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Full text of "Gesammelte abhandlungen zur amerikanischen sprachund alterthumskunde"

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Gesauimelte  Abhaiidliingeii 


zur 


Amerikanischeu  Sprach-  iiud  Alterthiiniskunde. 


Gesammelte  Abhandlungen 


zur 


Amerikanischen  Sprach-  und  Alterthumskunde 


von 


Eduard  Seier. 


Erster  Band 

Sprachliches.  —  Bilderschriften.  —  Kalender  und  Hieroglypheneutzifferung. 


Mit  zahlreichen  Abbildungen  im  Text. 


BERLIN 

A.  Asher  6c  Co. 
1902. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


\) 


THE  GETTY  CENTER 


Vorwort. 


Nur  zögernd  und  eigentlich  nur  wiederholten  Anregungen  des  unermüd- 
lichen Förderers  der  Wissenschaft  des  neuen  Continentes,  Sr.  Exzellenz  des 
Herzogs  von  Loubat,  folgend,  habe  ich  mich  entschlossen,  die  in  zahl- 
reichen Einzelabhandlungen  niedergelegten,  in  verschiedenen  Zeitschriften 
zerstreuten  Ergebnisse  meiner  Studien  über  die  Sprachen  und  die  alte 
Kultur  der  Stämme  Amerikas  gesammelt  meinen  Fachgenossen  vorzulegen. 
Wer  da  weiss,  wie  sehr  ich  in  dem  Gang  meiner  Studien  selber  gelernt 
habe,  wie  oft  ich  früher  für  zweifellos  Gehaltenes  als  irrthümlich  habe 
erkennen  müssen,  wird  mein  Zögern  berechtigt  finden.  Immerhin  glaube 
ich,  dass  gerade  der  Fortgang  in  der  Entwickelung  meiner  eigenen  Kennt- 
nisse geeignet  sein  wird,  neu  Herantretende  in  die  Wissenschaft  einzu- 
führen. Denn  nicht  durch  Aufnahme  fertiger  Resultate,  sondern  durch 
eigene  Arbeit  und  Mitarbeit,  durch  ein  Prüfen,  Kontrolliren  und  ein  Nach- 
schafifen  des  Geschaffenen  lernt  man  wirklich.  Ich  habe,  um  den  Gebrauch 
des  Buches  zu  erleichtern,  die  ihrem  Inhalt  nach  zusammengehörigen 
Abhandlungen  zusammengebracht,  innerhalb  dieser  Abschnitte  aber  die 
zeitliche  Foke  innegehalten    und   bei   iedem  Stücke  den  Ort    des    ersten 

DO  ** 

Abdruckes  genau  bezeichnet.  Der  vorliegende  erste  Band  entliält  das 
Sprachliche  im  engeren  Sinne,  Bilderschrifterklärungen  und  meine  Unter- 
suchungen über  den  mexikanisch-mittelamerikanischen  Kalender  und  die 
Versuche  zur  Hieroglyphonentzift'erung.  Der  zweite  Band,  der  im  nächsten 
Herbste  erscheinen  soll,  wird  das  eigentlich  Archäologische,  Geschicht- 
liches u.  s.  w.  bringen.  Ich  habe  natürlich  die  verschiedenen  Abhandlungen 
nicht  unverändert  zum  Abdruck  bringen  können.  Wo  früher  Behauptetes 
zu  dem  von  mir  jetzt  Erkannten  in  Widerspruch  stand,  habe  ich,  so  gut 
es  gieng,    eine  Umänderung    vornehmen    müssen.     Es   ist  das  nicht  ganz 


VI  Vorwort. 

ohne  Ungleichheiten  möglich  gewesen.  Ich  hoffe  aber,  dass  meine  Leser 
dafür  eine  Entschuldigung  finden  werden.  Die  Umänderungen  haben  viel- 
fach eine  beträchtliche  Erweiterung  zur  Folge  gehabt.  Insbesondere  ist 
die  Zahl  der  Abbildungen  erheblich  vermehrt  worden.  Eine  Anzahl 
gesicherter  Ergebnisse  glaube  ich,  als  Frucht  meiner  langjährigen  Studien. 
in  diesem  Buche  vorlegen  zu  können.  Dass  ich  dabei  mir  bewusst  bin. 
dass,  trotz  Umänderungen  und  Erweiterungen,  auch  der  Neuabdruck,  den 
ich  hier  biete,  noch  gar  sehr  an  den  Unvollkommenheiten  menschlicher 
Erkenntniss  leidet,  werden  meine  Leser  mir  glauben, 

Steglitz,  September  1902. 

Eduard  Seier. 


Inhalt  des  ersten  Bandes. 


Erster  Abschnitt.    Sprachliches. 

Seite 

1.  Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador 3 

Originalmittheilungen  aus  der  Ethnologischen  Abtheilung  der  Königlichen 
Museen  Nr.  I.     Berlin  1885.     S.  44— 5G. 
Nachtrag  A.    Die  verwandten  Sprachen   der  Gayäpa  und  der  Colorados  von 

Ecnador 18 

Nachtrag  B.    Die  Sprache  der  Indianer  von  Esmeraldas 49 

März  1902. 

2.  Das  Konjugationssystem  der  Maya-Sprachen 65 

Inaugural-Dissertation.     Leipzig  1887. 

3.  Notice  sur  les  langues  Zapoteque  et  Mixteque 127 

Compte    rendu    de    la   VIII ''"i«    Session    du    Congres    International    des 
Americanistes.    Paris  1900.    p.  550—555. 

Zweiter  Abschnitt.     Bilderschriften. 

1.  Der  Codex  Borgia  und  die  verwandten  aztekischen  Bilderschriften 133 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.  22.  Januar  1887. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.     S.  (105)  — (114). 

2.  Eine  Liste  der  mexikanischen  Monatsfeste     145 

Verhandlungen  der  Berliner  Antliropologischen  Gesellschaft.  19.  Februar  1887. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.     S.  (172)  — 17G). 

3.  Die  Columbus  -  Festschriften  der  Königl.  Bibliothek  in  Berlin  und  der  mexi- 

kanischen Regierung 152 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde.     Berlin.    2.  Dezember  1893. 

4.  Die  mexikanischen  Bilderhandschriften  Alexander    von  Humboldt's    in  der 

Königlichen  Bibliothek  zu  Berlin 162 

Berlin  1893, 

5.  Der  Codex  Borgia 301 

Globus.    Bd.  LXXIV.    S.  297-302;  315-819.     (19.  und  26.  November  1898). 

6.  Codex  Cospi.    Die  mexikanische  Bilderhandschrift  von  Bologna 341 

Vgl.  Globus.    Bd.  LXXVII.     S.  823—325.    2.  Juni  1900. 

7.  Die  mexikanischen  Gemälde  von  Cuauhtlantzinco 352 

Globus.    Bd.  LXXV.     S.  96,  97.    4.  Februar  1899. 

Dritter  Abschnitt.     Kalender  und  Hieroglyphen- Entzifferung. 

1.  Maya-Handschriften  und  Maya-Götter 357 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    17.  Juli  1886. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XVIII.     S.  (416)  — (420). 

2.  üeber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter    367 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    19.  März  1887. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.    S.  (224)  — (231). 


VTjy  Inhalt  des  ersten  Bandes. 

Seite 

3.  Entzifferung  der  Haya-Handschriften 390 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    19.  März  1887. 
Zeitschrift  lur  Ethnologie  XIX.     S.  (231^  — (237). 

4.  Ueber  die  Bedeutung  des  Zahlzeichens  20  in  der  Maya-Schrift 400 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    19.  März  1887. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.     S.  (237) -(241). 

5.  Der  Charakter  der  aztekischen  und  der  Haya-Handschriften 407 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XX.     (1888>.     S.  1—10. 

6.  Die  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gott- 

heiten    417 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XX.    (1888).    S.  10—97. 

7.  Die  Chronologie  der  Cakchiquel-Annalen 504 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    22.  Juni  1889. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XXI.     S.  (475)  — (476). 

8.  Zur  mexikanischen  Chronologie,  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  zapo- 

tekischen  Kalenders 507 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XXIII.     (1891).     8.89—133. 

9.  Some  remarks  on  Prof.  Gyrus  Thomas'  brief  study  of  the  Palenque  fablet    .     555 

Science.    Vol.  XX.    No.  493.    New  York.    15.  Juli  1892. 

10.  On  Maya  chronology 557 

Science.     Vol.  XX.    No.  496.    New  York.    5  August  1892. 

11.  Ein  neuer  Versuch  zur  Entzifferung  der  Mayaschrift 558 

Globus.    Bd.  62.    (1S92).     S.  59—61. 

12.  Does  there  really  exist  a  phonetic  key  to  the  Maya-Hieroglyphic  Writing?   .    562 

Science.    Vol.  XX.    No.  499.   New  ITork.    26.  August  1892. 

13.  Is  the  Maya  Hieroglyphic  Writing  phonetic? 568 

Science.     Vol.  XXI.    No.  518.    New  York.    6.  January  1893. 

14.  Some  additional  remarks  on  Maya  Hieroglyphic  writing 576 

Science.     Vol.  XXI.    No.  524.    New  York.    17.  Fehruary  1893. 

15.  Die  wirkliche  Länge  des  Ratun's  der  Maya-Chroniken  und  der  Jahresanfang 

in  der  Dresdener  Handschrift  und  auf  den  Copan-Stelen 577 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    15.  Juni  1895. 
Zeitschrift  für-  Ethnologie  XXVII.   "s.  (441)  — (449). 

16.  Die  Bedeutung  des  Maya-Kalenders  für  die  historische  Chronologie 588 

Globus.    Bd.  LXVIII.    Nr.  3.     Juni  1895.    S.  37-41. 

17.  Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner 600 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    28.  März  1898. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XXX.    S.  (165)— (177). 

18.  Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex  Borgia-Gruppe 618 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    16.  Juli,  1898. 
Zeitschi-ift  für  Ethnologie  XXX.     S.  ^346)  — (383). 

19.  Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan 668 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XXX.     1898.     S.  377—410. 

20.  Der  Festkalender  der  Tzeltal  und  der  Maya  von  Tucatan 706 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XXX.     1898.     S.  410-416. 

21.  Die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatteu  von  Palenque  .     712 

Verhandlungen     der    Berliner    Anthropologischen    Gesellschaft.      18.    No- 
vember 1899.     Zeitschrift  für  Ethnologie  XXXI.     S.  (670)  -  (738). 

22.  Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä .     792 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    17.  März  1900. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XXXII.    S.  (188)  — (227). 

23.  Die  Cedrela-Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel 837 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XXXII.     1900.     S.  101—126. 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 


Seite 
Erster  Abschnitt.    1.  Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador  3 

Abbildung.      Colorado  -  Indianer    von    Santo    Dominj^o    de    los    Colorados.      (Nach 

de  Wiener.) 5 

Zweiter  Abschnitt.    4.   Die   mexikanischen  Bilderhandschriften  Alexander  von 

Humboldt's  in  der  Königlichen  Bibliothek  zu  Berlin 162 

Abb.     1.     Das  sechste  Jahresfest  Etzalqualiztli.    Humboldt-Handschrift  1 164 

,,        2.     Das  eilfte  Jahresfest  Oclipaniztli.     Humboldt-Handschrift  I 165 

„       3.     Teteo  innan.     Sahagun.    Ms.  Biblioteca  del  Palacio 166 

„       4.     Kopfschmuck    ichcaxochitl    der     Teteo    innan     oder     Tla^olteotl.       Codex 

Borbonicus  5 166 

„  5.  Teteo  innan  oder  Tla^olteotl.  Codex  Vaticanus  A  29  (=  Kingsborough  24)  166 
„       6.     Teteo   innan   oder    Toci.     Göttin   des    Ochpaniztli-Festes.     Sahagun.  Ms. 

Biblioteca  del  Palacio 166 

„  7.  Das  fünfzehnte  Jahresfest  Fanquetzaliidli.  Humboldt-Handschrift  I  .  .  .  166 
„       8.     Teteo  innan  oder  TJueoIteotl,  Regentin  der  dreizehnten  Woche  ce  olin  „eins 

Bewegung".    Codex  Borbonicus  13 167 

„       9.     Fahne    in    der  Hand  UitzilopocJitli's  als  Abbild   des  Festes  PanquetzaUztli. 

Codex  Telleriano-Remensis  5 168 

„      10.    Panquetsaliztli.     Aus  einer  Malerei  der  spanischen  Zeit 168 

„      12,     Das  zweite  Jahresfest  Thica.ripeualiztli.     Humboldt-Handschrift  I    .    .    .    .     169 

„      13.    olin  „Bewegung".    Dreizehntes    der   zwanzig  Tageszeichen  der  Mexikaner. 

.    Humboldt-Handschrift  I 169 

„     14.     olin  „Bewegung".     Dreizehntes    der   zwanzig  Tageszeichen  der  Mexikaner. 

Sahagun.  Ms.  Biblioteca  Laurenziana 170 

„      15.     olin  „Bewegung".    Dreizehntes    der   zwanzig  Tageszeichen  der  Mexikaner. 

Codex  Telleriano-Remensis •     170 

„     16,    olin  „Bewegung",     Dreizehntes    der   zwanzig  Tageszeichen  der  Mexikaner. 

Tonalamatl  der  Aubin'schcn  Sammlung 170 

„     17.    olin  „Bewegung".    Dreizehntes    der    zwanzig  Tageszeichen  der  Mexikaner. 

Codex  Borbonicus l'^O 

„     18,   19.     olin  „Bewegung".    Dreizehntes    der   zwanzig  Tageszeichen   der  Mexi- 
kaner.    Codex  Borgia l'^O 

„     20,   21.    Hieroglyphe  olin.    Ms.  Mexicain  Nr.  3,  Bibliotheque  Nationale     ...     171 

„     22—24.     Thönerne    Spinnwirtel   von    Cerro    moutoso   und    Otates   (Vera  Cruz). 

Sammlung  Strebel  . 1^1 

„     25,    eecatl  Wind.      Zweites   Tageszeichen    der   Mexikaner,      Humboldt  -  Hand- 
schrift I 1^1 

'    „     26,    maQotl  Hirsch.     Siebentes  Tageszeichen    der  Mexikaner.     Humboldt-Hand- 
schrift I l"?! 

„     27.    malinalli    Gedrehtes,     Besen.      Zwölftes    Tageszeichen     der    Mexikaner, 

Humboldt-Handschrift  I l"*! 


X  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 

Abb.  28,  29.    Goldbarren.    Tribatliste  des  Codex  Mendoza 183 

„     30.     Goldbleche.    Tribntliste  des  Codei  Mendoza 183 

„     31.    Schalen  mit  Goldstaub.    Tributliste  des  Codex  Mendoza 183 

„     32,  33.    Kleiderbündel.    Humboldt-Handschrift  I 184 

„     34.    Priester  (Üamacuzque)  mit  Opfermesser,   Räucherpfanne,   Kopalbeutel  und 

Rasselbrett,    das    Tabaktäschchen    (yequachtUj    auf    dem    Rücken    tragend. 

Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del  Palacio 187 

.,     35.    der  Priester  Namens?    Humboldt-Handschrift  I 188 

.,     36.    Darbringung  einer  in  bunten  Farben  gewebten,  mit  Federbehang  versehenen 

Decke.     Codex  Nuttall  1 189 

„     37.    Darbringung  einer  Decke?    Codex  Tro  29* 189 

„     38.    Hieroglyphe  Tilmallaueuh.    Ms.  Mexicain  Nr.  8  Bibliotheque  Nationale.    .  189 

„      39.     Tod  C'acamatzin's.    Humboldt-Handschrift  I 189 

..     40.    Regierungsantritt  des  Fürsten  —  (f).     Humboldt-Handschrift  I 190 

,.      41.     Tod  des  Priesters  Namens?     Humboldt-Handschrift  1 190 

„      42.     Der  Priester  Chalchhih.     Humboldt-Handschrift  1 190 

„     43—46.    Hieroglyphe  chalchiuitl  „grüner  Edelstein" 190 

-,     47.  „  chalchiuhtepetl  „Edelsteinberg",  d.  h.  Opferberg.     Ms.  der 

Aubin"schen  Sammlung 190 

.,     48—30.    Der  chalchiuitl  als  Hieroglyphe  für  ClicUco 190 

,,     51,   52.    Hieroglyphe  xiuitl  „Türkis" 191 

„      53.    Hieroglyphe  tezcatl  „Spiegel" 191 

„     54.     Der  Priester  Chi  malt  ecuhtli  (?j.     Humboldt-Handschrift  I 191 

„     55.    Hieroglyphe  einer  Stadt.    Humboldt-Handschrift  I 191 

„     56.     Ocelotl  (oder  Tequanj,  König  von  Atepec.     Humboldt-Handschrift  I     .    .    .  192 

„     57.     Hieroglyphe  Atepec.     Codex  Mendoza  16 192 

„     58.              „            Tzompanco.     Codex  Osuna 192 

;i     59.              „            Almoyauacan.     Ms.  Mexicain  Nr.  3  Bibliotheque  Nationale    .  198 

„     60.    Matlactli  omame  maqatl,  König  von  f'acatlan  (?'.     Humboldt-Handschrift  I  193 

„     61.    Hieroglyphe  (Jacatlan.     Codex  Mendoza 194 

„     62.              ,.            Cacatepec                ,,                194 

,.      63.                            (Jaccdollan              „                 194 

.,     64.              ,.            Popotlan.                „                 194 

),     65.             „                   „          Codex  Boturini 194 

,.      66.     acxoijatemaliztli.     Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del  Palacio 194 

„     67.     Tochin  (?),  König  von  Tenanco  (?).     Humboldt-Handschrift  I 195 

„     68.    Tod  König  Ocelotl's.    Humboldt-Handschrift  I 195 

»69.                   „                                       „                         195 

„     70.    Xochuetl.    Ms.  Mexicain  Nr.  3,  Bibliotheque  Nationale 1% 

„     71.     Tziuacmitl.    Ms.  Mexicain  Nr.  3,  Bibliotheque  Nationale 1% 

„     72.    Tod  Matlactli  omome  magatl's.     Humboldt-Handschrift  I 1% 

„      73.    König  Couatl  (?).    Humboldt- Handschrift  1 196 

„      74.    Motecuhgoma  Xocoyotzin.     Humboldt-Handschrift  11 199 

„     75.    König  von  Mexico.    Sahagun.  Ms.  Academia  de  la  Historia 199 

„     76.     Hieroglyphe  Ueiie  Motecuhgoma.     Codex    Telleriano-Remensis    f.    34    verso 

{=  Kingsborough  IV.  12) 200 

„     77.    Hieroglyphe  Motecuhgoma  Xocoyotzin.    ibid  f.  41  {-  Kingsborough  IV.  16)  200 

r,     78.              „                     „           Ilhuicamina.     Codex  Mendoza  7 200 

„      79.              „                     „           Xocoyotzin.                    „            14 200 

»     80.              „                     ,,                   „            Sahagun.  Ms.  Academia  de  la  Historia  200 

55     81.             „            Tigocic.    Sahagun.  Ms.  Academia  de  la  Historia 200 

55     82.  „  des  Feuergottes.    Von  dem  grossen  sogenannten  Kalenderstein 

in  Mexico 201 

35     83.  ,,  Motecuhgonia  Xocoyotzin,  von  der  Innenseite  des  Deckels  einer 

Aschenkiste 201 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XI 

Seite 

Abb.     84.    xacalli,  Strohhütte.    Humboldt-Handschrift  II 202 

„        85.     Ländliches  Arbeitsgeräth  ?    Humboldt-Handschrift  II 202 

„       86.     Hieroglyphe  Quauhtemodzin.     Humboldt-Handschrift  II 202 

„       87.              ,,                        „                 Sahagun.  Ms.  Acadcmia  de  la  Historia  .   .  204 

„       88  a,  b.      „                        „                 Codex  Vaticanus  A.  fol.  89,  88  verso .    .   .  204 

„       89.     ompoual  xiuitl  ozce,  41  Jahre.     Humboldt-Handschrift  II 204 

.,        90.     Oquiztzin  in  azcapotzaico,  Oquiztzin,  König  von  Azcapotzalco.     Humboldt- 
Handschrift  II 207 

„       91.     Don  Diego  Vanjtzin.     Humboldt-Handschrift  II 207 

92.     Tliapia  Motelchiuh.                    „                          II 207 

„       93.    Mexikanischer  Krieger  auf  dem  Marsche.     Codex  Mendoza  16 207 

.,       94.     Yacatecutli,  Gott  der  Kaufleute.    Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del  Palacio  .    .  207 

„       95.     Hieroglyphe  temillo.     Ms.     Mexicain  Nr.  3.     Bibliotheque  Nationale.    .    .  208 
„       96.     Uei  tecuilhuitl,    das    grosse    Herrenfest.     Codex   Telleriano-Remensis  f.  1 

verso  (=  Kingsborough  I.  2) 208 

„       97.     Tlacochcah-o  ijuotl,  der  Krieger  im  Speerhause.    Sahagun.    Ms.  Bibüoteca 

del  Palacio 208 

.,   98,  99.  Köpfe  von  Thonfiguren  mexikanischer  Krieger.    Sammlung  Uhde.    Königl. 

Museum  für  Völkerkunde,  Berlin 209 

„     100.    Tauz  der  Krieger  am  Ochpaniztli.    Sahagun.    Ms.  Biblioteca  del  Palacio  209 

„      101.     Juan  Velazquez  Tlacotzin.     Humboldt-Handschrift  II 210 

,,      102.     Hölzerne  Schaufel  {couacatl)  und  Korb  {chiquimtl)    zum  Fortschaffen  der 

Erde  u.  s.  w.     Codex  Mendoza  71.  11 210 

„     103.    Bearbeiten  des  Ackers.     Codex  Osuna  f.  38  verso 210 

„     104.     Hieroglyphe  Ciuatlan.     Codex  Mendoza  40,  1 211 

„      105.     CiuacoHafl,    Göttin  von  Colhuacan.     Historia  Mexicana.     Ms.  der  Aubin- 

Goupil'schen  Sammlung 211 

„     106.     Hieroglyphe  Motelchiuh.    Sahagun.    Ms.  Academia  de  la  Historia.    ...  211 

„      107.               ,,             Vanitzin.                „              „             „              „             „        .    .    .    .  212 

„     108.              „            Azcapotzalco.    Codex  Mendoza  5,  1 213 

„      109.              „                       „               Codex  Osuna 213 

.,      110.              ,,            Xochiquentzin.     Sahagun.     Ms.  Academia  de  la  Historia  .    .  215 

,,      111.     Doti  Diego  Teuetzquiti.     Humboldt-Handschrift  II 216 

„     112.    Don  Diego  Tevetzquititzin.     Sahagun.    Ms.  Academia  de  la  Historia.    .    .  216 

„      113.     Tetlacevetzquititzin.     Sahagun.     Ms.  Academia  de  la  Historia 216 

„      114.     Don  MaHin  Cortes  Xe^acaltecollotzin.     Humboldt-Handschrift  IT 217 

„      115.    Hieroglyphe  tlacateccatl.     Codex  Mendoza  17 217 

,,     116  a.           „            Ne^aualcoijotl.     Codex   Telleriano-Remensis   f.  36   (=  Kings- 
borough IV,  13) 217 

„      116  b.           „                       „               Sahagun.    Ms.  Academia  de  la  Historia    .    .  217 
„     117  a.           „            Negatialpilli.       Codex   Telleriano-Remensis   f.  36   {-  Kings- 
borough IV,  13) 217 

„      117  b.           „                    „                 Sahagun.    Ms.  Academia  de  la  Historia   .    .  217 

„      118.     mogauani,  der  Fastende.     Codex  Borgia  9  (=  Kingsborough  30)    ....  218 

„      119.     Anauacatzin.     Humboldt-Handschrift  II 218 

„     120.     Anauacatl.     Ms.  Mexicain  Nr.  3.     Bibliotheque  Nationale 218 

„      121.    Xaxaqualtzin.     Humboldt-Handschrift  II 2l8 

„     122.     Cuitlachiuitzin.    Humboldt-Handschrift  II 218 

„      123.     Vitznauatl.     Humboldt-Handschrift  II 218 

„      124.     Vaxtepecatl  petlacalcatl     Humboldt- Handschrift  II 218 

„      125.    Hieroglyphe  der  Stadt  Uäxtepec.     Codex  Mendoza. 219 

„     126.    petlacalcatl,  mayordomo;  coauacatl  j  mancebo.    Codex  Mendoza  71,  11  .  220 

„      127.    Itzpotoncatzin.     Humboldt-Handschrift  II 221 

„     128.    Sacrificio  gladiatorio,  Bezeichnung  für  tlacaxipeualiztli,  das  zweite  Jahres- 
fest der  Mexikaner.    Codex  Aubin 221 


XII  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 
Abb.  129,     uauautli,   zum    Sacrificio  gladiatorio    bestimmter  Gefangener,   bezeichnet 

Eroberung  einer  Stadt.     Codex  Telleriano-Remensis 221 

„     130.     Kriegsankündigung.     Codex  Mendoza  47 222 

„      131.     Yxevatziu.     Humboldt-Handschrift  II .  222 

„      132.    Hieroglyphe  der  Stadt  CorouiiiUccan.     Codex  Mendoza  40,  9 222 

.,      133.     Couaiiütziu.    Humboldt-Handschrift  II 222 

„      134.     Iinexai/acafzin,     Humboldt-Handschrift  II 222 

,.     135.     inex.rai/ac(itl,  Schcukel,haut)maske.   Kriegerdevise.  Sahagun.  Ms.  Academia 

de  la  Historia 223 

„     13G.    Xipaiioctzin.    Humboldt-Handschrift  II 224 

„      137.     Tepotzitotzin.    Humboldt-Handschrift  II .  224 

„      138.     YaotcquacKiltzitu     Humboldt-Handschrift  II 224 

,,      139.     Acai-ai/oltz/n.     Humboldt-Handschrift  II 224 

„      140.     ÄinaqurnKfzin.     Humboldt-Handschrift  II 224 

„      141.     Hieroglyphe  Tcqueniecan.     Codex  Mendoza 224 

,,      142.              „            Aztaquemecan.     Codex  Mendoza 224 

„     143.     Tepidoto»,  Berggötter.     Sahagun.    Ms.  Biblioteca  del  Palacio 225 

„      144.     Opfer   an    die   Berggötter.     Bilderhandschrift    der  Florentiner  Biblioteca 

Nazionale,  Blatt  69 226 

,.      145.     Eitfdlafiizin.     Humboldt-Handschrift  II 227 

„      146.     Te/lpitz/n.     Humboldt-Handschrift  II 227 

,.     147.    feoa//-f/ac7?//(o///  ^Ws^er  ;Siv-or-^'^rfor)  und  Brand".    Symbol  des  Krieges. 

Humboldt-Handschrift  III 229 

,.      148.     atl-tlachiiwlli.     Aus  dem  Kopfschmuck  der  Göttin  Chantico.    Codex  Telle- 

riano  Remensis  f.  21  verso  (=  Kingsborough  II,  28) 230 

,,     149.    Dasselbe.    Codex  Borbonicus  18 231 

,,      150.     Dasselbe.     Aus  dem  Kopfschmuck  Tlauizcalpan  tecutWs.    Tonalamatl  der 

Aubin'schen  Sammlung  9 231 

,.      151.     tcoatJ.     Codex  Borbonicus  9 232 

152.     ÜachinoUi.     Codex  Borbonicus  9 232 

,.      153.     teoatl-tlachhwlU.     Codex  Borgia  69  [-  Kingsborough  46) 233 

••     154.        ,            „                 „            „       13  (=              „             26) 233 

,,     155.    Hieroglyphe  der  Stadt  Otompan.     Codex  Mendoza 234 

„     156.              „            chichimeca.     Ms.  Mcxicain  Nr.  3.     Bibliotheque  Nationale    .  234 

„      157.              „            chichimecatl.     Codex  Boturini  2 235 

„     158.              _                    „               Ms.  der  Aubin'schen  Sammlung 235 

„      159.     nica  i/ahKoi/ohca  yn  toca  cuifli  yn  toconcol.     Humboldt-Handschrift  III  .  238 

„    160,161.    Hieroglyphe  Cuixtli.    Ms.  Mexicaiu  Nr.  3.    Bibliotheque  Nationale    .  238 

„     162.    Ecatl.    Humboldt-Handschrift  III 238 

„    163—165.    Hieroglyphe  Eccdl.    Ms.  Mexicain  Nr.  3.     Bibliotheque  Nationale.    .  239 

„      166.     Zacateotlan.     Humboldt-Handschrift  III 239 

„      167.     Ocelotl,  Ahnherr  von  Zacateotlan.     Humboldt-Handschrift  III 239 

„      168.     Tecpatl,  Ahnherr  von                       .     Humboldt-Handschrift  III 239 

,,      169.     Der  Gott  {Xhihtecutli,  Fützintecutli)  und  die  Göttin  {XocJnquefzal),  Feuer- 
quirler  und  Bannerträger.    Von  einem  Bruchstück  der  Biblioteca  Nacional 

in  Mexico,  das  zur  Humboldt-Handschrift  III  gehören  muss 241 

„      171,     Hieroglyphe  Tefo/rfe^w,     Codex  Osuna  fol,  36  (498) 243 

„      172,              _            Lorenzo  de  San  Francisco.     Humboldt-Handschi-ift  V  .    .    .  244 

„      173.              „                                   ?                       .     Humboldt-Handschrift  V    .    .    .  244 

,,     174.    Icnotlacatl.    Ms.  Mexicain  Nr.  3.    Bibliotheque  Nationale 244 

.,      175.     Icnoix.    Ms.  Mexicain  Nr.  3.     Bibliotheque  Nationale 244 

.,      176.     Gerichtssitzung  in  Tetzcoco.     Humboldt-Handschrift  VI 246 

„     177.    Uoctor  JJorozco.     Codex  Osuna  fol.  3  (465) 249 

,      178.    Hieroglyphe  Antom'o  de  Mendoza.   Codex  Telleriano-Remensis  fol.  44  verso 

(=  Kingsborough  IV,  30) 251 


Abb 

.  179. 

180. 

181. 

182. 

183. 

184. 

185. 

186. 

187. 

188. 

189. 

190, 

192. 

193. 

194. 

195. 

196. 

197. 

198. 

199. 

200. 

201. 

202. 

203. 

204. 

205. 

206. 

207. 

208. 

209. 

210. 

211. 

212. 

213, 

Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  xill 

Seite 

Hieroglyphe  IaiIs  de  Velasco.     Codex  Osuna  fol.  21  (483) 251 

Gallego.     Codex  Osuna  fol.  27  (489)  verso 251 

Dr.  Vasco  de  Poga.     Codex  Osuna  fol.  23  (485)  verso  .   .    .  251 

.,            Doctor  Zorita.     Codex  Osuna  fol.  22  (484)  verso 251 

.,            Doctor  Villanueca.     Codex  Osuna  fol.  24  (486)  verso  ....  251 

„            Doctor  Villalobos.     Codex  Osuna  fol.  24  (486) 251 

Doctor  Bravo.    Codex  Osuna  fol.  22  (484) 251 

„            Doctor  Zei/nos.    Codex  Osuna  fol.  26  (488)  verso 251 

Fiscal  Maldonado.     Codex  Osuna  fol.  25  (487) 251 

Doctor  Horosco.     Codex  Osuna  23  (485) 251 

„            San  Francisco.     Codex  Osuna  fol.  37  (499)  verso 251 

191.    Erste  (unterste)  und  vierte  Reihe  der  Humboldt-Handschrift  VII  .    .  253 

gacatl  (Fiündel  Maisstengel).    Atlas  Goupil-Boban  PI.  27 254 

„            „                 „               Codex  Osuna  fol.  17 254 

„gallina  de  la  tierra" .     Atlas  Goupil-Boban  PI.  27 254 

/  peso  ypan  VI  tomines.    1  Peso  6  Reales.     Codex  Osuna  13 254 

ompohualli  pesos  ypan  VII  tomines  ypan  medio.     40  Pesos,  7Y2  Reales. 

Codex  Osuna  fol.  37 254 

27  Pesos  272  Reales.     Codex  Osuna  fol.  31 255 

31  Reales,  oder  3  Pesos  7  Reales.    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 255 

Hieroglyphe  Mizquiyauallan.     Codex  Mendoza  29,  7 256 

„                       „                     „      Osuna  fol.  36 256 

„           Sonntag.     Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

Ein  Truthahn.     Zwei  Real.     Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

Neun  kleine  Fische.    Ein  Real.    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

24  Enchiladas(?).    Ein  Real.     Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

40  Tortillas.     Ein  Real.    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

8  Körbchen  voll  Tamales.     Drei  Real.    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung  .    .  258 

80(?).    Ein  Real.    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

Ein  Zuckergebäck(?).    Zwei  Real.    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung    ....  258 

Eine  Fauega  Mais.    Drei  Real.     Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

Zwei  Bündel  Zacate.    Ein  Real.    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 258 

Spanier  (Richter  oder  Encomendero).     Ms.  Poinsett'sche  Sammlung  .    .    .  258 
Die  linke  Hälfte  der  Humboldt-Handschrift  VIII,  auf  ^j.,  verkleinert .    .    .  259 
Zwei  Ackerstücke  von   steiniger  und  sandiger  Beschaffenheit  und  ihr  Be- 
sitzer Juan  llatolmitl.    Codex  Vergara.     Atlas  Goupil-Boban  PI.  39  .    .    .  261 

214.  Ackerstück  von  steiniger  Beschaffenheit.     Codex  Vergara.    Atlas  Goupil- 
Boban  PI.  39 261 

215.  Zwei  Ackerstücke   von   sandiger   Beschaffenheit.     Codex  Vergara.     Atlas 
Goupil-Boban  PI.  39 261 

216.  Ackerstück  von  20  x  400  Ellen  in  der  Flur   I'e^ontitlan.    Atlas  Goupil- 
Boban  PI.  34 261 

217.  Ackerstück  von  30  x  1200  Ellen  in  der  Flur  Tegontliyacac.     Ebendort    .    .  261 

218.  „             „    20  X    100     „       „     „      „      Huexoquappan.    Ebendort    .  261 

219.  „             „  100  X    140     „       „      „      „      Tzonipantitlan.           „            .  261 

220.  solarpan  yhuan  tlapechcalli,  Grundstück  mit  Fruclitbäumen  und  Haus  mit 
flachem  Dach.    Atlas  Goupil-Boban  PI.  34 262 

221.  xulpan  inilli,  Acker  in  sandigem  Erdreich,    solarpan  xacalli,  Grandstück 

und  Haus  mit  Strohdach.    Ebendort 262 

222.  Hieroglyphe  ilhaitl  „Tag,  Fest".    Relief  der  Uhde'schen  Sammlung   im 
Königl.  Museum  für  Völkerkunde,  Berlin 267 

223.  Hieroglyphe  chalchiuitl  „grüner  Edelstein".    Desgl 268 

224.  „          ?  an  HimmclssrUiMern  der  Maya- Handschriften 268 

225.  „           kin  „Sonne-',  an  Himmelsschilderu  der  Maya-Handschriften  .  268 

226.  Humboldt-Handschrift  IX,  auf  V3  verkleinert 270 


XIV  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 

Abb.  ±21.    Humboldt-Handschrift  X,  auf  V3  verkleinert 270 

,,     228.     „carpiuteros"' .     Codex  Osuna  fol.  28,  verso 271 

..     229.     „tablones  de  madcra  grandes".     Codex  Mendoza  25 271 

,.     230.     ^morillos  de  madera".     Codex  Meiidoza  28 272 

,,     231.     .^•igas  grandes".     Codex  Mendoza  34 272 

„     232.     tlapcchtli  (tablad-    .•^^"  de  tablas).     Atlas  Goupil-Boban  PI.  34     ...    .  272 

„     233.    Humboldt-Handschrift  XI  und  die  drei  obersten  Reihen  von  XII   ....  274 

„     234.    Rest  der  Humbold-Haudschrift  XII,  auf  Vs  verkleinert 274 

.,     235.     -papel  de  la  tierra".     Codex  Mendoza  27 275 

,,     236.     ,miel  de  maguey  espesa".     Codex  Mendoza  25),  77 275 

„     237.    Die  drei  obersten  Reihen  der  Humboldt-Handschrift  XIII,  auf  '  g  verkl.  .  277 
.,     238.    Das  linke  Ende  der  beiden  untersten  Reihen  der  Humboldt-Handschrift  XIII, 

auf  Vi  verkleinert 277 

,.     239.     Hieroglyphe  ilhuitl  „Tag,  Fest".     Codex  Mendoza  19 278 

„     240.              „               ..          „         .,              „      Osuna  fol  16.  (478) 278 

„     241,  242.    Hieroglyphe  metztli  „Monat".    Ms.  Poinsett'sche  Sammlung    ....  278 
„     243.     Zwanzig  Frauen  zur  Dienstleistung,  am  Sonnabend  und  Sonntag.    Hum- 

boldt-HandscIirift  XIII 279 

,,     244.     Mahlstein  imetlail)  und  Handwalze  (metlapilU).   Ms.  Poinsett'sche  Sammlung  279 

„     245.     Eine  Fanega  Mais.     Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 279 

..     246.     Zwanzig  Fanegas  Mais.     Atlas  Goupil-Boban  PI.  27 280 

„     247,  248.     Unterschriften  auf  der  Kehrseite  der  Humboldt-Handschrift  VII    .    .  281 

„     249,  250.               „              „      „           .,           „            „                 „          XIII   .    .  281 
,,      251,  252.     rit::)uiuatl(?),  QuiyaulitX).     Gobernadores  de  indios  des  Dorfes  J//s- 

quiyauuUan.     Ms.  Poinsett'sche  Sammlung 282 

„     253.    Humboldt -Handschrift  XIV.  auf  -/s  verkleinert 284 

„     254.     Juan  Üaüutln.     Ms.  Mexicain  Nr.  3.     Bibliotheque  Nationale 285 

„      255,  256.     Personen    Namens    Qiiaquauh.     Ms.    Mexicain    Nr.  3.     Bibüotheque 

Nationale 285 

„     257.      auh   yn   cacahuatl  ....    chiquacen   tzantli   ypan    chicompohualli    „Und 

Kakaobohnen  ...  6  x  400  4-  7  x  20".     Codex  Osuna  fol.  37  (499) 286 

,.     258.     „1600  almendras  de  cacao."     Codex  Mendoza  19 286 

,,     259.    „carga  de  cacao."    Codex  Mendoza  48,  55 286 

„     260.    Eine  Tra erlast  CtJamamaUi)  Kakaobohnen  (cacauatl).    Codex  Osuna  fol.  37  286 

„     261—263.    43,  53  und  58  Lasten  Zacate.    Atlas  Goupil-Boban  PI.  30 287 

„     264.    8  Pesos,  27.,  Reales.     Atlas  Goupil-Boban  PI.  30 287 

„     265.    5     „       6»/.,       „            .,          „            „       „30 287 

„     266.    5      „      3           „            „          „            „       „    30 287 

Tafel  zu  Seite  289:   —   Das  Glaubensbekenntniss  und  die  zehn  Gebote. 
Humbold-Uandschrift  XVi. 

267.  Los  Articulos  de  la  Fe  son  catorce 290 

268.  Los  siete  pertenecen  jt  la  dinnidad 290 

269.  y  los  otros  siete  ä  la  santa  humanidad  de  nuestro  Senor  J.  C 290 

270.  Los  que  pertenecen  ä  la  divinidad,  son  estos 290 

271.  El  primcro  creer  en  un  solo  Dios  Todopoderoso 291 

272.  El  segundo  creer  que  es  Dios  Padre 291 

273.  El  tercero  creer  que  es  Dios  Hijo 291 

274.  El  cuarto  creer  que  es  Dios  Espiritu  Santo 291 

275.  El  quinto  creer  que  es  Criador 291 

276.  El  sesto  creer  que  es  Salvador. 292 

277.  El  septimo  creer  que  es  Glorificador 292 

278.  Los  que  pertenecen  ä  la  Santa  Humanidad  de  nuestro  Senor  Jesu  Cristo 
son  los  siguientes 292 

279.  rechts.     El  primero  creer  que  nuestro  Senor  J.  C.  en  cuanto  hombre  fue 
concebido  por  obra  del  Espiritu  Santo 292 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XV 

Seite 
Abb.  279,   links.    El  segundo   creer  que  nacio  de  Santa  Maria  Virgen,  siendo  ella 

Virgen  antes  del  parto,  y  despues  del  parto 292 

280.  El  tercero  creer  que  recebiö  muerte  y  pasion  por  salvar  ä  nosotros  peca- 
dores 293 

281.  El  cuarto  creer  que   descendio  ä  los  infiernos  y  sacö  las  änimas  de  los 
santos  Padres,  que  estaban  esperando  su  santo  advenimiento 293 

282.  El  quinto  creer  que  resucitu  al  tercero  dia  de  entre  los  muertos  ....  293 

283.  El  sesto  creer  que  subio  d  los  cielos,  y  estä  sentado  ä  la  diestra  de  Dios 
Padre  Todopoderoso 294 

284.  El  septimo  creer  que  vendrä  ä  juzgar  ä  los  vivos  y  ä  los  muertos   .    .    .  294 

285.  conviene  ä  saber,  ä  los  buenos,  para  darles  gloria,  porque  guardaron  sus 
santos  mandamientos 294 

286—288.    y  a  los  malos  pena  eterna,  porque  no  los  guardaron 295 

289.  Los  mandamientos  de  la  ley  de  Dios  son  diez 295 

290,  links.    Los  tres  primeros  pertenecen  al  honor  de  Dios 295 

290.  rechts,    y  los  otros  siete  al  provecho  del  prugimo 295 

291.  El  primero,  amaräs  ä  Dios  sobre  todas  las  cosas 296 

292.  El  segundo,  no  juraras  el  nombre  de  Dios  en  vano 296 

293.  El  tercero,  santificaräs  las  fiestas 296 

294.  El  cuarto,  honraräs  ä  tu  padre  y  madre 296 

295.  El  quinto,  no  mataras 296 

296.  El  sesto,  no  fornicaräs 297 

297.  El  septimo,  no  hurtaräs 297 

298.  El  octavo,  no  levantaras  falso  testimonio,  ni  mentiräs 297 

299.  El  noveno,  no  desearäs  la  muger  de  tu  prijgimo 297 

300.  El  decimo,  no  codiciaräs  bienes  agenos 297 

301.  Estos  diez  mandamientos  se  encierran  en  dos 297 

302.  En  servir  y  amar  ä  Dios  sobre  todas  las  cosas 298 

303.  y  ä  tu  prögimo  como  ä  ti  mismo 298 

Zweiter  Abschnitt.    5.  Der  Codex  Borgia 301 

Abb.     1.     Quetzaicouatl  als  Priester,  Regent  des  ersten  Tonalamatl -Viertels   ....  305 

„       2.     Tezcatlipoca,  Regent  des  zweiten  Tonalamatl-Viertels 305 

„       3.    Die  Erd-  und  Maisgöttin,  Regentin  des  dritten  Tonalamatl -Viertels     .    .    .  305 

„       4.    Der  herabkommende  Sonnengott,  Regent  des  vierten  Tonalamatl- Viertels  .  305 

„  5.  Der  Gott  des  Ostens,  erster  der  vier  Hüter  der  zweiten  Venusperiode  .  .  308 
„       6.     Xochipilli,    der  Gott    der  Lebensmittel    und   der  Blumen,    dritter    der  vier 

Hüter  der  ersten  Venusperiode o08 

„       7.     Xipe  Totec,    „Unser  Herr,    der  Geschundene",    dritter  der  vier  Hüter   der 

vierten  Venusperiode 309 

„       8.     ChalchiuJitlicue,  die  Göttin  des  fliessenden  Wassers,  vierte   der  vier  Hüter 

der  vierten  Venusperiode 309 

„  9.  Mixcouatl,  der  Gott  der  Jagd,  zweiter  der  vier  Hüter  der  fünften  Venus- 
periode    310 

„     10.     Tlaiiizcalpan  teciiUi,  der  Gott  des  Planeten  Venus,  zweiter  der  vier  Hüter 

der  vierten  Venusperiode 310 

„      11,     Quetzaicouatl,  der  Windgott,  und  Tlauizcalpan  tecuUi,  der  Gott  des  Abend- 

stems Bl'2 

„     12.    Der  rothe  und  der  schwarze  TezcatUpoca  auf  dem  ßallspielplatz 313 

„     l3.     Quetzaicouatl  der  Höhe,  Regent  des  ersten  Tageszeichens  cipactli  ....  314 

„     14.    Gott  des  Ostens,  Hüter  der  ersten  Venusperiode 315 

„     15.    Mixcouatl,  der  Gott  der  Jagd,  Hüter  der  zweiten  Venusperiode 316 

„      16.     TezcatUpoca   (in  der  Maske    de.-^  Windgottes)    und   Quetzaicouatl   auf  dem 

Wege  zur  Unterwelt 319 


XVI  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 
Abb.  17.     Quetzalcouatl,    auf   dem  chalchiuhtepetl,    vor  Tezcatlipoca,    ein  Abbild  des 

Todosgottes  (?)  opfernd 320 

.,     18.     Ciualcotl,  erste  der  fünf  Göttinnen  des  Westens 321 

19.    Macuil  cueizpalin  „Fünf  Eidechse",  erster  der  fünf  Götter  des  Südens  .    .  321 

.,     20.    Baum  des  Ostens 323 

„     21.    Baum  des  Nordens 323 

.,     22.    Baum  des  Westens 324 

,.     23.    Baum  des  Südens 324 

„     24.    Baum  der  Mitte 325 

„     25.     Toitafiuh  der  Sonnengott,  vor  dem  Tempel  des  Ostens 326 

.,     26.     Tezcatlipoca-itztlacoliuhqni,  vor  dem  Tempel  des  Nordens 326 

„     27.    Cinteotl,  der  Maisgott,  vor  dem  Tempel  des  Westens 327 

„     28.    Mictlantecutli,  der  Todesgott,  vor  dem  Tempel  des  Südens 327 

„     29.    Der  Gott  Macuil  oliii  fünf  Bewegung 328 

„     30.     Das  Jahr  naid  calli  vier  Haus 328 

„     31.      „       „      naui  tochtli  vier  Kaninchen 328 

„      32.      „       „      naui  acatl  vier  Rohr 328 

„     33.      „       „      naui  tecpatl  vier  Feuersteinmesser 328 

„     34.     Gottheit  des  Abendsterns,    en  face  gezeichnet,    mit  dem  Quincunx  weisser 

Flecke,  der  Hieroglyphe  des  Planeten  Venus 329 

„     35.    Der  Abendstern    (Tlauizcalpan  tecutli)^  in   der    ersten  Periode,    den  Speer 

gegen  ChalchiuhtUcue,  die  Wassergöttin  schleudernd 329 

„     36.     Tonafiuh  der  Sonnengott 331 

„      37.    metztli,  der  Mond,  und  Tlagolteotl,  die  Erdgöttin 331 

„      38.     Quetzalcouatl  der  Höhe 332 

„     39.    Der  Wanderer  am  Nordhimmel 332 

„     40.    Der  Wanderer  am  Südhiramel 333 

„     41.    Iztac  Mixcouatl 333 

;,     42.     Tonacatecutli,  Tonacaciuatl,  die  Herren  der  Lebensmittel •    .    •  334 

43.     Xochipilli  und  Xochiqiietzal 334 

„     44.     Xiuhtecutli,    der   Feuergott,   und    Tlauizcalpan   teeutli,    die    Gottheit    des 

Morgensterns,  Ptegenten  des  neunten  Tonalamatl-Abschnittes 335 

„     45.     Tlaloc,  der  Regengott,  Regent  des  siebenten  Tonalamatl-Abschnittes  .    .    .  336 

„     46.    Sonne,  Mond  und  Morgenstern 337 

„     47.     Quetzalcouatl,  der  Windgott,  Regent  der  Jahre  des  Westens 338 

Zweiter  Abschnitt.    6.  Codex  Cospi.    Die  mexikanische   Bilderhandschrift  von 

Bologna 341 

Abb.     1.    Das  vierte  Tageszeichen  cuetzpalin,  Eidechse 342 

„       2.    Formen  des  Tageszeichen?  tecpatl,   Feuerstein,   und  des  Steinmessergottes 

Itztli,  des  zweiten  der  neun  Herren 342 

„  3,  4.    Die  neun  Herren  der  Stunden  der  Nacht 343 

5.  Tlauizcalpan  teeutli,    die    Gottheit   des   Planeten   Venus,   in    der   zweiten 
Periode,  den  Speer  auf  die  Wassergöttiu  schleudernd 344 

6.  Tonatiuh,  der  Sonnengott,  Herr  des  Ostens 345 

7.  Tezcatlipoca-itztlacoliulupii,  Gott  des  Nordens 345 

Cinteotl,  der  Maisgott,  Herr  des  Westens 346 

Mictlantecutli,  der  Todesgott,  Herr  des  Südens 346 

10.  C'e  tochtli  „eins  Kaninchen"  =  Xiuhtecutli,  der  Feuergott 348 

11.  Ce  acatl  „eins  Rohr"  =  Tlauizcalpan  teeutli,  Gottheit  des  Morgensterns    .  348 

12.  Chicome  acatl  „sieben  Rohr"  -  Chictlapanqui  Tezcatlipoca,  der  halb  weisse, 
halb  schwarze  Tezcatlipoca  (-  TlauizcaljHm  teeutli'^) 349 

13.  Spinne,   Flügelinsekt,   Skorpion,    Schlange,   Jaguar  in  der  Höhle,   Tages- 
zeichenreihe bei  dem  Feuergotte  als  Zaubergott 350 


9. 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XVII 

Seite 
Abb.  14.     Schnecke,   Wurm  u.  s.  w.,    Tageszeichenreihe    bei    den   Erdgöttinnen   als 

Zaubergöttinnen 350 

.,     15.    mal/ II all/,    Schildkröte,   Eidechse,    Hirsch,   Kaninchen,   Tageszeichenreihen 

bei  Tezcatlipoca,  dem  Zaubergotte 351 

„      16.     mulinalli,   Papagei,    Schildkröte,    Kaninchen,    Hirsch,    Tageszeichenreihen 

bei  Tezcatlipoca,  dem  Zaubergotte 351 

„     17.     lual/iialli,  Schlange,  Eidechse,  Schildkröte,  Kaninchen,  Hirsch,  Tageszeichen- 
reihen bei  Tezcatlipoca,  dem  Zaubergotte 351 

Dritter  Abschnitt.    1.  Haya-Handschriften  und  Maya-Götter 357 

Abb.    1—4.      Chac,  der  Regengott.    Dresdener  Handsclirift  10b,  11c,  4a,  13a  .    .    .  360 

.,      5—7.         „        „            „                     „                 „           30a,  44a,  67c 360 

,.     8—10.        „        „            „            Codex  Tro  27b,  31d,  9*a 361 

„        11.       Der  Regengott  Chac,  auf  der  Schlange  Äh  bolon  tz'acab,  der  Wasser- 
gottheit, reitend.     Codex  Tro  2Gb 361 

„        12.       r/rt/of,  der  Regengott  der  Mexikaner.  Codex  Borgia  67  (=Kingsborough  48)  362 

„        13.            „        „            „          „            „         Codex  Land  12 363 

„        14.  „        „  .,  ,,  „         Codex    Vaticanus    B.  89    (=  Kings- 

borough  S) 364 

Dritter  Abschnitt.    2.   üeber   die   Namen  der  in    der  Dresdener  Handschrift 

abgebildeten  Maya-Götter 367 

Dresdener  Handschrift,  Blatt  25 368 

„26 869 

„27 370 

„     28.    .    . 371 

Abb.  1 — 16  c.     Hieroglyphen  und  hieroglyphische  Elemente 375 

Codex  Tro,  Blatt  23,  22 .    .    .    .  382 

„        „        „      21,20 383 

Dritter  Abschnitt.    3.  Entzifferung  der  Maya-Handschriften 390 

Abb.  17—26.     Hieroglyphe  des  Todesgottes  und  Ixirli-ittnde  Hieroglyphen 392 

„     27—34.              „            Itzanuiirti  und  begleitende  Hieroglyphen 394 

„     36—37.     Das  hieroglyphische  Element  „Uaclion'-  oder  „Gesicht"  n.  a 394 

„         88.        Hieroglyphe  des  Gottes  mit  dem  Aa/(-Zeichen  (des  Maisgottes).    .    .    .  394 
„     39 — 42.              „           des  Gottes   mit  dem  X«;pe-Streifen   im  Gesicht  und  seine 

Begleithieroglyphen 394 

..     43—63.    Hieroglyphe  des  Bohrens  u.  a.  Hieroglyphen 396 

„         A.         Der  schwarze  Cliac  mit  Speer  und  Wurfbrett 399 

„      B-C.     Der  Jäger,  mit  Wurtbrett  und  Speerbündel 399 

Dritter  Abschnitt.    4.  Die  Bedeutung  des  Zahlzeichens  20  in  der  Maya-Schrift  400 

Abb.  64—84.    Hieroglyphe  20  u.  a.  Hieroglyphen 401 

„     85—90.    Itzamnä.    Dresdener  Handschrift  9a,  9b,  5c,  14b,  14  c,  15b    ...    .  403 

„         91.         Ah  Kinchil  Coba,  Regent  des  Katun's  13.  ahau.    Chilam  Balam  von  Mani  403 

Dritter  Abschnitt.    5.   Der  Charakter   der   aztekischen   und   der   Maya-Hand- 
schriften    ^^ 


Abb.     1—6.      Hieroglyphen  Qiiauhtitlaii,  Quauhnauac,  Tollantzinco,  Xilotepcc.  Tcpe- 


ijacac,  Tcfzcoco 


408 


li 


XVin  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 
Abb.     7 — 9,      Hieroglyphen  ijax,  zac,  ceh,   das  zehnte,  eilfte  und  zwölfte  Jahresfest 

der  Maja 410 

„       10,11.     Hieroglyphe  ijax  hin,  das  siebente  Jahresfest  der  Maya 410 

„     12—16.    Die  Hieroglyphen  der  fünf  Farben:  —  yax  grün,  chac  roth,  zac  weiss, 

ek  schwarz,  kau  gelb 410 

IT — 21.    Die  Hieroglyphen  der  fünf  Richtungen:  —  ti  cuh  unten,  lakin  Osten, 

xaman  Norden,  chikin  Westen,  twhol  Süden 410 

„      22,23.     Andere  Formen  der  Hieroglyphe  ti  cah  unten 

,,     24 — 25.     Hieroglyphe  kau  kiii,  das  vierzehnte  Jahresfest  der  Maya 410 

„         26.                 .,           balaiH,  Jaguar 410 

„         27.                 ,,           eines  Vogels 410 

„      28,29.               „           der  alten  und  der  jungen  Göttin 410 

„         30.                 „           des  schwarzen  Gottes 410 

„         31.                 .,           des  Gottes  mit  dem  Ä-a;(-Zeichen 410 

„         32.                 .,           des  Gottes  mit  dem  A'//)e-Streifen 410 

„         33.                 .,           des  Gottes  mit  dem  aus  einer  Schlange  gebildeten  Gesicht  410 

„     34 — 79.             „           Tragen,  Matte,  Fangen  u.  a.  hieroglyphische  Elemente   .  414 


Dritter  Abschnitt.    6.  Die  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Haya-Hand- 

schriften 417 

Abb.    80—82.  Hieroglyphe  cipacfli,  Krokodil  1.  Tageszeichen  der  Mexikaner  423 

w  83.  „  eecail,  Wind  2.  „  „  „  423 

„  84,  „  colli,  Haus  3.  „  .,  „  423 

„        85,86.  „  cuetzpalin,  Eidechse  4.  „  ,,  „  423 

„        87,88.  „  couatl,  Schlange  5.  „  „  „  423 

89,90.  „  miquiztU,  Tod  6.  „  „  „  423 

„       91—93.  „  ma(jafl,  Hirsch  7.  „  „  „  423 

„        94,95.  „  tochtli,  Kaninchen  8.  „  „  „  423 

„      96—101.  „  atl,  Wasser  9.  „  „  „  423 

„     102—104.  „  itzcuintli,  Hund  10.  „  „  „  *423 

„      105-107.  „  ogomätli,  Affe  11.  „  „  „  431 

„     108—114.  „  wa/MjaKz,  Gedrehtes^  Besen  12.  „  „  „  431 

„     115—119.  „  acatl,  Rohr  13.  „  „  „  431 

„     120—122.  „  ocelotl,  Jaguar  14.  „  „  „  431 

„     123—125.  „  quauhtli,  Adler  15.  „  „  „  431 

„      126 — 128.  „  cozcaquauhtli,  Geier  16.  ,,  „  „  431 

„     129—132.  „  olin,  Bewegung  17.  „  „  „  438 

„     133 — 137.  „  tecpatl,  Feuersteinmesser    18.  „  ,,  „  438 

„      138—140.  ,,  quiauitl,  Regen  19.  .,  „  „  438 

,,     141—145.  „  xochitl,  Blume  20.  „  „  „  438 

M  146.  Pätecatl,  der  Pulquegott.     Codex  Borgia 439 

V  147.  Tla^olteotl,  die  Göttin  der  Erde.     Codex  Borgia 439 

„  148.  Tezcatlipoca.     Codex  Borgia 439 

,,  149.  Itztlacoliuhqui,  der  Gott  des  Steins  und  der  Strafe 439 

„  150.  metztli,  der  Mond 439 

„  151.  Xipe  Totec,  unser  Herr,  der  Geschundene,  der  Erdgott 439 

„  152.  chicauaztli,  der  Rasselstab  Xipe's 439 

„  153.  Das  rothe  Kopftuch  Tlatläuhqui  Tezcatlipoca' s 439 

„  154.  tlachtli,  Ballspielplatz 440 

„      155, 156.  Die  Bälle  der  Spieler  auf  dem  citlallachtli,  dem  Stemballspielplatz. 

Codex  Borgia  35  (=  Kingsborough  4) 440 

„      157,1.58.  Himmelsschilder  aus  der  Dresdener  Maya-Handschrift 440 

^  159.  quauhxicalli,  Steinerne  Opferblutschale.    Innenseite 441 

^^-  V  ,.  „  Unterseite 442 


Verzeiclmiss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XIX 

Seite 
Abb.  IGl — 197.     imix  1.  Tageszeichen  der  Maya  und  sein  Vorkommen  in  anderen 

Hieroglyphen ~7~T 450 

„     198—254.     i'k              2.  Tageszeichen  der  Maya  und  sein  "V"oAommen_.    .   .    .  454 

„     255 — 258.    uo              zweites  Jahresfest  der  Maya 457 

„      259,260.      mol             achtes            „            „        „ 457 

„     261 — 350.    akbal         3.  Tageszeichen  der  Maya  und  sein  Vorkommen.       .    .    .  459 

„      351 — 370.     kan            4.             „               „        „        „       „             „           465 

„     371—408.     chicchan    5.             „               ■,■>■>■>        51        »             »           ^^^ 

„     409-439.     cmii           6.             „               „       „        „       „             ,.          469 

,,     440-479.     manik        7.             „               „       „        „        „             „           471 

„     480—494.    lamat         8.             „               ■>■,       v        ^i       ■>■>             5?           ^^^ 

,.     495—519.    miiluc       9.  Tageszeichen  der  Maya  und  sein  Vorkommen  ._.    .    .    .  474 

„     520-555.     oc           10.             „               „       „        „       „     "       ;;"           .'   ....  476 

„      556—588.     chuen      11.             „               „       „         „       „             ,,             479 

„     589-602.    eb           12.             „              „       „        „       „             „            483 

„     603—645.    been        13.             „               „       „        „       „             „            484 

„     646—673.    ix           14.             „              „       „        »       „             »            487 

„     674—700.    men        15.             „              „       .,        -,       >,             „            489 

„     701-721.     cib          16.             „               „       „        „       „             „            491 

„     722—771.    cabaii     17.             „               „       „        „       „             „            498 

„     772—784.    e'tznab  18.             „               „       „        „       „             »            495 

„     785-842.     cauac     19.             „               „       „        „       „             ,>            497 

„     843—876.     ahau      20.             „               „       „        „       „             „            501 

Dritter  Abschnitt.    8.  Zur  mexikanischen  Chronologie,  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung des  zapotekischen  Kalenders 507 

Abb.     1 — 4.      lakin  Osten,  xamau  Norden,  chikin  Westen,  noTiol  Süden 523 

„       5 — 7.      ti  cab  unten 523 

„         8.          zac  eilftes  Jahresfest  der  Maya 523 

„         9.          yax  zehntes  Jahresfest  der  Maya 523 

„     10,   11.    yax  kin  siebentes  Jahresfest  der  Maya 523 

„         12.        Hieroglyphe  der  rothen  Göttin  mit  den  Jaguartatzen 523 

„     13 — 16.    Der  gelbe,  rothe,  weisse,  schwarze  Bacab  (?) 523 

„     17,    18.    Der  rothe  und  der  schwarze  Bringer  der  Jahre  (?) 523 

„     19—22.     kan  gelb,  chac  roth,  zac  weiss,  ek  schwarz 523 

Zu  Seite  524 :  —  Codex  Cortes  41,  42,  die  vier  Viertel  des  Tonalamatl's 
und  die  vier  Himmelsrichtungen. 
„         23.        Hieroglyphe  Äh  bolon  tz'acab's,   des  Wassergottes,   des  Eegenten  der 

Jahre  des  Ostens 526 

„         24.        Hieroglyphe  Kinch  ahau's,  des  Sonnengottes,  des  Regenten  der  Jahre 

des  Nordens 526 

„         25.        Hieroglyphe  Itsamnd's,  des  alten  Gottes,  des  Regenten  der  Jahre  des 

Westens 526 

„         26.        Hieroglyphe  i^ac  mann  ahaii's,  des  Herrn  der  sechs  Unterwelten,  des 

Regenten  der  Jahre  des  Südens 526 

„         27.        Andere  Form  der  Hieroglyphe  Ah  bolon  tz'acab 526 

„         28.        Begleithieroglyphe  Kinch  ahau's 526 

„         29.        Begleithieroglyphe  Ifzanuiä's 526 

.,         30.        Andere  Form  der  Hieroglyphe  Uac  mitun  ahau 526 

„     31 — 34.     Varianten  der  Hieroglyphe  xaman  „Norden" 526 

„     35,    36.     Feueropfer  (Hieroglyphe  yax-kan) 526 

„         36b.      Weinkrug 526 

„     37—63.     Verschiedene  Hieroglyphen  und  hieroglyphischc  Elemente 537 

„     64 — 77.    Hieroglyphe  caban  und  ihr  Vorkommen  in  anderen  Hieroglyphen    .    .  549 


YY  Verxeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 

Abb.  78 — 84.    Hieroglyphe  cauac  und  ihr  Vorkommen  in  anderen  Hieroglyphen    .    .  549 

^85.                 „           ^1«»  Stein M9 

„     86,   87.             „            ahau 549 

88.                 „           eb 549 

Dritter  Abschnitt.    11.  Ein  neuer  Versuch  zur  EntzlHerung  der  Maya-Schrift  .  558 

Abb.     1.      Der  als  Schlange  verkleidete  Gott,  mit  der  Hieroglyphe  t/aa--kan.    .    .    .  559 

,.     2.  3.    Opfergabe  .Leguan?) 559 

„     4,  5.     Hieroglyphe  yax-kaiiy  Feueropfer 559 

Dritter  Abschnirr.     12.   Does   there   really  exist  a  phonetic  key  to  the  Maya 

Hieroglyphic  writing? 562 

Abb.     1 — 17.    Buchstaben  des  Landa'schen  Alphabets  und  ihnen  entsprechende  hiero- 
glyphische Elemente 563 

18.        Hirsch  und  Hieroglyphe  , Fangen" 563 

19 — 22.    Hieroglyphe  des  Truthahns  fcutz).   des  Hundes  (pel-J  und  des  Uinal's 

k-(ni  hn 563 

23.        Der  Todesgott 563 

24—28.     Landa's  Wort  l<  .Lasso"  und  andere  Elieroglyphen 563 

,.     29,   30.     Hieroglyphe  i/aar-kan  ^Feueropfer" 563 

..     31 — 33.    Der  Jäger 563 

A.  Cyrus  Thomas's  erstes  Beispiel.     Codex  Tro  22* a 564 

B.  „              zweites  Beispiel.     Codex  Cortes  26 564 

C.  „              drittes  Beispiel.     Codex  Tro  32* b 564 

Dritter  Abschnitt.    13.  Is  the  Maya  Hieroglyphic  Writing  phonetic? 568 

Abb.    1 — 16.    Zifferschreibung  auf  den  C'ojxsr« -Stelen 569 

„     17 — 20.    Vorkommen  der  Hieroglyphe  i/a.r-l-aii 569 

„     21,  22.    Der  Gott   mit    dem   aus    einer  Schlange  gebildeten  Gesicht  und  seine 

Hieroglyphe.    Dresdener  Handschrift  5a,  lob 569 

,.     23 — 35.     Hieroglyphe  ..Faugen" 569 

^     36,   37.     Gegenseitige  Vertretung  der  Hieroglyphen  f:an  und  7.-/;i 569 

.,         38.        Xochiquetzal    und    der    Tanzgott,    musizirend.       Codex    Borgia    60 

(-  Kingsborough  55i       572 

,,         39.        Xochiqudzai  und  der  Mondgott,  musizirend.     Codex  Land  39  ...    .  572 

„         40.        Das  indianische  Orchester.    Dresdener  Handschrift  34  a 573 

.,     41,  42.    Rasselstabschwinger  und  Paukenschläger.     Codex  Tro  24*  23* d  .    ,    .  573 

43.  Paukenschläger.    Codex  Mendoza 573 

44.  Das  Orchester  bei  dem  Bacah  des  Ostens.     Codex  Tro  24 574 

45,   46.    Paukenschläger  und  seine  Hieroglyphen.     Codex  Tro  35  b 574 

47.  Norden,  Westen,  Süden.  Osten  und  der  weisse,  schwane,  gelbe,  rothe 
Bacab.    Dresdener  Handschrift  29,  30  c 574 

48.  Der  gelbe,  schwarze,  weisse,  rothe  Bacal.     Codex  Tro  31,  30d    .    .    .  574 

Dritter  Abschnitt.    17.  Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner 600 

Abb.     1.      Die  neun  Herren  der  Stunden  der  Nacht    Codex  Telleriano-Remensis    .  604 

M        2.        „        „          .,         „          „          ^     ■  ,,         Codex  Borbonicus 605 

3.        ^        „  ,.         „  ..  ^        „         Tonalamatl    der    Aubin'schen 

Sammlung 605 

n     4,  5.      „        „          „         ^          „          ..        ,,         Codex  Bologna 606 

6.      Die  dreizehn  Vögel.    Codex  Borgia 607 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XXI 

Seite 

Abb.     7.      Die  dreizehn  Vögel.     Codex  Borbonicus 608 

„        8.        „  ,.  „         Toualamatl  der  Aubia'schen  Samiiilung 608 

,.  9.  Die  dreizehn  Herren  der  Stunden  des  Tages.  Codex  Borbonicus  ....  GIO 
M      10.        „  „  „         „  „  „  „        Tonamatl  der  Aubin'schen 

Sammlung 610 

Dritter  Abschnitt.     18.  Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex 

Borgia-Grnppe 618 

Abb.     1.     tonatiu/i,  die  Sonne.     Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del  Palacio 619 

„       2.    metztli,  der  Mond.     Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del  Palacio 619 

„       3.    citlalpol,  der  grosse  Stern,  der  Morgenstern.    Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del 

Palacio 619 

,,       4.    citlalpopoca,    der   rauchende    Stern,    der  Komet.    Sahagun.  Ms.  Biblioteca 

del  Palacio G19 

,,  5.  citlallamhia,  der  schiessende  Stern.  Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del  Palacio  619 
„       6.     Das    Sternbild    inamalhuaztli,    Feuerbohrer.     Sahagun.    Ms.   Biblioteca  del 

Palacio 620 

„       7.    Das  Sternbild    miec,   Haufe,    die   Plejaden.     Sahagun.  Ms.  Biblioteca    del 

Palacio 620 

,,       8.     Das    Sternbild    citlallachtli,    StembaUspielplatz.     Sahagun.    Ms.  Biblioteca 

del  Palacio 620 

.,  9.  Das  Sternbild  xonecuilU,  das  S-förmig  gekrümmte.  Sahagun.  Ms.  Biblio- 
teca del  Palacio 620 

„  10.  Das  Srembild  colotl  „Skorpion".  Sahagun.  Ms.  Biblioteca  del  Palacio.  .  G20 
„       6  a — 10  a.    Die  Sterne,  die  den  in  6 — 10  genannten  mexikanischen  Sternbildern 

entsprechen 621 

„  10b.  Himmelskarte  der  Hui chol-In dianer  des  Staates  Jalisco.  (Nach  Lumbholtz)  622 
,,      11.     Tlauizcalpan  tecutli,  Gottheit  des  Morgensterns,  und  Hieroglyphe  Ce  acatl 

„eins  Rohr".  Codex  Telleriano  Remensis'f.  14,  verso  (=  Kingsborough  II,  14)  626 
„      12.     Xiuhteciitli,  der  Feuergott,  und  Tlauizccdpan  tecutli,  Regenten  des  neunten 

Tonalamatl-Abschnitts.    Tonalamatl  der  Aubin'schen  Sammlung  9  .    .    ,    .     628 

„     12  a.  Dieselben.     Codex  Borbonicus  9 629 

,,     12b.  Mumienbündel,   für   den   toten  Krieger   errichtet.     Bilderhandschrift   der 

Florentiner  Biblioteca  Nazionale 630 

„      13.    Xiuhtecutli,  der  Feuergott,  und  Tlauizcalpan  tecutli^  Regenten  des  neunten 

Tonalamatl-Abschnitts.     Codex  Borgia  69  (=  Kingsborough  46) 631 

,,      14.    Dieselben.     Codex  Vaticanus  B  57  {=  Kingsborough  40) 632 

„  15.  Mixcouatl,  Gott  des  Nordens.  Codex  Borgia  25  (=  Kingsborough  14)  .  .  635 
„     16.  „  „      „  „  „      Vaticanus  B  70  (=  Kingsborough  27)     635 

,.     17.     Gott  des  Ostens,  erster  der  vier  Hüter  der  zweiten  Venusperiode.     Codex 

Borgia  15  (=  Kingsborough  24) 636 

„     18.     Tlauizcalpan  tecutli,  Gottheit  des  Planeten  Venus,  zweiter  der  vier  Hüter 

der  vierten  Venusperiode.  Codex  Borgia  16  (=  Kingsborough  23)  ...  .  637 
„  19.  Mixcouatl,  der  Gott  der  Jagd,  zweiter  der  vier  Hüter  der  fünften  Venus- 
periode.    Codex  Borgia  15  (=  Kingsborough  24) 637 

„     20.     Tlauizcalpan  tecutli,  Gottheit  des  Planeten  Venus.     Codex  Vaticanus  B  37 

(=  Kingsborough  85) 637 

„  21.  Mixcouatl,  der  Gott  der  Jagd.  Codex  Vaticanus  B  37  (=  Kingsborough  85)  637 
„     22.    Xochipilli,   der   dritte    der   vier   Hüter   der   ersten  Venusperiode.     Codex 

Borgia  16  (=  Kingsborough  23) 638 

„     23.     Tonatiuh,  der  Sonnengott,  dritter  der  vier  Hüter  der  zweiten  Venusperiode. 

Codex  Vaticanus  B  38  {-  Kingsborough  86) 638 

.,     24.     Chalchiuhtlicue,  Göttin  des  jQüessenden  Wassers,   vierte  der  vier  Hüter  der 

vierten  Venusperiode.     Codex  Borgia  17  (=  Kingsborough  22) 639 

II* 


jj^jj  Verzeicliniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 
Abb.  25.     Gottheit  des  Abendsterns,  en  face  gezeichnet,   mit  dem  Quincunx  weisser 

Flecke  im  Gesicht,  der  Hieroglyphe  des  Planeten  Venus 641 

2H.    Hieroglyphe  des  Planeten  Venus.     Dresdener  Handschrift  4G — 50    ....  641 
97              ..              „          „             „          Von   Himmelsschildern    der   Dresdener 

Handschrift 641 

,,     28.     Hieroglyphe  des  Planeten  Venus.     Copan.    Altar  E 641 

„     29.     Tlaui-calpan  tecutli.     Codex  Borgia  19  (=  Kingsborough  20) 642 

30.  Qitft^ah-OKatl  und.  TIai<hc(tlj)an  tecutli.   Codex  Borgia  19  (=  Kingsborough  20)  643 

31.  Tlait/ci-alpan  tecutli,   Eegent  der  ersten  der  fünf  Venusperioden.     Codex 
Vaticauus  B  80  (=  Kingsborough  17)    .    .    .- 644 

.,     32.    Derselbe.     Codex  Borgia  53  (=  Kingsborough  62) 645 

,.     33.    Derselbe.    Eegent  der  zweiten  der  fünf  Venusperiodeu.     Codex  Bologna  9  646 
,,     34.     Vhcdchiuhtlicue,  die  Wassergöttin,  vom  Speer  des  Planeten  Venus  getroffen. 

Codex  Vaticanus  B  81  (=  Kingsborough  16) 649 

„     35.    Ah  bolon  ts'acab,  der  Wassergott,  vom  Speer  des  Planeten  Venus  getroffen. 

Dresdener  Handschrift  46 649 

„     36 — 38.    Ah   bolon    tz'ocab,    die    Wassergottheit.     Dresdener   Handschrift   3  a, 

7a,  12a 649 

„     39.    Dieselbe.    Dresdener  Handschrift  25  b 650 

„     40.    Der  Eegengott  CJiac,    auf  der  Schlange  Ah  bolon  tz'acab  reitend.    Codex 

Tro  26  b 650 

„     41.     Uiic  ekel  ahaii  und  Ah  bolon  tz'acab.     Copan.     Stele  D 651 

„     42.    Dieselben.     Copan.     Stele  D 651 

„     43.     Hieroglyphe  Ah  bolon  tz'acab.     Copan.     Stele  J 651 

„     44.              „             „        „           „              „         Altar  E 651 

„     45.              „             „        „           „              „         Stele  P 651 

„     46.    Ah  bolon  tz'acab,  als  Helmmaske.     Eelief  von  Menche  Tinamit 651 

„     46  a.   „       „          „        im  Eachen  der  Schlange.    Detail  der  Stele  D  von  Copan  651 

,,     47.      „        „          ,,        auf  dem  Stabe 651 

„     48.     Tezcathpoca,   vom  Speer  des  Planeten  Venus  getroffen.    Codex  Borgia  54 

{-  Kingsborough  61) 652 

„     49.    Der  Jaguar,  vom  Speer  des  Planeten  Venus  getroffen.    Codex  Vaticanus  B  84 

(=  Kingsborough  13) 652 

„     50.    Der  Jaguar,  vom  Speer  des  Planeten  Venus  getroffen.    Dresdener  Hand- 
schrift 47 652 

„     51.     Cinteotl,   der  Maisgott,   vom  Speer  des  Planeten  Venus  getroffen.     Codex 

Borgia  54  (=  Kingsborough  61) 653 

„      52.     Derselbe.     Codex  Bologna  9 653 

„     53.    Der  Gott  mit  dem  Äff»-Zeichen.    Vom  Speer  des  Planeten  Venus  getroffen. 

Dresdener  Handschrift  48 653 

„     54.    Der  Gott  mit  dem  Äa«-Zeichen.    Dresdener  Handschrift  9a 653 

„     55.     tlatocayotl,    das    Königthum,   vom    Speer   des   Planeten   Venus   getroffen. 

Codex  Borgia  54  (=  Kingsborough  Gl) 654 

„     56.    Dasselbe.     Codex  Vaticanus  B  83  (=  Kingsborough  14) 654 

„     57.    quauhi/otl,    die    Kriegerschaft,   vom    Speer    des  Planeten  Venus   getroffen. 

Codex  Borgia  54  (=  Kingsborough  61) 654 

„     58.    altepetl,  die  Gemeinde,    vom  Speer  des  Planeten  Venus   getroffen.    Codex 

Vaticanus  B  82  (=  Kingsborough  15) 654 

„     59.    Die  Schildkröte,   vom    Speer    des    Planeten   Venus    getroffen.     Dresdener 

Handschrift  49 655 

„     60.     Der    Krieger,    vom    Speer    des     Planeten    Venus     getroffen.      Dresdener 

Handschrift  50 655 

„     61.    aac,  die  Schildkröte.     Codex  Perez  24 655 

„     62.      „      „            „               Codex  Cortes 655 

„     63.    kayab,  das  siebzehnte  Jahresfest  der  Maya 655 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XXHI 

Seite 
Abb.  64.    Der  schwarze  Gott,  der  Regent  der  ersten  Venusperiode.    Dresdener  Hand- 
schrift 46 661 

„     65—67.     Der  schwarze  Gott.    Dresdener  Handschrift  7a,  14c,  14  b 661 

„     68.     Der  Regent  der  zweiten  Venusperiode.    Dresdener  Handschrift  47  ...    .  661 

„      69.     TJaidzcalpan  tecutli.     Codex  Vaticanus  B  (=  Kingsborough  17) 662 

70.     Sternauge    oder    Strahlauge.      Wiener    Handschrift    und    Wandmalereien 

von  Mitla 663 

,,      71.    Der  Vogel  Moan.     Dresdener  Handschrift  10a 663 

,,     72.     Der  Regent  der  dritten  Venusperiode.     Dresdener  Handschrift  48  ...    .  663 

„     73.    Der  Hirschdämon.     Dresdener  Handschrift  13  c 665 

„     74.    Die  alte  Göttin  am  Webstuhl.     Codex  Tro  ll*c 665 

„     75.    Der  Regent  der  vierten  Venusperiode.     Dresdener  Handschrift  49  ...    .  665 
„     "^e.      „          „        „    fünften             „                      „                   „            50  ...    .  665 
„     77.    Die  vier  und  die  neun  Formen  des  Abendstems.    Codex  Borgia  45  (-  Kings- 
borough 70) 667 

Dritter  Abschnitt.    19.  Quetzal couatl-Knknlcan  in  Tucatan 668 

Abb.     1.     Das  Hauptgebäude  in  Chi  ch'eti  Hza.     (Nach  Diego  de  Landa) 671 

„       2.     Grundriss  und  Aufriss    des  Tempels  „Caracol"   in  Chi  ch'en  Itza.     (Nach 

Holmes) 677 

„     3, 4.  Relieffiguren  aus  dem  Innern  des  Tempels  „El  Castillo"  in  Chi  ch'en  Itza  680 
„       5.     Relieffiguren  aus  dem  Innern  des  „Tempels  der  Jaguare  und  der  Schilde" 

in  Chi  ch'en  Itza 682 

„       6.     Geschnitzter  Deckbalken  aus  dem  Innern   des  „Tempels  der  Jaguare  und 

der  Schilde"  in  Chi  ch'en  Itza 683 

„       7.     Die  ersten  drei  Figuren  der  linken  Hälfte  der  untersten  (fünften)  Reihe  des 

Reliefs  an  der  Hinterwand  des  Saales  E  am  Ballspielplatze  in  Chi  ch'en  Itza  684 

„       8.    Figuren  der  untersten  (fünften)  Reihe  des  Reliefs  an  der  Südwand  des  Saales  E  684 
„       9.    Die  ersten  drei  Figuren    der  rechten  Hälfte  der  untersten  (fünften)  Reihe 

des  Reliefs  an  der  Hinterwand  des  Saales  E 685 

„     10.     Die  vierte    bis  sechste  Figur   der   rechten  Hälfte   der   untersten  (fünften) 

Reihe  des  Saales  E 685 

„     11.     Figuren  aus  der  Mitte  der  dritten  und  vierten  Reihe 687 

„      12.    Figuren  aus  der  zweiten  Reihe 689 

„      13.    Figuren  aus  der   ersten  (obersten)  Reihe    des  Reliefs   an  der  Hinterwand 

des  Saales  E  am  Ballspielplatze  in  Chi  ch'en  Itza 690 

„      14.     Quetzalcouatl-Kukulcan,  Relief  am  Mausoleum  III  in  CM  ch'en  Itza.    (Nach 

Photographie  von  Teobert  Maler.) 692 

„     15.     Periode  von  8  x  52  Jahren.     Ebendort.     (Nach  Photographie  von  Teobert 

Maler.) 693 

„      16.    ce  xitiitl  „eins  Jahr"*,  Bilderhandschrift  der  K.  K.  Hof-Bibliothek  in  Wien  694 
„      17.     xiuhmolpiUi,  s.  toxitihmolpia   -Jahresbündel"   oder   „unsere  Jahre  werden 

gebunden"  =  52jährige  Periode.   Historia  Mexicana.    Ms.  Sammlung  Aubin  694 
„      18.     Hieroglyphe  des  Planeten  Venus    nach   der  Dresdener  Handschrift  und  an 

dem  Altar  R  in  Copan .  695 

„     19.     Schmales  Reliefband  über   dem  Thüreingang    des  Ostflügels    der  Casa  de 

Monjas  in  Chi  ch'en  Itza.    (Nach  Maudslaj.) 695 

„     20.    Leithieroglyphe   für    die    zwanzig  Gottheiten    in   der    obersten   Reihe   der 

Blätter  4 — 10  der  Dresdener  Handschrift 696 

„      21.     Kukul  can  (?).     Dresdener  Handschrift  4  a 696 

„     22.    Der  junge  Gott.    Dresdener  Handschrift  4c,  6a,  7c,  Ha,  12b 697 

„     23,     Derselbe  (?),  mit  der  Maske  des  Regengottes.    Dresdener  Handschrift  12  c  697 
„     24.    Der  Gott  mit  dem  chicchan-Fleck.    Dresdener  Handschrift  7  b,  21c,  Codex 

Tro  9*b,  Dresdener  Handschrift  69.    Schlangenleib.    Codex  Tro  12  .    .    .  697 


jj^jy  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 

Abb.  25.    Begleithieroglyphe  für  Kuhulcan(J) 700 

„     26.    Hieroglyphe  „das  Thier  mit  der  erhobenen  Tatze" 700 

„     27.    Hieroglyphe? 700 

,.     28.    Kukul  can  (?)     Codex  Tro  22 700 

.,     29.    Kukul  can  (?)     Codex  Tro  31b 700 

„     30.    Hieroglyphe  tun  (=  Zeitraum  von  360  Tagen) 705 

,,     31.             „           pax,  sechszehntes  Jahresfest  der  Mexikaner 705 

Dritter  Abschnitt.    21.  Die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altar- 
platten  von  Palenque 712 

Abb.        1.  Altarplatten  vor  der  Stele  C  in  Copan,  zum  Theil  ergänzt.     (Nach 

Memoirs  of  the  Peabody  Museum,  Heft  I) 714 

,^           2.           Altar  vor  der  Nordseite  der  Stele  N  von  Copan 714 

„      2a,  2b.       c'«»«f-Zeichen,  von  Altären  in  Copan 714 

„           3.           Katun-Zeichen.     Copan  Stele  D 715 

4^  5,            „          „                .,          ,,      C,  Südseite  und  Nordseite 715 

6—8,            „          ,,               „          „      P,  Süd-,  Ost-  und  Nordseite 715 

!,            9.              „          V               V          ,.      J 716 

10.  „          „               „          „      E 716 

11.  „          ,.               „          .      A 716 

12.  „          „               .,          „      B 716 

13.  .,          „               „          „      M 716 

14.  „          „               „       Altar  S 716 

15.  „          .,               ,.       Stele  J 716 

16.  „          „               „          .,      F 716 

17.  „           „                „       Altar  K :    .  716 

18.  „          „               „       Stele  N 716 

„          19.              „           „            Quiriguä  Kröte  B 717 

„          20.             „          „                   „        Stele  A 717 

„       21,  22.          „          „                   „            „     C,  Ostseite,  Westseite  ........  717 

„       23,  24.          .,           „            Palenque  Kreuztempel  I,  II 717 

^          25.              „          „                 „         Sonnentempel .'  .    .  717 

.,          26.              „          „                 „         Hieroglyphentreppe 717 

„          27.             1.  ahau.     Copan,  Stele  M 721 

„          28.             8.  ahau  8.  zo'tz.    Copan,  Stele  M 721 

„          29,             4.  ahau  13.  cumku.     Copan,  Altar  S 721 

30.             3.  ahau.     Copan,  Stele  P 721 

„          31.             4.  ahau  18.  cumku.     Copan,  Stele  B 721 

„          32.           12.  ahau.     Copan,  Stele  A 721 

„          33.             5.  ahau.         „           „      J 721 

„          34.             6.  ahau  13.  (?)  kai/ab.     Copan,  Stele  C,  1,  2 721 

„          35.             4,  (?)  ahau  8.  (?)  cutnku.     „         „      C,  la,  2a 721 

„          36.           10.  ahau.     Copan,  Stele  D 721 

.,          37,             6.  ahau.     Quiriguä,  Stele  A 721 

„          38.            4.  ahau  8,  cumku.     Quiriguä,  Stele  C,  Ostseite 721 

„          39,             6.  ahau  13.  yaxkin.        „             „      C,  Westseite 721 

„          40.             8.  ahau  18.  tzec.    Palenque,  Kreuztempel    I 721 

„          41.             1.  ahau  18.  mae           „                    „            II 721 

„      42 — 44.       Ziffersäulen  und  Daten.    Dresdener  Handschrift  24,  43b,  31a   .    .    .  722 
„          45.           Ziffersäulen  und  Daten.      Dresdener   Handschrift  70,  71 — 73a,    71b 

rechts 725 

„      46—49.       Nach  Art  der  Schreibung  auf  den  Monumenten  geschriebene  Zahlen- 
reihen.   Dresdener  Handschrift  61,  69 726 

„       50,  51.       Desgleichen.     Dresdener  Handschrift  51,  52  a 727 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XXV 

Seite 

Abb.    52 — 74.      Hieroglyphe  k-iu,  Einer  oder  Einzeltage .  729 

75.  Gesicht  des  Sonnengottes.    Rückseite  der  Stele  H  von  Copan  .    .    .  732 

76 — 101.    Hieroglyphe  uincd,  Zwanziger,  oder  zwanzig  Tage 733 

102 — 125.    Hieroglyphe    tun,    Dreihundertundsechsziger    oder    Zeiträume     von 

360  Tagen 735 

126 — 141.    Hieroglyphe  kaiioi,  das  Zwanzigfache  von  360  oder  Zeiträume  von 

7200  Tagen 737 

142—158.    Hieroglyphe  des  Zyklus,    des  Zwanzigfachen  eines  Katun,   oder  der 

Zeiträume  von  141000  Tagen      739 

159.  Die  zwanzig  Tageszeichen,  nach  Bischof  Landa 741 

160.  „         „  „  ,  nach  der  Dresdener  Handschrift      .    .    .  741 

161.  „         ,,  ,,  ,  wie  sie  auf  den  Monumenten  vorkommen  742 

162.  Die  achtzehn  iilnal,  nach  Bischof  Lauda 743 

163.  „  „  „    ,  nach  der  Dresdener  Handschrift  .......  743 

163  a.        Die  xina  kaba  kin,    „        „  „  „ 743 

164.  Die  achtzehn  uinal  und  die  xma  kaba  kin,   wie  sie  auf  den  Monu- 
menten vorkommen 744 

165.  Hieroglyphe  Null.    Form  der  Handschriften 747 

166 — 168.  „  „  „        „    Monumente 748 

169.         Die  sieben  ersten  Hierogly[)hen  der  Cedrela-Holzplatte  von  Tikal  .  749 

l70,  171.     Textdaten  und  ihre  Abstände.     Cedrela-Holzplatte  von  Tikal    .    .    .  750 

172.  Ostseite  des  „Enano"  =  Stele  K,  von  Quirigud 753 

173.  Anfangshieroglyphen  der  Nord-  und  Südseite  der  Stele  C  von  Copan  756 

174.  Hieroglyphe  Sechs 756 

175.  „  Fünf 756 

176 — 178.     0  caban  10  mol.     Altäre  Q,  S  und  Hieroglypheutreppe  von  Copan  .  757 

179.  10  ahati,  acht  Tage,  10  kan  10  lamaf.     Stele  J  von  Copan  ....  757 

180.  Hieroglyphe  Zehn 757 

181.  Initial  Series  der  Altarplatte  des  Sonnentempels,  Falenque    ....  759 

182.  Hieroglyphen  C,  D,  7,  8,  des  Sonnentempcls,  Palenque 759 

183.  Initial  Series  des  Kreuztempels  II,  Falenque .■    •    •  759 

184.  „  „        „  „  I,         „         759 

185.  Hieroglyphe  der  Zahl  Eins.     Altarplatten  Falenque 762 

186.  Figur  und  Hieroglyphe  der  Frau.    Dresdener  Handschrift     ....  762 

187.  Hieroglyphe  der  Frau?    Palenque 7G2 

188.  „  der  Zahl  Drei 763 

189.  „  „      „     Vier 763 

190.  Der  Sonnengott,  knnch  ahau.     Dresdener  Handschrü't 763 

191—193.    Hieroglyphe  der  Zahl  Fünf 764 

194.  „  „       .,      Fünfzehn 764 

195.  „  „       „      Fünf 764 

196,  197.  „  „       „      Zehn 764 

198,  199.  „  „       „      Dreizehn 764 

200.  Hieroglyphen   von   der   Mitte    und    dem  Ostflügel   des   Inschriften- 
tempels von  Palenque 765 

201.  Hieroglyphe  der  Zahl  Sechszehn 765 

202.  „  „       „      Sechs T65 

203.  „  ,.       „      Achtzehn 766 

204.  „  „       „      Acht "«ÖG 

205,  206.     Bild  und  Hieroglyphe  des  Gottes  mit  dem  /««-Zeichen.     Nach  der 

Dresdener  Handschrift 766 

207—209.    Dritte,    zweite    und  erste  der  Zahlhieroglyphen    der  Altarplatte  des 

Kreuztempels  I  von  Falenque 767 

210—212.    Hieroglyphe  der  Zahl  Neun 768 

213 — 217.    Hieroglyphengruppen  vom  Inschriftentempel  von  Palenque 769 


XXVI  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 

Abb.       218.          10  ahaii,  8  ck'eu.     Stele  D  Copan 770 

„     219,   220.    Hieroglyphe  ch'ccti,  neuntes  Jahresfest  der  Maya 770 

„         221.          Initial  Series  der  Palasttreppe  von  Palenqnc 771 

„         222.              „          „        „    Stele  P  von  Copan 772 

1»         223.               „          „        „       „      E     »        ?5         < '3 

„         224.          Hieroglyphen  der  Zahl  Zwanzig 774 

,,         225.          Die  zwanzig  Götter  der  Dresdener  Handschrift   und    die  den  Multi- 
plikatorenzahlen entsprechenden  Götterköpfe  der  Monumente    ...  781 
„         226.          Eine  andere  Hieroglyphe  für  die  Zahl  Eins 783 

Dritter  Abschnitt.     22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  nnd 

Quirignä 792 

Abb.          1.          Hieroglyphe  cahan.    Westseite  der  Stele  D  von  Quirigud 792 

,,         2 — 11,      Götterköpfe  in  den  Katun-Zeichen 793 

n        1^     22.                 „             5j      ?>                 5>              '"o 

55             23 31.                              „                      5J          5}                             55                       "^^^ 

„           32.          Hieroglyphe  Mn.    Kröte  B  von  Quh-igud 796 

„           33.                   „              „      Ost-  und  Westseite  der  Stele  D  von  Quirigud  .   .  796 

„       34,   35.                „            uinal.     Stele  D  von  Quirigud 797 

„       36,   37.               „            tun.           „     „      „            „       797 

„           38.                   „            katun        „     ,,      „            „       797 

„           39.                   „            des  Zyklus.     Stele  D  von  Quirigud 797 

„           40.          Initial  Series  der  Westseite  der  Stele  E  von  Quirigud 798 

55                    '^i*                          55                     55               55                      55                     55              55           ^         5?                      55             '«'" 

.  „  42.  Hieroglyphe  31,  32  der  Westseite  der  Stele  F  von  Quirigud  12  caban, 

5  kayab 798 

„           43  a.        Hieroglyphe  16  der  Westseite  der  Stele  F  von  Quirigud 798 

„  43b.  „  18,  19  der  Westseite  der  Stele  F  von  Quirigud,  6  cimi, 

4  fzec 798 

„           44.          Initial  Series  der  Ostseite  der  Stele  F  von  Quirigud 800 

„  45.  Hieroglyphe  16,  17  der  Ostseite  der  Stele  F  von  Quirigud,  1  ahau, 

?>  zip 800 

„           46.          Initial  Series  der  Kröte  G  von  Quirigud 802 

47.  „          „         „    Stele  J      „            „        802 

48.  Der  Tag  ahau,  Ostseite  der  Stele  D 802 

„       49—51.       Quirigud.     Stele   D,   Ostseite,   Hieroglyphe    14,   Stele  E,    Ostseite, 

Hieroglyphe  17,  Stele  J,  Ostseite,  Hieroglyphe  27 803 

„           52.          Quirigud,  Stele  D,  Ostseite,  Hieroglyphe  21:  —  7  aliau,  IS  pop .    .  803 

:,           53.          Hieroglyphe  der  Zahl  Sieben.     Stele  D  von  Quirigud,  Ostseite.   .    .  804 

•5           54.                   „              „       „     Siebzehn.     Stele  D  von  Quirigud,  Westseite  .  804 

55           55.                    „              „       „            „           Kröte  B  von  Quirigud 804 

„  56.  Kopf,  Hand  und  Fuss  der  Figur  auf  der  Nordseite  der  Stele  A  von 

Quirigud 804 

„       57,   58.      Hieroglyphe  Null.    Kröte  B  von  Quirigud 805 

„       59,   60.               „               „       Ostseite  der  Stele  D  von  Quirigud    ....'..  805 

61.                   „            cimi  „Tod" 805 

62,   63.      Der  Todesgott.    Dresdener  Handschrift  10  a,  12  b 807 

V           64.          Hieroglyphe  der  Zahl  Zehn.    Kröte  B  von  Quirigud 807 

,,           65.                   „              ,,       ,,     Fünfzehn.    Ostseite  der  Stele  D  von  Quirigud  808 

55           66.                   „              „       „     Vierzehn.     Westseite  „      „     „     „           „  808 

55           67.                   „             „       „     Dreizehn.            „         „      „     „     „           „  808 

55           68.                   ,,              „       ,,     Neun.    Kröte  B  von  Quirigud 809 

55           69.                    „              „       ,.         ,,         Ostseite  der  Stele  D  von  Quirigud    .  809 

55           "^O.                   „             „       „         „         Westseite  „       „     „     „            „         .  809 


Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes.  XXVII 

Seite 

Abb.        71.          Hieroglyphe  der  Zahl  Zwölf.    Kröte  B  von  Qim-igud 809 

„       72,   73.  „  „       „     Sechszehn.    Westseite  und  Ostseite  der  Stele  D 

von  Quin'gud 811 

„           74.                   „              „       „     Acht.     Westseite  der  Stele  D  von  Quirigud  .  811 

„           75.                   „            Null.    Form  der  Handschriften 81.3 

„       76 — 102.             „              „        Form  der  Monumente 814 

„     103,   104.              „              „        Copan,  Stele  D  4,  5 814 

„      105,    106.              „               „        Kröte  B  von  Quirigud 815 

„      107,    los.              „               ,,        Ostseite  der  Stele  D  von  Quirigud 815 

„     109—114.             „            der  Zahl  Eins 816 

„         114  a.                 „              „       „     Zwei  (?).    Palenque,  Kreuztempel  I,  A  3    .    .  816 

„     115-118.             „             „       „     Drei 817 

„     119-122.              „             „       „     Vier 817 

„     123—129.              .,              „       „     Fünf 818 

„     130—132.             „             „       „     Sechs 818 

133.                   „             „       „     Sieben 819 

„     134—139.             „             „       „     Acht 819 

„         140.  Bild  und  Hieroglyphe  des  Gottes  mit  dem  A•«?^-Zeichen,  des  Eeprä- 

sentanten  der  Zahl  Acht.    Dresdener  Handschrift 820 

„         141.          Hieroglyphe  der  Zahl  Acht.     Stele  D  von  Quirigud,  Westseite .    .    .  820 

„     142—154.    Hieroglyphe  der  Zahl  Neun 820 

„          151.                   „              .,        .,         „        Kröte  B  von  Quirigud 821 

„      152, 153.  „  „       „        „       Ost-  und  Westseite   der  Stele  D   von 

Quirigud 821 

„          154.                  „              „       „         „       Copan.    Stele  E 821 

„     155—160.             „             „       „     Zehn 822 

„      161,162.              „              „       „     Zwölf 822 

.,     163—169.              „             „       „     Dreizehn 828 

„          170.                  „             „       „     Vierzehn 823 

„     171—173.              „              „       „     Fünfzehn 824 

„     174—178.              „              „       „     Sechszehn 824 

,,      179, 180.  „  „       „  „  West-   und   Ostseite   der   Stele  D 

von  Quirigud 825 

„     181—184.             „            „       „     Siebzehn 825 

„     185—188.             „              „       „     Achtzehn 826 

„      189,190.               „              „       „     Neunzehn 826 

„          191.                  „              „       „     Zwanzig.  Gewöhnliche  Foim  der  Handschriften  827 

„          192.                   „              „       „            „         Palenque,  Kreuztempel  I 828 

„          193.                  „              „       „            „                „        Palast  C,  Westflügel.    .    .  828 

„          194.         Doppelköplige  Schlange,  Nephritplatte  des  Leidener  Museums .    .    .  832 

„  195.  Hieroglyphenseite  der  Nephritplatte  des  Leidener  Museums  ....  833 
„          196.         Formen    des   Zeichens    malinalli,    des    zwölften   Tageszeichens    der 

Mexikaner 834 

Dritter  Abschnitt.    23.  Die  Cedrela-Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel  837 

Abb.     1.     Detail  vom  Fussgestell  der  grossen  Hieroglyphenplatte  I  von  Tikal   .    .    .  838 

„       2.    Hauptfigur  der  grossen  Hieroglyphenplatte  I  von  Tikal 839 

„       3.    xiuhcouanaualli    „Türkisschlangenverkleidung",     a.— f.    des    Feuergottes, 

g.  UitzilopochtlPs,  h.  Tezcatlipoca''a 841 

„       4.    Der  vordere  Kopf  der  Schlange  der  grossen  Hieroglyphenplatte  I  von  Tikal  842 

»  5.  „  hintere  „  „  „  „  „  »  »  5?  843 
„       6.    Der  Sonnenvogel,  am  oberen  Rande  der  grossen  Hieroglyphenplatte  I  von 

Tikal 845 

,,       7.    Der  Sonnenvogel,  Stuckrelief  von  Palenque 845 


XXVni  Verzeichniss  der  Abbildungen  des  ersten  Bandes. 

Seite 

Abb.    8.    Skulpturstück  am  Passe  des  Tempels  11.    Co-pan 847 

9.    Hieroglyphen  der  Schildkröte  und  der  neun  Riehtungen.     Copan  Stele  B .  847 
10.                ,.             Uuc  tk-el  ahau  und  Ah  bolon  tz'acah.     Copan  Stele  D  .    .    .  848 
11 — 18.    Hieroglyphengruppen  (Zahlen  und  Daten)  von  der  grossen  Hieroglyphen- 
platte  I  von  Tikal 849 

14.  Anfangshieroglyphen    (Zahlen  und  Daten)    der  Hieroglyphenplatte  II  von 
Tikal 850 

15.  Hieroglyphe  des  Vorabends 851 

,.    16, 17.     Weitere   Hieroglyphengruppen   (Zahlen   und  Daten)   der    Hieroglyphen- 
platte II  von  Tikal 852 

.,     18.    Anfangshieroglyphen  (Zahlen  und  Daten")   der  Hieroglyphenplatte  III  von 

Tikal 853 

..      19.     12  e'lznab,  11  zac.    Hieroglyphenplatte  III  von  Tikal 854 

,,     20.    Hieroglyphe  „Vorabend".    Dresdener  Handschrift 856 

-,     21.              „            xma  kaba  kin.     Dresdener  Handschrift 858 

.,      22.              „                         „                Pahnque 858 

„     23.     13  ik,  20  mol.     Kreuztempel  I.     Palenqiie  C.  D.  9 859 

„     24,    9  ik,  Vorabend  sae.    Kreuztempel  I.     Palenque  E.  F.  9 860 

„     25.     11  caban,  Vorabend  pop.     Kreuztempel  I.     Palenque  P.  Q 861 

„     26.    Hieroglyphe  Vorabend.    Kreuztempel  I.    Palenque 861 

..     27.             „            Faststag  >?).    Inschriftentempel  Palenque 861 


Krster  Abschnitt. 


Sprachliches. 


1. 

Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador. 

Originalmitthoilungen  aus  der  Ethnologischen  Abtheilung  der  Königlichen  Museen. 
Nr.  I.    Berlin  1885.     S.  44— 5G. 


Die  alten  Chronisten  erzählen  uns,  dass  die  kriegerischen  Tnka,  nach- 
dem sie  ihre  Eroberungen  auf  dem  Hochlande  bis  in  das  Gebiet  der 
Quillasenca  („Mondnasen",  von  dem  mondförmigen  Metallschmuck,  den  sie 
in  der  Nase  trugen)  von  Pasto  ausgedehnt,  auch  in  das  dem  westlichen 
Abhang  der  Cordilleren  vorgelagerte  Tiefland  hinabstiegen  und  liier  längs 
der  Küste,  über  die  den  grossen  Smaragd  umina  verehrenden  Manta  hinaus, 
bis  in  die  Gegend  des  C.  Passaos^)  vordrangen.  Hier  seien  aber  die  Be- 
wohner so  schmutzig  und  barbarisch  gewesen,  dass  der  Inka  den  Rückzug 
befohlen  habe,  denn  „diese  Leute  verdienten  nicht,  dass  er  ihr  Herr  sei"^). 
Die  Wahrheit  ist  wohl,  dass  durch  diese  von  Feuchtigkeit  triefenden  pfad- 
losen Urwälder  sich  einen  "SVeg  zu  bahnen  zwar  einem  Pedro  de  Alvarado 
und  seinen  eisenherzigen  Genossen  möglich  war,  die  erobernden  Inka  aber 
hier  ebenso  wenig  vorwärts  kamen,  wie  an  den  ähnliche  Verhältnisse  auf- 
weisenden östlichen  Abdachungen  der  Anden.  Für  die  Conquistadoren  hatten 
diese  Gegenden  Interesse,  denn  hier  irgendwo  in  der  Nähe  von  Manta  und  des 
von  den  Spaniern  gegründeten  Santiago  de  Puerto  Viejo  wurden  die  schönsten 
und  grössten  Smaragden  gegraben,  die  überhaupt  je  in  der  neuen  Welt 
angetroffen  worden  sind.  Auch  an  Gold  und  Silber  waren  diese  Indianer 
reich,  wie  die  Genossen  Alvarados  erfuhren,  von  denen  freilich  die 
meisten  ihre  erbeuteten  Schätze  wieder  weg  warfen,  da  sie  in  dem  öden 
Hochgebirg,  von  Hunger  und  Kälte  erschöpft,  kaum  ihre  Leiber  mehr 
weiter  schleppen  konnten.     Die    dauernde  Ansiedelung  der  Spanier    hatte 


1)  [So  nennt  es  Cieza  de  Leon,  der  die  Lage  dieses  Vorgebirges  als  mit  der 
Aequatorialhnie  zusammenfallend  angibt.  Auf  der  Wolf  sehen  Karte  von  Ecuador 
ist  es  als  Caho  Pasado  bezeichnet.] 

2)  Garcilasso  I,  9,  8. 

1* 


4  Erster  Abschnitt:   Sprachliches. 

die  Christianisirunu  der  Eingeborenen  zur  Folge.  Später  machten  hier, 
wie  überall  in  dem  der  Kultur  erschlossenen  tro})ischen  Amerika,  die 
Neoer  dem  einheimischen  Element  erfolgreich  Konkurrenz.  So  sind  von 
den  ursprünglichen  Verhältnissen  nur  noch  schwache  Reste  anzutreffen. 

Cieza  de  Leon  unterscheidet  in  den  Territorien  von  Puerto  Viejo 
und  Guayaquil  zwei  Arten  von  Eingeborenen.  Die  einen,  die  am  C.  Passaos 
und  am  Fluss  von  Santiago  und  weiter  südwärts,  also  in  der  heutigen 
Provinz  Manabi,  Wohnenden  seien  dadurch  unterschieden,  dass  sie  ihr 
Gesicht  zeichneten,  und  zwar  giengen  die  Striche  von  der  Ohrwurzel  bis 
zum  Kinn ^).  Die  anderen  nennt  er  nicht;  aus  dem  ganzen  Zusammenhang 
aber  geht  hervor,  dass  er  den  ersteren  die  Huancavillca  von  Guayaquil 
eeffenüberstellt,  deren  Stammbesonderheit  war,  dass  den  Kindern  schon 
im  frühen  Alter  drei  Zähne  jeder  Kinnlade  ausgebrochen  wurden^),  was 
Garcilasso  als  eine  ihnen  vom  Inka  für  ruchlose  Empörung  auferlegte 
guädige  Strafe  darstellt').  In  der  Nähe  der  betriebsamen  Hafenstadt  sind 
die  alten  Stammeseigenthümlichkeiten  längst  dahin  geschwunden.  Und 
so  auch  fast  in  dem  gesammten  sich  nordwärts  erstreckenden  Küstengebiet. 
Aber  in  dem  von  Urwald  bedeckten  und  von  zahlreichen  Wasseradern  durch- 
zogenen Berggewirr,  dem  Quellgebiet  der  Flüsse  Daule,  Palenque  und  Toachi, 
wo  zahlreiche  Querriegel  die  westliche  Hauptcordillere  mit  den  Küsten- 
ketten verbinden,  finden  sich  noch  ein  paar  Dörfer,  die  von  Indianern  be- 
wohnt werden,  welche  die  echten  unverfälschten  Nachkommen  der  alten 
Bewohner  von  Manabi  zu  sein  scheinen.  Es  sind  dies  die  Dörfer  Santo 
Domingo,  San  Miguel  und  Cocaniguas,  deren  Bewohner  unter  dem  Namen 
Colorados  bekannt  sind,  so  genannt,  weil  sie  sich  das  Gesicht*),  oder,  wie 
Herr  de  Wiener  angibt,  der  sie  im  Jahre  1880  besuchte,  von  Kopf  zu 
Fuss  ziegelroth  anstrichen^).  Sie  werden  in  Ecuador  mit  den  anderen 
nicht  Hochland  bewohnenden  Indianern  unter  dem  Generalnamen  Yumbo 
zusammengefasst^),  welcher  hier  statt  des  alten  Namen  Yuuca  gebraucht 
wird,  und  sind,  neben  den  Cayäpa,  die  einzigen  Indianer  der  Westseite 
Ecuadors,  die  noch  eine  eigene  Sprache  bewahrt  haben. 

Im  Uebrigen  wusste  man  von  ihnen  wenig.  Halbwegs  nach  Latacunga 
zweigt  sich  von  der  grossen,  von  Quito  nach  Guayaquil  führenden  Land- 
strasse ein  Pfad  ab,  der,  zwischen  den  Vulkanen  Corazon  und  Iliniza 
hindurch,  nach  Santo  Domingo  de  los  Colorados  führt').  Es  ist  ein  Fuss- 
pfad,  der  durch  den  Urwald  geht  und  die  zahlreichen  Rinnsale  auf  einzelneu 


1)  Cieza  I,  46. 

2)  Cieza  I,  49. 

3)  Garcilasso  I,  9,  3. 

4)  Manuel  Villavicencio,  Geogr.  Rep.  Ecuador,  S.  295  u.  296. 

5)  Globus  47,  S.  274. 

6)  Villavicencio,  1.  c.  S.  16«. 

7)  Briefliche  Mittheilung  des  Bischofs  Thiel  von  Costa  Rica. 


1.  Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador.  5 

darüber  gelegten  Baumstämmen  überschreitet.  Als  ausgezeichnete  Wald- 
läufer helfen  die  Colorados  den  Weissen  »und  Negern  bei  <ler  Gewinnung 
des  Kautschuk.  Sie  bringen  nach  Quito  W^achs,  Kautschuk,  Krdnüsse  und 
getrockneten  rothen  Pfeffer.'  Von  Santo  Domingo  aus  kommen  sie  bis- 
weilen an  den  Charapoto  hinab  nach  den  Hauptorten  der  Provinz  Ma- 
nabi.  Von  San  Miguel  aus  gehen  sie  im  Kanu  nach  Baizar  am  Rio 
Daule  und  bis  nach  Guayaquil.  Die  Leute  von  Cocaniguas  steigen  im 
Thal  des  Toachi  nach  Esmeraldas  hinab.  Für  gewöhnlich  leben  sie  zer- 
streut in  den  Wäldern  und  sammeln  sich  nur  in  ihren  Dörfern,  wenn  an 
hohen  Festtagen  ein  Pfarrgeistliclier  zu  ihnen  kommt*).  Wegen  Mangels 
an  Priestern  ist  es  indes  bisher  fast  unmöglich  gewesen,  sie  geliörig  zu 
pastoriren.  Ein  im  Jahre  1S74  vertriebener  deutscher  Priester,  welcher 
in  Quito  wohnte,  entschloss  sich  im  Jahre  1880,  diese  verlasseneu  Indianer 
aufzusuchen  und  blieb  vier  Monate  unter  ihnen.  Im  Jahre  1882  gieng  er 
zu  ihnen  zurück.  Als  Dolmetscher  diente  ihm  anfangs  der  Gobernador, 
ein  Colorado,  welcher  das  Spanische  gut  versteht.  Jetzt  versteht  der  be- 
treffende Priester  das  Colorado  so  ziemlich 
und  ist  auch  des  Quechua  mächtig.  Er  hat 
ein  kleines  Vocabular  der  Sprache  der  Colo- 
rados und  eine  üebersetzung  der  Fragen 
des  kleinen  Katechismus  angefertigt,  die  im 
Folgenden  zum  Abdruck  gelangen.  Ich  er- 
hielt dieses  Material  durch  gütige  Ver- 
mittelung  des  Herrn  Bischof  Thiel  von  Costa 
Rica,  dessen  Eifer  für  die  Wissenschaft  wir 
eine  schöne  Sammlung  von  Wörtern  der  Costa 
Rica- Sprachen  verdanken. 

Die  Notizen,  die  mir  der  Herr  Bischof  ausserdem  über  das  Aeussere 
der  Colorados  und  über  ihre  Sitten  gibt,  stimmen  im  Wesentlichen  mit 
dem  überein,  was  Herr  de  Wiener,  der,  wie  erwähnt,  im  .lahre  1880 
in  S.  Miguel  war  und  seine  hiformationen  dort  von  demselben  Priester 
erhielt,  vor  Kurzem  veröffentlielit  hat^).  Die  Colorados  sind  hellgelb 
(von  der  Farbe  des  gelblichen  Elfenbeins,  sagt  Herr  de  Wiener).  Unter 
den  500,  welche  gesehen  wurden,  hatten  drei  langes  blondes  Haar  und 
röthliche  Augen.  (Herr  de  AViener  gibt  noch  an,  dass  sie  Gesicht  und 
Arme  manchmal  durch  Zeichnungen  entstellen,  und  gibt  eine  nach  einer 
Photographie  angefertigte  Zeichnung  eines  Colorado,  wo  Paare  von  Strich- 
bändern über  Stirn,  Nase  und  von  der  Ohrwurzel  zum  Kinn  gezogen  sind, 
an  die  Beschreibung  erinnernd,    die   Cieza   de  Leon^)  von   der  bei  den 


1)  Villavicencio,  1.  c.  S.  295. 

2)  Globus  47,  S.  274. 

3)  —  „y  comienza    la  labor  desde  el  nacimiento  de  hi  oreja  y  suporior  del, 
y  deciende  hasta  la  barba,  del  anchor  quo  cada  uno  quiere". 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


alten  Bewolinern  von  Puerto  Viejo  üblichen  Bemalung  gibt.)  Vgl.  die 
umstehende  Abbildung.  Die  C(dorados  gehen  nackt  umher,  haben  nur  eine 
kleine  Schürze  um  die  Lenden.  (Nach  Herrn  de  Wiener  tragen  sie  Feder- 
kronen, metallene  Armbänder  und  kleine  Ponchos,  ganz  ähnlich  denen,  wie 
sie  in  peruanischen  Gräbern  gefunden  werden;  ausserdem  Halsbänder  aus 
Körnern.  Yogelknochen  und  europäischen  Glasperleu.)  Sie  leben  ein  fried- 
liches, unschuldiges  Leben  in  ihren  Wäldern.  Eigenthümlich  ist  ein  Brauch, 
den  sie  bei  der  Bestattung  üben.  Sie  begraben  ihre  Todten  unter  einem 
o-rossen  Baume.  Um  den  Leib  des  Todten  wird  eine  Schnur  gebunden, 
die  aus  dem  Grabe  herauskommt  und  lang  genug  sein  muss,  um  oben  an' 
einem  Aste  befestigt  zu  werden.  Täglich  besuchen  sie  ihre  Todten,  setzen 
Mais  und  Chicba  hin.  So  lauge  die  Schnur  noch  nicht  verfault  ist,  glauben 
sie,  bleibe  die  Seele  des  Todten  in  der  Umgegend.  Wenn  die  Schnur 
zerreisst,  hat  die  Seele  ihren  Weg  zum  Grossen  Geiste  gefunden^). 

Ich  lasse  nun  die  Wörter  und  Phrasen  in  der  Form  und  Ordnung 
folgen,  wie  sie  mir  überliefert  sind,  meine  Bemerkungen  mir  zum  Scliluss 
sparend.  Die  Zahlen  über  fünf  und  einige  andere  Wörter  sind  dem 
Queclma  entnommen,  wie  ich  das  in  den  beigesetzten  Klammern  gleich 
bemerkt  habe.  Ch  wird  wie  im  Spanischen,  also  wie  ts;  sh  wie  im 
Englischen,  also  wie  s,  ausgesprochen. 

"20.  zehnmal  chunyane. 

"iL  der  erste  caque. 

22.  der  zweite  venetdläle. 

der  dritte  ndne  pele. 

der  vierte  neanaca. 


\.  eins  manga. 
2.  zwei  palugd. 
o.  drei  paiman. 
-t.  vier  humbä  lulö. 

5.  fünf  Tnanta. 

6.  sechs  sta  (quech.  soyta). 

7.  sieben  cancJd  (quech.  canchis). 

8.  acht  poza  (quech.  pusay). 

9.  neun  ishco  (quech.  iskoii). 

10.  zehn  chunga  (quech.  chunca). 
IL  hundert  patza  (quech.  pachayj). 

12.  zweihundert  palupdtza. 

13.  tausend  mü  (span.). 

14.  zweitausend  pahi  mü. 
L").  einmal  mdnere. 

1().  zweimal  palune. 
17.  dreimal  paimane. 

15.  viermal   humpalulone. 
Lt.  fünfmal  mantane. 

u.  s.  w. 


2;i 

24. 

25.  der  fünfte  naneand. 

26.  der  sechste  nanean  beneche. 

27.  ich  la. 

28.  du  nu.- 

29.  er  7ie. 

30.  wir  lache. 

31.  ihr  nuche. 

32.  sie  nuche. 

33.  mein  Vater  luchi  dpa. 

34.  dein  Vater  9iuchi  dpa. 

35.  sein  Vater  chitichi  dpa. 

36.  Bruder  acö. 

"61.  meine  Brüder  hantachi  acö. 

38.  deine  Brüder  hannuchi  acö. 

39.  seine  Brüder  hanchitichi  acö. 


1)  Briefliche    Mittheilung    des    Bischofs    Thiel.      Vgl.    die    Darstellung    de 
Wiencr's  im  Globus,  die  nur  in  unwesentlichen  Details  abweicht. 


1.   Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador. 


40.  Kirche  i)ampa.  81. 

41.  unsere  Kirche  cocina  pampa.  82. 

(?  cocina  span.  „Küche".)  83. 

42.  ich  habe  tcigöe.  84. 

43.  du  hast  nutde.  85. 

44.  er  hat  yatäe.  86. 

45.  wir  haben  chiquilla  tdgöe.  87. 

46.  ihr  habt  llatcigoe.  88. 

47.  sie  haben  ya  lldte.  89. 

48.  er  ist  chiquilla.  90. 

49.  ihr  seid  nuinanga.  91. 

50.  Regen  chvdptana.  92. 

51.  Himmel  iöquido  oder  93. 

52.  lochincho.  94. 

53.  Sonne  iö.  95. 

54.  Mond  j)e.  96. 

55.  Stern  tzabö.  97. 

56.  Donner  cunta.  i      98. 

57.  Blitz  pinda.  j      99. 

58.  Hitze  chibage  oder  j     100. 

59.  lo  balbd  höe.  \    101. 

60.  Kälte  hidage.  j    102. 

61.  Tag  ma.  |    103. 
<)2.  Morgen  ayuna  (span.).  1    104. 

63.  Mittag  iö  tu.  \    105. 

64.  Abend  qtie  bina.  106. 

65.  Xacht  lerne  hua  oder  107. 

66.  quepe.  108. 

67.  Woche  domingo  (span.).  ,    109. 

68.  eine  Woche  ma  domingo.  \    110. 
09.  Monat  mampe. 

70.  Jahr  watd  (quech.  huata).  111. 

71.  Kopf     viuchii     (quech.      muchu        112. 

Nacken).  113. 

72.  Auge  cacö.  114. 

73.  Hand  tede.  115. 

74.  Bein  nede.  116. 

75.  Finger  temichu.  117. 

76.  Mund  fiquiforö. 

77.  Nase  quinfü.  118. 

78.  Bauch  pecolo.  1    119. 

79.  Herz  teng  ca.  j    120. 

80.  Haar  apichü.  1    121. 


Armschmuck  caläiatechili. 
Koj)fschmuck  michu  chili. 
Halsschmuck  chululuvi  oder 

chululü. 
Nasenschmuck  zocpe. 
Körper  chilatzatze  pöcd. 
Seele,  Geist  puianco. 
Blut  assang. 

Leben  chiquilla  sondnu. 
klein,  kurz  nachine,  sinanü. 
lang  odnga  sönanü. 
Gift  chuilla. 
krank  quiangpu  oder 

quiimpo. 
gesund  mosait  näio. 
gesund  seseinba. 
todt  puana. 
Schmerz  quianguü. 
der  Tod  puiang  pu. 
Mann  unilla. 
Weib  söna  söna. 
Yater  apd. 
Mutter  ayd. 
Sohn  nao. 
Bruder  acö. 
Schwester  soque. 
Onkel  mampi. 
Tante  mdmpeso. 
Tochter  namä. 
Jüngling    mangar   mozo    (halb 

span.). 
alt  unica. 
Fieber  hieddcpara. 
roth  chachüa. 
weiss  fibaga. 
schwarz  fabdga. 
Haus  id. 
Thür  tamo  pongo  (quech.  tampu 

puncu  Herbergsthür?) 
Dach  uriridpa. 
Küche  näda. 
Ochs  uald. 
Pferd  queld. 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


122.  Schwein  cutchi  (spau.). 

163. 

123.  Huhn   ualpa    (vgl.   queoh.  ata- 

164. 

'huallpa). 

165. 

124.  Hühnchen  ualpana. 

166. 

125.  Hahn  ualpa  ujiila. 

167. 

126.  neu  pipoca. 

168. 

127.  Fleisch  tachiga. 

169. 

128.  Hund  chuch?  (aztek.  span.  am. 

170. 

chicht). 

171. 

129.  "Wasser,  Flu>s  pe. 

172. 

130.  Salz  pima. 

173. 

131.  ein  Thal  er  Salz  malibai-ra  pima. 

174. 

132.  Milch  zahebe. 

175. 

133.  Brod  hibü. 

176. 

134,  Brennholz  te. 

177. 

135.  Gras  zeld. 

178. 

136.  Feuer  ni. 

179. 

137.  Teller  vibdnido  (?). 

180. 

138.  Gefäss  garro  (span.  jarro  Krug). 

181. 

139.  Stück  mdmbite. 

182. 

140.  Stein  cku. 

183. 

141.  Fisch  oazd. 

184. 

142.  Angel  berü. 

185. 

143.  Decke  foaeä. 

186. 

144.  Yogel  pichö  {quech.  pickiu.piscu). 

187. 

145.  Gold  laquegala. 

188. 

146.  Silber  ^a/a. 

189. 

147.  Messer  eiickiüo  (span.). 

190. 

148.  Baum  chitue. 

191. 

149.  Berg  heU. 

192. 

150.  Blatt  papd. 

193. 

151.  hart  ptoZo  hod. 

194. 

152.  Stock  cAm^'. 

195. 

153.  Hand  e. 

196. 

154.  Pastor  pdtile. 

197. 

155.  Weg  miniö. 

198. 

156.  Boden  to. 

199. 

157.  weit  entfernt  6am 

200. 

158.  nahe  hate. 

201. 

159.  reich  tang. 

202. 

160.  leicht  rer«. 

203. 

161.  langsam  jucang. 

204. 

162.  viel  patagena  oder 

•    205. 

viel  legan. 
wenig  nasine. 
nichts  ictöa. 
gross  avä  chue. 
klein  ndgao. 
schön,  hübsch  sehiie. 
hässlich  diceto. 
wild  papo. 
Wachs  cTiinapa. 
immer  quhiac. 
mein  tina. 
ja  ahd  oder 

hod. 
der  grosse  Sohn  and?!  ndo. 
unverheirathet  inangare  hunla. 
verheirathet  unüatang. 
wer?  moaf 
schreiben  ckittde. 
öffnen  forode. 
schliessen  döde. 
verkaufen  oside. 
kaufen  oziäna. 
geben  üJd  oe. 
regnen  chodgena. 
schlagen  olaga. 
kochen  tdde. 
essen  fide. 
weinen  oarinü. 
sich  verbrennen  nienü. 
knien  teleide. 

gewinnen  gande  (span.  ganaf). 
bezahlen  calaquade. 
lachen  cacdride. 
sterben  podchi  tu  oe. 
leben  sönrade. 
begraben  tnenäde. 
schneiden  purede. 
graben  töade. 
säen  wöa  quede. 
tödten  uälpato  tede. 
besteigen  chvdide. 
sich  setzen  chüdide. 
laufen  chvide. 


1.  Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador. 


206.  rufen,  laut  otide. 

207.  verzeihen  queti  oe. 

208.  streiten  quicdlagine. 

209.  wegwerfen  tobiquerede. 

210.  trinken  ctichide  oder 

211.  cuchizd  oder 

212.  cucMLlacede. 

213.  lügen  nene  pami. 

214.  stehlen  tarimpo. 

215.  sündi;jon  qneca  alügina. 

216.  sich  waschen  pipi  achd. 


217.  kämmen  paranguizä. 

218.  schweigen  mozarde. 

219.  antworten  becö  homö. 

220.  sich  auf  die  Erde  werfen  rodwa. 

221.  sich  erheben  cupade. 

222.  arbeiten  vitd. 

223.  essen  filainö 

224.  weinen  chinö. 

225.  gehen  maüainö. 

226.  schlafen  catzozd 

227.  Wie  heisst  du?  timu  muna^ 


228.  Wie  oft  hast  du  gefehlt?  niriam'  falta  icdto?  (Julia  span.). 

229.  Warum  hast  du  gefehlt?  riridito  katuiof 

230.  Niemals  habe  ich  gefehlt  numare  vianta. 

231.  Guten  Tag  cimd  hua. 
232    Gute  Xacht  ora  quebina. 

233.  Geduld  lampo. 

234.  Süude  ozdtang. 

235.  Zorn  pdmque. 

236.  Liebe  Gott,    so   gehst  du  zu  Gott,    zum  Himmel    Dios  chiminechd 
ioquidö  minechd. 

237.  Bekenne  deine  Fehler  zing  confesa  quinesa  (confesa  span.  „beichte, 
bekenne''). 

238.  Klage  an  deine  Fehler  nozdtela  Idriza. 

239.  Bete  jeden  Morgen  und  Abend  quepena  lechdquina  telale  quehi  rezagi 
hdginu  (i'ezar  span.  beten). 

240.  Hast  du  den  Zauberer  gerufen?  ponelabe  faHnul 

241.  Widersprichst  du  dem  Yater?  apaga  ticJio  mecöpätof 

242.  Widersprichst  du  der  Mutter?  ayanga  tichi  mecöpäto? 

243.  Widersprichst  du  dem  Gatten?  unillaga  tequi  chomecöpdtof 

244.  Habe  Geduld  sequema  sönate. 

245.  Streite  nicht  tinango  areque  cdtuna. 

246.  Sei  nicht  zornig  tinang  paituna. 

247.  Hast  du  Streit  gehabt  mit  dem  Yater?  apdga  quemif 

248.  Hast  du  Streit  gehabt  mit  der  Mutter?  ayanga  quemi? 

249.  Hast  du  Streit  gehabt  mit  den  Kindern?  naoga  quemif 

250.  Hast  du  Streit  gehabt  mit  den  Colorados?  tachiUaga  quemif 

251.  Hast  du  Branntwein  getrunken?  uguardicnte  cuchimif 

252.  Trinke  nur  ein  Glas  tina  cuchi  tudna. 

253.  Wirf  es  fort  tobi  querede. 

254.  Hast  du  Chicha  getrunken?  mala  cuchimif 

255.  Bist  du  betrunken  gewesen?  manina  vingang? 

256.  Das  ist  böse  oudn  hoza. 


10  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

•257.  Thue  es  nicht  mehr  tine  cdtu  de. 

258.  (Vom  Manne)  die  Ehe  brechen  luatuyiäza  tinu. 

259.  (Von  der  Frau)  die  Ehe  l)rechen  viangazdchi  tensa  muyo. 

260.  (Von  einem  jungen  Manne)  die  Ehe  brechen  mängarin  zachi. 

261.  (Von  einem  jnngen  Mädchen)  die  Ehe  brechen  »tangarin  zonä. 

262.  Mit  Weibern  nicht  sclierzen  sonülabe  tensätana. 

263.  Mit  Männern  nicht  scherzen  unülabe  tensutuna. 

264.  Du  hast  gestohlen  nu  tarimayo. 

265.  Du  musst  zurückgeben  nelohotö  pagare  quete  (pagar  S])an.  „bezahlen"). 

266.  Du  lügst  nu  neue  pchnaijo. 

'2Q7.  Schlecht  vom  Xächsten  sprechen  uianlä  pätiiiu,  oder 

268.  huanla  meco  patinu. 

269.  Hass  oder  Rache  liaben  lachi  haga  quiremöqueto. 

270.  Fleisch  essen  tachica  finu. 

271.  Gott  verzeiht  dir  Dios  telega  perdonai  (spau.). 

272.  Sündige  nicht  mehr  tinangoza  cätude. 

273.  Es  gibt  [nur]  einen  Gott  mängarin  Dios. 
'11  Al.  Gott  ist  im  Himmel  Dios  iöquidobe. 

'21b.  Gott  ist  überall  Dios  chitelate  tihele. 

276.  Gott  hat  keinen  Körper  Dios  tepö  cciitö. 

277.  Gott  weiss  Alles  Dios  telale  mi. 

278.  Gott  hört  Alles  Dios  tnerä  oe. 

279.  Gott  sieht  Alles  Dios  quidd  oe. 

280.  gut,  bös  mii^ü  oe,  jucäng. 

281.  Die  Sonne  ist  nicht  Gott  iö  Dios  chüe. 

282.  Der  Mond  ist  nicht  Gott  pe  Dios  chüe. 

283.  Gott  hat  die  Sonne,  Mond,   Körper  und  Seele  gemacht  Dios  queca 
io,  pe,  lachitzachi.,  puüngoco. 

284.  In  Gott  sind  drei  Personen  Dios  chi  paiman. 

285.  Jesus  Cliristus  ist  Sohn  Gottes  J.  C.  Dios  chi  nao. 

286.  Jesus  Christus  ist  Gott  uud  Mensch  J.  C.  Dios  i  imilla. 

287.  Maria  ist  Mutter  Jesu  Christi  Maria  J.  Cristochi  aya. 

288.  Jesus  Christus  hat  keine  Süude  J.  C.  tiuzd  itö. 

289.  Jesus  Christus  starb  am  Kreuz  J.  C.  chiquilla  chitengcld  puü. 

290.  Jesus  Christus  wurde  begraben  für  drei  Tage  J.  C  paiman  mamenaco. 

291.  Jesus  Christus  erhob  sich  vom  Grabe  J.  C.  paiman  mdtemangson  oder 

292.  ./.  C.  ichundto  bine^nenaratni. 

293.  Jesus  Christus  ist  im  Himmel' mit  Körper  und  Seele  J.  C.  amannd 
cielobi  puca  (span.  cielo  Himmel). 

294:.  Die  Seele  stirbt  nicht  tenga  puatumi. 

295.  Der  Körper  stirl^t  tenga  puan  mi. 

296.  Der  Hund  hat  keine  Seele  chuchu  titenga  itö. 

297.  Die  Seele  ist  mehr  als  der  Körper  chila  chi  tenga  timila  puatumö. 


1.  Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  vou  Ecuador.  11 

298.  Die  Seele  geht  zu  Gott  chilla  chi  tenga  Dios  hemi. 

•299.  Der  Körper  geht  zur  Erde  chilla  chi  chuzi  cato  purard  hemi. 

300.  Der  Meiiscli  hat  eine  Seele  un/lla  zachi  pi'iihni. 

301.  Das  Weib  hat  eine  Seele  sonäla  püämi. 

302.  Im  Himmel  sterben  sie  nicht  ioquidobi  pudti  chunci. 

303.  Im  Himmel  sind  sie  nicht  krank  quic'i  hi  chtmd. 
Einige  Personennamen  der  Colorados: 

Biturr,  Cömbalo,  Grande,  Orazona,  Jusana,  Jchung,   Cala- 
ciin,    Zango,    Zaragai,     Avaveli,    Alope.    Machiu,    La- 
quinchi,   Lotehe. 
Meist  haben  sie  spanische  und  Quechuu-Xamen. 

Bemerkungen. 

Eine  genauere  Durchsicht  des  oben  gegebenen  Yocabulars  zeigt,  dass 
melirere  der  deutschen  Uebersetzungen  nur  im  Allgemeinen  den  Sinn  der 
indianischen  Phrase  wiedergeben,  stellenweise  vielleicht  geradezu  irrthümlich 
sind.  Ich  will  im  Folgenden  versuchen,  die  Sache  richtig  zu  stellen,  so 
weit  es  nach  dem  spärlichen  Material  möglich  ist;  zuvor  aber  dasjenige, 
was  sich  von  grammatischen  Beziehungen  erkennen  lässt,  zusammenstellen. 
Das  Genitivverhältniss  wird  in  der  Sprache  der  Colorados  durch 
die  Partikel  chi  ausgedrückt,  die  zwischen  den  Besitzer  und  den  ihm  zu- 
gehörigen Gegenstand  tritt: 

la  ich,  lachi  mein,  nu  du,  nuchi  dein 
J.  C.  Dios  chi  iiao.,  J.  Chr.  (ist)  Gottes  Sohn 
Maria  J.   Cristochi  aya  Maria  ist  J.  Christi  Mutter. 
Von  anderen  Yerhältnisssuffixen  ist  zu  erwähnen: 
Die  Partikel  be  oder  6«,   die  wie  die  gleichklingende  Quechua  pi  den 
Locativ    bezeichnet,    aber    auch    den    Illativ,    wofür    im    Quechua    eine 
andere  Partikel  eintritt. 

Dios  iöquidobc  Gott  ist  im  Himmel 

J.  C.  amannä  cielobi  puca  J.  Chr.  ist  im  Himmel  mit  Körper  und  Seele 
ioquidobi  pudti  chunä  im  Himmel  sterben  sie  nicht 
to  bi  querede  wirf  es  weg  (auf  den  Boden) 
[unillabe  tensdtana  mit  Männern  nicht  scherzen]. 
Gemeinschaft  und  Gegensatz  wir<l  ausgedrückt  durch  die  Partikel  ^a; 
apaga  ticho  mecöpdto?  widerspriclist  du  dem  Vater? 
apdga  quemif  luist  du  Streit  gehabt  mit  dem  Vater? 
Der  Quechua-Partikel  yok  entspricht  die  Partikel  tang,  den  Besitzer 
des  betreffenden  Gegenstandes  bezeichnend: 

unilla  tang  (wörtlich  „einen  Mann  habend")  =  verheirathet 
ozdtang  ist  angegeben  als  „Sünde",  bedeutet  aber  „sündenbehaftef*, 
denn  „Sünde"  heisst  ozu,  vgl.  tinung  oza  cdtude  „sündige  nicht  melu"- . 
Dies  tang  hängt  vielleicht  mit  tang  „reich"   und  tag  ..haben"   zusannuen. 


1*2  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Ein  Verbuni  substantivum  scheint  nicht  zu  existiren: 

J.  C.  Dios  i  unilla  J.  Chr.  ist  Gott  und  (span.  if)  Mensch. 
Dairegen  kommt  eine  Art  copula  privativa  dadurch  zu  Stande,  dass 
das  mit  dem  Suffix  itö  behaftete  Wort  durcli  vorgesetztes  ti  einem  anderen 
angefügt  wird,  aussagend,  dass  das  durch  das  letztere  bezeichnete  Subjekt 
die  Eigenschaft  oder  den  Gegenstand  nicht  besitzt,  den  das  erstere  Wort 
bezeichnet. 

ckuchu  titenpa  itö  der  Hund  hat  keine  Seele  oder  ist  ohne  Seele  (tenga) 

J.  C.  tiuzäitö  Jesus  Christus  hat  keine  Sünde  {oza) 

Dios  tepöcäitö  Gott  hat  keinen  Körper  {pöca). 
Der    negirte  Satz   wird  sonst  durch   tina,   tinang  gebildet,   das  auch 
absolut  in  der  Bedeutung  „nein''  angeführt  ist: 

tijie  cätude  thue  es  uicht  mehr 

tinang  oza  cdtude  sündige  nicht  mehr 

tinang  oareque  cdtuna  streite  nicht 

tinang  paituna  sei  nicht  zornig. 
Daneben  aber  sind  durch  Xegativsätze  ein  paar  Phrasen  übersetzt,  in 
denen  die  Silbe  diu  eine  Eolle  spielt: 

io  Dios  chue  die  Sonne  ist  nicht  Gott 

pe  Dios  chi'/e  der  Mond  ist  nicht  Gott 

ioquidobi  puäti  chunä  im  Himmel  sterben  sie  nicht. 
A'ielleicht  ist  das  eigentlich*"  eine  Fragepartikel,    entsprechend  der  gleich- 
lautenden des  Quechua. 

Eine  Pluralbezeichnnng    tritt    nur  in   den  Personalpronomen  lache 
wir.  nuche  ihr.  [nechej  sie  und  in  den  Beispielen: 

Jian  lachi  acö  meine  Brüder,  han  michi  ac6  deine  Brüder. 

han  chitichi  acö  seine  Brüder 
hervor,   wo  han  ein  vorgesetztes  Demonstrativum  Pluralis  zu  sein  scheint. 
"Von  Yerbalsuffixen  ist   ein  Imperativsuffix    de  deutlich  erkennbar: 

tohi  querede  wirf  es  weg  (auf  den  Boden) 

tine  cätude  thue  es  nicht  mehr 

tinang  oza  cdtude  sündige  nicht  mehr. 
Dasselbe  Suffix  haben  auch  eine  grosse  Zahl  der  in  der  Liste  als  Infinitive 
aufgeführten  Verben    (180—83,    188,   189,   19-->,    194.   195,    197- -JOB,    -210, 
212,  218.  221). 

Eine   ähnliche  Bedeutung  scheint    auch  dem  Suffix  za   oder  sa  inne- 
zuwohnen : 

nozätelaldriza  bekenne  deine  Sünden  {ozd)  alle  (Jelale). 
Auch  dies  Suffix  weisen  mehrere  Verba  der  Liste  auf,  z.  B.: 

trinken  cuchi-de  oder  cuchi-za. 
Daneben  scheint  auch  eine  Art  Prohibitiv  auf  tana,  tuna  zu  existiren: 

so7vilabe  tensätana  mit  Weibern  nicht  scherzen 

uniltabe  tensätana  mit  Männern  nicht  scherzen 


1.  Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador.  13 

tinang  paituna  sei  nicht  zornig 

tina  cucki  twina  trinke  nur  ein  Glas. 
Das  Suffix  mi  tritt  in  einigen  Phrasen  auf,  die  es  zweifelhaft  machen, 
ol)    man    es    als   Suffix    der    zweiten    Person    oder    als  Fragejiartikel    an- 
sehen soll: 

mala  cuchimif  hast  du  Chichu  getrunken? 

aguat'diente  cuchimif  hast  du  Branntwein  getrunken? 

apaga  quemif  hast  du  Streit  gehabt  mit  dem  Vater? 
Andere  Male  wieder  tritt  das  mi  in  Phrasen  auf,    die  in   der  Ueber- 
setzung    offenbar    ungenau  wiedergegeben    sind    und  wo  mau   es  bald   als 
Fragepartikel,  bald  als  Affirmativpartikel  der  dritten  Person,   vergleichbar 
dem  Quechua  mi  ansehen  möchte.     Diese  sind: 

tenga  puatumi,  tenga  puanmi^ 
die  übersetzt  werden:  „Die  Seele  stirbt  nicht,  der  Körper  stirbt",  in  denen 
aber    das  AYort  „Körper"   gar    nicht    vorkommt,    uud    die    mir    beide    die 
Wiedergabe    der  Frage:    „Ist  die   Seele  (tenga)   sterblich  (püe)?"'    zu  sein 
scheinen.  —  Ferner 

unilla  zc'ichi  püami, 

sonäla  püami^ 
die  übersetzt   werden:    „Der  Mensch    hat  eine  Seele,    das  Weib   hat   eine 
Seele",   wo  aber  wiederum   von  Seele  nichts  vorkommt,   die  mir  vielmehr 
die  Antwort  auf  die  vorigen  Fragen  zu  enthalten  scheinen,  bedeutend: 

„der  Körper  {zachi)  des  Mannes  stirbt" 

„das  Weib  (d.  s.  der  Körper  des  Weibes)  stirbt". 
Verwandt  erscheint  das  Suffix  mayo^  bei  dem  aber  eine  Fragebeziehung 
aus  der  Uebersetzung  nicht  erkennbar  ist. 

7iu  tarimayo  du  hast  gestohlen 

7iu  nene  pcimayo  du  lügst 

manga  zachi  tensäviayo    mit    einem  Manne  Unzucht    treiben.    Ehe 
brechen  (von  der  Frau  gesagt). 
Mit  pu  oder  co  werden  Verbalnomina  gebildet: 

pwa,  Radikal  für  „sterben'",  puiangpu  der  Todte 

puiangco  der  Geist  des  Abgeschiedenen,  die  Seele 

quiang-pu  oder  quiem-pu  krank 

tarimpo    ist   mit    „stehlen"    übersetzt,    scheint    aber   vielmehr    ge- 
stohlenes Gut  zu  bedeuten. 
0'',  was  bei  mehreren  der  in  der  Liste  aufgeführten  Verben  und  auch 
unter    den  Phrasen    auftritt,    scheint    nur    eine   Bekräftigungspartikel    und 
vielleicht  wie  in  polo  hoä  „hart",  se  hue  „hübsch",  lo  balhd  höe  Hitze,  cimd 
hua  guten  Tag,  lerne  hua  Nacht.     Vgl.  174  ahä  oder  hod  „ja'\ 

Zweifelhaft    erscheint    ww,    das    vielleicht    eine    Causativpartikel    dar- 
stellt: 

ni  Feuer,  nienu  sich  verbrennen. 


14  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

P e r s o  n a  1  p r o n u lu i ii a  sind : 

la  ii'h.  jui  du,  7ie  oder  ya  er, 

lache  wir,  miche  ihr,  [nech']^).  ya  (oder  han?)  sie, 
iiiui  davon  werden  die  Possessi  tu 

lacht  mein,  nuchi  dein,  chitichi  sein 
mittels  der  (Tonitivpartikel  chi  gebildet. 

Von  anderen  Pronominihus  ist  nur  das  Interrogativ  um  moa  wer? 
angeführt. 

Die  Grundzahlen  sind  nur  bis  fünf  vorhanden.     Sie  lauten: 

manga  eins,  pahtgä  zwei,  paiman  drei,  humhälulö  vier,  manta  fünf. 
Ueber  die  ursprüngliche  Bedeutung    derselben    weiss   ich    nichts    an- 
zugeben. 

manga  ist  interessant,  weil  sich  hier   aus  dem  Begriff  der  Einheit, 
des  Alleinseins,  der  von  „jung,  unverheirathef'  herausgebildet  hat: 
mangann  Dios  es  ist  nur  ein  Gott 
mangarin  zachi  ein  junger  Mann 
mangarin  zona  ein  junges  Mädchen 
viangar  mozo  (span  )  ein  Jiingling 
mangare  hunla  unverheirathet. 
Die  Grundform    der  Zwei    ist  offenbar  palu,    und    dieselbe  Form    ist 
auch  in  der  Vier  deutlich  zu  erkennen. 

Für  die  Zahlen  6 — 10  treten  die  Quechuabezeichnungen  ein,  ebenso 
für  100,  w^ährend  1000  durch  das  spanische  7nil  gegeben  wird. 

Aus  den  Grundzahlen  werden  Multiplicativa  durch  Anhängung  der 
Silbe  ne  gebildet. 

Ganz  abweichend  gebildet  und  dunkel  sind  die  Ordnungszahlen. 
[Vielleicht  sind  das  vielmehr  die  Namen  der  einzelnen  Finger.] 

Von  syntaktischen  Verhältnissen  ist,  ausser  der  Genitivbildmig  mit  chi. 
noch  zu  erwähnen,  dass  das  Attribut  vor  seinem  Nomen  steht,  über- 
einstimmend mit  dem  Quechna,  Aymara  und  dem  Dialekt  von  Moche  und 
Eten  an  der  Küste  von  Peru,  aber  abweichend  vom  Chibcha,  Guarani  und 
den  Costa-rica- Sprachen. 

Ich  komme  nun  zu  dem  lexicographischen  TheiJ.  Hier  will  ich 
zunächst  einen  Punkt  erörtern,  der  mir  auffällig  gewesen  ist.  Herr 
de  Wiener,  der,  wie  ich  nach  den  mir  zugegangenen  Mittheilungen  an- 
zunehmen berechtigt  bin,  seine  Informationen  über  die  Colorados  dem- 
selben deutschen  Priester  verdankt,  welcher  das  oben  abgedruckte  Vocabular 
gesammelt,  gibt  an,  dass  die  Colorados  sich  selbst  Sacchas  nennen.  Unter 
den  Phrasen  oben  finden  wir: 

Hast  du  Streit  gehal)t  mit  den  Colorados?  tachillaga  quemif 
Dieses  Wort  tachiUa    erinnert    an   zwei  Worte.      Einmal    finden    wir    das 

1)  [32.  jiucfie  „sie"  scheint  verschrieben  für  neche.] 


1.  Notizen  über  die  Sprache  der  Colorados  von  Ecuador.  15 

Wort  zaehi  oder  tzachi,  auch  tzatze.     Dasselbe  erscheint  in  der  Bedeutung- 
„Körper**,  z.  B.: 

Dios  queca  iö  pe  lachitzachi  puringoco  Gott  hat  Sonne,  Mond,  (unseren) 
Körper  und  Seele  gemacht, 
aber  auch  in  der  Bedeutung  „Mensch,  Mann" : 
mangunn  zacJii  ein  junger  Mann 

manga  zachi   tensämayo    mit    einem    Manne    Unzucht  treiben,    Ehe 

brechen. 

Daneben  kommt  al)er  auch  das  Wort  chilla  in  der  Bedeutung  „Mensch"-  vor: 

chüla  chi  tenga  Dios  kernt  die  Seele  (des  Menschen)    gelit  zu  Gott 

chilla  chi  tenga  timila  puatumö  die  Seele  (des  Menschen)   ist  mehr 

als  der  Körper 
chilla    chi  chazi  cato  purarü  hemi    der  Körper    des  Menschen   geht 

zur  Erde 
chila  tzatze  pöcci  Kör|)er. 
Das  Wort  zachi  ist  offenbar  dasselbe  wie  Wien  er' s  Saccha,  und  zachi 
sowohl  wie  chilla  konnten  beide  aus  einer  volleren  Form  tzachilla  (=  dem 
obigen  tachilla)  hervorgegangen  sein.  Das  tzachilla  wiederum  erinnert  an 
chachila  „roth".  Demnach  wäre  der  von  de  Wiener  angegebene  Stamm- 
name, wie  die  in  den  Phrasen  auftretenden  Bezeichnungen  für  Mensch, 
Uebersetzungen  des  Xamens  Colorado  „roth"',  den  sie  auch  im 
Spanischen  tragen. 

Was  im  Einzelnen  die  Wörter  des  Vocabulars  angeht,  so  habe  ich 
über  die  Zahlen  und  die  Pronomina  schon  gesprochen. 

Nr.  41.  cocina  pampa  „Unsere  Kirche  (pampa)"-  verstehe  ich  nicht. 
Im  Manuscript  findet  sich  die  Bemerkung:  ,,cocina  sicher  aus  dem  Spanischen 
Küche". 

48.  chiquilla  ,.er  ist"  und  45.  chiquHla  tcigoe  „wir  haben".  Dazu 
89.  chiquilla  sonclnu  „Leben"  und  J.  C.  chiqiiilla  chi  tengchi  pud  „J.  Chr. 
starb  am  Kreuz".  —  Sollte  chiquilla  mit  chilla  „Mensch"  zusammenhängen? 

49.  numanga  „ihr  seid?"  dem  Wortsinn  nach  würde  man  übersetzen 
„du  allein". 

69.  mampe  „Monat"  ist  vielleicht  „ein  {manga)  Mond  {pey.  Vgl.  mam- 
bite  „ein  Stück". 

75.  temichu  „Finger"  ist  vielleicht  „Handspitze"  (<^'c?^  Hand,  muchu 
Kopf,  Ende?). 

76.  fquiforo  „Mund"  ist  zu  vergleichen  mit  foro-de  öffnen. 

79.  tengca  „Herz"  und  das  in  den  Katechismusfragen  vorkommende 
tenga  „Seele"  sind  offenbar  identisch. 

85.  zocpe  „Xasenschmuck".  Vielleicht  von  pe  „Mond".    Vgl.  Quillasenca. 

86.  chilatzatze  pöcd  „Körper".  Offenbar  zwei  Synonyme:  chilatzatze 
„Mensch,  Menschenleib,  Körper"  und  pöcn  („das  Sterl)liche"?)  der  „Körper". 
Vgl.  276.  Dios  tepöcäitö  „Gott  hat  keinen  Körper"  und  373. 


Iß  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

89.  chiqiiUla  sonünu  „Leben",  vgl.  Bemerkung  zu  48. 

90.  nachine  sinanü  „klein,  kurz",  heisst  offenbar:  ..kurzes  Leben" 
{\g}.  UU.  nttsine  „weuii;;"). 

in.  ocinga  sönanü  „lang",  offenbar  ebenfalls  „langes  Leben". 

98.  quianguü  „Schmerz",  scheint  verschrieben  für  quiangcu  oder 
quiaiig  pu. 

9\).  yuianypu  „der  Tod",  soll  wohl  heissen  „der  Todte",  vgl.  87  puiancö 
„Seele,  Geist"  (des  Abgeschiedenen)  und  283. 

lOL  söna  söna  „Weib"  ist  wohl  eine  Pluralform  durch  Verdop])elung. 
In  den  Katechismusfragen  ist  mehrfach  soiuda  übersetzt. 

108.  mampeso  „Tante",  wohl  von  mampi  „Onkel"  und  so  =  sond. 

UO.  manc/ar  mozo  ,, Jüngling",  s.  oben  bei  manga. 

112.  hiedtkpara  „Fieber",  vgl.  GO.  hidage  Kälte. 

134:.  te  „Brennholz"  ist  wohl  eigentlich  „Ast,  Zweig",  vgl.  tede  Arm, 
temichu  Finger,  Uchili  Armschmuck. 

161.  jucang  „langsam",  unter  280.  auch  als  „böse,  schlecht"  angegeben. 
Vgl.  auch  256  und  267,  268. 

166.  avä  chue  „gross",  vielleicht  „grosser  Stock"  (chue). 

167.  nägao  „klein",  vgl.  nasine  „wenig'',  nao  „Sohn"  und  das  Diminutiv 
na  in  ualpana  Hühnchen. 

168.  sehue  „hübsch"  ist  vielleicht  se-hüe  oder  se-oe^  und 

169.  diceto  „hässlich",  vielleicht  ti-se-itö.  Tgl.  oben  die  copula  privativa. 
180  ff.  Die  Yerba  sind  meist  in  der  Imperativform  auf  de  angegeben. 
202.  udlpatotede  „tödten",  heisst  „ein  Huhn  (ualpa)  tödten". 

209.  tobiquerede  „wegwerfen",  heisst  wörtlich:  „wirf  auf  den  Boden" 
{to  und  Locativsuffix  bi). 

213.  nenepami  „lügen",  eigentlich  wohl  „lügst  du?",  vgl,  „reden, 
sagen"  in  241 — 245,  267  und  268  \\n(\.  patile  Pastor. 

Unter  den  Phrasen  227  ff.   sind  mir   einige  nicht  ganz  klar  geworden. 

234.  ozcdang  „Sünde",  heisst  wohl  eigentlich  „sündebehaftet". 

236.  ?  Sollte  minechä  mit  miniö  „Weg"  zusammenhängen. 

239.  rezagi  offenbar  span.  reza,  rezo   Gebet  und  hüginu  =  span.  hagaf 

244.  sönate  Imperativ  „lebe". 

278.  Dios  merd  oe  „Gott  hört  Alles"  und  280.  mird  oe  „gut",  lassen 
sich  schwer  vereinigen,  ausser  durch  die  Annahme,  dass  das  Erstere  nicht 
zutreffend  übersetzt  ist  und  eigentlich  bedeutet:  „Gott  ist  gut". 

289.  ist  mir  ganz  unklar. 

290.  J.  C  paiman  ma  menaco.  Siehe  ma  „Tag"  und  mena-de  „begrabe". 
Leber  294  u.  295  und  300  u.  301   habe  ich  schon  oben  gesprochen. 

Was  nun  die  Stellung  der  Sprache  der  Colorados  betrifft,  so  ist  es 
mir  bisher  noch  nicht  möglich  gewesen,  deutliche  Zusammenhänge  mit 
irgend    einem    der    bekannten    Dialekte    aufzuweisen,      aya   „Mutter"    hat 


1.    Notizen  iibcr  die  Sprache  der  Cdlorados  von  Ecuador.  17 

wohl  nur  zufälli,i;'e  Aelmliclikcit  mit  arowakisch  mju.  fi</e  „iss""  im<l  tachica 
finu  „Fleisch  essen''  eriiiiierf  an  plienno  „essen"  der  Sprache  ih'r  Vunca 
von  Eten^).  Im  Uehrigen  ist  diese  Spraelie,  an  die  man  Ja  zunächst 
(hmken  möchte,  vollständig  verschieden  von  der  der  Colorados.  Auch 
Cieza  gibt  an,  dass  die  Indier  des  Distrikts  von  Puerto  Viejo  eine  aiid(?re 
Sprache  redeten  als  die  Huancavillcas  und  die  Leute  von  Tumbex  und 
Trujillo.  Aufschlüsse  Hessen  sich  vielleicht  aus  der  8])rache  der  Cayapa 
gewinnen,  die  nach  Villavicencio:  „conservan  su  primitive  idionia  que  es 
algo  gutural"' ^),  wenn  von  dieser  Sprache  noch  etwas  zu  rotten  ist.  Doch 
schreibt  mir  Bischof  Thiel:  „Meines  Wissens  sind  die  Colorados  die 
einzigen  Indianer  der  Westseite  Ecuadors,  welche  ihre  Sprache  behalten 
haben.    In  Esmeraldas  und  (Juayas  sucht  man  vergebens  nach  Sprachresten." 


1)  A.  Bastian,  Culturlandor  des  alten  Amerika  1,  S.   1G9 — IT.'!. 

2)  1.  c.  p.  ICS. 


Seier,  Gesammelte  AbliainiliinKeii  1. 


Ij^  Erster  Absclinitt:    Spracliliclics. 


Naehtrao-  A. 

Die  verwandten  Sprachen  der  (ayapa  und  der  Colorados 

von  Ecuador. 


Meinen  Aufsatz  über  die  Sprache  »1er  Colorados  von  Ecuador  vom 
Jahre  188.')  hatte  ich  mit  der  Bemerkung-  geschlos.seu.  dass  sich  für  diese 
Sprache  vielleiclit  aus  der  Sprache  der  Cayäpa  Aufschlüsse  gewinnen 
liessen.  die.  wie  Yillavicencio')  versichert.  ..conservan  sii  primitivo 
idjoma  que  es  algo  gutural".  Diese  Yerniuthung  hat  sich  bestätigt.  Wie 
ein  Blick  auf  das  Vokabular  lehrt,  das  Herr  H.  Wilczynski  in  San 
Lorenzo  (Ecuador)  auf  Veranlassung  Adolf  Bastian's  gesammelt  und 
der  anthropologischen  Gesellschaft  zugesandt  hat^).  haben  wir  in  der 
Sprache  der  Cayäpa  in  der  That  ein  Idiom  vor  uns.  das  dem  der  Colo- 
rados ganz  nahe  steht.  So  erklärt  denn  auch  Th.  Wolf^)  die  Sprache  der 
Colorados  nur  für  einen  Dialekt  der  Cayapa-Sprache.  Und  Brinton*)  führt 
die  Cayäpa  und  Colorados,  zusammen  mit  einigen  Bruchtheileu  von  Stämmen 
tles  Rio  Patia  Gebietes,  in  seinem  „Barbacoas  Linguistic  Stock"  auf. 

Das  Gebiet  der  Cayäpa.  ist  der  nach  ihnen  benannte  Fluss,  der  den 
nördlichsten  Theil  der  ecuadorianischen  Provinz  Esmeraldas  in  der  Richtung 
von  Süden  nach  Norden  durchfliesst  und,  mit  dem  Rio  Santiago  vereinigt, 
in  einem  Netz  von  seenartigen  Erweiterungen  und  halben  Meeresarmen 
endet,  die  das  waldbedeckte  flache  Alluvialland  der  Küste  von  La  Tola 
in  verschiedenen  Richtungen  durchschneiden. 

Die  ersten  eingehenden  Nachrichten  über  diese  Indianer  verdanken 
wir  dem  verdienten  Erforscher  der  geographischen  und  geologischen  A  er- 
liältnisse  der  Republik  Ecuador,  Theodor  Wolf.  In  seiner  „3Ienioria 
sobre  la  Geografia  y  (ieologia  de  la  Proviucia  de  Esmeraldas",  die  im 
Jahre  1879  in  Guayaquil  gedruckt  wurde,  beschreibt  er  am  Schluss  des 
geographischen  Theils  (S.  51  ff.)  die  Indianer  dieses  Gebietes,  und  dieser 
Abschnitt  ist  fast  ganz  den  Cayäpa  gewidmet.    Er  sagt  von  ihnen  Folgendes: 


1)  Geografia  de  la  Republica  del  Ecuador.     Xow-York  1858.     p.  ICs. 

2)  Yerhandl.  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.  19.  November  1887 
{.Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX)  S.  (597)— (599). 

3)  Geografia  y  Geologia  del  Ecuador.     Leipzig  1892.     p.  527. 

4)  The  American  Race  (New-York  1891).     p.  196— r.t9. 


Nachtrag  A.    Die  vorwandten  Sprachen  der  Cayapa  und  der  Colorados  von  Ecuador.      l<t 

„Wir  kennen  liereits  das  Gebiet,  das  diese  Indianer  einnehmen,  und 
<las  .sie  als  ihr  ausschliessliches  Eigenthum  in  Anspruch  nehmen.  Sie  leben 
sn  den  Ufern  des  Rio  Cayapas  und  seiner  Zuflüsse,  von  der  Eiumündmii^ 
des  Rio  (hizole  (aufwärts)  bis  an  den  Fuss  der  hohen  Cordillerenausläufer, 
und  nur  wenige  Familien  finden  sieh  noch  weiter  hinten,  in  den  Wäldern 
<les  oberen  Rio  Santiago,  in  dem  Pueblo  viojo  de  los  Cayapas.  Ihr 
Land  ist  eines  der  schönsten  des  westlichen  Abhanges  der  Anden.  Der 
äusserst  fruciitbare  Boden  bringt  in  Fülle  und  fast  ohne  Arbeit  Bananen, 
iiuineos,  Yukkas  und  andere  essbare  Wurzeln  und  Früchte  hervor,  von 
denen  die  Indianer  lel)en.  Die  Flüsse  sind  voll  guter  Fische,  und  die 
Wälder  voll  Wild,  dns  Klima  ist  ausgezeichnet  und  die  Temperatur 
gemässigt.  In  diesem  irdischen  Paradiese  leben  die  Indianer  ein  zu- 
friedenes, ruhiges  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  glückliches  Leben. 
Ungesellig,  wie  alle  wilden  Stämme  des  südamerikanischen  Kontinents,  ver- 
einigen sie  sich  nicht  in  Dörfern,  ausser  wenn  sie  ein  Fest  feiern,  und  so 
••^ind  die  Dörfer,  die  ich  auf  der  Karte  eingetragen  habe,  nur  kleine 
Gruppen  verlassener  Häuser,  die  nur  für  wenige  Tage  im  Jahre  als 
Wohnungen  dienen.  Die  Familien  leben  getrennt  von  einander  und  sehr 
zerstreut  und  bauen  ihre  Häuser  fast  immer  am  Ufer  eines  Flusses,  nur 
höchst  selten  weiter  drin  im  Walde.  Ausserdem  pflegen  sie  sehr  häufig 
den  Platz  zu  wechseln,  namentlich  wenn  das  Haupt  der  Familie  oder  eine 
andere  angesehene  Person  stirbt.  h\  diesem  Falle  l)egraben  sie  den 
Toten  unter  dem  Boden  des  Hauses  und  verlassen  es,  um  weit  entfernt 
von  der  Unglücksstätte  ein  anderes  zu  bauen.  Natürlich  gibt  es  noch 
keinen  Zensus  von  diesen  Indianern.  Al)er  wenn  man  die  bewohnten 
Häuser  überschlägt,  die  ich  auf  meiner  Reise  an  dem  Hauptflusse  an- 
getrofl'en  habe,  und  die  Berichte  über  die  Bewohner  der  Seitenflüsse, 
soweit  diese  zuverlässig  erscheinen,  in  Betraclit  zieht,  so  glaube  ich,  dass 
man  ihre  Zahl  auf  "2— 3000  veranschlagen  kann.  Der  gleichen  Ansicht  ist 
4ler  Pfarrer  von  Esmeraldas,  Dr.  M.  Echeverria,  der  in  den  Jahren,  als  er 
Pfarrer  von  Rio  Verde  und  La  Tola  war,  diese  Indianer  wiederholt  besuchte. 

„Der  physische  Charakter  dieser  Indianer  ist  der  gleiche  wie  der,  den 
ilie  ganze  südamerikanische  Rasse  an  sich  hat.  Sie  sind  von  mittlerer 
Statur  und  robuster  Konstitution.  Ihre  Farbe  ist  ein  helles,  ein  wenig 
ins  Gelbliche  fallendes  Kupferl)raun.  Ihre  Gesichtsbildung  ist  nicht  un- 
angenehm, trotz  der  ziemlich  vorstehenden  Backenknochen,  und  unter  den 
jungen  Leuten  sieht  man  viele  hübsche  Burschen  („buenos  mozos").  Aber 
sie  entstellen  sich  dadurch,  dass  sie  Streifen  i'other,  blauer,  schwarzer 
Farbe  auf  das  Gesicht,  die  Arme,  Beine,  die  Brust  u.  s  w.  malen,  gleich 
den  Indianern  des  Napo.  Vor  allem  scheint  ihnen  das  feurige  Roth  zu 
gefallen,  das  sie  aus  der  Frucht  des  Achiote  (Bixa  Orellana)  bereiten.  Ich 
habe  einige  Individuen  gesehen,  die  sich  den  ganzen  Körper  mit  dieser 
Substanz    angestrichen    hatten.     Ich   weiss   nicht,    ob   tliese   Bemalung  nur 


.)!(  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Jer  Verschönerung  dienen,  oder  ob  sie  irgend  einem  anderen  Zwecke 
dienen  soll.  /..  B.  die  Mosquitos  und  andere  Insekten  abzuhalten.  In  diesem 
Falle  würde  sie  in  gewisser  "Weise  die  Kleidung  ersetzen,  die  in  der  That 
in  diesem  milden  Klima  beinahe  überflüssig  erscheint. 

Die  Männer  tragen  eine  Art  kurzer  Hosen,  von  der  Grössi'  und  Form 
von  Schwimmhosen,  und  einige  ziehen  bisweilen  ein  kurzes  ärmelloses 
Hemd  an.  das  liis  zum  Xabel  reicht.  Die  Weiber  wickeln  sich  in  ein 
Stück  Stotf.  das  ihren  Körper  vom  Xabel  bis  zu  den  Knien  bedeckt.  Die>e 
einfachen  Kleider  sind  aus  Zeug  gefertigt,  das  sie  in  den  Kramläden  von  La 
Tola  kaufen,  oder  aus  einem  Baumbast,  der  oben  unter  dem  Namen  tamajagua 
beschrieben  worden  ist.  Beide  Geschlechter  gehen  stets  unbedeckten  Kopfes 
und  lassen  ihr  langes  und  schönes  Haupthaar  frei  herabfallen. 

Ausser  der  Bemaluug  brauchen  sie  wenig  Schmuck.  Der  ganze  Luxus 
der  "Weiber  besteht  in  einem  Halsband  aus  durchlöcherten  Silbermünzen, 
und  dies  scheint  die  einzige  Verwendung  zu  sein,  ilie  bei  ihnen  das  Silber 
hat,  denn  ihr  ganzer  Handel  besteht  im  Austausch  von  Naturprodukten 
(Kautschuk.  Aehiote.  Früchten)  oder  industriellen  Erzeugnissen  (Booten. 
Rudern,  Körben).  Doch  kennen  sie,  in  Folge  ihrer  Berührung  mit  den 
Bewohnern  von  La  Tola,  den  Werth  des  Silbers  und  pflegen  einige  Pesos 
für  den  jährlichen  Besuch  des  Pfarrgeistlicheu  aufzuheben.  Für  die  Hals- 
ketten ziehen  sie  die  alteu  und  grossen  Pesos  vor.  die  man  ,.Godos~  nennt, 
und  ich  habe  Weiber  gesehen,  die  mit  grossem  Stolz  gegen  zwanzig 
solcher  Pesos  aufgereiht  trugen,  und  ganz  kleine  Kinder  mit  einem  Gewicht 
von  fünf  bis  sechs  Pesos  am  Halse.  Von  Goldgegenständen  habe  ich  bei 
ihnen  nicht  ein  einziges  Stück  gesehen.  Die  Goldwäschen,  die  sich  in 
ihrem  Gebiete  befinden,  beuten  sie  nicht  aus.  und  gestatten  auch  Fremden 
nicht,  sie  auszubeuten.  Was  Villavicencio  über  den  Handel,  den  die 
Cayapa  mit  Feingold  treiben,  sagt,  ist  falsch.  Ich  zweifle  auch,  dass  in 
früheren  Zeiten  bei  ihnen  ein  solcher  Handel  bestanden  hat.  Denn  ich 
habe  nirgends  Spuren  davon  angetroffen,  dass  die  goldhaltigen  Bänke  auf- 
gegraben worden  seien.     Sie  sind  alle  noch  unberührt. 

Ihre  Häuser  sind  gut,  aus  Pambil  —  Stämmen  und  Balken  einer 
Palmenart  der  Gattung  Iriartea  —  erbaut,  geräumig  und  im  Allgemeinen 
reinlich.  Von  Hausthieren  halten  sie  nur  Hühner.  Schweine  und  Hunde. 
Ihre  Beschäftigung  besteht  fast  einzig  in  der  Beschaffung  des  täglichen 
Unterhalts  mittels  Jagd  uud  Fischfangs,  denn  <ler  Anbau  der  wenigen 
Vegetabilien,  die  sie  zur  Speise  verwenden,  erfordert  keine  Arbeit.  Zu 
gewissen  Zeiten  steigen  sie  mit  ihren  Familien  an  den  Strand  des  Meere> 
herunter,  um  sich  mit  Vorrätheu  von  Fischen,  Austern,  Miesmuscheln  uud 
anderen  Seemuschelu  zu  versehen.  Ich  bin  manchmal  verwundert  gewesen 
über  die  gewaltigen  Haufen  von  Schalen  von  Seemuschelu.  die  man  neben 
den  Häusern  antrifft,  und  zwar  oft  weit  von  der  Küste,  bis  an  den  Oberlauf 
des  Rio  Cayäpas.    Im  Flusse  selbst  leben  essbare  Mollusken   (Ampullaria, 


Nachtrag  A.    Die  veiwandton  Sprachen  clor  Cayäpa  und  der  Colorados  von  Ecuador.      21 

Tichogoiiia);  essl)nv<'  Lnndsehnocl^en  findet  man  im  Walde  (dit>  grossen 
Arten  Biilinius). 

Sehr  beschränkt  ist  die  Industrie  dieser  Indianer,  da  sie  keine  höheren 
Ziele  kennen,  auch  kein  Verlangen  nacdi  Reichthümern  tragen  —  der 
Vater  vererbt  nichts  auf  den  Sohn,  der  Gatte  nichts  auf  die  Gattin  — . 
Nur,  wenn  sie  genöthigt  sind,  irgend  etwas  in  T.a  Tola  zu  kaufen,  z.  B. 
Salz,  Zeuge,  Aexte,  Ikischmesser,  versehen  sie  sich  mit  einigen  Tausch- 
artikeln. Als  solche  dienen  ihnen,  neben  den  gewöhnlichen  Früchten, 
l)esonders  Tamajagua  (der  Bast  einer  Bombacee),  die  rothen  Farbstoff  ent- 
lialtenden  Samen  der  Bixa  Orellana,  geflochtene  Körbchen.  Pita  (die 
Faser  einer  Bromeliacee),  gute  Kanuo  und  elegante  Ruder. 

Einige  besitzen  schon  Feuerwaffen,  aber  ihre  nrs[)rüngliclie  und  ge-r 
bräuchlichstc  Waffe  ist  das  Bhisrohr,  das  sie  picliura  nennen,  und  das  sie 
mit  benierkenswerther  Geschicklichkeit  zu  handhaben  verstehen.  Zum 
Vergiften  der  Blasrohrpfeile  bedienen  sie  sich  eines  sehr  wirksamen  Giftes, 
das  sie  aus  der  Frucht  der  „venenillo"  genannten  Pflanze  gewinnen.  Ich 
habe  mir  diese  Pflanze  angesehen,  es  ist  eine  Solanacee,  die  in  jeder 
Beziehung  den-  „naranjilla"  (=  Solanum  quitense)  gleicht.  Nur  ist  die 
Frucht  nicht  rund,  sondern  länglich  birnförmig  und  von  prächtiger,  An- 
fangs gelber,  später  orangefarbener  Farbe  und  ohne  die  rauhe  haarige 
Schale,  die  die  „naranjilla''  hat.  Die  Pflanze  wächst  in  Menge  an  den 
Ufern  des  Rio  Cayapas  und  Rio  Santiago,  mit  Vorliebe  in  der  Nähe 
menschlicher  Behausungen.  Es  ist  möglich,  dass  sie  eine  neue  Art  der 
umfangreichen  Gattung  Sohinum  darstellt.  Denn  ich  besinne  mich  nicht, 
ihre  Beschreibung  in  irgend  einer  Botanik  gefunden  zu  haben.  In  diesem 
Falle  wird  sie  passender  Weise  Solanum  Cayapense  benannt  werden  können^). 

Meine  Reise  war  zu  kurz,  als  dass  ich  die  angeborenen  Sitten  und  den 
Charakter  dieser  Indianer  zur  Genüge  hätte  studiren  können.  Im  allgemeinen 
scheint  es  mir,  dass  sie  von  sanfter  Gemüthsart  sind,  nachgiebig,  höflich  und 
gastlich  gegenüber  den  Reisenden,  die  sie  nicht  belästigen.  Mit  einem  kleinen 
Geschenk,  insbesondere  einem  Schluck  Branntwein  erlangt  man  Alles  von 
ihnen.  Von  den  Weissen  von  La  Tola  habe  ich  ihre  l'hrlichkeit  rühmen 
liören.  Man  sagt,  dass  Diebstahl  bei  ihnen  unbekannt  ist.  Nur  darf  man 
nicht  zu  ihnen  gehen,  mit  der  Absicht  dort  zu  bleiben,  —  das  ist  das 
erste,  wonach  sie  fragen  — .  weil  dann  sogleich  ihr  angeborenes  Misstrauen 
erwacht.  Sie  wachen  sehr  eifrig  über  ihre  Freiheit  und  Unabhängigkeit 
und  lassen  in  ihrem  Gel)iet  keine  Bewohner  anderer  Rasse  zu.  Eine 
<'inzige  Negerfamilie  traf  ich  an  der  3Iündung  des  Rio  Telembi,  und  diese 
hatte  die  Erlaubniss  in  ihrem  Gel)iet  zu  wohnen,  von  den  Cayai>a  nur  als 
ein  ihnen  gestattetes  Privileg  erlangt,  nachilem  sie  ihm/n  viele  H<'weise  einer 

[1)  F.  Sodiro,  Professor  der  TJotanik  in  Quito,  dem  ich  ciive  eingehende  Be- 
schreibung zusandte,  vermuthet  darin  das  Solanum  nielancholicuni.] 


22  Erster  Absthuitt:    Sprachliihes. 

uneiiieniiüt/.ij;eii  Freuiulscliaft  .i4:oo:eb(.'n.  und  auch  nur  unter  der  ausdrück- 
lichen Hedini,aing,  kein  Hold  zu  waschen.  Ich  weiss  nicht,  ob  die  Vor- 
rechte und  die  Sonderstellung,  ilie  sie  beanspruchen,  gesetzlich  begründet 
sind,  oder  ob  sie  nur  in  ihrer  Vorstellung  existiren,  aber  Thatsachi'  ist. 
dass  sie  sie  bis  heute  aufrecht  zu  erhalten  wussten.  und  es  erreicht  haben, 
sich  frei  von  fremder  Beimischung  zu  erhalten. 

Wenn  sie  nach  La  Tola  herunterkommen,  nehmen  sie  im  Kanu  ihre 
ganze  Familie  mit.  aber  sie  bleiben  in  dem  Ort  nicht  länger,  als  ihre 
Geschäfte  unbedingt  erfordern,  und  verbringen  selten  die  Nacht  in  ihm. 
Wenn  sie  in  ganzen  Trupps  herunterkommen,  erwählen  sie  einen,  der  als 
CTeneralbevollmäelitigter  mit  den  Weissen  verhandelt  und  alle  Geschäfte 
abschliesst.  während  die  anderen  als  stumme  Zuschauer  daneben  sitzen. 

Das  politische  Band,  dass  sie  mit  den  anderen  Bewohnern  der  Provinz 
verbindet,  ist  sehr  locker.  Sie  stehen  unter  dem  Gouverneur  von  Esme- 
raldas,  erkennen  aber  keine  andere  unmittelbare  Autorität  als  die  ihres 
eigenen  Häuptlings  an,  den  sie  ebenfalls  „Gobernador"  nennen.  Ich  hatte 
die  Ehre,  in  dem  Hause  dieses  respektablen  indianischen  (rouverneurs  zu 
Gast  zu  sein,  der  in  der  Nähe  des  unteren  Pueblo  de  Cayä})as  wohnt 
und  sich  in  nichts  von  seinen  Landsleuten  unterscheidet,  ausser  durch 
einen  gewissen  würdigen  und  patriarchalischen  Zug  seines  gemalten  Gesichts, 
der  ohne  Zweifel  zu  seiner  Würde  gehört  und  die  Ehrfurcht,  die  ihm  die 
anderen  lodianer  erweisen,  erhöht  haben  wird.  Der  Sohn  des  Gobernadors 
scheint  ein  Fortschrittsmann  zu  sein,  da  er  der  einzige  unter  der  männ- 
lichen Bevölkerung  dieses  Staumies  ist,  den  ich  Hosen  aus  schwarzem 
Tuch  habe  anlegen  sehen,  und  der  auch  leidlich  gut  spanisch  spricht. 
Deshalb  begleitete  er  mich  gern  und  mit  einer  gewissen  Ostentatiou  auf 
meiner  Reise,  mit  einigen  anderen  jungen  Burschen,  indem  er  mir  als 
Dolmetsch  und  gelegentlich  auch  als  Beschützer  diente. 

Die  Gayäpa  sind  auch  Christen.  Der  Pfarrer  von  Pio  Verde  besucht 
sie  gewöhnlich  ein  .Mal  im  Jahre,  um  die  Kinder  zu  taufen  und  die  neuen 
Ehen  einzusegnen.  Auf  viel  mehr  wird  sich  sein  Amt  nicht  erstrecken 
können,  da  er  die  Sprache  nicht  kennt.  Aus  demselben  Crrunde  ist  es 
schwer  zu  erfahren,  welches  die  Vorstellungen  sind.  <lie  sich  diese  Indianer 
von  dem  höchsten  Wesen,  von  der  Seele  des  Menschen  und  im  Allgemeinen 
von  geistlichen  und  religiösen  Dingen  machen.  Ich  glaube,  dass  ihre 
Begriffe  nicht  sehr  hoch  sind,  und  dass  sie  nicht  über  die  einfachsten  Vor- 
stellungen hinausgehen,  die  die  Vernunft  oder  eine  Xaturreligiou  ihiUTi 
lehrte.  Ebenso  glaube  ich,  dass  sie  sich  mehr  durch  die  natürlichen  sitr- 
lichen  Empfindungen,  als  durch  die  christliche  Sittenlehre  leiten  lassen, 
die  sie  fast  niemals  hören,  oder  nur  in  einer  Sprache,  die  sie  nicht  verstehen. 

Die  Pietät,  die  den  Toten  gegenüber  beobachtet  wird,  ist  ein  Zug, 
der  der  ganzen  eingeborenen  amerikanischen  Rasse  eigen  zu  sein  scheint, 
und  älter  als  das  Christenthum  ist,    wie    die  Alterthümer   ilieser   Nationen 


Nachtrag  A.    Die  vervrandten  Spraclicn  der  Cayii])a  und  der  Colorados  von  Ecuador.      23 

beweisen.  Diese  Pietät  ist  mit  der  Ausrottung  der  Oötzcndienerei  nicht 
verschwunden,  aber  sie  äussert  sich  in  anderen  Formen,  da  man  beobachtet, 
dass  alle  Indianer  an  den  ^rotenmessen,  an  den  sogenannten  „responsos" 
und  an  allen  gottesdienstlichen  Zärimonien,  die  in  irgend  einer  Weise  auf 
die  Toten  sich  beziehen,  besonders  hängen,  und  es  ist  fast  unmöglich, 
ihnen  gewisse  alte  abergläubische  (lel)räuche  zu  nehmen,  die  sie  mit  dem 
kirchlichen  Kultus  vermengen.  So  besteht  auch  die  höchste  Aeusserung 
religiösen  (refühls  bei  den  Cayiipa  darin,  dem  Pfarrer  eine  Messe  für  ihre 
Toten  zu  bezalilen,  und  wenn  sie  ihren  Zweck  an  der  Küste  nicht  ein- 
reichen, kommen  s\i\  l>isweilen  mit  ihrem  (^eld  zu  den  Pfarreien  der  ßerg- 
region  von  Ibarra  und  Otavalo,  und  g(dien  nicht  fort  von  der  Kirche,  als 
sie  nicht  aHe  bezahlten  Messen  haben  feiern  sehen.  Ich  1)in  überzeugt, 
(hiss  sie  die  besondere  Bedeutung  dieser  Messen  nicht  verstehen,  aber  sie 
begnügen  sich  mit  der  allgemeinen  L'eberzeugung,  ihren  Toten  etwas  Gutes 
angethan  zu  haben. 

Die  Cayäpa  scheinen  Mühe  zu  haben,  das  Spanische  zu  erlernen. 
Obgleich  beinahe  alle  JMänner  einige  AVorte  verstehen,  können  es  doch 
nur  wenige  sprechen,  und  von  dem  Zeitwort  gebrauche?!  sie  nur  das 
(Jerundium.  Den  Weibern  verbieten  sie.  die  Sprache  der  Weissen  zu 
erlernen.  Xacli  Villavicencio  „sprechen  alle  das  idioma  general"  (d.  h. 
das  Quechua;.  aber  das  ist  ein  Trrthum.  Ich  glaube,  dass  nur  sehr  wenige 
es  verstehen,  und  dass  niemand  es  spricht.  Unter  sich  bedienen  sie 
sich  ausschliesslich  ihrer  eigenen  Sprache,  die  nichts  mit  dein  (Quechua 
gemein  hat." 

Zum  Beweis  für  das  letztere  gibt  Th.  Wolf  eine  kleine  Liste  von 
Cayapa-AVorten  mit  ihren  (iuechua-Entsprechungen,  die  ich  mir  ersparen 
kann  hier  zu  reproduziren.  Von  dem  Idiom  der  Cayäpa  selbst  urtheilt 
Th.  Wolf,  dass  es  die  Aufmerksamkeit  der  Linguisten  verdiene,  da  es 
die  einzige  und  letzte  der  Sprachen  des  westlichen  Ecuador  sei,  die  sich 
rein  und  unverniischt  mit  spanischen  und  Quechua-Worten  erhalten  habe. 
Er  erklärt  die  Sprache  der  Cayäpa  für  sanft  und  volltönend  und  viel 
weniger  eine  Kehllautsprache  als  das  Quechua.  Er  ist  der  Meinung,  dass 
das  spanische  Alphabet  zur  Wiedergabe  ihrer  Laute  genüge,  unter  Zu- 
fügaug  des  englischen  sh  für  den  durch  diesen  Doppelbuchstaben  be- 
zeichneten Laut,  für  den  es  in  dem  modernen  spanischen  Alphabet  an 
einem  Ausdruck  fehlt. 

Th.  Wolf  hat  auch  ein  kleines  Yokabular  der  Sprache  der  Cayäpa 
aufgenommen,  das  er  in  seinem  18! »J  veröffentlichten  Werke  „Geogratia  y 
Geologia  del  Ecuador''  reproduzirt.  ^lir  war,  als  ich  den  Plan  gefasst 
hjitte,  meine  in  verschiedenen  Zeitschriften  zerstreuten  kleinen  Abhand- 
lungen in  dem  gegenwärtigen  Bande  zu  vereinen,  der  Wunsch  rege  ge- 
worden, dem  Abdruck  meines  Aufsatzes  vom  .lahre  \>>K)  noch  das  neuer- 
dings   über    die  Sprachen    dieser   Stämme   bekannt  gewordene   oder  sonst 


.)^  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

noch  von  ilinen  zu  erreichende  Material  hinzu/ufüo-en.  Ich  wandte  mich 
deshalb  an  Th.  Wolf,  nnd  dieser  war  so  liebenswürdig,  nicht  nur  das 
u:enannte  von  ihm  aufgenommene  Cayapa -Vokabular,  sondern  auch  alles 
übrige  in  seinem  Besitz  befindliche  Material  über  die  eingeborenen  Sprachen 
K(.'uador"s  mir  zur  Verfügung  zu  stellen.  Tdi  besitze  deshalb  jetzt  über 
die  Sprache  der  Colorados 

1.  Das  Vokabular  des  ungenannten  (ieistlichen,  das  ich  in  meinem 
Aufsatz  vom  Jalire  1S85  zum  Abdruck  gebracht  habe.  Die  ihm  ent- 
nouimenen  Worte  und  Sätze  sind  in  der  folgenden  Zusammenstellung 
durch  den  Buchstaben  (A)  bezeichnet 

2.  Ein  von  Herrn  X.  A.  Martiuez  in  Quito  aufgenommenes  Vokabular. 
Die  W^orte  dieser  Liste  sind  unten  durch  den  Buchstaben  (M)  gekenn- 
zeichnet. 

Ueber  die  Si)rache  der  Cayiipa  besitze  ich: 

1.  Das  von  Th.  W^olf  aufgenonmiene  Vokabular,  in  der  Zusammen- 
stellung unten  durch  den  Buchstaben  (W)  bezeichnet. 

2.  Das  von  H.  Wilczynski  in  San  Lorenzo  der  Berliner  Anthropo- 
logischen Gesellschaft  eingesandte  Vokabular,  das  in  Band  XIX  der  „Zeit- 
schrift für  Ethnologie"  abgedruckt  ist  Es  ist  in  der  unten  folgenden 
Zusammenstellung  durch  die  Buchstaben  (Wi)  gekennzeichnet. 

3.  Ein  von  Herrn  Gntierrez,  der  Angestellter  des  Herrn  Wilczynski 
in  Pailon  war.  aufgenommenes  Vokabular.  Dasselbe  ist  unten  durch  den 
ßuclistaben  (G)  gekennzeichnet.  Tli.  Wolf  vermuthet,  dass  das  von 
Wilczynski  eingesandte  Vokabular  von  demselben  Herrn  Gntierrez 
zusammengestellt  wurde. 

4.  Ein  Vokabular,  das  Th.  Wolf  von  Herrn  Pallares  in  Esmeraldas 
erhielt,  bei  dessen  Zusammenstellung  eine  Xichte  des  Pfarrers  von  Esme- 
raldas. der,  w^ie  oben  schon  erwähnt,  eine  Zeit  lang  Pfarrgeistlicher  in 
Rio  verde  und  La  Tola  war.  die  Hauptbetheiligte  gewesen  zu  sein  scheint. 
Die  Worte  dieses  Vokabulars,  das  Th.  Wolf  für  minder  zuverlässig 
erklärt  als  das  Gutierrez'sche.  sind  unten  durch  den  Buchstaben  (P) 
arekenuzeichnet. 

Ich  habe  diese  verschiedenen  Vokabulare  in  der  hier  folgenden  Zu- 
sammenstellung vereinigt,  mich  dabei  aber  begnügt,  die  Worte  und  Sätze 
nach  3Iaterien  zu  ordnen,  ohne  mich  in  eine  Diskussion  einzulassen  oder 
den  Zusamuienliängen  von  Worten  und  Formen  nachzugehen.  Um  bei 
solcher  l'ntersuchung  zu  brauchbaren  Resultaten  zu  gelangen,  ist  das 
Material  doch  nocli  zu  dürftig  und  zu  unsicher.  Und  Vergleiche  in  grösserer 
Ausdehnung  vorzunehmen,  dazu  gebricht  es  mir  an  Zeit.  Die  Orthographie 
dieser  Vokabulare  ist,  wie  oben  schon  angegeben,  die  spanische,  unter 
Zufügung  des  englischen  sh  für  den  unserem  seh  entsprechenden  Laut, 
für  den  aber  der  ungenannte  Geistliche  [A]  überall  c/i  zu  schreiben  scheint. 


Nachtrag  A.    Die  verwandten  Sprachen  der  Ca.vä|ia  und  der  Colorados  von  Ecuador.         ■_';') 


Colorados. 

Als  Ausdrücke  für  ..Mensch"  kommen 
folgende  Sätze  des  ungenannten  Geistlichen  (A.) 
in  Betracht,  die  vielleicht  den  Stammnamen 
tzdfliila  -  eharhila  „roth"  der  Colorados  ent- 
halten (vgl.  oben  S.  15). 
tiiihilla-gu  (jin'iiii   —    hast    du   Streit    gehabt 

mit  den  Colorados'!' 
iln'/la  ein  ti iif/n  Dios  licini  —   die  Seele  [des 

Menschen]  geht  zu  Gott. 
chilld  flii  fiiii/((  tiiiiihi  pHdfiniiö  —  die  Seele 

|des  Menschen]  ist  mehr  als  der  Körper. 
rhilla    clii    fhazi    rafo    piiranl    Jirini    —    der 

Körper  des  Menschen  geht  zur  Erde. 
i/i/lla  tzutze  2}0C(f  —  Körper. 
J.  ('.  ch'itjHilla   chi  tciii)  vhi  piiä    —    J.  Chr. 

starb  am  Kreuz  [eig.  „  J.  Chr.  des  Menschen 

Seele  starb"). 
rhiqitilla  soiirhtK  [Menschen]  Leben. 
i-hi(luiU((  er  ist  [Mensch]. 
rliiiptUhi  fiui  <)!'  wir  [Menschen]  haben. 


Cayäpa. 


iiKiiH/ariii  zachi  ein  junger  Mann.     (A.)  chtchi  gente.     (G.) 

iiKfiiga  zöchi  fcnm  mdi/o    —    (von  der  Frau)      che'r/ii  Jajiih-ffnia  —  viene  gente.     (G.) 
die  Ehe  brechen.     (A  ) 

V 

iitu7/a  Mann.     (A.  W.i  Hupula  honibre.     (Wi.) 

iidlpa    iinlla    Hahn.     (A.)    [eig.    „männliches      omlnxla  (spau.)  hombre.     (W.) 

Huhn",     indpa  Quichua  =  Huhn].  umbere  (spau.)  hombre.     (P.) 

ninuda  hermoso,  soltero.     (Wi) 
ni((ii(/arc  Inaihi  unverheiratliet.    lA.) 
iiiiiUu-hc     fcit.sd     ffdift     mit    Männern     nicht 

scherzen.     (A." 
J.  ('.   I)/()s  i  iiiiill<(    —    J.  Ch.  ist  Gott  und 

Mensch.     ^A.) 
iiiiilla   zdehi  pi(fhnl   der  Mensch    (Mann|    hat 

eine   Seele.    (.A.i    [eig.    „der  Mann    stirbt" 

vgl.  S.  13.] 
iiiiilla-fia  tcipii  choDiecö  pato  widersprichst  du 

dem  Gatten?     (.\.) 
iiiiila-taufj  verlieirathet  [von  -der  Frau].     lA.i 


üöna  muger.     (W.) 
sniia  salin  Weib.     (A.) 
siniia  esposa.     (M.) 

iiiuitf/ariii  zoiia  ein  junges  Mädchen.    (A.) 
.sniifila  piUdiii  das  Weib  hat  eine  Seele    [eig. 
^das  Weib  stirbt"  vgl.  S.  3].     (A.) 

sondlubv  tmsötaiia  mit  Weibern  nicht  scherzen. 

(A.) 


siijtii/d  muger.     (G.) 

supi'ila  muger.     (W.  Wi) 

suciiUi  muger.     (P.) 

in-aitpii  esposa.     (F.) 

.siipiila-iiiid  casado.  (Wi.)  [eig.  _meine  Frau", 
mit  dem  spanischen  Pronomen  „mein"  ge- 
bildet?] 

iiKiii  .si'ipii/a  jaiii/itsiiii  una  muger  viene  ya.    G.) 


'26 


Erster  Abschnitt:    Si)rachHehcs. 


Colorados. 

sfquettui  sönittf  habe  Geduld  [mit  der  Frau] 


Cayäpa. 

(A.)      llitba  siipnlu  muger  honita.     (G.) 

pindi/u  siipula  uiuger  olorosa.     (G.) 
siipitlih-hl  itiii'i  la  aguja  de  la  muger       G. 
mipuliichi  panatoKfiino  el  fuego  de  la  muger. 

(G.) 
dpa  padre.    (W.) 
apa  padre.     (Wi.) 
i/(ipa  padre.    (P.) 


apd  Vater,  padre.     lA.  W.  M.) 

lacht'  (ipri  mein  Vater,    (A.) 

inichi  lipo  dein  Vater.    (A.) 

rhitichl  äpd  sein  Vater.     (Ä.) 

apä-ga  ipieiiii  hast  du  Streit  gehabt  mit  dem 

Vater?    (A.) 
tipa-ga  tlcho  nuröp<'ito   widersprichst   du  dem 

Vater?    (A.) 


tti/il  Mutter,  madre.     (A.  W.i  mditia    span.?    madre.     (NV.  Wi.i 

fai/a  madre.     (P.)  i/ana  madre.     (P.) 

Maria  J.  Cristo  rfii  a>/a    Maria  ist  J.  Christi 

Mutter.    (A.) 
ai/a-n;/a  <jitem/  hast  du  Streit  gehabt  mit  der 

MutterY    (A.l 
<ti/d-iiga  fir/ii  Dncöpäto    widersprichst   du  der 

Mutter? 


info  Sohn,  hijo.     (A.  \V.  M.) 

J.  C.  Dios  chi  iiao  J.  Ch.  Gottes  Sohn.     lA.) 

iiao-ga  quenii  hast    du  Streit  gehabt  mit  den 

Kindern?     (A.) 
audii  nao  der  grosse  Sohn.     ( A.) 


»ad  hijo.     (P.) 
'i/iia  hijo      (W ) 
ratio  nino.     (Wi  i 
atutaiigai/i  muchacho. 


(G. 


naind  Tochter,  liija.     (A.  W.  M.) 

tdtd  abuelo.    (M.) 
ttiiitnd  abuela.    (M.l 

an')  Bruder,  hermano.     lA  W.  M." 
hau  lacht  acö  mein  Bruder.     (A.) 
hau  mirhl  act')  dein  Bruder.     (A.) 
hau  chichich!  acö  sein  Bruder.     (A ) 
soqai^  Schwester.     (A  i 
st'tqtir  hermana.     (W.) 
Hoipd  hermana.     (Wi.) 


mipu-iiaitia  niüa.     (Wi.) 
pagiia  muchacha.     (G.) 


apai/ai/a  I V  apatjapa]  abuelo.    (Wi.)    [Vaters 

Vater.] 
apatnattta  abuela.    (Wi.)    [Vaters  Mutter.] 


uatala  hermano      ( Wi  j 
ignalfdla  hermano.     (W.) 
itiango  -  uatala     pariente. 

Bruder"*.] 
iin-socki  hermana.      Wi.) 
itt-ztiquf  hermana.     (W.) 


(Wi.)      [eig.    „ein 


uiainpi  Onkel.     (A."! 
vidtuhi  tio.     (M.) 
tiidtu/if-iio  Tante.     (A.) 
itiöttihi-aco  primo      (M ) 

teng  ra  Herz.     (A.) 

pitiaii  rö  Seele,  Geist.   (A.)   [eig.  „der  Tote".] 
rhilla  cht'  tenga  Dios  hiitti  —   die  Seele    [des 
Menschen]  geht  zu  Gott.     (A.) 


ijttagchitia  sobrino.     (Wi. 


titiihdra  alma.     ( Wi ) 


Naclitiac:  A.    Die  verwaiulton  Sprachen  der  Cayäija  und  der  Colorados  von  Ecuador.         -J" 


Colorados. 

rliill((  chi  t(  iifia  tiiiiil((  piiiifi(iHi')  die  Seele  [des 

Menschen I    ist    mehr  als  der  Körper.    (A) 

[eig.  „stirbt  durchaus  nicht".! 
iiHiia  })u((iunii  die  Seele  stirbt  niclit.     (,A.) 
r/iiichii    ti    tciiija  -  itö    der    Hund     hat    keine 

Seele.     (A ) 
hion  ff'-pocd-iti)  Gott  hat  keinen  Körper.  (A.) 

[eig.  „hat  keinen  Geist".) 
./.  C.   ai/unuiil    citlo-bi   piira    .].  Th.    ist    im 

Himmel  mit  Körper  und  Seele.     (A.) 
r/i/'/fi  izatze  povii  [des  Menschen |  Körper  [und 

Geist],     [k.) 
hios  que'ra  iö  pc  larhi  tzaclii  piuhii/oro  —  Gott 

hat  Sonne,    Mond,    [meinen]   Körper   und 

Seele  gemacht.     (A.) 
itnilla    zufhi  piiihni    der    Mensch     hat    eine 

Seele.    (A )     [?  „der   Körper    des    Mannes 

stirbt  er?"] 
rhiUd  chi  rhiizi  r<(t<t  pi(r((r<i  liciiii  der  Körper 

geht  ziu-  Erde.     (Aj 


C'ayäpa. 


iHurlni   Kopf.      (A.) 
iiii.sliii  calieza.     (W.M) 

apiclii'i  Haar.     (A.) 
a}n'Nln<  pclo.     (W.M.) 


rarö  Auge.     (A.) 
Card  ojo      (M.) 

(jiii)ifii  Nase.     (A  ) 
tjn/'fif  nariz.     (M.) 

fi</iiifor()    Mund.    ;.\.W.)     (eig.     „Essöffnung" 

vgl.  oben  S.  15  Nr.  76.| 
i/ittforo  boca.     (M.) 
f.rsi!  barba.     (M.) 
tifii  diente.     (M.) 

jiKiiki  oroja     (M.) 
ni(/-(tt!  cuello      (M.) 


ri(,  Ln  pecho.     (,W.  M.) 

jm'coIo  Bauch.     (A.  W.) 
t(i(/iu'.  t(ik-i  brazo.     (W.  M  ) 

te<l,:,  r  Hand.     (A.) 
tedd  mano.    (M.) 
fe-niicfiK  Finger.     (A.) 
/.■ic-ni/sh/it  dedo.     (M.) 
t((!/ii(f</ii((  una.    (M.) 


inisliK  cabeza.     (P.) 

niishhi'ica  cabeza.     (W.) 

niislipucu  cabeza.     (Wi.) 

ucitöa  pelo.     (W.) 

(ti-hii(i  pelo.     (Wi.) 

cajura  cara.     (P.J 

Uvhi  Irente.     (W.  Wi.l 

i-apiu-d  ojo.     (W.J 

rapucua  ojo.     (Wi.) 

capu  pijo  cejas  y  pestanas.     |Wi) 

(luijo  nariz.     (W.) 

kijo  nariz.     (Wi,\ 

iiiesra  nariz.     (P.) 

fibaijui  boca.     (W.) 

tijxKjiii  boca.     (Wi ) 

trijK  (luijada.  (Wi.) 
ttsco  dientes.  (Wi.) 
uigcd  lengua.  (Wi.) 
puiiffid  oreja.  (Wi.) 
röto  cuello.     (W)    —    Th.  Wolf   1.  c.    p.  58 

vergleicht  Quechua  ccofo  „enfcrmedad  del 

cuello". 
tcmliupK  ])echo.     (W.) 
feiuhapo  pecho.     (Wi.) 
dji-a  barriga.     (W.  Wi.) 
pvjpij  brazo.     (W.) 
puniilia  brazos.     (Wi.) 
fiapupa  manos.     (Wi.) 
ifuiutpa  manos.     (F.) 
ipHu'shn  mano.     (W.) 
painisho  dedos.     (Wi  ) 
ptKpii  unas.     (Wi). 


28 


Erster  AlJ^chIlitt.•    Si)racliliches. 


Colorados. 

iH'th'  Bein.    (A.) 
hostd  pierna.     (M.) 
uchopd  pie.     (M.) 

inboloiifid  rodilla.     (M.) 
tuchifia  Fleisch.    (A.) 
tachicu  fiiiK  Fleisch  essen.     (A  ) 
(issoiH)  Blut.     (A.) 
azaiiiH  sangre.     (M.) 


Caj'jlpa. 

vinho  pieriias.     (Wi.) 

ik'p«  pierna.     ( W  ) 

iif'papa  pies.     (Wi.) 

iicnjca  pic.    (W.)    (eig-.  „Bauch,   des  Beins?"J 

ncholo  rodilla.     (Wi.) 

hagaraUa  carne.     (Wi.) 

(UUi  carne.     (W.) 


h't  Sonne.    (A.) 

//o  sol.    (M.) 

}u-  Mond,  luna.    (A,  M.) 

izahö  Stern.   (A.)    [vgl.  Esmeraldas  inu-ch(il>hi 

estrellas  ] 
niitcara  estrella.     (,M.) 
iüqiiiiJo  Himmel.     (A.) 
loch  hielt  ü  Himmel.     (A.) 
iö    Dios   eil  HC,   pc    Bios    rJnir    die  Sonne    ist 

nicht  Gott,  der  Mond  ist  nicht  Gott.    (A). 
Dios  qtieca  iö,  2"'>  l'<i'hi  tzarJii  pudngoco  Gott 

hat    die    Sonne.    Mond,    [meinen]    Körper 

und  Seele  gemacht.     (A.) 
J)ioa  ioqiiido-be  Gott  ist  im  Himmel.     (A.) 
iöqnidohi    pudfi     ciiioid,     qtndlii     rhioid     im 

Himmel  sterben    sie  nicht,    sind   sie  nicht 

krank.     (A.) 
Dios  r/ii  iiiiiiir/id  iöqiiido  J/i/iicrJid  liebe  Gott, 

so  gehst  du  zu  Gott,  zum  Himmel. 
ina  Tag.     (A.) 
)naa  dia.     (M.) 
ai/iinu  (span.)  Älorgen,     (A.) 
/«'  fi(  Mittag.     (A) 
qiiebina  Abend.     (A.) 
quehi  tarde.     ^M.) 
qucpe,  leiHf'Jiua  Nacht.     (A.) 
qiiejte  noche.     (M.) 

I)owiiH/o  Woche.    (A.)    [span.  =  „Sonntag".] 

j>ia  doiniiiffo  eine  Woche.     (A.) 

loiia  pe  ines.     (M.) 

mam  ^>p  [ein]  Monat.     (A.) 

iratd,  ffuafd  (QuichuaJ  Jahr,  ano.     (A.M.) 

ci-iiid  liiia  guten  Tag.     (A.) 

./.  ('.  jxdnnoi   iin(  nienaro  —  .1.  Ch.  Mnrde  für 

drei  Tage  begraben.     (A.) 
J.  ('.  painian  ma  fenKdUf  soii   —  J.  Ch.  erhob 

sich  [nach  drei  Tagen]  vom  Grabe      lA.) 
oi-a  quebiita  gute  Nacht.     (A ) 
([iifpc  IIa  Icclid  qidiKi  fchili'  qiicin  rcztKfi  hdfiinu 

—  bete  jeden  Morgen  und  Abend.     (A.) 

iii  Feuer,  fuego.     (A.  M.) 


pajf«  sol.     (W.) 
paci((  sol.     (Wi.) 
piipdjfa  luna.    (W.)  — 
iiKicdi-d  luna.     (Wi.)     [ostri'Ha 

iitacdnt  estrella.     (W.) 


cliätiiisli  dia. 
d(rli<(h(   dia. 


(Wi. 

iW.) 


qiicpe  noche.    (Wi.) 

quppeto  noche.    (W.)  —  Th.  Wolf  1.  c.  p.  .")S 
erklärt  „luz  muerta" 


II  i  I  candcla.     (P.) 
nillo  luz.     (Wi.) 


Nachtrag  A.    Die  verwandten  Sprachen  der  Cayäpa  und  der  Colorados  von  Ecuador.        -J*) 


Colorados. 

viiin'i  sich  vorlirrnnen.     (A.) 


r/iiljoi/p  I    riM.  /K  \ 

(0  hmhd  hih-  \ 


hiduxfi'  Kälte.     ^A.) 
lürddcpara  Fieber.     (A.) 

pi  Wasi-er,  agua.     (A.  M.l 

/;/  Fluss.     (A.) 

pipiachä  sich  waschen.     (A.) 


])ini(ir  pucute.     (M.) 
pijxijn   lodo.     (M.) 


<jii/'slii  aire.     (M.) 

(/iiofohi  vicnto.     (M.l 

s/nia  Uover,  y  lluvia.     (M.) 

rlnt<!pf((ii(i.  .sln(('ipt(inu  Regen.     (A.W, 

rlio<it/t'ii((  regnen.     (A.) 

ri{iif((  Donner.    (A.) 

p/iii/'i  Blitz.     (A)  [vgl.  ;;////  „culebra" 


tayapa. 

ii'iif/öiiKi  fuego.    (W.i 

iihif/uiiia  fuego.     (Wi.) 

iiiifiiishca  humo  (Wi.) 

paiiK  ft'ii  1/(1 110  fuego.     (G.) 

.siipii/iir/ii paiifi  fiiifjdno  el  fuego  de  la  inuger. 

(G.l 
loniof/  triH/iKi  calor.     (Wi) 
tenguiiiaii  calentura.     (P.) 
i/s/ifnif/a  frio.     (Wi  I 


pi  agua.     (Wi.  G.  F.) 

p/  agua,  rio.     iW.) 

p/ii(ii/ii  p/  agua  olorosa      (G.) 

pi julc  rio  [„agua  corrf'J.     (G.) 

arciiipi  rio.     (W.I 

agucinhi  rio.     (Wi ) 

pi-rush-no  beber  [aguaj.     (Wi.) 


laniii  ])i  shiinda  mar.     (F.) 
terushd  mar.     (G.) 
ishHu  aire,  vicnto.     (W.) 

slnUi  lluvia.     (W.) 


■itlht  trueno  y  rayo.     (W  ) 


in  tierra.     ( W.  M.) 

fo  Boden.     (A.) 

tohi  (incrcdc  wogwerfen.    (A.i    |,,wirf  es  auf  den 

Boden".] 
i-hilla  clii  chdzi  Cd  fo  piir((ni  liciiii  der  Körper 

[des  Menschen:  geht  zur  Erde.     (A.) 
./.  ('.  ichiriid  tohi  iip-inciia-ra-iiii  J.  Ch.  erhob 

sich  vom  Grabe.   (.\.)    [,blieb  nicht  in  der 

Erde  Ijcgraben".] 
lö(t(h'  graben.    (A.) 
h,lr  Berg.    (A) 
iiiicli'  monte.     (M  i 


I>ioa  citi  tr/dfc  ti  Itrlr  Gott  ist  überall. 

rhu  Stein.     (A) 

■•<lu(  piedra.     (W.) 

iiiiniö  Weg.     (A.) 

niiifiiil  Camino.     (81 ) 

ijald  Silber.     (^A.) 

rald  plata.     (M  ) 

l<i<pte(i<da  Gold.     (A.) 

/(upiff/ald  oro.     (M.) 

i-olidd  serrano.     (M  I 

fori  peso.     (M.) 


lA.) 


tt(  tierra. 
ft(  tierra. 


(W.) 
(Wi. 


(((■ur!  cerro.     (Wi ) 

(nii/KiijjK  mongon.    (P.)    [insolartig  aufragender 
bewaldeter  Hügel.] 

x/ii'i  />!<(/((  piedra.     (W.i 


litshi  plata,  peso.     (F.) 


30 


Eistor  Abschnitt:    Sprachliches. 


Colorados. 


jilina  Salz.     (A  ) 

iiialibana  pinia  ein   Thaler  Salz.    (A.)     [eig. 
Miaii  libt-a  (span),  j)hna  ^ein  Pfund  Salz".) 

iiahi  Ochse.     (A.) 

(/iialä  vaca.     (M.) 

jfiiala-iiri  ternero.  .  (M.) 

zabebr  Milch.     (A.) 

(jnel(i  Pferd.     (A.| 

nitchi  ^span.)  Schwein.     (A.) 

chuchu,  chuchi  (aztekisch)  Hund.     (A.) 

shushu  perro.     (M.) 

chuchu    ti    tenga    ifö    der    Hund    hat    keine 

Seele.    (A.) 
niK/ii  gato.     (M,) 
ffiiela  tigrillo.     (M.) 
ffua  (fiK'la  tigre. 


pichö  Vogel.    (A.)     \ 

pishu  päjaro.    (M.)  ( 

iialpa  (Quechua)  Huhn.     (A.) 

Kulpa  to  U'(fr   [ein  Huhn]  töten 

ualpa-uuild  Hahn.     (A.) 

iialpa-nd  Hühnchen.     (A.) 


!/uati(  loro.    (M.) 


[Quechua:  ]iirhiii, piscn. 


(A. 


Cayäpa. 

tlushtii,  tiityhtii  peso.     (_G.) 

inuv  duahtu  [l.  peso  -|  ocho  reales.     (G.) 

man  dushtii  real  1  peso  y  1  real.     (G.) 

pal  tushtn  dos  pesos. 

mau  culr  uiancha  luy<i  luxhi  20  pesos  i)or  cada 

una  [canoa].     (G ) 
nia-miiin  [halber  Peso]  cuatro  reales.    (G.) 
inauu'liii  ral  cinco  reales.    (G.) 
tellu  sal.     (P.) 


cucha  perro.     (W ) 


(p(pl(i  tigre      (P.) 

huauhu  mono  uegro.     (P.) 
Ja-plslm  päjaro.     (W.i 

fluaUapa  (Quechua)  gallina.     (P.) 

ataraco  gallo.     (P ) 

chupipe  pollo.    (P.)    [in   Guatemala  rhompipr 

=  Truthahn] 
uapipo  huevo.     (W.  P.) 
de  pava      (P.) 


pini  culebra.    (M ) 
(fua-pini  culebra  graudo. 

oazd  Fisch.     (A.) 
iiuatza  pescado.     (M.) 


fufü  mosquito.    (M.) 
chinapa  Wachs.     (A.) 


(M.) 


piuc  culebra.     (P.) 

embo  lagarto.  (P.) 
chaugi'ico  pescado. 
bengolpog  pescado. 

zuclo".) 
chiiubuza  mojarra. 
(tgih'lc  siibalo.     (P.) 
ostiuo  (span.)  ostion, 


fW.) 

(Wi.)    (vgl.  rengula    _an- 


(Wi.) 


chitue  haum.     (A.) 
nhida  ärbol.     (M.) 
chuc  Stock.     (A.) 
ii'  Brennholz.     (A.) 
])(i])(i  Blatt.     (A.) 


Chi  ärbol.     (W.Wi) 
pieichua  piquigua.  ^ü.)  [bejuco,  Liane 
der  Indianer  von  E.«nieraldasl] 


Wort 


Nachtrag  A.    Die  verwandten  Sprachen  der  Cayapa  und  der  Colorados  von  Ecuador.        31 


Colorados. 

arlslni  hoja.    (M.l    [eig.  ..Haar",  s.  oben.] 
z.lä  Gras.     (A.) 
]il<)  maiz.     (M.) 

(oiö  platauo.  i  M.)  [Musa  paradisiaca  und  Musa 
sapicntiuni.] 


jiiihi  batata.    (.M.)    [Convolvulus  Batatas.] 

ciishi'i  yuca.    (M.l    [Manihot  utilissinia.] 

tu  aji.    (.M.)    |L"a])sicu)n  sp.] 

i-hinila  pifia.    (M)    [Ananas.] 

///('  achiote.    (M.)    (Samen  der  Bixa  orellana.] 

/.'V7/ro/ guaba.  (M.)  (essbare  Früchte  von  Arten 

der  Gattung  Inga  ] 
i.shjtiuiiho  palma.  (M.) 
oqüc    chonta.     (M.)     [Bactris-    und    Iriartca- 

Arten.j 
ptc/iih-il  cafia  guadua.  (ü.)  (=^Bambusa  angusti- 

folia,  15— '20  Oll  holie  Grashalme.] 


Cajräpa. 


jiisliK  maiz.     (\Vi.) 

ptuidx    plätano.     (P.  Wi.)     (vgl.  Esmeralda: 

jxKitd,  pdToita  platano.) 
paudfillii  plätanos  maduros.     (P.l 
panda-luff  platano  niolido.      P.i 
paiida-fi)to\y&n.  (W.)  [eig.„ich  isse  Bananen.- 
pauda  f/'iio  conier.     (Wi.l 


A/7//;  Brot.     (A.) 

ijiald  guarapo  («jährender  Zuckerrohr-Satt(.  (P.) 

iiidla  riirlil  ml  hast  du  Chicha  getrunken?  (A.) 


tiiiihiira  Xägwa.  (Wi.l   JStcinnuss  -  Phytelepbas 
macrocarpa.] 


saljh<   caucho.     (Wi.) 

««7/0  caucho.    (W.) 

tdsqui,  deshqiii  tamajagua.  (P.  G.)  (Baumbast, 
der  als  Kleiderstoff  verwendet  wird  = 
Ochroma  sp.,  Farn.  Bombaceae.] 

sdini  pita.    (G.)    (Faser  von  Bromeliaceen.] 

i/slir((l(i  aguardiente.     (Wi.i 
iUc(fl((  aguardiente.     (P.) 


t((pi-iaj)i  ponchito.     (M.) 
„)irhii-<-hiIi  Kopfschmuck.     (A.) 

nu-slin-iiHc  tendama.      (M.l      (vgl.  mirlni,  iii/s/ni 

cabeza,  <•/////  soga.) 
r/infa/ii,  rliuliihict  Halssclunuck.     [k.) 
(jiii  collar.     (M.) 
i-iddta  tf- clill!  Ohr^chrnwck.    (A.)    (eig.  „Silber- 

band'-.l 
r/adt.s/i  pulscra.     (M) 
Zac-/*/ Na.senschmuck.    (A.i    (vgl.  yj'„Mond''.] 

/'/  Haus  (A.I 
/f't  casa.  (M.) 
t'diio  2)0)i(/o  Thür.    (A.)    (vgl.  Quechua:  ^cn^/yj*' 

piincti  .,Herbergs-Thür''.] 
toiiio/d  pucrta.     (M.) 
trlridpa  Dach.     (A.) 
II  'id((  Küche.    (A.) 
painpu  Kirche.     (A.) 
conna  2)anipa  iinsere  Kirche.     (A.) 
i//in-o  (iefäss.    (A  )    [=  span.  jarro?] 
i/umif/d  olla.     (M.J 


t/o  casa.     |W.\Vi. 


pinniin   olla.      (P.) 


32 


Er.-ter  Abschnitt;    Sprachliches. 


Colorado« 


Cayäpa. 


ribüuido  Teller.    (A.) 
loa:o  Decke.      A.) 
rhiU  soga.    (M.i 
Uapuioh't  bolsa.    (M. 
rurhiUo  Messer,    ik.) 


[span. 


ihlapiia  escopeta.     (M.) 


hifi'i  Angel.    (A.) 

tca~  oder  guu „gross". 

vgl.  gua-guela  tigre  [grande].     (M.j 
giia-piui  cidebra  grande.     (M.) 
ard  rhue  [er  ist]  gross.     (Ä.) 
aiiän  Huo  der  grosse  Sohn.     (A.i 
oi'ntgu  söiiaiKi  lang  [es  Leben].     (A.) 
oiiaii  hoza  das  ist  böse.    (A.)    [eig.  „grosse 
Sünde'']. 

—  itu  .,klein'\ 

vgl.  uulpu-mi  Hühnchen.     (Aj 
guula-ntt  t^mero.    (^M.) 
i\uo  hijo      {A.W.  M.) 

;(«»<«'  hija.     (A.^\.  M.^ 

na-shii:  wenig.     (A.) 

tmrhhxe  sinanü  klein,  kurz  [es  Leben].  (A.l 

iung  reich.     (A ) 

»'«///« -/««(/verheirathet.  (A.)  [eig.  „einen  Mann 
habend '.] 

ozii-iang  Sünde.  (A.)  [eig.  „mit  Sünde  be- 
haftet'* oder  „reich  an  Sünde'*.] 

jxitugena  viel.     (A.| 

Irgari  viel.     (A.) 

tflale  alles.    (A.) 

Dios  telale  iiii  Gott  weiss  alles.     (A.) 

