griech. der Vordersatz mit εἰ c. Ind. eines historischen Tempus gesetzt 
wird und im Nachsatz gleichfalls der Ind. eines eben solehen Tempus 
mit ἄν. Im neutestamentlichen Griechisch bleibt jedoch das ἂν häufig 
weg, namentlich beim Imperfectum; vgl. Winer 5. 285 f. Eine solche 
Scheidung nach Gegenwart und Vergangenheit, wie sie im Griech. die 
Existenz dreier historischer Tempora ermöglicht, kann im Goth. natür- 
lich nicht stattfinden, außer in den Formen, die durch das Part. Praet. 
und das Verbum substantivum umschrieben werden. 


Vom griech. Texte ist Vulfila abgewichen Matth. 11, 14 jah jabai I 
vildedeib mibniman, sa ist Helias, 5861 ΡῈ gqiman, καὶ | 


εἰ ϑέλετε δέξασϑαι, αὐτός ἐστιν ὁ Ἡλίας ὁ μέλλων ἔρχεσϑαι. Hier ist 
der Opt. Praet. dadurch hervorgerufen, daß der Gegensatz zur Wirklich- 


nn ϑ 


͵ 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 121 


keit bezeichnet werden soll: „Es ist oft genug geweissagt worden, aber 
ihr wolltet die Verheißung nicht annehmen; wolltet ihr sie annehmen, 
so würdet ihr jetzt glauben.“ Daß dies der Sinn ist, geht deutlich aus 
' den folgenden Versen hervor, in denen Jesus den Unverstand und 
Unglauben der Juden heftig tadelt; somit hat Vulfila durch seine Über- 
setzung eine Beziehung in diese Worte hineingelegt, die im Griech. 
nicht hervortritt, und den Sinn besser ausgedrückt als sein Original. — 
Eine eigenthümliche Aposiopese findet statt Marc. 8, 12, wo der Nach- 
satz fehlt, aber aus dem Zusammenhange leicht zu ergänzen ist: amen, 
gipa izvis: jabai gibaidau kunja pamma taikne, griech. Ind. 
Βαϊ. εἰ δοϑγσεται τῇ γεννεᾷ ταύτῃ σημεῖον. Der Sinn ist folgender: 
„Ich würde ein Wunder thun, wenn es überhaupt in der Ordnung wäre, 
dal) vor einem so nichtswürdigen, verworfenen Geschlechte Zeichen und 
Wunder geschehen, an die es ja doch nicht glauben würde, sondern 
als Anhalt benutzen zu einer Anklage.“ Demnach übersetzt Luther 
diesen unvollständigen Bedingungssatz ganz richtig durch einen nega- 
tiven Aussagesatz: „Es wird diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben.“ 

Für εἰ ce. Ind. Imperf. steht jabai ὁ. Opt. Praet. Luc. 17, 6 und 
im Nachsatze pau, dem griech. οὖν entsprechend: jabai habaidedeip 
galaubein sve kaurno sinapis aippau (jabai) gipeip..., jah 
andhausidedi pau izvis, εἰ εἴχετε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως, 
ἐλέγετε ἂν. «καὶ ὑπήκουσεν ἂν ὑμῖν. Wäre die Lesart richtig, so wäre 
seltsam, daß der Nachsatz durch jah angefügt ist; außerdem wäre vom 
griech. Texte abgewichen, dessen Nachsatz mit ἐλέγετε ἂν beginnt 
(diese Worte können nicht, wie Luther übersetzt, das zweite Glied des 
Vordersatzes sein; dann müßte es wenigstens heißen καὶ ἐλέγετε ohne 
ἂν oder καὶ ἐὰν λέγητε); jedesfalls ist Löbes auch von Heyne auf- 
genommene Vermuthung richtig, daß das zweite jabai aus einer Glosse 
in den Text gekommen ist; aippau steht nie in der Bedeutung „und,“ 
wohl aber häufig für ἂν beim Ind. im Nachsatze hypothetischer Perio- 
den. Ebenso Joh. 5, 46, wo wiederum pau im Nachsatze steht, ohne 
dieses bau Joh. 8, 42, mit aippau 14, 28 für griech. Aor. im Nach- 
satze: jabai frijodedeip mik, aippau jus faginodedeip, εἰ 
ἠγαπᾶτέ us, &ydonre ἄν, und für griech. Imperf. 15, 19, sowie I (ον. 
11,31 ib jabai silbans uns stauidedeina, ni pau — das Weitere 
fehlt, Griech. beidemal das Imperf. — Für griech. Ind. Aor. im Vorder- 
satze und Nachsatze steht der Opt. Praet. Matth. 11, 21 (im Nachsatz 
bau) und 23 (im Nachsatz aippau); Lue. 19, 23, wo der Vordersatz 
fehlt und aus der vorhergehenden Frage zu ergänzen ist, nämlich: 
„wenn du das Geld beim Wucherer angelegt hättest,“ jah qimands 


122 ARTUR KÖHLER 


mip vokra galausidedjau pata; Gal. 4, 15, wo zu ei δυνατὸν 
ergänzt werden muß ἦν; und negativ niba c. Opt. Praet. für griech. 
Aor. im Nachsatz Joh. 14,2 appan niba veseina, aippau gepjau 
du izvis, εἰ δὲ μὴ (sc. ἦν), εἶπον ἂν ὑμῖν. --- Weit häufiger sind 
die Fälle, wo keine Conjunction den Vordersatz im Goth. einleitet; 
mehrfach steht an Stelle einer Conditionalconjunction das eigentlich 
adversative ib. Marc. 13, 20 mit bau im Nachsatze: jah ni frauja 
gamaurgidedi bans dagans, ni bauh ganesi ainhun leike, 
καὶ εἰ μὴ ἐκολόβωσεν κύριος τὰς ἡμέρας, οὐκ ἂν ἐσώϑη πᾶσα σάρξ, 
und ebenso Joh. 18, 30; Rom. 9, 29; ohne pau Joh. 9, 33; 15, 22; 
19, 11; Rom. 7,7, wo an Stelle des Bedingungsvordersatzes & un διὰ 
νόμου das adverbiale nih pairh vitop gesetzt ist; mit Veränderung 
des griech. Textes I Cor. 7, 14, wo der Vordersatz verschwiegen ist 
und nur durch aippau (sonst, andresfalls,, alioquin) angedeutet: 
aippbau barna izvara unhrainja veseina, ib nu hrainja sind, 
ἐπεὶ ἄρα τὰ τέκνα ὑμῶν ἀκάϑαρτα ἐστιν, νῦν δὲ ἅγια ἐστιν, vol. 
Winer S. 266. Im Vordersatze steht ib und dazu pau im Nachsatze 
Luc. 7, 39 sa ib vesi praufetus, ufkunpedi bau, οὗτος εἰ ἦν 
προφήτης, ἐγίνωσκεν ἂν κτλ.; 10, 13; Joh. 8, 19; 9, 41; 11, 21; mit 
aippau im Nachsatze Joh. 14, Tip kunpedeip mik, aippau kunpe- 
deib jah attan meinana, εἰ ἐγνώκειτέ με, καὶ τὸν πατέρα μου 
ἐγνώκειτε ἂν, und 18, 36; ohne eine dem ὧν entsprechende Partikel 
Joh. 8, 39 ip barna Abrahamis veseip, vaurstva Abrahamis 
tavidedeip, εἰ τέκνα τοῦ ’Aßoaau ἦτε, τὰ ἔργα τοῦ "Aßoadu ἐποι- 
εἴτε, 15, 24: Skeir. V, b—c; I Cor. 12, 19 mit Ellipse des Verbums 
im Nachsatze: ip veseina po alla ains lihus, hvar leik? εἰ δὲ 
ἦν πάντα Ev μέλος, ποῦ τὸ σῶμα; und mit verschwiegenem Vorder- 
satze, als welcher zu ergänzen ist: „denn wenn ich das meinte,“ I Oor. 
5, 10 unte skuldedeip pan us hamma fairhvau usgaggan, 
ἐπεὶ ὀφείλετε ἄρα ἐκ τοῦ κόσμου ἐξελϑεῖν, Luther: „sonst müßtet ihr 
die Welt räumen.“ 

Kein Gegensatz zur Wirklichkeit wird ausgedrückt Joh. 15, 20, 
wo zwei Bedingungssätze gegensätzlich aneinander gereiht sind; der 
erste hat im Vordersatz den Ind. Praet., im Nachsatz Ind. Praes. im 
Sinne des Fut., der zweite, der das Gegentheil des ersten enthält, hat 
im Vordersatz den Opt. Praet., im Nachsatze den Opt. Praes. in poten- 
tialem Sinne für das Fut.; im Griech. steht beidemal im Vordersatz 
ei c. Ind. Aor., jedoch lediglich zur Bezeichnung der Vergangenheit, 
im Nachsatze der Ind. Fut.: jabaimik vrekun, jah izvis vrikand, 
jabai mein vaurd fastaidedeina, jah izvar fastaina, & ἐμὲ 


DER SYNTAKT, GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 125 


ἐδίωξαν, καὶ ὑμᾶς διωξουσιν᾽ εἰ τὸν λόγον μου ἐτήρησαν, καὶ τὸν 
ὑμέτερον τηρήσουσιν. Für den Opt. im zweiten Bedingungsatze lag 
eine Nothwendigkeit vor; es müßte denn das Annehmen und Festhalten 
der Lehre Christi und seiner Jünger als weniger wahrscheinlich hin- 
gestellt werden sollen als die Verfolgung. 

Genau dem Griech. nachgebildet ist eine freiere Form der hypo- 
'thetischen Sätze: es wird nämlich statt des Bedingungsvordersatzes 
sin selbständiger Aussagesatz gebildet und an diesen schließt sich 
'asyndetisch der Nachsatz. Doch ist diese Form beschränkt auf solche 
Fälle, wo im Nachsatz ein Imperativ oder adhortativer Opt. folgt. 
I Cor. 7, 18 bimaitans galapods varp hvas, ni ufrakjai; miph 
faurafillja galapops varp hvas, ni bimaitai, περιτετμημένος 
τις ἐκλήϑη, un Emionaodn' ἐν anooßvoriz κέκληταί τις μὴ meoırs- 
ὠνέσϑω, ebd. ν. 21 skalks galabops vast, ni karos, δοῦλος ἐκλήϑης, 
un σοι μελέτω, und v.27 gabundans is genai, ni sokei lausjan; 
galausips is genai, nisokei gen, δέδεσαι γυναικὶ, μὴ ξήτει λύσιν" 


‚D- 

λέλυσαι ἀπὸ γυναικὸς, μὴ ζήτει γυναῖκα. Ebenso Rom. 13, 3 abpban 
ileis, ei ni ogeis valdufni, piup taujais jah habais hazein 
s pamma (der zweite Opt. ist potential zur Wiedergabe des Fut.), 
Ἰϑέλεις δὲ un φοβεῖσϑαι τὴν ἐξουσίαν; τὸ ἀγαϑὸν ποίει καὶ ἕξεις ἔπαι- 
νον ἐξ αὐτῆς. 

Zu den Bedingungssätzen gehören auch die disjunctiven Sätze, 
‚eingeleitet durch das correlative jabpe, εἴτε. Gewöhnlich steht jappe 
‘zweimal, theils mit Ind., theils mit Opt., griech. eire—eire c. Ind., wo- 
‘fern üherhaupt ein Verbum folgt. Ohne Verbum begegnet goth. wie 
griech. diese Satzform II Cor. 5, 9. 10; Eph. 6, 8; Col. 1, 20, sowie 
'Skeir. IV, ec; sogar vier Glieder durch jappe getrennt Col. 1, 16. 
'Griech. wie goth. folgt der Ind. II Cor. 1, 6; 5, 13; der Opt. für 
8 iech. doppeltes Particip mit zweifachem jappe bei leichter Ände- 
rung der Worte Phil. 1, 27 ei ne gimau " gasaihvau izvis 
jappe gm bi izvis, ἵνα εἴτε ἐλϑὼν καὶ ἰδὼν ὑμᾶς εἴτε ἀπὼν 
ἀκούσω τὰ περὶ ὑμῶν. Nur einmaliges jappe ὁ. Opt. für εἴτε c. Ind. 
begegnet I Cor. 14, 27 japp e razdai hvas rodjai, εἴτε γλωσσῃ τις 
λαλεῖ, die übrigen Glieder sind in freierer Weise angefügt durch ἐὰν 
'δέ; goth. fehlen die folgenden Worte. Dreimal jap pe, die beiden ersten 
Glieder mit Opt., das dritte mit Ind., findet sich I Cor. 10, 31 jabpbe 
nu matjaib jappe drigkaip a hva taujip, εἴτε οὖν ἐσϑίετε 
ἴτε πίνετε εἴτε τι ποιεῖτε. Ganz zufällig und planlos kann dieser 
"Wechsel des Modus nicht sein, sondern diese Stelle ist wohl so zu 
‚erklären: die beiden ersten Glieder sind als beliebig gewählte Beispiele 


124 ARTUR KÖHLER 


herausgegriffen, von denen das eine oder das andere eintreten kann, 
oder an deren Stelle auch etwas anderes geschehen könnte, und das 
dritte will sagen: „in jedem Fall und in jeder Lage.* Ahnlich übersetzt 
auch Luther: „ihr esset nun oder trinket, oder was ihr thut, so thut 
es alles zu Gottes Ehre.“ Einmal nur erscheint der Conj. nach εἶτε 
und kann auf die gothische Fassung eingewirkt haben; doch wäre der 
Opt. des Goth. auch schon dadurch sehr wohl erklärlich, daß man 
annimmt, es würden beide in Rede stehenden Fälle als gleich möglich 
gesetzt, I Thess. 5, 10 ei jappe slepeima jappe vakaima, samana 
mib imma libaima, ἵνα εἴτε γρηγορῶμεν εἴτε καϑεύδωμεν ἅμα σὺν 
αὐτῷ ζήσωμεν. Der Conj. nach ἵνα ist in wenig correcter Weise gesetzt 
für den Opt. nach historischem Tempus des übergeordneten Satzes, 
und dieser Conj. hat gegen die Regel, welche den Opt. verlangt hätte, 
assimilierend den Conj. nach εἴτε bewirkt. Vgl. Winer, 5. 276, Anm. 2. 


e) Temporalsätze. 


Hier ist es in vielen Fällen so ziemlich dem subjectiven Gut- 
dünken überlassen, ob man eine temporale Bestimmung einfach als 
solche, als eine Art erweitertes Adverbiale will gelten lassen, oder ob 
man sie zugleich als ein ursächliches Moment, als zum Gedankengang 
einer Person gehörig, als nothwendige Voraussetzung für den Inhalt 
des Hauptsatzes ansehen will, ob man sie als rein adverbiale Bestim- 
mung auffaßt, oder einen logischen Zusammenhang zwischen Haupt- 
und Nebensatz will erkennen lasssen. 

Wo ein einfaches thatsächliches Verhältniß bezeichnet werden 
soll, folgt auf temporale Conjunctionen der Ind.; wo ein innerer logi- 
scher Znsammenhang zwischen Haupt- und Nebensatz stattfindet, folgt 
der Opt. 

So findet sich überwiegend häufig der Ind. nach pan, sowohl für | 
ὅτε; c. Ind. Matth. 9, 25; Mare. 2, 25; Joh. 17, 12; Col. 3, 7; I Thess. | 
3, 4; II Tim. 4, 3, als für absolute Genetive Matth. 27, 57; Mare. 6, 21, 
als auch für özav c. Conj. Matth. 9, 15; Marc. 2, 20; 4, 15. 16. 31. 32; 
8,,88;5.13, 28;,Luc. 8, 13; Joh, 8,44; Rom. 11,27; I:Cor. 11552458 
II Cor. 10, 6; Col. 3, 4; I Thess. 5, 3; II Thess. 1, 10; auffälliger | 
Weise folgt nach ὅταν auch der Ind. Mare. 3, 11 ὅταν αὐτὸν ἐθεώρει 
(bessere Lesart: ἐθεώρουν), goth. Ind. pan ina gasehvun. Dagegen 
steht pan c. Opt. ausschließlich für ὅταν ce. Conj. Matth. 6, 2. 5. 6; 
Marc. 12,25; Luc. 14, 10.12.13; 16, 9; 17,10; I Cor. 14, 26; Col. 4, 16. | 

Auch bipe begegnet weit häufiger ce. Ind., für ὅτε c. Ind. Matth. 
11, 1; 26, 1; Marc. 4, 10; 15, 20; Luc. 2, 21; Joh. 19, 6. 8; I Öor, ἢ 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT, IM GOTHISCHEN. 125 


13, 11; Gal. 2, 12. 14; 4,4; für ὡς ce. Ind. Luc. 1, 23; für ὅταν c. Con]. 
Marc. 4, 29; Joh. 16, 21; I Cor. 13, 10; 15, 27. 28; 16, 3 (dagegen 
v. 2 der Opt.) und v. 12, wo zu uhteig der Ind. ist zu ergänzen ist, 
für absolute Genetive Matth. 9, 12. 32. 33; Mare. 1, 42; 4, 17; 5, 2; 
15, 33; Lue. 15, 44, für das adverbiale ἐν τῷ κατακεῖσϑαι αὐτόν Marc. 
2, 15; für das appositive Participium λαβών Joh. 13, 30 und trotz 
ὥς ἂν c. Conj. (vulgär für ἕως ἀν) Phil. 2, 23, auch Skeir. VII, ἃ 
bipe sadai vaurpun. Der Opt. nach bipe entspricht nur dem Conj. 
nach ὅταν, Matth. 6, 16; Marc. 9, 9; Luc. 14, 10; 16, 4; Joh. 13, 19; 
14, 29; 16, 4; I Cor. 16, 2 neben dem Ind. in v. 3; nur einmal für 
absolute Genetive, Luc. 14, 29 bipe gasatidedi grunduvaddju 
jah ni mahtedi ustiuhan, ϑέντος αὐτοῦ ϑεμέλιον καὶ μὴ ἰσχύοντος 
ἐκτελέσαι. 

unte als temporale Conjunction hat gleichfalls vorwiegend den 
Ind. nach sich in der Bedeutung „während, bis daß, so lange als,“ 
Matth. 5, 25 und I Tim. 4, 13 für ἕως c. Ind., Marc. 2, 19 für ἐν ᾧ 
c. Ind., Marc. 14, 54 für ἕως ἔσω ohne Verbum; Luc. 15, 4 und 17, 8 
trotz ἕως ce. Conj., sowie 15, 8 trotz ἕως ὅτου c. Conj.; Matth. 5, 18; 
10, 23; Marc. 9, 1; 12, 36 trotz ἕως ἂν c. Conj., auch für ἄχρις οὗ 
ce. Ind. I Cor. 15, 25. Der Opt. dagegen folgt auf unte, wenn die 
Handlung des Nebensätzes die nothwendige Voraussetzung für das im 
Hauptsatze Ausgesagte ist, oder für das, was man daraus abnehmen, 
schließen muß, was man demzufolge thun muß, so daß der Inhalt des 
Hauptsatzes logisch unmöglich wäre ohne das Eintreten des im Neben- 
satze Ausgesprochenen. Rom. 11, 25 unte daubei sumata Israela 
varp, und patei fullo piudo inn galeipai, ἄχρις οὗ τὸ πλήρωμα 
τῶν ἐθνῶν εἰςέλϑῃ, d. h. nachher erst konnte die Verstocktheit vom 
Volke weichen; I Cor. 4, 5 pannu nu faur mel ni stojaip, unte 
gimai frauja, ἕως ἂν ἔλθῃ ὁ κύριος, ἃ. h. dann erst kann und soll 
das Gericht gehalten werden; 11, 26 sva ufta sve matjaip pana 
hlaifjab-bana stikl drigkaip, daupau fraujins gakannjaip, 
unte qimai, ἄχρις ἔλϑῃ, denn nachher ist eine solche Erinnerungs- 
feier nicht mehr nöthig; Gal. 4, 19 barnilona meina, panzei aftra 
fita, unte gabairhtjaidau Xristus in izvis, ἄχρις οὐ μορφωϑῇ 
Χριστὸς ἐν ὑμῖν, denn nachher ist diese Thätigkeit des Apostels über- 
flüssig; Eph. 4, 13 jah silba gaf sumans apaustauluns... du 
ustauhtai veihaize, du vaurstva andbahtis, du timreinai 
leikis, unte garinnaima allai in ainamundipa galaubeinais, 
μέχρι καταντήσωμεν ol πάντες, denn dann ist der Zweck erfüllt. — 
Bei einfacher Zeitangabe steht der Opt. nach unte, Marc. 6, 10, wo 


126 ARTUR KÖHLER 


1 


vielleicht der griech. Conj. eingewirkt hat; saljaip, unte usgaggaip 
jainpro, ἕως ἂν ἐξέλϑητε ἐκεῖθεν, weil das Fortgehen doch ver- - 


muthlich einmal eintreten wird, und trotz des Ind. im Griech. Luc. 19, 13 
kaupop, unte ik qimau, ἕως ἔρχομαι, der Opt., weil der Herr, der 


erfolgend denkt. 


faurpizei hat einzig und allein den Opt., nie den Ind. nach sich: 
Matth. 6, Sfaurpizei jus bidjaib ina, πρὸ τοῦ ὑμᾶς αἰτῆσαι αὐτόν, 
Marc. 14, 72 faurbize hana hrukjai tvaim sinpam, πρὶν ἀλέχτορα ' 
φωνῆσαι dig, Luc. 2, 21 faurbizei ganumans vesi in vamba, | 


πρὸ τοῦ συλληφϑῆναι αὐτὸν ἐν τῇ κοιλίᾳ, v. 26 faurbize sehvi 
Xristu fraujins, πρὶν ἢ ἴδῃ, Joh. 8, 58 faurbizei Abraham 
vaurpi, im ik, zoiv’Aßoaau γενέσϑαι, 13, 19 und 14, 29 faurpizei 
vaurbi, πρὸ τοῦ γενέσϑαι und πρὶν γενέσϑαι, 17, 5 faurpizei sa 
fairhvus vesi, πρὸ τοῦ τὸν κόσμον εἶναι, Gal. 2, 12 unte faur- 
pizei gemeina sumai fram Jakobau, πρὸ τοῦ γὰρ ἐλϑεῖν τινας 
ἀπὸ Ἰακώβου. Überall war hier πρὲν ὁ. Conj. oder Inf. oder ein prä- 
positionaler Inf. zu übersetzen; daraus geht hervor, daß an allen diesen 
Stellen das temporale Moment nicht als etwas Thatsächliches, sondern 
als etwas Gedachtes, Vorgestelltes, entweder Beabsichtigtes, oder Er- 
wartetes, oder Mögliches in Betracht kommt. 


&) Relativsätze. 


Die einfachsten Relativsätze sind diejenigen, welche ein appositives 
oder attributives Verhältniß ausdrücken, welche also zu einem Nomen 
oder zu einem als nominaler Satztheil behandelten Satze eine unwesent- 
liche oder eine wesentliche charakteristische nähere Bestimmung ent- 
halten. Diese weisen natürlich den Ind. auf. Mannigfacher Art sind die 
Relativsätze mit dem Opt. 

Im Griech. stehen Modi der Abhängigkeit theils in verallgemeinern- 
den Relativsätzen, theils in solchen, die etwas nur bedingungsweise 
aussagen („wofern dies oder jenes wirklich eintreten, wirklich der Fall 
sein sollte“), ἃ. ἢ. in sogenannten hypothetischen Relativsätzen. Vgl. 
Winer 5. 288. Ausgedehnter ist der Gebrauch des Modus der Abhängig- 
keit im Goth., und hier kommen noch diejenigen Fälle hinzu, wo im 
Lat. in Relativsätzen der Conj. steht. Es gibt also 1) verallgemeinernde 
und hypothetische, 2) consecutive und 3) causale (selten) Relativsätze 
mit dem Opt. Finalsätze werden Goth. nicht durch relative Verbindung 
gegeben. Öfters findet sich der Ind, wo man den Opt. erwarten sollte 


᾿ 
hier zu seinen Knechten spricht, an seine Rückkehr als wahrscheinlich ' 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 127 


und wo der griech. Ausdruck die Wahl dieses Modus nahe legte; häufig 
ist auch ein Wechsel des Ind. und Opt. bemerkbar. 

Die verallgemeinernden Relativsätze gehören genau betrachtet zu 
den hypothetischen, denn was so allgemein gesetzt wird, das wird nicht 
als concret wirklich, sondern nur als gegebenes Falles eintretend vor- 
gestellt. Nur diejenigen verallgemeinernden Relativsätze, bei denen die 
Verallgemeinerung besonders hervorgehoben ist durch svazuh, oder 
wo der verallgemeinernde Sinn deutlich in die Augen springt, werde 
ich getrennt anführen. Häufig begegnet im Griech. ein Partieip, das 
goth. nicht immer ohne Schwerfälligkeit nachgeahmt werden konnte. 
Aus. der Freiheit aber, mit der bald der Ind., bald der Opt. gesetzt 
wird, je nach der Vorstellung des Schreibenden, sowie daraus, daß 
nicht bloß die nach ihrem griech. Wortlaute zur Anwendung des Opt. 
auffordernden Stellen diesen Modus zeigen, sondern auch andere Arten 
von Relativsätzen, denen im Griech. der Gebrauch eines Modus der 
Abhängiskeit unbekannt ist, aus diesen beiden Umständen geht zur 
Genüge hervor, daß wir hier echt gothischen Sprachgebrauch annehmen 
müssen, der nur hie und da gelegentlich durch den griech. Ausdruck 
beeinflußt ist, im Übrigen aber volle Freiheit zeigt. Ganz besonders 
deutlich zeigt sich die Selbständigkeit des gothischen Übersetzers Matth. 
6, 12 jah aflet uns, patei skulans sijaima, καὶ ἄφες ἡμῖν τὰ 
ὀφειλήματα ἡμῶν, „alles, was wir etwa schuldig sein mögen,“ sowie 
Luce. 3, 13 ni vaiht ufar hatei garaid sijai izvis, ὑπὲρ τὸ δια- 
τεταγμένον ὑμῖν. Dem griech. sogenannten hypothetischen Relativ ent- 
spricht der goth. Ausdruck an folgenden Stellen: Marc. 6, 10 pishva- 
duh bei gaggaib in gard, ὅπου ἐὰν εἰφέλϑητε εἰς οἰκίαν, v. 11 
jah sva managai, sve ni andnimaina izvis, ni hausjaina 
izvis, #0 ὅσοι ἂν un δέξωνται ὑμᾶς, μηδὲ axovmoıv ὑμῖν (v. 22 
beweist nichts wegen vileis), und 23 pishvaduh hei bidjais mik, 
ὃ ἐάν we αἰτήσῃς, und theilweise gleichlautend Luc. 9, 5; Marc. 9, 41. 42; 
11,23 pishvazuh ei qipai...jah ni tuzverjai.., ak galaubjai, 
ὃς ἄν εἴπῃ. «καὶ μὴ διακριϑῇ.., ἀλλὰ πιστεύσῃ (ei ist hier nicht Con- 
junetion, sondern Relativpartikel; vgl. Schulze, goth. Glossar 8. v. ei 
Nr. 16 sa—ei = sai, $. 78, wo jedoch unsere Stelle nicht erwähnt 
ist; vgl. auch Löbe zu Luc. 1, 20 und im Wörterbuch s. v. ei), ebenso 
Luc. 1, 20 und pana Binz ei vairpai pata, wofür Griech. eine 
sation vorlag, freilich ohne ἄν: μέχρι ἧς ἡμέφας γένηται ταῦτα, 
I Cor. 11, 25. 26; 16, 6 pishvaduh be ik vrato, οὗ ἐὰν πορεύωμαι. 
vorausgesetzt, daß vrato — wie allerdings wahrscheinlich — wirklich 
- Opt. ist; Gal. 5, 10; Col. 3, 17. 23. Bei allen diesen eben aufgeführten 


128 ARTUR KÖHLER 


Stellen ist die verallgemeinernde Bedeutung deutlich ersichtlich. Ohne 
so deutlich angezeigten verallgemeinernden Sinn stehen goth. hypo- 
thetische Relativsätze für eben solche griechische Mare. 14, 14 jah 
padei inngaleipai, καὶ ὅπου av eiseAdn, wo auf ein bestimmtes 
Haus in Jerusalem Bezug genommen ist; Luc. 9, 4; 10, 5. 8. 10, an 
den beiden zuletzt genannten Stellen in genauer Nachbildung des Griech. 
mit Zusammenziehung des Relativsatzes und eines an diesen sich an- 
schließenden Bedingungssatzes in einen Relativsatz: in poei baurge 
inn gaggaipb jah andnimaina (v. 10 ni andnimaina) izvis, εἰς 
ἣν δ᾽ ἂν πόλιν εἰφςέρχησϑε καὶ (v. 10 un) δέχωνται ὑμᾶς, Joh. 15, 16 
ei patahvah bei bidjaib attan in namin meinamma, 0 τὸ ἂν 
αἰτήσητε, während in denselben. Worten 16, 23 der Ind. bidjip steht 
trotz des Conj. mit ἂν im Griech. (Tischendorf hat dafür freilich einen 
Bedingungssatz ἄν τι αἰτήσητε τὸν πατέρα.) Häufig sind griechische 
Participien goth. durch hypothetische Relativsätze aufgelöst. Marc. 4, 9; 
Luc. 8, 8 und 14, 35 saei habai ausona hausjandona (beziehent- 
lich gahausjandona und Lue. 14, 35 du hausjan), ὁ ἔχων ὦτα 
ἀκούειν (Tischendorf Mare. 4, 9 ὃς ἔχει #rA.); Marc. 7, 10 saei ubil 
gqipaiattinseinamma, ὁ κακολογῶν πατέρα, Luc. 3, 11 saeihabai 
matins, ὁ ἔχων βρώματα, während unmittelbar vorher in demselben 
Verse der participiale Ausdruck auch goth. beibehalten war: sa habands 
tvos paidos, ὁ ἔχων δύο χιτῶνας, Joh. 12, 46 mit stärker bezeichneter 
Verallgemeinerung: ei hvazuh saei galaubjai du mis in rigizai 
ni visai, πᾶς ὁ πιστεύων εἰς ἐμέ, sowie I Cor. 10, 25 all patei at 
skiljam frabugjaidau, πᾶν τὸ ἐν μακέλλῳ πωλούμενον, und v. 27 
all patei fauralagjaidau izvis, πᾶν τὸ παρατιϑέμενον ὑμῖν, ein- 
facher Eph. 4, 28 saei hlefi, ὁ χλέπτων, verallgemeinernd II Tim. 
2, 19 hvazuh saei namnjai namo fraujins, πᾶς ὁ ὀνομάξων τὸ 
ὄνομα κυρίου, Skeir. I, asaei sokjai aippau frapjai gup. Wegen 
der Form ist nicht zu entscheiden Mare. 10, 21 sva filu sve habais, 
ὅσα ἔχεις, sowie wegen der optatischen Form des Praes. von viljan 
Luce. 4, 6 (griech. Conj. mit ἄν); Rom. 9, 18; Joh. 5, 21 für griech. Ind. 
Wenn auch hier der Opt. für griech. Fut. gesetzt wird, so werden wir 
gleichfalls annehmen müssen, daß er deshalb als Potentialis steht, weil 
das noch Zukünftige als nur unter gewisser Voraussetzung geschehend, 
nur als möglich, als bedingt erscheint. So haben wir hier den Opt. für 
griech. Fut. Luc. 17, 31 saei sijai ana hrot, ὃς ἔσται ἐπὶ τοῦ δώμα- 
τος; I Tim. 6,8 paimuh ganohidai sijaima für die demonstrative 
Wendung τούτοις, ἀρκεσϑησόμεϑα, II Tim. 2, 2triggvaim mannam, 
baiei vairpai sijaina jah anparans laisjan, oitwveg ἱκανοὶ ἔδσον-- 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 129 


ται καὶ ἑτέρους διδάξαι. Auch für verschiedene nominale oder sonst 
abweichende Ausdrucksweisen des Griech. setzt der Gothe seinen Relativ- 
satz mit dem Opt. Luc. 15, 12 gif mis, sei undrinnai mik, dail 
aiginis, δός μοι τὸ ἐπιβάλλον μέρος τῆς οὐσίας, Joh. 13, 29 bugei 
pizei paurbeima du dulpai, ἀγόρασον ὧν χρείαν ἔχομεν εἰς τὴν 
ἑορτήν. Rom. 12,3 ni mais frapjan bau skuli frabjan, μὴ ὑπερ- 
φρονεῖν παρ᾽ ὃ δεῖ φρονεῖν, „nicht mehr als etwa zulässig sein dürfte 
‚von sich zu halten.“ Entschieden verallgemeinernd steht der Opt. I Cor. 
10, 33 ni sokjands patei mis bruk sijai, un ζητῶν τὸ ἐμαυτοῦ 
σύμφορον. Ein wirklicher Bedingungssatz, allerdings etwas locker an- 
‚gefügt, so daß der goth. Ausdruck correcter erscheint, begegnet Eph. 
4, 29 ainhun vaurde ubilaize us munpa izvaramma ni us- 
gaggai, ak patei gop sijai du timreinai galaubeinais, πᾶς 
Aoyog..., ἀλλ᾿ εἴ τις ἀγαϑὸς πρὸς οἰκοδομὴν τῆς χρείας. Indirecte 
Frage wird durch einen hypothetischen Relativsatz wiedergegeben Eph. 
5, 10 gakiusands patei sijai vailagaleikaip fraujin, doxı- 
μάξοντες τί ἐστιν εὐάρεστον τῷ κυρίῳ. Das kurze ὅσοι οὖν τέλειοι 
übersetzt Vulfila weitläufiger durch Hinzufügung des Verbum substan- 
tivum Phil. 3, 15 sva managai nu sve sijaima fullavitans, Ein- 
fache nominale Ausdrücke werden durch Relativsätze mit dem Opt. 
umschrieben, wegen der Allgemeinheit ihres Begriffes, Col. I, 10 in 
allamma, patei galeikai, εἰς πᾶσαν ἀρέσκειαν, I Thess. 5, 21 
batei gop sijai, τὸ καλόν, I Tim. 4, 15 ei patei peihais pu, svi- 
kunp sijai allaim, ἵνα σου ἡ προκοπή κτλ. Verallgemeinernden Sinn 
hat auch die Stelle I Tim. 6, 1, doch ist dieser nur goth. durch den 
Modus ausgedrückt: sva managai sve sijaina uf jukuzjai pivos, 
ὅσοι εἰσὶν ὑπὸ ξυγὸν δοῦλοι. Hypothetischer Relativsatz findet sich 
auch I Tim. 5,3 viduvons sverai, pozeibisunjai sijaina vidu- 
vons, χήρας τίμα τὰς ὄντως χήρας, d. h. dafern sie wirklich Witwen 
sind und durch ein ehrbares Leben sich als solche kennzeichnen. 
Ebensoviel Veranlassung den Opt. zu setzen wäre v. 5 gewesen, doch 
ist da der Ind. gesetzt und dadurch die hypothetische Bedeutung des 
Satzes nicht zur Geltung gebracht. Für griech. Partieipium und dann 
st c. Ind. begegnet goth. ein hypothetischer Relativsatz I Tim. 5, 9 f. 
riduvo gavaljaidau ni mins saihstigum jere, sei vesi ainis 
ıbins gens, in vaurstvam godaim veitvodipa habandei, jah 
»arna fodidedi δι gastins andnemi jau veihaim fotuns 
»vohi jau aglons vinnandam andbahtidedi jau allamma 
raurstve godaize afarlaistidedi, χήρα καταλεγέσϑω. «ἕν ἔργοις 


ταλοῖς μαρτυρομένη, εἰ ἐτεχνοτρόφησεν, εἰ ἐξενοδόχησεν, εἰ ἁγίων 
GERMANISTISCHE STUDIEN. 


130 ARTUR KÖHLER 


πόδας ἔνιψεν, εἰ ϑλιβομένοις ἐπήρκεσεν, εἰ παντὶ ἔργω ἀγαϑῷ ἐπη- 
κολούϑησεν. Auch hat Vulfila einmal einen hypothetischen Relativsatz 
angewandt, wo statt des indefiniten Relativs ὅστις das Indefinitum τὶς 
steht und zwei coordinierte Sätze sich finden statt eines Haupt- und 
eines relativen Nebensatzes, Joh. 6, 50 saist hlaifs, saei us himina 
atstaig, ei saei bis matjai, ni gadaupnai, ἵνα τις ἐξ αὐτοῦ 
φάγῃ καὶ μὴ ἀποϑάνῃ, d.h. „damit man (so ist τὶς hier zu übersetzen) 
davon esse und nicht sterbe.* Jedesfalls ist die gothische Wendung 
verständlicher und bringt mehr Klarheit in den Zusammenhang der 
Gedanken als die griechische Fassung. Auch Luther übersetzt mit 
Vulfila übereinstimmend: „auf daß, wer davon ißet, nicht sterbe.“ 

Hieher muß auch Mare. 14, 44 gerechnet werden. Christus sagt 
da: pamma kukjau, sa ist, ὃν ἂν φιλήσω, αὐτὸς ἐστιν. Der Opt. 
steht für das Fut., aber nur wegen des hinzugefügten ἄν. Winer frei- 
lich erwähnt nicht den Gebrauch des Ind. Fut. mit &v, der von Man- 
chen sogar für‘ das Attische angezweifelt wird, indessen doch wohl 
hinlänglich feststeht: hier aber kann φιλήσω unmöglich für den Conj. 
Aor. genommen werden, da hier von einem noch zukünftigen beson- 
deren Fall die Rede ist. Es würde demnach der Opt. bezeichnen, daß 
Christus in die Lage kommen könnte einen zu küssen. 

Mehrfach begegnet ein Wechsel des Modus, ohne daß ein dazu 
berechtigender Grund sich erkennen ließe. Ebenso wie Matth. 5, 21. 22; 
8, 19; Marc. 3,.28. 3554,25; 7,115 8,35. 38; 9,2. 18. 37; 10,'11315. 355 
11, 23; 14,9; Luc. 7, 23; 8, 18; 9, 24.26. 48. 57; 18, 17; Joh. 11, 12; 
Rom. 10, 13 der Ind. steht trotz der hypothetischen Form des Relativ- 
satzes im Griech. 5), so wird mit den Modis gewechselt Matth. 5, 19. 31 ἢ. 
Ganz besonders auffallend ist die Bedeutungslosigkeit dieses Wechsels 
I Cor. 11,27 eipan hvazuh saei matjib pana hlaif aippau 
drigkai pana stikl fraujins unvairbaba, ὥστε ὃς av ἐσϑίῃ τὸν 
ἄρτον ἢ πίῃ τὸ ποτήριον #tA., wo beide Handlungen so eng zusammen- 
gehören, daß eine ohne die andere nicht gedacht werden kann. Anders 
gestaltet sich das Verhältniss an folgenden zwei Stellen: Matth. 10, 3 
Jah saei ninimip galgan seina jah laistjai afar mis, griech. 
beidemal der Ind. ὃς οὐ λαμβάνει. «καὶ ἀκολουϑεῖ κτλ., und ebenso 
Luc. 14,27 jah saei ni bairib galgan seinana jah gaggai afar 
mis, ὅστις οὐ βαστάξει. .καὶ ἔρχεται κτλ. Hier ist offenbar ein innerer 
Zusammenhang zwischen beiden Gliedern vorhanden: das zweite Glied 


5) Freilich steht in der besseren Lesart mancher dieser Stellen auch griech. der 
einfache Ind. oder der Ind. Fut. mit ἄν. 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN. 131 


bezeichnet das, was unter Voraussetzung des Eintritts des ersten ge- 
schehen würde, was die Folge desselben wäre; der Sinn also ist: „wer 
sein Kreuz nicht auf sich nimmt, und in diesem Falle (des Nichtauf- 
nehmens des Kreuzes) würde er mir nicht nachfolgen,“ oder „so daß 
er mir nicht nachfolgen würde.“ Auch lateinisch könnte man — wie 
Löbe wirklich übersetzt — im ersten Gliede den Ind. setzen und die- 
sem im zweiten den Conj. folgen lassen. 

Einen Übergang zu den consecutiven Relativsätzen bilden die- 
jenigen, welche — wie das im Lateinischen strenge Regel ist — nach 
verallgemeinernden positiven wie negativen Begriffen stehen und eine 
wesentliche charakteristische — so zu sagen attributive — Erweiterung 
enthalten, von denen man im Lat. häufig zu sagen pflegt, es sei in 
ihnen ein ut consecutivum enthalten; freilich schlecht genug aus- 
gedrückt! Solcher Beispiele gibt es folgende: Matth. 8, 20 ib sunus 
mans ni habaip, hvar haubip sein anahnaivjai, ὁ δὲ υἱὸς τοῦ 
ἀνθρώπου οὐκ ἔχει, ποῦ τὴν κεφαλὴν κλίνῃ, für indirecte Frage des 
Griech., und fast gleichlautend Luc. 9, 58; Luc. 1,61 patei ni ains- 
hun istin kunnja beinamma, saei haitaidau Pamma namin, 
οὐδεὶς. .ὃς καλεῖται, Joh. 7,35 hvadre skuli sa gaggan, pei veis 
ni bigitaima ina? ποῦ οὗτος μέλλει πορεύεσϑαι, ὅτι ἡμεῖς οὐχ 
εὑρήσομεν αὐτόν; II Cor. 2, 2 jah hvas ist, saei gailjai mik? 
καὶ τίς ἐστιν ὁ εὐφραίνων με; ebd. 12, 13 ἔνα auk ist, pize vanai 
veseib ufar anparos aikklesjons? τί γάρ ἐστιν ὃ ἡττήϑητε ὑπὲρ 
τὰς λοιπὰς ἐκκλησίας ; 

Wirklich conseeutive Relativsätze, ohne verallgemeinernde Bedeu- 
tung, enthalten folgende Stellen: Marc. 7, 15 ni vaiht ist utapro 
mans inngaggando in ina, hatei magi ina gamainjan, οὐδέν 
ἐστιν. .ὃ δύναται αὐτὸν κοινῶσαι, 14, 14 hvar sindsalipvos, parei 
paska mib siponjam meinaim matjau? ποῦ ἔστιν τὸ κατάλυμα 
μον, ὅπου. «φάγω; Luc. 7,49 hvas sa ist, saei fravaurhtins afle- 
tai? τίς οὗτός ἐστιν ὃς καὶ ἁμαρτίας ἀνίησιν; 17,7 hvas pau izvara 
skalk aigands.., saei atgaggandin af haihjai αἱ αἱ ete.? τίς 
δὲ ἐξ ὑμῶν... ὃς ἐρεῖ αὐτῷ κτλ.; und V. 8 manvei hva du naht 
matjau, für indirecte Frage: ἑτοίμασον τί δειπνήσω. Beachtenswertli 
ist eine Stelle, wo zwei coordinierte Relativsätze begegnen, der erste 
mit Ind., der zweite mit Opt., griech. beidemal Ind. Fut.; beide Sätze 
zwar von verallgemeinerndem Sinne, so jedoch, dal: der zweite wieder 
das Ergebniss, die Folge des Gedankens des ersten ausdrückt. Wohl 
um dieses Verhältniss beider Relativsätze zu einander deutlich auszu- 


drücken, hat Vulfila den Wechsel der Modi eintreten lassen; wiederum 
9 * 


132 ARTUR KÖHLER 


ein Beweis dafür, wie sorgfältig der gothische Bischof bei seiner Arbeit 
zu Wege gieng, so daß manchmal seine Übersetzung feine Züge und 
innere Beziehungen deutlich zu erkennen gibt, die das Original weniger 
gut erkennen läßt, und auch dafür ein Beweis mehr, wie oberflächlich 
die Meinung ist, als diene der Opt. auch dann zur Wiedergabe des 
griech. Fut.,, wenn nicht wesentliche innere Gründe für seine Anwen- 
dung vorhanden sind. Diese Stelle ist Mare. 9, 39 πὶ mannahun auk 
ist, saei taujip maht in namin meinamma jah magi sprauto 
ubilvaurdjan mis, οὐδεὶς γάρ ἐστιν, ὃς ποιήσει δύναμιν ἐπὶ τῷ 
ὀνόματί μου καὶ δυνήσεται ταχὺ κακολογῆσαί με, d.h. „Niemand, der 
Wunder thut in meinem Namen, ist im Stande mich zu lästern; wenn 
er in meinem Namen Wunder thut — dies vorausgesetzt, so ist es 
unmöglich, daß er mich lästere.“ — Hieher gehören noch Joh. 9, 36 
an hvas ist, frauja, ei galaubjau du imma? zig ἐστιν, κύριε, ἵνα 
πιστευσω εἰς αὐτόν; und 12,23 qam hveila, ei sveraidau sunus 
mans, ἐλήλυϑεν ἡ won, ἵνα δοξασϑῇ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου, wo das 
relative ei in consecutivem Sinne für ἕνα (vgl. Winer S. 318) gebraucht 
ist. — Besonders gern wird der Opt. in negativen Relativsätzen nach 
vorausgehender Negation gesetzt, wo lateinisch quin stehen könnte: 
Matth. 10,26 ni vaiht auk ist gahulip, patei ni andhuljaidau, 
jah fulgin, pateiniufkunnaidau, οὐδὲν γάρ ἐστιν κεκαλυμμένον, 
ὃ οὐκ ἀποκαλυφϑήσεται καὶ κρυπτὸν, ὃ οὐ γνωσϑήσεται, Marc. 4, 22 
nih allis ist hva fulginis, patei πὶ gabairhtjaidau, οὐ γάρ 
ἐστί τι κρυπτὸν, ὃ ἐὰν μὴ φανερωϑῇ °), Luc. 8, 17 ni auk ist ana- 
laugn, patei svikunp ni vairpai, nih fulgin, patei ni gakun- 
naidau, οὐ γάρ ἐστι κρυπτὸν, ὃ οὐ φανερὸν γενήσεται, οὐδὲ ἀπό- 
κρυφον ὃ οὐ γνωσθήσεται καὶ εἰς φανερὸν ἔλϑῃ. Beachtenswerth ist 
hier der Wechsel des Ind. Fut., das dem griech. Sprachgebrauch durch- 
aus gemäß ist, und des Conj. Aor.; vgl. Winer $. 281 und 288. Luc. 
9, 50 ni ainshun auk ist manne, saei ni gavaurkjai maht in 
namin meinamma, wofür die entsprechenden Worte im Griech. 
fehlen; nach Löbe z. d. St. sind sie von Vulfila aus der Parallelstelle 
Marc. 9, 39 entlehnt, nach E. Bernhardt (Zeitschrift für deutsche Philo- 
logie II, 301) ist die Stelle erst nach Vulfila’s Zeit interpoliert. Luc. 
18, 30 ni ainshun ist.., saeiniandnimai managfalb in pamma 
mela, οὐδείς Zorıv.., ὃς οὐχὶ μὴ ἀπολάβῃ κτλ., während ein da- 
zwischen eingeschobener Relativsatz trotz seines verallgemeinernden 


6) Daneben die andere Lesart (freilich schlechter) bei Tischendorf: κρυπτὸν 
ἐὰν μὴ @, ohne das Relativum ὅ, also ein Bedingungssatz, 


DER SYNTAKT. GEBRAUCH DES OPT. IM GOTHISCHEN, 133 


Sinnes den Ind. aufweist. Hiemit ist zu vergleichen die Parallelstelle 
Marc. 10, 29 f; wo der zwischengeschobene Relativsatz griech. den 
Ind., goth. den Opt. enthält, und wo an Stelle des consecutiven Relativ- 
satzes, den man lateinisch mit quin beginnen lassen würde, ein 
Bedingungssatz folgt: ni hvashun ist, saei aflailoti gard.., saei 
ni andnimai 'r falp, οὐδείς ἐστιν ὃς ἀφῆκεν οἰκίαν... ἐὰν μὴ λάβῃ 
ἐχχτονταπλασίονα. 

Hiemit ist die Reihe der consecutiven Relativsätze erschöpft. 

Selten sind causale Relativsätze. Ich habe nur folgende drei Bei- 
spiele gefunden. Rom. 9, 7 nip-paiei sijaina fraiv Abrahamis, 
allai barna (sc. sind), im Griech. deutlich causal: οὐδ᾽ ὅτι εἰσὶ 
σπέρμα ’Aßoaau, πάντες τέκνα, Luther: „auch nicht Alle, die Abra- 
hams Same sind, sind darum auch Kinder.“ Col. 2, 22 patei ist all 
du riurein pairh patei is brukjaidau bi anabusnim jah lai- 
seinim manne, freie Übersetzung des griech. & ἐστιν πάντα εἰς φϑο- 
ρὰν τῇ ἀποχρήσει κατὰ τὰ ἐντάλματα καὶ διδασκαλίας τῶν ἀνθρώπων, 
Luther weit freier: „welches sich doch alles unter Händen verzehret, 
und ist Menschengebot und Lehre.“ Vulfila übersetzt den instrumentalen 
Dativ τῇ ἀποχρήσει durch einen causalen Relativsatz: „dadurch daß 
es gebraucht wird u. s. w.“ Zwar ist die relative Fügung nur aus Attrac- 
tion entstanden (= pairh pata, ei), aber eben wegen dieser Attrac- 


ον tion wird diese Stelle besser hier als unter den Beispielen epexegetischer 


Sätze aufgeführt. Ebenso Gal. 4, 18, wo die relative Form auch nur 
durch Attraetion (in pammei = in pamma, ei) hervorgerufen ist: 
appau gop ist aljanon in godamma sinteino jan-ni patainei 
in pammei ik sijau andvairps at izvis, καὶ μὴ μόνον ἐν τῷ 
παρεῖναί μὲ πρὸς ὑμᾶς. So wäre also ganz genau genommen nur €in 
causaler Relativsatz aufzufinden. 


Von einer Berücksichtigung der Consecutio temporum habe ich 
hier absehen zu müssen geglaubt, um nicht die Eintheilung des Stoffes 
mir noch mehr zu erschweren. Sie bleibt besonderer Behandlung vor- 
behalten. 


134 HERMANN SUCHIER 


ÜBER DAS NIEDERRHEINISCHE BRUCHSTÜCK 
DER SCHLACHT VON ALESCHANS. 


VON 


HERMANN SUCHIER. 


Es existiert ein Bruchstück einer deutschen Schlacht von Ale- 
schans, das, obwohl bereits vor dreißig Jahren herausgegeben, noch 
heute eine eingehendere Besprechung nicht gefunden hat. Und doch 
verdiente dasselbe eine solche aus verschiedenen Gründen. Einmal war 
der Stoff des Bruchstückes derselbe, den Wolfram von Eschenbach in 
seinem Willehalm behandelt hat, und, abgesehen von den in französischer 
Sprache geschriebenen, sind diese beiden Werke neben einer italieni- 
schen Nachbildung, wie es scheint, die einzigen, welche die Bataille 
d’Aleschans, die beliebteste der Brarichen von Guillaume d’Orange, 
behandeln. Denn Jonckbloet 1) geht zu weit, wenn er in der von ihm 
eitierten Stelle Maerlants Beweise für die Existenz einer mnld. Schlacht 
von Aleschans findet. Eine unbefangene Betrachtung jener Stelle er- 
gibt nur, daß Maerlant neben dem mnld. moniage Guillaume eine 
französische Bataille d’Aleschans bekannt war. 

Daß der Verfasser des niederrheinischen Werkes nach französischer 
Quelle gearbeitet hat, konnte von vorne herein nicht zweifelhaft sein. 
Gieng das deutsche Gedicht, wie man bisher annahm, der Zeit nach 
Wolfram voraus, so mußte es schon als so alte Übersetzung aus dem 
Französischen Interesse erwecken, noch mehr aber, insofern es uns 
dann einen alten und vielleicht den ältesten Text der Bataille d’Ale- 
schans in zum Theil treuer Übersetzung überlieferte. Eine Behandlung 
dieser Fragen ist erst ermöglicht worden, seit der französische Text 
im Druck erschienen ist. Nun läßt sich das Bruchstück mit dem fran- 


1) Geschiedenis der Middennederlandsche Dichtkunst. Erster Theil. Amsterdam. 
1851, 5. 321. 203. Clarus stimmt ihm bei, Herzog Wilhelm von Aquitanien, S, 307. 


ÜBER DAS NIEDERRH, BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V, ALESCHANS. 135 


zösischen Gedichte vergleichen, und da dieses den Herausgebern unzu- 
gänglich gewesen, so gab ein solcher Vergleich in verschiedenen Punkten 
eine Modification des von ihnen hergestellten Textes an die Hand. Da 
die Mundart des Gedichtes, welche die niederrheinische ist, keineswegs 
ganz in dem diesem Dialeete conformen Lautbestande erscheint, so war 
auch eine Untersuchung der Sprache zur genauern Feststellung der 
fremden Bestandtheile geboten. 


l. Überlieferung. 


Dr. Friedrich Anton Reuss, Privatdocent in Würzburg, fand im 
Jänner 1838 an einer Hospitalrechnung vom Jahre 1613 im städtischen 
Archive zu Kitzingen einundzwanzig 18 Zoll lange und fingerbreite 
Pergamentfalze, die nach der mühevollen Arbeit der Zusammensetzung, 
Reinigung und Entzifferung vier Grossoctayblätter ergaben. Jede Seite 
enthält zwei Spalten, jede Spalte 42—43 auf farbigen Linien stehende 
Zeilen. Jedes der vier Blätter ist von oben nach unten in sechs Streifen 
zerschnitten worden, und folgender Weise vertheilen sich die 21 Streifen 
auf die vier Blätter: die sechs Streifen, die das erste Blatt bilden, sind 
vollständig erhalten; fünf Streifen ergeben das zweite, vier das dritte 
und sechs das also ebenfalls vollständige vierte Blatt. Die fehlenden 
Streifen werden am innern Rande der Blätter vermißt, so dafs die erste 
Spalte der Receta und die zweite der Versa um die Breite eines Strei- 
fens beim zweiten, um die Breite zweier Streifen beim dritten Blatte 
verringert sind. Die Schrift ist kraus, von Farbe bräunlich-schwarz, 
überaus fein, aber deutlieh, und gehört nach Reuss dem Anfange des 
vierzehnten, nach Roth dem dreizehnten Jahrhundert an. Die Verse 
sind nicht abgesetzt, sondern durch Punkte bezeichnet, aber nicht 
überall. Die Anfangsbuchstaben der Abschnitte sind roth, die Abschnitte 
überdies durch einen grünen Querstrich angedeutet. Einzelne Stellen 
dieser Blätter sind stark abgerieben oder durchlöchert, also das Heraus- 
gelesene nicht überall sicher. Hier und da zeigen sich Berichtigungen 
zweier, wie es scheint, gleichzeitiger Hände. Die Kämpfer sind mit 
ihren Rossen und Waffen am Rande der Spalten abgebildet, die Fran- 
zosen roth, die Heiden oder Türken schwarz oder grau; Letztere auch 


zottig und mit langen Krallen. 


2. Litteratur. 
Die erste Ausgabe dieser Blätter veranstaltete Dr. Reuss unter 
dem Titel: Fragmente eines altdeutschen Gedichtes von den Helden- 
thaten der Kreuzfahrer im heiligen Lande, im Archive der Stadt Kitzingen 


136 HERMANN SUCHIER 


aufgefunden. Kitzingen, 1839. 8. 15 S. Die erste und vierte Spalte des 


dritten Blattes, wovon nur ein Streifen erhalten war, ließ Reuss ganz 


hinweg. Ein grosser Theil des von ihm Gelesenen ist trotz der Mühe, 


die er auf die Entzifferung verwandte, unverständlich geblieben, doch | 


hatte Reuss die richtige Reihenfolge der Blätter mit anerkennenswerther 


Sorgfalt hergestellt. Der Inhalt des Bruchstückes war von Reuss miß- 


gedeutet, woraus sich der eigenthümliche Titel seiner Ausgabe erklärt. 
Außer Reuss und dem gleich zu nennenden Herausgeber Roth 


ist San-Marte der einzige gewesen, der das Bruchstück einer Besprechung 


würdigte. Der betreffende Aufsatz erschien in den Neuen Mittheilungen 


des thüringisch-sächsischen Vereins, herausgegeben von Förstemann. 
Band IV, Heft 3. Halle und Nordhausen, 1839. S. 133, und vergleicht 
das Bruchstück mit dem entsprechenden Theile von Wolframs Wille- 


halm. San-Marte war hier der erste, der die Reussische Ansicht über 
den Inhalt des Gedichtes als verfehlt bezeichnete, indem er es für die 
Übersetzung eines französischen Gedichtes aus dem Kreise von Guil- 
laume d’Orange erklärte. Hingegen hatte San-Marte unrecht, wenn er 
die von Reuss richtig erkannte Reihenfolge der Blätter verändern wollte. 

Der Mühe, die von Reuss nur mangelhaft gelesene Schrift sorg- 
fältiger zu prüfen, unterzog sich Dr. Karl Roth in München, dem es 
gelang, als Resultat seiner sorgfältigen Prüfung einen bis auf Weniges 
verständlichen und lesbaren Text herzustellen. Er veröffentlichte diesen 
Text in seinen Denkmälern der deutschen Sprache vom achten bis 
zum vierzehnten Jahrhunderte. München, 1840. S. 79—96, und machte 
daselbst S. XIV—XV einige Angaben über das Gedicht. Nach dieser 
Ausgabe wird im Folgenden eitiert. 

Hiermit ist die Litteratur unseres Bruchstückes erschöpft. Denn 
weder Clarus (Volk) in seinem fleißigen Werke: Herzog Wilhelm von 
Aquitanien. Münster, 1865. S. 309. 363, noch Jonckbloet in seiner gründ- 
lichen Untersuchung über die Gedichte des Guillaume-Cyelus ?), noch 
Gautier, les epopees francaises, III. S. 35, haben das Bruchstück einer 
genauern Besprechung unterzogen, vielmehr sich mit einer kurzen 
Erwähnung begnügt, wie eine solche auch in andern Werken begegnet. 


9. Sprache. 
Die Mundart des Gedichtes ist die niederrheinische, doch zeigt 
sie sich durch hochdeutsche und durch niederländische Einflüsse variiert. 


2) Guillaume d’Orange. Chansons de geste des XIe et XIIe siecles. La Huye, 
1854, Theil II, 5. 223, Jonckbloet nennt das Bruchstück Niederdeutsch, 


ÜBER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 137 


Wie haben wir diese Einflüsse zu erklären? Schwerlich daraus, daß 
das Gedicht ursprünglich hochdeutsch oder niederländisch verfaßt war. 
(höt (= hät) : döt 11, 143 kann nicht Niederländisch sein.) Viel mehr 
spricht dafür, daß es von Anfang an am Niederrhein nicht fern der 
Grenze des Niederländischen seine Heimat hatte, und daß die nieder- 
ländischen Einflüsse aus diesem Grunde bereits in dem Idiome des 
Verfassers vorhanden waren. Das Hochdeutsche konnte aber in solcher 
Entschiedenheit, wie es unser Bruchstück bietet, unmöglich in dieser 
Gegend heimisch sein, da es den Rhein weiter hinauf, z. B. in Köln, 
in viel geringerem Maße auftritt (vgl. z. B. haupt II, 107 mit dem 
kölnischen Aövet). Wir glauben daher, daß der Schreiber des Kitzinger 
Fragments ein Hochdeutscher war, der den ursprünglichen Lautbestand 
mit hochdeutschen Lauten versetzte. Folgendes bestätigt das über die 
Heimat Gesagte. 

1. Die Reime sind leider von der Art, daß sie nur wenig Aus- 
beute geben, zumal man oft nicht darüber im Klaren ist, ob der Ver- 
fasser wirklich einen Reim beabsichtigte oder nicht. Doch spricht dafür, 
daß das Gedicht ursprünglich niederrheinisch (nr.) war, der Abfall des 
n im Auslaut, wie sönen : pine I 10, varen : gar 1 57, vallen : mitalle 
III 53, vlite (Hs. vlisse) : samiten IV 154. Da sich Formen wie diese 
außerhalb des Reimes ohne n finden, so müssen wir wohl sine vare 
(: gare) valle samite lesen. Beispiele aus Karlmeinet 5. Bartsch, über 
Karlmeinet, 5. 223—234. — Auch was : daz ΠΠ| 70 und baz : was IV 178 
widersprechen nicht. Vgl. lois : schoiz, V. 1145 in Anselmus boich (in 
Schades geistlichen Gedichten des vierzehnten uad fünfzehnten Jahr- 
hunderts vom Niederrhein), das nach Schade tief unten am Niederrhein 
zu Hause ist, und Stellen bei Bartsch, über Karlmeinet 256. 

2. Ein Durcheinanderwerfen der Flexionsendungen, wie es unser 
Bruchstück bietet (vgl. S. 16—19), ist gerade an der niederländischen 
Grenze erklärlich, indem der Verfasser, dem von Haus aus ein halb 
niederländischer Sprachgebrauch eigenthümlich war, sich dem Hoch- 
deutschen zu accomodieren strebte, ohne doch des Hochdeutschen zur 


. Genüge mächtig zu sein. 


3. Niederländisches im Wortgebrauch ist z. B. harentare, das sich 
sehr oft, z. B. I 66, findet. Der hochdeutsche Schreiber suchte sich 
diese ihm nicht geläufige Redensart durch zwischengesetztes unt mund- 
gerechter zu machen: haren unt tare I 41, wo schon der Anlaut von 
tare auf ein ursprüngliches harentare hinweist. — Dann lören I 158 im 


Sinne von lernen. 


138 HERMANN SUCHIER 


4. Manche im Niederrh. besonders beliebte Worte sprechen für 
nr. Abfassung: dervären 149; bessren I 58 intransitiv, vgl. dat si enbeiden 
siden beszerin sulen. Lacomblet, Urkundenbuch für die Geschichte des 
Niederrheins II 542; verwonden II 125; %. warve 11 73; öf haher IV 5, 
vgl. si bigunde up hör treden. Wernher vom Niederrhein 5), von W. Grimm 
27,6. min herce tridet upör. Marienlieder in Haupts Zeitschrift X. 89, 15; 
quätic IV 25; bliscepe IV 89; dercoberen IV 192. 

Der hochdeutsche Schreiber hat auf jeden Fall viele Eigenthümlich- 
keiten der ursprünglichen Mundart unterdrückt, indem er die ihm unge- 
wohnten Lautverhältnisse durch hochdeutsche Formen ersetzte. Mehreres 
spricht dafür, daß dieser Schreiber ein Baier war. Die Vorsilbe der-, 
die unser Gedicht ausnahmslos für mhd. er- setzt, zeigt kein nr. Denk- 
mal, während ihre Heimat gerade das Baierische ist (Weinhold, bairische 
Grammatik, 8. 234). — au ist durchgängig für nr. ou oder ö (das so- 
wohl mhd. οἷν als mhd. δὴν vertritt) eingeführt. Die seltsame Form haub 
I 140, haup III 81, die sich neben regelmäßigem hoeb II 117 findet, 
erklärt sich aus dem nr. houf (z. B. Dorotheen Passie V. 45 in Schades 
geistlichen Gedichten), worin ou wie im mnld. die Stelle eines organi- 
schen oe vor f vertritt. Ebenso liegt v/aue II 99, das in dieser Form 
nur perfect von vliegen sein kann, ein nr. vlouch zu Grunde, dessen 
Diphthong den hochdeutschen Schreiber veranlaßte, es als Perfect von 
vliegen anzusehen, während doch das französische fait, Bataille d’Ale- 
schans, 6018, beweist, daß es Perfect von vliehen war. (Vgl. zouch, 
dat liden der hilger Machabeen, 53 in Schades geistlichen Gedichten. 
Adolf von Nassau, 379, in Haupts Zeitschrift III, 7.) — ai gewährt 
unser Bruchstück öfter für nr. ei oder &, selbst in Fällen, wo nr. οἱ 
eine geschlossene Aussprache hatte, z. B. haxlt IL 105. (Solche Formen 
konnten nicht aus dem Bestreben des Verfassers, sich dem Hoch- 
deutschen zu nähern, hervorgehen, beweisen also evident, daß ein hoch- 
deutscher Schreiber im Spiel war; vgl. den Reim vlisse (aus vlte) : 
samäten, IV 154). — ou für {ὦ in: darouf I 176 (neben öf 1 32, darüf 
III 118, @f IV 13), boisoune 11 43, hout II 80, houfen I 141, doucht 
II 118, rouch III 139 ist baierisch. 

Ferner ist ein hochdeutscher Laut der Umlaut ve in hueten I 5, 
suesse 1 28, mueste II 144, sluege IV 93, kuene Il 27, muede I 133. 
Dieses ve zeigen da, wo das τ. den Laut üe anwendet, zwar viele 
nr. Denkmäler, aber alle diese Denkmäler kennen ve auch als Ver- 
treter des mhd. vo. Die ursprüngliche Mundart unseres Gedichtes schrieb 


3) Der Kürze halber eitiere ich auch den Wilden Mann unter diesem Titel. 


' ÜBER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 139 


in beiden Fällen oe, zuweilen ὃ, und so wird das mhd. wo stets (außer 


' in stond, das bereits kurzen Vocal haben mag, und in dem erwähnten 
' haub), das mhd. üe in voessen 193, moede IV 163 wiedergegeben. ö in 
‚ gevürt I 113, grüst II 156 ist nur eine andere Bezeichnung des tiefen 


| 


nr. oe, die bei dem Wilden Mann, Wernher vom Niederrhein, im Her- 
zog Ernst u. s. w. Regel ist; denn “, das Wernhers Hs. oft dafür schreibt, 
ist nur graphisch von u verschieden, vgl. güt 1, 9 = mhd. το; υἷε 
8, 34 —= mhd. üe; sünnen 2, 9 = mhd. u; üvile 33, 20 — mhd. ü; küme 
13, 20 = mhd. ö; tüvel 7, 34 = mhd. iu. Alle nr. Denkmäler, die für 


Πα. vo und üe ihr we setzen, lassen dieses mit oe wechseln, was be- 


A 


weist, daß der Laut ein zwischen ὃ und & schwankender war, für den 
Wernhers Hs. mit demselben Rechte 2 schrieb, wie Schade in Crescentia 
dafür ὃ durchführte. Da nun ve in unserem Fragment nie den Laut τὶ 
bezeichnet und an keiner Stelle vorkommt, wo es nicht mhd. üe ver- 
tritt, selbst nicht für το, so halten wir dieses ve wohl mit Recht für 
ein Product des hochdeutschen Schreibers. 

Auch bei der Wiedergabe der Consonanten muß sich der Schreiber 
durchgreifende Neugestaltungen erlaubt haben, da wir in einem vom 
nld. beeinflußten Dialect ein Vorherrschen niederdeutscher Laute er- 
warten und statt dessen in überwiegendem Mafßje hochdeutsche Laute 
vorfinden, selbst wo dem nr. sonst der niederdeutsche Laut allgemein 
geläufig ist. Eine specielle Darlegung, die wenig Interessantes bieten 
würde, übergehen wir. Bemerkt sei, daß das inlautende h in höher 176, 
vliehen II 169 u. 5. w. nicht nr. ist, da das nr. inlautendes ἢ entweder 
in g wandelt oder es ganz verstummen läßt, wobei dann die beiden 
Silben in eine zusammenzufliefßsen pflegen. 

In andern Fällen ist zweifelhaft, ob und wie viel der Baier aus- 
merzte, ob er z. B. für die ihm wohl fremd tönende starke Form als 
Vertreterin der schwachen im weiblichen Dativ singular des Adjectivs, 
die nur einmal (miter corter nase I 111) vorkommt, in andern Fällen 
(2. B. grösten IV 23) die hochdeutsche einführte, und wenn wir im 
Folgenden die Eigenthümlichkeiten der Sprache zusammenstellen, so 
ist dabei zu erwägen, daß wir nirgends bestimmt wissen, wie viel 
geändert ward, und ob nicht Manches (z. B. ie statt mhd. i) erst durch 
den Abschreiber in die Mundart hineingetragen ist. 

Was zunächst niederländische Anklänge betrifft, so gehört dahin 
das streng durchgeführte sc für mhd. sch, — der Mangel des Umlauts 
bei 4, wo das nr. & auf onsölgen III 82 onselden IV 65, beschränkt ist. 
Solches Schwanken zwischen ἃ und δ zeigt auch Karlmeinet (Bartsch, 
über Karlmeinet $. 223. 224). Dieses ὦ kann auch bairisch sein (Wein- 


140 HERMANN SUCHIER 


hold, bairische Grammatik, $. 34. 42). — Niederländisch ist ae vor r 
mit folgendem Consonanten: geraert I 181. — merie 11 109 lautet neu- 
holländisch merrie. — Auch ende I 112 findet sich neben unt 1 119. — 
gedinken Il 51 hat ndl. Form; vgl. z. B. van den vos Reinaerde V. 1997 
der Ausgabe von Jonckbloet. 


| 
| 
| 


Manche nr. Eigenthümlichkeiten werden in unserm Bruchstück 
gänzlich vermißt, z. B. das vor Allem in Köln beliebte, langen Vocalen 
nachtönende ὁ, die erste Person singular des Praesens ind. auf —en. 
Ch entspricht dem mhd. c im Auslaut niemals, doch gehört dahin wohl: 


suindechelichen IV 18, geweldechelichen IV 189 (Hs. geweldechen) neben 
geweldekeliche 11 65; ch zeigt auch hacht IV 176 (vgl. naicht Hagens 
Reimchronik der Stadt Cöln, V. 356 der Grooteschen Ausgabe, nachet, 
Marienlieder 22, 22. 31, smachden 64, 33). 

Die noch nicht erwähnten Lauterscheinungen sind folgende: für 
mhd. a steht o in: ober I 107 neben aber IV 108, olse I 147 neben 
alse 121, obe 121. 190 neben abe IV 107, dor IV 148 neben gewöhn- 
lichem dar II 105, doz IV 16 neben daz [128 und dez I 74 (von späterer 
Hand), troften IV 148. 

Für mhd. ὦ steht ὃ: ὅπ 1 134 neben äne IV 188, kemnöten II 143, 
hön I 83, höss II 113, hoess IL 174, höt Il 143, hoet III 87, hät I 8l, 
Inf.: hön IV 164 neben haben IV 174, dochte I 107. 

Für mhd. steht e: deresscet I 67, desen 1 146 neben disen I 14, 
secherhede IV 66; dafür steht ie: wier I 22 neben wir I 15, vier 1 53 
neben ir I 52, siehe 1 63, sieh 11 35 neben sich I 40, jet 11 90 neben 
it 1 40, wieder IV 27 neben wider I 38. 

Für mhd. ὁ (Brechung von i) steht a in: har I 69, nave 1 11] 
neben neve I 181, sahen IV 146, gesahen I 177, halleme IV 9 neben 
helme 1162, gabt IV 31, waste IV 181. — geslagte IV 89 neben geslechte 
I 121. Niederrheinische Denkmäler gewähren diese Lauterscheinung 
ganz vereinzelt: zubrachin Wernher vom Niederrhein 9, 12, sprachen, 
Marienlieder 32, 1, und auch das Bairische kennt sie nur in beschränk- 
tem Umfang. (Weinhold, bairische Grammatik, 8. 4. 6.) Desto geläufiger 
ist sie dem Alemannischen (Weinhold, alemannische Gramm. $. 9. 11), 
und vielleicht ist das Kitzinger Fragment an der Grenze des Alemanni- 
schen und Bairischen niedergeschrieben worden. 

Für tonloses e steht © nur in grössim II 49. 

ἢ wird zu ie: iesenin I 6 neben öjsen 1 79; zu 6: vegelechem 1 3 
(vgl. barmelechen, Marienklage V. 171 in Schades geistlichen Gedichten, 
hercilechen, Marienlieder 104, 24), das vereinzelt neben dem gewöhn- 
lichen —lich steht, 


! 
, ÜBER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 14] 


I 
| 


Für ei zeigen ©: oehem 11 36, secherhöde IV 66. 

| Häufiger als in irgend einem nr. Denkmal erscheint ou als Ver- 
treter von mhd. o oder u: gehoulfen II 113 neben geholfen II 111, soult 
‚IV 20 neben solten IV 152, woulten I 31, woullen 1 36 neben wolt I 108. 63, 
woul 1 61 neben wol II 1, voulc III 143 neben volks 1 33, touren IV 9], 
soune IV 42, Plur. III 95, wounonge II 68, pouneis III 123, genoumen 
II 36 neben vernomen I 115, scoussen II 186, geloust II 150, couper 
ΠῚ 97, douch I 7, nouch I 187, IV 85 neben denoch IV 133, mouchte 
‚19, gebrouchen IV 111, vlouhen 1 74, vloucht 152 neben vluhen III 121, 
nou 15, dou 1 34 neben do U 155. In andern nr. Denkmälern erscheint 
.dieß ou weit seltener. Hagens Reimchronik gewährt es nur vor / (Aus- 
‚gabe von Lempertz. Köln 1847. unhulde : woulde S. 30, schoult : hoult 
‚8. 164, voulek S. 216, wolde : soulde S. 217). gedoult 234, houlz 819, 
goult 825 aus dem liden der hilger Machabeen. gegoulden Lacomblet, 
‚Archiv für die Geschichte des Niederrheins. Erste Abth. I 119, voulgt 
daselbst, II 185. Bei weitem seltener als vor / findet sich ou sonst: 
‚schouze : vloize. Ursula 365 in Schades geistlichen Gedichten. hertzouge. 
|Lacomblet, Urkundenbuch III 1067. Das älteste datierbare Beispiel, 
‚das mir begegnet ist, ist Lembourch das. III 54 (vom Jahre 1307), bourgh 
III 220 (vom Jahre 1327); vgl. über das nr. ow Schade geistl. Ged. 
‚8.243. Das so häufige Erscheinen dieses ou in unserm Bruchstück ist 
‚also sehr auffällig, da im dreizehnten Jahrhundert zwar ὦ (und δ) in 
‚ähnlicher Function, aber kein ou begegnet. Die zweifelhafte Natur 
‚dieses ὦ, das zuweilen denselben Laut als ow bezeichnet (scholt : gehült. 
Adolf von Nassau V. 525, wülde. Ein leich vom Niederrhein, V. 20 in 
' Haupts Zeitschrift III 219), öfter aber (nicht nur in der hannöverschen 
Hs.) andere Laute vertritt, gestattet uns nicht, es mit unserm ou zu 
‘vergleichen. Zum Theil mag ou bairisch sein. Weinhold, bairische 
 Gramm., 8. 102. Zu Weinholds Beispielen füge man: sounnun. Zweiter 
' Physiologus, 5. 22 in Hoffmanns Fundgruben I. Auch das Alemannische 
‚und Elsässische kennt dieses ou (Weinhold, Alemannische Gramm,, 
8. 71. 139). 

Mhd. « wird zu o in: storme II 6, worme III 136, dor 160, wor- 
den 1 49, corter 1111 (Hs. coerter), derzorn IV 97, holfen III 76, außer- 
‚dem stets vor Nasalen außer unt I 3, umbe II 74 neben ombe II 53, 
dunkt IV 81, gunört IV 103 neben gewöhnlichem on— ΠῚ 82. 

Für mhd. ü steht ο in konine I 8, vor I 64. 132, IV 92, wormin II 80. 

Für mhd. o steht win vulöchen IV 46 neben vol II 124, uder II 16, 
\ube IL 51 neben of IV 94, suls Il 19; a steht in van I 28, sal I I neben 
‚ sols I 157. 


! 
| 


142 HERMANN SUCHIER 


Für mhd. iu steht 2; ör I 14 steht für ὧν" (z. B. Wernher vom 
Niederrhein 53, 18) und dieß für üwer IV 86. | 

Für mhd. ie steht ὦ in Aör II 35, υἱὲ HI 71 neben wel IH 111], 
nimer 1 36 neben numer I 114, umer I 123. | 

Mhd. ö und oe werden beide durch ö, zuweilen oe, wiedergegeben; 
oe soll jedenfalls Länge, nicht Umlaut bezeichnen. 

eu gewähren für mhd. ö meuchte 128, deurften II T, für mhd. ü: 
meug IV 164. | 

Erwähnt sei noch k in stanken IV 104 neben stange 138, dor 160 
neben dorch IV 137, 51 ΠΙῚ 81 neben sich 143, sic I 119 (st auch Ansel- 
mus boich, Schade geistl. Ged. S. 244 und Marienlieder 3, 35). — cht 
für mhd. ht und geslagte IV 89 neben geslechte 1 121. — ss für hs: wassen 
II 66, woes II 70, wasse IV 177. — Anlautend ἢ fehlt oder steht unorga- ὺ 
nisch in ätten IL 3, @re IV 174 neben hören 1 13, halle 154 neben alle ῦ 
I δῦ, Aort I 101, hors I 141 neben ors I 164. Inlautend A entbehren 
it 1 40, jet II 90, nit Il, suls II 19; gund k dafür gewähren gein 19, 
kein 1 47, dekein IV 14, höge IV 84 neben höher 1 76, gevliegen IL 102 
neben vliehen II 169. — sond IV 95 steht vereinzelt neben solten IV 152. — 
vrunkelichen 1 8 statt mhd. vrumeclichen. — Unorganische Gemination 
ist zahlreich z. B. allten IV 151 neben alteste IV 81, halleme IV 9 neben 
helme IV 126 und umgekehrt: dire IV 183 neben dirre I 29, gewine | 
IV 162 neben gewinnen III 94. 

Außer der Schreibweise suwerte I 9, suwäre I 140, suwarz ΠῚ 75, 
geuwin IV 64, geuwonnen IV 96 (vgl. bleuwen. Erste Ursula 384 in den 
altdeutschen Blättern II 41, und im Holländischen eeuw, leeuw, zwaluw 
u. dgl.) sei noch einiger accessorischer Laute gedacht. b ist accessorisch 
in umber IV 120 (auch sonst im Mitteldeutschen. imber Athis und Pro- 
philias A° 147. Crane von Bertolt von Holle, 2250, 2265, umber, De&man- 
tin 9), t in harstonier LV 49, stiest 1 190 neben stiess IV 61, wisent LAT. ὦ 
Auf der andern Seite erleidet ὁ öfter Apocope im Perfectum der schwa- ς 
chen Verba: wäpen I 119. für wäpente, I 135 für wäpenten. Aber das 
Participium heißt gewäpent 1138, derderenke I 130, beston III 126 neben ° 
verstont I 43, derzorn IV 97, jagsse 1 60, aber jagten si 11 2. 

Wie die letaterwähnten Formen, so verräth auch eine Reihe anderer 
im Auslaut eine Corruption. Da nun gleich den Gesetzen der sprach- 
lichen Entwicklung auch'.die Gesetze der sprachlichen Verderbniss 
Naturgesetze sind, so verlohnt es sich um so eher, hierauf einzugehen, 
als unser Gedicht eine Mannigfaltigkeit von Formen neben einander 
gewährt, die auf den Ausgangspunkt und die Art des Fortschreitens 
der Verderbniss einiges Licht wirft. 


ÜBER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 143 


Ausgangspunkt scheint der Abfall des n gewesen zu sein, der im 
Auslaute nach einem unbetonten e nicht selten eintrat: 

1. In der ersten Pers. Plur. vor folgendem wir wie mhd. 

2. Im Infinitiv: pine I 52, gelich IV 173, sonst lautet der Inf. auf 
-en aus: hüeten 1 5. 

3. In der dritten Pers. Plur. in wäpen I 135 für wäpenten, der- 
lücht IV 91 für derlüchten, si meug ons IV 164 für si meugen ons, der- 
cante si 11 31, si mouchte IV 146, sonst ist die Endung -en : si haten 
IV 144. 

4. Im Dat. Plur.: slege I 146, conkriche IV 34; gewöhnlich ist die 
Endung des Dat. Plur. -en, wie: slegen I 19. 

5. Im Acc. sg. masc. der starken Adjectivflexion: aine IV 175, 
wo das danebenstehende grössen das n bewahrt hat. 

6. Die casus obliqui der schwachflectierenden Substantiva und 
Adjectiva büßen oft n ein: neve Dat. sg. I 181, dem jonge V. 172 neben 
aime snellen ors IV 139. 

7. Der bestimmende Artikel verliert n im Ace. sg. masc. de IV 100 
neben den IV 48. 

Das einem solehen n vorausgehende e fällt nicht selten ab, am 
meisten, wenn das Wort auf -nen ausgieng: Ace. sg. masc. sön ΠῚ 117, 
ain I 179; daneben die vollständige Form: sinen I 45, ainen I 78. 

Das m des Dativ sg. der starken Adjectivdeclination wird oft zu n, 
z. B. mönen I2, und auch dieses n kann Abfall erleiden: aine III 136, 
IV 96 für ainem, sin I 105 für sinem. Daneben finden sich Formen 
mit m: sime I 9, aime III 141, ainem III 114, grössim III 49. 

Auch das m des Artikels unterliegt dieser Schwächung: dem I 87, 
den III 54, de II 52. 73. Der Dativ sg. des Pronomens der dritten 
Person im I 5 ist in der Form in IV 143 dem Ace. gleich geworden. 
Durch das Gleichlauten trat dann Verwechslung des Acc. mit dem 
Dativ ein: R. sprane in ainem calant I 93. im ist Acc. I 110, Π 139, 
IV 167. 

Da man viele Formen auf e hatte, mit denen solche auf en gleich- 
berechtigt waren, und solche, die berechtigter Weise nur auf e aus- 
gehen durften, so lag die Gefahr nahe, das n, das organisch nur jenen 
Formen zukam, auch diesen anzufügen. So erklärt sich: der Ace. Plur. 
voessen 1 93 (gewöhnlich ist die Endung hier bloßes e: voesse IV 37), 
der Nom. sg. der schwachen Maseulindeclination enappen IV 171 neben 
dem Voc. enappe IV 71, die Ace. sg. ainen bruke I 31, ainen wonden 
IV 141: Ein -en ist zu viel in minen zornen I 62, das für min zornen 
oder für mönen zorn steht. 


144 HERMANN SUCHIER 


In Folge dieser schwankenden Natur des n sind die im Hoch- 
deutschen geschiedene, im mnld. zum großen Theil ganz zusammen- 
fallende starke und schwache Declination mit einander in Verwirrung 
gerathen; so sind Dative sing. von Fem. erde IV 127, erden I 155, nase 
I 111, nasen III 135, stange 1 38, stangen IL 58, von Masec.: colbe I 2, 
colben I 14. 

Die erwähnte Vermengung des Dativ und Acecusativ, die in so 
vielen Fällen durch Übergang des m in n sowie durch Abfall oder 
Antritt des letztern statt hatte, hat auch für andere Fälle Vermengungen 
dieser Casus hervorgerufen: 

1. Nach Präpositionen: R. warfe se in dem mere I 129, R. nam 
sinen colben in der hant IV 69, in de haidinscaft IV 181, aber richtig: 
in der werlt II 81, in die scare 1 16. — mit grösse nöt 1173 neben mit 
grösser nöt 11 121. — Der Artikel, der oft eine Verkürzung erfuhr, 
wenn nämlich die Form de vor vocalischen Anlaut zu stehen kam (in 
derden I 164, dandren III 121, daugen III 134, darme 111 139) hat auch 
in diesen Formen Verwechslung des Acc. mit dem Dativ erfahren: 
an derde IV 127 neben correctem in der erden IL 108, öf derden 1 155, 
an dandre site III 78, (für in d’ansichte IV 6 ist zu lesen: in’d ansichte). 

2. Im Abhängigkeitsverhältniss von Verbis: do ier mir sächt 1 53, 
wert ü 113, ic sal ü versoechen 159, wir en vorchten dir nimer III 113, 
was jagt ü dare? III 143 (neben jagsse I 60), ἐς wil ü cussen IV 85, 
dat grösse vame colbe nam er si dö 1169 (wenn die Stelle richtig über- 
liefert ist). 

Analog dem unorganischen Gebrauch der Casus ist die Casus- 
vermischung, wie sie uns aus der lateinischen Sprache in Inschriften 
schon der letzten Jahrhunderte des weströmischen Reichs überliefert 
ist. Wie sie im Dialect unseres Bruchstückes im Verstummen des aus- 
lautenden n Ursache und Ausgangspunkt hatte, so begann sie im Lateini- 
schen mit dem Verstummen der auslautenden m und s, wovon zunächst 
Zusammenfallen, dann Verwechslung, dann völlige Einbuße der Casus 
die Folge war. 


4. Beziehung zum französischen Text. 

Das Kitzinger Bruchstück erzählt uns den größten Theil der 
zweiten (für die Franzosen siegreichen) Schlacht auf Aleschans, indem 
es bald nach deren Anfang beginnt und nicht lange vor ihrem Ende 
abbricht. 

Die Bataille d’Aleschans ist nach Gautier, les Epopees frangaises III, 
436, in eilf französischen Hss. erhalten. Die erste vollständige Ausgabe 


' ÜBER DAS NIEDERRH,. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS, 146 


_ dieser Brauche veranstaltete Jonckbloet in seinem schon erwähnten 
Werke: Guillaume d’Orange. Wir haben uns nur mit dieser Ausgabe 
‚ zu beschäftigen, da nur sie die unserm Bruchstück entsprechenden 
Theile enthält, und die neue Ausgabe der Bataille d’Aleschans durch 
Guessard und de Montaiglon, welche die Hs. Ar zu Grunde legt, noch 
nicht erschienen ist. Folgende vier Pariser Hss. legte Jonckbloet zu 
Grunde (s. Guillaume d’Orange II 225): 

1. Ar die älteste sowohl in Bezug auf die Zeit der Nieder- 
schrift — als welche Jonckbloet die ersten Jahre des 13. Jahrhunderts, 
Gautier, les Epopees frangaises ΠῚ 436, den Anfang des 13. oder das 
Ende des 12. Jahrhunderts angibt — wie in Bezug auf den darin 
überlieferten Text. (G. d’O. II 175, 178.) 

2. V, aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, schöpfte aus einer guten 
Quelle und hat mehr Verwandtschaft mit Ar, als mit A oder B. 

3. und 4. A und B sind beide um ein halbes Jahrhundert jünger 
als Ar. (G. d’O. Π 175.) Die Hs. B floß aus derselben Quelle als A; 
doch ist ihr Text weniger correct und etwas verjüngt. A (alte Nummer 
7186°, G. d’O.*) II 225, 241, neue Nummer 774. Gautier, les &popees 
frangaises III 23) bleibt für unsere Untersuchung außer Betracht, weil 
sie gegen Ende unvollständig ist und das nr. Bruchstück erst später 
beginnt. Gautier sagt (daselbst 435—6), A breche mit der Tirade ab, 
die mit V. 3330 der Jonckbloetschen Ausgabe beginnt, während doch 
Jonckbloet bei dieser Tirade nur von einer von V. 3343—3662 gehen- 
den Lücke weiß und von da noch bis V. 5332 Varianten aus A an- 
gibt. Zu diesem Verse (5332) gedenkt Jonckbloet der Hs. A zum 
letzten Male, und wir können nur daraus schließen, daß A vor 6291 
abbricht, weil Jonckbloet an dieser wichtigen Stelle die Lesung von 
ArBV, nicht aber von A angibt. Jedenfalls that Jonckbloet unrecht, 
uns im Unklaren zu lassen. Die Beschreibung von A, die P. Paris (les 
manuscrits francois VI 139) gab, ist nicht im Stande diesen Punkt 
_ aufzuklären. 

Das französische Original des nr. Fragmentes wollen wir Ὁ 
nennen. — 

Zunächst lehrt uns eine Vergleichung, daß eine Bezeichnung der 
vier Blätter als vier Bruchstücke, wie sie von Roth und Reuss geschah, 
unzulässig ist. Da die vier der Hs. entnommenen Blätter unmittelbar 
hintereinander gehören, so bilden sie nur ein Bruchstück. 


Er 


*) d. h. Guillaume d’Orange cet. publi& par Jonckbloet. 1854. 
GERMANISTISCHE STUDIEN, 10 


146 HERMANN SUCHIER 


Eine Erinnerung an die Tiraden ist insofern geblieben, als nicht 
selten (im Ganzen neunmal) dem Tiradenanfang in der Übersetzung 
ein neuer Absatz entspricht. 

Wo die französischen Hss. (ArBV) in den einzelnen Lesarten 
differierten, hat O, wofern es nicht eine von ihnen allen abweichende 
Lesart gewährte (z. B. 5567”—8 — I 18—19; 6098 — II 145), in folgen- 
den Fällen mit einer der drei Hss. übereingestimmt: mit Ar 5620 (wo 
li mas steht) = 194; 5727 = 1 147; 5846 = I 190; 6067 =II 123. — 
Mit B 5581 =1 74; 5597 ΞΞ 82; 5982 (im Text) = II 69. 

Direct haben wir also in keiner der drei Hss. (ArBV) das Ori- 
ginal des nr. Gedichtes, was übrigens schon daraus hervorgeht, daß 
ihnen das I 22—60 Erzählte unbekannt ist; ebenso wenig in den Hss. 
1448 (7535) und 2494 (8202), da die IV 75 genannten Namen von 
Renoarts Brüdern in ihnen abweichend lauten. Doch gestattet uns die 
Übereinstimmung sehr wohl einen Vergleich zwischen dem Bruchstück 
und Jonckbloets Texten. 

Dem Anfange des Bruchstückes I I1—3 entspricht im französischen 
Texte V. 5525—8, und die Erzählung geht dann bis V. 21 = 5569 in 
beiden Texten neben einander her. 

Von V. 22—60 haben wir aber im Deutschen einen Einschub, 
der, wie die Art der Darstellung lehrt, bereits in Ὁ gestanden hat, 


den aber keine der Jonckbloetschen Hss. noch Wolframs Willehalm 


kennt. Da Renoart sich verschlafen und seinen Kolben vergessen hatte, 
mußte er bekanntlich hinter dem Heere herlaufen und begegnete unter- 
wegs einer Schaar Franzosen. Es waren die Muthlosen, denen Guil- 
laume vor Beginn des Kampfes erlaubt hatte, nach Frankreich zurück- 
zukehren. Als Renoart ihre Absicht erfuhr, brachte er sie mit Kolben- 
schlägen dazu, mit ihm wieder zum Heere zu ziehen, und erbat sie sich 


von Guillaume, um im Kampfe ihr Führer zu sein. Nun kämpfen sie, | 


von Renoart in den Kampf geführt, nach Jonckbloets Texten gleich 
auf’s tapferste. Das kam aber wohl O nicht wahrscheinlich vor, wes- 
halb es eine Wiederholung obiger Fluchtscene an der erwähnten Stelle 


1 22—60 einschaltete. Auf’s Neue ziehen die Feiglinge gen Frankreich, | 


und Renoart sieht sich plötzlich allein. Da Guillaume dazu spöttische 


Bemerkungen macht, geht Renoart zurück, schimpft sie tüchtig aus | 
und treibt sie wieder in den Kampf. Es unterliegt keinem Zweifel, 


daß dieser Zusatz nur eine Nachbildung jener ersten Scene ist, und 
eine Vergleichung von V. 22—60 des deutschen mit V. 5064—5122 
des französischen Textes macht dies noch deutlicher. Manche Stellen 
verrathen wörtlichen Anklang, vgl. V. 28 mit G. d’Or. II 274, 3; V. 30 


ÜBER DAS NIEDERRH, BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 147 


bis 31 mit 5065—6 und 5071, wo das Terrain ganz übereinstimmend 
geschildert wird; V. 45—46 mit 5079; V. 55—60 mit 5111—20. In O 
war die Interpolation zwischen V. 5570 und 5571 eingeschoben worden, 

Von V. 61 = 5572 stimmen beide Texte wieder zusammen bis 
V.112 des dritten Blattes = V. 6282. Nur die Erzählung vom Kampfe 
Renoarts mit Lamuste (ArBalafres), V. 5786—5803, enthält das Bruch- 
stück nicht: wahrscheinlich hat sie bereits in O gefehlt. (Auch im Wille- 
halm fehlt sie.) V. 113—114 haben keine genau entsprechenden Verse 
in Jonckbloets Druck, und darauf correspondiert V. 115 ff. mit G. d’O. 
II 280, 19 ff, wo Jonckbloet die Kampfschilderung, wie sie in der 
Hs. B auf V. 6290 folgt, abgedruckt hat. 

Bis V. 6290 gibt Jonckbloet den Text nach (A und) B, die 
Varianten nach Ar und V (G. d’O. II 241). In Ar beginnt mit V. 6102 
eine mächtige Lücke, in die der ganze folgende Theil des Bruchstückes 
hineinfällt. Von V. 6291—6501 aber weichen -V und B sehr von ein- 
ander ab: die Darstellung von V hat Jonckbloet in den Text gesetzt, 
die Darstellung von B steht im zweiten Bande 5. 280 ff. unter den 
Varianten. 

Zunächst gibt nun unser Bruchstück im Ganzen dieselbe Erzäh- 
lung wie B auf S. 280 fi. des zweiten Bandes (nämlich Renoarts Kampf 
mit Borels Söhnen, mit Agrapart und Crutados, Renoarts Ritt und den 
Kampf mit seinem Bruder Walegrape). Eine Übereinstimmung beider 
Texte, wie im vorhergehenden, zeigt sich hier nicht mehr, indem sie 
zumal in den Einzelschilderungen des Kampfes mit Walegrape oft aus- 
einandergehen. Nur von IV 2 an zeigt sich eine Zeit lang genauere 
Übereinstimmung mit G. d’O. 11 283, 3 ff. Im Allgemeinen stimmt das 
Bruchstück mit dem Texte von B bis G. d’O. τ 201, 24 ΞΞ IV 128. 

Das nun Folgende von V. 129 an (der Kampf Bertrans mit Syna- 
gon und das Gespräch zwischen Desrame und Bauduc) findet sich in B 
nicht, wohl aber in V, wie umgekehrt das Vorhergehende von III 115 
bis IV 128, oder das in α. d’O. II 280-291 Erzählte in B sich findet 
und in V fehlt. O hatte also beides vereinigt. Von IV 129 bis zum 
Schlusse haben wir also V. 6291—6361 zu vergleichen, und finden da 
wieder eine genauere Übereinstimmung wie bis ΠῚ 115. 


5. Alter des französischen Originales. 


Der älteste Text der Bataille d’Aleschans ist uns in der Hs. Ar 

_ erhalten, deren Schrift, wie schon bemerkt, dem Ende des 12. oder 

dem Anfang des 13. Jahrhunderts angehört: die in den übrigen Hss. 

(aus dem 13. und 14. Jahrhundert) überlieferten Redactionen gehören 
10 * 


148 HERMANN SUCHIER 


sämmtlich einer spätern Zeit an. Um nun das Alter der Redaction von Ὁ 
annähernd zu bestimmen, wollen wir untersuchen, ob O engere Ver- 
wandtschaft mit Ar oder mit den spätern Hss. zeigt. 

Nach Jonckbloet (G. d’O. II 178) unterscheiden sich die letztern 
von dem in Ar erhaltenen Texte zumal in drei Punkten: 

1. Die Halbverse, auf welche in Ar jede Tirade ausgeht, sind in 
den spätern Hss. durch Unterdrückung oder Ergänzung zu Ganzversen 
entfernt. Daß diese Halbverse in der Bataille d’Aleschans einen integrieren- 
den Bestandtheil der ursprünglichen Form ausmachten, hat Jonckbloet 
G. d’O. Π 195 auf das zutreffendste nachgewiesen. (Gautier, les epopees 
frangaises III 22 stimmt ihm bei.) Indem wir nun die Übersetzung der 
Tiradenausgänge einerseits mit der in Ar gewährten ältern Form des 
Ausgangs, andrerseits mit der jüngern in BV gegebenen vergleichen, 
wollen wir die Lösung der Frage versuchen: hatte O die Form von 
Ar oder von ABV? Bis V. 6101 = Π 146 des nr. Bruchstückes (denn 
mit diesem Verse beginnt in Ar die Lücke) finden sich neun Tiraden- 
schlüsse. Sieben davon hat der Übersetzer übergangen. Einer, V. 5966 
(vgl. I 55—58, wo V. 57 fehlerhaft G für R steht), scheint, während 
B und V den Halbvers einfach wegließen, in O durch Ergänzung zu einem 
Ganzverse entfernt zu sein. Einer jedoch, V. 5856, gestattet einen Ver- 
gleich. B und V haben: Plus d’une archiee ont paiens recule. Ar hat dafür: 
Lors laissent courre, s’ont paiens escrie, Asses en detrencierent. Es ist dieß 
eine Stelle, wo kein Zweifel sein kann, daß die Lesung von Ar in den 
spätern Hss. geändert wurde, um den Halbvers zu entfernen. Hier hatte 
OÖ ganz die spätere Lesart, vgl. II 2 des Bruchstückes: |möre dane ainen 
boglenscusse jagten si de haiden. Wir glauben also, daß Ὁ bereits die 
Jüngere Form, den Tiradenausgang auf Ganzverse, hatte. | 

2. Veraltete Worte sind in den spätern Hss. durch neue ersetzt. 
(In dieser Beziehung läßt sich kein Schluß auf O machen.) 

3. Interpolationen der spätern Hss. bestehen in Wiederholungen 
und Umschreibungen, die den Fortgang der Erzählung hemmen, ohne 
Conception und Geist zu ändern. Ganz von dieser Art ist die 5. 146 
besprochene Interpolation, die sich I 22—60 findet und in Ὁ zwischen 
5570 und 5571 eingeschoben war. 

Dazu kommt 4. Manche der spätern Redactionen haben die eilf 
Zweikämpfe Renoarts auf eine geringere Anzahl zu reducieren gesucht. 
Jonckbloet selbst scheint G. d’O. II 178 dieß anzudeuten, und es ist 
unbegreiflich, wie er trotzdem die in V ausgelassenen Kämpfe hat unter 
die Varianten setzen können: sie gehörten entschieden in den Text. 


ÜBER DAS NIEDERRH, BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 149 


Die eilf Heiden, die Renoart bekämpft, sind: 1. Margot. 2. Ar 
Enorre, B Aeure, Ο Hurep£. 3. Borel. 4. Agrapart. 5. B Urutados, in 
den Hss. 1448 und 2494 Crucados. 6. Malegrape. 7. Grishart. 8. Flohart. 
9. Desrame. 10. Haucebier. 11. Baudue. 

B und 1448 erzählen alle eilf Kämpfe. 

Aus der Hs. 2494 erwähnt P. Paris (histoire litteraire de la France 
XXI 530): 3, 4. 10. 5. 6. 11. 

Wolfram im Willehalm erzählt nur den dritten Kampf. Vielleicht 
ließ er die übrigen zehn Kämpfe absichtlich hinweg. 

O gewährt davon 1—6; es fehlen 7—9; vor 10 bricht das Bruch- 
stück ab. 

V gewährt nur 1. 2. 3. 10. 11. 

Da Ar hier eine Lücke hat, so sind uns in ihr nur 1. 2. und 11 
überliefert, und es läge vielleicht nahe zu denken, Ar habe, wie das 
mit ihm besonders verwandte V, nur wenige Kämpfe gekannt, und die 
in spätern Hss. gewährten, in V (und Ar) fehlenden Kämpfe seien als 
Zusätze aufzufassen, die'sich aus der unverkennbaren Neigung erklärten, 
um die Person Renoarts nach und nach neue Sagen zu häufen. Dann 
wäre Jonckbloets Verfahren gerechtfertigt, wenn er in seiner Ausgabe 
diese Kämpfe unter die Varianten setzte. Aber dagegen fällt ein Um- 
stand in’s Gewicht: die Lücke von Ar umfaßt in V 417 Verse, in 
B 985, in 1448: 976, in Ar selbst 960 Verse. Wir müssen also an- 
nehmen, daß Ar bereits alle eilf Kämpfe (wie B und 1448) enthielt. 

Wir glauben uns ferner zur Annahme berechtigt, daß Ὁ der Gruppe 
ArV näher stand als der Gruppe AB. Dafür spricht, daß in dem Stück, 
welches von Ar mit unserm Bruchstück parallel enthalten ist, sich in 
den Varianten mehr Übereinstimmungen mit O zeigen, als in dem fast 
das ganze Bruchstück hindurch vergleichbaren B (vgl. S. 146), daß der 
Kampf mit Malegrape in O eine andere Redaction als in B verräth; 
und daß auch das auf diesen Kampf Folgende von B völlig abweicht, 
während es mit V die genaueste Übereinstimmung zeigt. Wir nehmen 
also an: Ar (Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts), alle eilf 
Kämpfe enthaltend, stellt die älteste Redaction dieser Gruppe dar. 
O (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts) ließ die Kämpfe 7. 8. 9. hin- 
weg und V (Mitte des 14. Jahrh.) strich auch die Kämpfe 4. 5. 6. 

Somit charakterisiert sich O sowohl durch Entfernung der Halb- 
verse als durch die erwähnte Interpolation und durch die Reducierung 
von Renoarts Zweikämpfen als eine jüngere Hs. 

Eine Bestätigung findet diese Annahme in der Schreibweise pau/me 
III 66. Das Wort ist an dieser Stelle aus Ὁ entlehnt (Bat. d’Al. 6232), 


150 HERMANN SUCHIER 


und gewiß in dieser Orthographie, die erst in der zweiten Hälfte des 
13. Jahrhunderts anfängt, im Französischen heimisch zu werden und im 
14. Jahrh. Mode ist. — Die Form Baudin für Bauduc, welche unser 
Fragment (1 82) kennt, ist nur der Hs. B (der schlechtesten der von 
Jonckbloet edierten) z. B. V. 5597 bekannt, sowie der dem 14. Jahrhundert 
angehörigen Hs. der Marcusbibliothek, aber den andern Hss. Jonck- 
bloets und Wolframs Willehalm nicht. — Der Name Walegrape zeigt 
eine Entstellung, die auch die Hss. B und 1448 gewähren. Die ursprüng- 
liche Form war Malegrape (böse Klaue), wie der Greif im Nouveau 
Renart 187 heißt, und so lautet der Name noch in der von P. Paris 
in den Anfang des 13. Jahrh. gesetzten Hs. 2494 und im covenant 
Vivien V 192, 262. 


6. Methode der Übersetzung. Form. 


Wir müssen dem Verfasser des nr. Gedichtes zugestehen, wo er 
wirklich übersetzt, hat er den Text seines Originales recht getreu 
wiedergegeben, vgl. II 62—74 mit V. 5976—5986. 

Aber er übersetzt keineswegs Zeile für Zeile. Er hat vielmehr 
öfter gekürzt, indem er Einmal Verse oder Worte, die er entbehren 
zu können glaubte, übersprang, und zweitens, indem er zuweilen, was 
sich im Französischen in ausgeführter Darstellung fand, kurz zusammen- 
faßte, z. B. unt wäpen sic gare I 119 übersetzt: Isnelement vesti un 
jazerant, Puis a lachie un vert elme luisant, Isnelemant a saisi un bon 
brant. 5664—6. er stach B. dor den scilt unt den halsberg dare IV 140 
übersetzt: Bertran feri devant en Pencontriere: Par mi lescu li mist 
ante pleniere, Que cent des mailles del hauberc cope arriere 6305— 17. 
derslän I 14 übersetzt: briser les braz et les costez 5558. Solche Stellen 
beweisen, daß nicht O, sondern erst der Übersetzer sie kürzte, wie es 
fast überall wohl der Fall war, zumal wo sich von ganzen Tiraden 
nur ein oder zwei Verse übersetzt finden. Z. B. II 121—122 übersetzen 
aus der Tirade 6053—6065 nur V. 6054 und 6057. Zusätze des Über- 
setzers scheinen sich außer einer später zu erwähnenden Stelle auf 
einzelne Verse zu beschränken, die er dem Reime zu Liebe einem aus 
dem Französischen übersetzten Verse zuweilen zugefügt hat: nit langer 
'er dö liess I 178, darnäch er dö nit en liess 1189, unt de cröne van dem 
lande geweldekeliche II 65, si woulten gerne slän döt 11 122 u. a. 

Doch vermochten die Zusätze nicht, den skelettartigen Charakter 
der Darstellung zu entfernen, und der Übersetzer scheint allen Sinnes 
für poetische Schönheit entbehrt zu haben, da er oft gerade das Schöne 
oder schwer Entbehrliche übergangen hat. So hat er z. B. das groß- 


ÜBER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 151 


artige Bild V. 6293--4, wo Renoart aus Heidenleichen ein Flußbett 


bildet, durch welches sich dann das Blut als Strom ergießt, wofern Ὁ 
‚die Stelle enthielt, übergangen. Charakteristisch für seine trockene 


Darstellung ist, daß er die directe Rede des Französischen gern mit 


‚ indirecter übersetzt. 10 li demande: „Amis, dont estes nez?“ 5639. R. vrägt 
im, wane er wäre 1 109. — Bertrans respont, qui toz est effreez: „Sire, 
de France, nies Guillaume au cort nez. Paien m’ont pris. ülj. mois a pas- 


[13 a Υ 3 ige : er, MN 
ses“ 5640—2. er saıte, er wäre van vrankerichen, nave G. miter corter 


nase ende wäre dar. tin. mänt gevangen I 110—112. 


Dem hölzernen Ausdruck und der geschmacklosen Darstellung 
entspricht eine ungeglättete Forin, in der sich zwar ein Anstreben, 


‚ aber nichts weniger als ein Durchführen des Reimes zeigt. Die Reim- 
kunst beschränkt sich meist darauf, an den Schluss des einen Verses 


dare, des andern gare zu setzen, und die Zahl der Hebungen unterliegt 


keiner bestimmten Regel. Doch zeigt sich zuweilen das Bestreben, 


Verse von vier Hebungen zu bilden. Längere Versreihen finden sich 


‚ohne jeden Reim z. B. II 66—74 (abgesehen von forment : piument). 


ΠῚ 82—6. IV 87—91, 129 —135, und gerade in diesen reimlosen Versen 
ist das Original am getreuesten übertragen, woraus mit Bestimmtheit 
hervorgeht, daß eine Annahme, das Gedicht habe ursprünglich eine 
correctere Form gehabt, ebenso unberechtigt, als ein kritischer Versuch, 
eine solche Form wiederherzustellen, unausführbar wäre, ohne die Über- 
einstimmung mit dem französischen Originale zu stören. Da wir nun 
auf der andern Seite in längern Perioden den Reim durchgeführt finden, 
so macht das Ganze gar nicht den Eindruck eines zum Abschluss 
gebrachten poetischen Werkes. Reimprosa des 12. Jahrhunderts darin 
zu sehen, ist nicht erlaubt, da die Redaction des in Ὁ überlieferten 
Textes nicht so weit zurückreichen kann. Es scheint daher, daß wir 
es nur mit einem Versuche oder mit einer Übersetzung im Concept 
zu thun haben, die der Verfasser nur provisorisch mit einer später 
noch zu polierenden poetischen Form ausstattete. Die ganze Anlage 


_ und Darstellung des Gedichtes, das nur ein kurz recapitulierender 


Auszug des französischen ist, bestätigt dieß. Indem der Verfasser nur 
den Inhalt des französischen kurz wiedergab, hie und da einen Reim 
versuchte, aber bei der Verbindung der Sätze außer einem dö oder 
unt allen Kitt verschmähte, entstand der abgerissene Stil, wie er sich 


im ganzen Bruchstück zeigt; vgl. z. B. 1 134 ft. 


der sloec se nider öne zal. 
de kindre wäpen sich zehant. 
dö sprac B: „hade wier orsse!“ 


152 HERMANN SUCHIER 


Dö quam ain Turke gerant. 
er was woul gewäpent gar. 
Elinant den dersloeg er dar. u. 8. w. 


In welchem Versmaß aber das Gedicht verfaßt werden sollte, 
lehrt uns eine Stelle IV 148—160. 


dor τὸ troften ir here. dö sach men vanen van samiten 

dö quämen die van uber mere bliken unt van cendäl. 

Miten van Spanie zoe gedrongen, si quämen al zemäl 

di allten vaste miten jongen, in die peressen van baiden siten, 
alle, die dö ströten solten. al die dö woulten striten 

here G. quam mit sinen holten dorch iren god unt dorch ire Ere. 


gegen im mit grössen vlite. 


Da diese Stelle richtig gebildete Reimpaare aus Versen von vier 
Hebungen zeigt und in Jonckbloets Text fehlt, wo 6322 = IV 10] 
gleich auf 6321 = IV 147 folgt, können wir sie wohl mit Recht als 
ein Product der Thätigkeit des nr. Dichters anschen. 


7. Zeit der Abfassung. 


Bisher haben verschiedene Gelehrte das Gedicht einer verhältniss- 
mäßig frühen Zeit zugewiesen, wogegen nur Gautier, les epopees fran- 
gaises III 35, einen Zweifel äußerte. San-Marte sagt in dem $. 136 
besprochenen Aufsatze: Die Trockenheit der Darstellung läßt eher auf 
ein hobes Alter des Gedichts schließen, als auf ein jüngeres, weil nicht 
die Nachahmung der Hofdichter der besten Zeit bemerklich ist, die die 
jüngern Dichter in ihrer Schwäche nirgend verschmähten. Roth nannte, 
wohl unabhängig von San-Marte, in seinen Denkmälern ὃ. XV das 
Gedicht vorwolframisch. Dieselbe Angabe macht Koberstein (Grundriss 
der Geschichte der deutschen Nationalliteratur. Erster Band. Vierte | 
Ausgabe, 5. 217 Anm.), auch Wackernagel (Geschichte der deutschen 
Literatur S. 177) und Clarus (Herzog Wilhelm von Aquitanien $. 309), 
während er S. 363 das Gedicht dem 13. Jahrhundert zuweist. | 

Wenn San-Marte diese Annahme, die wohl nur durch die Unmöglich- 
keit, das Gedicht mit dem Originale zu vergleichen, entstand, durch 
die Trockenheit der Darstellung begründet, so haben wir bereits S. 151 
gesehen, daß diese aus der Übersetzungsmethode hervorgehen mußte, 
also nicht für das Alter zeugen kann, Übrigens habe ich mich im 
12. Jahrhundert vergebens nach einem in solchem Stile verfaßten 
Gedichte umgesehen. 

Vielleicht hat manches Sprachliche jene Ansicht begründen helfen, 
das auf den ersten Blick als alterthümlich erscheinen mag, während 


8: 


ÜBER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 153 


‚ das Vorkommen in spätern nr. Gedichten beweist, daß es weniger als 


Alterthümlichkeit denn als dialectische Eigenthümlichkeit aufzufassen 
ist. So ei für e als Umlaut von a, das im Annoliede so häufig ist, 
gewähren bespreinget 11 129, einde II 138 neben enden III 90, heilsen 
IV 85, heilde IV 161, vgl. dazu heilt Hagens Reimchronik 4953, 4970, 
heimpt v. 827 in dem nach Schade zu Anfang des 16. Jahrhunderts 
entstandenen liden der hilger Machabeen, Neuholländisch einde u. s. w. 

Harte Oonsonantengruppen im An-, In- und Auslaute werden 
durch Vocale, meist e, gemildert, z. B. deresscet I 67, conoten I 127, 
gevenkenisse II 5, halleme IV 9, touren IV 91, vgl. das mnld. hellem u. dgl. 
Grammatik 1,2 489, gelanz, erste Ursula v. 327. Altdeutsche Blätter II, 41, 
gelimmen, Adolf von Nassau 451 in Haupts Zeitschrift III 7, geren, Sibillen 
boich 94, 240 in Schades geistlichen Gedichten, werede, Lacomblet, 
Urkundenbuch 11 376, veravele daselbst III 48, korin IH 179, vyrdehalef 
II 223. 

e bewahren im Auslaut scare I 16, geware 1 33, vile IV 187 u. s. w., 
vgl. das Mnld. scare u. dgl. Nach W. Grimm, Athis und Prophilias 
S. 11 ist diese Bewahrung des 6 Eigenthümlichkeit des Mitteldeutschen, 
wozu ja auch das Nr. gehört. 

e zeigt sich unorganisch im Auslaut: warfe I 129, wäre I 164, 
liesse 11 52, baume II 72, tüvele II 90, dire II 47 u. 5. w. Dieß para- 
gogische e, das im spätern Nr. nicht selten ist und seit dem 12. und 
noch im 15., 16. Jahrhundert im Bairischen im Perfect (Weinhold, 
bairische Grammatik 8. 290) und an Nominibus (δ. 338, 342) erscheint, 
ist mehr gemeindeutsche Zeitlaune denn mundartliche Eigenthümlichkeit 
(Weinhold, alemannische Grammatik $. 114). 

Zu zornoe II 85, vgl. hizoger, dat liden der hilger Machabeen v. 262. 

Das Reimen der Mediae mit einander (gehaben : derslagen I 105, 
scaden : sagen II 123, derslagen : scaden IV 119) kennen die besten mhd. 
Dichter (Wolfram). Das Reimen der Liquiden und Nasale (tal: hardan 


130, tale : gare 1 47, nam : hardan Il 98, vernam : began III 148, quam : 
dan IV 13, quam : län IV 57) könnte bei einem Laien der Kunst auch 


zu Ende des 13. Jahrhunderts nicht auffallen, da der Compilator des 
Karlmeinet zu Anfang des 14. Jahrhunderts in den von ihm verfaßten 
Partien nicht nur m: n unbedenklich bindet (Bartsch, über Karlmeinet 
8.228), sondern sich weit auffallendere Freiheiten gestattet (das. S. 254). 


- Zudem ist nicht sicher, daß tal: hardan, tale : gare als Reime fungieren 


sollen. 
Ein Auszug aus einem französischen Gedichte, wie das Kitzinger 


Fragment, konnte an und für sich sowohl vor als während und nach 


154 HERMANN SUCHIER 


der mhd. Blüthezeit entstehen. Da nun die Art, wie der französische 
Text in O vorlag (vgl. S. 147—150), die erste Annalıme unmöglich, 
die zweite unwahrscheinlich macht, so entscheiden wir uns für 
die dritte. 

ἃ und ö berühren sich im Reim hät (Hs. höt) : döt II 143 (höt 
ist bairisch und schwerlich nr., daher auch I 146 bestän : hän, Hs. hön 
zu lesen ist), was nr. Denkmäler aus dem Ende des 12. Jahrhunderts 
noch verschmähen, während es gerade am Ende des 13. Jahrhunderts 
(noch nicht in der 1270 beendigten Reimchronik Hagens) häufig ist, 
ohne daß dabei ein völliger Übergang des einen in den anlern Vesal 
anzunehmen wäre. Daß aber an der erwähnten Stelle der Verfasser 
mit hät: döt einen Reim beabsichtigte, bestätigt die freie Wiedergabe 
seines Originales (Bat. d’Al. 6096). Beispiele der Bindungen ὦ : ὃ gibt 
Bartsch, über Karlmeinet S. 223, und Schade in den Einleitungen zu 
den geistlichen Gedichten. Das Gedicht Mörant und Galie (nach Lach- 
mann und Bartsch zwischen 1190 und 1210 verfaßt) erlaubt sich weder 
in dem von Lachmann (Über drei Bruchstücke niederrheinischer Gedichte) 
herausgegebenen Bruchstück des Gedichtes in der ursprünglichen Gestalt, 
noch in der dem Karlmeinet einverleibten Umarbeitung den Reim &:6, 
und unterscheidet sich dadurch bestimmt von den später entstandenen 
Theilen des Karlmeinet. 

Wir setzen also die Entstehung der nr. Schlacht von Aleschans 
in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts, und zwar dem Ende des 
Jahrhunderts näher als der Mitte, da die nach Reuss in den Anfang 
des 14., nach Roth in das 13. Jahrhundert weisende Schrift der Kitzinger 
Blätter eine spätere Zeit der Abfassung anzunehmen verbietet. 


8. Verhältniss zu Wolframs Willehalm. 


Nichts spricht für eine Bekanntschaft des nr. Dichters mit Wolframs 
Willehalm. Eine Bekanntschaft Wolframs mit unserm Gedicht, die 
Wackernagel nach Willehalm 7, 23 annahm (Geschichte der deistsahen 
Litteratur S. 178, Anm. 25), ist durch unsere Zeitbestimmung des nr. 
Gedichtes widerlegt. Die Kreise, für welche der Willchalm zunächst 
bestimmt war, konnten mit der Geschichte von Orables Erwerbung 
bekannt sein, auch ohne daß gerade ein in deutscher Sprache 
niedergeschriebenes Werk die Ursache dieser Bekanntschaft zu sein 
brauchte. 

Manches scheint für eine Verwandtschaft zwischen O und Ὁ 
(Wolframs Quelle) zu sprechen, wenn auch die durchgreifenden Ände- 
rungen, die sich Wolfram offenbar mit @ gestattete, eine Entscheidung 


JBER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT ΨΥ, ALESCHANS,. 155 


ierüber unmöglich machen. Q stimmt mit O in den III 99—100 
genannten Namen. OÖ nennt guion van monsorel und Reinier van anjou. 
) nennt (in der Schreibweise Wolframs) Krün von Munsurel und Remön 
Daniu 428, 21—23. Abweichend hat der französische Text Jonckbloets 
zuion de Montabel und Renier de Perche 6271—-2, Auch stimmt der 
Name des Wurms neitün Willehalm 425, 30 besser zum luitoun III 93 
les Bruchstücks als zum lirame des französischen τ, 6266. Willehalm 
ınd das Bruchstück theilen die Unbekanntschaft mit dem 5786—5803 
seschilderten Kampfe Renoarts mit Lamusts (Ar Balafres). Da jedoch 
2 an andern Stellen genauer mit den von Jonckbloct edierten Has. 
ıls mit @ übereinstimmt (vgl. Bat. d’Al. 5621—4, Bruchstück I 95 bis 
38, wo v. 5623 nicht übersetzt ist, mit Willehalm 415, 27—29, 416, 9 
is 12. Bat. d’Al. 5724, Bruchstück I 143 mit Willehalm 413, 27), so 
nüssen wir wohl auf einen Schluss auf das Verhältniß von Q zu O 
rerzichten. 


9. Verbesserungen und Erläuterungen zu Roths Text. 


Erstes Blatt. 


v. 49. do worden si der vart gar, liest Roth und nimmt worden — 
varteten. Es ist zu lesen: dö worden si dervärt gar. worden ist echt nr. — 
vurden. dervären ist der Mundart entsprechend das mhd. ervaeren, Neu- 
1011, vervaaren, bei Fritz Reuter verfiren, das im nr. so beliebt ist. 

v. 68. miten döden was daz velt becumert gar. becumert, das vom 
t. cumulus, Haufe, Last, seinen Ursprung nimmt, hat hier ganz die 
innliche Bedeutung: behäuft, belastet. bekommeren, impedire, detinere, 
listinere, retinere, comprimere, subsistere, remorari, occupare etc. (Cor- 
ielii Kiliani Dufflaei etymologieum Teutonicae linguae, vierte Ausg. 
Jtrecht 1632). Ahnliche Anwendungen in Grimms Wörterbuch beküm- 
ern 5. Mehr noch blieb den romanischen Ableitungen von cumulus 
ie sinnliche Bedeutung. 
v. 80. in meuchten .üi. ors nit gedragen. Das französische en 5591 
ezieht sich auf die Stange Renoarts, der Übersetzer bezog es auf 
liesen selbst. 
v. 96. Guielin. 
v. 113. Nou sal ic wesen in arcarege gevürt. Roth streicht das eine 
e, ohne den Text dadurch lesbarer zu machen. Da das Arrabe des 
ranzösischen v. 5645 zu fern liegt, vermuthe ich: arcange, vgl. Bat. 
᾽Α]. 7695: Nez fu d’Arcagne, d’un estrange regnez. ange wird öfter zur 
iedergabe des französischen agne gebraucht: Gorgozzange, Willehalm 


156 HERMANN SUCHIER 


34, 16 ]. Gorgosange y, französisch Gorgataigne, Bat. d’Al. 1619. — 
griffange, Willehalm 36, 8 y, französisch Grifaigne, prise d’Orenge, 
1162. — Brahange, Willehalm 353, 30 1, Brahangen ' op. französisch 
breheigne, Bat. d’Al. 6173. — bertangen, Mörant und Galie 229 (in Lach. Ἵ 
manns Abh.: Über drei Back niederrheinischer Gedichte). 

v. 161. ain haiden van vraisselichen daine becant. Ich vermuthe 
van vraisselichen licham daine becant. licham übersah der Schreiber 
nach lichen leicht. II 33 —= 5933 und II 179 = 6135 beweisen, daß, 
licham ganz gewöhnlich das französische cors übersetzt, das auch hier 
(v. 5769) steht. Daß licham im nr. stark flectiert, beweist außer zahl- 
reichen Stellen anderer Gedichte auch II 33 unseres Bruchstücks. daine 
fassen wir mit Roth als „einzig,“ nicht aber d als Artikel, der ja keinen 
Sinn hat. d ist wohl accessorischer Laut. Ein eldichen d findet si 
III 120. ii. liesser den omacht dö, wo d noch weniger Artikel sein. 
kann. Vgl. das über die accessorischen Laute S. 143 Gesagte und das 
d in Bildungssilben im Neuholl. (zwaarder, hoenders u. s. w.) | 

v. 167 ist wohl zu lesen ver sult mir dess conseus vermant haben, 
Ihr hättet mich an euern Rath (die Heiden zu stechen) erinnern sollen, 
(Französisch conseus = consilium.) | 

v. 170 für mitalde ist wohl müralde zu lesen, lat. admiraldus. escele 
liest Roth. Aber nach $. 95, Anm. ec) sind ὁ und ἐ in der Hs. öfter 
nicht zu unterscheiden; man lese also EstelE wie Bat. d’Al. 5817. 

v. 172—3 hat sich der Abschreiber versehen: R. gehört in v. 173 
und er in v. 172. Vgl. Bat. d’Al. 5820—3. | 

v. 173. Roth will vame orsse lesen, aber vame colbe ist getreue 
Übersetzung des französischen del tinel v. 5823. 

v. 183. Hs. R spstiest. Roth: .R. spiest. Aber es ist wie v. 190 stiest 
zu lesen. Der Schreiber setzte das nach R. so häufige sprach an, sal 
bei dem p den Fehler ein und schrieb das richtige stiest dahinter. 


Zweites Blatt. 


γος [der nar]t vnt benuon liest Roth, es muß aber beuuon = Beu 

von heißen, wie schon Reuss las. a 
v. 31. Roth: @. der cante si an |de grösse s]lege sin. dercante | 

a 


muf) es heißen, da δὲ Subject ist und dercante für dercanten steht. Bat. 
d’Al. 5932. ἡ 
v. 57. Hs. und Roth: unt gab @. de craft. Der folgende Vers und 
Bat. d’Al. 5966 beweisen, daß es heißen muß: umt gab R. de craft. 
v. 64. van stors van orcasse hielt er daz koncriche. des tors d’Orcoise 
tenoit le chasement. V. 5978. Der ar. Übersetzer las de Stors. Da 


RER DAS NIEDERRH. BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V. ALESCHANS. 157 


Ὶ 
lonckbloet besser las, beweisen analoge Stellen: z. B. des fors tors 
lAire 6620. 
| v. 71. van spesie leven si. d’espices vivent 5984. Reuss las: van 
ıpeke. Das Komma nach rauche ist zu streichen. 

v. 83. 'sloeg fehlerhaft statt soecht. Bat. d’Al. 6003. 

v. 179. Mit yngremance hat Renoart seinen Zichame unverwund- 
dar gemacht (so sagen die Heiden. Bat. d’Al. 6135). yngremance ist 
ecromantia. 


Drıttes Blatt 


v. 27. eham gnen, ἃ. 1. |brjehaingnen, Bat. d’Al. 6173. 
| v. 92. Da ὁ und t in der Hs. öfters nicht zu unterscheiden sind, 
ist wohl martel für marcel zu lesen, Bat. d’Al. 6263. 

v. 93. luitoun, das auch Il 69 vorkam, findet sich in Jonckbloets 
usgabe zweimal: lucuns (Ar noirois) Bat. d’Al. 5982 (=I 69 des 
ruchstücks), luiton 6763, aber nicht an dieser Stelle 6266. Verwandt 
ist wohl das neufranzösische Zutin und vielleicht auch der heidnische 
Landesname Luitis, covenant Vivien 523, oder Zutis, G. d’O. II 296, 5. 

Zu v. 133 weiß ich nichts Genügendes. Es soll wohl heißen: daz 
bloet in dem mer gelibert was. 

v. 189. Gwinemant. B und V nennen ıhn nur Bat. d’Al. 6 unter 
'Guillaumes nächsten Verwandten als Kämpfer auf Aleschans. (Ar und A 
nennen ihn gar nicht.) Weder an dieser Stelle noch irgend sonst in 
der Jonckbloetschen Ausgabe erscheint dieser ἅπαξ λεγόμενος wieder. 
Ὁ hat ihm, wie es scheint, hier eine Rolle zugetheilt, wozu wohl der 
Tiradenreim auf ant die Veranlassung gab. (Wolfram nennt im Wille- 
'halm Gwigrimanz 14, 20; 13, 10; 151, 24.) 

v. 191. hon vnt terv. Mahom et Tervagant. ἃ, d’O. II 282, 30. 


Viertes Blatt. 


v. 25. Hs. und Roth quatatage puche, lies quätige phuce. Daß phuce 
ganz dem Dialect des Gedichtes entspricht, beweist das ph in phont 
11 78, das c in antelice IV 143, puche im Sinne von putze wäre minder 
entsprechend. 

v. 76. Die Hs. hat nach Reuss pcegues. Roth liest procegues, das 
Richtige ist percegues G. d’O. II 289, 23. 

v. 87. ne sotte nit. sotten, ghecken. Ridere, nugari. Corn. Kiliani 


Dufflaei etymologicum. 


% 


158 H. SUCHIER, BRUCHSTÜCK DER SCHLACHT V, ALESCHANS. 


v. 112. in haidenisse, mhd. heidenische (in heidnischer Sprache, 
auf heidnisch); vgl. Wernher vom Niederrhein: galileisse 19, 21. In 
hebreissen heiz he messyas, 46, 8. 

v. 148 ist wohl dor σῇ zu lesen. 

v. 169. daz ir sit stare gar, lies ist statt sit. Der Schreiber hielt 
das ihm fremde ir für die zweite Person Plural und schrieb deshalb 
sit statt st. ir muß v. 169 dieselbe Person als v. 170 bezeichnen, und 
ir v. 170 kann nur Renoart sein, nicht Bauduc, da die Christen nicht 
fünfzehen, sondern nur einen König haben. Bat. d’Al. 6335. 

v. 177—178 entspricht Bat. d’Al. 6345, nur daß, wo Jonckbloet 
atirez, der nr. Übersetzer acirez las. 


KARL MEYER, DIE TELLSAGE. 159 


DIE TELLSAGE. 


VON 


KARL MEYER. 


— 


Nur den vereinten Bemühungen der Geschichtsforscher und der 
Mythologen wird es möglich sein, die Tellsage auf befriedigende Weise 
zu erklären. Der einseitige Historiker wird zwar den Glauben an den 
geschichtlichen Wilhem Tell des vierzehnten Jahrhunderts leicht zer- 
stören, er wird die negative Seite der Frage wohl erledigen können. 
Handelt es sich aber einmal darum, auch den positiven Kern der Sage, 
den Apfelschuss und den Tyrannenmord, zu erläutern, so muß er, falls 
er nicht gleichzeitig das Gebiet der germanischen Mythen- und Sagen- 
welt beherrscht, auf halbem Wege stehen bleiben. Leicht könnte er 
dann gleich dem Büblein, das überall mitgenommen hat sein wollen, 
in die Lage kommen, mit den Worten „ich kann nicht mehr“ seine 
Abhandlung schließen zu müssen. Doch hindert das natürlich nicht, 
daß von ausschließlich historischem Standpunkte schon manche treff- 
liche Arbeit über diesen Gegenstand ist geliefert worden, zumal wenn 
der betreffende Gelehrte den Grenzpunkt seiner Forschung klar erkannt 
und festgestellt hat ἢ). 

Umgekehrt wird aber auch der Sagenforscher die Resultate der 
historischen Forschung nicht ungestraft ignorieren; er wird sich mit 
demjenigen begnügen müssen, was ihm der Geschichtsforscher gleich- 
sam als noch unverarbeiteten Rohstoff überläßt. Sowie er hingegen den 
Versuch macht, Züge des Ganzen der Mythologie zu vindieieren, deren 
Erklärung auf anderem Wege zu erreichen ist, so ist er gleich dem 
Jäger in fremdem Revier den Angriffen der Mitjagenden und Mit- 
suchenden gegenüber vogelfrei. Letzterer läuft daher Gefahr, einer 


1) Wie z.B. W. Vischer in der Schrift „Die Sage von der Befreiung der Wald- 
stätte.“ (S, 151.) 


160 KARL MEYER 


Begehungssünde geziehen zu werden, während Ersterm im schlimmsten 
Falle eine Unterlassungssünde anzurechnen ist. 

Die Litteratur über die Tellsage ist nachgerade zu einem Um- 
fange gediehen, ‚welcher eine neue Besprechung derselben überflüssig 
zu ahtchbh scheint. Ältere und neuere Gelehrte von gediegenem Rufe 
und von höchstmöglicher Unbefangenheit haben diesem Thema ihre 
Kräfte zugewandt; daneben ist freilich auch die Zahl derer nicht gering, 
welche die Sache mittelst patriotischer Schlagwörter u. dgl. glaubten 
erledigen zu können. Wenn hier eine nochmalige Prüfung des Gegen- 
standes versucht wird, so muß gleichzeitig das Unhistorische der Per- 
sönlichkeit und der That Tells als durch die bisherigen Leistungen 
hinlänglich erwiesen vorausgesetzt werden. Die Untersuchung wird sich 
hauptsächlich und in erster Linie mit dem mythischen Kern der Tell- 
sage beschäftigen, sie wird aber auch noch einige andere Fragen zu 
erörtern haben, welche mit jenem in einem mehr oder weniger engen 
Zusammenhange stehen. 


i 


Das mannigfache Vorkommen von Erzählungen, deren Überein- 
stimmung mit der von Wilhelm Tell jedem Unbefangenen sofort ein- 
leuchtet 5), wird mit Recht als Beweis dafür betrachtet, daß wir es nicht 
mit einer geschichtlich beglaubigten Thatsache, sondern mit einer Sage 
zu thun haben; dazu kommt noch, daß eben diese Erzählung zu den 
geschichtlichen und politischen Verhältnissen der Waldstätte in den 
Zeiten der ersten Könige aus dem Hause Habsburg nicht passt. Aus 
letzterm Umstande ergibt sich zunächst allerdings nur die chronologische 
Unrichtigkeit der gewöhnlichen Überlieferung; die übereinstimmenden 
Erzählungen in Norwegen, Island, England u. s. w. führen hingegen 
zu dem positiven Schlusse, daß wir es mit einer allgemein germani- 
schen Sage zu thun haben. 

Vergleichen wir diese verschiedenen Gestaltungen der Schützen- 
sage unter einander, so bleibt als Kern des Ganzen einmal der Meister- 
schuss auf das Haupt des Kindes und zweitens die Erlegung eines 
Tyrannen. Und der nachweisbar älteste Name des kühnen Schützen 
lautet nicht etwa ‚Tell‘, sondern er würde in unserer jetzigen Sprache 
‚Eigel‘ heißen 5). Es ist das ein Name, dessen Wurzel sowohl im älte- 


322 Vgl. J. Grimm. Deutsche Mythologie. II. Aufl. S. 353, 354. 3) Saxos Toko 
ist an und für sich allerdings früher .beglaubigt als der Egill der Thidrekssage; allein 
die Edda hat letztern Namen ebenfalls, Völundarkvida Str. 2, 4, sowie in der prosaischen 
Einleitung zu dieser. 


DIE TELLSAGE. 10] 


sten Deutsch als in den verwandten indogermanischen Sprachen den 
Begriff des Spitzen, Scharfen und Durchdringenden hat. (Vgl. Pfannen- 
schmid, Germania X, 8.) Wir hätten demnach ein nicht geschichtliches 
Wesen gewonnen, dessen Attribut der Pfeil ist, und dessen Name leicht 
ebenfalls eine Benennung des Pfeiles sein könnte. 

Das Wort ‚Pfeil‘ ist nicht ursprünglich deutsch, sondern es beruht 
auf dem lateinischen pilum. Der echte deutsche Ausdruck zur Bezeich- 
nung desselben Gegenstandes ist unser jetziges ‚Strahl‘ (mhd. sträle, 
ahd. sträla, stf.). Also eine Übereinstimmung des Ausdrucks für spitze 
Geschosse einerseits und andererseits für diejenigen Erscheinungen, 
welche wir mit den Benennungen ‚Sonnenstrahl‘ und ‚Blitzstrahl‘ be- 
legen. Solche Übereinstimmung der Bezeichnung setzt mit Nothwendig- 
keit auch Übereinstimmung der Anschauung voraus. Der heidnische 
Germane stellte sich Sonnenstrahl und Blitzstr aht als von Sonnen- oder 
Gewittergottheiten entsandte Pfeile vor. 

Der älteste Glaube unserer Vorfahren beruhte auf Verehrung der 
Natur und in zweiter Linie auf Vermenschliehung der Naturerschei- 
nungen; also auf Pantheismus und auf Anthropomorphismus. Die Sonne, 
als göttliches Wesen aufgefasst, war dem heidnischen Glauben der Ger- 
manen nicht fremd. Leicht aber kann nach einem allgemein anerkannten 
Gesetze der Mythologie von dem ganzen Naturkörper. ein einzelner 
Theil, eine einzelne Erscheinung sich ablösen und als selbständiges 
Wesen auftreten. Neben der Sonne konnte auch der einzelne Sonnen- 
strahl in der Phantasie des Volkes sich vermenschlichen. 

Dachte man sich nun aber die einzelnen Gegenstände und Erschei- 
nungen der äußern Natur als menschliche Wesen, so war es nur con- 
sequent, wenn man diesen menschlich aufgefassten Gottheiten auch 
menschliche Handlungen und menschliche Triebe andichtete. Alle die- 
jenigen Erzählungen, welche wir mit dem Namen Mythen belegen, 
beruhen auf diesen beiden Bedingungen, auf Vermenschlichung der 
leblosen Natur und auf Übertragung menschlicher Verhältnisse auf die 
so entstandenen Gottheiten. Und die Phantasie der heidnischen Kultur- 
völker war auch jederzeit außerordentlich geschäftig, dergleichen Vor- 
gänge, welche sie den Himmlischen andichtete, sich möglichst mensch- 
lich auszumalen, sie mit möglichst vielen Nebenzügen auszuschmücken. 
Wenn im Frühling die Lüfte linder wurden und die Erde sich mit 
grünem Rasenschmuck bekleidete, glaubten sie, ein lichter Himmelsgott 
vermähle sich mit der jungfräulichen Erde. Wenn aber die Stürme des 
Herbstes einherbrausten und der Erde ihr grünes Gewand nahmen, 
glaubten sie, der wohlthätige Götterjüngling sei alt und grau geworden, 

GERMANISTISCHE STUDIEN, 11 


162 KARL MEYER 


er sei den unheimlichen Mächten des Winters, den Drachen und Riesen, 
oder wie sie sonst dieselben sich vorstellten, erlegen. Und in ersterm 
Falle herrschte Jubel und Freude im Lande; man zündete Frühlings- 
feuer an und freute sich des wiedergekommenen Gottes. In letzterm 
Falle hingegen wurde wohl am Meeresstrande oder sonst irgendwo ein 
Grabmal aufgeschichtet; man legte das Kostbarste, was man hatte, 
hinein und übergab es den Flammen ?); der Gott, welcher in den Tod 
gegangen war, sollte wenigstens eine würdige Leichenfeier haben. 

Indessen der altgermanische Götterhimmel mußte erbleichen vor 
jenem neuen Lichte, welches die Glaubensboten aus Irland und aus 
England nach dem Festlande herüberbrachten. Die Natur, die farben- 
und gestaltenreiche, verlor ihren Einfluß auf die Phantasie der Sterb- 
lichen, sie wurde die ‚entgötterte‘, wie der Dichter sie nennt. Man 
glaube aber ja nicht, daß nun das Andenken an die alten Götter als- 
bald und völlig aus dem Herzen des Volkes schwand. Noch lange 
erfreuten sich die Hügel und Quellen, an denen vormals die Götter 
waren verehrt worden, nächtlicher Besuche, und auch die Erzählungen, 
deren Inhalt sonst die heidnischen Gottheiten gebildet hatten, mochten 
sich erhalten, wenn die Vermenschlichung derselben noch weitere Fort- 
schritte machte. Waren die Mythen dadurch entstanden, daß man erst 
Naturgewalten vergötterte und dann den auf diese Weise entstandenen 
Göttern menschliche Eigenschaften verlieh, so machte nun diese Ver- 
menschlichung einen zweiten bedeutsamen Schritt. Nämlich die bisher 
menschlich gefassten Götter streiften das Göttliche, was an ihnen bis- 
her noch gehaftet hatte, vollends ab und wurden nun in der Phantasie 
der Sterblichen zu völligen Menschen, welche höchstens noch durch 
einzelne auffallende Züge oder durch übergewöhnliche Kräfte ihren 
göttlichen Ursprung verriethen. Zugleich aber konnten sie jetzt mit 
geschichtlichen Vorfällen dieser oder jener Art neue Verbindungen ein- 
gehen, sie konnten zu scheinbar wenigstens geschichtlichen Persönlich- 
keiten werden. Siegfried, Brunhild und Kriemhild haben alle diese 
Metamorphosen durchgemacht, und es handelt sich jetzt darum, zu 
beweisen, daß es auch mit unserm Tell dieselbe Bewandtniss hat. 

Es ist schon angedeutet worden, dafs die Schützensage aus zwei 
Hauptmomenten besteht, dem Meisterschuss und der Erlegung eines 
Tyrannen. Der Meisterschuss besteht bekanntlich darin, daß der Held 
der Sage durch den Tyrannen gezwungen wird, seinem eigenen Kinde 
einen Gegenstand von mäfliger Größe — die meisten Berichte nennen 


*) Vgl. namentlich den Schluss des Beövulf, V. 3157 ff. 


DIE TELLSAGE. 163 


einen Apfel — vom Kopfe zu schießen 5). Eine mythische Bedeutung 
des Apfels in der deutschen Mythologie ist bis jetzt nicht nach- 
gewiesen ®); ohnehin läßt sich nicht verkennen, daß der Apfel überall 
nur als an und für sich gleichgiltiges Mittel zum Zwecke erscheint. 
Daß hingegen hinter der Erlegung des Tyrannen ein Mythus verborgen 
sei, hat sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich. Wenn uns nun Name 
und Handlung des Meisterschützen auf den Sonnenstrahl geführt haben, 
so tritt noch als nicht zu unterschätzendes Moment hinzu, daß auch 
sonst die Lichtgottheiten der Germanen als Schützen aufgefasst werden. 
So heißt es z. B. von Vali, Baldrs Bruder: Alı eda Vali heitir einn, 
sonr Odins ok Rindar, hann er diarfr i orostum ok miök happ-skeytr 
(vgl. Snorra Edda, ed. Rask. p. 31). Und wie dem griechischen Apollo 
neben der Führung des Sonnenwagens die Schützenkunst beigelegt 
wurde, ist bekannt genug. Was unsere Untersuchung betrifft, so fragt 
es sich zunächst, ob der schweizerische Name des Schützen dieser 
Eigenschaft des mythischen Schützen entspricht, oder ob er ihr im 
Wege steht. Es sind nun schon zahlreiche Versuche gemacht worden, 
den Namen ‚Tell‘ zu erklären; sicher ist indessen bloß, dafs das Wort, 
dessen ältere Formen ‚Tello‘ oder ‚Tallo‘ lauten, erstens die Bedeutung 
von ‚geschmückt‘ und zweitens die von ‚gerüstet‘ hat 7). Erstere würde 
für ein Wesen, welches zu der Sonne in so naher Beziehung steht, 
nicht übel passen, und letztere würde dem ethischen Uharakter des 
Schützen entsprechen. Wahrscheinlich war ‚Tell‘ neben dem ursprüng- 
lichen Namen ‚Eigel‘ zuerst bloßer Zuname, der dann aber, wie es 
auch sonst häufig geschah, nach und nach von dem eigentlichen Namen 
sich löste und selbständig auftrat ὅ). 


5) So der dänische Saxo und der Schweizer Tell; ebenso der Egill der Thidreks- 
sage (c. 75). Eine Haselnuß kommt vor in der Sage von Haraldr Sigurdarson und Henüngr 
(P. E. Müller. Sagenbibl. III, 359). Der Apfel findet sich wieder in der von Pfannen- 
schmid (Germania IX, 224 ff) mitgetheilten, freilich sehr summarisch gehaltenen persi- 
schen Schützensage. 6) Wenigstens keine solche, bei welcher ein Schuß auf den- 
selben vorkommt, ἢ Wackernagel, Altdeutsches Wörterbuch. S. 290. 8) Nach 
Mannhardt (Ztschr. f. d. Myth. II, 321) ist auch Orendel, an. Örvandil, als ein Wesen 
des Lichts, und zwar als eine Personification der Feuerfunken des Blitzstrahls anzu- 
sehen, In dem mhd, Gedichte von Orendel und dem ungenähten Rocke Christi heißt 
Orendels Vater Eigel und ist König zu Trier. Davon weiß weder Skäldskaparmäl (17) 
noch die Thidrekssage etwas. Da nun bei dem Egil der letztern sowie in der dänischen 
und schweizerischen Sage der Knabe mythisch bedeutungslos ist, und da es sich mit 
dem Eigel des mhd. Gedichts ebenso verhält, so unterliegt die Echtheit dieser Verbindung 
gerechten Zweifeln. 

11 ® 


164 KARL MEYER 


Also Tell ein Wesen des strahlenden Lichts, ein Sonnenstrahl, 
und der Pfeil sein Attribut. Es ist unschwer, jetzt auch das Wesen 
seines Gegners, des tyrannischen Landvogts oder Königs, zu bestimmen. 
Auch diesem muß) eine Erscheinung aus dem Bereiche der äußern Natur 
zu Grunde liegen; wenn nicht Alles trügt, so ist es die Wolken- und 
Nebelmasse, welche in der schlimmen Jahreszeit ‘trüb und schwer über 
der Erde liegt. Auch diese hat sich allmälig menschlich gestaltet, zu- 
erst wohl mit Beibehaltung ihrer göttlichen oder eher dämonischen 
Natur, später mit Abwerfung derselben. Man versetze sich einmal aus 
unsern gasdurchleuchteten Städten um etwa 1500 Jahre zurück; unsern 
Vorfahren, welchen all der Luxus und Comfort des modernen Städte- 
lebens fehlte, mochte der Winter leicht sich zum Bilde eines finstern 
Tyrannen, die ihn verscheuchende Frühlingssonne zu dem des Retters 
und Befreiers gestalten. 

Also der warme Sonnenstrahl des Frühlings, dessen durchdringen- 
des Licht die Mächte des Winters vernichtet, ist die physische Grund- 
lage der germanischen Schützensage. Es ist leicht begreiflich, daß sich 
auch Elemente von mehr ethischer Natur mit diesem Mythus verbanden, 
zumal nachdem derselbe sich einmal alles göttlichen, das er einst 
an sich trug, entkleidet hatte. Wir sprechen noch heutzutage von der 
‚lieben‘ Sonne, von dem ‚bösen‘ Winter u. dgl., und wir übertragen 
damit auf leblose Körper oder Erscheinungen Eigenschaften, welche 
eigentlich bloß organischen Wesen zukommen. Wie unendlich viel näher 
mulste dergleichen einem Zeitalter liegen, welches in denselben wirklich 
belebte Wesen zu schauen glaubte! Darum sind Härte und Rücksichts- 
losigkeit die Eigenschaften, welche der Volksunterdrücker von seiner 
elementaren Grundlage geerbt hat; und andrerseits weist der kecke, 
muthige Sinn des Schützen auf die natürliche Grundlage dieses Wesens 
zurück. Je weiter aber beide von ihrer elementaren Grundlage sich 
entfernten, desto deutlicher und ausgebildeter erscheint ihr ethischer 
Charakter. 

Ein großer Theil deutscher Alterthumsforscher ist noch immer in 
dem Bestreben befangen, wo möglich alle ungeschichtlichen Züge einer 
Sage auf heidnische Grundlage zurückzuführen und den spätern nicht- 
heidnischen Jahrhunderten möglichst wenig übrig zu lassen. Mit der 
Einführung des Christenthums soll das Volk sofort alle Phantasie zum 
Weiterdichten eingebüßt haben. Genauere Betrachtung der meisten 
Sagen führt indessen zu andern Ergebnissen. Auch hinsichtlich der 
Tellsage hat jene Vorliebe der Forscher für das Heidenthum schon zu 
manchem verunglückten Meisterschusse geführt, und es wird namentlich _ 


DIE TELLSAGE, 165 


Pfannenschmids sonst geistreicher Aufsatz in dieser Beziehung nicht 
von allen Versehen freizusprechen sein. Schenken wir daher jetzt, nach- 
dem der mythologische Kern der Sage enthüllt ist, auch der ihn um- 
schließenden Schale einige Aufmerksamkeit. 


HL 


Es ist bekannt, daß von allen Berichten über die germanische 
Schützensage keiner dem schweizerischen näher steht, als der des Saxo 
Grammaticus. 

Im Jahre 985 nämlich verlor Harald Blaatand, König von Däne- 
mark, sein Leben im Kampfe gegen seinen Sohn Svein. Saxo, welcher 
seine dänische Geschichte ungefähr 200 Jahre später schrieb, berichtet 
Folgendes darüber: 

Toko, ein geschickter Schütze, hatte sich gerühmt, einen Apfel 
von einem Stocke aus einiger Entfernung herunterschießsen zu können. 
Da befahl ihm König Harald, den Apfel statt von dem Stocke von dem 
Kopfe seines Knaben zu schießen. Toko führt in der That Haralds 
Befehl glücklich, und ohne den Knaben zu verletzen, aus; auf die 
Frage, warum er mehrere Pfeile im Köcher führe, gibt er die aus der 
Schweizersage bekannte Antwort. 

Toko hatte sich ferner gerühmt, ein geschickter Schlittschuhläufer 
zu sein; er muß nun, seine Kunst zu beweisen, von einer schroffen 
Klippe aus auf Schlittschuhen an das Meer hinunterlaufen. Auch diese 
zweite Gefahr besteht er glücklich. 

Später ließ Harald Menschen und Rinder zusammenbinden, und 
diese mußten am Gestade von Jütland mit vereinten Kräften einen 
Fels vom Ufer wegreissen; letzterer sollte der Mutter des Königs als 
Grabmal dienen. 

Toko war inzwischen in den Dienst von Haralds Soln Sueno 
(Svein) getreten. Das durch Haralds unerhörten Druck geplagte Volk 

- wandte sich nun an Svein und bat denselben, gegen des Vaters Druck 
Abhilfe zu schaffen. Es kam zum Aufstande, und Harald mußte nach 
Seeland entfliehen. Ehe jedoch der Bürgerkrieg sein Ende erreicht hatte, 

_ wurde der alte König in einem Walde von Toko durch einen Pfeil- 

 schuß getödtet °). 

Lösen wir die geschichtlichen und geographischen Anlehnungen 

ab, so bleibt als Kern dieser Erzählung wiederum der Meisterschuß 


£ 


2 


8) Saxonis Grammatici Historia Danica, lib. X. S. 166—168 der Frankfurter Aus- 
gabe von 1576. 


166 KARL MEYER 


und der Tyrannenmord übrig. Und da Toko ferner eine völlig unge- 
schichtliche Persönlichkeit ist, so werden wir mit Nothwendigkeit wie- 
der auf den Mythus geführt, welcher bereits als Grundlage der Erzäh- 
lung ist angenommen worden. Es hat sich demnach ein älterer Mythus 
an die Schicksale eines geschichtlichen Dänenkönigs angeheftet. Wer 
die deutche Sagenwelt auch nur einigermaßsen kennt, wird in diesem 
Vorgange nichts Außergewöhnliches sehen. 

Noch aber bleibt ein zweiter Zug zu erledigen. Der dänische Toko 
ist nämlich nicht nur ein trefflicher Schütze, sondern auch ein aus- 
gezeichneter Schlittschuhläufer. Es leuchtet von selbst ein, daß diese 
zweite Kunstfertigkeit mit der ersten ursprünglich nichts zu schaffen 
hat, daß sie überhaupt schwerlich auf mythischer Grundlage ruht. Je 
einfacher und je mehr in sich abgeschlossen die Fassung einer Sage 
ist, desto mehr Ansprüche hat dieselbe, andern complicierteren Fassun- 
sen derselben Sage vorgezogen zu werden, selbst wenn letztere durch 
ältere Quellen als erstere sollten bezeugt sein. Nun trifft es sich aber, 
dal} auch dem schweizerischen Tell neben der Schützenkunst noch die 
Fergenkunst beigelegt wird; es fragt sich daher, ob wir es hier mit 
einem bloßen Zufall zu thun haben, oder ob wir genöthigt sind, an eine 
Verpflanzung der Sage aus Dänemark nach dem Vierwaldstättersee zu 
denken. Letztere ist bis jetzt, wenn wir von der Abhandlung Freuden- 
bergers 19) absehen, zwar noch nirgends ausdrücklich behauptet, aber 
ebenso wenig ausdrücklich in Abrede gestellt worden. Vielmehr haben 
verschiedene neuere Forscher wenigstens die Möglichkeit einer Ent- 
lehnung zugegeben !'), und ich selbst bin derselben ziemlich nahe 
gewesen !?). Erwägen wir zuerst die Gründe, welche der Annahme einer 
Verpflanzung günstig zu sein scheinen. 

Die Thäler, welche nach dem Vierwaldstättersee münden, scheinen 
ihre Bevölkerung verhältnissmäßig spät erhalten zu haben. Freie Leute 
in Uri werden zum ersten Mal um die Mitte des neunten Jahrhunderts 
genannt, und gar viel früher wird das Land schwerlich eine förmliche 
Bevölkerung gehabt haben 15). Es ist daher keineswegs unmöglich, daß 
gleich die erste alemannische Bevölkerung des Landes eine christliche 
war. Das hindert indessen keineswegs, dafs dieselbe bei ihrer Ein- 
wanderung Reste alemannischen Heidenglaubens aus frühern Wohnsitzen 


10) Guillaume Tell, fable danoise. 1760 (anonym). 11) Kopp, Geschichts- 
blätter 11, 362 ff, Lütolf, Germania IX, 222, Huber, Die Waldstätte. S. 127. 12) Ger- 
mania XIV, 294, Anm. 3, wo ich aus Versehen auch dem Toko das Boot zugeschrieben 
habe, 19) J. R. Burckhardt im Archiv ἢ schweiz, Geschichte IV, 95 ff. 


DIE TELLSAGE. 167 


mit sich bringen konnte, wie sich denn auch außer der Schützensage 
dergleichen Spuren in den Waldstätten finden 15). Was aber allerdings 
dieser Annahme bis zu einem gewissen Grade entgegensteht, ist einmal 
die in manchen Einzelheiten sehr große Ähnlichkeit mit Saxos Erzäh- 
lung 15), und zweitens das schon angedeutete Eindringen eines dem 
mythischen Kern der Sage fremden Zuges, der Schiffahrt. Saxo schil- 
dert freilich seinen Toko als Schlittschuhläufer, und es muß derselbe 
seine Kunst an einem felsigen Abhang beweisen, welcher sich an das 
Meer hinabsenkt. Bei der Erwähnung des Schlittschuhs (eigentlich Skid- 
schuhs 16) braucht er nun aber seltsamer Weise fortwährend den Aus- 
druck ‚Fahrzeug‘ (vehiculum), ja er spricht sogar von einem möglichen 
Schiffbruche (naufragium), und erzählt zuletzt, wie Toko wider Erwarten 
den ‚Anker der Rettung‘ (salutis anchoram) ergriffen habe. Diese Über- 
tragung von Ausdrücken der Schiffahrt auf das Skidschuhlaufen mag 
als poetische Licenz des Schriftstellers allerdings entschuldigt werden, 
sie konnte aber, wenn die Erzählung von Tokos Fahrt in Gegenden 
gelangte, in welchen jene Kunst völlig unbekannt war, leicht zu Miss- 
verständnissen führen. 

Die ersten Nachrichten über den Schützen Tell auf schweizerischem 
Boden stammen aus dem fünfzehnten Jahrhundert; sie sind aufgezeichnet 
in der Chronik des sogenannten weißen Buches im Archiv von Obwal- 
den 17). Saxos Geschichtswerk hingegen ist nicht vor dem Jahre 1514 
gedruckt worden. Wenn also die Tellsage auf der dänischen von Toko 
und König Harald beruht und derselben nachgebildet ist, so muß letztere 
entweder auf handschriftlichem oder auf mündlichem Wege nach der 
Schweiz gekommen sein. Erwägt man, wie nachweisbar schon um 1440, 
möglicherweise aber schon früher, der Versuch gemacht wurde, den 
Bewohnern der Waldstätte im Gegensatze zu ihren Nachbarn in den 
ebenen nördlichen Theilen der Schweiz einen fremden nordischen Ursprung 
anzudichten 15), so wäre es nicht unmöglich, daß auch die Tellsage im 
Zusammenhang mit diesen Bestrebungen stünde. Man suchte sich viel- 
leicht Abschriften skandinavischer Geschichtswerke zu verschaffen; dal 
unter diesen nach Saxos dänischer Geschichte zuerst gegriffen wurde, 
ist leicht begreiflich, einmal wegen der Bedeutung dieses Werkes über- 


14) Lütolf, Germania IX, 223; doch ist Lütolf im Allgemeinen zu sehr geneigt, 


alles unmittelbar auf heidnische Mythen zurückzuführen, 18) Kopp a. ἃ. O. hat 
die auffallendsten Ausdrücke und Wendungen auch durch den Druck hervorgehoben. 
16) Augsb, Allg. Zeitung. 1854, Nr. 206. S. 3286 a. 11) Vischer a. a. Ὁ. 8. 33. 


18) J. R, Burckhardt a. a. O. S, 80. 


168 KARL MEYER 


haupt, und dann, weil dieselbe in allgemein verständlichem Latein und 
nicht in der unverständlichen Sprache des Nordens geschrieben war. 

Indessen es genügt ja nicht, bloß diejenigen Gründe anzuführen, 
welche für die Möglichkeit einer Entlehnung sprechen, es müssen viel- 
mehr auch die entgegenstehenden erwogen werden. Da fällt es nun 
schwer in’s Gewicht, daß man — und zwar mit Recht — die Dar- 
stellung des weißen Buches im Vergleich mit andern Chroniken eine 
frische und ungekünstelte genannt hat 15). Nun ist es doch beinahe 
unmöglich, ἀα in dem kurzen Zeitraume von wenig mehr als einem 
Menschenalter, welcher zwischen Saxos Geschichtswerk und den Ereig- 
nissen von 1247, welche zum Theil die Veranlassung und den Stoff zu 
dem ganzen urschweizerischen Sagencomplex lieferten 35), eine nur 
importierte Sage so feste Wurzeln schlug, daß sie mit jenem völlig 
verwuchs. Im Gegentheil ist anzunehmen, dafs speciell im Lande Uri 
die Schützensage schon längst jene epische Gestaltung angenommen 
hatte, durch welche ihr möglich wurde, mit den sagenhaft gewordenen . 
Ereignissen von 1247 zu verwachsen. Wie weit aber letztere gerade 
Züge enthielten, welche den episch gestalteten Mythus anziehen mußten, 
ist jetzt bei dem gänzlichen Mangel an urkundlichen Zeugnissen nicht 
mehr nachweisbar. Wenn ferner die oben versuchte Deutung von Tells 
Namen richtig ist, so schließt sich derselbe unmittelbar an den schon 
besprochenen Mythus an; Saxos Toko braucht alsdann nicht Bindeglied 
zwischen Eigel und Tell gewesen zu sein. Daß endlich Saxo schon im 
dreizehnten Jahrhundert in den Alpen bekannt gewesen sei, ist mehr 
als zweifelhaft; für eine spätere Zeit läßt es sich nicht bestimmt in 
Abrede stellen; aber ein bedeutender Einfluß auf die Gestaltung der 
Tellsage und dessen, was mit ihr zusammenhängt, ist ihm in keinem 
Falle einzuräumen. 

Also vermenschlichter Mythus im Norden wie im Süden des ger- 
manischen Sprachgebiets. Auch in den mittlern Gegenden war derselbe 
keineswegs unbekannt, wenn anders die Erzählung der Thidrekssage in 
diesem Punkte ursprünglich niederdeutschen Quellen folgt. Der Mythus 
war also ein den verschiedenen germanischen Stämmen gemeinsamer, 
und die Alemannen haben ihn ebenfalls gekannt. 

Zu der Schale, welche den mythischen Kern der Schützensage 
umgibt, muß ein anderer Zug ebenfalls gerechnet werden, nämlich 
Tells Tod im Schächenbach. Zwar Pfannenschmid (Germania X, 28) 
will auch diesen in den Kreis des Mythischen ziehen; er sagt: „Tell 


19) Vischer a, a. O. $. 39. 2°, Ebend. 8. 151. 


DIE TELLSAGE. 169 


stirbt als Greis im Wasser, entspricht dem Mythus, daß. Wodan als 
Greis, d. i. Wodan auf der Neige der sommerlichen Jahreshälfte, von 
den Herbstgewittern und Regenwettern überwunden wird.“ Ich halte 
es für's erste für unnöthig, den Meisterschützen um jeden Preis mit 
Wodan zu identificieren; zweitens aber bietet sich gerade in diesen 
Worten ein schlagendes Beispiel für die schon angedeutete Pflicht des 
Sagenforschers, auch die historischen Umstände, unter welchen eine 
Sage erwuchs, in den Kreis seiner Betrachtungen zu ziehen. Vischer 
hat nämlich (a. a. Ὁ. S. 145) nachgewiesen, daß Tells Tod im Schächen- 
bach gar nicht auf der Volkssage, sondern bloß auf Vermuthung der 
Gelehrten beruht. 

Endlich Tells Schlaf im hohlen Felsen und seine dereinstige 
Wiederkehr. Es ist bekannt, daß nach heidnischem Volksglauben die 
Götter in der sogenannten Götterdämmerung untergehen, später jedoch 
in der neu verjüngten Welt wieder zum Vorschein kommen. Damit 
hängt die von J. Grimm 21) so genannte Bergentrückung derselben zu- 
sammen. Allein so wenig als alle diejenigen Wesen, welche in mittel- 
alterlichen und auch in neuern Sagen im hohlen Berge schlafen, deß- 
halb sofort als Götter zu betrachten sind, ebenso wenig gilt dieses für 
unsern Tell. An und für sich zwar wäre solches bei einem mythischen 
Wesen wie Tell ganz wohl denkbar; nur müßten die hiefür als Belege 
angeführten Quellen viel älter sein, als sie in Wirklichkeit sind. Wenn 
daher W. Menzel (Odin. S. 340) die schlafenden Tellen ohne alle Um- 
stände als den schlafenden Gott Odin auffasst, so ist das ein mindestens 
sehr gewagtes Unternehmen, bei welchem auch die Dreizahl der Schläfer 
noch einige Schwierigkeiten bietet. 

Die drei Tellen sollen nämlich „nach einer neuern Volkssage,“ 
welche der jüngere J. R. Wyss (Alpenrosen auf das Jahr 1816, S. 79 ff). 
dichterisch bearbeitet hat, in einem Felsen des Rütli ihren unterirdischen 
Zauberschlaf halten, bis die Noth des Vaterlandes sie hervorruft. Auch 
in das Dominiloch am Pilatus werden dieselben von der Unterwaldner 
Sage versetzt 35). Wer das Gedicht von Wyss gelesen hat, wird schwer- 
lich geneigt sein, dieser Sage ein höheres Alter als den Schluß des 
vorigen Jahrhunderts zuzuschreiben. Schwerer ist es hingegen, zu ent- 
scheiden, ob die Sage überhaupt echt ist, oder ob sie auf bewusster 
Speculation beruht. Jedesfalls kann sie nicht, wie z. B. der im thüringi- 
schen Kyffhäuser schlafende Barbarossa, unmittelbar auf Wodan zurück- 


21) Mythologie 903 ft. 32) Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf 
Orten Lucern, Uri, Schwitz, Unterwalden und Zug. Lucern 1862. S. 17, 56. 


170 KARL MEYER, DIE TELLSAGE. 


geführt werden. Älter ist allerdings das Erscheinen von drei Tellen. 
Es ist diese Benennung zuerst drei Entlibuchern zu Theil geworden, 
welche beim Ausbruch des Bauernkrieges am 15. Februar 1653 in alter 
Schweizertracht den aufständischen Bauern ihrer Landschaft voranzogen. 
Sie findet sich gebraucht in einem Werke, welches den Titel führt: 
„Der große Volksaufstand in der Schweiz, oder: Der sogenannte Bauern- 
krieg im J. 1653;“ aus handschriftlichen Chroniken und Berichten, Tag- 
satzungsabschieden und andern bisher meist unbenützten Quellen treu 
dargestellt in 4 Büchern (Helvetia VI, 5. 33 ff. Aarau 1830); 5. 88, 
Anm.; vgl. S. 90, 597. Verfasser des namenlos erschienenen Werkes 
ist der im Jahre 1857 zu Solothurn verstorbene Dondecan Alois Vock 25). 
Leider hat derselbe es versäumt, seine Quellen im Einzelnen zu eitieren, 
so daß nicht genau zu ermitteln ist, ob die Benennung wirklich aus 
dem Jahre 1653 stammt, oder ob Vock dieselbe zum ersten Male ge- 
braucht hat. Mir scheint ersteres das wahrscheinlichere; allein auch 
zugegeben, dal} die erste Erwähnung von drei Tellen dem siebenzehnten 
Jahrhundert angehört, so liegt zwischen letzterm und Wodan noch ein 
gewaltiger Zeitraum. Allem Anscheine nach ist diese Benennung zur 
Zeit jenes Bauernaufstandes zuerst aufgekommen und speciell drei 
lebendigen Entlibuchern zu Theil geworden; mag dann die Übertragung 
derselben auf drei im hohlen Berge Schlafende durch die dichtende 
Volksphantasie selbst geschehen sein, oder mag sie auf bewusster 
Speculation eines Einzelnen beruhen, jedesfalls ist dieselbe noch jünger 
als die drei Tellen des Jahres 1653. In letzterm Falle würde aller und 
jeder Zusammenhang mit mythischen Reminiscenzen abzuweisen sein; 
im erstern würden die schlafenden drei Tellen sich zu jenen zahlreichen 
mittelalterlichen und modernen Volkshelden stellen **), auf welche die 
Sage einen ursprünglich allerdings mythischen Zug übertragen hat; 
denkbar wäre es an und für sich wohl, daß die besiegten Bauern ihre 
drei Helden in dieser Weise verherrlicht hätten. 


232) Vgl. Zur Erinnerung an den Herrn Domdecan Alois Vock. Programm der 
Aargauischen Kantonsschule, Jahrg. 1858. S. 2. 34) Simrock, Mythologie ?. S. 160 ft. 


KARL REGEL, DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 1171 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 


VON 


KARL REGEL. 


Die große halbsächsische Umdichtung des altfranzösischen Roman 
de Brut, welchen bekanntlich Wace auf Grund von Gottfried von 
Monmouths Historia regum Britanniae in der zweiten Hälfte des zwölften 
Jahrhunderts verfasst hat, geht über diese ihre Urschriften so weit und 
so selbständig hinaus, und ist überhaupt ein so merkwürdiges und rei- 
ches Denkmal aus jenen ersten Jahrhunderten nach der normännischen 
Eroberung, in welchen die germanische Volkssprache Englands zwar 
nicht mehr ohne merklichen Abfall von der Fülle und Reinheit des 
eigentlich angelsächsischen Idioms, aber doch noch fast ohne alle 
Mischung mit der in den feudalen Kreisen herschenden französischen 
Sprache kräftig und mannigfaltig fortlebte, daß es sich bei der ver- 
hältnissmäßig immer noch beschränkten Bekanntheit dieser Dichtung 
in Deutschland wohl der Mühe verlohnen wird auf einige charakteri- 
stische Seiten derselben besonders hinzuweisen, um ihrem Werthe für 
die Wissenschaft eine noch ausgedehntere Anerkennung zu verschaffen, 
als sie bis jetzt gefunden zu haben scheint. Wir besitzen das 32241 
Verse umfassende Gedicht in einer sehr sauberen und brauchbaren 
Ausgabe (Lajamon’s Brut or Chronicle of Britain; a poetical semi- 
saxon paraphrase of the Brut of Wace. Now first published from the 
Cottonian Manuscripts in the British Museum, accompanied by a literal 
translation, notes, and a grammatical glossary by Sir Frederic Mad- 
den, K. H., Keeper of the MSS. in the British Museum. 3 volumes. 
London, published by the Society of Antiquaries of London. 1847), 
welche mit einer für das genauere Studium dieser nachangelsächsischen 
Sprachstufe höchst dankenswerthen Enthaltsamkeit die unter sich sehr 
verschiedenen Texte der beiden Handschriften in ganz getreuem, nur 


172 KARL REGEL 


die offenbarsten Fehler vorsichtig verbesserndem Abdruck neben ein- 
ander stellt und dadurch auf sehr willkommene Weise einen unmittel- 
baren Einblick in die handschriftliche Gestaltung des Gedichtes gewährt. 
Uber die Heimat des anglischen Dichters und über den localen Charakter 
der von ihm gebrauchten Mundart (Nortb-Worcestershire), über die 
wahrscheinliche Abfassung der Dichtung um 1205, über ihre vielfachen 
materiellen Abweichungen von dem französischen Vorbilde und über 
ihr ganzes selbständiges Verhältniss zu ihren Quellen hat der gelehrte 
Herausgeber sich in seiner Vorrede so gründlich und überzeugend aus- 
gesprochen, daß uns über alle diese interessanten Fragen kaum irgend 
etwas wesentliches hinzuzufügen übrig bleibt; auch über die Sprache 
und die poetische Form des Lajamon hat sich Madden ebendaselbst 
in treffenden und für seinen Zweck völlig ausreichenden Andeutungen 
geäußert; aber diese formelle Ausführung in Wortklang und Tonfall, 
Wortgebrauch und Ausdruck, Anschauung und Wendung bildet bei 
einer mittelalterlichen germanischen Umdichtung französisch zuge- 
richteter celtischer Sagenstoffe so sehr die originale, für die deutsche 
Wissenschaft werthvollste Hauptseite des Werkes, daß wir uns für 
gerechtfertigt halten, wenn wir einigen Puncten derselben eine näher 
eingehende Betrachtung zuwenden, um nachzuweisen, wie stark und 
unversieglich noch im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, also nach 
anderthalbhundertjährigem Bestehen der gewaltthätigsten Fremdherr- 
schaft, in dem angelsächsischen Volke der alte Strom des volksthüm- 
lichen Sprach- und Dichtergeistes lebendig und lebenzeugend fort- 
rauschte. 


Die poetische Klangform. 


Über die eigentlich metrische oder rhythmische Form des Lajamon 
ist nur wenig zu sagen: sie ist sehr kunstlos, indem das Gedicht aus 
Verspaaren besteht, welche in freiem Wechsel meist aus drei oder vier 
Hebungen mit entsprechenden Senkungen aufgebaut sind, zuweilen 
aber auch nach dem Bedürfniss des Sinnes eine oder einige mehr auf- 
weisen. Dagegen nimmt die starke und höchst eigenthümliche Ent- 
wickelung des Gleichklanges unsere Aufmerksamkeit in vorzüglichem 
Maße in Anspruch. Die behagliche Freude am Gleichklang der ver- 
bundenen Wörter, welche allen germanischen Stämmen in ihren Dich- 
tungen wie in ihrer sinnlich erregten und darum dichterisch gefärbten 
Rede mit so großer Stärke eingeboren ist und sich ursprünglich nur 
am Anlaut im Stabreim, dann auch am In- und Auslaut im Anklang 
und völligen Endreim überall so reichlich bethätigt hat und noch be- 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 173 


thätigt, daß wir sie geradezu als einen der wesentlichsten Grundzüge 
des germanischen Sprachcharakters anerkennen müssen — diese echt- 
deutsche Klangfreude beherscht die ganze äußere Form des Lajamon 
in einer für seine Zeit wirklich merkwürdigen Ausdehnung und Viel- 
seitigkeit; denn während fast überall in der damaligen Kunstpoesie der 
Endreim ausschließlich galt und sich namentlich der sorgsamsten Aus- 
bildung und Pflege unserer höfischen Dichter zu erfreuen hatte, walten 
hier alle Arten und Formen des Gleichklangs in üppigster Entfaltung 
neben einander, bald sich gegenseitig ablösend, bald sich unmittelbar 
mit einander verbindend, zuweilen auch sämmtlich vor der trägen 
Schwunglosigkeit prosaischer Stellen zurückweichend. Diese auffallende 
Erscheinung erklärt sich am einfachsten daraus, daß der Dichter zwar 
im Anschluß an sein französisches Vorbild den Reim wie ein unum- 
gängliches, obwohl ihm eigentlich fremdes Gesetz halb widerwillig, und 
darum auch weder consequent noch in reiner Ausprägung, für sein 
Werk angewendet hat, daß er aber als guter Angelsachse von seiner 
tiefgewurzelten Neigung zur Alliteration in jeder gehobeneren Dichter- 
stimmung sich unwillkürlich fortreißen läßt dem natürlich angebornen 
Klanggesetze neben dem künstlich angenommenen Raum zu geben; für 
eine solche Auffassung spricht wenigstens sehr deutlich der Umstand, 
daß durch das ganze Gedicht hindurch die alliterierenden Wortbindungen 
immer da in der größten Fülle und stetigsten Folge hervortreten, wo 
die poetische Darstellung am stärksten aus dem Tone der Nachbildung 
in die schwungvolle Lebendigkeit volksthümlicher Dichtung übergeht, 
was vorzugsweise in den zahlreichen Kampfschilderungen und in leiden- 
schaftlich bewegten Reden der Fall ist. 

Wir haben also hier ein Dichterwerk von sehr unregelmäßiger, 
wundersam belebter Form vor uns, deren verschiedene Seiten wir nun 
nach einander etwas näher veranschaulichen wollen. 

Was zuerst den Reim anbetrifft, so ist derselbe, wie schon gesagt, 
für unseren Dichter nur ein äußeres fremdgebliebenes Gesetz, welches 
zu seinem inneren Geiste nur in schwachem oder in gar keinem Ver- 
hältniss steht und darum auch nur eine sehr geringe Entwickelung 
erfahren hat, ungefähr so wie wir dies bei den ahd. Dichtern des neunten 
Jahrhunderts bemerken, welche, der eben vor ihnen noch geübten 
Alliteration den Rücken wendend, die neue Regel schüchtern und 
ungeschickt zu befolgen anfangen. Neben vielen guten vollständigen 
Reimen (wie z. B. dajen : islajen 10932, 33; lond : hond 11208, 9; ping : 
king 12269, 70; broder : oder 14702, 3; flonnen : monnen 14714, 15; song : 
imong 22701, 2: holden : onwolden 24011, 12; rihtes : enihtes 13399, 400; 


174 KARL REGEL 


speken : breken 24025, 26 u. s. w.) stehen weit mehr unvollkommene, in 
denen entweder noch eine volle vocalische Assonanz stattfindet (wie 
z. B. wuste : durste 2651, 52; ride : blisse 3874, 75; redden : leggen 6681, 82; 
ribben : amidden 8153, 54; Herigale : sare 8179, 80; bujen : iwurden 9505, 6 
u. ähnl.), oder volle Gleichheit der unbetonten Endsilbe mit den vor- 
ausgehenden Consonanten (wie z. B. bi-tache : riche 3542, 43; sunde : 
londe 4967, 68; monne : Brenne 5746, 47; tidinde : londe 6433, 34; sode : 
cude 9502, 3; finden : feonden 25775, 76; breoste : faste 25835, 36; bedde : 
cudde 26343, 44; wendest : ledest 26255, 56 u. a.), und noch häufiger 
ohne dieselben (wie z. B. sune : iwide 10524, 25 ; beornes : Bruttes 11282, 83; 
daeijen : bitachen 11310, 11; kinge : cwene 11468, 69; worhten : makeden 
12135, 36; luuen : leoden 12491, 92; walden : willen 13351, 52; laeue : 
lide 13365, 66; Keredie : sellie 14317, 18 u. s. w.), oder in denen der 
Anklang durch Ungleichheit des Auslautes noch weiter zurücktritt (wie 
z. B. lond : strong 9250, 51; gold : lond 13389, 90; uared : kare 14668, 69; 
icumen : sune 14596, 97 ; biwedded : bedde 14600, 1 ; madmes : mare 15046, 47 ; 
Ffole : wolde 15132, 33 u. a. m.). Wenn nun aber diese wenigen, aus tausend 
ähnlichen nur flüchtig herausgegriffenen Beispiele deutlich lehren, daß 
der reine Endreim als durchgreifendes Bindungsgesetz im Laja- 
mon noch durchaus auf der schwankenden mangelhaften Entwickelungs- 
stufe einer fremdher aufgenommenen, nicht lebendig gewordenen äußer- 
lichen Regel steht, deren Wirksamkeit sich meist auf ein ganz geringes 
Maß beschränkt und sehr oft völlig verschwindet, so hat diese Erscheinung 
lediglich darin ihren Grund, daß dem Dichter für diesen Zweck (klang- 
volle Bindung der Verspaare) das alte volksthümliche Gesetz des Stab- 
reims mit weit überwiegender Stärke im Bewußtsein gelegen hat, keines- 
wegs aber darin, daß ihm überhaupt der Sinn für den vollständigen 
Gleichklang der Wörter noch verschlossen gewesen wäre. Denn eines- 
theils wendet er mehrere Formeln des Binnenreims in solcher Aus- 
dehnung an, dafs daraus sein Behagen am auslautenden Reim ganz klar 
ersichtlich wird; dahin gehören vorzüglich folgende: 

wide and Kane 433. 4961. 29902 od. widen and siden 139. 15405. 
17018. 18185. 22711 weit und breit (ags. vide and side od. side and 
vide 5. Grein gloss. 2, 442); — grid and frid Friede und Ruhe; in der 
ags. Poesie ist diese Formel nicht geläufig, doch gibt Grein (gl. 1, 527) 
die Stelle: ponne nam man grid and frid vid hi Chron. Sax. 1011. Im 
Lajamon begegnet die Verbindung sehr häufig, z. B. her waes grid, her 
wes frid 28758; for god is grid and god is frid 24957; inne (in) gride 
and, inne (in) fride 2520. 3874. 6431. 22723; mid gride, mid fride and 
mid lufe 31598; mid gode gride, mid gode fride 19280; biwinnen grid 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 175 


and frid 23339; halden grid and frid 2816. 13013. 9912, 13; setten grid 
and setten frid 15164. 18486. 22221. 30031; auch die entsprechenden 
Zeitwörter: jif bu me wult gridien and bu me wult fridien 16803, 4; — 
wop and rop Weinen u. Geschrei (keine entsprechende ags. Verbin- 
dung, aber mhd. rüefen unde wüefen Ben. 3, 825° und afrs. wepande and 
‚ropande Richth. 829. 1135): ber wes wop, ber wes rop 12540. 15066. 
23563; her wes wop and her wes rop 20439; esne wop and hesne rop 
21929. 

Vereinzelte Formeln dieser Art sind: weopende he cleopede 
klagend rief er 29645; — mid griden liden in Frieden ziehen 23998; — 
ladde and radde leitete und berieth 20034; — draf and chaf Streu 
und Spreu 29256. 

Anderntheils aber ergibt sich die lebhafte Freude unseres Dichters 
am vollen Gleichklang ganz besonders deutlich aus seiner sehr häufig 
hervortretenden Neigung zur Wiederholung mehrerer Wörter am 
Anfange aufeinander folgender Verse, in denen mit naiver Ein- 
dringlichkeit die Verschiedenheit der entgegengesetzten Begriffe durch 
die absolute Gleichheit des übrigen Satzgerüstes hervorgehoben wird, 
so daf5 solche Wiederholungen nicht nur in hohem Grade das sinnliche 
Bedürfniss des Gleichklanges befriedigen, sondern zugleich auch eine 
in ihrer natürlichen Einfalt höchst nachdrückliche rhetorische Figur 
bilden, deren sich unter den neueren englischen Prosaikern namentlich 
Macaulay zur scharfen Ausprägung seiner geistvollen Antithesen häufig 
mit imposanter Wirkung bedient hat. Im Lajamon zeigt sich diese 
Neigung sehr häufig in Beispielen wie folgende: 

king wes widuten, king wes widinnen 16192, 93; pe king heom lette 
Feden, pe king heom lette scruden 19732, 33; and ich heom wulle raeden, 
and ich heom wulle leden 20266, 67; to gadere heo weoren ibredde, to 
gadere heo weoren iuedde 30071, 72; to somne me heom tahte, to somne 
me heom tuhte 30079, 80; ful swide us maei scomien, ful swide us maei 
gromien 25215, 16; enihtes eoden to raede, cnihtes eoden to rune 19238, 39; 
vgl. 17378 Ε΄; 20327, 28; he hine iclupte, he hine custe, he hine cudlaehte 
17101—3; he wes brad, he wes muchel, he wes unimete 17866, 67; wa 
wes ban Brutten, wa wes han kinge 18345, 46; and alle heo beod for- 
sworene, and alle heo beod: forlorene 21185, 86; heo elumben uppen hallen, 
heo elumben uppen wallen, heo elumben uppen bures, heo clumben uppen 
tures 23885—88; ferden heo aest, ferden heo west, — ferden heo sud, 
ferden heo nord 23223, 25 u. ähnl. 17019—22; he jef seoluer, he jaef 
gold, he jef hors, he jef lond 24725, 26 u. ähnl. 24111—14; he wileumede 
eorles, he wileumede beornes 16911, 12 u. ähnl. 18502—4; 22867 —70; 


176 KARL REGEL 


22775—77, 24309 ff., 29693 ff., 31825 ff. Oft aber wird die Wieder- 
holung auch mit ebenso großer Simplieität zum Ausdruck dringender 
Aufforderung gebraucht, z. B. beod stille, bed. stille 19172; sitted, sitted 
swide! 22827; bilaeued, bilaeued swide pas enihtes on liue! 24851, 52; 
halded heom, halded! 26473; aris, aris, feond-scade! 26039; nu heom to! 
nu heom tof 21243; — oder in ganz alterthümlicher Weise zur starken 
Versinnlichung des Zusammentreffens der gleichen Dinge (vgl. im Merse- 
burger Zauberlied: ben zi böna, bluot zi bluoda, lid οἱ geliden), z. B. side 
bi side 19824; hond ajan honde, strongne ajein strongne, sceld. ajein scelde 
26699— 701. 

Durch alle diese Formen des Gleichklangs bricht nun die Α {{{- 
teration überall mit weitüberwiegender Stärke hindurch, und sie nimmt 
daher unsere Aufmerksamkeit in besonderem Grade in Anspruch: frei- 
lich ist die alte strenge Technik der ags. Dichter im Lajamon so sehr 
verschwunden, daß das regelrechte Auftreten der Stäbe nur als Zufall 
und Ausnahme, nicht als sicheres Gesetz erscheint, wo es noch vor- 
kömmt; daß aber das Wohlgefallen des Dichters an der Gleichheit des 
Anlauts sich nicht auf die Wiederholung überlieferter Alliterations- 
formeln beschränkt, sondern daß sein, Alliterationstrieb mit schöpferi- 
scher Lebendigkeit immer neue Verbindungen dieser Art bildet, das 
ergibt sich am deutlichsten wohl daraus, daß diejenigen Kigennamen, 
welche nicht der volksthümlichen Tradition des anglischen Umdichters, 
sondern der Sagengeschichte seiner celtisch-französischen Quellen an- 
gehören, von ihm fast immer in alliterierende Bindungen gebracht wer- 
den. So heißt es Cadwan he kene 29924; 29985, 86; Selemon pe sele 
and Cadwalan pae kene 30928, 29; bus Howel spilede hext of Brutaine 
25179, 80; to Howeles castle hach mon inne Bruttene 25883, 84 u. ähnl. 
25895, 96; he Beduer cleopede balde his kempe 26105, 6; pa andswarede 
Frolle, freo he wes an heorte 23573, 74; wid Frolle bat is Frrancene 
king 23392, 93, ähnl. 23651, 52. 23428, 29; Margadud smonnen alre 
uaejerest 29925, 26; Momanisce leoden sunden swa raeie 24927, 28; vgl. 
27350, 51. 26689, 90. 26920, 21. 27772, 73; ford gunnen riden Roma- 
nisce leoden 27346, 47 u. ähnl. 26916, 17; Pa weoren Momleoden reou- 
liche üladde 27496, 97 u. ähnl. 27526, 27; Luces pe lauerd of Rome 
27368, 69; ha isch Luces, pat ludere him ilimped waes 27134, 35; benne 
heo Bruttes haefden mid Ibronden to-haeuwen 31182, 83. 

Ebenso willig binden sich die heimischen Namen mit Wörtern 
gleichen Anlauts, ohr.e daß diese Bindungen deutlich den Charakter fester 
Formeln trügen; z. B. iwis je beod Aenglisce englen iliechest 29481, 82; 
hat seiden men Anglisce adele iborne 29475, 76; Colgrim and Baldulf 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 177 


mid baldere strengde 20621, 22 u. ähnl. 21319, 20; dreof heom mid his 
wepnen ut ouer Wejen 29939, 40; west him gon wenden in to pe Walsce 
londen 29319, 20; wende riht bene wai, be touward Winchaestre lai 
28736, 37; he for ouer Humbre Hhijenliche swide 30381, 82 u. ähnl. 
31475, 76; ouer baere Humbre and grid ber halden 30203, 4; and her- 
berje token a-neouweste bi-jeonde here Humbre 28878, 79; bat Saexisce 
uole hat sorjen us bihated 20625, 26; seil heo drojen to hume and comen 
to Sud-hamtune 28978, 79. 

Manche dieser Bindungen tragen nun augenscheinlich ein altes 
volksthümliches Gepräge, wenn sich ihnen auch aus den ags. Dichtern 
die älteren Vorbilder nicht entgegenstellen lassen; z. B. Ziden into (tou- 
ward). Lundene 28694, 95. 28704, 5. 30143, 44; we sunden men Sexisce 
selest of pan cunne 29034, 35; Sexisce men sone seileden to londe 28876, 77 
u. ähnl. 28796, 97; he hefde ituht to herie abas half pare Humbre 30185, 86; 
touward Nord-humbre haermes he wrohte 30379, 80 u. ähnl. 28798, 99. 
17528, 29; purh bene mucle haerm, pa Hengest heom wrohte 16144, 45 
u. äbnl. 16018, 19. 16547, 48; hat Octa Hlengestes sune wes haedene 
bicume 18260, 61; Zdengest enihtene alre hendest 14662, 63. 16325, 26; 
he sende Hengest word and Horse his broder 14652, 53. 

Bei einigen dieser Formeln aber liegt der Anschluss an geläufige 
ältere Bindungen deutlich vor: wenn z. B. im Lajamon sehr häufig 
verbunden wird Ardur adelest kingen ‚oder kingene adelest (20054, 55. 
20100, 1. 20248, 49 und oft), so erinnert das sehr an ags. Verbindungen 
wie Eddvearde ädelum cinge Edw. 13; wenn es im Laj. heißt: per wes 
ba adele eorl Aldolf ihaten 16234, 35, oder: edi seo pu, Aldolf, eorlene 
adelest 16559, 60, oder: be eorl Aldolf scal beon ure aldre 19104, ὃ, 
so ist das sehr ähnlich wie ags. eorla ealdor, pam väs Edädveard nama 
Edg. 32, oder pä veard äfeallen päs folces ealdor, Ädelraedes eorl Byrhtn. 
202, 3, oder Eddveard se ädela Edw. 24; und solche Verbindungen 
unseres Dichters wie fare we to Rome and iwinnen ba riche 25213, 14, 
bene riche mon of Bome 26802, ruren per to grunde riche BRomleoden 
27986, 87 haben ihren ganz sicheren Vorgang in vielen ags. Dichter- 
stellen, vgl. Römvara in rice Elen. 9 u. ähnl. ib. 40. 59. 62. Hymn. 
10, 26. ρᾶ väs Römana vice gevunnen Älfr. metr. 1, 17; vgl. ib. 9, 3. 
4. 10. 11. pa ricostan Römana vitan ib. 9, 25. se rica Römana vita 
ib. 10, 44. 

Wir sehen also aus dieser vorläufigen Betrachtung, daß bei unserem 
Dichter der Alliterationstrieb einerseits in hinreichender Stärke lebendig 
ist, um jedem Bedürfniss durch neue Combinationen dienen zu können, 
und daß sich derselbe andrerseits überall gerne an die in der älteren 

GERMANISTISCHE STUDIEN. 12 


178 KARL REGEL 


Poesie vorliegenden, volksthümlich geläufigen Wortbindungen 
anlehnt; auf diese letzteren aber kann es uns hier nur allein ankommen, 
da sie als formell befestigte Verbindungen naturgemäß zusammen- 
gehöriger Begriffe eine beachtenswerthe Seite der allgemeineren Phra- 
seologie bilden und daher einen werthvollen Beitrag zur Sprachgeschichte 
zu liefern vermögen. Ich will darum die im Lajamon auftretenden 
Alliterationsformeln, welche mir ein solches Interesse für die volks- 
thümliche Ausdrucksweise des nachangelsächsischen Sprachgebiets zu 
gewähren scheinen, nach den hierbei in Frage kommenden Haupt- 
kategorien verzeichnen, und es wird sich dabei ganz von selbst die 
Gelegenheit ergeben, sowohl Entsprechendes aus anderen Gebieten 
beizufügen, als auch die verschiedenen Arten der alliterierenden Wort- 
verbindungen überhaupt zu beleuchten. 