DioH  rhi  Ulah  ti  lule  Gott  ist  überall.     (A.) 

'jtttpe  na  hchä  ijm'iia  tdale  qn'hi  rezagi  hdginu 
—  bete  jeden  Morgen  and  Abend.     (A.) 

n-ozä-telal-firiza  klage  deine  Fehler  [alle]  an. 
(A.) 

irtöa  nichts.     (A ) 

itar«''  weit,  entfernt.     (A.) 

haie  nahe.     A.) 

i/iiniar  immer.     (A.) 

niitnare  manta  niemals  habe  ich  gefehlt.    (A.) 


ituii  aguja.     (G.) 

mipuli'n-hi  i'tini  la  aguja  de  la  iiuiger. 


iG.) 


rille  canoa.      \V.  G.  P. 

rufe  canoa.     (Wi.) 

'/aniapa,  //ambopa  canalete.     (G.  P.i 

tuilr/iilora  palanca. 

i/liapd II  escopeta.  (G.l  [=Quechua///r//yrf,.trueno 

y  relauipago";   illapa;/  .,volver  ä  r<'splau- 

decer,  tirar  con  piUvora".] 
pichiira  bodoquera.    (W.)    [Blasrohr.| 
rntgiila  anzuelo.     (^W.i 
n'angiile  anzuelo.     (G.) 


annaiitja-i/i  muchacho.     (G.j 


itad  hijo.    (F.)    ignu  hijo.    (W.) 
rana  niiio.     (Wi.) 
sitpu-inniia  nifia.     (Wi  i 


Jugui/d  chico.     ^P.i 


Nachtrag  A.    Die  verwandten  Siirachen  iler  Cayiipa  und  der  Colorados  von  Ecuador.        33 


Colorados. 


iiiu'cu.  alt.     (A.) 
pipoc«  neu.     (A.) 


€ayiipa. 

■nriil<(  viejo.     (Wi.)     [=  Quechua  mcK. 


mini  oi'  gut.     (A.) 

Dios  iHprd  oi'  Gott  hört  alles.    lA.)    |„Gott  ist 
gut"!) 


jid-Hii!)  böse,  langsam.     (A.) 

(>z((-tuti<i  Sünde.    (A.)    [oig.  ,,voller  Sünde''.] 

oiKin   liozd   das  ist  böse.     (A.)     |eig,  „grosse 

Sünde".  I 
./.  ('.  fi-iizd-ifö  J.  €h.  ist  ohne  Sünde.     (A.) 
tiiunif/  ()Z((  ratii-dc  sündige  nicht  mehr.     (A.) 

si'  luic  hübsch.     (A.) 
fi-nid  hua  guten  Tag.     (A.) 
ili-ri-to  hässlich.     (A  ) 
si'Ncniha  gesund.     (A.) 
iiiosait  iiöio  gesund.     (A.) 
(Iiiiioifi-pii,  qiiii'iii-po  krank.    (A.) 
(/iii((ii(/-nii  Schmerz.    (A.) 
/io(/i<i(/o-/j//  (jitid-lii  chiiiiii  im  Himmel   sind 
sie  nicht  krank.     (A.) 


})i)lö-hii((,  ptolo  fioii  hart.     (A.) 
n'r/'  leicht.    (A.) 

/.iiiipo  ladron.     (M.) 
(■(icdi-i  r&y.     (M.) 
ii>i<(a  gobernador.     (M.) 

poiieluhc  fari-ini    hast  du   den  Zauberer  ge- 
rufen?    (A.) 
i-harhi  rojo.     (M.) 
rhac/ii/a  roth.     (A ) 
orö  blanco.    (M.) 
fil)(i(l<(  weiss.    (A.) 
pahaiii-o  negro.     (M.) 
fahafid  schwarz.     (A.) 

i-hi<piilla  er  ist.     (A.) 

i(i<l-()i'  ich  habe.     (A.) 
iiii-f(l-i'  du  hast.     (A.) 
i/K-iä-i'  er  hat.     (A.) 
r//i<jiii/fft  fäfi-oi'  wir  haben.     (A.) 
//a-ffi(/-o(''  ihr  habt.     (A.) 
//((  ll(i-i-('  sie  haben.     (A.) 

Scler,  Gesamiuelto  Abhaudluii^eu  I. 


II  nihil  bueno.    (W.) 
i/iijii  iinibi-  si  es  bonito.     (G.) 
linihi'  si.    (G.)    [eig.  „bueno"  I| 
iiniil    nihd    como    estiis?     (F. 
bueno  "r"'! 

fiirzi'ui  malo.     (W,j 


|eig.    .,estas 


Ihilxi  siij)ii1((  mugor  bonita.     G.) 


jan-hmiihn'  saludes!    (G.)    (al  encoatrarse  cou 

alguno.) 
pcuymn«  enfermo.     (W.) 
pcii/iKina  enfermo.     (Wi.) 


piiiili/ii  oloroso.     (G.) 
piiidi/ii-pi  agua  olorosa.     (G.) 
piiidjjii  si'ipiih)  mnger  olorosa.    (G.) 
i/iijtu-a  pindipi  que  oloroso  1     (G.) 
jddiw  hediondo.     (P.) 

jidc  ligero.     (P.) 
liihi  picaro.     (P.) 
taaiiio  ladron.     (P.) 


inii/ii 


liild  Colorado.     (Wi.) 


fihd  blanco.     (Wi.) 
iptijiiiiutiii  negro.     (Wi.) 


liiiiti  juipt  hay  coniida?     (G.) 
jiii/ii-ii-ili'ira  däme  de  lo  que  hay.     (G.) 

taiicdi  tienes?     (P.) 


iliiii)  andar.     (Wi.) 


34 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


Colorados. 


tiiui-Iaiiiö  gehen.    (A.) 

chilla  chi  teitga  Dios  firnii  die  Seele  geht  zu 

Gott.    (A.) 
rhiUa  chi  rhazi  ra  to  purarö  hcini  der  Körper 

geht  zur  Erde.    (A.) 
lHos  chi  ini  iiechil  ioquidö  iiii  n<  cliä  liebe  Gott, 

so  gehst  du  zu  Gott,  zum  Himmel.    ,A.) 

chiU-df  laufen.     ^A." 

teraqiii-sd  bailar.     (M ) 

cupa-(f(  sich  erheben.    (A.) 

J.  C.  painiaii  nid  tcniangson  5.  Ch.  erhob  sich 

[am  dritten  Tage]  vom  Grabe,     (A.) 
chiidi-df  besteigen,  sich  setzen.     (A.) 
teleide  knien.    (A.) 
rodi-zd  sich  auf  die  Erde  werfen.     (A.) 


iod-of  geben.     (A.) 


osi  de  verkaufen,     i  A.) 
ozidiia  kaufen.     (A.) 


cala-quu-de  bezahlen.    (A.)    (vgl.  caUl  _plata-.) 

tanm-po  stehlen.     (A  I 

11 1(  tari-mai/o  du  hast  gestohlen.     lA.) 

f-de,  f-Iainö  essen.     fA.i 

f-shd  comer.     (M.i 

tachica  ß-nu  Fleisch  essen.     (A  i 


ciichi-de  ctichi-:d  ciichi-Ua-ce-de  trinken.    (A.) 

cnchi-shd  beber.     (M.) 

(ifftHifd teilte  cnchi-mi  mala  cuchi-tiii   hast   du 

Branntwein,  hast  du  Chicha  getrunken?  (A.) 
tiiia  ciichi  tiidiia   trinke  nur  ein   Glas,     {k.) 

[eig.  „trinke  nicht  mehr!'-] 
»laniita  cinqunq  bist  du  betrunken  gewesen? 

CA.) 
chusd  humear.    (M.) 
catzo-zd  schlafen.     (A.) 
carho-sd  dormir.     (M.i 

uiriaiie  faliai  cdto  wio  oft  hast  du  gefehlt?  (A.) 
i-irlaito  hatu  to  —  warum  hast  du  gefehlt?  (A.) 
tin-f  catii-de  thue  e.-;  nicht  mehrl     (A.' 


Cayäpa. 

inoca-jindo  donde  te  vas?     iP.) 
ji-de  ligero.     (P.) 
nü-de  vavase,  ända  te.     (P.) 
sha  vamonos.     (P.) 

Jdndetsiia  vieiie,  v  vieneu.     (G.) 

chechi  Jdiidetsiia  viene  gente.     (G.l 

inaii  siipulajaiidetsna  una  muger  viene  ya.  iG.) 
pi-juh  agua  corre.     (G.) 
belaiii-ifhai/  bailar.     (Wi.) 


trldi-de  hincarse.     iP.t 

uiishu  ffuai/uque  haz  seiia  con  la  cabeza.    (P.) 

taja-de  trae'     (P.; 

ti»  tajd-ifui/n  que  has  traido?     (G.) 

cule  taja-ifii  has  traido  canoas?     (G.) 

iian  cid  fa/a-i/K  cuantas  canoas  has  traido?  (G.) 

ffKca    da    me      iG.)     [vgl.    Esmeraldas    t/ncds 

da  me.] 
jaifii-n-güca  da  me  de  lo  que  hay.    (G.) 
aiddi  vendes?     (P.l 
cadi/i  quiero.     (G.) 
cachi  quieres.     (G) 
ipiodtica  veude  me.     (G.| 
fiii-cide  inod-tica  vendeme  tus  canoas.    (G.) 


fi-iio  comer.     fP.i 

paiida  fi-iio  comer  [plätano].     (Wi.) 

paiida  fiuo  pan.     (W  ) 

diuu  comida.    (G.) 

diua  jayu  hay  comida?     (G  ) 

pi-cush-no  beber  [agua].     (Wi.) 


caato  dormii-.     (Wi.i 
ifiicasahesusai/  suefiü.     ^Wi.) 


Xaclitrag- A.    Dio  verwandten  Sprachen  der  Cayapa  und  der  Colorados  von  Ecuador.        35 


Colorados. 

tiiiaiifi  (xirc  Hill'  i-iUii-nu-  streite  nicht I    (A.) 
thifiiifi  oza  vatii-((t'  sündige  nicht  mehr!    (A.) 
Dios  (lueca  io  pc  laclii  t.~ac/i/  piidiif/o  ro  Gott 

hat  Sonne,    Mond,    [meinen]    Körper    und 

Seele  gemacht.     (A.) 
i'ti!  arbeiten.    (A.) 
töa-ili'  graben.     (A.) 
iroa  qn('-(le  säen.     (A.) 
to/>i  i/iii'ri-(h-  wirf  es  fort.     (A.) 


Cayäpa. 


itlrff/ft  schlagen.    (A.) 
jiiire-di'  schneiden,     (A.) 
iKilpa  io  ie-dc  [ein  Huhn)  töten. 
foro-dc  öffnen.     (A.) 
lii'i-ih'  schliesson.     (A.) 
t(i-iii-  kochen.     (A ) 
rliiti-(li'  schreiben.     (A.) 
piirutupii-zä  kämmen.     (A.) 
j)i])iach((  sich  waschen.     (A.) 
nipitn  sich  verbrennen.     (A.) 


(A.) 


lnt('-dr  moler.    (P.) 

paiida  Iiitr  plätano  molido.     (P.) 


Di'iiii-'idi'  leben.     (A.) 

i-luipiillu  .soiui-iiit  [Menschen]  Leben     (A.) 

lu/r/i/iii-  niiKi-ni'i   klein,  kurz    [ist  das  Leben]. 

,  (A.J   ^ 
(xinga  söna-ui'i  lang  [ist  das  Leben].     (A.) 
])(>n  chiUi  oi''  sterben. 
./.  ('.  chiquiUa   rlii   fi'iif/   rhi  piiii   J.  Ch.  starb 

am  Kreuz.    (A.)    |eig.  „J.  Oh.  als  Mensch, 

seine  Seele  ist  sterblich".] 
ioijiiido  hi  piiii-fi  rliinii'i    im  Himmel  sterben 

sie  nicht.     (A.) 
ti'iifiu  pua-tu-iui  die  Seele  stirbt  nicht.     (A.) 

[eig.  „die  Seele  stirbt  sie"?] 
tnit/a  pua-n-ml  der  Körper  stirbt.    (A.)    [eig. 

„die  Seele  stirbt  sie"?] 
rhilit  r/ii  teiKja  fh)iila  piia  tu  iiiö  die  Seele  ist 

mehr  als  der  Körper.    (A.)    [eig.  „die  Seele 

des  Menschen  stirbt  durchaus  nicht".] 
iiiiiUa  zachi  pudini  der  Mensch  hat  eine  Seele. 

(A )     [eig.  „der  Mann  stirbt  er"?] 
sDiiiila  piid-iH/  das  Weib  hat  eine  Seele.     (A.) 
[das  Weib  stirbt  sie?] 

l)H(i-ii((.  tot.     (A.) 

Iiiiiaiiff-pu  der  Tod.     (A.) 

piiian-cö  Seele,  Geist  [der  Abgeschiedenen].  (A.) 

iiHiiii-dr  begraben.     (A.) 

./.  ('.  jxiinKDi  itia  inena-co  J.  Chr.  wurde  be- 
graben für  drei  Tage.    (A.) 

J.  ('.  icliiDui  to-bi  ne  inena  ra  nii  J.  Chr. 
erhob  sich  vom  Grabe.  (A.)  [..blieb  nicht 
in  der  Erde  begraben".] 


sunchachi  vivir.     (W.i.) 
urate  vivo.     (W.) 


piitiil  se  acabü.     (P.) 
ix'to  muerto.    (W.) 


nieiuo  muerto.     (Wi.) 


36 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


Colorados. 

Dios  qtiidd  oi'  Gott  sieht  alles.     (A.) 
Dios  nierii  ol'  Gott  hört  alles.    (A.)    [V 
ist  gut-?] 


Cayäpa. 


,Gott 


»eiiepa-iiii  lügen.     (A.) 

nu  nene-pä-niat/o  du  lügst.     (A.) 

uianfd-pti-thni,  Iniaii-la  ineco  pa-tiuu  schlecht 

vom  Nächsten  sprechen.    (A.) 
apu-gu  ticho  ntecö-pä-to  widersprichst  du  dem 

Vater? 
uya-ngu  ilcho  nifcö-pn-to  widersprichst  du  der 

Mutter? 
uniUa-ga   tcqiii  clio  Dif-rö  pü-to   widersprichst 

du  dem  Gatten? 
mo:ar-de  schweigen.     (A.) 
becö  honiü  antworten.     (A.) 
oti-de  laut  rufen.     (A.) 
oari-nti  weinen.    (A.) 
chinö  weinen.     (A.) 
i-acdride  lachen.     (A.) 


qufpe  iia  lechä  quiiia,  tflok  qufhl  rezagi  hd- 
ginu  —  bete  jeden  Morgen  und  Abend. 
(A.)    [spau.  rezar.] 

poiielabe  fari-ini  hast  du  den  Zauberer  ge- 
rufen?    (A.) 

n-ozd-telal-ari-zd  klage  deine  Fehler  [alle] 
an.     (A.) 

ziug  coufesa  quiiu-sa  bekenne  deine  Fehler 
(A.)    [span.  confesar.] 

//■  inu  iniiua  wie  heisst  duY    (A.) 


queti  (je  verzeihen.     (A.) 

qui  cdlagine  streiten.     (A  ) 

que  caaldgina  sündigen.     (A.) 

titiang  oare  que  cdtu-na  streite  nicht.     (A.) 

apa-ga  que-mi,  aga-nga  que-nii  nao-ga  que-tni, 

tachilla-ga  que-mi   hast  du  Streit  gehabt 

mit  dem  Vater,  der  Mutter,  den  Kindern, 

den  Colorados?    (A.) 
seque-iita   sona   te     habe    Geduld     [mit     der 

Frau].    (A.) 
hitiipo  Geduld.     (A.) 
pdnique  Zorn.     (A.) 
pa-po  wild.     (A.) 

tinang  pai  tu  nu  sei  nicht  zornig.     (A.) 
lachi    hagu    quireniöquefo    Hass    oder   Rache 

haben.     (A). 
uiüUabe  tensdtaita  mit  Männern  nicht  scherzen. 

(A.) 


pu-de  hablar. 
pacto  hablar. 


(Wi.) 


Jniato  llorar.     ,Wi.) 


ucagto  reir. 
recse  cantar. 


,Wi.) 
(Wi.) 


utiaqueiio  rezar.    (Wi.) 


f/  in  KU  iiiujfu  como  Hamas?    (G.) 
ti  tuuiitü  como  te  Hamas?     (P.) 

jainburcndo    ?)  querer.     (P.) 


ujdraya  ctJlera,  bravo.     (P.) 


Nachtrag  A.   Die  verwandten  Sprachen  der  Cayapa  und  der  Colorados  von  Ecuador.        ;^7 


Colorados. 

fiiniiihihc  t('i)siii(i)i(i  mit  Weibern  nicht  scherzen. 

(A.) 
iiKiiiffa  zachi  tiH.sa  iiiat/o    [von  der  Frau]   die 

Ehe  brechen.     (A.) 
tii/tii('(p'i~fi  fiii((  (vom  Manne]  die  Ehe  brechen. 

•A.) 

P  e  r  s  0  n  a  1  p  r  0 11 0  m  i  n  a. 

Säimntliche  Beispiele  nach  dem  Vokabular 
des  ungenannten  Geistlichen  (A.):  — 

ht  ich  lif-r/ie  wir 
IUI  du  iiii-vlu'  ihr 
lu  er        /iic-rJii'/  (verbessert  für  mf-r/if^)   sie. 

l<(-rln'  äjxi  mein  Vater. 
tiii-rJi/  apa  dein  Vater. 
cliifi-cht  äpa  sein  Vater. 
]iiiti  h(-rhi  (irü  meine  Brüder. 
hini  Uli  eh!  (icü  deine  Brüder. 
Iifiii  rhitirht  (irö  seine  Brüder. 

tiiif-'i'  ich  habe. 

nii-tii-c  du  hast. 

i/a-fdc  er  hat. 

rhtipiiUu  triff  oi'  wir  haben. 

///i  fiifi  of  ihr  habt. 

i/ii  Uli  ti'  sie  liaben. 


Gayäpa« 


IUI  maiif/a  ihr  seid  [?  „du  allein"!]^ 
IUI  tan'-iiiaifo  du  hast  gestohlen. 
IUI   lu'ii^-pa-iuiijio  du  lügst. 
ii-iizii-fdal-ririza  klage  deine  Fehler  [alle]  an. 


i)  II -ruh  liioi'itli-ii  vcnde  me  tus  canoas.     (G.) 


Genitivsui'fix  —  -i-hi. 

Sämmtliche  Beispiele  nach  dem  Vokabular 
des  ungenannten  Geistlichen  (A):  — 

la-rhi  äpi'i  mein  Vater. 

lui-rhi  üpd  dein  Vater. 

<-]ilti-rhi'  dpa  sein  Vater. 

hiiii  Iii-ch!  uro  meine  Brüder. 

Im II  lui-r/ii  an')  deine  Brüder. 

h'in  rhitl-rlii  an')  seine  Brüder. 

./.  ('.  Dios-rhl  iido  J.  Ch.  ist  Gottes  Sohn 


siipiifii-rhi  itin'i   la  agiija  de  la  muger.     (G.) 

supitlii  -rhi    paiia    tnif/diKi    el    fuego     de     la 
muger.     (G.) 

nati-rhi  cuanto  vale?     (G.) 

ral-chi,  mau   ral-rJii  cuesta  un  real.     (G.) 


Maria  ./.  Crluto-rlii  aija  Maria  ist  J.  Christi      jial-rhi,  pal-ral-rhl  cuesta  dos  reales.    (G.) 
Mutter. 


hliiN  rhl  paliuau  in  Gott  sind  drei  Personen. 
rhilla    rhl   triif/a    /Hos    lu-uil   die    Seele    ]des 

Menschen]  geht  zu  Gott. 
rliilla  rhi  rhazi  rato  piirard  hrini  der  Körper 

[des  Menschen]  geht  zur  Erde. 


luiiu  dislniial-liisliti'iu  rhi  cuesta  seis  pesos.  (G). 


38 


Erster  Abschnitt:    Spraclilichcs. 


Colorados. 


Cayäpa. 


Lokativsuffix: 


-hv,  -bi. 


Säinmtlichc  Beispiele  nach  dem  Vokabular 
des  ungenannten  Geistlichen  (A>:  — 

Dios  ii'tqiiido-he  Gott  ist  im  Himmel. 

./.  ('.  (I man  11(1    ciclo-hi  paca    J.  Chr.    ist  im 

Himmel  mit  Körper  und  Seele. 
ioquido-hi  piifi-fl  cIiiiikI  im  Himmel   sterben 

sie  nicht. 
to-hi  qnerc-<i<   wirf  es  fort  |auf  den  BodenJ. 
iiniUa-bc    tcnna -tniia     mit    Männern     nicht 

scherzen 
souala  -  h<    foisa  -  fana     mit    Weibern    nicht 

scherzen. 


Sozialsuffix:  —  -(ju. 

Beispiele  nach  dem  "Vokabular   des  unge- 
nannten Geistlichen  (A):  — 

apa-ga  que'-iiii  hast  du  Streit  gehabt  mit  dem 

Vater? 
ai/a-iiga  qiti^nii  hast  du  Streit  gehabt  mit  der 

Mutter? 
nao-ga  quem/  hast  du  Streit  gehabt  mit  den 

Kindern? 
tachilUi-fia  qiteiiil   hast  du  Streit  gehabt  mit 

den  Colorados? 
apa-ga  ticho  mccö-ptä-fo  widersprichst  du  dem 

Vater? 
aya-nga    fichi    mccö  pä-tu    widersprichst    du 

der  Mutter? 
uiiifla-ga  fc  qidcho  nirro  pä  to  widersprichst 

du  dem  Gatten? 


Bekräftigung. 

ahf'i  Jiod  ja.     (A.) 
ha-lia  si.     (M.) 

Die   übrigen  Beispiele    alle   nach  dem 
Vokabular    des    ungenannten    Geistlichen 

(A):  - 

mird  oe  gut. 

Dios  merd  oe  Gott  hört  alles  [?  „Gott  ist  gut!"] 

Dt'os  qui  da  oe  Gott  sieht  alles. 

se-Juie  hübsch. 

ci-nid  Jiua  guten  Tag. 

le-rne  htia  Nacht. 

polö-hiia  hart. 

lo  halhd  hoe  Hitze. 


mu-fii!  si  quiero.     (P.) 

i'irab-e  si.    (G.)    [eig.  bien  estä.] 

iirabe,  dfichi  si,     (G.) 

i/i(ju  iirabe  si,  es  bonito.     (G.'' 

f/uju-ra  phidgu  que  olorosol     (G.) 


tag-oi'  ich  habe. 
un-fd-i'  du  hast. 


Nachtrag  A.    Dii'  verwandton  Sprachen  der  Cayäpa  und  der  Colorados  von  Ecuador. 

Colorados.  Cayüpa. 

ija-iä-l'  er  hat. 
chiquilla  t(lf/-oi'  wir  haben. 
lla-foff-oi'  ihr  habt. 
//(i  7/a-f-i'  sie  haben. 


39 


iod  ot"  geben. 
qucti-oi'  verzeihen. 
pod-chitii  oi'  sterben. 


Verneinung. 

tiHu  nein,  no!    (A.  M.) 

Die  übrigen  Beispiele  sämmtlich  nach 
dem  Vokabular  des  ungenannten  Geist- 
lichen (A):  — 

tine,  catu-dc  thue  es  nicht  mehr. 

tinattg  oza  cöfu-de  sündige  nicht  mehr. 

thiaiif/  oave  rdtii-iia  streite  nicht. 

tiiiaii;/  paltuna  sei  nicht  zornig. 

fina  ciichi  fuäua  trinke  nur  ein  Glas  [„trinke 

nicht  mehr'."]. 
iniHUihc    fi'iisa  -  fdiia     mit     Männern      nicht 

scherzen. 
fiOHdluhc     friisa  -  tftiKf     mit     Weibern     nicht 

scherzen. 
chuchu  fi-fpiu/a-ifö  der  Hund  hat  keine  Seele. 
J.  ('.  ti-Kz<(-ifö  J.  Chr.  ist  ohne  Sünde. 
Dios  te-pöcd-ifö  Gott  hat  keinen  Körper. 
(li-n-to  hässlich  (vgl.  sr-Jnie  „hübsch"). 


iinij-f!(>  no!     (G.) 

iiins-fiir  no  quiero.     i^P.) 

////  rtlj  tiKi  no  hay.     (G.) 

<uif(   ([HC  HO  no   quiero    [contestando   con  so- 

berbiay  dcsobedicimiento).   (P.)  [spanisch: 

que  no ! " ? ] 


iö  D/'o.s  c/nii'  die  Sonne  ist  nicht  Gott. 
pc  Dios  cliiie  der  Mond  ist  nicht  Gott. 
)0(jaido-bi  puä  ti  chuiiä   im  Himmel  sterben 

sie  nicht 
iotjuido  hi  (]Ki(i-hi  cliiiiiii  im  Himmel  sind  sie 

nicht  krank. 
iftöa  nichts. 
nuniarc  in(tn1((  niemals  habe  ich  gefehlt. 


Frage. 

Sämmtliche  Beispiele  nach  dem  Vokabular 
des  ungenannten  Geistlichen  (A):  — 

nio((  war? 

uffHUfdicHtc  (•nrlii-ni!  hast  du  Branntwein  ge- 
trunken ? 

mala  ciichi-ini  hast  du  Chicha  getrunken  ? 

apa-ga  que-mi  hast  du  Streit  gehabt  mit  dem 
Vater? 

tii/a-iiffa  qiie-iiii  hast  du  Streit  gehabt  mit  der 
Mutter? 


■tjii(ii(/ii(,  iiui-ijin iitr  (juieres?    (F.) 


40 


Erster  Abschnitt:   Sprachliches. 


Colorados. 

iniillo  zni-hi  piiii-wi  der  Mensch  hat  eine  Seele 

[eig.  „der  Mann,  stirbt  er?"]. 
soiiäla   piiä-iiii    das    Weib    hat    eine    Seele 

[eig.  „das  Weib,  stirbt  sie?"]. 
ti')itja  piHi-tii-ini   die   Seele  stirbt  nicht    [eig. 

„die  Seele,  stirbt  sie?"J. 
tiuga  pitd-u-iiii  der  Körper    stirbt    |eig.  „die 

Seele,  stirbt  sie?"]. 
II u  tari-Diai/o    du  hast  gestohlen    [eig.    _hast 

du  gestohlen?"]. 
>iii  tutu'-pö-niuii»  du  lügst  [eig.  ,.hast  du  ge- 
logen?"]. 
iiianga  zöchi  tcnsa  luäi/o    (von  der  Frau)   die 

Ehe  brechen    [eig.    „hast    (du)    mit  einem 

Manne  Unzucht  getrieben"?]. 
f/'/un  imina  wio  heisst  du? 


uirianv  faJtai  cdtu  wie  oft  hast  du  gefehlt? 
riria  itn  Jiatu  to  warum  hast  du  gefehlt? 


Cayipa. 


tinni-inn  como  te  Ilamas?     (P.) 

tinni-ii  inujtn  como  Ilamas?     (G.) 

(iinn  ja-ifu  hay  comida?    (G.) 

tin  faja  j/n  i/u  que  has  traido?     (G.) 

nilfi  taja  i/u  has  traido  canoas?     (G.) 

itan  cid  faja  i/ii  cuantas  canoas  has  traido  ?  (G.) 

nan  shi  cuanto  vale?     (6.) 

i)i(>ca  jhi(U)  donde  te  vas?     (P.) 


Imperativ. 

Als  Endung  desselben  scheinen,  wie  ich 
in  meiner  ersten  Abhandlung  (oben  S.  12) 
auseinandergesetzt  habe,  die  bei  den  Zeit- 
wörtern der  Listen  häufig  angegebenen  Suffixe 
-d(  und  -zu  -b'ha  zu  fungiren:  — 

Vgl.  die  von  dem  ungenannten  Geistlichen 
(A)  angegebenen  Sätze:  — 

tobi  querc-dr  wirf  es  forti 

ti>tc  rdtn-dc  thue  es  nicht  mehrl 

tinang  oza  ratii-de  sündige  nicht  niehrl 

n-ozd-teJaf-ori-za  klage  deine  Fehler  [alle]  an  1 


iaja-dc  trae. 
Uli -de  vayase. 
sha  vamonos. 


(P.) 
anda  te. 

(P) 


(P.) 


Zahlwörter. 

(A.) 

(M, 

(G.) 

(P-) 

1. 

niauga 

nianrari 

)iiai) 

iiia/u 

2. 

palugä 

pal  II  cd 

pallii 

pallo 

3. 

painiati 

pniia 

peniii 

poina 

4. 

hiinihd  hiU't 

iinihä  li'li'i 

talpaUii 

talpallo 

5. 

nianta 

niaiita   igü 

man  da 

man  da 

6. 

sta 

sota 

1-Q 

[uechua  myta 

DiaiidialniiaUi 

inaiidasinain 

7. 

call  eil! 

raiicliis 

cancMs 

Diand-iüh-palhi 

iiiandaspallu 

8. 

pozu 

])()za 

pusay 

nuoid-ish-pcDiii 

viandaspcma 

9. 

ishco 

islicini 

iakon 

inaiid-lsli-ialpallii 

mandastalpidlo 

10. 

chinuiu 

eh  11)1  CK 

cinnica  1 

paltia 

pailta 

11. 

paltia  III all. 

Nachtrag  A.    Die  verwandten  Sprachen  der  Cayäpa  und  der  Colorados  von  Ecuador.        41 


12. 
13. 

20. 
21. 
22. 

30. 

40. 
50. 
60. 
70. 
80. 
90. 
100. 

200. 
30(». 

1000. 

1878. 


Colorados. 

Zahlwörter. 


Cayäpa. 


(A.) 


(M.) 


patza  patzcir 

(vgl.  Quechua  pachu/^  .hundert'') 
]H(Iti  pafza 


mit  Tspan.)  (inarauga 

(=  Quechua  huaranea) 


(G.) 


(P.) 


pultia  pallii. 
palf/'a  priun 

u.  s.  f 
»Ktn  chalKra  wuiti  lladora. 

>nrf)ic/ialiira  man. 
manchaliira  paUii 

u.  s.  f. 
peu  chunga 

(vgl.  Quechua  rJnnica  ^zehn"). 
talpul  rtmiif/a. 
niaang  rliioiga. 
mandisli  malli  chuugu. 
niandish  pul  chunga. 
niandish  pen  chunga. 
mandish  ial  pul  chunga. 
man  hatsd. 

pal  batsd. 
poi   hatsd 
u.  s.  f. 
ptdtia  hatsd. 

paltia  mandish  ptmu  hatsd. 
mandish  pal  chunga  mandish  pcmu. 


(A.) 

)na  domingo  eine  Woche. 

wam  pc  [einj  Monat. 

mam  hitc  [ein]  Stück. 

mallharra  j)ima    ein    Thaler    Salz    [eig.   man 

lihra  ein  PfundJ. 
mungunn  Bios  es  ist  nur  ein  Gott. 
mangarc  hiinla  unverheirathet. 
mangar  mozo  Jüngling. 
mangarin   -achl  junger  Mann. 
mangarin  zond  junges  Mädchen. 
niangu  zdchi  tensa  nidi/o    (von  der  Frau)  die 

Ehe  brechen  (eig.  „hat  ein  unverheiratheter 

Mann    mit  dir    Unzucht  getiiebcn':'"]. 
Dios  chi  painian  in  Gott  sind  drei  Personen. 
J.  ('.  paiman  md  mriia-ro    J.  Ch.   wurde  für 

drei  Tage  begraben. 
J.   ('.   paiman    ma  tcmang  son    J.    Ch.    erhob 

sich  [nach  drei  Tagen]  vom  Grabe. 
)ndner<'  ein  Mal. 
paliint'  zwei  Mal 
paimanc  drei  Mal. 
humpalulonr  vier  Mal 
manfanc  fünf  Mal. 
rh Ungarn'  zehn  Mal. 


(G.) 
mau  siipu/a  jandctsua  una  niuger  viene. 


l)aJ  cu/p,  pcn  cu/r  dos,  tres  canoas. 

pi'u  rdl  tres  reales. 

man  culc  munchalura  hisJii  20  pesos  pur  cada 
una  (canoal. 


4-2 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


Colorados. 

Zahlwörter. 

lA.) 


fuque  der  erste  [Wochentag; 

reiiffähtle  der  zweite 

nä}i'':pi:-le  der  dritte  „ 

neaiiaca  der  vierte 

Haueana  der  fünfte 

naitpn)!  beiirhe  der  sechste 


Cajäpa. 


(G.) 

tnaii  r.il  un  real. 

racil  chi  cuesta  uu  real. 

j)äl  chi,  päl  räl  cht  cuesta  dos  reales. 

peti  ral  tres  reales. 

niamilin  cuatro  reales  [eig.  „ein  halber  Peso" 

tiianii'llii  ral  cinco  reales. 

/iiaitifh'ii  pil  seis  reales. 

iiiai/iiliii  pcH  r'il  siete  reales 

luaii  diishtu  un  peso. 

man  dushtu  ral  un  peso  un  real. 

päl  tiishtn  dos  pesos. 

pen  tushtu  tres  pesos. 

tilpal-hishtu  cuatro  pesos. 

Dinaiifi  fi'ishiii  cinco  pesos. 

niamlishiiiaJ-litshtii  seis  pesos 

u.  s.  f. 
inanchalnra  hishi  veinte  pesos. 
pen  chunga  lushi  treinta  pesos. 
man  bafsd  hishi  cien  pesos. 


In  den  Benierkuiiyeu.  die  Theodor  Wolf  dem  kleinen  spaniscli- 
Cayäpa-Quechua  Yokabnlar  anfügt,  das  er  in  dem  oben  angeführten  Bericht 
über  die  Provinz  Esmeraldas  veröffentlichte,  macht  er  darauf  aufmerksam, 
dass  die  Silbe  pe,  die  im  Cayäpa  und  in  der  Sprache  der  Colorados  „Wasser" 
und  „Fluss''  bedeutet,  in  einer  ganzen  Reihe  von  Flussnamen  des  nörd- 
lichen Theils  der  Provinz  Esmeraldas  vorkommt,  wie  Cacha-bi.  Uim-hi, 
Tulul-bi\  Pala-bi,  Telew.-bi^  Canum-bi  u.  s.  w.,  und  in  all"  diesen  Worten  von 
den  Indianern  eigentlich  aucli  mit  einem  harten  p  gesproclien  wird.  Er 
schliesst  daraus,  dass  Stämme  dieser  Sprache  in  alter  Zeit  weit  nach 
N(»rden  bis  zum  Rio  Patia  verbreitet  gewesen  sein  müssen.  In  der  That 
sprechen  manche  Umstände  dafür,  dass  die  eiust  mächtigen  Stämme  der 
Barbacoas,  der  Iscuandes  und  der  Telembies.  die  die  Wähler  und 
die  Ufer  der  Ströme  des  Patia-Uebietes  in  ihren  oberen,  schon  dem 
Abfall  der  Cordillere  angehörigen  Theilen  bewohnten,  eine  einzige  grosse 
S])rachgruppe    gebildet    liaben.    und    dass   die   Cav;i]);i    und  Colorailo.s    nur 


Nachtrag- A.    Die  verwandten  Sprachen  der  Cayapa  und  der  Colorados  von  Ecuador.     43 

Uiiterabtheiluiigen  dieser  Spracli-  und  Völkergruppe  darstellen.  Einen 
Rest  dieser  Stämme  traf  der  fran/ösiselie  Reisende  Ed.  Andre  an  dem 
Ufer  des  Rio  Cuaiquer,  der  dem  dem  Patia  parallelen,  aber  südlich  von 
der  Bahia  de  Tumaco  in  das  Meer  mündenden  Rio  Mira  zuströmt.  Er 
beschreibt  si(?^)  als  eine  wenig  zahlreiche,  friedliche,  durch  Schlankheit 
und  Eleganz  der  Formen  ausgezeichnete  Menschenrasse. 

Die  Männer,  sagt  er,  sind  voji  mittlerer  («rosse,  wohlgestaltet,  von 
leicht  dunkelbrauner  Hautfarbe.  Die  Haare  sind  straff  und  fallen  ziemlicli 
tief  über  den  Nacken  herab.  Von  den  Indianern  des  Hoojilandes  unter- 
scheiden sie  sich  insbesondere  durch  die  starke,  gekrümmte,  fein  al)gesetzt(» 
Nase,  die  niemals  ])lnm})  und  fleischig  ist.  Sie  bemalen  sich  ganz  all- 
gemein das  Gesicht  mit  dem  Farbstoff  einer  Pflanze,  die  sie  vija  nennen, 
einem  schönen  Orangeroth,  untermischt  mit  einigen  blauen  Strichen,  die 
mit  Indigo  gemacht  werden.  Die  Frauen  sind  klein,  llire  Hautfarbe 
zeigt  einen  Orangeton.  Die  Nase  ist  adlerartig  (nez  bourbonien),  mir 
feinen  rundlichen  Flügeln.  Die  Haare  lang  und  dick.  Der  Mund  von 
mittlerer  (J rosse,  mit  schmalen  Lippen,  die  einen  dunklen  Far1)enton  auf- 
weisen. Die  Stirn  ist  niedrig,  die  Augenbrauen  wenig  sichtbar,  die  Lider 
stark  vorspringend  und  mit  ziemlich  stark  entwickelten  Wimpern  versehen. 
Die  Augen  sind  glänzend,  von  mittlerer  (irösse,  nicht  schräg  gestellt  und 
ziemlich  hübsch.  Das  Kinn  ist  klein  und  gerundet.  Gegenüber  der  be- 
trächtlichen Brustkasten  -  l^ntwickluug,  die  die  Hochland-Indianer  auf- 
weisen, ist  ihre  Brust  unter  den  niedrigen  und  anmuthig  gerundeten 
Schultern  nur  wenig  geweitet  und  zeigt  ovale  Brüste,  die,  selbst  bei  jungen 
Mädchen,  mit  einem  stark  entwickelten  Hof  und  feiner  Warze  versehen 
sind.  Die  Füsse  sind  klein  und  wohlgebildet,  die  Beine  ^,d"une  ligne 
parfaite*',  die  Hüften  wenig  vorspriugend.  Arme  und  Beine  ein  wenig- 
schmächtig,  aber  von  tadelloser  Form.  Die  meisten  gehen  nackt  bis  zum 
Alter  von  zwölf  Jahren,  wo  sie  sich  verheirathen  und  Mutter  werden. 
Wenn  sie  das  heirathsfähige  Alter  erreicht  haben,  wickeln  sie  schräg  um 
<lie  untere  Hälfte  des  Leibes  einen  Baststreifen  oder  ein  Stück  bayeta 
(Flanell)  von  grober  blauer  Farbe,  das  sie  zwischen  den  Beinen  aufheben, 
wenn  sie  auf  dem  Marsche  sind."- 

Weiterhin")  hat  Andre  auch  ein  i)aar  Worte  ihrer  Sprache  auf- 
gezeichnet, die  ich  hier  unter  Zufügung  der  entsprechenden  Ausdrücke 
jfler  in  dem  Obigen  behandelten  beiden  verwaudten  Dialekte,  wiedergebe:  — 

Colorado. 

Mann mnUa 


Frau 


Ca.Viipa. 

Cuftiquer. 

itiniala 

Iiaiiihd 

liupula 

imiberi' 

sKpiila 

iK(ri((iithH 

1)  „Lo  Tour  du  Monde".    Vol.  38.    p.  o^b.  o(>(>. 

2)  „Le  Tour  du  Monde^    Vol.  45.    p.  344,  345. 


44 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


Colorado. 

Vater npii 

Mutter (ii/ii 

Solm tnio 

Tochter imnui 

Haar apirlui 

Auije racö 

Nase (jutiifii 

Mund fiqidforo 

Zahn fpfii 

I.eib.  Bauch  ....  pe'colo 

Arm faipii 

Hand fäh' 

Bein nrdf,  bostii 

Fuss nebopö 

Fleisch tachica 

Himmel ionniiWi 

Wasser />/ 

Erde io,  tu 

Silber ein 

Brot 

Gras  (?  herbei   .    .    . 

Haus ifd 

Bett 

Wie  geht  es?  .  .  . 
Gut.  danke  .... 
Adieu 


C'ayäpa. 

Cuaiqiier. 

dpa 

nn-illii 

ijaua 

(iriHi 

nna,  if/tin 

piiijpd 

.Sllpil-Ilfllllll 

iKirliniiliit  pdijpii 

payini 

ach  II II 

<iii-lii 

rapiira 

i-iirlni 

quijo 

ijiimipii 

fbaiiiil 

jiit'n 

fi'sro 

all  II II II 

(IJr/i 

11 /i  11(1 

PK)  P'J 

tnnll 

papapii 

r/i  •tu 

eitiho,   iii'pd 

pliiiliiir 

nepupu 

niito 

dUa 

11(111 

hdfiaralla 

uildniuati 

rhllln 

pi 

nidrri 

tu 

pill 

pidl 

jHlllltt'll 

pmfl'ii 

!l<i 


l/dll     ' 
rdilli 

Uli  Jdini  Jdiiihi'i 
fllldtill-ffildtill    diiihod 
i-dirhIdDihi'l 


Au.<  diesem  mageren  und  auch  wohl  nicht  sehr  sicher  überlieferten 
Yerzeichniss  lässt  sich  nun  allerdings  nicht  viel  schliessen.  Doch  springen 
einzelne  Uebereinstimmungen  in  die  Augen,  auf  die  auch  schon  Brinton 
in  seinem  Buche  „American  Race"  aufmerksam  gemacht  hat,  wie  apichü 
achua  und  aichi  „Haar'" \  cacö,  capüca  und  cachu  „Auge";  quinfü,  quijo  und 
quimpu  „Nase",  sowie  j/a  und  ijall  ,,Haus".  Am  auffälligsten  ist  die  Nicht- 
übereinstimmung in  dem  sonst  weitverbreiteten  Worte  für  „Wasser".  Und 
ich  habe  eigentlich  den  stillen  Verdacht,  dass  das  von  Andre  mit  der 
Bedeutung  „Erde"  angegebene  Wort  pill  eigentlich  „Wasser"  heisst  und 
dem  pi  der  anderen  beiden  Dialekte  entspricht,  und  dass  das  von  Andre 
für  „Wasser"  angegebene  Wort  cuavri  mit  dem  C'ayäpa -Worte  acuri  „Berg'' 
zu  vergleichen  ist. 

Noch  weiter  hat  Brinton  in  seinem  Buche  „American  Race"  die  hier 
angenommenen  Verwandtschaften  verfolgt,  indem  er  auch  die  Möguexs  (wie 
sie  von  den  Paez  genannt  werden),  die  Guanaca  oder  Guambia,  unter 
welchem  Namen  sie  von  den  älteren  und  den  spanischen  Autoren  auf- 
geführt werden,    die    neben    den  Päez    auf    der    zentralen  Cordillere    von 


Nachtrag  A.    Die  verwandten  Sprachen  der  Cay;ipa  und  der  Colorados  von  Ecuador.     45 

Columbion,  an  dem  hohen  Piiranio  de  las  Papas  wohnen  \)  und  die  ihnen 
benaclibarten  und  sprachverwandten  Bewohner  der  Dörfer  Polindara 
und  Totoro,  sowie  die  Coconuco,  die  ebenfalls  in  dem  obersten  Cauca- 
Gebiet,  am  Abhang  des  Yolcan  de  Purace  wohnen,  in  diese  Sprachgruppe 
einschliesst. 

Ueber  die  Coconuco  hat  der  General  T.  C.  Mosquera^j  interessante 
Notizen  verött'entlicht,  die  er  „con  uiil  investigaciones  entre  los  habitantes 
de  las  selvas  de  Coconucos,  Polindaras  y  Guambias"  herausgefunden  habe, 
und  er  hat  auch  einige  Worte  ihrer  Spraclie  verzeichnet,  die  „niemals 
vorher  niedergeschrieben  w(n'den"  sei. 

„Als  Herr  eines  Theils  jener  Ländereien",  sagt  er,  „habe  ich  mit 
vieler  Mühe  mit  einigen  verständigen  Männern  und  Frauen  in  Verkehr 
treten  können,  die  mir  ein  wenig  von  ihrer  Sprache  beibrachten  und  mir 
von  dem  erzählten,  was  bei  ilinen  über  die  Eroberung  und  ihre  Vorfahren 
bekannt  ist.  Und  zwei  derselben,  Namens  Felipe  Ol  und  Mauricio 
Melenge,  die  1811)  scliou  Greise  von  über  achtzig  Jahre  waren,  erzählten 
mir,  dass  die  Ländereien,  die  ich  besass,  dem  Kaziken  Mompotes  ge- 
liörten,  und  die  von  Cobalö  dem  Kaziken  Guanaritas,  und  dass  in  dieser 
Höhe  sich  die  Spuren  einer  alten  aus  Erde  und  Steinen  erbauten  Festung 
von  quadratischem  Grundriss  finden  und  ein  Zickzackweg,  den  sie  in  ihrer 
Sprache  quingos  nennen,  ein  Wort,  das  auch  im  Quechuii  vorkommt.  .  . .  Diese 
Indianer  waren  es,  welche,  um  sich  von  den  Eroberern  zu  befreien,  alle 
ihre  Saaten  zerstörten,  damit  Sieger  und  Besiegte  durch  Nahrungsmangel 
zu  Grunde  giengen,  und  in  der  Hoffnung  allerdings,  dass,  da  sie  viele 
waren,  einige  von  ihnen  h'hen  bleiben  und  das  Land  wieder  würden  be- 
völkern können.'' 

„Zur  Zeit  der  Conquista  wurden  die  Pubenano  und  Coconuco  von 
einem  Kaziken  Namens  Payan,  die  Paez  oder  Pijao  von  einem  Namens 
Calambäs  beherrscht." 

„Die  Coconuco  liatten  einen  Oberhäuptling,  den  sie  yusgüen  nannten, 
was  so  viel  ist  als  „König".  Die  Kaziken  waren  diejenigen,  welche  eine 
bestimmte  Abtheilung  von  Dörfern  l)eherrschten.  Unter  ihnen  standen  die 
caschü^  was  so  viel  als  „Gobernador"  bedeutet.  Und  mit  dem  Worte 
earabic  bezeichneten  sie  die  niederen  Behörden,  die  etwa  den  Alkalden 
(Dorfschulzen)  entsprechen." 

„Zum  Bebauen  des  Ackers  hatten  sie  Steinwerkzeuge,  von  denen  icli 
zwei  in  meinem  Besitz  habe.  Sie  bauten  3Iais,  den  sie  hurä  nannten, 
Arracacha   (eine   essbare  Wurzeln   tragende  Umbellifere),    die    sie    huahue 


1)  P.  Rodriguez.     El  Maranon  y  Amazonas.     Madrid  16(S4.     p.  72. 

2)  General  T.  C.  Mosquera.     Memoria  sobre  la  Geografia,  Pisica  y  Pohtica  de 
la  Nueva  Granada.     Nueva  York  l'S52.     p.  43 — 45. 


4G  Er;;tcr  Abschnitt:    Sprachliches. 

ueuneii,  die  KuoUenfrucht  UUuous  tiiberosus  (Fani.  ßasellaceae),  die  sie 
mit  dem  Queohuä-Wort  uUuco  bezeiclineii,  die  Oxalis  tuberosa  (die.  wie  es 
scheint,  von  ihnen  ebenfalls  mit  dem  Uuechuä-AVort  oca  ])ezeichnet  \N'ird] 
und  die  Kartoffel,  die  sie  [wie  die  Quechuä]  papa  nennen."  —  (-Mosquera 
bemerkt,  dass  er  die  Kartoffel  in  den  Bergen  von  Paletara  wild  angetroffen 
habe,  und  dass  aus  diesen  wilden,  gar  keine  oder  wenig  Knollen  tragenden 
Pflanzen  die  Eingeborenen  gute  Esskartofteln  zu  züchten  verstehen.)  — 
Wie  ganz  allgemein  die  Bewohner  der  Hochländer  von  Bolivien  und  Peru, 
])flegten  auch  die  Coconuco  Blätter  der  Coca-Pflanze,  gemischt  mit  Aetz- 
kalk.  den  sie  aus  einer  thonhaltigen  Kalkerde  gewinnen  und  pic  oder 
iiiambi  nennen,  zu  kauen.  . 

Die  Coconuco  zählten,  nacli  Mosquera.  nur  bis  sieben,  und  bedienten 
sich  für  die  höheren  Zahlen  der  spanischen  Ausdrücke.  Gleich  den  Peru- 
anern gebrauchen  sie  für  ihre  Rechnungen  oder  Inventare  Knotenschnüre, 
die  mit  dem  peruanischen  Worte  quipu  bezeichnet  werden. 

AVeiter  gibt  3Ioscjuera  noch,  als  der  Sprache  der  Coconuco  an- 
gehörig,  die  Worte  manche  „Geist"  „höchstes  Wesen":  palash  „Himmel": 
jKinsig  ..Teufel  (diablo)";  cuai  „Dämon  (demonio)"   an. 

Obwohl  sie  heute  halbzivilisirt  und  zum  Christenthum  bekehrt  seien, 
hätten  sie.  als  Reste  ihres  alten  Glaubens,  noch  die  Yorstellungeu  eines 
guten  und  eines  bösen  AVesens  behalten.  Das  Böse  schrieben  sie  dem 
puil,  das  ist  dem  Monde  zu,  und  dem  panzig.  das  ist  ihr  „Dämon".  Das 
Gute  erhoffen  sie  von  dem  puitchi\  das  ist  der  Sonne. 

Sie  unterscheiden  in  ijirer  Sprache,  wie  Mosquera  sagt,  die  Fixsterne, 
die  sie  sil.  und  die  Planeten,  die  sie  silg  oder  sill  nennen,  —  [was  mir 
allerdings  kein  rechter  unterschied  zu  sein  scheint]  — ,  und  bezeichneten 
das  Gestirn  der  Plejaden  mit  dem  Xamen  site-silg. 

Die  Kamen  anderer  Sternbilder  hat  Mosquera  nicht  erfahren  können. 
Für  „Monat"  gebrauchten  sie  den  Ausdruck  cana-puil.  d.  h.  „ein 
Mond-. 

Endlich  will  Mosquera  noch  ein  dem  Englischen  ähnliches  Wort  bei 
den  Coconuco  angetroffen  haben,  nämlich  die  Bekräftigungspartikel  inde^ 
das  ihn  an  das  englische  „indeed"  erinnert. 

A'on  den  den  Coconuco  nahe  verwandten  und  ihnen  benachbart 
wohnenden  Moguexs  hat  Leon  Douay  in  dem  Compte  rendu  de  laVHeme 
Session  du  Cougres  international  des  Americanistes,  Berlin  1888,  p.  774 
bis  781,  ein  A'okabular  veröffentlicht,  das  er  drei  Jahre  vorher  von  zwei 
jungen  Zöglingen  des  Colleges  von  Popayan,  den  Herren  Carvajal  und 
Adriane  Paz,  erhalten  hat.  In  der  Einleitung  dazu  gibt  Leon  Douay 
einige  ethnographische  Notizen  über  diesen  Stamm,  die  ihm  der  aus  dem 
Orte  Silvia  stammende  Pedro  Carvajal  übermittelt  hat. 

Auf  Grund  dieses  A'okabulars  und  einer  Totoro -Wortliste,  die  von 
einem  ungenannten  Missionar  in  dem  zwölften  Bande  (Jahrgang  1879)  der 


Nachtrag-  A.    Die  verwandten  Sprachen  der  Cayiipa  und  der  Colorados  von  Ecuador.      47 

Revue  de  Linguistique  et  de  Philologie  comparee  veröffentlicht  worden 
ist,  hat  Brinton  „American  Race"  p.  Ml  eine  vergleichende  Liste  von 
Colorado-  und  Cayäpa -Worten  und  Möguexs-  und  Totoro -Worten  zu- 
siimniengestellt,  die  in  der  That  einige  auffallende  Uebereinstimmungen 
znigt,  und  die  icli  zum  Schluss  hier,  mit  einigen  Abänderungen  und  Ver- 
vollständigungen, reproduzire:  — 


Mann . 


Colorado. 

unilla 


Frau so)i<( 

HOnala 

Koyf Hill  villi 

Auge r<i(-<'> 

Ohr pinili-i 

Nase quill  fit 

Mund fiqii/foro 

Zahn tcfi'i 

Zunge    

Hand t(d>' 

Fuss ii('</c,  iir/joj)(i 

Sonne iö 

Mond pr 

Sterne t.:aliö 

iiiaraca 

Feuer iii 

Wasser pi 

Mais 2^"^ 

Haus /'/' 

1 i?iaii-(/(i 

2^ pohi-i/a 

3 pdiniau 

4 ]iiini-h('ilii-lö 

5 111(1)1 -fn 

6 


Cayäpa. 

II  IUI  (da 
liupiild 
SU  pul  (l 

Uli  alt  II 

in  i.sli  picea. 

(■(ipiira. 

puiifpii 

ipiijo 

fibaqui 

tcsco 

iilfjca 

fiapapa 

iK'papa 

pacta 

piipajfa 

iiiariira 

II  ii,  iii'/lo 
ii/ii(/uiiia 

P> 
pish  11 

II''' 

mal) 

pallii 

piiiiii 

fdl-paUii 

>nau-(l(i 

niaiid-ish- 


Möguexs. 

IllUI'k 

srliut 

2)iisro 

cap 
calo 
kind 
rliidhcliah 


coze 

kadzigd 

puitchr 

puizariim 

puil 

piilne 

sill,  silg 

ipt 

pii 
bura 
piirat 

i/(((itk 


Totorö. 

III  uij,  nmjel 

iuli  u 

pua/iu 

r(ij)fr/i  ul 

l.-iiii 

trii-trap 

tchugiil 

nüe 

vaiiihil 


lalli 


kaiidi-do-rashani 

pa-buin-shain 

puhi-buH-sliaiii 

pi-puiii-sh(iiii 

tchaj-pun-sli  am 

kuiieii-guai/a 


Für  die  Totoru-Zahlwörter  ist  dabei  zu  bemerken,  dass  l)ei  den  Zalilen 
2  —  5  das  bun-sham,  pun-sham,  buin-skam,  iminshavi  eine  Präposition  ist. 
mit  der  Bedeutung  „für'',  die  in  ganz  gleicherweise  bei  den  Zahlen  über 
sechs,  wo  die  Totoro  sich  der  spanischen  Ausdrücke  bedienen,  gesetzt 
wird,  z.  B.  diez-hunsham  „zehn"  (eig.  „für  zehn").  .Die  gleiche  Bedeutung 
werden  wir  wohl  auch  dem  ovasham  der  ersten  Person  und  zweifellos  dem 
—  ga  der  Colorado-Zahlwörter  zuschreiben  müssen.  Die  Uebereinstimraung 
zwischen  den  beiden  Idiomen,  auch  in  den  Zahlen,  wird  man  nicht  ver- 
kennen. 


4^  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Für  die  1.  2.  3.  Person  »les  Pronomens  hat  das  Totorö  die  Formen 
na-,  ni-  (oder  gni'),  ni-  (oder  </w/)-  "^i*^'  ^^^^"^  ^""  "^"  '*^~  ^^^  Colorado  und 
Cayjipa  entsprechen  und  wie  diese  präliu,irt  werden.  Das  Totoro  unter- 
scheidet aber  dabei  den  Singuhir  und  Plural  des  Pronomens  durch  Hin- 
zufügung von  -c'/i  und  77ipt'  und  scheint  ausserdem  noch  beim  \  erbum. 
oder  bei  gewissen  Verben,  eine  sekundäre  Personalbezeichnung  durch  be- 
stinnnte  Suffixe  bewirken  zu  können.  Diese  sind  für  die  l.  Person  -or 
(oder  -er),  für  die  '2.  Person  -ego  (oder  -egne),  für  die  3.  Person  -in,  sodass 
demnacli  z.  B.  das  Zeitwort  „haben"  in  folgender  AVeise  abgewandelt  wird:  — 

tui-rr  poih-or  ich  habe  tKi-mpi  po'ik-i r  wir  haben 

(fiii-ce  po'ik-cgo  du  hast  j  ni-nipc  po'ik-cguc  ihr  habt 

(jni-re  poik-in  er  hat  |  tti-ttipc  po'ik-iu  sie  haben. 


Nachtrag  B.    Die  Spraclip  der  Indianer  von  Esiiieraldas.  49 


Nachtrag-  B. 

Die  Sprache  der  Indianer  von  Esmeraldas. 


Ueber  die  ethnographischen  Verhältnisse  des  nördlichen  Theils  der 
Küste  von  Ecuador  wird  von  den  alten  Autoren  leider  fast  nichts  be- 
richtet. Cieza  de  Leon  zählt  in  dem  dritten  Kapitel  seiner  Crönica  del 
Peru  die  Häfen  auf,  die  der  westliche  Rand  des  südamerikanischen  Fest- 
landes von  Panama  südwärts  bis  an  die  (rrenzen  von  Peru  aufweist.  Er 
erwähnt  zunächst  den  zur  heutigen  Republik  Columbien  gehörigen  Küsten- 
strich vom  Cap  Corrieutes  südwärts  bis  zur  Insel  Gorgona,  der  die  Bahia 
del  Chocö  einschliesst.  Diese  ganze  Küste,  sagt  er,  ist  flach,  voll  von 
Mangowäldern  und  anderem  Urwaldbestand.  Es  münden  an  dieser  Küste 
zahlreiche  grosse  Flüsse,  darunter  der  mächtigste  der  Rio  San  Juan, 
und  an  ihm  wohnt  eine  barbarische  Völkerschaft,  die  ihre  Häuser  auf 
Pfählen  errichtet  haben,  nach  Art  von  barbacoas,  und  jedes  einzelne 
enthält  zahlreiche  Bewohner,  da  diese  „caneyes"''  oder  Häuser  lang  und  sehr 
l)reit  sind.  Diese  Indianer  seien  sehr  reich  an  Gold,  und  das  Land,  das 
sie  ihr  eigen  nennen,  selir  fruclitbar,  und  die  Flüsse  führen  Mengen  des 
kostbaren  Metalls.  Aber  das  Land  sei  so  waldig  und  unwegsam,  so  voller 
Sümpfe  und  Lagunen,  dass  es  nicht,  oder  nur  unter  grossem  Kraftaufwand 
erobert  werden  könne.  Die  Insel  Gorgona  rage  hoch  über  dem  AVasser 
empor,  und  es  blitze  und  donnere  dort  fortwährend,  sodass  es  scheine,  als 
ob  die  Elemente  dort  miteinander  in  Kampf  ständen.  Die  Insel  sei  ganz 
mit  Wald  bestanden,  voller  Vögel,  Wildkatzen  und  Schlangen  und  an- 
sclioinend  niemals  bewohnt  gewesen. 

Weiter  verlaufe  die  Küste  in  ähnlicher  Weise  bis  zur  Isla  del  Gallo, 
und  dann  mit  einer  Wendung  nach  Südwest  bis  zur  Punta  de  Manglares, 
(1.  h.  der  Mündung  des  Riu  Mira.  Die  Küste  sei  flach  und  waldbedeckt, 
und  es  mündeten  hier  zahlreiche  Flüsse  —  diesem  Küstenstrich  gehört 
4ie  Mündung  des  Rio  Patia  an  -  und  an  diesen  Flüssen  lebten  im 
Binnenlande  diesellien  Völkerschaften,  die  schon  am  Rio  San  Juan  genannt 
worden  seien,  d.  h.  Pfahlbautenbewohner.  In  der  That  hat  der  Name  der 
Hauptstadt  dieses  Distrikts,  Barbacoas,  noch  heute  die  Erinnerung  an 
diese  Verhältnisse  erhalten. 

Seier.  (Gesammelte  Abliaiiillungen  1.  4 


50  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Von  Punta  3Iangliiros  verlaufe  die  Küste  nacli  Südwest  zur  Baliia  de 
Santiago  und  dem  Ancon  de  Sardinas,  wo  der  grosse  und  reissende  Kio 
de  Santiago  münde.  Das  ist  der  Fluss  von  La  Tola,  an  dessen  oberen 
Zuflüssen  die  Cayapa  wohnen. 

Weiter  erwähnt  Cieza  de  Leon,  —  seiner  Angabe  nach,  in  etwas 
über  l'^  nörtllicher  Breite  gelegen.  —  die  Bahia  de  San  Mateo.  Das 
muss  das  heutige  Esmeraldas  sein. 

You  dort  verlaufe  die  Küste  10  Leguas  in  westlicher  Richtung  zu 
dem  hoch  gelegenen  Cabo   de   San   Francisco,  in  1°  nördlicher  Breite. 

Auf  dem  nun  folgenden,  nach  ihm  in  südwestlicher  Richtung  ver- 
laufenden Küstenstriche  bis  zu  dem  unter  0°  gelegenen  Cabo  Pasaos 
erwähnt  er  die  drei  Flussmünduugen  der  Quiximies  (die  Cojimies  der 
heutigen  Karten)  und  im  Binnenlande  die  hohe  Sierra  von  Quaque. 

Jenseit  des  Cabo  Pasaos  nennt  er  zunächst  die  Bahia  de  Cariiques 
un«l  endlich  den  Puerto  viejo  in  1°  südlicher  Breite,  mit  der  zwei  Leguas 
von  der  Küste  entfernt  gelegenen  Ciudad  de  Santiago  und  dem  weitere 
zwei  Leguas  nach  Süden  gelegenen  Monte  Cristo. 

Die  Eingeborenen  dieses  Küstenstriches  beschreibt  Cieza  de  Leon^) 
als  von  mittlerer  Leibesgrösse.  Sie  seien  die  Inhaber  eines  reichen,  frucht- 
baren Landes,  in  dem  es  Mais,  Yüca  (Manihot  utilissima).  Aji  (Capsicuni 
sp.),  Bataten  und  andere  nährstoffreiche  "Wurzeln  in  Fülle  gäbe.  Ferner 
zwei  bis  drei  Arten  Guajaven  (Psidium  sp.),  Guabas  (Inga  sp.),  Aguacaten 
(Persea  gratissima)  und  Kaktusfeigeu  von  zwei  Arten,  von  denen  eine 
weiss  und  von  vorzüglichem  Geschmack  sei,  sowie  Caimitos  (Chrysophylluni 
cainito)  und  eine  andere  Frucht,  die  man  cerecillas  (kleine  Kirschen) 
nenne.  Endlich  Melonen,  einheimische  und  importirte,  allerlei  Gemüse 
und  Bohnen,  Orangen,  Limas  und  eine  Fülle  von  Bananen.  Die  Wälder 
wimmelten  von  Wildschweinen,  deren  Fleisch  sehr  wohlschmeckend  sei. 
und  von  allerhand  Yögeln  und  anderem  Gethier.  Es  fehle  nicht  an  Bäumen, 
die  zum  Hausbau  und  anderen  Dingen  nützlich  seien,  und  in  den  Hohl- 
räumen der  Bäume  gäbe  es  viel  Honig.  Die  Indianer  hätten  auch  zahl- 
reiche Fischereien,  in  denen  sie  Fische  in  Menge  fingen.  Den  „Bonitos". 
die  hier  liefano-en  würden,  sagt  er  aber  nach,  dass  sie  Fieber  und  andere- 
Krankheiten  erzeugten.  Auch  sei  unter  den  Indianern  dieser  Küste  eine 
Art  Warzenkrankheit  weit  verbreitet,  von  der  auch  die  Europäer  befallen 
würden,  und  die  man  dem  Fischgenuss  zuschreibe. 

Unter  den  Indianern  dieser  Küste  unterscheidet  Cieza  de  Leon  zwei 
Arten: 

Bei  den  einen,  die  vom  Cabo  de  Pasaos  und  vom  Rio  de  Santiago 
(worunter  al)er  hier  der  Fluss  von  Puerto  viejo,  nicht  der  von  La  Tola, 
verstanden  wird)  südw^ärts  bis  Zalango  wohnten,  tätowirten  sich  die  Männer 


1)  Crönica  del  Peru  cap.  46. 


Nachtrag-  B.    Die  Sprache  der  Indianer  von  Esmeraldas.  51 

im  (iesicht  einen  mehr  oder  minder  breiten  Streifen  von  den  Ohren  oder 
den  Scldäfen  bis  lienmter  zum  Kinn.  Als  die  hauptsächlichsten  Dörfer 
dieser  Bevölkerung  nennt  er  Pasaos,  Xaramixo,  Pimpanguace, 
Peclansemeque,  das  Thal  von  Xagua,  Pechonse,  und  die  Leute  von 
3Ionte  cristo,  Apechique,  Silos,  Canilloha,  Manta,  Zapil,  Manavi 
nn<l  Xaraguaza.  Diese  Indianer  giengen  bekleidet  und  wohnten  in 
hölzernen  mit  Palmblatt  gedeckten  Häusern.  Cieza  rühmt  ihr  vorzüg- 
liches Maisbrot,  sagt  ihnen  aber  unsittlichen  Lebenswandel  nach  und  ins- 
besondere, dass  sie  allgemein  dem  Laster  der  Sodomiterei  gehuldigt  hätten. 
Sit>  hatten  viele  Idole  und  einen  ausgebildeten  Kultus  mit  Opfern  von 
Thieren  und  Kriegsgefangenen.  Als  Hauptfetisch  wurde  in  Manta  ein 
grosser  Smaragd  verehrt,  der  die  Krauken  heilte  und  zu  dem  man  von 
weither  gewallfahrtet  kam.  Von  dem  Cerro  de  Hoja,  östlich  von  Monte 
("risti,  sind  neuerdings  sehr  merkwürdige  Steinskulpturen,  die  diesen 
Stämmen  angehören,  Thier-  und  Menschenfiguren  und  von  Thierfiguren 
getragene  Sessel  in  die  europäischen  Museen  gelangt.  Xach  Cieza  de 
T^eon  hätte  in  einigen  Dörfern  dieser  Gegend  auch  die  Sitte  bestanden, 
<Iie  er  iu  Columbien,  in  dem  Valle  de  Lile  unweit  Cali  ebenfalls  beob- 
achtet hatte,  die  ausgestopften  Häute  der  (Jeopferten  in  den  Tempeln  auf-  -ff^- 
zustellen.  Diesei-  Bevölkerung  gehörten  vermuthlich  auch  die  merkwürdigen 
Alterthümer  an,  die  George  A.  Dorsey  auf  der  Isla  de  la  Plata  ge- 
sammelt und  in  den  Yeröffentliclmngen  des  Field  Columbian  Museums  von 
•Chicago  beschrieben  hat^).  Es  haben  sich  darunter  Silberfiguren  und 
Gefässe  von  peruanischem  Typus  gefunden,  die  erkennen  lassen,  dass  der 
Einfluss  der  Peruauer  oder  ihr  Handel  sich  bis  hierher  erstreckte.  Die- 
selbe Thatsache  kommt  auch  in  den  Erzählungen  zum  Ausdruck,  die  von 
Eroberungszügen  der  Inca  bis  in  diese  Gegend  berichten. 

Von  dieser  tatuirten  Bevölkerung  unterschieden  sich  nach  Cieza  die 
Caraques  und  ihre  Nachbarn,  d.  h.  also  die  nördlich  von  Puerto  viejo  an 
der  Küste  wohnenden  Stämme,  dadurch,  dass  sie  sich  nicht  tatuirten  und 
in  ungeordneten  politischen  Verhältnissen  lebten,  indem  sie  beständig  mit- 
einander Krieg  führten.  Von  diesen  nördlicheren  Küstenstämmen  berichtet 
Cieza  die  interessante  Thatsache,  dass  sie  den  Kopf  der  neugeborenen 
Kinder  eindrückten  und  dann  zwischen  Bretter  schnürten,  sodass  im  Alter 
von  vier  oder  fünf  Jahren  der  Ko})f  eine  nicht  mehr  sich  verändernde 
breite  oder  lange  Form,  bei  der  das  Hinterhaupt  nicht  mehr  deutlich 
hervortritt,  erhalten  habe. 

Endlich  erzählt  Cieza  de  Leon  noch,  dass  die  nordwärts  von  dem 
Orte  Colima  (abajo  del  pueblo  de  Colima  ä  la  parte  del  Norte),  d.  li. 
wohl  die  mehr  im  Binnenlande  auf  der  Wasserscheide  des  Rio  Daule 
und  des  Esmeraldas,    oder  an   den    oberen  Zuflüssen  des  Rio  Esmeraldas, 


1)  B^ield  Columbian  Museum.  Anlhropological  Series.Vol.II.  No.5.  (ChicagolOOL) 

4* 


K.)  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

wohnenden  Stämme  —  iiiul  ilaniit  könnten  <lit'  Vorfahren  der  lu'UtigtMi 
Colorados  gememt  sein  —  nackt  giengen  nnd  mit  den  Stämmen  der  zum 
Rio  San  Juan  sich  liinziehenden  Küste,  d.  h.  den  Cayiipa  und  den  Bar- 
bacoas,  deu  Stämmen  des  Patia-Gehietes,  Handel  trieben. 

Wir  können  vielleicht  mit  einer  gewissen  AVahrscheinliehkeit  an- 
nehmen, dass  das,  was  Cieza  de  Leon  von  den  Caraque  sagt,  für  die 
««•auze  Küste  nordwärts  bis  Ksmeraldas  und  bis  gegen  La  Tola  hin,  Geltung 
habe.  Denn,  wie  Theodor  Wolf  in  seinem  liuclie  über  Ecuai Un-  horvttr- 
hebt'),  scheint  aus  den  geographischen  Namen,  die  sich  in  diesem  Gebiet 
erhalten  haben,  hervorzugehen,  dass  in  alter  Zeit  die  gleiche  Sprache  von 
Esmeraldas  bis  zum  Cap  Pasaos  und  noch  darüber  hinaus  gesprochen 
wurde.  Dann  ist  aber  diese  Notiz  des  Cieza  de  Leon  die  einzige  zu- 
verlässige Nachricht  aus  älterer  Zeit,  die  wir  über  die  Stämme  von  Esme- 
raldas haben. 

Einio-er  Aufschluss  liesse  sich  vielleicht  durch  eine  eingehendere 
archäologische  Durchforschung  des  Gebietes  gewinnen.  Nach  Theodor 
Wolf*)  soll  es  namentlich  in  Atacämes  (westlieh  von  Esmeraldas)  und 
in  der  Gegend  von  La  Tola  zahlreiche  „Huacas"  geben,  in  denen  mau 
Thongefässe  und  Thierfiguren  aus  Thon  oder  Stein,  selten  aus  Metall,  ge- 
funden hätte,  den  Hausrath  einer  armen,  aber  künstlerisch  nicht  ganz  un- 
gebildeten Bevölkernni-'.  In  einer  Schlucht  einige  hundert  Schritt  südlich 
von  dem  Orte  Lagarto  (der  an  der  Küste  etwa  halbwegs  von  Esmeraldas 
nach  La  Tola  liegt)  traf  Theodor  AVolf  eine  Huaca,  in  der  eine  3Ienge 
zerbrochener  Metallgegenstände,  Drähte,  Scheiben,  Bleche,  Körner  und 
Bruchstücke  von  Finger-  und  Armringen,  Halsketten,  Ohrringen,  unzweifel- 
haft altindianischer  Arbeit  enthalten  waren,  die  das  Erstaunen  des 
Reisenden  wachriefen  durch  die  Verschiedenartigkeit  ihrer  Metallzusammen- 
setzung. Wolf  hat  eine  Anzahl  dieser  Stücke  analysirt.  Er  fand  unter 
anderem :  — 

1.  Verschiedene  Fäden  und  Drähte  aus  l'i— ISkarätigem  Gold,  die 
neben  Silber  immer  noch  etwas  Kupfer  beigemischt  enthielten. 

2.  Ein  Goldblech  dunkler  Farbe,  das  sich  zu  zwei  Dritteln  aus  Kupfer, 
zu  einem  Drittel  aus  Gold  mit  ein  wenig  Silberbeimischung  zu- 
sammengesetzt erwies. 

3.  Ein  unbearbeitetes  Körnchen  Metall  bestand  aus  Platin. 

4.  Eine  dicke,  mit  Durchbohrungen  versehene  Scheibe  ist  Kupfer  mit 
ein  wenig  Beimischung  von  Zink  und  Eisen. 

5.  Eine  dünne,  aber  harte  und  kaum  biegsame  Scheibe  besteht  aus 
Zink  und  ziemlich  viel  Eisen. 


1)  Geografla  y  Geologia  del  Ecuador,     p.  504  u.  5211. 

2)  Memoria    sobre    hi  Geografla    y  Geologia  de  la  Provincia  de  Esmeraldas. 
(Guayaquil  1879.)    p.  50. 


Nachtrag  B.    Die  Sprache  der  Indianer  von  Esmeraldas.  53 

6.  Ein  Stück  von  der  Cfrösse  eines  Reals,  aber  dünner,  das  ein  platt- 
gedrücktes Stück  eines  Armringes  zu  sein  scheint,  von  der  Farbe 
etwa  des  gediegenen  Wisnmtlis,  nnd  harter,  wenig  biegsamer  Be- 
schaffenheit, erwies  sich  in  der  Hauptsache  als  aus  Gold  und  Platin" 
zusammengesetzt,  mit  geringer  Beimischung  von  Silber.  Ein  un- 
löslicher Rückstand  besteht  aus  Osmiridium. 

Das  Rohmaterial  für  diese  Stücke  scheint  aus  dem  Gebiet  des  Cayäpa 
gekommen  zu  sein,  wo  z.B.  aus  den  Wäschereien  von  Sapayito  Theodor 
Wolf  einen  Sand  erhielt,  der  sicli  ungefähr  in  dem  gleichen  Verhältniss 
aus  Gold-  und  aus  Platinkörnchon  gemischt  erwies.  Theodor  Wolf  hebt 
aber  mit  Recht  hervor,  dass  zum  mindesten  die  metallurgische  Kunst  dieser 
Stämme  nicht  gering  gewesen  zu  sein  scheint,  da  sie  es  verstanden,  das 
Platin,  das  scliwierigst  schmelzbare  Metall,  zu  verarbeiten. 

Die  alte  indianische  Bevölkerung  dieser  Gegenden  ist  heute  fast  ganz 
in  der  ]Mulatteiibevölkerung,  die  die  gegenwärtigen  Bewohner  dieses  Küsten- 
striches sind,  aufgegangen.  Und  damit  sind  aucli  die  alten  Sprachen  ver- 
schwunden. Xnr  in  Esmeraldas  hat  es  bis  vor  Kurzem  noch  einige  alte 
Indianer  gegeben,  die  diese  Sprache  sprachen.  Es  ist  ein  grosses  Yerdienst, 
<las  sicli  Herr  Tlieodor  Wolf  um  die  ecuadorianische  Linguistik  erworben 
hat,  dass  er  im  Jahre  1877  durch  Vermittlung  des  Herrn  J.  M.  Pallares 
in  Ksmeraldas  diese  bislang  ganz  unbekannt  gebliebene  Sprache  hat  auf- 
zeichnen lassen.  Die  über  450  Worte  und  Phrasen,  die  der  genannte  Herr 
zusammengebracht  hat,  stellen  wenigstens  in  lexikalischer  Hinsicht  ein 
ziemlich  ansehnliches  Material  dar.  Ich  bin  Herrn  Theodor  Wolf  zu 
besonderem  Danke  verpflichtet,  dass  er  mir  gestattete,  im  Anschluss  an 
<lie  Cayapa-Colorado -Vokabulare,  diese  Reste  der  jetzt  auch  schon  als 
ausgestorben  zu  betrachtenden  Sprache  der  Indianer  der  Küste  von  Esme- 
raldas hier  zu  veröffentlichen. 

Für  die  Orthographie  des  folgenden  Vokabulars  gilt  das  Gleiche,  was 
oben  (S.  24)  bezüglich  der  Cayäpa-  und  Colorado -Vokabulare  angegeben 
ist.  Wo  der  Aufzeichner  des  Vokabulars  eine  nasale  Aussprache  an- 
gemerkt hat,  habe  ich  ein  Häkchen  -^  gesetzt.  Verbesserungen  und  eigene 
Deutungen  sind  flurch  eckige  [  ]  Klammern  gekennzeichnet.  Auf  eine  Er- 
klärung der  einzelnen  Wortformen  habe  ich  naturgemäss  verzichten  müssen. 
Insbesondere  das  Verbum  ist  mir,  nach  dem  hier  vorliegenden  Material, 
nicht  gelungen,  in  befriedigender  Weise  aufzuhellen.  Dagegen  habe  ich 
mich  bemüht,  wo  ich  Zusammenhänge  in  den  Worten  zu  erkennen  glaubte, 
diese  durch  Zusammenordnuno;  zum  Ausdruck  zu  bringen. 


:.4 


Erster  Abschnitt:    Sprachliihes. 


Uoin  Mann. 

ilömunt   \o  honibre  [?]. 
Hon  rirane  cl  hombrc  [?]. 
hittioiii  iloniau  camina  el  hombrc. 
ilini-it't-sa   [mij   hijo  varon. 
ilo-ijufiJpo  gallo. 

naca-ilö    vanios    con    el    marido    ii    otro 
hombre. 

tili-,  tiöii-,  ti(Titu  —  Fran. 
tiaTiiKi,  fioiKt  muger. 
(.,por  sonar  poco  la  u  de  la  primera  pala- 

bra-'O 
tiaidia  ijunufi  muger  buena. 
risele  fiaiiiiii  muger  buena. 
bisqtte  tioiid  muger  buena. 
ituälene  tiona  rird  caminar  la  muger. 
tin-iu-sa  [mi]  hija  (d.  h  [mi]  uifio  hembra). 
titi-ic-ä  [tu  (?)]  hija. 

in-  Kind. 

ic-e,  !/i'-e,  i/giii  niüo,  inuchacho  [de  alguno]. 

ubale  itqüe  se  muriu  su  hijito. 

ubale  i/utqi'ic  se  muriü  su  hijita. 

f/it-sa  [mi]  hijo. 

iliin-iii-sa   [mi]  hijo  varon. 

tin-iu-sa  [mi]  hija. 

fin-ic-d  [tu  (?']  hija. 

.'// "'/-ff" cfpfi o-si'i  pollo. 

i/n-cüchi  [kleines  machete]  cucliillo. 

et-e,  ef-qui-e  marido  [de  alguna]. 

uaca-hete  A'amos  con  el  marido. 

anrd  esposa. 

daUqui-e  concubina  [de  alguno]. 

cuinnrair  casado. 

in  shih  familia. 

tt't-e  padre  [de  alguno]. 

ftpi  madre. 

paup-sd  [mi]  madre. 

i/ar-sa  [mi]  hermano. 

nu-ssa  [mi]  hermana. 

tia-fsa  [mi]  tio  (span.?) 

ipi't-sa  [mi]  nieta. 

JiKid-sd  [mi]  cuerpo, 

chirctt  hual-sd  calor  al  cuerpo  [mioj. 

eherco  hual-sd  tengo  calor. 

mu-rdpa  cabeza  [tronco  de  la  cabeza]. 

ra-rapo  j»clo  (Haupthaar). 

ru-rap-sd  [mi]  pelo. 

rar  cerda. 


lunchls  rara  piojosa  [Haar  voller  Läuse]. 
rap-faa  (Kopf  der  Füsse)  -  dedos  de  los  pies. 
mula  cara,  ojo. 
chuoris  inulga  ciego    ul«"^  •'   casi  no  suena" 

[„der,  dessen  Augen  —  sind-*). 
chichiquiliu-sd  nnifo-rd   te  saco  los  ojo.--  para 

hacerlo  tuerto. 
re-ac-sd  [mi]  oreja. 
re-aii-sd  [mi]  nariz. 
isca  n'-aii-soca  ir  a  besar  [küssen  =  riechen? 

„der,  welcher  wünscht  zu  küssen"]. 

ril-to-sa  I  r    -T  1 

,       ,  mi    boca. 

oder   has-sa] 

ril-tiin(i  labio. 

ra-tiina  barba. 

raha  dientcs. 

aUqui  rd-ca  dolor  de    muela    [„der,    welcher 

Schmerz  am  Zahn  hat*]. 
raan-sd  [mi]  lengua. 
niu-cola  pescuezo  [tronco  del  pescuezo]. 
mn-jipppf  espinazo  [tronco  del  espinazo]. 
iini-quic  culo  [tronco  del  culo]. 
qui-e  mierda  [de  alguno]. 
qui-ca  mierda  [oig.  Ueno  de  mierda]. 
asca-qui-sa  quiero  cagar. 
toa-qui  cagar. 

foa-qui-PiiP  qaisqiti-sd  ya  se  obra. 
inu-tdii-sa  [mi]  pecho  [tronco  de  mi  pecho]. 
chiche  pechos  de  la  muger. 
cobin-sa  [mi]  barriga. 
cobt'i-ra  barriga  [?  en  la  barriga]. 
niil-e  corazon  [de  algnno]. 
mil-sa  [mi]  corazon. 
rc-inil-e  estomago  [de  alguno]. 
ia-qupl-sd    [mi]    espalda    [Fuss    oder  hinterer 

Theil  meines  Nackens?],    (vgl.  iim-quil-sa 

[mi]  hueso.) 
ta-di'-ssa  [mi]  brazo  [Fuss  oder  hinterer  Theil 

meiner  Hand]. 
di'-ra  brazo  [?  eu  la  mano]. 
di-sa  [mis]  manos. 
di-p  dedos  [?  ?  mano  de  alguno  I] 
bal  di-ca  manco   [„der,  welcher  keine  Hände 

hat^]. 
inu-ta-sa   [mi]  pienia   [tronco  de  mi  pierna). 
taha  pie. 
tahd-sa  [mi]  pie. 

utquishplp  ci(-td-sH  espinado  el  pie  [de  mi]. 
rap-taa  dedos  de  los  pies  [Kopf  der  Füsse]. 
ta-ciUiqui  el  cabo  de  la  hacha  [Fuss  des  Beils]. 
ta-quianibra  horcon  [Fuss,  Stütze  des  Hauses]. 
iii-ufi  derecha. 


Nachtrag  B.    Die  Sprache  der  Indianer  von  Esnieraldas. 


i)0 


r/'-acu/io  izquierdo  (vgl.  c/dcsha  tempestad). 
(jii/('ii(/iir,sh('  rc-cnl-f  cojo,  que  se  ha  quebrado 

la  rodilla. 
visca  pieh 

vinhd  cuero,  cäscara. 
finmflule  desnudo 
mn-qnil-sa  [m\\  hueso  [tronco  de   iiii  hueso]. 

(vgl.  ta-qnrl-s((  |ini]  espalda). 
rara  sangre. 
rfirreffüc  echar  sangre. 
nhisqut  car-ca  vomitar  sangre. 

iiiii-ti'bclc  cielo. 

tllH-C(ll<(   sol. 

sIthiiiiKi  uiKcdla  quema  el  sol. 

/i/'iiir  luna. 

iiiii-f]i((hl((  cstrellas  (vgl.  Colorado  izahö). 

iiio-phic  dia. 

(ifälc  cidra  it-pine  nos  veremos  otro  dia. 

ilan-a  noche. 

al-darra  esta  noche. 

diu  rhrli'iir  [^  (tld  fliclcnr]  hoy  so  Vii. 

rila  dca  sucli-sü  hoy  me  voy  a  trabajar. 

Oiilc  ayer. 

hidr  (i-rlii'-jw  vino  ayer. 

iii/iiiiiru  manana. 

niimor  chelc  se  va  mafiana. 

iti4.  nihini)-((  pasado  juanana. 


it(tr<(  (jttid-nnica  fuego,  incendiode  casas  [gehen 
wir  zum  Haus,  das  in  Flammen  steht]. 

iaihUp  llama  de  la  vela. 

iHif-ffi/'te  candela  [Feuer-Holz?  —  vgl.  c/i/fc 
lena;  aguja]. 

jx'pfr  jiuf-r/i/tc  atizar  ü  soplar  la  candela. 

htilaalc  quemar  [quemado]. 

Uiluh'y  UihüuHc  hervida. 

irnlquiuird  oncender  [no  endendes], 

pn-rJiancd-  caliente. 

clicrco  hual-sd  tengo  calor. 

i-liircit  linul-sd  calor  al  [mi]  cuerpo. 

sliiniina  nincdla  quema  el  sol. 

ridcdlf  liebrc  [estä  malo]. 

rldri-olilc  calentura  [estä  malo]. 

/litico  Iciid  tengo  frio  [hace  frio]. 

qiilscu  Ii'hc  hace  mucho  frio. 

rishiUi'  frio. 

n'sholrd  enfriar. 

nnisdld  humo. 

iiiuhnl  ceniza. 

iiii(-ii!lii(il('  derretir. 

iim-nivde  manteca. 

innv,  drri  agua.  Pallares  bemerkt  zu  dem 
Worte:  —  ^por  ser  la  primera  /  casi  muda, 


se  pronuncia  la  segunda  voz,  siendo  imper- 
ceptible  la  ultima  /  en  ambos  casos." 
lic-sa  livoi  tengo  agua. 
tu  quiepp  tinvc  anda  ä  traer  agua. 
'   dö  üvve   agua   del   rio    [„agua  de  la  tierra", 
vgl.  dida  „tierra"]. 
ni-rc  ishöla  agua  de  la  mar. 
iicve  vicölc  agua  sucia. 
i    uvve  shacfilf  agua  salobre. 
j    uvve  caro,  tivve  carolc  agua  colorada. 
I  shasma  corriente,  correntadas  de  la  agua. 
pup.-sh6le  espuma. 
ishola  mar. 
I   Chiiifo  el  nombre  antiguo  del  Rio  Esmeraldas. 

■Ulla  aguacero. 

uuna  llover. 
I    uacalioiia  llover. 
I   tduna  agua  llovida. 
j    quisera  viento. 

j   »/«fs/;« tempestad  [schlechtes, widrigesWett er]. 
I   bf'Jjr  rayo 

dula  tierra. 

dtd-sd  [mi]  pais. 

tucümule  dida  d  iiid  nifs/id  voy  [?  val]  ä  traer 

barro  para  hacer  una  olla. 
mu-doqur  lodo. 
dii  chitelc  fangoso. 
tunild  cerro. 
dun  laurd  hacienda    [„en  la  tierra"    „siendo 

la  tierra"]. 
duca  loma. 

ustandiva  arriba  en  la  loma. 
qüequec  mongon  (inselartig  aufragender  Hügel). 
queetde  quebrada. 
dtre  Camino. 

dir-ca-sheiie  cantar  caminando. 
dir-cd-ne,  der-cHclic,  diirdshHe  cantar. 
mu-coina  piedra,  cascajo. 
magüisere  arena. 
uachicluU  barro. 

huaiia  plata. 

anbot  de  liudna  tengo  mucha  plata. 

liuandlcnc  yo  tenia  plata. 

tica  sal. 

cualc,  ras-tptdlc  caballo. 

quinc  perro  [Raubthier  —  vgl.  Guarani  i/ar/ua], 

niuto-quinc    tigre    [grosses    Raubthier    „Erz- 

raubthicr",  vgl.  Guarani  i/af/ua-r-ffp"]. 
ntislir  gato. 
ruc/tdnipa  puerco. 
pf!r(t  säino  (=  Dicotyles  sp.). 
(/uidc  mico. 


56 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


(ftiiama  venado. 
chfqtir  conejo. 
chisca  ardilla. 
dtia  murcielago. 
chinchi  rata  ö  raton. 

deere  pajaro. 

thii-ndeguf  gavüan. 

cula  buitre. 

rara  gallinazo. 

güalpa  gallina  (Quichua  . 

ilo-güalpd  gallo. 

i/irJ-fjüaIj)/io-i><'>  polio. 

cou-güaJp-hu  huevo. 

tishf  ctutgualpu  tienes  huevos? 

coüsha  pavon. 

quieshf  huacharaca  (=  Penelope  sp.). 

gtiarr  huacamayo  (Arara  =  Sittace  maca>)  . 

piania,  piauiavu  culebra. 

hushe  lagarto. 

mafra  iguana. 

qui  oder  fitne  pescado. 

conrora  bagre. 

sara  lisa  (nombre  de  im  pez% 

titff  cazon    junger  Haifisch. 

nata  säbalo. 

tfii-cidf  ballena. 

mu-nchieche  caraaiTon  grande. 

naca   hete   sheche   vamos    :t    coger    caraarron 

(con  el  marido). 
ichacolf  camarron  chico. 
viu-ntipe  avispa. 
ehiacta  zancudos. 
quinqur  garrapata  (Zecke). 
shusha  coloradilla  (kleine  Milbe,  Trombidinm 

sp.?  die  auf  der  Haut  stark  juckende  rothc 

Flecken  hervorruft). 
rdne  hormiga. 
biana  lombriz. 
liairhis  rdra  estä  piojoso. 
rhfechc  miel. 
eu-cheche  cera. 


ca  td-sd  ärbol     cuando  son  sembrados)    [mis 

ärbolesj. 
tacfe,  tdtf  palo,  ärbol. 
gucu  taca  palo  gnieso. 

nuts-tatpa-ja  cargar  los  puntales  para  la  casa 
chite  lena  [eig.  „Splitter-'?  vgl.  rhiu  agujaj. 
piquigua  bejuco. 
r<id  espina. 

utqulshflp  eil  td-sa  espinado  el  [mi]  pie. 
raiii-buche  hoja  blanca. 
ram-pida  [hoja-  ?]  („no  distinguen  el  nombre 


generico,sino  el  especifico,como  mm  pida") 

[vgl.   raaii  ^lengua"]. 
mo-topa  monte. 
itacd  inittuptt  vamos  al  monte. 
pi^l  tdle  paja. 
rishd  cäscara. 

rlha  maiz. 

puida,  pamita  plätano  („algiinos  suenan  la  u, 

pero  de    una   manera   iniperceptible,   i  es 

muy  nasal"  —  vgl.  Cayäpa:  pxmda). 
shul-pacda  platano  maduro  (vgl.  sulte  suave). 
(df  paanfa  platano  verde  (vgl.  dali-sheh  ddl- 

qifi  crudo). 
inds-p(da-j<i  cargar  plätanos. 
cii.da  yuca  [Manihot  utilissima]. 
ttiiiripe  frejol. 

mu-dane  aji  (Capsicum  sp.  . 
isciimbd  mudane  däme  el  ajil 
huh  calabazo. 
rdnsha  tabaco. 

risqui  rarrauar  rdnsha  tabaco  bueno. 
au  dp  cana  de  azücar. 
riidp  guayabo  ^.Psidium  sp.). 
sIiUp  guaba  ,Jnga  sp.} 
qttigüe  aguacate  (Persea  gratissima). 
chida  pina. 
tilgüe  sapote. 

giiigüa  raate  (Crescentia  sp.). 
»niransfi  naranja. 
niiincdl  limon. 
euf  achiote  (Bixa  Orellana). 
niogida  fojon  (, Grossblatt"?  eine  Pflanze  diesea. 

Namens?) 
pdcofp  coco  [Kokospalme]. 
rddchilf  gualte;  =  Iriartea  sp.i. 
filiPtp  caucho  (Kautschuk). 
(IUP  shevp  toma  el  caucho. 
sheriiir  caucho  macho. 
DiacJip  chiparo  (?  ein  Baum,. 
taqtihnde  cana  brava. 
tapdqiie  guadua  (Bambus). 
big  ff  a   tagua,    cadi    (.hoja  con  que   tapan  las 

casas)   (=  Steinuuss,   Phytelephas    macro- 

carpa). 
mn-stiqiif  pita. 

v(da  tamajagua  (Bast  von  Ochroma  sp.). 
eure  algodon. 
ta  eure  hilo. 
itrcf  brea  ;Pech,  Theer  . 
quieifle  masato,  bebida  fermentada  de  plätano 

maduro. 
tcn-rnr  chicha. 


qiiidnia-ra,    qniöni-ni,    ijn'itntt-ln 

la  casa!]. 


.'  en 


Nachtrag  B.    Die  Sprache  der  Indianer  von  Esmeraldas. 


')? 


fona  ti'is/ie  quiniii-ra  esta  en  la  casa. 

(/iiiaiii'  atiiii  quiam-sd  voi  ;i  tener  casa  f?  aora 

hago  mi  casalj. 
(dfi    rinuilln-sa    qiiiaii-sä    ijir-nd    nie    lo    Uevo 

y  mi  casa,  porque  es  niio. 
tiiii-qaiau-sa  frente  [de  nii  casa]. 
iiiiis-iuica-jä  cargar  los  puntal^s  para  la  casa. 
ffi-qi(i-anihra  horcon  fFuss,  Stütze  des  Hauses]. 
iini-dpfila  escalcra 
rliania  banco. 
hilti(](h-  tabla. 
poloü  toldo. 

rutu  tamajagua  (Bastvorhang). 
iipU   vata   cama,    tender   la  tamajagua    para 

dorniir. 
s]iid(t  frazada  (Wolldecke). 
clifhuh   cuna. 
cösha  olla. 
tmuhniilc  diiht  aiin'i  riffshd  voy  [?  va]  ;i  traer 

baiTo  para  hacer  una  olla. 
idllutaiKi  plato  (^vgl.  Iniana  plata). 
sharta  paleton. 
pe2)If  abanico  (Feuerfächer). 
peph'  »nn-Ji/fr  atizar  ('i  soplar  la  candela. 
cdchi,  machete. 
ifi(-rdchi  cuchillo. 
ciniqiii  hacha. 
fa-oiiiqii/'  el  cabo  de  la  hacha. 

)inf-p/qi>i,    iini-qil/j)/r   lanza. 

rnrin'i  puja  (Stachel  am  Stock  des  Vieh- 
treiljers,  des  Picadors)  —  [eig.  .Haar- 
Spitze"  y] 

rliifr  aguja  [eig.  „Splitter"]. 

chijxt  rallador. 

iiiK-fncsele  escopeta. 

üopoiiaiif  bodo(iuera  (Blasrohr). 

bini-tf  bodoque,  saheta  (Blasrohrpfeil  1  vgl. 
ra-riri'i  puya)T 

foscadc  balsa. 

dialu  canoa. 

nis-rndial,  iiis-diala  cabo  de  la  canoa. 

2>de  canalcte  (Ruder). 

pelicd  bogar  (rudern\ 

moritene  palanca. 

]}i]}i(df)int  embarcar. 

raqiiirili  anzuelo. 

riitiquciic  pescador. 

i/Kca  pliyuir  grande. 

huni  rilcd  ancho. 

t/Kcit  taca  [palo]  grueso. 

inongnalqtii  estar  gordo. 

nosncrlifh'  espeso. 

//;  chiiiealc  pequeno. 

nicrlicrdlt  delgado. 

t'dihiK'  lejos,  que  se  vä  lejos. 


niHmbird  viejo. 

tidal  tieso. 

quidtule  duro. 

dashalriit^  Ueno. 

valadane  entero  [no  esta  roto]. 

que-shele  entero,  no  esta.  roto. 

shelene  alegi'e. 

auü  shf'lf'iir  aqui  [esta  alegre]. 

j/agiid  o  hinquc  bueno. 

tiauiia  i/agiid  muger  buena. 

bisqiie  f/'oiid  muger  bnena. 

visqui  rarraiiar  rdiishft  tabaco  bueno. 

rh-hi  tierno. 

bichele  bonito. 

n'selc  tiaiDia  muger  buena. 

inquitima-i:d  buenos  dias  [eig.  „estas  bueno?"']. 

htcutima-rd  como  estas? 

!/a  coctelpiir  estoi  bueno. 

f/a  hu-ulilpite,  inquilene  estoj'  buena.  como  me 

voy. 
sa-bechi-nc  que  se  sane  pronto. 
sulie  suave. 

sind  paata  platano  maduro. 
safic-shele  dulce. 
sliati'lp  esta  dulce. 
ucve  chadile  agua  salobre. 
rhac-sidf,  shac-sidc  acido,  fuerte  (se  refiere  al 

acido  fuerte  en  su  bebida  del  „masato"". 
bigalp  malo. 

ata  nonna  bolffiip  hablar  mal  de  otro. 
r/'role  mui  fea. 
iirrc  rlcölc  agua  sücia. 
c/acci'de  fiebre  [esta  malo]. 
vidccotilp  calentura. 
vidcsho  izquierdo. 

vidc  s/fff  tempestad  [schlechtes  widriges  Wetter]. 
allquere  dolor. 
allqui  rdca  dolor  de  muela. 
allqui  !/aulsd  tengo  hambre. 
(dUfilpI  enfermo. 

aitpcii  larqiil-)ip  cuidar  ä  un  enfermo. 
arqiideque  para  que  se  despierta. 
dallqu/nird  lavar  una  llaga. 
inaladpiii'  que  esta  flaco. 
bal-quird-ru  no  tengo  fuerzas. 
daJi-shplp  crudo. 
ddl-qxi  esta  crudo. 
ali  paantd  platano  verde. 
dun  cajalp  podrido. 
shipidi  hediondo. 
iUquih  huele. 
chini/p  hinchado. 
(iiiqiii-fihrip  escondido. 

i'da  blanco. 
ran»  colorado. 


ö8 


Erster  Abschnitt:   Sprachliches. 


urre  caro,  nrre  euröh  agua  colorada. 
champane  estar  pälido  una  persona 
chitote  chitontelc  oscui'O    [v^^l.  Chiuto  nonibre 
antigno  del  Rio  Esineraldas]. 

r fliehe  nCCTO. 


aiia  estar  ['i  aquilj. 

atia  inafi-sd  aqui  estäs  l?  atjui  esto}!]. 

vKiIi-cn-nta  qneda  te. 

du  rdh  ya  estä. 

tishe  tishele  hay. 

tishe    urre,    cünta,    paaiit«    hay   agua,   yuca, 

platano. 
tishe  ctin-gualpti  ticnes  huevos? 
ama  tiishe  quiditi-ra  estä  en  la  casa. 
tic-sa  linii  tengo  agua. 
tic-sha  piilsani  [yo  tcngo]  fiierza^). 

hal-sü  no  tengo. 

nacabrd  andar,  yä  se  van  [?  yendol] 

uacd,  nacaque  vamos. 

uacd  i/dta  vamos  para  allä  abajo. 

nard  iiiufiipa  vamos  para  el  monte. 

iiacd  tu  quebidja  vamos  ä  beber. 

}iacd  tu  inalrdg  vamos  ä  donnir. 

nacac  quiiiiid-ja  vamos  a  baöamos. 

uacd   atarrni-tlaja   vamos    a    atarrayar    (das 

Netz  auswerfen  I. 
uaca   quid-i)iu-ca   incendio    de    casas    [gehen 

wir  zum  Haus,  das  iu  Flammen  steht]. 
uaca  ilö  ir  con  el  marido  ü  otro  hombre. 
uaca  hete  vamos  con  el  marido. 
uaca  hete  shech<  vamos  con  el  marido  ä  coger 

camarron. 

itudkue  tioua  rird  caminar  la  muger. 

hituom  iloniau  camina  el  hombre. 

ustii  chf-uf  se  fue  para  arriba. 

ald  [verbessert  für  olu]    che-le-ue  hoy  se  vä. 

uiimor  che-le  se  va  mafiana. 

hulea  che-ue  vino  ayer. 

aua  hola  ton  chile  este  mismo  el  que  vino. 

pcelideleuv  me  voy. 

i-teledeue  deal-sa  adios,  me  voy. 

ba  evilene  no  me  quiero  ir. 

»r»  cd-ma  vcte,  ändale  que  no  te  necesito. 

t-ciamd  anda,  vete 

ba  enii-ra  no  te  vas. 

ülllene  lejos,  que  se  va  lejos. 


sha-ücu-ma  ven  aca. 
uuqui  ene-uid  ven  ji  comer. 
guaje  cuiiud  ven  a  comer. 
iipü-ma  arrima  a(|ui. 
iipu-ra-uajd  aqui  vamos  ä  llegar. 
fiualrue  llegar  (vgl.  span.:   „fiuar"?). 

cul-quiiuo  entrar  [en  la  casa]. 

culi-ma  leviintate. 

ardle  culra  it-piue  nos  veremos  otro  dia. 

quitcrale  gatear. 

nudue  bajar. 

mishd-jalr  hundirse. 

sultdle  caerse. 

saltulegüc  se  cayo. 

tu  chiruaue'saltuhgüe'qnelo  empujarony  se  cayo. 

deactd-jak  correr. 

testiaja  corramos. 

isiuia   uidba  6  cuchini-md  6  cusi-chel-ca  anda 

ligero. 
icaJe  huir. 
shdmaja  bailar. 
shdiiuajilo  bailar  (como  fue). 

chinimaue  sentarse. 

tuti-cii-ma  que  va  ä  echarse. 

ticaue  me  voy  ä  acostar, 

ticome,  ticaja,  ticule-me  acostarse. 

ticuja  echar. 

nialedg  dormir. 

ircanua-sd  ^    tengo 

iramar-sa  luahdg    \    suefio. 

uaca  tu  mahdg  vamos  a  dormir. 

sushirilque  fatigarse. 

sushilvilca  aire. 

causaleue  (span.)  cansarse. 

causüshehuf  estoy  cansado. 

chasuc  culeleue  tengo  pereza. 

quequitele  dislocar. 

vetqui-vd  däle  vuelta. 

quilo-ra  endereza. 

tuchiruane  empujar. 

diacunibd  batir. 

diascihubuU  despertar. 

icouidiia  quita  de  aqui. 

cuuia~cu-ra  trae. 

ald  cumilin-sa  qulau-sd  euc-sd  nie  lo  Uevo  ;i 

mi  casa,  porque  es  mio  [?  para  comerlolj. 
tu   cuuiule    dida    aiuü    cutshd    voy    [?  val]    ä 

traer  barro  para  hacer  una  olla. 
tu  cuu-sa  aniuu-nd  voy  ä  traer  para  hacer. 
tu  quiepe  urre  anda  a  traer  agua. 


1)  Wahrscheinlich  vom  spanischen  -pulso".  das  oft  für  _fuerza"  gebraucht  wii'd: 
pulso"  statt  „tengo  fuerza".    (Th.  "SVolf.) 


-tensro 


Nachtrag  B.    Die  Sprache  der  Indiaucr  von  Esmcraldas. 


59 


II  jatiiii-rd  anda  ;i  coger.  j 

liffcpiinifjiic  oncierro. 

ncäs  dame. 

N  nnnhä    iiiiidcliic  djime  cl  aji. 

xA-rt  cci/c  iiseiisc  deine  licencia  para  eiitrar 

y'scovds  vendcr  [vendeme|. 

)isroi:(is  f/iia/pa  vendeme  una  gallina. 

)isrii-s(f  to  voy  ä  vcnder. 

iquiUn-uhcli',  (iroliiinlitlr  esto}'  dobiendo. 

iciil/n  shelriii'  si  le  debo. 

'xdUfih'  robado. 

■dtilc  ladron. 

■atiril  saber  robar. 

iif/aii/joiipffuc  cngafiar  [span.  onganaudoj. 

''echiiii-ssa  hacer  [yo]  (vom  spanischen  ficho  - 

hcclio). 
'u  füinulc  dula  ihiiii  nifs/id  yoy  I":' va]  ;i  traer 

barro,  i)ara  hacer  una  olla. 
'ii  n'in-sa  aniun-sd  —  voy  il  traer,  para  hacer. 
'luianr  ((IHK  qiiiati-su  voy  a  teuer  casa  [ahoi'a 

hago  mi  casa!]. 
•{iasca-iit'  trabajar. 
'/fasocohln  estoy  trabajando. 
ulä  deasucli-sd  hoy  voy  ä  trabajar. 
nt/che-sd  se  acab(')  el  trabajo  en  el  dia. 
ina-dishi-vd  dejur. 
iia.sho  cavar. 

iiiitü-patu-ja  cargar  platauos. 
uiits-tcitca-ja  cargar  los  puntales  para  la  casa. 
rilciw  limpiar  el  monte. 
erhene  cortar. 
i'tquf'tel  ecJicra  cortadas. 
ifdslia-ra  cortar  palos. 
dorsJios/ra  cortar. 

diacslidlcn  cortar  [cortado,  quo  se  ha  cortadoj. 
dtacshaleiic  quo  S(!  ha  cortado  con  cuchillo. 
fddaah'iic  lastimado. 
clasalene  aranar. 
cucajanege  morder. 
danilc  picar 

vichde  iiisuiiia  azotar  (vgl.  hiclidi'  „bonito"). 
ald  i-ichelc  isiinid  tc  voy  ii  pegar. 
aiKi-rishclc-tiaiifaff  herido  con  arma. 
piiraiin/üp  ralraiie  r/roinici/iii'  si  no  es  por  nii, 

lo  hubiera  pegado. 
siillquisiuiia  abrazar. 
atiia  cKc-üd  agarrar  [yo|  de  las  patas. 
hiichacvasiiio  amarrar. 
d<qnini^  hilar. 
pimcuidiic  taiii-sd  ((t(irr((;/(i    quiero  aprendcr 

ii  tejer  una  atarraya  (\V urlnetz). 
sharflllil  slKirtiUili-  coser  (cstä  o  estoy  cosiendo). 


cliirrlürd  labrar. 

docii'rhclc doctnii' coc\u&t{G'ä\.-A  6  estoy  cociendo). 

aUqui  ijaiil-sd        y  tengo 

((fiqilid  qniai'il-Kii  )  hambre. 

sind  rln'ics((-s<i      1    ,  , 

^       .  /  tengo  sed. 

siijxi  joiisa  J 

cnectja,  cnene  comer  [comamos,  comiu]. 

uuqui  ene-ind  ven  ä  comer. 

ffiuijc  (')ii-iiin  ven  ä  comer. 

ald  cuniilhi  sä  qiiian-sd  ciic-sd  nie  In  llevo  ;i 

mi  cosa,  porque  es  mio  l?  para  comerlo  yoI|. 
quebiaja  beber. 

naca  tu  qiichidja  vamos  ä  beber. 
qulim'a  quiniile  banarsc. 
iiacae  quiniiaja  vamos  a  banarnos. 
tuslaiie  derramar. 
paciifisJif'/  lavar. 
iif'puii-rd  lamer. 
pichira  caldar  (nombrc  usado  por  estos,  desleir 

u  sacar  el  sumo  en  una  cantidad  de  agua 

para  tomarlo). 
iiHidaiicni'  estoi  borracho. 
iimdiiilc  esta  borracho. 
iniidichi'loir. 
chiipu-sa  fumar  [yo]. 
ritiii-qiülc  jugar. 
sh/fidr  hacer  cosquillas. 

fod-qii'  cagar    (vgl    qm''',    qii!c<(   mierda     iim- 

qiiie  culo). 
asca-qu/'-sd  quiero  cagar 
toa-qiii-enr  qiiisqiii-sd  yä  se  obra  [schon  wirkt 

das  Abführmittel]. 

huaqitipil-sd  mear. 

uralia  escupir. 

cai-regüc  echar  sangre. 

shisqiii  curca  vomitar  sangre. 

dii})isniii(i\ 

\.      ,,>curar. 
tu  diacii/r] 

mu-didcoh  el  raoledor  de  niasato  (bebida 
fermentada  de  plätano  maduroi. 

eutenelc  parir. 

eptile  cstä  pariendo. 

upd  chene  crecer. 

icasJit'Ifi  vivo. 

hdstdlc  perdido. 

bapiulc  que  no  h;i  parecido. 

sacäidc  ahogado  (Pallares  bemerkt:  —  las 
dos  dd  son  una  larga  aspiracionl. 

yatmdc  acabado,  se  acabo. 

yatalc  urrr  se  acabo  el  agua 

ub(di'  muerto  (verbessert  für  i/bale). 

iihidc  itqÜH  se  murio  su  hijito. 

■iihidc  i/idqih'  sc  murin    su  hijita. 

iihlt  (HC  se  quiere  morir. 


60 


Erster  Abschnitt:    SprachHches. 


nasraue  horca  [Galgen]. 

pasarilf-tif  cairra  »oscoue-ubule  esta  aborcado 

sin  saber  como. 
ubanegut'  asesino. 
isnta  muerto. 
uris-wa  te  mato. 
musulrn  epidemia. 
shurshüh  gotas  [Gicht]. 
Iffipolf  entierro  [enterrado]. 

rirönia  hablar. 

uirdnia  hablar  len<raa. 

miicd  tubiinna  porque  me  viene  a  decir    [?] 

atnnonuabolgm'  hablar  mal  de  otro. 

shimonorn  llamar. 

shimunard  lläma  ä  mi  hijo. 

dlcoiiia  gritar. 

>fioqHer«'lffj(  ladrar. 

biücuchela  bramar  el  tigre. 

erisheh  llorar. 

dircashene  oantar  caminando. 

dircdne,  dercüchf,  di/rdshclf  cantar  (vgl.  dn-c 

„Camino"). 
dishumd  callar. 
rhaguah  risa. 

capeaale  bostezar  [abierto?]. 
achieije  estornudar  (Lautmalend). 
cuinilrdne  nos  aguardan. 
anshesqiir  escuchar. 
ofi-sa  oii"  yo. 
riaüsoca  riechen. 
isca  riaüsoca  ir  ä  besar    [..der.    welcher  den 

Wunsch  zu  riechen,   d.  h    zu  küssen   hat]. 

/so-sd  querer,  si  quiero. 

asquia  qui  aiU-su  tengo  hambre  [quiero  comer]. 

isca  riaüsoca  ir  ä  besar  [el  que  quiere  besar]. 

asca  qui-sd  quiero  cagar. 

toa-quieiif  qiiisqiti-sd   yä   se  obra   |ya  quiero 

cagar]. 
irrarma-sd    jfcaniar-sd    maleag    tengo    sueno 

[quiero  dormirj. 
ba-shunii-sd  no  quiero. 
sli  iipi-eli-sd  antoj  o . 
supi-chiicsa-sa,  supa-jou-sa  tengo  sed  [quiero 

beber]. 
tu-ilo-sd  buscar. 
dapaiif  pedir. 
baisbd  cuidadol 
giialiba  ahora  verasi 
ba  isic  1i  md  no  arrimes! 
iincHsattiah-  ensenar. 
tuquira  i-sd  espanto. 

chirimiji'i  ttiquil  sd  le  han  hecho  espaiitar. 
aburraleiip  (spanisch)  aborrecer  (es  al  marido). 
»ndori-sd  aborrecer  [jo  aborrezco]. 


tinUiiri-sd  tengo  rabia. 

»itilöh  pelear. 

miilociichi/p  batalla. 

mulo  nii/r   enemigo    (el  otro  pelea'    ivgl.  »»// 

„Herz"). 
iiiiilo  »lir-sd  enemigo  [yo  soy]. 
piiln  brujo. 

Porsonalpronomina. 
Als  solche  dienen,  und  zwar  sowohl  als 
Possessiva,  wie  als  Prädikatssubjekte,  wie 
schon  von  Theodor  Wolf  in  handschrift- 
lichen Bemerkungen  zu  dem  Vokabular  ganz 
richtig  angegeben  worden  ist,  die  iruffixe:  — 

1.  P.  Sing.  -*■"' 

2.  .,       „       -n!  oder  md 

Für  die   1.  P.  Sing,  verweise  ich  auf  die 
zahlreichen   mit   dem   Sui'fix    -sd   verseheneu 
Ausdrücke    für   Körpertheile    und  Verwandt- 
schafts-Xamen.    Ferner:  — 
dul-sa  ,.[mi]  pais",  neben  dida  ,.tierra". 
fic-sd  droi  tengo  agua. 

icaiiiai--sd  niahdg  tejigo  sucfio  [quiero  donnir\ 
baf-sd  no  tengo. 
iso-sd  si,  quiero. 
ba-shiimi-sd  no  quiero. 
cherco-hiial-sd   tengo    calor    [heiss    ist    mein 

Körper]. 
ald  nniiiHii-sd  qitian-sd  fiie-sd  me  lo  llevo  a 

mi  casa,  porque  es  mio  [?  para  comerlo  yoj. 
fii    cihi-sa    (^ditla}    amuu-sd    (ciitsha)    voy    a 

traer  (barro)  para  hacer  (una  oUa) 
u.  a.  m.  —  Und  im  Objektsverhältniss:  — 
incd-s  da-me. 
pisco-rd-s  vende-me   (gegenüber  piscx-sd  te 

voy  H  vender). 

Für  die  2.  P.  Sing,  ver-gleiche:  — 
ti)t-i[i]-rd    [tu]    hija    (neben    tln-iu-sd   ,.[mi] 

hija"\ 
rhiclilquiliii-sd  itudo-rd  te  saco  los  ojos   (vgl. 

mida  „ojo"  chdoris  »udga  ,,cicgo"l. 
iuquitima-rd  ipicutima-rd  couio  estas?  bucuos 

dias!  [eig.  estas  bueno?]. 

Ferner  scheint  in  den  verschiedenen  Im- 
perativformen   das    Pronomen    der    zweiten 
Person  Singularis  bald  als  Suffix    -ra,   bald 
als  Suffix  -nia  vorzuliegen,  wenn  man  nicht 
etwa  anzunehmen  hat,  dass  das  -uki  ein  Aus- 
druck des  imperativischen  Modus  ist. 
ciii)ia-cit-rd  traol 
i'-couid-iia  quita  de  atjui! 
ift  qiii-rd  dale  vueltal 


Nachtrag  B.     Die  Sprache  der  Iiidiauer  vou  Esmeraldas. 


61 


bu  enti-iä  no  te  väs! 

tiijatiiii-rd  anda  ä  cogerl 

j)/sco-rd-s  vendo  mel 

ri(    fii   rhcl-rd,    cii    rlniii-iiid    oder    isi)iiii(d-ha 

anda  ligero. 
(judViha  aliora  veräs! 
hu  is  bd  cuidado! 
ha  isicti-ind  no  arrimes. 
mall  cii-ina  (jueda  te. 
ndi-itia  levanta  te. 
eci  cd-iiia  andate  que  W)  te  necesito. 
iipii-iiia  arrima  aqui. 

Für  die  dritte  Person  Singularis  ver- 
gleiche: — 

t'f-e,  ct-qtii-i'  marido  [de  algunaj. 
fiallqui-e  concubina  [de  alguno]  [eig.  su  moza, 

SU  manceba:  vgl.  dal/ijui  „crudo"  „(plätano) 

verde"  d.  h.  eig.  „jung"]. 
ic-e,  //f/i'-c  nifio,  muchacho  [de  algunoj. 
iiiil-e  corazon  [de  algunoj   (neben  mil-sd   [mi] 

corazon). 
(li-c  dedos  [eig  ,su  mano"]  (neben '//-««  manos 

[eig.  „mi  mano"]). 
qui-p  und  qiii-ca  mierda. 
iitu-qiti-e  culo  (neben  toti-qui  cagar  asca-qiti- 

sa  quiero  cagar). 

Was  die  mit  dem  Pronomen  der  dritten 
Person  verbundeneu  Verbalformen  betrifft,  so 
scheinen  dabei  noch  gewisse  Infixe  in  Betracht 
gezogen  werden  zu  müssen,  die  einen  Tempus- 
unterschied zum  Ausdruck  bringen. 

Und  zwar  scheint 
-/-  oder  -h-  das  Futurum 
-len-  -Inu'  das  Präsens 
-H-  -lu'-  das  Präteritum  zu  bezeichnen.  — 

Vgl.: 
oiiiiior  che-l-c  se  va  mafiana. 
<ild  chc-len-p  hoy  se  vä. 
htdra  che-ne  vino  ayer. 

Nach  diesem  Schema  sind  vielleicht  die 
zahlreichen  von  Pallares  aufgezeichneten 
Verbalformen,  deren  Liste  man  oben  (S.  58 — 60) 
lindet,  zu  beurtheilen,  die  in  der  üebersetzuug 
bald  in  der  Inlinitivform,  bald  in  der  dritten 
oder  gar  der  ersten  Person  des  Verbum  fini- 
tum  angegeben  sind. 

Eine  besondere  Verbalform  stellen  die 
Wörter  auf  -cdr  dar,  die  den  Sinn  eines  Parti- 
cipii  Pcrfecti  Passivi  haben.  — 

Vgl.: 
sucddle  ahogado   (las  dos  da  con  larga  aspi- 
racion). 


yatuäle  se  acabo. 

hapialc  que  no  ha  parecido. 

hast  die  perdido. 

iibalr  muerto. 

hapuh  entierro  [enterrado]. 

cnniHcalc  casado. 

duncujah  podrido. 

mecheräle  delgado. 

deucslialen  que    se  ha  cortado    con  cuchillo. 

cadaalene  lastimado  [fue]. 

Von  pluralen  Pronominalformen,  scheint 
mir  die  erste  Person  des  Plurals  des  Impera- 
tivs, die  mit  einem  Suffix  -aja  oder  -tiaja 
ausgedrückt  wird,  deutlich  zu  sein. 

Vgl.: 
nacd  tu  quehiäju  vamos  ä  beber. 
nacac  quiinidja  vamos  ä  bafiarnos. 
itpa  vanajd  aqui  vamos  ä  llegar. 
testiaja  corramos. 
luicä   atan-ai-t/fija    vamos    ä    atarrayar    (das 

Netz  auswerfen). 
eiieaja  comer  [?  Avohl  richtiger  mit  .,comamos" 

zu  übersetzen]. 

Demonstrativa. 
aitd  este,  esta,  esto. 
ana  estar. 

aita  mali-sd  aqui  estäs  [?  aqui  estoy!] 
ana  hola  tod  chUc  este  mismo  el  que  vino. 
anu  shelene  aqui. 
ane  sheve  toma  el  caucho. 
am  como. 

ainn  iüshe  quldinra  estä  en  la  casa. 
ainata,  ata  el,  ella. 
al-darra  esta  noche. 
ald   cttiiidin-sd  qttian  sd  ene  sd  me   lo  llevo 

ä.  mi  casa  porque  es  mio. 
ala  deasudisa  hoy  me  voy  ä  trabajar. 
alu  chelene  hoy  se  vä. 

Fragepronomina. 

cah'i  umpechele  quien  es  este? 

utiica  Kiuplshi'le  que  es  eso? 

tiiHcd  tnbid-md  porque  me  viene  ä  decir  [?]. 

Adverbia. 
Kstä  chc-iic  se  fue  para  arriba. 
Kstandi  va  arriba  en  la  loma. 
nacd  i/dta  vamos  para  allä  abajo. 

Verhältnisswörter  —  sind: 
1.  Das  Suffix  -ra.  Es  kommt  neben  den 
Prouominalsuffixen  -m  und  -e  in  den  Worten 


&2 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


für  Körpertheile  vor  und  scheint  ^lokative" 
Bedeutung  zu  haben:   — 

rohri-ra  barriga  [en  la  barriga]. 
(ii-ra  brazo  (en  el  brazo,  en  la  mano]. 
<jiii(nn(i-ra,  qiiiäin-ra,  <jiii(ii)i-hra  casa  [en  la 

casa]. 
aina  tuslir  ijiiiain-ra  esta  en  la  casa 
naca-brä  andar,  ja  se  van  [eig.  ^yendo"':']. 
tiiiii    la-um    hacienda    |eig.   „en    la  tierra" 

„siendo  la  tierra-]. 

2,  üas  Suffix  -ca.  —  Dies  scheint  die 
Hedeutung  .mit  etwas  behaftet"  zu  haben:  — 

qui-ca  „mierda"  [eig.  „Ueno  de  mierda-]. 
hal-qui)-ä-ca  no  tengo  fuerzas. 
hul-di-ca  manco  [„der  der  keine  Hände  hat"]. 
rhu  Ovis  mul-ga  ciego  [„der  dessen  Augen  — 

sind"]. 
anqui  ra-ra  dolor  de  muela  [_der  der  Schmerz 

an  den  Zähnen  hat-]. 
f<hisqiii  car-ra  voinitar  sangre. 
isra  riaü-so-ca  ir  ä  besar  [„der,  welcher  den 

Wunsch  zu  küssen  hafj. 


uaca   qinü-niii-f((  incendio  de   casas  [gehen 

wir  zum  Haus,  das  in  Flammen  steht]. 
(iir-cä-sln  III   cautar  caminando. 

Als  Negation  dient  —  Im. 
h(i-l-(  no,  no  liay. 
ha-I-sd  no  tcngo. 
ba-shunii-sd  no  quiero. 
ha-sabeline  no  so  [span.  ^safjri-"  „wissen*]. 
I/O  cnii-iä  no  te  väs 
ba  erileitc  no  quiero  ir. 
ba  isirtinia  uo  arrimes. 
hol  qiiird-iyi  no  tengo  fuerzas  [?  que  no  tiene 

fuerza]. 
ba-l-di-ca  mancb  [que  no  liene  mano]. 
ral-ada-)ip  cntero  [no  estä  roto]. 

Von  Zahlwörtern  hat  Pallares  nur 
das  für  eins  erkunden  können:  — 
bashini  uno. 

Als  Ordinalzahl  „der  zweite"  kann  man 
das  Wort  Hu  ,,der  andere-  auffassen,  welches 
in  zwei  Phrasen  vorliegt:  — 
itii  Dii'mura  pasado  mafiana. 
aräff  rulfii  it-piuc  nos  voremos  otro  dia. 


Ueber  die  Yerwandtschaftsverliältriisse  dieser  Öpraclie  vermag  icli 
nichts  Bestimmtes  zu  sagen.  Ich  habe  daran  gedacht,  .sie  mit  dem  Yarura 
zu  vergleichen,  der  Sprache  eines  Stammes,  welcher,  zur  Zeit  seines  Be- 
kanutwerdens.  in  den  Llanos  im  Osten  der  Cordillere  von  Columbien, 
zwischen  den  Flüssen  Meta  und  Cassanare  seinen  Wohnsitz  hatte.  Die 
Yarura -Sprache  drückt  den  Personenunterschied  aucli  durch  Suffixe,  und 
zwar  durch  die  Suffixe  -que,  -me,  -di  für  die  1.  2.  3.  Person  aus,  die  in 
gewisser  Weise  sich  den  Suffixen  der  Esmeraldas- Sprache  -sa,  -va  (oder 
-ma)  -e  vergleichen  Hessen.  Den  Plural  des  Pronomens  der  ersten  Person 
bezeichnet  das  Yarura  mit  der  besonderen  Form  -öwd,  während  die 
Plurale  der  Pronomina  der  zweiten  und  dritten  Person  nur  durch  Zu- 
fügung  von  -no  an  die  Suffixe  des  Singulars  gebildet  werden.  Auch  dafür 
böte  sich  in  dem  Esmeraldas -Suffix  -o;«,  -iajd  eine  Parallele.  Endlich 
«üenen,  älmlich  wie  es  in  der  Esmeraldas-Sprache  der  Fall  zu  sein  scheint, 
zur  Unterscheidung  der  Tempora  in  dem  Varura  gewisse  Silben,  die  vor 
dem  Personalpronomen  dem  Yerbalstamme  angefügt  werden,  also  er- 
weiterte, abgeleitete  Thernaten  bilden,  und  zwar  glaubten  die  Missionare. 
dass  die  Einfügung  von  -ri-  ein  Imperfektum,  die  von  -au-  ein  Perfektum. 
die    der    Kombination    -ri-au-    ein    Plusquamperfektum,     endlich    -i-    das 


Nachtrag  B.    Die  Sprache  der  Iiiflianer  von  Esmeraldas.  (53 

Fiitiiruni  bezeichne.  Auch  dass  in  dem  Yarura  die  Lokativpartikel  -re 
lautet  mid  auch  dem  Yerhum  angefügt  wird,  gerundivische  Ausdrücke 
bildend  —  jura-re  „essend"  „indem  (ich,  du  oder)  er  isst"  —  hat,  wie 
wir  gesellen  lial)en,  seine  direkte  Parallele  in  dem  Esmeraldas-Suffixe  -ra. 
Im  Uebrigeu  aber  scheint  der  AVortscliatz  beider  Sprachen  durchweg  ver- 
schieden. Nur  vi  „Wasser"  vergleicht  sich  dem  uvvi^  uvve  der  Esmeraldas- 
Öpraclie  und  adö  „noch  einmal"  dem  iiü  „der  andere"  des  Esmeraldas. 
Vielleicht  kann  man  auch  maa  „Herz"  und  mil,  ea  „wollen"'  und  iso  ver- 
gleichen. Doch  all  das  ist  so  wenig,  dass  man  sich  keine  ernsthaften 
Schlüsse  zu  machen  getraut.  Nun  hat  man  ja  mehrfacli  die  Ansicht  aus- 
gesprochen, dass  auch  bei  durchgängiger  lexikalischer  Verschiedenheit  eine 
A'erwandtschaft  zwischen  zwei  Sprachen  angenommen  werden  könne,  falls 
nur  der  Bau  der  betreft'endeu  Sprachen  ein  gleichartiger  sei.  Doch  auch 
unter  Zulassung  dieses  Gesichtspunktes  wird  man  sich  in  Betretf  der  oben 
angeregten  Parallele  doch  mit  einem  non  liquet  begnügen  müssen.  Denn 
so  auffällig  ist  wiederum  die  Uebereinstimmung  im  Bau  zwischen  den 
beiden  oben  verglichenen  Sprachen  nicht.  Ich  möchte  daher  das  Gesagte 
im  Wesentlichen  nur  als  eine  Anregung  gelten  lassen,  es  zukünftigen 
Untersuchungen  überlassend,  hier  zu  bestimmteren  Resultaten  zu  gelangen. 

Auf  einen  geschichtlichen  Zusammenhang,  der  möglicher  Weise  vor- 
liegt, hat  Theodor  Wolf  in  einer  handschriftlichen  Bemerkung  zu  dem 
Esmeraldas -Vokabular  aufmerksam  gemaclit.  Er  führt  caro  „colorado- 
„rojc''  und  cara  „sangre''  an  imd  bemerkt:  —  „diese  zwei  vorstehenden 
Worte,  welche  in  der  Esmeraldas-Sprache  „roth"  und  „Blut''  bedeuten 
und  jedenfalls  im  genauesten  etymologischen  Zusammenhang  stehen,  ver- 
dienen grosse  Beachtung,  da  die  alte  Nation  der  Caras  sich  mit  demselben 
Namen  bezeichnete,  bei  ihr  also  cara  auch  „Mensch"  hiess.  Dies  er- 
innert lebhaft  an  die  Hebräer,  bei  denen  der  erste  Mensch  Adam,  d.  h. 
der  Rothe,  der  Röthliche,  hiess.  Die  Caras  Messen  also  die  „rotlieu 
Menschen",  die  „Adamiten".  —  Ich  kann  dieser  Bemerkung  noch  hinzu- 
fügen, dass  dasselbe  V\''ort  cara  „Mensch"  möglicher  Weise  aucli  in  dem 
Ortsnamen  Caraque  enthalten  ist,  der  von  Cieza  de  Leon  im  Norden 
von  Puerto  viejo  angegeben  wird  und  daselbst  sich  bis  auf  den  heutigen 
Tag  erhalten  hat-).  Ferner,  dass  der  Stammname  der  eine  andere  Sprache 
sprechenden  Colorados,  wie  wir  gesehen  haben  (oben  Seite  15)  ebenfalls 
„roth"  zu  bedeuten  scheint,  und  diese  Indianer  ja  auch  in  der  That  von 
den  Spaniern  „Colorados",  d.h.   „die  rothen"  genannt  werden. 

Es  scheint  also  hier  ein  Zusammenhang  vorzuliegen,  der  darauf  hin- 
weist, dass  die  Nation  der  Cara,  die  vor  den  Inca  Herreu  des  Hochlandes 


1)  Der  Ort  heisst  heute  Bahia  de  Caniques.  Eine  alte  Niederlassung  der 
Caras  in  der  Provinz  Imbabura  hiess  Caranqui.  Das  Dorf  existirt  noch,  gleich 
neben  Ibarra.     (Th.  Wolf.) 


(jj.  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

von  Quito  waren,  von  denen  wir  aber,  ausser  fabelhaften  Historien,  nur 
den  Titel  ihrer  Könige  (shin)  und  einige  Eigennamen  kennen,  desselben 
Stammes  und  derselben  Sprache  waren,  wie  die  Bewohner  der  Küste  von 
Esmeraldas.  Darauf  deutet  ja  auch  die  bekannte  Erzäliluiiu-.  dass  die 
Cara  in  Flössen  den  Rio  Esmeraldas  heraufgefahren  seien,  obgleicli  icli 
weit  davon  entfernt  bin,  diese  Erzählimg  irgendwie  wörtlich  zu  nehmen. 
Nicht  aus  dem  Meere  sind  die  Völker  gekommen.  Die  grosse  Mater  gentiimi 
des  südamerikanischen  Festlandes  ist  das  waldbedeckte  Innere  Brasiliens. 
Verffleichbar  in  der  alten  Welt  der  arabischen  Halbinsel  und  vernmthlich  aus 
flen  gleichen  Gründen.  Die  sprachlichen  Zusammenhänge,  die  jetzt  schon 
vielfach  nachgewiesen  sind,  lassen  deutlich  erkenneu,  wie  die  Stämme  die 
Nebenflüsse  des  Amazonas  hinab  den  Hauptstrom  und  die  nach  der  ent- 
gegengesetzten Richtung  liegenden  Nebeuströme  hinauf  bis  au  die  Abhänge 
der  Berge  gewandert  sind.  So  mögen  auch  die  Yarura  der  Llauos  des 
Cassanare  und  die  alten  Cara  des  Hochlandes  von  Quito  vielleicht  nur  zwei 
Etappen  einer  Völkerbewegung  darstellen,  die  an  der  Küste  von  Esmeraldas 
ihr  Ende  erreicht  hat  und  jetzt  ja  auch,  in  anderem  Sinne,  thatsächlich  zu 
Ende  gekommen  ist. 

Steglitz.  März  1902. 

Ed.  Seier. 


2.    Das  KonJHgationssystem  dcv  Maya- Sprachen.  ({f) 


2. 
Das  KoDJiigationssystein  der  Maya- Sprachen. 

Inauguriil- Dissertation.     Leipzig,  1887. 

Vorbemerkung. 

In  der  iiachfolg-eiiden  Arbeit  habe  icli  für  die  Maya-Worte  die  übliche 
Orthographie  der  yukatekischen  Grammatiken  und  Lexika  zu  (J runde  ge- 
legt, nach  der  die  Buchstaben  im  Allgemeinen  denselben  Lautwerth  haben 
wie  im  Spanischen,  nur  dass  c  immer  ein  Guttural  ist,  dem  c  vor  a,  o,  u 
des  Spanischen  entsprechend,  z  ein  scharfes  s-  bedeutet,  jr  =  .?  des  Standard- 
Alphabets,  ch  =  ts  ist,  und  h  den  Lautwerth  des  heutigen  spanischen  Jota 
besitzt.  Von  den  Letras  heridas  werden  der  dem  c  und  k  entsprechende 
nicht  besonders  unterschieden,  k  bezeichnet  theils  einen  tieferen  Guttural, 
theils  die  dem  c  und  k  entsprechenden  Letras  heridas,  d.  i.  c'  und  k\  Der 
dem  p  entsprechende  wird  durch  pp,  der  dem  ch  entsprechende  wird  durch 
chh,  der  dem  t  entsprechende  durch  th  und  der  dem  tz  entsprechende  durch 
o  gegeben. 

Für  die  andern  Sprachen  habe  icli  ein  Alphabet  gewählt,  das  sich  dem 
vorigen  möglichst  anschliesst,  einschliesslich  des  h  mit  dem  Lautwerth  des 
lieutigen  spanischen  Jota.  Nur  ist,  nach  dem  in  den  Sprachen  Guatemalas 
üblichen  Gebrauch,  statt  des  c  vor  e  und  *,  wie  im  Spanischen,  qu  gesetzt. 
Die  Letras  heridas  bezeichne  ich,  nach  dem  Vorgänge  von  Stoll,  durch 
die  ihnen  entsprechenden  Konsonanten  mit  Apostroph,  also 

g  der  Orthographie  Brasse  urs  ==^  £1  des  Grammatikers  Flores,  mit        k' 

6-  tz 


j    » 


Ein  Gaumen-w  der  Ixil,    welches  Stoll  ng  schreibt,    habe  ich  in  «ler- 
selben  Weise  wiederseffeben. 


Die  verschiedenen  Idiome  der  Sprachfamilie,  die  man  nach  dem  hervor- 
ragendsten der  Stämme,  welche  diese  Sprache  sprechen,  als  die  3Liya- 
Familie    zusammenfasst,    zeichnen  sich    —    mit    Ausnahme  ujir  der  «Mit- 

Seler,  Gesainnielte  Abhandlungen  I.  -, 


^^  Krster  Abschnitt:   Sprachliches. 

feniter  wohueuden,  seit  läiio:erer  Zeit  von  der  Haiiptinasst'  der  Natiuii 
oetionntou  und  vielleicht  auch  etwas  mit  friMudarti^en  Hestandtlieilen  gv- 
mischten  Huaxteca  —  durch  eine  grosse  lexikogra])hische  Gleichförmigkeit, 
sowohl  in  den  Wurzehi.  als  in  den  Aldeitungssilben  aus.  Ein  Blick  aitf 
das  vergleichende  Vokabular  der  Maya-Sprachen,  das  Otto  Stoll  in  seinem 
verdienstlichen  Werke  „Zur  Ethnogra]»liie  der  Republik  (iuat<Mnala" 
(^Zürich,  1884)  gegeben,  genügt,  sich  v(>n  dieser  Thatsache  zu  überzeugen. 
Und  noch  deutlicher  wird  man  sidi  derselbien  bewusst,  w<^un  mau  den 
Bedeutuugsmodifikationen  der  einzelnen  Wurzeln  nachgeht  und  die  laut- 
lichen Variationen  in  Betracht  zieht,  welche  die  Wurzeln  theils  innerhalb 
desselben  Idioms  erfahren,  oder  welche  sich,  als  echte  Lautverschieljungen, 
zwischen  der  einen  und  der  andern  Sprachgruppe  geltend  machen.  Um 
so  auffälliger  erscheint  es,  dass  die  Mittel,  deren  sich  die  verschiedenen 
Idiome  zum  Ausdrucke  der  verschiedenen  Konjugationsformen  liedieueu, 
anscheiuend  so  verschiedene  sind.  Man  vergleiche  z.  B.  die  vier  Konju- 
gationen der  Maya-Grammatiken  des  P.  Gabriel  und  l\  Bei  trau  n)it  dem 
Koujugationsschema  der  Quiche-  und  Cakchiquel  -  Sprachen,  der  Dar- 
stellung der  Konjugationsformen,  die  in  StoHs  neuestem  Werk  über  die 
Sprache  der  Ixil-Tndiauer  (Leipzig,  ßrockhaus.  1887)  gegeben  ist,  und 
mit  dem  verworrenen  Bilde,  welches  Piment el  nach  der  Grammatik  des 
P.  Reynoso  für  die  Mam- Konjugation  entwirft.  Es  lohnt  deshalb  der  Mühe, 
tlie  verschiedenen  Konjugationsformen  einer  genaueren  Analyse  zu  unter- 
werfen, denn  der  Kern  der  ganzen  Sprache  (el  blauco  de  este  idioma)  liegt,  wie 
der  Granmiatiker  Beitran  mit  Recht  bemerkt,  in  dem  Verl)um.  Wer  das 
Verbum  versteht,  versteht  die  Sprache.  Und  eine  genauere  Analyse  wird 
auch,  so  meine  ich,  im  Stande  sein,  die  anscheinende  Differenz  und  Vi(d- 
gestaltigkeit  auf  wenige  und  einfache  Gesetze  zu  reduziren. 

JJas  Wesen  des  Verbum  liegt  in  der  Verbinduug  eines  Nominal-  oder 
Verbälbegriffs  mit  einer  bestimmten  Person,  und  so  siiul  die  prädikativen 
Verbalausdrücke  im  Grunde  vollkommen  ident  mit  den  ein  possessives 
Verhältniss  bezeichnenden  Kominalausdrückeu.  In  verschiedenen  Sprachen 
tritt  diese  Identität  auch  deutlieh  zu  Tage.  Man  vergleiche  z.  B.  im 
Ungarischen: 

hdzatii,  hdz-ad,  hdz-a  mein,  dein,  sein  Haus. 

vdr-om,  vdr-od,  vdr-ja  ich  warte,  du  wartest,  er  wartet. 

vdrt-am,  vdrt-ad,  vdrt-a  ich  wartete,  <lu  wartetest,  er  wartete. 

kez-em^  kez-ed.,  kez-e  meine,   deine,  seine  Hand. 
k<'r-pm.  ker-ed,  kir-i  ich  bitte,  du  bittest,  er  bittet. 

Die  uieistcu  S])rachen  indess  führen  eine  Differenziruug  ein,  indem  sie 
den  Personalausdruck,  zu  welchem  ein  eine  Eigenschaft  oder  eine  Handlung 
ausdrückendes  Thema    in  prädikative  Beziehung  gesetzt  wii-d.    anders    ge- 


2.   Das  Konjugationssvst'em  der  Maja -Sprachen.  f;7 

stalten  als  den,  welcher  zum  Ausdruck  eines  possessiven  Verhältnisses  neben 
i''mein  Substantivum  steht.     So  sagt  man  im  Mexikanischen: 

no-UK  mo-t(i,  i-fu:  to-tu^  amo-td  in-t<i. 

mein  Vater,  dein  Vater,  sein  Vater;  unser  Vat<;r,  euer  Vater,  ihr  Vater. 

iii-nenii,     ti-neitiL      -nemi';      tl-nemi\       an-nemi\       -neml. 
it;h  h'be.  du  lebst,  er  lebt:  wir  leben,  ihr  lebet,  sie  leben. 

In  den  Maya-Sprachen  werden  die  PersonalaUvsdrücke,  zu  welchen  ein 
Thema  in  possessives  Verhältniss  gesetzt  wird,  präfigirt'.  Sie  lauten 
aber  verschieden,  je  nachdem  ein  Thema  mit  einem  Vokal  oder  einem 
Ktinsoniinteii  anfängt:*) 

Tzeltal.     Maya.       Ixil.      Pokonchi.    Uspanteca.       Qu'iche.      Cakchiquel. 

A.    V<»r  Konsonanten. 

^iii>^^.   1.  Pers.  c  in  ung  nu  in  nu  nu 

'2.  ^  a  ii  a  a  a  a  a 

,,       o.  „  z  u  i  TU  1^  u  ru 

Pliir.    1.  „  c  ca  CIL  ka  ha  ka  ha 


•> 


a  a  e  a  a  i  i 

z  u  i  qui  ru  qui  qui 

B.    Vor  Vokalen. 


jSin«: 


lur 


1. 

Pers. 

c 

u 

vu 

vu 

vu 

V 

u 

0_ 

^? 

av 

au 

VUl 

avu 

avu 

av 

av 

8. 

„ 

y 

// 

f 

r 

r 

r 

r 

1. 

55 

c 

c 

k 

'  k 

k 

k 

k 

■2. 

55 

av 

au 

et 

avic 

avu 

iv 

iv 

8. 

55 

y 

y 

t 

qui 

r 

c 

c 

Ich  habe  hier  natüi-lich  nicht  alle  Dialekte,  sondern  nur  einige  der 
bekanntesten  und  hau])tsächlichsteu  aufgeführt,  um  an  ihnen  die  vor- 
kommeiuien  Modifikationen  zu  zeigeu.  Das  Tzeltal  ist  unter  den  vor- 
-fteheuden  der  einzige  Dialekt,  bei  welchem  in  der  Personalbezeichnung 
zwischen   Singular  und  Plural  gar  kein  unterschied  stattfindet.     Das  Maya 

1)  [Seit  ich  diese  Dissertation  schrieb,  ist  manches  neue  Material  über  die 
Maya-Spiachen  bekannt  geworden.  Stell  hat  eine  Grammatik  und  ein  Wörter- 
verzeichniss  der  Kekchi-Sprache  veröffentlicht,  und  durch  Dr.  Sapper  haben  wir 
Sogar  höchst  interessante  Texte  dieser  Sprache  kennen  gelernt.  Charencey  hat 
in  den  Actes  de  la  Societe  philologique  die  Mam-Grammatik  des  F.  Diego  de 
lieynoso  veröffentlicht.  Dazu  habe  ich  nachträglich  durch  Dr.  Penafiel  ein 
Exerapliu-  von  Tapia  Centeno's  Uuaxteca- Grammatik,  die  mir  früher  nicht  zu- 
gänglich war,  erhalten.  Ich  würde  die  Sprachen  in  der  obigen  vergleichenden 
Tabelle  der  Possessivpräfixe  jetzt  etwas  anders  gruppiren.  Unter  Hinzufügung 
der  Mani-.    Kekchi-  und  Huaxteca- Sprache    und  indem    ich  die  Partikeln  gleich 


gg  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

und  das  Uspanteca  differenziren  die  erste  Person  Singularis  und  Plurali^^, 
lassen  aber  die  zweiten  und  dritten  Personen  ununtcrschieden.  Das  Ixil 
[und  das  Kekchi]  differenziren  die  ersten  und  zweiten  Personen  und  lassen 
die  dritten  ununterschiedeu.  Das  Pokonchi  differenzirt  die  ersten  und 
dritten  Personen  und  lässt  die  zweiten  ununterschiedeu.  Ebenso  tias 
Tz"utuhil.   das   ich  oben   nicht  mit  aufgeführt  habe.     Und  nur  (bis  (juiche 


dazu  schreibe,  die  man  in  verschiedenen  Dialekten  dem  possessiven  Ausdrucke 
anfügt,  um  die  Zahl  oder  die  Person  noch  genauer  zu  bezeichnen,  würde  die  ver- 
gleichende Tabelle  der  Possessivpräßxe  die  folgende  Gestalt  erhalten: 

Mam.  Ixil.         Ou'iche.        Cakchiquel.  Uspanteca. 

A.    Vor  Konsonanten: 


Sing.  1. 

Pers. 

na-,  iie-,  tu-,  no 

-,  7Vt 

- 

U»(J- 

n  u- 

711t- 

m- 

.     2. 

r 

1i-  ...-</ 

a- 

a~ 

a- 

a- 

,     3. 

,^ 

la-.  te-,  //'-,  to-. 

tu- 

1- 

II- 

ru- 

ru- 

Plur.  1. 

!i 

ka-,  ke-,  ki-,  ko- 

■,k(t- 

kit-  . . .  0 

ka- 

ka-. 

.  . (roh) 

ka- 

«     -^• 

r> 

qui-  .  . .  e 

e-  .  .  .  i'.v 

i- 

i-  .  . 

■  ('•'•^) 

o-  .  . 

.uA 

fl     3. 

V 

qui-  .  . .  liH 

B. 

i- 

Vor  Vokal 

qni- 
len: 

qui- 

. .  .  (rihe) 

ru-  . 

.  .  uk 

Sing. 1. 

Pers. 

w- 

w- 

IC- 

ll - 

u:- 

r,     2. 

fl 

t(iy  ...a 

ma- 

aic- 

aw- 

aw- 

«     3- 

« 

/(/)-  . .  Jui 

t- 

r- 

?•- 

r- 

Plur.  1. 

n 

k-  ...0 

k- 

k- 

k-.  . 

. (roh) 

k- 

0 

•n 

qtt  (/>  ...e 

et- 

iw- 

hc-  . 

. .  (rix) 

aw-  . 

..ak 

.     3. 

V 

qit  (/)-  .  .  .  hu 

t- 

c- 

c-  .  . 

.  (rihe) 

r-  .  . 

.nk 

Pokonchi.        Kekchi.         Zo'tzll.         Tzeltal.  Maya.  Huaxteea. 

A.    Vor  Konsonanten: 


Sing.  1. 

Pers. 

7IU- 

iu- 

h- 

h- 

in- 

u- 

„     2. 

•n 

a- 

a- 

a- 

a- 

u- 

a-  (atia-) 

«     3. 

•n 

ru- 

X- 

:- 

.r-(c-) 

u- 

iti- 

Plur.  1. 

r> 

ka- 

ka- 

h-  ...  iic 

h-  .  .  .  tic 

ca- 

ya- 

(inclusive) 
ua- 
(exclusive) 

0 

r> 

a-  . . 

.  tuk 

e-  .  . 

.  ex 

a-  . .  .  ic 

a-  . .  .  ic 

a-  .  . 

.  ex 

ija- 

:,       3. 

■n 

qni- 

X-  .  . 

.eb 
B. 

:-  .  .  .  ic 
Vor  Vokal 

X-  .  .  .  ic 
en: 

u-  .  . 

.oh 

171- 

Sing.  1. 

Pers. 

w- 

ClC- 

c- 

c- 

u- 

U- 

.     2. 

» 

aw- 

acw- 

aw- 

ab- 

au- 

a-  (anu) 

„     3. 

n 

r- 

r- 

11- 

y- 

y- 

iii- 

Plur.  1. 

r 

k- 

k- 

c-  .  .  .  iic 

c-  .  .  .  iic 

c- 

ya- 

(inclusive) 
ua- 
(exclusive) 

.     2. 

r> 

au--  , 

.  . .  tak 

er- 

aw-. .  .ic 

ab-  ,  . .  ic 

au-  . 

.  .  ex 

ya- 

,     3. 

rt 

c- 

r-  .  . 

.£•/> 

ij...  ic 

y-  •  •  •  'C 

r  ■• 

.ob 

/«-] 

2.   Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  69 

uvhI  Cakchiquel  [und  das  Mam]  lial)en  für  alle  drei  J^ersonoii  eine  Differenz 
zwischen  Singular  und  Plural  durchgeführt.  Die  letztgenannten  beiden 
Sprachen  sind  daher  auch  die  einzigen,  die  im  Stande  sind,  allein  mit  dem 
Possessivpräfex,  sämmtliche  Personen  des  Singulars  und  Plurals  genau  und 
korrekt  zu  bezeichnen.  Die  andern  Sprachen  helfen  sich  auf  verschiedene 
Weise  Die  einen,  indem  sie  da,  wo  das  Possessivpräfix  den  Plural  einer 
Person  bezeichnen  soll,  dem  ganzen  Ausdruck  eine  Kollektiv-  oder  Plural- 
partikel anfügen.  —  So  das  Tzeltal  die  Partikeln  tic  oder  /c,  z.  B.: 

cuum  mein  Besitz,  cuun-tic  imser  Besitz, 

avuwn  dein  Besitz,  avuun-ic  euer  Besitz. 
Das  Uspanteca  die  Partikel  ak,  z.  B. : 

avuech-in  was  dir  bestimmt  ist,  avu-ech-ak-in  was  euch  bestimmt  ist. 
Das  Pokomam  und  das  Pokouchi  die  Partikeln  ia  oder  iak,  z.  B  : 

a-tzi  dein  Hund,  atzi-fa  euer  Hund. 
Das  Maya  die  Partikel  06,  z.  B. : 

y-otoch  sein  Haus,  y-otoch  ob  ihr  Haus. 
Oder  aber,  es  wird,  um  den  Unterschied  zu  markiren,  wo  die  Pluralität 
♦»itier  Person  gemeint  ist,  dem  ganzen  Ausdruck  das  betreffende  Personal- 
pronomen der  Person  im  Plural  nachgesetzt,  denn  bei  dem  Personalpronomen 
ist  die  Differenzirung  zwischen  Singular  und  Plural  gewöhnlich  mehr  durch- 
geführt als  beim  Possessivpräfix.  So  geschieht  es  im  Maya  in  der  zweiten 
Person  Pluralis,  z.  B.: 

au-otoch  dein  Haus,  au  otoch  ex  (dein  Haus  ihr)  =  euer  Haus. 
Beide    hier    angeführten   Differenzirimgsmittel    werden    übrigens  auch 
pleonastisch  gebraucht,    wo    ihre  Hilfe    zur  Unterscheidung    der  Singular- 
nnd  Pluralperson  nicht  nöthig  wäre.    So  z.  B.  im  Pokomam  und  Pokonchi: 

ru-tzi  sein  Hund,  qui-tzi  take  ihr  Hund 
nnd  im  Cakchitpiel  von  S.  .Fuan  Zacatepequez: 

t"w  achö  mein  Haus,  k-achö  roh  (unser  Haus  wir)  =  unsei'  Haus, 

avu  achö  dein  Haus,  iou  achö  rir  euer  Haus, 

r-achö  sein  Haus,  c  achö  rihe  ihr  Haus.^) 

1)  [Einen  besonderen  Fall  zeigt  das  Mani.  Hier  ist  innerhalb  der  Zahl,  beides 
im  Singular  und  im  Plural,  zwar  die  erste  Person  von  der  zweiten  und  dritten, 
aber  nicht  die  zweite  von  der  dritten  Person  geschieden,  so  dass  zur  genauen  Be- 
zeichnung dem  possessiven  Ausdruck  das  Personalpronomen,  bezw.  das  Demon- 
stratirum.  angefügt  wird.     Z.  ß.: 

i-iini  a  „durch  dich";  —  i-uiu  lii  „durch  ihn**, 

qui-kiixomal  e   „eure  Jugend":  —  qui-kuxomal  Im   „ihre   (jener  Personen) 
Jugend". 
Die  pieonastische  V'erwondung  des  Personalpronomens  0  in  der  ersten  Person 
Pluralis  bei  den  vokalisch  anlautenden  Stämmen: 

k-iiiii  0  „durch  uns", 
is.t  vielleicht  darauf  zurückzuführen,  dass  der  tiefere  Guttural  des  Possessivpräfixes 
der  ersten  Person  Pluralis  (/-)  von  dem  Guttural  der  zweiten    und  dritten  Person 


71)  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Abgesehen  von  »iiesen  Unterschieden,  die  sich  auf  die  mehr  «mUt 
weniger  (hircligeführte  Differenzirung  der  Singular-  und  Pluralpersoue« 
beziehen,  sind  die  Possessivpräfixe  in  allen  den  oben  genannten  Dialekteu 
ziemlich  übereinstimmend.  Das  r  der  (luatennila-Sprachen  in  der  dritten 
Person  Singularis,  statt  des/  der  Maya.  ist  eine  bekannte  l.autversciiiebnng, 
die  schon  Brassenr  aufgefallen  ist.  und  für  wtdche  Stoll  eine  Anzahl  Ber- 
spiele  gibt  (Am.  Philos.  Soc.  Febr.  6.  1X85).  Und  da«  t  des  Ixil  ist  viel- 
leicht auch  ein  lautliches  Homologon.  Wenigstens  finden  wir  das  dem  t 
nahe  verwandte  ch  im  Mam  und  Ixil  nicht  selten  als  Vertreter  von  Mava 
y  und  Quiehe  r  z.  B.  Maya  yax:  Qu  iche.  Cakchiquel  fax;  Mam.  Ixil  char 
=  ^grün"  oder  .^blau"".^) 

Die  Personalausdrücke.  welche  in  prädikativen  Verbindungen  ge- 
braucht werden,  unterscheiden  sich  von  den  Possessivpräfixen  dadurch,  dass^ 
in  ihre  Form  ein  konsonantisches  Element,  Auslaut  bildend,  eingeht. 
Indem  dadurch  bei  ihnen,  in  Bezug  auf  ein  nachfolgendes  Wort,  <ler  Hiatus 


((/«-),  der  an  einer  weiter  nach  vorn  gelegenen  Artikulationsstelle  erzeugt  werden 
soll,  nicht  mehr  ganz  geschieden  wurde.  Der  Pater  Reynoso  schreibt  in  der 
That  beide  Präfixe  mit  dem  besonderen  Buchstaben  (C),  der  in  der  Grammatik 
des  Flores  für  den  von  Stoll  als  A'  bezeichneten  Laut  verwendet  wird.] 

1)  [Das  Mam    hat  die  Eigenthümlichkeit.    dass    die  Präfixe    nach   dem  A'okal 
der  Wurzel,  an  die  sie  treten,  vokalisirt  werden: 

iia-bauil  „meine  Güte",  tachani  mi  LhIi    „seine  Spitze    mein  Bauch" 

=  das  obere  Ende  meines  Bauchs,  meine 
Brust, 
ne-lep  „mein  Fischnetz",  te-he  a  „sein  Weg  das  Wasser"  =  der  Kanal, 

)ii-icitz  „mein  Gesicht",  ii-wHz  choerr  „ihr  Gesicht    die  Erde"  =  das 

Gesicht  der  Erde. 
no-nok  „meine  Baumwolle",     to-hk  ho  „sein  Fundament  das  Haus"  =  das 

Fundament  des  Hauses. 
nu-chu  „meine  Mutter-,  tn-chu  kak   „seine  Mutter  das  Feuer"  —  die 

Mutter  des  Feuers,  der  Feuerstein. 
ka-nima/iwal  J.  C.  „unser  Herr  Jesus  Christus". 
kii  c/rti  Santa  Jfjlesia  „unsere  Mutter,  die  heilige  Kirche". 
In  der  dritten  Person  Singularis    hat  also  das  Mam.    gleich  dem  Ixil,    ein  /-, 
das,    wie  oben  angegeben  ist.    auch    auf  die  zweite  Person  Singularis    übertragen 
wird.     Dieses  t-  ist  gleich   dem  r-  (und  ;/-)   ursjn-ünglich  wohl    demonstratiren 
Ursprungs,    wie    das    c-    (qu-)    der    dritten    Person    Pluralis    eigentlich    wohl    das 
Demonstrativ  Pluralis  bezeichnet.     Das  Possessivum  m-  der  Guatemala -Sprachen 
entspricht  genau  dem  /o-,    das  im  Maya  Demonstrativ  um  ist.   und  das  t  des  Mam 
hat    in   verschiedenen  Dialekten    eine  selbstständige  Existenz    als  Demonstrativum 
bewahrt.     In  einigen  dieser  Sprachen   hat  sich  aus  dem  Demonstrativum  auch  ei« 
Artikel  entwickelt.     So  im  Tzeltal: 

te  tcinir  „der  Mann",   te  aniz  .die  Frau", 
und  im  Kekchi: 

l-'m-tz'i  „mein  Hund":  //  ka  l:t  „unser  Hund".] 


Sing. 

1. 

l'cvs. 

on 

w 

•) 

n 

at 

riur. 

1. 

n 

0 

■) 

ii 

e,v 

Pokonchi. 

Qu'iche. 

Cakchiquel 

in 

in  (ww) 

in 

at 

at 

at 

oh 

oh 

oh 

at 

ia: 

ix 

2.    Das  KonjugatioHSsystem  der  Maja ■;•  Sprachen.  71 

juisgeschlossen  ist,  so  hal)en  sie  auch  imr  eine  Form  für  uitchfolgenden 
konsonantischen  oder  vokalischen  Anlaut.  Wo  sie  aber  einem  vokalisch 
auslantenden  Thema  suffigirt  werdtm,  wird  der  Hiatus  geduldet.  Wir  be- 
zeichnen diese  Ausdrücke,  im  (iegensatz  zu  den  vorigen,  als  Personal- 
pro nomi  na.     Ihre   Formen  sind:^) 

Tzeital.      Maya.  Ixil. 

en  iii 

ech  a.v 

on  0 

ex  ex 

Die  dritte  Person  hat  kein  besonderes  Pronomen.  Wenn  Jemand 
anders  als  der  Redende  oder  Angeredete  Subjekt  eines  prädikativen  Aus- 
ilrnckes  ist,  so  pflegt  er  ausdrücklich  genannt  zu  werden,  oder  es  ist  aus 
tlem  ganzen  Kontext  verständlich,  wer  gemeint  ist,  oder  schliesslich  es  ist 
kein  persönliches  Subjekt  vorhanden.  In  den  ersten  beiden  Fällen  wäre 
es  überflüssig,  im  letzteren  falsch,  die  dritte  Person  noch  durch  ein  be- 
sonderes Element  zu  bezeichnen.  Ist  trotzdem  eine  nähere  Hindeutung 
\vünsche))swerth,  so  treten  die  Demonstrativa  ein. 

Was  die  übrigen  Personen  betrifft,  so  sieht  man,  dass  die  Difl^'erenzirung 
der  Singular-  und  Pluralformen  hier  weiter  fortgeschritten  ist,  als  bei  den 
Possessivpräfixen.  Ident  sind  nur  die  zweiten  Personen  des  Pokomani 
und  Pokonchi  [und  des  Zo'tzil],  und  nahezu  ident  die  ersten  Personen  des 
Zo'tzil,  und  auch  die  des  Tzeital. 

Um  dem  abznhelfen,  treten  wieder,  wie  bei  den  Possessivpräfixen, 
Partikeln  kollektiver  oder  pluraler  Bedeutung,  den  Sinn  präzisireud,  ein. 
So  im  Tzeital  die  Partikel  iic,  im  Pokomam  und  Pokonchi  die  Partikeln 
ia,  tak,  take. 

Alle  genamiten  Sprachen  aber  wissen,  in  ähnlicher  Weise,  eine  Unter- 
S(Oieidung  zwischen  den  dritten  Personen  Singularis  und  Pluralis  herbei- 
zuführe?!.     Das  geschieht  im  Tzeital  durch  tlie  Partikeln  iic  und  /ac,    im 

1)  [Die  prädikativ  gebrauchten  Personalpronomina  sind  Suffixe.  Ihre 
Vokalis;ition  fällt  daher  naturgemäss  vor  den  Konsonanten,  wo  ein  solcher  vor- 
handen ist.  Die  durch  Hinzufügung  des  Mam  und  des  Kekchi  vermehrte  Tabelle, 
\n  ähnlicher  Weise,  wie  oben  in  der  Anmerkung  für  die  Possessivpräfixe  aus- 
geführt, hat  demnach  die  folgende  Gestalt: 

Qu'ichß 
Mam.       Ixil.    Cakchiauel    P"'***"^'''-     Kekchi.     Zo'tzil.     Tzeital.     Maya. 

Sing.  l.Pers.     -/'/(  -///        -in  (-i)      -in 


9 


i  -m 

-a  -ux       -at  -at  -at 


r>  3.  .,  -Im  -i 

Plur.  1.  „  -o  (-o-o)  -0  -oll  -i)h 

„  2.  „  -e  {-e-e)  -ex  -ix  -tri  .  .  .  tak 

~  i-  y,  -e  .  .  .-Im.  -i  -if  (-lie)  .  .  .  (/; 


-on 

-tu 

-at 

-ech 

-a 

-i 

-o-tic 

-011 

-ex 

-ex 

-ic 

-ul>^ 

7*2  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Pokomaiii  und  Pokonclii  liurcli  die  Partikel  take,  im  .Maya  durch  die  Par- 
tikel ob,  im  Quic'he  und  (akcbiquel  dureli  die  Partikeln  e  oder  he,  — 
alles  Partikeln  kollektiver  und  pluraler  Bedeutung,  die  zum  Theil  direkt 
als  Pluralsuffixe  oder  Pluralprätixe  ijebraucht  worden  oder  (als  Demonstrativ- 
jtronomen)  für  sich  allein  eine  Mehrheit  von  Geigenstunden  bezeichnen. 

Abgesehen  von  diesen  Unterschieden,  sind  die  Formen  in  den  ver- 
schiedenen Sprachen  ziemlich  ident.  Das  h  der  Guatemala- Sprachen  in 
der  ersten  Person  Pluralis,  statt  des  n  des  Maya,  ist  eine  bekannte  Laut- 
verschiebung, die  durch  zahlreiche  andere  Beispiele  belegt  ist. 

Was  aber  den  Gebrauch  dieser  Pronomina  betrifft,  so  scheiden  sich 
die  Maya- Sprachen  in  zwei  Gruppen,  indem  die  einen  —  dazu  gehört 
Tzeltal,  Maya,  Manie  und  Ixil  —  das  Pronomen  dem  Prädikate  suffi- 
giren,  die  andern  —  dazu  gehört  Pokomam  und  Pokouchi,  Quiche, 
Cakchiquel  und  Tzutuhil  dasselbe  dem  Prädikate  präfigiren.^) 
So  heisst  es  im  Maya: 

batab  en  ich  bin  Häuptling,   hatab  eck  du  l)ist  Häuptling, 

utz  en  ich  bin  gut, 

bay-on  (oder  b-on)  wir  sind  so  wie  die  .  .  . 

viac  eck  wer  bist  du?    Pedro  en  ich  bin  Peter. 
Und  dieselVte  Stelle   erhält  dann   auch,    wo  dieselbe  ausdrücklich    ge- 
nannt ist.    die  dritte  Person  oder  Sache,    welche  das  Subjekt  eines  prädi- 
kativen Ausdruckes  bildet. 

ittz  Pedro  Peter  ist  gut. 
Im  Quiche  dagegen  heisst  es: 

in  ahau  ich  bin  der  König 

at  ah  mac  du  bist  ein  Sünder 

oh  utz  wir  sind  gut 

in  va  ich  bin  hier,  at  va  du  bist  hier 
und  mit  einer  dritten  Person  als  Subjekt 

Pedro  utz  Peter  ist  gut,  are  utz  er  ist  gut. 

1)  [In  AVirklichkeit  ist  das  Verhältniss  vielmehr  dies,  dass  im  Mam  und  im 
Ixil,  sowie  im  Tzeltal,  Zo'tzil,  Maya  die  Personalpronomina  dem  Verbum 
direkt  suffigirt  werden,  während  sie  im  Pokomam,  Pokonchi  und  Kekchi, 
sowie  im  Quiche.  Cakchiquel  und  Tz'utuhil  gewissen,  meist  auf  einen 
Konsonanten  reduzirten  Stämmen  sich  anfügen,  die,  wahrscheinlich  ursprünglich 
demonstrativen  Charakters,  oder  allgemein  eine  Handlung  bezeichnend,  vor  den 
Verbalstamm  gesetzt  werden  und  zur  Unterscheidung  von  Temporibus  dienen. 
In  Folge  dessen  hat  sich  aber  in  dieser  letzteren  Gruppe  von  Sprachen  der  Ge- 
brauch eingebürgert,  diese  Personalsuffixe  auch  ohne  einen  solchen  Träger  demon- 
strativen oder  zeitliche  Verhältnisse  bezeichnenden  Charakters  vor  dem  Verbum 
oder  Nomen  zur  Bildung  prädikativer  Aussagen  zu  verwenden.] 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maja -Sprachen.  73 

Doch  ist  zu  bemerken,  dass  der  stärkere  Acceiit.  der  naturgemäss  auf 
dem  Prädikat  liegt,  und  die  durch  Aufzählungen  oder  nähere  Bestimmungen 
nicht  selten  hervorgerufene  ungebührliche  Ausdehnung  des  Subjekts  es  mit 
sich  bringen,  dass  auch  im  Qu'iche,  wo  eine  dritte  Person  Subjekt  ist. 
dieselbe  nachgestellt  wird.  So  heisst  es  im  Popol  A'uh: 
nim  qui  k^ih,  nini  pitch  qui  k'ab,  c'ua-lab 
gross  ist  ihr  Glanz,  gross  auch  ihre  Macht,  ihre  Kraft. 

Der  hier  hervorgehobene  Unterschied  ist  wichtig,  und  er  wird  uns 
bei  der  Konjugation  noch  zu  beschäftigen  haben.  Zunächst  muss  ich 
indess  eine  Eigenthümlichkeit  erwähnen,  die  aus  dieser  Yerschiedenheir 
der  Konstruktion  hervorgeht. 

In  denjenigen  Sprachen  nämlich,  in  welchen  das  Subjekt  voransteht, 
das  Personalpronomen  präfigirt  wird,  scheint  das  letztere  mehr  Körper- 
lichkeit, so  zu  sagen,  mehr  Selbstständigkeit  zu  besitzen.  Es  findet  sich 
in  derselben  Form  auch  allein,  als  Antwort  oder  als  Anruf,  z.  P).  im 
Oakchi(|uel : 

?>,  alabon  ihr  da,  ihr  Knaben 

nak  cat  tu;  wer  bist  du!    In  ich  bin  es. 

Wo  dagegen  das  Personalpronomen  suffigirt  wird,  kaiui  es  in  der 
Ki'gel  nicht  allein  und  ohne  einen  besonderen  Träger  stehen.  Daher 
finden  wir  in  den  Grammatiken  dieser  Sprachen  die  Personalpronomiua  nicht 
in  der  kurzen,  ursprünglichen  Form  angegeben,  in  der  sie  einem  prädi- 
kativen Ausdruck  suffigirt  werden,  und  wie  wir  sie  in  der  obigen  Tabelle 
angegeben  haben,  sondern  regelmässig  in  Komposition  mit  einer  Demou- 
strativpartikel.  In  dieser  Verbindung  nämlich  w^erden  diese  Pronomina 
gebraucht,  wenn  sie  allein  stehen.  Als  solcher  Träger  des  Personal- 
pronomens fungirt  im  3Iaya  die  Partikel  f,  fe: 

ten  ich.  tech  du:  toon  wir,  teex  ihr. 
im  'JV.eltal  [und  Pokonchi]   die  Partikel  h,   ha  [im  Mam  a,  im  Kekchi  la\. 

hoon  ich,  haat  du;  hoon  wir,  haew  ihr. 
So   wird    in  dem  kleinen  Uebeslied,  .  das  Brasseur    in    seiner  3faya 
Chrestonuithie  abdruckt,  die  Geliebte  apostrophirt: 

tech.  tulacal  in  tucul  du.  ganz  mein  (Tedanke. 
Auf  die  Frage  der  Hausfrau: 

niac  ech  wer  bist  du? 
antAvortet  der  Diener: 

ten,  colel  ich,   Herrin. 

Nur  ausiiahnisweise,  und  auch  nur  nach  vorangegangener  Demonstrativ- 
•Kelativ-Komposition,  lesen  wir  z.  B.  in  der  Chronik  des  Nakuk  Pech: 
ten  cen  in  Nakuk  Pech  ich,  der  ich  bin,  ich  Nakuk  Pech. 


74  Erster.  Absclinitt:    Sprachliches. 

Diese  mir  der  Demonstrativjnirtikel  koniponirten  Persoualpronuniina 
können  pleouasrisoli  ainiereii  prädikativen  Ausdrücken  vorgesetzt  werden, 
/.  B.: 

ten  batab  en  ich  bin  Hänptling. 
Solche  Ausdrücke    werden  gewöhnlich  so  interpretirt.    als   oh   ten   das 
Subjekt  wäre,    mit  der  liedeutung  „ich**,    und  batab  en   das  dazu  gehörige 
Prädikat,     und  man  wird   um  so  eher  zu  dieser  Auffassung  verleitet,    als 
mit  demselben  Kecht  auch  gesagt  werden  kann: 
ten  batab  ich  bin  der  Häuptling. 
In  Wahrheit    aber  ist   ten  kein   einfaches  Personalpronomen,    sondern 
an  sich  schon   ein   prädikativer  Ausdruck,    bedeutend  „ich   bin   der":    und 
es  heisst: 

ten  batab  en  „ich  bin  der,  ich  bin  Häuptling". 

ten  batab  .,ich   bin  der.    der   Häuptling'',    d.  i.   der  Häuptling,   das 
bin  ich. 
Und  dieselbe  Auffassung  gilt  auch   für  die  Formen,    welche  Beitran 
für  das  Präsens  der  aktiven  Verba  angibt: 

ten  cambezic  ich  lehre  ihn.  ten  tzick  ich  gehorche  ihm,  ten  canantic 
ich  hüte  es, 
die  aber  in  Wahrheit  bedeuten: 

..ich  bin  der.  welcher  ihn  lehrt",  „ich  bin  der.  welcher  ihm  gehorcht". 
„ich  bin  der.  welcher  es  hütet'', 
denn  «lie  Formen  auf  — ic  sind   echte  gerundivische  Formen,    die  die  Be- 
deutung eines  ganzen  Relativsatzes  oder  Umstandssatzes  haben. 

Auch   im  Quiche    und  Cakchiquel    werden  in  ähnlicher  Weise,    d.  -h. 
prädikativ    mit    dem   Personalpronomen  konstrnirt.    Demonstrativpartikelu 
gebraucht,  und  zwar  die  Partikel  ra,  vi  oder  ri,  z.  B.: 
.Tax  in  m  oder  wavi  in  tv'  fiirwahr  ich  bin  der, 
xa.r  at  vi  oder  d-avi  at  ri  fürwahr  du  bist  der. 
Dem  Maya- Ausdruck  ten  batab  en  entspricht  so  im  Cakchiquel: 
in  va  in  ahau  ich  bin  der,  ich  bin  der  König. 
Und  wie  im  zweiten  Theil   dieses  Satzes  i Doppelsatzes)   im  Maya  das 
Personalpronomen  wegbleiben  kann,  so  sagt  man  auch  im  Cakchiquel: 

.cax  in  vi  tool  ivichin  fürwahr  (wie  zuvor)  ich  bin  Freund  zu  Euch. 

Auf  solche  Weise    gewinnt  diese  Demonstrativpartikel  vollständig  die 

Bedeutung    eines  Yerbum  substantivum    und  wird   auch  als  solches 

(als  Yerbum)  geradezu  gebraucht,  z.  B.  im  Pokomam,  avo  wir  es  mit  den 

Tempuspräfixen  kombinirt  verwendet  finden: 

i-in   i:i  ich  war.  .r-oh   vi  wir  waren. 

Wohl  zu  unterscheiden  von  diesem  Gebrauch  der  Demonstrativpartikol 
ist  der  andere,   den  wir  in  denselben   das  Personalpronomen  präfigirenden. 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  75 

[das  Personalproiiomeu  einem  vor  dem  Verbum  stehenden,  die  Zeit  be- 
zeichnenden defektiven  Stamme  anhängenden]  Sprachen  finden,  imd  der 
weiter  nichts  ist  als  eine  Jsebeneinander.stellung-  des  Demonstrativuni  und 
des  Personalpronomens  in  der  Weise  einer  Apposition.  So  finden  wir  im 
Cakchiquel  von  Zacatepequez  die  Partikel  ri  verwendet: 

r-at  du,  r-oh  wir,  r-ir  ihr, 
im  (,iu'«?kchi  die  Partikel  la: 

la-in  ich,  la-at  du,  la-ö  wir,  la-e.r  ihr, 
im  Pokonchi  die  beiden   Partikeln  re  und  ha: 

reli-in  ich.  reh-at  du;  reh-oh  wir,  re-takt-h-ät  ihr.*) 

Ein  zweiter  auf  die  Konstruktion  prädikativer  Aus<lrücke  bezüglicher 
Punkt  ist  hier  noch  zu  erörtern,  nämlich  die  Konstruktion  in  Fragesätzen. 
—  Dieselbe  hat  in  denjenigen  Sprachen,  welche  das  Subjekt  hinter  das 
Prädikat  setzen,  also  die  Persoualprouomina  suffigiren,  keine  Schwierigkeit. 
Man  sagt  im  Maya: 

inac  ech  wer  bist  du? 

hal  u  kaba  was  ist  sein  ^'ame?  bal  u  nac  welches  sind  seine  Fehler? 

bahiuv  u  caah   wie  gross  ist  seine  Statur?    bi^o  a  caah   wie   ist  dein 
Befinden? 
Ebenso  im  Ixil: 

abil  a.v  wer  bist  du? 

cani  a  bi  was  ist  dein  Xame? 
Diejenigen  Sprachen  aber,  welche  das  Subjekt  vor  das  Prädikat 
s«'tzen  und  die  Personalpronomina  präfigiren.  gerathen  in  eine  gewisse 
Verlegenheit,  da  nach  einem  den  meisten  Sprachen  geuu'insamen  Gesetz 
das  Fragewort  den  Satz  beginnt.  Mau  findet  daher  im  Qu"iche  aller- 
dings z.  B. : 

at  achinak  wer  bist  du? 
wie  mau  sieht,  regelmässig   konstruirt.     Lieber   aber   verwendet  man  zwei 
Pronomina.     Mit  dem  einen  wird  im  Anfang  des  Satzes  die  Frage  gestellt 
und  das  zweite  dann  regelrecht  mit  dem  Personalpronomen  konstruirt.  z.  B.: 

apa  in  chinak  wer  bin  ich?    apa  at  chinak  wer  bist  du? 
Oder  aber,  es  findet  vollständige  Inversion  des  Subjektes  statt.     So  schon 
im  Qu'iclie,  wenn  eine  dritte  Person  Subjekt  ist: 

upachinak  ri  wer  ist  er? 
und  allgemein  im  Cakchiquel: 

nak  pe  ri  was  ist  das? 

?iak  elvi  at  wer  bist  du? 

nak  ri  kalem  ri  vinak  was  ist  die  Stelluno;  dieses  Mannes? 


1)  [Meiner  jetzigen  .\uffassung  nach   ist  dieser  Fall  ganz  der  gleiche  wie  im 
Maya  f-fti  -ich^  l-ec/i  ^d\x'~  u.  s.  f.] 


7g  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Beiläufig  bemerke  ich.  das.s,  wenn  das  Fragepronomen  Objekt  ist  oder 
in  Cienitivbeziehung  zu  einem  Nomen  oder  Verhältnisswort  steht,  in  den 
Sprachen  beider  Gruppen  die  Inversion  nothwendig  wird,  denn  der  Kegel 
nach  steht  das  Objekt  unmittelbar  hinter  seinem  A^erl>um.  der  Genitiv  un- 
mittelbar hinter  seinem  Nomen. 

Wenn  ich  in  dem  Vorstehenden  den  Gebrauch  des  Personalpronomens 
als  Subjekt  eines  prädikativen  Ausdrucks  auseinandergesetzt  habe,  so  habe 
ich  damit  auch  schon  die  einfache  Form  der  Konjugation  beschrieben. 
Denn  zwischen  Ausdrücken',  wie  „ich  bin  ein  König''  und  ,,ich  herrsche", 
..ich  bin  jetzt  ein  Läufer"  und  „ich  laufe  jetzt'-,  „ich  bin  ein  Thier- 
tanger'-  und  „ich  fange  Thiere"  —  besteht  kein  prinzipieller  Unterschied. 
—  Die  Maya-Sprachen  haben  aber  nun  die  Eigenthümlichkeit.  dass  nur 
ein  Theil  unserer  Verbalausdrücke  in  der  beschriebenen  Weise  2:ebildet 
wird.  Im  Allgemeinen  nämlich  werden  —  und  das  ist  das  Hauptgesetz 
dieser  Sprachen  — 

nur  die  absoluten,  eines  direkten  Objekts  entbehrenden 
Verbalausdrücke  durch  Prädikatskonstruktion  mit  dem  Per- 
sonalpronomen gebildet; 

die  transitiven  Verba  dagegen  sind  wurzelhafte  oder  ab- 
geleitete Nomina,  die  als  solche  mit  dem  Possessivpräfix  ver- 
bunden werden. 

So  heisst  es  im  Maya: 

hih-en  ich  fiel,  lub-ech  du  fielst  u.  s.  f. 

tzic-en  mir  wuirde  gehorcht,  tzic-ech  dir  Avurde  gehorcht  u.  s.  f. 
Dagegen : 

in  tzicah  ich  gehorchte  ihm.   d  tzicah  du  gehorchtest  ihm  u.  s.  f. 
in  caruhezah  ich  lehrte  ihn,  d  cambezah  du  lehrtest  ihn  u.  s.  f. 
Ebenso  im  Tzeltal: 

u  paz-on  ich  machte,  bildete,  schuf,   u  paz-at  du  machtest  u.  s.  f. 
Dagegen : 

u  h-paz  ich  machte  es.  a-paz  du  machtest  es  u.  s.  f. 
Und  im  Ixil: 

cat  cliany-in  ich  ass,  cat  chany-ax  du  asst  u.  s   f.. 
al>er: 

cat    ung-cayi-la    ich    verkaufte    es,    cat    a-c'ayi-la    du    verkauftest 

es  u.  s.  f. 

Das  ist  jedenfalls    auch  hier  der  Unterschied  dieser  Formen,    obwohl 

Stoll,  dem  wir  die  Aufzeichnung  derselben  verdanken,  eine  Unterscheidung 

zwischen  träiisftiveTn  und  intransitivem  Verbum  nicht  bemerkt  haben  will. 

Dieselbe    Differenz    finden    wir    in    den    das    Personalpronomen    prä- 

.figirenden  Sprachen.     Z.  B.  im  Qu'iche: 

x-in  ul  ich  kam,  .c-at  ul  du  kamst,  x-oh  ul  wir  kamen. 


2.    Das  Konjugationssysteni  der  Maya- Sprachen.  77 

Dagegen : 

j-i-v-oyobeh  ich  erwartete  ihn,  x-av-oyobeh  du  erwartetest  ihn, 
,i--k-oi/obeh  wir  erwarteten  ihn. 
Ein  Blick  auf  die  oben  gegebenen  Tabellen  zeigt,  dass  hier  im  ersten 
Falle    das    Personalpronomen,    im    zweiten    das    Possessivpräfix    zur   Ver- 
wendung kommt. 

Das  Gleiche    finden    wir  im   Cakchiquel  und  Tz'utuhil.     Und  ebenso 
im  Pokomam  und  Pokonchi,  z.B.: 

x-in  ykonhi  ich  wurde  geliebt,  x-o  l&konhi  wir  wurden  geliebt, 
ix  nu  lo'koh  ich  liebte  ihn,  i/;  ca  ykoh  wir  liebten  ihn. 
Tch  werde  im  Folgenden   erst  das  Verbum  absolutum  und   seine   ver- 
schiedenen Formen  besprechen    und    dann    das  Verbum    transitivum    und 
dessen  eigentliche  Bedeutung  erörtern. 


I.   Das  Verbum  absolutum. 

Die  oben  angeführten  Beispiele  zeigen,  dass  das  Verbum  absolutum 
unter  das  Schema  der  prädikativen  Aussage  fällt.  Die  einfachste  Form 
des  Verbum  absolutum  ist  also  die  prädikative  Aussage.  Wir  haben 
gesehen,  dass  dieselbe  zu  Stande  konmit  durch  einfache  Verbindung  des 
Nominalausdrucks  oder  der  adverbiellen  Bestimmung  mit  dem  Personal- 
pronomen nach  dem  für  die  betreffende  Sprache  geltenden  Gesetz,  d.  h. 
durcli  Suffigirung  oder  Präfigiruug  des  Personalpronomens.  Wie  hierbei 
Tempusdififerenzen  zum  Ausdruck  gelangen,  soll  später  im  Zusammenhang 
erörtert  werden.  Hier  ist  zunächst  noch  die  Frage  zu  beantworten,  wie 
in  dem  Falle,  wo  eine  dritte  Person  (ein  anderes  Nomen)  Subjekt  ist,  ein 
solcher  prädikativer  Ausdruck  von  der  attributiven  Verbindung  eines 
Adjektivs  mit  einem  Nomen  unterschieden  wird.  Die  Antwort  ist:  Es  wird 
dieser  Unterschied  dadurch  hergestellt,  dass  das  Prädikat  die  ursprüng- 
liche substantivische  Form  behält,  während  das  Attribut  adjek- 
tivische Form  bekommt. 

Es  gibt  in  der  Sprache  keine  ursprünglichen  Adjektiva.  utz  und  loh  im 
Maya  heissen  nicht  „gut"  und  ., schlecht",  sondern  „etwas  Gutes'',  ..etwas 
Schlechtes";  ek  und  zak  nicht  „schwarz"  und  „weiss",  sondern  ., etwas 
Schwarzes",  „etwas  Weisses".  —  Zur  Bildung  prädikativer  Ausdrücke 
können  solche  Wörter  direkt  verwendet  werden: 

utz  Pedro  Peter  ist  gut;  zak  na  das  Haus  ist  w^eiss. 

Sollen  dagegen  attributive  Ausdrücke  gebildet  werden,  so  tritt  eine 
iM'weiterung  mittels  des  Suffixes  -al  -el  -il  -ol  -ul  ein,  z.  B.: 

Maya:  utz-ul  uinic-ob  die  guten  Männer;  zak-il  na  das  weisse  Haus. 

Das  Gleiche  findet  im  (^u'iche  und  Cakchiquel  statt.  Nur  dass  das 
Schluss-/  des  Suffixes  abgefallen  ist  und  die  Suffixvokale  a  und  /  die  Ober- 
hand gewonnen  haben. 


78  Erster  Abschnitt:   Sprachliches. 

Man  sagt  also: 

m'm  a  k'ab  gross  ist  «lein   Ann. 
zak  he  qui  r'it  weiss  sin«)   ilirc  Kleider. 
aber: 

ninia  vinak  ein  grosser  Manu,  zaki  ha  ein  weisses  Haus. 
Dass  dieses  a  und  /  der  Guatemala-Sprachen  aus  einem  al,  il  liervor- 
gegang:en.    sieht    mau    an    anderen    sehr    häufigen   Adjektivbilduugen.    die 
ausser  diesem  dem  Maya-Suffix  entsprechenden  Suffix   noch  ein  Suffix  -ah 
enthalten,  z.  B  : 

niin  gross,  nimalah  mak  eine  grosse  Sünde. 
utz  gut.  xdzilah  ach  ein  guter  !Mann. 
cou  stark,  couüah  che  ein  starker  Baum. 
Und   so   werden    in   l>eiden  Sprachgruppen,    mit  Hülfe    dieser  Suffixe, 
auch  vou  anderen  unzweifelhaften  Substantiven  attributivisch  verwendbare 
Adjektiva  gebildet.     So  heisst  im  Maya: 

,van  die  zum  Dachdecken  verwandte  Palme,  .vanil  na  ein  mit  Palni- 
blättern  gedecktes  Haus. 
Und  im  Cakchiquel: 

k'iv  der  Dorn,  k'iialah  bei  ein  dorniger  Pfad. 
civan  die  Schlucht,  cicanüah  huyu  ein  schluchtenreicher  Berg. 
Die  beiden  Suffixe  -al  -el  -il  -ol  -ul   und  das  Suffix  -ah    werden   wir 
unten  noch  eingehender  zu  besprechen  haben.     Die  (Trundbedeutung  der- 
selben ist  offenbar  die  eines  Relativsatzes.     Und  weil  der  Relativsatz  die 
Grundbedeutung    des  attributivisch    gebrauchten  Adjektivs  ist.    finden  wir 
dasselbe  auch  mitunter  mit  Suffix  -ic  versehen.     Z.  B.  Quiche-Cakchiquel: 
hebel-ic  Lrok  eine  schöne  Frau';  bolobic  huyu  ein  runder  Berg. 
Ich    habe    oben  schon    erwähnt,    dass   die  Formen    mit  Suffix  -ic  die 
Bedeutung    eines    echten    genmdivischen  Nebensatzes    haben.  —  Soll  das 
Attribut  einer  Mehrheit  von  Gegenständen  gelten,  so  treten  statt  der  obigen 
die  Kollektivsuffixe  -ic  -tic  -ak  -tak,    die  wir  schon  oben  lieim  Possessiv- 
präfix besprochen  haben,  ein.     Z.  B.  Quiche: 

iitz-ic  va  gute  Speisen,  nimak  ha  grosse  Häuser. 
rihi-tak  vinak  alte  Leute. 

Die  prädikativen  Aussagen  können  mehr  oder  minder  umfassend  und 
mehr  oder  minder  bestimmt  sein.  Die  allgemeinste  und  farbloseste  Aus- 
sage würde  die  sein,  dass  Jemand  an  einem  Orte  oder  zu  einer  Zeit  oder 
überhaupt  nur  vorhanden  ist.  Je  allgemeiner  und  farbloser  aber  die  eigent- 
liche Aussage  ist.  um  so  bestimmter  treten  die  Nebeubestimmungen  der 
Aussage  in  den  Vordergrund,  und  so  sinkt  die  eigentliche  Aussage  schliess- 
lich zu  einem  blossen  A^ermittler  zwischen  dem  Subjekt  und  anderen 
Xebenbestimmungen  der  Aussage  herab.  ])as  ist  der  Prozess,  der  in  tleu 
indogermanischen   S]>rachen    dem  Verbum    „sein*"    seine   Rolle    geschaffen. 


■J.   Das  Konjugationssystem  der  Maja -Sprachen.  71) 

Vn*{  einen  ähnlichen  Piozess  können  wir  aneh  an  den  Maya-Spraclien 
verfolgen,  wenn  auch  die  Ausbildung  des  Verbum  substantivum  an  keiner 
Sn'lle  soweit  fortgeschritten  ist.  dass  es  den  nothwendigen  Yermittlei- 
z:w'ischen  dvm  vSubjekt  und  gewissen  anderen  Bestimmungen   bildete. 

Rs  ist  einerseits  die  Demonstrativpartikel  —  fe  des  Maya.  ha  des 
Tzeltal,  a  des  Marne,  ^a,  vi,  ri  des  Qu'iche  und  Cakohiquel  — .  welche  in 
dieticr  Weise  die  Bedeutung  eines  Verbum  substantivum  gewinnt.  So 
im  Maya  das  oben  angeführte: 

trn  hatub  oder  ten  batab-en  ich  bin  der  Häuptling. 
V.  (rabriel    konjugirt    in    dieser  Weise    vollkommen    durch.     Es   ist 
indess  doch  das  te  nicht  direkt  den  anderen  Verben  vergleichbar,  insofern 
es  /war  die  l*ersonaleii düngen,  aber  in  der  Regel  keine  Tempuscharaktere 
annimmt.      Die  letzteren   tieteii  an  das  Nomen  an: 

ten  batab  hi  en  ich  war  ein  Häuptling, 

ten  batabac  en  ich  werde  ein  Häuptling  sein. 
Nur  im  Imperativ    und  Öubjunktiv    finden   wir   das  betreffende  Suffix 
dem  te  unmittelbar  angehängt: 

teac,  teaci  oder  teci  er  soll  sein. 

teac  eck,  teaci  eck  oder  teci  eck  du  sollst  sein. 

teac  ob  sie  sollen  sein. 
Aehnlich  scheint    die  Saclie   im  Mam   zu  liegen,    denn  wenn  hier  das 
Paradigma.  z.B.  für  das  „Preterito  Perfecto"  folgendermaassen  gegeben  ist: 

ain-hi 
a-hi-ia 
a-hi-hu 
ao-hi-io 
ae-hi-ie 
ae-hi-hu 
80  meine  ich.  dass  das  ki  hier  ebenso  einem  Prädikatsnomen  angefügt  zu 
denken  ist,  wie  in  dem  Maya-Paradigma: 

ten  (batab)  Id  en 

tech  1t  i  ecli 

lay  id  lo      u.  s.  w. 

'     Leider  hin  ich  aus  Mangel  au  Material  verhindert,    diese  und  manche 
andere  interessante  Fragen,  welche  das  Mam  darbietet,   zu  lösen. 

Im  Qu'iche  und  Cakchiquel  sind,  wie  schon  oben  erwähnt,  als  homologe 
Konstruktionen  anzusehen  solche  wie: 

,Ka,r  in  vi  tooL  ivicldn  fürwahr  ich  bin  Freund  zu  eucii. 
Ich   habe  ebemlaselbst  schon  erwälnit.  dass  die  Skizze  der  Pokomam- 
firammatik,  welche  Thomas  Gage  seinem  Reisewerke  angefügt,  die  Par- 
tikel   vi,   mit   Personalpronomen   und   Tempuspräfixen    beklei(h't,    geradezu 
als  Paradigma  für  das  Zeitwort  ^sein"  angibt. 


HO  Erster  Abschuitt:    Sprachliches. 

Im  Anschluss  an  «lieseu  (lebraiicli  der  Demonstrativpartikeln  ^Yäl■en 
iiocli  die  Fälle  zu  betrachten,  wo  wir  dieselben  Deiuonstrativkonsonanteu 
t  und  h  nicht  unmittelbar  uud  für  sich  mit  dem  Personalpronomen  ver- 
bundeu,  sondern  wie  eine  Endung;  dem  Prädikatsnomen  angefügt  linden. 
So  sagt  man  im  Ixil  allgemein: 

niin-t-in  ich  bin  gross,  nim-t-a.c  du  bist  gross,  nim-t-o  wir  sind  gros>>, 
und  im  Tzeltal,  wenigstens  in  der  zweiten  Person  Singularis: 
nim-h-at  du  bist  gross  (statt  nim-at). 
Lm  Maya    geschieht  dieselbe  Einfügung,    wo  die    prädikative  Aussage 
substantivirt  wird,  d.  h.  von  dem  Yerbum  „sein"  mit  dem  Prädikatsnouiea 
der  Infinitiv  gebildet  wird,  z.  B.: 

uinic  en  ich  bin  ein  Mann,  uinic  eck  du  bist  ein  Manu. 
uinic-h-al  oder  umic-t-al  „Mann  sein"  „zum  Mann  werden". 
Das  h  gehört  vornehmlich  der  alten  Sprache  au;    die  ueuere  Sprache 
hat  fast  überall  i  dafür  gesetzt.  —  Uud  dieselbe  Einfügung   erkennen  wir 
im    Präteritum,    sowie,    bei    vokalischem    Auslaut    des    Thema    bildenden 
Xomens,  auch  im  Futur: 

uinic-h-i  er  war  ein  Mauu.  er  wurde  ein  Mann,  bin  uinic-ac  er  wir«! 

ein  Mann  sein. 
bakte-h-ob    sie  kamen  zusammen,    bin  bakte-h-ac-ob   sie  werden  zu- 
sammen kommen. 
Es  fragt  sich,  wie  diese  Einfüguno-en  aufzufassen  sind.  Der  Ixil-Gebrauch 
legt  es  uahe,  dieselben  ebenfalls  als  Demonstrativa  aufzufassen  uud  zu  über- 
setzen : 

niiii-t-in  gross  das  bin  ich. 
Doch  ist  es  mir  wahrscheinlicher,  .dass  hier  wirkliche  Ableitungen 
von  den  zu  Grunde  liegenden  Nominibus  oder  adverbiellen  Ausdrücken 
stiittfinden,  —  Ableitungen,  die  ja  vielleicht,  oder  sogar  wahrscheinlicl», 
elementaren  Zusammenhang  mit  den  oben  erwähnten  Demonstrativen  haben, 
die  aber  doch  mit  ihrem  Thema  zu  besondern  Einheiten  verschmolzen 
sind.  Das  letztere  zeigt  sich  vornehmlich  darin,  dass  diese  Kompositionen 
eine  besondere,  von  der  des  einfachen  Verbum  substantivum  abweichende 
Siunbegrenzung  erhalten,  nämlich  die  von  Inchoativen,  und  da  diese 
Yerba  überdies,  nach  der  bei  den  andern  Yerbis  absolutis  üblichen  Weise, 
ihr  Präsens  zu  bilden  im  Stande  sind,  so  kann  man  dem  Sinne  nach  unter- 
scheiden : 

uinic  en  ich  bin  ein  Mann,  uinic  eck  <lu  bist  ein  Manu  u.  s.  f. 
uinic-h-al  in  cah  ich   werde   ein  Manu,    uinic-h-al  d  cah  du  wirst 
ein  Mann  u.  s.  f. 
Durch  besondere  Infixe  wird  dabei    die  Art    des  Seins  oder  AVerdens 
näher  bestimmt.      Solche  Infixe  sind  p,  k',  ch,  o,   die  im  Allgemeinen  be- 
deuten,   dass  etwas  zu  einer  bestimmten  Zeit,   zuiällig  oder  plötzlich  oder- 
nur  eine  Zeitlang    ist  oder  geschieht,    und   das   Infix  la,    laa,    welches  be- 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya  •  Sprachen.  81 

deutet,    dass   etwas  allg'emeiii  ist  oder  geschieht,    dass    alle   es  sind.     So 
haben  wir: 

uinic-h-ai  oder  uinic-t-ai  ein  Mann  sein,   sich   als   Mann  bewähren. 

uinic-chah-al  jetzt  gerade   ein  Mann   sein,    mannbnr  werden,    eine 
Stellung  erlangen. 

honi  l.,och,  Höhlung. 

hom-pah-i,  hom-kah-i,  kom-chah-i  es  war  plötzlich  ein  Ijoch  da,  es 
stürzte  ein. 

ek.,  eek  schwarz,  ek  hal,  ek-t-al,  eek-h-al,  eek-t-al  sch^varz  sein,  schwarz 
werden. 

eek-chah-al  schwarz  werden. 

eek-laah-al  dass  alle  schwarz  werden. 
Wir  werden  dieselben  Silben  pah,  k'ah,  chah,  oah,  laah,  mit  derselben 
Bedeutung  auch  bei  den  anderen  Yerbis  absolutis  verwendet  finden. 

Hier  sind  noch  einige  Verben  zu  erwähnen,  welche  dadurch  ausge- 
zeichnet sind,  dass  auch  in  der  alten  Sprache  dem  Stamm  bei  ihnen  ein  / 
angefügt  ist,  während  im  Präteritum  und  Futur  anscheinend  unregelmässig 
ein  /  auftritt,  z.  B.: 

cux-t-al  leben,  cux-lah-i  er  lebte,  cux-l-ac  er  wird  leben, 

cah-t-al  wohnen,  cah-lah-i  er  wohnte,  cah-l-ac  er  wird  wohnen. 
I^]s  liegen  hier  alte  Nomina  vor.  cux,  das  als  solches  im  heutigen 
Maya  nicht  mehr  existirt,  eigentlich  c'ux  zu  schreiben,  entspricht  dem 
Qu'iche-Cakchiquel  c'ux  und  heisst  „Herz",  cah  ist  „das  Gesetzte,  Ge- 
gründete, die  Ansiedlung,  das  Dorf".  Von  diesen  Nominibus  sind  nun 
mittels  der  Silbe  t,  die  wir  bei  der  Ableitung  passiver  Nominalstämme 
wieder  antreffen  werden,  und  mit  dem  Suffix  al  el  il  ol  ul,  das  wir  bei 
den  Partizipialnominibus  zu  besprechen  haben  werden,  andere  Nomina  ge- 
l)ildet,  mit  der  Bedeutung  „mit  dem  und  dem  begabt,  versehen",  „das 
und  das  besitzend";  und  diese  sind  nach  dem  Schema  der  prädikativen 
Aussage  mit  dem  Personalpronomen  und  den  Tempussuffixen  zu  Verben 
verbunden.  —  Die  beiden  oben  angeführten  Verba  sind  prägnante  Bei- 
spiele. Aber  in  ähnlicher  Weise  lassen  sich  die  Zusammenhänge  auch 
für  die  andern  Verba  dieser  Klasse  nachweisen. 

Die  Inclioativa  bilden  auch  in  den  Sprachen,  welche  das  Personal- 
pronomen präfigiren,  eine  bekannte  Verbalklasse,  und  os  ist  gewiss  auf- 
fällig, dass  auch  hier  die  Ableitungssilbe  derselben  denselben  Konsonanten 
enthält,  welcher  in  diesen  Sprachen  das  Demonstrativum  stellt,  r  und  ri 
sind  im  Qu'iche  und  Cakchiquel  die  hauptsächlich  gebrauchten  Demonstrativa, 
und  ar  er  ir  ur  sind  die  Ableitungssilben,  mit  welchen  von  Nominil)us 
Inclioativa  abgeleitet  werden,     er  und  ir  überwiegen.     So  haben  wir: 

ahau  Herr,  ahaiiar  Herr  werden,  herrschen;  —   uleu  Erde,  ulenar 
zu  Erde  werden. 

Seier,  Gesammeltt'  Abhandlungen  I.  (i 


^.}  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

mein  stumm,   meiner  stumm  werden;   —  bak  Knochen,    baker.   bakir 

zu  Knochen  werden,  mager  werden. 
abah  Stein,  abahir  zu  Stein  werden:  —  atsaiu  Salz,  afzamir  salzig 

werden;  —  zak  weiss,  zakir  weiss  werden. 
a'kal  Kolile.  akalw  zu  Kohle  werden. 

Bis  hierher  habe  ich  Bildungen  und  Formen  besprochen,  denen  un- 
zweifelhafte Nomina  oder  als  Xomina  fungirende  Ausdrücke  zu  Grunde 
liegen,  und  die  nach  dem  Schema  der  prädikativen  Aussage  mit  dem 
Personalpronomen  verbunden  werden.  Ehe  ich  nun  diese  verlasse  und 
zu  den  eigentlichen  absoluten  Yerben  übergehe,  will  ich  die  andern  in 
den  Grammatiken  für  unser  Zeitwort  „sein"  angegebenen  Ausdrücke  be- 
sprechen. Ich  bemerke  im  Voraus,  dass  keiner  derselben  im  eigentlichen 
Sinne  unserm  Worte  „sein"  entspricht;  sondern  die  einen  fallen  unter  den 
Nominalbegriff  „gegeben,  gesetzt,  vorhanden",  die  andern  haben  die  be- 
sondere Bedeutung  „an  einem  bestimmten  Orte  sich  befinden"  oder  „zu 
einer  bestimmten  Zeit  sein",  „geschehen".  — 

Zu  den  ersteren  gehört  das  Maya  an  oder  yan.  Die  nominale  Natur 
dieses  Worts  geht  unzweifelhaft  aus  dem  Gebrauch  und  der  Konstruktion 
hervor: 

yan  cutz  es  ist  ein  Truthahn  da.    yan  cutz  ob    es   sind  Truthühner 

da,  yan  en  ich  bin  vorhanden. 
yan-h-i  tkul  es  war  ein  Kaninchen  da,  mau  hatte  Kaninchen, 
hin  yanac  kahlay  oh  teex  (oder  ti  tee.v)   ihr  werdet  Aufzeichnungen 
haben, 
und  so  wird  auch  der  Infinitiv  mit  dem  Konsonanten  h  oder  i  gebildet: 
yanhal^  yantal^  antal,  ental. 
Aehulich  ist  ohne  Zweifel  das  entsprechende  Lxil-Wort  ai  aufzufassen- 
at  ung-pua  mein  Geld  ist  da  - -  ich  habe  Geld. 
at-in  tu  cu-otzotz  ich  bin  in  meinem  Hause. 
Anders    die    im  Quiche-Cakchiquel    gebrauchten  Ausdrücke   c'o  oder 
c'oh  und  ux. 

Ersteres.  welches  wohl  dem  später  zu  erwähnenden  Maya- Wort  caah, 
cah  verwandt  ist,  aber  anders  konstruirt  wird,  bedeutet  „an  einem  be- 
stimmten Orte  sein''  und  wird  tlieils  unpersönlich,  theils  persönlich  ge- 
braucht.    So  im  Qu'iche: 

CO  vinak  pa  ha  es  sind  Leute  im  Hause, 
in  to  r-iCc  nu  mam  ich  bin  bei  meinem  Grossvater, 
und  im  Cakchiquel  von  S.  Juan  Zacatepequez: 

re  hä  jc-coh-e  cht  k-achö  er  war  in  unserm  Hause. 
Aehulich  sagt  man  im  Maya,  aber  mit  anderer  (nominaler)  Konstruktion 
des  Wortes  cah: 

in  caah  oder  in  caacah  yeteloh  ich  bin  bei  ihnen. 


2.   Das  Eonjügationssystem  der  Maya  -  Sprachen.  83 

Das  Verbum  ux  entspricht  vielleicht  dem  Maya  uch-ul  „geschehen, 
sich  ereignen".  In  seinem  Gebrauch  kommt  es  vielfach  der  Verwendung 
unseres  Zeitwortes  „sein"  nahe.  So  gibt  Brasseur's  Qu'iche-Grammatik 
die  Beispiele: 

in  ua-  etamayovi  ich  bin  der  Weise», 

in  ta  r-ahaual  Mexico  ux-inak  dass  ich  Kaiser  von  Mexico  gewesen 
wäre. 
Und  im  Popol  Vuh,  wo  es  überaus  häufig  vorkommt,  lesen  wir  U.A.: 
nim  i  d'ohe-ic  ch-ux-ic  gross  wird  eure  Stellung  sein, 
are  curi  Hurakan-Tucur,  xa  hun-r-akan  c'o  ux-ic 
das  ist  der  Hurakan-Tucur,  nur  ein  Bein  das  ist  sein  Wesen, 
Und  im  Cakchiquel  haben  wir: 
nak  cot  ux  wer  bist  du? 
in  utz  xqu-in  ux  ich  gut  werde  sein, 
utz  xt-ux  Pedro  Peter  wird  gut  sein, 
ix  lo'k  xqu-vv-ux  chire  Dias  ihr  werdet  I)ei  Grott  geliebt  sein. 

Ich  komme  nun  zu  den  eigentlichen  absoluten  Yerben.  Dieselben 
sind  theils  ursprüngliche,  wurzelhafte  Monosyllaba,  in  denen  alle  fünf 
Hauptvokale  vertreten  sind,  und  die  ihrer  Bedeutung  nach  sich  auf  körper- 
liche Thätigkeiten,  örtliche  Lage,  zeitliche  Veränderungen,  überhaupt  alle 
möglichen  inneren  und  äusseren  Zustände  und  Veränderungen  eines  Gegen- 
standes beziehen. 

Ich  nenne  im  Maya: 

hau  essen  (=  Ixil:  chan)  nac  sich  erheben, 

uen  schlafen  em  heruntersteigen, 

dm  sterben  (=  Qu'iche:  cani) 
ok  weinen  oc  eintreten, 

lub  fallen 
und  zahlreiche  andere,  hier  und  in  den  andern  Sprachen. 

Denen  gegenüber  stehen  die  abgeleiteten  Verba  absoluta.  — 
Von  sämtlichen  Stämmen,  die,  mit  Possessivpräfixen  versehen,  zur  Wieder- 
gabe unserer  transitiven  Verben  dienen,  können  mittels  des  Suffixes  -n, 
bezugsweise  -an  -en  -in  -on  -un  absolute  Verba  abgeleitet  werden,  deren 
Bedeutung  ist  „in  der  betreffenden  Thätigkeit  begriffen  sein"  „die  be- 
treffende Thätigkeit  ausüben". 
So  heisst  im  Maya: 

oib  „das  Geschriebene",  die  Schrift;  in  oib-ah  ich  schrieb  es, 
oib-n-en  oder  oib-n-ah-en    ich  schrieb  d.  h.  ich  übte  die  Thätigkeit 
des  Schreibens. 
Ebenso  im  Quiche  und  Cakchiquel: 

tz'ib  die  Schrift,  tz'ibah  etwas  schreiben,  tzHban  schreiben  (allgemein). 

6* 


5^4  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Im  Ixil  ist  ilieses  Ahsolutuin  der  regelmässige  Uebergang.  um  Aus- 
drücke für  Leute  zu  bilden,  die  etwas  gewerbsmässig  betreiben,  z  B.: 

tz'a(h)  etwas  färben,  tzaonal  der  Färber;    —   loch  helfen,   lo'chonal 

die  Hebamme. 
acu-al  das  Gesäte,  die  Saat,  avu-an-id  der  Säemann. 
Im  Qu'icdie    haben  wir  ausserdem   eine  Ableitung  mittels  des  Suffixes 
-ou  (bei  dem  AVurzelinlaut  «,  e,  i,  o)  oder  -u  (bei  Wurzelinlaut  u).  und  es 
werden  von  diesen  Absoluten  die  Ansdriicke  für  den  berufsmässiiren  Aus- 
über einer  Thätigkeit  hergeleitet. 

ban    ..gemacht  werden"    und    ..etwas  machen",  banou  machen  (all- 
gemein), banol  der  Schöpfer. 
muh  „begraben  werden"  und  „Jemand  begraben",    muku  begraben 
(aligemein),  muhul  der  Totengräber. 
Es  liegt  indes  nahe  anzunehmen,   dass  sowohl  diese  Verba,  wie  diese 
Substantiva.  aus  den  vorigen  mittels  -ti  abgeleiteten  durch  Synalephe  ent- 
standen sind. 

Statt    eines    einfachen  passiven    oder  transitiv    verwendeten  Stammes 
kann  ein  ganzer  passiver  Ausdruck  Grundlage  dieser  Verbalbildung  werden. 
So  entstehen  im  Maja  Yerba,  die  das  Objekt  inkorporiren.  z.  B.: 
chuc  cl'io  es  werden  Ratten  gefangen,  man  fängt  Ratten, 
chuc  cl'io  n-en  oder  chuc  cho  n-ah-en  ich  fieng  Ratten. 
clid  hau  es  wird  Wasser  geholt,  man  holt  Wasser. 
cl'ia  ha  n  en  oder  cha  ha  n-ah-en  ich  holte  Wasser. 
Schliesslich    werden    aus    einfachen   Substantiven,    denen    der  Begriff 
einer  passiven  Verbal  thätigkeit  ursprünglich  fremd   ist.    mittels    desselben 
Suffixes  Absoluta  gebildet,  deren  Bedeutung  zu  sein  scheint  ..sich  mit  dem 
betreffenden  Gegenstande  beschäftigen''.     So  haben  wir  (im  Maya): 

al  das  Schwere,    die  Bürde,    das  Kind  der  Frau.   —    al-anc-ol  ge- 
bären, al-nah-i  sie  gebar,   bin  al-n-ac  sie  wird  gebären, 
eel  das  Ei  —  eel-anc-al  Eier  legen,  eel-n-ah-i  (der  Vogel)  legte  Eier, 
cicil  das  Zitternde,    der  Puls,    cicilnac  zitternd,   cicil-anc-al  zittern. 

cicil-?i-en,  cicil-n-ah-en  oder  cicil-anc-ah-e?i  ich  zitterte. 
thon  die  Kniebeugung,  thonocnoc  niedergedrückt,  traurig,  thonancal 
sich  demüthigen,  niedergedrückt,  traurig  sein. 

.\ls  letzte  Klasse  bleiben  die  Passiva.  Die  Bildung  derselben  will 
ich  im  Auschluss  an  den  folgenden  Abschnitt  besprechen.  Hier  bemerke 
ich  nur.  dass  die  Konjugation  derselben,  d.  h.  die  Bildung  von  Personen 
und  von  Temporibus,  dieselbe  ist  wie  die  der  Verba  absoluta,  und  dass 
die  Grundzüge  beider  Konjugationen  vollkommen  in  das  Schema  der  prä- 
dikativen Aussage  fallen,  dass  genau  so.  wie  bei  der  prädikativen  Aussage 
das  Personalpronomen  mit  dem  Prädikatsnomen  verbunden  wird,  genau 
so  der  al)S(dute  aktive   oder  <ler  passive  Ver])alstamm    mit  dem  Personal- 


2.    Das  Koiijugationssystoui  der  Maya- Sprachen.  g5 

pronomen  zur  Bildimg  der  Personen  des  Yerbums  sich  verbindet.  Da  wir 
es  bei  der  prädikativen  Aussage  bestimmt,  beim  Yerbum  passivum  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  mit  nominalen  Thematen  zu  thun  haben,  so 
liegt  die  Yermuthung  nahe,  dass  auch  die  absoluten  Verbalthemata  ihrem 
Wesen  nach  nominal  aufzufassen  sind.  —  Es  scheint  mir  indes,  dass  bei 
diesem  Zurückgehen  auf  die  Grundelemente  der  Sprache  die  Unter- 
scheidung von  Klassen,  die  für  weiter  entwickelte  Bildungen  von  grosser 
Bedeutung  sind,  nicht  mehr  recht  anwendbar  ist.  Und  ich  begnüge  mich 
auf  die  Gleichartigkeit  im  Verhalten  desjenigen,  was  man  im  eigentlichsten 
Sinne  als  Verbum  bezeichnen  darf,  mit  dem  prädikativ  konstruirten  Komen 
hinzuweisen. 

Zum  Schluss  bemerke  ich  noch,  dass  dieselben  Silben  pah,  k'ah,  chah, 
oah,  laah,  die  bei  der  prädikativen  Aussage  erwähnt  wurden  als  den  Sinn 
in  bestimmter  Weise  modifizirende  Infixe,  in  derselben  Weise  auch  für 
die  eigentlichen  Verba  absoluta  und  die  Yerba  passiva  verwendet  werden. 
So  heisst: 

cim-il  sterben,  cim-laah-al  dass  Alle  sterben, 

oib  das  Geschriebene,  die  Schrift,  es  wurde  geschrieben,  oib-laah-i 
es  wurde  allgemein  oder  von  Allen  geschrieben. 
Diese  Silbe  Iah  ändert  auch  ihren  Platz  und  wird  dann  geradezu  mit 
„Alle"'  oder  „insgesammt"  übersetzt,  z.  B.: 

ul-lah-ob  oder  Iah  ul-ob  sie  kamen  Alle. 

II.  Das  Verbum  transitivuin. 

Ich  habe  schon  oben  gesagt,  dass  den  transitiven  Yerbalausdrücken 
nominale  Themata  zu  Grunde  liegen,  denen  die  Possessiva  präfigirt  werden. 
Es  ist  nun  festzustellen,  welcher  Natur  diese  Nominalthemata  sind.  Suchen 
wir  behufs  dessen  nach  anderen  Fällen,  in  welchen  dieselben  Themata 
Verwendung  finden,  so  sehen  wir,  dass  eine  grosse  Zahl  dieser  Themata, 
welche,  mit  den  Possessivpräfixen  versehen,  transitive  Yerbal- 
ausdrücke  ergeben,  durch  einfache  Verbindung  mit  den  Personal- 
pronominibus,  nach  den  Regeln  der  prädikativen  Aussage  vor- 
genommen, zu  passiven  Verbalausdrücken  werden. 
So  haben  wir  im  Quiche: 

ca  nn  bah  ich  durchbohre  etwas,   qu-in  buk  icii  werde  durchbohrt, 
im  Cakchiquel: 

ti  ka  ya    wir  geben  (setzen)   etwas,    .K-oh  ya   wir  werden   gegeben 
(gesetzt), 
im  Maya: 

in  tzic-ah  ich  gehorche  Jemandem,  hin  in  tzic-ic  ich  werde  Jemand 

gehorchen, 
tzic-en  mir  wurde  o-ehorcht. 


86  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Allerdings  macht  sich  das  Yerhältuiss  mit  volhn-  Deutlichkeit  imr  bei 
den  wurzelhaften  Thematen  geltend,  und  auch  bei  diesen  ist  das  Bestreben 
nicht  zu  verkennen,  neben  dieselben  andere  erweiterte  zu  setzen,  die  dann 
mit  Vorliebe  gebraucht  werden  und  ausschliesslich  für  die  Bildung  der 
transitiven  Verbalausdrücke  dienen.  So  haben  wir  im  Qu'iche  mit  der- 
selben oder  nur  leicht  modifizirten,  transitiven,  aktiven  Bedeutung  ver- 
wendet die  Themata: 

bak^  bakeh,  bakih,  bakuh  durchbohren, 

rab,  rabeh,  rabih,  rabuh  auf  Fäden  reihen, 
während  zu  passiven  Ausdrücken  neben  den  Wurzeln  noch  Erweiterungen 
mit  -f-ah  Verwendung  finden.     So  sagt  man : 

ban  und  banatah  gemacht  werden, 

muk  und  mukutah  begraben  werden, 
oder  Erweiterungen  mittelst  eines  dem  ebengenannten  Suffixe   -ah  -eh  -ih 
-oh  -uh  parallelen  Passivsuffixes  -ax  -ex  -ix  -ox  -ux;  z.  B.: 

Jd'k  kaufen,  gekauft  werden,    l&koh  lieben,    lo'kox  geliebt  werden. 
Im   Maya    wird   das  Yerhältniss    dadurch    verdunkelt,    dass    einsilbige 
vokalisch  auslautende  Wurzeln   bei  der  Bildung  passiver  Ausdrücke  ein  b 
einschieben.     So  heisst: 

in  oa  oder   in  oa-ali   ich  gab,    oab-en  ich  wurde  gegeben  (gesetzt), 
und  ebenso  fügen  mehrsilbige  Wurzeln  im  Passiv  ein  -ab  ein: 

in  cambezah  ich  unterrichtete  '\\\ii^cambez-ab-en  ich  wurde  unterrichtet. 
Immerhin  kann  man  sieh  der  Anschauung  nicht  verschliessen.  dass 
den  transitiven  und  den  passiven  Verbalausdrücken  dieselben  Nominal- 
themata passiver  Bedeutung  zu  Grunde  liegen,  die  zur  Bildung  der  passiven 
Ausdrücke  nach  den  Regeln  der  prädikativen  Aussage  mit  dem  Personal- 
pronomen verbunden  werden,  zur  Bildung  der  transitiven  Ausdrücke  mit 
dem  Possessivpräfixe  versehen  werden.     Die  Mayaphrasen 

a  cimzah  in  yum,  a  oibah\uuh 
heissen    also    eigentlich:    „dein    Getödteter    ist    mein    Vater'',    „dein    Ge- 
schriebenes    ist  das  Buch".  —  Ausdrücke,    die  allerdings   dem  Sinn   nach 
vollkommen    dasselbe    bedeuten    wie    unser    „du    hast    meinen    Vater    ge- 
tödtet",  „du  hast  das  Buch  geschrieben". 