Wenn wir zunächst den ganz äußerlichen Gesichtspunkt des 
etymologischen Verhältnisses der gebundenen Wörter walten lassen, 
so finden wir, daß gewiß sehr häufig und vielleicht am allerfrühesten 
die sehr natürliche Neigung, Wörter desselben Stammes mit ein- 
ander zu verbinden, den sinnlichen Anstoss zur Bildung solcher For- 
meln gegeben hat. Davon weist Laj. besonders folgende Beispiele auf: 

beoden bod ein Gebot geben: pa bed he his bod allen his beornen 
23407, 8. 

bidden beoden Gebete verrichten: bus heo — heore beoden bidded 
19722. 

binden mid bende in Bande legen: pe king heom lette binden mid 
rene bende 18458, 59; bei den mhd. Dichtern begegnen nicht selten 
Verbindungen dieser Art, z. B. bant dä mit ich si binde, daz sint al die 
sinne min Frauend. 126, 5. töt din slöz und din gebende bindet und be- 
sliuzet Wigal. 7793, und im afries. Landrecht heißt es: makie een band 
ende binden al deer mei Richth. 640”. Im Alts. und Ags. kenne ich nichts 
Ähnliches; dagegen tritt auf beiden Gebieten für den Begriff ‚in Ban- 
den liegen‘ eine gleiche Alliterationsformel mehrfach auf: ags. bidan 
in bendum Satan 49. Orist 147. Höllenf. 61. 88. und aits. an them ben- 

dion bidan H&l. 4684, bidön on bendiun ib. 4949. 

baernen, brune brennen, Brand: lete bi-leuen Pine brune, his lond 
be bu for-baernest 8255, 56; a burh born alle niht, he brune wes unimete 
29307, 8; ähnlich afıs. berna, brond Rhf. 670, 671; ags. nur brand, 
bryne: baeron brandas on bryne bläcan fires Daniel 246. 

comp, kempen Kampf, Kämpen: we bis comp scullen to-delen wid 
has uncude kempen 22799, 800. 

a daele daelen in Theile theilen: he a fif daele daelde his ferde 
21125, 26; so ags. dälum daelan Bi manna möde 22. Guthlac 25. Ähn- 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 179 


liche Verbindungen kommen natürlich überall vor, z. B. altfrs. en riucht 
del dela Richth. 682". ahd. teile δία in niun teil, in driu teil Grff. 5, 407. 
mhd. er wil aller selden teil mit uns teilen Mhd. Wb. 3, 21", 

dejen, dede sterben, Gestorbene: at no mihte pat fole burien pa 
dede, swide heo gunnen deje 31837, 38; per deijede pe quike uppen pen 
dede 31841, 42; in Eouerwicke he daeide, her pe king wes ded. 8987, 88; 
vgl. mhd. mit dem töde teun Mhd. Wb. 3, 62”. 

demen domes Urtheile sprechen: he haehte alle enihtes demen rihte 
domes 22115, 16; nu ich pe deme bene dom 16865; ebenso ags. döman 
döm oder dömas: Psalm. 118, 154; 81, 2; ib. 3. Dagegen gilt in dem- 
selben Sinne alts. dömös adelian H@l. 3317. 5257. 5421 und afrs. döm 
dela Rhfn. 690’, nebst den ebendahin weisenden gleichfalls häufigen 
afrs. Bindungen dema end dela, dömia end dela Rhf. 684. 690. 

faren, ferde ziehen, Heereszug; eine äußerst häufige Verbindung, 
z. B. whi nulle we ut faren and bonnien ure ferden 20737, 38; somne 
hine ferde and far to han aerde 17214, 15 u. ähnl, 18282, 83. 17258, 59. 
15456, 57. 23125, 26. 32164, 65. 26870, 71. 19086, 87; Pa wes ut ifaren 
from Ardures ferden 27018, 19 u. ähnl. 19072, 73; Uther wes ifaren ford 
mid his ferde 17686, 87 u. ähnl. 23357, 58. 31210, 11. 26251, 52. 28526, 27; 
20014, 15. 23457, 58; auch im Ags. taucht die Verbindung von faran 
und fyrd öfters auf: Elen. 35; Ps. 43, 11; Genes. 689; vgl. Exod. 330, 31; 
deutlich als wiederkehrende Formel erscheint sie im afrs. a nenre ferd 
ther hi fara scel und hiriferd fara Rhfn. 728°, und im mhd. eine vart 
varn, eine hervart varn, die hellevart varn Mhd. Wb. 3, 243% 

fihten, feht fechten, Gefecht: no uaeht ich nauere uaht non uppen 
hissere uolden 26119, 20; Pa haef pat fiht of pan studen, per heo aer 
 fuhten 27490, 91; fuhten wid bene king and mid faehte hine ouer-comen 
16663, 64. 

fluht, fleon Flug, fliegen: pa sparwen heore fluht nomen and 
flujen to heore innen 29275, 76; flujen after pere sae, swule heo fluht haf- 
den 21139, 40; nicht unmittelbar verbunden 2870—73; vgl. ags. ac ie 
sceal on flyge and on flyhte pragum earda neösan Satan 112, und mhd. 
die vlüge dö ze velde vlugen Krone 228° (Mhd. Wb. 3, 344°). 

bigalen mid galdere mit Zauberkünsten bezaubern: heo bigolen 
hat child mid galdere swide stronge 19256, 57; zu den beiden hier ver- 
bundenen Wörtern vgl. ahd. bigalan (thu biquolen Sinthgunt Merseb. 
Zauberspr.) und galstar Grff. 4, 179. mhd. galster Mhd. Wb. 1, 458°; 
die Verbindung selbst ist auf nord. und ags. Gebiete heimisch: altnord. 
gala galdr carmen magicum canere, gala bitra galdra effieacia carmina 


canere, galdra μέ mer φαΐ cantiones tu mihi cane, Egilss. 219°, gala 
12* 


180 KARL REGEL 


galdra Möb. 130; ags. galdorvordum galan Reiml. 24, und galdureräftas 
ägalan Ps. 57, 5. 

gleomen, gleo, gleowen Sänger, Gesang, singen: gleomen him 
weoren deore: he cude al beos songes and bat gleo of üleche londe 7004 
bis 6; hornes ber bleowen, gleomen gunnen gleowen 19212, 13; die ent- 
sprechenden ags. Wörter (gleö-man musicus, σίοό delectamentum, glivian 
laetificare Grein gl. 1, 515. 516) erscheinen nicht in solchen Bindungen, 
auch wo die Gelegenheit dazu nahe gelegen hätte, vgl. led väs äsun- 
gen, gleömannes gyd Beov. 1159, 60 und hyder ealdormen öfstum cöman 
and gegaderade gleove sungon on haera manna midle Psalm. 67, 24. 

graeten graetinge mit einem Gruß begrüßen: seie hine, bat ich 
hine gret godere gretinge 3550, δ]; gratte bene dureward godes graetinge 
17672, 73 und ähnlich: grette Rom-weren alle mid. graeten ane huse 
27880, 81; vgl. afrs. greta mit aefte greetwird mit echtem Grußwort 
grüßen, d. i. in der rechten Form anklagen Rhfn. 783”. 

gromien, grimliche ergrimmen, grimmig: Marline gromede and 
he grimliche spaec 15880, 81; ähnlich ags. häfde styrne möd. gegremed 
grymme Genes. 61; grimme grymetad Räts. 81, 3; etwas anders und 
weiter auseinander liegend: grimme—grame Psalm. 77, 63. 

haelen, hal heilen, heil: ich pe wulle helen and al hal makien 
17710, 11; pes king scal beon al hal ihaled an his willen 17734, 35; 
haelen, halind heilen, Heiland: seoke men he helde purh halindes mihte 
29541, 42; haelen, haelde heilen, Heilung: pa weoren Aelurices wun- 
den alle iheled, ah be helde was neodered 29991, 92; haelen (oder hal), 
haleweije heilen (oder heil), Heiltrank: al hal me makien mid, hale- 
wetje drenchen 28616, 17; heo sculde mid haleweie helen his wunden 23071, 72 
(dieses merkwürdige Subst. halewerje — altn. heilivdgr m. liquor medicus 
Egilss. 310°). Selbst die beiden fast identischen, aber auch in ags. hal 
und λαοί Grein 2, 6. 21 und engl. whole und hale formell geschiedenen 
Adjectiva hal, haeil erscheinen einmal in Bindung: wunied her hal 
and haeil 12528; vgl. mhd. daz ich nimmer wirde gesunt, mich enheile 
mines heiles funt; du alles heiles überheil; heil unde unheil Mhd. Wb. 
1, 651. 
| king, kinehelm König, Königskrone: be king hafde his kinehelm 
haehliche on haefde 8087, 88; he forbad pan kingen kinehelm to nimen 
30117, 18 u. ähnl. 30199, 200. 30293, 94; vgl. ags. cynehelm corona, 
diadema Grein 1,179; king — kineriche (kinelond) König, König- 
reich: heo wes Costantin king here of bessere kineriche 28754, 55 u. ähnl. 
28974. 29425. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 181 


ilaeuen, ilaewe glauben, Glaube: wulche beod aeoure ü-leuen, Pat 
je on i-leued 13889, 90; eouwer üleuen beod: vnwraste: je ne ileoued noht 
an Criste; ah je ileoued a bene wurse, be godd seolf awariede 13943—46. 

lif lübben ein Leben führen: buten he libben wolde his lif in pral- 
dome 29385, 86; pus pu miht libben a (immer) pin if 31697; und etwas 
anders on liwe libben in der Welt leben: swa Pu miht on liue libben 
alre saelest 15452, 53; ags. lif älibban, Dömes däg 63; on life lifian 
Ps. 62, 3; altnord. fa fenadar fi pecudum more vivere Egilss. 516*; 
vgl. mhd. leben verleben; lebendez leben Mhd. Wb. 1, 955. 

luren forleosen Verluste erleiden: bat he atwit us wre luren, 
hat we ifeoren habbeod: forloren 25023, 24. 

luuien, leofliche lieben, lieblich: luwien hire mid liste and mid 
leofliche bihaeste 18750, 5l; swide leoflic wes pe mon, his leoden hine 
luueden 31787, 88; vgl. 18544, 45. 6299, 300; luue, leof Liebe, lieb: 
for to uaestnen ba luuen of leofuen heore uaederen 30077, 78; ags. lufe- 
dun leöfvendum lifes ägend Urist 470, 71; vgl. Hymn. 8,3; Crist 1653; 
leöftael, lufsum Crist 913, 14; Panther 32; und die zahllosen mhd. Ver- 
bindungen dieser Art, 5. Mhd. Wb. 1, 1014—16. 

mengen imong — sich mischen unter —: no durste heo naeuere 
maengen imong Englisce monnen 31911, 12. 

mildse, milde Milde (Gnade), mild: bidden bane almihti godd 
burh his milde mod hat he heom jiue mildze 31390, 91; bidden hine mildee 
hburh bene milde godd 12271, 72; ähnlich 21889, 90. 8832, 33; imildsen, 
milde begnadigen, gnädig: imilce mi lauerd king purh bene milde godd 
16781, 82; vgl. ags. miltsa min god and me milde veord Psalm 56, 1 
u. ähnl. Ps. 66, 1. 68, 16. 

munec, munecelif Mönch, Mönchskloster: at Bangor wes a munec- 
clif mid muneken uniuoje 29717, 18; das Compositum kömmt nur noch 
einmal im Laj. vor (jeond chirchen and jeond muneceliuen 32218) und 
wird im Ormulum richtiger muneelif geschrieben (binnenn munechf 6292; 
i muneclif 6294. 6330), da es = ags. munuelöf n. vita monachalis, mona- 
sterium Etmüll. 221. altnord. munklifi, müklifi τι. Kloster Möb. gl. 307. 
mhd. münichlip m. Mönchsleben Mhd. Wb. I, 1004" ist. 

nimen inume die Gefangenen wieder fangen: Petreiun heo nomen 
and heore inume allen 26978, 79. 

plaeien plajen Spiele spielen: ber inne he pleojede his plajen, 
ba me luuede a peon dajen 29219, 20; to bihalden pa dujeden and hat 
fole plaeie — swule gomes and swule plaejes 24717, 18,20; vgl. 15558, 59; 
eine Verbindung von ags. plega und plegian kenne ich nicht, aber in 
anderer Bedeutung begegnen mhd. und md. Stellen wie: vwil wol phlegte 


182 KARL REGEL 


er siner phlege; er hät mit allen sinen pflegen sich zu Ermenriche gephlihtet; 
in tugentlicher pläge eine wile er sin dö pflac; der du mit richer pläge an 
löre wol geplogen häst 5. Mhd. Wb. 2', 504. 505. Ebenso steht auch dieses 
halbs. pleien, pleowen zuweilen in begrifflichem Gegensatz zu dem nahe 
verwandten Subst. pliht (Gefahr, Streit): summe heo gunnen pleien, pliht 
com on ueste 8131, 32; aerst heo pleoweden and seodde pliht makeden 
8145, 46. 

quidden quides oder iguwede Worte sprechen und quidden on 
guides in Worten sagen: bibene bu a Pine quides, be pu sulf quiddest 
wid Claudien mine fader 9824, 25; vgl. 893, 4. 1005, 6. 13759, 60; (ba 
wifmen) hafden iqueden alle on ΜΉ quides sode, Pat 24663, 64; vgl. 
ags. sang södevidas and pus selfa eväd Ältr. Metr. 6, 2 u. ähnl. 8, 3. 
7,3. 4. 

raeden raed einen Rath geben: gode men, raeded me raed 15422 ; 
Ulfin, raed me sumne raed 18718 u. ähnl. 15746, 47. 29813, 14; raed- 
jiwen, raed (oder raeden) Rathgeber, Rath (oder rathen): pe king — 
droh him to raede redjiuen gode 15744, 45; hu hit scal iwurden and mine 
raedjiuen reden me wulled 29869, 70; die erste Verbindung ist im Mhd. 
nicht selten, z. B. dä von rät ich einen rät, 5. Mhd. Wb. 2!, 561”, die 
zweite aber tritt weder bei ahd. rätgebo, mhd. rätgebe, noch bei alts. 
rädgebo oder afrs. rödieva hervor. 

rielien ouer (a) riche im Reiche herrschen: heo "enched to 
rielien heje ouer ure riche 27404, 5; faren we — and rixlien a bere riche 
mid rehjere strengde 23099, 100; röche, rislien mächtig, herrschen: 
pat a je mihten riche rilien in pan londe 19322, 23; bu aert be riccheste 
mon, ba rieleod; on londen 28098, 99; vgl. ags. rixad nu mid rihte rüce 
drihten Psalm. 96, 1 u. ähnl. 145, 9. Der Formerweiterung im halbs. 
riechen (aus ags. ricsian) entspricht die ähnliche in mhd. röchsenen aus 
richesen, ahd. richisön, 5. Mhd. Wb. 21, 696°. 

saje seggen eine Rede aussprechen, einen Bericht abstatten: aelc 
his saje saeide, swa him sel puhte 26345, 46; pa he isaid. hauede ba sajen 
of ure drihten 29657, 58 u. ähnl. 26477, 78. 30471, 72. 31711, 12; auch 
4450, 51. 8015, 16; seggen an saeje oder hurh saeje in mündlicher 
Überlieferung erzählen: wha iherde auere suggen a saejen oder a spelle 
6661, 62; naes hit isaeid naeuere an saeje no on leode 30053, 54; Belin 
ihaerde sugge purh sume saeg treowe 4442, 43; ähnlich altnord. segja 
sögu eine Nachricht mittheilen Möb. 356. 362 (in anderer Bedeutung 
seggjendr sagna Egilss. 688°. 757”). 

senden sonde Gesandte senden, Boten schicken; diese Bindung 
ist im Lajam. außerordentlich häufig und steht entweder ganz uner- 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 183 


weitert, z. B. Humbald sende sonde 11726 u. ähnl. 9940. 12467. 19744. 
14902. 23439; oder mit dem possess. Pronomen, z. B. send bine sonde 
in to Sexlonde 14486, 87; be king sende his sonde jeond al his kinelonde 
17007, 8 (ähnlich 1075. 1478. 3125. 3976. 4132. 4695. 12197. 14509 
und sonst); oder mit nimen in sehr zahlreichen Beispielen, wie: Carrais 
nom his sonde and sende jeond pisse londe 10564, 65 u. ähnl. 6723. 9006. 
10058. 10636. 12227. 15032. 15082. 15120. 15538. 16899. 22615. 24307. 
28258. 12139. 12377; nomen aenne sondes-mon and senden toward Landen 
13595, 96; das ags. Mascul. sond nuncius (däg byd dryhtnes sond, deöre 
mannum Runenlied 24) ist ein seltenes Wort und bindet sich nicht mit 
sendan: es gilt nur sendan bodan mittere nuncios Ettm. 642 (Crist 1152), 
wie altnord. senda bod Egilss. 71°. 695, altfries. senda boda Rhf. 1007", 
und die große Geläufigkeit der halbs. Formeln hat daher wirklich etwas 
Auffälliges. 

iseon siht einen Anblick haben: (heo) liden after vden, hat naenne 
siht of londe iseon heo ne mahten 20929, 30; wa was heom on heorte, ho 
hä siht isejen 5724, 25; ähnlich ags. he sume gesyhde geseah er sah ein 
Gesicht Luc. 1, 22 (Grein gl. 1, 454); mhd. alse wunneelich ist diu gesiht, 
die man an gote siht; sach in einer gesihte Mhd. Wb. 2°, 283°; vgl. alt- 
nord. 574. sjn einen Anblick haben Möb. gl. 427, und noch weiter ab- 
liegend: 574. sjonum oculis adspicere Egilss. 711*. 

an setle sitten auf dem Sessel sitzen: per saet Vier be king an 
his haeh-setle 18526, 27; pa sat Agag be king inne his haeh-saettele 16645, 46; 
ebenso ags. on hinum setle sittan Psalm. 131, 13; pe Pu on heähsetle 
heafena rices sitest Hymn. 8, 29. 30; vgl. Crist 1217, 18; Älfr. Metr. 
4, 37. 38; mhd. dö saz diu Minne üf einem sezzel inme wegenlin Mhd. Wb. 
2°, 339. Das Compositum erscheint etwas anders geformt in altnord. 
häsaeti τι. Egilss. 302”. Möb. 167, und alts. höh-gisetu n. pl. ἨΔ]. 365. 

smid, smidien Schmied, schmieden: Brien enne smid funde, pe 
wel cude smidie 30742, 43; be smid gon to smideje ane pie swide long 
30749; und im Fluch beim Zerbrechen eines Schwertes: wa wurde auer 
bene smid, ba be mid honden smeoddede 1562, 63. 

speken spaeche Worte sprechen: aefne here spaeche, ba spac be 
eorl riche 21557, 58; ähnl. 487, 88. 14215, 16; auch 30159, 61; vgl. 
ags. spraece, be ve ymb sprecad' Älfr. Metr. 26, 2.3 und mhd. alle spräche 
si wol sprach; der sprichit einen spruch alsus; dar umbe hät diu Staete 
ir spruch gesprochen Mhd. Wb. 25, 524”. 

a stude stonden an einer Stätte stehen: a han ilke stude, per 
stod ure drihten 29651, 52; bene stude to iwurdien, per stod ure drihten 
29687, 88; ähnlich mhd. vil vaste der esel stuont in stete; Tristan stuont 


184 KARL REGEL 


allez ze stete Mhd. Wb. 2°, 599°; das ags. stede, styde m. bindet sich 
nur entfernter mit standan, z. B. Psalm. 102, 21; hü hi sceoldon standan 
and bone stede healdan Byrhtn. 19. Auch ein anderer Zweig desselben 
Stammes findet sich natürlich mit dem Zeitwort zusammen (auf dem 
Gestade stehen): ags. hät hi on ham ed-stede ealle stödon Byrhtn. 63; 
mbd. wie ich stuonde eine an eines‘ stades reine Mhd. Wb. 2°, 598», 

biswiken, swike od. swicful betrügen, trügerisch: (he) minne 
fader biswak purh swike his craftes 14864, 65; bus be swiefulle man 
biswac pare be Bruttes 15232, 33; vgl. ags. vaeron säre besvicene, svice- 
dan oftust Psalm. 106, 39. 

teien mid tejen mit Banden binden: (heo wolden) nimen pa ban 
alle of adele pan kinge and teien heom to-gadere mid quldene tejen 20997, 98; 
eine entsprechende Verbindung von ags. getigan und tedg kenne ich 
nicht; das Gebräuchliche scheint bindan tedqum gewesen zu sein: Crist. 
732, 33; Grein gl. 2, 362. 

teldes itelden Zelte aufschlagen: weoren a pan walde teldes itelded 
17488, 89. Das eigenthümliche Zeitwort rechtfertigt sich aus ags. betel- 
dan, biteldan supertegere Grein 1, 95. 120, oferteldan ib. 2, 318, von 
denen besonders das st. Part. betolden, bitolden, ofertolden üblich ist; 
aber eine der halbs. Phrase ähnliche ags. kommt nicht vor. 

tellen tale eine ‚Geschichte erzählen, einen Bericht erstatten: 
ba pe talen weoren alle ütalde 26217; (pa hauweres) talden al heore tale 
26830; und etwas anders: (jif ich) mid sode hit bitelle, pat heore talen 
sinden lese 15868, 69; weder ags. oder alts., noch afrs. oder altn. be- 
gegnet diese Verbindung, obwohl die beiden Elemente derselben überall 
geläufig sind und die Volksüblichkeit der Wendung auf anglischem 
Boden durch die dauernde Lebendigkeit der englischen Phrasen to tell 
tales (unzuverlässige Rede führen), to tell one’s tale (sagen was man 
sagen will oder soll) und des Subst. telltale (Angeber, Ausplauderer) 
verbürgt ist. Im .Mhd. werden die beiden Wörter wenigstens zuweilen 
in bedeutungsvoller Beziehung gegen einander gestellt: alsö ich diu 
buoch hoere zelen, sö wurde diu zala minneelich Genes. (Mhd. Wb. 3, 8425), 
vgl. Gottfr. Trist. 6513. 

treowe, treoude treu, Treue: hafden Ardur treoude: be eorles 
_ weoren treowe 27284, 85; ähnlich 31044, 45. 31543, 44; und etwas anders: 
bu hauest mucle treowscipe, treowde stadeluaeste 9818, 19; vgl. altnord. 
trygdum trüa den Schwüren trauen, Egilss. 825°, und mhd. getrüwen 
triuwen Treue zutrauen Nibel. 748 (691), 1. 2. 

writen a writ eine Schrift schreiben: he lette writen a writ and 
wel hit lette dihten 3149, 50. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 185 


wullen, wille wollen, Wille: eouwer wille ich wulle don 23103; 
wurchen ic wulle muchel godes wille 23743, 44; after aeuwer wille don 
ich hit wulle 20763, 64; und etwas anders 15800, 1. 22921, 22; ähnliche 
Verbindungen treten Aueh anderwärts hin und wieder horse z. B. ags. 
Genes. 249, 50; Elen. 789, 90; mhd. 5. Mhd. Wb. 3, 661". 662°. 

wundren wunder sich auf wunderliche Weise verwundern: 
wundreden Bruttes wunder one swide 21979, 80; (Luces) saeid, pat he 
awundred is wunder ane swide 24775, 76. — Im Ags. finde ich nur 
einen unvollkommnen und vereinzelten Anklang: nis hät nän vundor : 
he is vundrum fäst ete. Älfr. Metr. 29, 17; aber im Mhd. sind solche 
Zusammenstellungen, besonders in mystischen Reden, ziemlich häufig 
z. B. wol dem wunder daz der wunderaere gewundert hät an der vil süezen ; 
s. Mhd. Wb. 3, 816°; und im Wilhelm von Oesterreich: wundrer aller 
wunder 17156; (got) des alten jungen geistes hät gewundert elliu wunder 
11565; diu wunderlichen maere manigen wunder nämen 15939, 40. 

wunien on wunsele im Wohnsitz wohnen: pa wumede ich on 
bure, on wunsele mine 15702, 3; vgl. ags. gevurde him veste eall his 
onvunung, — pät paer on gevunige äviht lifigendes! Psalm. 108, 7. 

wurchen werk ein Werk thun: he hohte wurche per a were 16971; 
be while he wurchen lette an werc swide riche 27856, 57; godes werk to 
worchen 32042, 43; gode workes wurchen 24961, 62; scade were wurchen 
1547; etwas lockerer 8708—14. 24885, 86; wurhten, wurchen Werk- 
leute, wirken: (he lette axien anan) aec gode wurhten, be mid aexe cuden 
wurchen 16969, 70; ebenso ags. veore vyrcean Psalm. 85, 7. 8; vyrhta, 
vyrcean Ps. 100, 8; vyrhta, veore Crist. 2. 3; mhd. ob gedanke wurken 
sulen div were (Parz.); tugentliche were wirken (Myst.) Mhd. Wb. 3, 591”. 
Schon das Goth. hat zwar kein vaurkjan gavaurki, aber nicht selten 
vaurkjan vaurstv Marc. 14, 6; Joh. 17, 4; Cor. 1, 16, 10. 

Wenn nun bei den bisher betrachteten Formeln die weitverbreitete 
Neigung zur Verbindung stammverwandter Wörter als ein ausreichen- 
der Erklärungsgrund für ihre Entstehung erscheint, so macht sich 
dagegen bei den Bindungen unverwandter Wörter statt jenes mehr 
äußerlichen Gesichtspunktes der angestammten Lautgemeinschaft die 
innerliche Rücksicht auf ihr begriffliches Verhältniss oder ihre 
grammatische Beziehung zu einander als Ursache ihrer gewohn- 
heitsmäßigen Zusammenstellung geltend, indem entweder gleichartige 
Begriffe nur copulativ und gegensätzlich mit einander verbunden er- 
scheinen, oder ungleichartige Begriffe durch ein bestimmtes logisches 
Band zu einer festeren Redeform zusammengeordnet werden. Darnach 
unterscheiden wir folgende Fälle alliterierender Bindungen: 


186 KARL REGEL 


1. Conerete Begriffe treten zusammen, weil die durch sie 
bezeichneten Gegenstände oder Personen innerhalb derselben Lebens- 
gebiete naturgemäß neben einander vorzukommen oder wirksam zu 
werden pflegen. 

beorn, burne Ritter, Harnisch: on mid heore burnen beornes sturne 
21123, 24; ähnlich 22821, 22. 31921, 22; alle his burnes duden on heore 
burnen 5005, 6 u. ähnl. 1700, 1; im Ags. sind beide Wörter sehr ge- 
läufig (beorn m. vir fortis u. byrne f. lorica), verbunden finde ich sie 
nur einmal: brosnad äfter beorne. Ne mäg byrnan hring ete. Beov. 2260; 
anderwärts ist höchstens das zweite Wort üblich: mhd. brünne, altn, 
brynja. 

biscop, boc-ilaered Bischof, Schriftgelehrter: his biscopes, his 
boc-ilaerede men 16901, 2; vgl. 16913, 14. 18504, 5. 25623, 24; Preo 
biscopes wise a boce wel ilaered 21857, 58; ähnlich ags. bisceopas and 
böceras Andr. 607. 

bur, bedde Schlafgemach, Bett: in to ban bure, ber he laei on 
bedde 19786, 87; bur, beor Zimmer, Bier: (fordriht faren we him to) — 
in to his bure and drincken of his beore 13541, 42; nu we beod in ine 
bure, jef us drincken of bine beore 13579, 80; vgl. ags. bür n. cubi- 
culum, conclave, casa, tabernaculum Grein gl. 1, 50; altn. bür n. gynae- 
ceum, cella cibariis servandis, Vorrathshaus Egilss. 88°. Möb. 54. 

chin, cheuele Kinn, Kinnlade: pen chin him ofswipte mid. alle 
han cheuele 26055, 56; das wenig verbreitete cheuele kömmt noch ein- 
mal im Laj. vor (bat deor to-dede his chaefles 6507) und entspricht dem 
ags. ceafl m. rostrum, faux, maxilla Grein 1, 157, welches aber nicht 
mit cinne gebunden erscheint; dagegen verbinden sich alts. kinni und 
kaflös an den beiden einzigen Stellen, wo sie vorkommen: antklemmi 
imu thiu kinni; thär maht thu undar them kaflon niman guldine skattös 
ΗΒ], 3205 u. ähnl. 3214. 

Fader, frofer Vater, Tröster (Trost): he is thaten Jesu Orist, — 
Jaeder he is on heuenen, froure moneunnes 9074, 75; wraecche folke for 
Jaeder, haenen to frouere 17828, 29; ähnlich 19936, 37; vgl. faderlese 
and frofre bidaeled 21897, 98. 23621, 22; auch im Ass. nimmt das 
Abstractum fröfor (solatium, auxilium) zuweilen schon einen mehr con- 
creten Begriff an und wird gerne mit fäder verbunden: fäder fröfor min 
Gutbl. 1184; fröfre — ne fäder Guthl. 1210; fröfra fäder Hymn.. 9, 8. 

Jise and flaesc Fisch und Fleisch: ne cumed‘ nauere inne ure 
dise neober flaes na no fisc 19692, 93; ebenso mhd. ez waere vleisch oder 
visch, — vleisch unde viske, — vleisch mit den vischen Mhd. Wb. 3, 328°, 
und nhd. weder Fleisch noch Fisch s. Gr. Wb. 3, 1680, 5. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 187 


fise and fujel Fisch und Vogel: biheold he pa fisches, biheold 
he ba fujeles 2009, 10; par is fis har fowel 7256; ber wes fise, her wes 
Fujel and faeiernesse inoje 24265; mid. fiscen and mid. feojelen 21743; 
auch im Ags. eine geläufige Verbindung: fiscas and fuglas Azar. 140; 
Fugel odde fise Reden der Seel. 79; ne fugol ne fise Salom. 420; fledh 
mid fuglum and on flöde svom, deäf under ἢ ἀράς mid fiscum Räths. 
73, 3. 4; vgl. mhd. vesce unte vogelin,; vische, wirme, vogele, tier Mhd. 
Wb. 3, 328°. 

fole and ferde Volk und Heer: biteche Penda folce and. his ferde 
31341 u. ähnl. 28936, 37. 29094, 95. 30433, 34; al pat muchele fole, pat 
wes in here uerde 17892, 93; somneden ferde of folke unimete 29947, 48 
u. ähnl. 19366, 67. 27428, 29; ber wes Edwines ferde jeoumerest alre 
uolke 31240, 41; auch ags. folce, fyrd Exod. 88; fyrde, folc Phar. 2; 
Foletogan fyrd Genes. 1961; Exod. 254. 

fole, folde Volk, Land: fole «a han uolde feondliche adredde 
23883, 84; of alle han folken, pe wuneden per on folde 24639, 40; al 
Albanakes folc folden iseohten 2165, 66; ähnlich 7937, 38; vgl. 27670, 71; 
im Ags. ist die Verbindung von ofer foldan od. on foldan mit fole noch 
spärlich, Genes. 1087; Räths. 34, 12. 

fur and fehte Feuer und Schwert: mid fure and mid fehte for- 
faren 9246, vgl. 4705; und etwas anders: ne mihte ber na eniht ajeines 
be fure makien fiht 16223; im Ags. finde ich die entsprechenden Wörter 
fjr und feohte nicht verbunden und auch die Formel fjr and sveord 
bloß in speciell beschränktem Sinne (= Feuer und Opfermesser) und 
nur an zwei Stellen (Genes. 2887. 2889). Auch anderwärts kommt eine 
Parallele für die halbs. Bindung nicht vor. 

gold-and gaersume Gold und Kostbarkeiten: gold and gaersume 
120. 4428. 6103. 7697. 7774. 10575. 15417. 18186. 22437. 22854. 23323. 
‚24985. 31067. Das Wort gaersume, welches weder im Ormulum noch 
in den ags. Dichtungen vorkömmt, aber aus dem prosaischen Chronicon 
Saxonicum in der Form gärsame schw. f. u. gärsum st. m. und st. f. 
(thesaurus) in Ettmüllers Gloss. 412 verzeichnet ist, scheint ursprüng- 
lich mehr auf nordischem als auf anglischem Boden heimisch zu sein; 
denn dort knüpft sich altnord. gersimi f. Kleinod, Kostbarkeit (Möb. 
Gloss. 137) ebenso an den Namen der @ersimi, Tochter der Freya 
(Egilss. 234°) wie das gleichbedeutende hnoss f. an den Namen ihrer 
Schwester Hnoss (8. Möb. 192. Egilss. 368°), und dort findet sich auch 
das Gegenbild unserer Alliterationsformel: gull ok gersimar Möb. 137; 
der niederschott. Rechtsausdruck gersome, gerssume, gressoume (a sum 
paid to a landlord by a tenant at the entry of a lease, Jamieson 8. v.) 


188 KARL REGEL 


möchte wohl eher zu altfranz. garison (garantie, paiement Roquefort 
1, 670) als zu unserem gärsum gehören. 

gold and jimme Gold und Edelsteine: heo makeden ane tunne of 
golde and of jimme 6079, 80; be king naem enne marmestan and, lette 
hine mid golde bigon, mid golde and mid jimme 7623, 24; her on wes 
moni jim-ston, al mid golde bigon 21143, 44; auch im Ags. sind beide 
Wörter häufig verbunden: mid golde — gimmas Heil. Kreuz 7. 16; goldes 
and gimma Bi monna cräftum 59; Älfr. Metr. 14, 3; gold — gim Vers. 
Gnom. Cott. 22; golde — gimma Ps. 118, 127; gold — gim Reiml. 36; golde, 
gimmas Elen. 90; golde and gimeynmum Älfr. Metr. 15, 4. 25, 6; Elen. 
1024; äfter golde and äfter gimeynnum Älfr. Metr. 8, 57; gylden. gim- 
mum ΠΝ 63; Satan 649; ebenso altnord. gull ok gimsteinar Möb. 140, 
und altnorw. tök ek gull ok gimsteinar, herfengnar gersemar (cepi aurum 
et lapillos et res pretiosas in bello adquisitas) Jamies. s. v. gersome; 
auch mhd. golt unde gimme; äne golt und äne gimme; gimmen unde golt 
Mhd. Wb. 1, 526*. 

haedene, helle Heide, Hölle: he is an haedene hund, helle he 
scal isechen 16623, 24 u. ähnl. 20539, 40. 29201, 2; pa hedene saulen 
helle isohten 18320, 21; ags. nur selten verbunden: haedenra hyht; helle 
gemundon in mödsefan Beov. 179; haedene sävle, paer him hel onfeng 
ibid. 852. 

haefd and helm Haupt und Helm: Pat his halm and his haefd 
halden to grunde 21387, 88; ähnlich 20535, 36; swipte bat haefued of 
ford mid pan helme 21425, 26; he helm an his haeuede 23965, 66; ähn- 
lich 23765, 66; noch andere Beispiele s. unten 5, heje helm; auch ags. 
ac he him on hedfde helm aer gescär Beov. 2973; vgl. Genes. 444; Beov. 
1030; altnord. s. Möb. 185; Sigrdrifum. 14; mhd. s. Mhd. W.b. 1, 678°. 

haefd and hond Haupt und Hand: here heo sculde bilauen haf- 
den and heore honden 20535; moni heaued moni hond fallen to foten 
574, 75; auch ags. bid pät hedfod töhliden, handa tölidode Reden der 
Seel. 109; honda and hedfod Wander. 43; altfrs. fet and hond and haud 
Rhfn. 799". 

heort and hinde Hirsch und Hinde: nouber heort no hinde 
30568, 69; vgl. 1448. 8107, 8; so ags. heorotas und hinda Älfr. Metr. 
19, 17; ir hirze unde hinden Mhd. Wb. 1, 692. 

hired, halle Hof und Halle: ah al hit wes stille in hirede and in 
halle 25482; — hired and haeje Hof und Hohe: of hehje iborene 
monnen, pa inne hirede wuneden 24633, 34; alle pa haexte, pa beod in 
bine hirede 25201, 2; vgl. 22849, 50. 19642, 43. 23089, 90; etwas anders: 
be king heold al his hired mid haejere blisse 19952, 53; ba sungen hired- 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 189 


men mid, haejere strengde 19572, 73; im Ags. entspricht hi-röd m. (familia, 
concio Grein 2, 78), welches jedoch in keiner ähnlichen Verbindung 
auftritt. Das Alts. zeigt einen bemerkenswerthen Anklang an unsere 
Formel hired : haeje, indem es sein sehr naheliegendes Neutr. höwiski 
(Familie, Genossenschaft) oft mit dem Superl. heröst (der Höchste, der 
Herr) verbindet: H&l. 3255. 3415. 3442. 5032. 

hude and heowe Fell und Farbe: swulch hit a blac elod weore, 
iwaerd his hude and his heowe 3070; das ags. hiv, heov τι. (forma, species) 
bindet sich zwar nicht mit Ayd (pellis), aber in deutlichem Anklang an 
unsere Formel mit häd m. (forma, habitus, natura): hiv and häd Salom. 
408; on veres häde hvit and. hivbeorht Elen. 72. 73. 

hundes and hauekes Hunde und Habichte (Falken): hundes and 
hauekes 6975. 3299; hunden, haueken 31403, 4; on hundes, an hauekes 
4895, 96; hauekes and hundes 3258. 22397. 22443, 44; mid haueken and 
mid. hunden 14480; — hundes and horses Hunde und Rosse: mid 
horsen and, mid hundes 3275; — hundes and hauekes and horses 
Hunde, Falken, Rosse: 3560, 61. 22585, 86. 23307, 8. 24635, 36; an- 
nähernd im Ags: hafeces, ἐδ horse Bi monna cräftum 81; sv@ hund, — 
svä hafoc Räths. 25, 2. 3; horses and monnes, hundes and fugles ibid. 
37, 11; so auch im Altnord.: hauka en hunda Grimnismäl 44; hesti rida, 
hauki fleygja Guärünarkvida 2, 18; hest en hund Hävamäl 82; hunda 
binda, hesta gaeta Helgakvida Hundingsbana 2, 37. 

hund and heort Hund und Hirsch: aefne al swa swide, swa hund 
bene heort driued 26762; — hundes in holte Hunde im Holze: aboljen — 
swa bid a bar wilde, benne he bid in holte bistonden mid hunden 30322, 23; — 
hund and horn Hund und Horn: mid hornen and mid. hunden 1424. 
20855; in einer ags. Dichterstelle erscheinen alle diese Wörter neben 
einander: hedh pe haedstapa hundum gesvenced. heorot hornum trum holt- 
vudu sece feorran gefljmed Beov. 1368. 1369; zwei derselben in etwas 
weiterer Trennung: hväder ge nu villen vaedan mid hundum on sealtne 
sae, bonne eov secan Iyst heorotas and hinda? Älfr. Metr. 19, 15. 17; 
auch mhd. daz horn und den hunt alsam Gottfr. Trist. 16662. 

hunten, hornes, hundes Jäger, Jagdhörner, Jagdhunde: penne 
sijed him to hontes (segges) under beorjen mid hornen, mid hunden 20854, 55; 
nu he is bicumen hunte and hornes him fulied‘; beorked his hundes 21337, 38, 
40; hunten bar talied, humdes ber galied 20857, 58; — hunte, hinde 
Jäger, Hinde: in pon wode he funde feier ane hinde; pa humten wenden 
aefter mid muchelen heora lude 2589, 90; das ags. hunta m. (venator) 
steht in keiner ähnlichen Verbindung. 


190 KARL REGEL 


king and kaiser König und Kaiser: king no kaeisere in naeuere 
nare kudde 22085; ähnlich 22657; ber feouwer kinges eoden biuoren bam 
kaiseren 24469, 70 u. ähnl. 24809, 10. 24823, 24. 26327, 28; ebenso 
ags. cyningas ne cäseras Seefahr. 82; hedh-cäsere and — cyninga Hymn. 
60. 61; und annähernd: cäsere eynericu Älfr. Metr. 26, 6; cynehrym 
c}dad, eäseres lof singad Phön. 634; so auch alts. Erodes was — gikoran 
te kuninge, sö ine thie kesar thärod — satta ΗΒ]. 62; vgl. 342. 5376, 77; 
5559; Erodes biheld. thär kraftagna kuning-döm, sö ina imu the kesur 
fergaf ib. 5254; vgl. 5211. 5365; mhd. künec, keiser, keiserin; got üst 
kunic, keiser alwaltic; daz si den keiser liezen haben sin küniges reht 
Mhd. Wb. 1, 1945. 

king and kempe König und Krieger: pw art hedene king, we 
hedene kempen 29040, 41: nu wes he king Cadwalan blidest alre kempen 
31278, 79; ähnlich 7420, 21. 30275, 76; mid strongen kempen biwinnen 
kineriche 28928, 29; — daher auch king, comp König, Kampf: ofte 
he com to compe to Gurmunde kinge 29096, 97; heo wenden to ban kin- 
gen, per heo weren on kompen 4214, 15; vgl. ah mid compe he wolde 
ajen kineriche 28904, 5 u. ähnl. 17974, τὸ; so auch im Ags. nicht selten: 
cyninges cempan Älfr. Metr. 20, 73; cempan, pä bam eyninge ‚beövad 
Guthl. 62; cempa, eyning Andr. 538; gecoren ἐδ cempum : he is cyning 
ibid. 324; vgl. ibid. 1448. 1449; Daniel 706. 707; und für die zweite 
Bindung: forcom ät campe eyning Judea Andr. 1327. 

laje and leode Gesetze und Leute: Pu letest godes lajen wor 
uncude leoden 14560, 61; leoden biwinnen and his lajen setten 18872, 73; 
setten i leode laje swide gode 24013, 14 u. ähnl. 4807, 8. 16787. 16807, 8. 
32228, 29; — laje and lond Gesetze und Land: itah heom a londen 
iajen swide stronge 19580, 81; — laje, lond, leode Gesetze, Land, 
Leute: burk ba ülke leoden ha lajen comen to bissen londe 14353, 54; 
vgl. 29489, 90. 31687, 88; das ags. lagu f. lex (Ettm. 161. Grein 2, 153) 
ist in der poetischen Sprache ungebräuchlich und in einer den halbs. 
Formeln entsprechenden Verbindung nicht nachweisbar; aber das alts. 
gllagu (st. n. plur. Bestimmung) alliteriert mit ludi in der einzigen 
Stelle, wo es vorkömmt: ΗΔ]. 5346; vgl. auch altnord. pat hafdi verit 
‚lög her d landi Möb. gl. 275. 

lif and leome Leben und gesunde Glieder: je sculen habben lif 
and leomen 702; he jaef heom lif, he jaef heom lumen 21935; ähnlich 
22376; vppen lif and uppen leomen bei Strafe an Leben und Gliedmaßen, 
ἃ. 1. des Todes und der Verstümmelung (vgl. unten 8, leosen lif, leosen 
leomen) 500; ebenso 2817. 10285. 10754. 24001, 2. 19436. 25929, 30; 
manchmal tritt das entsprechende Zeitwort an die Stelle des Substantivs: 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 191 


wid bat bu me lete liuien and mine leomen haelen 26101, 2; al se pu wilt 
libben and pine limen habben 15610, 11 u. ähnl. 23389, 90; auch ags. ist 
die Verbindung häufig: in löfes Üf leomum gepungen Phön. 649; vgl. Crist 15; 
Bi manna vyrdum 5. 6; Guthl. 1019. 1020; Crist 776. 777 u. ähnl. Guthl. 
810. 1149. Phön. 513; in anderen Stellen erscheinen nur Ze und leomu 
(Elen. 883. Guthl. 929. 1002) oder leomu und lichoma (Crist 628. Reiml. 75) 
neben einander; aber unseren halbs. Formeln entsprechen erst vollständig 
die altnord. Wendungen: halda li sinu eda limum, engu fyrir koma nema 
lifi eda limun, hafa lifs grid ok lima Möb. gl. 271. Das Altfries. hat 
dafür liues and lethana, — in Iywe, in Iythum ande gode 5. Richthof 899" ”, 
wie das Mhd. %p unde lit Mhd. Wb. 1, 977°; das Alts. verbindet gern ld 
und Äk-hamo Hel. 1488. 1531. 4101. 

lihte and liwere Lunge und Leber: hat deor up astod and raesde 
o bene stede (auf das Ross) and forbat him ba breste, ban and pa senuwen, 
bat pa lihte and ba liuere (jüng. Hdschr. pe longene and Je liure) feollen 
on eorden 6499; die Verbindung klingt volksthümlich, ist aber anderweit 
nicht nachweisbar, da das seltene Wort Zihte nur im engl. lights (Lunge 
der Thiere) wieder erscheint: vielleicht darf an einen Zusammenhang des- 
selben mit ahd. lehtar matrix, secundae Grff. 2, 162 gedacht werden. 

lond and leode Land und Leute: lond and his leoden 25519; lond 
and has leode 25685; pi lond halden and walden ine leoden 28114, 15; al 
forbaernen pi lond and slaen ine leoden 14113, 14 u. ähnl. 20941. 21765. 
22575. 22629. 24071. 28972. 31647; Edwin in hissen londe amarde has 
leoden 30457, 58; driuen hine of londe leoden to sconde 31513, 14 u. ähnl. 
452. 10920. 15352. 16315. 21891. 22033. 22317. 22327. 24641. 25695. 
31194. 31801; vgl. pat londfolc wes blide for heore leodkinge 30930, 31; 
bekanntlich eine der verbreitetsten germanischen Wortbindungen: ags. 
land and leode Eadv. 25. Andr. 1323; land and leödveard Exod. 57. 
Genes. 1180. 1196; lond and leödbyrig Beov. 2471 u. ähnl. Genes. 229. 
1665; Daniel 77; Beov. 938. 1345; alts. ja land ja liudi Hel. 354. 4375; 
landes endi liudiö ibid. 2288: land endi liudskepi ib. 2889; altfries. to londe 
and to sina liodon, — bi londes legore and bi lioda libbande, — use lond 
and use liode, — allere liuda kest and londriucht, — to lioda londriuchte 
5. Rehthf. 903°; altnord. Iydi ok lönd Oddrünargrätr 13; vgl. Atlakv. 12; 
mhd. ἐμέο unde lant Mhd. Wb. 1, 9355. 

maeie, mon Vetter, Lehensmann: he wes Hengestes maeie and mon- 
nen him leofuest 19616, 17 u. ähnl. 19674, 75. 20445, 46. 21957, 58. 
21983, 84; mid muchelere mon-weorede tojaeines his maeie 20553, 54 
u. ähnl. 3814. 3837 ff. 3846; im Ags. ist diese bekannte Verbindung nicht 
besonders häufig: her bid mon laene, her δὲ maeg laene Wander. 109; 


193 KARL REGEL 


man byd on myrgde his mägum leof Runenl. 20; mon mid his mägum Beov. 
3065; maegum, monna Guthl. 166; äs monnes mägas Klage der Frau 11; 
mägum, mon Genes. 2092; alts. thie man wid is mägös Hel. 2205; the man 
thurh mäg-skepi ibid. 2654; man mid mäg-skepi 1014. 1441; thes mannes 
mäg-wini ib. 4983; thesarö mannd mäg-wini ib. 5215; und etwas weiter 
getrennt: man, mägun ibid. 1448. 1449; altfries. bi da ena steue stande her 
meghen, ende bi da ora her man Richth. 917°; im Mhd ist die Verbindung 
mäge unde man bekanntlich sehr geläufig, vergl. Mhd. Wb. 2!, 11”. 315. 

meduwen, mores, muntes Wiesen, Moore, Berge: (he scawede) 
meduwen and mores and ha haeje muntes 4817; im Ags. begegnet nur ne 
munt ne mör Salom. 422; muntas and möras 1014. 340; das halbs. meduwe, 
engl. meadow steht als Ableitung aus ags. maed pratum Ettm. 225 (engl. 
mead,; altfrs. ostfrs. m&de, und nicht weit von ihnen abliegend auch mhd. 
mate) ganz vereinzelt da und findet höchstens in dem ostfrs. medje, mettje 
(aus mehreren Äckern bestehende Unterabtheilung der Ländereien) einen 
entfernten Anklang. Unserer halbs. Formel meduwen and mores möchte ich 
trotz ihres Alleinstehens doch alte volksmäßige Lebendigkeit zutrauen, 
da die friesischen Rechtsquellen sie zwar in anderer Form, aber in glei- 
chem Sinne darbieten: altfrs. inna fennem ieftha inna medum, — hit se 
inna medem ieftha be tha etfennem; ostfries. dat st in venneland eder metland 
5. Rhfn. 917°. Br. Wb. 3, 113. Stürenb. 147. 

nailes to nebbe die Nägel in’s Gesicht: nailes to heore nebbe, Pat 
aefter hit bledde 21879; obwohl ags. nägel m. unguis und neb n. facies 
(Grein gl. 2, 275. 278) nicht verbunden erscheinen, so erhält unsere For- 
mel doch eine beachtenswerthe Stütze im Altnord.: ὦ nornar nagli ok & 
nefi uglu Sigrdrifumäl 17. 

ord and egge Spitze und Schneide, Speer und Schwert: heom. on 
dleggen mid orde and mid egge 5201, 2; ebenso ags. vid ord and vid eege 
Beov. 1549; auch alts. ordös endi eggia ΗΒ]. 3698, und etwas mehr ge- 
trennt: geres ordun, — eggiun skarpun ibid. 3089. 3090; altfrs. mith egge 
and mith orde, — mith edse and mith orde, — eg anda ord Rhfn. 970°; alt- 
nord. odd ne egg, — oddi ok eggju, — med, oddi ok eggju Möbius gl.321, und 
wenigstens annähernd in der poetischen Sprache: dgn er © oddi — liggr 
med eggju ormr dreyrfadr Helgakv. Hiörv. 9. Das Mhd. hat beide Wörter 
im entsprechenden Sinne (ort Spitze, ecke Schneide Mhd. Wb. 21, 445°. 
1, 410°), aber kommen sie auch irgendwo verbunden vor? Vgl. du bist ze 
sprechen ein lindez wort und treist vedoch vil scharfen ort unde ein herte 
snide Wigalois 8104. 8105. 

palles and purpres Seiden- und Purpurstoffe: paelles and purpras 
and guldene panewes 2368; pa palles and pa purpres, be iworht weoren in 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 193 


Puille 5928. Das Wort pall findet sich wieder im ags. päll, pell m. Ettm. 
271, mhd. phelle, phellel, pheller st. m. Mhd. Wb. 2!, 487° ff. und alt- 
nord. pell τι. Möb. 333; die Verbindung mit purper zeigt sich in mhd. 
Stellen wie: purper, phell er tägelich truoc; in half niht purper noch sein 
phell (Suchenw.) Mhd. Wb. 2!, 490°, und in dem altnord. Compositum 
purpurapell Egilss. 638°. Im Lajamon begegnet der Ausdruck ziemlich 
häufig und bezeichnet ebenso wie seine nord. u. mhd. Parallelen überall 
mehr den kostbaren Seidenstoff an sich als ein Seidengewand von 
gewissem Schnitt: jeue us be king al his gold and ba madmes of his 
lond: jef us peal, jeue us hors, jeue us haihe scrud 897; gold and pal 
1296; bihongen mid pellen 3637 u. ähnl. 24466; heo leopen an heore feire 
hors, biwrijen mid faeire palle 5366; wes bat kinewurde bed al mid paile 
ouer braed 19045; aenne baet mid. isunde from breorde to grunde of golde 
and of gaersume and. of godliche pallen 23324; al mid paelle bih)aeht 
19215 u. ähnl. 24742; aelc cniht hafde pal on 24597; paer wes mont 
pal hende on faire han uolke 24531; sceldes blikien, burnen seinen, palles 
gold-faje 27362; lette hine (den todten Kaiser Luces) bitillen mid gold- 
faje pallen 27853; überall liegt der Hauptbegriff in dem prachtvollen 
Stoff, welcher neben anderen Kostbarkeiten erscheint oder als glänzende 
Bedeckung gebraucht wird, und das Adj. pallene heißt daher deutlich 
‚aus Seidenstoff‘: Ardur be stronge, warp he an his rugge a raef swide 
deore, aenne cheisil scurte and aenne pallene curtel (ein linnenes Unter- 
kleid und ein schwerseidenes Wamms) 23762, vgl. mhd. ein roc phellin, 
die phelleline wät Mhd. Wb. 2!, 490” und altnord. sloedur af pelli mjök 
gullsaumadar Möb. 333. Auch das niederschott. pall stimmt damit ganz 
überein: for the banket mony rich claith of pall was spred and mony a 
bandkyn wounderly wrocht Jamieson s. v. — Übrigens verdient noch 
hervorgehoben zu werden, daß unsere halbs. Formel pa palles and pa 
purpres in der zweiten der oben angeführten Belegstellen ganz im 
Geiste der mhd. Dichter die Angabe der ausländischen Herkunft neben 
sich hat (Pe iworht weoren in Puille), und es wäre zu untersuchen, ob 
nicht einer der zweifelhaften Entstehungsorte des phelle mit einiger 
Wahrscheinlichkeit auf eine apulische Stadt gedeutet werden könnte; 
5. Zarncke’s Zusammenstellung im Mhd. Wb. 2', 489. 

sceldes and scaftes Schilde und Speere: mid scaeftes and mid 
sceldes 8128; scaeftes and gold-faje sceldes 9786, 87; scaftes and sceldes 
and longe heore siveordes 20915; sceldes gonnen scanen, scaftes tobreken 
28552, 53; — sceldes and scalkes Schilde und Krieger: sceldes per 
scenden, scalkes gunnen reosen 23493, 94 u. ähnl. 23219. 26303. 26701. 
26807. 27756. 31234; hider ure sceldes! pe scalkes at-wended! 26497, 98; 


GERMANISTISCHE STUDIEN. 13 


194 KARL REGEL 


vgl. 4281; und scaeftes, sceldes, scaelkes 7979, 80; — sceld on sculdre 
Schild auf der Schulter: aele weiede an sculdre sceld swide godne 26279, 80; 
ber wes moni bald scale, be sceld weiden on sculdre 19127; im Ags. ist 
nur die erste dieser drei Bindungen lebendig: λέγη veard on ricum 
scylda and sceafta Genes. 2062; scyld scefte oncvyd Überf. in Finnsb. 7; 
scyld sceal cempan, sceaft redfere Vers. Gnom. Exon. 130; he scedf bä 
mid ham seylde, hät se sceaft tö-bärst Byrhtn. 136, Bere: dem Begriff 
nach auch im Altn. begegnet: skjöldu knegud bar velja ok skafna aska 
Atlakv. 4; im Mhd. findet sich zwar auch zuweilen schilt neben schaft 
(sie neigten üf die scilde die scefte mit ir kraft Nibel. 183 (184), 3), aber 
die eigentliche Phrase ist schült unde sper Mhd. Wb. 2°, 128°. Von den 
beiden andern halbs. Formeln kann ich keine Parallelen nachweisen. 

stock and stan Stock und Stein: mid stocken and mid. stanen 
stal fiht heo makeden 626. 1840; ofte heo letten grundhat laed, gliden heom 
an heore haefd, stockes and stanes and, strales hate 5694; mid stocken 
and mid stanen and mid stelene orden heo gunnen heom to werien wid, 
heore wider-iwinnen 8702; die Verbindung bedeutet: Holzklötze und 
Steinblöcke, ganz wie in unserem nhd. ‚über Stock und Stein‘. Das 
ags. stocc kömmt in den poetischen Denkmälern nicht vor, aber die 
Prosa weist es ın der entsprechenden Formel auf: ge beoviad; stoceum 
and stänum servietis stipitibus et saxis Deuteron. 28, 36. 64 (Ettmüll. 
728), wo Luther übersetzt: ‚Holz und Steinen‘. Auch altnord. ὦ stokka 
eda d steina Möb. gl. 414 und in der Edda: stund er til stokksins, önnur 
til steinsins (Wegmarken von Holz und von Stein) Harbardsliöd 56; 
altfries. mith stocke ief mith stene, — of stolke veftha of stene Richthf. 
1047. 1050; mhd. über stein unde stoce Mhd. Wb. 25, 612”. 654"; bair. 
stock und stain Grenz- oder Markzeichen von Holz und von Stein 
Schmell. 3, 612. 

stije and straten Steige und Strassen: be haedene to imete bi 
stijen and by straten 16366. Auch ags. zeigt sich diese Verbindung ganz 
deutlich: straet väs stänfäh, stig visode gumum üätgädere Beov. 320; 
stöp on straete, stig visode Andr. 987; ebenso mhd. 5. Mhd, Wb. 22, 631”. 
632°.7677°. 

streten and stremes Strassen und Ströme: urnen pa streten mid, 
blode-straemen 26703, 4; straehten after stretes blodie stremes 27476, 77; 
vgl. die verwandten Stellen: blod orn in pe weije, strames swide brade 
30990, 91 und brokes ber urnen mid unimete stremen of blode ban rede 
31228—30, wo die obige Formel ebenfalls sehr wohl hätte stehen 
können. Nur einmal begegnet im Ags. etwas Ähnliches: him väs gearu 
söna burh stredmräce straet gerijmed Andr. 1582. 


ie ὦ 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON., 195 


weden and wepnen Gewänder und Waffen: mid goden heore 
tweden al buten wepnen 15206, 7; rihten heore iwepnen and alle heore 
iweden 26619, 20. Diese verbreitete Wortbindung kann ich nur in zwei 
ags. Dichterstellen aufweisen: hildevaepnum and headovaedum Beov. 39; 


vaepen and gevaedu ibid. 292; afries. oen wepen ner oen wed, — om 
wepen om wed, — se hit an wöpene, se hit an wede Rhfn. 1130"; alt- 


nord. vapnum ok vadıum Hävam. 40. Im Mhd. wäfen und gewant Nibel. 
68 (67), 4. 

win and wex Wein und Wachs: muchel win, muchel, wex, muchel 
wunsum bing 2370. Diese Formel hat als Ausdruck der Wohlhabenheit 
oder des Überflusses ein ganz volksthümliches Gepräge und stützt sich 
naturgemäß auf das häufige Nebeneinanderbestehen von Weinbau und 
Bienenzucht im deutschen Mittelalter, wie auf die vielfache Üblichkeit 
der Wein- und Wachszehnten an die Klöster; aber ich vermag die 
Verbindung doch anderwärts nicht als lebendig zu belegen. 

wind and weder Wind und Wetter: haued beos wind and eos 
weder a wider him istonden 12059; eos wederes abiden, windes bidelde 
28238, 39; ähnl. 30546, 47; wind stond and hat weder after heore wille 
20509 u. ähnl. 11965. 20923. 22689. 25537. 25637. 30920; — zuweilen 
auch wind and water Wind und Wasser: heo hefden wind, heo hefden 
water, be heom wel ferede 1273, und weder and water Wetter und 
Wasser: mid wederen and mid wateren haer heo forferden 18118. Die 
erste dieser Formeln ist überall geläufig: ags. vinter bringed veder 
ungemet cald, svifte vindas Älfr. Metr. 11, 59. 60; vedercandel sveare, 
vindas veöcon, vaegas grundon Andr. 372. 373; bonne vind liged, veder 
bid fäger Phön. 182; und in stärkerer Trennung Alfr. Metr. 12, 13. 14; 
alts. ἐπ ward wind mikil, höh weder afhaban Hel. 2914. 2915; wedar, 
— te them winde ΠΩ]. 2256; altn. © vindi skal wid höggva, wedri d sio 
γόα Hävam. 81; ahd. ther wint thaz scif fuar vagonti, thio undun bliuenti, 
was in thrato herti thaz wetar in theru ferti (Otfr.) Grff. 1, 629; mhd. 
guot weter unde guoten wint sin schepfer im bescherte Mbd. Wb. 3, 609°. 
Auch die zweite Verbindung (Wind und Wasser) ist überall vertreten: 
ags. väteres välmum, vindas Jreide Andr. 452; vindas and vaegas and 
väterbrögan ibid. 456; vind ne väterflödas ib. 503; vealcad hit windes 


‚scüra, veorded hit ἐδ vätere sildan Runenl. 9; puruh vindes gäst: — 


ἐδ vätere veorded sniome Psalm. 147, 7; alts. wind endi water ἨΔ], 2244; 
altnord. 6 vatni pu druknar, ef i vindi roer Fafnism. 11; afrs. thet him 
wind and wetir withir. wurden were, — thettet him thi wind and unwad 
watere of nome Rhfn. 1145°. Vielfach verbreitet ist auch die naheliegende 


Verbindung Wind und Woge; so ags. oft ic sceal wid vaege vinnan and . 
ar 


196 KARL REGEL 


vid vinde feohtan Räths. 17, 1; vind vid vaege Älfr. Metr. 28, 58; on 
vaege vind Psalm. 88, 8; vind of vaege Räths. 11, 10; vaegflotan vind 
Beov. 1907; alts. the wind endi the wäg Hl. 2263; wind ne wäg ne 
watares ström ibid. 1811. 1812; weströni wind endi wägd ström ibid. 1821; 
thena wäg mid windu ibid. 2945; mhd. wint unde wäc begunde sich sa 
zerloesen und zerlän Gottfr. Trist. 2460. 

weolene and weder Wolken und Wetter: mid wolenen and mid 
wedere heo poleden wensides 102; heo icneowen wel a han wolenen as 
wederes custes 12019, 20; — weolene and wind Wolken und Wind: 
dere weolene he wes swide neh: be wind him com on widere 2883, 84; 
aest aras a ladlich weder: peostrede pa wolene, pe wind com on widere 
457476; ρα aras heom a wind a here wider side: swurken under sunnen 
sweorte weolenen 11971. 11974. Bei den ags. Dichtern sind diese Ver- 
bindungen ganz geläufig: vinterbiter veder and wolena genipu Azar. 105; 
vinterbiter veder and volcenfaru Dan. 379; volena scür — vedera ceyst 
ibid. 350; vonn under volenum: pä com vederes blaest Andr. 839; (vgl. das 
Compos. vedervolcen Wetterwolke Exod. 75); — vind and volenu Hymn. 
9, 7; vind under volenum Älfr. Metr. 7, 26; under volenum vinde gelicost 
Elen. 1272; vgl. Älfr. Metr. 20, 81; Ps. 103, 4. 134, 7; ne vindig vol- 
cen, — ne väter Phön. 61. Die im letzten Beispiel hinzutretende Bindung 
Wolken und Wasser erscheint auch öfters für sich: väter and volcen 
Satan. 6; volcen, — vätra Phön. 184; väter under volenum Beov. 1631; 
väter, — on volenum Gen. 1538. Im Nhd. sind ähnliche Formeln in 
lebendiger Übung; aber aus den älteren germanischen Sprachgebieten 
weiß ich nur die altfries. Parallele alsoe langh soe di wind fan da wol- 
kenen wayd Rhfn. 1158° anzuführen. 

wude and wilderne Wald und Wildniss: © wude, ὁ wilderne, inne 
haede and inne uerne 12818; in ane wude, in ane wilderne 12295, 96 
20226, 27; to Pan wode‘, to han wilderne 522, 23; to ane wilderne, to 
ane wude muchele 18794, 95; ut of pan wuden and of ban wulderne 
16126, 27; he scawede pa wuodes and pa wildernes 4815, 16; bar is 
wode, bar is water, par is wilderne muchel 1237, 38. Das ags. vudu bindet 
sich zwar noch nicht mit vildeörness (desertum Ettm. 115), welches 
bei den Dichtern nicht vorkömmt, aber öfters mit vilddeor, vildeör (fera) : 
on vuda bu vildeor vordum predtast Psalm. 67, 27; vgl. Ps. 79, 13; 
Dan. 505, und die im letzten halbs. Beispiel auftretende Verbindung 
(wode, water Wald und Wasser) ist durch viele ags. Dichterstellen 
gestützt: vudu, — väter Salom. 193; Beov. 1416; Räths. 54, 3; väter 
vynsumu of päs vuda midle Phön. 65; ne väteres vylm ne vudutelga Sal. 
421. Neben den obigen Stellen im Lajam. steht auch eine, in welcher 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 197 


sich wolde (= ags. veald, vald m. silva Gr. 2, 669) mit wilderne zu 
einer ganz entsprechenden Formel verbunden findet: wenden ouer woldes 
and ouer wildernes 21487, 88, wie mhd. die wilden unde welde, — ἢ ἢ 
waldes wilde, — der wilde walt, — der wilden welde Mhd. Wb. 3,00; 
471°. 472" und alts. dem Sinne nach ganz gleich: waldes hleo, Enödies 
ard Hel. 1124. 1125. 

wude and wurt Wald und Wurz, Laub und Kraut: heo hiueden 
bi wuden, heo lifeden bi wurten 31883, 84 (sie lebten bei der großen 
Hungersnoth von Baumblättern und Kräutern). Die eigenthümliche 
Bedeutung ‚Baumgezweig‘, in welcher hier halbs. wude auftritt, findet 
sich zwar nicht beim ags. vudu, aber beim ags. veald in der Stelle: 
hä hie heora lichoman leafum beheahton, veredon mid pl veald& Genes. 
846; die alliterierende Bindung der beiden entsprechenden Wörter ist 
‘im Ags. sehr geläufig: vudes and vyrta Älfr. Metr. 8, 20; vuda and 
vyrta ibid. 20, 251; vudum and vyrtum Menol. 77; vudu vyrtum fäst 
Beov. 1364; vyrta blöstmum and vudubledum Panth. 47; ähnl. Phön. 194; 
vudubeimes, — vyrtruman Bi mann. vyrd. 24; vyrt, — vudubearvas 
Azar. 83; vudubeim, — vyrtum Dan. 499; vyrtruman häs vudubeimes 
1014. 516; vgl. mhd. wurze des waldes, — die würze und der walt Mhd. 
Wb. 3, 828". 

bein and beod Krieger und Volk: fiftene hundred baldere einen 
of Ardures peoden 27510, 11. Ebenso ags. begn on beöde Bi manna 
möde 79; begne on beöde Guthl. 1204; hegnas, — beöd Beov. 1230; 
hegnas, — heöda Genes. 641; beöda — hegnum 1014, 1908; Ppesde — 
hegn Elene 539. 540; auch alts. häufig, z. B. thegan kesures wid thia 
thiod Hel. 5315 u. ähnl. 5204. 5477; therö thiodö thinghüs, thär thegan 
manag hwurbhun umbi irö heri-togon 5126. Im Altnord. weiß ich keine 
Bindung von pegn und piod, aber im Mhd. bezeugt das Compos. diet- 
degen (im ganzen Volke bekannter Held Mhd. Wb. 1, 309°) die alte 
Lebendigkeit einer solchen Formel. 

2. In ganz ähnlicher Weise gesellen sich abstracte Begriffe 
zu einander, weil die in ihnen enthaltenen Zustände, Thätigkeiten oder 
Eigenschaften nach dem natürlichen Verlaufe der Dinge in gemein- 
samen Lebenssphären gewöhnlich auf einander folgen oder sich mit 
einander verbinden. 

cacchen and quellen fangen und tödten (engl. to catch and to 
kill): jif he me mihte cacchen, he me wolde quellen 31501, 2. Diese Ver- 
bindung hat zwar anderwärts keinen Anhalt, weil das Zeitwort cacchen 
weder im Ags. noch sonst in altgerm. Mundarten vorkömmt, aber sie 
ist gerade darum interessant, weil sie dieses räthselhafte Wort in einer 


198 KARL REGEL 


ganz volksthümlich klingenden Formel aufweist, "Dasselbe begegnet 
gar nicht im Ormulum und ist im Lajam. auch nicht häufig (monie 
scipen he ber cahte 4547; hu he hauede bene nome icaht 10843; Ardur 
him after and bene king ikahte 22354; Constantin him after wende and 
ber hine icaechte 28719); aber die Formen — cacchen, cahte, icaht, engl. 
to catch, caught, — haben ein so entschieden heimisches Gepräge, daß 
man sich nur ungern entschließt das Wort aus mittellat. captiare, ital. 
cacciare, span. port. cazar, prov. cassar, altfrz. cachier, cacer, chacier, 
neufrz. chasser (Diez Wb. 79. Roquef. 1, 199) zu erklären, obwohl sich 
das deutlich entsprechende mnl. ketsen (sectari, aucupari Kil. 238) 
lautlich fast ebenso zu altfrz. cachier verhält wie roetse zu roche, tierdse 
zu tierche vgl. Gr. 1°, 499. Vielmehr scheint für halbs. cacchen, engl. 
to catch, mnl. ketsen ein germanischer Lautübergang nach altfries. Art 
vorzuliegen wie zwischen ags. reccan, engl. to reach, altfrs. retsa (vgl. 
Gr. 1?, 277. 279), und es gesellt sich als weitere deutsche Parallele zu 
diesen Wörtern noch das thüring. kaschen (fangen), welches schon 
Stieler 779 verzeichnet hat und welches in den mittelthüringischen 
Mundarten allgemein lebendig ist. Wenn wir daher diese nach Form 
und Begriff untrennbaren Zeitwörter (halbs. cacchen, engl. to catch, mnl. 
ketsen, thür. kaschen fangen) als einen alten Sonderbesitz des anglischen 
Gebietes betrachten müssen, und wenn wir dem gegenüber für den 
Begriff ‚Fangnetz‘, ‚Fischhamen‘ die Subst. engl. catcher, oberlaus. ket- 
scher, schles. kascher, käscher in verbreiteter Geltung finden (vgl. Hilde- 
brand in Gr. d. wb. 5, 248), so werden wir die ursprüngliche etymo- 
logische Zusammengehörigkeit dieser beiden Wortgruppen und die erste 
Entwickelung der letzteren auf mitteldeutschem Boden nicht wohl in 
Abrede stellen können, so entschieden wir auch für diese den späteren 
erweiternden und fortzeugenden Einfluß der von Hildebrand sinnreich 
herangezogenen finnischen und lituslawischen Fischerausdrücke im Nor- 
den und Nordosten zugeben müssen. 

drinken and dremen trinken und jubeln: heo drunken, heo 
dremden 13463. 14075; drinken and dreomen 22041 u. ähnl. 13543, 44. 
13585, 86. 14954, 55; dremeden drunkene men 30842; vgl. heo aeten, heo 
drunken, draem wes ὁ burhjen 14285, 86; her wes mete, her wes draene, 
men ber of draemden 10234, 35. So auch ags. druncon and deimdon 
Genes. 2781; drincendra dreim Bi manna vyrdum 79, u. alts. drunkan 
drömead Hel. 2054; der auf sächsischem Gebiete überall waltende 
Begriff (Jubel, lautes fröhliches Leben, vgl. German. XIII, 139) geht 
den entsprechenden Wörtern der anderen Mundarten ab: altn. draumr, 
altfrs. dräm, ahd. mhd. troum bedeuten nur ‚somnium‘, und es kann 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 199 


sich daher eine der unsrigen ähnliche Verbindung anderwärts nicht 
finden. 

habben and halden haben und behalten: hehte hine hit habben 
and halden mid wunne 31761, 62; mine aeldren hit heolden and ich hit 
wulle habben 26399, 400. Im Ags. tritt diese Parallelformel in etwas 
anderem Sinne auf: pä his maere vord habbad and healdad and hyge 
fremmad Psalm. 102, 19; heöld mec and häfde Hredel cyning Beov. 2430; 
fäder ealra geveald hafad and. healded: häligra veorud Crist 1649; daß 
wir es aber hier eigentlich mit einem alten Rechtsausdruck zu thun 
haben, das geht besonders deutlich aus den altfries. Formeln hervor: 
thise riucht te hebbane and te haldane, — thet wi alsek londriucht hebbe 
and halde, — thriu liudthing, ther him ebeden se to hebbande and to hal- 
dande 5. Rhfn. 791°. 802°. 

hunger and haete Hunger und Hitze (ἃ. 1. Hunger und brennen- 
des Verschmachten): her wes hunger and hete, her wes alre haermene 
mest 4042; her wes wop and her wes rop and reouden vniuoje, muchel 
hunger ‚and, haete at aeuer welche monnes jete 20441; vgl. noch 8752. 
20728. 21893. 31875. Madden hat in der Übersetzung dieser Stellen 
das zweite Wort haete meist durch ‚hatred‘, ‚strife‘, einmal durch ‚drought‘ 
wiedergegeben und sich in den Glossarial Remarks zu seiner Ausgabe 
des Lajamon (III, 464) für die Erklärung aus ags. hete entschieden, 
wonach unsere Formel durch ‚Hunger und Haß‘ zu übersetzen sein 
würde; aber wenn wir die oben vollständig angeführten Stellen, in 
welchen das Wort allein vorkommt, unbefangen betrachten, so sehen 
wir, daß in ihnen nirgends von etwas anderem als von den Schreck- 
nissen der Hungersnoth die Rede ist, welche die Menschen unwider- 
stehlich dahinraffen und in denen das peinliche Dahinwelken, das 
fiebrische Verschmachten der Lebenskraft gewiß nicht besser als durch 
das Bild der markverzehrenden Glut eines unauslöschlichen Feuers 
bezeichnet werden kann. Unsere halbs. Formel hunger and haete darf 
‘daher sicherlich nur als ‚Hunger und Heiße‘ verstanden werden, indem 
dem zweiten Worte ags. haetu, haeto f. Grein 2, 24, afrs. höte f. Rhfn. 
812”, altnord. heita f. Egilss. 315°, ahd. heizi f. Grff. 4, 1076 deutlich ᾿ 
entspricht; denn wenn wir dieses Subst. selbst auch nirgends auf den 
betreffenden mundartlichen Gebieten mit dem Hunger verbunden finden, 
so wird doch die entsetzliche Natur dieses ganz persönlich gedachten 
Menschenschädigers (vgl. ags. hungre vaeron pearle gepredtod, svä se 
heödsceada reov riesode Andr. 1116. 1117 und Grimm. ἃ. Myth. 842) 
mehrfach durch das Merkmal ‚heiß‘ gekennzeichnet: hungor se häta 
Phön. 613; altfrs. ief thi höta hunger ur thet lond fare, — reda with 


200 KARL REGEL 


thene δία hunger Rhfn. 831°; nhd. Heißhunger, heißhungrig, worin die 
Vorstellung einer dämonischen, unwiderstehlich verzehrenden Gewalt 
lebendig ist. Auch wenn im Ags. der Hunger ‚kampfgrimmig‘ genannt 
wird (murene hungur headugrimne heardne Ps. 145, 6), so erinnert das 
lebhaft an den Gebrauch desselben Ausdrucks für den feuerspeienden 
menschenverderbenden. Drachen (heödsceada — fürdraca — hät and 
headogrim Beov. 2689—91) und an das von ihm ausgehauchte heiße 
Schlachtfeuer (headufijres hätes Beov. 2522; väs paere burnan välm 
headofyrum hät ibid. 2547); der Hunger ist wie der Feuerdrache ein 
erbarmungslos vernichtender Unhold, und alle neben ihm erscheinenden 
Beiwörter malen ihn als einen solchen: ags. heardne hungor Psalm. 
58, 6. 14; mid bi) heardan hungre Red. ἃ. Seel. 31; hunger se hearda, 
hämsittendum välgrim verum Gen. 1815; nu slit (zerfleischt) me hunger 
bitre on breöstum Gen. 802; alts. hungar heti-grimman H£l. 3018; ferid 
unmet gröt hungar heti-grim obhar helidö barn ibid. 4332, wo man freilich 
zu Gunsten des heißen Hungers statt hetigrim (hassgrimmig = ags. hete- 
grim Grein 2, 39) ein hötgrim (heißgrimmig — mhd. heizgrimme Mhd. 
Wb. 1, 574°) wünschen müßte. Einen anderen Zug des lebensvollen Bildes 
gewährt die Bezeichnung des Hungers als des fahlen Tischgastes (hun- 
gres, blätes beodgastes Andr. 1089. 1090); aber jedenfalls zeigen uns die 
angezogenen Beispiele die Personification des Hungers als eine so ent- 
schiedene und altverbreitete, daß uns aus derselben die Bedeutung der 
halbs. Formel in ihrer ganzen ursprünglichen Kraft verständlich wird, 
indem hier das charakteristische Merkmal dem personificierten Haupt- 
begriff fast wie eine zweite Personification (und zwar als weibliche 
neben der männlichen) an die Seite getreten ist, von welcher Personi- 
ficierung schon einige ältere auf die Schilderung der Hölle bezügliche 
Stellen eine leise Spur zu enthalten scheinen: ags. ac pohad ve nu bred 
on helle: hät syndon bYstro and haeto grimme grundledse Gen. 389; alts. 
het endi thiustri, swart sin-nahti Hel. 2145; thär is het endi swart, egislik 
an-innan ibid. 1780. 

laeue nimen (habben) and liden Abschied nehmen und weg- 
gehen: Hengest nom laeue and to scipen gon lide 13967, 68 u. ähnlich 
‚14197, 98. 22555, 56. 13659, 60; ich wulle habben leue, ford ich wulle 
liden 12672, 73; etwas anders: bat lond heo al bilaefden and liden after 
vden 20927, 28; eine ähnliche Verbindung von ags. leif (permissio) 
und hdan (navigare) kann ich nicht nachweisen. 

saule — sael Seele — Seligkeit: laeide hine in eorden after hedene 
lajen and, bad for baere saeule, bat hir neuere sael neore 16723, 24; we 
scullen on londe libben in blisse, bidden for eower saulen, bat sel ne wur- 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 201 


den heom nauaere and scullen her aeuwer ban biside Bade ligen 21453, 54; 
diese feindselige Fluchformel hat jedenfalls etwas sehr alterthümliches 
und erinnert an unsere nhd. Betheuerung ‚auf Seele und Seligkeit‘ oder 
‚bei meiner Seele Seligkeit‘, aber eine ähnliche Verbindung von ags. 
sävel und sael, oder altnord. βάϊα und saela kann ich ebenso wenig nach- 
weisen als von ahd. s&ola und sälida, oder mhd. söle und saelde. 

swinc and swaet Mühe und Schweiß: moni swine, moni swaet, 
moni ane seorhfulne pleije — bolede ich on folde 3281; und das Zeitwort: 
he swonc i bon fehte, bat al he lauede a sweote 7488, 89. Weder das 
ags. gesvine n. (labor) bindet sich mit svät, noch svincan st. v. (laborare, 
fatigari) mit svaetan, s. Grein gl. 1, 460. 2, 515. Ettm. 756, und ander- 
- wärts kömmt das erste Wort nicht vor; doch wird die Volksthümlich- 
keit unserer Formel durch ihr Vorkommen im Ormulum (wihp fasstinng 
and wibp swinne and swat Orm. 1616) und in einer niederschottischen 
Dichterstelle bestätigt: his servant or himself may nocht be spard to 
swynk or sweit, Jamieson s. v. swink. 

3. Noch häufiger ist es nicht sowohl die Zusammengehörigkeit an 
sich verschiedener Begriffe innerhalb eines äußeren sachlichen Gebietes, 
als vielmehr ihre innere begriffliche Ähnlichkeit selbst, was ihre 
gewohnheitsmäßige Verbindung veranlaßt: einander naheliegende oder 
gleichlaufende Ausdrücke, welche wenig unterschiedene Seiten der- 
‘selben Vorstellung enthalten, werden lediglich zur nachdrücklicheren 
Hervorhebung des Gesamtbegriffes in lebendigem Parallelismus durch 
das Band des gleichen Anlauts zu einander gesellt. 

balu and burst Unglück und Verderben: balu wes on uolke, be 
burst ‘wes vnimete 27478, 79; und weiter getrennt: ber wes balu riue: 
Bruttes ber fullen; Belin and Brennes burstes bare haefden 5790, 93; 
ags. bealu (calamitas) und byrst (damnum) Grein 1, 101. 153 erscheinen 
nicht verbunden. 

breken and brastlien brechen und splittern: breken braden 
speren, brustleden sceldes 20142, 43 u. ähnl. 19552, 53. 30403, 4. 30982, 83; 
weiter getrennt 23217, 19. 27463, 66. 28551, 53. In allen diesen Stellen, 
die das wilde Mordgewühl der Schlacht schildern, hat brastlien, brustlien 
deutlich den Hauptbegriff ‚gewaltsam durchbohrt oder zerschmettert 
werden‘, während ags. brastlian, bärstlian Ettm. 287 und mhd. brasteln 
Mhd. Wb. I, 256° nur von dem durch den Bruch harter Stoffe ver- 
ursachten Schalle gebraucht werden und dieses Merkmal auch schon 
in dem Stammwort (ags. berstan, altn. bresta cum fragore dissilire, rumpi, 
fragorem edere, sonare Grein 1, 92, Egilss. 79) herschend ist. Mit 
unserer halbs. Formel vergleicht sich einigermaßen im Ags.: vyrdige 


202 KARL REGEL 


braecon, burgstede burston Ruine 1. 2; düna briced, gif he töbirsted, binded 
cvice Räths. 39, 6. 7; hi töbraecon hä bücas mid micelre brastlunge Ettm. 287. 
faren and fusen fahren und eilen: nu Vortiger is ifaren, alle 
we mote fusen 13533, 34; vgl. 25967, 68. 29793, 94. Einigermaßen ähn- 
lich sind ags. Stellen wie folgende: farad, — gefjsde Panth. 51. 52; 
(draca) mid baele för füre gefysed Beov. 2308. 2309; gefijsde, — föron 
Elen. 260. 261; und in strenger Bindung füsan ἐδ före (zur Fahrt eilen)’ 
Genes. 2860, fisde hine pä tö före frei moncynnes Höllenf. 33. Derselben 
Grundanschauung gehört auch die wieder-anders gewendete Verbindung 
an ags. füse ἐδ faramne (begierig zu fahren) Beov. 1805, und alts. füsa 
te faranne Hel. 650, füs te faranne ibid. 4784. 5658; ähnlich altnord. 
füss fara (begierig nach Fahrten) Skirnism. 13, füss at fara (begierig 
zu reisen) Möb. 125 und fYsa pangatfarar (anreizen zur Hinfahrt) 
Möb. 128. 446. 
feden and fostren ziehen und pflegen: wale, bat ich pe wedde, 
bat ich pe wostredde 25857, 58; iued and deorliche ifostred 31751, 52; 
ebenso altnord. upp föstra, noera ok foeda Möb. 115. 
ifeond and ἐξα Feind und Widersacher: pw hauest a ba halue 
bone, be be benched‘: hine ifan pe biforen and bine ifeond baeften 16076, 77; 
auch die ags. Dichter verbinden gerne fäh und feond: Beov. 420. 554; 
Exod. 475; Phön. 595; Gen. 899. 900. 
hali and haje heilig und hoch: beien heo iwurden hali and, mid 
gode haje 17506, 7; he wes swide hali mon, haeh touward drihten 16677, 78; 
vgl. 23753, 54; De halidom is a bere hilte, pe hewste of pisse londe 22509, 10; 
ähnlich 21863, 64. Auch im Ags. sind heah und hälig oft verbunden: 
‚Hymn. 9, 13; Crist 379. 653; Dan. 98; Ps. 76, 9. 88, 12; Älfr. metr. 
26, 38; ebenso alts. höhan himilfader, helagna god Hel. 4761 u. ähnl. 1041. 
5977. In unserer jetzigen Sprache sind Wendungen wie hoch und. heilig 
zuschwören, hoch und heilig betheuern, sich hoch und heilig vermessen ganz 
lebendig; im Altnord. begegnet wenigstens här ὁ heilagleik hoch in der 
Heiligkeit, sanctitate excellens Egilss. 299”. 
hux and hoker Spott und Hohn: heos king wes adel Bruttise mon, 
hux and hoker me warp him on 28865; so klar und vollständig erscheint 
‚ die Formel nur in dieser einzigen Stelle, daß sie aber dem Dichter auch 
sonst lebenskräftig im Sinne gelegen hat, das zeigt sich theils in den 
beiden etwas mehr von einander getrennten Versen: hu Bruttisce clerc- 
kes him seiden hokeres und hu Bruttissce biscopes hine graette mid huxes 
29790. 29798, theils in der Verbindung des Subst. mit dem Zeitwort: 
al mid hokerworden pe king heo forhusten 29020, 21, und es scheint 
gleichfalls auf die lebendige Dauer der Formel hinzuweisen, wenn statt 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 203 


der Worte der älteren Handschrift whaet Seottes hafden isaeid mid heore 
huscworden 21682 die jüngere Hdschr. schreibt: wat Scottes hadde iseid 
mid hire hokere wordes. Von den beiden Wörtern ist nur das erste von 
weiterer Verbreitung: ags. husc, hux Grein 2, 112; alts. hosk n. hosk- 
word Heyne gloss. z. H&l 227; ahd. hose sugillatio Grff. 4, 689; mhd. 
hosche, hösche f. Spott, hoschen spotten (äne schimpf und ἄπ hösche, — 
swenne ez schimpfet oder hoschet) Mhd. Wb. 1, 718%; das zweite ist im 
Lajam. ziemlich häufig: mucchel hoker and scarn 17307; swide moche 
hoker 19412; mid hraette and mid hokere 25020; mid, hokere 29086; mid 
heore hokerworden 19595; hokerlod 28872; hokerliche 10049; auch ein 
Zeitwort hokeren (necken, höhnen) 14795. 15785. 29100. Dieses Wort 
entspricht dem ags. höcor (irrisio), welches Ettmüller 487 aus einer 
Prosaquelle verzeichnet hat und welches deutlich zu ahd. höh, huoh m. 
cavillatio, höhön, huohön deridere Grff. 4, 686. 687, mhd. huoch, hüch 
m. (huoh unde spot) Mhd. Wb. 1, 729°. Schade 280, als erweiterte Form 
hinzugehört; da es aber weder in der ags. Dichtersprache noch ander- 
wärts vorkömmt, so erscheint unsere Alliterationsformel nur als eine 
interessante Besonderheit des halbs. Gebietes. 

loken and leiten blicken und blitzen: ofte he hire lokede on and 
leitede mid ejene 18538, .39 (vgl. ladliche laeches heo leiteden mid, ejan 
1884, 85). Das zweite Wort gehört zu dem Subst. leit Blitz, Flamme: 
wid leite, mid storme sturnliche wende 25587; ba sae gon to berne of leite 
and of fure, pa be drake ferede 25599, und entspricht genau dem ags. 
legettan fulgurare (von löget, Ijget n. fulgur) Ettm. 179, goth. lauhatjan 
Dfb. goth. wb. 2, 147, ahd. lougezen Grff. 2, 151; das an dieses halbs. 
leit, leiten nahe anklingende niederschott. lait, layte, late (manner, beha- 
viour, gesture, mien, appearance of the countenance), to lait (to per- 
sonate, to assume the appearance) Jamies s. v. hat doch damit offen- 
bar nichts zu thun: es tritt im Lajam. nur in der Form laete, lete, late, 
lote auf und kann daher mit dem obigen leiten nicht gemischt werden, 
obwohl es sich mit ihm einigemal in der Bedeutung ‚feuriger Blick‘ 
sehr nahe berührt (ofte he hire loh to and makede hire letes 18543; grimme 
heore lates 15971; mid faeire loten hende 14330; mid wunsume lates 1195. 
12278; his laetes weoren alle, swulc he lome weore 30776), wie auch Strat- 
mann beide Wörter richtig geschieden hat, s. altengl. Wb. 341. 354. 
Ebenso ist unser leiten trotz großer ee und begrifflicher Ähnlich- 
keit ganz verschieden von halbs. lejjten suchen (to lejjten and to sekenn 
hatt newe king Ormul. 3457), altnord. leita suchen, sich suchend um- 
schauen Möb. 263, Egilss. 507”. 


204 KARL REGEL 


raed and rune Rath und vertrauliche Beredung: cenihtes eoden 
to raede, enihtes eoden to rune 19238, 39 u. ähnl. 13521, 22. 25331, 32. 
27142, 43. 28692, 93. 28710, 11. 30658, 59; at rede and at rune 24173; 
mine rune halden and mine red finden 31601, 2; ebenso die Zeitwörter 
raeden and runen sich berathen und vertraulich bereden: haer heo 
gunnen raede, per heo gunnen rune 32128, 29 u. ähnl. 13189. 19340, 41. 
32116, 17; auch Zeitw. und Subst. in transitiver oder praedicativer 
Verbindung: Pan kaisere heo radden, pat he write runen 25339, 40; 
he be wolde runen selest raeden 16997, 98; per inne gunnen rume his red- 
jiuen wise 24887, 88. Ähnliches nicht selten im Ags.: monig oft gesät 
rice ἰδ rüne, raedes eahtedon Beov. 172 "raedend rüne And. 627; 16 
rüne, — raedgeheaht Elen. 1162; raed die mon secgan, rüne vritan 
(Runen schreiben, wie oben write runen) Vers. Gnom. Ex. 139; ne mihton 
äraedan rüncräftige men Dan. 734; min rünvita and min raedbora Beov. 
1325; ebenso häufig im Alts.: rädan an rünon Hel. 2722; te theru rünu, 
thar the rädand sat 1273 u. ähnl. 3227. 5064; riedun an rünu: „nis that 
räd Enig“ ib. 4140. Im Altnord. tritt die Verbindung der beiden Worte 
gleichfalls auf: rıjnendr ne radendr Atlakv. 9; runar munt pi finna ok 
radna stafı Havam. 143; red ek baer rünar Atlam. 12, wenn auch nur 
in der ersten Stelle vom vertraulichen Berathen, in den beiden letzten 
vom Errathen der Runen die Rede ist; weiter getrennt erscheinen die 
Elemente der Formel z. B. in Sigurdarkv. III, 43, und roeda ok rıjna 
(reden und raunen) statt rdda ok γύπα (rathen und raunen) findet sich 
Rigsm. 11: roeddu ok rıjndw sie redeten und raunten, — wie auch mhd. 
kein rede noch kein rüne die man im ze leide tuot boshaftes Reden und 
Raunen Mhd. Wb. 21, 795°. Jedenfalls aber erweist sich durch die 
gegebenen Parallelen und Anklänge unser halbs. raeden and runen als 
eine von altersher weitverbreitete und im Volksbewußtsein festgewurzelte 
Verbindung. 

Eine ganze Reihe von solchen Parallelformeln hat Lajam. für die 
Begriffe ‚Friede, Freundschaft, Eintracht, Freude‘: 

saehte and sibbe Friede und Freundschaft: saehte and sibbe he 
huuede 6096; mid. saehte and mid sibbe 8970. 11308. 11471. 14187; vgl. 
2139. 11605; halden sibbe and saehten 16934, und in einer gegensätz- 
lichen Form: betere weore saehte bene swule vnisibbe 9844, 45. 

saehte and some friedlich und einträchtig: ber iwurden sahte ba 
kinges beie tweien, saehte and some 30039; ähnlich 9882, 83. 11666, 67. 
31371, und gegensätzlich: ane while unsome and an odere while isahte 
29435, 36; oder das Adject. mit dem Subst.: pa while ba heo weoren 
saehte and heore men on some 7181, 82; oder auch Subst. und Zeitw. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 205 


von beiden Stämmen: he makede ane saehtnesse and mid ade heo semde 
4258, 59; ba he saehtnesse mid. treode hafde isemed. 10887, 88. 

saht and some Friede und Eintracht: to makian saht and. some 
bituxen him and his broder 2552. 

sele and sahte Freude und Friede: beon we on sele and motegen 
of sahte 15228, 29. 

sibbe and sele Friede und Freude: seodden scullen ba odere faren 
to heore aerde mid. sibbe and mid saele 15154. 

sibbe and some Friede und Freundschaft: ich jifue him mine 
dohter Genuis to sibben and to some 9514, wo die andere Hdschr. liest: 
to sehte and to sibbe. 

saehte, sibbe, some Friede, Freundschaft, Eintracht: heo speken 
ber to saehte, to sibbe and to some 4098, 99. 

sibbe, sahte, sele Freundschaft, Friede, Freude: mid sibbe and 
mid saehte he wolde on sele wunien 15126, 27. 

Man sieht, mit welchem Vergnügen der Dichter diese gleichlaufen- 
den Begriffe in wechselnden Bindungen zusammenfügt, und natürlich 
hat dieses Behagen seinen Grund in der angestaımmten Gewohnheit; 
aber die alten Vorbilder selbst bieten sich im Ags. nur spärlich dar: 
sib and gesaelignes Crist 1677; sib and som Grein gloss. 2, 465; λὲ ἃ 
sace semad, sibbe gelaerad Vers. Gnom. Exon. 20 (worin doch auch 
eigentlich söm and. sib als Grundformel liegt); das Subst. und Adj. 
saht, säht (reconciliatio und reconciliatus) kömmt nur in den ags. Prosa- 
quellen vor, doch beweist die Verbindung der entsprechenden Zeitwörter 
(pät he eal folc sibbige and, sehte Ettmüll. 622), daß die Formel sib and 
saht geläufig war. 

sare and sorje Kummer und Sorge: an heorte he hafde sorje and 
sar 7998; mid seorwen and mid seore 6885; ber wes sarinesse, sorejen 
inoje 27560, 61; und etwas anders: Pat his heorte neore saeri for pan 
vnimete sorhjen 11995, 96; — sari and sorhful traurig und sorgen- 
voll: Pa wes sari pe king and sorhful purh alle ping 15488, 89; sari 
and sorhful an heorte 15114, 15. 18200, 1. 18616, 17. 26133, 34. 28334, 35; 
sarimod and sorhful 29607. 29791, 92; und auf verschiedene Subj. 
bezogen: saeri wes his heorte and sorhful wes his dujede 32013, 14; 
vgl. 29969, 70. Im Ags. ist die Zusammenstellung der beiden Wort- 
stämme sehr beliebt: ne sär ne sorg Guthl. 1065; sär and sorge Genes. 75; 
säres and sorga Runenl. 8; särum — sorge Guthl. 1110; sorgendum sär 
Crist 1267; sorgeylmum — sär Guthl. 1046; sorgeeang, sär Jul. 709, 
vgl. Guthl, 1218. 1219; oder das Adj. sär neben sorg Andr. 1691. 1692; 
Beov. 2468; säran sorge Satan. 28; särra sorga Jud. 182; d. h. Kr. 80; 


206 KARL REGEL 


säre sorgceare Urist 209; sorga särost Genes. 2029. Auch im Alts. bindet 
sich das Adj. sör (schmerzlich) gerne mit sorga oder sorgön: than sie 
is thana endi skulun sorgöndi gesehan; than wirdid im ser hugi Hel. 1357 
u. ähnl. ib. 3179. 3292. 4590. 4773, und sorga — serag-möd 822. 
4069. Altnord. finde ich wenigstens einmal: sorg ϑάγα schmerzliche Sorge 
Gudrünarkv. 1, 24; dem Mhd. scheint die Bindung ser unde sorge ganz 
abzugehen: es hat dafür leit unde 86)", — leit unde sorge vgl. Mhd. Wb. 
2°, 254. 469. Im Lajam. treten beide Wörter auch zuweilen mit seoc 
(krank) zusammen; so steht seoc and sorhful: ber lid be king seoe 
and sorhful an heorten 17644, 45; seoc, sorje: ba wes ich al wet and 
weri of sorjen and seoc 28081; Pa iwerd he king: see burh hefejere 
seorwe 2795, 96; seoc, sari: bat seoc wes Howel his maei, ber fore he 
wes sari 21113, 14; diese Formeln erhalten ihre Bestätigung und ihr 
rechtes Licht durch die ähnlichen der ags. Dichter, indem das ags. 
sede nicht bloß ‚aegrotus‘, sondern sehr häufig auch ‚moestus‘ bedeutet: 
sede and sorhful (traurig und sorgenvoll) Satan 275; ic päs deddes hafu 
on häs sedenan tid sorge on möde Guthl. 1041; μᾶ be on säre seöce lägun 
Crist 1356; sum (sceal) on fede lif seonobennum sede sär cvänian Bi 
manna vyrdum 19. Daß der letzten Verbindung eigentlich ein einfacher 
physischer Gegensatz zu Grunde liegt, zeigt das altnord. sjukr eda särr 
krank oder verwundet Möb. 373. 

scome and sconde Scham und Schande; diese alte Formel kömmt 
zwar selbst im Lajamon nicht vor, aber es erscheint doch als ihre 
Wirkung, wenn die beiden Wortstämme in mancherlei Verbindungen 
neben einander auftreten: him swide scomede, bat he swa iscend wes 
4851, 52; wreken bene muchele scome, bat heo us iscend habbeod 21181, 82; 
he ne mihte for scome muchelen scenden hine seoluen 23681 f.; penne were 
his cum iscend. mid scomeliche witen 20461, 62. Im Ags. begegnet die 
echte Formel: scand and sceamu Psalm. 70, 12, und daneben stehen 
viele Nachklänge derselben: Pbonne beod gescende and scame dreögad 
Ps. 69, 2; äscamode scondum gedreahte Cr. 1299; veordad gescende and 
hiora scamiad svidust ealles Ps. 128, 3; vgl. Cr. 1274, Ps. 68, 7, Gen. 
874. Auch im Mhd. ist die Verbindung geläufig: schande unde scham, ür 
᾿ schande und ir scham, schemehichiu schande Mhd. Wb. 2°, 82°. 

seodden, — sone später, bald darauf: seoppen pe leodfole sone 
bar after leiden adun hane name 2035, 36; he wes sone her deaed; sudden 
com Lago 3917, 18; seodde sone per aefter 18602, 3; sudde paer after 
ful sone 30338, 39. 30790, 91; — ags. siddan, seoddan finde ich nicht 
mit söna verbunden. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 207 


setten and semen festsetzen und schlichten: pa he hafde al iset 
and al hit isemed 21127, 28; pa hit al was iset and ferden isemed (das 
Heer geordnet) 27430,31; pa hafde Ardur France mid gode gride astalde, 
iset and isemed (eingerichtet und geordnet) 24103; in zwei anderen 
Stellen steht neben dem trans. setten das intrans. semen (passen): he 
haehte setten hire on nome be hire mihte isemen 9586, 87 u. ähnl. 10206, 7. 
Die entsprechenden älteren Wörter — ags. söman, gesöman und settan, 
gesettan, altnord. semja (welches freilich auf einer wesentlich verschie- 
denen Vocalstufe steht, indem dem ags. söman nur altn. soema identisch 
gegenüber liegt) und setja — sind ganz synonyme Ausdrücke für alle 
rechtlichen Feststellungen, und unsere halbs. Verbindung läßt daher 
das Vorhandensein einer ähnlichen alten Rechtsformel auf diesen Gebieten 
(geseman and gesettan, — setja ok semja) vermuthen: aus den mir zu- 
gänglichen Quellen vermag ich aber nur die unsichere Stelle (semr hann 
doma ok sakar leggr, vesköp setr Völuspä 63) als Beleg beizubringen. 

slumen and slaepen schlummern und schlafen: seodden he adun 
laei; swa he gon slomnen and her aefter to slepen 1219, 20; Merlin gon 
to slume, siwule he wolde slaepen 17994, 95; pa gon he to slepen, ba gon 
he to slumen 32057, 58; nu nan heo seulled; slumen and seodden slaepen 
18408, 9. Diese Verbindung malt lebendig die beiden Stadien des Schlafes 
aus und ist ohne Zweifel eine weitverbreitete und volksthümliche; wir 
sagen noch gerne: er schlummert und schläft den ganzen Tag; Gott 
schlummert nicht und schläft nicht; und in anderer Weise: ich habe die 
ganze Nacht keinen Schlummer geschlafen. Eben dahin weist auch die 
eigenthümliche ags. Wendung ‚der Schlummer des Schlafes‘: pät hine 
aereste elne binöman slaepa sluman Guthl. 314. Zu unserem Zeitw. vgl. 
mhd. slummen dormitare Mhd. Wb. 2°, 416°. 

speken and spilien sprechen und reden: bus speken Jeos swiken 
and spileden mid worde 3816, 17; Belin king heom to spaec and us 
heom. wid: spilede 5612, 13 u. ähnl. 8531, 32. 8591, 92. 15692, 93. 17268, 69. 
17388, 89. 25563, 64. 30033, 34. 31895, 96; ofte heo stilleliche spaeked 
and spilied mid runen 14101, 2; manchmal tritt auch das entsprechende 
Subst. an die Stelle des einen Zeitwortes: Pat fole gan to spelien Irlandes 
speche 10068, 69; what weoren bat speche pe pat maide spülede 14315, 16; 
ba spilede pe king mid. ewikere speche 15804, 5; ofte he him spaee wid 
and spelles him talde 18768, 69; vgl. in ure spaec-huse, per he spel halded 
13123, 24. Im Ags. könmt zwar die Formel sprecan and spellian nicht 
vor, aber es weist doch deutlich auf dieselbe hin, wenn die Dichter 
nicht ungern das Neutr. spell mit dem Fem. spraec oder mit dem Zeitw. 
sprecan verbinden: ic be mäg edde ealdum and leisum spellum andreccan 


208 KARL REGEL 


spraece gelice efne hisse can, be ve ymb sprecad Älfr. Metr. 26, 2. 3; 
ἐδ binre spraece; — mid spellum Genes. 516; spraece, — on spellum Guthl. 
1133; sprecan, — spell Gen. 2405; bu Pe änne genim ἐδ gesprecan symle 
spella Fäder Larev. 25; auf ganz ähnliche Weise bindet die alts. Dich- 
tung (nur verhältnissmäßig noch weit häufiger) spel mit spräka oder 
sprekan: spräkono spähi, — spel Hel. 572. 1992. 2467; thea spräka godes 
endi spel managu ib. 1734; vgl. 1376; sprak spähliko endi sagda spel 
godes ib. 1381, vgl. 2651; späharö spellö, ak sie bigunnun sprekan undar 
‘ im ibid. 2674. Während sich aber hier in dem standhaften Nebenein- 


andererscheinen der beiden Wortstämme die Gewalt einer volksthüm- _ 


lichen Gewohnheit formelhafter Verbindung unverkennbar kund gibt, 
tritt dieselbe im Mhd. nur noch mit schwachem Nachklange hervor; 
vgl. Stellen wie: swer ez baz oder anders sprichet unt setzet siniu spel 
dar zuo, — nu mag ichz wol gesprechen sicher än allez spel Mhd. Wb. 2°, 491". 

strong and staerc kräftig (fest, heftig) und stark: strong mon 
wes Frolle and sterce mon on mode 23677, 78, ähnlich 12356, 58, 60; 
hu pw mihtest his weorc makien strong and sterk 17000; he makede enne 
stronge castel mid starke ston walle 188, 9, ähnlich 4036, 37; bat fiht 
was swibe strong, swibe starc and, swipe lang 4170, 71; — nur einmal 
finde ich sturne and staere rauh und hart: ah he wes swide sturne 
and staerc wid beon folke 9196, 97. Bei den ags. Dichtern von beiden 
Verbindungen nur schwache Spuren: se stearca storm, bonne he strong 
cymd nordan and. edstan Älfr. Metr. 6, 11; stöpon styrnmöde stercedferhde 
Jud. 227; im Mhd. taucht die erste Formel in etwas veränderter Be- 
deutung auf (starc unde strenge = schmerzlich und hart): daz des libes 
töt ist starc unde strenge arm. Heinr. 597, und auch unsere jetzige 
Sprache bewahrt noch in sinnlicher Beziehung die alte Verbindung und 
den ursprünglichen Begriff, wenn wir sagen: die Arzenei hat einen stren- 
gen und starken Geschmack. 

isund and sel (on selen) gesund und tüchtig (glücklich): Dat he 
wes isund icumen and his fole on selen 22697, 98; be while be heo weren 
isunde, pe weren his sele men (seine tüchtigen Mannen) 668, 69. Diese 
Verbindung klingt ganz volksthümlich (mittelengl. sound an seel?); vgl. 
ags. on baere stöve ve gesunde mägon saeles bidan Genes. 2523. 

walk and win Kampf und Streit: par aros wale and win and 
widerheppes feola (die Hdschr. hat an der Stelle gewiß nur durch Schreib- 
fehler wale and win) 404; bitweonen heom araes walce and win, wider 
heo weoren beien 2542; we habbed ihaued moni burst, moni hunger and 
moni purst, moni walc, moni win bi wilde pisse watere 6225. Der vor- 
herschende Sinn der interessanten Formel ‚Kampf und Streit‘ tritt 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 209 


deutlich schon im Ags. hervor: päm castelan, tögeanes pän he manega 
geveale and gevinn häfde Chron. Saxon.; die ursprüngliche Bedeutung 
von ags. geveale aber geht auf das Rollen der Meereswogen (vgl. veal- 
can, gevealcan volutare, vealca die rollende Woge, 7da geveale der rol- 
lende Wellenkampf Grein gloss. 2, 669. 1, 477), und dieser Grundbegriff 
liegt noch deutlich in unserer dritten Stelle vor, wo von den Mühsalen 
des Seelebens die Rede ist. Daraus erklärt sich auch die in der jüngeren 
Hdschr. an den beiden ersten Stellen (404. 2542) und in der älteren 
Hdschr. an der dritten Stelle (6225) hervortretende Variante wind statt 
win, indem wohl neben wale and win (= ags. geveale and gevin) für 
den ursprünglicheren Begriff eine zweite Formel wale and wind (= ags. 
vealca and vind Woge und Wind) bestanden haben muß, die noch aus 
den auf den Hagel bezüglichen Dichterworten vealcad hit vindes scüra 
Runenl. 9 einigermaßen hervorzuleuchten scheint. Anderseits hat wieder 
das alts. gewin dieselbe Doppelbeziehung auf den Streit der Menschen 
und den stürmischen Aufruhr in Luft und Wasser wie ags. geveale 
(wedares giwin Hel. 2252; thurh thes wederes gewin ib. 2920; thurh thes 
wateres gewin ibid. 2966; wid thes watares gewin ibid. 2974), wodurch 
die physikalische Bedeutung unserer Formel walce and win eine neue 
Stütze erhält. 

wepen and wanen (oder mit nord. Vocal weinen) weinen und 
klagen: ‘ba üherde he wepen wunder ane swiden, wepen and. weinen and 
wanliche iberen 25827; weop for hire wei-sid, wanede hüre sides 25846, 47; 
nu we majen wepen and, wanliche iberen (kläglich thun) 30287, 88; und 
wepenn wipp skill and wanenn Ormul. 5653: — ähnlich ags. sär vänian, 
vraecsid vepan Guthl. 1046. 1047; vepad: vänende Crist 993. Im Altnord. 
dauert die Verbindung dem einseitigen Abfall des anlautenden v (oepa, 
öp) zum Trotz: hann veinar mjök ol: oepir, und substantivisch: dp ok 
veinan Möb. gl. 503; ebenso ist sie auch im Mhd. lebendig: wuofen 
unde weinen Mhd. Wb. 3, 824” und substantivisch: hie huop sich ein 
michel ruoft, michel weinen unde wuoft Gottfr. Tristan 5480. 

weste pades and wildernes Wüsten und Wildnisse: ich wulle 
in his londe — maken him weste pades and wildernes monie 17330, 31; 
he scal habben papes weste and wildernesse ingje 30334, 35; ähnlich hat 
das Ormulum inntill wilde and wessteland v. 11415 und oft die attributive 
Verbindung wilde wesste Orm. 894. 1337. 1387. 1425. 1613. 5943. 17408. 
Im Ags. erscheint wenigstens das Subst. vösten öfters neben dem Ad). 
vird: se vilda fugel in pam vestenne Phön. 201; on v£stenne vildra deöra 
pät grimmeste Reden der Seel. 82; vildeora vesten Dan. 622; die attributive 
Bindung auch im Afrs.: of there wilda wostene od. westene Rhfn. 1160", 

GERMANISTISCHE STUDIEN, 14 


910 KARL REGEL 


Das Mhd. bindet sowohl beide Substantiva mit einander als auch jedes 
derselben mit dem entgegenstehenden Adj. Mhd. Wb, 3, 812". 

wis and war weise und bedachtsam: god eniht wis and war 
26000 u. ähnl. 7261. 7329. 8578. 17997. 18165. 26949; vgl. Brutus 
wes swide war, for wisdome him fulede 1486, 87; auch im Ormul. ein- 
mal: beb warre and wise v. 18313. Im Ags. kann ich zwar die ent- 
sprechende Formel vis and vär selbst nicht belegen, aber das verschieden- 
artige Nebeneinandererscheinen der betreffenden Stämme weist nicht 
undeutlich auf ihr Vorhandensein hin: ves pu giedda vis, vär vid villan 
Fäd. Larev. 41. 42; varı mid visdöme Ps. 118, 17; visdömes bebearf, 
vorda värliera Elen. 543. 544; värvyrde — visfäst Fäd. Larev. 57. 

wis and witer weise und klug: heo wes witer, heo wes wis 9600; 
ähnlich 16032. 19637; welle witer wes per a mon and wisliche heold his 
cunedom 6094, 95; king, bu aert vnwis and vnwiter a raede 16022, 23; 
auch die dazu gehörigen causativen Zeitwörter: heje Diana, help me 
to neode! wise me and witere mache mich weise und klug 1200; — 
wis and witele dass.: ba cnihtes weoren wise and. ful jere witele 
5638, 39; ähnlich 14538, 39. 18546, 47; — wis and witie dass.: nu 
sugged mine wise and mine witie men 15828, 29; — wis and witful 
weise und gewitzigt: be wes swide wel idon, wis and witful 911; he 
wes swide wis mon and witful on boken 22097, 98; — auch die Sub- 
stantiva wit and wisdom Verstand und Weisheit: aelc bi his witte 
wisdom saeiden 25627, 28. In allen diesen Stellen gibt sich offenbar 
eine starke Neigung zu formelhafter Verbindung der beiden Stämme 
kund, aber die einzelnen Formeln lassen sich nur unvollständig im 
Ags. wieder erkennen, weil die unseren Ableitungen von wit ent- 
sprechenden ags. Formen entweder nur unsicher oder gar nicht nach- 
weisbar sind: ein ags. vitful begegnet nicht, — vitol (sciens) gibt Ettmüll. 
144 ohne Beleg, — und das halbs. witer, witter findet sich nur in dem 
altnord.. vitr (intelligens, prudens Egilss. 8905, Möb. 524) wieder; es 
steht an verschiedenen Stellen der Edda (vitr Saem. zu Sigurdarkv. 2, 1; 
vitri Atlam. 3. 12; Hrafnag. 11; vitru Sigurdarkv. 1, 51; vitrari Saem. 
zu Sigdrifum. 37) und nur einmal bindet sich sein Superl. mit einem 
"Compos. von viss: hann red löndum ok var allra manna vitrastr ok fram- 
viss Saem. zu Sigurärkv. 1, 1. Dagegen zeigt das Ags. nicht nur vis 
and gevittig Beov. 3094, sondern bestätigt auch die Volksthümlichkeit 
unserer halbs. Formeln noch durch viele andere Dichterstellen, in denen 
das Δα]. vis oder das Masc. visdöm mit sichtbarer Vorliebe zu den Subst. 
vit n. intelleetus, gevit n. id. und vita m. homo sapiens gestellt wird: 
vites ἐδ vearninga ham he hafad visne gepoht Urist 922; vis on gevitte Andr. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. >11 


316. 470; vis on hinum gevitte Höllenf. 78; purh vis gevit Crist 1193; 
visan gevitte Andr. 552; gevitte vise Genes. 1958; visdömes gevit (gewitt) 
Andr. 645; Elen. 357. 1191; vöste visdömes, — bütan gevitte Salom. 22. 
23; — visdömes vradu and vitena fröfur Runenl. 4. Ähnliche Verbin- 
dungen sind im Alts. beliebt: wösumu manne the giwit habhad Hel. 1808; 
wisarö wordö, — giwit mikil ibid. 209; sö manag wislik word endi giwit 
mikil ibid. 23; wislik fan is gewittea ib. 1762; that gewit endi the wis- 
döm ib. 1847; word endi wisdöm endi gewitteö mest ib. 848; als eine Wir- 
kung der starken Lebendigkeit der hier zu Grunde liegenden Formel 
muß es auch erscheinen, wenn sich giwit mit anderen etwas weiter 
abstehenden Wörtern wie wisa (modus) und wisian (ostendere) bindet: 
güwitteas endi wisum ἨΔ]. 239; giwit — wisean ibid. 1278; vgl. 4713. 
Dem Mhd. sind Verbindungen wie wise unde witzee, — witze unde wis- 
heit nicht geläufig, aber die alte Formel klingt auch hier in manchen 
Stellen durch: vgl. von höhen witzen ist vil wis Pallas, diu der wisheit 
urhap unde kröne treit Barlaam 246, 6—8; ez hät ouch rehter wisheit 
niht, im wont gerne niemen bi, der mit rehten witzen si 236, 16—18; 
unwise unde an witzen blint 236, 4; got des wiser rät für daht in sinen 
witzen hät gut. Gerh. 500. 

witeje and wise Weißager und Weise: (he king) sende after 
witien, after worldwise monne, pa wisdom euden 15495 ff. (vgl. 9094, 95); 
mid be bu laede tweolue of Pine witijen, of pine wisuste monnen 4368, 69; 
ähnl. 1168, 69. Ebenso wird das ags. vitega, vitga (vates) gerne mit 
vis oder visdöm verbunden: Elen. 592. Crist 306. 64. Phön. 30; vis- 
döm — vitgena Elen. 334; vgl. auch die wohl auf Anklang an dieselbe 
Grundformel beruhende Bindung mit vise (modus) Ps. 73, 9. 

wod and wild wüthend und wild: ne wurde nan eniht swa wod 
ne kempe swa wilde 8593, 94; he wes wod, he wes wild 13741. Im 
Ags. weist auf die Lebendigkeit einer ähnlichen Formel (vöd and wild) 
die verwandte Bindung vidan svä vilde deör Julian. 597. Guthl. 879; — 
unsere heutige Sprache aber verbindet gerne attributiv die wilde Muth, 
in wilder Wuth. 

4. Mit derselben Natürlichkeit, mit welcher wir bisher gleichartige 
und nahe zusammenliegende Begriffe nach dem Gesetze des Parallelis- 
mus mit einander vereint gefunden haben, sehen wir in anderen Fällen 
die formelhafte Verbindung umgekehrt durch den begrifflichen @egen- 

‚satz herbeigeführt werden: unter diese Kategorie alliterierender Formeln 
hätte auch manches von dem gebracht werden können, was ich oben 
unter Nr. 1 aufgeführt habe (z. B. fise and flaese, ‚fise and Fujel, fur and 
fehte, haefd and hond, heort and hinde, king and keiser : μι and leome, 


212 KARL REGEL 


maeie and mon, ord and egge, stock and stan, ein and peod), aber es 
schien mir richtiger dort nicht den Gesichtspunkt der unvereinbaren 
Differenz der Begriffe, sondern den ihrer nur stark differenzierten Einheit 
innerhalb einer gemeinsamen Sphäre, also die Zusammengehörigkeit, 
nicht den Gegensatz als die ursprüngliche Kategorie walten zu lassen 
und dagegen nur in den hier zu betrachtenden Fällen den schroffen 
inneren Widerspruch der verbundenen Vorstellungen als das eigentlich 
entscheidende Moment zur Geltung zu bringen. 

dal, dune Thal, Hügel: pa he com in ane dale under ane dune 
27162, 63; nu ich al pis kinelond sette in eower ajere hond, dales and 
dunes 21437; alle pa dales, alle pa dunes 27352, 53; jeond dales and 
jeond, dunes 20860; ouer dales and ouer dunes, ouer deope wateres 21489; 
of dalen and of dunen and of baechen deopen 21775; auch im Ormul. 
wude and feld and dale and dun, all wass ὁ waterr sunnkenn v. 14568; 
nohht i dale ne uppo dun ib. 13264. Im Ags. scheint die gewöhnliche 
Formel gewesen zu sein denu and dün, vgl. of denum and of dünum 
Räths. 28, 3; sindon dena dimme, düne up-hed Klage der Fr. 30; aber 
in einer Stelle gesellt sich auch däl hinzu: ne dene ne dalu ne dünscrafu 
Phön. 24. 

don, demen thun, beschließen (denken und thun): al swa ich 
wulle don, swa bu hauest idemed 16875, 76; al swa he idode, alse hit 
idemed was 15348, 49 u. ähnl. 16865, 66. 17846, 47; auch die Composita 
Fordemen, fordon verdammen, vernichten: wolden ba Bruttes al fordon, 
ha claerkes fordemen 29825, 26; vgl. ich wulle makien bene dom, hu he 
scal beon fordon 16617, 18. Der in diesen beiden Wortstämmen ent- 
haltene natürliche Gegensatz von That und Urtheil liest auch im Ags. 
auf verschiedene Weise vor: hvät him äfter daedum deman ville Crist 
803. Julian. 707; hvonne him bearn godes deman ville purh his daeda sped 
Sat. 623; pät ve aefästra daede demen (preisen) Guthl. 498; deman daed- 
hvate Jul. 2; daeda demend (der Thaten Richter = Gott) Beov. 181. 
Jul. 725. Vers. Gnom. Cott. 36; hät göde ded drihten dömas Ps. 139, 12; 
hät ice bine dömas daedum healde Ps. 118, 7; — weniger deutlich tritt 
die Nachwirkung einer solchen Formel in einigen alts. Stellen hervor: 
Hel. 3999. 4335. 5421. 

jirnen, jetten begehren, gewähren: be king him jette al bat he 
jürnde 4426, 27; al bat he jürnde, al he him jette 22521, 22 u. ähnl. 
4789, 90. 10052, 53. 10064, 65. 14916, 17. 22677, 78. 23601, 2. 23691, 92. 
31757, 58; — so stark und entschieden formelhaft dieser Gegensatz 
auch ausgeprägt scheint, so wenig zeigt sich doch anderwärts etwas 
Entsprechendes. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 213 


heowene and helle Himmel und Hölle: pu clumbe a pissen hulle 
wunder ane hagje, swule hu woldest to heuene; nu Ju scalt to helle! 21441, 
42; — ags. heofon and hel Crist. 1592; geceöosan möt svä helle hiendu 
svä heofones maerdu ibid. 591; vgl. Elen. 1230. Gen. 303. Auch mhd. 
durch himel unt durch helle, — helle unt himelriche sint mir kunt geliche 
Mhd. Wb. 1, 677°. 685”. 

heje and haene hoch und niedrig: alle ba heje men he hatede to 
daede and alle ba haene mid harme he igraette 11096, 98; vgl. pa haene 
swa hah mon 2565, 66; riche men and haene, to haejen pan king 19968, 
69. Die entsprechenden ags. Adj. heih und hedn sind wol wegen der 
großen Ähnlichkeit der Form nicht in einen festen Gegensatz gestellt 
worden, welcher vielmehr lieber durch Formeln wie röce and heäne, 
velige τὰ heäne, vlance and hedne ausgedrückt worden ist, vgl. Grein 
gloss. 2, 55. Ettm. 482. 

laered, laewed Gelehrter (d. i. Geistlicher), Laie: nes he naeuere 
iboren of nane enihte icoren, ilaered no laewed, a nauere nare leode 24625; 
quelen ba lareden, quelen pa leouweden 31829, 30: — auch im Ormulum 
die gleiche Verbindung: he turrnde mikell folle till Godd ja laewedd folle, 
ja laeredd v. 846 und weiter getrennt hatt laerede folle — lawedd folle 
ib. 7440. 7442; ebenso im Offenen Brief König Heinrich’s III. a. 1258: 
to alle hise halde ilaerde and ilaewede Haupt Zeitschr. XI, 298. 301. 
302. Vgl. die gleichbedeutende mhd. Formel pfaffen unde leien Mhd. 
Wb. 1, 960%. 

leof, lad lieb, verhasst: were him lef, were him lad 3036; 
19998. 22877; cnihtes, je beod me leofue, ah has tidende me beod; lade 
13941, 42 u. ähnl. 18734, 35. 19940, 41; [76 per, bu lade mon, leof bu 
beo han scucke 28724, 25; zuweilen auch /uuen, lad lieben, verhasst: 
he luuede pane sunne (die Sünde), be lad is ure drihtene 28840, 41; 
wapmon huuede wapmon, wifmen heom lade weoren 28844, 45; — eine 
bekantlich vielbeliebte und weitverbreitete Bindung: ags. ne leöf ne läd 
Beov. 511; leöfes and lädes ibid. 1061. 2910; vid leöfne and vid lädne 
Seefahr. 112; leöfum ge lädum Crist 847; — alts. the wid mi habbiad 
led-werk giduan, leobho drohtin Hel. 3245; sö liof sö led ib. 1332; liof 
widar irö lede ib. 1458; — altnord. jüft ok leitt Möb. gloss. 261; ἐάν 
verdr leidr Hävam. 34; opt sparir leidum paz hefir Ijüfum hugat Hävam. 
39; — besonders mhd. liep oder leit, — liep äne leit, — liep unde leit, — 
leit und liep, — hiute liep, morne leit, — liep mit leide, — liep näch 
leide, — näch liebe leit, — ein leit näch liebe, ein liep näch leide Mhd. 
Wb. 1, 1014. 


214 KARL REGEL 


libben and liggen leben und liegen (todt sein): togadere be 
"kinges comen and aedes heo sweoren, bat heo wolden libben to-gadere oder 
liggen 5161, 62; to-gaderen wit seullen hibben, to-gadere wit scullen liggen 
8780, SI und ähnl. 5869. 7741, 42. 27334; manchmal hat diese Ver- 
bindung nicht die gegensätzliche Bedeutung ‚leben und sterben‘, son- 
dern enthält den Parallelbegriff ‚leben und wohnen‘: bi-tache me aenne 
castel oder ane kineliche burh, pat ich mai inne ligge, pa while ba ich 
libbe 14131, 32; Pat fole flah in to wuden and wuneden in be eluden, leien 
in ba stan-graffen and liueden bi deoren 31881, 82. Im Ags. weiß ich 
kein liegan — hibban od. hifian, und nur vereinzelt bindet sich liegan 
mit [6 u. lie: Beov. 966. Reiml. 75; in anderem Sinne gilt die altn. 
Formel: %f liggr vid das Leben steht auf dem Spiele Möbius gl. 269. 

modful — milde zornig — sanft: monienne modfulne mon Ardur 
makede milde 24139, 40. Dieser gegensätzlichen Verbindung steht ander- 
wärts die mehr gleichartige (adverbial oder attributiv bestimmende) 
von möd und milde gegenüber: so alts. mildi an is möde mild in seinem 
Herzen H&l. 1259. 1293. 1887. 1958. 3011. 3367; — ags. mödes milde 
Beov. 1229; milde möd Guthl. 711. Crist 1211; milde möd Bi monna 
cräftum 113. Psalm. 65, 18. 58, 16. 62, 3. 68, 16. 146, 6; milde möd- 
sefa Jul. 235. Ps. 108, 16; — auch mhd. miltes muotes minre vil dan 
ein getwerc Walther 27, 2 (Pfeiff. 148, 6). 

ord — ende Anfang — Ende: ord fram ban ende al he him talde 
15770; for pat sode is iwriten, hu hit is iwurden ord from han enden 
of Ardure pan kinge 22983. Diese Formel (von Anfang bis zu Ende) 
ist vielfach verbreitet: ags. from orde öd ende ford Elen. 590; ostfr. 
von örd t6 ende Stürenb. 169; mhd. von dem orte unz an daz ende, — 
von ort ze ende Mhd. Wb. 21, 445* (vgl. ahd. ter reiz ortöt sia an dien 
enden Grff. 1, 471, vgl. 2, 559); — daneben auch die copulative Ver- 
bindung (Anfang und Ende): ags. ord and ende Dan. 162; afrs. sin 
oerd ende sin eynd Rhfn. 970°. Dahin gehört wohl auch das bekante 
engl. odds and ends (verschiedenartige Bruchstücke, allerlei Einzeln- 
heiten, eig.: Anfänge und Enden), denn dieses engl. odds scheint auf 
dem altn. oddr m. Spitze (Möb. 321. Egilss. 610) zu beruhen, welches 
dem ags. ord ἢ. euspis, initium (Gr. gl. 2, 356), mhd. ort m. und ἢ. 
(Mhd. Wb. 2', 444” ff.) entspricht; vgl. Dfb. goth. wb. 1, 286. Auch 
wir sagen in etwas anderem Sinne noch heute: an allen Orten und 
Enden. 

quellen — quiec tödten — lebendig: pat he heom wolde quellen 
ober quie al forbrennen 644, 45; at alle he wulled quellen, quie bat he 
finded 1504, 5; ähnl. 26173, 74. 30179, 80; etwas anders 5658, 59. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 215 


31681, 82; und mit dem Subst. qualm (Sterben): her wes muchel mon- 
qualm, bat lut her quike bilefden 4044, 45. — Im Ags. begesnet keine 
Spur einer solchen Bindung; aber im Alts. finden sich ganz entspre- 
chende Stellen: hwedar sie sie quelidin, the sie sie quika letin Hel. 3849, 
u. ähnl. 5349. 5440. 

song — spel Gesang — Rede: nes hit neowhaer itald on songe 
no on spelle 12093; bat men majen tellen heore cun to spelle and her of 
wurchen songes inne Saexlonde 19583, 84; derselbe Gegensatz wird ohne 
Alliteration ausgedrückt durch leod and spel Lied und Sage: heora 
nomen ne herdi neuer tellen a leoda ne a spella 1803, wo die jüng. 
Hdschr. wit verändertem Sinne hat in bok no in spelle (weder in schrift- 
licher noch in mündlicher Überlieferung), — ohne Gegensatz aber und 
der oben besprochenen Parallelformel speken and spilien gleichstehend 
ist die Bindung saje oder spel (Sage oder Gespräch): wha iherde auere 
suggen a saejen oder a spelle 6662. — Im Ags. treten beide gegensätz- 
liche Verbindungen nur vereinzelt und annähernd hervor: (se Visdöm) 
gliovordum göl gyd ät spelle, song södevida sumne γ᾿ geta Alfr. Metr. 
7, 2. 3; leodum and spellum ib. 30, 8; vgl. mhd. an spelle noch an liede 
Haupt 5, 430, und ein spel singen in üblem Sinne, mit völliger Ver- 
wischung des alten Gegensatzes: ich sunge ein bispel oder ein spel, ein 
wärheit oder ein lüge Mhd. Wb. 2°, 491". 

suggen and singen sagen und singen: (nas na eniht wel itald, 
bute he cude) suggen and singen of Ardure pan kinge 23013, ähnl. 
20981, 83; ba sungen hired-men mid haejere strengde and hbaes word 
saeiden inne murie heore songen 19572, 74; und noch weiter geschieden: 
ber sungen beornes seoleude leodes of Ardure han kinge and of his here- 
bringen, and saeiden on songe 22077, 81; — nach seiner vollen ursprüng- 
Jichen Schärfe ist der alte Gegensatz nur in den ersten Beispielen 
lebendig, in den letzten verblasst das ‚Singen und Sagen‘ zu dem 
schwächeren ‚Sagen im Gesange‘. So hat das Ags. auch schon sang 
secgan Sat. 235 neben singan and secgan Crist. 667, seogan odde singan 
Älfr. Mtr. 2, 17, ie singe södlice and secge ede Ps. 103, 31, singan and 
secgan spell Vidsith 54. Der alts. Dichter braucht die gegensätzliche 
Formel nur einmal, aber in eigenthümlicher Ausprägung: that skoldun 
sea fiori thuo fingron skribhan, settian endi singan endi seggean ford Hel. 
33, wo der ruhige mündliche Vortrag zugleich dem begeisterten Gesange 
und der schriftlichen Aufzeichnung entgegengesetzt wird; über das mhd. 
singen unde sagen 5. Mhd. Wb. 22, 17”. 18". 300". 

swerien — swiken schwören — betrügen: aides heo sworen, 
swiken pat heo nolden 4100, 1 u. ähnl, 22411, 12. 23325, 26; pat ie 


216 KARL REGEL 


wulle swerien, pat nulle ich naeuere swiken 22609, 10; — diese Ver- 
bindung hat zwar ganz das Ansehen einer alten Rechtsformel, aber es 
bietet sich anderwärts nirgend etwas ihr Entsprechendes dar. 

wapmon — wifmon Mann — Weib: per wes moni wepmon, ber 
wes moni wifmon 1868, 69; wapmen and wifmen 426. 6183. 11796; 
wepmon ne wifmon 4030; ne wapmen ne wifmen 1119; mong pan wif- 
monnen wepmon naeuer enne 11833, 34; pe king hire wende to, swa wap- 
mon sculde to wimmon do 19055; — ähnlich ags. fäder and möder, vif 
and vaepned Genes. 195; pä he gedaelde him deore tvä, vif and vaepned 
ibid. 2745; viggryre vifes be vaepnedmen Beov. 1284. Eine solche 
Formel kömmt natürlich auf den anderen german. Gebieten nicht vor, 
weil denselben insgesamt die bezügliche Bedeutung von vaepen (mem- 
brum virile Grein gl. 2, 648) abgeht; aber innerhalb unseres Kreises 
zeigt sich diese Bindung auch im Ormulum: ὁ hatt wise iss le an mann, 
weppmann and wimmann bape 16671; bi wimmenn — bi weppmenn 
2061, 62; weppmenn and wifmenn 3060. 7076. 15707; ὁ weppmenn and 
ὦ wifmenn ec 4254; till weppmann and till wifmannkinn 3058. 

waxen — wonien zunehmen — abnehmen: heore uole gon waxen 
and Bruttes gunnen wonien 26990, 91; und etwas anders wexen — 
wonien zunehmen — vermindern: jif heo wel wexit, heo wulled wonien 
us 981, 82; vgl. wannsenn — waxenn (abnehmen — zunehmen): Orm- 
1901,2. 18481, 83. Im Ags. ist diese Verbindung nicht ohne Beispiel: 
vanad and veaxed Bi manna leäse 32; ne verd ne vanad (Boeth.) Ettm. 
118; — dem Afrs. scheint sie geläufig gewesen zu sein, vgl. hveder sa 
hira god wazxe, sat wonie, — thet wiwegod ne mei nauder waxa ni wonia 
Rhfn. 1158. 

word and writ Wort und Schrift: he dude to witen purh worde 
and purh writen 10388, 89; daed pe ful wel to witen ba bi worden and, 
bi writen 10500, I, ähnl. 15193. 30887; senden mid weorden and mid 
writen 11318; sended mid write and mid worde 25005; weniger formel- 
haft: under pan worden heo letten writ makien 29024, 25; hus pa word 
seiden, pa a ραν writ stoden 29028, 29. Ähnlich im Ags.: vordum 
seegad and vritu chdad Phön. 425; pa vord, sva us gevritu seegad, ibid. 
655; vord — gevritu Salom. 50; im Alts. liegt dieser Gegensatz wenig- 
stens in der Verbindung von writan und word: nicht undeutlich vor: 
Jöhannes namon wisliko giwröt endi after mid is wordu gisprak ΗΔ]. 237; 
writan wisliko word-gimerkiun ibid. 233. In den Mundarten, welche 
von dem anlautenden wr des zweiten Wortes das w abgestreift haben, 
kann von einer entsprechenden Formel natürlich nicht die Rede sein. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 217 


Eigenthümlich schließen sich diesen gegensätzlichen Wortbin- 
dungen noch einige adjectivische an, in denen durch einen dem Positiv 
nachtretenden Comparativ ein lebhafter Contrast hervorgerufen wird: 

haeh — herre hoch — höher: be an hine talde haeh, pe oder muche 
herre 22757, 58. 

wa and wurse weh und noch schlimmer: pa wes Vortigerne wa 
and aeft him wes wurse 16164, 65; wel oft wes Leir wa and neuer wurs 
banne pa 3452, 53 u. sehr ähnl. 20383, 84. 30560, 61. Eine andere 
Wendung desselben Grundbegriffs enthält die bekante mhd. Verbindung 
wirs denne we, wirser danne we 5. Mhd. wb. 3, 747. 

Nächst den natürlichen Begriffsverhältnissen, von welchen wir bis- 
her die Entstehung alliterierender Formeln begünstigt gesehen haben, 
sind es besonders noch einige der einfachsten grammatischen Be- 
ziehungen, unter deren Einfluss sich solche vielgebrauchte und fest- 
geprägte Wortbindungen entwickelt haben, und nach denen wir daher 
aus dem unerschöpflichen Reichthum dieser Combinationen in einem so 
großen Gedicht nnr das Augenfälligste zur vollständigeren Beleuchtung 
des ganzen merkwürdigen Vorganges reihenweise hervorheben wollen. 

5. Substantiv und Adjectiv in attributiver oder auch 
prädicativer Verbindung: 

balde beornes kühne Krieger: mid balden his beornen 19518. 
20531; balde mine beornes 21376; baldere beornen 20208. 31238; mine 
eorles, mine beornes, balde mine peines 24977, 78. Das Ags. hat die 
anklingende Verbindung bealdum beornvigan Menol. 225 u. bealde byrn- 
viggende Jud. 17, in welcher das Compositum nicht zu beorn m. (vir 
fortis), sondern zu beorne, byrne f. (lorica) gehört; im Alts. heilst barn 
nur ‚Kind, Sohn, Mensch‘, steht aber doch einmal neben dem nur selten 
vorkommenden bald: ΗΔ]. 651. 

bittere balu bitteres Unheil: ibiden bitterest alre baluwen 9685. 
21076. 30333; Per uore him scal ileoten bitterest alre baluwen 31307; — 
vgl. die ags. Stelle: ἐξ sceal bitre in päs [brynes] beala gnornian sede and 
sorhful Sat. 274, auch alts. bittra balu-spräka Hel. 1758, und beide 
Wörter wenigstens nahe bei einander ibid. 3480. 

deope dale tiefes Thal: in ane dale deope 26924. Diese auch 
bei uns noch sehr lebendige Verbindung bedeutet bei den ags. Dichtern 
gewöhnlich die Hölle: Crist 1532. Genes. 305. 421; doch steht sie auch 
im natürlichen Sinne: Räths. 88, 5. In der alts. Dichterstelle, welche 
diese Formel darbietet, ist der erste Begriff ebenfalls stark ausgeprägt: 
hard hellie-gethwing het endi thiustri, diap dödes dalu Hel. 5172; da- 
gegen in eigentlicher Bedeutung altnord. or dali diüpum Harbardsliöd 18, 


218 KARL REGEL 


deope dic tiefer Graben: ane swide deope dich 12422; ba dich 
wes swide wid and deop 12570; fulden al bae die, pe wes wunder ane 
deop 16204, 5, ähnl. 646, 47. 6425, 26; diches vnimete deope 9238, 39; 
noch einige Stellen s. unter delven dic, unten 8. Diese sehr nahe- 
liegende Verbindung kann ich sonst nicht belegen, da das Subst. in 
den alten Mundarten nur sparsam vorkömmt, vgl. ags. die m. agger, 
fossa Ettm. gl. 567. alts. die m. ἢ. piscina, lacus Schmell. gl. 22°. alt- 
nord. dik n. lacus Egilss. 100%. mhd. tich m. Teich, Sumpf Mhd. Wb. 
3, 33”. Das altfrs. dik m. erscheint zwar häufig, bedeutet aber niemals 
Graben oder Teich, sondern immer nur Damm, Deich, 5, Richth. 686°. 
Gr. wb. 2, 904. 

fwex faeire schönes Haar: heo weopen on Ardure wunder ane 
swide and heore uaex faeire waelden to volde 21873. Daß die Formel 
faeire faex im sächsischen Gebiete lebendig verbreitet gewesen sein 
muß, beweist der englische Familienname Fairfax und auch die alts. 
Bindung: ik was im sköni, was im fel fagar, fahs endi naglös ἨΔ]. 200. 

fulle fa, fulle ἐξα voller Feind, erklärter Feind: ba weoren heo 
his freond, pa aer weoren his fulle fon 7710; ure fulle fan 802; ure 
Fulle ifa 29757, 58; ure iuan uulle, Crist heom aualle 20104, 5; his fulle 
iuan 8737; mine fulle ifan 15437; mi fulle ifa 15855. 15923. Im 
Ass. trifft das adjectivische fäh zuweilen in zufälligem Anklang an 
unsere Formel mit ful zusammen: Klage der Frau 46. Elen. 769; aber 
da dem halbs. Subst. fa, ifa (engl. foe) auch sonst nur ein Adj. ent- 
spricht (ags. fäh, ahd. mhd. gevöch), so bietet sich für die im Lajam. so 
geläufige Bindung nirgends ein Gegenbild dar. 

jiuen gode gute Gaben: jürne we to bane kinge jeuen swide gode 
930; Belin hauede pa jeseles and ba jeuen gode 4794; ähnlich 18625. 
20494. 24712. Bei den ags. Dichtern erscheint diese Formel selbst 
nicht, doch werden die beiden Stämme in anderer Weise öfters von 
ihnen gebunden: geofona gehvyle göde Fäder Larevidas 81; göd — gifena 
Genes. 209; gifena — göd Seefahrer 40; geongra gyfena, göda gehvylces 
Phön. 624; — ähnlich ist es im H£liand, vgl. v. 637. 1450. 2770. 3484. 
3770. 3777. Aber wie bei uns noch die Verbindung ‚gute Gabe‘ sehr 
lebendig ist, so hat auch das Mhd.: ir gebet mir 80 guote gebe, — guot 
wären die gebe Mhd. Wb. 1, 507. 

gode godd guter Gott: godd pene gode 23893; godes gode 13897; 
vgl. hat me hafde godd seolf godes iunnen 16391, 92; towardes gode 
he was god 16611; Godd seolf purh alle hing lete hine beon god king 
17824, 25. Ebenso ags. se göda god Psalm. 58, 10. 67, 19. 117 2. 
3. 4; vgl. godes engel göd Genes. 657; göde in godsaede Daniel 90; — 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 219 


alts. thie guodo godes suno ἨΔ]. 2251. 4012; the gödo godes sunu ibid. 
2348. 5091; — mhd. herre got der quote, — richer got der guote Mhd. 
Wb. 1, 555°; der quote got, — got herre quoter ib. 587”. 

haedene hund heidnischer Hund: he is an haedene hund, helle 
he scal isechen 16623; haelden into haelle haedene hundes 20540, u. ähnl. 
18400. 19558. 21172. 21902. 27325. 29202; he hafued ifunden here 
hundes hedene 29766. Dieser drastische Ausdruck des christlichen 
Stolzes, welcher den Heiden als einen der Hölle verfallenen Hund be- 
zeichnet (wie das Mhd. den Teufel selbst hellehunt nennt), tritt schon 
im Ags. bei der Schilderung des ermordeten Holofernes auf: slöh pä 
eornoste ides ellenröf ödre side bone haedenan hund, hät him pät hedfod 
vand ford on ba flöre Judith 110, und auch in unseren heutigen Volks- 
mundarten wie in unserer älteren Schriftsprache wird ‚Heidenhund‘ als 
starkes Scheltwort nicht unerhört sein. 

haeje helm hoher Helm: halm he set on hafde haech of stele 
21141, 42, ähnl. 25513, 14; his kine-haelm haehne 24563; helmes hejen 
26919, vgl. 26049, 50. Diese Verbindung ist mir sonst nicht begegnet, 
und nur schwach anklingend ist das ags. heih on helme Runenlied 18, 
wo helm die Blätterkrone der Birke bedeutet. 

haeje haeuene hoher Himmel: ich wullen bidden drihten, — Ja 
an haefuene haehje sittet 19543; vgl. 21440, 41. Im Ags. wird hedh 
sehr gerne mit heofon verbunden, entweder in unmittelbarer attributiver 
Beziehung: Genes. 358. 476. 512. 736. Räths. 41, 22. Alfr. metr. 24, 
29, oder als Attribut eines anderen Wortes: heäih of heofonum, hand- 
veorc godes Exod. 492; hedh heofona gehlidu Genes. 584; svegeltorhtan 
seld — heäh on heofonum ibid. 97, u. ähnl. Genes. 254. 260. 274. 282. 
300. Ps. 121, δ. Crist 282, oder auch nur adverbialisch: hed tö heo- 
fonum Exod. 460. Phön. 521; heih ofer heofonum Phön. 641; hedh of 
heofenum Psalm. 77, 25; on heofonas up hed Ps. 138, 6; on heofenas up 
hühst Menol. 110; — ebenso steht alts. höh sehr häufig neben himil 
und hebhan: up te themu höhon himile Hel. 656; δὲ himile themu höhon 
ib. 1510; höh himiles lioht ib. 2602; höh himil-riki ibid. 1041. 1501. 
3490, vgl. 419. 1603. 1608. 5977; höhan himil-fader ib. 4761; fon them 
höhöston hebhan-kuninge ib. 278, vgl. 5577; höh hebhan-riki ib. 2621. 
3926; — auch im Altnord. ist hdir himinn eine nicht ungewöhnliche 
Bindung, vgl. und ham loga himni sub alto tecto, — falla or ham himmi 
ex alto coelo cadere Egills. 337; pau er haest ara und himinskautum 
Sigurdarkv. 1, 10; u. treysti ek uppd himma haestra haesträdanda krapt 
ich vertraue auf die Stärke des höchsten Herschers der höchsten 
Himmel Egills. 332°; — ahd. fone himilö höhistim a summis caelorum 


220 KARL REGEL 


Grff. 4, 939; mhd. üf dine höhen himele dort Mhd. Wb. 1, 686°, und 
für die Lebendigkeit der Formel im Nhd. erinnere ich nur an die 
Wendung die Sonne steht hoch am Himmel, oder an Schillers Wort und 
des Himmels Wolken schauen hoch hinein, oder an den Liedervers vom 
Himmel hoch da komm’ ich her, oder an die Schwurformel weiß Gott 
im hohen Himmel! und an das Adverb. himmelhoch in Göthe’s himmel- 
hoch jauchzen oder in dem gewöhnlichen himmelhoch bitten, himmelhoch 
betheuern u. a. 

Andere Bindungen mit heje, die ich nicht weiter auf die übrigen 
Gebiete verfolgen will, sind im Lajamon: heje herekempen hohe Krie- 
ger v. 22573. 23803. 24743. 30364; — heje hired hoher Hofstaat 22181. 
23312, 13. 28570, 71, vgl. 13815, 16. 22997, 98. 24833, 34; — haeh 
hors hohes Ross 22855, vgl. 22745, 46; — haeh hul hoher Hügel 
17272. 25737. 21439, 40, vgl. 21287, 88. 21303. 21361, 62. 

lac leof liebe Gabe: swulc lac him brohte, pat leof him wes to 
habben 26829, 30; vgl. brohte her to lake his madmes leofe 31953, 54. — 
Eine alte Volksüblichkeit dieser Formel scheint aus nahe verwandten 
ags. Bindungen hervorzugehen: höfvende läc angenehme Opfergaben 
Psalm. Oott. 136; bringan läc and luf-täcen Beov. 1863; lufiad mid läcum 
Guthl. 50; tid is, pät pu — Öfestum laede läc ἐδ leöfre (die Botschaft 
zu der Lieben) ibid. 1272. 

leome lihte leuchtender Lichtstrahl: be oder leome, be strahte west 
wunder ane lihte 17978, 79; eoden tweien leomen wunder ane lihte 17968, 
69. Ebenso ags. leöhtan leöoman Räths. 41, 57; leöhtne leoman Judith 
191. Sat. 469. Älfr. Metr. 5, 5; leöhte ledman Azar. 78; leöhtre and 
berhtre bonne se leoma sie sunnan on sumera Älfr. Mtr. 22 22; vQh 
leöhtes leoma Phön. 116. Guthl. 631; leöman ἐδ leohte Beov. 95; leoma 
leöhtade Crist 234; leöman onlihte ibid. 204, u. ähnl. Älfr. Metr. 21, 36. 
Guthl. 627; — auch das alts. kiomo bindet sich an der einzigen Stelle, 
an der es vorkömmt, mit dem Zeitwort hohtean: s6ö sken that barn 
godes, liuhta is lik-hamo, liomon stödun wänamo fan themu waldandes 
barne Hel. 3127. Im Ormulum sind häufig die beiden Subst. mit ein- 
ander verbunden: lihht annd leom Orm. 13132; lihht annd lem ibid. 16734; 
lihht annd leme ib. 18838. 18848. 

hat ligginde lond das liegende Land, die liegenden Gründe, 
d. i. die als Feld, Wiese oder Trift benutzten, nicht zu Bauwerken 
gebrauchten Landstrecken: he jef Assaracum his sune sele breo castles 
and al hat ligginde lond, he per abuten lei 392; pat we alle beo dead 
and al Rome burh mid fure for-berned and al pat liggende lond, Pat 
hd in to Rome, beo al bi-raeiued, be nu stonded riche 5349. Dieser 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 221 


bemerkenswerthe Ausdruck, den ich sonst nirgend so wiederfinde, steht 
in klarem Gegensatz zu den daneben genanten festen Plätzen (sele 
breo castles, — al Rome burh) und kann daher nur das nicht mit 
Häusern oder Mauerwerk besetzte Flachland bezeichnen: Madden’s 
Übersetzung the adjacent land erhält zwar eine Stütze durch ahd. gilö- 
gan proximus, cognatus Grff. 2, 84. mhd. gelögen nahe angrenzend, 
welches sich sogar in diesem Sinne mit /ant bindet (im müesen wesen 
undertän swaz im der lande was gelegen Gregor. 2099) Mhd. Wb. 1, 988", 
und durch altnord. liggja til dazu gehören (kil kirkju liggr ὁ Reyk- 
jaholti heimaland med öllum landsnytjum Möb. gl. 269), weniger durch 
altn. kggja naer nahe liegen, angrenzen (land er heilakt, er ek liggja 96 
dsum ok dlfum naer Grimnism. 4), — aber der diesen Begriff enthal- 
tende relat. Beisatz in beiden Stellen (he ber abuten lei, — bat lid in 
to Rome) würde doch vollkommen müssig sein, wenn das Participium 
ligginde nicht einen davon noch verschiedenen Sinn hätte. Von einem 
solchen besonderen Sinn des Wortes liegt aber im Altnord. und Alt- 
fries. eine ganz deutliche Spur vor: im Altnord. heißt nämlich Ziggja 
zuweilen ‚so da liegen‘, ‚unbeherscht, frei da liegen‘, ‚intactum jacere‘ 
leztu per allt bikkja, sem ekki vaeri, medan lönd bau lägu, er mer leifdi 
Budli omnia illa quasi nihil essent animum tibi induxisti, quamdiu ea 
territoria intacta jacebant, quae mihi reliquit Budli Atlam. 94, vgl. 
Egills. 517°), und in noch allgemeinerer Weise als dieses eddische 
medan lönd Pau ἰάσιν ‚so lange diese Lande lagen‘ brauchen die alt- 
fries. Rechtsbücher ihr landis legor (das Liegen des Landes, der unver- 
änderte Fortbestand des Bodens) in alterthümlichen mehrfach wieder- 
kehrenden Formeln zur Bekräftigung einer Sache auf eine sehr weit 
bemessene Zeitdauer: bi londis legore and bi lioda libbande oder to 
mannis Iyf ende to landes leghere so lange Land liegt und Leute leben 
Richthf. 889°. 910°. Diesem alten Wortgebrauch schließt sich nun auch 
bat higginde lond im Lajam. ganz ungezwungen als ‚das frei liegende 
offene Land‘ an. 

wilde wude wilder Wald: into pisse wilde wude 25905; — vgl. 
oben wude and wildernes. 

6. Zeitwort oder Adjectiv binden sich mit dem Adverbium 
oder Substantivum, welche ihre adverbiale Nebenbestimmung 
enthalten: 

breiden on breosten um die Brust ziehen (sc. den Schild beim 
Anfang des Kampfes): his sceld he braeid on breoste 25835, u. ähnlich 
21231. 27674; vp braeid Ardur his sceld foren to his breosten 20120, 21, 
u. ähnl. 21351, 52. 23957. Das interessante Zeitwort breiden, braeiden, 


9992 KARL REGEL 


welches in seinem Begriffe dem mhd. zucken (schnell und heftig empor- 
bewegen) fast völlig entspricht, wird im Lajam. auch mit anderen 
Objecten als dem Schilde gebraucht: vom gewaltsamen Zerren des 
Gegners im Handgemenge 1900. 15274. 16519, vom Emporziehen eines 
Menschen an einem Seile (brudden up Baldolf, hat he binnen com 20335), 
vom Emporziehen des Kinnes bei ernstem Nachdenken (he king braeid 
up his chin 18712), vom Emporrücken des Helmes (Belin ibraeid up 
his helm 5193), vom Anziehen der Bogensehne (he bene streng up braid 
1454), vom Herausziehen des Messers (heo breoden ut pa saexes alle 
bihalues 15260), und vom Zucken des Schuwertes (breid he mid swideren 
hond a sweord muchel and swide strong 1548; Euelin bene brond igrap 
and braid hine of pbere scaede 8177; ah he braeid ut his sweord 7519); 
— besonders in dieser letzten Bedeutung, dem Zucken des Schwertes, 
kommen die etymologisch entsprechenden Zeitwörter der alten Mund- 
arten mit unserem Worte überein: altnord. bregda sverdi, sverdum, hjörvt 
gladium vibrare Egills. 76°; Niflungar bregda nd sverdum sinum, — 
hann νά sverdi Möb. gl. 47; töoku peir bras Budla ok brugdu til kmifı 
schwangen das Messer gegen ihn. Atlam. 59; — altfrs. mith brudena 
suerde mit gezogenem Schwerte Rhf. 670°; — ahd. bröttan stringere 
(bratt er thaz suert Otfr.) Grff. 3, 287; — das alts. bregdan hat nur die 
Bedeutung ‚Hechten‘ (brugdun endi böttun bediun handun thiu netti niud- 
liko, thea sie habdun nahtes Er forslitan an them sewa Hel. 1177), wie 
das engl. to braid, — das ags. bredan, bregdan dagegen bedeutet auch 
oft ‚stringere, vibrare' (handum brugdon häled of scaedum hringmaeled 
sveord eegum dihtig Genes. 1991; mundum brugdon scealcas of sceddum 
scirmaeled svyrd eegum gecoste Judith 229, u. ähnl. Beov. 794. 1616. 1667. 
Elen. 759; üt äbredan vaepnes ecgge Salom. 164, ähnlich Genes. 2931. 
Jud. 79; hringmael gebrägd Beov. 1564, u. ähnlich Beov. 1664. 2562. 
2703), wie das niederschott. to braid, to brade vom Zücken des Streit- 
messers gilt (the knyff he bradit owt, — a forgyt knyff he bradis out 
Jamieson s. v.). Wenn wir aber dieses Zeitwort in so lebendigem und 
ausgebreitetem Gebrauche für das hastige Aufzucken der Waffe finden, 
so muß es uns wahrhaft Wunder nehmen, daß uns die schöne aus- 
drucksvoll malende Wendung breiden sceld on breosten (den Schild vor 
die Brust aufzucken) nirgends begegnet als im Lajamon, und auch da 
ganz ausschließlich in dem Theile, welcher Arthur’s Heldenthaten be- 
handelt; für das Ags. ist das um so auffälliger, als sich das ags. bregdan, 
bredan in Wendungen anderen Sinnes mehrfach mit breöst gebunden 
findet: him on eaxle läg breöstnet broden das geflochtene Brustnetz 
(4. i. die Brünne) Beov. 1548; beadohrägl broden on breöstum läg golde 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 223 


gegyrved, ibid. 552; pe äbregdan sceal for paere daede dead of breöstum 
sävle Pine aus der Brust herausreifien Genes. 2638; eöv is lär godes 
äbroden of breöstum euch ist die Lehre Gottes aus der Brust heraus- 
gezogen Exod. 269. 

fallen folden intr. niederfallen, trans. niederwerfen: whi falled 
bes wal uolden to grunde 15884, 85; feollen Saexisce men folden to grun- 
den 20144, 45, u. ähnl. 20076, 77. 23983, 84. 27053, 55; — muchel «οἷς 
he aualde uolde to grunde 27670, 71; he hohte to quellen pe king on 
his beoden and his folc uallen uolden to grunden 20058, 59. — Daß dieses 
halbs. folden ein aus to folden oder on folden abgekürzter adverbialischer 
Ausdruck ist, neben welchem das fast gleichbedeutende to grunde als 
erklärende und verstärkende Parallele steht, das ergibt sich ganz klar 
aus dem ags. feallan tö foldan oder on foldan zu Boden fallen: he pa 
lungre gefeoll freörig t6 foldan Judith 281, u. ähnl. Andr. 920. Sat. 546. 
ne feallad paer on foldan fealve blöstman Phön. 74, u. ähnl. Beov. 2975. 
Sat. 533, und aus dem transitiven äfyllan on foldan auf die Erde 
niederwerfen Salom. 297, vgl. äfylde hine pä under foldan sceitas Salom. 
458. Auch im Alts. waren diese Formeln lebendig: it fallid ti foldu Hel. 
4284; fiures liomon — wallös höha felliad te foldu ibid. 3701; thar sie 
ina fan themu walle nidar werpan hugdun, fellian te foldu ibid. 2685. 

fallen to foten intr. zu Füßen fallen: eoden to bon kaisere — 
and feollen to his foten 8848, ähnl. 29855. 12716; trans. zu den Fülen 
niederwerfen: moni heaued moni hond fallen to foten 566; pa him wid- 
stoden, he felde heom to his foten 4089, ähnl. 9264; — ags. pät him ät 
fötum fell faege cempa Byrhtn. 119, — und annähernd feollon on foldan 
and to fötum hnigon Sat. 533; — alts. ef thu wilt hnigan te mi, fallan 
te minun fötun Hel. 1103; fell siu thö te fuotun Kristes ibid. 2208, u. 
ähnl. 2968. 5954; auch mit dem trans. fellian: ni gi thes kornes te 7110 
felliat undar iuwa fuoti ἨΔ]. 2565. Wir haben jetzt noch ‚zu Füßen 
fallen, Ffußfällig, Fußfall‘, das Mhd. hatte: einem under die vüeze vallen, 
einem ze vuoze vallen, an, üf, vür eines vuoz vallen, und in anderem 
Sinne: under vüeze vallen (in Verachtung sinken), vgl. Mhd. Wb. 3, 445". 

faren to fehte in den Kampf ziehen: side μον rihtes far to 
ine fihte 17993, u. ähnl. 23391, 92. 26263. 31320, 21; wolde mid fehte 
aeft faren hidere 29331, 32, u. ähnl. 23187, 88; — ags. föron tö gefeohte 
ford on gerihte häled under helmum Judith 202; vgl. farad Feohtende 
Räths. 4, 46. 

faren ford vorwärts fahren, weiter ziehen: nu ich fare ford riht 
19194, u. ähnl. 21469. 30722 (vgl. aerned aeuere word and word, Hengest 
is ifaren nord 16441, 42); ebenso das schwache feren ford ford ‚ferde 


994 KARL REGEL 


Merlin 17085, u. ähnl. 16260. 20019. 23397. 29513, vgl. ford mid. his 
ferde feondliche swide 16116, u. ähnl. 16655, 56. — So auch ags. ἐδ 
bäs vitgan foron Caldea eyn ἐδ ceastre ford Dan. 41. 42; ac pu meaht 
be ford faran Genes. 543; fördon ford ponon Beov. 1632; — alts. farit 
im ford mid thiu Hel. 3483, u. ähnl. 4456; Er than sie förin westar 
ford ibid. 641; — altfries. foert faren fortgefahren Rhfn. 754°. 

fehten feondliche feindselig fechten: whar he feondliche faht 
16475; feondliche heo fuhten 14037. 18062. 31729, u. ähnl. 9260. 9950. 
12848. 17344. 27568. 31226; vgl. cnihtes her fuhten mid, feondliche raesen 
16194, 95; begunnen per oder faeht, pe wes feondliche staere 16467, 68. 
Die Bedeutung dieses Adverb. feondliche ist ganz die des mhd. vient- 
liche mit feindseligem Hasse Nibel. 183, 1. 1802, 2. 2190, 2. Iwein 7013; 
aber mit ‚fechten‘ finde ich es anderwärts nicht gebunden, und nur 
eine schwache Annäherung an die dem halbs. Dichter so geläufige 
Formel enthält die ags. Stelle Salom. 87. 

fusen to fehte zum Kampf eilen: Brutus ferde ut and fusde to 
fihte 1735; his Irisce uole fusden to fehte 22330; — ähnlich ags. (reflexiv) 
pät ge recene edv fjsan ἐδ gefeohte Judith 189; (transitiv) bu here fyjsest 
fedan t6 gefeohte Andr. 1189. 1190. 

gripen mid grimme ergreifen mit Grimm: pa Hengest hine 
igrap mid grimmen his gripen ergriff ihn mit seinen grimmigen Griffen 
15272, 73; an hijinge hine igrap mid. grimme his laechen mit seinen grim- 
migen Blicken 16513, 14; Euelin bene brond igrap mid grimliche lechen 
8175, 76; vgl. igrap hine bi pon gurdle and him grimliche heaf 1913, 14. — 
Auch anderwärts tritt die Verbindung der beiden Stämme mit einer 
gewissen Vorliebe auf: ags. he hät pohte — forgripan gumeynne grimme 
and säre heardum mihtum Genes. 1275, vgl. 61; grimman gräpum Beov. 
1542, vgl. 765; — alts. werod Judeonö gripun thö an thena godes sumu, 
grimma, thioda hatandierö höp Hel. 4916; vgl. 5167. 

halden for haene für hohnwürdig halten d. i. verachten: heo 
me forhusce and heo hold me for haene 3172; Sexisce men me habbeod 
for hene ihalden 19593; halden me (us) for haene 20835. 27406. 30298. — 
Die Formel ist unserem Dichter offenbar sehr geläufig, aber weder das 
'ags. hean (contemptus) Grein 2, 55, noch das mhd. hoene (hochfahrend) 
Mhd. Wb. 1, 707° findet sich in einer entsprechenden Verbindung. Das 
entgegengesetzte halden for heje (halden he hine for hahne king 22415. 
29008; Ardur is swide haeh mon ihalden on leoden 20765, 66) hat wenig- 
stens einigen Anklang in unserem nhd. hoch halten. 

lasten longe lange dauern: us heo ladden heore lajen and longe 
heo ilaesten 6278; swa dod a ‚feole wise to-nome arise and oft of Llutle 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 295 


Dinge, pe long iasted 9387; ähnl. 23043, 44. 27762. 31818, 31979, 80. — 
Im Ags. erscheint die Verbindung nicht häufig: ne mäg hüleda gehväm 
hüs on munte lange gelaestan Alfr. Metr. 7, 19; vgl. vile nu gelaestan 
(leisten), hät he lange gehet Exod. 557, u. ähnl. Genes. 244. 554. Salom. 
316. Guthl, 1233; aber im Engl. sagt man gerne to last long, — long- 
lasting. Die entsprechenden Zeitwörter der andern Mundarten (alts. 
lestian, afrs. lästa, ahd. leistjan, mhd. nhd. leisten) gelten nicht in der 
Bedeutung ‚dauern‘. 

lehjen lude laut lachen: pa quenen lude lojen 12872; pa Bruttes 
lohjen ludere stefuene 23987, 88 u. ähnl. 20825, 26; he gan lihjen ludere 
stefne 22419, 20 u. ähnl. 23717, 18; auch das Ormul. hat: he warr) 
swipe blibe pa annd toc to lahhjhenn Ihude Orm. 8142. So ags. ne porf- 
ton hlüde hlihhan Genes. 73, und mhd. des erlachte lüte diu minnecliche 
meit Kudrun 345, 1. 

leof alse lif so lieb wie das Leben: Pat maiden wes ban kinge 
leof aefne alse his ajene lif 13475, 76. u. ähnl. 16561. 18698, 99; etwas 
anders: beou aert me leouere bene mi hf 2978; leof (od. leofest) to 
(od. on) liue lieb (od. am liebsten) durch’s ganze Leben hindurch; 
aeuere to his liue heo sculden beon him leoue 10396, 97; be wes him on 
liue leofest alre monne 20301, 2; ähnl. 18202, 3. 27604, 5; — in an- 
deren Beispielen tritt das verwandte Zeitwort an einer oder an beiden 
Stellen ein: Octa hine lufuede, bae while be he leouede 19618, 19; Pa 
while ba ich beo an liue, luuien ich pe wulle 24165, 66. u. ähnl. 24119, 20. 
30209, 10. 30241, 42. und in etwas anderem Sinne 466. 13555, 56. 19324, 25. 
19728, 29. — Bei den ags. Dichtern finden sich nur anklingende Ver- 
bindungen: leöfra naenigum lifigendra Reden d. Seel. 52; löfdagas leöfran 
Exod. 409; leöf gode and lifde Genes. 1146; leofe lüfgende Klage der 
Frau 34; lifvela leöfra Fata Apost. 49; löfvearde ἰού Elene 1036; — 
auch alts. nur libbienderö liobhöst He&l. 3150, — aber mhd. lieber denne 
der ip Mhd. Wb. 1, 1014. 

leof on londe lieb im Lande: eo me beod on londe children ale 
leofest 22205, 6; he heom wolde on londe leofliche athalden 20010, 11; 
entfernter: ajif us ure icunde lond and we be seulled luuien 22165, 66; 
al leouede Peone king, be quie wes an londe 4809, 10; — vgl. ags. on 
hissum landum, Paer pe leöfost sie Genes. 2723. In einem ähnlichen 
Sinne gilt Zeof pon leoden lieb den Leuten: pus heo per bilefde, leof 
heo wes bon leoden 3234 (vgl. mid muchelere lufe he seide hit his leoden 
1257, 58). Ags. leödum leöfne Beov. 618; leöf his leodum ibid. 521; vgl. 
he lihte pa mid leödon, baer him leöfost vwäs Byrhtn. 23; leöftaele mid 
leöda dugudum Salom. 366. — Anderweit verbreitet ist die attributive 

GERMANISTISCHE STUDIEN. 15 


226 KARL REGEL 


Bindung: nhd. liebe Leute, mhd. lieben liute Walther (ed. Lachm.) 95, 13; 
alts. thinum lobhun liudiun Hel. 492; liudi sint im liobhoron mikilu 
ib. 1685. 

libben inne (imong) leoden unter den Leuten leben, in einem 
Volke leben: an his daeie her luuede a mon inne } 586 leoden 9090, 91 
u. ähnl. 29981, 82; benne miht bu libben imong ine leoden 24819, 20; 
vgl. pus heo leoded heore lif inne hire leode 19720, 21; hat be leodene- 
king leng ne mot luwien 17079, 80. Ebenso ags. he Iyfad leodum Ps. ΤΊ, 
15; &ifad leodum feor Salom. 381, und anklingend Exod. 277. Crist 
1603; — alts. that siu mid. them liudiun leng libbian mösti Hel. 311; 
vgl. libbeanderö liudeö ibid. 4387; that im hudiö barn ΤΠ ne binämin ib. 
5439, und afrs. δὲ lioda libbande so lange noch Leute leben Rhf. 898”. 

libben in (on) londe im Lande leben: Leir king hire faeder luuede 
i bisse londe 3236, ähnl. 3888, 89; Costantin bus leouede on londe 28652, 53 
u. ähnl. 11774, 75. 21451, 52; benne he moste libben beou (als Sclave) 
a hbisse londe 29389, 90; in entfernterer Weise 4668, 69. 6130, 31. 
8034, 35. So ags. hie vel meahton libban on pam lande Genes. 787; 
heäh pe he on pam lande lifian sceolde ibid. 1940; vgl. 1014. 805. Seef. 
65. 96; — auch im Altn. u. Alts. klingt die Formel zuweilen durch, 
vgl. Atlam. 103. Hel. 1013. 

libben longe lange leben: hat godd be lete longe hbben 19723; 
bat be leodene-king leng ne mot luwien 17080 u. ähnl. 19278. 22007. — 
Diese Verbindung ist so natürlich, daß sie überall vorkömmt, wenn 
auch nicht so häufig als man bei ihrer Natürlichkeit erwarten sollte: 
ags. lifde siddan and, lissa brede Malalehel lange mondredma her Genes. 
1175, 76; be ham herevisan hijndo ne voldon be him Ifigendum, lange holian 
Exod. 324; vgl. Psalm. 132, 4; hät longe [ (das ewige Leben) Crist. 
1464; — ἘΝ lengi hifa Häv. 49; sud lengi sem ek lifi Sig. 2, 9. Sigrd. 
21; — altfrs. longe libba Rhfn. 898”; — alts. leng libbian Hel. 311; vgl. 
2246. 3156. 

liden to (od. into, od. jeond, od. ut of) leoden zu od. von 
einem Volke ziehen: ford ich mot liden to uncude leoden 13483, 84 u. 
ähnlich 3263, 64. 18286, 87; bat ber wes cumen lidende into here leode 
an swide seleud gume 9644, 45; heo liden ‚jeond, han. leoden 19358; ford 
he gon liden ut of pissen leoden 11702, 3; anders in Sinn und Con- 
struction 14524, 25. 18666, 67; — ähnlich liden to (into, toward, 
jeond, ut of) londen in ein Land od. aus einem Lande ziehen: aer 
unkude men to han londe hiden 21770 u. ähnl. 20451. 951, 52; bat heo 
wulled nu liden into wre londen 24939, 40 u. ähnl. 31969, 70; bus heo 
comen liden toward pissen londe 14532, 33 u. ähnl. 20950; bus he scal 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 997 


wel longe liden jeond londen 18870, 71 u. ähnl. 1301. 31150, 51; of wulche 
londe bu art iliden hidere 26093, 94; hu Adelstan her com hiden ut of 
Sex-londen 31989, 90. — Das ags. lidan, gelidan (profieisei, ferri) kömmt 
nicht in Verbindung mit leöd, leöde vor, wohl aber in ganz formelhafter 
Bindung mit land, lond: aer bon ve ἐδ londe geliden häfdon ofer hreöne 
hryeg Crist 858, u. ähnl. Jul. 677. El. 249. 250; vgl. Räths. 34, 1; — das 
Altnord. hat besonders die Formel lida lönd yfir per terras ferri Egilss. 
525°; haf gengr hridum vid himin siälfan, hidr lönd yfir Hyndlul. 39, 
. aber auch eine Bindung mit lid: er pü pa modur kallar, er til moldar 
er komin, ok or liodheimum din Grögaldr 2. Auch in einigen alts. 
Stellen tritt die Ublichkeit einer Formel ‚an land lidan‘ ziemlich deut- 
lich hervor: selbhon ni wändun lagu-lidandea an land kuman thurh thes 
wederes gewin ἨΔ]. 2919 u. ähnl. 2965; lidan aftar land-skepea ib. 1929. 
Für die Bindung mit ludi vgl. Er than thius thiustria naht liudi farlida 
(die Leute verlasse) ibid. 4671. 

seurmen mid sceldes schirmen mit Schilden: eos tweien enihtes 
bigunnen mid sceldes to scurmen (jüng. Hdschr. to sceremigge — engl. to 
skirmish) 8144, und in etwas weiterer Trennung: ba weoren bar tweien 
scalkes and ifengen here sceldes, scriden under bordes and skirmden mid 
maeine 8404, 6. — Es ist sehr merkwürdig, daß dieses Zeitwort scurmen, 
skirmen, welches (abgesehen von dem altfrs. biskirma Rhf. 646°) nur 
im hd. Gebiete heimisch ist (ahd. scirman protegere Grff. 6, 546. mhd. 
schirmen, schermen sich im Kampfe decken Mhd. Wb. 2°, 162°), aber 
dem Ags. Alts. und Altnord. ganz abgeht, sich bei unserem halbs. 
Diehter in völlig mhd. Weise mit der Schirmwaffe verbunden wieder- 
findet: vgl. Nibel. 307, 3; Kudr. 353, 3; Trist. 6914 ἔν; Wigal. 7146. 7358. 

seilen inne (jeond, to) sae auf die See segeln: per comen seilien 
sone jeond ba sae wide seipes univoje 25525, 26; heo seileden ford, at 
inne sae heo comen 11967, 68; to baere sae he wende and seilede mid vde 
30674, 75; — ähnlich nur mhd. sigeln über se, — daz ich gesegele üz 
der habe üf den höhen se Mhd. Wb. 25, 238°. 

smiten mid smaerte biten (dunten, jerden) schmeissen mit 
schmerzlichen Schlägen: uppen Colgrime smiten mid swide smaerte biten 
21363, 64; mid longe sweorden heo smitten, ba jifen smaerte biten 30097, 98; 
alle somed. smiten on mid smarten heore dunten 27050, 5l; ofte me hine 
smaet mid smaerte jerden 20317, 18; — diese Verbindung hat ein so 
formelhaftes Ansehen, daß ich sie nicht übergehen mochte, obwohl ich 
keine Parallelle für sie beibringen kann. 

stille stelen od. bistelen sich stille wegstehlen: (hat heo sculden) 
swide stille stelen ut of buruwe 15018, 19 u. sehr ähnl. re swa he 

15° 


398 KARL REGEL 


swide stille bistal from his dujede 29317, 18; fare we on sele riht al swo 
stille, stelen swa we wolden 735, 6 u. sehr ähnl. 1688, 89. 20611, 12; vgl. 
mid stilleliche rune bistal of pan tune 17776, 77. — Auch diese klar aus- 
geprägte Formel weiß ich nicht anderweit zu belegen; doch ist es im 
Hd. wohl fast volksthümlich zu sagen: „sich ganz stille (od. in aller 
Stille) wegstehlen.“ 

swengen mid sweorde mit dem Schwerte schwungvoll schlagen: 
swenged of ba hafden (schwingt die Häupter ab) mid breoden eouwer 
sweorden 22839, 40; pat Cesar wolde nu to-daei Brutlond biwinnen oder 
her mit sweorde liggen to-swungen (zerhauen) 8025, 26 u. ähnl. 21069, 70. 
26469, 70; eng dazu gehört das schw. Prät. swende, sweinde in demselben 
Sinn: Ardur him swende to (schlug nach ihm) an hijende mid his sweorde 
26053, 54 u. ähnl. 27626, 27. 27780, 81; auch in anderer Verbindung 
und Bedeutung: sweord ajein sweorde sweinde wel ilome die Schwerter 
schlugen im Schwunge gegen einander 27786, 87; Calibeorne his sweord 
he sweinde bi his side er warf das Schwert im Schwung an seine Seite 
21137, 38 u. ähnl. 23767, 68. — Die vorstehenden im Gehrauche ganz 
zusammengehörigen Formen vertheilen sich auf die beiden ags. Ztwt. 
svingan (prät. svang) und svengan (prät. svengde), welche beide ‚schlagen‘ 
bedeuten, aber mit sveord nicht gebunden erscheinen, da dieses so häufig 
vorkommende Wort nur wenige alliterierende Verbindungen eingeht: als 
Formel findet sich nur sveord® svebban od. Asvebban (mit dem Schwert 
in den ewigen Schlaf versenken), z. B. forpan ic hine sveorde svebban 
nelle Beov. 679; sveordum äsvebban Andr. 72; sveordum äsvefede Äthelst. 
30; Jud. 322; doch mahnt an unsere halbs. Formel im Ags. wenigstens 
die Verbindung mit dem Subst. sveng (ietus): sveordes svengum (mit 
Schwertschlägen) Beov. 2386 und hät Eddveard änne slöge svide mid 
his svurde, svenges ne vyrnde (schlug mit seinem Schwerte und dem 
Schwank nicht wehrte) Byrhtn. 118, und ebenso im Mhd. swertes swane 
Mhd. Wb. 2?, 806*. 

swippen, of-swippen mid sweorde mit dem Schwerte schlagen, 
abschlagen: ich wulle mid swerde his heued. of-swippen 877, 78; pe king 
mid, his sweorde bat hefd him of-swipte 28720, 21 u. ähnlich 16699 f. 
23748 f.; statt des Zeitworts steht das Subst. swipe (Schlag): heo bittere 
swipen jefuen mid axes and mid. sweordes 21247, 48; pa heowen heo mid 
sweorde, pa swipen weoren grimme 16497, 98. Einen deutlichen An- 
klang finden diese Formeln nur in den altnord. Verbindungen sverda 
svipr gladiorum vibratio, pugna Egilss. 803" und sverda svipun f. id.: 
heil at sverda svipun Sigurdarkv. 2, 19. 20, in denen lediglich der Be- 
griff des Schwertschwingens waltet wie auch in zwei Stellen des Laja- 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 2339 


mon: Ardur — his sweord Caliburne swipte mid maene 23977, 78: Pae 
beown Aldolf — haef hachje his sweord and lette hit adun swippen (nieder- 
sausen) 16509, 10. Auf den andern verwandten Gebieten kommt etwas 
klar entsprechendes nicht vor, da die md. Stelle: daz swert er ouch dä 
begreif und sö manchin ummesweif mit scharfen slegin üf si trüc (Mhd. 
Wb. 25, 786°) für das lebendige Vorhandensein eines mhd. md. daz 
swert sweifen oder des swertes sweif doch nur einen schwachen Anhalt 
darbietet; — im Ags. verbinden sich dagegen die beiden Stämme nicht 
ungern mit einander, welche wir soeben im Lajam. in fast gleicher Be- 
deutung mit sweord verbunden gesehen haben: ρα faemnan het — mid 
sveopum svingan synna ledse Juliana 188; hi hine svungon mid isenum 
svipum Grein gl. 2, 516; tösveop and tösvengde burh svides meaht liges 
leoman Azar. 59. 

wenen mid iwisse gewil erwarten: heo wenden mid iwisse to 
habben muchel blisse 19006; vgl. Ardur hit wende to iwislichen Pinge 
(hielt es für eine gewisse Sache) 21051, 52; — vgl. altnord. visa van, 
vis von, visavon, vissu vänir Möbius gl. 491. Egilss. 848”. 887”. 

witen to iwisse gewiß wissen: ich wat to üwisse, agan is al mi 
blisse 28088. Ähnlich ags. vitad vislice Ps. 99, 2; hi visslice viton Ps. 58, 13; 
gevislicost gevitan Beov. 1350; — altnord. eigi veit ek bat vist non certus 
sum; vis-vitandi mit sicherem vollem Wissen Möb. gl. 522; mundu vist 
vita at vetki ljgr Sigurdarkv. 1, 25; — mhd. daz ich gewisliche weiz 
Mhd. Wb. 3, 796”. 

to wude wenden in den Wald gehen: ba to wude wenden wunder 
muche wuerde 16200 u. ähnl. 2584. 15508. 16578. 18270. 31262; ford pa 
eorles wenden burh aene wude muchelen 26307, 8; Petreius — mid his 
uerde from han wude wende 26684; vgl. Bruttes to wude haelden, pe 
odere after wenden 26671, 72. — Für das Mhd. erinnere ich an: frouwe, 
man sol wenden dä zem Westerwalt Kudr. 945, 2, ohne daß ich damit 
die allgemeinere Geltung einer Formel ‚ze walde wenden‘ beweisen will; 
sonst weiß ich von der hübschen Bindung keine Spur. 

wunien wintres im Winter wohnen: her we wulled wunien wintres 
and sumeres 14664, 65 u. ähnl. 15926, 27. 20987, 88. 21449, 50; — 
wunien feole wintre viele Winter (Jahre) wohnen: feole wintere seod- 
den bat fole pa her wunede 29343, 44; ber on heo wuneden wel feole 
wintren 16895, 96 u. ähnl. 18796, 97. 31655, 56; vgl. auer alche wintre 
inne Wales heo wuneden 6034, 35. — Das Ags. hat zwar die genitiv. 
Adverbia, aber nicht in Verbindung mit vımian : vintres and sumeres 
vudu bid gelice blödum gehongen Phön. 37 (wie auch altfrs. thes wintres 


230 KARL REGEL 


and thes sumures, — des winters als des summers Rhfn. 1152*); die zweite 
Formel dagegen findet sich im Ags vor: Satan 477; Phön. 580. 

wunien mid wunne in Wonne wohnen, glücklich leben: Ardur 
wunede ber wilen size mid muchelere wunne 22089, 90; seode ich cumen 
wulle to mine kineriche and wunien mid Brutten mid muchelere wunne 
28620, 21; ber bu miht wunien and libben mid winne 15446, 47; — 
ähnlich im Ags.: vunian in (on) vynnum Satan. 237. 508. 556. 593; 
vgl. vunian in vyndagum Guthl. 604; Bi manna vyrdum 61; vunad geond 
vynlond Phön. 82. 

wurden a (inne) weorlde-riche werden in der Welt: Bruttes — 
sugged feole hbinges bi Ardure ban kinge, hat naeuere nes iwurden a 
hissere weorlde-richen 22991, 92; no scal hit nauere iwurden a Jissere 
worlde-richen, Pat we etc. 29753, 54; hu jare wes hit iwurden inne worlde- 
riche, hat etc. 8790, 91; vgl. benne scalt pu for-wurben (verderben) «a 
bissere woruld-riche 14586, 87. — Ganz in derselben verallgemeinernden 
Weise verbindet sich das ags. veordan mit veoruld-rice und noch viel 
häufiger mit dem Simplex veoruld: Elene 456. 1049; Exod. 365; Crist 
1198; Andr. 950; Älfr. Metr. 17, 29; Crist 1023; in vorlde geveard 
ΟΣ τῷ 40; vurde on vorulde Genes. 504. 55l; vgl. seolfa ne cüde, purh 
hvät his vorulde gedäl veordan sceolde Beov. 3068; ealre bysse vorulde 
vurded ende Psalm. 118, 96. So auch im Altsächs.: hwär Krist giboran 
an werold-rikea werdan skoldi Hel. 618; werdan an thesaro weroldi ib. 
125. 277. 748. 893. 943; giwordan an thesaro weroldi ib. 374; giward 
an thesaro weroldi 1014. 582; hwand £o Er sulik ni ward wundar on 
weroldi ibid. 4123; — im Mhd. begegnen gleichfalls Stellen wie: soltu 
immer herzenliche zer werlte werden vrö Nibel. 16, 2; daz im in dirre 
werlte kunde nimmer werden baz ibid. 133, 4; owe mir armer meid, daz 
ich zer werlt ie wart geborn ibid. 517, 4; der unsaeligest bistü, der ie zer 
werlde wart geborn Iwein 3963; nü wes unwert und wes nöt wart ie zer 
werlte merre? arm. Heinr. 427, und in unserer jetzigen Sprache sagt 
man mit volksthümlicher Lebendigkeit: wie wird’s nur noch werden in 
der Welt? oder: was soll nur in aller Welt daraus werden? 

7. Substantiv und Zeitwort sind im Verhältniss von Sub- 
ject und Prädicat mit einander verbunden: 

 faeie fallen die zum Tode bestimmten fallen: pa weie aer feollen 
27825; ‚feollen pa faeien 14038. 17345. 12849. 20076 u. ähnl. 801. 1531. 
1743. 4162. 9261. 19140. 31227; vnimete feollen faeie men on ‚folden 
31731, 32; hat paer sculde falle moni beorn faeie 30027, 28; vgl. pa 
veol he king of horse and. faei-sid makede 28790, 91; jif we hom ne 
Jalled, paenne beon we faeie 16457, 58; — ganz ähnlich im Ags.: väs 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. >31 


sed tid eumen, pät baer faege men feallan sceoldon Byrhtn. 105; μὰ se 
lichoma laene gedreosed, fuege gefealled Beov. 1755, u. ähnl. Byrhtn. 119. 
Äthelst. 12. Ps. 135, 15; vgl. altnord. beir verda at falla er feigir eru 
Möb. gl. 94. Das Mhd. Kai ganz unsere Formel: da vielen die veigen, — 
vilin sam di veigen, — und die auf sie hinweisenden Bindungen veige 
unde vellie Mhd. Wb. 3, 289°, oder vellen unde weigen: sö läzet iuwer 
magenkraft mich vellen unde veigen Otte mit d. barte 209; hei waz dä 
quoter knehte gevellet unde geveiget wart! Tristan 1669. 

falewen feldes tahl werden die Felder: falewede feldes of faeie 
blode 18318, 19; weldes falewe wurden (j. H. falewede feldes) 27468; 
bei den lebendigen Schilderungen der Schlachten ist es ein stehender 
Zug, daß die grünen Felder von dem vergossenen Blute fahl, ihrer 
frischen Farbe beraubt werden, und wenn auch in andern solchen 
Stellen die Entfärbung entweder auf das Gras oder auf das blutbefleckte 
Haar oder am gewöhnlichsten auf die bleichen Gesichter der Sterbenden 
bezogen wird, so erscheinen doch die Felder immer daneben und be- 
weisen dadurch, dafs das ‚Fahlwerden der Felder‘ die eigentliche dem 
Dichter vorschwebende Grundformel war: fajeden pa feldes (die Felder 
färbten sich) and hat gras falewede 16413, 14; slujen jeond pan feldes 
falewe lockes 18448, 49; blodie ueldes, falewede nebbes 26811, 12; hefden 
flujen a bene uelde, faluwede nebbes 23213, 14 u. ähnl. 4163 ff. 30987 ff. 
Anderwärts ist mir die lebendig gedachte Bindung nicht nachweisbar, 
welche vielmehr in dieser Weise unserem Dichter eigenthümlich zu 
sein scheint, der höchst ausdrucksvolle Begriffsgehalt dieser Formel 
aber findet in dem Wortgebrauch der verwandten Mundarten seine 
volle Aufklärung; denn die eritsprechenden Adjectiva und Zeitwörter 
(ags. fealu, feahwian Grein gl. 1, 286. 287; altn. fölr, fölna Egilss. 190. 
191. Möb. 110; mhd. val, vahven Mhd. Wb. 3, 213) gelten vornehmlich 
von der herbstlichen Entfärbung der Blumen und Blätter (ags. Phön. 
74. Älfr. Metr. 11, 58. Salom. 313; mhd. ex vahvent Tiehte bluomen üf 
der heide, — der tropfe velwete grüenez loup) oder der ganzen Sommer- 
flur (mhd. heide unde walt sint beide nu val, — walt und ouwe die sint 
val, — der walt valwet, — valwent grüene heide, — winter, du velwest 
grüenen walt, — winter mit vroste velwet anger und walt), aber auch 
von dem grauen Wasser (ags. ofer fealuvne flöd Andr. 421 u. ähnl. 
Beov. 1950. Äthelst. 36: fealone vaeg Bi monna cräftum 53; fealve vögas 
Wanderer 46; Andr. 1591; fealve straete Beov. 916; farbe stredm Andr. 
1540), von den grauen Luft (altnord. fölvan niit Helgakv. Hund. 
2, 47) und vom bleichen Gesichte (mhd. mine wangen die sint mir 
val, — ich sol velwen iwern röten munt). Eine ähnliche Verknüpfung 


939 KARL REGEL 


der milsfarbigen Flur mit dem bleichen Angesicht wie in unseren halbs. 
Stellen findet sich in Rückerts Worten: meine Wange, die fahle Flur 
(s. Gr. d. Wb. 3, 1240), aber die eigentliche Formel (das fahle Feld) 
kenne ich nirgend. 

ferde fusde das Heer zog eilig: Octa and his ferde fusde him 
to-jeines 18312, 13; aefne pan worde fusde pa uaerde 22076 u. ähnlich 
19462, 63. 22469. 30019. 31224, 25; — auch trans. fusen ferde ein 
Heer in Marsch setzen: he fusde his ferde and flaeh touward Scotten 
16248; ford heo iuusden vnimete werden 28946, 47; — fusen mid ferde 
mit den Heere eilig ziehen: mid vnimete ferden feondliche heo fusden 
16401, 2 u. ähnl. 20052, 53. 20577, 78. 20609, 10. 22533, 34. 28306, 7; — 
fusen to ferde gegen ein Heer ziehen: ford ich scal fusen to ferde 
has kinges 18886, 87; ford riht he fusde to bes kinges ferde 18900, 1; — 
beide Wörter in freierer Weise neben einander: 16349, 50. 17338, 39. 
19182, 83. 21819, 20. 31725, 26. Im Ags. nur vereinzelt: fyrd väs ge- 
füsed Exod. 54, aber vgl. oben 3, faren and fusen. 

flan fleod Pfeile fliegen: Ardures men letten fleon vnimete flan 
22343, 44; aerst heo lette fleon to feondliche swide flan al swa picke, swa 
ba snau adum walled 27456, 58; und hieran anklingend: heo letten gliden 
heora flan and ba eatendes flujen (die Riesen entflohen) 1844, 45. — 
Das Ags. hat genau dieselbe Formel: hie μα fromlice leton ford floogan 
fläna scüras Judith 221; laeted: sträle fleogan, farende flän Räths. 4, 56. 
57; vgl. purh flänes flyht durch Pfeiles Flug. Byrhtn. 71; — auch das 
Altn. verbindet das dem ags. halbs. flän ganz entsprechende fleinn (m. 
telum) gerne mit fjüga : fljüganda fleini (dem fliegenden Geschoss) 
Häavam 85; ef ek se af fari skotinn flein ὁ folki vada : fljgra hann svd 
stint (es fliegt nicht so stark) 1014. 151, vgl. Egilss. 185”; dann auch 
mit dem factitiven fleygja (fliegen lassen): flein at fleygja Rigsm. 32; 
fleygja flein spiculum projicere Egilss. 182°. 184, Bemerkenswerth für 
die in unserer Formel liegende Lautgewohnheit scheint es zu sein, daß 
im Altn. dem ‚Fliegenlassen des Speeres‘ auch ein ‚Fließenlassen des 
Schiffes‘ in nahe anklingender BE zur Seite steht: Ahverir ἰάξα 
fljota ‚fley "ἢ bakka Helgakv. Hund. 2, 4; Hamall laetr fljota fley vid 
bakka ibid. 2, 5; vgl. sem fleybrautar ΕΝ" Sley medal tveggja eyja ut si 
nayicula ΤῊΣ vias maris fluitet inter duas insulas Egilss. 184°. Übrigens 
hat auch das Niederschott. the ganyeis and the flanys flew und fleand 
with hir bow schute mony ane flane Jamieson 8. v. 

lasted lif das Leben dauert: jet ülaested pi lf : swa hit do longe ! 
9852; he huld god grid be while be vlast his { 6282 u. ähnl. 21087, 88. 
27656, 57; statt des Subst. tritt das Zeitwort mit etwas verändertem 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 253 


Sinne ein: a were bat a sculde ilasten, ba while men Iwmeden 16973, 74 
u. ähnl. 16999 f.; — auch in der Bedeutung ‚leisten‘, ‚vollbringen‘ ver- 
bindet sich /aesten, lasten mehrfach mit lif und Iuwien: ah we hit scullen 
ilaesten bi ure quicke liuen 25195, 96 u. ähnl. 9848, 49; swa he hit 
ülaeste, he while be he luuede 9880, 81. Die genau entsprechende Bin- 
dung von if (vita) mit laestan, gelaestan (durare) finde ich im Ags. 
nicht, ziemlich häufig aber gesellen sich Zf od. lifian zu laestan, ge- 
Iaestan in der Bedeutung ‚praestare‘, ‚observare‘, ‚patrare‘: Elen. 2208 ἢ 
Hymn. 7, 74 f. Crist 1225. 1393. Gen. 2169. 2762. Botsch. d. Gem. 51. 
Salom. 316. Ein ähnliches Ineinanderklingen zweier eigentlich im Sinne 
ganz verschiedener Verbindungen vgl. oben 6, lasten longe. 

lust, lZauerd höre, Herr!: lust us nu, lauerd king, of ure leod- 
runen 14552 u. ähnl. 15440. 16615. 25197, 98: jif je hit lusten wulle, 
Brutus mi lauard 919, 20; vgl. lust me nu, leod-king, nulle ich pe lijen 
nading 13567, 68; — diese Formel ist dem Lajamon eigenthümlich, 
indem sich bei den ags. Dichtern hlystan nirgends mit hläford bindet. 

be rein rined der Regen rinnt: ba sunne gon to scine, ha rein 
bigon to rine 31890: ba ilomp hit an one time, muchel rein him gon rine 
(sich zu ergießen) 28303; Da iwaerd hit in ane time, be raein him gon 
rine 19745; allem Anschein nach ist in diesen Stellen mit dem Zeit- 
wort rinen nicht ags. rinnan (fluere, currere) Grein 2, 382, sondern 
regnan, rignan, rinan (pluere, irrigare) Ettm. 255 gemeint: denn so un- 
genau auch im Lajamon die Reime sind, so muß es doch auffallen, 
daß unserem rine nur ein langes © (time, scine) gegenübersteht, und 
noch deutlicher weist das schwache Prät. rinde (from heouene her com 
a seleud flod : re daejes hit rinde |jüng. Hdschr. reinde] blod regnete 
es Blut 3895) auf ags. rinan, rinde hin; aber im Grunde liegt doch 
wohl nur eine formelle Anlehnung des ursprünglich in jene Verbindung 
gehörigen rinnen (fließen) an reinen, rinen (regnen) und eine völlige 
Mischung beider vor, welche sich ganz natürlich aus dem Umstande 
erklärt, daß in der Sprache des Lajamon das ältere rinnen sonst gänz- 
lich durch die mit Umstellung gebildete Form örnen, eornen, urnen ver- 
drängt ist, wie auch schon im Ags. das umgestellte irnan, yrnan Grein 
2, 146 über das ältere rinnan das Überg.wicht zu gewinnen anfängt. 
In den drei obigen Stellen hat die alliterierende Bindung mit raein die 
sonst abhanden gekommene Form rinnen geschützt, welche aber in fast 
widersinniger, jedenfalls nichtssagender Weise (der Regen regnet!) zu 
rinen umgestempelt worden ist. Dais die halbs. Formel eigentlich be- 
deutet ‚der Regen rinnt‘, das wird schon durch die ags. Bindung ryne 
regn Gußregen (häfde söd metod — ryne regn gestilled Genes. 1416) 


234 KARL REGEL 


unterstützt, noch klarer aber durch die Eddastelle bestätigt: en regns 
dropi rann nidr um kne Gudrünarkv. 1, 15. 

be riche raeden die Reichen (Mächtigen, Vornehmen) rathen: 
hu swa his riche men raeden him wolden 30227, 28; pa sumnede he μα 
richen, pa wel cuden raeden 15420, 21 τι. ähnl. 903, 4. 4767, 68. 16601, 2. 
17246, 47; oft steht auch statt des Zeitworts das Subst.: be king amede 
raed at his riche anan 16671, 72; riche men eoden to raede 30234 ; cleope 
be to vaede Pine eorles viche 25199, 200 u. ähnl. 14638, 39. 18928, 29. 
19832, 33. 24243, 44. 24955, 56. 30254. Ähnliche Verbindungen haben 
auch die ags. Dichter: gyf bu pät geraedest, pe her ricost eart Byrhtn. 
36; vaeron hyra raedas vice Dan. 457; rice raedbora Hymn. 7. 38; vgl. 
Jud. 68. Beov. 172. Hymn. 4, 17; — daß dem Alts. eine solche Formel 
nicht fremd war, das beweist die attributive Bindung ki räd-gebho 
Hel. 627; rikean räd-gebhon ib. 1961; vgl. rädan, — thena rikean Krist 
ibid. 2669. Deutlicher vergleicht steh den halbs. Verbindungen die an 
zwei Stellen der Edda wiederkehrende Wendung. ok um hat redu rikir 
tifar Hamarsheimt 14. Vegtamskv. 1; und eben dabin gehört auch trotz 
der etwas weiteren Trennung der beiden Wörter und der verschiedenen 
Bedeutung des einen: hd kemr hinn riki at regindomi, öflugr ofan, si er 
öllu raedr (beherscht) Völuspä 63. 

saule sijed to helle die Seele sinkt zur Hölle hinab: penne scalt 
bu for-wurpen ὦ pissere woruldriche and pi wrache saule sijen to helle 
14588, 89; be hedene king haelde to grunde and his fule saule saeh in 
to helle 27634, 35; — eine andere nicht minder lebendig gedachte Wen- 
dung ist: pa sorje (od. saernesse) sijed die Sorge sinkt hernieder: 
muchel is ba sorje, be isijen is to londe der Kummer, der sich auf das 
Land gesenkt hat 17920, 21; Da wes pe muchele speche — of Pare seoreje, 
be isije wes to londe 4022, 23; ich eow wulle telle for reouliche spelle of 
muche saernesse, pe isijen is to londe 13639, 40; hat eow aeft seorwen 
sijen bi tweonen dafs sich später Sorgen zwischen euch drängen 15089, 99. 
Keine der beiden ausdrucksvollen Formeln finde ich anderwärts; aber 
verbreitet ist eine andere Bindung mit diesem Zeitwort für das Sinken 
der Sonne und Gestirne am Himmel: ags. siddan sunne up on morgen- 
tid maere tungol gläd ofer grundas, — öd hät sio üdele gesceaft säh 10 
setle Äthelst. 17; tungla torhtast — (ὃ sete siged Menol. 112; ealle stior- 
ran sigad: äfter sunnan samod mid rodere under eordan grund Älfr. Metr. 
29, 15; — alts. allan langan dag, — antthat an äbhand seg sunna te 
sedle Hal. 2820 f.; — altfrs. als dyoe sonne sighende is Rhfn. 1012”. Da- 
gegen hat Lajamon kein ‚be sunne saeh to setle‘, sondern nur aer he 
sunne eode to grunde 27805, und to reste eode Pa sunne 28328, während 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 235 


doch der Tod des Königs Luces mit den Worten bezeichnet wird: pa 
be king sah to grunde 10255. 

sceldes scenen die Schilde brechen: 5. die Belegstellen oben 1, 
unter sceldes and scaftes, sceldes and scalkes; im Lajam. ist diese 
Formel sehr geläufig, aber die entsprechenden Zeitwörter ags. gescaenan, 
altnord. skeina, afrs. skenia (frangendo aperire, frangere, vulnerare) 
treten in keiner ähnlichen Verbindung auf. 

wind weied der Wind bewegt: heo word haelden swa Pe haeje 
wude, benne wind wode weied hine mid maeine wenn der wüthende Wind 
ihn mit Macht bewegt 20136, 37; be wind waeht bat fwr (fachte das 
Feuer an), hat hit wunderliche born 16216; be wind com mid here nihte 
and bat fur awehte 29283, 81. — Diese Bindungen mit wind beziehen 
sich in sehr ähnlicher Bedeutung auf zwei verschiedene Zeitwörter, 
nämlich auf weien (ags. vecgan movere) und auf die Präteritalformen 
von weechen, awecchen, (waehte, awehte = ags. vehte, ävehte, äveahte von 
veccan, dveccan expergefacere, excitare Grein gl. 1, 47. 2, 653); ags. 
hedh hit veege wind voruldearfoda Älfr. Metr. 7, 35; sed συῶ mereflödes 
jda hrerad iscealde sae, veegad for vinde bewegen sie vor dem Winde 
ibid. 27, 4; baer hine storm ne mäg vind äveegan Andr. 503; bei veccan 
ist vind nicht bloß Subject, sondern auch Object: sva bid sae smilte, 
bonne hy vind ne veced wenn sie der Wind nicht aufwühlt Vers. Gnom. 
Exon. 56; svögad vindas, — veccad and voniad voruld mid storm Crist 
950. 952; Avehte pa vindas of heofenum er weckte die Winde unter dem 
Himmel Ps. 77,26. Im Mhd. vergleicht sich wohl unserer ersten Formel 
das intrans. wagen von dem winde Mhd. Wb. 3, 642”, aber die geläufigere 
Formel ist doch durchaus der wint waet (wie nhd. der Wind weht) s. die 
Belege Mhd. Wb. 3, 463°. 464°. 714°, — eine Formel, die auch im Altfrs. 
und Ags. ganz lebendig erscheint: afrs. also langh soe di wynd fan da 
wolkenen wayth, — also langh als wıymt wayet ende kynt serayet Rhfn. 
1122"; ags. seö her on vinde vaeved on Iyfte Räths. 41, 81; vinde bivavne 
veallas stondad‘ Wanderer 76; vgl. das anklingende altn. vindr heitir 
med mönnum en vdvudr med godum Alvism. 21. 

wurded iwille der Wille geschieht: al hin iwille wel scal iwurden 
18932, 33; Pbenne weoren heore iwil allınge dwurden 19656, 57; wurde 
bet iwurde! iwurde Godes wille! 32240, 41; vgl. αἱ pat heo biginned: to 
done, iwurded after heore wille 32104, 5; daneben auch die transitive 
Verbindung mit dem faetitiven Zeitwort: jiüf Pu nult ajen wenden, ah 
iwurdien pin iwillen 26390; if je wolden iwurden and don mine iwille 
19318, 19. — Wie schon unter den obigen Stellen die fromme Wunsch- 
formel (iwurde pet iwurde! iwurde Godes wille!) am stärksten und 


936 KARL REGEL 


charakteristischsten hervortritt, so scheint üherhaupt die vornehmste 
Wurzel dieser ganzen Verbindung in dem Gebete des Herrn zu liegen: 
goth. vairhai vilja eins Matth. 6, 10; — ags. gevurde pin villa Hymn, 
7, 35; vgl. Hymn. 6, 10; Orist 1264; Guthl. 721; Ps. Cott. 104; — 
alts. werda thin willeo ἨΔ]. 1606; vgl. 286; — ahd. werdhe sin wille 
Grff. 1, 983. 

8. Zeitwort und Substantiv treten auch sehr häufig als 
Prädicat und Object in alliterierende Bindung: 

blawen bemen die Heerhörner blasen: pa bleou men ba bemen 
22759. 27813; heo blewen heo here bemen 5886 u. ähnl. 5107. 8635. 9784. 
18522. 24485; blawed ore bemen and banned ore ferde 5874 u. ähnlich 
19121. 27442; he lette blauwen bemen 4462 u. ähnl. 8560. 16114, 15. 
23131, 32. 26151, 52. 29293, 94; he lette blawen bemen and bonnien his 
ferden 19132, 33 u. ähnlich 7951. 16186. 16727. 19096. 21022, 23, 24. 
22685. 21689. 27340 fi. 28400. 28734. 30960; he lette blaewen bemen 
and be Scottes baeenien 21937, 38; leted blawen bemen and bodien mine 
monnen 23729, 30; bemen he lette blawen and his cume bodien 23289, 90; 
vgl. ba wes bemene blaest and swide glade beornes 19926, 27. Diese im 
Lajamon bei allen den zahlreichen Schilderungen kriegerischer Auf- 
brüche mit sichtlichem Behagen gebrauchte Formel ist im Ags. noch 
durchaus nicht so geläufig, indem da die Wendung byjman sungon Exod. 
160; Daniel 192; Elen. 109; sungon sigebjman Exod. 565; bijme sang 
Exod. 132 die gewöhnlichere ist; aber auch jene liegt schon deutlich 
in mehreren Beispielen vor: drihten seolfa häted hehenglas hlüdre stefne 
beman blävan ofer burga geseotu Satan 601; vgl. Crist 881, 2; Bi dömes 
däge 110. Über das räthselhafte im Ags. vereinzelt stehende beme, bijme 
(tuba) vgl. Diefenb. goth. wb. 1, 252. 

delven dic eine Grube graben: he bigon to deluen die swide 
muchele 14225, 26; heo letten deluen diches vnimete deope 9238; pa pe 
die wes idoluen and allunge ideoped 15472 u. ähnl. 15894. 15900. — 
Es ist schon unter deope dic (oben 5) darauf hingewiesen worden, 
daß unser Subst. in der Bedeutung ‚Graben‘, ‚Grube‘ auf den anderen 
Gebieten nur in spärlichem Gebrauch ist, und daraus erklärt sich auch 
für die gegenwärtige Formel der Mangel an Parallelen in den übrigen 
Mundarten (vgl. nur afıs. hwasa satha delt inne otheres saddikum 
Rhfn. 684*); doch enthalten die obigen Belegstellen zum großen Theil 
noch die zweite Bindung delven deop tief graben, und diese liegt nun 
auch anderwärts mehrfach vor: ags. deöpe bedolfen Elene 1081; vgl. 
heil. Kreuz 75; Psalm. 56, 8. 93, 12; — alts. diapo bidelbhen Hel. 4059. 
5531. 5756. 4114; — altfrs. delfma diapera sa, — thet ma thet lond 
todelve and todiupe Rhfn. 684°. 1089”. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 237 


feond fallen die Feinde fällen: scal he alle his feond fallen to 
grunde 16106, 7; he hehte alle his heines and adele his enihte fon somed 
to fihten and his feond auallen 28404, u. ähnl. 20602. 27811. 28116; vgl. 
15432, 33, und intrans. be weond feol to grunde 27687; — fast eben so 
häufig fallen ifan die Feinde fällen: ich habbe eower iuan iualled to 
han grunde 12473, 74, u. ähnl. 16242. 16393, 94. 20104, 5. — Von 
diesen beiden Verbindungen findet sich im Ags. die erste deutlich wie- 
der: Abraham — slöh and fylde feönd on fitte Genes. 2071, 2072; feönd 
gefyldan Beov. 2706; ealle ic mihte feondas gefyllan ἃ. heil. Kreuz. 38; 
bonne ic hiora fünd fylde and hijnde Psalm. 80, 13; etwas mehr ge- 
trennt Ps. 67, 21. Zuweilen tritt auch fyllan mit dem Zeitwort feögan, 
feon (infestare, odisse) in parallele Bindung: hergas breotad, fyllad and 
feögad! feöndscipe dväscad on sefan manna Crist 486; ac hiblödgyte 
vorhtan, feodan and fyldon ibid. 709; intransitiv (der Feind fällt): se 
Jeönd mid his geferum eallum feollon μα of heofnum Genes. 306; — vgl. 
mhd. ir vinden ze valle Trist. 7003. 

JFole fallen das Volk fällen, zu Boden schlagen: he hafde ibohte 
bi nihten mid seouen Pusend enihten to riden uppen Ardur — and his 
Jole afeollen and hine seolf aquelle 20234, u. ähnl. 17356, 57. 17361. 
19493. 20058. 24069; zuweilen auch intrans. fole falled das Volk 
fällt: pa isah Childrie, pat heom üomp liderlic, pa al his fole muele 
feol to pan grunde 21603, 4, u. ähnl. 23487. 26231; — der Formel 
Fole fallen ganz gleichbedeutend, aber spärlicher gebraucht ist ferde 
faellen das Heer niederwerfen: Gurguint Denemarkene king ofsloh and 
his Densce ferde he felde to pan grunde 6163, 64, u. ähnl. 19522. 31310. 
Das Ags. zeigt wenigstens für unsere erste Formel einen deutlichen 
Keim in der sichtlichen Neigung fyllan mit folc oder seinen Compositis 
zu binden: folces gefylled Äthelst. 67; fylde folca maeste Genes. 747; 
äfyllan, fole Guthl. 256; fyllan foletogan Judith 194; gefylled on fole- 
stede Äthelst. 41. 

jisles jeuen Geiseln geben: jeue us jisles per to 901; aefter eure 
heo him jeuen Jreo hundred jisles 6171, 72, u. ähnl. 16885, 86. 20801, 2. 
21947, 48; vgl. he wes ijefen Ardure to halden to jisle 22789, 90; jeuen 
heom garisum, — vre childre to jisle 5315, 17; weniger häufig ist die 
Formel jisles jürnen Geiseln begehren: nim of heom jisles, swulche 
bu wult jirnen 16849, 50; vgl. bis heo him to-jeornden mid jislen to \so- 
dien 29010, 11. — Die alte volksthümliche Lebendigkeit der ersten 
Formel klingt uns im mhd. ze gisel geben sehr vernehmlich entgegen: 
Nibel. 2041, 1. 2042, 4. 2274, 1; Wigal. 4145, 46, aber wahrscheinlich 
hat wohl der zweiten ebenso bedeutungsvoll ein mhd. ze gäsel gern ent- 


238 KARL REGEL 


sprochen, vgl. Nibel. 2284, 4, und daß auch den ags. Dichtern eine 
Formel gislas gyrnan oder ἐδ gäsle gyrnan im Sinne gelegen hat, das 
scheint daraus hervorzugehen, daß das ags. gisel in den beiden Dichter- 
stellen, in denen es vorkömmt, ohne starke Nöthigung mit dem stamm- 
verwandten Adverbium georne, geornlice gebunden ist: hio — bone aenne 
genam Judas ἐδ gisle and μα georne bäd Elene 600; him se gijsel ongan 
geornlice fylstan Byrhtn. 265. Das Altnord. hat für unser halbs. jiuen 
‚jisles eine andere Alliterationsformel: gjalda gisla obsides dare Egilss. 243”. 

halden husting Versammlung halten: seide bat heo wolden halden 
hustinge of allen pan leoden, pe heore laewen leoueden, and of al pan 
londen, he stoden on heore honden 5232; ba alre seleste eoden to sumne, 
hulden. muchel husting, ba hehste of han hirde 2324; Bruttes heolden 
husting mid heje wisdome 16150; Belin in Euerewie huld. eorlene husting: 
he bed, pat his riche men rihtne read. vadden 4766 (vgl. noch 11543. 
12882. 22257), und anklingend: haelden to-somne (sie zogen zu ein- 
ander) to heore hustinge 28708, 9. Das Wort husting, hustinge ist auch 
außerhalb dieser Alliterationsformel dem Lajamon in anderen Wen- 
dungen sehr geläufig: to-gaedere comen ba riche men, be aje weoren and 
maehti, and makeden heore hustinge (zur Absetzung und Verbannung 
des Königs Argal) 6570; mid carte he for to Lundene and sette his 
hustinge : eorles per comen, riche and, wel idone, and alle pa wise, be 
wuneden on Bruttene 11397 ; (Vortiger) sende jeond Lunden and to hustinge 
hehte heom raeden and ful sone bat heo alle comen 13618; vgl. noch 
856. 5119. 6687. 10371. 13185. 12447, und ferner 9021. 9223. 11422. 
11484. 11600. 12436, 38. 16154. Ich habe die Aufführung aller Stellen 
in welchen husting vorkömmt, für nöthig gehalten, weil das merkwürdige 
Wort noch der Aufklärung bedarf: es wird in einigen derselben für 
eine ganz allgemeine Versamwlung aller edlen oder sonst irgend be- 
deutenden Männer eines Volkes gebraucht, also eine große Volksver- 
sammlung (muchele hustinge) für die Ordnung einer hochwichtigen An- 
gelegenheit, namentlich zur Königswahl; aber in anderen dieser Stellen 
bezeichnet bat husting deutlich die beschränktere Rathsversammlung, 
zu welcher der König die Höchsten und Edelsten, die Mächtigsten und 
Reichsten, die Besten und Weisesten seines Volkes in) eine seiner 
Burgen beruft, um mit ihnen über eine schwere Frage zu Rathe zu 
gehen, und es wird dann ausdrücklich gleichgesetzt mit witene-imot 
(hat hustinge wes god: hit wes witene-imot 11544, 45) ἃ. 1. ags. vitena 
gemöt sapientum conventus Ettm. 198. Diese letzte Bedeutung des Wortes 
muß die ursprüngliche gewesen sein, da aus ihr allein die Etymologie 
desselben verständlich wird. Obwohl nämlich dieses interessante Wort 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 239 


in unserem halbs. Denkmal so sehr gebräuchlich, auch in der späteren 
Sprache überall üblich geblieben und selbst im heutigen Englisch 
(husting Wahlversammlung) nicht ganz verschollen ist, so gewährt doch 
innerhalb des älteren Sprachgebietes ganz allein das Altnordische einen 
Schlüssel für seine Herkunft in dem von Egilss. 416° aus ‚Sagan af 
Magnüsi blinda ok Haraldi gilla‘ verzeichneten hüishing n. conventus 
privatus, concio privata (isl. hüsshingi ἢ. consultatio familiaris Björn 
Hald. 1, 414”), dessen Begriff vollkommen zu dem einer vom König 
im eigenen Hause gehaltenen engeren Rathsversammlung stimmt, sich 
auch klar in dem halbs. husting als der ursprüngliche vorfindet und sich 
dann zu dem einer großen allgemeinen öffentlichen Volksversammlung 
fortentwickelt zeigt. Diese Erweiterung der Bedeutung wie der Über- 
gang der Aspirata Ὁ" in die bequemere Tenuis erklärt sich wohl am 
einfachsten daraus, daß der Ausdruck, im anglisch-sächsischen Volks- 
bewußitsein des Wurzelbodens entbehrend, als nordisches Lehnwort dem 
heimischen Munde fremdartig geblieben ist; hinsichtlich der Kürzung 
des @ aber steht dem angl. husting das engl. husband Ehemann (hus- 
bandman Landwirth) in seinem Verhältniss zu ags. hüsbonda domus 
magister Ettm. 487, altnord. huisböndi herus Egilss. 415” völlig analog 
zur Seite. Endlich erhält noch die Ursprünglichkeit des etymologischen 
Begriffs ‚Sonderberathung‘ in dem halbs. husting eine gute Stütze durch 
eine Stelle des Lajamon, in welcher Ahusting im Sinne von ‚Friedens- 
stiftung‘, ‚Versöhnung‘, ‚friedliches Abkommen‘ (= paisinge in der 
anderen Hdschr.), also für eine specielle persönliche Vereinbarung ge- 
braucht ist: ba wise men of hisse londe, be luueden pas leoden, makeden 
hustinge bitwexen Conaan and han kinge : ber heo iwurden saehte and 
ber heo iwurden some 11664. 

leden lif ein Leben führen : ne scalt bu nauere mare pi if benne 
lede 26846; bus he laedde his lif 7015; swa we sculden — ure lif laeden 
1065; bus heo leoded heore lif ‚inne bire leode 19720. So ags. forbon 
orsorg Üf ealnig laedad. voruldmen vise büton vendinge Älfr. Metr. 7, 40. 
Im Alts. tritt diese Verbindung nicht hervor, auch wo sie ganz nahe 
gelegen hätte: lödit im is werold mid thiu, is aldar ant thena endi Hel. 
3474, 3475; aber im Engl. ist to lead a life eine ganz lebendige Phrase. 

leosen lif das Leben verlieren (engl. to lose one’s life) : bat he 
scal hat lif leosen 20112; hire lif heo losede sone 25918; vgl. swa ane 
while heo ber luueden and seodden heo hit leoseden 26379, 80, und in einer 
nahe verwandten criminalrechtlichen Bedeutung leosen leomen die Glie- 
der verlieren (d. 1. verstümmelt werden, vgl. oben 1. lif and leome): 
wha swa bilaefde (wer zurückbliebe), his leomen he sculde leosen 22306 ; 


240 KARL REGEL 


vgl. 15637. 25633, 34. — Das Ags. hat zwar für die erste Formel { 
forleösan Grein 1, 328, braucht aber in der Verbindung mit %f das Ztw. 
forleösan sonst lieber in der Bedeutung ‚verderben‘, ‚zu Grunde richten‘: 
Reiml. 56; Bi manna leäse 11, und verwendet für den Begriff ‚das 
Leben verlieren‘ gewöhnlicher eine Bindung mit einem Compositum 
von laetan (= das Leben lassen) : älaetan lif and leodscipe Beov. 2750; 
vgl. Jul. 483; Gen. 1073; Edgar 23. Das Alts. zeigt die erste Ver- 
bindung deutlich in der Stelle: nio the sterbhan ni skal, Üf farliosan, 
the her gülöbhid te mi ΠΩ]. 4057; das Mhd. hat häufig den lip verliesen 
z. B. Nibel. 2, 4. 603, 4. 1703, 4. Iwein 1084. 1164. 1491; aber im 
Altfrs. allein erscheinen ‚beide Bindungen, u. zwar als echte Rechts- 
formeln: ther hi sin lif mithe machte urliase (sein Leben verwirken), — 
und litha urliasa (durch Verstümmelung der Glieder beraubt werden) : 
thet hi ur al sine letha tha thre delan urlerren habbe, — hia ne habbe 
urlerren da sex liden en: da twa handen, da twa aghen, ende dae tueen 
‚foten Richthf. 1113”. 1114*. 906°. Vgl. Gr. 4. Rechtsalt. 705—708. 

leosen lond, leosen leoden Land oder Leute verlieren: jif 76 
leosed pis lond 7913; Pat he haeuede iloren his kine-lond 4849; Bruttes 
hit loseden, pis lond and pas leoden 32234, 35; lad him wes to leosen 
leouen his leoden 23299, 300; ähnl. 12492. 27136, 37; und annähernd: 
swa heo scullen on londen losien heore freonden 20537, 38; bat alle his 
leoden him to lose eoden (in’s Verderben giengen) 24075, 76. — Etwas 
von unserer Formel leosen leoden klingt in einigen alts. Stellen durch: 
that gi thea spräka godes endi spel managu ne farliosan an them liudiun 
Hel. 1735; thea liudi sind farlorane ibid. 3004; than al thit liud-werod 
Jarloran werde ibid. 4159. 

scaken speren Speere schwingen. Diese Verbindung, welche haupt- 
sächlich durch den aus ihr erwachsenen unsterblichen Namen Shak- 
speare ein höheres Interesse gewinnt, steht mitten in einer lebendigen 
alterthümlich gefärbten Schilderung des Schlachtbeginnes an der ein- 
zigen Stelle des Lajamon, in der das Ztw. scaken vorkömmt: efne }ύ8- 
sere saeje, ba pe kaisere seide, be eorles gunnen riden and spureden heore 
steden : heo scaeken on heore honden speren swide stronge, beren bi-foren 
breosten brade heore sceldes 26481, 82; aber in den alten Mundarten 
findet sich eine völlig entsprechende Formel nirgends. Das alts. skakan 
gilt an der einzigen Belegstelle (ant that he ellior skök bis er anders 
wohin entrückt ward Hel. 2708) nur in seiner ursprünglichen intran- 
sitiven Bedeutung ‚zitternd dahin schweben‘, welche auch beim ags. 
scacan, sceacan vorherscht und in einer Stelle sich auf das Fliegen der 
Pfeile bezieht : ponne straela storm strengum gebaeded scöe ofer scildveall 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 241 


Beov. 3118; aber da, wo der transitive Begriff ‚schütteln‘ waltet, sieht 
man sich vergebens nach einem sceacan spere od. speru um, obwohl 
einmal dem Sinne nach diese Phrase ganz klar vorliegt: Offa gemaelde, 
äscholt äsceöoc Byrhtn. 230, und obwohl das Schwingen des Schwertes 
im Ags. wie im Altnord. durch unser Zeitwort formelhaft ausgedrückt 
wird: ags. äscäcd sveord his gladium vibrat Ettm. 670; altn. skaka sver- 
dit at einum sein Schwert gegen einen schwingen Möb. gl. 374; und 
ebenfalls alliterierend das Schütteln des Schildes: altn. pa skoku aesir 
skiöldu sina Saem. zu Oegisdr. 1. Auch im Mhd. sind wenigstens mit 
dem begriffsgleichen schüten alle diese Bindungen geläufig: schüten diu 
sper, — schüten den schaft, — schüten ein swert, — schüten den schült 
Mhd. Wb. 25, 229", und wir müssen daher unserem obigen scaken speren 
ein höheres Alter und eine weitere volksthümliche Verbreitung zutrauen, 
wenn wir auch keine Belege dafür besitzen. 

scuuen scipen die Schiffe schieben (vom Lande in’s Wasser): 
heo wenden ba scipen stronge to scuuen from an londe 21589, 90; Pe 
while be he pa scipen ut scaef 9366; he hat scip stronge scaf from han 
londe 23859, 60; heo scufen from han stronde scipen grete and. longe 
20925, 26; etwas weiter getrennt und in etwas anderer Bedeutung: ba 
comen alle pa enihtes to scipen ford rihtes: wind heom stod an honde, he 
scaf heom to Irlonde 22312, 14. — Die hier so natürlich und lebendig 
entwickelte Formel ist mir anderwärts in vollständiger Ausprägung nicht 
nachweisbar, aber sie liegt versteckt sowohl im Ags. vor, wenn es mit 
Umschreibung des Schiffes heißt: guman üt scufon veras on vilsid vudu 
bundenne Beov. 215, und vom todten Drachen, der wie ein Schiff vom 
Gestade geschoben und den Meereswogen übergeben wird: dracan δὲ 
scufon vyrm ofer veall-chf, leton vaeg niman flöd fädmian frätva hyrde 
Beov. 3131, als auch im Mhd., wenn das Abstoßen vom Lande ohne 
Erwähnung des Schiffes durch das bekante neutrale von stade schieben 
(Mhd. Wb. 2°, 1605) bezeichnet wird. 

speche spilien eine Sprache reden oder einen Ausspruch thun, 
vgl. oben 3, speken and spilien. 

spel suggen einen Bericht erstatten, eine Rede vorbringen: heo 
seiden him to sode sorhfulle spelles 2177, 78; vnneaede wes his spel isaeid 
to ban ende 16397, 98; vgl. he seide him pat goddspel verkündigte ihm 
die Gottesbotschaft, das Evangelium 29525; daneben auch suggen a 
spelle (od. in spelle) in Bericht od. Sprichwort sagen: wha iherde 
auere suggen a saejen oder a spelle, hat aeuere aeni broder dude pus for 
oder, pat Elidur pe king dude for Argale 6661, 62; whilen hit wes iseid 
inne sod spelle, pat moni mon ded muchel uvel al his undankes 8279, 80, — 

GERMANISTISCHE STUDIEN, 16 


342 KARL REGEL 


So auch ags. spell secgan Botschaft verkünden: svä se secg hvata sec- 
gende väs lädva spella Be»v. 3028. 3029; ähnlich Gen. 2405. Viäs. 54. 
täths. 5, 12; und on spellum secgan in Reden verkünden: me mänvyrhtan 
manige on spellum sägdon sodlice Ps. 118, 85; vgl. invitspell sägde Genes. 
2024; godspel seegan Salom. 65; de secge bis särspell Hymn. 4, 96; vel- 
spella maest gesecgan El. 984. 985; ladspell —, sögdon pam folre Andr. 
1081. 1082; seegan möste, bodigean bealospela maest Exod. 509. 510. 
Entsprechend dem ags. godspel secgan hat das Alts. seggean spel godes 
Hel. 1376; sagda spel godes ib. 1331; that he spel godes gio 80 södliko 
seggean konsti ibid. 2651. 2652, und dem ags. vilspell gesecgan entspricht 
auch ein alts. wil-spel seggean (gihördun wil-spel mikil fon gode seggean 
Hel. 527. 528). Ebenso weist das Altnord. unsere Formel in lebendiger 
Bindung auf: hvat kantu segja nyra spialla or Noregi? Helgakv. Hiörv. 
Son. 3l; sunnan em ek kominn at segja spjöll bessi Egilss. 767°. 

suggen of sorje von Sorgen reden: ich him wulle suggen of blissen 
and of sorwen 4631, 32; ich be wulle suggen of sorjen inojen 17924, 25. 
u. ähnl. 16038, 39; vgl. has word seide mid sorhfulle heorte 28598, 99. — 
Im Ags. meistens nur anklingende Dichterstellen: sorh is me ἐδ secganne 
Beov. 473; sägde him t6 sorge Guthl. 447; ebenso auch nur im Alts.: 
thö siu themu godes barne sagda serag-möd. hwat iru te sorgun gistöd Hel. 
4069; bigan im is hugi wallan, sebho mid sorgun, gihörda seggean thö 
ibid. 608; aber deutlich entspricht im Ags.: his viderbreocum sorge ge- 
sägde Guthl. 266, und ebenso gewährt das Altnord. klar und lebendig 
die transit. Grundformel (hvetid mik eda letid mik — sorg at segja eda 
svda ldta Brot af Brynhildarkv. 14; seg ber slikar sorgir dr morgin Atlam. 
84), welche auch in einer andern Stelle noch deutlich durchklingt: sorg 
etr hiarta, ef μέ, segja ne ndir einhverjum allan hug Hävam. 122; denn 
der ursprüngliche Gedanke ist doch: ‚die Sorge verzehrt dir das Herz, 
wenn du sie keinem sagen kannst.‘ Auch in unserer heutigen Sprache 
ist die uralte Bindung noch nicht ganz verschollen, sondern sie lebt 
noch mit volksthümlicher Kraft in Wendungen wie: ‚ich weiß von Sorgen 
zu sagen‘ oder ‚der kann auch von Sorge sagen‘. 

suggen sod die Wahrheit sagen: hüre fader heo wolde suge seod 
3035; we wulled sod sucgen 4620, u. ähnl. 3181. 4972. 8015. 9836. 13888. 
14944, 45. 16108. 18952, 53. 24933. 26385, 86. 28002, 3. 28134. 28147, 49. 
50. 28644, 45. 29491, 95: ba saeiden ha cnihtes, sod haeh hit neore 
19074, 75; to wissen hit is isaid, and sod. hit is ifunden 24489, 90; 
oder zu dem adjectivischen sod tritt ein specielleres Subst. in ver- 
schiedenen Wendungen: 0605 boc him wulle suggen soddere wordes 
10110, 11; ich habbe eow to suggen sold word. of Rome 12465, 66 u. ähnl. 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 243 


2961, 62. 13007, 8. 15564, 65. 20733, 34. 22525, 26. 25135. 26872, 73. 
27124, 25. 28460, 61. 30940, 41; Penne mihte ich suggen sod‘ quides mine 
16389, 90; Sebeli hit saeide, hire quides weoren sode 25141, 42; Ardur — 
iherde suggen sudere spellen 20543, 44; zuweilen sind diese Substantiva 
durch eine Präposition mit suggen verbunden: Ardur, ich sugge be purh 
sode quides mine 25191, 92, ähnl. 25945, 46; ich eou wulle suggen mid 
sode worden 16915, und fast so 25203, 4. Den letzten Verbindungen ähn- 
lich ist die ebenfalls mehr adverbialische als transitive Formel suggen 
to sode der Wahrheit gemäß sagen: bad hine — suggen him to sode 
17676; to sode ich sugge be mai (hit sugge maei) 13575. 13823 u. ähn!. 
2177. 2979. 3382. 4667. 5752. 8221. 9502. 18758. 20591, 92; vel. saeide 
bat he saeide, to sode he hit wende 23685, 86; Ja wes mid sode ifunde, 
hat Maerlin saeide whilen 27106, 7. — Im Ormulum, wo die Verbin- 
dungen to sobe und to fulle sob hauptsächlich in den Bekräftigungsformeln 
wiss to fulle sop Einl. 221. Orm. 111]. 115. 1790. 6988. witt tu to fulle 
sop Orm. 10900. patt wite he wel to sope Einl. 110. patt witt tu wel to sope 
Orm. 234. 1275. 10961 gebraucht werden, kommen doch auch unsere 
Formeln in einzelnen Beispielen vor: forr hatt he sejjde sop pe king off 
hiss depe sinness Orm. 19945; Godess soh to segjenn ibid. 19958; forr 
hatt I sejjde nu till pe, Natanael, to sobe ibid. 13808, 9; cc segge juw 
to fulle sob ibid. 13814; — die neuere englische Sprache hat wenigstens 
in ihren (ompositis to soothsay walhrsagen, soothsayer Wahrsager, sooth- 
saying Wahrsagung eine deutliche Erinnerung an die im Halbs. so ge- 
läufigen Verbindungen bewahrt. Auch auf dem ags. und alts. Gebiet 
sind die entsprechenden Wortbindungen schon sehr lebendig: ags. hväder 
him mon söd pe Iyge sagad on hine sylfne Crist 1307, 1308; svi hy nae- 
fre man Iyhd, se be seegan vile söd äfter rihte Beov. 1049 u. ähnl. Andr. 
853. Guthl. 215. Ps. 91, 2; seege ic pe 16 söde Beov. 590; Andr. 618; gif 
hu him tö söde sägst Genes. 570, u. ähnl. Sat. 63. 430. Beov. 51. Jul. 
132. Elen. 160. 574; mid söde od. for söd secgan Ps. 104, 10. Vers. Gnom. 
C. 64; södlice seegan Crist 137. 203; Beov. 141. 273. 2899; Andr. 681; 
Julian. 561; Elene 317. 665; Ps. 118, 85; Hymn. 9, 51: nur in alliterie- 
render, nicht in grammatischer Verbindung stehen die beiden Worte zu- 
sammen: Ürist 33. 190; Beov. 2864; Andr. 765; Guthl. 266; Elene 
588; — das Altsächsische zeigt zwar kein söd seggean, aber eine große 
Geläufigkeit der adverbialen Formeln: giseggian te söde Hel. 4110; seggean 
te södon ib. 925; giseggean te södan ib. 2077. 4990; sagda te södon ib. 
4851; sagda te söde ib. 1300; hwat he im södlikes seggean weldi ib. 183; 
seggean södliko ib. 1361. 2652; giseggian södliko ibid. 565; södliko sagis 
(segis) ib. 3020. 5092; sagda södliko ib. 494. 581; sagdun södliko ibid. 
16 * 


244 KARL REGEL 


637. Das altnord. sadr m. (veritas) und sadr, sönn, satt adj. (verus) 
liegt zwar unserem ags. alts. söd ziemlich ferne, aber wir wollen doch 
nicht unbemerkt lassen, daß auch diese altnord. Wörter sich gerne mit 
segja (und saga) verbinden: fylgdi sadır sliku, sagdi hon mun fleira Atlam. 
45; sagdi sanna stafı Sigrdr. 14; fra üötna rünum ok allra goda segdu 
id sannasta? Vafpr. 42; ek kann segja satt ib. 43; er at satt, Bödwildr, 
er sögdu mer? Völundarkv. 38; satt er hat, Nidadr, er sagdi per ibid. 
39; segit it sannasta Atlam. 88; sönnu sagdr Sigdr. 25; mun ek sadr 
vera at sögu peirri Sigurd. 1, 48; auch in der Prosa segja hit sanna, — 
segja satt Möb. gl. 361. 

tidende (tidende) tellen Zeitungen erzählen, Bericht erstatten: 
we scullen heom to-teon and tidende tellen 18425; he talde ban kinge 
neouwe tidende, whar lai be kaisere and al his Romanisce here 26193, 94: 
talden (talde) him tidende of Ardure han kinge 27074, 75. 28254, 55, 
u. ähnl. 30826. 32007, 8; ford ferde Austin: — Adelberde he talde tidende 
of han heoueneliche kinge 29523; ebenso neuengl. to tell tidings. Das 
halbs. Subst. tidende, tidende, tidinde, welches im Lajamon ziemlich 
häufig ist, zeigt sich weder im Ags. noch im Alts., sondern ist ent- 
schieden von nordischer Herkunft; das altnord. tidendi, tidindi n. pl. 
Begebenheit, Nachricht, res novae Möb. gl. 433. Egilss. 817° erscheint 
schon in der Edda, aber nicht in Verbindung mit telja (segdu ἃ lopti 
löng tidindi Hamarsheimt 10; Dagr reid til Sevafjalla ok sagdi Sigrünu 
tidindi Saem. zu Helgakv. Hund. 2, 28; ef hon vissi tidindi or öllum 
heimum Saem. zu Sigrdr. 5; Freyr stod “ti ok kvaddi hann ok spurdi 
tidinda Saem. zu Skirnism. 40), und ist ohne Zweifel ursprünglich das 
geschwächte Partie. Präs. von tida libere, libitum esse, consuetum esse 
Egilss. 816°. Möb. 433, so daß ihm eigentlich die Grundbedeutung 
‚Neigung, Sitte, Gewohnheit‘ unterliegt, während der herschende Sinn 
des Wortes ‚Begebenheit, Neuigkeit, Nachricht‘ sich mehr an das dem 
nord. tida entsprechende ags. fidjan contingere, accidere Ettm. 535 
(hvät him ide si quid iis accidat, vgl. engl. it betides) anschließt. An 
dieses ags. tidjan hat sich das halbs. tidende nun auch der Form nach 
angelehnt, aber die oft hervortretende Nebenform tidende beweist deutlich 
‚die altnord. Herkunft, welche sich noch schlagender dadurch bestätigt, 
daß im Lajamon dieses tidende, tidende gar nicht selten die oben aus 
dem nord. Stammverbum entwickelte Grundbedeutung ‚Brauch, Ge- 
wohnheit‘ wirklich hat, die doch bei dem altn. Participialsubst. nicht 
mehr nachweisbar ist: after ben hedene tidende (nach heidnischem Brauch), 
be wes in ban londe Laj. 396; seodden com ober tir and neowe tidinde 
(neue Sitten) 2052; in France weoren laewen sulkude a pan dawen and 


DIE ALLITERATION IM LAJAMON. 245 


seleude tidende (seltsame Gewohnheiten) 5139; beod in ure londe seleude 
tidende 13854; im Ormulum kömmt das interessante Wort nur zweimal 
vor, und zwar nur mit inlautender Aspirata, aber auch nur in der Be- 
deutung ‚Kunde‘: goddspell onn Ennglissh nemmnedd iss god. word annd 
god tipennde Orm. Einl. 158; of all piss god uss brinngepp word and 
errnde and god. tipennde goddspell ibid. 176. Das nhd. Zeitung f. zeigt 
seinen eigentlichen Begriff ‚rumores, nova, nuntii‘ in unserer etwas älteren 
Sprache fast ausschließlich, hat ihn aber auch jetzt noch einigermaßen 
bewahrt; denn wenn wir auch nicht mehr sagen ‚Zeitungen ausbringen‘ 
(rumores spargere) oder ‚Zeitung von einem haben‘ (certos nuncios ac- 
cipere de aliquo) oder ‚Zeitungsträger‘ (famigerator) Stieler 2621. Frisch 
471,, so sind doch im dichterischen Sprachgebrauch Ausdrücke wie ‚eine 
große Zeitung‘, ‚gute, böse, schlimme Zeitungen‘ noch ganz verständlich 
und geläufig; — allein eigne tiefere Wurzel hat das Wort nicht in hd. 
Boden, dem altn. tida, ags. tödjan entspricht kein ahd. zitjan, mhd. ziten, 
und die nhd. Zeitung kann daher nur durch Aufnahme und charakteri- 
stische Umformung des engl. tiding oder des nl. tydinghe (Kilian 540) 
entstanden sein. 

wurchen iwille den Willen thun. Diese alte Formel ist im Laja- 
mon mehr in adverbialer als in streng transitiver Wendung vorhanden: 
wurchen ic wulle muchel godes wille 23743, 44; al ich wulle wurchen 
after bine willen 12167, 68; alle we sculle wurchen after ine iwille 
18372, 73; — aber schon im Gothischen erscheint neben dem gewöhn- 
lichen taujan viljan auch einmal vaurkjan viljan : saei allis vaurkeih 
viljan gups qui enim- facit voluntatem dei Marc. 3, 35; und im Ags. 
und Alts. ist es die geläufige Wendung: ags. hät ve möton vyrcan villan 
inne Hymn. 7, 81; hät hie his giongorscipe fulgän volden, vyrcean his 
villan Genes. 250; vyrced his villan Räths. 64, 7; his villan vyred 
Hymn. 2, 6. 11; Salom. 502 u. ähnl. Hymn. 7, 17. Ps. 102, 20. 142, 
10. Räths. 55, 6. Menol. 201; vgl. die anklingenden Stellen: mid penum 
villan bu hit vorhtes eall Älfr. Metr. 20, 22; se he ville vyrcan (gewinnen 
will) västmbaere lond ibid. 12, 1; — so auch alts. wirkear is willeon 
Hel. 790; wirkean willeon godes ibid. 855: wirkiad mänan willeon ib. 
2585; warahta irö willion ib. 5426; vgl. wirkead aftar is willeon ib. 
2590; warahta aftar is willeon ib. 78. 

wurdscipe iwinnen od. biwinnen Ehre gewinnen: wulle je me 
helpen mid haehjere strengde her to biwinne wurdseipe mine? 9444, 45; 
wha swa mihte iwinne wurdseipe of his gomene 24107, 8 u. ähnl. 20431. 
31695, 96; sone heo gunnen singe of Ardure han kinge and of bere wurd- 
scipe muchele, pe he iwunne hafde 24213, 14. — Diese natürliche Wen- 


246 KARL REGEL, DIE ALLITERATION IM LAJAMON, 


dung, welche hier ganz als eine feste Formel auftritt, begegnet uns 
wenigstens einmal, und zwar völlig entsprechend, auch im Ags. : hi 
vilniad velan and aehta and veordscipes (Ὁ gevinnanne Alfr. Metra 19, 44. 


Ich beschließe damit diese lange Aufzählung halbsächsischer Alli- 
terationsformeln, indem ich hoffe durch meine annähernd vollständige 
Vorführung der wichtigeren einen deutlichen Einblick in den ungemeinen 
Reichthum des Lajamon an altem volksthümlichem Sprachgut eröffnet, 
zugleich aber auch durch die keineswegs mühelose Verfolgung dieser 
festgeprägten Wortbindungen in den verwandten Gebieten über das 
Wesen und den Werth der ganzen echtgermanischen Erscheinung hie 
und da ein neues Licht verbreitet zu haben; denn wie sich schon 
einestheils aus der nach sachlichen und formellen Gesichtspunkten ver- 
suchten Gliederung. die große Natürlichkeit der Ausbildung solcher 
formelhaften Wendungen zwanglos ergibt, so erhellt auch anderntheils 
aus den gegebenen Vergleichungen nicht nur überhaupt ihre zähe 
Dauer und weite Verstreuung durch entlegene Zeiten und Räume 
unseres Sprachlebens, sondern auch besonders der häufige Wiederhall 
anderwärts verschollener halbs. Formeln auf nordischem oder friesischem 
oder hochdeutschem Boden, wodurch die wunderbar gemischte Viel- 
artigkeit schon der ältesten englischen Sprache mehrfach eine stärkere 
Beleuchtung erhält, zuweilen auch wohl gelegentlich für ein dunkles 
Wort willkommene Aufklärung gewonnen wird. 


KARL SCHRÖDER, HESTER, 


HESTER. 


VON 


KARL SCHRÖDER. 


In Jesü Christi dem süzen namen, 103°. 
dem minneclichen lobesamen, 
sal man gar beginnen 
swaz man in güten sinnen 

5 volbrengen wil hie und dort, 
ez sin werc oder wort, 
so enkan ΘΖ nimmer missegän. 303°. 
Jesü getrüwer leitesman, 
swer dich zü geleite hät 

10 stete an aller siner tät, 
dem wirt ein güt ende. 
darüf ich ouch genende, 
herre, dag dü mir ouch gestäst 
und dine süge gäbe läst 

15 in min herze vliezen. 
lä mich des geniezen, 
daz dü, liber herre Crist, 
an genäden milde bist. 
des gib mir, daz ich mich 

20 mit aller ger kere an dich 
und an din lop müze gän 
des ich zü schribene willen hän, 
als dü mich lange häst gebeten. 
nü ist die zit an getreten 

25 daz ich wil dich unde mac 
näch dines willen bejac 
geweren in einer liebe, 
wand ich nicht verschiebe 
min γα kein den vrunden, 

30 dä ich mit urkunden 
zti genzliche liebe entsebe. 
daz ichz sö lancseim erhebe, 
daz machet sache, die lä sin. 
ich wil näch dem willen din 


248 KARL SCHRÖDER 


35 Hester daz büch tichten, 
in dütsch durch güt berichten, 
wand uns, die die schrift vernemen, 104*. 
nicht ensal widerzemen, 
ob ouch ander lüte 

40 geschriben haben zü düte 
die des latines nicht verstän. 
wan vint man einen tummen man 
der sich daran ergeren wil, 
sö hoffe ich, ir sie doch vil 

45 die bezzerunge drabe haben. 
man hät des leider vil entsaben, 
daz die schrift genüger kan 
und ist unnutzlich doch daran. 
alsus ist maniger verkärt, 

50 gelärt und ouch ungelärt. 
hievon im lichtlich gezimt: 
darabe er ergerunge nimt, 
die läge man nü bliben. 
den güten sal man schriben 

55 in allen zungen die schrift, 
wan ires herzen wise grift 
dä bi sal den rechten weec 
wanderen äne sunden vlec. 


Assu6rus was ein kunic genant 
60 der mit gewaldiger hant 
erlich der lande pflac. 
swaz ir dä binnen lac,x 
die lant wären ouch benant 104”. 
zwischen Indi& und Mörlant, 
65 und an ein zal besundert: 
siben zwenzie und hundert, 
sus vil was der lande 
där man in herre nande. 
in den landen her und dar 
70 was der Israh@len schar 
zuvüret gar und zustrouwet, 
des sie wurden cleine irvrouwet, 
wand sie got durch ir missetät 
verwarf als ein unvlät 
75 von der süzen erden 
die sie mit grözen werden 
umme Jerüsalem vil wit 
besezzen hetten lange zit. 


57 der. 59 Hs. waz. Die Hs. braucht z und s ohne Unterscheidung. Ich habe 
diese Unterscheidung nach den geltenden Regeln durchgeführt, 72 irvrowet, 


HESTER, 249 


sus wären sie gevangen dort. 

80 Assuerus, als ir habet gehört, 
an güte, an 6ren ἢ trat. 
Susis genant ein houbetstat 
in Assirien lande was, 
dä hetter einen palas 

85 der kuniges &re wol gezam. 
swer verren dar zü quam, 
der sach wie er gar erschein: 
als cride was der mermelstein 
dä von er gemachet was. 

90 sö man giene in den palas, 
dä was von richeit wunder. 105°. 
daz gewelbe albesunder 
von edelem gesteine 
und von golde reine 

95 was durchworcht sö meisterlich: 
swer daran sach uber sich, 
dem was rechte als er sche gar 
wol gestirnt den himel clär, 
sus wiseter sich zü blicke. 

100 dä was der kunic dicke 
durch die werdekeit der stat, 
wand sie die anderen ubertrat. 


Nü vügete sichz zeimäl alsus, 
daz der kunie Assuerus 
105 durch sinen kuniges höen müt 
sin ere und siner &ren güt 
ein teil wolde offenbären 
den herren die dä wären 
in alle sime riche. 
110 nü sante er hin geliche 
botschaft den gen&men, 
daz sie alle qu&men 
mit vrouden zeiner wirtschaft. 
dö quam des landes höeste craft 
115 an herren, der was vil genüc. 
in allen man dö vortrüc 
swes zür wirtschaft was nöt. 
der kunice ez in wol böt, 105”. 
wand er hielt sie sunder clage 
120 wol achzic unde hundert tage 
die sie mit im aldä vertriben 
und in ganzen vrouden bliben. 


83 lande die was. 84 hette er. 86 vren. 95 durch worch. Das t von 
späterer Hand, 98 gestirnet. 99 wisete. 103 zveimal. 105 kunige. 113 zv 
einer, 122 ganczen. Die Hs, schreibt gern, aber nicht regelmäßig cz, 


50 


KARL SCHRÖDER 


darnäch ieglich zü hüse schiet. 
dem kunige dö sin herze riet 


125 ein anderz, daz liez er volgän: 


der hömütige man 

zü einer sundervrüntschaft bat 
üze Susis der grözen stat 
gemeinlich alle mannesnam. 

130 die kuniginne wolde alsam 
ouch durch @ren sachen 
eine wirtschaft machen 
und nam zü ir vröwen. 
do began der kunic schöwen, 

135 wie der gröze palas 
in allen dö zü cleine was, 
wan der lüte vil quam. 
dö liez er die wibesnam 
mit der kuniginne 

140 irre wirtschaft aldarınne 
in deme palase warten 
und hiez im in den garten 
durch aller vreuden widergelt 
slahen üf sin gezelt. 

145 daz häte richlichen schin: 
samit unde baldekin, 
durchworcht an allen orten 
mit meisterlichen borten. 
ez was gestalt als die luft: 

150 die snüre die ez mit höer guft 
solden strecken her und dar, 
die wären sidin gar. 
die süle die sin wilden 
und ez enpor hilden, 

155 der wären sumeliche 
von golde harte riche, 
sumeliche elfenbein, 
genüge ir silberin erschein. 
daz gezelt was sö lanc, 

160 daz ir sunder gedranc 
mochte vil darunder sin. 
guldin und silberin 
und von edelem gesteine 
was daz gestüle reine, 

165 durchworcht und durchwieret, 
mit gem£lde geziret, 
dä sie üffe säzen. 
sie trunken, die dä äzen, 


140 al d“nne, 153 sie. 157 svemlich. 


165 durchvieret, 


1065. 


170 


175 


180 


185 


190 


200 


210 


HESTER. 


niwan üze golde, 

als der kunie wolde. 

von ezzene man in vor trüc 
spise vil und genüc 

ἐν ez dö was genant. 

nü was in Assirienlant 


ein sulche gewonheit: 106”. 


swä sie wären gemeit, 

daz ieglich bi der mäzen tranc, 
darzü in die gewonheit twane, 
kurzelich in eime zil, 

ez were wenic oder vil, 

swaz im dö erboten wart, 

daz verkärte man im hart 

ob er ez nicht üz trane also. 
diz wandelte der kunic dö, 
und ir ieglicher tranc 

swie vil er wolde sunder twanc., 
er hiez sine knechte 

näch ir dienstes rechte 

den win setzen hie und dort 
und hiez in kunden sine wort, 
daz sin ieglicher n&me 

swi vil in des gezöme. 


Die wirtschaft er mit in treip 
siben tage die er bleip 
daran mit vreude sunder clage. 
darnäch an dem sibenden tage, 
dö der kunie erhitzet wart 
von des güten wines art 
der im sin gemüte 
an vreuden wol erglüte, 
dö sante er üf den palas 
dö die vröwe inne was 


sibene siner dienstman 107°. 


die vor im stöte pflägen stän. 


5 ‘get’ sprach er, ‘zü der vröwen 
᾽ ) 


sprechet ich wolle sie schöwen 
vor allen disen gesten. 

heizet sie sich besten 

in ir richestez gewant, 

wand ichs wil machen hie bekant. 
ir kunicliche cröne 

trage sie üffe schöne. 

nü get, brenget sie also. 

die sibene quämen zü ir dö 


185 ieglich. 189 hin, 212 tragen. 


51 


25: 


KARL SCHRÖDER 


9 
— 
σι 


und sageten ir des herren wort. 
als sie die vröwe hete erhört, 
vil toubez öre böt sie dar 
und nam ir nichtesnicht doch war: 
durch ir selbes wirtschaft 
220 versmöte sie die botschaft. 
die boten wider quämen, 
und als sie hie vernämen 
der vröwen wille und ir wort 
sageten sie dem herren dort 
vil genzlich underscheiden. 
der kunic der riche heiden 
wart dö betrübet alsö hart, 
daz im al sin vreude wart 
in ein leit verk£ret: 107°. 
330 in düchte er were entheret 
und alles lobes entsetzet, 
daz were an im geletzet, 
wan er die vröwen 
nicht ensolde schöwen 
235 und sie was ungehörsam. 
der kunic an einen röt dö nam 
siben riche herzogen 
an den er ie was unbetrogen, 
wan er sunder valsche tät 
240 wisen und getrüwen rät 
an in steteclichen vant. 
von Assirien und von Persien lant 
wären die vursten bie im dä. 
“ir herren’ sprach er, "get her πᾶ, 
245 verhöret mine sinne. 
seht wie die kuniginne 
min $re und miner ren rät 
sö lesterlich hät versmät, 
daz sie dä her zü mir nicht quam 
250 dö sie mine wort vernam 
die ich ir gütlich enpöt. 
diz saget mir, welcher hande nöt 
sie vur ir lön sule entphän.’ 
nü was aldä ein wiser man 
255 des man ime dicke jach, 108". 
Manicha genant. der sprach 
vor den andern allen 
‘herre, ob ez dir wil gevallen, 
sö sage ich darüf minen rät: 
260 din vröwe hät dich nü versmät, 


228 alle, 255 im. 960 ab din, Die Hs. stellt die Verse 259. 260 um, 


HESTER. 


betrübet und vers£ret 
und lesterlich ent£ret, 
und doch dich nicht alleine, 
sunder alle gemeine 
265 in dime kunicriche, 
rich und arm geliche, 
die mannes namen sulen haben. 
als ir wip hänt entsaben, 
wie die kuniginne 
270 näch eigenlichem sinne 
dinen willen hät versmät, 
ein gewonheit darüz gät 
und ein böse bilde, 
daz die wip werden wilde 
275 und sich daran erreizen: 
swaz sie die man heizen, 
des achten sie nicht m£re. 
sus wechset ein un£re 
unde lasterliche schame 
280 eime ieglichen mannesname. 
herre min, daz underkume. 
tü minen rät. ich hoffe, ez vrume, 
als ich mich dran versinne. 
lä varen die kuniginne, 
285 verstöges von der cröne 
und von des riches tröne, 
daz sie von hinnen vurder m& 
nimmer wone bi dir als &. 
ein ander sal dir wonen bi 
290 die verre ob diser bezzer si 
und dinen @ren wol gezimet. 
als man diz von dir vernimet 
in dinen landen hie und dort, 
so ervorchten die wib daz wort 
295 und @ren baz ire man. 
des werden sie gehörsam.’ 
der rät begonde in allen 
harte wol gevallen. 
der kunic versprach die kunigin 
300 und liez in al den landen sin 
sine brive kunden, 
daran sie alle vunden, 
durch welche sache dag geschach 
daz er die vröwe versprach 
305 und sie von dem riche 
verstiez sö zornliche. 


285 v® stoze. 290 dise, 300 allen, 502 alle sie, 


108. 


253 


KARL SCHRÖDER 


Darnäch nicht uber manigen tac, 
dö des kuniges zorn gelac, 
dö berou in harte 8676, 


310 dag er die unere 


315 


320 


325 


330 


an der vröwen ie begienc. 

der herren rät dö undervienc 
sin trüren unde sprächen sö 
‘herre, du salt wesen vro. 

lä bliben allez ungemach. 

swaz dine vreude machet swach, 
daz lä sich gar verenden. 

man sal boten senden 
allenthalben in die lant, 

und swö den indert wirt irkant, 
dä sie mugen schöwen 

icht schöner junevröwen, 

die suln sie brengen her, 

und welche dir näch diner ger 
under den gevellet, 

daz sie ist wolgestellet, 

die sie ein kuniginne. 

do entweich des kuniges sinne 
ein teil sin ungemach besit. 

in sin kunicriche wit 

santer boten her und dar, 

die nämen allenthalben war, 
swaz sie schöner vunden, 

der sie sich underwunden: 

sie brächten mit in vil gewis 
in die stat zü Susis 

genüge schöner megetin. 

die liez der kunie aldä sin 

bie einander manigen tac, 


340 dä man ir Erlichen pflac 


345 


als irn @ren wol gezam. 

mit den juncvröwen dar ouch quam 
ein megetin schöne üzirkorn: 

von Israh@l was sie geborn 

üz dem geslechte Benjamin. 

der töt het ir genumen hin 

den vater und die müter. 

ein reiner man, ein güter, 

als ich an dem büche las, 


350 ire vaterbrüder was, 


der h&te sie von lande gezogen 
und als ein vater ir gepflogen. 


333 schones. 346 hete genumen ir, 348 vu ein, 


109“. 


109". 


351 ἰ, von kinde, 


360 


370 


380 


385 


390 


395 


HESTER. 255 


Mardoch&us was sin name. 

die schöne und die lobesame 
Hester an irme namen hiez. 
Mardoch£&us nicht enliez, 

er envolgete ir immer nä 

sö er nehest mochte aldä, 110%. 
wand er ir grözer libe jach: 
swie er sie harte selden sach, 
doch vrägete er ir gelöge 

und wie man ir dö pflege. 

nü gab ir got der güte 

gnäde in der hüte 

und sinen tugentlichen segen: 
der der ir solde pflegen 

und der juncvröwen allen, 

dem wart sie baz gevallen 

den der andern dikein. 

ir antlitze liecht erschein 
schöne unde vreudenrich, 

ir was dä nieman glich 

under den juncvröwen. 

daz begonde er schöwen 

und sprach in deme herzen sin 
“deiswär, diz schöne megetin 
beginnet ie der herre min 
nemen zü einer kunigin. 

ob ich ir diene vurbaz, 

vil wol mac mir gevrumen daz 
hernäch an miner s£likeit.’ 
spise unde schöne cleit 

schüf er ir vor den andern. 110”. 
ouch liez er bie ir wandern 
siben dirne her und dar 

die ir mit dienste nämen war. 


Wir läzen hie der rede ein teil, 
wand sie werden vil zü geil. 
Hester zü dem kunige quam. 
dö er sich ir angenam, 
sin herze enpran an grözer craft 
gegen ir an grözer vrüntschaft. 
vor allen vröwen lobete er sie, 
wand er sie lieplich entpfie 
zü einer werden kunigin. 
er sante nöch den vursten sin 
die mit zuchten quämen 
αὖ sie den kunic vernämen: 


256 


KARL SCHRÖDER 


der hielt gar unzubrochen 
400 eine ganze wochen 
alle siner ritterschaft 
mit vrouden gröze wirtschaft. 
Hester sine vröwen 
liez er aldä schöwen: 
405 die kunicliche eröne 
satzete er ir üf vil schöne 
die jene hete vor getragen. 
alsus gelac nü gar sin clagen. 


Hester, die sus was gedigen, 
410 häte noch vil gar verswigen 


daz sie was von der Juden diet, 


wand ez ir Mardoch£us riet. 

swie sie an dise re quam, 

doch was sie noch gehörsam 
415 irem öheim Mardoch&ö 

sö volleclichen, alse dö 

dö die reine güte 

was under siner hüte: 

gegen im lac ir vorchte sus. 
420 der alde Mardoch&us 

ir holt an sime herzen was: 

zü des kuniges palas 

was er dicke an deme tor, 

doch müste er bliben al dävor, 


425 wand ein gewonheit was daran, 


daz nieman drin solde gän 

danne öt daz hovegesinde: 

deweder alden noch kinde 

gestatte man des vurbaz. 
430 ouch enweste nieman daz 

ir öhem Mardoch&us was. 

des enmüste er üf den palas 

sö w£nic als die anderen 

in den ziten wanderen. 


435 Νὰ vügete sichz in der zit, 
daz beide haz unde nit 
brou dö an zweien ritteren, 
daz sich ir herze erbitteren 
wart gegen dem kunige s£re: 
440 beide lip und £re 
wolden sie im hän benumen 
als in die state were kumen. 
die selben unholden 
des kuniges hüten solden 


Kr 


111". 


HESTER. 


445 und hiezen sine hütere. 
diz heimeliche m£re 
wart kunt ir eines knechte: 
üz Israhelis geslechte 
was der selbe knecht geborn. 

450 dirre zweier herren zorn 
sagete er Mardoch&ö, 
der kundete ez zühant alsö 
Hester der kuniginne, 
daz sie üz sineme sinne 

455 dem kunige sagete dise wort 
und er den heimelichen mort 
mit listen undergu&me, 
des in durch nöt gez&me. 
der kunic was der rede vrö. 

460 er vorschte vlizeclichen dö 
unz er die wärheit ervant: 
do erbeite er nicht, wan alzühant 
liez er die zwene brengen 
und üf den galgen hengen 

465 die sulchen mort kein im triben. 
an ein büch wart dö geschriben 
die sache an Mardoch£ö. 
wand er getrüwelichen dö 
den kunie alsus warnte. 

470 nicht mr er drumme erarnte 
von deme kunige in der zit. 
wand daz er vrilichen sit 
üf den palas solde 
gen rechte als er wolde 

475 und alsö mit den anderen 
zü tische stete wanderen, 
daz in nieman üzslüc. 
ab in des lönes düchte gnüc 
swanne er gienc üf den palas, 

480 ob er der vröwen mäc was 
und wie ez drumme was gewant, 
daz was in allen unbekant. 


Binnen dirre zit geschach 
daz ein herre üfbrach, 
485 gennenet was er Aman. 
der kunic Assu6rus vil daran 
daz er im mit voller craft 
erzeigete sine vrüntschaft. 


449 knech. 450 zweir, herre, 472 vrilich. 
GERMANISTISCHE STUDIEN, 


1127. 


112°. 


[ὦ 


=] 


258 


KARL SCHRÖDER 


bi sin selbes siten 

490 satzte er in zallen ziten, 
er ruckete in alsö hö 
daz aller siner vursten dö 
dicheiner im was gelich. 
er machte in gütes rich, 

495 beide gewalt und £re 
die merte er im sere 
alsö in sulcher mäze: 
swä er gienc üf der sträze 
oder in des kuniges palas, 

500 swer im an dem wege was, 
der solde in grüzen üf den knien, 
des sich nie man enzien 
von im solde noch enturste. 
alsus was der vurste 

505 in des kuniges hulden, 
dag man von sinen schulden 
und von sinen worten 
in erte an allen orten 
swä man sine kumft vernam. 

510 vil dicke ez doch alsö quam, 
daz er νὰν Mardoch&um gie 
und er nie üf sine knie 
gegen im wolde vallen. 
daz misseviel in allen 

515 den anderen die im alsö nigen 
und h£ten sich es nicht verzigen. 
sie sprächen zallen stunden, 
er were es ouch gebunden, 
daz er gegen im kniete 

520 mit der gemeinen diete 
den ez der kunic geboten hete, 
daz sie gein im an aller stete 
mit grüze vielen an die knie. 
“daz ich der d&müt mich entzie 

525 sprach Mardoch£&us, “daz ist recht, 
wand ich bin ein gotes knecht 
von der juden art geborn. 
ich habe einen got irkorn 
under des gewalt ich vlie. 

530 beide herze unde knie 
ich im aleine bougen wil. 
der @ren dunket mich zü vil, 
daz ich vur einen menschen hie 
wolle bougen mine knie. 


502 en zihen. 503 entorste, 516 hete, 517 zv allen, 


113", 


522 gegen, 


HESTER. 359 


535 Dö6 dise rede wart geseit 
mit endehafter wärheit 
dem höen vursten Aman, 
wie Mardoch@us sunder wän 
in nicht @ren wolde 

540 mit den anderen als er solde, 
Aman des s@re zornic wart, 
wand er aller juden art 
mit ganzer erge vient was. 
diz was des schult, als ich ez las: 113°. 

545 Aman was von Assirien nicht, 
als Josephus der meister gicht, 
er was von Amalech geborn: 
die hete vor der juden zorn, 
iedoch von gotes geheize, 

550 in ir landes creize 
erslagen daz ir w£nic bleib. 
der alde haz hie zü treib 
ein nüwe räche an leide 
als ich üch bescheide. 

555 Aman wart der rede unvrö. 
er gedächte an Mardoche&ö 
der gar alden schulde 
und warf sine unhulde 
üf der juden diet hörum, 

560 daz er nicht Mardoch&um 
alleine wolde sterben: 
er gedächte joch verterben 
al gemeine der juden diet, 
als im sin alder haz geriet. 


565 Aman von swinden listen was. 
er giene hin üf den palas 
zü dem kunige Assu£rö, 
wand er sin zallen ziten vrö 
was swanne er in bi im sach. 
570 “lieber herre min’ er sprach, 114°. 
‘vernim ein teil πᾶ minen müt 
und minen rät, her ist dir güt. 
dü bist ein kunie gewaldes vol. 
nü vüget allen herren wol 
575 daz sie den vride minnen 
und mit allen sinnen 
denken darüf, wie ir lant 
in rechtem vride werde irkant, 


561 alleine nicht. 575 vriden. 
17* 


260: KARL SCHRÖDER 


vereinet und eintrechtic. 
580 der kunie ist wol mechtie 
swer daz in sime lande hät, 
wand im sin vole bi gestät 
als einem manne sine lide. 
nü wizze, herre, daz deme vride 
585 nicht benimet sine macht 
50 sere als die zwitracht, 
swä daz vole sich enzwei treit 
an sunderer gewonheit. 
nü ist, als ich hän entsaben 
590 und durch daz die rede irhaben, 
in dime kunicriche ein diet 
die sich ie von den lüten schiet 
mit vremder ordenunge. 
beide alde und junge 
595 gar ein ander leben treit 
danne unser secte ist üfgeleit. 
die lüte hänt einn sunder got 
und versm&hen din gebot, 
wan sie sint ungehöret dir. 
600 herre min, nü volge mir, 
wand ich dir ie mit trüwen riet: 
dü salt die selbe valsche diet 
üz dime kunicriche 
zustören alle gliche 
605 und läze ir nindert einen leben. 
iren zins den sie dir geben, 
ob des verlust dir we tüt, 
dä vor dü nemen salt min güt 
al gereit swanne dü wilt, 
610 des mich nichtesnicht bevilt: 


dri tüsent phunt die gebe ich dir. 


volge öt an ir töde mir, 
daz ist dir nutze und ersam. 
der kunic sin vingerlin dö nam, 
6l5:darumme was mit büchstaben 
sin heimelich ingesigel irgraben 
daz man aller meist entsaz. 
m& ingesigele äne daz 
höte er noch genüc. 
620 daz vingerlin die macht trüc: 
swaz versigelt mit im was, 
zühant sö man den brief gelas, 


so entorste man nicht lägen drab. 


daz vingerlin er dö gab 


597 svnder ein, 606 irn, 


er 


114". 


115°. 


HESTER. 


625 deme herren Aman. 
sich, lieber vrünt sprach er, “ich hän 
in dinen willen gar gegeben 
der lüte güt und ir leben. 
des ist niemant ein widersatz. 
630 habe joch darzü dinen schatz 
dä von dü mir häst gesaget, 
und mache swie ez dir behaget 
an der vorgenanten diet.’ 
mit vreuden Aman dannen schiet. 


635 Aman in ganzen vreuden was, 
daz dort üf dem palas 
sin rät nöch sinem willen giene. 
dö er daz ingesigel entfienc, 
er quam zü hüse unde nam, 

640 als siner valscheit wol gezam, 
einen eimer und zwelf steine, 
dä mite der unreine, 
an des tüvels listen scharf, 
die löz an zwelf mänden warf, 

645 an welchem mände, an welchem tage 
er solde vrumen dise clage 
an den juden und den mort. 
ein begin und ein ort, 
got ob allen sachen, 

650 der woldez anders machen 
danne Aman sin herze twanc. 
des wart die zit bewiset lanc 
an dem löze al vurwär 
eines mändes minner dan ein jär 

655 sö hindan von der stunde 
in der er begunde 
zü lögene als ich hän geseit. 
dö Aman mit der underscheit 
bewiset der mände und der tac, 

660 als daz löz vor im gelac 
daran im wol genügete, 
zühant er ouch dö vügete, 
daz üf der juden swere 
des kuniges schribere 


665 under kuniclichen namen ‚ww ‚doildsil 
schriben den landen sallentsänied orrib εἰ» OIT 
brieve die ofi&ıl wären,mososg tim so δὲ 
die solden offenbäremd mftori nolls bun 


ie TOT ΘΟ) νὰ Kür a HUW\brievähd .sidsomims sie AT 


‚aslls vs #89 


09 


KARL SCHRÖDER 


beide tac unde zit, 
670 als man durch sinen argen nit 116°. 
die juden gar solde irslän. 
daz ingesigel hiene er dran, 
daz begonde senden 
die brive zallen enden. 
675 in ieglicher zungen 
mit ir bedütungen 
wären die brive geschriben 
üf daz sie nicht verdecket bliben: 
sie mochte ieglicher man 
680 in den landen wol verstän, 
die richen und die armen, 
und daz äne erbarmen 
hielden sus die kunigis wort 
an allen den juden mort. 
685 ein ieglich brief geschriben was 
in diser forme als ich ez las: 


“Assufrus ein vurste gröz, 
kunie äne ebenen genöz, 
gewaldie herre benant 
690 uber siben zwenzie und hundert lant 
zuschin Mörlant und Indiä, 
sinen vursten hie und dä, 
herzogen vrien ritterschaft 
und dä bi aller mäncraft, 
695 beide armen unde richen, 
den enpütet er gelichen 
&re güt und allez heil 116". 
und siner gnäden ein michel teil. 
vernemet mich und der brive sin: 
700 swie ich der lande ein herre bin 
und ein voget darobe gezalt, 
so enwil ich doch nicht mit gewalt 
min undertänen twingen 
und zü unrechte bringen. 
705 iedoch hän ich des willen 
daz ich min lant wil stillen 
von irretüme swä der si, 
des sal ez genzlich wesen vri. 
lieblich, wol vereinet, 
710 als dirre brief meinet, 
sal ez mit ganzem vride leben 
und allen irretüm begeben. 


684 zv allen. 679 sie enmochte. 686 als fehlt. 705 ich fehlt. 707 sie. 


HESTER, 263 


vil gar ich minen rät hän 

gevräget wie daz mochte irgän 
715 in allen minen richen 

äne hinderswichen. 

nü vant ich einen wisen, 

den ich müz wise prisen 

wand er ez mir kunt hät getän: 
720 der ist geheizen Aman, 

näch mir gewaldee uberez lant, 

wand er ist min andere hant. 

sin angesicht mich st&te vrouwet. 117": 

der spricht alsö: ez si zustrouwet 
725 in minem kunicriche ein diet 

die sich zü allen ziten schiet 

von andere lüte secte. 

üf daz er sie entecte, 

‘ez sint die juden’ sprach er dö. 
730 nü bin ich des vil unvrö 

daz sie,mit sunderlicher & 

der zwitrachte wirkent m& 

und zubrechen den vride 

den ich gerne in dem riche lide. 
735 sint:ich die wärheit nü vernam, 

daz des unyrides stam 

an den juden ist alsus, 

so gebiete ich’ kunic Assu£rus, 

wand ich den vride”süche dran: 
740 swelche üch min vrünt Aman 

an den briven zeiget, 

daz ir die alle neiget 

mit dem töde an eime tage 

den üch benennet der brive sage. 
745 bewart, daz;dä icht blibe 

der kindere und der wibe, 

die alden,und. die jungen 

slahet mit ir samenungen. 

scherfet üweren ;zorn, daran 117. 
750 daz ir sie’vrilich muget irslän. 

ir güt sal gemeine wesen: 

swaz des ieglicher mac gelesen, 

der habe ez im, wand ich ez gebe, 

üf dag der juden nicht m& lebe. 


755 Als ich dä vor tet irkant, 
die brive wurden wit zusant 
her unde dar in di lant. 
in die stat man einen bant, 


722 ist fehlt. 724 zv strowet. 725 sprichet. 756 wite. 


KARL SCHRÖDER 


die Susis geheizen was, 
760 sö offentlich daz in wol las 
ein ieglich swer daz wolde lesen, 


welch mort solde der juden wesen. 


dö Mardoch£us diz ersach, 
welch ein leitlich ungemach 
765 den juden dö gebrüwen was 
als er selbe an dem brive las, 
dö hüb sich jämer unde nöt 
den juden, als in dö geböt 
vil maniges herzen schricke 
770 an der brive blicke: 
in allen landen was ir clage 
jemerlichen vor deme tage 
der ir töt solde wesen, 
als sie heten dä gelesen. 
775 diz was der anderen spot. 
die juden schrieten an got, 
sie vasten unde wachten, 
an d&müt sie sich swachten: 
des sich ein ieglicher vleiz. 
780 Mardoch&us von im reiz 
vil gar sin beste gewant 
und zöch an sich sän zühant 
in heizer leide ein jämercleit 
und gie mit grözer trürekeit 
785 durch die gazzen unde schr& 
vil lüte weinende ‘öwe mir we! 
durch waz hät des kuniges zorn 
in unschult unsern töt gesworn? 
sus quam er vor den palas 
790 dä die vröwe üfte was 
und getorste nicht vurbaz, 
wand ein gewonheit was, daz 
ins kuniges palas nieman 
än güte clödere solde gän, 
795 durch Ersamkeit die daran lac. 
Mardoch&us häte einen sac 
an sich gezogen durch sin leit 
und asche üf sin houbet gespreit, 
als man ieglichen werben sach 
800 der αὖ trüc leit und ungemach, 


Der kuniginne wart geseit 
diz m@re von einer meit, 
wes Mardoch£us dö pflac. 
ir herze grobelich erschrac 


785 gazze. 790 οἵδε. 800 und fehlt. 


118% 


118° 


HESTER. 


805 umme ires Ööhemes ungemach. 
där man in weinen sach, 
sie sante im dar ein güt cleit, 
daz er näch gewonheit 
becleidet gienge üf den sal. 

810 dö was er umme der juden val 
betrübet als im dö gezam, 
daz er des cleides nicht ennam. 
diz wart der vröwen swöre 
ir argeten die möre 

815 an Mardoch£us sorgen, 
wand ir was verborgen 
daz mere und die sache 
an sinem ungemache. 
nü was ir bi ein dienstman 

820 sunderlichen undertän, 
der ir getrüwelichen pflac 
und was geheizen Achat. 
zü dem sprach sie ‘g& hin 
und ervar mir sinen sin.’ 

825 Achat hielt siner vröwen wort 
und vrägete an Mardoch£&ö dort, 
waz im gesch@n wäre. 

“‘öw® sprach er ‘der swöre 
die mich und min geslechte 

830 betrübet von unrechte, 
des ich nü vil jämers lebe. 
Aman des kuniges rätgebe 
wil sin silber drumme geben 


) 


daz er uns allen neme daz leben. 


835 der valsche man hät getriben, 


daz üf uns armen ist geschriben 


in disses riches creize 
ein vil grüelich geheize, 


wand man uns alle erslahen sal. 


840 nü tü sö wol, sage den val 
Hester der kuniginne: 
sie ist ein judinne, 
daz sie den kunie rechte 
bite vur ir geslechte.’ 


845 Dö der vröwen wart geseit 
diz ungevüge herzeleit, 
des erschrac die güte 
vil sere an irem müte 
und liez im aber sagen dö 
850 ‘deiswär, öhem, ich bin unvrö 


827 swaz. 899. allen. 843 kvnie nach ir rechte, 


110% 


119. 


265 


266 


KARL SCHRÖDER 


und enweiz wie ich gewerbe 
daz mir ez icht verterbe. 

ich entar zü dem kunige nicht, 
als uns die gewonheit gicht, 

855 nimmer ungerüfen kumen, 
wand ich daz wol hän vernumen: 
swer ungerüfen zü im gät 
swä er sin heimliche hät, 
ez ste man oder wib, 

860 dä ist zühant verloren der lib, 
ez ensie daz in beweit 
sin gröze barmherzekeit, 
daz er in semftem müte 
daz sceptrum die rüte 

865 gegen im neigete und sin leben 
alsö wider wolde geben, 
der mac sinen vride hän. 
nü sint drizie tage ergän 
daz ich nie gerüfen wart. 

870 des ist min wec dä hin hart 
den ich sö lange nicht enquam. 
dö Mardoch&us diz vernam, 
dö wart im harte leide 
und enpöt ir anderweide 

875 “hörstü vröwe waz ich sage, 
vernim vil ebene mine clage: 
diz gemeinlich urteil 
ist unser aller unheil 
die din geslechte sin genant. 

880 wis vil ebene dran gemant 
diner Ersten d@müt, 
wi ich dich habe gar durch güt 
mit minen handen gezogen 
und din lieplich gepflogen. 

885 nim vil ebene in dinen müt 
mit dirre selben d&müt, 
daz dü ouch ein judinne bist. 
lichte hät dich got durch den list 
dem kunige ob allen vröwen 

890 heimelich lägen schöwen, 
daz dü nü dime geslechte vrumes 
und swä er ist hin zü im kumes. 
dü salt dich billich uberladen 
durch din vole mit deme schaden, 

895 swaz dir joch geschehen sol. 
ey durch got, πὰ tü sö wol 
und bis nicht trege daran, 
du ensulles zum herren gän, 


120". 


190". 


HESTER. 


und undervä den herten slac 
900 der din geslechte ertöten mac 
ob dü nicht versünest in.’ 
mit den worten sante er hin 
den leiden brief den man hete 
üf gehangen in der stete 
905 der üf der juden töt sprach. 
dö den brief die vröwe irsach, 
öwe dö wart ir leide: 
ir liechten ougen beide 
wurden vol von der vlüt 
910 die ir gab ir beswerter müt. 
sie weinte starke umme die nöt. 
dem öhem sie dö enpöt 
“πῇ gane’ sprach sie, ‘'nim an dich 
alle juden gemeinlich 
915 in dirre stat Susis. 
mit den selben dü wis 
dri tage sunder raste 
an gebete und an vaste 
und bitet alle got vor mich. 
920 mit minen dirnen wil ouch ich 
an sulcher arbeit bestän, 
und als die zit ist ergän, 
sö wil ich lip unde leben 
in die wäge vur üch geben. 
925 got nöch sinem willen 
helfe uns den zorn stillen.’ 


Mardoch£us der güte man 
quam dö sä zü hüse gän: 
nicht er underweigen liez 

930 swag in Hester tün hiez. 
er und die gemeine schar 
wären sunder vreude gar 
dri tage unde bäten got, 
daz er sin alde gebot 

935 mit helfelichen trüwen 
wolde an in vernüwen. 
Mardoch&us der güte 
üz einem beswertem müte 
von der leide smerze 

940 racte hende und herze 
üf zü gote unde sprach 
ein gebet fur daz ungemach. 
‘herre alweldiger got, 
ich weiz wol daz din gebot 


930 den leiden. 932 vreuden. 


121. 


268 KARL SCHRÖDER 


945 geschüf himel und erden, 
und daz mit höen werden 
dir alleine ist gezalt 
ob allen dingen der gewalt. 
alle dine geordent sin 

950 vil gar näch dem willen din. 
dü häst gewalt und £re 121°. 
und niemant anders m£re: 
in aller werlde ist nieman 
der dir konne widerstän 

955 und brechen dines willen dinc. 
des witen himels ummerine 
und swaz begriffen darinne ist, 
des hät gewalt din eines list. 
dine höe majestas 

960 die ie Äne angenge was, 
die sihet durch aller herzen tor, 
dir ist nicht beslozzen vor. 
sö sihestü, herre, wol an mir, 
als ich bezügen wil mit dir, 

965 daz ichz durch höchvart nie gelie 
daz ich nicht viel an die knie 
gegen. dem vursten Aman 
als in die andern beten an. 
ich vorchte michels m£re, 

970 ob ich mit sulcher £re 
erte einen menschen hie 
mit dem gebete an die knie 
daz din alleine wesen sal, 
daz daz an mir w£re ein val. 

975 herre, lieber herre min, 
weste ich daran den willen din, 122° 
ob ez dir liep were, 
so enwere mirz nicht swere 
ob ich in wolde sö anbeten: 

980 swä er joch hete hin getreten, 
dä wolde ich mit werde 
die vüzstaphen an der erde 
kussen gar in dime lobe, 
were Οὐ din wille darobe. 

985 nü habe ich mich dä vor bewart 
durch din lob, durch sin höchvart, 
daz ich nie wolde vur in knien. 
eyä wä sul wir nü hin vlien, 

vil lieber herre, dan an dich? 

990 Abrahämes got, nü sich 


950 den. 977 mir ez, BEPBAEP.? \..‘ 
80 ‚ısabisl usb 06V 


HESTER. 369 


an din vole, an uns armen, 
und lä dich erbarmen 
daz unser viende wille ergät 
ob uns din helfe nü verlät. 
995 sie wollen an uns din erbe 
machen unbederbe 
und vertilien dine diet 
die din wiser rät üz schiet 
von aller heidenschaft vil gar. 
1000 wir hän gesundet, daz ist wär. 
herre min, sö bistü güt, 
entphä uns wider mit d&müt. 
wil uns din trüwe helfe geben, 129». 
sö muge wir vil wol lenger leben 
1005 in den landen hie und dort. 
vernim, herre, min wort, 
hilf uns mit dime teile, 
daz uns noch kume zü heile 
und zü vreudenrichen tagen 
1010 diz jämer daz wir üf uns tragen. 
wir sin die dich bekennen 
und zeime gote nennen 
offenlichen zaller stunt: 
herre, slüz nicht den munt 
1015 der din lob singet unde seit 
und dich in dem gelouben treit.' 
disses pflac der güte man 
und hielt die andern daran 
daz sie in den drin tagen 
1020 stete weren an ir clagen, 
und beten mit dömüten 
daz ir got wolde hüten. 


Hester die güte vröwe 
mit des jämers töwe 
1025 der üz irme herzen döz, 
ir schöne antlitze gar begöz. 
ir schöne cleidere tet sie hin 
und nam üf d@mütigen sin 
der betrüpnisse cleit. 125". 
1030 alle ir gröze zirheit 
die wart an ir betoubet. 
sie spr&wete üf ir houbet 
asche durch die groze nöt 
die ir daz jämer geböt. 
1035 ir libes pine was vil gröz 
des sie wenie dä verdröz: 


1007 vn hilf. 1012 zv eime, 1013 offenlichen vn zv aller, 


270 


KARL SCHRÖDER 


in d&mütlicher werde 
lac sie üf blözer erde 
und weinte alsö harte 
1040 daz sie joch üzer swarte 
ir här mit iren henden brach. 
‘öwe, lieber got’ sie sprach, 
“min kunic, min herre, min tröst, 
sul wir werden nü irlöst, 
1045 daz müz genzlich an dir sin. 
eyä vil lieber herre min, 
unse eldern hän mir doch geseit 
mit endehafter wärheit, 
daz dü der Israh@len schar 
1050 üz aller heidenschaft vil gar 
dir besunder hie bevorn 
zü vründen hötest erkorn 
und woldest sie zü erben haben. 
des hänt sie dicke wol entsaben, 
1055 wand dü von maniges kuniges her 
sie löstes mit din selbes wer. 
die wile daz güt was ir site, 
s6 was in ouch din helfe mite 
zü allen ziten nöch ir vrumen. 
1060 nü sie wir zü sunden kumen 
leider durch des tüvels spot, 
wand wir die valschen abgot 
geeret hän und an gebeten: 
durch daz sie wir ubertreten 
1065 von unser viende gewalt 
dä unser leit ist manicvalt. 
waz sal ich sagen, herre min? 
dü bist an allen wegen din 
getrüwe recht unde güt: 
1070 dü häst unsern hömüt 
hie mite wol geneiget 
und uber uns gesteiget 
die viende die uns twingen 
und an ir dienst bringen 
1075 leider sw£rlich genüc. 
diz ist, herre, ir unvüc 
und des genüget in cleine: 
sie wollen uns al gemeine 
vertilien und verterben, 
1080 wir die dine erben 
&wiclichen solden sin 
als uns saget daz gelubde din. 


1050 vir. 1054 sie fehlt. 1058 in fehlt. 


123°. 


1245, 


HESTER, 27] 


sie wollen machen vil gar mat 
die hoffenunge an der stat 
1085 ze Jerüsalem die wir noch hän, 
ob daz immer mochte irgän 
daz man dich offenbäre 
lobete üf deme altäre. 
herre, lieber herre got, 
1090 nü läz uns werden nicht ein spot 
der viende und ein lachen 
ob sie uns sehen swachen. 
dü salt dich selber ören, 
iren valschen rät verkären 
1095 den sie gegen uns gehabet haben: 
dä lä sie selber in snaben, 
mir armem wibe, diner meit, 
der gib alsulche wisheit, 
daz ich wol kunne sprechen 
1100 und den zorn underbrechen 
den der kunie üf uns hät 
durch eines valschen mannes rät. 
mir ist nieman helflich 
zü dirre sache äne dich, 
1105 dü macht mir helfen allermeist, 
here, sint dü ouch wol weist 
daz mir dise herschaft 124°, 
bi der armen heidenschaft 
von alleme herzen widerstät. 
1110 als ein unreine unvlät, 
sus achte ich miner cröne 
die ich leider schöne 
vor den lüten tragen müz, 
des ich mir doch wol mache büz: 
1115 swä ich alleine mac gesin, 
dä dringet sie nicht daz houbet min. 
ouch weistü, herre, wol an mir, 
als ich bezügen wil mit dir, 
wan dir sin alle herzen kunt, 
1120 daz ich nie vrö wart sit der stunt 
und ich quam in die hörschaft. 
spise tranc und wirtschaft 
und des kuniges bette 
mit versmänisse ich ie hette 
1125 unz an den hütigen tac 
daz ichs mit vreuden nie gepflac. 
dü bist min vreude, herre got: 
als ich gedenke an din gebot, 


1085 zv. 1198 alsulch. 1124 hete, 


272 KARL SCHRÖDER 


des vreuwe ich mich zü aller stunt. 
1130 πᾶ lä mir, herre, werden kunt 

dine helfe in dirre vrist, 

wand dü alleine der bist 

der min leit mac wol enden 

und zü vreuden wenden. 


1135 Darnäch an dem dritten tage 
liez underwegen alle ir elage 
Hester die kuniginne. 
in einem güten sinne 
wurden dö von ir geleit 

1140 die cleit der trürekeit. 
sie priste sich ouch sän zühant 
in ir höestez gewant 
swie sie best kunde. 
ires herzen wunde 

1145 die ir mit leide geböt 
dise vor genante nöt, 
bedacht wart und betoubet. 
sie satzte üf ir houbet 
die aller richeste cröne. 

1150 dö sie alsus schöne 
kuneclich geziret was, 
sie giene hin durch den palas 
mit zweien meiden alleine. 
Hester die vröwe reine 

1155 sich neigete an eine die sie hielt 
und ir mit üfhabene wielt: 
daz tet sie durch der judenr art. 
nü irreten sie ein teil der vart 
die cleidere wand sie wären lanc. 

1160 den ungevügen ummeswanc 
half ir die andere tragen. 
nü was der kunic in den tagen 
in siner heimeliche, 
dä weder arm noch riche 

1165 ungerüfen torste kumen. 
die vröwe, als ir habet vernumen, 
gienc zü der kemenäte 
gemelich, nicht zü dräte, 
und entstünt in der tur 

1170 näch irre zuchte willekur. 


Assuerus saz dort schöne 
üf sines riches tröne 


1136 vnderwege. 1156 vflhabene, 1158 irrete. 


1159 want. 


HESTER. 973 


geziret mit aller richeit: 
sine kunicliche cleit 
1175 lüchten von gesteine 
und von golde reine. 
dö er höte an ir vernumen, 
wie sie was ungerüfen kumen, 
mit burnenden ougen blicte er dar. 
1180 als ouch die vröwe wart gewar 
des herren zorn und ungemach, 
als sie an den ougen sach 
die ir blieten herten blie, 
dö ‘worchte an ir des herzen schrie, 
1185 daz sie ämmechtie nider seie 126*. 
und mitalle üf die mait neic. 
ir rösenröte varwe entweich, 
die wart verwandelt unde bleich. 
des kuniges hertekeit dö wart 
1190 von gotes willen gar vorkart 
in einen semften gedane: 
vil snellich er üf sprane 
dö er die vröwe vallen sach, 
lieblich er zü ir sprach, 
1195 wand got an im worchte, 
daz er sere vorchte 
ob ir icht arges wurre. 
sin wildekeit wart kurre 
wand sie im genzlich entsleit. 
1200 die vröwe er alummegreif, 
zügegen ir was sin liebe aröz: 
des hielt er sie üf siner schöz, 
er kuste sie und sprach zü ir 
‘ey, vröwe Hester, sprich zü mir, 
1205 wis sunder alle vorchte m6&, 
wand die gewonheit und die 8, 
ob ieman ungerüfen kume 
daz ez im si ein unvrume, 
ist ober die vil gar gegeben 126°. 
1210 die under diner wirde leben. 
dü salt der ὃ vri wesen, 
von allen nöten wol genesen 
in miner aneschöwe‘. 
dannoch sweie die vröwe, 
1215 dö leite er üf die güten 
die guldinen rüten, 
ein zeichen, als ich hän geseit, 
siner barmherzekeit. 
1183 bieten, 1204 eya, 1209 aber dir, 
GERMANISTISCHE STUDIEN, 18 


274 


1220 


1225. 


1230 


1235 


1245 


1250 


1255 


1260 


1265 


KARL SCHRÖDER 


darnäch ein wenie vurbaz 
die vröwe irhüb sich unde saz. 
dö sprach der kunie hin zü ir 


‘ey wärum sprichestü nicht zü mir f 


sage an, welch ist din ungemach ?' 
die vröwe kümelichen sprach 
herre min, do ich dich sach, 

dö wart min herze in mir swach, 
wand ich irschrae vil söre 

vor diner grözen €re. 

din antlitze vol genäden ist: 

ὃ herre wi gar gröz dü bist! 
hie mite sie der rede sweic, 

daz houbet ir aber nider seic 
von ummacht al vurwär. 

dö des der kunie wart gewar, 
dö erschrac er alsö hart 

daz im alle sin vreude wart 
benumen in rechter leide. 
darnäch anderweide 

die vröwe zü ir selber quam. 
der kuniec sie lieblich nam 


und sprach “liebe Hester, sage mir 


ob icht leides werre dir? 

beger an mir swes dü wilt 
wand mich der bete nicht bewvilt, 
ez sie verre oder bi: 

ob ez joch halb min riche si, 
des saltü genzlich sin gewert.' 
‘herre, des min herze gert 
sprach die kuniginne, 

“und mines willen sinne 

mac ich dir nicht in dirre stunt 
gemachen offenlichen kunt, 


wan ich ein betrübetez herze:hän: 


sunder dü und Aman, 

ir zwene Öt alleine 

und anders m& dikeine, 
ezzet mit mir hüte. 
darnäch ich dir bedüte 
genzlich mines herzen sin.’ 
der kunie sante balde hin 
nöch Aman daz er qu&me: 
des wart der ungen&me 
ervröwet harte sere, 

wand im geschach die re 
daz in die vröwe lüd alsus, 
Aman und Assuerus 


127°. 


1275 


1280 


1290 


1295 


HESTER. 


alleine zü Hester quämen. 

mit vreuden sie dä nämen 

ir trinken und ir ezzen. 

dö sie heten geseszen 

und getrunken daz sie wären vro, 
der kunie sprach zü der vröwen dö 
‘vröwe lieb, nü gere an mir, 

swaz dü wilt, daz gebe ich dir, 
ez sie ouch w£nie oder vil.’ 
‘"herre, mine bete ich wil’ 

sprach sie, “in disen stunden 

noch nicht dir genzlich kunden, 
sunder ob ich vunden 

gnäde, herre, vor dir habe, 

so ensaltü mir des nicht gen abe, 
du enkumest morgen her zü mir, 
und nim ouch Aman zü dir. 

als dü, herre, in vruntschaft 
entph&hest hie min wirtschaft, 

sö mache ich dir min herze kunt.’ 
daz lobete er vrölich in der stunt. 
dö schiet ouch zühant von dan 
der kunie Assuerus und Aman. 


Nü vügete sichz, dö Aman 
zü herberge solde gän 
mit vreuden durch den palas, 
dä viel allez daz dä was 
üf die knie gegen im sä. 
Mardochöus was ouch aldä 
und enthielt sich als er & 
dä vor getän hete ouch me: 
er entweich im joch nicht einen vüz 
von siner stat durch den grüz. 


1300 dö Aman diz an im gesach, 


1305 


1310 


sin herze entphiene gröz ungemach 
gegen im, want er was im gram. 
als er heim zü hüse quam, 

er begonde sinen vrunde:: 

die grözen ὃν kunden 

die der kunie mit werdekeit 

an in hette geleit, 

wie rechte lieb er in hete: 

in aller zit, in aller stete 

sehe er in gerne bi im wesen, 
und wie er in hette üz gelesen 


1277. 78 noch sprach sie in disen stunden, 1280 von. 


128°. 


128°. 


18" 


276 KARL SCHRÖDER 


zü sunderlichem räte 
vor allen die er häte, 
und wie Hester die kunigin 
1315 in und den herren sin 
sie zwene alleine zü ir lüt. 
dö er diz durch hömüt 
den vrunden höte vollenseit, 
dö sprach er ‘seht swie hö sich treit 
1320 min name in dirre werdikeit, 
sö ist doch genzlich hin geleit 
al miner vreuden höeste rüm 
die wile ich Mardoch&um 
den alden juden sehe leben. 
1325 hie von sult ir mir rät geben, 
wie er mir lesterlichen 
besit noch müze entwichen, 
wand er mich vil gesme£het hät. 
dö sprach siner vrunde rät 
1330 smeichende mit lösheit 
‘deiswär, ist dir sin leben leit, 129°. 
daz ende an lichten sachen. 
heiz einen galgen machen 
der sime alden lebene 
1335 kume zü schanden ebene, 
und morgen, als man des entsebet 
daz sich der tac an hebet, 
sö ganc zü dem kunige hin, 
bite gütlichen in 
1340 daz er dir gebe an im gewalt. 
sin vruntschaft ist gein dir sö balt, 
daz er dich lichtlich gewert 
sö cleines als din wille gert. 
sus saltü mit dir brengen 
1345 Mardoch&um und in hengen, 
daz sin töt sie ein vorbote 
der gemeinen juden rote 
die man doch alle sal irslär. 
sus machtü güten vride hän 
1350 und in vrölichem sinne 
zü der kuniginne 
durch wirtschaft mit dem herren gän. 
{if disen rät vil Aman, 
er düchte in gar der beste. 
"1355 zühant dö liez er veste 
alle die nacht machen 129". 
einen galgen zü den sachen, 
daz Mardoch&us morgen 
daran solde irworgen. 


HESTER, 277 


1360 Nü vügetez gotes wille alsus 
daz der kunie Assuerus, 
dö er des nachtes gelac, 
der rüwe gewonlichen pflac, 
nie entsläfen kunde. 

1365 mit vlize er dö begunde 
trachten üf daz riche, 
wie er ez £rliche 
an viende unde vrunde 
wol behalden kunde. 

1370 dö er ouch wart an im gewar 
swä er sich wante, her oder dar, 
und doch nie daran entslief, 
sine schribere er dö rief 
und hiez vor im die büch lesen, 

1375 wand sin gewonheit was gewesen, 
daz er immer schriben lie 
swaz in sache ubergie, 
ez wer zü schade oder zü vrumen. 
dö schribere wären kumen 

1380 an die stat, dö man las 
wie zeimäl Mardoch&us was 
deme kunige nutze gende: 130*. 
wand daz man in nicht enslüc, 
daz undervienc sin zunge 

1385 mit getrüwer warnunge. 
des was im ungelönet bliben, 
wand dä stünt nicht geschriben 
von dikeines lönes gift. 
der kuniec liez dö von der schrift 

1390 und vrägete sie der m£re, 
welch zit der nacht ez were. 
dö wart im sus von in gesaget 
“die nacht vorg&t und eg taget.’ 
der kunie sprach “seht, wer ist dä vur?’ 

1395 dö sach man sten vor der tur 
Aman der vrü quam darum, 
daz er Mardochöum 
vor ezzens zit erhienge 
und sinen müt begienge 

1400 an im näch sinen argen siten. 
des wolde er urlöb nü biten 
und wäntez haben gar gereit. 
als deme kunige wart geseit, 
wie er dä was, dö rief man in. 

1405 Aman giene vur den kunic hin. 


1377 ım, 1378 were, 


78 


KARL SCHRÖDER 


dö sprach der kunie "vrunt Aman, 
sage mir dinen müt daran 
än allez bikenleren: 
wie man den sulle &ren 
1410 den ich selber &ren wil 
und ob ander lüte vil 
in sunderlich lib habe.’ 
Aman verstünt sich darabe, 
wie die rede üf in tr£öte, 
[415 wand im der kunie stete 
grözer vruntschefte jach, 
als er wol hörte unde sach. 
dö sprach er üf den vrumen sin 
‘ich sage dir, lieber herre min, 
1420 wie man den man £ren sol 
daz dir und im vüget wol: 
er sal des kunicriches cleit 
an sich zihen mit werdekeit 
und üf deme houbte schöne 
1425 tragen dines selbes eröne. 
die @re ist im wol &ren wert. 
man sal im sateln din pfert, 
darüf sal er riten. 
ouch sal bie siner siten 
1430 ein vil höer vurste gän, 
der höeste joch den dü macht hän, 
den wol durch dich daz gezeme 
daz er mit sinen handen neme 
den zoum und daz pfert leite 
dureh die stete breite 
die gazzen hin unde her, 
beide langes und entwer, 
und schrie alsus in alme zil 
“swen der kunie $ren wil, 
!440 den sal man alsus &ren”. 
“daz was ein güt leren’ 
sprach der kunie. nü bist dü 
aller gevügest hie zü, 
wand dü ein grözer vurste bist. 
1445 swaz sö hie gesprochen ist, 
daz halt an Mardoch&ö: 
vüre in durch die stat alsö 
rechte als dü gesprochen häst. 
sich daz dü nicht drabe läst, 
1450 du entüst im gar die werdekeit 
als dü häst selber üf geleit‘. 


— 
ran 
ws 

»π 


1420 sal. Das o von späterer Hand. 1448 du fehlt, 


1305. 


131°. 


1451 uz, 


HESTER, 


Aman betrübet söre wart 
daz im sin wän was verkart 
den er trüc üf die &re. 

1455 ouch müte in alzü s£re, 
daz er in sus &ren solde 
den er hengen wolde 
durch sine gröze ungüte. 
iedoch, swie ez in müte, 
1460 so entorste er nicht drabe län. 
die kemerere im gäben sän 


die bereitschaft als er vor sprach. 


dö diz allez sus geschach, 
Aman vil trürlichen dö 

1465 quam zü Mardochöö 
und hiez in sich bereiten, 
wand er solde leiten 
daz pfert als er & sprach. 
der güte man sich dö versach,. 

1470 er wolde mit im sinen schimpf 
daran haben durch gelimpf, 
und sprach “eyä, dü böser man, 
waz hän ich dir zü νὸν getän, 
wand dü verspottes min armüt, 

1475 daz mir an dir vil w£& tüt.’ 
er wolde oder enwolde, 
sie sprächen daz er solde 
üf daz pfert mit der zirheit, 
als dä vor ist geseit. 

1480 diz müste sin: ez geschach, 
swie ez in düchte ein ungemach 
und als ein hin gender troum. 
Aman greif selber in den zoum, 
bie daz pfert zü vüze er trat 

1485 und leitez in der witen stat 
beide hin unde ber, 
dä bi sö müste schrien er 
"sus sal geöret sin der man 
deme der kunic @ren gan.’ 


1490 [9ὃ er sus Mardoch&um 
in der stat gevürte alum 
daz in daz vole gar vernam, 
darnäch er zü hüse quam 
und schemte sich sö sere, 

1495 daz er ie sulche re 
solde Mardoch&ö 
erbieten. des wart er unvrö, 
in düchte wi er were geschant. 
er clagete j&merlich zühant, 


279 


151". 


280 KARL SCHRÖDER 


1500 wie im geschehen w£re. 
er sprach “mir ist δῦ swere 
min ungemach und sö heiz, 
daz ich des besten nicht enweiz 
wie ich gelösen muge des. 
1505 dö sprach sin wip Zares 
“deiswär, ez qu&me dir rechte, 
daz dü der juden geslechte 
liezest in gütem vride wesen: 
sie mugen doch vil wol genesen 
1510 ob in helfen wil ir got, 
des gewalt und gebot 
als6ö gröz ist daz din rät 
im harte cleine widerstät. 
beginnet er sie üf zucken 
1515 und dich nider drucken, 
sö machtü im nicht widerstän: 
des wöre dir güt drabe län. 


Binnen des und diz geschach, 

ein bote quam der zü im sprach, 
1520 daz er zü hove qu&me 

und mit dem kunige neme 

di wirtschaft bi der kunigin. 

diz geschach, ez müste sin: 

der kunic und Aman beide 
1525 giengen anderweide, 

als sie gelobeten gester, 

zü der kunigin Hester. 


man pflac ir wol. als daz geschach, 


Assu6rus vrölichen sprach 

1530 “Hester, nü bite swes dü wilt, 
wand mich kein dir nicht bevilt 
ob ez joch halb min riche sie.’ 


dem kunige quam die vröwe bie: 


der juden leit tet ir vil we, 
1535 daz rürte sie alsam ὁ. 
sie begonde vlözougen 
an ir herzen tougen, 
des mochte sie nicht uberiec sin, 
und sprach ‘vil lieber herre min, 
1540 ob ich genäde vinde an dir, 
sö gib min leben wider mir 
und ouch mines volkes leben, 
wand uns der töt ist gegeben 
vil gar mit unrechte. 
1545 ich bin üz dem geslechte 


1524 die beide, 


132°, 


133°. 


HESTER, 


daz juden heizen unde sin: 

läz uns, vil lieber herre min, 

leben als wir gelebet hän. 

mac ez doch anders nicht ergän, 
1550 sö läz uns eigenliche 

verkoufen in dime riche 

und sö in dinen hulden leben. 

dö sach der kunic sich beneben 

und sprach in eime grimme 
1555 mit zornlicher stimme 

“wer ist von sulcher gewalt 

und wie ist ez umb in gestalt 


der sus erbelket sich 338 


wider din vole und wider dich 

1560 in deme valschen sinne ? 
dö sprach die kuniginne 
“daz ist der valsche Aman 
der uns diz leit hät getän, 
wand er hät unsen ἰδὲ gesworn.’ 

1565 dö wart deme kunige zorn. 
Aman begonde irbleichen, 
wand er sach zeichen 
des zornes an dem kunige sin 
und ouch an der kunigin. 

1570 den kunie sin zorn alsö twane 
daz er mit grimme ἢ spranc 
und trat besit üzer tur: 
dä was ein boumgarte vur, 
den giene er hin unde her 

1575 und bedächte sich, wie er 
den vursten solde töten. 

Aman was in nöten, 
er sach wol wie des kuniges müt 
gegen im brante in zornes glüt: 

1580 des vorchte er sinen haz. 
nü quam er dö die vröwe saz 


dort üf eime bette 134". 


und ir gemach hette. 
darüf vil er gegen ir 
1585 und sprach "genäde, vröwe, mir! 
die wile er die vröwe bat, 
der kunic zür tur in trat 
und sach in bie der vröwen sin. 
dö twane in sines zornes pin 
1590 üf in danne ἃ verre baz. 
“iedoch muget ir sehen das’ 


1564 hät fehlt, 1568 des kuniges sin. 1583 hete. 


281 


KARL SCHRÖDER 


sprach er, “wie dirre böse man 
min nicht schönet daran, 
und joch vor miner angesicht 
1595 löt er die vröwe mit vride nicht! 
die knechte die dä wären 
begonden wislich vären, 
wie sie in schüfen tougen 
üz des kuniges ougen, 
1600 üf daz sin zorn gelege 
und nicht unvüge pflöge. 
ir einer, Arbonä genant, 
der vor des was sö hin gesant, 
zü Aman unde näch im gie, 
1605 der sprach zü deme kunige hie 
“wöerlich, herre, in dirre nöt 
vüget im dikein ander töt 134”. 
danne als er dir bedüte: 
in siner herberge hüte 
1610 sach ich einen galgen hö, 
den hetter Mardoch&ö 
bereit daz er in hinge dran. 
nü läz in selber darüf hän, 
daz wirt im schentlich genüc. 
1615 des kuniges müt darzü sich trüc. 
δ᾽ sprach er, ‘aldä henget in. 
dö vürte man den vursten hin, 
an den galgen wart er brächt 
des er hete gedächt 
1620 Mardoch&ö6 züvorn. 
alsus gelac des kuniges zorn 
und bleib dö gütes mütes. 
swaz Aman hette gütes 
an erbe, an hüsger£te 
1625 und allez des er höte, 
daz gab der kunie der kunigin: 
dö liez. sie wirt darinne sin 
iren öheim Mardoch&um. 
sus karte gotes rät herum 
1630 des viendes rät den er treip, 
wand er gar underwegen bleip. 
die nöt die er den juden böt, 
erwarb im selben sulchen töt. 135° 


Dö diz allez sus geschach, 
1635 noch trüc daz gröze ungemach 
Hester umb der juden diet 
als ir getrüwe herze ir riet. 
züm kunige weinde sie gie 
und viel vur in üf die knie. 


HESTER. 


1640 dö hüb er üf die vüte 
und neigete ir die rüte, 
der erbermede zeichen, 
daz siz wol mochte irreichen. 
der kunic sprach ‘sage an, vröwe σοί. 
1645 welch nöt betrübet dinen müt? 
wiltü icht möre hän an mir? 
Mardoch£us was bi ir, 
wand der kunie alröst entpfant 
wie ez darumme was gewant 
1650 daz er ir öhem wöre. 
Hester die gewöre 
sprach dö 'vil lieber herre min, 
ob ich vor den ougen din 
genäde vinde, sö wil ich 
1655 ouch darumme biten dich, 
daz dü mit nüwen briven gar 
in dime lande her und dar 135°. 
die alden brive tiliest abe 
swä sie Aman gesendet habe 
1660 üf dine armen knechte, 
die juden min geslechte.- 
herre, ob ouch des nicht geschiet, 
sö wirt min vole, der juden diet, 
zü töde genzlich irslagen: 
1665 durch daz müz min herze tragen 
angest jämer unde nöt 
ob dü nicht wendest disen ἰδέ. 
dö sprach der riche heiden 
lieblich zü disen beiden, 
1670 Hester und Mardoch£ö, 
‘nü seht, ich hän geworben so 
als ir wol muget schöwen, 
durch willen dirre vröwen: 
mit Aman daz ist irgangen, 
1675 wand er ist irhangen, 
und allez daz er h£te 
an erbe, an hüsgeröte, 
daz gab ich ir und er ist töt 
in harte sm£licher nöt. 
1680 alsus ist er durch sie gequelt. 
nü schribet selbe waz ir welt, 
daz üch allernutzest si 130", 
und die juden machet vri. 
min ingesigele henget dran, 
1685 dem getar nieman widerstän.' 


1643 sich, 1646 ich, 1682 sie. 1685 den, 


284 


KARL SCHRÖDER 


sin vingerlin nam er dö 
und gab ez Mardoch£ö. 
sin liebe gegen im wart vil balt: 
er gab im sulchen gewalt 
1690 als Aman vor gehabet hete, 
daz er an ieglicher stete 
ob allen vursten üz gelesen 
näch im gewaldie solde wesen. 
Mardoch£us der helt, 
1695 des kuniges vrunt üz irwelt 
der sus hö was gerucket hie, 
von deme sale zü hüse gie: 
sine cleider die er trüc 
waren edele genüc 
1700 von purpur und von baldekin, 
sin mantel was güt sidin. 
als im der kunie irloubete, 
er trüc üf sime houbete 
von golde eine edele cröne, 
1705 die was gemachet schöne. 
des wurden alle juden vrö, 
wand an Mardoch&ö 
ein nüwe liecht sich erhüb, 
des darnäch maniger entsüb, 
1710 dem er wol zü hüse quam. 
Mardoch@us an sich nam 
des kuniges schribere 
und underviene die swere 
mit nüwen briven an siner diet. 
1715 er schreib als im sin herze riet, 
und hience daz ingesigel daran: 
des widerstünt im nieman. 
alsus was der brive sin 
die man von hove sante hin, 
1720 als ez ἂς des kuniges munde gie 
swaz man drinne schriben lie: 


“Assuerus ein kunie genant 
uber hundert zwönzie und siben lant, 
swaz dä lüte inbinnen si, 
1725 beide vursten unde vri, 
ez sie arm oder riche, 
den enpütet er geliche 
sinen grüz und allez güt. 
vernemt waz üch kunt tüt 
1730 mine schrift und ouch bedüte: 
ez sint genüge lüte 


1711 Mandocheus. 1716 hiene fehlt. 


136°. 


13%. 


1735 


1740 


1750 


1755 


1760 


1765 


1770 


1775 


HESTER. 985 


die eines herren mildekeit 

üf zühet und enpor treit 

in sunderlicher vruntschaft, 

sö wirket an in die hörschaft, 
als sie der werdekeit entseben, 
daz sie zü söre sichs erheben 
und durch ir valschen hömüt, 
den ir gelucke an in tüt, 
unrecht gebröchen des sie haben, 
hie von sie ouch zü jungest snaben. 
sumeliche, als sie irhaben sint, 
werden joch sö gar blint 

des herzen und verharten, 

daz sie ubeles warten 

die in wol haben getän. 
gedenket vlizeclich daran, 

daz manie riche kunic gröz 

an sinen eren ere vergöz 

durch valschen rät der sin pflac 
und im zü den ören lac. 

hie von bedarf ich harte wol, 
wand ich vil lande pflegen sol, 
daz ich min vole slichte 

und vor unvride berichte 13 
an den die mir sin undertän. 

sö mac min ere bestän 

sunder allez wenken. 

nieman sal mich verdenken, 

ob ich wandele mine wort 

daz ir ὃ habet gehört, 

ob ich einez vor enpöt 

und nü ein anderz. des ist nöt. 
ez machet nicht unstetikeit 

die ein törecht herze treit, 
wand ich müz warten an der zit 
wie sich ir gescheffede git, 

die eischet nü diz und nü daz. 
üf daz ir aber vurbaz 

verstet die meinunge 

an blözer dütunge, 

sö wizzet daz der vurste Aman, 
dem ich vil gütes hän getän, 
gelönet mir hät mit schanden. 
von Assirien landen 

was er nicht als wir sin, 

er was hie ein pilgerin 


1737 sich es, 


286 


1790 daz. 
1821 lute, 


KARL SCHRÖDER 


kumen dä her von Amalöch, 
dem ich gab unde löch 
1780 vil @ren und vil gütes. 
ich was sulches mütes, 
daz ich in als in vater ie 138". 
lieblich zü mir entpfie: 
man erte in in dem riche 
1785 vil πῷ mir geliche, 
daz er zü sere sich verhüb, 
als ich harte wol entsüb, 
wan er daz riche wolde haben 
und mich von minen @ren schaben. 
1790 des wolde er alsus werfen um 
minen vrünt Mardoch&um, 
von des vrüntlicher gebe 
ich minen Iip habe und lebe, 
und Hester die kunigin, 
1795 und daz getrüwe lüte sin, 
die juden, uber al min lant 
als mir nü wurden ist bekant. 
swaz üch brive ist gesant 
von Aman üf der Juden töt, 
1800 als im sin valscheit geböt, 
die suln nü sin verworfen gar, 
sin böse list ist offenbär, 
wie er sich hät begangen. 
wand er nü ist irhangen 
1805 vor Susis der grözen stat, 
des suln die brive wesen mat 
die er vor üz höte gegeben. 115": 
lät die juden in vride leben, 
wand sie sint gotes kindere, 
1810 hie von sie nieman hindere 
der ὃ gegen iren got. 
dar uber sie üch ein gebot: 
ir sult den juden helfe geben, 
daz der nicht einer blibe leben 
1815 die ir tödes wären vrö, 
ir sult sie alle irslagen sö 
an deme tage mit gewalt 
der den juden was gezalt.’ 


Als die brive in daz lant 

1820 wurden her und dar gesant 
den gemeinen lüten 
und sie daz bedüten 


1818 Es stand gestalt; das t ist radiert, so daß gesalt stehen blieb. 


HESTER. 987 


läsen offenlichen, 
den vursten und den richen 

1825 begondez ein teil wider wesen. 
iedoch dö sie hörten lesen 
wie ez was ergangen, 
daz Aman was irhangen 
deiswär lesterlich genüc, 

1830 und welche werdekeit nü trüc 
üf des kuniges palas 
Mardoch£us, der ein jude was, 
und wie ez was umb in gestalt, 139°. 
daz er sö grögzen gewalt 

1835 trüc näch deme kunige uberz lant, 
dö was ir widersatz volant, 
den briven volgeten sie dö. 
alle juden wurden vrö 
und bereiten sich daran, 

1840 daz sie die wolden erslän 
die zü vor üf sie gächten 
und ubeles in gedächten, 
wand sie in wären wol bekant. 
allenthalben uberez lant 

1845 erte man der juden diet, 
als den lüten dö geriet 
die vorchte an Mardoch&ö, 
der üf gerucket was sö hö 
in des kuniges hulde. 

1850 von dirre selben schulde 
erboten sie sich sere 
gen in grözer Ere. 


Nü quam der vor beschribene tae, 
der juden vroude bejac 
1855 den Aman üf ir laster vant, 
als dä vor ist benant, 
mit dem löze daz er warf. 
der juden räche wart nü scharf 
gegen ir vienden die sie heten: 
1860 sie sampten sich in allen steten 
und slügen die sie wolden slän. 139", 
in torste nieman widerstän, 
man half in joch ob des was nöt, 
als den lüten dö geböt 
1865 die vorchte die in wonte bi 
des kuniges und Mardoch£i, 


1852 den in, 


288 


KARL SCHRÖDER 


vumf und sibenzie tüsunt 
wart irre viende alsö wunt 
daz sich ir lib und ir leben 
1870 in den töt müste ergeben 
uber al des kuniges lant. 
dö der slac was volant, 
dannoch wären dö vorholn, 
die sich hetten verstoln, 
1875 zehen sune von Aman. 
ouch was dä m& lüte entgän 
von der stat üzer diet, 
daz sie der töt nicht verschriet. 
diz wart Hester der vröwen kunt: 
1880 des gienc sie in der selben stunt 
zü dem kunige Assu£rö. 
“lieber herre’ sprach sie dö, 
“sumeliche lüte 
sint entwischet hüte 
1885 daz sie nicht begreif der slac. 
gib mir morgen den tac 
daz man sie gar muge irslän. 
dä sint ouch zehen sune Aman, 
die wil ich dag man brenge 
1890 und mit einander henge 
den lüten zeinem bilde. 
der kunie was kein ir milde 
und gab ir swaz sie vor sprach, 
dö der ander tac üf brach, 
1895 der juden räche zü trat: 
in Susis der grözen stat 
slügen sie dri hundert man. 
die zehen sune greif man an 
die von Aman wärn geborn: 
1900 ein galge der in was irkorn, 
dar an hiene man sie alle. 
mit grözer vreude schalle 
vreute sich der juden rote 
und dancten vlizecliche gote 
1905 der sö getrüwelich mit in warb 
daz ir dikeiner dä enstarb, 
dä uber ir lip und uber ir leben 
des tödes urteil was gegeben. 


Mardoch£us der vil güte 
1910 in einem wisen müte, 


truwelichen, 


1899, waren, 


1867. Von späterer Hand in tusent das e unterpunktiert und v darübergeselzt. 
1884. entwischen, 1892, ir fehli. 1898. zehn, 


1905, ge- 


HESTER. 989 


dö die slacht was volant, 140°. 
liez brive schriben sän zühant 
und in die riche senden 
den juden in allen enden 
1915 swä sie wären vertriben. 
an den briven was geschriben, 
daz sie geritlich den tac, 
der zü n&hest deme lac 
an deme sie got hete irlöst 
1920 und mit helfe wol getröst, 
alle solden vieren gote 
und in sinem gebote 
sich vreuwen der grözen sigenumft. 
zühant näch der brive kumft 
1925 wären die juden alle vrö 
und volgeten Mardoch&ö 
an der viere gebote 
zü lobe dem höesten gote 
der siner diet zü helfe quam. 
1930 als irre nöt wol gezam, 
vierten sie jerlich den tac 
mit vreuden swanne er in gelae. 
des lözes tac wart er genant, 
wan in Aman züm ®rsten vant 
1935 mit löze als ich hän geseit. 
diz wart ein gewonheit, 
daz in der juden lüte 141°. 
behalden unz noch hüte. 


Ich enmac noch enwil 
1940 nicht hie von geschriben vil 
sunder daz alleine, 
daz wir die gar reine 
üz alles herzen trüwe 
an Mardoch&ö mit rüwe 
1945 unse Hester anschrien, 
ich meine die lieben Marien, 
daz sie den kunic Assuerum, 
den edelen J&sum Cristum, 
vor uns getrüwelichen bite 
1950 daz uns sin helfe wone mite. 
eyä liebe kunigin, 
nü lä dir bevolen sin 
daz dü nicht sümest die botschaft, 
wand unser argen viende craft 


1950 sine, 
GERMANISTISCHE STUDIEN, 19 


290 


KARL SCHRÖDER 


1955 die wollen uns berouben 


der minne und des gelouben 
und an der s&le ἰδὲ irslän 

ob in die state wirt verlän. 
daz saltü, vröwe, underkumen 


1960 und uns mit diner bete vrumen 


1965 


gegen direm lieben kinde: 

sin minne ist alsö linde 

die er in liebe zü dir treit, 141°, 
daz er dir nichtes nicht verseit. 

ey müter aller trüwe, 

läz an uns werden nüwe, 

daz dir der name ist angeleit 

‘müter der barmherzekeit.. 

lä, vröwe, dich irbarmen 


1970 uns blinden, uns armen 


din unwirdigen knechte. 

dü bist unser geslechte, 

ein mensche an menschlicher art 
und doch darinpe wol bewart 


1975 vor menschlichem meile. 


1980 


1985 


1990 


1995 


2000 


1965 eya 


ey vröwe oüt, nü heile 

swaz wir betrüpnisse hän 

dä wir mit schaden inne stän. 

gedenke, edele vröwe güt, 

an din ®rsten demüt 

üz der dü bist εὖ πὸ πῇ kumen 

uns sundören gar zü vrumen 

in die gotes schöwe. 

stant üf, stant üf, vröwe, 

stant üf dü reines herzen trüt, 

dü minnecliche gotes brüt, 

sprich din kint vur dine kint, 

die leider hie verteilet sint 

durch valsche räche in den töt 142°. 
ob dü nicht underst&st die nöt. 

staut üf, kuniginne, 

und wis ein vorsprechinne, 
vorsüne kein dime kinde 
die sundere din gesinde, 
wand dü, vröwe, vil wol weist 

daz dü durch sie den namen treist 
‘müter der barmherzekeit.. 

ob uns din helfe wirt verseit, 

uns die durch nöt schrien 

an dich süzen Marien, 


1977 waz, 1992 vorsprecherinne, 


HESTER. 99] 


daz envüget nicht dem namen, 

dem minneclichen lobesamen 

“müter der barmherzekeit’. 

vröwe, durch dine mildekeit 
2005 tü sö wol und verebene uns 

in die minne dines suns 

mit diner bete, alsö daz wir 

mit allen heiligen bi dir 

näch sinem willen in loben dä 
2010 per infinita secula. Amen. 


Das Gedicht von der Königin Hester, welches hier zum ersten 
Male gedruckt erscheint, ist entnommen aus einer Pergamenthandschrift 
des 14. Jahrhunderts im Besitz der königl. Bibliothek in Berlin, Ms. 
Germ. Octav. ὅθ. Dem Rücken der Hs. ist ein Zettel mit Inhalts- 
angaben aufgeklebt: 

a) Ein Gedicht vom Priester Johannes. [Abgedruckt in den Altdeut- 

schen Blättern 1, 308—324.] 

b) Gedicht von St. Brandan. [Von mir herausgegeben. Erlangen. 1871.] 
6) Elucidarius. 

d) Benedictio Jacob quam dedit filiis suis (in Versen). 

e) Gedicht über den Bischof Patrieius. [Das Passional ed. Köpke 

p. 232—240.] | 

Τὴ Capitele in die privilegia der brudere vom dutschen huse. 

Diesem Verzeichniss entsprechend sind zur Erleichterung des 
Aufsuchens die einzelnen Abschnitte durch eingeklebte, stark über den 
Rand vorspringende Pappstückchen markiert. 

Der Verfasser des Index hat also unser Gedicht völlig übersehen, 
eine Sünde, deren Schuld allerdings zum guten Theile der Schreiber 
des Codex trägt, da er die Hester mit der Benedictio Jacob verschmolz. 
Dieses Gedicht beginnt: 


Israhel der vil gute 80". 
Der ie mit reinem mute*) 

In gotes dienste was irkant, 

Bleib in Egypten lant 


2001 vuget, 
*) Ich halte es keineswegs für unmöglich, daß dieses Gedieht, wie auch andere 


Stücke der Handschrift, in seiner jetzigen Gestalt vom Dichter des Passional herrühre. 
Man vergleiche z. B. Pass. K. 374, 1: 
Laureneius der güte 
der mit stötem müte u, s. w.; ferner Hester 1909, 
Eine weitere Untersuchung behalte ich mir vor, i 
19 * 


292 KARL SCHRÖDER 


Nach siner kumfte vurware 
Wachsende sibenzen jare, 
Also daz sines gewaldes vil 
Wart schire unde alle zil 
Wuchs von tage zu tage — 


und ist im Grunde nur eine Überarbeitung der Genesis (Fundgruben II); 
des zum Beweise mögen hier einige vergleichende Verse stehen: 
Fundgr. 75, 10: 

Dü ioseph gesach 

sines uater ummaht, 

dü nam er zu ime 

zuene sini suni. 

zü sinem uater er gie, 

uile wol er inphie (l. in inphie). 

an daz pette er gisaz. 


Berl. Hs. fol. 86": 


Dar nach in vil kurzen tagen 
Joseb der reine horte sagen 
Mit vil werlichem mere 

Daz sin vater sich were 

Vnd uncreftic. er nam zu ım 
Manassen unde Effraym 

Vü νὰν zu dem vatere dar. 

Do er siner kumfte wart gewar, 
Er vreute sich unde wart im baz 
So vil daz er do gesaz 

Vf gericht an sinem bette da. 


Fundgr. 75, 28: 


Joseph dei chint stalte 

zü sineme uater beident halbe, 
Manassen ze der zesewen, 
effraim zi der winsteren. 


Berl. Hs. fol. 86": 


Do hiez Jacob der gute man*) 
Manassen dar nach gan 

Den elderen sun und hiez in stan 
Zu der ceswen hant stalt ern zu im, 
Zu der winstern Efiraym. 


Fundgr. 75, 30: 


Jacob die hente 
uber ein andere scranchte: 
die zesewen uber effraym, 


*) 5. weiter unten die lexikalischen Ausführungen unter gul, 


HESTER. 993 


die winsteren uber manassen. 
Dü ioseph daz gesach etc. 


Berl. Hs. fol. 86°: 


Jacob die hende verkerte 
Als in die wisheit lerte 
Vnd leite sine ceswe hant 
Vf den der nu was irkant 
Zum jungern. als daz geschach, 
ΕΖ sach Joseb etc. 

Fundgr. 76, 27: 
Er sprach ‘min sun ruben, 
firnim wiez dir müz irgen. 
Du pist sterche 
miner werche, 
du pist sun min der erist, 
du scoltest sin der heriste. 
du ware daz eriste ser 
min unte diner müter...... 
Daz allez du firworhtest.... 
Du tate deme wazzer gilich 
daz in deme uazze nieht inthabit sich, 
daz uz rinnit 
suaz loch findet. 


Berl. Hs. fol. 885: 


An Ruben wil ich heben an. 
Ruben, sprach der wise man, 
Der edelste sun der sterke min, 
Da bi muz er ein urhab sin 
Mines leides, miner sere. 

Mit bezeichenlicher lere 

Merke wie ez an dir ist: 

Als ein wazzer du bist 
Binnende (1. rinnende) uz gegozzen hin. 
Du hast verlorn den gewin 
Daz du soldest sin der erste, 
Der hoeste und der herste. 


Fundgr. 80, 14: 
Der gihurnter wurm 


daz ist des antichristes zorn 
der giborn wirt uone dän. 


Berl. Hs. fol. 93°: 


Üerastes ist ein wurm genant 

Der vorne an sime houbte treit 

Ein horn als die warheit seit: 

Der dutet den anticrist 

Der von dem [Dans?] geslechte kumftie ist. 


294 KARL SCHRÖDER 


Der Schreiber bezeichnet seine Vorlage als eine glose; so heißt 
es fol. 93°: wie sich die glose dute gar; fol. 97°: daz gloset uns die 
warheit hie; fol. 99°: ein ander glose han ich gelesen; der Dichter 
der Genesis sagt nur 78,3: daz ich dar ubere han gilesin, und 79, 43: 
daz buoch uns saget. Freilich fügte der Bearbeiter auch noch Eins 
und das Andere hinzu, was er nicht in der Vorlage fand; namentlich 
einen Zusatz, so unsinnig er ist, mag ich nicht übergehen. Es heißt 


fol. 100° (vgl. Fundgr. 83, 37): 


Dar nach uber siben tage 

Do gelegen was die clage 

Vnd ir jamer werender don, 
Do wart gevurt in Ebron 
Jacob hin uber den Jordan. 
Nach rechte wart im sin recht getan 
Vn er wart nach gewon!:eit 

Zu sinem vatere geleit, 

Ich meine dem ersten Adame, 
Vnde ouch zu Abrahame, 

Zu Ysaage der in gebar. 

Do diz was volendet gar, 

Dar nach der site sie lerte, 
Joseb zu lande wider kerte 

Vn die mit im waren kumen 
Dar als ir habet vernumen 

Vin als ir e hortet sagen. 

In dirre zit. in disen tagen 
Truc der Argiven crone 

Mit gewalt un schone 

Der vil werde kunie Artus (sic) 
Vnd zu Sicione Crisus, 

Der was gewaldic da, 

Vn Belus in Assiria 

Truc ouch gewaldecliche 

Crone uber daz selbe riche, 

Vn was zu Crichen in daz lant 
Zum ersten do durch listen gesant, 
Da bi si des begonden 

Daz sie korn buwen konden. 


Der Schluß des Gedichtes lautet fol. 103°: 


Joseb begonde siechen un starb. 
In des (sie) zit do er verdarb, 
Do was er hundert jar alt 

Vn zwenzic waren im gezalt. 
Sin lib nach kuniclicher. art 
Richlichen gebalsamet. wart 


HESTER. 395 


Nach hoer truwe werdekeit 
Vn wart in Egipte geleit: 
Do ruete er unez an die zit 
Als die schrift urkunde git, 
Daz die israhelische diet 
Von dem selben lande schiet. 
Do vol vurten die den eit: 
Sin gebein wart in Ebron geleit. 
Die anderen sine brudere gar 
Wurden ouch gevurt al dar 

- Vn in Ebron begraben sit 
Iglicher nach siner zit. 

An diese letzten Worte schließt sich dann die Hester derart an, 
daß kein Absatz, keine Initiale, kurz kein Zeichen verräth, daß hier 
ein neuer Abschnitt beginnt; nur eine mitleidige Hand des 15. Jahr- 
hunderts hat am Rande Hester beigeschrieben. 

Unser Gedicht nun hat nach zwei Seiten hin Anspruch auf Be- 
achtung. Einmal wegen seines Stoffes. Die Zahl der uns erhaltenen 
mittelalterlichen Dichtungen, die ihre Stoffe dem Alten Testamente ent- 
nahmen, ist eine auffallend geringe; unter diesen Stoffen ist gewiß die 
Hester einer der anmuthigsten: so durfte man sich bis heute wundern, 
daß keiner der dichtenden Geistlichen darauf verfallen sein sollte, diese 
Historie zu bearbeiten. So füllt also unser Gedicht eine Lücke aus 
und ist dadurch von Interesse. Sodann aber darf es ein erhöhtes In- 
teresse beanspruchen um des Dichters willen, welchem die Hester zu- 
zuweisen der Zweck nachfolgender Zeilen ist, und dieser Dichter, um 
es gleich zu sagen, ist kein Anderer als der Dichter des Passional. 

Unter allen den Dichtern, deren Namen und Werke die Litteratur- 
geschichte des 12.—14. Jahrhunderts verzeichnet, ist kaum Einer, der 
in Worten und Reimen eine so scharf ausgeprägte Individualität zeigt, 
wie der Dichter des Passional, den mit Namen zu nennen wir leider 
noch immer und vielleicht für alle Zeit verzichten müssen. Ohne wortarm 
oder um einen Reim verlegen zu sein, hat doch unser Autor eine nie 
sich verleugnende Vorliebe für einzelne Wörter und Reimbindungen, 
die in ihrer zahlreichen Anwendung und beständigen Wiederkehr etwas 
unverkennbar Charakteristisches haben. Dahin gehören z. B. Worte 
wie albesunder, anderweide, aneschöwe, barmherzekeit, bejac, besit, 
besnaben, binnen, diet, deiswär, entseben, grobelich, guft, rote, unvlät, 
sich vügen, wibesnam, willekur, — Worte, die zwar gemeingebräuchlich 
sind, aber im Passional fast auf jedem Blatte begegnen; ihnen gesellen 
sich andere zu, wie bedütunge, durchworcht, erbitteren, gelösen, genüger, 
hinderswichen, kurre, langes, majestas, secte, ummeswanc, unholde, vlöz- 


296 KARL SCHRÖDER 


ougen und Redewendungen wie zü hüse scheiden, &re vergiezen, sich 
beneben sehen, uberie wesen u. a. m., die wiederum im Passional häufig, 
in anderen Dichtungen hingegen nur sparsam oder zum Theil gar nicht 
belegt sind; schließlich Reime, deren auch jedes Blatt einige aufweist 
wie anderen : wanderen, lebene : ebene, diet : riet : schiet : verschriet, 
scharf: warf und das seltene uns : suns, vorkommend allerdings auch 
bei Konr. v. Würzburg, ferner Tristan ed. Bechstein 4505 und Kleine 
Ged. vom Stricker XII 557. Solche Wahrnehmung konnte den Heraus- 
geber der Marienlegenden, der nur die wenigen Bruchstücke sah, die 
Tittmann (Beiträge zur vaterländischen Alterthumskunde. Leipzig 1826) 
aus dem Väterbuche mittheilte, veranlassen und berechtigen, in diesem 
abermals ein Werk des Passionaldichters zu erkennen, eine Annahme, 
die wobl heute Niemand mehr im Ernste bestreiten wird. Und eben 
dieselbe Wahrnehmung ist es, die auch uns bewegt, in der Hester 
ebenfalls seine Hand zu sehen. 

Ich glaube diese Ansicht am einfachsten und ohne vieles Raisonne- 
ment durch vergleichende Zusammenstellungen unseres Gedichtes mit 
den Passional und dem Väterbuch begründen zu können und gebe 
daher nachfolgends in alphabetischer Folge eine Auslese bemerkens- 
werther Wörter und Formen aus der Hester; derer, die kein Analogon 
in jenen Texten finden, sind verschwindend wenige: sie vermögen gegen- 
über der Masse anderer beweiskräftiger Stellen unserer Argumentation 
keinen Abbruch zu thun. 

Die im Folgenden in abgekürzter Form gebrauchten Citate be- 
deuten: H. unser Gedicht; AP. das alte Passional ed. Hahn. Frankfurt 
1845; ML. Marienlegenden. Stuttgart 1846; P. das Passional ed. Köpke. 
Quedlinb. 1852; SSI. Von den siben släfseren ed. Karajan. Heidelb. 1839; 
VB. Die Leipziger Hs. des Väterbuches; Z. Zingerle, Findlinge II. Wien 
1870. Dabei bemerke ich: Zingerle citiert die ‚Leipziger Hs. nach der 
Verszählung der Leyserschen Abschrift. Auf diese Annehmlichkeit mußte 
ich verzichten, einmal da Leysers Zählung, wie ich nachweisen kann, 
unrichtig ist, sodann weil die Abschrift nur etwa ein Fünftel des Gan- 
zen entbält, ich aber die ganze Hs. vor mir hatte; ich citiere also die- 
selbe nach Blättern und Columnen. 

ab = ob H. 478. 

albesunder H. 92. Außerordentlich oft im Passional: AP. 1, 38. 9, 10. 
14, 80.'73, 71. 94, 59. 96, 20 u.,oit. ΜΙΝ, 7b, 156. 90,7, PL 40 
203, 46. 252, 55 u. oft. VB. 35°: idoch albesunder. 147°: die brüdere 
albesunder. 

alsulch. alsuche wisheit H. 1098. VB. 147". 


HESTER. 297 


ahveldic. herre alweldiger got H. 943. ML. 65, 33. er sprach: 
alweldiger got ML. 128, 18. ὃ vader alweldiger got AP. 3, 3?. 
ämmechtie H. 1185; das Pass. liebt mehr die Form ummechtiec. 
anderen: wanderen ein Lieblingsreim des Dichters. H. 383. 433. 
70% NP. 9529. 11, 17: 54,:43.85. 55, 87. 15148: Ald, 172.1340, 13. 
311, 18 ΙΕ ΜΠ το 051: ‚P. 5, 829..:23, 32.142, 85. 77, 69. 129, 61. 
269, 85. 285, 37. 318, 83. 91. 405, 13 u. oft. SSI. 396..509. VB. 26*. 
42%. 50”. :80*. ‚91. ı148*. 157°. 
anderweide H. 874. 1238. 1525. AP. 7, 15. 12, 66. 28, 32. 88, 43 
u. oft. MI#n50,52::203, 249: P..14, 18. 50, 76+62,x55,% oft 
aneschöwe nicht sehr oft belegt, 5. Mhd. Wb. II?, 200° und Lexer 
Mhd. Handwb. 1, 76. Zahlreich bei unserm Dichter: in miner ane- 
schöwe H. 1213. in siner aneschouwe VB. 145°. Vergl. AP. 19, 52. 
22, 16. 122, 92. 151, 72. 211, 78 u. oft. ML. 55, 45. 163, 303. 262, 
Sara. or 2137, 25: 176, 17.39281,79 m. ref. 
antreten. nü ist die zit angetreten H. 24. die zit heran getreten 
was P. 58, 53. 
balt H. 1341. 1688. ML. 22, 20. 111, 24. 121, 53 u. öfter. vor 
was ez heiz unde balt VB. 24° 
daz ich den der mit gewalt 
wolt wesen alzü balt VB. 28". 
Mel: 2.122, 
barmherzekeit sonst nicht oft belegt, s. Mhd. Wb. I 674° u. Lexer 
1, 130. sin gröze barmherzekeit H. 862. AP. 310, 56. H. 1218. ML. 166, 
406. 167, 423 u. öfter. P. 4, 11. 63, 4. 266, 22. 32. 374 passim. 439 
passim u. öfter. 
bedütunge H. 676. AP. 116, 77. Im Mhd. Wb. I 328 nur noch 
ein Mal belegt. 
begin 
ein begin und ein ort H. 648. 
daz begin und daz ort ML. 22,332. 185, 332. 
bejace ein Lieblingswort des Dichters. H. 26. 1854. 
durch bezzerunge bejac VB. 150°. 
miner vroude gröz bejac VB. 150°. 
AP. 316, 2. 317, 84.332, 94. Vgl. Z. 123. 
besit sparsam belegt im Mhd. Wb. II®, 327, doch zahlreich im 
Passional. H. 329. 1327. 1572. AP. 91, 20. 92, 20. 108, 31 u. oft. 
ML. 125, 166. 177, 92. P. 3, 69. 247, 66. 334, 26 u. oft. 
nam in besit alleine VB. 35". 
daz er nie bisit getrat VB. 38‘. 


298 KARL SCHRÖDER 


betouben H. 1031. 1147. ML. 131, 102. P. 52, 56. SSI. 9. Vgl. 
AP. 99, 47.254) 8'΄ ἃ oft: P. 105, 03. 162, δῦ. ΟἿ 
betrüpnisse nicht allzu oft belegt. H. 1029, 1977. AP. 38, 69. 
108, 93. 250, 87. 275,3. 379, 80. ΠΣ 185, Slr: 
beviln H. 610. 1531. 
wand mich der bete nicht bevilt H. 1244. 
ob dich der bete nicht bevilt P. 258, 14. 
AP. 19, 77. 20, 72. 27, 6. 50, 56. 55, 59. 78, 20 u. sehr oft. ML. 45, 13. 
73, 98. 80, 74. 156, 91 u. oft. P. 13, 68. 18, 36. 21, 10. 164, 73 u. oft. 
SSl. 683. Vgl. Z. 124. 
bevorn. hie bevorn H. 1051. AP. 53, 39. P. 236, 65. 
in diner törheit hie bevorn VB. 35%. 
bi, gern zu bie gedehnt H. 243. 339. 384. 1429. Vgl. Lexer 1, 
262. verre oder bi H. 1245. VB. 83”. praep. ὁ. acc. H. 1484. AP. 83, 
54. 391, 71. ML. 128; 15.015. 167. 
bikenleren H. 1408 ist ein sonst nicht belegtes Wort: än allez Ὁ. 
heißt wohl jedenfalls s. v. a. ohne Umschweife, klar, deutlich, geradezu, 
ohne Nebenrücksichten. Das D. Wb. 1, 1809 führt unter bicken auch 
‘sticheln’ auf, was freilich nur einen gezwungenen Sinn geben würde. 
Vielleicht könnte man an Gotfried’s bickelworte denken; s. Bechstein 
zu v. 4639. Oder wäre bikenlören ein corrumpiertes franz. bigler schie- 
len? S. Diez Etymol. Wörterb. (3. Aufl) II 225. 
binden öffentlich anschlagen ? 
in die stat man einen (brief) bant H. 758. 
binnen adv. H. 62. praep. c. gen. ganz besonders beliebt beim 
Dichter des Passional; s. Lexer 1, 280. H. 483. 
binnen des und diz geschah H. 1518. AP. 8, 9. 28, 22. ML. 
τὸ, 150.. P. 548, 61. 
brengen in der Regel; H. 213. 323. 463 u. öfter. Im Reime brin- 
gen 704. 1074; vgl. 55]. 14. 
burnen. mit burnenden ougen H. 1179. P. 78, 16. 
darobe H. 701. 
were δὲ din wille darobe H. 984. 
ir beider wille was darobe P. 6, 25. 
deiswär aulßserordentlich oft im Passional. H. 376. 850. 1331. 1506. 
IF RP2,"23. 50,27: 92,772 323, 35057709. ΠΟ ΤΠ 10. 
70, 4. 15. 98, 93. 112, 40. 116, 42. 212, 48 u. oft. P. 43, 1: 43, 79. 
54, 35. 66, 54. 128, 19. 178, 61.: 182,85 u. oft: 
diet fast auf jedem Blatte. der juden diet H. 411. 559. 563. 
AP. 64, 10. 126, 49. ML. 28, 180. 31, 264. die gemeine diet H. 520. 


HESTER, 299 


AP. 168, 73. P. 195, 45. 247, 5. 429, 1. die valsche diet H. 602. ML. 
252, 388. P. 96, 25. diet:: schiet H. 591. 633. 725. 997. 
der die blinden armen diet 
alsö gar von gote schiet VB. 35°. 
balde zü der selben diet 
die er mit gotes helfe schiet VB. 35°. 
was vor in des landes diet, 
wan er ir genüc schiet 
von ir lebene dräte VB. 40°. 
durch sine liebe an der diet, 
wan er von genügen schiet 
maniger hande siechtüm VB. 40°, 
disser = diser H. 937. 1017. 
diz besonders gern angewandt in gewissen kurzen Sätzen, z. B. 
diz müste sin. ez geschach. H. 1480. 
diz geschach, ez müste sin. H. 1523. 
in irme schöze. dit geschach. AP. 22, 20. 
unde nämen urloub. dit geschach. AP. 46, 83. 
dit geschach. er wart in brächt AP. 88, 1. 
AP. 25, 58. 228,88 u. oft. ML. 12, 117. 97,.65:112%,29.1, 163.303. 
199, 127. 225, 910. P. 14,.19. 19, 80..:135, 67.268,13: 279,. 79.0. oft. 
SSI. 594. 602. Z. 56, 21. 
dort. 
in den landen hie und dort H. 1005. AP. 317, 80. 
durchwieren mit Gold und Edelsteinen auslegen. H. 165. AP. 
209, 82. 230, 18. 251, 54. P. 691, 16. Außerhalb des Passionals sehr 
wenig belegt; 5. Mhd. Wb. III 625° und Lexer 1, 492. 
durchworcht H. 95. 147. 165. AP. 195; 32. ML. 188, 393. P. 26, 
45. 630, 27. Sonst nur noch einmal belegt; 5. Lexer 1, 493: 
düte. χὰ düte H. 40. AP. 3, 43. 4, 6. P. 227, 15. 
und wil darüz zü düte lesen 
daz mich nutze dunket wesen VB. 1". 
dütsch. in dütsch H. 36. VB. 158°. 
ebene: lebene beliebter Reim. H. 1335. AP. 6, 1. 13, 21. 26, 10. 
28, 8 u. oft. ML. 2, 25. 5, 89. 157, 124. P. 47, 65. 55, ὅ8: u. oft. VB. 
39°. 43®.,43°. 145°. 147°., 150", 
eigenlicher sin Eigensinn. H. 270. P. 131, 89. 
eimer H. 641. AP. 147, 20. 23. 365, 7. In dieser Form nur im 
Passional belegt, s. Lexer 1, 522. 
endehaft ein beim Dichter des Passional sehr beliebtes Wort. 
mit endehafter wärheit H. 536. 1048: AP. 107,,29. 228, 69. 
P. 46, 39. endehaft mit andern Adjectiven 5. AP. 106, 6. 147,.19. 296, 88. 
300, 1. P. 12, 5. 17, 56. 231, 39. 270, 79 u. öfter. 


” 


300 KARL SCHRÖDER 


entheren in seiner Erhabenheit beeinträchtigen, beleidigen, ent- 
weihen. H. 230. AP. 51, 81. Im Mhd. Wb. I 670° gar nicht weiter 
belegt; vgl. übrigens H. 262. 

entseben H. 31. 46. 268. 589. 1054 u. öfter. Ein Lieblingswort 
des Dichters, zu dem sich Belege auf jedem Blatte finden. Vgl. Z. 125. 

erbelken = erbelgen H. 1558. 

erbitteren swv. refl. von Zorn und Hafj bewegt werden. H. 438. 
Als refl. gar nicht, als trans. nur ein Mal belegt, und zwar P. 163, 24 
mit demselben Reim erbittern: rittern, Vgl. Lexer 1, 616. 

@re vergiezen H. 1749. Außer P. 286, 22 nicht belegt; 5. Mhd. 
Wb. 1 641". 

ren wert honore dignus H. 1426. Im Mhd. Wb. III 603" nicht 
belegt, auch im D. Wb. 3, 67 nicht vor Fischart. 

erge setze ich statt des handschriftlichen ere H. 543.° Ein Lieb- 
lingswort des Dichters; s. Z. 126. 

erglüen erhitzen H. 200. Beispiele bei Lexer 1, 631. 

erreizen refl. H. 275. Als refl. gar nicht, als trans. nur ein Mal 
belegt Mhd. Wb. II!, 675°. 

rsamkeit Ehrfurcht, Ehrerbietung H. 795. P. 653, 43. In der poe- 
tischen Litteratur sonst nicht belegt; s. Lexer 1, 666. 

gebröchen für gebrüchen H. 1740. 

gelöge H. 361. Vorzugsweise im Passional belegt; s. Lexer 1, 805. 

gelösen swv. intr. c. gen. etwas los werden H. 1504. Sehr selten 
belegt, aber im Passional; s. Mhd. Wb. I 1037° und Lexer 1, 823. 

gemeinlich adj. H. 877. 914. Mehrfach im Passional, sonst nur 
zwei Mal belegt; 5. Mhd. Wb. II!, 102° und Lexer 1, 842. 

gemelich für gemechlich H. 1168. Lexer 1, 837. Vgl. P. 664, 65, 
wo ebenfalls nicht gemelich, sondern gem£lich angenommen werden muß. 

genäger mancher H. 47. fem. genüge H. 158. Dieser Gebrauch ist 
nur im Passional belegt; AP. 185, 84. 217, 49. 274, 86. P. 10, 62. 235, 
34. 285, 5. 546, 57. 5. Mhd. Wb. II!, 358°. 

genügen impers. c. dat. pers. gen. rei H. 1077. Sehr selten, im 
Mhd. Wb. II', 360° nur zweimal belegt, davon einmal P. 303, 23. 

geritlich adv. H. 1917. Nicht belegt. Ich nehme Ausfall des ch 
an, eine Erscheinung, die in der Lautverbindung ht im Mitteldeutschen, 
wenn auch meistens nur im Reim, nicht selten ist. Gerichtlich dürfte 
so viel bedeuten wie das im Passional häufige gerichte, gerichtes — 
sogleich, auf der Stelle. Oder ist gereitlich zu lesen? 

gewalt stf. H. 1556. 

gift Gabe H. 1388, Zahllos im Passional; s. Z. 127. 


HESTER. 301 


grift stf. das Begreifen, Umfassen, wise grift H. 56. ML. 23, 62. 
P. 402, 25. Sonst wenig belegt; 5. Mhd. Wb. I 572%. 
grobelich adv. Ein Lieblingswort des Dichters, namentlich in der 
Verbindung gr. erschrecken (erkumen). 
ir herze grobelich erschrac H. 804. ML. 144, 157. 
daz lüt dö grobeliche erschrach AP. 50, 68. 
der des grobelich ergquam ML. 59, 22. 
daz er ie groblich erschrac P. 249, 50. 
do erschrac vil grobeliche 
der güte man Pafuncius VB. 27°. 
Vgl. AP. 49, 33. 87, 74. 159, 80. ML. 59, 22. P. 210, 58. 236, 5. 
432, 45. 
guft stf. Begierde H. 150. Vgl. AP. 168, 57. 318, 42. Z. 128, 
güt adj. zahllos in der Verbindung: der güte man. 


Mardoch£&us der güte man H. 927. 1017. 
Joachim der güte man AP. 6, 72. 

Theöphilus der güte man ML. 206, 316. 
Nicolaus der güte man P. 8, 32. 

Thömas der güte man P. 54, 43. 

Mucius der güte man VB. 42". 43”. 

Helenus der güte man VB. 46°. 

Copres der güte man VB. 48°, 

Macharius der güte man VB. 64°. 71". 91". 127°. 


Pafuncius 144°. Silvanus 112°. Arsenius 118°. Zacharius 130”. 
güt stn. durch güt, in guter Absicht, mit Güte H. 36. 882. AP. 4, 5. 
des ich dich biten wil durch güt VB. 35°, 
heiden. der riche heiden H. 226. 1668. P. 280, 48. Vgl. Barlaam 
9, 18. Über das Verhältniss Rudolfs von Ems zum Dichter des Passional 
s. 2.12 fl. 
her für er H. 572. 
hindern. praes. cj. hindere (: kindere) H. 1810. 
hinderswichen stn. Zurückweichen, Hinterhalt. H. 716. AP. 21, 1. 
P. 384, 7. Sonst nicht belegt; 5. Mhd. Wb. 115, 784°. 
hömütic nur im Passional belegt; 5. Mhd, Wb. II!, 261°. der hö- 
mütige man H. 126. P. 159, 23. 
hütere stm. Wächter. H. 445. AP. 159, 17. Selten; 5. Mhd. Wb. 
1,732): 
irretüm stm. Ketzerei. H. 707. 712. Z. 28, 3. 
des irretümes in verdröz VB. 35°. 
von alles bandes irretüm VB. 35°. 
jämercleit stn. Trauerkleid. H. 783. Im Mhd. Wb. nicht belegt. 
kein = gein, gegen H. 29. 465. 1531. 1892. 1993 neben über- 
wiegendem gegen, 


302 KARL SCHRÖDER 


kint pl. kindere H. 746. 1810. AP. 49, 71. 51, 32 u. oft. P. 101, 
83 u. oft. 

cleit pl. cleit H. 1140. 1174. cleidere 1027. 1159. cel&dere 794. 

kümelichen mit Mühe H. 1224. Im Mhd. Wb. nicht belegt. 

kurre H. 1198. AP. 365, 21. 367, 10. P. 97, 67. 257, 50. 475, 42. 
Selten; 5. Mhd. Wb. I 916°. 

langes adv. außerhalb des Passionals nicht oft; 5. Mhd. Wb. I, 
931”. langes und entwer H. 1437. P. 680, 28. 

leitesman. 

Jesü getrüwer leitesman H..8. VB. 1°. 2", 

leitlich adj. leitlich ungemach H. 764. AP. 94, 47. 

hist stm. H. 457. 565. 643. 888. din eines list H. 958. AP. 2, 8. 

luft stf. H. 149. 

m mit n gereimt: man : gehörsam H. 295. 

majestas. H. 959. AP. 2, 29. P. 1, 6. 

mannesnam. ὃ. Mhd. Wb. II!, 306°. H. 129. 280; vgl. 267. AP. 
11, 94. P. 307, 40. 319, 49. 

mäze swf. H. 177. stf. H. 497. 

meit H. 801. 1097. 1153. mait 1186. 

michel. ein michel teil H. 698. 551]. 451. 

mitalle H. 1186. ML. 139, 33. P. 35, 89. 191, 89. 601, 20. 657, 39. 

näch praep. H. 26. 34 und oft. πᾶ 357. nöch 396. 637. 925. 
1059. 1261. 

neigen swv. 865. 1071. mit töde neigen H. 740. P. 36, 42. Das 
Mhd. Wb. II!, 352* führt kein zweites Beispiel dieser Wendung auf. 

nichtesnicht H. 218. 610. 1964. Besonders beliebt im Passional: 
AP. 7, 41. 12, 28. 185, 4. 189, 44. ML. 41, 26. P. 10, 80. 88. 21, 87. 
29, 49. 123, 38 u. sehr oft. 

nit H. 670. 

beide haz unde nit H. 436. P. 65, 16. 224, 4. 

ordenunge. vremde ordenunge H. 593. P. 659, 51. 

prisen für brösen. H. 1141. Vgl. P. 527, 32 und Mhd. Wb. IT', 534”. 

rät H. 240. 259 u. oft. röt H. 236. 
| rote ein Lieblingswort des Dichters H. 1347. 1903. AP. 318, 58. 
85. 322, 44. ML. 14, 165. 26, 146. 35, 23. P. 5, 27. 9, 66. 20, 59. 40, 
81 u. fast auf jedem Blatte. SSI. 140. 815. Vgl. Z. 132. 

sän zühant H. 782. 1141. AP. 26, 45. 45, 67. 46, 67 u. oft. ML. 
73, 90. 143, 136. 184, 290. 186, 354. 187, 367. 198, 100. P. 497, 28 
u. oft. SSI. 429. 589. VB. 35°. 35°. 37° u. oft. Vgl. Mhd. Wb. π΄, 1”. 

scharf : warf ein Lieblingsreim. H. 643. 1858. AP. 13, 67. 181, 
72. 317, 59. 319, 49. 58. 320, 68. 323, 74. ML. 8, 5. 59, 5. 147, 245. 


HESTER. 303 


196, 47. 251, 353. P. 32, 70. 39, 82. 93. 52, 27. 83, 33.. 92, 27. 182, 
88 u, sehr oft. 
scheiden. zü hüse scheiden, im Mhd. Wb. II®, 97° nur ein Mal 

aus dem Passional belegt. 

darnäch ieglich zü hüse schiet H. 122. 

vrölich heim zü hüse schiet ML. 27, 154. 

der ritter dö zü hüse schiet ML. 143, 130. 

hie mite ieglich zü hüse schiet P. 9, 38. 

dä mit er heim zü hüse schiet VB. 144°. 


schöwen H. 205 scheint die Erklärung durch "zur Schau stellen, 
zeigen‘, niederl. schouwen, engl. to show, zu erheischen, doch belegt 
das Mhd. Wb. keinen solchen Fall. 

schricke stf,, im Mhd. Wb. II?, 211” zu P. 61, 25 zweifelnd an- 
geführt, findet seine Bestätigung H. 769. 

schrien. praet. schr@ H. 785. Daneben schriete H. 776. AP. 62, 
78. 67, 30. P. 48, 50. 264, 67. 

secte im Mhd. Wb. II?, 234” außerhalb des Passional nur ein Mal 
belegt. H. 596. 727. AP. 360, 78. P. 121, 42. 128, 62. 84. 129, 61. 
485, 43. 596, 39. 678, 45. Doch vgl. Barl. 284, 24. 

slacht stf. H. 1911. AP. 78, 38. P. 3, 49. 124, 70. 197, 47. Im 
Mhd. Wb. 115, 388" sonst nicht belegt. 

snaben H. 1096. Ein Lieblingswort des Dichters; s. Z. 133. 

sprewen H. 1032. gespreit H. 798 dürfte wohl eine Verwechslung 
von sprewen u. spreiten sein. 

sulm. praes. 3. sg. sal als Regel, sol im Reim 895. 1420. 

t mit c gereimt: pflac : Achat. H. 822. Vgl. Z. 12 Note.» 

trürekeit. die οἷο der trürekeit H. 1140. 

mit grözer trürekeit H. 784. 
mit vil grözer trürekeit P. 90, 51. 

Im Mhd. Wb. III 124° nur wenig belegt. 

trürlichen H. 1464 nur noch P. 151, 60, belegt; 5. Mhd. Wb. 
II, 124°. 

tüsunt im Reim H. 1867. P. 65, 93. 

uberie sin ce. gen. H. 1538. AP. 119, 27. P. 109, I. Nur wenig 
belegt im Mhd. Wb, III 1173", 

ubertreten übertreffen H. 102. AP. 103, 48. 373, 34. P. 176, 45. 
415, 32. 8. Mhd. Wb. III 99". 

üfbrechen. H. 484. AP. 208, 45. 349, 78. ML, 224, 372. P. 40, 10. 
S. Mhd. Wb. I 240". 

Afhaben. H. 1156. Die corrumpierte Schreibung der Hs, läßt übri- 
gens eben so, gut eine Änderung in üfhalden zu. 

üftreten. H. 81. AP. 25, 87. ML. 21, 4. 16. P. 279, 96. 


304 KARL SCHRÖDER 


von im niht verre lac ein stat 
die gegen einander üf trat 
mit urlüges vintschaft VB. 35°. 
Vgl. P. 783; sonst im Mhd. Wb. III 97° nur noch ein Mal bei 
Jeroschin belegt. 
ummerinc ein Lieblingswort des Dichters. H. 956. S. zahlreiche 
Stellen Mhd. Wb. 11’, 708. 
ummeswanc stm. Umfang, Fülle. H. 1160. AP. 159, 39. P. 114, 
56. 440, 39. 445, 54. 447, 98. In dieser Bedeutung nur im Passional 
belegt; 5. Mhd. Wb. 15, 806”. 
underbrechen. H. 1100. AP. 37, 49. ML. 175, 52. 204, 274. Sonst 
nicht belegt; 5. Mhd. Wb. I 246°. 
ungehöret part. adj. unfolgsam H. 599. In dieser Bedeutung im 
Mhd. Wb. nicht belegt. 
ungehörsam. H. 235. Im Mhd. Wb. I 714° nicht belegt. 
ungüte. H. 1458. AP. 319, 51. P. 323, 78. Z. 16, 3. Im Mhd. 
Wb. I 591° nur ein;Mal belegt. 
unholde swm. im Mhd. Wb. I 704” wenig belegt. H. 443. P. 70, 
72. 314, 39. 602, 88. 667, 88. 
uns: suns ein für das Passional charakteristischer Reim. H. 2005- 
AP. 3, 36. 19, 21. 127, 12. 146, 74. 154, 15 u. öfter. VB. fol. 1 drei Mal. 
unse = unser H. 1047. 1564. 1945. 
unvlät stf. ein Lieblingswort des Dichters. H. 74. 1110. AP. 233, 
72. ML. 81, 105. 123, 133. 167, 425. 178, 121. Zahlreiche Beispiele 
P. 789. VB. 26°. 26°. 27°. 43°, 145°. 158%. Vgl. Z. 136. 
unvrö sehr beliebt im Passional. H. 555. 730. 850. 1497. AP. Ὁ, 
20. 91. 16, 25. 185, 29. 316, 88. 322, 20 u. oft. ML. 60, 41. 130, 63. 
145, 191. P. 8, 15. 28, 35. 108, 72. 113, 41 u. oft. 
unvrume swın. H. 1208. 
zü vil grözem unvrumen VB. 40". 
Fast nur aus dem Passional belegt Mhd. Wb. III 430”. 
unzubrochen adv. H. 398. Außer AP. 3, 20 nur einmal belegt 
. Mhd. Wb. 1, 247°. 
verkören. part. verkart H. 49. 1190. 1453. verk@ret H. 229. 
versehröten. prät. verschriet (:diet) H. 1878. ML. 252, 387. P. 60, 36. 
117, 44. 242, 87. 531, 12. 
versmö@nisse H. 1123. 
τς χη der werlde versmönisse VB. 149°. 
Im Mhd. Wb. 115, 423° fehlend. 
vlözougen H. 1535. Im Mhd. Wb. II!, 453° nur mit P. 610, 16, 


688, 1 belegt. 


HESTER. 305 


vollenseit H. 1318. 
als er daz h&te vollenseit VB. 28°. 
Oft im Passional: AP. 8, 22. 15, 86 u. 5. f. ML. 116, 54. 139, 10. 
P. 44, 1. 662, 68 u. oft. 
vöor = vär H. 1473. 
vreudenriche H. 1009. AP, 24, 49. P. 8, 50. 31, 20. 194, 45. 
bi dir ein vreudenrichezg leben VB. 144”. 
vruntschaft stf. freundschaftliches Beisammensein, Gastmahl, Ge- 
lage? H. 127. Oder ist wirtschaft zu lesen? 
vügen refl. gehört zu den vom Dichter mit Vorliebe gebrauchten 
Wörtern. 
nü vügete sichz zeimäl alsus H. 103. 
nü vüzete sichz in der zit H. 435. 
nü vügete sichz dö Aman H. 1290. 
ez vügete sich in einer zit AP. 22, 86. 
nü vüzete sich in einer nacht AP. 312, 87. 
nü vügete sichs üf einen tac AP. 316, 3. 
nü vügete sich es daz er geriet AP. 319, 43. 
zeimäl vügete sichz alsö AP. 359, 81. 
nü fügte sichz hie under ML. 128, 6. 
ouch vügete sichz in einer zit P. 20, 64. 
P. 26, 36. 169, 78. 201, 88. 264, 89. 307, 18. 321, 69. 327, 57. 485, 32. 
616, 41. ML. 41,7. 48, 16. 140, 42. 144, 174. 155, 70. SSI. 155. 
ez vügete sich in einer zit VB. 55”. 
man liset von sente Jerönimö 
daz sichz zeimäl vügete alsö VB. 140°. 
nü vügete sichz in eime tage VB. 143”. 
weinde = weinende H. 1638. P. 11, 55. 342, 29. Vgl. ML. 10, 51. 
den töden weinde er kuste VB. 151%, 
wibesnam stn. ein Lieblingswort des Dichters. H. 137. AP. 5, 77. 
150, 66 u. oft. ML. 140, 58. 143, 142. P. 11, 4. 62, 48. 65, 87. 245, 29. 
287, 9. 320, 7 u. oft. j 
wie dort her gie ein wibesnam VB. 25. 
daz nieman vur ein wibesnam 
sie grüzte VB. 146°. 
wie sie was ein wibesnam 157°. 
Vgl. Z. 139. 
widergelt H. 143. P. 110, 6. 432, 43. Ich finde im Mhd. Wb. I 
524* keinen entsprechenden figürlichen Ausdruck. 
 widersatz : schatz ein beliebter Reim des Dichters. H. 628. AP. 
67, 93. P. 15, 45. 211, 46. 296, 5. SSI. 351. 686. Z. 23, 69. 
wildekeit H. 1198. P. 163, 77. Selten belegt: s. Mhd. Wb. III 668*. 


GERMANISTISCHE STUDIEN. 20 


306 


KARL SCHRÖDER 


willekur. 
näch irre zuchte willekur H. 1170. 


näch 

näch ires herzen willekur AP. 47, 25. 
näch gütes herzen willekur AP. 84, 4. 
näch siner vreude willekur P. 9, 7. 
näch sines vrumen willekur P. 20, 80. 
näch ires vater willekur VB. 143%. 


sines herzen willekur AP. 44, 94. P. 33, 13. 


AP. 12, 74. 17, 72 u. oft. ML. 44, 95. 121, 69. 225, 393. P. 11, 79. 
22, 32. 222, 15. 266, 17 u. oft. Sonst im Mhd. Wb. I 829” nicht viel 


belegt. 


wolgestellet H. 326. Das Pass. hat wolgestalt P. 187, 14. 

zirheit H. 1030. 1478. P. 128, 14. 240, 29. 282, 36. 403, 77. 449, 3. 

Im Anschlu) an dieses Verzeichniss, welches gewiß augenfällige 
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen darlegt, lasse ich nach Ordnung 
der Verse von H eine Reihe vergleichender Verse folgen, deren Ver- 


wandtschaft über den bloßen Wortlaut hinausgeht. 
ILS ἡ. 


H. 56. 


H. 178. 
H. 187. 


H.231 


H.283: 
H. 287. 


In Jesü Christi dem süzen 
namen, 

dem minneclichen lobe- 
samen 


des ich zü schribene willen 
hän. 

wan ires herzen wise grift 

dä bi sal den rechten wec 

wanderen äne sunden vlec. 


darzü in die gewonheit 
twanc. 

er hiez sine knechte 

näch ir dienstes rechte 


und alles lobes entsetzet, 

daz were an im geletzet 

als ich mich dran versinne 

daz sie von hinnen vurder 
me 


AP. 3, 58. 
AP. S3087. 
ML. 96, 49. 
VB. 38. 
VB ar 
AP. 322, 88 
AP. 53, 48 
ML. 196, 55 
P. sı, 1] 
P.311, 5 


Sus biede ich dich in 
sime namen, 

dem minneclichen lo- 
besamen 

Jhösü Christi etc. 

des ich zü schribene 
hän gedächt. 

ein munich äne sun- 
den vlec 


wanderen fur die 
burce den wec. 
ouch lerte er uns 


manigen wec, 
daran wir der sunden 
vlee 
vermiden. 


.er dächte, ez were 


ein rehter wec 
zu wanderen äne sun- 
den vlec. 


.ir gewonheit si des 


twanc. 
. als die güten knechte 
näch ir  dienstes 
rechte 


. an &ren unde geletzet, 


daz er was entsetzet 


. alsich mich versinne 
. der töt hinnen vur- 


der m& 


ΠῚ 


. 569. 


. 615. 


727: 


. 814. 


. die nämen 


HESTER. 


allenthalben 
war 


. doch müste er bliben al 


dävur 


. als ich üch bescheide 


Aman von swinden listen 
was 


darumme was mit büch- 
staben 

sin heimelich ingesigel ir- 
graben 


von andere lüte secte. 
x : 
üf daz er sie entecte etc. 


. die alden und die jungen 


slahet mit ir samenungen 


. swaz des ieglicher mac 


gelesen 


. die brive wurden wit zu- 


sant 


. durch waz hät des kuniges 


zorn 

in unschult unsern töt ge- 
sworn 

ir argeten die mere 


VB. 
ML. 176, 
Pr 50,231. 
Pi 320033. 
361, 2 
P. 313, 14. 
ML. 107, 41. 
551. 666. 
P. 596, 39. 
AP. 11, 51 
VB. .ı, ‚38% 
VB. 148". 
VB. 1443 
P. 314, 54. 
P. 485, 91. 
VB. 854, 


307 


148’. nam man ir allent- 


halben war. 


79. sö solde er bliben al 


dä fur 

als ich üch wil be- 
scheiden 

wes ich dich hie be- 
scheide 


. er ist von listen swin- 


den 


mit valsche ein harte 
swinde list 
daz ouch als mit 
büchstaben 
in sin herze wart er- 
graben 
mit alsö schönen 
büchstaben 
ist daran wol er- 
graben 


des ungelouben secte, 

üf daz er icht entecte 

ir valsch mit rechter 
lere 


. beide alt unde junge. 


dö machte eine sam- 
nunge 


. beide alt und junge 


mit grözer samen- 
unge 

beide alde unde junge 
ein michel samen- 
unge 


.in einer samenunge. 


er sprach “alde unde 
junge’ 

swaz er mochte sin 
gelesen 

die brieve wurden al- 
zühant 

vollen wite zusant 

bekente wi der gotes 
zorn 

hete sinen ἰδὲ ge- 
sworn 


P. 40, 57.dö argeten in die 


möre 


20* 


308 


824. 
908. 


931. 
955. 


962. 


995. 


Η. 997. 


Η. 1012. 
H. 1026. 


959. 


KARL SCHRÖDER 


und ervar mir sinen sin 
ir liechten ougen beide 
wurden vol von der vlüt 


di ir gab ir beswerter müt 


er und die gemeine schar 
mit helfelichen trüwen 
wolde an in vernüwen 
dine höe majestas 

die ie äne angenge was 


dir ist nicht beslozzen vor 


sie wollen an uns din erbe 
machen unbederbe 


dine diet 
die din wiser rät üz schiet 


und zeime gote nennen 


ir schöne antlitze gar be- 
803 


P. 496, 97 


. wand im argeten die 
mere 


VB. 27°. im argeten die m£re 
P. 112, 90. die erzede ervüren 
sinen sin 
ML. 201, 194. hie von wart ἂς ge- 
gozzen 
durch sine ougen die 
vlüt. 
dö sin betrübter müt 
VB. 149°. ir ougen wurden 
beide vol 
von des jämers vlüte 
us 35’. dö sprach die ge- 
meine schar 
P. 45, 48. dag got alsus ver- 
nüwen 
sin trüwe an in dä 
wolde 
AP. 2, 29. din vollekumene ma- 
jestas 
die ie äne anegenge 
was 
ML. 230, 544. der im nü ist be- 
slozzen vor 
P. 193, 62. beslöz er allen sun- 
den vur 
P. 103, 43. anhabe und oucherbe 
wirt uns nü unbe- 
derbe 
P. 387, 3. sin güt unde sin erbe, 
ez wartim unbederbe 
VB. 148°. von ir und hät min 
erbe 
gemachet mir unbe- 
derbe 
ML. 212, 35. an allem sinem erbe: 
sö gar unbederbe 
P. 169, 20. üfdie geloubigen diet 
die unser herre αὖ üg 
schiet 
P. 483, 4. got unser herre wol 
üz schiet 
die dirne. 
Ζ. 57, 75.und dich ze gote 
nennen 
ML. 176, 68. sin antlitze gar be- 


803 


HESTER. 


H. 1038. lac sie üf blözer erden 
H. 1195. wand got an im worchte 


daz er sere vorchte 


H. 1390. und vrägete sie der mere 


H. 1412. in sunderlich lib habe 

H. 1537. an ir herzen tougen 

H. 1553. dö sach der kunie sich be- 
neben 

H. 1955. die wollen uns berouben 


. der minne und des ge- 
louben 


VB. 
ssı. 
ML. 147, 
ML. 201, 
P. 205, 
VB. 
551. 
551. 
ML. 115, 
ML. 130, 
VB 
VB 
551. 
ΑΡ. 126, 
P. 17, 
P. 19, 
Ῥ 23, 
P. 36, 
1 ἐν ἢ 


150". 


904. 
243. 


179. 


23. 


309 


daz sie ir antlitze be- 
863 

üf der blözen erden 

diz wunder an im 
worchte, 

dazsin starke vorchte 
etc. 

die sträle höher 
vorchte. 

die sache ouch an im 
worchte 


.got von genäden 


worchte 
daz sich der keiser 
vorchte 


. dieleidean ir worhte, 


wan sie des meldens 
vorhte 


. diu angest und diu 


vorhte 
an manigem dö 
worhte 


. wan er ein teil sich 


vorhte. 
die nöt an im worhte 


. und vrägeten sä der 


mere 


. der vrägte in sä der 


mere 


. ervrägetein der mere 
.er vrägete sie der 


mere 


‚wan ich iuch sunder 


liep hän 


. in ir herzen tougen 
. in ir herzen tougen 
. dö sach der cristen 


sich beneben 


‚nü sach der vater 


sich beneben 


. niwan durch iren ge- 


louben, 

wand si sich nicht 
berouben 

des wolden lägen. 

in dem man iren ge- 
louben 

dächte an in be- 
rouben 


310 KARL SCHRÖDER 


P. 682, 22.er hofte noch be- 


rouben 
sie von dem gotes 
gelouben 
H. 1966. läz an uns werden nüwe ML. 133, 146. läg an mir werden 
nüwe 
H. 1967. daz dir der name ist an- ML. 86, 81.die durch uns den 
geleit namen treit 
müter der barmherzekeit müter der barmher- 
zikeit 
1997. daz dü durch sie den na- 133,139. wan si den edelen 
men treist namen treit 
müter der barmherzekeit müter der barmher- 
zikeit 
2001. dag vüget nicht dem na- 133, 157. wie din lob den na- 
men men treit 
ἘΠΕ Te Υρ τ ὁ τ τνο νοι τ τον müter der barmher- 
zikeit 
müter der barmherzekeit 227, 444. müter der barmher- 
zikeit. 
nü übe an mir disen 
namen. 
229,512. dag ich der barm- 
zikeit 
ein müter wesen sol 
genant 
H. 1967. ey vröwe güt, nü heile AP. 8, 59.ey vröwe güt, nü 
lüchte 
H. 1985. stant üf, dü reines herzen VB. 30°. ὃ dü sele, gotes trüt, 
trüt, 
dü minnecliche gotes brüt ὃ dü minnecliche 
brüt. 


Zingerle p. 10 hat darauf aufmerksam gemacht, daß es eine Eigen- 
thümlichkeit des Dichters des Passional und des Väterbuches ist, zwei 
Reimpaare mit gleichlautenden Reimen sich folgen zu lassen. Diese 
Eigenthümlichkeit begegnet auch in unserem Gedichte: 375 fl. 755 ff. 
1223 fi. 1288 ff. 1318 ff. und da die Bindung von 5 und 3 nichts Un- 
gewöhnliches ist (Weinhold Alem. Gr. $. 188. Bair. Gr. $. 161), so 
dürfen wir getrost auch 429 ff. und 789 ff. hierher rechnen. Eine 
andere Eigenthümlichkeit des Reimes, für die ich allerdings im Pas- 
sional keine Analogie kenne, betrachten wir weiter unten. 

Was wir im Bisherigen ausgeführt haben, wird hinreichen, um 
Jedem den Gedanken nahe zu legen, dafs der Dichter des Passional und 
des Väterbuches auch die Hester verfasste. Selbst der Bedächtigste und 
Zurückhaltendste wird wenigstens das zugeben müssen, daß unser 


HESTER, 311] 


Gedicht keine Zeile enthält, die Jener nicht geschrieben haben könnte. 
Daß unsere Hs. noch ein Gedicht enthält, welches notorisch dem Pas- 
sional entnommen ist, kann freilich an sich kein Beweis sein, darf aber 
immerhin mit in Betracht gezogen werden. Und, fragen wir, wäre es 
denn nicht in der That verwunderlich, wenn ein Dichter, der seine 
ganze Kraft religiösen Stoffen widmete, nie darauf verfallen wäre, eine 
Episode der alttestamentlichen Geschichte zu behandeln? Wir können 
aber auch einen Schritt weiter gehen und eine Stelle des Passional 
eitieren, die einem directen Eingeständniss der Autorschaft unserer 
Hester sehr nahe kommt. Man betrachte nur folgende Verse P. 244, 66 ff.: 

gotes gerichte was dä recht 

der ie bi sinen ist gewesen, 

als wir ouch dort hän gelesen 

von dem güten Mardoch&6: 

ein böser vurste wart des vrö 

daz er zü schanden sachen 

liez einen galgen machen 

die nacht unz an den morgen, 

dö wolder län erworgen 

Mardoch&um den alden. 

diz wolde got üfhalden 

durch sin selbes £re. 

dö nam ouch ummek£re 

geluckes rat unde giene, 

daz Mardoch£us jenen hienc 

der in gedächte hengen. 

Das ist dieselbe Historie, das sind dieselben Reime und Worte 

ΤΣ 1355, ff. 


zü hant dö liez er veste 

alle die nacht machen 

einen galgen zü den sachen 
und der Reim morgen : erworgen; dö nam ummeköre geluckes rat ent- 
spricht H. 1629 sus karte gotes rät herum. Es kann kein Zweifel sein, 
daß dem Dichter des Passional bei obigem Abschnitt die Hester vor- 
lag oder bis auf Wort und Reim im Gedächtniss war; die Hester ist 
aus Einem Guß, das muß Jeder zugeben, und ganz dasselbe gilt vom 
Passional: die aus der Hester entnommenen Verse sind vollständig im 
Ton und in der Weise des Passionals gehalten, kein Wort macht den 
Eindruck des Entlehnten oder Eingeflickten. Diefß Alles im Zusammen- 
halt mit allem oben Ausgeführten lälst keinen Zweifel bestehen, daß die 
Hester ein früheres Werk des Passionaldichters ist, und nun fassen wir 
auch die Worte: als wir ouch dort hän gelesen, noch schärfer im Sinne 


312 KARL SCHRÖDER 


eines modernen ‘wie wir oben sahen’ oder ‘wie wir an einem andern 
Orte ausgeführt haben‘. 

So ist also die Hester jedenfalls vor dem dritten Buch des Pas- 
sional gedichtet. Ob etwa die Hester das Erstlingswerk des Dichters 
war, der die ganze biblische Geschichte in ihren Hauptmomenten dar- 
stellen wollte; der sich für die Genesis darauf beschränkte, eine vor- 
handene Vorlage nur umzudichten, dann aber, wo er keine Vorlage 
mehr fand, selbst an die dichterische Arbeit gieng, — das sind Ver- 
muthungen, die ich mit allem erdenklichen Vorbehalt gebe, die aber 
immerhin, da sie doch nicht ganz auf’s Blaue gestellt sind, so viel Berech- 
tigung haben wie andere Vermuthungen. Die Einleitung der Hester 
dürfte meiner Ansicht kaum entgegenstehen. Als dü mich lange häst 
gebeten, so redet der Dichter Christum an; das kann ohne Zwang so 
gedeutet werden: ‘die eigene Erkentniss, dafs die biblische Diehtung 
nur geringe Pflege gefunden hat, ist mir wie eine Bitte von deiner 
Seite erschienen, Hand an dieß Werk zu legen; ich habe lange ge- 
zögert, jetzt aber ist die Zeit angetreten, in der ich deiner Bitte und 
Aufforderung nachkommen will. Dais ich’s so langsam erbebe, das hat 
seine Gründe; nun will ich nach deinem Willen das Buch Hester dichten’. 

Dieser Auffassung könnte vielleicht noch ein Moment zu Hilfe 
kommen. Man kennt die Liebhaberei des Passionaldichters, von Zeit 
zu Zeit, und zwar nicht am Ende eines Abschnittes, sondern im Ver- 
laufe des Gedankens, ein Paar von dreimal gereimten Versen einzu- 
fügen. Diesen Gebrauch kennt die Hester nicht, wohl aber findet sich 
v. 1796 ff. ein zweifelloser dreifacher Reim, und den corrumpierten 
Text v. 1277 ff. weiß ich nicht anders herzustellen als durch die 
Annahme von wiederum dreifachem Reim. Einerseits im 12. Jahrh. und 
andererseits noch später in der niederdeutschen Litteratur ist dieß Ver- 
fahren nicht ungewöhnlich: namentlich Gotfrid Hagen und die Soester 
Fehde bieten Beispiele davon. Daß eine solche Reimerei, wenn man sie 
nicht wie Wirnt von Gravenberg, Heinrich von Krolewitz u. A. systema- 
tisch betreibt, eine Roheit ist, liegt auf der Hand. Denkbar wäre nun, 
daß zu dieser Erkenntniss der Dichter nicht gleich kam, sondern erst in 
folgenden Dichtungen, und dafs er dann, wenn er doch auf dreifachen 
Reim, der manchmal recht bequem sein mochte, nicht prineipiell ver- 
zichten wollte, die entstehende Dissonanz in einem zweiten Dreireim 
auflöste. Hierbei kann ich freilich nicht verschweigen, daß bei der 
ersten der angeführten Stellen mir der Zusammenhang etwas gestört 
scheint: an v. 1792 f. von des — lebe schließt sich das “und Hester’ 
nicht gut an. Darf man annehmen, daß hier ein Vers ausgefallen ist, 


HESTER. 313 


der auch auf in reimte? dann hätten wir zwar an unserer Stelle die 
gewünschten zwei Dreireime, aber dann müßte auch oben v. 1276 
wieder ein ausgefallener Vers angenommen werden, und dort ist nach 
Herstellung von v. 1277 der Zusammenhang ohne Tadel. Dieser Schwierig- 
keit gegenüber resigniere ich mit den Worten des Väterbuches: 

hie belibet unzerlöset der knote, 

er ist zü hö gebunden. VB. 1". — 

Über die Person des Dichters bietet auch die Hester keinerlei 
Andeutung. Daß derselbe ein Geistlicher gewesen sei, hat man aus 
den Worten: waz ich hüte predegen pflege (ML. XI) schließen wollen. 
Muß man dieses predegen ganz wörtlich nehmen? Kann man nicht 
eine modificierte Bedeutung annehmen, wie sie z. B. in stark ironischem 
Sinne im Helmbrecht 561 vorliegt? Wir wissen, daß der Dichter seinen 
Namen absichtlich verschwieg, weil er tummen spot und ergerunge zu 
finden fürchtete oder wirklich fand. Also daran, daß ein Geistlicher 
biblische Stoffe behandelte, sollte seine Umgebung oder überhaupt die 
Welt Anstoß genommen und den Dichter mit Spott behandelt haben? 
Das scheint doch zu auffallend. Anders hingegen, wenn er ein Ritter 
war; einem solchen gegenüber konnten weit eher Standesgenossen und 
Bekannte sich versucht fühlen, ihrer spöttelnden Mißbilligung über 
geflißentliche Abwendung von ritterlicher Dichtung Ausdruck zu geben. 
Das ist jedenfalls unverkennbar, daß der Dichter sein Vorbild in einem 
Ritter fand, nämlich in Rudolf von Ems. Daß sich die ganze Art 
und Weise des Dichters in hohem Grade der Ordensdichtung nähert, 
ist oft hervorgehoben worden, wenn gleich deutliche Beziehungen zum 
Orden nicht nachzuweisen sind. Interessant ist und könnte vielleicht 
unter Umständen einmal den Werth eines Argumentes bekommen, daß 
die Hs., welche die Hester und den Patricius überliefert, auch die 
Privilegien des deutschen Ordens enthält. 

Als die Quelle des Dichters werden wir wohl die Vulgata anzu- 
sehen haben. Den Guten die Schrift zu schreiben, ist ja das was der 
Dichter als Ziel hinstellt (v. 54.). Freilich beschränkt er sich nicht auf 
die Vulgata, sondern zieht auch den Josephus zu, wo dieser Angaben 
enthält, die in der Vulgata fehlen; das ist der Fall mit der Notiz, daß 
Aman von Geburt ein Amalekiter gewesen sei (v. 545 ff.), wovon die 
Vulgata nicht redet, was aber Josephus als parenthetische Bemerkung 
einflieht: etenim a natalibus erat Judeis infensus, quia genus Amaleci- 
tarum, ex quibus ortus erat, ab iis perditum fuerat. (Antigg. ΧΙ, 6, δ.) 
Vom Dichter des Passional wissen wir auch, daß er den Josephus 
kannte: der büche meister Jösephus hät gesprochen alsus (AP. 266, 


314 KARL SCHRÖDER 


16), wie er ja überhaupt seine Bücher nicht äne grözen ummesüch 
dichtete (P. 690, 3.). Wäre der Josephus die einzige Quelle gewesen, 
so würden die angeführten Eigennamen anders gelautet haben: Assuerus 
(H. 59) ist die Schreibung auch der Vulgata gesenüber Artaxerxes bei 
Josephus; Manicha (H. 256) heißt in der Vulgata Mamuchan, bei 
Josephus Muchaeus; Achat (H. 822) ist Athach in der Vulgata, eine 
Änderung, die in der immer Verwechselungen unterworfenen Form des 
th und ch der Handschriften ihre Erklärung findet, Josephus hat Achra- 
theus; Zares (H. 1505) wie in der Vulgata, dagegen Zaraza bei Jose- 
phus; endlich Arbona (H. 1602) gegen Harbona der Vulgata und Sabu- 


chadas bei Josephus. So ist also die Beiziehung und Benützung des. 


Josephus eine nur beiläufige; selbst ein wichtigeres Moment, welches die 
Erzählung des Josephus von der Vulgata vortheilhaft unterscheidet, 
blieb unberücksichtigt: Josephus nämlich motiviert die Weigerung der 
Vasthi, vor den Gästen des Königs zu erscheinen, eine Weigerung, die 
nach der Vulgata 'einfacher Ungehorsam wäre, mit den Worten: illa 
vero reverentia Persarum legum, quae ab alienis spectari mulieres 
vetant, ad regem se non conferebat. Von 75000 Mann, welche die Juden 
erschlagen haben sollen (H. 1867), wissen weder die Vulgata noch Jose- 
phus: beide geben nur die Zahl der in Susa selbst getödteten Feinde 
an, und zwar übereinstimmend 500 Mann; die zweite Angabe von 300 
(H. 1897) stimmt mit den Quellen. 


Nachtrag. 


Unser Dichter in den Schlußversen seines Werkchens zieht den 
König Ahasver auf Christum. Ob diese Deutung schon vor ihm ge- 
läufig war, weiß ich nicht*); aus etwas jüngerer Zeit fällt mir ein Bei- 
spiel in die Hände, welches hier beiläufig seine Stelle finden mag. 
Heinrich von Nördlingen, der bekannte Mystiker, schreibt an Marga- 
retlıa Ebnerin, Klosterfrau zu Maria Medingen, Predigerordens, folgen- 
dermaßen**): Darüber so frag ich die lautter gewissen die got selber 
frey und fro gemacht hat, das du on irrung zu im gon getarst und er 
‘sich selber dir so lieblich erzaigen ist, als ob er sprech zu dir als 
kung Assuerung (sic!) sprach zu Hesster da sie in vorcht und ab 
sinen entstelten antliz erschrocken was das sye nidersaig. (stat da ge- 


*) Vgl. etwa MSH. I 28, 
*%*) Heumann Opuscula. Norimb, 1747. p. 356. 


HESTER. 315 


schriben als unsser liebe kind und unser schuler wol wissent: die hais 
dir die histori al lesen und betütten, wan ich getraw got das sie die 
in gaistlicher verstäntnusse wol ze hülff kum in dem hailligen gaist.) 
dise vorcht gefiel dem künig und er bot ir sin küniglich zwey ze küssen, 
er staind auff von sinen küniglichen stull und umbvieng sie und wider- 
bracht sie in siner schosse und sprach zu ir: ‘Hesster, was wirt dir? 
fürcht dich nit, ich bin din bruder. die gebott werdent geben und 
gemacht über die die undertenig sin süllen: so regnirestu mit mir. 
merck es wol’. und er sprach zu ir: ‘beger was du wilt! und die edel 
Hester....die begert nit anders wan das der küng geruchet mit ir zu 
essende....und darumb, seider dir von der milden barmhertzigkeit 
dines lieben bruders und auch dines gewaltigen künigs Jhesu Christi 
geben ist mit ym zu regniren, der dich auch so dick berürt hatt mit 
dem küniglichen zwey seines hailligen crützes....bitte in, du liebe 
Hester, das er mit dir esse. 

Es könnte zur Frage stehen, ob der Schreiber das Gedicht von 
der Hester kannte. Ich wage nicht, diese Frage ohne Weiteres zu be- 
jahen, doch mag immerhin bemerkt werden, daß hier wie im Gedichte 
(v. 1185) das corruit der Vulgata mit nidersaig übersetzt ist; daß die 
Worte was wirret dir im Gedicht (v. 1242) fast ebenso lauten, wo die 
Vulgata quid habes setzt; daß endlich v. 1209 des Gedichtes: ist ober die 
‚vil gar gegeben die under diner wirde leben und die Stelle des Briefes: 
werdent geben über die die undertenig sin süllen, — sehr nahe zu- 
sammenklingen gegenüber der Vulgata: non enim pro te, sed pro 
omnibus haec lex constituta est. 


316 


Nachtrag zu S. 134—158. 


Eine Vergleichung unseres Bruchstückes mit dem von Guessard 
und de Montaiglon herausgegebenen Texte der bataille d’Aliscans, dem 
die Hs. Ar zu Grunde liegt, lehrt im wesentlichen nichts neues. Zu 
bemerken ist nur folgendes: ᾿ 

S. 146. Ο stimmt mit Ar noch I 98 -Ξ 4 (Ar;5351); 135. — 
5702 (Ar 5425); 143 — 5724 (Ar 5446); A — I (Ar 5556). — 
mit. BE 13: bb54; 76:—= 5585; 95 = 5621; 170 — .,5817: 11.741 
= 6092. 

S. 147. Die Lücke von Ar füllten die Hrsg. aus der Hs. 1448 aus, 
und diese stimmt hier ganz mit B überein und entbehrt ebenso des in 
B nicht enthaltenen. 

S. 149, 10 lies: OÖ gewährt davon I—6; es fehlen 7 und 8; vor 10 
bricht das Bruchstück Ar 

V gewährt nur 1. 2. 3. 10.9. 11. 


Ulrich von en erzählt 9 und 11 und spielt BL. 171° und 


219° der Kasseler Hs. auf 6 an. 

S. 149, 7 v. u. ließ: O ließ die Kämpfe 7 und 8 hinweg. 

S. 157. Zu III 93. V 5982 lesen die Hrsg. in Ar noirons el 
bloet noirois). V. 6266 hat die Hs. 1448 wie unser Bruchstück Zuton und 


bald nachher luitonel. Ar hat hier lutime (Jonckbloet las Zirame). Wolf- 


ram hat neitün 425, 30. Der Landesname Lutis auch in Garin de Mont- 
glane, Gautier, ep. fr. III 135. 

Zu IV, 113. Nach einer Mittheilung von Prof. Justi ist avride 
vielleicht“das’ Arabische y@ let oder y&@ ret Interj. wollte Gott! 


| 
| 


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GERMANISTISCHE STUDIEN. 


SUPPLEMENT ZUR GERMANIA. 


HERAUSGEGEBEN 
ΟΝ 


᾿ς Ἐν [οἰ BARTESCEE. 


ZWEITER BAND. 


WIEN. 
DRUCK UND VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN. 


1875. 


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URN τ 1 8 


ἀπ π| 0 HOAUAHEH 


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Inhalt. 


.-».»».-΄“ 


Seite 
Beiträge zum Nibelungenliede, Von Hugo Wislicenus. ..»... 2.2... 3 1 
Über die verschiedenen Gestaltungen der Partonopeus-Sage. Von Eugen Kölbing 55 
Die Eigennamen in Wolframs Parzival und Titurel. Von Karl Bartsch. . . . 114 
Zur Christherre-Weltehronik. Von Karl Schröder. . .. 2.2... 2.2.2... 159 
Meistersinger in Österreich. Von K. J. Schröer. ... 2.2.2 2222 0.. 197 
Die Fremdwörter in den bedeutendsten mittelhochdeutschen epischen Dichtwerken. 
Wan. Ok ἐπ ΘΗ ng ἐν ee rer re. cr 239 
BESSElumanens Von ANBübben a. 101. 2. “ons lan. -΄. 259 
Altdeutsches aus Schweizer Bibliotheken. Von Hermann Hagen. . ..... - 274 
Heinrich Steinhöwels Apollonius. Von K. Bartsch. ...: 22... er 300 


Nachtrag) zul Ss. 55 Mo. 2... ae Er Tr re 312 


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BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 


VON 


HUGO WISLICENUS. 