Dasselbe  ergibt  die  Betrachtung  der  Objektkonjugation,  d.h.  der- 
jenigen Ausdrücke,  welche  ein  Personalpronomen  als  Objekt  enthalten. 
Dieselben  werden  in  den  verschiedenen  Sprachen  verschieden  gegeben,  je 
nach  den  Regeln,  die  in  der  betreffenden  Sprache  bezüglich  der  prädika- 
tiven Aussage  gelten.  Immer  aber  lassen  sie  sich  mit  Leichtigkeit  nach 
diesen  Regeln  der  prädikativen  Aussage  ableiten,  wofern  man  nur  festhält, 
dass  diese  sogenannten  transitiven  Verbalthemata  nichts  Anderes  sind  als 
Nomina  passiver  Bedeutung. 


2.    üas  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  87 

hl  denjenigen  Sprachen,  welche  das  Personalpronomen  suffigiren  und 
das  Subjekt  nachstellen,  würde  nach  diesem  Gesetz  erwartet  werden  müssen, 
dass  das  Personalpronomen,  welches  das  Objekt  eines  transitiven  Yerbal- 
ausdrucks  bildet,  als  Personalpronomen  dem  Verbalthema  suffigirt  wird. 
So  haben  wir  in  der  That  im  Maya: 

in  cimez   eck    (eig.  „mein  Getödteter    bist   du")  =  ich    habe    dich 

getödtet, 
ijacunah  in  cah  ech  (eig.  .,mein  gegenwärtig  oder  dauernd  (geliebter 
bist  dir')  =  ich  liebe  dich. 
Ebenso  im  Imperativ.     Nur  dass  hier,  weil  die  Aufforderung  naturgemäss 
und   selbstverständlich    an    den  Angeredeten    gerichtet  ist.    das  Possessiv- 
präfix der  zweiten  Person  weggelassen  wird,  also: 

tzicien  oder  tzicen   [derjenige,  dem   (von  dir)  gehorcht  werden  soll, 

bin  ich]  =' gehorche  mir, 
tzicion   oder   tzicön    [diejenigen,    die   (von   dir)   mit   Gehorsam   em- 
pfangen werden  sollen,  sind  wir]  =  gehorche  uns, 
in  der  dritten  Person  steht  natürlich  das  Possessivpräfix: 

u  cavibez  en  [derjenige,   der  von  ihm  unterrichtet  werden  soll,  das 
bin  ich]  =  er  soll  mich  unterrichten. 
In  der  Sprache  der  Ixil-lndianer   haben  wir  dasselbe  Gesetz,    wie  im 
Imperativ  deutlich  erkennbar  ist: 

atzm-i  [es  werde  gesalzen  (von  dir)]  ==  salze  es, 
paa:-i  |es  werde  zerbrochen  (von  dir)]  =  zerbrich  es. 
Nur  verlangen  in  diesen  Sprachen  häufig  BegrifPe  ein  direktes  Objekt, 
die  wir  mit  einem  indirekten  Objekt  verbinden,  z.  B.: 

ack-in  [mir  werde  erzählt  (von  dir)]  =  erzähle  mir,  unterrichte  n^^ch, 
boch-in  [ich  werde  (von  dir)   mit  etwas  Eingewickeltem  versehen] 

=  wickele  es  mir  ein, 
elza-in  [mir  werde  weggenommen   (von  dir)]  =  nimm  es  mir  weg. 
Das    Ixil    hat    aber    die   Eigenthümlichkeit,    dass,    Avährend    transitive 
Verbalausdrücke  mit  einer  dritten  "Person  als  Objekt  genau  der  Regel  ent- 
sprechend und  in  der  Weise  des  Maya  gebildet  werden  können,  z.  B.: 
nie  ung-za  chaon  ich  will  essen, 
ou  oczah  vu  oczam  ich  zog  mein  Kleid  an, 
transitive   Verbalausdrücke    mit    einem    persönlichen    Subjekt    und    einem 
Personal])ronomen  als  Objekt  anscheinend  nicht  gebildet  werden,    sondern 
dafür    unpersönliche    oder    genauer    gesagt,    possessivpräfixlose   Ausdrücke 
fintreten,  die  das  Subjekt  des  transitiven  Verbalausdruckes  durch  demon- 
strative Voranstellung  des  Personalpronomens  suppliren,  also: 
in  cat  Hon  ax  ich  sah  dich, 
maax  cat  Hon  in  du  sahst  mich, 
uv)ue  cat  Hon  ex  er  sah  euch. 


88  Erster  Abschnitt:   Sprachliches. 

Solche  Ausdrücke  sehen  ganz  so  aus.  als  wäre,  iu  der  Weise  unserer 
Sprache,  erst  das  Subjekt,  dann  eine  transitive  aktive  Verbalfonn.  dann 
das  Objekt  gesetzt.  Und  Stoll  erklärt  diese  Ausdrücke  auch  so.  In 
Wahrheit  aber  fallen  auch  diese  Ausdrücke  ganz  in  den  Rahmen  unseres 
Gesetzes.  Wäre  nämlich  ihm  ein  aktiver  Verbalausdruck,  wie  Stoll  an- 
nimmt, so  könnte  es  nur  das  Yerbum  absolutum  sein.  Denn  die  Wurzel, 
welche  transitive  Verbalausdrücke  liefert,  heisst  //,  das  zeigt  der  Ver- 
gleich mit  den  verwandten  Sprachen  zur  Evidenz;  und  -n  ist  ein  Suffix, 
welches  aus  solchen  Wurzeln  absolute  objektlose  Verben  macht.  —  ein 
Fall,  der  hier  natürlich  ausgeschlossen  ist.  In  Wahrheit  ist  i/on  ein  Parti- 
cipium  Perfecti.  von  einem  passiven  Xomen  gebildet,  vgl.  z.  B.  l'akchiquel: 

han-on  getlian.  ü-on  gesehen,  tzet-on  gesehen. 
Und  die  oben  angefühi'ten  Ausdrücke  bedeuten : 

ich  (oder  ^was  mich  betrifft''),  der  Gesehene  warst  du  ==  ich  sah  dich. 

du  (oder  „was  dich  betrifft"),  der  Gesehene  war  ich  =  du  sahst  mich. 

er  (oder  „was  ihn  betrifft"),  die  Gesehenen  wart  ihr  =  er  sah  euch. 

Gehen  wir  nun  zu  den  Sprachen  über,  welche  iu  der  prädikativen 
Aussage  das  Personalpronomen  präfigiren.  so  müssteu  wir.  unserm  Gesetz 
gemäss,  hier  das  Personalpronomen,  welches  das  Objekt  eines  transitiven 
Verbalausdruckes  bildet,  ebenfalls  als  Personalpronomen  dem  mit  Possessiv- 
präfix versehenen  Verbalausdruck  präfigirt  vorfinden.  So  ist  es  in  der 
That.  und  es  ist  nur  zu  notiren.  dass  wo  die  transitiven  und  die  neuti-o- 
passiven  Verbalausdrücke  verschiedene  Tempuspräfixe  haben,  die  mit  dem 
Personalobjekt  versehenen  transitiven  Verbalausdrücke  dieselben  Tempus- 
präfixe erhalten  wie  die  Xeutropassiva  —  zum  deutlichen  Zeichen,  dass 
die*Objektkoujugation  ganz  in  den  Rahmen  der  prädikativen  Aussage 
(mit  dem  Objekt  unseres  Transitivums  als  Subjekt)  fällt. 
So  haben  wir  im  Qu'iche: 

ca  ka  lok-oh  wir  lieben  (V.  trans.).  qu-i  lo'k-oh  ihr  liebt  (V.  trans.). 
k-oh  lok-ox  wir  werden  geliebt.  qui-x  lo'k-oh  ihr  werdet  geliebt. 
qu'ir  ka  lo'koh  (eig.  „ihr  seid  die  von  uns  Geliebten"!  =  wir  lieben 

euch. 
k-oh    i  lo'k-oh    (eig.    „wir    sind    die    von    euch    Geliebten")  =   ihr 
liebt  uns. 

Ebenso  im  Cakchiquel: 

ti  ka  tz'et  wir  sehen  (V.  trans.).         t-i  tzet  ihr  seht  (V.  trans.). 
k-oh  tz'et  wir  werden  gesehen.  qwLv  tzet  ihr  werdet  gesehen. 

qu-ir  ka  tzet  (eig.  ..ihr  seid  die  von  uns  Gesehenen")  =  wir  sehen 

euch. 
k-oh    i   tz'et    (eivr-    ..wir    sind    die    von    euch    Gesehenen")    =   ihr 
seht  uns. 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  89 

Die  gleiche  Konstruktion  liaben  wir  auch  im  Pokoniani: 

qu-in  a  lo'koh  (eig.  „ich  bin  der  von  dir  Geliebte'')  -  du  liebst  mich, 
.i'-in  a  lo'koh   (eig.   „ich  war  der  von  dir  Geliebte'')  =  du  liebtest 
mich. 

Die  Maya-Sprachen  besitzen  also  transitive  aktive  Verben 
in    unserem  Sinne  nicht. 

Sie  kennen  nur  Nomina  und  absolute  Verba,  die  einen  Zustand  des 
Seins,  eine  Eigenschaft  oder  eine  Thätigkeit  bezeichnen,  die  als  Prädikate 
zu  einem  Personalpronomen  oder  einer  dritten  Person  als  Subjekt  kon- 
struirt  w^orden,  aber  kein  direktes  Objekt  zu  sich  nehmen  können. 

Die  Beziehung  einer  Thätigkeit  auf  ein  Objekt  wird  entweder  durch 
besondere  Yerhältoisswörter  (Nomina  oder  Partikeln),  die  unseren  Prä- 
positionen entsprechen,  gegeben.     Z.  B.  Maya: 

Tnan-en  t-u  cah-al  ich  habe  sein  Dorf  passirt. 
Und  dabei  können  allerdings  Ausdrücke  zu  Stande  kommen,  die  voll- 
ständig unsere  transitiven  Konstruktionen  wiedergeben,  z.  B.  Qu'iche: 

Tiow  .i'-banou    rech    cah  uleu    (eig.    „Gott    übte   Thätigkeit    aus    in 
Bezug  auf  Himmel  und  Erde")  =  Gott  schuf  Himmel  und  Erde. 
Hier   ist    banou   ein  Yerbuni   absolutum,    und  r-ech  eig.  „sein  Besitz", 
d.  h.  „für  ihn",  „mit  Rücksicht  auf  sie",  „im  Hinblick  auf  sie". 

Oder  aber  es  treten,  zur  Wiedergabe  unserer  transitiven  ol»jekt- 
begleiteten  Yerbalausdrücke,  Nomiualthemata  passiver  Bedeutung  ein,  die 
in  der  o]»en  besprochenen  Weise  durch  das  Possessivpräfix,  das  ihnen  an- 
gefügt wird,  denjenigen  bezeichnen,  von  dem  die  Thätigkeit  ausgeht  (das 
Subjekt  unseres  transitiven  Ausdrucks),  durch  das  nach  den  Regeln  der 
prädikativen  Aussage  als  Subjekt  zu  ihnen  konstruirte  Personalpronomen 
(oder  Nomen  substantivum)  dagegen  denjenigen,  im  Hinblick  auf  welchen 
die  Thätigkeit  ausgeübt  wird  (d.  h.  das  Objekt  unseres  transitiven  Aus- 
drucks). 

Dementsprechend  ist  auch  die  Wortfolge  nicht  so,  wie  wir  das  in 
unseren  Sprachen  gewohnt  sind:  I.Subjekt,  '2.  Verbum,  S.Objekt.  Sondern 
es  steht  in  denjenigen  Sprachen,  welche  das  Personalpronomen  (das  Su])jekt 
der  prädikativen  Aussage)  suffigiren,  erst  der  mit  dem  Possessivpräfix 
versehene  Yerbalausdruck,  unmittelbar  darnach  das  Objekt  und  dann  das 
Subjekt  unseres  transitiven  Yerbalausdrucks,  falls  dasselbe  nämlich  noch 
durch  ein  besonderes  Nomen  substantivum  oder  Pronomen  bezeichnet  ist. 
Also  im  Maya: 

in  cimez  ech  ich  halje  dich  getödtet, 

ü  cambezah  Juan  Pedro  Peter  hat  den  Johann  gelehrt, 

kin  tun  ijaabü-e  u  kinil  u  tocic  u  col  uinic 

die  Zeit  (kinü)^    wo   der  Mensch    (uinic)    seine   Pflanzung    (col) 
verbrennt  (toc)  ist  der  Sommer. 


90  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

AVo  anschoinend  Abweiohmigen  von  dieser  Regel  vorliegen,  da  haben 
wir  es  sicher  mit  Relativsätzen  zu  thiin.  wie  in  dem  o1)en  schon  berührten 
Fall  der  Verbalformen  auf  -ic  und  -ci: 

Pedro  cambezic  Juan,  Pedro  cambezci  Juan 

Peter  lehrt  den  Johann,  Peter  lehrte  den  Johann, 
die    aber    in    Wahrheit    bedeuten:    „derjenige    welcher    Johann    lehrt,    ist 
Peter"  —  „derjenige,    welcher  Johann  gelehrt  hat  (von    welchem  Johann 
gelehrt    worden    ist;,    ist  Peter"  —  oder    wenn    wir    in    der   Chronik    des 
Nakuk  Pech  lesen: 

lae  Lvkakuk  kaba  u  Ja  in  ijum  Hob  die  Ixkakiik  genannte  gab  mein 
Vater  ihnen. 
In  denjenigen  Sprachen,  welche  das  Personalpronomen  (das  Subjekt 
der  prädikativen  Aussage)  präfigireu.  steht  erst  das  Objekt  imseres  tran- 
sitiven Verbalausdrucks,  dann  das  mit  dem  Possessivpräfix  versehene 
Verbalthema.  So  mit  voller  Deutlichkeit  in  den  oben  angeführten  Bei- 
spielen der  Objektkonjugation  und  auch  in  den  ohne  Tempuspräfix  mit 
dem  Participium  Perfecti  gebildeten  Ausdrücken.  Cakchiquel: 

jjin  a  tz'et-on  (eig.    „ich  bin   dein   Gesehener")  =  du  hattest  mich 
gesehen. 
AVo  das  Subjekt  oder  Objekt  unseres  transitiven  Ausdrucks  ausserdem 
noch    durch   ein   besonderes  Xomen  sübstautivum    oder  Pronomen    ausge- 
drückt wird,  steht  dies,  sei  es  ein  Subjekt  oder  Objekt,  in  der  Regel  nach, 
z.  B.  Cakchiquel: 

qu-i  ru-lo'koh  Padre  (ich  bin  der  von  ihm  Geliebte,  von  dem  Pater) 
=  der  Pater  lielit  mich. 
Es  kommen  Fälle  vor.  wo  dieses  ausdrücklich  angegebene  Subjekt 
vorangestellt  werden  muss  oder  vorangestellt  wird.  Dann  hat  aber,  nach 
der  Grammatik,  statt  des  Transitivum  die  absolute  Verbalform  einzu- 
treten —  unter  Beibehaltung  übrigens  des  vorangestellten  und  durch  ein 
Personalpronomen  bezeichneten  Objekts,  also: 

nak  x-at  ban-o  wer  machte  dich?   Dios  x-i  bano  Gott  machte  mich, 
Pedro  x-oli  camiz-an  Peter  tödtete  uns. 
Diese  Formen  sind  sehr  merkwürdig  und  scheinen  einem  das  Konzept 
vollständig  zu  verrücken. 

Ich  meine  aber,  dass  sie  ähnlich  wie  die  Maya-Formen  auf  -ic  parti- 
zipia]  zu  fassen  sind,  und  zwar  in  dem  Sinne: 

wer  ist  der.  durch  den  du  gemacht  worden  bist?  Gott  ist  der.  durch 

den  ich  gemacht  worden  bin. 

Peter  ist  der,  durch  den  wir  getödtet  worden  sind. 

Nur    auf    diese    Weise    nämlich    lässt    sich    erklären,    wie    dieselben 

Formen,  die  in  den  obigen  beiden  Beispielen  anscheinend  die  Rolle  eines 

Verbum    transitivum    spielen,    sonst    ganz    allgemein    als    Verba    absoluta 

gelten.     Lässt  man    in   den   obigen  partizipialen  Ausdrücken    die  Subjekte 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  91 

weg,   oder  vielmehr  setzt  man  an  «loren  Stelle   ein  unbestimmtes  Subjekt, 
so  erhält  man: 

nak  X-  bano  (wer  ist  der,  durcli  den  etwas  gemacht  wurde)  =  wer 

machte,  wer  schuf? 
Dios  X-  bano  (Gott  ist  der,  durch  den  etwas  gemacht  wurde)  =  Gott 

maclite,  Gott  schuf. 
Pedro  a;-  camizan   (Peter  ist  der,  durch  den  etwas  getödtet  wurde) 
=  Peter  tödtete. 
Und    solche    Beispiele    sprechen    allerdings    sehr    stark    dafür,    dass 
auch   die  Yerba   absoluta,   wie   oben   schon   angedeutet  wurde,  nominal  zu 
fassen  sind. 

Was  nun  die  besprochenen,  zur  Wiedergabe  unserer  transitiven  Yerbal- 
ausdrücke  dienenden  passiven  Nominalstämme  betrifft,  so  sind  dieselben 
theils  ursprüngliche  theils  abgeleitete.  Die  ursprünglichen  sind,  wie 
die  wurzelhaften  Yerba  absoluta,  Monosyllaba,  in  denen  alle  fünf  Haupt- 
vokale vertreten  sind,  z.  B.  Maya: 

tal  berührt  werden, 

cliet  gedreht  werden, 

oib  geschrieben, 

mol  gesammelt, 

clmc  gelockert. 
Mit  dem  Nominalsuffix   -ü  versehen,  finden   wir   diese  Wurzeln  auch 
in  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  in  den  Lexicis  angegeben: 

cimc-il  —  „/o  aflojado''\ 
während    sie    für    sich  allein,    wegen    ihrer  Yerwendung   zur  Wiedergabe 
unserer  transitiven  Yerbalausdrücke  gewöhnlich  direkt  mit  einem  Yerbum 
transitivum  übersetzt  werden: 

cliuc^  cliucali  —  ^,aflo}ar  lo  tirante  ö  estirado''^. 

Yon  den  abgeleiteten  Stämmen  haben  wir  oben  schon  die  Er- 
weiterungen der  ursprünglich  passiven  Stämme  mittelst  des  Suffixes  -ah 
-eh  -ih  -oh  -uh  besprochen.  Das  eben  daselbst  erwähnte  Suffix  -ax  -ex 
-ix  -ox  -ux  ist  unserer  Auffassung  nach  nicht  nur  eine  parallele,  sondern 
eine  homologe  Bildung.  Und  beide  sind  eingeführt,  um  die  beiden  Be- 
deutungen, die  in  der  ursprünglichen  Wurzel  neben  einander  liegen,  bezw. 
die  beiden  Yerwendungen,  welche  der  Begriff  der  ursprünglichen  Wurzel 
gestattet,  zu  scheiden. 

Dieselben  Suffixe  werden  indes  auch  verwandt,  um  ans  neutralen 
Thematen  (Substantiven)  zur  Bildung  transitiver  Yerbalausdrücke  ver- 
wendbare passive  Nominalstämme  zu  schaffen.     So  im  Qu'iche: 

ya  Wasser  {ijaar  zu  Wasser  werden),  ca  nu  ya-ah  ich  bewässere  es, 
(ttzam  Salz  (atzamir  zu  Salz  werden),  ca  v-atzamih  ich  salze  es, 
akal  Kohle  (a'A'a(!^«■  zu  Kohle  werden},  ca  o-akalnh  ich  verkohle  es. 


92  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Im  Maya  fehlt  das  Suffix  -ax  -ex  -ix  -ox  -ux,  und  das  erstere  Suffix 
ist  mu-  in  iler  Form  -ah  vorhaiuleu.  Es  wird  auch  nur  in  dem  erzählenden 
Tempus  (dem  Haupttempus)  gesetzt,  und  fehlt  auch  da  Idsweilen.  Z.  B.  finden 
wir  in  der  Chronik  des  Xakuk  Pech  dicht  hintereinander: 

lae  Ixkakuk  kaha  u  Ja  in    t/iim   tiob    die  Ixkakuk    genannte,    mein 

Vater  galt  sie  ihnen. 
lai  u   kaba  dclniplal  u   Ja/i    tiob    das    so  genannte  Mädchen   gab  er 
ihnen. 
Ableitung  von  nominalen  Thematen  mittelst  des  einfachen  Suffixes  -ah 
ist  selten,  doch  kommt  sie  vor.  z.  B.  von  dem  Infinitiv  tzacal  des  absoluten 
Verburas   tzac  „suchen"    finden   wir  in   der  Chronik    des  Xakuk  Pech  die 
Form  gebildet: 

ca  ix    u    tzacl-ah-ob    u    Cliiclien    Ytza    und    sie    suchten    die    Stadt 
Chichen    Ytza. 
Häufig  ist  dagegen  diese  Ableitung  unter  Hinzufügung  der  Silben  -en 
(-in),  cun  (ein),  encun.     Z.  B.: 

yaab  viel    (^yaab-hi    es   wurde    viel),    in    yaab-cun-ah    ich    verviel- 
fältigte es. 
ku  Heiligthum,  Tempel,  (jcuijenhi  er   wurde  heilig),    in  kuyencunah 

ich  heiligte  es. 
cul  Baumstumpf.  Sitz,  {culhi  er  setzte  sich,  wurde  gesetzt),  in  culcinah 
ich  setzte  fest,  setzte  ein. 
Allen  Sprachen  gemeinsam  ist  die  Verwendung  passiver,  zur  Wieder- 
gabe transitiver  Ausdrücke  verwendbarer  Themata  mittelst  der  Konsonanten 
i  und  z. 

Zunächst  haben   wir  im  Tzeltal    als  gewöhnliche   Ableitungssilbe  der 
passiven  Verbalstämme  die  Silbe  ot,  z.  B.: 
paz  machen,  paz-ot  gemacht  werden. 
Im  Maya  werden  mit  t-ah  Kompulsive  gebildet,  z.  B.: 

alcab  Eile    (alcab-n-i  oder   aJcab-n-ah-i   er   eilte),    in  alcab-tah    ich 

machte  ihn  laufen. 
chuuc  Kohle   {chuuc-hi  er  wurde  zu  Kohle),    in  chuuc-tah   ich  ver- 
kohlte es. 
e.anan    Hut.    Schutz    ycananni    oder    canannahi    er   war  Hüterj,    in 
canantah  ich  hütete  es. 
Im  Qu'iche    und  Cakchiquel    werden  diese  Themata    in    prädikativer 
Weise  konstruirt  zur  Bildung  passiver  Verbalausdrücke: 
mah  wegnehmen,  mahtah  weggenommen  werden. 
il  sehen,  üitah  gesehen  werden. 
muk  begraben,  mukutah  begraben  werden. 
Doch    kommt    auch    Verwendung    derselben    zur    Bildung    ti'ansitiver 
Verbalausdrücke  vor.     Brasseur    führt   diese  Fälle  in   einem  besonderen 
Kapitel  unter  Ueberschrift  Verba  deponentia  auf. 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  93 

Er  nennt  hier  u.  A. : 

mez  fegen,  wischen  —  meztah  etwas  weg^wischen,  vergessen, 

caz  leben  —  caztah  beleben, 
wie  man  sieht,  sind  das  Ableitungen  nicht  von  transitiven  (d.  h.  zur 
Wiedergabe  transitiver  Yerbalausdrücke  verwendeten),  sondern  von  in- 
transitiven, absoluten  Thematen.  Verwendet  werden  dieselben  aber  sowohl 
zur  Bildung  von  passiven  Ausdrücken,  wie  zu  der  von  transitiven  Verbal- 
ausdrücken, z.  B.: 

w  caztah  u  vach  sein  Gesicht  wurde  belebt, 

X  u  caztah  r-ib  er  belebte  sich,  er  wurde  wieder  lebendig. 

Noch  häufiger  ist  die  Ableitung  solcher  Themata  mittelst  des  Kon- 
sonanten z.     Z.  B.  im  Maya: 

cim  sterben  —  cimzah  tödten, 

hin    gehen,    ul   kommen,    tal    ankommen  —   binzuh,    uJzah,    ialzah 

bringen. 
oc  eintreten  —  oczah  hineinbringen  (z.  B.  den  Samen  in  die  Erdej. 
aak  frisch,  grün,  feucht  —  aakezah,  akzah  befeuchten,  bepissen. 
Ebenso  im  Qu'iche  und  Cakchiquel: 
cam,  sterben  —  camizah  tödten, 
oc  eintreten  —  oquezah^  oquizah  hineinbringen, 
el  herauskommen  —  elezali  lierausbringen. 
Bei  vokalisch  oder  mit  r  auslautender  Wurzel  hier  unter  Einschiebung- 
eines /.' 

pe  kommen  —  petizah  bringen, 
var  schlafen  —  vartizah  einschläfern. 
Auch  von  abgeleiteten  Yerbis  absolutis  gebildet: 

nimar    gross    werden,    wachsen   —   niviarizah    erhöhen,    mit    Stolz 

erfüllen, 
poklahir  zu  Staub  werden  —  poklahirizah  zu  Staub  reduzireu. 

Im  Maya  findet  auch  hier  wieder  Kinschiebung  der  Silben  /n  und  cun 
statt,  z.  B. : 

al  der  Sohn  der  Frau  —  alintah  Jemand  als  Sohn  gebären, 

aak  frisch,   grün,   feucht  —  aakcuntah,    aakcunzah  anfeuchten,    be- 

sprengen, 
alcab  Eile  —  alcahantzah  Jemand  eilen  machen. 

Das  Tnfix-/aa  wird  in  derselben  Weise,  wie  bei  den  Verbis  absolutis 
angewendet,  um  zu  bezeichnen,  dass  etwas  allgemein  oder  vollständig 
gemacht  wird. 

oib  das  (Jeschriebene,  die  Schrift  —  .nh-laa-ni-ah   Alles  der  Keihe 
nach  aufschreiben. 


94  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

III.   Tempusbildung. 

M  ir  siml  von  den  uns  geläufigen  Sprachen  her  gewöhnt,  die  Tenipus- 
dittereuz  als  etwas;  Wesentliches  bei  dem  Yerbuni  anzusehen.  Doch  schon 
die  genauere  Betrachtung  des  indogermanischen  A'erbum  zeigt,  dass  die 
Grundform  des  Yerbum  durch  das  unbestimmte  Tempus,  den  Aorist,  dar- 
gestellt wird.  Die  zeitliche  Differenzirung  ist  etwas  Akzessorisches  und 
kommt  durch  verschiedenartige  Erweiterung  der  Stämme  (vgl.  die  neben 
der  Wurzelklasse  aufgeführten  acht  Klassen  der  Präseusstämme  des 
Sanskrit)  oder  Kompositionen  mit  anderen  Stämmen  zu  Stande. 

Dasselbe  sehen  wir  im  indianischen  Yerbum.  Das  Yerbum  ist  seinem 
Wesen  nach  zeitlos.  Eine  Zeitdiffereuz  kommt  durch  verschiedene  Par- 
tikeln oder  durch  Yerbinduug  mit  anderen  Yerben  zu  Stande,  spielt  aber 
bei  Weitem  nicht  die  Rolle  in  der  Sprache,  die  man  nach  den  ausge- 
führten Konjugationsschematen  der  verschiedenen  geistlichen  Grammatiken 
vermuthen  sollte.  Und  weil  die  Tempusdifferenz  etwas  Unwesentliches 
und  Akzessorisches  ist,  darum  finden  wir  auch  gerade  in  der  Tempus- 
bildung die  grössten  Yerschiedenheiten  zwischen  sonst  ihrem  Wesen  nach 
eng  verwandten  Sprachen. 

In  den  Maya-Sprachen  kann  man.  in  Bezug  auf  Tempusbildung,  einen 
Unterschied  machen  zwischen  der  einfachen  prädikativen  Aussage  einer- 
seits und  dem  Yerbum  absolutum  oder  passivuni  und  der  sogenannten 
transitiven  Yerbalkonstruktiou  andererseits. 

Die  einfache  prädikative  Aussage  ist  ihrem  Wesen  nach  Präsens  (oder 
Aorist).  Wenn  sich  ein  Bedürfniss  für  zeitliche  Differenzirung  einstellt, 
so  macht  sich  dies  geltend  für  das  Präteritum  und  das  Futur. 

Ich  habe  schon  erwähnt,  dass  im  Maya  im  Präteritum  und,  bei 
vokalisch  auslautendem  Thema,  auch  im  Futur,  statt  des  einfachen  Themas 
ein  durch  den  Konsonanten  h  erweitertes  Thema  eintritt,  welchem  das 
präteritale  /  und  das  im  Futur  der  absoluten  Konjugation  verwendete 
Suffix  -ac  angefügt  werden. 

hay  en  oder  ben  ich  bin  so  wie  .  .  . 
bay  hl  en  oder  bay  hen  ich  war  so  wie  .  .  . 
bay  ac  en  ich  werde  so  sein  wie  .  .  . 
Das  Qu'iche  und  Cakchiquel  helfen  sich  für  das  Präteritum  durch  ver- 
schiedene Partikeln,    oder    es  wird  die   dem  Personalpronomen    präfigirte 
Partikel  x  gesetzt,    die  auch  beim  Yerbum  absolutum  und  passivimi  Ver- 
wendung findet;    dann    muss  aber    ein  eine  adverbielle   Bestimmung    ent- 
haltender Satz  nachfolgen,  z.  B.  Cakchiquel: 

xin  utz  vi  mahaniok  cat  ul  ich  war  gut,  ehe  du  kamst. 
Das  Futurum    wird    in   diesen  Sprachen    gern    mit  Zuhilfenahme  des 
Zeitworts  ux  „geschehen,  werden,  sein,"  gegeben,  z.  B.  Cakchiquel: 
in  utz  ,v  qu-in  tu;  ich  werde  gut  sein 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  95 

und  im  Popol-Vuli: 

xavi  varal  ka  hitijubal.  ka  ta^kahal  ch-u.nc  hier  fürwahr  werden 
unsere  Berge,  unsere  Kbenen  sein. 
üer  einfachen  prädikativen  Aussage  reihen  sich  auch  die  oben  be- 
sprochenen verschiedenen  Verba  an,  welche  „an  einem  bestimmten  Orte  sein 
oder  sich  befinden"  bedeuten,  in  sofern  nämlich  auch  bei  ihnen  (h-r  ein- 
fache mit  dem  Personalpronomen  verbundene  Stamm,  ohne  weitere  Be- 
stimnmng,  präsentische  oder  aoristische  Bedeutung  hat.  80  im  Qu'iche 
und  Cakchi{(uel: 

in  CO.  at  c'o,  are  co  ich  bin,  du  bist,  er  ist, 

in  VnV,  at  ud\  are  ux,  dasselbe. 

Desgleichen  einige  andere,  viel  gebrauchte  Zeitwörter.     Im  Ixil: 

7nat-in  icli  gehe, 

ben-o  wir  gehen. 
Die  Maya-Wörter  ohel,  nah  und  kati,  die  mit  den  Possessivpräfixen 
verbunden  und  in  präsentischer  Weise  gebraucht  werden,  das  erstere  im 
Sinne  von  „ich  weiss,  du  weisst  u.  s.  w.",  die  letzten  beiden  im  Sinne  von 
„ich  will,  ich  wünsche  u.  s.  w."-  —  sind  sicher  nichts  als  Nomina,  die  als 
Ergänzung  ein  Gerundium,  einen  Infinitiv  oder  abhängigen  Satz  zu  sich 
nehmen. 

Bei  den  übrigen  Verbalausdrücken  werden  die  Tempora  durch  be- 
stimmte, präfigirte  Partikeln  unterschieden,  die  sich  am  vollständigsten  im 
Quiche  und  in  den  verwandten  Dialekten  entwickelt  haben. 

Sie  sind  zum  Theil  etwas  abweichend  in  den  verschiedenen  Personen 
und  sind  auch  hier  und  da  andere  in  der  absoluten  und  passiven  Konju- 
gation, als  bei  den  transitiven  Yerbalausdrücken.  Ich  führe  daher  hier 
vollständige  Paradigmen  auf:^) 

(Siehe  die  Uebersicht  auf  Seite  9ß  und  97.) 

Die  hier  zusammengestellten  Präfixe  stehen  - —  das  ist  unstreitig  — 
in  einer  gewissen  Yerwandtschaftsbeziehimg  zu  einander  und  ich  meine, 
dass  man  ihnen  einen  demonstrativen  Charakter  zuschreiben  muss,  dass 
man  sie  als  Partikeln  betrachten  muss,  die  eine  gewisse  Aktualität  der 
Handlung  bezeichnen,  die  aber  mit  einer  Tempusdifferenz  ursprünglicli 
nichts  zu  thun  haben  und  nur  durch  den  Usus  in  der  und  der  bestimmten 
Sprache  für  das  und  das  bestimmte  Tempus  sich  festgesetzt  haben. 

Fangen  wir  mit  dem  Präsens  des  Yerbum  transitivum  des  Cakchiquel 
an,  80  haben  wir  dies  i  (tej  schon  oben  als  Demonstrativpartikel  in  Ver- 
bindung mit  dem  Personalpronomen  des  Maya  erwähnt: 
ten  ich  bin  der  =  ich,  teech  du,  toon  wir. 

1)  [Die  Uebersicht,  die  in  der  Originalabhandlung  gegeben  war,  ist  hier  durch 
eine  etwas  erweiterte  und  anders  geordnete  ersetzt]. 

m 


U6 


Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 


1 

Cakchiquel 

Cakchiquel 

Qu'icht 

und 

Zaca- 

Kekchi 

Tz'utuhil 

tepequez 

' 

A. 

Ver 

bum   neutropassi vuni 

(effectivura) 

(durans) 

Präsens. 

1. 

Sin  11-. 

c 

c 

ng 

t 

n 

(ett'ectivura 

2. 

^ 

c 

c 

ng 

t 

nie 

und  durans) 

3. 

„ 

ca 

ti 

nd 

ta 

na 

1. 

Plur. 

k 

k 

nk 

t 

nie 

o 

.. 

c 

c 

ng 

f 

nie 

3. 

c 

c 

ng 

t 

nie 

Präteritum. 

1. 

Sing-. 

.V 

X 

X 

X 

2. 

•., 

•f 

X 

X 

X 

3. 

,. 

^v 

X 

X 

X 

1. 

Plur. 

X 

X 

X 

X 

•) 

X 

X 

X 

,/• 

3. 

„ 

X 

X 

X 

X 

Futurum. 

1. 

Sing-. 

XC,    i 

XC 

XC 

ch 

2. 

„ 

,rc,  c 

XC 

XC 

ch 

3. 

„ 

xch, 

ch 

xt 

xt 

chi 

1. 

Plur. 

xk,  k 

xk 

xk 

ch 

2. 

., 

XC,    i 

XC 

XC 

ch 

3. 

XC,    c 

XC 

XC 

ch 

B.    V 

erb 

um  transitivum. 

Präsens. 

1. 

Sing. 

ca 

ti 

ni 

t,   ta 

w,   7ia 

(etfectivum 

0 

c 

t 

nd 

t 

nie,  n 

und  durans) 

3. 

c 

t 

nd 

ti,  ta 

na 

1. 

Plur. 

ca 

ti 

ndi 

to,  ta 

na 

2. 

„ 

c 

t 

nd 

t 

nie 

3. 

„ 

ca 

ti 

ndi 

t 

nie 

Präteritum. 

1. 

Sing. 

xi 

X 

xi 

X 

xi 

X 

qui 

c 

3. 

,, 

X 

X 

X 

qui 

1. 

Plur. 

X 

X 

.(• 

qui 

■> 

- 

X 

X 

X 

c 

3. 

„ 

X 

X 

X 

c 

Futurum. 

1. 

Sing. 

.ichi 

,  chi 

xti 

xti 

ch 

2. 

» 

xch^ 

ch 

xt 

xt 

ch 

li. 

xch, 

ch 

xt 

xt 

chi 

1. 

Plur. 

xchi, 

.  chi 

xti 

xti 

cha 

•)^ 

11 

xch. 

ch 

xt 

xt 

ch 

3. 

n 

.icht\ 

chi 

xti 

xti 

ch 

2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  97 


Poko- 
Pokonchi  Ixil  Mam  Zo'tzil         Tzeltal         Maya 

mam 

A.    Verbiim   neutropassivum. 
(effectivum)  (darans) 

c                        in  c             71-,  nie  tzum  ch  x 

ti                       in  n,  nie  tzum  x 

in                      in  in            w,  nie  tzum  x 

k                       in  e              w,  nie  tzum  k  x 

ti                       in  n  tzum  eh  x 

qiii                    in  c,  t         w,  nie  tzum  eh  x 

X  .  X 

X 


cat  —  n  h] 

ix  cat  — •  n 

ix  cat  —  [cl 


tx 

X  X             cat  —                 n 

X  ix            cat  —                 n 

xi  X              Cat  — 

cac  xc            la  ch,  xch 

e'a  ti                                           la  (tz),  xtz 

c'a  in                                          la  (tz;,  xtz 

c  a  k                                              la  k,  ixk 

Ca  ti                                           la  ch,  ixeh 

e'a  qui                                        la  eh,  ixch 

B.    Verbum  transitivum. 


in 

in 

W,    ', 

nie 

tzum 

in 

n 

n,  nie 

tzum 

in 

in 

n,  nie 

tzum 

in 

in 

n,  ', 

nie 

tzum 

in 

n 

n 

tzum 

in 

in 

ix 

n, 

cat 

nie 

tzum 

X 

cat 

u 

ix 

cat 

u 

ix 

cat 

u 

X 

cat 

u 

ix 

cat 

u 

ra 

la, 
la, 
la, 
la, 
la, 
la, 

tue 
tue 
tue 
tue 
tue 
tue 

IX 
X 

X,  ix 

X 

ix,  X 

e'a 

c  a  ch 

c  a  ch,  e\i  chi 

ca 

ca  eh 

ca 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungeu  1. 


h 

ya 

X 

yaea 

ya 

h 

ya 

X 

yaea 

ya 

ih,  ilah 

Iah 

Iah 

l.  Iah 

i,  ila 

la 

ih,  ilah 

Iah 

Iah 

l.  Iah 

i,  ila 

la 

9}^  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Im  Maya  haben  wir  ausserdem  die  Ausdrücke  te,  tee,  iei,  feet  „hier". 
fi  ^dort"  und  t,  ti,  tu,  wehdiem  Ixil  f,  iu  und  z,  Quiche.  Cakchiquel  chi 
eutspricht,  als  Verhältnisspartikel  (Präposition)  den  Ort.  die  Richtung, 
den  Zweck  und  das  Mittel  bezeichnend,  imd  aueii  //  als  Konjunktion  im 
Sinne  von  ..während,  als"  z.  B.  in  der  Chronik  des  Nakuk  Pech. 

ti  yanob  chuchi  ca  binon  eil  ob  während  sie  dort  waren,  da  gingen 
wir  sie  zu  sehen. 
In  der  obigen  Liste  erscheint  das  i  nicht  nur  als  Präfix  des  Präsens 
des  Cakchiquel  Yerbum  transitivum,  sondern  auch  als  Bestandtheil  des 
Futurpräfixes  desselben  Yerbums,  sowie  im  Futur  des  Qu"iche,  denn  ch 
und  i  sind  nahe  verwandte  Laute,  ferner  in  der  o.  Pers.  Sing,  des  Präsens 
des  Verb  um  ueutropassivum  des  Cakchiquel  und  als  Bestandtheil  des  Futur- 
präfixes derselben  Person  im  Cakchiquel  und  im  Qu'iche.  [Endlich  auch 
im  Präsens  und  Futur  des  Kekchi  und  einzelner  Personen  des  Pokomam, 
Pokonchi  und  des  Mam].  Das  n  des  Präsens  [durans]  des  Pokomam, 
Pokonchi  [imd  des  Kekchi]  dürfen  wir  wohl  als  lautliche  Modifikation  des  t 
auffassen,  wozu  die  Zwischenstufe  gegeben  ist  durch  das  ndi,  welches 
St  oll  für  das  Präsens  des  Cakchiquel  von  S.  Juan  Zacatepequez  angibt. 
Schliesslich  wird  auch  im  Präteritum  (Aorist)  des  Maya-Yerbum  absolutuni 
in  der  ersten  Person  Singularis,  zwar  nicht  regelmässig,  aber  bei  einer 
gewissen  Anzahl  von  Yerben  ein  i  präfigirt: 

t  lub-en  ich  fiel,  t  hao-en  ich  wurde  geprügelt, 
wie  der  Grammatiker  Bei  trän  bemerkt.  ..der  Zierlichkeit  und  des  besseren 
Yerständnisses  halber,    damit  sich  die  Form  vom  Imperativ  (luben)  unter- 
scheide."- ') 

Die   Demonstrativ- Partikel   ii  hat    ihre  Parallele   in  der  Partikel   ca, 
von  Lucien  Adam    als  Partikel    der  Aktualität    bezeichnet.      Allerdings 
wird   die  letztere  Partikel    im  Maya   ziemlich  ausschliesslich    in  relativem 
Sinne  gebraucht,    doch  thut  dies  der  ursprünglichen  Bedeutung  derselben 
als  Demonstrativ  keinen  Abbruch,  denn  es  fangiren  in  den  Maya-Sprachen 
allgemein  die  Demonstrativa  als  Relativa.     Wir  finden  die  Partikel  ca  als 
Konjunktion    in    ausgedehntem  Gebrauch    und    zwar  in   demselben   Sinne, 
wie  oben  das  Beispiel  für  ti  gegeben  ist. 
Den  Kompositionen: 
ten,  tech^  toon,  teejc, 
entsprechen  die  Kompositionen: 

cen^  cech,  coon,  cee.i\ 
nur  dass  sie  nicht  für  sich  allein  in  Hauptsätzen  stehen,  sondern  als  Relativa. 


1)  [Vgl.  auch  t  pay  hi  a  etez  he  ti  oulob, 

„ich  wurde  gerufen,  den  Spaniern  den  Weg  zu  zeigen", 
/  htJi  in  in   cimez  uaca.r, 

..ich  gieng  Rinder  schlachten".     (Bei trän,  p.  o3)j. 


2.    Das  Konjugation§system  der  May a- Sprachen.  99 

So  tindeii  wir  in  dem  alten  Confiteor  Deo,  dessen  Abfassun»^' von  Beitran 
dem  Fr.  Jnan  Coronel  zugeschrieben  wird: 

ten,  cen,  ahzipil  ich,  der  ich  ein  Sünder  bin. 
und  in  der  Chronik  des  Nakuk  Pecli: 

ten^  cen  in  Nahik  Pech  ich,  der  ich  hier  bin,  ich  Nakuk  Pech. 
Auch  in  der  obigen  Tabelle  sehen  wir  das  ca  eine  gleiche  Rolle 
spielen  wie  das  ti.  Im  Präsens  des  Verbum  transitivum  hat  das  Cakchiquel 
und  das  Tz'utuhil  das  Präfix  ii,  das  nahe  verwandte  Qu'iche  das  Präfix 
ca.  Im  Präsens  des  Verbum  neutropassivum  haben  beide  Sprachen  ca, 
und  in  der  dritten  Person  Singularis  hat  Cakchiquel  wieder  ti,  wo  Qu'iche 
ebenfalls  ca  aufweist.  Der  zweite  Bestandtheil  des  Futurpräfixes  entspricht 
wieder  genau  dem  Präfix  des  Präsens,  nur  dass  das  Qu'iche  sich  hier  dem 
Cakchiquel  accommodirt  und  in  der  dritten  Person  Singularis  auch  ein  ch 
statt  des  c  enthält.  Und  wenn  wir  in  der  ersten  Person  des  Maya-Präte- 
ritum,  zwar  nicht  allgemein,  aber  doch  sehr  häufig  ein  t  präfigirt  fanden, 
so  finden  sich  in  der  dritten  Person  Formen,  die  mit  grosser  Regel- 
mässigkeit  ein  c  präfigirt  haben,  z.  B.  die  Form: 

c-uch-% 
die  in  den  Wörterbüchern  und  Grammatiken  als  Adverbium  aufgeführt  ist, 
mit  der  Bedeutung  „ehemals,  vormals'''  und  in  dem  Konjugationsschema 
der  Grammatiken  zur  Bildung  des  Tempus  imperfectum  dient,  die  aber  in 
Wahrheit  nichts  Anderes  ist,  als  das  Präteritum  des  Verbum  uch-ul  „ge- 
schehen, werden,  sein." 

Beiläufig  erwähne  \c%,  dass  die  Vokale  i  und  a  nicht  ausschliesslich 
in  der  Weise  an  t  und  c  geknüpft  sind,  wie  es  in  den  obigen  Beispielen 
und  in  den  Verbalpräfixen  erscheint.  Umgekehrt  finden  wir  im  Qu'iche 
und  C^akchiquel  ia  ganz  im  Sinne  der  Maya-Konjunktion  ca  gebraucht  und 
im  Maya  finden  wir  ci  in  gerundivischen  Konstruktionen,  z.  B.:^^ 

hal  ci  au  oktic  was  ist  das,  was  du  beweinst? 
wo  Quiche  und  Cakchiquel  chi  verwenden. 

Sind  nun  aber  //  (chi,  ni)  und  ca  gleichberechtigte  Partikeln,  von 
denen  nur  die  eine  von  dieser,  die  andere  von  jener  Sprache  mehr  bevor- 
zugt werden,  so  werden  wir  auch  in  dem  nie  und  cat  des  Ixil  nichts  Anderes 
sehen  können  als  Kompositionen  dieser  beiden  Partikeln  in  umgekehrter 
Reihenfolge,  von  denen  die  eine  für  das  Präsens,  die  andere  für  das 
Präteritum  ausschliesslich  in  Gebrauch  gekommen  ist,  indem  aus  dem 
gleichen  ursprünglichen  Sinn  der  Aktualität,  die  eine  zum  Begriffe  des 
„jetzt'',  die  andere  zu  dem  des  „vormals"  sich  entwickelt  hat. 

Dürfen  wir  aber  weder  dem  //  noch  dem  ca  eine  ursprüngliche  präsen- 
tische Bedeutung  beimessen,  so  liegt  dieselbe  Vermuthung  nahe  für  das  x, 
<his  wir  als  Präteritalpräfix  sowohl  im  Qu'iche-Cakchiquel,  wie  im  Pokomam 
antreffen.  Und  wir  werden  uns  dann  nicht  weiter  wundern,  dass  wir  den- 
selben Laut  in  denselben  Sprachen  auch  als  Bestandtheil  des  Futurpräfixes 


lOQ  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

antreffen.  Es  fragt  sich  nun.  was  für  oine  Bedeutung  wir  diesem  Präfix 
beilegen  müssen,  bezw.  ob  wir  ihm  eine  ähnliche  beilegen  dürfen,  wie 
den  schon  behandelten  Präfixen. 

Ich  schicke  voraus,  dass  mich  verschiedene  Erscheinungen  vermuthen 
lassen,  dass  in  den  Mava-Sprachen  die  Laute  h  und  x  vikarirend  auftreten. 
So  musste  ich  oben  das  Suffix  -ax  -ex  -ix  -ox  -ux,  welches  im  (juiche  und 
Cakchiquel  Themata  für  passive  Verltalkonstruktionen  liefert,  gleich- 
berechtigt ansehen  dem  -ah -eh -ih -oh -uh,  ein  Suffix,  das  in  denjenigen 
Thematen  erscheint,  welche  das  Substrat  transitiver  Verbalausdrücke  bilden. 
Und  für  die  analoge  passivbildende  Kraft  des  h  und  x  führe  ich  noch  die 
beiden  folgenden  Beispiele  an.     Das  Pokomani: 

/m  zach  ich  verzeihe  Jemandem.  qn-i7i  zach-hi  mir  wurde  verziehen, 
uutl   Ixil: 

n-uny-ban    ich    mache    etwas,    cat  ban-.n  in    ich    wurde    (gesund) 
gemacht. 
Die  Maya-Partikel    ixmä,    xmd    ..ohne"    liat   liedenkliche   Aehnlichkeit 
mit  hmä  in  Ausdrücken  wie: 

hna  bat  hin    ein  Geistlicher    ohne  AVissenschaft.    ein    ungelehrter 

Geistlicher. 
hma  pet  zuz  ein  Ungeschorener,  ein  Laienliruder  ohne  Glatze. 
Und  so  bin  ich  nicht  abgeneigt,  die  Geschlechtspräfixe  ah-  tmd  ix-  im 
Sinne  von  ..der"  und  ..die"  zu  parallelisiren.  —  Lautlich  ist  ja  ein  solcher 
Uebergang  durchaus  nicht  unerhört.  Es  ist  eine  bekannte  Thatsache.  dass 
das  heutige  spanische  Jota  sich  aus  einem  dem  englischen  sh  entsprechenden 
palatalen  Zischlaut  entwickelt  hat. 

Um  nun  zu  der  Frage  zurückzukehren,  die  uns  hier  augenblicklich 
beschäftigt,  so  haben  wir  xa  oder  xi  unter  den  eigentlichen  Demonstra- 
tiven bisher  noch  nicht  angetroffen.  Wohl  aber  ist  ha  ein  bekanntes 
Demonstrativ  im  Tzeltal  und  im  Qu'iche  und  Cakchiquel. 

Aber,  irre  ich  nicht,  so  finden  wir  auch  xa  selbst  im  Qu'iche  und 
Cakchiquel  in  ausgedehnter  Weise  iu  einem  Sinne  gebraucht,  den  war 
nicht  anders  als  einen  demonstrativen  bezeichnen  können.  Es  ist  dies 
das  xa,  welches  in  deu  ^Yörterbüchern  gewöhnlich  mit  ..nur"  ..allein" 
übersetzt  wird,  das  aber  eigentlich  weiter  nichts  als  die  Rolle  einer  Be- 
kräftigungspartikel spielt.  So  im  Popol  Yuh.  wo  Hunahpu  und  Xbalanque 
erklären : 

viAi  habt  ka  bi,  .ca  oh  ub-om  aa  pu  oh   tzavab-om  pa  tak  huyub, 
wir  haben  keinen  Xamen.    wir  jagen  nur  mit  dem  Blasrohr  auf 
den  Bergen, 
xa  oh  vi^ba^  ma  habt  nakila  ech^  at  c  aJwl, 

wir  sind  Waisen,  wir  haben  kein  Eigenthum,  o  Jüngling.  . 
xa  chuti  huyvJ)  .va  nivia  huyub  koh  bec\  at  c  ahoL 

die  kleinen  und  die  grossen  Berge  durchstreifen  wir,  o  Jüngling. 


2.    Das  Konjugatioiissystem  der  Maya- Sprachen.  101 

In  Komposition  haben  wir  xax  und  xavi,  die  i^ewöhnlicli  mit  „derselhe-' 
iil)ersetzt  werden: 

.rax  in  vi,  .vavi  in  vi  icli  hin  derselbe,  fürwiilir  ich   hin   der, 
lind    (lies   xavi   wird   ganz  parallel  dem  mavi   gebraucht,    ersteres   positive, 
letzteres  neg-ative  Sätze  einleitend. 

Also,  um  kurz  m(une  Meinung  zu  sagen,  ich  halt(>  das  x,  »bis  als 
Verbalprätix  in  der  obigen  Tabelle  erscheint,  für  nichts  Anderes  als  die 
Bekräftigungspartikel  xa,  die  im  Qu'iche  und  Cakchiquel,  an  Stelle  des 
im  Maya  gebräuchlichen  ca,  mit  Vorliebe  in  der  Erzählung  gebraucht 
ward  und  daher  sicli  in  diesen  Sprachen  mit  dem  vorwiegend  erzählenden 
Tem])us,  dem  Präteritum,  verband. 

Dass  nun  in  diesen  Spraclien,  von  den  verschiedenen  Demonstrativen 
und  Bekräftigungspartikeln,  ca  und  ii  für  das  Präsens,  x  für  das  Präteritum, 
und  (Mue  Kombination  von  x  mit  ca  und  ii  für  das  Futur  in  Aufnahme 
kam  —  ebenso  wie  im  Ixil  zwei  verschiedene  Kombinationen  von  ca  und 
//  für  das  Präsens  und  das  Präteritum  gebräuchlich  wurden  — ,  erklärt 
sich  leicht  aus  dem  Differenzirungstrieb.  der  in  jeder  sich  entwickelnden 
Sprache  sich  Geltung  verschafft. 

Für  die  Futuvbildung  des  Ixil  gibt  Stell   zwei  Formen  an,    die  eine 

mittels  des  Präfixes  /a.     Es  liegt  nahe,    hier  an  die  Maya-Partikel  /ay,   le, 

die  ein  entfernteres  Demonstrativ  darstellt,  zu  denken  und  zu  ül)ersetzen: 

la   k'ahan-in   („dann    betrinke    ich   mich'')  =  ich   werde    mich    be- 

ti'inken. 

In  dem  kurzen  Abriss  der  Pokomam-Grammatik,  welche  Thomas  Gage 
der  Erzählung  seiner  Reiseergebnisse  anfügt,  finde  ich  die  Futurform: 
qu-in  ra  a-lo^koh  du  wirst  mich  lieben. 

Ich  glaube  in  dem  ra,  das  hier  neben  der  Aktualitätspartikel  c  ge- 
braucht wird,  dasselbe  Demonstrativ  wieder  zu  erkennen. 

Eine  zweite  Futurform  wird  im  Ixil  nach  Stell   mittelst  der  Partikel 
iuc  gebildet.     Stell  l^ringt  diese  in  Verbindung  mit  der  Konjunktion  iuc, 
welche  im  Sinne   von  „und''    gebraucht  wird,    und   erklärt  beide  aus  dem 
Possessivpräfix  der  dritten  Person  in  Verbindung  mit  dem  Verhältnisswort 
uc,  welches  dem  Qu'iche  u'c,  Cakchiquel  i'quin,  üspanteca  i'quil,  d.  h.  also 
dem   Maya    icnal  „mit''    entspräche.     Die  Nebeneinanderstellung    des  Ixil- 
iiud   des  (ju'iche-Ausdruckes  für  die  Zahl  101: 
o'calal  tue  ung-vual, 
o'cal  ru'c  hun, 
spricht   ja  auch   sehr  für  diese  Erklärung  der  Konjunktion   tue.     Wenn 
wir  aber  Futurformen  finden,  wie: 

in  tue  ban-un^i 
so  erscheint  es  doch  richtiger,  das  tue  des  Futurs  mit  den  obigen  Demon- 
strativen t  und  c  in  A^erbindung  zu  bringen  und  auch  hier  zu  übersetzen: 
„mein  dann  Thun"  =  „ich  werde  thun'\ 


IQ-J  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Es  bleiben  iiiiu  noch  die  Tempusformen  des  Maya  zu  besprechen. 
Das  Maya  unterscheidet  sich  von  den  verwandten  guatemaltekischen 
Sprachen  sehr  bestimmt  dadurch,  dass  die  Terapuspräfixe  in  ihm  nur  eine 
sehr  unbedeutende  Rolle  spielen.  Im  Präteritum  treten,  wie  erwähnt,  die 
Präfixe  t  und  c  auf.  Das  ist  wichtig,  weil  es  uns  beweist,  dass  das  Maya 
der  Mittel,  welche  in  den  anderen  Sprachen  sich  Geltung  verschafft  haben, 
nicht  ganz  entbehrt.  Aber  diese  Präfixe  treten  durchaus  nicht  bestimmt 
und  regelmässig  auf.  Und  Präfixe,  welche  es  gestatten,  die  verschiedenen 
Tempora  zu  unterscheiden,  haben  sich  nicht  herausgebildet.  Diese  Sprache 
ist  «laher  genöthigt.  zu  'anderen  Aushülfsmitteln  zu  greifen,  um  die  uöthige 
Präzision  in  der  Tempusbezeichnung  zu  erreichen,  und  sie  findet  solche 
in  periphrastischen  Konstruktionen. 

Behufs  der  Bildung  des  Präsens  verwendet  das  Maya  den  Xominal- 
stamm  cah,  caah,  der.  prädikativ  mit  dem  Personalpronomen  konstruirt, 
„festgesetzt  sein".  ..an  einem  Orte  bleiben"  bedeutet,  offenbar  ident  mit 
dem  oben  besprochenen  Cakchiquel -Worte  c'oh.  So  finden  wir  in  der 
Chronik  des  Xakuk  Pech: 

lai  yax  cah-ic-ob  dort  wo  sie  zuerst  sich  niederliessen. 

lai  ye  tan  chan-patun-e  uac-ppel  hab  cah-an-ob-i^ 
sie  blieben  in  Champoton  sechs  Jahre. 
Als  Xomen  wird    das   T\'ort  allgemein    im   Sinne    von    _Dorf".    ..An- 
siedelung" gebraucht.     Wird   das  Wort  mit  dem  Possessivpräfix  versehen, 
so  geht  aus  der  Grimdbedeutung  ^gesetzt  werden".  ..gemacht  werden"  die 
andere  „sich  befinden'',  .^sieh  verhalten"  hervor,  z.  B.: 

bahiuv  u  caah  wie  gi'oss  ist  sein  Verhalten?  =  wie  gross  ist  er? 

bLc  a  caah  wie  ist  dein  Befinden? 
Aehnlich  wie  im  Ixil  aus  dem  Begriff  ban,  banxi  „gemacht  werden" 
der  andere  „gesund  gemacht  werden".  „Befinden".  „Gesundheit"  hervor- 
geht. —  Dieser  selbe  mit  dem  Possessivpräfix  versehene  Stamm  gibt, 
in  Verbindung  mit  den  die  Grundlage  der  Verbalausdrücke  liefernden 
Nominibus.  bezw.  mit  den  zu  Xominibus  erweiterten  Verben.  Ausdrücke, 
die  in  umschreibendem  Sinne  für  dieses  Präsens  gebraucht  werden  können, 
indem  aus  der  Grundbedeutung  „es  wird  von  mir  gemacht",  „es  wird  von 
dir  gemacht"  u.  s.  w.  die  andere  „ich  thue  es~.  „du  thust  es"  u.  s.  w. 
hervorsreht.  —  Dabei  werden,  wie  erwähnt,  wo  den  Verbalausdrücken 
nominale  Themata  zu  Grunde  liegen,  dieselben  direkt  verwendet,  z.  B.: 

^ih  das  Geschriebene,  die  Schiift.  oib-n-en  ich  schrieb, 

oib  in  cah  Schrift  wird  von  mir  gemacht,  ich  mache  Schrift  =  ich 
schreibe, 

tzic-en  mir  wurde  gehorcht,  in  tzic-ah  ich  gehorchte  ihm. 

tzic  in  cah  ich  gehorche  ihm, 

canan  Obhut,  in  canantah  ich  hütete  es, 

canan  in  cah  ich  hüte  es. 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  .  103 

Wo  aber  das  Thema  verbale  oder  aktive  Bedeutung  hat,  wie  bei  den 
absoluten  Verben,  da  muss  von  demselben  erst  die  nominale  bezw.  Relativ- 
satzform, der  Infinitiv,  gebildet  werden: 

nac-en  ich  erhob  mich,  nac-al  in  cah  ich  erhebe  mich, 

t  lub-en  icli  fiel,  luh-ul  in  cah  ich  falle, 
desgleichen  beim  Verbnm  passivum: 

tzic-en  mir  wurde  gehorcht, 

tzic-il  in  call  (dem  gehorcht  wird  das  bin  ich)  =  mir  wird  gehorcht, 
und  auf  diese  Weise  wird  in  einfaclier  und  scharfer  Art  ein  Unterschied 
hergestellt  gegenüber  den  angeführten  Formen,  die  wir  mit  dem  Präsens 
eines  Verbum  transitivum  übersetzen. 

Ich  Itin  in  diesen  Angaben  der  alten  Autorität  des  P.  Gabriel  de 
I>  uenaventura  gefolgt.  Sein  jüngerer  Kollege,  der  P.  Beitran,  lässt 
die  eben  besprochene  Form  des  Präsens  nur  für  die  Verba  neutropassiva 
gelten,  während  er  für  die  Verba  transitiva  eine  Form  angibt,  die  sich, 
wie  icli  das  später  noch  eingehend  erweisen  werde,  als  eine  Umschreibung 
mittels  eines  Gerundium  oder  Relativsatzes  ergibt  und  daher  auch  von 
P.  Gabriel  für  Relativsätze]  vorgeschrieben  wird.  Das  ist  die  Bildung 
mittels  des  8uf fixes  -ic. 

ten  cambezic^  ten  tzicic,  ten  canantic  ich  lehre  ihn,  ich  gehorche 
ihm,  ich  hüte  es  (eig.  ich  bin  der,  welcher  ihn  lehrt,  welcher 
ihm  gehorcht,  welcher  es  hütet, 

hal  ci  au  oktic  (oder  bal  lic  au  oktic)  was  ist  das  was  du  beweinst? 

in  keban  ci  in  uoktic  meine  Sünde  ist  es,  die  ich  beweine. 

Beiläufig  erwähne  ich,  dass  diese  beiden  Formen  durchaus  nicht 
immer  in  streng  präsentischem  Sinne  gebraucht  werden.  So  finden  wir 
in  der  Chronik  des  Nakuk  Pech,  mitten  in  der  Erzählung  vergangener 
J3inge,  den  Satz: 

talel  u  cah-ob  ti  cahtal  Ich  can  zi  hoo 

sie  (die  Spanier)  kamen  in  den  Distrikt  (von)  Merida. 

Ich  gehe  weiter  zum  Futurum.  Dasselbe  wird  im  Maya  mit  dem 
Zeitworte  bin  „gehen"  umschrieben.  Auch  im  Qu'iche  werden  futurische 
Formen  mittels  des  Zeitwortes  pe  „gehen"  gebildet,  z.  B. : 

c-u  pe  nu  lo'koh  Tioj-    (wörtl.   es   geht,    dass  von   mir  (Tott  geliebt 
wird)  =  es   wird   sein,    dass  Gott  von  mir  geliebt  wird  =  ich 
werde  Gott  lieben. 
Man    möchte    zunächst    vermuthen,    dass    eine    ähnliche   Konstruktion 
auch  in  der  Fnturbildung  des  Maya  vorliegt.     Dem  scheint  indes  nicht  so 
zu   sein.     Denn    die  Futurbildung    des    Maya    hat    die  Eigenthümlichkeit, 
dass  hier  mit  dem  Zeitworte  bin  „gehen"  die  Formen  des  Imperativs  ver- 
bunden   sind.     Das   würde    nun   auch  wiederum   an   sich  nicht  wunderbar 


j()4  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

sein,  <ia  das  Futurum  leicht  iniperativisclien  Sinn  erhält.  Aber  die  Formen 
des  Imperativ  weisen,  wenijistens  in  jeder  (iruppe.  übereinstimmende  Züge 
auf,  während  das  Futur  verschieden  gebildet  wird  und  nur  im  Maya  die 
eben  angeführte  Eigenthümlichkeit  zeigt.  Ich  nehme  daher  an.  dass  um- 
gekehrt der  Imperativ  (his  Prius  ist.  und  so  ergibt  sich  die  Nothwendig- 
keit,  zunächst  mit  dem  Imperativ  ins  Reiue  zu  kommen. 

Die  Imperativbildung  ist  eine  verschiedene  in  der  Konjugation,  welclie 
unsere  transitiven  Yerbalausdrücke  wiedergibt,  und  in  der  Konjugation 
der  Neutropassi va. 

In  der  ersten  finden  wir  den  Imperativ  gebildet  theiLs  durch  da.s 
nackte  Thema  (ohne  Suffix  -ah).  So  bei  den  Thematen.  die  mittels  des 
Konsonanten  z  von  iutransitiven  Thematen  sich  ableiten: 

cambez  lehre  ihn.   ocez  ti  mazcäb  wirf  ihn  ins  (refängniss, 

u  cambez  er  soll  ihn  lehren. 
Und  dasselbe  nackte  Thema  erscheint  dann  auch  im  Futur: 

bin  in  cambez  ich  werde  ihn  lehren. 
Oder  das  Thema  erhält  das  Suffix  -d  -e  -/' -d  -ü.     So  nach  F.  Gabriel 
bei  den  einsilbigen  Wurzeln,  wie  tal^  tzic.  niol,  und  der  Yokal  des  Suffixes 
richtet  sich  nach  dem  Wurzelvokal: 

talä  berühre  es,  tzici  gehorche  ihm.  molö  sammle  es. 
In  den   entsprechenden  Futurformen    finden   wir  hier  nicht  die  eben- 
genannten,  sondern  die  Suffixe  -ab  -eb  -ib  -ob  -üb,  aber  ebenfalls  betont: 

bin  in  talab  ich  werde  es  berühren,  bin  in  tzicib  ich  werde  ihm 
gehorcheu.  bin  in  molob  ich  werde  es  sammeln. 
Da  aber  sonst  allgemein  in  dieser  Sprache  der  Imperativ  mit  dem 
Futur  übereinstimmt,  so  bin  ich  geneigt,  die  letzteren  Formen  als  die 
m'sprünglichen  zu  betrachten  und  das  Imperativsuffix  aus  dem  Futursuffix 
durch  Abfall  des  Endkonsonanten  entstanden  zu  denken.'  Der  Vorgang 
stände  in  den  Maya- Sprachen  durchaus  nicht  vereinzelt  da.  So  ist  z.  B. 
fast  regelmässig  im  Cakchiquel  das  auslautende  b  des  verwandten  (^u'iche 
abgestossen.  z.  B. : 

huyub,  huyu  Berg,  cib,  vi  mich  selbst. 
Oder  aber,    Imperativ  imd  Futur    haben    das   Suffix  -e.     So    bei  den 
von  Nominibus   oder  Intransitivis    mittels   des  Konsonanten  t    abgeleiteten 
Stämmen,  z.  B.: 

canante  hüte  es,  bin  in  canante  ich  werde  es  hüten. 
P.  Beitran  schreibt  diese  Art  der  Imperativbildung  auch  den  Verben 
der  vorigen  Klasse  zu.  indem  er  auf  die  Imperative  der  Objektkonjugation, 
die  den  auslautenden  Vokal  elidiren.  verweist,  wie: 

tzicen  gehorche  mir.  tzicöb  "ehorche  ihnen, 
und  die  doch  nicht  aus 

tzici  en^  tzici  ob 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  105 

entstanden  sein  könnten.  —  Ich  halte  das  -e  bei  den  einsilbigen  Wurzeln 
für  eine  Ausdehnung  des  -e  der  mehrsilbigen  Stämme  auf  die  einsilbigen, 
und  dieses  -e  der  mehrsilbigen  Stämme  selbst,  nach  Analogie  der  vorigen 
Klasse,  aus  einem  ursprünglichen  -eb  entstanden. 

Die  Imperative  der  anderen  das  Personalpronomen  (Subjekt  der  prä- 
dikativen Aussage)  suffigirenden  Sprachen  schliessen  sich  den  obigen 
Klassen  an.  —  So  wird  im  Tzeltal  der  Imperativ  des  [transitiven]  Zeit- 
wortes paz  „machen '%  welches  in  dem  kurzen  Abriss  der  (Trammatik,  den 
Brasseur  gibt,  als  Paradigma  fungirt,  durch  Anhänguug  des  Suffixes  -d 
gebildet  [das  im  Zo'tzil  mit  dunklerer  Klangfarbe  als  -6  ausgesprochen 
wirdj. 

Im  IxiL  ist  nach  den  Beispielen,  die  Stoll  gibt,  nicht  zu  erkennen, 
ob  Suffixe  angehängt  werden,  da  alle  mit  einem  Pronominalobjekt  ver- 
sehen sind  und  vor  diesem,  wie  wir  im  Maya  gesehen  haben,  das  vokalische 
Suffix  abgestossen  wird.  Doch  ist  es  immerhin  möglich,  dass  das  i,  welches 
wir  bei  mehreren  der  Beispiele  angehängt  finden,  und  das  Stoll  als  das 
Objekt  „es''  auffasst,  dem  Suffix  -e  des  Maya  zu  vergleichen  wäre. 

Die  das  Personalpronomen  präfigirenden  Sprachen  verwenden  ein 
Tempuspräfix,  und  zwar  Cakchi(|uel  ii,  Qu'iche  und  Pokomam  chi-;  und 
zwar  tritt  bei  mehrsilbigen  Stämmen  kein  Suffix  weiter  an,  z.B.  Qu'iche: 

ch-a  meztah  nu  varabal  fege  mein  Schlafzimmer, 
höchstens  die  Optative  Partikel  ia  oder  iah,  z.  B.  Qu'iche: 

ch-a  lo'koh  tah  dass  du  ihn  liebst,  liebe  ihn! 
Einsilbige  Stämme   nehmen  das  Suffix  -a  -o  -u  an,    und   zwar  -a  bei 
dem  Wiirzelvokal  a,  e,  i,  -o  bei  dem  Wurzelvokal  o,  -u  bei  dem  Wurzel- 
vokal u,  z.  B.  Oakchi(][uel  und  Qu'iche: 

t-a  ban-ä  thu  es,  ch-av  ila  schau  es, 

t-a  tzet-a  sieh  es, 

t-a  quird  binde  es  los, 

t-a  lo'kö  kaufe  es,  ch-a  vorö  bohre  es, 

t-a  chup-ü  quetsche  es, 
und  in  der  dritten  Person,  Qu'iche: 

ch-u  chapd  ri  che  er  soll  den  Stock  nehmen, 

cM  qui  vorö  ri  che  sie  sollen  das  Holz  durchbohren. 

Für  den  Imperativ  der  Neutropassiva  haben  die  das  Personalpronomen 
suffigirenden  Sprachen  besondere  Formen  für  die  zweite  und  für  die 
dritte  Person;  das  Tzeltal  ausserdem  noch  eine  besondere  Form  für  die 
erste  Person. 

Die  erste  Person  des  Imperativs  hat  im  Tzeltal  die  besondere 
Endung  -uan. 

paz-uan  i(di  soll   machen.         paz-uan  tic  wir  sollen  machen. 


20h  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Die  zweite  Person  hat  im  T/eltal  die  Enduiii;  -an,  in  den  anderen 
Sprachen  -en.  —  Also  Tzeltal: 

paz-dn  macli!         p<iz-'iji  ic  macht! 
Im  Maya: 

nac-en  steh  auf!  cim-en  stirb!  nac-en  iw  steht  auf! 
batab  h-en  sei  ein  Cazike! 
cua-  lah-en  lebe! 
oib  n-en  schreib! 
Im   Ixil  ebenso: 

tzib-en  schreib!  el-en  geh  liinaus!  lachen  erhebe  dich! 
cox-eb-en  lege  dich  nieder. 
Die   dritte  Person   hat    im  Maya    die  Endung-   -ac  -ec  -ic  -oc  -uc,    im 
Tzeltal  die  Endung  -uc. 
Also  Maya: 

nacac  er  soll  aufstehen,    emec  er  soll  herunter  kommen,    lubuc  er 
soll  fallen.' 
un<l  im  Tzeltal: 

paz-uc  er  soll  machen. 

In  den  Sprachen,  welche  das  Personalpronomen  präfigiren.  wird  auch 
hier  wieder  ein  Tempuspräfix  gesetzt,  und  zwar  im  Qniche  ca-,  im  Cak- 
chiquel  ii-,  im  Pokomam  ii-  oder  chi-,  und  fakultativ  tritt  ein  Suffix  -oc 
(im  Pokomam  -o)  ein,  das  im  Passiv  des  Qu'iche  nach  der  Grammatik 
obligatorisch  ist.  —  Also  Qu'iche: 

c-at  el  oder  c-at  el  ul-oc  geh  hinaus! 
c-at  hkox-oc  werde  geliebt! 
Tm  Cakchiquel: 

t-a  ban-oc  thue! 
Im  Pokomam: 

ti  vi  {chi  vi)  oder  ti-v-o  (chi-v-o)  sei! 

Fragen  w-ir  nun,  was  diese  verschiedenen  Imperativformen  ihrem 
Wesen  nach  bedeuten,  so  wollen  wir  ausgehen  von  der  Form  1  des  Maya- 
Yerbum  transitivum: 

cambez  Pedro  lehre  den  Peter, 

n  cambez  Pedro  Juan  Johann  soll  den  Peter  lehren. 
Der  Fall    liegt  hier  in  den  Maya-Sprachen    ganz    anders    als    wo    in 
indogermanischen   Sprachen    ein   sogenannter  reiner  Stamm    als  Imperativ 
fungirt.     Denn,    wie    oben  auseinandergesetzt,    sind   ja  diese  Stämme  gar 
keine  Yerbalstämme,  sondern  Themata  nominaler  und  passiver  Bedeutung, 
unti  die  oben  angeführten  zwei  Beispiele  müssen  wörtlich  übersetzt  werden: 
gelehrt  Peter, 
,  von  ihm  gelehrt  Peter,  (nämlich  von)  Johann. 


2.    Das  Koiijugationssystem  der  Maya- Sprachen.  107 

Diese  Ausdrücke  sind  also  reine  Partizipialkonstruktionen,  durchaus 
vergleichbar  Konstruktionen,  wie: 

cimci  in  naa  nachdem  meine  Mutter  gestor])en  war, 
nur  dass  in  letzterem  Falle  die  Art,  wie  die  Partizipialkonstruktion  auf- 
gelöst werden  muss,  vorgezeichnet  ist  durch  das  Suffix  ci-,  welches  aus- 
schliesslich die  Vergangenheit  bezeichnet,  während  in  den  oben  ange- 
führten zwei  Beispielen  die  richtige  Art  der  Auflösung  erst  hineingetragen 
werden  niuss: 

auf  dass  Peter  (von  dir)  gelehrt  werde, 

auf  dass  Peter  von  ihm  gelehrt  werde,  von  Johann. 

Die  übrigen  Formen  des  Imperativs  des  Maya-Verbum  transitivuni 
haben,  wie  ich  oben  anführte,  wahrscheinlicherweise  ihre  Grundform  in 
den  mit  Suffix  -ab  -eb  -ib  -ob  -üb,  bezw.  [-eb]  e,  versehenen  Formen  des 
Futurs. 

Der  Konsonant  b  spielt  im  Maya  als  Suffix  eine  doppelte  Kolle.  — 
Einmal  finden  wir  ihn,  wie  schon  oben  einmal  erwähnt,  zur  Bildung 
partizipialer  passiver  Ausdrücke  verwendet.  So  finden  wir  in  der  Chronik 
des  Nakuk  Pech  die  Sätze: 

ca  tah  culcint-ab  en  und  ich  wurde  eingesetzt, 

ca  iic  uy-ab-i  u   tllan-ob   turnen  bafob-ob    und    es   wurde    gehört   ihr 

(der  Spanier)  Gebot  von  den  Häuptlingen, 
ca  tal  katunt-ab-il-ob   turnen  Cucul-ob   und  es  kam  ihr  Angegriffen- 
werden durch  die  Leute  von  Cupul. 
Eine    andere    ausgedehnte    und    eigenthümliche  Verwendung    hat  der 
Konsonant    zur    Bildung    instrumentaler  Ausdrücke.  —   So    werden    im 
Qu'iche  und  Cakchiquel  mittels  infigirteu  6's  Verba  instrumentalia  gebildet: 
camizah  tödten,  camizabeh  mit  etwas  tödten, 
camizax  getödtet  werden,  camizabex  mit  etwas  getödtet  werden, 
z.   B.   hun   abah  ch-in  camizabeh   oae  tziquin    ein    Stein    um    damit 

diesen  Yogel  zu  tödten, 
hun  abah  chuve  chi  camizabex  rech  vae  tziquin  ein  Stein,  dass  damit 
dieser  Yogel  getödtet  werde. 
Im    Maya    werden    mittels    dieses    Konsonanten    von    Yerbalstänmien 
Nomina  gebildet,  die  das  Instrument  bezeichnen,  womit  die  Handlung  aus- 
geführt wird,  z.  B.: 

bah  nageln,  bahab  (womit  man  nagelt),  der  Hammer, 

coh  klopfen,  cohob  (womit  man  klopft),   Schlägel,  Hammer, 

lom  stechen  (z.  B.  mit  der  Lanze),  lomob  mazcdb  Meissel  (eiserner). 

hee  öffnen,  heeb  Schlüssel, 

uiil  essen,  uiileb  che  (das  Holz  auf  dem  mau  isst),  der  Speisetisch. 

chuy  hochheben,  aufhängen,  chuyeb  cimen  Todtenbahre. 


108  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Aelmlich    im  QuMclu'    und  Cakohiqiiel.    nur  dass   das  Wort    noch  mit 
dem  Nominal-  (]*artizipial-)  Suffix  versehen  wird: 
tziz  nähen,  tzizbal  Nähnadel, 
tzapih  schliessen.  tzapibal  Schlüssel. 
eta  messen,  etabal  Waaire. 

c'ay  verkaufen,  c'aihal  (wo  man  verkauft),  Marktplatz, 
und  j^enau  ebenso  im  Ixil: 

echa  messen,  echabal  Maass. 
c'ay  verkaufen,  c'aibal  Marktplatz. 
Und  in  .sämmtlicheu  genannten  Sprachen   werden  in  derselben  Weise 
partizipiale  Ausdrücke  gebildet,    die   den  Sinn    eines  Finalsatzes   haben, 
so  im  Maya: 

uchebaU  uchbal  auf  dass  es  sich  ereignet,  damit  es  geschehe, 
welche  Form  geradezu  als  Finalpartikel  fungirt. 

Die  Doppelbedeutuug  des  b,  einmal  als  Passiv-,  das  andere  Mal  als 
Instrumental-Final-Suffix.  springt  auch  klar  in  die  Augen,  wenn  man  die 
Bedeutung  der  beiden  Maya-Suffixe  -6/7  und  '-ben  verfolgt.  —  Bei  den 
mit  dem  ersteren  Suffix  gebildeten  Partizipien  ist  in  dem  Lexikon  von 
Perez  regelmässig  die  Bedeutung  angegeben,  „was  gethan  worden  ist" 
oder  „was  gethan  werden  soll".  —  Und  auch  mit  dem  Suffix  -ben  finden 
wir  einerseits: 

chacben  ausgerodet, 

ataiv  ben  mit  einer  Frau  versehen,  icliamben  mit  einem  Manu  ver- 
sehen =  verheirathet   (das  erste   vom  Mann,   das  zweite  von  der 
Frau  gesagt). 
andererseits    eine    ganze    Zahl    von    Partizipien    von    der    Bedeutung    des 
lateinischen  sogenannten  Participium  Futuri  Passivi.  z.  B. : 

cliaben    annehmbar,     cuchben    tragbar    (eine   Last).    Haben    sichtbar. 

u.  A.  m. 

Aus  der  letzten  Bedeutung  entspringt   es  wohl   auch,    dass   das  Suffix 

-6/7  oder  -izil  in  Verbindung  mit  Verwandtschaftsbezeichnuns>en  und  anderen 

Nominibus  gebraucht  wird,   um  eine  unbestimmte  Possessivbeziehung  zum 

Ausdruck  zu  bringen: 

yum  bü  (der  Täter  sein  kaim)  =  Jemandes  Vater, 
tial  bü  (was  Eigenthum  sein  kann,    was   als  Eigenthum  betrachtet 
werden  muss)  =  Jemandes  Eigenthum. 
^^  ir  haben  oben  angegeben,  dass  das  Suffix  -e  —  vielleicht  entstanden 
aus    einem    [-e6]  —  im   Futur    und    Imperativ    mehrsilbiger    Stämme    die 
gleiche  Polle    spielt    wie    das  Suffix  -ab   -eb  -ib   -ob   -üb    bei    einsilbigen 
Stämmen.     Damit  stimmt  es  wohl  zusammen,    dass   wir  das  Suffix  -el   im 
Qu'iche  dieselbe  Rolle  spielen  sehen,  wie  im  Maya  das  -6/7,  d.  h.  die  des 
lateinischen  Participium  Futuri  Passivi: 

bak-el    der  durchbohrt  werden  kann   oder  durchbohrt  werden  soll, 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  109 

und  dass  im  Ixil  das  Suffix  -el,    ganz  wie  das  Suffix  -bal  gebraucht  wird, 
um  Nomina  instrumouti  zu  bilden,  z.  B.: 

muh  verbergen,  begraben,  muhet  wo  man  sich  oder  etwas  verbirgt, 
der  Winkel;  mol  sammeln,  violel  der  Haufe. 
Gehen   wir  nun   zurück    zu  der  Frage,    die   uns    hier    beschäftigt,    so 
meine  ich^  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  der  Imperativ 

tzic-en, 
mögen  wir  uns  denselben  nun  mit  P.  (fabriel  aus  einem  tzid-en  ent- 
standen denken  und  dies  auf  eine  Grundform  tzicib-en  zurückführen,  oder 
mögen  wir  mit  V.  Beitran  ein  besonderes,  aber  dem  -ah  -eb  -ib  -ob  -üb 
gleichberechtigtes  Suffix  -e  in  der  Form  annehmen,  —  in  der  Weise  einer 
])rädikativen  Aussage  oder  (dner  Partizipialkonstruktion  übersetzt  werden 
muss  mit: 

ich  bin  der,   dem   (von  dir)  Gehorsam  geleistet  werden  soll, 

oder:  —   auf  dass  mir  (von  dir)  Ofehorsam  geleistet  werde, 
~eine  Uebersetzung,  die  vollständig  mit  der  übereinstimmt,  welche  sich  uns 
oben  für  das   camhez  Pedro    ergab,    nur   dass    eben  hier    die  Art.    wie    die 
Partizipialkonstruktion     aufgelöst    werden    muss,    durcli     die    Natur     des 
Suffixes  genau  vorgeschrieben  ist. 

Ebenso  begreift  sich  die  Form   der  Futurbildung  ohne  Schwierigkeit: 

bin  in  camhez    es  geht   (es   ist  im  Werk,    es   wird   sein),    dass  von 
mir  gelehrt  wird  =  ich  werde  ihn  lehren, 

bin  in  tzicib  (P.  Gabriel)  oder  bin  in  tzice  (P.  Beitrau), 

es  geht  (es  ist  im  Werk,    es  wird  sein),    dass   von   mir  Gehorsam 

geleistet  wird  =  ich  werde  ihm  gehorchen. 

Und  w^r  sehen,  dass  im  Grunde  also  doch  die  Maya-Futurbildung  mit 

den  mittels  des  Zeitwortes  pe  „gehen"'  gebildeten  und  gleichfalls  futurischeu 

Sinn   ergebenden   (^u'iche-Ausdrücken,    von   denen    wir  oben    ein  Beispiel 

gegeben  haben,  ident  ist. 

Für  die  Richtigkeit  meiner  Auffassung  von  der  Natur  der  Formen, 
die  im  Futur  des  Maya  mit  dem  Zeitworte  bin  „gehen"  verbunden  sind, 
führe  ich  noch  au,  dass,  wo  im  Maya,  nach  Zeitwörtern  des  Gehens,  die 
eben  besprochenen  Futur-Formen  nicht  angewendet  werden,  die  Partikel 
ti,  welche  die  Richtung  oder  den  Zweck  und  das  Mittel  bezeichnet,  ein- 
zutreten hat,  z.  B.: 

tal  in  cah  in  to-ib  ex  ich  komme  euch  zu  besuchen, 

bini  ti  ximbal  er  ging  spazieren. 

Ich  gehe  weiter  zum  Verbum  neutropassivum.  Die  Form  des  Impe- 
rativs desselben,  die  uns  hier  zunächst  interessirt,  ist  die  der  dritten  Person 
Imperativi.  Es  ist  diejenige,  die  auch  in  subjunktiven  A^erbinduugen  ge- 
braucht wird  und  die  bei  der  Bildung  des  Futurs  verwendet  wird.  Die 
Kndung  derselben    ist  im  Maya   -ac  -ec  -ic  -oc  -uc,    im   Tzeltal    -uc.      Im 


HO  Erster  Abschuitt:    Sprachliclies. 

Ixil  tindt'  ich  iliose   Form  nicht  besonders  angeiieben.      Es  fragt  sich  nnn, 
was  für  eine  Bedeutung  wir  diesem  Suffixe  zuschreiben  müssen. 

In  Verbindung  mit  der  Silbe  -bal  finden  wir  das  Suffix  bei  den 
passiven  Nominalstämmen,  die  zur  Bildung  transitiver  Yerbalausdrücke 
dienen,  und  bei  intransitiven  Themateu  zur  I^ildnng  von  Partizipien  Perfecti 
verwendet,  z.  B.: 

naao-al   sich    nähern,    nao-uh   nalie   bringen,    naoac  bal    was    nahe 

gebracht  ist, 
lub  fallen,  hibuc  bal  was  gefallen  ist. 

Diese  Ausdrücke  sind  vollständig  ident  mit  anderen,  die  mittels  des 
Nominalsnffixes  vom  Participium  Perfecti  abgeleitet  sind,  z.  B.: 

lub-ül  (luub-id}  fallen,  lübul  gefallen,  [lubul  il]  lublil  was  gefallen  ist. 
In  anderen  Yerbinduniien  hat  dieses  Suffix  mehr  die  Bedeutuno-  eines 
Participii  Präsentis.     So  werden,  wie  oben  augegeben,  mittels  des  Konso- 
nanten -n  von  Nominibus  intransitive  Yerbalthemata  abß-eleitet. 

Tritt  an  diese  das  Suffix  -ac  an.  so  entstehen  adjektivisch  verwend- 
bare Nomina,  deren  Bedeutung  ist:  ..sich  so  und  so  verhaltend,  wie  das 
ursprüngliche  Xomeu  angibt'',  z.  B.: 

aak  das  Frische,  Grüne.  Feuchte,  aaknac  friscli.  grün,  feucht, 
cicil  der  Puls,  cicilnac  zitternd. 
Oder  aber,    es  tritt    an  das  ursprüngliche   Nominal-    oder  intransitive 
Yerbalthema  erst  das  Suffix  -ac  -ec  -ic  -oc  -uc  und  dann  noch  n  mit  dem 
Suffix  -ac.      So  entstehen  Nomina    von    der  Bedeutuno'    der  vorio'en.    nur 
mit  etoas  intensiver  Nebenbedeutung;  z.  B.: 
al  das  Schwere,  alacnac  schwer, 
Mn  Zeit,  Mnicnac  rechtzeitig, 
tul-al  voll  sein,  tulucnac  bis  zum  Rande  voll. 

Dass  also  diesem  Suffix,  wie  dem  Suffix  des  Imperativs  und  Futurs 
des  Yerbum  transitivum,  eine  partizipiale  Bedeutung  innewohnt,  wird  man 
nicht  bestreiten  können,  nur  dass  hier  nicht,  wie  bei  jenem,  in  der  Form 
des  Partizip  unmittelbar  eine  Instrumental-  oder  Finalsatzbeziehung  gegeben 
ist.  —  Letzteres  ist  übrigens  entbehrlich.  Denn  die  dritte  Person  des 
Imperativs  wird  kaum  jemals  so.  wie  sie  in  den  Grammatiken  angegeben 
ist,  für  sich  allein,  sondern  stets  mit  irgend  einer  exhortativen  oder  Optativen 
Partikel  gebraucht  werden.  Wo  diese  Formen  einen  Subjunktiv  darstellen, 
ist  die  besondere  Art  der  Subjunktion  durch  die  subjunktive  Konjunktion 
gegeben.  Und  das  periphrastische  Futur  erklärt  sich  einfach  unter  Zu- 
grundelegung der  partizipialen  Bedeutung  dieser  Formen: 
bin  nac-ac  en  es  geht  (wird  sein)  sich  erhebend  ich 

d.  h.  es  ist  im  Begriff,    sich  zu  erheben,   ich  =  ich  werde  mich 

erheben. 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  111 

Es  bleibt  uun  noch  die  zweite  Person  des  Imperativs  der  Yerba  nen- 
tropassiva  zu  besprechen.  Wenn  irgend  eine  Imperativform  Anspruch 
darauf  hat,  als  sui  generis  betrachtet  zu  werden,  so  ist  es  diese.  Denn 
sie  kehrt  in  keiner  subjunkti vischen  oder  futurischen  Verbindung  wieder. 
Zieht  man  aber  die  sonst  allgemeine  Verwendung  participialer  Formen 
für  Imperativische  und  futiirische  Zwecke  in  Betracht,  so  fülilt  man  sich 
doch  veranlasst,  nach  dem  etwaigen  anderweitigen  Gebrauch  des  Suffixes 
dieser  Person  sich  umzusehen.  Und  da  ist  es  denn  doch  auffallend,  dass 
gerade  das  Suffix  -en  -an  ganz  allgemein  üblich  ist  zur  Bildung  des  Parti- 
cipii  Perfecti.  —  Im  Maya  sind  allerdings  die  einfachen  mit  Suffix  -en 
versehenen  Formen  selten,  doch  finden  wir  z.  B.: 
cim-il  sterben,  cim-en  gestorben,  todt. 
Um  so  häufiger  sind  Formen,  wo  hinter  der  Wurzel  mit  Suffix  -en 
die  Wurzel  noch  einmal  wiederholt  wird.  Die  Bedeutung  ist  ebenfalls 
die  eines  Participii  Perfecti.  allerdings  meist  mit  kollektivischer  Neben- 
bedeutung, z.  B.: 

cliac  „cortar  con  golpe";  —  chac-en-chac  „cosas  cortados  con  golpe", 
cliuc  „aflojar  lo  tirante  6  estirado,  plegar  corao  fuelle."  —  chuc-en-chuc 

„cosas  flojas  ('>  suaves  que  antes  estaban  cenidas  6  tirantes", 
thon  „humillar,  inclinar".  —  tllon-en-thon  „tristes,  amodorrados,  sin 
haliento,  abatidos". 
Und  -an,  -aan  ist  die  reguläre  Endung  des  Participium  Perfecti: 

hin  gehen,  hinan  gegangen, 

nac  sich  e-rheben,  nacan^  nacaan  was  sich  erhoben  hat. 

Ich  bin  also  in  der  That  geneigt,  auch  der  zweiten  Person  des  Impe- 
rativs der  Verba  neutropassiva  die  ursprüngliche  Bedeutung  eines  Parti- 
cipii Perfecti  zuzuweisen,  welche  imperativische  Bedeutung  in  derselben 
Weise  bekommen  hat,  wie  etwa  unser  Kavalleriekommando  „Aufgesessen!'' 
—  Eine  Ditferenzirung  des  Imperativs  und  des  Partizipium  kommt  in  ein- 
facher Weise  durch  den  Accent  zu  Stande,  indem  der  Imperativ  in  ein- 
dringlicher Weise  die  letzte  Silbe  betont,  das  Participium  den  Ton  auf 
der  Stammsilbe  behält. 

Für  das  Suffix  der  ersten  Person  des  Imperativs  des  Tzeltal  wage 
ich  keine  Analyse  zu  geben. 

Der  Imperativ  der  Sprachen,  welche  das  Personal})ronomen  (das  Sub- 
jekt der  prädikativen  Aussage)  präfigiren,  reiht  sich  durch  die  Verwendung 
der  Tempuspräfixe  —  die  übrigens  im  Allgemeinen  mit  denen  des  Präsens 
übereinstimmen  —  den  andern  Temporibus  an.  Von  einer  Partizipial- 
koiistruktiou  kann  liier  daher  nur  insoweit  die  Kede  sein,  als  wir  geneigt. 


]  1  "2  Erster  Abschnitt :    Sprachliches. 

bezw.  gonöthiict  siiul.  die  tler  Konjugation  unterliegenden  Themata  als 
nuniinale  anzusehen.  Immerhin  ist  es  ein  beachtenswerther  Fingerzeig, 
dass  auch  in  diesen  Sprachen  der  Imperativ  der  Yerba  trausitiva  auf  die 
betonten  Vokale  a,  o,  u  ausgeht,  was  entschieden  an  die  (nach  P.  Gabriel) 
im  Maya  gebrauchten  Sufiixe  -a  -e  -/'  -o  -u  erinnert.  Die  mit  dem  Konso- 
nanten b  gebildeten  partizipialen  und  nominalen  Formen,  welche  meiner 
Ansicht  nach  die  (Trundform  des  Maya -Imperativs  bilden,  sind  ja  eben- 
falls, wie  ich  oben  des  Näheren  auseinandergesetzt,  nicht  nur  im  Maya 
und  Ixil.  sondern  auch  im  (^uiclie  und  C'akcliiquel  durchaus  gebräuchlich. 

IV.   Partizipialkoustruktiouen  und  Aerbalnomina. 

Ich  habe  im  Verlauf  der  obigen  Ausführungen  mehrfach  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  Themata,  welche  der  Bildung  der  transitiven  Verbal- 
ausdrücke zu  Grunde  liegen,  mit  Bestimmtheit  als  Xomina  anzusprechen 
sind.  Das  Gleiche  gilt  vielleicht  auch  für  die  Themata  der  Verba  neutro- 
passiva.  so  dass  sich  dann  der  unterschied  zwischen  beiden  Konjugatious- 
fornien  im  V^esentlichen  darauf  beschränken  würde,  dass  bei  der  einen 
die  Themata  bloss  in  prädikativer  V\  eise  mit  dem  Personalpronomen  oder 
einem  anderen  Sul)jekt  konstruirt  werden,  während  bei  der  anderen  die 
Themata  ausserdem  noch  mit  Possessivpräfixen  versehen  werden.  —  AVenn 
demnach  in  dem  Folgenden  die  Partizipialkonstruktionen  und  Verbal- 
nomina erörtert  werden  sollen,  so  sind  damit  Bildungen  sekundärer  Xatur 
gemeint,  Erweiterungen  mittels  gewisser  Suffixe,  die  eine  neue  Jfominal- 
beziehung  der  alten  hinzufügen.  Die  in  dieser  Weise  verwendeten  Suffixe 
sind  folgende: 

-al  -el  -il  -oJ  -ul  -ac  -ec  -ic  -oc  -uc 

-ah  -eh  -ih  -oh  -uh  -ak 

-aa;  -ea'  -ür  -od-  -ux  -an  -en  -in  -on  -un 

-ar  -er  -ir  -or  -ur  -am  -em  -im  -om  -um 
-at  -et  -it  -ot  -ut  -o  -ou  -u 

-ez  -iz  -ab  -eh  -ih  -ob  -üb 

-tz  -l' 

Sie  treten  einzeln  oder  in  Kombinationen  auf.  und  ihre  Verwendung 
lässt  folgende  Gesetze  erkennen: 

1.  Verschiedene  dieser  Suffixreihen  werden  in  ganz  gleicher  Weise 
verwendet. 

'2.  Die  Anfügung  dieser  Suffixe  ist  vielfach  noch  wirklich,  und  war 
ursprünglich  wohl  allgemein,  durch  lautharmonische  Gesetze  ge- 
regelt. Usus  und  Differenzirungstrieb  wirkten  indes  dahin,  dass 
in  den  verschiedenen  Sprachen  für  bestimmte  dieser  Suffixe  bei  be- 
stimmten Verwendungen  ganz  bestimmte  Vokale  Regel  wurden. 


2.    Das  Koöjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  113 

3.  Dasselbe  Suffix  bildet  einmal  Verbaliiomina,  die  wir  als  Abstracta 
oder  in  grammatisclieni  Sinne  als  Infinitiva  aufzufassen  geneigt 
sind,  während  das  andere  Mal  Ausdrücke  b(^stinnnt  partizipialer 
Natur  entstehen,  die  wir,  je  nachdem,  durch  einen  Relativsatz  oder 
einen  Adverbialsiitz  wiedergeben  können. 

Das  Suffix  -al  -el  -il  -ol  -ul  fungirt  im  Maya  als  lnfini,tivenduug  der 
Verba  neutropassiva.  Die  Endung  ist  betont,  und  die  Anfügung  ge- 
schieht bei  den  einsilbigen  Wurzelverben  nach  lautharmonischen  Ge- 
setzen: 

nacül    sich    erheben,    uenel  scldafen,    cimil  sterben,    ocöl   eintreten, 
iubül  fallen. 
Bei  erweiterten  Stämmen  überwiegt  die  Endung  -al: 

uinic-h-aL  Mann  sein  oder  werden,  camhez-ah-al  unterrichtet  werden, 
bin-eh-al  gehen  werden. 
Wo    Nomina    abstracta    von    anderen   Nominibus  gebildet  werden,   die 
Kndung  -//.' 

chu^  Weib,  chu\nl  das  Weib  sein  (la  calidad  de  ser  mujer), 
al  schwer,  aJil  die  Schwere;  —  noh  gross,  noliil  die  Grösse, 
cKucil  locker,  eliuclil  das  Lockersein. 
Mit  derselben  Endung  wird  in  den  Grammatiken  von  dem  Präteritum  der 
Verba  neutropassiva  und  der  Verba  transitiva  ein  Infinitiv  Präteriti  gebildet: 
naci-il  sich  erhoben  liaben,  vambezah-il  ihn  gelehrt  haben. 
Dasselbe  Suffix  -al  -el  -il  -ol  -ul  finden  wir  aber  auch  als  Partizipial- 
endung  und    zwar   als    die   des   Participium   Präteriti   der    Verba   absoluta. 
Doch  bleibt  dann  der  Ton  auf  der  Stammsilbe : 

näcal  aufgestanden,  gestützt,  clietel  gefallen. 
Durch  AViederholnng  der  Wurzelsilbe  hinter  dem  Suffix  entstehen  eine 
Art  Particij)ia  intensiva: 

ac  etwas  Breites,    ac-tal  sich    auf  dem   Boden  ausbreiten,    ac-al-ac 

was  sich  auf  dem  Boden  ausbreitet  und  Pfützen  bildet, 
cliet  gekrümmt,    cl'ieet-el   von   der  geraden  Linie   abweichen,    cl'ietel 
cl'iet  sich  vielfach  krümmend. 
iJei  erweiterten  Stämmen  herrsclit  die  Endung  il: 

biz-ab-il    was  gebracht  worden  ist  oder  was  gebracht  werden  soll. 
Mit    lU'rselben    Endung  //  oder  ul  werden    von   Noniinibus    Adjektiva 
gebildet: 

xan~il  na  ein  mit  Palmblättern  gedecktes  Haus, 
utz-ul  uinic-ob  die  guten  Männer. 
Und  nur  wie    ein  Artikel  fungiren   diese  Emlungen,    wo    ein  passiver 
Nominalstannn   substantivisch  gebraucht  werden  soll: 

in  cliucalt  ich  lockerte  etwas,  cl'nic-il  das  Gelockerte, 
ppa.rü  oder  ppaa;ul  das  Geliehene. 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  1.  ^ 


114  Erster  Abschnitt:    Spracliliches. 

Häutiu  cxistiit  die  Porm  mit  (lern  oinfaclioii  Suffix  nicht,  oder  es 
wird  in  anderer  Redeutnni»'  gebraucht,  alter  es  existirt  das  Suffix  in  Kom- 
position: 

ciin-il  sterben,  chn  lal  der  Todte, 
ueni'l  schhifen.  der  Schlaf,  uen-l-ic  schhifeijd. 
Und  so  hin  ich  geneigt,  das  vielfacli  verwendete  Suffix  -lac  -lic, 
welches  aus  passiven  o(k^r  intransitiven  Stämmen  Partizi])ialnomina  kollek- 
tiver oder  pluraler  Bedeutung  bihlet.  auf  dieses  Suffix  -al  -el  -il  -ol  -ul, 
dessen  Snffixvokal  elidirt  ist.  mit  dem  Kollektiv-  oder  Pluralsuffix  -ac  -ic 
zurückzuführen: 

tl'ion  niedergebeugt,  in  tlionuh  ich  beugte  nieder, 
tlion-oc-nac    niedergebeugt,    traurig  (Sing.),    tl'ionlac^    tl'ionlic    dass. 
(Flur.). 

Lni  Quiche  und  Cakchiquel  fehlt  die  im  Maya  so  häufige  infinitivische 
Verwendung  dieses  Suffixes.  —  Wohl  aber  werden  mit  ihm,  wie  im  Maya. 
von  Nominibus  neutraler  Bedeutung  Nomina  abstracta  gebildet.  Sänimt- 
liche  fünf  Suffixvokale  werden  verwendet,  doch  gewinnt  es  den  Anschein, 
als  ob  dabei  nicht  Lautharmonie,  sondern  Lautdiskrepanz  das  Be- 
stimmende wäre.     Vgl.  im  Quiche: 

nim  gross,  nimal  Urösse;  —  chaom  schön,  chaomal  Schönheit. 

zak  w^eiss,  zakil  W^eisse;  —  utz  gut,  .utzil  Güte;   —  cou  stark,  couil 

Stärke, 
tzil  schmutzig,  tzilol  Schmutzigkeit. 
Ferner  wird    in  ausgedehntem  Maasse  auch    in    diesen   Sprachen    das 
Suffix  zur  Fartizipialbildung  verwendet,  und  zwar  macht  es,  neutralen  und 
passiven  Stämmen  angefügt,    Nomina   agentis   (Participia  Präsentis).      Die 
Anfügung  geschieht  nach  laut  harmonischen  Gesetzen: 

hanaL  machend,  bakal  durchbohrend,  vaal,  val  essend, 
hakal  durchbohrt  seiend, 
me'kel  w^ärmend. 
Dabei  ist  offenbar  die  Endung  unbetont.      Denn  bei  auslautendem 
h,  k,  z  wird  der  Suffixvokal  elidirt,  z.  B.: 
c^azl  lebend,  c'ohl  seiend. 
Von  den  passiven  Nominalstämmen,  die  zur  Bildung  transitiver  Verbal- 
ausdrücke dienen,  wird  erst  das  Verbum  absolutuni  auf  o  oder  u  gebildet, 
und  diesem  das  Suffix  angefügt.     So  entstehen  auf  -0/  und  -u/  auslautende 
Nomina,  die  den  berufsmässigen  Ausüber  der  betreffenden  Thätigkeit  be- 
zeichnen: 

ban  gemacht  werden,  banol  der  Verfertiger,  der  Schöpfer. 

tzakol,  bitol  der  Erbauer,    der  Bildner    (Ausdrücke   des  Popol  Vuh 

für  den  weltschöpfenden  Gott), 
muk  begraben  werden,  mukul  der  Todtengräber. 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  Ili5 

Und  mit  dem  einen  instrumentalen  Sinn  involvirenden  e,  welches  wohl 
ursprünglichem  -eb  entspricht,  zusamm<m  (vgl.  oben),  bildet  das  Suffix 
Participia   Futuri  Passivi.  die  auf  -e/  auslauten. 

in  bakel  avumal  =  „yo  he  de  ser  horadado  por  iv\  ich  nmss  durch 
dich  durchbohrt  werden, 
bei  erweiterten  Stämmen    lierrscht   die  Endung  -al,  so  bei  dem  Xominibus 
instrumenti: 

eta  messen,  etabal  Waage:  —  cay  verkaufen,  c'atbal  Marktjilatz. 

Das  Ixil  schliesst  sich  in  der  Verwendung  dieses  Suffixes  im  Allge- 
meinen dem  Qu'iche-Gebrauch  an.  insofern  die  infinitivische  Verwendung 
desselben  fehlt.     So  heisst  „ich  will  essen"  im  Maya: 

in  kati  Iian-al 
und   im  Ixil: 

nie  ung-za  chüon^ 
ferner  in  der  Bildung  von  Xominibus  agentis  von   intransitiven  Stämmen : 

lo'k  gekauft  werden  Id'k-o-I  und  lo'k-on-al  der  Käufer, 
und  in  der  Bildung  von  Nominibus  instrumenti  von  den  mit  b  oder  e  er- 
weiterten Stämmen: 

eta  messen,  etabal  das  Maass, 

wuh  verbergen,  begi'aben.  muhel  wo  man  etwas  verbirgt,  der  Winkel. 

Allen  Sprachen  gemein  ist  die  Verwendung  dieses  Suffixes,  um  die 
unmittelbare  Zugehörigkeit  eines  Dinges  zu  einem  andern,  im 
Gegensatz  zu  dem  blossen  Besitzverhältniss  zu  bezeichnen  —  ein  Fall,  in 
welchem  bekanntlich  auch  das  Mexikanische  statt  der  einfachen  Ding- 
wörter selbst  die  von  denselben  gebildeten  Abstracta  auf  _yo-^/ verwendet,  z.  B. : 
no-nac   mein    Fleisch,    das   Stück  Fleisch,    das   ich    gekauft  habe. 

das  mir  gehört. 
no-naca-yo  das  Fleisch  meines  Körpers, 
und  so   natürlich  auch    —    denn  der  Herr,    der  Edelmann    ist  nicht  mein 
Eigenthum,  sondern  gehört  zu  mir  — 
no-tecu-yo  mein  Herr. 
Im  Maya  wird  dabei,  wenn  der  betreffende  Gegenstand  zu  einer  dritten 
Person    gehört    und    diese    dritte    Person    ausdrücklich    genannt    ist.    das 
Possessivpräfix  der  dritten  Person  als  überflüssig  nicht  gesetzt,  z.  B.: 

u  clieen  in  yum  der  Brunnen  meines  Vaters,  d.  h.  welcher  meinem 

Vater  gehört,  welcher  Eigentlmm  meines  Vaters  ist, 
cl'ten-el  in  yum  der  Brunnen,    aus    dem    mein  Vater    sein    Wasser 
nimmt. 

Die  anderen  Sprachen  setzen  das  Possessivpräfix.    Also  im  Quiche: 
nu  bak-il.  v-iboch-il  die  Knochen,  die  Adern  meines  Leibes, 

8* 


l|iß  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

ka  pokolah-il.  k  iih'u-al,  ka  iiolt-il  unser  Staub,   unsere  Erde,    unser 
Fleisch  d.  h.  der  Staub,    der  Koth.    das  Fleisch   aus    dem  unser 
Körper  besteht. 
u  pop-ol  chat  die  Matratze  des  Bettes, 
r  izm-ul  nu  vi  das  Haar  meines  Kopfes, 
und  so  auch  —  denn  der  Herr  ist  nicht  mein  Fi^euthiim.   sondern  gehört 
zu  mir  — 

k  ahau-al  Jezu  Cria'to  unser  Herr  .lesus  (')iristus. 

Was  nun  die  ( irundbedeutung-  dieses  vielseitig-  verwendeten  Suffixes 
angebt,  so  meine  ich,  dass  sich  die  verschiedenen  Bedeutungen  desselben,  die 
infinitivische,  die  Abstracta-bildende.  die  adjektivirende  und  die  Participia- 
und  Nomina-bildende,  am  besten  vereinigen  lassen,  wenn  wir  ihm  als  ur- 
sprüngliche Bedeutung  die  eines  Kelativpronomen  oder  Gerundivsuffixes  zu- 
schreiben. Und  ich  kann  nicht  unterlassen,  darauf  hinzuweisen,  dass  der 
Konsonant  /  auch  unter  den  Denionstrativpronominibus  und  Demonstrativ- 
partikelu  eine  grosse  Rolle  spielt,  und  dass  auch  in  dem  Zustand,  den 
diese  Sprachen  gegenwärtig  repräsentiren.  die  Verwendung  dieser  Partikeln 
zu  Zwecken,  wo  wir  ein  Relativ})ronomen  anwenden,  ganz  allgemein 
üblich  ist. 

Das  Suffix  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh  haben  wir  oben  zum  Theil  schon  be- 
sprochen. —  Wir  fantlen.  dass  dasselbe  im  Quiche  Cakchicpiel  «len  Xominal- 
stämmen  passiver  Bedeutung,  welclie  zur  Bildung  transitiver  Ausdrücke 
verwendet  werden,  angefügt  wird,  um  durch  diese  Anfügung  die  besondere 
Verwendung  dieser  Themata  zur  Bildung  transitiver  Ausdrücke  zu  kenn- 
zeichneu  —  im  Gegensatz  zur  Bildung  passiver  Verbalausdrücke  mittels 
Prädikatskonstruktion.  Da  im  Lebrigen  das  durch  das  Suffix  bereicherte 
Thema  genau  ebenso  verwendet  wird,  wie  die  suffixlose  AVurzel.  so  muss 
auch  die  Xatur  des  erweiterten  Themas  die  gleiche  sein,  wie  die  AVurzel. 
d.  h.  das  Suffix  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh  muss  in  diesem  Falle  nomenbildende 
partizipiale  Kraft  haben.  Und  wenn  wir  in  dersellien  AVeise  das  Suffix 
auch  intransitiven  Wurzeln  angefügt  finden,  z.  B.: 

j;ub.  xubah^  xubih^  xubuh  pfeifen, 
so  kann  uns  das  eben  nur  in  der  oben  schon  mehrfach  ausgesprochenen 
\  ermuthung  bestärken,  dass  auch  die  Verba  intrausitiva  eigentlich  Xominal- 
themata  sind,  die  nur  ohne  Possessivpräfix  gebraucht  und  ausschliesslich 
prädikativ  konsti'uirt  werdei].  —  AA'elcher  Suffixvokal  bei  der  Anfügung 
zur  VervNeudung  gelangt,  dafür  existiren  keine  Regeln.  Zum  Theil  scheint 
auch  hier  Lautdiskrepanz  das  Bestimmende  gewesen  zu  sein: 

tzibah  schreiben. 

rabeh,  rabi/i,  rabuh  auf  Faden  reihen. 

atzamili  salzen,  lobih  Frucht  essen, 

tihoh   lehren. 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  117 

Bei  «leii  von  Participiis  Perfectis  auf  m  abgeleiteten,  bei  deu  mittels 
<les  Konsonanten  z  ge])il(leten  Koni])ulsiv(Mi  und  bei  den  mittels  des  Konso- 
nanten t  gebildeten  Passiven  wird  -«Ä  bevorzugt,  z.  B.: 

c'olem  das  8ein,  das  Wesen,  tolemah  Jemand  gewöhnen, 
catn  sterl)en,  camizah  tödten, 

ban    thun,    il   sehen    —    haiiatah    gethan    werden,    ilatah    gesehen 
werden. 
Bei  den    mittels   -ab   -eb   -ib  -ob  -üb    abgeleiteten  Yerbis    instrumenti 
ist  -eh  Regel: 

ramizabeh  mit  etwas  tödten. 
Deutlich  partizipiale  nomeubildende  Kraft    hat   das   Sufhx  -oh  -uh  da, 
wo  es,  einer  Art  reduplizirten  Stamms  augefügt,  zur  Bildung  von   intransi- 
tiven Partizipien  pluraler  Bedeutung  dient,  z.  B.: 
ba  kauen,  baboh  die  Gekauten, 
buk  durchbohren,  bakaboh   die  Durchbohrten, 
pil  schinden,  pilipoh  die  Geschundenen. 
zu  reinigen,  zxizuh  die  Gereinigten. 
Und  wie  im  Maya    mittels    des   Buffixes  -//  -ui    von    den   eine   Eigen- 
schaft bedeutenden  Wurzelnominibus  Adjektiva   abgeleitet   werden,    so   im 
Qu'iche   und   Cakchiquel  von    den    von    den  Wurzelnominibus  abgeleiteten 
Nominibus  abstractis  mittels  des  Suffixes  -ah. 

Maya:  —  utz-ul  ninic-ob  die  guten  Männer, 
Qu'iche:   —    ufz-il-ali  ach  ein  guter  Mann. 
Dasselbe  Suffix  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh  kommt  im  Qu'iche  und  Cakchiquel 
aber  auch  in  Verwendungen  vor,   die   wir  nicht  anders  als  infinitische  be- 
zeichnen können.      So  in  Sätzen  wie   das  oben   schon   einmal  angeführte: 
c-u  pe  nu  lo'koh  Tiox  es  geht,    (es   wird  sein),    dass  Gott  von   mir 

geliebt  wird.  =  ich  werde  (xott  lieben, 
ka  in  rap  {rapah)  ich  schlage  Jemand  —  hun  rapah  ein  Schlag. 
Und    wenn    von    den    zur    Bildung    transitiver    Verbalausdrücke    ver- 
wendeten   Stämmen    mittels  o  und  u    die    Absoluta    gebildet    werden,    so 
entsteht   durch   Herantritt    dieses  Suffixes    —    natürlich    unter  Elision  des 
Suffixvokals  —  der  normale  Infinitiv  oder  das  Verbalabstraktum: 

ca  in  bak  ich  tlurchbohre  etwas,  —  bakoh  die  Thätigkeit  <les  Dureli- 

bohrens, 
poloh  das  in  Ohnmacht  Sinken, 
puluh  das  Kochen,  z.  B.  u  puluh  pah  das  Schäumen  des  Meeres. 

Im  Maya  ist  das  Suffix  ungleich  seltener.  Den  wurzelhaften  passiven 
Nominalstämmen  entsprechende  Erweiterungen  mit  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh 
existiren  nicht.     Man  sagt: 

tzic  in  cah  ich  gehorche  ihm.  canan  in  cah  ich  hüte  es, 
und   nicht 

tzicih  in  ca/t,  canantah  in  cah. 


US  Erster  Abschnitt:    S]>rachliches. 

Nur  bei  den  Kompulsiven  auf  -z  nitr  in  derselben  Weise  wie  im 
(^u'iche  das  Suffix  -ah  auf: 

cambezah  in  cah   icli  uuterriehte  ilni. 
Auch  die  Bildung"  von  Adjektiven    von   Nominil)us   abstraetis,    die  wir 
eben  im  Qu'iche  erwähnt  haben,  fehlt  im  Maya.     Sie   ist  hier  überflüssig, 
da  das  blosse  Suffix  -//  -ul  diesem  Zwecke  genügt. 

H^ine  dem  Maya  eigenthümliche  Verwendung   dieses  Suffixes  tinde  ich 
in   <lem  h,    welches,    Nominibus  angefügt,    neutrale  Themata    mit   der    Be- 
deutung „zii  dem  und  dem  gemacht",    „das  und   das  seiend"  bildet,  z.  B  : 
— '   eek-h-al  schwarz  sein,  schwarz  werden. 

Qu'iche  Cakchiquel  verwenden  zu  diesem  Zwecke  das  Suffix  -ar  -er  -in 
-or  -ur. 

Im  Allgemeinen  lässt  sich  sagen,  dass  im  Maya  und  im  Quiche  und 
Cakchiquel  die  Suffixe  -er/  -el  -il  -ol  -ul  und  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh  einander 
eru'änzen.     Man  vergleiche  z.  B.:         _ 

Maya:  —  in  cliucah  ich  lockerte  etwas    —   clhic-il  das  Gelockerte, 

lockern, 
Quiche:    —   x  in  rap-(^ah)  ich  schlug  Jemand  —  hun  rap-ah  ein 

Schlag, 
Maya:  —  y  ah-al  cab  das  Erwachen  der  Welt,  Tagesanbruch. 
Qu'iche:   —  u  pul-uh  palo  das  Schäumen  des  Meeres. 
Ich  glaube  berechtigt  zu  sein,    dem  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh   eine  ähnliche 
(rrundbedeutung   zuzuschreiben,    wie   ich    sie   vorhin   für   -al  -el  -il  -ol  -ul 
annahm.     Und  ich  weise  darauf  hin,   dass  das  h  unter  den  Demonstrativis 
des  Qu"iclie   und    Cakchiquel   eine   ähnliche    Rolle   spielt,    wie   das  /  unter 
den  Demonstrativis  des  Maya. 

Ich  erwähne,  dass  es  im  Qu'iche  und  Cakchiquel  noch  ein  zweites 
Suffix  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh  gibt,  welchem  ein  Maya- Suffix  -ah  entspricht, 
welches  aber  wesentlich  ein  Präteritalsuffix  zu  sein  scheint.  —  Wir 
finden  es  im  Qu'iche  in  der  sogenannten  pluralen  Konjugation.  Neutro- 
passiven  Verbalthematen  angefügt  und  mit  dem  Pluralsuffix  -eb  -e  oder 
eiak  versehen,  bildet  es  plurale  Ausdrücke,  die  Brasseur  als  besondere 
Konjugation  aufführt: 

k-oh  lo' k-ox-eh-eb  wir  sind  geliebt, 

x-e  ca7n-ih-eb  sie  sterben,  x-e  be-ah-eb  vinak  die  Leute  giengen, 
x-e  ban-at-ah-ah-e  (oder  banatahehe  oder  banatahihetak)  sie  wurden 
gemacht. 
Im  Maya  entspricht  diesem  Suffix  das  -ah,  das  wir  im  Präteritum  der 
transitiven  Wurzelkonjugation  finden: 

in  tzicah  ich  gehorchte  ihm,  in  niolah  ich  sammelte  es. 
so  wie  im  Präteritum  der  mittels  der  Konsonanten  -/  und  -n  von  Nominibus 
oder  passiven  Thematen  abgeleiteten  Absoluta: 

cah-l-ah-i  er  wohnte,  bin  cahl-ac  er  wnrd  wohnen. 


•_'.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  119 

oih-n-ah-en  ich  schrieb,  cHa-haa-n-ah-en  ich  holte  Wasser,    bin  oih- 
nac-en  ich  -sverde  scliroihon,  hin  cha-haa-nac-en  ich  werde  Wasser 
holen. 
Es  ist  das  Letztere  eine  ucnere  BiMung,   denn   P.  (i;il»ri<'l  giht  noch 
als  Regel  au: 

Hb-n-en  ich  schrieh,  cf'ia-haa-n-en  icli  holte  Wasser. 

Ueher  (his  Suffix  -ax  -ex  -ix  -ox  -ux  haben  wir  oben  schon  gesprochen. 
Es  ist  ein  dem  Suffix  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh  paralleles  Suffix  und  tritt  im 
Qu'iche  und  C'akchiquid  überall  für  das  letztere  ein,  wo  die  mit  diesem 
Suffix  versehenen  Stäninic.  prädikariv  mit  dem  Personalpronomen  konsh'uirt, 
zur  Bildung  passiver  Verbalausilrücke  verwendet  werden : 

ca  ka  lo'k-oh  wir  lieben   ihn.  k-oh  lo'k  ox  wir  werden  geliebt, 

ca  ka  camizabeh   wir  tödten  mit  etwas,   k-oh  camizabex  wir  werden 

mit  etwas  getödtet, 
X  ka  tzapatzoh    wir  vei'si'hiosseu.    x-oh  tzapatzox    wir    wur<len    ein- 
geschlossen. 
Eine  Ausnahme  machen  allein  die  mit  -i  erweiterten  Stämme,  vielleicht 
weil  bei  ihnen    dnrcli    das  -t  die   passive  Beziehung  schon  genugsam  aus- 
gedrückt ist 

k-oh  banat-ali  wir  werden  gemacht. 

Auch  über  -ar  -er  -ir  -or  -ur  haben  wir  schon  gesprochen.  Es  bildet, 
wie  das  h  des  Maya,  im  Quiche  und  Cakchiquel  Stämme,  welche  bedeuten, 
..zu  dem  und  dem  werden"  oder  „zu  dem  und  dem  gemacht  werden*-'.  — 
Die  Yokalisation  der  Anfügung  entspriclit  der  der  vorigen  beiden  Suffixe. 

Dürfen  wir  ein  Suffix  -at  -et  -ii  -ot  -ui  annehmen?  —  Für  sich  allein 
kommt  es  nur  im  Tzeltal-Passiv  auf  -oi  vor,  und  in  dem  t,  welches  im 
mnieren  .Maya  statt  des  h  an  Nomina  antritt,  mit  der  mehrfach  genannten 
Bedeutung  „zu  dem  und  dem  gemacht-\  z.  B.: 

uinic-t-al  zum  Mann  werden,  uinic-h-i  er  wurde  ein  Mann, 
und  welches  schon  im  älteren  Maya  statt  des  /  in  der  Bedeutung  ..mit  dem 
und  dem  versehen"  gebraucht  wird. 

cux-t-al  mit  Herz  versehen  sein,    leben,   c'ux-l-a/t-i  er  lebte,  c'ux- 
l-ac  er  wird  leben. 
In  Verbindung  mit  -ah   bildet   es  im  Qu'iche  und  Cakchiquel  passive 
Stämme: 

ban-at-ah  gemacht  werden,  il-it-ah  gesehen  werden,  rtnik-ut-ah  be- 
graben werden, 
und  im  Maya  viel  verwendete  Kom)ndsiva. 

Auch  z  und  iz  erseheinen  regelmässig  in  Verbindung  mit  -ah.  Be- 
deutung ebenfalls  „zu  dem  und  dem  gemacht",  „zu  der  und  der  Thätigkeit 


120  Erster  Absclinitt:    Sprachliches. 

gebracht".  Die  damit  y(»])ildpteii  Kompulsive  liahe  ich  o})en  schon  l»e- 
sprocheii.  Ein  Suffixvokal  fehlt  entweder,  oder  es  wird  mit  Vorliebe  e 
und  /  jj;ebraucht. 

Nur  in  der  Maya- Endung  tzil  erscheint  der  Konsonant  unabhänui»;- 
von  der  Endung  -ah.  Die  Bedeutung  von  -tzil  ist  die  gleiche,  wie  die 
oben  schon  besprochene  von  -6/7,  d.  h.  gleichzeitig  passiv  nnd  final. 

Ueber  das  Suffix  -ac  -ec  -ic  -oc  -uc  habe  ich  oben,  bei  Gelegenheit 
des  Imperativs  und  der  Futurbildung  des  Maya-Verbum  neutropassivuni. 
schon  eingehend  gesprochen.  —  Doch  ist  hier  noch  die  besondere  und 
eigenthümliche  A^erwendung  zu  erwähnen,  welche  das  Suffix  -ic  sowohl 
im  Maya  wie  in  den  Guatemalasprachen  erfährt. 

Das  Suffix  -ic  hat  im  Maya  zwei,  aber  in  engster  Beziehung  zu  ein- 
ander stehende  Verwendungen,  nämlich  zur  Bildung  von  Relativsätzen  und 
zur  Bildung  infinitivischer  Ausdrücke.  In  beiden  Fällen  tritt  das  Suffix 
an  die  passiven  Nominalthemata,  die  zur  Bildung  transitiver  Verbalaus- 
drücke verwendet  werden,  direkt  an.  So  in  der  Chronik  des  Nakuk  Pech: 
toon  ix  yax  oa-ic  patan  yetel  oicil  Hob, 

wir    auch  waren   die  ersten,    welche   gaben    Tribut   und   Gehorsam 
ihnen. 
Diese  Formen  mit  vorangeschicktem  Personalpronomen,  oder  richtiger 
demonstrativem  Personalausdruck  —  sind  es,    welche   P.  Bei  trän  als  die 
reguläre  Form  des  Präsens  der  Verba  transitiva  angibt: 

ten  tzicic  ich  gehorche  ihm,  ten  cambezic  ich  lehre  ihn,  ten  canantic 
ich  hüte  es. 
Aber  schon  die  Wortstellung  widers])richt  dieser  Auffassung.  Denn 
im  Maya  steht  das  Subjekt  nach.  Die  angeführten  Ausdrücke  bestehen 
aus  einem  Haupt-  und  einem  Nebensatz  —  um  mich  so  auszudrücken  — 
und  bedeuten:  ,,ich  bin  der,  welcher  ihm  gehorcht,  der,  welcher  ihn  lehrt, 
der.  welche]'  es  hütet''. 

Auch  an  intransitive  Themata  tritt  das  Suffix  mitunter  direkt  an: 

lai  yad'  cah-ic-ob  dort  wo  zuerst  sie  wohnten. 
In    der  Regel  aber  wird  von  diesem  erst,    mittels   des  Suffixes   -al  -ei 
-il  -ol  -ul  ein  Nomen  gebildet,  und  diesem  die  Endung  -ic  angefügt: 
nok  tepp-l-ic  das  Kleid,  in  das  er  sich  hüllt. 
utz  luum  cah-l-ic  in  yurn  gut  ist  das  Land,   in  welchem  mein  Vater 

wohnt, 

ina  uah  tu  liun-al  cux-l-ic  uinic  nicht  ist  Brot    das  einzige,    wovon 

der  Mensch  lebt. 

Es  kann    aber    auch  dem  ganzen  Ausdruck    die  Partikel  lic  und  Heil 

vorangeschickt  werden    —    die   offenbar  nichts  Anderes    darstellt    als    die 

Demonstrativpartikel  mit    diesem    Suffix  ic  versehen   —   und   darnach  das 

Verbum  in  der  relativen  Form  folgen,  d.  h.  Verba  absoluta  mit  der  Endung 


2.    Das  Konjugationssystem  der  Maya- Sprachen.  121 

-al  -el  -il  -ol  -ul,  die  passiven  Noniiiialtheraata,  die  zur  Bildung  transitiver 
Yerbalausdrücke  dienen,  mit  der  i^^ndung  ic: 

utz  yaab  kan  Heil  ä  uenel    sehr    gut  ist  die  Hängematte,    darin  du 

schläfst, 
lay  tzimin  lidl  in  bin-el  das  Pferd,  auf  dem  ich  reite, 
tech  Heil  u  al-cun-ic  u-ol  dn  bist  <ler,   auf  den  ich  mein   Vertrauen 

setze, 
huun  Heil  in  canic  das  Buch,  aus  dem  ich  lerne. 
Aus  der  Verwendung  zu  Relativsätzen  und  zu  Infinitiven  geht  die 
:andere  zur  Bildung  von  Objektsätzen  und  Finalsätzen  hervor.  Und  hier 
sind  wiederum  überall  die  Verba  neutropassiva  mit  dem  Suffix  -al  -el  -il 
-ol  -ul,  die  passiven  Nominalthemata,  die  zur  Bildung  transitiver  Verbal- 
ausdrücke dienen,  mit  dem  Suffix  -ic  gesetzt,  z.  B.: 

paya  Pedro  eavibezic  palaloh  rufe  Peter,   dass  er  die  Knaben  lehre, 

cHa  tok  ä  cimzic  pek  lo  nimm  das  Messer,  um  damit  diesen  Hund  zu 

tödten. 

In  diesen  Verbindungen  kommt  die  Bedeutung  des  Suffixes  sehr  nahe 

derjenigen,    die    wir  oben    für    die  im  Futur    und  Imperativ    verwendeten 

Suffixe  -ab  -eb  -ib  -ob  -üb  festgestellt  haben.    In  der  That  finden  wir  auch 

die  Futurformen    in    ganz  gleicher  Weise  wie  diese   infinitivischen  Suffixe 

verwendet: 

in  kiUi  binel  ich  will  gehen, 

in  kati  in  lovi-ob  Juan  ich  will  Johann  stechen, 

in  kati  d  cambezie  in  mehen  ich  will,    dass  du  meinen  Sohn  lehrst, 

paija  Pedro  cambezie  palalob  und  paija  Pedro  u  cambez  palalob, 

rufe  Peter,  dass  er  die  Knaben  lehre, 
in  payah  in  pal-il  in  tlian-ab  ich  rief  meinen  Knaben,  um  mit  ihm 
zu  sprechen. 
und  ich  hätte  diese  ganzen  Auseinandersetzungen  und  Beispiele  auch  oben 
zur  Stütze  meiner  Erklärung  des  Maya-Imperativ-Futurs  anführen  können. 
Das  Suffix  -ic  verbindet    sich  mit  dem  präteritalen  i,   und  so  entsteht 
die  Endung  -ci,    das  präteritale  Korrelat  des   Suffixes  -ic,    —    wie   dieses, 
ausschliesslich  in  partizipialem  gerundivischem  Sinne  gebraucht. 

eiiHci  in  naa  meine  Mutter,    welche   gestorben   ist,    oder:    nachdem 

meine  Mutter  gestorben  war, 
ah-ei  cab  nachdem  die  Welt  aufgewacht  war,    nach   Tag<'sanbruch, 
lay  tzimin  Heil  in  binei  das  Pferd,  auf  dem  ich  geritten  bin. 
so  auch  geradezu  Adjektiva  bildend. 

in  cliuc-ah  ich  lockert«'  —  cliucliuc-ei  faltig,  locker. 
Ein  (lerundiv  des  Futurs  wird  gebildet,    indem  man  das  Verbum  -bin 
zu  Hülfe  nimmt  und  den  Stämmen  des  Verbum  transitivums  die  Cierundiv- 
endung  des  Präsens  -ic  gibt,  beim  Xeutropassivum  mit  dem  bin  den  soge- 
nannten Infinitiv  Futuri  verbindet,  d.  h.  die  durch  Kombination  des  Suffixes 


]-2'2  Krster  Abschnitt:    Sprachliches. 

-ab  -eb  -ib  -ob  -üb  mit  dem  Kelativ-  (Intinitiv-)  Suffix  al  ü,('1til<leten  Parti- 
cipia  absoluta,  welche  wie  schon  oben  augeführt.  die  Bedeutung'  eines 
Finalsatzes  haben.     Man  sagt  also.  z.  B.: 

huun  licil  in  canic,  can-ci  in  yum,  bin  iv  n  canic-ob  in  mehenob  xan 
das  Buch  ans  dem  ich  (es)  lerne,  aus  dem  mein  Vater  gelernt 
hat  und  aus  tlem  meine  Söhne  lernen  werden, 
luinn  Jiiil  in  nianeU  tnanci  in  yiunob.  bin  ix  manebalob  u-ioinob 
das  Land  iu  das  ich  gehe,  in  das  meine  Väter  eingegangen 
sind,  und  in  das  auch  meine  jiingereu  Brüder  eingehen  werden. 

Im  Qu'iche  und  Cakchiquel  finden  wir  ilas  Suffix  -ic  wieder  als 
Infinitivendung  der  Verba  neutropassiva.  Denn  diesen  Sprachen  fehlt,  wie 
ich  oben  angab,  der  Infinitiv,  welchen  das  Maya  mittels  des  Suffixes  -a 
-el  -il  -ol  -ul  von  neutralen  und  passiven  Stämmen  Viildet.  Im  Qu"iche 
sagt  mau  dagegen  mittels  des  Suffixes  -ic: 

nu  bak-ic  avumal  mein  Durehbohrtwerden  durch  dich.  =  ich  werde 

von  dir  din'chbohrt, 
yiu  bakonic    (nu  bakou  ic)    rech  tzalam    mein   Bohren    in   Bezug   auf 

«len  Tisch,  =  ich  durchbohre  den  Tisch, 
nu  doh-e-ic  mein  Wesen,  mein  Sinn,  meine  Xatur. 
In  »lem  Abriss  der  Cakchiquel-Sprache  von    S.  Juan  Zacatepequez 
gil)t  St  oll    eine  Participialform    auf  -on-ic    an.    mit    der   Bedeutung   eines 
hifinitiv  Futuri: 

7iu  lo'k-on-ic  mein  Kaufenwerden  =  ich  werde  es  kaufen. 
Man  kann  das  verschieden  erklären,    entweder  als  Itifinitiv,    von  dem 
mittels  -n  abgeleiteten  Verbum   absolutum   gebildet,    oder  als   Grerundium, 
von  dem  Participium  Perfecti  auf  -on  abgeleitet: 

mi  lo'k-on-ic  indem  es  von  mir  gekauft  wird,  welches  von  mir  ge- 
kauft wird, 
was  übrigens  im  Grunde  vermuthlich  auf  dasselbe  hinauslaufen  wird. 
Jedenfalls  ist  auch  im  Qu'iche  diese  Form  vollkommen  ident  der.  welche 
man  als  Infinitiv  Futuri  bezeichnet,  d.  h.  dem  mittels  des  Suffixes  -ab  -eb 
-ib  -ob  -üb  und  der  Relativ-  (Infinitiv-)  Endung  -al  gebildeten  Participium 
absolutum.     Man  sagt: 

u  k^ih  lo'k-ob-al  oder  u  k'ih  lo'k-on-ic  es  ist  Zeit  zu  lieben. 
chire  ii  lo'k-ob-al  und  chire  u  lo'k-on-ic  um  ihn  zu  lieben. 
Im  Maya  tritt  in  solchen  Fällen  bei  A'erbis  neutropassivis  der  mit  -a/ 
-el  -il  -ol  -ul  gebildete  Infinitiv,  bei   den  Stämmen  des  A^erbum  transitivnm 
dii'   Form  auf  -ic  ein : 

ü  habil  cimil  es  ist  Zeit  zu  sterben, 

ü  kintzil  d  choch-ic  d  keban    es    ist    Zeit,    dass    du    deine    Sünden 
beichtest. 
Ich  erwähne  noch,  dass  im  Maya  ein  Suffix  -ac  existirt,  welches  jeden- 
falls dem  oben  erwähnten  zweiten  -ah  -eh  -ih  -oh  -uh  bezw.  -ah  des  Maya 


2.    Das  Koiijugatioussysteiu  der  Maya- Sprachen.  123 

ideiit  ist,    (1.  h.   präteritiile  Beileiituii';'  hat.      Wir  timleu   dasselbe   Nomiiial- 
liihlimgen  uud  Frage])roiioiiiiiiibus  angefügt: 

alabil  was  gesagt  ist  oder  werden  soll  —  alabüac   es  war  gesagt. 
alintabü    was  geboren  ist  oder  werden  soll   —   alintabilac  was  ge- 
boren war. 
alakbil  Hanstiiier  —  (tlakbilac  es  war  im   Hause  aufgezogen, 
bahun  wie  viele?   -     hahunac  wie  viele  waren  es? 
bikin,  bikinx  wann?  —  bikin.vac  wann  war  es? 
Das  Huffix  -ic  tritt   im  (juiclie    und  Cakchiquel    auch   adjektivbildend 
auf.     Wie  mittels    des  Suffixes  -oh  -uh  von  einer  Art    reduplizirten  inten- 
siven   Stammes    Partizipien    und    Adjektiva    pluraler    Bedeutung    gel)ildet 
werden,  so  werden  von  einem  in  ganz   gleicher  Weise  hergestellten  redu- 
l>lizirteu  Stamm    mittels    des  Suffixes   -ic  Adjektiva    singularer  Bedeutung 
gebildet;  z.  B.: 

bol  rollen,  bolob-ic  hinßi  ein  runder  Berg, 
li  stellen  (vom  Wasser),  lilic  ta'kah  flache  Ebene, 
che  Holz,  checkte  holzig. 
Diesem  Singularsuffix  -ic  ents])richt  ein  Plural-Suffix  -ak: 

bolobak  huiju  runde  Berge,  lilak  ta'kah  flache  Ebenen. 
Dieses    Adjektiv  -  Pluralsuffix    kommt     auch    bei     anderen     einfachen 
Stämmen  vor: 

nimak  ha  grosse  Häuser.^) 
Und    ebenso    findet    sieh    bei   einfachen   Stämmen   -ic,    aber    auch    als 
Adjektiv-Pluralsuffix : 

utz-ic  va  gute  Speisen,  hebelic  ivok  eine  schöne  Erau.'^) 
Und  neben  -ic  und  -ak  finden  sich,  nicht  nur  im  Qu'iche  und  Cak- 
ehiquel,  sondern  auch  in  den  anderen  Sprachen  weit  verbreitet,  -tic  und 
-tak  (take)  als  Kollektiv-  oder  Pluralpartikeln.  Ich  habe  bei  Uelegenheit 
der  Possessivpräfixe  und  des  Personalpronomen  auf  ihre  Verwendung  auf- 
merksam gemacht.  Und  -lac  und  -lic,  die  Adjektiv- Pluralsuffixe  des  Maya, 
habe  ich  oben  schon  Gelegenheit  gehabt  zu  erwähnen. 

Dass  alle  diese  Suffixe  unter  sich  verwandt  sind,  unterliegt  keinem 
Zweifel.  Dass  sie  aber  auch  in  Beziehung  zu  dem  Gerundialsuffix  -ic 
stehen,  das  scheint  mir  aus  den  Qu'iche-Beispielen: 

bolobic  huyu,  lilic  ta'kah  u.  A. 
und  dem    ganz  ähnlichen  adjektivischen  Gebrauch    des  Suffixes   -//   -ul  im 
Maya  hervorzugehen. 

Ich  komme  nun  zum  Suffix  -an  -en  -in  -on  -un,  für  welches  in  manchen 
Sprachen  (Quiche),  oder  in  manchen  Yerwemlungen  -am  -em  -im  -om  -um 
eintritt. 


1)  Im  Mam:  —  vimuk  izi  whiak  „grosse  Leute''. 

•2)  Ebenso  im  Zo'tzil,  Tzeltal:  —  lequ-k  „gute  Leute";  izael-ic  „kleine  Leute". 
Im  Mam  dafür  -ek:  —  ban-ek  ,,guto   Leute"'. 


l'J4  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Die  Verwendung  dieses  Suffixes  zur  Bildung-  von  Partizipien-Perfecti 
habe  ich  oben,  yelei^entlich  des  Imperativs  der  zweiten  Person  der  Yerba 
absoluta,  schon  besprochen.  —  Es  wäre  hier  höchstens  noch  nachzutragen, 
<iass  im  Quiche  und  C'akchiquel  diese  Partizipien,  mit  dem  Possessiv- 
präfix versehen,  sehr  allgemein  verwendet  werden,  um  eine  Art  Präterital- 
konjugation  herzustellen,  so  im  Cakchiquel: 

nu  yk-on  mein  (Gekauftes  =  ich  habe  es  gekauft, 
und  im  Qu'iche 

baiiom  c-u/tial  von  mir  gethaii. 
a  ba7W)ii  dein  Gethanes  =  du  hast  es  gethan. 
Die  Verwendung  dieses  Suffixes  beschränkt  sich  indes  nicht  auf  diesen 
präterital-partizipialen  Gebrauch.  Wir  finden  dasselbe  vielmehr,  ganz  wie 
das  an  erster  Stelle  besprochene  Suffix  -a/  -e/  -//  -0/  -u/  einerseits  ver- 
wendet, um  Nomina  agentis  oder  Participia  Präseutis.  andererseits  um 
Infinitive  zu  bilden. 

Zur  Bildung  von  Xominibus  agentis  tritt  im  Quiche  das  Suffix  -an 
statt  des  Suffixes  -a/  -el  -il  -ol  -ul  an  alle  die  neutralen  oder  passiven 
Stämme  an.  welche  auf  -/  auslauten: 

cul-an  begegnend,  pul-an  kochend,  hul-an  glänzend. 
Andere  Beispiele  solcher  Verwendung  dieses  Suffixes  liefert   das  Ixil: 
tz'ac  malen,  tz'ac-an  der  Maler. 

(vgl.  fe'a  färben,  tz'a-on-al  der  Färber), 
eVka  stehlen,  eV'kon  der  Dieb. 
Und  hier  bringt  der  Fortgang  unserer  Betrachtungen  uns  allerdings 
von  selbst  dem  schon  oben  angedeuteten  Gedanken  nahe,  dass  die  mittels 
desselben  Konsonanten  -n  abgeleiteten  Themata,  die  war  bei  den  absoluten 
Anerben  besprochen  haben.  —  weil  sie.  prädikativ  mit  dem  Personal- 
pronomen konstruirt.  sich  durch  objektlose  Yerbalformen  übersetzen  lassen, 
—  auch  nichts  Anderes  seien,  als  Nomina  agentis  und  mit  den  anderen 
Verbalnominibus  auf  -n  ident  seien. 

Für  die  infinitivische  Verwendung  dieses  Suffixes  liefert  ebenfalls  das 
Ixil  treffende  Beispiele: 

in  nie  banon  mein  jetzt  Thun  =  ich  thue  jetzt, 
in  cat  banon  mein  damals  Thun  =  ich  that. 
171  la  banon  mein  dann  Thun  =-  ich  werde  thun. 
Und  im  Quiche  finden  wir  bei  den  Stämmen  des  Verbum  transitivum 
die    Endung    -an,    bei    den    neutropassiven    Stämmen    die   Endungen    -em 
oder  -in  in  sehr  eigenthümlicher  Weise  verwendet  zu  infinitivischen  Kon- 
struktionen : 

eu  verborgen,  heimlich,  ca  in  eu  (ah)  ich  verberge  etwas. 

eu-an  r-ih  v-ech    das  Sichverbergen  in  Bezug  auf  mich,    mein  Sich 

verbergen  =  ich  verberge  mich. 
cai/eu  eu-an  r-ib  schwer  ist  das  Sichverbergen. 


2.   Das  Konjngationssystem  der  Maya- Sprachen.  ]25 

und  mit  iieutropaBsiven  Stämmen: 

cant-eni  v-ech  oder  cani-ic    vech    das   Sterben    in    IJezuü,-    auf    niirli. 

mein  Sterben  =  ich  sterbe, 
caijeu  bin-eni  schwer  ist  das  (iehen. 
Dasselbe  Suffix  tritt  an  das  Nomen  agens  der  Neutropassive : 
cuh  sitzen,  cnhuleni  das  Sitzen.  u 

tza'p   verschh)ssen  sein,    tzap-al-em  c-ech   das  Yerschlossensein    in 
Bezug  auf  mich,  mein  Verschlossensein  =  ich  bin  eingeschlossen. 
Schliesslich   scheint  im    Mam   -em    die  reguläre    Endung  des  Infinitiv 
Präsentis,  -im  -in  die  des  Infinitivs  Präteriti  zu  sein. 

Als  letztes  konsonantisch  auslautendes  Suffix  hätten  wir  dann  noch 
-ab  -eb  -ib  -ob  -üb.  Die  eigenthümliche  Bedeutung  desselben  habe  ich 
schon  ol»en  bei  der  Besprechung  des  Imperativ -Futurs  des  ^[aya  aus- 
führlich klar  gelegt. 

Es  bleiben  nun  noch  die  vokalisch  auslautenden  Suffixe  -o,  -ou,  -u 
und  -e.  —  Die  ersteren  drei  sind  vollständig  parallel  dem  Suffix  -an  -en 
-in  -on  -un  und  haben  neben  diesem  ihre  Besprechung  beim  Yerbuni  ab- 
sohituni  gefunden. 

Das  Suffix  -e  ist  parallel  dem  Suffix  -ab  -eb  -ib  -ob  -üb  und  ist  im 
Anhang  zu  diesem  besprochen  worden.  Es  kommen  jedoch  noch  Fälle 
der  Verwendung  dieses  Suffixes  vor,  die  anders  geartet  zu  sein  scheinen. 
—  Das  ist  einerseits  die  Verwendung  im  (ju'iche,  wo  es  nach  Brasse ur 
mit  dem  Personalpronomen  konstruirte  neutrale  Verben  (von  transitiven 
Yerbalstämmen  abgeleitet)  l»ilden  soll. 

Und  dann  finden  wir  das  Suffix  im  Ixil  in  einer  Art  infinitivischer 
Verwendung,  bei  neutropassiven  Stämmen  verwendet  und  Themata  bildend, 
die  mit  dem  Possessivpräfix  verbunden  theils  Präterita,  theils  Präsentia 
ergeben : 

v-ul-e  (mein  Gekommensein)  =  ich  kam, 

ni  v-ul-e  (mein  jetzt  Gekommensein)  =  ich  komme 

Schliesslich  erwähne  ich  noch,  ilass  sowohl  das  Suffix  -ic  wie  das 
Suffix  -e  —  vermuthlich  wegen  der  (dnfachen  demoustrativen  Bedeu- 
tung, die  ihnen  ursprünglich  inne  wohnte,  in  einer  Weise  abgeschwächt 
auftreten,  (hiss  sie  nur  noch  als  Exjjletivpartikeln  zu  fungiren  scheinen. 
So  ist  -ic  im  Quiche  und  Cakchiquel  die  selten  fehlende  Partikel,  mit 
welcher  der  Satz  abgeschlossen  wird, 

apazvari  c-u  ban  Pablo f  was  thut  Paul?  tziban  ic  er  schreibt. 

L'nd  ebenso  erscheint  -e  im  Maya  und  im  Ixil,  theils  am  Schluss  des 
Satzes,    theils  am  Ende  von  Abschnitten  desselben,    in   einer  Weise,    dass 


1-26  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

es  einem  wirklich  schwer  wird,  ihm  noch  irgend  welche  Bedeutunu'  beizu- 
messen; z.  B.  in  der  Chronik  des  Nakuk   l'ech: 

lue  toon  ix  kam-e  tu  oaolal-ob-e    nnd  wir  nahmen    sie  auf  mit  Auf- 
merksamkeiten. 
Hier  fungirt  allerdings   das   erste  -e  in  einer  Weise,   wie  wir  -ic  ver- 
wendet finden. 

^wir  waren  diejenigen,  die  sie  aufnahmen." 
Aber    was    dann    das  zweite  e  besagen  soll,    ob    es  nur  das  mit  dem 
ersten  Gesagte    noch   einmal  aufnehmen  soll,    oder  was  sonst,    vermag  ich 
nicht  zu  sagen. 

SchlQSsbemerliuugeu. 

In  jeder  sich  entwickelnden  Sprache  machen  sich"  neben  einander 
zwei  entgegengesetzte  Prinzipien  geltend.  Das  eine  bedingt  ein  Proli- 
feriren.  das  Auftreten  einer  Fülle  verschiedener  Formen  für  denselben 
Gedanken,  dieselbe  Beziehung.  Das  zweite  bedingt  ein  Zurückschneiden 
der  Triebe  durch  das  zur  Herrschaft  gelangte  Differeuzirungsstreben.  Für 
ilie  Wirksamkeit  dieser  beiden  Prozesse  im  Gebiete  der  3Iaya- Sprachen 
glaube  ich  in  dem  vorstehenden  Abschnitt  Material  genug  beigebracht  zu 
haben.  Im  Uebrigen  kann  ich  auch  nicht  entfernt  daran  denken,  die  hier 
sich  aufdrängenden  Fragen  in  der  Weise,  wie  sie  eigentlich  behandelt 
werden  müssten.  zu  erledigen.  Dazu  wäre  erforderlich  das  ganze  Material 
der  Sprache  heranzuziehen,  der  Formenlehre  und  Syntax  in  allen  ihren 
Wandlungen  nachzugehen.  Dazu  bietet  diese  kleine  Abhandlung  keinen 
Kaum,  und  unsere  Kenntniss  dieser  Sprachen  ist  auch  noch  zu  lückenhaft, 
das  Material,  «las  wir  benutzen  können,  zu  unvollständig. 

Am  meisten  habe  ich  bedauert,  dass  für  das  3Iam  mir  nicht  nielir 
Material  vorlag.  Die  kurzen  Xotizen.  welche  Pimente!  gibt,  lassen  er- 
kennen. <lass  die  bekannten  Verhältnisse  der  anderen  Maya-Spracheu  auch 
hier  die  Grundlage  bilden.  Doch  scheinen  eine  Reihe  interessanter  Be- 
sonderheiten zu  existiren,  die  uns  für  die  Auffassung  der  Sachverhältnisse 
auch  in  den  anderen  Sprachen  Aufschluss  gewähren  könnten.  Hoffen 
wir,  dass  in  nicht  zu  ferner  Zeit  ein  kundiges  Ohr  und  eine  berufene 
Hand   die  Lücke  füllen. 

Im  Uebrigen,  glaube  ich,  werden  die  obigen  Betrachtungen  und  Nach- 
weise genügen  festzustellen,  dass  ein  Gesetz  in  der  exuberanten  Vegetation 
von  Suffixen  und  Formen  herrscht,  und  dass  es  gleichartige  und  parallele 
Bildungen  sind,  die,  die  einen  hier,  die  anderen  dort,  vorherrschen  und 
der  jedesmaligen  Sprache  ein  besonderes  Gepräge  zu  geben  scheinen. 


Notice  sur  les  langues  Zapoteque  et  Mixteque.  127 


3. 
Notice  sur  les  langues  Zapoteque  et  Mixteque. 

Comptc  rendu  de  la  VIIF'me  Session  du  Congres  International  des  Americanistes. 
Paris  1890,  pag.  550—555. 


C'est  pour  des  raisons  puremeiit  pratiques.  afin  de  gagner  un  poiiit 
d'appui  dans  l'etude  des  antiquites  du  pays  des  Zapoteques,  qiie,  duraut 
ces  dernieres  annees,  je  me  suis  efforce  de  faire  la  connaissance  de  la 
laiigue  zapoteque  et  de  ses  alliees  et  de  peiietrer  les  lois  qui  gouverneut 
ces  Jangues.  J'ai  reuni  les  resultats  de  mes  etudes  dans  un  petit  memoire 
que  je  pense  publier  dans  quelque  temps.  Pour  niaintenant,  je  demande 
la  permission  de  sigualer  tel  ou  tel  point  qui  parait  d'interet  special. 

La  prononciation  et  la  forme  des  mots  varient  considerablement.  Pour 
,,je  pique".  ou  „je  perce  aveo  une  fleche"  on  dit  dans  le  district  de 
Tlacolula  tdo-a,  dans  celui  d'Ocotlau  rUu-a;  pour  „celui  qui  pique'\  on 
dit  la  peni-cöto  et  ici  benni-göto.  Quant  ii  la  region  des  Mixteques,  on 
dit  par  exeraple,  a  Tepozcolula  dzutundi  ou  taandi  mon  pere,  et  a  Yanhuitlan 
rMaa  nchu.  Pour  „le  travail"  on  dit  a  Tepozcolula  tnino  ;i  Yanhuitlan 
chino.  Mais,  en  general,  ce  sont  des  lois  tres  precises  qui  president  aux 
variations  et  aux  nuances  de  la  prononciation.  .I'ai  pu  le  constater,  parce 
que.  pour  la  langue  zapoteque.  j'avais  ä  ma  disposition  l'ancien  vocabulaire 
tres  complet  du  tres  reverend  pere  Fr.  Juan  de  Cordoba.  qui  collectionna 
ses  phrases  dans  le  district  de  Tlacochahuaya.  et  un  autre  vocabulaire 
manuscrit.  aussi  bien  complet,  qui  fut  compose  en  mil  sept  cent  quatre- 
viiigt-treize  ä  Saint-Martin  Tilcagete  du  district  d'Ocotlan.  Et  pour  les 
dialectes  Mixteques  on  pourra  constater  la  meme  chose,  en  comparant 
l'ancienne  grammaire  du  tres  reverend  pere  Fray  Antonio  de  los  Reyes. 
ecrite  dans  le  dialecte  de  'rej)Os<'olula.  et  le  catecliisme.  publie  par  le 
))('re  Fray  Antonio  Gonzales  en  mil  sept  cent  dix-neuf,  qui  appartient 
au  meme  dialecte,  avec  les  catechismes  en  „Idioma  Mixteco  segun  se  habla 
en  los  curatos  de  la  Mixteca  Baja  et  en  Idioma  Mixteco  Montanez".  publies 
])ar  Teveche  de  Puebla  en  mil  huit  cent  trente-sept. 

Les  elements  constituants  de  tonte  langue  soTit  ces  associations  simples 
de  sons  articules  qu'on  s'est  accoutume  crappeler  les  radicaux,  et  que 
riiomme  inventa  pour  designer  les  choses  palpables  qui  se  presentaient  ä 
liii    dans    ses    environs    immediats.     T.a   langue   naipiit    au    nioinent    oii  se 


l^js  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

forma  une  regle  poiir  associer  ces  sons  coinplexes  suivciiit  le  rapport  qui 
existait  ou  quoii  croyait  voir  entre  les  choses  nieme.  Le  moyeu  le  plus 
simple  <le  mettre  en  avant  eette  assoeiation.  cetait  de  distiiiguer  j>ar  la 
Position  le  sujet  et  le  verbe.  le  substantif  et  ladjectif.  le  possesseur  et  la 
chose  possedee.  Voila  la  loi  syntactique  la  plus  elementaire.  La  formatiou 
de  eette  loi  nVst  pas  la  raeme  dans  les  differentes  langues.  mais  eile  est 
eil  vigueur  daus  toute  laugue.  si  compliquee  quelle  soit.  Et  generale- 
lueiit.  eile  est  siiivie  dune  mauiere  d  autant  plus  rigoureuse.  qut'  la  langiie 
iiieme  est  moins  compliquee.  Les  langues  mixteques-zapoteques  suiveut 
la  regle  de  mettre  la  uotiou  qualiliante  apres  la  uotiou  qualifiee.  Et 
coiume  iiotion  qualitiante  ne  figureiit  pas  seulenient  Tadjettif  vis-ii-vis  de 
soll  substantif.  j)as  seulement  ladverbe  vis-ä-vis  de  soii  verbe.  mais  aussi 
le  sujet  vis-ji-vis  du  verbe.  C  est  le  fouclionnemeut  de  eette  regle  qui 
me  prouve  que  le  verbe  et  le  nom  entrent  dans  la  meme  categorie. 

Je  cite  eomnie  exemples  pour  le  fonctionuemeut  de  la  regle  signab^e. 
»Ml   laugue  Mixteque: 

tay-yaha  oet  bomine.  tuy-cuisi  boiunie  blaue. 

tay-yucu  bomme  de  la  moutague.  montagnard. 

ihe-quete  la  bete  est  debout.  iiie-tejidolio  la  cruclie  est  debout. 

yo-siiii-mani-itahii-ndi  je  vois  avec  bienveillance  siir  quelquun. 

yo-smi-vhui-naha-ndi  je  vois  avec  haiiie  sur  quelqu  nn. 
En  laugue  zapoteque: 

peni-tij  ou  benni-Hj  cet  homme.  manni-Hj  cet  aniinal. 

guela-yaa  uuit  claire.  guela-tola  nuit  obscure. 

peni-tani  montagnard.  late-tani  pays  montagueux. 

tago-a  je  mange.  tago-xata-yu  je  niauge  V)eaucoup. 

ri/iaa-ckn-ya  je  vois  avec  bienveillauce  sur  quelqu  uu. 

n  naa-todo-ya  je  vois  avec  haine  sur  quelquun. 
Dapres  eette  loi.    le  regime   direct   ou  indirect   fonctionne    egalement 
corame    notioii    qualifiante.    a  peu  pres   de   la   meme   mauiere.    comme   uu 
adverbe,  et  pour  eette  raison  est  incorpore  ;i  la  locutiou  verbale,  p..  e..  en 
Mixteque: 

yo  chihi-iiuhu-fidi  je  mets  le  feu  h  quelque  cbose. 

yo-chihi-cattiu-ndi  j'attacbe  un  iiceud  ;i  quelque  chose. 
Xaturellement.  il  n'est  pas  tont  a  fait  de  rigueur  d  incurporer  les 
ailverbes  et  les  regimes.  C'ela  se  defeud  en  raison  de  la  constinictiou  de 
la  phrase,  qui  deviendrait  n-op  compliquee;  cest  une  conseqiience  de  la 
faiblesse  de  la  pensee  humaine.  qui  est  incapable  dembrasser  dun  trait 
la  notioii  et  tous  ses  qualifiants.  Alors  c'est  par  la  postposition.  par  des 
Supplements  qui.  naturellement  sont  prouonces  apres  la  declaration  ])riu- 
cipale,  quon  cherche  a  completer  la  phrase  coramencee. 

Les  eategories    les  plus   elementaires    et  principales  dans   une  laugue 
sont  Celles  qui  correspondent  aux  notions  du  sujet.   c"est-ä-dire  de  la  per- 


").   Noticc  sur  les  langues  Zapoteque  et  Mixte(|ue.  129 

sonne  qui  parle,  et  de  la  personne,  a  laqnelle  les  i)aroles  se  dirigent. 
C'est  un  fait  tres  curieux  que  dans  la  langue  zapoteque  il  y  a  un  radical 
(|ai  change  sa  voyelle  suivant  la  personne  qui  le  (|ualifie.  C'est  le  verbe 
au  aller,  cpii  se  coiijugue  de  la  niauiere  suivant(!: 

i'l-aa-ifa^  ri-ee-lo^  ri-ee-ni  je  vais,  tu  vas,  il  va, 

ri-oo-ton-oo,  ri-ee-too^  ri-ee-ni  nous  allons,  vous  allez,  ils  vont. 
Nous  voyons  que  \a  se  modifie  en  e  pour  distinguer  la  preniiere 
personne  de  la  seconde  et  de  la  troisienie,  c"est-a-dire  pour  distinguer 
celui  qui  parle  des  autres  auxquols  ses  paroles  s'adressent  ou  qui  sont  en 
dehors  de  la  conversation  inunediate.  Et  nous  voyons  que  Va  se  modifie 
en  0  j)Our  distinguer  celui  qui  parle  de  la  totalite  qui  enibrasse  celui-meme 
qui  parle  et  les  autres.  Cette  nienie  loi  fonctionne  dans  bon  nombre  de 
prefixes. 

Xous  rencontrons  la  moditieation  de  1"«  en  e  ou  o  eneore  ailleurs 
dans  la  langue  zapoteque.  La  voyelle  a  s'emploie  pour  designer  un  aller, 
un  mouvement  a  un  point  eloigne  de  celui  qui  parle,  et  l'action  de  faire 
une  chose  ])0ur  la  premiere  fois.  La  voyelle  e  semploie  pour  designer 
larrivee,  le  retour,  la  repetition,  p.  e.: 

aa.  zaa  aller,  ele,  ete  venir, 

zaa  aller,  ezaa  aller  de  nouveau, 

aca^  zaca  etre  fait,  eaca,  ezaca  etre  fait  de  nouveau. 
Dans  d'autres  cas  la  voyelle  a  signifie  la  direction  en  haut,  la  voyelle 
e  la  direction  en  bas,  p.  e: 

aa  monter,  quiaa^  caijaa  en  haut, 

ete  descendre,  queta,  quete  en  bas, 

aza  sauter  en  haut,  aze  tomber  en  bas, 

liza  eriger,  elever.  Uze,  Ute  incliner,  abaisser, 

bau  en  haut,  heureux,  riebe,  fortune,  bee  etre  assis  sur  la  terra  ou 
tirer  quelque  chose  du  fond  dune  autre, 

baa-bee  pele-mele,  soudain. 
De  meme  la  voyelle  a  signifie  la  surface,  la  voyelle  o  Liuterieur: 

aa  etre  etendu  sur  la  surface,  oo  etre  dans  Tinterieur  d'une  chose, 

caa  mettre    un  objet  sur  la  surface  d'un  autre,  c.oo  le  mettre  dans 
l'interieur  d"un  autre, 

zaa    aller   sur    la    surface   d'une    chose,    zoo  etre  debout    dans    un 
certain  point, 

zaa-zoo  pele-mele,  soudain. 
II  resulte  de  ces  exemples  que  la  niodification  de  Ya  en  e  ou  en 
0  signifie  une  difference  de  la  direction.  Peut-on  en  deduire  que  la  modi- 
tieation semblable,  par  laqnelle  se  distinguent  la  premiere  personne  de  la 
seconde  et  la  premiere  personne  du  singulier  de  la  premiere  personne  du 
pluriel,  se  derive  de  ce  (pie  les  differences  des  personnes  dans  Torigine  ne 
sont  pas    autre    chose   quune  diiference    de  direction?     Je   crois   que  oui. 

Seier,  (Gesammelte  Abhandlungen  1.  y 


IgQ  Erster  Abschnitt:    Sprachliches. 

Car  si  vraimeut  il  en  est  aiusi.  comme  uiie  differeuce  de  la  direotion  iie 
represente  que  deux  extremes,  il  en  resulte  comme  cousequeuce  logique 
qu'a  Torigine  le  pronom  de  la  secomie  personne  doit  etre  le  merae  que 
celui  de  la  premiere  personne  du  pluriel.  Et  c'est  justement  ce  qu'on 
observe  dans  les  langues  zapoteque  et  mixteque.  Dans  la  langue  zapoteque 
le  pronom  de  la  premiere  personne  du  singulier  sVxprime  par  la  voyelle 
a,  les  autres  personnes  par  la  voyelle  o,  mais  on  place  devant  lui,  la 
consonne  /,  pour  designer  la  seconde  personne  du  singulier;  la  consonne  t 
ou  r.  pour  designer  la  seconde  personne  du  pluriel;  et  la  consonne  n,  pour 
designer  la  premiere  personne  du  pluriel,  p.  e: 
pizaana-ya  ma  soeur,  pizaana-lo  ta  soeur, 
pizaana-noo  notre  soeur,  pizaana-too  votre  soeur. 

11  Y  a  plus  de  Variation  dans  les  dialectes  mixteques,  mais  on  re- 
connait  toujours  que  les  memes  affixes  servent  pour  la  seconde  personne  et 
pour  la  premiere  personne  du  pluriel.  Dans  la  langue  de  Tepozcolula, 
c'est  la  voyelle  i  qui  fonctionne  pour  la  premiere  personne  du  singulier, 
la  voyelle  o  qui  fonctionne  pour  les  autres  personnes;  mais  toujours  les 
voyelles  sont  unies  ä  une  dentale,  qui  dans  ce  dialecte  se  prononce  comme 
un  d  ou  uu  d  nasal: 

dzutu-ndi  mon  pere,  dzutu-ndo  ton  pere, 
dzutu-ndoo  notre  pere,  dzutu-ndohoo  votre  pere. 

Dans  les  autres  dialectes  Vi  de  la  premiere  personne  se  remplace 
par  un  u  court,  et  la  dentale  se  transforme  en  une  /,  ou  r  ou  _?/,  et  dans 
la  seconde  personne  quelquefois  dans  la  palatale  ch,  et  meme  dans  la 
gutturale  g. 

Les  dialectes  zapoteques  et  ceux  de  la  langue  mixteque  presentent 
cette  differeuce,  que  les  premiers  emploient  la  voyelle  a  pour  la  premiere 
persoune  du  singulier,  les  derniers  la  voyelle  i.  Par  contre,  c"est  la  voyelle 
i  qui.  dans  la  langue  zapoteque,  sert  a  designer  la  troisieme  personne  et 
le  demonstratif,  et  c'est  la  voyelle  a,  par  laquelle.  dans  les  langues  mix- 
teques, ces  personnes  s'expriment. 

On  voit  ainsi  que  les  transformations  des  langues  se  gouvernent,  en 
premier  Heu,  par  recononiie,  par  la  necessite  de  tenir  compte  du  nombre 
restreint  des  sons,  qui  sont  a  leur  dispositiou.  Je  ne  peux  entrer  ici  dans 
toutes  les  peripeties  de  ces  langues  simples,  mais  bien  developpees.  Ce 
que  j'ai  eu  riiouneur  de  vous  presenter.  vous  servira  de  preuve  qu'il  y  a 
des  problemes  interessants  a  resoudre  partout  oü,  sur  l'ancien  sol  du 
Nouveau-Monde,  on  veut  enfoncer  la  beche. 


Zweiter  Abschnitt. 


Bilderschriften. 


^fp 


1. 

Der  Codex  Borgia  und  die  verwandten  aztekischen 

Bilderschriften. 


Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    "22.  Januar  1887. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX,  S.  U05)-(114). 


Unter  den  in  der  Kingsborough' sehen  Sammlung  enthaltenen  Bilder- 
schriften nicht  historischen  Inhalts  befindet  sich  eine  Anzahl,  die  ihrem 
Inhalt    und    der    Art    der  Darstellung    nach    unstreitig    zusammengehören. 

Das  sind: 

1 .  der  zweite  Theil  des  Codex  Telleriauo  Remensis  und  die  vorderen 
Tafeln  des  Codex  Vaticanus  A.; 

2.  der  Codex  Borgia,  Vaticanus  B.,  Bologna,  Fejerväry  und  Codex 
Laud,  welche  letztere  beide  wieder,  dem  Styl  der  Darstellung 
nach,  unter  sich  die  grösste  Aehnlichkeit  zeigen; 

8.    der    Codex    Viennensis    und    die    Codices    der    Bodley- Sammlung, 
welchen  sich  ein    im  Besitz   des    Frhrn.   von  Waecker  -  Götter, 
des    deutschen  Ministerresideriten    in    Mexico,    befindlicher    Codex 
anschliesst,    der    mit    leider    ziemlich    verwischten    tzapotekischen 
liegenden  versehen  ist. 
Für  die  ersten  beiden  dieser  Codices,  den  Codex  Telleriauo  Remensis 
und  Vaticanus  A.,    existiren   verlässliche   Interpretationen,    aus  den  ersten 
Zeiten  nach  der  Conquista  stammend  und  von  Missionaren  herrührend,  die 
in  langjährigem  persönlichem  Verkehr  mit  der  Bilderschrift  kundigen  Ein- 
gebornen  standen.    Für  die  anderen  fehlen  solche.    Denn  die  Interpretation, 
welche  der  Jesuit  Fabregat  für  den  Codex  Borgia    geliefert  hat,    ist  nur 
eine    Studie    auf    Grund    des    von    den    beiden    erstgenannten    gelieferten 
Materials  und  stammt  aus  einer  Zeit,    wo   die  Kenntniss  der  alten  Bilder- 
schrift im  Volke  nicht  mehr  vorhanden  war.      Bei   einer  Durchmusterung 
der  Handschriften  der  Gruppe  2  erkannte  ich,  dass  die  Hauptdarstellungen 
des  Codex  Telleriauo  Remensis  und  Vaticanus  A.,    theils  direkt,   theils  in 


234  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

verwandten  Darstellunuen.  auch  in  den  Handscliriften  dieser  Gruit}»e  wleder- 
keln-en.  Diese  AVahrnelmiung  veranlasste  mich,  eine  genaue  Vergleichung 
dieser  Handschriften  vorzunehmen,  um.  von  <lem  festen  Punkte  aus,  der 
durch  die  vorhandene  Interpretation  des  Codex  Telleriano  Remensis  und 
Vaticanus  A.  gegeben  ist.  womöglich  zu  einer  Erklärung  des  Inhalts  dieser 
Schriften  vorzudringen.  Dabei  ergab  sich,  dass  die  Handschriften  dieser 
Gruppe  in  der  That  nicht  verschiedene  Dinge  behandeln,  sondern  dass 
eine  bestimmte,  verhältnissmässig  kleine  Zahl  von  ( rrundschriften  in  den 
verschiedenen  dieser  Handschriften  typisch  wiederkehrt. 

Die  Anordnung  der  Theile  imd  die  Folge  der  Darstellungen  ist  in 
den  verschiedenen  Codices  sehr  verschieden.  Der  Fortgang  ist  theils  von 
links  nach  rechts  (von  vorn  nach  hinten),  theils  von  rechts  nach  links 
(von  hinten  nach  vorn),  über  verschiedene  Blätter  weggehend,  oder  auch 
unten  rechts  beginnend,  nach  links  fortschreitend  und  dann  umkehrend, 
oben  nach  rechts  sich  bis  zum  Anfang  fortsetzend,  oder  umgekehrt.  Beim 
Codex  Telleriano  Remensis,  Vaticanus  A.  und  Bologna  l)ezeichnet  das 
erste  Blatt  der  Kingsborough" sehen  Zählung  den  Anfang  des  Codex; 
beim  Codex  Fejerväry  und  Codex  Laud  das  letzte  Blatt.  Beim  Codex 
Borgia  bezeichnet  das  38.  Blatt  der  Kingsboroughschen  Zählung  den 
Anfang,  und  die  Darstellung  schreitet  dann  von  rechts  nach  links  bis  zum 
Blatt  1  fort  und  setzt  sich  weiter  von  Blatt  76  bis  zuriick  zum  Blatt  39 
fort.  Der  Codex  Vaticanus  B.  enthält  zwei  verschiedene  Theile:  der  eine 
beginnt  auf  Blatt  49  und  ist  von  vorn  nach  hinten  zu  lesen,  der  andere 
auf  Blatt  48  und  ist  rückwärts  von  hinten  nach  vorn  zu  lesen. 

Bei  der  folgenden  Liste  von  Parallelstelleu  ist  überall  die  Kings- 
boroughsche  Zählung  zu  Grunde  gelegt.  Ich  beginne  mit  dem  Codex 
Bologna,  dessen  Anfang  das  erste  Blatt  «ler  Kingsborough  "sehen  Zählung 
ist.     Es  ist: 

Cod.  Bologna  1—^    =  Cod.  Borgia     31— 38  =  Cod.  A^it.  B.  =49-ö6, 
9—11=     _  ..  61—6-2=     „        ..      ..   -13—17- 

rj — 13=     ..  Fejerväry  11  —  l'J  unten  =  den  oberen  Mittel- 
gruppen   der  unteren  Abtheiluug  der  Blätter  63 
bis  66  des  Codex  Borgia, 
14 — •_'4  enthalten,  wie  die  Blätter  23—40  des  Codex  Fejer- 
väry,   neben    <len  Figuren    hohe  Zahlenzusammenstellungen.      Die 
Bedeutung    derselben  habe    ich    aber    noch   nicht  euträthseln   und 
direkte  Parallelen  auch  noch  nicht  auffinden  können. 

Beim  Codex  Fejerväry  ist  überall  von  hinten  nach  vorn  zu  lesen,  und 
ich  beginne  daher  mit  den  hinteren  Blättern: 

Cod.  Fejerväry  44  hat  eine  gewisse  Parallele  in  Codex  Laud  1  und 
ausserdem,  wie  Cyrus  Thomas  nachgewiesen,  in  Blatt  41.  42 
des  Mava  Codex  Cortesianus. 


1.    Der  Codex  Borgia  und  die  verwandten  aztekischen  Bilderschriften.  135 

Cod.  Fejerviiry  41 — 43  =  Cod.  Boryia  25  =  Cod.  Tat.  ß.  67 — 70  unten 
und  71. 

Die  Blätter  31 — 40  des  Cod.  Fejerviiry  sind  interes.sant  durch  die 
hohen  Zahlen,  die  auf  ilnien  angegeben  sind.  Sie  erinnern  dadurch  an 
Cod.  Bologna  14 — 24,  ilodi  luibe  ich  noch  keine  direkte  Parallele  aus- 
tindig  machen  können. 

Das  Gleiche  gilt  von  Blatt  29—80  und  von  Blatt  23-28. 
Cod.  Fejervary  20  —  22  unten  =  Cod.  Vat.  B.  57 — 59  oben, 

16     19  unten,  hat  keine  direkten  Parallelen, 
16—22  oben   -Cod.  Borgia  22—34, 

=     ..      Vat.  B.  81—90  oben, 
13 — 15  unten  =     .,      Vat.  B.  57 — 59  unten, 
13 — 15  oben    =-     ,.      Borgia  ()0, 

11  — 12  unten  =     ,.      Bologna    12—13  =  den    oberen 
Mittelgrupjien    der    unteren    Abtheilung 
der  Blätter  63—66  des  Codex  Borgia, 
11 — 12  oben,  hat  keine  direkten  Parallelen, 
„  ..  8 — 10  unten  =  Cod.  Borgia  58, 

2 — 7     unten,  Parallelen  fehlen, 
5 — 10  oben,  Parallelen  fehlen, 

3 — 4     oben  ^  Cod.  Vat.  B.  72 — 75  =  den  Gruppen  der 
oberen    rechten    Ecke    der    unteren    Ab- 
theilung   der    Blätter    63 — 66    des    Cod. 
Borgia, 
2  oben,  hat  keine  direkte  Parallele, 
1,  hat  ebenfalls  keine  direkten  Parallelen. 

Beim  Codex  Land  ist  ebenfalls  von  hinten  nach  vorn  zu  lesen  Dieser 
Codex,  der,  wie  schon  oben  erwähnt,  im  Styl  grosse  Aehulichkeit  mit  dem 
Codex  Fejervary  hat,  fällt  insofern  aus  der  Reihe  der  übrigen  heraus,  als 
bt'i    ilmi    nur    wenige  Stücke    direkt    mit    anderen    zu  parallelisiren   sind. 

Es  sind  das: 

Blatt  33 -38  =  Codex  Borgia  55—57  --  Cod.  Vat.  B.  81-  90  unten, 
2,  das  zu  vergleichen  ist  mit  Codex  Borgia  22  unten, 
1,  das  zu  vergleichen  ist  mit  Blatt  44  des  Codex  Fejervary. 

Beim  Codex  Borgia  beginne  ich  mit  Blatt  38,  das  ohne  Zweifel  den 
Anfang  des  Codex  bezeichnet,  uiul  es  ist  überall  von  hinten  nach  vorn 
zu  lesen. 

Cod.  Borgia  31-38  -  Cod.  Bologna  1  -  8  -  Cod.  Vat.  B.  49—56, 

26—30  =     „     Vat.  B.  3—10  und  76-80, 

25  =     „     Vat.  B.  67—70  unten, 

=     ..      Fejervary  41—43, 


136  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Cod.  Boro;ia  22  oben  bis  24  ^  Cod.  Vät.  B.  81— iU)  oben. 

=^     y,      Fejerviiry  IG— 22  oben, 

22  unten  ist  zu  vergleichen  mit  dem  Blatt  2  des  Codex 
Land.  Die  20  Tageszeichen  sind  den  verschiedenen 
Körpertheileu  eines  Gottes  zugeschrieben;  nur  steht 
hier  der  Gott  Tezcatlipoca,  auf  dem  BLitt  des  Codex 
Land  der  (Jott   T/aloc, 

1'^— 21,  eine  sehr  merkwürdige  und  interessante  Dar- 
stellung, für  die  ich  aber  noch  keine  direkte  Parallele 
gefunden  habe. 

17  oben  =  Cod.  Yat.  B.  20  b, 

15  —  17  habe  ich  ebenfalls  noch  keine  Parallele  ausfindio- 
machen  können, 

U  =  Cod.  Tat.  B.  27, 

13  fehlt  eine  direkte  Parallele, 
„       12  =  Cod.  Yat.  B.  28, 

11  ist  eine  der  vorigen  (12)  verwandte  Darstellung:  eine 
direkte  Parallele  ist  in  den  anderen  Codices  nicht  zu 
finden. 

Auf  Blatt  10  beginnt  eine  Anzahl  komplizirter  Darstellungen,  die  in 
den  anderen  Codices  keine  Parallelen  haben,  und  deren  Bedeutung  zu 
euträthseln  mir  bisher  auch  noch  nicht  gelungen  ist.  Sie  setzen  sich  l)is 
Blatt  1  und  von  Blatt  76  bis  Blatt  69  fort. 

Die  beiden  rechten  Felder  der  oberen  und  mittleren  Reihe  des  Blattes  68 
des  Cod.  Borgia  sind  =  Cod.  Yat.  B.  61 — 62. 

Die  anderen  Felder  dieser  Reihen  und  die  obere  und  mittlere  Reihe 
des  Blattes  67  =  Cod.  Yat.  B.  J8— 20a. 

Die  unteren  Reihen  der  Blätter  67  und  68  enthalten  offenbar  eine, 
den  vorigen  verwandte  Darstellung,  direkte  Parallelen  fehlen  aber  in  den 
anderen  Codices. 

Cod.  Borgia  62  b  — 66  unten  ist  eine  interessante  Darstelhmg.  Wir 
finden  hier  eine  Art  Kompilation,  eine  Zusammenstellung  der  Gottheiten 
und  Symbole,  die  auf  die  vier  Himmelsrichtungen  Bezug  haben.  Die  Dar- 
stellung als  Ganzes  hat  keine  direkten  Parallelen  in  den  anderen  Codices, 
wohl  aber  die  einzelnen  Theile  derselben.     So  sind 

die  unteren  Mittelgruppen  zu  vergleichen  mit  Cod.  Yat.  B.  6ä — 6i.K 
die  oberen  Mittelgruppen  =  Cod.  Bologna  12-13. 

=     .,      Fejerväry  11 — 12  unten, 
die  Gruppen  der  rechten  oberen  Ecke  =  Cod.  Yat.  B.  72  —  75, 

=     ..      Fejerväry  3-4  oben. 

Für  die  anderen  Grup])€n  habe  ich  noch  keine  direkten  Parallelen 
gefunden. 


1.    Der  Codex  Boi-fria  und  die  verwandten  aztekisclien  Bilderschriften. 


137 


Doch  ist  Cod.  Borgia  62  b   offenbar    zu   vergleichen    mit    der    in    der 
mittleren  Reihe  miten  des  Cod.  Yiennensis  87  befindlichen  Gruppe: 
Cod.  Borgia  G2b— 66  oben -=  Cod.  Vat.  B.  67—70  oben, 


ß'2  a  oben  = 

61— 62  a  unten  = 


„      .    1, 

„      „     13-17, 

=     „     Bologna    9—11, 
60  =     „      Fejervary  13—15  oben, 

59  =     „     Vat.  B.  21, 

58  =     „     Fejervary  8 — 10  unten, 

55-57  -     „     Yat.  B.  81—90  unten, 

=     „     Land  33  -  38, 
45—54  =     „     Vat.  B.  29-48, 

=     .,     Teil.  Rem.  IL  1—33, 

=     „     Vat.  A.  17—56, 
44  hat  keine  direkten  Parallelen, 
43  --  Cod.  Vat.  B.  24, 

42  22, 

41  -^^^     23- 

39-40  hat  keine  direkten  Parallelen. 

Codex  Vaticanus  B.  enthält  verschieden    angeordnete   und  zu   lesende 
Theile.     Ich  beginne  mit 

Cod.  Vat.  B.     1  =r  Cod.  Borgia  &2, 
,,        „       „      2  fehlen  direkte  Parallelen, 

3 — 10  (von  hinten  nach  vorn  zu  lesen)  =  Cod.  Vat.  B. 
76— 80  =  Cod.  Borgia  26—30, 

11 — 12  fehlen  direkte  Parallelen, 

13 — 17  (von   hinten  nach   vorn  zu   lesen)  --  Cod.  Borgia 

61— 62  =  Cod.  Bologna  9—11, 

,    18 — 20  a   (von  hinten  nach  vorn  zu  lesen)  =  Cod.  Borgia 

67— 68  a, 
„      „    20b  =  Cod.  Borgia  17, 

„    21  (hierzu  gehört  auch  die  Reihe  der  Tageszeichen,  die 
auf  der  rechten  Seite  des  vorhergehenden  Blattes  20  b 
steht), 
=  Cod.  Borgia  59, 

22=     „  „       42, 

,    23=     „  .,        41, 

24  --  43. 

.,    25  hat  keine  direkten  Parallelen   in  den  Codices   dieser 

Gruppe,    dagegen   sind  die   zwölf  Figuren,    die  4uf   der  linken   Seite   des 

Blattes  25    des  Codex  Viennensis  stehen,    in    direkte  Parallele    zu  stellen 

mit  den  neun  Figuren  hier.  —  Uebrigens  das  einzige  Beispiel  einer  Konkor- 


13^  Zweitor  Abschnitt:    lüMorschrifteii. 

(laiiz    des  Wiener  Codex    mit    den  Codices    der   Borgia- Gruppe,    das   mir 
bislier  aufgestossen  ist. 

Cod.  Yat.  B.  ^2(^  hat  keine  direkten  Parallelen. 

-JT-Cod.  Borgia  U, 

-28=     ..  „        12. 

,.    29 — 48  (von  hinten  naeli  vorn  zu  lesen)  =  Cod.  Borgia  4;') 
bis  54, 
=  Cod.  Teil.  Rem.  II.  1— 33,  -  Cod.  Yat.  A.  17—56, 

49 — 5()    (von  vorn   nach  hinten   zu  lesen)  =  Cod.  Borgia 

31—38, 

=  Cod.  Bologna  1  —  8, 

57 — 55'  oben   ^  Cod.  Fejervary  20 — 22  unten, 

57 — 59  unten  =      ,.  „  13 — 15  unten, 

60  hat  keine  direkte  Parallele, 

61 — 62  =  den    beiden   rechten  Feldern    der  oberen   und 

mittleren  Reihe  des  Blattes  (i8  des  Co<lex  Borgia, 

63 — 64  hat  keine  direkte  Parallele. 

65 — iM)  ist  zu  vergleichen  mit  den  unteren  Mittelgruppen 

der  unteren  Abtheilungen  der  Blätter  63  —  66  des  Cod. 
Borgia, 

67 — 70  oben  =  Cod.  Borgia  62—66  oben, 

67 — 70  unten   (von  vorn  nach  hinten   zu   lesen)    und    71 

=  Cod    Borgia  25  =  Cod.  Fejervary  41—43, 
72 — 75    (von  vorn  nach  hinten  zu  lesen)  =  Cod.  Fejer- 
vary   3 — 4  oben  =  den  Gruppen   der    oberen    rechten 
Ecke    der  unteren  Abtheilung  der  Blätter  63 — 66  des 
Codex  Borgia, 

76 — 80  (oben  beginnend,  von  vorn  nach  hinten  und  rück- 

laufeud  unten  von  hinten  nach  vorn  zu  lesen)  =  Cod. 
Yat.  B.  3— 10  =  Cod.  Borgia  26-30, 

81 — 90   oben    (von  vorn   nach  hinten   zu    lesen)  =  Cod. 

Borgia  22 — 34  =  Cod.  Fejervary  16—22  oben, 
....       ..81 — 90  unten    (von   hinten  nach    vorn   zu  lesen)  =  Cod. 

Borgia  55 — 57  =  Cod.  Land  33-38, 
„    91 — 96  hat  keine  direkten  Parallelen. 
Was  nun  den  Inhalt  dieser  Schriften  angeht,  so  ist  derselbe  im  Wesent- 
lichen astrologischer  Xatur. 

Wie  bekannt,  bildete  die  Grundlage  der  aztekischen  Zeitrechnung  ein 
Monat  von  20  Tagen,  dessen  einzelne  Tage  besonders,  und  zwar  mit  den 
Xanien  bestimmter,  greifbarer  Gegenstände,  Thiere  u.  A. ,  bezeichnet 
wurden.  Der  Ursprung  dieser  Zeichen  ist  unbekannt.  Man  hat  vielfach 
versucht,  für  diesen  3Ionat  von  20  Tagen  eine  astronomische  Grimdlage 
zu  finden:  bislier  mit  nicht  viel  Glück.     Mir  scheint  das  vigesimale  Zahl- 


1.    Der  Codex  Borgia  und  die  verwandten  aztekischen  Bilderschriften.  139 

System,  das  bei  sämmtlichen  Völkern  des  inexikauischen  Yölkerkreises  im 
(Jebrauch  war,  eine  g-enüg-ende  Erklärung-  zu  bieten.  Neben  dieser  Kechnung 
läuft  eine  andere  einher,  bei  der  die  Tage  in  (jrruj)pen  von  13  Tagen  zu- 
sanimeugefasst  wurden.  Diese  Grrup])en  hatten,  wie  es  scheint,  eine  l)e- 
stimnite  astronomische  Bedeutung.  Sie  bezeichneten  einmal  den  Zeitraum 
(ivto^oliztli,  „das  Wachen"  genannt),  in  welchem  der  Mond  des  Nachts  am 
Hinmiel  sichtbar  ist;  nnd  dann  den  Zeitraum  (cochüiztli,  „das  Schlafen'' 
genannt),  in  welchem  der  Mond  nur  bei  Tage  am  Himmel  erscheint  und 
des  Nachts  unsichtbar  bleibt^).  Durch  eine  Kombination  dieser  beidun 
Rechnungen,  indem  man  die  Tage  einmal  mit  dem  ihnen  zukommenden 
Tageszeichen  (einem  der  20)  benannte,  andererseits  die  Ziffer  angab, 
welche  ihnen  nacli  ihrer  Stellung  in  dov  Woche  von  13  Tagen  zukam, 
ergab  sich,  dass  erst  nach  einem  Zeitraum  von  13  ■:20,  bezw.  20X13,  d.  li. 
2()0  Tagen  es  eintraf,  dass  ein  Tag  w'ieder  dasselbe  Zeichen  und  dieselbe 
Ziffer  erhielt,  wie  ein  vorhergehender.  Dieser  Zeitraum  von  260  Tagen 
wurde  Tonalamatl,  „Buch  der  Sonnen  od.er  der  Tage",  genannt,  und 
dieses  Tonalamatl  ist  es,  welches  die  eigentliche  Wissenschaft  der  Tonal- 
])Ouhque,  der  „Sonnenzähler"  oder  Auguren,  ausmacht. 

Wir  haben  in  den  Berichten  der  alten  Missionare  bestimmte  Angaben 
darüber,  wie  diese  Auguren  verfuhren.  Es  galten  nämlicli  sowohl  von 
den  Ziffern  (i — 13),  wie  von  den  20  Zeichen  die  einen  für  glücklich,  ilie 
anderen  für  unglücklich,  die  dritten  für  indifferent  oder  richtiger  für  zweifel- 
haft, bald  Grlück,  bald  Unglück  bringend;  und  zw'ar  wurde  nicht  nur  Zeiclien 
und  Ziffer  des  Tages  selbst  beachtet,  sondern  das  Anfangszeichen  einer 
Woche  von  13  Tagen  erstreckte  seinen  Einfluss  über  die  ganze  Woche. 
Der  Einfluss,  den  ein  Zeichen  übte,  äusserte  sich  übrigens  in  bestimmter 
Art,  je  nach  Natur  und  Bedeutung  des  Zeichens.  Weiter  aber  ergaben 
sich  einerseits  aus  der  Natur  des  Zeichens  Beziehungen  zu  bestimmten 
(iottheiten,  andererseits  wurden  wohl  auch  bestimmte  Reihen  von  Gott- 
heiten oder  Manifestationen  einer  Gottheit  zu  den  verschiedenen  Ab- 
theilungen des  Tonalamatl  in  Beziehung  gesetzt.  Denn  anders  lässt  es 
sich  wohl  kaum  verstehen,  wenn  Durän^)  das  Handwerkszeug  eines  solchen 
Auguren  beschreibt  als    „un  papel  pintado  de  cuantos  idolos  habia  y  ado- 

raban,    donde    tenian    cada    idolo    en  su   casa junto   ä   estos   dieses 

estaban  pintadas  las  letras  de  los  dias  del  mes  de  su  calendario.  Sobre 
este  papel  echaban  suertes  y  conforme  ii  como  caia  pronosticaban;  y  si 
caia  la  suerte  sobre  el  Dios  de  la  vida,  decian  que  era  de  larga  vida"  etc. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  unseren  Handschriften,  so  zeigt  uns  die 
Hauptmasse  derselben  weiter  nichts  als  Darstellungen  des  Tonalamatl,  voll- 
ständig oder  in  verkürzter  Form,  mit  Figuren  von  Göttern,  die.  wie  es 
scheint,  den  einzelnen  Abtheilungen  desselben  vorstehen. 

1)  Gama,  Dos  piedras  p.  27. 

2)  Edit.  Mexico  11.  p.  259. 


"14:0  Zweitor  Al'schiiitt:    ßildcrscliriftoii. 

Die  Anordnung  des  Tonalaniatl  ist  dabei  eine  zweifache: 

Einmal  ist  dasselbe,  in  Wochen  abgetheilt,  aufgeführt,  jede  AVoche 
mit  der  ihr  präsidirenden  Gottheit.  Das  ist  die  Redaktion,  die  im  Codex 
Telleriano  ]\eniensis  IL  1 — 33  und  Cod.  Tat.  A.  17 — 5(i,  sowie  im  Cod. 
Borgia  45 — 54  und  Yat.  B.  •29—48  vorliegt.  Die  Interpreten  des  Cod.  Teil. 
Rem.  und  des  Yat.  A.  geben  die  Namen  der  Gottheiten  an,  und  die  Figuren 
der  anderen  Codices  entsprechen  diesen  genau.  Sie  sind  von  grossem 
Interesse,  weil  wir  darunter  Namen  finden,  die  von  den  Historikern  nicht 
oder  nur  ganz  beiläufig  erwähnt  werden.  Die  ganze  Reihe  der  Kalender- 
gottheiten ist  offenbar  eine  von  den  (Jottheiten  des  staatlichen  Kults  ver- 
schiedene. Auf  eine  Diskussion  der  Bedeutung  derselben  kann  ich  hier 
nicht  eingehen;  sie  soll  an  anderer  Stelle  gegeben  werden,  wo  ich  auch 
'die  Abweichungen,  welche  die  Codices  Borgia  und  Yaticanus  B.  gegenüber 
Teil.  Rem.  und  Yat.  A.  zeigen,  besprechen  werde. 

Bei  der  zweiten  Redaktion  des  Tonalaniatl  sind  die  Zeichen  der  ersten 
vier  Wochen  (4X13  Tage)  hinter  einander  geschrieben,  darüber  die  der 
zweiten,  darüber  die  der  dritten,  vierten  und  fünften  vier  Wochen.  So 
erhalten  wir  4x13  =  52  Vertikalreihen  von  je  5  übereinander  stehenden 
Zeichen,  wo  jede  5.  Reihe  immer  wieder  dieselben  Zeichen,  nur  in  anderer 
Reihenfolge,  enthält  und  alle  Zeichen  derselben  Reihe  dieselbe  Zitier 
Tragen.  So  ist  das  Toualamatl  im  Codex  Bologna  1—8,  im  Codex  Borgia 
31—38  und  Yaticanus  B.  49 — 56  neschrieben.  Die  Vertikalreihen  sind  am 
Fuss-  und  Kopfende  von  Götterfiguren  oder  symbolischen  Darstellungen 
begleitet,  in  denen  eine  bestimmte,  nicht  sehr  grosse,  wiederkehrende  Zahl 
gewisser  Typen  zu  erkennen  ist.  Die  Bedeutung  dieser  Figuren  ist  offenbar 
in  sämmtlichen  drei  Codices  die  gleiche,  doch  sind  die  Darstellungen  in  den 
verschiedenen  Codices  nicht  ganz  übereinstimmend.  Beispielsweise  ent- 
spricht im  Codex  Yaticanus  B.  zwar  die  untere  Reihe  der  Darstellungen  der 
unteren  Reihe  in  den  beiden  anderen  Codices  genau,  die  obere  Reihe 
dagegen  erscheint  in  einzelneu  Partieen  gegen  die  obere  Reihe  des  Codex 
Borgia  um  eine  oder  gar  zwei  Stellen  verschoben. 

Bei  beiden  Redaktionen  sind  ausserdem,  in  einzelnen  Codices,  die  auf 
einander  folgenden  Tage  begleitet  von  einer  von  9  Gottlieiten,  deren  Reihe 
gewöhnlich  als  die  „senores  de  la  noche"  oder  „acompaüados  de  la 
uoche''  bezeichnet  wird.  Ihre  Namen  sind  nämlich  im  Boturini  mit  der 
Silbe  yolnia  komponirt.  Augenscheinlich  bedeutet  das  aber  nichts  Anderes 
als  „der  von  dem  und  dem  Gott  begleitete"  und  ist  Bezeichnung  des  be- 
trefi'enden  Tages.  Denn  -liua  ist  Suffix  des  Besitzers  und  -yo  die  Silbe, 
welche  Concreta  in  Abstracta  verwandelt,  eine  Umwandlung,  die  regel- 
mässig vorgenommen  werden  muss,  wenn  ein  Gegenstand  als  von  Natur 
zu  einem  anderen  gehörig  betrachtet  werden  soll.  Auch  diese  Gottheiten 
galten,  wie  die  Tageszeichen  selbst  und  wie  die  Nummern,  die  ein  Tag 
in  seiner  Woche  hat,  theils  als  glücklich,  tlieils  als  unglücklich,  theils  als 


1.    Der  Codex  Borgiii  und  die  vorwnudten  aztekischen  Bilderschriften.  141 

zweifelhaft.  Man  sieht,  was  für  ein  weites  Fehl  diese  Kombination  von 
Nummer,  Zeichen  und  ( Jottheit  dem  Auguren  eröffnete.  Was  nun  die  (Jott- 
heiten  selbst  angeht,  so  geht  aus  (h'in  Blatt  44  des  Codex  Fejervary  un- 
zweifelhaft hervor,  dass  die  Zahl  von  !)  dadurch  zu  Stande  kommt,  dass 
immer  je  '2  einer  der  4  Himmelsrichtungen  zugeschrieben  und  einer  der 
Ciötter  das  Centrum  oder,  wenn  man  will,  die  Kichtung  von  oben  nacdi 
unten  oder  umgekehrt  bezeichnet.  Das  Centruni  bezeichnet  Xiuhtcotl,  der 
Gott  des  Feuers,  dem  Osten  werden  Ttztli  {Tezcatlipoca)  und  Tonatiuhy  dem 
Süden  Cmieotl  und  Mictlanteotl,  dem  Westen  Chalclduläliaie  und  Tlacolteotl^ 
dem  Norden    Tepei/oUotl  und   TLiloc  zugeschrieben. 

Neben  den  vollständigen  Darstellungen  des  Toiiahimatl  finden  sich  nun 
aber  auch  solche,  welche  dasselbe  in  abgekürzter  Form  darstellen,  ge- 
wissermaassen  nur  einzelne  springende  Punkte  desselben  hervorheben. 

So  finden  wir  auf  den  Tafeln  (M  und  f)8  des  Codex  Borgia  und  ent- 
sprechend auf  den  Tafeln  18 — 20  des  Cod.  Yaticanus  B.  die  Wochen  ce 
ma^atl  (eins  Hirsch),  ce  quicüiiiitl  (eins  Regen),  ce  ocomatli  (eins  Affe),  ce 
calli  (eins  Haus)  und  ce  quautli  (eins  Adler)  dargestellt  durch  das  Anfangs- 
und Endzeichen  der  Woche,  ein  dazwischen  liegendes  Zeichen  und 
10  Punkte.  Und  neben  ihnen  sind  Frauengestalten  gezeichnet,  verschieden 
gefärbt  und  in  Tracht  und  Ansehen  der  Tla^olfeotl  gleichend  (der  Göttin 
der  Liebe,  d  h.  der,  w'elche  die  sündliche  Liebe,  den  Ehebruch,  verfolgt). 
Nun  finden  wir  im  Sahagun  gerade  diese  5  Tage  angegeben,  als  die  Tage 
oder  Wochen,  an  denen  die  Ciuapipiltin,  die  gespenstischen  Weiber,  die 
im  Westen  hausen,  zur  Erde  uiedersteigen,  die  Kinder  mit  Krankheit 
schlagend  und  die  Männer  zur  Unzucht  und  Sünde  verleitend.  Es  unter- 
liegt keinem  Zweifel,  dass  auf  den  genannten  Tafeln  diese  gefährlichen 
Wochen  und  die  Art  ihrer  Gefahr  bezeichnet  werden  sollten. 

Bei  weitem  der  Mehrzahl  der  Grundschriften  liegt  aber  nicht  das  in 
Wochen  abgetheilte  Tonalaniatl,  sondern  die  Redaktion  desselben  zu  Grunde, 
welche  die  Tageszeichen  in  5'2  Yertikalreihen  von  je  ')  Zeichen  ordnet. 
Es  sind  dann  immer  einzelne  dieser  Vertikalreihen  voll  hingeschrieben 
und  die  Zwischenglieder  durch  Punkte  markirt.  Wichtig  sind  vor  allem 
diejenigen  Blätter,  auf  denen  das  Tonalaniatl  in  vier  Abschnitte  gegliedert 
ist.  Vier  ist  die  Zahl  der  Himmelsrichtungen,  und  so  wird  vier  über- 
iiaupt  die  heilige  Zahl.  Alles,  was  in  iMythologie  und  Glauben  unter  der 
Yierzahl  untergebracht  wird,  hat  also  auf  diesen  Blättern  seine  Stelle. 
Ausser  der  Viertheilung  kommt  aber  auch  Sechstheilung,  Achttheilung  u.  s.  w. 
vor,  und  die  verschiedenartigsten  Reihen  von  (iöttern  (und  Festen?)  können 
also  auf  diese  \N'eise  in  den  Rahmen  des  Tonalaniatl  untergebracht  werden. 
Auf  Einzelheiten  einzugehen,  muss  ich  mir  versagen,  ich  hoffe,  wie  er- 
wähnt, die  ganze  Materie  an  auderer  Stelle  eingehender  besprechen  zu 
können. 


14: "J  Zwoitcr  Abschnitt:    Bilderscliril'ten. 

Schliesslioli  werden  die  Taueszeieheu  selbst  einfach  wie  Ziffern  ge- 
braucht, um  bestimmte  Reihen  von  (Jottheiten  in  ihrer  Ordnung  aufzu- 
führen. 

80  finden  wir  die  (rottheiten,  welche  in  den  Cod.  Teil.  Remensis 
und  Vaticanus  A.  und  übereinstimmend  im  Codex  Borgia  und  Vaticanus  B. 
als  Scluitzgottlieiten  der  NA^ochenanfänge  angegeben  sind,  im  Cod.  Borgia 
('i(>  — 30)  und  Vaticanus  B.  (3 — 10  und  7() — <S0)  in  nahezu  derselben  Reihen- 
folge aufgeführt,  aber  neben  ihnen  nicht  die  20  Wochenanfänge,  sondern 
die  20  Tageszeichen  in  der  Ordnung,  wie  sie  im  Monat  einander  folgen. 
Nur  eine  Unregelmässigkeit  \st  zu  bemerken.  Beim  11.  Zeichen  (ofomatli 
Att'e).  welches  auch  das  11.  Zeichen  in  der  Reihe  der  Wochenanfänge 
bildet,  ist  der,  den  Schluss  der  Reihe  der  Wochenschutzgottheiten  bil- 
dende Feuergott  ^)  eingeschoben.  Darnach  aber  geht  die  Reihe  regelmässig 
weiter  bis  zu  XochiquetzaU  die  also  hier  den  Schluss  der  Reihe  bildet, 
während  sie  unter  den  Schutzgottheiten  der  Woche  an  vorletzter  Stelle  steht. 

Desgleichen  findet  sich  auf  der  Tafel  25  des  Cod.  Borgia,  und  ent- 
sprechend Cod.  Tat.  B.  67—71  unten  und  Cod.  Fejerväry  41 — 43,  mit  den 
Tageszeichen  1 — i>  versehen,  die  Reihe  der  !)  sogenannten  Senores  de  la 
noche  (s.  oben). 

Auf  anderen  Tafeln  ist  in  anscheinend  unregelmässiger  Weise  eine 
Reihe  von  Gottheiten  neben  den  voll  hingeschriebenen  oder  durch  Punkte 
angedeuteten  Tageszeichen  eines  oder  zweier  Monate  aufgeführt. 

Schliesslich  findet  sich,  und  zwar  übereinstimmend  Cod.  Borgia  55  bis 
57,  Cod.  Tat.  B.  81—90  unten  und  Cod.  Land  33  —  38  eine  Reihe  von 
Gottheiten,  neben  denen  keine  Tageszeichen  stehen,  sondern  die  Zifiern 
2  — 2()  durch  Punkte  markirt  sind. 

Dass  das  Sonnenjahr  aus  365  Tagen  besteht,  wurde  von  den  Mexikanern 
unstreitig  schon  früh  erkannt^).  So  ergab  sich,  dass  bei  «lern  gleich- 
massigen  Weiterzählen  von  den  zwanzig  Tageszeichen  nur  vier,  nämlich 
das  erste,  sechste,  eilfte  und  sechszehnte,  auf  die  Anfangstage  der  Jahre 
fielen.  Nach  diesen  Anfangstagen  wurden  die  Jahre  benannt.  Es  scheint, 
dass  die  Reihe  der  Tageszeichen  ursprünglich  mit  acatl  (Rohr)  begann. 
So  wurden  wenigstens  die  zwanzig  Zeichen  bei  den  in  altvaterischer  Sitte 
lebenden  Bewohnern  der  rauhen  Berge  von  Meztitlan^)  uml  bei  den  Naua 


1)  [Die  Identifikation  der  Gottheit  des  eilften  Zeichens  der  Wochenanfänge 
mit  dem  Feuergott  ist  ein  Irrthum.  Ich  habe  späterhin  nachgewiesen,  dass  dieser 
Gott  des  eilften  Zeichens  eine  besondere  Figur  ist,  der  Gott  der  Tänze,  Gesänge 
und  Spiele,  der  unter  dem  Namen  Macuü  xocliiü  bekannt  ist]. 

2)  Die  „Historia  de  los  Mexicanos  pur  sus  Pinturas'"  sagt:  Contavan  el  uiio 
del  equinocio  per  marco  quando  el  sol  hazia  derecha  la  sombra,  y  luego  como  se 
sintia  qua  el  sol  subia,  contavan  el  primer  dia. 

;i)  Coleccion  de  Documeiitos  ineditos  del  Archivo  de  Indias  IV.  Madrid  (1865), 
pag.  530. 


1.    Der  Codex  Borjiia  und  die  verwandten  aztekisclien  Bilderschriften.  143 

des  fernen  Nicaragua^)  gezählt.  Später  wnrde,  wie  es  scheint,  der  Anfang 
des  Jahres  um  .52  Tage  zurückgeschoben,  während  die  Jahre  in  alter  Weise 
weiter  benaunt  wurden,  so  dass  also  das  Jahr  ce  acatl  (eins  Rohr)  mit 
dem  Tage  ce  cipactU  (eins  Meerungeheuer)  begann.  Die  vier  Zeichen 
nun,  acatl  (Rohr),  tecpatl  (Feuerstein),  calli  (TIaus),  tochtli  (Kaninchen), 
denen  die  Aufgabe,  die  Jahre  zu  bezeichnen,  blieb,  gewannen  dadurch 
besondere  Bedeutung,  und  in  der  Vierzahl  dieser  Zeichen  wurde  selbst- 
verständlich wieder  die  geheime  Beziehung  zu  den  Himmelsrichtungen  und 
zu  der  heiligen  Zahl  erkannt.  Demgemäss  wurden  auch  die  Jahre  glück- 
bringend oder  Unglück  verheissend,  je  nach  dem  Zeichen,  das  sie  trugen, 
oder  je  nach  der  Hiuimelsrichtung,  der  sie  angehörten. 

Wir  lesen  im  Duran^),  dass  die  Jahre  acatl,  die  dem  Osten  angehören, 
als  reiche,  fruchtbare,  glückliche  galten;  die  Jahre  tecpatl,  die  dem  Norden 
angehören,  der  Region,  von  welcher  der  erstarrende  kalte  Wind  bläst, 
galten  als  unfruchtbar  und  dürr;  die  Jahre  calli,  die  zum  Westen  gehören, 
wo  die  Sonne  sich  verbirgt,  galten  als  nasse  und  regenreiche;  die  Jahre 
tochtli,  die  dem  Süden  angehören,  sind  unsicher,  meist  unglückbringend. 

Fast  w^örtlich  dasselbe,  möchte  man  sagen,  finden  wir  auch  auf  einigen 
Tafeln  der  Codices  angegeben,  nämlich  dem  Codex  Borgia  12  und  Cod. 
Yat.  B.  21.  Wir  sehen  die  Zeichen  der  Jahre  ce  acatl,  ce  tecpat/,  ce  calli, 
ce  tochtli  und.  neben  ihnen,  die  ihrer  Anfangstage  ce  cipactli,  ce  miquiztU. 
ce  o^mnatli,  ce  cozcaquauhtli.^) 

üeber  den  Zeichen  ce  acatl,  ce  cipactli  steht  unter  einem  feuchten, 
wolkentragenden  Himmel  Tlaloc  schwarz  und  als  Kopfschmuck  ein  Cipactli 
tragend,  das  Symbol  der  Fruchtbarkeit,  Wasser  auf  die  Erde  giessend,  die 
hier  durch  ein  Cipactli  dargestellt  ist,  aus  w^elchem  in  reicher  Fülle  Mais- 
kolben hervorspriessen. 

üeber  den  Zeichen  ce  tecpatl,  ce  rniquiztli  steht  unter  einem  Himmel, 
der  glühende  Sonnenstrahlen  herabsendet,  Tlaloc,  gelb  und  das  Haupt  mit 
einem  Todtenschädel  geschmückt.  Die  Erde  ist  in  Schollen  geborsten, 
und  die  kümmerlichen  Maiskolben  werden  von  aus  der  Luft  herabfliegenden 
seltsamen  Heuschrecken  verzehrt. 

lieber  den  Zeichen  ce  calli,  ce  opomatli  steht,  unter  einem  wasserreichen 
Himmel,  Tlaloc,  in  die  blaue  Farbe  des  Wassers  gekleidet,  mit  einem 
Affenkopf  als  Kopfschmuck.  Unter  ihm  schwillt  das  Wasser  und  ersäuft 
fast  schon  die  daselbst  aufspriessenden  Maispflanzen. 

1)  üviedo  IV.  p.  52. 

2)  ed.  Mexico  II.  p.  254,  255. 

o)  [Die  von  älteren  Autoren  und  neuerdings  von  ürozco  y  Berra  aufgestellte 
Theorie,  dass  die  Tage  ce  dpactli  w.  s.  w.  die  Anfangstage  der  Jahre  ce  acatl  u.  s.  w. 
darstellen,  habe  ich  später  als  irrig  erkannt.  Die  vier  Tage  ce  cipactli  u.  s.  w. 
haben  ihre  besondere  Bedeutung  dadurch,  dass  sie  die  Anfangstagc  der  vier  Viertel 
des  Tonalamatls  bezeichnen]. 


144  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

Ueber  den  Zeichen  ce  tochtli,  ce  cozcaqiiauhtli  schliesslich  steht,  eben- 
falls unter  einem  dürren.  Sonnenpfeile  herabschiessenden  Himmel.  Tlalot\ 
in  rothe  Farbe  gekleidet,  das  Haupt  mit  einem  Geierkopf  geschmückt. 
Die  auf  der  dürren,  gelben  Enle  aufspriessenden  Maispflauzen  werden  von 
Kaninchen  gefressen. 

Ueber  den  Zeitraimi  dieser  vier  Jahre  gehen  die  Darstellungen  der 
hier  besprochenen  Codices  anscheinend  nicht  hinaus.  Was  die  hohen 
Zahlen  auf  den  oben  angegebenen  Blättern  des  Codex  Bologna.  Codex 
Fejerväiy  und  Codex  Land  bedeuten,  habe  ich  noch  nicht  ermitteln  können. 
Im  Wiener  Codex  und  in  den  Bodley  Codices  dagegen  knüpft  die  be- 
sondere Darstellung  überall  an  die  Koinzidenz  eines  bestimmten  Tages 
und  eines  bestimmten  Jahres  des  5"2jährigen  Zyklus  an.  Die  Zeichen  der 
Jahre  sind  hier  durch  ein  eigenthümliches.  an  ein  A  erinnerndes  Zeichen 
ausgezeichnet.  Ich  will  nicht  tmerwähnt  lassen,  dass  dasselbe  Zeichen 
auch  auf  den  interessanten  Darstellungen  der  Tafeln  62 — 66  des  Codex 
Borgia  vorkommt,  so  dass  also  hier  auf  eine  der  (Tliederung  des  Tonalamatl 
parallel  gehende  Yiertheilung  des  .)"2 jährigen  Zyklus  Bezug  genommen  ist. 


2.    Eine  Liste  der  mexikauischen  Monatsfeste.  145 


2. 

Eine  Liste  der  mexikanischen  Monatsfeste. 

.Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.     19.  Februar  1887. 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.  S.  (172)  — (176). 


Nach  Motolinia')  hatten  die  alten  Mexikaner  fünf  Arten  von  Bilder- 
schriften oder  Büchern:  die  erste  handelt  von  den  Jahren  und  Zeiten  und 
ist  historischen  Inhalts,  die  zweite  behandelt  die  Feste,  die  im  Verlauf 
des  .lahres  stattfinden,  die  dritte,  vierte  und  fünfte  Art  von  Büchern  sind 
astrologischen  Inhalts.  Greschichtlichen  Inhalts  sind  z.  B.  von  den  in  der 
Kingsborough'schen  Sammlung  enthaltenen  Codices  der  erste  Theil  des 
Codex  Mendoza,  der  Codex  Boturini,  der  dritte  Theil  des  Codex  Telleriano 
Kemensis  und  die  Tafeln  91 — 146  des  Codex  Vaticauus  A.  Wesentlich 
astrologischen  Inhalts  sind  die  Codices  Borgia,  Vaticanus  B.  und  die  ver- 
wandten Bilderschriften;  ferner  der  Codex  Yiennensis  und  die  Bodley 
Codices.  Die  übrig  bleibende,  zweite  Klasse  von  Schriften,  in  welchen 
die,  im  Yerlaufe  des  Jahres  stattfindenden  Feste  behandelt  werden,  ist  ver- 
treten durch  die  Tafeln  57—74  des  Codex  Vaticanus  A.  und  die  Tafeln  I, 
1 — 13  des  Codex  Telleriano  Remensis.  Die  zwanzig  Monate  des  mexi- 
kanischen Jahres  sind  hier  dargestellt  durch  die  Gottheiten,  denen  in 
diesen  Monaten  Feste  gefeiert  wurden,  und  zwar 
der     1.  Monat  Atlcaualo  durch  das  Bild   Tlalocs, 

„         ,.        „       Xipe's, 
„.        „        „       der  Cinteotl, 
„         „       „      der  Cmteotl, 
„         „       „       Tezcatlipoca's, 
„         „        „       Tlalocs, 
,1         „       „       der  Uixtociuatl, 
Ueitecuilhuitl   durch    einen    vornehmen    Mann    in    Festtracht 
(Tanztracht),    der    das  Zeichen    ilhuitl  „Fest,  Tag"  in  der 
Hand  hält, 
9.       „       Miccailhuitzintli    \    durch  einen  in  einen  Mumienballen  ge- 
10.       „        JJeimiccailhuitl      J    schnürten  Todten  auf  einem  Trauffestell, 


2. 

„ 

Tlacaxipeua  lizüi 

a. 

n 

To^oztontli 

4. 

7) 

üeitogoztli 

5. 

•n 

Toxcatl 

6. 

n 

Etzulqualiztli 

7. 

55 

Tecuühuitontli 

8. 

n 

Ueitecuilhuitl    du 

1)  Joaquin  Garcia  Icazbalceta.    Coleccion  de  Documentos  para  Ja  Historia 
de  Mexico  I,  S.  3. 

Seier,  Gesammelte  Abliaiidlungen  I.  iq 


12. 

T> 

Teotleco 

13. 

V 

Tepeilhuitl 

U. 

v 

Quecholli 

15. 

V 

Panquetzalü 

IG. 

•n 

AtemoztU 

17. 

r> 

Tititl 

18. 

n 

Izcalli 

14H  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

der  11.  Monat  Ochpaniztli  durch  das  Bild  der  Teteoinnan  oder  Toci, 

„         „       „      Tezcatlipoca's, 
„         „       „     eines  Berges  mit  dem    Kopf 
Tlaloc's 

r,         ^        „     Ca7na,i-flis  oder  AJi^rcoatri- 
„         „        „      Uitzilopochtli':^. 
„         „       „     Tlaloc'ii   mit  einem  Wasser- 
strom, 
„         ,,        „     der  Ilamatecutli, 
„         y,        „     Xiiihtecutlf  ^ 

und  die  fünf  übrig  bleibenden  Tage,  die  Nemontemi  „unnütze,  unbrauch- 
bare" genannt  werden,  weil  sie  als  Unglückstage  gelten,  an  denen  man 
kein  Geschäft  verrichten  dürfte,  sind  Codex  Telleriano  Remensis  I.  13, 
durch  fünf  Feuerzungen  in  schwarzem  Felde  dargestellt. 

Eine  andere  Darstellung,  auf  die,  meines  Wissens,  noch  nirgends  auf- 
merksam gemacht  worden  ist,  existirt  in  der,  durch  Hrn.  Aubin  zusammen- 
gebrachten Sammlung  mexikanischer  Documente  und  ist  als  Anhang  zu 
dem,  im  Jahre  1880  von  der  mexikanischen  Regierung  lierausgegebenen 
Geschichtswerk  des  P.  Dur  an  publizirt  worden.  Wir  sehen  den  ersten 
Monat  Atlcaualo.  der  in  dem  Codex  Yaticanus  A.  dureli  das  Bild  TIalocs 
dargestellt  ist,  von  s])rossenden  Bäumen  umgeben,  deren  Wurzeln  im 
Wasser  stehen,  hier  dargestellt  durch  einen  Priester  mit  der  Kopf  binde 
Tlaloc's,  der  in  der  einen  Hand  einen  Maiskolben,  in  der  anderen  eine 
Räucherpfanne  (in  der  Gestalt  eines  Schlangenkopfes)  ^)  hält.  Genau  in  der- 
selben Weise  (schwarz  geschminktes  Gesicht  mit  weissem  punktirtem  Fleck 
auf  der  Backe)  wird  übrigens  auch  der  „Tlaloc  tlamacazqui,  dios  de  las 
pluvias"^,  in  dem  Sahagun-Manuskript  der  Bibl.  Laurentiana  in  Florenz 
abgebildet. 

Der  zweite  Monat,  Tlacaanpeualiztli,  ist  im  Codex  Yaticanus  A.  durch 
das  Bild  Xtpet^  dargestellt,  in  der  üblichen  Tracht,  in  die  abgezogene 
Menschenhaut  gekleidet,  auf  dem  Haupt  die  spitze  Mütze  mit  den  flattern- 
den Bändern.  Das  Dokument  der  Aubin" sehen  Sammlung  zeigt  statt 
dessen  eine  Darstellung  des  Sacrifizio  gladiatorio,  welches  einen  Haupt- 
bestandtheil  des,  in  diesem  Monat  dem  Gott  Xtpe  gefeierten  Festes  bildete. 
Wir  sehen  den,  mit  einem  Strick  an  den  temalacatl  befestigten  Gefangenen, 
in  Festtracht,  d.  h.  ganz  mit  Federn  beklebt  und  auf  dem  Haupt  die  spitze 
Mütze  des  Gottes  Xipe  —  denn  die  Opfer  wurden  immer  in  die  Livree 
des  Gottes  gesteckt,  welchem  sie  geopfert  werden  sollten.  Und  ihm  gegen- 
über der  „grosse  Jagiiar"^,  der  in  Jaguarfell  gekleidete  Krieger,  der  den 
Gefangenen  zu  bekämpfen  hat. 


1)  [einen  Krug  mit  r/a/or- Maske] 


2.    Eine  Liste  der  mexikanischen  Monatsfeste.  147 

Der  dritte  und  vierte  Monat,  To^oztontli  und  UeitogoztU.,  sind  im  Codex 
Vaticanus  A.  beide  durch  das  Bild  der  Cinteotl  dargestellt.  Das  Aubin'sclie 
Dokument  hat  für  beide  Monate  nur  ein  Bild*),  und  zwar  ist  auf  demselben 
das  rot  he  Gewand  der  Cinteotl  dargestellt,  eine  blühende  Maisähre 
darüber  und  darunter  ein  Korb  mit  feinem  Samen  (chianf),  ein  Korb  mit 
Klössen  (tamalli)  und  rechts  davon,  wie  es  scheint,  eine  Tortilla  und  ein 
Paar  Tamalli;  denn  Cinteotl,  die  Göttin  der  Maisfrucht,  ist  die  Göttin  aller 
Lebensmittel. 

Der  fünfte  Monat,  To.icatl,  ist  sowohl  im  Codex  Yaticanus  A.,  wie  in 
dem  Aubin'schen  Dokument  durch  das  Bildniss  Tezcatlijjoca's  dargestellt. 
Im  Codex  Vaticanus  A.  ist  er  ohne  Weiteres  kenntlich  durch  den  rauchenden 
Spiegel  am  Ohr  und  den  Spiegel,  aus  dem  Feuer  und  Wasser  hervorschiesst, 
am  linken  Fuss,  sowie  durch  die  Bemalung.  Die  beiden  schwarzen  Quer- 
streifen über  das  Gesicht  sind  auch  in  der  Figur  des  Aubin'schen  Doku- 
ments zu  erkennen,  und  die  Nasenscheidewand  ist  von  einem  Pfeil  durcii- 
bohrt,   der  auch  sonst  bei  Bildern  dieses  Gottes  zu  sehen  ist. 

Der  sechste  Monat,  Etzalqualiztli,  ist  sehr  ü])ereinstimmend  in  beiden 
Handschriften  durch  das  wohlbekannte  Bild  T/aloc's,  mit  einer  blühenden 
Maisstaude  in  der  Hand  und  einem  Topf  mit  Wasser  dargestellt. 

Im  siebenten  Monat,  Tecuilhuitontli,  ward  der  Uixtociuatl,  der  Göttin 
des  Salzes,  der  älteren  Schwester  des  Regen-  und  Wassergottes  Tlaloc, 
ein  Fest  gefeiert.  Im  Codex  Telleriano  Remensis  und  Vaticanus  A.  ist 
daher  dieser  Monat  durch  eine  Frauenfigur  dargestellt,  die  mit  beiden 
Händen  an  einem  Strick  ein  Fass  mit  körnigem  Inhalte  hält.  Der  mit 
Troddeln  und  Quasten  versehene  Strick,  sowie  der  Kopf-  und  Rückenputz 
der  Frau  sind  weiss,  mit  körniger  Zeichnung,  der  Natur  des  Stoffs  ent- 
sprechend, dessen  Patronin  in  diesem  J\lonat  gefeiert  wird.  In  der  viel 
charakterloseren  Zeichnung  des  Aubin'schen  Dokuments  ist  eine  directe 
Beziehung  auf  die  Göttin  des  Salzes  nicht  zu  erkennen,  aber  die  Haltung 
der  Figur  ist  die  gleiche  wie  bei  den  Figuren  der  älteren  Dokumente  und 
augenscheinlich  durch  jene  inspirirt.  Sie  hält  ebenfalls  mit  der  rechten 
Hand  ein  Fässchen  in  die  Höhe,  und  in  der  linken  einen  mit  Quasten  und 
Troddeln  versehenen  Strick. 

Der  achte  ]\Ionat,  Ueitecuilhuitl,  ist  das  Fest  der  Xilonen,  der  Göttin 
<les  jungen  Maiskolbens.  An  ihm  fand  grosse  Volksspeisung  statt,  die  Vor- 
nehmen führten  mit  ihren  Damen  feierliche  Tänze  auf,  und  die  Göttin, 
bezw.  das.  die  Stelle  der  Göttin  vertretende,  mit  den  Attributen  der  (iöttin 


1)  [Der  Vergleicli  mit  der  Bilderhandschril't  der  BibUoteca  Nazionale,  von 
der  diese  Aubin'sche  Handschrift  nur  eine  Kopie  ist,  Jehrt,  dass  nicht  dieses 
eine  Bild  für  zwei  Monate  der  Jahresfeste  gehen  soll,  sondern  dass  durch  irgend 
einen  Zufall  das  Bild  für  den  dritten  Monat,  die  Figur  der  Cinteotl,  verloren 
gegangen  ist].  "*" 

10* 


14;!^  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

iieschniückte  Ojifor  \vanl  in  feierlichem  Zuge  nach  den  vier  Hininiels- 
richtnngen  geführt,  um  Jann  in  iler,  bei  <len  Erd-  und  Fruchrgöttinen 
üblichen  Weise  geopfert  zu  worden.  Im  Codex  Telleriano  Remeiisis  nnd 
Vaticanus  A.  ist.  wie  oben  erwähnt,  dieser  Monat  dargestellt  durch  einen 
vornehmen  Mann  (Jccutli),  in  Fest-  oder  Tanztracht  der  in  der  linken 
Hand  das  Zeichen  lUntitl  ^F^est,  Tag"  hält.  In  dem  Aubin"schen  Doku- 
ment sieht  man  dafür  die  Göttin  selbst^),  in  rotheni  Oewand  und  mit  Adler- 
helm, auf  mit  einem  Haufen  von  ^laiskolben  bedeckter  Bahre  getragen, 
unter  A'orantritt  eines  Priesters,  der  die  ^luscheltrompete  bläst.  Die  beiden 
Träger  der  Bahre  haben  genau  die  gleiche  Tracht,  wie  der  Tecutli  des 
Codex  Telleriano  Remeusis  und  Vaticanus  A. 

Im  neunten  und  zehnten  3Ionat  wurden  den  Manen  der  gestorbenen 
Angehörigen  Opfer  und  iTcbete  dargebracht,  in  dem  ersteren,  wie  es  scheint, 
den  Seelen  der  gestorbenen  Kinder,  im  letzteren  denen  der  erwachsenen 
Gestorbenen.  Der  erstere  Monat  heisst  darnach  MiccaiUmüo?itli  oder 
Miicailhuitzintli,  „das  kleine  Todtenfesf,  der  letztere  UeimiccaüJiuitl^  „das 
grosse  Todtenfest";  der  Gebrauch  war  wohl  allgemein.  Er  übertrug  sich 
in  der  christlichen  Zeit  auf  die  Tage  Aller  Heiligen  und  Aller  Seelen,, 
au  denen  man,  genau  in  derselben  altheidnischeu  AVeise.  den  Seelen  der 
gestorbenen  Kinder  und  Erwachsenen  zu  essen  gab.  über  welchen  Gräuel 
und  dessen  Duldung  schon  Dur  an  Klage  erhob 'j;  und  er  ist  noch  heute 
unter  der  indianischen  Bevölkerung  des  Landes  üblich^).  Dieser  Bedeutung 
der  Monate  entsprechend,  sind  diese,  wie  schon  oben  erwähnt,  im 
Coilex  Telleriano  Remensis  und  Yaticauus  A.  durch  je  einen,  mit  Blumen 
und  Fähnchen  besteckten  Mumienballen  dargestellt,  mit  aufgesetztem  Kopfe,, 
an  die  bekannten  falschen  Köpfe  der  peruanischen  Mumien  aus  den  Gräbern 
von  Ancon  erinnernd. 

In  denselben  3Ionaten  wurden  aber  auch  grosse  öffentliche  FVste  ge- 
feiert. So  wurde  im  neunten  3Ionat  in  Mexico  die  Statue  des  Gottes 
Vitzüopocldli.  Tempel  und  Häuser  mit  Blumen  bekränzt,  und  der  Monat 
heisst  darnach   Tlad-ocltiniaco,  _wo  man  einem  Gegenstand  Blumen  brino-t". 


1)  [Das  ist  ein  Irrthuui.  der  mir  erst  zum  Bewusstsein  gekommen  ist,  als  ich 
die  besser  gezeichnete  Handschrift  der  Biblioteca  Xazionale  in  Florenz  zu  Gesicht 
bekam,  von  der  das  hier  besprochene  Au  bin"  sehe  Dokument  nur  eine  schlechte 
Kopie  ist.  Es  ist  nicht  eine  weibliche  Gottheit,  die  bei  diesem  achten  Feste 
dargestellt  ist,  sondern  der  den  Herzstab  {yoUotopiUi)  führende  Gott  der  Blumen, 
der  Spiele,  der  Feste  und  der  Fürsten,  Macuil  xochiil  oder  XochipilU  i^enatint,  der 
allerdings  in  den  Liedern  auch  als  der  Maisgott  {Cinteotl)  und  als  der  Vogel, 
der  in  der  Morgenfrühe  singt,  angeredet  wird.  Ich  habe  diesen  Irrthum  später 
in  meinem  Aufsatz  „Die  bildlichen  Darstellungen  der  mexikanischen  Jahresfeste'' 
(Veröffentlichungen  aus  dem  Kön)gl.  Museum  für  Völkerkunde  zu  Berlin.  VI.  Bd.. 
'2.  bis  4.  Heft.  S.  61)  richtig  gestellt"!. 

2)  ed.  Mexico  11,  S.  299. 

3)  Vgl.  Sartorius.  Mexiko  S.  •262ff. 


2.   Eine  Liste  der  mexikanischen  Monatsfeste.  149 

Der  zehnte  ]\Ioiiat  dagegen  ^val•  grosses  Fest  der  Tepaneca.  An  ihm  ward 
ein,  schon  den  Monat  vorher,  im  AValde  gefällter  und  sorgfältig  geglätteter 
Baum,  der  auf  der  Spitze,  aus  Teig  gefertigt,  den  Vogel  des  Feuergottes 
trug,  unter  grossem  Hailoh  aufgerichtet.  Fs  galt  dann  den  Baum  zu  er- 
klettern und  die  Insignieu  des  Gottes  herunterzuholen,  worauf,  unter  nicht 
minderem  Hailoh,  der  Baum  umgerissen  ward.  Nach  diesem  Feste  ward 
der  zehute  Monat  Xocouetzi,  wörtlich  „das  Fallen  der  Früchte",  aber  als 
„Herniederholen  des  Baumes  Xocotl''  erklärt^). 

Durjin  führt  den  Namen  Xocouetzi  neben  Ueimiccaillniitl  auf,  aber 
Sahagun  kennt  nur  die  beiden  Namen  Tla.vochimacQ  und  Xocouetzi^  und  auf 
sie  allein  beziehen  sich  auch  die  Darstellungen  des  Aubin'schen  Dokuments. 
Wir  sehen  den  neunten  Monat  dargestellt  durch  die  Figur  Uitzüopochtlfs 
(kenntlich  .durch  die  gestreiften  Beine)  in  einem  Kranz  von  Blumen; 
und  den  zehnten  Monat  durch  einen,  am  ^[astbaum  emporkletterndeu 
.lüngling. 

Der  eilfte  Monat,  Ochpaniztli^  ist  das  Besenfest,  in  welchem  Häuser. 
Höfe  und  Strassen  gefegt  wurden,  und  dei*  Erdgöttin  Teteoinnan  oder  TocL 
die  mit  der  Tla^olteotl  der  Historiker  und  der  Interpreten  ident  ist, 
grosse  Feste  gefeiert  wurden.  Der  Monat  ist,  sowohl  im  Codex  Telleriano 
Remensis  und  Yaticanus  A.,  wie  in  dem  Aubin'schen  Dokument,  durch 
das  Bild  dieser  Göttin  (kenntlich  durch  die  weisse  Kopf  binde  und  die 
Spindeln  im  Haar),  dargestellt,  mit  dem  Besen  in  der  Hand. 

Der  zwölfte  Monat  heisst  Teotl  eco,  „Ankunft  der  Götter".  An  ihm  er- 
wartete man  das  Neuerscheinen  oder  Wiedererscheinen  der  Götter.  Er  ist 
im  Codex  Telleriano  Remensis  und  Vaticanus  A.  dargestellt  durch  das 
Bild  Tezcatlipocas,  denn  dieser,  der  junge  Gott  (Telpochtli)  erscheint  zuerst 
Ton  allen  Göttern.  Im  Aubin'schen  Dokument  dagegen  ist  der  Tempel 
dorgestellt  mit  den  Fussstapfen  des  Gottes  (die  in  ausgestreutem  Mehl 
sich  abdrückten!)  und  der  Priester  (teoua)^  der,  nachdem  der  Fussabdruck 
in  dem  Mehl  gesehen  worden  ist,  mit  lauter  Stimme  der  harrenden  Stadt 
die  „Ankunft  seiner  Hoheit"  verkündet.  [Daneben  ist  das  grosse  Feuer- 
opfer, das  den  Schluss  dieses  Festes  bildet,  durch  einen  in  die  Gluth  ge- 
worfenen Menschen  dargestellt]. 

Der  dreizehnte  Monat  heisst  Tepeilhuitl,  das  Fest  der  Berge  oder  des 
Berggottes.  An  ihm  wurden  kleine  Bildnisse  der  Berggötter  (Berge  mit 
Frauenkopf)  gefertigt,  mit  Papieren  geschmückt,  und  ihnen  Opfer  dar- 
gebracht.     Desgleichen    wurden    Bildnisse    von    Schlangen    (Symbol    des 


1)  [Xocotl  heisst  in  der  That  .Frucht".  Aber  Xocotl  ist  auch  der  Name  eines 
Gottes,  der  in  dem  Lande  der  Otomi  auf  dem  Berge  Xocotiilan  verehrt  wurde, 
und  der  deshalb  auch  mit  dem  Namen  otontecxiüi  bezeichnet  und  als  der  „Feuer- 
gott der  Tepaneken'-  erklärt  wird.  Das  Abbild  dieses  Gottes  ist  es,  das.  aus 
Teig  gefertigt,  auf  der  Spitze  des  Baumes  angebracht  wurde]. 


"J50  Zweiter  Absflinitt:    Bilderschriften. 

Blitzes  mul  des  Kegeni;ottes)  angefertigt  und  adorirt,  und  vier  Frauen 
und  ein  Mann,  letzterer  als  der  Münauatl  (der  Geist  des  Feldes),  der 
lebende  Repräsentant  der  Schlangen,  wurden  <len  Berggöttern  geopfert. 
Im  Codex  Telleriano  Remensis  und  Vaticanus  A.  ist  dieser  Monat  durch 
einen,  mit  TeteuiÜ  (mit  Kautschuk  betropfteu  Papieren)  besteckten  Berg, 
und  einem  T/a/oc-Kopf  darauf  veranschaulicht.  Im  Aubin'schen  Doku- 
ment ist  ein  Berg  mit  einer  Schlange  darauf  dargestellt,  danmter  ein 
Pulque  trinkendes  Paar  (Knabe  und  ^Mädchen)  und  gegenüber  das  Bild 
einer  Göttin,  anscheinend  eine  Chalchmlälicue  oder  eine  andere  Berg- 
göttin'). 

Der  vierzehnte  Monat,  Queckolli,  ist  das  Fest  Cajncwtli-Mixcoatl's,  des 
Jagdgottes.  Das  Bild  dieses  Gottes,  kenntlich  durch  die  Streifung  der 
Körperhaut  und  die  den  oberen  Theil  des  (lesichts  bedeckende  Maske 
ist  sehr  übereinstimmend  in  allen  drei  Handschriften  zur  Bezeichnung 
dieses  Monats  verwendet. 

Der  fünfzehnte  3Ionat,  PanquetzaUztli,  ist  das  Fest  Uifzilopochtli' s  uuil 
durch  das  Bild  dieses  Gottes  bezeichnet. 

Im  sechzehnten  Monat.  Atemoztli,  wurden  dem  Gotte  Tlaloc  wieder 
Feste  gefeiert,  und  so  erscheint  sein  Bild,  in  allen  drei  Handschriften, 
zur  Bezeichnung  dieses  Monats.  Im  Codex  Telleriano  Kemensis  und  Yati- 
canus  A.  kommt  ein  AVasserstrom  an  seiner  Seite  herunter,  denn  Atemoztli 
heisst  „das  Herabsteigen  des  Wassers".  In  dem  Aubin'schen  Dokument 
sind,  dem  Gotte  gegenüber,  fallende  Regentropfen  gezeichnet. 

Der  siebzehnte  Monat,  Tititl,  ist  das  Fest  der  „alten  Frau",  Ilama- 
tecutli,  auch  Tonaii,  „unsere  Mutter"  genannt.  Das  Bild  dieser  Göttin, 
mit  dem  Tzotzopaztb',  dem,  zum  Festschlagen  der  Gewebefäden  dienenden, 
hölzernen  Messer  in  der  Hand,  bezeichnet  in  allen  drei  Handschriften 
diesen  Monat. 

Der  letzte  Monat,  Izcalli,  ist  ebenfalls  gleichmässig  in  allen  drei 
Handschriften  durch  das  Bild  des  Feuergottes  Ixco(;auhqui  oder  XiuktecutU 
bezeichnet,  dessen  Fest  in  diesem  Monat  gefeiert  ward. 

Die  genannten  drei  Handschriften  sind  wichtig,  weil  wir  im  Stande 
sind,  die  in  ihnen  dargestellten  Figuren  bestimmt  zu  rekognosziren.  Denn, 
über  die,  in  den  verschiedenen  Monaten  gefeierten  Feste  und  ihre  Gott- 
heiten sind  die  Angaben  der  Historiker  sehr  bestimmt  und  ausführlich. 
Yon  besonderem  Interesse  ist,  dass  wir  hier,  als  Bezeichnung  des  fünf- 
zehnten Monats,  ein  authentisches  Bild  des  aztekischen  Stammgottes 
üitzilopochtli  vor  uns  haben,  der  sonst  in  den  Handschriften  selten  auf- 
zufinden   ist.    da  diese    sich,    ihrer    Hauptmasse    nach,    mit    astrologischen 


1)  [Es  ist,  wie  wir  durch  den  Interpreten  der  Florentiner  Handschril't  erfahren^ 
die  Göttin  Xochiquetzal,  deren  Fest  bei  den  Tlalhuica  am  Tepeilhuitl  dürr''  ein 
Saufgelage  von  Knaben  und  Mädchen  gefeiert  wurde]. 


2.   Eine  Liste  der  mexikanischen  Monatsfeste.  151 

Dingen  befassen,  Uifzilopocht/i  aber  augenscheinlich  in  der  Reihe  der 
Kalendergottheiten  fehlt.  An  der  Identität  liier  ist  nicht  zu  zweifeln,  denn 
das  Gesicht  des  Gottes  ist  aus  dem  aufgesperrten  Rachen  eines  Kolibri 
(uitzitzilin)  hervorschauend  gezeichnet,  genau  so,  wie  im  Dunin  Trat.  2° 
Lara.  2a,  und  wie  im  Codex  Boturini  der,  die  Azteken  auf  ihrer  Wanderung 
geleitende  Gott  dargestellt  ist.  Und  es  ist  sehr  bomerkenswerth,  dass  der 
Uitzüopochtli,  wie  man  ilm  liier  abgebildet  sieht,  unzweifelhafte  Verwandt- 
schaft mit  Tezcatlipoca  zeigt.  Er  trägt,  wie  dieser,  den  rauchenden  Spiegel 
au  der  Federkrone,  und  der  Federschmuck  des  Nackens  mit  dem  einge- 
steckten Fähnchen,  sowie  das  Brustgeschmeide  ist  bei  beiden  absolut  gleich. 
Fin  Ineinandergreifen  dieser  beiden  Gottheiten  ist  ja  auch  sonst  zu  be- 
merken. Auch  Tezcatlipoca  heisst  Yaotzin,  der  F^eind,  der  Krieger,  und 
das  Fest  Teotleco,  an  welchem  die  Ankunft  des  jungen  Gottes  Telpochtli 
oder  Tezcatlipuca  gefeiert  wird,  ist  nach  Dur  an  das  F^est  der  Geburt 
Uitzilopocktli's. 


152  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


3. 

Die  Colnmbns-Festscliriften  der  Königl.  Bibliothek  in 
Berlin  und  der  niexikaniselien  Eegierung. 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde.     Berlin,  2.  Dezember  1893. 


Der  Tierhundertjährige  Gedenktag  der  Entdeckung  Amerikas,  der  im 
vorigen  Jahr  gefeiert  und  diesseit  und  jenseit  des  Oceans  festlich  begangen 
wurde,  hat  nicht  nur  für  die  grosse  That  der  Entdeckung  und  die  Per- 
sonen, die  an  derselben  betheiligt  waren,  das  Interesse  neu  belebt,  sondern 
hat  auch  allen  auf  das  Land  und  seine  damalige,  seine  frühere  und  seine 
gegenwärtige  Creschichte  gerichteten  Studien  einen  neuen  Anstoss  gegeben. 
Ganze  Ausstellungen  sind  veranstaltet  worden,  in  denen  man  zu  vereinigen 
gesucht  hat,  was  die  Kenntniss  des  Landes  und  seiner  Bewohner  zu  fördern 
im  Stande  ist.  Institute  und  Staaten  haben  gewetteifert,  dasjenige,  was 
von  handschriftlichen  Schätzen  und  anderem  auf  Amerika  bezüglichen 
Material  in  ihrem  Bereich  lag.  allgemeiner  Benutzung  zugänglich  zu  machen. 
Die  Gesellschaft  für  Erdkunde  ist.  wie  Ihnen  allen  bekannt,  hierin  nicht 
zurückgeblieben. 

Ich  habe  heute  den  Auftrag.  Ihnen  zwei  Schriften  vorzulegen,  die  der 
Bibliothek  der  Gesellschaft  zugegangen  sind  und  die  von  diesem  rühm- 
lichen Wetteifer  ebenfalls  rühmliche  Kunde  geben. 

Wir  Deutschen  dürfen  mit  Stolz  den  Mann  zu  unseren  Volksgenossen 
zählen,  der  in  gewissem  Sinn  als  der  wisseuschaftliche  Entdecker  der 
neuen  Welt  bezeichnet  werden  kann.  Alexander  von  Humboldt. 
Seinem  universalen,  auf  alle  Seiten  des  menschlichen  Erkennens  gerichteten 
Streben  war  die  grosse  Bedeutung  nicht  entgangen,  welche  die  mexi- 
kanischen Bilderschriften  für  die  Kenntniss  der  alten  Geschichte  des  Landes 
und  für  die  Erkenntniss  der  Entwickelung  des  menschlichen  Geistes  über- 
haupt haben.  Er  hat,  obwohl  sein  engeres  Arbeitsfeld  eigentlich  auf  ganz 
anderem  Gebiet  lag,  den  mexikanischen  Bilderschriften  nicht  nur  ein  ein- 
gehendes Studium  gewidmet,  er  hat  auch,  bei  seinem  Aufenthalt  im  Lande, 
von  den  daselbst  zur  Zeit  vorhandenen,  dem  Wechsel  der  Besitzer  und 
dem  Zufall  preisgegebenen  Stücken  eine  Anzahl  erworben  und  durch 
Üeberweisuno;    an  die  Köniu:liche  Bibliothek    zu  Berlin    der  Xachwelt    er- 


3.    Die  Columbus- Festschriften.  153 

halten.  Die  General -Verwaltung-  der  Königlichen  Bibliothek  hat  den 
Gedenktag  des  vorigen  Jahres  nicht  besser  ehren  zu  können  gemeint,  als 
indem  sie  von  diesen  im  Besitz  der  Königlichen  Bibliothek  befindlichen 
Stücken  Kopien  anfertigen  Hess  und  sie  an  wissenschaftliche  Institute  und 
andere  betheiligte  Kreise  vertheilte.  Ein  Exemplar  dieser  auf  photo- 
graphischem  Wege  hergestellten  Kopien  der  mexikanischen  Bilderhand- 
scliriften  Alexander  von  Humboldt's  liegt  Ihnen  hier  vor,  als  ein 
Geschenk  der  General -Verwaltung  der  Königlichen  Bibliothek.  Ich  habe 
im  Auftrag  der  General -Verwaltung  ein  paar  Erläuterungen  dazu  ge- 
schrieben, die  Ihnen  gleichfalls  vorliegen.  Was  zunächst  den  Ursprung 
der  Stücke  betrifft,  so  habe  ich  nachweisen  können,  dass  die  meisten  — 
vielleicht  alle  —  dem  „Museo  ludiano''  des  unglücklichen  mailändischen 
Historikers  und  Archäologen  Cav.  Lorenzo  Boturini  angehört  haben 
und  wahrscheinlich  bei  der  Versteigerung  des  Nachlasses  des  bekannten 
Schriftstellers  Leon  y  Gama  von  Alexander  von  Humboldt  erworben 
worden  sind.  Die  Sammlung  umfasst  16  Stücke,  die  sich  auf  14  reduziren, 
da  zwei  der  ursprünglichen  Stücke  erst  zum  Zweck  des  Einkh^bens  in 
den  Folio-Atlas,  in  ''dem  die  Stücke  in  der  Königlichen  Bibliothek  auf- 
bewahrt werden,  zerschnitten  worden  sind.  Einzelne  der  Stücke  gehören 
der  alten  heidnischen  Zeit  an,  die  anderen  sind  in  früher  christlicher  Zeit 
entstanden.  Einige  stammen  aus  der  Haujitstadt  selbst  oder  ihrer  un- 
mittelbaren Nachbarschaft,  andere  gehören  dem  Gebiet  des  alten  König- 
reichs von  Tetzcoco  an.  Ein  paar  der  älteren  Stücke  sind  in  Huamantla 
im  Staat  Tlaxcala  gefunden  worden,  andere  sind  Rechnungen  aus  dem 
Dorfe  Mizquiyahuallan  im  Lande  der  Otonii.  Das  interessanteste  der 
Blätter  ist  ohne  Zweifel  der  grosse  zusammengefaltete  Codex  Nr.  1.  Es 
ist  eiue  über  19  Jahre  sich  erstreckende  Liste  der  Abgaben  und  Gefälle, 
die  an  vier  Jahresfesten  au  einen  bestimmten  Tempel  gezahlt  worden 
sind.  3Ian  sieht  auf  der  rechten  Seite  des  Blattes  die  Reihe  der  Feste 
und  die  Daten,  auf  welche  sie  fielen,  und  dazwischen,  gross  gezeichnet. 
Figuren  von  Priestern;  das  sind  augenscheinlich  die  regierenden  Tempel- 
dynasten. Denn  Ableben  des  einen  und  Regierungsantritt  des  anderen 
wird  im  Bild  vor  Augen  geführt.  Auf  der  linken  Seite  des  Streifens  sind 
die  Tribute  selber  aufgemalt,  in  Gold  und  gewebten  Decken  bestehend, 
dazwischen  Figuren  von  Orten  und  deren  Fürsten,  augenscheinlich  die 
Butler  der  den  Betrag  Leistenden.  Das  Blatt  ist  deshalb  von  besonderem 
Interesse,  weil  es  das  einzige  bisher  bekannt  gewordene  ist,  auf  welchem 
eine  über  eine  Reihe  von  Jahren  sidi  erstreckende  Liste  von  Tagesdaten 
angegeben  ist.  Es  ist  daher  das  einzige  bisher  bekannt  gewordene  Blatt, 
das  einem  ermöglicht,  über  gewisse  Grundfragen  der  mexikanischen 
Chronologie  Aufschluss  zu  gewinnen.  Ich  habe,  auf  Grund  dieses  Blattes 
und  unter  Zuhilfenahme  der  wenigen  in  den  Historikern  und  in  aztekisch 
ireschriebenen    Handschriften    enthaltenen    Daten,    eine    Konkordanz    der 


i;)4  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

moxikaiiisolieii  iiiul  clor  eiiropäiseliou  Zeitroc-hiiuiig-  hergestellt,  die  zu  ganz 
anderen  Erüebnissen  uetulirt  hat,  als  man  bisher  auf  Grund  anderer  unbe- 
stinnnterer  Nachrichten  annehmen  zu  müssen  geglaubt  hat.  Die  anderen 
Stücke  haben  nicht  das  hervorragende  wissenschaftliche  Interesse,  namentlich 
nicht  diejenigen  aus  christlicher  Zeit,  von  denen  es  auch  an  anderen 
Orten  mehr  oder  minder  gleichartige  genug  giebt;  denn  fast  das  ganze 
t'rste  .lahrhundert  nach  der  Eroberung  hindurch  musste  die  viel  schreibende 
spanische  Burt'aukratie  zu  Bilderschriften  ihre  Zuflucht  nehmen,  wenn  sie 
von  Indianern  Berichte  forderte  oder  sich  ihnen  verständlich  machen 
wollte.  Lange  Zeit  hindiu'ch  bestand  daher  neben  einem  Lehrstuhl  für 
mexikanische  Sprache  auch  einer  für  mexikanische  Bilderschrift  an 
der  Universität  von  31exico.  Immerhin  l)eanspruclien  die  Bruchstücke 
dieser  Art,  die  sich  in  der  Humboldt'scheu  Sammlung  befinden,  insofern 
ein  besonderes  Interesse,  weil  einige,  ausser  mit  Bilderschrift,  auf  der 
Rückseite  noch  mit  wirklicher  Schrift  versehen  sind,  und  die  Vorderseite 
und  die  Rückseite  entsprechen  einander,  wie  ich  feststellen  konnte.  Die 
Vorderseite  enthält  in  Bilderschrift  die  Rechnung,  welche  die  Indianer 
den  Spaniern  für  gelieferte  Lebensmittel,  für  Futter.  fiU"  Hausarbeit  u.  s.  w. 
aufstellten,  und  die  Rückseite  in  spanischer  Schrift  die  Quittung  über  den 
dafür  gezahlten  Preis  mit  der  Unterschrift  des  Indianers  und  der  Be- 
glaubigung der  Behörden,  des  Ortspfarrers  u.  s.  w.  Ich  glaube,  dass  man 
insofern  Werth  auf  diese  dokumentarische  Bestätigung  legen  muss.  als 
vor  Km'zeni  ganz  ähnliche  Bilderschriften  in  Amerika  unter  dem  Titel 
,,Tributi-olle"  und  ^,Kalender''  veröffentlicht  w^orden  sind.  Das  letzte  Bruch- 
stück endlich  ist  eine  jener  meines  Wissens  nicht  gerade  häufigen  Bilder- 
schriften, in  welchen  die  christliche  Glaubenslehre  den  Indianern  auf  dem 
ihrem  Anschauungsverraögen  entsprechendsten  AVege,  durch  Bilder,  über- 
mittelt wurde.  Und  zwar  ist  das  Humbold t'sche  Bruchstück  das  best- 
gezeichuete  und  originellste  Stück  dieser  Art  von  Handschriften.  Ich 
habe  nachweisen  können,  dass  es  die  Glaubensartikel  und  die  zehn  Gebote 
in  Bildern  enthält,  und  in  meinen  Erläuterungen  Satz  für  Satz  den  be- 
treffenden Abschnitt  des  Katechismus  Romanus  und  das  Bild,  das  ihn 
darstellt,  aufweisen  können. 

Die  Bruchstücke,  die  Alexander  von  Humboldt  nach  Europa  ge- 
bracht hat,  stellen  nur  einen  winzigen  Bruchtheil  dessen  dar,  was  von 
Bilderschriften  im  Lande  vorhanden  war  und  vorhanden  ist.  Eine  Anzahl 
anderer  ist  in  verschiedeneu  europäischen  Bibliotheken  verstreut  Die 
wichtigsten  derselben  sind  schon  vor  Jahrzehnten  in  dem  grossen  Werk 
Lord  Kiugsborough's  veröffentlicht  worden.  In  Mexico  selbst  existiren 
noch  eine  Anzahl  anderer,  von  denen  bisher  nur  der  das  Land  durch- 
streifende Reisende  oder  mit  3Iexikanern  in  sehr  enger  Fühlung  stehende 
Gelehrte  etwas  erfuhr,  deren  Benutzung  aber  dem  europäischen  Forscher 
direkt  verschlossen  war.     Die  Junta  Colombina  in  Mexico,  die  Kommission, 


3.    Die  Columbus- Festschriften.  löä 

die  zum  Zweck  der  würdigen  Feier  des  Gedenktnges  der  Entdeckung 
Amerikas  in  Mexico  zusammentrat  und  die  allerdings  die  klangvollsten 
Kamen  zu  ihren  Mitgliedern  zählte  —  Männer  wie  ]).  Joa([uin  Garcia 
Icazbalceta,  Jose  Vigil,  Alfredo  Chavero,  Francisco  del  Paso  y 
Troncoso  u.  A.  —  hat  sich  ein  hohes  Verdienst  dadurch  erworben,  dass 
sie  diese  Handschriften  sammelte  und  die  wichtigsten  derselben  in  den 
Farben  des  Originals  vervielfältigen  liess.  Es  ist  der  stattliche  Band,  der 
Ihnen  hier  vorliegt,  der  so  stattlich  hat  ausfallen  können,  weil  die  Junta, 
in  weiser  Abwägung  des  zu  erreichenden  Zweckes  und  der  vorhandenen 
.Mittel,  alles  im  Lande  hat  anfertigen  lassen  und  dadurch  zugleich  vor 
aller  Welt  eine  ehrende  Probe  für  die  Leistungsfähigkeit  des  Landes  ab- 
gelegt hat.  Besonderer  Dank  gel)ührt  auch  der  Regierung  des  Landes, 
insbesondere  dem  Präsideuten  der  Kepublik,  General  Porfirio  üiaz,  für 
die  Bereitstellung  der  Mittel  und  für  die  Freigebigkeit,  mit  der  die  kost- 
baren Bände  an  Korporationen  und  Gelehrte  zur  Vertheilung  gelangt  sind. 
Fünf  grosse  Codices  sind  hier  zum  Abdruck  gelangt,  davon  einer 
aus  80  grossen  Blättern  bestehend.  Fast  jeder  derselben  hat  seine 
Geschichte.  Ich  beginne  mit  dem  ersten,  der  von  der  Kommission  dem 
l^itdecker  Amerikas  zu  Ehren  Cödice  Colombino  getauft  worden  ist. 
Das  Original  stammt  aus  dem  Bergland  der  Mixteca  im  Nordwesten  des 
heutigen  Staates  Oaxaca  und  zwar  aus  alter  heidnischer  Zeit.  Das  Original 
ist  mit  zahlreichen  Legenden  in  mixtekischer  Sprache  versehen,  die  aber, 
scheint  es,  nur  zur  Irreführung  etwa  inquirirender  Mönche  eingetragen 
worden  sind.  Denn  <ler  Codex  ist  unzweifelhaft  mythologischen,  kalen- 
darischen, astrologischen  Inhalts.  Die  Legenden  sind  aber  im  wesentlichen 
Ortsnamen,  wollen  also  augenscheinlich  den  Anschein  erwecken,  als  ob 
es  sich  nur  um  eine  unschuldige  Flurkarte  oder  dergleichen  handle.  Das 
Original  wurde  vor  einigen  Jahrzehnten  einem  deutschen  Kaufmann,  Herrn 
Konsul  Dorenberg  in  Puebla,  zum  Kauf  angeboten.  Ueber  seine  Herkunft 
weiss  man  nichts  weiter.  Ich  habe  seiner  Zeit,  auf  meiner  Keise  in  Mexico, 
in  dem  Hanse  des  Herrn  Dorenberg  diese  Handschrift  kopiren  dürfen. 
Und  als  ich  zurückkam,  zu  dem  Amerikanisten -Kongress,  der  damals  in 
Berlin  stattfand,  da  hatte  dort  Herr  Pliili])p  Becker  aus  Darmstadt,  der 
ebenfalls  als  Kaufmann  lange  Jahre  in  Mexico  gelebt  hat,  eine  Hand- 
schrift ausgestellt,  die  er  durch  einen  Bekannten  in  der  Hauptstadt  Mexico 
erworben  hatte,  und  die  sich  mir  als  das  genaue  Gegenstück,  ja  ich  möchte 
sagen,  nur  als  anderer  Abschnitt  des  Deren berg'schen  Codex,  d.  h.  des 
Cödice  Colombino,  erwies.  Ueber  diesen  Beck  er' sehen  Codex  weiss  man 
aber  etwas.  Es  ist  das  nämlich  der  Codex,  von  dem  ein  Genfer  (ielehrter, 
Dr.  Henri  de  Saussure  im  Jahr  18.rJ  in  Puebla  eine  Kopie  angefertigt 
hat,  die  er  jetzt,  ohne  zu  wissen,  dass  das  Original  noch  existirt,  unter 
dem  Xamen  „Le  Manuscrit  du  Cacique"  veröffentlicht  hat.  Das  Original, 
von  dem  De  Saussure  seine  Kopie  nahm,  wurde  im  Jahre  \i>'r2  von  einem 


15H  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Indianer  <ler  Mixreca  «loni  Advokaten  I.ic.  D.  Pascal  Ahnazan  über- 
braclit  und  sollte  als  Belegstück  «lienen  für  die  Ansprüche,  die  der  Indianer 
auf  gewisse  Grundstücke  machte. 

Aus  dem  benachbarten  Gebiet  der  Zapoteken  stammt  der  zweite 
Codex.  Er  ^iirde  in  Oaxaca  gekauft  und  ist  dem  Präsidenten  der  Ee- 
j)ublik  zu  Ehren,  der.  gleich  dem  verstorbenen  Juarez,  ein  Oaxaqueno 
ist,  Cödice  Porfirio  Diaz  getauft  worden.  Ausser  Bildern  finden  sich 
auf  ihm  in  grossen  bunten  Lettern  Legenden  in  zapotekischer  Sprache. 
Die  vierte  Handschrift  ist  von  dem  letzten  Besitzer  Teodoro  A.  Deheza 
der  Junta  zum  Zweck  der  Veröffentlichung  geschenkt  worden  und  trägt. 
dem  Scheuker  zu  Ehren,  den  Xamen  Cödice  Deheza.  Vorher  hatte  sie 
Herrn  Melgar  in  Veracruz  gehört,  der  erste  bekannte  Besitzer  derselben 
war  der  Lic.  Cardoso  in  Puebla.  Sie  scheint  aus  der  gleichen  Gegend 
zu  Staramen,  trägt  aber  Legenden  in  mexikanischer  Sprache.  Beide  Hand- 
schriften können  sich  an  Bedeutung  nicht  mit  dem  Cödice  Colombino 
messen.  Sie  sind  schlechter  gezeichnet,  der  Inhalt,  wie  es  scheint,  zum 
Theil  historisch.  Zur  Zeit  wissen  wir  aber  von  der  Mythologie  und  den 
Traditionen  der  Mixteca  und  Zapoteca  zu  wenig,  um  mit  Sicherheit  an 
die  Deutung  derselben  gehen  zu  können.  Direkt  benutzbar  und  von  Werth 
sind  sie  aber  "heute  schon  für  alle  diejenigen,  die  sich  für  das  archäo- 
logische Detail,  Tracht  u.  s.  w.  dieser  Stämme  iuteressiren. 

Von  geringerem  Wertli  ist  der  dritte  Codex,  der  dem  Ministro  de 
Justicia  e  lustruccion  Publica.  Lic.  D.  Joaquin  Barauda.  zu  Ehren 
Cödice  Baranda  getauft  worden  ist.  Er  stammt  schon  aus  christlicher 
Zeit  und  ist  im  AVesentlichen  wohl  eine  Art  Ahnentafel,  eine  Aufzählung 
der  Geschlechter  einer  bestimmten  Gegend,  und  enthält  daneben  Vorgänge 
aus  der  Erobemug.  Ganz  ohne  mythologische  Beziehung  ist  auch  dieses 
Blatt  nicht.  Das  zeigt  die  Schlange,  aus  deren  zeiTissenem  Leib  Wasser 
hervorströrat.  Ganz  denselben  Vorgang  sehen  wir  auf  einem  Blatt  einer 
der  Selden-CoUection  augehörigen,  in  der  Bodleyan  Library  in  Oxford 
aufbewahrten  Handschrift  unzweifelhaft  mythologischen  Inhalts. 

Aon  dem  grössten  allgemeineren  Interesse  ist  jedenfalls  die  grosse, 
die  zweite  Hälfte  des  Bandes  füllende,  über  80  Blätter  enthaltende  Re- 
produktion des  Licenzo  de  Tlascala.  Das  ist  eine  seit  alter  Zeit  be- 
rühmte, auf  ein  Stück  Baumwollzeug  von  über  5  Ellen  Länge  und  27a 
Ellen  Breite  gemalte  Darstellung  des  Friedensschlusses,  den  die  Tlaxcaltekeu 
mit  Cortes  gemacht  hatten,  und  der  verschiedenen  Begebenheiten,  bei  denen 
die  Tlaxcaltekeu  als  Hilfstruppen  des  Cortes  und  der  Spanier  thätig  waren. 
Das  Original  ist,  wie  sich  aus  einer  Legende  im  Kopftheil  des  Streifens 
ergiebt.  zur  Zeit  des  Vicekönigs  D.  Luis  de  Velasco.  des  ersten  dieses 
2^amens,  angefertigt  worden,  also  etwa  um  das  Jahr  1560.  Das  Original 
wurde  seit  alter  Zeit  in  dem  Ayuntamieuto,  dem  Magistratsgebäude  von 
Tlaxcallan.  aufbewahrt.     Aber  während  der  Reüieruns:  des  Kaisers  Maxi- 


3.    Die  Colmnbus- Festschriften.  157 

miliaii  liess  man  es  nach  der  Hauptstadt  kommen,  damit  die  französische 
wissenschaftliche  Kommission  davon  eine  Kopie  nehmen  könne.  Seit  der 
Zeit  ist  das  Original  verschwunden.  Es  war  zwar  schon  früher  eine 
Kopie  angefertigt  worden,  die  sich  zur  Zeit  noch  im  Museo  Xacional  (h» 
^[exico  befindet.  Sie  ist  aber,  nach  dem  Urtheil  kundiger  Leute,  ziemlich 
ungenau.  Glücklicher  Weise  hatte  ausserdem,  auch  schon  vor  Jahren,  der 
bekannte  mexikanische  Archäolog  Lic.  Alfrede  Chavero,  nach  dem  Ori- 
uinal  eine  farbiü'e  Pause  anfertigen  lassen.  Diese  Pause,  von  der  bisher 
nur  ein  paar  kleine,  schlechte  Abzüge  in  dem  ersten  Baud  des  Geschichts- 
werkes „Mexico  k  traves  de  los  siglos"  veröffentlicht  worden  sind,  hat  Hr. 
Chavero  jetzt  der  Junta  Colombina  zur  Verfügung  gestellt. 

Die  Darstellungen  gliedern  sich  in  einen  Kopftheil,  der  sich  über 
die  ganze  Breite  des  Blattes  erstreckt,  und  86  Einzelgemälde. 

Der  Kopftheil  des  Blattes  zeigt  in  der  Mitte  den  spanischen  Doppeladler 
mit  der  Kette  des  goldenen  Vliesses  und  eingerahmt  von  zwei  Säuleu  mit  der 
Inschrift  Phis-Ultra,  den  Säuleu  des  Hercules,  nach  denen  die  spanischen 
Thaler  in  Africa  noch  heute  unter  dem  Namen  „Vater  der  Kanone"  be- 
kannt sind.  Darunter  folgt  ein  Berg  mit  einem  Wappen,  das  ein  Bap- 
risterium  in  rotheni  Felde  zeigt,  gekrönt  von  einer  Marienkapelle  —  die 
Stadt  oder  den  Bezirk  Tlaxcallan  darstellend.  Darunter  endlich  errichten 
spanisclie  Soldaten  ein  Kreuz.  Zwei  Gruppen  von  Indianern  stehen  dabei, 
<lie  den   Vorgang  mit  lebhaftem  Interesse  beobachten. 

Zur  Seite  des  Berges  mit  der  Marienkapelle  sind  links  und  rechts 
Gruppen  von  Spaniern,  auf  'dem  Richterstuhl  sitzend,  dargestellt.  Auf  der 
rechten  Seite  drei,  der  eine  in  bischöflichem  Ornat,  die  anderen  mit  dem 
Kreuz  der  Ritter  von  Calatrava  geschmückt. 

In  der  Kopie  des  Museums  stehen  bei  diesen  Personen  folgende  Bei- 
schriften: 

D.   Sebastian   Ramires   de  Fuenleal,    presid  ente  de  la  R'^ 

Audi  e  n  c  i  a 
D.  Antonio  de  ]\[endoza 
El  Exmo  S""  DouLuys  deVelasco  mando  hacer  este  mapa. 

Es  ist  also  der  Bischof  Ramirez,  der  als  Präsident  des  obersten 
(Jerichtshofes  fungirte  und  die  beiden  ersten  Vizekönige,  die  nach  ihm 
das  Regiment  in  Mexico  übernahmen.  —  Auf  der  linken  Seite  sieht  man 
ly  Spanier  auf  ihren  Stühlen,  in  vier  Reihen  geordnet.  Und  hier  geben 
die  Beischrifteu  folgende  Xamen: 

D.  Hernando  Cortes,  Capitan  General.   —   Tesorero. 

Luis  Ponce.  —  Marcos  de  Aglor. 

Fator.  —  Marques.  —  Gusman.  —  Salmeron. 

Madecio.  —  Maldonado.  —  Delgadillo.  —  Ceynos.  —  Quiroga. 

Das  sind  also  in  der  Hauptsache  die  Spanier,  die  als  Richter  {oydorea} 
m  den  ersten  Jahrzehnten  nach  der  Conquista  fungirt  haben. 


"J58  Zweiter  Abschnitt:    Hilderschriften. 

Nacli  aussen  von  diesen  Mittelgruppen  sind  die  vier  sogenannten 
Hauptstädte  (Cabeceras),  d.  h.  die  vier  Hauptstämme  der  Tlaxcalteken  dar- 
gestellt: Tepeticpac,  Ocotelolco.  Tieatlan  und  Quiauiztlan.  Unter  den  vieren 
nahm  zur  Zeit  des  Cortes  Tieatlan  den  ersten  Platz  ein.  da  sein  Stanini- 
liäuptling  Xicotencatl  der  zur  Zeit  älteste  der  vier  Häuptlinge  war.  Er 
war  so  alt,  dass  er  die  Augenlider  nicht  mehr  hochheben  konnte.  Leute 
seiner  Begleitung  mussten  sie  ihm  in  die  Höhe  ziehen,  damit  er  den 
Cortes  und  die  Spanier  sehen  konnte,  und  durch  Betasten  suchte  er  dann, 
nach  Art  eines  ganz  Blinden,  das  Bild  der  Fremdlinge  sich  zu  vervollständigen,  /x 
Das  Abzeichen  und  Banner  der  Häuptlinge  von  Tiratlayi  war  ein  fliegender 
Reiher.  Ihn  sehen  wir  daher  in  den  folgenden  Einzelbildern  am  häufigsten 
unter  den  verschiedenen  Federbannern  und  Abzeichen,  welche  die  Führer 
im  Kampf  auf  dem  Rücken  geschnallt  tragen,  dargestellt.  Und  der  Reiher 
bezeichnet  auch  in  dem  Kopftlieil  des  Gemäldes  das  eine  der  vier  Häuser, 
wodurch  die  vier  Stämme  der  Tlaxkalteken  dargestellt  sind.  Ein  zweites 
trägt  als  Standarte  aufgesteckt  ein  anderes  Kriegerabzeichen,  von  kamm- 
artiger Grestalt  und  ebenfalls  aus  Federn  gefertigt,  welchem  als  technische 
Bezeichnung  der  Name  patzactii  zukommt.  Dies  scheint  das  Abzeichen 
der  Häuptlinge  von  Quiauiztlan  gewesen  zu  sein.  Bei  den  letzten  beiden 
Häusern  fehlt  das  Abzeichen. 

Die  Einzelbilder  beginnen  mit  einer  Scene  in  dem  —  so  zu  sagen  — 
Senat  von  Tlaxcallan.  Ein  Bote,  der  durch  leichte  Bekleidung  und  durch 
Tätowirung  auf  Wange  und  Schenkel  als  ein  Totonake.  ein  Küsten-In- 
dianer, gekennzeichnet  ist.  überbringt  den  Häuptlingen  der  Tlaxkalteken 
einen  Brief  des  Cortes  mit  Freuudschaftsanerbietungen.  Cortes  schickte 
einen  Brief,  obwohl  er  wusste.  dass  die  Thlaxkalteken  ihn  nicht  lesen 
konnten.  Aber  er  wollte  augenscheinlich  durch  das  fremdartige  Papier 
den  Indianern  imponiren  und  gleichzeitig  den  Boten,  als  von  ihm,  dem 
Führer  der  „teules"  (eigentlich  teotl  ^^Gotf*^),  der  wunderbaren  über 
Meer  gekoipmenen  Fremdlinge,  abgesandt  legitimiren.  Ein  alter  rother 
Filzhut.  den  er  gleichzeitig  mitschickte,  bekräftigte  die  Legitimation. 
Die  Botschaft  selbst  konnte  der  Totonake  mündlich  sehr  gut  ausrichten. 
Denn  die  Totonakeu  von  Cempoallan,  d.  h.  des  Küstenlandes  nördlich 
von  Vera  Cruz,  die  ersten  Verbündeten  des  Cortes.  waren  ein  Misch- 
volk aus  einer  einheimischen  Urbevölkerung  und  einem  später  zuge- 
wanderten, den  Tlaxkalteken  verwandten  und  befreundeten  Eroberer- 
stamm, den  sogenannten  Chiohimeken. 

Das  zweite  Bild  zeigt  den  Einzug  des  Cortes  in  das  tlaxkaltekische 
Gebiet.  Die  Bewohner  der  Orte,  durch  die  er  kam,  bringen  ihm  Lebens- 
mittel. Das  ist  eine  kleine  Fälschimg,  die  sich  der  Zeichner  erlaubt 
hat.  Die  Bewohner  der  Orte  waren  meist  geflohen.  Die  Truppe  des 
Cortes  ernährte  sich  von  den  Lebensmitteln,  welche  die  Bewohner  in 
den  Dörfern  zurückgelassen  hatten,  insbesondere  von  den  kleinen  Hunden. 


3.    Die  Columbus- Festschriften.  159 

welche  die  Bewohner  dos  alten  Mexico  als  Scdilaclitthiere  mästeten,  und 
die,  obwohl  sie  von  ihren  Tferren  auf  der  Flucdit  niitn-enommen  worden 
waren.  Nachts  in  ihre  u'ewohnte  Heimstätte  zurückkehrten.  Neben  Cortes 
ist  hier  — ■  wie  auf  den  folgenden  Blättern  regelmässig  —  seine  indianische 
Freundin  Dona  Marina  gezeichnet,  die  ihm  als  Dolmetscherin  unschätz- 
bare Dienste  leistete,  (ieboren  in  einem  Dorf  bei  Ooatzacualco,  wo  das 
eigentliche  Mexikanisch  die  Landessprache  war,  war  sie  als  Kind  nach 
Tabasco  verkauft  worden  und  hatte  dort  die  Maya-Sprache  gelernt.  So 
war  eine  Verständigung  mit  Jeronimo  de  Aguilar  möglich,  der  in 
Vukatan  einige  Jahre  als  Sklave  gelebt  und  dann  Gelegenheit  gefunden 
hatte,  sich  dem  Cortes  anzuscdiliessen.  Sie  war,  wie  der  Chronist  sagt  — 
una  7/1111/  ed-celente  miijer  — .  und  d(>r  Fjrfolg  der  Expedition  ist  nicht  zum 
geringsten  Theil  ihrer  treuen,  stets  willigen  und  geschickten  Vermittelung 
zuzuschreiben. 

Auch  das  dritte  Blatt  ist  in  erster  Linie  merkwürdig  durch  das,  was 
es  nicht  ausdrückt,  üeber  dem  Blatt  steht  in  grossen  Ijcttern  der  Name 
Tecoacanco.  Das  ist  der  Name  des  Ortes,  wo  Cortes  erst  am  2.  Sep- 
tember, dann  am  5.  September  und  dann  noch  einmal  in  der  Nacht,  wie 
es  scheint,  vom  (i.  zum  7.  September,  den  wilden  Ansturm  der  llaui)t- 
macht  der  Tlaxkalteken  unter  dem  jungen  Xicotencatl  zu  bestehen  hatte. 
Cortes  konnte  dem  Angriff  nur  dadurch  begegnen,  dass  er  die  Fusstruppeu 
geschlossen  zusammenhielt  und  auch  die  Reiter  nur  zu  zweien  und  dreien, 
so  dass  sie  sich  gegenseitig  unterstützen  konnten,  sich  an  die  Feinde 
wagen  Hess.  Aber  ein  Pferd  wurde  ihm  gleich  am  ersten  Tag  in  Stücken 
gehauen,  mehrere  Mann  wurden  ihm  getödtet  und  gegen  siebzig  verwundet, 
desgleichen  wurden  ihm  fast  sämmtliche  Pferde  verwundet.  Cortes  be- 
stattete seine  Todten  heimlich  in  unterirdischen  Gemächern,  und  die 
Wunden  heilte  man,  da  man  kein  Oel  zur  Stelle  hatte,  mit  dem  Fett 
eines  feisten  Indianers,  der  in  den  Scharmützeln  des  Tages  zuvor  von  den 
Spaniern  erschlagen  worden  war.  Trotz  der  wiederholten  Angriffe  aber 
wurde  Cortes  nicht  müde.  Boten  mit  Friedensanerbietungen  den  Tlax- 
kalteken zu  schicken,  und  diese  wurden  schliesslich  auch  wankend,  und 
hielten  es  für  gerathener,  die  kampfesmächtigen  Fremdlinge  sich  zu 
Freunden  zu  machen.  Die  Gesandten  der  Häuptlinge,  und  schliesslich 
der  Feldherr  der  Tlaxkalteken  selbst,  der  junge  Xicotencatl,  kamen  zu 
Cortes  mit  Lebensmitteln  und  (reschenken,  und  der  Bund  ward  in  aller 
Form  geschlossen.  Dieser  letztere  Vorgang  allein  ist  auf  dem  Blatt,  das 
die  Ueberschrift  Tecoaccinco  trägt,  dargestellt  worden.  Die  Kämpfe,  die  dem 
Friedensschlüsse  vorausgiengen,  hat  der  Zeichner  unterdrückt. 

Die  folgenden  Blätter  4 — 8  schildern  den  Empfang  der  Spanier  vor 
den  Thoren  und  innerhalb  der  Stadt  TIa.rcallan,  die  Darbringung  von 
Lebensmitteln,  von  Geschenken,  die  Aufrichtung  eines  Kreuzes  in  der 
.Stadt  und  <lie  Taufe  der  tlaxkaltekischen  Fürsten.    Unter  den  Geschenken 


100  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

figuriren  neben  Decken  und  Schmncksaehen  (goldenen  Oln-pfiöcken.  Lippen- 
prtöcken,  Halsketten  n.  s.  w.)  auch  eine  Anzahl  Mädchen.  Die  Spanier 
tauften  sie  schleunigst,  und  Cortes  vertheilte  sie  dann  unter  seine 
Kapitäne. 

Mit  dem  Blatt  9  beginnt  die  lange  Reihe  der  kriegerischen  Er- 
eignisse, an  denen  die  Tlaxkalteken  als  Hilfstruppen  der  Spanier  theil- 
nahnien. 

Der  Zug  nacli  Mexico,  die  Kämpfe  in  3Iexico  während  der  Ab- 
wesenheit des  Cortes  und  nach  seiner  Rückkehr,  die  verzweifelte  Flucht 
über  die  Dämme  in  der  Xacht  des  30.  Juni  1520  {la  nochc  triste)  und  der 
unter  den  grössten  Mühseligkeiten  und  fortwährenden  Kämpfen  bewerk- 
stelligte Rückzug  nach  Tlaxcallan.  Dann  die  Heranführung  neuen  Kriegs- 
materials, die  verschiedenen  Züge,  die  Cortes  unternahm,  um  den  3Iexi- 
kanern  allen  Rückhalt,  den  sie  noch  im  Lande  hatten,  abzuschneiden,  der 
zweite  Zug  nach  Mexico,  der  Angriff  von  der  AYasserseite  und  die  endliche 
Erobernng  Mexicos.  Ein  paar  weitere  Blätter  schildern  den  Krieg  gegen 
die  Huaxteka  (Blatt  49—51),  eine  grosse  Zahl  anderer  (Blatt  52 — 74)  ist 
ilem  Zuge  Guzman's  nach  den  Provinzen  des  Nordwestens  gewidmet,  die 
letzten  Blätter  endlich  führen  uns  nach  dem  Süden,  nach  dem  Land  der 
Zapoteken  und  nach  Guatemala. 

Eine  Fülle  des  werthvollsten  archäologischen  Materials  ist  in  diesen 
vun  indianischer  Hand  gezeichneten,  aus  einer  Zeit  noch  lebendiger 
Tradition  stanmienden  Blättern  enthalten,  —  die  Tracht  und  Bewaffnung 
iler  mexikanischen  Krieger,  die  vielgestalteten,  aus  bunten  Farben  ge- 
fertigten Abzeichen,  welche  die  Führer  auf  dem  Rücken  geschnallt  trugen, 
Städte-Hieroglyphen,  und  Tracht  und  Bewaffnung  der  wilderen,  anders- 
sprachigen Stämme,  mit  denen  die  Tlaxkalteken  auf  diesen  Zügen  in 
Berührung  kamen.  AVas  mau  nach  den  Berichten  der  Chronisten  und 
den  spärlichen  Notizen  in  anderen  Bilderschriften  sich  mühsam  zusammen- 
trägt, das  sieht  man  hier  in  freilich  noch  etwas  naiven,  aber  flott  ge- 
zeichneten und  packend  wirkenden  Bildern  vor  Augen  geführt.  Nicht 
mehr  der  strenge,  immer  etwas  ornamental  wirkende  Stil,  auch  keines- 
wegs die  peinliche  Genauigkeit  der  alten  priesterlichen  Bilderschriften, 
aber  dafür  eine  viel  grössere  Lebendigkeit  und  unmittelbarere  Wieder- 
gabe natürlicher  Vorgänge.  Dabei  hat  man  trotzdem  fast  überall  den 
Eindruck  grosser  Treue  und  Zuverlässigkeit  im  Einzelnen.  Kurzum,  das 
Tuch  vou  Tlaxcallan  wird  immer  eines  der  denkwürdigsten  Dokumente 
der  alten  einheimischen  Kultur  dieser  Länder  und  ihres  Unterganges  sein. 

Ausser  den  fünf  besprochenen  Bilderschriften  enthält  der  von  der 
Junta  Colombina  veröffentlichte  Band  noch  ein  paar  Tafeln,  auf  denen 
eine  Anzahl  merkwürdiger  Alterthümer  aus  dem  Staat  Chiapas  abgebildet 
sind.  Lieber  ihre  genauere  Herkunft  weiss  man  nichts.  Es  ist  ein  Depot- 
fund.    Sie  sind  in  einer  aus  Asphalt  gefertigten  Kiste  im  AVald  vergraben 


3.    Die  Columbus  Festschriften.  161 

gefunden  un<l  nach  Mexico  zum  Verkauf  gebracht  worden.^)  Es  sind  Ziegel, 
die  auf  der  einen  Seite  Darstellungen  in  Relief,  auf  der  anderen  farbig 
(in  Aveiss,  roth  und  1)raun)  ausgeführte  Zeiclinungen  tragen.  Die  Vorder- 
seite und  die  Rückseite  sclieinen  insofern  einander  zu  entsprechen,  als  die 
Reliefseite  in  der  Regel  eine  lebenspendende  (xottheit.  die  farbige  Seite  die 
entsprechende  todbringende,  furchtbare  (Jewalt  zum  Ausdruck  bringt.  Die 
Darstellungen  sind  insofern  höchst  merkwürdig,  als  in  Figuren  und  Sym- 
bolen eine  Miscimng  von  ^laya-,  d.  h.  yukatekischen  Typen  und  mexi- 
kanischen Typen  zu  Tage  tritt,  die  bisher  noch  bei  keinem  anderen  Doku- 
ment beobachtet  worjlen  ist.  In  der  That  waren  wohl  Chiapas  und  Tabasco 
die  bedeutendsten  Punkte,  wo  diese  beiden  Kulturen  miteinander  in  Be- 
rührung traten.  Denn  Chiapas  sowohl  wie  das  südliche  Tabasco  waren 
von  Maya-Stämmen  bewohnt.  An  sie  al)er  grenzten  im  Norden  von  Chiapas 
zapotekische  Völker,  die  —  was  Bildersclirifteii  u.  s.  w.  betrifft  —  ganz 
<lem  Kinfluss  mexikanischer  Kultur  unterlagen,  oder  sagen  wir  genauer, 
lieren  Hilderschriften  u.  s.  w.  von  demselben  oder  wenigstens  sehr  ähn- 
lichem Typus  sind,  wie  die  mexikanischen.  Im  Norden  von  Tabasco 
folgten  unmittelbar  die  mexikanisch  redenden  Stämme.  ])as  südliche 
Chiapas  und  Tabasco  sind  mir  daher  innner  als  die  (Jegenden  erschienen, 
wo  gerade  über  die  Elemente,  welche  den  beiden  alten  Hauptkulturen 
Mittel- Americas  gemeinsam  sind,  insbesondere  den  Kalender,  und  alles, 
was  damit  zusammenhängt,  am  ehesten  Aufschluss  zu  erhalten  sein  wird. 
Leider  gehören  gerade  diese  Gegenden  —  abgesehen  von  dem  einen  viel 
besuchten  und  beschriebenen  Punkt  Palenque  —  zu  den  archäologisch 
unbekanntesten  Gebieten  der  Republik  Mexico.  Hoflen  wir,  dass  die 
neuen  Wege,  welche  jetzt  dnrcli  das  Land  von  Ozean  zu  Ozean  geführt 
werden,  auch  der  archäologischen  Forschung  zum  Nutzen  gereichen. 

Der  Junta  Colombina  gebührt  aber  auch  für  diese  Veröffentlichung 
der  Dank  aller  betheiligten  Kreise.  Es  ist  die  erste  Probe  aus  einem 
neuen  vielversprechenden  Gebiet.     Mögen  ihnen  bald  andere  folgen ! 


1)  [Es  scheint  leider  keinem  Zweifel  mehr  zu  unterliegen,  dass  diese  Tafeln 
Fälschungen  sind.  Die  Originale  hat  Niemand  gesehen.  Die  Zeichnungen  hat 
ein  junger  Tabosco-Iudianer  gefertigt,  den  Alfredo  Chavero  in  Europa  hat  als 
Maler  ausbilden  lassen.  Von  demselben  Zeichner  ist  neuerdings  dem  Herzog  von 
Loubat  eine  angebliche  Maya-Handschrift  zum  Kauf  angeboten  worden,  die  in 
derselben  Weise  wie  die  Abbildungen  der  angeblichen  Chiapas  Ziegel,  eine  sonder- 
bare Mischung  von  Maya-  und  von  mexikanischen  Formen  zeigt.  Diese  Hand- 
schrift ist  aber  eine  notorische  Fälschung.  Denn  die  Darstellung  ist  sinnlos, 
und  für  die  meisten  Bilder  lassen  sich  die  Vorbilder  in  den  vorhandenen  Maya- 
Handschriften  nachweisen]. 


Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  11 


1(52  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


4. 

Die  mexikanischen  Bilderliandsehriften  Alexander  von 
Hnmboldt  s  in  der  Königlichen  Bibliothek  zn  Berlin. 

Berliu  189:'.. 


Torbemerkung. 

Die  folgenden  Aufsätze  bilden  die  Erläuterung  zu  einem  Atlas  von  Lichtdruck- 
reproduktionen  der  in  der  Ueberschrift  genannten  Bilderschriften,  der  von  der  General- 
verwaltung der  Königlichen  Bibliothek  zu  Berlin  aus  Anlass  des  vierhundertjährigen 
Gedenktages  der  Entdeckung  Amerikas  (1"2.  Oktober  1S92)  herausgegeben  worden  war. 
Ich  habe,  da  eine  Wiedergabe  des  Atlasses  in  diesem  Buche  ausgeschlossen  ist,  wenigstens 
die  für  das  Verständniss  nothwendigsten  Einzeltiguren  herauszeichnen  lassen.  Die  Ab- 
bildimgen.  welche  den  Text  des  ersten  Abdrucks  dieser  Erläuterungen  begleiteten,  sind 
sämmtlich  beibehalten  worden.  Ich  habe  sie  aber  umzeichnen  lassen,  da  sie  damals 
riemlich  schlecht  und  mangelhaft  von  mir  ausgefühit  worden  waren.  Da  also,  gegenüber 
dem  ersten  Abdruck,  die  Zahl  der  Abbildungen  bedeutend  vermehrt  worden  ist,  so  haben 
sich  die  Nummern  der  Abbildungen  sämmtlich  geändert.  Sachliche  Aenderungen  habe 
ich  nur  selten  vorgenommen.  Wo  diese  Aenderung  etwas  Wesentliches  betrifft,  habe  ich 
im  Text  oder  in  der  Anmerkung  darauf  hinsewiesen. 


Einleitung. 

Die  sechszehn  Bruchstücke  alter  mexikanischer  Bilderschriften,  die 
auf  den  Tafeln  des  Atlas  in  Lichtdruck  wiedergegeben  sind,  gehören  einer 
-merkwürdigen  im  Jahre  1803  im  Königreiche  Xeuspanien  gemachten 
Sammlung"  an.  die  „im  Januar  1806  von  dem  Freiherrn  Alexander  von 
Humboldt  der  Königlichen  Bibliothek  verehrt''  wurde.  So  berichtet 
Friedrich  "Wilken  S.  155.  löi»  seiner  im  Jahre  1828  gedruckten  Geschichte 
der  Königlichen  Bibliothek  zu  Berlin.  Wilken  nennt  „dreizehn  Frag- 
mente historischer  Hieroglyphenschrift  der  Azteken  auf  einem  aus  den 
Fasern  der  Agave  americana  verfertigten  Papier,  nebst  einem  dazu  ge- 
hörigen Codex  in  ähnlicher  Hierogly]^)henschrift  von  vierzehn  Fuss  Länge." 
Die  Zahl  stimmt  niolit  mit  der  Anzahl  der  jetzt  vorhandenen  Stücke.  Denn 
darnach  dürften  es  nur  14  sein.  Der  Grund  ist.  dass  zwei  der  ursprüng- 
lichen Streifen  ihrer  Länge  halber  zerschnitten  und  neben  einander  auf 
dasselbe  Folioblatt  geklebt  wurden.     Es   sind  dies   die  mit  Xummern  IX, 


4.    üie  uiexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  ItjS 

X  und  XL  XII  in  dem  Atlas  bezeichneten  Stücke,  wie  ich  in  der  Er- 
läuterung dieser  Stücke  näher  zeigen  werde.  Mit  Ausnahme  des  Bruch- 
stückes I,  das  in  seiner  ursprünglichen  Form  als  „zusammengelegter  Codex'' 
aufbewahrt  worden  ist.  sind  sämmtliche  Stücke  auf  Folioblätter  aufgeklebt 
und  in  einen  Atlas  zusammengebunden.  Das  Titelblatt  ist  in  dem  Licht- 
druck-Atlas reproduzirt.  Es  ist  beibehalten  worden,  obwohl  die  geschicht- 
lichen und  archäologischen  Bemerkungen  auf  demselben  dem.  was  wir 
heute  über  diese  Dinge  wissen,  nicht  melir  entsprechen. 

Von  dem  Bruchstück  II  der  Sammlung  berichtet  Alexander  von 
Humboldt,  der  es  in  „Vues  des  Cordilleres  et  Monuments  des  Peuples 
indigenes  de  l'Amerique"  Fl.  XII  unter  dem  Titel  „Genealogie  des  Princes 
-d  Azeapozalco'"  abbildet  und  beschreibt,  dass  er  es  zu  Mexico  in  der  Ver- 
steigerung der  Sammlungen  des  Herrn  (lama  (des  bekannten  Astronomen 
und  Verfassers  der  Schrift  „Las  dos  Piedras",  mit  vollem  Namen  Antonio 
<le  Leon  y  Gama  genannt)  gekauft  habe.  Und  Humboldt  vermuthet, 
dass  es  ehemals  dem  „Museo  Indiano"  des  mailäudischen  Historikers  und 
Alterthumsforschers  C'avaliere  Lorenz  o  Boturini  Bernaducci  an- 
gehört habe.  Da,  wie  ich  unten  zu  zeigen  haben  werde,  verschiedene 
andere  dieser  Bruchstücke  sicher  der  Sammlung  Boturini 's  angehört 
haben,  und  wir  wissen,  dass  Gama  in  der  That  einen  grossen  Theil  von 
Boturinis  Sammlung  gekannt,  benutzt  und  besessen  hat,  so  dürfen  wir 
wohl  die  Vermuthung  wagen,  dass  auch  die  anderen  Stücke  der  von 
Alexander  von  Humboldt  zusammengebrachten  Sammlung  auf  dem- 
selben Wege  erworben  worden  sind. 

Die  Bruchstücke  II  und  VI  sind  von  Alexander  von  Humboldt 
selbst  in  dem  genannten  Bilderwerk  „Vues  des  Cordilleres  et  Monuments 
des  Peuples  indigenes  de  lAmerique"  veröffentlicht  und  beschrieben  worden. 
Von  II  ist  aber  nur  ein  kleines  Stück  und  ohne  die  Beischriften,  die 
dasselbe  begleiten,  abgebildet  worden,  und  beide  sind  nicht  ganz  genau 
und  fehlerfrei  wiedergegeben.  Die  Bruchstücke  I  und  II  sind  ausserdem 
in  dem  zweiten  Bande  des  grossen  Werkes  von  Kingsborough  „Mexican 
Antiquities"'  in  farbiger  Wiedergabe  veröffentlicht  worden.  Xr.  II  aber 
ohne  die  Beischriften.  Und  beide  sind,  wie  eine  genauere  Vergleichung 
unschwer  erkennen  lässt.  sowohl  was  Zeichnung,  als  was  Farbengebung 
betrifft,  durchaus  nicht  korrekt  und  fehlerfrei  wiedergegeben.  Die  ganze 
Sammlung  war  im  Jahre  1888,  als  der  internationale  Amerikanisten- 
kongress  in  Berlin  seine  Sitzungen  abhielt,  mit  anderen  auf  die  Sprache 
und  Geschichte  Amerikas  bezüglichen  Handschriften  und  Drucken  in  den 
Räumen  der  Königlichen  Bibliothek  ausgestellt.  Die  vierhundertjährige 
Wiederkehr  des  Tages,  au  welchem  Columbus  zum  ersten  Mal  den  Boden 
der  neuen  AVeit  betrat,  gab  der  Verwaltung  der  Königlichen  Bibliothek 
die  gewünschte  Gelegenheit,  die  ganze  Sammlung  wenigstens  durch  photo- 
graphische Vervielfältigung   —    da  zu  farbiger  Wiedergabe  die  vorhandenen 

11* 


]^4:  Zweiter  Absclinitt:    Bilderschriften. 

Mittel  nicht  ausreiehrt'n  —  allgemeinerer  Benutzung  zugänglich  zu  machen. 
Mir  ist  der  ehrenvolle  Auftrag  zu  Theil  geworden,  die  Blätter  mit  einigen 
Krläuterungen  zu  begleiten.  Ich  spreche  der  Verwaltung  der  Königlichen 
Bibliothek  hierfür  meinen  Dank  aus. 


I. 

Ein  4,3  m  lauger,  etwas  über  8  cm  breiter  Streifen  Agave-Papier,  der 
auf  der  einen  Seite  bemalt  und  danach  vierzehn  Mal  zusammengefaltet, 
also  in  ein  Buch  von  etwa  ein  Fuss  Länge  zusammengelegt  ist.  Die  be- 
malte Seite  ist  durch  senkrechte  Liuien  in  fünf  Längsstreifen  und  durcli 
andere  die  ersteren  unter  rechten  Winkeln  schneidende  Linien  in  75  Quer- 
felder getheilt  worden.  Die  Längsstreifen  will  ich  von  rechts  nach  link& 
mit  den  Buchstaben  A  B  C  D  E,  die  Querfelder,  von  unten  beginnend  — 
denn  dort  liegt  der  Anfang  der  Lesung  —  mit  den  Ziffern  1 — 7.3  be- 
zeichnen. Das  untere  Ende  ist  unvollständig.  Es  ist  deutlich  zu  sehen, 
dass  darunter  noch  ein  Querfeld  kam,  das  in  ähnlicher  Weise  bemalt  war 
und  vielleicht  das  Ende  einer  ganzen  Reihe  fehlender  darstellt.  Das 
obere  Ende  erscheint  glatt  abgeschnitten.  Da  schon  in  dem  fünften  Quer- 
felde darunter  die  eigentlichen  sachlichen  Eintragungen  (Kolumnen  C  —  E) 
fehlen,  so  dürfen  wir  wohl  annehmen,  dass  dies  das  eigentliche  Ende  war; 
dass  der  Streifen  nicht  weiter  beschi'ieben  worden  ist.  weil  man  aus  dem 
einen  oder  anderen  ( Jrunde  mit  den  Eintragungen  aufhörte. 

In  iler  Kolumne  B  folien  in  regelmässiirer  Wiederholimic  einander 
vier  Bilder,  die  ich,  von  unten  nach  oben  fortschreitend,  mit  a.  b.  c,  d 
bezeichnen  will.  Es  steht  also  a  in  den  Feldern  1,  .3,  \).  13  u.  s.  w.:  b  in 
den  Feldern  2.  (>.  10.  14  u.  s.  w.:  c  in  3,  7,  11,  1.3  u.  s.  w.:  e  in  4.  JS,. 
VI.  16  u.  s.  w. 

Das  Bild  a  (Abb.  1)  zeigt  ein  dunkel  gefärbte^ 
Gesicht  mit  i^rossem.  rundem  Auge,  einer  Reihe 
langer  Hauzähne  und  einem  winklig  nach  unten  ge- 
bogenen und  an  den  Enden  eingerollten  (,blauen> 
Streifen  über  der  Lippe.  Das  ist  das  bekannte  Gesicht 
des  Regen-.  Gewitter-  und  Berggottes  der  Mexikaner, 
Tlaloc  genannt.  —  ein  Gesicht,  dessen  Formen  ur- 
sprünglich durch  die  Windungen  zweier  Schlangen 
\bh   1  —  Bild  a  hervorgebracht  gedacht  sind,   dere«  (mit  lang  herab- 

Das  sechste  Jahresfest      reichenden    Hauzähnen     versehene»     Sclmauzenenden 
Etzalquahztli.  jj,    ,]gj.  ^[j^^e  der  Oberlippe  zusammenstossen').    Das 


1)  Vgl.  Seier.  Das  Tonalamatl  der  .\ubinschen  Sammlung.  Comptes 
rendus  VII  Sess.  Congr.  intemat.  Americanistes.  Beriin  1888.  S.  584;  und  — 
deis.  das  Tonalamatl  der  .\ubin 'sehen  Sammiunff.     Berlin  IHOO.  S.  64.  Abb.  '2b. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humlioldt's. 


165 


<Jesicht  des  Kegengottes  steht  hier  für  das  Haii|)tfest  desselben,  des  (nach 
der  üblichen  Zählung)  sechsten  der  achtzehn  Jahresfeste  der  Mexikaner, 
EtzalquaUtztU  genannt,  d.  i.  „wo  man  Bohnenspeise  (Bohnen  mit  ganzen 
Maiskörnern  zusammengekocht ^)  isst"-. 

Das  zweite  der  vier  Bilder,  b,  (Abb.  -J)  zeigt  einen  weissen,  mit 
schwarzen  spitzwinkligen  Figur(Mi  bemalten  Streifen,  der  mit  einem  rothen 
Bande  iimsclilungen  ist,  uml  aus  dem  oben  zwei  gellt  gemalte  Büschel  her- 
vorselum.  Der  weisse,  mit  den  spitzen  Figuren  bemalte  Streif  stellt  ein 
sogenanntes  teteniti  oder  arna-teteuiÜ  vor,  einen  Sti'eifen  weissen  Kinden- 
|t;ipiers  (Hast  einer  Feigenart),  auf  dem  mit  flüssig  genuichtem  Kautschuk 
-ewisse  Figuren  gezeichnet  sind.  Diese  teteuiÜ  waren  als  Opfergaben 
idlgemeiu  gebräncldicli.  Heim  Fest  der  Regengötter  hieng  man  dieselben 
;in  lauger  Stange  im  Hofe  des  Hauses  auf^j.  Den  kleinen  Llolen  der 
l>ergg('>tter  lieft<'te  man  sie  vor  dit'  Brust'').  Und  den  Feuergöttern  ver- 
brannte m;in  sie*).  Es  waren  gewissermassen  leicht  beschaffbare  Abbilder 
■<lei'  (i(»tter  seihst,  die  man  ihnen  ilarbrachte.  Denn 
d;is  Bild  des  (iottes,  oder  ein  Symbol  desselben,  wurde 
mit  der  Kautschukzei(dinnng  auf  den  Papieren  an- 
gebracht^). Das  rothe  Band,  mit  dem  das  Papier  um- 
schlungen ist,  ist  ein  Lederriemeu,  wie  sie,  gefärbt 
und  auch  vergoldet,  als  Bandriemen  und  Schmuck- 
riemen viel  verwendet  wurden").  Die  gelben  Büscdiel 
•endlicli.  die  oben  hei'.iusragen,  bezeichnen  einen  Besen. 
Dieselben  wniden  aus  einem  hartcui  pfriemenartigen 
iirase  gefertigt,  das  man  mit  Sicludn  in  den  Berg- 
wiUdern  des  Popocatepetl  imd  des  Ajusco  schneiden 
gieng').  Das  gsinze  Bild  ist  ein  Symbol  der  alten  Erd- 
gt'Utin,    Toci   „unsere  Ahne"    o<ler   Teteo  innan  „Mutter 

der  Ciötter"  genannt,  und  des  (nach  der  üblichen  Zählung i  eilften  der 
iichtzehn  Jahresfeste  der  Mexikanre,  Ochpaniztli,  des  „Besenfestes"  oder 
..Hausfegefestes",  das  mau  dieser  Göttin  feierte.  Denn  der  Besen,  der 
♦"ine  der  ersten  häuslichen,  d.  i.  weiblichen  Thätigkeiten  bezeichnet,  war 
^in  besonderes  Svmltol  dieser  (iöttin,  die  aber  eben  deshalb  Jiuch  als  (löttin 


Abb.  2.  —  Bild  b. 

Das  eilfte  Jahres  fest 

Ofhpdiiizfli. 


1)  Vgl.  Duräu  in.  §  C.  Sahagun  2,  ü. 
•2)  Sahagun  2,  20;  2,  ob. 

3)  Sahagun  2,  -Vi. 

4)  Sahagun  9,  3;  2,  34. 

5)  Vgl.  Sahagun  '••,  cap.  3. 

6)  Vgl.    die   Hieroglyphe  von   (,'ueihtxthni    „das  Land  des  Leders"    in   Codex 
Mondoza  -s,  21;  51,   1. 

7)  Sahagun  10,  24,  Vol.  111,  S.  Gl  (edit.  Bustamante)  u.  Comm.  cl.  Herausg. 
z.  d.  St. 


166 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


der  Reinheit.  »1er  ReiniLninü-,  der  Süiulontiluuiiir  ualt^).  Dhs  fefeuifl  Vfi\ner. 
mit  welchem  der  Besen  zusammeiigefasst  ist.  ist  in  nnserm  Bilde  b  mit 
Fiofuren  bemalt,  die  wiedermn  eiti  Attribnt  derselben  (TÖttin  bezeichnen. 
Mit  spitzwinkli.s:en  Fijfuren  oder  mit  Grnp)»en  paralleler  Striche  auf  weissem 
Grunde   bezeichneten    die    Mexikaner    in    ihren    Malereien    die    rohe   uny;e- 


Mfii 


inc». 


Abb.  3,  —   Titcd  in  Htm. 
Sahahagun-Ms.     Bibl.  del  Palacio. 


Abb.  4.  —  Kopfschmuck  irhraxochiti 

der  Tf^teo  >n  nun  oder  Tlarolfeotl. 

Codex  Borbonicus  ö. 


sponnene  Baumwolle.  Die  letztere,  das  weildiche  Arbeitsmaterial,  war 
gerade  deshalb  eines  der  vornehmsten  Ausstattungsstücke  der  genannten 
Gottheit.  Aus  Baumwolle  bestand  ihre  Kopfbiude  (vgl.  Abb.  3,  4). 
i-ichcaivochiuh  „ihre  Kopfbinde  aus  Baumwolle"  genannt"').  Ein  Streifen 
ungesponuener  Baumwolle  hieng    aus  ihrem    Ohrpflock.      Und   lose  Bauni- 


Abb.  5.  —  Tot(u  hi/iHii  oder 

TlarolUofh   Codex  Vaticanus  A  29 

''=  Kinirsborouorh  24). 


Abb.  6.  —  Tett-o  hl  11  an  oder 

Toci.  Göttin  des  (irhpanizfll- 

Festes.     Sahagrun-Ms.     Bibl. 

del  Palacio. 


Abb.  7.  -  Bild  c. 
Das  fünfzehnte 

Jahresfest 
I'aiiquetzaliztli. 


wolle  war  an  den  Enden  der  Spindel  befestigt,  ilie  sie  zwischen  Haar 
und  Kopfbinde  eingesteckt  trug.  (Ablt.  5.)  Ein  mit  Bauniwollzeiohnung 
bedecktes  Papier  sehen  wir  in  der  Abbildung  '^  auch  am  Hinterkopf  der 
Göttin  befestigt.     Die  Glieder  selbst  der  Göttin  erscheinen  in  <lem  grossen 


1)  Seier.    das  TonalamatI  der  Au  bin"  sehen  Sammlung  1.  c,    S.  6.51. 
Tonalamatl  der  Aubin' sehen  Sammlung.     Berlin  190(\  S.  94. 

i)  Veröffentlichungen  aus  dem  Königl.  Museum  für  "\''ölkerkunde  I,  S.  148 


Das 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


167 


Bilde  des  Codex  Borboiiicus  (Abb.  8)  mit  dem  gleichen  Material  bedeckt. 
Dass  in  unserem  Bilde  b  das  mit  den  spitzwinkligen  Figuren  bemalte 
Papier,  gleich  dem  Besen,  ein  Symbol  der  Erdgöttin  ist,  wird  auf  das 
Klarste  dadurch  bewiesen,  dass  mit  in  gleicher  Weise  bemaltem  Papier 
der  Besen  umwickelt  ist,  den  das  Abbild  der  Göttin  Tod  selbst  in  der 
Hand  trägt.  So  sehen  wir  es  in  der  Abb.  6,  die  dem  Bilde  (Mitnommen 
ist,  durch  welches  in  der  Sahagun- Handschrift  der  Bildiotheca  del  Palacio 
zu  Madrid  die  verschiedenen  Zärimonien  des  Festes  Ochpaniztli  zur  An- 
schauung gebracht  sind. 


Abb.  S.  —  Teteo  innav  oder  Tlarolfiotl,  Eegentin  der  dreizehnten  Woche 
rp  olin  -eins  Beweffuno".     Codex  Borbonicus  13. 


Das  dritte  Bild  in  der  Kolumne.  d;is  ich  mit  c  bezeichnen  wollte  (Abb.  1), 
stellt  eine  Fahne  dar,  und  zwar,  wie  der  Anschein  lehrt,  eine  Fahne  aus 
gewebtem  gestreiftem  Stoff,  mit  am  Kopf  befestigten  Bändern  aus  dem- 
selben Stoft'.  Solche  Fahnen  wurden,  wie  es  scheint,  quachpaviitl  genannt. 
—  abgeleitet  von  quachtli  „ein  viereckiges  gewebtes  Stück  Zeug''  und 
■pamiü  „Fahne".  Fahnen  und  andere  Abzeichen  spielten  bei  den  Mexikanern, 
ähnlich  wie  W\  den  altweltlichen  Nationen,  eine  Rolle  im  Krieg.  ?^ur 
dass  die  Mexikaner  diese  Abzeichen  in  der  Regel  nicht  frei   in  der  Hand, 


16N 


Zweiter  Abschnitt:    Büderschiiften. 


sondern  auf  den  Rücken  uesclinallt  rrunen.  Es  scheint  indes,  dass  Fahnen, 
und  Awar  Fahnen  derselben  Gestalt  und  Beseiiattenheit.  wie  die  in  unserem 
Bilde  c  dargestellt»',  auch  in  der  Hand  geschwungen  wurden.  Es  wurde, 
wie  wir  aus  Sahagnu  erfahren,  mit  ihnen  das  Zeichen  zum  Kampf  gegeben. 
So  lesen  wir  in  dem  aztekisi  hen  Manuskrii)t  der  Academia  de  la  Historia 
zu  Madrid:  i/n  quachpaniü,  loztic  teocuitlapanitl  youn  quetzalpaiiitl ,  ipi 
teeuitia  yyaoc:  yn  otnottac  ye  meuatiquetza  yn  izqui  quachpaniü.  nivtan 
cemeua  yaoquüque  ;mif  miccali.  Sahagun  dib.  <s,  cap.  VI)  übersetzt  etwas 
ungenau:  —  tambien  usaban  de  unas  vanderillas  de  oro,  las  cuales  en 
toeando  al  arma  las  levautaban  en  las  manos,  i)or(.|ue  comenzasen 
ii  pelear  los  soldados."  —  Die  wirkliche  Uebersetzimg  lautet  folgender- 
massen:  —  ..Die  Fahne  aus  gewebtem  Stoff,  die  Fahne  aus  llohlblech 
und  die  aus  Quetzalfedern  verfertigte,  die  rufen  die  Leute  im  Kriege  zum 
Aufbruch.      Wenn    man  sieht,    jetzt    fliegen  überall    die  quackpunitl    (die 


Abb.  9.    Falme  in  der  Hand 

ntsilojyochtli's     als     Abbild 

des    Festes    Patnpietzaliztli. 

Cod.  Tell.-Rem.  5. 


Abb.  10. 


Abb.  11. 


Fahnen  aus  gewebtem  Stoff)  iu  die  Höhe,  dann  brechen  die  Krieger  zum 
Kampfe  auf."  Das  Aufheben  der  Fahne  war  also  das  Zeichen  für  den 
Beginn  des  Kampfes.  Panquetzaliztli,  das  Aufheben  <ler  Fahne,  hiess 
deshalb  das  Fest  —  das  fünfzehnte,  der  gewöhnlichen  Zählung  — .  das 
die  Mexikaner  dem  Gotte  üitzüopochtli  feierten,  iler  insbesondere  als  Gott 
«les  Streites  imd  der  Schlacht  galt.  Im  Coilex  Telleriano  Remensis  und 
Vaticanus  A  wird  dieses  Fest  veranschaulicht  durch  die  Figur  des  Gottes 
selbst,  der  eine  Fahne  iu  der  Hand  hält  (Abb.  9).  die  im  übrigen  im 
Wesentlichen  dieselben  Merkmale  zeigt,  wie  die.  weiche  unser  Bild  c  vor 
Augen  führt.  Anderwärts  wird  statt  dessen  das  quackpamitl  allein  gemalt. 
So  in  späteren  Kalendern,  aus  denen  ich  die  betreffende  Figur  mit  der 
Legende  in  den  Abb.  10.  II  wiedergegeben  habe.  Und  so  auch  in  unserem 
Bilde  c,  das  also  das  fünfzehnte  Jabresfest,  das  Fest  Panquetzaliztli^  ver- 
anschaulicht. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldfs. 


1(19 


Abb.  12.  -  Bild  d. 

Das  zweite  Jahresfest 

TlacaTipeualiztli. 


Das  vierte  Bild  eiidlicli,  das  icli  mit  d  bezeichnete  (Abb.  12),  führt  den 
Kopf  eiiiei'  bekannten  (fottheit  vor  Augen,  des  rotheii  Gottes  Xipe^  der  bei 
den  Yopi  in  (b'n  tief  ein<>'erissenen  Sehluchten  «ler  pazifischen  Abhänge  seine 
insprüiigliche  PLeiniar  hatte,  dessen  Kult  aber  sich  weit  über  (bis  lloch- 
hiiid  verbreitet  hatte,  und  der  insl)eson(b're  in  der  Hauptstadt  sidbst  mit 
liesondercMii  Pomp  gefeiert  wurde.  Eine  besondere 
lOigenthiimlichkeit  dieses  (Jottes  i.st,  dass  er  in  die  ab- 
gezogene Haut  eines  Menschen  gekleidet  einhergeht. 
An  sfdneni  Fest  wurden  deswegen  die  Opfer  nicht 
mir  (in  der  üblichen  Weise  durcdi  Herausreissen  des 
Herzens)  geschlachtet,  und  ihm  die  Herzen  dar- 
li'ebracht.  Son(h'rn  na(  limalen  wurde  der  Leichnam 
geschunden,  und  die  abgezogene  Haut  hiengen  sich 
diejenigen  über,  die  dem  Gotte  aus  irgend  einem 
Gnmde  besondere  Devotion  erzeigen  wollten  und 
trugen  dieselbe  die  zwanzig  auf  (bis  Fest  folgenden  Tage 
hindurch.      Dieses  Fest,    Tlacadipeiiuliztli  „Menschen- 

•^ehinden"  genannt,  —  das  zweite  (nach  der  üblichen  Zählung)  —  ist  hier  in 
unserem  Bilde  d  durch  den  Kopf  des  Gottes  Xipe  zur  Anschauung  gebracht. 

Wir  haben  also  in  den  Figuren  a.  b,  c,  d  der  Kolumne  B  die  Bilder 
von   vier   Jahresfesten.    und    zwar    des   sechsten,    eilften,    fünfzehnten    und 
zweiten    der    üblichen   Zählung.     Das  se(diste  Fest    steht  von    dem    eilften 
um  .")  X  20  =  100  Tage  ab,    das  eilfte   von  dem   fünf- 
zehnten   um   4  X  20  =  80   Tage,    das   fünfzehnte   von 
dem  zweiten    um    5  X  20  -(-  5  =  105  Tage    (in   diesen 
Zwischenraum    fallen    die  nemontemi,    die   fünf  über- 
schüssigen  Tage,    die    am    Ende    von    Izcalli    gezählt 
wurden).     Das  zweite  von  dem  sechsten  endlich  steht 
wieder  um  4  X  20  =  SO  Tage  ab.    100  ^  80  +  105  +  80 
=  305.     Wir  haben   also   in  diesen  vier  Festen   zwar 
keine  genaue  Viertheilnng  des  Jahres,  aber  eine  An- 
näherung an  eine  Viertheilung,  so  genau  und  so  regel- 
mässig, wie  solche  bei  der  l^jintheilung  des  Jahres  in 
IS   Allschnitte   von   20   Tagen    und    5    überschüssige   Tage   möglich   war.    - 

Betracliten  wir  nun  die  Kolumne  A,  die  erste  an  der  rechten  Seite 
des  Streifens.  Hier  sehen  wir  immer  neben  dem  Feste  EtzalqualizÜi 
(a  der  Kolumne  B)  ein  Bild  angegeben  und  eine  Anzahl  kleiner  Kreise, 
die  der  Ausdruck  einer  bestimmten  Zahl  sind.  Auch  hier  wieder  sind  es 
vier  Bilder,  die  in  regelmässiger  Abwechselung  von  unten  nach  oben  ein- 
ander folgen.  Ich  will  diese,  von  unten  beginnend,  mit  a.  ß.  ;>,  <)  be- 
zeichnen. 

Das  erste  Zeichen  (aj  (Abb.  13)  setzt  sich  zusannnen  ans  einem  Auge, 
einem  senkrechten  Strahl  nntl  zwei  Seitentheilen,  die  wohl  aus  der  Zeichnung 


Abb.  13.  —  Bild  «. 

oliii  ..Bewegung". 

Dreizehntes  derzwanzig 

Tageszeichen 

der  Mexikaner. 


170 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


eines  etwas  spitzwinklig  sich  schneidenden  Kreuzes,  Sinnbildes  der  vier 
Himnielsriclitungen,  hervorgegangen  sind  (vgl.  die  Variante  dieses  Zeichens 
Abb.  14  aus  dem  Öahagun-Ms.  der  Biblioteca  Laurenziaua),  vielleicht 
aber  auch  Anklänge  an  die  auf  Spinnwirteln  (vgl.  Abb.  22  —  24)  häufig- 
angebrachte  Zeichnung  von  zwei  die  Höhlung  (die  als  Auge  gedacht  ist) 
umrahmenden  Augenbrauen  haben.  Vgl.  die  Abb.  20,  21,  die  einem 
Personenregister  der  Orte  üexotzinco  und  Xaltepetlapan  (Ms.  Mexicain 
Nr.  3  der  Bibliotheque  nationale  de  Paris)  entnommen  sind  und  <laselbst 
Personen  Xamens  Olin  bezeichnen.  Das  ganze  Zeichen  führt^  nämlich  den 
Namen  olin  ..das  Rollende".  Es  ist  das  siebzehnte  der  zwanzig  Tages- 
zeichen   der  ^üexikaner    und  wurde    in   besonderer    Beziehung  jzur  Sonne 


Abb.  14. 


Abb.  15. 


Abb.  16. 


Abb.  17. 


Abb.  18  a.     Abb.  18b. 


Abb.  19. 


Abb.  14 — 19.     Das  Tageszeichen  olin. 

Abb.  14.     Sahagun-Ms.    Bibl.  Laurenziana.   —    Abb.  15,     Codex  Telleriano-  Remensis.   — 
Abb.  16.    Tonalamatl   der  Anbin 'sehen  Sammlung.    —    Abb.  17.     Codex  Borbonicus.   — 

Abb.  18  —  19.     Codex  Borgia. 


stehend  gedacht.  Die  Form,  die  das  Zeichen  hier,  in  unserer  Figur  u. 
hat,  ähnelt  am  meisten  der,  die  w^ir  in  den  Codd.  Telleriano -Remensis 
und  Vaticanus  A  (Abb.  15)  und  im  Codex  Borbonicus  (Abi).  17)  sehen. 
Und  das  ist  für  die  Frage  der  Herkunft  der  vorliegenden  Bilderschrift 
nicht  ganz  ohne  Belang. 

Das  zweite  Zeichen  der  Kolumne  A,  das  ich  ß  nannte  (Abb.  25). 
stellt  den  Kopf  des  Windgottes  dar,  Efcatl  oder  Qtietzalcouatl  genannt.  Er 
hat  einen  trom])etenartig  vorgezogenen  Mund.  Denn  der  Windgott  bläst. 
Im  üebrigen  dachte  man  bei  dieser  Figur  an  Kreise  und  Wirbel.  Seine 
.Tempel  wurden  daher  kreisrund  gebaut.    Rund  kegelförmig  ist  die  Mütze, 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


171 


die  er  träi;t.  Rund  abgeschnitten  die  Enden  der  Kopfschleif o  und  die  seiner 
Schambinde.  Und  sein  Hauptschnmck  ist  das  spiralj^edrehte  Schnecken- 
gehäuse. Schneckengehäuse  trägt  er  als  Jialsschnur,  und  aus  einem  grossen 
Meer- Schneckengehäuse  ist  auch  sein  Brustschinuck,  das  eca-ilucatzcozcatl,'^} 
sowie  sein  Ohrschniuck  geschliffen.     Der  Kopf  des  Windgottes   steht  hier 


Abb.  20.     Hieroglyphe  oUn. 
Biblioiheque  nationale. 


.\bb.  21.     Ms.  Mexicain  Nr.  3. 


Abb.  22.  Abb.  23.  Abb.  24. 

Abb.  22 — 24.     Thönerne  Spinnwirtel. 
Cerro  'mont  ose   und  Otates   (Vera  Cruz).     Sammlung  Strebe!. 


Abb.  2.").  —  Bild  ß. 

eeeatl  „Wind".  —  Zweites 

Tageszeichen 

der   Mexikaner. 


Abb.  26.  —  Bild  y. 

maratl  „Hirsch". 

Siebentes  Tageszeichen 

der  Mexikaner. 


Abb.  27.  —  Bild  8. 

malhioUi  „Gedrehtes". 

Zwölftes  Tageszeichen 

der  Mexikaner. 


für  das  zweite  der  zwanzig  Tageszeichen  der  Mexikaner,  das  ePcatl  „Wind"- 
genannt  wurde.  Die  Form,  die  das  Zeichen  in  unserer  Figur  liat,  ähnelt 
wiederum  am  meisten  der  Form,  welche  in  den  Codd.  Telleriano-Remensis 
und  Vaticanus  A  «rezeichnet  ist. 


1)  Veröffentlichungen  aus  dem  König).  Museum   für  V^ölkerkunde  zu  Berlin  l. 
S.  128,  129. 


172  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Das  drirte  Zeichen  (;'i  der  Kolumne  A  (Al»l».  2t>.  S.  171)  zeiut  den 
Kopf  eines  Hirsches,  der  allerdings  unzooloirisch  mit  obern  Schneidezähnen 
irezeichnet  ist.  al>er  durch  das  verästelte  Geweih  deutlich  als  solcher  ge- 
kenuzeichnet  wird.  Mir  dem  Bilde  des  Hirsches  {macatl)  wurde  das  siebente 
der  zwanzig:  Tageszeichen  der  Mexikaner  bezeichnet. 

Das  vierte  Zeichen  <^  (Abb.  27.  S.  17J)  zeigt  einen  Totenschädel  mit 
fleischloser  Kinnlade,  grossem,  rundem,  mit  Braue  versehenem  Auge  und  vor- 
gestreckter Zun  ire,  wie  es  bei  den  Mexikanern  üblich  war.  den  Tod  oder  den 
Todesgott  darzustellen.  Der  Schädel  ist  aber  hier  bedeckt  mit  einem  grünen 
Busch,  dessen  einzelne  Halme  in  gelbe  Knöpfchen  enden.  Dieser  grüne 
Busch  stellt  (irras  dar  und  veranschaulicht  den  aus  Gras  gedrehten  Strick. 
inalinalli.  der  seit  uralter  Zeit  bis  heute  bei  der  Verschnürung  grober 
Lasten  (Holzkohlen  u.  s.  w. i  gebraucht  wird.  Das  ganze  bezeichnet  das 
zwölfte  der  zwanziir  Tageszeichen  der  Mexikaner,  malirtalli  _das  Gedrehte" 
genannt.  Der  grüne  Busch  erscheint  in  demselben  mit  dem  Totenschädel 
verbunden,  weil  man  bei  dem  aus  Gras  gedrehten  Strick  au  den.  gleich 
einer  Last,  mit  Stricken  umschnürten  Mimiienballen  dachte,  in  welche 
Porm  die  Leichname  der  Gestorbenen  gebracht  wurden.  Tielleicdit  er- 
weckte auch  das  Gras  selbst,  das  mit  den  ersten  Regengüssen  aiifschiesseden 
und  schnell  dahin  welkende,  den  Gedanken  an  die  Vergänglichkeit  <les 
Irdischen.  Thatsache  jedenfalls  ist.  dass  malinalli  als  Lnglfickszeichen 
galt,  dass  es  schnelles  Dahinwelken,  Vergänglichkeit.  Unbeständigkeit  im 
(lefolge  haben  sollte.  —  In  Bezug  auf  «lie  Form  des  Zeichens  ist  auch 
hier  wieder  zu  bemerken,  dass  unser  Bild  d  am  nächsten  sich  den  Formen 
anschliesst.  in  welchen  im  Codex  Telleriano-Remeusis  und  Vaticanus  A 
das  ünglückszeichen  ma/ifiaUi  dargestellt  zu  sehen  ist. 

Das  Zahlensystem  der  Mexikaner  war  ein  rigesimales.  Xaturgemäss 
bildete  die  Zahl  20  in  Folge  dessen  auch  die  Grundlage  ihrer  Zeitrechnung. 
Sie  bezeichneten  die  zwanzig  aufeinanderfolgenden  Tage  jeden  mit  einem 
besonderen  Zeichen.  Mit  diesen  zwanzig  Zeichen  aber  kombinirten  sie 
die  Ziffern  1 — IH  in  der  Weise,  dass  jeder  der  aufeinanderfolgenden  Tage 
mit  einem  Zeichen  und  einer  Ziffer  bezeichnet  wurde.  AVenu  also,  zur 
Bezeichnung  des  ersten  Tages,  die  Ziffer  1.  kombinirt  mit  dem  ersten 
Zeichen,  diente,  so  erhielt  der  vierzehnte  Tag  zwar  das  vierzehnte  Zeichen, 
aber  wieder  die  Ziffer  eins.  So  gewann  man  als  höhere  chronologische 
Einheit  einen  Zeitraum  von  13  X  20  oder  260  Tagen.  Denn  erst  nach 
Ablauf  dieses  Zeitraumes  traf  es  wieder  ein.  dass  ein  Tag  dieselbe  Ziffer 
und  dasselbe  Zeichen  erhielt.  Der  Zeitraum  von  13x20  oder  260  Tagen 
wurde  tonalamatl  _das  Buch  der  Tageszeichen"  genannt. 

Das  Jahr  rechneten  die  Mexikaner  zu  365  Tagen.  Und  ich  habe 
schon  erwähnt,  dass  sie  dasselbe  in  18  Zeiträumen  zu  20  Tagen  und  fünf 
überschüssige  Tage,  iieniontemi  genannt,  zerlegten.  Diese  fünf  über- 
schüssigen Tage  wurden   als  Unülückstage,    als   unbrauchbare,    zu  keinem 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt'?.  17o 

ernstlichen  (leschäft  taugliche  Tage  betrachtet.  Die  alten  Mexikaner 
sagten  daher  von  ihnen  acüm  pouhqui.  Das  soll  ohne  Zweifel  bedeuten 
„sie  standen  in  keiner  Werthschätzung",  kann  aber  dem  ursprünglichen 
Wortsiinie  nach  auch  bedeuten,  „sie  wurden  nicht  gezählt".  Man  hat 
deshalb  gesclilossen,  dass  diese  fünf  Tage  weiss  gelassen  worden  seieu, 
dass  die  fortlaufende  Reihe  der  Zeichen  und  Ziffern  auf  sie  nicht  an- 
gewendet worden  sei.  In  einer  Abhandhing,  die  ich  im  Jahre  1891  der 
anthropologischen  (lesell schaff  zu  Berlin  vorlegte^),  wies  ich  darauf  hin, 
dass  das  ganze  System  der  Jahresbezeichnung  der  Mexikaner,  -^  das.s 
nämlich  die  nacheinand  erfolgen  den  Tage  durch  vier  und  zwar  um  je  vier  Tage 
von  einander  abstehende  Zeichen  bezeichnet  wurden  —  und  die  .')2jährigen 
Perioden  der  Mexikaner  nur  verständlich  seien,  wenn  man  annimmt,  dass 
die  fünf  netnontemi,  die  überschüssigen  Tage,  in  derselben  Weise  wie  die 
anderen  Tage  weiter  benannt  und  beziffert  worden  seien.  Für  diese  An- 
nahme liefert  gerade  unsere  Handschrift,  Nr.  1  der  vorliegenden  Sammlung 
den  besten  Beweis. 

In  der  Kolumne  B  folgen  in  regelmässigem  Wechsel  Bilder,  die 
gewissermassen  Yierteljahrsanfänge  einer  fortlaufenden  Reihe  von  Jahren 
angeben.  Neben  dem  ersten  derselben,  neben  dem  Symbol  des  Festes 
EtzalqualiztU,  stehen  in  der  Kolumne  A  ZifiPern  und  Zeichen,  die  zusammen 
je  ein  bestimmtes  Tagesdatum  angeben.  In  dem  untersten  derselben,  in 
dem  Felde  1,  sind  die  kleinen  Kreise,  welche  die  Ziff'ern  angeben,  nicht 
vollständig  erJialten.  Aus  den  Resten  aber,  und  aus  dem  Zusammenhang 
der  ganzen  Reihe  ist  zu  entnehmen,  dass  liier  die  Ziffer  12  stehen  sollte. 
Setzen  wir  diese  Ziffer  ein,  so  sehen  wir,  dass  in  der  Kolumne  A  (neben 
dem  EtzcdqualiztU  der  Kolumne  B)  die  folgenden  Tagesdaten  angegeben 
sind: 


12  olin 

18  erca 

itl 

14 

map 

atl 

2  malinalli 

3      ., 

4      „ 

5 

„ 

ö 

7      „ 

8      „ 

9 

„ 

10 

11      „ 

12      „ 

13 

.j^ 

14 

Hier  ist  die  Ziffer  14,  die  eigentlich  nicht  in  die  Tagesbezeichnung 
gehört,  überall  als  eins  zu  lesen.  Denn  nur  die  Ziffern  1 — 13  werden, 
wie  ich  erwähnte,  neben  den  20  Zeichen  zur  Benennung  der  nacheinander 
folgenden  Tage  verwendet. 

Ziehen  wir  nun,  nach  Vornahme  dieser  Korrektur,  ein  Schema  des 
mexikanischen  Kalenders  zu  Rathe,  so  sieht  man,  das  unter  der  Voraus- 
setzung, dass  die  5  nemontemi  in  derselben  Weise  wie  die  anderen  Tage 
weiter  benannt  und  beziffert  wurden,  die  in  der  Kohunne  A  angegebenen 


1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXIII.     S.  89—133. 


174 


Zweiter  Abschnitt:   Bildeischrifteu. 


Tagesdaten  immer  yeuau  um   365  Tage  von   einander  abstehen.     Vyl.  die 
folgende  Tabelle: 


^  --S 


N  I         ^ 


CS,^ 


't 


oll  II     .    .     .  . 

tecpatl .    .    .  . 

qutauiti  .    .  . 

aochitl     .    .  . 

^ipactli    .    .  . 

eecati     .    .  . 

caUi 

cuetzpalin  .  . 

coatl    .    .    .  . 

jttiquiztli.    .  . 

jua^atl  .    .  . 

tochtli .    .    .  . 

atl 

itzcuintU     .  . 

ocomatli  .    .  . 

malin  alli  . 

acatl    .    .    .  . 

orelotl .    .    .  . 

^uauhtli .    .  . 
■cozcaquauhtli 


12|  G13 

131  7    1 

l|  8|  2 
2  91  3 
310  4 
4  llj  5 

5'l2|  6 
g|i3|  7 
7I1I8 
8i  2j  9 
9]  310 


411 
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613 


13   7|  1 
1   8 


9 
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11   5 


3 

4 

5ir2|  6113 


1  8 
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4 

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613 

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7 

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10 

4 

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6 

13 

7 

12 

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7 

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2 

9 

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10 

4 

11 

310 

4 

11 

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12 

411 

5 

12 

6 

13 

512 

6 

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7 

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512 
613 
7J  1 

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li  8 
2!  9 
3!  10 
4111 
512' 
6|13| 


512 
613 


Hierdui'ch  wird,  meine  ich,  zm"  Evidenz  bewiesen,  —  1.  dass  die  in  der 
Kolumne  B  gezeichneten  Bilder  in  der  That  Yierteljahrsaufänge  sind,  und 
die  verschiedenen  Bilder  a)  die  jährliche  Wiederkehr  des  Festes  Etzal- 
quaUztli  anzeigen  sollen;  —  "2.  dass  die  Angabe,  die  fünf  nemontemi  seien 
nicht  gezählt  worden,  nur  auf  Missverständnis  beruhen  kann. 

Unsere  Handschrift  ist  aber  noch  in  anderer  Beziehung  für  die  Chrono- 
logie von  Bedeutung.  Es  ist  bekannt,  dass  die  "Mexikaner  ihre  Jahre  mit 
4en  vier  Tageszeichen  acatl  „Rohr",  tecpatl  „Feuerstein '%  calli  „Haus'' 
und  tochtli  „Kaninchen"'  bezeichneten,  die  sie  in  ähnlicher  Weise,  wie  bei 
der  Benennung  der  Tage,  mit  den  Ziffern  1 — 13  kombinirten.  A^gl.  die 
Tabelle  auf  Seite  175. 

In  meiner  oben  schon  genannten  Abhandlung  in  der  „Zeitschrift  für 
Ethnologie''  Yol.  XXHI  (1891)  hob  ich  hervor,  dass  der  Ursprung  dieser 
Bezeichnung  in  der  Annahme  eines  Jahres  von  365  Tagen  lie";t.  dass  ein- 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huraboldt's. 


175 


fach  die  Jahre  nach  einem  bestimmten  leitenden  Tage  benannt  worden 
seien.  In  der  That,  nimmt  man  an  z.  B..  dass  in  dem  einen  Jahre  <ler 
leitende  Tag  der  gewesen  sei,  der  auf  der  Tabelle  Seite  174  an  zweiter 
Stelle  verzeichnet  steht,  der  das  Zeichen  tecpatl  und  die  Ziffer  13  führt, 
so  würde  im  nächsten  Jahre,  d.  h.  nach  Ablauf  von  365  Tagen,  derselbe 
Tag  das  Zeichen  calli  und  die  Ziffer  1.  erhalten,  u.  s,  f.  Es  ist  nun  von 
vornherein  das  Natürlichste,  sich  vorzustellen,  dass  dieser  leitende  Tag-, 
uach  dem  die  Jahre  benannt  wurden,  der  Anfangstag  der  .Fahre  gewesen 
sei,  dass  die  Anfangstage  der  aufeinander  folgenden  Jahre  die  Zeichen 
acatl,  tecpatL  calli.  tochtli  getragen  liaben.  Man  kann  es  nicht  gut  ab- 
lehnen. —  fülirte  ich  an  der  genannten  Stelle  aus^)  —  anzunehmen,  dass 
zu  der  Zeit  als,  und  an  dem  Orte  wo,  es  den  Gelehrten  zum  ersten  Mal 
aufgieng,  dass  auf  die  Anfangs  tage  der  Jahre  nur  4  von  den  20  Tages- 
zeichen fallen,  es  gerade  die  Tage  acail.  tecpatl,  colli,  tochtli  waren,  mit 
denen  die  Jahre  damals  und  an  dem  Orte  begannen,  oder  wenigstens,  dass 
diese  Tage  damals  und  an  dem  Orte  aus  irgend  welchen  Gründen  zu 
Anfangstagen  der  Jahre  gewählt  wurden.  Diese  Annahme  widerspricht 
nun  allerdings  den  Angaben  Dur  ans  und  des  von  Leon  y  Gama  zitirten 
und  benutzten  Ohristöbal  del  Castillo.  da  diese  das  mexikanische  Jahr  mit 
cipactli,  bezugsweise  mit  cipactli,  miquiztli.  OQomatli,  cozcaquauhtli  beginnen 
hissen.  Ich  sah  aber  einen  indirekten  Beweis  für  meine  Annahme  in  dem 
Umstände,  dass  alte  Berichte  aus  zwei  abgelegenen  und  weit  von  ein- 
ander entfernten  Orten,  aus  Meztitlan  an  den  Grenzen  der  Huaxteca,  tmd 
aus  Nicaragua,  die  Reihe  der  20  Tageszeichen  mit  acatl  beginnen  lassen. 
Und   einen    direkten   Beweis    gab    icli    durch   den   Nachweis,    dass    in  der 


1 .  acatl 

1. 

tecpatl 

1. 

calli 

1. 

tochtli 

1.  acatl 

2.   tecpatl 

2. 

calli 

2. 

tochtli 

•) 

acatl 

u.  s.  f. 

3.  calli 

3. 

tochtli 

3. 

acatl 

3. 

tecpatl 

wie  vorher. 

4.  tochtli 

4. 

acatl 

4. 

tecpatl 

4. 

calli 

5.  acatl 

5. 

tecpatl 

5. 

calli 

5. 

tochtli 

6.   tecpatl 

6. 

calli 

6. 

tochtli 

(i. 

acatl 

7.  calli 

7. 

tochtli 

7. 

acatl 

7. 

tecpatl 

M.   tochtli 

8. 

acatl 

8. 

tecpatl 

8. 

calli 

!•.   acatl 

9. 

tecpatl 

9. 

calli 

9. 

tochtli 

10.  tecpatl 

10. 

calli 

10. 

tochtli 

10. 

acatl 

11.  calli 

11. 

tochtli 

11. 

acatl 

11. 

tecpatl 

12.  tochtli 

12. 

acatl 

12. 

tecpatl 

12. 

calli 

13.  acatl 

13. 

tecpatl 

13. 

calli 

13. 

tochtli 

1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXIII,  S.   102. 


17(5  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Dresdener  Maya-Handsclirift  in  der  Tliat  die  Jalire  nicht  mit  kan^  muluc. 
ii\  cauac  beginnen  —  mit  denen,  naoli  Landa  und  den  Biiehern  des^ 
Cliilam  Balam  zu  urtheih'u,  die  Maya  in  späterer  Zeit  ihre  .lahre  beginnen 
Hessen  — .  sondern  mit  heen,  eonab^  akbal,  lamat,  den  Zeichen,  die  den 
mexikanischen  acatl.,  tecpatl,  calli,  tochtli  entsprechen. 

Unsere  Handschrift  F,  nennt  allerdings  die  Aufangstage  der  Jahre 
auch  nicht.  Aber  sie  führt  in  der  Kolumne  A  die  Tage  an,  auf  welche 
^ias  sechste  Jahresfest,  <las  Fest  Etzalqualiztli,  fiel. 

Nun  wissen  wir,  dass  in  den  sogenannten  Monaten  oder  Zeiträumen 
von  "20  Tagen,  die  nach  den  verschiedenen  Jahresfesten  benannt  wurden, 
das  eigentliche  Fest  dieses  Namens  immer  auf  den  letzten  Tag  dieser 
Zeiträume  fiel.  Wenn  also,  wie  unsere  Kolumne  A  ergibt,  in  den  hier 
aufgeführten  1!)  Jahren  das  Fest  Etzalqualiztli,  das  sechste  Jahresfest,  auf 
die  Tage 


1'2  olin 

13 

eecatl 

1 

maratl 

2  malinalli 

3     „ 

4 

11 

ö 

„ 

6 

7     „ 

8 

11 

9 

1? 

10 

11      ,. 

12 

n 

13 

11 

1 

2     „ 

3 

51 

4 

fiel,  so  folgt  unmittelbar,  dass  der  Anfangstag  des  siebenten  (nach  dem 
Fest   Tecnilhuitontli  benannten)  Zeitraums  auf  die  Tage 


13  tecpo 

itl 

1 

eulli 

2  tochtli 

3 

acatl 

-t       « 

5 

11 

6       „ 

7 

r> 

s 

9 

„ 

10       „ 

11 

V) 

12       .. 

13 

T) 

1       „ 

2 

» 

3       „ 

4 

11 

5       „ 

fallen  nmss.  Und  setzt  man  den  Anfang  des  Jahres,  mit  Sahagnu,  auf 
den  ersten.  Tag  des  nach  dem  Feste  Atlcaualco  benannten  Zeitraums,  so 
würde  sich  für  die  Anfangstage  dieser  19  Jahre  die  folgende  Reihe  er- 
geben: 

10  tecpatl  11   calli  12  tochtli  13  acatl 

1        »                    2      „  3       „  4  ,, 

5       ..                    t>     »  7       ^  8  „ 

9       „  10     „  11       „  12  „ 

13       „                   1     „  2       „ 

Aus  unserer  Handschrift,  —  die,  meines  Wissens,  die  einzige  mexi- 
kanische Handschrift  ist,  in  der  eine  längere  Reihe  von  Jahren  oder, 
genauer,  über  eine  längere  Reihe  von  Jahren  sich  erstreckende  Tages- 
daten   angegeben  sind,    —    ergibt  sich  also   mit  Bestimmtheit,    dass  auch 


4.    Dil'  luexikuni^clieu  IJilderschritten  Alexander  von  Huinbolflt's.  ]77 

<lie  .VI  ex  i  kau  er,  i^Ieicli  «Ich  Mayii-PriestL'i-ii.  die  die  Dresdc-iicr  Haiitlsdirift 
sc'liriüben,  ihre  .lalirc  mit  ileii  Zeichen   (tr((fL   tevjxitl,  c(tlh\   tochtli  begannen. 

Dies  Resultat.  (h>s  sicli  mir  niis  (Iründen  alliiemeinerer  Natur  ergab, 
und  (bis,  wie  wii"  scdien,  aus  unserer  I  l;iiids(dirif't  direkt  /u  erschliessen  ist. 
bat  dundi  ein  in  neuster  Zeit  Ijekannt  gewoi'denes  Zeuiiiiiss  nocli  eine  an«b'r- 
weitige  Bestäti^iinu,'  erfahren.  Auf  «b'r  b'tzten  l'ai;un«;'  (b's  .Vmerikanisteii- 
koiigresses,  <lie  in  llu(dva  stattfand,  sridlre  Frau  Zelia  Xut;ill  ;uif  einer 
grossen  Tafel  eine  von  ihr  erscmnene  lu'konstruktion  «b's  mexikanischen 
Kab^nders  ans,  übei'  die  sie  si(di  n(K-li  nähei'e  Ansfiihrungen  vui-bebäit. 
Auf  dieser  Tafel  war  aus  einer  wichriiicn  nu'xikaiiisclien  l)i]derschrift,  die 
sich  in  dei'  iiiblioteca  luizimiide  /.u  l'^lorenz  befindet,  und  die  nou  l-'ran 
Nutüll  niicdistens  in  Faesimile  herausi''e"'eben  werden  wird,  folucnde  Stelle 
angeführt:  —  Es  de  notar  (|ue  sieinpre  comienrn  el  iiue  eii  im  diu  de 
(juntro,  el  uno  (jue  llaman  acatl.  y  de  alli  toniaii  iiuiilnc.  u  eii  nrre  (|Ue 
llainan  adi  \  de  alli  roman  nonbre.  o  en  otro  que  Ibnnan  iccixifl.  y  de 
alli  tonian  nonbi'e.  y  de  otio  (jue  llaman  fochtl/.  y  de  alli  tonian  nonl)re.  — 
J)as  ist  klar  und  deutlich.  Lud  Frau  Xutall  hat  mit  Recht  diese  Stelle 
zum  Ausgaiigs])unkt  ihrer   Untersuchungen  gemac  lit. 

Eine  andere  Frage  frinlich  ist,  das  muss  ich  hiei-  juudi  gleicli  nech 
berühren,  ob  der  von  Sahagun  und  andern  als  Anfangsnionat  des  .lahres 
angegebene  .Monnt  Atlcuuulco  derjenige  ist,  der  zur  Zeit,  als  sich  die  Jalires- 
be/eichnung  lundi  den  vier  Tngen  aaifU  loqxiiL  calll,  tochtli  einbürgerte, 
dei'  ieiteiub^  odei'  der  Anfangsmonat  \\;\v.  Diese  l-^'rage  scheint  verneint 
w»M"den  zu  müssen. 

J)ie  wichtigste  Notiz  in  den  alten  Schriftstellern,  die  eine  Konkordanz 
der  mexikanischen  Zeitrechnung  mit  unserer  Zeitrechnung  und  eine  Yer- 
gleichung  der  mexikanischen  Jahresbezeiclmung  mit  bestimmten  Tagen  des 
betreffenden  Jahres  ermöglicht,  ist  die  in  Sagahun  Buch  l'J.  Cap.  40 
gegebene,  wo  es  heisst,  dass  die  (u^fangennahme  Quauhteviocizm's,  die 
der  verzweifelten  Vertheidigung  der  Stailt  Mexico  ein  Ende  machte,  am 
Tage  ce  coiiafl  (eins  Schlange)  des  .lahres  yci  calli  (drei  Haus)  erfolgt  sei.  — 
Auh  in  onioviun  cimnulli  inic  tiritinque  in  jiuJitnnuUi  ei  cal/i^  au/t  in  cemil- 
huitlapoalli  ce  coatl  „als  der  Schild  niedergelegt  wurde  (dei'  Krieg  aufhörte). 
indem  wir  zu  Boden  fielen,  das  war  das  Jahr  „drei  Haus"  und  der  Tag 
„eins  Schlange"'  (Ms.  Biblioteca  Eaurenziana).  Dieser  Tag  war.  wie  wir 
aus  den  Briefen  des  Cortes  und  aus  Gomara  wissen.  Dienstag  S.  Hip- 
polyt,  der  IH.  August  1521^).  Dasselbe  berichtet  auch  <ler  azt(d<ische 
Schriftsteller  Ohimal[)ahin  in  seiner  \  II.  Relacion:  —  i//icu<ic  canque  yn 
tlatohuuni  Cuauhtemoctzin  ypan  cemilhuitoiiaUice  cohuatl  .  .  .  ic  mutlactloviey 
rmini  nietztii    (Kfostn.    ///.'«?/  ylhuitzin   S.    Tipolito.     nuirt',/'    „sie    nahmen     den 

1;  Cartas  y  Relaciones  de  Hernan  Cortc'S  ed.  Gayangos  Paris  l-sHti)  S.  "257.  — 
Gomara.  Cronica  cap.  14.'J. 

Seier,  Gi-sammelte  Aldianilliin'^uii  I.  |2 


17s  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschrift« ii. 

Könii>-  Quauhtenioctzin  gefälligen  am  Tai^e  ..eins  Sclilange".  am  lo.  August, 
dem  Feste    des    heiligen    3Iäityrers   HipjMtlyt"  ^\  Auf  (tiuik]    dieser 

Notiz  hat  Orozco  y  Berra  iiu  zweiten  Bandt'  seiner  ^^Historia  Antigua  y 
de  la  Oouquista  de  Mexico"  eine  Konkordanz  der  mexikanischen  und  euro- 
päischen Zeitrechnung  versucht,  die  aber  in  den  wesentlichsten  Punkten 
fehl  geht,  da  Orozco  der  irrigen  Ansicht  huldigte,  dass  die  Mexikaner 
die  Jahre,  und  also  auch  ihre  sogenannten  Monate,  mit  den  Tagen  dpactli, 
miquiztli,  o^omatli,  cozcaquauhtli  begonnen  hätten. 

Ich  will,  um  die  Sache  klar  zu  stellen,  noch  eine  zweite  Konkordanz 
heranziehen.  In  der  oben  erwähnten  VII.  Relacion  des  Chimalpahin 
(JS.  88  der  Eeini  Simeoirschen  Ausgal)e)  heisst  es.  dass  der  Einzug 
He  man  Cortess  in  31exico  und  sein  Empfang  durch  die  Könige  der 
drei  verbündeten  Reiche  Mexico.  Tetzcoco  und  Tlacupan  im  Jahre  ce  acafl 
..eins  Rohr"  =  A.  D.  1519  -  yp<^^i  <<^n  iJhuitlapohuulli  chicitey  ehcatl,  auh 
yn  ipan  metztiapohual  catca  huehuetque  chiucnahuilhmtia  quecholli  ..am  Tage 
^acht  Wind"  und  nach  der  Monatszählung  der  Alten,  nachdem  nenn  Tage 
von  dem  Feste  Quecholli  vergangen  waren"  —  stattgefunden  habe.  Uebev 
denselben  Tag  haben  wir  auch  in  dem  aztekischeu  Bericht  über  clie 
Eroberung  Mexico's,  der  in  dem  Sahagim-Manuskript  der  Biblioteca  Lauren- 
ziana  uns  erhalten  ist.  eine  Angabe.  Diese  stimmt  mit  der  vorigen  darin 
überein.  dass  auch  sie  die  Aukunft  der  Spanier  im  Jahre  ce  acatl  „eins 
Rohr"  und  innerhalb  des  durch  das  Fest  Quecholli  bezeichneten  Zeitraums 
erfolgen  lässt.  weicht  aber  von  dem  Berichte  Chimalpahins  darin  ab, 
dass  als  der  Tag  der  Ankunft  nicht  ein  Tag  „acht  Wind",  sondern  ein 
Tag  _eins  Wind",  d.h.  ein  um  20  Tage  früherer  Tag.  bezeichnet  wird:  — 
auh  in  izqwlhwtico  in  Mexico  in  i<:  calaquJco  in  Espaholes:  ipan  ce  hecatl  in 
cemilhuttlapoalli:  auh  in  .viuhtonalli  ce  acatl  oc  muztla  tlamatlactiz  quecholli: 
auh  in  cemdhuitique  vme  calli:  vel  iquac  in  tlamatlacti  quecholli:  „und  was 
die  Zeit  betrifft,  wie  lange  die  Spanier  (in  Mexico  verweilten},  so  kamen 
sie  nach  Mexico  am  Tage  „eins  Wind"  und  im  Jahre  ..eins  Rohr"  einen 
Tag,  ehe  es  zehn  Tage  vor  dem  Feste  Quecholli  war.  Und  als  sie  einen 
Tag  (in  der  Stadt)  geweilt  hatten,  war  es  (der  Tag)  „zwei  Haus",  gerade 
zehn  Tage  vor  dem  Feste  Quecholli"^.  —  Hier  muss  man  nun  zunächst 
festhalten,  dass  bei  den  alten  Mexikanern  die  durch  ein  bestimmtes  Fest 
bezeichneten  Zeiträume  immer  vor  dem  Fest  gerechnet  wurden,  dass  das 
Fest  immer  auf  den  Schluss  dieser  Zeiträume  fiel  und  die  Tage  innerhalb 
dieser  Zeiträume  immer  im  Hinblick  auf  das  den  Schluss  bildende  Fest 
gezählt  wur<len.  So  heisst  Sahagun  '1.  30:  —  yquac  yn  tlaca.ctolti  och- 
paniztli  niclit  etwa    am  fünfzehnten    des  Monats  Ochpanizäi"^ .    sondern 

„quince  dias  antes  de  la  fiesta".  und  Sahagun  '2.  31:    —  yye  yuh  tlama- 


1)  Annales    de  Domingo   Francisco    de    San    Anton   Munon   Chimalpahin 
Quauhtiehuanitzin.     TU.  Relacion.  edid.  Remi  Simeon.  p.  194. 


A.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Hunil)oldt's.  179 

<^mltia  [teoti  eco]  —  uiclit  chva  „iiin  fünften  Tage  den  Monats  Teotl  eco'^, 
sondern  „ii  los  qiiince  dias  andados  del  mismo  nies."  Immerhin  würden 
wir.  auch  unter  Berüeksicditigung  dieser  Besonderheit  der  mexikanischen 
Ausdrucksweise  auch  nach  der  Angabe  des  Gewährsmannes  des  V.  öahagun 
auf  den  neunten  'l'ag  <les  Festes  QnechoUi  konnnen.  als  den  'Pag,  an 
welchem  die  Spanier  in  der  Hauptstadt  Mexico  eintrafen.  —  Ziehen  wir 
nun  die  sj)anischen  Historiker  zu  Käthe,  so  finden  wir  in  der  Ilistoria 
verdadera  des  Bernal  Diaz  del  C'astillo  als  den  Tag  des  l^inzugs  der 
Spanier  den  8.  November  des  Jahres  1519  angegeben. 

Der  Schreiber  des  Berichts  in  dem  Sahagun-iManuskript  rechnet  von 
dem  oben  angegebenen  Datum  weiter,  und  zwar  zählt  er.  w(»rauf  ich  hier 
gleich  aufmerksam  machen  möchte,  Monat  für  Monat  auf.  Das  war  in  der 
That  wohl  die  übliche  historische  Chronologie.  Denn  in  ähnlicher  Weise 
sehen  wir  auch  auf  Blatt  87  (=  Kingsborough  13G)  des  Codex  Yaticauus  A 
die  Monate,  die  während  des  Aufenthalts  der  Spanier  in  der  Stadt  verflossen, 
hingemalt.  Der  Schreiber  des  Sahagun- Berichts  zählt  so  weiter,  bis  zu  dem 
Fest  Toj;catl,  an  welchem  Alvarado  die  zum  Feste  geschmückten  wehrlosen 
Mexikaner  überfiel  und  die  Blütlie  des  mexikanischen  Adels  lunmordete. 
Und  weiter  bis  zum  Fest  TecuilhuitontlL  d.  h.  bis  zum  Vollwerden  des 
-Monats  Tecuühuitontli.  An  dem,  sagt  er.  flohen  die  Spanier  nächtlicher 
Weile  aus  der  Stadt:  —  niiiian  quivaitoquilia  teeuilhuitonüi,  ie  oncan  in 
quizque^  vel  ipan  in  Uhuiil  in  quizque  in  Espafioles  in  moioalpoloque.  — 
Das  sind  zusammen,  sagt  er,  23ä  Tage,  nämlich  195  Tage,  während  deren 
die  Spanier  und  die  Mexikaner  Freund  waren,  und  40  Tage,  während 
deren  sie  sich  bekämpften.  —  (lenau  gerechnet,  kann  nicht  das  Fest 
Tecuilhuitoutli  selbst,  sondern  der  Vorabend  desselben  gemeint  sein.  Denn 
vom  neunten  Tage  des  Monats  Quecholli  um  "235  Tage  weiter  gezählt, 
kommt  man  zum  1!).  und  nicht  zum  20..  dem  Schlusstagc»  des  Monats 
TecuiUiuitontli .  Die  Spanier  verliessen  wohl  in  der  Nacht  vor  dem  Fest 
die  feindlich  gesinnte  Stadt.  Und  der  Berichterstatter  zählt  die  vollen 
Tage,  die  zwischen  dem  neunten  Tag  Quecholli  und  dem  Fest  TecuiUiuitontli 
lagen.  —  Derselbe  Tag,  die  „noche  triste",  unheilvollen  Angedenkens 
für  die  Spanier,  war,  wie  sich  ziemlich  sicher  herausreclmen  lässt,  der 
30.  Juni  1520').  Vom  8.  November  1519  aber  bis  zum  30.  Juni  1520 
sind  in  der  That,  da  das  Jahr  1520  ein  Schaltjahr  ist,  235  Tage.  Die  be- 
glaubigte europäisciie  Chronologie  und  die  unseres  indianischen  Bericht- 
erstatters stimuien  also  auf  (bis  Beste  zusannnen. 

Bringen  wir    nun  diese    neugewonnenen    Daten    mit    dem    erst    ange- 
führten,   dem    Tage    der    (Tefangennehmnng    Quauhteinoc  >>    zusammen,    so 


1)  The  letter  of  Cort(''s  stutes  that  ilie  army  reached  Tlascala  on  the  s"'  of 
July:  and  from  the  general's  accurate  account  of  their  proiiress  each  day,  it  appears 
that  they  left  the  capital  on  the  last  night  of  June,  or  naher  the  morning  oC 
July  b'-     (Prescott.  hist.  Oonquest  Mexico.) 

1-2* 


IgO  Zweiter  Abschuitt:    Bilderschriften. 

eririhr  sich  Folg-emles:  —  Vom  8.  November  l.")l!>  bis  zum  18.  .\ngiisr  1. '»•_'! 
verHossen  644  Tage.  Zählen  wir  rom  V>.  Tage  Quec/ioUi  in  dem  indianischen 
Festkalender  um  (544  Tau:e  weiter,  wobei  zu  berücksiclitigen  ist.  dass  die- 
Mexikaner  keine  SchaltjaluT  kannten,  so  kommen  wii-  auf  dm  3.  Tag- 
des  Monats  Xocoio'tzK  Wir  miissen  seldiessen.  dass  nach  dem  indianischen 
Festkalender  dii's  der  Tag  der  (ietangennehmnng  (Juau/ifemor  s  war. 

Ehe  ich  nun  aber  an  dies  Eesultat  weitere  Folgerungen  knüpfe,  mtiss 
ich  erwähnen,  dass  dasselbe  gewissen  anderen  Angaben  w'iderspricht.  Nach 
einem  von  Leon  y  (lama  zitirten  l^ericht  (Dos  Piedras  11.  Ausg.  S.  7!), 
Sil  Nota)  soll  die  Gefangennahme  (^uauhtemoc^  nicht  im  Monat  Xocouetzi. 
sondern  im  ye.rochimuco  oder  Tla-rochiTnaco,  <lem  vorhergehenden  Monat, 
erfolgt  sein.  Aehnliches  scheint  Chimalpahin  anzugeben,  der  an  der- 
selben schon  vorhin  angezogeueii  Stelle  sagt:  cmh  yye  oJiuacic  nanhpohualhn- 
inatUtqu-ilhiiifl  ifn  otech  icalque  Üaa'ochimai  n  j/ye  .  .  .  yc  tiritinque  „nachdem 
sie  90  Tage  wider  uns  gestritten  hatten,  unterlagen  wir  endlich  im  (?) 
Tlajochimaco" .  —  Das  ist  nun.  wie  ersichtlich  ist.  mit  den  anderen  vorhin 
erwähnten  Angaben  nicht  zu  vereinen.  Da  indes  die  anderen  Angaben 
durch  die  europäische  Rechnung  in  gewisser  Weise  kontrollirt  sind,  so 
liegt  es  w(dil  nahe,  hier  einen  Irrthum  anzunehmen.  —  [um  so  mehr  als 
der  Tag  der  Gefangennahme  ( iuauhtemoi's  nach  unserer  Rechnung  dem 
Fest  TUui'ocInniaco  verhältuissmässig  nahe  lag.  der  dritte  auf  dasselbe 
folgende  Tag  war.  Den  Beginn  des  Kampfes,  das  Eintreffen  der  spanischen 
Karavelen  in  Nonoualco.  das  nach  Chi  ma  I  paliins  wiederiiolter  Angabe 
90  Tage  vorlier  stattfand,  setzt  Chimalpahin  in  den  Monat  To.rcatl.  Das 
stimmt  mit  unserer  Rechnung  überein.  Wenn  aber  an  der  betretfeuden 
Stelle  (S.  IMo  der  Ausgabe  Remi  Simeon's)  gesagt  ist.  dass  das  der  Tag 
ce  cozcaquauhtli  ..eins  Königsgeier"  gewesen  sei.  so  ist  das  unrieJitig.  ]]s 
ist  ein  Schreibfehler,  oder  vielleicht  ein  Lesefehler  anzunehmen.  Es 
muss  vielmehr  ei  cozcaquaulitli  „drei  Königsgeier'"'  heissen.  Der  letztere 
Tag  liegt  ilO  Tage  vor  dem  Tag  ce  amatL  dem  Tag;  der  Gefangennahme 
i^uauhtemoc  s. 

Ist  nun  der  Tag  der  Gefangennahme  (Juan/ifemocs  der  J3.  August 
des  Jahres  l.j'Jl.  der  o.  Tag  des  Monats  Xoccmefzi  gewesen,  so  folgt,  da 
dies  zugleich  tdn  Tag  ce  couati  ..eins  Schlange"  gewesen  sein  soll,  dass 
der  1.  Tag  des  Monats  der  Tag  l'J.  cu/li.  und  der  Anfangstag  des  Jalires 
der  Tag  1.  cal/i  gewesen  sein  muss.  Es  ergibt  sich  demnach:  1.  dass  die 
Jahre  der  Mexikaner  in  der  That.  wie  ich  oben  annahm,  und  wie  auch 
aus  «len  Daten  unserer  Handschrift  mit  Sicherheit  zu  si-hiiessen  ist.  mit 
den  Zeichen  acatL  tecpatl^  callL  tochtU —  und  nicht,  wie  bisher  allgemein 
angenommen  wurde,  mit  den  Zeichen  cijuicfli,  »liqin'ztlf,  ocnmaflü  cozca- 
quauhtli —  begannen,  lud  2.  folgt,  da  das  Jahr  l.VJl  ein  Jahr  o.  calli 
gewesen  sein  sull,  dass  die  Jahre  der  ^lexikaner  nicht  nacli  dem  Anfangs- 
tage des  nach  iler  üblichen  ZähluuLi'  ersten  Monats  Atlcanulco,  sondern,  wie 


4.    Die  mexikanischen  IMIdersclirifton  Alexander  von  Huniboldt's.  1^1 

<lie  Kec^liiiuiii;'  zcii^t.  nach  dein  A  ii  f'aiigst.au«'  des  fünften  Monats 
benannt  wurden,  an  dessen  Hclihisstage  das  Fest  To.rcaÜ  gefeiert  ward '). 
J^]ndlicli  o.  folyt.  dass  dei-  Anfani;'  des  Monats  Af/nmalco  in  den  Jahren  der 
Conqnista  niclit  auf  den  "J.  F<d)iMiar  fiel,  wie  anf  dei'  zu  Sa  ha gMin"s  Zeiten 
in  Thvteloh'o  altnehaltenen  Indianerkouferenz  nacdi  vicdcn  Diskussionen 
festgesttdit  wurck»'^}.  sondern  (hiss  er  auf  den  \'2.  Februar  LfefaUen  sein 
muss.  -  Das  letztere  Kesultat  ist  von  i;an/.  besonderer  Wichtiii^keit.  Ks 
beweist  nämlieh,  (biss  in  den  un<iefähr  40  Jahren,  die  von  dem  .lahr  der 
Erobei'nnii'  bis  /n  (b'r  Zeit,  wo  (his  Saha<^un-Manuskri])t  entstand ''j,  ver- 
flossen, sich  der  Anfani;-  des  mexikanischen  .lahres  um  zehn  Tage 
verschob.  Das  ist  genau  die  Summe  der  Schalttage,  die  auf  diesen 
Zeitraum  fallen,  und  beweist,  dass  die  Mexikaner  eine  Kegulirung  der 
Zeitrechnung  durch  in  kurzen  ZwiscluMiräumen  vorgenoinmcme  Ein- 
schaltungen  nicht   kannten. 

Stidit  das  aber  fest,  so  ist  weiter  zu  s<diliessen.  dass  der  Tag  der 
Ankunft  (h'i'  Si>ani<T,  (h'i'  der  !•.  I'ag  des  Mona,ts  QnechoUi  gew(!seii  sein 
soll,  weder  8  cecail  (wie  C'himalpahin  angibt),  noch  1  eecatl  (wie  der 
Schreiber  des  Berichts  im  Sahaguu-Manuskript  angibt),  sondern  nur  1  cipactli 
oder  IH  cipactli,  der  Tag  vorher,  gewesen  sein  kann.  Denn  sonst  mnsste 
der  Monat  mit  einem  Tag  occ/ofl,  angefangen  haben,  was.  wie  wir  gesehen 
haben.  um"ichtig  ist.  Zählen  wir  aber  von  1.  couatL  dem  Tage  der  Ge- 
fangennahme (^uau/itcmocfi.  um  ()44  Tage  in  dem  indianischen  Kalender 
zurück,  so  kommen  wir  nicht  auf  1.  cipactli,  sondern  anf  7.  cipactli.  Die 
Angalje  (' h  i  mal  |»ahi  US  war  also  relativ  (bis  auf  den  eimai  Tag)  j'i(ditig, 
und  {\^'V  Schreiber  des  Berichts  im  Sahagun-Manuskript  hat  sich  um 
■_'0  Tage  verrechnet.  —  Dass  die  beiden  Quellen  aber  übereinstimmend, 
nicht  einen  Tag  cipactli,  sondei'ii  einen  '^Fag  efcail  mutnten,  dafür  weiss 
ich  keine  andere  b^rkhirung,  als  dass  in  der  Tradition  eine  Konfusion 
zwischen  dem  Tag  uml  seinem  Vorabend  stattgefunden  hat,  o<ler  dass  der 
Xame  des  Tages  nicht  dnrcdi  Tradition  festgehalten,  sondern  nur  durch 
Kechiiung  wiedergefunden  ward,  und  dass  dabei  vielleicht  niclit  um  (544, 
>ondern  um  <)4.'5  Tage  zurückgerechnet  wai'd.  weil  vielleicht  das  Schaltjahr 
nicht  mit  in    Ivecdnmug  gezogen  ward. 

A\  ill  man  das  ni(dit  annehmen,  und  will  man  die  Angaheii  im  Chimal- 
])ahin-    und    im    Bericht   des    Sahagun-Manuskripts,    dass    der    9.   Tag    des 

1;  Diese  s()nderl)are  Thatsache  erklärt  sich,  wie  ich  das  in  einer  .\rl)eit  üi)er 
..die  Dchtzehn  Jahresfeste  der  Mexikaner"  nucli^ewiesen  habe  [Veröfi'enilichuiigen 
lus  (lein  Kijiiigl.  Museum  für  Völkerkunde  Hd.  Vi  (1^!»9),  S.  lö-'i,  l<J7].  dadurch^ 
dass  das  Fest  7o./xv///  das  eigentliche  Neujahrsfest  dei-  Mexikaner  war. 

•2)  Vgl.  Sahagun  7,  cap.  1"_'. 

•'■>)  In  dem  Sahagun-Ms.  der  .-Vcadeinia  de  hi  Historia  wird  das  Jahr  miu-  dci//  = 
A.  D.  16.')!:)  als  das  Jahr  der  Niederschrift  wenigstens  bestimmter  Theile  der  Haiid- 
>chi'ift,  der  historischen,  angegeben. 


lg 2  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Monats  QuechoUi  ein  Tag  eccatl  gewesen  sei  —  die  einzigen  Angaben- 
meines  Wissens,  wo  eine  liestinimte  Konkordanz  zwischen  ^ronatsdatinn 
und  Tagesnaiuen  vorliegt  als  richtig  betrachten,  so  würden  wir  auf  die 
Tage  ocelotl,  quiauitl,  cnetzjmlin,  atl  als  Anfangstage  der  mit  den  Zeichen 
acatL  tecpath  colli,  tochtli  benannten  Jahre  kommen.  Ein  solches  Resultat 
hat  auf  den  ersten  Anblick  etwas  verführerisches.  Wir  würden  nämlich 
damit  auf  genau  die  Zeichen  kommen,  die  den  Maya-Zeichen  ix,  cauac. 
f,-(ni.  muluc  entsprechen,  mit  denen  die  Maya  der  späteren  Zeit  ihre  Jahre 
begannen.  Es  würde  also  folgen,  dass  die  Korrektur,  die  von  den  Maya 
Torgeiionnnen  ward,  auch  bei  den  Mexikanern  Eingang  gefunden  hat.  — 
Icli  meine  indes,  da  dafür  sonst  keine  Belege  vorliegen,  da  unsere  Be- 
rechnung durcli  die  Angaben  der  Historiker  gestützt  wird  -  wäre  nämlich 
der  !>.  Tag  QuechoUi  ein  Tag  ePcatl  gewesen,  so  würden  bis  zur  (iefangen- 
nahme  Quaiihtevioc  %  nur  (543  Tage  verlaufen  sein,  und  dann  müsste 
eines  der  beiden  obigen  Daten,  (bis  des  Bemal  Diaz,  oder  dasjenige  des 
Cortes.  eine  Korrektur  erfahren  -  und  da  (Iründe  allgemeinerer  Xatur. 
wie  ich  oben  anführte,  für  die  in  dem  vorigen  vertretene  Ansicht  sprechen., 
so  werden  wir  dieser  einen  Angabe  nicht  zu  viel  txewicht  beimessen 
dürfen,  um  so  mehr  als  ein  Irrthum  hier  sehr  nahe  lao-.  Und  »erade 
unsere  Handschrift  mit  ihren  über  nahezu  lU  Jahre  verlaufenden  Fest- 
daten fällt,  wie  ich  oben  schon  ausführte,  entscheidend  ins  Gewicht. 
Chimalpahin  schrieb  im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  Und  das  Sahagun- 
Manuskript  entstand  um  das  Jahr  1559.  Das  waren  Zeiten,  wo  die  alte 
Festzeitrechnung  schon  längst  aussei-  Dienst  gestellt  war.  Die  Handschrift 
der  Humboldt  "sehen  Sammlung  ist  alten  Datums,  wie  aus  Stil  und 
Zeichnung  und  der  Kleidung  der  Figuren  hervorgeht.  Ihr  Zeugniss  ist 
von  ausschlaggebendem  Werth. 

Nach  diesen  Feststelluno-en.  die  im  Allgemeinen  nothvvendig  waren, 
und  auch  zum  Verständniss  unserer  Handschrift  nützlich  sind,  kehre  ich 
imn  noch  einmal  zu  den  in  den  Kolumnen  A  und  B  unserer  Handschrift  1 
aufgeführten  Daten  zurück.  \Im  Eingang  dieses  Kapitels  habe  ich  erwähnt, 
dass  das  untere  Ende  der  Handschrift  unvollständig  ist,  dass  aber  das 
obere  Ende,  wie  es  scheint,  das  eigentliche  Ende  des  Streifens  war,  dass 
der  Streifen  nicht  weiter  beschrieben  worden  ist,  weil  man  aus  dem  einen 
oder  amleren  Grunde  mit  den  Eintragungen  aufhörte.  Es  wäre  interessant,, 
wenn  sich  feststellen  Hesse,  welchem  unserer  Jahre  das  Jahr  entspricht, 
in  welchem  die  letzten  Eintragungen  stattfanden.  Die  sachlichen  Ein- 
tragungen, über  deren  Xatur  ich  gleich  sprechen  Averde.  füUen  die  Kolumnen 
C — E.  Die  leizten  EiuTragungen  fanden,  wie  ein  Blick  auf  die  Hand- 
schrift lehrt,  im  Zinnat  Ochpaniztli  desjenigen  -lahres  statt,  in  welchem 
das  Fest  Etzalijualiztli  am  Tage  -^  ercatt  gefeiert  wurde.  In  diesem  Jahre 
fiel,  wie  ich  oben  schon  angegeben  Jiabe.  der  Anfangstag  tles  nach  der 
üblichen   Zählung-  ersten   Monats  auf  den  Tag  1.  calli.     Und   das   ist   genau 


4.    Die  mexikanisclieu  Bildeirschriften  Alexander  von  Hiimboklt's.  1S3 

d«s  mit  der  Ziffer  o  iiixl  ilem  Zeiclieii  calli  beiiaiiiiti^  .lalir  —  in  xiuktonaili 
ei  cuüi  ,  (las  dem  Jahre  l')-l  unserer  Zeitrechnung  entspricht,  in  welchem 
Quauhtenioc  sich  und  die  Triimiuer  der  Stadt  Mexico  dem  sieg-reicheii 
Oortes  übergab.  Am  Fest  Ochpaniztli  dieses  .lahres,  d.  h.  etwa  M  Tage 
nach  dem  Fall  von  Mexico,  fanden  auf  unserer  Handschrift  die 
letzten  sachlichen    Fintragungen  statt. 

Ich  komme  nun  zur  Besprechung  der  Xatur  dieser  sachlichen  Ein- 
tragungen. Dieselben  l)eginnen  unten  in  der  Kolumne  (J  und  sind  in  den 
ersten  28  Querfeldern  auf  diese  Kolumne  allein  beschränkt.  Vom  29.  Quer- 
felde ab  treten  andere  Eintragungen  liinzu,  die  die  Kolumne  D  füllen. 
un<l  vom  4.").  Querfelde  ab  ist  auch  die  hetzte  Kolumne  F  mit  Eintragungen 
erfüllt. 

Diese  Eintragungen  bezcichniMi  ohne  Zweifel  Eingänge  oder  (Jefälle. 
die  alle  Yierteljahre  in  gleichem  Betrag  zu  leisten  waren.  Sie  umfassen 
fünf  Klassen  von  Gegen  Ständern:  —  1.  viereckig-quadratische  Plättchen. 
die  immer  in  der  Zahl  von  zehn  aufgeführt  siiid:  —  2.  länglich  viereckige 
Streifen,  die  einzeln  oder  zu  zweien  vorkommen;    —   'A.  schmale  dreieckige 


Abb.  30. 
,,>*>' , 


,»>*>' .,  ,vV'*""",,  V.'".""'', 


Abb.  28.  Abb.  29.  Abb.  31. 

(joldijarren,  Goldbleche  und  Schalen  mit  Goldstaub.    Libro  de  Tributes  und  Codex  Mendnza. 

Streifen,  <lie  einzeln,  zu  zweien  und  zu  vieren  vorkommen;  —  4.  Schalen 
mit  einer  staubförmigen  Substanz  gefüllt,  die  einzeln  oder  zu  zweien  an- 
geführt sind;  -  endlich  5.  Bündel  von  Geweben  oder  Kleidungsstücken, 
die  ebenfalls  einzeln  oder  zu  zweien  angeführt  sind.  —  (remalt  ist  alles 
mit  derselben  liräunlich  gelben  Farbe.  Nur  in  Klasse  4  sind  die  Schalen 
häufig  tlurch  dunklere,  grünliche  Färbinig  von  dem  gelben  Inhalt  unter- 
schieden. 

Schon  die  geringe  Zahl  der  Gegenstände  jeder  Klasse,  die  in  dem 
Vierteljahr  zu  liefern  war,  lässt  vermuthen,  dass  es  Gegenstände  von  Werth 
waren.  Ich  l)in  in  der  That  der  Ansicht,  dass  die  Klasse  1  (Toldbarren. 
Klasse  2 — '6  Goldbleche  bestimmter  Form.  Klasse  4  Schalen  mit  Gold- 
staub, Klasse  5  endlich  gewebte  Decken  und  Kleidungsstücke  bezeichnen, 
di«'  ebenfalls  als  Tauschmittel,  als  (Jeld,  im  Gebrauch  waren.  Goldbarren 
(Abi).  28,  29),  Goldbleche  (Abb.  30)  und  Schalen  mit  Goldstaub  (Abb.  ;51) 
werden  in  der  Tributliste  und  im  Codex  Mendoza  unter  den  Tributen  der 
Städte  der  Mixteca  alta  und  liaja  aufgeführt.    Abli.  2S  wird   beschrieben  als 


1S4 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


..Zieovln  aus  tViiU'Ui  (Jolde.  Vdii  der  Grösse  eines  Tellers  und  daiimeii- 
stiirk".  Al)b.  29  als  „^cddeiu'  Zieüeln.  von  der  (Trosse  einer  Hostie  und 
der  Stärke  eines  Fin<>-ers"'.  Abb.  -50  als  „4  Finger  breite  und  7*  '^'Hen 
lanye  ( ioldplättchen  von  der  Dicke  eines  Perg-amentblattes".  Abl>.  .'U 
endlich  als  „Schalen  (jicaras)  mit  (iroldstaub". 

Was  nun  die  Suinnu'  der  in  jedem  Viert(djahr  gelieferten  (iegenstände 
betrifft,  so  wurden  in  den  ersten  "28  Vierteljahren  —  wo  Eintiagungen 
nnr  in  der  Kolume  C  vttrgenommeii  sind  —  .  in  jedem  Vierteljahr  10  (jrold- 
Itarren.  /.wei  viereckige  und  zwei  dreieckige  (roldbleche  und  zwei  S(;halen 
mit  Goldstaub  geliefert.  Vom  'JH.  Vierteljahr  ab.  d.  i.  —  wenn  unsere 
olien  ausgeführte  Kechnung  richtig  ist.  —  vom  .lahre  1.'>11  al»,  tritt,  wie 
es  sclieint.  ein  neuer  Beitragleistender  hinzu,  der  Häuptling  einer  Stadt,  der 
in  der  Kolumne  E  daneben  in  ganzer  Figur,  mit  seiner  ^iamenshiero- 
glyplie  und  der  Hieroglyphe  der  Stadt  selbst,  dargestellt  ist  (vgl.  Abb.  56 
unten  Ö.  r.*'i).  In  der  Hauptkolumne  C  selbst  erscheint  die  Summe  der 
in  jedem  Vierteljahr  gelieferten  Beträge  um  eines  der  länglich  dreieckigen 
Bleche  vermindevt.     Aber  dafür  finden  wir  in   iler  Kolumne  D  von  diesem 


Abb.  32.    Kleiderbündel. 


Abb.  33.    Kleiderbüudel. 


Felde  ab  auch  Eintragungen,  und  zwar  sind  dort  in  jedem  Vierteljalir  ein 
Bündel  Stoffe  (Abb.  3j).  ein  viereckiges  und  ein  länglich  dreieckiges  Gold- 
blech w\*\  eine  Schale  mit  Goldstanb  aufgeführt. 

Vom  S-'i.  i'elde.  dem  Jahre  löTJ  an.  tritt,  wie  es  scheint,  mich  ein 
zweiter  neuer  Beitragleistender  dazu,  der  Häuptling  der  Stadt  Zacatlan.  der 
elHHifalls  daneben  in  der  Kolumne  E  in  ganzer  Figur  mit  seiner  Xauiens- 
hieroglyphe  und  der  Hieroglyphe  seiner  Stadt  abgebildet  ist  (vgl.  Abb.  (iO 
unten  S.  19.')).  •  Von  diesem  F'elde  33  an  sind  in  der  Kolumne  D  die  in 
jedem  A'ierteljahr  eingelieferten  Beträge  auf  das  Doppelte  erhöht.  Es  sind 
zwei  Bündel  Stoffe  (Abb.  33).  zwei  länglich  viereckige  und  zwei  länglich 
dreieckige  Goldbleche  un<l   zwei  Schalen  Goldstaub. 

Vom  4.).  Felde  an.  drei  .Jahre  später  (l.')15).  tritt  ein  dritter  neuer 
Beitraiileistender  dazu,  der  Häuptling  von  Tenanco,  der  in  dem  betreffenden 
(^uertelde  in  der  Kolumm'  E  in  ganzer  Figur  mit  seiner  Namenshieroglyphe 
ui:d  der  Hieroglyphe  dej-  Stallt  Tenauco  abgebildet  ist  (vgl.  Abi».  (»7  unten 
S.  15).')).  Von  diesem  Felde  an  sind  die  Beiträge  jedes  Vierteljahrs  um 
einen  Ballen  Kleidungsstücke,  zwei  länglich  dreieckige  (Joldbleche  und 
eine  Sclialv  (ioldstaub  erhöht,  die  in  der  fünften  Kolumne  E  regelmässig 
eingetragen  sind. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  185 

Vom  HO.  Felde  eii<llicli,  dem  Moiuit  Tlacoui-ipeualiztli  des  Jahres  1;")19, 
i\\\  erscheinen  auch  di(?  letzteren  Beträfe,  die  in  der  Kolumne  1^]  auf- 
getnhrten,  verdoppelt.  Das  ist  dasjenige  Feld,  in  welchem  in  der  Kolumne  I) 
zum  ersten  3lal  eine  Fiuiir  gezeichnet  ist.  Und  so  gehen  die  l^intragungen 
aleichmässig  weiter,  his  zum  70.  Felde,  dem  letzten,  in  ih-m  P^intragungeu 
stattgefunden  hahen. 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  an  wen  sind  diese  regelmässigen  viertel- 
jährlichen Finzahlungen  gemacht  wui'den.  die  in  den  Kolumnen  ('  —  Y. 
eingetragen  sind.  Ton  vornherein  ist  nicht  recht  anzunehmen,  (hiss  der 
Name  des  Tributemjifangers.  sei  das  eine  Stadt,  eiu  König,  ein  'Pempel  o.  a. 
gewesen,  auf  (hn-  Triltutliste  angegeben  ist.  Denn  die  Eintragungen  sind 
doch  olinc  Zweifel  auf  einer  Liste  gemacht  worden,  die  <ler  Tributempfäuger 
in  der  Hand  hatte.  So  sin<l  ancli  in  der  bekannten  Liste  der  Tribute, 
welche  die  mexikanischen  Könige  erholien.  weder  die  Ivönige  noch  die 
Stadt  Mexico  genannt.  Xur  beiläufig,  auf  dem  (U'sten  Blatt  der  Tributliste 
(Codex  .Meiidoza  19)  sind  den  letzten  tlatehdkanischen  Könisen  gegenüber 
'lie  gleichzeitigen  mexikanischen  erwähnt.  Indes  unsere  Handschrift  ist 
ja  keine  Tribntliste  nach  der  Art  dei-  eben  erwähnten.'  welche  die  von 
den  versciiiedenen  Städten  zu  licfiTUiicii  Tribute  aufzählton.  Unsere  Hand- 
schrift ist  ein  Cassabnch.  das  Rechnung  gibt  über  das  im  «Laufe  der  Jahre 
l-iingegangene.  Es  ist  eine  Art  finanzieller  Annalen.  und  diese  boten 
natürlich  (Jelegenheit  auch  zu  anderen  historischen  Eintragungen.  Diese 
bestehen,  ausser  den  schon  erwähnten  des  Xeuiiiuzukommens  von  Beitrag- 
leistenden, in  der  Anmerkung  von  Todesfällen,  uml  wer  an  Stelle  des 
Verstorbenen  getreten  ist.  Die  Todesfälle  sind  in  der  in  den  mexikanischen 
Bilderannalen  ül)liclu'n  Weise  durch  ein  mit  der  Namenshieroglypiie  ver- 
sehenes Mnmienbüudel  ausgedrückt,  das  gewöhnlich  nach  Art  eines 
Leitenden  auf  einen  Stuhl  gesetzt  ist.  Die  Uebernahme  des  Amts  wird 
<Uirch  die  Figur  des  Lebenden  mit  seiner  Namenshieroglyphe  ausgedrückt, 
der  je  nach  seinem  Rang,  entweder  auf  einem  einfachen  Strohs<'Ssel,  oder 
auf  dem  mit  Rückenlehne  versehenen  Köuigsstuhl  sitzt.  Denn  amoflali 
„er  hat  sich  gesetzt''  oder  motlatocatlali  „er  hat  sich  als  Herrscher  nieder- 
gesetzt", sind  die  Ausdrücke,  mit  welchen  die  Mexikaner  den  Antritt  der 
Herrschaft  bezeichneten.  Wo  es  sich  um  wirkliche  Herrscher  handelt, 
ist  ausserdem  nn,Mstentheils  die  Herrschaft  durch  das  Züngelchen  vor  ilem 
Munde  zum  Ausdruck  gebracht,  das  in  den  mexikanischen  Malereien  als 
Zeichen  der  Rede  fungirt.  Denn  tlahtOuani  „der  iler  spricht"  wurde  von 
'len  Mexikanern   der  Herrscher  oder  König  genannt. 

Die  wichtigsten  dieser  F^iguren  sind  ohiu'  Zwi'ifel  die.  welclu*  in  der 
Kolumne  A,  der  ersten  von  der  rechten  Seite  aus  gereciniet.  stehen.  ])enn 
hier,  an  hervorragender  Stelle,  werden  wir  die  Namen  und  dii'  Zeit  des 
Regierungsantrittes  derjenigen  Männer  zu  fimlen  erwarten  dürfen,  die  an 
'lern  Orte  selbst,  wo  diese   Liste  gefülnr   war(|.   lebten,   die  also  die  eigent- 


l^{\  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

liehen  TribiitjMiiptanuer  waren.  Hier  ist  nun  in  erster  Linie  zn  bemerken, 
ilass  von  den  vier  Figuren  Lebender,  die  in  dieser  Kolumne  gezeichnet 
sind,  nur  einer,  der  im  Feld  53  gezeichnete  (vgl.  unten  Abb.  40),  da» 
.ciuhuitzolli ^  die  aus  Türkisniosaik  gefertigte  Stiriibinde  der  weltlichen 
Herrscher  oder  Adligen  trägt,  und  durch  den  Strohsesscl  mit  Lehne  als 
höheren  Ranges,  als  König,  gekennzeichnet  ist.  Die  (h'ci  anderen  (vgl. 
unten  Abb.  35,  42,  54)  haben  das  Haar  nur  einfach  mit  einem  Riemen 
umwickelt,  sie  sitzen  auf  einem  Sessel  olme  Lehne  und  tragen  auf  dem 
Rücken,  an  einer  um  den  Hals  geschlungenen  und  vorn  verknoteten 
Schnur  einen  kleinen  gelben  Gegenstand,  der  von  zwei  grossen  bunten 
Troddeln  eingefasst  ist.  Dieser  Gegenstand  ist  das  sogenannte  «V- 
quachtli,  das  „Tabakstuch",  ein  Täschchen  (taleguilla).  in  welchem  die 
Priester  die  ^A"eihrauchkügelchen  bei  sicli  trugen.  Und  die  Schnur  mit 
den  Troddeln,  an  denen  das  Täschchen  hängt,  wird  mecacozqaitl  (Hals- 
band aus  Agavefaserstrick)  genannt.  ie-quachtli  „Tabakstuch-'  heisst  da^ 
Täschchen,  weil  die  Weihrauchkügelchen.  die  /jctqualli  genannt  und  iih 
Pillen  oder  wie  Mäusedreck  geformte  Kügelchen  (harina  hecha  ;i  manera 
de  estiercol  de  ratones)  beschrieben  werden,  aus  „tinta''  (d.  h.  wolil  au>  ■ 
i/o.uktli  oder  iauhtli  dem  Weihrauchkraut')  gefertigt  waren,  vermischt  mit 
geriebenen  Tabaksblättern  (con  polvos  de  ujia  yerba  que  ellos  llamau  nietl. 
(|ue  es  como  belenos  de  Castilla  —  d.h.  „wie  Bilsenkraut" ').  Der  Tabak 
spielte  eben  bei  den  Priestern  und  Medizinmännern  des  alten  Mexico 
genau  dieselbe  Rolle,  wie  seit  alter  Zeit  bis  heute  bei  den  verschiedenen 
Avilden  Stämmen  des  nördlichen  und  südlichen  Amerikas.  Das  Tabaks- 
täschchen (ie-quachtli)  oder  die  Tabakskalebasse  {ie-tecomaü)  waren  daher 
das  besondere  Abzeichen  der  Priester.  Ich  habe  in  Abb.  34  aus  der 
noch  unpublizirten  aztekischen  Sahagun  -  Handschrift  der  Biblioteca  del 
Palacio  in  Madrid  eine  Anzahl  Priesterfiguren  zusammengestellt  —  mit 
Räucherbecken  und  Kopalbeutel,  mit  Opfermesser  und  Kopalbeutel,  und 
mit  dem  grossen  Rasselstab  chicauaztU  in  der  Hand.  —  bei  denen  überall 
auf  dem  Rücken  das  zwischen  zwei  grossen  Troddeln  hängende  Tabaks- 
täschchen oder  Tabaksbüchschen  (im  Original  gelb  oder  braun  gemalt^ 
deutlich  zu  sehen  ist.  Nur  die  —  quacuiUi  genannten  —  Gehilfen  de» 
Priesters,  die  rechts  unten  das  Opfer  an  Armen  und  Beinen  festlialten.  mni 
der  Priester  links  daneben,  der  vom  Tem])el  herunter  «lie  brennenden  Holz- 
scheite l)ringt,  sind  anders,  sind  einfacli  als  'l'odesboten  gekleidet.  Das» 
die  in  der  Kolumne  A  unserer  Handschrift  in  den  Feldern  Ki.  <)"J  und  Vi 
gezeichneten    Fis-uren   und   das   Mnmienbündel   in    dem  Felde  (>(>  Priester- 


1)  Die  Silbe  iauh  bedeutet  einerseits  „Weihrauchkraut".  Vgl.  Sahagun  '2,  26- 
2.  3.0  und  die  Hieroglyphe  von  Yauhtepec  in  Codex  Mendoza  26,  14.  Ausserdem 
aber  auch  _,sih\varz'".     Vgl.  ijanh-tlauHi  ..mayz  inoreno  ö  negro"  (Mobno). 

2)  Sahagun  2.  25. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt' - 


1K7 


Abb.  :)4.    —    Priester    (t/(iiii(i<-((Z(jHej    mit   Upfermesser,    Käucherpfanne,    Kopiilboutel    und 

Rasselbrett,  das  Tabakstäschchen  (>/i'-</iiarlif/h  auf  dem  Rücken  tragend.  —   Saliaguu- 

^lanuskript  Biblioteca  del  Palacio. 


18s 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


iiguren  bozeicluieu  sollen,  \s\rd  darnach  wolil  niemand  bezwoifcdn.  Nur 
ist  7,n  bemerken,  dass  die  Priester  nnserer  Handschrift  nicht  ein  ie- 
tpiachtli  sondern  ein  ie-tecomatl  anf  dem  Rücken  trascii.  nnd  zwar  eines 
l»e.-;onderer  Form,  mit  seitliclien  AnsJadungen.  das  vielleicht  ans  (iold  iie- 
ft'rtigt  war. 

Während  nnn  aber  der  in  Kcdnmne  A  {Feld  . ').-))  gezeichnete  Frinz  kein 
Züngelchen  —  das  Zeiclien  der  Kede  nnd  des  Herrschers  (tlahtöuani)  —  vor 
dem  -Mnnile  hat.  ist  bei  den  Friesterfignren  in  Fehl  1»!  nnd  2'2  ganz  dentlich 
das  Ziingcdchen  vor  dem  Munde  zu  sehen.  Nur  bei  der  Figur  im  Feld  fi2 
(Abb.  4"J)  fehlt  dasselbe.  Es  ist  indes  dort  vielleicht  nur  verwischt  oder  aus 
Nachlässigkeit  vergessen  worden.  Denn  das  Mumienbündel  Feld  ßO  hat  den- 
selben Namen  angeschrieben,  wie  der  Lebende  in  Fehl  Id.  Der  Priester  in 
Feld  <)"J  ist  tlaher  der  unmittelbare  Amtsnachfolger  des  (hirch  (his  Züngelcheu 
als  tlahtniiani  bezeichneten  Priesters  in  Fehl  li).  Daraus,  und  dass  eben 
hauptsächlich  Priester  in  der  Kolumne  A  verzeichnet  stehen,  glaube  ich, 
ist  mit  Sicherheit  zu  schliesseu.  dass  es  ein  Temjtel  war.  der  die  in  den 
Kolumnen  C  D  F  verzeichneten  werthvollen  Tribute  emplieng.  Dieser 
Umsrand  erklärt  es  ja  auch.  dass.  wie  ich  oben  anführte,  die  Bilder  von 
Fürsten  und  Städten  da  angegeben  sind,  wo  die  Liste  eine  Steigerung  in 
der  Höhe  der  vierttdjährlich  einlaufenden  Beträge  verzeichnet,  ^^'enn  es 
eroberten  Städten  von  einem  Könige  aufgezwungene  Tribute  wären,  die 
hier  verzeichnet  sin(L  so  würde  zweifellos  die  iM'obernng  der  Sta«lt  oder 
der  Tod  des  Königs  derselben  an  der  Stelle  berichtet  worden  sein.  Dass 
ein  Götzentempel  der  Tributem])fänger  war.  erklärt  endlieh  auch  ohne 
AA  eiteres,  dass  Itald  nach  dem  Fall  von  Mexico,  wie  ich  oben  ausführte, 
die  Eintragungen  aufgehört  haben  müssen. 

Wo  hig  nun  aber  der  Tempel,  dessen  Cassabuch  unsere  Handschrift  I 
darstellt?  die  Antwort  darauf  müsste    sich   aus  den  Hieroglyphen  ergeben, 

die  die  verschiedenen  in  der  Handschrift 
dargestellten  Figuren  begleiten.  Leider  sind 
dieselben  nicht  zahlreich,  und  zum  Theil 
nicht  deutlich  genug.  Ich  will  in  dem  Fol- 
genden Kolumne  für  Kolumne  die  Hiero- 
glyphen liesprecheu;  und  bemerke  gleich 
vorweg,  dass  gerade  in  iXew  Hieroglyphen 
der  Zeichner  Kingsboroughs,  sowohl  was 
Zeichnung,  wie  \v;is  Farbengebung  betrifft, 
viel  versehen  hat. 

In  Kolumne  A  Feld   1«'.    (Abb.  8'»)  zeigt 
die  hinter  dem  Ko])f  der  Figur  angebrachte 
Namenshierogiyphe  ein   Tuch,  das  wie  es  scheint,  von  zwei  Händen  hoch- 
gehalten wird.      Das   Tuch    ist  weiss,    die  Hände   gelbbraun   gemalt.     Die 
Hieroglyphe  scheint  sich  auf    eine   IfaiKlhing    zu   beziehen,    die  wir  mehr- 


Abb.  oo. 


4,    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


l,s'.> 


fach  in  d^r  Wiener  Haiulsclirift,  sowie  tlem  dieser  verwandten  Codex 
Nnttall,  und  auch  in  dem  Maya  Codex  Tro  dar^■estellt  sehen  (vi>l.  Abi).  36,  37). 
und  die  das  Umbinden  der  Schnlterdecke.  vielh'icht  aber  auch  das  Zeigi-n. 
I)arbrini>-en   oder  Feilhalten    einer    solchen    zur   .Vnschauun^-    briui^'en    soll. 


Abb.  :iG.     Darbringung  einer  in 

bunten   Farben    gewebten,    mit 

Federbehang  versehenen  Decke. 

Codex  Nuttall  1. 


Abb.  37.     Darbringung  einer  Decke? 
Codex  Tro  20  \ 


Abb.   :-^S.    —    Hieroglyphe 

Tilniatlaiieuh. 

Ms.  mexicain  Nr.  3. 

Bibliotht'que  Nationale. 

Pnris. 


In  dem  Mauuscrit  mexicain  Xr.  3  der  BihliothiMjue  Nationale  in  T^iris  linder 
sicli  eine  Hieroglyphe  (Abb.  ;>8),  die  eine  Schulterdecke  und  eine  Hand 
zeigt.  Sie  gibt  daselbst  den  Namen  eines  Bürgers  von  Uexotzinco,  der  unter 
denjenigen  aufgeführt  ist,  die  entlaufen  sind,  der 
Kontrolle  der  Encomenderos  und  der  Curas  sich 
entzogen  haben,  und  trägt  die  Beischrift  Andres 
Tümatlaneu/t,  das  heisst  „Andreas  Decken- 
verleiher''. 

In  Kolumne  A  Feld  :y>  (Abb.  39)  sieht  nnm 
hinttM-  dem  Mumienbündel  eine  Hieroglyphe,  be- 
stehend aus  einem  blaugrün  gemalten  Stiel,  iler 
ninen  rotheu  Körper  umfasst,  an  dem  nach  links 
ein  gelb  gemalter  Gegenstand  überhängt.  Das  soll 
augenscheinlich  einen  Maiskolben  mit  überhängen- 
dem Narbenbüschel  bedeuten.  Der  Name  der 
Person,  deren  Tod  hier  gemeldet  wird,  müs.ste 
darnach  Xilofl  oder  Cacdmatl  ..junger  Maiskolben" 
gelesen  wei-den. 

Sein  mit  der  fürstlichen  Stirnbinde  geschmück- 
ter Nachfolger  in  Feld  53  (Abb.  40,  S.  190)  ist  durch 
eine  gelb  gemalte  Hieroglyphe  bezeichnet,  die  ich 
nicht  mit  Sicherheit  deuten  kann.  '^•'"-  •'''• 

Das  Mumienbündel  in  Feld  60  der  Kolunnic  A   (Abb.  41.   S.   nt<r>  hat 
dieselbe  Namenshieroglyphe  wie  die  Figur  in  Feld  16  (Abb.  o.')).     Augen- 


190 


Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 


scheinlicb    wird  liier  der  Toil  desjenigen  gemeldet,    dessen  Amtsantritt  in 
Feld  1()  knndgegeben  wurde. 

Sein  Nachfolger  in  Feld  6'2  (Abb.  42)  zeigt  als  Namensliieroglypbe  eine 
einzelne  anf  einen  Riemen  gezogene  Perle.  Das  ist  vermnthlicb  Chalchiuh  zu 
lesen.  Die  Hauptschmucksteine  der  Mexikaner  waren  der  chalchiuitl,  worunter 
man  Jadeit  nnd  andere  ähnliche  grüngefärbte  Steine  verstand,    imd  xiuitl^ 


.-Vbb.  40. 


Abb.  42. 


Abb.  43.  Abb.  44.  Abb.  45.  Abb.  4fj. 

Abb.  43 — 46.     Hieroglyphe  chfilchiititl  .grüner  Edelstein". 


^3^<^2 


Abb.  47.     Hieroglyphe 

Ch  alch  iiih  tppptl 

der  rEdelsteinberg", 

^d.  h.  der  Opferberg. 


Abb.  48. 


Abb.  49. 


Abb.  50. 


Abb.  48 — 50.     Der  chalchniiü  als  Hieroglyphe 
für  Chalco. 


der  Türkis.  Beide  wurden,  als  leuchtende  Körper,  gleich  dem  glänzend 
geschliffenen  Spiegel  tezcatl  (Markassit  oder  Obsidian),  hieroglyphisch  mit 
Augen  an  den  vier  Ecken,  d.  h.  nach  allen  vier  Richtungen  Strahlen 
werfend,  gezeichnet.  Vgl.  Abb.  43 — 46  =  chalchiuitlx  Abb.  51  =  .nuith 
Abb.  53  =  tezcatl.  Zu  Perlen  für  Halsbänder  {cozcatV)  und  Armbänder 
(macueutli)    wurde   indes    mit   Vorliebe    »ler  chalchiuitl  genommen.      Denn 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschnften  Alexander  von  Humboldt's. 


191 


iler  Türkis  {.muitl)  war  zu  kostbar,  und  wurde  auch  nicht  in  so  grossen 
Stücken  uefunden.  Der  Türkis  wurde  insbesondere  zu  Inkrustationen,  zu 
.Mosaiken  verwandt.  Die  kostbaren  Ohrpfiöcke  {xiuh-nacocIitU).  die  Diademe 
der  mexikanischen  Könige  {ßiukuitzolli)  wurden  in  dieser  AVeise  aus  Türkis- 
niosaik  gefertigt.  Wenn  also  für  chalchiuifl  und  adtiitl.  statt  der  eigent- 
lichen H.ier(»glyphe.  der  (legenstand,  den  man  bezeichnen  wollte,  gezeichnet 
wurde,  so  wurde  das  Wort  j;iuitl  durch  eine  inkrustirte  Scheibe  (vgl. 
Abb.  ö"^;,  das  Wort  chalchiuiü  dagegen  durch  ein  oder  zwei  aufgereihte 
Perlen  bezeichnet.  So  sehen  wir  es  in  den  Abb,  48,  40,  die  einer  Historia 
Mexicana  der  Aubin-Goupil' sehen  Sammlung  entnommen  sind  (Atlas 
Goupil-Boban,  PI.  60,  59).  Abb.  48  bezeichnet  daselbst  den  Stamm  der 
Chalca,    <ler    in    einer    entsprechenden  Darstellung    des    in    der  Kings- 


Abb.  51.  Abb.  52.  Abb.  53. 

Abb.  öl,  52.    Hieroglyphe  xiuitl  „Türkis".    —  Abb.  53.     Hieroglyphe  tfccatf  „Spiegel" 


Abb.  54. 


borougirschen  Sammlung  veröffentlichten  Codex  P)Oturini  durch  die 
Hieroglyj)he  c/ia/chniül  angezeigt  wird  (vgl.  oben  Abb.  43).  Abb.  49  gibt 
den  Namen  eines  der  vier  Barrios  von  Aztlan,  der  ebenfalls  Chalca  zu 
lesen  ist.  Auch  auf  dem  Lienzo  de  Tlascala  ist  die  Stadt  Chalco  durch 
eine  grosse  Perle  (Abb.  50)  gekennzeichnet.  Der  Vergleich  mit  diesen 
Figuren  macht  es,  glaube  ich,  zweifellos,  dass  die  Hieroglyphe  in  Feld  (i2 
der  Kolumne  A  (Abb.  42)  ebenfalls  Chalchiuh  zu  lesen  ist. 

Von  Personen  bleibt  in  der  Kolumne  A  noch  die  in  Feld  72  übrig 
(Abb.  54).  Die  Namenshieroglyphe  zeigt  deutlich  einen  Schild,  darüber  aber 
befand  sich  noch  etwas  anderes,  was  nicht  mehr  zu  enträthseln  ist.  von  dem 
nur  noch  ein  Paar  blaue  Farbenreste  übrig  sind.  Vielleicht  befand  sich 
darüber  eine  blaue  königliche  Stirnbinde.     Dann  würde  (Jmnaltecuhtli  s:e- 


im 


Zweiter  Abschnitt:    Hildorschrilteu 


lesen  wenleii  lunssoii.  F.iii  Mann  tlieses  Namens.  Hänptlinu  von  (  ali.vilulmd- 
can  wird  in  den  Anales  de  l' hi nialpahi n  unter  dem  .lalire  \4>>4  erwähnt. 
Kndlioh  ist  in  der  Kolumne  A  im  Feld  <>?<  noch  die  Hieroy:lyphe  eines;. 
Ortes  angegeben  (Alib.  .').'>.  S.  li»l).  Pfeile  sind  gegen  dieselbe  herauHiegend 
oder  in  derselben  steckend  gezeichnet.  Das  bedeutet  wohl,  dass  die  Er- 
o  l)er  u  ng  dieses  C)rtes  gemeldet  wercU'U  soll.  Die  Hieroglyphe  besteht  aus  der 
bekannten  Zeichnung  eines  Berges  (tepetl),  aus  einer  um  den  Gipfel  desselben 
gelegten  Perlenschnur  (=  cozcatl  Halsband)  und  einigen  (Tegenstäiiden 
auf  der  Spitze  des  Berges,  die  ich  nicht  mit  Sicherheit  deuten  kann  Der 
(legenstand.  der  die  eigentliche  Kuppe  des  Berges  bildet,  ist  braun  gemalt. 
und  schräge  Streifen  sind  deutlich  erkennbar,  zwischen  deneu  die  Farbe, 
wie  es  scheint,  eine  dunklere  ist.  Es  könnte  also  vielleicht  die  Hierogly}>he 
des  Steins  {tetPj  hier  dargestellt  werden  sollen.  Der  viereckige  Körj>er 
darüber  ist  schwarz  gemalt.  Und  der  könnte  vielleicht  ein  Stück  Obsidian 
{itzli)  bedeuten  sollen.     Wir   hätten   demnach   itz  —  te  —   cozca  —   tepe  — 


Abb.  56. 


Abb.  57.    Hieroglyphe  At(  pn-. 
(?odex  Mendoza  IG. 


J^^ 


Abb.  öS.    Hieri  :;lyphe 
Tznwprnirii.  Codex  Osana. 


oder  vielleicht  auch  (Jialduuh-itz-tc-teije-  als  Elemente  dieser  Hieroglyphe. 
Aus  diesen  Elementen  kann  ich  aber  keinen  mir  bekannten  Ortsnamen 
konstruiren. 

Ich  gehe    nun    über  zu   den  lv<dumuen  D  imd  E.   — 
In   der  Kolumne  E  sind,  wie  schon  oben  erwähnt,  in  den  Feldern  2*,i. 
8.-J.  44  drei  Häuptlinge  gezeichnet,  mit  ihren  Namenshieroglyphen  und  den 
Hieroglyphen  der  von  ihnen  regierten  Städte. 

In  Feld  29  (Abb.  ö<>j  zeigt  die  Hieroglyphe  der  Stadt  einen  Berg  {tepetl^. 
der  von.  wie  es  scheint,  im  Kreise  gehenden  Wasserströmen  gebildet  w-ird. 
Ein  Berg  aus  Wasser  würde  ^fe^^t-  gelesen  werden  können.  Unter  diesem 
Namen  ist  in  Codex  Mendoza  IG  unter  den  Eroberungen  des  jüngeren 
Motecuhcoma  eine  Stadt  verzeichnet,  die  daselbst  durch  die  Zeichnung 
eines  Berges  mit  einem  Wasserstrom  darauf  zum  Ausdruck  gebracht  ist 
(vgl.  Abb.  57),  die  der  Zapoteca  alta.  dem  Distrikt  Villa  .luarez  des  Staates 
Oaxaca  angehört.     Der  Berg  dient  aliei    in  den  mexikanischen  Stadthiero- 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


193 


glypheri  oft  oiufacli  dazu,  kundzugeben,  dass  es  sich  um  eine  Lokalität 
oder  einen  Ortsnamen  handelt,  also  zum  Ausdruck  der  Silbe  co  oder  can. 
Vgl.  z.  B.  im  Codex  Mendoza  die  Hieroglyphen  der  Stadt  Aztaquemecan, 
Quauacan,  Quauhijocan^  Chiconquiauhco  und  Nepopaalco  und  aus  dem 
Oodex  Osuna  die  von  Tzompayico  (Abb.  58),  Tlacopan^  Toltitlan  u.  a.  Er- 
wägen wir  dies,  so  wird,  da  das  Wasser  in  unserer  Hieroglyphe  im  Feld  29, 
wie  es  scheint,  im  Kreise  gehend  gezeichnet  ist,  vielleicht  Almoyauacan 
„wo  das  Wasser  im  Kreise  geht"  gelesen  werden  müssen.  Und  das  ist 
der  Name  einer  alten  Ortschaft,  die  in  dem  Ms.  Mexicain  Nr.  vi  der 
liibliotheqne  Nationale  zu  Paris  hinter  Uexotzinco  und  Xaltepetlapan  mit 
ihren  Barrios  (calpullz)  und  den  zu  denselben  gehörigen  Personen 
genannt  wird.  Dort  (vgl.  Abb.  'yd)  ist  das  im  Kreise  fliessende  Wasser 
zwar  deutlicher  gezeichnet  als  in  unserer  Hieroglyphe.    Da  aber,  wie  wir 


Abb.  59.     Hieroglyphe  Al»io//(iiiacrni. 
Ms.  Mexicain  Nr.  o.     Bibliotheque  Nationale. 


Abb.  (iO. 


sehen  werden,  die  beiden  folgenden  Hieroglyphen  ebenfalls  auf  Uexotzinco 
benachbarte  oder  befreundete  Gebiete  hinweisen,  so  glaube  ich,  dass 
eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  dafür  vorhanden  ist,  dass  die  Orts- 
liieroglyphe  in  Feld  29  Kolumne  E  (Abb.  56)  Almoyauacan  gelesen  werden 
muss. 

Der  Häuptling  des  Orts  ist  hieroglyphisch  durch  den  Kopf  eines 
Jaguars  bezeichnet.  Er  wird  also  Ocelotl  (Jaguar)  oder  Tequan  (Raubthier) 
geheissen  haben. 

Im  Feld  33  (Abb.  60)  ist  der  Ort,  der  hier  angegeben  werden  soll,  durch 
einen  blaugTün  gemalten  Busch  bezeichnet.  Auch  diese  Hieroglyphe  lässt 
leider  verschiedene  Deutungen  zu.  Einen  solchen  Busch  malten  die  Mexi- 
kaner, um  das  Wort  gacatl  „Gras"  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Vgl.  im  Codex 
Mendoza  die  Ortsnamen  (Mcatlan,  {'acatepec,  CacatoUan  (Abb.  61—63,  S.  194). 
Sie  malten  ihn  aber  auch,  wenn  sie  popotl  „Besen"  sagen  wollten.     Denn 

Seier,  Gesammelte  Abhandlangen  I.  Ig 


194 


Zweiter  Alischiiitt:    Bilderschriften. 


der  Besen  wurde  aus  einer  starren  Grasart  gemacht.  Vgl.  die  Hieroglyphe 
Popotlan  (Abb.  G4— (55).  Sie  malten  ihn  endlicli  auch,  um  die  grünen 
Büsche  zum  Ausdruck  zu  bringen,  die  nuiu  aaoyatl  nannte,  auf  denen  sie 
das  Blut  darbrachten,  das  bei  den  zu  Ehren  der  Götter  angestellten  Selbst- 
peinigungen floss.  Vgl.  die  Abb.  66,  womit  in  dem  Sahagun-Manuskript 
der  Bibliotheca  del  Palacio  die  Kultushandlung  acjcoyd-temaliztli  „das 
Niederlegen  der  grünen  Büsche  (vor  den  Idolen)"  zum  Ausdruck  gebracht 
ist.     Wir  hätten  also,    um   unsere  Hieroglyphe   in  Feld  33  zu  deuten,    die 


Abb.  Gl.    Hieroglyphe 

Vacatlaii. 

Codex  Mendoza. 


Abb.  62.   Hieroglyphe 

Vacatepfv. 

Codex  Meudoza. 


Abb.  63.    Hieroglyphe 

Cai-afolhoi. 

Codex  Mendoza, 


Abb.  €4.    Hieroglyphe 

Popotlan. 

Codex  Mendoza. 


Abb.  65.   Hieroglyphe 

Popotlan. 

Codex  Boturini. 


Al^b.  66.    acTOj/atemaliztli. 
Sahagim  -  Ms.     Bibl.    del 
Palacio. 


AVahl  zwischen  Cacatlan,  Popotlan.  Acuotlan  —  sämmtlich  bekannte  Orts- 
namen, die  in  Frage  kommen  könnten.  Hier  ist  nun,  glaube  ich,  Popotlan 
ausgeschlossen.  Denn  bei  dieser  Hieroglyphe  ist  in  der  Regel  das  Band^ 
das  die  Büschel  zum  Besen  zusammenbindet,  ano-eo-eben.  Aber  zwischen 
( acatlan  und  Acxotlan  könnten  wir  schwanken.  Ein  Ort  (Jacatlan  wird 
in  der  Chronik  des  Tepopomoc  ziemlich  regelmässig  zusammen  mit 
Uexotzinco,  Tla.ccallan,  Tliliuhquitejjec  und  Cholollan  genannt.  Und  auch 
die  Anales  de  Chimalpahin  erwähnen  neben  einander  Chichimeca,  Tenmica., 
Luivcoca,   Temimilolca.,    Yhuipaneca,  ( acanca.     Acxotlan   war    eins    der  vor- 


4.    Die  moxikanischon  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


195 


-^^1%, 


Abb.  67. 


nehinsteii  Barrios  von  Chalco.  Für  die  letztere  Deutung  würde  —  viel- 
leicht —  sprechen,  dass  das  Gras  (^acatl)  in  den  Ortsnamen  in  der  Regel 
mit  iJ^elber  Farbe  angegeben  ist,  während  dem  Busch  (acroyatf)  wohl  von 
Natur  grüne  Farbe  zukommt. 

Die  Hieroglyphe  des  Fürsten  dieser  Stadt  (Abb.  60)  ist  in  der  Zeichnung 
im  Kingsborough  wieder  ganz  unverständlich.  Das  Original  lässt,  mit  einiger 
Mühe  zwar,  aber  doch  deutlich,  den  Kopf  eines  Hirsches  (macatl)  erkennen, 
mit  gelb  gemaltem  Augenlid  und  blauem,  einer  gelben 
Basis  aufsitzendem  Geweih  —  ganz  ähnlich  der  Art, 
wie  in  der  Kolumne  A  das  Tageszeichen  macatl  gezeichnet 
und  oefärbt  ist.  Darüber  sind  zwölf  kleine  verschieden 
gefärbte  und  in  Abtheilungen  von  5,  5  und  2  geordnete 
Kreise  zu  sehen.  Das  ist  zweifellos  die  Bezeichnung  der 
Ziffer  12  (matlactlt  oniome).  Die  hier  gezeichnete  Person 
ist  also  mit  dem  Namen  eines  Tages  —  matlactli  omome 
macatl  „zwölf  Hirsch"  —  der  vielleicht  der  Tag  seiner 
(Joburt  war,  oder  sonst  eine  Beziehung  zu  ihm  hatte, 
genannt. 

Im  Feld  44/45  endlich  (Abb.  67)  soll  die  mit  Zinnen  gekrönte  Mauer  unter 
der  Figur  des  Häuptlings  zweifellos  den  Ortsnamen  Tenanco  „am  Ort  der 
Kinzäunungen"  wiedergeben.  Die  Namenshieroglyphe  des  Häuptlings  ist 
im  Kingsborough  wiederum  ganz  unverständlich,  ausserdem 
fälschlich  mit  grüner  Farbe  gemalt.  Im  Original  ist  keine 
Spur  von  Farbe  zu  sehen.  Mit  einiger  Mühe  erkennt  mau 
den  behaarten  Kopf  eines  Thiers.  Yermuthlich  ist  ein 
Kaninchen  (tochtli)  gemeint.  So  muss  also  wahrscheinlich  der 
Name  gelesen  werden. 

Vom  Felde  4B  an  ist  auch  die  Kolumne  K  mit  sachlichen 
Eintragungen  ausgefüllt.  Die  sich  auf  Personen,  Regierende 
und  dergleichen  beziehenden  Nebenbemerkungen  konnten  nur 
mühsam  dazwischen  eingeschoben  werden,  und  der  Schreiber 
hat  sie  sämmtlich  in  der  Kolumne  D  untergebracht.  —  Man 
sieht  hier  zunächst  im  Felde  HO  ein  Mumienbündel  und 
daneben  (Abb.  ()8)  eine  Hieroglyphe,  die  in  der  Zeichnung  in 
Kingsborough  absolut  unverständlich  ist,  die  aber  im  Original 
und  auch  in  unserer  Reproduktion,  mit  einiger  Mühe  zwar,  aber  doch 
deutlich  als  der  Kopf  eines  Raubthiers  zu  erkennen  ist,  mit  vorgestreckter 
Zunge.  Wir  werden  sie  Oceloil  „Jaguar^'  lesen  und  annehmen  müssen,  dass 
hier  der  Tod  des  Königs  gemeldet  wird,  den  wir  in  der  Kolumne  E  im 
Felde  29  (vgl.  Abb.  56  S.  192)  verzeichnet  fanden. 

Es  folgt  dann  in  Feld  61  eine  sitzende  Figur  (Abb.  69),  deren 
llau})t  nicht  mit  der  fürstlichen  Binde,  dem  ociuhuitzolli  geschmückt  ist, 
und  die  das  Haar  hinten  lang  herabfallend  und    mit  einem  Riemen  um- 


Abb.  68. 


Abb.  6i). 


196 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


wunden  trägt,  nach  Art  der  Priester.  Als  Xamenshieroglyphe  steht  da- 
hinter ein  Kaktuszweig.  Kaktuszweige,  allerdings  mit  der  Blüthe  darauf, 
sieht  man  in  dem  Personalregister  von  Uexotzinco  und  Xaltepetlapan 
(Ms.  Mexicain  Kr.  3  Bibl.  Nat.  Paris)  nicht  selten  (vgl.  Abb.  70).  Sie 
bezeichnen  dort  den  Namen  Nochuetl^  der  auch  in  den  Anales  de  Chimal- 
pahin  mehrfach  erwähnt  wird.  Ein  Kaktuszweig,  in  Verbindung  mit 
einem  Pfeil,  ist  ebendort  gebraucht,  den  Namen  Tziuac  mitl  wiederzugeben 
(Abb.  71).     Es  scheint  also,  dass  mit    Tziuactli  eine  Kaktusart  bezeichnet 


Abb.  70.    Xochiietl.    Ms.  Mexicain  Nr.  3.     Bibliotheque  Nationale. 

ward.  Auch  dieser  Name,  der  übrigens  gleichfalls  in  den  Anales  de 
Chimalpahin  vorkommt,  könnte  hier  durch  die  Hieroglyphe  in  Feld  61 
Kolumne  D  ausgedrückt  sein. 

In  der  Hieroglyphe,  die  das  Mumienbündel  in  Feld  64  Kolumne  D 
(Abb.  72)  begleitet,  glaubte  ich  seiner  Zeit  den  Kopf  eines  Hirsches  und 
ein  aufgerichtetes  Federbüschel  zu  erkennen.  Der  Hirsch  heisst  ma^atl 
und  das  aufgerichtete  Federbüschel  müsste  quetzalli  gelesen  werden.  Ich 
glaubte  deshalb  hier  den  Namen  ma^aquetzal,  einen  aus  den  Anales  de 
Chimalpahin,    d.  h.  dem   Gebiet  von  Chalco,   Tlalmanalco,  Amaquemecan, 


Abb.  71.    Tziuac  mitl.    Ms.  Mexicain  Nr.  3. 
Bibliotheque  Nationale. 


Abb. 


wohl  bekannten  Fürstennamen  annehmen  zu  müssen.  Man  erkennt  indes 
unschwer,  dass  hier  in  unserer  Handschrift  bei  dem  Hirsch  allgemein  das 
Geweih  in  einer  Art  gezeichnet  ist,  dass  man  es  für  ein  aufgerichtetes 
Federbüschel  nehmen  könnte.  So  bin  ich  nachträglich  zu  der  Erkenntniss 
gekommen,  dass  die  Hieroglyphe  der  Figur  Abb.  72  einfach  einen  Hirscli- 
kopf  bezeichnet,  also  ma<;atl  zu  lesen  ist.  Und  ich  meine,  dass  dieses 
ma^atl  für  matlactli  omome  magaü  steht,  d.  h.  dass  hier  der  Tod  des 
Fürsten  gemeldet  ist,  den  wir  in  der  Kolumne  E  in  Feld  33  (Abb  60 
oben  S.  193)  verzeichnet  fanden. 

Die  in  Feld  65    der  Kolumne   D  folgeude  Figur    endlich    (Abb.  73) 
ist  mit  einer  Hieroglyphe  bezeichnet,   die   sich  deutlich  als  das  Bild  einer 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt'«.  197 

Schlange  kundgibt.  Der  Kopf  liegt  links  oben.  Er  ist  weiss  gelassen. 
Die  an  der  Spitze  gespaltene  Zunge  ist  deutlich  aus  dem  Munde  hervor- 
kommend zu  erkennen.  Der  Leib  ist  gelb  gemalt.  Am  Ende  scheint  eine 
Schwanzklapper  gezeichnet  worden  zu  sein,  die  wie  der  Kopf  weiss  ge- 
lassen ist.  Der  Name  dürfte  also  Couatl  „Schlange"  gelesen  werden  müssen. 
Kommen  wir  imn  zum  Schluss  noch  einmal  auf  die  Frage  des  Ursprungs 
der  Handschrift  zurück,  so  sehen  wir,  die  Analyse  der  Hieroglyphen  führt 
nicht  zu  einem  zweifellosen  Ergebniss.  Die  wichtigste  Hieroglyphe,  der 
Ortsnamen  im  Feld  68  Kolumne  A  (Abb.  55  oben  S.  191)  ist  nicht  mit 
Sicherheit  zu  deuten.  Die  anderen  Ortsnamen  sind  zwar  einigermassen 
«icher  zu  bestimmen.  Sie  lassen  aber  Zweifel  insofern  zu,  als  Orte  Namens 
Tenanco,  Cacatlan  in  verschiedenen  Gegenden  vorkommen.  Immerhin  glaube 
ich,  dass  die  Vereinigung  der  drei  Namen  Tenanco,  Cacatlan  (oder  Acxotlan) 
und  —  vielleicht,  wenn  meine  Deutung  richtig  ist,  —  Almoyauacan^  auf 
eine  bestimmte  Gegend  hindeuten,  das  Land  der  Uexoizinca  und  der  Chalca^ 
die  Thäler  und  die  Bergabhänge  am  östlichen  und  am  westlichen  Fuss 
der  Vulkane,  des  FopocatepetVs  und  der  Iztacciuatl.  In  dieser  Gegend 
führten  ja  auch,  wie  wir  aus  Chimalpahin  wissen,  verschiedene  Ge- 
schlechtsliäupter  den  Titel  teohua  teuhctli  „Priesterfürst".  Und  Negaual- 
<;oyotl  und  der  grosse  Motecuh^oma^  der  Aeltere,  kamen  dorthin,  um  den 
siegverbürgenden  Fetisch,  das  oüanamitl  teueuelU^  die  vier  Bambus- 
pfeile und  den  Schild  des  Kriegsgottes,  von  den  Geschlechtsfürsten  zu  er- 
langen. Nun  glaube  ich  allerdings  nicht,  dass  der  „Monte  Sacro",  das 
berühmte.  Heiligthum  von  Amaquemecan  selber,  dasjenige  war,  auf  das 
-sich  unsere  Handschrift  bezieht,  denn  dann  müssten  wir  die  Personen- 
namen aus  Chimalpahin  verifiziren  können.  Aber  ausser  dem  grossen 
Heiligthum  wird  es  noch  genug  andere  dort  und  in  der  näheren  und 
ferneren  Nachbarschaft  gegeben  haben.  Hoffen  wir,  dass  aus  den  zahl- 
reichen Aufzeichnungen,  die  in  dem  ersten  Jahrhundert  nach  der  Con- 
quista  gemacht  worden  sind,  einmal  etwas  an  den  Tag  kommt,  das  die 
Personen  und  die  Orte  unserer  Handschrift  mit  grösserer  und  jeglichen 
Zweifel  ausschliessenden  Sicherheit  feststellen  lässt. 


II. 


Ein  68  cm  langer,  40  cm  breiter,  auf  der  einen  Seite  mit  Zeichnungen 
und  Schrift  versehener  Streifen  Agave-Papier.  Es  ist  das  Blatt,  welches 
Alexander  von  Humboldt  in  den  „Vues  des  Cordilleres  et  Monuments 
des  Peuples  indigenes  de  l'Amerique"  unter  dem  Titel  „Genealogie  des 
Princes  d'Azcapotzalco""  beschrieben  hat. 


198  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Die  Zeichnungen  dieses  Blattes  füllen  einen  geradlinig  begrenzten 
Raum,  auf  dessen  rechter  Seite  ein  Weg  mit  Fussspuren,  auf  dessen  linker 
Seite  ein  ^A'asse^  (Strom  oder  Seerand),  durch  Wellen-  uml  Wirbelzeichnung 
und  hellblaue  Farbe  bezeichnet,  in  der  ganzen  Länge  des  Blattes  ver- 
laufen. Nahe  dem  unteren  Rande  führt  ein  zweiter  Weg  rechtwinklig  an- 
setzend, quer  über  das  Blatt  von  dem  ersten  Weg  zum  Wasser.  Und  in 
der  Mitte  des  Blattes  ungefähr  zieht  ebenfalls  rechtwinklig  einsetzend  ein 
schmales  Wasser  in  ähnlicher  Weise  quer  über  das  Blatt.  Der  ganze 
Raum  oberhalb  des  unteren  Wegs  ist  durch  wagerechte  Striche  in  '27 
Felder  getheilt.  die  aber  vom  17.  ab,  in  Folge  eines  links  ansetzenden 
und  schräg  nach  rechts  und  oben  verlaufenden  Grenzstriches  an  Länge  ab- 
nehmen. In  einem  dieser  Felder,  dem  4.  vom  unteren  Weg  aus  gerechnet, 
verläuft  quer  über  das  Blatt  eine  Reihe  dunkler  mit  Punkten  und  wink- 
ligen Linien  erfüllter  Figuren.  In  dieser  Weise  wird  in  der  Bilderschrift 
der  Mexikaner  der  Begriff  tlalli  oder  r/ulli  ,.Erde''  oder  ^Feld"  zur  An- 
schauung gebracht.  Die  übrigen  Felder  sind.  —  bis  auf  zwei,  die  leer 
sind,  und  ein  drittes,  in  das  eine  Art  Randbemerkung  geschrieben  ist  — 
jedes  mit  dem  Kopf  und  der  Namenshieroglyphe  einer  bestimmten  Person 
versehen. 

Schon  diese  allgemeine  Anordnung  des  Blattes  lässt  erkennen,  dass 
wir  es  hier  schwerlich  mit  einer  Genealogie,  wie  Humboldt  annahm,  zu 
thun  haben.  Die  ganze  Anordnung  erweckt  vielmehr  die  Vorstellung  eines 
Katasters,  einer  Flurkarte  oder  eines  Grundbuches.  Lnd  das  wird  in  der 
That  durch  die  Schrift,  die  in  dem  untersten  Abschnitt  unterhalb  des 
unteren  Weges  sich  findet,  erwiesen. 

In  dieser  Abtheilung  sehen  wir  nämlich  rechts  das  Bild  des  Königs 
MotecuhQoma  (vgl.  unten  Abb.  74),  des  neunten  Königs  der  Mexikaner. 
Xocoyotzin  „der  junge"  genannt,  im  Gegensatz  zu  Leue-Motecuhcoma.  dem 
alten  Motecuhroma,  dem  fünften  König  der  Mexikaner,  der  mit  anderem 
Namen  Ilhuicaviina  -der  nach  dem  Himmel  schiessende^  heisst.  Links 
findet  sich  das  Bild  einer  aus  Stroh  oder  Rohr  erbauten  (gelb  geraalten) 
Hütte  über  einem  weissen  Kreise  (Abb.  84  unten  S.  ^O^).  Und  zwischen  dem 
Bild  des  Königs  und  der  Figur  der  Hütte  sieht  man  die  Worte:  —  y  xacallo 
ramaca  y  tlatovani  motecuhcomatzin  mochi  ytonal  catca.  —  In  diesem  Satze  habe 
ich  früher  das  Wort  camaca  als  einen  Eigennamen,  als  Name  einer  Lokalität, 
angesehen.  Das  scheint  jedoch  nicht  richtig  zu  sein.  In  der  That  ist 
eine  Lokalität  dieses  Namens  mir  weder  in  der  Nähe  der  HauptstaiJt 
Mexico,  noch  anderwärts  bekannt  geworden.  Es  scheint  vielmehr.  da>s 
man  c-a-mat-a  zu  trennen  hat  und  darnach  zu  übersetzen:  —  ..seine  Land- 
häuser (Meiereien),  die  dem  König  Motecuhcoma  das  Wasser  liefern  (ihn 
mit  Getränk  versorgen),  die  ihm  alle  gehörten  "  —  Für  das  Wort  a-maca 
in  dieser  Bedeutung  vergleiche  man  das  von  Molina  angegebene  teamaca. 
teamacac    oder  teamacani    ,.paje    de   copa."      Es    kann    sich    einerseits    um 


4.    Die  niexikanischeii  Bilderschriften  Alexander  von  HnmboMfs. 


1!)9 


Meiereien  handeln,  die  in  Wirklichkeit  das  Getränk  für  den  königliehen 
Hof  zu  liefern,  oder  die  Kosten  für  dasselbe  aufzubringen  hatten.  Es 
können  aber  auch  Güter  gemeint  sein,  deren  Inhaber  am  Hofe  das  Amt 
eines  Mundschenk  hatten.  Denn  wir  wissen  ja  ans  Torquemada^),  dass 
Motecuh^ovia  für  seinen  persönlichen  Dienst  nur  Leute  vornehmer,  fürst- 
licher Abkunft  zuliess,  die  jedenfalls  für  ihren  Dienst  mit  bestimmten 
Ländereien  ausgestattet  waren.  —  Das  AVort  tonalli,  das  hier  vorkommt, 
heisst  eigentlich  „Gluth,  Sonnenwärme,  Sommer'''. S  Dann  aber  weiter  „der 
Charakter  eines  Tages  oder  eines  .lahres,  oder  deren  Zeichen",  d.  h.  eines 
der  20,  bezw.  4,  Bilder,  mit  denen  die  Mexikaner  ihre  Tage  und  ihre  Jahre 
bezeichneten.  Daraus  folgt  als  abgeleitete  Bedeutung  „(has  durch  den  Tag 
der  Geburt  bestimmte  Geschick"  und  endlich  allgemein  „das  Jemandem 
Bestimmte,  Zugewiesene,  sein  Antheil,  sein  Loos".  So  gibt  Molina  in 
seinem  Wörterbuche  an:  te-tonal  „racion  de  alguno,  ö  cosa  dipntada  para 
otro";  und  tlalli  te-tonal  „snerte  de  tierra  agena". 


Abb.  74.    Motecuhgoiiia  Xocof/otziu. 
Humboldt- Handschriften  II. 


Abb.  7.5.    König  von  Mexico. 
Sahagun-Ms.    Academia  de  la  Historia. 


Ich  gehe  nun  zur  Beschreibung  der  einzelnen  Bilder  und  Hieroglyphen 
über.  —  Der  König  Motecuhcoma  in  der  untersten  Abtheilung  des  Blattes, 
unterhalb  des  unteren  Querwegs  (Al)b.  74),  ist  in  ganzer  Figur  auf  dem  mit 
Rückenlehne  versehenen,  übrigens  gleich  den  anderen,  aus  Rohr  geflochtenen 
Stuhle  (tepotzoicpalli)  sitzend  dargestellt.  Er  ist  in  das  blaue  königliche 
Gewand  (,^^W^i^Y»^a^Z^) gekleidet,  das  durchbrochen  gewebt  und  mit  einer  rothen 
Aügenborte  {tenchünauayo),  die  wohl  aus  Federarbeit  hergestellt  zu  denken 
ist,  versehen  ist.  Auf  dem  Haupte  trägt  er  die  Binde  aus  Türkismosaik 
{xiuhtzontli  oder  ,duliuitzolli  genannt).  Vor  dem  Munde  ist  ein  blaues 
Züngelchen  angegeben,  das  Zeichen  der  Rede  und  der  Herrschaft  (tlahtouani 
„der  Redende"  und  „der  König").  Fast  genau  ebenso  sind  in  dem  Sahagun- 
Manuskript  der  Academia  de  la  Historia  die  mexikanischen  Könige  ge- 
zeichnet (vgl.  Abb.  75).     Xur  dass  hier   noch   der  Stab   aus   Türkis  {.duh- 


1)  Monarquia  Indiana  II.  cap.  6!i. 


200 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


yacaviitl)  angegeben  ist,  den  die  mexikanischen  Könige,  wenn  sie  Festtracht 
anlegten,  als  auszeichnenden  Schmuck  in  der  durchbohrten  Nasenscheide- 
wand trugen.  Dem  Sahagun-Manuskript  habe  ich  auch  die  Ausdrücke 
entnommen,  die  ich  eben  für  die  verschiedenen  Bestandtheile  der  mexi- 
kanischen Königstracht  angegeben  habe. 

Motecuhvovia  heisst  „der  erzürnte  Herr'^.  Den  Begriff  „erzürnt" 
konnten  die  Mexikaner  hieroglyphisch  nicht  gut  wiedergeben;  wohl  aber 
den  Begriff  tecuhtU  „Herr,  Fürst".  Um  diesen  Begriff  auszudrücken, 
zeichneten  und  malten  sie  einfach  die  Türkisstirnbinde  {diuhtzontli.  xiuh- 
uitzolli),  das  Abzeichen  der  Könige.  So  finden  wir  denn  in  der  That  so- 
wohl   den    älteren    als    den   jüngeren  Motecuhcoma    hieroglyphisch    einfach 


Abb.  76.    Hieroglyphe 

Upue-MofeiiüicO)H(/. 

Cod.  Tell.-Rem.  f.  ;)4 

verso  (=  Kings- 
borongh  IV,    12). 


Abb.  TT,    Hieroglyphe 

Moffcuhcoina 
Xoro'/of:in.  Cod.  Tell.- 
Rem.  f.  41  (=  Kings- 
borough  IT,  1^>). 


Abb.  78.    Hieroglyphe 

Moteciihconia  Ilhiiicawina. 

Codex  Mendoza  7. 


Abb.  79.    Hieroglyphe 

Motecuhcoina  Xoroi/oizin . 

Codex  Mendoza  l-l. 


Abb.  SO.    Hieroglyphe 

Moteciihconia  Xocoi/ofzhi . 

Sahagun-Ms. 

Academia 

de    la    Historia. 


Abb.  81.    Hieroplyphe 

Tiror/r. 

Sahagun-Ms. 

Academia 

de   la   Historia. 


durch  das  aduhtzontli  hezeichnet  Ygl.  die  Abb.  76,  77  aus  Codex  Telleriano- 
Remensis  f.  34  verso  (=  Kingsborough  IT.  12)  und  f.  41  (=  Kings- 
bor ough  1\.  16).  An  ersterer  Stelle  ist  der  alte,  an  letzterer  der  junge 
Motecuhroma  gemeint.  In  der  Regel  indes  wird,  um  Verwechselungen 
vorzubeugen,  der  ältere  Motecuhroma  hieroglyphisch  durch  einen  im  Bild 
des  Himmels  steckenden  Pfeil  (Abb.  78)  bezeichnet,  eine  Hieroglyphe, 
die  seinen  anderen  Namen  llhuicamina  „der  nach  dem  Himmel  schiessf 
wiedergibt.  Der  jüngere  Motecuh{;oma  dagegen  wird  genauer  durch  das 
besondere  Element  neben  der  königlichen  Stirnbinde  bezeichnet,  das 
in  der  Hieroglyphe  unserer  Figur  sowohl,  wie  in  den  Abbildungen  79 
(Codex  Mendoza)  und  80  (Sahagun-Manuskript  Academia  de  la  Historia)  zu 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


201 


^ehen  ist.  Wie  dies  Element  dazu  kommt,  ein  Ausdruck  für  den 
Begriff  .vocoyotl  „der  jüngere"'  zu  sein,  kann  icli  nicht  mit  Bestimmtheit 
angeben,  und  erwähne  nur,  (hiss  ein  ähnliches  Element  in  dem  Sahagun- 
Manuskript  der  Academia  de  la  Historia  an  dem  mit  weisser  Farbe  ge- 
malten und  schwarz  punktirten  Bein  zu  sehen  ist,  das  den  Namen  des 
siebenten  mexikanischen  Königs,  Tigoc  oder  Ti^ocic  (Ticocicatzin)  wieder- 
gibt (vgl.  Abb.  81).  Dass  die  Abb.  82,  die  auf  dem  grossen  sogenannten 
Kalenderstein  in  dem  Zwickel  oben  links  sich  findet,  eine  Hieroglyphe 
Motecuh('omas  sein  soll  —  wie  oft  angenommen  wird  —  ist  mir  noch 
sehr  zweifelhaft.  Das  a;iuhtzontli  ist  hier  mit  der  Brustplatte  des  Peuer- 
gottes  kombinirt.  An  entsprechender  Stelle  in  den  drei  anderen  Zwickeln 
sind  die  Daten  1  tecpatl,  1  quiauitl,  7  ogomatli  angegeben,  die  wie  es 
scheint,  ebenfalls  bestimmte  (lottheiten  bezeichnen.  Ich  meine  umgekehrt, 
dass  der  König  Motecuhf;(y>na  seinen  Namen  von  einem  der  Beinamen 
des  Feuergottes  erhalten  hat.  Denn  ,,el  Senor  enojado'',  „der  zornige 
Herr"    —    das    ist    die    Bedeutung    des    Namens   Motecuhgoma    —    ist    ein 


Abb.  S2. 