Vorbemerkung. 


Der talentvolle, durch ein trauriges Schicksal den Seinen und der 
Wissenschaft früh entrissene Hugo Wislicenus war in seinen letzten 
Jahren mit einer größeren Arbeit über das Nibelungenlied beschäftigt. 
Den betreffenden Nachlaß hat mir der Vater des Verstorbenen zur 
Durchsicht übergeben und mich bevollmächtigt, das geeignete daraus 
zu veröffentlichen. Das Material besteht aus zwei Quartheften "Vor- 
untersuchungen‘, die aber durch die ausführlichere Behandlung, welche 
in sieben Quartheften dem Liede Strophe für Strophe folgt, alle ab- 
weichenden Lesarten der Bearbeitungen verzeichnet und wenn nöthig 
bespricht, ebenso die Gründe Lachmann’s für Verwerfung von Strophen 
betrachtet, ihre Erledigung finden. Den Schluss bildet eine "Untersuchung 
der Handschrift a’, die aber keine neuen Resultate liefert. 

Wislicenus’ Absicht gieng hauptsächlich dahin, das Verhältniss 
der höfischen Bearbeitung C zum Original und zur sogenannten gemeinen 
Lesart nachzuweisen (vgl. die gedruckte Abhandlung über das Nibelungen- 
lied S. 135, Anm. 16). Da die Untersuchungen, wie aus allem hervor- 
geht, in den Jahren 1863 und 1864 gemacht sind (die Voruntersuchungen 
mögen etwas älter sein), mithin der Standpunkt, auf den meine “Unter- 
suchungen’ die Frage gestellt haben, und den Wislicenus in der ge- 
druckten Abhandlung (1866) theilt, nicht zu Grunde lag, so ist in der Be- 
sprechung der Lesarten und der Gründe, wefhalb der höfische Bearbeiter 
geändert haben soll, vieles unhaltbare, was der Verfasser bei erneuter 
Durcharbeitung des Stoffes umgestaltet oder beseitigt haben würde. 
Überhaupt ist die Form des Ganzen, eine fortlaufende Besprechung der 
Strophen und ihrer Lesarten, so wie der Lachmann’schen Kriterien, 
der Art, daß sie nur als Vorarbeit betrachtet werden kann. Der Ver- 

GERMANISTISCHE STUDIEN, IL, 1 


2 HUGO WISLICENUS 


fasser würde ohne Zweifel das Material nach allgemeinen Gesichtspunkten 
geordnet haben. 

Ich thue dieß, so weit überhaupt das Einzelne gereift und durch- 
gearbeitet erscheint, im Anschluss an die auf streng philologischem 
Wege gewonnenen Resultate meiner Untersuchungen. Im Ausdrucke 
habe ich manches verändert und gekürzt; es ist begreiflich, daß ein 
Concept manche Unvollkommenheiten, Breiten ete. aufweist; nicht min- 
der habe ich scharfe Ausfälle, die über das Sachliche hinaus giengen, 
getilst. 

Jetzt, wo die philologische Grundlage der Forschung gegeben ist, 
darf die ästhetische Betrachtungsweise als Verstärkung hinzutreten; 
und gerade nach dieser Seite scheint mir Wislicenus mit feinem Sinne 
begabt, während das philologische nicht seine Stärke ist und noch 
nicht genügende Beherrschung des Stoffes verräth. Ohne philologische 
Grundlage ist die ästhetische Betrachtung werthlos: ich habe sie daher 
von meinem Buche, welches die Frage vom philologischen Standpunkte 
erfasst, fast ganz ausgeschlossen. Sie zu verwerfen fällt mir nicht ein; 
aber sie kann neben philologischen Gründen immer nur eine unter- 
geordnete Bedeutung haben, weil es sehr schwer ist, einen Gegner 
durch ästhetisches Raisonnement zu überzeugen, während bei philo- 
logischen Thatsachen der Beweis des Richtigen und Unrichtigen leichter 
geführt werden kann. 

Wir betrachten den Stoff unter folgenden Gesichtspunkten: 

1. Die Zusatzstrophen in Ca. 

2. Die Zusatzstrophen in CHIOad. 
3. Die in A weggelassenen Strophen. 
4. Die in Ca fehlenden Strophen. 


5. Abweichende Lesarten. 
ROSTOCK, im April 1868. K. BARTSCH. 


I. Die Zusatzstrophen in Ca*). 


21, 5—8. E daz der degen küene vol wüehse ze man, 
dö het er solhiun wunder mit siner hant getän, 
dä von man immer mere mac singen unde sagen, 
des wir in disen stunden müezen vil von im gedagen. **) 


*) [Ihre Unechtheit ist aus philologischen Gründen erwiesen in meinen Unter- 
suchungen S. 310-314. K, B.] 
**) [Citiert nach meiner großen Ausgabe von 1870.] 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. B 


An sich ist die Strophe durchaus nicht schön, da alles, was sie 
sagt, platt, trivial, ohne eine Spur von poetischem Schwung ist, im 
Zusammenhange mit den übrigen Strophen aber noch weniger: die 
wunder verderben die folgende Strophe. Daß die Sagen aus Siegfrieds 
Jugendzeit dem Dichter bekannt waren (Holtzmann, Untersuchungen 
S. 19), braucht nicht erst erwiesen zu werden; die Bemerkung, daß 
hier viel von ihm verschwiegen werden müsse, ist höchst prosaisch, 
und überhaupt ist die Erwähnung der Thaten seiner Jugend hier ganz 
überflüssig, da später genug davon erzählt wird. Und nun der Zusammen- 
hang mit dem Folgenden. Die folgende Strophe fängt noch einmal von 
Siegfrieds Jugend an, ohne Beziehung auf die hier eingeschobene. Es 
ist darin im Allgemeinen von Siegfrieds Jugend die Rede, von seinen 
besten Zeiten; das ist einem Bearbeiter nicht genug gewesen, er hat 
die Erwähnung der Knabenzeit für nothwendig gehalten und deishalb 
die Strophe zugedichtet. Man braucht nur auf den Zusammenhang zu 
achten, um das Unpassende von 21, 5—8 zu fühlen. 20. Eines reichen 
Königs Kind, Sohn von Siegmund und Siegelind, wächst in Xanten 
auf. 21. Er hieß Siegfried, suchte viele Reiche auf, fand bei den Bur- 
gunden später schnelle Degen. [2], 5. Eh’ er voll zum Manne wuchs, 
hatte er solche Wunder mit seiner Hand gethan, daß man davon 
immerfort singen und sagen kann, davon müssen wir jetzt viel ver- 
schweigen.] 22. In seinen besten Zeiten, in seinen jungen Tagen konnte 
man große Wunder von Siegfrieden sagen, wie herrlich und schön 
er war. 

43, 5—8. In dorfte niemen schelten, sit do er wäfen genam. 
ja geruowete vil selten der recke lobesam 
suochte niwan striten. sin ellenthaftiu hant 
tet in zallen ziten in vremeden richen wol bekant. 

Die durchgeführten Mittelreime machen die Strophe verdächtig; die- 
selben erscheinen außer der Anfangsstrophe nur noch zweimal, 17 
und 102, sind also sehr ungewöhnlich. In © freilich häufiger; wenn 
aber gerade solche Strophen in den übrigen Hss. fehlen, so mul 
angenommen werden, entweder dafs ein Bearbeiter darauf ausgieng, 
sie wegzuschaffen, wobei unbegreiflich bleibt, warum er I, 17 und 102 
stehen ließ, oder umgekehrt, dafs der Bearbeiter von Οὐ gern immer 
Reime anbrachte.. Wenn indeß die Strophe schön und unentbehrlich 
wäre, würde der innere Reim kein Grund zum Zweifel sein. Aber sie 
ist schlecht und höchst überflüßig. Was sie enthält, ist schon. früher 
zur Genüge gesagt. Es scheint mir ein poetischer Versuch eines Um- 


arbeiters, dem das, was vorher von Siegfrieds Thaten gesagt war, nicht 
1* 


4 HUGO WISLICENUS 


genügte, der defihalb mehr sagen wollte, und doch nicht mehr heraus- 
brachte, als dunkle Andeutungen in schlechten Versen. Unmöglich kann 
ich die Strophe dem Dichter zuschreiben, der nichts sagen kann ohne 
lebendigen Inhalt. Wäre die Strophe echt, so wäre sie schwerlich von 
so vielen Hss. weggelassen worden, man müßte denn meinen, daß ein 
Schreiber, aus dem die andern schöpften, ein sichereres poetisches 
Gefühl gehabt hätte als der Dichter selbst. 


131, 5—8. Ze μον die schenen frouwen vrägten mxre, 

wer der stolze vremde recke wre. 

“sin lip der ist sö schene, vil riche sin gewant.’ 

dö sprächen ir genuoge “ez ist der künie von Niderlant’. 

Vorher gieng, daß er bei den Frauen gern gesehen war: diese 

Strophe ist nichts als eine weitere Ausführung dieses Gedankens. Sie 
führt zurück, denn die Frauen werden ja wohl, wenn er mit ihnen 
Kurzweil pflegte (Str. 131), seinen Namen gewusst haben. Sie stört auch 
den Zusammenhang von Str. 131 und 132: da er seinen Sinn auf hohe 
Minne gewandt hatte, so war er zu allem bereit; das schließt sich 
unmittelbar aneinander. Wohl Gründe genug, 131, 5—8 als Zusatz zu 
betrachten. Weßhalb zugesetzt wurde, ist leicht ersichtlich: der Be- 
arbeiter von C liebt breite Ausmalungen von höfischen Schilderungen, 
die ihm freilich meist sehr schlecht gelingen. 
272, 5—8. Er sprach ‘nu rätet alle, mäge und mine man, 

wie wir die höchgezite sö lobeliche hän, 

daz man uns drumbe iht schelte her näch dirre zit. 

ein ieslich lop vil state ze jungest an den werken lit.’ 


Die Strophe scheint 272 und 273 mit einander zu verbinden, 
ohne sie entsteht nicht eben eine fühlbare Lücke, obgleich allerdings, 
die Rede Ortwins etwas ex abrupto anfängt, doch nicht so, daß es 
störte. Ortwin als Truchsess kann dem Könige wohl einen solchen 
Rath geben, ohne gefragt zu sein. Leicht aber konnte ein um die Hof- 
sitte besorgter Bearbeiter des Königs vorangehende Frage nothwendig er- 
achten. Der Inhalt der Strophe ist unbedeutend: das Sprichwort am 
Schlusse ist nicht eben sinnreich angebracht und die Furcht vor dem Ge- 
 scholtenwerden ein überflüssiger Zusatz. Und nun, im Zusammenhange 
mit dem Vorhergehenden und Folgenden, erscheint die Frage Gunthers 
doch gar zu absichtlich, als ob Frage und Antwort vorher verabredet 
wäre. Da Str. 272 gesagt ist, Gunther habe wohl bemerkt wie Siegfried 
Kriemhilden liebe, und gleich darauf seine Frage stellt, so scheint sie 
schon in der Absicht gestellt, Gelegenheit zu finden, um beide zusammen- 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. ἢ 


zubringen, und da nun die Antwort gerade seine Absicht ausspricht, 
so macht das den Eindruck eines abgekarteten Spieles, was jeden- 
falls der Würde des Königs nicht entspricht und nicht poetisch ist. 
Mag das nun derjenige, der die Strophe gedichtet, bemerkt und 
beabsichtigt haben oder nicht, schwerlich wird Jemand, der sie ohne 
Vorurtheil ansieht, sich diesem Findrucke verschließen können. Ganz 
vortrefflich dagegen ist, wie der kecke Ortwin selbst auf den Einfall 
kommt und ihn sogleich dem König mittheilt; er wünscht selbst die 
wonniglichen Kinder zu schauen. Sehr sonderbar ist auch, daß der 
König die Frage erst gethan haben sollte, als der erste Tag des 
Festes schon angebrochen war. 

325, 5—8. Schon Strophe 325 ist in C umgeändert: © nimmt 
die Mären in dem Sinne: ‘es geschah zu Worms Neues, was viel 
von sich reden machte’. Das ist nun doch weit weniger schön, lebendig 
vorwärtstreibend, weit weniger im Geist des Epos, als daß neue 
Kunde aus der Ferne nach Worms kam und damit die Werbung 
um Brünhild eingeleitet wird. Und was sind das nun für neue Be- 
gebenheiten in Worms, wovon sich die Leute um den Rhein er- 
zählen? Was unmittelbar folgt, muß doch das sein — wovon besonders 
erzäblt wird. Das ist zunächst nichts, als daß Gunther gedrängt wird, 
er solle heirathen, und Gunther zustimmt, er wolle nicht länger warten. 
Nun die eingeschobene Strophe: 


Des wil ich mich beräten, wä ich die müge nemen 
diu mir und mime riche ze frouwen müge zemen 

an edel und ouch an schene. der gib ich miniu lant. 
als ich die reht ervinde, si sol iu werden wol bekant. 

Er will sich bedenken, welche ihm zieme: das ist der langen 
Rede kurzer Sinn. Das zweimalige müge ist sehr schlecht. Man kann 
gegenüber der echt epischen, straffen Weise der andern Bearbeitung 
über das echte wohl nicht in Zweifel sein. 


328, 5—8. Dö si eines tages säzen, der künie und sine man, 
manegen ende si ez mäzen beidiu wider und dan, 
welhe ir herre möhte zeinem wibe nemen, 
diu inze frouwen töhte unt ouch dem lande möhte zemen. 
Die Strophe ist schlecht nach Form und Inhalt und stört den 
Zusammenhang. Die Häufung von nichtssagenden tautologischen Aus- 
drücken (manegen ende — beidiu — wider und dan) in der zweiten 
Zeile ist sehr armselig. Auch ist sie in den Cäsuren wieder durchgereimt. 
Man sieht ihr das jämmerliche Flickwerk an, wie selten einer andern. 


6 HUGO WISLICENUS 


Der Inhalt ist ebensowenig werth. Alles ist schon dagewesen, mit Aus- 
nahme des Zusammensitzens, in den beiden Strophen 325 und 325, 5—8, 
und dieselben Ausdrücke werden wiederholt. Und sie zerreißt den 
Zusammenhang, sie hemmt den ruhigen, aber unaufhaltsam epischen 
Verlauf. Nach der kurzen treffenden Erzählung von Brünhild heißt es, 
ein Ritter am Rheine vernahm von ihr, er wandte seine Sinne an sie, 
darum mußten viele Helden sterben. Dann heißt es: Gunther spricht 
seine Absicht aus, um Brunhild zu werben. Dazwischen liegt nun das 
breite inhaltslose Geschwätz der eingeschobenen Strophe. Man lese die 
Stelle ohne sie, und dann mit ihr, und man wird die widerliche 
Wirkung empfinden. 

335, 5—12. Die beiden Strophen über die Tarnkappe. Selbst 
Holtzmann (5. 21) räumt ein, sie seien entbehrlich, denn in 337 und 
338 werden die Eigenschaften der Tarnhaut hinreichend angegeben; 
um so weniger sei erklärlich, was jemand bewogen habe sie hinzuzu- 
diehten, während die’ Weglassung sich begreife. Doch nur, wenn man 
annimmt, daß ein Bearbeiter mehr gesunden Sinn und poetisches Gefühl 
gehabt als der Dichter selbst, der in unbegreiflicher Gedankenlosigkeit 
zweimal dasselbe sagte. Aber die Zudichtung begreift sich aus der 
folgenden Strophe (336), da ist von der Tarnkappe die Rede wie von 
einer schon bekannten Sache. Was! konnte ein Bearbeiter denken, es 
ist ja die Tarnkappe noch gar nicht erwähnt, da muß der Leser doch 
erst mit ihr bekannt gemacht werden, und er dichtete die fraglichen 
Strophen hinzu. Sie sind schlecht, ein ganz elendes Machwerk im Aus- 
druck und Inhalt, sie wimmeln von Wiederholungen. Zwerge in hohlen 
Bergen tragen die Tarnkappe, die jeden, der sie trägt, vor Schlägen 
und Stichen bewahrt, unsichtbar und stärker macht. Mehr Gedanken 
enthalten beide Strophen nicht; und dasselbe ist 337 und 338 viel 
bestimmter und klarer gesagt. han ich geheret sagen — als uns diu 
äventiure giht; daz si ze scherme tragen — swerz hät an sime be = swenne 
er sd dar inne; in müge ouch niemen sehen = daz in doch niemen siht; 
ze scherme tragen — sin bewart. Durch diese Wiederholungen wird ein 
so inhaltsloser Wortschwall hervorgebracht, daß eine der Hauptsachen 
er δὲ ouch verre sterker sich bis zum Schluß verkriechen muß. Ist das 
Poesie? ist das Harmonie der Theile? und epischer gehaltvoller Stil, 
ist es der Stil des Dichters des Nibelungenliedes? Doch noch eins. 
Holtzmann findet in den Worten als uns diw äventiure giht eine Ver- 
weisung auf die Quelle des Dichters, die einzige, die im ganzen NL. 
vorkommt. Es könne nicht bezweifelt werden, daß damit auf ein Buch 
verwiesen werde, das dem Dichter vorlag; "denn gerade mit diesen 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. η 


Worten berufen sich die höfischen Dichter auf das Buch, in dem sie 
lesen oder das ihnen vorgelesen wird.’ Eben nothwendig ‘ist das nicht; 
das Berufen auf die äventiure ist hier nicht mehr als Reimfüllung und 
braucht sich keineswegs auf die Quelle des NL. zu beziehen. Und 
gerade der höfische Ausdruck verräth den Bearbeiter, den wir in diesem 
Sinne noch oft kennen lernen werden. 

383, 5--8. Eine Strophe, die nichts werth und ganz überflüßig ist. 
In nichtssagenden, wortreichen Ausdrücken lobt Gunther die Burgen. 
Ich habe nie so gut gebaute Burgen gesehen — das ist der ganze Inhalt, 
der in dem Zusammenhange durchaus entbehrlich und sehr schlecht 
ausgedrückt ist. Die Ausdrücke ine wolde lüge jehen, bi minen zäten, 
in deheinem einem lande sind leere Lückenbüßer. Auch schließt sich 
ohne die Strophe die vorhergehende an die folgende viel besser an. 

442, 5—8. Dreierlei ist unorganisch zusammengebracht: Gunthers 
Sorge, seine Waffnung und Hagens Leid. „Ihm war in seinen Sorgen 
leid genug“ ist Wiederholung von 441, 4; seine Empfindung hat Gunther 
in Str. 442 kräftig und mannhaft ausgesprochen, nun hinkt die Ver- 
sicherung, durch daz wizzet als Lückenbüßer bekräftigt, matt und aus- 
druckslos nach. Aber eins war vergessen, und mußte nachgetragen 
werden: dafs Gunther zu dem Kampfe gewaffnet wurde. Das kann sich 
freilich jeder ohne Weiteres denken, aber man könnte es sich gefallen 
lassen, wenn es gut ausgedrückt wäre. Es heißt: „alle seine Waffen 
brachte man ihm allein.“ Das eine ist ganz überflüßig, und selbst a nahm 
daran Anstoß. Auch daß man ihm die Waffen erst bringt, nachdem 
Brunhild längst gewaffnet ist, macht die Darstellung schleppend. Indess 
die Schilderung des Anlegens der Waffen könnte uns entschädigen: 
„Da ward der reiche König wohl hinein gewaffnet.“ Wie eintönig, schwer- 
fällig und leblos! Wie ärmlich ist die Wiederholung gewäfent und ge- 
waefen! Konnte der Verfasser denn gar keinen lebendigen Ausdruck 
finden? Er hatte noch eine Zeile; aber es scheint, daß ihm absolut 
nichts mehr einfiel. Da mußte Hagen herhalten: „vor Leid hätte Hagen 
beinahe den Sinn verwandelt“, d. h. er wäre beinahe von Sinnen ge- 
kommen. Ist das nun gut? Ist es des unverzagten Hagen würdig, daß 
er aus Furcht beinahe bewusstlos wird? Entspricht das seinem "grimmen 
Muthe’, mit dem er eben Gunther angeredet hat? 

447, 5—8. Die Strophe ist durchaus überflüßig. Daß Brünhild die 
Helden nicht fürchtete‘, zeigt sich genugsam an ihrem Schauen über 
die Achsel und ihren Worten in der vorhergehenden Strophe; im Übrigen 
ist die Strophe nicht so schlecht wie die meisten Zusätze. Es wird 


8 HUGO WISLICENUS 


also von dem Urtheil über die andern abhängen, ob man sie für echt 
erklären soll oder nicht. 

506, 5—12. Zwei Strophen, die eine sehr oberflächliche und pro- 
saische Betrachtung des Verfassers, wie es möglich gewesen sei, daß 
so viele Ritter zusammen leben konnten, enthalten [vgl. Untersuchungen 
S. 317]. Die Antwort darauf ist: Siegfried besaß das Königreich und 
den Hort der Nibelunge, der nie abnahm, wie viel man auch davontrug. 
Das einzige, was der geschwätzige Verfasser in den beiden Strophen 
neues sagt, ist daß) der Hort nie abnahm. Das ist allerdings ein alter 
Sagenzug, der schon in der Edda vorkommt. Daraus folgt aber nichts 
weniger als dal} die Strophen echt seien. Die seichte, breite Betrachtung 
unterbricht sehr störend die lebendige Erzählung, nicht eine Spur von 
Poesie ist darin. Um die prosaische Wahrschemlichkeit ist es dem Ver- 
fasser zu thun, die er mit nichtssagenden Worten zu erhärten sucht 

611, 5—8. Gunther hat auf eigene Hand Siegfrieden seine Schwe- 
ster versprochen, er wird also auch wohl das Recht haben, sie zu ver- 
mählen, was nach alter Sitte ihm als dem ältesten Bruder ohnehin zu- 
stand. Dem Bearbeiter fiel ein, daß Zustimmung der Verwandten eigent- 
lich doch nöthig sei. Daß Brünhild der Verlobung nicht beiwohnt, 
weiß der Leser schon, denn sie ist zu Tisch gegangen (611, 4); der 
Bearbeiter hielt für nöthig, es noch besonders zu sagen. An sich ist 
die Strophe nicht schlecht, aber sie stört die Scene. In Kriemhild’s 
Gegenwart sagt Gunther ich swuor dich eime recken, und sie antwortet 
ich wil in loben gerne den ir mir, herre, gebet ze man; dann erst wird 
sie gefragt, ob sie Siegfrieden haben wolle. Dieser Zug daß Siegfried 
erst zuletzt genannt wird, ist sehr schön; allerdings weiß Kriemhild 
von wem die Rede ist, aber in jungfräulicher Verschämtheit stellt sie 
sich, als ob sie nur dem Willen ihres Bruders gehorche. Dieser schöne 
Zug wird aber durch vorherige Nennung Siegfrieds in der Zusatzstrophe 
(611, 8) völlig verdorben. 

651, 5—8. Keine Strophe ist sicherer als Fabricat des Bearbeiters 
zu erkennen als diese. Daß sie für die Handlung überflüßig ist und 
gar nicht in den Zusammenhang passt, sieht man sofort. Wenn es vor- 
her heißt, daß Gunther der Rede Siegfrieds froh war, und er nun, 
ohne redend eingeführt zu sein, seine geschwollenen Hände zeigt und 
wieder zu klagen anfängt, so ist das offenbar ganz unmotiviert und dem 
Zusammenhang widersprechend. Und noch weniger passen die Worte 
zu Charakter und Ton des Ganzen. Zu Gunthers unvertilgbarer Trauer, 
gewils weniger wegen der Schmerzen, die er ausgestanden hat und die 
er noch als Nachwirkung verspürt, als wegen der Entehrung, der 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 9 


schmachvollen Erniedrigung, die er als Mann von einem Weibe erfahren 
hat, und zu seinen kurzen, schmerzlichen aber männlich kräftigen 
Worten, mit denen er Siegfried alles erzählt, endlich zu seiner Freude 
über Siegfrieds Versprechen, ihm beizustehen, passt jämmerlich schlecht 
seine wortreiche Klage über die geschwollenen Hände. Wie ein Schul- 
knabe, der Prügel bekommen hat, zeigt er sie Siegfrieden und kann 
sich nicht zufrieden geben. Nichts Abgeschmackteres läßt sich denken 
als diese Klage im Munde eines gewaltigen Königs. Es ist, als ob er 
fürchtete, Siegfried möge ihm nicht glauben und darum meinte, sicht- 
bare Beweise vorbringen zu müssen. Wer möchte dem Dichter des 
NL. eine solche Geschmacklosigkeit zutrauen? Hat der andere Be- 
arbeiter die Strophe weggelassen, dann hatte er mehr Tact als der 
Dichter, während das natürliche doch das umgekehrte ist, daß ein ge- 
schmackloser Bearbeiter dergleichen hineinbrachte. 

674, 5—20. Vier Strophen in C, die ebenso leicht als Zusätze sich 
ergeben. Zunächst ist zu bemerken, daß man nichts vermißt, wenn sie 
wegbleiben. Die schauerliche Kampfscene ist gerade ausführlich genug 
dargestellt; man kann leicht auf den Gedanken kommen, dafs jeder Zu- 
satz die Scene, die eben noch einen ästhetischen und poetischen Ein- 
druck macht, weil sie für die Einheit des Ganzen nothwendig und in 
lebendigster Bewegung dargestellt ist, aber doch fast auf der Grenze 
steht, wo das Furchtbare ins Widerliche und Lächerliche umschlägt, — 
daß jeder Zusatz die Scene verderben muß. Die beiden Kämpfenden, 
Brünhild in ihrem jungfräulichen Stolze mit dämonischer Wildheit und 
Grausamkeit ringend, Siegfried in seiner aufopfernden Freundschaft eine 
nur durch die große Noth zu entschuldigende List anwendend und der 
Jungfrau eine noch dämonischere Kraft und Roheit entgegensetzend, 
und dazu der König Gunther, unthätig, verborgener Zuhörer, von den 
wechselndsten Sorgen hin und her gerissen — das sind drei Gestalten, 
die wahrlich hier schwer einen ästhetischen Eindruck hervorzubringen 
vermögen, und die Darstellung hat sich vor jedem Zuviel zu hüten. 
Alles was darüber hinausgeht die Scene lebendig, aber kurz zu zeichnen 
ist hier zuviel. Jede breite Ausmalung mußte vermieden werden: die 
Scene war nothwendig für das Ganze, aber sie war möglichst schnell 
zu beenden, soweit die lebendige Erzählung nicht darunter litt. Der 
Dichter hat seine Aufgabe meisterhaft gelöst. Er bereitet den Kampf 
so vor, daß jeder sieht, er ist unvermeidlich: die unwürdige, schmäh- 
liche Lage Gunthers seiner Frau gegenüber muß aufhören, das fühlt 
Jeder, das fühlt auch sein Freund Siegfried, er ist der einzige, der ıhm 
zu helfen vermag; gerade weil er glücklich ist, kann Er Gunthers Un- 


10 HUGO WISLICENUS 


glück nicht mit ansehen, und darum übernimmt er es, Brünhild zu 
bändigen. Die zwingende Nothwendigkeit macht das, was in jedem an- 
dern Falle die scheußlichste Barbarei wäre, hier erträglich. Und das 
dahinter in der Ferne stehende Schicksal, das Gefühl daß dieser un- 
geheure Betrug nicht gut enden kann, daß, wenn er entdeckt wird, 
Siegfried sterben muß, weil sonst Brünhild nicht mehr leben kann, 
trägt dazu bei, dem Kampfe seine volle ästhetische Bedeutung zu geben. 
Wir fühlen, diese unheilvoll verschlungenen Fäden können nicht mehr 
friedlich gelöst, der Knoten kann nur blutig zerhauen werden. Und 
doch wird das Schaurige und Grausige gemildert dadurch, daß man 
sieht, Jeder der Betheiligten ist in seinem Rechte, Brünhild durch den 
jungfräulichen Stolz, Gunther durch die Rechte des Ehemanns und 
durch seine fürchterliche Lage, die ihm keine Wahl läßt, Siegfried 
durch seine aufopfernde Freundschaft. So wird das Ganze zu einem 
tragischen Conflict, wie es wenige von solcher Furchtbarkeit gibt, und 
der dennoch seine Versöhnung in sich trägt. Der furchtbare Ernst der 
Lage fordert den gröfsten Ernst in der Darstellung, die Erzählung muß 
kurz und bezeichnend sein, sie darf nicht mehr enthalten als das Nöthige, 
und doch nicht trocken aufzählen, der Dichter darf bei keinem Zuge 
mit Behagen verweilen: sobald das geschähe, wäre es aus mit dem 
ästhetischen Eindrucke. Wie geschickt der Dichter alle Klippen ver- 
mieden hat, wird schon eine kurze Darlegung des Inhalts zeigen. Sieg- 
fried ist plötzlich von der Seite Kriemhilds verschwunden (662), er 
kommt unsichtbar und unbemerkt zu Gunther, der ihn am Auslöschen 
des Lichtes erkennt (663), er verschließst die Thür (664), und nun be- 
ginnt das furchtbare Spiel, dem Gunther, von den widerstrebendsten 
Empfivdungen durchstürmt, beiwohnen muß (665). Siegfried legt sich 
nahe zu Brünhild, sie weist ihn drohend zurück (666). Schweigend be- 
ginnt er den Kampf, woran Gunther wohl hört, daß sie keine Heim- 
lichkeiten mit einander haben (667). Siegfried stellt sich wie der König, 
er umschließt sie mit den Armen, sie wirft ihn aus dem Bette (668). 
Er springt wieder auf und versucht es wieder (669). Endlich springt 
Brünhilde auf mit bitteren Worten (670), sie packt ihn und will ihn 
binden (671), alle seine Kraft hilft ihm nichts, sie trägt ihn fort und 
drückt ihn heftig in eine Ecke (672). Siegfried fürchtet sein Leben zu 
verlieren (673), Gunther hat Angst um ihn, Siegfried gewinnt in Scham 
und Zorn neue Kraft und versucht es wieder (674). Dem König währt 
es lange, durch die Schmerzen wird Siegfried zur äußersten Kraft- 
anstrengung gereizt und bringt Brünhild endlich zum Widerruf (675). Er 
drückt sie an das Bett, daß sie laut aufschreit (676). Sie will ihn den- 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 11 


noch binden, er wehrt dem so, daß ihr alle Glieder krachen (677). Sie 
bittet um ihr Leben und verspricht sich nicht mehr seiner Minne zu er- 
wehren (678). Siegfried geht, und überläßt sie Gunthern, nachdem er ihr 
zuvor Ring und Gürtel genommen hat (679). Hier ist lebendigste Be- 
wegung, nichts zu viel, nichts zu wenig; durch den furchtbaren Hinter- 
grund und die bewegte Darstellung, die keinen Ruhepunkt hat, verliert 
die Scene das Widerwärtige, das sie sonst unvermeidlich haben würde. 
Durch die Einschiebung der vier Strophen in C wird der ästhetische 
Eindruck zerstört. Brünhild hat Siegfrieden in die Ecke gedrückt, er 
fürchtet das Leben zu verlieren, schämt sich und zürnt, setzt sich ihr ent- 
gegen und versucht es wieder (674). „Wie fest sie auch auf ihm lag (eine 
widerwärtige Vorstellung!), sein Zorn und seine starke Kraft zwang ihn, 
daß er sich wider ihren Willen wieder aufrichtete; seine Angst war groß 
(war schon gesagt!), sie thaten hin und her manchen Stoß (wie häßlich!)). 
Gunther war durchaus nicht ohne Angst, er mußte sich oft vor ihnen 
hin und her bewegen (wie abgeschmackt und häßlich! Alle drei sind 
so nahe zusammen, daß Gunther den Stössen kaum entrinnen kann); 
sie rangen so stark dal) es wunderbar war, daß sie beide am Leben 
blieben (häßliche Wiederholung). Den König betrübte sehr beider Noth 
(matt!), doch fürchtete er mehr Siegfrieds Tod, sie hätte ihm beinabe 
das Leben genommen (Wiederholung!), er wäre ihm gern zu Hülfe 
gekommen nur wagte er’s nicht (wie jämmerlich ist die Rolle, die 
Gunther hier spielt!). Der Streit unter ihnen währte sehr lange (675, 1), 
doch brachte er dann die Frau wieder auf das Bett (676, 3, womit es 
nicht einmal völlig stimmt), wie kräftig sie sich auch wehrte, ihre Wehr 
wurde zuletzt schwach (überflüßig!), der König in seinen Sorgen hatte 
manchen Gedanken (matt und unklar!).“ Der wesentliche Inhalt der vier 
Strophen, wenn man alles überflüßige wegläßt, ist also: Brünhild lag 
auf Siegfried, er richtete sich wieder auf, sie stießen hin und her (1). 
Gunther mußte sich hin und her wenden, sie rangen sehr stark (2). Der 
König war betrübt und fürchtete sich (3). Der Streit dauerte lange bis 
Siegfried sie bezwang (4). Alles übrige ist geschmacklose Ausmalung- 
Und selbst dieser Inhalt — enthält er nicht widerwärtige Plattheiten, 
die den Kampf ins Gemeine herabziehen? Welche erbärmliche Rolle 
spielt der vor den Stößen hin und her entweichende Gunther! Fallen 
die vier Strophen weg, so ist in seiner Lage nichts unwürdiges, wie die 
Verhältnisse einmal sind. Das Hin- und Herschwanken macht ihn zur mit- 
handelnden Person, und seine klägliche Feigheit, daß er Siegfried nicht 
zu helfen wagt, setzt ihn tief herab. Wenn Holtzmann und Zarncke 
dem gemeinen Text in Hinblick auf den Scherz bei Vertheilung der 


12 HUGO WISLICENUS 


Schätze Brünhilds durch Dankwart u. a. „Bänkelsängerton“ vorwerfen, 
so muß ich sagen, daß ich keine Stelle im ganzen NL. weiß, wo dieser 
Ton, das gemeine Haschen nach Effect, so widerlich hervorträte wie 
hier in ©. Daß einer, der so vielfach das rührende noch rührender 
und das drastische noch drastischer zu machen strebte, sich hier ver- 
anlaßt fühlte, den Kampf mehr auszumalen, begreift sich, und die Probe 
zeigt seine poetische Unfähigkeit im klarsten Lichte; nimmermehr aber 
konnte der Dichter, der in den vorausgehenden und folgenden Strophen 
den Kampf so vortrefflich und mit so poetischem Gefühl beschrieb, hier 
auf einmal aus der poetischen Stimmung herausfallen und ein späterer 
Bearbeiter durch Ausscheiden dieser Strophen die Harmonie wieder 
herstellen. 

777, 5—8. Eine ausgezeichnet schlechte, überflüßige und inhalts- 
lose Strophe: schon das ouch der ersten Zeile zeigt wie überflüßig sie 
ist: der Ausdruck mit glanze glesten ist höchst armselig. 

995, 5—8. Die Strophe unterbricht ungeschickt den Zusammen- 
hang. Siegfried liegt im letzten Todeskampf, Gunther hat um ihn ge- 
klagt, Siegfried weist es ab, Hagen frohlockt und höhnt. Siegfried sagt, 
hätte er ihn gekannt, so hätte er sich wohl gegen ihn wahren können: 
er beklagt Kriemhild, von ihr kommt er auf seinen Sohn, und beklagt 
ihn, daß man von ihm sagen könne, seine Blutsfreunde hätten jemand 
mordlich erschlagen. Nun die eingeschobene Strophe: kein größerer 
Mord sei je begangen worden; er erinnert Gunther an seine Verdienste, 
er habe das sehr entgolten. Dann folgt die Bitte an Gunther, für Kriem- 
hild zu sorgen. Diese Inhaltsangabe zeigt deutlich das Unpassende 
jener Strophe: lauter allgemeine Betrachtungen mitten in den bittersten 
Klagen des todtwunden Siegfried! An die Seinen denkt er vor allem: 
er beklagt Kriemhild und seinen Sohn, er bittet für sie. Das schließt 
sich natürlich an einander und kann nicht durch platte Reflexionen 
unterbrochen werden. Dieselben sind matt und ohne alle Originalität; 
995, 8 ich häns engolten sere ist aus 989, 3 des ich engolten hän; die 
Erinnerung an seine Verdienste in 989 wird hier noch einmal breit 
und ausdruckslos wiederholt; die letzte Zeile sagt im Grunde gar nichts. 

997, 5—8. Eine Strophe mit durchgeführten inneren Reimen; ihr 
Inhalt ist eine Prophezeiung der Zukunft, die matt ausgedrückt ist. 
Der von seinem Gegenstand erfüllte Dichter mag gelegentlich das Zu- 
künftige andeuten, im Munde der handelnden Personen erscheint das 
platt. Das natürlichste und schönste ist jedenfalls, daß Siegfrieds letzte 
Gedanken bei Kriemhild sind (997). 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 13 


1072, 5—12. Zwei Strophen, die eine geschmacklose Ausmalung 
des Leides enthalten, aus der Absicht hervorgegangen, das Rührende 
möglichst rührend auszumalen. Auch passen sie nicht zum vorigen: 
die allgemeinen Schlußworte werden durch das folgende ganz specielle 
sinnlos. Schon die Wiederholung und ausführliche Erzählung von Kriem- 
hilds Ohnmacht ist widerwärtig, noch widerwärtiger aber daß König 
Siegmund in denselben Nöthen liegt. Wie ganz anders ist Kriemhilds 
Schmerz in 1069 und den vorhergehenden Strophen dargestellt, so wahr 
und charaktervoll, dafs nichts schöneres und innigeres gefunden werden 
kann! Wie erbärmlich erscheint dagegen diese Strophe! Wie lange 
Kriemhild in Ohnmacht lag, brauchen wir nicht zu erfahren. Eine ab- 
geschmackte Wiederholung ist der ganze Tag, der so umständlich aus- 
gedrückt ist. Die nähere Beschreibung der Ohnmacht in Z. 7 ist matt 
und poesielos. Ebenso geschmacklos ist das folgende. 

1136, 5—8. Dem Inhalte nach der in Ü fehlenden Strophe 1140 
entsprechend. Sehr ungeschickt ist die zweite Zeile; die Hindeutung 
auf die Zukunft ist überflüßig und noch dazu unwahr, da sie nicht 
durch ihre Habsucht umkommen. Vergleicht man die Ausdrucksweise 
von Str. 1140, so wird man dieser unbedingt den Vorzug geben: unz 
ir einer möhte leben ist besser und bestimmter als unz si möhten leben, 
und statt des vielsagenden daz er verholen waere heißt es in C breit 
und plump daz si den schaz niht zeigen noch niemen solden geben, wan 
mit gemeinem räte, 50 si des dühte guot. 

1137, 5—8. Eine elende Strophe, armselig und leer wie selten 
eine, wiederholt selbst wörtlich er wände in niezen eine aus 1137, 4 er 
wänd er sold in niezen, um recht scharf Hagens Habsucht zu betonen; 
die letzte Zeile (=1140, 4) passt viel weniger gut auf Hagen allein 
als auf alle Verschworenen. 

1142, 5—36. Daß diese Strophen irgend von Bedeutung wären, 
wird Niemand behaupten. 1142 schließt den ersten Theil des NL. 
passend ab: wir erfahren daß Kriemhild 15 Jahre nach Siegfrieds Tode 
in Trauer lebte; wo, ist uns gleichgültig, es scheint dafs sie in Worms 
blieb. So ist es noch im zweiten Theile. Die hier eingeschobenen 
Strophen erzählen umständlich, wie Ute nach Dankrats Tode die Abtei 
Lorsch stiftet, geht also bis vor Beginn des ersten Theiles zurück. Das 
macht einen üblen Eindruck und stört den stetigen Fortschritt. Wo 
sonst zurückgegriffen wird, wie in der Erzählung von Siegfrieds Er- 
werbung des Hortes, wird es lebendig einer Person, wie Hagen, in den 
Mund gelegt. Schon das ist ein Grund zum Verdacht. Die Erzählung 
ist breit und von wenig Inhalt. Die öftere Beziehung auf die Gegen- 


14 HUGO WISLICENUS 


wart, auf das Ansehen der Abtei, und daß Ute und Siegfried dort noch 
begraben liegen, dient ebenso den Gang der Erzählung zu hemmen als 
es überflüßig ist. Die eigentliche Erzählung ist bedeutungslos und 
prosaisch. Ute stiftet die Abtei von ihrem Gute und begabt sie reich. 
Auch Kriemhild gibt viel dazu. Seit Verlust des Hortes war sie noch 
tausendmal trauriger und wäre gern fort. Ute zieht sich in ihren Sedel- 
hof beim Kloster zurück. Sie schlägt Kriemhild vor mitzukommen, 
diese fragt, wo sie dann ihren Mann lassen sollte. Davon, ihn in Worms 
zu lassen, will sie nichts wissen, er müßte wahrlich mit. Sie läßt Sieg- 
frieds Gebeine in Lorsch beim Münster begraben. Als sie im Begriff 
war fortzugehen, mußte sie bleiben wegen weither über Rhein ge- 
kommener Mären: dieses bildet den Übergang zur nächsten Aventiure, 
gewiß ungeschickt genug. Welche Erniedrigung Kriemhilds darin liegt, 
daß sie seit Wegnahme des Hortes noch tausendmal größeres Herzeleid 
gehabt habe als nach Siegfrieds Tode, wird jeder fühlen. Dazu kommt, 
daß der Gedanke nur eine ungeschickte Steigerung von 1141 ist, welche 
Strophe C auch hat. Der Hauptzweck des Verfassers ist ohne Zweifel 
gewesen, den Reichthum und Glanz der Abtei zu rühmen. Aller Wahr- 
scheinlichkeit nach hat Ü die ganze Nachricht über Lorsch aus der Klage 
entnommen. [s. meine Untersuchungen S. 318.] Wenn der Bearbeiter 
die vermeintlich echten Strophen, die die Erzählung hemmen und un- 
passend sind, wegließ, so hatte er mehr Tact und Geschmack als der 
Dichter selbst. 

1174, 5—8. Die Strophe ist überflüßig und stört. Die vorige ist 
schon auf der Reise, mitten in Baierland, diese führt noch einmal ohne 
Grund nach Bechlaren zurück. 

1288, 5—8. Der Abschied ist schon 1285. 1286 genommen, das 
Weinen hier nochmals zu bringen ist überflüßig und unterbricht die 
Erzählung. Schlecht und breit ist michel und dann vil, besonders schlecht 
ist Z. 7. Z. 8 ist 1288, 4. 

1289, 5—12. In zwei Strophen wird ausführlich erzählt, wie die 
Boten nach Heunenland reiten, ankommen, Etzeln berichten und von 
ihm belohnt werden, und wie Etzel sich freut. Die folgende Strophe, 
mit der die Aventiure anhebt, beginnt Die boten läzen riten. wir sulen 
iu tuon bekant wie diu küniginne füere durch diu lant. Also der 
Dichter will ausdrücklich von dem Ritt der Boten erzählen. Wem 
hieraus nicht klar wird, daß die vorliegenden Strophen Zusatz des 
Bearbeiters sind, der noch dazu den Widerspruch stehen ließ, der 
ebenso ein Widerspruch in der Zeit ist, da noch einmal, nachdem die 
Boten längst in Heunenland angekommen sind, von ihrem Ritte ge- 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 15 


sprochen wird — der muß der Wahrheit schwer zugänglich sein. Der 
höfische Bearbeiter hat es nicht unterlassen können, hier zwei unnütze 
ausmalende Strophen hinzuzufügen, die nicht in den Zusammenhang 
passen. 

1297, 5—S8. Strophe, welche Pledelingen erwähnt. Daß sie inhalts- 
los und schlecht ist, daß die beiden letzten Zeilen gar nichts sagen, 
daß die zweite auffallend mit 1301, 3 stimmt, daß das Herberge geben 
1297, 4 sich auf Passau beziehen muß und durch die eingeschobene 
Strophe davon getrennt wird, so dafi es auf Pledelingen zu gehen 
scheint und daher in 1297, 5 5 dasselbe noch einmal wiederholt ist, daß 
es überhaupt keine sehr elickliche Erfindung ist, den Bischof Krichl- 
hilden bis Plattling entgegen reiten und da mit ihr Quartier nehmen zu 
lassen, das alles ist hoffentlich Grund genug, die Strophe für einge- 
schoben zu halten. Holtzmanns Gründe für die Echtheit beweisen nichts; 
denn mit größerer Wahrscheinlichkeit konnte ein Bearbeiter aus ge- 
nauerer Ortskenntniss oder persönlichem Interesse einen Namen ein- 
schieben als daß ein anderer ihn wegliefS, während er doch so viele ihm 
sicherlich aucb zum Theile unbekannte Namen beibehielt. 

1412, 5—8. Die letzte Zeile von 1412 ist hier zu einer ganzen 
Strophe ausgesponnen, die in der That nicht das mindeste neue enthält. 
[Über den Grund der Erweiterung 5. Untersuchungen 5. 36.] 

1468, 8—12. Zwei Strophen, Rumolds Rath. Er hat als Gründe 
des Bleibens angeführt Sicherheit, Kleider, Wein, Weiber, Speise. Nun 
fährt die Interpolation fort: Wenn ihr nichts anders hättet wovon ihr 
leben könntet, so wollte ich euch eine Speise vollauf geben, Schnitten 
in Öl gebraut. Das Weitere ist bedeutungslos und enthält nichts neues. 
Die andere Bearbeitung läßt Rumold zuletzt nachdrücklich darauf hin- 
weisen, daß Gunther um seines Weibes willen bleiben solle. Ich meine, 
wenn die Fassung von Οὐ (a) die echte war, so würde der Bearbeiter, 
deın man Bänkelsängerton unterschiebt, sie nicht haben zu ändern oder 
auszulassen brauchen. 

1470, 5--16. Drei Strophen, welche den natürlichen Zusammen- 
hang von 1470 und 1471 unterbrechen. Auf Rumolds Rede (1465 ff.) ant- 
wortet Gernot (1470) scharf, abweisend, zornig, auch mit Bezug auf 
Hagen, daher muß dieser, der den ganzen Streit hervorrief, sich ver- 
anlaßt fühlen zu entgegnen, und nun seiner wackern Gesinnung gemäß, 
da er schon vorher seine Absicht mitzugehen ausgesprochen hat, räth 
er um so entschiedener zu der Reise, da er sieht, daß sie unabwendbar 
ist. Er ist kein Freund von trüben Gedanken, wie sie Rumolds Rede 
wecken könnte, darum geht er selbst nun zuversichtlich der Gefahr 


16 HUGO WISLICENUS 


entgegen und will diese Zuversicht auch in den andern aufrecht erhalten. 
Außerordentlich schön ist dieser Charakterzug des herrlichen Helden, 
Von dem Augenblicke an, wo er die Gefahr als unvermeidlich erkennt, 
ist er der zuversichtliche Held bis zum Tode. Die andern sind vor- 
trefflich gezeichnet, der sorglose König, der bedächtige Rumold. Einen 
häßlichen Mißklang bringen die eingeschobenen Strophen hinein. Die 
Weise wie Rumold und Ortwin und ir genuoge sich von ihren Königen 
lossagen und ibnen Z. 12 noch einen Spott mit auf den Weg geben, 
denn der fromme Wunsch ist eben hier nur Hohn, da sie in Sicher- 
heit zu Hause bleiben wollen, hat etwas höchst widerliches. Diese offene 
Empörung müßte Hagen ebenso erzürnen wie Gunther, und könnte nicht 
ohne Bestrafung bleiben. Wahrhaft lächerlich ist es aber, wenn Gunther 
(1519) Rumolden zum Vogt über das Land setzt, nachdem dieser vorher 
sich so elend gezeigt hat. Daß der Bearbeiter das nicht empfand, 
daß er die freche Feigheit so belohnt, ist ein übles Zeichen für ihn. 
In seiner gewohnten effecthaschenden Weise hat er die Scene ohne 
Sinn und Verstand weiter ausgesponnen. 

1519, 5—8. Eine schlechte und überflüßige Strophe, die sehr un- 
passend in der Erzählung zurückgreift. 

1520, 5—12. Zwei hinzugedichtete Strophen, um eine rührende 
Scene einzuschieben. Wenn vorher gar nicht gesagt ist, daß Brünhild 
Gunthern zum Bleiben bewegen wollte, so kommt das nun hier sehr 
spät. Der platte Schluß der zweiten ist nichts als ein erbärmlicher 
Lückenbüßer. 

1523, 5—8. Diese schwächliche Strophe soll nur den Kaplan 
einführen, und das Zukünftige ist darin unpassend vorausgesagt. Die 
Ausdrucksweise ist matt und ungeschickt, die Constructionen schlecht, 
das Metrum nicht besser. 

1584, 13—24. Nach den drei Zusatzstrophen in Had hat a noch 
zwei, sehr unpassend mit jenen drei verbunden, das Heroische in das 
bürgerlich gemeine und rührende herabgezogen. Gunther trägt dem 
Kaplan Grüße nach Hause auf! Ein unvergleichlicher Schluß der 
furchtbar ernsten Situation, herrliche Worte im Munde des heldenhaften 
Königs! 

1744, 5—8. Die Strophe ist nach Form und Inhalt schlecht. Der 
dreisilbige Auftact der zweiten Hälfte in den beiden ersten Zeilen, die 
Wiederholung von deich, die schlechte Construction, indem zu mort und 
roube das Prädicat fehlt, sind formelle Mängel genug. Aber sie stört 
auch; ohne sie hat alles schönsten Zusammenhang und folgerichtige 
Eutwickelung. Kriemhild hat eben hefiig nach dem Hort verlangt und 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 17 


ihre Trauer über dessen Verlust ausgesprochen, nun fürchtet sie für 
geldgierig gehalten zu werden, wenn sie nicht alles frühere zurück 
nimmt. So nimmt sich ihre Versicherung, sie begehre kein Gold, aus, 
und so ist sie sicher vom Bearbeiter beabsichtigt, der Kriemhilds Schroff- 
heit und Härte mindern wollte und deshalb alles vorige durch seinen 
Zusatz abschwächte: geldgierig sollte sie nicht erscheinen. Das übrige 
ist Wiederholung von früher Gesagtem: dafs sie Ersatz wünscht für 
den Mord und Raub, noch dazu matt ausgesprochen. Erscheint aber hier 
in der That nicht bei der Forderung des Hortes Kriemhild zu schroff, 
kommt dieselbe nicht geldgierig heraus? Nein: sie fordert einfach ihr 
Recht, ihren geraubten Besitz, das einzige was ihr von Siegfried ge- 
blieben ist. Diese Forderung benutzt sie, um Hagen schroff zu begegnen, 
denn allerdings liegt ihr die Rache mehr am Herzen als der Besitz 
des Hortes. 

1817, 5—16. Drei schlechte Strophen. Die sehr unbedeutenden 
Gedanken: Etzel hatte schöne Gebäude und besonders einen herrlichen 
großen Saal errichten lassen, da immer so viele Helden an seinem Hofe 
waren, sind in drei Strophen geschwätzig ausgeführt. Wie schlecht ist 
sinen vliz kostenliche mit grözer arebeit; wie armselig zusammengeflickt 
80 vil der recken — υἱὲ der werden degene — von manigem snellem degene — 
von mägen und von man. Wenn ein Bearbeiter sie wegließ, so hatte er 
ein sichereres poetisches Gefühl als der Dichter selbst. Die zwölf Könige 
in Etzels Dienst waren 1235 erwähnt und bedurfte keiner Bestätigung 
hier, wie Holtzmann (S. 29) will. Zudem sind sie ja 1391, 3 schon da 
gewesen. 

1879, 5—8. Schlecht, matt und unklar; formell schlecht der 
dreisilbige Auftakt der zweiten Zeile, 4” ein erbärmlicher Lücken- 
büßer. Der Gedanke, den sie enthält, ist 1879, 4 klar und gut schon 
ausgedrückt. 

1911, 9—16. Es war zu erwarten, daß der höfische Bearbeiter 
sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, hier seiner Vor- 
liebe für prunkvolle Schilderungen nachzugeben, besonders da dieser 
Ton schon in der vorhergehenden Zusatzstrophe (1911, 5—8) ange- 
schlagen war. Hier bringt er es auch zu nichts als zu einer matten 
geschwätzigen Beschreibung des Tafelns: dafs die ersten und besten 
bei ihm im Saale speisen, dafs Christen und Heiden verschiedene 
Speise bekommen, daß alle genug kriegen, und dazu, daß Etze] 
alles veranstaltet, was zweimal, zu Anfang und zu Ende, gesagt 
wird — diese Gedanken enthält die erste Strophe, die zweite, daß 
das Gesinde in den Herbergen ἰδὲ, von Truchsessen bedient wird, 

GERMANISTISCHE STUDIEN. II, 2 


18 HUGO WISLICENUS 


die für die Speise sorgen, dazu eine matte Andeutung des Künftigen. 
Formell ist auch der durchgeführte Mittelreim der ersten Strophe 
hervorzuheben. 

1920, 5—8. Ungeschickt und poesielos, aus dem Streben nach 
dem Ausmalen effeetvoller sentimentaler Situationen hervorgegangen 
und ein klarer Beweis für des Bearbeiters poetische Unfähigkeit. 
Daß sie’s ertragen sollten, war ihnen ungemach (1920, 3) ist genug; 
‘sie hätten ihn gern bestanden’ ist ganz überflüßig, und daß auch 
Etzel dieß Gelüste haben soll, ist abgeschmackte Übertreibung. Selbst 
Holtzmann (S. 29) nennt diese Strophe entbehrlich. 

1951, 5—8. Geschwätzig breit ist der Gedanke ausgeführt, der 
weiter nichts ist als eine Erinnerung daran, daß Ortlieb im Saale 
war, ganz überflüßig, da wir es zeitig genug erfahren. Die Strophe 
ist vom Bearbeiter hinzugefügt, der den trockenen prosaischen Zu- 
sammenhang vermißte. In der Darstellung folgen sich die Ereignisse 
jetzt Schlag auf Schlag, jetzt nimmt Dankwart alles Interesse in 
Anspruch, dann Hagen und der Tod des Kindes. Es ist durchaus 
unpassend, hier die drängende Folge der Begebenheiten durch pro- 
saische Betrachtung über das Kind zu zerreissen. Selbst Holtzmann 
(S. 29) räumt ein, die Strophe könnte auch Zusatz sein. 

2002, 5—12. Ganz unnöthig ist zu sagen, wohin Dietrich und 
Rüdiger gegangen, nachdem sie den Saal verlassen. Wir erfahren 
noch früh genug wo sie sich befinden, wenn 2135 Rüdiger zu Hofe 
geht und Dietrich 2137 und 2235 in seiner Wohnung sich befindet. 
Sie verschwinden vom Schauplatz, bis sie sich thätig am Kampfe 
betheiligen. Der Dichter hat auch hier taktvoll das Richtige ge- 
troffen, indem er erst, als das Interesse an ihnen wieder erregt 
wird, sagt, woher sie kommen. Das ist die Weise echter Poesie. 
Die Erzählung wird sofort lahm, wenn wir die abtretenden Personen 
aus dem Saale hinaus verfolgen. Auch wo Etzel und Kriemhild sich 
befinden, erfahren wir erst später: warum hat das der Diehter nicht 
auch gleich ausführlich erzählt, wohin sie sich begeben? Eben weil 
er ein echter Dichter ist. Was die Strophen sonst noch enthalten, 
ist noch überflüßiger. Daß Dietrich und Rüdiger mit dem Kampfe 
‘nichts zu thun haben wollen, wissen wir schon, dafs sie dasselbe 
ihren Mannen geboten, versteht sich von selbst. Die zweite Strophe 
ist nichts als eine breitere Ausführung von 1998, 4, die nur störend 
ist. Beide Strophen enthalten also nichts neues, und sind zudem 
sehr schlecht: der viermalige Wechsel des Subjects δὲ ist äußerst 
plump, die Ausdrucksweise platt, poesielos, geschwätzig. Wenn Holtz- 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 19 


mann bemerkt, es mulste doch irgendwo gesagt sein, wohin Dietrich 
und Rüdinger giengen, da sie später wiederkommen,' so ist diese 
prosaische Betrachtung dieselbe, die eben den Bearbeiter veranlaßte, 
die beiden Strophen hinzuzudichten. 

2026, 5—8 und 2027, 5—8 und außerdem 2027 in anderer Ge- 
stalt, was mit den Einschiebungen zusammenhängt. In der andern Be- 
arbeitung ist guter Zusammenhang: Hagens Hohn über Etzel, Kriem- 
hilds Anerbietungen auf Hagens Kopf, Volkers Spott über der Heunen 
Feigheit, alles ist einfach, kräftig ausgesprochen und beendet die Aven- 
-tiure passend. In © dagegen ist das Weinen Etzels und seiner Helden 
hier nicht am Platze. Weit schöner ist es, wenn Irings Entschluss sich 
unmittelbar an Volkers Hohn anschließt, als wenn noch in einer Strophe 
gesagt wird, was die heunischen Helden dazu denken und daß Iring 
es sich am meisten zu Herzen genommen. Der Grund der Hinzudichtung 
in C ist leicht zu begreifen: es galt eine rührende Scene einzuschieben ; 
auch war dem Bearbeiter der rasche Fortschritt zu schnell, er hielt es 
für angemessen zu sagen, was die Heunen und Iring dachten, ehe dieser 
handelnd auftreten konnte. Daß} es im Epos auf Handlungen ankommt 
und die dem Handeln vorhergehenden Gedanken sich daraus ergeben, 
war ihm fremd. 

2086, 5—8. Wieder so recht in der Weise von C. Nach der groß- 
‚artigen Einleitungsstrophe zum Folgenden τα sogleich die Handlung 
beginnen, jede Betrachtung kann nur störend wirken. Wie es Kriem- 
hild gemeint hat, sieht man sehr wohl aus dem Ganzen: kein Opfer 
ist ihr zu groß, wenn sie sich nur an Hagen rächen kann. Wie 
erbärmlich sind nun die Entschuldigungen in C, wie schwach und 
unwahr wird alles! Der Grund der Einschiebung ist freilich leicht zu 
begreifen: man konnte zu übel von Kriemhild denken, wenn nicht zu 
ihrer Vertheidigung gesagt wurde, daß sie es so übel nicht gemeint, 
dafür wird alle Schuld auf Hagen gewälzt, denn dieser ist doch unter 
dem übeln tiuvel verstanden. |Über die Quelle der Strophe s. Unter- 
suchungen 8. 319.] 

2120, 5—8. Zunächst ist klar, daß 2120 und 2121 sich besser an 
einander schließen, wenn die Strophe wegfällt. Wieder eine prosaische 
Betrachtung, die den vollen Zug der Poesie unterbricht. Eine Erklärung, 
wie es möglich war, daß die Burgunden in dem Feuer am Leben blieben, 
brauchen wir nicht. Die platte prosaische Wahrscheinlichkeit vermißte 
der Bearbeiter, darum machte er den Zusatz, der besser, aber auch 
nicht passend, nach 2119 gestanden hätte. [Damit hängt auch die Ver- 
änderung von 2288, 3 zusammen: vgl. Untersuchungen ὃ. 312. 317.] 

"aa 


20 HUGO WISLICENUS 


2157, 5—8. Nur weitere Ausführung von 2157, 4, wo dasselbe 
einfach und kräftig gesagt ist, was hier in den drei ersten Zeilen sen- 
timental breitgetreten wird. Z. 4 ist wieder ein erbärmlicher Lücken- 
büßer, bei dem der Verf. sich selbst nicht viel gedacht hat. 

2222, 5—8. Die Strophe ist überflüßig, denn vom Kampfe wird 
2224 genug erzählt. Daß welche im Blute ertrinken, ist eine abge- 
schmackte Übertreibung im Bänkelsängerton. Auch stört sie den Zu- 
sammenhang, denn so werden Rüdigers Mannen an zwei verschiedenen 
Stellen erschlagen. 

2291, 5—8. Die Strophe durchbricht den lebendigen Zusammen- 
hang der Handlung durch eine höchst prosaische Betrachtung geistlicher 
Tendenz, die durchaus störend ist. [Uber die Quelle derselben s. Unter- 
suchungen ὃ. 320.] 

2368, 5—8. Wohl die schlechteste aller schlechten Zusatzstrophen. 
Der Verfasser zeigt darin eine niederträchtige Gesinnung, mit der er 
Hagen, den unverbrüchlich treuen Dienstmann seiner Herren, in den 
Staub zieht, als teuflisch treulos darstellt. Wo ist hier die poetische 
Gerechtigkeit? Nur die Tendenz, Hagen möglichst herabzusetzen und 
Kriemhilden möglichst zu entschuldigen, kann diese gemeine Strophe 
erklären. Selbst Holtzmann (ὃ. 31) sagt: Dies scheint allerdings ein 
Zusatz der dem Hagen feindlichen Darstellung zu sein. 

2379, 5—8. Die Schlußstrophe des Liedes, der zu Liebe schon 
die vorhergehende (2379) geändert ist. Viel Überflüßiges ist hinein ge- 
bracht, die Christen und Heiden, das Leid der schönen Mädchen nach 
ihren Freunden, 5 ist Wiederholung von 1, 6 ohne allen Zusammen- 
hang, 7 in schlechter Verbindung. Die Eigenthümlichkeit des Bearbeiters 
ist nicht zu verkennen: 1. Ausmalung des Rührenden; 2. Geistliche Ten- 
denz; 3. Prosaisches Breittreten des betreffenden, knappen, poetischen 
Ausdrucks. Auch die Schlußworte der Nibelunge nöt wollte er ändern, 
aus der prosaischen Überlegung, daß der Titel für das Ganze nicht deht 
passend sei, während der Dichter nach dem letzten ungeheuren Fall 
dem Grass den Namen gab. Er setzte also let, mußte daher den 
vorhergehenden Reim ändern, und da hiefür sich nicht ungesucht ein 
entsprechender Ausdruck ergab, eine Erweiterung des Gedankens ein- 
treten lassen. Wie aus den zwei Strophen in C, wenn sie echt waren, 
die eine Schlußstrophe der andern Bearbeitung wurde, möchte schwer 
zu zeigen sein. [Vgl. auch Untersuchungen ὃ. 320.] 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 91 


II. Die Zusatzstrophen in CHIOad. 


813, 5—12. Es ist nicht zu verkennen, daß diese beiden Strophen 
aus dem Tone fallen und den großartigen epischen Zug unterbrechen. 
Sie bringen im Grunde nichts neues als dafs Brünhild beschließt Kriem- 
hild zu fragen, warum Siegfried so lange den Zins vorenthalten hat, 
und auf Gelegenheit dazu wartet. Das ist weitläufig ausgesprochen in 

—9, die drei letzten Zeilen sind Hindeutungen auf die Zukunft. Aber 
mit jenem Gedanken stimmt das folgende nicht. Der Streit mit Kriem- 
hild entsteht nicht daraus, daß Brünhild thut wie sie sich vorgenommen 
hat, sondern aus den herausfordernden Reden Kriemhilds, die Brünhild 
als Gunthers Weib nicht anhören darf. Und noch mehr, Brünhild führt 
ibre in den Zusatzstrophen dargelegte Absicht nach dem Zins zu fragen 
gar nicht aus, sie antwortet mit großer Mäßigung und Selbstbeherr- 
schung bis sie gereizt ist, und Kriemhild im Gegentheile beweist, daß 
Siegfried nicht Gunthers Vasall ist, eben daraus Baßje er ihm keinen Zins 
zahle. Doch © läßt Str. 825 weg und ändert 823, 4. Daß ( hier das 
echte nicht hat, lehrt der Zusammenhang. 1. Kriemhild ist 824 nicht 
redend eingeführt, während in dem Streite der Königinnen alle Reden 
eingeleitet werden, nur 820 nicht, wo aber kein Zweifel walten kann. 
Hier dagegen entsteht Unklarheit, wenn Brünhilds und Kriemhilds Reden 
unmittelbar aufeinander folgen. 2. Daß 823, 4 in C verändert ist, zeigt 
sich schon daran, daß es in gar keiner Verbindung mit dem vorher- 
gehenden steht. Be unvermittelte Übergang von den Rittern auf den 
Zins ist sehr unpassend. 3. Die Änderung passt auch nicht in den Zu- 
sammenhang und stimmt nicht mit dem in 813, 5-12 gefaliten Vor- 
satze überein; denn sonst mußte Brünhild viel früher von dem Zins 
reden. Die Änderungen in Οὐ erscheinen wie nachträgliche verunglückte 
Besserungsversuche, um mehr Einklang mit den Zusatzstrophen her- 
einzubringen. 

905, 5—8 muß im Zusammenhange mit 915 und 915, 5—8 be- 
trachtet werden. Die Strophe 915 fehlt in Ca, aber nicht Ihd. Wir 
müssen den Gang der Begebenheiten ansehen. Zuerst wie er in ABD ist. 
Hagen kommt von der Unterredung mit Kriemhild, sie hat ihm Sieg- 
frieds Verwundbarkeit verrathen und versprochen, das Zeichen auf sein 
Gewand zu nähen, Hagen hat versprochen ihn zu beschützen. Da wähnte 
auch sie, es sollte ihm frommen. Damit war Siegfried verrathen. Ur- 
laub nahm Hagen, da gieng er fröhlich von ihr (848). Des Königs Ge- 
sinde. war alles wohlgemuth. Ich meine, nie begeht ein Recke wieder 
so großen Verrath, wie da von ihm ergieng, als sich auf seine Treue 


22 HUGO WISLICENUS 


die Königin verließ (906). Am andern Morgen kommt Siegfried mit 
seinen Mannen, Hagen blickt auf sein Kleid (907). Er sieht das Kreuz 
und schickt schnell wieder Boten, die den Kriegszug Lendegers absagen 
(908). Siegfried reitet ungern wieder zurück (909). Gunther dankt ihm 
(910). Er kündigt auf Hagens Rath eine Jagd an (911) und lädt alle 
Gäste dazu ein (912). Siegfried will mit und erbittet sich einen Jäger 
und Bracken (913). Gunther bietet ihm vier Jäger (914). Da ritt zu 
seinem Weibe der Ritter; schnell hatte Hagen dem Könige gesagt, wie 
er den theuerlichen Degen gewinnen wollte. So großer Untreue sollte 
niemand pflegen (915). Ende der Aventiure. 

Nun in ©. Hagen geht fröhlich von Kriemhild (905). Was er 
erfahren hatte, bat sein Herr ihm zu sagen. “Könnt ihr die Reise 
wenden, so sollen wir jagen reiten, ich habe nun ganz erfahren, wie 
ich ihn gewinnen soll; könnt ihr das fügen?” “Das thu ich,’ sprach 
der König, “wohl’. (905, 5—8.) Des Königs Gesinde war alles wohl- 
semuth, so große Untreue begeht ein Recke nie wieder (906). Am 
dritten Morgen kommt Siegfried mit seinen Mannen, Hagen blickt nach 
seinem Kleide (907). Er sieht das Kreuz und schiekt Boten, den Zug 
abzusagen (908). Siegfried reitet ungern wieder zurück (909). Gunther 
dankt ihm (910), kündigt die Jagd an (911) und lädt seine Gäste da- 
zu ein (912). Siegfried will mit, erbittet sich einen Jäger und Bracken 
(913). Gunther bietet ihm vier Jäger (914). Als die Ungetreuen seinen 
Tod beschlossen, wußsten sie es allgemein; Gunther und Gernot wollten 
nicht jagen reiten; ich weiß nicht durch welchen Haß sie ihn nicht 
warnten; jedoch entgalten sie es später (915, 5—8). Ende der Aventiure. 

Mir scheint, daß die Folge von ABD den Vorzug verdient; sie 
enthält nichts überflüßiges und läßt nichts vermissen; sie gibt klaren 
poetischen Zusammenhang. Das des Königs Ingesinde darum wohlge- 
muth ist, weil Hagen das Geheimniss weiß, braucht nicht gesagt zu 
werden. Daß Hagen es ihnen sagt, versteht sich von selbst. Aber zur 
prosaischen Vollständigkeit schien es dem Bearbeiter zu gehören. Er 
hat die Absicht den Grund von der Freude des Gesindes anzugeben 
und andererseits zu betonen, daß Hagen die Jagd vorgeschlagen. Ersteres 
versteht sich von selbst, letzteres ist in 911] am rechten Orte gesagt, 
"allerdings nicht von C; es wird daher von der Beurtheilung der Les- 
arten in 911 abhängen, ob Ü die richtige und ursprüngliche Fassung 
hat (davon später). Was die vorliegende Strophe (905, 5—8) betrifft, 
so wird sie niemand gutfinden können. Auch die Form ist nichts werth: 
daß Hagens Rede nicht angeführt ist, bringt Unklarheit hervor; suln 
und sol ist nicht gut, das zweimalige mugt ir in Z. 2. 4 ebenso wenig. 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 23 


Die kurze in zwei Stücke zerrissene Antwort Gunthers nimmt sich auch 
sehr schlecht aus. Die andere Strophe (915, 5—8), die d zweimal hat, 
einmal nach 905, 8, das anderemal mit CJ übereinstimmend nach 915, 
hat nur einen sonst nicht vorkommenden Gedanken: den Vorwurf, daß 
Giselher und Gernot Siegfrieden nicht warnten. Die einfache Antwort 
ist: weil sie doch Siegfrieds Schuld N a) mulsten und die Ihrigen 
nicht verrathen durften. Alles Übrige steht in andern Strophen ἜΡΟΝ 
Der Hinweis auf die Zukunft war überflüßig; daß alle den Anschlag 
wußten, wissen wir schon, denn bei der Berathung waren alle zugegen; 
daß Giselher und Gernot nicht mit auf die Jagd wollten, steht 926, 4, 
allerdings nicht in C, wo mit Rücksicht auf diese eingeschobene Strophe 
die Lesart geändert ist. — Endlich Strophe 915, die in © fehlt. Sie 
steht im engsten Zusammenhange mit den vorigen und schließt die 
Aventiure passend ab. Fällt sie weg, so steht Gunthers Anerbieten von 
vier Jägern in der Luft, ohne Zusammenhang mit dem Folgenden, da 
915, 5—8 nur allgemeine Betrachtungen enthält. Dal Siegfried zu 
seinem Weibe ritt und Hagen dem Könige seinen Plan nun mittheilt, 
ist der passendste Schluß des Abschnitts. Die eingeschobenen Strophen 
veranlassen Wiederholungen, die Οὐ hier und anderwärts durch Text- 
veränderungen zu beseitigen sucht; vgl. zu 813, 5—12. 

1112, 5—12. Die erste der beiden Strophen ist nicht übel, die 
zweite um so schlechter; beide stehen nicht in gutem Zusammenhange 
mit dem vorausgehenden und folgenden. In der ersten spricht Kriem- 
hild mit einfachen Worten aus, daß die Versöhnung nicht ganz auf- 
richtig sein kann; die zweite ist erbärmlich, unklar, verworren. Von 
Kriemhild wird in dritter Person gesprochen, als sei sie nicht dabei, 
und doch antwortet sie in der vierten Zeile. Oder haben die andern 
die Köpfe zusammengesteckt und heimlich in ihrer Gegenwart ge- 
sprochen? Auch steht sie nicht in Übereinstimmung mit der ersten. 
Wenn Kriemhild Z. 5 sagt: ich muß ihn grüßen, ihr wollt mirs nicht 
erlassen’, so ist es doch sinnlos, wenn ihr nochmals die Verwandten 
zureden und sie nochmals sagt: ‘nun {πὰ ich was ihr wollt. Darum 
hat auch Οἱ den Anfang von 1113 geändert. Wie matt die Stelle da- 
durch wird, kann niemand übersehen. Die Wiederholung in directer 
Rede wird beseitigt, aber um so elender ist die ausdruckslose Wieder- 
holung in indirecter. Daraus folgt auch das Unpassende der ersten 
eingeschobenen Strophe, die 1113, 1 antieipiert. Der Hintergedanke 
aber, wenn auch ihr Mund Versöhnung spräche, so würde doch das 
Herz ihm nie hold, kann jetzt noch nicht entfernt Kriemhilden zuge- 
schrieben werden: mit der Versöhnung muß zwischen ihr und Gunther 


24 HUGO WISLICENUS 


die Spannung ausgeglichen sein, wenn sie auch nicht wieder die herz- 
liche Gesinnung wie früher gegen ihn hat. Aber jetzt wirft sie allen 
Hass auf Hagen, und ihre verwandtschaftlichen Gesinnungen gegen 
Gunther werden wiederhergestellt. Daher ist Z. 8 ungehörig, ebenso 
die Erinnerung an das was ihr Gunther gethan hat. Die Hauptsache 
ist, daß sie ihn nicht des Mordes an Siegfried zeiht: ob er nun dazu 
gerathen oder ihn irgendwie unterstützt hat, daran darf sie jetzt nicht 
mehr denken; der einzige Gedanke, der die Versöhnung möglich macht, 
ist, Hagen sei an allem Schuld. Und so erscheint sie im zweiten Theil: 
der Hass gegen Hagen ist unvermindert, ihre Brüder empfängt sie zu- 
nächst ohne Hass, wenn auch Giselhern herzlicher als die andern. Erst 
als sie sieht, daß, wenn sie Hagen verderben will, sie auch die Brüder 
mit verderben muß), siegt der Hass über die Verwandtenliebe. 

1124, 5—8. Eine nähere Ausführung der letzten Zeile von 1124. 
Daß sich Giselher und Gernot auch des Nibelungenlandes bemächtigen, 
geht schon daraus hervor, daß ihnen viele Helden nach Worms folgen. 
Das zweimalige underwinden verdirbt das underwant der folgenden Strophe. 

1261, 5—8. Dasselbe sagt ausführlicher die Klage 491—498 in 
allen Handschriften ausser C; Ü meinte die Nachricht in der Klage 
entbehren zu können, da sie schon im Nib. enthalten war. Das ganze 
ist eine matte Betrachtung, die nicht in die männlichen Worte Rüdigers 
hineinpasst: die pfäffische Gesinnung des Bearbeiters tritt hier wieder 
hervor. [Vgl. Untersuchungen 8. 319.] 

1573, 5—8; in Hd nach 1571. Daß die Fassung von a weniger ur- 
sprünglich ist als die in Hd lehrt schon der Binnenreim [vgl. Unter- 
suchungen ὃ. 316]. Die Strophe ist in beiden Fassungen schlecht und 
überflüßig. Die beiden Gedanken, die sie enthält, daß das Schiff stark 
und groß war und mancher Ritter ziehen helfen mußte, sind jedenfalls 
für das Ganze nicht nöthig; der zweite an sich schon ungehörig, denn 
wenn 8000 Knechte da waren, so ist es eine unsinnige Annahme, daß 
die Ritter hätten mit rudern müssen. Die bestimmte Angabe der Trag- 
fähigkeit des Schiffes ist eine unverständige Übertreibung. Darum hat 
sie der Bearbeiter in a [oder vielmehr der Bearbeiter in der zweiten 
Redaction, Untersuch. S. 316] auf 400 ermäßigt. 

1584, 5—16, in Hd nach 1583. Diese drei Strophen sind überflüßig 
und schlecht. Ob der Kaplan und Hagen sich noch hinüber und her- 
über schelten oder nicht, ist durchaus gleichgültig für den logischen 
Zusammenhang wie für den poetischen Gehalt. In der Erzählung, wo alles 
lebendige, gedrungene Handlung ist, macht jedes ausführliche Gespräch, 
auch wenn es besser wäre als hier, den Eindruck des Überflüßigen, 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 25 


Ermüdenden, Geschwätzigen. In der That, es ist mehr Weibergezänk 
als Reden, wie sie hier passen würden. Beide sind in furchtbarster 
Erregung, Hagen in finsterm Groll wegen des unabwendbaren Schick- 
sals, der Kaplan in der Bitterkeit, welche unverschuldetes Leiden ein- 
flößt, matt von der kaum überstandenen Todesgefahr. Beide müssen 
sich schweigend trennen, das macht eine weit grölsere Wirkung als 
der geschwätzige Fluch des Kaplans, der den Eindruck der Erfüllung 
des ersten Theiles der Prophezeiung völlig verwischt. Das erbärmliche 
Geschwätz zeigt sich besonders an den nichtssagenden Ausdrücken, 
die den Raum ausfüllen sollen: τ mine triuwe — daz wizzet äne spot — 
des sult ir sicher sin — nu lät die rede wesen — hie vor minen handen, 
Z. 10 sagt dasselbe was 9°, 10, 11 zusammen sagen. Die elende Prah- 
lerei des Kaplans Z. 13, das überflüßige des wünsch ich iu vil sere, und 
das noch überflüßigere ir het mir näch den lip benomen dient auch 
nicht zur Schönheit der Strophen. 

1837, 5—8. Die Worte Volkers in 1838 können passend nur auf 
1837 folgen; schon daraus ergibt sich die Unechtheit der Strophe, die 
die Tendenz hat Kriembild zu entschuldigen. 

1898, 5—12. Unpassend ist das Eindringen der gewaffneten Heu- 
nen in den Speisesaal: wenn Etzel vorher im Stande war, den Kampf 
zu beseitigen, so wird er auch so viel Macht haben, seinen Leuten zu 
befehlen ungewaffnet zu kommen. Daß auch Heunen an der Mahlzeit 
Theil nehmen, versteht sich von selbst; daß die Heunen den Bur- 
gunden feindlich gesinnt sind, wissen wir schon, denn eben hat sie 
Etzel mit Mühe vom offnen Kampfe zurückgehalten; daher ist selbst- 
verständlich, daß unter den starken vinden 1898, 4 die Heunen ge- 
meint sind. 

1900, 5—12. In 1901, 3 und 1902, 2 spricht Dietrichs von Kriem- 
hilds mägen, denen sie ans Leben wolle, also kann sie vorher nicht 
gesagt haben, sie wolle sich nur an Hagen rächen. Die Tendenz ist 
auch hier wieder, Kriemhild zu entschuldigen. Was soll hier das Gold? 
Will Kriemhild Dietrich und Hildebrand Gold anbieten? Andern Sinn 
kann es nicht haben; wie unpassend aber ist das! Die zweite Strophe 
klingt fast, als habe Hildebrand Lust zu dem Golde und fürchte nur 
übeln Ausgang. 

1911, 5—8. Die Beschreibung der Pracht, mit welcher Kriemhild 
zu Tische geht, ist nicht am Platze, da sie eben geheim mit Bloedel 
gesprochen hat. Die zwei letzten Zeilen sind/ganz allgemein und matt, 
Z.2 auch nicht viel besser, Z. 1 nur Einleitung, die Strophe hat also 
sehr wenig Inhalt und bereichert die poetische Anschauung _nicht. 


26 HUGO WISLICENUS 


III. Die in A weggelassenen Strophen*). 


340. 341. Die beiden Strophen zeichnen sich nicht eben durch 
Schönheit und Inhaltsfülle aus, obgleich sie durchaus nicht schlecht 
sind und nicht im Entferntesten mit den in C hinzugesetzten verglichen 
werden können. Im Ausdruck sind einige Wiederholungen zu tadeln 
340, 2 — 330, 2. In beiden Strophen ist einfacher, guter Zusammen- 
hang, sie gehören in die Folge der übrigen nothwendig hinein; man 
vermißst etwas wenn sie fehlen, obwohl der Zusammenhang nicht durch- 
aus zerrüttet wird; darum konnten sie von einem, der die Tendenz zu 
kürzen hatte, leicht übergangen werden. Aber schöner wird das Ganze 
alles schließt sich mehr aneinander, wenn sie bleiben. 

345. 346. Wenn auch nicht unentbehrlich, passen sie doch sehr 
wohl in den Zusammenhang, und sind keineswegs schlecht. Die Er- 
zählung ist lebendig und einfach, die Reden Gunthers und Hagens 
nicht übel, der Stil dem Epos entsprechend, das ganze Stück trägt 
den Charakter der Episode. Siegfried hat gerathen, in reichen Kleidern 
vor Brünhild zu erscheinen, Gunther spricht seine Absicht aus, seine 
Mutter um dieselben zu bitten, Hagen räth sich an Kriemhild zu wen- 
den, offenbar damit er seiner Mutter nicht dergleichen zumuthe. In 
der letzten Zeile hat C eine abgeschmackte Änderung, die das Ganze 
verzerrt, indem danach Hagen defhalb Gunthern von seiner Mutter ab- 
räth, weil Kriemhild so kunstreich sei und bessere Kleider machen 
könne. | 

354—357. Vier Strophen, die A leicht weglassen konnte, weil 
sie nichts wichtiges enthalten. Doch vermilst man etwas wenn sie fehlen: 
da vorher so ausführlich erzählt ist, wie Kriemhild Gunther und Sieg- 
fried bewillkommt und zu den Sitzen führt, so erwartet man eine längere 
Unterredung als die in den drei folgenden Strophen, auch ist Gunthers 
Bitte um Gewänder (350, 4) schon zu weit vorhergegangen, um mit 
Kriemhilds Rede in 358 noch in klarem Zusammenhange zu stehen. 
Auf Kriemhilds Frage (351) gibt nur 354, 3 Antwort. Nicht wohl 
konnte Jemand die in A vorhandenen Strophen allein dichten wie sie 
da sind ohne die vier vorliegenden, die im Ton und Charakter sich 
vollkommen an das Ganze anschließen. 

368. Die Strophe unterscheidet sich im Ton gar nicht von den 
vorhergehenden und folgenden: sie ist nicht wichtig und konnte leicht 
weggelassen werden. Sehr gut ist die letzte Zeile. 


*) [Vgl. dazu meine Untersuchungen ὃ, 302—310.] 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 27 


370. Von ihr gilt dasselbe wie von den vorigen: nicht mit Unrecht 
hat A hier gekürzt. 

388. Die Strophe ist gut, scheint aber nicht an der richtigen 
Stelle zu stehen. Dais Siegfried nicht redend eingeführt wird, ist hier 
unpassend, da vorher eben von allen die Rede ist. Die Strophe passt 
zwischen 386 und 387. A hat sie vermuthlich schon an der unrechten 
Stelle gefunden. 

396—398. Die drei Strophen, die eine Schilderung des Aus- 
steigens der Burgunden aus dem Schiffe geben, vervollständigen lebendig 
den Zusammenhang. Sie sind ganz vortrefflich, lebendig und inhalts- 
voll. Ein echt episches Motiv ist das Schauen der Jungfrauen: da ist 
nicht trockene Erzählung, sondern eine wundervoll belebte Scene, beides 
tritt klar hervor, die Jungfrauen in der Burg und die Helden am Strande. 
Sehr gut ist die Darstellung Siegfrieds, wie er Gunthern dient. Die 
Strophen sind aber auch für den Zusammenhang nothwendig, denn 399 
ist nur von Siegfried und Gunther, die schneeweiß gehen, die Rede, 
während von den rabenschwarz gekleideten Hagen und Dankwart erst 
in 402 gesprochen wird: daß aber in 399 nur von Siegfried und Gun- 
ther die Rede ist, erfährt man nur aus diesen drei Stropher. Wenn sie 
fehlen, muß man nothwendig die Schilderung in 399 auf alle vier be- 
ziehen und dem widerstreitet, daß dann in 402 von Dankwart und 
Hagen noch besonders gesprochen wird. 

401. Die Strophe vervollständigt die letzte Zeile der vorher- 
gehenden und ist gut und passend. Nur die letzte Zeile scheint mit 
dem Folgenden nicht im Einklang, da hier Brünhild alles sieht, während 
ihr später noch gemeldet wird, daß die fremden Recken angekommen. 
Aber das erklärt sich leicht: allerdings sieht sie die Landung der 
Helden, indeß sie weiß noch nicht wer sie sind, und erst nachdem 
dieselben in die Burg gekommen, wird ihr nach Hofsitte Meldung da- 
von gemacht. 

409. Die Strophe ist ohne Wichtigkeit, leitet aber die Fragen 
Brünhilds gut ein. 

412—415. Ein Anlaß zur Weglassung dieser Strophen war vor- 
handen, da in der vorhergehenden und der nachfolgenden Strophe von 
Siegfried die Rede ist und beide sich passend aneinanderschließen. 
Allerdings scheint der Fortgang rascher und straffer, die Handlung 
treibt mehr vorwärts ohne diese vier Strophen, aber die Schilderung 
ist so vortrefflich und hier so am Platze und lebendig motiviert, daß 
mit ihnen eine große Schönheit des Gedichtes verloren geht. Der 
Schreiber von A ließ sie weg in dem Bestreben, alles was möglich 


28 HUGO WISLICENUS 


war wegzuschneiden. Auch das ist sehr passend, daß Brünhild die 
Schilderung überhört über der einen Nachricht, daß Siegfried da sei 
und nur von ihm spricht. 

439. Die Strophe ist allerdings nicht sonderlich passend, sie 
unterbricht die Schilderung von der Bewaffnung Brünhilds, obgleich der 
Waffenrock allerdings auch dazu gehört und nicht ausführlich beschrieben 
war. Das mag dem Dichter eingefallen sein. 

442. Diese Strophe, wenn auch im Zusammenhange nicht noth- 
wendig, ist doch vortrefilich und gibt Gunthers Gedanken höchst 
lebendig wieder. 

445. Ein trefflicher Schluß von Dankwarts Rede, höchst lebendig 
und kräftig ausdrucksvoll. 

453. Daß diese Strophe echt ist und von A weggelassen ward, 
ergibt sich schon daraus, daß die erste Zeile der folgenden Strophe dem- 
gemäß geändert werden mußte. Sie vervollständigt lebendig die Er- 
zählung. Weil sie ohne großen Schaden für das Verständniss des 
Ganzen wegbleiben konnte, hat A sie gestrichen. 

455. Von ihr gilt dasselbe wie von manchen in A fehlenden 
Strophen, sie ist nicht unentbehrlich, und darum ausgelassen. 

459. An sich gut, lebhaft bewegt, Form und Ausdruck vortrefflich: 
ihr Inhalt ist natürlich nicht aus der Sage entnommen, und für den 
Zusammenhang ist sie nicht nothwendig. 

465. Gut und passend; wenn sie fehlt, ist im folgenden Brünhild 
nicht eingeführt, was zwar nicht unumgänglich nothwendig, aber 
doch natürlich ist. Folgt 466 unmittelbar auf 465, so fühlt man so- 
gleich, daß zu wenig über Siegfrieds Wurf und Sprung gesagt ist. 
Das ergänzt diese Strophe in trefflicher Weise. ‘Der Sprung war er- 
gangen, der Stein war gelegen’. So ungeheuer war Wurf und Sprung, 
daß die Zuschauer es nicht für wirklich halten konnten, bis sie sahen 
daß es wirklich geschehen war. Darum haben diese Worte ihre hohe 
Bedeutung, sie ziehen den Hörer lebendig mit in die Scene hinein. 
“Da sah man niemand anders als Gunther den Degen’, und meinte also, 
er hätte das riesige Werk vollbracht. “Brünhild die schöne ward im 
Zorne roth:: da steht Gunther der Sieger, und dort Brünhild die be- 
siegte, roth vor Zorn, denn das ist ihr noch von keinem Manne 
begegnet. ‘Siegfried hatte König Gunthers Tod entfernt‘, den sie zu- 
versichtlich erwartet hatte. Wie viel Leben, wie viel echt poetische 
Anschaulichkeit ist in dieser Strophe! 

471—473. Die drei Strophen sind unstreitig sehr passend, natür- 
lich nicht aus der Sage entnommen, aber lebendig das Bild vervoll- 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 29 


ständigend; man erwartet, dals bei Siegfrieds Rückkehr einige Ver- 
wunderung darüber sein wird, wo er gewesen, daß vielleicht während 
des Kampfes einige sich nach ihm umgesehen und ihn nicht gefunden 
haben und nun fragen werden. Wie der schlaue Siegfried allen Fragen 
zuvorkommt, ist hier gut gegeben. Brünhilds und Hagens Worte sind 
sehr passende Folge. Da sie keine wichtige Begebenheit enthalten, so 
konnten sie leicht weggelassen werden, und A hat deßhalb die letzte 
Zeile der vorhergehenden Strophe geändert. 

518. Sehr passend und ganz im Tone des Übrigen gehalten; sie 
konnte leicht weggelassen werden, da sich Hagens Antwort ebenso gut 
auf die vorhergehende Strophe als auf sie beziehen kann. 

531 und 534. Durch beide Strophen wird das Ganze ungleich 
lebendiger und anschaulicher, durch ihre Weglassung entsteht eine 
Lücke. Wenn Hagen, nachdem Gunther ihn aufgefordert hat sein Bote 
zu sein, nicht einmal redend eingeführt, Siegfrieden vorschlägt, so 
vermißt man seine Ablehnung und deren Grund; das zweimalige er 
sprach von Gunther, ohne dafs er zu reden aufgehört hat, ist störend 
und deutet entschieden auf einen Ausfall. Beide Strophen sind voll- 
kommen in demselben Ton und Charakter wie das Ganze. 

555. Gut und passend, wenn auch nicht wesentlich in die Hand- 
lung eingreifend, aber das Bild hübsch vervollständigend. 

563. 564. Zwei Strophen, die die rege Geschäftigkeit in Worms 
schildern, in den Zusammenhang gehörend; es fehlt an Harmonie, 
wenn sie wegbleiben, wenn auch eine stark fühlbare Lücke nicht 
entsteht. Aber man hat doch den Eindruck, daß etwas fehlt: Gun- 
thers Befehle werden nicht alle ausgeführt, wenn die Strophen weg- 
bleiben. 

568. Eine unbedeutende Strophe. Ihre Echtheit wird daher von 
der Würdigung der übrigen in A fehlenden Strophen abhängen. 

571. Nicht wichtig, aber passend. 

573. Von ihr gilt dasselbe wie von den vorigen. 

582. 583. Diese Strophen sind für den Zusammenhang und das 
Verständniss der Situation nothwendig. Siegfried würde fast gar nicht 
genannt und ist doch eine Hauptperson. Hier haben wir in schönster 
Weise, wie er mit seiner Geliebten zusammen nach dem Strande reitet. 
Und ebenso, wie die Ritter und Frauen in glänzendem Zuge abreiten, 
gibt ein hübsches Bild. 

595. Für den Zusammenhang nothwendig. Die Nennung der Zelte 
in der vorigen Strophe wäre ganz zwecklos, und ohne Sinn, wenn nicht 
darauf folgte, daß man hineingieng. 


30 HUGO WISLICENUS 


599. Die Strophe passt gut in den Zusammenhang. 

605. Nicht geradezu nothwendig, aber auch nicht unpassend, 

629. Füllt eine zwar nicht entschiedene, aber doch fühlbare Lücke 
aus, da das niht möre 630, 1 schon einiges voraussetzt, dem nicht 
mit 628, 4 Söfrides kurzewile diu wart vil groezliche guot genügt wird. 
Sehr gut ist, wie sie beide ein Leib werden. 

631. Unentbehrlich; sie zeigt die Sitte des Beilagers damaliger 
Zeit und leitet das folgende ein. 

634. Durch Weglassung dieser Strophe wird der Zusammenhang 
gestört; mit ihr ist alles fließend und entwickelt, ohne sie wird es steif 
und gezwungen. 

639. Ganz unentbehrlich. Fällt sie aus, so passt das vorher- 
gehende und nachfolgende nicht zusammen, denn der Kampf und das 
Aufhängen Gunthers ist im Anfang der Nacht, und die Rede Brün- 
hilds am Morgen, sonst könnte sie nicht so sprechen. Grade die Grausam- 
keit Brünhilds, daß sie ihn wirklich die Nacht durch hängen läßt, ist 
ein Hauptmotiv für das folgende und rechtfertigt so viel wie möglich 
den mit ihr gespielten Betrug. Dazu kommt daß Gunther nachher (650) 
selbst zu Siegfried sagt, daß er die Nacht durch bis zum Tage am 
Nagel gehangen habe. 

652. Die Strophe ist gut und wichtig. Sie begründet weßhalb 
Siegfried zu allem bereit ist wegen seines hohen Glückes, dasselbe 
Glück will er Gunthern bereiten. Daß er sein Glück ausspricht, ist 
passend und poetisch; ἀδ er es ohne den geringsten Spott thut, ver- 
steht sich. Die Gliederung der Gedanken in der Strophe ist vortrefflich. 
Vorhergegangen ist Siegfrieds Versprechen, er wolle schaffen, daß Brün- 
hild diese Nacht ihm ihre Liebe nicht versage. Nun die Versicherung 
‘du kannst noch glücklich werden.” Dann spricht er sein Glück in 
warmen Worten aus, an Gunthers Unglück anknüpfend, und schließt 
mit kräftiger Versicherung: Brünhild muß noch heut Nacht dein werden. 
Daran schließt sich ganz passend die Auseinandersetzung seines Planes. 

659. Die Strophe ist gut und vervollständigt echt poetisch den 
Zusammenhang. Gunthers Ungeduld ist vortrefflich ausgedrückt. 

681. Diese in ihrer Art meisterhafte Strophe bereitet das Folgende 
vor und wird durch den Zusammenhang gefordert. Allerdings nimmt 
sich das oft aufeinanderfolgende minneclich und minne nicht gut aus, 
aber es liegt im Inhalt begründet. 

691. Es ist unverkennbar, daß Str. 696, in welcher Kriemhild 
einen Antheil an der Burgunden Dienstmannen fordert, da Siegfried 
auf sein Erbtheil an Land und Burgen verzichtet hat, sich weit 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 31 


besser ausnimmt, wenn die vorliegende Strophe vorausgeht; ohnehin 
passt es in Kriemhilds Charakter, daß sie, sobald sie mit dem ge- 
liebten Manne verbunden ist, sofort darauf bedacht ist, daß seine Rechte 
nicht geschmälert werden. Es ist die erste Andeutung der Herbigkeit 
ihres Charakters, die nachher immer schroffer hervortritt: man kann 
schon ahnen, wozu dieses Weib fähig ist, wenn sie des geliebten Mannes, 
in dem sie ganz aufgeht, einmal beraubt wird. 

695. Die lebhafte Rede Siegfrieds ist sehr passend; sehr gut 
auch die Anspielung auf den Nibelungenhort. 

711. Ganz passend, wenn auch nicht unentbehrlich, 

719. Von geringer Wichtigkeit, doch steht sie parallel mit der 
vom Sohne Siegfrieds. 

940. Nicht übel, aber auch nicht unentbehrlich; ein Anlaß zur 
Hinzudichtung kann nicht gedacht werden. 

945. Ergänzt lebendig und schön das Bild der Jagd und passt 
trefflich in den Zusammenhang. 

1059. Stimmt in Ton und Inhalt ganz zu den übrigen. Unent- 
behrlich ist sie nicht. Ein Gedanke erfüllt sie, und er ist gut ausge- 
führt: ein lebendiger Beitrag zur Darstellung der Todtenfeier. 

1659. Die Strophe gehört in den Zusammenhang: es schickt sich 
daß der Wirth auch von dem Gesinde spricht und für es sorgt: dafür 
sind die Hütten auf dem Feld. Fiele sie aus, so wülste man nicht, ob die 
Herren auch darin wohnen sollen, Klarheit und Zusammenhang wären 
gestört. 1660 bezieht sich auf 1659, 4. 

1676. Gehört in den Zusammenhang, wenn sie auch nicht ge- 
radezu unentbehrlich ist. Der liebenswürdige bescheidene Charakter 
des Markgrafen tritt darin trefflich hervor. 

1881. Diese lebendige Schilderung ist hier sehr am Platze und 
die Strophe auch deßhalb nothwendig, weil ir 1882, 1 sich auf die 
Burgunden bezieht, von denen in der weggelassenen Strophe die Rede 
ist, nicht auf die in 1880 genannten Heunen. 


IV. Die in Ο fehlenden Strophen‘). 

24. Diese Strophe hat “mindestens dem Dichter der Gudrun be- 
reits vorgelegen (Zarnceke S. 417). Das ist doch wohl ein gewichtiger 
Grund für die Echtheit derselben. Sie passt trefflich in den Zusammen- 
hang. In Str. 23 ist von seiner Erziehung die Rede gewesen, nun in 
Str. 24 ist er erwachsen und reitet zu Hofe, dann erzählt Str. 25 von 


*) [Vgl. Untersuchungen $, 321—323.] 


39 HUGO WISLICENUS 


seinem Leben am Hofe, wie er schön gekleidet wird und erfahrene 
Männer zur Pflege erhält. Fehlt unsere Strophe, so ist eine Lücke in 
der Erzählung. 25 passt nicht auf 23, denn man weiß nicht, weßhalb 
er mit Kleidern geziert wird, wenn nicht vorher gesagt ist, daß er an 
den Hof gekommen war. Auch der übrige Inhalt ist nicht schlecht. 
Die Leute sahen ihn gern, manche Frauen und Mädchen wünschten 
ihm, dafs seine Neigung ihn immer an den Hof führe. Hold waren ihm 
viele, des ward er wohl gewahr. Allerdings war schon in Str. 22 davon 
die Rede, daß er bei Frauen beliebt war, aber dort war es eine Hin- 
weisung auf die Zukunft, dem Dichter konnte nicht einfallen sagen zu 
wollen, daß die Weiber schon den heranwachsenden Knaben liebten; 
das bezeichnet schon sit. Hier also (26) wird erzählt, daß er, zum Jung- 
ling heranreifend, die Blicke der Frauen und Mädchen an sich zieht. 

589. Die Frauen umarmen sich: "so liebevollen Empfang hörte 
man noch nie als die beiden Frauen, Frau Ute und ihrer Tochter, der 
Braut kund thaten: sie küßten oftmals ihren süßen Mund. Allerdings 
war schon 587 vom Küssen die Rede, aber nur zum ersten Empfange 
zwischen Brünhild und Kriemhild, dann haben sie sich verneigt, und 
nun umarmen und küssen sie sich oft, dann begrüßt sich das Gefolge, 
und die Königstöchter stehen bei einander. Das ist ein ganz passender 
Inhalt, und auch die Ausdrucksweise gibt keinen Anlaß zum Tadel. 
Allerdings © hat das Küssen schon in der letzten Zeile der vorher- 
gehenden Strophe in sehr gezwungenem und ungeschicktem Ausdruck 
abgethan; aber daraus folgt noch nicht, daß dieser der echte sei. In 
Ü küssen sie sich erst, nachdem Kriemhild die Begrüßungsworte ge- 
sprochen, im gemeinen Texte gleich bei der ersten Begegnung; jenes 
mag der Hofsitte um 1200 gemäßer sein, dieses ist entschieden natür- 
licher. 

600. Die Strophe gehört in den Zusammenhang. 

698. 699. Die Stelle ist von Wichtigkeit, denn die Weglassung 
oder Hinzufügung hat noch weitere Änderungen nach sich gezogen. 
Die Strophen an sich sind schön und gehaltvoll. Kriemhild sendet zu 
Hagen und Ortwin, um sie mit nach Niederlanden zu nehmen; darüber 
wird Hagen zornig und spricht seine Anhänglichkeit an das burgun- 
dische Königshaus aus. Vortrefflich ist der Hinweis auf seine Vorfahren: 
der Tronjer Sitte sei, dafs sie bei den Königen am Hofe bleiben müßten. 
Der kleine Conflict bleibt ohne weitere Folgen, aber er läßt einen Blick 
in den Charakter der Hauptpersonen thun: Kriemhild, deren herber 
Charakter hier zum ersten Mal andeutungsweise hervortritt (vgl. 691) 
Hagen, dessen Treue und Rücksichtslosigkeit treffend gezeichnet 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 33 


ist. Dazu Siegfrieds Uneigennützigkeit und der burgundischen Könige 
gute Gesinnung gegen ihn — das Ganze gibt ein lebendiges, anschau- 
liches Bild, in dem kein Zug überflüßig ist, wo alles auf die Zukunft 
weist, in der so manches sich lösen soll, was hier motiviert ist. Der 
Dichter überschaut mit freiem Blicke das Ganze und hat die vor- 
liegende Scene mit feinem Taete hinzugedichtet, zur Vorbereitung der 
schroffen Gegensätze, die später mit einander in Conflict kommen. 
Diesen feinen Blick hat der Bearbeiter von © nicht gehabt. Vermuthlich 
hat er an der ungalanten Abweisung Anstoß genommen, er läßt also 
die beiden Strophen weg. Daher muß die letzte Zeile von 697 Kriemhilt 
dö senden began geändert werden, und er schrieb daz was ir liebe getan; 
ebenso der Anfang von 700. Der Zusammenhang ist bei weitem nicht 
so gut in ©. 697 hat Gernot Kriemhild gesagt, sie solle sich nehmen 
wen sie wolle, und ihr 1000 Mann angeboten. Jetzt auf einmal, als sie 
sich zur Fahrt bereitet, nimmt sie nur 500 Mann und von allen Helden 
nur den Markgrafen Eckewart. Ist sie auf einmal so bescheiden ge- 
worden? Das schien vorher nicht so. Wie kommt es daß sie nicht 
mehr namhafte Helden mitnimmt? Hat sie das großmüthige Anerbieten 
Gernots so gerührt, daß sie sich nun mit der Hälfte und dem einen 
Eckewart begnügt? Das müßte doch gesagt sein. In der andern Be- 
arbeitung ist alles klar und anschaulich und wir gewinnen eine schöne 
Scene, die zwar gegen die höfische Sitte ist und darum in höfischen 
Kreisen Anstoß erregen mußte, aber das NL. ist eben kein höfisches 
Epos. Der Dichter hat nicht den beschränkten Gesichtskreis der späteren 
ritterlichen Dichter und scheut sich nicht herbe Scenen zu bringen, 
wenn sie dem Ganzen von Nutzen sind. Hier ist ja auch das eigent- 
liche Motiv zu Hagens Abweisung seine unwandelbare Treue gegen 
sein Königshaus, die später auch das Motiv aller seiner Handlungen 
ist und ihn in aller Furchtbarkeit doch edel bleiben läßt. 

768. Allerdings entbehrlich, da sie nicht wesentlich in die Hand- 
lung eingreift; aber sie gibt ein ‘hübsches lebendiges Bild, wie Gere 
die Neugierigen abfertigt. Hinzudichtung ist nicht denkbar. 

825. Die Weglassung dieser Strophe hängt mit der Einschiebung 
von 813, 5—12 zusammen; den Zins hatte © schon 823, 4 angebracht, 
darum musste 825, die von dem Zinse handelt, wegfallen. Durch jene 
Veränderungen und Einschiebungen in C wird der Streit als ein be- 
absichtigter dargestellt. Wer von beiden führt den unheilbaren Bruch 
herbei? Wir wissen es nicht. Etwas, was zum Besten, Edelsten im 
Menschen gehört, ist die Triebfeder: die Gattenliebe. Kriemhild in 
ihrem Glück, in dem Selbstbewusstsein, in dem Stolze, der doch aus 

GERMANISTISCHE STUDIEN. II, 3 


24 HUGO WISLICENUS 


der Demuth stammt, aus dem Gefühle, hochbegnadet zu sein durch den 
Besitz ihres Gatten, thut eine Äußerung, die nichts ist als der Spiegel 
ihrer Gedanken, wie sie sie haben muf5 in dem Bewusstsein, daß Sieg- 
fried der erste aller Männer ist. Schon lange haben sich in der schmählich 
getäuschten (und doch wieder aus den edelsten Gründen, Freundschaft 
und Liebe, getäuschten) Brünhild allerlei Gedanken geregt, die durch 
eine Unwahrheit geweckt worden sind, durch das Vorgeben, Siegfried 
sei Gunthern untergeben. Sie hat nicht die verlangte Auskunft erhalten, 
sie ist grenzenlos erniedrigt worden und weiß es nicht. So hat sie hin- 
gelebt und wünschte bei persönlicher Begegnung Klarheit zu erhalten. 
So muß es jetzt zu Erklärungen kommen. Sie kann die arglose Äußerung 
Kriembilds nicht ruhig hinnehmen, sie muß ihren Gatten vertreten, sie 
hält ihn in vollem Glauben für den ersten aller Männer und antwortet 
demgemäß bestimmt aber ohne Bitterkeit. Beide Frauen können sich 
unmöglich darüber vereinigen, der Streit ist unausbleiblich. Brünhild 
muß behaupten, daß Gunther über Siegfried stehe, Kriemhild erkennt 
ihren Fehler und behauptet nun wenigstens die Gleichheit Beider. Länger 
kann der langgenährte Zweifel in Brünhild nicht schweigen, sie spricht 
ihn aus, aber mit großer Mäßigung, indem sie die Gründe angibt, welche 
sie dazu zwingen. Das kann nun Kriemhild unmöglich ruhig anhören, 
sie antwortet lebhaft, aber auch gemäßigt, indem sie Brünhild freundlich 
bittet, die Beleidigung zurückzunehmen. Das kann natürlich Brünhild 
nicht, denn sie ist vom Gegentheil überzeugt, und Kriemhild kann sie 
nicht davon überzeugen, auch wenn sie wollte. Da zürnt Kriemhild 
und antwortet scharf, indem sie ihre erste Äußerung, Siegfried sei 
größer als Gunther, mit aller Schroffheit wieder aufnimmt und Zurück- 
nahme der Beleidigung verlangt, zugleich durch die Thatsache, daß 
Siegfried keinen Zins zahlt, das Ungerechtfertigte derselben beweisend. 
Und so werden beide immer zorniger, wie es nicht anders sein kann, 
sie wollen beide zeigen, daß sie vor der andern geehrt zu werden ver- 
dienen, sie trennen sich, und bei der Begegnung vor dem Münster sind 
beide aufs äußerste gereizt, Brünhild wirft Kriemhilden die Beleidigung 
vor allem Volke ins Gesicht, und Kriemhild, um sich zu wehren und 
Siegfried zu vertreten, kann nicht mehr anders, sie muß das furchtbare 
Geheimniss, das Siegfried ihr im Vertrauen der Liebe mitgetheilt hat, 
offenbaren, und dazu in der Gereiztheit noch mehr fügen, und so ist 
Brünhild auf das tödtlichste gekränkt und kann nicht mehr leben, wenn 
die ihr angethane Schmach nicht gerächt werden kann: gerächt werden 
kann sie nur durch Siegfrieds Tod. Wie nothwendig hier eins aus 
dem andern sich ergibt, wie meisterhaft der Dichter die Verwickelung 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 35 


ausführt, mit welcher vollendeten poetischen Gerechtigkeit beide Frauen 
behandelt sind, das braucht dem, der Gefühl für das Große und Er- 
habene hat, nicht mehr nachgewiesen zu werden. — Wie anders C! 
Indem das ganz ungehörige Motiv des Zinses hineingebracht ist, wird 
die poetische Einheit gestört, der ganze Standpunkt verrückt, erscheint 
Brünhild kleinlich, geldgierig und Kriemhilds Antwort in 824 du solt 
nimmer daz erleben daz er dir zins deheinen von sinem lande müeze geben, 
ist ebenso kleinlich, giftig. Auf einmal ist die ganze Unterredung in 
die Sphäre des Gewöhnlichen, Gemeinen herabgerückt, wie ein Zank 
zwischen zwei geschwätzigen Weibern. 

887. Schon die letzte Zeile der vorhergehenden Strophe weicht 
ab. In der gem. L. spricht Siegfried und bekräftigt seine Versicherungen, 
den Feind zu züchtigen, mit den Worten: ‘von mir soll euren Feinden 
das wisset, Leid geschehen’. Diese Worte schließen seine Rede passender 
ab als 886, 3 “daß ich euch gern diene, das lasse ich euch sehen. 
C lässt darauf folgen “da begann ihm Gunther zu danken’: wie matt 
und inhaltslos! Vergegenwärtigen wir uns die Situation: Alle spielen 
Komödie, wollen Siegfried überlisten, der ihnen unbedingt vertraut und 
alles für seine Freunde opfern will. Sein rückhaltsloses Vertrauen, sein 
freudiger Opfermutb, und dazu die Hinterlist, der Betrug derer, die er 
für seine besten Freunde hält und die ihm insgeheim nach seinem 
Leben trachten, besonders der elende Verrath seines Schwähers Gun- 
ther — welches charaktervolle Bild, welche unvergleichliche Motive 
für den Dichter! Und wie hat das C benutzt? “Dafür sagte ihm Gunther 
großen Dank’ ist alles, eine allgemeine Phrase, kein Bild, keine lebens- 
volle Scene. Dagegen die gem. L. “So wohl mir dieser Märe‘, sprach 
der König da, als ob er ernstlich seiner Hülfe froh wäre. In Falsch- 
heit neigte sich vor ihm tief der ungetreue Mann. Da sprach der Herr 
Siegfried: ihr sollt keine Sorge haben‘. Wie hoch erhaben steht der 
betrogene schmählich verrathene Siegfried hier vor uns, wie tief er- 
niedrigt der schwache König, dessen Schicksal es ist, ohne Hülfe an- 
derer nie etwas großes ausführen zu können, und durch andere zur 
Theilnahme am Verrathe gezwungen zu werden. Und wie schön sind 
Siegfrieds letzte Worte, mit denen er den König beruhigen will! 

915 wurde schon oben bei 905, 5—8 besprochen. 

1053. 1054. Nach Holtzmann Zusätze in geistlicher Tendenz. Daß 
Kriemhild für Siegfrieds Seele opfern lässt, ist schon Str. 1052 auch in 
U gesagt. Daß das nun ausführlicher erzählt wird, wie sie durch ihre 
Kämmerer Gold austheilen lässt, daß jedes Kind Opfer briugt, daß viele 
Messen gesungen werden, daß) großes Gedränge von ἀν χτν Freunden 


36 HUGO WISLICENUS 


ist, daß nachher (1060) erzählt wird, wie den Armen Gold ausgetheilt 
wird — das alles sind keine unpassenden Gedanken. Wie sich alles 
zum Opfer drängt, ist ein Beitrag zu Siegfrieds Charakteristik. Zu den 
besten Strophen des NL. gehören diese beiden allerdings nicht. 
1060. Von dieser Strophe gilt dasselbe wie von den beiden vorigen. 
1140 ist schon oben bei Gelegenheit von 1136, 5—8 besprochen. 
1523. Lachmann verwirft diese Strophe, weil sie die Zahlen in 
Verwirrung bringt, indem sie nämlich zu den 1060 Burgunden von 1507, 2 
noch 1000 Nibelunge füge, die 1573 wieder vergessen seien. Dabei 
ist die einzig mögliche, alle Schwierigkeiten hebende Erklärung über- 
sehen, daß nämlich die Burgunden Nibelunge genannt werden, was 
Lachmann selbst mit Bezug auf 1526, 2. 1527, 4 bemerkt. Im zweiten 
Theile werden beide Namen vollkommen gleichbedeutend gebraucht. 
Die 1000, die Hagen auswählt, sind die 1000 Nibelunge, diese 1000 hat 
Gunther mitgenommen und nicht noch 1000 Burgunden dazu. Es bleibt 
aber noch eine Schwierigkeit: 1522 ist von den snellen Burgonden die 
Rede gewesen und hier 1523 heißt es, die 1000 Nibelunge seien mit 
ihnen gekommen. Also sind das doch andere? Wer sind denn aber 
die snellen Burgonden in 1522? Die ausgewählten Tausend? Das steht 
nirgend. Wohl aber werden die zurückbleibenden Einwohner von Bur- 
gund Z. 4 ir vole genanut. Wer kann also zweifeln, dafs hier die Könige 
und ihre höchsten Lehensträger, also Gunther, Gernot, Giselher, Hagen, 
Dankwart und Volker gemeint sind? 1520. 1521 ist von allen im all- 
gemeinen die Rede, 1522 von den Führern; 1523 von der Mannschaft. 
1564. In C (a) fehlt die Scene, wie das Ruder bricht und Hagen 
es wieder mit dem Schildfessel bindet. Es fragt sich zunächst, ob diese 
Scene gut und passend ist. Der unerschrockene Hagen, der durch kein 
Mißgeschick, durch keine üble Vorbedeutung von der Ausführung des 
einmal beschlossenen Vorhabens sich abbringen lässt, der für alles Rath 
weiß und ebenso gut einen Feigen wie einen Helden abgeben kann, 
ist hier vortrefflich gezeichnet. In der düsteren Scene ist diese Kraft- 
äußerung Hagens ein sehr schöner Zug. Zarncke findet darin einen 
übertreibenden Zusatz im Bänkelsängerton. Wenn darunter die kräftigen 
schlagenden, ergreifenden Züge zu verstehen sind, so findet sich noch 
in vielem dieser Ton. Warum aber hat © die Scene weggelassen? Sie 
wurde zu groß, zu grell gefunden. Der Bearbeiter, der an der weiteren 
widerlichen Ausführung des nächtlichen Kampfes zwischen Siegfried 
und Brünhild keinen Anstoß nahm, fand sich hier veranlasst, die höchst 
lebendige Scene wegzulassen, weil sie ihm unnatürlich schien. Lach- 
mann verwirft 1565 wegen des Übergangs der Construction, und doch 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 37 


findet er in dem Binden mit dem Schildfessel einen sehr schönen und 
ohne Zweifel aus der Sage genommenen Zug. Beides, große Schönheit 
und die Herkunft aus alter Sage können ihn nicht abhalten, die Strophe 
zu verwerfen? Beides sind doch mächtige innere Kriterien, und sie 
kann eine äußere Abweichung vom Gewöhnlichen umstoßen? Aber der 
sagenhafte Inhalt ist kein sicheres Kriterium; denn ein Bearbeiter konnte 
leicht das was er aus der Sage wusste und im Gedichte vermisste darin 
anbringen wollen; der Umstand, daß der erwähnte Zug sich in der 
Thidrekssaga und in den altdänischen Liedern wiederfindet, ist kein 
Beleg für den Ursprung aus der Sage, denn er kann aus einer Be- 
arbeitung des Nibelungenliedes in den Norden übergegangen sein. Auf 
diese Umstände ist also kein Gewicht zu legen, vielmehr wird das 
maßgebende hier wie überall die innere Kritik sein; es wird sich fragen: 
ist die Stelle dem Ganzen angemessen, ein Beitrag zur Schönheit des 
Gedichtes, stört sie nicht die innere Einheit, oder ist sie überflüßig, 
störend und daher verwerflich? Von diesem Gesichtspunkte aus muß 
man sich unbedingt für die Echtheit der Strophe aussprechen. 

1654. Die Strophe ist gut und passend. Die Bemerkung, daß die 
Frauen sich nicht schminkten, bat eine principielle Bedeutung: der 
Dichter wollte hervorheben, ἀδ die wirkliche, die reine Frauenschön- 
heit die natürliche, ungeschminkte sei im Gegensatz zu der damals [?] 
herrschenden Mode. An solchen Stellen wird der Dichter zum Sitten- 
richter über die Gebrechen seiner Zeit. Es versteht sich daß der höfische 
Bearbeiter von © solche Stellen nicht brauchen konnte, weil sie den 
galanten Höflichkeitston verletzten. 

1888. Auch Lachmann verwirft die Strophe: nach ihm ist Z. 4 
aus 1884, 4 genommen. Wie kann er das sagen? git und lön sind die 
beiden einzigen gleichen Worte, der Gedanke ist ähnlich, aber in 1884, 4 
unbestimmt mit ob als Frage, hier bestimmt verneint. Höchst passend 
ist es hier in Hagens Munde: ‘Nur zu, meint er, wenn Unheil daraus 
folgt, was thuts? wir werden hier doch nicht gelobt.’ Alles steht in 
vortrefflichem, klarem Zusammenhange und bildet eine mächtig bewegte 
Scene. Alle von Lachmann verworfenen Strophen sind dafür nothwendig, 
auch diese. 

2011. Es ist durchaus passend, dafs Giselher seinen staetigen muot 
ausspricht, nur dadurch ist die folgende Strophe genügend motiviert. 

2200. Die Strophe ist gut und passt trefflich in den Zusammen- 
hang. Die Klage Hagens, mit Freunden kämpfen zu müssen, ist gerade 
hier sehr am Platze, da eben Rüdiger ihm seine Freundschaft bewiesen 
hat. Lachmann, der die Strophe trotz des inneren Reimes beibehält, 


38 HUGO WISLICENUS 


findet die letzte Zeile etwas matt. Ich finde, der einfache, keusche 
Ausdruck von Rüdigers Kummer ist trefflich wahr und der ganzen 
Dichtung gemäß. Allerdings, Rüdiger ist matt, erschöpft von seinem 
innern Leid, und in solchen Augenblicken tiefsten Affectes findet die 
Seele keine Worte als die einfachsten: wollte hier der Dichter noch 
einen großen Wortschwall erheben, wie Rüdiger sein Leid schilderte, 
das wäre entschieden für das Gefühl beleidigend; er hat auch hier wie 
überall beim Ausdruck des Innern das Rechte gefunden. 

2321. Die Frage Dietrichs, ob noch welche der Burgunden am 
Leben sind, ist so vortrefflich und entspricht der Gemüthsstimmung 
so ganz, dal) es unbegreiflich ist, wie Jemand urtheilen kann, ein 
Abschreiber habe damit etwas Nothwendiges zu ergänzen gemeint. Es 
ist klar, dafs der Bearbeiter von (Οὐ sie wegließ, weil er meinte, sie 
unterbreche die Klage Dietrichs*). 


V. Abweichende Lesarten**). 


513—521. Die Darstellung der gem. L. hat etwas scherzhaftes, 
aber konnte das hier nicht in der Absicht des Dichters liegen? Daß 
sie der Situation der betheiligten Personen unwürdig sei, kann ich 
nicht finden: ein wenig Übermuth der burgundischen Helden ist doch 
wohl nicht übel am Platze, nachdem sie die schwere Sorge ausgestanden 
haben und von Brünhild genugsam übermüthig ‚behandelt worden sind. 
Diese scherzhafte kleine Rache kann man hier gerade ganz vortrefflich 
finden. Brünhild allerdings erscheint in einer etwas demüthigenden 
Situation, aber nachdem sie lange genug die Übermüthige gewesen ist, 
ist das vollkommen gerecht und ein guter dichterischer Griff. Wenn 
sie noch etwas von ihren Schätzen behalten will, wenn sie fürchtet, 
durch Dankwarts übergroße Freigebigkeit alles zu verlieren, so kann 
das ihr noch nicht als Geiz vorgeworfen werden, und wenn Gunther 
und Hagen über sie lachen, da sie ängstlich Dankwarten nicht mehr 
traut, so wird sie damit noch nicht durchaus lächerlich gemacht. Aller- 
dings soll zugleich die Freigebigkeit der burgundischen Helden auf 
Kosten Brünhilds hervorgehoben werden, aber das eben ist hier voll- 
kommen passend. Wenn Zarncke der Scene Schuld gibt, sie schlage 


5) [Wenn ich auch zugebe, daß in Bezug auf einige der in C fehlenden Stro- 
phen W. richtig motiviert hat, so bin ich doch von der Trefflichkeit anderer nicht 
überzeugt, und halte sie ebenso für Zusätze, wie der andere Bearbeiter sich solche, 
nur in größerem Maß\stabe erlaubte.] 

**) [Ich stelle hier zuerst die stärker abweichenden größeren Stellen, und dann 
eine Reihe einzelner Strophen zusammen.) 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 39 


der Sitte ins Gesicht, so wird dieß wohl auch die Meinung des Be- 
arbeiters von Ü gewesen sein. Es kommt darauf an, welcher Sitte: 
der höfischen? Das ist vollkommen wahr; nichts kann in grellerem 
Widerspruche mit der höfischen Sitte stehen, als daß die Königin Brün- 
hild so gedemüthigt wird, nichts kann ungalanter sein, als daß Gunther 
und Hagen über sie lachen. Hagen der Dienstmann seine Königin aus- 
lachen! Das war zu viel, das musste beseitigt werden. So musste ein 
höfischer Bearbeiter denken, er konnte unmöglich die Scene stehen 
lassen, er musste als galanter Mann der Brünhild diese Demüthigung 
ersparen. Aber der Sitte des Zeitalters, das das NL. behandelt und wie 
es dieselbe darstellt, entspricht alles vollkommen. Das NL. ist nichts 
weniger als ein höfisches Epos. Nicht nach höfischer Sitte haben die 
Helden die abenteuerliche Fahrt unternommen, sondern in recken wäse, 
muthig und unerschrocken auf ihre Kraft vertrauend, übermüthig den 
Gefahren trotzend und ihrer spottend. Dieser Sitte schlägt es durch- 
aus nicht ins Gesicht, wenn sie nach überstandenen Gefahren gegen 
die nicht überzarte und nervenschwache Brünhild, die sie in der 
ernstesten Gefahr verhöhnte und ihnen alle Sorgen bereitet hatte, sich 
einen harmlosen Scherz erlauben, der keinem der Betheiligten etwas 
schadet. Nichts passt besser zu dem Charakter der kühnen, über- 
müthigen Recken. Es ist selten, daß der Dichter des NL. scherzt, aber 
darum macht bei ihm der Scherz auch eine besondere Wirkung, ebenso 
wie die seltenen, aber treffenden Bilder, die er gebraucht. Hier haben 
wir den einzigen ausgeführten Scherz des ganzen NL. und wahrlich, 
er ist des Dichters vollkommen würdig. In lebendiger Wechselrede 
beginnt es: Brünhild will sich mit ihrem Reichthum zeigen, das 
sehen die Burgunden wohl, und Dankwart, der es noch wohl im 
Gedächtnisse hat, wie übermüthig sie vorher war, will ihr dafür 
einen Schreck bereiten und sie etwas demüthigen. Er will die Ver- 
theilung übernehmen: die Rede ist treffllich im Munde des kühnen, 
übermüthigen Recken, der am glänzenden Hofe der burgundischen 
Könige Freigebigkeit gelernt hat. Und nun wird seine Freigebigkeit 
trefflich geschildert, Brünhild hört es und ist unzufrieden damit. Ihre 
Rede, worin sie sich über den allzu freigebigen Kämmerer beklagt, ist 
lebendig, nicht demüthig und erschrocken, sondern immer in ihrem 
Charakter, selbst in dem leisen Scherze. In ihrem Unmuthe muß sie 
doch wieder über den freigebigen Kämmerer lachen, sie kann ihm 
nicht ernstlich zürnen. Und nun antwortet ihr Hagen in seiner derben 
Weise, es sei am Rhein Gold und Kleider genug. Brünhild bittet nun, 
ihr 20 Schreine mit Gold und Seide zu füllen, damit sie etwas zu ver- 


40 HUGO WISLICENUS 


theilen habe, wenn sie nach Gunthers Land kämen. Das geschieht, aber 
Sie vertraut es Dankwart nicht an, ihr eigener Kämmerer muß dabei 
sein, und darüber lachen Gunther und Hagen. Wie viel kräftiges, un- 
gezwungenes Leben ist in dieser Stelle, wie viel echte Poesie und 
Humor, ein lebendig fortschreitender, unbefangener, wahrhaft epischer 
Stil. Allerdings hat das Stück den Charakter der Episode, aber der 
Episode, wie sie sein soll, lebendig mit dem Ganzen verbunden, wenn 
auch nicht tief in die Begebenheiten eingreifend, der Episode, die einen 
Ruhepunkt bildet, nicht lang und breit ausgesponnen, aber mit dem 
heitern Tone auf das trefflichste die gefahrvolle Unternehmung ab- 
schließend. Die beiden Strophen, die C hier allein hat, wird man da- 
gegen schwerlich schön finden. Nicht gut ist der Ausdruck zehant 513, 
er sagt überhaupt wenig, und C hat ihn schon in der vorhergehenden 
Strophe an derselben Stelle im Reime. Die etwas geschwätzige Auf- 
zählung “Gold und Silber, Rosse und auch Gewänder, wobei die Rosse 
etwas befremden können, und die noch geschwätzigere den vremden 
und den kunden, vil manigem werden man dienen auch nicht zur Ver- 
schönerung der Strophe. Wie ungleich kürzer und lebendiger lautet 
die Stelle in der andern Bearbeitung! Breit und matt, geschwätzig und 
ausdruckslos ist die letzte Zeile des ir ir vater höte näch sime töde υἱῖ 
verlän, verglichen mit 513, 3 des ich sö vile hän, und 518, 3 daz mir min 
vater lie, woraus der Bearbeiter seinen Gedanken schöpfte. Nun die 
folgende Strophe. den recken alsö her ist wieder breit und matt, des 
schatzes minre oder mer ebenso und dazu ganz unbestimmt, man weiß 
nicht was das heißen soll, viel besser wäre doch einfach: ‘so viel sie 
wollten‘. Sehr schlecht, eintönig und plump ist die Wiederholung daz 
si naemen und daz si braehten. In der letzten Zeile kommt zehant zum 
dritten Male. Aber auch der Zusammenhang lässt manches zu wünschen 
übrig. Auf die Undeutlichkeit des schatzes minre oder mör wurde schon 
hingewiesen. Der Sinn soll ohne Zweifel sein, sie sollen nehmen so 
viel sie wollen, aber das steht nicht da. Die folgende Zeile macht die 
Undeutlichkeit noch größer: daz si daz mit ir braehten in Burgonden 
lant: dabei denkt man natürlich zuerst daran sie sollen sich mitnehmen 
so viel sie wollen, für sich selbst. Was soll nun das mit ir? soll das 
etwa heißen, sie sollen es ihr mitnehmen? Schlecht genug wäre es 
ausgedrückt, bestimmt jedenfalls nicht, höchst unklar. Wie steht das 
nun mit dem Übrigen im Einklang? Zuerst hieß es, sie ließ Gold 
und Silber u. 5. w. an alle vertheilen, nun lässt sie den Recken vom 
Rheine sagen, sie sollen soviel sie wollen ihr mit nach Burgund nehmen. 
Will sie also auf einmal etwa Hagen und Dankwart als ihre Kämmerer 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 41 


anstellen, daß sie ihr ihre Schätze mitnehmen sollen? Eine sonderbare 
Zumuthung jedenfalls, wenn sie sich nicht dazu erboten haben. Aber 
welche Unklarheit! Der Verf. wollte zuerst Brünbilds Freigebigkeit 
schildern, da mussten natürlich die burgundischen Helden auch 
etwas bekommen: sie sollten sich nehmen so viel sie wollten. Aber 
später verlangt ja Brünhild, zwanzig Schreine sollen für sie gefüllt und 
mitgenommen werden. Wenn Hagen auf die Aufforderung, sie sollten 
sich nehmen soviel sie wollten, und das für sich, antwortete, ihr König 
habe genug, sie brauchten nichts mitzunehmen, und dann Brünhild ent- 
gegnete, nein, sie wolle zwanzig Schreine voll Gold und Seide mit- 
nehmen, so fehlt es an Zusammenhang. Eine verbindende Scene wusste 
der Verf. nicht einzuschieben, darum brauchte er den Nothbehelf, daß 
er mit ir einschob, wo es der ursprünglichen Stelle nach nicht passt. 
Noch ein Mangel an Zusammenhang ist zu rügen. Brünhilds Angstlich- 
keit wegen Dankwarts konnte der Bearbeiter natürlich nun nicht brauchen, 
er ließ also Str. 521 weg, obgleich die erste Zeile wichtig ist, die er- 
zählt, dafs Brünhilds Wunsch ausgeführt ward. Durch das Wegfallen 
der Strophe entsteht aber eine fühlbare Lücke, zwei Reden Brünhilds 
über zwei durchaus verschiedene Gegenstände kommen unmittelbar zu- 
sammen. Das scheint der Bearbeiter übersehen zu haben, ja selbst die 
neue redende Einführung Brünhilds, die nur einen Sinn hat, wenn etwas 
anderes vorhergegangen ist, und sie nicht zuletzt gesprochen hat, hat 
er stehen lassen. 

530—536. Auch hier soll nach Zarncke der Bearbeiter alle Zucht 
und Sitte vergessen, indem er Siegfrieden Gunthers Bitte, die Botschaft 
zu übernehmen, anfangs kurzweg abschlagen lässt, sodaß der König 
mit neuen Betheuerungen in den Gast dringen muß). Ist es denn da 
nicht noch weit mehr gegen alle Zucht und Sitte, wenn Hagen, der 
Dienstmann Gunthers, diesem seine Bitte verweigert und Siegfried den 
König an seine Stelle vorschiebt, als wenn Siegfried der König die 
Botendienste, zu denen sonst nur Untergebene genommen werden, aus- 
schlägt? Und vergisst denn nicht Gunther aller Zucht und Sitte, indem 
er Botendienste von Siegfried begehrt? Daß Siegfried der reiche König 
Botendienste thun soll, ist gewiß eine Zumuthung, die er abweisen 
muß, sofern nicht besondere Gründe dafür sprechen. Darum macht 
er auch nachher bei Kriemhild einen Scherz daraus und verlangt Boten- 
lohn, den er sofort verschenkt. Wir haben in der gem. L. eine lebendige, 
charaktervolle Scene. Hagen fordert Gunthern auf, Boten nach Worms 
zu schieken, dieser bestimmt ihn dazu. Hagen antwortet, er sei kein 
guter Bote, er wolle die Kammer verwalten und bei den Frauen bleiben, 


42 HUGO WISLICENUS 


ihre Gewänder zu behüten*), bis sie sie heim brächten. Dagegen solle 
er Siegfrieden bitten, der passe dazu; versage er es, so solle Gunther 
ihn um seiner Schwester willen freundlich bitten, So geschieht es: 
Siegfried, der es anfangs verweigert, erklärt sich um Kriemhilds willen 
zu allem bereit. Nichts erregt hier Anstoß, die Reden sind einfach und 
charaktervoll, der Stil lebendig, die Form vortrefflich. Nicht ebenso 
ist C zu loben: wir haben schon gesehen, wie der höfische Umarbeiter 
Hagens Worte anstößlig finden musste, ebenso mochte er Siegfrieds 
Weigerung unpassend finden, da diesem ja nichts willkommneres be- 
gegnen konnte als zu seiner Geliebten gesandt zu werden. Beide Motive 
führten zur Umarbeitung. Hagen musste ablehnen, ohne Gründe, und 
Siegfried vorschlagen, Gunther denselben bitten und dieser es einfach 
annehmen. Gunthers Bitte an Hagen ist in der gem. L. doch viel 
schöner als in ©. “Niemand wäre zu der Fahrt so bereit, so tüchtig, 
als ihr, Freund Hagen: nun reitet in mein Land, unsere Ankunft thut 
ihnen niemand besser kund’. Dagegen C: “Nun bereitet euch zu der 
Fahrt, trefflicher Ritter, denn wir haben in diesen Zeiten keinen andern, 
der dahin reiten könnte. Wie kalt, befehlend ist C gegen die herz- 
liche Anerkennung, die in der andern Lesart liegt. Wefihalb nun Hagen 
in © der übermüete man genannt wird, ist nicht zu begreifen, da er 
dann doch sehr zahm und bescheiden spricht. Auffallend ist nun ferner, 
daß Hagen doch auch in C die Erwartung ausspricht, Siegfried könne 
es vielleicht verweigern: "Um eurer Schwester willen darf er nicht 
weigern’; das wäre doch sinnlos, wenn Hagen nicht die Möglichkeit 
oder Wahrscheinlichkeit der Weigerung Siegfrieds voraussähe. Es weist 
also auch das auf das Vorhandensein der gem. Lesart. 

661—663. Der Unterschied beider Lesarten ist, daß die gem. L. 
eine lebendige Scene hat, C allgemeine Betrachtungen. Im Epos wird 
an sich jenes schon den Vorzug verdienen. Siegfried hat Gunthern 
versprochen ihm beizustehen und in der Tarnkappe in seine Schlaf- 
kammer zu kommen. Gunther ist froh darüber und kann die Zeit nicht 


*) Diese Stelle scheint bis jetzt mißverstanden zu sein. Hagen will Kämmerer 
auf der Fluth sein: der Kämmerer hatte über die Schatzkammer, über Gold, Kleider, 
Waffen die Aufsicht zu führen: so, scheint es, hat man hier gemeint, Hagen wolle die 
Schatzkammer, worin besonders Frauenkleider gewesen seien, behüten. Aber der 
Kämmerer hatte äußerdem das Schlafgemach zu besorgen, auch sonst aufzuwarten und 
auf Sitte und Ordnung zu halten. Diese Auffassung liegt hier viel näher. Hagen will 
Kämmerer sein, er will über die Sitte und Ordnung auf dem Schiffe wachen; nicht 
gerade zart spricht er das aus, aber ganz seinem derben, rauhen Charakter gemäfß. 
Dafs das einem höfischen Bearbeiter nicht behagte und in höfischen Kreisen Anstoß 
erregte, ist leicht begreiflich. 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 43 


erwarten. Nach dem Essen gehen Brünhild und Kriemhild mit Gefolge 
in ihre Gemächer. (Siegfried sitzt bei Kriemhild, sie haben sich bei 
der Hand, plötzlich verschwindet er. Befremdet fragt sie, wo er hin 
gekommen sei. Sie ließ die Rede bleiben [weil sie keine Antwort er- 
hielt, ohne Zweifel]; er war nach Gunthers Schlafkammer gegangen.) 
Nun folgt der nächtliche Kampf, wo Siegfried Brünhilden Ring und 
Gürtel abnimmt (663—683). Dann geht er wieder hinaus und wird von 
Kriemhild wohl empfangen, er hindert ihre Fragen und verhehlt ihr 
dann lange was er ihr mitgebracht hat, bis sie unter Krone in seinem 
Lande gieng; er lief} es nicht bleiben, er gab ihr, was er ihr geben sollte 
(684). Das ist dann das Motiv für den verhängnissvollen Streit der 
Königinnen. Mit außerordentlicher Kunst und doch den einfachsten 
Mitteln verschlingt hier der Dichter die Fäden zur Vorbereitung der 
Katastrophe. Daß Siegfried Kriemhild Ring und Gürtel gibt und alles 
erzählt, führt zu dem Streite; aber der Dichter will auch erklären, wie 
Siegfried dazu kommt und das bereiten die vorliegenden Strophen 
trefflich vor. Sie können ohne empfindlichen Verlust für das Ganze 
nicht wegbleiben. Natürlich sind die Neuvermählten beisammen, und 
nicht leicht ist es für Siegfried sich unbemerkt wegzustehlen; er hilft 
sich, um kein Aufsehen zu machen, mit der Tarnkappe und verschwindet; 
wahrscheinlich ebenso plötzlich erscheint er wieder. Aber wir sehen 
voraus, daß er sich gegen Kriemhilds Fragen wird zu wehren haben, 
sie wird in ihn dringen, und er wird es ihr schließlich anvertrauen, 
So folgt eins aus dem andern, jeder sieht, daß die vorliegenden Strophen 
wichtig sind. Man beachte nur den einfachen, epischen Ton, und wie 
darin wechselnde Stimmungen und in ausdrucksvollster Weise wieder- 
gegeben sind. Siegfrieds hobes Glück, sein seliges Tändeln mit Kriem- 
hild, sein plötzliches Verschwinden, ibre Befremdung, mit wenigen 
Worten, aber lebendig anschaulich, ein Meisterstück der Poesie. Wie 
erbärmlich erscheint daneben ΟἹ Statt lebendiger Handlung Ausruhen auf 
flachen allgemeinen Bemerkungen, bis plötzlich wieder unvermittelt und 
störend die Handlung beginnt. Siegfried und Kriemhild gewannen sich 
immer mehr lieb, ir sult gelouben daz! Wie wenig ließ sie das was sie 
ihm zu Gefallen thun konnte! Man sollte meinen, es sei von Siegfrieds 
und Kriemhilds künftigem ehelichem Leben die Rede; daß sie sich 
immer lieb hatten und Kriemhild zuvorkommend gegen ihren Mann 
war, sind so allgemeine Betrachtungen, die nur Sinn haben, wenn von 
ihrer Ehe im allgemeinen die Rede ist. Aber durch die vierte Zeile 
werden wir wieder unmittelbar in die Gegenwart versetzt und das macht 
nun eine sehr unangenehme Wirkung, und ist gänzlich unpoetisch: 


44 HUGO WISLICENUS 


dö muos ouch leisten Sifrit als er Gunther gehiez. Der Anfang der 
nächsten Strophe Er stal sich von der frouwen ist zu allgemein; ob 
Kriemhild seine Entfernung bemerkt, erfahren wir nicht, und so er- 
scheint hier Siegfried als schwatzhaft, als könne er das Geheimniss 
nicht bei sich behalten. 

1251—1254. Dafür in C nur zwei Strophen. 1251, 1 stimmen 
beide Recensionen noch, und bei 1254, I treffen sie wieder zusammen. 
Daß Etzels Boten sich nach der Heimat zurücksehnen, ist wenn auch 
nicht wesentlich, doch natürlich und gut, gut besonders ist der Aus- 
druck geworben oder gescheiden 1251, 3. Die Schwierigkeit liegt in den 
Zeilen 1251, 4—1252, 3. Der Sinn ist: Rüdiger kommt an den Hof 
mit seinen Mannen, die unter einander redeten. Es schien ihnen allen 
gut, daß man des Königs Meinung recht erführe, und zwar bei Zeiten, 
denn ihr Weg zur Heimat sei weit. Ü hat dieß unklar gefunden und 
darum geändert. 

1716. 1717. Dafür in © drei ganz abweichende Strophen. Jene 
beiden Strophen gehören zu den schönsten des ganzen NL. und geben 
in gedrungener, fast übergehaltvoller Weise ein lebendiges in großen 
Zügen wie in Erz gegossenes, charaktervolles Bild. Kriemhild stellt 
sich in ein Fenster und erwartet die Ankommenden, wie sonst Freunde 
auf Freunde warten; sie sieht viele Männer aus ihres Vaters Lande; 
der König lacht vor Freude, als er es erfährt. Kriemhild spricht ihre 
Freude aus, wie die Ihrigen so manchen neuen Schild und weiße Hals- 
bergen bringen; wer Gold und ihre Gunst haben wolle, der solle ihres 
Leides gedenken. In diesen wenigen Zügen steht das ganze Weib lebens- 
voll vor uns; Stolz und Freude des Wiedersehens, Haß und Rache- 
durst zusammen sind unübertrefflich schön zu einem Bilde vereinigt. 
Dieses Bild ist gänzlich zerstört in C. Wie blaß und farblos ist hier 
die Situation! Oder vielmehr nur Gedanken Kriemhilds, die breit, ge- 
schwätzig, in unerträglichen Wiederholungen und matt ausgesprochen 
sind. Kriemhild hört von dem Kommen der Burgunden, ihr entweicht 
ein Theil ihrer Schmerzen. Damit in Ζ. 4 doch Etzel erwähnt wird, 
wird eine allgemeine Betrachtung aus 2086, 4, wo sie am Platze ist, 
zugesetzt. Nun folgen in den beiden folgenden Strophen Kriemhildens 
‚Gedanken, in armseliger Wiederholung, der mir hät benomen wil der 
minen wunne — der mich an mänen freuden alsö gepfendet hät; daz mim 
räche οὐδ in dirre höchgezite an sinem argen libe — ez sol im leide ergän 
ze dirre höchgezite; ich solz alsö schaffen — mag ich daz gefüegen, ez sol; 
nichtssagende Zusätze: noch möhte is werden rät; des ich vwil quoten 
willen hän; swiez dar näch gest; des sol ich nu ze gelte komen. Rein un- 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 45 


begreiflich ist, wie jemand die beiden Strophen der gem. L. für Zu- 
dichtung aus Hai gegen Kriemhild erklären kann. In der gem. L. 
werden alle Charaktere mit poetischer Gerechtigkeit behandelt, sie thun 
wie sie nicht anders können, Kriemhild in dem Zwiespalt ihres Herzens 
will sich allerdings vor allem an Hagen rächen, aber ihren Hafs über- 
trägt sie auch auf die übrigen Burgunden, als diese sie daran hindern. 
Dat sie darum nicht unbedingt als teuflisch boshaft zu verdammen ist, 
weils der Dichter wohl: er behandelt sie mit Liebe, freilich ist er ebenso 
weit von seichter Vertuschung ihres Charakters entfernt als von ab- 
soluter Verdammung. In ihrem Charakter sieht man die folgerichtige 
Entwicklung, mit ihrem leidenschaftlichen Herzen konnte sie nicht 
anders werden, als sie durch das Unglück innerlich gebrochen war, 
sie handelt natürlich, alles ist innerlich motiviert. Ebenso ist Hagen 
vollkommen gerecht behandelt; seine furchtbaren Thaten werden nicht 
verschwiegen, aber er ist darum kein Teufel, er ist und bleibt der 
herrliche Held, vor allen Dingen treu seinem Lehnsherrn, kräftig, un- 
verzagt, mit schwerem Herzen wegen des Ausgangs tritt er die Reise 
an, aber er weiß was er zu thun hat, Gefahr hält ihn von nichts zurück, 
der Feindschaft tritt er kühn, feindlich entgegen, für das Unrecht 
nimmt er fürchterliche Rache. Er ist ein ganzer Mensch, sich selbst 
treu bis zum letzten Athemzuge, nichts kleinliches berührt sein Gemüth, 
alles an ihm ist groß, heldenhaft, In © aber ist die poetische Gerechtig- 
keit zerstört: überall wo er kann bringt der Umarbeiter matte Ent- 
schuldigungen Kriemhilds an, und muß doch vieles stehen lassen, was 
für die Handlung nothwendig ist, wo sie scharf, schroff auftritt. Dadurch 
entsteht ein unlösbarer Widerspruch in ihrem Charakter. ‘Der Dichter 
wird gegen den Schluß in seiner Zeichnung der Kriemhilde sich untreu’, 
bemerkt Holtzmann (5. 31). So wird also doch wohl die Gestalt der 
Dichtung, in welcher er sich treu bleibt, den Vorzug verdienen. Hagen 
dagegen behandelt C mit der äußersten Gehässigkeit, verdächtigt ihn, 
zieht ihn in empörender Weise herab, stellt ihn als geldgierig, zum 
Schluße teuflisch seinen Herrn verrathend dar, um den Hort allein zu 
besitzen. Diese kleinliche Geldgier steht mit seiner übrigen Großartig- 
keit, die doch nicht zu vertilgen war, nicht im Einklange. Also auch 
bier Widerspruch! 

2298— 2300. In der gem. L. ist einiges ungeschickt ausgedrückt, 
aber die Erzählung einfach und edel. Giselher und Wolfhart haben sich 
gegenseitig den Tod gegeben; als Hildebrand Wolfbarten fallen sieht, 
da ist ihm noch nie solch Leid geschehen. Alle Mannen Gunthers und 
Dietrichs sind tedt. Hildebrand geht zu Wolfhart, umschließt ihn mit 


46 HUGO WISLICENUS 


den Armen und will ihn forttragen, aber er ist ihm zu schwer, er muß 
ihn liegen lassen. Da blickt aus dem Blute der todtwunde Mann, er 
sieht wohl daß Hildebrand ihm gern forthülfe, und nun warnt er ihn 
vor Hagen und spricht die herrlichen Worte, nach denen er stirbt. 
Wie eine Karrikatur nimmt sich dagegen der Text von C aus. Der 
Bearbeiter nahm Anstoß an dem Ausdruck niht mere der Dietrüches 
man, da doch Hildebrand hier nicht mit inbegriffen sein kann, und 
dafS in der folgenden Strophe nochmals gesagt wird, Dietrichs Mannen 
seien gestorben. Er änderte also beide Stellen demgemäß; auch der 
Gebrauch von neve für Oheim scheint ihm Anstoß gegeben zu haben. 
Das übrige wurde mit der krassen, übertriebenen Schilderung des 
Blutes ausgefüllt, wozu ihm zwei Steilen, 2299, 3 und 2390, 3 dienten. 


182, 1. gein den vinden gem. L., von den vinden CD. Jenes ist 
ganz klar: den Sachsen und Dänen gegenüber sind Siegfried und die 
Burgunden die Feinde, und wenn sich aus ihrem Heere ein Held auf 
die Warte gegen die Feinde begibt, so ist es eben gegen die Burgunden. 
Das ist lebendig gedacht; weniger lebendig ist das von in OD, dann 
sind die Sachsen die Feinde und von hie begibt sich einer auf die 
Warte. Darin liegt viel weniger poetische Anschaulichkeit. Die Änderung 
ist daher keine Besserung, sondern Verschlechterung. 
283, 2 der schin AB, des schn CDEJh. AB beziehen den Schein 
auf die Sterne, die andern auf den Mond. Beides kann gesagt werden. 
aber AB ist besser. Wenn von dem lautern Scheine der Sterne ge- 
sprochen wird und von dem sie überstrahlenden Monde, so wird doch 
der Glanz des Mondes weit mehr hervorgehoben als wenn nur vom 
lautern Mondenschein die Rede ist und von den Sternen nebenbei. 
342, !. Der gesellen bin ich einer, der ander soltu wesen, dafür Der 
gesellen sit ir einer, der ander sol ich wesen C. C hat unverkennbar 
geändert, um Siegfrieds Rede höflicher zu machen; daß dadurch alle 
Einfachheit und Natürlichkeit verloren geht und Siegfried auf einmal 
von dem offenen Helden zum galanten Hofmanne wird, hat er nicht 
bemerkt. 
446, 2 sprach sin bruoder Hagene, dafür C ich und min bruoder 

Dancwart. Eine sonderbare Änderung, zu der Οἱ schwerlich durch die 
Wiederholung von bruoder 444, 2 veranlasst wurde. Hagen sagt, er und 
Dankwart wollen sich wohl durchschlagen. Und die andern im Stiche 
lassen? Das scheint darin zu liegen: es ist der erste Versuch in C, 
den Charakter Hagens zu fälschen, wovon später noch viel mehr Spuren 
vorkommen. 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 47 


503, 4. mit werken, Ü mit vorhten, Jah mit sorgen. Die Lesart 
von C ist Änderung des unverstandenen mit werken. Da Jie Ritter so 
bereit sind ihm zu folgen, so werden sie ihn nicht fürchten, auch ist 
das in einer so märchenhaften Nachtscene nicht am Platze. | 

539. In der gem. L. gibt Gunther Aufträge an Uote, seine Brüder, 
seine Freunde und Verwandten (537), Kriemhbild, das Gesinde, alle 
seine Leute, über den guten Ausgang der Sache (538), an Ortwin den 
Truchseß wegen der Vorbereitungen zum Empfange, an seine andern 
Verwandten wegen des Festes, zu dem er sie einlädt (539) und endlich 
an Kriemhild wegen Brünhilds Empfang (540). In C dagegen sendet 
er Nachricht an seine Mutter und Schwester, an seine Brüder, seine 
Freunde und Verwandten (537), noch einmal an Kriemhild und seine 
Mutter, das Gesinde und all seine Leute wegen des Ausgangs (538), 
noch einmal an seine Brüder und Freunde, sie sollen bereit sein, durchs 
ganze Land wegen des Festes (539) und an seine Schwester wegen 
des Empfangs (540). Hier vermisst man klaren Zusammenhang. Der 
Auftrag an Ortwin ist wichtig, dafür in C unklares Gerede. daz gesidele 
563, 3 ist ganz unklar, besonders in der Fassung von Ü, wenn es sich 
nicht auf den Auftrag Gunthers zurückbezieht. Ebenso ist der drier 
künege mäge hete man besant einfache Folge des Auftrags. Ganz sinnlos 
ist unt (539, 3), was daher die Herausgeber von © in man verändern. 

642, 1. Dö löste si in balde, üf si in verlie, Ο Dö si daz gehörte, . 
zehant si in verlie. Jener Text scheint eine Tautologie zu enthalten, 
das mag C veranlasst haben zu ändern. Aber es scheint nur so. Brün- 
hild hat Gunthern gebunden und an den Nagel gehängt; jetzt löst sie 
ihn vom Nagel und bindet ihn auf: das sind zwei Handlungen, hinter 
einander, zweckmällig ausgesprochen. Die Änderung in © ist schlecht: 
Dö löste si in balde ist das Wichtigste, Erste, und könnte auch für 
das Ganze genügen; nicht ebenso üf si in verlie, was nur vom Auf- 
binden gelten kann. Die erste Vershälfte in C ist matt und sagt eigent- 
lich gar nichts, zehant ist Lückenbüßer. 

648, 2. Die Stelle ist verschieden gedeutet worden: wol wesse waz 
im waere der edel ritter guot. wol wesse sine swaere der küene degen guet. 
Lachmann legt sie so aus: Siegfried wisse ohne zu fragen, dals Brünhild 
noch unbezwungen sei und gründet besonders darauf die Behauptung, 
der Dichter habe überall beider früheres Verhältniss im Sinne gehabt. 
Doch liegt dieß bestimmte Wissen von Gunthers Schicksal durchaus 
nicht in den Worten, allerdings in C weit mehr. Die gem. L. heißt 
offenbar nichts anderes als ‘Siegfried sah wohl was Gunthern war, er 
sah seine Traurigkeit. Das ist durchaus nicht im Widerspruch mit der 


48 HUGO WISLICENUS 


Bedeutung von ‘wissen’. Als Siegfried Gunthern ansah, da erlangte er 
das Wissen seiner Traurigkeit, aber nicht nothwendig von dem Grunde 
derselben, oder als ob er schon voraus gewusst habe, dafs Brünhild 
noch unbezwungen sei, und daß Gunther am Morgen nach der Braut- 
nacht traurig sein is Ähnlieher Gebrauch von ‘wissen’ lässt sich 
im NL. mehrfach nachweisen: Vgl. 2363, 3. 18, 3. 100, 1. 781, 2.2156, 1. 
und un 1859, 3. 

694, 1. 2. Es ist klar, daß C, nachdem es 690 mit Sun der Sige- 
mandes te hatte, nicht wohl die nächstdritte Strophe auch so 
anfangen konnte. Die Ätdesung ist nicht ungeschickt; aber in der 
zweiten Zeile hat auch der Sinn eine Änderung erfahren: in der gem. 
L. hieß es einfach ‘Siegfried sprach als er der Herren Willen hörte 
und sah’; er wurde dadurch veranlasst das Anerbieten abzuweisen. In 
C dagegen “als er den guten Willen der Herren sah’; und es wird da- 
durch der Sinn untergeschoben, als habe S. nur sehen wollen, ob die 
Herren auch gutwillig mit ihm theilen wollten. 

740, 4. ruowende lac, C bi ir liebe lac. Diese Änderung macht 
einen widerwärtigen Eindruck, der Bearbeiter hat es nicht lassen können 
bei der Erwähnung des Ruhebettes gleich an die Liebeswollust zu 
denken. Aus solehen unmotivierten Änderungen erkennt man den Geist 
der Überarbeitung. Grade weil hier nicht der geringste Grund war den 
Geschlechtsgenuß herbeizuziehen, was der Dichter, wo es darauf an- 
kommt, nicht scheut, ist die Änderung unrein, unkeusch, sie ist nicht 
naiv, sondern aus reflectierter Lüsternheit hervorgegangen. 

842, 1. Lachmanns Besserungsversuche sind gezwungen und sinn- 
störend. Ü empfiehlt sich dadurch, daß Kriemhild redend eingeführt 
wird, doch wird man sogleich bemerken, dal gerade hier das nicht 
nöthig ist, da der Contrast in den Reden der beiden Frauen groß genug 
ist. Daß aber in Οὐ waz mac mir daz gewerren? wegfällt, ist ein großer 
Mangel. Der Mangel in der Form (dreisilbiger Auftakt) ist eher zu 
ertragen als ein Mangel im Inhalt [und hat die Änderungen veranlasst]. 

911. Sehr abweichend, in C entschieden schlechter. Das Jagen 
wird dreimal durch Infinitive ausgedrückt: jagen riten — kurzewile 
han — jagen mit den hunden. Von Wormez ist ein ganz überflüssiger 
Zusatz. Die unrichtige geographische Angabe hat U verbessert, dabei 
den Inhalt aber verschlechtert: sonst müsste man annehmen, daß) ein 
Bearbeiter in poetischem Gefühl den Dichter übertroffen, aber einen 
geographischen Irrthum hineingebracht habe. Daß ein süddeutscher 
Dichter meinte, es lägen die Vogesen auf dem rechten Rheinufer, ist 
wohl zu verzeihen: darum ist er nicht weniger ein großser Dichter. 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 49 


Daß ein Schreiber es besser wusste, ist wohl auch kein Wunder, das 
macht ihn noch nicht zum Dichter. Er konnte nun einfach Otenwalde 
für Waskenwalde setzen, aber er wollte seine Verbesserung durch den 
Zusatz von Wormez über Rin noch bekräftigen. 

943, 3. Die Vertheidiger von C stellen die Sache so dar als sollten 
die Thierhäute gebraten werden (Holtzmann ὃ. 41). Aber die füwerstat 
ist nicht die Küche, sondern der Lagerplatz. Sobald der Bearbeiter C 
viwer schrieb, sicher aus metrischen Rücksichten, konnte er die Thier. 
häute allerdings dahin nicht mehr bringen lassen. Dann wird aber die 
Küche zweimal in (Οὐ genannt, einmal durch viwer, das andere Mal durch 
kuchen bezeichnet. Viel sinnvoller die g. L., da bringen die, die zum 
Lagerplatz wollen, vieler Thiere Häute und Wild genug dahin, und 
man bringt davon dem Ingesinde in die Küche. 

1043. Abweichend in C; C scheint anschaulicher, aber die Rede 
Gunthers ist überflüssig. Daß sie beim Leugnen bleiben, ist genug: wir 
können uns dabei Rede und Gegenrede denken, wie Gunther und Hagen 
betheuern, wie Kriembild sie anklagt, und jene beim Leugnen beharren. 
Sollte es ausgeführt werden, so musste Rede und Gegenrede mehrfach 
wechseln, und es bedürfte mehrerer Strophen, um nachdrücklich zu sein. 
Der Dichter thut es einfach mit den Worten ab: sie hielten ihr Leugnen 
fest. Der epische Dichter darf das, und wir können uns eine deutliche 
Vorstellung von ihren Reden machen. In dramatischer Bearbeitung 
gienge es natürlich nicht. Jedenfalls musste die Ausführung anders ge- 
schehen als in C. Die paar Worte Gunthers genügen nicht; erst durch 
hartnäckiges Leugnen Gunthers und Hagens kann Kriemhild sich ver- 
anlasst fühlen, das Bahrgericht anzuwenden. Die Worte Gunthers sind 
äußerst matt und mangelhaft: ‘Dir ist von meinen Leuten kein Leid 
geschehen, das will ich dir versichern’, eine so matte Versicherung ist 
in der That schlechter als nichts. Durch die Einschiebung dieser Rede 
ist aber Kriemhilds Rede zu kurz gekommen: statt der drei Zeilen in 
der g. L. sind es hier kaum zwei (denn sprach si geht noch ab). Man 
vergleiche beide Texte, um sich von der Mattheit in Ü zu überzeugen. 

1114. Abweichende Strophe. Die zwei letzten Zeilen ın C wieder- 
holen überflüßig den Gedanken, der in 1107 schon gut ausgedrückt 
war; sie sollen daher nur die Strophe füllen. Was bleibt nun als Inhalt 
als daß Gunther der Hofsitte gemäß auf Kriemhilden zugieng, da sie 
ihren Haß aufgeben wollte. Das war zu entbehren, um so mehr als er 
schon in der vorigen Strophe vor Kriemhilden steht; auch hier ändert 
C, um Wiederholung zu vermeiden und lässt Gunther Kriemhilden in 
ihrem Hause besuchen. Ungleich gehaltvoller ist die gem. L., wenn 

GERMANISTISCHE STUDIEN. II. 4 


50 HUGO WISLICENUS 


auch etwas unklar. Der Sinn ist aber offenbar: Gunther küsste Kriem- 
hilden nicht, er wagte es nicht, weil er sich schuldig fühlte, er wagte 
nicht oft vor ihr zu erscheinen, was er sonst unerschrocken hätte thun 
können. 

1115, 2 gefüeget under vriunden, C mit valsche gefüeget. Sehr passend 
ist jenes: Nie ward wieder unter Blutsverwandten eine so thränenreiche 
Versöhnung geschlossen; ganz ungehörig bringt C die Falschheit herein. 
C hat den Hort allein im Sinn, daher erklärt sich die Änderung; es 
kommt dadurch ein Mißton Benin. Hagen hat ja nicht die Versöhnung 
zu schließen, hat nichts damit zu thun, er hat dazu gerathen, allerdings 
in der Absicht, um den Hort nach Worms in den Besitz des Königs 
zu bringen. Gunther aber wäre der erbärmlichste Mensch, wenn er nur 
um des Hortes willen die Versöhnung mit seiner durch ihn in das 
tiefste Leid gestürzten Schwester suchte und ihr darum Liebe heuchelte. 
Der Bearbeiter von Ο hat vergessen, daß Hagen, dem er hier wieder 
etwas anhängen wollte, gar nicht zugegen ist. 

1186. Von © offenbar wegen der ungeschickten Ausdrucksweise 
geändert, indem das Verbum nach den beiden Namen als Subjeeten im 
Singular steht [vgl. Untersuchungen S. 285]. Durch die Anderung gibt 
aber Ο nur zwei Gedanken statt dreier, und hat deßhalb den einen 
schon in die vorhergehende Strophe heraufgenommen. In C wieder 
ärmliche Wiederholungen enpfie—enpfienge; den gast—in; unt alle sine 
degene — unt alle sine man. 

1286, 3. dö vielen in die trehene von liehten ougen nider, C üf ir 
vil liehten bouge die trähene vielen nieder. Eine Lesart muß aus der 
andern entstanden sein: es fragt sich welche passender ist. Wenn es 
heißt, die Thränen fallen auf ihre lichten Armringe nieder, so weiß 
man nicht recht was diese hier sollen; auf die Kleider wäre passend, 
aber ob Thränen auf Ringe fallen ist eleichgnlkig, Es ist geschmacklos 
zu erwähnen, daß sie Ringe haben. In lehten ougen dagegen liegt eine 
feine aber klar verständliche Anspielung auf die Schönheit der Be- 
gleiterinnen, in dem Weinen der schönen Jungfrauen haben wir nun 
sogleich ein entsprechendes Bild. 

1332. Zeizenmüre ABHJgh; Treisenmüre CD. Natürlich ist jenes 
ein Fehler, den 1336 auch D mit den andern Hss. theilt, während C 
beidemal das richtige hat. Eine andere Frage ist: welche Lesart ist 
aus der andern entstanden? Die Thatsache, daß C das richtige hat, ist 
durchaus kein Beweis für die größere Ursprünglichkeit dieser Hs., da 
ein in den geographischen Angaben genauer bewanderter Bearbeiter 
den Fehler berichtigen konnte. Nicht einmal das ist sicher, daß der 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 51 


Dichter nicht selbst den Fehler begangen, wenn auch. nicht wahr- 
scheinlich, da er in der Gegend wohl bewandert erscheint. [Daß Treisen- 
müre im Original stand, beweist die Übereinstimmung von C und Ὁ 
an der ersten Stelle]. 

1354, 4. Die gem. L. erwähnt der tiuschen geste: nach Lachmann 
sind vermuthlich die Thüringer damit gemeint. Schwerlich, da sie zuletzt 
1345 genannt sind und die Absicht nicht sein kann, sie besonders aus- 
zuzeichnen. In 1354 selbst aber ist von Dietrichs Helden die Rede, und 
diese können am allerersten deutsche Gäste genannt werden, da Dietrich 
nicht von Etzel unterworfen, sondern nur sein Gast ist. Der auffallende 
Ausdruck veranlasste die unpassende Umänderung in C, denn vorher 
und nachher ist vom Turnier die Rede, die Unterbrechung durch das 
Bekanntwerden ist sinnlos und störend, abgesehen davon daß dieses 
selbst ganz überflüssig ist. 

1465. Die Anderung Lachmanns, ieman für Hagene, ist unerlaubt. 
“ich wähne nicht daß Hagen euch noch je vergeiselt hat’, ἃ. h. zu 
Kriegsgefangenen gemacht oder aus Feigheit verlassen und der Kriegs- 
gefangenschaft ausgesetzt hat. Er will den Königen zu Gemüthe führen, 
wie treu ihnen Hagen immer gewesen ist, wie treu daher auch dieß- 
mal sein Rath ist und wie unrecht daher, ihm beleidigend zu antworten 
und ihm Feigheit vorzuwerfen. Lachmanns Erklärung der Stelle gibt 
einen ganz ungehörigen Gedanken, und seine Verweisung auf 1469, 2. 3 
beweist gar nichts. Die Änderung von (, die vielleicht auf dem nicht- 
verstandenen vergiseln beruht, schwächt die kraftvolle Ausdrucksweise 
ungemein. 

1554, 1. niulich gehit B, von Lachmann aufgenommen. An sich 
betrachtet kann keine Frage sein, daß ADa weit besser ist als B, da 
die kürzliche Verheiratung des Fährmanns hier ganz unmotiviert vor- 
gebracht wird, überhaupt zu seinem Charakter nicht stimmt und der 
Sage nicht angemessen ist. Der Bericht der Thidrekssaga (U. 339) 
und die Erwähnung in den altdänischen Liedern beweist nur, dals diese 
aus einer Bearbeitung des NL. schöpften, in der der Fehler von B sich 
fand. [Den Beweis gegen B bildet ganz evident die Übereinstimmung 
von AD mit a]. 

1561, 1 übermüeten, a ungemuoten, worauf Lachmann durch Con- 
jeetur kam, da nicht einzusehen sei, warum Hagen hier der übermüete 
genannt werde. Ich denke, so gut wie Hagen sonst αἴθ} Beiwort führt, 
kann er auch hier so heißen, ohne dafs die düstere Stimmung, die über 
der Scene liegt, gestört wird. Aber ähnliche Bedenken wie Lachmann 


könnte der Bearbeiter von Οὐ gehabt haben. 
4* 


52 HUGO WISLICENUS 


1609, 4. striten ABDHg, vallen GC: “Hagen erfuhr, erlebte ein 
Streiten’, wie 1611, 4. Ein Fehler liegt darin nicht. C hat geändert in 
vallen, ein unpassender Ausdruck, dem man das Gezwungene ansieht. 
Lachmanns Conjectur strüchen, obgleich vortrefflich, kann den Hss. 
gegenüber nicht aufrecht erhalten werden. 

1622, 2. des gesindes, wo a des vanen. Daß Volker die Fahne ge- 
tragen habe, davon war nirgend die Rede; im Sachsenkriege führte er 
sie; aber hier? Er führt das Gesinde der Vorhut; also verwirrendes, 
wie Holtzmann (S. 212) will, liegt darin durchaus nicht. 

1784, 2. ein porte, C porten. Die gem. L. ist keineswegs unrichtig 
(Holtzmann S. 49); die borte ist ein aus Seide und Gold gewirktes Band 
als Besatz von Kleidern, als Gürtel, als Haarband, als Schildgehänge 
u. dgl. Warum also nicht auch als Schwertscheide? 

1801. Die gem. L. hat besseren Sinn, wenn man die Strophe 
Volkern zutheilt. Volker hat vorgeschlagen, zu den Königen zurück- 
zugehn, denn dann wage Niemand sie anzugreifen, sie wollen also zurück, 
um sie zu schützen. Und nun, da die Heunen nicht anzugreifen wagen 
und zurückweichen, ruft Volker aus: “Wie oft doch ein Mann aus 
Furcht manches unterlässt, wenn der Feind dem Freunde freundlich 
beisteht, und nichts von dem thut was er wollte, wenn er Verstand 
hat! Manches Mannes Schade wird durch Verstand verhütet!' Also ein 
höhnischer Ausruf Volkers beim Zurückweichen der Heunen, und gewiß 
ist es ein vortrefflicher Hohn, die Feigheit der Heunen als Verstand 
darzustellen. Daß das etwas ungeschickt ausgedrückt ist, ist der Mangel 
der Strophe, aber der Sinn ist klar genug zu erkennen. Das Wechseln 
des Subjeets macht in der 3. Zeile das er unklar, es ist auf man in 
Z. 1 zu beziehen. sön ist von niht abhängig; die Beziehung von sin ist 
auf den ersten Blick nicht ganz klar, ich denke, es bezieht sich auf 
manigiu dinc. C hat die Stelle nicht verstanden und darum geändert, 
um einen nothdürftigen Sinn zu finden. Der Sinn in © ist in kurzen 
Worten: ‘wer Verstand hat, handelt verständig’. Viel Verstand liegt 
in dieser "Rede vom Verstande nicht. Der Bearbeiter hat er auf vriunt 
bezogen und sin nicht verstanden. 
| 1912. Ganz abweichend, in Jdh eine Mittelstufe. Der Sinn der 
gem. L. ist offenbar, dafs Kriemhild in ihrer Rachbegierde ihren und 
Etzels Sohn hereintragen lässt, damit Hagen, durch die Ermordung 
der Knechte in Zorn versetzt, ihm ein Leid thue und dadurch die 
Versöhnung unmöglich werde. Dieser Zug ist in der andern Les- 
art beseitigt und durch nichtssagende Worte ersetzt. Daß die Fürsten 
sich zu Tische setzen und essen, ist gewiß sehr überflüssig; daß Kriemhild 


BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 53 


ihren Sohn bringen lässt, ist aus der andern Lesart beibehalten, Z. 4 
in Jhd ganz unklar, in C dafür eine Hindeutung auf den zukünftigen 
Jammer gesetzt. Die gem. L. bringt allerdings etwas fremdartiges in 
das Gedicht hinein, was einen Bearbeiter veranlassen konnte zu ändern; 
aber die Anderung ist schlecht. Indef jener uns störende Zug ist in 
der Sage alt, schon in den Liedern der ältern Edda aus diesem Kreise. 
Das deutsche NL. ändert vielfach die Motive: nicht Etzel lässt mehr 
aus Goldgier die Burgunden ermorden, nicht mehr rächt Kriemhild an 
ihm die Ermordung der Brüder, sondern stiftet aus Rache für Siegfrieds 
Ermordung den Kampf an. Da musste auch das Verfahren gegen Etzels 
Sohn ein anderes werden; es konnte nur so gewendet werden, daß 
Kriemhild ihn als Werkzeug der Rache benutzte. So haben wirs in der 
Viltinasaga. Der Dichter des NL. fühlte, dafs diese Motivierung in sein 
Gedicht nicht passe, er hat das Rechte gewählt, indem er die Ermordung 
der Knechte und Dankwarts Erscheinen im Saale zur Veranlassung 
des Kampfes macht. Er benutzt aber das Erscheinen von Etzels 
Sohn, um jede Versöhnung unmöglich zu machen, und auch Etzel, der 
immer zum Frieden räth, zur Vernichtung der Burgunden zu stimmen. 
Nachdem Hagen dem Kinde das Haupt abgeschlagen, muß der Kampf 
allgemein werden und mit Vernichtung endigen. Eine Andeutung davon, 
daß Kriemhild wohl auch dabei ihre Hand mit im Spiele gehabt hat, 
gibt die vorliegende Strophe. Dieß Motiv der alten Sage hat der Dichter 
benutzt; da es auf Kriemhild ein übles Licht wirft, hat der höfische 
Bearbeiter es beseitigt. Die in Jdh ganz sinnlose letzte Zeile zeigt 
deutlich, daß diese Textgestalt aus der gem. L. stammt, wo sie im 
Zusammenhange motiviert und erklärt ist. Passt die Strophe auch nicht 
vollkommen in das NL., so folgt daraus doch noch nicht dafs sie nicht 
vom Dichter herrühre. Denn dieser fand ähnliche Züge in der Sage 
vor und meinte sie verwenden zu müssen. Er hat dabei der Sage etwas 
zu viel nachgegeben und der Einheit des Kunstwerkes Eintrag gethan. 
Daß aber beim Dichter des NL. dieses Motiv nur ein äufßerliches ist, 
zeigt sich schon daraus, dafs man die Str. ohne Schaden weglassen 
kann, daß der Zusammenhang dadurch nicht gestört wird und dabei 
die Einheit des Ganzen gewinnt. Auf diese Stelle gründen die Ver- 
theidiger von C hauptsächlich die Behauptung, die Charakterzeichnung 
Kriemhilds in der gem. L. sei falsch, in © richtig, jene habe aus Vor- 
liebe für Hagen diesen in möglichst gutem, und Kriemhild in möglichst 
schlechtem Lichte dargestellt. Denn die andern Stellen beweisen nicht 
das Geringste. Die Sehnsucht Kriembhildens nach ihren Brüdern 1393, 
die Aufforderung sie an Hagen zu rächen 1765, 1904, ihr Hagens Haupt 


54 HUGO WISLICENUS, BEITRÄGE ZUM NIBELUNGENLIEDE. 


zu bringen 2025, dafs sie 2104 Hagen als Geisel fordert und unter dieser 
Bedingung nicht gradezu es ausschlagen will, ihre Brüder leben zu lassen 
und mit ihnen wegen Versöhnung zu unterhandeln, alle diese Stellen 
sind durchaus Kriemhilds Charakter in der gem. L. angemessen, ja an- 
gemessener als in (Ὁ, wo sie immer nur den einen Hagen verderben will 
und versichert, es seiihr inniglich leid, wenn den andern ein Leid ge- 
schähe, und doch Blödel zur Ermordung der Knechte anstiftet, Iringen 
dafür dankt, daß er auf alle mit einander losgeschlagen hat, immer 
neue Scharen anreizt in den Saal zu dringen, ihre Ungnade gegen alle 
Burgunden ausspricht (2103) und daß alle entgelten müssen, was Hagen 
gethan habe, den Saal anzünden lässt um allen einen qualvollen Tod 
zu bereiten u. 5. w. Und dazu muß Holtzmann selbst von C gestehen, 
dafs der Dichter gegen den Schluß in seiner Charakterzeichnung 


Kriemhildens sich untreu werde; der Schluß gehört einer älteren Ge- - 


staltung der Sage an, die von einem andern Gedanken beherrscht sei 
(S. 28). Aber in der gem. L. ist Kriemhilds Charakter von Anfang 
bis zu Ende einheitlich, während in C durch die versuchte Motivierung 
viel Widersprechendes hineingebracht ist. 

1971. Lachmanns Meinung, ursprünglich sei hier statt Giselhers 
Volker genannt worden, weil derselbe nun mit Dankwart, dem Helden 
dieser Lieder, zusammengestellt werden soll, ist gänzlich aus der Luft 
gegriffen. Alle Burgunden sind Helden des NL. und zu jenem Schluße 
hat ihn nur seine Liedertheorie verführt. Daß Volker in der Klage 1911 
besonders ausgezeichnet sei, ist nicht wahr. 

2362. Die Handschriften weichen in der zweiten Hälfte der Strophe 
sehr stark ab. Lachmann: “Die schöne und gewiß echte Lesart von A 
verlangt nur die kleine Nachhilfe, daß man lese willekomen Gunther, 
ein helt üz erkant. Er wünscht darauf seiner Schwester Gottes Lohn, 
wenn sie ihn aus Treue willkommen heiße, wenn ihre Treue ihn will- 
kommen zu sein ermahne. So hat es sich der Verf. von A gedacht; 
es ist aber fraglich ob das passend ist. Und da muß doch Jeder sagen, 
dal es mit Gunthers Worten in der folgenden Strophe durchaus nicht 
stimmt. Übrigens ist auch die ‘kleine Nachhilfe’, die Weglassung von 
si sprach und die Änderung von üz Burgunden lant in üz erkant viel 
zu gewaltsam, um vom kritischen Standpunkte aus gerechtfertigt zu sein. 
Da wäre es doch besser die Lesart von A unverändert beizubehalten, 
wenn es keine bessere gäbe. K ist nicht gut, Jh ungeschickt, BD 
und Ü stimmen ziemlich überein; BD ist von beiden die einfachste und 
beste, die allen andern vorzuziehen ist und vollkommen gut passt. 


E. KÖLBING, ÜBER DIE PARTONOPEUS-SAGE. 55 


2366. Zarncke findet in der gem. L. überflüssige Steigerung des 
Grassen im Bänkelsängerton. Wenn aber 2369 Kriemhild ihres Bruders 
Haupt bei den Haaren zu Hagen trägt, und Ü ganz ebenso hat, so ist 
doch dasselbe hier noch gräßlicher dargestellt, und wie ich finde nicht 
unpassend. Zarnckes Vorwurf ist also durchaus ungerechtfertigt. Hätte 
er gesagt, die gem. L. habe eine unpassende Wiederholung und Hin- 
deutung auf die Zukunft, so ließe sich darüber reden. Ist aber diese 
Wiederholung wirklich unpassend? Nicht nur nicht das, sondern das 
einzig richtige. C hat durch Änderung der Stelle den Zusammenhang 
zerrissen. Es ist klar, dafs 2366, 2. 3 zusammengehören, dafs erstere 
ohne letztere Zeile die Beziehung, die nothwendige Ergänzung verliert. 
Kriemhild ließ Gunther und Hagen jeden besonders im Gefängniss liegen, 
so daß jeder den andern nicht mehr sah, bis sie Gunthers Haupt vor 
Hagen trug, denn da sahen sie sich wieder. Diese Bemerkung stimmt 
vollkommen zu dem furchtbaren Ernst der Scene, sie bereitet auf das 
Schreckliche vor. Auch Z. 4 schließt die Strophe passend ab: Kriem- 
hilds Rache ward an ihnen beiden genügt. 

2371. Unpassend werden hier in © auch Volker und Dankwart 
genannt, wo von dem Schatze die Rede ist, von dem nur die drei 
Könige und Hagen wissen. 


ÜBER DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN 
DER PARTONOPEUS-SAGE. 


Von dem Sagenstoffe von Partonopeus de Blois sind bis jetzt 
folgende Bearbeitungen bekannt geworden: 

1. Das französische Epos: Partonopeus de Blois, herausgegeben von 
S. A. Crapelet. 2 vol. Paris 1834. 

2. Die altnordische Partalopa saga ok Marmoriu. 

3. Persenober og Konstantianobis, dänisches Gedicht aus dem J. 1484. 

4. Eine spanische Prosaerzählung: Historia del conte Partinoples, 
Tarracona 1488, welche im 13. Jahrhundert in katalanischer Mund- 
art verfasst sein soll, mir nur zugänglich in der modernen Analyse, 
welche die Bibliothöque universelle des romans, Dec. 1779 enthält 
und welche sich gekürzt in Dunlops Geschichte der Prosadichtungen, 
aus dem Englischen übertragen von Felix Liebrecht, Berlin 1851, 
p. 174 ff., wiederfindet. 


56 EUGEN KÖLBING 


5. Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur. Aus dem Nach- 

lasse von Franz Pfeiffer herausgegeben von K. Bartsch. Wien 1871. 

6. Bruchstücke einer mittelniederländischen Bearbeitung, heraus- 

gegeben von Mafimann: Partonopeus und Meliur. Berlin 1847. 

7. Bruchstück einer niederdeutschen Fassung, herausgegeben von 

Karl Schröder Germ. XVII, 191 ff. 

Ich gedenke nun im Folgenden die hier aufgezählten Fassungen 
dieses Sagenstoffes nach ihrem Verhältniss zu einander und zu dem 
franz. Epos im Zusammenhange zu besprechen, was bisher noch nicht 
geschehen ist. 


I. Das französische Epos Partonopeus de Blois. 


Ich kann unter dieser Überschrift zunächst nur meine Ansicht 
über die Entstehung des französischen Epos Part. de Blois darlegen, 
da ich mir die Erörterung der Textgeschichte, weil ein Urtheil über 
dieselbe nur durch ‚die eingehende Betrachtung sämmtlicher ausländi- 
scher Bearbeitungen sich gewinnen lässt, bis zum Schluß aufsparen muß. 

Über die Entstehung unsers Gedichtes herrscht noch immer Un- 
klarheit. Man hat die Vorlage desselben in einem griechischen Romane 
finden wollen, der jetzt verloren oder wenigstens noch nicht wieder ans 
Licht gezogen sei. Weder das isolierte Studium desselben noch die Ver- 
gleichung mit den Analysen älterer griechischer Novellen, wie sie uns 
Hartung: Über die griechische Novelle, (in Herrigs Archiv für das 
Studium der neuern Sprachen und ΩΣ Bd. 49, p. 89 ff.) bietet, 
hat mich davon überzeugen können. Trotz mancher Anachronismen 
will der franz. Dichter uns wenigstens in eine bestimmte historische 
Zeit versetzen, was jene Märchen nie thun (Hartung p. 116), dagegen 
fehlt bei ihm alles Prunken mit antiker Gelehrsamkeit, fehlt ferner 
die ermüdende Häufung von zusammenhangslosen Abenteuern, die uns 
dort entgegentreten; endlich ist auch der sittliche Gehalt unserer Er- 
zählung durchaus nicht so gering anzuschlagen, als der jener Novellen 
nach Hartungs treffendem Urtheil (p. 118 £.). 

Im 12. und zu Anfang des 13. Jahrhunderts waren in Frankreich 
die aus der kärlingischen, so wie die aus der vor- und nachkärlingischen 
Zeit genommenen Epenstoffe sehr beliebt, und es haben deren wohl 
viel mehr existiert, als wir jetzt übersehen können. Den Stoff zu den- 
selben mochten Erzählungen und Andeutungen in lateinischen Chroniken 
oder Volksüberlieferungen bieten, oder er ruhte auch nur auf der freien 
Erfindung des Dichters. Vor allem war es der Gegensatz zwischen 
Christenthum und Heidenthum und die Zurückdrängung des letzteren, 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 57 


worin ein wesentliches Motiv für die Handlung lag. Warum sollte wohl 
nicht einmal ein Dichter, verlegen um einen geeigneten Stoff für eine 
epische Dichtung, auf die Idee gekommen sein, dem ihn ansprechenden 
Mythus von Amor und Psyche statt des antik griechischen Gewandes 
ein modern fränkisches zu leihen? So, meine ich, haben wir uns die 
Sache zu denken. Freilich haben unter des Dichters Hand im Vergleich 
zu jenem die Hauptpersonen ihre Rollen getauscht. Partonopeus muß 
seine Neugier büssen, Melior ragt durch ihre übernatürlichen Kräfte 
und durch ihr Wissen über die gewöhnlichen Sterblichen. Die Antwort 
auf die Frage: wefihalb? liegt nicht fern. Der ganzen mittelalterlichen 
Anschauung lag es näher, derartige Zauberkräfte der Frau anzudichten, 
als dem Manne, sie gleichsam zur Fee zu gestalten. Auch war das Ge- 
dicht wohl einer Dame gewidmet, und schon defshalb die Verherrlichung 
ihres Geschlechtes geboten. Nehmen wir diesen Mythus, der freilich 
nur in seinem ersten Theile zur Verwerthung kommt, aus dem Epos 
weg, so behalten wir nicht einen für die Erzählung unentbehrlichen 
Zug mehr übrig. Des Partonopeus an Wahnsinn grenzende Verzweiflung, 
eine Folge seines Ungehorsams und seine Rettung durch Urraque er- 
innert auffallend an Iweins Wahnsinn, der ja ebenfalls eine Folge seiner 
Treulosigkeit war, und seine Rettung durch die Burgherrin, wie uns 
dieß im Chevalier au lion des Crestien von Troies erzählt wird. Der 
Zweikampf und das Turnier, die Besiegung des Heiden Sornegur, der 
übrigens trotz dessen durchaus nicht schablonenmäßiig als solcher ge- 
zeichnet ist, die Überwindung des Saracenensultans, die Taufe von 
Part. heidnischen Knappen, sind Züge, welche ganz der vorhin er- 
wähnten Tendenz der Verherrlichung des Christenthumes dienen. Auch 
daß ein Theil der Erzählung in Griechenland spielt, darf uns nicht 
wundern. Die Kreuzzüge hatten die Welt des Orients mit ihren Wundern 
den Bewohnern des Abendlandes zur Genüge erschlossen. Sie mussten 
ihren Weg über Griechenland nehmen, und so bot sich Gelegenheit 
genug, nicht nur Byzanz, sondern auch die Inseln genauer kennen zu 
lernen. Nur auf die Personennamen jedoch die Behauptung griechischen 
Ursprungs zu gründen, ist sicher unthunlich. Zudem macht z. B. der 
Name Urraque einen viel mehr romanischen Eindruck, denn die Donna 
Urraka spielt bekanntlich auch in den Cid.-Romanzen eine Rolle, Armant, 
Guillemot ete. sind durchaus ungriechisch, und selbst bei dem Namen 
Partonopeus ist der griechische Ursprung noch zweifelhaft genug ; wenig- 
stens behauptet Mone: Übersicht der niederl. Volkslit. p. 74 — und 
Grässe: die großen Sagenkreise des Mittelalters p. 382 schließt sich 
ihm an — ganz entschieden, der Name Partonopeus beziehe sich auf 


58 EUGEN KÖLBING 


die Burg Partenay, deren Adel mit dem Lusignan verwandt war, wo- 
durch die beiden Gedichte von Partonopeus und der Melusine als zwei 
Bildangen einer und derselben Sage erscheinen würden. Mit einem 
Wort: ich glaube, der Verfasser des französischen Epos hat für das- 
selbe keinen weiteren Anhalt gehabt, als den Mythus von Amor und 
Psyche; alle weiteren Zuthaten sind sein Eigenthum und documentieren 
eine nicht gewöhnliche dichterische Begabung *). 


II. Die Partalopa-Saga ok Marmoriu, ihr Verhältniss zu 
dem dänischen Gedichte Persenober und Öonstantianobis 
und zur spanischen Historia del conte Partinoples. 

Die nordische Prosasaga wird meines Wissens nur erwähnt bei 
Nyerup: Almindelig Morskabslssning i Danmark og Norge. Kjöben- 
havn 1816, p. 146 ἢ, wo auch Eingang und Schluß derselben ausge- 
hoben wird. Unser Roman hat übrigens — wie mir scheint, mit Unrecht — 
wenig Gnade vor ihm gefunden, denn er wundert sich a. a. OÖ. über 
„die Schnelligkeit, mit welcher dieser so uninteressante Roman in die 
isländische Litteratur übergegangen ist.“ Maßmann scheint in seinem 
oben eitierten Buche weder die Saga noch dieß Werk Nyerups gekannt 
zu haben. 

Vollständig und in gutem Text überliefert ist uns die Saga nur 
in Cod. A. M. membr. 533, 4°; ein Bruchstück, das ich leider noch 
nicht vergleichen konnte, enthält Cod. Holm. perg. 7. fol.; späte Be- 
arbeitungen in verschlechterter Sprache Cod. Holm. chart. 46 fol., 6, 4°, 
19, 4°. Die Citate sind der zuerst angeführten Handschrift entnommen, 
nach der ich die Saga voriges Jahr während eines kurzen Aufenthaltes 
in Kopenhagen abgeschrieben habe. 

Das dänische Gedicht, welches, wie der Dichter selbst am Schluße 
angibt, im Jahre 1484 verfasst ist, ist im 16. Jahrhundert zweimal 
gedruckt worden unter dem Titel: Persenober. En Iystig og skjön 
Historie paa Rim om Konning Persenober og Dronning Constantianobis. 
Kritisch ediert ist dasselbe durch den bekannten Herausgeber altdäni- 
scher Texte, ©. J. Brandt, zuerst bruchstückweise in seinem Gammel- 
dansk Lxsebog p. 221 ff., dann vollständig in: Romantisk Digtning fra 
Middelalderen. II. Köbenhavn 1870, p. 33—85. 

Weder über die Quelle dieses dänischen Gedichtes noch über die 
Vorlage und Fassung der Saga hat vor mir jemand eine Untersuchung 


*) Betreffs einer ausführlichen Analyse des franz. Gedichtes, deren ich mich 
hier entheben möchte, verweise ich auf Maßmanns Partonopeus und Meliur. 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 59 


angestellt; es soll defihalb hier das Verhältniss beider nordischen 
Texte zu einander und zu dem französischen Gedichte genauer erörtert 
werden; und zwar ist dieser Theil meiner Abhandlung ein mit aus- 
führlicheren Citaten aus der Saga und sonstigen Ergänzungen aus- 
gestatteter Wiederabdruck eines nur in wenig Exemplaren in den Buch- 
handel gekommenen Gelegenheitsschriftehens: Über die nordischen Ge- 
staltungen der Partonopeus-Saga. Straßburg 1873. 

Schon die Analogie spricht dafür, daß die zwei nordischen Be- 
arbeitungen zu einander in Beziehungen stehen. In der Einleitung zu 
meiner Ausgabe der Iventssaga (Riddarasögur p. V—XXXVIII) glaube 
ich nämlich durch Anführung einer Menge sachlicher und wörtlicher 
Übereinstimmungen nachgewiesen zu haben, daß das altschwedische, 
auf Befehl der Königin Eufemia von Norwegen verfasste Epos: Ivan 
Lejon-Riddaren, keine andere schriftliche Vorlage gehabt hat, als die 
alt-norwegische Fassung der Ivents- -saga Artüskappa, während diese 
ihrerseits durch entsprechende Übereinstimmungen ihre directe Ab- 
stammung von dem Chevalier au lion des Crestien von Troies bekundete. 
Eine genaue Einzelbetrachtung dürfte aber trotzdem auch hier am 
Platze sein, als wir noch immer weit davon entfernt sind, uns von der 
Art und Weise, wie die nordischen Gelehrten am Hofe Hakons des 
Alten in den Besitz der ausländischen Romanstoffe gelangt sind, wie 
sie damit geschaltet haben, und welchen Einfluß diese Übersetzungen 
dann auf die Entwiekelung der nordischen Litteraturen ausgeübt haben, 
ein Gesammtbild entwerfen zu können. Schon das hier vorliegende 
Material wird uns lehren, daß wir es nicht überall mit einer verhältniss- 
mäßig so klaren Sachlage zu thun haben, wie bei der Iventssaga und 
ihrer schwedischen Tochterdichtung. 

Vorausschicken will ich noch, dafs, da wörtliche Übereinstimmung 
sich weder zwischen der Saga und en französischen Gedichte einer- 
seits, noch zwischen dem dänischen Gedichte und der Saga andrerseits 
nachweisen lässt, ich es, der Übersichtlichkeit wegen, hier für zweck- 
mäßiger gehalten habe, nicht wie es früher bei der Besprechung der 
nordischen Parcevals- da Ereks-Saga geschehen, an der Hand der 
fortschreitenden Erzählung die einzelnen Fassungen zu vergleichen, 
sondern rubrikenmäßig die sachlichen Übereinstimmungen oder Ab- 
weichungen zusammen zu stellen. Sachliche Gleichheit unter allen drei 
Texten führe ich nicht besonders auf. | 

Zunächst seien hier die augenfälligeren Übereinstiinmungen zwischen 
der Saga und dem dänischen Gedichte hervorgehoben. 


60 EUGEN KÖLBING 


Vor allem lassen beide Texte die lange Einleitung des französ, 
Gedichtes, behandelnd die Herstammung der Franken von den Tro- 
janern (Part. de Blois v. 1—525) weg; dieß thut allerdings auch Konr. 
v. Würzburg, der v. 1—232 ein mehr persönlich gehaltenes Vorwort 
bietet; während aber bei Einsetzung der eigentlichen Erzählung der 
franz. und deutsche Text mit der Jagd in den Ardennen beginnen, 
werden wir in den nordischen zuerst in das griechische Reich versetzt. 
Es ist von Meliors Vater — im Nordischen Saragus, im Spanischen 
Julian (wohl willkürlich erfundene Namen), in den übrigen Bearbeitungen 
gar nicht genannt — dem Kaiser von Griechenland die Rede, dann 
von seiner Tochter, die in der Sage Marmoria (durch ungeschickte 
Etymologie aus Meliur entstellt), im dänischen Gedichte Constaneianobis 
(wohl in Folge einer Verwechslung mit dem Namen der Stadt Con- 
stantinopel) genannt wird, von ihrer Schönheit und Klugheit, sowie 
von ihrer Erziehung. Es folgt der Tod des Kaisers, der ihr die Herr- 
schaft überträgt, und das Drängen ihrer Großen, sich einen Gemahl 
zu wählen, Sie erfährt von Partonopeus (in der Saga Partalopi, im dän. 
wieder in entstellter Form Percenober genannt), begibt sich mit Hülfe 
ihrer Zauberkraft selbst unsichtbar nach Frankreich, fasst Liebe zu 
dem schönen Jüngling und beschließt, ihn zu ihrem Geliebten zu machen. 
Dies ist der Inhalt der zwei ersten Capitel der Saga und v. 1—138 
des dänischen Gedichte. Dem Inhalte nach wird das hier Erzählte 
nachgeholt im franz. Texte v. 1320 ff. und v. 4561 ff., und zwar als 
Mittheilung der Meliur an ihren Liebhaber, in directer Rede. Diese 
Gleichheit betreffs veränderter Anordnung der Erzählung kann nicht 
auf Zufall beruhen, um so weniger, als der spanische Roman dieselbe 
theilt, welcher ebenfalls mit dem griechischen Kaiser und seiner Tochter 
Amelor (Melior) beginnt. Bibl. des rom. a. a. Ὁ. p. 84 ff. 

Es folgt die Jagd. Von der Tödtung eines Ebers durch Part. 
(franz. v. 585 ff. Konr. v. 336 ff.) wissen die nordischen Texte nichts, 
Es ist gleich von dem Thiere die Rede, welches ihn in die Wildniss ver- 
lockt: Er beir eltu dir, skildust peir ὁ skoginum, pviat Partalopi sd 
hlaupa fyrir hundinum einn mikinn villigölt. Hann reid eptir hanum allan 
_ daginn, bviat hann hugdist pa ok pda mundu slä hann. Svd kom wm 
sidiv, at hann vard einsaman staddr 1 peim mikla skögi. Pa hvarf ok 
göltrinn. Vgl. dän. v. 144 ff. 

Vor der Thür des Pallastes steigt Part. vom Rosse. Weder dieß 
noch der Umstand, dafs das Ross von unsichtbaren Händen entführt 
wird, bemerken an den betreffenden Stellen der franz. (v. 921) und 
deutsche Text (v. 973). Dagegen heißt es in der Saga: Par ste hann 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 61 


af baki hesti sinum fyrir hallar dyrum ok i stad var hestr hans tekinn 
1 brutt ok svd hundr, svd at hann wissi ekki til hvat af vard, ent- 
sprechend v. 217 fi. des dänischen Gedichtes. In der Analyse des spani- 
schen Romans (a. a. Ὁ. p. 94 ff.) wird dieser Zug ebenfalls mit Vor- 
liebe betont. 

Das französische Gedicht v. 902 und Konr. v. 1026 sagen aus- 
drücklich, kein Musikinstrument habe die Todtenstille unterbrochen. 
Dagegen bemerkt der Sagenschreiber: Par pöttist hann ok heyra alls- 
kyns streingleika med svd setum hljodum, at hamn Iysti til at heyra, 
und damit stimmt dän. v. 234 f. und 271 fl. Sowohl die spanische 
Prosa (a. a. ©. p. 101) als Apuleius an der entsprechenden Stelle kommt 
mit den nordischen Fassungen darin überein. 

Im franz. (v. 1899 ff.) und deutschen (v. 2765 fi.) Texte geht die 
Veranlassung zu Part. erster Heimreise von ihm selbst aus. Es wird 
da einfach erzählt, dafs er seine Geliebte um Urlaub bittet. In den 
nordischen Texten gibt wenigstens diese selbst den Anstoß. Es heißt 
in der Saga: Nü var hat eina πόϊ er bau ἰάφιι  seng sinni ok skemptu 
ser, μά spurdi hon hann, hvat titt mundi 6 riki födur hans, en hann 
kvazt bat ekki vita. Ps segir hon hdnum bau tidendi, at herr var ko- 
minn % land, födur hans ..... Nü veri per meiri fregd at fara heim 
at veita födur binum lid ok reyna hik, en liggja her ok vita eigi hvart 
bü skalt vera nökkurr madr eda alls eingi. Dazu passt dem Sinne nach 
Dän. v. 371 ff. Auch der spanische Text stimmt dazu (a. a. O.p. 113). 

Im Gegensatz zum franz. (v. 1909 ff.) sagt Mel. in den nord. 
Texten bei der Mittheilung der Kriegsverhältnisse in Part. Heimath 
gar nichts von dem Tode des Königs Cloevis oder des Vaters von 
Part. Im Spanischen ebenso wenig. (Vgl. a. a. O. p. 114 ἢ) 

Nach dem Franz. hat Part. schon am ersten Tage zur Jagd ein 
anderes, pechschwarzes Ross bekommen (v. 1607), das er nun bei seiner 
Abreise wieder bereit findet (v. 1956 f.), nach der Saga ist ihm, wie 
dort so hier, sein eigenes Ross zur Verfügung gestellt: Sidan [d. ἢ. 
am ersten Morgen] gekk hann ἀξ or höllinni, ok var bar fyrir hanum 
hestr hans ok hundr. Ferner: En er hann var üt kominn [vor seiner 
Abreise] μά var par bedi hestr hans ok hundr. Da die Jagd im däni- 
schen Gedichte übergangen ist, so fehlt die Parallele zur ersten Stelle; 
hier aber heißt es in der Rede der ÜOonst. v. 388 ff, er werde sein 
Ross wiederfinden an derselben Stelle, wo es ihm am Abend seiner 
Ankunft genommen worden. Also offenbarer Anschluß an die nordi- 
sche Prosa. Auch die spanische Fassung stimmt zur Saga (vgl. a.a.O.p. 
112 und 118). 


62 EUGEN KÖLBING 


Auf die einzelnen Züge dieser zwei Besuche in der Heimath 
komme ich später. Bei dem zweiten erhält Part. als Zaubermittel im 
Franz. une lanterne (v. 4463), ebenso im Span. a. a. Ὁ. p. 147, bei 
Konr. eine lucerne (v. 7764), dagegen in der Saga einen Stein: Steinn 
einn hefir ek her pann, at eingi ma gerningar gera beim manni eda sjon- 
hverfingar, er hann hefir d hendi ser. Unter derartigen Steinen, welche 
in der romantischen Poesie überhaupt eine große Rolle spielen, werden 
stets in Ringe eingefügte Zaubersteine verstanden; daher stimmt dazu 
im Dän. v. 689 f. und 753 f, wo von einem Goldring mit Stein die 
Rede ist. 

Auffallend ist in der Saga die Versicherung bei Part. zweiter 
Rückkehr: Hann kom ὁ pad borg sem fyrr hafdi hann ὁ verit, ok vard 
vid öngvan mann varr nd heldr en fyrri, par til er hann kom i sang. 
Es stellt sich dazu dem Sinne nach genau v.723 f. des dän. Textes; 
ebenso der spanische Text; vgl. a. a. Ὁ. p. 147: Jarrivai au Chäteau 
d’Oyre; jy fus regu et servi comme je lavois toujours et; c’est ἃ dire, 
par des mains invisibles, während im Franz. und Deutschen sich eine 
Parallelstelle nicht findet. In diesen letzteren Fassungen fällt ferner 
Mel. in Ohnmacht, nachdem Part. sie beleuchtet hat (franz. v. 4517 = 
Konr. v. 7944 f.). Die Saga sagt nur: Hun vaknadi vid, und ähnlich 
das dänische Gedicht v. 766: ther aff wognedh then jomfrw godh. Die 
spanische Prosa a. a. Ὁ. p. 149: Ma chere Amelor fut reveillce par la 
douleur. 

Die langen Klagen beider im Verlaufe der Nacht fehlen in den 
nordischen Texten ganz. Dagegen ist am nächsten Morgen nur hier 
davon die Rede, dafs Part. zur Strafe seines Vorwitzes den Tod erleiden 
soll; in der Saga verfügen es die Ritter mit den Worten: Ρυΐ skaltu 
nd at deyja ok peim dauda, at eingi Franz skal fundit hafa jafnhadu- 
ligan, im dän. Gedichte Meliur selbst (v. 825), und in Folge davon 
ist auch nur hier die Schwester der Mel. Namens Urrake, nord. Urekta, 
dän. Fraga, genöthigt, jene zu hintergehen, und ihn gegen Mel. Willen 
zu retten. Die Saga erzählt: Urekia bad μά fü ser benna vandreda- 
mann i hendr, er oss hefir svd mikla skömm gert, pviat eingi skal hanım 
‚haduligra dauda fa en ek, ok ekki ann ek hanum pess at deyja her & borg- 
inni. Νά var betta allra peirra sampykki, at hon skyldi lata pina hann 
sem hon vildi. Hon leit hest Partalopa ok valdi sina bezta vini at fylgja 
ser. Ferr nü Partalopi med henni par til er hann kom til sjovar med 
beimn „is. (Vgl. dän. v. 827 ff.). Auch diese Gleichheit scheint von 
Bedeutung, um so mehr, als der spanische Roman fast ganz überein- 
stimmend erzählt a. a. OÖ. p. 150 ff, 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE, 63 


Von Urxkia in fast unkenntlichem Zustande aufgefunden, muß 
im nord. und dän. Part. seinen Namen nennen; Saga: Hon melti: Elki 
vardı mik, at ek munda her finna ik, inn godr mann, seg mer nafn 
hit, pviat ek skal gjarna leggja hug & at hjälpa per. Hann svarar: 
Partalopi heiti ek, en eptir binu nafni vil ek ekki spyrja. Urekia heiti 
ek, segir hon etc. = dän. v. 1039 ff.; im franz. erräth ihn Urraque. 

Die Episode von der Liebe der Persewis zu Part. fehlt in beiden 
nordischen Texten *). 

Den Umstand, daß Part., ohne sich zu erkennen zu geben, sich 
mit 200 andern Jünglingen von Mel. selbst zum Ritter schlagen lässt 
(franz. v. 7389 ἢ, Konr. v. 12521 fi.) verschweigen die nordischen 
Texte wohl nur um zu kürzen. Er ist ja auch in der That entbehrlich. 

Bemerkenswerth ist wieder folgender Umstand. Bei dem Unhold 
Armand — im deutschen Herman, in der Saga Gram, im dän. über- 
haupt nicht genannt — findet Part. nach dem Berichte der Saga schon 
zwölf Ritter im Kerker vor, Königs- und Fürstensöhne, welche auf ähn- 


*) Eine Pointe hat dieselbe auch im französischen und deutschen Texte nicht, 
wenn wir nicht die schließliche Verheirathung der Persewis mit Gaudin für eine solche 
acceptieren wollen. Im spanischen vermissen wir eine Pointe nicht; hier ist es Per- 
sewis, welche, um ungestört ihre Liebe gestehen zu können, Part. auf einer Barke in 
das Meer lockt und dann mit dieser durch den Sturm umkommt, während Part. sich 
nach Tenedos rettet, um hier Armant in die Hände zu fallen (Bibl. des rom. ἃ. ἃ. O. 
Ρ. 159). Dunlop a. a. O. p. 176 erwähnt den Tod der Persewis nicht, so daß man 
nicht begreift, was aus ihr wird. Einen ursprünglichen Bestandtheil der Erzählung, 
der in den übrigen Texten verwischt wäre, haben wir in dieser Motivierung aber wohl 
nicht zu sehen. Eine andere Begründung der Wasserpartie haben durch ein Mißver- 
ständniss Keller und Maßmann dem französischen Gedichte aufgenöthigt. Keller sagt, 
Altfranz. Sagen II p. 260: „Endlich eines Tages, als die große Hitze beide (Frauen) 
eingeschläfert hatte, konnte der unsinnige Jüngling seiner Ungeduld nicht länger wider- 
stehen und entwischte, während sie schliefen. Er eilte an den Hafen, warf sich in ein 
zweirudriges Fahrzeug und segelte ins Meer.“ Malmann bemerkt a. a. Ὁ, p. 179; 
„Acht Tage nach Himmelfahrt fährt Partonopeus fort zum Turnier.“ Aber im franz. 
Texte heißt es ganz deutlich v. 7609 f.: Ains en est αἰέν por deport Sains lor seu de- 
duire al port, und v. 7614 f.: Mais quant il cuide retorner Uns estorbellons le souprent. 
Einen wieder ganz selbständigen Grund für die Lustfahrt bietet uns der nordische 
Bearbeiter: es heißt da von Urzkia, ehe sie zu ihrer Schwester reist: Hon baud hänum 
at vera ekki Jorvitinn. Νά skildust, hau, ok for Urekia til Miklagards, en Partalopi red 
Jyrir borginni. Ok einn dag gekk hann um eyna at skemta ser einsaman. Hann kennir 
har setan ilm af grösum, sv& at hann Iystir bar at vera. Hann ser 4 einum stad um 
langt, hvar einn fagr bäütr fljtr. Hann gerir ser hat i hug, at hann veri ekki vi forvitnari, 
bs hamn feri i bdtinn, ok ϑυά gerir hann, ferr ἀὲ 4 bätinn ok rer fr landi, ok i hwi 
tök vedrit at vinda εἰς. Die Idee dieser Erfindung scheint zu sein, daß Part. durch 
seinen alten Fehler, die Neugierde, hier zum zweiten Male in; Unglück gerathen soll, 


64 EUGEN KÖLBING 


liche Weise in Grams Gewalt gekommen sind, wie Part. Nach Grams 
Tode löst er sie aus ihren Fesseln. Nach der Erzählung des dän. Ge- 
dichtes werden Part. von der Gemahlin des Unholds, die überhaupt in 
beiden nordischen Texten mit Vorliebe besprochen wird, zwölf Jüng- 
linge als Begleiter mitgegeben (v. 1235). Diese Zwölfzahl in demselben 
Passus der Erzäblung, ohne Parallelstelle in den übrigen Texten, be- 
kundet wieder eine engere Beziehung zwischen der Saga und dem 
dänischen Gedicht. 

Das Turnier mit seinen einzelnen Kämpfen, im Dän. sehr kurz 
behandelt, bietet wenig Berührungspunkte. Gerade in solchen Schilde- 
rungen pflegen Dichter und Bearbeiter romantischer Sagenstoffe ihrer 
Phantasie am meisten Spielraum zu lassen. Eigenthümlich ist aber hier 
den nordischen Texten eine interessante Episode. Am Abende des 
zweiten Turniertages reitet nach dem Berichte der Saga Urxkia zu der 
Herberge, wo Part. und sein Waffenbruder Barbarus weilen, um sich 
von der Identität des ersteren zu überzeugen. 30 Ritter begleiten sie. 
Es heißt dann: Pau kvomu 6 kastalann ok stigu af hestum sinum fyrür 
hallar dyrum, ok er Partalopi vissi at Urakta var komin, gekk hann xt 
ἃ möt henni ok hof hana sjalfr af baki, ok gengu sidan til bords ok allt 
hd peirra, en Barbarus hjönadi Partalopa ok skeinkti. Urekta sat ok sd 
hann ok melti ekki. Hvärki mätti hon eta ne drekka, en ymsir foru bitir 
or hennar andlti, stundum var hon raud, sem blod eda rösa, en stundum 
hvit sem lilia. Petta finnr Partalopi ok will ekki til tala. Urekta spurdi 
hverr sa madr veri er Partalopa hjonadi. Hann er minn skjaldsveinn, 
sagdi Partalopi. Pau letta ni pessu tali ok eru par pessa nott ὁ mikilli 
gledi. En um morguninn bjuggust hau 1 brutt or kastalanum Partalopa. 
Man vergleiche damit v. 1337—64 des dän. Gedichtes. Hier ist sie 
allein, und auch von ihrem Interesse für Part. Waffenbruder ist nicht 
die Rede. Aber von diesem ganzen Besuche sagen die andern Texte 
kein Wort. 

Endlich stimmt auch der Schluß der beiden nordischen Fassungen 
inhaltlich ganz zusammen. In beiden wird derselbe gebildet durch die 
Doppelheirath zwischen Partalopi und Marmoria (Percenober und Const.), 
‚sowie zwischen Barbarus und Urzkia (Fraga). Von einer Fortsetzung, 
wie sie das französische (in Crapelets Handschrift), niederländische und 
deutsche Gedicht bieten, findet sich hier so wenig etwas, wie im spani- 
schen Roman, der mit derselben Doppelvermählung schließt. 

Diels sind also die in beiden nordischen Bearbeitungen überein- 
stimmenden Züge. Sie sind derartig, daß wir sie nicht als zufällige 
kennzeichnen können. Auch der Umstand, dafs an der Mehrzahl von 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 65 


jenen Stellen die spanische Fassung auf ihrer Seite steht, ist von 
Wichtigkeit, und soll weiter unten verwerthet werden. Es sollen jetzt 
weiter die Punkte aufgeführt werden, in denen die Saga sich nicht 
den Worten, sondern auch dem Inhalte nach selbständig verhält, während 
das dänische Epos, z. Th. auch der spanische Roman, dem französi- 
schen Texte näher zu stehen scheint. 

Die Fackeln, welche unserm Helden nach seiner ersten Mahlzeit 
im Zauberschlosse der Mel. vorleuchten, geleiten ihn nach der Er- 
zählung der Saga zunächst in zwei große Hallen, wo er 500 und 300 
Ruhebetten zählt, dann in eine, noch schöner ausgestattete, die für 
Könige und Fürsten bestimmt scheint. Er überlegt jedoch, daß diese 
Betten wohl alle ihre Besitzer haben möchten und dal er gegen die 
Übermacht nicht würde aufkommen können. Da führen ihn die Kerzen 
in ein prachtvoll verziertes Zimmer mit einem Bett. Hier beschließt 
er zu bleiben, denn, sagt er, das habe ich geschworen, als ich noch 
daheim war, nie vor einem Ritter eine Lagerstätte zu räumen, hier 
aber will ich mich gegen zehn wehren, denn es dünkt mich besser, 
hier im Kampfe gegen tüchtige Recken das Leben zu lassen, als die 
ganze Nacht mit diesen Zaubermächten zu thun zu haben. Zu diesem 
Zuge stimmt dann, daß die Dame, um ihn zu entfernen, bestimmter 
als im franz. v. 1206 ff. mit 1500 Rittern droht, die in der Vorhalle 
weilten; ebenso daß bei Gelegenheit seines Ungehorsams uns erzählt 
wird, 12 Ritter hätten ohne sein Wissen jede Nacht im Nebenzimmer 
Wache gehalten; diese rufen dann, sobald sie Part. erblicken, die 
übrigen wach, so daß dieser, nicht wie in den übrigen Texten, es nur 
mit den für männliche Schönheit nicht unempfänglichen Hoffräulein 
zu thun hat, sondern der Übermacht nachgeben muß. Sein muthiges 
und unerschrockenes Auftreten diesen gegenüber sticht sehr gegen 
seine langen Klagen in den anderen Texten ab. Der dänische Text 
hat die eben erwähnten Züge nicht, schließt sich also, obwohl in sehr 
kurzer Fassung, dem franz. an. Ich halte es nun nicht für nothwendig, 
daß der Sagaschreiber dieselben in seiner Vorlage vorgefunden hat, 
sondern glaube vielmehr darin eine ganz interessante, tendenziöse Um- 
wandlung von Part. Charakter zu sehen, hervorgegangen aus dem Be- 
streben eines nordischen Bearbeiters, den Muth und die Tapferkeit 
seines Helden überall ans Licht zu stellen, während er nach der weicheren 
südlichen Auffassung stellenweise wenigstens mehr den Eindruck eines 
schmachtenden Jünglings macht. 

Eine andere Episode bietet der Zweikampf mit Sornegur, in der 
Saga Markvaldr genannt. Man wird sich erinnern, daß, als letzterer 

GERMANISTISCHE STUDIEN, II, ὃ 


66 EUGEN KÖLBING 


schon fast überwunden ist, man ihm plötzlich, gegen den Vertrag, Hülfe 
leistet, und zwar sind dieß in der Saga 12 Ritter, die, ohne auf Mark- 
valds Einwendungen zu hören, ihn am liebsten unter den Füssen ihrer 
Rosse würden zertreten lassen. Die Saga fährt fort: 7 pessu sau ῥεῖν 
upp 1 loptit fugl einn svd hvitan sem svan ok ekki minna en gamm. 
Partalopa pötti mikil ögn standa af hänum, ok er riddarannir varu sem 
Pykkvast um Partalopa, pa flö fuglinn ok nam Partalopa 1 [κίων ser ok 
flö 1 burt med; hann, en eingi riddari bordi d hanum at halda. Fuglinn 
flö 1 burt med Partalopa til kids Hlödvis konungs ok feldi hann har nidr 
Fyrir fetr hanum. Dieß) an unsrer Stelle doch eigentlich sehr geschmack- 
lose Wunder, welches im Sinne des Erfinders wahrscheinlich eine 
Probe von Marmorias Zauberkunst liefern soll, sieht ganz wie ein spätes 
Einschiebsel aus. Ob der dänische Dichter es gekannt hat, lässt sich 
nicht entscheiden, da der vertragswidrige Angriff der Briten von ihm 
ganz übergangen wird. 

Nach diesem Kampfe fragt im franz. Texte die Mutter, in der 
Saga der Vater den Sohn über seine Geliebte aus, und wendet dann 
ein ähnliches Mittel an, um ihn zum Bleiben zu veranlassen, wie es 
nach der franz. Fassung die Mama ersonnen hat. Er bringt ihn näm- 
lich, wohl um die Verführung noch stärker zu machen, mit zwei schönen 
Mädchen zusammen. Die Idee des Zaubertrankes (franz. v. 3963 ss.) 
ist verwischt, es heißt nur: Partalopi var pa drukkinn ok bad annarrar 
meyarinnar, ok st jatadi. En önnur hljop 1 brutt begar üt d dyrin, sem 
konungr hafdi rad til gefit, ok er Partalopi var büinn til starfs sins, pad 
var sem madr kipti hainum & brutt ὁ frd ok kom hänum ba 1 hug Mar- 
morta ok allt bat er hau höfdu talat. — Offenbar haben wir es auch 
hier mit einer Verschlechterung der Erzählung zu thun. Wie ganz 
anders zart motiviert ist im franz. und deutschen Texte die unfreiwillige 
Verirrung seiner Sinne und das Erwachen aus diesem Rausche durch 
den Namen der Geliebten! Im dänischen Texte, der sonst mehrfach 
abweicht, ist an der entsprechenden Stelle nur von &iner Jungfrau 
die Rede. 

Bei Part. zweitem Besuche ist es in der Saga wieder sein Vater, 
welcher ihm vorspiegelt, seine Geliebte sei ein Dämon, welcher ihn 
verderben wolle, nicht der Erzbischof von Paris, während der letztere 
ihm dann den besprochenen Stein gibt. 

In der Scene nach Part. Ungehorsam und seiner Gefangennehmung 
durch die Ritter erscheint plötzlich Ur®kia: Ok er beir hugdu at, hversu 
heir skyldi haduligast hann pina, pa kom ridandi systir Marmoriu sam- 
φορὰ vid hana. Woher sie mitten in der Nacht kommt, darüber klärt 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 67 


uns der Sagaschreiber nicht auf. Nur nach seinem Berichte begleitet 
Urxkia ihren Schützling bis nach Frankreich, nach dem dän. Gedicht 
(v. 831) übergibt sie ihn einem Schiffer (vgl. franz. v. 5147). 

Im französischen Epos ist es ein Knappe, den König Sornegur 
dem Part. vor 2 Jahren übergeben hat, mit Hülfe dessen er nach einem 
ganzen Jahre eingezogenen Lebens das Schloß verlässt, um im Ar- 
dennenwalde einen freiwilligen Tod zu suchen. Nach der Saga hat 
Part. sieben Tage ganz gefastet, als am Hofe ein Jüngling erscheint, 
welcher sich Hlödver, Sohn des Königs Markvald von Bretland nennt, 
sich durch den sehr unsanften Empfang, der ihm bei Part. zu theil 
wird, nicht abschrecken lässt, und diesen endlich dazu bringt, wieder 
Nahrung zu sich zu nehmen. Als Part. wieder bei Kräften ist, schlägt 
er jenem vor, sie wollten zusammen in den Ardennen auf die Jagd 
gehen. So kommen beide Fassungen wieder zusammen. Der dänische 
Text bietet hier, wie wir unten sehen werden, keine Parallelen dar. 
Der bis dahin heidnische Prinz lässt sich dann (im franz. Gedicht wie 
in der Saga) taufen und erhält im franz. den Namen Anselet, in der 
Saga Barbarus, welcher letztere natürlich mit Barbarin (franz. v. 5574) zu 
vergleichen ist. Die erwähnten Texte stimmen dann auch darin, dal) Part. 
seinen Begleiter eines Nachts verlässt und daß dieser beschließt, seinen 
Herrn überall zu suchen. Ich erwähne dieß defßihalb, weil nach der Dar- 
stellung der Saga der Ritter, welchen Part. auf seiner Reise von Grams 
(= Armants) Schloße zum Turnier trifft, den das franz. Epos Gaudin 
nennt, mit diesem Barbarus identisch ist, welcher nun hoch erfreut ist, 
endlich seinen Gebieter wieder zu finden. Es ist augenscheinlich, daß hier 
die Hand eines auf Abrundung bedachten Bearbeiters gewaltet hat, denn 
wer sollte auf die ungeschickte Idee kommen, diese eine Figur in zwei 
zu zerlegen? während durch diese Identificierung die Einheit der Hand- 
lung wesentlich gewinnt. Daß sich der spanische Dichter ähnlich ge- 
holfen hat, werden wir unten sehen. 

Endlich fällt in der Saga der Kampf mit Gramr schon auf dem 
Wege zum Turnier vor, nicht erst bei diesem selbst, und zwar ist der- 
selbe recht humoristisch geschildert: Ich hebe die Stelle ganz aus: Nü 
heyra peir er undan vida, at riddarar II rida eptir beim. Ρά melti 
Gramr: Gerum annathvärt, at υἱὲ heingjum μά her eda ferum pd heim 
4 kastalann ok seljum pa i eina verstu prisund fyrir bat er heir pordu 
at rida eptir okkr. Sveinninn sagdi: Ek vil νάδα [yrir hestum heirra. 
Gramr melti: Peir skulu pinir vera ok bar med Ur@kia ok jarlsdami 
ok allt bat riki er hon d, petta skaltu hafa pegar ek verdr keisari yfür 
Grikkland. Ok er peir meeltust, μά melti Gramr vid Partalopa: Hverr 

δὲ 


68 EUGEN KÖLBING 


ertu svd djarfr, at μά, pordir at sja mik, eda vi komtu hingat? Hefir 
bü ekki frett hversu üla peir hafa farit er 1 möti mer hafa verit? ok 
ef pü hefdir heyrt nafn mitt, pa mundir bü med öngu moti hora at reisa 
pitt spjdt 1 möti mer, ok af hvi at mer hikkir handaskömm ὁ at drepa 
hik, pa vil ek at pit fait mer hesta ykkra, pviat ek hefi gefit }ά sveini 
minum ddr. En pit farit til kastalans ok verit steikarar minir. Vapn 
ykkur skal sveinn minn hafa. Nü sem hann bagnar, melti Partalopi: 
Pü etlar at vera keisari yfir Miklagardi, en ek «tla, at Marmoria skal 
litinn kostnad hafa fyrir per, μυίας sverd mitt skal vera teinn 1 hjarta 
ber, ok ek skal pik svd steikja, at bedi skaltu brenna tan ok innan. 
Her eptir hleypir hvarr at ödrum, ok mettust sva at 1 sundr gengu beggja 
beirra spjötsköpt. Ok pvi nest toku beir til sverda sinna, ok sva lauk 
beirra vidskiptum, at Partalopi hjo € hjälminn Grams ok klauf hjalminn 
höfudit ok bükinn til beltisstadar ok skaut hanum daudum til jardar. Pa 
meelti Partalopi: Störlitt dugdu ber n& störyrdi bin. A sömu leid hafdı 
Barbarus skilizt vid skjaldsveininn. Hierauf kehrt dann gleich Part. mit 
seinem Gefährten nach Grams Schloße um, um bei dessen Gemahlin 
sein Wort einzulösen. Vielleicht hat der nordische Bearbeiter wollen 
diesen Zweikampf vor den übrigen herausheben. An die entsprechende 
Scene in den andern Texten erinnert die Darstellung der Saga, wie 
ein flüchtiger Blick lehrt, nirgends. Das dän. Gedicht folgt in der An- 
ordnung (v. 1271 ss.) dem franz. 

Fast ganz frei gehalten ist die Schilderung des Turniers. Der 
Gang desselben ist in der Saga etwa folgender: Als Part. und Barb. 
auf dem zum Turniere bestimmten Platze ankommen, hat dieses schon 
begonnen; sie wundern sich, daß so wenige sich zum Kampfe heraus- 
wagen, trotzdem daß so viele Ritter anwesend sind. Endlich bemerken 
sie, daß alle sich vor zwei Rittern fürchten, die jeden zum Streite her- 
ausfordern und besiegen. Part. und Barb. nehmen ihre Forderung an, 
und jeder besiegt seinen Gegner. Sie nennen sich Heinrich und Wilhelm, 
Söhne des Herzogs von Brabant, und fügen hinzu, sie seien nur zum 
Turniere gekommen, um Partalopi zu suchen und ihm ihre Dienste 
anzubieten. Darauf hin erhalten sie ihre Waffen wieder. Es wenden 
sich nun sämmtliche Ritter gegen diese vier, welche aber trotz ihrer 
Minorität Sieger bleiben. Schon an diesem Abend ist man darüber einig, 
daß Part. den Siegespreis verdiene. Es folgt dann der schon besprochene 
Besuch Urzkias, in Folge dessen Marm. es erst wagt, an ihr Glück 
zu glauben. Am folgenden Morgen wird die endgültige Entscheidung 
gefällt, daß der fremde Ritter würdig sei, Marm. Gemahl und Kaiser 
von Griechenland zu werden. Mit den oben besprochenen Heirathen 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 69 


schließt die Saga. — Daß die Turnierschilderung beim Sagaschreiber 
nicht eben gewonnen hat, zeigt schon diese Analyse. Besonders zu be- 
achten ist, daß der Saracenensultan weder hier noch an einer andern 
Stelle der Saga erwähnt wird. Was den Bearbeiter gerade zu dieser 
Anderung bewogen haben könnte, ist freilich schwer erfindlich. 

Wir haben im Vorigen gesehen, daß die Züge, welche den nordi- 
schen Text von den übrigen isolieren, derartig sind, daß sie nicht 
wohl auf die Vorlage, sondern größtentheils auf absichtliche Änderungen 
eines Umarbeiters zurückgeführt werden müssen. Könnte er nun nicht 
vielleicht auch stellenweise geändert haben, um zu ändern? 

Wir kommen weiter zur Specialbetrachtung des dänischen Ge- 
dichtes hinsichtlich der ihm eigenthümlichen Züge. Daß eine Menge 
Einzelheiten weggelassen, andere Scenen sehr gekürzt sein müssen, 
geht schon aus dem geringen Umfange desselben (1586 Verse) hervor. 
Und doch bietet es mancherlei, was mit dem franz. stimmt, was der uns 
vorliegende nordische Text aber noch stärker gekürzt oder wegge- 
lassen hat. 

Die Notiz, daß Mel. Boten aussendet, um den Mann zu suchen, 
der ihrer Hand am meisten würdig sei, lat das dänische (v. 93—120) 
mit dem französischen (v. 1351—68) gemeinsam. Die Zwölfzahl der- 
selben ist jedoch dem Dänen eigenthümlich. 

Selbständig ist im dänischen der Zug, dafs Persenober schon bei 
der Mahlzeit eine Jungfrau neben sich spürt (v. 237 f., 244—8, 255 ff). 
Nach v. 347 f. zu urtheilen, scheint sie nicht einmal gesonnen, unsern 
Helden für den Mangel an Augenweide durch Gewährung des Minne- 
lohnes zu entschädigen, eine im Laufe der Erzählung nicht gerade sehr 
glücklich angebrachte Probe von Enthaltsamkeit. 

Unter den Anweisungen, die Mel. dem Geliebten vor seiner ersten 
Abreise gibt, ist die, er werde, in seine Heimath gelangt, einen alten 
Ritter treffen, der ihm Gold und Silber übergeben werde, damit er 
mit Hülfe desselben sich ein Heer anwerbe (v. 399—422). Das stimmt 
sachlich ungefähr zu v. 1985—2029 des franz. Textes. Im nord. erhält 
er diese Schätze vor seiner Abreise schon: Pa var par bedi hestr hans ok 
hundr, ok II hestar adrir klyfjadir med brendu silfri ok gulli ok ödrum 
godum gripum, ok pöttist hann pat vita at hetta 72 mundi hanum etlat. 

Im Übrigen sind diese beiden Besuche Part. in seiner Heimath 
wunderlich zusammengeworfen. Bei Schilderung des ersten wird der 
Erfolg, seine Hülfe gegen die Feinde, nur in 4 Versen besprochen 
(v. 461 ff). Den Wunsch seines Oheims, er möge bei ihm bleiben, 
. weist er kurz ab (v. 473 ff.) und kehrt zu Mel. zurück. 


70 EUGEN KÖLBING 


Der zweite Besuch wird wieder mit fast denselben Worten ein- 
geleitet. Die Geliebte theilt ihm mit, der Feind sei wieder ins Land 
gebrochen, und an ihm sei es wieder, zu helfen. Fast wörtlich gleiche 
Anweisungen werden ihm (v. 525 ff.) gegeben als das erste Mal. Er 
siegt über einen alten Kämpen des Heidenkönigs im Zweikampfe, nach- 
dem auf seine Bitte zu Gott um Hülfe ihn eine Stimme ermuthigt hat, 
die ihn seiner Geliebten gedenken heißt. Als die Feinde dieß sehen, 
flieht das ganze Heer (v. 587—628). Hierauf widersteht er dem An- 
sinnen des Königs, dessen Stieftochter zu heirathen, mit Hinweis auf 
seine Geliebte, und lässt sich auch durch die Bitten der Frauen und 
Ritter, bei ihnen zu bleiben, nicht irre machen (v. 629—69). Da ver- 
sucht seine Mutter ihm Mißstrauen einzuflössen und gibt ihm den Zauber- 
stein (v. 669—92). Als er sich dann schlafen gelegt, lässt man, um ihn 
doch noch zu verführen, die Jungfrau sich zu ihm legen, aber kaum 
bemerkt er dieß beim Erwachen, als er sich schleunigst ankleidet, zum 
Schiffe eilt und zu Const. zurückkehrt (v. 693—714). Es ergibt sich 
aus dieser kurzen Inhaltsangabe, daß hier die einzelnen Züge der Er- 
zählung in ihrer Reihenfolge ganz verschoben sind, daß der Dichter 
die Begebnisse beim ersten und zweiten Besuch vermengt hat. 

Nach dem dän. Gedichte benutzt Part. erst die zweite Nacht, um 
seine Geliebte mit Hülfe des Zaubermittels zu sehen, in den andern 
Texten gleich die erste. 

Es folgt eine sehr thörichte Änderung des dänischen Dichters. 
Nach ihm nimmt — wenn ich den Text richtig verstehe — Pers., 
nachdem Fraga ihn dem Schiffer übergeben (aber doch nicht, um ihn 
in sein Handwerk einzuweihen, sondern ihn in seine Heimath zu ge- 
leiten), es sich so zu Herzen, daß er nun selbst ein Schiffer (skib mand) 
sein solle, anstatt Herrenrolle zu spielen, wie bisher, daß er wahnsinnig 
wird. Der Schiffer beschließt deßhalb, ihn zur erkrankten Stieftochter 
des Königs von Frankreich zu bringen, damit diese durch seine Narr- 
heit Zerstreuung und in Folge dessen Genesung finde (v. 835 ff.). So 
geschieht es. Diese erkennt ihn sogleich und theilt dem König mit, 
Pers. sei angekommen, habe aber seinen Verstand verloren. Als letzterer 
die Jungfrau so sprechen hört, nimmt sein Wahnsinn noch zu und er 
flieht in den Wald hinaus. Hier findet ihn dann sieben (!) Jahre später 
Fraga, vgl. v. 869—906. Wir dürfen wohl nicht annehmen, daß eine 
so greifbar geschmacklose Variante in das Gedicht aus einer älteren 
Vorlage übergegangen sei. 

Während dann, wie oben erwähnt, in der Saga Marmoria durch 
einen Beschluß ihrer Großen gezwungen, endlich ein Turnier ausschreibt, 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. ΤῈ 


dessen Siegespreis ihre Hand und die Krone von Griechenland ist, 
droht hier ein heidnischer König aus fremdem Lande, er werde ihr 
Reich mit Feuer und Schwert verwüsten, wenn sie nicht seine Ge- 
mahlin werden wolle. Durch ihre Rathgeber überzeugt, daß sie zu 
schwach sei, sich zu wehren, sagt sie, sie könne sich zwar mit dem 
Gedanken noch nicht vertraut machen, sich in die Hände des Heiden 
zu liefern, wolle aber doch ihrem Rathe folgen. Sie schickt daraufhin 
ihre Schwester Fraga, um dem Könige (der natürlich die Stelle des 
Sultans im franz. Gedichte vertritt), zu melden, wenn sie zur Hochzeit 
bereit sein könne (v. 906—46). Auf dieser Fahrt findet sie Part. Einige 
Züge sind ausführlicher als in der Saga. Die Figur des Schiffers (v. 957) 
entspricht der des weisen Maruk (fr. v. 5827). Zu v. 956—72 des däni- 
schen Textes stimmt wenigstens ungefähr v. 5829—59, ohne daß sich 
einzelne Verse parallelisieren ließen. Dagegen ist von dem Ross, welches 
sie auf die Spur leitet (fr. v. 5826) gar nicht die Rede. Als sie Part. 
hinreichend versorgt weiß, fährt Fraga zum Heidenkönig, berichtet ihm, 
wann die Hochzeit sein solle — ein bestimmter Termin wird hier so 
wenig angegeben wie oben, — und kehrt dann, reich von ihm be- 
schenkt, heim. Erst nach ihrer Rückkehr erfolgt die Erkennungsscene 
(v. 1027—70). 

Nach seiner Befreiung aus dem Gefängnisse trifft Part. auch im 
dän. Ged. Gaudin, dessen Name übrigens nicht genannt wird (v. 1241 
bis 62). Die Waffenbrüderschaft wird erst geschlossen, nachdem Pers. 
den Fremden vom Rosse gestochen hat, ebenso wie im spanischen Texte 
(Bibl. univ. des rom. Dec. 1779 p. 163 ff.). Sollte ein nord. Bearbeiter 
diesen Zweikampf nicht absichtlich weggelassen haben, in der Idee, es 
habe sich für Part. Knappen — der in der Saga an Gaudins Stelle 


tritt, — nicht geschickt, sich mit seinem Herrn zu messen? 
Die hierauf folgende Namenveränderung — Pers. soll Ritter Hwidrok, 
der Graf, sein Waffenbruder, Sorterok heissen — macht einen sehr 


modernen Eindruck. Von einem eigentlichen Turnier ist hier überhaupt 
nicht die Rede. Auch der sonst Armant genannte Unhold hatte nur 
wollen zu dem „Hoffeste“ reiten (v. 1175). Dennoch findet etwas der- 
artiges statt. Denn gleich am ersten Tage fällt Gramr (v. 1279—1300) 
durch Pers. Hand; am zweiten hilft Pers. dem König von Frankreich 
gegen den Heidenkönig und schlägt diesem einen Arm ab (v. 1301 ff.). 
Ein alter Ritter (v. 1389), der sich auch im franz. als Ernols wieder- 
findet, setzt bes. die Verwerfung des Heiden, der überhaupt nicht mehr 
auf der Bühne erscheint, und die Erwählung des Pers. zum Kaiser 
durch. Der König von Frankreich erkennt ihn wieder (v. 1541 ff. = 


72 EUGEN KÖLBING 


franz. v. 9210 ss.). Der schon besprochenen Doppelhochzeit fügt das 
dän. Gedicht noch die zwischen dem alten Ritter und der Gemahlin 
Armants hinzu. Damit schließt das Gedicht. 

Wie wir sehen, ist die Schilderung des Turniers kläglich genug; 
sie macht geradezu den Eindruck der Verwerthung einiger zusammen- 
gerafften Reminiscenzen, mit Hinzufügung einiger selbständigen ab- 
geschmackten Ideen. Und dasselbe Urtheil müssen wir fast ausnahms- 
los über alle als selbständig notierten Züge dieses dänischen Epos fällen; 
auf eine ältere Vorlage wird man diese Verwirrungen und Mißver- 
ständnisse kaum im Ernst zurückzuführen versuchen. 

Erdlich muß ich noch kurz aufführen die Züge in der Erzählung, 
durch welche sich die spanische Fassung dieses Sagenstoffes von saämmt- 
lichen anderen unterscheidet. Freilich vermissen wir hier die Zuver- 
lässigkeit, da uns nur die öfters citierte französische Analyse vorliegt, 
und man nicht wissen kann, in wie weit der Verfasser dieser letzteren, 
Herr Couchu, mit seiner eigenen Phantasie dem Spanier nachgeholfen 
hat (vgl. die an mehreren Stellen [z. B. p. 122 f. 144 ff.] eingeschobenen 
französischen Verse, die mit dem spanischen Prosaroman doch schwer- 
lich etwas zu thun haben); indessen sprechen die oben namhaft ge- 
machten Parallelen zu den nordischen Texten doch dafür, daß er bei 
der Wiedergabe des Stoffes selbst ziemlich conservativ verfahren sein 
muß). Des spanischen Originales habe ich leider nicht habhaft werden 
können; schon zu Öouchu’s Zeit scheint es sehr selten gewesen zu sein 
(vgl. a. a. O. p. 52). Nach Dunlops oben angeführtem Buche kann ich 
leider nicht eitieren, da dessen Inhaltsangabe zwar nach englischer Sitte, 
um die Lectüre pikanter zu machen, mit humoristischen Bemerkungen 
gespickt, im übrigen aber möglichst ungenau und unvollständig ist. 

Der Hauptunterschied der spanischen Bearbeitung von den übrigen 
liegt in der unverhältnissmäßig bedeutenden Rolle, die hier Part. 
Waffenbruder Gaudin, der sonst erst kurz vor dem Turnier auftritt, 
zugetheilt ist. Dieser wird nämlich schon von Anfang der Erzählung 
an als der Liebhaber der Urraca eingeführt (vgl. p. 86, 111). Amelor 
weist Part. vor seiner ersten Heimreise an, sich vor allem nach Spanien 
zu wenden und sich durch dieses Volk unterstützen zu lassen. „L’Espagnol 
est ami du Frangois, et partage les vessentimens de votre nation contre 
Sornaguerre“ (p. 116 f.). Part. reist nun wirklich nach Spanien, wo ihm 
ein Heer von 10.000 Mann zugeführt wird (p. 118). Hier trifft er mit 
Gaudin zusammen, den Urraca in Folge der Indiscretion des Echos auf 
so lange verbannt hatte, bis er zehn Rittern durch Waffengewalt den 
Namen ihrer Geliebten abgenöthigt hätte (p. 128), besiegt ihn im Zwei- 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE, 713 


kampfe und schließt dann Freundschaft mit ihm. Gaudin begleitet ihn 
mit dem spanischen Heere nach Frankreich. Er ist es auch, der den 
Verräther Phaisoul (= fr. Mares) tödtet (p. 137). Später trifft er in den 
Ardennen, die er aufgesucht hat, um Abenteuer zu bestehen, seinen 
unglücklichen Freund, der ihm sein Schicksal, die Folge seiner Neu- 
gier genau mittheilt, dann aber wieder im Walde verschwindet (p. 144 
bis 53). Urraca sucht Part. und begegnet dabei Gaudin, der sie auf die 
richtige Spur leitet, sie aber selbst sogleich wieder verlassen muß 
(p. 153 4). Gaudin tritt dann erst wieder da auf, wo ihn auch die andern 
Bearbeitungen einführen, bei seinem Zusammentreffen mit Part. vor 
dem Turnier. 

So bedeutend diese Variante der Erzählung auf den ersten Blick 
scheinen möchte, so leicht erklärlich ist es doch, wie der spanische 
Bearbeiter dazu gekommen ist. Sie wird aus demselben Bestreben her- 
vorgegangen sein, das den Sagaschreiber veranlasst hat, vor dem Tur- 
niere den Knappen Barbarus an Stelle Gaudins einzuführen, aus dem 
Bestreben, durch Identificierung der beiden in der Vorlage getrennten 
Persönlichkeiten die Erzählung einheitlicher zu machen (vgl. oben 
p. 67), so daß dieß Zusammentreffen dann zum Wiederfinden wird. Daß 
der Spanier für diesen Zweck den spanischen Ritter Gaudin gewählt 
hat und nicht, wie die Saga, den Knappen, kann uns nicht wundern, 
wie es ihm überhaupt darum zu thun gewesen ist, sein Vaterland im 
‘Verlauf der Erzählung möglichst hervortreten zu lassen. Das Echo 
und Gaudins Verbannung scheint der späteren Ritterromantik entlehnt 
zu sein. 

Eine Abänderung der Erzählung wird ferner dadurch bewirkt, daß 
die Italienerin Angelika, welche in Part. verliebt ist, sowohl den Ver- 
räther Phaisoul veranlasst hat, bei dem Zweikampfe Part. mit Sornegur 
einzuschreiten, um eine gefährlichere Wendung desselben zu hindern 
(p. 134), als auch den Mönch, der an die Stelle des Bischofs im franz. 
ritt, abgeordnet hat, um Part. von seiner Geliebten abwendig zu machen 
(p. 138 8). Wir sehen, die Thatsachen sind dieselben, nur liebt es der 
Dichter, denselben nach eigenem Geschmacke andere Motive unterzu- 
schieben, in diesem Falle noch nicht die ungeschicktesten. 

Ferner stirbt nach dieser Darstellung Sornegur an den Folgen 
der ihm von Part. beigebrachten Wunde (p. 138), wohl weil dem Be- 
arbeiter es absurd erschien, dem Heiden einen so edlen Charakter zu 
vindicieren, wie es seine Vorlage that. 

Endlich hat er es nicht unterlassen können, die Witwe des Un- 
holds Hermann uns im verklärenden Lichte einer unglücklichen Liebe 


74 EUGEN KÖLBING 


zu ihrem schönen Gefangenen vorzuführen (p. 177 £.). Liebevoller zeigte 
sich ihr der därische Dichter, der auf ihre Versorgung bedacht ist 
(vgl. oben p. 72). 

Im Übrigen stimmt der Erzähler, bes. was den Zweikampf mit 
Sornegur und das Turnier betrifft, im Allgemeinen genau mit dem franz. 
Epos. Hermann fällt durch Part. Hand, und ebenso, was ich hervorheben 
will, der Sultan von Persien (p. 173). Auf weitere Einzelvergleichung 
gehe ich schon deßhalb nicht ein, weil uns das spanische Original nicht 
zu Gebote steht. 

Welches wird nun das Resultat sein, das sich aus all diesen Einzel- 
erörterungen ziehen lässt? Wie sollen wir uns die Entstehung beider 
nordischen Bearbeitungen und ihr Verhältniss zum entsprechenden spani- 
schen Romane denken? 

Meiner Ansicht nach muß man es sich bei Quellenuntersuchungen 
zum Principe machen, nur im äußersten Nothfalle eine Vorlage anzu- 
nehmen, über deren ehemalige Existenz man gar keine oder ganz un- 
sichere Zeugnisse besitzt; denn man wird mit einer solchen Annahme 
nie auch nur annähernd einen Wahrscheinlichkeitsbeweis liefern können. 
Das Bestreben nur aus den vorhandenen oder leicht zu erschließenden 
Bearbeitungen ihre Genealogie herzustellen, hat zur Formierung des im 
Folgenden dargelegten Urtheils beigetragen. Nächstdem habe ich auf 
die Analogie ein entscheidendes Gewicht gelegt. 

Wie wir wissen, sind unter Hakon dem Alten von Norwegen eine 
große Anzahl südländischer Romane in nordische Prosa übertragen 
worden, und zwar vorwiegend aus dem Französischen, so vor allem die 
Epen des Artussagenkreises; ausnahmsweise auch aus einer lateinischen 
Quelle, so die Amicus ok Amilius Saga, die ich in einem der nächsten 
Hefte der Germania publicieren werde. In diese Zeit ungefähr dürfte 
also auch die Übertragung des Partonopeus fallen, und zwar spricht, da 
von einer lateinischen Bearbeitung dieses Stoffes absolut nichts bekannt 
ist, die Wahrscheinlichkeit für eine französische Quelle. Als solche kennen 
wir nun nur das Epos des Denis Pyramus und zwar genauer nur in der 
von Crapelet edierten Handschrift. Ein Blick auf die vielen Differenzen 
zwischen beiden Fassungen (das dän. Gedicht bleibt hier unberück- 
sichtigt) lehrt aber, daß der Sagaschreiber eine andere Bearbeitung 
dieses Epos vor sich gehabt haben muß, als die, welche uns in Cra- 
pelets Ausgabe vorliegt. Den Einwand, daß diese Abweichungen wohl 
dem nordischen Bearbeiter zur Last zu legen seien, widerlegt der Um- 
stand, daß an fast allen Stellen, wo die nordische Prosa und das dänische 
Gedicht, dem Sinne nach zusammenstimmend, dem franz. Epos gegen- 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 75 


über stehen, der spanische Roman, der unmöglich in sonstiger näherer 
Beziehung zu denselben stehen kann, auf Seite jener beiden sich stellt. 
Der Spanier muß — das ist der einzig mögliche Schluß — eine franz. 
Handschrift derselben Gruppe oder Bearbeitung benutzt haben, der die 
dem Norweger vorliegende angehörte. Zur Charakterisierung dieser Be- 
arbeitung sei hier nur erwähnt, daß ihr die ersten 450 Verse des 
Crapelet’schen Textes gefehlt haben müssen, da sie nicht mit Frank- 
reich sondern mit Griechenland begonnen hat, und ferner, daß sie der 
Erzählung einen andern Schluß gegeben hat, wie die obige Handschrift 
und der Fortsetzung entrathen hat, auch sich an mehreren Stellen ge- 
nauer an Apuleius anschloß, als jene. Ich komme am Schluße dieser 
Abhandlung darauf zurück, um jetzt noch einmal bei den beiden nordi- 
schen Fassungen zu verweilen. 

Während nämlich z. B. bei den Übertragungen des Parzeval, Erek, 
Iwein in das Altnordische eine Menge Stellen als wörtlich übersetzt 
den entsprechenden franz. Versen gegenübergestellt werden konnten, 
ist dieß hier kaum an einer oder zwei Stellen möglich. Es ergiebt sich 
daraus, daß die nordische Partalopa-Saga wohl aus einer Zeit stammt; 
wo eine freiere Bearbeitung der fremden Romane Mode war, oder direct 
gefordert wurde, sicher wenigstens soviel, daß er nicht denselben Ver- 
fasser gehabt hat, wie die oben angeführten Romane aus dem Artus- 
kreise*). 

Als im 14. und 15. Jahrhundert die Insel Island durch Mißwachs und 
Seuchen heimgesucht wurde, da mochte den Bewohnern die aus dem 
goldenen Zeitalter ihrer Geschichte stammende Lectüre nicht mehr die 
gewünschte Befriedigung gewähren. Sie schufen sich deßhalb Umarbei- 
tungen der ihnen aus Norwegen zugekommenen südländischen Romane, 
kürzten dieselben beliebig und setzten nach eigenem Geschmacke Episoden 
hinzu. Einige Proben davon, wie frei man mit denselben umgegangen 
ist, habe ich Germ. XVII p. 193 ff. vorgeführt. Dahin gehören wohl 
ferner die beiden in die Erex-Saga eingeschobenen Abenteuer (vgl. 
Germ. XVI p. 400 ff. 413). Aus dieser Zeit stammt nun, meiner Ver- 
muthung nach, die uns jetzt allein vorliegende Fassung der Partalopa- 


*) Ich benutze diese Stelle, um auf Hrn. Prof. Möbius „nur?“ betrefis der in der 
Parcevals-Saga vorkommenden Reimstrophen (Zeitschr. für ἃ. Phil. Bd. V, p. 255.) 
zu antworten. Ganz vereinzelt finden sich dgl. nämlich auch in anderen Sagas dieser 
Art; z. B. kommt in der Partalopa-Saga vor am Schluße von Cap. VII: Ok luktist 
πύ med pvi pat parliment, ok fröttist petta vida um ἐπα. So schließt ferner die Adö- 
nius-Saga ok Constantinus in A. M. perg. 593A 4°: Sväer πύ pessi saga at renda, ok 
skulum ver πύ til pagnar venda, 


76 EUGEN KÖLBING 


Saga. Die offenbar tendenziöse Umwandlung von Part. Charakter, die 
ich oben hervorhob, die Rettung durch den Schwan, und alle die will- 
kürlichen Änderungen, die ich als solche gekennzeichnet habe, er- 
scheinen mir als solche Proben isländischen Geschmackes. Zu dieser 
Annahme stimmt nun sehr gut, daß die einzige Membrane, in der die 
Partalopa-Saga uns vollständig überliefert ist, noch zwei andere Sagas, 
die Tristrams-Saga und die Flores-Saga und Blankiflür in nachweislich 
jüngerer, isländischer Fassung enthält. 

In ähnlicher Weise ergab sich, daß die Abweichungen des spani- 
schen Romans ihren Grund hatten theils in der eigenthümlich patrio- 
tischen Tendenz des Verfassers, theils in dem Einfluße späterer Ritter- 
romantik. 

Endlich ist noch über die Entstehung des dänischen Epos zu ent- 
scheiden. Eine ganze Anzahl sachlicher Übereinstimmungen lehrte uns, 
daß dasselbe in näherer Beziehung zur Saga steht; trotzdem bot es 
Einzelnotizen, welche in der Saga fehlten, sich aber im französischen 
Epos finden; endlich fanden sich eine Reihe sachlicher Änderungen, 
die sich entweder als Verwechslungen und Mißsverständnisse, oder als 
so geschmacklose Neuerungen herausstellten, daß wir sie einer älteren 
Vorlage unmöglich zuschreiben konnten. Nun könnte man vielleicht 
meinen, das französische Gedicht habe zugleich mit der Saga dem 
Dänen vorgelegen. Dagegen spricht einmal, daß es völlig an Analogien 
für solche Doppelvorlagen fehlt, dann aber und vor allem, daß zu Ende 
des 15. Jahrhunderts die Kenntniss des Altfranzösischen nicht mehr 
vorauszusetzen ist. Ich glaube vielmehr, unser Dichter hat die Saga in 
ihrer älteren, norwegischen Fassung gelesen, oder sich dieselbe nach 
ihr erzählen lassen und dann, freilich weder mit dichterischem Talente 
noch mit Geschmack oder Erfindungsgabe ausgerüstet, sein Werk aus 
dem Gedächtnisse niedergeschrieben. Dafür spricht auch die Entstellung 
der vorhandenen und das Fehlen der übrigen Namen, welche die Saga 
aufwies. Es lehrt uns diese Speeialuntersuchung, die ja hier nur ein 
Theil eines größeren Ganzen ist, wieder, wie wichtig die genauere 
Kenntniss dieser romantischen Sagas nicht nur für die altnordische Litte- 
ratur, sondern auch für die richtige Beurtheilung und Werthschätzung 
der entsprechenden Erzeugnisse des älteren Schwedischen und Däni- 
schen ist. 


IH. Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur. 


Trotz der Bemerkungen von Pfeiffer (Germ. XII p. 28 ff.) und 
der kurzen Notizen von Bartsch in der Einleitung zu der oben eitierten 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 77 


Ausgabe des mhd. Gedichtes, p. VII, sowie in den Anmerkungen, die 
sich bis auf einige Citate von frz. Namen mehr mit der Constituierung 
des deutschen Textes als mit dem Verhältniss Kosrads zu seiner Quelle 
beschäftigen, erschien doch eine erneute, genauere Vergleichung des 
deutschen Epos mit dem franz. noch immer wünschenswerth. Ich hatte 
dabei zweierlei im Auge. Einmal wollte ich Bartschs Worte a. a. O.: 
„Im Ganzen hat der Stoff unter seinen Händen gewonnen, 
die trockene Darstellung des Originals weiß er durch lebens- 
volle Schilderungen, durch psychologische Darlegung der 
Seelenzustände der handelnden Personen zu heben und zu 
vertiefen“ durch eine Anzahl von Beispielen illustrieren, um dadurch 
wenigstens einige Züge zu der Charakteristik Konrads als Dichter zu 
liefern, was eine um so dankbarere Aufgabe ist, je genauer wir wissen, 
daß das Epos des Denis Pyramus die Vorlage desselben gebildet hat. 
Zweitens aber galt es, das auf diese Weise gewonnene Material als 
Beweismittel zu verwerthen, wann es sich um Erklärung bedeutenderer 
Differenzen, Weglassungen u. dgl. handelte, wobei dann die Entschei- 
dung auch wieder für die kritische Herstellung des franz. Textes von 
Bedeutung wird. Übrigens fürchte ich bei solcher Untersuchung gerade 
am wenigsten mir den Vorwurf zu großer Ausführlichkeit zuzuziehen, 
da bei Quellenuntersuchungen nur durch eine sorgfältig in das Detail 
eingehende Prüfung ein nennenswerthes Resultat erzielt werden kann. 

Die lange Geschlechtsableitung der Helden von Troja bis zum 
König Clodwig fehlt bei K. Da nun K. aber sonst in Bezug auf den 
ersten Schauplatz der Handlung nicht an die oben analysierten Be- 
arbeitungen, sondern an den Crapelet’schen Text sich anschlieist, so 
dürfen wir diese Auslassung wohl mit Maßmann und Pfeiffer dem guten 
Geschmacke des deutschen Dichters zuschreiben. 

Eine Schilderung von Clogier als Regent bietet K. auch, aber der 
franz. Dichter hebt mehr die kriegerische Tüchtigkeit des Königs her- 
vor (v. 451 ff.), K. viel kürzer sein tadelfreies Regiment (v. 234). Ein- 
zelne Stellen lassen sich kaum parallelisieren, höchstens K. v. 236 fi. = 
fr. v. 449 £. K., v. 240 ff. = fr. v. 469 f. Nun folgt fr. die Beschreibung 
der Ardennen, die der Dichter nicht ungeschickt an die Angabe der 
Reichsgrenzen anknüpft (v. 499 ff). K. bringt diese Schilderung erst 
später v. 319—23 in ein paar Versen, die im fr. keine Parallele 
bieten. Die Gefährlichkeit und zauberhafte Beschaffenheit des Ardennen- 
waldes hebt das fr. hier nachdrücklich hervor, K. gar nicht. Die Zeit 
der Jagd geben beide gleich an (fr. v. 527 f.=K. v. 324 ff.). Bei K. 
ist von Part. die Rede, noch ehe die Jagd erwähnt wird (v. 256—308), 


78 EUGEN KÖLBING 


im fr. erst beim Aufbruch zu derselben (v. 535 ff.). Charakteristisch 
ist der Unterschied betrefis der Schilderung unsers Helden. Der fr. 
Dichter geht bis zur Ermüdung alle einzelnen, männlichen Körperschön- 
heiten durch, um sie ihm zu vindicieren, während K. mit gutem Tacte 
die körperlichen Vorzüge mit den Worten abfertigt v. 289 ff.: Wande 
er was der schenste knabe, von dem ich noch gelesen habe in tiutsche 
und in latine, die genau dasselbe sagen, um für die geistigen Schön- 
heiten Raum zu behalten, denen fr. v. 545 ff., 581 f. nur wenige Worte 
widmet. Eigen ist K. der Vergleich v. 264 f. Es sei bei dieser Gelegen- 
heit im allgemeinen hervorgehoben, daß Gleichnisse einzuführen eines 
der wirksamsten Mittel Konrads ist, seine Darstellung im Gegensatz zur 
französischen lebendig und anschaulich zu machen. Der fr. Text bietet 
im Ganzen kaum 2—3 dgl. Das schönste Gleichniss Konrads hat Pfeiffer 
a. a. O. p.29 schon hervorgehoben. Ich füge noch einige hinzu. Part. 
steigt allein den Berg hinab, wie ein grimmer Falke, den hungert, und 
der seinen Fraß auf der Heide suchen will (v. 598 fi.). Sornegurs Jugend 
wird mit einem blühenden Mandelbaum verglichen (v. 3350 f.). Er ver- 
nichtet die Feinde, wie die Flamme das Holz (v. 3330 £.). Ein Donner- 
schlag, der vom Himmel ertönt, verhallt nicht so bald, als Sornegur und 
Part. im Kampfe zusammenrennen (v. 5268 ἢ). Eher wird aus einem 
harten Kieselstein Honigseim gewonnen, sagt Part. zu Sornegur, ehe 
durch meine Schuld mein Oheim euch dienen muß (v. 5444 ff.). Drastisch, 
aber etwas derb ist der ebenfalls K. angehörige Vergleich v. 8466 ff. 
Die Hoffräulein meinen, die Schönheit unverständiger Weiber sei wie 
ein Goldring, der einem Schweine um den Rüssel gelegt werde; wohin 
es ihn zieht oder trägt, so wühlt es doch damit im Miste herum ete. 

Wir kommen zur Jagd. Die Erlegung des ersten Ebers füllt im 
fr. nur 8 Verse, bei K. v. 336—85. Wir erhalten dafür aber auch eine 
ganz anders anschauliche Schilderung des jungen Knaben als geübten 
Jägers, dann vom Erscheinen des Ebers etc. Das ist nicht geschwätzige 
Redseligkeit, sondern wirklich poetische Darstellung. Diese versteht 
dann K. wieder passend zu unterbrechen durch die eingelegte Rede 
des Gesindes, das den Muth des Knaben bewundert. Fr. v. 603 ff. 
stimmen sachlich zu Κα. v. 411 ff., ebenso kleine Züge, wie fr. v. 607 
= K. 427 fl. Von der Angst und dem Suchen des Königs spricht fr, 
eher als K., der die Ermüdung des Rosses und Part. Lagern unter 
einer Eiche vorausnimmt. Man beachte hier K.'s Freiheit in der An- 
ordnung des Stoffes. 

Die erste Nacht im Walde (fr. v. 661 ff.) fehlt bei K. Dagegen 
benutzt dieser die kurze Bemerkung fr. v. 681 fi. zur Einschiebung 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE, 79 


einer directen Rede (v. 526—50). Wir stossen hier auf ein zweites 
Mittel Ks, mehr Leben in die Erzählung zu bringen: die Verwandlung 
kurzer Andeutungen wie oben v. 681: Il plore et crie a Dieu merci, 
oder längerer indirecter Reden in directe, wo dieß wünschenswerth 
erschien. Ich füge einige Stellen bei, wo dieß für den Effect wirklich 
fördernd gewesen ist. Dahin gehört Part. Klagerede, als er sich allein 
auf dem Meere sieht, K. v. 734—48, angedeutet fr. 726. Ferner Part. 
Selbstgespräch nach seiner Mahlzeit im Palaste, K. v. 1058—76; fr. 
indirecte Rede v. 1050 fi. Part. Bitte um Urlaub, K. v. 2775—830, 
entspr. fr. v. 1900. Die Anrede seiner Mutter bei seiner Ankunft in 
Blois K. v. 3194—3218 = fr. v. 2046—50. Die Rede des Königs von 
Frankreich v. 3392—422 = fr. v. 2101 ff. Die Todtenklage um Saret 
K. v. 3740—64; die Weigerung Part., von dem Zweikampfe mit Sor- 
negur abzustehen K. v. 4893—928; vgl. fr. v. 2772 ff.; die Selbstan- 
klage des Part., nachdem die letheartige Wirkung des Minnetrankes 
vorüber ist K. v. 7111—34 = fr. 4061 ἢ, die Schmähungen der Hof- 
fräulein, als sie Part. bei ihrer Gebieterin finden, K. v..8436—92 = fr. 
v. 4815 ff. Seltener kommt es vor, daß die dir. Rede des fr. bei K. in 
indir. verwandelt wird, z. B. fr. v. 6483—88 — K. 11569 ff. 

Basilisk und Krokodil macht erst K. in den Ardennen heimisch 
(v. 534 64). Um seinen Helden vor dem Vorwurf der Feigheit zu schützen, 
macht K. auf seine Jugend aufmerksam (v. 554 fl.), was fr. fehlt. Man 
beachte K. v. 618 ff. Part. führt am Strande sein Ross auf und ab, 
und versenkt sich in Sorgen über seine Lage. Da auf einmal bricht 
der Mond durch die Wolken und bei dessen Glanze erblickt er das 
Schiff; man vgl. die nackte Aufzählung fr. v. 695 ff. Wörtl. Überein- 
stimmung fr. v. 713£.—=K. v. 650 ff. Part. schlummert fr. v. 720 fl. 
K. fügt hinzu, weßhalb er bloß schlummert v. 660 ff. Der Jammer des 
Part., als er sich allein auf dem Schiffe sieht, wird bei K. wieder auf 
seine Jugend zurückgeführt (v. 683 ff.). Wörtl. stimmt fr. v. 745 f.— 
K. v. 696 f£.; fr. v. 742 Ε΄. = KR. ν. 713 ff; fr. v. 168 = K. v. 764 ff; 
fr. v. 171 ἢ. =K. v. 776-9; fr. v. 829—31 ΞΞ Κ. v. 865—7. Die Be- 
schreibung der Stadt stimmt bis auf Kleinigkeiten ziemlich genau. 
Gleiche Gedankenverbindung fr. v. 1037 ff. =K. v. 1050 fl. Die Be- 
schreibung des Bettes fr. v. 1063 ff. —K. v. 1124 ff. Part. Abendgebet 
hat K. allein v. 1168—73. Beredt ist K. unleugbar in der Skizzierung 
von Seelenstimmungen, so der Furcht des Part., als die Kerzen fort 
sind v. 1208—25. Die Vermuthung, daß der Teufel in Frauengestalt 
bei ihm liege, giebt K. selbständig seinem Helden ein v. 1284—1302, 
vielleicht sich zur Unzeit crinnernd an die späteren Vorspiegelungen 


80 EUGEN KÖLBING 


von Part. Mutter? In dem folgenden Wechselgespräch lassen sich die 
einzelnen Reden richt immer parallelisieren, aber im Gesammtinhalte 
finden sich keine Abweichungen. So lässt z.B. K. die Dame gleich 
bei der ersten Anrede den Eindringling mit der Macht ihrer Ritter 
bedrohen und ihn nach dem Namen fragen, im fr. folgt beides erst 
später. Selbständig ist bei K. die Bemerkung über die Gesinnung der 
Dame (v. 1570-7). 

Das letzte Gespräch der Liebenden vor Erreichung ihres Minne- 
zieles ist im fr. (v. 1283—97) kurz, aber unnachahmlich gut, im Gegen- 
satz zu den langathmigen Gesprächen über Minne bei K. (v. 1578 bis 
1687). Hier ist also zweifelsohne der fr. Text vorzuziehen. K. geht, 
wie Gervinus (Gesch. ἃ. deutsch. Dichtung II. 5. Aufl. p. 79 ff.) richtig 
bemerkt, so eifrig auf das Reimeschmieden aus, daß er darüber das 
richtige Maß vergisst; auch geht ihm wohl der richtige Taet für die 
zeitweilig nöthige Beschränkung ab. 

Die Schilderung des Minneglückes ist ganz nach dem Muster 
Gottfrieds von Straßburg; so die Wortspiele, wie zühtichieh—unzuht 
(v. 1720), liebe—hp (v. 1697) und die Wiederholung des Wortes „Liebe“ 
in drei aufeinander folgenden Zeilen (ebendas.). Alles daß sagt der fr. 
Dichter kurz v. 1301. 

Die Erwähnung Ernols und seiner Gemahlin Beatris (fr. v. 1741 ff.) 
fehlt bei K. Auch nennt bei ihm die Fee bei dieser Gelegenheit ihren 
Namen noch nicht (vgl. fr. 1763). In den Ermahnungen Meliurs stellt 
K. die Treue zuletzt, der fr. Dichter zuerst. K. hat den Klimax für sich. 

Auffallend ist, daß der Zug, daß Part., weil das Schiff nicht in 
den Hafen einlaufen kann, por les gors qui en Loire sont (v. 1966), 
mittelst eines Bootes ans Land gesetzt wird, bei K. fehlt. 

Selbst. ist bei ihm die Zusammenfassung des dreifachen Kummers, 
an dem Part. bei seiner Ankunft in der Heimath leidet (v. 3026—46). 
Verschiedene Zahlenangaben: fr. v. 2069, entspr. K. v. 3262. Wörtl. 
stimmt fr. v. 2102 = K. 3402 f.; fr. v. 2116 =K. v. 3466 f.*). Man be- 
achte beim deutschen Dichter geschmackvolle Einzelheiten in der 
Schilderung, z. B. die Zeichnung des schweigend nachdenklichen Sor- 
negur, bevor er seine Rede beginnt, K. v. 4068—73; das fr. bietet 
keine Parallele. Auch K. 4094—8, Sornegurs Versprechen, Ansehen 
und Stellung dessen zu erhöhen, der ihm durch seinen Plan zum Siege 


*) Einer Vergleichung der Namen in beiden Epen (Chaars, Agisors, Marroes 
etc,), die an diese Stelle gehörte, bin ich durch Bartschs diesen Punkt berücksichti- 
gende Anmerkungen enthoben. 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 8] 


verhelfe, hat fr. nicht. Wörtl. stimmt fr. v. 2428 =K. 4256 f. Part. 
Namen wird im Kriegsrathe erst von Marufin genannt K. v. 4284; 
fr. v. 2383 schon von Loemers. Auch, hier hat K. die Steigerung für 
sich. Im fr. ist die Rede Sornegurs nach der Berathung (v. 2541—640) 
Selbstgespräch; erst dann lässt er den Kapellan holen v. 2647. BeiK. 
macht er dem ganzen Ergufs seines Unwillens vor diesem Luft (v. 4597 
bis 656). K. liebt es, knapp gehaltene, zuweilen nur einzeilige Reden 
in seiner Vorlage — und das nicht immer ungeschickt — zu längeren 
auszuarbeiten, z. B. K. v. 4984—5002, nach fr. v. 2795 ἢ. 

Wichtiger ist für unsern Zweck die folgende Partie. Die Namen 
der Großen Sornegurs werden fr. zum Überdruß oft genannt, z. B. 
v. 2861 ff., v. 2894 ff.; bei K. an diesen Stellen nicht, ebenso wenig an 
der v. 2910 ff. entsprechenden Stelle. Im fr. bewachen 2000 Mann das 
Schlachtfeld (v. 2939, 2943); bei K. 4000, v. 5115 f., 5126 £. Wörtliche 
Übersetzung einer bloß der Redeform angehörigen Phrase des fr. Dichters: 
v. 2954: or escoutes = K. v. 5139: daz merket, welt ir sin gelösen. Selbst- 
ständig ist bei K. die Beschreibung des Schildes v. 5150—9, trotzdem daß 
K. hinzufügt v. 5158: als ich ez hän vernomen an der äventiur. Im fr, heißt 
es bloß v. 2960: ἃ son col un rice escu. Wie wenig bei dgl. Einzelheiten 
die Berufung der Dichter auf ihre Quelle zu bedeuten hat, sieht man 
wieder an diesem Beispiel. Interessant ist folgende Stelle. Bei Part. 
Rüstung heißt es fr. v. 2981 ἢ: Mais il n’a c’une seule espee: Cele est 
ἃ son arcon noee. K. fügt hinzu v. 5228 fl.: Er hieng ez dran, sö dunket 
mich, wan sin frouwe stete geboten im daz heete mit ir röten munde wert, 
daz er niemer solte swert gegürten umbe sinen lip, € si, daz vil reine wip, 
ze ritter in gemachete. Das ist jedoch nicht Erfindung des deutschen 
Dichters, wie man meinen könnte, sondern diese Bemerkung wird im 
fr. nachgeholt v. 6835 ff, wo sie auch bei K. sich noch einmal findet 
(v. 11850—5). Beide Fassungen bei K. stimmen fast wörtlich überein. 

Einer verschiedenen Auffassung begegnen wir bei der Kampf- 
schilderung. Fr. heißt es v. 3188 Εἰ: Moult lor est amgoissos cil 7075, 
Car li jors est et elers et caus, womit doch wohl gesagt sein soll, daß 
die in Folge des klaren Himmels ungehemmte Sonnenhitze den Kampf 
noch beschwerlicher machte. Dag. sagt K. v. 5596 ff.: Die sunne schein 
unmäzen heiz..... und was der himel schöne drobe geliutert und gereinet. 
Des wart dä vil erscheinet von in kamphes offenbär, wan ez ist endeliche 
wär, daz diu liehte schane zit ein herze sterket üf den strüt, dä manheit 
inne blüeget. Solche kleine Differenzen in der Anschauung sind inter- 
essant genug. 

GERMANISTISCHE STUDIEN. II. 6 


82 EUGEN KÖLBING 


Der Passus, fr. v. 3323 ff., wo von Mares die Rede ist, der sich 
über seines Herrn Mißgeschick freut, fehlt bei K. Ganz fehlt ferner 
der Befehl Sornegurs an Fursin und Fabur, Mares für seinen Eidbruch 
zu tödten (v. 3471 ff.). Auch vor dem König von Frankreich spricht 
sich Sornegur im fr. (v. 3577—608) viel ausführlicher über den Ver- 
räther aus, als an der entsprechenden Stelle bei K. v. 6404 ff. Dem ent- 
sprechend fehlt — worauf wohl noch Niemand geachtet hat — bei K, 
ein für den Zusammenhang kaum entbehrliches Moment, die an Mares 
vollzogene Todesstrafe (fr. v. 3643 fl... Ich komme auf diese merk- 
würdige Auslassung unten zurück. Daß K. hier selbst die poetische 
Gerechtigkeit vermisst, sehen wir übrigens daraus, daß er seine Straf- 
losigkeit im Verlaufe des Epos noch zwei Mal erwähnt; v. 9844 ἢ: 
Mareis der b&se gräve unt ich lebent noch und si [Meliur und Irekel] 
sint töt. Der Gedanke ist ein ähnlicher, wie in Schillers: Denn Patroklos 
etc.; ferner ähnlich in der Fortsetzung v. 17698 ff. Der Friedensschluß 
ist bei K. ganz kurz gefasst (6480—503), sehr ausführlich fr. v. 3679 ff. 
Von der Freude, die man im franz. Lager bei der Zurückkunft des 
Part. empfindet (fr. v. 3695—708), von den Geschenken, die Sorn. er- 
hält (fr. v. 3721 ff.), von dem Gespräche zwischen Fursin und dem 
König, das auch wieder von Mares handelt, von alledem findet sich 
bei K. nichts. Statt dessen erzählt uns K., daß Sornegur seinen Neffen, 
seiner Schwester Sohn, bei Part. zurücklässt, damit derselbe französisch 
lerne (v. 6508—24). Davon berichtet nun zwar an dieser Stelle der franz. 
Text nichts, wohl aber später, als dieser Jüngling praktisch in die Er- 
zählung eingreift (v. 5561—76). An der entsprechenden Stelle in Kon- 
rads Gedicht findet sich diese Partie wieder, mit ganz ähnlichen Worten 
(v. 9896— 919). Der Dichter scheint sich gar nicht zu eriunern, daß er 
davon schon einmai berichtet hat. 

Nach diesem Abschnitt stimmen die beiden Versionen wieder. 
Wöıtl. übersetzt ist K. v. 6641 ff. = fr. v. 3855 ff. Den Minnetrank und 
seine Wirkung schildert K. offenbar mit Vorliebe (v. 6957—69), viel- 
leicht in bewusster Erinnerung an ähnliche Stellen in Gottfrieds Tristan. 

Das nun Folgende ist bei K. wieder auffallend kurz behandelt, 
so fehlt das fr. v. 4114 ff. erzählte Zusammentreffen mit dem Ritter, 
der die Säumer angeführt hatte; ferner Einzelheiten über Part. Rück- 
reise (fr. v. 4128 --- 41), ebenso die Anrede seiner Geliebten (fr. v. 4156 
bis 8). Interessant ist dag. die sehr drastische Schilderung der Höllen- 
qualen bei K. v. 7582-613; vgl. fr. v. 4381 fl, wo diese Episode, die 
übrigens hier durchaus nicht wirkungslos ist, kaum angedeutet wird. Die 
Beichte des Part. vor dem Erzbischof ist bei K. viel ausgeführter, als 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE., 83 


in seiner Vorlage. Er verdammt sich selbst viel härter, als der Zu- 
sammenhang der Erzählung fordert v. 7702 ff.; der franz. Dichter drückt 
sich vorsichtiger aus v. 4447 ff. Bei K. (v. 7770—90) giebt Part. Mutter 
demselben viel genauere Anweisung über die Benutzung der Laterne, 
als fr. v. 4460 fl. Die kurze Bemerkung fr. 4515 f. giebt K. Gelegen- 
heit, sich ausführlicher über Meliurs Schönheit zu ergehen v. 7867—93. 

Als Meliur dann ihre Lebensgeschichte erzählt, erwähnt sie fr. 
v. 4566, daß kein Herrscher in der Welt ihren Vater an Macht und 
Reichthum übertroffen habe, mit Ausnahme des Sultans von Persien. 
Diese Notiz fehlt bei K. [In den nordischen Texten auch]. Die etwas 
einförmige Aufzählung fr. v. 4719—50 hat K. anders und, wie mir 
scheint, geschmackvoller gewendet (ν. 8220 ff.). Dagegen hat K.’s Neigung 
zur Redseligkeit ihn wohl zu einer Änderung verführt, die das Gedicht 
nicht besser macht. Der franz. Dichter lässt mit psychologischer Feinheit 
die Hofdamen sich bloß das Ihre denken beim Anblick des schönen 
Jünglings, fügt aber hinzu v. 4859 f.: Ni a nule tant hardie Qui un 
seul mot, mal ne bien, die. K. lässt sie sich weitläufig aussprechen 
v. 8533 — 50. ᾿ 

Scheinbar selbständig ist bei K. die Rede der Meliur v. 8570—94, 
worin sie den Geliebten mit brüsken Worten aus dem Bette treibt; 
mindestens ist sie an dieser Stelle sehr passend, denn nur durch eine 
so harte Rede der Meliur bekommt der Versöhnungsversuch der Urraque 
(fr. v. 4911 fl. =K. v. 8784 ff.) den rechten Sinn. 

Urraques körperliche Schönheit wird im fr. (v. 4863—80) wie bei 
Κ. (v. 8606— 701) sehr eingehend beschrieben, bei K. ist diese Schilde- 
rung noch mit einer fast lästigen Fülle von Gleichnissen ausgeschmückt. 
Es folgt dann eine detaillierte Skizzierung ihrer Garderobe, bei K. 
in einzelnen Punkten an das Original erinnernd, z. B. fr. v. 4900 = 
K. 8718 f. Ferner fr. v. 4903 f.—K. ν. 8742 ἢ, während der größere 
Theil seiner Beschreibung selbständig ist. In der Hoffnung, hier betreffs 
der Damenkleidung nach Weinholds Zusammenstellung (die deutschen 
Frauen im Mittelalter p. 415 ff.) noch ein oder das andere neue Stück 
anzutreffen, werden wir übrigens getäuscht, denn Irekels Gewandung 
stimmt mit derjenigen anderer mittelalterlicher oder antiker Damen, 
wie sie uns K. sonst vorführt, genau zusammen. Man vgl. z. B. K. 
Part. v. 8710 ff. = Troj. Kr. (ed. Keller, Stuttg. 1858) v. 2998 ff.; 
ferner Part. v. 8708 f. — Troj. Kr. v. 20134 ff.; Part. v. 8728 fi. = Troj. 
Kr. v. 20212 ff. Ebenso steht es mit der Schilderung von Meliurs 
Kleidung, als sie die 200 Jünglinge zu Rittern schlägt; vgl. K. Part. 
v. 12432 ff. = Troj. Kr. v. 20206 ἢ, ; 

0 


84 EUGEN KÖLBING 


Wörtlich übersetzt ist K. v. 8828 ff. = fr. v. 4939 f. Der Gedanke 
v. 8876—928 gehört K. allein an. Wir alle wissen, sagt Urraque, daß 
die Mutter des Jünglings ihn zu diesem Fehltritt verführt hat. Aber 
schon Adam, Sampson, Salomon und David sind durch Weiberränke 
in Sünde gefallen; wie hätte dieser Knabe widerstehen sollen ὃ Abge: 
sehen davon, ob diese Beispiele aus der Bibel hier gerade sehr ge- 
schmackvoll angebracht sind, so hat der Dichter sich gar nicht überlegt, 
auf welche Weise Irekel zur Kenntniss des ganzen Causalnexus ge- 
kommen sein könnte. Eine kurze Andeutung fr. v. 4925 f. scheint ihn 
zu dieser Abschweifung verleitet zu haben. Sachlich stimmt dann wieder 
ganz fr. v. 4977—5020 = K. v. 8984—9074. Meliurs letztes Motiv, um 
die Verhandlung abzubrechen, der Verweis auf die Ritter, die Part. 
Leben gefährden würden, wenn er sich länger im Schloße aufhielte, 
scheint K. anzugehören (v. 9098-- 114). Die Schilderung von Part. 
Kleidung ist fr. v. 5061—80 viel ausführlicher als bei K. v. 9132 ff. Daß 
Irekel ihn ankleidet, während keine der Kammerfrauen sich zu nähern 
wagt (fr. v. 5046 fi.), erwähnt Κα. hier nicht, deutet es jedoch an einer 
späteren Stelle an (v. 9834 ff.). Die Klageworte des Part. am Strande 
hat Κα. wörtlich übertragen v. 9278 fi. = fr. v. 5183—7; ebenso K. 
Y..9314 £. — fr. y. 5205. f6;#), 

Das Lob der Damen fr. v. 5473—5506, das dort sehr gezwungen 
eingeflochten ist, fehlt bei K. Mafmann belehrt uns a. a. ©. p. 311, 
daß dieß Stück in der Hs. 6985 fehlt, was uns wohl berechtigt, darin 
die Interpolation eines Bearbeiters zu sehen. 

Die kurze Schilderung des Frühlingtages, an dem Uhr. Part. 
wiederfindet, hat K. allein (v. 10668 ff.). Im fr. bittet Part. die Fremde, 
ihren Namen zuerst zu nennen (v. 5995 f.), bei K. thut sie es unge- 
beten (v. 10841 fi.). Part. Wunsch, Urr. möge Niemanden seinen eigent- 
lichen Namen verrathen (fr. v. 6131—9), fehlt bei K. Warum? 

Der Excurs fr. v. 6224—67, welcher, an die Unschuld der Per- 
sewis anknüpfend, sich über das Verhältniss der Keuschheit zur Schön- 
heit ergeht, fehlt bei K. ganz. Der Grund ist derselbe, wie oben bei 
v. 5473 ff.; denn nach Maßlmanns Angabe (a. a. Ὁ.) fehlt auch diese 
Partie in Hs. 6985. Da der Dichter sich sonst in seinem langen Werke 
mit der Relation des objectiven Thatbestandes genügen lässt, so halte 
ich auch dieß Stück für das Machwerk eines reflectierenden Be- 


*) Der Curiosität halber sei erwähnt, daß von v. 5310 an die ganze Verszählung 
des franz. Gedichtes falsch ist; denn der Raum zwischen v. 5310 und 5320 umfasst 14 
Zeilen anstatt 10. Beim Citieren muß man sich natürlich nach der falschen Zählung 
richten. 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 85 


arbeiters. Robert (Examen critique du po@me de Partonopeus p. LVII) 
ist der entgegengeset-ten Ansicht; er meint, der Furtsetzer habe diese 
Verse gestrichen, um früher zum Ziele zu kommen: sicherlich eine 
unrichtige Annahme. 

Den Irrthum K’s, daß er in dem fr. v. 6.13: et fille le roi de 
Milete, der auf Persewis geht, Milete für den Namen des Königs hält, 
ein Fehler, wie er ja unsern mhd. Dichtern öfters passiert ist, hat 
schon Bartsch (Anm. zu v. 1114.) bemerkt. Daß er aber gleich in der 
nächsten Zeile (v. 11146) aus der Insel Crete (fr. v. 6213) daz rüche ze 
Lucröte macht, in Erinnerung an den gleich autenden Frauennamen, 
was Bartsch nicht erwähnt, spricht ebenso wenig für die geographischen 
Kenntnisse unsers Landsmanns. 

Bei K. fehlt die Aufzählung der zu Mel, Gattenwahl vorgeschla- 
genen Fürsten fr. v. 6467 ff.; vgl. K. v. 11548 f. Auffallender ist — 
denn wir wissen ja schon, daß K. die Namenaufzählungen nicht liebt — 
daß der grölßte Theil des Zwiegespräches der beiden Schwestern (fr. 
v. 6635—734) fehlt, welches allerdings einen eigenthümlich hastigen, 
spielenden Charakter trägt, und deiihalb einer Übertragung besondere 
Schwierigkeiten bieten mochte; möglich allerdings auch, daß dieser 
Theil der Unterhaltung in K.'s Vorlage fehlte. K. setzt erst wieder ein 
fr. v. 6737 Ε΄, =K. v. 11667—714. Dagegen fügt er das Motiv hinzu, 
daß Part. zu krank und schwach sei, um zum Turnier zu kommen. Auf- 
fallend ist, daß die nächtliche Ankunft der Jungfrauen mit Part. in 
Mel. Hauptstadt (fr. v. 6920—42) bei K. ganz übergangen wird, vgl. 
v. 11991 ff. 

Die abschweifende Betrachtung über Urraques Härte (fr. v. 7080 
bis 108) trägt wieder den oben gekennzeichneten Charakter an sich. 
Bei K. fehlt sie ebenso wie nach Maflmann a. a. O. in mser. 6985, und 
ist wohl von demselben Bearbeiter hinzugefügt, wie die oben citierten 
Stücke. 

Meliurs Bericht über das Turnier fasst K. an dieser Stelle viel 
kürzer als fr. v. 7139-368. Für l’emperor d’Alemaigne setzt K. den 
Keiser von Röme v. 12319 f. Ebenso ndl. v. 3690. 

Es ist dann zunächst eine auffallende Übereinstimmung zwischen 
dem niederländischen Texte (herausgeg. von Bormans, Brüssel 1871; 
bei der Aufzählung zu Anfang meines Aufsatzes leider übergangen) 
und K. zu notieren, zu der Crapelets Text nichts entsprechendes bietet. 
Die beiden Freunde, Gaudin und Part., sind am Abend vor dem Tur- 
nier in die Herberge gekommen, die in allen drei Bearbeitungen als 
sehr anmuthig geschildert wird. Es heißt da: 


86 EUGEN KÖLBING 


mhd. v. 13284 ff.: ndl. v. 4327 f.: 
der meie hete dö gevröut Daer mochtensi horen grootghesanc 
mit der liehten künfte sin Van den voghelen en groot gheluut. 


diu wilden waltvogelin, 
dar umbe aldä ze prise 
ir süezen sumerwise 
wurden lüte erklenket. 

Mit Übergehung der folgenden Partie, in der sich keine besonderen 
Abweichungen finden, komme ich gleich zum Turnier. Die Aufzählung 
der zu demselben erschienenen Fürsten, die der fr. Dichter Meliur beim 
Gespräch mit ihrer Schwester in den Mund legt (v. 7153—326), hat 
K. in die objective Erzählung verwebt, und zwar sehr passend an der 
Stelle, wo Part. und sein Waffenbruder Gaudin auf dem Kampfplatze 
anlangen (v. 13322—435). Darin liegt schon, dafs manche persönliche 
Bemerkung fortfällt, z. B. fr. v. 7165. 7173. 7221 f£ Daß der König 
von Frankreich nicht erschienen ist, um Mel. Hand zu erwerben, son- 
dern um den Tod seines Cousins zu rächen (fr. v. 7225 ff.) holt K. an 
einer späteren Stelle (v. 14110 ff.) nach. Weitere persönliche Bemer- 
kungen, die Mel. im franz. giebt, z. B. v. 7263 ff., 7270 ff., 7285 ff., 
7299 f. 7304, 7310, 7312, 7319 f. fehlen natürlich auch. Der Hauptinhalt 
dieser Zusätze ist nämlich, daß jedem Volke oder Fürsten irgend ein 
Schandfleck angehängt wird. 

Wenn Mafimann a. a. Ὁ, p. 130 dem oberdeutschen Dichter vor- 
wirft, er habe Deutsche und Ausländer, Christen und Heiden, alle 
durch einander, aufgeführt, so ist das doch nicht ganz genau; denn 
wenn er v. 13366 f. sagt: Diz wären heiden alles doch und hete si der 
soldän gefüeret dar üf siges wän, so meint er sicherlich damit erst die 
von v. 13340 an aufgezählten, die mit dem Sultan von Babylon an- 
heben, aber weder die v. 13334 erwähnten deutschen Stämme, noch 
die Ritterschaft aus der Gascogne (v. 13339). Jenen unter des Sultans 
Befehl stehenden Heiden werden dann bewusst die christlichen Könige 
entgegengesetzt, deren Oberhaupt der Keiser von Röme ist (v. 13370 ff.). 
Daß K. manche ihm geläufige deutsche Völkernamen hinzugefügt hat, 
ist nicht sonderbar; Namen wie Zazamanc, Baldac u. a. waren ihm 
aus älteren Dichtern, wie Wolfram, bekannt. Die sieben Kampfrichter 
werden bei K. auch hier erst aufgezählt (v. 13476 ff. = fr. v. 7333), 
jedoch natürlich ebenfalls ganz kurz, während im fr. bei jedem eine 
geographische, oder sogar naturgeschichtliche Notiz (v. 7359) hinzu- 
gefügt wird. 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 87 


Wir kommen zum Turniere selbst. Im franz. sieht der König 
Corsol, einer der Preisrichter, Part. und Gaudin zuerst (v. 7901 ff.) 
bei K. ein Fürst, Namens Kursis, der beim Sultan hält (v. 13597). In 
der Rede beider ist fr. v. 7902—4 —=K. v. 13603—5. Das erste Debut 
der beiden Ritter, die Freude Corsols darüber, daß er richtig über sie 
geurtheilt hat, und das besondere Interesse der Königin für den Ritter 
ἃ cel escu d’argent (fr. v. 7911—58) fehlen bei K., der das Turnier er- 
öffnen lässt mit dem Zweikampf zwischen dem Sultan, den K. wohl 
aus eigener Erfindung Floridanz nennt (v. 13532), und Part. Sehr aus- 
führlich ist bei K. die Beschreibung der Rüstung (v. 13538—75). Die 
im fr. Texte an die stattliche Erscheinung des Sultans angeknüpfte 
wunderliche Betrachtung über die Frauen von sonst und jetzt (v. 7979 
bis 8036) ist sicherlich eine Interpolation, obwohl Mafßmann a. a. O. 
p- 311 nichts notiert. Denn abgesehen davon, daß K. diese Abschweifung 
nicht wiedergibt, so wäre dief ausser den früher eitierten Stücken, 
die in mser. 6985 fehlen und einem späteren die einzige Stelle, wo 
der Dichter uns seine subjectiven Lebensanschauungen vortrüge. 

Es ist hier eine zum Theil wörtliche Übereinstimmung zwischen 
den beiden deutschen Texten zu verzeichnen. Durch einen geschickten 
Lanzenstich hat der Sultan Part. Schild zu Boden geschleudert. Da sagt 
Clärin spottend zu Cursanz: 


mhd. v. 13730 ff. πα]. v. 4525 ft.: 
her künec, friunt, nu sehent bin Here Cursout, wat dinkes u 
wä der wize schilt nu si, Die witte seilt waer leecht bi nu 
dem ir dä stent sö vaste bi Ice micke u ridder heves ghedervet. 
mit lobelichem prise. Te vroeghe was hier ave gheervet. 
er lit in kranker wise Je saels saen gheven goeden coop. 


und anders danne er solte. — 
swer in hie koufen wolte, 
der fünde guoten market sin. 
Franz. lautet die entsprechende Stelle v. 8085 f.: 
Li blans escus est ore ἃ pie; 
Or vos en ferai bon marcie. 

Schon Bormans bemerkt (Anm. zu v. 4528): „Deze vier verzen 
die de dichter hier Clarijn in den mond legt, zyn geen vertaling uit 
het fransch, dat de helft korter is; het vijfde vers aleen, dat nu volgt, 
schijnt iets gemeen met het tweede t’fransch te hebben.“ — Wir müssen 
diese Notiz natürlich berichtigen, indem wir auf die ausgehobenen deut- 
schen Verse fußend, constatieren, daß in der Arsenalhandschrift mehrere 
Verse ausgefallen sind, die den Bearbeitern noch vorlagen. 


88 EUGEN KÖLBING 


Fr. v. 8137—60 fehlt bei K. Im folgenden hat er eine kleine 
Umstellung vorgenommen. Im franz. führt Gaudin seinen Waffenbruder 
aus dem Kampfe (v. 8171 f.), der König von Frankreich sieht sie und 
lobt sie gegen den König von Spanien, der sich betrefis ihrer Tüchtig- 
keit noch ungläubig zeigt (v. 8171—200). Dann will Gaudin gegen den 
Herzog von Lovaig (Lefen) streiten, aber unversehens greift ihn der 
König von Sirien an und sticht ihn vom Rosse, wofür ihm jedoch von 
dem wieder auf der Bahn erschienenen Part. dasselbe Schicksal be- 
reitet wird (v. 8201—34). Bei K. folgt auf Part. augenblickliche Ent- 
fernung aus dem Kampfe gleich Gaudins Strauß) mit dem König von 
Sirie und seine Rettung durch Part.; dann erst am Schluße des ersten 
Turniertages das Lob des Königs von Kärlingen (v. 13914—25). Der 
König von Spanien wird dabei nicht erwähnt. Die Gespräche der Freunde 
in der Herberge sind in beiden Texten übereinstimmend. 

Am zweiten Turniertage bleiben bei K. Christen und Heiden un- 
getrennt, aber auf Arnolds Rath werden zwei gleiche Partien gebildet; 
an der Spitze der einen stehen der Sultan (v. 14088 ff.) und der König 
von Spanien, die andere führt der König von Kärlingen und der Kaiser 
an (v. 14100 f.). Das franz. Gedicht hat die Notiz nicht, die übrigens 
auch nur eine ausführlichere Wiederholung von v. 12290 ff. sein könnte; 
es ist dieß um so möglicher, als auch v. 14110 ff, ein im franz. früher 
erwähnter Zug nachgeholt wird. Das glänzende Aussehen der beiden 
Heerhaufen, deren Anführer uns v. 14210—20 überflüssiger Weise noch 
einmal genannt werden, schildert K. ausführlich v. 14154—209. Im 
franz. findet sich nichts Entsprechendes. Der Kampf zwischen Part. 
und dem Sultan stimmt sachlich ganz, fr. v. 8299—8323 = K. 14226 
bis 77. 

Nun ist hier wieder eine Stelle namhaft zu machen, wo andere 
als die vorliegende Fassung des franz. Textes ausführlicher gewesen 
sein müssen. Cursanz freut sich über des Sultans Mißgeschick: 


mhd. v. 14256 ff.: ndl. v. 4790 ff. 
Cursanz, der üf dem turne was Dat ne was Cursoude niet leet, 
begunde von dem stiche En bespotte den coninc Qlarine 
erlachen minnecliche, Van sinen hoochghemoeden Sarra- 
wand er im wol von herzen tete. sine, 
Clärinen stiez er an der stete En tooghedem, dat hi lach int gras. 


ein wenic mit den ellenbogen, 
durch daz er she, wie geflogen 
sin friunt der küene soldän 

wer iz dem satel üf den plän. 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 89 


Franz. entspricht nur v. 8318: 

Corsaus en a Clarin gabe. 

Die Überreichung der Fahne an Meliur und Part. Bedrängnis 
durch seine Feinde stimmen, fr. v. 8331—56 =K. v. 14284—381. Da- 
gegen weil) K. nichts von dem seitens der Umgebung Mel. über diesen 
Act geäußerten Mißfallen, so wenig wie von der erbaulichen Betrachtung 
über die Verdächtigungen, denen, wie hier Meliur, die Damen über- 
haupt ausgesetzt seien (fr. v. 8357—425); ich rechne es zu den schon 
früher namhaft gemachten interpolierten Stücken. Ein strikter Beweis 
lässt sich dafür natürlich nicht führen. 

K. v. 14384—537 findet im franz. keine Parallele. Der Inhalt ist: 
Part. und Gaudin gerathen in solche Gefahr, daß Cursanz vor Sorge 
um sie weint. Sie erhalten jedoch Hülfe durch den König von England. 
Es entspinnt sich ein bedeutendes Gefecht; drei heidnische Könige 
zeichnen sich aus: Sadoch, Aspatris und Margalis, der beste der Sara- 
zenen. Dieser greift Gaudin an, Part. vertreibt ihn. 

Dann stimmen beide Texte wieder zusammen. So im Wechsel- 
gespräch zwischen Irekel und Meliur fr. v. 8425—620 = K. v. 14538 
bis 15037; fr. v. 8621—52 =K. v. 15055 —92. 

Ein genauer Vergleich der Texte lehrt jedoch, daß K. und ndl. 


hier enger zusammenstimmen, als zum franz. Vergl. 


mhd. v. 15190 ff.: ndl. v. 5116 Εἰ: 
gemeine si daz dühte, Die iugen hebben wel verstaen. 
die dä säzen üf der wer, En ghemeret hoet hevet ghedaen 
daz dä niemen in dem her Die witte seilt, die silverine. 


sö wol gerungen hxte 
näch lobe sam der stzte 
mit dem wizen schilte glanz. 
Frz. entspricht diesen Fassungen durchaus nicht; vgl. v. 8729 ἢν: 
Li jugeor ont bien veu 
Del roi de France conment fu. 
Ferner fr. v. 8663 ff. =K. v. 15108 ff. fr. v. 8679 =K. v. 15170. 
Fr. v. 8720 ---44 =K. v. 15196—217; nur stehen diese Urtheile der 
Preisrichter und der Meliur über Part. im franz. nach der Rede Gaudins 
(v. 8713 ff.), bei K. vor derselben (v. 15263 ff.); also wieder eine von 
den Umstellungen, die wir in diesem Theile des Gedichtes schon mehr- 
mals fanden. Ferner fr. v. 8779—90 —=K. v. 15294—303. Aber von 
Franque le grant, den Gaudin fällt (fr. v. 8791 ff.) ist bei K. nicht die 
Rede. Der folgende Abschnitt bis zur Lücke im franz. Gedicht stimmt 
in beiden Texten; fr. v. 8897— 936 —=K. v. 15304—c 15403. 


90 ὌΘΕΗΣ EUGEN KÖLBING 


Für das franz. Gedicht, das hier in der Arsenalhandschrift eine 
bedeutende Lücke hat, kann nun, behufs Vergleichung mit K. der 
niederländische Text in der oben erwähnten Ausgabe von Bormans 
eintreten, da dieser, wie wir schon aus Mafimanns Buche wissen, sich 
mit großer Genauigkeit dem Gedichte des Denis Pyramus anschmiegt. 

Nach K. hilft der König von Kärlingen Part., indem er einen 
der eifrigsten Perser tödtet (v. 15427). Ob das franz. Epos diesen Zug 
hatte, ist aus der entsprechenden niederl. Stelle, die ebenfalls lücken- 
haft ist (v. 5340 ff.), nicht ersichtlich. Nun wird das Turnier allgemein, 
sieht aber einem Kampfe ähnlicher (v. 15430 ff.). Die Schilderung des- 
selben, der sich bis an den Thurm zieht, den Melior mit den Kampf- 
richtern inne hat, ist bei K. sehr anziehend (v. 15482—515). Niederl. 
stimmt inhaltlich, ist aber viel kürzer gehalten. Vgl. K. v. 15443 ff. = 
ndl. 5352 ff. Bei Sonnenuntergang hört das Turnier auf (K. v. 15524 ff. 
Ξε ndl. v. 5358 ff.) Part. und Gaudin kehren in ihre Herberge zurück. 
Meliors Seelenkampf zwischen Ehre und Liebe findet sich in beiden 
Texten (K. v. 15566—674 = ndl. v. 5381—490). 

Am dritten Turniertage wird Hermann von Thenadon von Part. 
vom Rosse gestochen und ihm dieses genommen. Dafür will jener den 
Sultan aufhetzen, der den Besiegten jedoch bloß verspottet. Zwei 
Könige, von Marroch und Sirie, zeigen sich empfänglicher für seine 
Pläne. Trotz Gaudins Warnung greift Part. dieselben an, wirft den 
König von Marroch aus dem Sattel, ebenso den Neffen des Königs von 
Sirie, wird aber dafür von diesem hart mitgenommen. Doch kommt 
er davon, während sein Ross stirbt (v. 15720—854). Part. ist nun zu 
Fuß und kommt in arges Gedränge. Gaudin fällt den König von Sirie, 
aber während man diesem aufhelfen will, greift H. Part. wieder selbst 
an, dieser aber tödtet ihn (— v. 15928). Part. wird von Cursanz gelobt 
(v. 15940 ff.). An diese Stelle gehören ndl. v. 5532—77. Vergleicht man 
K.v. 15918 ff. und das später zu besprechende ndl. Fragment, so kann 
kein Zweifel obwalten darüber, daß die groote tiran, den Part. vom 
Rosse sticht (ndl. v. 5532 f.) Hermann von Thenadon ist. Vgl. unten. 
Auch der Sultan zeichnet sich im Turniere aus, und Part. rühmt ihn 
(v. 15960 f), was Gaudin verdrießt (v. 15965—73). Daraufhin greift 
Part. den Sultan noch einmal an, um den Vorwurf der Feigheit zu 
meiden (v. 15986 f.). Vor ihm und dem König von Frankreich muß der 
Sultan fliehen bis unter den Thurm, wo Mel. sitzt. Dort kämpft Part. 
mit seinem Gegner, bis beide müde sind. Noch einmal lobt Part. jenen 
vor Gaudin (v. 16067 ff.), dieser verspottet ihn, Part. greift den Gegner 
nochmals so energisch an (v. 16099 ff.), daß derselbe bis zum Stadt- 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE, 91 


thor fliehen muß. Jetzt hilft ihm aber der König Aspatris mit seinen 
Leuten, und bringt jenen in solche Bedrängniss, dafs Meliur ihre Angst 
nicht mehr verbergen kann. Mit Gaudins Hülfe treibt Part. dann den 
Sultan an die Stadt, aber der Streit bleibt unentschieden, weil die Nacht 
die Kämpfer trennt. Jeder fürchtet, die Kaiserin möchte den Gegner 
vorziehen (v. 16356). Vergleiche lassen sich hier nicht anstellen, da 
bis auf das oben citierte Stück, Hermanns Fall und was unmittelbar 
darauf folgt, im ndl. Gedichte verloren ist. 

Am folgenden Tage, an dem nach Konrad’s Idee wohl der Sieger 
noch nicht bestimmt werden soll, ziehen Part. und Gaudin nach Thena- 
don, wo Hermanns Gemahlin schon von dessen Tode Kunde erhalten 
hat, und Part. deßhalb seiner Verpflichtung ledig spricht (v. 16362 
bis 93). Am nächsten Morgen reiten sie auf den Plan, später als Part. 
Ungeduld es begehrt hatte. Vor der nun folgenden Scene scheinen im 
franz. Epos die heidnischen Anbeter der Meliur vorgeführt worden zu 
sein, z. B. Ampetrijs (ndl. v. 5578—92), was K. ausgelassen hat. 
Wichtiger ist die Partie, welche sich daran anschließt. Hier können 
die beiden Texte, der mhd. und ndl., sich gegenseitig controlieren. 
Gemeinsame Züge haben dem beiderseitigen Original angehört. 

Wie Bormans richtig bemerkt (Anm. zu v. 5593) ist die Ver- 
sammlung der Richter, in welche die Kaiserin eintritt, unter freiem 
Himmel’zu denken. K. sagt dieß geradezu (v. 16527 ff.). Um die Iden- 
tität der folgenden Stellen zu erweisen, setze ich die Texte beider 
Bearbeitungen neben einander. 


mhd. v. 16534 ff. ndl. ν, 5597 ff. 
reht als ein wolkenlöser tac Daer soe quam ter poorten uut, 
vrou Meliür kam glizende. Haerscoon ghedaen, haer witte huut 
des wart sich maneger flizende, Maket omtrent hare so claer, 
daz er si dä geszhe. Dat man seide al over waer, 
sö lüter noch sö wahe Dat die scone dach van hare 
nie lebendiu er£ätiure wart Verlichte oft die sonne ware 
als ir lip von höher art Die uten zwerke quame ghegaen, 
und ir gewant erlühte. Voor dese vercoorne daer si staen, 
Gaudinen wol bedühte, Comet ghegaen die keiserinne, 
daz niemer künde werden Die soe bringhet in meneghen sinne, 
sö klärez hie üf erden En si lien dat gheen so scone 
sam diu keiserinne. Levet onder shemels trone....... 
doch wurden sine sinne Daer Gaudijn se siet so wel ghedaen, 
an ir swester baz gewant. Liet hi, dies hi wel mach, 


Irekel diu viel im zehant Dat hi nie dinc so scone en sach. 


99 EUGEN KÖLBING 


tiefe in sines herzen grunt. Newaer als hi sach Uraken, 

swie diu vil reine bi der stunt Daer vanti prekelen diene staken, 
niht sö wünnebzre Daer moesti vallen i een stree, 

und alsö kürlich ware Daer hem af quam groot ongherec. 
sam ir swester Meliür, Sijn herte loech, die hem dede ver- 
doch sö wart sin gemtiete sür staen, 

näch ir werden minne. Datsoe waer scoonreen bet ghedaen 


Dan die vrouwe die keiserinne. 

Daß beide Fassungen dieselbe Scene behandeln, d. h. unter den 
obwaltenden Umständen, daß sie auf dieselbe Stelle des franz. Gedichtes 
zurückzuführen sind, wird kaum Jemand bestreiten. Ganz unverständ- 
lich ist mir Bormans Notiz (a. a. O.), der allerdings Konrads Part. 
noch nicht benutzen konnte: .... Vandaer ook de glans dien zij rond 
haer verspreidt en die den dag zelven een nieuwen luister bijzet. Deze 
schoone plaets die aen Horatius (Od. IV, 5) ontleend is, ontbreekt bij 
Crap., wiens tekst hier van den onzen meer en meer afwijkt. Aber 
Bormans musste doch wissen, daß dieß Stück sich in Crap. Text gar 
nicht finden konnte, da es in die Lücke fällt! 

Weit anmerklicher, als wegen Berichtigung dieses Irrthums, sind 
uns obige Verse deßhalb, weil sie nach ihrem Inhalte weder in die Ge- 
staltung des franz. Epos in Crap. Ausgabe, noch in die mhd. und ndl. 
Dichtung passen. Ich komme auf diese, wohl bisher unbeachtet ge- 
bliebene Stelle weiter unten ausführlicher zurück. 

Nachdem dann in beiden Texten die eifersüchtige Stimmung des 
Part. dem Sultan gegenüber gezeichnet worden (mhd. v. 16576 ff. = 
ndl. v. 5625 ff.), folgen die längeren Reden der Preisrichter, in denen 
die bevorzugten Bewerber besprochen werden. Die Redner, mhd. Anfors, 
Clärin und Arnolt von Malbriün sind dieselben, wie ndl., nur steht 
Anfors für Ansors. Auch der Inhalt der Reden stimmt; vier Christen 
und drei Heiden werden hervorgehoben; nur wird der Sultan ndl. v. 
5813 Margarijs genannt, was ebenso unursprünglich ist, als wenn derselbe 
bei K. früher einmal Floridanz heißt; Margarijs ist vielmehr identisch 
mit dem bei K. in dem gleichen Zusammenhange genannten Margalis 
von Sirie (v. 16774). Statt dessen wird ndl. v. 5815 ff. Sades von Siere 
eingeführt, von dem noch nirgends die Rede war. — Aus der kurzen 
Analyse des bei Crapelet nicht aus einer anderen Handschrift ergänzten 
Stückes I p. LVII f. geht ferner hervor, daß im Mser. 1830 diese 
Scene nicht anders erzählt wird, nur stellt dieser Text statt sieben Be- 
werbern nur sechs auf. Die Bedenken, welche den Herausgeber ab- 
gehalten haben, es abzudrucken, sind selbst im Blick auf das nld. 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 93 


Epos und K. theilweise gerechtfertigt, so die Verweisung darauf, daß 
der König von Frankreich, der unter den sechs oder sieben Bevor- 
zugten mit genannt ist, nur der Rache wegen gekommen war; ferner, 
daß Part., hier schon nach Namen und Herkunft aufgeführt, sich bisher 
nur als der chevalier a l’&cu d’argent präsentiert hatte. Die Bemerkung 
Roberts (p. LVIII): L’un de ceux-ci n’a pas m&me ὀΐέ nomm& pendant 
le tournoi, muß auf den nur ndl. genannten Sades von Sierie gehen, 
der allerdings früher nicht vorkommt, nicht auf K. und seine Vorlage. 
Der gewichtigste Einwand Roberts aber war, daß zu dieser Darstellung 
das endliche Erkennen des Part. durch den König von Frankreich und 
die Franzosen (fr. v. 9195—310) absolut nicht passte. Dieß scheint aber 
auch in der That in mehreren Redactionen des franz. Textes gefehlt 
zu haben, denn — was ich hier gleich vorausnehme — sowohl der 
Umstand, daß Part. selbst seinen Namen nennt, daß der König Lohiers 
von Frankreich ihn erkennt und umarmt, als auch die lange Rede des- 
selben wird bei K. nur ganz kurz angedeutet (v. 17388 ff.), während 
alles dieß ndl. ganz fehlt, d. h. nicht etwa nur verloren ist; denn nach 
v. 6257 (vgl. fr. v. 9189), wo dieser Passus anheben müsste, ist durch- 
aus keine Lücke. Und doch folgt darauf gleich die heuchlerische Ant- 
wort der Meliur. Daß dieß ganze unpassende Stück eine spätere Inter- 
polation ist, erfunden, um die Heldenthaten des Part. noch einma] 
repetieren zu können, möchte ich schon deßhalb nicht behaupten, weil 
es sich theilweise auch im dänischen Texte fand. 

Überhaupt stimmen in diesem letzten Theile des Gedichtes die 
beiden germanischen Bearbeitungen mehrfach in Einzelheiten, wo Cra- 
pelets Text, der in Arnolds Rede wieder einsetzt, anders liest. 

Part. wird entwaffnet und ihm statt seiner Rüstung andere Ge- 
wandung angelegt. Man vgl.: 


mhd. v. 17195 ft. ndl. v. 6200 ft. 

. im der hübesche reine Ein cousen hevet hi an sijn been, 
ein lüter hemde kleine Die in greinen ghevarwet sijn, 
leite und ouch zwö hosen an ..... En hevet aenghedaen een hemde- 
sin wäpengürtel, wizze Krist, kijn 
mit golde und mit gesteine Wel ghescepen wit ei cort; 
gespenget harte reine, Daer boven hevet hi hem ghegort 
wart umb in ouch dä geleit.. .... Met enen gordelkine van siden. 
Gar liehten unde blanken schin 
gap sin lüter kele da. Sin hals was lane, wit en slecht, 
si was ein lützel eteswä En was besmet een lettelkijn, 
rämec unde harnaschvar: als dicke rudders halse sijn, 


daz ab ir doch niender war Vandien halsberghe, daerhilach. .. 


94 EUGEN KÖLBING 


an ir glanze, dunket mich ....... Tusscen de smitten enten ringhe 
die wizen flecken über al Van den maelghen bleeker uut 
die dä glizzen durch den räm, Die witste entie elaerste huut 
die wären als ein liehter kräm. Die ie ghewan creature. 


Im franz. Texte heißt es ganz kurz v. 9167 ff.: 
Partonopeus ot Eu caut, 
Desfubles fu en un bliaut 
Et vait ester enmi le place. 

Alle sind erstaunt über seine Schönheit. Arnolt spricht: 


K. v. 17292 ff. ndl. v. 6256 Εἰ: 
seht, ir herren, sprach er dö: Ghi heren, seiti, wat segghedijs? 
mac diz ein kürlich ritter sin Dese dunct mi hebben al den prijs. 
den wol diu werde keiserin Die conine Cursout en Anfors, 
süle erwelen zeinem man?....... En Cursabres en Genors 
ja sin wir an im unbetrogen, Volgheden hem, dat hi waerheit 
sprächens al gemeine ..........- En recht vonnesse hadde gheseit, 
min frouwe zeiner stzeten € Daert der vrouwen bequamelic ware. 


sol in nemen äne spot, 
wan er ist wert, sö helfe uns got, 
eins üz erwelten wibes........... 

Im franz. entspricht von Ernols Rede nur v. 9198: Cis est moult 
beaus, während dann von seiner Herkunft die Rede ist, was mit der 
oben erwähnten Scene mit dem König von Frankreich zusammenhängt. 

Meliur stellt sich, als ob sie mit Arnolts Entscheidung unzu- 
frieden sei: ; 


K. v. 17330 ff.: ndl. v. 6270 ἢ: 
Seht, sprach si, daz hät getän Ghi heren, seit soe, in hadde ver- 
von Malbriün her Arnolt. coren 
ich was dem soltäne holt, Den soudaen, die mi was te voren 
den hät er mir genomen hie. Uter maten sere gheprijst; 
swaz mir kam ze schaden ie, Dien rudder hebdi mi ontwijst, 
dar zuo was er gedanchaft. so dat ic hadde die hope verloren; 
ich wände, daz diu ritterschaft En hoe ics ghelide ten toren, 
wre alsö gescheiden, Ice wils gherne uwen wille doen. 
daz ich den werden heiden Mijns hevet Ernout van Marberoen, 
mir hie haben solte ...........». Dies en twint ontfaermet niet. 


So wat vernoy mijns ghesciet, 
Bi siere luste hevet sere ghehoont. 
Hem tije al; wat holps verscoont? 


| 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 95 


Abgesehen von der etwas veränderten Satzstellung ist die Über- 
einstimmung klar; vgl. fr. v. 9376 Εἰ: 

Or manecids avenanment, 

Asses me pods manechier; 

Mais n’ai soing de vo guerroier: 

Quant jo istrai de vos consels, 

Ja puis ne m’en ert nus feels. 

Fait en soit ἃ vos volentes, 

Car jen vuel co que vos voles. 
Weder der Sultan noch Arnolt werden hier direct aufgeführt. 
Von der Antwort Ernouts, deren Anfang ndl. noch mittheilt 


‘(v. 6282 fi.), wissen die anderen Texte nichts. Damit schließen die 


dem eigentlichen franz. Gedichte entsprechenden niederl. Bruchstücke. 

Im folgenden zeigen sich bedeutende Differenzen zwischen dem 
franz. Gedichte und K. Nach dem franz. ist Persewis betrübt über die 
Entscheidung (v. 9411), der Sultan zürnt (v. 9474) und fordert Zwei- 
kampf mit Part., den dieser auch annimmt (v. 9495). Der Sultan fällt. 
Es wird Part. gehuldigt. Der König von Frankreich erhält Urraque 
(v. 10065— 412), Gaudin Persewis (v. 10093), und es wird die dreifache 
Hochzeit ins Werk gesetzt. — Nach K. zieht nach Meliurs Spottrede 
der Sultan unmuthig in sein Land und schwört blutige Rache (v. 17344 
bis 62). Dann wird kurz die Vermählung der Meliur mit Part. ge- 
schildert (v. 17363-—428), was nach Maßmann a. a. O. p. 184 zu den 
Handschr. 1239 und 6895 stimmt, wie schon Bartsch a. a. Ὁ. p. VII 
bemerkt. 

Mit den Hochzeitsfeierlichkeiten bricht Crapelets Handschrift un- 
vollendet ab. Es folgt in derselben eine Fortsetzung in Alexandriner- 
tiraden, in welcher Part. Knappe, Barbarin und der Sultan, der, um 
sich zu rächen, Griechenland mit Krieg überzieht, die Hauptrolle spielen. 
Den Schluß dieser Fortsetzung kennen wir nur aus der niederländischen 
Übertragung, weder Crapelets Handschr. noch Konrads Epos reicht 
so weit. Von einer genaueren Vergleichung der Texte sehe ich, als für 
unsern Zweck entbehrlich, hier ab. 

Fassen wir die Resultate dieser Einzelvergleichung kurz zusammen. 

Konrad hat nicht die von Crapelet edierte Arsenalhandschrift vor 
sich gehabt, sondern eine n. 6985 nahe stehende. Es ergab sich dieß 
nicht nur aus dem Fehlen mehrerer kleinerer Abschnitte bei K., die 
auch in der eben erwähnten franz. Handschr. fehlen, sondern vor allem 
aus der von der A.-Handschr. ganz abweichenden Fassung des Schlusses. 
Daß ferner die Vorlage Konrads und die des niederl., Dichters zu 


96 EUGEN KÖLBING 


einander in einem näheren Verwandtschaftsverhältniss stehen, als zur 
Arsenalhandschr., zeigten die nach dem Schlusse zu sich mehrenden 
Übereinstimmungen. 

Wenn wir unter dieser Voraussetzung Konrads Gedicht über- 
blicken, so ist von bedeutenderen Abweichungen fast nichts zu ver- 
zeichnen. Sehr auffallend ist nur, daß wir von dem Schicksal des Ver- 
räthers Mares, der nach franz. von seinen eigenen Landsleuten ge- 
tödtet wird, bei K. gar nichts erfahren Ich wüsste für den sonst 
sachlich so conservativen Dichter durchaus keine Ursache zu dieser 
noch dazu ganz unvortheilhaften Abweichung geltend zu machen. Zu- 
dem ist die ganze Partie, wie ich oben (S. 82) gezeigt habe, überhaupt 
so kurz und ungenügend (es findet sich z. B. kein Wort von der Freude 
der Franken über Part. Rückkehr), daß ich nicht anders glauben kann, 
als daß Konrads Vorlage hier eine Lücke gehabt hat, die er durch 
Einschiebung einer in seiner Vorlage erst später berührten Episode 
zu mildern suchte. Unbedeutendere Kürzungen, wie sie an einer Anzahl 
Stellen sich finden, haben natürlich nichts auffallendes. Umstellungen 
finden sich auffallend häufig in der Schilderung des Turnieres. 

Eigene sachliche Zusätze des deutschen Dichters sind selten, und 
auch diese scheinbar selbständigen Züge dürften vielleicht auf die franz. 
Vorlage zurückgehen. So gehört z.B. das Stück ν. 5570—94, die Rede 
der Meliur, die der ganzen Scene eine wesentlich veränderte Färbung 
giebt, schwerlich Konrad an (vgl. oben p. 83). 

Daß Konrad nach Kräften bemüht gewesen ist, sein Gedicht im 
Verhältniss zur Vorlage mannigfaltiger und interessanter zu machen, 
zeigte sich bei unserer eingehenden Vergleichung oft. An einer Reihe 
von Stellen muß der unpartheiische Beurtheiler freilich dem Original 
den Vorzug geben. Richtiges Maß zu halten, hat jedenfalls Denis 
Pyramus besser verstanden als Konrad. 

Noch eine andere Erwägung scheint mir hier nahe zu liegen. 
Konrad hat bei Ahfassung seines Part. noch nicht französisch verstanden, 
wie er uns selbst sagt (v. 212). Herr Heinrich Marschant, dessen Name 
. auf französische Abkunft weist, übrigens auch mehrmals urkundlich 
bezeugt ist (vgl. Pfeiffer a.a.O.p. 20), hat ihm das franz. Gedicht aus 
wälscher Sprache in deutsche umgedeutet (v. 208 ff.) Aber in welcher 
Weise? Hat Konrad nach seines Gönners mündlicher Übersetzung ge- 
arbeitet, d. h. entweder direct nach seinen Worten oder aus dem Ge- 
dächtniss, oder nach einer (abschnittsweise oder vollständig) nieder- 
geschriebenen deutschen Übertragung? Aus Konrads eigenen Worten 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 97 


erhellt das nicht*) und weder Pfeiffer noch Bartsch haben sich diese 
Frage aufgeworfen. 

Gegen die Annahme, daß Konrad nur nach der Erinnerung — 
sei es das Ganze, sei es die einzelnen Abschnitte — gedichtet habe, 
sprechen die vielen, von mir an den verschiedensten Stellen des Ge- 
dichtes namhaft gemachten, wörtlichen Übereinstimmungen mit dem 
Original. Die Gedächtnisskraft unserer Voreltern, die allerdings zweifels- 
ohne die unsrige übertroffen hat, darf man nicht benützen, um un- 
geheuerliche Behauptungen darauf zu gründen. Aber auch eine directe 
Niederschrift nach den Worten des Übersetzers, die bei Konrads Reim- 
gewandtheit wohl denkbar wäre, ist nach den mehrfach angemerkten 
Umstellungen einzelner Reden und Abschnitte nicht glaublich. 

Wir werden uns also für eine schriftliche Übersetzung entscheiden, 
und zwar ist mir am wahrscheinlichsten, daß dieselbe an der Seite 
oder über den einzelnen Zeilen der franz. Handschrift notiert, also 
eine Art Interlinearversion war. Ob diese unserm Dichter von Anfang 
an vollständig vorlag oder nur stückweise fortschritt, ist schwer zu 
entscheiden. Konrad selbst vergewissert uns nirgends darüber, ob er 
bei Beginn seiner Arbeit den Schluß des Romanes gekannt hat: er 
schickt weder eine Betrachtung über die Lehre, die die Erzählung 
illustrieren solle, voran, wie andere Dichter (z. B. Wolfram), noch gibt 
er uns im Verlaufe seiner Darstellung Winke über das endliche Schick- 
sal seines Helden. Ja aus dem Umstand, daß er v. 16542 ff. (vgl. S. 91 £.) 
nicht, als ganz unpassend, gestrichen, und eben so wenig die ziellose 
Fortsetzung des Originals beschnitten hat, möchte man das Gegentheil 
schließen. Doch könnte man diese letzteren Fehlgriffe auch wohl seinem 
Mangel an Übersicht und Kritik beimessen. Betreffs der 5. 81 f. be- 
sprochenen Stellen v. 5228 ff. und 6508 ff. neige ich allerdings mehr 
zu der Ansicht, daß Konrad sie nicht später eingeschoben, sondern 
sie gleich da, in Reminiscenz an die schon im voraus gelesenen, 
späteren franz. Verse, hinzugedichtet habe. DiefS mochte ihm dann ent- 
fallen sein, und deßhalb die unabsichtliche Wiederholung. Denn dal; 
Konrad absichtlich uns die betreffenden Facta zweimal berichtet habe, 
wird doch Niemand glauben. Da nun der Inhalt von K. v. 5228 ff. 
im franz. Gedichte erst c. 4000 Verse später sich findet, so liegt die 
Annahme näher, daß das ganze Original, in seine Muttersprache über- 


*) Freilich würden die Präs.-Formen (diutet, diutschet), sowie der Ausdruck: 
daz tiutschet mir sin kümstec mumt, zunächst auf mündliche Überlieferung weisen, 


aber Konrad kann sich hier auch absichtlich ungenau ausgedrückt haben. 
GERMANISTISCHE STUDIEN, II, 7 


98 EUGEN KÖLBING 


tragen, dem Dichter, als er zu seiner Arbeit schritt, bereits zur Ver- 
fügung stand. Freilich würde ein solcher Ritter, der aus reiner Un- 
eigennützigkeit seine Zeit und seinen Fleiß darauf wendete, dem 
Dichter ein so umfangreiches Material zugänglich zu machen, heut zu 
Tage schwer aufzutreiben sein. 


IV. Das niederländische Epos: Parthonopeus van Bloys. 

Der vollständige Titel der oben angeführten Ausgabe aller bis 
jetzt aufgefundenen Fragmente des mittelniederländischen Parthonopeus 
van Bloys ist: Ouddietsche fragmenten van den Parthonopeus van 
Bloys, grootendeels bijeenverzameld door wijlen professor Ferdinandus 
Deycks, en verder in orde geschikt en kritisch uitgegeven op last van 
de koninklijke akademie van Belgie, door J. H. Bormans. Brussel 1871. 

Zu den vier von Mafjmann 1847 in dem öfters citierten Buche 
herausgegebenen Fragmenten dieses Epos waren seitdem nur zwei neue 
hinzugekommen in der Ausgabe von Ferd. Deycks u. d. T.: Carminum 
epicorum germanicorum szculi XIII et XIV fragmenta. [Progr. der 
Akad. zu Münster 1858], welche sich in verbesserter Schreibung wieder 
abgedruckt finden bei Hoffmann von Fallersleben: Horae belgicae 
ΧΙ Th. p. 29 ff. In Bormans Ausgabe dagegen finden sich nicht 
weniger als siebzehn Bruchstücke, die nun allerdings den größten Theil 
des Gedichtes darbieten, welche meist Prof. Deycks gesammelt und 
dessen Witwe nach seinem Tode dem Herausgeber zur Verfügung ge- 
stellt hat. Dieser hat dieselben einer streng kritischen Bearbeitung 
unterzogen. Nach der Vorrede, welche sich mit den Handschriften des 
franz. und niederl. Epos, sowie mit dessen Geschichte beschäftigt, 
folgen die einzelnen Fragmente des letzteren, deren jedem eine Inhalts- 
angabe vorausgeschickt und Anmerkungen beigegeben sind, welche sich 
theils mit Constituierung des Textes, tbeils mit Erklärung einzelner 
Worte oder Verse beschäftigen. Es folgt eine „Nalezing“, in der haupt- 
sächlich die Resultate einer erst nach dem Drucke des Textes, dem 
derjenige Maßmanns zu Grunde lag, möglich gewordenen Vergleichung 
der Leyden’schen Fragmente niedergelegt, aber auch einzelnes in Wort- 
‚ und Sacherklärungen theils rectifieiert, theils hinzugefügt ist. Den Be- 
schluß bildet ein Wörterverzeichniss, das leider für alle, welche nicht 
Landsleute des Herausgebers sind, oder sich ganz eingehend mit mittel- 
niederländischer Dichtung beschäftigt haben, ganz ungenügend erscheint. 
Bücher, wie dieses, welche jeder, der sich mit den Sagenkreisen des 
Mittelalters beschäftigt, lesen muß, sollten dem entsprechend so ein- 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 99 


gerichtet sein, daß auch für einen, welcher nicht specieller Sprachkenner 
ist, das Studium derselben möglichst erleichtert würde. Hofimanns 
Glossarium zu Floris ende Blancefloer könnte als Muster dienen. Man 
vermisst dieß hier um so mehr, als das Buch sonst sehr splendid aus- 
gestattet und mit drei Facsimiles geziert ist. Die kritische Behandlung 
des Textes ist durchweg verständig und methodisch. 

Überblicken wir zunächst, welche Theile des Gedichtes wir nun 
besitzen. Es ist die von der fränkischen Trojasage ausgehende Einleitung, 
das Herumirren des Part. in der Zauberstadt der Meliur, seine heim- 
liche Vermählung mit ihr, die Beschreibung des Landes, sein Leben 
bis zu seinem Besuch in seiner Heimath, seine Rückkehr, Sornegurs 
Kriegsrath; ferner Part. zweite Reise, sein Vergehen und ein Theil 
von Meliurs Enthüllungen; Part. Verbannung und Wahnsinn, seine 
Begegnung mit Urraque, sein Aufenthalt in Salence, Urrake’s Besuche 
bei Melior, Part. Ritterschlag, Gefangenschaft in Tenedos, seine Be- 
gegnung mit Gaudin; der erste und zweite Tag des Turniers sowie 
der Anfang des dritten; die Versammlung der Richter und ihre Reden, 
die Entwaffnung des Sultans und Part. und die Erwählung des letzteren 
zu Meliurs Gemahl; endlich der größte Theil der Fortsetzung, die nur 
im niederl. Texte bis zu Ende geführt wird. 

Die Darstellung schließt sich fast durchgehends genau an den 
franz. Text an, ermangelt also aller Selbständigkeit in der Behandlung 
des Stoffes, während man dem Übersetzer Gefühl für dichterischen 
Schwung durchaus nicht ganz absprechen kann. Über die stellenweisen 
Übereinstimmungen mit Konrads Gedicht wurde schon früher gehandelt. 
Die moral-philosophischen Einschiebungen der Arsenalhandschrift finden 
sich aber hier sämmtlich wieder, im Gegensatz zu Konrad; auch in 
der Schilderung des Turniers theilt es die Reihenfolge der Scenen mit 
jener, hat also nicht Konrads Umstellungen. Wie das eigentliche Ge- 
dicht hier schloß, wissen wir leider nicht, doch scheint bis auf die 
obigen Interpolationen, seine Vorlage zu derjenigen Konrads in naher 
Beziehung zu stehen. 

Ich lasse hier ein paar gelegentliche Bemerkungen folgen, die 
ich mir bei einer sorgsamen Lectüre von Bormans Text notiert habe. 

Erstens hat der Niederländer wenigstens hie und da einige selbst- 
ständige Notizen hinzugesetzt; ihm gehört die Erwähnung der Hecuba 
(Eeubene) v. 4, der Venus v. 53, des Ovid v. 2824; ferner das Sprich- 
wort v. 193 f. (vgl. fr. v. 310 ff.), die Verfolgung des Marcomiris durch 
Anchises (v. 224 f.), die genaue Zahlenangabe v. 288 (vgl. fr. v. 412); 
v. 374; 378; v. 425—30; v. 523 δ; die Liebesscene v. 705 ff. ist nicht 

7* 


100 EUGEN KÖLBING 


entfernt so gut als im Original. Man vergl. ferner ndl. v. 817 mit fr. 
v. 1362; hinzugesetzt ist weiter ndl. v. 834; v. 1049; v. 1053 ἢ; 
2072 bietet der ndl. Text directe Rede, der franz. und Konrad an der 
entsprechenden Stelle indirecte. Zwischen v. 3171 und 72 muß eine 
beträchtliche Anzahl Verse ausgefallen sein; Bormans deutet keine 
Lücke an und sagt auch in den Anmerkungen nichts davon; aber 
Ernouts Rathschlag, ein Turnier auszuschreiben und ein Theil vom 
Gespräche der Schwestern werden vermisst, während ersterer später im 
Gedichte (v. 3455) vorausgesetzt wird, vgl. fr. v. 6547—6684. Zwischen 
v. 4062 und 63 fehlt ebenfalls ein größeres Stück als Bormans im Text 
bezeichnet (fr. v. 7545—7598). Als dem Part. sein Schild beim Kampfe 
entfallen ist, heißt es πα]. v. 4543 ff.: 

Men gaf Parthonopeus weder 

Den scilt die ter erden neder 

Hem tonghevalle ontvallen was. 

Nach der franz. Fassung erhält er einen neuen Schild aus Gaudins 
Hand, was nach v. 8085 auch sicher das richtige ist. Hat den ndl. 
Dichter etwa v. fr. 8169 f. = ndl. v. 4620 f. gestört? Aber auch der 
neue Schild ist covert d’argent (v. 8097). 

Eine interessante Variante findet sich in der Scene der Preis- 


richterversammlung: 
ndl. v. 6124 ft.: fr. v. 9099 ft.: 
Nu vernemic wol eüi sie, Je voi bien, que li sis de nos 
Dat die sesse van ons seven Voellent le sodan ἃ estros 
Dien Fransoys den prijs gheven, Doner ἃ me dame ἃ mari, 
Sonder allene die conine Clarijn, Sains co que nus d’els l’ait moti, 
Die dincet mi hem onhout sijn: Fors seus Clarins, qui pas ne test, 
Hi sprecter ieghen, ei niemen el. Li quels des eslis miols li plest, 


Et as autres plaist co quiil dit 
Quant il ni metent contredit. 

Daß sich ndl. v. 6126 nicht ohne weiteres für dien Fransoys, 
dien soudaen einsetzen lässt, hat Bormans auch eingesehen (Anm. zu 
v. 6104). Er hätte viel weiter gehen können, denn die Wahl zwischen 
‚ beiden Lesarten ist leicht genug. Sieben Preisrichter sind gewählt, 
Ernols hat zu Gunsten des Part. gesprochen; Corsols stimmt ihm selbst 
bei (fr. v. 9083 ἢ); es kann ihm also unmöglich wenige Zeilen später 
die Bemerkung in den Mund gelegt werden, sechs von ihnen seien 
auf Seiten des Sultans. Folglich ist der franz. Text verderbt und der 
niederl. hat das richtige erhalten. Konrad hat leider kein Pendant zu 
dieser Stelle. 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 101 


Zum Schluß will ich noch hervorheben, daß Bormans das mhd. 
Gedicht noch nicht berücksichtigen konnte, da seine Ausgabe mit Bartschs 
Buche zu gleicher Zeit erschienen ist. 

Die Fortsetzung habe ich, aus begreiflichen Gründen, auch hier 
unerörtert gelassen. 


V. Das Bruchstück des niederdeutschen Partonopeus. 


Ich muß auf das nur 67 Verse umfassende Bruchstück einer 
niederdeutschen Bearbeitung, welches Karl Schröder Germ. XVII S. 191 ff. 
publiciert hat, hier noch in einigen Worten eingehen, da die vom 
Herausgeber dem Textabdruck angehängten Bemerkungen, die Vorlage 
dieses Gedichtes angehend, den Leser nur irre leiten können. Das 
Fragment bietet uns ein Stück aus der Turnierschilderung, und zwar 
den Kampf des Part. mit Hermann von Thenadon. Schröder negiert, 
daß dasselbe mit der oben erwähnten niederländischen Bearbeitung, 
dessen entsprechende Partie jedoch nicht erhalten sei, etwas zu schaffen 
habe, „denn“, fügt er hinzu, „der Niederländer folgt seiner französischen 
Vorlage mit ängstlicher Genauigkeit, während unser Text derselben 
durchaus frei gegenüber steht, wie ein Blick auf das Gedicht des Denis 
Pyramus (ed. Crapelet. Paris 1834. Vgl. etwa von v. 8779 an) darthut“. 
Hätte nämlich Hr. Schröder sich nicht mit einem Blick auf das franz. 
Epos begnügt, so würde er gefunden haben, daß v. 8779—86 von 
Hermans dus et sire de Baviere die Rede ist, während es sich im Frag- 
ment und an der entsprechenden Stelle in Konrads Gedicht, wie oben 
bemerkt, um Hermann von Thenadon handelt, der Part. gefangen ge- 
halten hatte. Dieser heißt im franz. Texte Armans oder Harmant (vgl. 
Bartsch zu K. v. 12754), aber der Abschnitt, welcher seine Besiegung 
und Tödtung enthielt, ist in der von Crapelet edierten Handschrift 
verloren (vgl. das. Bd. II p. 133) *). 

Nun könnte man vielleicht meinen, die Gemeinsamkeit dieser 
eben erwähnten Namenform Herman gegenüber dem franz. Armans 
weise darauf hin, daß der niederdeutsche Text aus Konrads Gedicht 


*) Die Möglichkeit dieser Verwechslung erscheint als gefährliche Klippe. Auch 
Bormans hatte in der Inhaltsangabe seines XII. Fragmentes irriger Weise Hermann 
von Thenadon schon am ersten Tage des Turniers getödtet werden lassen (p. 173); 
er corrigiert sich jedoch in: Nalezing zu v. 4309. Ja, dem ndl. Dichter scheint es 
selbst nicht besser gegangen zu sein; wenigstens gibt er v. 5178 Hermann von Baviöre 
[welchen Zusatz er aber verschweigt; vgl. fr. v. 8781] dieselben Ehrentitel, die er 
v. 4113 Hermann von Thenadon zugetheilt, ἃ, h. duvel und farriseus, was doch kaum 
Zufall ist, 


102 EUGEN KÖLBING 


entsprungen sei. Diese Harmant (fr. v. 7659) nahe liegende Form ist 
aber auch vom niederl. Bearbeiter adoptiert worden, wie ebenso seiten 
des spanischen Dichters; ferner fr. Partonopeus — niederl. = niederd. 
gegenüber Konrads Partonopier. Noch schlagender ist aber niederd. 
Kursult = ndl. Cursout = fr. Corsols gegenüber Konrads Cursanz. Das 
wenige, was sich sonst noch für und gegen die obige Hypothese geltend 
machen lässt, füge ich bier bei. 

Die von Schröder hervorgehobene Gleichheit des Reimwortes an 
derselben Stelle (gihte — güht) ist defshalb nicht von Belang, weil der 
Inhalt der Rede [des Sultans] ein ganz anderer ist. Nach dem niederd. 
Text scheint Hermann seinen Gegner garezun gescholten zu haben 
(vgl. v. 3 f.), bei Konrad hat er ihn bloß der Prahlerei bezichtigt 
(v.15756ff.), und so ist auch des Sultans Antwort wesentlich abweichend. 
Richtig vergleicht Schröder ndd. v. 5 f. mit K. v. 15782 ἢ. Daß Her- 
mann die Hülfe der Könige von Marroch und Sire sich verschafft 
(K. v. 15792 ff.), verschweigt ndd. Aber sollte in diesem Texte nicht 
hier vielleicht etwas weggefallen, oder um zu kürzen, gestrichen worden 
sein? Wenigstens verstehe ich sonst nicht das. v. 11 ff.: He bedaichte 
sich ind soichte Hulpe ind rait do, wa he moichte Id gewrechen na 
sinen wille, womit man vergleiche K. v. 15808 f.: dä von gesellet er 
sich zin durch daz er sich gereche. I>enn nach nrd. greift H. seinen 
Feind gleich wieder allein an v. 20 f. Der König von Syrien, welcher 
an dieser Stelle übergangen wurde, scheint später noch eine Rolle zu 
spielen, v. 67, in welcher Weise, ist nicht mehr zu ersehen. Richtig 
vergleicht Schröder ferner ndd. v. 24 f. mit K. v. 15903 f. Aber daß 
Hermanns Tod bei K. mit ähnlichen Worten erzählt werde, wie 
Schröder meint, ist geradezu unwahr; denn während nach ndd. Part. 
dem Gegner mit dem Speer neben dem Schild eine Schulterwunde 
beibringt und ihn vom Rosse wirft, so daß er nicht wieder aufsteht 
(v. 37 f£.), spaltet er nach Konrads Darstellung ihm das Haupt mit 
dem Schwerte (v. 15913 6). Während dann im ndd. Hermanns Ge- 
nossen, durch seinen Fall erbittert, Part. und Gaudin in große Be- 
drängniss bringen, sind bei Konrad jene durch den Tod ihres Herrn 
so erstarrt, daßß sie Part. ganz vergessen (v. 15926 ff.), also gerade um- 
gekehrt. Vergleichen ließe sich noch sachlich ndd. v.58f. —=K. v. 15940 ἔ, 
Melyurs Selbstgespräch ndd. v. 63 ff. fehlt bei Konrad an dieser Stelle. 

Von dem entsprechenden ndl. Texte existiert leider nur der Schluß 
dieser Scene, bei Bormans v. 5532 ff., nach dem sich kein Urtheil for- 
mieren lässt. Zwar stimmt nrd. v. 41: Ind stach in zu der erden neder, 
zu ndl. v. 5532 f.: stac hi of dien groten tyran Van den orse ter erden 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 103 


neder; ferner vgl. ndd. v. 54 fl.: Ind halp Gaudin sime gesellen, Dat sij 
beide wail gesunt Damne quamen vngewunt, mit ndl. v. 5535 ff.: Doch 
en keerdi onghewont niet. Maer Gaudijn, diene niet en liet, Bescudden 
datti danen ontfoer. Dagegen 5. K. v. 15932. Im Folgenden fehlen directere 
Anklänge. Auch findet sich zu ndd. ν. 43 ff, die wenigstens durch den 
Contrast an K. v. 15926 ἢ, gemahnen, ndl. kein Wort. 

Das Resultat dieser Erörterung wird nur ein negatives sein können. 
Gegen eine direete Ableitung dieser ndd. Fassung von Konrads Gedicht 
sprechen vor allem die oben erwähnten Namenformen, die Schröder 
gar nicht beachtet, ebenso wie die directen sachlichen Abweichungen, 
die wir zu notieren hatten. Der ndl. Text bot Anklänge wie Differenzen. 
Einzelne scheinbare Anklänge dürfen uns aber nicht bestimmen, da 
der Gleichlaut, hier wie öfter, aus einer gemeinsamen Quelle zu er- 
klären sein wird. 

Ich glaube, daß der niederrheinische Dichter ebenfalls eine Re- 
daction des franz. "Epos vor sich hatte. Eine Analogie bietet die ndd. 
Fassung von Flos und Blankflos, die nachweisbar rce aus dem Franz. 
geflossen ist. 


VI. Schlußergebniss. 

Es erübrigt nun noch, aus der Specialbetrachtung der einzelnen 
Bearbeitungen der Partonopeus-Sage, welche, wie sich ergab, sich 
sämmtlich auf das franz. Gedicht des Denis Pyramus zurückführen 
lassen, das Facit zu ziehen in Rücksicht auf die ursprüngliche Gestalt 
und die Überarbeitungen dieses letzteren. Ich hoffe, man wird meine 
Schlußfolgerungen logisch finden. 

Was lehren uns die Resultate unserer Erörterungen hinsichtlich 
der ältesten Gestalt des franz. Epos, die wir mit A bezeichnen wollen? 

Erstens rührt die mit dem Gedichte nur ganz locker zusammen- 
hängende Einleitung, die fränkische Trojasage und die ersten fränki- 
schen Könige behandelnd, nicht vom Verfasser desselben her. Ich 
schließe das daraus, daß die nord. Bearbeitungen und der spanische 
Roman, welche, unabhängig von einander, wie wir sahen, auf eine 
Redaction des franz. Epos zurückgiengen, mit Griechenland beginnen 
und folglich diese Einleitung unmöglich machen. Mindestens scheinen 
Handschriften dieser Gruppe schon im 13. Jahrh. ziemlich verbreitet 
gewesen zu sein. Es kommt hinzu, daß die Einleitung unpassend ist 
(vgl. Robert a. a. O0. p. XXVI) und daß die Analogie dafür spricht, 
daß Einleitungen und Fortsetzungen mittelalterlicher Epen nicht, wenn 


104 EUGEN KÖLBING 


vorhanden, gestrichen, sondern von Überarbeitern zu Anfang und Ende 
angeflickt werden. 

Ferner hat A sich an mehreren Stellen noch näher an Apuleius 
angeschlossen, als Crapelets Text und K. Vgl. oben 8. 65. 

Die Persönlichkeit des Knappen Barbarin war in A von der des 
Gaudin getrennt. Es ist das eine Unebenheit in der Ökonomie des 
Epos, da der Knappe für sein treues Suchen nicht belohnt wird. .Die 
einzelnen Bearbeiter haben dieß gefühlt und jeder hat sich anders ge- 
holfen. Der Sagaschreiber lässt statt Gaudin den Knappen auftreten, 
der Spanier setzte den ihm interessanteren Spanier Gaudin an Stelle 
des Knappen. In beiden Fällen ist die erstrebte Einheitlichkeit ge- 
wonnen. Der Verfasser der Fortsetzung endlich ändert oben nichts, 
lässt aber hier Diener und Herrn einander wieder finden. Die entgegen- 
gesetzte Annahme, daß ein Überarbeiter die ursprüngliche Einheit in 
eine Zweiheit zerlegt habe, um einen passenden Stoff für die Fort- 
setzung zu gewinnen, widerlegt sich dadurch, daß die Saga und der 
span. Text nicht dieselbe Persönlichkeit bieten. 

Ein ähnlicher Mangel in A ist die pointelose Geschichte der 
Persewis; auch dieß fühlten die Bearbeiter; vgl. oben ὃ. 63 Anm. 

Nach A wird der Sultan von Part. getödtet. Den Schluß des 
Romanes bildete die Doppelvermählung zwischen Part. und Meliur, 
sowie zwischen Gaudin und Uraque. So schließen die nordischen Texte 
und der spanische Roman, und einen schlagenden Beweis für die Ur- 
sprünglichkeit dieses Schlusses liefert die oben S. 93 f. aus K.'s Gedicht 
ausgehobene Stelle, die das erwachende Interesse Gaudins für Uraque 
schildert. Die ganz entsprechenden ndl. Strophen beweisen, daß dieser 
Zug, der nur unter der Voraussetzung des obigen Schlusses einen ver- 
nünftigen Sinn gibt, schon dem franz. Texte angehörte. Der Nachdichter 
wird ein Mscr. der A-Gruppe umgearbeitet und dabei aus Versehen 
die fraglichen Verse stehen gelassen haben, die wir sonst für eine 
ganz ungeschickte Interpolation halten müssten. Daß ich dem eben 
von A entworfenen Bilde, wie ich es ohne Willkühr glaubte re- 
construieren zu können, die in Alexandrinern verfasste Fortsetzung 
nicht einfügen kann, also die von Bartsch a. a. Ὁ. p. VIII eitierten 
Worte des Dichters, welchen dieser, ebenso wie Bormans, noch 
Glauben schenkte, für eine Fälschung ansehen muß, versteht sich 
von selbst. Ob diese meine Entscheidung sich durch sprachliche 
Bedenken noch unterstützen lässt, wage ich nicht zu bestimmen, 
indessen spricht schon der curiose Schluß dieser Fortsetzung (ver- 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 105 


gleiche Mafjmann a. a. O. S. 206) nicht sehr für die Identität beider 
Dichter *). 

Diese Handschriftengruppe A lieferte die Vorlagen für den Saga- 
schreiber, für den spanischen Dichter und für den Überarbeiter von 
Konrads Quelle, sowie von der Vorlage des ndl. Gedichtes. 

Ein Überarbeiter, dessen Werk wir B nennen wollen, änderte den 
Eingang von A, um die ihm wo anders her geläufige Trojasage an- 
bringen zu Können! und, vielleicht nur um zu ändern, die Momente, 
welche den oben erwähnten, von A abstammenden außerdeutschen 
Fassungen des Stoffes gemeinsam eigenthümlich sind. 

Ein zweiter Nachdichter überkam den Stoff in der Gestalt B, fügte 
an verschiedenen Stellen philosophisch-moralische Böirnhktäeh ein, 
ohne sonstige Änderungen vorzunehmen, Seine Textgestaltung nenne ich C. 

Weder B noch Ο ist in dieser ursprünglicheren Gestalt auf uns 
gekommen, wohl aber in Fassungen mit überarbeitetem Schluße. Denk- 
bar ist freilich auch, daß die Einschaltungen erst nach Abwandlung 
des Schlusses in mehreren Redactionen eintraten. Aus diesem Grunde 
und da die sich auf letzteren beziehenden Änderungen die wichtigsten 
sind, so müssen diese im Folgenden den Eintheilungsgrund bilden. 

Ein Nachdichter variierte den Schluß so, daß Part. die Meliur, 
der König von Frankreich die Urraque und Gaudin die Persewis er- 
hält. Seine Absicht war offenbar, die verschmähte Persewis unterzu- 
bringen. Nennen wir diese Redaction D, so findet sich für die Classe 
Db, d. h. für das Gedicht in dieser Form ohne Interpolationen, kein 
Beispiel. Die Classe Dc, mit den obigen Einschiebungen, zu denen 
hier noch die lange Recapitulation von Part. Heldenthaten kommt 
(v. 9231 ff.), wird repräsentiert durch die von Crapelet edierte Arsenal- 
handschrift 194, abgesehen von der Fortsetzung, welche sicherlich aus 
einer anderen, der Gruppe E angehörigen Handschrift beigefügt ist. 
In diese Redaction des Epos gehört sie an und für sich keinesfalls. 
Weder ein Dichter noch ein Fortsetzer kann so verrückt gewesen sein, 
den Sultan erst sterben zu lassen und ihn uns dann wieder auf dem 
Rachezuge vorzuführen. 

Dem Bearbeiter endlich, dessen Machwerk wir mit E bezeichnen, 
hat eine Handschrift der Gruppe B oder © vorgelegen. Um sich Material 
zu einer Fortsetzung zu schaffen, hat er die Tödtung des Sultans ge- 


*) Der Wechsel des Versmasses allein könnte natürlich nichts beweisen, da sich 
dazu Analogien finden. Vgl. z. B. Körting: Über die Echtheit der einzelnen Theile des 
Roman de Rou; in: Eberts Jahrbuch für rom. und engl. Phil. Bd. VII, S. 170 fi. 


106 EUGEN KÖLBING 


strichen; er lässt noch die Meliur durch Spott seinen Zorn reizen (vgl. 
oben p. 94) und ihn dann racheschnaubend abziehen, um seinen Kriegs- 
zug schildern zu können. Auch die Verheirathung von Urraque und 
Persewis muß bei ihm unterbleiben, da er besonders die erstere noch 
in der überaus albernen Schlußscene braucht (vgl. Maßmann p. 205), 
die, wie die ganze Fortsetzung, aus seiner Feder geflossen ist. 

Eb (zu verstehen wie oben) wird vertreten durch Konrads directe 
Vorlage, sowie durch Mser. 6985; Ec durch die Vorlage des πα]. Ge- 
dichtes und Mscr. 1239. 

Zu bemerken ist noch, daß die Vorlage Konrads und die des 
Niederländers, wenn man von letzterer die Interpolationen wegdenkt, 
enger zusammenstimmten, als beide zur Arsenalhdschr. 

Wohin die Quelle des ndd. Epos gehört, ist nicht zu ermitteln, 
sowenig als Mscr. franz. 792 bestimmbar ist. 

Nur A und E scheinen weitere Verbreitung im Auslande gefunden 
zu haben, B und © waren nur zu erschließen, D steht in Ars. 194 
ganz vereinzelt da. 

Dieß ist das Resultat, zu dem sich mit Hülfe des mir zugäng- 
lichen Materials gelangen ließ. Maßmanns Forschung gegenüber scheint 
mir darin doch ein kleiner Fortschritt zu liegen, und zugleich ein 
neuer Beweis für die von mir schon mehrfach verfochtene und auch 
von Gaston Paris, einer der ersten Autoritäten auf dem Gebiete mittel- 
alterlicher Sagenforschung, in Beurtheilungen meiner Arbeiten (Rom. I 
Ρ-. 267, Revue crit. d’hist. et de lit. 1873 p.7) ausgesprochene  Be- 
hauptung, daß erst die Durchforschung sämmtlicher ausländischer Über- 
setzungen und Umdichtungen uns ein einigermalßsen deutliches Bild 
von den verschiedenen Redactionen der wichtigsten altfranzösischen 
Epen verschaffen kann, und daß Arbeiten, wie die vorliegende, absolviert 
werden müssen, bevor man an eine kritische Herausgabe jener un- 
schätzbaren Quellenwerke gehen kann. Nach solchen Vorarbeiten würde 
weder Immanuel Bekker den Eree nach der einen Hndschr. noch vor allem 
Potvin den Conte del Graal nach dem interpolierten und durch eine un- 
passende Einleitung nebst Fortsetzung entstellten Monser Mser. publiciert 
‚haben. 

Zum Schluße will ich noch einige Parallelen zu der Geschichte 
von Partonopeus de Blois aus den nordischen Litteraturen mittheilen, 
die bisher wohl schwerlich jemand beachtet hat. 

Dahin gehört z. B. die erste Hälfte der @ibbons Saga, deren 
Inhalt nach Hdschr. A. M. 529, 4°. perg. folgender ist: 

Wilhelm heilst ein König von Frankreich, sein Sohn @tbbon, seine 
Tochter Ferita. Gibbon reitet eines Tages auf die Jagd. Er sieht eine 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE, 107 


schöne Hindir und schießt nach ihr. Diese aber nimmt den Pfeil ins 
Maul und eilt in den Wald. Gibbon jagt ihr nach. Er kommt endlich 
auf einen Berg und sieht da ein Tuch liegen, das, als er darauf tritt, 
sich mit ihm in die Luft erhebt. Er schläft ein. Als er erwacht, be- 
findet er sich in einem Palaste und wird von unsichtbaren Händen 
bedient. Er legt sich dann in ein Bett und merkt bald, daß eine Jung- 
frau neben ihm liegt. Diese nennt sich @reka, die Tochter des Königs 
Filipus von Griechenland, und eröffnet ihm, ihr Tuch habe ihn hierher 
gebracht. Mit Hülfe desselben habe sie schon die ganze Nordhälfte der 
Welt gesehen, aber Niemand habe ihr so gefallen, als Gibbon. Als 
dieser aber zudringlicher wird und ihr die Jungfrauschaft nehmen will, 
da weiß sie sich zu helfen. Es heißt da in der Saga: Hun tekr ba einn 
nattürusteinn ok bregdr fir höfud hanum. Tekr ba af häinum alla likams- 
Fysi til holdligra girnda. Und so schlafen sie dann, ohne weitere Wünsche, 
beisammen. Als Gibbon nach einiger Zeit darüber klagt, daß Vater und 
Schwester sich um ihn sorgen würden, schickt Greka den Zwerg Lepus 
mit ihrem Tuch und einem Kistchen Kleinodien zu Ferita. Endlich 
will Gibbon die Prinzessin sehen. Da schwingt sie wieder einen Stein 
über seinem Haupt, und sohald dieser verschwunden ist, sieht er eine 
mit allen Reizen der Schönheit ausgestattete Jungfrau neben sich liegen. 
Als sie am nächsten Morgen aufstehen, hört er Waffengetöse. Greka 
sagt, ihr Vater wisse nun um seine Anwesenheit. Als er aber kämpfen 
will, lässt sie dieß nicht zu, sondern durch die Decke des Zimmers 
kommt ein Mönch gefahren, schlägt einen Mantel um Gibbon und der 
Zwerg Lepus geleitet ihn fort. Später darf Gibbon wieder zu Greka 
zurückkehren. 

Ferner ist zu vergleichen das neuisländische Märchen: Sigurdr 
Köngsson, in der Fassung, wie es Arnason: Islenzkar pjödsögur ok 
zfintyri II p. 334 ff. mittheilt. Der Inhalt ist kurz folgender: 

Ein König geht eines Tages auf die Jagd und verfolgt eine Hindin 
so eifrig, daß er sich darüber von seinem Gefolge verirrt. Am Abend 
kommt er zu einem Haus, in welches er eintritt. Er fiodet hier Licht, 
Lebensmittel und Wein, sieht aber keinen Menschen. Nur ein brauün- 
gelber Hund liegt in der Stube. Auch findet er ein gutes Nachtlager. 
Nachdem er sich am nächsten Morgen mit Speise und Trank gestärkt 
hat, reitet er for. Da kommt ihm der Hund nach, wirft ihm vor, er 
habe sich nicht einmal für die ihm erwiesenen Wohlthaten bedankt 
und droht, ihn zu zerreissen, wenn er nicht verspreche, ihm das erste 
zu geben, was ihm bei seiner Rückkunft nach Hause begegne. Der 
König gelobt es. Bei seiner Ankunft eilt ihm seine jüngste Tochter 


108 EUGEN KÖLBING 


entgegen, deren Auslieferung sich der Hund auch endlich erzwingt. Er 
räumt ihr eine schöne Wohnung ein, in der sie jedoch bei Tage nie 
einen Menschen sieht. Jede Nacht aber schläft ein Mann bei ihr, während 
am Tage der Hund häufig in ihrer Nähe ist. Sie bekommt drei Kinder, 
die ihr aber alle weggenommen werden, ohne daß sie darüber weinen 
darf. Den Hochzeiten ihrer drei älteren Schwestern wohnt sie bei, da 
der Hund sie jedes Mal beurlaubt. Doch sagt sie während ihres Auf- 
enthaltes zu Hause nie mehr über ihr Leben, als daß es ihr gut gehe. 
Erst das dritte Mal begleitet die Königin, ihre Mutter, sie ein Stück 
Weges und fragt sie genauer aus. Da gesteht sie wenigstens soviel 
daß jede Nacht ein Mann bei ihr läge, den sie nie gesehen habe. 
Darauf heifst es: Droöttning gaf henni Pd stein einn, ok sagdi, ad hegar 
madur sd veri sofnadur hja henni, skyldi hün bregda steininum yfur 
andlit honum ok mundi hün pda geta sed hann. Stdan kvöddust Peer. Sie 
kehrt zu dem Hunde zurück. Noöttina eptir, begar madur sd var sof- 
nadur, sem hvtldi hja henni, bra hun yfir hann steininum og sd, ad hann 
var üngur og mjög fridur sjnum, en i sama bili vaknadı hann og vard 
mjög hryggur vid; segir hann, ad betta hafı verid hid; mesta 6happ, og 
muni bau bess seint betur bida, pvi nt hljöti bau ad skilja, og muni 
pau ad likindum aldrei sjdst framar. Er erzählt ihr nun, er sei ein 
Königssohn, Namens Sigurd; seine Stiefmutter, deren Tochter er nicht 
habe heirathen wollen, habe ihn dazu verdammt, 10 Jahre lang den 
Tag über die Gestalt eines braunen Hundes anzunehmen, während er 
bei Nacht wieder menschliche Züge trage. Erlöst solle er nur werden, 
wenn er eine Königstochter in seine Gewalt bekäme und mit ihr drei 
Kinder zeugte, welche ihr aber alle genommen werden müssten. Sie 
dürfen ihn nie sehen, noch sich auf längere Zeit von ihm entfernen. 
Jetzt habe nur noch ein Monat gefehlt bis zu seiner Erlösung. Nun 
aber, da sie sich so vergangen, müsse er nach Hause zurückkehren 
und die Tochter seiner Stiefmutter doch noch heirathen. Damit ent- 
fernt er sich. Ihr aber gelingt es schließlich, sowohl ihre Kinder als 
ihren Gemahl wieder zu erlangen. 

Daß die erstere dieser beiden Erzählungen eine bloße Variation 
der Partalopa Saga ist, möchte ich trotz der unverkennbaren Ähnlich- 
keit bezweifeln; mindestens ist eine altfranzösische oder lateinische 
Quelle anzunehmen. Noch weniger ist dieß bei dem zuletzt berichteten 
neuisländischen Märchen zu vermuthen, zumal da in diesem nicht, 
wie in der Partalopa- und Gibbons-Saga, Apuleius gegenüber, eine 
Vertauschung der Rollen stattgefunden hat. Der bekannte Märchenstoff 
von der bösen, zauberkundigen Stiefmutter und dem durch sie ver- 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 109 


wunschenen Prinzen, der in Ärnasons Aefintyri bis zum Überdruß 
variiert wird, ist hier verknüpft mit dem der antiken Welt angehörigen 
Mythus von Amor und Psyche. 

Indem ich in Betreff des ersten Theils des von uns hehandelten 
Sagenstoffes verweise auf die von Dunlop a. a. O. p. 174f. zu dem 
räthselhaften Schiffe angeführten Parallelstellen aus orientalischen und 
italienischen Sagen, erwähne ich noch eine dort nicht eitierte Erzählung: 
Lai de Gugemer, bei Roquefort: Poesies de Marie de France I p. 48 
bis 113, welche mir zwar nicht im Original, sondern, was für uns aber 
hier gleichbedeutend ist, als Guiamars ljod in nordischer Prosa (Streng- 
leikar. Udgivet af R. Keyser og ©. R. Unger p. 2 ff.) vorliegt. Der Inhalt 
ist folgender: 

Der junge Ritter Gwiamar ist sehr schön, muthig und tapfer, 
interessiert sich aber wenig für Frauen. Eines Tages erblickt er auf 
der Jagd eine weiße Hirschkuh mit ihrem Kalbe. Er verfolgt sie und 
schießt einen Pfeil auf sie, der sie mitten auf die Brust trifft, so daß 
sie zu Boden stürzt. Die verwundete Hindin sagt ihm, diese Wunde 
solle nicht eher heilen, bis eine Frau, die sterblich in ihn verliebt sei, 
ihn heile. Er verbindet nun seine Wunde so gut als möglich und reitet 
allein im Walde weiter, bis er zur See gelangt, wo er ein schönes Schiff 
vor Anker liegen findet. Er besteigt dasselbe, gewahrt auf demselben 
zwar kein lebendes Wesen, wohl aber ein prächtig ausgestattetes Bett, 
auf dem er etwas auszuruhen beschließt. Beim Erwachen will er das 
Schiff verlassen, doch dieß befindet sich bereits in See und landet am 
folgenden Morgen an der Hauptstadt eines Landes. Hier herrscht ein 
bejahrter König, welcher seine junge Frau auf das eifersüchtigste be- 
wacht. Diese letztere sieht das Schiff ankommen, findet den Ritter allein 
darauf und lässt ihn, nachdem sie sein Abenteuer erfahren, zu sich auf 
das Schloß bringen. Hier heilt sie seine Wunde und wird seine Ge- 
liebte. Eines Morgens wird ihr Einverständniss von dem erzürnten Ehe- 
mann entdeckt, Guiamar soll sterben, doch wird ihm schließlich die Ver- 
günstigung gewährt, falls das bewusste Schiff sich im Hafen noch vor- 
finde, mit diesem das Land verlassen zu dürfen. So geschieht es. Das 
Schiff bringt ihn in seine Heimath zurück. Kurze Zeit darauf lässt sich 
auch die Dame, welche sich nach ihrem Freunde sehnt, von dem ge- 
fälligen Schiffe nach einem Guiamars Heijmath benachbarten Lande führen. 
Durch verabredete Erkennungszeichen findet sich das Pärchen wieder 
zusammen. 

Woher hat Wilhelm Jensen in seinem Eddystone (Berl. 1872, S. 120 ff.) 
den Anfang des Märchens der Kitty Meadow entlehnt, der sehr direct 
an unsere Partonopeus-Sage und die eben erwähnte Erzählung erinnert? 


110 EUGEN KÖLBING 


Wir sehen aus diesen Parallel-Erzählungen, wie die um neue 
Romanstoffe verlegenen Dichter sich damit zu helfen wussten, daß sie 
einzelne Züge aus schon vorhandenen Epen herausgriffen, diese um- 
modelten und in ein selbsterfundenes Gewand kleideten. Nur so scheint 
es mir erklärbar, daf einzelne märchenhafte Züge in so vielen Erzeug- 
nissen der mittelalterlichen epischen Poesie und Prosa in bald mehr, 
bald weniger veränderter Form auftauchen, ohne daß sich entscheiden 


ließe, wo die ursprüngliche Fassung derselben zu suchen ist. 
BRESLAU, im Nov. 1873. EUGEN KÖLBING. 


Nachträge. 
I. 
Zu 8. 66. 

Bei Besprechung der isl. Partalopa-Saga stellte ich die Ver- 
muthung auf, das Geschichtchen von dem Schwan, der als deus ex 
machina Partalopi aus den Händen der Feinde rettet, sei eine geschmack- 
lose Erfindung dessen, der den norwegischen Text umarbeitete. Seitdem 
ist es mir geglückt, eine Parallelstelle zu derselben zu finden, die sehr 
leicht den Anlaß zur Einschiebung dieser Episode in die Saga gegeben 
haben kann und deßhalb hier mitgetheilt werden soll. 

Daß die isländischen Rimur, welche vom 14. Jahrh. an an die 
Stelle der Skaldenpoesie treten, mit ganz wenigen Ausnahmen ihrem 
Inhalte nach nicht selbständig sind, sondern auf theils noch vorhandene, 
theils verlorene Sagas zurückweisen, ist bekannt (vgl. Möbius, Edda 
S. X f.). Im letzteren Falle können die Rimur als Ersatz für jene gelten. 
So enthält die Antiqu. Tidsskr. 1849—51 8.7 ff. beschriebene Wolfen- 
bütteler Rimur-Handschrift — nächst der Stadarhölsbök die werth- 
vollste — u. a, Filipo Rimur ens fagra, deren Quelle verloren ist. Der 
Inhalt ist kurz folgender: 

Filipo, der Sohn des Königs Reinald von Krit [Griechenland] 
wird auf der Jagd durch seinen Falken, welcher einen Papagei (igda) 
verfolgt, von den Begleitern getrennt und verirrt sich im Walde. Hier 
muß) er einen Strauß mit dem zauberkundigen Riesen Harald bestehen, 
in dem jene sammt ihrem Anführer getödtet, Filipo aber schwer ver- 
wundet wird. Lilia, die Tochter des Königs Blavus von Spanien, heilt 
ihn, er befreit zum Danke dafür sie von einem unliebsamen Freier, 
Namens Kastor, der ihre Hand mit Gewalt erriugen will, und verlobt 
sich selbst mit Lilia. Als Filipo dann allein eine Reise nach seiner 
Heimath unternehmen will, gibt sie ihm ein Hemd mit; dem, welcher 
es trägt, kann weder Feuer noch Schwert schaden; auch wird er im 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 111 


Schwimmen nicht müde. Durch einen Sturm wird das Schiff an eine 
fremde Küste verschlagen, wo ein König Laimon herrscht. Dessen 
Tochter Andromenia fasst heftige Liebe zu dem jungen Helden, und 
nachdem sie ihm durch einen Zaubertrank die Erinnerung an Lilia 
genommen, wird die Hochzeit gefeiert. Sobald er aber das Liebesspiel 
beginnen will, versinkt er durch eine ihm unbekannte Kraft jenes 
Gewandes, das er von Lilia erhalten, in Scheintod. Da man ihn für 
todt halten muß, so wird er, nach Landessitte, trotz der Jungfrau 
Jammern, auf einen lodernden Scheiterhaufen gelegt. Das Hemd sichert 
ihn vor dem Verbrennen. Der Dichter fährt fort Bl. 85%, 2.8 Εἰ: 

Borinn er vidr & δά] fram 

Blossinn tök at gledast, 

Firdar litu bar fljüga gam 

Flestir allir hraedast. 

Flyja stlar ferdin rik, 

Fuglinn vengjum skeldi, 

Ok med klönum konungsins lik 

Kremr hann burt ur eldi. 

Keran hefir svä klökan sid, 

Kemr bat her i efni. 

Rikur herra vaknar vid, 

Rett sem brydi ur svefni. 

Der weitere Inhalt dieser Rimur interessiert uns hier nicht; man 
wird mir jedoch zugeben, daß der Abschreiber der Partalopa-Saga an 
mehreren Stellen an diese freilich wenig geistreiche Erzählung erinnert 
werden konnte; dahin gehört das Verirren im Walde, vor allem der 
dem Helden beigebrachte Zaubertrank und der vergeblich ersehnte 
Liebesgenuß. In diesem Falle lag es dem Schreiber oder Bearbeiter, 
der auf Treue der Überlieferung keinen Werth legte, nahe genug, obige 
Episode in die, wie es ihm schien, ähnliche Saga zu übertragen. Be- 
weisen lässt sich das natürlich nicht. Aber dieß und andere Beispiele, 
welche auszuführen hier zu weitläufig wäre, sprechen sehr für derartige 
Entlehnungen. 


I. 
Die unechte Einleitung des französischen Gedichtes. 
Die von mir als unecht bezeichnete Einleitung des franz. Part. 
de Blois scheint noch wenig beachtet worden zu sein. Der Inhalt ist 
kurz folgender. Nach einem allgemeinen, moralisierend gehaltenen 
Prolog (v. I—134) erwähnt der Dichter die Dreitheilung der Erde, 


112 EUGEN KÖLBING 


Einer dieser Theile ist Asien. Hier liegt Troja, die Blüthe des Landes, 
beherrscht von Priamus, welcher fünf Söhne hat: Hector, Paris, Troilus, 
Helenus und Marcomiris. Hector überragt sie alle. In seinem Alter 
wird Priamus, übermüthig gemacht durch seinen Reichthum wie durch 
die Tüchtigkeit seiner Söhne, grausam und tyrannisch, so daß sein 
Volk ihm nur mehr aus Furcht dient und in den herannahenden Griechen 
die willkommenen Befreier sieht. Der König hatte nämlich einem Find- 
ling, einem Sklaven, Namens Anchises, den er hatte aufziehen lassen, 
eine ganz ungebührliche Machtstellung anvertraut, die jener mißbrauchte, 
um seinen Günstlingen reiche Lehen zuzuwenden, während tüchtige 
Männer derselben beraubt wurden; auch gab er vor, der Sohn eines 
Gottes zu sein, weil man weder seinen Vater noch Mutter kannte. 

Troja hatte in Glanz und Macht sich befunden, so lange bis Paris 
die Helena raubte; aber auch darauf wäre keine Rache erfolgt, wenn 
Pr. sich nicht so verhasst bei seinen Unterthanen gemacht hätte. Denn 
Menelaus mochte aus Furcht vor der trojanischen Macht nichts unter- 
nehmen, bis Nestor ihn dazu überredete, selbst im Reiche des Priamus 
die öffentliche Stimmung prüfte und eine Anzahl Völker, Inder, Perser, 
Medier, Libier etc. von ihm abwendig machte. Hector seinerseits 
sammelte ein Heer, das Troja neun Jahre lang hält. Im zehnten Jahr 
fällt Hector, und Anchises, dem die Bewachung eines Hauptthores an- 
vertraut ist, öffnet dieß in der Nacht den Griechen, so daß diese in 
die Stadt eindringen können, die nun ausgeraubt und verbrannt wird; 
Anchises packt seine Schätze zusammen und belädt seine Schiffe. 
Priamus wird getödtet und alle seine Söhne, bis auf Helenus und 
Marcomiris, den eine Wärterin aus der Wiege reisst und auf eines von 
Anchises Schiffen bringt. Anchises reist mit Aeneas, seinem Stiefsohn, 
ab; denn, sagt der Dichter, sein rechter Sohn kann es nicht gewesen 
sein: dazu waren sie einander geistig zu unähnlich. Sie erobern Ro- 
menie und gründen sich hier eine Herrschaft. Als Marcomiris 15 Jahr 
alt ist, wird er schön und stark und Hector und Paris ähnlich; um 
Nachstellungen zu entgehen, flieht M. mit seiner früheren Amme nach 
Frankreich, das damals Gallien hieß; hier gab es noch keine Schlösser 
und Städte, das Volk lebte vereinzelt und zerstreut. M. lässt sie ihr 
Land gegen Aeneas in Vertheidigungszustand setzen und sich zu ihrem 
Oberhaupte wählen. Ihm folgten seine Nachkommen; ihr erster König 
aber war Faramond; ihm folgten Merovels, Childerie, diesem endlich 
Clovis, mit dem die eigentliche Erzählung beginnt. 

Diese eben mitgetheilte Fassung der fränkischen Trojasage nennt 
Robert (Examen etc. p. XXVI) ganz unbedenklich „un extrait de Darts 


DIE VERSCHIEDENEN GESTALTUNGEN DER PARTONOPEUS-SAGE. 113 


le Phrygien“, womit doch nur dessen: De excidio Trojae.historia ge- 
meint sein kann. Wer das Buch des Dares gelesen hat, was bei Robert 
wahrscheinlich nicht der Fall war, sieht auf den ersten Blick, daß an 
diese Quelle gät nicht zu denken ist. Marcomiris wird bei Dares (ed. 
Ferd. Meister. Lipsiae 1873) überhaupt nicht ge: von Priamus 
Übermuth kein Wort gesagt; Anchises (vgl. p. 8, 4; p. 48, 8; 49, 3) 
spielt bei Dares eine weit untergeordnetere Rolle, Ἷκ Roberts Worte 
sind also ganz gedankenlos hingeworfen und falsch. Dunger in seinem 
fleißig gearbeiteten Buche: „Die Sage vom trojanischen Kriege in den 
Bearbeitungen des Mittelalters und ihre antiken Quellen.“ Leipz. 1869, 
spricht von dieser Fassung nirgends, und dürfte sie aus diesem Grunde 
wohl schwerlich gekannt haben*). Auch die Aufsätze Roths und 
Zarnckes über die Trojasage der Franken gaben mir keine Aufschlüsse. 
Ebenso wenig hat sonst jemand mir eine Parallele zu dieser sonder- 
baren Darstellung der Zerstörung Trojas und der Folgen davon an- 
geben können; wir werden also vorerst die Frage, ob sie der Phan- 
tasie des Fortsetzers selbst entsprungen, oder einer älteren Quelle ent- 
nommen ist, offen lassen müssen. Ich wollte durch die obigen Zeilen 
nur die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf diese Variaute gelenkt 


haben. 
III. 


Zu Abschnitt I meines Aufsatzes, besonders zur Erwägung über 
den Ursprung der Partonopeus-Sage und ihr Verhältniss zu dem 
Märchen von Amor und Psyche (oben 8. 56 f.) vergleiche man die da- 
mals von mir übersehene hübsche Zusammenstellung ähnlicher Sagen- 
stoffe von Felix Liebrecht: Amor und Psyche — Zeus und Semele — 
Purüravas und Urvaci, in Kuhns Z. XVII 5. 56 ff. Nach dem dort mit- 
getheilten wird es allerdings sehr fraglich, ob Denis Pyramus gerade 
derjenige gewesen ist, der die Hauptpersonen hat ihre Rollen tauschen 
lassen. Auf alle Fälle wird das Motiv dieses Tausches S. 57 richtig 
bezeichnet sein. Du Meril bestätigt meine Notiz an einer erst nachträglich 


*) Man verstatte mir bei dieser Gelegenheit eine kleine Berichtigung zu Dun- 
gers Besprechung der Trojumannasaga, a. a. O. p. 77. Das Geschichtehen von dem 
goldenen Apfel, den Paris der Helena in den Schoß wirft, damit sie durch Lesung 
_ der darauf eingeritzten Inschrift unfreiwillig bei den Göttern schwören müsse, Hectors 
Gemahlin werden zu wollen (Troj.-Saga, in: Annaler för nord. Oldk. 1848, p. 40, Z. 5 ff.) 
ist nieht, wie Dunger meint, ihr eigenthümlich; die XXI. Heroide Ovids, deren Vor- 
bild Kallimachus Kydippe gewesen ist, behandelt denselben Stoff; daß der Verfasser 
der Saga Ovids Heroiden sonst benutzt hat. hat Dunger schon nachgewiesen, folglich 
wird dieß hier auch der Fall sein. 

GERMANISTISCHE STUDIEN, Il, ὃ 


114 K. BARTSCH 


von mir beachteten Stelle, in seiner äußerst lehrreichen Einleitung zu 
Floire et Blanceflor S. OXXXIf.: Pendant le moyen äge, la mytho- 
logie populaire n’admettait plus guere comme superieurs ἃ l’espece 
humaine que des &tres de nature f@minine, et, au risque d’y perdre 
une partie de sa vraisemblance tout en gardant une irresistible euriosite, 
Psych& a change de sexe etc. Auch meine übrigen Ausführungen 
S. 57 f. glaube ich durch das Obige nicht in Zweifel gestellt. 
Jan. 1874. E. K. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL 
UND TITUREL. 


VON 


KARL BARTSCH. 


I. 


Von den beiden Quellen, welche Wolfram im Parzival nennt, be- 
sitzen wir nur die eine: Crestien’s de Troies Conte del Graal. Aus 
der Art und Weise wie er von Trroys meister Christjän XVI, 1201 er- 
wähnt und ihn tadelt, daß er dem maere unreht getän habe, ersehen 
wir, daß der deutsche Dichter der zweiten Quelle, dem Gedichte des 
Provenzalen Guiot (VIII, 560. 561. 565. IX, 605. 611. 662. XVI, 1203. 
1269) den Vorzug gegeben und diesem hauptsächlich folgt. Wenn er 
trotzdem mit Urestien so vielfach zusammentrifft, so beweist das nur, 
daß Urestien aus Guiot vieles entnommen hat, und dal dessen Werk 
das ihm durch seinen Gönner, den Grafen Philipp von Flandern, ver- 
schaffte Buch war (Parzival I. Band, S. XXVII). 

Wir müssen jetzt die Hoffnung wohl so ziemlich aufgeben, daß 
Guiots Werk uns erhalten sei. 1) 81 es untergieng, dazu trug die Be- 
arbeitung von Ürestien ebenso bei, wie die jüngeren Gestaltungen der 
Chansons de geste zum Verluste der älteren, wie die Bearbeitungen 
deutscher Gedichte des 13. Jahrhunderts zum Untergange der gleiche 
Stoffe behandelnden im 12., wie die Umdichtungen des Nibelungen- 
liedes zum Untergange des ursprünglichen Textes. Noch mehr erklär- 
lich ist der Verlust, wenn Guiots Werk nicht in französischer, sondern 
in provenzalischer Sprache oder einem auf der Grenze beider Gebiete 
stehenden Dialecte geschrieben war; denn der Norden Frankreichs hatte 
kein Interesse daran, es zu erhalten, nachdem der Stoff in einer ver- 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 115 


ständlicheren Sprache bearbeitet vorhanden war, der Süden aber zeigte 
schon im 12. Jahrhundert wenig Sinn für die erzählende Poesie und 
hat uns von dem was etwa vorhanden war, nur wenig überliefert. 

Die Frage, welcher Mundart Guiots Werk angehörte, kann bei 
dem gegenwärtigen Stande der Dinge nur durch eine Untersuchung 
über die bei Wolfram vorkommenden Eigennamen annähernd gelöst 
werden. In diese Untersuchung müssen auch die Titurelbruchstücke 
hereingezogen werden, denn wenn gleich Wolfram hier keine Quelle 
nennt, so ist doch nach dem stofflichen Zusammenhange klar, daß er 
ihren Inhalt aus demselben Buche oder denselben Büchern nahm, die 
ihm den Stoff des Parzival boten. Da nun in Crestiens Gedichte so 
gut wie nichts vorkommt, was mit dem Inhalt des Titurel sich deckte, 
so kann es nur Guiots Werk gewesen sein, woraus Wolfram hier 
schöpfte. K%öt ist ein Provenzäl sagt Wolfram IX, 565: dieser Angabe 
scheint zunächst der Name Guiot zu widersprechen, denn diese Namen- 
form ist nicht provenzalisch: Gwiot ist französische Deminutivform von 
Gui, im provenzalischen lautet sie Guionet. Aber der Name Provenza- 
lisch umfasst nicht nur die Provence, sondern das ganze Sprachgebiet 
der lengua d’oc, und Wolfram kann damit nur bezeichnen wollen, daß 
sein Werk in einer vom Französischen abweichenden, zum Provenzali- 
schen hinneigenden Sprache verfasst war. 

Crestiens conte del graal ist wie die meisten Erzählungen dieses 
Dichters arm an Eigennamen, Wolfram dagegen überreich. Hat er nun 
alle Namen erfunden, die bei Crestien nicht vorkommen, oder bot ihm 
Guiots Gedicht eine größere Fülle? Auch diese Frage kann nur durch 
den Charakter der aus Crestien entschieden nicht entnommenen Namen 
beantwortet werden. 

Eine Untersuchung über die Eigennamen im Parzival hat früher 
in der Germania (11, 335—409) San-Marte geliefert. Dieselbe konnte 
aber schon aus dem Grunde nicht zu sicheren Ergebnissen gelangen, 
weil damals (1857) der französische Conte del Graal erst fragmentisch 
bekannt war. Durch die Ausgabe von Potvin (Paris und Muns 1865 ff.), 
die auch die Fortsetzungen umfasst, ist allerdings eine die Kritik be- 
friedigende Grundlage nicht geschaffen, da sie weder auf der besten 
Handschrift beruht noch die Verschiedenheit der Lesarten angibt, die 
namentlich für die Feststellung und Vergleichung der Namen wichtig 
wären; jedoch kann man mit Hilfe dessen, was Rochat aus der Berner 
Hs. mitgetheilt, sich einstweilen an ihr genügen lassen. 

Um eine Grundlage zu gewinnen, wie Wolfram mit den Namen 
seiner Quellen verfuhr, müssen wir zunächst die bei Crestien vor- 

8 


116 K. BARTSCH 


kommenden Nomina propria mit ihm vergleichen. Dabei sind aber die 
ersten 1282 Verse der Potvinschen Ausgabe abzusondern, da dieser 
Eingang sich nur in der Monser Hs. findet. In ihm ein verlorenes Stück 
von Crestiens Werke zu erblicken berechtigt nichts; aber auch aus 
Wolframs zweiter Quelle kann er nicht stammen, denn er stimmt nicht 
mit den beiden ersten Büchern des Parzival. Parzivals Vater heißt hier 
Bliocadrans 510, Blocadroon 635, im Prosaroman, der aus einer der 
Monser Hs. nahe stehenden Quelle floßs, Bliocadras*). Außerdem kommt 
vor ein König Amagons 63; in der Inhaltsangabe des Ganzen die 
Namen Huden 360, Glamorgan 364, Castrors 366, Pecorins 367, Lancelot 
du Lac 373; von Ortsnamen Gaste Fontaine 607. Einige Namen stimmen 
allerdings mit Wolfram, so der Rittername Dlihos Bliheris 162, bei 
Wolfram Plihopleheri III, 564, die Ortsnamen Logres 27, Gales 485, 
Cornuaille 605, mit Logrois, Wäleis und Curnewäls, aber sie beweisen 
nichts, da sie aus Crestien entlehnt sein können. Der Dichter des 
Eingangs scheint sich maistre Blihis zu nennen (V. 12), doch kann er 
damit auch seine Quelle bezeichnen wollen. Die sachliche Überein- 
stimmung mit Wolfram beschränkt sich darauf, daß der Vater Parzivals 
im Kampfe (Turnier) sein Leben verliert: die Mutter gebiert das Kind 
vier Tage nach des Vaters Abreise, und sendet ihm einen Boten, der 
ihn bereits todt findet. Heimgekehrt berichtet er, daß er seinen Herrn 
gesund angetroffen und dafs derselbe in wenigen Tagen kommen werde. 
Durch einen Abt wird ihr endlich die Todesnachricht vorsichtig mit- 
getheilt, worauf sie beschließt, mit ihrem Kinde sich in die Waldein- 
samkeit (en la gaste forest 960) zurückzuziehen, damit er das Ritterleben 
nicht kennen lerne. Vierzehn Jahre verweilt sie dort und schickt den 
Knaben eines Tages in den Wald, um Rehe und Hirsche zu jagen; 
wenn er etwa Leute sehe, die mit Eisen bedeckt wären, dann solle er 
überzeugt sein, daß es Teufel seien. Man sieht, das wenige überein- 
stimmende ist aus dem echten Eingange heraus- und vorweggenommen. 

In dem Gedichte von Crestien heißt der Held Percevals li Galois, 
der seinen Namen v. 4571 zuerst nennt, und zwar in sonderbarer Weise 
ibn errathend und ahnend, während bei Wolfram richtiger er seinen 
Namen von Sigunen erfährt (III, 732), die ihn an dem Liebkosungs- 
ausdrucke bon fiz, schier fiz, beä fiz (III, 721) erkannt. Die Deutung 
Wolframs, die auf perce-val, imperativisch gebildet, hinweist (vgl. zu III, 
732), begegnet schon in den französischen Quellen, die ihrerseits damit 


*) Der Name seiner Gemahlin Kammuelles 538 ist aber erst eine Erfindung des 
Herausgebers; der Vers mul) gelesen werden %’a mervelles ert bone dame, 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. ΠῚ 


einen ursprünglich welschen Namen durchsichtiger zu machen suchen ἢ). 
Den Namen seines Vaters nennt Crestien nicht, doch ist die Stelle 
beachtenswerth, wo die Mutter dem jungen Parzival, der ins Leben 
hinausziehen will, von seiner Familie erzählt (vgl. Parz. III, 359-366) 
und seine zwei älteren Brüder erwähnt, die sich in den Dienst zweier 
Könige begaben, der eine zum König von Escavalon, der andere zum 
Könige Bau de Gomeret (1653—61); die Ausgabe hat Ban, aber im 
Eree 1963 heißt er Bauz de Gormerez, bei Hartmann (1976) Bääls von 
Gomoret, in der Krone Quioques Gomeret (2338). Dieser Name erinnert 
auffallend an Gamuret, Gahmuret, wie Escavalon**) unzweifelhaft Wolf- 
rams Ascalün ist: zu VI, 1249. Dabei ist noch zu erinnern, daß der 
Vater des Königs von Ascalün mit einer Schwester Gahmurets vermählt 
war. Eine Verwirrung des verwandtschaftlichen Verhältnisses hätte 
freilich stattgefunden, aber dergleichen werden wir noch mehrfach 
treffen. Crestien kann den Namen G@omeret aus Guiot entlehnt haben, 
da er sich in dieser Erzählung der Mutter deutlich auf eine bei ihm 
fehlende, absichtlich weggelassene Vorgeschichte des Helden bezieht. 

Parzivals Heimatland ist Gales ἃ. ἢ. bei Wolfram Wals XVI, 485, 
gewöhnlich aber in adjectivischer Form Wäleis; er heißt daher li galois 
4751. 5940, wie bei Wolfram der Wäleis. Die Bedeutung ist aber eine 
verschiedene: bei Crestien ist Wales, im deutschen Gedichte Valois 
darunter verstanden ***), 

Er wächst auf in der gaste forest soutaine 1289, woraus Wolfram 
sein zer waste in Soltäne Ill, 35 gemacht hat. Sein erstes Abenteuer 
nach dem Auszuge führt ihn mit der Gemahlin von Orilus de Lalander 
zusammen, welcher bei Crestien, auch im Erec, % orqueilleus de la 
lande (4991. 5006) d. h. der Stolze von der Aue, heißt; Hartmann 
entstellt ihn in der höchvertige Landö του 2575. Die Endung ist bei 
Wolfram entweder der oder t, Lalander oder Lalant: vgl. zu III, 413. 
Seine Schwester heißt aber immer Cunnewäre de Lalant; die Krone 
nennt ihn Orgoillos de Lalande 5480 oder von der Lande 595. 

Den ersten Kampf besteht er mit dem röten riter, der bei Crestien 
li vermaus chevaliers (2142) heißt. Sein Land nennt Wolfram Kukümer- 
lant (zu III, 895), bei Crestien heißt er de la forest de Kinkerloi 2143 


*) Die gleiche Deutung in der Krone, parce sprichet durch, val ein tal oder ein 
vurch 5377 Ε΄, vgl. III, 733 fg. 

**) Denn so ist zu lesen, vgl. 6694. 

***) Heinrich von dem Türlin, Krone 2208 fg. unterscheidet Gälois und Wälois. 


118 K. BARTSCH 


auch de Kinkenroi 5505*): beide Namen hängen offenbar zusammen, 
Wolfram dachte an Kumberlant. Bei dem Abenteuer unterstützt ihn 
Iwanät, ein Knappe von Artus’ Hofe, bei Crestien Yones (2259. 2340. 
2346. 2385. 2409. 2437), also zu unterscheiden von dem bekannten 
Ritter /wain, mit welchem Wolfram ihn zusammenzubringen scheint: 
Iwänet oder Giwänet heißt er auch in der Krone. 

Artüs hat natürlich denselben Namen auch bei Crestien (obl. 
Artu); er residiert in Carduel (1548. 2031), bei Wolfram Karidoel. Ein 
anderer Ort seiner Hofhaltung ist Carlion (5381. 5533. 5984), was dem 
Aufenthalte am Plimizoel bei Wolfram entspricht: auch die Krone hat 
beide Namen, Karidol und Karliün (12155). Unter Artus’ Rittern nimmt 
Gäwän die erste Stelle ein, bei Crestien Gawain (5464. 5727. 5749. 
5781. 5810 u. s. w.), der Sohn des Königs Löt, der auch bei Crestien 
denselben Namen führt (9505. 10120. 10969), aber nicht aus Norwegen 
stammt. Unter seinen Brüdern nennt Crestien Gaheries**); es ist der 
Gaherjet Wolframs, der ihn aber nur als Verwandten Gawans bezeich- 
net (zu XIV, 682). Einen andern Bruder Gawans nennt Orestien G@aries 
(9511), var. Garaes, Guerhes; es ist Wolframs Gärel (zu XIV, 682), 
der allerdings nicht ein Bruder oder Verwandter Gawans heilst, aber 
durch sein Vorkommen neben Gaherjet (XIII, 1140. 1383—84) sich 
als identisch mit Garies erweist. Wir haben hier also gleich eine Ana- 
logie in der Veränderung verwandtschaftlicher Verhältnisse zu Gah- 
muret- Gomoret. 