Abb.  ,S3. 


passendes  Beiwort  des  Gottes  des  verzehrenden  Feuers.  Dagegen  glaube 
ich  die  Hieroglyphe  des  jüngeren  Motecuh^oma  bestimmt  zu  erkennen 
in  der  Abb.  83,  die  sich  auf  der  Innenseite  des  Deckels  einer  Aschenkiste 
findet,  der  auf  der  Aussenseite  (Oberseite)  das  Datum  11.  tecpatl  trägt^ 
Penafiel  hat  in  seinen  „Monumentos  del  arte  mexicano"  diese  Kiste  ver- 
öffentlicht, und  er  erklärt  die  Hieroglyphe  als  die  des  Königs  Ne^aualpiUi 
von  Tetzcoco,  der  im  Jahre  11.  tecpatl  =  A.  D.  151G  gestorben  sei.  Allein 
erstens  ist  das  Todesjahr  Necaualpüli's  gar  nicht  einmal  sicher  fest- 
gestellt. Nach  Chimalpahin  wäre  er  ein  Jahr  zuvor,  im  Jahre  10  acatl  = 
1515  gestorben.  Und  dann  hat  die  Hieroglyphe  in  der  That  mit  den 
Elementen  des  Namens  Ne^aualpüli  absolut  nichts  zu  thun.  Dagegen 
scheinen  alle  Elemente,  die  in  dem  Namen  Motecuh^oma  enthalten  sind, 
in  dieser  Figur  zum  Ausdruck  zu  gelangen:  —  Die  königliche  ötirnbinde 
gibt  das  Element  tecuh  „Fürst".  Das  Züngelchen  (Symbol  der  Rede)  mit 
davon  aufsteigenden  Rauchwolken  scheint  das  Element  mo-i^oma  „erzürnt" 
zum  Ausdruck  zu  bringen,  gewissermassen  flammende  Rede.  Das  Element 
endlich,    das  wir  in   den  Hieroglyphen  Abb.  71),  80    kennen    lernten    und 


•_>02  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

auch  in  der  Hieroijh']iho  unserer  Handschrift  sehen,  ist  auch  liier  deutlich 
enthalten  und  gibt  den  Beirriif  .vocoyotl  wieder. 

Gegenüber  der  Figur  Motecuhroma's  ist  in  uiisfrer  Handschrift  das 
Bild  eines  Strohhauses,  einer  aus  Rohr  erbauten  Hütte,  zu  sehen  (Abb.  84). 
iiacalli  auf  mexikanisch  <,^enanut  —  oder  jacaL  wie  man  noch  heute  in 
Mexico  sagt.  Der  Kreis  darunter  hat  wohl  eine  Beziehung  zu  den  Orten. 
die  hier  geraeint  sind,  die  ich  aber  nicht  näher  erklären  kann. 

Was  die  Gegend  betrifft,  wo  wir  die  hier  verzeichneten  Fluren  zu 
suchen  haben,  so  bin  ich  geneigt,  an  eine  nordwärts  von  Azcapotzalco 
nach  Guadalupe  zu  gelegene  Feldmark  zu  denken.  Azcapotzalco  war  ja 
die  erste  der  von  Mexico  niedergetretenen  Städte,  und  es  wird  aus- 
drücklich berichtet,  dass  die  Läudereieu  von  Azcapotzalco  unter  die 
Grossen  von  Mexico,  den  König  voran,  aufgetheilt  wurden.  In  der  That 
ist  auch  dort  am  Fuss  der  Berge  fruchtbares  Ackerland  vorhanden,  und 
Wasseradern  durchziehen  es,  die  von  Tliliuhiacan,  Tlalnepantla  und 
Atizapam    herunterkommen.      Das    links    auf   unserem    Blatte    gezeichnete 


Abb.  S4.  Abb.  85.  Abb.  ^6.    -inauhicniotzhi. 

Wasser  könnte  der  Seerand,  und  die  an  der  rechten  Seite  des  Blattes  ver- 
laufende Strasse  die  sein,  die  au  dem  Südfuss  der  Berge  von  Tenayocan 
und  Guadalupe  sich  hinzog. 

Auf  der  rechten  Seite  unseres  Blattes  ist  endlich  noch  ausserhalb  des 
Weges  eine  Figur  gezeichnet  (Abb.  85),  die  wie  es  scheint,  eine  Art  Kasten 
darstellt,  mit  einem  mecapalli  versehen,  dem  breiten  strohgeflochtenen  Band, 
das  über  die  Stirn  gelegt  wnrde.  und  mittels  dessen  die  auf  dem  Eücken 
ruhende  Last  getragen  wurde.  Vielleicht  soll  hiermit  ländliches  Arbeits- 
geräth  zur  Anschauung  gebracht  werden. 

Oberhalb  der  Figur  Motecuhroma's  geht,  wie  ich  angab,  die 
Zeichnung  eines  Weges.  Die  Figuren,  die  auf  ihm  und  auf  dem  Wege  an 
der  rechten  Seite  des  Blattes  zu  sehen  sind,  sind  die  in  der  That  recht 
naturalistische  Wiedergabe  des  Abdrucks  eines  nackten  Fusses,  der  Sohle 
und  der  fünf  Zehen,  im  Sande  oder  in  anderem  lockeren  Material.  Diese 
Fussspuren  werden  allgemein  in  der  mexikanischen  Hieroglyphenschrift 
zur  Bezeichnung  eines  Weges  oder  des  Zurücklegeus  eines  Weges,  der 
Wanderung,  der  Bewegung  in  einer  bestimmten  Richtung,  gebraucht. 

Die  einzelnen  Abtheilungen  oder  Felder  oberhalb  dieses  Querweges 
will  ich  von  unten  nach  oben  fortlaufend  mit  den  Ziffern  1 — 27  bezeichnen. 


i.    Dio  mexikanischen  Bildorschviften  Alexander  von  Humholdt's.  ^OH 

Yon  Wichtigkeit  sind  zunäclisit  die  Abschnitte  7  und  8.  In  Feld  7  sehen 
wir  oben  eine  Hieroglyphe,  die  ich  nachher,  in  der  Keihe  der  übrigen,  be- 
sprechen will.  Daneben  (Abb.  86)  den  mit  der  königlichen  Stirnbinde  ge- 
schmückten Kopf  und  die  Hieroglyphe  des  tapferen  Quauhtemoc,  dem  nach 
dem  Tode  Cuitlauac  ^  die  Mexikaner  das  Amt  des  Königs,  d.  li.  des  obersten 
Kriegshäuptlings,  übertrugen.  Motecul^'oma  und  Cuitlauuc  waren  Söhne 
Au-ai/acatra  gewesen,  des  sechsten  Königs  der  Mexikaner.  Quauhtemnc 
war  ein  Sohn  Auitzotrs,  des  achten  Königs  der  Mexikaner.  Und  ihm 
wurde  die  Herrschaft  übertragen,  obwohl  nähere  Agnaten  vorhanden  waren. 
In  Mexico  war  eben  für  die  Nachfolge  in  der  Herrschaft,  wie  in  (\en 
anderen  hohen  Staatsämtern,  die  Geburt  nur  zum  Theil  von  Einfluss. 
Es  ist  bekannt,  wie  Quauhtemoc  '.»0  Tage  lang  heldenmüthig  die  Stadt 
Mexico  gegen  C  ort  es  und  die  europäische  Kriegskunst  vertheidigte.  Seine 
(Tefangennahme,  die  an  dem  im  vorigen  Kapitel  erörterten  Datum  ce  couafl 
i/ei  calli  =  13.  August  1.V2I  erfolgte,  machte  dem  Kriege  ein  Ende.  Cortes 
behandelte  ihn  Anfangs  freundlich,  liess  ihn  aber  später  —  nach  einer 
Randbemerkung  im  Chi  mal  pah  in  wäre  das  am  Tage  l.  ocelotl,  d.  h.  wie 
die  Rechnung  ergibt,  169  Tage  später,  gegen  Ende  des  Jahres  1521,  ge- 
schehen —  mit  vier  anderen  einflussreichen  Mexikanern  gefangen  nach 
Coyouacan  führen  und  versuchte  durch  die  Folter  von  ihnen  herauszu- 
bringen, wo  die  Schätze  geblieben  waren,  die  die  Spanier  bei  ihrer  Fluclit 
im  Jahre  zuvor  in  Mexico  hatten  zurücklassen  müssen.  Quauhtemoc 
wurde  nachher  getauft  und  nach  seinem  Pathen  D.  Hernando  de  Alva- 
rado  Quauhtemoctzm  genannt.  Cortes  beliess  ihn  als  Governador  von 
Mexico,  liess  ihn  aber  nachher,  nebst  den  Königen  von  Tlacopan  und 
Tetzcoco,  Tetlepanquetzatzin  und  ('ouanacochtzin.,  wegen  Verdachts  der 
Konspiration  liängen.  Das  geschah  im  dahre  1524,  in  Ueimollun,  auf 
dem  Zuge  nach  Honduras.  „Er  starb  in  gewisser  Weise  als  Christ"  (ije 
ifuhqui  ije  christumoyotica  iiiomiquüli)  sagt  Chimalpahin.  „Man  hatte  ihm 
ein  Kreuz  in  die  Hand  gegeben,  seine  Füsse  mit  eisernen  Ketten  zu- 
sammengebunden, damit  hieng  man  ihn  an  einem  Ceiba-Baume  auf."  Die 
Exekution  ist  auf  Blatt  138  des  Codex  Yaticanus  A  dargestellt.  Hier  ist 
er  aber  in  regulärer  Weise  am  Halsj  aufgehängt  abgebildet.  Aus  den 
Worten  Chimalpahin "s  scheint  indes  hervorzugehen,  dass  man  ihn  in 
grausamer  Weise  an  den  Füssen  aufhängte. 

Die  Hieroglyphe  Quauhtemoc  „herabfliegender  Adler"  ist  in  dem 
Feld  7  unserer  Handschrift  durcli  den  Kopf  eines  Adlers  und  eine  nach 
abwärts  gerichtete  Fussspur  dargestellt  (Abb.  86).  In  dem  Sahagun- 
Manuskript  der  Academia  de  la  Historia  ist  dafür  ein  ganzer  nach  unten 
fliegender  Adler  gezeichnet.  (Abb.  87,  S.  204).  In  Codex  Yaticanus  A 
fol.  88  verso,  fol.  89  (=  Kingsborough  137,  138)  ein  herabfliegender 
Adler  und  nach  unten  gerichtete  Fussspuren.     (Abb.  88a,  88b,  S.  204). 


204 


Zweiter  Abschuitt:    Bilderschriften. 


Auf  den  Tod  Quauhtentoc'^  nun  bezieht  sich  aueli  die  Bemerkuutr, 
die  in  dem  folgenden  achten  Felde  unserer  Handschrift,  anscheinend  von 
derselben  Hand,  welche  die  anderen  Xamen  und  Bemerkungen  eingetrai^-en 
hat.  hinzugefügt  ist.  Um  die  ^yorte  zu  lesen,  muss  das  Blatt  verkehrt 
gehalten  werden. 

^^  ir  sehen  in  «lern  Felde  zwei  grosse  und  einen  kleinen  Kreis,  die 
mit  einem  unregelmässigen  Netzwerk  von  Linien  erfüllt  und  mit  blauer 
Farbe  gemalt  sind  (Abb.  89).  Das  sind  Hieroglyphen  von  xiuitl  „Türkis", 
ein  Wort,  das  wie  ich  oben  ausführte,  häufig  durch  ein  Plättchen  Türkis- 
uiosaik  zum  Ausdruck  gebracht  wird    (vgl.  Abb.  52,    oben  8.  101).     Das 


Abb.  87.   Hieroglyphe 
Quauhtemoc. 
Sahagun-Ms.     Academia 
de  la  Historia. 


V. 


Abb.  S8a. 


Abb.  8Sb. 


Büerogljphen  Quauhttmor. 
Codex  Vaticanus  A,  f.  89,  8n  verso. 


Wort  .nuitl  bedeutet  aber  nicht  bloss  -Türkis",  sondern  auch  „Gras". 
„Komet"  und  -Jahr".  Und  in  letzterem  Sinne  ist  es  hier  gebraucht.  Denn 
«las  Fähnchen  über  den  zwei  grossen  Kreisen  bedeutet  20.  Die  zwei 
grossen  und  der  kleine  Kreis  geben  also  zusammen  41  Jahre.  Und  so 
steht  auch  darunter  geschrieben  hon  poval  Mvitl  oce  axca  „41  Jahre  (sind 
es)  jetzt.-  Links  neben  der  Zahl  steht  7.  calli  „7.  Haus~,  das  ist  das 
Jahr    1524.    das  Todesjahr  Quauhtemoc?,.      Rechts    neben    der    Zahl    steht 

8,  calli  „8  Haus",  das  ist  das  Jahr  1565.  Und  das 
wird  noch  genauer  erläutert  durch  die  daneben 
stehenden  Worte  KJ  (?  —  die  Zahl  ist  nicht  deutlich 
zu  lesen)  del  mes  de  abril  1565  anos  „am  16.  (?j  April 
des  Jahres  1565".  Tom  Jahr  1524  bis  zum  Jahr 
1565  sind  aber  in  der  That  41  Jahre. 
Das  Jahr  1565,  in  welchem  diese  Notiz  zugefügt  wurde,  hatte  eine 
gewisse  Bedeutung  für  die  Nachkommen  der  alten  königlichen  Familie 
von  Mexico.  Im  Jahr  1565  starb  Don  Luis  de  Santa  Maria  Nanacaci- 
pactzin^  der  Sohn  AcamapichtW ^  und  Jilnkel  Aiiitzotl's,  des  achten 
Königs  der  Mexikaner.  Er  war  der  letzte  der  Nachkommen  der  alten 
Königsfamilie,  der  unter  der  Herrschaft  <ler  Spanier  noch  nominell  als 
Kegent  (governador)  von  Mexico  anerkannt  war.      Yehuatl  oxjtech  tlamico 


Abb  89. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huniboldt's.  20ö 

ijnic  Me.vica  Tenuchcu  tla^opipütin,  sagt  Chinialpali  in.  Das  Jahr  be- 
zeichnet also  (las  wirkliche  Ende  der  alten  Herrschaft.  Und  Chimalpahin 
schliesst  deshalb  auch  hier  einen  Abriss  der  ganzen  alten  Geschichte  der 
Stadt  und  des  Stammes  der  Mexikaner  an. 

Als  nach  der  Gefangennahme  Quauhtemocs  die  Stadt  Mexico  sich 
dem  siegenden  C  ort  es  übergab,  da,  heisst  es^),  wurden  in  Acachinanco 
die  Führer  der  3Iexikaner  versammelt,  und  zwar  die  folgenden: 

1.    ()uauhtemoctzin,    der    König    von    Mexico    {tlahtohuani    Tenuch- 

tiflan). 
'2.    Tlacotzin,  cihuacohuatl  —  d.  h.  der  Stellvertreter  des  Königs. 

3.  Oquiztzin,  der  Fürst  von  Azcapotzalco  {tlahtohuani  Azcapotzalco- 
Mexicapan). 

4.  Panitzin  (oder  Uanitzin)^  der  Fürst  von  Ecatepec  (tlahtohuani 
Ehcatepec). 

5.  Motelch'iuhtzin,  der  Magazinverwalter  (calpid-qui) ,  kein  Mann  von 
fürstlichem  Geblüt,  aber  ein  grosser  Kriegshäuptling  (a7no  pilll, 
ijn  yece  huey  yaotiacauh  catca) 

Cortes  Hess  sie  fesseln  und  gefangen  nach  Coyouacan  führen. 

Dieselben  vier  Männer,  die  hier  neben  Quauhtemoc  aufgeführt 
werdeu.  werden  in  ähnlicher  Reihenfolge,  bei  der  Erzählung  von  der 
Hinrichtung  Quauhtemoc  s  und  der  beiden  anderen  in  Üeymollan  wieder 
genannt:  cenca  yc  tlaocoxque,  motequipachoque,  quichoquülique,  yn  quinhuicac 
Me.iica  tlahtoque  „Tief  betrübt  waren  und  beweinten  ihn  die  Fürsten  der 
Mexikaner,  die  man  hierher  geführt  hatte"  —  Don  Juan  Yelazquez 
Tlacotzin,  cihuacohuatl,  Don  Carlos  Oquiztzin,  Don  Andres  Motelchiuhtzin, 
Don  Diego  de  Alvarado  Huanitzin. 

Es  gibt  noch  einen  anderen  einheimischen  Bericht  über  die  Vorgänge 
während  der  Belagerung  und  nach  der  Einnahme  der  Stadt  Mexico.  Das  ist 
der  in  dem  Sahagun-Manuskript  der  Biblioteca  Laurenziaua  erhaltene  Bericht, 
der  daselbst  das  zwölfte  Buch  des  Gesammtwerkes  bildet.  Es  heisst  dort, 
dass  am  Tage  nach  der  Gefangennahme  Quauhtemoc  s  dieser  und  die 
gesammten  Würdenträger  zu  Cortes  nach  Atactzinco,  dem  Hause  des 
tlacochcalcatl  Coyoueuetzin  gebracht  wurden.  Dabei  werden  neben  Quauh- 
temoc zunächst  die  Könige  von  Tetzcoco  und  Tlacopan,  Coanacochtli  und 
Tetlepanquetatzin  und  darnach  folgende  Grosse  genannt: 

1.  cioacoatl  Tlacutzin, 

'1.  tlillancalqui  Petlauhtzin, 

3.  vitznavatl  motelchiuhtzin,  meiicatl  achcauhtli, 

4.  tecutlamacazqui  (Oberpriester)  Coatzin, 

5.  tlatlati  (Beschliesser)   Tla^olyaictl. 

1)  Chimalpahin  VII.  Relat.  1.  c,  p.  1!»4,  195. 


'2Q^jt  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Und  als  die  Fürsten  zu  Cortes  komiiK'ii.  setzen  sich  neben  C'ortes 
zunächst  tlie  drei  Könige  der  verbündeten  Städte  Me-rico.  Tetzcoco  und 
Tlacopan.     Dnrnacli  folgen: 

viLrcoatlailotlac  A  u elitoctzin, 
tlatzacutica  yopicatl  Pupucatzin,  pilli. 
die.  wie  der  Vergleich  mit  vorhergehenden  Stellen  ergibt,   als  Führer  d^r 
Tlatelolca  anzusehen  sind. 

Und  dann  heisst  es:  „auf  der  anderen  Seite  sassen  die  Tenochca" : 
—  Tlacutzin,  Petlauhtzin,  Motelchiuhtzin  mexicatl  achcauhtli,  tecutla- 
macazqui  Co  atzin,  tlatlati  Tlacoh/autl  —  Dieselben  Xanien  werden 
auch  auf  den  vorhergehenden  Blättern  des  Berichts  mehrfach  erwähnt. 

Vergleichen  wir  die  beiden  Berichte  des  Chimalpahin  und  des 
Sahagun-Manuskripts.  so  haben  wir  zunächst  wohl  die  beiden  letzten  Per- 
sonen des  Sahagun-Berichts  auszuscheiden.  Denn  das  sind  Priester.  Von 
den  drei  übrigen  sind  zwei  ident  mit  zweien  der  von  Chimalpahin  er- 
wähnten. Der  Unterschied  zwischen  den  beiden  Berichten  beruht  augen- 
scheinlich darauf,  dass  in  den  Anales  de  Chimalpahin  zwar  im  Anfang 
von  der  Unterredung  mit  den  mexikanischen  Fürsten  unmittelbar  nach 
der  Uebergabe  der  Stadt  berichtet  wird,  die  Aufzähluug  aber,  die  dann 
folgt,  nicht  die  bei  der  genannten  Unterredung  anwesenden  Fürsten  nennt, 
sondern  die.  welche  Cortes  nachher  (vgl.  die  vorige  Seite)  gefangeu  nach 
Coyouacan  führen  und  foltern  Hess,  um  von  ihnen  Geständnisse  über  die 
von  den  Spaniern  bei  der  Flucht  aus  der  Stadt  zurückgelassenen  Schätze 
zu  erpressen. 

Kehren  wir  nun  zu  unserer  Handschrift  zurück,  so  sehen  wir,  dass 
hier  in  den  Feldern  5.  3.  2.  l  unter  Quauhtemoc  dieselben  vier  Männer 
aufgeführt  sind,  die  uns  Chimalpahin  als  die  Genossen  ( Quauhtemoc' & 
nennt.  Nur  ist  die  Reihenfolge  etwas  verändert,  denn  da  wir  Tlacotzin 
überall  an  erster  Stelle  stehend  zu  denken  haben,  so  würde  Oquiztzin 
hier  an  vierter  —  anstatt,  wie  bei  Chimalpahin  —  an  zweiter  Stelle 
stehen 

Die  vier  Personen  sind  in  unserer  Handschrift,  gleich  den  in  den 
anderen  Feldern  aufgeführten,  durch  einen  Kopf  und  durch  die  Xamens- 
hierogljphe  dahinter  zur  Anschauung  gebracht.  Ausserdem  hat  ein  Schreiber, 
der,  wie  wir  sahen,  seine  Eintragungen  im  Jahre  1565  gemacht  hat,  die 
Namen  der.  Personen  daneben  geschrieben. 

Die  Köpfe  dienen  hier,  wie  anderwärts  dazu.' den  Rang  der  be- 
zeichneten Personen  anzugeben.  In  unserer  Handschrift  haben  Uanitzm 
(Abb.  91)  und  Oquiztzin  (Abb  90).  die  oben  als  Könige  von  Ecatepec, 
bezw.  Azcapotzalco  genannt  sind,  die  königliche  Stirnbinde  aus  Türkis- 
mosaik.  gleich  Motecuhcoma  und  (Quauhtemoc.  Sie  beide  allein,  von 
den  vieren,  haben  auch  das  Züngelchen  vor  dem  3Iunde.  das  Zeichen 
der  Rede  und  o-leichzeitis  das  Zeichen  der  Herrschaft.     A.  von  Humboldt 


4.    Die  mcxikanisclieii  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldts. 


207 


hatte  seiner  Zeit  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  die  Mexikaner  durch  das 
beigesetzte  Züngelchen  die  Personen  hätten  als  Lebende  kennzeichnen  wollen. 
Dass  das  hier  thatsächlich  nicht  der  Fall  ist,  liegt  klar  zu  Tage.  Denn 
Oquiztzin  starb  früher  als  die  drei  anderen,  und  Motecuh{-oma^  der  eben- 
falls das  Züngelchen  hat.  früher  als  die  vier  anderen  zusammen  und 
als  (Juauhtemoc.  der  ohne  Züngelchen  gezeichnet  ist.  Augenscheinlich 
ist  hier  das  Züngelchen  tlirekt  Hieroglyphe  für  tlahtouani  „der  Redende"' 
=  der  Herr,  der  König",  also  gewissermassen  ein  Seitenstück  zu  der  künig- 
lichen  Stirnbinde. 

Der  dritte  von  den  vieren  AJotelc/duh  (Abb.  92),  der  oben  nur  als  Kriogs- 
häuptling  bezeichnet  ward,  ist  mit  der  sonderbaren  Frisur  dargestellt,   die 


Abb.  !*0.    o(jii/:tz//!  in 
a:c(ij)ot.z(ilc(). 


Abb.  Dl.     doli   dicijo 
rfnijfziii . 


Abb.  92.     tliapia 
motelchhth. 


"ycicci+eci-vflf" 


Abb.  'Jo.    Mexikanischer  Krieger  auf 
dem  Marsche.  Codex  Mendoza  16. 


Abb.  94.    Ydcatpciif/;.     Gott  der  Kauf- 
leute.    Ms.  Bibl.  del  Palacio. 


die  Krieger  auszeichnete.  Wenn  die  Krieger  sich  zum  Tanze  schmückten, 
erzählt  Sahagun  (HI.  App.  cap.  5),  so  badeten  sie.  schmierten  den  ganzen 
Körper,  mit  Ausnahme  des  Gesichts,  mit  schwarzer  Farbe  ein,  und  be- 
malten das  Gesicht  mit  schwarzen  Streifen.  Das  Haar  aber,  anstatt  es  zu 
kämmen,  „zausten  sie  in  die  Höhe,  um  sich  einen  furchtbareren  Anblick  zu 
geben."  Dabei  waren,  wie  die  Abbildungen  zeigen,  zwei  verschiedene 
Haartrachten  üblich.  Bei  der  einen  wurde  das  Scheitelhaar  auf  dem 
Wirbel  zusammengenommen  und  dort  mit  einem  Lederriemen  umwickelt, 
an    dem    bei    festlichen    Gelegenheiten  mächtige  Troddeln    aus  Schmuck- 


•J(»^ 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


federn  befestigt  wurden,  während  das  andere  Haar,  wie  es  scheint,  im 
ganzen  Umkreis  des  Gesiclits  kurz  und  starr  in  die  Höhe  stand.  So  zeigen 
es  die  Kriegerfiguren  des  Codex  Mendoza  (vgl.  Abb.  93,  S.  207)  und  der  Kopf 
Yacafecuhtb'ii.  des  Gottes  der  reisenden  Kaufleute  und  Karawanenführcr.  im 
Sahagun-Ms.  der  Biblioteca  del  Palacio  (Abb.  94.  8.  207).  Diese  Frisur  wurde 
temillotl  ^Steiupfeilerfrisur'" ,  die  grossen  Troddeln 
(juetzallalpiloni  „Schmuckfederband"  genannt^).  Der 
Xame  temillo  „Steinpfeilerfrisur  (Kriegerfrisur)  tragend" 
kommt  in  dem  oben  schon  des  öfteren  erwähnten 
Personalverzeichuiss  von  Uexotzinco  (Ms.  Mexicain 
Xr.  3  Bibl.  Nat.)  mehrfach  vor,  und  wird  daselbst 
bald  durch  die  Figur  eines  Pfeilers,  bald  durch 
einen  Stein,  oder  einen  Stein  in  einer  Einfassung, 
oder  endlich  dnrch  einen  Stein  in  Verbindung  mit 
einer  Haarfrisur  dargestellt.  Tgl.  Abb.  'db.  —  Bei 
der  anderen  Frisur  wurde  das  Haar  über  der  Stirn 
hoch  in  die  Höhe  gezaust  und  vom  Scheitel  ab  lang  herabfallen  gelassen 
und  dort  am  Nacken  mit  einem  Eiemen  umwickelt,  in  den  bei  festlichen 
Gelegenheiten  ein  Federschmuck  eingesteckt  wurde.  Diese  Tracht  sehen 
wir  an  dem  zum  Tanze  geschmückten  Häuptling,  der  im  Codex  Telleriano- 
Remensis    und    Taticanus  A    zur  Bezeichnung    des    Festes  Tecuilhuitl   ab- 


.\bb.  9?, 

temillo. 
Nr.   3. 


Hieroglyphe 
Ms.  Mexicain 
Bibliotheque 


Nationale 


Abb.  96.     i'ei  tci-uilhaitl.     Das  grosse 

Herrenfest.    Codex  Telleriano-Remensis 

f.  1,  verso  (=  Kingsborough  I,  2). 


Abb.  97.    Tlacochcah-o  i/aofl.    Der  Krieger 
im  Speerhause. 
Ms.  Bibl.  del  Palacio, 


gebildet  ist  (Abb.  96)  und  an  dem  Kopf  Tlacochcalco  yaotl's  im  Sahaguu-Ms. 
der  Biblioteca  del  Palacio  (Abb  97).  Mit  ihr  ferner  sind  auf  dem  Lienzo 
de  Tlaxcala  die  Häuptlinge  der  Tlaxkalteken  gezeichnet,  bei  dem  |fest- 
lichen  Empfang,  den  die  Republik  Tlaxcallan  dem  als  Bundesgenossen  be- 
grüssten  Eroberer  Cortes  bereitete.      Diese  Frisur  wurde  tzotzocoUi,   und 


1)  Veröffentlichungen  aus  dem  König].  Museum  f.  A'ölkerkunde  I,  S.  140. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


209 


der  eingesteckte  Federscliinuck,  der  aus  gabelförmig  aiigeordiieteu  Reiher- 
federu  bestand,  aztaxelli  genannt^).  Man  findet  diese  b(;iden  Haartrachten 
aucli  an  in  Thon  gearbeiteten  Kriegerfiguren  dargestellt  (vgl.  Abb.  98,  99) 
und  sieht  hier  besser,    als   in   den    Zeichnungen   der  Bilderschriften,    dass 


Abb.  98. 


Abb.  99. 


Köpfe  von  Thonfiguren  mexikanischer  Krieger.     Sammlung  Uhde. 
Königl.  Museum  f,  Völkerkunde,  Berlin, 


bei  der  zweiten  dieser  beiden  Frisuren  (Abb.  99)  das  Haar  an  der 
einen  Seite  aufgebürstet  ist.  Ich  liabe  in  Abb.  100  aus  dem  Sahagun- 
Manuskript  der  Biblioteca  del  Palacio  ein  Bild  wiedergegeben,  wo  Krieger 
(beim  Fest  Ochjyamztli)  einen  Tanz  aufführend  dargestellt  sind,  und  wo 
diese  beiden  Haartrachten  neben  ein- 
ander und  deutlich  gezeichnet  zu  sehen 
sind.  Die  erstere,  das  temülotL  ist  das 
auszeichnende  31erkmal  der  eigentlichen 
Häuptlinge,  der  tequiua.  Mit  ihr  ist 
daher  in  Feld  3  unserer  Handschrift 
auch  Motelchiuh^  „der  grosse  Kriegs- 
häuptling" dargestellt. 

Tlacotzin  endlich  in  Feld  5,  (vom 
unteren  Weg  an  gerechnet,.  Abb.  101, 
S.  210),  hat  weder  die  königliche  Stirn- 
binde, noch  die  Häuptlingsfrisur,  sondern 
ist  mit  einfach  herabfallendem  Haar,  ohne  jegliches  Abzeichen  dargestellt. 
Ohne  die  königliche  Stirnbinde  hat  man  ihn  gezeichnet,  weil  er  damals 
wohl  noch  nicht  das  Herrscheramt,  das  ihm  nachmalen  übertragen  wurde, 
inne  hatte.     Und  die  Krieuerfrisur  kam  ihm  nicht  zu.  weil  allem  Anschein 


Abb.  100.     Tanz  der  Krieger  am 

Orhpaniztli. 
Sahagun-Ms.     Bibl.  del  Palacio. 


1)  Veröffentlichungen  aus  dem  Königl.  Museum  f.  Völkerkunde  I,  S.  166. 
Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  W 


210 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


nach  tler  Titel  ciumouatL  den  er  führte,  kein  militärischer  war.  Ich 
erwähne  indes,  dass  über  Tlacotzin  im  Felde  <i  ein  Kopf  mit  der  könig- 
lichen Stirnbinde,  gleich  i^uauhiemoc^  gemalt  war,  dass  dieser  al)er  über- 
klebt, d.  h.  gelöscht  worden  ist. 

Was  nun  die  Hieroglyphen  betrifft,  so  stehen  bei  Tlacotzin  im 
Felde  5  deren  zwei,  die  allerdings  nicht  beide  auf  den  Namen  sich  be- 
ziehen. Die  vordere  bringt  vielmehr  den  Titel,  die  hintere  den  Namen 
des  Mannes  zum  Ausdruck.  Die  letztere  stellt  ein  Arbeitsgeräth.  eine 
Art  Schippe  aus  Holz  dar.  die  zum  Bearbeiten  des  Bodens  diente,  aber 
auch  zum  Einfüllen  von  Erde,  Kalk  u.  s.  w.  gebraucht  wurde.  Vgl. 
Abb.  lOJ.  lOo.  Erstere  ist  dem  Codex  Mendoza  entnommen.  Oben 
ist  das  Geräth  zu  sehen,  darunter  der  Korb  chiquiuitL  mit  dem  breiten 
über  die  Stirn  zu  legenden  Tragband  (mecapalli)  versehen,  in  welchem 
die  Erde,  der  Kalk  u.  s.  w.  transportirt  wurde.  Abb.  103  gehört  dem 
Codex    Osuna    an.       Hier    sieht    man    den    mexikanischen    Arbeiter    dies 


Abb.  101.     Jita  Velazqiii 
tJacotzi)!. 


Abb.   102.     Hölzerne    Schaufel 

{couiiacatJ)  und  Korb  {cliiquiiiitT) 

zum  Fortschaffen  der  Erde  usw. 

Codex  Mendoza  71,  11. 


Abb.  103.    Bearbeiten 

des  Ackers. 

Codex  Osuna  f.  38, 

verso. 


Werkzeug  handhaben.  Dieses  Arbeitsgeräth  heisst  eigentlich  uictU  oder 
coauacatL  Es  dient  in  unserer  Handschrift  zum  Ausdruck  des  Namens 
Tlacotzin.  weil  dies  Geräth  das  Symbol  der  Dienstpflicht,  der  Knecht- 
schaft, der  Sklavenarbeit  war.  Der  Knecht,  der  Sklave  aber  hiess  tläcohtli. 
Ein  etwas  anderes,  mit  kurzem  Vokal  der  ersten  Silbe  ausgesprochenes 
tläcotl  bedeutete  den  blühenden  Zweig,  der  z.  B.  in  der  Hieroglyphe 
Tlacopan  (=  Tacuba)  abgebildet  wird.  Weil  in  unserem  Falle  der  Name 
Tlacotzin  durch  das  Arbeitsgeräth  zur  Anschauung  gebracht  wird,  werden 
wir  schliessen  können,  dass  ihm  die  erstere  Aussprache  (mit  dem  so- 
genannten Saltillo)  und  auch  die  erstere  Bedeutung  zukam. 

Die  vordere  Hieroglyphe  zeigt  das  Bild  einer  Schlange,  aus  deren 
geöffnetem  Rachen  ein  Menschengesicht  hervorsieht.  Die  Schlange  ist 
gelb  gemalt  (bis  auf  die  Schwanzklappern  und  den  Bauch),  das  Menschen- 
gesicht braun,  und  auf  der  Wange  scheint  es,  dass  die  zwei  Striche  hatten 
angegeben  werden  sollen,  die  in  den  Hieroglyphen  des  Codex  Mendoza 
ziemlich  regelmässig    gezeichnet  sind,    wenn    das  Gesicht    einer  Frau  zur 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt"s. 


211 


Abb.  104.    Hierogl. 

Ciucdlati. 
Codex  Mendoza40,l. 


Anschauung  gebucht  werden  soll.  Vgl.  Abb.  104  die  Hieroglyphe  Ciuaüan 
iius  Codex  3Iendoza  40,  1.  Die  vordere  Hieroglyphe  in  Feld  1  —  5  ist 
jilso  die  üenaue  ^Viederij-abe  des  Wortes  ciua-couatl  „weibliche  Schlange'' 
«les  Titels,  den,  wie  in  Chinialpahin  und  im  Sahagun- Manuskript  an- 
gegeben ist.  der  hier  genannte  Tlacotzin  führte.  Der  Titel  ciuacouatl 
kam  dem  höchsten  AYürdenträger  des  Reichs  zu,  der  gewissermasseii 
Kollege  oder  Stellvertreter  des  Königs  (flahtouani)  w-ar.  Das  wird  namentlich 
in  der  Crönica  mexicanii  dos  Teroromoc  oft  und  ein<lringlich  betont  — 
so  oft  und  eindringlich,  dass  man  Absicht  vermuthen  und  schliessen 
möchte,  dass  die  prätendirte  Macht  des  ciuacouatl  vom  König  nicht  immer 
anerkannt  wurde.  Im  Uebrigen  ist  die  Kollegialität 
deutlich  und  klai-  genug  ausgesi)rochen.  Wenn  bei 
■der  Erzählung  der  'l'haten  des  alten  Motecuh<;:oma  der 
••lerzeitige  ciuacouatl  Tlacae/cl  einen  Vorschlag  macht, 
so  antwortet  ihm  Motecukcoma,  dass  er  mit  Allem  ein- 
verstanden sei,  —  „denn  freilich  Itin  ich  der  Herr,  aber 
ich  kann  nicht  alles  anordnen,  und  du  ciuacouatl  bist 
so  gut  Herr  wie  ich,  wir  beide  haben  den  mexikanischen 
Staat  zu  regieren."  Der  Name  ciua-couatl  ist  mehrdeutig.  Er  bedeutet 
„weibliche  Schlange"  kann  aber  auch  „weiblicher  Zwilling"  oder  „weib- 
licher Genosse"  bedeuten.  Der  Name  hat  vermuthlich  Bezug  auf  die 
alte  Erdgöttin,  die  an  verschiedenen  Orten  verschieden  —  Ciuacouatl  „<las 
Schlangenweib''  oder  Tonantzin  „unsere  liebe 
Mutter"  oder  Teteo  innan  „Mutter  der  dötter"  — 
genannt  wurde,  und  die  <lem  Vater,  dem  alten 
Himmelsgott,  genau  so  gegenüberstand,  wie  in 
•dem  irdischen  Reich,  in  der  mexikanischen  Re- 
publik, der  ciuacouatl  dem  König.  Ciuacouatl  ist 
insbesondere  der  Name,  den  die  alte  Erdgöttin, 
4ie  in  Colhuacan  verehrt  wurde,  führt. 

Ein  Abbild  dieser  Göttin,  ganz  genau  dem 
entsprechend,  das  wir  in  unserer  Hieroglyphe 
Abb.  101  sehen,  habe  ich  in  Abb.  105  wieder- 
gegeben. Es  kommt  Tafel  63  des  Goupil- 
Boban'schen  Atlas  vor.  und  bezeichnet  dort  Ciua- 
couatl, die  Göttin  von  Colhuacan.  der  die  gefangenen 
Mexikaner  geo})fert  werden. 

Motelchiuh  bedeutet  der  „Verachtete".  Die  Hieroglyphe  (vgl.  Abb.  !)2 
oben  S.  207),  die  hier  diesen  Namen  zur  Anschauung  bringen  soll,  ist  die 
bekannte  Hieroglyphe  te-tl  „Stein",  die  in  brauner  und  schwarzer  Farbe 
gemalt  wird,  zum  Ausdruck  der  Yerschiedenfarbigkeit  oder  der  Aderung 
des  Gesteins.  Diese  Hieroglyphe  gibt  natürlich  nur  einen  Anklang  an 
den  Laut  desjenigen,    was  eigentlich  dargestellt  werden  sollte,    —   obwohl 

14* 


Abb.  105.  ('inacoiiail. 
Göttin  von  Colhuacan. 
Historia  Mexicana.  Ms. 
Coli.  Anbin-Goupil 
Atlas Goupil- Bob  an, 
PI.  G3). 


212  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

es  nicht  ausgeschlossen  erscheint,  dass.  weini  aucli  nur  auf  Umwegen,  ein 
etyniokigischer  Zusammenhang-  zNvischen  «lern  Worte  te-tl  „Stein"  und 
tel-chiua  „verachten"  besteht.  —  Genau  ebenso,  d.  li.  durch  die  Hiero- 
glyphe teil  „Stein"  ist  übrigens  Motelchiuh  auch  im  Saliagun-Manuskript 
der  Academia  de  hi  Historia  bezeiclmet  (Abb.  lOG). 

Uanitzm  im  Felde  2  (vgl.  Abb.  l'l  oben  S.  207)  ist  hicroglyphisch  durch 
die  Fahne  {patnitl)  bezeichnet,  p  (b)  uml  iv  sind  verwandte  Laute,  und 
unser  w,  oder,  richtiger  vielleicht,  englisch  w  ist  der  Laut,  den  die  alten 
CJrammatiker  durch  u  oder  ü,  die  .lesuiten  durch  hu  zum  Ausdruck  l)ringeu 
wollten.  In  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen  ist  es  deutlich,  dass  dieses 
ic  erst  durch  Erweichung  aus  p  entstanden  ist.  So  liegt  in  tlapcopa  „Richtung- 
des  Hellwerdens"  „Osten"  und  in  tlaui  „hell  werden"  ohne  Zweifel  die- 
selbe Wurzel  tlap  vor.  In  ersterem  Falle,  wo  der  Endkonsonant  durch 
das  folgende  c  geschützt  war,  hat  sich  die  Tennis  erhalten. 
Im  zweiten  ist  vor  dem  i  des  Präsens  und  als  Auslaut  im 
Präteritum  die  Tenuis  zum  Frikativ  geworden.  Und  vielfach. 
Abb.  10(i.  insbesondere  im  Anlaut,  ist  der  Labial  ganz  geschwunden. 
Hieroglyphe       go    steht  eua    neben    peua^    beide    mit    derselben   Bedeutung 

„\  '  ' ,,  „sich  erheben"  „sich  auf  den  Weg  machen*'.  In  ähnlicher 
Sahagiin-Ms       "      _  "  '^ 

Academia  de      Weise      findet      man      nebeneinander      (^opil      und     Couü^), 

la  Historia.       Centzonnapa    und    Centzoniiana').       So    darf    es    denn     auch 

nicht   Wunder    nehmen,    dass    Chimalpahin    für    den    hier 

in  hieroglyphisch    durch    das    Fähnchen    (pamitl)    bezeichneten 

j  J  Mann    bald   Panitzin,    bald   Huanitzin    schreibt.      Durch    ein 

■'^^^"^^^^'^     ^^^   Vanitzin    auch    in    dem     Sahagun- Manuskript 
Abb.  10  ( . 
Hieroo-lype       ^®^'  Academia  de  la  Historia  (Abb.  107)  und  in  der  Historia 

ccmitzin.         mexicana    vom  Jahre  1576   der  Au  bin' sehen  Sammlung  be- 
Sahagun-Ms.      zeichnet. 

la  Historia  Oquiztli  endlich,  in  dem  ersten  Feld  oberhalb  des  unteren 

AVeges  (vgl.  Abb.  90  oben  S.  207)  ist  einfach  durch  die 
Hieroglyphe  der  Stadt  Azcapotzalco ,  deren  Herr  er  war,  bezeichnet. 
Azcapotzalco  bedeutet  „am  Ort  des  Ameisenhaufens."  Hieroglyphisch  wird 
die  Stadt  daher  durch  das  Bild  eines  Ameisenhaufens  zur  Anschauung- 
gebracht. Vgl.  die  Abb.  108,  109,  erstere  dem  Codex  Mendoza,  letztere 
dem  in  der  Bibliothek  des  Herzogs  von  Osuna  erhaltenen  Aktenstücke 
entnommen.  Man  sieht  hier  inmitten  von  kleinen  Steinchen  und  Sand- 
körnern ein  etwas  ungeheuerlich  gezeichnetes  und  in  der  Regel  roth  ge- 
maltes Thier,  das  die  Ameise  (azcatV)  vorstellen  soll. 


1)  Die  erstere  Form    ist  die  gewöhnliche;  die  zweite   in  Tezozomoc,   Crönica 
mexicana,  cap.  2. 

2)  Hier    ist    die    zweite    Form    die    gewöhnliche;    die    erste    in    Tezozomoc, 
cap.  -J. 


4.   Dio  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huniholdt's.  213 

Ich  ^Yill  nun  noch  kurz  berichten,  was  über  die  späteren  Schicksale 
«ler  vier  Personen,  die  Chimalpahin  als  Genossen  Quauhtemocs,  des 
letzten  freien  Königs  der  Mexikaner,  uns  nennt,  und  dio  in  unserer  Hand- 
schrift unter  (^uauhtemoc  der  lleihe  nach  aufgeführt  sind,  bekannt  ist. 

Tlacotzin  scheint  ein  Enkel  AuitzotVs,  des  achten  Königs  der  Mexi- 
kaner, gewesen  zu  sein^).  Er  war  also  ein  naher  Verwandter  QwawÄ^ewoc's, 
tler  ein  Öohn  Auitzotfa  war.  Dies  erklärt  'wohl  auch  die  hohe  Stellung 
cils  ciuacouaü,  die  er  neben  und  unter  Quauhtemoc  inne  hatte.  An  der 
Vertheidigung  der  Stadt  Mexico  nahm  er  sehr  energischen  Antheil,  wie 
aus  dem  aztekischen  Bericht  hervorgeht,  der  in  dem  Sahagun-Manuskript 
4er  Biblioteca  Laurenziana  erhalten  ist,  und  der  augenscheinlicli  von 
einem  Augenzeugen,  der  mit  in  der  belagerten  Stadt  eingeschlossen 
w'ar,  geschrieben  ist.  Tlacotzin  wird  dort  neben  dem  tlillancalqui  Pet- 
lauhtzin  und  dem  tiitznauatl  Motelchiuhtzin  genannt,  und  diese  drei  stehen 
als  Führer  der  Tenoclica  dem  tlacateccatl  Temilotzin  und  dem  tlacochcalcatl 
Coiioueuetzin^  den  Führern  der  Tlatelolca^  der  Bewohner  der  Scliwester- 
stadt   von   TenochtiÜan,    gegenüber.      Nach   der  Eroberung    nahm    auch    er 


Abb.  108.    Hieroglyphe  Abb.  109.     Hieroglyplie 

Azrapoizalco.    Codex  Mendoza  .">,  1.  Azcapofzdiro.     Codex  Osunii. 

die  Taufe  an  und  hiess  nun  Don  Juan  Yelasquez  Tlacotzin.  Nach 
der  Hinrichtung  Quauhtemoc^  und  seiner  Genossen  in  Ueymollan  machte 
ihn  Gort  es  zum  König  von  Mexico  (tlahtohuani  viochiuh  yn  Tenoclititlan) 
und  equipirte  ihn  als  Spanier,  schenkte  ihm  ein  Schwert,  einen  Dolch 
und  ein  weisses  Pferd").  Es  war  indes  Tlacotzin  nicht  vergönnt,  als 
König  den  Boden  seiner  Vaterstadt  zu  betreten.  Nachdem  er  fast  drei 
dalire  mit  Gortes  auf  der  mühe-  und  entbehrungsvollen  Ex])edition  in 
Honduras  abwesend  gewesen  war,  starb  er  auf  der  Heimkehr  1526  in 
<lem  Orte  Nochiztlan. 

Von  Motelchiuh    ist    oben    schon    angegeben,    dass   er  kein  Prinz  von 

Geblüt  war,  sondern  seinen  Rang  durch  Auszeichnung  im  Kriege  erworben 

hatte.    In  der  oben  angefüln^ten  Stelle  des  (Uli  mal  pah  in  wird  er  mit  dem 

Titel  calpii-qui  „Magazinverwalter"  genannt      So   hiessen   die   Gouverneure 


1)  Vgl.  Annales  de  Chimalpahin  VII.  Relation  s.  a.  15G5,  ed  Remi 
Simeon  p.  266,  wo  das  yxhu'uihtzia  inyn  „der  Enkel  des  vorhergehenden"  wohl 
kaum  anders  als  auf  den  vorhergenannten  Airi/:<itl  zu  beziehen  ist. 

'2)  Vgl.  Annales  de  Chimalpahin  VII.  Relation  s.  a.  156ä  ed  Remi  p.  "207. 


214  Zweiter  Abscluiitt:    Bilderschriften. 

der  unterworfenen  Provinzen,  zu  deren  Hauptaufgabe  es  gehörte,  die  Tribute 
einzusanimelu  und  nach  den  königlichen  Magazinen  abzuführen.  In  dem 
aztekischen  Bericht  des  Sahagnn-Maniiskripts  wird  er  uitznauatl  und  me.vi- 
catl  ac/icauhtli  genannt.  Letzteres  bedeutet  einfach  .jnexikaiiiseher  Kriegs- 
häuptling'". Das  erstere  ist  einer  der  vielen  militärischen  Titel,  die  bei 
den  Mexikanern  im  Gebrauch  waren,  und  deren  eigentliche  Bedeutung 
noch  nicht  feststeht.  Yermuthlich  hatten  sie  eine  Beziehung  zu  einer  be- 
stimmten Gens  (calpulli)  und  zu  dem  Tempel  derselben.  Nach  der  Er- 
oberung der  Stadt  nahm  auch  MotelchiuJt.  gleich  den  anderen  vornehmen 
Mexikanern  die  Taufe  au.  Nach  seinem  Pathen  ward  er  Don  Andres 
de  Tapia  Mofelchiuh  genannt.  Thapia  Motelchiuh  sehen  wir  auch  in 
unserer  Handschrift  geschrieben.  Nach  dem  Tode  Tlacotzinn  in 
Nochiztlan  wurde  Motelchiuh  zu  dessen  Nachfolger  ernannt.  Da  er  aber 
kein  Prinz  von  Geblüt  war.  so  konnte  ihm  die  eigentliche  Königswürde, 
der  Titel  tlahtouani,  nicht  übertragen  werden.  Ich  glaube  auch,  das  Corte> 
die  Gelegenheit  benutzte,  die  Würde  etwas  zu  degradiren.  Er  wird  daher 
nur  als  Kriegshäuptling  von  Mexico  {gan  quauhtlahtohnani  omochiuh  Tenuch- 
titlaii)  aufgeführt.  Ueber  sein  AYalten  als  solcher  erfahren  wir  nichts.  Ei 
regierte  ebenfalls  nur  wenige  Jahre.  Er  starb  im  Jahre  1530  smf  einem 
Zuge  nach  den  Provinzen  des  Nordwestens  {Teo-culhuacan.  der  Provinz 
Xalisco).  wo  er  den  Spaniern  unter  Nuiio  de  Guzman  Kriegsptlicht 
leistete.  Als  er  in  der  Nähe  des  Ortes  Aztatlan  im  Flusse  badete,  wurde 
er  von  dem  Pfeil  eines  Chichimeken  (eines  feindlichen  Indianers)  getrofPen 
und  starb  an  der  Wunde.  ^) 

Uanitzin  war  ein  Neffe  des  Königs  Motecuhroma.  Sein  Yater  liiess 
Teroroinoctli  Acolnanacatl  und  war  ein  älterer  Bruder  Motecu]i^oina\. 
Mofecuhnmiawurde  später  durch  AVahl  <ler  entscheidenden  Personen  zum 
Nachfolger  seines  Vaters  Axayacatl  auf  den  Thron  berufen.  Aber  Teroro- 
moctli  erbte,  wie  eine  ethnologisch  ungemein  interessante  Stelle  der 
Annalen  Cliimalpahin"s  berichtet,  von  A.vaijacatl  den  Tanz  yaociua- 
cuicatl,  den  dieser  von  den  Tlailotlaque,  einem  Stamm  der  (Jlialca.  deren 
Eigenthum  er  gewesen  war.  wie  es  scheint,  erkauft  hatte.  Die  Mutter 
Üanifzin's  stammte  aus  dem  fürstlichen  Hause  von  Ecaiepec,  eines  Ortes, 
der  im  Norden  von  Mexico,  am  nördlichen  Fusse  der  Berge  von 
Guadalupe  gegen  die  Lagune  von  Xaltocan  (jetzt  Laguna  de  S.  Cristö- 
bal)  zu  gelegen  ist.  Im  Jahre  1511'.  kurz  vor  dem  Eintreffen  der 
Spanier,  als  sich  Motecuhroma,  der  durch  die  ersten  Nachrichten  von 
dem  Erscheinen  der  Spanier  in  äusserste  Bestürzung  gerathen  war. 
wieder  etwas  beruhigt  hatte,  wurde  Uanitzin  von  seinem  Onkel  in  die 
Herrschaft  über  Ecatepec,  die  ihm  als  Erbe  seiner  Mutter  zukam,  ein- 
gesetzt.     Uanitzin    war    dauuils,    wie    ('himalpahin    berichtet.     20    Jahre 

1)  Chiraalpahin  p.  i'U9.  -222.  26(3. 


H 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  215 

alt.  All  den  Kämpfen  während  der  Belagerung  scheint  er  keinen  sonder- 
lichen Antheil  genommen  zu  haben.  Der  aztekische  Bericht  im  Sahagnn- 
lAIanuskript  der  Biblioteca  Laurenziana  erwähnt  ihn  nicht.  Aber  Chimal- 
pahin  berichtet,  wie  ich  oben  anführte,  dass  er  zu  den  vornehmen 
Mexikanern  gehörte,  die  zusammen  mit  (^uauhtemoc  gefangen  nach  Coyouacan 
geführt  wurden.  C  ort  es  aber  nahm,  auf  seine  Abstammung  —  oder  auf 
seine  Jugend?  —  so  viel  Rücksicht,  dass  er  ihn  nicht  gleich  den  anderen 
fesseln  Hess.  Nachdem  die  Fürsten  aus  der  Haft  entlassen  waren,  nahm 
ihn  seine  Mutter  gleich  mit  sich  nach  Ecatepec  —  oder,  wie  Chimalpahin 
sag-t,  sie  verbarg  ihn  daselbst  (ca  ompa  quitlatito  yn  inantzin  Ehcatepec). 
Und  die  Leute  von  Ecatepec  erkannten  ihn  als  ihren  König  an  Qjnic  ompa 
quintlahtocatlallique  no  yehuantin  Ehcatepeca^.  Als  C-hrist  führte  er  den 
Namen  Don  Diego  de  Alvarado  Uanitzin. 

Nach  dem  Tode  MoteLchiuK^  im  .lahre  löSO  war  der  Thron  von 
Mexico  zunächst  unbesetzt  geblieben.  Erst  nach  der  Rückkehr  aus 
Teocolhuacan  im  .lahre  l.")32  übertrug  man  das  Häuptlingsamt  einem 
gewissen  Xochiquentzin  (vgl.  Abi).  110),  der  ebenfalls  kein  Prinz  von 
Geblüt  (ijnin  Qa  no  Mexica  amo  pilli),  sondern  nur  ein  grosser 
(irundeigenthümer  (yece  kuel  chune  catca  Mexico)  gewesen  war 
und  unter  den  alten  Königen  das  Amt  eines  calpixqui,  eines 
-Magazinverwalters",  inne  gehabt  hatte.  Sein  Haus  stand  .,,  __ 
im  Calpul  Teopan,  dem  südöstlichen  Quartier  der  Stadt  Mexico,  Hieroglyphe 
damals    schon  Barrio    de    San  Pablo  genannt.     Xochiquentzin      Xodiiquctziu. 

starb  aber  schon  im   Jahre  1.j3G.      Der  Yizekönig  Don  An-      Sahagun-Ms. 

.      "         .  Academia  de 

tonio    de    Mendoza,    der    das    Jahr    zuvor    in    Jiexico    au-        jg,  Historia. 

gekommen  war,  zögerte  zunächst,  den  Posten  wieder  zu  be- 
setzen. Aber  im  Verfolg  seiner  auf  die  Regelung  des  Verhältnisses  zwischen 
den  Eingel)orenen  und  den  Spaniern  gerichteten  Bemühungen  sah  er  sich 
doch  veranlasst,  der  indianischen  Bevölkerung  der  Hauptstadt  wieder  ein 
Haupt  zu  geben.  Und  er  berief  im  Jahre  1538  dazu  Uanitzin^  der  aber 
nun  nicht  mehr  als  König  (tlahtohuani)  proklamirt  wurde  —  quauhtlahtouani 
„Kriegshäuptling"  konnte  er  ja  seinem  Range  nach  nicht  sein  — ,  sondern 
mit  dem  spanischen  Titel  „Governador"  in  sein  Amt  eingesetzt  ward.  Kr 
starb  al)er  schon  im  Jahre  1541.  Ein  Sohn  von  ihm.  Don  Christoval 
de  (Juzniau  Cecetzin  oder  Cecepatictzin,  ward  nachher  155!>  der  dritte 
Governador  von  Mexico. 

Von  Oquizt/i  endlich,  der  vierten  der  Personen,  die  in  unserer  Hand- 
schrift unter  ( )uauhtemoc  folgend  angeführt  sind,  wessen  wir  aus  der 
Crönica  des  l"'e(.o<;omoc,  dass  er  zu  derselben  Zeit,  wie  Uanitzin  in 
Ecatepec,  in  Azcapotzalco  als  König  eingesetzt  ward.  Te«.0(.omoc  be- 
zeichnet ihn  ebenfalls  als  Neffen  Motecuhcoina's.  Wer  aber  seine  Eltern 
waren,  darüber  habe  ich  keine  bestimmte  Notiz.  Azcapotzalco  war  schon 
seit    dem    Jahre  1429    den    3[exikanern    unterthänio;    oeworden,    die    alten 


216 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


Abb.  111.     don  (Jo. 
teuetzquiti. 


Fürsteil  vertrielioii.  ihr  Land  aufgethoilt  wordon  ^).  An  den  Kämpfen 
während  der  Belageruni?  scheint  Oquiztli  ebenfalls  keinen  hervorragenden 
Antlieil  üenoinnien  zu  haben.  Mit  anderen  vornehmen  ^Fexikanern  musste 
er  Cortes  auf  seiner  Expedition  in  die  Waldregionen  von  Chiapas  und 
Honduras  begleiten,  und  starb  dort,  bald  nach  der  Hiniichtung  ()iiavhte- 
moc's,  im  Jahre  154"2-*). 

So  viel  über  diese  vier.     Von   den   übrigen  Personen,    die  in  unserer 
Handschrift  vom  9.  Feld  aufwärts  verzeichnet  sind,  ist  nur  die  in  Feld  16 
(vom   unteren  Wege   an   gerechnet)    verzeichnete    eine 
bekanntere  Persönlichkeit.    Es  ist,  wie  die  Beischrift  be- 
sagt.   Don    Diego    de    S.    Francisco    Tenetzquüitzin, 
der     Sohn      Tezcai/popocatzin's,      der     seinerseits      ein 
Sohn    Ticocicatzin  i.    des    siebenten    Königs    der   Mexi- 
kaner,   war   und,    den  Spaniern  unterthänig.  im  Calpul 
Teopan.    dem  Barrio    de    San    Pablo    von    Tenochtitlaii 
wohnte.       Er    wurde    nach    dem    Tode    Uanitzini^    im     Jahre    1541     zum 
Governador  von  Mexico  ernannr  und  starb  daselbst  im  Jahre  1554^).    Der 
Name    Teuetzquiti     bedeutet     „der     Spassmacher".     „der    andere    lachen 
macht''.     Die  Hieroglyphe  (Abb.  111)    scheint  in  unserer  Handschrift  eine 
Art    komischer  Maske  darstellen   zu  sollen.      Anderwärts   im 
Sahagun-Manuskript  der  Academia  de  la  Historia  ist  er  durch 
einen    offenen    Mund    (Abb.    112),     und     ein     Xamensvetter 
von     ihm.     Tetlaueuetzqiiititzin,     der    der     Königsfamilie    von 
Tetzcoco    augehörte    und    ungefähr    zu    gleicher    Zeit    Gover- 
nador von   Tetzcoco  war.    durch   einen   offenen  Mund  und  das 
Züngelchen    der  Eede    davor    (Abb.    113)    bezeichnet.      Der 
Kopf,    hinter    dem    in    unserer  Handschrift    die    Hieroglyphe 
verzeichnet    steht,    ist    mit    der    königlichen    Stirnbinde    aus 
Türkismosaik    gezeichnet,    gleich    Motecuhrotna.    Quaiihtemoc, 
Uanitzin  und  Oquizfzin.     Denn  gleich  diesen  gehörte    Teiietz- 
qiiitizin  der  Köuigsfamilie  von  Mexico  an. 

Von  den  anderen  Personen  erwähne  ich  zunächst  die  im 
Feld  7  (vom  unteren  Wege  an  gerechnet)  neben  Quauhtemoc 
angegebene  (Abb.  114),  die  in  der  Beischrift  als  Don  Martin 
Cortes  Nermialtecolotzin  angegeben  wird.  Der  Xame  ist 
mir  aus  anderen  (Quollen  nicht  bekannt.  Der  Kopf  ist  mit 
einfach  herabfallenden  Haaren,  ohne  Häuptlingsfrisur  und  ohne  königliche 
Stirnl)inde  gezeichnet.  Aber  oberhalb  des  Kopfes  ist  die  königliche 
Stirnbinde  aus  Türkismosaik  angegeben.     Das  ist  die  aus  Codex  Mendoza 


Abb.  112. 
lion  diego 

tefpfz- 
qttititzi)!. 

Sahagun-Ms. 

Academia  de 

la  Historia. 


6^ 


Abb.  113. 

tftlarevetz- 

qia'fifzöi. 

Sahagun-Ms. 

Academia  de 

la  Historia. 


1)  Chiinalpahin  p.  99. 

2)  Chimalpahin  p.  2(,>7. 

3j  Chimali)ahin  p.  241,  250;  Sahagun-Ms.  Acad.  Historia. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Hmnboldt's. 


217 


bekannte  liieroglyphischo  Bezeichnung  für  das  Amt  dos  tlacateccatl.  Vgl. 
Abb.  115,  die  Blatt  17  des  Codex  Mendoza  entnommen  ist.  Die  Hieroglyphe, 
die  hinter  dem  Kopfe  angegel)en  ist,  entspricht  genau  dem  Namen  Ne^aual- 
tecolotl,  der  „fastende  Eule"  bedeutet.  Denn  der  hintere  Theil  der  Hiero- 
glyphe zeigt  das  deutlich  gezeichnete  (Jesicht  einer  Eule.  Und  der  vordere 
Theil  ein  aus  verschiedenfarbigen  Streifen  geflochtenes  Band,  mit  ab- 
stehenden Enden,  das  ein  bekanntes  und  allgemein  verstandenes  Symbol 
für  necaualli  „Fasten"  ist.  Vgl.  die  Hieroglyphen  von  Negaualcoyotl  „der 
fastende  Coyote"  (Abb.  116a,  b)  und  Necaunlpilli  „der  fastende  Prinz"  oder 
„das  fastende  Kind"  (Abb.  117a,  b).  Die  Abbiklungen  116a,  117a  sind  dem 
Codex  'relleriano-Homensis,   die   Abliil<hin"('n   IKib.   1171»    dem   Sahao;un- 


^sm 


Abb.  114.     tloii  inj II   fiorfi's 
ii(r(ir<(lfocoUotziii. 


Abb.  116. 
Hieroglyphe 

flacatfi-rnfl. 

Codex 
Mendoza  17. 


Abb.  ilGa.   Hieroglyphe 

Np^aKulcoijotl.    Codex 

Telleriano-Remensis  f.   36. 

(=  Kings- 

borough  IV,  13). 


Abb.  116b.  Hieroglypbt 

Ne^aii((lr<)i/()tl. 

Sahagun-Ms. 

Academia  de  la 

Historia. 


Abb.  117  a.  Hieroglyphe 
Ne<:ai(((lj)llli.    Codex 
Telleriano  -  Remensis 

f.  36  (-  Kings- 
borougb  IV,    l3). 


Abb.  117  b.  Hieroglyphe 

Sahagun  -  Ms. 

Academia   de   la 

Historia. 


^fMiiuskript  dei"  Academia  de  la  Historia  entnonunen.  Das  Symbol  entstammt 
dem  Gebrauch,  zum  Zwecke  des  Fastens  sich  einzuschliessen.  Und  wo  die 
l^inscliliessung  nicht  wirklich  ausgeführt  ward,  wurde  sie,  wie  es  scheint, 
markirt  durch  einen  King,  der  aus  den  unten  weisslich,  oben  grün  ge- 
färbten Stengeln  der  aztapüin  oder  oztopüin  genannten  Binsenart  geflochten 
wurde.  Vgl.  die  Abb.  118,  S.  218,  dem  Codex  Borgia  entnommen,  die  den 
das  Muschelliorn  blasenden  und  den  Wasserkrug  auf  der  Schulter  tragenden 
Fastenden  innerhalb  einer  aus  grün  und  weissen  Streifen  geflochtenen  Ein- 
zäunung zeigt.  in  parallelen  Stellen  des  Codex  Borgia  und  des  Codex 
Yaticanus  B  ist  ein  im  Kasten  eingeschlossener  Mensch  gezeichnet,  den 
Dorn  der  Kasteiung  in  der  einen  niul  den  grünen  acioyatl  Busch  in  der 
anderen    Hand    schwingend.       Und    an    entsprechender    Stelle    des    Codex 


218 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschrifteu. 


Telleriano-Remeiisis  und  Vaticaiius  A  ist  l^etzalcouatL  dor  Gott,  der  al> 
Erfinder  der  Kasteiung  galt,  in  ähnlicher  Weise  liewaffnet,  innerhalb  einer 
schachtelartigeu,  aus  zwei  Tlieilen  bestehenden  Einzäunung  zu  sehen. 

Es  folgt  (Abi).  HD)  in  F(dd  \y 
ein  Kopf,  der,  gleich  dem  Motel- 
chinlt  des  Feldes  o,  die  lläupt- 
lingsfrisur  temillotl  trägt.  Die  Bei- 
sohrift  nennt  ihn  Ananacatzin 
il.  h.  „aus  tlem  Lande  am  Wasser, 
aus  dem  Küstenlande"  ^).  Dieser 
Name  ist  hier  hieroglypliisch  durch 
einen  von  Wasser  umflossenen 
Kreis  dargestellr.  denn  anauati 
heisst  „der  King".  In  dem  oben 
mehrfach  zitirten  Personalregister 
(Ms.  Mexicain  Nr.  3  Bibl.  Xat.) 
kommt  Anauacatl  als  Name  eines  Bürgers  von  Almot/auacan  vor  und 
wird  daselbst  durch  die  Abb.  120  zum  Ausdruck  gebracht,  d.  h.  durch 
einen  Wassertrom,    der  vor  dem  Munde   einer   Person   und    nach   Art  de^ 


<t^ 


Abb.  118.    iiiocaitaii/,  der  Fastende. 
Codex  Borgia  9.     (=  Kingsborough  30.) 


Abb.  IUI. 
auacacatzin. 


Abb.  120.     Aiifdiacatl. 
Ms.  Mexicain  Nr.  3.    Bibliotheque 
nationale. 


Abb.  121. 
xaxaqKdlfziii. 


Abb.  122.    ri(itIacJürifziit. 


Abb.    123.      rlfziuiratl. 


Abb.  124.    ra.rf<j)i,-(itl 
potlaralcdtl. 


Züngelchens,  das  die  Rede  bedeutet,  angebracht  ist.  Denn  ntl  heisst  das 
Wasser  und  nauatl  die  deutliche,  verständliche  Rede.  Wohin  iiev  Anauacatl 
unserer  Handschrift  gehört,  vermag  ich  nicht  anzugeben. 

1)  Dass  mit  dem  Worte  Anauac  das  Küstenland  bezeichnet  wurde,  und  dass 
es  ein  Unding  ist,  von  dem  „Plateau"  von  Anahuac  zu  reden,  habe  ich  in  Comptes 
rendus  >>.  session  Congres  Internat.  Americanistes  Paris  18!>0,  p.  öbG,  f^>^l  und 
10.  Session.    Stockholm  1894,  p.  211— -244  nachgewiesen. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  21*.> 

Es  folgt  (Abb.  121)  in  Feld  10  ein  Kopf  mit  einfach  Iierabfallendeni 
Maar,  den  die  Beischrift  als  Xaxaqualtzin  bezeichnet.  Xaqunloua  bedeutet 
„Reiben".  Und  diese  Handlung  ist  in  der  Hieroglyphe  durch  zwei  Hände, 
die   eine  Art  Scheuerwisch  in   Bewegung  setzen,  dargestellt. 

In  dem  folgenden  Feld  11  (Abb.  \'2'1)  ist  wieder  ein  Kopf  mit  der 
Häuptlingsfrisur  temillotl  gezeichnet^).  Die  Beischrift  nennt  ihn  Ctiet- 
lachicitzin  „Wickelbärfeder'',  und  das  ist  in  der  Hieroglyplie  durch  den 
Kopf  eines  Wickelbärs,  der  mit  Federbällen  besetzt  ist,  zum  Ausdruck  ge- 
Ijracht.  In  den  Annalen  Chimalpahin's  wird  ein  Cuetlachiuitzin  ge- 
nannt, der  im  .lahre  l.')61  als  Herr  von  Tequanipan  eingesetzt  ward  und 
im  .lahre  l')72  starb.  Ich  vermag  indes  nicht  anzugeben,  ob  dieser  in 
unserer  Handschrift  gemeint  ist.  Ich  halte  es  im  Gegentheil  für  nicht 
wahrscheinlich,  (hi  im  Uebrigen  keine  Beziehungen  unserer  Handschrift 
zur  (legend  der  Chalca  vorliegen. 

In  Feld  VI  folgt  (Abb.  128)  wieder  ein  Kopf  mit  einfach  heral)fallendem 
Haar.  Die  Beischrift  nennt  ihn  UitznauaU  und  das  ist  in  der  Hieroglyphe 
«lurch  die  abgeschnittene  dornige  Spitze  eines  Agave- Blattes  (=  uitztli 
..Dorn")  und  das  Züngelclien  der  Rede  davor  (=  nauati  „deutliche  Rede") 
zum  Ausdruck  gebracht.  Der  Dorn,  die  Spitze  des  Agave-Blattes,  ist  unter 
schräger  Theilung  zur  Hälfte  roth  gemacht,  um  ihn  als  mit  Blut  bedeckt 
zu  bezeichnen.  Diese  dornigen  Spitzen  des  Agave-Blattes  dienten  bei  den 
religiösen  Kasteiungen  und,  wie  auf  den  hinteren  Blättern  des  Codex 
Mendoza  reichlich  zu  sehen  ist,  auch  zu  Straf-  und  Erziehungszwecken. 
Das  Woi't  uitztmuatl  war  ein  Titel,  der  in  Mexico  und  anderwärts  mit 
einer  bestimmten  militärischen  oder  staatlichen  Würde 
verbunden  war.  Wir  sahen  ol>en.  dass  Mote/chiuh  diesen 
Titel  führte.  Der  Plural  uitzjiaua  bezeichnete  eine 
Klasse  von  Dämonen,  die  von  Uitzilopochtli  besiegt  und 
vernichtet  wurden.  Und  uitznauac  oder  uitznauatlavipa 
ist  die  Region  des  Südens. 

In  Feld  13  folgt  (Abb.  124)  gleichfalls  ein  Kopf  mit 

einfach    herabfallendem    Haar.       Die    Beischrift    besagt 

ua.itepecatl  ■petlacdlcatl.      Der    erste  !Name  bedeutet  „der 

aus     Ua.vtepec     (aus    dem    Ort    des    uaxin^    der    Acacia       Abb.  12.:).    Uieru- 

esculenta  L.)-.     Uaxtepec  war    ein  Ort  im   Distrikt  von       »^^»'^^  der  Stadt 
'  ,  !  K.rtPixr.     Codex 

Cuernavaca.  also  schon  in  ziemlich  warmem  l^ande  (tierra  Mendoza. 

templada)  gelegen.    Die  Könige  von  Mexico  hatten  hier 

iliren  jardin  d'acclimatation,  d.  h.  sie  Hessen  hierher  Bäume  und   Pflanzen 

aus  der  Tierra  Caliente,  die  ihnen  interessant  erschienen,  verpflanzen,  und 

giengen  hierher  zur  Erholung  und  Erlustigung.     Hieroglyphisch  wird  der 

Ort  durch  die  Abb.  125  dargestellt,  d.  li.  durch  einen  Berg  und  einen  Baum. 


J)  Ein  Sohn  König-  Tirocic's,  vgl.  Crönica  Mexicana  82,  p.  ö72. 


■2-20 


Zweiter  Abschuitt:    Bilderschriften. 


aus  dosiseii  Wii^feln  die  langen,  knotig  gegliederten  (i.  d.  Iv.  lotli  gemalten) 
Akazienhülsen  lieriinterliängeü.  Petlacalcatl  lieisst  „der  A'er^Yalter  des  Matten- 
liauses".  Das  letztere  war  eine  Art  öffentlichen  Magazins,  wo  Matten  und 
andere  iMnrichtungsgegenstände  (die  gebraucht  wurden,  wenn  fremde  fürst- 
liche (»äste  kamen)  aufbewalirt  wurden.  Der  petlacalcatl  leitete  die  öffent- 
lichen Arbeiten,  wie  uns  die  dem  Codex  Mendoza  71  entnommene  Abb.  126 
zeigt.  Hier  ist  links  der  petlacalcatl  dargestellt,  mit  vielen  Züngelchen 
vor  dem  !A[unde,  zum  Ausdrucke  der  Ermahnungen,  die  er  den  zur  Arbeit 
Kommandirten  zu  Theil  werden  lässt.  In  der  Mitte  steht  der  Korb  und 
das  Arbeitsgeräth  {uictli  oder  coauacatl).  das  wir  oben  schon  kennen  lernten, 
und  rechts  kauert  der  weinende,  zur  Arbeit  kommandirte  Jüngling.  Auf  diese 
Funktion  des  petlacalcatl  bezieht  sich  die  Hieroglyphe,  die  in  unserer  Hand- 
ischrift  Feld  13  (Abb.  124,  S.  218)  hinter  dem  Kopf  des  Mannes  zu  sehen  ist,  und 
die  das  Bild  des  eben  erwähnten  Arbeitsgeräthes,  das  wir  oben  schon  als 
hieroglvphisclien   Ausdruck  für  tläcolitli  angetroffen   haben,    uns  vor  Augen 


i^v^^MWa 


Abb.  126.    potUicdlruil  mayordomo:  coaiKiratl  j  mancebo.   —  Codex  Mendoza  71,  11. 


führt.  Das  erste  Wort  der  Beischrift,  uaxtepecatl^  ist  in  der  Hieroglyphe 
nicht  ausgedrückt.  Personen  dieses  Namens  sind  mir  nicht  bekannt.  Es 
ist  auch  wahrscheinlich,  dass  Ua.ctepecatl  hier  nicht  als  Eigenname  steht, 
.sondern  zur  Bezeichnung  des  Bezirks,  dem  der  Beamte  angehörte.  Man 
findet  nämlich  häufig  die  Gouverneure  der  ProA'^inzen  statt  mit  ihren  Eigen- 
namen mit  der  Adjektivform  des  betreffenden  Bezirks  angeführt:  Cuetlaw- 
tecatl  „der  Gouverneur  von  Cuetlaxtlan"  u.  s.  w.  So  kann  auch  hier  uax- 
tepecatl  petlacalcatl  einfach  „der  Magazinverwalter,  der  Verwalter  des  Bezirks 
llaxtepec''  l)edeuten. 

Zwischen  Feld  13  und  Feld  14  ist  in  unserer  Handschrift  der  kleinere"- 
Wasserstrom  angegeben,  der,  wie  ich  sagte,  quer  über  das  Blatt,  vom 
Weg  zur  Rechten  nach  dem  Wasser  zur  Linken  führte.  Dann  folgt  nach  oben 
in  Feld  14  (Abb.  127)  ein  Kopf  mit  einfach  herabfallendem  Haar,  bei  dem 
die  Buchstaben  der  Beischrift  zum  Theil  zerstört  und  durch  einen  dunklen 
Fleck  undeutlich  gemaclit  sind.  Die  Hieroglyphe  hinter  dem  Kopf  lehrt 
aber,  dass  die  Beischrift    Itzpotoncatzin    gelesen  werdeu   muss,    d.  h.    „der 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexandfr  von  Humholdt's. 


221 


mit  Obsidianmessern  statt  mit  Federn  beklebt  ist."  Denn  die  Hieroglyphe 
zeigt  ein  Steinmesser  (=  itztli  ^iesser,  Obsidian)  und  daran  geklebte  Feder- 
bälle (=  potonqui  „mit  Federn  beklebt").  Das  Ankleben  von  Dannenfedern 
auf  das  Haar  und  die  nackte  Haut  gehörte  zur  Festtracht.  So  beklebten 
sich  die  jungen  Mädchen  zum  Fest  die  Arme  und  die  Beine  mit  rothen 
Federn.  Und  weil  das  Bekleben  mit  Federn  Festtracht 
War,  so  wurde  auch  das  Opfer  so  geschmückt,  dieses 
aber,  um  anzudeuten,  dass  es  zum  Tode  bestimmt  sei, 
mit  weissen  Federn.  Insbesondere  wurden  die  zum 
Sacrificio  gladiatorio  bestimmten  mit  weisser  Infusorien- 
erde (ti^atl)  angestrichen  und  mit  weissen  Daunenfedern 
(iuitl)  l)eklebt.  (Vgl.  Abb.  128.)  Das  Uebersenden  von  f.icati  und  iuitl 
war  deshalb  Kriegserklärung.  Man  bestimmte  den  Gegner  damit  syml)olisch 
zum  Opfertod.  Daher  ist  im  Codex  Telleriano-Remensis  regelmässig  die 
Eroberung  einer  Stadt  durch  das  Bild  eines  weiss  und  punktirt  an- 
gestrichenen und  mit  Federbällen  beklebten  Mannes  dargestellt  (vgl,  Ab- 
bildmig  121>).  und  im  Codex  3Iendoza  -i?  sehen  wir  die  Kriegserklärung 
an  einen  uubotmässigen  Kaziken  in  dieser  Form  bildlich  dargestellt  (Ab- 
bildung 130,   S.  222).      Der   Gesandte  des  Königs  beklebt  dem  in  reichen 


Abb.  127. 


.\bb.  128.    Sacrificio  gladiatorio. 
Bezeichnung  für  tlacaxipeualizili, 
Jas   zweite  Jahresfest  der  Mexi- 
kaner.   Codex  Anbin. 


Abb.  129.     KUHaiitli,   zum  Sacrificio 

gladiatorio    bestimmter  Gefangener. 

Bezeichnet   Eroberung   einer   Stadt. 

Cod.  Tell.-Rem. 


Mantel  auf  seinem  Stuhle  sitzenden  Kaziken  das  Haupt  mit  Federbällen 
und  richtet  ihm  die  Botschaft  aus.  Ein  anderer  bringt  ihm  den  Schild, 
der  ebenfalls  zur  Ausstaffirung  des  zum  Sacrificio  gladiatorio  Bestimmten 
gehörte. 

Im  nächsten  Feld  15  (Abb.  131,  S.  222)  ist  ein  Ko])f  mit  einfach  herab- 
fallenden Haaren  gezeichnet,  der  in  der  Beischrift  Lceuatzin  genannt 
wird,  ijc-tli  heisst  „Gesicht,  Vorderseite,  Gegenwart,  Auge'',  euatl  heisst 
..die  Haut"  und  diente  insbesondere  auch  zur  Bezeichnung  der  aus  Feder- 


.)•).) 


^. 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


jirbeit  liergestellreii  Praclitwämniser.  die  von  den  vornehmen  mexikanischen 
Kriesrorn  üLer  den  Wattenpanzern  ichca-uipilli.  die  den  eigentlichen  Kör])er- 
.schutz  darstellten.  getraj;-eu  wurden.  In  Abi».  132  habe  ich  ein  solches 
Kriegswanims  aus  Federarbeit  wiedergegeben,  das  im  Codex  Mendoza  40.  i> 
als  Hi(^roglyphe  für  die  Stadt  Cocouipiiecan  ..wo  die  Leute  Kriegswämmser 
aus  gelben  Federn  tragen"  gebraucht  ist.  Ein  wirkliches  euaü  d.  h.  eine  ab- 
gezogene Menschenhant  (tlaca-euail) 
trägt  der  Gott  Xipe  „der  Geschun- 
dene", der  rotlie  Gott  der  Yopi  und 
Tlapaneca.  Die  Hieroglyphe  in 
Feld  15  unserer  Handschrift  zeigt, 
der  hier  angegebeneu  Bedeutung 
des  Namens  entsprechend,  oben  ein 
Auge  (=  ictli)  und  ilarunter  ein  Hemd 
von  der  Form  der  Abb.  132.  aber 
mit  daranhängenden  Händen,  mit 
einem  Schnitt  quer  über  die  Brust 
und  ein  Paar  Flecken  darunter. 
Es  ist  ersichtlich,  da^s  diese  Zeich- 
nung nicht  ein  Federhemd,  sondern 
eine  wirklich  abgezogene  Haut,  wie 
sie  Xipe  trug,  darstellen  soll.  Die 
Oeffuung  quer  über  die  Brust  be- 
zeichnet den  Schnitt,  der  gemacht 
wurde,  um  dem  Opfer  das  Herz  herauszureissen;  und  die  Flecke  sollen 
Blutflecke  bedeuten.  Das  ist  noch  deutlicher  in  der  verwandten  Hieroglyphe 
in  Feld  24  (Abb.  145  unten  S.  227.  wo  die  rotheu  Flecke  —  Blutflecke  auf 
dem  gelben  Grunde,  der  die  Toteufarbe  der  abgezogeneu  Haut  bezeichnet 
—  klar  erkennbar  sind. 


Abb.  130,  Kriegsankündigung.  Codex  Men- 
doza 47.  »lofroiitlaii,  iHoqiiathin  nlepachoa 
ifK  ticatl,  i/tt  ifuitl,  »imitzpaiitia,  iiimitz- 
tfteiihf/'a.  Olmos.  Arte  para  aprender  la 
lengua  Mexicaiia,  cap.  iS. 


Abb.  181. 
iprevatziii. 


Abb.  132.  Hieroglyphe 
der  Stadt  Coeouipilecan. 
Codex   Mendoza  40,  9. 


Abb.  133. 
rorayvitzin. 


Abb.  134. 
i/niexayacatzi. 


Auf  dieses  Feld  folgt  in  Feld  16  die  Abb.  111.  der  Kopf  und  die 
Hierogl}-phe  Don  Diego  de  S.  Francisco  Teuetzquifitzi/i's.  ül>er  die  ich  oben 
(Seite  216)  schon  gesprochen  habe. 

In  Feld  17  ist  wieder  ein  Kopf  mit  der  Häui)tliugsfrisin-  temillotl  ge- 
zeichnet (Abb.  138).     Die  Beischrift  besagt  cmia-yvitzin  „Schlaugenfeder'-, 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboklt's.  223 

und  (las  ist  in  der  Hieroglyphe  durch  eine  mit  Federbällen  besteckte  Schlange 
dargestellt.  Der  Name  Coua-iuitl  wird  in  den  Annalen  Chimali)iihin"s 
erwähnt.  C'himalpahin  erzählt  dort,  wie  nach  der  Uebergabe  der  Stadt 
die  oben  genannten  fünf  Fürsten  der  Mexikaner  gefangen  nach  Coipuacan 
uetiihrt  wurden,  und  fährt  (hmn  fort:  yhuan  teohua  Cuauhcohuatl  yhuan 
('ohuayhuitl.  Tecohuatzin  Tetlanmecatl  quintemolli  „und  nach  dem 
Priester  (^uaulicouatl  und  nach  CouaiuitL  Tecouatzin,  Tetlanmecatl  suchte  man'-. 
—  Es  ist  nicht  unmöglicli,  (hvss  der  hier  genannte  CouaiuitI,  über  den  ich 
indes  niciits  Näheres  angeben  kann,  auch  in  unserer  Handschrift  gemeint  ist. 
Es  folgt  in  Feld  IS  ein  Kopf  mit  einfach  herabfallendem  Haar  (Abb.  134), 
der  tler  Beisc  hrift  nach  den  Namen  huexayacatzin  führt.  Die  Hieroglyphe 
zeigt  ein  menschliches  Bein,  auf  dessen  oberen  Schenkel  ein  Gesicht  ge- 
malt ist.  Das  ist  die  genaue  Wiedergabe  dessen,  was  der  Name  besagt. 
Xayacatl  heisst  das  (iesicht.  Und  ime.cayacatl  ist  eigentlich  imea'-.vayacatl, 
Aas  ist  durch  Assimilation  des  Endkonsonanten  des  ersten  Worts  aus 
imetz-d-ayacatl  entstanden,  d.  h.  „(Uis  aus  seinem  (oder  ihrem)  Schenkel 
(metz-tli)  gefertigte  Gesicht."  Der  Name  bezieht  sich  auf  eine  Zärimonie, 
die  bei  dem  Besenfeste  Ochpaniztli,  dem  Feste  der  Göttin  Teteo  innan 
oder  Tod,  vorgenommen  wurde.  Bei  diesem  Feste  war  das  Opfer  eine 
Frau,  die  —  wie  allgemein  bei  den  Festen  der  Mexikaner  üblich,  —  als 
Abbihl  der  an  dem  Fest  gefeierten  Gottheit  galt  und  diese  in  Tracht  und 
im  Thun  repräsentirte.  Diese  Frau  wurde  nachher  (—  (hirch  Köpfen, 
widirend  ein  Priester  sie  auf  den  Kücken  nahm  -)  geopfert  und  un- 
niittelliar  darauf  geschunden.  In  die  abgezogene  Haut  kleidete  sich  ein 
Priester,  der  dann  weiterhin  an  dem  Fest  die  Göttin  repräsentirte.  Aus 
der  Haut  des  Schenkels  aber  wurde  eine  Maske  gefertigt,  die  me.rayacatl, 
oder  richtiger  i-mea;-a;ayacatl„da,a  aus  ihrem  Schenkel 
verfertigte  Gesicht''  genannt  wurde.  Sie  wurde 
zusammen  mit  einem  sonderbaren  Kopfputz  ge- 
tragen, dei'  itztidcoliahqin  „der  scharfe  Gekrümmte" 
genannt  wui-de  und  in  dem  betreffenden  Sahagun- 
Kapitel  (Buch  "J,  cap.  30)  genau  Ijeschrieben  ist. 
Er  galt  als  das  Symbol  der  Kälte  und  der  Ver- 
härtung. Verblendung,  des  L'nheils  und  der  Sünde. 
Ich  habe  in  der  Abb.  135  diese  Maske  und  diesen 

Kopfaufsatz    nach    dem     Sahagmi-Manuskrii^t    der       ^hh.  Vdb     nnranarutl.- 
.  ...  .  Sahagun-Ms.    Academia 

Academia  de    la  Historia  wiedergegeben,   wo  beide  jg  la  Historia. 

vereint  als  ein  Kriegerabzeichen  unter  dem  Namen 

laexayacatl  abgebildet    sind.      Die  Maske  vie.rayacatl    und    den    Kopfaufsatz 

itztlacoliuhqui  legte  der  Cmteotl,  der  (Jott  der  Maispflanze  —  oder  eigentlich 

der    reifen    trocknen    harten    Maiskolben,    die  cintli   genannt    wurden    — . 

der  Sohn  <ler  alten  Erdnmtter  Teteo  innan  an.  und  es  entspann  sich   dann 

zwischen    ihm    und    seinem  (Jefoly:e  einerseits    un<l    dem    in   die  Haut   des 


224 


Zweiter  Absclmitt:   Bilderschriften. 


Opfers  gekleiileten,  die  Göttin  repriiseiitireiideii  Priester  andererseits  ein 
Kampf,  der  vielleiclit  die  Verjaguni;-  der  Fröste,  die  der  Maispflaiize 
drohen,  und  anderer  Schädlichkeiten  symbolisiren  sollte.  Diese  Schädlich- 
keiten dachte  man  in  ilen  me.vayacatl  gebannt.  Darum  wurde  derselbe 
nachher  am  Schluss  des  Festes  von  erlesenen  Kriegern  im  Laufschritt 
irgendwohin  über  die  Grenze  in  feindliches  Gebiet  gebracht^). 

In  dem  folgenden  Feld  19  (Abb.  136)  nennt  die  Beischrift  den  Namen 
.npanoctzin.  Das  muss  eigentlich  xip-panoc-tzin  gelesen  werden,  durch  Assi- 
milation aus  xiuh-pa7ioc-izin  entstanden,  ähnlich  wie  xip-palU  „color  turque- 
saiki"  aus  .viuh-palli  entstanden  ist.  Der  Name  enthält  demnach  die  Elemente 
d'iuh  (oder  mit  Artikel,  xiuitl)  „Türkis"  und  p«7io  „über  einen  Fluss  setzen" 
panoc  „der  über  einen  Fluss  setzt''.      Beide  Elemente   sind   in  der  Hiero- 


Abb.  13(;. 
.ripaiiortzi)!. 


Abb.  1P.7. 


Abb.  138. 


Abb.  139. 
acaqayoUzin . 


Abb.  140. 
fiinaqiipmptzin. 


Abb.  141.    Hieroglyphe 
Tequemecan.  Cod.  Mendoza. 


Abb.  142.    Hieroglyphe 
Azfaqiieniecan .  Cod.  Mendoza. 


glyphe  klar  zum  Ausdruck  gelangt.  XiuJi  durch  die  Hieroglyphe  des 
Türkises  (vgl.  Abb.  51,  oben  S.  191).  Und  das  über  den  Fluss  setzen 
durch  den  Nachen,  der  darunter  gezeichnet  zu  sehen  ist. 

Im  Feld  20  darüber  (Abb.  137")  ist  die  Beischrift  durch  Bruch  des 
Blattes  wieder  undeutlich  geworden.  Ich  glaube  aber  deutlich  Tepotzitotzin 
zu  lesen.  Der  Name  enthält  die  Elemente  tepotz-tli  „Buckel"  und  itoa 
„reden".  Die  Hieroglyphe  zeigt  daher  einen  menschlichen  Rumpf  mit 
gekrümmtem  Rücken  und  längs  desselben  die  Züngelchen,  das  Zeichen 
der  Rede. 

Im  folgenden  21.  Felde  (Abb.  138)  ist  die  Beischrift  durch  eine  vor- 
genommene Korrektur  ebenfalls  undeutlich  geworden.  Ich  glaube  yaote- 
quacuiltzin  zu  lesen,  was  mit  Priester  Yaotl\  übersetzt  werden  könnte. 
Denn    tequacuüli    war    eine    Bezeichnung    einer    bestimmten    Klasse    von 


1)  Sahagun  2,  cap.  30. 


4.    Die  inexikauischen  ßilderschiifteu  Alexander  von  Humboldt's. 


225 


Priestern,  und  Yaotl  „der  Krieger",  war  einer  der  Namen  des  Gottes 
Tezeatlipoca.     Eine  Hieroglyphe  fehlt. 

Im  Feld  22  darüber  (Abb.  139)  besagt  die  Beischrift  aca-^ayol-tzin 
«I.  h.  „Rohrniücke".  Die  Hieroglyphe  zeigt  das  Bild  des  Rohrs  (acatl)  und 
darüber  eine  Mücke  (^.ai/olin),  braun  gemalt. 

Im  Feld  23  (Abb.  140)  lesen  wir  Amaquemetzin^),  „der  ein  Gewand  aus 
Rindenpaj)ier  trägt.''  Mit  quemitl  „Gewand"  bezeichneten  die  Mexikaner 
eine  Art  Decken,  in  der  Regel  aus  mehr  oder  minder  kostbaren  Federn 
gefertigt,  die  den  Idolen  von  vorn  um  den  Hals  gebunden  wurden,   daher 


c  d 

Abb.  143  a — e.    Tcpidotou.    Berggöttcr. 


—  Sahagun-Ms.    Bibl.  Palacio. 


von  den  Spaniern  gewöhnlich  „delantal"  genannt.  Und  amaü  ist  der 
Bast  einer  Feigenart,  der  im  alten  Mexico  namentlich  zum  billigen  Aus- 
putz von  Idolen  viel  verwendet  wurde.  Amaqueme  „mit  Gewand  aus 
Rindenpapier  bekleidet"  hiess  das  Idol  auf  dem  Berge  bei  Amaquemecan, 
im  Gebiet  der  Chalca,  der,  allerdings  christianisirt  und  Monte  Sacro  ge- 
tauft, noch  heute  bei  den  Bewohnern  aller  Thäler  in  der  Ruude  in  hohem 
Ansehen  steht,  und  zu  dem  von  weither  gewallfahrtet  wird.  Die  Hiero- 
glyphe in  Feld  23  zeigt  die  in  den  Handschriften  übliche  Form  des  quemitl 
(vgl.  Abb.  141,  142  die  Hieroglyphen  von   Tequemecan   und  Aztaquemecan), 


1)  Amaquemetzin  ist  Chimalpahin  1Ö6  als  Sohn  König  'J'i<,-oc's  genannt. 
Seier,  Gesammelte  Abbandlungen  1.  X5 


226 


Zweiter  Abschnitt:    Bildorsclirifton. 


aber  weiss,  unbemalt.  nur  mit  ein  Paar  schwarzen  Zeichiiimgen  versehen, 
die  wohl  als  mit  heissgemaohtem  flüssigem  Kautschuk  aufgetropft  zu  denken 
sind.  Aehnliche,  mit  Kautschuk  betropfte  papierne  quemitl.  die  auch  tefeuitl 
genannt  wurden,  spielten  wenigstens  beim  Kultus  namentlich  der  Berggotter 
eine  grosse  Rolle.  Mit  ihnen  wurden  auch  die  kleinen  Idole  der  Berg- 
götter, die  Eeatotontin,  behangen,  die  man  am  TepeilhuifL  dem  Feste  der 
Berggötter  anfertigte.  Vgl.  in  Abb.  143.  S.  "225  die  Figuren  der  Berge 
Popoca  tepetL  Iztac  tepetl,  Matlalcuei/e  u,  a.  aus  dem  Sahagun-Manuskript  der 
Biblioteca  del  Palacio  und  Abb.  144.  eine  Reihe  von  tefeuitl,  die  ein  Opfer 


Abb.  144.      Opfer  au   die   Berggötter. 
Bilderhandschrift  der  Florentiner  Biblioteca  Nazionale.     Blatt  tili. 


an  die  Berggötter  darstellen.  Beiläufig  erwähne  ich.  dass  der  Zeichner 
Kingsl)orough"s  die  Hieroglyphe  Abb.  140.  die  farblos  ist  und  farblos 
sein  muss.  irriger  "Weise  gelb  und  rotli  kolorirt  hat. 

In  Feld  24  (Abb.  145)  gibt  die  Beischrift  den  Namen  eua-tlatitzin  d.  h. 
-der  die  Haut  verbirgt."*  Als  Hierogly]ihe  ist  ein  euati,  ein  aus  einer  ab- 
gezogenen Menschenhaut  gefertigtes  "SVams  gezeichnet,  ähnlich  dem  in  der 
Hieroglyphe  des  Feldes  15  (Abb.  131.  oben  S.  222).  Der  Xame  eua-tlati-tzin 
bezieht  sich  auf  die  Zärimonie,  die  am  Schluss  des  TIaca.ripeuah'ztli,  des 
Fe.stes  des  Gottes  Xipe.  vorgenommen  wurde,  dass  nämlich  diejenigen,  die 
aus  besonderer  Devotion  gegen  Xipe  20  Tage  lang  die  abgezogenen  Häute 
der  Geopferten  getragen  hatten,  diese  in  feierlicher  Prozession  nach  einem 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  227 

bestimmten  Ort  im  Tempel   Xipe's  brachten.     Das   nannte   man   eua-tlati-lo 
„»Ins  Verbergen,  Abtragen  der  Hänte." 

Das  2.').  Feld  ist  leer.  Im  2().  Feld  endlich  (Abb.  146)  ist  ein  Kopf 
gezeichnet,  den  die  Schrift  darüber  Teilpitzin  nennt,  d.  h.  „der  die  Leute 
bindet.''  Die  Hieroglyphe  zeigt  einen  in  eine  Schlinge  zusammengebundenen 
Strick,  ein  oline  Weiteres  verständliches  Symbol. 

Damit  endet  die  Liste.  Von  bekannten  Namen  sind,  wie  wir  gesehen 
haben,  nur  wenige  eingetragen.  Diese  aber  gehören  ungefähr  in  eine 
Zeit.  Es  sind  die  sämmtlichen  wirklichen  Nachfolger  Motecuhcomah,  mit 
Ausnahme  des  ersten,  Cuitlauatzin,  der  aber  bekanntlich  nach  wenigen 
Wochen  durch  die  Pocken  dahingerafft  wurde,  und  mit  Ausnahme  der 
beiden  letzten  Governadore,  Cecepatitzin^^,  der  auf  Teuetzquititzin  folgte, 
und  seines  Nachfolgers  Nanacacipactzin^  des  letzten  von 
der  alten  königlichen  Familie,  der  eine  Art  Herrscher- 
amt ausgeül>t  hatte.  Es  scheint  demnach,  dass  bei 
■  unserem  Blatt  es  sich  um  Ländereieii  handelte,  die  könig- 
liches Allod  waren,  die  aber  nach  Motecuh^omas  Tode  Abb.  145. 
wohl  nicht  als  Ganzes  auf  seinen  Nachfolger  übergiengen.  hcratlatitzin. 
sondern  zum  Theil  unter  andere  Besitzer  vertheilt 
wurden. 

Ich  o-laube,  dass  diese  Handschrift  einen  Bestandtheil 
der  von  Boturini  zusammengebrachten  Sammlung  bil- 
dete, und  in  dessen  Museo  Indiano  unter  §  VIII  Nr.  8 
beschrieben  ist.  Boturini  gibt  dort  folgende  Be- 
schreibung: —  Otro  mapa  en  papel  Indiano,  donde  se  i)intan,  al  parecer 
y  por  lo  que  se  puede  decir  ahora,  unas  tierras  solariegas  de  diferentes 
\Senores,  empezando  de  dicho  Emperador  Moteuchziima,  y  siguiendo  ä 
otros  hasta  los  tiempos  de  la  christiandad. 


Abb.  146. 
teijlpitzi)i . 


III.    IV. 


Das  sind  zwei  Bruchstücke  einer  grösseren  Handschrift,  die  der 
Sammlung  des  Cavaliere  Boturini  angehört  hatte.  In  dem  Inventar,  das 
nach  der  Verhaftung  Boturin i's  von  der  Sammlung  aufgenommen  wurde, 
ist  dieselbe  in  dem  IV.  Inventar  unter  der  Nr.  'IQ  mit  folgenden  Worten 
beschrieben:  —  „Un  mapa  grande,  papel  de  maguey  gordo  con  pinturas 
roscas,  muy  maltratado;  trata  de  las  cosas  de  la  conquista  de  Cuanmanä 
y  otros  lugares,  de  los  espanoles,  con  unos  rios  de  sangre,  que  indican  las 
batallas  crueles  que  hubo  de  los  indios"  ^).  —  Boturini  selbst  beschreibt 

1)  Peüafiel.     Monumentos  de!  arte  niexicano.     Texto.  p.  •>!. 

15* 


•J-J.s  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

sie  in  dem  Catalogo  ilel  Museo  Indiauo  del  Cavallero  Boturini^,  etwas 
austuhrliclier.  Er  sagt  daselbst  >j  XX,  2:  —  ,.Otro  Mapa  muy  grande  de 
uua  pieza.  y  maltratado  a  los  dos  lados,  de  papel  gruesso  Indiaiio.  Tieiie 
de  largo  algo  mas  de  ocho  varas,  y  de  ancho  dos  varas  y  quarta,  y  trata 
cou  toscas  Pinturas  de  las  crueles  guerras  de  la  geutilidad  entre  diferentes 
Piieblos,  cuyos  nombres  son  Hecatipec,  Buf/atepec,  Amolttpec.  Nientla/i, 
TzatzaquidaJi,  Hueymetlan^  Coltcpec,  AnÜacaltipec ,  Tepechälla,  Xiquip)lciK 
Achalalan,  Zayutepec,  Teconhuac,  Totolhuitzöcan ,  Yahueyöcan.  Zacatzötlah. 
AJazapda.  y  despues  de  haver  deraostrado  con  unos  rios  de  sangre,  assi 
lo  cruento  de  la  guerra,  como  de  los  prisioneros  sacrificados.  apunta  la 
llegada  del  gran  Cortes,  y  de  los  Padres  de  San  Francisco  en  Quau/i- 
manco".  u.  s.  w. 

Dass  diese  Beschreibungen  auf  die  Handschrift  gehen,  von  der  die 
NXo  ni  u.  IV  der  vorliegenden  Sammlung  ein  Paar  Bruchstücke  sind,  geht 
schon  aus  der  allgemeinen  Keiinzeichnung  der  Handschrift  hervor  und 
aus  dem  Hinweis  auf  die  Blutströme  (rios  de  sangre).  die  in  der  That  in 
unserem  Blatte  sehr  in  die  Augen  fallen  (was  leider  bei  der  unkolorirteu 
photographischen  Wiedergabe  nicht  so  recht  hervortritt).  Es  wird  aber 
klar  bewiesen  dadurch,  dass  drei  von  den  Xameu  der  Ortschaften,  die 
Boturini  nennt,  in  der  That  in  den  Beischriften  auf  unserem  Blatte  HI 
zu  lesen  sind,  und  zwar  finden  sich  auf  unserem  Blatte  HI  die  letzten  drei 
der  von  Boturini  genannten  Orte,  Yahuayöhca,  Zacateotlah  und  Mazu- 
pil/ah  (so  lese  ich  die  Xameu).  Unser  Bruchstück  muss  also  von  einem 
der  ursprünglichen  Seitenränder  der  Handschrift  stammen.  Die  fehlenden 
Stücke,  die  noch  recht  beträchtlich  sein  müssen,  da  zu  Boturini's  Zeit 
das  Ganze  8  Ellen  in  der  Länge  und  2^/^  Ellen  in  der  Breite  mass, 
existiren  anderwärts;  ob  vollständig,  vermag  ich  nicht  anzugeben.  Das 
Museo  Nacional  de  Mexico  besitzt  grosse  Theile  derselben.  Ich  habe 
Kopien  davon  im  vergangenen  Jahre  in  der  mexikanischen  Abtheiluug  der 
amerikanisch-historischen  Ausstellung  in  Madrid  gesehen.  Und  andere 
Theile.  —  wie  es  scheint,  sehr  wesentliche,  aus  der  ursprünglichen  Mitte 
herrührende  Theile.  —  habe  ich  vor  Jahren  in  der  Biblioteca  nacional  in 
Mexico  gesehen. 

Wie  Boturini  angibt,  hatte  sich  in  seinem  Besitz  noch  eine  zweite 
verwandte  Handschrift  befunden,  auf  der  u.  A.  die  Ortsnamen  Tonalxocht- 
tlan,  Quauhtepan,  Ynenechcöyan^  Tepeyahuälco,  Ohocötlan,  Tlilälpan,  Ameyalätx) 
einerseits,   und   Euüvocotepec,  .  .  .  Huecoyötzi,  .  .  .  t'oyöcan^   Quetzulcohuäpan. 

Tlacötlan  .  .  .    Atlan,   Quimichöcan Chipetzinco,    Quanüpa 

Tepeyahuälco,  Y.vtlakuäca,  Ocotzoquahhtla  andererseits  vorkommen.  Und 
diese    und    die    erste  Handschrift  waren  zusammen    gefunden   worden,    — 


1)  Idea  de    una  Xueva  Historia  General  de    la  America  Septentrional.    App. 
p.  3«,  39. 


4.  Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huraboldt's. 


229 


„enterrados  en  una  caxa  baxo  las  ruinas  de  laantigua  ermita  de  la  jurisdiccion 
de  Huamäntla,  Provincia  de  .Tla^vcällan,  j  de  alli  los  hice  sacar",  —  und 
er  fügt  hinzu:  —  „y  solo  se  pueden  interpretar  en  un  todo,  en  ocasion  que 
se  consulten  los  Manuscritos   de  la  Historia  geueral". 

Diese  Nachricht  ist  sehr  wichtig,  weil  dadurch  die  Gegend,  aus  der 
die  Bruchstücke  III  und  IV  unserer  Sammlung  stammen,  auf  das  Genaueste 
festgestellt  ist.  Der  in  dem  Inventar  Cuanmana^  von  Boturin i  in  der 
Beschreibung  des  Blattes  Quauhmmico  genannte  Ort  ist  ohne  Zweifel  das 
Huamäntla  in  der  Provinz  Tlaxcallan  am  Nordostfuss  des  Cerro  de  la 
Maliuche  (dem  in  alter  Zeit  nach 
der  Göttin  Matlalcuei/e  genann- 
ten Berge)  gelegen,  in  dessen 
Nähe  Boturini  die  beiden 
merkwürdigen  Handschriften 
fand.  Huamäntla  steht  jeden- 
falls für  Quamantla,  und  das 
ist  durch  Assimilation  aus  Quauh- 
man-tlan  entstanden.  In  der 
That  existiren  noch  heute  in 
dem  Gebiet  eine  ganze  Anzahl 
der  Namen,  die  von  Boturini 
als  auf  diesen  beiden  Karten 
vorkommend  angegeben  wer- 
den. Im  Einzelnen  kann  ich 
allerdings  gerade  die  Lage  der 
drei  Orte,  deren  Namen  auf 
unserem  Bruchstück  Nr.  III  zu 
lesen  sind,  nicht  genauer  fest- 
stellen. Es  ist  aber  wohl  an- 
zunehmen, dass  sie  in  derselben 
Gegend  sich  befanden. 

Was  nun  die  Darstellungen  ^^^-  ^^' 
auf  diesen  Blättern  betrifft,  so 
sind  die  der  ursprünglichen  Mitte  angehörenden  Theile  von  den  randlichen 
zu  unterscheiden.  Den  mehr  nach  der  ursprünglichen  Mitte  zu  gelegenen 
Theilen  gehört  der  an  der  linken  Seite  befindliche  Haupttheil  des  Bruchstücks 
Nr.  III  an.  —  "SVir  sehen  hier  zunächst  (Abb.  147),  von  fliegenden  Speeren  und 
kämpfenden  Kriegern  eiugefasst,  eine  merkwürdige  Figur,  in  der  sich  ein 
blau  gemalter,  mit  Strom-  und  Wirbelzeichnung  versehener  und  an  den 
Ausläufern,  wie  üblich,  mit  Schneckengehäusen  besetzter  Wasserstrom  und 
ein  in  gleicher  Weise  gekrümmtes  und  am  Ende  ausfaserndes,  aber  ab- 
wechselnd aus  grauen,  mit  dunklen  Häkchen  und  Punkten,  und  aus  gelben, 
mit  rothen  Häkchen  und  Punkten  gefüllten  Abschnitten  zusammengesetztes 


tPoatl-tlachinoUi.    ,.Wasser  (Speerwerfen) 
und  Brand".     Symbol  des  Krieges. 


230  Zweiter  Absclmitt:  Bilderschriften. 

Band  mit  einander  verstricken.  Die  abwechselnd  duukelgrauen  und  hell- 
gelben, mit  schwarzen,  bezw.  rothen  Häkchen  und  Punkten  erfüllten 
Felder  bedeuten  Feuer.  Das  ausfasernde  Ende  desselben  Streifens,  das 
man  in  ähnlicher  Weise  auch  an  dem  in  den  Abbildungen  148  und  150 
wiedergegebenen  verwandten  Symbolen  des  Codex  Telleriano-Remensis 
und  des   Tonalamatrs,   der  Aubin'schen  Sammlung   erkennt,    ist  nur  eine 

Verkümmerung  oder  Degeneration  einer 
Schmetterlingsfigur,  die,  in  den  Farben  des 
Feuers  (.gelb,  mit  blauen  Spitzen)  gemalt, 
den  tlepapalotl,  den  ..Feuerschmetterling", 
oder  tkxochtli  die  „Feuerblume"',  d.  h.  die 
..lodernde  Flamme""  zum  Ausdruck  bringen 
soll,  und  die  deutlich  und  schön  in  den  ent- 
sprechenden Bildern  des  Codex  Borbonicus^) 
(Abb.  149,  152)  zu  sehen  ist.  Das  ganze 
Abb.  ^48.  atZ-tiachinoUi.  Sym-  Symbol  ist  nichts  weiter  als  der  bildliche 
bol  des  Krieges.  Aus  dem  Kopf-  hieroglyphische  Ausdruck  für  eine  wohl- 
schmuck der  Göttin  Cha„tico.  bekannte  Phrase,  die  Phrase  atl  tlachijwlli 
Cod.    Teil. -Rem.    f.    21,     verso         ,  7    7     7  •     77-     i-         ..    i-  1  1 

r=  Kinesborouo-h  II   28'  °^^  teoatl  tlachinolh,   die  wörtlich  verstanden 

werden  kann  als  „Wasser  und  Brand" 
( —  obwohl  ihre  wirkliche  ursprüngliche  Bedeutung  vermuthlich  eine  andere 
war  — ),  und  die  allgemein  im  Sinne  von  „Krieg"  gebraucht  wird").  — 
Dasselbe  Symbol,  ein  wenig  anders  gezeichnet,  sehen  wir  im  Kopfputz 
der  Chantico,  der  Feuergöttin  von  Xochimilco  (vgl.  Abb.  148,  149).  Und 
wir  sehen  es  (Abb.  150)  im  Kopfputz  Tlauizcalpan  tecutlfs,  der  Gottheit 
des  Morgensterns,  der  der  Repräsentant  der  im  Kriege  gebliebenen 
Krieger  ist,    und    der    deshalb    auf  Blatt  9    des    TonalamaÜ   der   Au  bin - 


1)  Diese  Bilder,  sowie  die  obige  Bemerkung  über  dieselben,  sind  hier  neu 
hinzugefügt. 

2)  In  neuerer  Zeit  hat  Dr.  Preuss  aus  der  Thatsache,  dass  der  tlachinolU- 
Streifen,  der  Feuerstreifen,  in  eine  Schmetterlingsügur  endet,  und  dass  gleichzeitig  in 
manchen  Bildern  auf  diesem  Sü'eifen  Häkchen  angegeben  sind,  die  den  Häkchen  in 
der  Hieroglyphe  der  Ackererde  gleichen,  schliessen  zu  müssen  geglaubt,  dass  der 
Schmetterling  ein  Symbol  der  Erde  und  gleichzeitig  den  Mexikanern  eine  Hiero- 
glyphe des  Krieges  gewesen  sei.  Ich  glaube  nicht,  dass  dieser  Schluss  richtig  ist. 
Nicht  der  Schmetterling,  auch  nicht  der  einfache  tlac/iitwIli-Streifen,  sondern  die  Ver- 
bindung des  Wassers  und  des  Feuer-  oder  ?/üc///7io//(-Streifens  war  den  Mexikanern 
eine  Hieroglyphe  für  Krieg.  Der  Schmetterhng  selbst,  in  den  Farben  des  Feuers 
gemalt,  als  tlejyapalotl,  ist,  wie  oben  im  Text  schon  gesagt,  nichts  anderes  als  eine 
Parallele  zu  dem  tlexochtU.  der  „Feuerblume",  die  ein  bekannter  Ausdruck  für  die 
lodernde  Flamme  ist,  wie  auch  der  einfache  Schmetterling  überall  in  den 
Bilderschriften  als  Parallele,  oder  als  Zubehör,  zu  der  Blume  erscheint.  Die  Häkchen 
und  Punkte  aber  sind  durchaus  nichts  Wesentliches  in  dem  ^/acA/no///-Bilde  und 
lassen  sich  in  anderer  "Weise  ebenso  befriedigend  erklären. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


231 


Krie<»er  ist,  und  der  deshalb  auf  Blatt  9  des  Tonaiamatl  der  Aubin- 
( Joupirscheu  Sammlung  dem  Fouernotte,  dem  Regenten  der  neunten, 
mit  ce  couatl  beginnenden  Woche,  der  zugleich  der  (xott  des  Krieges  ist, 
gegenübergestellt  ist.  Ich  habe  seiner  Zeit  nachgewiesen,  dass  das 
Tonaiamatl  mit  denselben  Regenten  und  im  Wesentlichen  denselben  oder 
gleicher  Vorstellung  entsprungenen  Symljolen  in  den  verschiedensten 
mexikanischen  Bilderschriften  vorhanden  ist^). 
So  sehen  wir  in  dem  Tonaiamatl  des  Codex 
Borbonicus  als  l^egenten  der  neunten  Woche 
ce  couatl  dieselben  zwei  Figuren  Xiuhtecutli, 
den  Feuergott,  und  Tlauizcalpan  tecutli  die 
(lottheit  des  Morgensterns.  Das  Symbol  aber, 
(bis  in  dem  Tonaiamatl  der  Anbin* sehen 
Sammlung  der  letztere  im  Kopfputz  trägt,  ist 
hier  in  seine  zwei  Elemente  teoatl  und  tla- 
chinolli  „Wasser"  und  „Brand"  aufgelöst,  die 
(vgl.  Abb.  151  und  152,  S.  232)  gesondert  und 
nebeneinander,  aber  in  ihren  Formen  noch  den 
zuvor  wiedergegebenen  Symbolen  ähnlich  ge- 
zeichnet sind.  In  der  verwandten  Stelle  des 
Codex  Borgia  dagegen  haben  wir  wieder 
dieselben  zwei  göttlichen  Gestalten,  aber  das 
Symbol  teoatl- tlachinoUi  hat  die  Gestalt,  die 
in  Abb.  153,  S.  233  wiedergegeben  ist  —  ein 
Wasserstrom,  in  dem  man  einen  Skori)ion  und  fliegende  Pfeile  sieht, 
während  daneben  in  schräger  Richtung  eine  Säule  von  Rauch  und  Feuer 
aufsteigt.    In  einer  anderen  Parallelstelle  derselben  Handschrift  ist  nur  der 


Abb.  149.     atJ-tlachiuoUi.    Sym- 
bol des  Krieges.    Aus  dem  Kopf- 
schmuck    der    Göttin    Chaiitico. 
Codex  Borbonicus  18. 


Abb.  150.    tfoatl-tlarhiiiolll.    „Wasser  (Speenverfen)  und  Brand", 
d.h.  „Krieg".    ToucdamaU  der  Au bin'schen  Sammlung 9. 

Feuergott  allein   dargestellt,    und   das   teoatl -tlachinoUi  Symbol  hat  die   in 
Abb.  154,  W^33  wiedergegebeue  Gestalt. 

Die  Ki'iegei-figuren,  die  auf  unserem  Blatt  rechts  von  dem  teoatl 
tlachinoUi^  dem  Symbol  des  Krieges,  gezeichnet  sind,  haben,  gleich  den 
anderen  Figuren  des  Blattes,  den  Körper  braun,  das  Gesicht  gelb  gemalt. 

1)  „Ueber  den  Codex  Borgia  und  die  verwandten  aztekischen  Bilderschriften". 
Zeitschrift  für  Ethnologie.  XXI  (1887)  S.  (17.0.)  ff.;  „das  Tonaiamatl  der  Au  bin'schen 
Sammlung".  Compte  rendu  VII.  Session.  Congres  international  des  Americanistes. 
Berlin  1888.     S.  521-523. 


232 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


Ausserdem  haben  die  Krieger  sämmtlich  eine  mit  rotlier  Farbe  gemaclite 
charakteristische  Gesichtsbemaliuig-,  die  ans  einem  über  das  Auge  gehenden 
Längsstreifen    und    zwei    Qnerstreifeu  besteht.      Dieser  Bemalung   kommt 


Abb.  löl.     tcoatl.     Codex  Borbonicus  i). 


Abb.  152.     tlachinoUi.     Codex  Borbonicus  9. 


ohne  Zweifel  eine  bestimmte  ethnische  Bedeutung  zu.  Sie  weicht  wenigstens 
bestimmt  von  der  bei  den  mexikanischen  Kriegern  üblichen  Bemalung  ab, 
die    —    wie    wir    aus    Sahagun   3    App.  cap.  .')   erfahren    und    im    Codex 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huniboldt's. 


233 


Mendoza  durchgängig  dargestellt  sehen,  —  den  Leib  bis  auf  das  Gesicht 
schwarz  färbten,  und  im  CJesicht  einzelne  schwarz«^  Striche  anbrachten,  die 
sie  mit  Schwefelkiespulver  bestreuten  —  nimun  m'ichio^  mitocnja  niotliltzotia^ 
Jiapetztli  ic  conpotonia  ininechival  „y  en  hi  cara  se  ponian  ciertas  rayas  con 
tinta  y  margagita"' ^).  Dagegen  finde  ich  die  gleiche  (Jesichtsbenialung 
wie  1)ei  den  Kriegern  unseres  Blattes  III  in  dem  Kopf,   der,   einem   Berge 


Abb.  153.     icoafl-tlachhiolU.     Codex  Borjiia  CD  (=  Kingsborough  46). 

aufgesetzt,  im  Codex  Mendoza  als  Hieroglyphe  für  die  Stadt  Ot/mipun 
..im  Bezirk  der  Otomi""  angegeben  ist  (Abb.  15.3,  S.  234),  sowie  in  der 
Abb.  15H  (S.  234),  die  in  dem  Personalregister  von  üexotzinco  (Ms.  Mexic. 
No.  3  Bibl.  Nat.)  einen  Mann  ISTamens  Chicldmeca  bezeichnet.  Wir  wissen, 
dass  den  Namen  Cldchimeca  als  Ehrentitid  sowolil  die  Herrscher  von 
Tetzcoco^    wie    namentlich    ancli 

die     Tlaxcalteru    führten.       Eine  /■cQfjv  CZI3^^-^ 

gelbe  und  rothe  Bemalung  wird 
zwar  auch  bei  den  Mexikanern 
erwähnt,  aber  das  ist  nicht  eine 
mit  obrigkeitlicher  Bewilligung 
regelmässig  angelegte  auszeich- 
nende Benuilung  —  wie  ich 
neueren  Auseinandersetzungen 
gegenül)er  hervorheben  will,  —  sondern  eine  einmal  vorgtsnomniene  sym- 
bolische Zärimonie.  durch  welche  öffentlich  anerkannt  wurde,  dass  ein 
Krieger  allein  und  ohne  Mithilfe  anderer  einen  Gefangenen  gemacht  habe. 
Diese  Bemalung,  die  darin  bestand,  das.s  man  den  Körper  und  die  Schläfen- 
gegend gelb  und  das  ganze  übrige  Gesicht  roth  anmalte,  wurde  in  Gegen- 


Abb.  154.    tcoatl-tlacliinolli.    Codex  Horgia  lo 
(=  Kingsborough  "iG). 


1)  Vgl.  auch  die  Abbildungen  von  mexikanischem  Kriegerputz  Abb.  94  und  97 
oben  Seite  207  und  208. 


■2U 


Zweiter  Abschuitt:    Bilderschriften. 


Abb.  155.    Hiero- 
glyphe der  Stadt 

ÖtODipati. 
Codex  Mendoza. 


wart  des  Königs  von  den  calpLcque,  den  Proviuziionvernenren.  den  Kom- 
mandanten der  auswärts  stehenden  Truppentheile  dem  glücklichen  Krieger 
angelegt,  der  darnach  von  dem  König  beschenkt  wurde.  Es  ist  das  genau 
die  Bemalung,  die  diejenigen  anlegten,  die  am  Feste  Xocotl  uetzi  dem 
Feuergotte  einen  Gefangenen  ins  Feuer  opferten,  lieber  die  Bedeutung 
dieser  Bemalung,  die  eigentlich  die  der  Uöttin  Ciuacouatl  oder  Quilaztli 
ist,  habe  ich  an  anderer  Stelle  gesprochen.  („Ausland"  1891,  S.  865), 
worauf  ich  hier  verweise. 

Neben  atl  tlachinolli,  den  Symbolen  des  Krieges,  sind  auf  unserem 
Bruchstück  III  sechs  Kriegerfiguren  und  die  untere  Hälfte  eines  siebeuten 
zu  sehen.  Davon  haben  fünf  die  Kriegerhaartracht  temillotl  (vgl.  Abb.  93, 
94,  98  oben  S.  207  und  209)  und  auf  dem  Blatte  II  dieser 
Sammlung  die  Köpfe  in  dem  3.  9.  11.  17.  Felde,  vom 
unteren  Weg  an  gerechnet  (Abb.  92,  121,  123,  133). 
All  diese  sind  mit  Schild  (chimalli)  und  dem  Hand- 
knittel  (maquauitl)  bewaffnet,  der  beiderseits  eine  Schneide 
von  Obsidiansplittern  hat.  Desgleichen  haben  die  drei 
Krieger,  die  auf  der  rechten  Seite  unseres  Blattes  ge- 
zeichnet sind,  die  Frisur  temillotl  und  sind  mit  Schild 
und  maquauitl  bewaffnet.  Nur  der  eine  Krieger  in  der 
linken  Reihe,  *  und  zwar  der  fünfte  von  unten,  hat  die 
andere  Haartracht,  die  ich  oben  als  tzotzocolli  bezeichnete, 
und  die  die  Abb.  96,  97,  99  (siehe  oben  S.  20S  und  209)  vor 
Augen  führen.  Dieser  Krieger  ist  nicht  mit  Schild  und 
Handknittel,  sondern  mit  Pfeil  {mitl).  Bogen  (tlauitolli) 
und  Pfeilköcher  (_mi-comitl)  bewaffnet.  Die  Verschieden- 
heit der  Haartracht  könnte  einfach  auf  Rangverschieden- 
lieit  Iteruhen.  Denn  die  Haartracht  temillotl  war  das 
auszeichnende  Abzeichen  der  tequiua.  der  grossen  Kriegs- 
häuptliuge.  Es  wäre  indes  nicht  unmöglich,  dass  auch 
hier  eine  ethnische  Verschiedenheit  zu  Tage  tritt.  Das  maquauitl  war  die 
nationale  Waffe  der  mexikanischen  Stämme,  d.  h.  der  Bewohner  des 
Thals  von  Mexico,  und  derer,  die  dieselbe  Sprache,  w^ie  jene,  redeten. 
Daneben  wurde  noch  als  wirksame  AA^affe  der  mit  dem  Wurfbrett  (atlafl) 
geschleuderte  Speer  (tlacocktli,  tlatzontectli)  gebraucht.  Bogen.  Pfeil  und 
Pfeilköcher  dagegen  waren  die  Waffen  der  Bergstämme,  der  Chichivieca. 
Der  Name  chichimecatl  wird  im  Codex  Boturini  und  anderwärts  geradezu 
durch  das  Bild  von  Pfeil  und  Bogen  wiedergegeben  (Abb.  157,  158). 
Nun  umfasst  ja  das  Wort  chichimecatl  eine  ganze  Menge  sehr  verschiedener 
und  verschiedensprachiger  Stämme.  In  der  Umgebung  des  Hochthals  von 
Mexico  und  auch  in  dem  Bezirk  unseres  Blattes,  den  östlich  und  nördlich 
von  Tlaxcala  gelegenen  (febieten,  kommen  von  Urstämmen  nur  die 
Otomi  in  Betracht.     Und  es  scheint,  dass  diese  eine  Haartracht  hatten,  die 


Abb.  1.56.  Hiero- 
glyphe chich/inecfi. 
Ms.  Mexicain  Nr.  3. 
Bibliotheque  Na- 
tionale. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  235 

der,  die  ich  oben  als  tzotzocolli  bezeichnete,  und  die  auf  unserem  Blatt  an 
der  fünften  Figur  von  unten  in  der  linken  Reihe  (der  zweiten  Figur  in  unserer 
Abbildung  147)  zu  sehen  ist,  etwas  ähnlich  ist.  Die  Oiomi,  sagt  Sahagun 
(Buch  10  Cap.  29)  rasirten  das  Haar  an  der  Stirn  und  Hessen  es  am  Hinter- 
kopf sehr  lang  wachsen.  Dieses  hinten  lang  herabfallende  Haar  nennt 
man  piochtli.  Vor  den  Thoren  Tlaxcallan^s  wurde  in  der  That,  wie  wir 
aus  Gomara  wissen,  Otomi  gesprochen.  Der  Gott  der  Tlaxcalteca  war 
nicht  der  das  Wurf  brett  führende  Tezcatlipoca,  sondern  der  pfeilschiessende 
Camaxtli^  der  nie  ohne  die  Tasche  zu  sehen  ist,  in  der  er  die  Feuerstein- 
Pfeilspitzen  mit  sich  führt.  Und  die  rohere,  bäurischere,  aber  auch 
kriegerische  Art,  die  den  Tlaxkalteken  nachgesagt  wurde,  beruht  ohne 
Zweifel  auf  stärkerer  Beimischung  des  autochthonen  chichimekischen  d.  h. 
Otomi  Element. 

Die  Schilde,  die  die  auf  unserem  Blatt  HI  dargestellten  Häuptlinge 
in  der  Hand  halten,  sind  dreierlei  Art:  — 

Die  vierte  Figur  von  unten  in  der  linken  Reihe  (die  dritte  Figur  in 
unserer  Abbildung  147)    hält   einen    Schild,    dessen    Fläche    mit    fünf    im 


Abb.  157.     Hieroglyphe  Abb.  158.     Hieroglyphe  chichimecatl. 

chichimecatl.     Codex  Boturini  2. 

Quincunx  gestellten  Federbällen  geschmückt  ist.  Solche  Schilde  werden 
im  Sahagun -Manuskript  unter  dem  Namen  iui-teteyo  ^mit  einzelnen 
Bällen  aus  Federn  besetzt"  aufgeführt.  Ein  anderer  Schild,  auf  dessen 
Fläche,  im  Quincunx  gestellt,  fünf  Goldplättchen  angebracht  sind,  wird 
in  entsprechender  Weise  unter  dem  Namen  teocuitlateteyo  aufgeführt. 
Den  Schild  mit  den  im  Quincunx  gestellten  Federbällen  führt  das  Idol 
Uitzilopochtl'i's.  Vgl.  das  Bild  desselben,  das  Mn  Codex  Telleriano- 
Remensis  I,  9  und  Vaticanus  A  71  das  fünfzehnte  Jahresfest,  Pan- 
quetzaliztli,  das  Fest  Uitzilopochtli  s  bezeichnet.  Der  Schild  Uitzilo- 
pochtlzs  heisst  teueuelli.  Er  wird  im  Sahagun-Manuskript  der  Biblioteca 
Laurenziana  folgendermassen  beschrieben:  otlatl  in  tlachivalli,  otlachimall% 
nauhcan  Üapotonilli  quauhtlachcayotica ,  iuichachapanqui,  moteneua  teueiielli, 
d.  h.  „aus  Rohr  gefertigt,  an  vier  Stellen  mit  Adlerdaunen  besteckt,  in 
zusammengeballten  Massen.  Er  wird  teueuelli  genannt."  Mit  dem  Schilde 
zusammen  führt  üitzilopochtli  vier  Speere,  die  mit  Federbällen  statt  mit 
Steinspitzen  bewehrt  sind,  und  die  tlaua^omalli^)  genannt  wurden.  Der 
Schild  mit  den  Federbällen  ist    auch   im  Codex  Mendoza  regelmässig  ge- 


1)  Veröffentlichungen  Kgl.  Mus.  f.  Völkerkunde  I,  S.  122. 


•23(;  Zweiter  Abschnitt:  Bilderschriften. 

zeichnet,  wo  vor  dem  Bilde  des  Königs  das  Symbol  des  Krieges  —  Schild, 
Wurfbrett  und  Speerbündel  —  dargestellt  ist.  Aus  dem  letzteren  Vor- 
kommen hat  man  geschlossen,  dass  dieser  Schild  von  den  mexikanischen 
Königen  gebraucht  worden  sei.  Ich  zweifle  indes,  ob  dies  der  Fall  war. 
Uitzilopochtli  führt  diesen  Schild,  wie  er  die  tlaua^ovialli  (die  vier  mit 
Federbällen  statt  mit  Steinspitzen  besetzten  Speere)  führt,  d.  h.  er  hat 
die  Waffen,  die  den  zum  Opfertod,  zum  Sacrificio  gladiatorio.  Bestimmten 
in  die  Hand  gegeben  wurden  (vgl.  Abb.  129,  oben  S.  221).  weil  er 
den  Kriegertod,  den  Opfertod  auf  dem  runden  Stein  (temalacatl)  ge- 
wissermassen  begrifflich  darstellt.  Eine  interessante  Nachricht  über  diese 
Waffen  Uitzilopochtli' s  findet  sich  in  den  Annalen  des  Chimalpahin.  Es 
heisst  daselbst,  dass  im  Jahre  1440,  noch  vor  seiner  Einsetzung  in  das 
Herrscheramt,  der  alte  Motecuh^oma  zu  den  Chalca  gekommen  sei,  um 
die  Fürsten  von  Ämaquemecan  zu  bitten,  das  otlanamitl  und  das  teueuelli 
in  Bewegung  zu  setzen  {ynic  conolinique  in  otlanamitl  in  teueuelli'),  damit 
die  Tepaneca  niedergeworfen  würden  {inic  opopoliuh  in  Tepanecatl^).  Hier 
ist  teueuelli  der  Name  des  Schildes  Uitzilopochtli:?,,  und  otlanamitl  ist 
eigentlich  otlanammitl  zu  lesen.  Letzteres  Wort  ist  durch  Assimilation 
aus  otlanauh-mitl  entstanden  und  bedeutet  „die  vier  Bambuspfeile".  Das 
Ganze  ist  ohne  Zweifel  nur  eine  bildliche  Redensart^).  Motecuhgoma 
bittet  einfach  die  Chalca  um  Unterstützung  im  Krieg  gegen  die  Tepaneca. 
Aber  dass  ein  solcher  bildlicher  Ausdruck  gebraucht  werden  konnte, 
beweist,  dass  teueuelli  allgemein  den  Schild  des  Kriegsgottes  bezeichnete. 
Denn  der  Gott  der  Chalca  war  nicht  Uitzilopochtli,  sondern  Tezcatlipoca. 

Die  Schilde  der  anderen  Krieger  unseres  Blattes  HI  zeigen  zwei 
Typen  und  zwar  die  beiden  Schildtypen,  die  auch  unter  den  in  der  Tribut- 
liste und  im  Codex  Mendoza  abgebildeten  Rüstungen  entschieden  über- 
wiegen. Der  erste,  dritte  und  sechste  (von  unten)  in  der  linken  Reihe 
(der  erste  in  unserer  Abbildung  147)  der  untere  der  beiden  Krieger 
auf  der  rechten  Seite  haben  Schilde,  deren  Feld  einen  Stufenmäander 
zeigt,  der  ohne  Zweifel  in  Federarbeit  ausgeführt  zu  denken  ist,  wie 
auf  den  altmexikanischen  Schilden  des  Museums  vaterländischer  Alter- 
thünier  in  Stuttgart.  Ein  solcher  Schild  hiess  d-icalcoliuhqui  chimalli^). 
Bei  dem  Stuttgarter  Schild  ist  das  Muster  in  gelb  und  grün  ausgeführt. 
Und  dieselben  Farben  zeigen  ausnahmslos  auch  die  Schilde  dieser  Art  in 
der  Tributliste.     Auf  unserem  Blatte  sind  die  o-ewählten  Farben  blau  und 


1)  Chimalpahin  VII.  Relat.  p.  105,  106. 

2)  Remi  Simeon  übersetzt:  —  „qu'ils  transportassent  les  engins  de  guerre 
poui-  renverser  les  Tepaneques."  Es  handelt  sich  weder  um  Kriegsmaschinen, 
noch  würden  die  Chalca,  wenn  sie  einen  solchen  Fetisch  besessen  hätten,  ihn 
wirklich  aus  den  Händen  gegeben  haben;  noch  endlich  heisst  on-olini  nach  einem 
anderen  Orte  überführen. 

'6)  Veröffentlichungen  aus  dem  König!.  Museum  f.  Völkerkunde  I.  S.  140,  141. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  237 

roth.  Der  zweite  Krieger  von  unten  in  der  linken  Reihe  und  der  rechte 
obere  Krieger  daneben  haben  einen  Schild,  der  concav  nach  oben  ge- 
krümmte l,iuerbänder  und  darüber  einen,  darunter  drei  goldene  Halb- 
monde zeigt.  Solche  Schilde  wurden  cue.ryo  chimalli  genannt').  Die 
(Tfundfarbe  ist  bei  diesen  Schilden  in  der  Regel  rotli.  Und  so  auch  auf 
unserem  Blatte.  Der  Krieger,  der  in  der  linken  Reihe  oben  folgt,  von 
dem  aber  nur  die  untere  Hälfte  zu  sehen  ist,  hat  einen  Schild  mit  ein- 
farbigem rothem  Feld.  Von  den  anderen  Waffen  und  Kleidungsstücken  ist 
nicht  viel  zu  sagen. 

Das  maquauiü  ist  bei  allen  merkwürdiger  Weise  blau  gemalt.  Mit 
blau  wird  in  den  Malereien  der  Mexikaner  liäufig  Metall  (Sill)er)  und  in 
der  Regel  Türkismosaik  bezeichnet.  Metall  kann  hier  nicht  in  Frage 
kommen,  da  man  eine  metallene  Keule  nicht  mit  Obsidiansplittern  be- 
wehren wird.  Und  Türkismosaik  ist  wohl  auch  nur  bei  besonders  kost- 
baren Prunkwaffen,  wenn  überhaupt,  zur  Anwendung  gekommen.  AVohl 
aber  könnten  die  Knittel,  in  Nachahmung  von  Türkismosaik,  blau  bemalt 
gewesen  sein.  Aehnlich  wie  die  Krieger  blau  bemalte  hölzerne  Ohrpflöcke 
trugen,  statt  der  mit  Türkis  inkrustirten,  die  der  König  trug"). 

Die  Pfeile  und  Speere  sind,  wie  überall  in  den  mexikanischen  Malereien, 
mit  Steinspitzen  bewehrt  gezeichnet.  Die  Federn  am  hinteren  Ende  sind 
etwas  unterhalb  des  Schaftendes  angebracht,  damit  das  Ende  des  Pfeils 
der  Bogensehne  oder  dem  Pflock  des  Wurfbrettes  aufgesetzt  werden  kann. 
Die  Federn  sind  en  face,  d.  h.  mit  der  Breitseite  dem  Schaft  aufliegend 
gezeiclmet.  Das  ist  wohl  aber  nur  eine  Unbehilflichkeit  der  Zeichnung. 
In  Wirklichkeit  müssen  sie  senkrecht  zum  Schaft  gestanden  haben.  So 
werden  ja  auch  die  Augen  nie  im  Profil,  wie  sie  in  dem  im  Profil  ge- 
zeichneten Gesichte  zu  sehen  sein  müssten,  sondern  stets  en  face  gezeichnet. 
An  der  Basis  der  Feder  ist  regelmässig  noch  ein  Ballen  Daunenfedern 
angebracht.  Der  Pfeilköcher,  den  der  eine  Krieger  unseres  Blattes  trägt, 
ist  gelb  mit  schwarzen  Flecken  gemalt,  also  wohl  aas  Jaguarfell  hergestellt 
gedacht. 

Sämmtliche  Figuren  sind  nackt,  bis  auf  das  ma.rtlatl,  die  Schambinde, 
die  hier  bei  allen  Figuren  mit  rother  Farbe  gemalt  ist. 

Die  Krieger  der  linken  Reihe  sind  im  Kampfe  stehend  gezeichnet. 
Die  drei  auf  der  rechten  Seite  bringen  je  einen  Gefangenen  angeschleppt, 
und  ein  breiter  Blutstrom  bezeichnet  die  Bahn,  die  sie  mit  ihm  zurück- 
gelegt haben.  Dem  mittleren  der  drei  gegenüber  ist  ein  .Mensch  zu 
sehen,    der    in    lebhafter    Bewegung    das    Opfer    in    Empfang    zu    nehmen 


1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXIII  (ls91)  S.  (137). 

2)  yuau  conaquia  xiuhnacochtli,  uel  xiuiü,  auh  yn  cequintin  (,-an  quanitl  yii 
tiaehiualli  tlaxiuhycuiloUi  „und  sie  legen  die  Türkispflöcke  an,  die  aus  Türkis  be- 
stehen, und  bei  anderen  nur  aus  Holz,  das  nach  Art  von  Türkis  bemalt  ist."* 
.Sahii^un  2,  cap.  37.     Ms.  Bibliotheca  del  Palacio. 


:>38 


Zweiter  Abschnitt:    Bildorschrifton 


scheint.  Er  trägt  nur  eine  rothe  Kappe  auf  dem  Haupt  und  soll  vielleicht 
einen  Priester  bezeichnen. 

Diese  Darstellungen  von  Krieg  und  Gefangennahme  sind  auf  der 
rechten  Seite  des  Blattes  von  einer  anderen  Reihe  von  Darstellungen 
begrenzt,  die  zu  den  vorigen  im  rechten  AYinkel  stehen.     Hier  ist  immer 

—  in  ziemlich  roher  und  unbehilflicher  Zeichnung  —  die  Hieroglyphe 
eines  Orts,  und  davor,  auf  einem  Stuhle  sitzend,  eine  Person  gezeichnet, 
die    den  Ahnherrn    des    an    dem  Orte  ansässigen    Geschlechts  bezeichnen 

muss.  Die  meisten  dieser  Personen 
scheinen  eine  Blume  in  der  Hand  zu 
halten.  Wohl  zum  Ausdruck  friedlichen 
Genusses,  also  sicherer  Herrschaft.  Aehn- 
lich  ist  der  König  in  Codex  Yati- 
canus  A  i^G  gezeichnet,  in  reicher  Tracht, 
mit  dem  Tabakrohr  in  der  einen  und 
einem  Blumenstrauss  in  der  anderen 
Hand. 

Am  Anfang  der  Reihe  ist  links  unten 
noch  der  Kopf  einer  dieser  Figuren 
und  der  Blumenstrauss,  den  der  Be- 
treffende in  der  Hand  hält,  zu  sehen. 
Alles  übrige  fehlt. 

Dann  folgt  ein  Berg  mit  einem  stroh- 
gedeckten Hause  darauf,  und  davor  sitzt 

ein  Mann,  dessen  Namen   der  Adlerkopf  darüber  (Abb.  159)  angeben  soll. 

Die   Beischrift  lautet:    —    ni'ca    yahuayohca  yn  toca  cuitli  yn  toconcoL  d.  h. 

-.hier  liegt  der  Ort  yauayohcan  genannt.    Cuitli  (Habicht)  ist  der  Ahnherr." 

—  yauayocan    könnte    „wo    man  im  Kreise  geht''    bedeuten.      Cuitli  steht 


Abb.  160. 

Hieroglyphen  Cuixtll.     Ms.  Mexicain  Nr.  3. 
Bibliotheque  nationale. 


Abb.  1G2. 


ohne  Zweifel  dialektisch  für  cuittli  {cuii-in,  cuiztlt),  den  Xamen  eines 
kleineren  Raubvogels  {cuixin  „milano"').  Cuixtli  finde  ich  als  Personen- 
namen z.  B.  im  Personalverzeichuiss  von  Almoyauacan  (Ms.  Mexicain 
No.  3  Bild,  nationale)  angegeben.     Vgl.  Abb.  160,  161. 

Dann  folgt  ein  Haus  mit  Steindach,  und  eine  Person  davor,  über  der  als 
Namenshieroglyphe  der  Kopf  des  Windgottes  (Abb.  162)  zu  sehen  ist.     Die 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


239 


Ortshieroglyplie,  die  über  dem  Hause,  wie  vermuthet  werden  muss,  ur- 
sprünglich vorhanden  war.  fehlt.  Eine  Beischrift  ist  nicht  vorhanden.  Ueber 
den  Ort  können  wir  deshalb  natürlich  nichts  aussagen.  Die  Person  muss, 
der  Hieroglyphe  nach,  Efcatl  geheissen  haben,  ein  Wort,  das  in  der  That 
vielfach  als  Personenname  vorkommt.  Der  merkwürdigen  Form  halber 
gebe  ich  in  den  Abb.  103,  164,  Ißo  drei  Figuren  wieder,  durch  welche  in 
dem  Personalregister  von  Ahnoyauaran  (Ms.  Mexicain  JS^o.  3)  Personen 
Namens  Ecatl  bezeichnet  sind. 


/ 


Abb.  1G3.  Abb.  1G4.  Abb.  16.j. 

Hieroglyphen  Eratl.     Ms.  Mexicain  Nr.  '.">.     Bibliotheque   Nationale. 

Ks  folgt  nun  ein  Berg,  mit  einem  in  Hosafarbe  geraalten  Busch  auf 
der  Spitze  (Abb.  16G),  davor  ein  Haus  mit  Steindach,  und  davor,  auf  dem 
tepotzoicpaUi,  dem  strohgeflochtenen  Lehnstuhl,  sitzend,  eine  Person,  deren 
Namen  durch  einen  Jaguarkopf  darüber  angegeben  wird  (Abb.  167;.  Die 
Beischrift  besagt:  —  Auh  nicah  zacateotlah  yn  toconcol  yn  tocah  ocenllotli. 
„Und  hier  folgt  Zacateotlan.  Sein  Ahnherr  heisst  OcelotU^  Boturini  las 
Zacatzotlah.     So  wie  ich  den  Namen  lese,  würden  darin  die  Worte  caca-tl 


Abb   !(;(;. 


Abb.  167. 


Abb.  168. 


„Gras''  teo-tl  ..(Jotf  und  die  Endsilbe  thi  oder  tlan,  die  die  Bedeutung 
eines  Lokativs  hat,  enthalten  sein.  Ocelotl  ,Jaguar'  ist  ein  häufig  vor- 
kommender Personenname. 

Das  letzte  Bild  in  der  Reihe  ist  wieder  ein  Haus  mit  Steindach.  Aber 
die  Ortshieroglyphe,  die  darüber  ursprünglich  wohl  vorhanden  war.  fehlt 
Vor  dem  Hause  ist  eine  Person  gezeichnet,  deren  Name  über  ihr  durch 
das  Bild  eines  Steinmessers  (tecpatl)  angegeben  ist  (Abb.  168).  Auch  hier 
ist  eine  Beischrift  vorhanden,  die  aber  ziemlich  verwischt  ist.  Insbesondere 
ist  der  Ortsname  nicht  mehr  zu  entziffern.     Ich  lese:  nica  mazwp  .  .  Ic  .  .  yn 


•)4((  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschrifteu. 

toca Es  hat  wohl  hier  von  Botuiini  angegebene  Ortsname  Maza- 

pülah  gestanden. 

Die  Beischriften,  so  wenig  ^Vorte  sie  enthalten,  sind  ihrer  dialektischen 
Form  halber  bemerkenswerth.  Im  klassischen  Aztekisch  heisst  nican  „hier'*. 
tocöcol  .,unser  Ahnherr"  ocilötl  ^der  Jaguar".  Der  Schreiber,  der  in  unserem 
Blatte  III  die  Bemerkungen  hinzufügte,  hat  hinter  dem  kurzen  a  von 
nican  den  Endnasal  ausfallen  lassen,  er  schreibt  nica  und  JiicaJi.  Und 
ähnlich  steht  wohl  auch  jahuayohca  und  zacateotlah  für  yauayocon  und 
zacateotlan.  Hinter  den  langen  Vokalen  ö  und  G  dagegen  schiebt  er  einen 
Nasal  ein.  Er  schreibt  beide  Male  deutlich  toconcol  „unser  Ahnherr"  und 
ocenllotl  ..der  Jaguar".  Ich  erwähne,  dass  auch  in  der  Crünica  mexicana 
des  Teco^omoc  compilli  für  c'ipiUi  und  gelegentlicli  auch  ocenhtl  ge- 
schrieben ist.  Ebenso  finden  wir  im  Sahagun  gelegentlich  Tontec  für 
Tötec  (einen  der  Xamen  Xipe'&j,  geschrieben. 

Blatt  lY  ist.  wie  ich  sagte,  und  wie  der  Augenscheiu  lehrt,  ein  Stück 
derselbeu  Handschrift,  der  auch  Blatt  IH  augehörte.  Es  ist  aber  schwer 
festzustellen,  ob  es  irgendwo  an  Blatt  III  anzusetzen  ist. 

Auf  Blatt  IV  haben  wir  rechts  eine  Kriegerfigur  und  Schild  und 
maquauitl  einer  zweiten.  Bemaluug  und  Ausputz  sind  ähnlich,  wie  bei 
den  Kriegerfiguren  des  vorhergehenden  Blattes.  Aber  der  Schild  hat  ein 
einfarbiges,  rothes  Feld.  Xeben  dem  vorderen  Krieger  steht  ein  Wort, 
das  ich  als  Ehcaquiyauh  lese  Das  quiyauh  scheint  ganz  deutlich,  aber 
der  andere  Theil  ist  yielleicht  zweifelhaft,  ehcaquiyauh  würde  „Wind- 
regen"  bedeuten.  Unter  den  Kriegerfigureu  ist,  gross  gezeichnet,  ein 
Wasserstrom  mit  Wirbelzeichnuugen  auf  der  Fläche  und  Schneckengehäusen 
an  den  Auszweigungen  zu  sehen.  Am  oberen  Eand  zieht  sich  von  link> 
her  eine  Eeihe  Darstellungen,  die  denen  der  rechten  Seite  des  Blattes  III 
entsprechen.  Doch  sind  keine  Beischriften  vorhanden.  Die  Häuser  sind 
strohgedeckt.  Die  Bänkchen.  auf  denen  die  Personen  sitzen,  alle,  gleich 
dem  Holz  der  maquauitl.  blau  gemalt.  Die  erste  Person  von  der  linken 
Seite  scheint  als  Xamenshieroglyphe  über  dem  Kopf  das  Bild  eines  sech.>- 
strahligen  Sterns  zu  tragen,  gelb  gemalt.  Der  Mann  wird  demnach  vielleicht 
Citlal  geheissen  haben.  Ueber  dem  Kopf  des  zweiten  glaube  ich  die 
Zeichnung  eines  Knochens,  über  dem  dritten  die  eines  Dorns  zu  sehen. 
Die  Leute  werden  daher  vielleicht  Omitl  und  Uitz  geheissen  haben.  Die 
spitzwinklige  Figur  über  dem  Kopf  der  vierten  Person,  die  ebenfalls 
Xamenshieroglyphe  zu  sein  scheint,  vermag  ich  nicht  zu  deuten. 

Zwischen  den  verschiedenen  Darstellungen  hindurchgehend  sind  auf 
beiden  Blättern  Fussspuren  gezeichnet,  die  einen  Weg  oder  eine  AYande- 
ruug  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  angeben.  Auf  Blatt  III  geht  die 
untere  Reihe  der  Spuren  vou  links  oben  nach  rechts  unten.  Die  obere 
Reihe  von  rechts  unten  nach  links  oben.  Auf  Blatt  lY  sind  in  derselben 
Weise    zwei  Wegerichtungen  angegeben.      Wenn  wir  «las  Blatt  so  halten. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


241 


wie  die  Figuren  stehen,  so  gehen  die  Fussspuren  auf  der  linken  Seite 
von  oben  nach  unten  —  von  dieser  Reihe  ist  aber  nur  ein  Fussabdruck 
zu  sehen  — ,  auf  der  rechten  Seite  dagegen  von  unten  nach  oben.  Die 
Spuren  selbst  in  ihrer  groben  Zeichnung  weichen  sehr  von  der  üblichen 
feinen  Zeichnung  ab.  die  wir  z.  B.  auf  den  Wegen  des  Blattes  II  sahen. 
Eben  diese  aber  haben  mich  auf  den  ersten  Blick  erkennen  lassen,  dass 
eine  kleine  Zeichnung,  die  ich  mir  vor  Jaliren  von  einem  Bruchstücke 
machte,  das  damals  in  der  Biblioteca  Xacional  in  Mexico  aufbewahrt 
wurde,  derselben  grossen  Handschrift  angehören  muss.  Innerhalb  einer 
bogenförmigen  grünen  Umzäunung  sind  hier  die  vier  Personen  zu  sehen, 
die    ich     in    Abb.    169    nach    meiner    damaligen    Zeichnung    Aviedergebe. 


Abb.  1G9. 


Eechts  oben  ein  Mann  mit  den  Würdeabzeichen  der  Priester,  meca-cozcatl 
und  ie-tecomatl  (vgl.  oben  Seite  186)  bekleidet,  die  Gesichtsbemalung  des 
Feuergottes  tragend,  —  des  Gottes,  der  als  der  alte  und  ursprüngliche 
Gott  galt  —  und  in  der  Hand  einen  Strauss  und  einen  Speer  haltend. 
Ihm  gegenüber  eine  Göttin,  mit  hornartig  aufragendem  Federbusch  auf 
dem  Haupt,  also  wohl  Xochiquetzal.  Rechts  unten  ein  dienender  Gott 
oder  Priester  mit  einem  Banner  in  der  Hand.  Und  links  unten  ein 
anderer,  der  Feuer  erbohrt.  Neben  dem  letzteren  steht  das  Datum  chicuey 
ißzcuintli  geschrieben,  das  den  Namen  dieser  Person  angeben  muss.  Neben 
dem  Bannerträger  steht  Xochitonal  (?}.  Neben  der  Hauptfigur  rechts  oben 
steht  eine  andere  Beischrift,  die  ich  wohl  nicht  ganz  richtig  als  nicah 
Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  j(j 


.■)49  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

toquizyak  nozche  kopirt  habe,  die  vielleicht  nicah  toquizfa] ijah  n  oztoc 
^hier  ist  die  Höhle,  aus  der  wir  stammeu''  zu  lesen  ist.  Wie  man  sieht, 
beo-innt  diese  Beischrift  mit  dem  Worte  nicah^  demselben  Wort  in  der- 
selben  dialektischen  Form,  mit  denen  auf  Blatt  UI  unserer  Sammlung 
die  Beischriften  beginnen. 

Möchte  der  gegen w artige  hochverdiente  und  energische  Leiter  des 
Museo  Nacional  de  Mexico  auch  den  Bruchstücken  dieser  grossen  und, 
trotz  ihrer  ungeschickten  und  groben  Zeichnung,  interessanten  Handschrift, 
die  im  Besitz  des  dortigen  Museums  sich  befinden,  eine  baldige  Ver- 
öffentlichung: zu  Theil  werden  lassen. 


V. 

Ein  42  cm  langes.  1572  '^'"'^  breites  Stück  Agave -Papier,  durch  Quer- 
striche in  zehn  Abtheilungen  getheilt.  Der  Schreiber  scheint  in  alter 
Weise  (vgl.  Xr.  I  dieser  Sammlung)  unten  angefangen  zu  haben  und  nach 
oben  weiter  gegargen  zu  sein.  Denn  oberhalb  des  obersten  Strichs  scheint 
nichts  mehr  gestanden  zu  haben.  Es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Zeichnungen 
mit  anderer  schwärzerer,  beständigerer  Tinte  gemacht  sind  als  die  ein- 
geschriebenen Namen. 

Ungefähr  in  der  Mitte  des  Blattes,  in  der  sechsten  Abtheilung  von 
unten,  ist  die  Hieroglyphe  eines  Ortes  angegeben.  Die  Beischrift  glaube 
ich  tezontepec  lesen  zu  müssen.  Die  Hieroglyphe  zeigt  die  bekannte  Form 
eines  Berges  (tepe-tl)  mit  einem  Baum  darauf.  Der  Berg  ist  aber  hier 
gewissermassen  in  eine  Reihe  Vorsprünge  und  Klippen  zerfällt,  die  in  der 
Mitte  hellblaugrüu.  am  Rande  röthlich  gemalt  sind,  und  ein  von  der 
übrigen  Kolorirung  scharf  sich  abhebendes  Band  geht  schräg  über  seine 
Fläche.  Das  schräg  verlaufende  helle  Band  soll  augen- 
scheinlich an  die  bekannte  Hieroglyphe  des  Steins  (teil) 
erinnern.  Vgl.  z.  B.  Abb.  170.  die  Hieroglyphe  von  Te- 
poxauac  „wo  die  Steine  lose  sind."  Die  abwechselnd 
Abb.  170.  helleren   und   dunkleren  Partien   geben   in   diesen  Hiero- 

^  Tepoxaiiac.  glypheu  die  verschiedene  Aderung  des  Gesteins  wieder. 
In  unserer  Hieroglyphe  sind  auf  dem  schrägen  Band 
sowohl,  wie  auf  den  verschiedenen  Klippen  und  Vorsprängen  des  Berges, 
unregelmässig  verlaufende  schwarze  Striche  angebracht.  Dadurch  soll,  wie 
ich  meine,  eine  poröse  Beschaffenheit  des  Gesteins  angedeutet  werden. 
Denn  te^ontli  heisst  „Steinschaum'\  Die  Mexikaner  bezeichneten  (hiinit 
einen  porösen  Stein,  der  im  Thal  von  .Mexico  vorkommt,  und  der,  ähnlich  dem 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.        '        243 

röQiischen  Travertin,  seit  alter  Zeit  als  Baustein  vielfache  Verwendung  findet. 
Ein  Dorf  Namens  Te^ontepec  wird  in  der  Pintura  del  Gobernador,  Alcaldes 
y  Eegidores  de  Mexico,  die  in  dem  Archiv  des  Duque  de  Osuua  erhalte« 
ist,  in  der  Reihe  Hueypochtlan,  Tequisquiac,  Nestlalpan,  Tecontepec,  Tle- 
maco  u.  a.  als  einem  „comandero"  unterthan  aufgeführt,  (Abb.  171.)  Ohne 
Zweifel  ist  das  der  Ort  im  Distrikt  Tula  des 
Staates  Hidalgo,  der  noch  heute  unter  diesem 
Namen  bekannt  ist.  Der  von  Dr.  Penafiel  heraus- 
gegebene Bericht  über  die  Division  Municipal  de 
la    Repüblica    Mexicana,    wie    sie    im    Jahre  1884 

bestand,    nennt    noch    ein    anderes    Tecontepec    im     -^-Ti T^nn4'Q^']::> o  o 
Distrikt    Pachuca.      Es    ist   natürlich    nicht    ohne  C-  / 

Weiteres    auszumachen,    welches    Tecontepec    etwa  Abb.  171. 

hier  gemeint  ist.  ^'^'^«'^  Osuna.  fol.  36  (498). 

In  den  anderen  Abtheilungen  ist  links  ein  Mann,  rechts  eine  Frau 
gemalt.  Nur  in  den  beiden  obersten  Abtheilungen  ist  blos  eine  Frau  an- 
gegeben. Die  Frau  ist  immer  erkennbar  durch  die  Haartracht,  die  aus 
einem  Bund  im  Nacken  und  zwei  über  der  Stirn  hornartig  aufragenden 
Flechten  besteht.  Die  Namen  der  Personen  sind  darüber  geschrieben, 
und  hinter  einzelnen  der  Köpfe  ist  eine  Namenshieroglyphe  angegeben. 
Zwischen  dem  Mann  und  der  Frau  sind  in  jeder  Abtheilmig  eine  Anzahl 
rother  Punkte  gemalt,  die  von  4  bis  8  wechseln.  Sie  sind  in  der  Regel 
in  zwei  Reihen  zusammengestellt,  und  bei  ungeraden  Zahlen  nimmt  die 
eine  kleinere  Zahl  von  Punkten  enthaltende  Reihe  die  obere  Stelle  ein. 
Es  scheint  also  auch  hierbei  der  Schreiber  von  unten  nach  oben  fort- 
geschritten zu  sein.  Das  Ganze  ist  wohl  eine  Art  Kirchenbuch  für  das 
Dorf  Tecontepec  gewesen,  in  dem  in  jeder  Haushaltung  Mann  und  Frau 
mit  ihren  Namen  und  die  Zahl  der  Kinder  angegeben  wurde.  Das  wird 
bestätigt  durch  den  Umstand,  dass  in  den  beiden  obersten  Abtheilungen, 
wo  nur  eine  Frau  und  eine  Anzahl  rother  Punkte  eingetragen  sind,  hinter 
dem  Namen  der  Frau  der  Vermerk  yc.  steht,  das  ist  wohl  Abkürzung  von 
xfcnociuatl  „Wittwe''. 

In  der  untersten  Abtheilung  steht  über  dem  Kopf  des  Mannes  lolenzo 
te  s.  fij^  d.  h.  Lorenzo  de  San  Francisco.  Denn  die  mexikanische 
Sprache  kennt  weder  ein  r,  noch  ein  d.  und  dahinter  steht  eine  Hiero- 
glyphe, die  zum  Theil  zerstört  und  durcli  Falten  des  Papiers  etwas  ver- 
deckt ist,  aber  doch  deutlich  die  Zeichnung  eines  Rostes  erkennen  lässt 
(vgl.  Abb.  172,  S.  244),  also  Hieroglyphe  für  den  Namen  Laurentius.  Die 
Frau  ihm  gegenüber  heisst  Ana.    Und  die  Zahl  der  rothen  Punkte  ist  acht. 

In  der  zweiten  Abtheilung  von  unten  ist  über  dem  Kopfe  des  Mannes 
der  Name  antonio  angegeben.  Dahinter  befand  sich  ebenfalls  eine  Hiero- 
glyphe, die  leider  ganz  zerstört  ist.  Die  Frau  ihm  gegenüber  lieisst 
catharina.     Die  Zahl  der  Punkte  ist  acht. 

16* 


244 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


In  der  dritten  Abtheilung  von  unten  ist  der  Kopf,  der  Name  und  die 
Hieroglyphe  des  Mannes  durch  Zerfaserung  und  Auseinanderzerrung  des 
Papiers  gänzlich  zerstört.  Die  Frau  heisst  Ana.  Die  Zahl  der  rothen 
Punkte  ist  acht. 

In  der  folgenden  vierten  Abtheilung  ist  der  Name  über  dem  Kopf 
des  Mannes  wiederum  vollkommen  zerstört.  Die  Hieroglyphe  ist  durch 
Faltung  des  Papiers  verdeckt.  Was  ich  davon  erkennen  konnte,  habe 
ich  in  Abb.  178  wiedergegeben.  Ueber  der  Frau  scheint  wieder  der  Name 
ana  angegeben  zu  sein.     Die  Zahl  der  rothen  Punkte  ist  acht. 

In  der  fünften  Abtheilung  von  unten  glaube  ich  über  dem  Kopfe  des 
Mannes  matheo  te  s.  sepastian  zu  lesen.  Die  Hieroglyphe  zeigt  einen  gelb- 
braun gemalten  Arm.  mit  einem  hellblaugrün  gemalten  rundlichen  Gegen- 
stand in  der  Hand.  Ich  glaube,  dass  dies  als  Hieroglyphe  für  matheo 
gemeint  ist.  Denn  ma-iü  heisst  auf  mexikanisch  der  Arm,  die  Hand. 
Der  Name  der  Frau  ihm  gegenüber  ist  mir  unklar.  Die  Zahl  der  röth- 
lichen  Punkte  ist  sechs. 


Abb.  172. 


"V 

^ 


Abb.  173.  Abb.  174.   Icnotlacafl.         Abb.  175.  Ioioit. 

Ms.   Mexicain   Nr.  3.      Bibliothequc  Nationale. 


In  der  sechsten  Abtlieilung  steht,  wie  ich  angab,  der  Name  und  die 
Hieroglyphe  des  Dorfes  tepotitepec. 

In  der  siebenten  Abtheilung  ist  über  dem  Kopfe  des  Mannes  nur  noch 
demente  zu  lesen.  Die  Hieroglyphe  vermag  ich  nicht  zu  deuten.  Der 
Name  der  Frau  fehlt.     Rothe  Punkte  sind  sechs  angegeben. 

In  der  achten  Abtheilung  von  unten  kann  ich  in  der  Beischrift  über 
dem  Kopf  des  Mannes  nur  das  zweite  Wort  deutlich  erkennen.  Es  lautet 
osolu.  Die  Hieroglyphe  dahinter  scheint  einen  Vogelkopf  mit  hoher  Feder- 
haube darstellen  zu  sollen.  Das  könnte  sich  auf  diesen  Namen  beziehen. 
Denn  col-in  heisst  die  Wachtel.      Ueber    dem  Kopfe   der  Frau  steht  eine 

ganz  verblasste  Beischrift,  in  der  ich  nur  noch  —  Ana  d 

Key ....  tz 

zu  entziffern  vermag.     Die  Zahl  der  rothen  Punkte  ist  vier. 

Vor  den  Wittwen  in  den  beiden  obersten  Abtheilungen  sind  je  fünf 
rothe  Punkte  angegeben.  Die  untere  heisst  Juana,  die  obere  Maria. 
Hinter  der  oberen  steht  eine  Zeichnung,  die  wie  ein  in  Holz  geschnittenes 
verschlungenes  M.  A.  aussieht,  und  wohl  den  Namen  Maria  bezeichnen 
soll.     Anderwärts,  z.  B.  in  der  Pintura  des  Herzogs  von  Osuna,  wird  der 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  245 

Name  Maria  durch  eine  Krone  bezeichnet.  Denn  Maria  ist  die  Himmels- 
königin. Hinter  dem  Kopf  der  Juana  ist  eine  Hieroglyphe  angegeben, 
die  in  einem  nach  oben  geschlossenen  Winkel  ein  Auge  erkennen  lässt, 
und  darunter  drei  Wassertropfen.  Das  ist  vielleicht  Hieroglyphe  für  icno 
„verwaist",  „verwittwet".  In  den  Personalregistern  des  Ms.  Mexicain, 
No.  3  der  Bibliotheque  nationale,  wird  dieser  Begriff  immer  durch  Thränen 
angegeben.     (Vgl.  Abb.  174  Icno-tläcatl;  Abb.  175  =  icno-ix). 

Auch  dies  Stück  hat,  meiner  Ansicht  nach,  der  Boturini'schen 
Sammlung  angehört.  In  dem  Katalog  von  Boturini's  Museo  Indiano  sind 
in  §  XXI  unter  Nr.  10  —  Siete  pedazos  de  Mapas  en  papel  Indiano,  de 
los  pueblos  Tezärco,  Tlacoäpan,  Coyofepec,  y  Tezonti'pec  —  erwähnt.  Eines 
dieser  sieben  Bruchstücke  war  also  mit  dem  Namen  eines  Dorfes  be- 
zeichnet, dessen  Namen  und  dessen  Hieroglyphe  wir  auf  unserem  Blatte  V 
angetroffen  haben.  Da,  wie  wir  sehen  werden,  die  grosse  Mehrzahl  der 
Bruchstücke  unserer  Sammlung  der  Boturini'schen  Sammlung  angehört 
haben,  so  spricht  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  hier  keine  zufällige 
Uebereinstimmung  obwaltet. 


Ein  Stück  Agave-Papier,  von  der  Grösse  eines  Quartblattes  (20x21  cm 
Seitenlänge),  auf  der  einen  Seite  mit  Figuren  und  Zeichnungen  bedeckt. 
Dies  ist  das  Stück,  das  A.  von  Humboldt  in  den  Vues  des  Cordilleres  et 
Monuments  des  Peuples  indigenes  de  l'Amerique  unter  dem  Titel  „Piece 
de  proces  en  ecriture  hieroglyphique"  abgebildet  und  beschrieben 
hat.  Ich  gebe  hier  in  Abb.  176,  S.  246  eine  verkleinerte  Kopie  dieses 
Blattes  wieder. 

In  der  Mitte  des  Blattes  sieht  man  einen  Grundriss  von  Baulichkeiten. 
An  der  linken  Seite  desselben  sind  die  Worte  ciudad  de  Tetzcuco  ein- 
geschrieben. Es  ist  also  klar,  dass  der  Grundriss  die  Königsstadt  dieses 
Namens  gegenüber  Mexico  am  anderen  Ufer  des  Sees  darstellen  soll.  In 
der  Mitte  der  rechten  Seite  führt  ein  Weg  hinein,  oder  vielmehr  aus  der 
Mitte  der  Stadt  heraus,  wie  die  Stellung  der  Fussspuren  angibt.  Und 
parallel  der  rechten  Seite,  nahe  am  Rand,  ist  ein  dazu  senkrechter  Weg 
angegeben,  der,  wie  es  scheint,  zwei  kleinere  Quartiere  von  dem  Haupt- 
körper der  Stadt  absondert.  In  der  Mitte  des  Hauptkörpers  ist  eine 
grössere  Anlage  gezeichnet,  die  ohne  Zweifel  wohl  den  Palast  darstellen 
soll.  Am  meisten  fällt  ein  viereckiger  Raum  in  die  Augen,  in  den  von 
rechts  eine  Thür  hineinführt.     Thürpfosten  und  Balken,    die  dem  Brauch 


•246 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


nach  von  Holz  waren,  sind  als  hölzerne  durch  rothe  Farbe  gekennzeichnet. 
Ebenso  gemalte,  also  wohl  aus  gleichem  Material  bestehende  Pfeilerreihen 
durchsetzen  den  Raum.  Das  entspricht  genau  dem.  was  Juan  ßautista 
de  Pomar  von  dem  Palast  Necaualcoi/otl^s  in  Tetzcoco  uns  berichtet. 
Er  sagt,  die  Baulichkeiten  hätten  auf  erhöhten  Terrassen  gestanden.  Die 
Haupträumlichkeiten  wären  ein  Saal  gewesen  von  über  20  Ellen  in  der 
Länge  und  Breite.  Im  Innern  hätten  in  Abständen  auf  steinernen  Unter- 
sätzen viele  hölzerne  Pfeiler  gestanden,  die  ihrerseits  wieder  das  Gebälk 
getragen  hätten.      (Son   sobre  terraplenos  de  un  estado  lo  (jue  menos,    de 


Abb.  176. 


cinco,  ü  seis  el  que  mas.  Los  principales  aposentos  que  tenian  eran  unas 
salas  de  veinte  brazas  y  raas  de  largo,  y  otras  tantas  en  ancho.  porque 
eran  cuadrados.  v  en  medio  dellos  muchos  pilares  de  madera  de  trecho  ä 
trecho,  sobre  grandes  brazas  de  piedra,  sobre  las  quales  ponian  las  madres 
en  que  cargaba  la  demas  madera.)  Auch  das  andere,  was  Pomar  über 
den  Palast  berichtet,  scheint  dem  zu  entsprechen,  was  wir  auf  unserem 
Blatte  gezeichnet  sehen.  Er  sagt,  der  Zugang  zu  diesen  Sälen  wäre  von 
einem  Hofe  aus  gewesen,  dessen  Boden  mit  einer  glatten  Mörtelschicht 
überzogen  gewesen  sei,  zu  dem  Stufen  emporgeführt  hätten.      Und  ausser 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huniboldt's.  247 

den  Haupträumlichkeiten  hätte  es  noch  eine  grosse  Zahl  von  besonderen 
(lebäuden  gegeben,  für  die  vornehmen  Gäste,  für  die  Weiber  und  das 
andere  zahh'eiche  und  verschiedenartige  Hofgesinde,  Küchen,  abgeschlossene 
Höfe  u.  s.  w.  (Abia  en  estas  casas  aposentos  dedicados  para  los  reyes  de 
Tacuba^  donde  eran  aposentados,  quando  ä  esta  ciudad  venian.  Tenian 
aposentos  para  los  demäs  senores  inferiores  del  rey,  sin  otras  muchas  salas 
en  que  hacian  sus  audiencias  y  juzgados,  y  otras  de  consejos  de  guerra, 
y  otras  de  la  rausiea  y  cantos  ordinarios,  y  otras  en  que  vivian  las 
nmgeres,  con  otros  niuchos  palacios  y  grandes  cocinas  y  corrales.)  In  der 
That  sehen  wir  auch  auf  unserem  Blatt  eine  Trep])e,  die  zu  den  Baulich- 
keiten emporführt.  Wir  sehen  ausser  dem  Hauptraum  fünf  kleinere  stroh- 
gedeckte Häuser  und  einen  kleinen  viereckigen  Raum,  in  dem  auch  Pfosten, 
aber  kein  Thürgebälk  markirt  ist,  der  also  einen  abgeschlossenen  Hof 
(corral)  bezeichnen  könnte.  Ein  paar  ähnliche,  aber  aneinanderstossende 
Höfe  sind  auf  unserem  Blatte  noch  ausserhalb  der  Hauptanlage,  des 
eigentlichen  Palastes,  in  der  oberen  linken  Ecke  des  Grundrisses  an- 
gegeben. 

Kings  um  die  Seiten  des  Hauptkörpers  der  Stadt  sowohl,  wie  der 
beiden  abgesonderten  Quartiere,  sind  eine  Anzahl  Ziffern  eingeschrieben: 
—  einzelne  Striche,  die  Einer  bedeuten  müssen,  zu  fünfen  zusammen- 
genommene Striche,  von  denen  aber  nie  mehr  als  drei  Bündel  vorkommen, 
unfl  schwarze  Kreise,  die  demnach  notwendig  Zwanziger  bedeuten  müssen, 
also  hier  an  Stelle  des  Fähnchens,  des  sonst  für  die  Zahl  20  gebrauchten 
Zeichens,  stehen.  Wo  mehr  als  fünf  schwarze  Kreise  vorhanden  sind, 
sind  fünf  durch  einen  Strich  zusammengenommen,  also  die  Zahl  Hundert 
besonders  hervorgehoben.  Neben  den  Ziffern  steht,  wo  der  Raum  es  zu- 
lässt,  die  aus  den  mexikanischen  Malereien  wohlbekannte  Zeichnung  des 
Herzens  —  yoUotl,  d.  h.  eigentlich  ijol-yo-tl  „das  Leben  habende"  — .  Es 
ist  also  klar,  dass  hier  die  Lebenden,  die  vorhandenen  Seelen  gezählt 
werden.  Zählen  wir  zusammen,  so  erhalten  wir  für  den  Hauptkörper  der 
Stadt,  auf  der  rechten  Seite  von  unten  beginnend,  folgende  Zahlen:  ^^^^t  ^ 

5)6,  86,   148,  79,  158,   155;  zusammen  7IB-^elen.  ^-^      t 

In   dem    oberen   der    beiden   abgesonderten  Quartiere  ist  die  Zahl   an  der  \ 

rechten  Seite  unvollständig,  die  Zwanziger  sind  zerstört.  Auf  den  beiden 
anderen  Seiten  haben  wir,  von  links  unten  beginnend,  die  Zahlen: 

86,  48;  zusammen  134  Seelen. 
Und  für  das  untere  der  beiden  abgesonderten  Quartiere,    von   rechts  über 
links  nach  unten  fortschreitend,  die  Zahlen: 

84,  95,  50;  zusammen  229  Seelen. 
Erhöhen  wir,    die    zerstörte  Zahl    ergänzend,    die  zweite  Summe  etwa  auf 
die  Höhe  der  dritten,  so  würde  die  Gesammtzahl  nicht  ganz  1200  betragen. 
Muss  man  annehmen,    dass  das  die   Gesammtseelenzahl  von   Tetzcoco  war? 
Ich  glaube  nicht.    Die  Bevölkerung  war  zwar  nach  der  Eroberung  furchtbar 


lA 


248  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

zurückgegangen.  Wähi*end  in  früheren  Zeiten,  erzählt  Lttlilxocldtl ^  das 
kleinste  Dorf  in  dem  Bezirke  von  Tetzvoco  1100  Ilausiialtungsvorstände 
und  mehr  gehabt  hätte,  wie  sich  aus  den  alten  Katastern  und  Einwohner- 
verzeichnissen ergäbe,  zählten  jetzt  dieselben  kaum  200,  und  einige  wären 
ganz  und  gar  ausgestorben.  Ich  glaube  indes  nicht,  dass  in  der  Zeit,  die 
wir  für  das  Blatt  ansetzen  müssen,  die  Einwohnerzahl  der  Hauptstadt  bis 
auf  1200  heruntergegangen  war.  Es  wurden  sicher,  und  gerade  die  an- 
gezogene Stelle  aus  Lttlilxochitl  beweist  das,  auf  unserem  Blatte  nicht 
die  Seelen,  sondern  die  Haushaltungsvorstände  (vecinos)  gezählt.  Wir 
würden  demnach  für  die  Zeit,  wo  unser  Blatt  geschrieben  ward,  auf  eine 
Einwohnerzahl  von  etwa  7000  kommen.  Und  das  wird  dem  wirklichen 
Zustand  entsprochen  haben. 

Ich  bemerke  noch,  dass  die  besondere  Anordimng  der  Zahlen  in  diesem 
Stadtplan  vermuthlich  der  Gliederung  der  Einwohnerschaft  in  Quartiere 
oder  Gentes  (barrio,  calpulli)  ihren  Ursprung  verdankt.  Jede  besondere 
Zahl  wird  einem  besonderen  calpulli  entsprechen,  von  denen  wir  demnach 
in  dem  Hauptkörper  der  Stadt  sechs,  in  jedem  der  beiden  abgesonderten 
Quartiere  drei  anzunehmen  hätten. 

Um  den  Grundriss  der  Stadt  herum  sitzen  sieben  Figuren,  sechs 
Spanier  und  ein  Mexikaner.  Die  allgemeine  Bedeutung  des  Vorganges, 
der  hier  zur  Anschauung  gebracht  ist,  hat  A.  von  Humboldt  schon  ganz 
richtig  erkannt  und  trefflich  gekennzeichnet.  Nur  irrt  er  darin,  dass  er 
den  Stadtplan  in  der  Mitte,  der.  wie  wir  gesehen  haben,  der  der  Stadt 
Tetzcoco  ist,  als  den  Grundriss  eines  einfachen  Gutshofes  und  als  das 
streitige  Objekt  ansieht.  Er  sagt  (Yues  des  Cordilleres  et  Monuments  des 
Peuples  indigenes  de  l'Amerique  p.  56):  -  „Le  tableau  que  presente  la 
douzieme  Planche  parait  indiquer  un  proces  entre  des  naturels  et  des 
Espagnols.  L'objet  en  litige  est  une  metairie,  dont  on  voit  le  dessin  en 
projection  orthographique.  On  y  recounoit  le  grand  chemiu  marque  par 
les  traces  des  pieds;  des  maisons  dessinees  en  profil;  un  Indien  dont  le 
nom  indique  un  arc;  et  des  juges  espagnols  assis  sur  des  chaises,  et  ayant 
les  lois  devant  leurs  yeux.  LEspagnol  place  immediatement  au-dessus  de 
rindien,  s'appelle  probablemeut  Aquaverde,  car  l'hieroglyphe  de  l'eau, 
peint  en  vert,  se  trouve  figure  derriere  sa  tete.  Les  langues  sont  tres 
iuegalement  reparties  dans  ce  tableau.  Tont  y  annonce  l'etat  d'un  pays 
conquis:  Tindigene  ose  ä  peine  defendre  sa  cause,  tandisque  les  etrangers 
a  longues  barbes  y  parlent  beaucoup  et  a  haute  voix,  comme  descendans 
d"un  peuple  conqueraut.'' 

Die  drei  Figuren  auf  der  linken  Seite  des  Blattes  stellen  in  der  That 
zweifellos  drei  Richter,  und  zwar  den  Präsidenten  der  Audiencia  und  die 
beiden  Oydores  dar.  So  ist  das  Yerhältniss  dieser  drei  aufzufassen.  Denn 
der  Richter  in  der  Mitte  ist  durch  ein  reicheres  Barrett  vor  den  beiden 
anderen  ausgezeichnet.     Die  Darstellung;  ist    im  Uebrigen    ganz    überein- 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt'>.  249 

stimmend  mit  der  Art,  wie  iu  der  Piiitara  del  Gobernador,  Alcaldes  y 
Re.^idores  de  Mexico  (Codex  Osuna)  die  Oydores  dargestellt  sind.  Der 
Stuhl  und  der  Stab  ist  ihr  Würdezeichen.  Vgl.  die  Abb.  177,  das  Bild 
des  doctar  horozco,  oydor  aus  Blatt  3  (465)  der  genannten  Handschrift. 
Die  Papiere,  die  vor  ihnen  liegen,  werden  aber  wohl  nicht  die  Ge- 
setze, sondern  die  geschriebeneu  Prozessakten  bedeuten  sollen.  Be- 
nierkenswerth  ist,  dass  absolut  unverständliche  Zeichen  darauf  angebracht, 
sind.  Sie  geben  den  wirren  Eindruck  wieder,  den  die  Schrift  auf  einen 
des  Lesens  Unkundigen  machte.  Die  beiden  Männer,  die  zu  Seiten 
des  Mexikaners  sitzen,  stellen  seine  Eideshelfer,  die  von  ihm  gestellten 
Zeugen,  dar.  Der  Spanier  auf  der  anderen  (oberen)  Seite  des  Blattes, 
der  sich  abwendet  und  viel  zu  erwidern  hat,  ist  augenscheinlich  der 
Angeklagte,  der  das  wider  ihn  Vorgebrachte  in  Abrede  stellt.  Hinter 
allen  Personen,  mit  Ausnahme  des  zweiten  cv  Ar\/«-x<        / 

Zeugen,   standen  Hieroglyphen.     Leider  \\  ^    nOrc/2C0 

sind    hinter    zweien    der   Richter    diese 
/erstört. 

Nach  diesen  Hieroglyphen  ist  die 
eine  der  Personen  sicher  zu  erkennen. 
Es  ist  der  Mexikaner.  Hinter  ihm  ist 
als  Namenshieroglyphe  das  Bild  eines 
Bogens  (tlauitolli)  zu  sehen.  Ausserdem 
ist  ersichtlich,  dass  er  einen  hohen  Rang 
unter  den   Eingeborenen   eingenommen, 

dass  er  fürstliche  Würde  besessen  haben 

T-.  •   .        />  j         ^       j       •        /;•       Abb.' 177.     Codex   Osuna.    fol.  :i  (465). 

muss.    Denn  er  ist  aui  dem  tepotzo-icpaln. 

dem  mit  hoher  Lehne  versehenen  Strohstuhl  sitzend  dargestellt.  Nun  wissen 
wir  in  der  That,  dass  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  Männer  Namens 
Tlauitol,  Abkömmlinge  der  alten  tetzkokanischeu  Königsfamilie,  in  Tetzcoco 
das  Regiment  ausgeübt  haben.  Chimalpahiu  erwähnt  einen,  S.  Antonio 
Pimentel  Tlauüoltzin,  den  er  Sohn  des  im  Jahre  )5L5  verstorbenen 
Königs  NecaualpüU  nennt  —  Torquemada  bezeichnet  ihn  als  Enkel 
Aecaualpillts  — ,  und  der  im  Jahre  1540  von  den  Spaniern  als  König 
[tlahtouani)  von  Tetzcoco- Aculhuacan  eingesetzt  worden  und  im  Jahre  1564, 
nach  25 jähriger  Herrschaft,  gestorben  sei.  Diese  Angabe  beruht  aber  ent- 
schieden auf  einem  Irrthum.  In  einem  Bericht  des  Sahagun-Manuskripts, 
der  im  Jahre  2.  acatl^  d.  i.  1559,  geschrieben  ist,  wird  Don  Antonio 
Tlauitoltzin  als  der  zwölfte  König  von  Tetzcoco  (der  siebente  nach  Ne- 
^aualpilli)  genannt,  und  berichtet,  dass  er  sechs  Jahre  regiert  habe. 
Und  darnach  wird  als  dreizehnter  König  von  Tetzcoco  Don  hernando 
pimentel  genannt,  mit  mexikanischem  Namen  luian^  d.  h.  ^der  Sanft- 
müthige,  Bescheidene",  ein  Wort,  das  in  der  Namenshieroglyphe,  die  das 
Bild  dieses  Königs  begleitet,    durch  zwei   nackte  Füsse  wiedergegeben  ist 


250  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

—  vielleicht  ein  Ausdruck  des  „chi  va  piano,  va  saiio".  Dieser  soll  zur 
Zeit  der  Niederschrift  (im  Jahr  TI  acatl  =  A.  D.  1559)  schon  im  fünf- 
zehnten Jahre  regiert  haben,  müsste  also  schon  1545  zur  Regierung  ge- 
kommen sein.  Und  die  sechs  Jahre,  während  deren  D.  Antonio  Pimentel 
Tlauitoltzin  regiert  hätte,  müssten  die  Jahre  1540—1545  gewesen  sein. 
Chimalpahin  hat  augenscheinlich  die  Regierungszeiten  dieser  beiden 
Männer  in  eine  zusammengezogen. 

Von  D.  Antonio  Pimentel  Tlauitoltzin  wissen  wir  aus  Torque- 
mada,  der  ihn  an  verschiedenen  Stellen  nennt,  dass  es  ein  ruhiger,  ver- 
ständiger Mann  war,  der  mit  besonderem  Interesse  sich  der  Sammlung 
und  Aufzeichnung  der  alten  Traditionen  seines  Hauses  und  seines  Volkes 
widmete.  Torquemada  besass  ein  von  ihm  geschriebenes  „Memorial", 
in  welchem  über  die  alten  Dinge  —  en  estilo  de  Historia,  al  modo  quo 
usamos  nosotros  —  berichtet  wurde ^).  Juan  Bautista  de  Pomar  be- 
richtet von  ihm,  dass  er  Maulbeerbäume  kultivirt  und  Seidenraupenzucht 
betrieben  habe.  Noch  in  seiner  (Po  mar 's)  Zeit,  d.  h.  im  Jahre  1582, 
hätte  es  Maulbeerbäume  in  der  Nähe  von  Tetzcoco  gegeben,  y  en  tiempo 
antiguo  la  cogia  (la  seda)  D.  Antonio  Tlahuitoltzin,  cacique  y  gober- 
nador  que  fue  de  esta  ciudad,  hijo  de  Nezahualpiltzintli. 

Schwerer  ist  es,  die  anderen  Personen  unseres  Blattes  festzustellen. 
Da  Tlauitoltzin  nur  bis  zum  Jahre  1545  regierte,  müsste  der  Vorgang, 
auf  den  sich  unser  Blatt  bezieht,  vor  diese  Zeit  zu  setzen  sein.  Damals 
regierte  noch  (vom  Jahre  1534  an)  der  Vizekönig  D.  Antonio  de  Mendoza. 
Präsident  der  Audiencia  war  bis  zum  Jahre  1535  der  Bischof  von  Santo 
Domingo,  D.  Sebastian  Ramirez  de  Fuenleal.  Und  als  Oydores 
standen  ihm  zur  Seite  die  Licenciados  Juan  de  Salmeron,  Alonso 
Maldonado,  Zeyuos  (oder  Zaynos,  wie  er  auch  geschrieben  wird,  nach- 
malen Präsident  der  Audiencia)  und  Quiroga^).  Auch  die  Namen  der 
Spanier  wurden  von  den  Mexikanern  in  Hieroglyphen  wiedergegeben,  die 
oft  ohne  weiteres  klar,  oft  aber  auch  schwer  verständlich  sind  und  gewiss 
oft  nicht  den  Namen  selbst,  sondern  einen  Spitznamen,  unter  dem  die  be- 
treffende Person  bei  den  Indianern  bekannt  war,  wiedergeben.  Bekannt 
ist,  dass  Pedro  de  Alvarado  bei  den  Indianern  unter  dem  Namen 
Tonatiuh  „Sonne"  gieng.  Er  wird  daher  hieroglyphisch  dnrch  das  Bild 
einer  Sonne  bezeichnet.  Der  Vizekönig  Antonio  de  Mendoza  ist  im 
Codex  Telleriano-Remensis  durch  einen  Speer  (Abb.  178),  der  dritte  Vize- 
könig Luis  de  Ve  las  CO  in  der  Pintura  del  Gobernador,  Alcaldes  y  Regi- 
dores  de  Mexico  (Codex  Osuna)  durch  die  Abb.  179  wiedergegeben,  die 
aus  dem  Züngelchen  der  Rede,  einem  Auge  und  einem  anderen  schwer 
zu    deutenden    Gegenstande    darüber     zusammengesetzt    ist.      Der    Name 


1)  Moxiarquia  Indiana  16,  cap.  19. 

2)  Motolinia  III,  cap.  ;5. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


251 


Gallego  wird  in  derselben  Handschrift  durch  die  Abb.  180,  der  Doctor 
Vasco  de  Poga  durch  die  Abb.  181  wiedergegeben.  Beide  sind  leicht 
verständlich.  In  Abb.  180  liaben  wir  die  Figur  einer  Hauses  {cal-li)  und 
Bohnen  {e-tl)  =  Cal-e.  Und  Abb.  181  erklärt  sich  daraus,  dass  poc-tli  im 
Mexikanischen  „der  Rauch"  heisst.  Leicht  verständlich  ist  auch  die  Hiero- 
glyphe für  Doctor  Zorita,  Abb.  182,  der  Kopf  einer  Wachtel,  denn  ^ol-in 
heisst  auf  mexikanisch  die  Wachtel.    Aber  Abb.  183  =  Doctor  Yillanueva 


Abb.  178.     Vize- 
könig Antonio  de 

Mendoza. 

Cod.    Tell.-Rem. 

fol.  44,  verso  (=  Kings- 

boroughIV,30). 


Abb.  179.    Vize- 


könig   Luis 
Velasco. 
Codex  Osuna. 
fol.  21  (483). 


de 


Abb.  182.    Doctor 

Zonta. 

Codex  Osuna. 

fol.  22  (484),  verso. 


Abb.  183.    Doctor 

ViUanueva. 

Codex  Osuna. 

fol.  24  (486),  verso. 


Abb.  180. 

Gallego.     Codex 

Osuna. 

fol.  27  (489),  veiso. 


Abb.  184.    Doctor 

ViUalolios. 

Codex  Osuna. 

fol.  24  (486). 


Abb.  181. 
Dr.  ^'usco  de  Poga. 

Codex  Osuna. 
fol.  23  (485).  verso. 


Abb 


185.    Doctor 

Braco. 
Codex  Osuna. 
fol.  22  (484). 


Abb.  1P6.    Doctor 

Zei/nos. 

Codex  Osuna. 

fol.  26  (488),  verso. 


Abb.  187.    Fiscal 

Maldonado. 

Codex  Osuna. 

fol.  25  (487). 


Abb.  188.    Doctor 

Horozco. 

(/odex  Osuna. 

fol.  23  (485). 


Abb.  189. 

S((n   Francisco. 

Codex  Osuna. 

fol.  37  (499),  verso. 


und  Abb.  184  =  Doctor  Yillalobos  sind  mir  vorläufig  Räthsel.  Ebenso 
Abb.  185  =  Doctor  Bravo.  Abb.  186,  die  Hieroglyphe  des  Doctor  Zeynos, 
scheint  eine  stachliche  Blattspitze  darzustellen.  Abb.  187,  die  Hieroglyphe 
des  Fiscal  Maldonado,  gibt  das  Bild  einer  hölzernen  Zange  und  eines 
rothen  (glühenden?)  Gegenstandes,  der  von  ihr  gefasst  wird.  Die  Hiero- 
glyphe für  Doctor  Horozco  endlich,  Abb.  188,  zeigt  die  auffallendste 
Aehnlichkeit  mit  der  von  San  Francisco,  Abb.  189. 


252  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Die  meisten  der  Hieroglyphen,  die  ich  liier  anführte,  gehören  Personen 
einer  späteren  Zeit  au,  als  die,  in  welche  wir  unser  Blatt  VI  zu  setzen 
haben.  Aus  dieser  früheren  Zeit  sind  bisher  leider  wenig  sichere  Hiero- 
glyphen spanischer  Namen  bekannt  geworden.  Und  aus  freier  Hand  sind 
solche  nicht  zu  deuten,  wie  aus  den  eben  angeführten  Beispielen  ohne 
Weiteres  ersichtlich  sein  wird. 

Es  bleiben  nun  auf  unserem  Blatte  noch  die  Bilder  zu  besprechen, 
die  au  der  linken  Seite  des  Stadtplanes,  unmittelbar  vor  dem  Grerichts- 
präsidenten  zu  sehen  sind.  Zwei  davon,  die  lieiden  mit  winklig  anein- 
anderstossenden  Strichen  erfüllten,  im  Original  bläulichgrün  gezeichneten 
Kreise  sind  klar.  Sie  geben  das  Bild  von  Türkisniosaik  und  haben  daher 
den  Lautwerth  Xtuitl,  das  ist  Jahr  (vgl.  oben  S.  204).  Wir  müssen  wohl 
schliessen,  dass  zwei  Jahre  zuvor  dasjenige  stattfand,  wegen  dessen  hier 
verhandelt  wird,  oder  dass  der  Prozess  zwei  Jahre  lang  sich  hinzog.  Nicht 
so  leicht  ist  der  andere  Gegenstand  zu  deuten.  Er  sieht  aus  wie  ein  Sack 
oder  ein  flaschenförmiges  Gefäss.  Oben  schliesst  sich,  wie  es  scheint,  ein 
Stab  oder  eine  Röhre  an,  und  ein  feiner  Faden  scheint  daran  befestigt. 
Das  ganze  Innere  ist  mit  rothen  Wellenlinien  erfüllt.  Obwohl  mir  diese 
und  jene  Gedanken  kommen,  wage  ich  doch  nicht  einer  bestimmten  Yer- 
muthung  über  die  Bedeutung  dieses  Gegenstandes  Ausdruck  zu  geben. 

Das  Blatt  YI  scheint  schon  der  Boturinischen  Sammlung  angehört 
zu  haben  und  von  ihm  in  seinem  Museo  Indiano  §  III  Nr.  7  beschrieben 
zu  sein.  Es  heisst  daselbst^):  —  „Otro  Mapa  en  una  quartilla  de  papel 
Indiano,  donde  se  "ve  pintada  la  ciudad  de  Tetzcoco,  cou  uuas  cifras,  que 
especifican  su  extension  en  lo  antiguo."  Auch  unser  Blatt  ist  ja  eine 
Karte  in  Quartformat  (uu  mapa  en  una  quartilla  de  papel  Indiano),  und 
zeigt  das  Bild  der  Stadt  Tetzcoco.  Ziffern  sind  auch  eingeschrieben,  wie 
wir  sahen.  Nur  geben  dieselben  nicht  die  Ausdehnung  der  Stadt,  wie 
Boturin i  hier  annimmt,  sondern  deren  Einwohnerzahl  wieder. 


VII. 

Ein  25  cm  langer  und  nahezu  18  cvi  breiter  Streifen  Agave-Papier, 
von  unten  und  rechts  anfangend  in  vier  Reihen  beschrieben;  eine  fünfte 
ist  nur  angedeutet. 

Auf  der  rechten  Seite  der  Felder  stehen  Kreise.  Einer  derselben, 
der  in  der  vierten  Reihe  von  unten  (vgl.  Abb.  191),  ist  roth  gemalt  und 

1)  I.  c.  p.  5. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


253 


mit  einer  Wirbelzeichnung',  einer  Art  Svastika,  aber  eines  zweiarmigen, 
versehen.  Das  soll  ohne  Zweifel  einen  Sonntag  bedeuten  (vgl.  darüber 
das  unten  S.  277,  278  bei  Blatt  XIII  Gesagte).  Demnach  dürften  auch  die 
Kreise  am  rechten  Ende  der  unteren  Felder  Tage  bedeuten.  Und  da  der 
Fortgang  von  unten  nach  oben  ist,  so  müsste  in  dem  untersten  Felde 
(Abb.  190)  Donnerstag,  in  dem  zweiten  von  unten  Freitag,  in  dem 
dritten  von  unten  Sonnabend  angegeben  sein.  In  dem  zweiten  Felde, 
das  dem  Freitag  entspricht,  ist  die  obere  Hälfte  des  Kreises  schwarz 
gemalt.  Das  scheint  verständlich.  Der  Freitag  war  der  Tag  der  Kreuzigung- 
Christi  und  von  der  Kirche  gebotener  Fasttag.  Donnerstag  und  Sonnabend 
sind  gleich,  und  zwar  durch  einen  Kreis  mit  einer  Art  Pfeil  darauf,  be- 
zeichnet worden.  Ich  glaube,  dass  das  nur  eine  Art  Hieroglyphe  für 
Werktag-  oder  Arbeitsta«-  war. 


Abb.  190  und  191.     Erste  (unterste)  und  vierte  Reihe  des  Bruchstücks  VJI. 


Innerhalb  der  untersten  Reihen  stehen  zuerst  Fische.  Dann  Körbe,. 
aus  Strohgeflecht  (gelb  gemalt),  die  augenscheinlich  weicher  Beschaffenheit 
sind  und  in  der  ersten  Reihe  (Abb.  190)  jeder  auf  einer  dreifüssigen 
flachen  Schale  stehen.  Das  sind  vermuthlich  die  Körbchen,  in  denen  die 
frischgebackenen  Tortillas  hereingebracht  wurden.  Endlich  folgen  links 
Bündel,  die  augenscheiidich  c^catl  darstellen  sollen,  d.  h.  die  grünen  Mais- 
stengel, die  seit  den  Zeiten  der  Eroberung  bis  auf  den  heutigen  Tag  mit 
Vorliebe  als  Pferdefutter  verwendet  werden.  Vgl.  die  Abb.  192,  193,  S.  254. 
Die  erstere  ist  dem  Atlas  Goupil-Boban  PL  27,  die  andere  der  Pintura 
del  Gobernador,  Alcaldes  y  Regidores  de  Mexico  entnommen,  und 
beide  sind  im  Text  als  Zacati  bezeichnet.  In  der  obersten  Reihe  (Abb.  191), 
d.  h.  am  Sonntag-,  ist  statt  der  Fische  ein  Truthahn  gezeichnet,  der  Sonutags- 
braten.  Zum  besseren  Verstäudniss  der  etwas  flüchtigen  Zeichnung  habe 
ich  in  Abb.  194,  S.  254  den  etwas  sorgfältiger  gezeichneten  Kopf  aus  dem 
Atlas  Goupil-Boban  PI.  27  wiedergegeben,  der  dort  im  Text  ausdrücklich 
als  ,,g-allina  de  la  tierra"  erwähnt  wird. 


'254 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


üeber  diesen  Gegenständen  nun,  welche  Nahrung  für  Mensch  und 
Pferd  darstellen,  sind  verschiedene  Ziffern  zu  sehen,  —  Fähnchen,  die  die 
Zahl  '20  anzeigen,  und  Gruppen  kleiner  Kreise,  deren  jeder  einen  Einer 
bedeutet  —  und  ausserdem  grössere  Kreise,  die  entweder  leer  sind,  oder 
ein  oder  zwei  kleinere  Kreise  in  sich  schliessen. 

Solche  grösseren  Kreise,  die  in  den  sorgfältiger  gezeichneten  Hand- 
schriften regelmässig  mit  blauer  Farbe  gemalt  sind,  bedeuten  Geld,  Silber- 
geld. Und  zwar  ist  hier  eine  ganz  feststehende  Art  der  Bezeichnung  zu 
bemerken.    Die  altspanische  Münze  war  der  Peso,  dieser  zerfiel  in  8  Reales, 


Abb.  192  und  193.    Zaeatl.    Atlas  Goupil-Boban  PI.  27  und  Codex  Osuna  f.  17. 


Abb.  194.  „gallina  de  la  tierra". 
Atlas  Goupil-Boban  PL  27. 


.Abb.  195.    I  peso  i/pan  TT.  tomiues. 
1  Peso,    6  Eeales.   —    Codex  Osuna  13. 


/oOooi/oooLj;^^ 


Abb.  196.    ompoliuatli  jJ'-^on  i/pun  Vll  to>iiine>>  ijpuH  niediu.     4U  Pesos,  772  Reales. 

Codex  Osuna  fol.  37. 


auf  mexikanisch  tomin  genannt.  Die  Hälfte  des  Real  war  ein  Medio,  und 
die  Hälfte  dessen  ein  Quartillo.  Den  letzteren  theilten  die  Indianer  noch 
einmal.  Für  diese  kleinste  Scheidemünze  gibt  es  aber  keinen  spanischen 
Namen,  sondern  nur  den  mexikanischen  tlaco  „halb".  Der  Peso  wird  in 
den  mexikanischen  Malereien  mitunter  seinem  Namen  „Gewicht"  ent- 
sprechend dui'ch  eine  Wage  dargestellt  (Abb.  195),  gewöhnlich  dagegen 
durch  einen  blauen  Kreis  mit  einem  Kreuz  darauf,  augenscheinlich  nach 
dem  Gepräge,  das  in  damaliger  Zeit  dem  Silbergeld  gegeben  wurde 
^Abb.  196).    In  seltenen  Fällen  erscheint  ein  anderes  Gepräge.    Vgl.  z.  B. 


Die  mexikanischen  Rilderschrifton  Alexander  von  Huraboldt's. 


255 


Abb.  197  aus  Codex  Osuna  f.  31  (493).  Die  Reales  oder  Tomines  wurden 
durch  einen  blauen  Kreis  mit  soviel  kleinen  darin  eingeschriebenen  Kreisen 
bezeichnet,  als  Reales  angegeben  werden  sollten.  Und  zwar  wurden  in 
einen  Kreis  in  der  Regel  nicht  mehr  als  vier  kleine  Kreise  eingeschrieben, 
also  vier  Reales,  gleich  einem  halben  Peso.  Nur  wenn  die  Pesos  gar 
nicht  besonders  genannt,  sondern,  wie  das  oft  geschah  und,  trotz  der  neuen 
Dollar-  und  Centavorechnung  noch  heute  oft  geschieht,  nur  nach  Reales 
gerechnet  wurde,  dann  finden  wir 
in  die  blauen  Kreise  bis  acht 
kleine  Kreise  eingeschrieben  (vgl. 
Abb.  198).  Der  Medio  dagegen 
wurde  durch  einen  halbirten  Real 
bezeichnet  (vgl.  Abb.  196,  197). 
So  ist  Abb.  195  (Codex  Osuna) 
im  Text  als  1  peso  tjpan  Yl  tomines, 
ein  Peso  und  sechs  Reales  er- 
läutert, und  Abb.  196,  derselben 
Handschrift  entnommen,  als  ompohualli  pesos  ypan  VIT  iomines  ypan  medio 
d.  h.  2  X  20  Pesos,  7  Reales  und  1  Medio. 

In  unserem  Blatt  YII  nun  hat  den  höchstbezifferten  Preis  der  Trut- 
hahn (quad-olotl,  guajolote)  in  der  obersten  Reihe,  der  mit  2  Realen  an- 
gesetzt ist.  Alles  übrige  ist  nur  mit  einem  Real  angesetzt.  Und  zwar 
scheinen    deshalb    hier  mehrfach  nur  die  grossen  Kreise  gezeichnet,  ohne 


Abb.  197,    27  Pesos,  -2'/^  Reales. 
Codex  Osuna  fol.  31. 


Abb.  198.     31  Reales  oder  3  Pesos  7  Reales.  —  Bilderschriften  der  Poinsett'schen 
Sammlung.   (Transactions  American  Philosophical  Society,  New  Series  Vol.  XVII.    Part  II). 

den  eingeschriebenen  kleinen  Kreis.  Nach  den  hier  verzeichneten  Preisen 
stellten  sich  zwei  Bündel  oder  Lasten  Zacate.  20  Tortillas  und  8  Fische 
auf  je  einen  Real.  Die  Fische  dürften  daher  nicht  von  bedeutender  Grösse 
gewesen  sein. 

Da  wir  also  auf  unserem  Blatt  YII  Tage  und  innerhalb  der  Tage 
Nahrungsmittel  und  Futter  mit  ihren  Preisen  angesetzt  finden,  so  ist  klar, 
dass  dieses  Blatt  eine  Rechnung  darstellen  muss.  Und  das  wird  bewiesen 
durch  die  Schrift,  die  ich,  nach  Ablösen  des  Blattes  von  seiner  Unterlage, 
auf  der  Kehrseite  anzutreffen  die  Freude  hatte.  Es  stehen  nämlich  daselbst 
die  folgenden  ^Yorte: 

Resebi  yö  niicuel  mayordomo  de  la  co- 

munidad  deste  pueblo  de  misquiaguala 

del  senor  manuel  de  olvera  dos  pesos 


256 


Zweiter  Abschnitt:    Büdcrschriften. 


{|.  moiito  en  comida  desta  pintura  en 
qiiatio  de  fevrero  de  mill  y  q! 
y  setenta  y  nn  anos 

aute  mi 
niigiiel  de  .luau  de  p  .  .  . 

saiic  Ju9  

„Ich.  Miguel,  Gemeindeverwalter  diesenD ories Mizquiyauallan  empfieng 
von  dem  Herrn  ^lanuel  de  Olvera  zwei  Pesos,  den  Preis  für  die  Lebens- 
mittel, die  hier  aufgemalt  sind.     Am  4.  Februar  des  Jahres  1571. 

Vor  mir 
Miguel  de  S.  Juan  Juan  de  p  .  .  /' 

(Die  Unterschrift  vermag  icli  nicht 
genau  zu  entziffern.) 

Das  Dorf  Müquiyauallan  liegt  im  Distrikt 
Actopan  des  Staates  Hidalgo.  Der  Name 
bedeutet  „wo  die  31ezquitebäume  (die  Doru- 
akazien  =  Prosopis  duleis  H.  B.)  im  Kreise 
stehen".  Es  wird  daher  hieroglyphisch 
durch  einen  bogenförmig  gekrümmten 
Mezquitebaum  zur  Anschauung  gebracht. 
Vgl.  Abb.  199.  Gelegentlich  aber  auch 
einfach  durch  einen  Mezquitebaum.  oder 
einen  Berg  mit  einem  Mezquitebaum  darauf 
(Abb.  200).  Der  Ort  lag  im  Otomi-Gehiet 
und  war  wohl  schon  zeitig  den  mexikanischen 
Königen  unterthan.  In  der  Tributliste  steht 
er  in  der  Gruppe  A.iocopan  zwischen  den 
Orten  Tezcatepec  und  Itzmiquilpan.  In  der 
Pintura  del  Gobernador,  Alcaldes  y  Regi- 
dores  de  Mexico  (Cod.  Osuna)  wird  er 
neben  diesen  und  anderen  Orten  der 
gleichen  Gegend  aufgeführt,  und  zwar 
stand  Mizquiyauallan  unter  doppeltem  Pa- 
tronat,  es  war  einerseits  königliches  Kron- 
gut und  hatte  daneben  noch  einen  En- 
comendero.  Vgl.  Abb.  200  der  genannten 
Handschrift  entnommen,  wo  dieses  doppelte 
A'erhältniss  durch  die  Krone  über  der 
Hieroglyphe  und  den  Spanierkopf  neben 
ihr  zum  Ausdruck  gebracht  ist    Der  Mayor- 

domo,    der    die  oben  wiedergegebene   Quittung   unterzeichnete,    war  ohne 

Zweifel  der  der  Krone  verantwortliche. 


.\bb.  li)9      Mi:qi(ii/ai(allau. 
Codex  Mendoza  "29.  7. 


ee. 


TT^T?  CA  lyo)  y^liu-  a 


Abb.  200.     Mizquiyauallan. 
Codex  Osuna  f.  30. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  257 

Was  die  Personen  betrifft,  so  kann  ich  den  Namen  des  Beamten,  in 
dessen  Gegenwart  der  Akt  vollzogen  ward,  nicht  entziffern.  Ich  habe 
unten  Seite  281  in  den  Abb.  247  und  248  die  Unterschriften  des  Beamten 
und  des  quittirenden  Mayordomo  nach  von  mir  gemachten  Durchpausuno-en 
wiedergegeben.  Dem  in  dem  Text  genannten  Manuel  de  Olvera  werden 
wir  weiter  unten  noch  einmal  begegnen.  Der  Mayordomo  war  ohne  Zweifel 
ein  Indianer.  Familiennamen  gleich  diesem,  von  einem  Heiligen  (oder 
einem  Kirchsprengel?)  entnommen,  begegnen  wir  öfter  in  den  Personal- 
listen. 

Ich  mache  noch  darauf  aufmerksam,  dass  die  Summe  zwei  Pesos,  die 
in  der  Quittung  angegeben  ist,  in  der  That  zusammenkommt,  wenn  wir 
die  auf  Blatt  VII  gezeichneten  Kealen  zusammenrechnen.  Wir  haben  in 
der  untersten  Reihe  5,  in  der  zweiten  3,  in  der  dritten  5  und  in  der  vierten 
wieder  3,  zusammen  16  Reales  =  2  Pesos. 

Ich  werde  unten  zu  zeigen  haben,  dass  ein  zweites  Blatt  unserer 
Sammlung,  Blatt  XIII,  nachweislich  aus  demselben  Dorfe  stammt.  Dies 
letztere  Blatt  ist,  wie  wir  sehen  werden,  aufs  engste  verwandt  einer 
der  Handschriften,  die  aus  der  Sammlung  des  Hon.  Joel  R.  Poinsett, 
früheren  Gesandten  der  Vereinigten  Staaten  in  Mexico,  in  den  Besitz 
der  American  Philosophical  Society  in  Philadelphia  übergegangen  und 
in  den  Transactions  dieser  Gesellschaft  (New  Series,  Vol.  XVII,  Part  II 
(18'J2)  Article  4)  veröffentlicht  worden  ist.  Es  ist  nun  interessant,  dass 
auch  unser  Blatt  VII  in  einem  Stück  dieser  Sammlung  seine  genaue 
Parallele  hat.  Es  ist  das  letzte  Blatt,  das  von  den  Herausgebern  als 
Tribute  Roll  (Calendar  2)  bezeichnet  ist.  Auch  hier  ist  das  Blatt  durch 
Querstriche  in  eine  Reihe  einanderfolgender  Abschnitte  getheilt.  Rechts 
ist  immer  ein  Tag  durch  eine  Scheibe  bezeichnet,  der  Sonntag  durch  eine 
rothe  Scheibe  mit  dreiarmiger  Wirbelzeichnung  (Abb.  201,  S.  258).  Daneben 
sind  verschiedene  Lebensmittel  mit  ihren  Preisen  aufgeführt.  Nur  ist  die 
Speisekarte  etwas  erweitert.  Neben  Truthahn  (roth  gemalt  Abb.  202,  S.  258), 
Fisch  (Abb.  203,  S.  258),  Körbchen  mit  Tortillas  (Abb.  205,  S.  258) 
und  Bündeln  Zacate  (Abb.  210,  S.  258),  haben  wir  in  Abb.  206,  S.  258 
Körbchen,  wie  es  scheint  mit  Tamales  (einer  Art  Krapfen,  mit  Füllung, 
die  in  einer  Umhüllung  von  Maisscheidenblätter  gedämpft  wurden),  wovon 
8  zu  3  Reales  angesetzt  werden;  in  Abb.  204,  S.  258  eine  roth  gemalte  Speise, 
vielleicht  „enchiladas",  in  Fett  und  rother  Pfeffertunke  gedämpfte  Tortillas, 
wovon  24  zu  einem  Real  angesetzt  werden,  in  Abb.  209,  S.  258  eine 
Fanega  Mais  zu  3  Realen  (vgl.  unten  Seite  280  Abb.  246);  in  Abb.  207, 
S.  258  ein  anderes  billiges  Nahrungsmittel,  wovon  80  zu  einem  Real  an- 
gesetzt werden,  das  ich  aber  nicht  näher  bestimmen  kann;  und  in  Abb.  208, 
S.  258  eine  Art  Kuchen,  der  eine  S-förmige  Zeichnung  aufweist  und  mit 
zwei  Realen  bewerthet  ist.  In  S-förmiger  Gestalt  —  xonecuüli  „ge- 
krümmtes Bein"    genannt    —    backten    die    Alten    süsse  Kuchen,    die    an 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  1.  17 


258 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


bestimmten  Festen  (<ler  Beri^götter.  der  Ciuapipiltin  u.  a.)  eine  Rolle 
spielten,  und  die  als  Abbilder  des  Blitzes  betrachtet  wurden.  In  zwei 
Feldern  dieser  Bilderschrift    der  P o in sett' sehen   Sammlung   endlich   sind 


Abb.  201.   ffiero- 
glyphe   Sonntag, 


Abb.  202.    Ein  Abb.  203. 

Truthahn.  Nenn  kleine  Fische. 

Zwei  Real.  Ein  Real. 


© 


0 


Abb.  204. 
24  Enchüadaa  (?) 
Ein  Real.     • 


Abb.  20.5. 

40  Tortillas 

Ein  Real. 


00 


<:^       <P       ^       r^ 


Abb.  2()6.  Acht  Körbchen  voll  Tamales. 
Drei  Real. 


> 


© 


I 

CjI) 


m 


Abb.  207.    80? 
Ein  Real. 


^m 


Abb.  208. 

Abb.  209.   EineFaneea 

Abb.  210.    Zwei; 

Abb.  211.    Spanier. 

Zwei  Real. 

Mais.     Drei  Real. 

Bündel    Zacate, 

fRichter 

Ein  Real. 

oder  Encomendero.) 

Abb.  201 — 211.    Bilderschriften  der  Poinsett'schen  Sammlnng. 
(Transactions  American  Philosophical  Society.    New  Series.   Vol.  XVII.    Part.  II.) 


noch  Figuren  von  Spaniern  geraalt  (Abb.  211).  Es  muss  als  durchaus 
wahrscheinlich  bezeichnet  werden,  dass  dies  Blatt  aus  derselben  Gegend 
und  aus  der  gleichen  Zeit  stammt,  wie  unser  Blatt  YII. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's, 


259 


Auch  unser  Blatt  YII  hat  übrigens  verniuthlich  einst  zur  Boturini'scheu 
Sammlung  gehört.  Der  Katalog  von  lioturini's  Museo  ludiano  erwähnt 
im   §  XXI    unter    Nr.  1.  Tros  ma])as    on    papcl    Indiano    como    faxas. 

Tratan  de  los  Tributes,  que  pagaba  el  puoblo   de   MizquiahuaUan,  y  en  el 
se  ven  las  cifras  numericas  de  cada  cosa,  que  entregaban  los  vecinos. 


VIII. 

Ein  22  cm  langer,  33  cm  breiter  Streifen  Agave-Pa]>ior,  am  Rande  und 
in  der  Mitte  durch  Faltung  stark  mitgenommen  und  in  der  linken  oberen 
Ecke  unvollständig.  Auf  der  Oberseite  des  Blattes  sind  mit  feiner  Feder 
Zeichnungen  gemacht,  die  zum  Theil  farbig  ausgemalt  sind.     Den  Zeich- 


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Abb.  212.     Die  linke  Hälfte  des  Bruchstücks  VIII,  auf  '/a  verkleinert. 


nungen  nach  zerfällt  das  Blatt  in  zwei  Hälfton,  von  denen  aber  nur  die 
linke  von  dem  Schreiber  vollständig  ausgeführt  ist.  Von  der  rechten 
Hälfte  ist  nur  eine  Reihe  oben  gezeichnet,  die  anderen  Reihen  sind  nur 
angelegt.      Die    linke  Hälfte    des  Blattes    gibt    die  Abb.  212  wieder.     An 

17* 


260  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

der  linken  Seite  jeder  Hälfte  stehen  Köpfe  von  Männern.  Hinter  ihnen 
ist  eine  Hieroglyphe  angebracht,  die  den  Namen  des  betreffenden  Mannes 
angibt,  und  vor  ihnen  das  hölzerne  Werkzeug,  das  zur  Bearbeitung  der 
Erde  diente,  uictli  oder  coua-uacatl  genannt  (vgl.  oben  S.  '210  Abb.  102,  103). 
Die  Personen  sind  dadurch  als  Ackerbauer  gekennzeichnet.  Yor  einer 
jeden  Person  sind  eine  Reihe  viereckig  umgrenzter  Felder  gezeichnet,  auf 
deren  Seiten  Zahlen  eingetragen  sind,  ähnlich  denjenigen,  die  wir  auf 
Blatt  YI  kennen  lernten.  Auf  den  gegenüberliegenden  Seiten  dieser  Felder 
sind,  soweit  das  erkennbar  ist,  und  bis  auf  verschwindende  Differenzen, 
die  Zahlen  dieselben.  Aus  all  diesem  geht  hervor,  dass  hier  viereckig 
umgrenzte  Ackerstücke  angegeben  werden  sollten.  Hieroglyphen  sind  auf 
der  oberen  Begrenzung  und  auf  der  Fläche  derselben  gezeichnet,  die  in 
den  verschiedenen  Reihen  sich  wiederholen.  In  einer  Anzahl  Felder  ist 
in  der  rechten  unteren  Ecke  noch,  gelb  gemalt,  das  Bild  des  Grases  ^acatl 
zu  sehen  (vgl.  oben  Abb.  61,  S.  194).  Und  auf  dem  letzten  Felde  der 
ersten  Reihe  in  der  rechten  oberen  Ecke  das  Bild  eines  Hauses  (calli). 
Desgleichen  in  dem  ersten  und  zweiten  Felde  der  dritten  Reihe.  Mit 
dicker  Feder  ist  endlich  neben  jeden  Kopf  der  Name  des  betreffenden 
Mannes  hingeschrieben. 