Artus’ bekannter Seneschall ist Keye, bei Crestien Kex (2225. 2432. 
2453. 2468. 2475. 3872. 10745. 10933). Ferner gehört zur Tafelrunde 
Segramors, bei Crestien Saigremors (5598. 5608. 5615), der auch von 
ganz gleichem Charakter wie bei Wolfram geschildert wird (zu VI, 
152). Endlich stimmt wahrscheinlich überein Gifles li fils Do Crestien 
6099. 11157, mit Wolframs Jofreit fiz Idoel. 

Gurnemanz de Gräharz ist bei Crestien Gornemans (Gonemans) 
de Groort (Gohort, Gohor, Gebort) 2740. 3084. In Hartmanns Eree 1631 
Gornemanz von Grohorz, im Lanzelet 2630 Gwrnemanz, in der Krone 
von Gornomanz Göorz oder Cöorz, also mit Umstellung der Namen. 

Die Stadt, welche Parzival befreit, heilt Biaurepaire ἃ. h. schöner 
Aufenthalt 3562. 3582. 3863. 4301, entsprechend Wolframs Pelrapeire, 
in der Krone 605. 783 Belrapeire. Parzival kämpft hier mit Clamide 


*) Die Berner Hs. hat nach Rochat (Germ. 3, 88) Gwingueron, was aber nicht 
richtige Form sein kann, denn der Name reimt beidemal auf οἱ (moi : coi\, 
**) So die Hs. von Montpellier, bei Potvin 9511 steht Galereis. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 119 


und Kingrün: beide Namen hat Crestien auch, jener ist der Seneschall 
Clamedex, Clamadex, Clamedius, in den obliquen Casus -de, -diu (3197. 
3221. 3539. 3549. 3571. 3605. 3611. 3660. 3762. 3769. 3829. 3836. 3858. 
3885. 3897. 3906. 3925. 3932. 3952. 3958); 4. h. "Rufe — Gott’, impera- 
tivisch gebildet, wie deutsch Kenngott, Fürchtegott, roman. Amadeus. 
Das oft vorkommende a in der zweiten Silbe weist auf eine südfranzö- 
sische Form, ebenso das a der ersten Silbe, welches nach nordfranzö- 
sischem Tongesetze ai (claime) sein müsste. Bei Crestien hat er den 
Beinamen des isles (3197. 3952) d.h. von den Inseln; daraus ist Wolf- 
rams Iserterre (zu IV, 1224) zu erklären, aus isleterre. Kingrün, welcher 
bei Wolfram Clamide’s Marschall ist, entspricht Crestiens Guingueron, 
Guigrenon (3355. 11182. 11186), auch Aguingeron (Germ. 3, 91), Agwi- 
grenon (3385), Aguigeron (3907), oder Enguigrenon (3396. 3409), Engui- 
geron (3546. 3924), wobei en, wie bei den vorigen Namen a, auf eine 
provenzalische Vorlage, en Guigeron = Herr G., hinweist. 

Artus’ Hoflager ist in Dianazdrün, dieß ist Crestiens Dinatiron 
3908 oder Dinaderon 3929. 

Nach seinem Abenteuer auf der Gralsburg trifft Parzival Sigunen, 
die ihn auf die wunderbaren Eigenschaften des ilım geschenkten Schwertes 
aufmerksam macht. Sein Verfertiger ist T’rebuchet, welchen Namen er 
auch bei Cr. 4853 hat: vgl. zu V, 899. 1113. 

An Artus’ Hofe (Buch VI) erscheint im Auftrage seines Herrn, 
des Königs von Ascalün, der Landgraf Kingrimursel. Jener Landes- 
name ist bei Crestien in Escavalon wiederzuerkennen (6694, vgl. des 
Avalon 1657, de Cavalon 6169), wie auch im Willehalm Ascalön dem 
Eselavon der Bataille d’Aliscanz 365. 5864 entspricht. Kingrimursel 
heißt bei Crestien Guigambresil, auch Guwinguebresil (Germ. 3, 101. 6133. 
6175. 7412. 7449. 7483. 7514. 7575). 

Nun folgt die Abenteuerreihe Gawans: er reitet auf seinem Rosse 
Gringuljete, bei Crestien 7583. 11101 Gringalet, durch die Vorsetzung 
des Artikels nicht als eigentlicher Eigenname, sondern als Appellativ 
bezeichnet, auch im Erec 3949 le gringalet: Roquefort erklärt “cheval 
maigre et alerte. Wir sehen Gawan am Kriege von Meljanz gegen 
seinen Erzieher Lippaut betheiligt: Meljanz de Liz führt bei Crestien 
denselben Namen, Melians de Liz*) 6203. 6212. 6217. 6375. 6381. 6400. 
6486. 6772: der Beiname bezeichnet ‘Lilie. Wolframs Lippaut führt 
bei Crestien den Namen Tiebaut de Tintarguel oder Tingaquel (6213. 
6218. 6220. 6264. 6269. 6309. 6328. 6361. 6369); möglich daß Wolf- 


*) Die Hs. hat Lis, aber es reimt auf hardiz, deliz, noiriz, criz, 


120 K. BARTSCH 


ram Libaut ‘der Kühne’ überliefert fand; vel. zu VII, 223. Ein Libaut 
kommt auch im Erec 8504 vor. Den Beinamen hat Wolfram nicht be- 
nutzt. Den Burggrafen nennt Wolfram Scherules, Crestien hat Garin 
le fils Berte (Bertain) 6608. 6623. 6633. 6645. 6653. Aus der Schreibung 
Gerin le kann, da Wolfram das patalale y durch sch ausdrückt, 
Scherules entstanden sein: vgl. zu VII, 693. Dem Namen Lisavander 
bei Wolfram entspricht bei Crestien Teudaves, var. Travezdatier, Trahe- 
davet 6206. 6209, woraus doch wohl der Name bei Wolfram zu er- 
klären ist, denn die französischen Texte gehen hier sehr auseinander: 
zu VII, 317. 

In der Fortsetzung von Gawans Abenteuern (Buch X—XIII) 
treffen wir den verwundeten Ritter, der sich nachher als der treulose 
Vrians (zu X, 649) herausstellt: derselbe heißt bei Crestien Griogoras 
8480. 8503. 8662, im Erec Grigoras 1995, Hartm. 2111, worin auch 
noch jener Name, wenn auch stark zusammengezogen, zu erkennen ist. 
Lachmanns Schreibung Urjäns würde allerdings zu Urien bei Crestien 
9519. 10846 näher stimmen, aber dieser, der Vater Iweins, ist eine 
ganz andere Persönlichkeit; vgl. Friam XIII, 1146. Der Name des 
Wunderschlosses stimmt nicht genau mit dem Crestiens: Wolfram nennt 
es Schahtel (schastel) marveile, Crestien Castel Orgueillous 6067. 6101: 
vgl. zu VI, 1159. In der Krone Schastel mervillös 13587. Jener Name 
ist von Wolfram nach dem schon bei Crestien vorkommenden & liz de 
la merveille 9179, bei Wolfram Lit marveile XI, 127 gebildet, welches 
in dem Schlosse sich befindet: lit marveillös in der Krone 6119. Der 
französische Name bezeichnet entweder ‘das stolze Schloß’, oder es ist 
benannt nach Orgueillous 10015; Wolfram verstand “Schloß der Orge- 
luse’, und hat daraus deren Zusammenhang mit dem Besitzer, dem 
Zauberer Clinschor, wohl erst abgeleitet. Orgelüse von Logroys bei 
Wolfram ist Orestiens la Orquellouse de Logres ou elle fu nee 10007, 
‘die Stolze von Logres', was ihrem Charakter durchaus entspricht. 
Logres wird als Königreich bezeichnet, V. 7543. Ihr Freund, mit dem 
Gawan kämpft, heißt bei Wolfram Lischoys Gwelljus, bei Crestien 
10015 % Orguellous de la roche en Vestroite voie qui garde les pors de 
Galvoie; in dem ersten Namen ist ἠΐ orguellous noch zu erkennen (zu 
X, 568), der Beiname ist benutzt in Wolframs Av estroit malvoie 
X, 568, wobei das letzte Wort ebensowohl aus gauvoie, galvoie wie aus 
voie der vorhergehenden Zeile entstanden sein kann. 

Unter den Frauen, welche in dem Schlosse gefangen gehalten 
werden, tritt am meisten Arnive, Artus’ Mutter hervor. Bei Crestien 
heißt sie Ugierne 10111, auch Ygene 10962. 11021, in der Krone Iyern; 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 121 


auch hier sind noch die Spuren der Übereinstimmung erkennbar, die 
französischen Hss. scheinen stark auseinander zu gehen. Der Name 
von Artus’ Vater stimmt genauer, bei Wolfram Utepandragün, bei 
Crestien Uterpandragon 1639. 10961, auch bloß Pandragon 10109. 

Im XII. Buche tritt Gramoflanz auf, bei Crestien Gwuiromelans 
9996. 10022. 10911. 11160, aber auch li guiromelans 10028. 10082, 
und in den Lesarten II, 50 % Guiremelanz; in einer Wolfram näher 
stehenden Form li griomelans 10491; in der Krone Güremelanz 21492 etc. 
Die Beifügung des Artikels deutet auf einen Appellativnamen, wie ἠΐ 
orgueillous, li gringalet; man könnte an guwirlande (von lat. gyrus) 
@enken, weil Gramoflanz der Hüter eines Baumes ist, von dem Gawan 
einen Kranz brechen soll, bei dem zweiten Theile an part. mellans 
von meller, mesler, kämpfen: also ‘der um den Kranz kämpfende‘. Seine 
Burg heißt bei Wolfram Rosche Sabbins, bei Crestien Roche de Sanguin 
10186, mit dem erklärenden Beisatze maint bon drap vermeil et san- 
guin ὁ taint on et mainte escarlate: Wolfram hat aus dem Beisatz den 
Flußnamen Sabbins gemacht. Bei dieser Gelegenheit muß Gawan über 
Ligweiz prelljus XII, 522, bei Crestien li guez perellous, “die gefährliche 
Furth’. 

Artus lagert bei Bems bi der Korcä XII, 827; dem letzteren Namen 
entspricht bei Crestien Orcanie 10258. 10468. Die beiden Stellen lauten 
que a pentecouste est la cors le roi Artu en Orcanie und en la cite d’Or- 
canie a li rois la court establie a tenir a la pentecouste, und man kommt 
auf die Vermuthung, es verdanke Wolfram das nicht im Original ste- 
hende Bems δὲ einem Mifsverständniss von Pente coste (bei, neben), 
was beim Vorlesen noch begreiflicher ist, als wenn ein Dichter nach 
dem Buche arbeitet. 

Im XII. Buche, etwa nach V. 734, hört jede Namenüberein- 
stimmung auf, weil weiter Crestiens Gedicht nicht reichte. Die meisten 
von Ürestien gebotenen Namen hat Wolfram benutzt. Unter den nicht 
benutzten sind zunächst auszusondern diejenigen, die mit der Handlung 
in keinem Bezug stehen, wie biblische und Heiligennamen, S. Abrehan 
4144, 5. Geri 5512, 8. Jehan 8638, S. Piere 5627, 8. Richier 3091, 
S. Martin 8654, einige auch bei Wolfram, aber in anderem Zusammen- 
hange, Absalon 6170, Adan 9551. Romantische Personen, auf die ange- 
spielt wird: Amas und la fille Aine 10426. Locale Beziehungen: Barut 
4230, Gise 4341, Limace 7324, Limoges 4254, Loire 2508, Lombardie 
7325, Pavie 8028, Venise 4342; darunter einige, die auch Wolfram hat, 
aber nicht entlehnt: Gold von Arabe 4341, Rome 2864. 3865. 3955, 


122 K. BARTSCH 


Von Persönlichkeiten, die in die Handlung mehr oder weniger ein- 
greifen, hat Wolfram weggelassen Cahadin, einen Artusritter, 6103, denn 
Kahatin bei Wolfram (VII, 402. 1446) ist ein Landesname, der gleich- 
wohl, ein Gegenstück zu Gahmuret-Gomoret, aus jenem entstanden sein 
kann. Crestien unterscheidet ferner die beiden Ywain (9527. 9529), 
Wolfram hat nur einen Jwän, ohne Frage den Sohn von Urien. Beide 
greifen wie Cahadin auch nicht in die Handlung ein: ebenso vorüber- 
gehend erwähnt ist der Name von Garins (= Scherules) Mutter Berte 
6608. 6623. 6633, und sein Sohn Herman 6635, der Bischof “alemon 
11076, der König Kion 2043, madame Lore 10594, der Name des Schwertes 
Escalibour 7280, die Stadt Kamaalot 5121, der Ortsname Ogres 7594, und 
Orcaneleus, die Stadt des Guiromelans 9994, wobei die im alten Drucke 
dafür stehende Form Georguans auffallend an Wolframs Korcä gemahnt. 
Bemerkenswerther ist, daß der Name des einsamen Waldaufenthaltes 
bei Urestien, li destroit de Valdone 1510, bei Wolfram ausgelassen ist; 
das erklärt sich daraus, daß er durch Mißverständniss schon Soltäne 
als Eigennamen aufgefasst hatte, doch liegt auch Valdone von Soltäne 
nicht weit ab. Auch den Namen Montesclaire d. h. Blitzberg, welcher 
bei Castell Orguellous liegt und wo eine Jungfrau zu befreien, ein 
Schwert zu gewinnen ist (V. 6084 ff.), so wie die ganze Beziehung auf 
dieß Abenteuer hat W. weggelassen, weil sie bei Crestien, dessen Ge- 
dicht nicht so weit reicht, nicht ausgeführt war. 

Mehrfach hat Crestien andere Namen; so nennt er den Bruder 
Gawans, der bei Wolfram B£eäcurs heißt, vielmehr Agrevain 6146. 9509. 
Parzivals Gemahlin Condwirämürs heißt bei Crestien Blanc heflour “Weiß- 
blume 3593. 4090, und ebenso in der Krone 1545. Die Schwester Gawans, 
welche Gramoflanz liebt, bei Wolfram Itonje, nennt Crestien Clarisse 
10906. auch Clarissanz 9639 I, S. 60. Der See Cotoatre, var. Cotolatre, 
Cetoatre, 4849, in welchem das Schwert wieder heil wird, heißt bei 
Wolfram Lac V, 908, indem aus Zac bei Crestien ein Eigenname ward: 
dieser Name aber erinnerte Wolfram an Erecs Vater Lac V, 901, und 
er verlegte den See daher in die Nähe von Karnant, der Hauptstadt 
von Erecs Lande: zu V, 900. 

Von Bedeutung sind unter den abweichenden Namen also nur 
die drei, Agrevain, Blancheflour, Clarisse. Hat diese Wolfram willkürlich 
durch andere ersetzt oder fand er in einer andern Quelle andere Namen 
vor? Der durchsichtige Name Blancheflour war sinnig genug und konnte 
sehr wohl beibehalten werden; wenn ibn Wolfram dennoch mit einem 
andern vertauschte, so ist von vornherein wahrscheinlich, daß ihm einer 
von pnssenderer Bedeutung durch eine zweite Qnelle geboten wurde. 
Doch davon später. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 123 


Noch verdient die Art, wie Wolfram die überlieferten Namen be- 
handelte, von sprachlicher Seite näher ins Auge gefasst zu werden. 
Manche Namen sind bis zur Unkenntlichkeit entstellt, so Griogoras in 
Vrians, Kinkerloi in Kukümerlant, Gifles li fils Do in Jofreit fiz Idoel, 
Isles in Iserterre, Teudaves in Lisavander, li orguellous in Lischoys Gwell- 
Jus, Ugierne in Arnöve u. s. w. In lautlicher Beziehung bemerken wir 
bei ihm a für franz. e in Parziväl = Perceval, Ascalün — Escavalon, 
und in unbetonten Silben, Segramors — Saigremors, Pelrapeire —= Biau- 
repaire, marveile — merveille; e für ὁ in prelljus = perilleus; e für ai 
Segramors —= Saigremors, der Aussprache gemäß, doch kann die Hs. 
e gehabt haben; ὁ für e in unbetonten Silben, Parziväl, Orilus, Clamide; 
u für a in Gringuljete; gewöhnlich steht « oder ü für franz. o, ou, 
normann. u, Orgelüse, Orilus, Kingrün, Dianazdrün, Ascalün, Gwelljus, 
prelljus. ἃ steht für ai in Gäwän, Soltäne,; für o in Gräharz statt Gro- 
hort. ei vertritt meist franz. ai, Pelrapeire, oder nach normannischer 
Weise oi, Wäleis für Galois. Für e steht es nach burgundischer Art in 
gweiz für guez. οἱ für e in Logrois für Logres. Von Consonanten / für 
das mouillierte Zl oder ill, Orgelüse = Orgueillouse, Orilus = Orgueillous, 
doch steht auch il, marveile = marveille, oder llj, in prelljus, Gwelljus. 
p steht für ὁ in Pelrapeire, Lippaut = Tiebaut, ebenso k für g in Kin- 
grün, Kingrimursel. sch für palatales g in Scherules aus Gerin. w dient 
zur Bezeichnung von gu, dem romanischen Lautwandel entsprechend, 
Wäls, Wäleis — Gales, Galois; doch steht auch näher anschließend gw, 
in gweiz gwelljus; ganz ausgeworfen ist es in Orilus. Buchstaben sind 
hinzugefügt in Zalander = la Lande, Idoel = Do; sch in Lischoys Gwell- 
jus aus li orguellous. Silbenauswerfung in Ascalün aus Escavalon. Der 
Artikel k ist zum Namen gezogen in Lischoys, Ligweiz. 

In den übereinstimmenden Namen ist aber nur ein kleiner Theil 
des Vorrathes bei Wolfram erschöpft. Bei der Betrachtung der übrigen 
werden wir zunächst diejenigen aussondern, welche nicht in einem 
Zusammenhange mit der Erzählung stehen, weil ihr Vorkommen un- 
abhängig von einer zweiten Quelle Wolframs ist. Dahin gehören vor 
allem die Beziehungen auf die Umgebung des Dichters und seine per- 
sönlichen Verhältnisse, Namen wie Äbenbere, Beier, Düringen, Erfurt, 
Eschenbach, Heitstein, Herman, Lechvelt, Regensburc, Rin, Rispach, Spehtes- 
hart, Swarzwalt, Tolenstein, Trühendingen, Walther, Wertheim, Wilden- 
berce. Ferner eine Reihe von Beziehungen auf biblische und heilige 
Personen (vgl. S. 121): Absalön, Dävit, Jesus, Jüdas, Lazarus, Pilätus 
von Ponciä, Salmön, Silvester; antike Beziehungen: Amor, Cupädö, 
Venus, Julius, Pompeius. Ortsbeziehungen, die ohne Bedeutung für 


124 K. BARTSCH 


die Erzählung sind, Acratön, Agatyrsjente, Arabi, Aräbie, Arraz, Eingel- 
kant, Gent, Gylstram, India, Kaukasas, Kölne, Kriechen, Lunders, Mäst- 
rieht, Ninnive, Päris, Ranculat, Röme, Sinzester, Sürin, Tenemarke, 
Wizsant; vgl. oben S. 121. 

Wichtiger sind die litterarischen Beziehungen. Zuerst auf Heinrich 
von Veldeke, den er VI, 378. VIII, 209 nennt und auf dessen Eneide 
er wiederholt anspielt: so auf Eneas, Didö und Kartägö VIII, 42—44, 
auf Eneas, die Sibille und den Flegetön IX, 1471—73, auf Turnus und 
Tranzes VIII, 642—643, auf Kamille und Laurente X, 55—57. XII, 188. 

Demnächst auf Hartmann von Aue, den er ebenfalls namentlich 
anführt III, 827. Auf dieses Dichters Jugendarbeit, den Erec, beziehen 
sich mehrere Stellen: die längste VIII, 98—112 auf den Geiselschlag, 
den der Zwerg Malichisier ihm in Ginovers Gegenwart gab, auf den 
Kampf um den Sperber in Tulmein mit Idör fil Noyt, seinen und Enätens 
Empfang an Artus Hofe in Karidoel; er nennt Enäte und ihre Mutter 
Karsnafite III, 833—834 und vergleicht die Schönheit der ersteren mit 
Condwiramurs IV, 242. Auch auf Erecs letzten Kampf, das Abenteuer 
um Schoydelakurt mit Mabonagrin ist XII, 26—27 Bezug genommen. 
Aus dem Jwein ist entnommen Iweins Guß auf den Stein der Aventiure 
XI, 28—30 und Lunetens Rath, auf welehen V, 880—884. IX, 94 bis 
100 angespielt wird. Der Name des Helden lautet allerdings abweichend 
von Hartmann Jwän, aber derselbe Wechsel zwischen ei und @ kommt 
auch sonst bei Wolfram vor, finteile und fintäle, ei entspricht dem franz. 
ai, wofür Wolfram vor n meist @ setzt, funtäne, muntäne. Hat aber, 
wie nach diesen Stellen nicht zu bezweifeln ist, Wolfram Hartmanns 
Erec gekannt, so wird er aus ihm auch ein paar andere Beziehungen 
entnommen haben, die wirklich in die Erzählung verwebt sind. Schon 
oben führten wir den Brunnen Zac an, von dem der König Lac den 
Namen führe und der deßhalb in die Nähe von Karnant versetzt wird 
(V, 900—901. IX, 59). Das Original bot hier nichts weiter als das 
Wort Lac ‘See und einen nicht benutzten Namen desselben, der aber 
nicht in allen Hss. zu stehen scheint. Der Anklang von lac an den König 
Lac, den Wolfram aus dem Free kannte, veranlasste diese Aus- 
schmückung der Erzählung. So ist mir auch nicht zweifelhaft, daß 
die soldiere von Destrigleis, üz Erekes lande VII, 1336 aus dem Erec 
entnommen sind und in Wolframs Quelle höchstens etwas anklingendes 
stand, vielleicht der Name d’estre Gales. An noch mehr Stellen hat 
Wolfram Züge aus dem Erec in seine Erzählung übertragen: aus ihm 
führte er Mabonagrin (vgl. XII, 26) ein, der Gurnemanz’ Sohn Gurz- 
gri getödtet, als derselbe das Abenteuer Schoydelakurt bestehen wollte 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL, 125 


(I, 1876—79. Titur. 41, 4). An einer andern Stelle (IV, 1227) wird 
Mabonagrin als Vetterssohn ‘von Clamid® bezeichnet und unter den Be- 
lagerern von Pelrapeire aufgeführt. Endlich der Zusammenhang von 
Erec mit Jeschüte, die seine Schwester, eine Tochter von König Lac, 
genannt wird, und daher auch Jeschüte von Karnant heißt (V, 1666), 
Ihr Gemahl ist Orilus de Lalander, der selbst erzählt, Eree habe ihn 
vor Prürin im Tjostieren abgeworfen, er dagegen Erec vor Karnant 
besiegt (III, 541—555). Auch diese Beziehung ist erst von Wolfram 
erfunden und stand nicht in seiner Quelle: beweisend ist der Name 
Prürin, der bei Hartmann erst durch Milsverständniss sich findet (Ger- 
mania VII, 155). Freilich steht in der Hs. des Eree nicht Prurin, was 
erst die Herausgeber nach der Stelle des Parzival gesetzt haben, die 
Hs. hat Euerin, Crestien Euroc, also die Endung hat Wolfram jeden- 
falls aus Hartmann entlehnt. Zu dieser Entlehnung bestimmte ihn das 
Vorkommen von Zi Orgueillous de la Lande auch im Erec (Crest. 2165), 
Hartmann hat dafür der höchvertige Landö 2575, was voraussetzt, daß 
Wolfram nicht nur den deutschen, sondern auch den französischen 
Erec kannte. 

Weitere Namen, die Wolfram aus dem Erec entlehnt hat, sind 
Läiz VIII, 948 aus Lays Eree 1633 (Crest. 1685); Gandilüz VIII, 950 
aus Gandelus Er. 1637, Gandeluz Crest. 1689; der wilde Dödines Erec 
1636, Dodinez li sauvages Cr. 1688, bei W. V, 1425 ist er als Bruder 
des wilden Tauriän bezeichnet: dieser wird noch IX, 830 erwähnt. 
Dodines kommt auch im Iw. 87. 4696 mit demselben Beiwort vor. Jwän 
von Nönel V, 312 ist Hartmanns Ywein von Lönel Er. 1642, Ywains de 
Loenel Cr. 1695. Plihopliheri III, 564 ist Blöobleherin im Erec 1649, 
Bleobleheris Cr. 1702, auch im Iwein Pflöopleherin 4705, in Eilharts 
Tristrant Pleherin. Der Landesname Tenabroce V. 265. 1122. XVI, 593 
ist ebenfalls aus dem Erec, Tenebroe 2233. 2240. 2352, bei Crestien 
Danebroe; desgleichen Brandigän, dessen König Clamide ist, IV, 158, 
mit demselben Namen im Erec vorkommend. Wenn Haupt mit seiner 
Schreibung Ither von Gaheviez 1657 recht hätte, so wäre auch dieser 
Name aus dem Erec entlehnt: aber die Hs. hat /her gaheries, Crestien 
1713 Galeries, die Krone Galeres. 

Die erwähnten Namen werden durch Crestiens Erec bestätigt, aber 
Hartmann hat eine Anzahl mehr, und unter diesen solche, die bei 
Wolfram wiederkehren, während umgekehrt auch Crestien eine Reihe 
von Namen vor Hartmann voraus bat. Bei Hartmann finden wir Titurel 
1650, Galagaundris 1661, entsprechend dem Galogandres W oltrams 
IV, 777, doch ist dieser wohl aus Crestiens Galerantins li Galois 1726 


126 K. BARTSCH 


zu erklären: ein Galagandreiz auch in Ulrichs Lanzelet 734. Neben 
ihm steht bei Hartmann Gälöes 1661, derselbe Name, den Gahmurets 
Bruder führt; vielleicht aus @Galois bei Crestien entstanden; einen 
Galaas kennt die Krone 5488 u. s. w. Die Namenübereinstimmung mit 
Wolfram häuft sich da wo Hartmanns Text sich ganz von Crestien 
entfernt: hier begegnet von Hochturasch Maneset 1672, entsprechend 
Wolframs Kailet von Hoscurast I, 737. Marlivliöt von Katelange 1678 ist 
Manpfiliöt der Bruder Kiots von Katelangen bei Wolfram IV, 220 u. 8. w. 
Tit. 23, 1. Inpripalenöt 685 ist ohne Zweifel Wolframs Plippalinöt 
XI, 334, und in Ganatulander 1690 ist Schionatulander zu erkennen. 
Da Hartmann aus Wolfram nicht entlehnt haben kann, so ist nur denk- 
bar, entweder dafs Wolfram die Namen aus Hartmanns Erec entnahm, 
oder daß beide aus einer gemeinsamen Quelle schöpften, und diese 
würde zunächst in Guiot zu suchen sein. Aber auch das ist möglich, 
daß ein anderer als Hartmann die Reihe der Namen im Erec aus 
andern Quellen, darunter auch aus Wolfram, vermehrt hat. 

Die dritte deutliche litterarische Beziehung ist die auf Eilbarts 
Tristrant. Mit Namen nennt er allerdings den Dichter nicht, und es 
ist fraglich ob ihm der Name überhaupt bekannt war, aber das Ge- 
dicht kannte er unzweifelhaft. An Gottfrieds Tristan ist schon aus 
chronologischen Gründen nicht zu denken; man könnte nun annehmen, 
er habe einen französischen Tristan gekannt, aber die französischen 
Texte kennen so wenig wie Gottfried oder seine Fortsetzer die Form 
Isalde, sondern nur Isolt, Isöt, Iseut, Iseult. Jene Form aber ist die 
herrschende bei Eilhart, sie hat auch Wolfram (zu IV, 247), sie hat 
ferner der deutsche Lanzelet (8093) und Ulrich. von Liechtenstein 
(LD. 33, 84). Mit Eilhart stimmen auch die andern dem Stoffe ent- 
lehnten Namen, Curvenäl III, 856, Kahenis IX, 618, bei Eilhart Kehenis, 
während bei den Fortsetzern Gottfrieds Kaedin. Die Jungfrau, welche 
ihn durch das Schlafkissen täuscht, heißt bei Wolfram XI, 615 Gymöle 
von Monte Rybele, in der Krone 1606 Gimile, bei Ulrich von Türheim 
Kamöle, bei Heinrich von Freiberg Kameline, und diesem steht Eilhart 
am nächsten, der sie G@ymeline von der Schetteline nennt; auch bei 
Wolfram hat eine Hs. giminele, was vielleicht nur Umstellung von 
gimeline und die echte Form ist; der Beiname entfernt sich stärker, 
Heinrich hat von der Scheteliure, was Eilhart nahe kommt. 

Die Analogie des Hartmann’schen Free berechtigt zu weiteren 
Schlüssen. Wenn im Parzival ein Mörholt von Irlant I, 1445. II, 263. 
442. 705. 828, ein Riwalin von Lohneis II, 438, 440, also beide dicht 
neben einander, vorkommen, so werden wir dieselben ohne Bedenken 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 127 


aus Eilharts Gedichte entlehnt betrachten dürfen; bei Eilhart heißen 
sie ebenso, während Gottfried bekanntlich Riwalin zum König von 
Parmenie macht. Auch Tijnas VIII, 948, und Garschiloye V, 939. XVI, 
984 stammen aus derselben Quelle; letzterer heißt bei Eilhart Gardiloye. 

Sodann kannte Wolfram einen Lanzilot: auf diesen spielt er mehr- 
mals an, namentlich auf sein Abenteuer bei der Schwertbrücke: VII, 
1472. XII, 8. Aber nirgends erscheint dieser berühmte Artusheld in 
die Handlung verflochten. Jenes Abenteuer, der Kampf mit Meljacanz, 
dem Räuber der Königin Ginover, kommt im deutschen Lanzelet 
Ulrichs von Zatzikhofen nicht vor zu (VII, 1472), den Wolfram der Zeit 
nach wohl benutzt haben könnte; wohl aber in Crestiens chevalier de 
la charrette. Diesen also kannte Wolfram, und aus ihm, oder aus dem 
Iwein (zu VII, 176) hat er den in die Erzählung verflochtenen Meljah- 
canz (III, 277. VII, 176) wahrscheinlich entnommen; doch ist auch 
denkbar, daß er schon in der Dichtung Guiots stand. Indeß der deutsche 
Lanzelet scheint Wolfram auch nicht fremd gewesen zu sein, denn 
auffallend ist die Übereinstimmung in dem Namen Maurin, den Wolf- 
ram zum Marschall der Königin Ginover macht (XIII, 1069) und mit 
den schoenen schenkeln Maurin nennt; in Ulrichs Lanzelet kommt ein 
Ritter mit den liehten schenkeln her Maurin (3052) vor. Auch wenn im 
französischen Lanzelot derselbe Ritter Maurin hieß und einen ähnlichen 
Beinamen führte, so befremdet doch die Übereinstimmung nicht nur 
der Übersetzung dieses Beinamens, sondern der ganzen metrischen 
Gestaltung des Verses. Wenn Wolfram Ulrichs Gedicht kannte und 
daher den Maurin entlehnte, so dürfen wir auch annehmen, daß sein 
Kailet 1, 737 ete. dem Karlet Ulrichs (6032) entspricht, sein Tesöal Tit. 
237, 1 vielleicht Ulrichs Esealt 7544, sein Thiler XV, 1160 Ulrichs 
Thile (ἃ. ἢ. Thule) 7991 ist. 

Außer dem was Crestiens Gedicht über G@äwän berichtete, kannte 
Wolfram noch andere Erzählungen über diesen Ritter; er spielt nament- 
‚lich VI, 639-650 auf sonst nicht bekannte Abenteuer Gawans an, 
seine Besiegung durch Lähelin, seine Liebe zu der Königin Inguse de 
Bahtarliez, und wie er sich mit dem Messer in die Hand stieß. Von 
einer wie es scheint umfangreichen Dichtung, deren Helden Gawan 
und Segremors waren, gibt es Bruchstücke, die auf Mitteldeutschland 
und den Anfang des 13. Jahrhunderts weisen: zu VI, 639. 

Auch ein Gedicht von @ärel kannte Wolfram: er fand zwar den 
Namen dieses Ritters schon in Crestiens Parzival (oben $. 118), aber 
die Beziehungen (XII, 12—19), wie Garel den Löwen von dem Palas zu 
Nantes warf, un! in der marmornen Säule Gefahren bestand, als er das 


128 K. BARTSCH 


Messer holte, stehen bei Crestien nicht. Ob in des Pleiers Garel die be- 
rührten Abenteuer vorkommen, weils ich nicht; ist es der Fall, dann 
schöpfte der Pleier aus derselben oder einer ähnlichen Quelle, die 
auch Wolfram bekannt war, also wohl einem französischen Gedichte. 

Zweimal spielt Wolfram auf Sürdämür, die Schwester Gawans 
und die Gemahlin des Griechenkaisers Alexander an. Die Beziehungen 
sind derartig, dafs sie in die Erzählung nicht eingreifen: einmal in einer 
längeren Anrede, die der Dichter an Frau Minne richtet (XII, 116 
bis 117), dann in Worten, welche Artus zu Surdamurs Schwester Itonje 
spricht (XIV, 998—999). Beide Beziehungen standen vermuthlich nicht 
in seiner Quelle. Wenn auch Pfeiffers Annahme (Freie Forschung 
S. 158), daß Wolfram bereits Konrad Flecks Clies benutzt, nicht er- 
weislich ist, so steht doch fest, dafs er Orestiens gleichnamiges Gedicht 
gekannt haben kann, und aus derselben Quelle wird daher auch der 
Krieche Clias (VI, 163) an Artus Hofe stammen, an dessen Stelle 
Crestien andere Artusritter nennt. 

Auch von Artus’ Sohne, dem früh gestorbenen I/lnöt, muß es eine 
besondere Erzählung gegeben haben, auf welche Wolfram mehrmals 
anspielt: die ausführlichste Beziehung ist ΧΗ, 89—101, Titurel 183 
bis 184. Seine Geliebte heilt Flörie von Kanadic: letzterer Naıne er- 
innert an Hartmanns küneges sun von Ganedie Erec 1654, bei Crestien 
1710 li file le roi Quenedie. Auch ein Sohn von Artus, Namens Lohüt, 
kommt im Erec vor, Hartm. 1663, bei Crestien 1720 Loholz, und dieser 
ist wohl identisch mit Wolframs Ilinöt. Hat Wolfram nun jene An- 
deutungen erfunden? Wohl kaum, aber er kann sie ebenso wohl Guiots 
Gedichte wie einer besonderen Erzählung entnommen haben. 

Eine Dichtung, in welcher Lämbekin von Bräbant (I, 455. 418) 
eine Rolle spielte, ist nach V, 1402 (vgl. die Anm.) als wahrscheinlich 
vorhanden gewesen anzunehmen*). Aus diesem Gedichte hat wohl 
überhaupt erst Wolfram den Namen und die Person ins zweite Buch 
eingeführt. 

Benutzung von Dichtungen über Alexander (zu XV, 1198) über 
Eraclius (zu XV, 1192) oder über Troja (Troyaere lantwer XV, 1022) 
ist wegen der A lgostehtkei: der Beziehungen nicht zu folgern. 

Wichtiger sind die Beziehungen auf die deutsche Heldensage: sie 
finden sich sämmtlich im achten Buche in dem Gespräche zwischen 
Kingrimursel und Liddamus; bier begegnen die Namen Ermenrich 71T; 
Gunther 687, Hiunen 688, Nibelunge 697, Rümolt 686, Sibeche 713, 


*) Vgl. Lachmann zu Haupts Eree 1691. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 129 


Sivrit 700, Wolfhart 682 und Wormez 688, aus dem Kreise des Nibe- 
lungenliedes und der Dietrichssage. Aus der einen Stelle (685—690) 
geht mit Sicherheit hervor, daß Wolfram den Nibelungentext © kannte*). 
Wenn wir nun im Nibelungenliede die Namen Azagouc und Zazamane 
als Länder erwähnt finden, aus denen kostbare Seidenstoffe stammen 
(362, 2. 439, 2), die demnach im Osten zu denken sind**) und in den 
beiden ersten Büchern des Parzival die Ländernamen Azagouc und 
Zazamanc, allerdings zu Africa gehörend, vorkommen, so liegt es nach 
der bisher beobachteten Art, wie Wolfram aus ihm bekannten Dich- 
tungen, dem Erec, Tristrant, Lanzelet und wohl noch mehreren, Namen 
in sein Gedicht aufnimmt, nicht ferne, hier einen gleichen Zusammen- 
hang zu vermuthen. Die von Lachmann behauptete Entlehnung aus 
dem Parzival ist wegen der Übereinstimmung mit dem Texte von C 
an der erwähnten Stelle unmöglich ***). An sich wäre nun wohl denk- 
bar, daß das Gedicht Guiots jene Namen enthielt, aber zu auffallend 
ist doch die Übereinstimmung der Namenformen zwischen Wolfram und 
dem Nibelungenliede. _ 

Jene Beziehungen sind aber nicht die einzigen aus der deutschen 
Heldensage, die Namen Azagouc und Zazamane nicht die einzigen Namen, 
die Wolfram einem Gedichte dieses Kreises entlehnt hat. Im ersten 
Buche treten eine Anzahl entschieden deutscher Namen auf, die sicher- 
lich nicht bei Guiot standen. Wir sehen hier I/senhart und Fridebrant 
von Schotten, der eine Tochter von Schiltune zur Ehe hat, den Herzog 
Hiuteger, der in seinem Dienste steht, und seine Gegner König Hernant, 
den Fridebrant um Herlinden willen erschlug. Die Allitteration der 
Namen Hernant und Herlint weist auf eine deutsche Sage). Fridebrant 
von Schotten gemahnt an das Land Frideschotten in der Kudrun (9, 3. 
80, 1. 611, 1): die Kudrun in ihrer ursprünglichen Gestalt kannte 
Wolfram, denn ihrer Strophe bildete er seine Titurelstrophe nach. Aber 
nicht unmittelbare Quelle kann hier die Kudrun gewesen sein, sondern 


der Dichter derselben, der die ursprüngliche Sage mit fremdartigen 


Elementen versetzte (Kudrun ὃ. XIV), schöpfte sein Frrideschotten aus 
der gleichen Quelle wie Wolfram seinen Fridebrant von Schotten. Wir 


*) Vgl. meine Ausgabe (1870) I, 5. XXIV. 
#*) Azagouc ist vielleicht das ostindische Asseergurh. 
*#%) Lachmann kannte die Stelle aus C(a) nicht. Jetzt wo sie längst bekannt 
ist, sollte man meinen, müsste die Sache jedem Unbefangenen klar sein: gleichwohl 
hat man neuerdings (Zeitschrift für deutsche Philologie 2, 505) versucht, die Stelle in 


᾿ς Ὁ δὺβ Wolfram herzuleiten. 


Ἷ 
» 


+) Eine Herlint kommt in der Klage vor. 
GERMANISTISCHE STUDIEN. II. 9 


130 K. BARTSCH 


besitzen bekanntlich ein Lehrgedieht von König Tirol und seinem 
Sohne Fridebrant (MSH. 1, 5—8), in welchem Flegetänis und Amphortas 
vorkommen. Da es ohne Frage jünger ist als der Parzival, so werden 
die beiden letzten Namen aus Wolfram entnommen sein, sie haben 
dieselbe Form, die Wolfram ihnen gab. Allerdings hat die Hs. Flenetnis 
und Amphartys, aber auch diese Formen können nur aus Wolfram, 
nicht aus einer romanischen Vorlage, erklärt werden. Mit jenem Lehr- 
gedichte steht ein erzählendes in gleicher Strophenform im Zusammen- 
hange, von dem J. Grimm Bruchstücke herausgegeben (Haupts Zeit- 
schrift 1, 7—20, vgl. Germania 12, 87). Hier kommt auch (G@)amuret 
vor, aber daneben eine Anzahl anderer Namen, Megram, Baldewin, 
Velsiäne, Massidam und Sigeram. Entweder nun hat der Dichter W olf- 
rams erstes Buch gekannt, daraus seine Personen entnommen und 
andere hinzugefügt, oder er behandelt einen Stoff, der schon in einer 
älteren Dichtung vorlag, die auch Wolfram kannte, aus der er eine 
Reihe von Namen in seinen Parzival übertrug, wie andere aus Erec, 
Tristrant, Lanzelet, den Nibelungen. Wahrscheinlicher ist das letztere, 
da durch Frideschotten der Kudrun und durch Herlint der Klage das 
Vorhandensein einer epischen Dichtung, worin diese Namen vorkamen, ᾿ 
im 12. Jahrh. gesichert ist. Was aber konnte Wolfram veranlassen 
diese Beziehungen aufzunehmen? Die Analogie des Erec gibt uns 
Antwort: der See, lac, bei Crestien erinnerte Wolfram an den König 
Läc, und er verlegte daher den See in die Nähe von Karnant (ὃ. 124); 
ebenso fand er bei Crestien den Namen Gomoret, der ihn an Gamuret, 
Gahmuret in einem andern ihm bekannten Gedichte erinnerte; und so 
nahm er nicht nur diesen, sondern auch andere Namen daraus auf. 
Endlich der Willehalm. Der Dichter erhielt das französische Buch 
bei Lebzeiten seines Gönners, des Landgrafen Hermann von Thüringen, 
also vor 1216. Das Gedicht wurde bald nach 1204 begonnen; das 
achte Buch spielt auf Ottos IV Kaiserkrönung an, die ins Jahr 1209 
fällt (Parzival I, S. XX). Der Dichter kann sogar gleichzeitig an beiden 
Werken gearbeitet haben; jedenfalls kannte er das Original des Wille- 
halm schon als er noch am Parzival dicehtete. Den Namen des bärue 
nennt er im Parzival nicht, wohl aber im Titurel: er heißt hier Ahkarin 
Tit. 40,2. 160, 1. Derselbe Name kommt im Willehalm vor (45, 16. 
73, 19), an beiden Stellen mit Beziehung auf den Parzival, und dennoch 
aus dem französ. Originale, nicht aus diesem, entlehnt: Acarön Bat. 
d’Aliscauz 1653. Stammt aber dieser Name daher, warum nicht auch 
andere? Baldac, wo der bäruc wohnt, kommt zwar nicht in der Bataille 
d’A., wohl aber in andern Gedichten dieses Cyclus vor (Jonckbloet 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 131 


S. 113. 129), und daß Wolfram noch mehr als das eine kannte zeigen 
seine Anspielungen (Jonckbioet 2, 222). Berbester, woher Ehkunaht den 
Beinamen hat, ist offenbar Barbastre Bat. 5404; Gibert, die Nebenform 
von Ibert, dem sicilischen Könige, findet sich in @wibert 4459 wieder; 
ebenso könnten Burgunjoys und Vermendoys entlehnt sein (2518. 6738). 
Wizsant Parz. XV, 838. Willeh. 366, 28 ist Guwisant 2947. Und um- 
gekehrt sind auch Namen aus dem Parzival wahrscheinlich in den 
Willehalm eingedrungen, denn sie finden keine Erklärung in der franzö- 
sischen Quelle, man vgl. Agremontin, Gaheviez, Gampfassäsche, Ganda- 
lüz(?), Hippopotiticun, Janfüse, Jetacranc, Kordeiz (mit Kardeiz im Parz. 
und Titurel), Lanzesardin, Nomadgentesin, Pompeius, Skipelpunte und 
Thasme. Nur wenn wir eine von den bekannten Redactionen der Bat. 
d’A. sehr abweichende Gestalt als Quelle annähmen, könnten auch 
diese Namen als aus solcher Quelle in den Parzival übergegangen be- 
trachtet werden. 

Wenn Wolfram noch mehr Quellen kannte, die wir nur nicht 
nachzuweisen vermögen, so könnten wir kurz sagen, daß alle bei 
Crestien nicht vorkommenden Namen aus solchen Quellen stammen 
und nichts für Guiot beweisen. [πᾶ 6} ehe wir uns zu einer so wohl- 
feilen Annahme entschließen, ist es doch gerathen die Namen näher 
zu prüfen. Sicherlich hatte Wolfram bei seinem erstaunlichen Gedächt- 
niss allerlei Kenntnisse in sich aufgesammelt, und bei seiner Neigung 
für Anspielungen und Beziehungen dürfen wir auch glauben, dals er 
reichlich von ihnen Gebrauch machte. Dief anzunehmen liegt am 
nächsten bei den nichtromanischen Namen. Er brauchte nicht einmal 
besonders kenntnissreich zu sein, um die im Mittelalter geläufigen 
Überlieferungen vom Einhorn, dem Salamander u. a. Thiereu, von den 
Edelsteinen, deren er eine lange Reihe aufzählt (XVI, 121—150) zu 
kennen, und bedurfte dazu keiner Quelle. Auch die an biblische Per- 
sönlichkeiten sich anknüpfenden Beziehungen auf Adäm und Evä und 
ihre Kinder (IX, 917—950. X, 461 -- 481) waren verbreitet genug, die 
Namen Lucifer IX, 904. 915, Astiroth 910, Belcimön 910, Bälet 911 
kannte man aus en Enid talmudischer Überlieferung. Die antiken 
Beziehungen erstrecken sich auf Radamant, Jupiter und Jünö, jener 
hängt mit Astiroth u. s. w. zusammen, die beiden letzten sind nach 
allgemeiner Vorstellung des Mittelalters Gottheiten der Sarrazenen, 
Dann die Namen der Planeten, Mars, Säturnus, auch für sie bedarf 
es einer Quelle nicht. Viel Blender sind die arabischen Sternnamen, 
die XV, 1446—1452 genannt werden. Bei dem Ursprunge, den nach 
Wolframs Angabe Gniots Werk aus arabischen Quellen in Toledo nahm 

9% 


132 K. BARTSCH 


(IX, 610), wäre gar nicht zu verwundern wenn diese Namen sich auch 
bei Guiot fanden. Nur das befremdet, daß die arabischen Worte dann 
nicht stärker entstellt wurden, da doch die Namen bei Crestien zum 
Theil arg corrumpiert sind. Sie lauten bei Wolfram: 1. Zväl d. h. arab. 
zuhal*), der Saturn, vermuthlich von zahala, declinavit, recessit a loco, 
also eigentlich recessio, declinatio. 2. Almuströ arab. ’el- musteri, der 
hell glänzende, Jupiter. 3. Almaret arab. ’el- mirrih, Mars, nach 'Gau- 
hari “der mit dem langen Pfeil gerüstete. 4. Sams? arab. $ems, die 
Sonne. 7. Alkamer arab. ’el- kamer, der Mond. Weniger einfach ist 
die Deutung von 5. Alligafir und 6. Alkiter. Jenes soll die Venus be- 
zeichnen, ihr arabischer Name ist aber Zuhura, die glänzende. Es gibt 
aber ein Sternbild ’el- gafr, drei Sterne am linken Fuße der Jungfrau, 
der Name bedeutet "Decke’, entweder weil sie so schwaches Licht 
haben, als wären sie mit einer Decke verhüllt oder weil bei ihrem 
Aufgang sich der Glanz und Schmuck der Erde verhüllt (Kazwinis 
Kosmographie I, 77. 98); nach Ideler (Untersuchungen über. den Ur- 
sprung und die Bedeutung der Sternnamen 173), weil diese Sterngruppe 
an dem langschleppenden, die Füsse “bedeckenden’ Gewande der Jung- 
frau steht. Alkitör soll den Merkur bezeichnen, der gewöhnliche Name 
desselben ist “utured. ’el- kedr wäre ‘der dunkle’. Aber näher liegt das 
Sternbild ’el- kidr, "der Kochtopf’, der aus den Sternen des Vorderarms 
des Kepheus und den am rechten Flügel des Schwans liegenden 
Sternen sich bildende Kreis (Kazwini I, 66). 

Die Verbreitung der arabischen Sternnamen in Deutschland wird 
durch ein astronomisches niederdeutsches Gedicht bestätigt, das seinem 
Ursprunge nach dem 12. Jahrh. angehört, und aus welchem ich dem- 
nächst Mittheilungen bringen werde. Waren sie in Deutschland bekannt, 
dann erklärt sich ihre correctere Form, auch wenn sie in Guiots 
Parzival sich ebenfalls fanden. 

Gelehrte Beziehungen sind ferner Pythagoras, der als großer 
Stern- und Steinekenner bezeichnet wird (der wise Pictagoras, der ein 
astronomierre was .. der kunde wol von steinen sagen XV, 1195 —1200), 
Plato (der pareliure Plätö IX, 981) der als Verkündiger Christi er- 
‚scheint, und in gleicher Eigenschaft Sibille diu prophetisse (IX, 983). 
Wahrscheinlich auf einem Mißverständniss beruht der meister Jeome- 
tras XII, 194. Der orientalischen Gelehrsamkeit gehören die beiden 
Philosophen Kancor und Thebit XIII, 497. In letzterem hat schon 


*) Ich verdanke die arabischen Deutungen Herrn Privatdocenten Dr. Freidrich 
Philippi in Rostock, ᾿ 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL, 133 


San-Marte den berühmten arabischen Arzt, Mathematiker und Philo- 
sophen, T’häbith erkannt, der in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts 
lebte*). Kancor ist vermuthlich Kenkeh, berühmter Arzt und Astronom 
um die Mitte desselben Jahrhunderts mit dem Beinamen ’el- hindi, der 
Indier, was zu seinem Namen passt, der aus dem arabischen nicht er- 
klärt werden kann, wohl aber ist Kanka, eigentlich “der Reiher’, ein 
häufiger indischer Personenname. 

Für alles bisher erwähnte ist eine zweite romanische Quelle für 
Wolframs Parzival nicbt nothwendig, ja nur zum Theil wahrscheinlich ; 
das meiste hat Wolfram aus seinem eigenen Geiste geschöpft, der, wenn 
auch nicht der eines Gelehrten, doch das populär gewordene Wissen 
der Zeit abspiegelt. Die Nothwendigkeit ergibt sich aber aus der Be- 
trachtung der übrigen Namen, unter denen viele einen entschieden 
romanischen Charakter und eine leicht zu erklärende Bedeutung haben. 

Vorher sondern wir ein paar Namen aus, welche zwar bei Ore- 
stien sich nicht finden, aber doch durch sein Gedicht zu erklären sind, 
dessen Text mißverstanden wurde. Die Mißverständnisse spielen über- 
haupt in den deutschen Gedichten, die auf romanischen Vorlagen be- 
ruhen, eine ziemliche Rolle. Sie finden sich bei Herbort von Fritzlar 
und bei Hartmann von Aue (Germ. 7, 183). Bei Wolfram selbst sind 
mehrere derartige nachgewiesen: im Willehalm der künee Antikote aus 
li rois d’antiquite, das lignum älöe aus aloer**). Ich füge hinzu: er sluoc 
Libilün, Arofels swester sun 46, 17 aus fiert le neveu Aarofle le blon "den 
Blonden Bataille d’Aliscanz 351 und gleich darauf 46, 19 Eskelabön 
und Galafre aus gambes levees labat mort el sablon V. 354. So ist 
auch wohl der cläre Jozeranz 14, 25 aus der Zeile en trente leus fu rous 
si jazeranz V.10 zu erklären. Mehrmals sind Appellativa zu Eigennamen 
geworden: Terramers Roß heißt Brahäne 21, 17; im franz. 35 sus la 
breaigne (vgl. en l’aufage brehaigne 5269). Ferner von Griffäne ‘Poydjus 
82, 29 aus Baudus li fels a la chiere grifaigne 1621. Der Name Nöu- 
. patris 22, 18 ist aus laupatri 232 entstanden, und demselben Worte 
verdankt der kümec Cröhier von Oupatrie 359, 4 seinen Beisatz, vergl. 
desi quau tr& Gofier a leupatris 5508. 

Im Parzival sind derartige Fälle: Jeschüte aus Mifsverständniss 
von gisoit ‘lag’: zu III, 418. Vielleicht Löver aus la vers: zu XII, 825; 
Vergulaht aus herbergie Tot: zu VIII, 373; Schaut aus saut: zu VII, 


*) Vgl. Hammer-Purgstall, Literaturgeschichte der Araber 4, 284. 
**) Jonckbloet, Guillaume d’Orange 2, 221 fg, wo aber mit Unrecht auch 
Termis 63, 5 als Mißverständniss aufgefasst ist. 


134 K. BARTSCH 


224; Schanpfanzün aus tans et raison (zu VIII, 140), wenn in der Vor- 
lage etwa tampsereson stand. Eben solche Mifßverständnisse kann Wolf- 
ram seiner zweiten Quelle gegenüber verschuldet haben, um so leichter, 
wenn dieselbe nicht in reinem Französisch, sondeın in einem an das 
südliche Idiom streifenden Dialecte geschrieben war, den man in 
Deutschland weniger kannte, als die nördliche Sprache Wir werden 
auf mehrere der Art am Schlusse unserer Untersuchung hinzudeuten 
haben. 

Wir beginnen mit dem Geschlechte des Helden, welches die 
Hauptgestalten der Handlung umfasst und den Mittelpunkt der ganzen 
Erzählung bildet. 

Der Urvater des Geschlechtes ist Mazadän I, 1667. VIII, 67. 
IX, 673. XII, 73. 77. Maz ist das keltische mac ‘Sohn’. Der Sohn 
Adams ist eine passende Bezeichnung für den Urahn einer alten 
Familie. Ihn entführte eine Fee Terdelaschoye (I, 1669. ΧΗ, 75) in 
das Feenland Feimurgän (I, 1668. Fämurgan XII, 74). Hier begegnet 
gleich wieder ein Milsverständniss, da offenbar Terdelaschoye der Name 
des Feenlandes, Feimurgän der Name der Fee ist. Hartmann (Erec 5155. 
Iwein 3424) und Ulrich (Lanz. 7185) haben es richtiger aufgefasst; 
Wolfram hat auch VIII, 68. IX, 1898 Fämorgän als Landesnamen. Da 
nun Ürestien weder hier noch später einen Anhalt zu einem Mißver- 
ständniss bietet und überhaupt die Fee nicht nennt (im Erec 1945 
Morgain la fee), so mußs die Stelle auf Guiots Texte beruhen: es klärt 
sich auf, wenn wir annelmen, daß es hieß “er wurde von einer Fee 
entführt en la terre Morgain la fee, ceo fut la terre de la joie, dieß 
kornte Wolfram bei seiner geringen Sprachkenntniss verstehen “in das 
Land Feimorgan‘. 

Mazadän hat zwei Söhne Lazaliez und Brickus oder Prickus 1, 
1665 fg. Jener Name ist imperativisch gebildet, franz. lace-liez, von 
lacer, verknüpfen, verbinden, also “der Verbinder, der Mittelpunkt der 
Frohen‘. a für e wie in den oben $. 123 erwähnten Namen. Einen 
Gegensatz zu ihm scheint der andere Bruder zu bilden, es ist prov. 
bricos, das in der Bedeutung ‘der Unselige' zu nehmen ist. In diesen 
beiden scheidet sich das Geschlecht in zwei Linien: wir betrachten 
‚zuerst die Abstammung des Lazaliez. Sein Sohn ist Addanz I, 1659, 
d. h. französisch Adanz, wobei z nomin. Zeichen ist; das doppelte d 
ist wie rubbin, Sabbins neben rubin, Saböns, auch hat die zweite Hand- 
schriftenklasse Adanz, wie auch die Krone (6857) einen Adanz hat. 

Adanz’ Sohn ist Gandin (1, 229. 285. 403. 1183. 1472. 1656. II, 
649. 1021. III, 561, VIII, 382. 668, IX, 1977. 1985. Tit. 84, 2): er 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 135 


heißt zuerst König von Anschouwe, d. h. Anjou. Das Geschlecht der 
Gralkönige nach Anjou zu versetzen, konnte Wolfram nicht in den 
Sinn kommen, wohl aber einem romanischen Dichter, der entweder in 
Anjou zu Hause war, oder zu dem Fürstenhause von Anjou in einer 
persönlichen Beziehung stand. Um die Mitte des zwölften Jahrhunderts 
war durch Heinrich II von England, den Sohn des Grafen Gottfried 
Plantagenet, von deın er 1151 Anjou und Maine erbte, der 1154 bis 
1189 England beherrschte, dieses Haus zu hohen Ehren gelangt. Heinrich 
und seine Gemahlin Eleonore, die Tochter des Grafen Wilhelm IX von 
Poitou, des ältesten Troubadours, den wir kennen, waren Beförderer 
und Gönner der Poesie und vererbten diese Neigung auf ihre Söhne, 
namentlich auf Richard I, der selbst dichtete. Da ist es leicht er- 
klärlich, daß ein an Heinrichs Hofe lebender Dichter seinen Gönner 
durch die Verknüpfung seines Geschlechtes mit der Gralsage verherr- 
lichte*). So erklärt es sich, daß so viele in der Familie vorkommende 
Namen auch im Parzival erscheinen (San-Marte a. a. Ὁ. 399). Der 
Name von Heinrichs Vater erscheint in Jofreit, in normannischer Form 
für Jeoffroi; so nennt Wolfram, sicherlich Guiot folgend, den Ritter, 
der bei Crestien Gifles heißt (S. 118). Gottfried war aus dem Hause 
Gatinais, und es ist wohl nicht zufällig, daß mit diesem Familiennamen 
der Name des ersten Anschevin im Parzival, Gandin, so nahe sich be- 
rührt: n ist eingeschoben wie in mehreren andern Namen. Lässt man 
den Zusammenhang nicht gelten, so bietet sich für @andin der deutsche 
Name Gando (Förstemann I, 466) dar, aber auch Gandin kam vor und 
ist aus Gandenesheim (a. a. O.) zu fulgern. Es ist der erste deutsche 
Name, dem wir, durch das Romanische hindurchgegangen, hier begegnen. 
Dieß fällt nicht auf, denn ein großer Theil französischer und proven- 
zalischer Namen im Mittelalter hat deutschen Ursprung. Wolfram jedoch 
führt Gandin auf einen andern Ursprung; er bringt ihn in Zusammen- 
hang mit der witen Gandine, der Stadt Gandein in der Steiermark, in 
der Drauebene bei Pettau**) (IX, 1975). Hat diesen Zusammenhang 
auch Guiot gehabt? Und die ganze Reise Trevrezents an die adria- 
tische Küste, durch Friaul, Frinl IX, 1911, nach Aquileja Aglei 1911, 
Cilli, Zilje 1910, durch Steiermark, Stire 1988, am Rohitzscher Berg, 
Röhas 1970, vorüber, nach Gandin 1974, wo die Grajena, Greian 1980, 
in die Drau, Trä 1980, mündet — dieß alles sollte bei Guiot gestanden 
haben? Ich denke, so wenig wie Isenhart, Fridebrant, Schiltune, Her- 


*) Vgl. San Marte Germania 2, 398. Parzival I, 5. XXVII. 
**) Nachgewiesen von Haupt in seiner Zeitschrift 11, 47. 


136 K. BARTSCH 


nant und Herlint. Wie der anklingende Name @omoret ihn an die 
Dichtung von Fridebrant erinnerte, in welcher ein G@amuret vorkam, 
wie der /ac bei Crestien an den König Lac und dessen Stadt Karnant, 
so der Name Gandin, den er bei Guiot fand, an den steirischen gleich- 
lautenden Ortsnamen. Daher es auch eine Fiction, aber ganz im mittel- 
alterlichen Stile ist, daß Gandin von der Stadt Gandin den Namen er- 
halten, wie man fingierte, daß Pontius Pilatus seinen ersten Namen den 
(erdichteten) Kriegen am Pontus verdanke. Wegen der Herkunft aus 
Steier gab nun auch Wolfram dem Geschlechte von Anjou das steie- 
rische Wappen, den Panther, welchen, so viel ich sehe, Anjou nie ge- 
führt hat: das Wappen von Anjou ist die Lilie. So klar und einfach 
dießß nach sonstigen Analogien bei Wolfram ist, so bleibt doch noch 
zu erklären, wie Wolfram zu der genauen Kenntniss von Steiermarks 
Geographie kam. Nichts deutet darauf hin, daß er je in Österreich 
gewesen. Aber er lebte am Thüringer Hofe mit Walther zusammen, 
der gerade in jenen Gegenden, in Steiermark und weiter südlich in 
Kärnten gut bekannt war: er bezeichnet nach Pfeiffer (Walther 2. Aus- 
gabe Nr. 118) grade das Gebiet, welches von Sau, Drau, Mur und 
Po eingefasst ist, als dasjenige, das er genau kenne. Wie natürlich ist 
es, daß Wolfram mit ihm, dem befreundeten Dichter, sein Werk öfter 
besprach, und eine durch das Gespräch hervorgerufene Erwähnung von 
Gandin konnte für Wolfram sehr wohl ein Anlaß zur Localisierung 
auf deutschem Boden sein. 

Nach Anjou = Anschouwe nennt sich derAbkömmling Gandins An- 
schewin, franz. Angevin, und ebenso prov., mit beweglichem n am Schlusse. 
Die Hauptstadt des Landes heißt Böalzenan V, 1132, zusammengesetzt aus 
beals, belsund enan-s prov. Vorsprung, also “Schöne Anhöhe’ ist die Bedeutung. 

Gandin ist verheirathet mit ‚Schöette II, 1018. Tit. 131, 4. Der 
Name ist durch die Endung deutlich als demin. zu erkennen. Die Her- 
leitungen aus joie und joue (Germ. 2, 397) befriedigen nicht. Es ist 
vielmehr Deminutivbildung des deutschen Frauennamens Gauda (Förste- 
mann I, 496), bei welchem J. Grimm an franz. gaude, Reseda, erinnert. 
g ist in den palatalen Laut j übergegangen, wie prov. Gauceran zu 


franz. Joceran sich verhält. Gaudeta, so wäre die prov. Form, ist daher 


franz. joette = Schöette, wie franz. aloette dem prov. alaudeta, Lerche, 
genau entspricht. 

Der Sohn von Schoettens Schwester, deren Namen wir nicht er- 
fahren, ist Kailet von Hoskurast, der König in Spanien ist (1, 737. 923. 
1151 u. s. w.): andere Handschriften schreiben Gaxlet, wie auch immer 
der 1. Titurel hat: die Schreibung mit k entspricht Wolframs Mundart 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 137 


(S. 123). Der Name kann aus dem Lanzelet stammen (ὃ. 127) wie der 
Beiname aus dem Erec (8. 126). Zu deuten ist er aber aus dem deut- 
schen Namen Gailo (Först. I, 455), wovon er ein Deminutivum ist. 
Gailet ist vermählt mit Ritschoyde 11, 764, andere Hss. haben Rischoyde, 
Ritschoude, Richaude. Auch dieser Name ist entschieden deutsch, es ist 
Richildis, Richilt (Först. I, 1047), woraus roman. ganz regelrecht Ri- 
cheude (= Richelde), Richaude werden musste. 

Als Kailets Schwestersohn wird Gaschier oder Gatschier, nach 
Wolframs Weise auch Kaschier, von Normandie bezeichnet (I, 733. 920. 
1127. 1136): er heißt auch der Oriman (I, 1370. II, 196) oder Orman 
(I, 1549). Gaschier, Gatschier ist prov. gagier, gatgier, “der Bürge, zu 
welchem Namen 1, 922 der biutet uns vil gröze habe verglichen werden 
kann. Oriman, Orman sind Nebenformen von Norman: so wechseln 
auch in der Kudrun Normanie und Ormanie, im Willeh. Nöupatris und 
Öupatrie (S. 133), und so steht Neurjente Neuriente für Oriente (zu VII, 
1124. XV, 1105). Die Vorschiebung wie der Wegfall des n erklärt 
sich aus der Zusammenstellung mit von, vonouriente konnte ebenso 
von-nouriente wie von ouriente werden. 

Gandins ältester Sohn ist Gälöes: der Name kommt im ersten 
Buche, wo er doch allein handelnd auftritt, nicht vor, es heißt da nur 
“der König’. Erwähnt wird er erst II, 648. 982. 1011. III, 560 u. 5. w. 
Das ist schon auffallend und kann vermuthen lassen, daß Guiot keinen 
Namen hatte. Dazu kommt daß im Erec (1661) ein Gälöes auftritt 
(S. 126): wahrscheinlich also hat Wolfram daber den Namen entlehnt. 
Stand er bei Guiot, dann wird er Galois gelautet haben, denn Hart- 
mann drückt den Beinamen li Galois bei Crestien 1516 durch von 
Gälöes 1513 aus. Galoes Geliebte heißt Annöre VII, 256, denn der 
Name Föle II, 980 ist richtiger als adj. zu fassen (vgl. die Anm.): sie 
ist Königin von Averre II, 987. Annöre ist Abkürzung von Eleonore, 
prov. Lianor, Wolfram kann Zi als Artikel gefasst und weggelassen 
haben wie bei li orgueillous (S. 120); aber das ist nicht einmal nöthig, 
da San-Marte die Form Aanor nachgewiesen hat (Germ. 2, 399). Ihr 
Land ist Averre d. h. Auvergne, prov. auch Alverne geschrieben (wie 
auch die Krone 5698 schreibt), woraus durch Assimilation Averre (für 
Auverre) geworden ist. Ihr Name erinnert an Heinrichs II Gemahlin 
Eleonore, die von romanischen und auch deutschen (MF. 3, 10) 
Dichtern viel gefeierte schöne, aber leichtsinnige Frau, und dieses Über- 
eintreffen ist wohl nicht zufällig (S. 135). 

Galoes verliert sein Leben vor Munthöri II, 663. Die Endung ἢ 
ist provenzalisch: der Name ist zu deuten als Mont-auri, der goldene 


138 K. BARTSCH 


Berg: für au setzt Wolfram, und wohl schon Guiot, französ. o, wie in 
Schöette (S. 136). 

Der zweite Sohn Gahmuret, auch Gamuret: auch dieser Name ist 
deutsch, Gamarit Förstemann 1, 466. Doch kann diese Deutung nur 
dann angenommen werden, wenn auch Guiot den Namen schon als 
Personennamen hatte und nicht, wie man aus Crestien Gomoret schließen 
dürfte, als Ortsnamen. 

Seine erste Geliebte ist Anpjflise, II, 521 u. 5. w. die Königin von 
Frankreich: sie ist mehr seine mütterliche Freundin, die ihm nach dem 
Tode ihres Gatten Krone und Hand bietet. Den Namen erklärt San- 
Marte (Germ. 2, 392) — afflise, “die Betrübte‘, was auf ihren Zustand als 
verlassene passen würde. Doch ist diese Form aus afr. aflis (= aflie- 
tus) nicht zu folgern. Eher aus prov. afflich (Donatus Provincialis 
S. 53”), wovon fem. afflicha, wofür Anpflise mit eingeschobenem n (vgl. 
Gandin ὃ. 135) und mit s für sch stände, wie man für Munschoie auch 
Munsoie findet. Mehr noch dem Sinne entspräche afolida, fr. affolie, 
“die sterblich Verliebte’, im j. Titurel Anfolise. Der Ausfall des o wäre 
wie der des e in Kingrün u. a. (ὃ. 119). 

Gabmuret vermählt sich zuerst mit der Mohrenkönigin Belacäne 
I, 457. 908. 1718. II, 76. 784. 959 u. 5. w. Der Name bedeutet "Schönes 
Rohr‘, prov. bela cana*), franz. bele cane. Der Vergleich einer schlank 
gewachsenen Frau mit dem schlanken Rohr und ihre Benennung danach 
hat nichts unpassendes. Das a der zweiten Silbe sieht prov. aus, kann 
aber nach Wolframs Weise für franz. e gesetzt sein (S. 123). 

Ihre Hauptstadt heißt Pätelamunt I, 484. II, 171, 815. 953. 1164. 
Der zweite Theil ist offenbar munt, Berg, norm. munt, fr. prov. mont; 
der erste prov. patela, Nebenform von patena (LR. 4, 452) Schüssel’: 
also “Schüsselberg’, nach der schüsselförmigen Gestalt des Berges be- 
nannt. Wegen der Umstellung beider Theile vergl. schahtelacunt zu 
erg: 

Gahmurets und Belacanens Sohn ist Feirefiz, der halb weiße, halb 
schwarze Hautfarbe hat (I, 1698. 1702). Und dieß bezeichnet auch der 
Name; es ist vair fi, "der bunte Sohn’, prov. vaire fills. f steht zur 

_ Bezeichnung von v wie in finteile — ventaille. 

Gahmuret hat eine Schwester Flürdämürs VIII, 666; der Name 
ist gebildet wie Sürdamür “Schwester der Liebe’, Filledämür (Erec 7785) 
“Tochter der Liebe, Sgoidämür (Krone) “Freude der Liebe und be- 


5) Nach Raynouard, LR. 2, 285 soll cana prov. auch Kette, chaäne bedeuten; 
aber die von ihm angeführte Stelle ist unrichtig erklärt. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 139 


deutet "Blume der Liebe, Liebesblüthe’: für in dem Sinne des voll- 
kommensten wie das mhd. bluome: zu Parz. I, 1162. Flurdamur ist ver- 
mählt mit Kingrisin VIII, 667. IX, 382. X, 11. Dieser Name gehört 
zu demselben Stamme wie der bald zu "erwähnende Kingriväls. Ihre 
Kinder sind Vergulaht und Antikonie. Jener Name ist wahrscheinlich 
aus einem Milsverständniss von Crestiens Texte entstanden (S. 133): 
dazu stimmt, dal er bei der ersten Erwähnung (VI, 1249) nur König 
von Ascalun genannt wird, aber kein Name, der erst VIII, 65 vor- 
kommt. Auch Antikonie könnte aus einem Mißsverständniss hervorge- 
gangen sein: bei Crestien 7382 heißt es von ihr et jure com femme 
anuie; wenn in Wolframs Vorlage stand et jure ensicomanuie, so konnte 
daraus, wenn man die zusammengeschriebenen Worte als Namen fasste, 
anticonie werden, mit Ausfall einer Silbe, wie ascalun — escavalon. 
Aber zu bedenken ist die Neigung Guiots, die wir noch öfter bemerken 
werden, griechische Namen zu verwenden. Antikonie kann gradezu 
Antigone, gesprochen Antigoni, sein. Denn daß sie in Südfrankreich 
gekannt war, bezeugt der gleichzeitige Troubadour Arnaut von Mar- 
oill, der neben einander Antigona und Esmena (Crest. prov. 93, 13) 
nennt. 

Durch Gahmuret hängt das Geschlecht von Anjou mit dem Ge- 
schlechte der Gralkönige zusammen, indem er sich mit Herzeloyde ver- 
mählt. Die Gralburg heißt bei Wolfram Munsalvaesche oder Montsal- 
vätsche*) V, 812. 956. VI, 191. 1109. 1169. 1523 u. s. w. Die Her- 
leitung aus mons salvationis, die San-Marte (Germ. 2, 392) vertritt, 
wird allerdings durch den jüngern Titurel scheinbar unterstützt, der 
den Nanıen durch der behalten bere übersetzt, aber sie ist aus sprach- 
lichen Gründen zu verwerfen. Es ist vielmehr mons silvatieus, franz. 
mont-salvage, prov. mon-salvatge, d. h. Wilder Berg, Berg der Wildniss, 
der Waldeinsamkeit', und dazu stimmt durchaus die Lage der Burg, 
wie Wolfram sie schildert. Das Land heißt Terre de salvaesche, sal- 
vätsche "Land der Wilde’ V, 814. Statt Munsalvaesche kommt auch ein- 
mal vor Salväsche ah muntäne V, 1141 ἃ. h. “Wilde am Berge, im Ge- 
birge’. Auffallend ist nun, daß der Name von Wolframs Besitzung 
Wildenbere (V, 193) dasselbe bedeutet, und der Dichter wohl absichtlich 
in der Schilderung der prächtigen Gralburg seinen ärmlichen Wohnsitz 
erwähnt. Ist demnach Munsalvaesche nur eine humoristisch gemeinte 
Übersetzung ins Romanische? Dann freilich hätte Wolfram auch alle 
andern romanischen Namen erfinden können. Daran ist doch wohl im 


*) ae steht fast nur in D: Lachmann zu 251, 2. 


140 K. BARTSCH 


Ernste nicht zu denken, aber ein sonderbarer Zufall bleibt dieß Zu- 
sammentreffen immerhin. 

Der erste Gralpfleger ist Titurel V, 815. IX, 677. 1240. 2062. 
XVI, 795. 892. Tit. 1. 12. Sarr-Marte (Germ. 2, 390) erklärt den Namen 
als tuterel “der Beschützer, Pfleger‘, aus tuterie abgeleitet: das würde 
allerdings zu seinem Amte passen. Der Name kann aus Hartmann 
(Erec 1650) entlehnt sein; daher auch eine Deutung unsicher ist. Man 
dürfte, da in der Sippe mehrfach deutsche Namen vorkommen, an 
Herleitung von Tiether denken: v in der zweiten unbetonten Silbe ist 
wie in Kanculat, el aber romanische Ableitung, die auch an deutsche 
Worte (prov. bendel von benda, Binde) angehängt wird: Titurel wäre 
zu vergleichen mit Diderot. 

Sein Sohn ist Frimutel V, 184 u. 5. w. Tit. 7. 12. Wie Titur an 
Tiether, so gemahnt Frimut an. den deutschen Namen Frimunt Först. 
I, 418; die Ableitung el ist bei beiden Namen dieselbe, ein Nasal 
wäre ausgefallen, wie in anderen Namen (Gandin, Anpflise) einge- 
schoben. 

Seine fünf Kinder sind Anfortas, Trevrezent, Schoysiäne, Repanse 
de Schoye und Herzeloyde, die Gattin Gahmurets. 

Anfortas, der zum Tode verwundete, der aber nicht sterben kann, 
ist entweder prov. enfermas — enfermatz, “der Kranke’*); noch näher 
liegt das franz. enfertes = enfertez in derselben Bedeutung, aus infirmi- 
tatus, wie enfertez aus infirmitatem. Die Endung as ist aber provenza- 
lisch, die Form also eine Mischform, wie boutonade, dorade, saluade 
Rom. und Pastour. I, 28, 15. 21. 27. 

Trevrezent ist im letzten Theile prov. rezems, redemptus, “wieder- 
erkauft, erlöst‘; trev aber ist prov. treu “Frieden, Ruhe‘: der Name be- 
zeichnet also, ganz zutreffend, denjenigen, der den Frieden: wieder er- 
rungen hat, durch sein Lossagen von der Welt, indem er Einsiedler 
wurde. Ob er wirklich bei Guiot ein Name war, steht dahin, und ob 
nicht vielmehr bei ihm sich Trevrezent als denjenigen bloß bezeichnet, 
der den Frieden wiedererlangt, und erst Wolfram daraus einen Namen 
machte, 

Schoysiäne ist prov. Jauziana, Gauziana, gebildet wie gauzionda, 
von gauzir, jauzir, also "die Fröhliche’ oder besser “die Freudespendende'. 
Aber der Name kann auch deutschen Ursprunges sein, wie bei mehreren 
ihrer Sippe; er ist auf Gauda zurückzuführen, mit anderer Ableitung 
als Schöette (S. 136), Förstemann I, 496 führt die Dativform Gausanae 


*) Über die Erweichung von prov. tz in s vgl. Sancta Agnes 8. XV—XVI. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 141 


an. oy entspricht dem ou in Herzeloyde, -oude. Sie ist vermählt mit 
Kiöt von Katelangen IV, 219, auch Katalange ἃ. h. Guiot von Catalagna, 
Catelaigne, Uatalonien (IX, 1324). 

Beider Tochter ist Sigüne: auch dieser Name ist deutsch, wie 
schon J. Grimm (Zeitschrift, I, 8) anzudeuten scheint. Es ist Femininum 
zu Seguin d. h. deutsch Sigiwin, Sigwin Först. I, 1079, also Sigiwina, 
wenn auch diese weibliche Bildung nicht: nachgewiesen ist, so wird 
sie glaublich durch andere Bildungen mit wina (Först. I, 1315 fg.). 

Durch Sigune hängt das Geschlecht des Grals mit der Familie 
von Gurnemanz zusammen, indem sie dessen Enkel Schionätulander 
liebt. Gurnemanz, auch Gurnamanz (111, 1382. 1396) kam schon bei 
Crestien vor: gleichwohl können wir nach seiner Bedeutung forschen. 
Deutsche und romanische Namen mischen sich auch in seiner Familie. 
Bei gurne darf man an roman. guernir, deutsch warnen, denken, und 
das würde zu seiner Stellung als Warner und Berather Parzivals 
stimmen, aber dann müsste schon Ürestien den Namen nicht unent- 
stellt gelassen haben, denn er schreibt G@ornomanz. Der Name kann 
ganz deutsch sein, Warinman (Först. I, 1270) würde roman. guerneman 
ergeben. 

Seine Söhne sind 1. Schentaflürs, Schenteflürs 111, 1855. IV, 470. 
565. 1050. Der Name ist durchsichtig genug, prov. genta flors, franz. 
norm. gente flurs, "liebliche Blüthe, passender freilich für eine Frau, 
wie im Erec 7786 Genteflür eine solche bezeichnet, aber doch auch 
nicht unpassend für den in schönster Jugendblüthe gestorbenen jungen 
Mann. 2. Lascoyt III, 1867: hier gehen die Hss. sehr auseinander und 
gewähren keine Sicherheit. Scoyt ist offenbar derselbe Name wie Schoyt 
im Willeh. 356, 20, wo die St. Galler Hs. auch Scoyt hat, andere Hss. 
tschoit; auch kann der Name Scos im Erec 1681 verglichen werden, 
ferner vielleicht Schaut VII, 224 und Anm. Da sch auch gutturales g 
vertritt wie in Schöette, Schoysiäne, so kann Schoyt, Schaut der deutsche 
Name Gaut (Först. I, 493) sein. Der dritte Sohn heißt Gurzgri, nach 
Wolframs Weise auch Kurzgri, Kurzkı? (V, 1871. VIIL, 950. Tit. 41. 43. 
u. 8. w.): die Endung ist prov. gri, franz. grin, wie in Isengri, Isengrin, 
Isengrim, und wir kommen dadurch auf deutschen Stamm. gurz würde 
hochdeutsch wurz sein. Warzo, Werzo sind deutsche Namen, wohl de- 
minutive Formen: vgl. Förstemann I, 1264. 1328. Gurzgri ist mit 
Mahaute vermählt (V, 1872. 1880. Tit. 42. 131. 132): in diesem Namen 
ist schon längst die französische Form für Mehtilt, Mathilde, altfr. 
Mahaut, erkannt worden. Der Name ist also durch eine französische 
Quelle Wolfram überliefert, und diese war Ürestiens Gedicht nicht, 


142 Κ. BARTSCH 


Bemerkt muß noch werden, daß auch dieser Name in dem Hause 
Anjou begegnet: so hieß Heinrichs II Mutter; auch das ist wohl kein 
Zufall. 

Die einzige Tochter von Gurnemanz heißt Liäze III, 1791. San- 
Marte (Germ. 2, 394) erklärt es aus liois, also: "die Weiße. Wegen 
der abweichenden Endung hat man wohl eher an leas, “treu, aufrichtig‘, 
prov. bials, neben lejals, zu denken. 

Gurzgri und Mahaute haben zwei Söhne, der eine Gandilüz VII, 
950 tritt unter den Gawan begleitenden Edelknaben auf. Ich habe 
dort den Namen als imperat. gebildet aus gandir prov., vermeiden, 
fliehen, und prov. lutz, Licht, erklärt. Dieser Deutung steht nicht im 
Wege, daß der Name schon in Crestiens (1689) und Hartmanns (1637) 
Erec als Gandelus vorkommt. Aber zweifelhaft wird dadurch ob der 
Name bei Guiot vorkam. Vielleicht stammt aus dieser Quelle auch 
Mahautens Bruder Ehcunat, Ehcunaht (III, 1875. VIII, 465. X, 16. 
Tit. 42, 1), im Titurel auch Ehkunaver 144, 4. Fasst man letztere Form 
ins Auge, so kann darin ein deutsches Eginwer liegen: Zusammen- 
setzungen mit war, wer (Först. I, 1258) sind häufig. Doch wird die 
erstere Form, die durch Reime bezeugt ist, die mafßgebende sein, und 
diese erinnert an Zguinot in Hartmanns Erec 1668. 

Wichtiger ist Gurzgris zweiter Sohn, der Geliebte Sigunens, 
Schiänatulander 111, 677, im Titurel Schiönatulander, und ebenso im 
j. Titurel. Der Anlaut T'sch in @ deutet auf romanischen Ursprung, 
ebenso die Endung Zander, die an lalander aus la lande (S. 117) er- 
innert. schionat ist joenet ‘jung. Für u lander hat eine Hs. de lander, 
danach wäre die Bedeutung "li joenet de [la] lande, der Jüngling von 
der Aue. Passender aber ist li joenet ἃ Valant “der Jüngling mit dem 
Hunde’ (afr. alant), weil dieser Hund, der bracke, für sein Schicksal 
gradezu entscheidend ist. Vor lant ist die gleichbeginnende Silbe a 
ausgefallen, wie ähnlich in Escavalon = Ascalün; wegen lant, lander 
vergleicht sich Lalant, Lalander (5.117). Ist diese Deutung richtig, dann 
kann Wolfram den Namen nicht aus dem Ganatulander in Hartmanns 
Erec (S. 126) haben, sondern dieser und andere Namen sind vielmehr 
später inden Erec übergegangen. Schionatulander heißt der fürste üz Gras- 
waldäne Tit. 86, 2 oder der junge talfin üz Gräswaldän 95, 2. Gemeint 
ist die Grafschaft Graisivodan in der Dauphind und auf dieses Land 
weist auch der Name talfön hin. Wie käme Wolfram zu der Kenntniss 
dieser wenig bekannten Grafschaft, wenn er sie nicht in seiner Quelle 
fand? Und selbst einen romanischen Dichter konnten nur besondere 
Beziehungen veranlassen, Graisivodan in die Sage hineinzuziehen, einen 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 143 


Theil der Sage dort zu localisieren. Das ist aber am natürlichsten, 
wenn der Dichter, wenn Guiot in dieser Gegend heimisch war, und 
durch diese Annahme erscheint der Provenzäle Guiot Wolframs in einem 
weniger auffallenden Lichte. 

Doch wir kehren zu den Kindern Frimutels zurück. Schoysiane 
hat noch zwei Schwestern. Repanse de Schoye, die gewürdigt ist den 
Gral zu tragen, nachher vermählt mit Feirefiz, heißt in den andern 
Hss. und im Titurel Urrepanse. Der Beisatz de schoye — de joie ist 
klar und weist den ganzen Namen auf romanischen Ursprung. repanse 
von prov. repensa (von repensar, wie pensa von pensar), Gedanke, In- 
begriff’ ; also ‘der Inbegriff der Freude. Sie scheint jünger als Herze- 
loyde, die Gemahlin Gahmurets. Im Titurel wird Herzeloude geschrieben: 
an herzeleide, wie die Übersetzungen schreiben, ist natürlich nicht zu 
denken (vgl. Germ. 2, 392). Im j. Titurel 1068, 4 heißt es der name 
Herzelouden alsus verwehselt wart in herzekrachen, was wie eine Deutung 
aussieht, aber doch nur des ersten Theiles auf herze. II, 763, wo der 
Name zuerst vorkommt, reimt er auf Ritschoyde. Wie in diesem und 
in Mahaute der zweite Theil hxlde ist, so auch in oyde, oude von Herze- 
loyde. Das vorausgehende / findet sich in mehreren Zusammensetzungen 
mit hild eingeschoben, Godalhildis neben Godahildis, Judelhildis neben 
Judildis, Airlildis (für Arihildis) neben Harihildis. Der erste Theil kann 
entweder Hardo sein, und Hardolildis = Hardoildis kommt vor (Förstem. 
I, 608), oder noch näher stehend Harchelildis für Harchehildis, was 
allerdings in dieser Zusammensetzung nicht nachweislich ist, aber in 
der ähnlichen Harchelindis (I, 603). Harchelildis musste aber franz. 
Herceleude, Hercelaude geben: eu aus el = ü. Die Herleitung der drei 
Namen Herzeloyde, Rischoyde, Mahaute, die alle demselben großen Ge- 
schlechte angehören, ist aber nicht etwa ein Beweis für einen deutschen 
Ursprung der Gralsage, sondern erklärt sich aus dem Fortleben deut- 
scher Namen in Frankreich. Ihre entschieden romanische Form bezeugt 
den Durchgang durch romanische Quellen, und diese Quelle kann für 
Wolfram keine andere als Guiot sein. 

Herzeloyde war zuerst mit Castis verlobt, der aber starb ohne 
ihre Minne genossen zu haben (IX, 1846. Tit. 26, 1. 27, 1). Der Name 
bedeutet li castes, chastes ‘der Keusche', was zutrifft, da er vor der 
vollzogenen Vermählung starb. Durch ihn fielen ihr die Länder Wäleis 
und Norgäls mit den Hauptstädten Kanvoleis, auch Kanvoleiz, und 
Kingriväls zu. Wäleis ἃ. h. Galois, das Gebiet von (@ales, fand Wolfram 
in Crestiens Gedichte vor (ὃ. 116). Norgäls (II, 1333. III, 363. 745. 
1X, 1853. XVI, 485. Tit. 84, 1, 156, 1) bezeichnet ursprünglich Nord- 


144 K. BARTSCH 


Wales, fr. Nor-Gales, bei Wolfram also Nord-Valois. Die Hauptstadt 
ist Kingriväls (II, 1334. III, 746. IX, 1854. XVI, 486. Tit. 156, 2) in 
ihrem zweiten Theile wohl vals, Thal, mit nomin. 8. Was den ersten 
betrifft, so würde es französisch Guingre sein. Ortsnamen die mit Guin, 
Guing anfangen, gibt es in Frankreich mehrere. Wenn sie deutschen 
Ursprungs sind, wie bei Guinkirchen in Lothringen entschieden der 
Fall, kann man an Winiger (Först. I, 1318) denken, also “Wingersthal', 
wie Wingershausen vorkommt (Först. 2, 1542). Die Hauptstadt von 
Waleis dagegen ist Kanvoleis (11, 28, 44. 466. 554) oder Kanvoleiz (II 
837. Tit. 26. 35): im ersten Theile steckt wohl franz. cans, campus, und 
voleis steht vermuthlich für valeis, also “champ valois'. 

Den Namen ihres Sohnes Parziväl, bei Crestien Perceval, in prov. 
Quellen Persevals, Persavals, haben wir schon oben (ὃ. 116 f.) besprochen. 
Parzival vermählt sich mit Condwiramärs: der Name bedeutet, wie ich 
zu UI, 1856 angegeben habe, coin de voire amors, "Typus, Ideal der 
wahren Liebe; die Auswerfung des e ist wie in Kingrün (ὃ. 119). Die 
Deutung San-Martes aus conduire-amour (Germ. 2, 407) ist sprachlich 
unmöglich, da man wohl mit dem Imperativ, aber nicht mit dem In- 
finitiv Namen zusammensetzen kann. Ihr Name ist dem Sinne durchaus 
entsprechend; ihre Ehe mit Parzival entspricht in der That dem Ideal 
in ihrer Reinheit und Keuschheit, der gleichwohl die berechtigte Sinn- 
lichkeit nicht fehlt. Crestien hat Blancheflour (S. 122): wenn davon 
Wolfram abwich, so musste er einen andern Namen in seiner zweiten 
Quelle, in Guiot gefunden haben, der ihm passender erschien. 

Ihre beiden Kinder sind Kardeiz und Loherangrin. Kardeiz steht 
wohl für cordeiz — cordez, in burgundischer Schreibung, “der Beherzte': 
Wechsel zwischen « und o auch in Kanvoleis. Schwieriger ist der 
zweite Name; die Endung gr?n weist auf deutsches grim, der Name 
mithin auf deutschen Ursprung. Der vordere Theil sieht wie franz. 
Loherain, Lothringer, aus, aber das könnte nicht mit grim zusammen- 
gesetzt werden. Die deutsche Namenform ist wohl Hlodgrim (vgl. die 
Nebenform Flotgrim bei Förstem. I, 697), mit erweitertem Stamm Hlo- 
dergrim, wie Floderlindis vorkommt (I, 698). 

Condwiramurs ist die Tochter des Königs Tampenteire, Tampun- 
teire IV, 44 u. s. w.; der Name ist imperativisch gebildet: prov. tampir 
“einschließen ; also tamp-en-taire wörtlich “Hüll’ in Schweigen‘. Sein 
Königreich heißt Bröbarz IV. 36, im Tit. Brübarz, wie auch im Par- 
zival Hss. haben: im ersten Theile vielleicht prov. brus, Busch; bard 
als zweiten Theil von Ortsnamen weist Förstemann 2, 185 nach, der 
es als undeutsch bezeichnet. In dieser Familie scheinen die Namen 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 145 


ausschließlich romanisch. Seine Hauptstadt, deren Namen auch Crestien 
hat, nennt Wolfram Pelrapeire = Belrepaire (ὃ. 118). Unter den Orts- 
namen, die so heilien, hat nach der vom Dichter gedachten südlichen 
Lage den meisten Anspruch Beaurepaire bei Vienne an der Rhone, 
wenn überhaupt an eine bestimmte Ortschaft gedacht ist. 

Seine Brüder sind K%öt von Katelangen, Guiot von Catalanien, 
der mit Schoystäne vermäblt ist (ὃ. 140), und Manpfiljöt oder Manfilot, 
ein Name, den Wolfram wahrscheinlich aus Hartmanns Erec ent- 
lehnt hat, wenn er nicht dort vielmehr aus Wolfram interpoliert ist 
(vgl. S. 126). Außer Condwiramurs hat Tampenteire noch einen Sohn, 
der wie Parzivals eines Kind Kardeiz heißt (VI, 402. Tit. 28, 1). 

Nachdem wir so die eine von dem Urvater Mazadän (ὃ. 134) ab- 
stammende Linie, die mit Lazaliez (S. 134) anhebt, nach allen ihren 
Zweigen verfolgt haben, bleibt die andere übrig, die sich auf Brickus 
zurückführt. In ihr begegnen keine deutschen Namen, nur romanische 
und celtische; sie bildet auch den Mittelpunkt des celtischen Bestand- 
theiles der Sage. So ist gleich der Name des Stammvaters Brickus 
vielleicht auf celtischen Ursprung zurückzuleiten; denn wenn auch der 
vorgeschlagenen Ableitung von bricos (S. 134) sprachlich nichts im 
Wege steht, so fügt sich die Bedeutung schlecht. Daher ist San-Martes 
Meinung, es sei der celtische Dryt, mit lat. Endung Drytus, viel an- 
nehmbarer. Von ihm stammt Utepandragün, der mit Arnive vermählt 
ist. Beide Namen fand Wolfram schon bei Crestien vor. Von einer 
Schwester Utepandraguns, deren Name nicht überliefert ist, stammt 
Ither von Gaheviez, auch Gahaviez, Kahaviez (UL, 881. 1025. 1179 u. 5. w.), 
der rothe Ritter, der König von Kukümerlant (= Urestiens Ainkerloi). 
Die Entlehnung des Namens aus Hartmanns Eree ist schon oben ab- 
gewiesen. Der Name Ithör, franz. Ider, ist wälsch (Germ. 2, 397): der 
Beiname Gaheviez aber bedeutet gas-viez “alter Wald’, wobei s für α; 
steht, wie in beäs — beax, und von Wolfram durch A ausgedrückt ist, 
wie in schahtel, ohteiz u. 5. w. (zu VI, 1354). Das e oder «a ist Bindevocal 
in der Zusammensetzung, eingefügt wie in feirefiz = vair fiz (133). Der 
Beiname erinnert daran, daß Ürestien ihn de la forest de Kinkerloi 
nennt. 

Utepandraguns Sohn ist Artüs, dessen Gemahlin @inover, beide 
Namen bekannt; ihr Sohn ist Zlinöt, über den oben (S. 128) gesprochen 
worden, dessen Geliebte Flörie den erkennbaren Namen “die Blühende’ 
trägt: so heißt auch Flörie de Lünel, eine der Graljungfrauen, ΧΥῚ, 585, 
aus Lunel im südlichen Frankreich. Von einer Schwester Artus’ stammt 
Gaherjet, dessen Name auch bri Urestien vorkommt (δ. 118). Eine 

GERMANISTISCHE STUDIEN. I, 10 


146 K. BARTSCH 


andere Schwester ist Sang?ve VI, 1642 u. 5. w., in deren Namenform 
die Hss. sehr abweichen: am erklärlichsten ist die Form Saive d. ἢ. 
‘die Weise‘, franz. saive, prov. savia. Sie ist vermählt mit dem: König 
Löt, dessen Name auch bei Crestien vorkommt: aber nicht als König 
von Norwaege, Norwegen, welcher Beisatz wohl erst von Wolfram her- 
rührt, der auch der aus dem Tristrant entlehnten Garschiloye den Bei- 
namen von Gruonlant gibt (XVI, 584), wobei J. Grimm an das @roen- 
landsfylki der norwegischen Landschaft Vik denkt (Zeitschrift I, 8): 
wie er auch im ersten Buche, das so viele deutsche Namen enthält, 
Helden von Gruonlanden (I, 1439) einführt, und den Knappen Lanzidant 
aus Gruonlant stammen lässt (II, 864). 

Beider Kinder sind 1. Gäwän, dessen Name bekanntlich wälsch 
ist. Er vermählt sich mit der nach schweren Kämpfen erworbenen 
Orgilüse von Lögroys, bei Crestien La Orgueillouse de Logres, deren 
ersten Geliebten Wolfram Cidegast nennt, ebenfalls mit dem Beisatz 
de Lögroys (I, 259. XII, 696). Der Name hat, wie der zweite Theil 
zeigt, deutschen Ursprung. Auch Namen mit Cit kommen im Deutschen 
vor, wie Oitger, Zitiwart (Först. I, 1370), und so ist auch ein Citigast 
unbedenklich anzunehmen. 

2. Beäcurs, zuerst I, 1265 erwähnt und wegen seiner Schönheit 
gerühmt, bedeutet, wie Wolfram selbst IV, 250 übersetzt, schoener Lip, 
franz. beau cors. Daß Crestien dafür den Namen Agrevain hat, wurde 
schon oben bemerkt (δ. 122): entweder hatte Guiot den bei Wolfram 
vorkommenden Namen, oder Wolfram hat ihn aus einem Epitheton 
zum Eigennamen gemacht. 

3. Sürdämür, der Gemahlin des Griechenkaisers Alexander: von 
dieser wurde oben (ὃ. 128) gehandelt. 

4. Cundrie, nicht mit Cundrie lasurziere zu verwechseln: der Name 
bedeutet conr£de, von conreer, ‘schmücken’, also "die Geschmückte’. Sie 
wird vermählt mit Zischoys Gwelljus, dessen Name aus [ὶ orgueillous 
bei Crestien entstellt ist (S. 120). Er heißt XI, 1213 u. 5. w. der 
Herzog von G@öwerzön, welcher Name auffallend an das mittellat. caver- 
zinus, mhd. käwerzin, kouwerzin (mhd. Wb. I, 793. Schmeller 2, 275. 
Erlös. 6517) erinnert. 

5. Itonj6, auch dieser Name ist französisch, und leicht zu erklären: 
es ist idoine, idonie, die “Kluge, Anstellige. Sie vermählt sich mit 
Gramoflanz, bei Crestien Guiromelans (ὃ. 121). Er ist der Sohn des 
Königs Iröt XII, 649, in anderen Hss. auch Gyrot, Kyrot. Das g ist 
vorgeschoben vor ὁ wie g (= sch) in Lischoys, Schirniel, und noch 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 147 


"mehr wie in /bert, Gibert. Ist es das ursprüngliche, dann ist der Name 
= prov. Giraut, Guiraldus. 

In den besprochenen Namen sind alle Hauptgestalten der Dichtung 
bereits behandelt. Es bleibt aber trotzdem noch ein bedeutender Rest 
von Namen, die allerdings weniger in die Handlung eingreifen, oft 
nur einmal erwähnt werden, und bei denen Entlehnung aus verschiedenen 
Quellen durch Wolfram am unbedenklichsten anzunehmen wäre. Gleich- 
wohl dienen auch viele von ihnen zur Bestätigung der gewonnenen 
Resultate, daß die Namen theils romanisch, theils deutsch, aber in 
romanisierter Form sind. 

Wir gehen dabei der Reihenfolge der Bücher nach. 

I. Romanische Personennamen. Einer der Fürsten von Azagouc 
heißt Razalie I, 1209 u. s. w.; der Name ist imperat. gebildet wie viele 
andere, von prov. raissar, zerreissen, auch die Endung ἐς weist aufs 
Provenzalische. Er wird entstellt sein aus reissa’nie —= (eniec), “der Ver- 
niehter des Ungerechten, des Unrechts’, Bezeichnung für einen ge- 
rechten Fürsten. Lahfilirost schahtelakunt 1, 1279 ist in dem zweiten 
Worte klar; es bedeutet Burggraf = cuns del chastel, umgestellt wie 
in Pätelamunt (ὃ. 138). Wie hier a epenthetisch eingefügt ist (vgl. 
Gahaviez ὃ. 145), so ὁ in dem ersten Worte: lah steht für leh (a = ὁ 
S. 123), den franz. Artikel (lek cons III, 173), filirost also ‚Al-Rost, der 
Sohn von Rost. Rost ist deutscher Name, aus welchem der prov. häufige 
Rostanh ahgeleitet ist. 

Hardiz, der König von Gascäne (1, 1420) Gaseön (11, 171) ist 
“der Kühne‘, franz. hardiz, prov. arditz. Der Name könnte aus dem 
Erec entlehnt sein, wo ein Hardiz Cr. 1685 (H. 1633) vorkommt. 
Seine Schwester ποι Alize (II, 270), ein bekannter franz. Name Aalis, 
Aelis, Aliz. Diesen Namen kann Wolfram aus der Bataille d’Aliscanz 
entnommen haben, wo König Loys Tochter so heilt. 

Schyolarz von Poytouwe Il, 295 ist in der Landesbezeichnung klar: 
es ist Poitou, prov. Peiteu, Peitau. Der andere Name ist prov. guia- 
larcs, imperat. gebildet, ‘der Führer der Freigebigen’, also auch eine 
passende Bezeichnung für einen Fürsten. gu sollte allerdings durch g 
oder k wiedergegeben sein (Kiöt, Gwiot), allein da die Hss. auch gidar 
giar schreiben, so konnte die palatale Aussprache fälschlich eindringen, 
wie g und 7 auch wirklich wechseln (S. 123): das palatale 4 drückt 
aber Wolfram durch sch aus. 

Schafillör heißt 11, 606 der König von Arragün, Arragonien, andere 
Hss. schreiben Tischiflor. Dieser Anlaut weist auf romanische Her- 
kunft, g oder j. Er erinnert an Güfles bei Crestien (6099. 11187), or 

10* 


148 K. BARTSCH 


sieht wie Deminutivbildung aus, die um des Reimes willen aus ot 
entstellt ist, also aus Giflot. 

Die Edelknaben, welche Anpflise an Gahmuret schickt, heißen 
Lanzidant II, 863, Liadarz 867 und Liahturteltart 873. Die beiden 
ersten haben romanisches Gepräge: Lanzidant erkläre ich aus prov. 
lanza-dan, "der Verderbenschleuderer ; Liadarz ebenso aus prov. lia-darz, 
“der Pfeilbinder', beide Namen dem Kampfe entlehnt und daher für 
künftige Ritter passend, der zweite zugleich dem Knappendienste ent- 
sprechend. Das ὦ in der zweiten Silbe von Lanzidant ist wie in Gardiviaz, 
wovon nachher. Schwieriger ist der dritte Name; in den drei letzten Silben 
glaube ich turnel’dart prov. tornaldart, zu erkennen, ebenfalls imperat. und 
“Pfeildreher' bedeutend; n für t wie in dem nachher zu erwähnenden Pun- 
turteis. Leicht zu erklären sind die Namen von des letztgenannten Eltern, 
der Mutter Beäflürs "Schöne Blume’ II, 871, vgl. beä flürs XIV, 1603, und 
des Vaters Pansämürs “Sinne-Liebe' II, 872, beide Namen ganz passend. 

Gahmurets Meisterknappe heißt Tampanis 11, 1385; der Name 
ist im Anfang wie Tampenteire (ὃ. 144) gebildet und auf tampir zurück- 
zuführen: tampa-nis prov. "Schließ-das-Nest’ ist seine eigentliche Be- 
deutung. 

Imäne von der Beäfontäne, welche Meljahkanz geraubt hat, (III, 
281), istim zweiten Namen klar, bele fontaine "von dem schönen Brunnen’. 
Imäne sieht wie ein Femin. zu I/mäin Eree 175 aus: da nun dieser 
Name bei Crestien nicht vorkommt, sondern einem Mißverständniss 
entspringt (Germ. 7, 183), so ist gleiches bei Wolfram zu vermuthen 
und vielleicht ein © maine (präs. von mener) die Quelle desselben. 

Grigorz IV, 926 ist die französische Form von Gregorius, mit nomin. 
8. Cundrie lasurziere VI, 986 u. 5. w. in ihrem Beinamen la soreiere, die 
Zauberin, klar. Cundrie aber ist franz. conree, “die Lohfarbige'‘, was zu 
ihrer Beschreibung gevar als eins affen hüt VI, 1025 durchaus passt. 
Die Einschiebung des d zwischen n und r wie in Cundrie (S. 146), 
franz. tendre u. s. w. Die Verschiedenheit der Ableitung erklärt auch 
die verschiedene Betonung der Namen bei Wolfram; das © kann aus 
einer burgundischen Form (conreie, conreiee) sich erklären. 

Im VII. Buche tritt der König Poydiconjunz auf (VOL, 171); in 
dem zweiten Theile finde ich d’Iconiun, von Iconium, der kleinasiati- 
schen, den Kreuzfahrern wohlbekannten Stadt, bei Hartmann (Erec 2066) 
Conne. Poy erinnert an den Namen Boydurant Erec 2692, Crest. 2172. 
Der neben ihm genannte duc Astor de Lanverunz oder Lanvarunz (VII, 
172) trägt einen in Südfrankreich nicht seltenen Namen, prov. Austorec, 
wofür man auch Astor findet; er kommt nochmals XV, 1106 vor. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 149 


De Lanverunz erkläre ich de l’anviron, im Sinne des mhd. bilant, "Nach- 
barland’. 

Lippaut VII, 292 ist entweder entstellt aus Tiebaut (Crestien) 
oder bedeutet li bauz “der Kühne’ (vgl. 5. 120). Seine Töchter heißen 
Obie und Obilöt (VII, 233. 234): letzterer Name zeigt sich durch die 
Endung ot als französisch (vgl. Margot u. a.) und ist wahrscheinlich 
auf franz. belot ein hübsches Kind’ zurückzuführen; das o kann ent- 
weder aus der vorstehenden präpos. o entstanden sein, wenn es hieß 
obie o belot, was auch obr’e obelot aufgefasst werden konnte, oder es ist 
hinzugefügt, um einen Gleichklang mit dem Namen der älteren Schwester 
zu erreichen. Obie aber ist auf das verb. obier ‘sich rühren zurückzu- 
führen, bedeutet also “die rührige, bewegliche, was zu ihrem leiden- 
schaftlichen Wesen passt. 

VII, 499 wird Schirniel, der König von Lirivoin, genannt; der 
Name wird auch mit isch geschrieben, was auf roman. Ursprung weist; 
er ist wohl entstellt aus irnel, Nebenform von isnel, ‘der Schnelle’, mit 
vorgeschobenem 7 aus i, wie in Lischoys gwelljus aus li orqueillous, 
(vgl. auch Ibert, Iröt mit Gibert, Giröt). Lirivoyn könnte im 1. Theil 
prov. liri, “Lilie sein; oy weist auf romanisches ou, au, der Name kann 
also auf aun, d. h. zweisilbig aus audun (Laudunum) geendet haben. 

Obilots Gespielin heißt Clauditte VII, 1044, wie auch eine der 
Geliebten von Feirefiz genannt wird (XV, 1127) und die Schwester von 
Florie von Kanadie (Tit. 185, 2): es ist demin. Form von Claude, lat. 
Claudia, also wohl eher zu den aus dem Lateinischen entlehnten Namen 
zu stellen. 

Im neunten Buche wird Lybböäls genannt (IX, 1225), der aus 
Prienlascors stammt, woher auch Poytewin de Prienlascors II, 404 ist. 
Jener Name ist %i beals, “der Schöne’, und vielleicht ursprünglich gar 
kein Eigenname gewesen. Der Beiname Prienlascors ist imper. gebildet: 
prien von priendre, premere, bedrängen, las cors, prov. las cortz, fr. 
les cors, also einen bezeichnend ‘der die Höfe der Fürsten aufsucht’. 
Wenn man darin eher einen Personennamen erblicken dürfte, so darf 
man an die Verwechslung in Terdelaschoye, aber auch an appellative 
Namen wie Walther von Habenichts u. a. erinnern, 

Der Bruder Cundriens Malcröätiure X, 436 führt einen leicht 
verständlichen Namen, male creature “übles Geschöpf’, was zu seinem 
Aussehen und Charakter passt. Der treulose Ritter Vrians X, 649, 
heißt bei Crestien Griogoras, so stark abweichend, daß man einen 
verschiedenen Namen bei Guiot anzunehmen geneigt ist (S. 120). Es 
ist wohl ein sinnvoll gewählter Name, friand, nom. frians, “der Lecker’, 


150 K. BARTSCH 


und dem entspricht die Rolle, die er als Jungfrauenschänder spielt. 
Derselbe Name ist wohl auch Vriam de Vermendoys XIII, 1146, aus 
Vermendois in Frankreich. 

Der Name von des Fährmanns Tochter Böne X, 1435 u. 5. w. 
ist schwer zu deuten. Roquefort I, 145 führt Bene als Abkürzungsform 
für Beneoit an. Sollte der Name einem Mißverständniss seinen Ursprung 
verdanken: bei Crestien heißt es, wo Gawan mit dem Fährmann spricht 
que beneois soit vostre osteus 8977? 

Den Namen des Zauberers Olinschor, der zuerst X, 1355 erwähnt 
wird, kennt Crestien nicht: ich habe in der Anmerkung an den Zau- 
berer Eliaures erinnert, der aber doch noch fern genug liegt. San- 
Marte erklärt den Namen aus clincher, woraus aber die Bedeutung “der 
Lüsterne kaum gefolgert werden kann. Da ihn Crestien bezeichnet 
als uns sages elers d’astronomie (8910), so darf man eher eine Entstellung 
aus clergeot, prov. clergier glauben: die Veränderung der Endung wäre 
wie in Schifilor aus Giflot (S. 147 ἢ). 

Flörant der turkoyte, aus Ποίας XII, 1233 u. 5. w. zeigt schon 
durch sein Prädicat seinen romanischen Ursprung. Florant nom. Florans 
ist der Name Florens, “der Blübende’, wie Flörie (S. 145) die Blühende. 
Ποίας deutet durch die Endung ac auf Südfrankreich hin; er erinnert 
an Idrac in Südfrankreich, mit Vertauschung des ὦ und r und Ein- 
schiebung eines epenthetischen Vocales. 

Neben dem schon erwähnten Vriam de Vermendoys XIII, 1146 
steht kuns Kitschart de Nävers 1147; beide Namen sind französisch. 
Richart de Nevers; im Willeh. heißt der Ortsname Nivers 413, 18. 

Unter den Feirefiz nachfolgenden Königen begegnet Gabarins 
XV, 1089; der Name erinnert an den provenzalischen Gabaret, nur 
mit anderer Ableitung, in statt et, das s weist auch auf roman. Form 
(nomin. 5) hin. Weiter der König Jetacrance von Gampfassäsche XV, 1108; 
sein Name ist auf prov. Jeta-gram-s zurückzuführen: “der den Feind 
zurückwerfende’; der Name seines Landes ist gent-passage “der schöne 
Weg‘, ein Name, der schon XIV, 1348 vorkam. Der Graf Jürans 
XV, 1109 ist prov. franz. jurans, “der Schwörende. Nicht minder 
finden in der Reihe der von-Parzival besiegten Könige sich entschieden 
romanische Namen. Der Name des Königs von Avendroyn (VII, 500) 
war früher nicht genannt: hier (XV, 1142) heißt er Mirabel, ein pro- 
venzalischer Ortsname, der hier zu einem Personennamen gemacht 
ist; doch kann es seiner Bedeutung nach “Blicke-schön’ auch eine 
Person bezeichnen. So ist vielleicht auch sSerabil von Rozokarz XV, 
1143 aus dem provenz. zu erklären, jenes für Sercabel, der das Schöne 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 151 


sucht, wie Sercamon Name eines Troubadours ist. Der Beiname Rozo- 
karz ist aus rozer, nagen, schinden, und garz, Diener, Knecht, zu- 
sammengesetzt, bedeutet also einen “Leuteschinder’ und ist als Beiname 
zu fassen wie Prienlascors (8. 149). 

Strangedorz von Villegarunz, einer der von Parzival besiegten 
Könige XV, 1146 ist prov. estreignedor, der Dränger; doch kann man 
auch an estraneor Bat. d’Al. 37 denken. Zu dem provenzal. Worte 
stimmt jedoch besser Villegarunz, wofür andere Η 88. Villegram haben, 
es wäre prov. Villagrana. Der gleich darauf genannte Rogedäl XV, 1147 
ist ebenfalls aus dem prov. zu erklären, von rogar, Nebenform für 
rodar, wenden, und dalh, Sichel, also rogadalh, der Sichelwender. ‚Jove- 
dast von Arl ein Provenzäl XV, 1162 ist schon durch die beiden letzten 
Namen als ein Südfranzose bezeichnet: dast steht wohl für dats, und 
ist lat. datus, Jovedats vielleicht gebildet wie Deodatus. 

Die Graljungfrau Clarischanze XVI, 594, die Gräfin von Tena- 
broc, ist Crestiens Clarissanz (ὃ. 122), die aber bei ihm eine andere 
Stellung hat. 

II. Romanische Ortsnamen haben wir bei den Personennamen 
schon wiederholt gefunden und erklärt. Dazu kommen noch folgende. 
Leöpläne 11, 168. 1051 ist franz. lee plaine, weite Ebene; vgl. 80 ouch 
was der plän wol sö breit. Das o der zweiten Silbe fanden wir auch in 
Schiolarz, es hat ebensowenig wie das a (S. 123) in unbetonten Silben 
etwas zu bedeuten. Dafs Wolfram den Namen nicht als vollen Eigennamen 
betrachtete, geht aus der Beifügung des Artikels der hervor. 

Punturteis, Punturtois, ein Land oder eine Stadt, wovon Brande- 
lidelin König ist (II, 260 u. 5. w.), ist zusammengesetzt aus Punt = 
pont, Brücke, und turteis, Fackel. Ortsnamen mit Pont sind im Roma- 
nischen ebenso häufig wie im Deutschen mit Brück, Bruck, Brücken. 
Turteis kann aber auch entstellt sein aus turneis; pontorneis ist eine 
Brücke, die aufgedreht werden kann. Der Ausdruck kommt auch im 
Conte del Graal (Crest. 139) vor, und kann daher von Wolfram ent- 
lehnt sein. 

Im dritten Buche heißt Karnahkarnanz, dessen Namen ich nicht 
zu deuten vermag, leh cons Ulterlec (III, 173); letzterer Name ist ‘der 
Graf jenseits des Sees’, ultre lac. Auf gleiche Herkunft weisen die 
Namen Ukerlant (IV, 782) und Ukerse (IV, 930); es ist utre, lat. ultra, 
entstellt oder gelesen ucre: vgl. zu IV, 782. 

Die Hauptstadt des Reiches Ascalun heißt Schanpfanzün VI, 1250; 
(der erste Theil kann allerdings champ sein, wie die Anm. angibt, die 
‚zu VIII, 140 bemerkte Möglichkeit eines Mißverständnisses ist bei der 


152 K. BARTSCH 


Schreibung tampjereson erklärlich. Aber der Name kann auch aus 
gente-facun, “schöner Anblick erklärt werden; vgl. Gampfassäsche ὃ. 150. 
Die Einschiebung des n wäre wie in Gandin (8. 135) und Anpflise 
(S. 138). Auf romanische Herkunft weist in jedem Fall die Schreibung 
tsch einiger Hss. und die Endung äün. 

Beärosche VII, 333, die Burg Lippauts, ist klar: es ist bele roche, 
“der schöne Felsen’; das adj. steht in männlicher Form wie in Böä- 
fontäne (ὃ. 148). Semblidae VII, 400 trägt durch die Endung ac ebenso 
wie Ποίας (ὃ. 150) ein südfranzösisches Gepräge, ohne daß der Name 
wie dieser an einen bestimmten Ort angeknüpft werden könnte. 

Die Muntäne clüse VII, 1344, wo Artus’ Leute gefangen werden, 
ist klar: der Name bedeutet montaigne-cluse, Bergschlucht, Engpaß im 
Gebirge, aber clüse weist aufs Provenzalische, elusa, während franz. close. 
So ist auch leh kuns de Muntäne VII, 1321 von selbst verständlich, 
der Graf vom Berge, Gebirge. 

Die Namen Laehtamris VIII, 797 und Laeprisin XVI, 1032 sind 
zusammenzunehmen und offenbar gleich gebildet. tamris und prisin 
sind Baumnamen (XII, 582), jener lat. tamarix, Tamariske, prisin da- 
gegen das provenz. brezilh (LR. 2, 258), franz. bresil, mit verändertem 
Auslaute. /aeh habe ich in der Anm. zu VIII, 797 als afr. les, neben, 
bei, erklärt: richtiger ist wohl fr. lais, durch den Wald gehauener 
Weg, denn beide Namen bezeichnen Wälder; für s steht A, vgl. zu 
VL, 1354. 

Funtäne la salvätsche, wo Trevrezent wohnt, IX, 583, ist wieder 
leicht verständlich, fontaine la salvage, der wilde Brunnen. Jöflanze, 
wo der Zweikampf zwischen Gawan und Gramoflanz stattfinden soll, 
wird in den Hss. auch mit sch, tsch geschrieben, was auf romanischen 
Anlaut deutet. Es erinnert an Djofle im Lanz. 2670 und könnte daher 
entnommen sein. Wenn wang, Feld, und wanga, Wange, zu demselben 
Stamme gehören, was nicht unwahrscheinlich (Graff I, 894), dann darf 
man an franz. joufle, Wange, erinnern. Eine weitere Möglichkeit wäre, 
daß der Name aus dem appell. place entstellt wäre, vgl. Crest. 10222 
revenrons en ceste place arme. 

Der Fluß Poinzaclins XIV, 68 ist franz. poins-aclins, aber der 

' Name ist so wenig wie Sabins ursprünglich ein Flußname (ὅ. -121), 
sondern erst durch Mißverständniss dazu geworden. Vermuthlich ein 
auf einer δ] θ᾽ gelegener Ort. Die wazzerveste stat von Punt XIV, 98 
ist punt —= pont, Brücke, wie auch Ortsnamen in Frankreich wie 
Deutschland lauten. Auch Bernout de Kiviers XIV, 118 ist in seinem 
Beinamen auf das Wasser zu beziehen: Rivieres, Bach, prov. Ribeiras, 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 153 


mehrere Orte dieses Namens kommen im südlichen Frankreich vor. 
Affinamus de Chitiers XIV, 842 sieht im Beinamen ebenso gebildet aus 
wie Riviers, worauf es auch reimt; es wäre also franz. Clitieres, allein 
einen solchen Ortsnamen kenne ich nicht, man müsste denn Entstellung 
aus Citers annehmen. 

Pelpiunte XIV, 900, woher gute pfelle kommen, ist wohl erfundener 
Name, franz. Bel-point, “schöner Punkt, oder Bel-punt, Scehönbrück. 
Gleichen Schluß hat der Name Schipelpjonte XV, 1086, Willeh. 356 
Skipelpunte; Schipel wäre roman. gibel, Mongibel ist provenzal. Orts- 
name (Peire Vidal 29, 3), und so ist dieses Pont-gibel, mit Umstellung 
wie Pätelamunt für Mont-patela und schahtelacunt für cuns du schastel 
(5. 147). Rivigitas XV, 1090 klingt ebenfalls romanisch, der erste Theil 
ist wohl rive, Ufer. Schamilöt, wohin Artus reitet (XVI, 1057), erinnert 
an Schamliers im Erec 2328, ist aber doch wohl nicht daher entlehnt, 
sondern franz. champelet, champelot, kleines Feld, Feldchen. 

Im Titurel ist Beuframunt 186, 3 in der Endung entschieden ro- _ 
manisch, es ist munt, Berg, für den ersten Theil hat der j. Titurel 
Pover, man könnte an Mont-Bovon mit Umstellung denken. Klar da- 
gegen ist Flöritschanz, wo Artus’ Turnier stattfindet, 208, 3, es ist 
chans-floris, das blühende Feld. Den Beinamen Eheunahts, de Salväsch 
flörien 187, I erklärt Wolfram selbst durch von Bluom der wilde 188, 4. 

II. Romanische Namen von Thieren. Im Parz. IV, 925 das Ποῦ 
Guverjorz, wofür G Guferschurz hat, weist durch sch = 7 auf roma- 
nische Herkunft; z ist nomin. Zeichen, guverjor aber cuevre-jor, imper. 
gebildet, verdecke den Tag d. h. die glänzende Farbe des Pferdes 
verdunkelt den Glanz des Tages. Auf die leuchtende Farbe bezieht 
sich auch wohl der Pferdename Traküne Tit. 229, 1, es ist franz. dragon, 
Drache, die tenues ganz nach Wolframs Mundart. 

Am bedeutsamsten ist der Name des Bracken Gardeviaz 179, 4, 
oder Gardiviaz, was Wolfram durch hüete der verte übersetzt. Es ist 
prov. garda-vias, hüte die Wege, und dieser Name allein beweist nicht 
nur die romanische Quelle für den Titurel, sondern auch deren zum 
Theil südliche Sprachfärbung. 

IV. Deutsche Personennamen außer den in Parzivals Familie 
vorkommenden sind noch Poytewin II, 404, was ich in der Anmerkung 
aus Baudouin, Balduin, erklärt habe, also deutscher Name, durchs 
romanische hindurchgegangen. Es kann aber auch Poitevin, Bewohner 
von Poitou sein, mit weggelassenem Artikel, wie in Orilus = li orqueil- 
lous. Auch der Name von Isenharts Vater, Tankanis 1. 773, 1510; 
vgl. den deutschen Namen Thanco bei Förstemann I, 1149 und die 


154 K. BARTSCH 


daselbst nachgewiesene Form Donconi. In Sicilien herrscht ein König 
Ibert, in G @ibert, XIII, 896: wenn letztere Form die ursprüngliche, 
dann ist es der deutsche Name Wicbert, Wibert Först. I, 1294, der 
romanisch Guibert lauten muß. Das Verhältniss der Formen ist das- 
selbe wie in Jröt—Giröt (ὃ. 146), wo letzterer Name auch deutschen 
Ursprungs ist. Bernout de Riviers, auch Bernous mit nomin. 5 XIV, 
108 ist der deutsche Name Dernold Först, I, 234, mit Auflösung des 
lin u; auch Gernout, wie andere Hss. haben, ist deutsch, G@ernolt 
Först. I, 512. 

V. Antike Namen. Wir bemerkten bei Antikonie (ὃ. 139), daß 
dieser Name am wahrscheinlichsten auf Antigone zurückzuführen sei. 
Es ist dieß nicht der einzige Name, der antikes Gepräge hat. Latei- 
nische Namen von Personen und Orten sind die folgenden. Pompeius 
II, 1292, wobei sich Wolfram auf die Quelle ausdrücklich bezieht (den 
nennet d’äventiure alsus): wenn er dabei auf den bekannten Gegner 
Cäsars verweist, so braucht er allerdings diese Verweisung nicht aus 
seiner Quelle entnommen zu haben. Ferner die Heidenkönigin Eckubä 
von Janfüse (VI, 1036. 1431. 1441. 1681) ist Hecuba. Der Name ihres 
Landes oder Volkes ist jant —= gent, Volk, und fuse, lat. fusa, also 
gens fusa, das verwirrte Volk, mit Beziehung auf den verworrenen 
Glauben, der Name des Volkes für den Landesnamen, wie häufig. Wie 
die deutschen Namen, so erscheint auch der lateinische hier durch die 
romanische Form hindurchgegangen. Lateinisch ist auch der Name von 
Feirefiz Geliebter, der heidnischen Königin Secundille X, 482; er er- 
innert an mehrere französische Frauennamen, wie Segullene, Seglene, ist 
aber wohl direct aus Secundus gebildet, lat. Secundihia. Auch Clauditte, 
eine andere Geliebte des Feirefiz, ist auf lat. Claudia mit romanischer 
Endung, itte für ette, zurückzuführen (ὃ. 136) In der Reihe der Könige, 
die Feirefiz folgen, sind lateinisch zunächst Papirus oder Papiris XV, 
1081, lat. Papirius. Tridanz XV, 1085 ist wohl lat. Tridens, Dreizack, 
vermuthlich nach seiner Waffe benannt. Noch deutlicher ist der König 
Translapins 1090, es ist transalpins, lat. transalpinus, der jenseit der 
Alpen wohnende. 

Zahlreicher sind die griechischen Namen. Der Fürst Pröthizilas 
I, 804 ist offenbar Protesilaus, aber wieder durch romanische Form 
hindurchgegangen. Pompejus Bruder heißt /pomidön ἃ. h. Hippomedon 
II, 1293. Der Mann, der zu schweigen gelobt hat, heißt Antanor LI, 
1099, griech. ’Avrnvoe, dor.’Avravwe. Der Heide Flegetänis IX, 623 hängt 
mit dem Namen des Höllenflusses Flegetön zusammen, den Wolfram 
aus der Eneit kannte (IX, 1473). Der Name wäre griech. φλεγεϑώνιος, 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 155 


“der brennende’; einen solchen einem Heiden beigelegt zu finden darf 
uns nicht befremden. 

Die Gemahlin des Königs Ibert von Sicilien, die mit Clinschor 
buhlt, heißt Iblis XII, 897. Den Namen hat San-Marte in einem 
Drucke des Jahres 1519 nachgewiesen, was aber nicht auf die Quelle 
führen hilft, da diese vielmehr in Wolfram zu suchen ist. Der 
Name hängt mit dem der sicilischen Stadt Hybla zusammen, deren 
Gründung auf einen König Hyblon zurückgeführt wird. Der Name be- 
zeichnet also eine Frau aus Hybla, griech. Ὑβλήσιος, gesprochen 
(h)iblis-ios. 

In der Reihe besiegter Könige mehren sich die griechischen 
Namen. Der König Papirus von Trogodjente XV, 1081 ist in seinem 
Landesnamen wohl griechisch: es ist der König der Trogloditae, der 
Höhlenbewohner in Aethiopien. Kalomidente 1082 sieht im ersten Theile 
wie eine Zusammensetzung mit καλὸ aus; wahrscheinlicher aber ist 
eine Ableitung von κάλαμος, und die Bedeutung “Rohrland’. Der 
König Farjelastis von Affricke 1083 könnte als Περιελαστής, gesprochen 
Perjelastis, “der Umhergetriebene’ gedeutet werden, mit Bezug auf viele 
Züge und Fahrten, die er gemacht. Liddamus von Agrippe 1084 ist 
wohl griech. Laodamas,; bei dem Landesnamen kann man an den der 
Schnäbelleute in der Ernstsage denken, aber auch an die griechische 
Stadt ’Ayoınnıds. Tinodente 1085 könnte leicht die Insel Tenedos be- 
deuten. Der König Milön von Nomadjentesin 1088 kann einen romani- 
schen Namen haben, Mile, obl. Milon, aber ebensowohl der griechische 
Name Milon sein: Nomadjentesin ist Νομαδική, Numidien, mit adjectiv. 
Weiterbildung, Nomadiensis. Der Graf Filones von Hiberborticöon 1091 
ist im Landesnamen deutlich erkennbar als Hyperboreicum, das Land 
der Hyperboreer, on drückt romanisch das latein. um aus. Filones aber 
ist griech. Philon, das es erklärt sich aus dem roman. nomin. 8, Filons. 
Gleich darauf folgt der König Killicrates von Centriün 1092, jenes ist 
der griech. Name Kallikrates, dieses entstanden aus Κενταύρων. der 
Centauren. Deutlich ist ferner Lysander 1093, sein Landesname /popo- 
titicon ist vielleicht Hyperponticon, das Land jenseit des Pontus. Der 
Herzog Tirid& von Ehixodjön 1094 ist vielleicht Τιρύνϑιος, der Tiryn- 
ther, der Name seines Landes kann auf den Fluß ᾿Βλισσῶν oder auf 
den Berg Ἑλικών, mit adject. Bildung Ἑλικωνίων, der Helikonier, be- 
zogen werden. Der Name Thöaris 1095 erinnert an den griechischen 
Namen Thoas, der des Landes Satarthjonte 1096 an den der Stadt 
Sadakora. Statt Amincas haben andere Hss. Amintas, und dieß ist wohl 
die echte Form, griech. Amyntas; sein Landesname Sotofeititön ist wie 


156 K. BARTSCH 


die gleich endenden Akiberborticöon und Ipopotiticon wohl auch griechi- 
schen Ursprungs. Auf solchen weist auch der Schluß des Namens 
Duscontemedön 1098, auf die Meder und Medien. Possizonjus 1100 ist griech. 
Poseidonios, lat. Posidonius, das z erklärt sich daraus, daß d zwischen 
zwei Vocalen prov. in z übergeht (auzir aus audire). Eddissön 1102 
ist auf Kdessa zurückzuführen, ein Bewohner dieser Stadt. Der Herzog 
Meiones von Atropfagente 1104 ist im Landesnamen deutlich das Land 
der Androphagen oder Anthropophagen, der Menschenesser; Meiones ist 
aber der Maeonier, Malov, wobei es wie in Prlones aus dem romani- 
schen nomin. s entstanden ist. Der Herzog Archeinor von Nourjente 
1105 ist Archenor; die Variante Archinor bezeichnet die mittelalterliche 
Aussprache des Namens. Von Nourjente ist von ouriente, vom Oriente 
(vgl. S. 137). Panfatis 1106 klingt auch an griechische Namen an. 
Affinamus von Amantasin 1110: ein Affinamus de Clitiers kam schon 
XIV, 842 vor: sollte der Name das griech. ἐπένομος sein? Dann wäre 
bei Chhitiers an das arcadische Chitorium, bei Amantasin an die Völker- 
schaft der Amantes, Amanteni zu denken, mit adject. (roman.) Endung 
zur Bezeichnung des Landes. 

In der zweiten Königreihe XV, 1140—1164 begegnen wenig 
griechische Namen. Sicher nur Jeroplis 1151, es ist Hieropolis, wie 
Jerusalem—Hierosolymae; auch der Name des Königs Jerneganz wird 
daher in seinem ersten Theile Zieroni- enthalten. 

Es ist nicht zufällig, daß diese griechischen und lateinischen 
Namen fast ausschließlich auf Heiden sich angewendet finden. Die 
antiken Götter wurden im Mittelalter zu sarrazenischen Götternamen; 
so benannte man auch die sarrazenischen Fürsten und Völker mit Namen 
aus der Antike. Aber gewiß nicht erst Wolfram, dem man solche 
Kenntniss schwerlich zutrauen darf. Daß er sie vielmehr aus seiner 
romanischen Quelle, also aus Guiot, aufgenommen, lehrt nicht nur der 
Umstand, dafs sie Hindurchgang durchs Romanische mehrfach zeigen, 
daß sie mit romanischen Namen untermischt sind, sondern mehr noch 
der, daß die bei Wolfram jedes metrischen Maßes spottenden Zeilen, 
in denen die Namen vorkommen, bei der Rückübertragung ins Roma- 
nische regulär werden, z. B. 

De Lirivoin li roi Isnel, 
d’Avendroin ses frer*) Mirabel, 
rois Sercabel de Rozogarz, 
rois Bibleson de Lorneparz, 


*) frair im prov. einsilbig neben fraire. 


DIE EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL UND TITUREL. 157 


de Sirnegon rois Senilgorz, 

de Villegrane Estrangedorz , 

de Mirnetal cons Rogedal 

et de Bleyedonz Laudunal u. s. w. 

VI. Von orientalischen Personennamen ist nur der König Zarö- 
aster von Aräbie XV, 1099 zu erwähnen. Es ist der bekannte persische 
Gesetzgeber Zoroaster. 

Zum Schluß betrachten wir die Anlehnung an bestimmte geo- 
graphische Verhältnisse. Gehen wir dabei von Frankreich aus, so be- 
gegnen wir dem Namen Francriche und französ. Franze, daneben dem 
deutschen Namen Kärlingen. Von Provinzen des nördlichen Frankreichs 
werden erwähnt Normandie, Britäne (Bretagne), Wäleis (Valois), Ver- 
mendoys, Schampäne (Champagne), Anschouwe (Anjou), dazu die Städte 
Wizsant, Arraz, Röems, Päris, Troys, Sessün (Soissons), Beäveys (Beau- 

 vais), Nantes, Nävers. Auf der Grenze liegt Poytouwe (Poitou) und Bur- 

gund. Dem Süden gehören an Gascäne (Gascogne), Averre (Auvergne), 
Provenze, Gräswaldäne (Graisivodan); auch die Dauphinee ist aus talfin 
zu folgern. Dazu die Städte Arl, Beaurepaire, Lunel, Rivieres. Nach 
Spanien führen hinüber die Landesnamen Späne, Katelangen, Arragün, 
Galiciä und weiter Portegäl, die Ortsnamen Agramont, Vedrün (zu 
VII, 651) und Dölet, Toledo. Dagegen nach dem Norden Zngellant, 
Schotten, Irlant, Curnewäls und Kukümerlant, die Ortsnamen Lunders 
und wohl auch Sinzester. Noch weiter nördlich Norwaege und Gruon- 
lant (ὃ. 146). Südlicher Tenemarke, und dann auf deutschem Boden der 
Landesname Stire und die Ortsnamen G@andine, Greiän, Röhas, Trä 
und Zilje. Nach Westen Bräbant und Hänouwe, letzterer in romanischer 
Form (Hainaut) für Henegöu. Nach Süden kommen wir nach Italien, 
hier die Landesnamen Früül, Terrä de Labür und Sieilje, die Ortsnamen 
Aglei, Röme, Cäps, Näpels und Kalot enbolot. Kriechen (Griechenland) 
wird nur beiläufig erwähnt. 

Gehen wir von Euröpä nach Affrieä, Affricke hinüber, so finden 
wir hier nur Marroch als Anhaltepunkt; außerdem Alerandrie und 
Babilön, worunter nicht das asiatische, sondern das ägyptische (bei 
Kairo) zu verstehen ist. Zahlreicher sind die Namen in Asid, die 
Ländernamen Ponciä, das Land am Pontus, Persia, Aräbi, (Aräbie), 
Sürin (Syrien), weiter östlich Indid, und noch weiter Söres, das chine- 
sische Reich. Dann die Ortsnamen Angram, wahrscheinlich Agra mit 
eingeschobenem Nasallaute Ascalün (Ascalon), Baldac (Bagdad, franz. 
Baldac, Baudac), Dämase, Hälap (Aleppo), Jeroplis (Hieropolis), 
Ninnive, Ranculat (Hrhomglat), T’hasme, wohl die durch Seidenbau be- 


158 K. BARTSCH, EIGENNAMEN IN WOLFRAMS PARZIVAL U. TITUREL. 


rühmte Landschaft Thasima (einige Hss. haben auch Tasine), und Triant, 
wobei das mhd. Wb. 2, 1, 489” an das italienische Vorgebirge Trianto 
denkt, doch ist wohl eher das ostindische Trivanda-patam gemeint. 
Noch fallen nach Asien die Flüsse Ganjas (Ganges), Eufrätes und Tigris. 
Der fernere Orient greift aber fast gar nicht in die Handlung ein, 
sondern die Bezüge darauf sind beiläufige Erwähnungen. 

Wie wir beim Texte ÜCrestiens einigen Mißverständnissen be- 
gegneten, denen Eigennamen ihren Ursprung verdanken, so sind solche 
wahrscheinlich auch Guiot gegenüber anzunehmen. So vielleicht bei 
Imäne aus i maine (ὃ. 148), ferner bei Aunnewäre IIL, 581, der Schwester 
des Orilus. Vermuthlich hieß sie im Original la pucele ἃ la gonne vaire, 
die Jungfrau mit dem bunten Gewande, wie Obilot bei Crestien la 
pucele as manches petites, die Jungfrau mit den kleinen Ermeln (zu 
VII, 234) heißt. Endlich Jeschäte (111, 418 u. 5. w.). Daß dieser Name 
aus dem prät. gisoit bei Crestien zu erklären sei, wurde oben (S. 133) 
bemerkt. Aber noch näher liegt an die prov. Participialform jaguda, 
welche franz. göue ist, zu denken: in einer Übergangsmundart konnte 
sie jegude lauten (vgl. donade etc. Rom. u. Pastour. I, 28), und diese 
ergab, da Wolfram gutturales g zuweilen durch sch ausdrückt (S. 123), 
genau Jeschüte. Ist diese Deutung richtig, so ergibt sich daraus auch, daß 
Crestien im Ausdruck an Guiots Dichtung sich oft treu anschloß; er 
drückte durch gisoit aus, was bei Guiot fut jegude hiel. 

Die Deutung der Namen, wie ich sie versucht, kann im einzelnen 
angefochten und bezweifelt werden; im Ganzen aber wird man ein- 
räumen müssen, daß sie genau mit dem Sinne der bei Crestien und 
in andern Dichtungen dieses Kreises vorkommenden zusammentrifft. 
Im Lanzelet Ulrichs sind die meisten Beinamen solche Sinnnamen, 
d.h. in besonderer Beziehung auf eine Eigenschaft der Person oder des 
Ortes gebildete Namen. 

Wenn wir unter den Namen manche antike, namentlich griechische 
finden, so befremdet das viel weniger bei der Annahme, Wolfram habe 
sie aus Guiot entnommen, als wenn wir sie von ihm erfunden glauben: 
Denn in Frankreich, und zumal im Süden, waren die antiken Reminis- 
cenzen viel lebhafter als in Deutschland. Im Süden aber war Guiot 
heimisch, das beweist seine Bekanntschaft mit wenig allgemein be- 
kannten Örtlichkeiten in Südfrankreich und dem nördlichen Spanien. 
War er nun nicht gerade aus der Provence gebürtig, wie Wolfram an- 
deutet, indem er ihn einen Provenzäl nennt und sagt, daß aus Provenze 
in deutsche Lande die ungefälschte Erzählung gekommen, so schrieb 
er doch sicher in einer Sprache, die an das südfranzösische Idiom 


KARL SCHRÖDER, ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 159 


stark streifte. Das beweisen unwiderleglich zahlreiche der bei Wolf- 
ram vorkommenden Namen. Aber auch die Herkunft aus der Provence 
ist keineswegs ganz unwahrscheinlich, und bestärken kann sie die 
Rolle, welche der Name Gräswaldän in den Titurelbruchstücken spielt 
(8.142 f.). Schrieb demnach Guiot in reinem Provenzalisch, so lag Wolf- 
ram jedenfalls sein Werk in einer französischen Redaction vor, etwa 
wie der Girart de Rossillo in der Oxforder oder Londoner Handschrift. 
Wahrscheinlicher bleibt aber immer, daß die Mischung des französi- 
schen und provenzalischen Elements der Sprache Guiots schon ur- 
sprünglich eigen war, und daß), wenn er auch aus der Provence stammte, 
er, auf dem Gebiete lebend, welches sein Gönner Heinrich II, beherrschte, 
und dieß erstreckte sich südlich bis Poitou und Saint-Onge, in der 
Übergangsmundart dieser Gegenden dichtete. 
ROSTOCK, December 1870. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 


Im ersten Bande der Germanistischen Studien p. 247 ff. habe ich 
Nachricht gegeben von einem mitteldeutschen Gedichte, dem Segen 
Jacobs, welches anscheinend nur eine Überarbeitung des entsprechenden 
Abschnittes aus der in den Fundgruben (und bei Diemer p. 105 ff.) 
abgedruckten Genesis sei*). Ich wusste damals nicht, — und wie die 
Verhältnisse einmal liegen, ist es kaum mehr als Zufall, daß ich es 
heute weiß, — welchem größeren Werke jenes Gedicht als Theil an- 


*) Nach Gervinus Gesch. ἃ. deutschen Dichtung 1° p. 183 beruht dieser Ab- 
schnitt auf dem Commentar des Isidor zur Genesis (Isid. Opp. V [Romae 1802.] p. 345 fl.). 
Diese Angabe braucht nicht bestritten zu werden. Trotzdem bleibt mir nach genauerer 
Prüfung mindestens zweifelhaft, ob der Dichter des Segen Jacobs’ jene Genesis kannte. 
Der bezügliche Passus aus Isidors Commentar ist nämlich in allem Wesentlichen, 
nur stilistisch verändert, in die Historia Scholastica (Gen. cap. 102 fi.) aufgenommen, 
und aus ihr wird jener Diehter ihn entnommen haben. Daß da, wo zwei Leute eine 
wesentlich gleiche Vorlage aus dem Lateinischen in deutsche Reime übersetzen, ab 
und an sich große Ähnlichkeiten, ja ein paar Mal gleiche Reimworte finden, ist wohl 
nicht auffällig. Die in der Genesis fehlenden, in jenem Gedichte aber vorhandenen 
synchronistischen Angaben sind entnommen aus Gottfrieds von Viterbo Pantheon (bei 
Pistorius—Struve II, p. 83°); die von mir a. a. Ὁ. p. 294 monierte Stelle von Artus 
_ erledigt sich durch einen Blick auf Gottfried a. ἃ. O.: Mortuo Api, filius ejus Argus 


patri successit in regnum, 


160 KARL SCHRÖDER 


gehörte: es ist nämlich ausgelöst aus der bekannten pseudorudolfischen 
oder sog. Christherre-Weltchronik, und findet sich der Segen Jacobs 
nebst einigen andern Proben aus der Handschrift der Leipziger Paulina 
(MS. 791) abgedruckt bei Horn Nützliche Sammlungen zu einer histori- 
schen Handbibliothek (Leipzig 1728) p. 784 ft. 

Nun habe ich damals, wenn auch mit Vorbehalt, die Meinung 
ausgesprochen: es möchte der Segen Jacobs von demselben Dichter 
herrühren wie die Hester und das Passional. Diese Ansicht, so könnte 
es nun scheinen, wird hinfällig, wenn der Segen Jacobs als ein Stück 
aus der Christherre-Chronik erkannt ist. Dennoch bin ich gesonnen, 
meine Ansicht aufrecht zu erhalten, und es ist der Zweck nachfolgender 
Zeilen, die Frage aufzuwerfen und zu erörtern: ob nicht etwa der 
Dichter der Christherre-Chronik auch der des Passionals sei? 

Gleich anfänglich kann gefragt werden: ob denn der Schreiber 
der Berliner Hs. MS. Germ. Oct. 56, der dem Segen Jacobs die Hester 
ohne Absatz, dann freilich mit Absatz den Patrieius, folgen ließ, gar 
nicht wusste was er that, sondern die Werke zweier ganz verschiedener 
Dichter so verschmolz. Und doch konnte der Schreiber leicht noch 
ein Zeitgenosse des Passionaldichters sein. Doch darf natürlich auf 
diese Thatsache ein bedeutendes Gewicht nicht gelegt werden. Wichtiger 
aber ist die Erwägung: wenn einmal durch die Hester der Nachweis 
geliefert ist, daß der Dichter des Passional sich nicht auf das neue 
Testament und die Heiligenlegende beschränkte, sondern auch einen 
alttestamentlichen Stoff behandelte, — ist es bei den offenbaren und 
ausgesprochenen cyklischen Bestrebungen des Dichters wahrscheinlich 
oder glaublich, daß er einzig die Hester dem alten Testament entnahm? 
Liegt nicht vielmehr die Vermuthung außerordentlich nahe, daß er, 
der das Leiden Christi, die Geschichte der Maria und der Apostel, das 
ganze Passional und das Leben der Väter dichterisch behandelte, in 
gleicher Weise auch die Hauptmomente der biblischen Geschichte 
alten Testaments darzustellen unternahm, daß er außer der Hester 
auch etwa den Hiob, die Judith, die Maccabäer in den Kreis seiner 
Werke zog, ja ἀδ er von der Schöpfung anfieng? So allein würde 
das ganze staunenswerthe Unternehmen einen richtigen Abschluß finden! 
Wir sind also mindestens berechtigt, ja fast gezwungen uns nach noch 
andern Gedichten des Mannes umzusehen, und da bietet sich fast von 
selbst die Christherre-Chronik dar. 

Zwei Vorfragen sind hier zunächst zu erörtern: einmal über die 
Zeit, sodann über die Mundart des Dichters. Ich denke, beide Fragen 
können befriedigend beantwortet werden, 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 161 


Der Dichter der Chronik wurde zu seiner Arbeit angeregt durch 
den Landgrafen Heinrich; er selbst sagt es uns an drei Stellen: ein- 
mal in der Einleitung (Maßm. Kaiserchr. III p. 122), sodann in dem 
Schlußworte zur zweiten (noachischen) Welt, vor der Geschichte Abra- 
hams, wo die Worte in der Leipziger Hs. fol. 39* lauten: 

Herre got, sö bite ich dich, 

daz du gerüchest wisen mich 

mit kunst sö wise sinne 

durch des heiligen geistes minne, 

daz ich hie mit getichte 

die dritten (werlt) sö berichte, 

daz ich dine hulde daran bejage 

und daz ez dä bi wol behage 

dem edelen vursten durch den ich 

noch vurbaz arbeite mich, 

von Turingen den herren min, — 
endlich an einer dritten Stelle, wo er seinem Herrn einen Joseph 
wünscht, — eine Stelle auf die wir zurückkommen. 

Man ist lange davon zurückgekommen, in dem Landgrafen Heinrich 
den Heinrich Raspe zu erblicken, bezieht vielmehr und mit vollem 
Recht unsere Stellen auf den Landgrafen Heinrich den Erlauchten 
1247—1288 (Wackernagel Litteraturgesch. p. 174). Das ‘dritte Buch 
des Passional setzt die Legenda aurea voraus, deren Abfassung um das 
J. 1290 (Jacobus a Voragine starb 1298) gesetzt zu werden pflegt, — 
zwei Zeitbestimmungen also, die sich trefflich zusammenfügen. Auch 
der Dichter des Passional verfasste sein Werk auf Bitte eines Herren; 
Pass. H. 333, 71: 

si solden billiche sprechen 

üf den der mich des hät gebeten 

daz ich zür arbeit bin getreten — 
und weiter 333, 84: 

wande er ist schuldich aldar an 

daz ich des büches ie began. 

Von diesem Herren sagt uns der Dichter, daß derselbe viel Haß 
_ und Neid zu erfahren gehabt habe; a. a. Ὁ. v. 76: 


hazen unde niden 

mach er vil baz geliden 

danne ich armer mensche kan, 
wande er ist wol versüchet dran 
von sumelichen lüten. 


Dieselbe Klage hören wir in Bezug auf den Landgrafen aus dem 


Munde des Chronisten fol. 84°: 
_ GERMANISTISCHE STUDIEN. II. 11 


162 KARL SCHRÖDER 


min herre der lantgreve Heinrich 
bedorfte ouch eines Jösepes wol 

ob man die wärheit sprechen sol, 
oder wie ald were sin name, 

der im mit trüwen tete alsame 

näch sinem nutze mit £ren. 

πῇ wellent siez anders k£ren, 

wirt iz im nicht anders undersen. — 

Die zweite Vorfrage nach der Mundart des Dichters scheint frei- 
lich mehr Schwierigkeiten zu machen. Vilmar in seiner Schrift über die 
zwei Recensionen von Rudolfs Weltchronik (Marburg 1839) hat die 
Proben die er aus der Christherre-Chronik mittheilte, in oberdeutscher 
Sprache des 13. Jh. gegeben, ebenso Maflmann a. a. O. Aber Vilmar 
schöpfte aus Cod. pal. 321, Hs. des 15. Jh., einer Hs. also die zu jung 
ist, um mit voller Sicherheit einen Schluß auf die ursprüngliche Mund- 
art zu gestatten; bei Maßimann finde ich nicht angegeben, welche Hs. 
er zu Grunde gelegt hat. Nun muß bemerkt werden, daß schon Maß- 
mann’s und also in weit höherem Grade Vilmar’s Arbeit aus einer Zeit 
stammt, in welcher der Begriff des Mitteldeutschen noch nicht klar 
erkannt war; bei Maßmann könnte außerdem eine gewisse Voreinge- 
nommenheit bestanden haben, wie es der Fall ist mit den Theilen aus 
Heinrich von München, die er ebendort mittheilt, und die er gleichfalls 
in der Sprache des 13. Jh. gibt, während doch die höchste Wahr- 
scheivlichkeit dafür spricht, dai5 Heinrich zu Ludwigs des Baiern Zeiten 
(nach 1347, sagt Wackernagel Litteraturgesch. 174) lebte. Wenn wir 
von dem Dichter unserer Chronik weiter nichts wüßten, als daß er im 
Auftrage, also doch wahrscheinlich auch am Hofe, eines thüringischen 
Landgrafen lebte, — und das wissen wir ja, — so würde a priori eine 
starke Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, daß seine Sprache mittel- 
deutsch war, und in der That zeigen die einzigen beiden Handschriften, 
die ich kenne, durchaus mitteldeutsche Schreibung: nämlich zunächst 
die Berliner Hs. MS. germ. oct. 56, welche nur den Segen Jacobs, 
diesen aber in rein mitteldeutschen Formen, enthält; sodann und vor- 
züglich die Hs. der Leipziger Paulina MS. 791, Perg. in 4°, eine Hs. 
‚die Vilmar nur aus Horn’s Auszügen kannte und die auch Maßmann 
nicht verglichen hat, und die doch schon darum Anspruch auf Be- 
achtung erheben darf, weil sie unter den erhaltenen Hss. unserer Chronik 
weitaus die älteste, vielleicht dem 13. Jh. angehörige, ist und außerdem 
aus einem thüringischen Kloster, vom Mons Serenus (Petersberg bei 
Halle) stammt. Diese Hs. nun zeigt durchaus mitteldeutsche Schreibung, 
mitniederdeutschem Anfluge, etwas stärker vielleicht noch als die Hs., 
aus welcher Hahn das alte Passional abdrucken ließ; sie enthält als 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 163 


Hauptsache den Pentateuch fol. 1—168, dann ziemlich kurz Josua, 
und den Schluß macht eine sehr summarische Übersicht über die 
jüdischen Könige bis zur Theilung der zwölf Stämme, mit den Schluß- 
worten fol. 176%: 


hie wart daz kunincriche 
gezwiet ungeliche. 

dä si der rede ein ende 
sunder missewende. — 


Diese Hs. kennt keinen Umlaut, weder ü noch üe noch iu, auch kein 
uo, sondern in allen Fällen nur u; sie schreibt nie ae, sondern stets e; 
nur 0, kein oe und nicht öu oder öi, sondern allemal eu. Ich bekenne zwar, 
daß ich keine Reime finde, die nur mitteldeutsch möglich, in ober- 
deutschen Mundarten unmöglich wären, denn cr&atüre : vüre (igni) fol. 
31° beweist nicht, da auch cr&atiure, wenngleich selten, vorkommt nach 
mhd. Wb. 1887’; eher könnte angezogen werden fol. 37°: 


daz began ein site wesen, 
dazs ir liebesten liben, 
mannen unde wiben 

bilde hiezen machen dö — 


denn man wird liben doch wohl als von liep, nicht von lip kommend 
ansehen. Auch andere Reimeigenthümlichkeiten finden sich hier wie im 
Passional, freilich auch anderswo: kurzer Vocal auf langen gereimt, 
z. B. fol. 40° sän : man, fol. 29° gelich : strich; m und ἢ gereimt (vgl. 
Hester p. 303) wie fol. 43" schaden: vadem, und vadem nicht vaden schreibt 
auch Pass. K. 91, 37; ferner 56° erschein : heim; 57° heim : vurswein. Der 
Reim fol. 30° leben : nemen ist keine größere Unregelmäßigkeit als 
wenn das Väterbuch stunde : dütunge, müde : gefüge reimt, s. Zingerle 
Findlinge II p. 12 Anm. Beachtenswerth erscheint auch, daß selbst bei 
Maßmann p. 128 v. 641 der rein md. Reim geschen : sen steht; und 
wenn v. 545. 1297. 1463 lieht : nieht steht, so ist der Zweifel erlaubt, 
ob Maßmann in seiner Vorlage wirklich nieht fand und nicht vielmehr 
licht : nicht, ebenfalls ein md. Reim, wie auch das Passional reimt 
Pass. H. 4, 86 licht : icht; ib. 7, 24 licht: nicht; Pass. K. 2, 93 licht: 
pflicht u. s. w. Daß nun vielleicht einmal die Christherre-Chronik in 
oberdeutsche Mundarten umgeschrieben wurde, hat nichts Auffälliges, 
ja der Antrieb oder Das Bedürfniss musste sich überall da geltend 
machen, wo man jene Hss. verfasste, die auf Grundlage der Christ- 
herre-Chronik beruhen, vom Buch der Richter an aber Rudolfs Werk 
bringen, und dieser Hss. gibt es bekanntlich viele und ziemlich alte. 
Wir wissen ja — Zingerle’s Findlinge beweisen es — daß auch das 
Väterbuch in bairische Mundart umgeschrieben wurde; daß die Sieben 
11° 


164 KARL SCHRÖDER 


Schläfer ein in oberdeutscher Mundart verfasstes Gedicht seien, hat 
meines Wissens bisher niemand bezweifelt, und doch lehren uns nun 
die Findlinge, daß sie ein Theil des Väterbuches sind. — 

Kehren wir zu unserer Chronik zurück. 

Die Litteraturgeschichte des deutschen Mittelalters kennt zwei 
Dichtungen, die beide in auffallendster Weise in ihrer Diction und 
ganzen Art sich an Rudolf von Ems anlehnen: die Christherre-Chronik 
und das Passional mit dem Väterbuch. Für ersteres Werk bezeugen 
uns das die beiden Männer, welche ihm ein eingehendes Studium ge- 
widmet haben: ‘die Verse dieser zweiten Recension sind zum Theil 
den Rudolfischen ähnlich’ sagt Vilmar a. a. O. p. 22 und Maßmann 
p. 88 bekräftigt es; für das zweite ist jedem die Vergleichung möglich 
und wird die Ahnlichkeit jedem auffallend, der neben oder nach dem 
Barlaam ein paar Blätter des Passionals liest, und Zingerle a. a. O. 
p. 14 hat besonders darauf hingewiesen, wie der Dichter des Passionals 
sich hauptsächlich am Barlaam und der Weltchronik gebildet habe. 
Wenn wir nun zwei Dichter haben, die beide Rudolf von Ems ähnlich 
sehen; wenn wir von keinem dieser beiden die Persönlichkeit kennen, 
wohl aber gesehen haben, daß sie gleichzeitig lebten, und wenn außer- 
dem Hss. beider Werke existieren, in denen die Mundart die gleiche 
ist, — dann ist die Vermuthung wahrlich nicht unberechtigt, daß die 
beiden Unbekannten vielleicht gar nicht verschieden sind. Diese Ver- 
muthung zur Gewissheit zu erheben, dürfte allerdings nur auf Grund 
eines aufzufindenden urkundlichen Zeugnisses möglich sein; immerhin 
aber wird es nicht überflüssig, vielleicht dankenswerth sein, einiges 
zusammenzustellen, was unsere Chronik mit anerkannten Werken des 
Passionaldichters gemein hat an Reimen, an einzelnen Wörtern, an 
ganzen Redewendungen. Die einzelnen Wörter anlangend, so verzeichne 
ich auch solche, die meines Wissens überhaupt sonst noch nicht aus 
älteren Werken belegt sind; dafs sich deren finden, wäre bei dem 
großen Sprachreichthum des Passionaldichters mindestens kein Zeug- 
niss gegen meine Vermuthung. Besonders wichtig für unsern Zweck 
sind natürlich solche Wörter, die in unserer Chronik und im Passional 
vorkommen, nicht aber bei Rudolf, dem gemeinsamen Vorbilde. 

Zunächst finden wir auch in unserer Chronik einzelne Reime, die 


im Passional fast auf jedem Blatte begegnen, wie z, B. gotes : gebotes. 


berihten mit der helfe gotes 
und mit der l&re sines gebotes M. 313 *). 


*) Mit M bezeichne ich die bei Mafßimann a. a. Ὁ. abgedruckten Verse unserer 
Chronik, die darüber hinausgehenden Stellen eitiere ich nach Folien und Columnen 


ZUR CHRISTHERRE WELTCHRONIK. 165 


von den drin benenden gotes 

mit der helfe sines gebotes M. 557. 

allen kreatüren gotes 

und der geloube sines gebotes M. 1252. 

die stimme gotes 

und die botescaft sines gebotes 50° u. 5. w. 


Ein gleich beliebter Reim ist im Pass. diet : riet : schiet; s. dazu 
Beispiele zur Hester. So hier: 


an sine üzerwelten diet 

die er üz al der werlde schiet 28°. 

Abrähäm mit siner diet 

bi den selben ziten schiet 49%. 

zwene vater zweier diet 

an den sich mit scheidunge schiet 

gezwiet zweier diete kint 59°. 

und wie din ceraft ie dine diet 

in allen nöten wol beriet 92°. 

uber die gotes erwelte diet, 

als uns die wärheit beriet 96”. 

und näch der zit daz al die diet 

die spräche mit der zungen schiet 101°. 

dä got der israh@lschen diet 

geböt und mit gebote riet 111”. 

dö die israhe@lsche diet 

gesach daz sie sus got beriet 116%. 

er underlach dä unde schiet 

die reine israh@lsche diet ib. u. s. w. 
Ein dem Pass. geläufiger Reim ist auch £rste : herste; so hier 

ez sprichet got der herste 

“ich der jungest und der örste M. 485. 

daz elder und daz Erste, 

daz swacheste und daz herste 109°. 

wen got was ie der Erste, 

der eldeste und der herste 114° u. s. w. 

Daß der Dichter des Passionals es liebt, vier gleichgereimte Zeilen 
zu setzen, ist schon zur Hester p. 310 bemerkt; dieselbe Eigenthüm- 
lichkeit haben wir M. 869 ff. 1035 ff. 1189 ff. 1197 fi. 1235. 1485 ff. 
1727 ff.*) Auch begegnet uns hier der aus dem Passional (Pass. H. 


der Leipziger Hs.; die anderen Citate sind gemeinverständlich. Beim Citieren von M 
habe ich Maßmann’s Schreibung beibehalten trotz oben geäußerter Bedenken; die da- 
durch allerdings entstehende Buntscheckigkeit wird aufgewogen durch den Vortheil, 
daß, soweit jener Abdruck reicht, auch solchen die Möglichkeit der Vergleichung ge- 
währt ist, denen eine Hs. der Chronik nicht zu Gebote steht. 

*) Dabei darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß auch andere Dichter, 
wie z. B. Wirnt von Gravenberg, den vierfachen Reim mindestens nicht vermeiden: Wigal. 
62,36 ff. 63, 4 ff. 68, 38 ff. u, öfter. Vgl. auch Philipps Marienleben v. 1—8 u. Anmerk, 


166 KARL SCHRÖDER 


3, 36. 19, 21. 127, 12. 146, 74. 154, 15 u. öfter; Pass. K. 36, 87. 305, 9. 
582, 21. 666, 85; s. auch zur Hester p. 304) so wohl bekannte Reim 
suns : uns M. 1325: 


uns tröste er wolde komen zu uns 
in der mennescheit des suns. 


Zu den im Pass. so oft gebrauchten Dingen gehört, daß der Dichter 
ein Substanstiv verstärkt durch das auf lich gebildete Adjectiv des- 
selben Wortes; so auch hier goteliche goteheit M. 317. mit lobelichem 
lobe 22". schadelicher schade 126°. 

Die Redewendung daz (diz, ez) geschach kann man im Passional 
fast auf jedem Blatte lesen; vgl. auch Hester p. 299. In gleicher Weise 
bei unserem Dichter: 

daz geschach und ergie M. 1375. 

daz geschach. die erde wart 

vrüchtic und berhaft näch ir art M. 1389. 
daz geschach, ez muose ergän M. 1509. 

diz geschach und müste wesen 29. 

des andern spräche. daz geschach 36". 
bereiten gähes. daz geschach 45%. 

dö müste wesen: iz geschach 106". 

daz geschach und müste ergän 152? u. s. w. 

An einzelnen Wörtern mögen hier folgende stehen: 

albesunder gehört zu den im Passional mit besonderer Liebe ge- 
brauchten Wörtern; s. zu Hester p. 296. Hier: 

daz darob und darunder 

sich schieden albesunder M. 1344. 
ansichtlich unbelegt. 

dä ich mich & ougete dir 

mit ansichtlichem schine 71, 

arbeitlich Pass. H. 154, 59. 266, 34. 299, 47. 385, 77. Pass. K. 
5, 75. 416, 88. 601, 66. mit arbeitlicher kür M. 299. arbeitliche pin 
M. 834. mit arb. swere 56°. arb. nöt 93°. 102°. von den arb. siten 104*. 
mit arb. siten 106". 

aschenbröt bei Lexer p. 100 zwar aufgeführt, aber ohne Beleg. 

aschenbröt si machten dö 114". 
balt s. zu Hester p. 297. 
der stolze degen balt 141°. 
bejac s. ib. p. 297. 
näch siner site bejac 24°. 
betragen refl. mit abe im mhd. Wb. III, 77° nur aus MLeg. 47, 4 


und zwar mit demselben Reim belegt wie hier 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 167 


dä was von vihe die richeste habe 

dä sich betragete ieman abe 99", 
beviln s. zu Hester p. 298. 

und müeste sie vil gar beviln M. 1142. 

nü dich des gein ir nicht bevilt 44*. 
bezeichenliche in der Chronik oft: 

ist nü daz hüs der wisheit 

bezeichenliche gar bereit M. 1690. 

geliche bezeichenliche M. 1907. 

und der bezeichenliche ist komen M. 2180. 

Das Wort ıst auch dem Pass. nicht fremd: Pass. H. 325, 18. Pass. K. 


543, 35. 
bischaft Pass. H. 278, 91. 339, 85. 372, 42. 67. Pass. K. 82, 95. 
178, 35. 576, 17. 
diu bischaft 
bezeichent die namen dri M. 494. 
dö wirt ir bischaft wol vernomen M. 1260. 
mit gewaerer bischaft M. 1702. 
daz wir mit bischaft an uns haben 
des libes viuhte M. 1813. 
mit bischaft an im ist bereit M. 1970. 
daz aller gescheffede biscaft 
mit bezeichenlicher craft 132°. 


blieschöz s. Zingerle p. 124. 
blieschöz und liechte blicke 102°. 
dä got mit blieschöz vür in vür 141°. 
| breit Pass. H. 45, 26. MLeg. 253, 406. Pass. K. 3, 10. 32, 50. 
148, 88. 193, 50. 247, 86. 249, 25. 683, 17 u. 5. f. 
hete eine swester der der sin 
was in wibes liste breit 24*. 
ich mache breiter danne breit 
dich unz an die lesten zit 44°. 
der gewalt sol werden breit 
mit &wichlicher sicherheit 45*. 
der sunden (von Sodom) rüf ist worden breit 465. 
| der Israh&len herzeleit 
wüchs und wart mit clage breit 94°. 
dach Pass. H. 1, 12. 380, 38. Pass. K. 29, 83. 40, 15. 46, 74. 


63, 26 u. oft. 


ein schirm, ein helfe und ein dach 
vor vorchtlicher ungemach 115°. 
d&müt adj. In dieser Form in der poet. Litteratur bei Lexer p. 424 
nur Pass. H. 121, 6 belegt. 
mit dömfitem herzen 120". 


168 KARL SCHRÖDER - 


dumne Pass. Καὶ. 42, 55. 468, 46. 
mit dunnen sinnen alze kranc M. 301. 
düpliche ein seltenes Wort und nicht bei Rudolf; s. Lexer p. 429. 
Pass. ΕἸ. 223, 86. 315, 32. Pass. K.495, 75. 


wen ich 
wart leider düfliche genomen 76°. 


ebenstrange im mittelhochd. Wb. II?, 675° nur ein Mal in der Form 
ebenstrenge (bei Conr. v. Würzburg) belegt. 


blibet iz sus lange, 
daz ist uns ebenstrange 92°. 


eigenlich Pass. H. 102, 21. 119, 18. 148, 74. 206, 54. Pass. K. 131, 89. 
419, 56. 426, 64. 547, 46. Hester 270. eigenliche kür M. 948. Das Wort 
kur wiederum ist oft belegt Pass. K. 9, 69. 52, 43. ungeloubliche kur 
270, 7 u. 334, 95. beteliche kur 302, 13. 

eigenschaft Eigenthum, Besitz Pass. K. 212, 69. 370, 85. 428, 47. 
M. 1580: mit eigenschaft dienen. M. 1584: mit eigenschaft gegeben. 

endehaft. mit endehafter wärheit in dieser Zusammenstellung im 
Passional sehr beliebt, 5. Hester p. 299. Ebenso hier M. 822. fol. 25°. 54%. 
In der Verbindung: mit endehaften maeren M. 1135. Pass. H. 296, 88. 
300, 1. Pass. K. 582, 23; vgl. ib. 231, 39. 270, 79. Pass. H. 147, 19. 

erkennelich adv. nur ein Mal belegt s. Lexer 640, und zwar Pass. 
H. 94, 35. Hier: 

daz was erkennelich genüc 23", 

erkucken, erquicken sehr oft Pass. H. 83, 52. 161, 29. 324, 91. Pass. K. 
60, 28. 88, 78. 115, 60. 207, 51. 277, 14. 457, 32. 515, 6. MLeg. 75, 151. 
part. erkucket M. 1445. MLeg. 87, 111. 

ervinstern ist überhaupt nur zwei Mal belegt Myst. 2, 410, 38 und 
Pass. K. 555, 8 (s. Lexer 690). Hier: 


im (Lamech) wären sunder lougen 
ervinstert sine ougen 61%. 


geburtich ohne Beleg; vgl. Lexer 765: 


Isaäkes geburtich tac 
bi den ziten gelac 51". 


gedönelich, bisher unbelegt. 


der mit gedönelichem schal 
und rechter wise mäze vant 23°, 


gehörsamlich unbelegt bei Lexer 792. 
mit gehörsamlichen siten 71”. 
geloublich ziemlich selten; doch Pass. K. 394, 75. 
mit geloubelicher wärheit M. 945. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 169 


gerstin selten, doch Pass. H. 173, 30. 360, 54. 


mel swie vil des solde sin, 
daz solde wesen gerstin 151”. 


gestift stf. selten, nicht bei Rudolf, s. Lexer 930. Pass. K. 409, 29. 
an der werlde gestift 38°. 
güricheit gehört zu den Lieblingsworten des Passionaldichters, z. B. 
Pass. H. 197, 88. 254, 50. Pass. K. 15, 80. 34, 45. 138, 56. 204, 89. 361, 79. 
430, 13; nicht bei Rudolf. Hier: 
durch giricheit des gütes 21°. 
quft Lieblingswort, 5. zu Hester p. 301. 
dä von erlasch der lüte guft 107”. 
güt adj. Über den stehenden Gebrauch der Redewendung der güte 
man 8. zu Hester p. 301. Hier: Abrähäm d. g. m. 40". 40", Loth 42", 
Joseph 78°. Moyses 103", 104°. 120°. 138", 
helflich adj. Pass. H. 39, 12. MLeg. 85, 56. Pass. K. 11, 43. 255, 57. 
568, 40. helflicher tröst 116°. 
houbetveste sonst nur einmal belegt; s. Lexer 1355. 
ein houbetveste unde ein urhap 115”. 
irrecheit ganz besonders häufig im Passional, 5, Lexer 1451. Hier: 
des gelouben irrecheit 94°. 
durch der zungen irrecheit 96°. 
jämerich Pass. H. 101, 22. Pass. K. 24, 67. 269, 64. 378, 79. 582, 26; 
nicht bei Rudolf. 
3 jämerich unde unvrö 179“, 
kraft. In der Zusammenstellung gewaldes kraft nicht belegt im 
mhd. Wb. 1 871", doch oft im Pass., wenngleich mir nur Pass. H. 21, 87 
(: herschaft) gegenwärtig ist. Hier: 
an gewaldes kraft, 
an immer wernder herschaft M. 361. 
uber alle tir gewaldes craft 30°. 
die alle bi ir jären 
mit gewaldes crefte wären 
die höeste üf der erden 33", 
diz sprichet got aller herscaft 
‘daz ich mines gewaldes craft 102". 
sö slüch sie ir meisterscaft 
die in mit gewaldes craft 
zem ersten wären uber ir leben 
von dem kuninge gegeben 103°. 


kranc. mit kranken sinnen M. 95. der sinne krane M. 978. kranker 
sin Pass. K. 5, 87. 

kunneschaft ist ein seltenes Wort, s. mhd. Wb. 1 912”, nicht bei 
Rudolf. Pass. H. 188, 55. 347, 84. Pass. K. 345, 5. 642, 7. Hier: 


170 KARL SCHRÖDER 


aller menschen kunneschaft 46”. 51. 
sines sämen kunneschaft 58%, 
Israh@les kunneschaft 84". 
man geböt aller kunneschaft 93%. 
kunstich ist selten und nicht bei Rudolf, 5. mhd. Wb. I 816°. Doch 
kunstech unde wise Pass. H. 9, 48. Pass. K. 674, 21. 
hebr&ische wip ouch kunstich sint 94”. 
lebelich lebelichez leben M. 2137. Pass. H. 97, 68. 98, 15. 
leidich Pass. H. 33, 59. Pass. K. 102, 19. 125, 62. 194, 76. 374, 29. 
387, 18. leidich unde unvrö steht hier fol. 52° und Pass. H. 7, 91. 
MLeg. 60, 42. 
meistic mehrfach im Pass., s. Lexer 2084. 
die lant meistie in Asiä M. 219. 
Pass. K. 676, 63. S. auch Zingerle Findl. II p. 130. 
ordenlich adj. ist nicht oft belegt, nicht aus Rudolf; s. noch Pass. 
K. 529, 40 und hier: 
näch dem ordenlichen site 143%. 
ougen swv. Pass. H. 16, 78. 19, 85. 78, 49. 117, 51. Pass. K. 638, 98. 
667,49. M. 437, 1124. 
von dem himele säzehant 
ouget sich min boge und wirt erkant 30°. 
dä ich mich & ougete dir 
mit ansichtlichem schine 71%. 
daz er im ougen wolde 88". 
pinlich adj. selten belegt aus der poetischen Litteratur, aber Pass. 
H. 73, 43. Pass. K. 60, 25. Hier: 
mit pinlicher arbeit 123°. 
rölich adj. roh, gottlos. Unbelegt im mhd. Wb. II!, 757°. und bei 
Lexer. Das Simplex kennt in dieser Bedeutung Pass. H. 240, 1. 
dese rölichen schicht 
und den höverten spot 
schöwete unser herre got 36*. 
rosin Rosine. Selten, s. Lexer II 497. 
mandel balsem und rösin 80°. 
sache steht fast auf jedem Blatte des Passionals in ähnlicher An- 
wendung wie hier: 
mit gotelichen sachen M. 1563. 
mit vernunftlichen sachen M. 1613. 
mit listelichen sachen 95". 
mit heiligen sachen 114°. 
mit vestelichen sachen 26° u. 5. w. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 171 


segen für segenen findet sich auch Pass. K. 659, 35; hier 
der (Sarah’s) lip werde ich segende, 
min segen wirt ir plegende 45°. 
selleschaft in der Form ohne ge- unbelegt. 
drivalt in einer sellescaft 45%. 
zü der selben selleschaft 
helfe uns die höe gotes craft 117%. 
äne mannes selleschaft 162°. 
sigenunftich im mhd. Wb. II‘, 373° nur dreimal belegt, darunter 
Pass. K.80, 26; nicht bei Rudolf. Hier: 
die slüch Göd£&önis hant 
und wart ir segenunftich 52°. 
sloufen ganz besonders oft Pass. H. 102, 89. 182, 70. 281, 50. 254, 32. 
Pass. K. 142, 53. 147, 25. 167, 85. 187, 30. 257, 62. 451, 51. 479, 58. 
567, 67. 594, 7. 640, 74. 
ir vroude wart gesloufet, 
daz sie in heten verkoufet 
durch nit dä in Egiptenlant 79°. 
spiegelglas Pass. K. 19, 10. 37, 78. 100, 2. 193, 65 u. oft. M. 722. 
stam ein Lieblingswort des Dichters, fast auf jedem Blatte; s. ein 
keineswegs erschöpfendes Verzeichniss von Stellen Pass. K. 771. Hier: 
al der werlde lebende stam 33°. 
der urhap und der stam 34°. 
den stam 
von gewalt in Asyä 35°. 
Abrähämes wurzelen stam 42%. 
des kunnes urhap und der stam 52. 
stam aller d&müte 162°. 
der werlde st. 36°. der kunige st. 40°. anegenges st. 72° u. oft. 
stift stf. Siehe über das Vorkommen dieses Wortes Zingerle p. 134. 
die orthabunge und ouch die stift M. 128. 
strich gleichfalls außerordentlich beliebt im Pass., s. H. 267, 35. 
K. 3, 4. 80, 73. 129, 58. 313, 20. 378, 10. 420, 67. 444, 7 u. öfter. M. 1872. 
und vogele üz an ir strich 29”, 
sunderunge ist im mhd. Wb. II?, 743° nur einmal belegt und zwar 
Pass. K. 67, 34. Hier: 
von erst mit sunderunge schiet 36”. 
süs. Pass. K. 4, 39. 54, 17. 196, 21. 230, 77. 250, 70. 374, 47. 
469, 51. 
deheiner slahte windes süs M. 1694. 
swebel 5. Zingerle p. 134. Pass. H. 287, 95 (: nebel). Pass. K. 775° 
verzeichnet, doch leider ohne Beleg. ἢ 


172 KARL SCHRÖDER 


dö regente got vür und swebel 
und gloynden brinnenden nebel 48°. 


treser — trisor. Pass. K. 1, 12. 202, 28. 438, 74. 454, 3. 
daz hiez er in den selben tagen 
hin in des kuniges treser tragen 78%. 
trürich. tr. unde unvrö 103°. Pass. H. 7, 20. 16, 25. 316, 88. 
Pass. K. 8, 15. 
uberlast s. Zingerle p. 135. 
der arbeit uberlast 84”. 
üfgeleit viel im Passional, s. Beispiele Pass. K. 782; vgl. Hester 
v. 596. 
in üfgeleiten zilen gar 49°. 
bezeichenlichen üfgeleit 112°. 
daz in mit maniger arbeit 
was dienstlichen üfgeleit 114. 
alsö Moyses mit wisheit 
gote zü lobe hete üfgeleit 1175. 
umberinc gern gebraucht im Pass. H. 185, 87. MLeg. 114, 5. 
Pass. K. 43, 3. 67, 51. 382, 6. 453, 9. 471, 65. 505, 17. 514, 8. 626, 19. 
Hester 956. M. 434. 1784. 
umbesweif zahlreich im Passional, vgl. Pass. K. 784; im mhd. Wb. 
II®, 786 kein Beispiel aus Rudolf. 
daz der umbesweif der erde 
vol üwers slechtes werde 29°. 
undergraben selten belegt im mhd. Wb. I 561”, doch Pass. K. 
436, 75. 561,9. 
die niemans kraft kan undergraben M. 1543. 
undertüter Dolmetsch. Unbelest im mhd. Wb. I 328°. 
er tete als noch die lüte sünt 
die vremder zungen nicht verstänt 
unde ir undertüter hänt 79°. 
ungetrunken wenig belegt im mhd. Wb. III 925 nicht bei Rudolf, 
doch Pass. H. 310, 43. | 
dä bi liez er die kemel dö 
stän ungetrunken 55%. 
ungunst im mhd. Wb. 134° nur einmal und zwar nicht aus Rudolf 
belegt; doch s. Pass. K. 87, 91. 239, 7. 344, 86. 
unde ungunst mannes und wibes 151°. 
unhoerende nicht belegt; ungehoerende einmal Barl. 38, 28; s. mhd. 
WELT. 
unhörende oder tumb 143%. 
unliepliche unbelegt im mhd. Wb. I 1015. 
unliepliche gebäret er (Laban) 68°. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 173 


unmeilic ist im mhd. Wb. II!, 95° außer dem Passional nur zwei- 
mal bei Krolewitz belegt. Pass. K. 544, 2. 579, 40. 604, 38 (alle Male 
unmeilige : heilige). Hier: 
von der wunderlichen ceraft 
die an dem wazzer was erkant, 
wart daz wazzer dö genant 
daz bittere, daz unmeilige, 
näch gotes namen daz heilige, 
der dä in geschaben (l. geschriben?) lac 152*. 
Zur Sache s. Numeri cap. 5. 
unsichtic Pass. K. 82, 55. 677, 41. M. 895. 925. 942. 
unveste sehr selten und nicht aus Rudolf belegt im mhd. Wb. III 
274*, aber Pass. K. 419, 71. 469, 96 und M. 1040. 
unvüc nicht eben oft im mhd. Wb. III 437°. 
der sunde lüte unvüch 38°. 
Pass. H. 50, 82. Pass. K. 3, 39. 4, 78: der sunden unvüc. 20, 94. 
unverwechselich unbelegt im mlıd. Wb. III 550. 
in unverwechselicher kraft M. 399. 
urhap fast auf jedem Blatte im Passional und Väterbuch; vgl. 
Zingerle p. 13. M. 302. 363. 
geburt und urhap hät genomen 31°. 
sines gewaldes urhap 34". 
ein houbetveste und ein urhap 115%. 
aller küsche ein urhap 162°. 
des lebens u. 54°. des jämers u. 58°. des kunnes u. 52° u. ganz außer- 
ordentlich oft. 
üzscheiden. Sehr oft im Passional im Reim üzschiet : diet : riet: 
verschriet u. s. w. Vgl. Hester p. 308. Hier M. 752 (: riet), ferner 


die besten gar von aller diet 
die man zü eldesten üzschiet 160". 


vestenunge Pass. H. 15, 13. 103, 51 u. öfter. MLeg. 203, 237. Pass. K. 
69, 41. 89, 77. 219, 23 u. öfter. M. 1050. 1654. 

vlölich in der Zusammenstellung mit vl@lichen siten sonst nicht 
weiter belegt im mlıd. Wb. III 339” als Pass. H. 11, 69. Pass. K, 9, 67. 
130, 53. 463, 1 u. zweimal bei Jeroschin. Hier fol. 40°. 47°. 141°. 

vlüm stm. vlüme swm. mehrfach gebraucht im Passional, z. B. 
MLeg. 155, 64. Pass. K. 52, 53. 84, 75. 633, 38. 667, 41; sonst nur bei 
wenig Dichtern, auch nicht bei Rudolf, s. mhd. Wb, ἘΠῚ 511. Hier: 


unz an Eufraten den vlüm 43°. 
sö die vlüme erguzzen 93°. 
πᾶ hete sich der vlüm erhaben 118". 


174 KARL SCHRÖDER 


vurgedance nur selten belegt; 8. mhd. Wb.1 356°, doch Pass. K. 
741721176, 511../M# 326.379. 

volleist gehört zu den, zwar überhaupt nicht seltenen, aber im 
Passional ganz besonders oft gebrauchten Worten, s. Pass. K. 802. 
Hier M. 468. 664. 920. 1604. 

“ἢ des gelouben volleist 112°. 

vorbesliezen. Pass. H. 193, 62. MLeg. 230, 544. Hester 962. Hier 

M. 66 und 


nü mir got vurbeslozzen hät 
berende vrucht und mich nicht lät 
berhaft sin 43%. 
vruchtee nicht sehr oft und nicht aus Rudolf belegt im mhd. Wb. III 
428 doch, Pass. H. 8, 74. 255, 19. Pass. K. 334, 15. 485, 15. M. 1390. 2020. 
an den kinden blüte 
daz sider vruchtich wart an in 59*. 
vruchtich unde güt erkant 490". 
die rüte durre unberhaft schein, 
die wart vruchtich mit vruchten rein 162°. 


vüchte stf. Pass. H. 1, 31. 3, 64. 146, 35. M. 1735. 1814. 1983. 
Sonst wenig belegt im mhd. Wb. III 331°, nicht aus Rudolf. 
wachszeichen Siegel. M. 1063. Im mhd. Wb. III 864 nicht belegt. 
werde mit einem Adj. verbunden, im Plur., vgl. mhd. Wb. III 604°, 
fast alle Belege aus dem Passional; hier: 
die höeste üf der erden 
näch kunichlichen werden 33*. 
widerzeme (:ungen&me) Pass. K. 182, 40. 609, 30. (:n&me) ib. 396, 52. 
405, 90. 
wir sin gar widerz&me 
im worden und ungen&me 103°. 
wigant. Über die Formel der gotes wigant und ihr Vorkommen 
im Väterbuch (auch Pass. K. 219, 69) s. Zingerle p. 14. 139. Hier 
werden so genannt Jacob 65°. Moses 99". 101°. 102". 125°. 138°. 139°. 
Joseph 105". Josua 121°. 
willekur s. zu Hester p. 306. Hier: 
dines gewaldes willekur 92”. 
näch sines mütes willekur 104°. 
witlouftich unbelegt. 
witlouftich und wiselös üf ir 
saltü mit arbeite leben 22°. 
ziment Cement; in dieser Bedeutung im mhd. Wb. III 893” nicht 
belegt. 
leim was ir zimente gar, 
sie hetten anders plasters nicht 36*. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 175 


zornlich im mhd. Wb. III 907 nur dreimal belegt, nicht bei Rudolf, 
aber Pass. H. 6, 89. Hier: 
mit zornlichem site 112*. 
zornvar gleichfalls nur dreimal, nicht bei Rudolf, im mhd. Wb. III 
240°, darunter Pass. K. 294, 47. Hier: 
von zorne ervallen und zornvar 225. 
zuspreiten selten sonst und nicht aus Rudolf im mhd. Wb. II2, 551*, 
aber zahlreich aus dem Passional. Hier: 
zuteilete und zuspreite 35°. 
Diesem Wortverzeichniss schließe ich einige ganze Zeilen an, die, 
einzelnen Stellen aus Werken des Passionaldichters gegenübergestellt, 
gleichfalls große Ahnlichkeit zeigen. 


M. 82: 
des ich hän gedäht 
ze tihtene 


fol. 45° (ebenso M. 1269): 


die anegenge nie gewan 


fol. 141*: 
mit voller ougen angesicht 


fol. 23°: 


nicht wibe wanne eine 
unde anders m& decheine 


19": 
noch was unser einer 
und anders m& decheiner 


fol. 33°: 


von dem alder sprichet sus 
der büchmeister Jösephus 


23% 
hievon scribet Jös&phus 
der wise büchmeister sus 


fol. 93": 


der rät begunde in allen 
behagen und wol gevallen 


Pass. H. 3, 87: 


des ich zuo schribene hän gedächt. 


Hester 960: 


die ie äne angenge was 


Pass. K. 691, 19: 


dort hin zü voller angesicht 


Hester 1255: 
ir zwene δὲ alleine 
und anders m& dikeine 


Pass. H. 266, 16: 


der büche meister Jösephus 
hät gesprochen alsus 


Pass. H. 1, 76: 


der rät begunde in allen 
sere wol gevallen 


Hester 297: 


der rät begonde in allen 
harte wol gevallen 


176 


M. 882: 
der guote sent Gregorius (: sus) 


fol. 162“: 


ich meine die valsches vrien 
die mait sunte Marien 


M. 91: 
ze tihtene, herre, in dinem namen, 
höhem süezen lobesamen 


101. 118:: 


Tetragramaton den namen, 
des gotes namen lobesamen 


fol. 57°: 
der vrowen richeste gewant 


fol. 154°: 
durch daz wilde röte mer (: her) 


M. 2063: 


daz vleischlich ouge nie gesach 


fol. 36": 


sie worden wite zesant 
üf die erde in manige lant 


KARL SCHRÖDER 


Pass. K. 194, 50: 
daz der güte Gregorius (: sus). 


207, 21: 
der güte man Gregorius (: sus). 


Hester 1946: 
ich meine die lieben Marien 


Pass. H, 3, 58: 
sus biede ich dich in sime namen, 
dem minneclichen lobesamen 


Hester 1: 
In J&sü Cristi dem süzen namen, 
dem minneclichen lobesamen 


Hester 209: 
in ir richestez gewant. | 
Pass. Η. 39, 51]: | 
in dem wilten röten mer (: her) | 


MLeg. 161, 263: 


die vleischlich ouge nie gesach 


Hester 956: 


die brive wurden wit zusant 
her unde dar in di lant 


Noch eine kleine Bemerkung mag hier angefügt werden, ohne 
daß ich ihr gerade großes Gewicht beilegen will. Der Dichter der 
Christherrechronik wirft die Frage auf: warum doch Gott den bösen 
Geist geschaffen habe und den Menschen sündigen ließ; es heißt M.841ff.: 


Hie näch uns wahset vrägen vil. 
ein man vil lihte vrägen wil 
und sprichet lihte “wie was got 
sö wunderlich, daz sin gebot 
den übeln engel werden hiez, 
daz er in niht wesen liez 
ungeschepfet, dö er in 

unrehten weste und sinen sin? 


Und in Bezug auf den Menschen M. 957 ff.: 


Diu vräge uns lihte nicht verbirt, 
daz etteswenne gevräget wirt 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 177 


von etteweme umb die geschiht: 
war umbe got daz mensche niht 
geschuof, daz im niht tohte, 
daz ez iht sünden mohte. 
Diese Frage hat auch den Dichter des Väterbuches beschäftigt; er sagt 
fol. 1 (Leipz. Hs. MS. 816): 
Jne kan gesprechen noch entar, 
warumbe die minne des verhine 
daz sie den val niht undervine 
sit er doch vor kunt was gote. 
Dort freilich gibt der Dichter eine Antwort M. 966 Εἴ: 
ez tet got durch slehtez recht 
daz ez gewalt des haete 
deiz wol oder übel taete u. s. w., 
während hier im Väterbuch einfach resigniert wird: 
hie belibet unzerlöset der knote. — 


Was den Wortvorrath unseres Dichters anlangt, den wir oben 
mit dem Passional in Vergleichung gezogen haben, so darf nicht ver- 
schwiegen werden, daß andere Wörter, die dort so oft gebraucht sind, 
wie eniseben, rote, unvlät u. s. w. hier nicht begegnen. Doch ist dabei 
zu erwägen: kein Dichter tritt gleich mit seiner ganzen Persönlichkeit, mit 
seinem ganzen abgeschlossenen Sprachschatz auf. Jeder Einzelne kann 
an sich selbst die Erfahrung gemacht haben, daß er früher ein oder 
das andere Wort in Schrift oder Rede nie gebrauchte, daß er dann, 
sei es durch Hören oder bei der Lectüre, auf ein solches Wort auf- 
merksam wird, erkennt wie es gut ins Ohr klingt oder bequemem Reime 
sich fügt, und dann das Wort gern und oft, vielleicht bis zur Manier 
verwendet. Ein solches Lieblingswort ist z. B. für Goethe ‘ahndevoll 
oder “ahnungsvoll’ (s. deutsches Wb. 1, 193. 197.), und doch findet sich 
dieß Wort notorisch nicht z. B. im Tasso: wird deßhalb jemand Goethes 
Autorschaft an diesem Werke in Frage stellen können? Wenn der 
Verfasser der Christherre-Chronik auch das Passional dichtete, so war 
jenes Werk mit Wahrscheinlichkeit eine seiner Erstlingsarbeiten, er 
verfügte also auch noch nicht über sein ganzes dichterisches und lexi- 
calisches Capital. Auch im Passional kann ein aufmerksamer Leser die 
Wahrnehmung machen, wie der Gebrauch einzelner Wörter ein immer 
häufigerer wird; ganz besonders wird das der merken, dem eine Hs. 
des Väterbuches zugänglich ist: dort häufen sich jene Worte mehr und 
mehr, ihre Anwendung wird zur Manier, der Höhepunkt der dichteri- 
schen Leistung, den ich meines Theiles im ersten und zweiten Buche 

GERMANISTISCHE STUDIEN. II, 12 


178 KARL SCHRÖDER 


des Passionals sehen möchte, scheint überschritten, und wir werden bei 
aller Liebe zum Dichter nicht umhin können, Gödeke beizustimmen, 
der (Grundriß p. 76) bei sonstiger bereiter Anerkennung des Dichters 
“etwas Handwerksmäßiges’ an ihm findet. 

Ich würde gern durch umfänglichere Auszüge aus dem Werke 
zur Kenntniss desselben beitragen, namentlich da Vilmars Schrift sehr 
wenig verbreitet ist, wenn nicht die mir zu Gebote stehende Hand- 
schrift, — deren Werth in Bezug auf ihr Alter und auf das was sie 
enthält und nicht mehr enthält, oben besprochen ist, — durch zahllose 
Correcturen und noch mehr durch einschneidende Rasuren so entstellt 
wäre, daß dieses Vornehmen außerordentlich erschwert wird. Einige 
kleinere Stücke auszuheben, mag ich mir jedoch nicht versagen; möge 
es Anderen, denen gefügigere Handschriften zugänglich sind, mehr 
thun als ich vermochte. 


Eliesers Werbung um Rebecka. 


55° Abrähäm was worden alt 

und näch alters orden gestalt 
und müte (Ὁ) an dem libe. 
sinem sun näch einem wibe 

5 begonder sere trachten 
und in den sinnen achten, 
wa er ime ein wip gen&me 
die ime wol gezäme. 
sinen knecht Elyezer 

10 besante er züzime dar. als er 
quam, er sprach ὙΠ swer durch mich, 
daz du tüst des ich bitte dich.’ 
daz swör er sä. nü daz geschach, 
Abrähäm zem knechte sprach 

15 “behüte dich an diser geschicht, 
das du zü wibe nemest icht 
Ysaäke kein wip von diser diet 
dä ich bin wonende. er beschiet 
sinem knechte, wä er solte 

20 wip nemen, swen er wolte, 
sinem son. er hiez in varen — 
und daran sinen eit bewaren — 
näch wibe in sin geslechte hin 
und hiez wip dä nemen in. 

25 “wil der nekeine varen mit dir, 
sö wes des eides, den du mir 


3 moiete. 9 knet. 15 beh. dich an mir an diser schicht, 17, 18 deit 
bescheit. 21. 24 heiz, 25 nekeiner, 


| 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 179 


nü swörest an dessen stunden, 
ledech und ungebunden 
55° näch vriem gotes rechte’ 

30 sprach Abrähäm zem knechte. 
alz Elyezer den eit geswür, 
näch sines herren bote er vür. 
üf die vart mit richeit 
hetter schire sich bereit, 

35 als in sin witze l£rte: 
mit zehen olbanden er k£rte 
geladen, der ieglicher trüch 
grözer richeit genüch, 
swaz er miete erkande, 

40 die dort in dem lande 
dar er dö varen solde, 
sine boteschaft werben wolde, 
die liebesten unde besten 
weren von vromden gesten, 

45 die vürt er dö an deme zil 
mit ime m& denne vil. 
gein Mesopotämiä 
bereiter sich, hin vür er sä 
die lantsträze, gebante phat 

50 gegen Chäran, Nachors stat, 
den ich oben hän genant, 
wen er zü brüder was erkant 
Abrähäme als ich sagete &, 
der beider vater was Thare. 