Dem  Charakter  der  Zeichnung  und  der  Bildung  der  Hieroglyphen  nach 
ähnelt  das  Blatt  am  meisten  dem  sogenannten  Codex  Vergara.  Das  ist 
eine  von  Boturini  in  seinem  Museo  Indiano  genannte,  jetzt  der  Aubin- 
Goupil'schen  Sammlung  angehörige  Handschrift  von  (ursprünglich)  56 
Blättern,  die  über  die  Yerhältnisse  der  Ortschaften  Calcantlaxiuhcan,  Topo- 
titlan,  Fatlachiuhcan,  TeocaltiÜan  und  Texcalticpac  Rechenschaft  gibt.  Es 
werden  erst  die  Familienhäupter  mit  ihren  Nachkommen  aufgeführt,  und 
dann  von  jedem  Dorfe  das  Personalverzeichniss  (tlacatlacuilolli),  die  von. 
den  einzelnen  Personen  beanspruchten  Ländereien  (milcocolli)  und  das,^ 
was  bei  der  Regulirung  den  einzelnen  Personen  zugesprochen  wurde  (tlau- 
elmantli),  angeführt.  Auf  dem  (ursprünglich  zweiten,  •  jetzt)  ersten  Blatte 
ist  augenscheinlich  von  späterer  Hand  die  Bemerkung  „1539  marques  del 
valle  virey"  hinzugefügt.  Diese  Bemerkung  hat  aber  schwerlich  grössere 
Bedeutung,  als  die  auf  Blatt  21  und  22  hinzugefügten,  wo  ein  Don  agustin 
de  Rosas  sein  Recht  auf  die  Ländereien  Tzilaquauhtepoztlanalla  geltend 
macht.  Am  Schluss  steht  der  Name  Pedro  Yazquez  de  Yergara,  viel- 
leicht der  Name  eines,  der  die  Handschrift  in  seinem  Besitz  gehabt  hat. 
Nach  ihm  wird,  seit  Aubiu,  die  Handschrift  gewöhnlich  zitirt. 

Auf  denjenigen  Seiten  nun  dieser  Handschrift,  die  von  der  A'ertheilung 
der  Ländereien  handeln,  sind  genau  in  der  gleichen  Weise,  wie  auf 
unserem  Blatte  YHI,  die  Köpfe  von  Personen  mit  ihren  Hieroglyphen  und 
Namen  aufgeführt,  und  daneben  in  Reihe  die  Felder,  (die  von  ihnen  be- 
ansprucht, bezw.  die  ihnen  zugesprochen  wurden).  Ygl.  Atlas  Goupil- 
Boban.    PI.  39,  und  die  Abb.  213 — 215,  die  diesem  Blatt  entnommen  sind. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


261 


Nur  stehen  in  dem  Codex  Yergara  die  Zahlen,  die  das  Maass  angehen, 
nur  an  der  einen  Lang-  und  an  der  einen  Querseite.  Und  Hieroglyhen 
sind  nur  auf  der  Mitte  der  Fehler  und  nicht,  wie  auf  unserem  Blatt  YIII, 
auch  an  der  oheren  Begrenzung  derselben  angegeben. 


ji^cx.  f^x^i  ^-fP. 


0 


•  ••Qiiii 


Abb.  213.     Zwei   Ackerstücke,  von  steiniger,   sandiger   Be- 
schaffenheit, und  ihr  Besitzer  Juan  tlatohnitl.    Codex  Vergara. 
(Atlas  G 0 u p ii - B 0 b an.    PI.  39.) 


Abb.  215.   Zwei  Ackerstücke  von  san- 
diger Beschaffenheit.  Codex  Vergara. 
(AtlasGoupil-Boban.    PI.  39.) 


Abb.  214.  Ackerstück  von 
steiniger  Beschafi^enheit. 
Codex  Vergara.  (Atlas 
Goupil-Boban.Pl.39.) 


^-hticoT)  Wtfan. 


?5 


Abb.  216.   Ackerstück  von  20x400  Ellen 

in  der  Flur  Tetzoutitlan. 

Atlas  Goupil-Boban.    PL  34.) 


f 


Abb.  217.     Ackerstück  von 
30x1200  Ellen  in  der  Flur 

Tecontlii/acac. 

(Atlas    Goupil-Boban. 

PI.  34.) 


hji  L'^yio  CjiUlppOTl 


ff 


B=. 


^ 

tss 


Abb.  218.     Ackerstück 
von20xl00Elleuinder 

Flui'  Hucroquappan. 

(AtlasGoupil-Boban. 

PI.  34.) 


Abb.  219,  Ackerstück 
von  100x140  Ellen  in 
der  Flur  Tzonipaiititlan. 
(AtlasGoupil-Boban. 
PI.  34.) 


Es  gibt  nun  aber  noch  ein  anderes  Blatt,  auf  welchem  in  ähnlicher 
Weise,  wie  auf  unserem  Blatte  YIII,  zur  Linken  Personen  und  gegenüber 
in  Reihen  die  ihnen  zugehörigen  Felder  aufgeführt  sind.  Das  ist  das 
Blatt    34    des    Goupil-Boban'schen    Atlas.      Auch    hier    stehen,    wie    im 


262 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


Codex  Yergara,  <lie  Masszahleu  nur  an  einer  Lang-  uml  einer  Querseite. 
Aber,  wie  auf  unserem  Blatte  VIII.  sind  liier  auf  der  oberen  Begrenzung- 
der  Felder  oder  neben  ihnen  Hieroglyphen  angezeichnet.  Und  Bezeich- 
nungen stehen  daneben,  aus  denen  ersichtlich  ist.  dass  diese  Hierogh-phen 
den  Namen  des  Feldes  oder  Ackers  angeben.  Zum  Ueberfluss  ist  noch 
häufig  das  Wort  chinamitl  ..eingehegtes  Feld"  oder  milli  „Acker**  aus- 
drücklich daneben  geschrieben.     Vgl.  Abb.  216 — 219,  S.  261. 

Der  Vergleich  mit  diesen  Handschriften  lässt,  meine  ich,  über  die 
allgemeine  Bedeutung  unseres  Blattes  VHI  keinen  Zweifel  übrig.  Ich 
kehre  nun  zur  Besprechung  der  Einzelheiten  des  Blattes  zurück. 

Die  Masszahlen,  die  an  vier  Seiten  der  Felder  eingeschrieben  sind^ 
sind,  wie  ich  schon  sagte,  auf  den  beiden  Gegenseiten  dieselben.  Ihre 
Bildung  und  Bezeichnung  ist  genau  die  gleiche,  wie  die.  welche  wir  auf 
dem  Plane    der    Stadt  Tetzcoco    auf    Blatt  VI    unserer    Sammlung    kennen 


tfa  pt£.fjccrfii 


Abb.  220.    solarpan  i/huau  flajjcchca/li. 

Grundstück    mit    Fruchtbäumen     und 

Haus  mit  flachem  Dach.  (Atlas  G  o  u  p  i  1- 

Boban.    PI.  34.) 


Abb.  221.    xalpcnuitUli.    Acker  in  san- 
digem Erdreich,     solarpan  .racalli. 
Grundstück  und  Haus  mit  Strohdach. 
(Atlas  Goupil-Boban.     PI.  34.) 


lernten.  Wie  dort  sind  auch  hier  die  Zwanziger  durch  schwarze  Punkte, 
die  Einer  durch  Striche  angegeben.  Immer  je  fünf  Einer  sind  durch  einen 
Bindestrich  verbunden.  Und  wo  über  fünf  Zwanziger  vorkommen,  sind 
die  fünf  ersten  ebenfalls  durch  einen  Strich  zur  Zahl  Hundert  vereinigt. 
Die  gleiche  Zahlbezeichnung  haben  wir  im  Codex  Yergara  (Abb.  213  bis 
215)  und  auf  Blatt  34  des  Goupil-Boban"schen  Atlas  (Abb.  216—218). 
Nur  sind  hier  in  der  Regel  die  Zwanziger  durch  einen  schwarzen  Punkt 
und  ein  Fähnchen,  die  Vierhunderter  durch  einen  schwarzen  Punkt  und 
das  wie  ein  Fiederblatt  aussehende  Zeichen,  welches  Symbol  für  tzontli 
-Vierhundert"  (eig.  „Haar'')  ist.  Doch  kommt  auch  auf  diesem  Blatte  Be- 
zeichnung der  Zwanziger  einfach  durch  schwarze  Punkte  vor  (Abb.  219  bis 
221).  Auf  Blatt  VI  unserer  Sammlung  wurden  die  Seelen  gezählt.  Daher 
fanden  wir  hinter  den  Zahlen  das  Bild  eines  Herzens  (yollotli),  das  den 
Begriff  ..Leben"  (yil)  oder  .Seele"  zum  Ausdruck  bringt.  Auf  unserem 
Blatt  VIII  müssten  wir  erwarten,  hinter  den  Zahlen  das  Bild  irgend  einer 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  263 

Masseinlieit  anzutreffen.  Und  das  ist  in  der  That  der  Fall.  Wir  finden  (vgl. 
Abb.  212)  einmal  hinter  den  Zahlen  das  Bild  einer  Hand.  So  im  ersten, 
zweiten  und  fünften  Felde  der  dritten  Reihe.  In  anderen  Feldern  aber 
finden  wir  hinter  den  Zahlen  ein  Bild,  das  wie  eine  Pfeilspitze  aussieht.  So 
in  dem  vierten  Felde  der  obersten  (vorn  unvollständigen)  Reihe,  in  dem 
letzten  Felde  der  zweiten  Reihe,  im  fünften  Felde  der  dritten  Reihe,  im 
ersten  und  zweiten  Felde  der  vierten  Reihe.  Ich  habe  dies  Bild  dem 
Ansehen  nach  als  Pfeilspitze  gedeutet.  Dass  eine  solche  in  der  That  hier 
daro-estellt  werden  sollte,  ergibt  sich  meiner  Ansicht  nach  zur  Evidenz 
aus  dem  Umstände,  dass  in  dem  ersten  Felde  der  vierten  Reihe  die  Pfeil- 
spitze, die  auf  der  oberen  Seite  zu  sehen  ist,  auf  der  unteren  durch  die 
Hieroglyphe  tecpatl  „Feuerstein"  ersetzt  ist,  d.  h.  durch  das  Material,  aus 
welchem  man  Pfeilspitzen  fertigte. 

Die  Hand  als  Längeneinheit  finden  wir  auch  auf  dem  Blatt  34  des 
Goupil- Bob  an  scheu  Atlas,  bei  der  Angabe  der  Ausdehnung  des  Ge- 
höftes oder  Dorfes  Tzompantitlan.  Vgl.  Abb.  219^).  Die  Hand  als  Mass- 
einheit ist  verständlich.  Denn  ma-itl  heisst  nicht  nur  die  Hand,  sondern 
auch  der  Arm,  der  Unterarm  einschliesslich  der  Hand.  Die  Verwendung 
der  Hand  würde  daher  eine  Armlänge  bezeichnen  können,  oder  eine  Elle. 
In  der  That  gibt  das  Vocabulario  Molina's:  cem-matl  (eig.  „ein  Arm") 
=  „una  braca  para  medir"  d.  h.  eine  Elle.  Den  Pfeil  als  Längeneinheit 
habe  ich  sonst  noch  nicht  gefunden.  Dass  er  aber  als  solcher  thatsächlich 
in  (rebrauch  war,  das  beweist  wieder  das  Vocabulario  Molina's,  wo  wir 
cem-mitl  („ein  Pfeil'')  mit  „medida  desde  el  un  codo  hasta  la  otra  mano", 
(1.  h.  „das  Mass  vom  Ellbogen  bis  zur  Spitze  der  anderen  Hand",  über- 
setzt finden.  Das  wäre  also  ein  etwas  grösseres  Mass,  als  das  vorige, 
ungefähr  gleich  zwei  Ellen.  Ich  halte  es  indes  nicht  für  ausgeschlossen, 
dass  die  beiden  Symbole,  die  Hand  und  der  Pfeil,  sich  auf  ein  und 
dieselbe  Masseinheit  bekannter  herkömmlicher  Grösse  beziehen. 

Was  nun  die  Hieroglyphen  betrifft,  so  geben  die,  welche  auf  der 
oberen  Seite  der  Felder  stehen,  unzweifelhaft  den  Namen  der  Feldmark 
an.  Sie  wiederholen  sich  in  den  einzelnen  Reihen  der  einem  Besitzer 
angehörigen  Felder,  weil  sie  eben  nicht  das  einzelne  Feld  benennen, 
sondern  die  Gemarkung,  in  der  es  gelegen  ist.  Genau  ebenso  kehren  auf 
Blatt  34r  des  Goupil-Boban'schen  Atlas  über  und  neben  den  Feldern, 
die  in  Reihe  neben  den  verschiedenen  Besitzern  angegeben  sind,  dieselben 
Feldflurnamen  wieder.  Auf  unserem  Blatte  scheinen  acht  verschiedene 
Fluren  anojey-eben  zu  sein. 


1)  Beiläufig  mache  ich  auf  die  interessante  Form  aufmerksam,  die  hier  diese 
Hieroglj'phe  hat.  Das  Element  izumpan  wird  hieroglyphisch  in  der  Regel  durch 
das  hölzerne  Gerüst  tzompavtli  ausgedrückt,  auf  dem  die  Schädel  der  Geopferten 
aufgereiht  wurden.  Hier  aber  durch  den  Baum  izompnn-quaidtl  =  Erythrina 
corallioides. 


264  Zweiter  Abschuitt:    Bilderschriften. 

1.  Die  erste  ist  in  sänimtliclieii  Reihen  dieselbe  und  wird  durch  das 
Bild  eines  Hauses  oberhalb  des  Feldes  bezeichnet.  Das  Haus  ist  in  der 
vierten  Reihe  mit  hohem  spitzen  (gelb  gemalten)  Strohdach  gezeichnet, 
also  nach  der  Art  des  Xacalh,  das  wir  auf  dem  Bruchstücke  H  der 
Humboldt'schen  Sammlung  kennen  lernten,  und  das  wir  ähnlich,  aber 
deutlicher,  und  mit  der  Beischrift  .vacalli  in  einer  Figur  des  Blattes  o4 
des  Goupil-Boban'schen  Atlas  abgebildet  sehen  (vgl.  Abb.  221).  Die 
anderen  scheinen  die  mit  flachem  Balkendach  versehenen,  tlapechcalli  ge- 
nannten Adobehäuser  wiedergeben  zu  sollen.  Tgl.  Abb.  2"J0  dem  Blatt  34 
des  Croupil-Bo  bau 'scheu  Atlas  entnommen.  Die  deckende  Balkenlage 
ist  hier  durch  rothe  Farbe  markirt,  ähulich  den  Thürpfosten  und  den 
Thürbalkeu,  die  überall  aus  Holz  gefertigt  wurden  ^),  also  stets  mit  rother 
(oder  brauner)  Farbe  gemalt  wurden. 

2.  Das  zweite  Feld  in  der  dritten  Reihe  (die  die  vollständigste  ist) 
hat  oben  eine  Hieroglyphe,  die  den  Kopf  eines  Koyote  zwischen  zwei 
Wasserströmen  zeigt.  Die  Flur  mag  also  vielleicht  Coyoapan  geheissen 
haben.  Derselbe  Flurname  ist  ül)er  dem  letzten  Felde  der  ersten  Reihe  an- 
gegeben. 

3.  Das  dritte  Feld  der  dritten  Reihe  hat  oben  keine  Hieroglyphe. 
Hier  soll  vielleicht  diejenige  stehen,  die  über  dem  vierten  Felde  der 
zweiten  Reihe  und  über  dem  zweiten  Felde  der  vierten  Reihe  und  ebenso 
über  dem  dritten  Felde  der  Reihe  auf  der  rechten  Seite  des  Blattes  zu 
sehen  ist.  Diese  besteht  aus  einer  Fahne  und  zwei  Zahnreihen.  Der 
Name  der  Flur  hat  also  vielleicht  Fantlan,  Pantitlan  oder  Pancamac  ge- 
heissen. Ueber  dem  zweiten  Felde  der  vierten  Reihe  ist  neben  der  Fahne 
noch  ein  Wasserstrom  angegeben. 

4.  Die  Hieroglyphe  über  dem  vierten  Felde  der  dritten  Reihe  ist 
etwas  verwischt.  Ich  glaube  aber,  dass  diejenige  Hieroglyphe  augegeben 
sein  soll,  die  auch  über  dem  vierteu  Felde  der  ersten  und  dem  dritten 
Felde  der  zweiten  Reihe  steht  und  aus  dem  Bilde  einer  Hand  und 
einem  Wasserstrora  zusammengesetzt  ist.  Dieselbe  Hieroglyphe  hat  wahr- 
scheinlich auch  über  dem  dritten  Felde  der  vierten  Reihe  gestanden.  An 
der  Stelle  ist  ein  Loch  und  der  Rand  des  Papiers  ein  wenig  eingeschlagen. 
Unter  der  Einrollung  kaun  man  aber  deutlich  den  Wasserstrom  dieser 
vierteu  Hieroglyphe  erkennen. 

5.  Das  fünfte  Feld  der  dritten  Reihe  hat  oben  eine  Hieroglyphe, 
die  in  dem,  was  von  den  anderen  Reihen  erhalten  ist,  sonst  nicht  vor- 
kommt. Sie  besteht  aus  einem  Fruchtbaura,  einem  Fähnchen  und  einem 
Wasserstroni. 

6.  Die  Hieroglyphe  über  dem  sechsten  Feld  der  dritten  Reihe  besteht 
aus  dem    (gelb   gemalten)    Symbol  raca-tl  „Gras"  und  aus  einem  Wasser- 


1)  A^gl.  J.  Bautista  Pomar.     Relacion  de  Tetzcoco.  Ms. 


4.   Die  mexikanischen  BilSerschriften  Alexander  von  Humboldt's.  265 

ström.  Es  ist  augenscheinlich  dieselbe  Hieroglyphe,  wie  die  über  dem 
vierten  Felde  der  vierten  Reihe,  in  der  aber,  ausser  Gras  und  Wasser, 
noch  ein  Gebiss  (=  tlan-tli  „Zahn")  und  ein  Fähnchen  Q=  pan-tli)  zu 
sehen  ist.  A^ielleicht  steht  das  Gras  und  der  Zahn  für  malinalli,  und  es 
hat  die  Flur  Malinalapan  geheissen. 

7.  Die  siebente  Hieroglyplie  ist  in  allen  vier  Reihen  vorhanden.  Sie 
steht  über  dem  6.  Felde  der  ersten,  dem  5.  Felde  der  zweiten,  dem  7.  Felde 
der  dritten  und  dem  ß.  Felde  der  vierten  Reihe.  Sie  zeigt  einen  grünen 
Busch  und  einen  Wasserstrom. 

8.  Auch  die  achte  Hieroglyphe  ist  in  allen  vier  Reihen  vorhanden, 
im  7.  Felde  der  ersten,  dem  6.  Felde  der  zweiten,  dem  8.  Felde  der 
dritten  und  dem  b.  Felde  der  vierten  Reihe.    Sie  zeigt  das  Bild  eines  Vogels. 

Eine  besondere  Feldflur  könnte  auch  noch  über  dem  zweiten  Felde 
der  Reihe  auf  der  rechten  (unvollständig  ausgeführten)  Seite  bezeichnet 
sein.  Ein  Fähnchen  ist  zu  erkennen.  AYas  sonst  etwa  noch  da  gestanden 
hat,  ist  verwischt. 

Die  Hieroglyphen  über  den  Feldern,  die,  wie  ziemlich  sicher  an- 
zunehmen ist,  den  Namen  der  Feldflur  geben,  zeigen  also  eine  grössere 
Mannigfaltigkeit.  AVir  konnten  acht  bis  neun  derselben  zählen.  Die 
Hieroglyphen  auf  der  Fläche  der  Felder  lassen  nur  drei  Formen  unter- 
scheiden, die.  wie  sich  gleich  zeigen  wird,  verschiedene  Qualitäten  des 
Erdreichs  zum  Ausdruck  bringen  müssen. 

Die  erste  nämlich  (a)  zeigt  die  Hieroglyphe  te-tl  „Stein"  und  davon 
ausgehende  feine  Punktirungen,  die  ohne  Zweifel  Sand  (jxalli)  andeuten 
sollen.  Tgl.  Abb.  "221  =  xalpaji  müli,  d.  h  die  Ackerflur  .ralpan  „im  Sand" 
(Atlas  Goupil-Bobau.  Fl.  34).  Diese  Hieroglyphe  würde  also  steiniges, 
sandiges  Erdreich  bezeichnen,  was  die  Mexikaner  mit  tetlalli  a-allalli  be- 
zeichneten. 

Die  zweite  Hieroglyphe  (b),  die  z.  B.  in  dem  zweiten  Felde  der 
dritten  Reihe  zu  sehen  ist.  zeigt  das  Bild  einer  3Iaisstaude  (toc-tli)  mit 
der  (gelb  gemalten)  männlichen  Blüthenrispe  an  der  Spitze  der  Staude 
und  dem  (roth  gemalten)  Fruchtkolben  mit  lang  herabhängendem  Narben- 
büschel links  weiter  unten  am  Stengel.  Daneben  (rechts)  ist  ein  Wasser- 
strom (a-tl)  und  darunter  eine  Zahnreihe  (tlan-tli).  Diese  drei  Elemente 
geben  zusammen  das  Wort  atoc-tlan  d.  h.  „reich  an  a-toctli^'-,  an  frucht- 
barer Humuserde.  Vgl.  Sahagun  11,  cap.  12  §  3:  —  ä  la  tierra  fertil 
para  sembrar,  y  donde  se  hace  mucho  lo  que  se  siembra  en  ella,  llaman 
a-toctli,  que  quiere  decir,  tierra  que  el  agua  ha  traido:  —  es  blauca, 
suelta,  hueca  y  suave;  es  tierra  donde  se  hace  mucho  maiz  6  trigo.  —  Es 
wäre  indes  möglich,  dass  die  Zahnreihe  hier  nicht  die  volle  Silbe  tlan, 
sondern  nur  tla  zum  Ausdruck  bringen  soll,  und  dann  könnte  letzteres  für 
tlalli  Erde  stehen,  so  dass  .wir  atoc-tlalli  zu  lesen  haben  würden.  Letzteres 
ist  mir  wegen  des  Folgenden  wahrscheinlich. 


2t)6  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

Die  dritte  Hieroglyphe  (c),  die  z.  B.  im  fünften  Felde  der  dritten 
Reihe  zu  sehen  ist,  zeigt  oben  einen  Baum  (quau-itl),  darunter  einen  Topf 
(com-itl)  und  darunter  die  Zahnreihe  (tlan-tli);  diese  Elemente  geben  das 
Wort  quauh-con-tlan  oder  qumih-con-tlalli,  und  letzteres  ist  vielleicht  in 
quauhtlallL  contlalli  aufzulösen,  quauhtlalli  ist  Waldboden.  Sahagun  sagt 
(11,  cap.  12  §  3):  —  hay  otra  manera  de  tierra  fertil,  donde  se  hace  muy 
bien  el  maiz  y  trigo,  llamanla  quauhtlalli,  que  quiere  decir,  tierra  que  esta 
estercolada  con  maderos  podridos,  es  suelta,  amarilla,  y  hueca."  —  Und 
contlalli  ist  Lehm.  Sahagun  sagt  (11,  cap.  12  §  ö):  —  hay  barro  en  esta 
tierra  para  hacer  loza  y  basijas,  es  muy  bueno  y  muy  pegajoso;  amäsanla 
con  aquellos  pelos  de  los  tallos  de  las  espadanas,  y  llamase  tezoquitl  y 
contlalli:  de  este  barro  se  haceu  comales,  escudillas,  piatos,  y  toda  manera 
de  loza.  —  Dasselbe  Erdreich  ist  in  dem  vorhergehenden  §  3  folgender- 
massen  beschrieben:  —  hay  otra  (tierra)  pegajosa  buena  para  hacer  barro 
de  paredes,  y  suelos  para  los  tlapaucos,  es  fertil,  pues  se  hace  bien  el 
maiz  y  trigo." 

Die  drei  Hieroglyphen  a,  b,  c,  die  in  der  3Iitte  der  Felder  gezeichnet 
sind,  würden  demnach  saudiges,  steiniges  Erdreich,  Humusboden  und 
Lehmboden  bezeichnen.  Es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Hieroglyphen  auf 
der  oberen  Seite  der  Felder  und  die  in  der  Mitte  der  Felder  in  gewissem 
gesetzmässigen  Verhältniss  stehen.  Das  heisst,  die  verschiedenen  Feld- 
fluren weisen  eine  bestimmte  Qualität  des  Erdreichs  auf.  So  hat  die  Feld- 
flur 1.  Sandboden;  2.  hat  Humusboden;  3.  hat  Sandboden;  bei  4  ist  in 
drei  Fällen  Humusboden  angegeben,  nur  in  dem  dritten  Felde  der  vierten 
Reihe,  wenn  dieses  zu  dieser  Flur  gehört,  Lehmboden:  die  Flur  5  hat 
Lehmboden;  die  Flur  6  wieder  theils  Humusboden,  theils  Lehmboden; 
die  Flur  7  hat  überall  Humusboden;  die  Flur  8  überall  Lehmboden. 

Auf  dem  letzten  Blatt  des  Codex  Vergara,  dem  dritten  der  Blätter 
dieser  Handschrift,  die  in  dem  Atlas  Goupil-Boban  wiedergegeben  sind 
(PI.  39),  ist  auf  den  Feldern  ebenfalls  die  Qualität  des  Erdreichs  an- 
gegeben. Und  zwar  scheint  es  überall  theils  steiniges,  theils  sandiges 
Erdreich  zu  sein.    Ygl.  Abb.  213 — 215. 

Yor  jeder  Reihe  von  Feldern  ist  auf  unserem  Blatt,  und  ebenso  auf 
dem  Blatt  34  des  Atlas  Goupil-Boban  und  im  Codex  Yergara  die  Person 
gezeichnet,  die  als  Eigenthümer  der  betreffenden  Felder  kundgegeben 
werden  soll.  Diese  Personen  sind,  wie  ich  sagte,  nicht  nur  durch  eine 
Hieroglyphe,  sondern  auch  durch  den  dazu  geschriebenen  Namen  genau 
bezeichnet.  Hier  ist  also  die  Auflösung  der  Hieroglyphen  eine  verhältniss- 
mässig  leichte  Sache.  Es  ist  dabei  zu  bemerken,  dass  der  spanische 
ifame  selbstverständlich  ausser  Betracht  bleibt.  Aber  ausserdem  sind 
noch  auszuscheiden  ein  Paar  Buchstaben,  die  hinter  dem  Namen  stehen, 
und  die  augenscheinlich  Abkürzung  eines  Nauatl -Vfoite^.  sind.  Hinter 
dem  Xamen  der  Personen  in  der  zweiten  und  dritten  Reihe  lesen  wir  die 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


267 


Silben  omö\  hinter  denen  der  Person  in  der  vierten  Reihe  und  der  auf 
der  rechten  Seite  des  Blattes  die  Silben  aya"".  Das  letztere  bin  ich  geneigt 
als  Abkürzung  von  ayamo  „noch  nicht"  anzusehen.  Und  demnach  müsste 
das  erstere  wohl  eine  Abkürzung  von  omotlali  „er  wurde  eingesetzt,  be- 
stätigt", oder  etwas  Aehnlichem  sein. 

Die  Hieroglyphen   sind  von  komplizirter  Bildung,    und   die  benutzten  , 
Bilder  kommen,  ähnlich  wie  im  Codex  Yergara,  nicht  ihrem  vollen  Silben- 
werth    nach    zur  Geltung,    so   dass   also   ein   gewisser   Uebergang   von   der 
alten  Sinnbild-  und  Silbenschrift  zu  einer  Lautschrift  hervortritt. 

Die  erste  Person,  die  in  der  zweiten  Reihe,  führt  nach  der  Beischrift 
den  Namen  Damian  xotlanj.  Die  Hieroglyphe  zeigt  ein  Paar  Blumen, 
ein  Paar  Zahnreihen  und  einen  sitzenden  Menschen.  Die  Blumen  {xoch- 
itl)    geben    die  Silbe    xo-,    die   Zahnreihen   (tlan-tli)  «lie   Silbe   tlan.     Den 


y^^.- 


Abb.  222.    Hieroglyphe  iUmitl  „Tag,  Fest". 


sitzenden  Menschen  halte  ich  für  Ausdruck  des  omotlali  „er  wurde  ein- 
gesetzt", zu  welchem,  wie  ich  sagte,  das  hinter  dem  J^amen  xotlani  stehende 
omö  ergänzt  werden  muss. 

Die  zweite  Person,  die  in  der  dritten  Reihe,  führt  den  Xamen  luys 
netlacahujl.  Die  Hieroglyphe  zeigt  eine  Puppe,  eine  Zahnreihe,  einen 
Korb  mit  Tamales  (gefüllten  Krapfen,  aus  Maismasse  gefertigt)  und  ein 
tigelartiges^Gefäss.  Daneben  endlich  noch  den  sitzenden  Menschen  wie 
vorhin.  Die  Puppe  (nenetl)  liefert  die  Silbe  ne-^  die  Zahnreihe  {tlcm-tli) 
die  Silbe  tln-.  Die  Tamales  und  der  Tigel,  der  unzweifelhaft  mit  Chile- 
oder rother  Pfeffersauce  gefüllt  zu  denken  ist,  gibt  die  Silben  cauil.  Denn 
nino-Üacauilia  (abgeleitet  von  caua  ,,zurückbleiben")  heisst  „ich  behalte 
etwas  für  mich"  oder  „ich  halte  eine  Mahlzeit",  netlacauüiztli  „die  Mahl- 
zeit" (merienda).  Der  sitzende  Mensch  ist  wieder  als  Ausdruck  für  das 
omö-  d.  h.  omotlali  „er  wurde  eingesetzt"  zu  denken. 

Die  Person  in  der  vierten  Reihe  heisst  pedro  ylhuj.  Die  Hieroglyphe 
zeigt  eine  merkwürdig  stylisirte,  bunt  (d.  h.  roth,  bezw.  gelb,  mit  blauem 


268 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschrifteu. 


Diagonaltheil)  gemalte  Wirbelfigur,  zweimal  ■sviederliolt,  uud  eine  gelbe 
Feder.  Hier  bezeichnet  die  gelbe  Feder  wohl  ein  Element,  das  in  dem 
Namen,  wie  er  dort  hingeschrieben  ist,  nicht  zum  Ausdruck  gelangt  ist. 
Yielleicht  hat  der  Mann  eigentlich  iJlniitoz  geheissen,  denn  toztli  ist  die 
gelbe  (oder  künstlich  gelbgefärbte)  Papageienfeder.  Der  vordere  Tlieil 
besteht  aus  zwei  Feldern,    deren  jedes  zwei  nach  Art  eines  Svastika  oder 


Abb.  223.    Hieroglyphe  cJudchiuitl  „Jadeitscheibe'"'. 

eines  Hakenkreuzes  aneinandergelegte  Züngelchen  aufweist,  die  ohne  Zweifel 
ähnlich  der  unten  S.  278  wiedergegebenen  Wirbelzeichnung  (Abb.  239, 
240)  das  Wort  ühui-tl  d.  h.  „Sonnenball,  Tag,  Fest"  zum  Ausdruck  bringt. 
Ich  habe  auf  diese  Figur  schon  vor  Jahren  aufmerksam  gemacht^),  dieselbe 
aber  damals  nicht  richtig  gedeutet.  Sie  kommt  auf  mexikanischen  Skulp- 
turen des  königlichen  Museums  für  Völkerkunde  vor  (Abb.  222)  und  zwar 


Abb.  224.      Hieroglj'phe    von    Himmels- 
schildem  der  Maya-Handschriften. 


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Abb.  225.    Hieroglyphe  /.•//(  „Sonne",  von 
Himmelsschildern  der  Maya-Handschrifteu. 


gegenüber  dem  Bilde  des  chalchiuitl,  der  leuchtenden  glänzenden  Jadeit- 
perle (Abb.  223).  Und  auf  den  Himmelsschildern  der  Maya-Handschriften 
ist  neben  allerhand  Variationen  der  Sonnenhieroglyphe  (Abb.  225)  auch 
dieses  einfache  Wirbelsymbol  (Abb.  224)  zu  sehen. 

Die  letzte  Person  auf  der  unvollständigen  rechten  Seite  des  Blattes 
wird  in  der  Beischrift  antonio  totoHpilhuehue  genannt,  totol  i-pil  heisst 
„das  Junge  des  Truthahns",    und    das    ist    in    der  Hieroglyphe  durch   das 


1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XX  (1888)  S.  53  und  55. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  269 

Bild  eines  Vogels  mit  kurzen  Flügeln  zum  Ausdruck  gebracht.  Was  aber 
das  andere  Element  darunter  sein  soll,  und  welche  Silbe  es  zum  Ausdruck 
bringt,  ist  mir  nicht  klar. 

Aus  allem,  was  wir  auf  dem  Blatte  YIII  erkennen  und  festzustellen 
vermochten,  geht  auf  das  klarste  hervor,  dass  es  einerseits  unserem 
Blatt  VI  und  andererseits  dem  Blatt  34  des  Atlas  Goupil-Boban  und 
dem  sogenannten  Codex  Vergara  auf  das  engste  verwandt  ist.  Für  all 
diese  Handschriften  ist  in  erster  Linie  das  eigenthümliche  System  des 
Zahlenschreibens  bezeichnend,  —  indem  die  Einer  durch  Striche  statt 
durch  Punkte  bezeichnet  und  immer  zu  fünf  und  fünf  zusammen  genommen 
sind  —  und  ferner  die  komplizirte,  sich  einer  Silben-  und  Lautschrift  an- 
nähernde Zusammensetzung  der  Hieroglyphen.  Die  gesammten  Hand- 
schriften dieser  Art  scheinen  aus  dem  Gebiet  der  alten  Herrschaft  von 
Tetzcoco  zu  stammen.  V  Und  dieses  landschaftliche  Element,  nicht  die  Zeit, 
in  der  sie  entstanden,  scheint  zur  Erklärung  dieser  Besonderheiten  heran- 
gezogen werden  zu  müssen.  Denn  die  Pintura  del  Gobernador,  Alcaldes 
y  Regidores  de  Mexico  (Codex  Osuna),  die  später  ist  als  unser  Blatt  ^l, 
zählt  mit  Punkten  statt  mit  Strichen.  Wir  wissen,  dass  Tetzcoco  in  alter 
Zeit  als  die  Stätte  feinerer  Bildung  und  gewisser  Gelehrsamkeit  galt.  In 
Tetzcoco  fand  aber  auch  am  frühesten  eine  gewisse  Anpassung  der  ein- 
geborenen Elemente  an  Sitte  und  Kultur  der  fremden  Eroberer  statt.  So 
lange  daher  nicht  aus  unzweifelhaft  alten  vorspanischen  Dokumenten  die 
gleichen  Besonderheiten  nachgewiesen  werden,  wie  sie  die  Pteihe  der 
zitirten  Handschriften  (der  Codex  Vergara  und  die  anderen)  aufweisen,  so 
lange  bin  ich  immer  noch  geneigt,  diese  Entwickelung  in  die  spanische 
Zeit  zu  verlegen.  Die  hervorragende  Wichtigkeit,  die  Aubin  und  andere 
gerade  diesen  Dokumenten  beilegten,  kann  ich  deshalb  denselben  nicht 
zuerkennen. 


IX. -XII. 


Diese  vier  Blätter  sind  gleichen  Charakters.  IX  und  X  (vgl.  Abb.  -226 
und  227,  S.  270)  haben  offenbar  vormals  einen  Streifen  gebildet,  und  ebenso 
XI  und  XII  (vgl.  Abb.  233  und  234,  S.  274).  X  und  XII  haben  oben  scharfe 
Schnittlinien  und  bei  XII  geht  der  Schnitt  gerade  längs  eines  Querstriches, 
von  welchem  Theile  an  Blatt  XI  unten  zu  sehen  sind.  Die  Streifen  haben  alle 
die  gleiche  Breite  von  etwa  1  7  cm.  IX  und  X  zusammen  geben  eine  Länge 
von  98  <;»?,  das  wäre  also  die  des  ersten  Streifens.  XI  und  XII  zusammen 
14672  <^^^  füi'  ^len  zweiten  Streifen.  Der  erste  Streifen  ist  oben  länger 
gewesen,  dort  sind  noch  Spuren  von  Zeichnungen  bemerkbar.    Der  zweite 


270 


Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 


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Abb.  226.  Bruchstück  IXder  Alexander 

von   Humboldt' sehen   Sammlung,   auf 

ein  Drittel  verkleinert. 


Al)b.  227.    Bruchstück  X  der  Alexander 

von    Humbold  tischen    Sammlung,    auf 

ein  Drittel  verkleinert. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  271 

Streifen  erscheint  unten  scharf  abgeschnitten,  ausserdem  ist  dort  mit  der 
Scheere  eine  Ecke  herausoeschnitteu.  Auch  dieser  Streifen  ist  also  ver- 
muthlich  länger  gewesen.  Die  Zeichnungen  sind  mit  Tinte  und  dicker 
Feder  gemacht  und  ähneln  entschieden  den  Darstellungen  auf  Blatt  XV 
und  etwas  auch  den  Darstellungen  kirchliclien  Inhalts  auf  Blatt  XYI.  Als 
Farben  sind  karminroth  und  gelb,  und  bei  der  Steinmauer  auf  Blatt  XII 
(Abb.  284)  auch  eine  schwärzliche  Tintenfarbe  verwandt.  Karminroth  sind 
die  Kreise  und  die  Vierecke  in  der  obersten  Abtheilung  von  Blatt  IX 
(Abb.  22G)  gemalt.  Ferner  die  Bündel,  die  die  drei  Reihen  Indianer  in 
der  oberen  Abtheilung  von  Blatt  XI  (Abb.  233)  auf  dem  Rücken  tragen; 
die  Querreihen  darüber,  die  Querreihe  darunter  und  Hut,  Rock  und  Fuss- 
bekleidung  des  Spaniers;  endlich  die  Axt  des  Zimmermannes  auf  Blatt  X 
(Abb.  227).     Alles  Uebrige,  was  farbig  ist,  ist  gelb  gemalt. 

Was  nun  den  allgemeinen  Charakter  dieser  Handschrift^)  angeht,  so 
handelt  es  sich  augenscheinlich  auch  um  Rechnungen,  oder  vielleicht 
auch  —  worauf  die  Figur  des  Spaniers  auf  dem  Bruchstücke  XI  (Abb.  233) 
hinzudeuten  scheint,  der  ein  Paar  Indianer  an  Stricken  nach  sich  zieht  — 
um  eine  Klageschrift  nach  Art  der  „Pintura  del  Gobernador,  Alcaldes 
y  Regidores  de  Mexico",  die  in  dem  Archiv  des  Duque  de  Osuna  auf- 
gefunden worden  ist. 

Die  Blätter  IX  und  X  (Abb.  226  und  227)  sind  vermuthlich  eine 
Spezialrechnung  über  Lieferung  von  Holz  und  Steinen.  Steine  sind  in 
der  untersten  Abtheilung  von  Blatt  IX  (Abb.  226)  gezeichnet.  Mit  der 
Zahl  sieben,  die  daneben  zu  sehen  ist,  sind  vielleicht  sieben  Lasten  Steine 
gemeint.  Alles  übrige  scheint  sich  auf  Holzlieferung  und  Zimmermanns- 
arbeit zu  beziehen.  Und  den  Zimmermann  (tlaxinqui)  sehen  wir  ja  auch 
au  der  rechten  Seite  von  Blatt  X  (Abb.  227)  mit  seiner  Axt  (Jlad-imal- 
tepoztli)  dargestellt,  und  vor  ihm  eine  grosse  Zahl:  —  5x400  =  2000  —  , 
offenbar  die  Gesammtsumme  der  Lieferungen,  die  er  einklagt.  Auch  in 
der  „Pintura  del  Gobernador,  Alcaldes  y  Regidores 
de  Mexico"  werden  die  Zimmerleute  („carpinteros") 
durch  das  Bild  einer  Axt  (Abb.  228)  bezeichnet.  Die 
mit  karminrother  Farbe  gemalten  Kreise  und  Recht- 
ecke in  der  obersten  Abtheiluno' von  Blatt  IX  (Abb.  226)      ,,,  ^^o 

^  ^  Abb. 228.  „carpinteros". 

und  die  ähnlichen,  aber  mit  gelber  Farbe  gemalten  Codex  Osuna  f. 28,  verso. 
Figuren    in    der    mittleren    Abtheilung    von    Blatt  X 

(Abb.  227)  könnten  Tischplatten,  vielleicht  auch  Holzblöcke,  darstellen 
sollen.  Die  langen,  ebenfalls  mit  gelber  Farbe  gemalten  Stücke  in 
der  oberen  Abtheilung  von  Blatt  X  (Abb.  227),  denen  ähnliche,  aber 
an    einem   Ende    mit    einem   Loch    versehene   Stücke    in    der    oberen  Ab- 


1)  Das  hier  Folgende  ist  neu  geschrieben.     In  meiner  ersten  Arbeit  habe  ich 
wesenthche  Punkte  bei  diesen  vier  (bezw.  zwei)  Bruchstücken  nicht  richtig  erkannt. 


272 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschrifteu. 


theiluiig  von  Blatt  XII  (Abb.  234)  entsprechen,  sollen  ohne  Zweifel  Balken 
sein.  Vgl.  die  Abb.  231.  die  in  der  Tributliste  Codex  Mendoza  34  als 
„vigas  grandes"  erklärt  wird.  Die  kleineren  und  schmäleren  gelben  Stücke 
bedeuten  wohl  Bretter.    Vgl.  die  Abb.  229  und  230,  die  in  der  Tributliste 

Codex  Mendoza  25  und  28  als 
„tablones  de  madera  grandes" 
und  „morillos  de  madera"  er- 
klärt sind. 

Die  zehn,  mit  gelber  Farbe 
gemalten,  in  der  Mitte  mit  einem 
Strick  umschnürten  Bündel,  die 
die  oberste  Reihe  von  Blatt  X 
(Abb.  227)  bilden,  sind  ver- 
muthlich  als  Bündel  dünner 
Stäbe  oder  Latten,  oder  wahr- 
scheinlicher vielleicht,  als  Brenn- 
holzbüudel  zu  erklären.  Ihnen 
gleichzustellen  sind  ohne  allen 
Zweifel  die  nicht  in  der  Mitte, 
sondern  oben  und  unten  um- 
schnürten Bündel,  die  man  in 
der  unteren  Abtheilung  von 
Abb.  231.  „Yipas  Blatt  X  (Abb.  227)  sieht,  ob- 
grandes".    Codex    -^qI^i  ]^[qy  (\[q  Zusammensetzung 

der  Bündel  aus  dünnen  Stäben 
von  dem  Zeichner  nicht  an- 
An  beiden  Stellen  sehen  wir  die  Reihen  der  Bündel 
gekrönt  von  einer  besonderen  Figur,  die  augenscheinlich  das  Fähnchen 
(pamitl),  die  Hieroglyphe  der  Zahl  20  darstellen  soll.  Das  wird  klar  be- 
wiesen durch  die  beiden  Reihen  in  der  unteren 
Abtheilung  von  Blatt  X  (Abb.  227).  Denn 
die  zwanzig  dort  dargestellten  Bündel,  von 
denen  jedes  von  der  deutlichen  Figur  des 
Fähnchens  gekrönt  ist,  also  in  der  Zahl  von 
20  gerechnet  werden  soll,  ergeben  zusammen 
die  Zahl  400,  und  die  Ziffer  400  (ceri  tzontli) 
ist  in  der  That  über  dem  ersten  Bündel  der 
Doppelreihe  noch  besonders  angegeben. 
"Was  die  Reihen  von  Winkelstücken  bedeuten  sollen,  die  in  der  Mitte 
von  Blatt  IX  (Abb.  226)  und  unter  der  obersten  Reihe  von  Blatt  X 
(Abb.  227)  gezeichnet  sind,  vermag  ich  nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen.  — 
Die  auf  Blatt  IX  (Abb.  226)  unten,  unmittelbar  über  den  Lasten  von 
Steinen  gezeichneten  Geg-enstände  möchte  ich  als  Lattenffestelle  oder  Schlaf- 


Abb.  229,  230.     „tablones 

de  madera  grandes'', 

„morillos    de   madera", 

Codex  Mendoza  25,  28. 


gegeben  worden  ist 


-i/xp^dif?- 


Abb.  232.     tlapechüi.     „tablado, 

cama  de  tablas".   Atlas  Goupil- 

Boban.    PI.  34. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humholdt's.  273 

bänke  deuten.  Denn  ganz  ähnliche  Figuren  (vgl.  Abb.  232)  finden  wir 
auf  Blatt  34  des  Goupil-Boban'schen  Atlas  mit  dem  Namen  tlapechtli 
erklärt,  und  das  wird  in  dem  Vokabular  Molina's  mit  „tablado,  andamio, 
cama  de  tablas"  übersetzt.  Im  zweiten  Drittel  von  Blatt  X  (Abb.  227) 
sieht  man  zwei  Eeihen  Stühle  (vgl.  den  Stuhl,  auf  dem  der  Doctor  Horozco 
sitzt:  Abb.  177,  S.  249).  Die  beiden  Figuren  am  Anfange  der  darüber 
stehenden  Reihe  sind  offenbar  als  Endstücke  von  Bettgestellen  europäischer 
Konstruktion,  mit  hoch  aufragenden  Seitenpfosten  zu  deuten,  und  die  da- 
neben gezeichneten  vier,  an  den  Enden  etwas  abgeschrägten  Stücke  stellen 
vermuthlich  die  Seitenbretter  solcher  Bettgestelle  dar.  Die  unterste  Reihe 
endlich  von  Blatt  X  (Abb.  227)  scheint  zu  zeigen,  dass  der  Zimmermann 
auch  die  Lieferung  von  Holz  für  verschiedene  Galgen,  bezw.  den  Arbeits- 
lohn für  die  Aufstellung  solcher,  einklagen  will.  Merkwürdig  ist  hier  nur, 
dass  der  Zeichner  die  Delinquenten  nicht  am  Halse,  sondern  au  den  auf 
den  Rücken  gebundenen  Händen  aufgehängt  gezeichnet  hat. 

Ausser  dem  Zimmermann  sind  endlich  auf  diesen  beiden  Blättern  noch 
zwei  andere  Indianer  gezeichnet.  Der  eine,  in  der  unteren  Abtheilung 
von  Blatt  IX  (Abb.  226)  trägt  im  Haar  das  aztaxelli,  den  gabelförmigen, 
aus  Reiherfedern  gefertigten  Schmuck,  den  die  Krieger  der  alten  Zeit 
beim  Tanz  in  den  Riemen  steckten,  mit  dem  das  nach  hinten  fallende 
Haar  zusammengenommen  war.  Der  andere  Indianer,  in  der  oberen  Ab- 
theiluug  von  Blatt  X  (Abb.  227)  hat  am  unteren  Ende  des  Haares,  wie  es 
scheint,  eine  grosse  Ringscheibe  hängen,  eine  Art  Schmuck,  die  ich  nicht 
zu  deuten  weiss. 

Auf  Blatt  XI  und  XH  (Abb.  233  und  234,  S.  274)  ist  zum  Theil  die 
Lieferung  der  gleichen  Gegenstände,  wie  auf  den  oben  besprochenen  beiden 
Blättern,  zur  Anschauung  gebracht.  Die  Reihe  von  Steinen  in  der  unteren 
Hälfte  von  Blatt  XII  (Abb.  234)  bezeichnete  eine  Lieferung  von  Steinen 
oder  die  Aufführung  einer  Mauer  aus  Steinen, 

In  der  obersten  und  in  der  sechsten  Reihe  von  Blatt  XI  (Abb.  233) 
sehen  wir  dieselben  Bündel  von  Stäben  oder  Brennholz,  wie  in  der  unteren 
Hälfte  von  Blatt  X  (Abb.  227).  Sie  sind  auch  hier  von  dem  Fähnchen 
(pamitl),  dem  Zeichen  für  zwanzig  gekrönt,  nur  ist  dies  Fähnchen 
fast  in  einer  Linie  mit  dem  Bündel  gezeichnet,  dass  man  es  —  und  ich 
habe  es  in  der  That  in  meiner  ersten  Arbeit  so  aufgefasst  —  als  einen 
Theil  des  Bündels  anzusehen  versucht  wird.  Aber  es  sind  auch  hier  von 
diesen  Zwanzigern  von  Bündeln  zwanzig,  also  in  Summa  400,  durch 
die  Zeichnung  zur  Anschauung  gebracht,  und  so  sehen  wir  denn  auch  die 
Ziffer  vierhundert  {ceti  tzontU),  die  bekannte  fiedrige  Figur,  in  dem 
letzten  der  Bündel,  am  Ende  der  sechsten  Reihe,  noch  besonders  an- 
gegeben. Es  ist  aber  hier  ausserdem,  in  der  zweiten  bis  fünften  Reihe, 
noch  von  dem  Zeicliner  in  Bildern  hingeschrieben,  dass  der  Spanier,  — 
gegen  den  augenscheinlich  in  diesen  Blättern  Klage  erhoben  wird,  —  zwei 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  18 


2U 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


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Abb.  233.     Bruchstück  XI  und  die 

drei  obersten  Reihen  des  Bruchstücks  XII. 

Auf  ein  Drittel  verkleinert. 


Abb.  234. 
Rest  des  Bruchstücks  XII. 
Auf  ein  Drittel  verkleinert. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


275 


Abb,  235.  „papel  de 

la    tierra".      Codex 

Mcndoza  27. 


Indianer  mit  Gewalt  herbeiholte  und  sie  zum  Transport  der  Bündel  zwang. 
Die  Schlange,  die  man  ü))er  der  obersten  Reihe  auf  Blatt  XI  (Abb.  233) 
sieht,  und  die  gerade  über  dem  Kopf  dos  Spaniers  zu  stehen  kommt,  soll 
—  vielleicht  —  den  Namen  dieses  Spaniers  augeben,  während  der  ludianer- 
kopf  daneben  und  die  Hieroglyphe,  die,  wie  es  scheint,  Amatl  „Papier"  zu 
lesen  ist  —  vgl.  Abb.  235,  die  Codex  Mendoza  27  als  „papel  de  la  tierra" 
erklärt  wird  —  den  Eigenthümer  des  Holzes,  das  der 
.Spanier  wegschleppen  lässt,  bezeichnen  werden. 

Schwer  ist  es  indes  zu  sagen,  was  die  Figuren 
■dahinter,  die  oben  rechts  auf  Blatt  XI  (Abb.  233)  an- 
gegeben sind,  bedeuten  sollen.  Man  sieht  ein  Haus, 
dessen  Wände  augenscheinlich  aus  Rohr  erbaut  gedacht 
sind,  ähnlich  dem  xacalli  in  der  unteren  Abtheilung 
>des  Bruchstückes  11  der  Humboldt'scheu  Sammlung 
(vgl.  Abb.  84  oben  S,  202).  Xur  ist  die  Bedachung  eine 
andere.  Es  hat  fast  den  Anschein,  als  ob  man  hier  auf 
dem  Hause  die  stachlige  Spitze  eines  Agaveblattes  (uitztli)  hätte  zeichnen 
wollen.  Hinter  dieser  Hütte  sieht  man  drei  mit  Stroh  oder  Palmblatt- 
streifen umflochtene  und  mit  einem  geflochtenen  oder  Schnurhenkel  ver- 
sehene Krüge,  deren  jeder  von  dem  Fähnchen  (pamitl),  dem  Zeichen  für 
zwanzig,  gekrönt  ist.  Diese  Gefässe  könnten  Krüge  eingedickten  süssen 
Magueysaftes  bedeuten.  Vgl.  Abb.  23G,  die  in  der  Tributliste  Codex 
Mendoza  29,  77  abgebildet  und  im  Text  als  „miel 
de  maguey  espesa"  erklärt  wird.  Vielleicht  könnte 
auch  wirklicher  Honig  gemeint  sein.  Vgl.  die  der 
Abb.  23()  älmliche,  aber  kleinere  Figur,  die  in 
der  Tributliste  Codex  Mendoza  38  als  „cantarillo 
de  miel  de  abeja"  erklärt  wird.  —  Wie  nun  aber 
diese  60  Krüge  Honig  mit  den  anderen  Dar- 
stellungen in  Verbindung  zu  bringen  sind,  ist  mir 
nicht  ganz  klar.  Vielleicht  sollte  gesagt  werden, 
dass  dem  Indianer  Amatl,  ausser  den  400  Bündeln 
Brennholz  auch  60  Krüge  Honig  aus  seiner  Hütte 
geholt  worden  seien. 

Neben  den  Bündeln  von  Stäben  oder  Brennholz,  sind  auch  verschiedene 
der  anderen  auf  Blatt  IX  und  X  genannten  Klassen  von  Holzlieferungen, 
hier  auf  den  Blättern  XI  und  XH  ebenfalls ,  nur  in  geringerer  Zahl,  an- 
gegeben: —  Die  kreisrunden  und  rechteckigen  Gegenstände,  die  Holzblöcke 
oder  Tischplatten  darstellen,  die  grossen  und  die  kleineren  Balken  und 
Bretter  und  auch,  in  der  unteren  Abtheilung  von  Blatt  XI  (Abb.  233)  zwei  End- 
stücke europäischer  Bettgestelle,  wie  wir  sie  auf  Blatt  X  angetroffen  hatten. 

Ausser  dem  Transport  von  Holzbündeln,  über  den  in  der  oberen 
Hälfte  von  Blatt  XI  (Abb.  233)  geklagt  wird,    sehen  wir  in   der  unteren 

18*" 


Abb.  23().  „miel  de  maguey 

espesa". 

Codex  Mendoza  29,  77. 


276  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Abtheilung  desselben  Blattes  auch  Jen  Transport  von  Krügen  dargestellt^ 
aus  deren  Mündung  man  Saugrohre  {piaztli)  herausragen  sieht,  die  also 
vernmthlich  Pulquekrüge  [piaz-tecomatl]  bezeichnen  sollen.  Und  in  der 
Mitte  von  Blatt  XTT  (Abb.  234:)  werden  Krüge  anderer  Form  von  Indianern 
geschleppt,  und  anscheinend  eine  weite  Wegstrecke,  denn  das  Bild  des 
Weges  ist,  an  der  rechten  Seite  der  Querabtheilung,  vor  den  beiden  last- 
tragenden Indianern,  noch  besonders  angegeben.  Der  vorderste  der  beiden 
Lastträger  hält  einen  Stab  in  der  Hand,  wie  um  den  Weg,  der  zurück- 
s:ele2:t  werden  musste,  abzumessen,  oder  das  Mass  dieser  We2:strecke  an- 
zugeben. 

Endlich  sind  auf  unserem  Blatt,  und  zwar  an  dem  untersten  ßande 
des  Blattes  XII  (Abb.  234),  noch  geschlachtete  Schweine  eingeklagt.  Dass 
mit  diesen  etwas  merkwürdig  gezeichneten  Thieren  Schweine  gemeint  sind, 
ist  aus  der  Form  der  Hufe  zu  ersehen.  Und  dass  sie  geschlachtet  sein 
sollen,  ist  durch  die  rothe  Farbe  unter  dem  Maule  des  ersten  deutlich 
kundgegeben.  Es  handelt  sich  aber  nicht  nur  um  diese  zu  unterst 
auf  Blatt  XU  abgebildete  Reihe,  auch  die  10 — 11  Reihen  von  Körben, 
die  auf  ein  Traggestell  (cacaxtU)  geschnürt,  auf  den  Blättern  XI  und  XII 
abgebildet  zu  sehen  sind,  sollen  alle  Schweinefleisch  enthalten.  Denn- 
mau  sieht  überall  den  Thierkopf  und  daneben,  in  der  mittleren  Ab- 
theiluug  von  Blatt  XII  (Abb.  234),  aucli  den  Schweinefuss  mit  seinen 
zwei  Hufen  herausragen. 

Wenn  wir  demnach  die  Einzelheiten  dieser  Handschrift  richtig  ver- 
stehen, so  stellen  diese  Bruchstücke  Blatt  IX — XH  ein  Aktenstück  dar,  in 
welchem  über  unrechtmässig  verlangte  oder  unbezahlte  Lieferungen  von 
Holz  und  allerlei  Holzarbeit,  von  Steinen,  Schweinefleisch  und  Honig  und 
über  zwangsweise  Heranziehung  zu  Dienstleistungen  geklagt  wird. 

Wenn  an  dem  Bruchstück  XII  unten  mit  der  Scheere  ein  Stück  heraus- 
geschnitten worden  ist,  so  bedeutet  das,  —  wie  wir  das  ähnlich  bei  dem 
gleich  darauf  zu  besprechenden  Bruchstück  XHI  anzunehmen  haben 
werden  —  vielleicht,  dass  bei  der  Regulirung  der  hier  eingeklagten 
Rechnung  ein  Theil  der  Rechnung  in  Abzug  gebracht  worden  ist. 


XIII. 

Ein  49  X  31  cw  grosser  Streifen  ziemlich  dünnen  feinen  Agave-Papiers.. 
Xur  die  untere  Hälfte  ist  beschrieben  und  in  dieser  nur  die  unteren  Theile 
kolorirt,  während  die  Figuren  der  obersten  Reihe  nur  umrissen  und  un- 
kolorirt,  d.  h.  nicht  fertig  gemacht  sind  —  ein  Beweis,  dass  der  Schreiber 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


277 


auch  hier  in  alter  Weise  am  unteren  Ende  des  Streifens  angefangen  und 
nach  oben  fortschreitend  seine  Eintragungen  vorgenommen  hat.  Das  untere 
Ende  ist  unvollständig.  Es  kann  aber  —  aus  dem  Raum  zu  ersehen,  den 
das  spanisch  geschriebene  Dokument  auf  der  Kehrseite  einnimmt  —  nicht 
viel  gefehlt  haben.  Jedenfalls  ist  unter  der  untersten  Reihe  keine  andere 
Reihe  mehr  vorhanden  gewesen.  Die  Abb.  237  und  238  geben  die  drei 
obersten  Reihen  des  Bruchstückes  und  das  linke  Ende  der  beiden  untersten, 
auf  die  Hälfte  verkleinert,  wieder. 


oonrtOQ 


Abb.  237.    Die  drei  obersten  Reihen  des  Bruchstüchs  XIII,  auf  die  Hälfte  verkleinert. 


Das  Dokument  ist  ganz  genau  des  gleichen  Charakters,  wie  eine  der 
Handschriften,  die  aus  der  Sammlung  des  Hon.  JoelR.  Poinsett,  früheren 
Gesandten  der  A^ereinigten  Staaten  in  Mexico,  in  den  Besitz  der  American 
Philosophical  Society  in  Philadelphia  übergegangen  und  in  den  Transactions 
of  the  American  Philosophical  Society  New  Series,  Vol.  YH,  Part.  H, 
Article  4  (Philadelphia  1892)  unter  dem 
Titel  Tribute  Roll  4  (Calendar  1)  ver- 
öffentlicht worden  ist.  —  Wie  dort  sehen 
wir  auch  hier  gelb  gemalte  Kreise  mit 
rothen  und  durch  eine  Wirbelzeichnung 
(eine  Art  Svastika)  ausgezeichneten 
Kreisen  wechseln.  Und  zwar  liegen 
zwischen  den  rothen  Kreisen  immer 
sechs  gelbe.  Ein  klarer  Beweis,  dass 
die  gelben  Kreise  immer  die  W'ochen- 

tage,  die  rothen  Kreise  die  Sonntage  bedeuten  sollen.  In  der  That  ist 
auch  die  Wirbelzeichnung  des  Svastika  nur  eine  etwas  veränderte  Form 
des  Zeichens  (Abb.  239,  240,  S.  278),  das  bei  den  Mexikanern  das 
Wort  ilfmitl  wiedergab,  welches  „Tag",  in  besonderem  Sinne  aber 
„Festtag",  „Fest"  bedeutete.  lu  der  Handschrift  der  American  Philo- 
sophical Society  hat  man  dabei  in  der  untersten  Reihe  rechts  anzufangen, 
diese  nach  links  zu  verfoken   und  in  der  nächsten  von  links  nach  rechts 


Abb.  2;58.     Das  linke  Ende  der  beiden 
untersten  Reihen  des  Bruchstücks  XIII, 
auf  die  Hälfte  verkleinert. 


■278 


Zweiter  Abschnitt;    Bilderschriften. 


zu  gehen  und  so  weiter  hin  und  her.  Wo  ein  neuer  Monat  beginnt,  ist 
die  Reihe  der  Wochentage  unterbrochen  durch  das  Bild  des  Mondes,  das 
abwechselnd  bald  nach  rechts,  bald  nacli  links  gekehrt  oezeichnet  ist  Tvo-L 
Abb.  24:1,  242),  und  in  der  Reihe  der  Tage  nicht  mitzuzählen  ist.  Es 
folgen  so  aufeinander  von  unten  nach  oben  erst  ein  Monat  von  31  Tagen, 
dann  einer  von  30  Tagen,  weiter  31  Tage,  30  Tage,  31  Tage  und  zuletzt 
wieder  31  Tage.  Dieser  letzte  Monat  muss  demnach  August  oder  Januar, 
der  erste  März  oder  August  gewesen  sein.  In  unserem  Blatte  XIII  fehlt 
die  Bezeichnung  des  Monatsanfanges,  die  Reihen  sind  wahrscheinlich  in 
ähnlicher  Weise  hin  und  her  zu  Terfolgen,  wie  aus  einem  bestimmten, 
unten  zu  erwähnenden  Verhalten  zu  schliessen  ist.  Der  wirkliche  Sach- 
verhalt ist  aber  nicht  mehr  festzustellen,  weil  an  der  rechten  Seite  des 
Blattes  mit  der  Scheere  eine  bestimmte  Anzahl  Tage  weggeschnitten  sind. 
Ueber  jedem  einzelnen  Tage  ist  auf  unserem  Blatt  ein  Frauenkopf 
gezeichnet,  erkennbar  durch  die  beiden  über  der  Stirn  aufragenden  horn- 
artigen  Flechten,  die  mexikanische  Weiberhaartracht  (vgl.  Abb.  104  oben 


Abb.  239.     Hiero- 
glyphe ilhuitl 
„Tag",    „Fest". 
Codex  Mendoza  19. 


A\nQSi 


Abb.  240.     Hiero- 
glyphe ■ilhuitl 
„Tag".      Codex 
Osuna  f.  IG  (478). 


Abb.  241,  242.  Hieroplyphe  mdztli 
„Monat".  Bilderschriften  der  Poin- 
sett' sehen  Sammlung.  Transactions 
American  Philosophical  Society  New 
Series.    Vol.  XVII.    Part.  II. 


S.  211,  die  Hieroglyphe  Ciuatlmi).  Das  kann  wohl  kaum  einen  anderen  Sinn 
haben,  als  dass  an  den  betreffenden  Tagen  Frauen  zur  Dienstleistung  kom- 
mandirt  gewesen  sind.  Die  Köpfe  über  den  Tagen  sind  in  Paare  geordnet,  so 
dass  immer  zwei  und  zwei  mit  den  Gesichtern  einander  zugekehrt  sind,  und 
zwischen  beiden  ist  jedesmal  das  Fähnchen,  der  hieroglyphische  Ausdruck 
für  die  Zahl  20,  angegeben  (Abb.  243).  In  den  beiden  obersten  Reihen 
hat  mau  sich  die  Sache  vereinfacht.  Man  hat  nur  einen  Kopf  gezeichnet 
und  diesen  durch  Linien  mit  zwei  aufeinander  folgenden  Tagen  ver- 
bunden. Und  die  Zahl  20  steht  dann  neben  dem  einzelnen  Kopf  (vgl. 
oben  Abb.  237).  An  dem  linken  Ende  der  untersten  Reihe  endlich  war 
ein  unpaarer  Tag  übrig  geblieben.  Ueber  diesen  hat  man  den  Frauen- 
kopf, daneben  aber,  mit  Recht,  nicht  die  volle  Zahl  20,  sondern  die 
Hälfte,  die  Zahl  10  gesetzt.'  Dann  aber  hat  man  nachträglich  diesen 
unpaaren  Tag  mit  einem  unpaaren  Tag  des  linken  Endes  der  zweiten 
Reihe  von  unten  verbunden  und  dann  docli,  gewissermassen  pleonastisch, 
die  Zahl  20  dazwischen  gesetzt  (vgl.  oben  Abb.  238).     All  das  ist  kaum 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


279 


anders  zu  erklären,  als  dass  die  Schichten  alle  zwei  Tage  wechselten,  dass 
immer  nach  zwei  Tagen  andere  Frauen  kamen.  Der  Umstand  aber,  dass 
man  vom  linken  Ende  der  untersten  Reihe  zum  linken  Ende  der  nächst 
hölieren  überging,  beweist,  dass  der  Schreiber,  gleich  dem  des  Dokuments 
der  American  Philosophical  Society,  rechts  unten  begann  und  die  Reihen 
hin  und  her,  immer  an  dem  betreifenden  Ende  anschliessend,  verfolgte. 
Nur  am  Ende  (links)  der  dritten  Reihe  scheint  eine  Lücke  zu  sein.  Der 
Schreiber  muss  hier  wieder  von  vorn,  d.  h.  die  vierte  Reihe  am  rechten 
Ende,    begonnen    haben.     Auch    in    der  Handschrift    der  American  Philo- 


Abb.  240.    Zwanzig-  Frauen  zur  Dienst- 
leistung am  Sonnabend   und  Sonntag. 

Humboldt-  Handschriften,  Bruch- 
stück XIII.     Linkes  Ende   der  dritten 
Reihe  vou  unten. 


Abb.  244.  Mahlstein  (niotlaU)  und  Hand- 
walze (meÜapUli)^  nebst  dem  Gefäss, 
das  zur  Aufnahme  der  geriebenen  Masse 
bestimmt  ist.  Bilderschriften  der 
P  0  in  sett' sehen  Sammlung.  Trans- 
actions  American  Philosophical  Society. 
New  Series.    Vol.  XVII.    Part.  II. 


sophical  Society  ist  immer  ein  Frauenkopf  mit  zwei  Tagen  verbunden. 
Es  müssen  also  auch  dort  die  Schichten  alle  zwei  Tage  gewechselt  haben. 
Zahlen  sind  neben  den  Köpfen  nicht  angegeben. 

Die  Hauptdieustleistuug,  wozu  Frauen  gebraucht  werden,  ist  bei  allen 
Stämmen  in  erster  Linie  die  Küche  gewesen.  Und  das  war  bei  den  Mexi- 
kanern noch  ein  besonders  wichtiger  Dienst,  da  das  Hauptnahrungsmittel, 
die  Tortilla  (tlaxcalli)  nicht  im  Grossen  und  auf  Vorrath,  gleich  unserem 
Brote,  hergestellt  werden  konnte,  sondern  mittels 
eines  ziemlich  umständlichen  Verfahrens  zu  jeder 
Mahlzeit  frisch  bereitet  und  friscli  und  warm  verzehrt 
wurde.  Dass  dieser  Frauendienst  auch  in  unseren 
Handschriften  gemeint  ist,  das  zeigt  die  Handschrift 
der  American  Philosophical  Society  kljy.'  und  deutlich. 
Denn  hier  sehen  wir  neben  dem  Kopf  der  Frau  oin- 
nuil  einen  Mahlstein  (?neflatl)  abgebildet,  mit  der 
Handwalze  (metlapilli)  darauf,  und  unter  seinem  vor- 
deren Ende  ein  Gefäss,  das  zur  Aufnahme  der  zer- 
riebenen Masse  bestimmt  ist  (Abb.  244).  Das  andere  Mal  ein  Hohlmass 
(Abb.  245),  das  in  der  Malerei  der  Mexikaner  eine  „Fanega"  Mais  bedeutete. 
Vgl.  die  Abb. 246,  S.  280,  die  einem  Blatte  der  Aubin-Goiipirschen  Samm- 
lung, Atlas  Goupil-Boban  PI.  27,  entnommen  ist.    Auf  dem  betreffenden 


XI3> 

Abb.  245.  Eine  fanega 
(Mais).  Bilderschriften 
der      Poinsett'schen 

Sammlung.     Trans- 
actions  American  Philo- 
sophical Society. 
New  Series.  Vol.  XVII. 
Part.  II. 


280  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Blatte  sind  fünf  solcher  Masse  mit  dem  Fähnchen  darauf  (=  20)  abgebildet, 
und  in  dem  spanischen  Text  darunter  wird  erklärt,  dass  das  100  Fanega  Mais 
bedeute  (que  se  entiende  cien  hanegas  de  mahiz).  Dass  aber  neben  den 
Frauenköpfen  nicht  nur  der  Mahlstein,  sondern  auch  das  Maismass  ab- 
gebildet wurde,  daraus,  glaube  ich,  muss  man  entnehmen,  dass  die  Auf- 
rechnung, die  die  Handschrift  der  American  Philosophical  Society  dar- 
stellt, nicht  nur  geleisteten  Dienst,  sondern  auch 
geliefertes  Material  vermerkte. 

In  unserem  Blatte  XIII  sind  neben  den  Frauen- 
köpfen keine  solchen  Gegenstände  gezeichnet. 
Dass   es    sich    aber  hier  um  den  gleichen    Dienst 


Ä 


handelt,  das  geht  aus  der  Schrift  hervor,  die  auf 
der  Kehrseite  unseres  Blattes  sich  findet.  Die 
Handschriften  der  A.  von  Humboldt'schen  Samm- 

Abb.246.  20fanegasMais.  1""-  ^'^^'^^  ^^«^  '""^  ^^^^  ^^^^^n  bemerkte,  mit  Aus- 
Atlas Goupil-Boban.  nähme  der  ersten,  auf  grosse  Bogen  in  Folio- 
Pl-  27.  format     aufgeklebt.       An     dem     Blatt    XIII,     das 

ziemlich  dünnes  Papier  ist,  fiel  es  mir  nun  zum  ersten  Mal  auf,  dass  auf 
der  Kehrseite  Schrift  vorhanden  sein  müsse.  Ich  fieng  vorsichtig  an  ab- 
zulösen, und  unter  Zuhilfenahme  sachverständiger  Kräfte  gelang  es,  das 
Blatt  unbeschädigt  von  der  Unterlage  abzuheben.  Auf  der  Rückseite  fand 
ich  folgendes  Dokument: 

digo  yo  diego  hermano  del  mayordomo  desto 

pueblo  de  misquiaguala  q.  resebi  del  senor 

manuel  de  olvera  coregidor  deste  dicho  pue 

blo  101  peso  y  medio  de  las  yndias  quelles       q. 

an  hecho  tortillas  en  su  casa  y  me  a  pagado 

todas  las  demas  q.  hau  servido  hasta  oy. 

fecho  ä  veynte  y  nueve  de  mayo  de  mill  , 

y  quiniento  y  seseuta  y  nueve  aüos 

tg  mechior  de  contreras  y  galp 

q.  firmo  per  el  otrgante 

ante  mi 

s  melchior  de  p.  de  palen  .... 

contreras 
d.  h.  ,Jch,  Diego,  Bruder  des  Verwalters  dieses  Dorfes  Mizquiyauallan, 
bekenne,  dass  ich  von  dem  Herrn  Manuel  de  Olvera.  Richter  dieses 
genannten  Dorfes  101 72  peso  bekommen  habe,  für  die  Frauen,  die  in 
seinem  Hause  Tortillas  gemacht  haben,  und  (dass)  er  mir  alle  übrigen 
(Frauen)  bezahlt  hat,  die  bis  zum  heutigen  Tage  Dienst  gethan  haben. 
Geschehen  am  "JO.  Mai  1.jG9.  Zeuge  Melchior  de  Contreras  y  Galp-.  .  .  , 
der  ich  für  den  die  Urkunde  vollziehenden  unterschreibe. 

Melchior  de  Contreras.  Vor  mir  P.  de  Palen.... '• 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


281 


Es  ist  also  klar,  dass  dieses  Blatt  XIII  ebenfalls  eine  Rechnung  ist, 
und  zwar  über  Dienstleistungen  von  Frauen,  die  zum  Tortillabacken  und 
anderen  Verrichtungen  kommandirt  gewesen  sind.  Die  Rechnung  stammt 
aus  demselben  Dorfe  Mizquiyauallan^  dem  die  Rechnung  Blatt  YII  unserer 
Sammlung  angehört.  Die  Kehrseite  enthält  die  Quittung  über  den  für 
diese  Dienstleistungen  gezahlten  Lohn.  Die  Tage,  die  au  der  rechten 
Seite  des  Blattes  mit  der  Scheere  herausgeschnitten  sind,  scheinen  einen 
Abzug  darzustellen,  eine  Re- 
duktion der  Rechnung  oder  eine 
Korrektur,  die  sich  der  Präsen- 
tirende  gefallen  lassen  musste. 
Das  Dokument  ist  zwei  Jahre 
älter  als  das  auf  Blatt  VII. 

Was  die  Personen  betrifft, 
so  ist  der  Empfänger  des  Geldes 
der  Bruder  des  Mayordomo  von 
Mizquiyauallan  und  wird  hier,  wie 
bei  Indianern  häufig,  nur  mit 
seinem  Vornamen  Diego  ge- 
nannt. Der  Name  des  Mayor- 
domo wird  nicht  erwähnt.  Aber  es  ist  wahrscheinlich,  dass  es  der- 
selbe war,  wie  der,  der  auf  Blatt  VII  quittirte.  Dort  unterschrieb  der 
Mayordomo  selbst  Miguel  de  Sanc  Juan  (Abb.  247).  Sein  Bruder  hier  ist 
des  Schreibens  unkundig.  Für  ihn  unterzeichnet  ein  Spanier  Melchior 
de  Contreras  y  Galp (Abb.  249).    Die  Rechnung  bezahlt  derselbe 


Abb.  247,    248.     Unterschriften    auf    der    Kehr- 
seite   des    Bruchstücks  VII    der   A.  von   Hum- 
boldt'sehen  Sammlung.    (Erstes  Dokument  von 
Mizquiif((i((tUan.) 


Manuel  de  Olvera,  der  auf 
Blatt  VII  genannt  ist.  Hier, 
zwei  Jahre  früher,  war  er 
Corregidor,  d.  h.  Dorfrichter. 
Die  Unterschrift  des  Be- 
amten, vor  dem  das  Geschäft 
abgewickelt  wurde,  vermag 
ich    weder    auf    dem    ersten 


<*f^^7>^ 


-UJ  pv,Y^  W^e^'^rf 


Abb.  249,  250.     Uutcrscliriften   auf  der  Rück- 
seite des  Bruchstücks  XIII  der  A.  von  Hum- 
boldt'sehen  Sammlung.     (Zweites  Dokument 
von  Mi.:qi(ii/a}((iUaii.) 


Dokumente  (Abb.  248),  noch  auf  dem  zweiten  (Abb.  250)  sicher  zu  entziffern. 
Endlich  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  auf  unserem  Blatte  noch  drei 
Männerköpfe  sich  finden,  jeder  mit  einer  Hieroglyphe  hinter  bezw.  über 
ihm,  die  ohne  Zweifel  den  Namen  des  Mannes  angibt.  Diese  Kö])fe  mit 
Hieroglyphen  stehen  in  der  obersten  Reihe,  beide  am  Anfang  einer  durch 
einen  Trennungsstrich  markirten  Abtheilung.  Dasselbe  scheint  in  der 
zweiten  Reihe  von  oben  der  Fall  zu  sein.  Denn  der  Fortgang  ist  hier, 
wie  auch  die  Stellung  der  Frauenköpfe  anzeigt,  von  links  nach  rechts. 
Nur  dass  der  Anfang  der  Abtheilung  hier  (am  linken  Ende)  nicht  durch 
einen  besonderen  Strich   bezeichnet  ist.  •    In    ganz    gleicher  Weise    finden 


•282 


Zweiter  Abschnitt;    Bilderschriften. 


Abb.  251. 
Uitznauatl  (?) 


Abb.  252. 
Quiyauh  (?) 


wir  auch  in  dem  Dokument  der  American  Philosophical  Society  am  Anfang 
einer  durch  einen  Strich  bezeichneten  Abtheihmg-  einen  Männerkopf  mit 
einer  Hieroglyphe  angegeben.  Diese  3Iännerköpfe  stellen  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  die  Gobernadores  de  Indios  oder  die  Dorfschulzen  dar, 
die  die  Frauen  zum  Tortillabacken  gestellt  haben.  Der  Mann  am  linken 
Ende  der  zweitobersten  Reihe  (siehe  oben  Abb.  237)  hat  als  Hieroglyphe  hinter 
sich  einen  Raubvogelkopf.  Er  dürfte  quauhti  „Adler"  oder  cuivtli  „Habicht" 
oder  dergleichen  geheissen  haben.  Einen  ähnlichen  Xamen  muss  der  Mann 
am  rechten  Ende  der  obersten  Reihe  getragen  haben.  Der  nahe  dem 
linken  Ende  der  obersten  Reihe   gezeichnete  Mann   hat  eine  Hieroglyphe, 

die,  wie  es  scheint,  aus  zwei  spitz  zu- 
laufenden und  Stacheln  auf  der  Oberfläche 
tragenden  Blattenden  besteht.  Vielleicht  ist 
das  die  Hieroglyphe  für  Uitznauatl^  denn 
in  dem  Personalregister  von  TJexotzinco,  wo 
Uitznauatl  ein  ziemlich  häufiger  Name  ist, 
ist  derselbe  regelmässig  durch  zwei  neben- 
einander gezeichnete  Agave  -  Blattspitzen 
zum  Ausdruck  gebracht.  Es  ist  sehr  be- 
merkenswerth,  dass  in  dem  Dokument  der 
American  Philosophical  Society  der  eine 
der  beiden  dort  dargestellten  Männerköpfe, 
und  zwar  der  am  linken  Ende  der  dritten  Reihe  von  oben,  durch  dieselbe 
Hieroglyphe  gekennzeichnet  ist  (vgl.  Abb.  251).  Der  am  rechten  Ende  der 
fünften  Reihe  des  Dokuments  der  American  Philosophical  Society  hat  ver- 
muthlich  quijjauh  geheissen,  denn  seine  Hieroglyphe  besteht  aus  drei  herab- 
hängenden (oder  herabfallenden)  Regentropfen.     (Vgl.  Abb.  252.) 

Das  Blatt  XHI  unserer  Sammlung  und  die  „Tribute  Roll"  4  („Ca- 
lendar"  1)  der  American  Philosophical  Society  sind  jedenfalls  von  ein- 
ander unabhängige  in  sich  abgeschlossene  Stücke.  Aber  in  der  Idee,  in 
der  Zeichnung  und  in  verschiedenen  Einzelheiten  so  nahe  verwandt  mit 
einander,  dass  wir  sie  wohl  in  dieselbe  Gegend  und  dieselbe  Zeit  zu 
setzen  haben.  Unser  Blatt  XIII,  das  auf  der  Kehrseite  seine  Erklärung 
hat,  ist  demnach  auch  ein  werthvolles  Dokument  für  die  Beurtheilung  der 
in  amerikanischem  Besitz  befindlichen  Handschrift. 

Ich  habe  oben  schon  erwähnt,  dass  das  Blatt  YII  unserer  Sammlung, 
das  wie  das  vorliegende  Blatt  XHI  aus  dem  Dorfe  Mizquiyauallan  stammt, 
der  Boturini'schen  Sammlung  angehört  zu  haben  scheint.  Ich  habe  dort 
die  Stelle  aus  Boturini's  Museo  Indiano  (Catälogo  §  XXI  Xo.  1)  an- 
geführt, die  diese  Handschriften  aus  Mizquiyauallan  beschreibt  —  „Tres 
mapas  en  papel  Indiano  como  faxas.  Tratan  de  los  tributos,  que  pagaba 
el  pueblo  de  Mizquiahuällan  j  en  el  se  ven  las  cifras  numericas  de  cada 
cosa,  que  entregaban  los  vecinos". 


Gobernadores  de  Indios   des  Dorfes 

IMizqHii/auaUaii.    Bilderschriften  der 

Poinsett' sehen  Sammlung.    Trans- 

actions  American  Philosophical 

Society.     Vol.  XYII.    Part.  II. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huraboldt's.  283 

Ist  nun  in  der  That  das  eine  Blatt  der  Joel  R.  Poinsett'schen, 
jetzt  der  American  Philosophical  Society  gehörigen  Sammlung  dem 
Blatte  YII  unserer  Sammlung,  das  andere  dem  Blatte  XIII  unserer 
Sammlung  so  verwandt,  dass  wir  sie  in  dieselbe  Gegend  und  dieselbe 
Zeit  zu  setzen  uns  versucht  fühlen,  so  liegt  die  Frage  nahe,  ob  nicht 
auch  die  beiden  amerikanischen  Handschriften  im  Boturini  erwähnt  sind. 
Und  das  scheint  in  der  That  der  Fall  zu  sein.  Denn  unmittelbar  nach 
der  oben  angeführten  Stelle  werden  in  §  XXI  des  Museo  Indiano  unter 
NNo.  2  und  4  zwei  andere  längere  Handschriften  aus  demselben  Dorfe 
erwähnt : 

2.  Otro  (mapa)  de  la  misma  materia,  y  nias  largo  de  dicho  Pueblo 
{Mizquiahuallan). 

3.  Otro  del  mismo  papel  y  nuis  largo  del  misnio  Pneblo. 


XIV. 

Ein  34  X  15  cm  grosses  Stück  ziemlich  dicken  und  festen  Agave- 
Papiers.  Nahe  dem  oberen  Ende  sind  zwei  Streifen  übereinander  geklebt 
worden.  Das  ausfasernde  Ende  des  aufgelegten  unteren  Stücks  ist  deutlich 
zu  erkennen.     Unter  der  obersten  Reihe  steht  estan^ia  de  tlatonpan. 

Das  Blatt  (Abb.  253,  S.  284)  zerfällt  in  zwei  wesentlich  verschiedene  Theile, 
einen  oberen  und  einen  unteren.  In  dem  oberen  Theil  ist  alles  karmin- 
roth  gemalt,  in  dem  unteren  alles  der  Hauptsache  nach  gelb.  Die  Basis  der 
oberen  Abtheilung  bildet  ein  von  zwei  Querstrichen  eingefasster  Streifen, 
in  welchem  drei  Männerköpfe  zu  sehen  sind,  jeder  mit  einem  merkwürdigen 
Zeichen  hinter  dem  Kopf,  das  wie  ein  Schlüssel  aussieht.  Ausserdem  sind 
noch  zwei  mit  besonderen  Hieroglyphen  versehen.  Das  Zeichen,  das  wie 
ein  Schlüssel  aussieht,  halte  ich  in  der  That  für  einen  solchen  und  halte  ihn 
als  Ausdruck  für  das  Wort  tlatkdi,  das  die  Bedeutung  hat  „der  etwas  ver- 
birgt oder  verschliesst,  oder  etwas  behütet"  („el  que  guarda  alguna  cosa, 
ö  el  que  esconde  algo"  Molina)  denn  ich  finde  in  dem  Personalregister 
von  Xaltepetlapan  (Ms.  mexicain  No.  3  Bibliotheque  nationale)  einen  Manu 
Namens  Juan  tlatlatin  angegeben,  der  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  254 
bezeichnet  ist,  d.  h.  durch  eine  Hand,  die  einen  Schlüssel  emporhält. 
Hieroglyphisch  scheint  die  erste  Person  rechts  durch  zwei  Hörner  auf  dem 
Kopf  bezeichnet.  Dieselbe  wird  also  vielleicht  Quaquauh  geheissen  haben. 
(Ygl,  die  Abb.  255,  256,  S.  285,  die  in  den  Personalregistern  Ms.  Mexicain  Xo.  3 
Bibl.  Nat.  Personen  solchen  Xamehs  bezeichnen.)  Die  zweite  Person 
scheint    hieroglyphisch    durch    einen    Stein    (te-tl)    und  AVasser  {a-tl)    be- 


284 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


ÄA 


M 


J  Mi,. 


/lf-«.i  t«o   ^'i-f^  -A-np«jl 


i(-J 


te^     /^      ^Sk     ^^ 

Abb.  253. 

Bruchstück  XIV  der  Alexander  von  Humboldt" sehen  Sammlung. 

Auf  "-/a  verkleinert. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


285- 


zeichnet.  Die  dritte  Person  hat  keine  Hieroglyphe.  Die  kreisförmige 
Zeichnung  vor  der  dritten  Person  vermag  ich  nicht  zu  deuten. 

In  beiden  Abtheilungen  des  Blattes  handelt  es  sich  übrigens  um  die 
gleichen  Dinge,  um  Lieferung  von  Gegenständen,  deren  Zahlung  verlangt, 
oder  über  deren  Nichtbezahlung  Klage  geführt  wird,  d.  h.  es  ist  eine 
Rechnung  oder  eine  Klageschrift. 

Wenn  wir,  wie  bei  den  anderen  Blättern,  einen  Fortgang  von  unten 
nach  oben  annehmen,  so  würden  unten  zunächst  10  Truthähne  angeführt 
sein,  und  dann  weiter  fünf  Hähne.  Neben  dem  Hahn  am  linken  Ende 
der  Reihe  ist  aber  ein  Fähnchen,  das  Zeichen  für  20,  angegeben.  Es 
müssen  also  '24:  Hähne  gemeint  sein.  In  der  Reihe  darüber  ist  rechts  zu- 
nächst ein  Gefäss  gezeichnet  und  eine  Figur  darüber,  von  federartigeu 
Ausstrahlungen  umgeben,  ganz  ähnlich  denjenigen,  die  gezeichnet  werden, 
um  die  Zahl  400  {tzontli)  auszudrücken.  Dann  aber  folgen  kleine  längliche 
Körper,  jeder  mit  einem  Fähnchen  (=  20)  versehen  und  in  der  Reihe 
darüber  zehn  Gefässe,  deren  jedes  wohl  eine  Fanega  Mais  bedeutet.  (Vgl. 
Abb.  245,  246,  oben  S.  279,  280.) 


Abb.  254.     Juan  ilailaiin. 

Me.  Mexicain  Nr.  3. 
Bibliotheque   nationale. 


Abb.  255,  256.    Personen  Namens  Qtiuquuuh. 
Ms.  Mexicain  Nr.  3.     Bibliotheque  nationale. 


In  der  oberen  roth  o-emalten  Abtbeilung  unseres  Blattes  haben  wir 
unten  rechts  (unmittelbar  über  den  Köpfen  der  Männer),  zunächst  Trut- 
hahnköpfe, wie  in  der  unteren  Abtheilung,  aber  nur  zwei.  Dann  folgen 
zwei  Figuren,  die  wohl  chill%  rothe  Pfefferschoten,  darstellen  sollen,  jeder 
mit  dem  Busch  versehen,  der  die  Zahl  centzontli  =  400  bezeichnet.  Trut- 
hahn und  rothe  Pfeffersauce  gehören  zusammen.  „Mole  con  guajolote"  ist 
nocli  heute  im  ganzen  Lande  das  Festgericht.  Dann  folgen  drei  quer  durch- 
kreuzte runde  Gegenstände,  jeder  mit  der  Zahl  400  versehen.  Dann  zwei 
besondere  Figuren,  die  uns  bisher  noch  nicht  begegnet  sind  und  über  die 
ich  gleich  sprechen  werde.  Darüber  sind  fünf  kleine  Kreise  zu  sehen, 
jeder  mit  der  Zahl  400  versehen,  und  iu  der  Reihe  darüber  8  Gefässe 
(=  Fanega  Mais)  und  runde  Gegenstände  ähnlich  denen  in  der  unteren 
Reihe,  jeder  mit  einem  Fähnchen  =  20  versehen. 

Hier  ist  nun  zunächst  die  Frage,  was  haben  die  länglich  runden 
kleinen  Gegenstände,  von  denen  in  der  unteren  Abtlieilung  15  mit  einem 
Fähnchen  versehene,  also  3000,  in  der  oberen  Abtheilung  5  mit  einem 
Fähnchen  versehene,  also  1000,    angegeben  sind.     Da  es  gezählte  Gegen- 


'2S6 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


stände  sind,  und  die  Zahlen  so  hohe  Werthe  erreichen,  meine  ich,  können 
nur  Kakaobohnen  gemeint  sein.  (Vgl.  die  Abb.  257 — 260.)  Es  ist  bekannt. 
dass  die  Kakaobohnen  im  alten  Mexico  als  Scheidemünze  gebraucht,  daher 
gezählt  wurden.  Die  Zählweise,  die  hier  befolgt  ist,  kommt  in  der 
gleichen  Weise  auch  in  anderen  Handschriften  vor.  Vgl.  Abb.  258,  der 
Tributliste  Codex  Mendoza  19  entnommen,  im  Text  als  „1600  almen- 
dras  de  cacBo**  erklärt,  und  Abb.  257.  der  Pintura  del  Gobernador, 
Alcaldes  y  Kegidores  de  Mexico  entnommen,  wo  aber  bei  den  einzelnen 
Bohnen  rechts  das  Fähnchen  (=  20)  ausgelassen  ist.  Im  Text  heisst  es: 
chiquacen  tzontli  ypaii  chicompohualli  =  6  X  -400  -j-  7  X  20  (Kakaobohnen). 
Gerade  das  Auslassen  der  Fähnchen  in  diesem  Bilde    beweist    aber,    dass 


Abb.  "257.     Aldi   i/n   racahnatl ch<qi(accn  tzotitU  i/paii   cliicompohuaUt. 

^Und  Kakaobohnen  ...  6  x  400  x  7  x  20"      Codex  Osuna,  fol.  37  (499). 


Abb.  258.    „1600  almendras 

de  cacao**. 

Codex  Mendoza  19. 


Abb. 259.  -carga  de  cacao" 
Codex  Mendoza  48,  5.5. 


Al.b.  260.     Eine  Traglast 

(tIamatuaUi).     Kakao- 
bohnen (cacaiiati).    Codex 
Osuna.  fol.  37    499  . 


die  Einheit  für  die  Kakaobohnenzählung  die  Zahl  2U  war.  die  auf  unserem 
Blatt  überall  auf  den  fraglichen  Gegenständen  angebracht  ist. 

Tielleicht  sind  die  in  der  unteren  Eeihe  der  oberen  Abtheilung  ge- 
zeichneten, von  einem  Busch  (=400)  gekrönten,  durchkreuzten  Bohnen, 
in  ähnlicher  Weise  wie  die  au  der  rechten  Seite  von  Abb.  258  abgebildeten, 
jede  einzelne  für  20  Bohnen  zu  rechnen,  so  dass  hier  1200  X  20=  24000 
Bohnen  angegeben  wären.  Die  darüber  gezeichneten,  mit  einem  Busch 
(=  400)  verseheneu  einfachen,  undurchkreuzten  Kreise  könnte  man  indes 
als  einfache  Zahlzeichen  ansehen. 

Was  nun  die  beiden  besonderen  Figuren  am  linken  Ende  der  unteren 
Reihe  der  oberen  Abtheilung  betrifft,  so  ist  das  ein  Ausdruck  für  Last, 
entnommen  von  der  AYagschale.  Das  ist  klar  aus  einer  Handschrift  der 
Aubin-Goupil'schen  Sammluno-.    die    vormals    im  Besitz   Dou  Antonio 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


287 


Leon  y  Gama's  war,  und  die  interessant  ist  wegen  der  Besonderheiten 
der  Zahlbezeichnung,  die  hier  zu  bemerken  sind,  und  schon  von  Gama 
in  seinem  Appendix  über  die  Arithmetik  der  Mexikaner  angemerkt  worden 
sind^).  Yon  dieser  Handschrift  ist  ein  Blatt  auf  Tafel  30  des  Goupil- 
Bob  an 'sehen  Atlas  reproduzirt.  Hier  sehen  wir  z.  B.  43,  53  und  58  Lasten 
Maisstengel  {zacate)  durch  die  Abb.  261 — 263  ausgedrückt.  Ich  habe  diese 
Beispiele  ausgewählt,  weil  sie  gleichzeitig  die  Besonderheiten  der  Zahl- 
bezeichnung, die  in  dieser  Handschrift  vorkommen,  zur  Anschauung  bringen. 
Es  wird  nämlich  auf  diesem  Blatt  die  Zahl  10  durch  Halbirung  des 
Fähnchens,  welches  20  bezeichnet,  und  Kolorirung  bloss  der  einen  Hälfte, 
zum  Ausdruck  gebracht;  die  Zahl  15  durch  Ausschnitt  eines  Viertels  aus 
dem  Fähnchen  und  Kolorirung  der  übrig-eu  drei  Viertel.     Für  unser  Blatt 


Abb.  261— 2f)3:  —  43,  53  und  58  Lasten  Zacate.     Atlas  Goupil-Bol.an.    PI.  80. 


Abb.  264:   —  S  Pesos, 

2V2  Reales.    Atlas 

Goapil-Boban.     PI.  30. 


Abb.  265:  —  5  Pesos, 

6V2  Reales.     Atlas 

Goupil-Boban.    PI.  30. 


Abb.    266:    —    5  Pesos, 

3  Reales.  Atlas  Goupil- 

Boban.     PI.  30. 


ist  von  Bedeutung,  dass  wir  in  allen  drei  Figuren  261 — 263  nicht  nur,  wie 
sonst,  bloss  das  Bündel  Zacate  gezeichnet  sehen,  sondern  von  ihm  auch 
eine  Wagschale  herabhängen  sehen,  die  das  Symbol  der  Last  ist.  Und 
dass  auf  diesem  Blatt  die  Wagschale  in  der  That  das  Gewicht,  die  Last 
bedeuten  soll,  das  geht  ferner  klar  daraus  hervor,  dass  auf  demselben  Blatt 
dasselbe  Symbol  der  Wagschale,  ähnlich  wie  wir  das  in  Abb.  195  (oben 
S.  254)  sahen,  zur  Bezeichnung  des  Geldstückes  1  Peso  verwendet  wird. 
Vgl.  die  Abb.  264 — '1Q(S^  wo  den  Pesos  die  Reales  und  Medios  in  der- 
selben Weise  angehängt  sind,  wie  wir  das  oben  in  den  Abb.  195 — 197 
sahen  und  ich  auf  S.  255  näher  besprochen  habe.  Die  beiden  Figuren  am 
linken  Ende  der  unteren  Reihe  der  oberen  (roth  geraalten)  Abtheilung 
müssen  also  Lasten  bedeuten.     Und  es  kann   sich   das  wiederum   auf  das 


1)  Gama.     Dos  Piedras,    edid.  Bustamente.     Mexico  1832.    p.  137. 


J"    288  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

Yorhergelieude.  die  rothen  Pfefferschoten .  oder  das  Folgende  die  Kakao- 
bohneu  beziehen.  Denn  diese  wurden  auch  nach  Lasten  gerechnet.  (Vg\. 
Abb.  "209,  "260,  erstere  dem  Codex  Mendoza.  letztere  der  Pintura  del 
Gobernador,  Alcaldes  y  Regidores  de  Mexico  entnommen.) 

Xaehdem  dies  festgestellt  ist.  sind  auch  die  obersten  Reihen  der 
beiden  Abtheilungen  verständlich.  In  der  obersten  Reihe  der  unteren 
Abtheilung  haben  wir  rechts  erst  drei  Lasten  Zacate.  Hier  ist  nicht,  wie 
in  den  Abb.  2G1 — 263,  die  Wagschale  an  dem  Bündel  hängend  gezeichnet, 
sondern  das  ganze  Bündel,  statt  an  der  AVagschale.  an  den  drei  Schnüren 
hängend.  Dann  folgt  eine  Matte,  und  endlich  zwei  viereckige  Gegenstände, 
die  vermuthlich  Gewebe  darstellen  sollen. 

In  der  obersten  Reihe  der  oberen  Abtheilung  haben  wir  rechts  erst 
ein  Paar  Bündel  Zacate.  Dann  zwei  Lasten  Holz.  Die  Last  hier  wieder 
in  derselben  Weise  wie  in  der  unteren  Abtheilung  bezeichnet,  d.  h.  das 
Bündel  Holz  hängt,  statt  an  der  TTagschale.  au  den  drei  Schnüren. 

Das  Blatt  30  des  Goupil-Boban'schen  Atlas,  das  uns  den  Aufschluss 
über  die  Bedeutung  der  Figuren  gab,  die  auf  Blatt  XIY  unserer  Sammlung 
gewählt  sind,  um  Lasten  zu  bezeichnen,  gehört  einer  Handschrift  an.  die 
mit  Text  versehen  ist.  und  eine  Klageschrift  bildete,  die  gegen  den  Kapitän 
Jorge  Ceron  y  Carabajal  Alcalde  mayor  der  Stadt  Ca a/co.  erhoben  und 
im  Jahre  1564  der  Real  Audiencia  von  Mexico  vorgelegt  wurde.  Es  ist 
nicht  ganz  unwahrscheinlich,  dass  unser  Blatt  aus  derselben  Gegend  stammt 
und  vielleicht  auch  in  dieselbe  Zeit  o-ehört. 


XT. 

Ein  34  on  hoher,  52  cm  breiter  Streifen  Agave-Papier,  das  im  An- 
sehen am  meisten  dem  der  Blätter  X — XII  ähnelt.  Und  mit  diesen 
Blättern  zeigt  auch  die  Zeichnimg  der  Figuren  die  unverkennbarste 
Aehnlichkeit. 

Das  Blatt  gehört  zu  denjenigen  unserer  Sammlung,  die  mit  einem  der 
von  Boturin i  beschriebenen  ziemlich  sicher  zu  identifiziren  sind.  Es  ist 
in  dem  Catalogo  del  Museo  Indiauo  in  §  XXI  unter  Xo.  10  aufgeführt:  — 
Otro  (niapa)  del  mismo  papel  (papel  Indiauo),  y  pinta  gran  Xumero  de 
pavos.  C|Ue  se  pagavan  de  Tributo.     Xo  se  sabe  de  que  pueblo. 

In  der  That  sehen  wir  in  den  sechs  Abtheilungen,  die  durch  Quer- 
striche auf  dem  Blatte  hergestellt  sind,  ausser  den  Personen  an  der  rechten 
Seite,  nur  Truthähne  (durch  den  Kopf  bezeichnet)  dargestellt.  Und  zwar 
<ind    die    ersten   15  Vertikalreihen   mit   rother  Farbe    eemalt.    die    beiden 


Das  Glaubensbekenntniss  und  die  zehn  Gebote. 

liruilislmk  XVI  .I.t  BililcTliiiii.lschrift..n  .Icr  Alexander  von  HiimbolJfachen  Siimiiilu 
(li(i  Original  sind  tiit'  AlitLoilungen  durch  pinfaihe  SLritlie  getrennt.) 


a 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Hmnboldt's.  :>39 

letzten  mit  blauer  Farbe.  Auf  jede  Querabtheiluug  komnieu  in  der  ersten 
Vertikalreihe  (rechts)  fünf  Trurhahnköpfe  zu  stehen,  in  sämratlichen 
folgenden  Vertikalreihen  nur  vier.  Die  Gesammtzahl  der  auf  eine  Ab- 
theilung fallenden  rothen  Truthähne  ist  demnach  61.  Die  Reihen  der 
blaulen  Truthähne  sind  wahrscheinlich  unvollständig. 
^:  Von  den  Personen,  die  auf  der  rechten  Seite  des  Blattes  angegeben 
sind,  hat  die  unterste  keine  Hieroglyphe.  Die  folgende  ist  durch  einen 
Vogelkopf  mit  langem  gekrümmtem  Schnabel  bezeichnet.  Die  beiden 
iiächstea'sind  zerstört.  Die  vorletzte  hat  als  Hieroglyphe  dicht  am  Kopfe 
das  Bild  eines  Fisches,  der  Mann  wird  also  Michin  geheissen  haben.  Die 
oberste  und  letzte  Figur  hat  unter  dem  Kopfe  einen  Kreis,  der  vielleicht 
ihren  Namen  angibt. 


XVI. 

Ein  35  cm  langer,  45  cvi  breiter  Streifen  von  einem  dichten  festen 
Papier,  das  das  Ansehen  europäischen  Lumpenpapiers  hat.  Die  mikro- 
skopische Untersuchung  zeigte  aber  eine  Faser,  in  Ansehen,  Wandstärke, 
( rrösse  des  Lumens  u.  s.  w.  anscheinend  völlig  gleich  derjenigen  Faser, 
aus  der  das  grobe  Agave-Papier  der  Blätter  HI  und  IV  zusammengesetzt' 
ist.  Nur  kommen  daneben  einzelne  sehr  dünne  und  spiral  eingerollte 
Fasern  vor,  die  im  Wasser  des  Objektträgers  sich  ein  wenig  zu  strecken 
und  aufzurollen  schienen. 

Das  Blatt  war,  wie  die  Brüche  beweisen,  in  vier  Theile  zusammen- 
gelegt, und  ist  namentlich  an  der  rechten  Seite  stark  beschädigt.  Die 
Zeichnungen  sind  mit  schwarzer  Tinte  gemacht,  ohne  andere  Farben- 
gebung.  Die  Darstellungen  beginnen  links  oben,  setzen  sich  in  dieser 
Reihe  von  links  nach  rechts,  in  der  zweiten  Reihe  aber  von  rechts 
nach  links  fort,  und  so  abwechselnd  immer  in  verschiedenem  Bewegungs- 
sinne. 

Der  Inhalt  der  Darstellungen  ist  kirchlicher  Natur.  Um  sie  zu  ver- 
stehen, nmss  man  den  Catechismus  Romanus  zu  Rathe  ziehen,  und  zwar 
die  Redaktionen  desselben,  die  in  früherer  Zeit,  und  bis  heute  von  den 
(ieistlichen  gebraucht  wurden,  die  in  die  Indianerdörfer  zur  Unterweisung 
der  Bewohner  und  zur  Wahrnehmung  der  Seelsorge  geschickt  wurden.  Ich 
fand  eine  genaue  Uebereinstimmung  zwischen  den  Darstellungen  unseres 
Blattes  und  dem  Text  eines  Catecismo  en  Idioma  Mixteco,  der  im  Jahre 
1839  in  Puebla  gedruckt  ist.  Und  zwar  Hessen  mich  die  auf  dem  Blatt 
angegebenen  Zahlen  ohne  Weiteres  erkennen,  dass  auf  demselben  die 
14   Glaubensartikel    des    römischen   Katechismus    und,    weiter    unten,    die 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  1.  19 


>90 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


zehn  Gebote  dargestellt  sind.  Ich  lege  den  im  Jahre  1839  gedruckten 
Katechismus  zu  Grunde,  und  werde  der  Reihe  nach  in  jedem  Felde  erst 
die  Katechismusabschnitte  anführen  und  dann  das  Bild,  das  ihn  erläutert, 
beschreiben. 

Die  erste  Reihe  beginnt  auf  der  linken  Seite. 

Abschnitt  1.  —  Los  Articulos  de  la  Fe  sou  catorce.  Das  Bild 
(Abb.  267)  zeigt  zunächst  ein  mit  Zeichen  versehenes  Blatt  und  eine  Hand^ 


Abb.  -2(37. 


die  darauf  hinweist.  Das  heisst  Artikel.  Dann  folgt  ein  auf  einem  Stufen- 
untersatz errichtetes  Kreuz,  das  heisst  Glauben.  Dann  folgt  die  Zahl  14. 
in  üblicher  Weise  in  Gruppen  zu  fünf  geordnet. 

Abschnitt  '2.  —  Los   siete  perteuecen  ä  la  divinidad.     Das  Bild 
(Abb.   268)    zeigt    zunächst    die   Zahl    sieben,    und    darnach    ein    bärtiges 

(spanisches)  Gesicht  und  darüber  eine  Zeichnung, 
die  augenscheinlich  einen  Heiligenschein  dar- 
stellen soll,  und  zwar  einen  aus  einer  Metall- 
scheibe bestehenden,  in  dem  in  der  Mitte  und 
in  regelmässigen  Abständen  der  Peripherie 
Lumina  ausgespart  bezw.  ausgebrochen  sind. 
Das  ist  die  auch  weiterhin  regelmässig  zur  Ver- 
wendung kommende  Hieroglyjihe  für  Gott. 
Abschnitts.  —  y  los  otros  siete  (perteuecen)  ä  la  santa  humani- 
dad  de  nuestro  Seüor  Jesucristo.  —  Das  Bild  (Abb.  269)  zeigt  erst 
die  Zahl  sieben.  Dann  auf  einem  Untersatze  Kreuz.  Lanze  und  den  an 
einem  Rohr  befestigten  essiggeti'änkten  Schwamm.  Das  heisst  der  Ge- 
kreuzio-te.  der  Gottmensch. 


Abb.  268. 


Abb.  269. 


Abb.  270. 


Abschnitt  4.  —  Los  (siete  articulos)  que  perteuecen   ä  la  divini- 
dad son  estos.    Das  Bild  (Abb.  270)  zeigt  erst  die  Zahl  sieben,  dann  die 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


291 


Abb.  271. 


Hieroglyphe  für  Artikel  (vgl.  Abschnitt  1),    dann  das  Bild   Gott  (vgl.  Ab- 
schnitt 2),  nur  ist  hier  unter  dem  Kopf  noch  ein  faltiges  Gewand  markirt. 

Abschnitt  5.  —  El  priinero  (articulo)  creer  en 
un  solo  Dios  Todopoderoso.  Das  Bild  (Abb.  271) 
zeigt  die  Ziffer  eins,  die  Hieroglyphe  Artikel  und 
das  Bild  Gott.  Mit  der  Hieroglyphe  „Artikel"  ist 
eine  Figur  verbunden,  die  schwer  zu  deuten  ist, 
vielleicht  den  über  aller  Vielheit  Stehenden,  den 
alles  Vermögenden  (Todopoderoso),  darstellen  soll. 

Abschnitt  (5.  —  El  segundo  (articulo)  creer 
que  es  Dios  Padre.  Das  Bild  (Abb.  272)  ist  zum 
Theil  zerstört.  Oben  muss  die  Ziffer  zwei  gestanden 
haben.  Dann  folgt  die  Hieroglyphe  Artikel  und 
daneben  das  Bild  Gott,  ähnlich  wie  er  in  Abschnitt  4 
dargestellt  war,  aber  hier  mit  zwei*  Armen.  Die 
linke  Hand  hält  den  Reichsapfel.  In  der  Rechten  hat 
er  vermuthlich  ein  Scepter  gehalten. 

Abschnitt  7.  —  El  tercero  (articulo)  creer  que 
es  Dios  Hijo.  Das  Bild  (Abb.  273)  lässt  noch  einen 
Theil  der  Zahl  drei  erkennen,  darunter  die  Hiero- 
glyphe Artikel,  und  daneben  eine  Figur  mit  ähn- 
lichem Gewand  und  ausgebreitetem  Arm.  Kopf  und  wesentliche  Theile 
sind  aber  zerstört. 

Die  zweite  Reihe  beginnt  rechts. 

Abschnitt  1.  —  El  cuarto  (articulo)  creer  que  es  Dios  Espiritu 
Santo.  Das  Bild  (Abb.  274)  lässt  rechts  noch  einen  Theil  der  Zahl  vier 
erkennen.  Dann  folgt  die  Hieroglyphe  Artikel.  Und  dann  die  vom 
Himmel  herabkommende  Taube,  das  ist  der  heilige  Geist. 


Abb. 


In  II 
Ml  I ' 
liMl 


Abb.  273. 


Abb.  274. 


Abb.  275. 


Abschnitt  2.  —  El  quinto  (articulo)  creer  que  es  Criador.  Auf 
der  rechten  Seite  der  Abtheilung  (Abb.  275)  die  Zahl  fünf  und  davor 
die  Hieroglyphe  Artikel.  Auf  der  linken  Seite  d«r  Abtheilung  Gott  mit 
dem  Reichsapfel  in  der  Hand.  Oben  der  Sternenhimmel,  unten  ein  aus 
Knochen  erbautes  Haus,  die  Unterwelt. 


■29-2 


Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 


Abb.  27b. 


Abb.  277. 


Abschnitt  3.    —    El    sesto    creer    que    es    Salvador.     Zur  rechten 
(Abb.  276)  die  Zahl  sechs.      Daneben  Gott   mit  dem  Kreuz  in  der  einen^ 

die    Lanze    (die    die    Wunde    in    der    Seite    bei- 
brachte) in  der  anderen  Hand. 

Abschnitt  4.  —  El  septimo  (articulo)  creer 
que  es  Grlorificador.  Auf  der  rechten  Seit« 
(Abb.  277)  zunächst  die  Hieroglyphe  „Artikel''. 
Darnach  die  Zahl  „sieben''.  Auf  der  linken  Seite 
der  Kopf  eines  Priesters,  —  nicht  Gottes,  denn 
das  bärtige  Gesicht  ist  mit  einfachem  Haar, 
nicht  mit  dem  massiven  Heiligenschein  dargestellt. 
Und  in  der  Mitte  der  Abtheilung  zwei  dicke 
schwarze  Figuren,  die  wie  Eisenriegel  aussehen 
und  unten  verwandt  werden,  um  den  Begriif 
..Gebot"  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Offenbar 
sollte  der  mit  dem  heiligen  Geist  erfüllte  Priester, 
der  das  Leben  der  Gemeinde  regelt,  angedeutet 
werden. 

Abschnitt  5.  —  Los  (articulos)  que  pertenecen  a  la  Santa  Humani- 
dad  de   nuestro  Senor  Jesucristo   son  los    (siete)    siguientes.     Das 

Bild  (Abb.  278)  zeigt  rechts  zunächst  eine 
Figur,    die   an   die  Bälle   aus  Adlerdaunen 
der  alten  Handschriften  erinnert.    Ich  kann 
sie  nicht  näher  erklären,   sie  dient  augen- 
scheinlich hier  als  Trennungszeichen.    Dann 
folgt    die  Zahl   sieben.      Dann  Kreuz    und 
Leidenswerkzeuge,     ähnlich    wie     in    Ab- 
schnitt 3  der  ersten  Reihe  (oben  Abb.  269). 
Abschnitt  6.    ~    El  primero  (articulo) 
creer    que   nuestro  Senor  Jesucristo. 
en   cuanto   hombre  fue  concebido  por 
obra    del    Espiritu    Santo.      Das    Bild 
(Abb.  279,  rechte  Hälfte)  zeigt  rechts  eine 
Eins    (einen  Kreis).     Darunter  die  Hiero- 
glyphe „Artikel".    Dann  den  heiligen  Geist 
als    Taube   und    gewissermassen    von    ihm 
ausgehend  das  Gesicht  Gottes,  wie  vorher. 
Von   diesem   Abschnitt    an    ist    eine  Konfusion   in  der  Bezifferung  zu 
bemerken.     Es  müsste  nämlich  jetzt  ein  neuer  Abschnitt  mit  der  Ziffer  2 
kommen   und   darin    das    stehen,    was   hier  noch    in    demselben  Abschnitt 
Abb.  279  bildlich  dargestellt  ist.    Es  folgt  nämlich  jetzt  in  dem  Katechismus 
El  segundo  (articulo)  creer  que  naciö  de  Santa  Maria  Virgen, 
siendo  ella  Virgen  antes  del  parto,  y  despues  del  parto.    Das  Bild 


Abb.  278. 


Abb.  279. 


4.   Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


293 


Abb.  280. 


(Abb.  279,  linke  Hälfte)  zeigt  die  Jungfrau  Maria,  mit  Heiligenschein,  und 
aus  ihrem  Leibe  hervorgehend,  Gott  —  wie  vorher  gezeichnet,  aber  mit 
der  Lanze,  dem  Leidenswerkzeug,  in  der  Hand.  Die  Ziffer  zwei  aber, 
die  hier  daneben  stehen  müsste,  folgt  erst  im  folgenden  ersten  Abschnitt 
der  dritten  Reilie. 

Die  dritte  Reihe  beginnt  an  der  linken  Seite. 

Abschnitt  1.  —  El  tercero  (articulo)  creer 
que  recebiö  muerte  y  pasion  por  salvar  ä 
nosotros  pecadores.  Das  Bild  (Abb.  280)  zeigt 
links  zunächst  die  Zahl  zwei,  die  eigentlich  in 
die  zweite  Hälfte  des  vorigen  Abschnittes  gehört. 
Dann  den  gekreuzigten  Gott.  Und  daneben  in 
dem  oben  mit  einem  Kreuz  versehenen  Grab  den 
Todten,  der  durch  das  geschlossene  Auge  kenntlich 
gemacht  ist. 

Abschnitt  2.  —  El  cuarto  (articulo)  creer  que  descendiö  ä  los 
infiernos  y  sacö  las  Animas  de  los  santos  Padres,  que  estaban 
esperando  su  santo  adveni- 
miento.  Zunächst  steht  (Ab- 
bildung 281)  links  die  Ziffer 
drei,  die  eigentlich  in  den 
vorigen  Abschnitt  gehört,  dar- 
unter die  Hieroglyphe  Artikel. 
Dann  folgt  Gott  mit  dem  Kreuz 
in  der  Rechten  und  vor  ihm 
ein  kurzes  Stückchen  Weg,  dessen  zwei  Fussspuren  in  den  aufgesperrten 
feurigen  Ungeheuerrachen  führen,  der  —  ganz  nach  Art  der  altmexi- 
kanischen Symbolik  —  das  Innere  der  Erde  oder  die  Hölle  darstellt.  In' 
ihm  sieht  man  die  Seelen,  die  durch  ein  Herz  veranschaulicht  werden 
(vgl.  oben  bei  Blatt  VI,  S.  247),  bezw.  die  Todten,  die  durch  Köpfe  mit 
geschlossenen  Augen  dargestellt  sind. 

Abschnitt  3.  —  El  quinto  (articulo)  creer  que  resucitö  al  tercero 
dia  de  entre  los  muertos.  Auf  der  linken  Seite  (Abb.  282)  steht 
zunächst  die  Zahl  vier,  die 
eigentlich  in  den  vorigen  Ab- 
schnitt gehört.  Dann  folgt  die 
Hieroglyphe  Artikel.  Auf  der 
rechten  Seite  sind  die  Todten 
mit  freiliegenden  Rippen  und 
geschlossenen  Augen  darge- 
stellt, und  vor  ihnen  Gott  mit  der  Lanze,  dem  Leidenswerkzeug,  in  der 
Hand.  In  der  Mitte  eine  zweimal  winklig  gebogene  Figur,  die  wohl  das 
Aufstehen,  Sicherheben  zum  Ausdruck  bringen  soll. 


Abb.  2S1. 


•J94 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


Abb.  283. 


Abschnitt  4.  —  El  sesto  (articulo)  ereer  que  subio  ä  los  cielos, 
y  estä  seutado  ii  la  diestra  de  Dios  Padre  Todopoderoso.  Das 
Bild  (Abb.  283)  zeigt  zimächst  links  die  Zahl  fünf,   die  eigentlich   in  den 

vorigen  Abschnitt  gehört.  Dann  folgt 
das  Gesicht  Gottes  und  an  dies  sich 
sehliessend  eine  Leiter,  die  zum  Sternen- 
himmel emporführt.  Aus  dem  Himmel 
heraus  zeigt  eine  Hand  auf  einen  von 
eiu-em  Netzwerk  erfüllten  Kreis,  der 
augenscheinlich,  wie  die  ähnliche  Figur 
in  dem  fünften  Abschnitt  (von  links)  der  ersten  Reihe  den  Allmächtigen 
Gott  (Dios  Padre  Todopoderoso)  zmn  Ausdruck  bringen  soll. 

Abschnitts.  —  El  septimo  (articulo),  creer  que 
vendrä  a  juzgar  ä  los  vivos  y  ä  los  muertos  etc. 
Links  (Abb.  '2S4l)  steht  zunächst  die  Zahl  sechs,  die 
eigentlich  in  den  vorigen  Abschnitt  gehört.  Dann 
folgt  Gott  mit  dem  Schwert,  dem  Zeichen  des  Richter- 
amtes, in  der  Hand.  Darnach  folgten  augenscheinlich 
in  dem  einen  Viereck  die  Todten,  in  dem  anderen 
die  Lebenden.  Der  Rand  ist  aber  zerstört,  und  von 
den  Bildern  nicht  mehr  viel  zu  sehen. 

Die  erläuternden  Schlussworte  folgen  in  der  nächsten  Reihe. 
Die  vierte  Reihe  beginnt  am  rechten  Ende. 

Abschnitt  1.  —  conviene  a  saber,  ä  los  buenos,  para  darles 
gloria,  porque  guardaron  sus  santos  Mandamientos.  (Abb,  285.) 
Zunächst  rechts  steht  die  Zahl  sieben  und  die  Hieroglyphe  Artikel,  die 
eigentlich  in  den  vorigen  Abschnitt  gehören.  Dann  folgt  ein  Haus,  darin 
ein  Mensch  und  dahinter    ein  Zeichen  wie    ein    Maiskolben,    welches   wie 


Abb,  284. 


Abb.  285. 


unten  beim  dritten  Gebot  (Reihe  5,  Abschnitt  6)  als  Ausdruck  für  „Ehren 
erhalten-  gebraucht  wird.  Das  Ganze  soll  wohl  den  guten  Menschen 
bedeuten.  Dann  folgt  ein  Bild,  das  ich  nicht  sicher  deuten  kann,  und 
dann  folgt  das  bärtige  Gesicht  des  Priesters,  der  dasselbe  Zeichen  des 
„Ehrens"  darzubieten  scheint. 

Abschnitt  2 — 4.  —  y   ä  los  malos,    peua    eterna    porque    no    los 
guardaron.     Amen.    .Hier  bin  icli  nicht  ganz  sicher,   ob  nicht  der  erste 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Huniboldt's. 


■J95 


«lieser  Abschnitte  (Abb.  286)  noch  zu  dem  vorigen  gehört.  Wir  sehen  rechts 
zunächst  eine  Hand  mit  einem  Kreise,  der  im  fünften  Abschnitt  das  neue 
Kapitel  anzuzeigen  scheint.    Mit  einer  Hand  beginnt  ja  oben  auch  das  ganze 


et 


Abb.  286. 


Abb.  287. 


Abb.  288. 


Blatt.     Dann    folgt    die    Hieroglyphe    Artikel.     "Weiterhin    ein    Kreis    mit 

einem  Kreuz  und  eine  halbkreisförmige  Figur  darüber,  die  ich  nicht  sicher 

zu  deuten  weiss.      Im    nächsten  Abschnitt    (Abb.  287)    scheinen  Flammen 

angedeutet  zu  sein  und  weiterhin  die  Köpfe 

der   Verdammten.      Im    letzten    Abschnitt 

(Abb.  288)    ist    ein    am    Boden    liegender 

Mensch,  wohl  auch  ein  Verdammter  —  oder 

der    Teufel,    der  zuschaut?    —    Weiterhin 

der  schwarze  Eisenriegel,    der  den  Begriff 

„Gebot"  veranschaulichen  zu  sollen  scheint, 

und  das  umgekehrte  Herz,  das   die   Seelen 

in  der  Hölle  bedeutet,    das  wir  im  zweiten  Abschnitt    der    dritten  Reilie 

(oben  Abb.  281)  im  Rachen  der  Erde  ebenfalls  schon  sahen. 

Mit  ilem  Abschnitt  .5  fängt  das  neue  Kapitel  an, 
die  Zehn  Gebote.  —  Der  Katechismus  beginnt 
mit  den  Worten:  Los  mandamientos  de  ]a  ley 
de  Di  OS  son  diez.  Das  Bild  Abb.  289  zeigt  rechts 
zunächst  eine  Hand  und  einen  Kreis,  die  wohl  einen 
Kapitelanfang  bezeichnen  sollen.  Dann  folgt  der 
Eisenriegel,  der  vielleicht  den  Begritf  „Gebot"  zum 
Ausdruck  bringt.     Dann  die  Ziffer  zehn. 

Die  fünfte  Reihe  beginnt  am  linken 
Ende. 

Abschnitt  1.  —  Los  tres  primeros 
pertenecen  al  honor  de  Dios.  Das 
Bild  (Abb.  290,  linke  Hälfte)  zeigt  die 
Ziffer  drei  und  den  Kopf  Gottes  (mit 
dem  massiven  durchbrochenen  Heiligen- 
schein). 

Abschnitt  2  (von  dem  vorigen  nicht  durcli  einen  Strich  getrennt).  —  y  los 
otros  siete  al  provecho  del  progimo.  Das  Bild  (Abb.  290,  rechte  Hälfte) 
zeigt  die  Ziffer  sieben   und   einen   Menschenkopf,   der   mit  drei  schwarzen 


Abb.  289. 


Abb.  -iHO. 


296 


Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 


Kugeln  oder  Kreisen  verbunden  ist.  Letztere  vermag  ich  nicht  sicher  zu 
deuten.  Sollten  Geldstücke  gemeint  sein  zum  Ausdruck  des  provecho?  — 
Abschnitt  3.  —  El  primero,  amards  ä  Dies  sobre  todas  las 
cosas.  Das  Bild  (Abb.  291)  zeigt  die  Ziffer  eins,  dann  Gott,  der  in 
der  Hand  ein  Herz  hoch  hält. 


Abb.  291. 


Abb.  29:; 


Abb.  293. 


Abschnitt  4.  —  El  segundo,  no  juraras  el  nombre  de  Dios  en 
vano.  Das  Bild  (Abb.  292)  zeigt  die  Ziffer  zwei,  dann  das  Bild  Gottes, 
und  an  der  rechten  Seite  des  Halses  (an  der  linken  Seite  des  Bildes,  unter 
der  Ziffer  zwei)  eine  Hand,  die  auf  zwei  schwarze  Striche  zeigt,  die  Sym- 
bolik ist  mir  nicht  ganz  klar. 

Abschnitt  5.  —  El  tercero,  santificaräs 
las  fiestas.  Das  Bild  (Abb.  293)  zeigt  die 
Ziffer  drei,  dann  wie  es  scheint  einen  ein- 
gewickelten Pfeil,  der  wohl  das  „Halten,  Heiligen" 
ausdrücken  soll,  dann  ein  Haus  mit  dem  Priester 
darin,  die  Kirche. 

Abschnitt  6    (von  dem  vorigen  nicht  durch 
einen  Strich  getrennt).  —  El  cuarto,  honrar  äs 
ä   tu  padre  y  madre.      Das  Bild  (Ab- 
bildung 294)  zeigt  die  Ziffer  vier,  dann 
folgt  ein  Manu,   der  Vater,  in  der  Hand 
das  einem  Maiskolben  ähnliche  Zeichen 
haltend,  das  wir  oben  schon  als  Symbol 
für   „erwiesene  Ehre"    kennen    lernten. 
In  der  Mitte  steht  das  Kind,  und  rechts 
die  Mutter,    kenntlich    durch    die    Haartracht    mit 
dem  Nackenknoten  und  den  beiden  kornartig  über 
der  Stirn  aufragenden  Flechten  und  durch  das  hemd- 
artige Weibergewand  (uipilli).  mit  dem  eingesetzten, 
mit    Quasten  verzierten    Fleck    an    der  Basis    des 

Halsausschnitts.  ^^  --^ — 

Abschnitt  7.  —  El  quinto,  no  mataräs. 
Das  Bild  (Abb.  295)  zeigt  links  die  Ziffer  fünf.  Dann  einen  Mann  mit 
dem  Schwert  in  der  Hand,  und  gegenüber  einen  bärtigen  ^lann,  der  ab- 
wehrend die  Hand  vorstreckt. 


Abb.  295. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's. 


297 


Die  sechste  Reihe  beginnt  am  rechten  Ende. 

Abschnitt  1.  —  El  sesto,  no  fornicaräs.  (Abb.  296.)  Rechts  stand 
die  Ziffer  sechs,  von  der  aber  nur  noch  ein  paar  Spuren  vorhanden  sind. 
Dann  folgt  das  Bild  einer  Frau,  in  derselben  Weise  wie  die  Mutter  des 
vierten  Gebots  (Abb.  294)  gezeichnet. 


Abb.  2\)G. 


Abb.  29^ 


Abschnitt  2.  —  El  septinio,  no  hurtaräs.  Das  Bild  (Abb.  297)  zeigt 
die  Ziffer  sieben,  und  dann  einen  Mann,  der  sich  an  einem  Thnrschloss 
(oder  einer  Truhe)  zu  schaffen  macht. 

Abschnitt  3.  —  El  octavo,  no  levantaras  falso  testimonio,  ni 
mentiras.  Das  Bild  (Abb.  298)  zeigt  die  Ziffer  acht.  Dann  einen  Mann, 
■der  einen  schwarzen  Brief  überbringt. 


Abb.  298. 


Abb.  299. 


Abschnitt  4.  —  El  noveno,  no  desearäs  la  muger  de  tu  progimo. 
—  Das  Bild  (Abb.  299)  zeigt  die  Ziffer  neun,  dann  einen  Mann,  der  die 
Hand  emporhebt  nach  einem  Weibe,  das  ihm  gegenübersteht. 

Abschnitt  5.  —  El  decimo,  no  codiciaräs  bienes  agenos.  Das 
Bild  (Abb.  300)  zeigt  die  Ziffer  zehn,  und  dann  einen  Mann,  der  die  Hand 
emporhebt  nach  den  ihm  gegenüber  gezeichneten  Dingen,  nämlich  einem 
Thürschloss  (oder  einer  Truhe)  und  einem  Weibe. 


Abb.  30). 


Abb.  301. 


Abschnitt    6.     —    Estos    diez    mandamientos    se    encierran    en 
dos.      Das    Bild    (Abb.    301)    zeigt    die    Ziffer    zehn,    und    diese    durch 


?98 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


einen  Sti'ich  verbunden  mit  <ler  Zitfer  zwei.  Dann  folirt  «lie  Hieroglyphe 
Artikel. 

Die  siebente  und  letzte  Reihe  beginnt  am  linken  Ende. 

Abschnitt  1.  —  En  servir  y  amar  a  Dios  sobre  tödas  las  cosas. 
Am  linken  Ende  stand  vielleiclit  das  Bild  Gottes.  Zu  sehen  ist  noch 
(Abb.  302)  das  Bild  des  Herzens,  das  hier,  wie  beim  ersten  Gebot  (Ab- 
bildung 291)  den  Begriff  Lieben  zum  Ausdruck  bringt. 


^Sf- 


Abb.  ;3(»2. 


Abb.  ;>0o. 


Abschnitt  2.  —  Y  a  tu  progimo  como  a  ti  niismo.  Das  Bild 
(Abb.  303)  zeigt  die  Ziffer  zwei  und  dann  zwei  Menschen,  zum  Ausdruck 
der  Xächstenliebe. 

Bei  der  Mehrzahl  der  Handschriften  unserer  Sammlung  haben  wir  es 
nachweisen,  oder  glaublich  machen  können,  dass  sie  scliou  der  grossen 
Sammlung  des  Cavaliere  Boturini  angehört  haben,  die  er,  als  er  endlich 
aus  der  Haft  entlassen  wurde,  in  Mexico  zurücklassen  musste.  Ist  nun 
ein  Gleiches  auch  für  diese  Handschrift  kirchlichen  Inhalts,  die  letzte 
unserer  Sammlung,  anzunehmen?  Boturini  zählt  in  dem  §  XXY  des 
Katalogs  seines  Museo  Indiano  folgende  Handscln-ifteu  kirchlichen  In- 
halts auf. 

1.  Eine  Handschrift  in  eilf  Blättern,  auf  europäischem  Papier,  deren 
Urheberschaft  er  dem  P.  Sahagun  zuschreibt.  Diese  gehört  jetzt  der 
Aubin-Goupilschen  Sammlung  an.  Zwei  Blätter  davon  sind  Bl.  78  des 
Goupil-Bobanschen  Atlas  veröffentlicht. 

2.  Eine  Handschrift  auf  Agave-Papier,  die  er  folgeudermasseu  be- 
schreibt: —  .,Otro  pedazo  de  Mapa  con  Figuras.  y  Cifras  en  papel  Indiano. 
Demuestra  parte  de  dichos  Misterios"  (e.  e.  de  nuestra  Santa  Fe). 

3.  Eine  Handschrift  in  vier  Blättern  auf  europäischem  Papier  und 
mit  Zwischenlinien  mit  Erklärungen  in  Otomi  (ademäs  de  las  figuras  y 
cifras,  unos  pocos  renglones  en  lengua  Otomi).  Diese  Handschrift  existirt 
jetzt  in  der  Aubin-Goupil'schen  Sammlung.  Zwei  Blätter  davon  sind 
PI.  76  des  Goupil-Boban'schen  Atlas  wiedergegeben. 

■i.  Un  librito  en  papel  Europeo  de  48  fojas  chiquitas.  Explica  con 
toscas  Figuras.  y  Cifras  la  dicha  Doctriua.  Auch  diese  Handschrift  existirt 
in  der  Aubin-GoupiTschen  Sammlung.  Zwei  Blätter  davon  sind  Blatt  77 
des  Goupil-Boban'schen  Atlas  wiedergegeben.  Die  Figuren  sind  dort 
mit  Erkiärungeu  in  Saitatl  versehen. 


4.    Die  mexikanischen  Bilderschriften  Alexander  von  Humboldt's.  299 

Von  den  vier  Bilderschriften  kirchlichen  Inhalts,  die  Boturin i  besass, 
sind  also  drei  in  der  Aubin-Goupil'schen  Sammlung  enthalten,  die  vierte, 
die  bei  Boturini  unter  Nr.  2  aufgeführte,  ist  bisher  nicht  aufgefunden 
worden.  Und  gerade  die  Beschreibung  dieser  Bilderschrift  passt  genau 
auf  unsere  Handschrift  Blatt  XYI.  Denn  auch  unsere  Handschrift  ist  auf 
Agave-Papier  geschrieben,  und  in  den  Darstellungen  springen  neben  den 
Figuren  die  Zahlen  sehr  ins  Auge.  Ich  halte  es  daher  nicht  bloss  für 
möglich,  sondern  für  im  liohen  Grade  wahrscheinlich,  dass  unser  Blatt  XVI 
die  bei  Boturini  in  §  XXV,  Nr.  '1  beschriebene  Bilderschrift  ist. 

Unsere  Handschrift,  so  sehr  sie  auch  den  Malereien  aus  alter  heid- 
nischer Zeit  nachsteht,  zeichnet  sich  doch  vor  den  in  der  Aubin- 
Goupil'schen  Sammlung  aufbewahrten  Bilderschriften  religiösen  Inhalts 
sehr  vortheilhaft  durch  einen  gewissen  energischen  Zug  aus.  Ich  habe 
den  Eindruck,  dass  die  Aubin-Goupil'schen  Bilder-Katechismen  von 
europäischen  Geistlichen  gezeichnet  wurden,  dass  aber  in  der  Zeichnung 
unseres  Blattes  XVI  die  alte  einheimische  indianische  Schulung  zu 
Taue  tritt. 


Schlusswort. 

Die  sechzehn  (eigentlich  vierzehn)  Bilderschriften  der  Alexander 
von  Humboldt' sehen  Sammlung,  so  wenig  umfangreich  (abgesehen  von 
dem  ersten)  die  einzelnen  Bruchstücke  sind,  geben  doch  eine  gute  Ueber- 
sicht  der  verschiedenen  Stilarten  und  der  verschiedenen  Zwecke,  zu  welcher 
in  alter  heidnischer  und  in  früher  christlicher  Zeit  die  Verwendung  von 
Hieroglyphen  nothwendig  wurde.  Sie  sind  nicht  nur  von  archäologischem 
und  kulturgeschichtlichem  Interesse,  sondern  haben,  wie  wir  gesehen 
haben,  zum  Theil  auch  positiven  historischen  Werth.  Scheint  doch,  wie 
ich  gezeigt  habe,  eine  Festlegung  der  Chronologie  nur  durch  die  Finger- 
zeige möglich,  die  die  Handschrift  I  unserer  Sammlung  uns  bietet.  Einzelne 
Stücke  gehören  der  alten  heidnischen  Zeit  an  (l,  III,  IV).  Andere  sind 
sicher  in  früher  christlicher  Zeit  entstanden:  —  VI  ist  vor  A.  D.  1545, 
II  vor  A.  D.  1565  anzusetzen,  XHI  trägt  das  Datum  1569,  VH  das  Datum 
1571.  Und  auch  die  anderen  Bruchstücke  können  nicht  viel  später  ent- 
standen sein.  Was  den  Ursprungsort  betrifft,  so  konnte  ich  I  leider  nicht 
ganz  sicher  bestimmen.  III  und  IV  stammen  aus  Huamantla  im  Staat 
Tlaxcallan.  II  aus  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  der  Hauptstadt  Mexico, 
VI  und  VIII  aus  dem  Gebiet  von  Tezcoco,  VII  und  XIll  aus  Mizquiijau- 
ailan  im  Lande  der  Otomi^  XIV  vielleicht  aus  dem  Gebiet  der  Chalca. 
Von  den  Unterschieden,    die  bei  aller  sonstigen  Gleichheit  in  Kultur,  An- 


300  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

schauung  und  Lebensweise  zwischen  den  mexikanisch  sprechenden  Stämmen 
bestanden,  scheinen  verschiedene  der  Handschriften  ziemlich  deutlich  zu 
reden.     Und  auch  sonst  sind  sie.  wie  wir  gesehen  haben,  lehrreich  genug. 

Aus  einer  Zahl  von  Dokumenten,  die  damals  in  Mexico  dem  Zufall 
preisgegeben  waren,  hat  unser  grosser  Landsmann,  dessen  Arbeitsfeld 
eigentlich  auf  ganz  anderem  Gebiete  lag,  diese  Bruchstücke  gerettet. 
AVenig  beachtet  oder,  richtiger,  wenig  benutzt,  haben  sie  seitdem  neben 
anderen  handschriftlichen  Schätzen  in  der  Königlichen  Bibliothek  geruht. 
Haben  doch  zum  Theil  erst  in  neuerer  Zeit  bekannt  gewordene  Sachen  es 
mir  ermöglicht,  diese  Blätter  einigermassen  sprechen  zu  machen. 

Im  vergangenen  Jahre  feierte  man  die  vierliundertj ährige  Wiederkehr 
des  Tages,  an  welchem  der  Entdecker  Amerika's,  Columbus.  den  Boden 
der  neuen  Welt  betrat.  Binnen  wenigen  Jahren  wird  man  die  hundert- 
jährige Wiederkehr  des  Tages  feiern  können,  an  welchem  der  wissen- 
schaftliche Entdecker  der  neuen  Welt.  Alexander  von  Humboldt,  seine 
Wanderungen  auf  jenem  Kontinente  begann.  Möge  dieses  Buch,  das  die 
Bearbeitung  der  einzigen  seiner  Sammlungen  darstellt,  die  bisher  un- 
bearbeitet blieb,  des  grossen  Xamens,  den  es  an  der  Spitze  trägt,  nicht 
ganz  unwürdig;  sein. 


5.   Der  Codex  Borgia.  301 


5. 

Der  Codex  Borgia. 

Globus.    Bd.  LXXIV.     S.  297-302:  315—319.     (19.  und  26.  NoTember  1898.) 


VorbemerkuDg. 

Der  hier  folgende  Aufsatz  und  die  darnach  als  Nr.  6  abgedruckte  kurze  Notiz  über 
die  Bilderhaudschrift  der  Universitätsbibliothek  von  Bologna  behandeln  Handschriften 
kalendarisch-augurisch-astronomischen  Inhalts.  Ueber  dieselbe  Klasse  von  Bilderschriften 
habe  ich  seitdem  auf  Anregung  und  im  Auftrag  S.  Exzellenz  des  Herzogs  von  Loubat 
mehrere  besondere  Schriften  verfasst,  die  auf  Kosten  S.  Exzellenz  des  Herzogs  von 
Loubat  gedruckt  wurden,  und  die  in  eingehender  und  ausführlicher  Weise  den  Inhalt 
dieser  Bilderschriften  behandeln  und  einen  vollständig  erläuternden  Kommentar  zu  ihnen 
geben.     Es  sind  die  folgenden: 

1.  Das  TonalamaÜ  der  Aubin' sehen  Sammlung.     Berlin  1900. 
(English  Edition  by  A.  H.  Keane.    Berlin  and  London  1900—1901). 

2.  Codex  Fejerväry-Mayer.     Berlin  1901. 

(English  Edition  by  A.  H.  Keane.     Berlin  and  London  1901—1902). 

3.  Codex  Vaticanus  Nr.  3773.     Berlin  1902. 

In  Folge  der  eingehenden  Untersuchungen,  die  ich  hierbei  anzustellen  veranlasst 
war,  bin  ich  über  verschiedene  Punkte  zu  anderen  Anschauungen  gelangt,  als  ich  sie  in 
meiner  ursprünglichen  Arbeit  über  den  Codex  Borgia  vortragen  zu  müssen  glaubte.  Ich 
habe  daher,  in  dem  hier  vorliegenden  Abdruck,  an  verschiedenen  Stellen  Aenderungen 
vorgenommen.  Auch  die  Zahl  der  Abbildungen  ist  gegenüber  der  der  Originalarbeit 
beträchtlich  vermehrt  worden. 


Vor  wenigen  Jahren  ist  der  vierhundertjährige  Gedenktag-  der  Ent- 
deckung Amerikas  mit  mehr  oder  minder  Pomp  überall  auf  dieser  und 
jener  Seite  des  Ozeans  gefeiert  worden.  Es  hat  indessen  nicht  an  Stimmen 
gefehlt,  die  es  eigentlich  bedauerten,  dass  Amerika  so  zeitig  entdeckt 
worden  ist,  dass  seine  Entdeckung  in  eine  Zeit  fiel,  wo  mau  für  die  be- 
rechtigten Eigenthümlichkeiten  fremder  Völker  noch  weniger  Verständniss 
hatte  als  heute,  und  dass  die  amerikanische  Menschheit  nicht  noch  ein 
paar  Jahrhunderte  länger  Zeit  gehabt  hat,  die  ihr  eigene  Kultur  selb- 
ständig weiter  zu  entwickeln.  Ganz  besonders  mag  man  es  bedauern,  dass 
die  Ansätze  zu  einer  Gedankenmittheilimg  durch  die  Schrift,  die  wir  bei 
den  mittelamerikanischen  Völkern  finden,  nicht  zur  weiteren  Ausgestaltung 
gelangt  sind.  Dem  Umstände,  dass  zur  Zeit,  als  Amerika  entdeckt  wurde, 
doch  nur  erst  Ansätze  zu  einer  solchen  Mittheilung  vorhanden   waren,    ist 


:^0"2  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

es  jedenfalls  zuzuschreiben,  dass  so  wenig  von  der  alten  Litteratur,  der 
alten  Geschichte  und  der  alten  Wissenschaft  dieser  Stämme  aufgezeichnet 
■worden  ist.  und  dass  wir  auch  das  Wenige  von  dem  Wenigen,  was  auf  uns 
gekommen  ist,  noch  lange  nicht  vollständig  und  mit  Sicherheit  zu  deuten 
verstehen.  Immerhin  gehören  die  spärlichen  Proben  der  einheimischen 
Litteratur.  die  ein  gütiges  Geschick  uns  erhalten  hat.  zu  den  interessantesten 
schriftlichen  Denkmälern  der  alten  Kultur  jeuer  Stämme. 

Merkwürdiger  Weise  ist  es  nicht  die  Heimath  der  Entdecker  und  Er- 
oberer Amerikas,  wo  die  interessantesten  Reste  der  altamerikanischen 
Zivilisation  sich  erhalten  haben.  Die  wenigen  Erzeugnisse  der  kunstvollen 
altmexikanischen  Federarbeit,  die  bis  in  unsere  Zeiten  sich  gerettet  haben, 
befinden  sich  in  Wien  und  Stuttgart.  Was  von  den  farbenprächtigen  Mosaik- 
inkrustationen übrig  geblieben  ist.  muss  man  in  Italien,  in  Deutschland  und 
in  England  suchen.  Die  schönste,  umfangreichste  und  ihrem  Inhalte  nach 
bedeutendste  jukatekische  Handschrift  liegt  in  der  Bibliothek  in  Dresden. 
Und  die  schönsten  und  interessantesten  der  eigentlich  mexikanischen  Hauda— 
Schriften  sind  in  den  Büchereien  Italiens  zu  finden.  \  Eine  nicht  minder 
interessante  scheint  allerdings  erst  in  neuerer  Zeit  auf  nicht  ganz  rein- 
lichen Wegen  von  Spanien  nach  Frankreich  verschleppt  worden  zu  sein. 

Unser  grosser  Landsmann  Alexander  von  Humboldt  war  es.  der 
zuerst  die  Aufmerksamkeit  weiterer  Kreise  auf  die  drei  in  italiänischen 
Bibliotheken  aufbewahrten  Bilderschriften  lenkte  und  in  dem  Atlas  zu  seinen 
„Yues  des  Cordilleres  et  Monuments  des  peuples  indigeues  de  rAmerique" 
Proben  von  ihnen  gab.  Xachmals  sind,  mit  den  anderen  damals  bekannten  . 
mexikanischen  Bilderschriften,  auch  diese  drei  Handschriften  in  die  grosse 
Sammlung  aufgenommen  worden,  die  Lord  Kingsbor ough  unter  dem 
Titel  „Mexican  Autiquities"  herausgab.  Es  war  das  ein  hochbedeutsames 
Unternehmen,  und  der  Herausgeber,  sowie  die  Künstler,  die  die  Kopieen  her- 
stellten, haben  sich  den  bleibenden  Anspruch  auf  die  Dankbarkeit  aller  für 
diese  Wissenschaft  Interessirten  erworben.  Immerhin  begreift  man,  dass  auch 
der  beste  Wille  und  das  bedeutendste  Können  nicht  ausreichten,  um  diese 
Fülle  fremdartiger  Formen  und  krauser  Symbole  unter  allen  L'mständen 
richtig  wiederzugeben.  Es  ist  deshalb  mit  ausserordentlicher  Freude  zu 
begrüsseu,  dass  ein  hochherziger  Förderer  amerikanischer  wissenschaft- 
licher Bestrebungen,  Seine  Excellenz  der  Herzog  von  Loubat,  es  unter- 
nahm, von  den  drei  berühmten,  in  den  italienischen  Bibliotheken  auf- 
bewahrten mexikanischen  Bilderschriften  eine  Faksimile-Ausgabe,  wie  sie 
die  Mittel  unserer  heutigen  photograjiliischen  Technik  ermöglichen,  auf 
seine  Kosten  herstellen  zu  lassen.  Nachdem  schon  im  vergangenen  Jahre*  1 
der  Codex  Yaticanus  Xr.  3773  —  die  in  der  Regel  als  Codex  Yaticauus  B 
angeführte  Handschrift  —  in  dieser  Weise  veröifentlicht  und  mit  grosser 
Liberalität  an  öffentliche  Institute  und  au  Fachgelehrte  vertheilt  worden 
ist.    ist   jetzt    in    ähnlicher  Yollendung  eine  Faksimile-Ausgabe  des  Codex 


5.   Der  Codex  Borgia.  303 

Borgia  erschienen  und  zur  Austheilung  gelangt.  Und  der  Codex  Bologna 
wird  binnen  knrzem  folgen. 

Auf  welchem  Wege  diese  drei  Bilderschriften  nach  Italien  gelangt 
sind,  darüber  ist  nichts  bekannt.  Von  dem  Codex  Vaticanus  hat  der  Prä- 
fekt  der  vatikanischen  Bibliothek,  P.  F.  Ehrle,  nachgewiesen,  dass  seiner 
schon  in  einem  Inventar  Erwähnung  geschieht,  das  in  den  Jahren  1596 
bis  1600  geschrieben  worden  ist.  Von  dem  Codex  Bologna  gibt  Hum- 
boldt an,  dass  auf  seinem  ersten  Blatte  sich  der  Vermerk  befindet,  dass 
er  am  26.  Dezember  1665  von  dem  Grafen  Valeriano  Zani  an  den 
Marchese  Cospi  verkauft  worden  ist.  Und  von  dem  Codex  Borgia  be- 
richtet ebenfalls  Humboldt,  dass  er  der  Familie  Giustiniani  gehört 
zu  haben  scheint,  dass  er  durch  irgend  einen  unglücklichen  Zufall  der 
Dienerschaft  dieses  Hauses  in  die  Hände  gekommen  ist,  die  ihn  den 
Kindern  zum  Spielen  gaben.^  Den  Händen  der  Kinder,  die  schon  versucht 
hatten,  ein  paar  Blätter  anzubrennen,  entriss  der  Kardinal  Borgia  das 
kostbare  Manuskript,  das  seitdem  einen  Hauptschatz  erst  des  Privatmuseums 
des  Kardinals  und  dann  der  Bibliothek  der  Congregatio  de  propaganda 
fide  bildete.  Der  P.  Ehrle  hält  diese  Geschichte  für  durchaus  zuver- 
lässig, da  einerseits  erwiesenermassen  die  Familie  Giustiniani  eine 
Galerie  besass,  deren  hauptsächlichste  Stücke  in  einem  in  Rom  im  Jahre 
1651  gedruckten  zweibändigen  Foliowerke  abgebildet  sind,  andererseits 
Humboldt  dem  Xeft'en  des  Kardinals  Borgia,  dem  Cavaliere  Camillo 
Borgia,  eng  befreundet  war,  also  wohl  in  der  Lage  war,  authentische 
Information  darüber,  wie  dies  Stück  in  den  Besitz  der  Familie  Borgia 
gelangt  ist,  zu  erhalten. 

Diese  altmexikanischen  Bücher  sind  lange  Streifen  aus  Hirschleder, 
beim  Vaticanus  von  1272  <^^*  Höhe  und  7,35  7n  Länge,  beim  Codex  Borgia 
von  27  cvi  Höhe  und  nahezu  11  m  Länge,  die  aus  kürzeren  Streifen  zu- 
sammengeklebt, mit  einem  weisseu,  stuckartigen  Ueberzuge  versehen  und 
auf  beiden  Seiten  bemalt  sind.  Die  Malereien  sind  in  Feldern  gleicher 
Grösse  angebracht,  und  nach  der  Grösse  dieser  Felder  ist  der  ganze 
Streifen  zusammengefaltet  und  in  die  Form  eines  Buches  gebracht,  das 
aussen  mit  Holzdeckeln  versehen  wurde. 

Was  den  Inhalt  dieser  drei  Bilderschriften  betrifft,  so  habe  ich  schon 
in  einer  im  .lahre  1887  veröffentlichten  Allhandlung  ^)  den  Nachweis  er- 
bracht, dass  derselbe  ausschliesslich  kalendarisch  und  astrologisch  ist,  und 
dass  die  einzelnen  Stücke  in  gleicher  Art,  nur  in  anderer  Reihenfolge,  in 
allen  drei  Bilderschriften  und  noch  ein  paar  anderen  sich  wiederholen. 
,  Das  TonalamatL  der  (hirch  die  Kombination  von  13  Zahlen  und  20  Zeichen 
sich   ergebende  Zeitraum  von    260  Tagen,    ist  es,    dessen  Darstellung,    in 


1)  „Der  Codex  Borgia  und  die  verwandten  aztekischen  Bilderschriften."    Zeit- 
schrift für  Ethnologie  XIX,  S.  105 ff.  [oben  S.  130—144]. 


304 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


verschiedenen  Anordnungen  und  mit  den  für  die  einzelnen  Abschnitte 
massgebenden  göttlichen  Potenzen,  der  grösste  Theil  der  Blätter  dieser 
Handschriften  gewidmet  ist.  Was  mir  damals  aber  noch  nicht  ganz  klar 
war,  ist,  dass  daneben,  ausser  der  Periode  von  52  Jahren,  die  sich  un- 
mittelbar aus  der  TowaZama^Z-Rechnung  und  der  Annahme  einer  Jahreslänge 
von  365  Tagen  ergibt,  auch  die  Yenusperiode,  d.  h.  der  584  Tage  um- 
fassende scheinbare  Umlauf  der  Yenus,  auf  verschiedenen  Blättern  zur 
Anschauung  gebracht  ist.  Ich  habe  darüber  erst  vor  Kurzem,  in  der 
Julisitzung  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft,  Näheres  berichtet. 

Alle  drei  Bilderschriften  beginnen  mit  der  vollständigen  Darstellung 
des  TonalamatV?,  in  Kolumnen  von  je  fünf  Tagen  geordnet^).  Schon  diese 
Anordnung  ist,  wie  es  scheint,  durch  die  Yenusperiode  veranlasst.  Denn 
die  Beobachtung  ergab,  dass  auf  die  Anfangstage  der  Yenusperiode  nur  fünf 
von  den  20  Tageszeichen  fallen.  Jede  Kolumne  ist  am  Kopfe  und  am 
Fusse  von  der  Figur  eines  Gottes  oder  einem  Symbol  begleitet,  die  wohl 
für  die  der  Kolumne  angehörigen  fünf  Tage  als  massgebend  gelten  sollten. 
Yon  Bedeutung  sind  die  in  den  Yiertelanfängen  stehenden  Figuren,  da  man 
jedes  der  vier  Yiertel  des  in  dieser  Weise  angeordneten  TonalamatV ^  einer 
der  vier  Himmelsrichtungen  unterstehend  und   durch  sie  bestimmt  dachte. 

Am  Anfang  des  ersten  Yiertels  steht  Quetzalcouatl  auf  dem  Wasser 
(Abb.  1),  der  Windgott,  der  Priestergott,  der  Herr  von  Tula,  der  nach 
den  Ländern  am  Ostmeer  zog  und  dort  verschwand,  und  dessen  Herz  nach 


1)  Die  Reproduktion  Kingsborough's  beginnt  mit  dem  falschen  Ende  und 
ist  im  Allgemeinen  von  hinten  nach  vorn  zu  lesen.  Um  Solchen,  die  den  Codex 
in  Naturwiedergabe  nicht  einsehen  können,  das  Aufsuchen  der  Blätter  in  dem 
"Werke  Kingsborough's  zu  ermöglichen,  stelle  ich  hier  die  entsprechenden  Blätter 
der  beiden  Ausgaben  zusammen. 


Codex  Borgia- 
Faksimüe,  heraus- 
gegeben vom 

Herzog 
von  Loubat 

Reproduktion  in 
Kingsborough's 

Mexican 
Antiquities, 

Vol.  III 

Codex  Borgia- 
Faksimile,  heraus- 
gegeben vom 

Herzog 
von  Loubat 

Reproduktion  in 
Kingsborough's 

Mexican 
Antiquities, 

Vol.  III 

Blatt     1—  <S 

- 

Blatt  38—31 

Blatt 

47,    48     = 

Blatt  68,    67 

9—13 

— 

„      30-26 

■)■> 

49—53     = 

.,      66—62 

14 

= 

„          25 

>; 

53,    54     = 

.,      62,    61 

.,      15—17 

= 

„      24-22 

■)■> 

55 

60 

,,      IS -21 

= 

:,        21  —  18 

55 

56 

59 

.,      22—24 

= 

„      17—15 

55 

57 

„         58 

25 

=; 

14 

55 

58—60     = 

..      57—55 

26 

= 

13 

55 

61-70     = 

..      54—45 

27 

= 

12 

1? 

71 

44 

2« 

= 

11 

55 

72 

43 

„      29-35 

= 

.,      10-  4 

55 

73 

,5         42 

„      36—38 

= 

„       3-  1 

55 

74 

41 

..      39—42 

= 

„      76—73 

55 

75,    76     - 

„      40,    39 

.,      43     46 

= 

„      72-69 

5.    Der  Codex  Borgia. 


305 


seinem  Tode  in  den  Morgenstern  sich  verwandelte.  Ueber  ihm,  in  der- 
selben Kolumne,  der  Priester  im  Tempel,  Knochenpfriem  und  Agavespitze, 
die  Sym1)ole  der  priesterlichen  Kasteiung,  in  der  Hand  haltend. 

Am  Anfang    des  zweiten  Viertels  sehen    wir  Tezcatlipocu,    den  nächt- 
lichen, den  allgegenwärtigen,    alles  schauenden,    der  von  einigen  mit  dem 


Abb.  1.    Qiidzah'ouuil  als  Priester. 

Eegent  des  ersten  Tonalumail- 
Viertels  cp  dpactU  „eins  Krokodil"*. 


Abb.  2,   Tezcatlipocu.   Regent  des 

zweiten    ro««/«wafZ- Viertels    t-e 

ocelotl  „eins  .Jaguar". 


^ 


Abb.  3.  Die  Erd- und  Maisgöttin, 
mit  dem  Kopfe  des  Regengottes 

Tlaloc.    Regentin  des  dritten  Tonal- 

ff«/rt/Z- Viertels    ce   magatl    „eins 

Hirsch«. 


Abb.  4.     Der  herabkommende 

Sonnengott. 
Regent  des  vierten  Toiialamatl- 
Viertels  ce  xochitl  „eins  Blume". 


Gestirn  des  Nordhimmels,  dem  grossen  Bären  identifizirt  wird  (Abb.  2). 
Vor  seinem  Munde  sieht  man  im  Codex  Borgia  eine  Kette  von  fünf  Perlen, 
die  in  einer  Blume  endet,  und  über  ihm,  in  derselben  Kolumne,  eine 
weibliche  Gottheit,  im  Tempel  sitzend,  mit  derselben  in  eine  Blume 
endenden  Perlenkette  vor  dem  Munde,  während  im  Codex  Vaticanus  am 
Kopf  der  Kolumne  ein  weiss-  und  rothgestreifter  feuerbohrender  Gott  dar- 
gestellt ist. 


Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I. 


20 


30t>  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Am  Anfang  des  dritten  Viertels  stellt,  neben  blühenden  Maispflanzeii 
eine  weibliche  Gottheit,  die  im  Codex  Borgia  (Abb.  3,  Ö.  305)  als  Kopf 
den  des  Regeugottes  Tlaloc,  im  Yaticanus  aber  einen  Schädel  trägt. 
Offenbar  ist  die  Erdgöttin,   die  im  Westen  hausende,  gemeint. 

Der  Anfang  des  vierten  Viertels  endlich  wird  durch  den  herabfallenden 
Sonnengott,  mit  dem  Steinbeil  in  der  Hand,  bezeichnet  (Abb.  4,  S.  305), 
der  aber  im  Codex  Yaticanus  um  eine  Kolumne  verrückt  erscheint. 

Die  am  Fuss  und  Kopf  der  übrigen  Kolumnen  stehenden  Figuren  und 
Symbole  entspreciien  einander  ebenfalls  in  den  drei  Handschriften,  doch 
erscheinen  sie  vielfach  in  der  einen  Handschrift  gegen  die  andere  verrückt, 
und  es  sind  Auslassungen  einiger  Figuren  und  Einschaltungen  anderer  zu 
konstatiren.  Man  gewinnt  den  Eindruck,  dass  sie  nicht  so  sehr  für  die 
eine  bestimmte  Kolumne  als  für  das  ganze  Viertel  Bedeutung  haben,  also 
einer  der  vier  oben  genannten,  die  vier  Himmelsrichtungen  repräsentirenden 
Hauptfiguren  untergeordnet  sind. 

Die  unmittelbare  Uebereinstimmung  der  drei  Handschriften  beschränkt 
sich  auf  dieses  erste  Stück.  AVeiterhin  weichen  sie.  sowohl  in  der  Zahl, 
wie  in  der  Anordnung  der  Stücke,  die  sie  enthalten,  sehr  von  einander  ab. 
Die  Stücke  selbst  aber  sind  in  der  Mehrzahl  in  den  drei  Handschriften 
die  gleichen,  obwohl  jede  ein  oder  mehrere  Stücke  zählt,  die  ihr  eigen- 
timmlich  sind,  die  den  anderen  Handschriften  fehlen. 

Im  Codex  Borgia  folgt  auf  das  Tonalamatl  zunächst  eine  Reihe  von 
'20  Gottheiten,  die  den  "20  Tageszeichen  zugeschrieben  sind.  Der  Codex 
Borgia  zeichnet  sich  durch  künstlerische  Ausführung  der  Figuren  und 
Symbole  und  durch  Farbenpracht  aus.  Es  ist  eine  kalligraphische  Hand- 
schrift. In  diesem  Stücke  z.  B.,  und  noch  mehr  in  einem  der  späteren, 
kann  man  die  in  vollendeter  Art  und  zum  grössten  Theil  in  ganzer  Figur 

~  OD 

ausgeführten  Formen  der  Tageszeicheu  bewundern.  "SVas  die  Reihe  der 
Gottheiten  betrifft,  so  habe  ich  seiner  Zeit  den  ausführlichen  Nachweis  \ 
erbracht^),  dass  sie  im  Wesentlichen  die  gleiche  ist  wie  die  mit  Tonacate- 
cutli  „dem  Herrn  unseres  Fleisches*\  dem  Herrn  der  Lebensmittel,  dem 
Herrn  der  Zeugung  beginnende  Reihe,  welche  an  einer  anderen  Stelle 
der  Handschrift  den  Aufangstagen  der  20  Abschnitte  des  Tonalamatl  zu- 
geschrieben wird.  Nur  eine  merkwürdige  Ausnahme  findet  statt.  An 
elfter  Stelle,  auf  die  in  der  Reihe  der  Anfaugstage  der  Tonalamatl- 
Abschnitte  dasselbe  Zeichen,  ofomatli,  „Affe"",  fällt,  das  auch  in  der  Reihe 
der  Tageszeichen  das  elfte  ist,  ist  in  der  Reihe  der  Gottheiten  der  Tages- 


1)  Das  Tonalamatl  der  Au  bin' sehen  Sammlung.  Comptes  rendus,  VHP'"« 
Session  du  Congres  international  des  Araericanistes.  Berlin  1888.  —  [Diese  Ab- 
handlung ist  in  die  gegenwärtige  Sammlung  nicht  aufgenommen  worden,  weil  sie 
durch  die  Erläuterungen,  die  ich  neuerdings  im  Auftrage  des  Herzogs  von  Loubat 
als  Text  zu  der  von  ihm  veranstalteten  Faksimile-Ausgabe  des  TonalamaWs  der 
Au  bin 'sehen  Sammlung  geschrieben  habe,  überholt  ist.] 


5.   Der  Codex  Borgia.  307 

zeichen  ein  besonderer  Gott  eingeschoben,  dem,  wie  ich  glaube,  der  Name 
Xochipilli  zukommt,  der  das  Ansehen  und  die  Bemalung  des  Sonnengottes 
zeigt,  aber  verbunden  mit  einer  weissen  Zeichnung  um  den  Mund,  die  die 
Gestalt  eines  Schmetterlings  erkennen  lässt,  und  der  in  verwandtschaftlicher 
Beziehung  zu  Macuilxochitl,  dem  Gott  der  Spiele,  zu  stehen  scheint.  Es  fällt 
in  Folge  dessen  die  letzte  Figur  der  anderen  parallelen  Reihe  fort.  Man 
ist  versucht,  als  Grund  für  diese  Abweicliung  anzunehmen,  dass  die  Kalender- 
gelehrten, welche  diese  Reihen  entwarfen,  die  Zweideutigkeit  vermeiden 
wollten,  die  dann  entstehen  würde,  wenn  sowohl  in  der  Reihe  der  Tages- 
zeichen wie  in  der  der  Tonalamatl- Ahschmtte  an  der  einen  Stelle  dasselbe 
Zeichen  und  dieselbe  Gottheit  zusammenkämen.  Es  mag  aber  auch  sein, 
dass  das  letzte  Tageszeichen,  xochül,  „Blume",  die  vorletzte  Gottheit,  Xochi- 
quetzat^  die  Göttin  der  Blumen,  an  sich  zog  und  dadurch  eine  Verschiebung 
bewirkte,  die  in  der  Mitte.  <1.  h.  an  der  elften  Stelle,  durch  die  genannte 
Einschaltung  ihre  Ausgleichung  erhielt^). 

Auf  diese  Tageszeichenreihe  folgt  im  Codex  Borgia  ein  Blatt,  auf 
dem  die  sogenannten  ^.neun  Herren  der  Nacht"  dargestellt  sind.  Es  sind 
das  neun  Gottheiten,  die  in  den  vollständiger  ausgeführten  Tonalamatl  in 
einander  folgenden  Reihen  die  einzelnen  Tage  des  Tonalamatt s,  begleiten. 
Die  Veranlassung  zur  Aufstellung  dieser  Reihe  mag  man  in  einer  Zahlen- 
mystik suclien.  denn  die  Zahl  9  hatte  ohne  Zweifel,  gleich  der  Zahl  7 
und  der  Zahl  13,  bei  den  Mexikanern  eine  geheimnissvolle  Bedeutung. 
Das  Tonalamatl  z.  B.,  das  auf  den  ersten  Blättern  des  Codex  Borgia  dar- 
gestellt ist,  ist  dort  durch  diakritische  Zeichen  in  9x9—7x7  —  9x9 
—  7  X  7  Tage  getheilt.  Es  kann  aber  auch  sein,  dass  die  Zahl  9  aus  den 
vier  um  die  Mitte  geordneten  Kardinalpunkten  und  den  intermediären 
Richtungen  kombinirt  wurde.  Im  Codex  Vaticanus  sind  in  der  That  diese 
neun  Herren  auf  denselben  Blättern  unter  neun  Göttergestalten  zu  sehen, 
von  denen  vier,  den  Himmel  tragend,  die  Hauptrichtungen,  vier  andere, 
dazwischen  gestellte,  die  intermediären  Richtungen  darzustellen  scheinen, 
während  der  neunte,  eine  in  den  Erdrachen  stürzende  Gestalt,  die  Mitte 
oder  die  Richtung  von  oben  nach  unten  zum  Ausdruck  bringt.  Der  in 
der  Reihe    der  neun  Herren    an  fünfter  Stelle    stehende  Todesi^ott  w^ürde 


1)  Entgegen  dem,  was  ich  hier  noch  angenommen  habe,  bin  ich  jetzt  zu  der 
Anschauung  gelangt,  dass  die  7'o7?a/ümö//- Gottheiten  ursprünglich  als  Ver- 
anschaulichungen oder  Verkörperungen  der  Natur  der  Tageszeichen  gedacht  sind, 
und  diese  Reihe  erst  nachtriiglich  'als  Regenten  auch  für  die  zwanzig  Dreizehn- 
heiten  des  TonalamaiV^  verwendet  worden  sind.  Es  hat  also,  wie  ich  jetzt  meine, 
nicht  eine  Einschaltung  an  eilfter  Stelle  stattgefunden,  sondern  umgekehrt,  der 
das  eilfte  Tageszeichen  nvoniotH  repräsentirende  Gott  Xochipilli  ist  hei  der  üeber- 
tragung  der  Reihe  der  Tageszeichen-Regenten  auf  die  zwanzig  Dreizehnheiten  des 
Tonalaniatrs  ausgefallen,  und  man  hat  denn,  zum  Ausgleich,  am  Schluss  der 
Reihe  der  Regenten  des  TonalamatVs  eine  andere  Gottheit,  den  Feuergott,  hin- 
zugefügt. 

20* 


308 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


dann  wohl  als  die  Mitte,  oder  die  Richtung  nach  unten  bezeichnend  an- 
zunehmen sein,  und  um  diesen  herum  würden  die  anderen  entsprechend 
zu  vertheilen  sein*). 

Die  folo-enden  Blätter.  15  bis  17.  des  Codex  Borijia  enthalten  dann 
eine  merkwürdige  Darstellung,  die  —  gleich  der  vorigen  —  nicht  nur  im 
Codex  Vaticanus.  sondern  auch  in  einer  anderen  in  diese  Gruppe  gehören- 
den Handschrift,  dem  Codex  Fejerväry,  sich  wiederholt.  Es  sind  vier 
einander  folgende  Reihen  von  je  fünf  Gottheiten.  Alle,  unzweifelhaft 
wenigstens  die  Glieder  der  ersten  Reihen,  sind  in  priesterlicher  Handlung 
dargestellt.  Die  der  ersten  Reihe  bohren  einer  vor  ihr  stehenden  nackten 
menschlichen  Figur  mit  einem  spitzen  Knochen  das  Auge  aus  (vgl. 
Abb.  5).  Das  ist  ein  bekanntes  Symbol  priesterlicher  Kasteiung.  der 
Blutentziehung    zu  Ehren  der  Gottheit.     Die  Glieder    der  zweiten  Gruppe 


Abb.  .").     Der  Gott  des  Ostens. 


Abb.  6.    Xochtpilli,  der  Gott  der  Lebens- 
mittel und  der  Blumen. 


bringen  mit  einer  Handbewegung,  die  ein  Geben  ausdrückt,  ein  ver- 
kleinertes Abbild  von  sich  dar  (vgl,  Abb.  9,  10,  unten  S.  310).  Das  ist 
ein  unzweifelhaftes  Symbol  des  Menschenopfers.  Wir  wissen  aus  Sahagun. 
dass  man  an  den  verschiedenen  Jahresfesten  jedesmal  das  Abbild  der  Gott- 
heit des  Festes  opferte.  Schwieriger  ist  die  Handlung  zu  deuten,  in  der 
die  Figuren  der  dritten  Reihe  dargestellt  sind.  Man  sieht  sie  einer 
menschlichen  Figur,  die  auf  dem  einen  Blatte  des  Vaticanus  auf  dem  Opfer- 
steine liegend  dargestellt  ist,  einen  gelben,  wellig  begrenzten  Streifen  vom 
Leibe  ziehen,  der  in  Blumen  oder  Schellen  endet  (vgl.  Abb.  6).  Man 
könnte  an  ein  Herausziehen  der  Seele  denken.    So  habe  ich  es  selbst  früher 


1)  Auch  hier  bin  ich  jetzt  zu  anderen  Anschauungen  gelangt.  \Vie  ich  in 
meinem  y^Tonalamatl  der  Au  bin  "sehen  Sammlung",  Berlin  1900,  S.  18—21  und 
25 — 26  näher  begründet  habe,  sind  diese  neun  Gottheiten  als  die  Hüter  der 
neun  Stunden  der  Nacht  aufzufassen,  denen  dreizehn  andere  Gottheiten  als 
die  Hüter  der  dreizehn  Stunden  des  Tages  gegenüberstehen. 


5.    Der  Codex  Borsria. 


30i) 


tn-klärt.  Aber,  da  die  eine  Gottheit  dieser  Reihe  Xipe  Totec  ist  (Abb.  7), 
da  der  Streifen  durch  seine  Farbe,  die  im  Codex  Yaticanus  nicht  nur 
gelb,  sondern  gelb  und  roth  punktirt  gemalt  ist,  und  durcli  die  wellige 
Begrenzung  ganz  an  die  Art  erinnert,  wie  in  den  Bilderschriften  die  ab- 
gezogene Menschenhaut,  in  der  Xipe  einhergeht,  wiedergegeben  wird,  so 
könnte  es  auch  sein,  dass  die  Gottheiten  dieser  Reihe  die  priesterliche 
Handlung  des  Menschenschindens,  das  tlaca,vipeualiztli,  zum  Ausdruck 
bringen  sollen.      Die    vierte  Reihe  bilden  weibliche  Gottheiten,    an  deren 


^^Y>^■>:>^^l^^u\' 


Abb.  7.    Xipe  Totec  „Unser  Herr,  der  Geschundene". 


Abb.  8.     Chalchiuhtlicue,  die  Göttin  des  Wassers. 


Brüsten  nackte  menschliche  Figuren  saugen  (vgl.  Abb.  8).  Das  scheint  mir 
zweifellos  die  priesterliche  Handlung  des  tlatlatlaquaUliztli ,  des  Nährens 
der  Götter  mit  dem  Blute  der  Opfer,  zum  Ausdruck  bringen  zu  sollen. 

Sämmtliche  Figuren  dieser  vier  Reihen  sind  von  je  vier  Tageszeichen 
begleitet,  die  in  der  Ordnung,  wie  sie  in  der  Reihe  der  20  Tageszeichen 
stehen,  einander  folgen.     Das  gibt  zusammefi  4  X  20  oder  80  Tage. 

Diese  80  Tage  haben  weder  mit  dem  Tonalamatl,  noch  mit  dem  Jahre, 
noch  mit    einer    anderen  Periode    unmittelbar  etwas    zu    thun.     Auch  aus 


310 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


mystischen  oder  zahlentheoretischen  Erwäüungen  ist  die  Heraiishebung  der 
Zahl  80  schwer  zu  verstehen.  Die  mittleren,  die  dritten  Glieder  sämmt- 
licher  Reihen,  werden  von  dem  Todesgott  gebildet.  So  kann  man,  wie 
Itei  der  Reihe  der  neun  Herren,  an  eine  Beziehung  zu  den  Himmels- 
richtungen denken.  Eine  solche  liegt  zweifellos  in  gewisser  AVeise  vor. 
Doch  erklärt  sie  nicht  das  Ganze.  Dagegen  sind  die  ersten  der  vier 
Tageszeichen,  die  bei  den  Figuren  stehen,  genau  die  Zeichen,  die  auf  die 
Anfangstage  der  Yenusperioden  fallen,  wenn  man  die  erste  A'enusperiode 
mit    dem  ersten    der  20  Tageszeichen  beginnen    lässt.      Es    sind  die  fünf 

Zeichen: 

cipactli,  Krokodil, 

couatl,  Schlange, 

atl^  Wasser, 

acatl,  Rohr, 

olin,  Bewegung. 


Abb.  9.  MixeoiiatI,  der  Gott  der  Jagd, 
der  mit  dem  Morgenstern  identifizirt 
•wird  und  dessen Gesichtsbemalung  trägt. 


Abb.  10.     TlanizcalpantecKtli,   als  Gott 
des  Abeudsterns. 


Und  zwar  stehen  sie  bei  den  Figuren  dieser  Blätter  genau  in  der  Folge 
wie  sie  auf  die  Aufangstage  der  einander  folgenden  Venusperioden  folgen 
würden.  Erwägt  man,  dass  die  Beobachtung  des  3Iorgensterns  mit  dem 
Kultus  QitetzaIcouatl'&  in  Zusanmieuhang  gebracht  wird,  der  bei  seinem 
Tode  in  den  Morgenstern  sich  verwandelt  haben  soll,  und  dass  dieser  Gott 
als  der  Erfinder  der  priesterlichen  Uebungeu  und  der  priesterlichen 
Wissenschaft  genannt  w4rd,  und  zieht  man  in  Betracht,  dass  wir  auf  diesen 
Blättern  die  vier  priesterlichen  Handlungen  symbolisch  zum  Ausdruck 
gebracht  finden,  und  dass  wir  unter  den  Figuren  nicht  nur  das  Bild  Quetzal- 
couatrs,  sondern  auch  die  Gottheit  des  Planeten  Yenus,  und  zwar  in 
ihren  zwei  Formen,  als  Abend-  und  als  (der  mit  dem  Gotte  der  Jagd 
identifizirte)  Morgenstern,  antreffen  (Abb.  i»  und  10),  so  wird  man  sich  der 
Folgerung  nicht  entziehen  können,  dass  in  der  That  hier  auf  diesen 
Blättern  die  Anfangstage  der  Yenusperioden  haben  dargestellt  werden  sollen, 


5.    Der  Codex  Borgia.  311 

und  es  gewinnen  diese  seltsamen  und  wunderlichen  Darstellungen,  denen 
nuui  rathlos  gegenüberstand,  damit  Sinn  und  Bedeutung. 

Sind  nun  die  Anfangszeiciien  in  den  einzelnen  Abschnitten  dieser 
Blätter  in  der  That  als  Anfangstage  der  Yenusperioden  gedacht,  so  können 
die  anderen  Zeichen  nur  die  Bedeutung  haben,  von  dem  einen  der  Anfangs- 
tage zu  dem  anderen  überzuleiten.  Es  sind  demnach  nicht  80  Tage  hier 
dargestellt,  sondern  20  Venus})erioden,  und  das  ist  ein  Zeitraum,  der  nicht 
nur  vermöge  der  Zahl  20  eine  zusfimmenfassende  Bedeutung  hat,  sondern 
in  den  4x5  Venusperioden  genau  4x8  Sonnenjahren,  das  Sonnenjahr  zu 
StJf)  Tagen  genommen,  gleich  ist. 

Das  Tonalamatl,  die  20  Tageszeichen,  die  neun  Herren  und  die  Venus- 
periode, die  sind  also  zunächst  nach  einander  auf  diesen  ersten  Blättern 
des  Codex  Borgia  zum  Ausdruck  gebracht.  Auf  Blatt  17  blieb  noch  ein 
Kaum,  der  ist  mit  einer  grossen  Figur  des  Gottes  Tezcaüipoca  ausgefüllt, 
dessen  verschiedenen  Körpertlieilen  und  Trachtbestandtheilen  —  eine 
häufige  Zusammenstellung  —  die  20  Tageszeichen  eingeschrieben  sind. 
Im  Uebrigen  konnte  nunmehr  zu  einer  näheren  Ausführung  des  auf  den 
Anfangsblättern  Vorgeführten  oder  zu  anderen  Darstellungen  geschritten 
werden. 

Es  folgen  zunächst  vier  grosse,  prächtig  gezeichnete  Blätter,  die  sich 
in  je  zwei,  augenscheinlich  zusammengehörige  Darstellungen,  eine  untere 
and  eine  obere,  gliedern,  die  aber  durch  die  beigeschriebenen  Tageszeichen 
in  der  Weise  mit  einander  verbunden  sind,  dass  der  Fortgang  in  der  unteren 
Reihe  der  Folge  der  Codex-Blätter  entsprechend,  in  der  oberen  rückläufig 
ist,  und  dass  die  Gesammtheit  der  Tageszeichen  und  der  durch  Kreise  an- 
gegebenen Differenzzahlen  genau  ein  in  fünfgliedrige  Kolumnen  geordnetes 
Tonalamatl  ergeben.  Wir  haben  also  anscheinend  weiter  nichts  als  ein 
viergetheiltes  Tonalamatl.  Auf  dem  ersten  Blatte  sieht  man  unten  den 
Sonnengott,  mit  Räucherlöffel  und  Räucherwerk;  oben  in  vom  Mond  er- 
hellter Nacht  den  Todesgott  und  die  Todesgöttin.  Auf  dem  zweiten  Blatte 
ist  oben  die  Gottheit  des  Abendsterns,  unten  Quetzalcouatl  und  der  Abend- 
stern einander  gegenüberstehend  dargestellt  (Abb.  11,  S.  312).  Das  dritte 
Blatt  zeigt  uns  unten  die  Wassergöttin,  oben  den  Regengott.  Das  vierte 
Blatt,  unten  und  oben,  den  schwarzen  und  den  rothen  Tezcatlipoca.  Die 
untere  Hälfte  dieses  Blattes  habe  ich  hier  in  der  Abb.  12,  S.  313  wieder- 
gegeben. In  den  anderen  Handschriften  ist  für  diese  vier  Blätter  keine 
Parallele  vorhanden. 

Auf  Blatt  22  ist  ein  todter  weisser  Hirsch  und  ein  lebender,  aber 
vom  Speer  durchbohrter  brauner  Hirsch  dargestellt.  Bei  dem  ersteren  ist 
durch  Tageszeichen  und  Differenzzahlen  das  erste  Tonalamatlviertel,  bei 
dem  letzteren  das  zweite  Viertel  des  aus  fünfgliederigen  Säulen  aufgebauten 
Tonalamatl's  zum  Ausdruck  sebracht.  Im  Codex  Vaticanus  stehen  diese 
beiden  Hirsche    vor    den  Reihen  der  fünf  Ciuateteö    und    der  fünf  Macuil- 


31-J 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


jcochitl,  die,  wie  ich  unten  noch  zu  erwähnen  haben  werde,  das  dritte  und 
das  vierte  Viertel  des  in  derselben  Weise  angeordneten  TonalanmtV^ 
repräsentiren. 


Auf  diese  Reihe  folgt  im  Codex  Borgia  eine  zweite  Keihe  von  zwanzig, 
den  zwanzig  Tageszeichen  zugeschriebenen  Gottheiten,  die  au<  anderen 
Elementen  zusammengesetzt  ist  wie  die  vorhin  besprochene  Tageszeichen- 


5.    Der  Codex  Borgia. 


313 


reihe.  Diese  Reihe  fängt  nicht  mit  Tonacatecutli,  dem  Herrn  der  Lebens- 
mittel, sondern  mit  einer  Gottlieit  an,  die  mit  dem  Schmuck  und  den 
priesterlichen  Attributen  QuetzalcouaÜ\  ausgerüstet  ist  und  auf  einem  cipactli- 


Rachen  stehend,  dem  Wasser  entströmt,  dargestellt  ist  (Abb.  13,  S.  314). 
Ich  habe  diese  Gottheit  früher  für  ident  mit  Quetzalcouatl  gehalten,  sie 
unterscheidet    sich    aber  von   diesem  CJotte    durch    die    blaue  Körperfarbe 


314 


Zweiter  Abschnitt:    Bildei-scliriltcn. 


iintl  die  halli  blaue,  halb  rothe  (Tesichtsbemalung-.  In  meiner  Erläuterung- 
des  Codex  Fejerviiry-Mayer  habe  ich  es  näher  begründet^),  dass  diese 
(rottheit  mit  Xolotl,  dem  Gotte  des  Ballspiels  und  der  Zwillinge  zu  identi- 
tiziren  ist.  Tritt  also  schon  in  diesem  Anfangsgliede  der  Reihe  eine  starke 
Differenz  zu  Tage,  so  sind  auch  bei  den  übrigen  Zeichen  beträchliche 
Abweichungen  zu  konstatiren.  Nur  an  einigen  Stellen  berühren  sich  die 
beiden  Reihen.  So  an  der  elften,  bei  dem  Zeichen  ocomatli^  „Affe",  bei 
dem  in  dieser  Reihe  der  Gott  der  Musik  dargestellt  ist.  In  den  anderen 
Handschriften  hat  diese  Reihe  keine  Parallele. 

Auf  den  folgenden  beiden  Blättern  haben  wir  wieder  Darstellungen, 
bei  denen  der  Zusammenhang  mit  der  Yenusperiode  klar  vorliegt.  Auf 
Blatt  2')  sind,    an    die  vier  Ecken  vertheilt,    vier    grosse  Götterfiguren  zu 


.\bb.  13.    Xolotl,  Regent  des  ersten  Tageszeichens  cipadli. 


sehen.  Die  20  Tageszeichen  sind  ihnen  beigeschrieben,  aber  so,  dass 
dadurch  ein  bestimmter  Drehungssinn  (entgegengesetzt  ••der  Bewegung  des 
Uhrzeigers)  vorgeschrieben  ist.  Das  Tageszeichen  olin,  „Bewegung",  aber 
ist  gross  und  mit  der  Ziffer  „zehn"  versehen  in  die  Mitte  des  Blattes  ge- 
stellt. Dass  es  sich  auf  diesem  Blatte  um  die  Venusperiode  handelt,  er- 
gibt sich  aus  der  Natur  des  Datums,  das  die  Mitte  des  Blattes  einnimmt. 
Auf  dieses  Datum  matlactli  olin,  „zehn  Bewegung",  fällt  nämlich  der  An- 
fangstag der  fünften  Yenusperiode,  wenn  man  die  erste  mit  1.  cipactU  be- 
ginnen lässt.  Es  machön  diese  fünf  Yenusperioden  gerade  einen  Zeit- 
raum von  acht  Jahren  aus,  und  es  würde  danach  die  neue,  sechste 
Venusperiode  wieder  mit  einem  Tage  cipactli  beginnen.  Die  Götter- 
figuren,   die  in   den  vier  Ecken  abgebildet  sind,    sind   somit  entweder  al» 


1)  Berlin  1901.     S.  51,  154,  155. 


5.    Der  Codex  Borgia. 


315 


die  nach  den  vier  Himmelsrichtungen  vertheilten  Regenten  dieses  Zeit- 
raumes von  fünf  Venusperioden  oder  acht  Jahren  anzusehen,  oder,  was 
vielleicht  wahrscheinlicher  ist,  als  die  Repräsentanten  der  vier  ersten 
Venusperiodeu,  die  sich,  nach  den  vier  Himmelsrichtungen  vertheilt,  um 
das  Zentrum,  die  fünfte  Periode,  ordnen,  die,  in  der  Mitte  des  Blattes,  nur 
durch  das  Anfangsdatum  „zehn  Bewegung"  gekennzeichnet  ist.  Das 
Anfangstageszeichen  cipactli  steht  bei  der  Gottheit,  die  in  der  rechten 
oberen  Ecke  des  Blattes  dargestellt  ist.  Diese  würden  wir  demnach  als 
Repräsentanten  der  ersten,  mit  1  cipactli  beginnenden  Venusperiode  und 
zugleich  der  Region  des  Ostens  anzusehen  haben.     Es    ist    ein,    nach   Art 


Abb.  14.     Gott  des  Ostens,  Repräsentant  der  ersten  Venusperiode. 

der  Pulquegötter,  durch  halb  schwarze,  halb  rothe  Gesichtsbemalung  aus- 
gezeichneter Gott,  von  wildem,  thierischem  Ansehen,  der  ein  Bündel  Steiu- 
messer  und  eine  Schlange  im  Munde  führt  (Abb.  14).  Ich  habe  diesen 
Gott  früher  mit  TepeyolloÜ  identifizirt.  Das  ist  mir  neuerdings  zweifelhaft 
geworden.  Dagegen  ist  er  sicher  mit  dem  chicome  couatl  der  Wiener  Bilder- 
handschrift^)  in  Verbindung  zu  bringen.  Als  Repräsentant  der  zweiten,  mit 
l;-}  couatl  (Schlange)  beginnenden  Periode,  und  gleichzeitig  des  Nordens, 
würde  dann  der  in  der  linken  oberen  Ecke  dargestellte  Gott  Abb.  15,  S.  316 
anzusehen  sein.    Das  ist  ein  Gott,  der  in  wesentlichen  Merkmalen,  —  in  der 


1)  Bilderhandschrift  der  K.  K.  Hofbibliothek  in  Wien  (Kingsborough  Vol.  II}, 
Tafel  2,  5,  33. 


316 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


weisseil,  rothgestreifteu  Körperbemaluug.  der  schwarzeu  halbmaskeuartigeu 
Bemalung  um  das  Auge  und  den  zwei  über  der  Stirn  aufzüngeluden 
Locken  —  mit  Tlauizcalpan  teciitli,  der  Gottheit  des  Morgensterns  über- 
einstimmt, aber  durch  die  Perrücke  von  Dauiienfedern  und  das  azta.velli, 
AevL  gabelförmigen  Federschmuck,  den  er  auf  dem  Scheitel  trägt,  und  der 
<las  Abzeichen  der  Krieger  und  kriegerischen  Götter  ist,  von  ihm  sich 
unterscheidet.  Es  ist  Alivcouatl,  der  Jagdgott,  der  überall  als  eine  Form 
der  Gottheit  des  Morgensterns  aufgefasst  worden  zu  sein  scheint,  für  den 
aber  der  Norden,  die  von  Jägerstämnieu  durchstreiften  Steppen,  das  ihm 
von  Xatur  zukommende  Gebiet  ist.  Als  Repräsentant  der  dritten,  mit 
12  atl  (AVasser)  beginnenden  Yenusperiode  und  des  Westens  würde  dar- 
nach   der    in    der    linken  unteren  Ecke  des  Blattes  dargestellte  Xi'pe  Tofec 


Abb.  1.1.     Mijcoiattl,  dt^r  Gott  der  Jagd  und  des  Nordens. 
Repräsentant  der  zweiten  Venusperiode. 


^imser  Herr  der  Geschundene'',  erklärt  werden  müssen.  Das  ist  ein  Gott  der 
Erde.  Der  Westen,  wo  die  Sonne  in  die  Erde  hineingeht,  wurde  immer  als 
die  Heimath  der  Erdgottheiten  angesehen,  die  allerdings  sonst  in  der  Regel 
weiblich  gedacht  sind.  Es  bleibt  endlich,  als  Repräsentant  der  vierten,  mit 
LI  acad  (Rohr)  beginnenden  Periode  und  des  Südens  in  der  rechten  unteren 
Ecke,  der  Regengott  Tlaloc.  Dass  dieser  hier  mit  der  Himmelsrichtung  des 
Südens  in  Zusammenhang  gebracht  wird,  hat  seinen  Grund  verniuthlich 
darin,  dass  der  Regengott  in  den  Bilderschriften  vielfach  nicht  den  eigent- 
lichen Regen-.  Gewitter-  und  Berggott,  den  die  Erde  befruchtenden  Regen, 
sondern  den  flequiauitl,  den  Feuerregen,  veranschaulicht.  Das  Sinnbild 
einer  der  vier  prähistorischen  Weltperioden,  die  in  der  That  von  der 
Tradition  einfach  als  Quiauhtonatiuh  „Regeiisonne"  bezeichnet  wird.  (Vgl. 
hierüber  ..Tonalamatl  der  Aubin"schen  Sammlung".  Berlin  1900,  S.  114). 


5.    Der  Codex  Borgia.  317 

Der  Repräsentant  der  fünften  Himmelsrichtung  und  der  fünften  Venus- 
periode ist,  wie  ich  oben  schon  angegeben,  einfach  durch  das  Anfangs- 
datum, matlactli  olin,  bezeichnet.  Dass  für  die  Region  der  Mitte,  die 
Richtung  nach  unten  und  die  fünfte  Periode  gerade  ein  Tag,  oli7i, 
„Bewegung",  als  Anfangstag  zu  verzeichnen  ist,  hatte  für  jene  alten 
Spekulanten  jedenfalls  tiefe  Bedeutung,  denn  olin  war  auch  Name,  Symbol 
und  Hieroglyphe  für  die  Erdbeben. 

Das  Blatt  25  erklärt  auch  das  folgende  Blatt  "26,  deim  letzteres  ist 
gewissermassen  eine  Kopie  des  ersteren,  aber  ins  Todte  übersetzt. 
Wiederum  haben  wir,  nicht  an  die  vier  Ecken,  aber  an  die  vier  Seiten 
vertheilt,  vier  Götterfiguren,  wir  haben  die  Tageszeichen  ebenfalls  in  der 
Weise  diesen  Figuren  beigeschrieben,  dass  dadurch  ein  bestimmter  Drehungs- 
sinn (entgegengesetzt  der  Bewegung  des  Uhrzeigers)  vorgeschrieben  wird, 
und  wir  haben  in  der  Mitte  des  Blattes  ein  grosses  Zeichen,  das  dem 
matlactli  olin  des  Blattes  25  entsprechen  würde.  Aber  die  Götterfiguren 
sind  nicht  lebend  und  in  Aktion,  sondern  als  in  Decken  gehüllte,  um- 
schnürte Leichen,  als  Mumienbündel  dargestellt,  der  Turnus  der  Tages- 
zeichen weist  auf  kein  bestimmtes  Datum  hin,  und  das  Zeichen  in  der 
Mitte  ist  ein  Todtenschädel  mit  vier  nach  den  vier  Ecken  des  Blattes 
strahlenden  Todtengebeinen. 

Das  Anfangstageszeichen,  cipactli,  steht  hier  bei  der  an  der  rechten 
Seite  des  Blattes  dargestellten  Gestalt,  dem  Mumienbündel,  das  mit  der 
Gesichtsbemalung  und  dem  Schmuck  und  den  Abzeichen  der  Wasser- 
göttin Chalchiuhticue  abgebildet  ist,  das  also  liier  den  Osten  bezeichnen 
würde.  Darauf  folgt,  als  den  Norden  bezeichnend,  ein  Mumienbündel. 
das  die  Bemalung  und  die  Maske  des  Jagdgottes  Mixcouatl  trägt.  Im 
Westen  sehen  wir  ein  Mumienbündel,  das  mit  der  Maske  und  den  Ab- 
zeichen des  Gottes  mit  der  Schmetterlingszeichnung  um  den  Mund  ver- 
sehen ist,  —  des  oben  von  mir  bei  der  Tageszeichenreihe  erwähnten 
Gottes,  der  zu  Macuil  xochitl  in  verwandtschaftliche  Beziehung  zu  setzen 
ist,  der  ein  Gott  der  Lebensmittel  ist,  und  bald  als  Xochipilli  „Blumen- 
prinz", bald  auch  als  Cinteotl  „Maisgott"  bezeichnet  wird.  In  der  vierten 
Himmelsrichtung  endlich,  dem  Süden,  trägt  das  Mumienbündel  die  Maske 
eines  Gottes,  der  ganz  schwarz  im  Gesicht  gemalt  ist,  aber  mit  dieser 
schwarzen  Gesichtsbemalung  eine  feuerfarbene  Perrücke  verbindet.  Das 
soll  wohl  den  zu  den  Todten  hinabgegangenen  Sonnengott  be- 
zeichnen. So  haben  wir  hier,  zum  Tlieil  durch  gleiche  (im  Norden),  zum 
Theil  durch  andere  Göttergestalten  die  vier  Haupthinimelsrichtungen  und 
durch  den  Schädel  in  der  Mitte  mit  den  vier  ausstrahlenden  Todtenbeinen 
die  fünfte  Himmelsrichtung  zur  Anschauung  gebracht. 

Man  kann  sich  vorstellen,  dass  dies  Blatt  die  in  ihrer  Dauer  schwerer 
genau  zu  bestimmenden  Zeiten  angeben  soll,  wo  während  der  unteren  un<l 
oberen  Konjunktion  der  Planet  Venus  unsichtbar  wird. 


318 


Zweitor  Abschnitt:    Bilderschriften. 


Aehnlicli  wie  das  2').  und  '26.  Blatt,  sind  auch  die  folgenden  beiden 
Blätter  27  und  28  Paralleldarstellungen.  Für  das  Blatt  27  habe  ich  schon 
in  früheren  Aufsätzen  (vgl.  oben  8.  143,  144)  Erklärungen  gegeben.*  Es 
sind  die  vier  Viertel  des  To7ialcnnati\  und  die  vier  Viertel  der  .32jährigen 
Periode  den  vier  Himmelsrichtungen  entsprechend  angeordnet  und  in  ihrer 
fiugurischen  Bedeutung  zur  Anschauung  gebracht.  Die  vier  Viertel  der 
52jährigen  Periode  sind  dabei  durch  ihre  Anfangsjahre  (bezw.  Anfangs- 
tage ihrer  Anfangsjahre),  die  vier  Viertel  des  Tonalamatl  durch  ihre  An- 
fangstage bezeichnet,  und  zwar  durch  die  Anfangstage  der  wirklichen 
Tbna/awa^/- Viertel,  nicht  der  vier  Abschnitte,  die  sich  bei  der  Anordnung 
des  Tonalamatl  in  Säuleu  von  je  fünf  Zeichen  ergeben.  Die  augurisclie 
Bedeutung  ist  durch  je  eine  TZa/of-Figur  veranschaulicht,  die  Schlange  und 
Beil  (Blitz  und  Donner)  in  der  einen,  einen  Wasserkrug  in  der  anderen 
Hand  hält  und  je  nach  der  Himmelsrichtung  verschieden  —  schwarz,  gelb, 
blau  und  rotli  —  gefärbt  ist.  Die  Jahre  und  Tage,  die  dem  ersten  Viertel 
und  dem  Osten  angehören,  werden  als  fruchtbare  angeführt.  Für  die  dem 
Norden  angehörigen  Jahre  und  Tage  des  zweiten  Viertels  wird  Dürre  und 
Misswachs,  für  die  des  dritten  Viertels  und  den  Westen  Ueberfülle  von 
AVasser  und  Ueberschwemmungen,  für  das  vierte  Viertel,  den  Süden, 
wiederum  Dürre  und  Absterben  der  Maiskolben  verkündet.  Eine  fünfte 
r/aZoc-Figur,  die  weiss-  und  rothgestreift  ist,  ist  in  der  Mitte  unter  einem 
von  einer  hellen  Sonne  erleuchteten  Nachthimmel  gezeichnet.  Die  fünfte 
Kegion,  die  Mitte  oder  die  Richtung  nach  unten  und  oben,  ist  durch 
diesen  fünften  Tlaloc  veranschaulicht;  ihr  gehören  aber  natürlich  keine 
Jahre  und  auch  keine   TowaZaw?«^/- Abschnitte  au. 

Das  Blatt  28  entspricht  in  seiner  Anordnung  ganz  dem  eben  be- 
sprochenen, und  fünf  T/a/oc- Figuren  sind  auch  auf  ihm  dargestellt,  die 
nur  etwas  anders  gefärbt  sind,  —  mit  dem  Osten  beginnend:  schwarz, 
weiss  und  roth  gestreift,  gelb,  wieder  schwarz  und  endlich  roth.  Aber  es 
sind  nicht  die  Tonalamatl-  und  die  Jahresabsclinitte,  die  daneben  durch 
die  Hieroglyphen  angezeigt  sind,  sondern  fünf  auf  einander  folgende  Jahre. 
Und  neben  den  Hieroglyphen  der  Jahre  sind  je  zwei  Tagesdaten  an- 
gegeben, die  leider  an  dem  unteren  Rande  des  Blattes  schon  ziemlich  ver- 
wischt und  abgerieben  sind.  Man  kann  mehr  oder  minder  sicher  folgende 
erkennen: 

Tag  4.    olin  (Bewegung) 
„     5.    cipactli  (Kroko- 
dil) 

„      9.    atl  (Wasser) 
„    [5.]  atl  (Wasser) 


Jahr  1.  acatl  (Rohr) 
„      2.  tecpatl     (Feuer- 
stein) 
„      3.  calli  (Haus) 
„     4.  tochtli     (Kanin- 
chen) 
.„      5.  acatl  (Rohr) 


?  ? 

10.    quiauitl  (Regen) 


7.    couatl  (Schlange) 
[13.]  couatl  (Schlange) 


1.    atl  (Wasser)  13.    ma^atl  (Hirsch). 


ö.    Der  Codex  Borg'ia. 


311) 


Ich  habe  die  Abstände  dieser  Daten  ansznrechnen  versucht.  Eine 
solche  Rechnung  ist  mit  einer  gewissen  Unsicherheit  behaftet,  nicht  nur 
wegen  der  verwischten  Zeichen,  sondern  auch,  weil  eine  grosse  Zahl  dieser 
Daten  in  demselben  Jahre  zweimal  vorkonmit.  Ich  habe  denn  auch  für 
die  sänimtlichen  Daten  bisher  kein  Gesetz  ausfindig  machen  können. 
Aber  zwischen  dem  Anfang  und  dem  Ende,  d.  h.  von  dem  Tage  4  olin  im 
ersten  Jahre  bis  zum  Tage  1  atl  im  fünften  Jahre  ist  ein  Abstand  von 
175"J  oder  genau  3  X  584  Tagen  vorhanden.  Das  heisst,  es  «sind  auf  diesem 
Blatte  drei  Venusperioden  angegeben,  die  sich  in  der  That  nahezu,  d.  h. 
mit  einer  Differenz  von  73  Tagen,  in  den  Zeitraum  von  fünf  Jahren  fügen. 
Die  augurische  Bedeutung  dei-  fünf  .lalire  oder  der  drei  Venusperioden 
scheint  auf  dem  Blatte  zunäclist  durch  die  Figur  einer  Erdgöttin  veran- 
schaulicht, die  in  jeder  Abtheilung  unter  dem  Bilde  des  Regengottes 
knieeud  dargestellt  ist.      Nächstdem    durch    das   Wasser,    das    dem   Kruue 


Abb.  IG.     Tezcatllpocu  (in  der  Maske  des  Windgotts)  uud  (^ncfzalcoKatl 
auf  dem  Wege  zur  Unterwelt. 


des  Regengottes  und  seiner  Blitzschlange  entströmt,  und  das  bald  mit 
Steinmessern,  bald  mit  punktirten  Augenfleckeu,  mit  Feuerzungen,  Wind- 
figuren und  Blumen  besetzt  ist. 

An  diese  beiden  Blätter  schliessen  sich  dann  eine  Reihe  komplizirter 
Darstellungen,  die  das  Ende  der  einen  Seite  des  Handschriftstreifens  und 
den  Anfang  der  Kehrseite,  die  Blätter  29  bis  46,  füllen,  auf  deren  Einzel- 
deutung ich  aber  verzichten  muss.  Quetzalcouatl-Fi^uren  spielen  auf  ihnen 
eine  grosse  Rolle,  daneben  Tezcatlipoca-MacuiLvocInfl-Xolotl,  Tla^olteotl  und 
ein  Gott  mit  eingesetztem  Thierrachen,  der  in  dem  ersten  Theile  der 
Wiener  Handschrift  als  Chicome  olin^  „sieben  Bewegung",  bezeichnet  ist. 
Eine  markante^Ötelle  in  den  Darstellungen  scheint  mir  Blatt  35  zu  sein, 
wo  Quetzalcouatl  von  einem  Adler  getragen  und  begleitet  von  Tezcatlipoca, 
der  aber  die  Vogelschnabelmaske  QuetzalcouatVs  trägt,  vor  einer  in  nächt- 
lichem Hause  thronenden  Gottheit  erscheint  und  dann,  wiederum  begleitet 


3-20 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


oder  geführt  von  Tezcatlipoca^  auf  einem  blauen  Pfade  abwärts  steigt 
(Abb.  16,  S.  319),  in  einer  nächtlichen  Einfassung,  dort  andere  Häuser  und 
grause  Gestalten  passirend.  Und  weiter  Blatt  4i\  wo  Quetzalcouatl  als 
Priester  vor  Tezcatlipoca  sein  Abbild  opfert  (Abb.  17)^  worauf  es  über  einen 
Kreuzweg  wieder  zu  lichten,  von  Sonnenstrahlen  und  Maiskolben  gebildeten 
Einfassungen  geht.  Und  endlich  Blatt  45,  wo  auf  einer  von  sechs  Schädeln 
gebildeten  Unterlage,  vor  einem  mit  Fahnen  besteckten  Baume  die  Gottheit 
des  Morgensterns  kniet.  Ich  glaube  in  der  That,  dass  Sagen  über  die 
"Wanderung  der  Gottheit  durch  das  unterweltliche  Reich  der  Nacht  und 
Einsterniss,  etwa  ähnlich  denen,  die  in  breiter  Ausführung  in  der  Qu'iche- 
Tradition  des  Popol  Fuk's  erhalten  sind,  auf  diesen  Blättern  dargestellt 
sind,  und  dass  der  Ausgaugspunkt  dieser  Sagen  das  Verschwinden  oder  die 
Unsichtbarkeit  des  leuchtenden  Gestirnes  der  Venus  zur  Zeit  seiner  Kon- 
junktion mit  der  Sonne  war. 


Abb.  17.     Quetzalcouatl,  auf  dem  chalch/uhtcpetl,  vor  Tezcotltpoca 
sein  Abbild  opfernd. 


Mit  dem  Blatte  47  beginnen  dann  wieder  einfachere  und  leichter  ver- 
ständliche Darstellungen.  Blatt  47  und  48  zeigen  uns  in  der  Mitte  eine 
Reihe  von  fünf  weiblichen  Gestalten  (Abb.  18)  und  oben  eine  Reihe  von 
fünf  männlichen  Gestalten  (Abb.  19);  beide  Reihen  Wiederholungen  der- 
selben Figur,  aber  verschieden  —  weiss  und  roth  gestreift,  blau,  gelb, 
roth,  schwarz  —  gemalt  und  mit  wechselndem  Beiwerk.  Neben  jeder  Figur 
sind  13  auf  einander  folgende  Tage  durch  das  erste,  fünfte  und  dreizehnte 
Zeichen  und  Differenzpunkte  zur  Anschauung  gebracht.  Und  zwar  stehen 
bei  den  weiblichen  Gestalten  die  mit  1  macatl  (Hirsch),  1  quiauitl  (Regen), 
1  ogomatli  (Affe),  1  calli  (Haus),  1  quauhtU  (Adler)  beginnenden  Tage, 
die  zusammen  das  dritte  Viertel  des  in  fünfgliedrige  Säulen  angeordneten 
TonalamatVs,  darstellen.  Bei  den  männlichen  Gestalten,  die  mit  1  xochitl 
(Blume),  1  malinalli  (Grasstrick),  1  cuetzpalin  (Eidechse),  1  cozcaquauhtli 
(Geier),  1  tochtli  (Kaninchen)  beginnenden  Tage,  die  zusammen  das  vierte 


').   Der  Codex  Borgia. 


321 


Viertel  des  in  der  genaiiuteii  Weise  aDgeordueteu  TonalamatVs  ausmachen. 
Dieselben  zwei  Figurenreihen,  begleitet  von  denselben  Zeichen,  sind  auch 
im  Codex  Yatieanus  dargestellt.  Aber  hier  im  Codex  Borgia  ist  vor  der 
Keihe  der  weiblichen  Gestalten  noch  eine  aus  einem  chalchiutl  heraus- 
tretende, von  Schlangen  umgebene  weibliche  Gestalt  in  blauem  Felde  ge- 
zeichnet, und  um  sie  herum  die  mit  der  Ziffer  13  versehenen  Tage,  die  vor  den 
genannten  Anfangstagen  ]  ma^atl  u.  s.  w.  stehen.  Yor  der  Reihe  der 
männlichen  Gestalten  ist  eine  gleiche  männliche  Gestalt,  aus  einem  Stein- 
messer heraustretend,  in  schwarzem  Felde  gezeichnet.  Um  sie  herum  aber  die 
mit  der  Ziffer  4  versehenen  Tage,  die  vor  den  fünften  Tagen  der  mit 
1  xochiü  u.  s.  w.  beginnenden  Reihen  stehen,  zum  Zeichen,  dass  für  diese 
fünf  männlichen  Gestalten  nicht  die  Anfangstage  1  xochitl  u.  s.  w.,  sondern 


Abb.  18.    CiKuteotl,  Regentin  des 

(dem  Westen  angehörenden) 
Zeichens  ce  viacatl  -eins  Hirsch". 


Abb.   19.      Macu/'l   ruftzpalhi,    Regent 

des  (dem  Süden  angehörenden)  Zeichens 

ce  xochitl  „eins  Blume". 


die  fünften  Tage,  .3  cuetzpahn  (Eidechse),  5  cozcaquauhtli  (Geier),  5  tochtli 
(Kaninchen),  5  xochitl  (Blume),  5  malinalli  (Grasstrick)  bezeichnend  sein 
sollen.  Was  die  weiblichen  Gestalten  betrifft,  so  habe  ich  schon  in  meiner 
ersten  Mittheiluug  über  die  Bilderschriften  der  Codex  Borgia-Gruppe  (oben 
S.  141)  darauf  hingewiesen,  dass  die  Zeichen,  die  hier  neben  ihnen  abgebildet 
sind,  genau  die  Tage  darstellen,  an  denen  nach  dem  vierten  Buche  Sahagun  s 
die  Ciuateteo  oder  Ciuapipiltin,  die  gespenstischen  Weiber,  die  im  Westen 
hausen,  die  Seeleu  der  im  Kindbett  gestorbenen  Frauen,  zur  Erde  herab- 
kommen, die  wir  also  wohl  in  diesen  weiblichen  Gestalten  der  Hand- 
schrift zu  erkennen  haben.  Eine  weitere  Bestätigung  für  diese  Annahme 
ergibt  sich  daraus,  dass  von  diesen  Ciuateteo  in  der  That  gesagt  wird,  dass 
es  fünf  von  ihnen  gegeben  habe.  Für  die  Reihe  der  männlichen  Gestalten 
werden  auf  dem  vorliegenden  Blatte  des  Codex  Borgia  die  fünften  Zeichen 
der  Tagereihen  als  massgebend  bezeichnet,  d.  h.  wir  haben  Macuil  cuetz- 
palin  („fünf  Eidechse"),    Macuil  cozcaquauhtli  (fünf  Geier),    Macuil  tochtli 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  21 


3-22  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

(fünf  Kaniucheu).  Macuil  u-ochitl  (fünf  Blume).  Macuil  malinalli  (fünf  Gras- 
strick)  als  ihre  Namen  anzusehen.  In  der  That  sind  das  vielgenannte 
Namen  von  Gottheiten.  Der  bekannteste  ist  Macuil  .wchitl,  der  Gott  des 
Spieles,  der  auch  AuiateotU  Gott  der  Lustbarkeit,  heisst.  '  Macuil  tochtU 
wird  in  der  Sahagun-Handschrift  als  ein  Pulquegott  abgebildet.  Und  alle 
diese,  mit  einem  Datum  „fünf^  bezeichneten  Götter  haben  in  der 
Sahagun-Handschrift  die  Zeichnung  einer  weissen  Hand  um  den  Mund, 
die  ja  auch  in  den  Figuren  dieses  Codex  Borgia -Blattes  klar  und 
deutlich  angegeben  ist.  Zu  bemerken  ist  nur  noch,  dass  die  Figur,  die 
am  Anfange  dieser  Reihe  aus  dem  Steinmesser  hervortretend  zu  sehen 
ist,  zwar  im  Uebrigen  die  gleiche  Bemalung  und  das  gleiche  Ansehen  wie 
<lie  anderen  hat.  aber  mit  herausquellenden  Augen  und  verkrümmten  Glied- 
niassen  dargestellt  ist.  Genau  gleich  dem  XoIotL  dem  Gotte  der  Miss- 
geburten,  der  Tageszeichenreihe. 

Wenn  demnach  die  Bedeutung  der  auf  diesen  Blättern  dargestellten 
Figm'eureihen  durchaus  sicher  ist.  so  muss  mau  sich  doch  fragen,  was 
haben  sie  hier  für  eine  Stelle,  warum  sind  gerade  die  hier  verzeichneten 
Tage  die  Zeichen,  au  denen  die  Ciuateteo  vom  Himmel  herabkommen, 
und  warum  werden  diese  überhaupt  in  der  Zahl  von  fünf  gedacht.  Ich 
glaube,  dass  man  den  Ausgangspunkt  für  diese  Darstellungen  und  die  an 
sie  sich  knüpfende  augurische  Bedeutung  der  dargestellten  Tage  in  den 
Beziehungen  suchen  muss,  die  die  Abschnitte  des  Tonalamatl  mit  den 
Himmelsrichtungen  verknüpfen.  Die  Ciuateteo^  die  Seelen  der  im  Kindbett 
gestorbenen  Frauen,  waren  das  Gegenstück  zu  den  tonatiuh  iixco  yaque^ 
den  todten  Ivi'iegern,  die  in  der  Schlacht  oder  auf  dem  Opfersteine  ihr 
Leben  gelassen  hatten.  Die  letzteren  hatten  in  dem  Osthimmel  ihren 
^Yolmsitz.  Die  Ciuateteo  wohnten  im  Westen,  der  nach  ihnen  geradezu 
als  ciuatlampa.  „Region  der  Weiber'",  bezeichnet  wird.  Weil  nun  der 
dritte  Abschnitt  des  in  fünfgliederige  Säulen  geordneten  TonalamatVs  dem 
Westen  zugeschrieben  wurde,  so  mussteu  in  ihm  die  Ciuateteu  mächtig 
sein,  und  da  dieser  Abschnitt  fünf  verschiedene  Reihen  von  je  13  Tagen 
umschliesst,  so  mussten  auch  die  Ciuatete  >  in  der  Zahl  von  fünf  vorhanden 
sein.  Yon  dem  Gotte  Macuil  xochitl  und  seinen  Genossen  werden  wir  in 
gleicher  Weise  anzunehmen  haben,  dass  ihr  Wohnsitz  im  Süden  gedacht 
\vurde.  In  der  That  ist  Macuil  xochitl  der  Gott  des  .rochilhuith  des  Blumen- 
festes. Es  wurde  an  den  Tagen  chicome  j-ochitl,  „sieben  Blume"  imd  Ce 
xockitl,  .,eins  Blume",  gefeiert.  Und  ainilpampa  .vochitlampa,  „Region  der 
bewässerten  Aecker.  Region  der  Blumen",  ist  einer  der  Namen,  mit  denen 
die  Mexikaner  den  Süden  bezeichneten.  Ich  habe  oben  schon  erwähnt, 
dass  im  Codex  Vaticanus  die  Reihen  der  Ciuatete''  und  Macuil  .i-ochitVi> 
und  seiner  Genossen  nach  den  Figuren  des  todten  weissen  und  des  vom 
Speer  getroffenen  braunen  Hirsches  abgebildet  sind,  die  durch  die  bei- 
geschriebenen Zeichen  als  Abbilder  des  ersten  und  des  zweiten  Tonalamatl- 


5.    Der  Codex  Borgia.  323 

Abschnittes,    bezw.  der  Himmelsrichtungen  Osten   und  Norden  bezeichnet 
werden. 

Ist  nun  dies  die  richtige  Erklärung  für  die  Darstellungen  der  Blätter 
47  und  48,  so  schliessen  sich  jetzt  ganz  natürlich  die  folgenden  vier  bis 
fünf  Blätter    ihnen    an.      Denn    auf   ihnen    haben    wir  Darstellunoon    <ler 


Abb.  20.    Baum  des  Ostens.     Codex  Borgia  49  (=  Kingsborough  6G^. 


Abb.  21.    Baum  des  Nordens.     Codex  Borgia  50  (=  Kingsborough  G5), 

sänimtlichen  Himmelsriclituiigen  oder  Regionen.  In  der  oberen  Hälfte  von 
Blatt  49  bis  52  sehen  wir  vier  den  Himmel  tragende  Gottheiten,  die 
natürlich  die  vier  Hauptrichtungen  bezeichnen.  Die  erste,  den  Osten  be- 
zeichnend, ist  Tlauizcalpan  tecutli,  die  Crottheit  des  Morgensterns.  Vier 
weitere  Gottheiten  schliessen  sich  diesen  vieren  an,  die  vielleicht  die  inter- 
mediären Richtungen    bezeichnen    sollen,    und    in  der  rechten  Hälfte  von 

21* 


324 


Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 


Blatt  ö3  foli^t    eine    in  einen  Erdraehen  stürzende  Gestalt,    die  zweifellos; 
die  fünfte  Region,  die  Mitte  oder  die  Richtung  nacli  unten,  ausdrückt. 

lu  der  unteren  Hälfte  von  Blatt  -49  bis  52  sind  je  zehn  verschiedene 
korrespondirende  Darstellungen  zu  Gruppenbildern  vereinigt,  die  je  einem 
der  vier  Abschnitte  des  in  fünfgliedrige  Säulen  geordneten  TonalamatV s^ 
also   je  einer    der  vier  Himmelsrichtungen,  zugeschrieben  werden.      Und 


Abb.  22.    Baum  des  Westens.     Codex  Borgia  51  (=  Kings borou|gh  (U), 


Abb.  23.     Baum  des  Südens.     Codex  Borgia  52  ;=  Kingsborough  63). 


zwar  haben  wir,  in  diesen  unteren  Hälften  der  Blätter  49  —  52  zunächst  in 
der  Mitte  unten  die  vier  Himmelsrichtungen  durch  Bäume  veranschaulicht, 
die  aus  dem  Leibe  einer  Erdgöttin  emporwachsen,  und  auf  denen  je  ein 
Vogel  (Quetzalvogel,  Adler,  Kolibri,  Guacamaya)  sitzt  (Abb.  20—23).  Ihnen 
schliesst  sich  in  der  unteren  rechten  Hälfte  von  Blatt  53  ein  Bild  an,  das 
die  fünfte  Region,  die  Mitte,  durch  einen  Erdraehen.  eine  Erdgöttin  und 
einen  aus  ilirem  Leibe  aufspriessenden  Baum  zur  Anschauung  bringt,  dessen 


5.    Dor  Codex  Borgria. 


325 


Wurzeln  von  dem  Blute,  das  die  daneben  abgebildeten  Götter  Quetzal- 
couatl  und  Macuilvochitl  sich  entziehen,  befruchtet  werden  (Abb.  24). 
Ueber  den  vier  Bäumen  sieht  man,  in  der  Mitte  der  unteren  Hälften  der 
Blätter  49 — .52,  die  vier  Götter  —  Tonatiuh,  den  Sonnengott,  Tezcatlipoca- 
itztlacoliuhqu%  den  Gott  des  Steins,  Cinteotl,  den  Maisgott,  und  Mictlan- 
tecutli,  den  Todesgott,  —  vor  einem  Tempel  stehend,  Blut  und  ein  Herz 
darbringend  (Abb.  25—28,  S.  326,  327).  Diese  vier  die  Mitte  ein- 
nehmenden Hauptdarstellungen,  sind  noch  jederseits  von  drei  anderen 
Gruppen  begleitet.  Auf  der  rechten  Seite  oben,  sieht  man  auf  dem 
•ersten  Blatte,    Tzinacan^    den  Fledermausgott,  auf  dem  zweiten  Mircouatl, 


Abb.  24.    Baum  der  Mitte.     Codex  Borgia  53  (=  Kingsborougli  62). 