55 der knecht was, als ich hän vernomen, 
mit [grözen] arbeiten dar komen, 
wen daz lant in winters zit 
uber al daz kunicriche wit 
unfertich ist, tief unde naz. 

60 Jösephus der schribet daz, 

δ» ez si den sumer durre erkant 
und lutzel wazzers uberz lant. 


Dö der knecht quam vur die stat 
ze Chäran, vil türe er bat 
65 got, daz er im zeigete die 
mit gewissen wärzeichen hie, 
die sin herre solte nemen 
unde wol mochte gezemen 
ze wibe dem juncherren sin. 
70 er sprach ‘got herre des herren min 


37 ieglichen. 39 motes. 40 de hier und öfter. 42 botesceft. do werben, 
59 οἱ, 65. 66 de: he. 
12* 


180 KARL SCHRÖDER 


Abrähämes, der mich gesant 
hät mit boteschaft in diz lant, 
richte und habe in diner plege 
min gewerp und mine wege 

75 mit hüte in den gnäden din, 
daz ich zü dem herren min 
mit selden müze wider komen.’ 
nü better bischaft genomen, 
wie er irvaren solte irn lip, 

80 die werden solte Ysaäkes wip, 
umbe die er got sö vil gebat. 
nü was ein brunne vur der stat, 
dar die jungen megede quämen 
vor die stat und wazzer nämen: 

85 dä bi liez er die kemel dö 
stän ungetrunken und dächte alsö 
‘die erste zü der ich 
spreche: vrowe, trenke mich! 
unde sprichet: daz sol sin, 

90 ich trenke dich und die kemel din, — 
daz ist, die von wärheit 
got minem herren hät bereit. 


Nü saz der knecht achtende, 
56* bittende und betrachtende, 
95 wen ime die komen solde 
die got sinem herren wolde 
ze wibe geben. dö die quam, 
als er daz wärzeichen nam 
in sinem herzen, iz ergie 
100 sines wunsches wärzeichen hie. 
dä wären vil der meide kumen: 
als die wazzer heten genumen, 
sö körten sie von ime hin, 
daz sie nicht sprächen wider in 
105 weder grüz noch diz noch daz. 
stille swigende er gesaz, 
daz er nicht sprach. dö quam iesä*) 
eine reine maget, hiez Rebeckä, 
die was schöne und minnichlich,, 
110 wol gebärende und zuchten rich, 
die tete als er gedächte: 
ein vaz sie mit ir brächte, 


78 byscaft. 79 we. 85 leiz und öfter ei für 16, 98 werzeigen. 99 sinen. 
100 warzeigen. 101 da weren vil warzegen kumen. 102 nomen. 105 wider groz. 
109 scone u. mehrfach sc für sch. 

*) Zu iesä stehn im mhd. Wb. ıI?, 2 nicht viele Belege; doch kennt es auch 
Pass. K. 86, 68. 


115 


120 


56° 125 


130 


135 


140 


145 


150 


155 


121 ich. 
were er. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 


dä sie mit gütlichem site 

ın trankte und sine kamel mite., 
des wart ir dane von im gesaget. 
nu geviel im harte wol die maget, 
er begunde im zeiner vrowen 

Irn Iip vil gerne schowen 

und sinem juncherren ze wibe, 
ob er vunde an ir [106 

icht daz wandelb£re, 

wider sinem wunsche were. 

nein, ern vant nicht wan gütes. 
in der ger sines mütes 

trüch sie vil lobelicher wis 

näch sinem dunken wunsches pris. 


Den knecht nicht beträgete, 
die juncevrowen er vrägete 
näch irm namen und näch ir art 
und ob er mochte in der vart 
in irs vater hüs gemach 
vinden. die mait verjach 
ir namen. er irvür alzehant 
daz ir vater were genant 
Bäthu@l und daz Nachor, 
der ü genennet wart dä vor, 
des vater were al sunder wän, 
und daz ir brüder Läbän 
were genant. des was er vrö: 
der juncevrowen gap er dö 
riche örgolt guldin, 
bouge unde vingerlin. 
daz nam sie gütliche hie. 
zer müter sie dö wider gie 
und tete ir desse m£re kunt. 
dö lief ir brüder säzestunt 
Läbän vor die porten hin, 
den knecht er untfie und vürte in 
mit sich in sin hüs hin heim: 
vil lieplich wille im dä erschein, 
den täten im mit geberde schin 
beide wirt und wirtin, 
und al daz ingesinde dä 
bestalleten sine kamele sä 
und schüfen ime güt gemach, 
dö er von sinem herren jach. 


123 nich, 127 betragende, 132 maiet, 133 he, 


181 


139 des 


182 


56° 


160 


165 


175 


180 


185 


56° 
190 


195 


200 


KARL SCHRÖDER 


Dö daz ezzen was bereit 
und daz bröt üfgeleit 
und man dä ezzen solde, 
der bote nicht ezzen wolde 
ὃ daz er erwurbe gar 
sine boteschaft durch die er dar 
von sinem herren in daz lant 
zeinem boten was gesant. 
die rede er in vurleite, 
sins herren bete er seite 
und waz er mit eiden swür, 
und allez wie er dä gevür, 
und waz im genäde got tete 
und wie er hörte sine bete 
bi dem brunnen, [als ir habet] vurnomen, 
dö er vur die stat was komen, 
als ich & gesprochen hän. 
Bäthuel sprach und Läbän 
“desse rede an desser vrist 
von dem höesten gote komen ist, 
der desse rede und dessen rät 
wil und sie geräten hät. 
iedoch hirunder nemuge wir 
hirvon gereden nicht mit dir 
äne sie, ob iz si ir müt 
und wol behage und dunke güt. 
doch sol sie dinen herren nemen, 
daz mach beiderhalp wol gezemen, 
sit iz hät got gevüget 50. 
der knecht was des heiles vrö, 
daz im got mit genäden tet, 
und daz er hette sin gebet 
vurnomen sö sälichliche. 
des was er vreudenriche. 


Dö der ander tac erschein, 
der knecht were gerne hinheim. 
er stünt üf und warp dä 
sine boteschaft aber sä 
und sagete in von der arbeit 
die er üf dem wege leit 
mit arbeitlicher sw£re, 
und daz er zü lange were 
gewesen in boteschaft underwegen 
und ungevertes vil gelegen. 
er bat den wirt, daz ern sande 
hin wider heim zü lande 


159 alse man. 178 willungen der se geraten. 191 Morgen do, 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 


und kurzelichen tete 
swes er willen höte. 
205 dem wirte vurbaz zalder, 
daz sines herren alder 
in hette näch siner jugende 


daz er sin küme erbiten 
210 mochte in den selben ziten. 


durch daz mochte er nicht lenger sparn, 


ern müste heim züi lande varn. 

dö bätens in, daz er blibe 

und sine müde aldä vertribe 
215 zehen tage ein teil mit in, 

und dan mit heile vüre hin. 

der knecht blibenes gemach 

und ir bete gar vursprach. 

dö sie daz beide erkanden, 
920 ir kint sie dar besanden, 

die junevrowen, und yrägeten sie, 

57* ob ir der wille were bie, 

daz sie mit dem boten dan 

welte varn und nemen zü man 
225 Ysaäken der in dar gesant 

hette näch ir in daz lant. 

daz lobete sie gütlichen dä- 

die mait bereite sich dö sä 

mit dem boten üf die vart. 
230 kostliche sie beräten wart 

und richeliche sant von dan. 

Ysaäke dem reinen jungen man 

wart sie dö zü wibe brächt, 

als ir mit sölden was gedächt 
235 und zü gelucke sit ergie. 

der bote dä nicht lenger lie, 

von dannen er sie vürte. 

ein herzenjämer rürte 

ir müter und irs vater müt, 
340 als iz noch vil lichte tüt 

dä kint von siner müter wil. 

darnäch in rechter tage zil 

quam er heim in sines herren lant 

darumme er was üz gesant. 
245 daz hette im got gevöget sö 

daz er was des geluckes vrö. 


207 Hs. hat keine Lücke, doch fehlt mindestens eine Zeile. 
bitten. 210 mochten. 222 by. 230 bereit. 232 Ysaaken den, 


238 sin herze jamer. 241 kint mit siner, 243 her. 


183 


209 kunne er- 
236 bote se da, 


184 KARL SCHRÖDER 


Ysääk was wonende dö 
in Geraris. dö diz alsö 
geschen was und iz geschach, 
250 eines tages man in sach 
\ gän und rechte richten sich 
57 ze velde hin den rechten strich, 
dä sin gemäle und Eliezer 
die sträze solten kumen her. 

255 nü hän ich nicht bevunden hie, 
warumbe er üf dem velde gie, ἢ 
in gescheffeden **) oder in angete 
daz sich ir kum sö langete, 
die mochten beide dran gesch£n. 

260 als er sie begunde sen, 
där sie üf der sträzen riten, 
die maget mit vreudenrichen siten 
erbeizete gein im alzehant, 
als ir die wärheit was bekant 

265 daz iz solde sin ir man: 
sie leite riche cleider an, 
snewiz als ich hän vurnomen, — 
daz cleit was von Arabye komen 
und was dö uber al daz lant 

270 der vrowen richeste gewant, — 
dä garte sich die vrowe mite 
näch dem gemeinen lantsite 
dö sie züzir gemälen quam. 
der entfiene sie wol, zü hant er nam 

275 die mait und vürte sie [hin] heim, 
sin müde im sö gar vurswein 
und sin clagelicher pin 
den er trüc näch der vrowen sin, 
daz er des vil gar vergaz, 

280 ob er ὃ trürich ie besaz***): 
sö holdez herze trüc er ir 
näch lieblicher minne gir. 


255 vie. 257 gesceffe. 258 kum stm? Oder ist kumft zu lesen? 265 daz 
ir. 271 gaste, 276 mut. 278 muter. 281 holder. 

*) Dergleichen Randbemerkungen hat unsere Chronik viele; sie sind auch dem 
Passional nicht fremd. Man sehe z. B. Pass. H. 19, 1: Maria die vil reine | was in der 
zit noch cleine, | doch weiz ich ires alderes nicht. Hieronymus, dessen Liber de nati- 
vitate (bei Tischendorf Evang. apoer. p. 106—114) der Dichter folgt, gibt die Zahl 
nicht an. Anders das Liber de infantia (ed. Schade. Halis 1869), dem Wernher folgte, 
dort werden drei Jahre angegeben (Schade p. 16, 1. Maria ed. Feifalik v. 991); die 
Worte: doch weiz ich etc. sind sicher mit einem Seitenblick auf Wernher geschrieben, 
dessen Werk der Dichter zweifellos kannte; sonst wären sie ohne rechten Sinn. 

*#) gescheffede in dieser Bedeutung 5. z. B. Pass. H. 267, 83. 340, 13. 373, 60. 
389, 80. 
*%*) besitzen in dieser Bedeutung 5. z. B. Pass. K. 157, 29. 209, 68. 


60° 


10 


15 


20 


30 


60° 35 


40 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK, 185 


Das Linsengericht. 


Die müter in ir sinnen 
begunde söre minnen 
den jungesten brüder under in zwein, 
durch daz wan er ie gein ir schein 
milte und gütlicher site. 
hie gewan er ir minne mite, 
daz er sie nie beswärte 
und mit güte irs willen warte 
und daz got alsö geböt. 
eins tages dulte hungers nöt 
Esaü von grözer arbeit 
und hette im ezzens nicht bereit 
und mochtez ouch nicht bereiten. 
von müden arbeiten 
tet der hunger im alsö, 
daz er züm brüder gienge dö 
dö der was gesezzen 
und bereit im was sin ezzen. 
’brüder, [sprach er] gip ouch mir 
‚des hie ist bereitet dir.’ 
“daz tün ich, wiltü mir geben 
der wirde namen, die din leben 
hät von der eldern wirdicheit, 
als sie des eldern namen ἘΠΕ 
“daz tün ich wol, die gip ich dir. 
“wiltu daz, sö swer iz mir. 
‘daz wil ich tün.’ dö vollevür 
der elder brüder unde swär: 
swaz er rechtes solde hän 
vor in, daz wolter ime län 
und niemer mer gebrochen hän. 
er was ein alsö vrevel man, 
daz er hette vur ein nicht 
daz gelobde mit dirre geschicht. 


Alsus was Esaü betrogen. 
Jäcob hette im abegezogen 
mit dem ezzen ören vil 
als ich üch nü sagen wil. 
in der alden & was site, 
dä &rete man die elderen mite: 
sö man zü gotes offer gie, 
daz man den segen von in untfie 


7 inne. 16 genge. 18 im bereit. 24 alse des. 84 gelobte dir. 41 ge. 


42 im untfe. 


186 KARL SCHRÖDER 


und daz sie wurden angeleit 
richliche unde wol beecleit 
45 mit sö richem gewande, 
daz man ir werde erkande, 
daz sie gewirdet wären baz. | 
swä man zü wirtschefte saz, | 
dä wart geöret-ir gewalt: 
50 die trachte wären zwivalt 
die man dä vur sie setzen sach. | 
als iz dan alsö geschach, 
daz sie gebrüdere wolden 
teilen als sie solden 
55 ir erbe daz in ze erbene quam, 
sö an dem vater ein ende nam 
sin leben und daz gap ein zil, 
sö wart im aber zwier sö vil 
sö dem jungeren brüder wart. 
60 daz was stete und unverschart*) 
unz an Äarönes zit, 
der der höeste &warte sit 
was in der israh@leschen diet, 
des recht diz selbe recht verschriet. 


Jacobs Traum. 


64° Jäcob näch siner müter bete 
sines vater bot dö tete, 
er woltez nicht sümen m£. 
gein Aram von Bersab& 

5 gäheter als im geräten wart. 
durch Kanandam gie sin vart, 
ein lant daz man sus nande. 
die lüte von dem lande 
sin Πρ mit vorchte söre entsaz: 

10 sie trügen sinem vater haz, 
daz vorchter ouch vil sere an im. 
die stat ze Chariatharim 
umbevür er und quam sä 
eines äbendes dä gelac Lusä. 

15 dä wart er siner rüwe in ein. 
er leite sin houbet üf einen stein. 
vil maniger sorgen er pflac. 
doch wie unsanfte er gelac, 


43 unz. 54 telen alse solden. 61 unzellee an. 

9 worte. 11 vrochter. 17 plach. 

*) unverschart vgl. Pass. H. 19, 14. 348, 55. Pass. K. 297, 66. 305, 9. 322, 88. 
388, 91 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 187 


in manigen herzen sorgen tief 
20 lach her vurdacht unz her untslief. 
dö sich Jäcob geleite 
näch müder arbeite 
und der släf in uberwant, 
dö sach der gotes wigant 
25 eine leitere in dem troume hie 
die hö unz in den himel gie. 
an der sach er uberal 
engel stigen üf und ze tal, 
von im und züzim aber wider 
30 die leiter üf unde nider 
als erz in dem troume maz. 
ze oberst an der leiter saz 
got unser herre unde sach 
vom himel nider unde sprach 
35 “ich bin Abrähämes got 
und Ysääkes. in din gebot 
wil ich geben in dine hant 
zü besitzene diz lant 
und näch dir dem kunne din. 
40 ich wil din geleite sin 
und mit vride dich bewarn 
üf dem wege den dü wilt varn 
und wil din mit selden pflegen. 
dines anen und dines vater segen 
45 sol dir bereite sin von mir, 
sö daz gesegent [suln] an dir, 
in dinem sämen werden 
die geslechte üf allen erden. 
in disem segen sö wil ich 
65° 50 dich segenen und bevriden*) dich. 
wie der geheiz dö üf der vart 
und sider wol gevüret wart, 
daz hät uns al mit wärheit 
die heilige schrift gar geseit. 
55 üf der verte pflac er sin 
und tete im sine helfe schin, 
sö daz zü selden im ergie 
näch wunsche swaz er anevie. 
ouch tete got den heiz erkant, 
60 dö er vügete dä daz lant 
sinem lieben geslechte sit 
in den tagen und bi der zit, 
dö die israh@lische schar 
Jösu& sit brächte dar. 


38 besezzene. 49 samen. 61 sinem geleben gesl. 
*) bevriden ganz bes. oft im Passional; s. Pass. H. 88, 53. 156, 72. 181, 5. 185, 42. 
255, 61, 300, 74. Pass. K. 69, 22. 202, 85. 205, 28. 332, 46. 385, 90, 389, 93. 682, 52. 


188 KARL SCHRÖDER 


Die bittern Wasser. 


118° Νὰ was dem volke wirs dan ἃ, 

in tete durst nicht ἃ sö we 
als in was von durste dö. 
daz müste vügen sich alsö. 

5 daz wazzer was, daz ist alwär, *) 

N schöne lüter unde clär 
118 unde licht an der gesicht 

und mochten is doch trinken nicht. 
daz was ir grözeste ungemach. 

10 do in diz ungemach geschach, 
got zeigete her Moyse dä 
ein holz in der wüste sä 
und hiez iz in daz wazzer legen 
und die brunnen mite vegen, 

15 s5 wurde iz in güt zehant. 
nü tüt uns die schrift erkant, 
daz selbe holz were von art 
sö sür daz sürer holz nie wart. 
durch daz wunder wolte got 

20 daz siner wunder höchgebot 
deste grözer were gar 
sö man des wunders n&me war, 
daz sür von süreme solde hän 
süzen smach. daz was getän. 

25 Moys& dö nicht lenger beit, 
daz holz inz wazzer wart geleit 
und wart daz wazzer säzehant 
trinkic**) unde süze erkant, 
dä von iz dem lüte böt 

30 wider ir eraft in durstes nöt. 
dö trance die vurmüdete schar 
und büzete ir durst der ir & war, 
den dirre süze trank verstiez. ***). 


Den bisher gegebenen, rein erzählenden Proben lassen wir zwei 
weitere folgen, die beide des Passionaldichters nicht unwürdig sind, die 
eine mehr erbaulicher, die andere religiös-lyrischer Art. 


5 waren. 7 geschicht. 9 grotteste. 13 liegen. 
*) alwär ist nicht oft belegt; s. Lexer 1, 46, doch s. Pass. K. 206, 56. 
ἘΝῚ trinkic ist bisher unbelegt; die Adj. auf ec liebt das Passional, wie z. B. 
begrifee, bildee, gehörec, jämerec, gerichtec u. s. w. 
*#*) verstözen in dieser Bedeutung s. z. B. Pass. K. 13, 47. 232, 2. 300, 73. 
302, 2. 517, 16. Vgl. auch in unserer Hs. fol. 38%: 
des tumber sin von im verstiez 
witze und wislichen sin, 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 139 


1175 Got gegen uns des gerüchet, 

daz er lange vursüchet 
den sunder, ob er sundichlichez leben 
icht läzen wille und begeben, 

5 und l&zet in an müte, 
an libe und an güte, 
an vrunden, an wibe, an kinden 
etteliche sw£@re vinden, 
die dem sunder alle vrist 

10 ein castigunge*), ein geisel ist, 
und vursüchet in dä bi, 
ob dä icht bezzerunge si, 
wie wol im sin geverte 
und sines herzen herte 

15 si bekant und ouch sin sin. 
iedoch vursüchet er in 
dicke und dicke biz üf den tae 
daz iz nicht bezzer werden mac, 
und lät dan umbe die missetät, 

20 ob er sich nicht gebezzert hät, 
lib unde 5816 ersterben, 
in dem röten mer vurterben, 
daz vüren ist und vürich röt. 
dä müz er dulden lebenden töt, 

25 der lebende nimmer sterbet 
und sterbende nicht vurterbet. 
die rechten [aber] singent sö 

1172 “eantemus deo domino. 

zü der selben selleschaft 

30 helfe uns die höe gotes craft, 
daz wir den dön 50 süzen 
ze lobe im singen müzen. 


Aarons Ruthe. 


162% Die rüte wart behalten dö 
und Aaröne gestatet 80 
daz gotes ampt an der zit 
sunder criges widerstrit. 

5 mit der rüte gevestent wart 

alsus der oberste &wart 
der &wart üf der erde hiez, 
an den got sin ampt dö liez, 


5 gevesten. 7 er wart. 
*) castigunge vgl. Pass. H. 4, 23. Pass. K. 31, 43. 222, 8. 235, 39, Das Wort 


ist ausser hier und dem Barlaam wenig belegt; s. mittelh, Wb. I 802», 


190 KARL SCHRÖDER 


zu berichtene in der alden &. 
10 näch gotes gebote vurbaz m& 
wart kunftich üf der erde 
näch gotlichem werde 
der himelschen &warten komen. 
kunftich bezeichent und vurnomen 
15 was die himelsche keiserin, 
aller gnäden sunnenschin, 
ein wurzel aller güte, 
stam aller d&@müte, 
insigel stete, spiegel, blüme 
20 mit reinem magetdüme, 
aller küsche ein urhap, 
aller selden leitestap, 
die milte, die güte, 
die gnädelich gemüte, 
25 die edele süze reine, 
die vrie von allem meine 
und alles wunsches züversicht, 
in aller nöt ein hulfich pflicht, ἢ 
aller angest ein ende, 
30 stür aller missewende, 
sterne des wütenden meres, 
ein leite des irrenden heres, 
ein habe der tobenden unde, 
ein salbe der tötsunde, 
162° 35 ein tröst der vurlornen, 
ein helfe der vurkornen, 
ein tor des himelriches, 
der nie nicht wart geliches 
von zwein menschen ie geborn 
40 580 reine, sö güt, sö üzerkorn: 
ich meine die valsches vrien, 
die mait sunte Marien, 
die magettümlicher küsche gar 
got unsen herren Crist gebar, 
45 bezeichent desse rüte 
die Aaröne blüte. 
die rüte durre, unberhaft**) schein, 
die wart vruchtich mit vruchten rein. 
und äne mannes selleschaft, 
50 von des höesten [gotes] kraft 


31 wudendes. 32 leite von des werenten hers.. 39 wart von zw. minschen 
geborn. 

*) hulfich entbehrt des Beleges, nur gehülfie ist belegt im mhd. Wörterb. I 683* ; 
vgl. oben die Anm. zu trinkic. Pflicht mit einem Adj. verbunden besonders gern im 
Pass., s. mittelhochd. Wb. II!, 509%. 

**) Selten belegt im mittelhochd, Wb.I 140; doch 5. Pass. H. 7, 39. 61. 345, 92. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 191 


der näch der gotheit was ie 
und gewan anegenge nie, 
ir ip gebar die menscheit 
die gotes und menschen namen treit, 
55 und als der erdesche &wart 
gevestent mit der rüte wart, 
got der himelsche @wart 
gestetiget und gekundet wart 
zem obersten &warten dar 
60 mit der mait die in gebar, 
wan niem® mait äne man 
menschlichen lip gewan, 
noch durrez holz vrucht alsam 
äne schaft, än bernden stam. 


In der Litteraturgeschichte ist bisher ziemlich absprechend über 
unsere Chronik geurtheilt worden. Vilmar p. 15 hat hervorgehoben, daß 
der Verfasser sich selavisch an seine Vorlagen band, und Wackernagel 
Litteraturgesch. p. 174 spricht von ihm als einem, “welcher mehr nur 
zu übersetzen als zu dichten verstand. Doch hat Vilmar p. 26 zuge- 
geben, daß sich wieder Stellen finden, die an die beste Zeit erinnern, 
und auch Mafßmann p. 92 meint, daß er Rudolf nicht ganz unglück- 
lich nachgeahmt habe. Ich bin geneigt, ihn einigermaßen in Schutz zu 
nehmen, und wenn z. B. Pfeiffer das poetische Talent Jeroschins her- 
vorhebt und erklärt, daß derselbe für den Inhalt seines Gedichtes nicht 
verantwortlich sein könne, da er die Aufgabe hatte, Dusburgs Chronik 
aus dem Lateinischen zu übersetzen (Pfeiffer, Jeroschin p. XXXV]), 
so möchte ich ähnlich von unserm Dichter sagen. Daß er zu seinem 
Werke Auftrag hatte, wissen wir ja, und wer weiß, ob ihm nicht 
Landgraf Heinrich auch vorschrieb, an welche Quellen er sich zu halten 
habe? Auch in Rudolfs Werk wird man höheren dichterischen Schwung 
nicht finden, wie Vilmar p. 14 sagt; das liegt auch in der Natur solcher 
Stoffe. Und nun betrachte man die Vorlagen, die der Dichter der 
Christherre-Chronik wählte oder die ihm angegeben wurden: Petrus 
Comestor mit seiner dürren, scholastischen Gelehrsamkeit, und der 
Presbyter von Viterbo mit seinen ‘wunderlichen theosophisch-scholasti- 
schen Träumereien und Bilderspielen. Ja man nehme doch die Bibel 
selbst: wie vieles ist nicht im Pentateuch, neben einzelnen köstlichen 
Stoffen, was eine dichterische Behandlung absolut nicht verträgt? Ge- 
schlechtsregister und Caeremonialbücher sind doch wahrlich kein Stoff 


51 got nach, 62 menslichen lip me gewan, 


192 KARL SCHRÖDER 


für einen Dichter, und rechnet man hinzu die synchronistischen Über- 
sichten des Gottfried von Viterbo und die philologischen Glossen des 
Isidor, welche Petrus Comestor aufnahm (s. oben unsere erste An- 
merkung), so werden wir das allerdings gern zugeben, daß sich der 
Chronist in der Wahl seiner Vorlage gründlich vergriff, zugleich aber 
auch gerechter Weise bekennen müssen, daß er nicht der Einzige ist, 
den dieser Vorwurf trifft, daß vielmehr der weitaus größere Theil 
unserer mittelalterlichen Dichtung an den elenden Stoffen krankt. Zu 
diesem Bewusstsein kommt auch der Dichter selbst nicht selten, und 
er ist bemüht, allzu dürre Strecken eilenden Laufes zurückzulegen: der 
Redensarten finden sich viele, die von dieser Erkenntniss zeugen, und 
die Sehnsucht nach dem Ende spricht sich namentlich vom Leviticus 
an ziemlich unverhohlen aus, wie es denn heißt fol. 143°: daz uns diz 
slechte getichte deste kurtzer werde erkant, oder fol. 144°: daz wil ich 
ü nicht gar sagen, oder fol. 146°: von dem ich nü nicht sprechen wil, 
und ebenda: des ich hie nicht wil düten u. s. w. Wo aber die schlichte 
Erzählung zur Geltung kommt, da fühlt sich auch der Dichter wohler 
und ist seines Stoffes nicht unwürdig, wie z. B. namentlich in der 
Geschichte Josephs und in den Erzählungen von der Jugend des Moses. — 

Ich kann nicht schließen, ohne noch einige Worte zu sagen über 
den Vorwurf, den man dem Dichter der Christherre-Chronik daraus 
gemacht hat, daß er sich treu an den Wortlaut seiner Quelle band und 
im Wesentlichen dieselbe nur übersetzte. Daß er so verfuhr, kann nicht 
geleugnet werden. Aber, frage ich, machte es denn der Dichter des 
Passionals anders? Hat nicht auch er seine lateinischen Quellen, so 
weit wir sie kennen, zwar mit Einleitungen versehn und ab und an 
Reflexionen eingestreut, aber wesentlich genau übersetzt? Wobei nur 
das zugegeben werden kann, daß im Laufe der Jahre die Routine etwas 
zugenommen hat, — eine Thatsache, die ganz und gar natürlich ist. 
Ich kann und will meine Behauptung erhärten, und wähle zu dem Ende 
einen beliebigen Abschnitt aus dem dritten Buche des Passionals, Von 
deme heiligen crüce (K. 265 ff.) und stelle die bezüglichen Stellen der. 
lateinischen Quelle, der Legenda aurea (ed. Graesse p. 303), den Versen 
gegenüber. 


266, 6: p- 303: 
Nichöd&mus hät uns geseit legitur enim in evangelio Nicodemi 
266, 20 ft. p- 303: 
bat umme daz olei oleum misericordiae, quo corpus 
daz der boum üf im treit, patris perungeret et sanitatem re- 


genant barmherzekeit. ciperet, postulavit. 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 193 


hiemite wolde er salben 

den vater allenthalben, 

üf daz er alsö wurde vri 

und die suchte tröte bi 

die im sine craft benam. 
Micha@l der engel quam 

und sprach “Seth, lä bliben daz, 
du endarft nicht weinen vurbaz 
um daz olei daz üf im treit 

der boum der barmherzekeit, 
daz Adäme beneme sin we. 

ez mac dir nicht werden & 
vumf tüsent jär oder m£. 


266, 38: 
in einer mislichen schrift 
vinde wir geschriben drab 


266, 50: 


und swennez brenget sine vrucht 


.sö 88] din vater wol genesen. 


266, 52: 
uns läzen ouch die büch lesen 
an sumelichen orten 


267, 56 Εἴ: 
seht dö wart den meistern zorn 
üf daz holz durch die geschicht 
und wolden sin bederben nicht, 
wand ez in was unnutze. 
ez wart üf eine phutze 
geleget durch den bösen weec, 
dä was ez lange wile ein stec 
und trüc die lüte üf enpor 
die dä solden wanderen vor. 


268, 66 ff.: 
die kunigin vil sere erschrac, 
wand si in dem geiste 
mit gotes volleiste 
prüvete wol alzuhant, 
daz der werlde heilant 
wurde erhangen an dem tram. 
dö ires herzen wiser ram 
diz bekante üffer stat, 
um daz holz si hin trat 
und kniete gegen im und neic. 
GERMANISTISCHE STUDIEN, II. 


Cui apparens Michael archangelus 
ait: nolilaborare neque flerepro oleo 
ligni misericordiae obtinendo, quia 
nullatenus illud assequi poteris, nisi 
quando completi fuerint quinque 
millia quingenti anni. 


p- 303: 
Legitur quoque 4110] 


p- 304: 


quod, quando faceret fructum, pater 
sanaretur. 


p- 304: 
in quadam vero hystoria Graecorum 
licet apoerypha legitur 


p- 304: 
Ob hoc indignati artifices ipsam re- 
probaverunt, et super quendam 
lacum, ut esset pons transeuntibus, 
projecerunt. 


Ρ. 304: 


vidit in spiritu, quod salvator mundi 
in ligno suspendendus fuerat, 


et ideo lignum transire noluit, sed 
ipsum protinus adoravit. 


13 


194 KARL 


268, 84 ft.: 
sumelich meister hät geseit, 
daz sie den tram nicht s&he 
ligen sö unw£he, 
sunder an £rlicher stat, 
dä in hete hin gesat 
in sin hüs kunie Sälömön. 


SCHRÖDER 


Ρ. 304: 
In Hystoria tamen Scholastica legi- 
tur, quod praedietum lignum regina 
Saba in domo saltus vidit. 


Wir sehn aus dieser Stelle, daß der Dichter in der ihm vorliegenden 
Hs. nicht saltus, sondern Salomonis fand. 


268, 93: 
dö die vrowe heim quam 


268, 96 ff.: 
dem kunige si vil gar enböt: 
"Sälömön’, sprach si, “wizze, daz 
in den jären vurbaz 
wirt ein mensche gevangen 
und an daz holz erhangen, 
von deme genzlich undergät 
der lande riche daz nü stät 
an dir mit grözen ren”. 


269, 41: 
der grözer tugende an im pflae 


269, 67 £.: 
dö quam daz liebe holz hervor 
und swam in deme tiche enpor. 


269, 94 ἢ: 
alsus lac in der trübe 
bedact daz krüze alvurwär 
volleclich zweihundert jar. 


p- 304: 
cumque ad domum suam rediisset. 


p- 304: 
intimavit Salomoni, quod in illo 
ligno suspendendus esset, 


per eujus mortem Judaeorum reg- 
num deleri deberet. 


p- 304: 
ex virtute ipsius ligni 


p- 304: 
praedictum lignum superenatasse 
perhibetur. 


p- 305: 


istud lignum crueis pretiosum per 
annos CC et ultra sub terra latuit. 


Man wird ohne Bedenken zugeben, daß ein lateinischer Text 
kaum wörtlicher übersetzt werden kann, als es hier vom Dichter des 
Passionals geschehn ist. Und unser Abschnitt ist nicht etwa der einzige, 
der so treu dem Text der Legenda aurea sich anschließt; ich nehme 
noch einen zweiten, den Von sante Patricio (K. 232; Leg. aur. p. 213): 


p. 232, 10 ff. 
dö dirre tugenthafte man 
zeimäl an siner predigäte stünt 


daz si Crist geloubeten got, 
der näch der goteheit gebot 


p- 213: 
dum Scotorum regi de Christi pas- 
sione praedicaret 


ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 


vumf wunden an dem crüce leit 

dö was kumen ouch dä hin 

der Schotten kunic der vor im saz. 
233, 4 fl.: 

ein iserine krucke 

hete er, als ein alder man. 

er leinte sich biwilen dran 

als noch sumelicher müz. 

dem kunige satzte er üf den vüz 

daz isen von der krucken 


τον τ in durch den vi stick. 
233, 18 fe: 
der kunic vil stille sweic 


und versaz den smerzen. 
er dächte in sime herzen 


“dirre man ist alsö wise, 

er hät getän diz gerne 

und wil, daz ich lerne 

den wec des &wigen vrumen, 

und darzü mac ich nimmer kumen, 
ich endulde ouch diz leit 

daz Crist an dem crüce leit. 


2334:42 ff. 


mit allen zuchten er neic 

gegen gote und sprach sin gebet. 
zühant als er daz getet, 

dö wart dem kunige sin vüz 

wol gesunt. 


233,54 fl.: 
dirre tugenthafte bote 
den unser herre in sande, 
behielt dö deme lande 
einen 50 richen bejac, 
daz nicht darinne wesen mac 
dikein tier mit vergift. 


233, 62 fl.: 


man saget ouch von dem lande, 
von holze und von ledere, 

daz bi deme diwedere 

dikeine vergift muge wesen, 


195 


p- 213: 


appodians se super ferulam, quam 
manu tenebat 


et casu pedi regis superposuerat, 


cum aculeo pedem perforavit. 


p- 213: 
Rex vero credens, sanctum episco- 
pum ex industria hoc facere, et se 
aliter fidem Christinon posse susci- 
pere, nisi similia pro Christo pate- 
retur, patienter sustinuit. 


p- 213: 
precibus regem sanavit. 


p- 213: 


Sanctus . ... z: toti provinciae obti- 
nuit, quod nullum venenosum ani- 
mal ibidem possit vivere. 


p- 213: 
imo etiam ligna et coria illius regi- 
onis contraria, ut dieitur, sunt ve- 
neno. 


13* 


196 KARL SCHRÖDER, ZUR CHRISTHERRE-WELTCHRONIK. 


233, 67 £.: p- 213: 
dä wart zeimäl-ein schäf verstoln Quidam vir ovem vicini sui furatus 
und sime herren verholn u. 8. w. fuerat u. s. w. 


Also auch hier wieder wesentlich Übersetzung. Aber der hier 
angezogene Abschnitt ist noch in einer andern Hinsicht nicht ohne 
Interesse. Die Geschichte nämlich von Patrieius und dem Schotten- 
könige ist, allerdings auch aus derselben Quelle, episodisch auch noch 
in einem andern Gedichte behandelt, nämlich im Tundalus, und hier 


begegnen mancherlei Anklänge: 


Tund. 42, 45: Pass. K. 2335, 6: 

er begunde sei harte drucchen er leinte sich biwilen dran 
als der wege müede tuon muoz. als noch sumelicher müz. 

42,49: 259, 16: 
daz isen im dar durch gie wand er in durch den vüz stach 
dö sich der herre üf gelie. dö er üf die krucken neic. 

42, 29: 233, 63: 
ez si holz oder leder von holze und von ledere. 


Daß der Passionaldichter, der sich ganz der Legende widmete, 
den Tundalus gekannt habe, ist doch wohl höchst wahrscheinlich. Hätten 
wir also etwa hier auch im Passional eine Probe von jenem Verweben 
fremder Verse in das eigene Gedicht, von jener “Mosaikfertigkeit, 
welche Maßmann p. 98 dem Dichter der Christherre-Chronik zum Vor- 
wurf macht? 

Eilen wir zum Schluß und ziehen kurz die Summe des bisher 
ausgeführten: Von den beiden Dichtungen, die sich unverkennbar in 
ihrer ganzen Haltung an Rudolf von Ems anlehnen, kennen wir die 
Verfasser nicht*), die Frage ist also erlaubt, ob nicht vielleicht beide 
Werke demselben Dichter angehören. Die Zeit, in der die Beiden lebten, 
fällt zusammen, da wir bei dem Dichter des Passionals, in Anbetracht 
des großen Umfanges seines Werkes, eine lange Lebenszeit voraus- 
setzen müssen. Daß Beide in derselben Mundart dichteten, ist wahr- 
scheinlich, wenigstens wäre der Gegenbeweis erst zu führen. Rechnen 
wir hinzu eine nicht unerhebliche Anzahl von Übereinstimmungen 
namentlich im Wortschatz, die dem gemeinsamen Vorbilde fremd sind, 


*) Mein begreifliches Bestreben, irgend eine versteckte Andeutung, etwa in 
Form eines Akrostichon zu entdecken, hat kein Resultat gehabt, denn daß einmal auf 
der letzten Seite des alten Passionals v. 66—68 die Anfangsbuchstaben den Namen 
Ems ergeben, mag ich vorläufig doch nicht für etwas Anderes halten als einen baren 


Zufall. 


K. J. SCHRÖER, MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 197 


so scheint die Annahme nicht unbegründet, daß der Dichter des Pas- 
sionals auch die Christherre- Chronik verfasste, — wodurch dann die 
cyklische Dichtung einen harmonischen Abschluß finden würde. Einen 
Gewinn für die Litteraturgeschichte würde uns diese Annahme, wenn 
sie sich bestätigte, insofern bringen: sie würde uns ermöglichen, 
die Zeit der Entstehung des Passionals genauer zu definieren, und sie 
würde die oft ventilierte Frage, ob die Heimat des Dichters im Osten 
oder Westen von Mitteldeutschland zu suchen, definitiv zu Gunsten von 
Meißen entscheiden. 

Die Specialforscher aber in thüringisch-meißnischer Landesge- 
schichte seien gebeten, auf unsern Dichter ein wachsames Auge zu 


haben. 
LEIPZIG, December 1871. KARL SCHRÖDER. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 


VON 


K. J. SCHRÖER. 


Die deutschen Weihnachtsspiele in Ungarn und deren Zusammenhang mit dem Meister- 
sang und dem Volksliede. 


Karl Goedeke hat jüngst in der Einleitung zu den von ihm heraus- 
gegebenen Dichtungen von Hans Sachs 1. Theil S. IX f. hervorgehoben, 
wie wenig sich bisher die Forschung mit dem Meistergesange des 16. 
Jahrhunderts abgegeben, so daß es geschehen konnte, daß man z. B. 
die Spruchgedichte des Hans Sachs herkömmlicherweise hervorzuheben 
pflegte gegen seine Meisterlieder, ohne die letzteren zu kennen, ohne 
zu entdecken, daß seine sämmtlichen Spruchgedichte wenig 
veränderte Meisterlieder sind! — Es wird die hiermit gegebene 
Anregung G.’s gewiß nicht unbeachtet bleiben. Mich veranlasst sie 
einige Bemerkungen und Mittheilungen nieder zu schreiben, die als ein 
kleiner Beitrag gelten mögen zur Charakteristik des Meistergesanges 
überhaupt, sowie zur Frage über dessen Ausbreitung in Österreich. 

Daß der Meistergesang, bei aller steifen Förmlichkeit der Schule, 
doch ein Mittelpunkt war für das Leben eines kunstsinnigen Geistes 
im Volke, scheint mir ganz deutlich bervorzugehen aus seinen Be- 
ziehungen zum volksmäßigen Schauspiel, in denen die Verschmelzung 
meistersingerlicher Dichtung mit Elementen der Volksdichtung und des 


198 K. J. SCHRÖER 


Volksliedes, sowie der Zunftgebräuche der Schulen mit alten Volks- 
sitten ersichtlich sind. 

Diese Beziehungen des Meistergesanges zum volksmäßigen Schau- 
spiel habe ich schon hervorgehoben in meinem Büchlein: Deutsche 
Weihnachtsspiele aus Ungern (Wien 1858. Braumüller), worauf 
auch im Centralblatte (1858, Nr. 8) von Zarncke aufmerksam gemacht 
wurde. Es ist aber gerade dieser Punkt weiter unbeachtet geblieben 
und es sei gestattet ihn noch einmal und womöglich noch nachdrück- 
licher hervorzuheben. 

Die Spieler der Oberuferer Weihnachtsspiele nennen sich heute noch 
Singer. Einen unter ihnen, der die Rolle des Altkünigs spielt, des 
Königs Melchior, der in den Chören den Ton angibt, nennen sie: Meister- 
singer. In ihrem Begrüßungsgesange heißt es: 

ir lieben, meine singer, trett zusam in ein scheiben, 
wir wellen uns die weile mit singen vertreiben. 

ir lieben meine singer fangts tapfer an, 

zu grüeßen wellen wir heben an, 

grüeßen wir gott vater im höchsten thron 

und grüeßen wir auch sein einigen son etc. 

grüeßen wir unsern meistersinger gut 

und grüeßen den meistersinger sein hut etc. 

Wer hier einen Zusammenhang mit altem Meistersang noch nicht 
erkennen wollte, vergleiche damit nun die Strophen des Meistersingers 
Peter Zwinger, aus dem 15. Jahrhundert, die Holtzmann Germania 5,210 f. 
mitgeiheilt hat: 

„got grüsz die singer in der singer schule, 

got grüsz die meister uf der kunsten stule, 

got grüsz uch meistersinger al geliche“ οἷο. 
Womit weiter die Begrüßungen der Meistersinger unter einander zu ver- 
gleichen sind, wie sie Germania 3, 323 ff. 325. 327 vorkommen. 

Noch deutlichere Beziehungen treten hervor in der Handschrift 
von Weihnachtsspielen, die mir erst nach dem Druck meines Büch- 
leins zugekommen ist und über die ich berichtet habe in einem Pro- 
gramm aus Presburg 1858: Nachtrag zu den deutschen Weih- 
nachtsspielen aus Ungern. In dieser Handschrift fand sich die 
Bemerkung zu dem Weihnachtsspiele: „welches in 1652. jahr erst- 
lich gehalten und agirt wart alhier zu Räggendorff“ (einem 
Markt, jetzt Ragendorf, nicht weit von Presburg). Aus dieser Zeit- 
angabe wird nun wohl wahrscheinlich, daß die Weihnachtsspiele durch 
protestantische Einwanderer aus Steiermark, Salzburg oder Oberöster- 
reich ete., die in Folge der Vertreibungen 1620—1630 aus Österreich, 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 199 


eingewandert sind oder die später durch die ungrischen' Landtagsbe- 
schlüsse von 1646 hier freie Religionsübung hofften, mitgebracht 
wurden; von diesen Einwanderern leiten nämlich diese Gemeinden, 
die im Besitz der Spiele sind, ihre Abstammung her. Dieß habe ich 
sehon früher als Vermuthung ausgesprochen, indem ich wörtliche 
Übereinstimmung mit den von Weinhold mitgetheilten Weihnachtsspielen 
aus Steiermark nachwies. 

Aber auch weitere Beziehungen zum Meistersang und zum alten 
Volksliede werden ersichtlich. 

An jenes Begrüßungslied schließen sich in der Ragendorfer Hand- 
schrift unmittelbar Räthselfragen an, wodurch die Verwandtschaft mit 
den meistersingerlichen Wettgesangsspielen ersichtlich wird. Es heißt: 

„bist du mir ein singer, ietzt wil ich dich fragen: 

wirst du mir die fragen auslegen recht, 

so sei du mir herr und ich dein knecht“. 
So schließt bekanntlich auch der Wettgesang zwischen Buchsbaum und 
Felbinger Uhland Volksl. 9. — Die Spieler erscheinen deutlicher noch 
als Meistersinger in dieser älteren Handschrift. Bei den Räthselfragen, 
mit denen die Spielgesellschaften zweier Ortschaften um das Recht an 
einem Orte zu spielen kämpften (s. darüber Ausführliches meine Weih- 
nachtssp. S. 204 ff. Nachtrag S. 10. 12. 14 und Uhlands Schriften III, 
182), reden sie sich als Meistersinger an: 

„Grüeßß euch got, meistersinger hochgeboren, 

Got hat dieh zeinem meistersinger auserkoren“* etc. 


Darauf: „Dank euch Gott, meistersinger, mit al dein fragen 
daß du mich so trostreich tust fragen“ etc. 


Nachtrag 5. 10. Erwähnenswerth ist auch noch die Übereinstimmung 
des Begrüßungsliedes mit dem Liede bei Uhland Nr. 3. Kranzsingen 
(Straßburger Druck um 1570), wo es heißt: 


„mit lust trit ich an diese stat, 

got grüeß mir ein erbern weisen rat, 
ein erbern rat, nicht allein, 

darzu ein ganze gemeine“. 


Vgl. im Ragendorfer Spiel Nachtrag S. 8: 
„grüeßen wir ein ersamen rat 
dieweil in got dazu verordnet hat, 
grüeßßen wir ein ersame gemein 
die al hie versammlet sein“. 
Die Verschmelzung echt volksmäßiger Theile des Weihnachts- 
spieles und Paradiesspiels mit Theilen der er Ὁ γυ Stücke des 
Hans Sachs habe ich nachgewiesen Weihnachtsspiele S. 162—186, 


200 K. J. SCHRÖER 


Echt volksmäßig ist wohl auch die Sitte in Oberufer, ehedem 
auch in Presburg, der Darstellung des Weihnachtsspieles und Para- 
diesspieles ein Fastnachtspiel folgen zu lassen, 5. meine Weihnachts- 
spiele ὃ. 43. 201 ff, das mit einem echten volksthümlichen Liebesliede 
beschlossen wird, das ich nun mit Hilfe der Ragendorfer Handschrift, 
vollständiger als die Weihnachtsspiele S. 46 mittheilen kann: 

1. Ach got, wem sol ich klagen mein leid, 

daß mir mein herz gefallen treit 

wol zu der allerliebsten mein, 

die mir auf erden die liebste mae sein! 
‚Ich hab si lieb und hab si wert 

und was ir einziges herz begert 

tat ich in züchten und anders nicht: 

ei het si ein andern lieber als mich! 

3. Ei het ich das mein lebtae nit glaubt 
daß ich werd meiner herzliebsten beraubt! 
iedoch ich nicht wil lassen ab, 
dieweil ich ein june frisch leben hab. 

4. lez wil mir nemen ein traurigen mut 
gleichwie das turteltäubelein tut; 
es schwingt sich wol auf ein grüenes zwei 
und laßt sich ja nicht irren darbei. 

5. Ade zu tausendmal, schön gute nacht! 
hab mir das liedlein zu eren gemacht. 
Tragen wil ich ein rosinfarbes kleid: 
dahin tuet füeren ein heimliches leid. 

Auch diefß Lied geht mindestens in das 16. Jahrhundert zurück, 
vgl. Uhland Volksl. I, S. 100 Nr. 50, und ist ein Beweis für die Ver- 
schmelzung echt volksthümlicher Elemente mit dem meistersingerlichen 
Schauspiel. 

Es erhellt, daß in beiden Stücken neben großen Abweichungen 
in der Anlage, mitten in den, gleichfalls gereimten, volksmäßigen 
Text, große Stellen aus Hans Sachs wörtlich aufgenommen sind, die 
sich in mündlicher Überlieferung gut erhalten haben. — Der Er 
Band der Folioausgabe von H. Sachs enthält gleich zu Anfang die 
Tragödie von der schepfung, fall und austreibung Adae aus 
dem paradies. Von diesem Stück stimmen 160 von 320 Zeilen mit 
dem Oberuferer Paradiesspiel überein! — Jener Band der Folioausgabe 
ist von Hans Sachs nun dem berkherrn in der Gastein und Rauris 
Christoph Weitmoser gewidmet, was ein weiteres Zeugniss dafür 
ist, daß Hans Sachs, der in seiner Jugend in Inspruck und Wels 
geweilt, auch später noch zu unseren Gebirgsländern in Beziehung 
stund. — Ich habe ἃ. a, Ὁ. auch ein Paradiesspiel aus Gastein mit- 


ID 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 201 


getheilt, das verwandt ist mit dem Vordernberger (bei Weinhold) und 
mit dem Oberuferer und Presburger Spiel. Durch das erstere zieht sich 
ein Gesang mit dem Rundreim: 


wir loben got schon 
im höchsten thron 


Im Vordernberger Spiel heißt derselbe: 


so loben wir Gott schon 
im höchsten thron 


Im Oberuferer, Presburger: 


Gott loben wir schon 
ım höchsten thron. 


Vgl. dazu Weihnachtssp. des 15. Jhs. herausgeg. v. Piderit S. 8: 


got in dem obersten tröne 
si lob und @r gar schöne 


Im Ausdruck und in den Reimen des volksmäßigen Paradiesspieles 
finden sich auch sonst Anklänge an ältere Texte von H. Sachs. Die 
von Bartsch Germania 8, 51 angeführte Handschrift einer Weltchronik 
des 14, Jahrhunderts beginnt: do gotin seiner magenkraft swebt 
und alle ding in seiner weisheit het. Damit vgl. den alten An- 
fang des Paradeisspiels von Vordernberg, dessen von Gastein und des 
Presburgers (meine Weihnachtsspiele S. 125): als got in seiner her- 
lichkeit schwebt erschuf er alles was da lebt. — Das Kün- 
zelsauer Fronleichnamsspiel von 1479, das Werner Germania 4 mit- 
theilt a. a. ©. 5. 343: 


freien willen er im hat geben 

daß er det in seinem willen leben — 

das solt ir merken eben 

halten gottes gebot und in sein willen leben. 


Vgl. Paradeisspiel (meine Weihnachtsspiele S. 123): 
nach dein göttlichen willen zu leben 
denn du hast mich erschaffen eben 

und ähnlich daselbst Vers 67 f. 112 £. 150 f. 154 f. Germania 4, 343: 

denn es ist die beste speis 
die do stet in dem paradeis 

Paradeisspiel (Weihnachtsspiel S. 128): 
dir zeiner kostbarlichen speis 
allhier wol in dem paradeis. 

Germania 4, 544: 
das ir erkent in euerm mut 
es sei böse oder gut 

Far... 128: 
nemlich vom baum des bös und gut 
der in der mitte wachsen tut. 


202 K. J. SCHRÖER 


Par. S. 145: 


Got spricht: der baum soll wissen bös und gut 
das nemet euch zu mut 


Germ. 4, 344: 

aber der Teufel „in slangenweis“ 
Par. S. 133: 

geschlichen in einer schlangenweis! 


Germ. 343: 


er forcht ir wert den gottern gleich 
dz geschicht sicherleich 
wenn ir gezt von der speis 


Par. 134: 


ich richt daß sessen von der speis — 
Adam ἰδὲ du von der frucht reich 
so wirst du deinem herrm gleich. 


Germ. 344: 


ich han si beide belogen 
und si betrogen 


Par. 136: 


gleichwie ich adam und Eva betrogen 
und hab in beiden vorgelogen u. dgl. m. 


Indem schon durch diese Übereinstimmung allein der Zusammen- 
hang zwischen diesen Spielen unzweifelhaft erhellt, ist Eines auffallend. 
Das entsprechende Spiel von H. Sachs zeigt keinen Anklang an jenes 
eingeflochtene Lied und das Gasteiner Spiel zeigt keinen Anklang an 
H. Sachs, womit sowohl der Einfluß von H. Sachs, wie die ursprüngliche 
Selbständigkeit des Volksschauspiels ersichtlich werden. 

Aus Obigem geht ferner deutlich hervor, daß diejenigen, die die 
volksmäßigen Weihnachtsspiele spielten und noch spielen, eine Sing- 
schule bilden, die jetzt aur mehr Einen Vorsänger Meistersinger 
nennt, ehedem mehrere Meister zählte. Jetzt ist es nur mehr eine 
Ve für den Zweck von Aufführungen, noch immer aber gelten 
Vorschriften der Sittsamkeit und Ehrbarkeit, Übungen im Gesang, wo- 
bei Geldstrafen auf Vergehen und Fehler gesetzt sind, wie bei den 
Meistersingern. Sich in der heil. Schrift zu üben ist immer noch eine 
der Hauptpflichten 5. meine Weihnachtsspiele 5. 8. Nachtr. 5. 8. 9*). 


*) Daselbst steht unter anderm eine Bestimmung, die mit einer Stelle der Schul- 
ordnung der Iglauer Meistersinger (von der weiter unten die Rede sein wird) fast 
wörtlich übereinstimmt: „wann einer unnütz geschwätz oder reden tut, bei kametistraf 
6 kr., es sal ein ieter — stil sein ete“. — Iglauer Schulordnung: „es sol auch keiner 
— mit unnützen reden den andern hindern, sondern mit zucht u. stilschweigen sitzen — 
wer solches verbricht sol straff geben 7 denar“. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 203 


Es ist demnach kein Zweifel, daß sich in den Weihnachtsspielen, 
wie sie auf dem Lande noch üblich sind, noch ein Rest landesüblichen 
Meistersingerthums des 16. Jahrhunderts erhalten hat und zwar ver- 
quiekt mit echt volksmäßigen Elementen, wodurch die Steifheit des 
Meistergesanges Leben erhielt und zugleich ersichtlich ist, daß derselbe 
nicht überall in der Abgeschlossenheit vertrocknete, wie man gewöhn- 
lich annimmt. Daß die Meistersinger, als solche, Theateraufführungen 
veranstalteten, erhellt aus einem Meisterliede des H. Sachs, das von 
Schnorr v. C, mitgetheilt wird S. 21. 


Meistersinger in Österreich. 

Daß Meistersinger in Österreich im 16. Jahrhundert vorkommen, 
ist bekannt aus Wagenseils*) Angabe einer: „tabulatur und ordnung 
der singer in Steyr, Kärnten, Österreich ob der Ens durch L. Wesel 
von Essen gestellt im jar 1562, seines alters im 33. jahr.“ 

In einem Straßburger Meisterliede von 1597**) wird auch öster- 
reichischer Meistersinger gedacht: 

„noch sind vor der zeit 

in der welt weit 

herlich dichter gewesen. 

Fint man ir nam bereit 

noch leben heut 

zu Leipzig und zu Dresden, 

zu Eßling, Nördling, Wien, Breslau, 

zu Danzig, Basel, Steier, 

zu Colmar, Frankfurt, Hagenau, 

im römischen reich zu Speier, 

Weißenburg gleich 

Pforzheim ist reich 

an dichter, wie wir lesen.“ 
man wusste demnach in Straßburg gegen das Ende des 16. Jahrhun- 
derts von Dichtern die in Wien und Steier, wahrscheinlich der 
Stadt Steier***), damals noch lebten. 

Aus Tirol haben wir wohl Kunde von einer Meistersingerhand- 
schrift des 15. Jahrhunderts, der Wiltenerf), in der echte und un- 


*) Von der Meistersinger holdseliger kunst S. 520. 
**) Histor. Merkwürdigkeiten des ehemaligen Elsasses οἷο. 1804, Straßb. S. 120. 
Uhlands Schriften 2, 295 f. 

**#) Es ist kein Zweifel, dal) dieses Steier in Oberösterreich oft irrthümlich für 
die Steiermark genommen wird, was nicht zu verwundern ist, wenn man erwägt, wie 
wenig bekannt jenes Städtchen ist. 

1) Bericht über die Wiltener Meistersingerhandschrift von Dr. Ign. Vine. 
Zingerle. Wien 1861. Ähnlich enthält die Wiener Hs. 2850 nur ältere Lieder bis ins 


204 K. J. SCHRÖER 


echte Lieder unter den Namen des Heinr. v. Mügeln, des Boppen, | 
Frauenlob, Regenbogen, Muscatblüt, Harder, Lesch, Ernbot von Rein, 
Schonsbeckel, Klingsor, Wolfram, Konr. v. Wirzburg, Marner, des 
Stollen enthalten sind; dieselbe gibt uns aber keinen Aufschluß über 
den Ort ihrer Entstehung, noch über den Bestand einer Singschule. So 
haben die kundigsten Forscher über Wiens Vergangenheit noch keine 
Spur von einer Singschule in Wien auffinden können, so daß ich den 
Schluß, daß daselbst der Meistergesang gewiß auch geblüht habe, da 
dieß von vielen kleineren Städten nachgewiesen sei, für unsicher halte; 
es scheint im Gegentheile, daß er in kleineren Städten oft eine Heimat 
fand und gerade in den Hauptstädten nicht. 

Einen solchen Schluß macht Adolf R. v. Wolfskron in seinem 
Aufsatz: Beiträge zur Geschichte des Meistergesanges in Mähren *). 

Aus dieser Schrift erfahren wir daß zu Trebitsch in Mähren 
schon im Jahre 1516 eine Singschule bestanden habe, die noch 1606 
blühte. Neben ihr gedieh unter dem Schutze eines Herrn Johann von 
Pernstein eine Singschule zu Großmeseritsch. 

Eine dritte „akatholische“ Singschule wurde 1611 gegründet zu 
Pirnitz, von wo auch als Meistersinger ein tschechischer Name ge- 
nannt wird: Thomas Drostky**). 

Von einer vierten Meistersingerschule Mährens, der zu Iglau, weiß 
von Wolfskron ausführlicher zu berichten. Dieselbe wurde, seiner An- 
sicht nach, durch den Einfluß der Jesuiten mit dem Jahre 1620 unter- 


15. Jahrh. Die Wiener Hs. 2981 geht nicht über das Jahr 1534 hinaus und enthält 
außer der auslegung der schilt vnd wappen der aitgenossen in Reimpaaren 
von Hans Vigil, einem spruch vom burgundischen krieg 1477, einem Gedicht 
auf Venedig u. a. Reimereien, nur Ein Meisterlied in des Müglings traumweis: 
ich saß in einem finster 5. Bartsch Kolmarer Hs. 5. 145. Über die Handschr. 5. 
Tabulae ecodieum manuseriptor. in bibl. palatina Vindobonensi Vol. IH. pagina 167. 
Wichtig für die Geschichte des Meistergesangs in Österreich im 16. Jahrh. scheint 
auch die noch weiter unten zu nennende Hs. Bauttners 5. Goedeke Grundriß I, 238. 

*) In den Schriften der histor. statist. Section der mähr. schles. Gesellschaft 
des Ackerbaues, der Natur und Landeskunde VII. Heft. Brünn 1854. 5. 4—54. Da- 
selbst heißt es 8.6: „wenn also in so kleinen Ortschaften derlei Singschulen nach- 
gewiesen werden, so ist es doch kaum denkbar, dafs nicht Städte von erster Bedeutung, 
wie Brünn, Olmütz, Znaim, bei Durchforschung ihrer Archive Kunde geben sollten 
von Meisterschulen.“ — Das Wiener Stadt-Archiv enthält nichts. 

ἘΠῚ von Wolfskron bezieht sich auf das Brünner Wochenblatt von 1820, Ster- 
lys Geschichte der Stadt Iglau Ms. Wolnys Topographie von Mähren VI. Dessen histor. 
Taschenbuch 1826. Chr. d’Elverts Literaturgeschichte von Mähren. Brünn 1850. Dessen 
Geschichte der Stadt Iglau. Brünn 1850 und dessen Geschichte des Theaters in Mähren 
in den Schriften der histor, statist. Sect. etc. IV. Heft, 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 205 


drückt. Von dieser Singschule theilt er eine Bittschrift an den Rat der 
Stadt Iglau vom 2. April 1571 mit, die von den Meistersingern Jakob 
Pukane und Jonas Zeidler unterzeichnet ist*). 

In dieser Bittschrift wird nun die bekannte Sage erzählt von der 
Entstehung des Meistergesanges unter Kaiser Otto „im Jahre 962.“ Dann 
heißt es weiter: 

„aber die kunst war ongefer vor 100 jaren**) schier untergegangen 
in dieser welt. aber gott, der doch sein wort nicht lest untergehn, der 
erhielt diese kunst durch 12 man zu Nurnberk, die man nun die 
12 nachdichter im heil. röm. reich nennt. und weil wir nun beide, 
ich Jakob Bukane und Jonas Zeidler meister und liebhaber der 
kunst sein und sovil unordnung bei dieser stat erfaren haben 
von den singern, daß oft ein singer herkommen ist, der 
kaum ein rechter schuler war und gleichwolschul gehalten 
und mit seinem unordentlichen singen und wesen die kunst in die acht 
gebracht, wil geschweigen andere uneinigkeit, die oft auf den schulen 
entstanden, so haben wir uns fürgenommen, ein bruderschaft und schul- 
ordnung bei dieser stat anzurichten, wie es in andern steten der brauch 
ist, got zu lob und ehr und ausbreitung seines seligmachenden 
wortes und gemeiner stat zu einem ewigen rum und den jungen ge- 
sellen zu anleitung, daß sie sich darinnen ubeten und in der heiligen 
schrift erfaren wurden“ vgl. oben S. 202. Sie wollen eine „bruder- 
schaft anrichten“ „wie es in allen reichssteten und andern orten in 
Deutschland gehalten wird, also wollen wir es auch hier bei dieser 
stat ordnen, weil wir eben die kunst und grundlichen auszug irer 
register haben, als die zu Nurnberk und Augsburk.“ — Das 
Iglauer Lied „vom ursprung des meistergesanges“ a. a. Ὁ. 5.9: 

„nun hört wie der meistergesang 

hatt seinen ursprung und anfang. 

als man nach der purt kristi klar 

zelt neunhundert sechzig zwei jar“ etc. 
enthält für unsern Gegenstand nichts wichtiges. Die Iglauer Singschule 
besaß eine aushängtafel (Anschlage- oder Postenbrief), ähnlich der 
Nürnberger (Wagenseil S. 542) und der Straßburger***), die noch er- 


*) Ein früherer Abdruck derselben Bittschrift, die im Brünner Wochenblatt 
stand, trägt die Jahrzahl 1570 und die Unterschriften Thomas Bendel und Johann 
Pukane. 

**) Indem hier eine Erneuerung des Meistergesanges in die Zeit um 1471 ge- 
legt wird, findet sich eine Straßburger Nachricht von Gründung der dortigen Schule, 
die in das Jahr 1493 fällt 5. Uhland Schriften II, 29 ἢ, 

*#*) v, Wolfskron a. a. O. 15. Lobstein, Beiträge zur Geschichte der Musik im 
Elsaß und besonders in Straßburg 1840, 


206 K. J. SCHRÖER 


halten und in dem Aufsatz von Wolfskron abgebildet ist; sie ist vom 
Jahre 1612. Daselbst ist auch noch eine Schulordnung (aus der ich 
oben eine Stelle mitgetheilt) von 1615 und eine stadträtliche Bestätigung 
derselben mitgetheilt. In derselben erscheinen die Meistersinger Thomas 
Pesserl und Jakob Fässel als „ratsverwante“ d. 1. Magistratsräthe; 
Pesserl war sogar Stadtrichter. 

Eine Meistersängerhandschrift aus Steier; Beziehungen des Meistergesanges zum Pro- 

testantismus. hr 

In der Privatbibliothek Sr. Majestät des Kaisers von Österreich 
befindet sich ein noch völlig unbekannter handschriftlicher Codex von 
Meisterliedern, größtentheils des 16. Jahrhunderts, der mir durch Güte 
des Herrn Hofrathes Dr. Ritter von Becker, Vorstandes der Bibliothek 
Sr. Majestät, zur Benützung für einige Zeit freundlichst mitgetheilt 
worden ist. Derselbe wirft einiges Licht auf das Meistersingerwesen des 
16. Jahrhunderts in Österreich, das uns um so willkommener sein muß, 
als genaue Nachrichten darüber bisher so spärlich fließen. 

Diese Handschrift zählt 163 Quartblätter, Papier. Auf dem Rücken 
des modernen Einbandes steht: „SCHNELKUNST (d. i. schuelkunst) 
in dem gulden vogelgsang M. 35.“ Der Hauptbestandtheil des Bandes ist 
eine Sammlung von Meisterliedern des Peter Heiberger, die der- 
selbe im Jahre 1586 den 7. April begonnen und den 10. Februar 15% 
beschlossen. Er nennt sich selbst: Petter Heiberger, nadler und 
ein liebhaber des deutschen meistergesanges zu Steier. 
Von seiner Hand könnte noch sein ein Theil des unmittelbar nach 
Blatt 154 folgenden Registers der Meistersänger und ihrer Töne (Bl. 
155—158). Die Fortsetzung dieses Registers bis ans Ende (Blatt 159) 
ist von einer späteren Hand (einem Mitteldeutschen, der Nörmberg 
schreibt, Heiberger schreibt Nürmberg), die auch dadurch sich von 
der andern unterscheidet, daß sie die Überschriften rot schreibt. Die 
Heiberger’sche Handschrift hat nun zwischen 1590 und 1612 Beschädi- 
gungen erlitten, das heißt, einzelne Blätter sind, vielleicht weil das 
Ganze nicht eingebunden war, verloren gegangen und diese Lücken 
wurden nun später mit Liedern, die zwischen 1612—1615 abgeschrieben 
sind, ausgefüllt, und zwar noch von Heiberger selbst. Diese später ein- 
gelegten Blätter haben nun auch meist rothe Überschriften, indem im 
ältern Theil der Handschrift die ersten Zeilen der Lieder meist grün 
sind. Zu dem Ganzen wurde noch ein register auf dises buech 
gemacht (Bl. 159’—161*), das die 132 Nummern der Lieder des ganzen 
Bandes aufzählt. Dieses Register wird noch Heiberger selbst 1615, als 
er den lückenhaft gewordenen Band neu ergänzte, gemacht haben. Was 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 207 


nun bei dem Ganzen nach dem Gesagten zuerst in die Augen fällt, ist 
lie Thatsache: daß in der Stadt Steier, von der ein Straßburger 
Meistersänger 1597 singt: daß dort Dichter noch leben, wirklich ein 
iebhaber des deutschen meistergesanges, als Veranstalter einer 
0. reichhaltigen Sammlung von Meisterliedern uns nach Namen und 
Stand sich bekannt gibt, der sich auch in Gedichten versucht, wie wir 
sehen werden. Derselbe führt uns auch Lieder von zwei andern Dichtern 
aus der Stadt Steier vor, des alschmides Severin Kriegsauer und 
des Schusters Mathias Schneider, sowie einiger Straßburger Dichter 
(Beichtiger, Gimpel, Pfalz Semelhofer), woraus nun ein Ver- 
kehr mit Straßburg fast mit Gewißheit angenommen werden kann. 

Über die schon im Eingang berührten Beziehungen des Meister- 
gesangs zu dem Volksschauspiele belehrt uns nun schon Hans Sachs, 
der ebenso in der Singschule, wie als Spieler im Schauspiel sich eifrig 
betheiligte, wie er uns selber erzählt. Wie sich der Schüler H. Sachsens 
Puschmann zum Schauspiel verhielt, s. Devrient I, 121. — Unsere oben 
besprochenen Weihnachtsspiele haben nun, wie gesagt, nicht nur ganze 
Stellen aus Hans Sachsischen Spielen angenommen, sondern werden 
aufgeführt zusammen mit einem weltlichen Fastnachtspiel. Aus alledem 
ist der Zusammenhang zwischen dem Meistergesang und dem Volks- 
schauspiel und zwar namentlich auch den deutschen Weihnachtsspielen 
in Ungarn unzweifelhaft klar. Η. Εἰ. Wilken bespricht diesen Punkt in 
seiner Geschichte der geistlichen Spiele in Deutschland Seite 292, wenn 
auch nur sehr kurz. 

Ebenso wie der Meistergesang nun zu dem Volksschauspiel in Be- 
ziehung steht, so hängt er auch seit H. Sachs innig zusammen mit dem 
Protestantismus. Wenn man die Geschichte des Protestantismus in Öster- 
reich aber mit den Daten, die wir über die Entstehung von Heibergers 
Meistersingerhandschrift hervorgehoben, zusammenhält, so erscheinen 
dieselben gleich in eigenthümlicher Beleuchtung und wir werden die 
Erklärung der einen Erscheinung aus der andern kaum abweisen können. 
Die gewaltsame Unterdrückung jener germanischen Auffassung des 
Christenthums, denn als das und nichts anderes ist in seinem Wesen 
der Protestantismus wol zu bezeichnen, hat auch, wie schon oben an- 
gedeutet, den Meistergesang verstummen gemacht. Dieß die Erklärung, 
daß derselbe in Wien nicht gedeihen konnte, wo die Elemente dazu sonst 
gewiß reichlich vorhanden waren. In Wien fristete der Protestantismus 
von jeher nur unter dem Schutze des Adels und fremder Gesandt- 
schaften, die ihm Asyle bieten konnten, ein kümmerliches Dasein, bis 
zur Zeit Kaiser Josephs. Dagegen war es zu Steier in Oberösterreich, 


208 K. J. SCHRÖER 


wo unser Peter Heiberger seiner poetischen Liebhaberei lebte, anders. 
Steier in Oberösterreich, jetzt eine Stadt von 12.000 Einwohnern, be- 
sonders durch sein Eisen bekannt, war ehedem ganz protestantisch. 
Schon 1524 verkündete der Franeiscaner frater Calixtus daselbst das 
Evangelium im Sinne Luthers; ebenso Michel Forster und Hans 
Weinberger 1525—28. Im Jahre 1548 hatte Steier einen evangl. Pfarrer 
Wolfgang Waldner, der einen Caplan Lor. Twenger hatte. Neben- 
einander wirkten hier als evang. Pfarrer und Capläne: Thalhamber 
(1559), Mühlwalter, Tüllinger (1562), Pündter (1562—67), Bre- 
mer (1562—1576), Schreier, Camerhofer (1566), Steph. Twenger, 
Richter und Neumann (1584), die alle 1599 verjagt wurden. Im Jahre 
1596 kömmt außerdem auch noch ein Pastor D. Joh. Zimmermann 
vor. Seit 1569 genossen nämlich die 7 landesfürstlichen Städte Linz, 
Steier, Wels, Enns, Freistadt, Gemünd und Vöcklabruck Religions- 
freiheit, die 1597 wieder aufgehoben wurde; 1599 mussten alle pro- 
testantischen Geistliche innerhalb acht Tagen das Land räumen. — 
Unsere Handschrift Peter Heibergers ist somit abgefasst gerade in der 
Zeit der höchsten Blüthe des Protestantismus zu Steier. 1587 im April 
war Heiberger in dem gleichfalls protestantischen Wels, wol bei 
Paulus Freudenlehner daselbst, den wir unten unter den Meister- 
singern finden werden, und da wird wol auch eine Singschule ge- 
halten worden sein, da Heiberger sein längstes Gedicht datiert Wels, 
7. April 1587. — In den trüben Zeiten der Relionsverfolgung scheint 
auch unser wackerer Nadler und Liebhaber der Dichtkunst verstummt. 
Er dichtete nichts, schrieb nichts mehr ab und was er abgeschrieben 
bis 1590, das wurde wol in den Tagen des Kummers vergessen; ein 
Theil davon gieng verloren, wie wir gesehen. Wenn Heiberger 1599 
unter den Vertriebenen war, so nahm er die Hs., wahrscheinlich unge- 
bunden, ins Exil mit, wo ihm einiges davon verloren ging, und brachte 
sie um etwa 1608 wieder mit. — Erst im Jahre 1612 nahm er seinen 
alten Liederschatz wieder hervor, ergänzte das Fehlende und nahm 
Neues auf, was er bis 1615 fortsetzte. — In jener Zeit war wieder der 
protestantische Gottesdienst in Steier empor gekommen, besonders seit 
' 1608, wo auf einmal die evang. Pfarrer gewählt wurden: Schmoll, 
Scheidhauff und Ising, indem Corrector Jakob Tydäus schon 
seit 1604 im Stillen auch als Prediger gewirkt zu haben scheint. 1609 
kam Pf. Thomä hinzu, später noch Lange und Beyer, die alle in 
Steier wirkten. Bis durch den Gewaltstreich von 1624 mit einem so- 
genannten Reformationspatent verordnet wurde: daß Jedermann zur 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 209 


katholischen Kirche überzutreten oder das Land zu räumen habe! *) Da 
erstarb unsern ehrbaren Meistersingern wohl der Gesang in der Kehle; 
man braucht nicht weiter zu forschen wo sie hingekommen sind. -— 
Bei den Auswanderern, die z. B. in Ungarn ein Asyl fanden, lebte eine 
Erinnerung an sie lebendig fort in den Singergesellschaften, die die 
Weihnachtsspiele pflegten, auch noch einzelne Einrichtungen der Meister- 
singer beibehielten, sowie Bruchstücke von H. Saclıs in ihren Spielen 
bewahrten, sich früber selbst noch Meistersinger nannten und vor allem 
den protestantischen Geist des Meistergesanges im 16. Jahrhundert 
lebendig fortpflanzten bis in unsere Zeit. 

Eine Singschule in Steier wird in der ganzen Handschrift nicht 
erwähnt. Wir sehen nur, daß) Steier drei Dichter gleichzeitig besitzt. 
Auch in Wels, wo H. Sachs in seiner Jugend weilte, mag eine Schule 
bestanden haben. Von dort wird der Dichter Freudenlehner genannt 
und Heiberger weilt selbst vorübergehend in Wels und dichtet dort 
ein Lied. So gibt uns die Handschrift bei zwei Liedern genau die 
Daten an: daß dieselben von den berühmten Meistern Daniel Holz- 
mann und Lorenz Wesel von Essen zu Wien gedichtet sind. Die- 
selben mögen wohl in Wien eine Singschule gehalten haben und dabei 
mit diesen neuen Liedern hervorgetreten sein. 

Aber auch die Iglauer Singschule hat bis nach Steier gewirkt. 
Wir finden in der Handschrift Heibergers ein Lied von Thomas 
Böserl aus Draglau, der kein anderer ist als der Meister Thomas 
Pesserl, Stadtrichter zu Iglau. 

Interessant wäre hier zu vergleichen die bei Goedeke Grundr. 
228 f. angeführte Handschrift Wolf Bauttners (1616—1620), in der 
Dichter aus Mähren, sowie auch „Steierer“ (das kann einen Steier- 
märker und einen aus der Stadt Steier bezeichnen) vorkommen. 

Gibt uns somit die Handschrift manches willkommene Zeugniss 
für das Leben und Treiben der Meistersinger in Österreich vom Ende 
des 16. bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts, was aus den nach- 
folgenden Verzeichnissen noch deutlicher erhellen wird, so gibt sie uns 
doch auch die Überzeugung, daß) gar so dicht, als man sich dieß oft 
zu denken scheint, diese Singschulen nicht angebaut waren. Es sind 
immer dieselben Orte die genannt werden. Der Horizont unserer Singer 
reicht weit. Durch Wanderungen der Meister und Jünger traten ent- 


*) Die näheren Angaben hierüber sind zu finden in Raupachs Nachrichten 
von den Schieksalen der evang. Kirchen im Erzherzogthum Österreich 
1732 und den Fortsetzungen dazu und in Waldaus Geschichte der Protestanten in 
Österreich etc. Anspach 1774. 

GERMANISTISCHE STUDIEN. I, 14 


210 K. J. SCHRÖER 


fernte Orte in Verbirdung; ich glaube daher, daß wir an den Orten, die 
nicht genannt sind, auch nicht viel mehr finden werden. Vorübergehend 
konnte wohl einmal an einem Orte Schule gehalten werden, wenn ein 
Meister oder überhaupt einer, der sich das nöthige Ansehen zu geben 
wusste, zureiste, wo sich eine Zahl solcher zusammenfand, die etwa auf 
ihrer Wanderschaft einmal an einer Schule geweilt; so mochte dieß in 
Wien hin und wieder der Fall sein. Eine im Bürgerstande wurzelnde, 
dauernd blühende Singschule braucht desshalb nicht angenommen zu 
werden. Auf solche improvisierte, vorübergehende Schulen, d. h. ge- 
sellige Vereinigungen zu Singproductionen in der Art der Meistersinger, 
deutet das Iglauer Bittgesuch von Bukane und Zeidler, die eine 
ordentliche Singschule gründen wollten, „weil man sovil unordnung 
bei diser stat erfaren von den singern, daß oft ein singer 
herkommen ist, der kaum ein rechter schuler war und gleich- 
wol schul gehalten“. Wenn es weiter heißt „wil geschweigen 
andere uneinigkeit die oft auf den schulen entstanden“, so 
ist daraus kaum zu schließen: als hätten demnach bleibend Sing- 
schulen bestanden, sondern es haben hin und wieder, wie oben an- 
gedeutet, improvisierte Vereinigungen zu Singproductionen nach dem 
Vorbilde der Meistersingerschulen stattgefunden, wobei es, wie es scheint, 
mitunter ziemlich regellos zugegangen ist. 

Was nun den weitern Inhalt der Handschrift anlangt, so lässt sich 
über denselben nicht viel rühmliches sagen. Es sind abgeschmackte 
Reimereien über größtentheils biblische Texte, noch dazu in wahrhaft 
ungeheuerlicher Schreibung*) und Entstellung des Textes. Das Beste 
sind die Dichtungen von H. Sachs, die jedoch anderwärts in besseren 
Texten überliefert sind. — Eine eben nicht geistreiche Grille Heiber- 
gers erschwert hin und wieder noch überdies das Lesen, indem er sich, 
ohne irgend einen erdenklichen Beweggrund, zuweilen einer Geheim- 
schrift bedient. 

Der Schlüssel dazu sei hier mitgetheilt, um einem Nachfolger, der 
etwa nach mir die Hs. zur Hand nimmt, die Mühe zu sparen, die es 
mich gekostet ihn zu finden: 


Die Ziffer 1 ist = a 
18] 019 Ὡ Intw;b 
n yODZ ΠΡ ΓΕ" 


*) Ich halte es für völlig zwecklos dieselbe beizubehalten und halte mich nur 
insofern an sie, als sie etwa eine bemerkenswerthe Eigenheit des dargestellten Wortlautes 
zur Anschauung bringt. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 211 


Die Ziffer 4 ist = i 
n 7 ee 
n | 
n n fi  =m 
n aSmen 
n n 9  ΞΞΞῪ 


Indem die mit diesen Ziffern nicht bezeichneten Buchstaben in ihrer 
gewöhnlichen Bedeutung in Anwendung kommen, werden die bezeich- 
neten in Ziffern gegeben z. B. 47 9912 245 18 f4e9teS dig ἃ. 1. im 
grab bis an fierten dag. 

Die Hs. wird eröffnet mit einer schuelkunst genannten Dichtung, 
die uns die sagenlafte Entstehung des Meistergesanges erzählt, wie 
ähnliche gereimte Darstellungen dieses Gegenstandes bei allen Sing- 
schulen vorkommen, vgl. die schulkunst von H. Sachs von 1515 bei 
Goedeke Dichtungen von H. Sachs S. 12; dazu Wagenseil 503 —508; 
549; die schon erwähnte Iglauer Dichtung Wolfskron ἃ. ἃ. O.8.9: vom 
ursprung des meistergesangs etc. u. a. m. 

Ich theile dieses Machwerk mit wegen des etwaigen litterarhisto- 
rischen Interesses, das doch die Reihenfolge und Charakteristik der ge- 
nannten Dichter bietet. 

Von weiteren Proben gebe ich nur noch: ein neujarwünschung 
und den Anfang eines weihnachtliedes von Dan. Holzmann, als die- 
jenigen Stücke, deren Behandlung noch am ersten von Interesse sein könnte. 

Proben aus der Meistersingerhandschrift aus Oberösterreich. 
Ein schuelkunst in dem gulden vogelgsang. Darin begriffen sind 
die 12 ersten meister so die edle kunst erfunden haben. 
30 reimen dz I lied (des codex) 
11 singet dem herren alle 
der mechtie ist 
15 zu ehren deinem nam. 
Sankt Paulus auch darneben 


uns klerlich underweist 
Ephesios quintus (sie)*) tuet er uns 


gib mir an disen ende x geben 

deinen heiligen geist, eine schöne lebr Ὁ 

daßichzulob dirdein gedichtvolende 20 des wir uns sollen nicht 

auch deiner ehr Vol trinkhen mit dem weine, 


10 in deinem höchsten 58], a entsteht daraus 
Künig Davitmit schalle ein wüest unordentlich leben unreine. 


vermanet uns al sam zu aller frist 


Zu dir mein gotich schreie, 
in deinem höchsten tron; 
mir deine gnad verleihe, 
o Jesu Krist, 
5 du warer gottes son, 


*) Epist, Paul ad. Ephes. 5, 18, 5 
14 


212 


25 sollen wir uns durchaus 
als kristliche glider 
ein ander allermeist 
ermanen zu singen geistliche lieder, 
mit reichem schal 
30 in dem herzen gericht. 


2. 


Nun hört weiter 
(wisset) 
wie das meistergesang ἢ 
erstlich erfunden iste. 
als man zelt hat 
5 neun hundert jare lang 
und zwei und sechzig gare 
nach kristi geburt hört 
zu Maünz wolin der stat gesessen ware 
ein doctor weis **) 
10 hieß heinrich Frauenlob. 
der hat erfunden freie 
durch gottes weisheit klar 
vil süeßer melodeie. 
balt zu im trat 
15 ein schmit durch den auch war 
mit dichten und mit singen 
die kunst löblich gemeert 
und tet die wunder Kristi an tag 
bringen; 
zu gottes preis 
20 hat er gesungen wol. 
der dritt ein edelmane, 
der Ludwig Marnerhieß, 
dichtet und sang zu lob der gottheit 
frane. 
der viert gerat***) 
25 Heinrich Mügling gewis, 
ein doctor wolgemuet 
in.der schrift wol gelert, 
der lobet got mit seiner kunst so guet, 
hielt auch darob, 
war aller kunsten vol. 


und wiste 


K. J. SCHRÖER 


3. 
der fünft war ein landhere 
hieß her Walther, man seit 
sang auch zu gottes ehre 
in kunsten rein 
zu gottes lob bereit. 
den sechsten wil ich nennen 
ein ritter wolgetan, 
hieß Wolfgang Rohn, tet auch 
gesang bekennen, 
zu gottes preis 
10 er dichtet nacht und tag. 
der starke Bopp, tue ich sin- 
gen, 
war ein maigister wert, 
kunt auch die reimen zwingen 
im gesang sein 
15 mit künsten wolgelert. 
der acht mit reichem schallen 
hieß Römer, tuet verstan, 
von Zwickau, sang zu gottes wol- 
gefallen; 
mit seiner weis 
20 bewert er seine kunst. 
den neunten soltir merken, 
war aus der Steier mark, 
hieß Canzler, tet auch gesanghheftig 
sterken; 
mit singen fein 
25 war er gelert und stark. 
Conrad von Wirzburg sunge 
got in dem höchsten tron 
zu lob und ehr daß es lieblich er- 
klunge; 
der kunst oblag, 
30 erlanget großen gunst. 


4. 


Dereilftgarlobesame 
genant der alte Stol 
sang zu lob gottes name 


σι 


*) das gesang: so auch meine Weihnachtssp, S. 10. 
**) So auch in dem Iglauer „urspr. des meistergesangs“: zu Mainz ein gelerter 


doctor weis. Vgl. damit das häufige Eva weis, Schö 


Weihnachtsspiele 5. 124. 137. 215. 
***) reimt auf 4, 14, 


pfer weis (auch Gottes weis) meine 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 


zu jeder zeit, 
5 war auch der kunsten vol. 
den zwelften solt ir wissen 
hieß Heinrich wolgemuet 
von Efferding, damit wil ich be- 
schließen, 
zu ehren gott 
10 hat er gesungen frei. 
diezwelfhaben erdachte 
kunstlich maister gesank 
und an den tag gebrachte 
in ewigkeit 
15 zu gottes ehr und dank. 
das tet gar balt erfaren 
keiser Otto so guet, 
vonimsialzugleich gezwungen waren 
gen Paris drat (reimt auf 14!) 
20 wol auf die hohe schuel. 
da wurden sie verhörte 
für war mit ganzen fleiß 
vor magister doctores hochgeerte; 
iederman seit 
25 in darumb lob und preis. 
und der keiser mit ehren 
bevalh in gueter huet 
die kunst zu halten und teglich zu 
mehren 
der melodei 
30 auf manchem meisterstuel. 


5. 


der keiser mit begeren 
schenket dazu ein kron 


213 


diser kunst hie zu eren, 
darumb man noch 
5 tuet singen also schon. 
also habt ir vernumen 
und auch gehöret wol 
wie, wan, durch wen die kunst an tag 
ist kumen. 
nun wöllen wir 
10 auch singen dieser zeit. 
zuloben gottesnamen 
und seiner eren reich 
uns diser kunst nicht schamen 
und rüemen hoch 
15 gottes wunder geleich. 
so last uns auch bedenken 
wie man den billich sol 
gott bitten dafs er uns alhie wöll 
schenken 
mit reiner zier 
20 seinen heiligen geist. 
darumbirkristenallen 
hört und schweiget still, 
habt kein verdruß, sunder groß wol- 
gefallen 
zu singen doch 
25 unserm künig mit wil, 
daß lieblich tuet erklingen 
im herzen unverhol 
dem wöllen wirzulob und eren singen 
der geb uns heit (= heute) 
30 sein[en] gnad auch allermeist. 


anno saludi im 1586 jar geschriben den 7. dag april gedich durch (sie). 


139. 
In der schneeweis Michel Müller von Ulm (ein neujarwünschung *). 
20 reimen. 


18 


Von herzen ein glückselig jar 
wünsch ich fürwar 
von gott vater auch allen zwar 
durch Jesum Kristum linde 

5 dem neugeboren kinde 


das uns geschenkt ist. 

da’s neue jar eingehet heut 

sollen mit freud 

an fahen alle kristenleut 
10 gott schicklich zu leben, 

dem alten urlaub geben 

diweil uns ist bewist 


*) So wird das Lied im Register genannt, 


214 K. J. SCHRÖER 


daß mit uns ist verloren 

was nit neu wirt geboren, 
15 mag gottes reich nit schauen an 

wie Kristus spricht 

und uns bericht 

wie klar tuet ston 

in Johanne am dritten schon 
30 und Paulus meldet auch davon. 


2. 

Sprach wo ein wenig saurteig ist 

den man an nist 

so wirt der ganze teig entrist. 

und sprach ir solt al wegen 
5 den alten teig ausfegen 

auf daz ir werdet neu. 

merk was uns Paulus da anzeig 

mit dem saurteig 

das man sich nit zum argen neig. 
10 wer sich mit sünd beflecket 

der wird mit ir bedecket 

und kann nit werden frei. 

die sünd macht uns abkerrig 

daz wir von gott uns ferrig, 


15 doch uns der gnaden sterne brint. 


daz göttlich wort 
den teuren hort 


uns weiset lint, 
Jesum daz neugeboren kint, 
20 daz uns der sünden gar entbint. 


3. 


So dise gnad uns wirt zu teil, 
last uns mit eil 
aufstehn und suchen unser heil, 
uns diemuetig erzeigen 
5 mit gebet zu im neigen 

und uns al richtn nach dem; 
auf opfern ein betrüebtes herz 
verwunt mit schmerz, 
unser gemuet richten aufwerz. 

10 durch sein unschult begnaden 
uns aller schult entladen, 
daz ist Gott angenem. 
daz sint die rechten gaben 
wie zu verbringen haben, 

15 so wirt das lob nun heut vollent. 
wandlen furbaz 
ein neue straz, 
daz wirt erkent, 
in eim neuen leben genent: 

20 daz hilf uns Gott an unsern ent. 


1587 jar den 14 dag aprillen geschriben. 


In der tagweis Hans Folzen ein weihnachtlied dz 98(?) 


23 reimen. 


1; 


Freut euch ir kristenleut 
daz komen ist der war heilant, 
davon so lange zeit 
geweissagt hat mancher prophet 

5 in iren sprüchen, mich verstet. 
das wil ich hie bedeuten 
Beliam offenbare 
wie das zuvor längst hat erkant 
wol vor zwelf hundert jare 

10 wie er die kinder Israel 

empfieng und saget in der schnell 
als im befolhen ware. 


und der frume Esaias 
in seinem buech tuet 
(„ghv8de“) 
15 daz sibend capitel ich las 
(„dz s42e8d elp4tte6 43h 61s“) 
fein ausdrücklich und runde 
(„fe48 1usd9435h643h vnd I9v8de“) 
wol zu derselben stunde 
ein junckfrau wirt empfangen 
und gebern ein sun zu hand, 
20 nach dem herten verlangen 
die altväter vil jar und tag, 
bis gott erhört ir senlich klag, 
23 ir not und auch ir zwange. 


khunde 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 215 


2. 3. 
Möses zeiget auch ane Matheus uns bescheide 
exodus an dem dritten ort etc. daz ander capitel anschaut ete. 


Dichts D(aniel) H(olzmann). 

Die Mittheilung der Strophenanfänge der corrupten Texte unter- 
lasse ich. Es genüge hier eine Aufzählung der behandelten Gegenstände. 
Die litterarhistorisch bemerkenswerthen Zusätze, die hin und wieder bei 
den Liedern gegeben sind, füge ich im Auszuge den einzelnen Nummern 
bei. — Die behandelten Gegenstände sind, wie gesagt, der großen Mehr- 
zahl nach der Bibel entnommen. 

Ich gebe hier eine summarische Inhaltsangabe der Handschrift 
und drei Verzeichnisse: 1. das Verzeichniss der behandelten Gegen- 
stände nach den Nummern der Handschrift. 2. ein Namensverzeichniss 
der vorkommenden Meister und Töne. 3. ein Verzeichniss der Orte, 
wo die genannten Meister auftreten. 


Summarische Inhaltsangabe der Handschrift. 

Blatt 1—154” enthält 182 Lieder geschrieben vom 7. April 1586 
bis an den tag der reinigung 1590 durch Peter Heiberger. Derselbe 
setzt noch hinzu: In dem über kurzen ton Heinrich von Efferding: 
Johannes. 


13 2. 8. 
Johann wie fein desgleich 
zeigt an mich mein ich euch 
für bas vater behend 
das her send 
zweinzigst schon sent allein auf ertreich. 


Anno fallend und geschrieben dises buchs im 1590 jar den 10. 
tag februarii von mir Petter Heiberger Nadler und ein lieb- 
haber des deutschen meistergesangs zu Steyr. 

Blatt 155°: folgt das register der alten 12 meistertön und 
ire ersame erliche nachdichter tön. 4 Blätter. 

Blatt 158 von späterer Hand mit Roth der Schluß des registers 
der alten 12 meistertön ete. wahrscheinlich von Peter Heiberger 
um 1616 geschrieben. 

Von demselben 159’—162°: Register auf dises buech was 
für tön und lieder darin geschrieben st£n. 

162° am Schluß: 


also enden sich dise lieder 
darbei merk ein ieder 


216 


20. 
21. 


22. 


K. J. SCHRÖER 


der seind also in der zal 
182 über al 

und der tön register frei 

der sind hundert und drei*). 


1. Verzeichniss der behandelten Gegenstände. 


. Schuelkunst. Die 12 Meister. Im gulden vogelgsang ge- 


dich(t) durch (die Angabe fehlt) geschriben 7. april 1586. 


. aus Paulo in der reis. feldweis Georg Schachner. geschriben 1586 


Pet-r Heiberger. 


. Pauli bekerung v. Andr. Semelhofer gedichtet zu Anspach 1577, 
. 15 psalm dichts Andr. Semelhofer. 


Jeremias 12 gedicht durch Hans Sedelmeier. 


. 55 psalm Dav. geschr. 12. mai 1856. 


35 psalm. 


. 17 Sirach 12. mai 1586. 

. zun Ephesern. 

. predig Petri zum pfingsten. 

. proverbiorum daz 28.c. gedicht durch D. Selzman 71. jar. 
. ein bitt zu gott. geschr. 30. mai 1586. 

. evang. Joh. 3. cap. geschr. 1586. 

. der 103 psalm Dav. geschr. 2. jan. 

. klaglied Jeremias 5. cap. geschr. 8. juni 1586. 
. ein histori in Phrygia geschr. 13. juni 1586. 

. des menschen kurz leben 1586 juni. 

. 31 Sirach 1586 26. juni. 

. 41 Sirach 1586 27. juni. 


der 10 ps. gedicht zu Augsb. durch Ulr. Holzer. 
apostelgeschichte 8. geschr. 29. juni 1586. 
Epheser 5 gedicht durch Lorenz Wesel im 1562 jar. 


. ein ganzer meisterlicher reien in der alten 12 ersten meister 


tönen: die 12 stund im tag gedicht durch Dan. Holzmann 
deutschen poeten von Augsburg 4. nov. 1576. geschr. 21. aug. 1586. 


. Lucas 12. cap. geschr. august 1586. 
. der tod des heiligen Paulus. dichts Dan. Holzmann. 
. αἱ 3 weisen gedicht durch Sewast. Wülden von Augspurg poeten 


im jar 1565. 


*) Die in dem 1. Register angeführten Dichter und Töne sind nicht alle in der 


Sammlung vertreten, Ich gebe die vorkommenden Dichternamen alphabetisch mit ihren 
Tönen, das in eckiger Klammer Beigefügte entnehme ich aus dem 1. Register. 


27. 
28. 


29. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 917 


95 psalm geschriben 30. aug. 1586. Peter Heiberger. 

23. cap. Sirach gedicht zu Augsb. Mart. Dür 1579 geschr. 1586. 
6. april. 

nachdem als nun der Alexander mechtie etc. ein histori von 
Demoklea in Theben. gedicht durch Dan. Holzmann deutscher poet 
von Augspurg. 


30.*) 92 psalm im langen ton Lienh. Nunenbeck. 


31. 


Danielis am 5. cap. von J. Spreng gedicht 1581; geschr. 1612. 


. Lucas das 1. cap. 

. Matth. das 2. cap. 

. di verleugnis Petri. 

. Matth. das 13. cap. 

. Pauls zu Timotheum. 

. Matth. 13 diehts L. Wesel 1562. 

. ὃ feind Davidis dichts L. Wesel. 
. apocalypsis L. Wesel. 

. der 88 psalm. 

. prophet Esai dicht 1576. 26. juni. 


42. leben und tod Jeremias. 

43. — — — Ezechiel dicht 1576. 25. juni Mart. Thir. von Augsp. 
44. — — — Danielis 1576. 31. juni. 

45. leben und tod Osea dicht 1576. 4. juli. 
46. — — — loel dicht zu Augsb. 1576. 

47. — — — Amos dicht zu Augsb. 1576. 4. Juli. 
48. — — — Abdias dicht Augsb. 1576. 4. juli. 
49. — — — Jonas 5. juli. 

50. — — — Micha 9. juli. 

51. — — - Nahum 8. juli. 

52. — — — Habacue 10. juli. 

53. — — — Zepbanias 11. juli. 

54. — — — Hagai 12. juli 1576. 

δῦ. — — — Zacharias 13. juli 1576. 

56. — — — Malachia gedicht 1570. 


Ende der propheten Gottes. nun folgen die lieben apostel unsers 
herrn Jesus Christus. 


. sanct Petrus geschr. 1586. 29. marci. 
. Andreas geschr. 1586. 29. marci. 


*) Die Nummern 30—41 inclusive fehlten und sind durch die Einlagen, die von 


April bis Juni 1612 datiert sind, ergänzt. Das Register stimmt zur Ergänzung, 


218 K. J. SCHRÖER 


59. Jacob geschr. 1586. 30. marci. 
60. Philipp 30. marci. 
61. Matthens 31. marcı. 
62. Bartolmeus 1586. 2. april. 
63. Thomas 1586. 3. april. 
64. Johannes 1586. 3. april. 
65. Jacobus der kl. 4. april. 
66. Simon 5. april. 
67. Judas Thadeus. 5. april. 
68. Matthias. 6. april. 
69. Marcus. 6. april. 
70. Lucas. 6. april. 
71. die 12. tirannen im alten testament 1586 jar 28. maii geschriben, 
aber gedicht durch den sinnreichen deutschen poeten 
Η. Sachsen. ; 
72. proverbiorum zeiget an Martin Dirr 1576. geschr. 1586. 
73. Lucas am andern gedicht Joh. Reitler geschr. 1586. 
74. wie Sodoma di stat gar ser; gedicht durch Dan. Holzmann. 
75. verfolgung der Juden durch Antiochus; ged. d. D. Holzmann. 
deutsch. p. v. A. geschr. 1586. 
76. aus dem 3. buch Maccabeor. ged. durch Johannem Sachsen. 
77. ein histori. Sabellicus uns οἷαι beschrib. drei lieder (gedicht) durch 
Dav. Speüser geschr. 1586. 
78. ein histori von H. Sachs gedicht. 3. jan. 1543, geschr. 1580. 
29. herbstm. 
79. der knab und der delfin 1574. 18. febr. 
80. drei schöne histori gedicht durch herrn Joh. Spreng. 
81.*) ein histori gedicht von H. Sachs. 
82. prophezeiung auf die 4 evang. gedicht v. H. Sachs 1555. 
83. 50 psalm. 
84. 98 psalm. 
85. 126 psalm; gedicht von Paul Freudenlehner von Wels 1600; ge- 
schriben 1613. 
86. 146 psalm von H. Sachs 1554. 
87. 104 psalm v. H. Glöckler 1587. 
88. 1 cap. Sirach v. H. Sachs. 
89. der bischof mit den meüsen von D. H. 


ἢ) 81— 128 sind neu ergänzt wie 30—41. Diese Einlagen sind geschrieben 1613 
und 1614. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 219 


. drei lehr Solon. 

. Marcus das 11. cap. von Niclas Lindwurm. 

. Johannes 6. 

. Paulus zun Ephesern v. H. S. 1554. 

. die witfrau mit dem ölkrug v. H. Sachs 1555. 

. der 8 psalm in der zirkelweis von A. Lesch von H. St. corrigiert 


von P. H. 1615. 


. daz gebet Theodosius des Kaisers. 

. die 72 ausleger der bibel von H. 5. 1548. 

. der 41 psalm H. S. 1550. 

. der 69 psalm v. J. Spreng. 1569. 

. ein eusebische histori als keiser Diocletianus was H. S. 1553. 
. der baur mit dem drachen H. S. 1552. 

. 2 fragen Socrates H. S. 1540. 

. 4 bös stuck einer statt H. 5. 7. Sept. 1554. 

. dz 3. u. 4. gsetz Maccabeor. H. S. 1556. 28. Marci. 
. dz 12. cap. apocalipsis. 

. die leiter Jacob. 

. die bekerung Pauls. 

. von Jairo Luc. 8, 41. 

. die 3 toten, die Christus hat aufgeweckt. 

. Johann 4. cap. 

. die begrebnus Christi. 

. di 12 stein Josue v. H. 5. (9. Oct.?) 1551. 

. 1. epistel Petri. 

. Lucas 24. cap. v. S. Wild. 

. der 2. psalm v. H. S. 1545. 

. Nahum dz 2. cap. 

. Exodi dz 19. ν. Η. 5. 

. dz 24. cap. im 3. buch Mos. 

. Joh. das 12. cap. 

. Ephes. das 8. 

. dz 3. buch d. könig am 19. cap. H. S. 1555. 

. numeri 17 von Balth. Klingler 1571. 

. dz urteil Salomon. dicht Benediet von Watt goldriser zu Wer im 


1603 jar. geschr. 1614. 


. dz 17. leuiticus. 

. die flucht David. 

. der 122. psalm H. S. 1547. 

. gott erhör das schreien mein. 


220 K. J. SCHRÖER 


128. dieweil als weisheit komt von d. herrn v. L. W. 

129. Mattheus 23. geschr. 9. wintermon. 1586. 

130. da kün. Saul war David neidis u. abhold. geschr. 1. Dee. 1586. 

131. Lucas 18. geschr. 1586. 

132. die 3 gottlosen kün. Judai. geschr, 1586, 

133.*) sprichwörter dz 3. 

134. ein meisterlicher hort in den 4 haupttönen 1. 3 buch der könige 
22. in dem lang Mügling. Ahab und Josaphat. -- 2. im langen 
Frauenlob. — 3. im langen Marner. — 4. im langen Regenbogen. — 
5. im langen Mügling. gedicht zu München durch Hans Markart 
von Innsbruck geschr. durch Peter Heiberger 1587. 

135. Lucas 11. 

136. seid mir wilkumen alle. geschr. 1587. 

157. ach gott laß dichs erbarmen schon ged. d. D. Holzmann zu Wien 
in Österr. aus dem 5. cap. Jeremias; 1583 im hornung. 

138. ein bekentnis der sünden 1587. 8. marci. 

139. neujarwünschen. 1587. 19. april. 

140. Sirach 2. cap. 1587. 21. april. 

141. 90 psalm von D. Holzmann 1575. 

142. 85 psalm. D. H. 1575. 

143. 143 pralm. D. H. 

144. Nebukadnezar D. H. geschr. 1587. 

145.**) „id. cap 4 Estra“: sich tuet beklagen D. H. 

146. proph. Micha dz 3. cap. D. H. p. 

147. getreuer got wie get es zuo dichts H. M. Johannes Spreng 1565. 
12. Mai. 

145. Lucas 21. cap. dichts Seb. Wild zu Augsb. 

149. ir volker singt dem herrn, der 47. psalm. gedicht zu Wels durch 
Peter Heiberger. 21. april 1587, geschr. 14. juni. 

150. der 156.***) psalm von J. Spreng. 

151. ein hort, Lucas 11. gedicht durch Lor. Wesel. geschr. zu Steier 
1587. 6. sept. 

152. ein meisterlicher hort von bluet Zacharias. 1587. 27. sept. 

‚ 153. 57 psalm. ged. d. D. H. 

154. Joh. Offenbarung. geschr. 12. oct. 1587. 

155. 23 psalm dichts Ale Semelhofer sattler zu Straßb. geschr. 1587. 

156. weihnachtslied von D. H. 1587. 


*) Soweit schrieb Heiberger anno 1586. 
**) Der Anfang von 145 und 146 sind 1615 ergänzt. Das Ende von 146 ist 1587 
geschrieben, 
#**) Das Blatt (117) ist verbunden und steht vor Bl, 124, 


157. 


158. 
159. 
160. 
161. 


- MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 29] 


aus den sprichwörtern Sal. dichts Lorenz Wesel von Essen: mein 
kint, vergiß meines gesetzes nicht! 

100 psalm. 27. dec. 1587. 

2. cap. Matth. 1587. 6. jan. 

dz 8 gebot L. W. v. E. gedicht. 

3. psalm.- 


162*). vom schatzpfening Christi dichts M. Tir. v. A. 15. jän. 76. 


163. 
164. 
165. 
166. 
167. 
168. 


169. 
170. 


171. 
172. 
173. 
174. 
175. 
176. 


177. 
178. 
179. 
180. 
191: 
182. 


2. 


Nehemia uns saget 1588. 

dankt dem herrn; dichts J. 8. 

Ezechiel 108 dicht H. peckh? 1588. 

Marcus 8. 1588 **). 

gebet manasse. 1589. 

ein schulkunst. Ich klag mein tag dafs ich mich kunst nit pflag. 
gesang hat laug das lob ob seiten klang. o herr mich lehr, aus 
brunst kunst mich gewer. 

Christi leiden betracht du andechtiger krist. 1589. 

ein hort. Hans Folz corweis. in der corweis Six Bock meserer und 
Schwarzbach hoch corweis. 

Matheus 13. cap. in ton Marx Metzger. 

die erschaffung in der lewenweis P. Flaschner. 

25. Sirach, gedicht zu Draglau (d. i. der Iglau) durch Thom. Böserl. 
die flucht Daniel gedicht durch H. S. 

ein weihnachtlied. Nun komm d. heiden heiland her. 

4. Buch Mose: do Isr. durch die wuesten zog. ged. Lor. W. zu Wien. 
4. mai 1568. 

Joh. 3. capitel, gedicht zu Wels 28. mai P. Freudenlehner. 

130. psalm. D. H. 

die schul der kinder Elise. 

7. eapitel Jeremias. ein par in 3 tönen (im Register ein hort.) H. S. 
Mattheus 1. capitel. H. Glöckler. 

daz gulden kalb. 


Verzeichniss der in der Hs. genannten Meister und Töne. *3F) 
Die Meister, von denen die Handschrift Lieder enthält. 


Das in eckiger Klammer beigesetzte ist dem „register der meister 
und nachdichter und ihrer töne“ entnommen, das in der Hand. 
schrift enthalten ist. 


*) Soweit schrieb Heiberger 1587. 
*#*) Soweit 1588. 
*%**) Die von den Meistern behandelten Gegenstände sind nach der Nummer 


im 1, Verzeichniss zu finden, 


222 K. J. SCHRÖER 


Anspach s. Semelhofer. 

Augsburger. Nach den Nürnbergern s. d. im „register“ 
heißt es: nun folgen die Augsburger 12 ersten meister und 
dichter: 1. Tulner. 2. Offendorfer. 3. Würts. 4. Ratgeber. 5. Schmidt. 
6. Schratt. 7. Schwarzenbach. 8. Wild. 9. Donbeck. 10. Taglang. 11. Ott. 
auch Offt. 12. Thür. Turr. Dirr. 

[Bamberg, Niclas von, der 24. a. ἢ. sein langer t.] 

Banzer, Johannes, Kürschner zu Da....s. neu jüng- 
lingweis. In des Schusters H. Birner Hs. von Meisterliedern (1678) 
stehen Lieder von ihm. Goedeke Grundr. 228. 

[r. Bauer, Markus, zu Magdaburg. 5. frolich weis, neuer 
ton]. 

Beck, Sixt, meserer (Messerer) [Six bek meserer. N. gulden- 
ton. corweis. meienton.] Dessen corweis 169. 170. vgl. Peck. 

[Beham, Michel, der 17. (a.n.) sein verkerter ton.| 

[r. Beichtiger, Johannes, von Strasburg. s. frisch bomer- 
anzen(?)w, fröhlich lobw.] 

Berk s. Dan Berk. 

Betz, Caspar (sonst Caspar Petz, radschmid d. i. rotschmid s. 
Schnorr S. 6 f.), [Caspar Betz, Glockengießer zu Nürnberg. 
s. überlangt. — geflochtenen, versprengt t.| Dessen gefloch- 
ten ton 46. 74. 146. corweis 36. überlang ton 75. 76. 104. ver- 
schrankt ton 22. 61. 98. 147. 

|Päetz von Frankfurt der 21. a. n. 5. langer t.] 

Beütt s. Fischer. 

[Bogner, Hars, s. stegweis.] Wagenseil $. 515 nennt: Veit 
Pogner. 

Böserl, Thoma. Die zweite Silbe des Namens nicht mit Sicher- 
heit zu lesen. Er dichtet „zu Draglau* (das ist: Iglau) 173.*) 


*) Thomas Pesserl, Stadtrichter von Iglau, war Meistersinger. Das Lied 
steht zwischen Liedern, die 1589 geschrieben sind. Thomas Pesserl erscheint noch in 
der Bestätigungsurkunde der Iglauer Singschulordnung von 1615; möglich daß er schon 
1571 dabei war als die Singschule erneuert wurde. 


Abkürzungen: A. = Augsburger 5. d. — a. n.=alt nachdichter, so 
sind die nach den 12 Meistern im Register aufgezählten 40 Dichter genannt, den 
Schluß macht der 40.: L. Nunenbeck, das weitere s. unter H. Sachs. — Bartsch — 
dessen Meisterlieder der Colmarer Hs. — N. = bezeichnet einen der 12 Nürnberger 
Meister nach dem Register. — r. = roth. Auf dem letzten Blatt des Registers sind 
die Namen roth, vielleicht erst 1616 eingetragen, indem das frühere wohl von eirca 
1590 ist, — 5, Ξξξ seine, — t.= ton. — w. = weise, 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 293 


[Bremberger, der 11. (a.n.) sein hofton] vgl. Reimar von 
Brenenberg. Bartsch S. 163. 

[Brüml von Ulm. der 26. s. frohlicher t.] 

Buchner, Wolf. [Wolf Buchner 8. feuerw.] Dessen feuerw. 87. 88. 

[Bunczel, Marci, zu Breslau. 5. frolich paradisw.] 

Buschmann s. Puschmann. 

Canzlar aus der Steiermark [N. Canzler ein fiscber aus der 
steiermark, der 12. — Töne: guldent. lang]. Er wird im ersten Liede 
unter den 12 Meistern als der neunte genannt. Vgl. Bartsch S. 167. 
Dessen gulden ton oder der gulden ÜOanzler 7. 23. 80. 

Colmar s. Wickram. 

Conrad 5. Nachtigal, Wirzburg. 

[Dan Berk, Jerg — — (Daniel Berg?) maigister. A. Don- 
beck. süß elagweis. — gesprengt neglew.] 

[Draxler, Balthes Fridel. s. verdräte fridweis.] 

[Dräenpolez, Jeremias, der 22. a. ἢ. sein gulden tagweis. 
sein linder ton.] 

[r. Drihler, Martini von Breslau, ein büchsenschäfter 
(das letzte Wort ist nicht mit Sicherheit zu lesen). s. lang frölich 
morgenw. — 8. schäfterw. — zwilingw. — überlang t. 

Dulner s. Tulner. 

Dürr (Thärr, Thir), Martin, von Augsburg. [Martin Thür, Α., 
süeß meienblüemelw.] von ihm gedichtet 43. 72. anno 1576 und 
mit der Angabe des Jahres und Tages 1576 15. januar. 162. Dessen 
meienbluemw. 12. 

Efferdingen (Ofterdingen 5. d.), Heinrich von. Im ersten 
Liede unter den 12 Meistern als der zwelfte bezeichnet. Dessen lang- 
morgenröt 23, 12. 

Enders, Heinrich*), [Heinrich Endres, klobenmacher 
oder klampferer. s. pfauenw. — lerchenw. — hornw. — hir- 
schenw. — sumerw. — unbenant t. — verschiden t.] Dessen 
lerchenw. 12. 

Eislinger, Ulrich [Ulr. Eislinger, schwertfeger. N. über- 
lang t. meienweis. lang t.] Dessen langt. 44. schlecht lang t. 105. 
meienw. 77. 78. 

[Engelhart, der 9. (a.n.) Töne: lang. schwarz.) 


*) Vgl. Schnorr von Carolsfeld zur Geschichte des deutsch. Meistergesangs 5, 16: 
„Heinrich [Endres] ein Kammacher.* 


224 K. J. SCHRÖER 


Erenspott, der — | — der ander (alt nachdichters.d.). 
Töne: spiegel. — fürsten — frauenereton.] Dessen spiegel- ὁ 
ton 102. vgl. Bartsch ὃ. 159. 

[Eschenbach, Lorenz, pfarher von. 5. blüeweis. —bluem- 
weis.] 

r.Esslinger,LorenzEsslingervonZwickau.s.trauer- 
weis, — freudw.] 

Baike.oP-IisBlabehuen: 

Faber 5. Schmidt. 

[Ferber 5. Lienhard.] vgl. Schnorr v. C. 5. 160: „Lienhard 
Ferber, ein Lebküchner“ 

Fischer [r. Beütt, (Veit) Füscher;s. herte felderweis)]. 

Flaschner, Peter. [Petter Flaschner s. lewenw.] Dessen le- 
wenweis 172. 

Fogel, Michel. Auch Michel Vogels. ἃ. bei Scehnorr S. 16: 
Michel Fogel, ein steinmetz. Dessen süeß weihnacht- 
weis 173. dessen lange feltweis 47. 

Folz, Hans. [Hans Folez, ein balwierer. N. corw. lang- 
ton. — freit. — schrankw. — tagw. passionw. hochton. — 
strafw.—abendsternw. —baumt. — hanenkrä. — feielw. — 
bluetw. — kettenw. — tailtt.| Dessen banton W. corweis 35. 
170. freit. 151. hocht. 48. 118. 164. strafweis 65. tagweis 156. 

Frank, Michel. |r. Mich. Fr. s. jungt. — ereuzt. — meien- 
weis. — kurzt.] Dessen jungton 17. 

Frauenlob, Heinrich [Ein doctor der schrift. Töne: über- 
zart. gulden. uberkrönt. lang. zart. leitton. würgendrüs- 
sel. gulden. rettweis. neu. kupfer. tagweis. unbekant. 
grüen. geschwind. froschweis. blüend. zugweis. verges- 
sen. sitterweis. geil. grundweis. spetter. spiegel. hage- 
blüe. blauton], Doctor zu Maünz, vgl. Bartsch 5. 168. Unter 
den 12 Meistern im ersten Liede als der erste genannt. Dessen grund- 
weis 29. 128.179. langton oder lang Frauenlob 23, 2. 24. 129. 

130. 134. leitton 113. tagweis 64. überzart ton 38. 40. würgen 
' drüssel 101. 

Freudenlehner, Paulus zu Wels, dichtet im jar 1600: 85 
(geschrieben 1613) und 177. 

Friederich auch Fridel, Balthasar. Bei Schnorr S. 16 Pal- 
tas Friedel. Dessen verdräte frid (al. freid). — weis 57. 

[Füllsank, Conrad], vgl. (Kunz Filsak Schnorr v. ©. S. 16). 

[Georg, Her Markgraf, der 25. a. ἢ. sein ruefweis.] 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 255 


Gimpel [r. Martin Gümpel, ein kürschner zue Stras- 
burg, s. gebluembt kranzweis. — s. verwechselt gimpe(el- 
weis)]. 

Glöckler, Hans, ferber in Nürnberg (von seiner Hand ge- 
schrieben ist eine Tabulatur zu Dresden von 1561, s. Schnorr $. 16), 
dichtet den 7. Octob. 1587: 87 (geschrieben 1613) und am kristabend 
1587 in clagweis Lor. Wesels 181. 

[Gotthard, Georg, s. loser ton.] 

[r. Gsel, Lucas, tuechscherer, 5. früelingweis.] 

Hager, Jer. Dessen überkurz ton 127. 

|Georg Hager, schumacher zu Nürnberg (über ihn, des- 
sen Vater schon Meistersinger und schuhknecht bei Hans Sachs war, 
5. Schnorr 8. 17 und 33), s. überlang t. — starkgreifw. — lang- 


leistw. — verwirt osterw.— heldenweis. — neuw. — spin- 
czige drünksichw. — neu corw. — mittagw. — kalt pfingst- 
weis. — grüen hagw. — hellmorgensternw. — frolich schal- 
meiw. — klingendvesperw. — kurz affen?w. — ritter sankt 
Jergw. — überkurz t*). 


Harter [Süx Harter. der 18. (a. n.) sein süeßerton]. Vgl. 

Bartsch S. 182. — Dessen süeßer ton 79. 
Häscher 8. [Höscher]. 

Heiberger, Peter, nadler und liebhaber des deutschen 
meistergesanges zu Steyer. Der Schreiber der Handschrift. Er 
begann dieselbe den 7. April 1586 und schloß den 10. Februar 1590. 
Zu 149 bemerkt er: anno saludi gedichtet zuWels den 2l. dag 
aprilen durch petter Heiberger im 1587 geschrieben den 
14. dag Junius. Von ihm scheinen auch die kleinen Sprüche: 168 
(in der Aufzählung der behandelten Gegenstände ganz mitgetheilt) und 
die zwei in der Summarischen Inhaltsangabe oben 8. 217 f. mit- 
getheilten Sprüche. Ebenso sind wohl auch die späteren Ergänzungen 
von 1612—1615 von ihm. Zu 95 heisst es: „dicht H. St. und corigirt 
P. H. in disem 1615 jar den 14. dag hornung“. 

Heid, Hans, Heiden (Hans Heid „von Grimich war des hans 
Sachs schuknecht“, Schnorr S. 34.) [Hans Heiden 5. kölber w.) 
Dessen kelberweis 182. 

[Herold, Wolf (Über ihn 5. Hoffmann v. F., Spenden 2, 8. 15. 
Schnorr 8. 33.) [schumacher zu Breslau 5. überlang. — su- 


*) In diesem Ton 127, 


GERMANISTISCHE STUDIEN. II, 15 


226 K. J. SCHRÖER 


merweis. — gewüntscht? meienw. — corw. — langschwertw. 
— springende barattw. — jungfrauw|. 

Herwert, Herwort, Michel [Michel Herwert, s. blosser t. 
— 5. stubezt. sein braun (Ὁ) herpstw]. Dessen bloßton 21. 32. 
33. 143. 

Hescher 5. [Höscher]. 

[r. Hildebrand „Hülebrand“, Sewastian, schlangenw. 
— hochmorgenw. — drachenw. — unbekannt!t|. 

Holzer, Ulrich, zu Augsburg. dichtet 20. 

Holzmann, Daniel, deutscher poet zu Augsburg, dichtet 
daselbst 1575: 141. 142. 143. 144. 145. 146. von ihm sind auch 23. 
25. 29. 74. 75. 89. 153. 156. Im Jahre 1583 dichtete er aber im Hor- 
nung zu Wien in Öster Reich 137. 

Holzmann, .Ulrich. Von ihm ist 20 gedichtet zu Augsburg 
64 (d. h. 1564). 

Hohengart. In der hohengartweis 200. 111. 

Hopf, Hopfengart [Hopfengart der viert (a. n.). Töne: 
lang]. Im langen ton des Hopfes, undimlangen hopfengart; 
im Register des Hopfengart 59. 96. 

[r. Höscher, Marin (Martin), 5. zarte buechstabenw). 

[Hülzinger, Der, der 13. (a. n.) s. engelweis]. Vgl. Bartsch 
S. 183. 

K s. auch unter ©. 

|Keiser, Martin, nadler zu Breslau, 5. grüen frülingsw eis]. 

Kettner, Fritz; vgl. Bartsch S. 186. gedicht 26. Juni 1576 des- 
sen parat rei 41. 

Klingler, Balthasar [Balthes Klingler ein kürschner zu 
Nürnberg, s. braun zobelw]. Dessen braun zobelweis 122; 
dichts 1571, geschr. 1614. 

Klingsor|[Her Klingesor, der erstaltnachdichter. Töne: 
nachtweis. schwarz t]. Dessen nachtweis 23, 10, vgl. Bartsch 
S. 158. 

[r. Koch, Hans, von Eslingen, s. pfalw]. 

Kol [r. Franz Kol förder kürschner zu Magdaburg, 8. 
frolich fasnachtw. — s. gruene rautenkron]. 

Konrad s. Nachtigal, Wirzburg. 

[Kramlein, Paulus, s. münchsweis)]. 

Kriegs Auer [τ Sewerin Kriegsauer ein alschmid zu 
Steir, s. neujarw. — fronw. — gölert. — nachtw. — morgenw. 
— postw. — paurenw. — klagw.| Severin. Dessen götter ton 28. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 997 


Severinus Kriegsauer „was ein alnschmid zu Steier“, dem Georg Ha- 
ger „wolbekant“, Schnorr ὃ. 34. 

Lesch, Albrecht. Vgl. Bartsch S. 184 [von Menz, der 15. 
(a. n.). Töne: gsangweis, zugweis, feürweis, später hinzugeschrie- 
ben zürkelweis|. Dessen zirkelweis („eürkhel*) 95. 

Lienhard, ferber zu Nürnberg, 5. süeß honigw. 

Lindwurm, Niclas, dichtet 31. Merz 1614: 91 (geschrieben 
22. Apr. 1614). 

Lip [r. Conrad Lip zu Augsburg, 5. gulden mundlippenweis]. 

[Lohner, Christoph, ein kürschner, s. klagweis.] (Bei 
Schnorr S. 16 „junker Christoph Lochner“.) 

[Lorenz, Michel — pfarherr von Eschenbach; s. blue- 
weis. — bluemw.]. 

[Loscher, Balthes, zu Augsburg ein kürschner, s. 
stumpfefuchsw, 5. frische wolfsw. — aichhornw. — schaff- 
weis]. 

Markhart (könnte auch Nothart gelesen werden), Hans, von 
Inspruck, dichtet 134. 

Marner, Her Ludwig [Der fiert. Töne: lang, gulden, hof. 
ton, süeß cereuzton]|. Ein edelmann, im ersten Lied der dritte 
meister genannt. Vergl. Bartsch S. 160. Dessen Hofton 58. lang- 
ton 23, 3. 131. 134. 152. 

Meyer, Georg, zu Augsburg, s. grüene weingartw. 

Meischein [Meyenschein, Nestler von Speier. der 20.a.n. 
5. langer t.] Dessen unbekannter ton 124. 

[Meissner, s. Frauenlob; sein unbekannter t.] 

Meister, die 12 alten. Als solche werden in dem oben mit- 
getheilten Gedichte schuelkunst aufgezählt: 1. Heinr. Frauenlob. 2. 
der Schmid (Regenbogen). 3. Marner. 4. Mügling. 5. Walther. 6. Rohn. 
7. Stark Bopp. 8. Römer. 9. Canzler. 10. Conr. von Wirzburg. 11. alt 
Stol. 12. Heinrich von Efferding. 

Messerer s. Beck. 

Metzger, Marx [der dritta.n.*) Töne: lang, jarweis]. Des- 
sen lang t. 13. 31. 

Milner (s. Müller). Michel, Dessen schnee weis 150. 139. 

Morgenstern, Georg, zu Breslau (er war wohl früher „ein sin- 
ger zu Straßburg“, in einer Hs. heißt es „jetzt zu Breslau“, s. Schnorr 


*) s. Nachdichter. 
: 15* 


298 K. J. SCHRÖER 


S. 14), ein leinweber, s. valetw. — hochverblüemtw. — mor- 
genw]. 

[Moser, Augustin, N. hat noch kein ton (vgl. Niel. Vogel) ge- 
macht, doch wird erzelt. er war ein lobdichter]. Er erscheint 
unter den 12 Nürnberger Dichtern in einer Lesart eines Liedes von 
H. Sachs, s. Schnorr 8. 15. 

Most [r. Wolf Most zu Nörmberg, s. gflochten bluem- 
weis]. 

Mügling (Mogelin), Heinrich, doctor der schrift wol ge- 
ert, aller künsten vol. der viert meister im ersten Lied. [Doc- 
tor der erznei. Der dritt. Töne: lang, grüen, traumw. — hof- 
ton, kurz]. Vgl. Bartsch 5, 180. Dessen langton 23, 1. 66. 134. 152. 
kurz ton 91. 

Müller (s. Milner), Michel, in Ulm. [Michel Müller von 
Ulm der 19. (a.n.) s. engelweis. seinschneeweis]. Dessen schnee- 
weis 139. 150. 

Münich s. Salzburg. 

[Muscablüe, der 7. (a. n.) Töne: neu. lang]. Vgl. Bartsch 
5... 185: 

Nachdichter. Nach den 12 alten Meistern werden im Register 
als die alten Nachdichter aufgezählt: 1. Klingsor. 2. Erenpott. 3. Metz- 
ger. 4. Hopfengart. 5. Zughart. 6. Tonhauser. 7. Muscablüe. 8. Zwin- 
ger. 9. Eingelhart. 10. Singer. 11. Bramberger. 12. Münch v. Salzburg. 
13. Hülzinger. 14. Pfalz. 15. Lesch. 16. Schüller. 17. Beham. 18. Harter. 
19. Müller. 20. Meienschein. 21. Paetz. 22. Dräenpolz. 23. Wenk. 
24. Nieclai v. B. 25. Markgraf Georg. 26. Brümel. 27. Jung Stol. 
28....s. Reitlerw. Ina einem Lied von 1567 werden angeblich 5, wirk- 
lich aber 4 Dichter als „nachdichter“ genannt: 1. Ungelert. 2. Erenpot. 
3. Neidhart Fuchs. 4. Meichsner. Schnorr v. C., Zur Geschichte des 
Meistergesanges ὃ, 14. 

Nachtigal, Conrad [Conr. Nachtigal ein beck, 5. stark t. 
— leit t. — schlecht — lang t. — teilter t. — senfter t. — abend t. — 
abgeschidner t., hoch t., kurz t.| Dessen geteiltton 67. hochton 
178. leit ton 25. schlecht langton 133. 146. 

[Nestler 5. Rosengart.] 

Niclas s. Bamberg. 

Nothart s. Markhart. 

Nunnenbeck, Lienhart. Dessen langton 30. 56. gulden 
schlagweis 153. [Lienhart Nunenbeck, ein weber N. lang t. 


zuckerw. — hamerw. — guldenschlagw. — abgeschiden t. — ' 


kurz t. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 299 


Nürnberger meister, als: die 12. werden nach dem:28. alten 
Nachtichter s. d. genannt: 1. Nachtigal. 2. Zorn. 3. Vogelgsang. 
4. Örtl. 5. Kettner. 6. Vogel. 7. Beck. 8. Moser. 9. Schwarz. 10, Eis- 
linger. 11. Folez. 12. ἢ 

[Oft, Daniel, Glaser, A., 5. hoch glesw.] 

Ofterdingen, Heinrich von [Efferding, der 10. Töne: frosch- 
weis. kurz. lang morgenröt]. s. auch Efferdingen. Dessen 
überkurzton 160. 161. Vergl. Bartsch S. 158. 

Örtl, Hermann [Hörmen Ortl ein spedlmacher. N. sein 
leitton. — 5. langer 1.1 Dessen leitton 15. 27. 

Öttendorfer (Offendorfer), Casp. [A., 5. langer. — frankw. 
hochjünglingsw. — gulden creuzw]. Dessen hochjünglings- 
weis 16. 144. 

Paetz, s. unter Betz. 

Pekh oder Pokh, H. Nicht mit Sicherheit zu lesen. Derselbe 
dichtete 165. 

[r. Pfal, Martini von Worms, s. oster t.] 

[Pfalz oder Pfelz von Strasburg, der 14. (a. n.) sein r... 
weis.] 

[r. Pfandler, Felix, von Eslingen, s. neue freudweis.] 

Pogner, s. Bogner. 

Pop, der stark, ein magister [der 9. Töne: kroner ton. 
creuz. — lang]. Vgl. Bartsch S. 166. Im ersten Liede wird er als 
der siebente der alten 12 Meister genannt. 

Puschmann (Hans Sachsens Schüler. Im Jahre 1578 war der- 
selbe, wie es scheint, zu fasnacht in Steier, s. Schnorr Κ΄. 34.) [r. Adam 
Buschmann, ein Schneider von Görlitz, s. überlang vogelw. 
— überlang amselw. — klingendbuschw. — s. helle dr. selw. 
— hemflingw. — stumpf lerchenw. — klingend nachtigalw. 
stiglitzw. — kurz amselw. — zeiselw]. 

Ran, Rann, Wolfgangus, der sechst meister. Dessen hern- 
weis. herweis. 135. 136. 175. lang ton 175. [Her Wolgang Ran, 
ein ritter der 5. Töne: lang. creuz. — gulden. kurz. flum. ver- 
golt. höhweis]. Gemeint ist Wolfram v. Eschenbach. 

[Rathgeber, Hans, A., s. hoher lindton.] 

Regenbogen, Barthel [Berchtold Regenbogen, ein schmid. Töne: 
überlang. lang. leit. donnerweis. grob. tagweis. briefweis. 
blauton. braunton. zugweis süeß. gulden. kurz], ein schmid, 
der zweit meister. Vgl. Bartsch S. 175. Dessen langton 23. 4. 
69. 152. 134. 


230 K. J. SCHRÖER 


Reitler Johann. Dichtet 73 [als 28. in der Reihe der alten nach- 
dichter ist der Name ausgeblieben, doch wird dem Unbenannten zu- 
geschrieben: sein Reitlerweis 20 reimen, was vielleicht auf Reit- 
ler zu beziehen ist]. 

[Rieger, Jeronymus, 5. schöner t.] 

Ringsgwant (s. auch Schnorr S. 16), Paulus [Paulus Rings- 
gwant, ein pürstenbinder, sein versetzter t. — osterweis. — 
bauren (Ὁ) ton]. Dessen osterweis 34. 45. 84. 151. versetzt ton 
154. 176. 

Römer von Zwickau (s. Schnorr ὃ. 14) [der 11. Töne: sein- 
gsangsweis. schwankweis]. Unter den 12 Meistern der 8. 

Rosengart, Hans — von Meintz, nöstler (doch wohl: Hans 
Rosengarts Sohn, Nestler in Meinz), s. freudweis.] 

Sachs, Hans, zu Nürnberg [von den alten (sc, 12 Nürn- 
berger s. d. meistern) bis auf den L. Nunbek fast an 100 jar 
einer nach dem andern. nun folget der sinnreich poet Hans 
Sachs, sein überlang t. — überhochbergweis. — lang t. — 
morgenweis. — neu t. — sein bewerten ton. — gulden t. — 
silberw. — klingend t. — sprichw. — rosent. — kurz {1 Dicht 
71; anno 1586. 76. 78; anno 1543. 82; 1555. 86; 1554. 98; 1554. 94; 
18 97; 1548. 98; 1550. 100; 1553. 101; 1552. 102; 1540. 103; dr Sept. 
1554. 104; 28. Merz 1556. 112; 1551. 115; 1545. 117. 121; 1555. 126. 
174. 180. Das Lied 164 ΤΕ ΤΑΥΤΝ J. S. M., was ἐπ δὴ gleich- 
falls Johannes Sachs Meister aufzulösen ist; wahrscheinlicher ist 
es aber wohl von Schochner s. d. oder Spreng 5. d. Dessen hoch- 
bergweis 50. kurzton 81. langton 52. rosenton 80. silberton 63. 
überlangton 71. 

[Salzburg, der Münich von, der 12, (altnachsinger). Töne: 
lang. corweis]. Vgl. Bartsch S. 184. 

Schiller, Jerg, in der Handschr. Schüller s. d. 

Schmidt, Hieronymus oder Faber. [A.] Dessen hoch bart- 
weis 62. 

Schmid, Paulus [Paulus Schmid, s. bluetweis. — ver- 
schident. — hoch knabenweis]. Dessen meien bluemweis 9. 

[r. Schneider, Mathias, ein schumacher zu Steir, 8. er- 
welter t. — s. steierw]. Derselbe war bei Georg Hager in Nürn- 
berg im Jahre 1562 schuhknecht, s. Schnorr S. 34. 

Schochner, Hans [Jerg Sehaolure 8. reisig frid weis]. 
auch J. S., wohl auch 4. 5. Μ, 5. Sachs. Dessen reisig freiweis 54, 
von ihm leeren 164. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 231 


Schratt, Martin [A. goldschmid, s. naren(?)w. — schrattw], 
Dessen weis, die schrattweis 18. 19. 

Schreier, auch Schreütt (4. i. schreiet — schreiend) Hans. 
[r- Hans Schreier oder Zandt von Nördlingen, s. hoch bluetw. 
— lang kornblüew]. Dessen hochblüetton oder hochblüet- 
weis 8. 50. 

[Schüller, Jerg, der 16. (a. n.) Töne: meienweis. süeß. hof- 
ton]. Vgl. Bartsch S. 186. 

[Schwarz, Hans, ein briefmaler. N. sein vernannte weis.] 

Schwarzenbach, Onophrius (Derselbe war parchetweber zu 
Augsburg, nicht zu Colmar, 5. Schnorr 5. 34). [Onophrius Schw., 
A. uberlang tagw. — lang t. — hochcorw.— morenw. — elew. 
— grobert. — hocht. — frölich morw. — barattw. — neut. — 
meienblumw. — creuzt. — gulden thronw. — kurz blüew. — 
kurzt.] Dessen el&weis 86. 125. hocheorweis 170. morenweis 93. 

[Schweinfeld, Sewastian, 5. verschidner t.] bei Schnorr 5. 16 
Sebastian Schweinfelder. 

Sedelmeier, Södelmeier, Hans [r. Hans Södelmaier, ein 
kürschner, 5. fröliche hermelw. — s. springede gemsenw]. 
Dichtet 5 in seiner frölichen hörmelweis. 

Selzmann, Daniel. Derselbe dicht im 71 jar: 11.1577. 

Semelhofer [τ Anderes Semelhoffer, ein sattler zu 
Strasburg, vgl. zu 155, s. lang semelw. — verdrät satelw. — 
klingendbluemw. traurig semelw.— stumpfblüew. — über- 
kurzw.]. Andreas Semelhofer zue Anspach, dichtet im Jenner 
1577: 3 und 4 heilt aber bei 155: sattler zu Straßburg 1587. Dessen 
lang semelweisd. traurig semelweis3. 

Singer, Casp. [— von Eg. (Eger?), der 10. (a.n.). Töne: lang. 
hell. schlecht. frei. lieb.) Dessen liebton 703*). 

[r. Söllinger, Hans zue Strasburg. s. barhattweis. — s. ab- 
gekürzt jünglingw.]. 

Spaüser, David. Dichtete 77. 

[Spörl, Jerg. s. dankweis]. 

Sprenger oder Spreng, Johannes, zue Augsburg. Dichtet 14. 
31. 99; 1565 (geschr. 1615) und 150; 12. mai 1565. 147. 

St..., H.St., dichtet 95, was Peter Heiberger „corigirt“ den 
14. hornung 1615 in sein Buch einträgt. 


*) An Georg Hager in Nürnberg sante (oder santen?) Singer von Steier ein 
Lied Lor. Wessels. S. Schnorr 5. 14. 


232 K. J. SCHRÖER 


[Stilkrueg, Lorenz. überlangt. — stegw.|. 

Stol, der alt—, [ein seiler, der 8. Töne: alment. hoch- 
bluetton]. der eilfte Meister. Dessen alment. 11. 165. Vgl. Bartsch 
S. 164. 

[Stol, der jung. Vgl. Bartsch S. 168. der 27. (a.n.) 5. langert.] 

[Taglang, Jacob. A.s. storchenweis. — hopfenw. — hoch- 
liedt. — lindenw.]. 

[Thonheüser, der 6. (a. n.) sein hofton. hauptton]. Vgl. 
Bartsch S. 162. 

Treüert oder Schreütt steht bei 8 für Schreier s. d. 

Triller s. Drihler. 

δῦ τὸ Thür Dürr 

Tulner (auch Dulner), Rafael. [Raphael Dulner, schwertfeger 
A. s. überkrönter. — s. kronter. — s. neuer.| Dessen neuton 
149. 163. übererontton 174. 


Vogel, Hans. [Hans Vogel, taschner zu Nürnberg*). über- 


langt. — gfangent. — engelw. — verwirtert. — schatzt. — 
vogelw. — süeßt. — rebenw. — jungfrauenw. — ilgenw. — 
hundsw. — sauer(?)weis. — frischt. — klagw. — glasw. — 
schwarzt. — trengt. — schalw. — kurzt.|. Dessen clagweis 


180. — engelweis. 120. frischton 137.138. geflochtenton 70. 88. 
glasweis 167. lang schlechtton 49. Jangton 146. rebenweis 20, 
99. 142. 160. schatzton 97. 162. schuelweis 94. süeßton 14. 141. 
überlangton 132. verwirtton 85. Vgl. Schnorr 5. 34. 

Vogel, Michel [Michel Vogel. pierprei (bräu) zu Nürnberg. 
s.überlang vogelfreud. — langfeldw. — neuverkehrtt.— hoch 
und verkertt. — hert steinw. — süeß weihnachtw. — stark 
osterw. — hopfenw. — zornigmorw. — tagw. — kurz]. Vogel- 
weis 51. 112. 151. vgl. Fogel. von ihm 47. 

[Niclas Vogel ein dichter hat noch kein ton doch wird 
er gezelt. N.| Er erscheint auch sonst in der Zwölfzahl s. Schnorr 
8-15. 

Vogelgsang. [Conrad Voglgsang ein heftler oder spedl- 
 macher. N. 5. guldenton.] vgl. Füllsank. Dessen gulden vogelgsang 
1.. 82:.115:: 151% 

Walther, her —, ein Landherre; der fünfte meister. Dessen 
creuzton 126. langweise 23, 5. [her Waltter von der Vogel- 


*) Derselbe wird im Register nach den Nürnberger und Augsburger Nachdichtern 
aufgeführt. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 933 


weid, ein landher, der 6. Töne: lang. — creuz. — fein.| Vgl. 
Bartsch S. 156. 

Watt, Benedict von, goldriser zu Wer dicht im jar 1603: 123. 
Eine Schrift von seiner Hand vollendet 1601 den 22. November „zu 
Wehrd“ 5. Schnorr S. 10. 

[r. Weinmann, Ambrosius, schuelhalter zu Nörmberg. 
5. klagweis.]| 

[r. Weismeir, her Cristof. s. süeß erbotweis.] 

[Wenk, Balthes, der 23. (a.n.) 5. klagweis.] 

Wesel, Lorenz von Essen. [Lorz. Wesel von Essen ein 
kürschnerundloblich dichter. überlangt. — hoch verschlag- 
weis. — kröntt. — guldent. — langt. — schlechtt. — hocht. — 


keiserlich barattt. — probiertt. — zankw. — heberw. — feiel- 
blüew. — klingendtagw. — neut. — verlornt. — kinderw. — 
meienreien. — unbenentt. — klagw. — kurzt.] Dichtet in Wien 


in Österreich 1568: 176. von ihm auch 14. 22; 1562; 37. 38. 39. 40. 
123. 151. 160. Dessen clagweis 181. eronton 37. hochton 15l. 
157.4 377. 

Wickram von Colmar. [r. Jerg Wickran von Colmar. 8. 
freudw. — 5. frischer ton]. Dessen freidweis 6. 

[Widorfer, H. hafner. 5. lang verseztt. — getailt krugw.] 

Wild, Sewastian. zueAngsburg. [Seb. Wildeinschneider. A. 
überlang straßw. — überlang lewenw.— überlangt. — langt. 
wildt.— crontt.— gulden schalw. —nassengsangw. — hoft. — 
fluchtw. — fridw. — jungfrauw. — kurz nachtw.] Dichtet 26. 
148. Dessen Ton; der wilde ton 114. 121. 148. 151. 

[r. Windebusch (?) Hans Heinrich, kortten (korb?) macher 
zu Augsburg. 8. streng winterw.]. 

Wirt, Caspar. [Caspar Würts kürschner. A. s. langschlag- 
weis]. Dessen schlagweis 53. 

Wirzburg, Conrad von. [— ein geiger, der 7. Töne: mor- 
genweis. — hofton. — abgespütz ton.]. Der zehnte meister. Vgl. 
Bartsch S. 164. Dessen abgespütz ton 11. 23. 166. 

Wolf. Wolfgang s. Herold. Ran. 

Zant, Hans von Nördlingen. s. Schreier. Dessen bluet- 
weis. 8. 

Zimmermann, Niclas, Nadlerzu Regensburg. Dichtet 8. 

Zorn, Fritz. [Friedrich Zorn ein nagler N. sein verborgen 
ton. —zugweis.— unbekenntt.— verholent. — größte rei(?)]. 
Dessen unbenant ton 10. auch unbekant ton 68. verborgen 
ton 110. 


234 K. J. SCHRÖER 


[Zughart der 5. (a.n.) sein pfluegton]|. 

Zwickau s. Römer. 

[Zwünger, Peter, der 8. (a.n.) Töne: rot. hofton.| Vgl. Bartsch 
S. 182. 


3. Verzeicbniss der Orte, in denen die genannten Meister auftreten. 


Es ist ansprechend, die in der Handschrift genannten Orte, aus 
denen die Dichter her sind oder in denen sie vorübergehend auf- 
treten, hervorzuheben. Diese sind: 

Anspach. Daselbst dichtete 1577 im Jenner Andr. Semelhofer; 
wahrscheinlich derselbe Andr. Semelhofer war aber als Sattler seß- 
haft zu Straßburg s. d. 

Augsburg. Hier dichten Dürr, Holzmann, Daniel und Ulrich, 
Lip, Loscher, Meyer, Springer, Wild und Windebusch; 
außerdem noch die 12 Augsburger Meister, die unter Augsburger m. 
angeführt sind im Namensverzeichniss der Meister. 

Bamberg, daher ist Niclas. 

Breslau, von hier sind die Meister: Bunzel, Drihler, Herold, 
Kaiser, Morgenstern. 

Dane: Dieser Ortsname ist unlesbar. Von da ist Banzer. 

Draglau s. Β 861]. 

Efferdingen wechselt mit Ofterdingen 5. d. 

Eger s. Singer. 

Eschenbach s. Lorenz. 

Esslingen. Daher sind Koch, Pfandler. 

Essen s. Wesel. 

Frankfurt s. Paetz. δ 

Görlitz 5. Puschmann. 

Iglau 5. Böser]. 

Inspruck s. Markhart. 

Kolmar s. Wickram. 

Magdaburg s. Bauer, Kol. 

Maünz s. Frauenlob, Lesch, Rosengart. 

Nördlingen s. Zant oder Schreier. 

Nürnberg 5. Betz, Glöckler, Hager, Klingler, Lienhard, 
Most, Vogel, Weinmann s. auch Nürnberger im Namensver- 
zeichniss d. M. 

Regensburg s. Zimmermann. 

Salzburg s. Münich. 

Speier s. Meischein. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 235 


Steier s. Heiberger, Kriegsauer, Schneider.. Auch Ad. 
Puschmann war in Steier und „Singer von Steier“ schickte(n?) ein 
Lied an G. Hager s. Singer. 

Steiermark 5. Canzlar. 

Straßburg s. Beichtiger, Gimpel, Pfalz, Semelhofer. 

Ulm 5. Brüml, Müller. 

Wels s. Freudenlehner, Heiberger. 

Wer, Wehrd s. Watt. 

Wien s. Holzmann, Wesel. 

Wirzburg s. Conrad. 

Worms s. Pfal. 

Zwickau s. Eßlinger, Römer. 


Iglauer Meisterlieder. 


Da die Schrift von Wolfskron (s. oben 5. 207) nicht in jedermanns 
Händen ist, will ich hier noch kurz beriehten über die dort mitgetheilten 
Iglauer Meisterlieder. 

S. 43. 3 Lieder in dem langen ton Hopfgarten (20 Reime): 
1. nachKristi geburt merket mich etc. 2. das mer lief auch 
gewaltig ausete. 3.im jar nach Kristi geburt rein etc. handelt 
von Erdbeben und anderen Schrecknissen. 

5. 44. 3 Lieder im langen ton Bartel Regenbogens (23 Reime) 
überschrieben vondemerdbeben. 1.Kristusmeldettuichverkün- 
den etc. 2. es starben gewaltig villeute etc. 3. do manzelt fünf- 
zen hundert jare etc. gedicht am sontag nach Pauli bekerung 1591. 

S. 45. 3 Lieder in der lörchenweis Heinrich Edners (22 
Reime) 1. Got last uns durch sein wortete. 2. sonderlich melde 
ich etc. 3. darauf erfolget ist etc. handelt auch von Erdbeben und 
Pestilenz geticht am tag Marie reinigung 1591. 

S.46. 5 Lieder in der Römergsangsweis Römersv. Zwickau 
(20 Reime). 1. nach Kristi geburt acht und auch siebzig jar 
etc. 2. do man geschriben hat nach Kristi geburt rein etc. 
3. als der abtrünnige Keiser Julianusete. 4. darauf erfolget 
sindteurungund schwere zeit etc. 5. anno tausend ein hun- 
dert sehs und zwanzig jar etc. geticht den tag nach Marie 
lichtmess 1591. 

S. 48. 5 Lieder in dem kurzen ton H. Sachsen (13 Reime). 
1. als man nach Kristi geburt schreiben tet etc. 2. nach der 
geburt Kristi 12 hundert jar etc. 3. tausend drei hundert 
fünf und vierzig jar etc. 4. tausend drei hundert fünf und 
fünfzig jar ete. 5. firzen hundert sehs und fünfzig jar etc. 


236 K. J. SCHRÖER 


S. 49. 3Lieder in dem rosenton H. Sachsen (20 R.) 1. als 
man nach Kristi geburt hetteetc. 2. als man schrieb fünfzen 
hundert jar etc. 3. noch ferner het sich auch begeben etc. 
Bis hierher eine Beschreibung aller Erdbeben und Pestilenzen bis 1531, 
geticht am donrstag nach lichtmess 1591. 

S. 51. Ein Lied in der neubewärten Igelauerweis Philipp 
Hagers (25 R.): ich lob gesanges kunste οἷο. 19. November 1617. 
Philipp Hager. 

— Ein Lied in der meienweis (25R.): als was kumt aus 
der erden etc. Am 15. Juni 1618. Markus Michko. 

S. 52. Bruchstücke. Mit der Zahl 4 beziffert beginnt ein Lied von 
24 Zeilen: so jamert doch den lieben got etc. 5. ebenso: so ist 
die lieb auch ganz erkaltetc. 6. auch ist den menschenalso 
bang etc. 7. wie den die leut in Österreich ete. geticht am 
tag Martini im 90 jar. 

S. 54. 5 Lieder (vom 3. nur 3 Zeilen) in des Regenbogens 
gulden ton. von dem erdbeben.. wie man geschriben hat 
merkt mich etc. Dieß Lied erzählt von einem Erdbeben 1533. 2. auch 
wert ir ierlichen bericht οἷο. Erwähnung eines Erdbebens: wir 
erfurens mit schrecken groß, wieir selbst wistzu gleicher 
maß an eim samstag des 90 jare. Ein solches Erdbeben an einem 
Samstag 1590, das in Iglau verspürt wurde*), bat wohl die Veranlassung 
gegeben zu dem in der Iglauer Singschule so viel besungenen Erd- 
bebenthema. 3. nun habt ir jezunt angehort fül der erdbeben 
erschröcklich. welche für langer zeit ...sint geschehen. 
Hier bricht die Hs. ab. 


Rückblick. 


Wenn ich auf das Obige zurückblicke, so scheinen mir einige 
Thatsachen besonders beachtenswerth; sie werden nun bedeutsamer 
erscheinen, wenn ich sie nach dem Gesagten noch einmal hervorhebe. 
Der ältere Meistergesang, der noch von den Überlieferungen der 


*) Einer Abhandlung meines lieben Freundes Dr. G. A. Kornhuber: „das Erd- 
beben vom 15. Jänner 1858 besonders in Bezug auf dessen Verbreitung in Ungarn“ 
(Schriften des Vereins f. Naturkunde zu Presburg 12. Apr. 1858) entnehme ich: „das 
Erdbeben vom 15. September 1590, welches man in Wien auffallend wahrnahm, hatte 
auch an andern Orten Österreichs, in Böhmen, Schlesien und Ungarn sich gezeigt 
und wiederholte sich noch am 18. September und 1. October desselben Jahres.“ Da 
dal große Erdbeben in Iglau an einem Samstag stattfand, so war es der 18. September, 
denn dieser fiel auf Samstag. 


MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 237 


Minnesinger zehrte, drohte zu erlöschen um das Ende des 15. Jahr- 
hunderts. Vor Beginn der Reformation aber regte schon ein neuer Geist 
in denselben Schichten der Gesellschaft zu neuen Versuchen an; es wurden 
neue Schulen gegründet, denen dann im 16. Jahrhundert die Refor- 
mation ihren Geist einhauchte. Diese Wandlung vollzog sich deutlich 
während der Dichterlaufbahn Hans Sachsens. Die vom Geiste des: 
Protestantismus getragenen Singschulen des 16. Jahrhunderts zeichnen 
sich eben nicht aus durch ihre Dichtungen; mit Ausnahme Hans 
Sachsens und vereinzelten bessern Gedichten Anderer, sind ihre Er- 
zeugnisse ohne dichterischen Werth. Ihre Dichter warfen sich fast 
alle ausschließlich auf das Studium der Bibel und verarbeiteten die durch 
die Übersetzung Luthers gewonnenen Stoffe in den Kreisen des Mittel- 
standes; sie stehen in bestimmter Beziehung zur Reformation, s. Uhlands 
Schriften 2, 329. — In Österreich ist es ganz deutlich, daß die Sing- 
schulen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit dem Protestan- 
tismus stunden und fielen; so in Iglau, so in Oberösterreich. — Für 
die letzteren war wohl der Erwecker und Gründer der fahrende Meister- 
singer Lorenz Wesel von Essen, der „die tabulatur und ordnung der 
Singer in Steier, Kärnten, Österreich ob der Enns gestellt im jar 1562“ 
Wagenseil S. 520. Er weilte und dichtete 1568 auch in Wien, wo später 
vorübergehend 1585 auch D. Holzmann aus Augsburg auftrat, wie wir 
aus Heibergers Hs. ersehen. — Peter Heiberger, unsern Liebhaber der 
Dichtkunst, sahen wir thätig bis 1615. Die Religionsverfolgungen be- 
gannen darauf 1620 und hatten Auswanderungen zur Folge, zum Theil 
nach Ungarn. 

Von den Haidbauern, den Besitzern jener Weihnachtspiele in 
“Ungarn, wissen wir, daß sie als protestantische Exulanten 1620—1630 
eingewandert sind*). Wenn wir nun im Jahre 1652 solche in Ungarn 
eingewanderte Protestanten Weihnachtspiele, deren Texte große Stellen 
von Hans Sachs aufgenommen haben, aufführen sehen, von Spielgesell- 
schaften, die sich Meistersinger nennen und Sitten und Gesinnung der 
Meistersinger wahren bis in unsere Tage, so ist doch wohl ein Zu- 
sammenhang zwischen diesen Eingewanderten und jenen Vertriebenen 
anzunehmen. Was uns bei dieser Erscheinung besonders ansprechen 
muß, das ist die oben nachgewiesene Verschmelzung des meistersinger- 
lichen Elementes mit echt volksthümlicher Poesie und uralten volks- 


thümlichen Sitten. 


*) Siehe darüber meine Weibnachtspiele 5, 4, die Anmerkung dazu S. 6, 


238 K. J. SCHRÖER, MEISTERSINGER IN ÖSTERREICH. 


Die Räthselfragen. 

Von letzteren will ich noch die Räthselfragen hervorheben. Dabei 
habe ich schon Weihnsp. 207 an Gr. Myth. 862 und Müllenhoff Sagen 
XII. XVIII erinnert. 

Ich habe in meinen Weihnachtspielen ὃ. 205 die mit diesen 
Räthselfragen verbundenen merkwürdigen Sitten geschildert. Jeder 
deutsche protestantische Ort auf dem ungrischen „Haidboden“ besaß 
den Text der Weihnachtspiele, die gewöhnlich bei einer Familie fort- 
erbten. Das Haupt dieser Familie war Lehrmeister und dieser 
sammelte im Herbst eine Gesellschaft von Singern um sich, die die 
Spiele einübten, auch während der Zeit sich gewissen meistersinger- 
lichen Vorschriften unterwarfen. Nicht jedes Jahr kamen überall Spiele 
zu Stande, bald fehlte es an einem richtigen Herodes, bald an einem 
passenden Teufel, einem schönen Spieler der Maria und was der 
bedeutenderen Rollen sonst sind. In unserem Jahrhundert erloschen 
die Spiele bis auf den Einen Ort Oberufer. Der Umstand, daß nicht 
immer jeder Ort die Spiele studiert hatte, veranlasste die Spieler eines 
Ortes zu Wanderzügen nach anderen Orten. Voran gieng, wohl als der 
Tapferste, der Hauptmann des Herodes. Kamen sie nun in einen Ort, 
wo eine einheimische Gesellschaft gleichfalls vorbereitet war zu den 
Spielen, so durften die Ausheimischen nicht spielen. Dieß wurde aber 
nicht etwa mit einer plumpen Ausweisung der Fremden, sondern in 
sinnvoll poetischer Weise, wie es Singern geziemt, mit den Räthsel- 
fragen ausgetragen. Jeder Ort hatte seine eigenen Räthselfragen, die 
geheim gehalten wurden. War in dem fremden Orte eine vorbereitete 
Gesellschaft da, so trat sie beim Einzug fremder Spieler rasch zusammen, 
an der Spitze gleichfalls der Hauptmann des Herodes und der ein- 
heimische durfte den fremden seine gereimten Räthselfragen vorlegen. 
Da hätte es denn wohl mit einem Wunder zugehen müssen, wenn der 
Fremde die ihm vorgelegten Räthsel alle, und zwar in Reimen, hätte 
beantworten können. — Konnte er aber das nicht, so musste die fremde 
Gesellschaft friedlich abziehen. Ich sagte nun Weihnachtspiele S. 206 
(1858): „es ist eigen rührend, daß der Oberuferer Hauptmann immer 
‚noch zum (Räthsel-) Kampfe sich rüsten muß, („sie mögen nur kommen“! 
hörte ich ihn 1853 sagen), obwohl er schon längst auf der weiten Welt 
ohne Gegner allein steht. — Aber ganz geheuer ist es doch nicht ete.* 
Dieß letztere ist seitdem wirklich wahr geworden und mit dieser Mit- 
theilung will ich schließen. Professor Stachowitz in Raab (s. Germania 
XII, 106), Benedictiner, ward durch mein Büchlein angeregt auf dem 
Haidboden weiteren Handschriften von Weihnachtspielen nachzuspüren. 


O. STEINER, FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 239 


Er erweckte an einigen Orten die Lust zu den vergessenen Spielen und 
ermunterte zu einer Aufführung, die 1866 unter Anwesenheit des Bischofs 
Simor, jetzt Primas von Ungarn, zu Raab wirklich stattfand. Hier dürften 
die Spieler wohl Katholiken gewesen sein, indem sonst die Spiele Eigen- 
thum der in Presburg und über den ganzen Haidboden verzweigten 
Protestanten sind, wie ich mich seit Abfassung meines Büchleins noch 
gründlich überzeugt habe. Diese, unter solchem Schutze vollzogene Auf- 
führung, wirkte auf die Ortschaften des Haidbodens derart, daß man 
überall anfieng die Spiele einzuüben, wie mir Herr Professor Stacho- 
witz schrieb. Der Hauptmann des Herodes in Oberufer mag sich daher 
immer rüsten; es steht das Schlimmste zu befürchten. — So leben denn 
in Ungarn deutsche Weihnachtspiele noch immer fort — ein Nachklang 
meistersingerlichen Treibens, zugleich ein merkwürdiges Zeugniss für 
den Einfluß des Meistergesanges auf das Volksleben — und über- 


schreiten sowohl nationale als selbst confessionelle Schranken. 
Geschrieben zu Ostern 1872. 


DIE FREMDWÖRTER IN DEN BEDEUTENDSTEN 
MITTELHOCHDEUTSCHEN EPISCHEN DICHT- 
WERKEN, 


VON 


OTTO STEINER. 


Einen großen Einfluß auf die Entwickelung der Cultur der 
Deutschen haben im Mittelalter unsere überrheinischen Nachbarn, die 
Franzosen, ausgeübt. Kunst, Wissenschaft und Litteratur empfiengen in 
gleichem Grade die höchste Anregung von ihnen. Aber nur die An- 
regung dazu; denn dafs wir je unser Deutschthum völlig abgestreift 
hätten, daß wir uns nicht allein mit der Übernahme einer höhern Cultur 
als solcher — sie mag nun griechisch, lateinisch, englisch oder franzö- 
sisch heißen — begnügt hätten, wird wohl Niemand mit zureichenden 
Gründen behaupten können. 

Es ist erwiesen, daß wir unsere Gothik aus Frankreich über- 
nommen haben. Es ist bekannt, daß; der Grundriß zum Kölner Dome 
im Wesentlichen derselbe ist, wie der der Cathedrale von Amiens. Aber 
es ist auch wieder neidlos von allen zugestanden, daß es keinen zweiten 
gothischen Dom weder in Frankreich noch England gibt, welcher in 


240 OTTO STEINER 


so gewaltigen und dennoch so feinen und edlen Verhältnissen angelegt 
wäre, wie gerade der Kölner Dom. 

Überraschend ähnlich wie mit der Architectur steht es mit der 
mittelhochdeutschen Litteratur, wenigstens mit den Kunstepen derselben. 
Die deutschen Dichter fanden den meist sehr willkürlich zusammen- 
gewürfelten Stoff im Französischen vor und schufen dann aus diesem 
Rohmaterial Gedichte mit planvollen und festen Umrissen. Wie der 
Kölner Dom alle übrigen Dome, so überragt Parzival in dieser Hin- 
sicht alle übrigen mhd. Epen. Es hat sich theilweise nachweisen 
lassen, welche französischen Gedichte in ihm benutzt sind; doch kann 
dem Dichter daraus ein Vorwurf erwachsen? das Eisen mul durch 
viele Hände gehen, ehe es zum Stahle wird. — Lässt sich dieselbe 
Einheit in der Gesammtdarstellung, wie wir sie im Parzival vorfinden, 
auch nicht von allen übrigen mhd. Kunstepen behaupten, so entschädigen 
sie uns dafür durch anderweitige Schönheiten, die man in den franzö- 
sischen Vorlagen vergebens sucht. 

So wenig nun auch die deutschen Dichter die fremden Originale 
sklavisch nachgeahmt haben, so zeigen sie doch in einem Punkte eine 
gewisse Abhängigkeit von ihnen. Wir finden nämlich für ein gewisses 
Gebiet von Vorstellungen in allen mhd. Epen — in dem einen mehr, 
in dem anderen weniger — französische Ausdrücke angewendet. Fragen 
wir nach der Ursache dieser Erscheinung, so müssen wir uns vor 
allem gegenwärtig halten, daß das Ritterthum, welches die Seele aller 
dieser Gedichte ausmacht — wenngleich altgermanischen Ursprungs — 
doch erst zu seiner höchsten Blüthe durch die französischen Normannen 
und die nordfranzösische Ritterschaft gekommen ist. Die Franzosen 
schufen natürlich mit diesem neuen Stande auch neue Begriffe, welche 
dann von den Deutschen im Großen und Ganzen in französischer 
Fassung angenommen wurden. Unsere Vorfahren sahen die fremden 
Ritterspiele, hörten sie turnei, pumeiz, tjost, buhurt u. s. w. nennen und 
übernahmen mit den fremdländischen Spielen auch die fremden Aus- 
drücke dafür. Zu Verdeutschungen hatten sie bei der Unmittelbarkeit 
und der frischen Freude, mit welcher sie sich dieses neue Leben und 
' Treiben aneigneten, wohl schwerlich Zeit. Daß ihnen durchaus nicht 
immer bei Einführung französischer Worte die Lust an solchen maß- 
gebend war, beweist das oft deutsche Gewand, oder, um mit Wacker- 
nagel zu reden, die Umdeutschung solcher Worte, die im Mhd. aller- 
dings nicht in der umgestaltenden Weise stattfindet, wie im Goth. 
und Ahd. 

Außer den Wörtern, welchen man wohl den Eintritt in die deutsche 
Sprache in fremdem Gewande gestatten musste, begegnen noch eine 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 941] 


Menge anderer, von denen wir nur sagen können, es war die allgewaltige 
Mode, die ja auch allezeit in der Sprache herrscht, welche ihnen be- 
reitwillig Thor und Thür geöffnet hat. Es gieng eben damals wie heute. 
Sehen wir uns beispielsweise den ersten Theil des Faust an, so finden 
wir gleichfalls zwei Arten von Fremdwörtern, einmal solche, die man 
nicht weiter beanstanden wird, wie: Billet, Phantasie, Maschine, Sphären, 
Organ, moralisch, rhythmisch, Cherub, Studien, Theorie, Scepter u. s. w., 
zum zweiten solche, die uns wohl befremden können, wie: kurtesiert, 
soulagiert, profitiert, interessiert, isolieren, dilettiert, associiert, ennuiert, 
reducieren, reussieren, revidieren, judieieren, präpariert, (age, Respect, 
Dressur, Conventikel, Vehikel. 

Bei Göthe ist diese Fremdländerei noch eine wenig umfangreiche; 
wie sehr sie aber bei Schriftstellern zweiten Grades und dann in der 
allgemeinen Gesellschaftssprache überhand nimmt, sowohl in syntaktischer 
als namentlich in lexicalischer Hinsicht, davon geben zwei Abhand- 
lungen von Prof. Brandstäter (Herrigs Archiv XLIII) und Dr. Laubert 
(Realschulprogramm von St. Johann zu Danzig 1866) erschreckliche 
Kunde. 

Zweck dieser Abhandlung ist es, festzustellen, welche französischen 
Wörter in den bedeutendsten mhd. Dichtwerken vorkommen und zwar 
soll jedes gesondert mit seinen Fremdlingen in zeitlicher Aufeinander- 
folge hingestellt werden. Die hierbei in Betracht kommenden Werke 
mit ihren bezüglichen Ausgaben sind folgende: 

Erec hrsgb. von M. Haupt Leipz. 1839. 2. Ausg. 1871. 

Diu Klage (in Lachmanns Nibelunge Noth. IV. Abdruck des 
Textes Berlin 1859). 

Gregorius hrsgb. von K. Lachmann Berl. 1838. 

Die Lieder und Büchlein und der arme Heinrich hrsgb. 
v. M. Haupt. Leipzig 1842. 

Iwein hrsgb. ν. G. F. Benecke undK. Lachmann. III. Ausg. 
Berl. 1868. 

Parzival in Wolfram v. Eschenbach II. Ausg. v. K. Lachmann. 
Berl. 1854. 

Titurel ebendaselbst. 

Tristan von Gottfried von Straßburg, hrsgb. von R. Bechstein 
Leipz. 1869. 

Der Nibelunge Noth hrsg. v. Lachmann. IV. Abdruck des 
Textes Berl. 1859. 

Güdrün hrsgb. v. A. J. Vollmer Leipz. 1845. 


GERMANISTISCHE STUDIEN, I, 16 


242 OTTO STEINER 


Willehalm in Wolfr. v. Eschenbach II. Ausg. v.K. Lachmann 
Berl. 1854. 

Es soll hier das fortschreitende Eindringen französischer Wörter 
in zeitlicher Aufeinanderfolge gezeigt werden. 

Um zu sehen, wie es in den frühesten Anfängen der mhd. Epik 
mit der Anwendung französischer Wörter steht, sollen zunächst noch 
die Werke des Vaters der mhd. Epik, Heinrichs von Veldecke, und 
ein ebenfalls noch in die 80er Jahre des 12. Jahrhunderts hinauf- 
reichendes Eposbruchstück, Graf Rudolf, in Bezug darauf durchmustert 
werden. 

In den Bruchstücken des Grafen Rudolf (2. Ausg. von W. Grimm, 
Göttingen 1844) sind folgende fremde Ausdrücke zu verzeichnen: 

behurdieren 6. 9—16. — banechen 25. 23. — eindal 2. 11. — kursit 
2. 13 (ergänzt von W. Grimm). — phellel 2. 11—26. 11. — gastel 23. 
16. — fier 25. 25. — pavilune 16. 14 (ergänzt von W. Gr.). — ravit 15. 
26. — suckenie 2. 13 (enie ergänzt v. W. Gr.). 

In Veldeckes Liedern und der Eneit (hrsgb. von L. Ettmüller 
Leipz. 1852) folgende: 

Vs. Lieder: amis 9, 6. — karitäten 3, 32. — merlikine 6,6. — 
poisün 5, IV. 3. 

Eneit: banechen 59, 8. 266, 33. 294, 33. 303, 38. gebalzieret 147 ‚16. 
— buhurt 345, 32. — kastelan 34, 25. 200, 18. 217, 18. 324, 26. — kolter 
49, 18. 216, 37. 39. 249, 16. 340, 9. — cimäte 249, 18. — kussin 249, 23. 
— käteblatin 340, 18. — flümen 27, 13. 96, 8. 101, 19. — verniz 146, 26. 
— justieren 147, 33. 243, T. — juste 201, 6. — materelle 189, 25. — pun- 
gieren 147, 34. 243, 8. — pigmente 223, 9. 314, 19. — rävit 34, 27. 
200, 10. 237,8. 818, 8. 324, 29. 34. 346, 19. — sarjante 144, 16. — 
sentinen 208, 17 (M. hat seitinen). — soldiere 311, 40. — tormint 22,7. 
29, 23. — gewalkieret 147, 15. — zendale 49, 18. cindal 200, 24. 237, 8. 
— gezimieret 60, 2. 

Einige von den hier angeführten Wörtern wie poisün, gebalzieret, 
materelle, tormint, gewalkieret und cimite verschwinden ganz, andere wie 
gastel, suckenie erscheinen nur noch sehr vereinzelt in der folgenden 
' Zeit, den meisten allerdings werden wir noch öfter begegnen. 

Wenden wir uns nun zu unserer eigentlichen Aufgabe, so haben 
wir aus Hartmann und der Klage zunächst folgende Wörter zu ver- 
zeichnen: 

Erec: amie 467. 677. 2768. 2854. 5651. — amis 6171. 9694. 9802. — 
buhurt 1313. — bois 1937. — banier 2321. 2554. 2557. 2564. 2597. 
2655. 10023, — buhurdieren 3082, — baneken 9000, — juste 768, 773. 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. >13 
183. 2417. 2439. 2509. 3208. 4389. 6912. 7004. — justieren 2426. 
2434. 2459. 2573. 2576. 2601. 2629. 2692. 2767. 2771. 3387. 6903. 
9101. — kulter 517. — kastelelän 9864. — covertiure 151. 10024. — 
kroijieren 2563. — condewieren 9868. 9993. — velen 2780. — gevieret 
4635. 7863. — vespereide 2453. — garzün 2517. 6714. 6815. 6824. — 
grede 1200. — hamit 2702. — massenie 1516. 2065. 2370. 2663. 2809. 
2853. 5091. 5652. 9888. — mäterje 7533. — gebarrieret 1955. 2341. 
72%. — panzier 2348. 3241. — gepungieret 2460. — pavilüne 5037. 
8901. 8918. 9685. — panel 7693. — schapel 1575. — soldier 2634. — 
surzengel 2797. — enschumpfieret 2647. — salüierte 8176. 9697. — samit 
371. 1548. 1954. 8236. — sigelät 1954. — turnieren 666. 2252. 2355. 2411. 
2468. 2542. — turnei 2225. 2230. 2235. 2239. 2351. 2462. 2624. 2807. 
2851. 2957. — turneien 2405. — gezimieret 135. — zimier 9202. — zen- 
dale 377. 

Klage: covertiure 1455. — vernoijierte 494. — sigilat 2080. 

Gregorius: gejustieret 1445. 1839. 1843. -— marnere 1659. 
1676. — puneiz 1492. — surzengel 1432. — soldenier 1704. — turnieren 
1412. 

Lieder u. Büchlein: moviert I. Büchl. 351 (in der Handschrift 
steht mutiert). — tempern 1, 1306 (in der Handschrift steht tempriern). 

Armer Heinrich: creatiure 1199. — samät 1024. 

Iwein: banecten 66. — creatiure 487. 986. — kulter 1373. — ge- 
kunrieret 6659. — kreiierende 1100. — garzün 2132. 2173. 2179. 2187. 
2205. 2213. 3264. 4496. 7107. — leisierte 5324. — massenie 6897. — 
meilen 1230. — puneiz 5311. 6985. — geridieret 6484.— sarjande 3708. — 
salse 3279. — samit 6485. — turnieren 2803. 2921. 3005. 3043. 3574. — 
turnei 3061. — tjostierte 739. — tjost 2549. 2580. 7105. — gewalopieret 
2553. 

Die Zabl der franz. Wörter im Erec ist gegenüber dem spärlichen 
Gebrauche bei Veldecke schon auf das Doppelte angewachsen. Von 
letzteren finden wir folgende bereits bei Veldecke: amis, buhurt, ba- 
neken, kulter, kastelän, juste, justieren, pungieren, soldier, gezimieret, zen- 
dal. Die geringe Anzahl derselben in den kleineren Dichtungen Hart- 
manns erklärt der Inhalt derselben. Nur als Hartmann die Begeisterung 
Gregors für ritterliches Leben schildert, entschlüpfen ihm einige: tur- 
nierte, surzengel, puneiz, -gejustieret; ebenso bei der Erzählung von der 
bedrängten mütterlichen Burg: soldenier und justiert. 

Das erste Büchlein weist in movieren und tempern Wörter auf, 
welche sonst bei Hartmann nicht vorkommen. movieren ist für das hand- 
schriftliche mutieren gesetzt; ersteres findet sich nur noch Parz. 678, 12 


16* 


944 OTTO STEINER 


und Willeh. 305, 15 und zwar an heiden Stellen als term. techn. für 
das Tummeln des Rosses, wofür sonst baneken steht (der heutige Aus- 
druck dafür ist das Roß „rühren“: es sich bewegen lassen, wenn es 
lange im Stalle gestanden). Im I. Büchlein heißt es nun 351: 

daz sich moviert min muot 

rehte als des meres fluot. 
Ob die übertragene Bedeutung des movierens für die Zeit der Abfassung 
des 1. Büchleins schon zulässig ist? 

Das II. Büchlein ist rein von jedem Fremdworte. Im armen Hein- 
rich stehen nur creatiure und samät, beide auch sonst noch bei Hart- 
mann. 

Wie Iwein in der Darstellung wohl das sauberste mhd. Gedicht 
genannt ist, so können wir dem Dichter ein gleiches Lob auch für die 
Reinheit der Sprache spenden. Es zeigt eine große Abnahme in 
der Anwendung franz. Wörter dem Erec gegenüber, fast mehr als das 
Doppelte. Die Hälfte der Worte im Iwein haben wir außerdem schon 
im Erec kennen lernen: baneken, kulter, kreiieren, garzün, massente, sa- 
mit, turnieren, twrnei, tjostieren, tjost,; im Gregor. findet sich puneiz. 

Neu sind: gekunrieret, leisierte, meilen, geridieret, salse, gewalo- 
pieret. 
In der Klage finden wir außer den schon bekannten covertiure und 
sigilät nur noch vernorjieren. 

Die meisten der bis jetzt angeführten fremden Ausdrücke gehören 
der Turniersprache an. Voran steht der Ritter mit seinem Streitrosse, 
dessen Ausrüstung und verschiedenen Anwendung beim Einzel- und 
Massenkampfe: kastelan, ravine, covertiure, surzengel, panel, kunrieren, 
buhurdieren, tjostieren, walopieren, pungieren, baneken, puneiz, turnieren, 
turnei, leisieren, garzün, kroijieren, soldier, sarjande, enschumpfieren, banier, 
panzier, meilen, zimier, parrieren, vieren, samit, sigilät. 

Sehr spärlich wird im Eree amis und amöe statt friunt, friundinne, 
triutinne und geselle gesagt; das fremde Wort hat sich bei Hartmann 
noch keineswegs eingebürgert. Im Iwein wie in den übrigen Werken 
Hartmanns ist es gar nicht angewendet. 

Massenie findet sich auch nur vereinzelt; das deutsche ingesinde, 
samenunge oder geselleschaft behauptet noch den Vorrang. Auch die pavi- 
lüne werden nur im Erec einige Male aufgeschlagen, sonst errichtet 
man bei Hartmann zelte. Man liegt oder sitzt nur zweimal auf kultern. 
Die Frauen schmücken ihr Haupt nur einmal im Eree mit einem schapel. 
Beim Empfange von Gästen salüiert der Wirth nur zweimal im Eree, 
wie er ebenfalls beim Abschiede an zwei Stellen δὴ gnuoc verre conde- 
wiert. 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 245 


Die sarjande, soldier oder soldenier treten noch sehr vereinzelt im 
Gefolge hartmannischer Helden auf. 

Die Unsitte, den Rittern und Damen wälsche Redensarten in den 
Mund zu legen, welche wir bald bei Wolfram und noch mehr bei Gott- 
fried sehen werden, hat bei Hartmann noch nicht Platz gegriffen. Nur 
bei Anführung der Abstammung der Ritter wird die Phrase ΑἹ ἰΐ roi 
oder il roi öfter gebraucht. 

Im Iwein werden französische Beinamen immer übersetzt: der gräve 
von dem swarzen dorne (de la noire espine) Iw. 5629 oder Dodines der 
wilde (li sauvages) Iw. 4696, während Hartmann im Erec ohne Bedenken 
sagt: Lis quinte cardus 1695, Lays hardiz 1633, Isdex von mun dolorous 
1656, Maldwiz li sages 1635 u. 5. w. 

Der im Ganzen mälsige Gebrauch fremder Wörter, welchen Hart- 
mann macht, vervielfacht sich bei Wolfram von Eschenbach ins Un- 
endliche. Jede Seite in seinen Epen weist deren mehrere auf. Man 
kann bei ihm mit Walther ausrufen: 

owe dir, tiuschiu zunge, 

wie stöt din ordenunge! 
Oft werden bei ihm ohne Noth dieht hintereinander das französische 
und deutsche Wort angewendet, oft für ganz gewöhnliche deutsche Aus- 
drücke französische gesetzt, deren Übersetzung ihm keineswegs schwerer 
fallen konnte. Wenn er sich herbei liefs gelegentlich einen Eigennamen, 
und sei es auch ein Hundename, zu 'verdeutschen: Gardeviaz hiez der 
hunt: daz kiut tiutschen Hüete der verte Tit. 143, 4, so können wir wohl 
annehmen, Wörter wie /lampriure, royam, prisün, schoie (joie), terre 
dürften ihm zur Übersetzung auch nicht zu schwer gewesen sein. Ge- 
niale Willkür ist wohl wie von vielem andern so auch hievon die 
Ursache. 

Zunächst soll nun der Parzival mit seinen Fremdlingen hieher 
gesetzt werden, und zwar die einzelnen Bücher gesondert mit denjenigen 
Wörtern, die in ihnen zum ersten Male vorkommen, und zugleich mit 
Nachweisen ihres weitern Vorkommens in den andern Büchern. 

Parzival Buch I: bovel 18, 22. (182, 5. 350, 29. 408, 3. 426, 17.) — 
baneken 30, 1. 32, 26. (678,3. 737, 9.) — bamiere 31, 19. (59, 7. 61, 27. 
64, 24. 69, 6. 72, 17. 79,3. 81, 12. 106, 3. 196, 25. 216, 17. 222, 20. 
227, 12. 339, 22. 340, 21. 350, 27. 377, 25. 620, 27. 632, 10. 638, 7. 
661, 10. 673, 12. 14. 681, 23. 703, 23. 777, 14. 792, 11. 799,.19.) — 
boye 56, 20. — conterfeit 3, 12. — covertiure 14, 16. (145, 21. 540, 11. 
709, 1. 736, 19.) — kulter 24, 4. (82, 27. 229, 30. 243, 13. 353, 5. 501, 7. 
549, 29. 552, 13. 565, 19. 621, 22. 760, 13. 794, 14.) — krigierre 32, 11. 


246 OTTO STEINER 


(81, 13.) — kursit 36, 27. (145, 23. 211, 9. 259, 7. 261, 9. 262, 13. 
270, 11. 275, 21. 320, 18. 333, 6. 387, 22. 575, 26. 622,2. 679, 11. 
756, 26. 757, 19. 773, 13. 802, 17. 812, 21.) — kalopieren 37, 15. (286, 26. 
300, 7. 597, 17.) — kurtois 46, 21. (62, 3. 312, 22. 325, 28. 327, 16. 
380, 28. 508, 25. 519, 30. 593, 12. 619, 25. 630, 15. 632, 16. 651, 5. 
123, 12. 727,18. 735, 2. 748, 30. 761, 20. 792, 22. 797, 14. 801, 2. 821, 20.) 
— kocken 55, 6. 58, 6. 15. (546, 24. 663, 11. 667, 30. 682, 21.) — ge- 
feitieret 18, 4. (565, 14). — gefeitet 45, 21. (702, 16.) — floitierre 19, 11. 
(63, 8. 511, 27. 764, 27.) — fier 21, 11. 38, 18. 46, 4. (59, 8. 61, 28. 
64, 23. 68, 20. 75, 30. 79,4. 81, 11. 106, 4. 118, 11. 151, 12. 155, 4. 
219, 1. 306, 25. 307, 3. 319, 2. 452, 1. 517,17. 621,11. 728, 25). — 
forest 27, 29. (129, 6. 176, 4. 286, 11. 424, 17. 548, 4. 601, 10. 736, 27. 
137, 9. 821, 12). — ‚fianze 38, 6. (86, 2. 134, 17. 198, 3. 275, 19. 611,1. 
707, 28). — fintalen 44, 4. (256, 9. 260, 12. 575, 19). — garzün 18, 23. 
(62, 18:,27.,77, 2,,81,,16, 132,6. 283, 25.:284,4..202357,6: 360.10. 
17. 21. 29. 523, 9. 524, 1. 660, 27. 668, 5). — marnere 19, 15. 55, 3. 
58, 24. — massenie 27, 25. 13, 12. (65, 13..144, 14. 147, 28. 160, 11. 
119, 2...199,,.5:.206, 20.216, 13,, 217, 11..221,.11.°239 17024 22 
280, 4. 315, 19. 334, 1. 342, 20. 347, 17. 359, 29. 457, 7. 610, 18. 618, 3. 
625, 25. 626, 3. 21. 644, 19. 651, 3. 668, 29. 708, 27. 762, 9). — par- 
riert 1, 4. (201, 25. 281, 22. 295, 7. 326, 7. 458, 9. 639, 18). — pusüner 
19, 7. (879, 11. 15. 567, 21). — poynder 31, 28. (65, 3. 67, 3. 68, 11. 
69, 2. 11. 14. 72, 6. 78, 29. 106, 2. 174, 3. 197; 4. 211, 13. 262, 14. 
325, 24. 370, 27. 380, 4. 381, 22. 384, 4. 23. 434, 15. 536, 22. 665, 14. 
673, 5. 8. 679, 26. 680, 1. 690, 27. 775, 14). — walap 37, 23. (173, 30. 
211, 3. 262, 2. 295, 10. 444, 12). — rabbine 37, 24. (60, 24. 174, 26. 
211, 4. 245, 12. 262, 23. 295, 12. 444, 14.) — schanze 2,13. 13,5. 
(60, 21. 150, 20. 272, 18. 320, 2. 747, 18). — samit 11, 19. 24, 4. 36, 27. 
(63, 23. 93, 9. 129, 21. 137, 6. 144, 28. 192, 19. 234, 5. 540, 10. 552, 
10. 12. 563, 1. 778, 19. 802, 18). — soldier 21, 12. 25, 13. 22. (64, 20. 
184, 5. 201, 5. 203, 23. 29, 362, 27. 363,7. 382, 16, 677, 17. 728726; 
730, 21). — schumpfentiure 21, 15. (146, 10. 205, 27. 212, 22. 265, 18. 
268, 15. 270, 27. 434, 21. 742, 8. 747, 4. 768, 8). — enschumpfieret 43, 30. 
(100, 11. 137, 4. 155, 17. 199, 21. 206, 25. 291, 8. 584, 24. 593, 3. 618, 29). 
— tjost, tjostieren an fast unzählbaren Stellen. — tjostiur 38, 19. (174, 
19. 496, 14). — tambürer 19, 8. (379, 14). — tambür 19, 9. (63, 5. 511, 
26. 764, 27). — zindal 19,1. (59, 6. 64, 30. 301, 29. 377, 30. 549, 30). 
— gezimieret 36, 22. 39, 17. (65, 1. 70, 26. 72, 27. 75, 15. 121, 14. 122, 
12. 168, 18. 284, 1. 341, 4. 513, 2. 592, 27. 611, 10. 708, 23. 736, 5. 22. 
802, 13). 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 241 


IH. Buch: Arie 80, 3. (270, 17. 284, 13. 339, 9. 357, 6. 379, 27. 
382, 29. 385, 2. 478, 30. 739, 24). — kröieren 68, 19. —- floitieren 63, 8. 
(510, 27. 764, 27). — vesperie 68, 4. 79, 10. 86, 21. 95, 17. (357, 4. 358, 
29.,.321, 17). — viläan .74, 13. (144, 15. 257,.23..143,.3. 11. 524, 1. 529, 
29. 570, 25). — gamesieret 88, 17. — härsenier 75, 29. 77, 20. 105, 14, 
(155, 8. 212, 27. 219, 2. 261, 17. 440, 24. 748, 4). — muntäne 11, 18. 
(742, 4.) — menen 55, 16. 90, 9. (241, 20). — poulün 59, 25. 62, 19. 65, 
16. .77, 27. 81, 15...82,11. 83, 6. 85,,5. (132, 5. 271, 26.: 273,3. 274,20. 
218. 13.18. 285, 19..298, 3..299,,27. .305,.13. 307, 19. 332,20: 670,28, 
714, 14. 724, 4. 9. 729, 10). — pusinen 63, 2. (764, 26). — präsent 77, 6. 
(210, 10. 375,13. 785, 20. 786, 27). — punieren 78, 4. (300, 8. 387, 9. 
738, 27). — quaschiure 75, 10. 88, 14. (164, 24. 577, 22. 578, 11. 579, 20). 
— zequaschiuret 88, 18. (569, 22). — roys. 65, 20. (251, 6. 261, 29. 286, 
25. 310, 30. 343, 21. 445, 23. 473, 22. 474, 11. 586, 23. 632, 27. 701,1. 
127, 25). — regen 16, 13. 88, 3. — soldiment 11, 5..(493, 10). — stiväl 
63, 15. (588, 21). — turnei 60, 11. 79, 11. 81, 8. 95, 14. 19. 97, 8. (270, 
17. 347, 13. 386, 28. 387, 30). — tropel 68, 26. — turnieren 80, 27. 86, 
22. 96, 29. (222, 22. 495, 21. 772, 24. 812, 9). — trunzän 106, 17. 175,2. 
262, 18. 304, 23. 480, 7. 665, 17. 


II. Buch: amis 133, 10. (200, 7. 216, 25. 264, 10. 271, 19. 278, 8. 
291,22. 310,.7. 396, 16, 682, 13, 711, 18. 728,.2.. 731,3. 776, 17.'778,.2). 
— amesiere 164, 25. 167, 6. — barbier 155, 7. (265, 29. 598, 1). — ka- 
stelän 121, 24. 157, 26. (210, 6. 289, 3. 312, 7. 357, 21. 452, 6. 522, 27. 
669, 10. 671, 21). — kurtosie 144, 21. (284, 11. 297, 1. 630, 25). — 
kumpanie 147, 18. (297, 2. 303, 13. 340, 17). — condewieren 155, 18. 
174, 12. (199, 22. 495, 22. 511, 28. 593, 4. 696, 18. 736, 6. 820, 29). — 
kunrieren 167, 13. (256, 30). — due 129, 27. (265, 4. 343, 22. 382, 19. 
623, 24). — furrieren 168, 10. (225, 12. 301, 29. 313, 11). — gefischieret 
168, 17. (232, 28). — yabilöt 120, 2. 16. 124, 13. 128, 12. 133, 84, 139, 
3.11. 29. 145, 2. 155, 6. 9. 157, 19. 159, 12. 15. 19. (183, 17). — gugel 
127,6. — hamit 114, 27. 172, 21. (813, 22). — geleischieret 121, 13. 
(611, 9. 678, 11. 738, 25). — pardrisekin 131, 30. — parlieren 167, 14. 
(696, 17). — rivier 118, 12. — ribbalin 127, 8. 133, 24. 156, 25. 157, 8. 
164, 6. — suknö 145, 1. — surköt 145, 1. (570, 3). — schinnelier 155, 
23. 157, 13. — zimierde 164, 21. (319, 25. 357, 19. 447, 3. 598, 10. 
676, 14. 679, 9: 687, 1. 14. 703, 13. 708, 25. 735, 11. 757, 8. 16. 
713, 9). 


IV. Buch: buzzel 182, 5. — falieren 211, 17. (465, 24. 738, 28. 
754, 17). — gegrödet 186, 16. (589, 3). — häsche 183, 17. — patelierre 


248 OTTO STEINER 


183, 7. — sanjant 183, 11. 210, 14. 214, 21. (351, 10. 386, 7. 12. 520, 
24. 637, ὃ. 625, 4. 6. 662, 28. 666, 20. 668, 5. 681, 20. 702, 21. 721,13. 
794, 3. 816, 18). — schoie 217, 10. (joie 610, 20.) 


V. Buch: agraz 238, 27. — buhurdieren 227, 11. — buhurt 242,5. 
(623, 5. 624, 19. 665, 4. 777, 16). — karräsche 237, 22. 240, 13. (809, 
20). — glevin 231, 18. 232, 3. (443, 24. 505, 5. 531, 7. 537, 5). — möraz 
239, 1. 244, 13. (423, 17. 452, 19. 809, 29). — royam 251, 3. — runzit 
256, 24. (342, 15. 520, 7. 522, 14. 529, 25. 536, 35. 545, 13. 647, 2. 
687, 23. 779, 3). — surzengel 257, 6. (295, 26). — salsen 238, 27. (551, 2). 
— schillier 261, 18. — samlieren 270, 18. — serpant 276, 10. — sinopel 
239, 1. (809, 29). — schapel 232, 16. 234, 11. (426, 28. 30. 776, 7). 


VI. Buch: blialt 313, 11. — fasän 278, 1. — faile 301, 28. 802, 1. 
— geloschieret 350, 22. (676, 21. 681, 15. 753, 4. 755, 12). — partierre 
297,9. — roin 301, 19. — ribbalt 296, 18. (341, 26. 360, 25). — tun- 
koyte 334, 14. (595, 4. 596, 12. 629, 19. 630, 12. 634, 22. 636, 23. 653, 
16. 669, 21. 670, 27. 671, 13. 730, 6. 762, 21). 


VII. Buch: amie 345, 23. 396, 14. (586, 3. 643, 13. 765, 13). — 
barbigan 376, 14. 385, 24. (664, 11. 673, 9). — geflörieret 341, 3. (732, 
14). — gampilün 383, 2. (575, 27). — matraz 353, 5. (683, 12. 760, 11. 
15. 790, 17). — pusüner 379, 11. 15. (567, 21). — pärät 341, 17. — 
soldierse 341, 24. — trippanierse 341, 23. — turkopel 351, 12. 386, 9. 
(681, 20). — zingel 376, 11. 382, 10. 386, 13. (664, 11). 


VIII. Buch: condewier (daz) 401, 13. (741, 15. 821, 28). — prisün 
429, 7. — wastel 423, 21. (551, 6. 622, 10). — ravit 400, 4. (620, 29). — 
schantiure 416, 21. 


IX. Buch: amürschaft 439, 15. — gepüvel 454, 15. — doschesse 
435, 23. — lampride 491, 16. — nigrömanzi 453, 17. — pareliure 469, 
21. — slavenie 449, T. — salme 491, 16. — templeis 444, 23. 468, 28. 
(702, 24. 792, 21. 793, 21. 797, 13. 802, 12. 804, 6. 805, 22. 814, 5. 
828, 26. 821, 19). 


X. Buch: for: (ein) 531, 25. (809, 14). — ‚foreht 548, 4. (601, 10. 
736, 27. 737, 9. 821, 12). — galander 544, 14. 550, 29. 551, 15. (622, 8). 
— lätün 551, 20. — vermaledite 526, 11. — mursel 551, 5. — passäsche 
535, 1. (592, 29. 721, 26). — purzel 551, 20. — vineger 551, 21. — 
salliure 531, 19. 


XI. Buch: bonit 570, 3. 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 249 


XII. Buch: barel 622, 9. 22. — forehtier 592, 10. — garnasch 588, 
17. — geheistieret 592, 28. (778, 26). — prisin 601, 12. — tämris 601, 12. 
.— ussiere 996, 10. 621, 12. (663, 11. 667, 30). 

XIH. Buch: pflüm 655, T. — fürmament 658, 28. (782, 14). — ma- 
hinande 646, 30. 662, 27. (794, 4). — movieren 678, 12. — plumit 627, 28. 
(760, 24). — philosophie 643, 14. — rottieren 669, 1. — seytiez 668, 1. 
(686, 17). — temperie 643, 23. 680, 26. 

XIV. Buch: kolze 683, 17. 705, 12. — zerhurtieret 702, 19. (802, 
14.) — lampriure 712, 9. — »almät 683, 12. (790, 17). — rone 690, 20. 
703, 27. — storje 684, 16. 690, 17. 705, 2. — terre 685, 22. 753, 4. — 
zimier 687, 14. 