<len  Jagdgott,  auf  dem  dritten  Tlauizcalpantecutli,  die  Gottheit  des  Abend- 
sterns, und  auf  dem  vierten  einen  Adler  (quauhtli)  und  eine  Federschlange 
iquetzalcouatl).  Unter  diesen  vier  Gestalten  kommen  auf  der  rechten  Seite 
eine  Macuü  xochitl-  und  eine  CiuateoÜ-F'igwY  von  oben  herunter,  auf  dem 
ersten  Blatte  Schild  und  Speerbündel  und  das  Opferseil  (aztamecatl).  das 
beim  Sacrificio  gladiatorio  dient,  auf  dem  zweiten  Beil,  Stachelkeule,  Stachel- 
kiigt'l  und  atl-tlachmoUi,  das  Symbol  des  Krieges,  auf  dem  dritten  einen 
Viibiuckrug  und  eine  Agave-Pflanze,  auf  dem  vierten  wieder  Beil,  Stachel- 
kugt'l  und  ein  mit  Stacheln  versehenes,  schneidendes  Webemesser  (?) 
liorabbringend.     Ganz  unten  rechts  endlich  ist  ein  Gott  der  Feuer  erbohrt, 


3-26 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


dargestellt.  Auf  der  linken  Seite  sielit  man  oben  wieder  vier  Bäume- 
und  daneben  Ballspieler,  —  auf  dem  ersten  Blatte  einen  Affen,  auf  dem 
zweiten  einen  Truthahn,  auf  dem  dritten  ein  cipactli,  auf  dem  vierten  ein 
Skelett.  Und  darunter  sind  jedesmal  ein  männlicher  und  ein  weiblicher 
Gott  in  Kopulation  dargestellt,  während  ganz  unten  die  Götter  Macuil  olin 
„fünf  Bewegung"  (Abb.  29,  S.  328),  Macuil  eecatl  „fünf  Wind".  Macuil 
ma^atl  „fünf  Hirsch'*  und  Macuil  malinalli  „fünf  Gedrehtes''  durch  Bild 
und  Namenshieroglyphe  angegeben  sind.    Verschiedene  der  einzelnen  Theile 


Abb.  25.     To»atii<h.  der  Sonnengott,  vor  dem  Tempel  des  Ostens. 


Abb.  2(i.     TozcatUpoca-itztlacoliuhqui,  vor  dem  Tempel  des  Nordens. 


dieser  Gruppenbilder  finden  sich  in  anderen  Handschriften  wiederholt.  Die 
vollständigen  Gruppenbilder  sind  nur  hier  im  Codex  Borgia  vorhanden. 
Einzig  dem  Codex  Borgia  eigen  sind  auch  die  vier  Jahresdaten  (Abb.  30 
bis  33,  S.  328),  die  ausserdem  noch  auf  diesen  vier  Blättern  angegeben 
sind,  und  die  diese  ganze  Darstellung,  zu  der  Parallelen  sowohl  im  Codex 
Bologna,  wie  im  Fejerv.iry-Mayer  vorliegen,  erst  verständlich  machen. 
Die  hier  abgebildeten  Jahre  naui  calli  „vier  Haus",  naui  tochtli  „\ier 
Kaninchen",  naui  acatl  „vier  Rohr"  und  naui  tecpatl  „vier  Feuersteinmesser" 
stehen  nämlich   von  den  Jahren  ce  acatl,  ce  tecpatl,   ce  calli,  ce  tochtli,   die 


5.    Der  Codex  Borgia. 


327 


die  den  vier  Himmelsrichtungen  entsprechenden  Anfänge  der  vier  Viertel 
der  ö'Jjährigen  Periode  bilden,  genau  um  42  Jahre  ab.  Und  42  Jahre 
sind,  wie  ich  das  zuerst  in  meiner  Erläuterung  des  Codex  Fejerväry-Mayer*) 
nachgewiesen  habe,  gerade  die  Periode,  nach  deren  Ablauf  man  10  Tage 
einschalten  muss,  um  das  um  ^/^  Tag  zu  kleine  Jahr  der  Mexikaner  mit  der 
wirklichen  Länge  des  Jahres  in  Uebereinstimmung  zu  bringen.  Und  schaltet 
man  diese  zehn  Tage  ein,  so  kommt  man  von  den  Tagen  naui  calli,  naui 
tochtli,    naui  acatl,    naui  tecpatl    auf  die  Tage   ce  acatl,    ce  tecpatl,    ce  calli. 


Abb.  27.     Ciuieotl,  der  Maisgott,  vor  dem  Tempel  des  Westens. 


Abb.  28.     Midlantcciitli,  der  Todesgott,  vor  dem  Tempel  des  Südens. 


ce  tochtli,  d.  h.  genau  auf  die  Tage,  die,  als  Aufangstage  eines  Jahres 
gedacht,  den  Himmelsrichtungen  des  Ostens,  Nordens,  Westens,  Südens 
entsprechen  würden. 

Von  der  linken  Hälfte  von  Blatt  53  gehört  der  untere  Abschnitt  zu 
dem  folgenden  Blatte.  Es  bleibt  demnach  oben  noch  ein  Zwickel  übrig, 
und  der  ist,  ähnlich  wie  der  freie  Raum  auf  Blatt  17,  mit  einer  Figur 
ausgefüllt,  bei  der  man  die  20  Tageszeichen  den  verschiedenen  Körper- 
theilen  ein-  oder  zugeschrieben  hat.     Aber  es  ist  diesmal  nicht  die  Fiour 


1)  Berlin  I9(tl,  S.  l-IO  und  ITü. 


328 


Zweiter  Abschnitt:    Kilderschriften. 


Tezcatb'pocas,  sondern  ein  Hirsch,  aus  dessen  geöffnetem  Rachen  das  Gesicht 
des  Gottes  mit  der  Schmetterlingszeichnun«;  um  den  Mund  hervorsielit, 
<len  ich  oben  an  der  elfton  Stelle  der  Tatreszeichenreihe  erwähnt  habe. 

Auf  dem  unteren  Abschnitte  der  linken  Hälfte  von  Blatt  58  und  auf 
Blatt  54  haben  wir  dann  wieder  eine  Darstellung,  die  streng  kalendarisch, 
der  einfache  Ausdruck  durch  astronomische  Beobachtung  erkannter  That- 
sachon  ist.  Es  sind  auf  diesen  Blättern  und  in  ganz  analoger  AVeise  auf 
bestimmten  Blättern  des  Codex  Yaticanus  und  des  Codex  Bologna  die  Gott- 


Abb.  *29.     ])er  Gott  Macnil  olin 
_füni  Bewesrungr". 


Abb.  30.     Das  Jahr  »ani  calli 
,vier  Haus". 


Abb.  31.     Das  Jahr 

iiain'  focfitli 

-vier  Kaninchen". 


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A»,.:'!                    '^ 

Abb.  3-3.    Das  Jahr 

twui  acati 

.vier    Robr". 

Abb.  33.     Das  Jahr 

iiaiii  tecpati 

.vier  Feuersteinniesser- 


heiten  des  Planeten  Venus  abgebildet,  und  zwar  in  der  Gestalt,  wie  es  scheint, 
die  man  ihm  als  Gottheit  des  Abendsterns  zu  geben  beliebte  (Abb.  34). 
Die  Figur  ist  fünfmal  dargestellt.  Denn  wir  wissen  ja,  dass  der  Planet 
Venus  in  fünf  Zeichen  erscheint,  dass  die  Anfangstage  seiner  Perioden 
nur  auf  fünf  von  den  'JO  Tageszeichen  fallen.  Und  zwar  ist  es  im  Codex 
Yaticanus  immer  genau  dieselbe  Gestalt,  die  in  den  fünf  Bildern  wieder- 
kehrt. Im  Codex  Bologna  haben  die  Figuren  verschiedene  Farbe.  Im 
Codex  Borgia  wechselt  ebenfalls  die  Farbe  und  der  Gott  ist  nur  in  der 
ersten  Abtheilung  mit  dem  ihm  eigenen  Kopfe  abgebildet.    In  den  anderen 


5.    Der  Codex  Boiffia. 


329 


Abtheilungen  trägt  der  Gott  einen  Thierkopf  (Raubvogel,  Hund,  Kaninchen) 
oder  einen  Schädel  als  Kopf.  Aber  über  den  Thierköpfen  ist  es 
immer    der    charakteristische    Kopfschmuck    des    Gottes,    der    neben    der 


Abb.  34,     Gottheit  des  Abendsterns. 

Das  Gesicht  ist  en  face  gezeichnet,  um  den  Quincunx  weisser  Flecke,  die  Hieroglyphe 
des  Planeten  Venus,  die  die  Gesichtsbemalung  dieser  Gottheit  bildet,  zu  zeigen. 


Abb.  35.    Der  Abendsteru  (Tlauizculpun  lecidUj,  in  der  ersten  Periode, 
den  Speer  gegen  ChalchiuhtUcue,  die  Wassergöttin,  schleudernd. 


anderen  Ausstattung  die  Identität  wahrt.  Der  (iott  ist  mit  Wurfbrett 
luid  Speer  bewaffnet  und  schleudert  den  Speer  einmal  gegen  die  Wasser- 
göttin (Abb.  35),  sodann  gegen   Tezcatlipoca,  gegen  die  Maisgöttin  und  die 


330  Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 

Symbole  der  Krieger  un«l  der  Könige.  Um  diese  fünf  Figuren  !>ind  je 
13  Tage  mit  ihren  Ziffern  und  Zeichen  dargestellt.  Sie  bezeichnen  die 
Anfangstage  ebensovieler  Yenusperioden  und  ergeben  zusammen  einen 
Zeitraum  von  65  X  5<S4  Tagen,  die  grosse  Periode,  die  13x8  oder  2  X 
,")•_'  Jahren  und  140  Tonalamatl  äquivalent  ist.  nach  deren  Ablauf  wieder 
dieselbe  Ziffer  und  dasselbe  Zeicheu  auf  den  Anfangstag  der  Venusperiodfr 
fallen.  Allerdings  sind  —  das  darf  einen  nicht  irre  führen  —  die  Anfangs- 
tage der  Yenusperioden  auf  diesen  Blättern  nicht  so.  wie  sie  in  Wirk- 
lichkeit einander  folgen,  verzeichnet,  sondern  in  mehr  schematischer  Weise, 
wie  diese  Daten  in  dem  Tonalamatl  hinter  einander  zu  stehen  kommen. 

Diese  Darstellung  der  grossen  ATenusperiode  auf  diesen  Blättern  der 
Bilderschriften  der  Codex  Borgia-Gruppe  ist  nicht  nur  an  sich  von  grossem 
Interesse.  Sie  ist  auch  deshalb  wichtig,  weil  sie  die  erste  sichere  Parallele 
zwischen  Handschriften  mexikanisch -toltekischeii^  Ursprungs  und  Maya- 
Handschrifteu  zu  ziehen  erlaubt.  Die  merkwürdigen  Blätter  4(5  bis  50 
der  Dresdener  Handschrift,  deren  Enträthselung  wir,  wie  so  vieles  Andere, 
Förstemann's  Scharfsinn  und  rechnerischem  Genie  verdanken,  sind  es, 
auf  denen  wir  nicht  nur  dieselbe  grosse  Periode  verzeichnet  sehen,  sondern 
auch  Figm"eu2Tuppen,  die  denen  unserer  Codex  Borgia-Blätter  analog  sind. 
Im  Codex  Borgia  wirft  die  Gottheit  des  Planeten  Yenus  einen  Speer  und 
verwundet  damit  bestimmte  Figuren  oder  Symbole,  «lie  ihr  gegenüber  ab- 
gebildet sind.  Im  Codex  Bologna  und  Yaticanus  hält  die  Gottheit  nur 
Speer  und  AYurfbrett,  aber  «lie  Figuren  und  Symbole  ihr  gegenüber  sind 
vom  Speer  getroffen.  Auf  den  Blättern  46  bis  50  der  Dresdener  Hand- 
schrift sind  fünf  verschiedene  Gottheiten  dargestellt,  aber  neben  der 
Hieroglyphe  jeder  steht  die  Hieroglyphe  des  Planeten  Yenus.  und  alle 
halten  Speer  und  Wurfbrett,  gleich  den  Figuren  der  Codex  Borgia-Gruppe^ 
Und  unter  diesen  fünf  Gottheiten  sieht  man  fünf  andere  vom  Speere  ge- 
troffen am  Boden  liegen.  In  den  fünf  vom  Speere  getroffenen  Gestalten 
stimmen  die  Handschriften  der  Codex  Borgia-Gruppe  durchaus  überein. 
nur  ist  die  Reihenfolge  des  Codex  Borgia  in  den  anderen  beiden  Hand- 
schriften etwas  verändert.  Die  Dresdener  Han<lschrift  hat  in  den  drei 
ersten  Bildern  genau  entsprechende  Gestalten.  In  den  Iteiden  letzten 
Bildern  bringt  die  Dresdener  Handschrift  Figuren,  wo  die  Handschriften 
der  Codex  Borgia-Gruppe  nur  Symbole  haben.  Die  Bedeutung  der  Figuren 
dort  und  der  Symbole  hier  scheint  aber  ebenfalls  eine  analoge  zu  sein. 
Eine  Schilderung  dieser  Uebereiustimmungen  im  Einzelnen  muss  ich  mir 
versagen.  Auch  was  dem  Speerwerfen  für  eine  Bedeutung  zukommt, 
kann  ich  hier  nicht  auseinandersetzen.  Näheres  darüber  habe  ich  in  meinem 
Aufsatz  „über  die  Yeuusperiode  in  den  Handschriften  der  Codex  Borgia- 
Gruppe"'  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  gegeben. 

In  dem  Codex  Borgia  folgen  zunächst,  auf  Blatt  55,  sechs  schreirende 
Götter,  neben  denen  die  "JO  Tageszeichen  verzeichnet  sind.     In  dem  Yati- 


i 


5.    Der  Codex  Borgia. 


331 


canus  und  Bologna  sind  keine  Parallelen  dafür  vorhanden.  Wohl  aber, 
und  zwar  an  drei  verschiedenen  Stellen,  im  Codex  Fejerviiry.  Die  erste 
dieser  sechs  Gestalten  ist  die  Sonne  (Abb.  36),  die  zweite  die  alte  Erd- 
göttin und  der  Mond  (Abb.  37),  die  vier  folgenden  sind  deutlich  als 
wandernde  durch  den  Stab  und  den  Fächer,  den  sie  in  der  Hand  halten, 
gekennzeichnet,  und  ich  habe  in  meiner  Erläuterung  des  Codex  Fejervary- 
Mayer  die  Yerniuthung  ausgesprochen,    dass    sie    das   Heer  der  Sterne 

r\\\\\\s\\\\\\\\\\\\\v\\\\\\' 

(\\\\l\\\\v\\\\\\\\U\\\\\\\\\\\>\\' 

|iimiHi\iiihi\i\\w\\'v\v\\\\\\\\^\s^^^^ 


Abb.  3G.     Tonatialt,  der  Sounengott. 


Abb.  37.    metzill,  der  Mond,  und  T/aroIfcotl,  die  Erdgöttin. 


zu  veranschaulichen  bestimmt  ist.  Den  ersten,  der  die  keimzeichnenden 
Merkmale  Xolotl's,  des  Gottes  der  Zwillinge  trägt  (Abb.  38,  S.  332),  bin 
ich  geneigt,  als  Versinnbildlichung  des  Planeten  Venus,  der  ja  auch  ein 
Zwilling,  nämlich  Morgen-  und  Abendstern  ist,  zu  betrachten.  Den  dritten 
und  vierten  (Abb.  39,  40,  S.  332,  333)  möchte  ich  als  den  Wanderer  am 
Xordhinimel  und  den  Wanderer  am  Südhimmel  auffassen.  Der  letzte, 
ein  weisshaariger  und  weissbärtiger  Gott,  der  eine  Hirschmaske  trägt 
(Abb.  41,  S.  333),    ist    als    der    alte    Iztac  Mivcouatl,   die  weisse  Wolken- 


■;332  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

-schlänge,    und    als    Bezeichnung    der    ^lilchstrasse,    des    Zeniths.    zu    be- 
stimmen. 

Dann  folgt  Blatt  5G,  eine  prächtig  gezeichnete  Gruppe,  der  Windgott 
Quetzalcouatl  und  der  Todesgott,  Rücken  an  Rücken  gelehnt.  Rechts  und 
links  die  Anfangstage  der  20  Dreizehnheiten,  die  zusammen  das  Tonal- 
■amatl  ausmachen,    die  demnach  zur  Hälfte  als  Quetzalcouatl    unterstehend. 


Abb.  38.     XoIofJ,  Gott  der  Zwillinge. 


Abb.  39.    Der  Wanderer  am  Nordhimmel. 

<ilso  wohl  als  gut,    zur  Hälfte  dem  Todesgott  unterstehend,    also  wohl   als 
böse,  bezeichnet  werden. 

Blatt  .57  enthält  wieder  sechs  Darstellungen,  aber  nicht  Einzelfiguren, 
sondern  sechs  Paare  von  Gottheiten.  Daneben  Tageszeichen  und  Ditt'erenz- 
zahlen,  die  zusammen  das  in  fünfgliederige  Säulen  geordnete  Tonalamatl 
ergeben.  Die  erste  Gruppe  stellt  Tonacatecutli,  Tonacaciuatl,  die  Herren 
des  Lebens,  die  Herren  der  Zeugung  dar  (Abb.  42,  S.  334).      Der  erstere 


5.    Der  Codex  Borgia. 


33^ 


trägt  einen  Affen,  die  letztere  eine  kleine  Figur  des  Windgottes  Quetzal- 
couatl  auf  de^n  Kücken,  dessen  Gesiclit  in  den  Farben  des  Sternhimmels 
(mit  weissen  Scheiben  auf  schwarzem  Grunde)  gemalt  ist.  Die  zweite  Gruppe 
zeig-t  den  Pulquegott  und  die  Erdgöttin,  die  dritte  die  beiden  Maisgötter 
{Cinteteo),  die  vierte  den  Regengott  {Tlaloc)  und  die  Wassergöttin  {Chal- 
chiuhtlicue).     Die  fünfte  Gruppe  wird  von  dem  Gotte  der  Blumen    {Xochi- 


Abb.  40.    Der  Wanderer  am  Südliimmel. 


Abb.  41.     htac  Mi.rcoiiatl. 


pilli)  und  der  Göttin  der  Blumen  (Xocldquetzal)  gebildet,  die  aber  ein- 
ander abgekehrt  sitzen  (Abb.  43,  S.  334).  Die  letzte  Gruppe  endlich  ist 
der  Todesgott  {Mictlantecutli)  und  die  Todesgöttin  {MictecaciuaÜ).  Auch 
diese  Darstellungen  haben  weder  im  Yaticanus,  noch  im  Bologna,  wolil 
aber  im  Codex  Fejerväry   eine  Entsprechung. 

Paare  von  Gottheiten  sind  auch  auf  den  folgenden  Blättern  ,38  bis  6(» 
des    Codex  Borgia   verzeichnet,    und    zwar   sind   es    20  Paare,    und  neben 


53-4 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


ilmen  sind  die  Ziffern  2  bis  "JÖ  angegeben.    Hierfür  gibt  es  in  dem  Codex 
Vaticanns  eine  Parallele  und  ausserdem  in  dem  Codex  Laud. 

Blatt  61  bis  70  sind  der  Darstellung  des  in  20  Abschnitte  von  je 
13  Tagen  geordneten  Tonalamatl's  und  seinen  Titulargottheiten  gewidmet. 
Es  ist  das  die  Reihe  von  "20  dottlieiten.    die  niclit  uur  hier  und  im  Yati- 


Abb.  42.     TonaceUecutli.  Tonacdcinatl,  die  Herren  der  Lebensmittel. 


Abb.  43.     Xochijjilli  und  Xochiqixtza/. 


cauus  B,  sondern  auch  im  Telleriauo-Remensis.  Taticanus  A.  in  dem  Tonal- 
amatl  der  Aub in -Goupir sehen  Sammlung  und  in  dem  Codex  Bor- 
bonicus.  der  Handschrift  des  Corps  legislatif.  neben  den  Tojialamatl- 
Abschuitten  verzeichnet  steht,  und  die  ich  in  meiner  Arbeit  über  das 
Tonalamatl  der  Aub  in  sehen  Sammlung  (Berlin  1900,  S.  36 — 126)  ein- 
gehend behandelt  habe.      Als  Probe   für  den   Stil  dieser  Handschrift  habe 


5.    Der  Codex  Borgia. 


335 


ich  hier  in  Aljb.  44  und  45,  die  Gottheiten  des  neunten  nnd  des  siebenten 
dieser  Absclinitte,  Xiuhtecutli,  den  Feuergott,  und  Tlaloc,  den  Regengott, 
wietlergegeben. 

Blatt  71  ist  wieder  astronomisch.    Die  drei  Himmelskörper,  die  die  Mexi- 
kaner zu  beobachten  gewohnt  waren,  Sonne,  ^lond  und  Morgenstern,  sind  auf 


•diesem  Blatte  vereinigt  (Abb.  46,  S.  337).  Die  Sonne  ist  durch  den  Sonnen- 
gott im  Sonnenbilde  und  durch  sein  Symbol,  das  Datmn  naui  olin.  w"^ifi'  Be- 
wegung", zur  Anschauung  gebracht.    Der  Gott  hält  Speerbündel  und  Wurf- 


88(1 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


brett  in  »lor  Ilaiul,  und  AVasser  uml  yolbe  Federn*)  fliesson  an  dem 
Sonnenbilde  lierunter.  Die  letzteren  sind  als  Feuer  gedacht.  Wasser 
und  Feuer  zusammen.  atl-tlachinoUi  auf  mexikanisch,  war  den  Mexikanern 
symbolischer  Ausdruck    für  Krieg.      Der  Mond    ist    durch    ein    Kaninchen 


repräsentirt,    das    im  wässerigen,    von    einem  Knochenring    umschlossenen 
Felde  auf   einem    dunklen  Xachthinterorrunde  erscheint.      Die    Mexikaner 


1)  Der  Zeichner  Kingsborough's  hielt  diese  Federn  für  Quetzalfedern  und 
gab  sie  grün  an.  Dadurch  ist  die  Beziehung  auf  den  Krieg,  die  doch  hier  klar 
vorliegt,  vollkommen  verdeckt. 


5.   Der  Codex  Bnr<ria. 


887 


erblickten,  gleich  den  Indern,  in  der  Scheibe  des  Mondes  ein  Kaninchen. 
Üer  Morgenstern  endlich  ist  durch  das  Datum  Ce  acatU  „eins  Rohr",  be- 
zeichnet, das  ist  der  Tag.  an  dem  Quetzalcouatl  geboren  wurde,  und  an 
dem  er  starb,  sicli  in  den  Morgenstern  verwandelnd.  Neben  diesen  drei 
Himmelskörpern  ist  aber  noch  die  Zahl  18  durch  die  entsprechenden  Ziiforn. 
Itegleitet  von   13  Yogelfiguren.    zum  Ausdruck  gebracht. 

Die  18  Vogelfiguren  sind  ohne  Zweifel  nur  als  Repräsentanten,  als 
Abbilder  oder  Verkleidungen,  ebensovieler  Gottheiten  zu  betrachten.  In 
dem    Tonalamatl  der   Aubin'schen    Sammlung,    wo    diese    18  Vogelfiguren 


Abb.  4().     Sonne,  Mond  und  Morgenstern. 


auf  sämmtlichen  "20  Blättern  neben  den  Zeichen  der  Tage  zu  sehen  sind, 
kommt  in  der  That  aus  dem  geöffneten  Rachen  des  Vogels  das  Gesicht 
einer  Gottheit  hervor.  Ich  habe  in  meiner  Erläuterung  des  Tonalamatl'^ 
der  Aubin'schen  Sammlung  (Berlin  1900,  S.  81  —  85)  den  Nachweis  zu 
bringen  versucht,  dass  diesen  «Ireizehu  Vögcdn  die  gleiche  Bedeutung  zu- 
kommt, wie  den  dreizehn  Göttern,  die  im  Tojialamatl  der  Aubin'schen 
Sammlung  und  im  Codex  Borbonicus  neben  ihnen  bei  den  13  Tagen  jeder 
der  zwanzig  Wochen  des  Tonalamatl'^  abgebildet  sind,  und  dass  sie,  gegen- 
über den  neun  Herren,  welche  die  neun  Stunden  der  Nacht  veranschau- 
Seler,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  22 


IVSS 


Zweiter  Abschuitt:    Bilderschriften. 


liehen,    die  Hüter  der  dreizehn  Stunden  des  Tages  dem  Beschauer  vorzu- 
führen bestimmt  sind. 

Auf  Blatt  1'2  sind  die  vier  Himmelsrichtungen  durch  vier  Schlangen, 
dif  vier  Gottheiten  uraschliessen.  zur  Anschauung  gebracht.  Um  die  vier 
Gottheiten  sind  die  "20  Tageszeichen,  je  fünf  bei  jeder  Gottheit,  vertheilt. 
I^ie  Schlangen  sollen  vermuthlich  wieder  die  vier  Jahro  zur  Anschauung 
bringen,  die  den  vier  Himmelsrichtungen  entsprechen  und  durch  die  Natur 
dieser  Himmelsrichtungen  bestimmt  sind,  und  die  Götter  die  Kegenten 
dieser  Jahre.     Die  letzteren   sind  wahrscheinlich  auch  wieder  gleichzeitig 


Abb.  47.     Qiietzalconatl,  der  Wiiidgott,  Regent  der  Jahre  des  Westens. 

als  die  Regenten  der  vier  Tonalamatl -A}ischmtte  gedacht,  daher  mit  je 
einem  Viertel  der  zwanzig  Tageszeichen  verbunden.  Der  erste  dieser 
vier  Götter  ist  der  Regengott  Tlalac.  Bei  diesem  steht  das  Anfangszeichen 
cipactU,  er  ist  wohl  als  Regent  des  Ostens  und  seiner  Jahre,  der  acatl- 
Jahre  gedacht.  Die  zweite  Gottheit  ist  die  Erdgöttiu  Tlacolteotl,  nackt, 
auf  dem  Kreuzweg  sitzend,  die  also  hier  den  Norden  bezeichnen  muss. 
Der  dritte  ist  Quetzalcouatl,  der  Windgott  (Abb.  47),  der  hier  den  Westen 
bezeichnet.  Der  vierte  endlich  der  Gott  mit  der  Zeichnung  der  weissen 
Hand  um  den  Mund.    MacuilxochitL    den   wir  ja   auf  den  Blättern  47.   48 


5.   Der  Codex  Borgia.  339 

(vgl.  oben  S.  821,  322)  auch  schon  als  Kegenten  des  Südens  angetroffen 
haben,  in  der  Mitte  sieht  man  einen  phantastisehen  Ungeheuerkopf,  der 
-wohl  die  Tzitzimim<\  die  vom  Himniel  iierabkommendeu  Dämonen  der 
Finsterniss,  also  die  fünfte  Himmelsrichtung,  die  Richtung  oben-unten,  ver- 
anschaulichen soll. 

Blatt  73  und  74  enthalten  wieder  Figuren,  bei  denen  die  20  Tages- 
zeicheu  den  verschiedenen  Körpertheilen  ein-  oder  zugeschrieben  und  im 
Umkreise  vertheilt  zu  sehen  sind.  Auf  Blatt  73  ist  es  dieselbe  Doppel- 
figur, Quetzalcouatl  und  der  Todesgott,  Rücken  an  Rücken  gelehnt,  die 
■wir  schon  auf  Blatt  ,")()  gefunden  hatten.  Auf  Blatt  74  ist  in  der  oberen 
Hälfte  die  Erdgöttin,   Tlacolteotl,  in  der  unteren  Macuil  .lochitl,  dargestellt. 

Den  Schluss  der  Handschrift  bilden  auf  den  Blättern  70  und  7()  acht 
'(lottheiten,  denen  Räucherwerk  und  Kasteiungsblut  dargebracht  wird. 
Daneben  ist  durch  Tageszeichen  und  Differenzpunkte  das  in  fünfgliederige 
Säulen  geordnete  Tonalamatl  zum  Ausdruck  gebracht,  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  immer  zwei  auf  einander  folgende  Götter  einem  Tonalamatl- 
Tiertel,  also  wohl  auch  einer  der  vier  Himmelsrichtungen  entsprechen. 
Hier  sind  durch  das  Ansengen,  dass  die  unnützen  Hände  der  Kinder  ver- 
suchten, zwei  Figuren  zerstört  worden.  Die  übrigen  sind  aber  noch  wohl 
erkennbar. 

Das  ist  in  Kurzem  der  Inhalt  dieser  merkwürdigen  und  schönen  Bilder- 
schrift. Wie  man  sieht,  ist  derselbe  durchaus  nicht  bloss  astrologisch- 
augurischer  Natur,  sondern  es  ist  auch  ein  gut  Theil  astronomischer 
Beobachtung,  insbesondere  was  die  Bewegungen  des  Planeten  Yenus  be- 
trifft, darin  enthalten.  Es  fehlt  dagegen  die  Ausrechnung  der  langen  Zeit- 
perioden, die  für  die  Maya-Handschriften,  wenigstens  die  der  Dresdener 
Bibliothek,  so  kennzeichnend  sind.  Allerdings  darf  man  nicht  vergessen, 
dass  diese  Bücher  der  alten  Mexikaner  nicht  Bücher  in  unserem  Sinne 
-waren,  die  eine  Kenntniss  direkt  übermitteln.  Man  lernte  durch  münd- 
iliche  Unterweisung,  und  die  Bücher  waren  nur  das  Memoriale,  der  Anhalt 
für  das  Gedächtniss.  Es  wäre  gar  nicht  undenkbar,  dass  Manches,  was 
in  der  Dresdener  Maya-Handschrift  in  langen  Zahlenreihen  ausgerechnet 
vorliegt,  im  Codex  Borgia  nur  durch  ein  Paar  Bilder  und  ein  Paar  hinzu- 
gesetzte Zeichen  markirt  wäre,  wie  ja  thatsächlich  die  genaue  Ausrechnung, 
die  in  den  Blättern  46  bis  51  der  Dresdener  Handschrift  vorgenommen 
wird,  im  Codex  Borgia,  für  die  Wissenden  ohne  Zweifel  ebenso  verständlich, 
durch  die  fünf  Bilder  der  Gottheit  des  Planeten  Venus  und  die  je  13  um- 
gebenden Daten  zur  Anschauung  gebracht  ist.  Um  nur  ein  Beispiel  heraus- 
zugreifen: es  wäre  gar  nicht  unmöglich,  wie  mir  scheint,  dass  die  vier  je 
■  eine  Gottheit  einschliessenden  Schlangen  auf  Blatt  72  des  Codex  Borgia 
ihre  Parallele  in  den  Bildern  (51  und  (52  der  Dresdener  Handschrift  haben, 
"WO  in  den  Windungen  der  Schlangen  Zahlen  verzeichnet  sind,  deren  jede 


340  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

einzelne  einen  Zeitranm  von  etwa  34  000  Jahren  umfasst.  Für  nns.  die 
wir  niclit  wissend  sind,  ist  das  ein  grosser  Mangel  dieser  mexikanischen: 
gegenüber  den  Mava-Handsehriften.     Dafür  entschädigt  der  Codex  Borgia 


&'"r 


und  entschädigen  die  anderen  Bilderschriften  dieser  Klasse,  durch  die  liebe- 
vollere und  sorgfältigere  Ausführung  der  Figuren,  durch  die  Fülle  des- 
Details und  die  Pracht  der  Farben,  und  dadurch,  dass  sie  eine  An- 
knüpfung an  Bekanntes,  durch  üeberlieferung  Festgestelltes,  gestatten. 
Hoffen  wir,  dass  ein  eingehendes  Studium  beider  Klassen  von  Hand- 
schriften mit  der  Zeit  die  Räthsel  lösen  wird,  die  heute  noch  der  Deutung- 
sich entziehen. 


6.    Codex  Cospi.     Die  mexikanische  Hilderhandschrift  von  Bologna.  341 


6. 

Codex  Cospi.    Die  mexikanische  Bilderliandschrift 

von  Bologna. 

Vgl.  Globus.    Bd.  LXXVII  S.  3-23—32.').    2.  .Tuni  1900. 


Libro 

della  China 

donato  dal  Sig""-  Co:    Yalerio 

Zani  al  Sig.  Maicli:    Cospi 

il  di  XXYI  Die'«: 

M.DC.LXV. 

—  so  stand  ursprünglicli  auf  dem  goldbedrucktoii  Scliwelnsloderdeckel,  in  den 
«in  sorgsamer  Aorbesitzer  die  bunten  Malereien  der  mexikanischen  Bilderhand- 
schrift hat  fassen  lassen,  die  ehemals  dem  Museo  Cospiano  angehörte  und  jetzt 
in  der  Universitätsbibliothek  in  Bologna  auf  bewahrt  wird.  Das  „della  China" 
ist  nachträglich  ausgelöscht  und  „del  Messico"  darüber  geschrieben  worden. 
Die  ursprüngliche  Aufschrift  aber  beweist,  wie  wenig  man  in  der  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  —  das  ist  etwa  100  oder  130  Jahre  nach  der  Zeit,  wo 
diese  Schriften  nach  Europa  kamen  —  noch  von  ihrer  Herkunft  wusste. 
Ein  genaues  Studium  der  Handschrift  ist  jetzt  durch  die  Faksimileausgabe, 
die  der  hochverdiente  Förderer  der  amerikanischen  Studien,  Se.  Excellenz 
der  Herzog  von  Loubat,  hat  anfertigen  lassen,  weiteren  Kreisen  möglich 
g;eniacht  worden.  Man  erkennt  unschwer,  dass  sie  von  ganz  derselben  Art 
ist,  wie  die  beiden  anderen  mexikanischen  Bilderhandschriften,  von  denen 
<ler  Herzog  von  Loubat  vor  einigen  .lahren  Faksimilereproduktionen  aus- 
gegeben hat,  der  Codex  Vaticanus  Xr.  3773  und  der  Codex  Borgia.  Es 
unterliegt  auch  keinem  Zweifel,  dass  diese  drei  Handschriften  derselben 
Gegend  entstammen,  und  dass  diese  (Jegend  nicht  in  der  Xähe  des  Herrschafts- 
sitzes Mofecuhzotna's  zu  suchen  ist,  sondern  irgendwo  in  der  Nachbarschaft 
der  alten  Zapotekenkultur,  etw.i  in  Teotitlan^  Tochtepec  oder  Coatzacua/co. 
Während  aber  der  Codex  Vaticanus  Nr.  3773  bis  auf  den  aus  Holz  ge- 
fertigten und  mit  Türkiseinlagen  verzierten  Deckel  ein  vollständiges  und 
fertiges  altmexikanisches  Buch  darstellt,  der  Codex  Borgia  in  einer  Fülle 
grossartig  ausgeführter  Malereien  den  ganzen  Keichthum  der  alten  augu- 
rischen, kalendarischen  und  astronomischen  Wissenschaft  uns  vor  Augen 
führt,    ist    die  Bologneser  Handschrift    augenscheinlich   ein  nicht  fertig 


34-2 


Zweiter  Abschnitt:   Bilderschriften. 


gewordenes  Buch.  Es  beginnt,  wie  die  beiden  anderen  Handschriften, 
mit  dem  in  t'ünfgliederige  Säulen  geordneten  Tonalamaf/,  dem  augurischen 
Kalender  von  13  X-0  Tagen,  liat  aber  dann  nur  noch  eine  Darstellimg  der 
13X0  Veuusperioden  und  ein  Bild  der  vier,  den  vier  Himmelsrichtungen 
vorstehenden  Uötter.  Die  übrigen  Blätter  der  Handschrift  sind  leer.  Und 
einen  Theil  der  leeren  Hinterseite  hat  vielleicht  ein  anderer  Autor  /u 
anderen,  im  Stil  abweichenden  und  auch  lange  nicht  so  sorgfältig  aus- 
geführten Malereien  benutzt,  die  11  Götter-Figuren,  augenscheinlich  eine 
um  zwei  vermehrte  Wiedergabe  der  neun  Herren  der  Nacht,  und  ganz, 
merkwürdige  Tageszeichen  und  Zahlenreihen  zeigen. 

Die  Zeichining  des  ersten,  ursprünglichen  Theiles  der  Handschrift. 
auf  der  Vorderseite  der  Blätter,  hat  manches  Eigenthümliche.  Unter  den 
Tageszeichen  ist  das  der  Eidechse,  cuetzpalin  (Abb.  1). 
sehr  merkwürdig.  Das  eilfte  Tageszeicheu,  OQomätliy 
der  Affe,  ist  stets  mit  einem  Haarscliopf  aus  malinalli- 
Gras  dargestellt.  Bei  dem  Zeichen  maiinaUi  selbst,  tritt 
der  grüne  Busch  neben  dem  Todteukiefer,  der  augen- 
scheinlich hier  das  Wesen  des  Zeichens  ausmacht,  zurück, 
und  das  tnaUnalli,  das  „Gedrehte,  Ausgebohrte"  ist  daneben 
nicht  selten  durch  ein  ausgebohrtes  Auge  veranschaulicht. 
Von  den  Thieren  —  Jaguar,  Huud,  Hirsch,  Kaninchen  — 
werden  nicht  nur  der  Kopf,  sondern  auch  ein,  zwei  oder 
mehr  Füsse  abgebildet.  Das  Steinmesser  (tecpatl)  ist  in  der  Regel  als  Kopf 
einem  schwarzen  Männchen  aufgesetzt.  Vergleiche  die  lustige  Reihe  (Abb.  '2), 
die  das  Tageszeichen  tecpatl^  „Feuerstein'',  und  den  Steinmessergott,  Itztli, 
den  zweiten  der  neun  Herren  der  Nacht,  in  verschiedeuen  Formen  zur  An- 
schauung bringt.     Die  neun  Herreu  der  Nacht  sind   bald  durch  die  Köpfe 


Abb.  1. 
Das  vierte  Tages- 
zeichen ciicizpalin 
..Eidechse". 


Abb.  2.    Formen  des  Tageszeichens  f(cp(ttt  ..Feuerstein-'  und  des  Steinmessergottes  Itztli,^ 

des  zweiten  der  neun  Herren. 


der  betreffenden  Gottheiten  (Abb.  3),  bald  nur  durch  Symbole  dargestellt 
(Abb.  4).  Unter  den  Köpfen  fällt  der  Feuergott  (der  erste  in  der  obersten 
Reihe  von  Abb.  3)  durch  die  eigenartige  Gesichtsbemalung  und  dadurch 
auf,  dass  er  augenscheinlich  als  alter  Gott,  mit  zahnlosem  Munde  dar- 
gestellt ist.  Von  den  Symbolen  ist  das  des  Regengottes  (das  letzte  Bild 
der  untersten  Reihe  in  Abb.  4)  ohne  Weiteres  verständlich.  Es  stellt  den 
Blitz  dar.    Die  Erdgöttin  (die  erste  der  untersten  Reihe,  Abb.  4)  ist  durch 


G.    Codex  Cüspi.     Die  mexikanische  Bilderhandschrift  von  Bologna. 


343 


Abb.  3.     Die  neun  Herren   der  Stunden   der  Nacht. 


I.    Xhilltrriff//, 

der  Feueryott. 

IV.  Cintcofl, 
die  Maisgöttin. 

VIT.   TIaroltcotl, 
die  Erdsföttin. 


IL  Itztli, 
der  Steinmessergott. 

V.  MidhodiraÜi, 
der  Todesgott. 

VIII.  TepeijoIloÜ, 

das  Herz  der  Berge,  die  Stimme 

des  Jaguars  in  den  Bergen. 


III.   Toiiatliih-l'iltzliitcciitJi, 
der  Sonnengott. 

VI.  Chalchliihtlirne, 
die  "Wassorgöttin. 

IX.  Tlaloc, 
der  Reirenyott. 


m 


Abb.  4.     Die  neun   Herren  der  Stunden   der  Nacht 


844 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


eine  Stein ku,i;el  nnd  die  Nasenplatte  der  Pulquegötter.  die  Maisgöttiu  (die 
erste  in  der  zweiten  Keihe,  Abb.  4)  tlurcli  einen  Adlerfuss  nnd  3Iaiskolben, 
der  Todesgott  (der  zweite  in  der  zweiten  Reihe  Al)b.  4)  durch  einen 
Todtenknochen  (Köhrknochen).  der  Feuergott  (der  ersten  in  der  obersten 
Keihe)  durch  das  Bild  der  Flamme,  die  Wassergöttin  (die  letzte  in  der 
zweiten  Reihe)  durch  schreitende  Beine  —  denn  tias  Wasser  ist  das 
huifende  —  veranschaulicht.  Als  Symbol  des  Sonnengottes  (des  letzten  in 
der  ersten  Reihe.  Abb.  4)  scheint  Edelstein-  und  Federschmuck  zu  dienen. 
]^er  achte  der  neun  (lötter,  Tepe(/oUotl  (der  zweite  in  der  untersten  Reihe) 
ist  nienuils  durch  einen  Kopf,  sondern  immei-  durch  seine  Hieroglyphe, 
einen  Ber^,'  und  ein   Herz,  veranscliaulicht. 


Abb.  5.     ll(niizc(dpa)ii{'ciitJi,  die  Gottheit  des  Planeten  Venus,  in  der  ersten  der  fünf 
Perioden,  den  Speer  auf  die  Wassergöttiu  schleudernd. 


Dem  Tofialamatl,  das  den  Anfang  der  Handschrift  bildet,  folgen  auf 
Blatt  9  — 12  die  13X5  Yenusperioden  (Abb.  j),  die  im  Wesentlichen 
ähnlich,  wie  im  Codex  Borgia  (vgl.  oben  S.  3"29.  330)  dargestellt  sind. 

Auf  den  letzten  beiden  Blättern,  die  auf  der  Vorderseite  der  Hand- 
schrift noch  beschrieben  sind,  sind  die  (rottheiten  der  vier  Himmels- 
riclitungen  dargestellt:  —  Blatt  12  oben  im  Osten  der  Sonnengott  (Abb.  6\ 
Blatt  12  unten  im  Norden  Tezcatlipoca  (Abb.  7),  Blatt  13  unten  im  Westen 
der  „Maisgott"  (Abb.  8),  Blatt  13  oben  im  Süden  der  Todesgott  (Abb.  9). 
Alle  vier  bringen  vor  dem  Hause,  das  ihre  Himmelsrichtung  Itezeichnet, 
Weihrauch  dar.  Bemerkenswerth  ist,  wie  in  dem  Räncherlöffel  des  Todes- 
gottes (Abb.  9)  das  Räucherharz  in  Gestalt  eines  gebundenen  (Jefangenen 
gezeichnet  ist.  In  den  Häusern  des  Ostens  und  Westens  (Abb.  (i  und  8) 
steht  ein  mit  Scheitelfederkamm  versehener  Tagvogel,  im  Norden  und 
Süden  (Abb.  7  und  9).    den  Kardinalpunkten,    zu  denen   die   Sonne  nicht 


6.    Codex  Cospi.    Die  mexikanische  Bilderhanclschrift  von  Bologna.  Mb 

;i>elaiigt,  ein  Nachtvogel,  die  Eiilo.  Das  Haus  des  Südens,  das  dos  Tod.'.— 
gottes  (Abb.  9),  ist  ganz  und  gar  aus  KmocIicii.  Scliädfdn.  Blut  und  llorzfii 
gel)ildet. 

Die  Hininielsi-iciitiingt'ii  und  ihre  VersciruMlcidieir  Ix'licrrsclitc  das  ganze 
Leiten  der  alten  mexikanisch  -  niittelamerikanisclien  Stämme.  Jegliche 
(iesüinnitheit    wurde    unter    sie    vertheilt.      Ich    habe   aber    olien,    in    (b'ni 


Abb.  6.     'J'oiKfthi/i,  der  Sonnengott.    Herr  des  Ostens.     Codex  Boloi^na  12. 


UllllliniiiiiiiiiiililllltiMIIIII 


Abb.  7.     y'(:r{it/ip(ir(i-/tzfl(icoI/if/i</ii/,  (lott  des  Nordens.     Codex  Bologna  12. 


Aufsatz  über  den  Codex  Borgia  (vgl.  S.  326,  '{27),  schon  angedeutet,  dass 
<liese  Bilder  der  vier  Himmelsrichtungen  noch  ihre  besondere  Bedeutung 
hatten:  -  Im  Codex  Borgia  sind  auf  den  Blättern,  die  die  <len  Abb.  6— i> 
entsprechenden  Darstellungen  enthalten,  noch  die  .lahre  naui  cnlli,  naui 
^ochtli,  naui  acatl,  naui  tecpatl  angegeben.  Das  sind  die  Jahr«',  die  von 
den  Jahren   ce  acatl.    ce  tecpatl^  ce  calli,   ce  tochtli,  den  ilen  vier    Himmels- 


;UH 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


richruni;eu  entsprechenden  Aufangsjahren  «ler  vier  Viertel  der  52-jährigeii 
Periode,  um  genau  42  Jahre  abstehen,  nach  deren  Ablauf  man  zehn  Tage 
einschalten  muss  um  das  ^!^  Tag  zu  kleine  Jahr  der  Mexikaner  mit  der 
wirklichen  Jahreslänge  in  Uebereinstimmung  zu  bringen.  Eine  Krinnerung 
an  diese  nothwcndige  Korrektnr.  deren  Art  und  Weise  der  Ausführung 
W(»hl  durch  mündlichen  Unterricht  übermittelt  wurde,  ist  es.  <lie  in  den  vier 


Al»b.  8.     Ciiiftotl,  der  Maisgott,  Herr  des  Westens.     Codex  Bologna  13. 


Abb.  !t.    Mirflanffriif/;.  der  Todesffott.  Herr  des  Südens.     Codex  Bologna  13. 


Bildern  Abb.  C  — 9  und  in  den  Parallelstellen  des  Codex  Borgia  und  des 
Codex  Land  vorliegt.  Man  begreift,  dass  unsere  Handschrift  der  Darstellung 
des  Tonala7/(atrs  (Blatt  1 — 8)  und  der  der  13x5  Veuusperioden  (Blatt  9  -  11) 
als  einziges  und  wesentliches  Stück  diese  Bilder  der  Götter  der  vier  Himmels- 
richtungen (Blatt  12—13)  angefügt  hat.  Diese  bezeichneten  dem  in  den- 
Priesterwissenschaften  Unterrichteten  das  dritte  Hauptstück  der  Chronologie, 


6.    Codex  Cospi.    Die  mexikanische  Bilderhandschrift  von  Bologna. 


347 


<lie  Korrektur  der  Jahresläiii^e.  Dass  dem  so  ist,  würde  uns  vollständig 
entgangen  sein,  hätte  nicht  der  etwas  gründlichere  Gelehrte  der  Codex- 
Borgia-Handschrift  sich  veranlasst  gesehen,  neben  diesen  vier  Bildern  die 
oben  genannten  vier  Jahre  hinzuzusclireiben.  Erst  dieser  glückliche  Umstand 
hat  auch  uns  nunmehr  in  den  Stand  gesetzt,  in  den  Bildern  Abb.  (i— !• 
das  zu  erkennen,  was  den  durch  iuündli(;hen  Unterricht  unterwiesenen  alten 
Priesterschreibern  ohne  Weiteres  klar  sein  niusste. 

Einen  ganz  anderen  Charakter  hat  die  Hinterseite  der  Handschrift. 
Diese  gehört  zu  den  merkwürdigen  Abschnitten,  in  tlenen  wir  auf  den 
verschiedenen  Blättern  ganze  Säulen  von  Zahlen,  und  zwar  nicht,  nach 
mexikanischer  Art,  durch  Kombination  von  Punkton,  bezw.  durch  die  die 
höheren  Zahlen  20,  400,  8000  bezeichnenden  Bilder,  ausgedrückt  sehen, 
sondern  nach  Maya-Art,  durch  (Jruppen  von  Punkten,  die  die  Einheit,  und 
von  Strichen,  die  tlie  Fünf  repräsentiren,  geschrieben  finden.  Ich  habe  über 
diese  Abschnitte  in  meiner  Erläuterung  des  Codex  Fejerväry- Mayer  aus- 
führlich gesprochen.  Es  ergab  sicli  mir,  dass  diesen  Zahlen  eine  tiefere 
Bedeutung  nicht  innewohnt,  dass  sie  anscheinend,  —  entweder  nur  in 
Imitation  unverstandener,  aber  für  zauberkräftig  gehaltener  astronomischer 
Codices,  oder,  auf  Grund  einer  Zahlenmystik  und  dir(>kt  zu  Zauber- 
zwecken zusammengestellt  worden  sind.  Die  Gottheiten  sah  ich  mich  ver- 
anlasst, als  eine  um  zwei  Figuren  vermehrte,  aber  in  umgekehrter  Richtung 
aufgeführte  Liste  der  Herren  der  neun  Stunden  der  Nacht  aufzufassen, 
wie  das   die   folgende   vorgleichende  Uebersicht  zeigt,    bei   der   durch   den 


I.    Die  Neun  Herren  der  Nacht. 

(Gewöhnliche  Liste.) 
Mitte  T.  A7/^A^'(v<///,derFeiiergott. 


II.    Codex  Bologna  21—31. 


Osten 


Norden, 


Westen 


II.  liztli,  Steinmessergütt. 
III.  Toiiatiiih,  Sonnengott. 
IV.  Cinteotl,  Maisgott. 

V.  MidlaitticutU,  Todesgott. 

VI.  CluilrhUihtU  iciic, 
Wassergöttin. 


I  VII.  TluroUrotl,  Erdgöttin. 

IVIII.  Tcp<!/oUoUI,  Stimme  des 
Jaguars  in  den  Bergen. 
IX.  TUdor,  Regengott. 


Mitte  { 
(unten,  i 


oben) 


^  ('hlcthiixuKiiii  Tczcatlipocü  . 
der  zweifarbige  T. 
V/(i/(niii(jiii  TezcatUpoca   .    . 

der  schwarze  T. 
Tlatlatiliqid  Tfzcaf/ipora  ,    . 

der  rothe  T. 
Jztac  Tpzcatlipoca  ..... 

der  weisse  T. 
Mictccacinatl 

die  Herrin  desTodtenreichs 
Tlu<;oltPoil 

die  Erdgöttiu 
(mit  d.  folgenden  zu  vertauschen) 
3/('^cr// 

Mondgöttin 

Xolotl . 

Gott  der  Zwillinge. 
TUilor 

Regengott. 
( 'hicH<ip<(uqui  Tezcatlipoca  . 

der  zweifarbige  T. 
Xiuhticufli 

Feuergott. 


rli/fODii'  acdff 

Sieben  Rohr. 
oiiic  arafi 

Zwei  Rohr. 
«V  ocelotl 

Eins  Jaguar. 
cf  eecatl 

Eins  Wind. 
cliicitnaui  ripactli 

Neun  Krokodil. 
rfu'vini<nii  acut! 

Neun  Rohr. 

rhiciiei  acatl 
Acht  Rohr. 

rc  oliii 

Eins  Bewegung. 
rh/riinaiii  ocfJotl 

Neun  Jaguar. 
(•<-  acatl 

Eins  Rohr. 
(V    tovhtli 

Eins  Kaninchen.  ^ 


34S 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


beigesetzten  Pfeil  d'w  Orchiuui;.  in  der  die  Figuren  ;infi;el"ülirt  .sind,  iiu- 
gezeigt  ist.  Die  letzte  Kolumne  gibt  die  Daten  an,  mit  denen,  entgegen 
dem,  was  in  diesen  Handschriften  sonst  üblich  ist,  aber  übereinstimmend 
mit  dem  Branch  der  mixtekisehen  Codices,  diese  (iottlieiten  hier  be- 
Z(Mclinet  sind. 


Aljb.  10.     Ce  toflitli  „eins  KaniucLen"  =  Xinhtccnfli,  der  Feuergott. 


Abb.  11.     f't'  acatl  ,,eins  Rohr"  =  Tltdtizcalpan  tcviifli,  Gottheit  des  Morgensterns. 


Die  Mehrzahl  dieser  CJottheiten  sind  dabei  als  Formen  TezcatUpoca  <&, 
des  Zaubergottes,  aufgefasst.  Vgl.  die  Abb.  10 — 12  die  den  Feuergott 
{Xiuhtecutli),  die  Gottheit  des  Morgensterns  {Tlauizcaljyan  teciitli)  und  wie 
es  scheint  eine  andere  Form  derselben  Gottheit  des  Morgensterns  dar- 
stellen,   und    denen   sich  noch   der  rothe    und    schwarze  und   ein    weisser 


6.    Codex  Cospi.     Die  mexikanische  Bilderliandschrift  von  Bologna. 


.'^41> 


Tezcatlipoca  anschliessen,  von  denen  tlic  beiden  ersten  für  den  Sonnen- 
gott und  den  Steinmesser-Gott  stehen,  während  der  letztere,  der  für  dei» 
Maisi>ott  eintritt,  wohl  mit  dem  altem  htac  Mivcouatl  zu  identitiziren  ist. 
Auf  Zauberei  deuten  endlich  khir  und  deutlich  auch  die  Zeichen,  die  man 
neben  diesen  (Jöttern  und  ausser  dtn\  Zahlen  auf  diesen  Blättern  noch  an- 
gegeben findet.  Wie  nämlich  anderwärts  die  in  diesen  Büchern  dar- 
gestellten Götterfiguren  von  Reihen  von  Tageszeichen,  meist  Gliedern  des 
in  fünfgliedrige  Säulen  geordneten  TonalamatVa  begleitet  sind,  wodurch 
sie,  in  bestimmter  Weise  geordnet,  für  gewisse  Abschnitte  des  Tonalamatf» 
oder  andere  grössere  Zeitperioden  als  bestimmend  hingestellt  werden,  sa 
sehen  wir  auch  hier  die  Götterfiguren  von  Säulen  von  4,  5  oder  6  Bildern 
begleitet,  die  aber  eine  ganz  andere  abstruse  oder  esoterische  Bedeutung 
haben.    Auf  dem  ersten  Blatte  "il   nämlich,  sehen  wir  neben  dem  Feueraott 


Abb.  12.    CJi/roiiir  aratl  ..sieben  Rohr".    ('/u'rf/ajxnK/iii  Tczratlipara  der  ..halb  weisse, 
halb  schwarze  Tezcatlipoca'^  —  TlaitizrdJiuoi  fcciitli? 

<lie  Säule  Abb.  13,  S.  3r)0,  d.  h.  Spinne,  Flügelinsekt,  Skorpion,  Schlangt^ 
im  Loch,  Jaguar  in  der  Berghöhle.  Das  kann  natürlich  nur  eine  gewisse  un- 
heimliche Bedeutung-  haben.  Dal)ei  erinnere  ich  aber  doch  daran,  dass 
die  Spinne  in  dem  Beiwerk  verschiedener  Blätter  des  Codex  Borbonicus 
vorkommt,  und  zwar  bei  solchen  Gottheiten,  wo  an  der  einen  oder  anderen 
Stelle  in  den  Tjisten  die  TzitzimimJ,  die  vom  Himmel  herabkommenden 
Dämonen,  genaimt  sind,  und  dass  wir  unter  den  Tzitzimimö  uns  eigentlich 
Sterngottheiten  vorzustellen  haben,  die  nur  deshalb  in  der  Vorstellung  der 
Mexikaner  zu  Dämonen  der  Finsterniss  wurden,  weil  die  Sterne  in  der 
schreckhaften  Zeit  der  Sonnenfinsterniss  an  dem  sonst  zu  der  Zeit  hellen 
Tageshimmel  sichtbar  werden.  Spinne,  Flügelinsekt  und  Skorpion  sind, 
etwas  variirt  und  mit  einigen  anderen  zum  Theil  unverständlichen  Zeichen 
kombinirt,    auch    bei    den    nächsten    drei   Figuren    wiederholt.     Auf    dem 


;j:>0 


Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


D 


fünfteu  und  sechsten  Blatte  aber.  l>ei  der  Erdgöttiu  und  der  Mondgöttin, 
die  zusammen  den  Westen  bezeichnen,  tritt  die  ganz  andere  Keihe  Abb.  14 
iinf.  Xicht  mehr  Spinne.  Flügelinsekt  und  Skorjnon.  sondern  Sehnecke 
{die  im  Haus  verborgene)  und  Wurm  (der  in  der  Erde  lebt).  Darunter 
vier  andere  Zeicheu.  über  deren  eigentliche  Bedeutung  ich  nichts  anzu- 
u^eben  weiss.  Auf  den  folgenden  beiden  Blättern.  27  und  28  treten  wirk- 
liche Tageszeichen  auf.    die  aber   die  Sonderbarkeit  au   sich   haben,    dass 

sie  sänimtlich  hinter  sich  die 
Figur  eines  menschlichen  Her- 
zens haben,  der  sie  gleichsam 
aufsitzen.  Auf  Blatt  "28  ist  es 
die  Reihe  Abb.  15.  Zu  oberst 
steht  ein  Zeichen,  das  vielleicht 
malinalli  ist.  Darauf  folgt  eine 
Schildkröte,  danach  ein  Hund, 
zuletzt  Hirsch  und  Kaninchen. 
Nehmen  wir  an.  wozu  wir  un- 
zweifelhaft berechtigt  sind,  dass 
die  Schildkröte  (^ayotl)  hier  für 
das  Zeichen  atl  -Wasser"  steht, 
so  geben  4.  5,  2.  3  die  Zeichen 
maratl  ^Hirsch".  tochtJi  «Kanin-^- 
chen".  atl  ^Wasser",  itzcuintli 
-Hund",  und  das  sind  die  vier 
Zeichen,  die  in  der  Reihen- 
folge der  Tageszeicheu  dem 
Zeichen  rniquiztli  ^.Tod"  folgen. 
Also  wiederum  eine  Beziehung 
auf  das  Unheimliche  und  jedes- 
falls  auf  Zauberei.  Denn  Ce 
rniquiztli  „eins  Tod"  ist  ja  das 
Zeichen  Tezcatlipoca  s  und  das 
Hauptzeichen  der  Zauberer.  Und 
dass  an  diese  Beziehung  hier 
ijedacht  ist.  wird  durch  die  drei  letzten  Blätter  29 — 31  klar  bewiesen, 
indem  wir  auf  ihnen,  und  auf  allen  dreien,  dieselben  vier  Tages- 
zeichen, immer  in  verschiedener  Anordnung,  daneben  aber  noch  das 
Tageszeichen  couatl  ..Schlange"  augegeben  finden  (Abb.  17).  d.  h.  also  die 
vier  auf  rniquiztli  „Tod"  folgenden,  und  das  dem  Zeicheu  rniquiztli  „Tod" 
vorhergehende  Zeicheu.  Eine  Sonderbarkeit,  über  die  ich  aber  nicht 
Rechenschaft  geben  kann,  zeigt  noch  das  Blatt  27,  indem  auf  ihm  (vgl. 
Abb.  16).  statt  des  Zeichens  itzcui?itli  „Hund",  ein  Yogelkopf  (Papagei?) 
srezeichnet  ist. 


Abb.  13. 
Codex  Bolosna  21. 


Abb.  14. 
Codex  Bologna  25. 


6.    Codex  Cospi.    Die  mexikanische  Bilderhatidschrift  von  Bologna.  :\')\ 

Aus  der  Gesanimtheit  dieser  Darstellungen  jrelit  klar  hervor,  dass 
bliese  Rückseite  unserer  Handschrift  ein  ZauLerkodex  wai-,  dazu  bestimmt, 
zu  unheimlichen,  verderblichen  Zwecken  die  in  den  neun  Stunden  der 
Nacht  mächtigen  Gottheiten  in  Bewegung-  zu  setzen.  (Ileichzeitig  scheint 
es  aber  auch,  dass  dieser  Zauberkodex  in  Imitation  anderer,  eine  wirkliche 
Bedeutung    aufweisender,    astronomischer    Codices    entworfen    worden    ist. 


Abb.  15. 
Codex  Bologna  28, 


Abb.  16. 
Codex  Bologna  27. 


Abb.  17. 
Codex  Bologna  29. 


und  es  erscheint  deshalb  nicht  unwahrscheinlich,  dass  unsere  Handschrift 
in  dem  an  die  Maya- Länder,  an  das  Tlillan  T/apallan^  das  Land  der 
Schrift,  angrenzenden  Gebiete  entstanden  ist.  Jedenfalls  stellt  der  Codex 
Bologna  in  dieser  Verschiedenheit  der  beiden  Seiten,  einen  Typus  dar  und 
ist  trotz  der  Beschränkung  auf  das  Wesentlichste,  die  die  Vorderseite  auf- 
weist, in  seiner  Art  vollständiger  als  die  ausgeführten  und  vollgeschriebenen 
Handschriften  Codex  Boroia  und  Codex  Vaticanus  B. 


352  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 


i. 

Die  mexikanischen  Gemälde  von  Cuaulitlantzineo^). 

Ginbus.     Bd.  LXXV  S.  96.  97.    4.  Februar  1S99. 


Cuauhtlantzinco  ist  eiu  kleiues  Dorf  in  der  Xähe  von  Ckolula.  Es 
ist.  wie  Bandelier  festgestellt  hat.  erst  nach  der  Couquista  vou  einigen 
Cholulteken  gegründet  ■worden,  die  bei  der  Ankunft  des  C'ortes.  aus  welchem 
(Irunde  ist  nicht  bekannt,  auf  eigene  Hand  mit  ihm  Verbindungen  ange- 
knüpft hatten,  und  die  deshalb  nachher  von  den  Ihrigen  als  Yerräther 
behandelt  wurden  und  Cholula  verlassen  mussteu.  In  diesem  Dorfe  wurden 
seit  alter  Zeit  in  Oelfarbe  auf  europäischem  Papier  ausgeführte  und  mit 
mexikanischem  Text  versehene  (iemälde  aufbewahrt.  Der  Pfarrer  vou 
Cholula.  Dr.  JoseA'ieente  Campos.  hat  im  Jahre  1855  diese  Bilder  auf- 
ziehen, in  zwei  Rahmen  spannen  und  in  dem  (iemeindehause  aufhängen 
lassen,  nachdem  er  mit  Hülfe  der  des  Idioms  am  besten  Kundigen  eine 
spanische  üebersetzung  davon  hatte  anfertigen  und  an  jedem  tler  beiden 
gerahmten  Bilder  hatte  befestigen  lassen.  Bandelier  war  es  nicht  ge- 
lungen, diese  Bilder  zu  Gesicht  zu  bekommen.  Aber  Starr  hat  im 
Sommer  1895  ohne  grosse  Schwierigkeit  die  Erlaubniss  bekommen.  Photo- 
graphieeu  davon  aufzunehmen.  Leider  konnte  er  nur  Aufnahmen  in  ganz 
kleinem  Massstabe  macheu,  und  leider  hat  er  es  nicht  versuchen  zu  können 
geglaubt,  die  mexikanischen  Legenden  zu  entziffern  und  abzuschreiben, 
und  sich  mit  der  Kopie  der  spanischen  Lebersetzuug  begnÜH:t.  Als  er  im 
Jahre  1896  wieder  kam,  um  Aufnahmen  in  etwas  grösserem  Massstabe  zu 
macheu,  fand  er  die  Bilder  in  dem  einen  Rahmen  zum  Theil  durch  Feuer 
zerstört,  so  dass  eine  genaue  Aufnahme  des  mexikanischen  Textes  jetzt 
überhaupt  nicht  mehr  möglich  scheint. 

Die  Bilder  sind  ganz  in  dem  Stil  der  Malereien  des  sechzehnten  dahr- 
huuderts  und  erzählen,  in  etwas  ruhmrediger  AVeise.  die  Erlebnisse  der 
(Triinder  des  Dorfes  und  ihre  dicke  Freundschaft  mit  Fernando  C  ort  es. 
Ton  den  44  Bildern  sind  11  doppelt.  Es  scheinen  demnach  ursprünglich 
zwei  Exemplare  des  Gemäldes  vorhanden  gewesen  zu  sein. 

1)  Frederick  Starr,  The  Mapa  de  Cuauhtlantzinco  or  Codice  Campos. 
Chicago,  The  University  of  Chicago  Press,  189S. 


7.   Die  mexikanischen  Gemälde  von  Cuaubtlantzinco.  353 

Auf  dem  ersten  Blatte  sieht  man  die  vier  Indianer  dem  Corte s,  der 
in  Rüstung  mit  dem  Helm  auf  dem  Haupte,  der  Fahne  in  der  Hand,  dar- 
gestellt ist,  zur  BegTüssung  nach  Jalapa,  wie  es  im  Texte  heisst,  entgegen- 
gehen. Ueber  dem  Haupte  des  ersten  Indianers  ist  deutlich  Tepozteca  ge- 
schrieben. Der  zweite  und  dritte  sind  im  Texte  Cencoma  und  Sarmiento 
genannt.     Der  Name  des  vierten  ist  hier  nicht  angegeben. 

Das  zweite  Blatt,  dessen  eigentliche  Bedeutung  Starr  entgangen  ist, 
ist  interessant,  weil  es  zeigt,  wie  naiv  in  dieser  Zeit  und  in  diesen  Doku- 
menten, die  sich  doch  als  ganz  christlich  geben,  die  alten  heidnischen 
Anschauungen  zum  Vorschein  kommen.  Man  sieht  einen  zackigen  Berg 
mit  Bäumen  und  Gewächsen  und  einer  Schlange,  die  an  ihm  emporkriecht. 
Am  Fusse  sitzt  eine  Indianerin  am  Webstuhl.  Die  spanische  Uebersetzung 
der  Legende  lautet  folgendermassen:  „Ich  bin  die  Fürstin  und  Herrin 
Matlequilletzin'-^  —  (in  Klammer)  „die,  die  jede  Art  von  Kleidung  webt" 
—  „und  obgleich  mau  mich  oft  hier  sieht,  so  ist  es,  weil  dies  der  Ort 
ist,  wo  ich  geboren  wurde,  weil  ich  hier  das  Gewand  trage,  mit  dem  wir 
Fürstinnen  alle  uns  kleiden,  und  weil  hier  das  Land  des  Fürsten  Caca- 
totzin  ist,  wo  er  selbst  mir  ein  Bad  erbaute,  wie  in  diesem  von  seiner  Hand 
gemachten  Gemälde  angezeigt  ist."  —  Starr  bemerkt  dazu^  dass  die 
Indianer  von  Cuauhtlantzinco  den  Berg  Malintzi,  d.  h.  den  Berg  von 
Tlaxcala^  als  den  hier  dargestellten  Berg  ansehen,  und  fügt  dann  einige 
Betrachtungen  über  die  Kleidung  der  hier  dargestellten  „Prinzessin"  hinzu. 
Xun,  diese  MatlequiUetzin  ist  in  richtiger  spanischer  Orthographie  zunächst 
Matleqüiyetzin  oder  Matlecuiyetzin  zu  schreiben,  und  das  ist  nur  eine  Ver- 
derbung- des  Namens  Matlalcuei/etzin,  der  „Herrin  im  blauen  Gewände", 
der  alten  Bezeichnung  der  Göttin  des  Wassers  und  des  Berges  dieses 
Namens,  der  heute  unter  dem  Namen  Malintzin  oder  Malinche,  dem  Namen 
der  Geliebten  des  Cortes,  bekannt  ist.  Dieses  zweite  Bild  und  die 
Legende  besagen  also,  dass  CacaJotzin  der  Göttin  des  Wassers  und  des 
Berges  ein  Bad  baute,  d.  h.  also  wohl  hier  eine  Quelle  in  einem  Bassin 
fasste. 

Das  dritte  Blatt  zeigt,  welche  Nachstellungen  der  Sprecher  (Cacalotlf) 
wegen  der  auf  dem  ersten  Blatt  berichteten  Begrüssung  des  Cortes  zu 
erdulden  hatte,  und  wie  er  die  Wachsamkeit  seiner  Feinde  zu  täuschen 
wusste,  und  schliesst  mit  der  Drohung:  —  „Glaubt  jetzt  an  Gott,  ihr,  die 
ihr  mir  den  Tod  geben  wolltet!"  —  d.  h.  ihr  müsst  jetzt  auch  Christen 
werden,  die  ihr  mir  wegen  der  Verbindung  mit  den  Christen  feind  wäret. 
Bemerkenswerth  ist,  dass  nach  der  Legende  der  Befehl  zu  dieser  Ver- 
folgung von  dem  zu  der  Zeit  längst-  verstorbenen  König  Ne<^aualcoyotl 
ausgegangen  sein  soll.  Ne^aualcoyotl  ist  offenbar  nur  Bezeichnung  des 
Königs  von  Tetzcoco,  wie  Moctezuma  Bezeichnung  für  den  König  von 
^lexico  schlechtweg.  Dass  aber  Ne^aualcoyotl  hier  genannt  ist,  beweist, 
dass  zum  mindesten  die  Legenden  aus  späterer  Zeit  stammen  müssen. 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  23 


354:  Zweiter  Abschnitt:    Bilderschriften. 

Auf  den  folgenden  beiden  Bildern  werden  die  „Herren  des  Berges" 
zur  Bekehrung  aufgefordert,  und  die  Bewohner  von  Malacatepec  bekehrt, 
d.  h.  bekriegt  und  unterworfen.  Und  dann  meldet  Blatt  6,  dass  sich 
der  „mächtige  Monarch"  unterwarf,  und  ein  Tlamacazcapilli  wird  ange- 
redet, „den  eine  grüne  Schlange  trägt''.  In  der  That  sieht  man  hier  die 
beiden  Fürsten,  die  Ahnherren  von  Cuauhtlantzinco^  vor  einem  anderen 
auf  einer  Schlange  sitzenden.  Dies  Blatt  erklärt  sich  wohl  durch  das 
Folgende,  wo  die  Unterwerfung  und  Bekehrung  der  Bewohner  von 
Tecuanapan^  —  richtiger  Teciiampan,  ein  Dorf  bei  Ckolula,  —  „die  der 
Schlange  abergläubischen  Kult  widmeten",  berichtet  uud  gleichzeitig  be- 
merkt wird:  —  „das  sind  Hügel,  die  zu  meinem  Lande  gehören".  Tecuani 
heisst  das  Raubthier  und  wird  gewöhnlich  mit  „Jaguar"  übersetzt  (vgl. 
Tecuantepec  =  Tehuantepec).  Man  bezeichnete  damit  aber  jedes  gefährliche, 
beissende  Thier  und  nach  Dur  ans  ausdrücklichem  Zeugniss  auch  die 
Schlangen. 

Weiterhin  macht  sich  Tepoztecatzin,  der  erste  der  vier  Fürsten  von 
Cuauhtlantzinco,  nützlich,  indem  er  C  ort  es  verschiedene  Götzenanbeter 
heranbringt. 

Blatt  12  schildert  die  Taufe  Citlalpopocatzin'&  (von  Tlajccala)  und 
Blatt  13  die  des  Ahnherrn  von  Cuauhtlantzinco^  worauf  dann  das  Fest  an 
dem  Orte  „del  Dios  Capulin"  {Capulteopan)  folgt  (Blatt  14  und  15).  C  ort  es 
macht  ihnen  mit  seinem  eigenen  Degen,  der  an  einem  Baume  befestigt 
abgebildet  ist,  ein  Kreuz  (Blatt  16  und  17)  und  gibt  ihnen  das  Bild  der 
Kuestra  Seüora  de  los  Remedios  (Blatt  18  bis  20).  Blatt  21  schildert  die 
Bewirthung  der  Spanier,  Blatt  22  die  Trauer  der  Indianer  bei  der  Xach- 
richt,  dass  Cor t es  nach  Spanien  zurückkehren  will.  Auf  Blatt  23  begleitet 
Tepoztecatzin  mit  reichen  Gescheuken  den  Cortes  bis  nach  Quimiztlan 
(oberhalb  Jalapa),  und  auf  Blatt  24  sitzt  der  Indianer  trauernd  unter  einem 
Feigenkaktus,  der  abreisenden  Freunde  gedenkend. 

Blatt  26  zeigt  Jacinto  Cortez,  wie  der  jetzt  getaufte  Cacalotzin  nach 
seinem  Pathen  heisst,  und  seinen  Geburtsort.  Blatt  29  Tepoztecatzin  mit 
der  Landschenkungsurkunde  in  der  Hand,  Blatt  30  bis  33  endlich 
enthalten  die  Porträtköpfe  der  vier  Fürsten.  Yor  dem  Munde  jedes  ist 
ein  Spruchband,  das  ein  Bekenntniss  zum  christlichen  Glauben  enthält. 

Das  ist  in  Kurzem  der  Inhalt  dieser  Malereien,  die  für  den  Stil  und 
die  Gedankenwelt  jener  Uebergangszeit  recht  bezeichnend  sind.  Mit  dem 
schön  gezeichneten  Lienzo  de  Tlaxcala  sind  diese  Bilder  freilich  nicht 
entfernt  zu  vergleichen.  Immerhin  hat  sich  Herr  Starr  ein  grosses  Ver- 
dienst erworben,  dass  er,  soweit  es  ihm  möglich  war,  uns  ein  Abbild  von 
ihnen  erhalten  hat. 


.^>.<=-. 


Dritter  Abschnitt. 


Kalender  und  Hieroglyphen- 
Entzifferung. 


1. 

Maya-Handschriften  und  Maya-Götter. 

Verhandlnngeu  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte. 
17.  Juli  1886.    [Zeitschrift  für  Ethnologie.    XVIII.    S.  (416)-(420)]. 


In  den  beiden  ersten  Heften  des  laufenden  Jahrganges  der  Zeitschrift 
hat  Herr  Dr.  P.  SchelHias  eine  Abhandlung  veröffentlicht,  in  der  er,  wie 
mir  scheint,  mit  Glück  eine  Anzahl  der  in  der  Dresdener  Maya-Hand- 
schrift  abgebildeten  Götterfiguren  mit  bestimmten  Hieroglyphen  identifizirt, 
fussend  auf  dem  von  ihm  sogenannten  Parallelismus  der  Schrift,  der  gleich- 
artigen Anordnung  der  Schriftzeichen,  Hieroglyphen  und  Bilder,  die  ich 
aber  weniger  mit  dem  Verfasser  einer  besonderen  mathematischen  Veran- 
lagung des  Volkes  zuschreiben,  als  durch  die  besondere  Natur  der  Hand- 
schriften bedingt  ansehen  möchte. 

In  erster  Linie  beschäftigt  sich  Schellhas  mit  dem  Todesgott.  Die 
Hieroglyphen,  die  er  für  ihn  herausgefunden  hat,  sind  ohne  Zweifel  die 
richtigen.  Aber  besondere  Bedenken  macht  sich  der  Verfasser  darüber, 
dass  in  dem  Namen  des  Todesgottes,  welchen  Landa  übermittelt,  Ilun 
hau^  nichts  von  dem  Worte  „Tod"  vorkommt.  Er  vermuthet,  dass  der 
Name  vielleicht  Ilun  cimi  gelautet  haben  möge,  „Eins  Tod",  und  er  er- 
innert an  den  im  Popol  Vuh  vorkommenden  gleichbedeutenden  Namen 
Hun  came.  Dem  gegenüber  ist  aber  doch  zu  bemerken,  dass  diese  Götter- 
namen eigentlich  Tage  bezeichnen,  die  Tage,  welche  diesen  bestimmten 
Grottheiten  angehören,  die  Zeichen,  in  denen  sie  regieren,  dass  also  diese 
Götternamen  an  sich  mit  der  Natur  des  Gottes  gar  nichts  zu  thun  haben, 
wenn  aucli  vielfach  wohl  zwischen  der  Bedeutung  des  Zeichens  und  der 
Natur  des  Gottes  eine  geheime  Beziehung  erkannt  ward.  Das  dem  Hun 
cimi  und  Hun  came  äquivalente  aztekische  Ce  miquizili  bezeichnet  nicht 
Mictlantecutli,  den  Todesgott,  sondern  Tezcatlipoca. 

Besonderes  Interesse  verdient  die  zweite  der  von  dem  Verfasser  be- 
handelten Gottheiten,  sie  hat  mir  auch  vorzugsweise  Anlass  zu  meinen 
heutigen  Bemerkungen  gegeben.     Der  Verfasser   nennt  sie  den   „Gott  mit 


358  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

der  Schlangenzunge-.  Aber  dasjenige,  was  das  am  meisten  unterscheidende 
und  auffälligste  Merkmal  dieses  Gottes  ist,  hat  mit  einer  Schlangenzunge 
nichts  zu  thun.  Weder  in  aztekischen,  noch  in  yukatekischen  Malereien 
ist  irgendwo  eine  Schlange  mit  solcher  Zunge  abgebildet.  Man  malt  die 
Schlange  entweder  ohne  Zunge,  mit  den  beiden  weit  hervorstehenden 
Giftzähnen,  oder  es  streckt  sich  aus  dem  Rachen  eine  breite  Zunge  hervor, 
deren  Spitze  (oft  andersfarbig  gemalt)  eine  gabelförmige  Kerbung  zeigt. 
Die  eigenthümlichen  Auswüchse,  welche  der  sogenannte  Gott  mit  der 
Schlangenzunge  im  Munde  trägt,  sind  vielmehr  äquivalent  den  Raff-  oder 
Hauzähneu,  die  eines  der  unterscheidenden  Merkmale  Tlaloc's  bilden; 
dieser  sogenannte  Gott  mit  der  Schlangenzunge  ist  in  der  That 
kein  anderer,  als  Tlaloc.  der  Regen-  und  Gewittergott  der  Mexi- 
kaner. 

Dies  geht  zunächst  aus  den  Symbolen  und  Atti-ibuten  hervor,  mit 
denen  dieser  sogenannte  Gott  mit  der  Schlangeuzunge  an  den  verschiedenen 
Stellen  der  Dresdener  Handschrift  abgebildet  ist.  Der  Verfasser  stellt 
(S.  80)  folgende  Attribute  und  SjTiibole  zusammen,  die  säramtlich  auf  Tlaloc 
passen: 

Wasser.  Regen,  Kahn  und  Ruder. 

Fisch  und  Eidechse  [eigentlich  wohl  die  in  der  That  in  der  Xälie  des 
Wassers,  an  den  Flussuferu  lebende  Iguana].  Bei  den  Mexikanern  galt  die 
Eidechse  als  Symbol  des WasseiTeichthums  (significa  abbondauza  dellacqua), 
wie  der  Intei'pret  des  Codex  Taticanus  ausdmcklich  angibt. 

Der  Adler,  wenn  er  zoologisch  richtig  bestimmt  ist,  ist  vielleicht  das 
Einzige,  was  nicht  in  gleicher  Art  bei  dem  mexikanischen  Tlaloc  nachzu- 
weisen ist.  Im  Codex  Laud  12  (vgl.  unten  Abb.  13)  sehen  wir  vor  Tlaloc 
den  tlauhqueckol.  den  durch  sein  schönes  Gefieder  ausgezeichneten  rothen 
Löffelreiher  abgebildet. 

Das  -vierfüssige  Thier.  der  amerikanische  Löwe  oder  ein  Hirsch",  ist 
der  Jaguar,    in   dessen   Verkleidung  Tlaloc  z.  B.  Codex  Laud  2   erscheint 

Die  Schlange  ist  die  Wolkenschlange  oder  die  Blitzschlange,  beides 
bekannte  Attribute   Tlaloc  s,  oder  der  TlaloqiLe^  der  Gewittergötter. 

Kriegsbeil,  Speer.  Pfeil  und  Schild  sind  ebenfalls  bekannte  Attribute 
der  ,.mit  dem  Blitz,  wen  sie  wollen,  treffenden  Regengötter"  (vgl.  Sahagun 
7,  5),  die  vielfach  damit  in  den  Codices  abgebildet  werden. 

Die  Fackel  ist  das  Blitzfeuer. 

Der  sogenannte  _Opferbaum~  ist  der  Wolkenbaum,  unter  dem  Tlaloc 
u.  a.  Codex  Laud  12  sitzt.     Vgl.  Abb.  13. 

Das  Scepter  mit  Menschenhand  ist  ein  bekanntes  Attribut  des  Todes- 
gottes (vgl.  Codex  Borgia  56  =  Kingsborough  59j.  das  vielleicht  dem  Tlaloc 
zukommt  als  TlalocantecuÜi,  dem  Herrscher  in  dem  Todtenreiche,  das  auch 
häufig  als  irdisches  Paradies  bezeichnet  wird,  dem  kühlen,  schattigen, 
auf  der  Spitze  des  Berges  gelegenen  Orte,  wohin  die  Seelen  der  vom  Blitze 


1.   Maja- Handschriften  und  Maya- Götter,  359 

Erschlagenen,  der  Ertrunkenen  und  der  dem  Tlaloc  geopferten  Kinder 
kommen.  Wahrscheinlicher  noch  ist,  dass  dieses  Scepter  mit  Menschen- 
hand dem  mexikanischen  chicauaztli  entspricht,  dem  Rasselbrett,  das  einer- 
seits Xipe,  andererseits  die  Götter  der  Maisfrucht,  der  Erde  und  des  Wassers 
führen,  und  das  auch  au  dem  grossen  Feste  Tlaloc'^  der  Procession  der 
Priester  rorangetragen  wird. 

Der  „eigenthümliche  Gegenstand,  der  mit  einem  Beutel  oder  einer 
Tasche  Aehnlichkeit  hat"  —  ist  das  ariquipilli,  der  Beutel  oder  die  Tasche, 
in  der  Kopal  und  anderes  Räucherwerk  getragen  wird.  Man  sieht  ihn 
häufig  in  der  Hand  Tlaloc's  oder  unter  seinen  Attributen  (z.  B.  Codex 
Borgia  67  =  Kingsborough  48.  Vgl.  unten  Abb.  12).  Ein  besonderes  und 
stehendes  Attribut  aber  ist  dieser  Beutel  bei  Quetzalcoatl.  Denn  dieser, 
der  Windgott,  ist  der  Priester  xax'  sioxt]v.  Wie  der  Wind  dem  Regen  die 
Wege  bahnt,  —  das  wird  als  besondere  Leistung  QuetzalcoatVs  augegeben  — 
so  zieht  der  Priester  durch  seine  Räucherungen,  seine  Kasteiungen,  seine 
Opfer  den  Regen  herbei. 

Die  Zusammenstellung,  die  wir  in  dem  Obigen  gegeben,  zeigt,  dass 
dem  sogenannten  Gott  mit  der  Schlangenzunge  nicht  nur  Attribute  bei- 
gelegt werden,  wie  sie  allgemein  Regen-  und  Gewittergöttern  zukommen, 
sondern  auch  solche,  die  unmittelbar  mit  dem  Regen  und  Gewitter  nichts 
zu  thun  und  nur  die  eigenthümliche  mexikanische- Auffassung  des  Regen- 
und  Gewittergottes  zur  Yoraussetzung  haben. 

Betrachten  wir  nun  weiter  die  bildliche  Darstellung  des  Gottes  selbst, 
so  erscheinen  als  Charakteristika  desselben  (vgl.  Abb.  1 — 12,  S.  360—362): 

1.  die  eigenthümlichen  gewundenen  Auswüchse,  die  zu  beiden  Seiten 
des  Mundes  heraushängen,  und  die  ich  als  Zähne  betrachte; 

2.  eine  eigenthümlich  verzierte  Uraränderung  des  Auges; 

3.  ein  Streifen  über  dem  Munde,  der  hinter  dem  Mundwinkel  sich 
hakenförmig  oder  in  geschwungener  oder  eingerollter  Linie  herabbiegt; 

4.  ein  ähnlicher,  nach  oben  sich  einrollender  Streifen  über  der  Nase; 

5.  die  lange,  nach  unten  gebogene  Nase; 

6.  ein  eigenthümlicher,  schleifenartiger  Kopfputz. 

Mit  Ausnahme  der  Nr,  5  sind  das  alles  Besonderheiten,  die  mit  be- 
kannten Eigeuthümlichkeiten  der  Bilder  Tlaloc  s  übereinstimmen  oder  sich 
aus  ihnen  entwickeln  lassen. 

Auf  Skulpturen  und  in  Malereien  sind  die  Bilder  Tlaloc  s  jederzeit 
leicht  kenntlich  an  drei  Besonderheiten  (vgl.  Abb.  13): 

1.  einer  breiten  ringförmigen,  blau  oder  grün  gemalten  Umränderung 
des  Auges, 

2.  einem  ebenfalls  blau  gemalten,  oben  über  den  Mund  sich  biegenden 
und  nach  beiden  Seiten  über  die  Mundwinkel  herab  und  sich  wieder  auf- 
wärts biegenden  Streifen, 

3.  den   langen,   nach  unten   gehenden  Zähnen  unter  diesem  Streifen. 


360 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  and  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Die  verzierte  Umränderimg  des  Auges  des  yukatekischen  Regengottes 
habe  ich  früher  mit  der  Uniräuderung  des  Auges  Tlaloc's  in  Verbindung 
o-ebracht.     Es  ist  vielleicht  nicht  ausgeschlossen,   dass  diese  Umräuderung 


Abb.  1.  Abb.  2.  Abb.  3.  Abb.  4. 

Abb.  1 — 4.     Cluu;  der  Regengott.    Dresdener  Handschrift  10b:  11c:  4a:  13a. 


1^^ 


Abb.  5.  Abb.  6.  Abb.  7. 

Abb.  5— 7.     Chac,  der  Regengott.     Dresdener  Handschrift  oOa:  44  a;  67c. 


bei  beiden  den  gleichen  Ursprung  hat.  Aber  sie  kommt  in  der  Weise, 
wie  siö  der  yukatekische  Regengott  zeigt,  auch  bei  anderen  Göttern  der 
Maya-Handschriften  vor.      Ich  kann  sie  deshalb    hier  nicht    als  Argument 


1.   Maya- Handschriften  und  iMava- Götter. 


361 


verwerthen.  Auch  der  Streifen  über  der  Lippe  des  yukatekiselien  Regengottes 
ist  wohl  nicht  ohne  Weiteros  der  blauen  Lippon.schlan,i;e  Tlaloca  gleich  zu 
erachten.  Aber,  dass  die  schlangenartig  sich  krüminciidoii,  zu  beiden  Seiten 
des    Mundes    heraushängenden    Auswüchse    iiiclits    anderes,    als    <lie    nach 


Abb.  8.  Abb.  9.  Abb.  10. 

Abb.  8— 10.     Chac,  der  Regengott.     Codex  Tro  27b;  31  d:  9*a. 


dODtX    TKO    $A  V. 


Abb.  11.     Der  Regengott  Chacy  auf  der  Schlange  Ah-boloii-tz'acab, 
der  Wassergottheit,  reitend.     Codex  Tro  2()b. 


unten  sieh  streckenden  Hauzähne  Tlalocs  sind,  wird  man  leicht  erkennen, 
wenn  man  eine  grössere  Zahl  von  T/a/of-Bildern  durchmustert.  Nicht 
immer  nämlich  hängen  die  Zähne  gloichniässig  und  gerade  unter  der 
blauen  Lippenschlange  herunter,  wie  auf  den  meisten  Skulpturen  und  wie 
z.  B.    in    den   Bildern    des    Codex  Yaticanus    und    des    Codex  Telleriano- 


360  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferunor. 

Remeiisis.  Häufig  krümmeu  sie  sich  (vgl.  Codex  Land  2).  In  den  Tlaloc- 
BilderiJ,  die  als  Zeichen  für  das  Tageszeichen  qidauitl  (Regen)  in  einem 
zapotekischen  Codex  figuriren,  sind  nicht  alle  Zähne  in  der  Weise  lang 
herunterhängend,    sondern  nur  die  zwei  äussersten  am  Mundwinkel.     Und 


in  dem  T/afoc-Bilde  Codex  Land  12  (Abb.  13)  ist  unter  der  blauen  Lippen- 
schlange eine  Reihe  kurzer  Zähne  sichtbar,  und  nur  aus  dem  Mundwinkel 
zieht  sich  ein  gekrümmter  Zahn  nach  nuten  und  hinten,  fast  ganz  ähnlich  den 
Bildern  des  Regengottes  in  der  Dresdener  Handschrift  und  im  Codex  Cortes. 
Endlich   erwähne   ich    noch,    dass  unter   den  Bildern  des  Regengottes  der 


1.    Maya- Handschriften  und  Maya-Götter. 


363 


Dresdener  Handschrift  eines  sich  findet  (Abi).  1,  aus  der  mittleren  Abthci- 
lung  des  Blattes  10),  wo  der  Gott  mit  drei  solchen  hin  und  her  <;ekrümmten 
Zähneu  versehen  ist,  die  natürlich  niclit  die  beiden  Theile  einer  ge- 
spaltenen Schiagenzunge  sein  können,  aber  an  die  Reihe  von  Zähnen  der 
gewöhnlichen   7Ya^c-Bilder  erinnern. 

Was  aber  ist  der  nach  oben  sich  oiurollende  Stnüfeii  über  der  Nase? 
Ich  meine,  weiter  nichts  als  das  andere,  hinter  dem  Profilbild  gelegene 
Ende  der  blauen  Lippenschlange.  Das  wird  einem  wiederum  klar,  wenn 
man  eine  grössere  Zahl  von  Tlaloc-BMeni  in  den  Codices  sich  aufsucht. 
Einmal  nämlich  haben  wir  Darstellungen,  wie  Codex  Borgia  67  (=  Kings- 


Abb.  IB.     Tlaloc,  der  Regengott  der  Mexikaner.     Codex  Land  12. 


borough  48)  auf  denen  von  der  Lippenschlange  nur  die  der  gezeichneten 
Profilseite  des  Gesichts  entsprechende  Hälfte  sichtbar  ist  (vgl.  Abb.  12). 
Ein  anderes  Mal  ist  auch  die  andere  Hälfte  der  Lippenschlange  über 
die  Nase  hinaus  in  die  Höhe  gezeichnet.  So  im  Codex  Yaticanus  A 
und  im  Telleriano-Remensis.  Dann  kommen  Darstellungen,  wo  diese 
hintere  Hälfte  besondere  Verzierungen  bekommt  (Codex  Borgia  25  ==  Kings- 
borough  14),  anders  gefärbt  erscheint  (Codex  Land  2  und  12:  vgl.  Abb.  13), 
schliesslich  erscheint  sie  ganz  losgelöst,  als  besonders  gefärbter  und  be- 
sonders verzierter  Ansatz,  so  ganz  deutlich  Codex  Yaticanus  B  89  (=  Kings- 
borough  8)  (Abb.  14,  S.  364).  Einen  Scliritt  weiter,  und  wir  haben  dasjenige, 
was  in  den  yukatekischen  Malereien  vorliegt.    Das  hintere  Ende  der  Lippen- 


3ü4 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


1 


sclilange  liegt  als  besonderer  Fortsatz  über  der  Nase.  Dass  eine  solche 
Zeichnung  nur  möglich  ist,  wo  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Theiles 
dem  Gedächtniss  gänzlich  entschwunden  ist,  wird  ohne  "Weiteres  klar  sein. 
"Was  daran  sich  noch  für  weitere  Folgerungen  anknüpfen  Hessen,  soll 
später  erörtert  werden. 

Es  bleibt  schliesslich  noch  der  schleifenartige  Kopfputz.  Derselbe 
scheint  mir  bei  den  Bildern  des  jiikatekischen  Regengottes  der  wenigst 
charakteristische  zu  sein.  Immerhin  ist  zu  bemerken,  dass  die  Tlaloc- 
Bilder  sehr  häufig  einen  bestimmten  schleifenartigen  Kopfputz  tragen  (mau 
vergleiche  Codex  Borgia  14  und  (JT  =  Kingsborough  25  und  48),  der  auch 
bei  den  Abbreviaturen  des  T/a/oc-Kopfes,  wie  sie  zur  Bezeichnung  des  Tages- 
zeichens quiauitl  üblich  sind,   deutlich  erkennbar  und  charakteristisch  ist. 

Die  hieroglyphischeu  Bilder,  welche 
Schellhas  als  Bezeichnungen  des  yuka- 
tekischen  Regengottes  ermittelt  hat,  sind 
zweierlei  Art.  Die  einen  geben  einfach 
eine  Abbreviatur  des  Kopfes  des  Gottes 
(Dresdener  Handschrift  32  c).  In  den 
anderen  glaubt  man  einen  Schädel  zu 
sehen.  Der  Verfasser  weiss  für  diese 
sonderbare  Thatsache  keine  Erklärung 
beizubringen.  Man  könnte  daran  denken, 
dass  der  mexikanische  Tlaloc,  als  Herr- 
scher in  Tlalocan,  ein  Todesgott  ist.  In 
Wahrheit  ist  es  aber  gar  kein  eigentlicher 
Todtenschädel,  den  man  in  dieser  Hiero- 
glyphe sieht.  Der  fleischlose  "Unterkiefer 
und  die  freiliegenden  Zähne  sind  freilich  genau  so,  wie  bei  dem  echten 
Schädel  gezeichnet,  aber  statt  des  runden,  von  einer  Braue  überspannten 
Auges,  das  man  sowohl  in  der  Zeichnung  der  mexikanischen  Codices,  wie 
der  Maya-Handschriften  au  dem  Schädel  angegeben  findet,  ist  es  hier  ein 
auslaufenile^s  Auge,  oder  ein  Auge,  das  durch  das  einem  griechischen  Tau 
ähnliche  hieroglyphische  Element,  wodurch  auf  den  Monumenten  das  Tages- 
zeichen ik  „"Wind"  bezeichnet  wird,  ersetzt  ist.  Endlich  ist  es  nicht  ein- 
fach ein  solcher,  mit  Todten-Unterkiefer  und  auslaufendem  Auge  versehener 
Kopf,  der  die  Hieroglyphe  des  yukatekischeu  Regengottes  bildet,  sondern 
dieser  Kopf  wird  augenscheinlich  von  einer  Hand  gehalten,  von  der  aber 
nur  der  aufgerichtete  Daumen  und  der  das  Armband  bezeichnende  Edel- 
stein gezeichnet  ist. 

Es  fragt  sich  noch,  was  für  einen  Namen  wir  dieser  in  der  Dresdener 
Handschrift  so  vielfach  abgebildeten  Gottheit  zu  geben  haben.  Schellhas 
meint,  dass  es  wohl  der  Kukulcan  sein  könne,  der  dem  QuetzalcoaÜ  der 
Mexikaner  entspricht  und  von  dem  so  viele  Sagen  erzählt  werden.     Mir 


Abb.  14.     Tlaloc,  der  Regengott  der 

Mexikaner.     Codex  A^aticanus  B,  89. 

(=  Kingsborough  8). 


1.    Maya-Handschriften  und  Maya- Götter.  365 

scheint  weder  diese  Parallele  mit  Quetzalcoatl,  noch  die  Art  des  Kultus, 
die  nach  Angaben  Landa's  dem  Kukulcan  zu  Theil  ward,  für  diesen 
yukatekischen  Tlaloc  zu  passen.  ^lir  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass 
es  der  Chac  oder  die  Chac  —  „los  quatro  Chac";  auch  die  Mexikaner 
verehrten  nicht  den  Tlaloc^  sondern  die  Tlaloque,  —  sind,  welche  Landa 
als  „dieses  de  los  maizales",  „dieses  de  los  panes"  anführt,  die  von  den 
Hausvätern  angerufen  wurden,  um  ein  regenreiches  Jahr  zu  erhalten,  und 
denen  ein  Ilaupttheil  des  Kultus  im  alten  Yucatau  gewidmet  war. 

Auf  die  anderen  Götter,  welche  der  Verfasser  behandelt,  einzugehen, 
versage  ich  mir.  Doch  möchte  ich  noch  auf  einen  Punkt  die  Aufmerk- 
samkeit lenken: 

Schellhas  schliesst  seine  Abhandlung  mit  den  Worten:  „Als  Regel 
muss  man  hinstellen,  die  Majaschrift  ist  im  Prinzip  ideogi'aphisch  und 
bedient  sich  zur  Vervollständigung  der  ideographischen  Hieroglyphenbilder 
vielleicht  einer  Anzahl  feststehender  phonetischer  Zeichen.''  —  Ich  pflichte 
ihm  darin  vollkommen  bei  und  möchte  sogar  noch  weiter  gehen.  Mir 
wird  es  immer  glaublicher,  dass  die  Maya-Handschriften  im  Grunde  voll- 
kommen analog  sind  den  mexikanischen  Bilderschriften  und  dass  sie  die- 
selben Gegenstände  in  derselben  AVeise  behandeln,  dass  demnach  die 
Maya-Hieroglyphen  nur  kursiv  gewordene,  aber  den  vollen  bildlichen 
Werth  behaltende  Bilder  sind.  Die  alten  Yukateken  hatten  eben  nicht 
nur  dieselbe  komplizirte  Zeitrechnung,  wie  die  Mexikaner;  sie  verehrten, 
wie  wir  gesehen,  zum  Theil  dieselben  Götter,  und  der  ganze  astrologische 
Hokuspokus,  mittels  dessen  bestimmte  Tageszeichen  zu  bestimmten 
Göttern  in  Beziehung  gebracht  wurden,  war  offenbar  bei  beiden  Völkern 
derselbe. 

Die  Frage,  wer  hierbei  den  Lehrmeister  und  wer  den  Schüler  gespielt 
hat,  ist  oft  ohne  Weiteres  zu  Gunsten  der  Yukateken  entschieden  worden, 
bezw.  zu  Gunsten  der  Tolteken,  mit  denen  man  die  Yukateken  identi- 
fizirte.  Mir  scheint  die  Sache  anders  zu  liegen.  Wenn  bei  den  Azteken, 
auch  bis  in  die  späteste  Zeit,  „Bild  und  Wort  nicht  verwischt  wurden", 
so  hatte  das  seinen  Grund  eben  darin,  dass  Bild  und  Wort  ihre  bestimmte 
Bedeutung  hatten,  deren  man  sich  bewusst  blieb.  Sieht  man  die  Eeihe 
der  Maya-Hieroglyphen  für  die  Tageszeichen  durch,  so  zeigt  sich,  dass 
einzelne  Bilder  noch  deutlich  dasjenige  erkennen  lassen,  was  das  ent- 
sprechende aztekische  Tageszeichen  bedeutet,  aber  die  Worte  haben  zum 
Theil  andere  Bedeutung  bekommen  oder  sind  unverständlich  geworden. 
So  ist  das  Zeichen  cimi  (aztek.  miquiztli^  Tod)  ohne  Weiteres  als  Todten- 
schädel  zu  erkennen.  In  dem  Zeichen  kan  (aztek.  cuetzpalin,  Eidechse) 
könnte  man  sich  einbilden,  den  aufgesperrten  Rachen  eines  Reptils  noch 
zu  sehen,  an  dem  Zeichen  etznah  (aztek.  tecpatJ,  Feuerstein)  erkennt  man 
deutlich  die  Bruchlinien  des  geschlagenen  Steines.  Aber  von  diesen  dreien 
hat  nur  das  eine,  cimi^  im  Maya  die  ihm  zukommende  Bedeutung;  das  zweite. 


36G  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

kafi,  bedeutet  gelb;  das  dritte,  e'tznab,  ist  unverständlicb.  Vergleicbt  mau 
nun  die  Bezeichnungen,  die  im  Quiche  und  Cakcbiquel  und  im  Chiapas  für 
die  Tageszeicben  angegeben  werden,  so  zeigt  sieh,  dass  die  Bezeichnungen 
der  Quichesprache  fast  genau  dasselbe  bedeuten,  wie  die  aztekischeu  Wörter. 
Die  Chiapanekischen  Wörter  stimmen  zum  Theil  mit  den  Quicheworten 
überein,  weichen  aber  auch  theilweise  ab.  Und  die  Maya-Bezeichnungen 
weisen  von  beiden  Reihen  Elemente  neben  eigenen  auf.  Stellenweise  will 
es  einen  bedünkeu,  als  ob  in  der  That  die  Mayawörter  nur  unverständlich 
gewordene  Ausdrücke  einer  anderen  älteren  Mayasprache  seien. 

Also,  mit  einem  Wort,  als  ,,erratische  Blöcke  in  dem  Gefüge  der 
weiter  entwickelten  Sprache"  möchte  auch  ich  die  Mayanamen  der  Tages- 
zeichen ansehen,  aber  in  anderem  Sinne,  als  Schell  ha  s  und  als  die 
meisten  anderen  Forscher,  nämlich  als  wirkliche  erratische  Blöcke,  die 
sich  aus  anderen  Gegenden  dorthin  verirrt,  bezw.  durch  elementare  Ge- 
walten dorthin  geschoben  worden  sind.  — 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     367 


2. 

Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift 

abgebildeten  Maya-Götter. 

Verhandlungen  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte 
19.  März  1887  [Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.   S.  (224)— (231)]. 


In  einem  vor  der  Antliropologischen  Gesellschaft  am  17.  Juli  vorigen 
Jahres  gehaltenen  Vortrage^)  habe  ich  nachgewiesen,  dass  derjenige  Gott, 
dessen  Bild  mit  am  häufigsten  auf  Seiten  der  Dresdener  Handschrift  — 
und,  ich  füge  hinzu,  auch  der  anderen  Maya-Handschriften  —  anzutreffen 
ist,  im  Wesen,  in  seinen  Attributen  und  selbst  in  der  Art,  wie  er  dar- 
gestellt und  abgebildet  wird,  dem  mexikanischen  Tlaloc  gleich  zu  setzen  ist. 
Die  Richtigkeit  der  Identifikation  ist  auch  von  demjenigen  Forscher,  dessen 
Abhandlung  mir  den  Anlass  zu  meinen  damaligen  Ausführungen  bot, 
anerkannt  worden;  nur  gegen  die  Berechtigung  des  Namens  Chac^  den  ich 
für  diesen  Gott  gebrauchen  zu  müssen  glaubte,  ist  Einspruch  erhoben 
worden.  Im  Folgenden  will  ich  versuchen,  einiges  zur  Vertheidigung  der 
von  mir  gebrauchten  Benennung  beizubringen.  Zuvor  aber  will  ich  fest- 
zustellen versuchen,  ob  wir  nicht  einige  der  in  der  Handschrift  abgebildeten 
Götterfiguren  mit  bestimmten  Namen  in  Verbindung  bringen  können. 

Die  einzigen  Blätter  einer  Maya-Handschrift,  auf  denen  bisher  der  dar- 
gestellte Vorgang  mit  Sicherheit  gedeutet  worden  ist,  sind  die  Tafeln  41  —  42 
des  Codex  Cortesianus  und  die  Tafeln  25 — 28  der  Dresdener  Handschrift. 
Beide  Deutungen  verdanken  wir  Herrn  Cyrus  Thomas  in  Washington.  — 
Die  genannten  Blätter  der  Dresdener  Handschrift  habe  ich  auf  den  folgenden 
vier  Seiten  reproduzirt.  Sie  stellen  die  Zärimonien  dar,  die  in  den  über 
die  volle  Zahl  von  achtzehn  Monaten  noch  überschüssigen  letzten  fünf 
Tagen  des  Jahres  vorgenommen  wurden. 

Diese,  aus  der  regelmässigen  Reihe  herausfallenden  Tage  galten  den 
Yukateken,  wie  den  Mexikanern,  als  gefährlich  und  unglückbringend.  Sie 
wurden  in  Yucatan  xind  kaba  kin  oder  uuayah  haab,  uuayeh  haah  genannt. 
Der  erstere  Name  bedeutet  „Tage  ohne  Namen";    der  zweite  wird,    nach 


1)  Jahrgang  1886,  S.  416—420.     Siehe  den  Aufsatz  1  dieses  Abschnitts. 


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Dresdener  Handschrift.    Blatt.  2G. 
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Dresdener  Handschrift.    Blatt  27. 


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Dresdener  Handschrift.    Blatt  28. 


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372  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Brasseur,  gewöhnlich  als  „Bett  des  Jahres'"  oder  ^Kammer  des  Jahres" 
erklärt.  Richtiger  ist  wohl  die  andere  Erklärung,  die  Pio  Perez^)  an- 
deutet: „die  das  Jahr  vergiften  oder  verwunden,"  denn  -ab  -eh  ist  die  re- 
guläre Endung,  mitttels  deren  von  Yerbis  transitivis  Nomina  abgeleitet 
werden,  die  das  Werkzeug  bedeuten,  mittels  dessen  die  Handlung  aus- 
geführt wird.  Um  der  gefährlichen  Tendenz  dieser  Tage  zu  begegnen, 
feierte  man,  wie  PioPerez  (nach  Cogolludo)  anführt,  an  ihnen  dem  Gotte 
Mam^  dem  „Grossvater'',  ein  Fest,  indem  man  am  ersten  dieser  fünf  Tage 
seine  Statue  im  Ort  umherführte,  am  zweiten  Tage  die  Feierlichkeit  mit  etwas 
verminderter  Intensität  fortsetzte,  am  dritten  seine  Statue  vom  Altar  her- 
unternahm und  in  der  Mitte  des  Tempels  aufstellte,  am  vierten  Tage  die 
Statue  von  dort  weg  und  an  die  Schwelle  oder  die  Thür  brachte,  am 
fünften  Tage  (den  Gott  au  dieser  Stelle  lassend)  von  ihm  Abschied  nahm. 
Damit  einigerraassen  übereinstimmend,  —  aber  jedenfalls  genauer  — 
erzählt  uns  Landa^),  dass  die  Eingeborenen  Yucatans  an  jedem  der  Ein- 
gänge des  Dorfes,  deren  überall  vier,  den  vier  Himmelsrichtungen  ent- 
sprechend, vorhanden  gewesen  wären,  zwei  Haufen  von  Steinen  aufgerichtet 
gehabt  hätten.  In  den  letzten  fünf  Tagen  des  alten  Jahres  sei  auf  diesen 
Steinhaufen  an  demjenigen  Eingang  des  Dorfes,  der  der  Richtung  des 
alten  Jahres  entsprach,  —  d.  h.  also  wenn  das  neue  Jahr  das  Zeichen 
kan  trug,  an  der  Südseite;  wenn  es  das  Zeichen  muluc  hatte,  au  der 
Ostseite;  wenn  das  Zeichen  ic,  an  der  Xordseite,  und  wenn  das  neue 
Jahr  das  Zeichen  cauac  hatte,  an  der  Westseite  des  Dorfes  —  die  Statue 
eines  Dämons  errichtet  worden,  der,  je  nachdem  es  der  Vorfeier  eines 
kan-,  muliic-,  ix-  oder  cawac-Jahres  galt,  als  Kan-u-uayeyab^  Chac-u-uayeyab^ 
Zac-u-uayeyab  oder  Ek-ii-uayeyab  d.  h.  „der  gelbe,  rothe,  weisse,  schwarze 
Unglücksdämon"  bezeichnet  ward  und  offenbar  die  von  Cogolludo  und 
Pio  Perez  als  Gott  Mam  bezeichnete  Tutelargottheit  dieser  fünf  Unglücks- 
tage darstellt.  Denn  in  dem  u  uayeyab  haben  wir  doch  wohl  ohne  Zweifel 
die  Worte  u  uayeb  haab,  „die  Yergifter  des  Jahres",  die  oben  angeführte 
Bezeichnung  dieser  fünf  Tage  zu  erkennen,  Gleichzeitig  habe  man  in 
dem  Hause  des  Kaziken  oder  an  einem  öffentlichen  Platze  in  der  Mitte  des 
Dorfes  die  Statue  eines  anderen  Gottes  errichtet,  der  offenbar  als  Tutelar- 
gottheit des  neuen  Jahres  fungiren  sollte,  und  zwar  wenn  es  der  Yorfeier 
eines  ^aw-Jahres  galt,  die  Statue  Bolon-Zacab's,  wenn  der  eines  muluc- 
Jahres,  die  des  Gottes  Kinch  ahau,  wenn  der  eines  ir- Jahres,  die  des 
Gottes  Izamnd,  und  wenn  der  eines  cawac-Jahres,  die  des  Gottes  Uac- 
mitun-ahau.  Darauf  habe  man  erst  dem  an  dem  Eingang  des  Dorfes  auf- 
gestellten uuayeyab-'Dö.raon  Opfer  gebracht,  darauf  ihn  auf  einer  Stange 
nach  der  Mitte    des  Dorfes    oretraoren   und    der  dort  aufs-erichteten  Statue 


1)  Stephens,  Incidents  of  Travel  in  Yucatan.     Yol.  I.    Appendix  p,  437. 

2)  Relacion  de  las  cosas  de  Yucatan.    ed.  de  la  Rada  y  Delgado. 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.    373 

gegenüber  aufgestellt,  und  beiden  neue  Opfer  dargebracht,  zum  Schluss 
den  uuaye^/ab -Dämon  an  den  dem  neuen  Jahr  entsprechenden  Ausgang, 
d.  h.  also  bezw.  an  die  Ostseite,  Nordseite,  Westseite,  Südseite  des 
Dorfes  gebracht  und  daselbst  belassen,  während  die  andere  Statue  (des 
Gottes  Bolon-Zacab,  bezw.  des  Gottes  Kinch-ahau,  Izamnd,  Uac-mitun-ahau) 
im  Tempel  des  Ortes  Aufstellung  fand. 

Auf  den  genannten  Blättern  25 — 28  der  Dresdener  Handschrift  sehen 
wir  nun  an  dem  linken  Rande  dreizehnmal  wiederholt  je  zwei  Tages- 
zeichen. Und  zwar  auf  dem  ersten  Blatte  eh  und  been;  auf  dem  zweiten 
caban  und  eHznab;  auf  dem  dritten  ik  und  akbal;  auf  dem  vierten  manik 
und  lamat.  Diese  Zeichen  habe  ich  früher,  Cyrus  Thomas  folgend,  als 
die  Zeichen  des  vorletzten  und  letzten  Tages  der  alten  Jahre  angesehen, 
indem  ich  annahm,  dass  in  der  Dresdener  Handschrift,  wie  zur  Zeit  der 
Conquista  in  Yucatan,  die  Jahre  mit  den  Tagen  kan^  muluc,  ia;,  cauac 
begonnen  hätten  und  nach  ihnen  benannt  worden  seien.  Ich  habe  aber 
nachträglich  erkannt,  wie  das  in  einer  der  unten  folgenden  Abhandlungen 
noch  näher  nachgewiesen  werden  wird,  dass  das  nicht  der  Fall  ist,  dass 
vielmehr  die  Zeichner  der  Dresdener  Handschrift  die  Jahre  mit  den  Tagen 
been^  e^znab,  akbal,  lamat  begannen  und  nach  ihnen  benannten,  die  den 
mexikanischen  acatl^  tecpatl,  calli,  tochtli  entsprechen.  Wir  haben  also  auf 
den  Blättern  25 — 28  der  Dresdener  Handschrift  nicht,  wie  ich  meinte,  den 
vorletzten  und  letzten  Tag  des  alten  Jahres,  sondern  den  letzten  Tag  des 
alten  und  den  ersten  Tag  des  neuen  Jahres  angegeben,  und  zwar  auf  den 
Blättern  25 — 28  bezw.  den  ersten  Tag  eines  been-^  e'tznab-^  akbal-^  lamat- 
Jahres,  die  bekanntlich  dreizehnmal  im  Verlauf  eines  Zyklus  von  52  Jahren 
sich  wiederholen.  Die  übrige  Fläche  der  Blätter  zeigt  übereinanderstehend, 
drei  parallele  bildliche  Darstellungen  durch  je  eine  Reihe  von  Schriftzeichen 
von  einander  getrennt,  und  über  dem  obersten  Bilde  noch  4  weitere  Reihen 
von  Schriftzeichen. 

In  der  mittleren  Abtheilung  haben  wir  wohl  zweifellos  die  Gottheiten 
vor  uns,  die  den  vier  Jahren  und  den  ihnen  entsprechenden  Himmels- 
richtungen —  d.  h.,  wie  wir  wohl  annehmen  müssen,  auf  den  vier  Blättern 
25  —  28  bezw.  dem  Osten,  Norden,  Westen,  Süden,  denn  das  ist  die  in 
dieser  und  den  anderen  Handschriften  befolgte  Reihenfolge  —  präsidireu, 
deren  Statuen  nach  Landa  in  der  Mitte  des  Dorfes  oder  im  Hause  des 
Kaziken  errichtet  wurden,  und  die  die  besondere  Schutzgottheit  des  be- 
treffenden Jahres  repräsentiren.  Wir  sehen  die  Gottheit  unter  dem  Matten- 
dach des  Sakrariums  sitzen,  davor  den  flammenden  Altar  und  verschiedene 
Darbringungen. 

In  der  oberen  Abtheilung  sehen  wir  auf  allen  vier  Blättern  unter  den 
den  Anfang  der  Blätter  bildenden  Schriftzeichen  eine  thierköpfige  Gestalt, 
die  am  Gürtel  mit  einem  Behang  von  rasselnden  Schueckengehäusen  ver- 
sehen ist,  in  der  einen  Hand  einen  in  eine  Menschenhand  endenden  Stab, 


374  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

der  wohl  dem  chicauaztU  genannten  Kasselbrett  der  Mexikaner  entspricht, 
in  der  anderen  einen  Fächer  hat  und  auf  einer  Art  Traggestell  auf  dem 
Rücken  eine  Figur  trägt,  die  mit  der  Gottheit  des  betreffenden  Jahres, 
wenn  nicht  geradezu  ident,  so  doch  ihr  äquivalent  ist,  das  Wesen  dieser 
Gottheit  nur  in  einer  anderen  Gestalt  zum  Ausdruck  bringt.  Wir  haben 
in  diesen  thierköpfigen  Priestern  also  die  Bringer  des  Jahres  zu  sehen, 
die  u  euch  haab,  wie  wir  das  ins  Maya  übersetzen  könnten,  obwohl  dieser 
Ausdruck  eigentlicli  die  besondere  technische  Bezeichnung  der  vier  Tages- 
zeichen ist,  nach  denen  die  Jahre  benannt  werden. 

In  der  untersten  Abtheilung  endlich  sieht  man  links  auf  einem  Zeichen, 
das,    wie   es  scheint,    tun  „Stein ^'   gelesen  werden  muss.    einen  Baum  er- 
richtet, der  mit  Schulterdecke  und  Schambinde  behängen  ist  und  auf  dem 
ersten  Blatt  (25)  den  Kopf  eines  Gottes  trägt,    der    die   kennzeichnenden 
Züge  des  Regengottes  Ckac  aufzuweisen  scheint,  während  auf  den  übrigen 
Blättern  statt  dessen  um  den  Wipfel  des  Baumes  sich  eine  Schlange  windet. 
Auf  der  Fläche  des  Baumes  sieht  man  die  Wolkenballen  (Abb.  1)  und  das 
Windkreuz  (Abb.  2),  die  zusammen  die  Merkmale  des  Tageszeichens  cauac 
bilden,    das  dem  mexikanischen  quiauitl,   „Regen",  entspricht  und,  wie  es 
scheint,    auch   seinem  Wortlaute  nach  —  gleich  den  entsprechenden  Aus- 
drücken   cahogh,    caok    der    chiapanekischen    und    der    guatemaltekischen 
Tageszeichenliste,    —    „Gewitterregen"  bedeutet.     Auf  den  auf  der  Spitze 
dieses  Baumes   ausgestellten  Kleidungsstücken  selbst,    und    zwar  bald  auf 
der  Schulterdecke,  bald  auf  der  Schambinde,  sieht  man  Fussspuren  abge- 
bildet,   mit    denen    die  Mexikaner  den  betretenen  Pfad  zu  bezeichnen 
gewohnt   waren.      Ich    glaube,    es    unterliegt    keinem    Zweifel,    dass    wir 
es    hier    mit  Göttern    der    vier  Windrichtungen   oder  der    vier  Himmels- 
gegenden zu    thun    haben,    und    dass    der  Dämon    dargestellt    ist,    dessen 
Statue  das    ganze  Jahr   hindurch    an    der    dem  Zeichen    des  Jahres    ent- 
sprechenden Eingangspforte    des  Dorfes  auf  einem  Steinhaufen,    zur  Seite 
des    Weges    aufgestellt    und    in    den    genannten    fünf    Schlusstagen    des 
Jahres  auf  einer  Stange    (te  „Baum")    von    seiner    alten   Stelle  nach    der 
Mitte    des    Dorfes    und    darnach    an    seine    neue    Stelle    gebracht    ward, 
üeber  dem  Bilde  sieht  man  zwei  Schriftzeichen,    gleichlautend    auf   allen 
vier  Blättern,    die  ohne  Zweifel,    nach  der  in  den  Handschriften  üblichen 
Weise    noch    einmal  das  Bild  dieses  Gottes  und  seinen  Charakter  in  ab- 
breviirter  Form  zur  Anschauung  bringen.     Das  eine  dieser  Schriftzeichen, 
das  zweite,    zeigt  einen  Kopf  (Abb.  3)  mit  den  Zügen  eines  alten  Mannes 
und  vollkommen  ähnlich  demjenigen  in  der  Hieroglyphe  des  Gottes,  welcher, 
wie  ich  nachher  nachweisen  werde,    als  der  Himmelsgott  Itzamnä  zu  be- 
zeichnen   ist.     Aber  dieser  Kopf   ist  hier  verbunden  mit  einem  Element 
(Abb.  4),  das  in  den  Monatsnamen  yax  (grün)  und  yax  kin  (grüne  Sonne, 
junge  Sonne,  erstes  Jahresfest)  erscheint.    Und  als  dritter  Bestandtheil  tritt 
ein  Zeichen  auf  (Abb.  5),  das  wir  Codex  Tro  17  b  in  der  Hand  des  Jägers 


2.  lieber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     375 

sehen,  und  das  vielleicht  Hieroglyphe  für  Wurfbrett  ist.  Wenigstens  sehen 
wir  an  jener  Stelle  unmittelbar  darauf  eine  ganz  ähnliche  Figur  in  derselben 
Weise  ein  deutlich  gezeichnetes  Wurfbrett  halten.  Das  Element  kommt 
in  der  Begleithieroglyphe  des  Sonnengotts  (Abb.  16  a)  und  in  der  Haupt- 
hieroglyphe des  Blitzthieres  (Abb.  161))  vor  und  scheint  Codex  Tro  17*c 
durch  das  Bild  einer  schlagenden  Hand  vertreten  zu  werden  (vgl.  Abb.  16  c). 
Es  mag  also  „schlagen,  treffen"  bedeuten  und,  mit  dem  Gesichte  des  alten 
Mannes  verbunden,  den  uuayeyab^  den  Unheilsdämon,  bezeichnen  sollen. 
In  dem  andern  Schriftzeichen,  das  an  erster  Stelle  steht,  erscheint  als 
wesentlicher  Bestandtheil  das  Zeichen  Abb.  6,  welches  vielleicht  die  vier 
Himmelsrichtungen  oder  den  nach  vier  Richtungen  ausgedehnten  Himmel  zur 
Anschauung  bringt.  Neben  diesen  zwei  Schriftzeichen  sehen  wir  als  drittes  das 
der  vier  Himmelsrichtungen  und  zwar  jedesmal  das  Zeichen  der  Himmels- 
richtung, die  dem  auf  dem  betreffenden  Blatte  dargestellten  Jahre  zukommt. 


Nur  sind,  wie  ich  das  in  einem  der  unten  folgenden  Aufsätze  näher  be- 
gründet habe,  die  dem  zweiten  und  vierten  Blatte  eigentlich  zukommenden 
Zeichen  vertauscht  worden.  Oder  vielmehr  es  sind  auf  dem  zweiten  und 
vierten  Blatte  die  ganzen  unteren  Drittel  der  Blätter  vertauscht  worden. 
Dem  auf  der  Stange  aufgepflanzten  uuaijeyah-D'ÄxwoTi  gegenüber  nämlich 
ist  das  folgende  Jahr  durch  eine  mit  der  Mittelfigur  des  folgenden 
Blattes  übereinstimmende  oder  ihr  entsprechende  Gestalt  zum  Ausdruck 
gebracht.  Das  trifft  in  der  That  für  alle  vier  Blätter  zu,  wenn  man  sich, 
wie  ich  das  oben  angab,  auf  dem  zweiten  und  vierten  Blatte  die  unteren 
Drittel  vertauscht  denkt.  Die  Figur  bringt  dem  uuayeyab-Ddiiwow  eine 
Wachtel  dar,  —  in  der  üblichen  Weise,  durch  Abreissen  des  Kopfes. 
—  „Sahumavan  la  imagen,  degollavan  una  gallina,  y  se  la  presentavan  6 
ofrecian"".  —  So  beschreibt  Landa  die  dem  uuayeyab-Y)'iin\on  veranstaltete 
Feier.  Da  es  die  Gottheit  des  folgenden  Jahres  ist,  die  in  der  unteren 
Abtheilung  der  vier  Blätter  dieses  Opfer  bringt,  so  ist  klar,  dass  in  diesen 
untersten  Abtheilungen    der    letzte  Ta^-  des  betreffenden  Jahres  zur  An- 


376  Dritter  Abschuitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

schaumig-  gebracht  ist.  Die  Hieroglji^he  dieser  Gottheit  des  folgenden 
Jahres  sieht  mau  in  der  Schriftreihe  darüber  auf  der  rechten  Seite. 

Die  Hauptfrage  ist  nun:  —  Können  wir  die  Namen,  die  Landa  an- 
gibt, in  der  Reihenfolge  und  für  die  Jahre,  für  welche  er  sie  angibt,  auf 
die  Figuren  der  Dresdener  Handschrift  anwenden?  —  Die  richtige  Be- 
antwortung dieser  Frage  war  mir,  als  ich  meine  erste  Mittheilung  schrieb. 
durch  verschiedene  Umstände  erschwert.  Zunächst  hatte  ich  damals  noch 
keine  Kenntniss  von  der  eben  erwähnten  Yertauschung,  die  beziehentlich 
der  untern  Abtheilungen  der  Blätter  26  und  28  anzunehmen  ist,  und  ich 
wurde  dadurch  zu  einer  irrigen  Deutung  der  Hieroglyphen  der  Himmels- 
richtungen geführt.  Sodann  musste  ich  in  Betracht  ziehen  und  als  einen 
meine  Deutung  zweifelhaft  machenden  Umstand  ansehen,  dass  von  Landa 
die  Jahre  kan^  muluc.  ir,  cauac  in  anderer  \Yeise  auf  die  Himmelsrichtungen 
bezogen  werden,  als  mau  es  für  natürlich  halten  würde,  und  als  es  in  der 
That  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  angegeben  wird,  indem  sie  nämlich 
von  Landa  nicht  den  Himmelsrichtungen  Osten,  Norden,  Westen,  Süden, 
sondern  dem  Süden,  Osten,  Norden,  Westen  zugerechnet  werden.  Ich 
habe  das  damals  vernachlässigt  und  in  einem  späteren  Aufsatz  erst  näher 
nachgewiesen,  wie  Landa  zu  der,  wie  mir  keinem  Zweifel  unterliegt, 
irrigen  Beziehung  gekommen  ist.  Endlich  war  ich  ja,  Cyrus  Thomas 
folgend,  noch  in  dem  Glauben  befangen,  dass  die  Blätter  25—  28  der 
Dresdener  Handschrift  den  nach  yukatekischer  Art  nach  den  Zeichen  iv, 
cauac^  kan,  muluc  benannten  Jahren  entsprächen.  Da  ich  nun  die  von 
Landa  für  diese  Jahre  genannten  Gottheiten  mit  der  Natur  der  auf  den 
Blättern  25 — 28  dargestellten  Gottheiten  nicht  in  Uebereinstimmung  zu 
bringen  wusste,  so  half  ich  mir  damals,  in  etwas  gewaltsamer  Weise,  in- 
dem ich  annahm,  dass  wir  die  Namen  Bolon  Zacah,  Kinch  ahau,  Izamnä 
und  üac-viitun  ahau  auf  die  Figuren  der  Dresdener  Handschrift  anwenden 
können,  aber  nicht  in  der  Reihenfolge  kan,  muluc,  iv,  cauac,  wie  Landa 
die  Jahre  zählt,  sondern  in  der  Reihenfolge  ix,  cauac,  kan,  muluc,  wie  in  der 
Dresdener  Handschrift  die  Jahre  auf  einander  folgen.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung, glaubte  ich  erweisen  zu  können,  stimme  alles  vortrefflich  zusammen. 

Ich  hatte  mit  dieser  Hypothese  insofern  das  Richtige  getroffen,  als  in 
der  That  die  auf  den  Blättern  25 — 28  der  Dresdener  Handschrift  ab- 
gebildeten Götter,  da  sie  ja,  wie  wir  gesehen  haben,  den  been-,  e'tznab-, 
akbal-,  lamat-  (=  mexikanisch  acatl-,  tecpatl-,  colli-,  tochtli-) Jahren,  also 
dem  Osten,  Norden,  Westen,  Süden,  entsprechen,  mit  den  von  Landa 
für  die  kan-,  muluc-,  iv-,  cauac-Sahre  angegebenen  Göttern  übereinstimmen. 
Denn  die  kan-,  muluc-,  ix-,  cawac- Jahre  der  Yukateken  sind  ja  ebenfalls 
obwohl  Landa  das  anders  angibt,  in  dieser  Reihenfolge  mit  den  Himmels- 
richtungen Osten,  Norden,  Westen,  Süden  zu  verbinden.  (Landa  hat 
einfach  die  für  Schlusstage  des  vorhergehenden  Jahres  zutreffende  Himmels- 
richtung,   weil   man    an  ihnen    das    im  neuen  Jahre    drohende  Unheil  zu 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     377 

"bannen  suchte,  auf  die  neuen  Jahre  übertragen).  Aber  irriger  Weise 
habe  ich  das,  was  Landa  ausserdem  von  den  kan-,  muluc-,  ix-,  cauac- 
Jahreu  zu  berichten  weiss,  nunmehr,  meiner  Hypothese  folgend,  als  für 
die  auf  den  Blättern  27,  28,  25,  26  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten 
Gottheiten,  d.  h.  für  den  Westen,  Süden,  Osten,  Norden,  geltend,  an- 
genommen. 

Den  Nachweis,  dass  in  der  That  die  auf  den  Blättern  25 — 28  der 
Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Götter  mit  den  von  Landa  für  die 
kan-,  7Jiuluc-,  iv-,  caMac- Jahre  angegebenen  übereinstimmen,  kann  ich  in 
ähnlicher  Weise,  wie  in  meiner  Originalmittheilung  führen.  Nur  habe 
ich  natürlich  jetzt  keine  Veranlassung,  mit  der  dritten  dieser  Gottheiten 
anzufangen,  sondern  beginne  mit  der  ersten,  mit  der  auf  Blatt  25  dar- 
gestellten Gottheit,  die  die  der  been- Jahre,  der  Jahre  des  Ostens  ist, 
und  die  der  von  Landa  für  die  ^an- Jahre  angegebenen  entsprechen  muss. 

Als  Gottheit  dieser  Jahre  wird  von  Landa  Bolon  Zacab  genannt. 
Diese  Bezeichnung  Landa's  ist  nicht  ganz  korrekt.  Wie  aus  dem  Text 
der  Bücher  des  Chilam  Balam  zu  ersehen  ist,  lautet  der  Name  richtig  Ah 
höhn  tz'acab  und  ist  „Herr  der  neun  Generationen"  oder  vielleicht  auch 
„Herr  der  neun  Medizinen"  zu  übersetzen.  Näheres  über  die  Gottheit 
dieses  Namens  ist  der  geschichtlichen  L"eb  erlief  er  ung  nicht  zu  entnehmen. 

Die  auf  dem  ersten  Blatte  (25)  der  Dresdener  Handschrift  dargestellte 
Gottheit  (vgl.  oben  S.  368)  zeichnet  sich  durch  eine,  in  merkwürdige  Aus- 
läufer sich  verzweigende  Nase  aus.  Eine  ähnliche  Nase  sieht  man  an 
dem  grün  beschuppten  Ungeheuer,  das  auf  den  Tafeln  4  und  5  der 
Dresdener  Handschrift  abgebildet  ist.  Und  denselben  Kopf,  mit  der- 
selben proliferirenden  Nase  finden  wir  bei  der  blauen,  schwarz  ge- 
fleckten Schlange,  auf  welcher  (Codex  Tro  26  b)  der  Chac,  der  Regengott, 
reitet  (vgl.  die  Abb.  11  des  vorhergehenden  Aufsatzes,  oben  S.  361).  Es 
unterliegt  gar  keinem  Zweifel,  dass  dieser  Gott  Ah  bolon  tz'acab  in  engster 
Beziehung  zum  Resenofotte  steht.  Wir  werden  ihn  am  richtigsten  wohl  als 
Gott  des  Wassers  bezeichnen.  In  der  oberen  Abtheilung  des  Blattes  25 
(vgl.  oben  S.  368),  wo  der  „Bringer  des  Jahres"  dargestellt  ist,  sieht  man 
in  der  That  von  dem  thierköpfigen  Priester,  statt  des  Gottes  mit  der 
proliferirenden  Nase,  einfach  den  Regengott  Chac  herangebracht.  Die 
Hieroglvphe  Ah  bolon  t^acaVs,  die  in  der  Schriftreihe  über  der  mittleren  Ab- 
theilung des  Blattes  25  an  zweiter  Stelle  steht,  zeigt  uns  den  Kopf  eines 
krokodilartigen  Thiers,  aus  dessen  Augen  etwas  wie  Feuer  schiesst.  Der- 
selbe Kopf  erscheint  auch  unter  den  Schriftzeichen,  wo  die  Abbildungen 
aus  dem  Himmel  stürzende,  hundeartige  Thiere,  mit  Fackeln  in  den 
Händen,  darstellen.  Einmal  aber  (Dresden  3a)  finde  ich  die  Figur  dieses 
Gottes  mit  der  proliferirenden  Nase  in  den  Schriftzeichen  durch  einen 
einfachen  C'Äac-Kopf  wiedergegeben.  Die  Wesensgleichheit  dieses  Gottes 
mit  dem  Resrengrott  kann  nicht  deutlicher  zum  Ausdruck  gebracht  werden. 


378  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Die  Zahl  Neun,  die  in  dem  Namen  dieser  Gottheit  enthalten  ist,  be- 
zeichnet ohne  Zweifel  wohl  die  Gesammtheit  der  Himmelsrichtungen,  — 
je  zwei  für  jede  der  vier  Hauptrichtungen  und  eine  für  die  Mitte  oder 
die  Höhe  — ,  ganz  wie  bei  der  Zahl  der  mexikanischen  sogenannten 
„Senores  de  la  noche".  Auf  den  3Ionunienten  der  grossen  Ruinenstädte 
Copan  und  Quiriguä,  wo  die  Gottheit,  die  ich  Ah  bolon  tzacab  nennen  zu 
müssen  glaube,  überaus  häufig  dargestellt  ist,  pflegt  die  Zahl  Neun  auch 
in  der  Hieroglyphe  dieser  Gottheit  angegeben  zu  werden.  Und  es  ist  sehr 
bemerkenswerth,  dass  an  einer  Stelle  wenigstens  der  Dresdener  Hand- 
schrift, auf  Blatt  4a,  als  Haupthieroglyphe  des  Regengottes  Chac  eine 
Hieroglyphe  erscheint,  die  die  Zahl  Neun  mit  dem  oben  in  der  Ab- 
bildung 6  (Seite  375)  wiedergegebenen  Element  verbindet,  das  seiner 
Form  nach  als  „Weltgegenden"  oder  „Himmelsrichtungen"  gedeutet 
werden  muss.  (Vgl.  die  erste  Hieroglyphe  in  Abb.  3  der  vorhergehenden 
Abhandlung,  oben  S.  360). 

Die  ^aw-Jahre  sind  nach  Landa  gedeihliche,  wo  weniger  Schädlich- 
keiten als  in  den  anderen  Jahren  drohen.  Auch  den  Mexikanern  galten 
die  Jahre  des  Ostens,  die  acatl-idihre  als  fruchtbare  und  gedeihliche. 
Ausser  der  eigentlichen  Gottheit  des  Jahres  wurde  nach  Landa  in  diesen 
Jahren  auch  dem  Gotte   Yzamna  kauil  Verehrung  erwiesen. 

Als  Gottheit  der  nächsten  Jahre,  der  wmZwc-Jahre,  die  also  dem  Norden 
entsprechen  müssen,  wird  von  Landa  der  Gott  Kinch  ahau,  d.  h.  „Herr 
Sonnengesicht"  angegeben.  Kriegertänze,  holcan  okot,  batel  okot,  wurden 
bei  seiner  Inthronistation  getanzt  und  mit  Eigelb,  mit  Hirschherzen  und 
rothem  Pfeffer  wurden  die  Opfergaben  gewürzt,  die  man  ihm  brachte. 
Das  zweite  Blatt  (26)  der  Dresdener  Handschrift  (vgl.  oben  S.  369)  zeigt 
uns  in  der  That  einen  Gott,  der  an  der  Stirn  und  in  seiner  Hieroglyphe 
das  Zeichen  Abb.  12  (S.  375)  trägt,  das  schon  de  Rosny  als  Sonnenzeichen 
und  Hieroglyphe  von  kin  erkannt  hat.  Und  deshalb  hat  auch  schon  Schellhas 
in  seiner  Studie  über  die  hieroglyphischen  Zeichen  der  Gottheiten  der 
Dresdener  Handschrift  diesen  Gott  muthmasslich  als  den  aus  den  Historikern 
bekannten  Kinich  alxau  angesprochen. 

Der  Sonnengott  ist  der  Kriegsgott.  Darum  sehen  wir  in  der  oberen 
Abtheilung  des  Blattes  26  (vgl.  oben  S.  369)  von  dem  „Bringer  des  Jahres", 
dem  thierköpfigen  Priester,  statt  des  Gottes  selbst  oder  als  sein  Abbild  oder 
Symbol,  einen  Jaguar  (balarn)  herangebracht. 

Der  Gott  der  ww^mc- Jahre  galt  nach  Landa  als  der  grösste  und  vor- 
nehmste. Aber  man  befürchtete  in  diesen  Jahren  Dürre  und  Misswachs 
(Disformitäten  der  Getreidepflanzen).  Genau  ebenso  wie  die  Mexikaner 
in  den  fecpa^Z-Jahren,  den  Jahren  des  Nordens.  Ausser  der  eigentlichen 
Gottheit  des  Jahres  wurde  in  diesen  Jahren  ein  Gott  Namens  Yax  coc  ah 
mut,  d.  h.  „Waldhuhn,  Fasan",  verehrt.  Man  brachte  ihm  als  Opfergaben 
Eichhörnchen  und  ein  unverziertes  Gewand    und    tanzte   zu  seinen  Ehren 


2.  Ucber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     379 

einen  Tanz  auf  Stelzen,  —  wahrscheinlich  eine  Imitation  der  Tänze,  die 
das  Männchen  dieser  Vogelart  ausführt. 

Die  dritten  Jahre  sind  nach  Landa  die  t>-Jahre  und  an  ihnen  wurde 
nach  ihm  ein  Gott  Namens    Yzavina  —  korrekter  Itzamnd  —  verehrt. 

Ueber  diesen  Gott  haben  wir  eine  Reihe  bestimmter  Nachrichten.  Er 
wird  in  der  Relacion  des  Priesters  Hernandez^)  als  „Gott  Vater"  bezeichnet, 
oder  als  der  „grosse  Vater",  und  sein  Sohn,  bezw.  seine  Söhne,  sind  die  Bacab, 
die  Götter  der  vier  Himmelsrichtungen.  So  kennzeichnet  er  sich  als  der  im 
obersten  Himmel  residirende  Urvater,  vergleichbar  dem  Tonacatecutli  der 
Mexikaner,  dem  Herrn  der  Zeugung,  der  ja  auch  im  Westen,  nämlich  in 
Tavioanchan^  dem  „Haus  des  Herabsteigens",  heimisch  gedacht  wurde. 
Auf  den  Herrn  des  Lebens  deutet  auch  sein  Name,  der  als  wesentliches 
Element  das  Wort  itzavi  enthält,  d.  i.  nach  den  Autoritäten  ^das  Tropfen, 
den  Thau,  die  befruchtende  Feuchte".  Itzam-nü,  „Haus  des  Tropfens" 
oder  „Schoss  des  Tropfens",  kann  entweder  geradezu  auf  den  Himmel, 
von  dem  der  Regen  herabtropft,  bezogen  werden,  oder  was  mir  wahr- 
scheinlicher ist,  als  „ürsitz  des  Sprossens",  Ursitz  des  Gedeihens"  be- 
zeichnet und  mit  der  Erde  identifizirt  werden.  Denn  wie  der  mexikanische 
Tonacatecutli^  der  Herr  der  Zeugung,  im  obersten  dreizehnten  Himmel  ge- 
dacht ist,  und  gleichzeitig  auch  (oder  seine  weibliche  Genossin)  als  Herr 
der  Erde  erscheint,  so  scheinen  auch  in  dieser  yukatekischen  Figur  die 
Begriffe  Himmel  und  Erde,  die  Begriffe  unten  und  oben,  zusammenzu- 
gehen. Im  Kultus  tritt  dieser  Gott  mit  den  Merkmalen  eines  Feuergotte& 
auf,  der  ja  auch  bei  den  Mexikanern  der  alte  Gott  ist  und  mehr  oder 
minder  mit  dem  Herrn  der  Zeugung,  dem  Herrn  des  Lebens,  zusammen- 
fällt. Die  Itzamnd  gewidmeten  Zärimonien  stimmen  zum  Theil  auf  das 
Genaueste  mit  den  Opfern  überein,  die  man  in  Mexiko  dem  Feuergott 
brachte.  Er  ist  der  Gott  des  grossen  Feueropfers,  das  von  den  Yukatekeu 
am  Feste  Mac,  dem  dreizehnten  Jahresfeste,  das  in  die  erste  Hälfte 
unseres  Monats  April  fiel,  vollzogen  wurde  und  das  mit  dem  tup-kak,  dem 
„Ausgiessen  des  Feuers"  endete.  Er  ist  aber,  als  der  Urvater,  auch  der 
Schöpfer  aller  Kultur,  insbesondere  der  priesterlichen,  der  Schrift,  der 
Bücher  und  der  Wissenschaften,  und  als  solchen  feierten  ihm  die  Priester 
im  2.  Monat  Uo  das  Pocam-Fest. 

Das  dritte  der  Blätter  der  Dresdener  Handschrift  (27,  vgl.  oben  S.  370) 
zeigt  uns  die  bekannte  Figur  des  Gottes  mit  dem  Greisengesicht,  der 
auf  den  Seiten  dieser  und  der  anderen  Maya-Handschriften  so  häufig 
wiederkehrt,  und  der  als  der  „Herr  des  Lebens"  dadurch  deutlich  ge- 
kennzeichnet ist,  dass  neben  ihm,  als  sein  Widerspiel,  in  den  Hand- 
schriften in  der  Regel  der  Todesgott  gezeichnet  wird.  Figur  und  Er- 
scheinung   des    Gottes    stimmen    ganz    zu    demjenigen,    was    man    nach 


1)  Las  Casas.    Hist.  Apologetica.    cap.  l2o. 


380  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

der  angeg-ebeueu  Beschreibung-  bei  der  Figur  Itzamna's  erwarten  durfte. 
Als  besonderes  Kennzeichen  trägt  er  über  der  Stirn  das  Tageszeichen 
akbal  von  Punkten  umgeben  (Abb.  7,  S.  375).  Dies  Tageszeichen  entspricht 
dem  mexikanischen  call%  „Haus",  und  bedeutet  „Nacht,  Dunkelheit". 
Ich  glaube  dies  Ton  Punkten  umgebene  Zeichen  akbal,  das  auch  in 
der  Hieroglyphe  des  Gottes  regelmässig  angegeben  ist,  dem  von  Augen 
umgebenen  nächtlichen  Dunkel  gleichsetzen  zu  können,  womit  in  mexi- 
kanischen Malereien  der  Sternenhimmel  bezeichnet  wird.  Der  Gott 
erscheint  überall  an  erster  Stelle  —  auch  dies  entspricht  dem,  was 
wir  von  Itzamnä  erwarten  dürfeu  —  und  er  ist,  namentlich  im  Codex 
Tro,  überaus  häufig  in  priesterlicher  Funktion  dargestellt,  in  priester- 
licher Tracht  und  mit  den  Hieroglyphen  des  Priesters  bezeichnet. 

Als  Vertreter  dieses  Gottes  mit  dem  Greisengesichte,  des  Gottes  der 
Jahre  des  Westens,  wird  in  der  oberen  Abtheilung  des  Blattes  27  (vgl. 
oben  S.  370),  von  dem  thierköpfigen  Priester  eine  andere,  ebenfalls  sehr 
bekannte  Gottheit  der  Handschriften  gebracht,  die  wohl  geradezu  als 
^Maisgott"  zu  bezeichnen  ist.  Ich  pflege  ihn  den  „Gott  mit  dem  kan- 
Zeichen"  zu  nennen,  weil  er  in  der  Regel  das  Tageszeichen  dieses  Namens 
im  Kopfputz  trägt.  Indem  die  Dresdener  Handschrift  in  dieser  Weise 
den  alten  Gott,  den  Regeuten  der  Jahre  des  Westens,  durch  den  Maisgott 
vertreten  sein  lässt,  wird  dieser  alte  Gott  geradezu  als  Tonacatecutli  erklärt. 
Denn  „Herr  unseres  Fleisches",  „Herr  der  Lebensmittel",  „Herr  des  Maises" 
—  das  bedeutet  dieser  mexikanische  Name.  Als  Heimath  der  Maisfrucht 
o'alt  ja  der  Westen  auch  den  Mexikanern. 

Sehr  im  Gegensatze  dazu  —  und  sehr  im  Gegensätze  auch  zu  der 
mexikanischen  Auffassung,  nach  der  die  Jahre  des  Westens  als  besonders 
regenreiche  zu  gelten  haben  —  werden  die  «>- Jahre  von  Landa  als 
schlecht  für  die  Saaten,  als  Dürre  und  Misswachs,  Pestilenz,  Hungersnoth, 
Krieg  und  Heuschreckenfrass  bedeutend  angegeben.  Ich  erkläre  mir  das 
dadurch,  dass  nach  der  veränderten  yukatekischen  Benennung  die  Jahre 
des  Westens  nicht  mehr  nach  dem  Zeichen  akbal  „Nacht",  das  dem 
mexikanischen  calli  „Haus''  entspricht,  und  das  das  dunkle  Haus  der  Erde 
bedeutet,  benannt  sind,  sondern  nach  dem  Zeichen  ix  oder  h-üx,  das  den 
„Zauberer"  bezeichnet  und  dem  mexikanischen  ocelotl  „Jaguar"  gleich  zu 
setzen  ist.  Die  unheilvolle  Bedeutung,  die  diesem  Zeichen  innewohnt, 
musste  sicher,  nach  der  Auffassung  jener  alten  Priesterphilosophen,  auch 
für  die  Jahre,  die  seinen  Namen  trugen,  von  Einfluss  sein. 

Von  Interesse  scheint  mir  noch  die  Angabe  Landa's  zu  sein,  dass  die 
«>-Jahre  als  schlecht  für  den  Mais,  aber  als  gut  für  Baumwolle  be- 
trachtet worden  seien.  Hier  scheint  mir  die  alte  mexikanische  Auffassung, 
die  den  Westen  der  Erde  und  ihren  Gottheiten  zuschreibt,  zum  Vorschein 
zu  kommen.  Die  Baumwolle  zu  verarbeiten,  sie  zu  Fäden  zu  spinnen  und 
daraus  Zeuge  zu  weben,  das  war  das  Geschäft  der  Frauen,  und  als  Weiber 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Göttcr.     381 

sind  bei  den  Mexikanern  die  Erdgottheiten  gedacht,  die  dementsprechend 
auch  mit  Spinn-  und  Webegeräthen  ausgerüstet  werden,  und  in  deren 
Ausputz  denn  auch  die  Baumwolle  einen  breiten  Raum  einnimmt.  Die 
Erdgöttinnen  aber  hatten  ihren  Wohnsitz  im  Westen,  der  darnach  von 
den  Mexikanern  geradezu  ciuatlampa  ^Region  der  Weiber"  genaimt  wurde. 

Neben  der  Hauptgottheit,  Itzamnd,  wurde,  nach  Landa,  in  den  ix- 
Jahren  auch  eine  Gottheit  Namens  Cinch  ahau  Yzamna  —  korrekter  Kin 
ich  ahau  Itzamnd^  d.  h.  „der  Sonnengott  Itzamna  —  verehrt. 

In  den  nun  noch  übrigen  vierten  Jahren,  den  catmc- Jahren,  nennt  Landa 
als  Regenten  den  Gott  Z7ac  mitun  ahau,  d.h.  den  „Herrn  der  sechs  Höllen"  oder 
den  „grossen  Herrn  der  Unterwelt",  denn  mitun  hängt  offenbar  mit  mitn-al 
zusammen,  d.i.  das  Wort,  welches  Landa  als  die  yukatekische  Benennung- 
der  Unterwelt  angibt,  und  welches  ohne  Zweifel  das  mexikanische  Mictlan, 
„Todtenreich",  wiedergibt.  Unter  den  Zärimonien,  die  vor  dieser  Gottheit 
gefeiert  wurden,  erwähnt  Landa  einen  Xibalba  okot,  „Höllentanz",  und 
dass  an  die  Stange  mit  dem  uuayeyab-D'Amon  ein  Schädel  und  ein  Leichnam 
und  ein  aschgrau  gefiederter  Vogel  (kuch)  angehängt  ward,  —  „en  seiial  de 
mortandad  grande,  ca  por  muy  mal  ano  tenian  este". 

Das  vierte  Blatt  der  Dresdener  Handschrift  (28)  (vgl.  oben  S.  371),  welche* 
die  Zawia^-Jahre,  die  Jahre  des  Südens,  darstellt,  die  den  wzMZi^c- Jahren  L an da's 
entsprechen,  zeigt  nun  ebenfalls  einen  Todesgott,  auf  einem  aus  Todteu- 
knochen gebildeten  Stuhle  sitzend.  Ueber  dem  Auge  thront  das  Zeichen  akbal 
(Abb.  8,  S.  375),  „Nacht",  und  auf  der  Backe  trägt  er  die  Variante  Abb.  9- 
(S.  375)  des  Zeichens  cimi,  Tod.  Sein  Haar  bildet  nächtliches  Dunkel  und 
Augen  darin,  —  ganz  wie  es  der  mexikanische  Todesgott  in  der  Regel  trägt. 
Auf  der  Schulterdecke  sind  Augen  und  gekreuzte  Todtengebeine  gemalt, 
und  Asche  und  gekreuzte  Todtengebeine  sind  das  Opfer,  das  vor  dem 
Gotte  steht.  Als  sein  Vertreter  wird  in  der  oberen  Abtheilung  des  Blattes  28 
(vgl.  oben  S.  371)  ein  Skelett  von  dem  thierköpfigen  Priester  gebracht. 
Die  Hieroglyphe  des  Gottes  in  der  Schriftreihe  darüber,  zeigt  das  Zahl- 
zeichen vier  (das  häufig  als  Variante  für  sechs  auftritt,  wo  es  sich  nur 
um  eine  Mehrheit  handelt),  dann  ein  Gesicht  mit  aufgesperrtem  Rachen  und 
dann  die  Hieroglyphe  Abb.  10  (S.  375),  die,  wie  ich  nachweisen  kann,  den 
von  einem  Mattendache  beschatteten  Thron  bezeichnet.  Nehmen  wir  an, 
wie  wir  es  ja  mit  ziemlicher  Sicherheit  thun  können,  dass  das  Gesicht 
mit  aufgesperrtem  Rachen  die  Unterwelt  bezeichnet,  so  hätten  wir  hier 
eine  direkte  Uebersetzung  des  Namens  Uac  mitun  ahau,  „Herr  der  vier  (oder 
sechs)  Unterwelten".  Die  Zahlen  vier  oder  sechs  wechseln,  je  nachdem  man 
als  die  möglichen  Richtungen  nur  die  bekannten  vier  Himmelsrichtungen,, 
oder  noch  unten  und  oben  dazu  zählt.  Der  Gott  ist  in  ziemlich  ähnlicher 
Ausstaffirung  noch  einmal,  Blatt  6  b  der  Dresdener  Handschrift,  abgebildet. 
Hier  erscheint  als  seine  Hieroglyphe  ein  Kopf  mit  demselben  Zeichen 
cimi  auf  der  Backe;    der    aufgesperrte  Rachen   ist   en  face  und  nicht  im 


382 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen- Entzifferung. 


Profil  gezeichnet,  und  vor  der  Stirn  steht  ein  herausgerissenes  Auge.  Als 
zweites  Attribut  ist  hier  nicht  ein  Thron  gezeiclinet,  sondern  die  Hiero- 
glyphe des  Todtenvogels,  des  Kcäuzchens  (Abb.  11,  S.  375). 

In  den  cauac- Jahren,  den  Jahren  des  Südens,  befürchteten  die  Yukateken. 
nachLanda,  Dürre  und  Vernichtung  der  Saaten  durch  Insekten  (Ameisen) 
und  Vögel.     Das  entspricht  wieder  der  mexikanischen  Auffassung,  wie  man 


Codex  Tro  23. 


Codex  Tro  22. 


das  auf  dem  Blatte  27  (=  Kingsborough  12)  des  Codex  Borgia  und  in  der 
oberen  Abtheilung  des  Blattes  34  (=  Kingsborough  11)  des  Codex  Fejervary- 
Mayer  dargestellt  sehen  kann. 

Neben  der  Hauptgottheit  wurden,  nach  Landa,  in  diesen  Jahren  noch 
vier  andere  verehrt,  deren  Namen  er  —  augenscheinlich  in  etwas  ver- 
stümmelter Form  —  als  Cichaccoh.  Ekbalamchac,  Ahcanvolcab,  Ahbuluchalam 
angibt. 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     383 

Es  gibt  nun  noeli  eine  zweite  Reihe  von  Blättern,  auf  denen  eben- 
falls augenscheinlich  die  j^^ma  kaba  kin  Zärimonien  zur  Darstellung  gelangt 
sind.  Das  sind  die  Blätter  23—20  des  jüngeren  und  leider  auch  viel 
schlechter  und  nachlässiger  gezeichneten  Codex  Tro.  Hier  sind  an  dem 
linken  Rand  der  Blätter  niclit  der  Endtag  und  der  Anfangstag  von  been-, 
e'tznab-^  akbal-^  ^awa^-Jahren,  sondern  die  Anfangstage  von  kan-,  7nuluc-,  ia:-, 


Codex  Tro  21. 


Codex  Tro  20. 


cnwac'-Jahren  angegeben.  Die  Zeichen  sind  dreizehnmal  wiederholt,  mit  den 
zugehörigen  Ziffern,  geben  also  die  Namen  der  4x13=52  Jahre,  die  zu  einer 
grösseren  Periode,  dem  bekannten  Zyklus,  dem  mexikanisch-mittelamori- 
kanischen  Jahrhundert,  sich  zusammenschliessen.  Merkwürdigenveise 
fangen  diese  Blätter  aber  nicht  mit  ^a7i- Jahren,  sondern  mit  Cöwac-Jahren 
an,  und  demgemäss  sieht  man  auf  den  ersten  dieser  Blätter  die  Hiero- 
glyphen für  chikin  AVesteu    gezeichnet,    eine  Himmelsrichtung,    die  in  der 


384  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

That  im  Lauda  für  die  Feier  vor  deu  eaMac-Jahren  angegeben  wird. 
Die  Hieroglyphen  der  anderen  Himmelsrichtungen  entsprechend  auf  den 
anderen  Blättern.  Als  erstes  Jahr  ist  auf  dem  ersten  Blatte  das  Jahr 
10  cauac  verzeichnet. 

Diese  Blätter  haben  nun  eine  ganz  andere  Eintheilung  und  ein  ganz 
anderes  Ansehen  als  die  oben  abgebildeten  der  Dresdener  Handschrift. 
Sie  sind  nicht  von  oben  nach  unten  in  drei  Abtheilungen  gegliedert,  wie 
dort,  sondern  in  zwei,  die  an  zwei  Seiten  von  zusammenhängenden  Reihen 
von  Schriftzeichen  umgeben  sind.  Und  die  figürlichen  Darstellungen  sind 
ganz  anderer  Art,  als  wir  sie  oben  auf  den  Blättern  der  Dresdener  Hand- 
schrift kennen  lernten.  Ich  habe  auf  den  Seiten  382  und  383  den  figür- 
lichen Theil  dieser  vier  Blätter  auf  "/s  verkleinert  wiedergegeben. 

Man  sieht,  es  sind  immer  zwei  Abtheilungen,  die  durch  ein  sogenanntes 
Himmelsschild,  einen  mit  den  Zeichen  von  Sternbildern  (?)  bedeckten 
Streifen,  geschieden  sind.  Die  Figuren  heben  sich  von  einer  gemeinsamen 
Grundfarbe  ab,  die  in  den  beiden  Abtheilungen  eines  Blattes  durchgängig 
verschieden  ist,  in  der  einen  blau,  in  der  anderen  roth  oder  gelb.  Und 
zwar  stimmt  immer  die  Grundfarbe  der  unteren  Abtheilung  des  einen 
Blatts  mit  der  der  oberen  Abtheilung  des  nächstfolgenden  Blattes  überein. 
Hierbei  nehme  ich  aber  das  Eoth  (in  den  unteren  Abtheilungen)  dem 
Gelb  (in  den  oberen)  als  gleichwertig  an  und  betrachte  die  blaue  Farbe 
als  Andeutung  von  Dunkelheit,  die  rothe  und  die  gelbe  als  Zeichen  von 
Helle  oder  Licht.  Diese  Vertheilung  der  Farben  lässt  vermuthen,  dass 
ein  Zusammenhang  zwischen  der  imteren  Abtheilung  des  einen  und  der 
oberen  des  nächstfolgenden  Blattes  besteht.  Aber  der  Zusammenhang  ist 
hier  nicht  ein  derartiger,  wie  ich  ihn  oben  für  die  unteren  und  die 
mittleren  Abtheilungen  der  Dresdener  Handschrift  annehmen  musste. 
Wie  wir  gleich  sehen  werden,  scheint  mir  umgekehrt  in  den  unteren  Ab- 
theilungen der  Blätter  des  Codex  Tro  die  Hauptgottheit  der  betreffenden  Jahre 
dargestellt  zu  sein,  in  den  oberen  Abtheilungen  aber  die  Zärimonien,  die  in 
den  letzten  fünf  Tagen  der  vorhergehenden  Jahre  vorgenommen  wurden. 

Ein  Blick  auf  diese  Blätter  lehrt  in  der  That,  dass  hier  in  den  oberen 
Abtheilungen  ganz  andere  Persönlichkeiten  dargestellt  sind  als  in  den 
mittleren  Abtheilungen  der  Blätter  25 — 28  der  Dresdener  Handschrift. 
Wenn  wir  also  die  Lau  da' sehen  Namen  richtig  auf  die  in  den  mittleren 
Dritteln  der  Blätter  25—28  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Per- 
sonen bezogen  haben,  —  und  ich  glaube.  Beweise  dafür  gebracht  zu  haben, 
dass  das  in  der  That  der  Fall  ist  —  so  folgt,  dass  auf  die  Gottheiten, 
die  man  in  den  oberen  Abtheilungen  dieser  vier  Blätter  des  Codex  Tro 
abgebildet  sieht,  die  Landa'schen  Namen  nicht  anzuwenden  sind. 

Ich  möchte  die  Yermuthung  wagen,  dass  in  den  oberen  Abtheilungeu 
dieser  vier  Blätter  des  Codex  Tro  nicht  die  eigentlichen  Regenten  der 
vier  Jahre,  sondern    die  Bacab    der    vier  Jahre    dargestellt   worden  seien. 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     385 

Fast  gedrängt  wird  man  zu  dieser  Vermuthung  durch  den  Umstand,  dass 
für  die  cauac-Jahre  und  für  den  Westen  im  Landa  ein  schwarzer  BacaO, 
ein  Ekel-Bacab,  angegeben  wird,  und  hier  auf  dem  ersten  Blatt,  dem 
Blatt  23,  auf  dem  die  caMac-Jahre  verzeichnet  sind,  und  auf  dem  wir  auch 
in  der  Schriftreihe  unmittelbar  über  der  oberen  Abtheilung  die  Hiero- 
glyphe chikin  „Westen"  sehen,  an  der  rechten  Seite  der  oberen  Abtheilung 
ein  in  schwarzer  Farbe  gemalter  Gott  steht.  Ist  also  diese  meine  Ver- 
muthung richtig,  so  würden  wir  vielleicht  auf  diese  Gottheit  der  oberen 
Abtheilung  des  Blattes  23  den  im  Landa  angegebenen  Namen  Hozan  ek  an- 
zuwenden haben.  Für  die  des  zweiten  Blattes  (22)  entsprechend  den  Namen 
Hobnil,  für  den  des  dritten  (21)  Canzienal,  für  den  des  vierten  (20)  endlich 
den  Namen  Zac  ziui.  Wir  wissen,  abgesehen  von  dem  ersten,  zu  wenig 
über  diese  Götter,  als  dass  ich  eine  nähere  Begründung  dieser  Hypothese 
versuchen  könnte.  Hozan  ek  wird  in  dem  von  dem  Grafen  Charencey 
veröffentlichten  Vokabular  als  Name  des  Abendsterns  angegeben. 

Umgekehrt  glaube  ich  in  den  unteren  Abtheilungen  der  Blätter  23 
bis  20  des  Codex  Tro  die  eigentlichen  Regenten  der  betreffenden  Jahre 
suchen  zu  müssen. 

In  der  That  sehen  wir  in  der  unteren  Abtheilung  des  Blattes  23  auf 
der  linken  Seite  den  Todesgott  sitzen.  Das  stimmt  zu  der  Angabe 
Landa's,    der    in    den  «mac-Jahren   als  Regenten   Uac  mitun  aliau  nennt. 

In  der  unteren  Abtheilung  des  Blattes  22,  das  den  ^aw-Jahren  ent- 
spricht, sehen  wir  auf  der  linken  Seite  auf  einem  mit  Hieroglyphen  kan, 
d.  h.  mit  Mais,  gefüllten  Gefässe  einen  Hund  sitzen,  der  auf  einer  Rücken- 
trage kan  und  imix,  d.  h.  wohl  Mais  und  Bohnen  (?)  trägt.  Dass  dieser 
als  ein  Sinnbild  der  Fruchtbarkeit  bedingenden  Wasser-  und  Regengottheit 
Ah  bolon  tz^acab  aufzufassen  sei,  werden  wir  um  so  mehr  annehmen  können, 
als  aus  der  Land  ansehen  Schilderung  der  Xma-kaba-kin-Tjöx'iVLioiimn  her- 
vorzugehen scheint,  dass  Figuren  von  Hunden  als  Träger  von  Lebens- 
mitteln verwendet  wurden  (perros  hechos  de  barro  con  pan  en  las  espaldas) 
und  in  dieser  Form  den  Göttern  dargebracht  wurden.  Wenn  endlich 
diesem  Hund  gegenüber  in  derselben  Abtheilung  der  Gott  mit  dem  kan- 
Zeichen  dargestellt  ist,  von  dem  wir  auf  Blatt  27  der  Dresdener  Hand- 
schrift gesehen  haben,  dass  er  als  Vertreter  Itzamnas  auftritt,  so  werden 
wir  auch  hier  eine  Uebereinstimmung  mit  Landa  finden,  der  uns  erzählt, 
dass  in  den  X:aw-Jahren  ausser  dem  eigentlichen  Regenten  des  Jahres  auch 
ein  Gott   Yzamna  kauil  verehrt  worden  sei. 

In  der  unteren  Abtheilung  des  Blattes  21,  das  die  ^nw/wc- Jahre  ent- 
hält, müssten  wir  meiner  Theorie  nach  den  Sonnengott  Kinch  ahan  darge- 
stellt finden.  Dieser  selbst  ist  nun  allerdings  nicht  da.  Aber  wir  sehen 
auf  der  linken  Seite  dieser  Abtheilung  seinen  Vertreter:  auf  einem  Stein- 
sitz, an  dem  Flammen  emporlodern,  ein  Thier,  das  man  mit  einigem  guten 
Willen    recht    gut    als    einen    Jaguar    deuten    kann.     Wenigstens    unter- 

Seler,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  25 


386  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

scheidet  er  sich  von  dem  auf  diesen  Blättern  mehrfach  dargestellten  Hunde 
bestimmt  durch  die  zugespitzten,  nicht  gestutzten  Ohren.  Dass  wir  an 
solche  Beziehungen  für  das  ganze  Blatt  denken  müssen,  das  scheint  eine 
■weitere  Bestätigung  darin  zu  finden,  dass  wir  diesem  Jaguar  gegenüber 
einen  Gott  sehen,  der  eine  Vogel maske  trägt.  Im  Landa  lesen  wir  aber, 
dass  in  den  wm^MC-Jahren  ausser  dem  eigentlichen  Regenten  des  Jahres, 
auch  ein  Gott  Yax  coc  ahmut,  d.  h.  „das  Waldhuhn,  der  Fasan",  verehrt 
worden  sei. 

Auf  dem  vierten  Blatt  20  endlich,  das  die  ii- Jahre  enthält,  wo 
Itzamnä  dargestellt  sein  müsste,  sehen  wir  auf  der  linken  Seite  der 
unteren  Abtheilung  wieder  den  Gott  mit  dem  l*aw-Zeichen,  den  Vertreter 
Itza7nnas,  aber  mit  geschlossenem  (oder  auslaufendem?)  Auge.  Ihm 
gegenüber,  auf  der  rechten  Seite  der  unteren  Abtheilung  den  Sonnen- 
gott und  zwar  mit  einer  Art  Vogelmaske,  die  das  Auge  des  alten  Gottes 
Itzanmas  zeigt.  Da  ist  es  wieder  eine  frappante  Uebereinstimmung,  dass 
Landa  uns  •  erzählt,  dass  in  den  ir- Jahren  ausser  dem  eigentlichen  Regenten 
des  Jahres  ein  Gott  Kinchahau   Yzamna  verehrt  worden  sei. 

So  stimmen  also  diese  vier  Blätter  des  Codex  Tro  in  der  That  zu  den 
Berichten  Landa's  und  zu  der  von  mir  angenommenen  Art  der  Deutung. 

Noch  auffallender  wird,  wie  auch  schon  längst  von  anderer  Seite  her- 
vorgehoben worden  ist,  die  Uebereinstimmung,  wenn  wir  die  Einzelheiten 
der  hier  dargestellten  Scenen  mit  den  Angaben  Landa's  vergleichen. 

In  den  fünf  Tagen,  die  den  cawac-Jahren  vorangiengen,  gibt  Landa 
eine  Art  Feuerzärimonie  an,  die  darin  bestand,  dass  man  aus  trockenen 
Reisigbündeln  ein  Haus  aufbaute,  dieses  bei  Einbruch  der  Nacht  in  Brand 
setzte  und,  nachdem  es  niedergebrannt,  mit  blossen  Füssen  über  die  Gluth 
lief.  Entsprechend  sehen  wir  in  der  That  auf  dem  ersten  der  Codex-Tro- 
Blätter,  dem  Blatt  23,  auf  dem  die  cawac-Jahre  verzeichnet  sind  (vgl.  die 
erste  der  beiden  Abbildungen  oben  S.  382),  in  dem  oberen  Theil  des 
Blattes,  der  die  in  den  letzten  Tagen  des  vorangegangenen  Jahres  vorge- 
nommeneu Zärimonien  veranschaulicht,  an  der  linken  Seite  den  mit  rother 
Gesichtsfarbe  gemalten  Feuergott,   eine  Fackel  in  den  Händen  haltend. 

In  den  Tagen,  die  den  ^a^i- Jahren  vorangiengen,  erzählt  Landa  von 
einem  Opfer,  das  darin  bestand,  dass  man  einen  Hund  oder  einen  Menschen 
gebunden  von  einer  Höhe  auf  einen  im  Tempelhof  aufgeschichteten  Stein- 
haufen herunterwarf  und  darnach  erst  rite  schlachtete.  Landa  erwähnt  dann 
noch  Opfergaben  von  Speisen  und  bemerkt  zum  Schluss  —  „decian  que 
descendia  un  angel,  y  recebia  este  sacrificio."  —  Fast  wörtlich,  möchte 
man  sagen,  ist  das  auf  dem  zweiten  der  Codex-Tro-Blätter,  Blatt  22,  in 
der  oberen  Hälfte  wiedergegeben.  (Siehe  die  zweite  Abbildung  oben 
S.  382).  Denn  dort  sehen  wir  auf  der  linken  Seite,  dem  Bacab  gegen- 
über, den  Steinhaufen,  darüber  sehen  wir  einen  gebundenen  Menschen,  der, 
von  oben  heruntergeworfen,  den  Steinhaufen   mit  seinem  Blut  überströmt. 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     387 

Und  zu  Oberst  den  „Engel,  der  zum  Opfer  herabkommt",  eine  Gestalt  mit 
den  Gesichtszügen  und  dem  Kopfputz  des  Gottes  mit  dem  ^aw- Zeichen, 
aber  mit  zu  einer  Art  Flügel  ausgebildeten  Armen. 

In  den  Tagen,  die  den  muluc- Jahren  vorangiengen,  musste  man,  wie 
Lauda  berichtet,  einen  Tanz  auf  Stelzen  tanzen,  musste  Truthühner, 
Brot  und  Maisbier  darbringen,  sowie  einen  thönernen  Hund  mit  Brot  auf 
dem  Rücken,  endlich  ein  unverziertes  Gewand  (un  paramento  sin  labores). 
Und  in  der  That,  auf  dem  Blatte  21,  dem  dritten  der  Codex  Tro-Blätter, 
auf  dem  die  muluc-Jaihve  verzeichnet  sind,  (vgl.  die  erste  der  beiden  Ab- 
bildungen, oben  Seite  383)  sehen  wir  in  der  oberen  Hälfte  an  der  linken 
Seite  die  Person  auf  Stelzen.  Dahinter  oben  die  Truthenne  (kenntlich 
durch  die  Hautwucherungen  auf  dem  Kopf)  und  unten  das  weisse  unver- 
zierte  Gewand.  Ja,  ich  glaube,  auch  den  Hund  mit  dem  Brot  auf  dem 
Rücken  finden  wir  vor,  aber  nicht  in  der  oberen,  sondern  in  der  unteren 
Abtheilung,  wo  wir  an  der  rechten  Seite  in  der  That  einen  Hund  mit  den 
Hieroglyphen  kan  und  imia-  auf  dem  Rücken  sehen,  die  vielleicht  „Mais 
und  Bohnen",  jedenfalls  ^Lebensmittel",  bedeuten. 

In  den  den  tc^-Jahren  vorangehenden  Tagen,  sagt  Landa,  hätte  man 
das  Sakrarium  des  Gottes  renovirt  und  —  „una  solemna  borrachera"",  ein 
grosses  Saufgelage,  veranstaltet,  denn  es  wäre  ein  allgemeines  für  alle 
obligatorisches  Fest  gewesen.  Demgemäss  sehen  wir  in  der  oberen  Hälfte 
des  letzten  der  Codex-Tro-Blätter,  Blatt  20  (vgl.  die  zweite  Abbildung 
oben  auf  Seite  383)  das  ganze  Orchester  in  Thätigkeit,  zwei  Pauken  ver- 
schiedener Form,  die  eine  dem  tlalpan  ueuetl  der  Mexikaner  entsprechend, 
die  andere  vielleicht  einen  mit  einem  Trommelfell  überzogenen  Kürbiss 
darstellend.  In  der  linken  oberen  Ecke  ist  noch  eine  Person  abgebildet. 
Was  diese  aber  eigentlich  treibt,  darüber  wage  ich  allerdings  nicht,  mit 
Bestimmtheit  mich  auszusprechen. 

Stimmen  also  die  dargestellten  Szenen  überraschend  genau  mit  den 
Angaben  Landa's  überein,  so  dürfen  wir  auch  vertrauen,  dass  die  oben 
versuchte  Parallelisirung  der  von  Lauda  genannten  Götter  mit  den  auf 
diesen  Blättern  erkennbaren  Personen  das  Richtige  trifft.  Nun  sind  ja 
allerdings,  wie  es  scheint,  auf  diesen  Codex-Tro-Blättern  die  Hauptgott- 
heiten zum  Theil  nur  angedeutet.  Hier  treten  aber  dann  die  schönen 
und  sorgfältig  gezeichneten  Blätter  der  Dresdener  Handschrift  ergänzend 
ein.  Die  grundsätzliche  Uebereinstimmung  der  in  den  mittleren  Abthei- 
lungen dieser  Blätter  abgebildeten  Personen  mit  den  Gestalten,  die  in  den 
unteren  Abtheilungen  der  Codex -Tro-Blätter  auf  der  linken  Seite  zur 
Anschauung  gebracht  sind,  glaube  ich  erwiesen  zu  haben,  und  ebenso, 
dass  die  Gestalt  und  die  Attribute  der  auf  den  Blättern  der  Dresdener 
Handschrift  abgebildeten  Götter  zu  dem  Wesen  der  Gottheiten,  die  Landa 
uns  nennt,  stimmt.  Demgemäss  glaube  ich  berechtigt  zu  sein,  die  von 
Landa  angegebenen  Namen  für  diese  ihrem  Ansehen  und  ihren  Attributen 

25* 


388  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

nach  wohl  charakterisirteii,  durch  bestimmte  Hieroglyphen  bezeichneten 
Gottheiten  zu  verwenden.  Wenn  ein  Zweifel  bestehen  kann,  so  gilt  das 
einzig  dem  Namen  Itzamnd,  der  bald  auf  den  alten  Gott  des  Blattes  27 
der  Dresdener  Handschrift,  bald  auf  den  jungen  Gott,  den  Gott  mit  dem 
kan-Zeichen  angewendet  worden  zu  sein  scheint.  In  der  That  haben  wir 
ja,  in  der  oberen  Abtheilung  des  Blattes  27  der  Dresdener  Handsclirift, 
den  Gott  mit  dem  A-a»- Zeichen  als  den  direkten  Stellvertreter  des  alten 
Gottes  angetroffen.  Auf  den  alten  Gott,  als  Träger  des  Namens  Itzainnä, 
weisen,  ausser  dem  genannten  Blatte  der  Dresdener  Handschrift,  vor  allem 
die  Angaben  des  Priesters  Hernandez  und  der  Umstand,  dass  Itzamnd 
im  Kultus  als  ein  Feuergott  erscheint.  Den  jungen  Gott,  den  Gott  mit 
dem  ^'a;i-Zeichen,  zeichnet,  wie  wir  gesehen  haben,  der  Codex -Tro  als 
Itzamnd.  Die  Bücher  des  Chilam  Balam  nennen  Itzamnd  als  Regeuten  des 
Katun  13.  ahau.  Als  Regenten  dieses  katun  sieht  man  im  Codex  Perez 
einen  alten  Gott,  der  aber  auf  dem  Scheitel  die  Hieroglyphe  kau  und  den 
ganzen  Aufputz,  wie  ihn  der  Gott  mit  dem  ^aw-Zeichen  als  Kopf- 
schmuck trägt,  aufweist.  Den  alten  Gott,  Blatt  27  der  Dresdener  Hand- 
schrift, zeigt  uns  der  Codex  Perez  als  Regenten  des  Katun'ii  10  ahau. 
Und  in  diesem  Katuji  wird  von  dem  Chilam  Balam  als  Regent  ein  Gott 
Namens  Hun  chaan  genannt.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  der  Name  Itzamnd 
allgemeinere  Bedeutung  hatte  und,  mit  einigen  unterscheidenden  Zusätzen, 
für  verschiedene  Götter  verwandt  wurde.  Lauda  selbst  nennt  uns  ausser 
dem  eigentlichen  Itzamnä  noch  einen  Itzamnd  kauil  und  einen  Kinch  ahau 
Itzamnd.  Der  letztere  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  nur  eine  Form  des 
Sonnengotts.  Der  zweite,  Itzamnd  kauil,  scheint,  wenn  wir  der  Zeichnung 
des  Codex  Tro  trauen  dürfen,  im  Wesen  mit  dem  Gott  mit  dem  kan- 
Zeichen  ident  zu  sein. 

Ich  komme  zum  Schluss  nun  noch  einmal  auf  den  Regengott  zurück. 
Den  Regengott  selbst  haben  wir  unter  den  vier  Göttern  nicht  getroffen, 
wohl  aber  eine  ihm  sehr  nahe  stehende  Gestalt,  den  Gott  mit  der  proli- 
ferirenden  Nase.  Für  diesen  habe  ich  es  wahrscheinlich  gemacht,  dass 
ihm  der  Name  Ah  holon  tz'acab  zukommt.  Für  den  in  der  Dresdener  Hand- 
schrift so  viel  dargestellten  Regengott  selbst  aber  werden  wir  doch  wohl  noch 
nach  einem  anderen  Namen  suchen  müssen,  da  es  doch  wahrscheinlich  ist^ 
dass  seiner  besonderen  Bildung  und  der  besonderen  hieroglyphischen  Be- 
zeichnung entsprechend  ihm  auch  ein  besonderer  Name  zukam. 

Ich  will  zunächst  Einiges  anführen,  woraus  meiner  Ansicht  nach 
hervorgeht,  dass  der  Name  Kukulcan  auf  den  Regengott  nicht  anzuwenden 
ist.  Mit  dem  Namen  Kukulcan  und  seiner  Identification  mit  Quetzalcoatl  ist 
viel  Missbrauch  getrieben  worden.  Die  Festlichkeit,  die  nach  Lauda  ihm 
im  Monat  Xul  in  der  Stadt  Mani  gefeiert  ward,  lässt  ihn  eigentlich 
mehr  als  einen  Heroengott,  jedenfalls  als  eine  lokale  Gottheit  erscheinen. 
Man  verehrte  ihn  als  den  Gründer  von  Mayapan,  und  es  mag  ja  sein,  dass 


2.  Ueber  die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten  Maya-Götter.     389 

bei  dieser  Gründimg  des  Bundes  von  Mayapan  mexikanischer  Einfluss  ins 
Spiel  kam,  und  dass  vielleicht  auch  die  Sagen  von  Quetzalcoatl  auf  die 
Gestaltung  der  Vorstellung  Kukulcaii's  einwirkten.  Darauf  weisen  wenigstens 
die  besonderen  Bussübungen  hin,  denen  man  an  seinem  Feste  sich  hingab. 

Dass  er  der  in  der  Dresdener  Handschrift  und  anderwärts  so  vielfach 
abgebildete  Regengott  nicht  war,  geht  vornehmlich  aus  zwei  Angaben  in 
der  oben  schon  erwähnten,  alten  Relation  des  Priesters  Hernandez  hervor. 
Die  eine  ist,  dass  Kukulcan  der  Anführer  der  zwanzig  Götter  gewesen  sei,  die 
nach  der  Beschreibung  offenbar  die  Gottheiten  der  zwanzig  Tageszeichen  be- 
deuteten. Ist  dem  so,  so  müsste  Kukulcan  in  der  Reihe  der  zwanzig  Gott- 
heiten, die  in  der  Dresdener  Handschrift  in  der  oberen  Abtheilung  der 
Blätter  4 — 10  abgebildet  sind,  an  erster  Stelle  stehen.  Dort  steht  aber 
nicht  der  Regengott,  dessen  Namen  wir  suchen,  sondern  ein  alter  Mann 
mit  einem  Diadem  über  der  Stirn  und  einer  Schlange  in  der  Hand,  dessen 
Schriftzeichen  auch  mit  den  Schriftzeichen  des  Regengottes  gar  nichts  zu 
thun  haben,  sondern,  wo  sie  anderwärts  auftreten,  einen  alten  Priester, 
nicht  selten  den  Itzamnd  selbst,  bezeichnen. 

Die  zweite  Angabe,  die  gegen  die  Identifizirung  des  Regengottes  mit 
dem  sogenannten  Kukulcan  spricht,  ist  die  ausdrückliche  Versicherung  des 
Priesters  Hernandez,  dass  zwar  die  vornehmen  Leute  von  Kukulcan  und 
seinen  neunzehn  Genossen  Kenntniss  gehabt,  dass  aber  das  Volk  nur  die  drei 
Personen  Itzamnd,  den  Bacab  und  Ekchuah,  ferner  Chibiriac,  die  Mutter 
/der  Bacab,  und  la  chel,  die  Mutter  der  Chibriac,  verehrt  hätten.  —  Nun, 
ein  so  vielfach  in  den  Handschriften  abgebildeter  Gott  kann  unmöglich 
der  nur  den  Gelehrten  und  Vornehmen  bekannte  Kukulcan  gewesen  sein. 

Dass  der  Regengott  als  Chac  zu  bezeichnen  ist,  geht  daraus  hervor, 
dass  1.  unter  dem  Namen  Chac  in  der  That  ein  Regengott  verstanden 
ward;  —  das  Wort  chaac  oder  chac  wird  noch  heute  im  Sinne  von  „Regen" 
gebraucht.  2.  in  der  Dresdener  Handschrift  der  Regengott  der  einzige  ist, 
der  bei  den  vier  Himmelsrichtungen  angeführt  wird.  Im  Landa  haben  wir 
aber  die  ausdrückliche  Angabe,  dass  die  Hausväter  und  Landleute  die  vier 
Chac,  „los  quatro  Chac"'  verehrten. 

AVenn  irgend  ein  anderer  Name  dem  Namen  Chac  Konkurrenz  machen 
könnte,  so  wäre  es  der  der  Bacab.  Denn  diese  Bacab  werden  auch  in 
einer  Zahl  von  vieren  genannt.  Aber  auch  diese  Bezeichnung  kann  für 
den  Regengott  nicht  in  Betracht  kommen,  da  für  jeden  dieser  Bacab  ein 
besonderer  Name  angegeben  wird.  Diese  Namen  sind  auch  derart,  dass 
man  schliessen  muss,  es  seien  vier  besondere,  verschiedene  Gottheiten  ge- 
wesen, die  nur  unter  der  einheitlichen  Benennung  Bacab  zusammen- 
gefasst  wurden.  Diese  Benennung  selbst  bedeutet  aber  vermuthlich  weiter 
nichts  als  „der  in  einer  Region  Mächtige"  oder  „Schutzgottheit  einer 
Region'^. 


390  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


3. 
Entzifferung  der  Maya-Handschriften. 

Verhandlungen  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte. 
19.  März  1887  [Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.    S.  (231)  — (237)]. 


Wer  mit  Aufmerksamkeit  die  Schriftzeichen  der  vier  uns  erhaltenen 
Maya-Handschriften  —  von  den  Inschriften  der  Tempelwände  rede  ich  hier 
nicht  —  durchsieht,  dem  werden  sich  ohne  Zweifel  bald  zwei  Beobachtungen 
aufdrängen.  Die  eine  ist,  dass  es  eine  verhältnissmässig  geringe  Zahl  von 
Bildern  und  Grundelementen  ist,  die  in  diesen  Schriftzeichen  wieder- 
kehren. Die  zweite,  dass  bei  gleichen  oder  ähnlichen  figürlichen  Dar- 
stellungen auch  dieselben  Schriftzeichen  wiedererscheinen.  Es  unterliegt 
keinem  Zweifel,  dass  zwischen  der  figürlichen  Darstellung  und  den  Schrift- 
zeichen ein  enger  Zusammenhang  besteht,  wie  es  ja  auch  natürlich  ist. 
Und  meine  Untersuchungen  berechtigen  mich  dazu,  den  Satz  auszusprechen, 
dass  die  Schriftzeichen  im  Allgemeinen  weiter  nichts  sind,  als  eine 
Erläuterung  der  figürlichen  Darstellung,  eine  Wiederholung  oder  nähere 
Ausführung  der  dargestellten  Figuren,  Gegenstände  und  Vorgänge  in  zu 
Lettern  abbreviirten  Bildern,  —  eine  Wiederholung,  die  nicht  zwecklos 
und  unnatürlich  ist,  da  sie  gestattet,  z.  B.  den  an  einem  Gott  ge- 
zeichneten Vorgang  für  eine  Reihe  anderer  niederzuschreiben,  oder 
eine  in  voller  Figur  dargestellte  Gottheit  mit  Attributen  und  Beziehungen 
ausgestattet  zu  erklären,  die  zeichnerisch  nicht  ohne  Weiteres  anzubringen 
waren. 

Für  eine  Anzahl  (acht)  der  am  häufigsten  in  den  Handschriften  an- 
zutreffenden Gottheiten  hat  Herr  Dr.  Schellhas  in  seiner,  im  vorigen  Jahre 
(1886)  in  der  Zeitschrift  für  Ethnologie  publizirten  Abhandlung  die  ihnen 
entsprechenden  Schriftzeichen  oder  Hieroglyphen  nachgewiesen.  Dass  damit 
die  Zahl  nicht  erschöpft  ist,  begreift  sich.  In  der  oberen  Reihe  der  Tafeln 
4 — 10  findet  sich  eine  Reihe  von  20  Gottheiten  und  Figuren,  deren  Hiero- 
glyphen in  den  Schriftzeichen  darüber  und  anderwärts  zu  erkennen  sind. 
Eine  zweite  Reihe  von  20  Gottheiten  oder  mythologischen  Figuren,  die 
nur  zum  Theil  mit  der  vorigen  sich  deckt,  ist,  allerdings  nur  durch  ihre 
Hieroglyphen  vertreten,  auf  der  linken  Hälfte  der  Blätter  46  —  50  derselben 
Handschrift,  in  der  untersten  und  mittleren  Reihe  derselben,  zu  erkennen. 


3.   Entzifferung  der  Maya -Handschriften.  391 

Andere  finden  sich  an  anderen  Stellen,  und  eine  genaue  Ziffer  lässt  sich 
noch  nicht  angeben. 

Die  Hieroglyphe  ist  in  ihrer  einfachsten  Gestalt  weiter  nichts,  als  eine 
Wiedergabe  des  Kopfes  der  betreffenden  Figur.  So  z.  B.  die  Fledermaus 
z(^tz  in  der  Hieroglyphe  des  Monats  gleichen  Namens  und  anderwärts. 
Gewöhnlich  aber  ist  schon  der  einfache  Kopf  ausgestattet  mit  gewissen 
akzessorischen  Bestandtheilen,  —  ich  scheue  mich,  den  Ausdruck  „Affixen" 
zu  gebrauchen,  um  nicht  die  Vorstellung  von  sprachlichen  Affixen  zu  er- 
wecken. So  ist  z,  B.  der  Kopf  des  Regengottes  C'Aac,  wo  er  als  Hieroglyphe 
unter  den  Schriftzeichen  auftritt,  regelmässig  begleitet  von  dem  Element 
Abb.  13  (oben  S.  375).  Derjenige  des  Gottes,  welcher  in  der  Dresdener  Hand- 
schrift ziemlich  regelmässig  mit  dem  Tageszeichen  kan  im  Haar  abgebildet 
ist,  und  den  ich  daher  als  „Gott  mit  dem  A-a^i-Zeichen"  bezeichnen  will,  ist 
regelmässig  begleitet  von  dem  Zeichen  Abb.  14  (oben  S.  375).  Dabei  ist  der 
Kopf  selbst  theils  eine  einfache  Wiedergabe  des  Kopfes,  den  die  volle  Figur 
trägt,  z.  B.  der  Kopf  Chac\  auf  Tafel  32  c  der  Dresdener  Handschrift,  der 
Kopf  des  schwarzen  Gottes,  Dresdener  Handschrift  14c,  der  des  Gottes 
Itzamnd,  des  Gottes  mit  dem  Greisengesicht  u.  a.  m.,  theils  erscheint  statt 
dessen  mit  grosser  Regelmässigkeit  ein  anderer  Kopf.  So  ist  Chac  in  weit- 
aus den  meisten  Fällen  in  der  Schrift  dargestellt  durch  den  in  der  Hand 
gehaltenen  Kopf  mit  weinenden  oder  auslaufenden  Augen  und  todtenschädel- 
artig  freiliegenden  Zähnen  (Abb.  15  oben  S.  375),  der  in  den  figürlichen 
Darstellungen  nirgends  zu  sehen  ist. 

Schliesslich  tritt  schon  bei  der  einfachen  Hieroglyphe  an  Stelle  der 
Figur  oder  des  Kopfes  ein  symbolisches  Zeichen  auf,  womit  die  Natur  der 
betreffenden  Figur  gekennzeichnet  wird.  So  sieht  man  auf  Tafel  4b  der 
Dresdener  Handschrift,  über  dem  dort  dargestellten  grünen  Schuppen- 
ungeheuer,  in  einer  Reihe  von  sechs  Köpfen,  die,  wie  sich  nachweisen 
lässt,  eben  so  viel  Gottheiten  bezeichnen,  als  siebentes  das  zusammen- 
gesetzte Zeichen  Abb.  16  (oben  S.  375),  mit  welchem  auf  Tafel  12  c  und 
21c  ein  alter,  kahlköpfiger  Gott  bezeichnet  ist. 

In  weitaus  den  meisten  Fällen  aber  —  und  das  ist  eine  wichtige 
Thatsache  —  ist  die  dargestellte  Figur  in  der  Schriftreihe  nicht  durch 
ein,  sondern  durch  zwei,  drei  oder  gar  vier  Schriftzeichen  bezeichnet, 
die  unweigerlich  die  Figur  begleiten,  in  welcher  Handlung  sie  auch 
dargestellt  sein  mag.  Die  Zahl  der  Schriftzeichen,  ob  zwei,  drei  oder 
vier,  hängt  von  der  Oekonomie  der  Schreibung  ab.  So  ist  der  Todes- 
gott, wie  auch  schon  Schellhas  sah,  fast  regelmässig  dargestellt  durch 
die  Kombination  der  beiden  Zeichen  Abb.  17  und  18  (siehe  folgende 
Seite),  oder  aber  durch  eine  Kombination  des  ersteren  Zeichens  mit  einem 
der  beiden  Abb.  11  (oben  S.  375)  und  20  (folgende  Seite),  von  denen  als 
wichtige  Varianten,  auf  die  ich  später  noch  zurückkommen  werde,  die 
beiden    Abb.   19  und   21    anzuführen   sind,   oder  aber,  es  sind  die  beiden 


3J>2 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


ersten  Zeichen  Abb.  17  und  18  mit  einem  der  beiden  letzten  (Abb.  11  und  20) 
oder  aber  mit  allen  beiden  kombinirt. 

In  dem  vorliei^enden  Falle  ist  die  Bedeutung  der  einzelnen  Hieroglyphen 
leicht  festzustellen.  Das  erste  Zeichen  (Abb.  17)  zeigt  uns  den  Todten- 
ßchädel  mit  dem  Feuersteinmesser  auf  der  Nasenspitze,  —  die  aus  aztekischeu 
Malereien  wohlbekannte  Darstellung  des  Todesgotles.  Die  Bedeutung  des 
vordersten  Elements  (vgl.  Abb.  14  oben  S.  375)  als  Feuersteinmesser, 
Opfermesser,  geht  aus  Codex  Tro  20*  b  und  anderen  Stellen  deutlich 
hervor.  Das  Bild  ist  aus  der  in  mexikanischen  Handschriften  üblichen 
Zeichnung  entstanden,  wo  man  die  Schneide  des  Obsidians  durch  eine 
Zahnreihe  dargestellt  sieht  (vgl.  Abb.  22).  Das  zweite  Zeichen  ist  der 
Leichnam  mit  herausgerissenem  blutenden  Auge,  —  eine  auch  aus 
aztekischen  Darstellungen  wohlbekannte  Symbolik  des  Opfers.  Dass 
Abb.  23  das  Auge  bedeutet,  und  meine  Deutung  der  in  den  Handschriften 


üblichen  Art  der  Wiedergabe  entspricht,  wird  mau  bei  einem  sorgsamen 
Vergleichen  der  Zeichen  unschwer  erkennen.  Die  Schellhas'sche  Kon- 
jektur, dass  Abb.  24  ein  Suffix-i7  darstelle,  ist  demnach  zu  verwerfen. 

Die  beiden  anderen  Zeichen  sind  beide  Bezeichnung  des  Todten- 
vogels,  der  Eule,  oder  vielmehr  des  gespenstischen  AYesens,  der  Meuschen- 
eule,  mexikanisch  tlacatecolotl^  —  ein  Wort,  welches  die  Autoren  mit 
„Teufel"  übersetzen,  das  aber  nach  Sahagun  richtiger  den  Zauberer,  den 
Unheilbringer  bezeichnet.  Das  ganze  W^esen  —  Skelet  mit  dem  Käuzchen- 
kopf —  wird  Dresden  18  c  von  der  Frau  auf  der  Trage  getragen,  und  die 
beiden  Hieroglyphen  erseheinen  in  der  Schriftreihe  darüber. 

Die  ganzen  vier  Schriftzeichen  sind  also  rein  ideographisch  und  be- 
deuten: „Der  Todesgott,  der  die  Menschen  tödtet,  die  gespenstische  Eule" 
—  die  letzteren  Worte,  wenn  man  will,  als  Attribute  oder  Eigenschaften 
des  ersteren  zu  fassen,  oder  aber  (und  das  ist  vielleicht  richtiger)  der 
Todesgott    ist    zur  Anschauung  gebracht  und  seine  Synonyme.     Denn  ge- 


3.   Entzifferung  der  Maya- Handschriften.  393 

legentlich,  z.  B.  Tro  30*  c,  erscheint  auch  das  blosse  Zeichen  der  Eule  als 
Hieroglyphe  für  den  in  voller  Figur  dargestellten  Todesgott. 

Ein  fünftes  Zeichen  (Abb.  25  und  2('>)  will  ich  noch  erwähnen,  das 
bei  dem  Todesgott  selbst  seltener,  aber  desto  häufiger  bei  seinen  Assistenten 
und  Stellvertretern  angegeben  wird. 

Der  Todesgott  erscheint  im  Codex  Tro  als  das  unvermeidliche  Wider- 
spiel, der  Affe  des  Hinimelsgottes,  des  Herrn  des  Lebens,  des  priesterlichen 
Itzamnd.  In  was  für  Handlungen  der  letztere  auch  dargestellt  ist,  der  Todes- 
gott macht  sie  nach,  nur  dass  bei  ihm  Alles  zerbrochen,  nichtig  ist:  der  Strick, 
den  Itzamnd  hält,  ist  beim  Todesgott  zerrissen;  wo  Itzamnd  Kopalrauch 
darbringt,  hält  der  Todesgott  das  Zeichen  „Feuer";  wo  Itzamnd  das 
Zeichen  kan^  das  Symbol  des  AVassers,  hält,  steht  der  Todesgott  im 
trockenen  Wassergefäss  mit  dem  Zeichen  des  Todes  und  dem  Feuerstein 
in  der  Hand.  Der  Reihe  von  Hieroglyphen,  mit  der  der  Todesgott  be- 
zeichnet ist,  entspricht  daher  auch  eine  Reihe  von  Zeichen,  zwei,  drei  oder 
vier,  für  Itzamnd  (siehe  Abb.  85 — 90,  unten  S.  403).  Am  häufigsten  —  ich 
zähle  im  Codex  Tro  allein  an  30  mal  —  erscheinen  die  beiden  Zeichen 
Abb.  27  und  28  (siehe  folgende  Seite),  im  Codex  Cortes  mit  Vorliebe  statt 
des  letzteren  das  Zeichen  Abb.  29.  Daneben  finden  sich  die  Zeichen 
Abb.  30,  31,  32,  33,  34.  Alle  diese  Zeichen  treten  in  Verbindung  mit  dem 
ersten  oder  mit  den  ersten  beiden  auf,  übrigens  nicht  einmal  oder  einige 
Male,  sondern  öfter  und  offenbar  unabhängig  von  dem  dargestellten  Vorgang. 

Das  erste  Zeichen  (Abb.  27)  zeigt  in  seinem  Grundelement  den  Kopf 
des  Gottes  mit  dem  eingokniffenen  Mundwinkel  und  den  Runzeln  auf  den 
Backen,  wie  sie  dem  greisen  Gott,  dem  Vater  der  Götter  und  Menschen, 
gebühren.  Auch  der  Tonacatecutli,  das  mexikanische  Analogen  Itzamnd^s, 
wird  mit  genau  diesem  eiiigekniffenen  Mundwinkel  abgebildet,  der  im 
Codex  Borgia  wunderbar  verschoben  als  Anhang  vorn  an  der  Lippe  er- 
scheint.\  Das  von  Punkten  umgebene  Zeichen  akbal  bedeutet,  wie  ich 
schon  oben  in  den  Ausführungen  über  die  Namen  der  in  den  Handschriften 
abgebildeten  Gottheiten  auseinandersetzte,  wahrscheinlich  den  Sternen- 
himmel. Die  beiden  anderen  Elemente,  von  denen  das  eine,  das  unter 
dem  Kopf  des  Gottes  befindliche,  im  Codex  Tro  gewöhnlich  in  der  Form 
der  Abb.  35  gezeichnet  ist,  scheint  einen  offenen  Mund  bezeichnen  zu 
sollen.  Man  findet  es  ziemlich  regelmässig  auf  dem  Halstheil  von  Ge- 
fässeu,  unmittelbar  unter  dem  j\Iüudungsrande  angegeben. 

Das  zweite  Zeichen  (Abb.  28)  enthält  das  Tageszeichen  ahau,  dessen 
Name  „Herr"  bedeutet  und  ausserdem  zwei  Feuersteinmesser.  Das  Ganze 
findet  sich  Codex  Tro  20  b,  als  Bezeichnung  des  das  Opfermesser  haltenden 
Priesters.  Ich  glaube  es  einfach  ah-tok  „Herr  des  Steinmessers"  lesen  zu 
müssen,  mache  aber  darauf  aufmerksam,  dass  an  ah-tok  lautlich  ah-toc 
anklinift.     Letzteres  aber  heisst  der  „Brenner". 


394 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entziffemng. 


Das  dritte  Zeichen  (Abb.  29)  findet  sich  ebenfalls  Codex  Tro  •20  b  als 
Synonym  des  zweiten. 

Das  vierte  Zeichen  (Abb.  30)  finden  wir  Dresden  32  b  für  das  auf 
Blatt  33a,  34b  dargestellte  Zeichen  Abb.  36,  in  welch  letzterem  das  Element 
der  Flamme  miverkennbar  ist.  Wenigstens  sieht  man  überall,  wo  eine  Flamme 
brennt,  oder  eine  Fackel  getragen  wird,  in  der  Flamme  das  Zeichen  Abb.  37. 
L'nd  Dresden  5 — 6  c  und  ebenso  9  c  finden  wir  Abb.  30  als  Anfangshiero- 
glyphe bei  einer  Reihe  von  Göttern,  die  einen  Kopalbeutel  in  der  Hand  halten. 

Die  drei,  bezw.  vier  ersten  Zeichen  würden  daher  bedeuten:  .,Der 
Himmelsgott  Itzamnä,  der  Opferpriester,  der  Räucherer''. 


Das  fünfte  Zeichen  (Abb.  31)  ist  oxil  oc  „drei  Hund"  =  mexikanisch 
yei  itzcuintli  zu  lesen,  und  das  ist  im  Codex  Telleriano-Remensis  ausdrück- 
lich als  Fest  und  Xame  des  Feuergottes  angegeben^). 

Die  Bedeutung  der  anderen  Zeichen  zu  erörtern,  unterlasse  ich.  um 
mich  nicht  zu  weit  zu  verlieren,  doch  bemerke  ich,  dass  auch  sie  rein 
ideographisch  zu  sein  scheinen. 

Was  vom  Todesgott  und  von  Itzamnd  gilt,  gilt  auch  von  den  übrigen 
Figuren.  Wir  finden  selten  die  Haupthieroglyphe  allein  angegeben,  in  der 
Regel  ist  diese  von  anderen,  den  Begrifi"  erläuternden  oder  erweiternden 


1)  Vgl.  Seier,  das  Tonalamatl  der  Aubin'sehen  Sammlung,  Berlin  1900,  S.  126. 


3.   Entzifferung  der  Maya- Handschriften.  395^ 

begleitet,  mitunter  auch  treten  stellvertretend  zwei  Haupthieroglyphen  für 
dieselbe  Figur  auf. 

Der  Gott  mit  dem  ^aw- Zeichen,  dessen  Haupthieroglyphe  (Abb.  38) 
das  jugendliche  Gesicht  dieses  Gottes  mit  dem  eigenthümlichen  beutel- 
förmigeu  Kopfputz  zeigt,  —  der  Kopfputz  in  der  Hieroglyphe  nach  hinten 
überhängend  und  dem  Gesicht  (der  Maske?)  eng  anliegend,  —  ist  fast 
ausnahmslos  begleitet  von  dem  vierten  Zeichen  Itzamnd's  (Abb.  30)  und 
häufig  ausserdem  noch  von  einem  oder  mehreren  der  zuletzt  angeführten 
Zeichen  Itzamnas  (Abb.  31,  32,  33,  34).  Der  Gott  erscheint  fast  überall 
als  Assistent  Itzamna's  in  priesterlichen  Funktionen.  Darum  gebühren 
ihm  auch  dieselben  Attribute.  Aber  das  Amt  des  Hauptpriesters  ist  das 
Opfern,  das  des  Nebenpriesters  das  Räuchern.  Darum  steht  hinter  dem 
Kopf  Itzamnas  in  der  Regel  das  zweite  oder  dritte  Zeichen  (Abb.  28,  2D), 
hinter  der  Hieroglyphe  des  Gottes  mit  dem  Äaw- Zeichen  das  vierte  Zeichen 
Itzamnas  (Abb.  30).  Das  Feuersteinmesser  hängt  ja  ausserdem  dem  Gotte 
mit  dem  ^«w- Zeichen  schon  vor  dem  Gesicht. 

Wie  Itzamnd  sein  Widerspiel  in  dem  Todesgott  hat,  so  hat  der  Gott 
mit  dem  /;aw- Zeichen  sein  Widerspiel  in  einem  eigenthümlichen  Gott, 
dessen  Gesicht  durch  einen  von  Punktreihen  eingefassten  Streifen  gekenn- 
zeichnet ist,  der  von  oben  nach  unten  über  das  Gesicht  und  zwar  gerade 
über  das  Auge  läuft,  —  eine  Art  der  Gesichtszeichnung,  die  übrigens  auf- 
fallend an  den  mexikanischen  Xipe  erinnert. 

Die  Hieroglyphe  des  Gottes  (Abb.  39,  40)  zeigt  denselben  Streifen,  — 
besonders  deutlich  markirt  im  Codex  Tro  (Abb.  40),  —  und  vor  demselben 
zwei  Längsstreifen  und  einen  Punkt  darüber.  Ist  nun  der  Gott  mit  dem 
Ä:aw- Zeichen  der  Assistent  Itzamnas,  so  wäre  dieser  Gott  der  Assistent  des 
Todesgottes  und  daher  sehen  wir  ihn  auch  unweigerlich  begleitet  von 
denselben  Attributen,  einem  oder  mehreren  der  Zeichen  Abb.  18,  11,  19 
bis  21,  25 — 26  des  Todesgottes.  Als  Besonderheit  finden  wir  nur  bei  ihm 
das  Zeichen  Abb.  41,  42,  das,  wie  ich  nachweisen  zu  können  meine,  ein 
Synonym  des  Adlers  ist. 

Ich  kann  hier  natürlich  nicht  die  Hieroglyphen  aller  Figuren  nebst 
ihren  Attributen  anführen,  noch  weniger  diskutiren.  Das  Gesagte  wird 
genügen,  um  einen  Begriff  zu  geben,  was  ich  darunter  verstehe,  wenn 
ich  oben  behauptete,  dass  jede  Figur  in  der  Regel  nicht  durch  ein  Schrift- 
zeichen, sondern  durch  mehrere,  bis  vier,  stellenweise  vielleicht  mehr,  be- 
zeichnet ist. 

In  weitaus  dem  grössten  Theil  der  Handschriften  ist  die  Oekonomie 
der  Schreibung  derart,  dass  auf  jede  dargestellte  Figur  vier  oder  — 
seltener  —  sechs  Schriftzeichen  kommen.  Stellt  man  durch  aufmerksame 
Vergleichung  fest,  welche  Schriftzeichen  den  dargestellten  Figuren  und 
ihren  Attributen  entsprechen,  so  bleibt  ein  Rest  von  ein  oder  höchstens 
zwei    Schriftzeichen.      Dieser    muss,    ist    meine    in    der    Einleitung    aus- 


396 


Üritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


gesprochene  Ansicht  über  den  Charakter  der  Maya-Handschriften  richtig, 
den  dargestellten  Vorgang  zum  Ausdruck  oder  zur  Anschauung  bringen. 

Dass  dem  so  ist,  lässt  sich  nun  in  einer  ganzen  Reihe  von  Fällen 
bestimmt  nachweisen. 

Im  Codex  Tro  19  b  sehen  wir  die  Figur  eines  schwarzen  Gottes  und 
Itzamnä  dargestellt  in  der,  auch  aus  mexikanischen  Malereien  bekannten 
Handlung  des  Bohrens  (Feuerbohrons?)  oder  Hineinstossen  eines  Stabes 
in  einen  Gegenstand,  der  am  Boden  liegt  und  wie  ein  offener  Ungeheuer- 


racheu  aussieht.  Die  Schriftzeichen  zeigen  die  Hieroglyphen  Itzaninas, 
Kinch  ahaus,  Itzamnaa  und  des  Geiers,  und  darüber  viermal  wiederholt 
die  Zeichen  Abb.  43,  44.  In  der  unteren  Abtheilung  desselben  Blattes 
sieht  man  die  Figur  desselben  schwarzen  Gottes  imd  des  Gottes  mit  dem 
A;aw-Zeichen  in  derselben  Handlung  des  Bohrens  dargestellt,  aber  sie 
bohren  auf  einem  die  Zickzacklinien  der  Schlagflächen  zeigenden  Feuer- 
stein,  wie  er  als  Speerspitze  vielfach  in  den  Handschriften  vorkommt, 
und  bekanntlich  auch  das  Tageszeichen  etz7iab  darstellt.  Die  Schrift- 
zeichen zeigen  die  Hieroglyphen  ItzamnaB,  des  Todesgottes,  ltzamn(i9  und 


3.   Entzifferung  der  Maya- Handschriften.  397 

des  Gottes  mit  dem  Längsstreifen  über  dem  Gesicht  (des  Assistenten  des 
Todesgottes)  und  darüber  viermal  wiederholt  das  erste  der  beiden  vorigen 
Zeichen  (Abb.  43)  und  das  Zeichen  Abb.  45,  das,  wie  man  sieht,  als 
Hauptelement  ebenfalls  den  die  Zickzacklinien  der  Schlagflächen  zeigenden 
Feuerstein  enthält. 

Auf  Blatt  5 — 6b  der  Dresdener  Handschrift  sehen  wir  vier  Götter  be- 
schäftigt, den  Quirlstab  zu  drehen  auf  der  Figur  des  Tageszeichens  Manik 
(Abb.  50).  Die  Schriftzeichen  zeio;en,  ausser  den  Hieroglyphen  der  vier 
Götter,  dreimal  wiederholt  die  Zeichen  Abb.  46,  47  und  als  viertes  Mal 
die  Zeichen  Abb.  48,  49. 

Hier  ist  das  erste  Zeichen  (Abb.  46,  48)  wieder  äquivalent  dem  ersten 
Zeichen  der  Darstellungen  des  Codex  Tro;  während  das  zweite  Zeichen 
wieder  als  Hauptelement  denjenigen  Gegenstand  enthält,  in  welchem 
gebohrt  wird,  nämlich  das  Tageszeichen  manik  (Abb.  50). 

Dass  also  in  allen  diesen  drei  Darstellungen  das  erste  Zeichen  die 
Aktion  des  Bohrens  oder  Hineinstossens,  das  zweite  das,  worin  gebohrt  wird, 
oder  in  das  der  Stab  hineingesteckt  wird,  bezeichnet,  glaube  ich,  unterliegt 
keinem  Zweifel.  Das  zweite  Zeichen  von  Codex  Tro  19  b  (Abb.  44)  finden 
wir  in  der  Dresdener  Handschrift  mehrfach  dargestellt  von  Flammen  oder 
Rauchwolken  umgeben;  es  bezeichnet  also  vielleicht  in  Brand  gesetztes 
Holz  oder  das  Feuer  selbst.  Was  das  erste,  die  Aktion  des  Bohrens  aus- 
drückende Zeichen  betrifft,  so  scheint  es  mir  eine  in  Stücken  gerissene 
Schlange  zu  bezeichnen,  womit  vielleicht  die  Bohrspähne  oder  die  stoss- 
weise  oder  abgerissen  sich  entwickelnden  Rauchwolken  gemeint  sind.  Die 
in  Stücken  gerissene  Schlange  habe  ich,  realistisch  dargestellt,  in  aztekischen 
Handschriften  mehrfach  angetroffen  und  nie  recht  gewusst,  was  ich  damit 
anfangen  sollte.  Hier  scheint  sich  aus  der  Maya-Handschrift  eine  Deutung 
auch  für  das  Mexikanische  zu  ergeben. 

Andere  Fälle,  wo  sich  bestimmt  nachweisen  lässt,  dass  der  Rest  von 
Schriftzeicheu,  der  nach  Abzug  der  die  Figuren  wiedergebenden  Hiero- 
glyphen übrig  bleibt,  den  dargestellten  Vorgang  zur  Anschauung  bringt, 
sind  solche,  wo  mau  mehrere  Figuren  hinter  einander  aufgeführt,  zu  einer 
Darstellung  vereinigt  sieht.  Ich  erwähne  z.  B.  zwei  Reihen  von  Dar- 
stellungen, die  gleichmässig  sowohl  in  der  Dresdener  Handschrift,  wie  im 
Codex  Tro  auftreten. 

Die  eine  (Dresden  17  — 19c  und  19— 200,  Tro  19*— 20*c)  enthält  eine 
in  ziemlich  gleichmässiger  Ausstaffirung  wiederkehrende  Reihe  von  Frauen- 
gestalten, die  in  einer  Trage  auf  dem  Rücken  verschiedene  Figuren,  Götter 
und  andere  Gestalten  oder  Symbole  tragen.  Die  Schriftzeicheu  zeigen  in 
jeder  Abtheilung  einen  Frauenkopf  mit  Schleife  oder  Flechte  davor,  ent- 
schieden ähnlich  den  Köpfen  der  Frauenfiguren  und  offenbar  diese  be- 
zeichnend,   ausserdem  zwei  Schriftzeichen,    welche  jedesmal  die  getragene 


398  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Figur  bezeichnen,  und  als  viertes  ein  Schriftzeicheu,  das  in  der  Dresdener 
Handschrift  die  Form  Abb.  51  hat,  mit  den  Varianten  Abb.  52  und  53  für 
den  ersten  Theil  des  Zeichens.  —  Im  Codex  Tro  hat  das  Zeichen  eine 
etwas  abweichende  Bildung  (Abb.  54),  au  dem  aber  die  Aehnlichkeit  des 
Grundzuges  mit  dem  vorigen  unverkennbar  ist.  Das  Wesentliche  des 
Zeichens,  das  Tragen  oder  Getragenwerden,  Sitzen  ausdrückend,  liegt 
offenbai'  in  dem  unteren  Theil  des  Zeichens,  während  der  obere  das 
Material  der  Trage  bezeichnet.  Im  Codex  Tro  besteht  diese  nämlich  aus 
einer  Matte,  während  sie  in  der  Dresdener  Handschrift  offenbar  aus 
gebogenem  Leder  besteht  (vgl.  Abb.  54a,  54b  oben  S.  394). 

Für  die  Richtigkeit  dieser  Deutung  kann  ich  zwei  Beweisstellen 
beibringen.  Einerseits  nämlich  finden  wir  in  der  Dresdener  Handschrift 
und  auch  im  Codex  Tro  das  Sitzen  auf  der  Matte  oder  unter  dem 
Mattendach  des  Throns  durch  das  Zeichen  Abb.  10  (oben  S.  375) 
bezeichnet,  —  eine  Hieroglyphe,  die  genau  die  gleichen  Bestandtheile  wie 
die  Hieroglyphe  Abb.  54  aufweist,  und  ebenfalls  oben  eine  rohrgeflochtene 
Matte  und  unten  das  das  Tragen  ausdrückende  Element  enthält.  Anderer- 
seits sehen  wir  im  Codex  Tro  17  b  den  das  Wurfbrett  in  der  Hand 
haltenden  Jäger  durch  das  Zeichen  Abb.  55  bezeichnet.  Bei  den  Figuren 
ist  dabei  das  Wurfbrett  bald  realistisch  gezeichnet,  bald  hat  es  die  in 
Abb.  56  abgebildete  Gestalt,  d.  h.  die  Form  der  Hieroglyghe.  Vgl.  Abb.  B.  C. 
auf  der  folgenden  Seite.  Abb.  55  enthält  also  auch  in  der  Hauptsache 
weiter  nichts  als  ein  Bild  des  getragenen  Gegenstandes  (des  Wurfbrettes) 
und  das  das  Tragen  ausdrückende  Element.  Dass  der  rechte  Theil  des 
Zeichens  „Mann"  bedeutet,  werde  ich  weiter  unten  erweisen. 

Die  zweite  Reihe  von  Doppeldarstellungen  (Dresden  16.17c  und 
17.  18c  =  Tro  18.19c)  zeigt  dieselben  Frauengestalten  und  auf  ihrer 
Nackenflechte  hockend  einen  Vogel  oder  eine  andere  Figur.  Die  Schrift- 
zeichen  zeigen  wiederum  zunächst  den  Frauenkopf,  sodann  zwei  Charaktere, 
mit  welchen  der  Vogel  oder  die  betreffende  hockende  Figur  bezeichnet  ist, 
und  als  viertes  ein  Zeichen,  das  im  Codex  Tro  die  Form  Abb.  57,  58  hat, 
während  in  der  Dresdener  Handschrift  die  Formen  Abb.  59—63  vor- 
kommen. Durch  dieses  Zeichen  wiirde  also  das  Hocken  auf  der  Haar- 
flechte zum  Ausdruck  gebracht  sein.  Wir  sehen  in  demselben  bei  aller 
Varietät  überall  als  Grundelement  das  Aequivalent  der  Eule  oder  des 
Gespenstervogels  und  die  Haarflechte.  Das  gespenstische  Element  ist  in 
der  Dresdener  Handschrift  noch  durch  den  Fledermauskopf  (Abb.  61)  oder 
das  Aequivalent  für  Mensch  (Abb.  59,  60,  62,  63)  besonders  zum  Ausdruck 
»ekommen. 