XV. Buch: astronomierre 773, 36. — barün 785, 7. — bezel 780, 9. 
— collier 739, 4. — fundamint 140, 6. — stive 764, 27. 

XVI. Buch: cläret 809, 29. — puneiz 812, 11. — triviers 812, 12. 
— grede 7194, 8. 806, 12. 816, 21. 


Lachmann hat in der Vorrede zu Wolfram nachgewiesen, daß 
die einzelnen Bücher des Parzival zu verschiedenen Zeiten abgefasst 
sind, dafs die ersten Bücher wahrscheinlich früher ausgegeben wurden 
als die letzten, dafs sich Beziehungen auf Eree, Iwein und andere 
Dichtungen darin befinden. Bestätigung findet diese Thatsache auch 
durch unsere Untersuchung. Das Ill. Buch ist nach Hartmanns Erec, 
das V. nach dem Iwein geschrieben. Für das VII. Buch hat Lachmann 
das Jahr 1203 angesetzt, vom VI. sagt er, es sei nach dem Sommer 
1204 gedichtet. 

Innerhalb dieser 7 Bücher des Parzival werden fast sämmtliche 
fremde Wörter aus Hartmanns Werken, wenn auch nicht hier aus- 
schließlich allein, so doch zum ersten Male angewendet. Ferner weisen 
Ausdrücke wie hamit, kunrieren, surzengel, salsen, leischieren, die nur 
ein- oder zweimal bei Hartmann stehen, bei Wolfram ebenfalls nur 
vereinzelt vorkommen, entschieden auf eine unmittelbare Entlehnung 
aus Hartmann. 

Überwiegend sind auch im Parzival die fremden Ausdrücke aus 
dem ritterlichen Leben und Treiben. Im Gegensatz zu höfischem 
Wesen, Kleidung und Bewaffnung treffen wir auch auf einzelne Be- 
zeichnungen für bäurisches Wesen: vilän, vibbalin, bonit, häsche, runzit, 
ribbalt. 

Aulserdem ist die Küche mit einzelnen fremden Speisen, Getränken 
und Gefäßen vertreten: lätün, purzel, vineger, mursel, pardrisekin, salme, 
. galander, agraz, möraz, sinopel, cläret; barel, buzzel. 


250 OTTO STEINER 


Die Schiffahrt hat folgende Fremdwörter, kocke, marnere, ussiere, 
pflüm, seytie2. 

Französische Wörter für Örtlichkeiten sind: terre, forest, foreht, 
muntäne, hamit, rivier, zingel, prisün, royam, barbigan, poulün, slave- 
nien hüs. 

Neben vielen von den gebrauchten Fremdwörtern gehen deutsche 
Bezeichnungen her und zwar überwiegen die letzteren sehr oft die 
französischen. Das hat z. B. Statt bei dem term. techn. sicherheit, 
wofür nur einige Male fianze steht. Für trunzün wird gewöhnlich sprizen 
oder schirben gesagt. Poulün, das sehr oft vorkommt, findet sich auch 
öfter als gezelt. Amis und amie werden bei weitem durch friundin der 
wine trütgeselle meisterinne und andere verdrängt. Für massenie erscheint 
häufig samenunge, ingesinde, geselleschaft. 

Ganze französische Redensarten werden häufig eingeflickt; außer 
dem sehr gewöhnlichen ΑΙ roi oder fil roi noch folgende: 

beä curs 187,22. 327, 19. 333, 24. 283, 8. — beä kunt 46, 17T. — 
bien sei venüz, beäs sir 76, 11. — bon fiz, scher fiz, bea fiz 118, 4. 140, 6. 
— juven poys 271, 11. ulter juven poys 280, 26. — δδ schent 313, 3. — 
mal und δᾶ schent 658, 27. — byen sey veniz 351, 7. — gramerzis 351, 8. 
— sarjande ad piet 386, 12. — in äv’estroit mävoie 521, 28. — die merzis 
578, 3. — b£äs amäs 613, 1. — diu geflörierte bea flürs 7132, 14. 

Anzumerken für den Parzival wäre noch, daß Wolfram in ihm 
wahrscheinlich folgende Substantiva neu gebildet hat: krigierre, daz 
condewier, temperie, parliure, amesiere, partier. 

Was Wolframs andere Werke anlangt, so hält er sich in seinen 
Liedern frei von fremden Ausdrücken. 

In den Titurelbruchstücken sind folgende: 

amis 59, 1. — amie 83,3. 127,4. 14T, 2. — kurteis 19, 3. — 
ducisse 58, 1. 102, 2. — due 151, 1. — gefurrierten 138, 2. — puneiz 
81, 4&. — punierten 86, 2. — templeis 11, 2. — tjostiur 162, 2. — zimierde 
2,4. — gezimieret 16, 4. 

Bevor wir das letzte Werk durchmustern, wollen wir die der Zeit 
nach vor dasselbe fallenden Dichtungen in den Bereich unserer Unter- 
suchung ziehen und zwar zunächst Gottfrieds Tristan. 

Bei ihm sind folgende französische Wörter: 

amür 1860. — amis 8955. 11942. 12163. 12166. 12689. 12969. 
12977. 13131. 13229. — amie 11492. 12977. 17144. 19480. — ameiren 
12069. 14914. — amüren 12029. 14914. — bataljen 385. — banekie 410. 
8061. 11663. 17156. 17273. — baneken 2110. 8026. — buhurt 650. 684. 
731. — buhurdieren 617. 5052. 5059. — geparrieret 669. — barün 4050. 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 251 


5959. 8595. 8637. 8688. 9265. 9680. 9702. 9765. 10795. 11079. 12549. 
19213. 11191. 11374. 13111. 13292. 13466. 15478. 15536. 15638. — 
barunie 4163. — baniere 4578. 4110. 4797. 5577. 5582. 5589. 18896. — 
‚ gebrunieret 6615. — batele 12532. — bläät 15203. 18153. — baltenere 
15636. — kurtosie 2294. — kurtois 3237. 3276. — curie 2959. 2960. 2963. 
1 2993. 3017. 3020. 3024. 3026. 3314. 3472. — cumpanie 2994. 4814. 5128. 
5208. 5601. 8807. 9418. 10477. 10865. 11168. 16619. 16624. 16632. — 
cumpanjüne 5463. 8596. 8638. 9766. 11192. 11373. 13465. 15769. — cuire 
3025. 3026. 3181. — condewieren 3327. 11160. — covertiure 4578. 7027. 
18794. — beeröieren 5060. — conterfeit 5079. 12311. 10263. -— kastelän 
5364. — cröieren 5578. 9168. — contenanze 6493. — calzedone 10975. — 
eiklät 11106. — gecordieret 13126. — conzilje 15307. 15312. 15329. 15427. 
15537. — discantoit 17375. — embrazieren 4327. — gefeitieret 670. 2222. 
10847. — feitiure 4577. 6652. — furkie 2924. 2925. 2936. 2951. 2953. 
2955. 3301. 3471. 3482. — furke 2935. 2938. 2946. 2956. 3181. — ‚figie- 
ret 4624. — fier 6493. — figiure 6651. 10860. 11208. — folate 8078. — 
gefranzet 10909. — gefloitieret 10926. — fossiure 16708. 16728. 16930. 
17062. 17073. 17076. 17114. 17140. 17229. 17311. 17431. 17438. 17468. 
17647. — funtanje 16742. 17349. — florie 17589. — grän 15831. — gar- 
züne 5057. — geste 8946. — galopieren 8951. — gloie 11126. — galander 
16895. 17358. — istorje 448. 5884. 15919. 18696. — justieren 618. — 
leal ämur 1360. — leisieren 2107. 6752. — lumbel 2941. — lois 5998. — 
lameir 11990. 11991. 11992. 11998. 11999. 12014. 12019. — massenie 
2923. 3258. 3484. 4164. 5012. 10581. 11217. 5175. 5579. 11491. 16631. 
16825. 16905. 17143. 18416. 18786. 18903. 18935. — marschant 3128. 
— gemerzüet 3358. — marschandise 4553. — maniere 4572. — melödie 
4813. — marnere 7396. 7401. 8699. -— moraliteit 8008. 8012. 8023. — 
mort 8378. 10162. 9245. 12860. 12378. — merzi 10208. 10209. — mix- 
türe 15834. — mangerie 16826. 17274. — merlin 16893. — organieret 
4802. 17359. — parät 874. 11588. — partierere 8350. — panzen 2907. 
3007. — pas 2907. 3007. — prisant 3050. 6003. 7124. 7149. — prisanten 
3054. 3055. 3299. — plectrün 3556. — geprüevieren 4975. — pavelüne 
5350. 5586. 13271. 13291. 13316. — punieren 6751. 9167. 9168. — puneiz 
6753. — pasturele 8076. — papegän 10999. — pensieren 12071. — präerie 
17155. 17390. — pönder 15191. — quartiere 2802. 3001. 3308. — refloit 
2293. 8078. 17376. 19216. — gerotieret 5205. 7005. — ribalt 3794. — 
waltrieviere 5328. 17108. — rotruwange 8077. — rundäte 8077. 19215. — 
rotte 13123. — riväge 15925. 16013. — rivier 16888. — schapellekin 676. 
4640. 11136. — sambelieren 2108. — smirlin 2203. 2209. 2593. 6859. — 
schanzüne 2292, 3623. 8078. 8145. 17376. 19214. — stampenie 2295. 


252 OTTO STEINER 


8062. — salmen 2648. — schapel 3149. 4655. 10826. 10837. — symphonten 
3674. — sambiut 3680, 3681. — salitieren 4328. 5204. 17360. — schumpfen- 


tiure 5613. — sarjande 5902. — schanze 6494. — sot 8631. — serpant 
8907. 9252. 9546. 9543. 9807, 10574. 11231. 11277. 11957. — spanjöl 
9215. — senkel 10827. — samit 10904. — setmunt 12220. — samblanze 


16327. — schantoit 17375. — turnei 389. — turnieren 2107. 18688. — tei- 
lieren 2975. — tjoste 9214. — tassel 10939. — timit 11124. — trisor 4481. 
— triste 1997. — wandelieren 4804. 12072. — zendäl 662. 

Die französischen Redensarten, welche Gottfried braucht, sind 
folgende: 


„a, de vüs sal, la bele* „merzi!“ dit la puzele. 740. — beäs Tristant, 
eürtois Tristant, tun cors, ta vie a de comant! 2395. — deü sal, beäs 
dmis! 2679. — de benie si sainte companie! 2683. — de benie! 2960. — 
deus adjut 3135. — juvente bele et la riant 3138. — de te «αἱ 3158. — 
a boneure! 3200. — allez avant 3204. — deus sal γοὶ et sa mehnie 3257. 
— de duwin düze aventüre si düze eröatüre 3267. — deu sal, beäs vassal. 
merzi, sprach er, gentil rois 3552. — Tristan, Tristan li Parmenois, cum 
est beäs et cum cirtois 3361. — mü voluntiers 3611. — de la cürtoise 
Tipse 3614. — a de, a de 3856. — Sire, Sire deu «αἱ 4025. — ä noster 
sires, il est mort! 5488. — la düze Isöt, la bele 8075. — scheveliers, da- 
moisele, ma blunde Isöt, ma bele! 9170. — merzi, böle Isöt 10206. — ἃ 
bele Isöt, merzi merzi 10233. — ἃ, beä düz sir 10721. — Isöt, Isöt ἴα 
blunde, marveil de tu le munde 12563. — de üs sal, messire Gandin 13137 
— merst! sprach Gandin, bele Isöt 15139. — de te saut, beäs harpiers, 
merzi, gentil cheveliers 13301. — ἃ, bienvenjanz, gentil Tristan! 16191. — 
la fossiur’ a la gent ämant 16704. 17228. — düze amie, bele Isöt 18288. 
— Isöt als blansche mains 18713. 19048. — ἃ de benie 19998. — Isöt 
ma drüe, Isöt m’ämie, en vüs ma mort, en vüs ma vie! 19217. 19413. 

Man begegnet hie und da der Annahme, dafs Gottfried seine Rede 
am meisten mit fremdem Putze ziere. Dem ist jedoch richt so. Wolfram 
trifft dieser Tadel, den man Gottfried zu Theil werden lässt. Einmal 
braucht Gottfried nicht so viel französische Wörter, wie Wolfram, dann 
wendet er die aufgenommenen lange nicht so oft an, wie dieser, der 
darin namentlich im Willehalm fast kein Maß kennt. 

Wir finden z. B. im Tristan eine Stelle von über 1000 Versen 
(13677— 14910), in der Gottfried kein einziges Fremdwort gebraucht; 
nach solcher Enthaltsamkeit sehen wir uns im Parzival und Willehalm 
vergeblich um. 

Zugegeben muß allerdings für Gottfried werden, daß er die 
meisten franz. Redensarten, denen er gewöhnlich eine Übersetzung 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 253 


beifügt, in seinem Tristan gebraucht. Doch meinen wir, dal) ein voll- 
ständiger französischer Satz in sonst deutscher Rede der Sprache nicht 
so viel schaden konnte, als ein einzelnes Fremdwort, das gelegentlich 
in einer deutschen Wendung auftrat; in letzter Verbindung mußste das 
alleinstehende, fremdklingende Wort viel mehr auffallen und sich leichter 
dem Ohre einprägen, als ein ausschließlich französischer Satz. Man 
hörte diesen wohl, allein sobald er im Verlaufe der deutschen Rede 
verklungen war, hatte man ihn auch vergessen — namentlich wenn er 
übersetzt wurde, was bei Gottfried ja in den meisten Fällen geschieht 
— während ein einzelnes Fremdwort auf sonst deutscher wortheide, 
um einen gottfriedischen Ausdruck zu gebrauchen, sich so vor allen 
andern hervorthut, wie etwa eine fremdländische Blume in brennenden 
Farben vor unsern einheimischen. Das Fremdwort wurde so zum klebe- 
wort (Tristan 12997), das sofort die Aufmerksamkeit erregte, das man 
sich merkte und seiner deutschen Rede einverleibte. 

Was das fremde Wortmaterial anlangt, das wir bei Gottfried finden, 
so ist zunächst auffallend, dafs bei ihm sehr viele Bezeichnungen fehlen 
oder doch nur ganz vereinzelt vorkommen, mit welchen Wolfram in 
seinem Parzival, wenn er vom ritterlichen Kampfe spricht, so freigebig 
ist. Ausdrücke, die bei Gottfried ganz verschwinden, sind: fianze, kursit, 
vesperie, falieren, rabbine, ravit, runzit, collier, vinteile, hersenier, kroi- 
gierre, eunrieren, glevin, quaschieren, soldier, enschumpfieren, trunzün, 
zimierde, gezimieret. Je einmal sind folgende zu finden, die im Parzival 
am häufigsten verwendet werden: tjost (oft einwie), justieren, sanjant, 
krie, turnei, turnieren, garzün, schanze (sonst spilgevelle 16442, gevelle 
9928), pönder, parrieren (sonst gemanievaltet 12297, underweben 12997, 
gemischet 11570 u. a.). 

Die Abwesenheit oder doch der seltene Gebrauch so vieler der 
Kunstsprache des ritterlichen Kampfes angehörender Wörter befestigt 
wohl die Ansicht noch mehr, daß Gottfried als gelehrter Bürger sein 
Epos sang, und nicht wie Hartmann und Wolfram zugleich schildes amt 
übte. Wenn er nun doch ritterliche Aufzüge und Turniere beschrieb, 
so kam ihm diese Kenntniss aus seinen Vorlagen, oder, was das natür- 
lichste ist, er hatte sie selbst gesehen, ohne jedoch dabei mit Schwert 
und Lanze selbst betheiligt zu sein: defihalb sind ihm wohl viele der 
Kunstwörter nicht so geläufig oder ganz unbekannt. 

Eine weitere Stütze für die Annahme einer bürgerlichen Herkunft 
Gottfried’s ist die Art der von ihm angewendeten Wörter. Sie sind zu- 
meist aus dem Gebiete der Musik, der Jagd, des Handels, der Schifl- 
fahrt, denen sich andere zur Bezeichnung allgemein menschlicher Ver- 


954 OTTO STEINER 


hältnisse anreihen: melodie, schanzüne, schantoit, pasturöle, discantoit, fo- 
late, refloit, rotruwange, rundate, plectwün, sambiut, gecordieret, organieret, 
wandelieren; curie, euire, furkie, furke, teilieren, panzen, lumbel, bataljen; 
marschant, marschandise; rivage, batele; funtanje, präerie, quartiere; amu- 
ren, ameiren, embrazieren, florie, fossiure, leäl amür, gemerzien, maniere, 
semblanze, pensieren, trisor, sot, conzilje, lois, moraliteit, gefranzet, tassel, 
senkel; geste, istorje, gloie, spanjol, feitiure, figieren, figiure, gebrunieret, 
barunie. 

Die angeführten Wörter komınen vor Gottfried noch nicht vor. 

Von Gottfried wahrscheinlich selbst gebildete Wörter sind: banekie, 
barunie, curie, furkie, florie, mangerie, merzien, embrazieren, bataljen, 
pensieren. 

Selbst in die Volkspoesie sind einige französische Ausdrücke ge- 
drungen. Auch sie hat sich nicht ganz der neuen Mode verschließen 
können. Die Nibelungen enthalten folgende: 

buhurt 554, 2. 555, 1. 1299, 1. 1810, 2. 1811, 1. 1814, 4. 1818, 1. 
1826, 1. (35, 2. 541, 1. 578, 3. 1816, 1. 1825, 1). (In Klammern stehen 
Citate aus Strophen, die von Lachmann als unechte bezeichnet sind). — 
busünen 1456, 1. — pusüne 51, 1. — buhurdieren 1809, 3. — puneiz 
138, 4. 1293, 3. — kolter 1763, 1. — covertiure 1819, 2. — ferran 555, 3. ] 
— vloite 751,2. — floitieren 1456, 1. — pfelle 531, 3. 533, 3. 535, 3. "I 
741, 2. 1763, 2.-(356, 3.776, 2.. 992, 1.1113, 1.011342. 1640, 1) 
garzün 222, 1, — möraz 1750, 3. — schappel 544, 3. 1594, 3. 1791, 3. — 
samit (650, 1). — trunzün 1247,2. 1815, 4. (36, 3. 1292, 2). — tjoste 
552, 2. (1549, 2. 1816, 3). — trumbe 751, 2. 

Sämmtliche Wörter haben ihre Vorläufer in den schon vorhin 
besprochenen Werken: buhurt, kolter, tjoste in der Eneit, buhurdieren, 
pfelle im Grafen Rudolf, kovertiure, garzün, schappel, samät im Erec, 
puneiz im Gregorius und Iwein, busünen, vloitieren, möraz, trumbe, 
trunzün im Parzival. trunzän findet sich übrigens schon in der ältesten 
Handschrift der Eneit, in B, s. Eneit S. 423, 201, 13. 

In der Gudrun sind die Fremdwörter etwas zahlreicher, als in den 
Nibelungen. Es sind folgende: 

buhurt 14,1. 44, 1. 179,4. 185, 1. 471, 2. 1669, 4. — buhurdieren 
31, 3. 43, 1. 183, 4. — baneken 1146, 4. — boie 1598, 4. — kocke 257,1. 
261, 3. 276, 2. 439, 3. 444, 1. 449, 4. 490, 3. 494, 1. 843, 4. 854, 2. 
896, 4. 945, 4. 1072, 3. 1102, 2. 1123, 2. 1567, 3. 1572, 1. 1591, 1. 1657, 2, 
1690, 4. — kastelän 303, 1. — kovertiure 1148, 2. — vloiten 49, 2. 1572, 3. 
— grede 26, 1. — gabilün 101,1. — galeide 261, 3. 490, ὃ. 1075, 1, 
1657, 2, — galie 276, 1..450, 2. — galine 1132, 1. — gabilöt 356, 3. — 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 355 


golter 1326, 1. — marnere 853,1. 1138, 1. — pusünen 49,1. 894, 2. 
1572, 2. — pflüm 720,2. 1096, 3. — paniere 830, 1. 1658, 3. — puneiz 
‚1660, 3. — schappel 299, 4. — saben 301, 4. 482,2, — schumpfentiure 
646, 2. — trumbe 49, 1. 894, 2. 1572, 2. — tjoste 184, 3. — trunze 1398, 2. 
Nur in der Gudrun kommen folgende vor: gabilün, galeide, 

galie, galine, saben. 

Von den andern stehen buhurdieren, baneken schon im Grafen 
Rudolf, boie, kocke, vloite, gröde, gabilöt, pusünen, pflüm, paniere, schum- 
Fentiure, trumbe, trunzän im Parzival, buhurt, kolter, tjoste, kastelän in 
der Eneit, kovertiure, schappel im Eree, puneiz, marnere im Gregor. 

Der Zeit nach das letzte Werk für unsere Untersuchung ist Wolf- 
rams Willehalm. In ihm häufen sich die fremden Wörter mehr als im 
Parzival und Tristan. 

Es sind folgende: 

amazür 18, 1. 21, 12. 26, 21. 28, 16. 34, 5. 34, 22. 46, 30. 54, 19, 
12, 9. 98, 27. 207, 14. 256, 5. 339, 18. 359, 18. 366, 27. 393, 15. 434, 25. 
— amis 19, 27. 99, 17. 101, 27. 164, 28. — amje 29, 4. 39, 12. 42, 4. 
55, 8. 63, 20. 92, 25. 193, 26. 336, 11. 353, 3. 380, 26. — admirät 432, 
16. 434, 2. 434, 5. 436, 1. 437,26, 438, 23. 441,2. 441, 22. 443, 13. 
449, 19. 450, 21. 461, 22. 463, 29. 465, 5. 466, 27. — ämer 62, 16. 451, 
22. — busine 12,18. 17, 25. 29, 23. 34,7. 40,1. 80, 22. 225, 13. 315, 
29. 316, 17. 360, 8. 11. 382, 13. 390, 28. 400, 19. 403, 15. 427,2. = 
banier 16, 10. 22,7. 23, 27. 24, 4. 25, 17. 25, 26. 40, 24. 58,7. 199,9. 
209, 10. 225, 20. 242, 24. 305, 5. 313, 5. 316, 23. 320, 17. 424, 19. 438, 8. 
10. 440, 21. — buhwt 21, 19. 120, 20. 225, 3. 239, 27. 351, 26. 390, 21. 
— beäs 101, 27. 164, 28. — bon 109, 4. — barün 143, 15. 170, 9. 246,7. 
264, 13. 278, 11. 428, 23. 451, 1. — boie 220, 27. 294, 14. 397, 22. — 
banken 236, 2. 305, 16. — bätschelier 290, 24. — barbier 408, 6. — cuns 
3, 11. 5, 16. — kocke 9, 3. 483, Ὁ. — kursit 19, 25. 59, 12. 79, 3. 116, 9. 
125, 19. 140, 13. 207, 27. 325, 24. 364, 21. 366, 11. 373, 17. 408, 19. — 
kurtoys 24, 10. 41, 26. 45, 10. 88, 4. 96, 20. 102, 28. 153, 18. 283, 21. 
343,1. 359, 22. 411, 18. — kalopeiz 32, 11. 118, 5. 316, 13. 362, 29. 
435,27. — ie 39, 11. 42,3. 50,11. 114, 22. 116,12. 117, 2. 6. 11. 
336, 12. 337, 15. 344, 6. 359, 6. 374, 18. 385, 25. 396, 20. 398, 8. 401, 
28. 405, 19. 408, 14. 420, 1.437, 13. 17. — cereiieren 41, 27. 372, 3. 401, 2: 
— gekriet 391,5. — kastelän 42, 11. 53,29. 63, 10. 70, 10. 118, 11. 
128, 4. 147, 28. 405, 5. — cunreiz 59, 18. — comüne 113, 13. 115,5 — 
comunie 117,19. — kulter 132, 16. 29. 244, 14. 248, 16. — karräsche 
152,1. 352,5. 358, 10. 360, 25. 383, 16. 398, 27. 404, 14, — cläret 
177, 4. 265, 10. 274, 27. 276, 7. — karrane 209, 2, — cövertüire 


256 oTro STEINER 


360, 20. 366, 11. 395, 9. — kundewieren 367, 10. 382, 20. — kunde: 
wiers 391, 1. — kollier 406, 12. 422, 19. — dribok 111,9. 222, 17. — 
ekhurneis 11, 25. 45, 9. 50,1. 92, 17. — enschumpfieren 28, 4, 45,7. 
108, 15. 214, 22. 303, 15.'— eskelir 28, 16. 34, 22. 72, 9. 98, 26: 
107, 6: 207, 14, 256, 1. 258, 13. 288, 28. 339, 17. 372, 10. 434, 25. 437, 
24. 438, 16. — esklirie 287, 5. 366, 27.:— emeräl 34, 5. 42, 30. 54, 19, 
12,11: 77, .27.1.98,:27:+107,,7.,372,-11:'256,57339) 1734170290434, 27, 
— eysieren 323, 19. 326, 11. — eise 449, 9. — fiz 21,1. 115, 7. — floy- 
tierre 382, 16. — ‚funtäne 49, 6. 398, 22. — geflorieret 76, 19. 151, 12. 
154, 14. 164, 30. 194, 13. 226, 10. 315, 6. 336, 8..343, 22. 364, 2. 403, 
27. — geflörte 195, 4. 207,7. 305, 9. 344, 21. 352, 13. 19. 362, 11. 372, 
27. 382, 18. — florös (der) 146, 19. 301, 1. — flörsen 573, 16. — ‚fianze 
87, 3. 105, 1. — faylieren 87, 25. — pfetrere 111, 11. — pflumite 132, 16. 
29. 244, 12. 14. 248, 15. 323, 29. — fundamint 162, 27. — firmamentum 
216, 9. — feitieren 247, 3. — vintüse 323, 23. — gefurriert 368, 25. 377, 
16. 443, 20. — forehtier 379, 25. — ‚finteile 408, 4. — fiäz 414, 6. — 
pflüm: 438, 12. — goufe 92, 12. — garzün 131, 27. 170, 10. 192, 5. 232, 
25. — galreide 134, 13. — grede 139, 21. — guttrel 326, 17. — galopeiz' 
333, 24. 372, 14. — gehurtieret 24, 16. — hardeiz 56, 25. — häsche 60, 1. 
358, 9. — gehardieret 90, 27. 114, 6. 190, 7. 205, 28. 282, 10. 334, 27. 
435, 26. — hersenier 127, 27. 410, 20. 422, 20. — geheistieret 200, 27, 
439, 11. — häberjoel 356, T. — iserkolze 296, ὃ. — jumente 395, T. — 
lignalöe 69, 12. 444, 15. — lendenier 78, 29. 231, 24. — lampriure 91, 28. 
272, 14. — loschieren 97, 23. 234, 1. 237, 3. — geläsürten 99, 23. — lam- 
pride 134, 13. — lekerie 193, 25. — mort 10, 20. — muntäne 36, 18. 
70, 13. 84, 14. 377, 22. 436, 4. — markis 50, 23. 104, 1. 110, 11. 117, 23. 
118,24,1123,124.135, 116.\,1615@11 #168, 89169, LI 07 ARE 
183, 4. 194,12. 202,:9.:209,.13:'251, 25.265,:10.'272,'12..279,:29:293, 
29.294, 9.'28..301;'2. 303, 8.310, 19.314, 18. 315, 12. 21. 322,,3.7328, 
10. 16. 331, 13. 333, 14. 343, 21. 346, 8. 354, 4. 364, 10. 367, 14, 370, 
4. 378, 12. 397, 19. 414, 18. 420, 15. 440, 1. 449, 30. 461, 3. 463, 5. 
— massente 63, 14. 127, 14. 140, 10. 211, 17. 363, 25. 380, 25. — matraz 
100, 10. 133, 29. 353, 21. 356, 2. — möraz 177,5. 274, 27. 276,7. 448, 1. 
'— mahinante 180, 15. — movieren 305, 15. — marner 339, 22. 411, 9. 
438, 18. — muntunzel 426, 11. — müzzel 451, 21. — neitün 425, 30. — 
poynder 21,3. 23, 24. 24, 17. 37,3. 50, 22. 56, 25. 57, 3. 85, 18. 88, 16. 
114, 24. 118,3. 151, 26. 187, 13. 189, 29. 207, 6.239, 23. 309, 21. 348, 
19:350;\26.- 357,18: 359,:25.366, 21 378) 4.378,,18.1364,119. 57903 
394, 24. 396, 5. — poynderkeit 32, 19. — püken 34, 6. 40, 3. — punieren 
34,8. 334, 28. 367, 9. 395, 14. 395, 30. 340, 20. — pungieren 35, 2. 90, 


DIE FREMDWÖRTER IN MHD. DICHTWERKEN. 257 


28. 190, 8. 372, 4. — pungeiz 36, 11. 366, 24. — puneiz 118, 6. 214, 26. 
320, 18. 333, 22. 343, 26. 344, 19. 361, 27. 362, 30. 370, 22. 372, 24. 
380, 9. 383, 14. 384, 13. 386, 4. 387, 24. 589, 16. 390, 25. 391, 12. 396, 
“1. --- punjür 310, 21. 335, 10. 346, 9. 358, 23. 368, 7. — panste 65,1. — 
puntestät 85, 18. 361, 24. — petit mangeiz 103, 24. — publicäne 162, 30. 
— pigment 62, 16. 276,6. — gepigmentet 177, 4. — püsche 187, 14. —- 
prisün 192, 6. 299, 3. 457, 29. — preymeriün 197, 11. 245, 14. 316, 6. 
461, 1. 464, 9. — patelierre 223, 10. — puover 242, 9. 401, 15. — parrie- 
ren 247, 27. 443, 22. 336, 20. — pusin 316, 17. 360, 8. 11. 382, 13. 390, 
28. 400, 19. 403, 15. 427, 2. — portenoys 332, 8. — palmät 353, 21. 406, 
9. 422, 19. — quatschiure 3%, 23. — rabbine 24, 8. 32, 19. 77, 3. 87, 23. 
118, 7. 362, 30. 403, 13. — rivier 40, 23. 41, 28. — rois 53, 22. 56, 18. 
14,47 85,9. 254, 28. 97, 15. 98, 1: 255, 25. 341, 26. 255, 21. 351,33. 
360, 9. 363, 10. 364, 1. 367, 13. 371, 3. 389, 11. 396, 11. 412, 20. — 
ravit 123, 17. 132, 2. 365, 27. — runzit 187, 24. 196, 18. 305, 17. — 
gerottieret 313, 3. 332, 2. 352, 19. — ribalt 314, 24. — rasünen 323, 11. 
rotumbes 360, 5. 382, 15. 400, 17. 403, 17. 407, 22. — samit 16, 4. 1, 
3. 234, 6. 328, 11. 406, 7. 407, 7. 464, 10. — sarjant 18, 13. 116, 25. 
170, 18. 185,1. 186, 16. 190, 23. 195, 23. 197, 4. 198, 19. 223, 11. 225, 
30. 230, 16. 272, 2. 273, 1. 304, 25. 311, 28. 315, 25. 316, 27. — soldier 
12230: 19517. 29) 17.165,14; 19615201, 197202573315 6.333122 
323, 24. 385, 20. 418, 15. 433, 30. 444, 1. — storje 20, 8. 22, 13. 36, 27. 
40, 19. 44, 2. 47, 15.23. 50, 21. 83, 25. 88, 21. 97, 7. 105, 21. 123, 15. 
1207 2130, 12. .151, 27.166, 14: 225,,1225:0233, 252 2354187237124 
242, 17. 316, 21. 330, 13. 347, 22. 372, 16. 384, 4. 386, 5. 399, 26. 402, 4. 
404, 5. 407, 16. 439, 18. 23. — tschumpfentiur 27, 19. 206, 25. 214, 29. 
293, 30. 306, 25. 433, 6. 434, 28. 435, 8. 437,5. 443, 15. 30. 458, 16. 
459, 26. 463, 14. — salse 44, 13. 134, 10. — suppierre 44, 13. — same- 
lieren 45, 1. 362, 1. 367, 18. 397, 27. 427, 6. — schanze 87, 20. 110, 5. 
368, 14. 17. 415, 16. — surköt 196, 2. 296, 6. — semftenier 231, 25. 356, 3. 
— schetis 241, 16. 18. 242, 9. 243, 1. 244, 19. 263, 18. 328, 24. ‘329, 20. 
362, 4. 363, 21. 401, 15. 412, 21. 412, 18. 433, 18. — sinöpel 276, 6. 
448, 7. — salvei 326, 21. — sentine 414, 25. 415, 9. — treimunt 9, 2. 197, 
29. — tambür 12, 29. 29, 22. 187, 25. — turkopel 18, 17. 170, 19. 185, 1. 
304, 26. 350, 27. 375, 7. — tambüren 34, 6. 40, 3. 225, 14. — taverne 
44, 12. 326, 10. — tropel 57, 9. 407, 19. — treviers 87, 4. 88, 17. 391, 2. 
— turnei 110, 13. 127, 21. 287, 25. 321, 18. 385, 26. — getubieret 155, 
3. 431, 15. — treif 197, 10. 316, T. — tulant 197, 10. 316, 1. — trunzün 
269, 23. 351, 24. 362, 25.379, 13. 429, 23. — tärkis 321, 20. 357, 2. — 
tjoste 3, 22. 21, 23. 23, 12. 24, 19. 25,25. 26, 18. 27, 11. 27, 27. 29, 15, 
GERMANISTISCHE STUDIEN, I. IT 


258 OTTO STEINER, DIE FREMDWÖRTER IN MHD, DICHTWERKEN. 


60; 1.172,23 76,30... 77, 6.186,;6..87,;9..27..119,.17. 12367: 24.205, % 
29. 209, 28. 220, 18. 241, 26. 333, 20. 25; 335;4:25. 341,,20. 361, 21. 
373, 8. 362, 12. 15. 27. 363, 13. 366, 14. 366, 21. 369, 21. 24. 29. 378,3. 
381, 7. 383, 5. 387, 29. 389, 26. 390,1. 411, 15. 444, 18. 20. — tjastieren 
24,1. 187, 11. 333, 18. 372, 24. — tjostiur 26, 11. 362, 3. 379, 15. 335, 
12. 351, 25. 412, 3. — tumbrel 373, 23. —- tehtier 412, 24. — temperie 
420, 2. — tragmunt 431, 28. 438, 6. 440, 29. 443, 14. — urssier 9, 3. 24. 
438, 6. — vin@ger 99, 24. — wastel 136, 6. — zindäl 16, 7. 96, 17. — 
zimieren 19, 18. 24, 15. 29, 28. 35, 1. 76, 20. 97, 24. 203, 17. 205, 27. 
255, 20. 330, 15. 338, 10. 344, 10. 379, 19. 393, 9. 395, 6. 397, 28, 403, 
28. 420, 19. 425, 14. — zimierde 54, 27. 55, 2. 16. 64,1. 81, 13. 82, 3; 
89, 10; 108,.28.. 125, 27.203, 19 207, 26. 305,.13.:313,:16.:19: 357, 7, 
372, 27. 376, 23. 394, 30. 400, 24. 401, 10: 408, 27. 409, 21. 411,5. 
417, 30. 423, 9. 428, 18. — zingel: 94, 20. 97,9. — zunel, 382, 15. 

Neu und in den vor Willehalm besprochenen Werken nicht vor- 
kommende Wörter sind folgende: amazzur, admirät, emeräl, eskelir, es- 
klirie, batschelier, poynderkeit, puntestät, petit mangeiz, püschen, preymerün, 
portenoys, punjür, kalopeiz, kunreiz, hardeiz, commüne, communie, karrüne, 
eise, eysieren, vintusen, goufe, quttrel, haberjoel, lendenier, lekerie, rasünen, 
(im mhd. Wb. nicht erklärt. Du Cange führt rasunarius: calceorum, 
resartor, refector, savetier an), publicäne, suppierre, semftenier, sentine, 
treimunt, taverne, getubieret, treif, tulant, tumbrel, tehtier, tragmunt, pfasch. 

Von Wolfram wahrscheinlich selbst gebildete Wörter sind fol- 
gende: kalopeiz, kunreiz, hardeiz, mangeiz, pfasch. 

Ganze französische Redensarten, wie Wolfram sie ab und zu im 
Parzival wohl anwendet, kommen im Willehalm nicht vor. Dafür hält 
er sich aber schadlos durch zahlreiche neue Fremdwörter, wie wir eben 
gesehen haben. 

Eine auffallende, aber für die Sprache erfreuliche Thatsache ist 
es, daß unsere Untersuchung eine nur sehr geringe Anzahl freinder 
Adjectiva ergeben hat. Die meisten derselben treten außerdem in Be- 
gleitung von französischen Eigennamen auf. Wie deutsche Adjectiva. 
werden nur curtois und fier gebraucht. 


A. LÜBBEN, ÜBER FLURNAMEN. 59 


ÜBER FLURNAMEN. 


VON 


A. LÜBBEN. 


Es möge mir erlaubt sein, im folgenden die Aufmerksamkeit der 
Fachgenossen auf einen Punkt zu richten, der bis jetzt nur wenig be- 
achtet erscheint, aber meines Erachtens wohl Beachtung verdient; ich 
meine die noch jetzt im Volke üblichen und lebendigen Benennungen 
aller agrarischen und territorialen Verhältnisse, oder, um es mit einem 
kurzen Ausdruck zu bezeichnen, die Flurnamen. Ich kam auf folgende 
Weise dazu, auf diesem Gebiete zu suchen und zu untersuchen. 

Ich fand in den öffentlichen Blättern meiner engeren Heimat bei 
den Anzeigen von Gutsverkäufen häufig angegeben, wie die einzelnen 
Stücke des Gutes benannt seien. Dieß war mir früher auch wohl schon 
aufgefallen, aber ich hatte nur oberflächlich acht darauf gegeben, bis 
mich Gespräche mit gleichgesinnten Freunden und gelegentliche An- 
fragen über die Bedeutung der in Rede stehenden Ausdrücke dazu 
brachten, das aufzuzeichnen und zu sammeln, was sich an dergleichen 
Benennungen vorfinden würde. Ich begnügte mich aber nicht damit 
bloß aus den öffentlichen Blättern zu schöpfen, sondern ich begab mich 
auch auf das Katasterbureau, um die Karten unseres Landes einzusehen. 
Da neulich unser Land aufs speciellste vermessen und jegliches Stück 
Land oder Wasser mit der Benennung versehen ist, wie die Geometer 
dieselbe aus dem Munde der Einwohner vernommen haben, so war hier 
eine ergiebige Quelle zu erwarten. Und diese Erwartung hat mich 
nicht getäuscht. Ich fand hier eine große, ja überraschende Menge 
der gesuchten Wörter, obgleich ich nur erst einen Theil der Kaıten 
habe durchstudieren können. Die Geometer, die natürlich kein sprach- 
liches Interesse dabei hatten, mögen wohl nicht immer das Richtige 
verzeichnet haben, und namentlich sind von Nichteingebornen, die an 
der Vermessung des Landes mitgearbeitet haben, durch Verhochdeut- 
schung Fehler gemacht, aber da der Natur der Sache nach die Be- 
nennungen, so weit sie keine Eigennamen sind, sich wiederholen müssen, 
so lässt sich doch das Richtige mit einiger Sicherheit und Bestimmt- 
heit finden. Das Richtige ist aber hier zunächst nur das, was das Volk 
wirklich sagt; für die Deutung ist oft damit nur wenig gewonnen, 

Li 


260 A. LÜBBEN 


Viele dieser Benennungen sehen mich noch ganz fremd an; die 
betreffenden Speciallexica lassen den Belehrung suchenden sehr häufig 
in Stich und von den Bewohnern selbst ist über die Bedeutung äußerst 
wenig zu erfahren. Ich habe mich in dieser Hinsicht durch andere an 
bejahrte Landleute um Auskunft gewandt, aber für meinen Zweck 
so gut wie gar nichts erreicht. „Es heißt so“ war die Antwort; auf 
die Frage warum? wussten sie nichts zu erwiedern. So blieb denn 
meistens nichts anderes übrig, als durch Vergleichung, Herbeiziehung 
alter Urkunden und Combination, kurz auf indirectem und gelehrtem 
Wege die Bedeutung zu finden oder doch wenigstens zu suchen. Die 
Entzifferung wird aber besonders dadurch schwierig, daß einmal die 
Oberfläche des Landes im Laufe der Zeit sich umgestaltet hat, während 
die Benennung dieselbe geblieben ist. Was vor hundert Jahren Wald 
war, ist jetzt Wiese oder Ackerland; was früher Heide und Moor, ist 
jetzt in Cultur genommen. Andererseits sind auch die Besitzverhält- 
nisse verändert; was heute Privateigenthum ist, war vor fünfzig oder 
hundert Jahren gemeinschaftliches Eigenthum der Markgenossenschaft 
oder der Gemeine; was heute in der Mitte liegt, ist vor mehreren 
Jahren noch ein Endstück gewesen, weil entweder eine Theilung oder 
ein Ankauf eines benachbarten Grundstückes stattgefunden hat. 

Mit meinen Untersuchungen habe ich mich aber nur auf das 
kleine Oldenburg beschränkt, um einen bestimmt gegebenen Raum zu 
haben, den man übersehen kann. So klein aber Oldenburg auch ist, 
so hat es doch Unterschiede der mannigfachsten Art, die auch auf 
dem Gebiete, von dem jetzt die Rede ist, sich merklich genug machen, 
um in Betracht gezogen werden zu müssen. So liegt es, um einige 
dieser Unterschiede namhaft zu machen, am Meere und an Binnenge- 
wässern; die Bodenverhältnisse sind verschiedener Art, denn es hat 
Marsch, Geest, Moor, Heide und Wald. Die Bewohner sind theils 
Friesen, theils Sachsen und die Agrarverfassung war bei beiden Stämmen 
durchaus nicht dieselbe. 

Es versteht sich von selbst, daß diese Untersuchungen, die einen 
so kleinen Flecken Landes betreffen, bei weitem nicht ausreichen. Um 
etwas ersprießliches zu leisten, bedarf es der gemeinsamen Thätigkeit 
und der Aufmerksamkeit vieler, die, jeder seines Orts, sammeln und 
forschen. Was ich hier biete, bitte ich nur als den allerersten Anfang 
zu betrachten. 

Alle Benennungen dieser Art sind entweder aus der örtlichen 
Lage und Gestalt entstanden, aus ihrer mathematischen Bestimmtheit, 
oder aus ihrer physicalischen Beschaffenheit, wozu auch die Benutzungs- 


UBER FLURNAMEN. 261 


art zu rechnen ist, oder aus historischen und politischen Verhältnissen. 
Ich habe mich im Folgenden auf die ersten beiden ersten Classen be- 
schränkt, aus denen ich einige Wörter herausgegriffen habe. Ihre Ab- 
handlung macht aber durchaus nicht den Anspruch erschöpfend zu sein; 
ich wünsche nur, daß sie für viele eine Veranlassung werden mögen, 
an diesen Benennungen nicht gleichgültig vorüberzugehen. 


1. Helle. 


Diese Benennung de helle kommt ziemlich häufig vor, in Ver- 
bindung mit Präpositionen up de helle, in de helle. Dieses Wort ist kein 
anderes als das hochdeutsche halde, das auch in der Form helde (voe. 
opt. 46, 21. sumerl. 4, 65) erscheint. Diese Form ist, wie aus den Zu- 
sammensetzungen hervorgeht, in Niederdeutschland die üblichere; es 
wird aber gern das d assimiliert (vgl. olle = olde) und so entsteht 
helle. Sehen wir uns in den Glossarien um, so finden wir bei Diefen- 
bach unter deelivis: nider- nidder- nederheldig und hellig; dale- dal- 
hynderheldig; declivitas, neder- dalheldicheyt; Lambertus Swarten (voc. ex 
q. a. 1419 he.) nedder-heldich; νος. ex q. Wolf (a. 1429 f. hs.) nedder- 
hellich; ferner bei Diefenbach unter proclivis: neder-heldig = hällig; aff- 
heldich. Das Verbum ist helden, hellen (helden vel neygen, declinare, 
voc. Engelhus. a. 1445 hs.). Bei Frisch 1, 400% finden wir: „vulg. die 
Tonr.e hellen für hälden, inclinare dolium, schräg in die Höhe stellen“ 
und 1, 441: ‚hellen, schäf (sie.) in die Höhe ziehen, eine Tonne hellen 
im Niedersächsischen, inclinare dolium quod fere vacuum est, ut reliquum 
effluat.* (S auch Grimms Wb. unter hälden.) Ergänzend fügt noch das 
Bremer Wb. hinzu. Bd. 2, 618. „l. abbängig machen, in eine schräge 
Richtung bringen, de tunne hellen oder uphellen, die Tonne hinten 
etwas in die Höhe legen, damit die darin enthaltene Flüssigkeit aus 
der Höhlung des Bauches in den Zapfen kommen könne. 2. von 
einer abhängigen Höhe herunter fließen. Man braucht es nämlich von 
‚dem Ablauf des Wassers nach einem niedrigen Grund. Daher heißt 
eine hier bekannte Gegend, eine Meile von der Stadt, de helle, weil 
das Wasser von beiderseitigen höhern Gegenden dahin sinket. hier hellet 
dat water alle her: hier sammelt sich alles Wasser, das von der Höhe 
kommt. berunter hellen herunter fließen.“ Von dem Verbum wird dann 
ferner abgeleitet das Substantiv: helling, helnge, helgen, das jede schräge 
Richtung bedeutet. „de tunne ligt up der helnge, die Tonne ist hinten 
in die Höhe gelegt; van der helnge drinken, von dem Rest aus dem 
Fasse trinken, nämlich wenn das Faß schon gehellet werden muß.“ 
Br. Wb. das. dar were nicht wen eyne '/, tunne edder upheldinge, das 


262 A. LÜBBEN 


Letzte auf der Tonne“. Br. Wb. 6, 105—9. helgen ist der in Holland 
und an der ganzen Nordseeküste übliche Ausdruck für Schiffswerfte, 
ein Wort das in lebendigem Gebrauche ganz unbekannt ist. Ferner ist 
zu bemerken das altfriesische hilde, helde (Richthofen Altfr. Wb. 804) 
z. B. „dis dykes hilde schil wessa LXIII fota“ das nach Wiardas rich- 
tiger Erklärung die Dossierung, d. h. die schräge Abdachung des Deiches 
bedeutet; dann helder, heller, das (Stürenburg) im Ostfriesischen noch 
jetzt das Außsendeichsland heißt, der unbedeichte Seeanwachs, der sich 
allmählich immer höher hinaufschlickt. Ferner heißt hilde, hille die 
Pferderaufe, eyn hilde ouer der krubben, de quo bestie comedunt (Dief. 
unter clathrum) clathrum super presepe, hilde (voc. Eng.); eyn schrage, 
hilde voc. Wolff. B. Es wird so genannt wegen der schrägen Latten 
oder Stangen, welche die Raufe bilden. In erweiterter Bedeutung heißt 
dann hille der ganze Raum über den Viehställen. 

Darnach heißt .also helle in Flurbezeichnungen „jedes abhängige 
Stück Land“; zum Unterschiede heißt ein daran stossendes, niedriges 
Landstück auch wohl de sien (d. i. de siden, niedrige) kamp (z. B. in 
Astrup, Kirchsp. Visbeck). Es kann daher sowohl von Wald, wo mir 
vorzugsweise die Benennung begegnet ist, als von Wiese und Acker- 
land gesagt werden. Man muß aber in dem durchgängig flachen Olden- 
burg nur nicht verlangen, daß diese Abhängigkeit sofort jedem in die 
Augen springe; sie wird oft nur an dem Abfluß und Gefälle des 
Wassers erkennbar sein. Die Bedeutung, die Schambach dem Worte 
beilegt „Abgrund, tiefer Abgrund“ kann daher für Oldenburg wenig- 
stens nicht richtig sein. 

Auch außerhalb Oldenburgs findet sich diese Bezeichnung. So 
heißt bei Wennbüttel in Süderdithmarschen (Topographie von Holstein 
von Schröder 8. 1,580) ein Landstück „in der helle“. 

Die Zusammensetzungen hellgarten, hellbusch, erklären sich dem- 
nach von selbst. In Holstein findet sich auch die Zusammensetzung 
helldahl, zweimal als Bezeichnungen von Gutshölzungen (Topogr. 1, 224 
2, 538), einmal als Theil eines ehemaligen Teiches (2, 629) und einmal 
‘als sonstiger Flurname (2, 190). Es wird wohl nichts anderes bedeuten 
als „die Helde hinunter, abwärts;* — dalheldicheit (declivitas. Dief.). 


2. Lieth. 

Dieses Wort habe ich, obwohl es kein ungebräuchliches Wort 
ist, in den mir zugänglichen niederdeutschen Glossarien nicht aufge- 
zeichnet gefunden. δ! es eine Höhe bedeuten muß‘, geht freilich nicht 
aus der Präposition up hervor, mit der es häufig verbunden wird (up 


DD 


ÜBER FLURNAMEN. 63 
de(r) lieth), da up bekanntlich nur die Oberfläche irgend eines Gegen- 
standes bezeichnet, der selbst niedrig genug sein kann. Eher beweist 
der Ausdruck unter der lieth eine Höhe, aber unzweifelhaft geht es aus 
der häufixen Verbindung mit dem Adj. höch hervor. Hohe Lieth, hoge 
lied findet sich nicht bloß im Oldenburgischen, sondern auch häufig 
im Holsteinischen — die genannte Topographie kennt deren sieben; 
zu Borchen bei Paderborn gibt es eine „hohe Lieth“ (de busche, de ΠΣ 
synt achter der hugenlith, J. Grimms Weisth. 3, 97); ferner bei Ritze- 
büttel; im Ortnit 382, 3 (Ausg. n. Hagen heißt es: ze tal die hohen 
laiten. — Es wird daher wohl das ahd. hlita, ags. hlidh, mhd. lite 
(M Wb. 1, 1013) „Bergabhang“ sein. Frisch 1, 604% kennt auch das 
Woıt „Leit oder Leiten, eine niederhangende Seite an einem Berge, 
eine Bergseite, ubi jugum montis in planitiem se demittit“. Er kennt 
auch die Compositionen „Busch-, Holz-, Wald-, Wein-, Winterleiten“ 
und fügt hinzu: „Es bekommen diese abhängigen Gegenden von vie- 
lerlei Umständen den Namen, als bei Schneeberg die Habichtleit, Zim- 
merleit, Paßleit“. In Grimms Weisth. findet sich auch sten-lith, bokelyt 
(3, 88). H. Prof. J. Petters in der Zeitschrift f. ἃ. öster. Gymnas. 1864, 
S. 756 erwähnt auch, daß das Wort häufig in den Flurnamen Nord- 
böhmens zu finden sei, z. B. Geltsch-leite, Schützen-leite, die kahle Leite 
u. del. Vgl. auch Vilmars Hessisches Idiot. S. 251. 

Lieth ist also der Sache nach dasselbe Wort wie das eben be- 
sprochene helle. Der Unterschied scheint darin zu liegen, daß bei helle 
mehr die Richtung nach unten, abwärts ins Ange gefasst wird, während 
bei lieth die Richtung in die Höhe, aufwärts in der Anschauung des 
Sprechenden den Ausgangspunkt bildet. Auch bei diesem Worte mul 
in Erinnerung gebracht werden, dafs diese Bodenerhebung nicht be- 
deutend zu sein braucht. Ein Moor und eine Heide führen auch an ein 
paar Stellen unseres Landes diesen Namen; es wird damit wohl ein 
Hochmoor und eine „hohe Heide“ wie sie sonst heißen, gemeint sein. 

Das Geschlecht des Wortes ist stets Femininum (auf der, an der 
unter der, tor lieth); einmal findet sich im liethe; so heißt ein Theil 
des Kirchhofes Wellingholzhausen im osnabrückischen Amte Grö- 
nenberg. 

Compositionen mit lieth sind: Lietweg, Lietmoor, Liethssand; im 
Holsteinischen: Liethberg, Liethkoppel, Liethbraak, Liethkamp; im 
ITannoverschen Liethenhof (bei Ritterhude). 

Sollten nicht noch mehrere Ortsnamen als die bei Förstemaun 
(Ortsnamen p. 746) unter hlid verzeichnet stehen, mit lieth zusammen- 
gesetzt sein? z. B. Amplithi (jetzt Empelde bei Calenberg), Boclithi, 


264 A. LÜBBEN 


(jetzt Bückelte an der Hase) und die andern Namen, die Förstemann 
unter lith S. 930 bringt? Ebenso Liessborn (= lithesborn, ganz ent- 
sprechend dem lidbach, litapach, Hlidbeki)? oder tritt die Genetivcom- 
position, die erlaubt ist, wenn der erste Theil der Zusammensetzung 
ein nomen proprium ist, dieser Annahme entgegen’? 


3. Riede. 


Dieses Wort ist viel bekannter und findet auch seine Erklärung 
in den Glossarien. Strodtmann in seinem Idioticon Osnabrug., das Br. 
Wb., Stürenburg in seinem ostfriesischen Wb., K. Schiller im Glossar 
zu den Chroniken der niedersächs. Städte (Braunschw. Chr. von Hän- 
selmann Bd. 1) geben es übereinstimmend mit „Graben, Wasserlauf“. 
Frisch 2, 118° hat: „ried f. heißt beim Gossmann im Regentensaal, 
im Lüneburgischen Amte Giffhorn ein Bach. Zwischen Leiffert und 
Giffhorn ist der ziemlich große Helm-Teich, in welchen verschiedene 
Rieden, die von andern Orten hergelaufen kommen, sich ergießen.“* 
Strodtmann setzt noch hinzu, daß es ein kleiner Bach sei, während 
ein großer beke heiße; Stürenburg, daß namentlich die Wasserläufe 
vorne im Watt diesen Namen führen; in der braunschweig. Chronik 
Bd. 1 S. 276 Note, werden ryden, strame unde kulke zusammengestellt. 
Im Alts. heißt es rith, ags. ridh(e) (ridhfeld, bucetum, pascuum); fris. 
riad (bei Adam v. Bremen 1, 13 in der Urkunde Karls d. Gr. über 
die Diöceseneintheilung, Endiriad, »palus, Emisgoe et Ostergoe dister- 
minans). 

Wenn es aber auch in keinem Wörterbuche verzeichnet stände, 
so ließe sich die Bedeutung „Wasserlauf* doch nicht bestreiten, da 
es in unserm Lande eine ganze Menge Rieden gibt, die eben kleine 
Flüßchen sind und in ihrem späteren Laufe auch zum Theil beke heißen. 
Einen Anlaß zu Bemerkungen gibt nur die Form des Wortes. Da es 
nämlich mit einem de schließt, so tritt hier gern die Abwerfung desd 
oder auch der Silbe de ein; zum Ersatz dafür wird regelmäßig in der 
Aussprache der vorhergehende Vocal gedehnt; in der Schrift wird diese 
häufig durch ein eingeschobenes h bezeichnet (z. B. der siehen esch, 
die siehen möörte für sieden, niedrig). In dieser Form riehe tritt es 
häufig auf. Aber es wird statt des h auch ein g eingeschoben, so daß 
es nun riege heißt. Dieß ist aber keine vereinzelte Erscheinung. 
Zwischen zwei Vocalen tritt gern, namentlich am Ende des Wortes, 
ein g ein. z. B. spigen, wigen, lilige, heygelsam, arstedige, klages etc. 
für spien, wi(h)en, lilie, heilsam, arstedie, kla(w)es. Dieß g drängt sich in 
den Vocabularien auch in das Lateinische ein, z. B. origens, lagicus, muligo 


ÜBER FLURNAMEN. 965 


für oriens, laieus, mulio. So endigen jetzt bei uns eine Menge Ortsnamen 
auf-wege (Linswege, Ipwege, Orwege, Holwege, Aschwege), die noch 1428 
urkundlich auf -wede ausgehen (Lins-, Ip-, Or-, Hol-, Aschwede), die also 
ganz der Analogie von riede, riege folgen. Auch die Form wehe findet sich 
häufig, das wohl spätere Unwissenheit in weihe verkehrt hat (z. B. 
Kirchweihe, ein Gehölz bei Stuhr, heißt auch Kirckholz). Ganz so wie 
das alth. witu, alts. widu später die Formen wede, we(e), wehe, wege 
zeigt, so hat auch ride die Formen rie, riehe, riege. Diese niederdeutsche 
Eigentnümlichkeit das d zwischen zwei Vocalen abzuwerfen, hat schon 
manchen Unkundigen irre geführt. Das preußische Sauerland in West- 
falen verdankt so einem grammatischen Irrthum seinen Namen. Denn 
es heißt nichts weiter als das suderlant, suerlant, das südliche Land 
im Gegensatz gegen ein nördliches, und in den Handbüchern der Geo- 
graphie wird auch angegeben, daß die Sauerlands-Gebirge auch die 
süderländischen heißen. (Schneiders Handb. d. Erdbesch. 1, 801.) Wenn 
aber daselbst zugleich gelehrt wird, daß das Sauerland seinen Namen 
in vielen Gemarkungen rechtfertige (das heißt doch wohl, daß es einen 
saueren Boden habe), so hätte sich der Geograph, ehe er diesen Aus- 
spruch that, sich nach der Entstehung dieses Namens erkundigen sollen. 
Daß} aber sür gleich ist dem heutigen „Süder“, lässt sich aus manchen 
Beispielen belegen. Ein Stück Landes in Dedesdorf an der Weser 
zerfällt in die nord- und in die sürhalve; es gibt ein sürboop, wie es 
ein osthoop gibt u. a. 

Doch um wieder auf riede zurückzukommen — wo es gilt, die 
verschiedenen Rieden zu unterscheiden, erhalten sie einen Zusatz, ent- 
weder nach dem Namen des Landeseigenthümers z. B. Behrens riede, 
Kutzken-riede, Ebke-riege, Wiebers-riehe ; oder nach anderen Besonder- 
heiten z. B. die lange, kleine, schmale Riede, die Landriede, die Stroth- 
riede, Muttenriede, Steenriede, die Fühlenriehe (eine Fuhlenriehe auch 
bei Ehedorf, Neumünster in Holstein), Tegelriede, Schullriede, Plaggen- 
riede, Egel oder Igelriede (d. h. die Egel, Blutegel führt). Die Eilen- 
riede bei der Stadt Hannover wird auch nur eine falsch verhochdeutschte 
ilenriede d. h. eine Egelriede sein, denn ile ist sangwisuga (Voce.). 
Ferner hilgenriede (Hilgenriedersiel in Ostfriesland) u. v. a. 

Riede heilt aber nicht bloß der Wasserlauf selbst, sondern auch 
das von ihr bewässerte Land; es wird also zugleich eine Territorialbe- 
zeichnung, ähnlich wie ouwe nicht nur das fließende Wasser, sondern 
auch wasserreiches Wiesenland bedeutet. Schon oben ist Endi-riad als 
palus bezeiennet: das Brem. Wh. 5, 449 gibt an, ‘im Lübeckischen oder 
Mecklenburgischen ist ri, rij, oder rig ein Sumpf, ein morastiger Ort. 


966 A, LÜBBEN 


Aus dem Sumpfe wird aber leicht eine Weide oder Wiese; und so 
werden auch eine Menge Weiden- und Wiesenländereien, moorichte 
Heiden mit dem Namen Rie«en belegt, und es scheint, als ob der Name 
Riede überhaupt auf alle feuchten Niederungen übertragen wäre; wenig- 
stens habe ich auf den Karten manchmal Ländereien als Rieden be- 
zeichnet gefunden, ohne daß irgend welcher Wasserlauf dabei ver- 
zeichnet gewesen wäre. 

Eine Verwechslung mit rode (ausgerodetes Land oder auch no- 
vale), die Förstemann bei Ortsnamen zwischen riut und riet(h) als 
nicht unwahrscheinlich bezeichnet (S. 1193), ist im Niederdeutschen 
nicht so leicht zu befürchten, da die Vocale ie und o nicht zusammen- 
fallen. Das o in rode geht aber häufig in a über (vgl. gades, hasen, 
paten, have statt godes, poten, hosen, hove), so daß die Formen auf 
dem Rahden, im Rahden, am Rahden, beim Rahe nicht selten sich 
finden. | 

Das Geschlecht von riede ist Femininum; doch findet sich auch 
beim Egelrieden. Ist dieß ein Fehler oder Nachwirkung des alts. Mascu- 
lins rith, das M. Heyne nach dem ags. als mascul. ansetzt? Vergleiche 
auch regente und lieth. 

Unter den Zusammensetzungen, die das Wort eingeht, hebe ich 
rhynschloot (so meistens geschrieben) hervor. Im Brem. Wb. und bei 
Stürenburg wird es durch „Grenzgraben, besonders an der Deichbärme“ 
erklärt, also in Zusammenhang mit reen (Grenze, z. B. reenboom, ar- 
bor terminalis Kil. Grenzbaum, Schlagbaum) gebracht. Allein da ich 
das Wort niemals habe reenslöt sprechen hören noch so geschrieben 
gesehen, wohl dagegen einzeln ringslöt, so zweifle ich an der Richtig- 
keit dieser Erklärung und bin vielmehr geneigt es für einen rieden 
(oder riehen, rien) slöt ἃ. ἢ. canalisierten Wasserlauf zu halten, der ja auch 
eine Grenze zu bilden sehr geeignet ist. Das Wort findet sich übrigens 
auch im Holsteinischen. „Ein anderer Abwässerungscanal ist die Ruß, 
welche sich in die Stintkuhle ergieist, worauf sie in den Rhinschloot fällt. 
Letzterer ergießt sich in das Bohlrith, einen Canal, der durch die Aus- 
wettern (die wettern, wetteringe — wateringe Brem. Wb. 5, 207) in den 
Cremper Rhin fällt“ (Topographie v. Holst. 2, 596). 


4. Stroth. 
Obwohl dieß Wort nicht selten ist, so fehlt es doch in den nie- 
derdeutschen Wörterbüchern. Es ist das alth. struot, Busch, Wald. 
(s. Schmeller bair. Wb. 2, 690 und mhd. Wb. u. d. W.) In Nicolaus von 


Jeroschin heißt es 166° (Pfeiffer): er vür in gütir wise | Ein reise zwär 


ÜBER FLURNAMEN. 267 


vil strenge | Von arbeit und von lenge || Durch brüchir ubir wazzir vlüt| 
Berc, tal, sant, durch puschis strüt, ein tautologischer Ausdruck, wie 
deren es manche gibt. Ahd. Ortsnamen auf -struot (Förstemann S. 1320) 
sind Espenestruot, Birgistrotun, Blancestruth, Gecelines struod, Hur- 
winun struot, Igili-struoth. Davon scheint (s. J. Grimm R. R. 655) ab- 
geleitet zu sein struden, stroden (latrocinarı Dief. und voc. Engelh.) und 
stroder (latro, vispilio, voc. Engelh.) Waldräuber, Strauchdieb. Auch 
das Wort „Strauß“ im Sinne von „Blumenstrauß“ ist wohl dasselbe 
Wort. Niederdeutsch wird es indefß nicht gebraucht; es wird dafür 
rukel-busch gesagt. — Vols in seiner Luise (zu 1, 675) bespricht auch 
dieß Wort. „In den Zeiten der Befehdung nannte der Adel den Straßen- 
raub in spaßhaftem Rothwelsch: sich des Sattels ernähren, auf die 
Struterau (von strut, Gebüsch) reiten; und die Namen Struter und 
Ströter, Buschklepper, Heckenreiter, ein Hintermstrauch, Schnapphahn, 
Strauchhahn dünkten den stolzen Ritter im Raubschloß weder ehrlos 
noch beleidigend.* 

Im Oldenburgischen haben wir eine Menge Örtlichkeiten mit diesem 
Namen, die entweder noch Gebüsche sind — so wird z. B. eine Hölzung 
so bezeichnet: „die Büsche Strotk, Kronhof und Loge in einem Com- 
plex belegen“; bei der Stadt Oldenburg gibt es ein Gebüsch Haren- 
stroth genannt — oder früher Gebüsche gewesen sind; daher auch 
jetzt Wiesen und Ackerländereien so heifsen. Zusammensetzungen sind: 
Rabenstroth, Schippstroth, Meckelstroth, Stubenstroth, Bornstroth, 
Schurenstroth, Strothbeke, Strothriede, Strothheide, strothkamp, stroth- 
wiese. Da dieß Wort auch auf einen t-Laut ausgeht, so wird auch hier 
wieder, namentlich wenn in der Declination das Wort um ein e wächst, 
das d (t) abgeworfen. Daher entstehen Formen wie Stro(h), im Strohe(n), 
im breiten Strohe, Obenstrohe, Depenstroh, Molkenstro, Silstro, im 
Plural die Ströhen. Wie die Wort sich aber von andern Benennungen 
des Waldes z. B. lohe, wede (wehe), hagen, horst unterscheidet, weils 
ich nicht anzugeben. 


5. Göhl. 


Die Formen, in denen dieses Wort erscheint, sind ghole, goel 
(Urk. von 1565), geel, geul. Es ist häufig Bezeichnung einer Wiese, 
daher auch mit Wiese selbst verbunden: gohlwiese, auch mit reith 
(Binse, juncus) reithgöhl. Aus diesen Verbindungen ist schon die Be- 
deutung zu ahnen. Die Verbindungen „großer und kleiner Göhl, kurzer 
und langer Geul, Stubengöllen, Buckengöllen“ geben für die Erklärung 
keine Anhaltspunkte. Dagegen Putgöhlen (Put = Morast, vgl. die 


268 A. LÜBBEN 


allitterierende Verbindung putten und poelen; volutabrum i. e. locus 
luti, ein putte, voc. ex. q. 1429) führt ebenfalls dahin, daß darunter 
eine feuchte Niederung zu verstehen ist. Wenn jetzt auch einige Stücke 
Bauland Göhle heißen, nicht bloß Wiesenland, so thut dieß nichts zur 
Sache, da ja Sümpfe auch entwässert und ceulturfähig gemacht werden. 
Dieß Wort göhl ist wohl dasselbe mit gullen, das bei einem Glossator 
in Diefenbach Übersetzung von palus ist. Auch Kilian Dufflaeus hat 
gulle; „vetus germ. palus, volutabrum, vorags, gurges“. Frisch 1, 382? 
hat: güllen, mistgüllen, palus, udis; güllen, worin sich die Schweine 
wälzen, volutabrum; güll-ächtig „paludosus“. S. auch Förstemann Ortsn. 
S. 613. Im Holsteinischen ist auch das Wort nicht unbekannt; ich finde 
wenigstens in der oben angegebenen Topographie ein gellien-brook ; 
gele (zellen) — möle (Wassermühle bei Mühlenbek, Kellinghausen) : gellen 
(jellen) kamp. 


6. Lohe. 


Dieß ist ein bekanntes Wort; löch, [ὃ bede:.tet „niedriges Holz, 
Busch“. S. mhd. Wb. unter d. W. In dieser Bedeutung -— nur daß es 
überhaupt Busch, Gehölz, nicht bloß niedriges Gehölz bezeichnet — 
ist es noch jetzt für sich bestehend, z.B. „die Busche Stroth. Kronhof, 
Loge“ „ein Flecken im lohe“, als auch in Zusammensetzungen Wilden- 
loh, Hülseloh, Elmenloh, Papenloh u. s. m. in Gebrauch. Häufig ver- 
kürzt es sich in Zusammensetzungen so, daß nur das 1 bleibt, z. B. 
Nuttel (Nußholz), Bockel (Buchholz), Etzel (= Eklo, etzen friesisch — 
eken, Eichenbusch), Barkel (Birkenholz). S. Strackerjan, die jeverländi- 
schen Personennamen 1864 5. 32. Dazu gehört auch noch Hassel 
(Haselholz) und wedel. Das letztere ist eigentlich eine tautologische 
Zusammensetzung, wie sie häufig vorkommt z. B. horstbusch, lohbusch 
u.s.w. Eine Urkunde von 1528 sagt: die drei Bauerschaften Rittrum, 
Nehrstede, Geveshausen „hebben den wede (den Wald, aus welchem die 
jetzige Bauerschaft Wehe entstanden ist) aver de twehundert jar in 
rousam gebruck gehadt“. In derselben Urkunde wird den drei Bauern- 
schaften von Seiten der Landesherrschaft bei höchster Strafe geboten, 
„dat se sik des wedel (soll heißen wedels) nicht undermaten“. Mittheilung 
von Leverkus. In Grimms Weisthümern findet sich auch nodtwedel bei 
Verden (3, 227) und heinewedel, großser Forst bei Gifhorn (3, 226). Ein 
Wehloge (= wedeloge, wedel) findet sich auch bei Varel. 

Was die Form des Wortes betrifft, so ist außer loge, wo die An- 
hängung des ge nicht auffallend ist (8. ο.), noch die Form loy in Ge- 
brauch. Ysenloge (fries. Archiv 1, 484) heißt jetzt Yserloy; ebenso 


ÜBER FLURNAMEN. 269 


Westerloy. Vor allem aber kommt, namentlich im Münsterschen, die 
Form lage sehr häufig vor, z. B. Hengst-, Calves-, Rese-, Kron-, Espe-, 
Dink-, Lud-, Mimme-, Trent- (d. 1. rund), Helm-, Bar (Ber)-, Hartlage 
und noch viele andere. Da a und o im Niederdeutschen in dumpfer 
Aussprache mit einander vertauscht werden, so ist die Form lage nicht 
auffallend. Auch Frisch 1, 6202 bemerkt, daß „in Niedersachsen auch 
la für loh steht als T. II script. Brunsvic. sylva, dat la, dieta p. 349*. 

Das Geschlecht ist wechselnd; bald neutrum (das Joh), bald femi- 
ninum, namentlich in der Form lohe, loge, lage: „die große Lohe; auf 
der Loge; an der wilden Lage;“ („wild“ ist bekanntlich gern ein Bei- 
wort des natürlichen, nicht künstlich gepflegten Waldes; daher silva 
glossiert mit wald, wilder wald; nemus dagegen mit wald, schöner wald); 
auf der Heidloge; die Schnittloge, u. n. a. 

Es ist, was die Bedeutung des Wortes betrifft, noch zweierlei zu 
beachten. Einmal, daß 16 auch in den Begriff von Waldwiese, Wald- 
aue übergeht (s. J. Grimm Rechtsalterth. 794), daher Schütze in dem 
holsteinischen Idiotikon auch angibt, lo, loe sei eine „sumpfichte, bor- 
nichte Stelle“ und auch „ein grüner Platz“. Sodann hat es noch eine 
specielle, juristische Bedeutung. Schon Frisch sagt, loh scheine ein 
Bannwald zu sein, und Klöntrup (alphab. Handbuch der besonderen 
Rechte im Hochstifte Osnabıück 1798) sagt geradezu: „Ein Loh ist 
ein privativer Holztheil in offener Mark, der zwar zur Holznutzung 
einem Markgenossen ausschließlich zusteht, in Ansehung der Weide 
aber allen Markgenossen gemeinsam ist und daher vom Eigenthümer 
des Lohes nicht eingefriedigt werden darf. Es kann aber ein Loh zur 
Hegung des Holzes auf gewisse Jahre eingefriedigt werden, wenn es 
in ein gewisses, zu diesem Endzwecke eingefriedigtes Markrevier fällt, 
wenn aber die großen Sundern oder Dust und Bergtheile ausgeschlossen 
sind, von denen nur ein verhältnissmäßiger Theil eingefriedigt werden 
darf.“ Damit hängt auch wohl zusammen, was Vilmar hess. Idiot. 
p- 252 angibt, loh sei ein Gehölz, das einzeln mitten im angebauten 
Felde liege. 

Welche Bedeutung in einem gegebenen Falle die richtige ist, 
muß der jedesmalige Fall lehren. Aber auch hier ist nicht zu vergessen, 
daß eine Flur lohe heißen kann, auch wenn sie jetzt keine Spur 
Waldes mehr zeigt. So heißt z. B. eine Örtlichkeit ‘die reeke loge (im 
Kirchspiel Visbeck), die jetzt nur ein schlatt, d.i. eine moorichte Ver- 
tiefung, in der Heide ist, früher aber wahrscheinlich einen Holzbestand 
gehabt hat. Ähnlich ist es mit sundern (sondrigen, sundering, sundringen, 
sondergen) bestellt. Ersprünglich eine als Sondereigen ausgeschiedene 


370 A. LÜBBEN 


Waldung (silva singularis oder specialis, foresta specialis) bezeichnend 
wird dieser Ausdruck nicht bloß von einer Hölzung gebraucht, sondern 
auch auf Wiesen und Ackerland angewandt; es ist aber anzunehmen, 
daß sie einst mit solchen Sonderwaldungen bestanden waren. Anläßlich 
dieses Wortes bemerke ich noch, daß manche Ortsnamen (bei Förste- 
mann S. 1335) mit sunder componiert, nicht, wie Förstemann I. ce. an- 
zunehmen scheint, mit sunt, suth, Süden, meridies zusammenzubringen, 
sondern vielmehr auf dieses sundern zurückzuführen sind. Vgl. Maurer, 
Markenverfassung S. 15. 


71. Wand. 


Die vorkommenden Bezeichnungen sind: auf der want, in der langen. 
und kurzen want, mittelwand, reetwand, steinwand, Papenbusches wand, 
Wefelswand, Hennigswant, rohe (d. i. wohl rode, rothe) wand, mur- 
want. Dazu gehört auch vielleicht das im friesischen Saterland vor- 
kommende wat, z. B. Paddewat, Lohwat, Matyerswat, steinwath. Daß 
hier an eine künstlich oder natürlich aufgerichtete Wand nicht zu 
denken ist, liegt auf der Hand. Auch können die unbeackerten Stellen 
oder Raine, die an den Enden und Seiten der Acker zum Weiden und 
Umwenden des Pfluges liegen bleiben, nicht so heißen. Denn diese 
führen den Namen a(h)newende, a(h)nwendung, anwender und können 
der Natur nach nur kurze Strecken sein, während die genannten Be- 
zeichnungen größeren Flächen zukommen. Es ist dieses wand, das mir 
übrigens nur in den südlicheren Theilen Oldenburgs begegnet ist, wohl 
nichts anderes als das im südlichen Deutschland noch im lebendigen 
Gebrauche stehende gewanne, ein Ackermals bezeichnend. „Jedes Feld 
war in eine größere Anzahl von Abtheilungen, gewannen, getheilt, 
welche wieder in Morgen, Joch, Tagewerk oder Acker zerfielen. Die 
Gewanne hatten die verschiedenartigste Gestalt; ihre Größe wechselt 
von 1—12, ja über 20 Morgen; der Durchschnitt ergibt nicht ganz 
sechs Morgen für ein gewan.“ (Thudichum, Gauverf. 5. 161.) — Dieß 
gewan ist mhd. gewende, ἢ. (gewande f.). Wie groß war aber dieß 
Ackermaß? Thudichum läßt einen gar zu großen Spielraum; ein Maß, 
‚das ein wirkliches Mafßs ist, muß doch eine bestimmte Begrenzung 
haben. Die Vocabularien geben: νοῦ. Vratisl. 1422 (M. Wb. 3, 687) 
gewende, stadium; ebenso das voc. ex q. Wolf. (hs.) 1429 und bei 
Diefenbach. Wie groß ist aber ein stadium? Das voe. ex q. W. sagt: 
centum passus; bei Diefenb. octava pars milliarii vel spacium XII (9). 
al. CXXV passuum. Frisch 2, 439° gibt an: „(In Böhmen) Ein Ge- 
wende Feldes ist 5 Seile lang, hält 630 Spannen, 210 böhmische Ellen 


ÜBER FLURNAMEN. 971 


und ist ein Morgen. Ein Pfugrädlein soll dergleichen mäßig sein (ge- 
wisses Maß haben), damit es sich in einem Gewende 60 Mal um- 
wenden möge. Eine Meil Weges soll 60 Gewende jedes haben. — 
Scheplitz: constit. March. Es soll eine Meile 60 Gewende; und ein Ge- 
wende 60 Ruthen, ist im sächsischen Weichbild gebräuchlich, unseren 
ebenen landen zu viel, derowegen ordnen wir, daß 60 Ruthen auf einen 
Morgen und 16 Schuh auf eine Rutlie gerechnet, derselben Morgen 30 
lang, welches 1800 Ruthen sind, für eine Meil zu halten. — Eine Meile 
hat 60 Gewende nach dem Ausspruch der Schöppenstühle zu Leipzig. 
Leyser Jus. Georg. p. 727. — Das Pflugrad soll in einem Gewende 60 
Mal umgehen.“ Im Brünner Stadtrecht heißt es: jede eckerlenge sol 
haben zwelf gewende, und iedes gewende sol haben dreißig meßruthen. 
(Mhd. Wb. 8, 686.) 

Nehmen wir die Meile zu 24000 Fuß an, so beträgt nach den 
ersteren Angaben ein Gewende 400 Fuß, eine Radumdrehung 6°/, Fuß. 
Nach der letzten Angabe hat ein Gewende 30 Meßruthen; eine Meßruthe 
ist aber für gewöhnlich 10 Fuß lang (pertica, metelrode van teyn voten, 
Dief. u. d. W. meterode van teyn voten. voc. ex q. Loccum; daher 
decempeda — pertica mensuralis); darnach wäre also ein gewende nur 
300,F. Eine Ruthe hat aber in verschiedenen Gegenden verschiedenes 
Maß, ja in derselben Gegend in verschiedener Anwendung; so heißt 
es bei Frisch 2, 139°: mensura duodecim pedum apud opifices, vel 
decem pedum apud geometras. 16 Fuß ist aber ein ungewöhnliches Maß 
und es ist vielleicht an der oben angegebenen Stelle, wo doch ein 
kürzeres Mais angegeben werden soll, statt 16 nur 10 Schuhe zu setzen; 
denn Schuh oder Fuis ist doch dasselbe Maß. Wird ferner ein gewende 
einem Stadium gleichgesetzt, so ist 68 = dem achten Theil eines mil- 
liare = 125 passus = 625 F. oder, wenn ein Stadium nur 100 passus 
ist — 500 F. Es wechselt darnach das Mafi eines Gewendes von 300 F. 
bis 625 Fuß, oder ziehen wir das Mittel etwa = 450 Fuß. 

Der Name wird wohl daher rühren, dais der Pflug sich nach 60 
Umdrehungen „wendet“, um die quadratische Fläche (oder oblonge) 
herzustellen, welche den Ländereien gewöhnlich eigen zu sein pflegt. 

Daß im Niederdeutschen das ge fehlt, ist durchaus nicht auffallend. 
Die Simplicia sind bei ihnen, und namentlich in Zusammensetzungen, 
ungemein häufig im Gebrauch; und das zweite Wolff. voc. ex q. hat 
auch wende: statt gewende. Ein einziges Mal ist mir bis jetzt gewan 
selbst begegnet in der Bezeichnung eines Ackerstückes bei der Stadt 
Cloppenburg, genannt ‘sundergewann’, das wohl ein aus der Mark zum 
Privateigenthum ausgeschiedenes Stück bezeichnet, 


272 A. LÜBBEN 


8. Regente. 


Die Formen dieses Wortes sind außerdem regte, regen, -rengte, 
regtende; das Geschlecht wechselt zwischen masculinum und femini- 
num (der Hagen regent, in der regente, beim regente). Die Glossare 
bieten zur Erklärung nichts. Auf meine Erkundigung bei den Ein- 
wohnern wurde mir gesagt, man bezeichne damit ein kleines struppiges 
Gebüsch. Dieß passte allerdings für einige Fälle; es gibt z. B. ein &k- 
regen, barken-regen, böm-regen und mehrere Hölzungen, sowohl Laub- 
als Nadelhölzungen, heißen auch regen. Darnach scheint es mit recke 
gleichen Stammes und gleicher Bedeutung zu sein. reke in silvis est 
saltus, vepres. voc. Engelh. In einem Weisthum von Borchen (bei Pader- 
born) aus dem J. 1370 (Grimm 3, 96) heißt es: de blechoff.... de recke 
bouen den vrithsclade, de sommerrecke .... dusse vorgenanten bussche 
solden wesen gemeyne unser dreier meggers. und weiter unten: Item 
wart togedelet dem convente de grote recke unde busch vor den hude- 
winkeln. Ferner heißt der aus Moses Geschichte bekannte Dornbusch 
de bernende recke. Sündenfall 2054. Aber auch Ackerländereien führen 
diesen Namen und zwar zuweilen solche, die neben einem Gehölze, 
regente genannt, liegen. Wenn man nun sagt, hier sei früher Gehölz 
gewesen und der Name sei auch nach Ausrodung dem Landstücke 
verblieben, wie es bei stroth, lohe, sundern u. a. der Fall sei, so lässt 
sich das hören. Man wird aber bedenklich, wenn man mehreremal von 
einer langen regente oder von der untersten rengte liest, ein Ausdruck, 
der weniger auf ein Gehölz als auf eine mathematische Bestimmtheit 
hirzuweisen scheint. Aber dagegen findet sich auch wieder ein kreien- 
regent, das, wenngleich jetzt Ackerland, einen Busch bezeichnet zu 
haben scheint, in dem sich vorzugsweise Krähen aufhalten, ähnlich wie 
man einen hexterbusch (Elsterbusch) und reiherholz hat. Ist man nun 
geneigt sich darnach wieder für die Bedeutung „Busch, Gehölz“ zu 
entscheiden, so begegnet uns wieder ein Ackerland, das movrregente 
heißt; aber auf dem Moore stehen keine Bäume, ein echtes, wirkliches 
Moor ist, wenn es auch in grauer Urzeit Wälder getragen hat, jetzt 
‘völlig baumlos. Man könnte sich nun freilich so helfen, daß man be- 
l,auptet, es bezeichne ein am Moor stehendes Gehölz, wie eine riethesch 
ein solcher Esch ist, der neben einer Riede liegt, aber die Wahr- 
scheinlichkeit ist gleich groß oder gering, wie man will. Petters ]. c. 
weist auf reghenost, reenghenoot hin; ich glaube aber, daß reen-ghe- 
noot (Grenzgenosse, finitimus, conterminalis, limitaneus 5. Kilian Duffl.) 
hier nicht in Betracht gezogen werden kann. Ich vermuthe, daß es ein 


ÜBER FLURNAMEN. 273 


und dasselbe Wort mit reke (recke) ist, das ordo, striga, tractus, linea, 
„eine gestreckte Länge“ bedeutet. Z. B. recke weges (Teuth.); he leth 
affbreken ein lange reke der muren (Münstersche Chron. 1, 338). in 
ener langen reke (longo tractu) Joh. v. Haren (Old. Chronikens. II, 496), 
Das te (de) verdankt wohl seine Entstehung der Gewohnheit der Nie- 
derdeutschen die Abstracta auf de (te) zu bilden, z. B. schönde, schoente 
(Schönheit), längde, dupte (Tiefe), hochde, höchte (Höhe), leegde u. a. 
Diese Abstracta können aber auch wieder als Concreta gebraucht 
werden, so daß z. B. de dupte, de leegde auch „tiefes, niedrig gelegenes 
Land“ bedeuten können. Mit diesen Abstracten sind aber nicht die 
neutralen Colleetiva zu verwechseln, die eine ähnliche Bildung haben 
z. B. brokete (Sumpf), (ge)beente, gesternete, gebergete (geberchte), 
stölte (Gestühle), gesteinte (8. F. Bech in Pfeiffers Germ. X, 395 ff.). — 
Sollte das regente also gleich rekte sein, so würde es nur „einen in die 
Länge gedehnten Strich (Landes, Busches, Moores ete.)“ bezeichnen und 
nicht anders aufzufassen sein als Ausdrücke wie Rammersvehn-längde, 
im Langen, welche der Sache nach dasselbe bedeuten wie regente. Auch 
die Bezeichnung eines Zaunes, einer Hecke mit recke (s. Schambach 
u.d. W. vepres, hecke, eyn riche. Dief.) würde dazu stimmen; und auf 
das innigste würde sich damit das Wort ricke berühren, das nicht bloß 
eine lange Stange (pertica), sondern auch einen langen Land- oder 
Wasserstrich bedeutet. Bezeichnungen mit rick sind: dat groote rick, 
dat lange rick, Amel-rik, Sand-rik, Stein-rick, Tiede-rick, Lothes-rick, 
Buske-rick, rikken-sant, oben den ricken, zwischen ricken; auf dem 
rickels; auch reeke ist wohl dasselbe, reeken-wies, reeken-wisk, auf 
dem reeke. 

Daß regente auch als Masculin gebraucht wird, das, wenn meine 
Vermuthung richtig ist, nur weiblichen Geschlechtes sein kann, ist 
entweder der Verdunkelung der ursprünglichen Bedeutung zuzuschreiben, 
oder hat seinen Grund in der schwankenden Geschlechtsbezeichnung 
überhaupt, die vielfach im Niederdeutschen beobachtet wird. 

OLDENBURG, Januar 1869. 


GERMANISTISCHE STUDIEN. II, 18 


274 HERMANN HAGEN 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIO- 
THEKEN. 


VON 


HERMANN HAGEN. 


I. Niederländische Glossen aus Bern. 

Nachstehendes Fragment eines niederländischen Glossars wurde von 
mir an der Innenseite des Einbandes einer Inkunabel (Nr. 536 der Berner 
Bibliothek, s. meinen Katalog der Berner Handschriften p. 530 unten) 
entdeckt. Mit 4 Blättern war der Deckel so verklebt, daß je zwei zu- 
sammenhängend eine Seite ausfüllten. Da das Glossar streng alphabetisch 
angeordnet ist, so lässt sich, im Hinblick darauf, daß auf der letzten 
Seite unten am Rand das erste Lemma der folgenden (dimouere) an- 
gegeben ist, mit Sicherheit bestimmen, daß diese 4 Blätter einst die 
beiden äußersten Lagen eines Quaternio gebildet hatten. Ich bezeichne 
im Folgenden die Blätter, indem ich sie in ihrer ursprünglichen Reihen- 
folge ordne, mit f. 1", 1” u.s. w. Dieselben sind von einer Hand des 
XII. Jahrhunderts in je zwei Columnen beschrieben *). 

Cespes, resche uel werf. 
Cespieium, daermen torf steect. 
Üessare, cissen. Cessatio cissinghe. 
Cete, walvisch. Ceta idem uel cetus 


idem. 
Cetus tus tui, scare. 


fol. 4” ol..T. 


'Cerealis, van corne. 
Cernere, besien. 
Ceremonia, offerande. 
Cerritus, insanus. 


Ceruus (l. cernuus), sienlec. 


Certare, striden. Certamen, strüt. 


Certatim, stridelec. 


Certus, seker. Certitudo, sekerheit. 
Oerkeleke (sie, leg. certe, sekerleke). 


Ceruix, hals. ceruicosus, fir. 
Ceruical, oercussen. 

Ceruus, hert. Cerua, hinde. 
Ceruisia, bier. 

Cerusa, nomen mulieris. 
Ceruinus, herten. 

Cesar, Keiser. Cesaries, haer. 
Cespitare, resche steken. 


Ceterum, voert aduerbium. 

Cetera, dandre nomen. 

Ciatus fiole, vas quoddam. 

Cibare, spisen. Cibus, spise. 

Cibarium, idem. Cicada, lerikel. 

Cicatrix, reiken van wonden. 

Üicer, en cruet. 

Ciconia, odeuaer. 

Ciclus, reep uel rine. Cicuta, sceer- 
line. 

Cidarus, bisscops crone. 

Cignus, swaen. Cilicium, en here. 

Cilex, lap. Cilium, wintbrauwe. 


*) Vorbemerkung. Die Schrift ist sehr undeutlich, so daß man öfters verschieden 
lesen kann, besonders sind ἢ u. u, e u. t, ce u. ct, tt, el einander sehr ähnlich. [Vgl. 
das nahverwandte Glossar aus cod. Bern, 641 in Grafis Diutiska II, 195 ἢ, von 


S, 205° an, K, B,] 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 97 


fol. 1° col. II. 


Cimbalum, instrumentum musicum. 

Ciminum, eimiin. Cinis, asche. 

Cimamomum, ...... 

Era... 

Cingere, gorden. 

Cingulum, goerdel. 

Cingla, der goerdel. 

Cinara, instrumentum musicum. 

Cinetus connextio g..... 

Cincinnus, gespe uel coniunctio 
capillorum. 

Cinoglossa, honsriwe. 

Cinomiam, honsvlieghe. 

Ciniphos, idem. Ciphus, nau. 

Cipressus, cipressenboem. 

Cipressinus, cipressenhout. 

Cippus, en stoc in ec.... 

Ciprus, cipre. 

Circa, alomme. Circum, idem. Cir- 
citer, idem. 

Circumquague, alomme οἷ ©..... 

Circumdare, omdoen uel..... 

Circinare, ontgaen uel...... 

Circinus, pellere uel warer rine. 

Cireulus, rine uel reep. 

Circuire, omgaen. 

Cireuitus, omganc. 

Circumsidere, besniden (leg. eircum- 
sidere). 

Circumsicio, besnidinge. 

Circumlimire...... 

Circumscribere, omskriben. 

Circumscriptio, omscribinghe. 

Circumuenire, bege.... 

Circumferre, omdragen. 

Circumstare, omsteen. 


fol. 1” col. I. 


ἐπ fragum, en taerte. 
Cirene regina libie. 

Cirogra de cramp in de hant. 
Cirogia, ersitterie. 

Cirrogieus, ersitter van wonden. 
Cirogrillus, eghel. 

Cirrus, en rant. 

Cirpus, iuncus sine nodo. 
Cirpeus, van biesen. 


σι 


Cis, in dis side. Citra, idem. 

Cisterna, en dreef putte, ubi colli- 
guntur aquae pluuiales. 

Cista, kiste. 

Cisma, werringe. 

Cismaticus, en werrer. 

Citus, snel. Cito, snellike. 

Cithara, harpe. Cititus est herba. 

Citharizare, harpen. 

Citharedus, en harper. 

Citropedes, vasa ad coquendum 
cum tribus pedibus. 

Citare, dagen. 

Citatus. 

Ciuitas, en stat. 

Ciuis, borger uel porcer. 

Ciuilis, poercerlee. Ciuiliter, idem. 

Clades, plage. Clam, heimelec, 

Clanculum, clandestinus siue oc- 
eultus. 

Clantosus, occultus dubius. 

Clamis, mantel. 

Clamare, roepen. Ulamor, ropinge. 

Clamosus, roependen. 

Clangere. 

Clangor, tuit. Clarus, claer. 

Claritas, elaerheit. 

Clare, claerlec. 


fol. 1° col. I. 


multarum nauium. 

Classica, busine. Clauus, naghel. 

Cluis (leg. clauis), slotel. Claua, 
colue uel celup. 

Clatros, repagulum stabili. 

Clauatus, ghenaghelt. 

Clauiger, sloteldreger. 

Claudere, sloeten. 

Clausura, slutinge. 

Claustrum, cloester. 

Clausula, clasule. 

Claudicare, hauten. 

Claudus, die haut. 

Clemens, genedich. 

Clementia, ghenedicheit. 

Clementer, ghenedelic. 

Clepere, stelen. Clepsedra, cap. 

Clipeus, seilt. ÜOlerus, cleriscap. 

18ὲ 


276 


Olericalis, elerelee. 

Clere, clerkele. Olericaliter, idem. 

Clientare, dienen. 

Clientia, dienst. 

Ulima, lantscap. 

Clingere (sie), luden. 

Cliuus, huepe. 

Clitella, sareina asini. 

Cluere exellere (sie) augere defen- 
dere. 

Cloacus, ganc. 

Uloacarius, ganc veghere. 

Coaceruare, hopen. 

Coagulare, runnen. 

Coagulum, runtel. 

Coagitare, tegader driuen. 

Coagula, matte. 

Coalescere, tesamen voeden. 


fol. 25 col. 1 


Coartare, persen uel dwinghen. 

Coaptare, ghevughen. 

Coangustare, persen. 

Cocus, coc. Coclear, lepel. 

Cochitus, fluuius infernalis. 

Coceus, roet, medius color inter 
erocetum (?). 

Coceineus roet, res coloris cocei. 

Coeuus, euenout. 

Coetaneus, idem. Coceinum, coceus. 

Coceinus na num, idem. Codex, 
boec. 

Coeternus, ewelec. 

Coartatio, beduuanc. 

Coherceri, bedwingen. 

Coequare, gheliken. Coequalis, ge- 
lie. 

Coclea, turris alta uel rotunda. 

Cocodrillus, animal quoddam qua- 
drupes. | 

Cogere, dwinghen. Cogitare, pensen. 

Cogitatus, ghedachte. 

Cognitio, kenninge. 

Cognoscere, kennen. 
(sic), maech. 

Congnatio, maechscap. 

Congnomen, toe naem. 

Congnominare, toe namen. 


Clientela, idem. 


Congnatus 


HERMANN HAGEN 


Coherere, tegader hanghen. 

Cohabitare, tegader wonen. 

Coire, tegader gaen. 

Cortus, brudinghe. _ 

Colaphus, halsslach. 

Colaphizare, halslaghen. 

Colere, arare, habitare, ornare, ho- 
norare, amare. 

Collaudare, tegader louen. 

Colera, dat bluet, quaedam humor 
(sie). 

Colericus, die dat bloet heeft. 


fol. 2° col. II. 


Colum, en zie. Colatorium, idem. 

Colimphia, panis azimus. Collis, 
mons. 

Colibates, samen gheliden. 

Collatio, collacie uel vergadernisse. 

Conferre, te samen traghen. 

Oolligere, te samen lesen. 

Collidere, te samen stoten. 

Collectio, samenninghe. 

Collecta, collecte. Colloga (sic), ge- 
selle. 

Collegium, gheselscap. 

Oolligere, te samen binden. 

Collum, hals. Colluctari, worstelen. 

Oollenus (sie), qui colit terram. 

Collare, sien uel tractum (?) emittere 
non cola... 

Collirida, paruulus panis. 

Colere, winnen. Colloqui, te zamen 
spreken. 

Colloquinchida, gruit. 

Oolloquineis idis, idem. 

Collobium, en cloet. 

Color, varwe. Colus, spinroe. 

Colorare, varwen. 

Collirium unctio ad detergendos 
oculos facta. | 

Coluber, slanghe. 

Columba, duve. 

Columbanus. 

Collibium, vile munusculum. 

Columpna, pilerne. 

Combinare, samenen. 

Combinatio, sameninghe, 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 


Comburere, burnen. 

Combustio, berninghe. 

Comedere, eten. Commestio, etinghe. 

Commandere, simul mandere. Co- 
mere, kemmen. 

Comitari, te samen gaen. 


fol. Ὁ ol. 


Comes, gheselle uel greue. 

Comedia cture hade(?) poetere s. 
de rustieis. 

Comicus, poete. 

Cominus, van bi. 

Commendare, loeuen. 

Commentio, lof. Commendatio, idem. 

Commessari, verscapen dicke. 

Commeare, te gader gaen. 

Commentum, glose, fraus, menda- 
cium. 

Commentari, glosen. Commentum, 
compositum. 

Commentator, glosere. 

Commentarium, glosinghe. 

Commentarius, a, um, expositarius. 

Commentariolum, idem dieimus. 

Comitiare, eligere, intronizare. 

Commitio, electio uel intronizare. 

Commilitare, torniren. 

Commilitationes, torniringhe. 

Commercium, mers uel societas. 

Comicus morbus caducus. 

Comicialis, idem. 

Committere, beuelen uel peccare. 

Comminuere, minren uel breken. 

Commissura, minringhe. 

Commissum, beuolen. 

Commiscere, menghen. 

Commixtio, menginghe. 

Commonere, manen. 

Comminisci, recordari, fingere, men- 
tiri, componere. 

Commolere, conterere. 

Commouero, berueren. 

Commotio, beruernisse. 

Commodare, lenen. Commodum, 
‚ghemac. 

Commoditas, idem. Commode, ghe- 
mecelec. 


fol. 2? eol. II. 


Comparare, copen uel geliken. 

Comparatio, ghelikenisse. 

Comparere, scine. 

Compago, let uel gheuoechnisse. 

Commutare, wandelen. 

Commutatio, wandelinghe. 

Communicare, moenghen. 

Communio, moenghinge. 

Communicatio, idem. 

Communis, ghemeine. 

Communiter, ghemeinlike. 

Compati, ontfarmen. 

Compassio, ontfarmenisse. 

Compater, ghevader. Commater, 
idem. 

Compatriota, lantscap uel lansman. 

Compes, veter. Competitus, ghe- 
spannen. 

Compellere. 

Compellare, toe spreken, uel simul 
uocare uel trahere in causam. 

Compescere, bedwinghen. 

Compensare, gelden. 

Conpendium, cortheit. 

Conpendiosus, ei orblec (Ὁ). 

Condieulus, tukel. 

Conpingere, coniungere. 

Compitalia, festa. 

Compendiri (sie), becorten. 

Competere, ghevoeghen. 

Competenter, ghevoechlec. 

Complirare (sie, leg. compilare), 
samenen. 

Compilator, samener. 

Compungere, te samen drucken. 

Compitum, weghescede. 

Complere, v’wllen. 

Completor . .... 


fol 3° eol. 1. 


Delinire, soechten .... 

Delinguere, mesdoen uel laten.... 

Delietum, mesdaet. 

Delirare verwisselen uel deuiare 
uel discordare, 

Delirus. verwisselt. 


278 HERMANN HAGEN 


Deliramentum, verwisseltheit. 
Delitescere, seulen. 
Delubrum, kerke. 
Deludere, bespotten. 
Demutulare, lemen. 
Demetere, af meyen. 
Demens, dom. 
Dementare, furere. 
Dementari deponens, idem. 
Dementia, dompheit. 
Demittere, neder laten. 
Demolire, verwoesten. 
Demoliri, idem deponens. 
Demereri, verdienen. 
Demergere, verdrinken. 
Demersio, verdrinkenisse. 
Demonion, duuel. 
Demonium, idem. 
Demoniatus, douende. 
Demonstrare, toenen. 
Demonstratio, toennisse, 
Demonstratiue, toenlec. 
Demorari, merren. 
Demuliere, sachten. 


Denarius, pennic uel ghetal van X. 


Denegare verloegen... 
Demigrare, versw.... 
Demigratio, versw.... 
Denodare, ontknopen. 


fol. 3° col. II. 
Denominatio, noemi.... 
Denotare, merken. 
Dens, tant. 

Denormia, irregulariter. 
Densare, dicken. 
Denudare, ontdecken. 
Deuincere, anderwerfen. 
Dehonestare, onteren. 


Deorsum, neder uel [hinderwJert. 


Depascere, af vi...en. 
Depellere, verdriuen. 
Dependere, onthangen. 
‚Deperire, vervaren. 
Depilare, haer [roepen]. 
Depingere, malen. 
Depigis, paruas hum..... 
Deplangere, elaghen. 
Deplieare, ontfoulten. 


Deplorare, ontweinen. 
Deponere, af doen. 
Depositio, onsettinghe. 
Depositum, beuolen dinc. 
Depulari (sic), verwoesten. 
Deposcere, heiscen. 
Deprauare, ergheren. 
Deprauatio, ergh.... 
Deprecari, bidden. 
Depreciari(?), ontlouen. 
Depredari, roeuen. 
Depraedatio, rouinghe. 
Deprehendere, begriepen. 
Deprimere, verdrucken... 
Depressio, bedruginge. 


fol. 3° col. I. 
Derisio, spot. 
Derisus, bespot. 
Derisor, bespotter. 
Deriuare, af comen. 
Deriuatio, af comingbe dieimus. 
Derogare, mespreken. 
Descendere, af gaen. 
Descensus, af ganc. 
Describere, bescriuen. 
Descriptio, bescriuinghe. 
Deserere, begheuen. 
Desertum, wuestine. 
Desertor, wuester. 
Deserpere, plouken. 
Desecare, te sniden. 
Deseuire, wroec siin. 
Deses, trege. 
Desidiosus, idem. 
Desidia, trecheit. 
Desidiose, trechleke. 
Designare, bewisen. 
Desinere, af comen uel laten. 
Desilire, neder springhen. 
Desipere, versetten (?). 
Desistere, laten. 
Desolari, mestroesten. 
Desolatio, mestroest. 
Desperare, onthopen. 
Desperatio, onthoepenisse. 
Desperabiliter, onthoepeleke. 
Despicere, versmeen. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 


Despectio, versmenisse. 
Despondere, beuelen. 
Desponsare, ondertrouwen. 


fol. 3° col. II. 

Destinare, seinden (?). 

Destituere, ont doen uel stare. 

Destitutio, ont doeninge. 

Destruere, te storen. 

Destructio, vernilinge (?). 

Desudare, pinen. 

Denescere (sic, leg. desuescere), ont- 
winnen. 

Detegere, ontdecken. 

Deterrere, verdriuen. 

Detergere, wisscen. 

Deterior, argher. 

Detestari, verduemen. 

Detestatio, verduemnisse. 

Detendere, ontspannen. 

Detrahere, mespreken. 

Detractio, mesprake. 

Detorquere, ontdrayen. 

Detrimentum, scande uelminrenisse. 

Detrudere, verstoten. 

Detruncare, versniden. 

Deus, god. Dea, godinne. 

Deterenomium graece interpretatur 
secunda lex latine, i. repeticio 
legis et dieitur a teuteron quod 
est secundum et onoma quod est 
lex. i. secunda lex. 

Deitas, godheit. 

Deificus, godelec. 

Deuirare, duasen. 

Deuastare, destruere. 

Dehere(?), voren. 

Deuexus, afge. 

Deuitare, seuwen. 

Deuouere, ghelouen uel versmeden. 

Deuotus, vlithech. 

Deuotare, maledicere, vota frangere. 


fol. 4" col. 1. 


Bars: ‚ begeerlec. 

Deuoluere, weintelen. 
Deuorare, verslinden. 
Deuorator, verslinder. 
Dextra, rechter hant, 


279 


Dextrare, ad dextram ducere. 

Dexter, rechter. 

Dextrochirium, ceirheit. 

Dextrarius, ors. _ 

Dextrariolum, idem. 

Dextralea, gheterse dinghe uel or- 
namentum quoddam. 

Dyabolus, duuel. 

Dyaconus, dyaken. 

Dyacon, idem. 

Dyadema, conincs crone. 

Dyagogus, die tale die situespreken. 

Dyaconium, ministerium. 

Dyafonia, duleis cantus. 

Dyana, filia Jouis uel latine. 

Dyaletica, i. loyca (logica). 

Dyapsalma. 

Dictio, wort. Dicax, seggende. 

Dyalis dieimus seruiens pro praecio. 

Dica, en kerfstoc. 

Dichtare, dichten. 

Dichtator, dichter. 

Dietamen, dichte. 

Dicare, uouere, consecrare copl’are. 

Didasculus, en meester. 

Didragma, ghewichte tenens ὁ (sic) 
dragmas. 

Dies, dach. 

Dieta, dachvart. 

Diurnus, dagelee. 

Dietare, verdaghen. 


fol. 4° col. II. 


u,.ehe.a0 cl ce a, aaa are ὦ πὴ ν 


Dilatio, verst.... 
Diffieilis, swaer. 
Diffieultas, swaerheit. 
Diffieiliter, swaerleke. 
Diffidere, mestruwen. 
Diffidentia, mestruwen. 
Diffinire, enden. 
Diffinitio, endenisse. 
Diffiteri, mesleken. 
Diffundere, ghieten. 
Diffusio, vte ghietenisse. 
Digestus, liber legalis. 
Digitus, vinger. 
Dignari, ghewerden. 


280 


Dignitas, werdicheit. 

Dignatio, idem. 

Dignus, werdich. 

Digne, werdeleke. 

Diete, τὴς. τς 

Discophora est qui sunt discos uel 
est da.... 

Discriminale est quo crines religan 
BR uel ornamentum capitis. 

Discriminare, capillos diuidere. 

Diserimen, anxt van stride uel.... 
distantia uel illa linea que app; 
ex diuisione capillorum in summi- 
tate capi.... 

Dindima est sedes angelorum uel 
uas in quo ponitur semen. 

Digredi, mesgaen. 

Digressus, mesganc. 

Digressio, mesganchenisse. 

Dilaniare, scoren. 

Dirumpere, idem. 


fol. 4° col. 1. 


Dirigere, recken. 
Directio, gherichte. 
Diripere, benemen. 
Dirigere, herden. 
Dirimere, sceeden. 


Dirutus ..... destructus. 
DDirdere ..... werpen. 
Πρ: τσ λ: rect. 


Discere, leren. 

Diseipulus, iunger. 

Diseiplina, leringe uel correctio. 
Discumbere, sitten eten. 
Discubare, idem. 

Dispendium, en ghewichte, 
Dispas, slange. 

Discubatus, etinge. 

Discus, ludus uel scutella. 
Disiungere, ontvoeghen. 
Disiunctio, ontvoegenisse. 
Dispar, ongelike. 

Dispare, ongheliken uel verweden. 
Dispergere, sprayen. 

Dispersio, spraynghe. 
Dispensare, besetten. 
Diseipulatus, gheleert. 
Disciplinare, casteien. 


HERMANN HAGEN 


Discedere, en wech gaen. 

Dissidium, onminne. 

Disceptare, disputiren uel confun- 
dere (leg. contendere). 

Disceptatio, disputatio uel contentio. 

Diseriminare(?), ontellen. 

Discernere, besceiden uel ghe- 
spreke. 

Discretus, besceideleke. 

Diserepare, discordiren. 


fol. 4" col. II. 


Discingere, ontgorden. 

Discolor, mennich varwech. 

Discolus, indoetus uel onstedech. 

Discooperire, ondechen. 

Discordare, ongevoegen. 

Discordia, onminne. 

Discors, stridende. 

Discus, scodeleer uel spel. 

Discuttere, onderwinden. 

Discutio, onderwindinghe. 

Dilectio, minne. 

Diligere, minnen. 

Dilabi, gliden. 

Dilapidatio, steininge. 

Dilatare, witen uel breiden. 

Dilatatio, widinghe. 

Diligentia, vliticheit. 

Diligenter, vliteleke. 

Diligens, vlitich. 

Diluere, dwanen uel destruere la- 
uando. 

Distemperare uel delere uel com- 
miscere uel liquere. 

Diluuium, vluet. 

Diluciare, erlichten. 

Dilieulum, morgenstonde. 

Dimetiri, meten. 

Dimensio, mate. 

Dimicare, scermen. 

Dimidiator, deilre. 

Dimidare, deilen ou... 

Dimidium, half. 

Diminuere, minren. 

Diminutio, minringhe. 

Diminutus, diminutum. 

Dimittere, laten. 

Dimouere. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN., 281 


II. Althochdeutsche Glossen aus Bern, Pflanzennamen u. 8. w. 


Die hier aufgeführten Glossen saec. XII fanden sich auf zwei 
Büchereinbänden auf der Berner Stadtbibliothek, s. meinen Katalog 
der Berner Handschriften p. 513 (nr. 722, 1). Es hängen je zwei Blätter 
zusammen, welche von einer spätern Hand mit den Nummern 45, 46, 
65 u. 70 bezeichnet worden sind. Ein drittes Blätterpaar, das ich von 
einem ferneren Buche ablöste, enthält zwar keine altdeutschen Glossen, 
gibt aber dafür Aufschluß über die Bedeutung des Werkes. Es ist näm- 
lich eine Bearbeitung (resp. ein Auszug) aus Isidor’s Etymologiae: 
jenes Blätterpaar mit 18 u. 21 bezeichnet, handelt von der Grammatik 
und den Redefiguren in engem Anschluß an Isidor. Ich bezeichne die 
Blätter mit 1", 1? etc. Über die Provenienz derselben gibt folgendes Vers- 
paar Aufschluß, welches sich auf f. 1’ am obern Rand befindet, von 
einer Hand saec. XIV: 

Femina, securis accuta, cliensque fidelis: 
Hec tria Parisius nunquam uel raro videntur. 


£ 15. Interrusco, cortex mediana. 
Iris calcedonium irius radıx. 
Jacas uiscus. 

Irtus gladiolus. 

Istrignus, uua lupina. 
Insana simphoniaca. 

Iris africe gladiolus. 
Iuglandis pila cupressi. 


.... hemera. 

Gladiola, suertela. 

Gallipes uel gallicrus, hanenfuz. 
Git lolium, raten. 

Greganega, heiternezila. 
Girada, mägeräten. 


Humulus, hopfo. Ipsomitia cerosa. 
Heron lolium. Irıfieilis, vuatuurz. 
Hicteas, salieis arbor. Irius -i- gladiola uel lilium agreste. 
Hin flos rami. Intimatosis mensura. 
Hiuiscus altea. Ireus, watwrz. 
Hirotane, pisterion. Iosarum alba menta. 
Herobotane, ueruscina. Inola, älant. 
Hiringui, -i- c. capata. Intiba, härstrenga. 
Helon, sambuceus. Iringus, distel. 
Heloscorpius -i- titimallus. Iusquiamum, bilsa. 
louis barba, huswrz. 
Ietin -i- milium. Italica, wolueszeifala. 
Ietinos milium. Isca, zuntra. 
Isatis aluta. Ixion cameleonta. 
Ieropissa pice liquida. Inguinalis, peönia. 
Ierobulbu bubii agrestis. : 
Ipoquistidus sucus sentium. Kopros -i- stercus. 


Istipriuas nigras alumen liguidum. Kiamus, saba (leg. faba). 
Istafis agria -i- pastinaca siluatica. Kappareos, kapparis. 
Idromel, aqua mellita. Kambris, brasica. 


282 


Kalitricum sanguinaria. 
Krite ordeum. 


Larix -i- auena. 

Lemnia auripigmentum. 

Lasaris radice -i- silfitii radice. 

Libanarienus -i- thus masculo. 

Lothus trifolium. 

Libana, mannis -i- labani puluis. 

Litargiro, spuma argentea. 

Lelfifagum -i- sclareda saluia. 

Litridos cucumere amara. 

Lapatus, lapatium. 

Leptocaria auellana. 

Libanotus uel libanothidis -i- ros 
marino. 

Libano, thus. 

Laurus alexandrinus. -i- uietoriola. 

Leontipodium, pes leonis. 

Lactiua (sic) agreste -i- surracla. 

Lotana, ueruena. 

Lembago, saxifraga. 

Lipparos, pinguis. 

Lactuca, traepidicas. 

Lentrulibano, ros marinum. 

Lappa, herculiana cappeus. 

Lipparis -i- alumen liquidum. 

Linocostidos, mercurialis. 

Locium pectus. 

Lachinas inpetigines. 

Linosperma, lini semen. 

Lupinum, ficbona. 

Lacteridia, spiwrz. 

Lubisticum, lubestikel. 

Lapacium, husleticha. 

Leonpodium, lewenwrz. 

Lanaria, wllina. 

Lappa, cletta. 

Lupipectina, magnus carduus. 

Lingua agnina, schafes zunga. 

Ligustra, hungebluma. 


Milantheria, erugo ferri. 
Miconus, papauer. 
Melanpilus, aganta. 
Maratro, senuculo. 
Merecurialis, herba colocasia. 
Meu.......liradio est sister. 


HERMANN HAGEN 


Magnefolium -i- personatia. 
Melan nigrum. 
a 

Mareidonis petrosilinum. 

Melan uel lipodia elleborus niger. 

Mandragora, morion, radix est si- 
milis homini. 

Mirifilon -i- millefolium. 

Melapius, edera in arbore. 

Maritima, bladona -1- raffanus. 

Melligratum, mel et uinum. 

Milizium, synape. 

Manu martis, quinquefolium. 

Meru, serpillum. 

Melanterium, atramentarium. 

Maura, peucedanus. 

Miricus tam mirice, cheidehe. 

Maurella, hilmibranda. 

Morbus regius, ieterica passio, gele- 
wesuth. 

Mirra stacten -i- mirra in lexiua 
lauata et inde renouata quia stac- 
ten dieitur einis de foco; stactis 
dicitur gutta de mirra ideoque 
differt inter stacten et stactis. 

Meatix, atach. 

Mediana petriniola 'i" faha. 

Mentastrum, fiseminza. 

Macedonicum, gires. 

Maratrum feniculum. 

Millefolium, garuwa. 

Menta, minza. 

Mora, tüpbere. 

Maura, druswrz. 

Millemorbida, druswrz. 

Miganus, bilsa. 

Maurella, bönwrz. 

Michomes, magensamo. 

Musica, vogelerut, similis eiceri. 

Malannus, ahhalm. 

Moron, hunerdarm. 

Musica animata, lebente muschela. 

Mastice resina iuniperi. 

Malua, papela. 

Marrubium, anthorn. 

Mora agrestis, swarzwrz. 

Marisca, grozdarm. 

Menta nigra, rosminza. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 283 


Nardostatius, spica. 

Nardoceltica -i- fasce gallico siue 
saluiola. 

Nepita, mentastrum. 

Nardo rustico, baccara. 

Nigella, raten. 

Nitrum, lütersalz. 

Nimphea, grensinc. 

Napeos, sinef (corr. 
napis. 

Nasturcium, crösso. 

Nareissus -i- uulus. 


senef) uel si- 


Origanum, tösto. 

Ocimum, girgila. 

Orbieularis, ertaffel. 

Öleum sueinum quod fit de cucu- 
mere agresti. 

Origanum, colenela hoc est corona. 

ÖOpio quirinaco, lasar. 

Opio miconi de papauere fit. 

Oppobalsamo, balsamo. 

Olcastrum, olisatrum. 

Odicos, ebulum. 

Olmunda, herba similis fenici. 

Opio, papauer. 


Pitireus filix. 

Piganon ruta. 

Pristerion herba columbaria uel 
uerbena. 

Paliurum, eicer domesticum. 

Prassion, marrubium. 

Panoristum, semen rute. 

Pane afro, sigiline. 

Poligonus sanguinaria. 

Proserpinaca centenodia -i- wege- 
treta. 

- Petrosilium, olisatrum. 

Pentafilon, quinquefolium. 

Papiscus, satirion. 

Peucedanus, herba satenaria. 

Politricus, capillus ueneris. 

Pontica auellana. 

Pigra amara. 

Purgatorium lacter. 

Pales cotilido umbilicus ueneris. 

Panacus regius liuistici radices. 


Pollinaris iusguiamum. 

Pollipodia, farm. 

Peripleumonia uicium pulmonis. 

Pleuresis, dolor uentris. 

Pitatia mensula. 

Pusca, acetum et aqua. 

Poliacaria sanguinaria. 

Personatia lappa. 

Portulaca, purcelen. 

Petrosilinum, pfitersele, 

Plantago, wegerich. 

ΤΟΣ 

Potentilla, grensine. 

Pertinaca, morhela. 

Papauer, ueltmago. 

Pastinaca siluatica, ueltmorehela. 

Proserpina, rithachel. 

Polipodium, steinfarm. 

Polion herba, flos eius mane can- 
didus, meridie purpureus, uespere 
ceruleus. 

Pancrista, ruta. 

Pladonna, wllina. 

Panicium, fenich. 

Pulpedo, hanenwrz. 

Pepo, pfedema. 

Perforata basilia. 


Quinoradix, rosa canina. 
Quinoglossa, lingua canina. 
Quiamus, faba. 

Quorius, erocus. 
Quiromion, cipa. 
Quiitrada, butracion. 
Quinopodion, poligonus. 


Radiculalanaria (sie) -i strucio. 
Rumice lappa. 

Riza radix. 

Ramnus, spina alba. 

Radix nutica accorus. 

Rubus cepsa agr. 

Ratricla, uitragine. 

Rubu, sentice. 

Resina terebintana -i- nauigia. 
Rafanus, radix. 

Riuula, clina. 

Rosmarinum, lauendula. 


284 


Rumicedo, bram löb. 
Reumatica, chranehesnabel. 
Ratilia, turnella. 
Ramumulum, huntestille. 
Raphanum, merretech. 
Rumex, brama. 

Radix, retech. 
Radegudium, merretech. 
Ramica, brama. 

Ruta, ruta. 


Rapa, ruba. 


Sieinocordium -i- lentisci comas. 

Socordion, allium. 

Staphilonos, pastinaca agrestis. 

Simphitum, anagallicum. 

Sicamina, morus. 

Sinonus pipereuli. 

Spinoantus flores lentisei uel silice. 

Siecion sperma, cucumeris semen. 

Syon herba similis olisatri, quae in 
paludibus inuenitur. 

Stacten cene de fico. 

Stactis, gutta de mirra. 

Stafidas, uua passa. 

Silfio radix lasaris. 

Squilla uidua. 

Splenion, scolopendria. 

Stipteria, balaustium siue mali gra- 
nati flores uel alumen scitiso. 

Siliqua ceracia. 

Sperma, semen. 

Septineruia, plantago. 

Sapho simphoniaca. 

Sidirites pibinella. 

Sideritis panacus. 

Sarminia cerefolium. 

Seistis, alumen. 

Strumus uua lupina. 

Sionus siriacus nigella. 

Solago maior -i- irius. 

Scumaria, morhela. 

Silinus apius. 

Sparagus meagantus. 

Sinonus, wihunt. 

Sanguinaria, spuregras uel wege- 
treta. 

Scortia, rinta. 

Sapa coctio herbarum. 


HERMANN HAGEN 


Sinterea, nuzsuch. 

Sprintilla, nieswrz. 

Scerofas, uermes. 

Scoliasmos carduus niger. 

Scotomatiei qui uertiginem paciun- 

tur. 

Stafidia uua passa. 

Sisimbrium lappadatium. 

Sparga, heirbeswrz. 

Singeuona, perewinca. 

Satureia, quenela. 

Serpillum, ueltquenela. 

Solsequia, ringela. 

Simphoniaca, bilsa. 

Scolopendrium, hirzes zunga. 

Sisimbria menta nigra. 

Septineruia, wegebreita. 

Sanguinaria, wegetreta. 

Sisagria V. digitorum. 

Sigillum salomonis, magerato. 

Sarminia, wiltkeruela. 

Silinon apium. 

Sinalagria cucumer agrestis. 
f: 2°. 

Samsucus, lauendula. 

Sauiua seuenbom. 

Sambueus, holenter. 

Siliqua, sprachila. 

Salatrum uel solago uua canina, 

huntespere. 

Solarega, scherlinc. 

Senecion, beinwrz. 

Semen ammeos, wilde morachsamo. 


Thus libanus. 

Tassıs, menta. 

Trieonion, uerbena. 

Tiphones, dracontea. 

Testiculum leporinum 
herba. 

Theorica, urtica. 

Tibapperus sulphur uiuum. 

Triscalanus yperico. 

Terebintina resina optima. 

Tauricollum, gluten taurinum. 

Tasia -i- ferula :i- amindola (?). 

Tiriaca uetonica. 

Teraon dracontea. 

Terre malum ciclamma. 


satirion 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEREN. 


Trigantes artemesia. 
Tarmus lupinum. 


Tribulis radix qui moras per terras 


facit et dieitur rubus. 
Timbra siluatica satureia. 
Tormentalis saurion. 
Talpiriola dracontee similis. 
Tanaceta, reineuano. 
Tubura, ertnuz (?). 
Tormentilla, fiewrz. 
Trifolia, güchesampfro. 
Taipiriola, scherewrz (?). 
Termus lupi, wolfeswrz. 
Timus, binsöga. 
Titimallum, brachwrz. 
Titimalla, gallatite. 
Trifolium, ele. 


Veratro -i- elleboro nigro. 
Unfacion flos uitis. 
Virgine mercurialis. 
Vedon, saluia, 
Vertipedium uerbena. 
Vinum diureticum -i- 
Uua lupina strignus. 
Uua canina strignus. 
Vitis canı saxifrica. 
Viperina simphoniaca. 
Veneria accorus. 
Valeria i- eronia uel ricinus. 
Umfaceio mustum. 
Vermiculus, wormo. 


uetus. 


.... ne sceleris. 
Circumforanus, qui uacationis 


Verminalis, berewinke. 
Wigago, haselwrz. 
Vulgame, haselwrz. 
Viseus, mistelle. 
Verbena, isincletta. 


Xirobalsamo -i- lignum balsamum. 


Xifio gladiolum. 
Xiris gladiolus. 
Xeris agrion -i- saba. 
Xynarica -i- croco. 
Xirim sicco. 

Xira sicca. 


Yrigerontus senecione. 


Ydropiperi -i- piper montanum. 
Yscos -i- uiscus de quereu. 


Zimi fermentum. 
Zion semper uiuo. 
Zimlax trifolium. 
Zimerenis mirra. 
Ziperis gallas. 
Zema sucus. 

Zoa anımalia. 
Zizifu einobatus. 
Zıa senitione. 
Zizania lolium. 


Zazara herba est quam bisimon 


comedit. 
Zuzur, zituar. 


3%: 


causa circa forum uagatur., 


Susurro a sono locutionis uel mussitator, rümire. 


Optrectator, bisprech£ere. 
‚ Adulator, smeichere. 
Rumigerulus, meresag£re. 


Nugigerulus garrulus turpis nuncius. 


Futilis, sägere. 


Discipulus a disciplina, disciplina autem a discendo. 


Dilectus a diligentia. 


Defessus infirmus, quasi diu fessus. 
Delibutus quasi de oleo unctus. 


986 HERMANN HAGEN 


Pagani a pago atheniensium. 

Debilis quod per bilem factus sit fragilis. 

Decolor quod desit illi color. 

Dolosus quod deludat. 

Delator quod detegat quod latebat. 

Demens idem quod amens -i- sine mente. 

Degulator quod gule sit deditus. 

Desipiens quod minus sapere incipiat quem solebat. 

Eruditus quia non rudis, sed iam doctus. 

Mulcator quod blandis uerbis mulceat, lintlochare. 

Impostor, trüginere. 

Ypochrita simulator, glige sehte (sehre?): ypo falsum, cerisin iudieium. 

Sincellita, ges@llo. 

Ingeniosus, quod intus uim habeat gignendi quamlibet artem. 

Inuentor, quod in ea quem (sic) quaerit inuenit. 

Interpres, quod inter partes medius sit duarum linguarum. 

Iustus qui iura custodit. 

Indolis est proprie imago future uirtutis. 

Iocundus quod sit iocis aptus. 

locosus iocis usus. 

Incolumis a columna nomen habet quod sit erectus. 

Infirmus quasi sine formo -i- calore. 

Inbeeillis sine baculo fragilis et inconstans. 

Iracundus quia accenso sanguine in furorem compellitur: ur (510) flamma 
dieitur et ira inflammat. 

Iratus ira actus. 

Demoniosus, tüfelsuhteger. Item energuminus uel epilenticus uel arrep- 
ticius. 

Versipellis quod in diuersa uultum et mentem uertat, wanclicher; inde 
uersutus, vngetruwer. 

Verbosus loquax, kallere. 

Bucco uel babulus, kronere. 

Bucones stulti rustici. 

Assertor testis, urchunde. 

Ambifarius duplex. 

Astrofus malo astro natus. 

Apochrisiarius summus uel secretus legatus. 

Arrogans uel iactans, rümere, 

Abrogans humilis nil iactans. 

Filaudus se ipsum laudans, 


Ne 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 287 


Selectus singulariter electus. 

Baburrus stultus ineptus ebes. 

Capularis morte dignus. 

Calamistratus qui calamistro -i- acuto ferro cerispatus (810). δ 
Caduceator, sünere. 

Citimus uel extremus ultimus. 

Concionator allocutor. 

Diseolis indoctus, indiseiplinatus uel agrestis. 

Insomnis sine somno. 

Delirus, töbenter, mente defectus per etatem. 

Pernix a pern..iendo -i- in conatu perseuerando uel pernix -i- uelox 


pedibus. 


Disparilis dispari similis. 


Exspes -i- sine spe, uezuivelenter. 
Ceruicatus dure ceruicis. 
Effeta dieitur mulier quae parere iam cessauit. 
Effractor quod sit claustrorum expugnator. 
Exertus in loquendo expeditus. 
Fretus adiutus. 
Fautor adiutor. 
Expertus multum peritus. 
Expers qui est extra periciam. 
Exornatus ualde ornatus. 
Expers quasi extra partem. 
Exul quia extra solum suum est. 
Fastus tumidus, stölzer. 
Faustus felix; infaustus infelix. 
Fo 
Extorris || expulsus, quia extra terram suam est. 
Exterminatus quod sit extra terminos. 
Egens et egenus sine gente et sine genere. 


'Exiguus multum egens. 


Efferatus mente efferina effectus. 

Gnarus, wizzeger. 

Facundus quod facile fari possit. 

Facetus quod iocos et ludos gestis et factis commendat, a faciendo dietus. 

Fidelis quod sit id quod diecit uel promittit bonum. 

Fortis quia fert aduersa. 

Formosus a formo -i- calido, feruor sanguinem mouet, sanguis pulchri- 
tudinem. 


φῶ HERMANN HAGEN 


Fragilis quod facile frangi potest. 

Fessus quia fissus nee iam integer salute. 

Fatigatus quasi fatis agitatus. 

Fatuus quia neque fatur quod ipse neque quod alii dieunt intelligit. 

Fallax, quod fando decipiat. 

Frendens, quod minando frangat dentes. 

Facinorosus a facto commisso. 

Flagieiosus quod semper flagitet -i- appetat libidinem. 

Fecunda quasi fetu abunda. 

Flens quasi lacrimis fluens. 

Grandeuus quasi grandis euo. 

Gratus gratiam seruans. 

Gratificus quod gratis faciat bonum. 

Gratiosus quod plus unicuique quam meretur tribuit. 

Ganeo luxuriosus. 

Humilis quasi humo accliuus. 

Honestus quod nihil habeat turpitudinis. Quid est honestas nisi perpe- 
tuus honoris status? 

Honorosus plus est quam honoratus, sieut scelerosus plus quam scele- 
ratus. 

Hirsutus quod pilis sit horridus. 

Feculentus sordidus impurus. 

Hircosus qui de sudore corporis putet. 

Inuisus, häzlicher, ab inuidia. 

Inuidiosus qui ab alio patitur inuidiam, inuidus ab inuidendo felieitati 
alterius. 

Intestabilis ceuius testimonium non ualet. 

Intestatus sine testimonio. 

Infamis non bone fame, ummärer. 

Cinicus caninus. 

Immunis minime munificus sine munis -i- offieiis. 

Inficiator negator, qui ueritatem non fatetur, sed mendacium. 

Interceptor proprie dieitur qui inter duos de medio tollitur. 

Infrenis qui frenis non regitur. 

Infrendens comprimens dentes, unde nefrendes infantes qui heedurh 
dentes habent. 

Immanis quia non bonus sed terribilis: manum enim bonum dieitur. 

Iners sine arte. 

Ignauus ignarus uie Ἵ rationis et uite. 

Inops quia sine ope hoc est terra. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 239 


Inconsultus quod non aceipiat consilium. 

Impensus, flizzeger. 

Viabundus (sic) metuens. 

Setus (sic) apertus. 

Inuestis sine ueste. 

Scurra spottEre, qui sectari quempiam solet cibi gratia, uel scurra nä- 
sch£re. 

Litator, opferere. 

Elimatus -i- politus. 

Longanimus magnanimus, starcmüteger. 

Pusillanimis, luzzelmüteger. 

Luculentus lingua clarus. 

Munificus, gebelicher uel quod munium suum -i- offieium bene adimpleat. 

Munifex qui munera fert. 

Nazareus a loco. 

Edilis magister edium. 

Osor graece inimicus. 

Lector a legendo -i- percurrendo uel a colligendo animo quae legit. 

Loquax non est eloquens. 

Letus a latitudine. 

Locuples quasi locis plenus. 

Liberalis quod libenter donet. 

Orbus quod liberos non habeat, quasi oculis amissis. 

Proscriptus cuius substantia fisco asscribitur. 

Tesus inuisus exosus. 

Pellax fallax dolosus a pelle -i- ...... 


f. 4°. 
RR. .. eulo qui longissima ex se fila generat quorum textura bombi- 
einum dieitur. 

Serica quod ea Seres primi miserunt, sidinröc. 
Oloserica tota serica. 
Tramoserica stamine lineo, trama ex serico. 
Olofora tota ex purpura. 
Moloeinia uel melocinia uel maluella, quae maluarum stamine confieitur. 
Bissina candida, confecta ex genere lini grossioris, zuilich. 
Polimita uel multicolor, giggelüechroc. 
Gilbea tunica, geleroc. 
Purpurea, pürperün röc. 
Ferruginea uel nigra, suuarzroc. 

GERMANISTISCHE STUDIEN. II. 19 


990 HERMANN HAGEN 


Linostema uestis est ex lino lanaque contexta dieta quia in stamine 
linum intra lanam habet. 

Recta'dieitur uestis 'quam sursum uersum stantes contexerunt. 

Secmentata zonis quibusdam et quasi praescisamentis ornata. 

Trilex, drilech. 

Bilex, zuilich. 

Simplex, einlich. 

Trilices a tribus lieiis, quae est et simplex (cod. simpex) et biplex. 

Leuidensis quod raro filo sit leuiterque densata. Ze 

Pauitensis (leg. Grauidensis) contraria leuitensi dieta quod grauiter 
pressa atque calcata sit. 

Citrosa quasi crispata uel conscripta ad similitudinem eitri. 

Velenensis tunica quae defertur ex insulis quae citro sunt. 

Exotica uestis peregrina de foris ueniens. 

Accupita uestis acu textilis uel acu ornatu (sic) quae et frigia a loco 
ubi fit uel inuenta est. 

Ralla uel bullo quae uulgo rasilis dieitur, scarlächen. 

Interpola uestis dieitur quae dum sit uetus ad nouam speciem recurrit. 

Pannucia dieta quod sit diuersis pannis obsita. 

Stupeum uel colobium awirkin roc. 

Colobium dietum quod longum sit et sine manicis. 

Tebitonarium colobium lineum sine manieis quali Egiptii monachi 
utuntur. 

Lumbare quod lumbis religetur. 

Limus uestis quod ab umbilico usque al pedes produeitur; nam limum 
obliguum dieitur. 

Lieinium quod textura eius ligata sit in totum quasi liginum. 

Camisia h&mede, quod in his dormimus in camis nostris, idest in stratis 
nostris. 

Camisile h&midelachen. 

Femoralia quod femora tegant. Item brace quod sint breues. 

Lubrieos uocatus quod tibias brachasque tegant. 

Lubriei quod a braeis usque ad tibias perueniant. 

Armelausa tunica quae ante et retro est diuisa, geslizzet röc quasi 
armiclausa. | 


De proprio quarundam gentium habitu. II. 
Quibusdam nationibus sua cuique propria uestis est, ut Parthis 
sarabare, Gallis linne, Germanis renones, Ispanis stringes, Sardis ma- 
struge. Barbare uel saraballa sunt fluxa uestimenta. Apud quosdam 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 291 


sarabare sunt quaedam taegmina capitum. Linne sunt saga quadra et 
mollia. Renones sunt quaedam tegmina humerorum ‚et pectoris usque 
ad umbilicum, quos uuolgo reptos uocant eo quod longitudo .uillorum 
quasi reptat. Mastruga kürsena quasi monstruosa quod qui ea induun- 
tur quasi in ferarum habitum transformentur. 


De palliis uirorum. III. 
Pallium lächen a pellibus quia prius super indumenta pellieia ueteres 
utebantur, quasi pellea siue palla per deriuationem. 
Clamis mantel. 


f. 4°. 
Fibula nüschil, sed fibulum subligaculum. 
Toga quod uelamen... corpus tegat. Est autem pallium purum forma 


rotundum, quo Romani in pace utebantur, belli autem tempore 
palumento (sic). 

Toga palmata quam merebantur hii qui de hostibus ἘΠ ΤΩΣ reportabant. 

Toga candida uel cretata qua potentes (leg. petentes) utebantur. 

Toga praetexta quae in senatu a philosophis induebatur. 

Trabea erat troge (sie): species a purpura et cocco qua ρον Roma- 

norum reges inicio procedebant. 

Toga pulla toga nigra. 

ag toga pura. 

Paludamentum erat insigne pallium imperator um. 

Cielas graece eircumtextum latine quia est rotundum pallium. 

Diplois graecum nomen est quod sit duplex' amietus. 

Sagum est Gallicum uestimentum quadrum. 

Penula est pallium cum fimbriis Jeush 

Lacerna közzo. 

Mantum Spani uocant quod. manus: tegat  tantum. Est enim ‚breue 
amictum. 

Pretexta puerile pallium quo usque ad XVI annos pueri nobiles ute- 
bantur unde praetextati pueri, et dieta quia praetexebatyr ei latior 
purpura. 

Birius Graeei non birrum, kappa uel kozzo. 

Crista camb. 

Melotes, quae et pera, pellis est caprina a eollo 'pendens praecincta 
usque ad lumbos et fiebat prius de ΩΣ melorum ‚unde et 
dieitur. 


Timbrie zötun. are 
1977 


292 HERMANN HAGEN 


Capitium höbetloch. 
Collurium halstuch. 
Liginne lesun. 


De palliis faeminarum. V. 


Regillum est praelautum reginarum amiculum unde et dictum. 

Peplum hobetlachen. 

Palla quadrum pallium muliebris uestis deductum usque uestigia. 

Stola matronale operimentum quod cooperto capite a dextro humero in 
leuum ponitur. Ipsum rieinium dieitur rühela, quod eius dimidia 
pars retro reieitur, quod uulgo dicunt mauortem. Vocatum autem 
mauortem quasi Martem: signum est enim maritalis dignitatis. 

Amiculum est pallium lineum meretricum. 

Theristra palliola sunt muliebria dieta quod in theri, hoc est estate 
et caumate corpora tegant mulierum. Risa. 

Anaboladium amictorium lineum feminarum quo humeri tegantur, quod 
Graeci uel Latini sindonem dicunt. 


De stratu et de reliquis quae in usu habentur. VI. 

Stragulum est uarium, u@hlächen, dietum quod et in stratu et in amictu 
aptum sit. 

Ludices a ludis theatris quibus iuuenes de lupinari (sic) egredientes 
caput ob uerecundiam tegebant. 

Fulchra ornamenta lectorum dieta quod in his fulcimur -i- sustinemur. 
Item stratoria uel lectisternia. 

Fuleitrum federbette quod calcetur -i- farciatur plumis. 

Ceruical cüssin, quod ponatur sub ceruice uel cubitu. Item puluillus a 
puluinari quod est diuitum lectus. 

Tappeta t&ppit quod pedibus primum sternerentur quasi tapedia. Simpla 
tapetia quod una parte uillosa. 

Amphitappa ex utraque parte uillosa. 

Capitale pfulue. 

Fomentum wänkussin. 

Mantelia nunc pro operiendis mensis sunt quae ut nomen ipsum.. 


III. Altdeutsche Glossen aus Bern, Pflanzennamen. 

Cod. Bern. 224 saec. X f. 73’ am Rand, von derselben Hand, 
welche die formulae iuris aus Elsaß schrieb, die im J. 1872 zur Feier 
der Einweihung der Straßburger Universität überschickt wurden. 


Lanugo(?) -i- Elephantinus morbus Lapatium ledecha. 
geleuuasuht. Colona @) Haganbuocha. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 293 


Nucarium Nuzbaum. Acer Gundereba. 
Mercuriana Heimuurz. Diptamnus vuizuurz. 
Sinancus gula inflata. Centenodia vuegetreta. 
Caniculata Bilisa. Tanaceta reiniuano. 
Sarminia Feldkeruilla. Nymphea grensing. 
Balsemita Sisimbra. Millemorbia truosuurz. 


Eas cum ueterem et mel mixtum superpone tibiis scabiosis per dies ΝΠ. 


Git brotuurz. Symphoniaca bilisa. 

Boletum suam. Calcatrippa distil. 

Aprotanum stabeuurz. Rumix brama. 

Auellana hasal. Jouis barba husuurz. 

Asparaga hassenabulo. Foliotropia ringila. 

Ermindactile hailboubito. Atticum mel humbeles honeg. 

Riuola cliba. Balbutium husaluurz. 

Buceularis becchin (?) Cromilla suinuurz. 

Brasia Andorn. Sprintilla nessiuurz. 

Tormentilla figuurz. Vitis alba liela. 

Glandona vullina. Colofonia harz. 

Sperentilla Lideuurz. Simitia sollilacha (sulblacha Ὁ) 

Acitula antferra. Altea ubisca. 

Typus febris. Typus figura. Typus Lixa louga. 
Superbian....:..... Lactrica springa. 

Cinosglossa canis lingua. Malagma vaschi. 

Talo Achelmo. Artemisia biboz. 

Neruus crampho. Uuarantia rezza. 

Melida mel. Perdix rebhuon. 

Elna Alant. Intiba stur.*) 


Strigma aeleuurz. 


IV. Altdeutsche Glossen aus Bern, zu den Canones. 


Die auf den drei letzten Seiten des cod. Bern. 89 saec. IX—X 
befindlichen Glossen sind von Graff, Althochdeutscher Sprachschatz 
I praef. p. XXVIII durchaus richtig und vollständig abgedruckt, so daß 
hierfür nur die Bemerkung erübrigt, daß ein Theil dieser Glossen von 
der Hand des IX. Jahrhunderts herrührt, während die andern von 
einer Hand saec. X zwischen den Zeilen eingeschrieben sind. Es sind 


*) In demselben Codex 224 steht f. 74: am Rande rechts folgendes Heilrecept: 
AD MALAM UESICAM. In nomine sancte trinitatis. hiala. hiala. dulda. mala filana. 
Sanctus cristopharus sanetus abraham. Si clum sina. diuin diuin. In clina. clina. elina. 
Sanctus saturninus. AYOC.AYOC.AYOC. sanctus sanetus sanetus dominus deus omni- 
potens qui erat et qui est et qui uenturus est. Adiuro te trahi colarius per deum patrem 
et filium eius et spiritum sancetum ut mox euanescas in isto homine.N. nec amplius 
crescas. Eine Blutbesprechungsformel findet man in meinen Scholia Bernensia ad 
Verg. Buc. et Georg. p. 692 Anm, 


294 HERMANN HAGEN 


übrigens zur Mehrzahl lateinische Glossen. Dieses Glossar, das sich in 
der Überschrift selbst als ein Glossar zu den Canones kennzeichnet 
(INCIPIUNT UERBA. DIFFICILLIMA EXCERPTA DE CANONES 
INTERP.), ist am Ende verstümmelt und schließt beim Buchstaben P 
mit den Worten: 

Parsimonia pars. 

Prostipula meretrix. 

Praetulerit superposuerit. 

Keine Frage, daß in der verlorengegangenen Fortsetzung sich 
ebenfalls deutsche Glossen eingestreut befanden. Glücklicherweise lässt 
sich der Verlust ersetzen. In cod. Bern. 493 nämlich, welcher Miscel-: 
lanea von Jacob Bongars enthält, fand ich nr. 16 neben den obenge- 
nannten Glossen von P weg noch den Rest, welchen der fleißige Mann, 
der also den Codex noch ganz besaß, notiert hatte; und zwar mit der 
Angabe von Varianten eines zweiten Codex, der in der Borngarsiana zu 
Bern nicht zu finden ist. Es sind das folgende Glossen: 

Proteruus abuh. 

Pertinax abuh stritiger. 

Palliata pisuueifan. al. pisueifan. 

Refrisso contraetu farslizan erohant prahti. Alius farsliza nero hant- 
prahti. 

Raritatem fauum. In alio est fauuin. 

Reeconceiliatio antlazidha. 

Saltim dhohdhoh. 

Solieitare halon. 

Suggestionem manunga. 

Seorsum suntringon. 

Subuentum caholfan. Alius gaholfan. 

Ut scenices (sic) skemun. Scenices que. nudi cum feminis eoeunt. 

Vagando scahando. 

Vageque suuihando. 

Die Varianten stehen aber nicht nur zu diesem Theil, sondern 
auch zu der von Graff herausgegebenen Partie; hier sind es folgende: 
Ineommodum ungafuari. Alius habet ungaunuari. 

Inpudenter unscamalih. Alius unscamalihho. 

Indeuotus non deuotus unuuillic. Alius ungaunuillie. 

Maneipalibus (aliyus municipalibus) d"oraf festi. Alius dhoraffesti. 
Nihi obesse niuuent.niterre. Alius niterren. ; 

Außerdem stand im dem zweiten Codex noch eine a Bi 
im ersten fehlte: Is 
Inprobitas ungiuuan ° uel presumptio. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 295 


V. Alter Weinsegen aus Bern. 

In cod. Bern. 414 steht von einer Hand saec. ΧΗ auf f. 125 fol- 
gender Weinsegen: 

Salus de uindemiis. 

Ut refert sapiens, prudentis animus tribus temporibus uersatur, or- 
dinans praesentia, praeterita recordans, prouidet de futuris. Dieitur etenim: 
tela nocent leuius uisa uolare prius. 

Ob hoe, dilecte uillice (darüber elausarie), prae foribus considerans 
imminere uindemias, ab incapta (darüber: ex RmpTERIHR) ne decipi te 
contingat, cum dicatur: 

ex improuiso fallitur omnis homo, 
te moneo, quod prelo muniens bachinal eeterisque necessariis cantaros, 
dolia, colurnis (darüber: codie) conculis religata compacta caneis bacha- 
rinas (darüber: uasa uinaria) nee non onefora (sie, darüber: uasa) cum- 
que uasa balsarei (darüber: uini) propulsis acinis (darüber: granis) 
receptiua non differas praeparare. 


VI. Glossen aus Bern, zur Vulgata. 

Cod. Bern. 258 saec. IX. 

Derselbe enthält von f. 1-47” in zwei Columnen Glössen zum 
alten und neuen Testament, von da weg bis zum Schluß eine erkleckliche 
Zahl von Glossarien. Die Glossen für Vulgata eitieren Isidor, Augustir, 
die altera editio, Theodotion, Septuaginta, Symmachus, Oassiodor, Pom- 
ponius, Ovidius, Plinius. Darunter finden sich folgende bemerkenswerthe 
Glossen: 

f. 251 Pincerna butticularius. 

f. 2° II Crabrones fruslenes. 

Fibulas hringas uel fiblas uel quasi figentes bullas. 

f. 3° II Colliridus cibus quem nos nebulam dieimus. 

f. 801 Cignus qui alio nomen est onous- 

f. 3° Il Nouerca matrastra. 

Jacinctine blauas. 

ἔ, 41 Legulam lablegi. 

Pitacis palastris. 
4° II Sudes palos spites (stipites?) 
5° I Sarcinulas in quibus portantur saumas. 

9% I Typsinas de ordeo a 

Tapetia toscae. 

f. 10° I Histriarum -i- uya lina uisceyo. 
f. 12” I Ad cameram pastorum -1: scelf. 


ut cm 


296 


La) 


ar) 


.. 


Leer) 


“ὦ 


HFRMANN HAGEN 


185 I Colomellas lomum. 


Carbuncula poccas. 

Labrum ambonem idest haeter. 
Pruriginem ablec. 

Publite hammen. 

Edicionis hestiuis. 

Fibrarum dieitur mana. 
Commissuras legygae coysp. 
Lapides onychinos duynae. 


. 13° II Arcet thina. 


Aucupes aucellatoris id (sie) fugilarum. 


. 14° II Aspaltum sypaldor. 
. 14° I Similaginem genus tritici lorfunis. 
. 14” II Pilosi in cubili monstri -i- myene. 


Telam orditur mulier panuyeb. 
Vitiam pisas agrestes -i- fuglesbeane. 
Runeina uidubio uitubyl. 


.15°I Lima qua limatur ferrum, fiyl. 


Circino ferrum duplex unde pictores faciunt eirculos -i- 
gabolri indsami sargillum unde faciunt testos -i- thorae. 


. 15° II Littura inpensa limi uel clym. 


Paxillus fusticellus qui in stantem parietem mittitur idest 
negyl. 


. 1601 Lappa clitae. 


Cubitum aelyym. 


. 15°’ II Ligones ferrum fusorium -i- tyrfhaga. 


Heredam ibaaei. 
Lappa clayte. 


. 16° I Incus ysifolto. 


Armilla ermoaey. 
Carectum hreod. 
Oriona ebirthiring. 
Pedica -i- fietor -i- liga. 
Coluber ynaca. 
Capitio halsyeta. 
Ibicum firygin gattam. 
Herodion uylchefuc. 
Aceipitris hyefa. 
Gurgustam -i- cilor. 
Obrizum mytigod. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 297 


Cartilago yulpa exhsaey uel grist (grift?) 

Lagunculas ex lagena diminutiuum, croygi. 

Salices salas. 

Anceillis animali figl. 

f. 16° II Branchiae -i- chyun. 

Femur uirginis idest cline. 

Iseparationem asel in dona ad templum labares in simi- 
litudinem scyldrae de ligna (sie), duas tales faciunt inter 
potentes ficos ne citius putrescunt. 

Tocoria tectura frgrist. 

Aeri hayuae. 

Tenta trabes geteld. 

Iacynetini sietor heuum. 

Carbasini color gemme -i- uirigroeni. 

Lecti aurei berianbe sed deauratum. 

f. 17° I Coturnices similes auibus quas quidam quaquilas uocant. 

f. 18° II Scinifes -i- brecnatin. 

f. 18° II Plumario bis facie -i- immaneth. 
Craticula -i- indain in medio altaris. | 
Citharim -i- tiare uerticale -i- brasdirum. 

f. 18° I Cornuta facies -i- acuta -i- lond. 
Dextralia -i- spieilla -i- candera. 

f. 19° I Fulicam -i- polien uel gabiam. 
Herodianum fulica -i- foilem. 

Valliculas -i- fanlige. 

f. 1% I Pituita -i- cailech. 

Impetiginem genus scabiei -i- bolach. 

f. 26° II Brucus locustae qua enondum uolant quam uulgo olbam 

uocant. 


VII. Altdeutsche Glossen aus Einsiedeln, zum Theil in 
Geheimschrift. 

Cod. 32 saec. X. 

Comm. Prise. zu p. 38, 4 H.: Scaena umbra interpretatur et in 
amphiteatro fiebat que barbare louba dicebatur. 

Zu 130, 10: Merges quod rustice dieitur garba. 

Zu 136, 3: Chartina c’arte quam tunichrt dieimus. 

Zu 150, 13 (pag. 47): Fiber animal idest beuer. 

Zu 150,15: Tuber est quod masar rustice uel teodisce appellatur. 


208 HERMANN HAGEN 


Zu 150, 15 (pag. 51): Suber genus ligni uel radicis, quod in re- 
tibus desuper uel quod inter corticem et arborem 
est, quod sabam dieimus. 

Zu 151, 14: asser latta in tecto. 

Zu 167, 5 (pag. 55): Carex, quod eommuniter lisca dieitur, genus 
herbe acute femininum est. Pag. 56: Imbrex in 
tecto, quod rustice nochs dicitur. 

Zu 430, 14 (pag. 102): Forum est proprie, ubi conueniunt iudices, 
quod nos dieimus mallum. 


De libris sermonum Augustini, de sinodalibus, de actibus apostolorum, 
de genesi populorum. 
P. 191 564. Centum folles idest numos. 

Odonis uittam. linifnes nestilun. Odon grece lineum dieitur. 

Intonica gispfan, unde colligantur equi ad pascendum quod 
vulgo pastura dieitur. 

Virecta hurfest. 

Clustella fslot. 

Triquadrum thriuear scozi idest duo denarium. 

Bambosa fauce luon temoguamen. 

Crepundia gisteini idest gemmarum ornatus mulierum. 

Glarea greufnt. 

Flauentis glizefnter. 

Dactilus αὔρα] qui erescit in palma. 

Graculus rofah. 

Tempis lafuba seu paradisus proprie amoenus locus. 

Anthlia uuazzfar uuinda idest machinamentum putei, quo 
uoluendo auritur aqua. 

Cor ingens iur sende. 

Collaribus‘ hfalsboungon. 

Cohors luiri. 

Sceuos scelahe idest strabones. 

Cupa ‚butin idest dolium. 

Cittis felmum. 

Colastrum befost. 

Procus uuibus gern. 

Bombis bonum mugitibus loufnissum. 

Vilibine brogene. 

Aruina mitfti gern. 

Glaucoma flu. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 299 


Lodix lofta idest gluten quodlibet, unde ferrum uel quod- 
libet metallum conpaginatur. 


Ad Damasum, ad Paulinum presbiterum, ad Eliodorum_ p. 197 seq.: 


p- 202: 


p- 204: 


Cod. 
Zu Arator: 


Rubus bramma idest runeia. 

Epilogi ubarf uuordes. 

Celeuma schipleod. 

Obolo scaz idest pecunia. 

Articorum ritu fustnesse idest luxurioso. 

Saxonice dieitur eronpech. 

Neuum uuarza idest uerruca uel macula. 

Rabulum thigman (= thingman) qui semper uult ad quam- 
cmuque rem disputare. 

Scamate comstidi idest locus certaminis. 


De epistolis Pauli p. 200: 
Triumphat sigirihot. 
Acınum thrubo. 


De ceonflietu Jeronimi contra Jouinianum: 


Cimices lendesnifz. 

Brauium sifgilon. 

Fieitule seneffa, aujs quedam residens in fluuius colora (sie) 
Cardamo difstil idest carduus. 

Urbes tabernaculorum selibfurgi (seltbfurgi?). 


De libro Eusebii: 


Petigo eit(sic, = eiter?) thruos idest derda. 
Spiathio matta, idest quod uno tractu faleis in pratis agitur. 


302 saec. X. 


fluit triufit. 
grandiloquos hohsprachen. 


uirtus thegenheit s. militum. 

gymnasii spilstat. 

iuuat geliubit commendat dulce facit. 

moenibus undosis v"azirluomen uel tumultuosis. 
uersibus leichen, 

progreditur ufhoubsih. 

commendat geliubit. 

zelo mordente zorne. 


300 HERMANN HAGEN 


tenebrosa uolumina noctis warbunga. 
fallax truginare, corr. -ara. 
sagine mfstin = mestin. 
[fullerum est zeza |. .fJulciendo. 
gula pectoris uberazilin. 
ambiat luste. 
fastigia regis hoenselin. 
sors prima giburida. 
uenale filf = fele. 
non innata sequi disiunetaque semine monstrans nalsona 
burtigin. 
Zu Boetius de consolatione philosophiae: 
lazere chbrbgp — charago uel aspere. 
mutauit nubila uultum kfpprgfnkx — keporgeniu. 
exhausti uigoris frnfstfs — ernestes. 
liberales artes ubvukrchf. 
assuefaciunt gfvufnnbnt — gewennant. 
conquaesta est chlbgptb = chlagota. 
uibratus lumine phebus Ip. fntkx = lo[hJentiu. 
laribus inhfkmpn = inheimon, domibus. 
cessisse gkgangbn — gigangan. 
nec incelebris memoria xnmbrf — unmare. 
cladem pblp = palo. 
aestum zfssxn = zessun. 
respublica chxnkrkchf = chunkriche. 
fortunas frpma = froma. 
impunita unkngbltkx = uningaltiu. 
barbarorum franch. alamannorum baioarum. 
prouincialium Ibntlkxto,— lantliuto. 
fraudes xntrkvub = untriuua. 
hebetauit kxnfxptb. 
maiestatis crimen vnhuldi. 
fortunae euentum, vuprtknk = uuortini. 
sententiae skntdfmf — sintdeme. 
existimmatione foedatus kfhpntfr — kehonter. 
fluitare vufkbpn —= weibon. 
fomitem”salutis materiam zknsklfn τες zinsilen. 
aestum zessun. 
resistit kfstxllkt = kestullit. 
habitum gfhbbb —= gehaba. 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 301 


discederes kfvukches = gewiches. 

uernacula kfsvubsb — geswasa. 

non relicta xnffrlbfzzfna — unferlafzzena. 

Euripi uuigeri. 

tremendos fgfbbrrp —= egebarro. 

uerbis agitare rfdpn — redon. 

habes gratiam hfbksmkr zfdanchpnnf — hebis mir ze dan- 
chonne. 

πίϑους dolea pxtkglk — putigli. 

rapacitas kkrk = kiri. 

propinquitatis skppp = sippo. 

demulcet Iklxhtb —= liluhta. 

priuato dknfmpgflkchfn — dinemogelichen. 

auaritia brkgk = brigi. 

claros mbrrf = marre. 

consenesceret periret nkrvuvrtk — nirwurti. 

siti uasta vuxpstkx — wuostiu. 

area hpvfstbt — houfstat. 

insolentia xngfvufnk —= ungeweni. 

adulta frvubsbnkx = erwasaniu. 

quamquam dfnnf pvch = denne ouch. 

festine pulchre rkchlkchi = richlichi: 

adhortus esset bnbpketk — anapicti. 

mordaeiter crfmizlkchp = cremizlicho. 

consumptos fxla —= fula. 

querere clbgp — clago. 

mordeant zbmfn = zamen. 

somniat rbtkscpt — ratiscot. 

rubos prbmxn — pramun. 

intentio kndbht — indaht. 

susurrat zvukzfrpt = zwizerot. 

expertus sortis bntehxndfr — antchunder. 

penitentiae chbrbgk — charagi. 

capreas rfch = rech. 

rimula serxntkssb — scruntissa. 

affectat nfvuklipt — newillot. 

efficienciam kktb’t — kitat. 

uertice destituta kntvvfrktkx — intweritiu. 

diuelleret zkchlxbf — zichlube, 


liceneiam mxpzzb — muozza. 


302 


HERMANN HAGEN 


tirmamentis sprkxzzklin = spriuzzilen. 

defensorum opera pkstfllpu = pistellon. 

ultra furdir. 

infra nidoror. 

sensus ffrtbntsnnkssb = fertantsnnissa — ferstantnissa. 


Zu Prosper's Epigrammata: 


inlecebris lustesungon. 


Zu Prudentius’ Psychomachia: 


Attrita bagis colla liber erigit: halsdruhin. 

Mappalia magalia, tabernaculum ex ramis factum, louba, hutta. 

Comminus, prope, ingegin. 

Agresti turbida cultu: non bene culta, ut in initio habebatur, 
uuilderubigengidu. 

Conuitia sc’eltuuort. 

Crispata suachazenti. 

Lituos beridrumbun. 

Amento leze. 

Brateolum blech. 

Flexura felga. 

Electri quecsilabares. 

Luteolis rubicundis flauuen. 

Religamine gibende uel chuzze. 

Cantarus scala. 

Missile spirilin, a mittendo dieitur. 

Rasile lignum giscaban holz. 

Cedere inuuichan. 

Ridieulum [h]Juolihaz. 

Prodit meldot. 

Umbo rantboug. 


VIll. Fragment einer Schwabenspiegel-Hs. des Lehnrechts 


aus Bern. 


Einbanddeckel zu R. 148 der Berner Stadtbibliothek jetzt cod. 


722,5, saec. XIIT—XIV. Es ist ein einzelnes in je zwei Columnen be- 
schriebenes Blatt, auf dessen Vorderseite die Zahl CXLI steht. Die 
_ Überschriften sind mit Minium geschrieben. Die in Klammer beigesetzten 
Lesarten nach der Ausgabe des v. Lassberg. Cod. v. Reischer. 


f. 1° (6. 75) so verlet (L. verteilt) er des heren geziuge. Sprichet 


der herre den nam an, er solte botten han gesendet, do er selbe nit 


ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKREN. 303 


komen mohte, beredet der man, das er einen botten ‚sante, .der sin 
ehaf not berette. Uü beredet er daz selbe dritte, der botte kom dar 
oder nit, der herre hat danne nit rehtes dar zü ime vnde mag aber 
der botte erziugen selbe dritte, daz er uf dem tage wz,' der dem man 
gegeben was, so hat der man aber reht. 

(c. 76) Der sin güt veriaret. 

Ob der herre den man schuldeget, das er sin güt verieret (= ver- 
jährt) habe, das er es nit gevordret habe, als reht si, des sol der man 
sin vnschulde bieten mit sinem eide. Mag aber der herre erziugen, daz 
ime dz güt nach sin iar zal verteilt si vor sinen mannen (Il. mit sehs 
mannen) zü ime selber, so hat der man daz verloren mit rehte. Des 
herren geziug sol billicher sweren gegen sinen mannen, danne dez 
mannes geziug gegen dem herren, dz ist da von, daz der herre dez 
gütes nit verliuset, so verluiset der man gar. 

(ec. 77.) Von unrehtem gewalte. 

Ob der herre dem man sin güt verteilt mit unrehte, da der man 
nit zegegen ist vn (I. den) cleger wiset vf das güt vnd im die gewer 
antwurtet, das schadet ienem nit, er habe sine gewer für sich. vn als 
er des inne wirt, so sol er komen für sinen herren vnd sol in eines 
tages bitten. für sine man [den tag. sol er dem cleger künden über 
vierzehen naht] (das in eckiger Klammer eingeschlossene fehlt in L.) der 
tage sol nit wan einer sin vn kumet iener für vnd der cleger nit, so 
hat er behebt,' kumet aber der clager dar nach vnd beredet sin 
ehafte not, als hie vor gesprochen ist, daz sol der herre ouch nemen. 
Stirbet der man, e die clage verendet werde (L. ende geneme) vn lat er 
lehens erben hinder ime, die hant daz selbe reht, dz och ir vatter 
hette, ob si ir iar zal nit versument. 

(ce. 78.) Wie sich diu iar zal wandelt. 

Inner der iar zal sol eines herren man mit sinem herren rehten 
vü stirbet er vü lat er lehens erben hinder ime vü hat den toten man 
iemen beclaget vmbe dz güt, der erbe hat als güt reht gegen dem 
clager vnd gegen dem herren, als der vatter, do er lebte. als dikke 
so des mannes clage an einen andren herren kumet, als. dike ver- 
wandelt sich diu iar zal, das ist reht. 

(e. 79.) Der sun antwurtet. [Des sunes antworte.| 

Der sun antwurtet nit an || f. 1° || des vatters stat in leben rehte 
es en (L. si danne) das er güt habe in siner gewalt, da der vatter 
umbe}beclaget wurde, do er lebte (oder ob im gewette erleitet wurde, 
do er lebete) vf sinem güte, daz sol er geben, er mvge sich danne ze 
rehte erweren. 


304 H. HAGEN, ALTDEUTSCHES AUS SCHWEIZER BIBLIOTHEKEN. 


(c. 80.) Von lehen ane gewer. 

Sprichet der man den herren an vmbe lehen, das er nit in gewer 
hat, der herre sol im tag geben in der wile, so der man dem herren 
dz güt nit an behebt hat, vnd ouch er der gewer nit an dem güt (L. hat), 
so mag ers nit gelihen noch anders gethün da mit, dz ime güt si, das 
sund ir also verstan. Die wile der herre dem man rehte rede bütet, 
so mag er mit dem güt nit gethün, tvt aber der herre den (L. dem 
man) gewalt an sinem güte vn dz er den gewalt erziugen mag mit vn- 
bescholtenen liuten, die ouch nit des herren man sint, so mag er daz 
lehen lihen, ob er wil. 

(ec. 81.) Dem man sin güt verteilt dz ers hört. 

Ewen (L. Swem) man (fehlt L.) sin güt verteilt wirt, da er ze- 
gegen ist, vi mag er mit rehte dz (dar) wider nit gesprechen, der hat 
dz güt immer mer verlorn, ob ime ze reht an die stat tag gegeben ist. 

(c. 82.) Wz der herre vf den man erziugen mag. 

Nit wan drige (drie) sache mag der herre uf den man erziugen, 
das ist eines, swas der man in lehen reht misse sprichet oder tüt oder 
lobet. Wil er des logenen, des mag in der herre vberziugen vnd ob 
dem man ze lehen rehte für gebotten wird, als da vor geredet ist, vü 
ob ime des riches dienste gebotten wirt mit vrteil, diu zwei für gebot 
sint ein reht, des mag in der herre vberziugen. So ist daz (L. daz drite) 
gedinget (L. dinget) daz der herre sinen man ze lehen rehte sin (L. im) 
selben, er selbe von munde ze munde vnd mit vrteil siner manne. Dis 
drige (drie) sache mag der herre sinem man vberziugen, mit imo selber 
vi mit zweiien siner manne zü ime, die das sahen νὰ horten, da 
mit ist der man schuldig worden. 

(ce. 83.) Von des riches dienst. 

Ob der man zwene herren hat oder mer, die im des riches dienst 
gebietent, alle mit vrteil, er sol mit den (L. dem) vrteil (L. varen) der 
im des ersten gebot vü den andren allen her (L. hinder) sture geben, 
er sol geben ze her stüre den zehenden teil; swaz dz lehen giltet ein 
iar, dz mvz der herre vergüt (L. vor gut) nemen. Hat aber der man 
nit, wan von einem herren des riches gut ze le(hen mit dem muz er 


varn etc. etc.). 
BERN. HERMANN HAGEN. 


K. BARTSCH, HEINRICH STEINHÖWELS APOLLONIUS. 305 


HEINRICH STEINHÖWELS APOLLONIUS. 


In seiner Ausgabe von Steinhöwels Decameron (Stuttgart 1860, 
1. Publication des litterarischen Vereins) bemerkt Keller 5. 679: „Die 
Fabelgeschichte von Apollonius von Tyrus wird Steinhöwel zugeschrieben® 
ınd verweist dabei auf Scholls Litteraturgeschichte 15, 590. Gödeke 
m Grundriß 5. 119 erwähnt die Übersetzung als anonym. 

Steinhöwels Autorschaft steht fest; er selbst hat in der gereimten 
Vorrede seinen Namen akrostichisch angebracht. Dieselbe lautet nach 
lem ältesten Drucke*), Ulm bei Zainer 1471, folgendermaßen: 


Hett ichs geton | zaigt sumnus haß 
Ain rapp singt allzeit cras cras cras 
In sölichem gsang han ich gelept 
Nün vnd viertzig iar in hofinung gswebt 
5 Ruwiger der vergangen zeitt 
Ich gedacht allweg bis morn beitt 
Cumst du dannocht zelernen wol 
Vß dem bleib ich an künsten hol 
So ich nun ze alter komen bin 
10 Stät brucht ich gern hertz müt vnd sin 
Tugent zelernen. fründ zemachen 
Aber mein sinn wölten mir schwachen 
In arbait mag ich nit gduren 
Nun müß ich vmb verganges truren 
15 Han ich des schnits versamet mich 
Ob allen dingen begere ich 
Eheren als ruth tet in dem schnitt 
Weil mir got tailt das leben mit 
Eigen gedicht wer mir zeschwer 
20 Latin zetütschen ist min ger 
Leichtenklich nach schlechtem synne 
Vast hoher zierd ich nit begynne 
Ob ich zegrob bin an dem schriben 
Noch sölt ir mir zü dem besten schyben 
25 Wann gütte main han ich dar inn 
Jugent zeübent vnd ir synn 
Lieb zehaben alt geschicht 
Dar jnn man fint der wißhait dicht 


*) Vgl. die Handschriften Nr. 86 und 150 in Donaueschingen, bei Barack 
5. 73 und 151. 
GERMANISTISCHE STUDIEN, I, 20 


306 K. BARTSCH 


Och ander ler exempel güt 

30 Crafft verlich mir got vnd rechten müt 
Tommen sin alweg zehassen 
Oberü böß |in sünden lassen 
Raine magt des hilf mir bitten 
Jhesum der für vnß hat gelitten 

35 Nötliche engst vnd marter groß 
Er hieng am crütz ellent vnd bloß 
Rechte lieb das er vnß zögett 
Uzarte magt hast in gesögett 
Nain spricht er nymer zü dir 

40 Ist vnß ouch not wann vnser gir 
Mütter künsch hand wir gescezet 
Czü dir | das niemant werd geleczet 
Cröfftenklichen kanst du wennden 
Clain vnd groß was vnß geschennden 

45 Chan ald mag an sel an lib 
Liecht der welt das von vns trib 
Cristo mach vns gnem gesellen 
In engstlich not noch pin der hellen 
Mer bewar durch deinen namen 

50 So helff vns gott sprecht alle Amen. 

Die Anfangsbuchstaben ergeben die Worte: 

Hainrievs Stainhoewell von Wil Doctor in Erezni, und hierauf 
folgt MOCCCCLCIMS, offenbar die Jahrzahl; das C nach L (V. 47) 
womit Cristo beginnt, muß mit X nach der gewöhnlichen Schreibung 
Xristo vertauscht werden, und so kommt die Jahrzahl 1461 heraus, die 
beiden übrig bleibenden Buchstaben MS werden vielleicht mense Septem- 
bri bedeuten. ᾿ 

461 also hätte Steinhöwel diese Übersetzung verfasst, die erst 
zehn Jahre nachher gedruckt worden wäre. Das ist allerdings auffallend, 
aber immerhin wohl möglich. Nun gibt der Verfasser in Ζ. 4 an, daß 
er 49 Jahre alt war, als er das Buch verfasste. Daraus gewinnen wir 
bestimmt als sein Geburtsjahr 1412; Keller 5. 674 gibt an, daß er'um 
1420° geboren sei. Wäre in dem Akrostichon ein Fehler und die Über- 
setzung erst 1471, nicht 1461, verfasst, so käme 1422 heraus, was mit 
ler Angabe Kellers etwa stimmen würde. Allein zu jener Annahme | 
sind wir, glaube ich, nicht berechtigt; Steinhöwel war demnach, als er 
1483 starb, 71 Jahr alt. ws 

Aber jenes Akrostichon ist nicht das einzige in der Übersetzung 
des Apollonius; sie schließt mit folgenden Versen: 


Da mit sag ich lob danck vnd er 
Alpha vnd o on wider ker 
Pillich wann er hat gegeben 
Appoloni strenges leben 


HEINRICH STEINHÖWELS APOLLONIUS. 307 


Clar zetütschen vß latin 

Ettlicher alten hystoryn 

Mit namen ließ ich nit verderben 
Doctor gotfrids von vitterben 
Öberstes kronick schreiben 

Mit dem die kirch ouch wil beleiben 
Junckfrow hilf νη! gnad erwerben 
Nit laß vos in den sünden sterben 
Ewig das wir synd behalten 

Mit allen rainen iungen alten. 

Die Anfangsbuchstaben dieser Verse ergeben Da Pacem Domine, 
worauf noch ein M folgt, welches wahrscheinlich mihi bedeuten soll. 

Die hier von Steinhöwel gemachte Angabe, wonach er Gottfried 
gefolgt sei, kann nicht so aufgefasst werden, als habe er das betreffende 
Stück im elften Buche von Gottfrieds Pantheon einfach verdeutscht. 
Denn die Vergleichung zeigt. daß die Darstellung des Pantheon nur im 
Gange der Erzählung mit dem deutschen Texte zusammentrifft. Viel näher 
steht: die lateinische Prosa, welche in ihrer ältesten Gestalt A. Riese 
(Leipz. 1871) herausgegeben hat und die in interpolierter und erweiterter 
Gestalt im 15. Jahrhundert gedruckt wurde, und der Text, welcher in 
die Gesta Romanorum (cap. 153) übergegangen ist. Daneben aber wird 
Steinhöwel Gottfrieds Pantheon gekannt und aus den vorausgehenden 
historischen Angaben über Seleucus den Stoff zu seiner Einleitung ent- 
nommen haben*). 

Mehrere Stellen der Übersetzung sind in Versen, wozu das Ori- 
ginal schon die Veranlassung bot, welches nicht selten ganze und frag- 
mentarische Hexameter zeigt. Zumal gilt dieß von den Räthseln, für 
welche auch im Deutschen die rhythmische Form von alter Zeit her 
beliebt war. Der Übersetzer hat sie daher auch da angewendet, wo 
der lateinische Text prosaisch ist. So gleich das erste Räthsel, welches 
König Antiochus dem jungen Apollonius aufgibt, 

scelere vehor, maternam carnem vescor, quaero fratrem meum 
meae matris fillum uxoris meae virum nec invenio, Riese 5, 2—5. 
Bei Steinhöwel 


Der sünden wagen menen ich 
Mütterlich flaisch das speiset mich 

Wie vast mich mant meiner müter mau 
So will sich doch nit finden lon 

Der brüder des ich begeret han. 


*) Ob diese sich auch in den alten Drucken der lateinischen Prosa findet, kann 
ich nicht ermitteln; bei Riese fehlt sie. 


20* 


308 K. BARTSCH 


Gleichfalls in Verse hat er die Worte des ausrufenden Knaben (R. 16, 20) 
gebracht: audite cives, audite peregrini, liberi et ingenui, gymnasium 
patet. 

Hört reich und arm 

Das bad ist warm 

Wer sich wöll waschen vnd salben 

Am hobt vnd allenthalben 

Er sey herr knecht frow’oder man 

Dem wirt gewarttet schon. : 


Die längste gereimte Stelle ist der Gesang der Tharsia, welcher 
im Original aus rhythmisch gebauten Hexameter besteht, und anfängt 
(R. 51, 3) 
Per sordes gradior et cordis conscia non sum 
sicut rosa in spinis neseit compungi mucrone. 


Bei Steinhöwel lautet er in freier Nachdichtung: 


Mein wesen han ıch in dem kat 
Doch vnvermalget belipt mein wat 
Das rößlin bey dem doren stat 
Kain schannde es dar von an gat 

5 Es belipt fein rain nach seiner sat 
Also fleuch ich der sel vnflat 
En mitten in den sünden 
Dem ich solt wesen lieb vnd werd 
Der allermaist meins todes gert 

10 Der feind lößt mich vo feindes schwert 
Mein ungefell sich täglich mert 
Je mer und mer glick sich verkert 
Der kuünschait Πα meins lybs begert 
Mer wil ich dir verkünden 

15 Verkouffet ward ein blüm der florn 
Ain gebot gieng us} mit grimem zorn 
Ich solt mein künschait han verloren 
Got half mir usß den nötten 
So edel ist yecz nit geboren 

20 Stech mich nit ungefelles dorn 
Noch tün ich als das künsch ainhorn 
So man es sücht zetöten 
Ich stupff mein synn mit weishait sporn 
Also tü ich her usserkorn 

25 Hast hüt nit glück es kommet morn 
Dein laid solt du beschnötten 
Vff götlich gnad seez dein geding 
Mit seiner hilf nach fröden ring 
Hör wie mein harpf so sieß erkling 

30 Zü fröden laidigs hercz ich zwing 


HEINRICH STEINHÖWELS APOLLONIUS. 309 


Dein gmüt also zü got vff schwing 
Der wirt dir wenden misseling 
Dein truren gar verkeren 
Der kung appolonius 
35 Ersüffezget ser vnd sprach alsus 
Vß dir redt got mercurius 
Ich sag dir danck kom ich hin usß 
Wann ich mein küngreich wider gnüsß 
Ich löste dich vß kumernuß 
40 Ellend solt dich nit seren 
So aber laid und ungefell 
Mein weibe ist und fröd mein gell 
Dein truren und dein achen 
Sy sprach ich mich nit zü dir gsell 
45 Vmb miet noch gab | uß diser hell 
Brächt ich dich gern | darumb so well 
Mir beteutten zweifflig sachen 
Er sprach ge ausß dein red verstell 
Vnd halt dein er |küsch nit empfell 
50 Ald sag mir bald deiner frag brell 


Dann lasß mich alweg schwäczen. 


Diese Verse zerfallen in zwei Strophen, jede von 26 Zeilen, in 
der zweiten fehlt ein Vers nach V. 42. Die Strophe besteht aus zwei 
Stollen von je sieben Zeilen, der Abgesang zerfällt in drei gleiche 
Theile von je vier Zeilen. Der Schlußreim schwaczen ist wohl ein Druck- 
fehler für schwachen (: achen : sachen). Die gleiche Strophenform findet 
sich in mehreren geistlichen Liedern des Mönchs von Salzburg, so in dem 
Weihnachtsgesange Maria keusche mueter ezart (Wackernagel, Kirchen- 
lied 2, 417. 419), in desselben Kum .senfter trost heiliger geist (W acker- 
nagel 2, 420. 422) und in einem dritten Got in dryfaltikait ainfalt 
(Wackernagel 2, 423. 425). Das erste und zweite derselben findet sich 
auch in der Heidelberger Handschrift 356, Bl. 122°, die Wackernagel 
nicht gekannt zu haben scheint und die mehrere Sachen des Mönchs 
von Salzburg enthält. Darunter steht ein in derselben Form verfasstes, 
welches mit dem ersten der hier erwähnten, namentlich mit der zweiten 
Strophe eine große Ähnlichkeit hat, im übrigen aber einen ganz ab- 
weichenden Text bietet. Die erste Strophe will ich wegen der Ver- 
‚gleichung mit Wackernagel 2, 418" und mit Steinhöwels Strophen her- 
setzen (Bl. 87°) 

Da got in siner meyenstat 
gar wirdiclich sin handgetat 


nach allem wunsch beschaffen hat 
der tufel kam mit valschem rat 


310 K. BARTSCH 


der er noch hut by tag nit lat 

er bracht Eva Adam in nat 

mit valsch in paradise, 

Do das bekant der werde Crist 
der ein got im himel ist 

dem aller wißhait nit gebrist 

er hasset ser des tufels list 

und wann der mensch wider genist 
so wirt din hobet dir zerknist 

von einer maget wyse 

Und din gewalt der nympt ein endt 
zwar du wirst von der meit geschent 
und wenn sie kompt von orient 
Maria die vil gute 

du hast den menschen hie geblent 
des wirt din hoffart dir zertrent 
du wirst och öwiglich gebrent 

in heisser helle glütte 

Maria hat uns gnad gesent 

und die uns Eva hat gewent 

des ist ir lob gar wyt herkent 

in allen hertzen müte *). 

Steinhöwel hat demnach die Lieder des Mönchs von Salzburg 
gekannt und daher die kunstreiche Strophenform ‚entlehnt. Eine solche 
Strophe bilden nun auch die beiden folgenden Räthsel, und zwar so, 
daß das eine die Stollen, das zweite den Abgesang umfasst. Von jenem 
lautet der lateinische Text (R. 53, 24) 

Est domus in terris clara quae voce resultat. 
ipsa domus resonat, tacitus sed non sonat hospes. 
ambo tamen currunt, hospes simul et domus una. 
Dieß gibt Steinhöwel so wieder: 
1. Ich sach ain hauß davon man sait 

Es sye schön zierlich wol beklait 

Ich hör das huß weit und brait 

Mit güttem gstain und holez gemait 

Ee wann die gest | in kurezer bait 

Floch es von mir on arbait 

Stünden die gest gar stille 

Gar bald dar nach in kurczer zeit 

Die gest och flohen wider streit. 


*) Die vier übrigen Strophen dieses vermuthlich vom Mönch von Salzburg ver- 
‚fassten Liedes beginnen: 
Maria kusche reine meit. 
Her adams sun der edel sech. 
Frow Ester was der juden trost. 
Maria kusche maget fin. 


HEINRICH STEINHÖWELS APOLLONIUS. 311 


Ainer nach der annder wit, 

Herr ich von dir der antwürt bit 

Er sprach ich mach dich zwiffels quit 
In wassers flusß der vische lit 

Bleipt unde gut nach willen. 


Das zweite lautet im Original: 


Longa feror velox formosae filia silvae, 
innumeris pariter comitum stipata catervis. 
curro vias multas, vestigia nulla relinquo, 
mit der Auflösung: “Schiff; Steinhöwel hat: 
2. Ain riß erezegen in aim wald 
Starck schön groß öded und ouch ald 
Rit uß gelaitet menigfalt. 
Mit dienern seinr naturen 
Wie wol sye komen schnell und bald 
In mänchen grüsenlichen hald 
Noch fand man kainer spor gestald 
Her sag mir dis figuren etc. 
Er sprach wer ich vor laid nit kald 
Du hörtest sprüch aller herald 
Der segelbom din frage spald 
Mit seinen nachgeburen etc. 


Das dritte in Versen wiedergegebene Räthsel entspricht den Versen 
54, 8—10: 
Non sum compta comis, non sum nudata capillis. 
intus enim mihi crines sunt, quos non videt ullus. 
meque manus mittunt, manibusque remittor in auras. 
Dieß ist so wiedergegeben: 
3. Ich binn usßen glat und innen ruch 
So stosst man mir in meinen buch 
Ain stecken hert mit grobem har 
Dar von wirt ich gefüllet gar 
Die hende lerend fliegen mich 
Vnd loffend fur und hinder sich 
Hoch und nider müß ich lencken 
Baß leg ich uff herten bencken. 
Das letzte gereimte auf den Spiegel hinauslaufende, im Lateinischen 
(54, 16) 
Nulla mihi certa ist, nulla est peregrina figura. 
fulgor inest intus radianti luce coruscus, 
qui nihil ostendit, nisi* quid viderit ante, 
lautet im Deutschen: 
4. Alles das uff erden ist 
Dem gib ich bald in kurtzer frist 


312 E. KÖLBING, NACHTRAG. 


Was es begert nach seiner gestalt 
Lebend tod klain gros iung ald alt 
Vnd kan mir selber geben nit 
Das ich aim anderen taile mit. 
Da dieß, so viel ich weiß, die einzigen poetischen Versuche sind, 
welche Steinhöwel gemacht hat, so schienen sie mir deßhalb und zugleich 
als Beitrag zur Geschichte der deutschen Räthselpoesie eine Mittheilung 


zu verdienen. 
HEIDELBERG, Januar 1872. K. BARTSCH. 


NACHTRAG. 


Ergänzung zu dem Aufsatz (S. 55 ff.) 


Über die verschiedenen Gestaltungen der Partonopeus- 
Sage. 

Erst nachdem diese Abhandlung fertig abgedruckt war, bekam 
ich den Excurs Stengels über die Handschriften des franz. Part. (Li 
romans de Durmart le Gallois, herausgeg. von Edmund Stengel. Bibl. 
des lit. Vereins in Stuttg. COXVI. Tüb. 1873. S. 464) zu Gesicht. Wir 
erhalten hier die erste Notiz von der Berner Hdschr. des Part., die 
zu den wichtigsten zu gehören scheint. Die Variantensammlung Raynouards 
aus der Hdschr. 207 [I] der Bibl. zu Tours (Journal des Savans 1834 
S. 731 ff.) war mir leider unbekannt geblieben. Insofern dieselben für 
die Beurtheilung der beiden deutschen Texte von Interesse sind, sollen 
sie hier noch kurz besprochen werden. Ferner benutze ich diese Ge- 
legenheit, um einige für die eben erwähnten Gedichte wichtige Varianten 
der Hdschr. S. Germain 1830 (= 1239, bei St. mit G bez.) aus den 
Auszügen Roqueforts (Notices et extraits, Paris 1813, IL, 5. 3—84) und 
Legrand d’Aussy’s (Fabl. et contes, Tome V app. S. 25 ff.) nachzu- 
tragen. Vollständigkeit ließe sich hier natürlich nur erzielen, wenn 
man sämmtliche Varianten, bes. auch die des Genfer Textes, vor 
Augen hätte. Ich zähle nach Crap. Text (bei St. mit A bez.). 


Ἄν 11 T 
Car il avoit d’un serf prove Car il avoit d’un serf trouve 
Fait justice de son regne. fait justicier de son regne. 


NACHTRAG. 313 


ndl. v. 37 ££.: 
Die conine van Troyen heeft verheven 
Enen vondeline en hadde hem ghegheven 
Tgherechte van al den conincrike. 
Durch vondeline ist offenbar die Lesart von T.: trouv& wieder- 
gegeben, durch Tyherechte das Wort justice in A. 
A. v. 735: T. 
La nes vait tost; li ber est ens. La nef va tost et a bon tens. 
K. v. 669 £t.: 
dö wart daz schif gestözen an 
von im selben unde ran - 
üf daz mer in kurzer frist. 
in kurzer frist = ἃ bons tens. 
A, v. 4257, 2; 
Que vous le cherr&s miols de moi. Que vous le creres plus de moi. 
ndl. v. 1858: 
Bet sult ghelooven hare, dan mi. 
bet = miols. sult ghelooven = creres. 


A. v. 6433 £.: dr 
et que. dame de muliendroitt — 2.0... uhren 355. de 
‚nul meillor honir ne poroit. plus cortois amer ne porroit. 


ndl. v. 8062 £.: 
Nie minde vrouwe betren baroen 
bet ghescepen no bet van doen. 
ndl. schließt sich offenbar an T. an. 
jo ise bei Or. v. 6443 für jwise in T. wird wohl nur auf einer 
falschen Lesung beruhen; vgl. die entsprechende Stelle in ndl. 
A. v..6516: ἽΞ- 
Mais selone ceste contengon Mais finons ceste contengon. 
ndl. v. 3130: 
- Nu hoort, ghi heren, en swighet stille. 
ndl. schließt sich dem Sinne nach an T. an. 
A. v. 9049 f.: 1. 
Ne je vuel por mon voloir 
' Que vos isciez un point del voir. Que taisissiez 1 mot de voir. 
ndl. v. 6079: 
Uter waerheit iet te gane. 
ndl. schließt sich A. an. 
Nach v. 1026 schiebt T. zwei Verse ein, die sich ndl. wieder- 
finden: 


314 E. KÖLBING 


T. ndl. v. 606 Ε΄: 
Que bien y paroit par mesure Dat ic dies ghelooven en can, 
Que hons ne la fist, mes nature. Dat ten mochte gheveghen man, 
Het ne hadde ghedaen der naturen 


sin. 
Mhd. findet sich nichts entsprechendes. 
Die in T. nach v. 7746 eingeschobene Betrachtung über die Frauen 
findet sich weder ndl. noch bei K. wieder, und scheint auch den Zu- 
sammenhang sehr ungeeignet zu unterbrechen. 
Es folgen jetzt die verhältnissmäßig wenigen für unsern Zweck 
interessanten Varianten von G. 
A. v. 722: G. 
Et or se dort et dont [T.: ore] Il ne dort pas, aincois someille, 
s’evelle. Et en petit d’ore s’esveille. 
K. v. 664: Nu wachet unde sliefer. 
K. schließt sich an A. und T. an. 
A. v. 1143: 6. 
Et s’eseria ἃ vois moult haut. Et s’eseria non pas trop hault. 
K. si ruofte lüte unde swinde. 
K. schließt sich an A. an. 


Ἀπν. 101: σ. 
Car en Ardene, &s grans deser. Quar en Ardane es laiz deserz. 
K:'v. 1387: 
z’Ardenne durch den wilden walt. 
A. v. 1308 1: σα. 
Lasse, fait-el, tant sui feblete.... Lasse, fait-el, tant sui folete .... 
Mai bien santez, que feble sui. mais bien sentez que fole sui. 


ndl. v. 746: 
Wi arme! sprach soe, hoe eranc ie bem. 
K. v. 1748: 
wan ich bin dar zuo alze kranc. 
cranc τες feble, was auch im fr. Text die richtige Lesart ist. 
A. v.1335£: G. 
Car vint rois ai de moi chacez, | +... ..MURU παι, ILL ΠῚ EEE 
Et deux cents contes et vint dus. Et cing cents contes et cent duc. 


K. ve. 170088. ; ndl. v. 778 fl.: 
wol zweinzic künege dienent mir XX coninghe sijn mi onderdaen 
unde ahtzehen herzogen. En daer toe le niinen dienste staen 
vor mir hänt ir knie gebogen C. hertoghen, V° graven. 


zwei hundert gräven dicke. 
K. schließt sich betreffs der letzten Zahlenangabe an A., ndl. an G. an. 


NACHTRAG. 315 


λέν. 1331: α. 
Tote Besance est mes empires. Tote la terre est mes ampires. 
R. ν 1112. Ὡς 
ich bin ein küneginne 
des riches hie ze lande. 
K. stimmt mit G. 


A. v. 1346 f.: G. 
Cluesjo. presince..& MORLAVIS ann ae ana rm eu ae 
Segnor par bontds et por mors. seignor por beautez et par mors. 


ndl. v. 798: 
... die scone ware ei mi bequame. 
ndl. stimmt zu G. 


Δ. ν. 1607 Εἰ : G. 
Baise li iols, et bouce et face,... DBaise li elz, et bouche et face... 
Baise lui iols, et bouce et vis. Baise li col et front et vis. 


ndl. v. 893 £.: 
516 kuste sinen mont eü sine lier, 
sine oghen, sinen hals en sine kele. 
ndl. stimmt zu G, dessen Lesart natürlich die richtige ist. 


A. v. 6320 ff.: G. 
Si s’asient soz un peschier...... Si s’assieent soz un pomier 
et li peschiers est beaus floris. et li pomiers est bien floriz. 

K. v. 11274 £.: ndl. v. 2920 £.: 
dä stuont ein wünneelicher boum, Eü ghinghen sitten op dat gras, 
da phersich üfe bluoten. Onder enen appelboom, die daer 

stoet. 

K. stimmt mit A., ndl. mit G. 

A. v. 8336: α. 
Ten&s-en mon gage en merci. Tenez en mon gaige envers mi. 


ndl. v. 4821: 
Siet hier mijn wedde op ghenade. 
Die von mir S. 91 als den deutschen Texten im Gegensatz zu 
A. gemeinsam notierte Stelle (K. v. 16534 fi. = ndl. v. 5597 ff.) findet 
sich auch in G: 
Mais quant il voit Urake apres, 
Vers lui s’aproiche et vient plus pres, 
Amors ἃ Iı si l’achantele; 
Ses cuers li ment qu’el est plus bele; 
Or est en la riote entrez, 
Donc il aura peines assez. 


316 E. KÖLBING, NACHTRAG. 


Auf die Wichtigkeit dieser Stelle für die Feststellung des ur- 
sprünglichen Schlusses wurde $. 104 hingewiesen. 

Daß G. Part. Kleidung nach seiner Entwaffnung ähnlich beschreibt, 
wie K. (v. 17195 ff.) und der πα]. Dichter (v. 2600 ff.) [vgl. oben 5. 93 £.] 
scheint aus d’Aussys Inhaltsanalyse hervorzugehen, wenn diese auch 
sonst durchaus nicht zuverlässig ist; vgl. das. S. 313: .... Une ceinture 
de soie ἃ franges d’or, et une simple chemise, dont le collet &toit un filet 
de soie de la m&me couleur que les chausses. A travers ce collet on aperce- 
voit encore, malgre le bain, les camois de mailles. 

Auch die 5. 94 eitierten Verse K. v. 17330 ff. = ndl. v. 6270, die 
die Rede der Meliur enthalten, stimmen zu der entsprechenden Stelle 
bei d’Aussy S. 314: „Je me flattois, messires, d’obtenir de vos mains le 
soudan pour Epoux; et c’&toit ἃ lui, puisqu’ü faut vous Pavouer, que je me 
croyois destinde. Vous en avez ordonne autrement, j'obeis sans murmure, 
et me soumets ἃ vos lois. (est ἃ vous, Hernold, que je dois le maitre que 
je vais avoir.“ 

Es erhellt, daß weder T. noch G. directe Vorlagen von K. und 
dem ndl. Gedichte gewesen sein können; ferner aber auch, daß ihre 
Vorlagen von den uns bekannten Handschriften, T und G. näher gestanden 
haben als A. Nicht nur der gemeinsame Schluß, sondern auch mehrere 
andere Stellen beweisen dieß. Wie sie zu dem Genfer Texte stehen, 
lässt sich natürlich nicht genauer sagen. Nur soviel geht aus Stengels 
Angaben hervor (a. a. O. S. 465), daß dieser, ebenso wie das Mser. 
von Tours (vgl. Rayn a. a. O. S. 734) zu der von mir (oben ὃ. 106) 
mit E bezeichneten Gruppe zu zählen ist, deren specielle Eintheilung 
übrigens mit Stengels Entwurf durchaus übereinstimmt. Derjenige, 
welcher einmal die von ihm (5. 465 f.) im Umriß vorgezeichnete, sehr 
zeitgemäße Classification der franz. Hdschr. vornimmt, wird dabei vor 
allem auch die deutschen Texte in Erwägung ziehen müssen. 

Noch zweierlei muß ich schließlich erwähnen. Die von Stengel 
(8. 466) erwähnte -catalanische Übersetzung der spanischen Bearbeitung 
unseres Romans war auch mir bekannt; ich habe sie aber so wenig 
zu Gesicht bekommen können, wie jene. 

Das von Verwijs in: Handelingen van de Maatschappij van Nederl. 
Letterkunde 1872, mitgetheilte niederl. Parthonopeus-Fragment habe ich 
leider nicht berücksichtigen können, da diese „Verhandlungen“ weder. 
auf der hiesigen noch auf der Berliner Bibliothek gehalten werden 


und mir deßhalb unzugänglich sind. 
März 1874. E. K. 


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