Ich  kann  auch  hier  weder  alles  Einschlagende  anführen,  noch  in 
eine  ausführlichere  Erörterung  möglicher  Deutungen  mich  einlassen.  Das 
Gesagte  wird  genügen,  den  Beweis  zu  liefern,  dass  die  Maya-Handschriften 


3.   Entzifferung  der  Maya- Handschriften. 


399 


in  der  That  den  oben  angegebenen  Charakter  tragen.  Das  Landa'sche 
Alphabet  ist  darnach  ein  für  alle  Mal  in  die  Rumpelkammer  zu  ver- 
weisen. Es  ist  weiter  nichts  als  der  Versuch  von  Ladinos,  von  in  die 
spanische  Wissenschaft  eingeweihten  Eingebornen,  in  der  Art,  wie  sie  die 
Spanier  ihre  Lettern  verwenden  sahen,  auch  mit  den  den  Eingebornen 
o-eläufiffen  Bildern  und  Charakteren  zu  hantiren. 


Abb.  A. 


Abb.  ß. 


Das  Gesagte  wird  ferner  genügen,  zu  zeigen,  dass  sich  durch  eine 
sorgfältige  Vergleichung  und  eine  bedächtige,  aber  entschlossene  Analyse 
Resultate  gewinnen  lassen,  die  in  nicht  zu  ferner  Zeit  es  möglich  erscheinen 
lassen,  ein  wirkliches  Vokabular  der  alten  hieratischen  Schrift  der  Yuka- 
teken  zusammenzustellen. 


400  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


4. 

lieber  die  Bedeutung  des  Zahlzeichens  20  in  der 

Mayaschrift. 

Verhandlungen  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte. 
19.  März  1887.     [Zeitschrift  für  Ethnologie  XIX.     S.  (237)  — (241)]. 


Yorbenierkung. 

Die  nachfolgende  kleine  Mittheilung  ist  in  die  Sammlung  aufgenommen  worden, 
weil  ich  darin  Verschiedenes  gesagt  habe,  was  ich  noch  heute  aufrecht  erhalte.  Ich  be- 
merke aber,  dass  ich  beziehentlich  des  Zeichens,  das  ich  hier  als  Zeichen  füi-  „zwanzig" 
deute,  nachträglich  zu  einer  anderen  Auffassung  gelangt  bin.  In  der  Abhandlung  „Die 
Cedrela-Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel",  die  am  Schluss  dieses  Bandes  ab- 
gedruckt ist,  habe  ich  den  Nachweis  geführt,  dass  das  von  mir  hier  als  Zeichen  für 
„zwanzig"  gedeutete  Element  vielmehr  den  Vorabend  bezeichnet.  Der  Irr- 
thum,  in  den  ich  verfiel,  ist  dadurch  hervorgerufen  worden,  dass  an  einer  der  hierbei  in 
Betracht  kommenden  Stellen  der  Dresdener  Handschrift  der  Schreiber  irrthümlich  statt 
des  richtigen  Monatsnamens  den  vorhergehenden  hingeschrieben  hat,  sodass  ich  natur- 
gemäss  „der  zwanzigste"  anstatt  „Vorabend"  lesen  musste. 


In  seinen  werthvollen  „Erläuterungen  zur  Maya-Handschrift  der  Königl. 
öffentlichen  Bibliothek  zu  Dresden"  (Dresden  1886)  hat  Herr  Professor 
Förstemann  nachgewiesen,  dass  das  Zeichen  Abb.  64,  65,  66  die  Zahl 
20  bedeutet.  Dieselbe  Entdeckung  hat,  wie  es  scheint,  unabhängig  von 
Herrn  Förstemann,  HerrPousse  gemacht  und  in  einer  in  den  Comptes 
rendus  de  la  Societe  americaine  abgedruckten  Abhandlung  vorgetragen. 

Ich  fand  neuerdings,  dass  es  noch  ein  zweites  Zeichen  für  den 
zwanzigsten  Monatstag  gibt.  Es  findet  sich  auf  den  interessanten  Tafeln  46 
bis  50  der  Dresdener  Handschrift,  auf  denen  Herr  Professor  Förstemann 
die  die  regelmässigen  Abstände  von  90,  250,  8  und  236  Tagen  aufweisenden 
Reihen  von  Monatsdaten  entdeckte.  Hier  ist  jedesmal  da,  wo  die  Zahl  20 
bei  dem  Monatszeichen  durch  die  regelmässige  Aufeinanderfolge  der  Daten 
angezeigt  ist,  neben  dem  Monatszeichen  ein  Zeichen  zu  sehen,  das  die  in 
den  Abbildungen  67,  68,  69  wiedergegebene  Gestalt  hat. 

Es  entsteht  die  Frage,  was  diese  beiden  Zeichen  eigentlich  besagen, 
und  wie  es  kommt,  dass  sie  in  der  Bedeutung  „20"  zusammentreffen. 


4.    Ueber  die  Bedeutung  des  Zahlzeichens  20  in  der  Mayaschrift. 


401 


Das  erste  Zeiclien  gibt  de  Rosiiy  in  seinem  Vocabulairo  de  TEcriture 
Hieratique  als  Synonym  für  cimi^  Tod,  an. 

Schellhas  hält  es  für  das  Zeichen  des  Mondes,  und  auch  Förstemann 
ist  der  Ansicht,  dass  Schellhas  in  ihm  ..mit  Sicherheit"  den  Mond  er- 
kannt habe. 

Dass  das  Zeichen  in  der  Keihe  der  Tageszeichen  irgendwo  als  Synonym 
für  cim%  „Tod",  vorkäme,  ist  mir  nicht  bekannt.  Seine  Aehnlichkeit  mit 
dem  Zeichen  cimi  ist  aber  zweifellos,  und  ward  auch  schon  von  Cyrus 
Thomas  so  erkannt. 


75  u 


Dass  das  Zeichen  den  Mond  bedeute,  dafür  glaubten  Schellhas 
und  auch  Förstemann  eine  besondere  Stütze  darin  zu  finden,  dass 
das  Zeichen  gleichzeitig  auch  20  bedeute,  denn  der  Mayamonat  zähle  ja 
20  Tage.  Um  dies  zunächst  aus  dem  Wege  zu  räumen,  erinnere  ich 
daran,  dass  der  Zeitraum  von  zwanzig  Tagen  mit  den  Phasen  des  Mondes 
absolut  nichts  zu  thun  hat.  Wir  kennen  von  der  einheimischen  Literatur 
der  Maya  zu  w^enig.  Aber  ich  bezweifle,  dass  das  Wort  m,  „Mond",  in 
alter  Zeit  oder  von  kundigen  Leuten  jemals  für  den  Zeitraum  von 
20  Tagen  angewendet  ward,  ebenso  wie  ich  bestimmt  weiss,  dass  das  mexi- 
kanische Wort  metztli  niemals  für  diesen  Zeitraum  verwendet  worden  ist. 
Die  Spanier  freilich,  die  den  Zeitraum  von  20  Tagen  den  „mexikanischen 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  2G 


402  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Monat~  nennen,  verwechseln  die  beiden  Begriffe  fortwährend.  Der  Zeit- 
raum von  „'20  Tagen"  dagegen  heisst  in  der  Mayasprache  uinal.  Und 
dies  Wort  geht  auf  dieselbe  Wurzel  zurück,  wie  das  gleich  zu  erwähnende 
"SYort  für  „20^.  nämlich  auf  die  "Wurzel  ^Mann''.  Landa  unterscheidet 
bestimmt  das  Wort  m,  den  Monat  von  30  Tagen,  und  uinal,  den  Zeitraum 
von  20  Tagen. 

Die  Behauptung,  dass  das  Zeichen  den  ^Mond'^  bedeute,  gründet 
Schellhas  auf  die  Abb.  70.  die  in  der  Dresdener  Handschrift  und  auch 
sonst  vielfach  vorkommt.  „Das  viereckige  Schild",  sagt  er,  ^.stellt  den 
Himmel  dar,  die  unten  daran  hängenden  schwarzen  und  weissen  Körper 
sind  Wolken,  aus  denen  der  Regen  in  Form  der  Zickzacklinien  fällt.  Das 
Zeichen  in  diesen  Wolken  links  ist  die  Sonne.  Das  Zeichen  rechts  ist 
darnach  leicht  zu  deuten:  es  ist  der  Mond." 

Dass  das  viereckige  Schild  den  Himmel  bedeutet,  ist  richtig.  Die 
Figuren  darin  stellen  vielleicht  Sternbilder  dar.  Herr  Professor  Förste- 
mann  möchte  darin  die  Zeichen  der  sieben  Planeten  sehen.  Dem  kann  ich 
freilich  vor  der  Hand  nicht  ganz  beipflichten.  Dass  aber  die  unten  daran 
hängenden  schwarzen  und  weissen  Körper  die  Wolken  bedeuten,  ist  einfach 
ein  Unding.  Nirgends  sind  in  aztekischen  oder  Maya-Darstellungen  Wolken 
in  dieser  Weise  abgebildet  worden.  Wie  kämen  auch  die  Wolken  dazu, 
die  eine  schwarz,  die  andere  weiss  —  oder,  wie  an  verschiedenen  Stellen 
der  Handschrift  deutlich  sichtbar,  gelb  oder  roth  —  abgebildet  zu  werden? 
Die  beiden  Felder  symbolisiren  das  Helle  und  das  Dunkle,  vielleicht 
richtiger  Osten  und  Westen,  die  Eeo-ion  der  aufgehenden  und  die  der 
untergehenden  Sonne.  Das  Zeichen,  das  auf  der  linken  Seite  in  der  Mitte 
der  beiden  Felder  zu  sehen  ist.  ist  allerdings  die  Sonne  oder  der  Tag,  aber 
das  Zeichen  rechts,  das  so  dem  Todtenschädel  ähnelt,  ist  einfach  die 
Nacht.  Tag  und  Xacht,  Sonnengott  und  Todesgott,  das  sind  die  beiden 
Gegensätze,  die  die  zentralamerikanische  Yorstellung  sich  fortwährend 
wiederholt.  Wie  die  Mexikaner  den  Sonnengott  kaum  malen,  ohne  ihm  den 
Todesgott  gegenüberzustellen,  wie  wir  im  Codex  Tro  den  Licht-  und 
Himmelsgott  Itzamnd  jederzeit  neben  dem  Todesgott  sehen,  so  zeichnet  der 
Zentralamerikaner  auch  nicht  den  Tag.  ohne  die  Nacht  daneben  zu  setzen. 

Schellhas  hat  neuerdings  noch  einen  besonderen  Grund  für  seine 
Ansicht  darin  gefunden,  dass.  wie  er  meint,  dies  Zeichen  den  Kopf  des 
Gottes  mit  dem  aÄ-6aZ- Zeichen  darstelle,  den  er  deshalb  für  den  Mond- 
gott hält.  Ich  glaube,  ich  habe  oben  nachgewiesen,  dass  dieser  Gott  der 
Herr  des  Lebens,  der  Priester,  der  Itzamnd  ist.  und  was  den  Kopf  dieses 
Gottes  angeht,  so  kommt  allerdings  an  mahreren  Stellen  in  der  Dresdener 
Handschrift  eine  Hieroglyphe  von  ihm  vor,  in  welcher  das  Auge  in  der 
Form  Abb.  71  dargestellt  ist  (siehe  Abb.  88 — 90).  Aber,  wohlverstanden, 
von  der  biossliegenden  Zahnreihe  darunter,  die  ein  charakteristisches  Kenn- 
zeichen der  Hieroglyphe  für  20  ist,  zeigt  auch  diese  Hieroglyphe  keine  Spur. 


4.    lieber  die  Bedeutung  des  Zahlzeichens  20  in  der  Mayaschrift. 


408 


In  den  Mayasprachen  —  zwar  nicht  in  der  Sprache  des  eigentlichen 
Yucatan,  aber  in  den  Mayasprachen  von  Guatemahi  —  heisst  „20"  Jmn 
uinic,  hun  vinak,  „ein  Mann"  —  von  der  Thatsache  aus,  die  überhaupt 
zum  vigesimaien  Zahlensystem  geführt  hat,  der  Thatsache,  dass  ein  Mann  an 
Fingern  und  Zehen  zusammen  20  zählt.    Und  ein  Mann,  das  bedeuten  auch 


Abb.  85-88.     Itzannid.     Dresdener  Handschrift  9;a,  9b,  5c,  14b. 


KlNrH/L 
^COßA 


Abb.  89,  90.     Itzamiiä. 
Dresdener  Handschrift  14  c,  15  b. 


Abb.  91.  Ah  Kinchil  Coba, 
Regent  des  Katun  13  ahau. 
[Chilam  Balam  von  Mani  (Ms.). 

die  beiden  oben  angeführten  Zeichen  für  20.  Der  Mann  ist  freilich  nicht  in 
seiner  ganzen  Figur  gezeichnet.  In  vereinfachter  Weise  ist  für  den  ganzen 
Menschen  nur  der  Kopf  gesetzt.  Dieser  Kopf  hat  allerdings  hier  sehr 
merkwürdige  Züge.  Er  zeigt  die  freiliegenden  grinsenden  Zähne  eines 
fleischlosen  Schädels,  und  die  Augenhöhle  ist  leer.  Ich  liabe  deshalb 
früher    dieses    Zeichen    als    den    Kopf   des    erbeuteten    Feindes,    als    den 

26* 


404  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Schädel  des  dem  Gotte  dargebrachten  Opfers  betrachtet,  indem  ich 
die  leeren  Augenhöhlen  als  blutende  ansah,  aus  denen  das  Auge  heraus- 
gebohrt ist.  Denn  dass  das  Herausreissen  der  Augen  ein  bekanntes  Symbol 
des  Opfers  ist,  habe  ich  oben  schon  Gelegenheit  gehabt,  anzuführen.  Ich 
bin  noch  heute  der  Meinung,  dass  eine  Augenhöhle,  wie  wir  sie  in  den 
Abbildungen  (U— 6(5  sehen,  in  der  That  in  vielen  Fällen  als  leere  blutende, 
als  eine,  aus  der  das  Auge  herausgebohrt  worden  ist,  anzusehen  ist.  Ich 
bin  z.  B.  überzeugt,  dass  das  für  die  oben  angeführte  Hieroglyphe  Itzamna's 
auf  Blatt  14c  der  Dresdener  Handschrift  zutrifft.  Denn  noch  in  später 
Zeit,  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  wird  die  Periode,  in  der  dem  Text 
der  Bücher  nach  der  Gott  Itzamnd  Regent  ist,  der  Katun  13  ahau,.  durch 
das  Bild  eines  Königs  —  Kin  chil  Coha  d.  h.  wohl  Ah  kin  chil  Coba,  ge- 
nannt —  bezeichnet,  dessen  Augenhöhlen  leer  und  blutend  sind,  und  in 
dessen  rechtem  Auge  ein  Pfeil  steckt  (Abb.  91).  Ich  gebe  aber  zu,  dass 
noch  eine  andere  Deutung  für  den  Kopf  mit  den  Todtenzähnen  und  der 
leereu  Augenhöhle  möglich  ist.  Er  kann  auch  eine  Figur  bedeuten  sollen, 
die  noch  nicht  Leben  bekommen  hat,  der  die  Augen  noch  nicht  ein- 
gesetzt worden  sind. 

Auf  den  Blättern  18* — 11*  des  Codex  Tro  findet  sich  eine  grössere 
Reihe  von  Darstellungen,  die  Cyrus  Thomas  auf  das  Anfertigen  hölzerner 
Götzenbilder  bezogen  hat.  Es  wurde  das,  wie  Landa  uns  erzählt,  von 
den  Yukateken  als  ein  besonders  schwieriges  und  gefährliches  Geschäft 
augesehen  —  ohne  Zweifel  deshalb,  weil  das  Ganze  als  eine  heilige 
Handlung  betrachtet  wurde,  und  ein  Versehen,  wie  es  ja  dem  Arbeiter 
leicht  passiren  konnte,  sich  als  ein  Sakrileg,  als  eine  Beleidigung  der 
Götter,  darstellte  und  die  entsprechenden  Strafen  nach  sich  zog.  Die 
Künstler  übernahmen  deshallj,  wie  Landa  angibt,  nur  ungern  einen  solchen 
Auftrag,  wurden  dafür  aber  auch,  wenn  sie  sich  bereit  finden  Hessen,  sehr 
reich  bezahlt.  Die  Bussübungen  und  Kasteiungen,  deren  sich  der  Auftrag- 
geber, wie  die  Künstler  zu  diesem  Zwecke  unterziehen  mussten,  die 
sonstigen  religiösen  Zärimonieu,  die  hierbei  vorgenommen,  die  Yorsiehts- 
massregeln,  die  ergriffen  wurden,  sowie  die  einzelnen  Stadien  der  Aus- 
führung der  Arbeit,  die  scheinen  auf  den  Blättern  18* — 11*  des  Codex 
Tro  dargestellt  worden  zu  sein.  Dabei  ist  nun,  wie  es  scheint,  die  Heraus- 
arbeitung der  Figur  in  vereinfachter  Weise  angedeutet.  \  Die  Reihen  der 
dort  dargestellten  Götter  —  das  sind  jedenfalls  diejenigen,  die  zuerst 
hölzerne  Götzenbilder  gemacht  haben,  und  die  um  Hilfe  für  die  richtige 
Ausführung  der  Arbeit  angerufen  werden,  —  haben  statt  einer  ganzen 
Figur  nur  eiuen  Kopf  in  der  Haud,  den  sie  bald  mit  der  Axt,  bald  mit 
einem  spitzen  Werkzeug  aus  Knochen  bearbeiten.  Weil  unter  diesen 
Bildern  auch  das  Bearbeiten  mit  einem  Knochendolch  vorkommt,  und  die 
Spitze  dieses  Werkzeugs  immer  gerade  in  das  Auge  eingesetzt  wird,  da 
ausserdem    in    dem   darüberstehenden  Texte  die  Hieroglyphe  des  Bohrens 


4.    Ueber  die  Bedeutung  des  Zahlzeichens  20  in  der  Mayaschrift.  405 

(vgl.  Abb.  43,  oben  S.  396)  mehrfacli  vorkommt,  so  habe  ich  diese  Bilder 
früher  dem  Ausbohren  des  Auges  verglichen,  das  wir  in  mexikanischen 
Bilderschriften  dargestellt  sehen,  und  das  dort  nichts  anderes  als  ein 
Sinnbild  des  Opfers  ist.  Ich  bin  aber  doch  jetzt  der  Meinung,  dass  dieser 
Vergleich  hier  nicht  zutrifft,  dass  die  von  Cyrus  Thomas  angenommene 
Deutung  dieser  Bilder  die  richtige  ist. 

Für  den  Punkt,  der  uns  hier  interessirt,  ist  es  nun  von  Bedeutung, 
dass  an  diesen  Stellen  die  Bearbeitung  des  Kopfes  mit  der  Axt  in  dem 
Text  darülier  bald  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  73,  74,  bald  durch  die 
Hieroglyphe  Abb.  77,  78,  bald  durch  beide  zusammen  ausgedrückt  wird. 
Die  erste  Hieroglyphe  (Abb.  73,  74)  vergleicht  sich  der  Hieroglyphe 
Abb.  72,  die  Codex  Tro  24* c  gebraucht  wird,  um  das  Fällen  eines  Baumes 
zu  veranschaulichen.  Es  ist  klar,  dass  das  Element,  das  in  den  Ab- 
bildungen 73,  74  neben  der  Axt  zu  sehen  ist,  und  das  nichts  anderes  als 
unser  erstes  Zeichen  für  zwanzig  ist,  der  hieroglyphische  Ausdruck  für 
den  Kopf  ist,  den  die  darunter  im  Bild  dargestellten  Gottheiten  in  der 
Hand  halten,  und  der,  wie  es  scheint,  bei  ihnen  die  Figur,  das  Götzenbild, 
bezeichnen  soll,  das  diese  Gottheiten  aus  dem  Holz  anzufertigen  im  Begriff 
stehen.  Als  Yariante  kommt  für  diese  Hieroglyphe  die  Abb.  75  vor,  die 
alle  wesentlichen  Elemente  der  Abb.  73,  74  —  Axt,  leere  oder  blutende 
Augenhöhle,  Zahnreihe  —  ebenfalls  enthält,  nur  dass  die  rechte  Hälfte 
des  Zeichens  gleichsam  aufgelöst  und  in  die  Länge  gezogen  ist.  Ein  paar 
Uebergangsformen  habe  ich  in  den  Abbildungen  75a  — c  zusammengestellt. 
Andere  sehr  eigeuthümliche  Varianten  sind  die  Abbildungen  70  und  79, 
die,  wie  es  scheint,  deutlich  einen  abgeschnittenen  Kopf  mit  dem  zackigen 
Fleischrande  darstellen. 

Was  die  zweite  Hieroglyphe  Abb.  77,  78  bedeutet,  darüber  wage  ich 
keine  bestimmte  Muthmassung  zu  äussern.  Das  Element,  das  man  in  der 
unteren  Hälfte  sieht,  haben  wir  oben  als  Hieroglyphe  des  Wurfbretts  er- 
kannt (siehe  S.  398,  399).  Wir  haben  aber  früher  schon  gesehen  (vgl. 
S.  375),  dass  es  auch  den  Begriff  „schlagen,  treffen",  -und  wahrscheinlich 
auch  „werfen"  zu  übermitteln  scheint.  Als  Varianten  der  Hieroglyphe 
Abb.  77,  78  kommen  die  Formen  Abb.  78a— c  vor. 

Die  Hierogh-phe  Abb.  73,  74,  die,  nach  der  Art  ihres  Vorkommens, 
mit  „einen  Menschen  schnitzen"  übersetzt  werden  kann,  beweist, 
dass  unser  erstes  Zeichen  für  zwanzig,  das  Element,  das  oben  in  den  Ab- 
bildungen 64 — 66  wiedergegeben  ist,  nichts  anderes  als  „Mensch"  be- 
deutet, also  eine  direkte  Veranschaulichung  des  Wortes  uinal,  bezw.  des 
Quiche  hun  vinak  „ein  Mensch"  =  20,  ist  und  mit  dem  Monde  absolut 
nichts  zu  thun  hat. 

Das  zweite  Zeichen  für  zwanzig,  das  oben  in  den  Abbildungen  67—69 
wiedergegeben  ist,  scheint  denselben  Begriff,  die  volle  Person,  den  Menschen, 
dadurch  zum  Ausdruck  zu  bringen,  dass  zwei  Augen  gezeichnet  sind,  durch 


406  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

eine  doppelte  Umränderinig  oder  durch  eiue  Pimktreihe  mit  einander  ver- 
kettet und  dadurch  als  zusammengehörig  erklärt.^) 

*  Beide  Zeichen,  den  Kopf  mit  den  leeren  Augenhöhlen  und  die  beiden 
Augen,  finden  wir,  und  zwar  vollkommen  synonym,  in  zusammengesetzten 
Hieroglyphen,  in  die  sie  also  das  Element  „Mann"  oder  „Mensch"  einführen. 
Ich  habe  darauf  oben  mehrfach  hingewiesen.  Man  vergleiche  die  Hiero- 
glyphe des  Jägers  (Abb.  55  oben  S.  396),  die  Hieroglyphen  der  Menschen- 
eule (Abb.  11,  S.  375  und  19,  20  und  21,  oben  S.  392;  vgl.  ausserdem 
Abb.  47  und  49,  51  bis  53).  Nur  ist  begreiflicher  Weise  aus  ökonomischen 
Rücksichten  der  Kopf  mit  den  leeren  Augenhöhlen  hier  jedesmal  nicht  in 
voller  Form,  sondern  in  der  aufgelösten  und  in  die  Länge  gezogenen  Form 
der  Abb.  75  dargestellt.  Und  als  Varianten  erscheinen  Formen,  wie 
Abb.  52  (oben  S.  396)  und  das  Element,  das  man  in  dem  vorderen  Theil 
der  Hieroglyphen  Abb.  11  (S.  375)  und  47  (S.  396)  sieht,  bei  denen  ich 
mir  noch  nicht  klar  bin,  ob  diese  Elemente  nur  kalligraphische  Variauten 
darstellen,  oder  ob  ihnen  eine  eigene  Bedeutung  innewohnt.  Zum  Schluss 
erlaube  ich  mir  noch  als  weiteren  Beweis  für  das  oben  Gesagte  anzuführen, 
dass  sich  für  das  Zeichen  Abb.  83,  das  als  Zeichen  des  die  Blitzfackel 
tragenden  Himmelhundes,  bezw.  des  Beils  in  der  Hand  Chacs,  erscheint, 
und  das  als  ein  Element  die  aufgelöste  Form  des  Kopfes  mit  den  leeren 
Augenhöhlen,  des  ersten  Zeichens  für  20,  enthält,  auf  Blatt  35c  der 
Dresdener  Handschrift  die  Vai'iante  Abb.  84  findet,  die  statt  des  Kopfes 
mit  den  leeren  Augenhöhlen  eine  ganze  menschliche  Figur  zeigt,  bei  der 
der  Kopf  allerdings  nur  angedeutet  ist,  ähnlich  wie  bei  dem,  wohl  mit  künst- 
lichem Kopfe  gedachten  Mumienbündel  auf  Blatt  41  des  Codex  Cortes. 


1)  Diese  Bemerkung  ist  als  richtig  nur  für  das  als  einzelner  Bestandtheil  in 
zusammengesetzten  Hieroglyphen  vorkommende  Element  Abb.  81,  82  anzusehen, 
aber  nicht  für  die  von  mir  fälschlich  als  Zeichen  für  „zwanzig"  betrachtete,  in 
"Wahrheit  den  Vorabend  bezeichnende  Figur  Abb.  67 — 69. 


Der  Charakter  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften.  407 


5. 

Der  Charakter  der  aztekischen  und  der  Maya- 
Handschriften. 

Zeitschrift  für  Ethnologie.   XX.    (1888.)     Seite  1-10. 


Die  Art  und  Weise,  wie  in  mexikanischen  Handschriften  einem  Ge- 
danken Ausdruck  gegeben  wird,  hat  man  in  neuerer  Zeit  nicht  unpassend 
einem  Rebus  verglichen.  In  der  That,  die  Bikler,  mit  welchen  im  Codex 
Mendoza  die  Namen  von  Personen  und  Orten  wiedergegeben  werden,  sind 
Kebus  im  eigentlichen  Sinne,  Wortrebus  oder  Silbenrebus.  Für  die 
einzelnen  Worte  oder  Silben,  aus  denen  der  Name  des  Orts  oder  der 
Person  besteht,  treten  die  Bilder  von  Gegenständen  gleicher  Benennung 
oder  gleichen  Klanges  ein,  unter  Nichtberücksichtigung,  bezw.  absicht- 
licher Hintenansetzung  der  Vorstellung,  welche  das  betreffende  Wort  oder 
die  betreffende  Silbe  repräsentirt.  Ich  führe  als  Beispiele  die  Ortsnamen 
Quauhtitlan,  Quauhnauac,  ToUantzinco,  Xilotepee,  Tepeyacac  und  Tetzcoco 
(Abb.  1 — 6)  an.  Die  beiden  ersten  Namen  bedeuten  „am  Walde"  und 
sind  zusammengesetzt  aus  den  Silben  quauh  (Wurzel  des  Wortes  quauitl, 
„Baum",  „Wald")  und  aus  den  Postpositionen  tlan  und  nauac,  die  beide 
„in,  an,  bei"  bedeuten.  Dem  entsprechend  zeigen  die  Bilder  (Abb.  1  und  2) 
uns  auch  einen  Baum.  Aber  die  Silbe  tla7i  ist  ausgedrückt  durch  zwei 
Zahnreihen,  denn  tlan-tli  heisst  der  „Zahn".  Und  die  Silbe  Tzawac  ist  ausge- 
drückt durch  eine  Mundöffnung  mit  dem  Züngelchen  davor,  das  allgemein  als 
Zeichen  der  Rede  fungirt;  denn  nauatl  heisst  „die  deutliche  Rede". 
ToUantzinco  bedeutet  „Klein-Tollan",  und  Tollan  selbst  bedeutet  „Ort,  wo 
Binsen  wachsen".  Demgemäss  zeigt  uns  das  Bild  (Abb.  3)  ein  Bündel 
Binsen,  aber  die  Endung  tzinco,  „klein",  ist  durch  den  Hintern  eines 
Menschen  ausgedrückt,  denn  tzintli  heisst  „der  Hintere".  Xüotepec  heisst 
„Ort  des  jungen  Maiskolbens"  und  wird  entsprechend  durch  eine  (mit 
grüner  Farbe  gemalte)  Figur,  die  überall  als  Zeichen  des  Berges  (tepetl) 
fungirt,  und  durch  zwei  junge  Maiskolben  {u-üotl)  mit  den  grossen  heraus- 
hängenden Narbenbüscheln  (Abb.  4)  hieroglyphisch  dargestellt.  Tepeyacac 
heisst  „an  dem  Bergvorsprung"  oder  „an  der  Bergspitze",  zusammengesetzt 
aus  dem    Worte    tepeü   „Berg"    und   i/acatli   „Nase**,    und    wird    dem    ent- 


408 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


sprechend  durch  das  Zeichen  des  Berges  (grün  gemalt)  mit  einer  (braun 
gemalten)  Nase  daran  (Abb.  5)  zum  Ausdruck  gebracht.  Tetzcoco  wird 
von  dem  Schreiber  des  Codex  Ramirez  mit  einem  Worte  tetzcolli,  das  eine 
Ai"t  Kraut  oder  Blume  bedeute,  in  Zusammenhaug  gebracht  und  geht  auf 
den  Verbalstamm  tetzicoua  zurück,  von  dem  u.  A.  das  Verbahiomen  tetzico 
„el  que  detiene  ä  otro'^  abgeleitet  ist.  Weil  der  Name  aber  auch  an  das 
(vermuthlich  aus  tetecalli  entstandene)  Wort  tetzcalli  „Fels"  anklingt,  so 
wurde  er  durch  einen  in  drei  Spitzen  getheilten  und  mit  der  doppelten 
Farbe  des  Steins  gemalten  Berg  und  zwei  Blumen  darauf  (Abb.  6)  zur 
Anschauung  gebracht.  Die  Silbe  c,  co,  welche  „in,  an"  bedeutet,  ist  in 
der  gauzen  Reihe  nicht  ausgedrückt.  Sie  versteht  sich  von  selbst,  da  der 
Leser  der  Handschrift  aus  dem  ganzen  Bilde  ersieht,  dass  es  sich  um 
Ortsnamen  handelt. 


Unter  den  Begriff  des  Rebus  fällt  in  gewisser  Weise  auch  die  Art, 
wie  die  alten  Mexikaner  ihre  Götter  mit  Attributen  ausstatteten  und  mit 
Symbolen  umgaben.  Es  heisst  das  religiöse  Denken  und  Fühlen  dieser 
alten  Götzenanbeter  doch  zu  gering  anschlagen,  wenn  die  spanischen 
Eroberer  und  die  mönchischen  Apostel  annahmen,  dass  die  göttliche  Macht, 
die  unter  diesem  oder  jenem  Namen  verehrt  wurde,  auch  in  der  scheuss- 
lichen  oder  bizarren  Form  gedacht  wurde,  in  welcher  der  Gott  in  Stein 
gehauen  oder  in  den  Handschriften  dargestellt  wurde.  Im  Gegentheil: 
Gesichtsbildung,  Bemalung,  Schmuck,  Waffen,  Geräthe,  die  dem  Gott  ge- 
geben oder  die  neben  ihm  angebracht  wurden,  —  sind  alles  nur  Mittel, 
um  den  Gott  zu  charakterisiren,  um  in  der  unbehilflichen  Weise  einer 
symbolischen  Schrift  die  Eigenschaften  und  die  besondere  Natur  des 
Gottes  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Es  ist  das,  wie  gesagt,  in  gewisser 
Weise  auch  ein  Rebus,  aber  kein  Wortrebus  mehr,  sondern  ein  Gedanken- 
rebus. 


5.    Der  Charakter  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften.  409 

AVas  nun  die  «ganzen  Ilaudsclu'iften  und  die  Darstellungen  der  3Ionu- 
niente  angeht,  so  muss  ich,  im  Gegensatz  zu  einer  jüngst  ausgesprochenen 
Ansicht,  entschieden  behaupten,  dass  die  Sprache  derselben,  wenigstens  in 
ihrer  überwiegenden  Mehrheit,  entschieden  unter  den  letzteren  Begriff, 
den  des  Gedankeurebus,  fällt.  Wenn  wir  auf  den  ersten  Blättern  des 
Codex  Mendoza  eine  Anzahl  von  Jahren  mit  ihren  Zeichen  angegeben 
finden,  daneben  das  Bild  eines  Königs  mit  seiner  Namens-Hieroglyphe, 
und  ihm  gegenüber  die  Hieroglyphen  einer  Anzahl  von  Städten  und  Ort- 
schaften, und  vor  jeder  das  Bild  des  brennenden  Tempels,  das  Symbol 
der  Unterwerfung  oder  Zerstörung,  so  lässt  sich  dies  kaum  mehr  in  einen 
sprachlichen  Satz  zusammenbringen.  Es  ist  Sprache  in  Bildern  und  Sym- 
bolen, ein  CJedankenrebus,  bedeutend,  dass  der  König  dieses  Xaniens  so 
und  so  lange  regierte  und  die  und  die  Städte  unterwarf.  Noch  deutlicher 
tragen  den  Charakter  des  Gedankenrebus  die  hinteren  Blätter  des  Codex 
Mendoza,  wo  wir  neben  den  Hieroglyphen  der  Städte  die  Zahl  und  den 
Charakter  der  von  ihnen  zu  leistenden  Tribute  in  deutlichen  Bildern  oder 
verständlichen  Symbolen  angegeben  finden.  Und  ebenso  die  anderen. 
Die  einzelnen  Hieroglyphen  (Orts-  und  Personen-Namen)  repräsentiren 
eine  Art  von  Silbenschrift  in  Bildern,  —  vielleicht,  in  manchen  Hand- 
schriften (Codex  Yiennensis  und  den  verwandten),  auch  die  einzelnen 
Symbole,  —  aber  der  Gesammtinhalt  erhebt  sich  nicht  über  den  Charakter 
einer  bildlichen  und  symbolischen  Darstellung;  zusammenhängende  Sätze 
sind  in  der  oben  erläuterten  Weise  nicht  geschrieben  worden. 

Hinsichtlich  der  Maya-Handschriften  hat  Yalentini  schon  im  Jahre  1880 
die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  das  hieroglyphische  Alphabet,  welches  in 
dem  Geschichtswerk  des  Bischofs  Landa  überliefert  ist,  spanisches  Mach- 
werk sei.  Thatsache  ist,  dass  die  Versuche,  mit  Hilfe  dieses  Alphabets 
die  Maya-Handschriften  zu  entziffern,  vollständig  missglückt  sind.  Einen 
anderen  Weg  hat  Professor  Cyrus  Thomas  und  in  neuerer  Zeit 
Dr.  Schellhas  eingeschlagen,  nämlich  den  des  unabhängigen  Studiums 
der  Handschriften  selbst,  und  der  Letztere  hat  als  seine  Ansicht  aus- 
gesprochen, dass  die  Maya-Schrift  im  Prinzip  ideographisch  sei  und  sich 
nur  zur  Vervollständigung  der  ideographischen  Hieroglyphen-Bilder  viel- 
leicht einer  Anzahl  feststehender  phonetischer  Zeichen  bediene.  Auch  ich 
habe  die  Ueberzeugung  gewonnen  und  sie  in  einem  früheren  Vortrage 
ausgesprochen,  dass  die  Maya- Hieroglyphen  wesentlich  ideographischer 
Natur  sind.  Wie  wir  indes  eben  an  den  aztekischen  Handschriften  ge- 
sehen haben,  verträgt  sich  eine  im  Allgemeinen  ideographische  Schreib- 
weise sehr  wohl  mit  phonetischer  Konstitution  der  einzelnen  Hieroglyphen, 
und  es  wäre  zuvörderst  noch  erst  zu  prüfen,  was  man  in  dieser  Beziehung 
von  den  Maya-Hieroglyphen  zu  urtheilen  hat. 

Hier  möchte  ich  nun.  ohne  im  Prinzip  zu  verneinen,  dass  phonetisch 
koustituirte  Hieroglyphen  möglich  sind  und  auch  vorkommen.  —  ich  würde 


410 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


solche  zu  allererst  auf  gewissen  Stein-Inschriften  suchen,  wo  man  wenigstens 
vermuthen  könnte,  dass  Namen  von  Personen  und  Ortschaften  eine  ge- 
wisse Rolle  spielen  werden,  —  doch  als  meine  Ansicht  aussprechen,  dass 
in  den  üblichen  Hieroglyphen  der  Handschriften  plionetische  Elemente 
fehlen    und   nur  vereinzelt  anzutreffen  sind. 

Es  liegt  das  gewissermassen  in  der  Natur  der  Sache.  Da  in  der 
Maya-Sprache  die  meisten  Dingwörter  Monosyllaba  sind  oder  durch  eine 
beschränkte  kleine  Zahl  von  Suffixen  von  Monosyllabis  sich  ableiten,  so 
boten    die    in    einem    Worte    enthalteneu    Yorstellungs-Elemente    für    die 


/^•/77;d  /5r^-N  ^k 


schriftliche  Unterscheidung  entschieden  mehr  und  leichter  zu  verwerthende 
Mittel  dar,  als  aus  dem  Klang  der  Worte  gewonnen  werden  konnten. 

Wir  kennen  eine  Anzahl  von  Hieroglyphen,  deren  Lautwerth  mit 
Sicherheit  festgestellt  gelten  darf,  und  bei  denen  wir  auch  über  die  Be- 
deutung der  Worte  im  Allgemeinen  nicht  im  Unklaren  sind.  Das  sind 
die  von  Landa  uns  überlieferten  Hieroglyphen  der  Monatsnamen.  Hier 
zeigt  sich  nun,  dass  einsilbige  Worte  durch,  aus  mehreren  Elementen  be- 
stehende Hieroglyphen,  mehrsilbige  durch  einheitliche  Zeichen  wieder- 
gegeben sind.  Die  drei  Monate  i/aa;,  zac,  ceh  werden  durch  die  Hiero- 
glyphen Abb.  7,  8,  9  ausgedrückt.  Der  untere  Theil  der  Hieroglyphe  ist 
in  allen  drei  derselbe   und  identisch  mit    dem  Tageszeichen    cauac.     Der 


5.    Der  Charakter  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschrifteu.  411 

obere  Theil  der  ersten  Hieroglyplie  kommt  auch  iu  der  Hieroglyphe  des 
Monatsnamens  ^a./'/?-m  (Abb.  10,  11)  vor,  und  da  der  untere  Theil  des  letzteren 
Hieroglyphe,  wie  es  scheint,  kin^  „den  Tag''  oder  „die  Sonne",  bezeichnet, 
so  möchte  man  schliessen,  dass  das  Element  Abb.  12  in  der  That  mit  yax 
übersetzt  werden  muss,  ein  Wort,  welches  „grün"  oder  „blau",  aber  auch 
„das  erste,  ursprüngliche"  bedeutet.  Die  oberen  Theile  der  beiden  anderen 
Hieroglyphen  kehren  in  einer  Reihe  von  vier  Elementen  (Abb.  13 — 16) 
wieder,  welche  (wie  schon  Schellhas  erkannte)  mit  den  vier  Himmels- 
richtungen, die  durch  die  Hieroglyphen  Abb.  18 — "21  bezeichnet  werden, 
in  der  Weise  zusammengeordnet  sind,  dass  sie  den  wechselnden  Bestand- 
theil  sonst  gleichartiger  Hieroglyphen  bilden,  die  in  der  Begleitung  der 
genannten  Hieroglyphen  der  vier  Himmelsrichtungen  auftreten.  Das 
Element,  von  dem  ich  eben  gesagt  habe,  dass  es  vermuthlich  den  Laut- 
werth  yax  hat,  entspricht  in  ganz  gleicher  Weise  einer  fünften  Himmels- 
richtung, die  auf  den  einander  ergänzenden  Tafeln  des  Codex  Tro  36 
und  des  Codex  Cortes  22  in  der  Reihe  der  Hieroglyphen  der  Himmels- 
richtungen zu  sehen  ist  und  die  Gestalt  der  Abb.  17  hat.  Da  diejenigen 
Gegenstände,  welche  mit  einer  der  vier  Haupt-Himmelsrichtungen  in  Ver- 
bindung gebracht  wurden,  von  den  Maya  durch  eine  bestimmte  Farbe  aus- 
gezeichnet wurden,  —  und  zwar  dergestalt,  dass  den,  durch  die  Tages- 
zeicheu  kun,  muluc,  ix,  cauac  bezeichneten  Himmelsrichtungen,  die  all- 
gemein mit  den  Himmelsrichtungen  lakin  Osten,  xaman  Norden,  chikin 
Westen,  woÄoZ  Süden  identifizirt  werden,  die  Farben  chac  ,,roth",  zac  „weiss", 
ek  „schwarz",  kan  „gelb"  entsprechen  — ,  so  liegt  die  Yermuthung  nahe, 
dass  die  Elemente  Abb.  13 — 16  eben  diese  vier  Farben  bezeichnen.  Da 
weiter  von  diesen  vier  Elementen  die  Abb.  14  in  der  Hieroglyphe  des 
Monatsnamens  zac  „weiss",  die  Abb.  13  in  der  des  Monatsnamens  cek 
„Hirsch",  d.  i.  des  rothen  Thieres,  ausserdem  Abb.  13  als  auszeichnendes 
Merkmal  in  der  Hieroglyphe  einer  Göttin  vorkommt  (Abb.  28),  einer  Be- 
gleiterin des  Chac,  die  im  Codex  Dresden  67a  und  74  mit  rother  Farbe 
und  mit  Tigertatzen  dargestellt  wird,  so  liegt  die  weitere  Yermuthung  nahe, 
dass  eben  das  Element  Abb.  14  den  Lautwerth  zac  „weiss",  das  Element 
Abb.  13  den  Lautwerth  chac  „roth"  und  dementsprechend  die  Abb.  16 
und  15  bezw.  den  Lautwerth  kan  „gelb"  und  ek  „schwarz"  haben.  Die 
Zeichen  der  Himmelsrichtungen  Abb.  18 — 21  müssen,  wie  jetzt  wohl 
als  sicher  festgestellt  angenommen  werden  kann,  lakin  „Osten",  xaman 
„Norden",  chikin  „Westen",  nöhol  „Süden"  gelesen  werden.  Wenn  nun 
in  der  That  den  oben  in  Abb.  13 — 16  wiedergegebenen  Elementen  die 
Bedeut'.ingen  roth",  „weiss",  „schwarz",  „gelb"  zukommen,  so  würden  da- 
mit die  Farben  auf  die  Himmelsrichtungen  in  derselben  Weise  bezogen 
sein,  als  es  Landa  in  seiner  „Relacion  de  las  Cosas  de  Yucatan"  bei  der 
Beschreibung  der  Mwa^^^a6-Zärimonien  (vgl.  oben  S.  372)  angibt.  Die  fünfte 
Himmelsrichtung  Abb.  17,    von    der    im    Codex    Cortes  22    die  Varianten 


41-J  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Abb.  '22,  "23  vorkommen,  bozeicliiiet  ohne  Zweifel  die  Senkrechte  oder  die 
Mitte,  die  Bewegung  von  oben  nach  unten  oder  von  unten  nach  oben.  Ihr  ist, 
wie  aus  Codex  Tro  30 — 31  d  und  14b  c  hervorgeht,  entsprechend  das 
Element  Abb.  12  koordinirt,  welchem  wir  den  Lautwerth  yaj.\  d.  h.  die 
Farbe  „grün"  oder  ,,blau"  zuschreiben,  —  die  Farbe  des  Himmels  und 
des  Himmelsbaumes,  des  yaxche  oder  der  Ceiba  (Bombax  Ceiba). 

In  den  besprochenen  Fällen  haben  wir  also,  wie  es  scheint,  hiero- 
glyphische Elemente  mit  bestimmtem  Lautwerth,  und  in  der  Abb.  10,  11 
sogar  eine  phonetisch  konstituirte  Hieroglyphe  vor  uns.  Daraus  folgt  aber 
keineswegs,  dass  die  genannten  Elemente  nur  in  dieser  ])honetischen  Be- 
deutung gebraucht  werden  können,  noch  weniger  dürfen  wir  ohne  Weiteres 
voraussetzen,  dass,  wo  hiernach  durch  den  Wortlaut  eine  phonetische  Kon- 
stitution angezeigt  erschiene,  eine  solche  auch  nothwendig  eintreten  muss. 
Im  Allgemeinen  stehen  in  der  Schrift  die  Vorstellungs-Elemente  durchaus 
an  erster  Stelle.  Selbst,  wo  phonetische  Konstitution  nahe  zu  liegen 
scheint.  So  folgt  in  der  Reihe  der  Monatsnamen  hinter  dem  yaxkin 
(der  grünen  oder  ersten  Sonne)  sechs  Monate  später  der  kankin  (die 
gelbe  oder  reife  Sonne).  In  der  Hieroglyphe  dieses  Namens  ist  aber 
weder  das  Element  kan  „gelb",  noch  das  Element  kin  „Sonne"  enthalten, 
sondern  zwei  andere  (Abb.  24,  25),  von  denen  das  eine,  das  Hauptelement, 
bloss  noch  in  der  Hieroglyphe  des  Hundes  (Codex  Dresden  7  a,  13  c,  21b) 
vorkommt. 

Das  Gleiche  ergibt  sich  aus  der  Betrachtung  der  Hieroglyphen,  mit 
welchen  in  den  Handschriften  die  dargestellten  göttlichen  oder  mythischen 
Personen  bezeichnet  sind.  In  der  weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  der 
Fälle  zeigen  diese  den  Kopf  der  betreffenden  Figur,  nur  in  der  Regel 
versehen  mit  einem  oder  dem  anderen  auszeichnenden  Merkmal,  das  aber 
an  keiner  Stelle  eine  Beziehung  auf  eine  bestimmte  Namensform  ver- 
muthen  lässt.  So  zeigt  die  Hieroglyphe  des  Jaguars  (Abb.  26)  den  Kopf 
dieses  Thieres  und  davor  das  Element  chac  „roth",  —  vermuthlich,  weil 
der  Jaguar  als  der  rotlie  gedacht  ist,  als  welcher  er  auch  im  Codex 
Dresden  47  rechts  unten  abgebildet  ist.  Die  Hieroglyphe  des  Yogels 
im  Codex  Dresden  8a  (3)  (Abb.  27)  zeigt  denselben  kahlen  Yogelkopf,  mit 
einer  Art  Schleife  auf  dem  Schuabelfirst,  die  auch  der  Kopf  der  Figur 
zeigt.  Die  oben  erwähnte,  in  der  Gesellschaft  des  Regengottes  erscheinende, 
Wasser  aus  einqm  Kruge  ausgiessende,  rothgemalte  und  mit  Jaguarkrallen 
versehene  alte  Göttin  ist  liieroglyphisch  (vgl.  Abb.  28)  durch  den  Kopf 
einer  alten  Frau  ausgedrückt,  mit  dem  mehrfach  erwähnten  auszeichnenden 
Merkmal  Abb.  13,  welchem  wir  oben  den  Lautwerth  chac  „roth"  beilegten. 
Die  Hieroglyphen  einer  anderen,  im  Codex  Tro  ebenfalls  als  Greisin  (Abb.  29), 
in  der  Dresdener  Handschrift,  wie  es  scheint,  jugendlicher  dargestellten 
Göttin  zeigt  einen  ähnlichen  Frauenkopf  und  davor  als  auszeichnendes 
Merkmal  das  Element  Abb.  14,   dem  wir  oben  den  Lautwerth  zac  „weiss" 


5.    Der  Charakter  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften.  413 

beilegten.  Ein  schwarzer  Gott,  dem  meiner  Ansieht  nach  der  Name 
Ekchuah  beizulegen  ist,  weil  er  im  Codex  Tro  mit  einem  Skorpionschwanz 
gezeichnet  ist  und  ekchuh  im  Maya  der  grosse  schwarze  Skorpion  heisst,  — 
ist  hierogly])hisch  durch  denselben  prägnanten  Kopf  des  Gottes  mit  dem 
Zeichen  imiv  davor  (Abb.  30)  bezeichnet.  Ekchuah  ist  der  Gott  der  Kakao- 
pflanzer, der  Kaufleute  und  Reisenden  und,  nach  dem  Priester  Hernandez, 
der  heilige  Geist,  der  die  Erde  mit  dem  anfüllte,  was  sie  nöthig  hatte,  — 
d.  h.  der  Gott  des  Wachsthums,  des  Gedeihens,  des  Reichthums;  und  imix 
ist,  wie  ich  unten  erweisen  werde,  gleich  seinem  mexikanischen  Aequi- 
valeute  cipactli^  das  Symbol  der  Fruchtbarkeit.  Den  Gott  mit  dem  kan- 
Zeichen,  der  als  Assistent  des  Licht-  und  Himmelsgottes  Itzamnä  erscheint 
und  dessen  Hieroglyphe  (Abb.  31)  das  jugendliche  Gesicht  dieses  Gottes 
und  davor  das  Symbol  des  Messers  zeigt,  und  den  Gott  mit  dem  Brand- 
streifen über  dem  Gesicht,  dessen  Hieroglyphe  (Abb.  32)  vor  dem  Kopf 
des  Gottes  anscheinend  die  Zahl  11  zeigt,  habe  ich  schon  in  meinem 
früheren  Aufsatze  (vgl.  oben  S.  39.3)  erwähnt.  Ich  kann  diesen  auch  den 
eigenthümlichen  Gott  anreihen,  dessen  Gesichtszüge  wie  von  den  Windungen 
einer  Schlange  gebildet  erscheinen,  und  der  in  gewisser  "Weise  den 
Assistenten  des  Regengottes  Chac  bildet.  Auch  die  Hieroglyphe  dieses 
Gottes  (Abb.  33)  zeigt  den  Kopf  des  Gottes  und  davor  als  auszeichnendes 
Merkmal  eine  Figur,  wie  ein  ausgerissenes  Auge.  —  Es  ist,  soweit  ich 
augenblicklich  die  Sache  zu  übersehen  im  Stande  bin,  dui'chaus  nicht  immer 
möglich,  festzustellen,  worin  denn  die  Natur  dieses  auszeichnenden  Merk- 
mals besteht,  welches  in  der  Hieroglyphe  dem  Kopf  des  Gottes  beigegeben" 
ist.  Dass.es  aber  im  Wesentlichen  auf  Vorstellungs-Elemente,  auf  Eigen- 
schaften und  Beziehungen  des  Gottes  zurückgeht,  das  unterliegt,  meine 
ich,  nach  dem  Angeführten  keinem  Zweifel. 

Für  die  wesentlich  ideographische  Natur  der  Maya-Hieroglyphen  spricht 
ferner  die  Verwendung  gewisser  gleichartiger  Hieroglyphen  zum  Ausdruck 
sehr  verschiedener  Verhältnisse.  So  gibt  es  eine  Hieroglyphe,  auf  die  wir 
später  noch  zu  sprechen  kommen  werden  (Abb.  34 — 36),  deren  konstituirende 
Elemente  von  einer  3Iatte  und  dem,  aus  der  Figur  einer  stützenden  Hand 
hervorgegangenen  Bilde  eines  Trägers  gebildet  werden,  die  aber  einerseits 
(Codex  Tro  20*,  19 *c)  das  in  einer  Rückentrage  Tragen,  bezw.  Getragen- 
werden, andererseits  (Codex  Tro  22%  21*d)  das  Sitzen  auf  einer  Matte, 
endlich  noch  (Codex  Tro  16*a,  5*b)  einen  Tempel  mit  seinem,  aus  einer 
Matte  oder  aus  Rohrgeflecht  bestehendem  Dach  zur  Anschauung  bringt. 

Auf  den  Blättern  65— 69b  der  Dresdener  Handschrift  wird  eine 
Reihe  von  Hieroglyphen,  welche  Namen  und  Attribute  des  Regengottes 
Chac  geben,  jedesmal  eingeleitet  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  37.  Und 
ebenso  werden  auf  dem  unteren  Drittel  der  Blätter  29 — 41  derselben 
Handschrift  die  verwandten  Hieroglyphengruppen,  welche  dort  die  Reihe 
der  C'/iöc-Darstellungen  begleiten,   jedesmal  eingeleitet    durch   eine  Hiero- 


■4U 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


glyphe.  die,  in  den  seknndäreu  Elementen  variirend,  die  Gestalt  der 
Abb.  38 — 43  zeigt.  Endlich  wird  im  Codex  Perez  2 — 3  und  6  —  7  eine 
der  eben  erwähnten  ähnliche  Reihe  von  Darstellungen,  —  in  welchen  nur  statt 
des  Chac  der  auch  sonst  als  Genosse  oder  Vertreter  des  letzteren  auftretende 
Gott  mit  dem,  aus  den  Windungen  einer  Schlange  gebildeten  Gesicht  (vgl. 
die  Hieroglyphe  Abb.  33,  oben  S.410)  eine  Rolle  spielt,  —  jedesmal  eingeleitet 
durch  die  Hieroglyplie  Abb.  44.  Das  Hauptelenient  dieser  Hieroglyphen  stellt 
ohne  Zweifel  eine  geschlossene  Faust  dar.  [  Auf  die  sekundären  Elemente 


werde  ich  gleich  noch  zu  sprechen  kommen.  Es  sind  theils  Synonyme 
des  Mannes,  theils  solche  des  Vogels.  Durch  die  Faust  könnte  das  Packen, 
Greifen  zur  Anschauung  gebracht  sein,  und  die  ganze  Hieroglyphe  dem- 
gemäss  den  Fänger,  Krieger,  Jäger  bedeuten.  Das  scheint  auch  aus  den  An- 
fangsdarstellungen des  sogenannten  Jagdkalenders  des  Codex  Tro  (18 — 19a) 
hervorzugehen,  wo  die  Darstellungen  des  Jägers,  der  mit  Spiess  und  Wurf- 
brett zur  Jagd  auszieht  oder  das  Wild  gebunden  auf  dem  Rücken  heim- 
bringt,   von  Hieroglyphengruppen  begleitet  sind,    die  am  Kopf  die  Hiero- 


5.    Der  Charakter  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften.  415 

glyphe  Abb.  45  zeigen,  —  eine  den  vorigen  (z.  B.  der  Abb.  39)  vollkommen 
homolog  konstituirte  Hieroglyphe.  Aber  gleiche,  homolog  konstituirte 
Hieroglyphen  (Abb.  48 — 50)  sehen  wir  auch  im  Codex  Tro  26 — 25)* c  ver- 
wendet, wo,  wie  es  scheint,  Eroberung  und  Krieg  durch  die  Figur  des 
Todesgottes  und  seines  Assistenten,  des  Gottes  mit  dc^m  Brandstreifen  zur 
Anschauung  gebracht  sind,  die  mit  dem  Speer  und  der  brennenden  Fackel 
dem  (durch  Steinunterlage,  Säule  oder  Wand  mit  Verbindungsstück  und 
Mattendach  bezeichneten)  Tempel  nahen.  Endlich  sehen  wir  im  Codex 
Tro  17  c  die  ganz  gleiche  Hieroglyphe  Abb.  47  verwendet,  um  die  Kasteiung 
mittels  Durchziehens  von  Rohr  durch  die  durchlöcherte  blutende  Zunge 
zu  bezeichnen,  —  ein  Vorgang,  der  an  einer  weit  entfernten  Stelle,  Codex 
Tro  17 *b,  durch  die  dasselbe  Hauptelement,  aber  allerdings  ein  anderes 
sekundäres  Element  enthaltende  Hieroglyphe  Abb.  46   gekennzeichnet  ist. 

—  Solche  Vorkommnisse  lassen  sich  vereinigen,  wenn  man  annimmt,  wie 
ich  es  aussprach,  dass  die  Maya-Hieroglyphen  zu  Lettern  abbreviirte  Bilder 
sind.  In  einem  Bilde  haben  verschiedene  Vorstellungen  Raum.  Das 
Wort,  das  fertige  Wort  wenigstens,  hat  seine  eng  begrenzte  Sphäre. 

Noch  eindringlicher  spricht  für  das  Vorherrschen  des  ideographischen 
Elements  die  ungemeine  Fülle  von  Varianten.  Es  kommt  direkte  Ersetzung 
einer  Hieroglyphe  durch  eine  andere,  ganz  anders  geartete  vor.  Ein 
schönes  Beispiel  dafür  liefern  die  Bezeichnungen  des  Monats  Moan  auf 
den  Blättern  46  —  50  der  Dresdener  Handschrift.  Hier  finden  wir  einmal 
die  Abb.  51,  52,  welche  den  Kopf  dieses  mythischen  Vogels  zeigen,  so 
wie  er  z.  B.  an  der  vollen  Figur  im  Codex  Dresden  10a  (Abb.  53)  zu 
sehen  ist,- —  nur  verbunden  mit  einem  Element,  welches  wir  schon  in  der 
Hieroglyphe  der  Himmelsrichtung  von  oben  nach  unten  oder  von  unten 
nach  oben  vorfanden  (Abb.  17,  22,  23).  Das  andere  Mal  finden  wir  dafür 
die  Hieroglyphe  Abb.  54,  deren  Elemente  —  jedes  einzelne,  wie  es  scheint 

—  nichts  anderes  bedeuten,  als  den  Vogel  oder  den  sich  Bewegenden, 
Fließenden.  Noch  häufiger  ist  die  Variation  sekundärer  Elemente  in  homo- 
logen  Reihen  sonst  gleichartiger  Hieroglyphen.  Ich  habe  schon  in  meinem 
vorigen  Aufsatze  hervorgehoben,  dass  ganz  allgemein  die  Elemente  Abb.  55, 
Abb.  56  und  Abb.  57  —  59  synonym  auftreten.  Es  erklärte  sich  uns  das 
sehr  einfach  dadurch,  dass  Abb.  55  —  eine  Abbreviatur  der  Abb.  60  — 
und  Abb.  56  Symbole  des  Mannes  sind,  und  dass  auch  die  beiden  Augen 
(Abb.  57 — 59)  als  Symbole  des  Mannes  gebraucht  werden.  Ich  wies  dort 
nach,  dass  das  Element,  Abb.  60.  eine  Hieroglyphe  für  die  Zahl  20 
ist,  weil  20  die  Zahl  der  Finger  und  Zeilen  des  Menschen  ist.  Ich 
machte  dort  aber  schon  darauf  aufmerksam,  dass  auch  die  Abb.  62 — 64 
den  vorigen  (insbesondere  der  Abb.  55  und  57)  synonym  gebraucht 
werden,  und  ich  kann  diesen  noch  die  Elemente  Abb.  61,  65  und 
65a  hinzufügen.  Die  Zeichnung,  wie  sie  die  Elemente  Abb.  61,  62, 
63,  65a  darbieten,    erscheint  ganz   gewöhnlich   an  dem  Halse  von  Töpfen 


416  Dritter  Abschnitt:    Kalender  and  Hieroglyphen-Entzifferung. 

imd  Krügen,  die  Gegend  der  ^lüuduDg  markirend.  Die  Abb.  64  scheint 
sich  naturgemäss  als  eine  Zahnreihe  zu  geben.  Die  ganze  Reihe  dieser 
homologen  und  den  Ausdrücken  für  „Mann,  Mensch"  synonym  gebrauchten 
Elemente  scheint  demnach  ursprünglich  Mund,  Schlund,  Rachen  zu  be- 
deuten. Dafür  spricht  auch,  dass  die  Hieroglyphe  einer  Gottheit,  der, 
wie  ich  meine,  der  Name  Uac  mitun  ahau  zukommt,  einmal  (Codex 
I)resdeii  "28)  durch  einen  Kopf  mit  offenem  Rachen  dargestellt  ist,  das 
andere  Mal  (Codex  Dresden  ob)  durch  einen  Kopf,  der  statt  des  Mundes 
das  Element  Abb.  61  enthält.  Dafür  spricht  ferner,  dass  das  Element 
Abb.  61  dem  Element  Abb.  73  synonym  auftritt.  Vgl.  z.  B.  die  in  der- 
selben Reihe  (Codex  Dresden  19 — 20b)  homolog  gebrauchten  Hieroglyphen 
Abb.  77,  78.  Das  Element  Abb.  73  habe  ich  schon  früher  als  Symbol  des 
Messers  erkannt,  und  ich  habe  damals  schon  auf  die  mexikanischen  Dar- 
stellungen des  Messers  verwiesen,  welche  die  Schärfe  oder  Schneide  des- 
selben durch  eine  an  seiner  Kante  angebrachte  Zahureihe  zum  Ausdruck 
bringen.  Den  obigen  Reihen  ist  aber  nun  noch,  wie  z.  B.  der  Vergleich 
der  in  derselben  Reihe  homolog  gebrauchten  Hieroglyphen  Abb.  38— -43 
zeigt,  eine  weitere  Reihe  von  Elementen,  welche  dem  Ausdruck  für  „Mann, 
Mensch"  gelegentlich  synonym  gebraucht  werden,  beizugesellen,  nämlich 
die  Reihe  Abb.  loQ — 71  und  Abb.  74.  Hier  zeigt  die  Abb.  66  eine  Zeichnung, 
die  in  ganz  gleicher  Weise  auf  dem  Schnabel  eines  merkwürdigen,  im  Codex 
Dresden  6 — 7  b  und  mit  menschlichem  Leibe  im  Codex  Cortes  20 — 21  d 
abgebildeten  Vogels  wiederkehrt.  Abb.  74  bildet  den  Haupttheil  der 
Hieroglyphe,  durch  welche  im  Codex  Dresden  16  — 17c,  17 — 18b  und  Codex 
Tro  19 — 20c  die  auf  den  Frauengestalten  hockenden  Vögel  bezeichnet 
werden.  Das  Element  tritt  in  den  Attributen  des  Todesgottes  und  ver- 
wandter Gestalten  vollständig  äquivalent  dem  Eulenkopf,  auf;  wir  haben 
es  eben  in  der  Hieroglyphe  Abb.  54,  einem  Synonym  des  mythischen  Vogels 
moan,  angetrofien.  Auch  die  anderen  Figuren  der  Reihe  dürften  sich  wohl  am 
richtigsten  als  Kopf  und  Flügel  oder  Flügelpaar  eines  Vogels  deuten  lassen. 
Wie  wäre  aber  ein  solches  Vorstellungs-Element  in  Zusammenhang  mit  den 
Begriffen  Maun  und  Mensch  zu  bringen?  Ich  glaube,  der  Zusammenhang  liegt 
in  der  Verbindung  der  Begriffe  Vogel  und  Gesicht,  des  Sonnenvogels  und 
des  Sonnengesichts.  Man  vergleiche  die  Figur  über  der  Göttergestalt  auf  der 
Cedernholzplatte  von  Tikal.  —  Wie  dem  auch  sei,  die  Synonymität  dieser 
verschiedenartigen  Elemente  lässt  sich  nur  durch  eine  ideographische 
Konstitution  der  Maya-Hieroglyphen  begreifen  und  ist  meines  Erachtens 
der  stärkste  und  ausschlaggebende  Beweis  für  die  oben  aufgestellte  Theorie. 
Aehnlich  geartete  Vorkommnisse  lassen  sich,  bei  einem  sorgfältigen 
Durchmustern  der  Handschriften,  zu  Dutzenden  ausfindig  machen.  Sie 
zeigen  uns  den  Weg,  auf  welchem  man  versuchen  muss,  zu  einem  Ver- 
ständniss  der  Maya-Handschriften  vorzudringen. 


G.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschrifteu  und  ihre  Gottheiten.     41 7 


6. 

Die  Tageszeiclien  der  aztekischen  und  der  Maya- Hand- 
schriften und  ilire  Gottheiten. 

Zeitschrift   für   Ethnologie  XX    (1888)    Seite  10  —  97. 


Vorbemerkung. 

Auch  in  diesem  Aufsatze  habe  ich,  entsprechend  den  veränderten  Anschauungen,  zu 
denen  ich  bei  der  genaueren  Untersuchung  des  TonalamatVs,  und  der  bei  den  Tonal- 
«maf/- Abschnitten  als  Regenten  genannten  Gottheiten  gelangt  bin  (vgl.  „Tonalamatl  der 
Aubin'schen  Sammlung-,  Berlin  1900)  an  verschiedenen  Stellen  Aenderungen  vorgenommen. 


„Wie  in  Europa,"  sagt  P.  Sahagun  in  der  Einleitung  zu  dem  vierten 
Buch  seiner  Historia  de  las  cosas  de  la  Nueva  Espana,  „die  Astrologen 
dem  neugeborenen  Kinde  das  Horoskop  stellen,  so  gab  es  auch  unter 
den  Eingeborenen  Neu-Spaniens  Leute,  tonalpouhque  genannt,  welche  über 
Leben  und  Tod  und  die  Lebensschicksale  der  neugeborenen  Kinder  Auf- 
schluss  gaben."  Dieselben  gründeten  aber  ihre  Wissenschaft  nicht  auf 
die  Beobachtung  der  (restirne,  sondern  sie  bedienten  sich  zu  ihren  Vorher- 
sagungen einer  Anzahl  von  20  Zeichen,  deren  Erfindung  Quetzalcoatl  zu- 
geschrieben würde.  Ihre  Vorhersagungskunst  wäre  daher  keine  ernsthafte 
Wissenschaft,  sondern  Lug  und  Trug  und  abergläubisches  Wesen,  gegen 
welches  die  Diener  der  Kirche  die  Pflicht  hätten,  mit  allen  ihnen  zu  Ge- 
bote stehenden  Mitteln  zu  Felde  zu  ziehen. 

Der  Name  tonalpouhquo  bedeutet  „Sonnenzähler",  und  die  20  Zeichen, 
die  Sahagun  nennt,  sind  die  bekannten  20  Tageszeichen,  welche  die 
Grundlage  des  aztekischen  Kalenders  bilden.  Der  Ursprung  dieser  Zeichen 
ist  unbekannt,  ihre  Erfindung  aber  jedenfalls  uralt,  da  sich  die  Namen 
derselben  genau  in  der  gleichen  Weise,  nur  dialektisch  variirt,  bei  den, 
weit  entfernt  von  der  Hauptmasse  der  Nation  an  dem  grossen  Süss- 
wassersee  von  Nicaragua  wohnenden,  aztekisch  redenden  Nicaragua  im 
Gebrauch  fanden,  die  ohne  Zweifel  schon  lange  Zeit  von  ihren  Brüdern 
getrennt  lebten.  Der  Gebrauch  dieser  Zeichen  war  aber  auch  keine  Be- 
sonderheit   der  Naua-Stämme,    sondern  in  gleicher  Weise  auch  den  Maya- 

Seler,  Gesammelte  Abhandlungen  1.  27 


418 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung 


Stämmen  von  Guatemala,  Chiapas  uud  Yucatan,  den  Mixteca  und  Zapoteca, 
den  Tarasca  von  Michoacan,  also  den  hauptsächlichsten  Kultui'nationen 
von  Mittel-Amerika,  bekannt. 

Die  üblichen  mexikanischen  Aufzählungen  der  20  Zeichen  beginnen 
mit  dem  Zeichen  cipactli.  Dagegen  zeigt  die  Liste  der  20  Zeichen, 
welche  die  Bewohner  des  Dorfes  Teoca  in  Nicaragua  dem  katechisirenden 
Francisco  de  Bobadilla  als  die  Namen  der  Gottheiten  nannten,  die  sie 
an  den  Anfangstageu  ihrer  Wochen  verehrten,  au  erster  Stelle  das  Zeichen 
acatL  das  in  der  gewöhnlichen  Aufzählung  den  dreizehnten  Platz  einnimmt. 
Ebenso  beginnt  die  Liste  der  Tageszeichen,  welche  in  der  alten  Relation 
über  die  Landschaft  Meztitlan  —  das  ist  ein  kleines,  von  aztekisch  redenden 
Leuten  bewohntes  Thal  an  den  Grenzen  der  Huaxteca  —  gegeben  ist, 
mit  dem  Zeichen  acatl.  Ich  führe  in  dem  Folgenden  alle  drei  Listen  in 
der  üblichen  Reihenfolge  auf  und  fügte  noch  eine  vierte  hinzu,  die  der 
„Chronica  de  la  S.  Provincia  del  Sautissimo  Xombre  de  Jesus  de  Guathe- 
mala'^,  einer  Handschrift  des  ehemaligen  Franziskaner  Klosters  in  Guatemala 
entnommen  ist. 


(Mexico) : 

Nicaragua: 

Meztitlan: 

1.  cipactli 

cipat 

tftechi  hucauh  (ver 
bessere:  arochi- 
quecal) 

2.  eecatl 

acat  (lies:  ecat) 

ecortl 

3.  calli 

call 

calli 

4.  cuetzpaJin 

qtiespal  (lies: 
qüespal) 

ailotl  (lies:  xilotT) 

5.  coatl 

coat 

coatl 

6.  miquiztU 

»lisiste 

tzontecomcctl 

7.  in  acatl 

macat 

mazatl 

8.  tochtli 

toste 

tochtli 

9.  atl 

at 

atl 

10.  itzcuinUi 

isquindi  (lies: 
izqüindi) 

izcitin 

11.  ogomatU 

ocomate  (lies: 
o^omate) 

ogoma 

12.  malinaUi 

malinal 

itlan 

13.  acatl 

agat 

acatl 

11.  ocelotl 

ogelot 

ozelotl 

15.  quauhtli 

oate 

cuixtli 

16.  cozcaquauhtli 

coscagoate 

teotl  i/tonal 

17.  olin 

olin 

nahüs  olli  (ües: 
nahui  olli) 

18.  UcpaÜ 

tapecat 

tecpatl 

19.  quiauitl 

quiaüit 

quisahütl  (lies: 
quigahuitf) 

20.  xochitl 

sochit 

ome  a-och  itonal 

Guatemala: 

cipactli    el    espadarte.    ö 
peje  espada. 

ehecatl  el  viento. 

calli  la  casa. 

quetzalli  (lies:  qüetzalli)  el 

lagarto. 
cohuatl  la  culebra. 
niiquiztli  la  muerte. 
niazatl  el  venado. 
toxtli  el  conejo. 
atl  ö  qniahidtl  el  aguacero. 
l/tzcuintli  el  perro. 

ozumatli  la  mona. 

malinalli  la  escobilla. 
acatl  la  caiia. 
teyollocuani  el  hechicero. 
quauhtli  el  äguila. 
tecolotl  el  buho. 
tecpil  anahuatl  el  temple. 

tecpatl  el  pedemal. 
ayutl  la  tortiiga. 

xochitl  la  flor,  6  rosa. 


1.  cipactli  wird  verschieden  erklärt,  bald  als  Schwertfisch  (Sahagun), 
bald  als  Schlangenkopf  (Duran  —  ^cabeza  de  sierpe,  pues  la  pintan  asi 
y  la  etimologia  del  vocablo  lo  declara").    Der  Codex  Fuenleal,  die  „Historia 


G.  Tageszeichen  der  aztekisclien  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten      419 

de  los  Mexicanos  por  sus  pinturas"  nennt  ihn  „un  pexe  grande,  que  es 
como  Cayman".  Die  Abbildungen  80  (Codex  Land),  81  (Codex  Vati- 
canus  A)  und  82  (Codex  Borgia  9  =  Kingsborough  30)  zeigen  einige  der 
hauptsächlichsten  Formen.  Die  Farbe  ist  grün  oder  schwarz,  zum  Theil  mit 
anders  gefärbten  kreisrunden  Flecken.  Auffällig  ist  das  Fehlen  des  Unter- 
kiefers. Mitunter  sieht  man  das  Ungeheuer  in  den  Handschriften  auch  in  ganzer 
Figur  dargestellt.  Daim  zeigt  es  einen  langgestreckten  Reptilkörper,  den 
Rückenfirst  mit  Stacheln  besetzt,  vier  Füsse  mit  Krallen  und  Eidechsen- 
schwanz, dazu  mitunter  Ohren.  Vom  Kopf  ist  auch  hier  gewöhnlich  nur 
der  Oberkiefer  gezeichnet.  In  anderen  Darstellungen  sieht  man  ein  Thier 
in  Fischgestalt,  mit  haifischartigem  heterocerkem  Schwanz. 

Nach  dem  Codex  Fuenleal  wäre  aus  dem  cipactli  die  Erde  erschaffen. 
Dem  Zeichen  präsidirt  im  Codex  Borgia  9  (=  Kingsborough  30)  ,uud  im 
Codex  Vaticanus  B  87  und  28  (=  Kingsborough  10  und  76)  der  Gott 
TonacatecutU,  „der  Herr  unsers  Fleisches",  der  mit  dem  Ometecutli^ 
„dem  Herrn  der  Zeugung"  identisch  ist,  und  dessen  Gattin  Tonacaciuatl, 
„die  Herrin  unsers  Fleisches",  in  Tracht  und  Attributen  mit  der  Xochiquetzal, 
der  Göttin  der  blumigen  Erde,  übereinstimmt.  Ohne  Zweifel  ist  das  Zeichen 
Symbol  der  Erde  als  des  Sitzes  der  Fruchtbarkeit,  Auch  den  Astrologen 
galt  das  Zeichen  als  glückverheissendes  Symbol  der  Fruchtbarkeit.  Die 
nach  ihm  benannten  Tage  sind  glückliche  ersten  Ranges,  sie  bringen 
Kindersegen  und  mehren  Reichthum,  Glück  und  Macht. 

Der  Patron  dieses  Zeichens,  Tonacatecutlt,  ist  im  Codex  Vaticanus  A 
und  Telleriano-Remensis  in  rosiger  Farbe  (als  Himmelsgott),  reich  ge- 
kleidet, auf  einem  Bett  von  Maiskolben  zu  sehen.  Und  über  ihm  ist  ein 
XiuhuitzoUi,  eine  Königskrone,  zu  sehen,  mit  Maiskolben  gefüllt.  Nach  den 
Interpreten  trugen  nur  die  drei  Götter  Tonacatecutli,  Xiuhtecutli,  der  Feuer- 
gott, und  Mictlantecutli,  der  König  der  Unterwelt,  eine  Krone  —  als  Aus- 
druck des  Wortes  tecutli  „Herr",  oder  als  die  Herrscher  in  den  drei 
Reichen  Himmel,  Erde  und  Hölle.  In  den  anderen  Handschriften  ist  ein 
in  lichten  (gelben)  Farben  gemalter  Gott  zu  sehen,  zum  Theil  mit  Attri- 
buten QuetzalcoatVs  versehen,  der  im  Codex  Borgia  unter  der  Oberlippe 
eine  Art  von  Ring  zu  hängen  hat,  der,  wie  es  scheint,  eine  miss- 
verstandene Bildung  darstellt,  nämlich  den  eingekniffenen  Mundwinkel, 
wodurch  in  anderen  Handschriften  dieser  Gott  als  der  uralte,  ursprüngliche, 
der  Vater  von  Göttern  und  Menschen  bezeichnet  wird.  Im  Codex  Telleriano- 
Remensis  und  Vaticanus  A  ist  ihm  gegenüber  seine  Gemahlin  Tonacaciuatl 
oder  Xochiquetzal  gezeichnet,  die  in  den  anderen  Handschriften  fehlt. 
In  allen  Handschriften  aber  ist  über,  bezw.  neben  ihm  ein  Menschenpaar 
zu  sehen,  unter  einer  gemeinschaftlichen  Decke  einander  gegenüber  sitzend 
oder  sich  verstrickend,  oder  sich  an  den  Händen  haltend  und  das  aus  dem 
■Munde  strömende  Leben  vereinigend,  —  ohne  Zweifel  alles  Symbole  ge- 
schlechtlicher Vereinigung. 


4.-20  Dritter  Abschjiitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Der  Name,  der  für  das  Zeichen  in  der  Liste  von  Meziitlan  augegeben 
wird,  ist  offenbar  verderbt.  Er  ist  wohl  Xochique^al  (d.  i.  Xochiquetzal)  zu 
lesen.  Das  heisst,  es  ist  der  Name  der  Regentin  des  Zeichens  für  das 
Zeichen  selbst  gesetzt. 

2.  eecati  bedeutet  „Wind".  Sein  Patrou  ist  der  Windgott  „Quetzal- 
coatl".  Dargestellt  wird  das  Zeichen  durch  den  Kopf  dieses  Gottes,  — 
verschieden,  je  nach  der  verschiedenen  Darstelluugsweise  des  Gottes  selbst. 
Meist  sieht  man  die  rothe  Yogelschuabelmaske  des  Idols  von  Cholula. 
Vgl.  Abb.  83. 

Den  Astrologen  galt  das  Zeichen  als  Symbol  der  Unbeständigkeit  und 
Yeräuderlichkeit.  Die  unter  ihm  Geboreneu  sind  leichtsinnig,  unbeständig, 
veränderlich,  ruhelos  (Duran).  Nach  anderer  Auffassung  ist  eecati  das 
Zeichen  der  Umherirrenden,  der  verschiedene  Gestalten  Annehmenden, 
der  Wehrwölfe,  der  Zauberer  (Sahaguu). 

Patrou  dieses  Zeichens  ist  Quetzalcoatl,  der  Windgott.  Der  Xame 
wird  verschieden  erklärt.  Quetzalli  ist  die  grüne  Schwanzfeder  des  Vogels 
Pharomacrus  mocinno,  das  Wort  wird  aber  auch  allgemeiner  im  Sinne 
von  ^Schatz,  Kostbarkeit"  gebraucht,  coatl  oder  couatl  ist  die  ,, Schlange", 
bedeutet  aber  auch  „Zwilling".  Mendieta  (IL  19)  sagt:  —  „en  su  leugua 
llamabau  cocua  „culebras",  porque  dicen  que  la  prima  mujer  que  pario 
dos.  se  llamaba  coatl^  j  de  aqui  es  que  nombraban  culebras  ä  los  mellizos, 
y  decian  que  habran  de  comer  ä  su  padre  y  madre,  si  no  matasen  al  uno  de 
los  dos."  —  Der  Name  QuetzalcoaÜ  wird  demnach  theils  als  ,.grüne  Feder- 
schlange",  theils  als  „el  admirable  mellizo".  „der  wunderbare  Zwilling", 
erklärt. 

QuetzalcoaÜ  war  der  Gott  von  Cholula,  des  Hauptsitzes  priester- 
licher Weisheit  und  priesterlicher  Kultur,  darum  wird  der  Gott  stets  mit 
priesterlichen  Attributen  ausgestattet:  dem  spitzen  Knochen  {omitl),  der 
zu  Blntentziehungen  diente,  den  abgeschnittenen  Spitzen  der  stachligen 
Agave-Blätter  (uitztli)^  auf  denen  man  das  herausströmende  Blut  sammelte, 
und  dem  Kopalbeutel  (copaLi-iquipilli).  Ihm  gegenüber  ist  im  Codex 
Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A  eiu  junger  Priester  zu  sehen,  der 
Ruthen  oder  Rohre  durch  die  durchlöcherte  blutende  Zunge  zieht;  Codex 
Borgia  62  (=  Kingsborough  53)  und  Vaticanus  B  50  (=  Kingsborough  47) 
dagegen  ein  Tempel  und  ein  betender  Mensch.  Ln  Uebrigen  ist  der 
Gott  theils  mit  der  rothen  Vogelschnabelmaske  des  Idols  von  Cholula 
(vgl.  Abb.  83),  theils  mit  menschlichen  Zügen  dargestellt.  Besondere 
Attribute  von  ihm  sind  ein  eigenthümlich  geformtes  Ohrgehänge  und 
eine  als  Brustplatte  getragene  Muschel.  Das  ist,  wie  aus  der  Zeichnung 
in  dem  Sahaguu -Manuskript  der  Biblioteca  Laurentiana  zu  Florenz 
deutlich  hervorgeht,  das  j,yoel  del  viento'"',  das  „Geschmeide  des  W^ind- 
gottes",  und  nicht,  wie  Brinton  (Hero  Myths  p.  121)  annimmt,  ein  Wind- 
rad   (yaualli  eecati)    in  Gestalt    eines  Pentagramms.     Im  Codex  Borgia  9 


6,  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     421 

(=  Kingsborough  30)  und  an  den  entsprechenden  Stellen  des  Yaticanus  B 
ist  über  dem  Gott  noch  eine,  vom  Pfeil  durchbohrte,  Rauch  aus  den 
Nüstern  schnaubende  Feuerschlange  zu  sehen. 

3.  calli  „Haus"  Abb.  84.  Sein  Patron  ist  der  Gott  Tepeyollotl,  das 
„Herz  der  Berge",  dargestellt  als  Jaguar,  über  einer  Berghöhle  sitzend.  Ihm 
gegenüber  ist  im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A  der  Gott 
Quetzalcoatl  dargestellt,  einen  Gefangenen  am  Schopf  haltend.  Im  Codex 
Börgia  63  (=  Kingsborough  52)  und  Codex  Yaticanus  B  51  (=  Kings- 
borougli  46)  dagegen  steht  ihm  die  Göttin  Tiacolteotl  gegenüber,  eben- 
falls einen  Gefangenen  am  Schopf  haltend.  Und  im  Codex  Borgia  10 
(=  Kingsborough  29)  und  Codex  Vaticanus  B  87  und  29  (=  Kingsborough  10 
und  77)  ist  neben  ihm  dieselbe  Göttin,  die  bekanntlich  auch  den  Namen 
Tlaelquani,  die  „Kothfresserin",  führt,  durch  einen  Exkremente  fressenden 
Menschen  uud  die  Hieroglyphe  des  Mondes  dargestellt. 

Den  Astrologen  ist  das  Zeichen  ein  Symbol  der  Ruhe.  So  werden 
auch  die  unter  diesem  Zeichen  Geborenen  ruhige,  häusliche  Leute  (Duran). 
Kaufleute  betrachteten  dieses  Zeichen  als  besonders  günstig  zur  Heimkehr. 
Nicht  mit  der  Natur  des  Hauses  dagegen  hängt  es  zusammen,  wenn  dieses 
Zeichen  auch  als  eine  der  Zeiten  angegeben  wird,  an  denen  die  Dämmerungs- 
gestalten, die  Gespenster,  die  Ciuateteö  zur  Erde  hinabsteigen,  den  Kindern 
Krankheiten  bringend,  die  Männer  zur  Sünde  und  zum  Verbrechen  reizend. 
Das  ist  vielmelir  nur  eine  Folge  des  Umstandes,  dass  der  Tag  1.  calli  in 
dem  in  fünfgliedrige  Säulen  geordneten  Tonalamatl  in  der  Säule  seine 
Stellung  hat,  die  den  Anfang  des  dritten  Towa^ama^/ -Viertels  bildet  und 
deshalb  als  dem  Westen,  der  Region  der  Weiber  (ciuatlampa]^  angehörig 
betrachtet  wurde. 

4.  cueizpalin  Abb.  85  (Codex  Vaticanus  A)  und  86  (Codex  Borgia, 
Codex  Land),  mit  blauer  Farbe  (Abb.  85)  oder  die  vordere  Hälfte  blau,  die 
hintere  roth  gemalt.    Wird  allgemein  mit  „lagartija''^  „Eidechse",  übersetzt. 

Den  Astrologen  gilt  das  Zeichen  als  Symbol  des  Ueberflusses  und  des 
sorglosen  Genusses.  Denn  (wie  Duran  angibt)  die  Eidechse  klebt  an  der 
Wand  und  es  fehlen  ihr  nie  die  Fliegen  und  kleinen  Mücken,  die  ihr 
gerade  in  den  Mund  fliegen.  Der  Interpret  des  Codex  Vaticanus  A  sagt 
geradezu,  die  Eidechse  „significa  l'abbondanza  dell'  acqua".  Das  wird 
man  verstehen,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  dem  Mexikaner  Ueberfluss 
und  Gedeihen  und  reichlich  Wasser  sich  deckende  Begriffe  sind.  Die  ge- 
nannte symbolische  Bedeutung  des  Thieres  spricht  sich  auch  in  dem,  von 
dem  Worte  cuetzpalin  gebildeten  Zeitworte  cuetzpalti,  onicuetzpaltic  aus, 
für  welches  in  dem  Wörterbuche  Molina's  die  Bedeutung  „glotonedr"  d.  i. 
„prassen,  schlemmen"  angegeben  ist. 

Die  Liste  von  Meztitlan  nennt  das  vierte  Zeichen  anders,  nämlich 
ailotl,  soll  heissen  xilotl^  d.  i.  der  junge,  noch  weiche  Maiskolben,  —  eben- 
falls ein  bekanntes  Symbol  des  Ueberflusses. 


4-22  Dritter  Abschnitt:    Kalender  nnd  Hieroglj-phen-Entzifferung, 

lu  den  Bildern,  die  iu  den  Haudschrifteu  verschiedentlich  vorkommen, 
wo  die  verschiedenen  Tageszeichen  den  Körpertheilen  eines  Menschen, 
eines  Gottes  oder  eines  Dämons  zugeschrieben  werden,  ist  die  Eidechse 
bald  (Codex  Borgia)  dem  Penis,  bald  (Codex  Yaticanus  A)  der  Gebär- 
mutter der  Frauen  („lagartixa  nella  madrice  delle  donne'')  gleichgesetzt. 
Der  geschlechtliche  Trieb  und  der  geschlechtliche  Akt  sind  also,  wie  es 
scheint,  das  Ursprüngliche  in  diesem  Zeichen.  Das,  was  ich  zuvor  er- 
wähnte, die  überquellende  Fruchtbarkeit,  ist  daraus  leicht  abzuleiten. 

Der  Patron  dieses  Zeichens  ist  der  Gott  Ueuecoyotl^  d.  h.  „der  alte 
Coyote"^,  —  im  Codex  Borgia  und  Vaticanus  B  in  Gestalt  eines  Coyote  oder 
mit  Co^o^^-Kopf  abgebildet,  im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A 
mit  rother  Farbe  gemalt  und  in  weissen  t'o^o^^-Pelz  gehüllt.  Die  Inter- 
preten ideutifiziren  ihn  mit  Tatacoada,  dem  Gotte  der  Otomi.  Man  ist  ver- 
sucht, an  den  Coyotl  inaual,  den  „als  Coyote  verkleideten  Gott''  zu  denken, 
der  nach  Sahagun  von  den  Amanteca,  den  Federarbeitern  des  Quartiers 
Amantlan,  verehrt  ward.  Die  Amanteca  wollten  die  ersten  chichimekischen 
Einwanderer  iu  Mexico  gewesen  sein  und  aus  ihrer  ursprünglichen  Heimath 
die  Verehrung  Coyotl  inauaVs  mitgebracht  haben. 

Vor  dem  Gotte  wird  ein  Mensch  in  liegender  Stellung  und  ihm  gegen- 
über eine  weinende  Frau  in  knieender,  halb  zurückoewandter  Stelluns: 
dargestellt.  Die  Interpreten  uenneu  die  letztere  Ixnextli  („Asche  in  den 
Augen'*  ?). 

5.  coail  „Schlange''  Abb.  87  (Codex  Telleriano-Remensis)  und  <S8 
(Codex  Borgia).  Die  Färbung  ist  gi'ün  oder  braun  (gelb).  Die  Schlange 
der  Tageszeichen-Liste  tmterscheidet  sich  dadurch  bestimmt  von  der  in 
den  Abbildungen  vielfach,  und  auch  auf  den  Monumenten,  vorkommenden 
Schlange,  der  gewöhnlich  die  Färbung  der  rothen  Korallenotter  ge- 
geben wird. 

Die  Schlange  lebt  nackt,  ohne  eigenes  Haus,  heute  sich  hier  iu  einem 
Loche  bergend,  morgen  in  einem  anderen.  Darum  hat  auch  der  nach  der 
Schlange  benannte  Tag  Nacktheit,  Armuth,  Heimathlosigkeit  im  Gefolge. 
Es  ist  das  Zeichen  der  Reisenden  und  der  Krieger  und  ward  von  den- 
jenigen erwählt,  die  ihr  Haus  verlassen  und  zu  Handel  oder  Krieg  in  die 
Ferne  ziehen  wollten. 

Die  Patronin  dieses  Zeichens  ist  die  Göttin  ChaleJiiuitlicue,  die  Göttin 
der  Quellen  und  Bäche,  des  fliessenden,  bewegten  Wassers,  —  daher 
Symbol  der  Unruhe  und  des  Wanderns,  —  die  in  dem  Wasserstrom,  welcher 
von  ihren  Schultern  fliesst,  Männer,  Weiber  und  die  mit  Reichthümern 
gefüllten  Kisten  fortschwemmt. 

6.  miquiztli  „Tod'*^  oder  izontecomati  ..Schädel^  Abb.  89  und  90.  Die 
Farbe  des  Knochens  ist  vielfach  durch  gelbe,  roth  punktirte  Flecke  imitirt; 
der  Unterkiefer  mitunter  durch  besondere  Farbe  bezeichnet.  In  herkömm- 
licher Weise  sind  an  der  Basis  der  Zähne  das  Zahnfleisch  durch  rothe  Farbe 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handscbriften  und  ihre  Gottheiten.     423 


4.24  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hicroglj'pheu-Entzifferung. 

und  über  den  Angenhöhlen  die  die  Angenbrauen  tragenden  Wülste  mit  blauer 
Farbe  angegeben. \  Ziemlich  regelmässig  ist  auf  der  AVölbung  oder  an  der 
Seite  des  Schädels  ein  kreisrundes  Loch  ausgeschnitten.  Der  Anblick  der 
Schädel  war  den  3Iexikanern  vom  tzompa?itli,  dem  Schädelgerüst,  her  geläufig 
wo  auf  quer  durch  die  Schläfe  gestosseuen  Stangen  die  Köpfe  der  den 
Göttern  geopferten  Sklaven  und  Kriegsgefangenen  aufgereiht  waren.  Mit- 
unter sind,  statt  des  kreisrunden  Loches  an  der  Seite,  verschieden  gefärbte, 
konzentrische  Ringe  auf  dem  Wirbel  des  Schädels  zu  sehen,  die  vielleicht 
auf  eine  Präparation  des  Schädels  deuten.  Statt  eines  einfachen  Schädels 
wird  auch  der  Kopf  MictlantecutWs,  des  Todesgottes,  gezeichnet,  der  zu 
dem  Todtenschädel  noch  eine  schwarze,  zerzauste  Perrücke,  Ohren  mit 
weissem,  bandartigem  Pflock  und  ein  Feuersteinmesser  vor  der  Nase  trägt 
(Abb.  90,  S.  423). 

Der  Tod  ist  ein  Unglück  und  erweckt  traurige  Gedanken.  So  sind 
auch  die,  unter  diesem  Zeichen  Geborenen  unglücklich  und  traurig, 
schwächlich,  krank  und  feige. 

Als  Patron  dieses  Zeichens  ist  im  Codex  Borgia  11  (=  Kingsborough  "28) 
eine  Frau  gezeichnet  mit  der  Lippenscheibe  Tonacatecutlts  {Ometecutli''s), 
die  vorn  über  der  Stirn  eine  Meerschnecke  trägt  und  deren  ganze  Gestalt 
von  nächtlichem  Dunkel  sich  abhebt.  In  den  entsprechenden  Stellen  des 
Codex  Vaticanus  B  Blatt  88  und  30  (=  Kingsborough  9  und  78)  sieht  man 
eine  männliche  Gottheit,  ebenfalls  mit  der  Lippenscheibe  (dem  eingekniffenen 
Mundwinkel)  Tonacaiecutlt's,  aber  mit  dunklem  (blauem)  Leibe.  Auch  im 
Codex  Borgia  66  (=  Kingsborough  49)  und  im  Codex  Vaticanus  B  54 
(=  Kingsborough  43)  sehen  wir  einen  Gott  mit  der  Lippenscheibe  (dem 
eingekniffenen  Mundwinkel)  TonacatecutWs,  aber  hier  als  steifrückigen, 
alten  Mann  mit  dem  Stabe  in  der  Hand.  Und  ihm  gegenüber  steht  der 
Sonnengott.  Ebenso  haben  Codex  Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A 
zwei  Figuren:  einen  Gott,  der  als  auszeichnendes  Merkmal  dieselbe  Meer- 
schnecke trägt,  wie  die  Frau  im  Codex  Borgia  11  (=  Kingsborough  28), 
und  ihm  gegenüber  wieder  den  Sonnengott. 

Man  könnte  meinen,  dass  dem  Zeichen,  welches  „Tod"^  bedeutet,  hier, 
gleichsam  zur  Kompensation,  die  Gottheiten  der  Geburt  als  Patrone 
gesetzt  seien,  und  die  Frau  auf  Blatt  11  des  Codex  Borgia  als  Tonacaciuatl, 
eis  Göttin  der  Geburt,  betrachten.  Denn  die  Schnecke,  die  sie  am  Kopfe 
trägt,  ist  das  Symbol  des  Mutterleibes.  Wie  die  Schnecke  aus  dem  Gehäuse, 
so  kommt  der  Mensch  aus  dem  Leibe  seiner  Mutter  hervor.  Wahrschein- 
licher aber  ist,  dass  auch  die  Göttin  Codex  Borgia  11,  gleich  den  männ- 
lichen Gottheiten,  den  Mond  (metztlt)  bezeichnet.  Der  Mond  hat  Be- 
ziehung zu  den  Weibern  und  verursacht,  nach  dem  Interpreten,  die  Geburt 
der  Menschen.  Darum  ist  die  Meersclmecke  {tecciztli)  auch  sein  Symbol 
und  Tecdztecatl,  „der  mit  der  Meerschnecke",  der  hauptsächlichste  der 
Namen,    unter    denen    der  Gott   bekannt    ist.      Der  Mond    steht   hier    als 


().  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     42.'> 

Syml)ol    des    Zeichens    miquiztli,    weil    miquiztli    ^Tod"    das    Zeichen    der 
Zauberer  ist,  und  weil  die  Zauberer  in  der  Nacht  ihr  Wesen  haben. 

7.  macail  „Hirsch"'.  Der  langgestreckte  Kopf  dieses  Thieres  wird  ge- 
zeichnet, bald  ohne  Geweih  (Abb.  !»1,  8.  423),  bald  mit  Geweih  (Abb.  92), 
das  letztere  dann  blau  gemalt,  wie  andere  Hörn-  und  Hauttheile  (Nägel, 
Naseuschleimhaut  u.  a.).  Statt  des  Kopfes  finden  wir  im  Codex  Fejervary 
(Abb.  93)  den  Fuss  des  Thieres  mit  dem  gespaltenen  Huf. 

Der  Hirsch  ist  ein  Thier  des  AYaldes  und  des  Feldes.  Für  die,  an 
diesem  Tage  Geborenen  ergibt  sich  daraus  ein  Hang,  in  die  Ferne  zu 
.schweifen  und  sich  dem  Waldleben  zu  ergeben.  Insofern  trift't  das  Zeichen 
in  seiner  Bedeutung  mit  dem  Zeichen  coatl  zusammen  und  gilt,  wie  dieses, 
auch  als  Zeichen  der  Krieger. 

Der  Patron  dieses  Zeichens  ist  Tlaloc,  der  Gott  des  Regens,  der  Ge- 
witterschauer, der  mit  dem  Blitze  tüdtende  Gott.  Er  steht  hier,  weil  er 
ausserdem  Regent  und  Sinnbild  der  einen  der  vier  prähistorischen  Welt- 
perioden ist,  des  Quiauhtonatiuh,  der  „Regensonne",  d.  h.  aber  nicht  etwa 
der  Periode,  die  sich  durch  eine  Sintfluth  auszeichnete,  sondern  die 
durch  einen  tlequiauitl,  einen  Feuerregen,  zu  Grunde  gieng.  Der  Hirsch 
aber  ist,  nach  den  Interpreten,  ein  Symbol  der  Dürre,  und  mit  seinem 
Kopf  wird  in  kleinen  Bildchen  des  Codex  Bologna  (Blatt  1  und  Blatt  4, 
unterste  Reihe)  geradezu  das  aus  dem  brennenden  Tempel  schlagende 
Feuer  veranschaulicht.  —  Im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Yaticanus  A 
ist  dem  Gotte  eine  Figur  gegenübergestellt,  welche  Attribute  Tlaloc's  (des 
Regengottes)  und  Quetzalcoatrs  (des  Windgottes)  vereinigt  und  die  von 
den  Interpreten  als  Nauieecati  („vier  Wind")  bezeichnet  wird. 

Tlaloc  ist  den  Mexikanern  insbesondere  der  mit  dem  Blitz  tödteude. 
in  der  Fluth  ertränkende,  in  T'lalocan  über  die  Seinen  herrschende  Gott. 
Die  unter  dem  Zeichen  „Hirsch"  Geboreneu  und  so  dem  Gotte  Tlaloc 
Verfallenen  fürchteten  daher,  bei  jedem  Gewitter  vom  Blitz  erschlagen,  bei 
jedem  Bade  ertränkt,  von  dem  Herrscher  Tlaloc  als  sein  Eigenthum  reklamirt 
zu  werden. 

8.  iochili  „Kaninchen".  Ein  Kopf,  ähnlich  dem  des  vorigen  Zeichen.«, 
aber  durch  das  runde  Auge,  die  längeren,  mehr  hängenden  Ohren  und  die 
beiden  Schneidezähne  unterschieden  (Abb  94  und  95,  oben  S.  423). 

Das  Zeichen  ist  ein  glückliches.  Das  Kaninchen,  sagt  man,  nährt 
sich  ohne  Arbeit  und  Mühe  von  dem  Grase  des  Feldes.  Darum  werden 
die  unter  seinem  Zeichen  Geborenen  mühelos  reich. 

Im  Mexikanischen  ist  tochtli  der  Ausdruck  für  „Rausch,  Berauscht- 
heit". Man  bildet  das  Zeitwort  tochtüia,  oninotochtili^  für  welches  Molina 
die  Bedeutung  gibt:  „hazerse  conejo,  o  hazerse  bestia,  o  tornarse  bruto  el 
hombre".  Nach  P.  Sahagün  wurde  der  Wein  centzontotochtin^  d.  h.  „400 
(=  20  X  20)  Kaninchen"  genannt,  weil  er  die  Ursache  unzähliger  Arten 
von  Betrunkenheit  wäre.    —    So    sehen    wir    denn  auch  als  Patronin  des 


426  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Zeichens  tochtli  die  Personifikation  der  3Iagueypflauze,  der  Agave  amerieaua, 
aus  vfelcher  der  berauschende  Pulque  bereitet  wird.  Als  Gottheit  führt 
sie  den  Namen  Mayauel.  Sie  ist  (als  Pflanze)  als  Göttin  gedacht  und  war 
nach  Sahagun  diejenige,  welche  zuerst  den  Saft  der  Maguevpflanze  ge- 
brauchen lehrte,  —  in  uralter  Zeit,  als  noch  die  Olmeca  und  Uü-totüi  im 
Lande  waren,  —  und  ist  nach  dem  Interpreten  des  Codex  Telleriano- 
Remensis  die  Gemahlin  PätecatCs,  des  Pulque-Gottes,  den  wir  unten  noch 
zu  erwähnen  haben  werden.  —  Mayauel  wird  in  allen  Quellen,  die  wir  hier 
angezogen  haben,  in  ziemlich  gleichartiger  AVeise  dargestellt.  Wir  sehen  die 
Göttin  Tor  den  stachligen  Blättern  der  Agave  sitzen  oder  daraus  hervor- 
wachsen. Daneben  der  bekränzte  und  geschmückte  Topf,  aus  welchem 
das  Getränk  herausschäumt.  Eine  Figur,  in  vergnügter  Haltuiiii'  die  Fahne 
schwingend,  mit  ernster  Miene  aus  der  Pulqueschale  trinkend  oder  mit 
der  Pulqueschale  in  der  Hand  zur  trunkenen  Rede  anhebend,  —  scheint 
den  Rausch  zur  Darstellung  bringen  zu  sollen. 

9.  ail  ^AYasser".  Das  AYasser  erscheint  als  Tageszeichen  selten  in 
der  Weise,  wie  man  es  als  hieroglyphisches  Element  im  Codex  Mendoza 
und  sonst  vielfach  verwendet  findet,  nämlich  als  blauer,  verzweigter  Strom, 
mit  einem  \Yelleusaum  oder  mit  weissen,  scheibenförmigen  oder  länglichen 
Gebilden  (Schueckeugehäusen)  am  Ende  der  Yerzweigungen.  Immerhin 
haben  wir  eine  dem  ähnliche  Zeichnung  in  der  Abb.  96  (oben  S.  423), 
die  dem  Codex  Yaticauus  B  49,  50  (=  Kingsborough  48,  47)  entnommen 
ist.  In  der  Regel  ist,  statt  des  einfachen  Wasserstromes,  ein  Gefäss  mit 
Wasser  gezeichnet,  entweder  ein  einfaches  Wassergefäss  (Kürbisgefäss), 
wie  in  Abb.  97  des  Codex  Telleriauo-Remensis,  oder  aber,  und  dies  ist 
der  häufigere  Fall,  das  aus  dem  Gefäss  herausfliessende  Wasser  ist  der 
wallenden  Federhaube  eines  Yogels  verglichen.  So  wird  dem  das  Wasser 
bergenden  Gefässe  die  Gestalt  eines  Yogelschnabels  gegeben,  mit  Eck-  und 
Backzähnen  an  der  Aussenseite  des  Gefässes,  und  in  das  Wasser  hinein 
wird  das  Auge  eines  Yogels  gezeichnet  (Abb.  100,  101).  Eine  Kombination 
beider  Darstellungsweisen  zeigt  die'  eigenthümlich  ornamentale  Abb.  98 
(Codex  Land). 

Das  Wasser,  oder  genauer  gesagt,  die  Zeit,  in  der  das  Wasser  herrscht, 
die  Regenzeit,  und  die  Oertlichkeiten,  wo  Wasser  im  Ueberfluss  vorhanden 
ist,  verursachen  Krankheiten.  Rheumatismen,  Fieber,  Ausschlag.  Darum 
ist  das  Zeichen  ein  unglückliches,  hat  Krankheit  und  Tod  für  die  davon 
BetrofPenen,  bezw.  unter  ihm  Geborenen,  im  Gefolge. 

Als  Patron  dieses  Zeichens  ist  scheinbar  wieder  das  entgegengesetzte 
Prinzip,  der  Herr  des  Feuers,  angegeben,  Lccocauhqui.  „der  Gelbgesichtige", 
auch  Xiuhtecufli,  „der  Herr  des  Jahres"  (oder  der  Herr  des  Smaragds), 
oder  Xiuhatlatl,  „das  blaue  Wurfbrett",  genannt,  —  mit  gelber  Farbe  im 
Codex  Telleriano-Remensis  und  Yaticanus  A,  mit  rother  im  Codex  Borgia 
und  Yaticanus  B  gemalt,  wobei  aber  immer  der  untere  Theil  des  Gesichts 


G.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     427 

und  ein  quer  über  das  Auge  gehender  Streifen  mit  schwarzer  Farbe  an- 
gegeben ist.  Das  gegensätzliche  Element,  das  Wasser,  ist  als  breiter 
Strom  in  der  That  hier  neben  dem  Gott  zu  sehen.  Daneben  aber  eine 
in  schräger  Kichtung  aufsteigende  Feuersäule,  und  beide  Bilder  zusammen 
sind  nichts  anderes  als  der  hieroglyphische  Ausdruck  der  Phrase  atl-tlachinoüi 
„Wasser  und  Brand'',  die  eine,  und  zwar  die  gewöhnlichste  Bezeichnung 
für  ijaoifotl  „Krieg"  war.  Als  ^avvocato  della  guerra"  wird  in  der 
That  der  Feuergott  von  dem  Interpreten  des  Codex  Vaticanus  A  bezeichnet. 
Zum  Patron  des  Zeichens  aü  „Wasser"  ist  der  Feuergott  wahrscheinlich 
nicht  nur  deshalb  geworden,  weil  die  Mexikaner  bei  atl  „Wasser"  an  atl- 
Üachinolli  „Krieg"  dachten,  sondern  weil  atl  selbst  vermuthlich  ursprüng- 
lich nicht  „Wasser"  oder  nicht  bloss  „Wasser",  sondern  „das  Schleudern, 
das  Werfen,  das  Speerwerfen"  bedeutete,  daher  auch  das  bekannte  In- 
strument, das  Warfbrett,  mit  dem  der  Speer  geschleudert  wurde,  a-tla-tl 
„womit  man  schleudert"  genannt  wurde. 

An  den  Stellen,  wo  die  Regenten  der  Tageszeichen  als  Patrone  der 
zwanzig  Abschnitte  der  TonalamaWs  aufgeführt  werden,  ist  dem  Feuergott 
gegenüber  ein  weissgefärbter  Gott  zu  sehen,  neben  dem  im  Codex  Telle- 
riano-Remensis  und  Vaticanus  A  das  Zeichen  ce  acatl  „eins  Rohr"  an- 
gegeben ist  —  der  Tag  des  Verschwindens  (des  Todes)  QuetzalcoatV s,^  au 
welchem  dieser  Gott  sich  in  den  Morgenstern  verwandelt  haben  soll.  Die 
Interpreten  erklären  daher  diese  Figur  als  das  Bild  Tlauizcalpan  tecutWs, 
des  Morgensterns.  Der  Gott  ist  hier  dem  Feuergotte  gegenübergestellt, 
weil  der  Osthimmel  die  Region  war,  wohin  die  Seelen  der  geopferten 
Krieger. giengen,  und  von  dort  die  aufgehende  Sonne  mit  Gesängen  und 
Tänzen  bis  zum  Zenith  geleiteten. 

10.  iizcuinili  „Hund".  Der  Kopf  des  Thieres  wird  gezeichnet,  schwarz  und 
weiss  gefleckt,  wie  er  auch  im  Codex  Mendoza,  wo  das  Bild  des  Hundes  als 
hieroglyphisches  Element  viel  verwendet  wird,  regelmässig  erscheint.  Mit- 
unter sieht  man  aber  den  Hund  auch  roth  gemalt  (Abb.  103,  oben 
S.  423).  Der  Hand  wurde  bei  den  alten  Mexikanern  als  Schlachtthier 
gemästet.  Nebenbei  aber  spielte  er  eine  wichtige  Rolle  bei  den  Leichen- 
feierlichkeiten. Um  nach  dem  Todtenreiche  zu  gelangen,  musste  die  Seele 
des  Abgeschiedenen  den  Chicunauhapan^  den  „neunfachen  Strom",  über- 
schreiten, und  dies  konnte  nur  mit  Hilfe  eines  rothen  Hundes  geschehen. 
Darum  versäumte  man  nie,  dem  Todten  einen  solchen  Hund  in  das  Grab 
mitzugeben.  Eben  deshalb  ist  aber  auch  die  rothe  Farbe  auszeichnendes 
Merkmal  für  den  Hund  geworden.  Die  Abb.  103  zeigt  gleichzeitig  den 
Hund  mit  abgeschnittenen  Ohrspitzen.  Das  ist  durch  den  lappigen  obern 
Rand  des  Ohres  und  die  gelbe  Farbe  des  Randes  —  in  den  Bilderschriften 
die  gewöhnliche  Bezeichnung  für  todte  Körpertheile  oder  Wundränder  — 
angedeutet.  Es  scheint,  dass  den  Hunden,  ehe  man  sie  dem  Todten  ins 
Grab  nachwarf,    die  Ohrspitze  abgeschnitten  ward.     Denn    dasselbe    rothe 


428  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Ohr  mit  der  abgeschnittenen  Spitze  (dem  gelben,  lappigen,  obern  Rande) 
finden  wir  für  sich  allein  als  Bezeichnung  des  Tageszeichens  itzcuintli  ver- 
wendet (Abb.  104). 

Der  Hund  wird  im  Sahagun  als  „signo  del  fuego",  das  Zeichen 
des  Feuergotts,  und  deshalb  auch  als  das  Zeichen  der  grossen  Herren, 
der  Herrscher  und  Richter  auf  der  Erde,  bezeichnet.  An  diesem  Tage 
wurden  die  Todesurtheile  ausgesprochen  und  die  unschuldig  Eingekerkerten 
freigelassen.  Könige,  die  an  diesem  Tage  erwählt  wurden,  hatten  be- 
sondere Chancen.  Und  die  Menschen,  die  an  diesem  Tage  geboren  wurden, 
wurden  grosse  Herren,  reich  und  mächtig,  freigebig,  lassen  sich  gern  bitten 
und  ertheilen  gern  Gnadengeschenke.  All  diese  Angaben  scheinen  aber 
eigentlich  auf  ce  itzcuijitli  „eins  Hund'',  den  Anfangstag  des  vierzehnten 
Tona/awafZ-Abschnitts,  oder  genauer  vielleicht  auf  den  vierten  Tag  dieses 
Abschnitts,  den  Tag  naui  acatl  „vier  Rohr'%  sich  zu  beziehen.  Der  Tag 
naui  acatl,  dessen  augurische  Bedeutung  vielleicht  „nach  allen  Richtungen 
Feuerbohrer"  gewesen  sein  mag,  war,  wie  wir  aus  Chimalpain  wissen, 
der  Tag  des  Feuerbohrens.  —  auh  ytlemamamalque  yn  tlecuahuitl 
quitlazque  Me,nca  yn  ypan  cemilhuitlapohualli  nahui  acatl  „am  Tage  vier 
Rohr  erbohrten  Mexikaner  Feuer"  —  wird  von  diesem  Autor  bei  dem 
Jahre  1487,  dem  ersten  Regierungsjahre  AuitzotV^,  in  welchem  der  Neubau 
des  grossen  Tempels  eingeweiht  wurde,  angegeben. 

Der  Patron  des  Zeichens  itzcuintli  ist,  bezeichnend  genug,  Mictlantecutli., 
der  Todesgott,  als  solcher,  theils  in  männlicher,  theils  in  weiblicher  Gestalt, 
im  Codex  Borgia  13  (=  Kingsborough  26)  und  an  den  entsprechenden 
Stellen  des  Codex  Yaticanus  B  90  (=  Kingsborough  7)  und  32  (=  Kings- 
borough 80)  gezeichnet.  Neben  ihm  ist  ein  aufgesperrter  cipactli-  (Erd-) 
Rachen,  eine  eingebündelte  Leiche  und  ein  kranker,  Kräuter  (Medizinen) 
in  der  Hand  haltender,  reichlich  Exkremente  und  Harn  lassender  Mensch 
dargestellt.  An  den  entsprechenden  Stellen:  Codex  Borgia  70  (=  Kings- 
borough 45),  im  Vaticanus  B  58  (=  Kingsborough  39)  und  im  Codex 
Telleriano-Remensis  und  Yaticanus  A  ist  wieder  die  Gegensätzlichkeit 
zum  Ausdruck  gebracht:  dem  Todesgotte,  dem  Herrscher  in  der  Unterwelt, 
dem  Repräsentanten  der  Nacht  wird  der  Sonnengott,  Tonatiuh,  der  Herr 
des  Tages,  gegenübergestellt. 

11.  ocomatli  „Affe".  Der  Affe  ist  eine  mythologische  Gestalt.  Darum 
finden  wir  ilm  fast  nie  einfach  realistisch  dargestellt.  Zum  wenigsten  trägt  er, 
nach  Art  der  Fürsten  und  Götter,  Schmuck  in  dem  Ohr  (Abb.  106  unten 
S.  431),  und  zwar  in  der  Regel  den,  wie  es  scheint,  etwas  barbarischen  Ohr- 
schmuck des  Gottes  Tepeyollotl  und  seiner  Begleiter.  Statt  des  sich  nach  vorn 
sträubenden  Kopfhaares  sieht  man  häufig  einen  Busch  grünen  Malinalli- 
Grases  (vgl.  das  nächste  Zeichen).  Gelegentlich  auch  (Codex  Borgia  23 
=  Kingsborough  16)  ist  die  ganze  Figur  in  MalinalU-Gri'as  gekleidet 
(Abb.  107).     Und    im   Codex  Telleriano-Remensi.s    und  Yaticanus  A    trägt 


6.  Tageszeicheii  der  aztekischcii  und  der  Maya-Haudschriftcn  und  ihre  Gottheiten.     4-29 

der  Kopf  des  Affen  regelmässig  die  Kopfbiiide  des  Windgottes  Quetzalcoatl 
(Abb.  105).  —  Der  Affe  hat  Beziehungen  zum  Windgott.  Er  ist  eben  der 
schnelle,  der  flüchtige.  Auch  den  arischen  Indern  ist  der  Affe  Hänuman 
der  vätaja,  der  „Sohn  des  Windes".  Im  Codex  Borgia  und  Vaticanus  B 
findet  sich  wiederholt  eine  merkwürdige  Darstellung,  wo  wir  den  Todes- 
gott und  den  Windgott  Quetzalcoatl  Kücken  an  Rücken  gelehnt  dasitzen 
sehen.  Eine  ganz  gleiche  Darstellung  sieht  man  auch  im  Codex  Laud  11. 
Aber  dort  erblicken  wir,  statt  des  Windgottes,  die  unverkennbare  Figur 
des  Affen  mit  dem  Rücken  gegen  den  Todesgott  gelehnt;  ersterer  hält  das 
Opfermesser,  letzterer  ein  ausgerissenes  Herz  in  der  Hand.  Dass  wir  also 
den  Affen  mit  den  Attributen  des  Windgottes  bekleidet  finden,  kann  nicht 
weiter  Wunder  nehmen.  In  dem  Ausputz  mit  Malmalli-GraH  scheint  sich 
eine  Beziehung  zum  Tode  zu  offenbaren.  Das  Gesicht  des  Affen  imitirt 
den  Todtenschädel.  Und  ganz  an  unsere  Abb.  107  erinnernd,  sehen  wir 
im  Codex  Borgia  71  (=  Kingsborough  44)  das  Skelet,  welches  dem  Sonnen- 
gott den  abgerissenen  Kopf  einer  Wachtel  darbringt,  in  Malinalli-Gras 
gekleidet. 

Der  Affe  ist  lustig  und  spasshaft  und  weiss  seine  Gliedmassen  geschickt 
zu  benutzen.  Darum  werden  auch  die,  unter  seinem  Zeichen  Geborenen 
in  allerhand  —  aber,  wie  es  scheint,  hauptsächlich  brotlosen  —  Künsten 
geschickte  und  erfahrene  Leute,  Künstler,  Sänger,  Tänzer,  Clo^ms  und 
Spassmacher;  die  Frauen  ähnlich,  fröhlichen  Gemüths,  doch  nicht  sehr  ehrbar. 

Als  Patron  dieses  Zeichens  ist  im  Codex  Borgia  13  (=  Kingsborough  26), 
und  entsprechend  im  Codex  Vaticanus  B  32  (=  Kingsborough  80)  ein  Gott 
gezeichnet,  dessen  nähere  Beziehung  durch  einen,  neben  ihm  im  Wasser 
mit  dem  Netz  fischenden  Menschen  zum  Ausdruck  gebracht  ist.  Da  an 
dieser  Stelle  die  Reihe  der  Gottheiten  der  Tageszeichen  mit  der  im  Codex 
Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A,  und  entsprechenden  Stellen  des 
Codex  Borgia  und  Vaticanus  B,  gegebenen  Aufzählung  der  Regenten  der 
Tonalamatl- Ahschmtte  nicht  mehr  übereinstimmt,  indem  der  Gott  hier 
ausgelassen,  und  dafür  am  Schlüsse  der  Reihe  der  Feuergott  hinzugefügt 
wird,  so  lässt  uns  der  Interpret  des  Codex  Telleriano-Remensis,  der 
uns  sonst  die  Namen  für  die  Götter  lieferte,  hier  im  Stiche.  Ich 
glaube  diesen  Gott  in  Codex  Borgia  15  (=  Kingsborough  24),  wo  er  in 
Parallele  zu  Xochiquetzal  stehen  würde,  und  an  verschiedenen  Stellen  des 
Codex  Viennensis  unter  dem  Namen  chicorne  xochitl  „sieben  Blume"  wieder- 
zuerkennen, und  bin  deshalb  geneigt,  in  ihm  ein  männliches  Analogon 
der  Xochiquetzal  anzunehmen,  was  zu  der  oben  gezeigten  Bedeutung  des 
Zeichens  vortrefflich  passen  würde.  Ich  glaube  Beweise  dafür  beibringen 
zu  können,  dass  ihm  der  Name  Xochipüli  „Blumenprinz"  zukommt,  und 
dass  er  als  ein  Gott  des  Reichthums  und  der  Feste  betrachtet  wurde. 

12.  malinalli  wird  von  den  alten  Autoren  als  „cierta  yerva",  „ein 
gewisses     Kraut"     erklärt.      Nach    Peiiafiel    (Nombres    geograficos     de 


430  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Mexico)  ist  es:  —  „uiia  planta  de  los  Uramineos,  conocida  por  „zacate  del 
carbonero",  dura,  aspera,  fibrosa,  qua  fresca  sirve  para  formar  las  saeas 
del  carbon  j  para  sogas  que  las  aseguran",  d.  li.  also  ^Strohseil"  oder 
,,Gras,  aus  dem  mau  Stroliseile  fertigt*'.  Damit  scheiut  die  Etymologie 
des  Wortes  zu  stimmen.  Wir  finden  im  Mölln a:  malma,  onülamalin, 
^torcer  cordel  encima  del  muflo";  malinqui^  malmalli  „cosa  torcida". 

Im  Codex  Meudoza  13,  14,  wird  der  Ort  Malinaltepec  durch  eiuen  Berg 
dargestellt,  der  auf  seinem  Gipfel  eine  krautartige  Pflanze  mit  gelben  Blütlion- 
köpfen  (Abb.  108  S.  431)  trägt.  In  demselben  Codex  41,  11  dagegen  sehen 
wir  denselben  Ort  durch  einen  Berg  bezeichnet,  der  auf  seinem  Gipfel  die 
Abb.  109  trägt,  d.  h.  einen  Todtenschädel,  dessen  Wölbung  gleichsam  er- 
setzt ist  durch  den  grünen,  mit  gelben  Blüthenköpfen  besetzten  Busch 
dieses  Krauts.  Letztere  Kombinatiou  ist  auch  die  übliche  Darstellung  des 
Tageszeichens  malinalli.  Ygl.  die  Abb.  110  (Codex  Telleriano-Remensis). 
Doch  findet  sich  daneben  auch  z.  B.  im  Codex  Borgia  13  (=  Kingsborough 
26)  die  Abb.  111,  welche  den  ganzen  Busch  der  Pflanze  mit  den  gelben 
Blüthenähren  und  zwei  aufgesteckten  Fähnchen  zeigt.  —  Anderwärts  ist 
das  Tageszeichen  durch  einen  blutigen  Kiefer  mit  einer  Zahnreihe  be- 
zeichnet (Abb.  114  Codex  Fejervciry),  denen  noch  bisweilen  ein  heraus- 
gerissenes Auge  (Abb.  113  Codex  Land)  oder  ein  herausgerissenes  Auge 
und  ein  grüner  Busch  hinzugefügt  wird  (Abb.  112  Codex  Land).  Wie 
der  blutige  Kiefer  eine  Darstellung  des  Wortes  malinalli  sein  soll,  ist 
schwer  erfindlich.  Ich  glaube,  dass  der  andere  Name  itlan,  der  in  der 
Liste  von  Meztitlan  für  dieses  Zeichen  gebraucht  wird  und  der  mit  „sein 
Zahn"  übersetzt  werden  kann,  hier  herangezogen  werden  muss.  Yielleicht 
ist  malinalli  aber  auch  noch  in  prägnantem  Sinne  als  das  „herausgebohrte" 
zu  übersetzen.  Das  würde  das  neben  der  Zahnreihe  gezeichnete  Auge 
erklären. 

Das  Zeichen  hat  einen  bösen  Ruf.  Die  alten  Autoritäten  Sahagun 
und  Duran  erklären  es  —  ich  weiss  allerdings  nicht,  ob  vollständig  un- 
beeinflusst  durch  biblische  Traditionen  —  als  Sinnbild  der  Vergänglich- 
keit, das  Gras  des  Feldes,  das  schnell  dahinwelkt.  Duran  hebt  dabei 
die  Yergänglichkeit  des  Uebels  hervor.  Wie  das  Gras  des  Feldes  jedes 
Jahr  welkt  und  im  nächsten  wieder  frisch  ergrünt,  so  verfielen  auch  die 
unter  diesem  Zeichen  Geborenen  jedes  Jahr  in  eine  schwere  Krankheit, 
erholten  sich  aber  wieder  von  derselben.  Sahagun  dagegen  hebt  die 
Yergänglichkeit  des  Glückes  für  die  unter  diesem  Zeichen  Geborenen 
hervor.  Anfangs  vom  Glück  begünstigt,  würden  sie  plötzlich  wieder  ins 
Elend  zurückgeschleudert.  Sie  würden  viele  Kinder  bekommen,  diese 
ihnen  aber  der  Reihe  nach  wegsterben.  Darum,  gibt  er  an,  vergliche 
man  dieses  Zeichen  einem  reissenden  Thier. 

Patron  dieses  Zeichens  ist  ein  Gott,  der  von  den  Interpreten  PätecatU 
der  Gott  des  Weines,  genannt  wird.     Als  Götter    des    Weines    (d.  h.  des 


6.  Tageszeichen  der  aztekischcn  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     431 


■i'd'2  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Pulque,  des  aus  der  Agave  americana  bereiteten  berauschenden  Getränkes) 
werden  im  Sahagun  eine  ganze  Reihe  von  Göttern  angegeben:  Tezcatzoncatl, 
Yiauhtecatl,  Izquitecatl,  Acolhua,  Tlilhua,  PätecaÜ,  Toltecatl,  Papaztac,  Tlal- 
tecayohua,  Ometochtli,  Tepuztecatl,  Chimalpanecatl,  Colhuatzincatl.  Eine  noch 
grössere  Zahl  ist  in  der  Bilderschrift  der  Biblioteca  Nazionale  in  Florenz 
genannt.  Wie  man  sieht,  haben  die  meisten  dieser  Namen  patronymische 
Form.  Man  könnte  vermuthen,  dass  durch  diese  verschiedenen  Namen 
die  besonderen  Marken  des  Getränkes  bezeichnet  worden  seien.  In  Wahr- 
heit bezeichnet  aber  dieses  Patronymikou  den  Gott  als  einen  an  einem 
bestimmten  Ort  oder  in  einer  bestimmten  Landschaft  verehrten. 

Pätecatl  wird  Gemahl  der  Mayauel,  der  Göttin  der  Agavepflanze,  ge- 
nannt, und  ihm  wird  das  besondere  Verdienst  zugeschrieben,  die  narko- 
tischen Wurzeln  entdeckt  zu  haben,  die  man  dem  Pulque  zusetzte,  um 
dessen  berauschende  Wirkung  zu  steigern.  Daher  auch  der  Name,  der 
von  pätli  „medicina"  „Medizinkraut"  abgeleitet  zu  sein  scheint. 

Der  Gott  wird  in  barbarischer  Tracht  dargestellt  (vgl.  Abb.  146,  unten 
S.  439)  mit  einem  Nasenring,  wie  ihn  die  Göttin  Teteoinnan  oder  Tla^olteotl 
trägt,  und  auch  in  der  Tracht  an  die  letztere  Göttin  erinnernd.  Das  ist 
ein  bezeichnender  Zug.  Denn  die  Pulquegötter,  wie  die  eben  genannte 
Göttin  werden  in  derselben  Landschaft,  in  Cuextlan,  in  der  Huaxteca 
heimisch  gedacht.  Der  Gott  ist  mit  kriegerischen  Emblemen  ausgestattet; 
ihm  gegenüber  oder  vor  ihm  herschreitend  ist  ein  Jaguar  gezeichnet,  oder 
in  Adler-  und  Jaguartracht  gekleidete  Krieger.  Das  sind  Sinnbilder  der 
Tapferkeit;  quauhtli  ocelotl  „Adler- Jaguar"  ist  Bezeichnung  der  hervor- 
ragendsten und  tapfersten  Krieger.  Der  Rausch  macht  tapfer;  auch 
durften,  wie  es  scheint,  an  deu  Pulquegelagen  nur  alte  Männer  und 
Soldaten  Theil  nehmen. 

Im  Kultus  sind  die  Pulquegötter  im  Wesentlichen  als  Erntegötter 
gedacht.  Denn  wenn  die  Ernte  eingebracht  ist,  so  ist  es  Zeit,  ein  Fest 
zu  feiern  und  sich  zu  berauschen.  Eine  besondere  Bedeutung  scheint 
dieser  Gott  in  der  an  den  Grenzen  der  Huaxteca  gelegenen  Landschaft 
Meztitlan  gehabt  zu  haben.  Es  w^erden  dort  als  Hauptgötter  genannt: 
Ometochtli,  Tczcatlipuca,  Hueitonantzin,  d.  h.  der  Pulquegott,  der  Gott  der 
Dürre  und  des  Winters  und  die  Göttin  der  Erde.  Von  dem  Gott  des 
Pulque  {Ometochtli)  wird  hier  erzählt,  dass  er  von  Tezcatlipoca  erschlagen 
worden  sei,  dass  aber  sein  Tod  nur  wie  der  Schlaf  eines  Trunkenen  ge- 
wesen, dass  nachher  der  Gott  gesund  und  frisch  wieder  auferstanden  sei, 
—  ein  durchsichtiger  Mythus,  der  uns  den  Wechsel  von  Dürre  und  Regen, 
von  Kälte  und  Wärme,  von  Winter  und  Sommer  veranschaulicht.  Aus 
dieser  mystischen  Bedeutung  des  Pulque's  leiteten  sich  ohne  Zweifel  die 
strengen  Strafen  ab,  die  auf  den  unberechtigten  Genuss  desselben  gesetzt 
waren,  und  die  die  Spanier  so  in  Erstaunen  setzten  und  von  ihnen  als 
Gipfel  pädagogischer  Weisheit  gepriesen  wurden.    Der  Genuss  des  Pulque, 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriftcn  und  ihre  Gottheiten.     433 

ausser  in  den  durch  den  Kultus  streng  vorgeschriebenen  Fällen,  war 
einfach  ein  Sakrileg  und  ward  als  solches  gebührenderweise  mit  dem  Tode 
bestraft. 

13.  acail  „Rohr".  Als  hieroglyphisches  Element  im  Codex  Mendoza 
häufig  durch  die,  aus  den  stengelumfassenden  breiten  Blättern  sich  auf- 
bauende Maisstaude  ausgedrückt.  Als  Tageszeichen  durch  den  Pfeilschaft, 
mit  (Abb.  118,  115))  oder  ohne  Feuersteinspitze  (Abb.  115—117,  oben 
S.  431),  aber  regelmässig  mit,  unterhalb  des  Schaftendes  angebrachten 
Federn  bezeichnet. 

Wie  das  Rohr  inwendig  hohl  und  marklos  ist,  so  sollten  auch  die 
unter  diesem  Zeichen  Geborenen  hohle  Köpfe  ohne  Herz  und  ohne  Ver- 
stand sein,  Leckermäuler,  Müssiggänger. 

Als  Patron  dieses  Zeichens  ist  im  Codex  Borgia  12  (=  Kingsborough  27) 
ein  Tezcatlipoca  mit  verbundenen  Augen  gezeichnet.  Dem  entspricht 
im  Codex  Borgia  69  (=  Kingsborough  46)  eine  Gruppe,  bestehend  aus 
der  Figur  Tezcatlipoca'^  (Abb.  148,  unten  S.  439)  und  eines  Gottes  mit 
ganz  verbundenem  Gesicht,  dessen  Kopf  von  einer  hornartig  gekrümmten 
Mütze  bedeckt  ist,  von  der  ein  Pfeilschaft  ausgeht  (Abb.  149,  unten 
S.  439).  Ganz  die  gleichen  charakteristischen  Attribute  trägt  die  ent- 
sprechende Figur  des  Codex  Vaticanus  A  und  des  Codex  Telleriano- 
Remensis,  die  von  den  Interpreten  als  Itztlacoliuhqui,  Gott  der  Kälte  und 
weiter  der  Verhärtung,  der  Verblendung,  der  Sünde  erklärt  wird  und  dem, 
wie  sie  angeben,  auch  ein  Sternbild  am  südlichen  Himmel  entsprechen 
soll.  Als  Nebenfiguren  sieht  man  im  Codex  Borgia  12  (=  Kingsborough  27) 
einen  seine  Exkremente  fressenden  Menschen,  einen  tlaelquani,  d.  h,  einen 
Sünder,  im  Codex  Borgia  69  (=  Kingsborough  46)  einen  Pulquetopf  und 
einen  am  Boden  liegenden  Menschen,  endlich  im  Codex  Vaticanus  A  und 
Telleriano-Remensis   das  Bildniss  der  gesteinigten  Ehebrecherin. 

Der  Name  Itztlacoliuhqui  bedeutet  „das  Scharfe,  Gekrümmte"  oder 
„das  krumme  Obsidianmesser".  Als  Gott  der  Kälte  wird  Itztlacoliuhqui 
auch  von  Sahagun  bezeichnet.  Der  Zusammenhang  mit  Tezcatlipoca, 
der  in  den  erwähnten  Darstellungen  vorliegt,  spricht  sich  überdies  im 
Namen  —  Itztli,  „der  Obsidian",  ist  einer  der  Namen  Tezcatlipoca' s  — 
und  in  der  Bedeutung  des  Gottes  aus.  Denn  Tezcatlipoca,  „der  rauchende 
Spiegel",  ist  der  Gott  des  Nordens  und  ist  als  solcher  auch  der  Gott  der 
Dürre  und  der  Kälte,  des  Winters  und  der  Dunkelheit,  der  Moloch  der 
mexikanischen  Mythologie.     Und  ebenso  ist  er  der  die  Sünde  strafende  Gott. 

Zu  den  Festlichkeiten  des  Besenfestes  (ochpaniztli),  die  zu  Ehren  der 
Erdgöttin  Teteo  innan  oder  Tod  gefeiert  wurden,  gehört  das  Auftreten 
Cinteotl  Itztlacoliuhqui' &.  Zu  dem  Zwecke  wurde  von  dem  zu  Ehren  der 
Göttin  geköpften  Opfer  ein  Stück  der  Schenkelhaut  entnommen  und  daraus 
die  Maske  Itztlacoliuhqui  gearbeitet.  Die  Maske  bestand  aus  einer  Kapuze 
aus    Federarbeit,    welche    sich    nach    hinten    verlängerte    und    mit    einer 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  28 


434  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

hahnenkammartigen  Krone  endete,  —  die  Beschreibunsi;  entspricht  genau 
der  Art,  wie  die  hornartig  gekrümmte  ^[ütze  Itztlacoliuhqia  ^  im  Codex 
Telleriano-Remensis  und  Yaticanus  A  wiedergegeben  ist.  Mit  dieser  Masken- 
ward  dann  Cinteotl,  der  Sohn  der  Teteoinnan,  bekleidet,  der  in  dieser  Yer- 
kleidune:  bei  den  weiteren  Festlichkeiten  eine  bedeutsame  Rolle  zu 
spielen  hatte. 

Es  hat  zunächst  etwas  Befremdendes,  den  Namen  der  Maisgottheit 
(Cinteotr)  mit  dem  des  Gottes  der  Kälte  {ItztlacoHuhqui)  verbunden  zu 
sehen.  Nach  der  Auifassung  der  Mexikaner  gingen  sowohl  die  günstigen, 
wie  die  schädlichen,  in  einer  Sphäre  sich  geltend  machenden  Einflüsse 
von  derselben,  in  dieser  Sphäre  herrschenden  Gottheit  aus.  Nach  der 
„Historia  de  los  Mexicanos  por  sus  pinturas",  dem  Codex  Fuenleal,  sendet 
Tlaloc  sowohl  das  gute  Wasser,  welches  die  Saaten  wachsen  lässt,  wie  das 
böse,  welches  die  Saaten  ersäuft,  das  kalte,  welches  die  Felder  vereist, 
und  den  Schnee,  der  die  aufkeimenden  Saaten  unter  seiner  Decke  begräbt. 
Der  Interpret  des  Codex  Telleriano-Remensis  erklärt  die  Fruchtbarkeit 
und  Nahrung  spendende  Erdgöttin  Tonacaciuatl  als  „la  qne  causava  las 
hambres",  die  welche  die  Hungersnöthe  verursacht.  Und  nach  Dur  an 
erhält  die  Göttin  der  Maisfrucht  den  Namen  Chicome  coatl  „Sieben  Schlange" 
wegen  des  Unheils,  das  sie  in  den  unfruchtbaren  Jahren  anstiftet,  wenn 
das  Korn  erfriert  und  Hungersnoth  eintritt. 

14.  oceloil  „Jaguar  (Felis  ouQa)".  Man  sieht  das  ganze  Thier  darge- 
stellt, das  durch  das  gelbe  oder  braune,  gefleckte  Fell  und  die  mit  langen,  ge- 
krümmten Klauen  versehenen  Pranken  leicht  kenntlich  ist.  Seine  reissenden 
Eigenschaften  sind  häufig  noch  durch,  in  dem  Umkreis  des  Leibes  ange- 
brachte Feuersteinmesser  besonders  gekennzeichnet.  An  anderen  Stellen 
ist  nur  der  Kopf  gezeichnet  (Abb.  120,  121,  oben  S.  431),  durch  die 
Rundung  und  die  Flecken  ebenfalls  leicht  kenntlich.  Endlich  wird,  wie 
beim  Hunde,  nur  das  Ohr  angegeben  (Abb.  122,  Codex  Fejerväry),  dessen 
Besonderheit  in  der  Breite  und  Rundung  und  in  der  schwarz  gefärbten 
Spitze  liegt. 

Die  kriegerischen  Eigenschaften  des  Thieres  vererben  sich  auch  auf 
die  unter  diesem  Zeichen  Geborenen.  Sie  werden  tapfer  und  unerschrocken, 
aber  auch  gewaltthätig  und  lasterhaft,  insbesondere  in  erotischen  Dingen, 
und  nehmen,  wie  die  Krieger  überhaupt,  ein  unglückliches  Ende.  Auch 
die  Frauen,  die  unter  diesem  Zeichen  geboren  sind,  werden  hochmüthig 
und  lasterhaft. 

Patron  dieses  Zeichens  ist,  nach  Angabe  der  Interpreten,  Tla^olteotl, 
auch  Lvcuina  und  Tlaelquani  genannt.  Der  Name  Tla^olteotl  heisst  „Gott- 
heit des  Unraths"  und  Tlaelquani  die  „Dreckfresserin",  die  „Sünderin", 
die  Göttin  ist  aber  keineswegs  eine  Patronin  der  Sinnenlust  und  der 
Schamlosigkeit  („la  Venere  impudica  e  plebea",  wie  Boturini  angibt), 
sondern  umgekehrt,  eine  Göttin  der  sittlichen  Gebundenheit,  Patronin  der 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     435 

Ehe.  Yor  ihrem  Bilde  steinigte  man  die  Ehebrecherinnen.  Und  die- 
jenigen, welche  sich  in  diesem  Punkte  vergangen  hatten,  waren  genöthigt, 
zu  ihren  Priestern  zu  gehen  und  dort  ihre  Sünde  zu  beichten.  Aber  nach 
mexikanischer  Auffassung  wurden  sie  durch  diese  Beichte  auch  ihrer  Sünde 
vollständig  quitt,  straflos  auch  der  weltliclicn  fiewalt  gegenüber. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  diese  Göttin  mit  der  Erdgöttin 
Teteoinnan  oder  Tod  identisch  ist.  Im  Codex  Telleriano-Remensis  und 
A''aticanus  A  ist  sie  in  die  abgezogene  Haut  des  Opfers  gekleidet  darge- 
stellt und  mit  weissen  Federn  besteckt,  ganz  wie  Torquemada  u.  A.  den 
Putz  der  Erdgöttin  beschreiben.  In  dem  Sahagun-Manuskript  der  Biblio- 
teca  Lanrentiana  zu  Florenz  ist  sie  mit  dem  Besen  in  der  Hand  abgebildet, 
dem  bekannten  Attribut  der  Teteoinnan.  Umgekehrt  ist  das  Bild,  durch 
welches  im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A  der  achte  Monat 
ochpaniztli  bezeichnet  wird  und  welches  unzweifelhaft  die  Erdgöttin  Teteo- 
innan darstellt,  in  Ansehen,  Tracht  und  Ausstattung  in  jeder  Beziehung 
gleich  der  Göttin,  welche  von  den  Interpreten  als  Tlacolteotl  bezeichnet 
wird.  Und  wie  die  Teteoinnan  sich  als  huaxtekische  Göttin  dadurch 
charakterisirt,  dass  bei  ihrem  Hauptfeste  (ochpaniztli)  die  ihr  Gefolge  bil- 
denden Leute  als  Huawteca  verkleidet  einher  2:ieno:en,  wie  P.  Duran  be- 
richtet,  so  erzählt  auch  von  der  Tlacolteotl  der  P.  Sahagun,  dass  sie 
hauptsächlich  von  den  Mixteca  und  Olmeca  —  d.  h.  nach  seiner  Nomen- 
clatur,  von  den  Bewohnern  der  atlantischen  Golfküste  —  und  von  den 
(Juexteca  (d.  i.  Huaxteca)  verehrt  worden  sei,  während  im  Westen,  in 
Michoacan.,  ihr  Kultus  ganz  unbekannt  geblieben  sei. 

Die  fragliche  Göttin  Teteoinnan- Tlacolteotl  finden  wir  in  unseren 
Codices  mit  den  beiden,  über  der  Stirn  wie  Hörner  aufrecht  stehenden 
Flechten  —  der  bekannten  altmexikanischen  Weiberfrisur  —  abgebildet, 
das  Haar  ausserdem  durch  ein  rund  um  den  Kopf  laufendes  Band  aus  un- 
gesponnener  Baumwolle  zusammen  gehalten,  in  welchem  ein  paar  Spindeln 
stecken.  Ein  ähnliches  Band  hängt  aus  dem  durchlöcherten  Ohrlappen 
heraus.  Der  untere  Theil  des  Gesichts  ist  mit  einer  dicken  Lao-e  schwarzen 
Kautschuks  bedeckt  und  in  der  Nase  trägt  sie  denselben  eigenthümlich 
gekrümmten  Ring,  den  wir  schon  bei  Pätecatl  gesehen  haben.  Es  scheint 
sich  hierin  die  landsmannschaftliche  Verwandtschaft  der  beiden  Gottheiten 
zu  erkennen  zu  geben.  A'gl.  Abb.  147,  unten  S.  439.  Das  Gewand  ist 
lebhaft  gefärbt,  meist  in  zwei  Farben,  roth  und  schwarz,  den  Farben  der 
Pulquegötter,  und  mit  grossen,  gelben  (goldenen),  halbmondförmigen  Ver- 
zierungen versehen.  (Die  Huaxteca  waren  berühmt  als  Verfertiger  der 
centzontilmatli  oder  centzon  quachtli,  der  bunten,  vielfarbigen  Mäntel  und 
Decken.) 

Der  Göttin  gegenüber  sieht  man  (Codex  Borgia  Ti  =  Kingsborough  27 
und  an  den  entsprechenden  Stellen  des  Codex  Vaticanus  B)  einen  Tempel, 
in  dessen  offener  Thür    eine  Eule  steht,    —    wie    es    scheint,    das  dunkle 

28* 


43t)  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Haus  der  Erde  bezeichnend.  Im  Codex  Borgia  08  (=  Kingsborough  47) 
und  entsprechend  im  Codex  Yaticanus  B  61  (=  Kingsborough  36)  ist  ihr 
gegenüber  die  Feuerschlange  und  ein  ähnlicher  Tempel,  in  dessen  offener 
Thür  ein  Raubvogel  steht,  der  aber  mehr  an  den  cozcaquauhtli  der  Hand- 
schriften erinnert.  Im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Yaticanus  A  end- 
lich steht  ihr  gegenüber  eine,  in  das  dunkle  Gefieder  eines  Nachtvogels 
gekleidete  menschliche  Gestalt,  —  von  den  Interpreten  als  Abbild  Tez- 
catUpocas,  erklärt.  Andei'wärts  (Codex  Borgia  55  =  Kingsborough  60)  sieht 
man  neben  der  Göttin  das  Bild  des  Moudes  (Abb.  150,  unten  S.  439), 
dargestellt  durch  das  mit  Sternenaugen  besetzte  Dunkel  und  das  Bild  des 
Kaninchens  in  wässerig  blauem  Felde. 

15.  quauhf/i,  der  „Adler".  Das  Thier  ist  theils  in  ganzer  Figur 
(Abb.  125,  oben  S.  431),  theils  nur  als  Kopf  gezeichnet  (Abb.  1*23,  124), 
meist  sehr  naturgetreu  und  leicht  kenntlich,  das  Gefieder  weiss  mit  schwarzen 
Spitzen  oder  schwärzlich.  Die  räuberische  Natur,  wie  bei  dem  Thier  des 
vorigen  Zeichens,  wiederum  durch  Feuersteinmesser  bezeichnet  (Abb.  125), 
welche  an  den  Enden  der  Xackenfedern  oder  in  dem  Umkreis  des  Körpers 
angebracht  sind. 

Das  Zeichen  theilt  in  jeder  Beziehung  die  kriegerischen  Eigenschaften 
des  vorigen,  sowohl  in  Beziehung  der  Männer  wie  der  Weiber,  nur  dass 
(nach  Dur  an)  der  Adler  noch  einen  besonderen  Hang  zu  Raub  und 
Diebstahl  ertheilt. 

Der  Patron  dieses  Zeichens  ist  der  Gott  Xipe  „der  Geschundene ",. 
auch  Totec,  „unser  Herr"  (seüor  terrible  y  espantoso),  und  TlaÜaiihquitezcatly 
„der  rothe  Spiegel",  genannt,  —  der  Gott,  dem  im  zweiten  Monat  das 
Fest  tlacaxipeualiztli,  „Menschenschinden",  gefeiert  ward,  bei  welchem  in 
die  abgezogene  Haut  der  Opfer  gekleidete  junge  Leute  den  Gott  reprä- 
sentirten. 

An  den  hier  angezogenen  Stelleu  der  Handschriften  ist  der  Gott  nicht 
überall  in  typischer  Gestalt  zu  sehen.  Nur  im  Codex  Borgia  67  (=  Kings- 
borough 48)  und  entsprechend  im  Codex  Yaticanus  B  62  (=  Kingsborough  35) 
(Abb.  151,  unten  S.  439)  und  34  (=  Kingsborough  5)  sieht  man  das  mit 
der  gelben  abgeschundenen  Menschenhaut  überzogene  Gesicht,  das  nur 
den  Augenschlitz  erkennen  lasst,  den  brandrothen  Streifen  über  die  ganze 
Länge  der  Backe  und  den  eigenthümlichen  Nasenpflock,  der  die  spitze, 
mit  flatternden  Bändern  umwickelte  zapotekische  Mütze  des  Gottes  nach- 
ahmt. An  denselben  Stellen  ist  vor  dem  Gott  auch  sein  Stab  (Abb.  152, 
unten  S.  439),  der  von  flatternden  weissen,  roth  gestreiften "  oder  roth 
punktirten  Bändern  umwickelte  Rasselstab  chicauaztli,  gezeichnet.  —  Im 
Codex  Borgia  11  (=  Kingsborough  28)  dagegen  und  entsprechend  im  Codex 
Yatikanus  B  30  (=  Kingsborough  78)  sieht  man  einen,  in  der  "Weise 
Tezcatlipoca'' s,  nur  roth  und  gelb,  also  als  Tlatlauhqui  TezcatUpoca  bemalten 
Gott,  der  eine  Todtenhand  vor  der  Nase    hält.     Aber    den   Kopf  bedeckt 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     437 

eine  rothe,  mit  weissen  Federbällen  besteckte  Kapuze  (Abb.  Iö3,  unten 
S.  439),  ganz  ähnlich  der  Schulterdecke,  welche  der  Gott  in  den  vorher 
angeführten  Stelleu  trägt.  —  Im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Yati- 
cauus  A  endlich  ist  ein  Gott,  in  der  Haltung  des  Sonnengottes,  gemalt, 
Waffen  in  der  einen,  eine  Wachtel  in  der  anderen  Hand  haltend.  Doch 
zeigen  auch  hier  die  herabhängenden  Hände  der  abgeschundenen  Menschen- 
haut und  das  in  dachziegelförraig  sich  deckende  grüne  Federn  auslaufende, 
hemd-  oder  kittelarlige  Gewand  den  Gott  Xipe  und  den  tzapotekischon  Gott  an. 
An  allen  Stellen  aber  ist,  als  Symbol  und  Characteristicum  des  Gottes, 
ihm  gegenüber  die  culebra  Quetzalcoatl  gemalt,    die    grüne  Federschlange, 

—  im  Codex  Borgia  10  (=  Kingsborough  '29)  und  entsprechend  im  Codex 
Yaticauus  B  92  und  30  (=  Kingsborough  5  und  78),-ein  Kaninchen,  an  den 
anderen  Stellen  einen  Menschen  verschlingend,  r^  dargestellt. 

16.  cozcaquauhili  heisst:  „Halsbandadler".  "In  Molina's  Wörterbuch 
wird  als  Bedeutung  des  Wortes  angegeben  „aguila  de  cabeza  bermeja'', 
„der  Adler  mit  dem  rothen  Kopf",  und  gemeint  ist  der  Königsgeier, 
Sarcoramphus  papa  Dum.,  von   den   Spaniern   „rey  de  zopilotes"   genannt. 

—  Von  dem  Thiere  ist  stets  nur  der  Kopf  gezeichnet.  Der  Schnabel  ist 
weiss  (beim  Adler  gelb!),  und  über  dem  Auge  ist  die  unbefiederte,  rothe 
Kopfhaut  kenntlich.  Regelmässig  ist  ein  Ohr  mit  Ohrgehänge  gezeichnet 
(Abb.  127  Codex  Borgia).  Mitunter  ist  ihm  auch  eine  Art  Haarperrücke 
(Abb.  128  Codex  Laud)  oder  ein  schleifenartiger  Kopfputz  (Abb.  120 
Codex  Telleriano-Remensis)  gegeben. 

Der  Geier  hat  einen  kahlen  Kopf,  daher  wird  er  zum  Sinnbild  des 
Alters,  des  langen  Lebens,  der  Schwächen  und  Vorzüge  des  Alters. 
Denen,  die  unter  seinem  Zeichen  geboren  wurden,  sagte  man  nach,  dass 
sie  ein  hohes  Alter  erreichen,  und  dass  sie  sich  wie  alte  Leute  ge- 
bahren,  gern  Ratli  ertheilen,  Zuliörer  und  Schüler  um  sich  versammeln 
würden,  u.  s.  w. 

Der  Patron  dieses  Zeichens  ist  ein  mit  Tigerkrallen-  und  Schmetter- 
lingsflügeln versehener  Dämon,  den  die  Interpreten  ItzpapalotL  ,,Obsidian- 
schmetterling",  nennen.  Die  Interpreten,  die  überall  einen  Sündenfall 
wittern,  geben  an,  dass  Xomunco  oder  Xounco,  die  erste  geschaffene  Frau, 
nach  ihrem  Fall  in  diesen  Dämon  verwandelt  worden  sei.  In  allen 
Codices  ist  diesem  Dämon  gegenüber  ein  umgebrochener  Baum  gezeichnet, 
aus  dessen  offener  Wunde  Blut  fliesst.  Die  Interpreten  sagen,  dass  dies 
der  Baum  des  Paradieses  sei,  und  nennen  ihn  deshalb  Tamoanchan  — 
„Haus  des  Herabsteigens",  nach  Sahagun  das  irdische  Paradies,  das 
zu  suchen  die  wandernden  Stämme  sich  aufmachten,  —  oder  Xochitlicacan, 
„den  Ort,  wo  die  Blumen  aufrecht  stehen."  Der  ganze  Mythus,  auf  den 
die  Interpreten  anspielen,  ist  aus  anderen  Quellen  nicht  bekannt. 

17.  o/in  erklärt  Du  ran  als  ,,cosa  que  se  anda  6  se  menea"  und  sagt, 
dass  das  Zeichen  auf  die  Sonne    angewendet  würde.     Wir    haben    in    der 


438 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


That  das  Zeitwort  olini,  oolin  oder  olim'a,  oninolini  „menearse  ö  moverse", 
das  aber  das  obige  AVort  als  Grundwort  voraussetzt.  Dagegen  finden  wir 
ollL  ulli  „Kautschuk"  und  „der  Kautschukball",  mit  welchem  das  nationale 
Spiel  tlachtli  gespielt  ward.  Es  ist  bekannt,  dass  der  Lauf  der  Sonne  am 
Firmament  unter  dem  Bilde  des  Ballspiels  angeschaut  wurde.  Die  beiden 
Antagonisten,  Quetzalcoatl  und  Tezcatlipoca,  die  den  Gegensatz  von  Sommer 
und  Winter,  von  Tag  und  Xacht  zu  repräsentiren  scheinen,  spielen  (nach 
Mendieta  II  c.  5  p.  82)  Ball  miteinander.  Die  beiden  Lichtheroen  der 
Qu'iche,  Hunahpuh  und  Xbalanque,  die  an  einer  Stelle  des  Popol  Vuh  als 
„Sonne"  und  „Mond"  erklärt  werden,  sind  die  berühmten  Ballspieler,  von 


/30, 


deren  Spiel  die  Erde  erdröhnt,  die  auf  die  Herausforderung  der  Fürsten 
der  Unterwelt  in  das  Reich  des  Todes,  Xibalbo,  hinabsteigen  und  nach 
Ueberwindung  der  unterweltlicheu  Mächte  siegreich  wieder  zum  Erdboden 
emporsteigen.  Im  Codex  Borgia  finden  wir  auf  Tafel  35  (=  4  der  Kings- 
borough'schen  Zählung)  die  bekannte  Figur  des  Ballspielplatzes,  tlachco 
(Abb.  154,  S.  440),  von  Sterneuaugen  umsäumt,  darüber  liegend  ein  cipactli, 
aus  dessen  aufgesperrtem  Rachen  das  Gesicht  des  Himmelsgottes  Tonacate- 
cutli  hervorschaut.  Auf  dem  Platze  selbst  spielen  zwei  schwarze  Gottheiten 
Ball.  Der  Ball  des  einen  (Abb.  155)  ist  dunkel  (blau)  gefärbt  und  hat 
das  Ansehen  eines  Todtenschädels ;  der  andere  (Abb.  156)  stellt  eine  gelbe 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     43») 

Strahleuscheibe  mit  einem  Auge  in  der  Mitte  dar.  Das  diese  beiden  Bälle 
die  am  Himmel  aufziehenden  Tages-  und  Naclitgestirne,  Sonne  und  Mond, 
symbolisiren,  erscheint  mir  zweifellos. 

Die  bildliche  Darstellung  des  Tageszeichens  olin  zeigt  zwei  verschieden 
gefärbte  Felder,  das  eine  in  der  Regel  blau,  das  andere  roth,  welche  eine 
mittlere  Rundung  und  zwei  schräg  verlaufende  Enden  haben  und  entweder 
hart  aneinander  liegen,  nur  durch  eine  gelbe  Linie  getrennt  (Abb.  129) 
oder  an  den  Enden  divergiren  (Abb.  130).  Dazu  kommt  in  den  Dar- 
stellungen des  Codex  Telleriano-Remensis  und  Yaticanus  A,  sowie  auf 
Skulpturen  eine  Art  von  Pfeil,  der  eine  Mittellinie  zwischen  den  beiden 
divergirenden  Feldern  herstellt  (Abb.  131).  Der  kleine  Kreis,  in  welchem 
die  beiden  divergirenden  Felder  sich  berühren,  erscheint  in  diesen  mehr 
ausgeführten  Darstellungen  als  Auge.     In  den  runden  Ausbuchtunücn  der 


Felder  sieht  man  hier  und  da  (z.  B.  Codex  Mendoza  42,  22  s.  v.  Olinalaii) 
einen  kleinen  Kreis  markirt.  Das  grosse  Bild  des  Zeichens  olin  endlich, 
welches  das  Zentrum  der  Oberfläche  des  sogenannten  Kalendersteines,  des 
grossen,  unter  König  Axaijacatl  angefertigten  Sonnensteins,  einnimmt,  zeigt 
in  der  Mitte,  statt  eines  Auges,  das  Gesicht  des  Sonnengottes  und  in  den 
runden  Ausbuchtungen  die  krallenbewfiffnete  Pranke  eines  Jaguars.  Als 
besondere  Variante  erwähne  ich  noch  Abb.  132  (Codex  Borgia  10  =  Kings- 
borough  29),  wo,  statt  der  in  der  Mitte  sich  berührenden  divergirenden 
Felder,  zwei  bogenförmig  gekrümmte,  übrigens  ebenfalls  verschieden 
(blau  und  roth)  gefärbte  Stücke  sich  verschlingen. 

Man  hat  neuerdings  (Anales  Mus.  Nac.  Mexico  II)  versucht,  diesem 
Zeichen  eine  bestimmte  astronomische  Bedeutung  beizulegen,  und  es  als 
die  graphische  Repräsentation   des  scheinbaren  l^aufes   der  Sonne,  wie  er 


440 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


im  Verlaufe  eiues  Jahres  sich  darstelle,  erklärt.  Nach  dieser  Aufifassung 
^v^"l^de  der  Pfeil,  der  auf  einigen  Darstellungen  des  Zeichens  olin  zu  sehen 
ist,  die  Richtung  von  Osten  nach  Westen,  und  die  Linien  der  auseinander 
gehenden  Felder  die  Richtungen  bezeichnen,  die  vom  Standpunkte  des 
Beobachters  aus  nach  dem  äussersten  nördlichen  und  äussersten  südlichen 
Punkt  des  Sonnenaufgangs,  bezw.  Sonnenuntergangs,  gehen.  —  Mir  scheinen 
die  beiden  verschieden  gefärbten  Felder  nur  die  helle  und  die  dunkle 
Wölbung,  den  Taghimmel  und  den  Xachthimmel.  zu  bedeuten,  au  welchem 
das  Tages-  und  das  Nachtgestim  entlang  rollen,  wie  der  Kautschukball 
über  den  Ballplatz  fliegt.  Ich  vergleiche  so  das  Tageszeichen  olin  dem 
Felderpaar,  das  in  den  Maya-Haudschrifteu  von  den  viereckigen  Himmels- 
schildorn  herabhängt  und  auf  seiner  Fläche  das  Bild  der  Sonne  oder  des 
Tages  und  des  Mondes  oder  der  Nacht  trägt.     Vgl.  Abb.  löT  u.  158. 

Das  Zeichen  ist  seiner  astrologischen  Bedeutung  nach  zweifelhaft.  Die 
unter  ihm  Geborenen  werden,  nach  Sahagun,  bei  guter  Erziehung  glück- 
lich, bei  schlechter  unglücklich.  Nach  Duran  verheisst  es  den  Männern 
Glück,  es  werden  Sonnenkinder,   glänzend   wie   die  Sonne,   glücklich  und 


■ict. 


ifS 


cJ\\  h ri-  1        ■ 


mächtig,  denn  die  Sonne  ist  die  Königin  unter  den  Gestirnen,  die  unter 
diesem  Zeichen  geborenen  Weiber  dagegen  werden  zwar  reich  und  mächtig, 
bleiben  aber  dumm. 

Als  Patron  dieses  Zeichens  ist  im  Codex  Borgia  10  (=  Kingsborough  ^Oi 
ein  Gott  gezeichnet,  mit  verkrümmten  Händen  und  Füssen  und  heraus- 
hängendem Auge.  Darüber  sieden  in  einem  Topfe  Kopf  und  Gliedmassen 
eines  Menschen.  In  den  entsprechenden  Stellen  (Blatt  93  und  29  = 
Kingsborough  4  und  77)  des  Yaticanus  B  ist,  statt  des  obigen  Gottes,  ein 
Thier,  wie  ein  Coyote,  gefleckt,  mit  sich  sträubendem  Haar  und  herau.s- 
hängender  Zunge,  gezeichnet.  Darüber  aber  sieht  mau  denselben  Topf, 
in  welchem  menschliche  Gliedmassen  kochen.  Im  Codex  Borgia  50  ist 
ein  zähnefletschendes  Ungeheuer  gezeichnet,  mit  Jaguarpranken,  das  mit 
Attributen  Quetzalcoatl' s  ausgestattet  ist  und  einen  zerbrochenen  Knochen 
in  der  Hand  hält.  Aehnlich  in  der  entsprechenden  Stelle  Blatt  G4 
(=  Kingsborough  33)  des  Codex  Yaticanus  B  und  ähnlich  auch  im  Codex 
Telleriano-Remensis  und  Yaticanus  A.  Aber  im  Codex  Borgia  65  (=  Kings- 
borough 50)  und  im  Yaticanus  B  64  (=  Kingsborough  33)   sind  dem  Un- 


G.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     44 1 

geheuer  gegenüber  eine  in  Stücke  gerissene  Schlange,  ein  mit  Bhitstreifen 
versehenes  Gefäss,  Opfergaben  und  das  Sonnonzeiclien  naui  olin  „vier  Be- 
wegung" über  vierfachen  Farbenstreifen  (grün,  gelb,  blau,  roth)  zu  sehen. 
Im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A  dagegen  ist  der  Figur 
gegenüber  ein  anderes  Ungeheuer  gezeichnet,  genau  entsprechend  den 
Figuren,  die  auf  der  Unterseite  der  kleinen  Steinnäpfe  zu  sehen  sind,  von 
denen  Jesus  Sanehez  im  Hand  III  der  Anales  del  Museo  Nacional  de 
Mexico  mehrere  abgebildet  liat,  —  (ein  ganz  gleiches  Gefäss  befindet  sich 
auch  im  Königl.  Museum  für  Völkerkunde  zu  Berlin),  —  und  die  auf  der 


Abb.  159.     qiiaHhxicuUi.     Steinerne  Opfer  blutschale.     Innenseite. 

Innenseite  das  Zeichen  der  Sonne  {naui  olin)  zeigen  (Abl>.  1.')!)).  Das 
Ungeheuer  auf  der  Unterseite  der  Steinnäpfe  (Abb.  KIO)  verschluckt 
ein  Feuersteinmesser  oder  speit  ein  Feuersteinmesser  aus.  Das  an  den 
entsprechenden  Stellen  des  Codex  Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A 
gezeichnete  entlässt  dagegen  aus  seinem  Rachen  eine  Figur,  welche  die 
Attribute  Tlalocs  und  QuetzalcoatVs  vereinigt,  ähnlich,  wie  der  Nauieecatl 
des  Codex  'J'elleriano-Remensis  f.  13  verso  (=  Kingsborough  II.  12)  und 
Vaticanus  A  f.  '20  (=  Kingsborough  28),  —  welche  aber  auf  ihrem  Rücken 
eine  helle  Sonnenscheibe  trägt,  von  der.  wie  es  scheint,  eine  Feuerschlange 
ausgeht. 


442 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


])ie  Interpreten  nennen  die  Hauptfigur  Xolotl  und  erklären  ihn  als 
Herrn  der  Zwillinge.  Das  dieser  Hauptfigur  im  Codex  Telleriano- 
Remensis  gegenüberstehende,  eben  beschriebene  Ungeheuer  mit  der  seinem 
Rachen  entsteigenden  Figur  nennen  sie  Tlalchitoiiatiuh  und  erklären  es 
als  die  Wärme,  die  von  der  Erde  der  Sonne  mitgetheilt  wird,  oder  auch 
als  die  Sonne,  die  hinabsteigt,  um  den  Todten  zu  leuchten. 

In  dieser  sehr  eigenthümlichen  Figur  verknüpfen  sich  verschiedene 
Darstellungen.  Der  Name  Xolotl  bedeutet  „Zwilling";  nach  Sahagun  im 
engeren  Sinne:  eine  Zwillingsbildung  der  Maispflanze;  rnexolotl  eine  doppelte 
Agavepflanze,  axolotl,  die  im  Wasser  lebende  Larve  des  Amblystoma 
mexicanum.     Die  Azteken  betrachteten  eine  Zwillingsgeburt  als   ein  Por- 


Abb.  IGO.     quaidixiccdli.     Steinerne  Opferblutschale.    Unterseite. 


tentum,  als  etwas  Widernatürliches,  Unheimliches,  Unglückbringendes. 
Sie  hatten  den  Glauben,  dass,  wenn  beide  Zwillinge  am  Leben  blieben, 
der  eine  davon  unfehlbar  seine  Eltern  tödten  und  verzehren  würde.  Darum 
tödteten  die  Eltern  gleich  bei  der  Geburt  den  einen  von  den  Zwillingen. 
Der  Zwilling  ist  also  der,  der  getödtet  werden  muss.  Und  darum 
wird  Xolotl  zum  Repräsentanten  des  Menschenopfers.  Als  solcher 
erscheint  er  in  den  Mythen.  Als  die  eben  gescliafPenen  Lichtgestirne, 
Sonne  und  Mond,  am  Himmel  nicht  weiter  gehen  wollten,  beschlossen  die 
Götter,  sich  zu  opfern,  um  durch  ihren  Opfertod  den  Gestirnen  Leben  und 
Bewegung  zu  verleihen.  Nach  Sahagun  ist  Quetzalcoatl  derjenige,  der 
das  Opfer  vollzieht,  und  Xolotl  der,  welcher  sich  weigert,   sich  tödten   zu 


6.  Tageszeichen  der  aztekischeu  und  der  Maja-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     44.3 

lassen,  so  weint,  dass  seine  Augen  aus  den  Höhlen  treten,  und  flieht,^ 
schliesslich  aber  doch  erwischt  und  getüdtet  wird.  Nach  Mendieta  ist 
Xolotl  derjenige,  der  das  Opfer  an  seinen  Brüdern  vollzieht  und  darnach 
sich  selber  opfert.     „Y  asi  aplacado  el  sol  hizo  su  curso". 

Nach  einem  andern  Mythus  ist  Xolotl  derjenige,  der  zu  den  Todten 
liin  ab  steigt  und  von  dort  den  Todtenknochen  holt,  aus  dessen  Stücken 
die  Menschen  entstehen. 

Die  hier  vorliegenden,  oben  beschriebenen  Abbildungen  zeigen  den 
Bezug  auf  das  3Ienschenopfer  in  klarster  Weise:  der  Topf,  in  welchem  die 
3Ienschengebeine  sieden,  —  mit  dem  Menschenopfer  verband  sich  Menschen- 
fresserei, —  die  aus  den  Höhlen  tretenden  Augen,  endlich  die  Beziehung 
zur  Sonne  und  zum  Zeichen  der  Sonne,  —  denn  der  Sonne  wurden  die 
ausgerissenen  Herzen  dargebracht.  Auch  dass  der  Gott  mit  Attributen 
QuetzalcoatVs.  ausgestattet  wird,  —  Quetzalcoatl,  der  Gott  von  Cholula,  ist 
der  Gott  der  Priester,  ist  der  Priester  xot  e^oyj]v.  Endlich  der  sogenannte 
Tlalchitonatiiih,  die  zu  den  Todten  hinabgehende,  von  dem  Ungeheuer  ver- 
schluckte Sonne.  Auch  die  oben  beschriebenen,  übrigens  höchst  sorgfältig 
gearbeiteten  Steinnäpfe,  die  auf  der  Unterseite  dasselbe  Ungeheuer  zeigen, 
sind  von  jeher  als  Kultusgegenstände,  als  Behälter  für  das  Blut  der  Opfer, 
gedeutet  worden. 

18.  iecpail  „Feuerstein".  Es  ist  dies  der  Stein,  aus  welchem  die 
Opfermesser  gefertigt  wurden,  wie  Motolinia  (c.  6  S.  40)  ausdrücklich 
hervorhebt,  —  und  nicht  Obsidiau  {itztli),  wie  man  häufig  angegeben  findet 
und  wie  sogar  im  Sahagun  zu  lesen  ist.  Die  Abbildungen  zeigen  auch 
stets  einen  hellen  Stein,  in  Form  einer  Lanzenspitze,  die  eine  Hälfte 
(Abb.  133,  S.  438)  oder  auch  beide  Enden  blutroth  gefärbt.  Mitunter  ist  die 
zackige  Kante  des  Steines  und  der  muschelige  Bruch  der  Schlagfläche 
deutlich  markirt  (Abb.  134);  die  schneidenden  Eigenschaften  sind  durch 
eine  Zahnreihe  am  Rande  markirt  (Abb.  135,  Codex  Yaticanus  A).  Oder 
es  ist  das  ganze  Steinmesser  in  ein  Gesicht  mit  langen  Schneidezähnen 
(Abb.  136  Codex  Yaticanus  B)  oder  in  einen  Todtenschädel  mit  klaffendem 
Gebiss  (Abb.  137  Codex  Borgia)  umgewandelt.  Im  Codex  Bologna  ist  statt 
des  einfachen  Steinmessers  häufig  eine  schwarze  menschliche  Figur,  die 
einen  tecpatl  als  Kopf  trägt,  gezeichnet  (vgl.  oben  S.  342,  Abb.  2). 

Der  Stein  ist  das  Zeichen  der  Dürre  und  Unfruchtbarkeit,  darum 
bleiben,  nach  Dur  an,  die  unter  seinem  Zeichen  (leborenen,  seien  es 
Männer  oder  Weiber,  unfruchtbar,  ohne  Nachkommenschaft.  Der  Stein  ist 
aber  auch  der  schneidende,  er  liefert  das  Material  für  Waffen  jeder  Art. 
Darum  sind,  nach  Sahagun,  die  unter  seinem  Zeichen  geborenen  Männer 
schneidig  und  tapfer,  ansehnlich  und  reich,  die  Weiber  männlichen 
Charakters,  klug  und  reich.  Nach  dem  Interpreten  des  Codex  Yati- 
canus A  werden  die  unter  diesem  Zeichen  Geborenen  gute  Jäger  und 
Edelleute. 


444  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Als  Patron  dieses  Zeichens  ist  in  allen  Handschriften  die  bald  mehr, 
bald  minder  deutlich  erkennbare,  d.  h.  bald  mehr,  bald  minder  realistisch 
o-ezeichnete  Figur  des  Truthahns  angegeben.  Die  Interpreten  nennen 
ihn  Chalchnihtotolhi,  „das  Smaragdhuhn",  oder  vielleicht  einfach  das  „blaue 
Huhn",  —  die  Farben  grün  und  blau  werden  in  mittelamerikanischen 
Sprachen  vielfach  mit  einander  verwechselt,  —  und  identifiziren  ihn  mit 
Tezcatlipoca.  In  der  That  trägt  der  Vogel  im  Codex  Telleriano-Remensis 
und  Vaticanus  A  an  der  Schläfe  den  rauchenden  Spiegel,  das  Attribut 
Tezcatlipoca^.  Dem  Vogel  gegenüber  ist  im  Codex  Telleriano-Remensis 
und  Vaticanus  A  ein  Jüngling  gezeichnet,  mit  Kopal  und  Kopalbeutel 
{Xiquipilli)  in  der  Hand,  der  mittels  eines  si)itzen  Vogelschnabels  (oder 
eines  vogelschnabelartigen  Instrumentes)  sich  Blut  aus  dem  Ohre  entzieht. 
Im  Codex  Borgia  10  (=  Kingsborough  29)  und  entsprechend  im  Codex 
Vaticanus  B  93  (==  Kingsborough  4)  und  29  (=  Kingsborough  77)  ist  eine 
ähnliche  Kasteiung,  —  das  Opfer  des  eigenen  Blutes,  die  Selbstopferuug,  — 
ausgedrückt  durch  einen  Jüngling,  der  mit  einem  spitzen  Knochen  sich 
das  Auge  ausbohrt  (das  Auge  aus  seiner  Höhlung  treibt,  vgl.  XolotH). 
Ringsum  ein  Kranz  von  blutbesprengtem  Grase.  Das  aus  der  Hierogljjihe 
chalchiuiü  „grüner  Edelstein"  und  einem  Wasserstrom  {atl)  zusammen- 
gesetzte Symbol,  das  mau  daneben  angegeben  findet,  ist  chalchiuhatl  zu 
lesen  und  als  „das  kostbare  AVasser  (der  Kasteiung,  des  Opfers*),  d.  h. 
„das  Blut"  zu  erklären.  Endlich  im  Codex  Borgia  ß-t  (=  Kingsborough  51) 
und  entsprechend  im  Codex  Vaticanus  B  65  (=  Kingsborough  32)  ist  dem 
Chalchiuhtotolin  gegenüber  die  blutbefleckte,  dornige  Spitze  eines  Agave- 
Blattes,  in  einem  Büudel  blutbefleckten  Grases  steckend,  zu  sehen. 
Bekanntlich  wurde  das  Blut,  das  man  sich  durch  Einschnitte  in  die  Zunge, 
die  Ohren  oder  andere  Körpertheile  entzog,  auf  den  Spitzen  von  Agave- 
Blättern  (sogenannten  Maguey- Dornen)  gesammelt,  diese  dann  iu  Gras- 
ballen gesteckt  und  diese  Ballen,  als  Beweis  der  vollzogeneu  Kasteiung, 
dem  Gotte  dargebracht,  bezw.  in  Haufen  auf  den  Mauern  der  Mönchs- 
klöster und  der  Erziehungshäuser  aufgestellt. 

Tezcatlipoca  ist  der  Patron  der  telpochcalli,  der  Junggesellenhäuser, 
einer  Art  von  Klubhäusern,  in  welchen  die  unverheiratheten  jungen  Leute 
die  Xacht  zubrachten  und  die  jüngeren  Leute  von  den  älteren  Kriegern  im 
Waffenhandwerk  unterrichtet  wnirden.  Diese  Häuser  hatten  den  genannten 
sozialen  Zweck  und  gleichzeitig  eine  hervorragende  militärische  Bedeutung. 
Denn  bei  plötzlichem  Allarm  war  hier  gleich  eine  Schaar  waflenfähiger  Männer 
beisammen.  Die  jungen  Leute  wurden  hier  in  strenger  Zucht  gehalten, 
denn  es  war  eine  religiöse  Einrichtung,  und  insbesondere  waren  Kasteiuugen 
und  Blutentziehungen  in  der  genannten  Art,  als  Stählungen  der  Mannheit 
und  Uebungen  in  der  Selbstüberwindung,  durchaus  im  Schwange. 

So  wird  denn  auch  das  Zeichen  tecpatl  den  andern  Kriegs-  und  Jagd- 
göttern, Uitzilopochtli,  dem  aztekischen,  und  CamaMli,  dem  tlaxkaltekischen 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     44.' 


Kriegsgott,  zugeschrieljen,  —  Und  weil  man   bei   dem  Zeichen  an  Kastei- 
ungen und  Blutentziehungen  dachte,  darum  brachten  (nach  Sahagun  4,  21) 
die  Pulquefabrikanten    den    ersten   Pulque  J^^^H^m  Tage,    der   uitztli,       ^o-v^ 
„Dorn'',    (d.  i.    der    beissende,    prickelnde PJ^^^^H    wurde,    dem    Gotte 
Uitzüopochtli  als  Opfer  dar.  ^  ^^^^^) 

19.  quiauiti  „Regen"  wird  im  Codex  Mendoza  mehrfach  durch  fallende 
Wassertropfen  ausgedrückt.  Vgl.  Codex  Mendoza  42,  21  s.  v.  Quiyauhteopan. 
Als  Kalenderzeichen  erscheint  stets  der  Kopf  Tlaloc^s,  des  Regengottes, 
ausgeführt  oder  in  abbreviirter  Form.  Vgl.  S.  438  die  Abb.  138  (Codex 
Telleriano-Remensis),  139  (Codex  Land)  und  140  (Codex  Borgia). 

Das  Zeichen  ist,  wie  das  verwandte  neunte  Zeichen,  ein  unglückliches. 
Blindheit,  Lahmheit,  Kontraktheit,  Aussatz,  Krätze,  Mondsucht  und  Narrheit, 
—  das  sind  die  Gaben,  welche  (nach  P.  Duran)  dieses  Zeichen  den  unter 
ihm  Geborenen  verheisst.  Denn  der  von  den  Bergen  strömende  Regen, 
wie  das  fliessende  Wasser,  sind  nach  mexikanischem  Glauben  die  Krank- 
heitserzeuger. Nach  Sahagun  werden  die  unter  diesem  Zeichen  Geborenen 
(ähnlich,  wie  die  unter  dem  zweiten  Zeichen,  dem  des  Windes,  Geborenen) 
Zauberer,  Wehrwölfe,  übelwirkende  Hexenmeister.  Die  Kaufleute  blieben 
an  diesem  Tage  zu  Hause,  denn  Unheil  und  Krankheit  lauert  an  ihm  auf 
allen  Wegen.  Diese  letzte  besondere  Bedeutung  kommt  indes  diesem 
Zeichen  vielleicht  nur  deshalb  zu,  weil  ce  quiauiti  „eins  Regen",  das  An- 
fangszeichen des  siebenten  TbwaZama^/-Al)Schnitts,  einer  der  Tage  war, 
die  in  dem  in  fünfgliedrige  Säulen  geordneten  TonalamaÜ  den  Anfang 
des  dritten  Viertels,  also  den  Westen,  Ijezeichneten,  dass  also  an  diesem 
Zeichen  die  im  Westen  hausenden,  die  gespenstischen  Weiber,  die  Ciuatete<i, 
die  Seelen  der  im  Kindbett  o-estorbenen  Frauen  Macht  hatten. 

Patron  des  Zeichens  quiauiti  ist  nach  den  Interpreten  Chantico  oder 
Qtiaxolotl  (die  „doppelköpfige"),  die  Gottheit  des  chilli  oder  der  rothen 
Capsicum- Pfefferschote.  Der  Capsicum- Pfeffer  war  das  beliebteste  und 
alltäglichste  Gewürz  in  alter  Zeit,  wie  heute  noch,  in  Mexico.  Er  gehörte 
so  zur  täglichen  Nahrung,  dass  die  Enthaltung  von  ihm  denselben  Werth 
hatte,  wie  in  der  christlichen  Welt  die  Enthaltung  von  Butter-  und  Fleisch- 
speisen. Mit  anderen  Worten,  die  ohne  Pfefifersauce  genossenen  Tortillas 
sind  Fastenspeise.  Die  Gottheit  des  Capsicum-Pfeffers  ward  deshalb  zum 
Sinnbild  des  Fastenbruchs.  Nach  dem  Interpreten  ist  Chantico  der 
erste  Fastenbrecher,  der,  weil  er  vor  dem  Opfer,  —  in  dieser  Zeit  war 
das  Fasten  allgemeine  Vorschrift,  —  einen  gebratenen  Fisch  ass,  von  den 
Göttern  zur  Strafe  in  einen  Hund  verwandelt  ward. 

Dass  es  sich  bei  der  Regentin  dieses  Zeichens  um  Fasten  handelt, 
ist  aus  den  Abbildungen  deutlich  zu  sehen.  Niclit  überall  indes  ist  der 
Fastenbrecher,  die  Gottheit  des  Capsicum,  dargestellt.  Im  Codex  Borgia  9 
(=  Kingsborough  30)  und  entsprechend  im  Codex  Vaticanus  B  94  (=  Kings- 
borough  3)    und  "JS    (=  Kingsborough  76)    ist  ein  Gott  gemalt,   der  nicht 


446  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 

anders,  als  der  Soiinengott,  Tonatiuh,  gedeutet  werden  kann.  Die  be- 
sonderen Kennzeichen,  die  anderwärts  diesen  Gott  bezeichnen,  sind  nicht 
zu  verkennen.  Darüb^||^|^.  davor,  sitzt  im  Kranz  von  blutbesprengtem 
Grase  ein  Jüngling,^^^^BBen  Krug  auf  der  Schulter  hält  und  in  die 
Muscheltrompete  bläs^^^iter  den  Fasten,  die  allgemein  und  von  allen 
zu  halten  sind,  zählt  Sahagun  in  erster  Linie  das  netonatiuhgaualo  oder 
yietonatiuh^aualiztli,  das  „Fasten  zu  Ehren  des  Sonnengottes",  auf.  Das- 
selbe fand,  wie  wir  aus  Sahagun  wissen,  alle  203  Tage,  —  d.  h.  wohl 
am  '203.  Tage  des  Tonalamatl,  d.  h.  am  Tage  naui  olin,  „vier  Bewegung'% 
dem  der  Sonne  geweihten  Tage,  —  statt.  Der  König  zog  sich  zu  diesem 
Zwecke  in  ein  besonderes  Gebäude,  Quaxicalco  genannt,  zurück,  wo  er 
sich  strengen  Bussübungen  hingab.  Man  tödtete  an  diesem  Tage  vier 
Gefangene,  die  man  chachanme  nannte,  zwei  weitere,  die  die  Sonne  und 
den  Mond  repräsentirten,  und  darnach  noch  viele  andere. 

Im  Codex  Telleriano-Remensis  und  Vaticanus  A  ist  eine  gelb  gefärbte 
Gottheit  gezeichnet,  die  lange,  fletschende  Zähne  hat  und  im  Ausdrucke 
au  die  Götterfigur  erinnert,  welche  im  Codex  Yiennensis  mit  der  Bezeichnung 
naui  olin  (dem  der  Sonne  geweihten  Tage)  angetroffen  wird,  welche  aber, 
wie  die  Interpreten  angeben,  eben  jene  Chantico  oder  Quaxolotl  dar- 
stellen soll.  Und  ihr  gegenüber  ist,  als  Gegenstück,  wie  die  Interpreten 
sagen,  mit  Kopalbeutel  und  Zweigbüschel  in  der  Hand,  in  einer  Einfassung, 
welche  an  die  des  fastenden  Jünglings  in  der  eben  besprochenen  Dar- 
stellung erinnert,  Quetzalcoatl-Ce  acatl  gezeichnet,  der  fromme,  die  Gebräuche 
haltende  Priester. 

Im  Codex  Borgia  63  (=  Kingsborough  52)  endlich  und  entsprechend  im 
Codex  Yaticanus  B  66  (=  Kingsborough  31)  sehen  wir  eine  Frau,  in  kost- 
barem Gewände,  das  Haupt  mit  rother  Kapuze  bedeckt,  und  ihr  gegen- 
über einen  Mann,  in  einer  Kiste  eingeschlossen,  mit  Agavedornen  und  Zweig- 
büscheln in  der  Hand.  Chantico  war  die  Göttin  der  Stadt  Xochimilco,  und 
deshalb  auch  die  Göttin  der  Zunft  der  tlatecqur,  der  Steinschneider,  die 
aus  Xochimilco  stammen.  Sie  wird  von  Duran  mit  der  Ciuacouatl,  der 
Göttin  von  Colhuacan  identifizirt,  ist  aber  von  ihr  zu  unterscheiden. 
Chantico  war,  wie  schon  aus  der  Art,  wie  sie  im  Bilde  dargestellt  wurde, 
zu  erschliessen  ist,  und  wie  sich  deutlicher  noch  aus  dem  ihr  gewidmeten 
Kultus  ergibt,  eine  Göttin  des  Feuers.  Und  das  ist  wohl  der  Grund, 
dass  sie  weiterhin  zur  Personifikation  des  brennenden  Gewürzes,  des 
Capsicum-Pfeffers,  und  damit,  wie  wir  gesehen  haben,  zum  Sinnbild  des 
Fastenbruches,  wurde. 

20.  xochiil  „Blume",  erscheint  als  Kalenderzeichen  stets  in  ziemlich 
stylisirter  Form.  Ygl.  Abb.  141  —  145,  oben  S.  438.  Häufig,  wie  man  sieht, 
mit  ^A^urzeln  am  unteren  Ende  gezeichnet.  Mitunter  (z.  B.  im  Codex 
Borgia  9  (=  Kingsborough  30)  trifft  man  auch,  statt  der  einzelnen  Blüthe, 
einen  ganzen,  Blüthen  tragenden  Baum. 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     447 

Die  Blume  ist  das  Symbol  des  Kunst-  und  Geschmackvollen  und  das 
Zeichen  der  Göttin  XochiquetzaU  der  Patronin  weiblicher  Hand-  und  g-e- 
werblicher  Kunstfertigkeit.  Darum  werden,  wie  Duran  und  Sahagun 
übereinstimmend  angeben,  die  unter  diesem  Zeichen  Geborenen  geschickte 
Handwerker,  Maler,  Silberschmiede,  Stoffweber  und  Bildschnitzer,  die 
Weiber  geschickte  Wäscherinnen,  Weberinnen  und  Stickerinnen. 

Die  Tutelargottheit  dieses  Zeichens  ist  in  allen  Handschriften  ziemlich 
übereinstimmend  und  unverkennbar  dargestellt,  —  im  Codex  Telleriano- 
Remensis  und  Vaticanus  A  mit  dem  tzotzopuztli,  dem  Holz,  das  zum  Fest- 
schlagen der  Gewebefäden  dient,  in  der  Hand.  Im  Codex  Borgia  9 
(=  Kingsborough  30)  und  entsprechend  im  Vaticanus  B  94  (=  Kingsborough  3) 
und  28  (=  Kingsborough  76)  ist  über  der  Regentin  dieses  Zeichens  die  Göttin 
Tonacaciuatl^  —  ihre  andere  Modifikation,  —  als  alte  Frau  mit  einge- 
kniffenem Mundwinkel  gezeichnet  und  zwar  am  Mahlstein  beschäftigt,  die 
Maismasse  für  die  Tortillas  mahlend.  Im  Codex  Telleriano-Remensis  und 
Yaticanus  A  sieht  man  der  Xochiquetzal  gegenüber  eine  nächtliche  Gottheit, 
die  in  die  Maske  eines  fabelhaften,  schwarz-  und  blaugefleckten  Thieres 
gekleidet  ist  und  den  rauchenden  Spiegel  Tezcatlipoca's  an  der  Schläfe 
trägt.  Auch  im  Codex  Borgia  &2  (=  Kingsborough  53)  und  entsprechend 
im  Vaticanus  B  67  (=  Kingsborough  30)  ist  ihr  gegenüber  eine  gespenstisch 
aussehende  Gottheit,  —  schwarz,  mit  rundem  Eulenauge,  —  gezeichnet. 
Beide  Figuren  bezeichnen,  wie  es  scheint,  den  Zauberer.  Denn  zu  den 
weiblichen  Kunstfertigkeiten,  die  die  Göttin  repräsentirt,  gehört  auch  die 
Zauberei. 

Ich  gehe  nun  zu  den  Namen  über,  mit  denen  von  den  Völkern  des 
Maya-Sprachstammes  die  20  Tage  bezeichnet  wurden,  und  zwar  führe  ich 
die  Namen  an,  die  (nach  Nunez  de  la  Vega)  im  Gebiet  des  Bisthunis 
Chiapas,  d.  h.  unter  den  Zo'tzü  und  Tzental  im  Gebrauch  waren,  ferner  die, 
womit  die  Qu'iche  und  die  Cakchiquel,  und  endlich  die,  mit  welchen  die  Maya 
von  Yucatan  die  Tage  bezeichneten.  Ich  hebe  gleich  hervor,  dass  einzelne 
dieser  Namen,  ihrer  Bedeutung  nach,  genau  mit  einzelnen  mexikanischen 
übereinstimmen,  dass  diesen  Namen  auch  in  der  Liste  dieselbe  Stellung 
(dieselbe  Nummer),  wie  den  entsprechenden  mexikanischen  zukommt, 
endlich,  dass  dasjenige  Zeichen  (wo.c,  imox),  welches  darnach  in  seiner 
Stellung  dem  Zeichen  cipactli,  dem  Anfangszeichen  der  mexikanischen 
Liste  entsprechen  würde,  auch  in  der  Tzental-  und  in  der  Cakchiquel- 
Liste  das  Anfangszeichen  bildet.  Die  Maya-Aufzählungen  beginnen  freilich 
nicht  mit  diesem,  sondern  mit  dem  an  vierter  Stelle  in  der  Liste  folgenden 
(kan).  So  wenigstens  die  im  Landa  und  in  den  anderen  Autoren  gegebenen 
Aufzählungen.     Ich  finde  indes  im  Codex  Tro  36  und  im  Codex  Cortes  22 

—  das  letztere  Blatt  bildet  die  genaue  Fortsetzung  und  Ergänzung  des  ersteren 

—  die  Tageszeichen  vom  ersten,  dem  Zeichen  iviix^  an  bis  zum  dreizehnten 
aufgeführt  und  darunter,  zum  deutlichen  Zeichen,  dass  die  Reihe  mit  imix 


448 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphcn-Entziffenuif 


begiuneii  soll,  die  Zahlen  von  1 — 13  hingeschrieben.  Aehnlich  beginnt  im 
Codex  Cortes  13 — 18  die  Reihe  der  52  nach  dem  Schema  kan-muluc-ix- 
cauac  zusammengestellten  Tetraden  von  Tageszeichen  mit  dem  Zeichen 
hniv,  bezw.  der  Tetrade  imix-cliicchan-chuen-cih.  Landa  selbst  sagt  an 
einer  anderen  Stelle,  dass  die  Maya  ihre  Tageszählung  oder  ihren 
Kalender  mit  dem  Zeichen  Imn  imix  (d.h.  eins  imix)  beginnen.  Dass 
also  imix  =  imox  =  cipactli  auch  hier  das  eigentliche  Anfangszeichen  der 
Reihe  ist,  unterliegt  mir  keinem  Zweifel. 

Ich  lasse  nun  die  Namen  der  Tageszeichen,  mit  imox-imix-cipactli  be- 


ginnend,  folgen. 

(Tzental) 

(Cakchiquel) 

(Maya) 

1. 

mox  (imox) 

imox 

imix 

2. 

igh 

i'k 

ik 

3. 

votan 

akbal 

■     akbal 

4. 

ghanan 

hat 

kan 

5. 

abagh 

can 

chicchan 

6. 

tox 

camer] 

cimi  {cimiy) 

7. 

moxic 

quell 

manik 

8. 

lambat 

kanel 

lamat 

9. 

molo  (mulu) 

toh 

muluc 

10. 

elah 

tzii 

oc 

11. 

batz 

batz 

chuen 

12. 

euob 

ee 

eb 

13. 

been 

ah 

ben 

14. 

hix 

ijiz 

ix  (hiix) 

15. 

tziquin 

tziquin 

men 

16. 

chabin 

ahmac 

cib 

17. 

chic 

noh 

caban 

18. 

cliinax 

tihax 

e'tznab 

19. 

cahogh 

caok 

cauac 

20. 

aghual 

hunahpu 

ahau 

Die  Analyse  dieser  Namen  und  die  Deutung  der  Zeichen,  welche 
diese  Namen  tragen,  ist  ungleich  schwieriger,  als  die  der  entsprechenden 
mexikanischen.  Die  Namen  sind  aus  der  gegenwärtig  gesprochenen  oder 
uns  bekannten  Sprache  nur  zum  kleinsten  Theil  erklärbar.  Sie  bildeten 
ohne  Zweifel  wohl  den  Bestandtheil  einer  priesterlichen  Geheimsprache, 
welche  alte  Wortformen,  symbolische  Ausdrücke  oder  vielleicht  auch  die 
Formen  verwandter  Dialekte  verwendete.  Die  Zeichen  sind  uns  leider 
nur  aus  yukatekischen  Handschriften  und  von  den  Monumenten  bekannt. 
Bei  den  anderen  Stämmen  haben  bildliche  Darstellungen  sicher  auch  existirt; 
es  hat  sich  aber  kein  Historiker  gefunden,  der  sich  die  Mühe  genommen  hätte, 


().  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Mara-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     449 

<lie  Art  und  die  Formen  dieser  Bilderschriftzeichen  zu  studiren  und  aufzu- 
zeichnen. Die  Zeichen  in  den  Maya-Schriften  selbst  sind,  wie  die  Maya-Hiero- 
glyphen  überhaupt,  abbreviirte,  durch  den  langen  Gebrauch  und  durch  die  Ge- 
wohnheit, auch  komplizirt  zusammengesetzte  Zeichen  in  Räumen  gleicher 
Grösse  unterzubringen,  stark  veränderte,  kursiv  und  abgegriffen  gewordene 
Bilder,  deren  ursprünglichen  Sinn  zu  enträthseln,  vielfach  fast  unmöglich 
scheint.  Immerhin  geht,  wie  wir  sehen  werden,  aus  einer  genaueren 
Analyse  von  AYort  und  Zeichen  doch  hervor,  dass  die  Uebereinstimmung 
der  3Iaya-Listen  mit  der  mexikanischen,  die  an  einzelnen  Stellen  hand- 
greiflich ist,  für  sämmtliche  Zeichen  der  Liste  giltig  anzunehmen  ist. 

1.  mox  (imox),  imox,  imix.  Das  Cakchiquel-Wort  imox  übersetzt  der 
Grammatiker  Ximenez  mit  „Schwertfisch",  also  entsprechend  der  üblichen 
Erklärimg  des  mexikanischen  cipactli.  Ich  vermuthe,  dass  diese  Uebersetzung 
nur  der  Ausdruck  der  Parallelisirung  mit  dem  mexikanischen  cipactli 
ist.!—  Perez  ist  der  Meinung,  dass  imix  durch  Umstellung  aus  iadm 
„Mais"  entstanden  sei.  Doch  widerspricht  dem  die  Cakchiquel-Form 
imox  direkt;  denn  auch  im  Qu'iche  und  Cakchiquel  heissi  ixim  der  „Mais"". 
Vielleicht  liegt  eine  Wurzel  im  zu  Grunde,  von  der  das  im  Maya,  wie  im 
Quiche  und  Cakchiquel  gebräuchliche  Wort  im  „die  weibliche  Brust"  ab- 
geleitet ist. 

Xunez  de  la  Yega,  der  in  den  Canan-lum,  den  „Hütern  des  Dorfs" 
und  in  den  „Löwen  des  Dorfes",  die  auch  Cham  genannt  würden,  die  Er- 
innerung an  Ham,  den  Vater  der  Schwarzen  sieht,  identitizirt  imox  mit 
Ninus,  dem  Sohne  BeFs,  dem  Enkel  Nimrod's,  dem  Urenkel  Chus's,  dem 
Urureukel  Ham's.  Im  Uebrigen,  sagt  er,  hienge  die  Verehrung  des  Lnox  zu- 
sammen mit  der  Ceiba  (d.  i.  Bombax  Ceiba),  „eines  Baumes,  der  auf 
dem  Hauptplatz  ihrer  Dörfer  gegenüber  dem  Gemeindehaus  anzutreffen  ist, 
und  imter  dem  sie  die  Wahl  ihrer  Gemeindevorsteher  vornelmien;  und  sie 
beräuchern  ihn  mit  Eäucherpfannen  und  halten  für  gewiss,  dass  ihre  Ahnen 
in  den  AVurzeln  jeuer  Ceiba  ihren  Wohnsitz  haben.'' 

Die  Ceiba  ist  der  yax-che  der  Maya,  der  „grüne  Baum"  —  oder  auch 
der  „erste  Baum",  der  „Baum  des  Ursprungs",  —  auch  nach  yukatekischer 
Anschauung  der  Ort,  unter  dessen  Schatten  die  Gestorbenen  von  den 
Mühen  des  irdischen  Daseins  ausruhen.  Er  ist  insofern  eine  Parallele 
des  mexikanischen  Tlalocan,  der  Sitz  der  Fruchtbarkeit,  und  ohne  Zweifel 
ein  Symbol  der  Erde,  die  aus  ihrem  Schoosse  alles  gebiert  und  alles 
Lebendige  wieder  in  ihren  Schooss  aufnimmt.  —  Die  symbolische  Bedeutung 
unseres  Zeichens  scheint  demnach  in  der  That  dieselbe  zu  sein,  wie  die 
des  mexikanischen  cipactli. 

Schwieriger  ist  es,  über  das  Bild  ins  Reine  zu  kommen.  Das  Zeichen 
wird  in  den  Handschriften  und  im  Landa  in  ziemlich  gleicher  Weise  ge- 
schrieben (Abb.  161).  Aehnlich  auch  auf  der  rechten  Seite  (U,  5)  der 
Altarplatte  d.es  ersten  Tempels  des  Kreuzes  in   Palenque  (Abb.  162),   auf 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  ^i) 


450 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung'; 


dem  von  Charnay  publizirten  Relief  (Nr.  25,  B,  3)  aus  Lorillard  City 
(Abb.  163)  und  als  hieroglyphisches  Element  in  dem  ebendaher  stammenden 
Relief  Nr.  23  der  Cliarnay' sehen  Sammlung.  Der  dunkle  von  Punkten 
umgebene  Fleck  erinnert  entschieden  an  die  Art,  wie  in  den  Handschriften 
die  Brustwarze  gezeichnet  ist  (Abb.  164;  Codex  Dresden  18  c).  Und  man 
wird  um  so  eher  verleitet,  daran  zu  denken,  als,  wie  oben  angeführt,  das 
Wort  im  die  „weibliclie  Brust"  bedeutet.  Doch  kommt,  wie  es  scheint, 
in  zusammengesetzten   Hieroglyphen    als  Variante    des  Zeichens    imi,v    die 


Abb.  165  vor,  die  in  der  That  nicht  sehr  für  die  eben  gegebene  Erklärung 
spricht.  Es  ist  aber  auch  möglich,  dass  Abb.  165  eine  ganz  andere  Hiero- 
glyphe ist  und  nur  fehlerhaft  für  imia:  gesetzt  worden  ist.  Die  Formen 
der  Bücher  des  CJiilain  Balam  (Abb.  166 — 169)  scheinen  sich  aus  der  ge- 
wöhnlichen Form  der  Handschriften  entwickelt  zu  haben. 

Das  Zeichen  iviiv  erscheint  in  der  Hieroglyphe  Abb.  30  (oben 
Seite  410)  als  auszeichnendes  Merkmal  vor  dem  Kopf  eines  schwarzen 
Gottes  (Abb.  170,  Codex  Dresden  l4c;  Abb.  171,  17l\  Codex  Tro  34*a, 
33*a),  den  ich  mit  dem  Ekchuah  Landa's    identifizire,    weil    ich    ihn    im 


G.  Tageszeichen  der  aztekisclien  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     451 

Codex  Tro  mit  einem  Skorpionschwanz  versehen  finde  (ekchuh  heisst  im 
Maya  der  grosse  Skorpion),  und  der  in  einer  gewissen  Beziehung  zu  einem 
zweiten  schwarzen  (Sötte  zu  stehen  scheint  (Abb.  174,  Dresden  16b; 
Abb.  175,  Tro  32 *a).  dessen  Hieroglyphe  aber,  statt  eines  schwarzen  Ge- 
sichtes, nur  das  grosse,  schwarz  umränderte  Auge  (Abb.  173)  zeigt.  Ekchuah 
ist  nach  Landa  der  Oott  der  Kakaopflanzer,  dem,  nebst  den  Göttern  Chac 
und  Hobnü,  im  Monat  Muan  von  den  Kakaopflanzern  ein  wie  eine  reife 
Kakaoschote  gefleckter  Hund  geopfert  wurde.  Er  ist  aber  auch  der  Gott 
der  Kaufleute  —  der  „Kaufmann"  wird  er  von  dem  Priester  Hernandez 
genannt  (Las  Casas.  Hist.  apolog.  c.  123),  der  den  Namen  allerdings  Echuac 
schreibt,  —  und  auch  Landa  berichtet,  dass  der  Gott  von  den  Reisenden 
angefleht  würde,  dass  er  sie  mit  reichem  Gute  heimkehren  lasse.  Es  sind 
dies  keine  inkongruenten  Züge,  denn  der  Kaufmann  ist  von  Natur 
Reisender,  und  Kakao  bildet  das  Haupthandelsobjekt.  Hernandez  führt 
aber  noch  einen  dritten  Zug  an.  Er  vergleicht  den  Gott  Echuac  der 
<lritten  Person  der  göttlichen  Trinität,  dem  heiligen  Geiste  —  Ticona  (d.  i. 
Itzamna)  sei  Gott  der  Yater  und  Bacab  Gott  der  Sohn  —  und  sagt,  dass 
Echuac  (^Ekchuah)  die  Erde  anfülle  mit  allem,  was  sie  nöthig  hätte.  Dem- 
nach scheint  Ekchuah  der  befruchtende  Gott,  der  Gott  des  Reichthums 
und  des  Reichwerdens,  und  als  solcher  der  Gott  der  Kaufleute  und  Kakao- 
pflanzer zu  sein.  Einem  solchen  Gotte  würde  das  Zeichen  imix  —  das 
Zeichen  der  Fruchtbarkeit  und  des  Gedeihens  —  wohl  anstehen.  Und 
dieser  Umstand  bestärkt  mich  in  der  Vermuthung,  dass  die  Hieroglyphe 
Abb.  30  (oben  S.  410)  und  der  durch  sie  bezeichnete  Gott  Abb.  170 
(S.  450)  in  der  That  auf  Ekchuah  zu  beziehen  sei.  Ob  der  Gott  Abb.  174, 
175,  der  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  173  bezeichnet  wird,  nur  als  eine 
andere  Auffassung  derselben  Grottheit,  etwa  als  Gott  der  mit  der  Last  auf 
dem  Rücken  Wandernden,  zu  betrachten  sei,  lasse  ich  dahingestellt.  Das 
Strohseil,  das  er  um  den  Kopf  trägt,  könnte  das  in  der  Regel  aus  Stroh- 
geflecht hergestellte  Band  bezeichnen  sollen,  das  die  Träger  sich  über 
die  Stirn  legten,  um  an  ihm  die  auf  dem  Rücken  ruhende  Last  zu  be- 
festigen. 

In  ganz  gleicher  Weise,  wie  bei  der  Hieroglyphe  Abb.  30  (oben 
S.  410),  finden  wir  das  Zeichen  imix  auch  als  auszeichnendes  Merkmal 
an  der  Hieroglyphe  eines  Vogels,  der  als  Vertreter,  Genosse  oder  Symbol 
des  Regengottes  Chac  auftritt.  Vgl.  Abb.  176  (Dresden  35c)  und  177  —  178 
(Dresden  38b).  Auch  hier  scheint  durch  das  Zeichen  imix  die  Idee  der 
Fruchtbarkeit,  des  Gedeihens  übermittelt  werden  zu  sollen. 

In  einer  Anzahl  Hieroglyphen  tritt  das  Zeichen  imix  für  einen  eigen- 
thümlichen  Thierkopf  ein,  dessen  besonderes  Merkmal  ist,  dass  über  dem 
Auge  das  Element  akbal  angegeben  ist.  So  in  den  Hieroglyphen  Abb.  179 
bis  182  (Dresden  2!)— 30b),  Abb.  183-184  (Tro  Uc)  und  Abb.  185—186 
Tro  IIa),  die,  hinter  den  Hieroglyphen  der  Himmelsrichtungen  stehend,  die 

29* 


452  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphcu-Entzifferung. 

iliesou  präsidiroudoii  Gottheiten  ausdrücken  zu  sollen  scheinen;  und  zwar 
finden  "vvir  hier  statt  des  erwähnten  Thierkopfes  einerseits  das  Zeichen  imix, 
andererseits  das  Element  Abb.  165,  endlich  auch  das  Element  Abb.  187,  dem 
wir  schon  in  den  Hieroglyphen  der  vertikalen  Richtung  (Abb.  17,  22,  23) 
begegneten,  und  das  auch  in  anderen  Hieroglyphen  als  Homologon  der 
Abb.  IGö  anzutreffen  ist. 

Die  Thierköpfe,  die  man  in  diesen  Hieroglyphen  sieht,  scheinen  den 
Blitz    in    den  Händen   tragende  Genossen  des  Regengottes  Chac    zu    sein. 
Wie    das    Zeichen    imia-  dazu    kommt,   diesen    gleich    gesetzt    zu   werden, 
darüber  wage  ich    keine  bestimmte  Meinung  zu  äussern.  —  Doch  erlaube 
ich  mir  noch  auf  ein  Paar  andere,  ebenfalls  das  Element  imLv  enthaltende 
und  ebenfalls  ohne  Zweifel  zu  Attributen  des  Regengottes  Chac  in  Beziehung 
stehende  Hieroglyphen  aufmerksam  zu  machen.   Das  ist  zunächst  die  Abb.  188 
(S.450),  die  im  Codex  Dresden  44  (l)a  dem  einen  Fisch  in  der  Hand  haltenden 
Chac  als  Sitz  dient,  und  die  neben  dem  Element  imix  das  Element  Abb.  QQ 
enthält,    das    wir    oben    (S.    414)    als    Homologon     der    hieroglyphischen 
Elemente,    die   „Mann",    „Mensch''    bedeuten,    angetroffen  haben.     Ferner 
die    Abb.    189,    in   der  neben  den  vorigen  Elementen    noch  das    Element 
der  Yereinigung  (vgl.  die  Hieroglyphen  Abb.  75 — 79,  oben  S.  414)  enthalten 
ist.     Sie  steht  im  Codex  Dresden  67  b  in    dem  Texte    (gleich    hinter    der 
durchgehenden  Hieroglyphe    Abb.   37,    oben  S.   414),  wo   die   Darstellung 
den  mit  dem  Beile  in  der  Hand  im  Wasser  watenden  Chac  zeigt.     Endlich 
die  Abb.  190,  die  wir  im  Codex  Dresden  40c  (ebenfalls   gleich  hinter  der 
durchgehenden    Hieroglyphe    Abb.  41,    oben   S.  414)    finden,    wo  das    be- 
gleitende Bild  uns  den  im  Kahne   auf  dem  Wasser  fahrenden  Chac  zeigt. 
Bemerkenswerth  ist  die  Vergesellschaftung  des  Zeichens  imix  mit  dem 
Zeichen  kan.     Für  das  letztere  werde  ich  unten  wahrscheinlich  zu  machen 
suchen,  dass  es  im  engeren  Sinne  den  Maiskolben  bedeutet.     Es  erscheint 
daher  sehr  regelmässig  unter  den  den  Göttern  dargebrachten  Gaben.     Hier 
ist  nun  in  einer  ganzen  Anzahl  von  Stellen  theils  über,  theils  neben  dem 
Zeichen  kan  das  Zeichen  imix  zu  sehen.  Vgl.  Abb.  191,  S.  450  (Codex  Tro  6  b). 
Dieselbe    ^aw-z'mw'- Gruppe     finden     wir    auch     in     der    Hieroglyphe 
Abb.  192 — 195  (Dresden  5c  7c,  Tro  20* b,  Perez  13),  von  der  ich  in  einer 
früheren  Abhandlung  (vgl.  oben  S.  394)  nachzuweisen  gesucht  habe,    dass 
sie  den  Kopal,    bezw.    das  Darbringen  von  Räucherwerk,  bezeichnet,  und 
die  wir  als  sehr  gewöhnliches  Attribut  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Göttern 
vorfinden,  insbesondere  aber  bei  demjenigen,  den  ich  als  den  Gott  mit  dem 
^aw-Zeichen  bezeichnet  habe  (vgl.  Abb.  31,  oben  S.  410),  dem  Assistenten 
des  Licht-  und  Himmelsgottes  Itzamnä.    Bei  diesem  steht  die  Hieroglyphe 
Abb.  192—195    in    der  Regel    unmittelbar    hinter    der    Haupthieroglyphe, 
während    sie    bei    den    anderen  häufig  erst  an  dritter    oder    vierter  Stelle 
kommt.     Mitunter  sehen   wir  diese  Xaw-Mm^-Hieroglyphe  geradezu  als  Be- 
zeichnung dieses  Gottes  verwandt:    z.  B.   im   Codex  Dresden  KJa,   wo   die 


6.  Tageszeichen  der  aztekischeii  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     453 

Fraueiig-estalt,  die  den  Gott  mit  dem  /ta/i-Zeicheii  auf  der  Rückentrage 
liaben  mflsste,  an  Stelle  dessen  in  einem  geschlossenen  Sack  die  kan-imix~ 
(iruppe  führt.  Und  ähnlich  die  Abb.  li)6  und  li)7,  die  die  kan-imir-Gvn^^Q 
auf  einer  Matte  oder  einem  Kissen  zeigen,  und  die  im  Codex  Tro  20*d 
und  l!»*d  im  Text,  wie  es  scheint,  statt  der  Hauptliieroglyphe  dieses 
Gottes  vorkommen. 

2.  igh,  i'k,  ik.  Das  Wort,  auch  in  dem  Maya-Lexikon  von  Perez  mit 
der  besonderen  Form  des  k  geschrieben,  die  die  den  Letras  heridas  eigene, 
besondere  Weise  der  Aussprache  anzeigt,  bedeutet:  „Wind'',  „Hauch", 
„Athem",  „Leben",  „Geist".  So  wenigstens  in  dem  Idiom  von  Yucatan  in 
allgemeinem  (iebrauch.  Desgleichen  im  Tzental.  Weniger  häufig  scheint 
das  Wort  in  den  Guatemala-Sprachen  verwendet  worden  zu  sein.  Es  tritt 
dafür  zum  Theil  das  Synonym  teu,  teuh  =  Maya  ce-el,  das  eigentlich 
„Kälte"  bedeutet,  ein.  Oder  aber  es  wird  das  Wort  cakt'k,  caquik  im 
Ixil  cahik^  gebraucht.  Das  ist  aber  weiter  nichts,  als  ein  Compo- 
sitam,  das  dem  Maya-Wort  chac-ik-al^  der  „6'Aoc-Wind",  „Regenwind", 
„Sturmwind",  entspricht.  Denn  Qu'iche-Cakchiquel  cak  ist  gleich  Maya 
chac.  So  wenigstens  in  der  Bedeutung  „roth",  aus  der  sich  vielleicht 
auch  der  bekannte  Name  des  Regen-  und  Sturmgottes  der  Maya  entwickelt 
hat.  Wir  sehen  also,  dass  auch  im  Qu'iche-Cakchiquel  das  Wort  i'k 
„Wind"  bedeutet.  In  der  Benennung  entspricht  demnach  dieses  zweite 
Zeichen  dem  zweiten  mexikanischen  {eecatl)  vollkommen. 

Abb.  198  (s.  folg.  Seite)  zeigt  die  Form,  welche  das  Zeichen  bei  Landa 
hat.  Abb.  199—206  sind  Formen  des  Codex  Tro;  Abb.  212—215  Formen 
des  Codex  Perez.  In  der  Dresdener  Handschrift  finden  wir  meist  Formen  in 
der  Art  der  Abb.  207 — 209;  daneben  kommt  auch  die  Form  Abb.  210  vor 
(Dresden  55a);  einige  Male,  doch  selten,  die  Form  Abb.  211  (z.B.  Dresden  73 
unten).  Die  Formen  des  Codex  Perez  (Abb.  216,  217)  ähneln  den  ge- 
wöhnlichen der  Dresdener  Handschrift.  —  Der  Vergleich  der  Abb.  210 
lässt  vermuthen,  dass  auch  die  Abb.  218 — 220,  die  sich  auf  der  linken  Seite 
(C.  9;  E.  9;  F.  12)  der  Altarplatte  des  ersten  Tempels  des  Kreuzes  in  Palenque 
vorfinden,  sowie  die  grosse  Anfangshieroglyphe  der  Altarplatte  des  zweiten 
Tempels  des  Kreuzes  in  Palenque  (Abb.  221)  unser  Zeichen  enthalten. 
Und  ebenso  die  noch  kalligraphischer  ausgeführte  Hieroglyphe  Abb.  222 
der  Cedernholzplatte  von  Tikal.  —  Die  Bücher  des  Chilam  Balam  haben 
die  Formen  Abb.  223—226. 

Was  der  ursprüngliche  Sinn  dieses  Zeichens  ist,  ist  schwer  zu  sagen. 
Die  Abb.  210  und  die  Formen  der  Monumente  —  falls  wir  dieselben  richtig 
angezogen  haben  —  würden  vermuthen  lassen,  dass  das  Windkreuz,  bezw. 
die  aus  demselben  hervorgegangene  Figur  des  T^u,  der  Ursprung  der 
Zeichnung  war.  Damit  lassen  sich  indes  die  Formen  des  Codex  Tro  nur 
sehr  schwer  zusammenreimen.  Die  letzteren  erwecken  mehr  die  Vor- 
stellung des  von  oben  Herunterhängens.     Ich  denke  dabei  an  die  Figuren. 


454 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglvphen-Eutzifferung. 


die  man  im  Codex  Dresden  44  (1),  45  (2)  und  eutspt-ecliend  im  Codex 
Cortes  2  von  den  viereckigen  Himmelssohildern  lierunterliäugen  sieht,  und 
die  mir  in  der  That  die  Götter  der  vier  Himmelsrichtungen,  die  Sturm- 
geuieu  und  Wiudgötter,  zu  bezeichnen  scheinen.  Damit  würde  denn  auch 
zusammenstimmen,  dass  wir  in  dem  Zeichen  cauac  (das,  wie  ich  nach- 
weisen werde,  den  Gewitterregen  bezeichnet,)  das  gleiche  Element,  und 
zwar  neben  dem  Kreuz,  vorfinden.     Und  unter  dieser  Anschauung  würden 


5)fl0 


Vi^^^  in. i'i^ — ^.  ^/y. 


u/1       25*-.       (tf 


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wir  auch  die  Formen  der  Bücher  des  Chilam  Balam  verständlicher  finden, 
die  in  der  That  von  den  Figuren,  die  das  Zeichen  cauac  in  denselben 
Büchern  aufweist,  sich  kaum  unterscheiden. 

Von  interessanten  A^orkomranissen  des  Zeichens  ik  erwähne  ich  zu- 
nächst sein  Vorkommen  als  Emblem  auf  dem  Schilde,  den  im  Codex 
Tro  24a  der  schwarze,  die  Züge  Chacs  tragende  Gott  am  Arme  führt. 
Vgl.  Abb.  227.  —  Als  Schildemblem  begegnen  uns  sonst  und  zwar 
ebenfalls    bei   Chac  —  einmal  das  Zeichen  ir,    das  einen  Jaguar  oder  ein 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     455 

Jaguarfell  bedeutet,  ein  anderes  Mal   eine  gewundene  kreuzförmige  Figur 
oder  auch  drei  horizontale  Striche. 

Ein  weiteres  interessantes  Yorkommen  ist  in  den  Abb.  228 — 231, 
die  im  Codex  Tro  16* — 15*cd  in  der  Hand  einer  Reihe  sitzender  Götter- 
tiguren  zu  sehen  sind.  Die  Darstellungen  schliessen  sich  an  eine  Reihe 
anderer  an,  in  denen  die  Götterfiguren  theils  Köpfe  mit  geschlossenen 
Augen  in  der  Hand  halten,  theils  einen  Kopf,  den  sie  in  der  Hand  halten, 
mit  dem  Beil  bearbeiten.  Und  es  folgen  ihnen  andere  Darstellungen,  in 
denen  die  (Jötterfiguren  mit  dem  zugespitzten  Ende  eines  Knochens  in 
■das  Auge  eines  Kopfes,  den  sie  in  der  Hand  halten,  bohren.  Ich  habe 
schon  in  einem  der  vorhergehenden  Aufsätze  (vgl.  oben  S.  404,  405) 
«rwähut,  dass  diese  Blätter  vermuthlich  auf  das  Schnitzen  von  Idolen  aus 
Holz  zu  beziehen  -sind,  ein  Geschäft,  das  von  den  Yukateken  für  besonders 
schwierig  und  gefährlich  gehalten  wurde,  zu  dem  man  sich  in  ernst- 
haftester Weise  vorbereiten  musste,  und  dass  nur  unter  Beobachtung  einer 
Reihe  von  Enthaltsamkeitsvorschriften  und  in  Abgeschlossenheit  von 
profanem  Verkehr  ausgeführt  werden  konnte.  Die  Darstellung  beginnt 
wahrscheinlich  schon  auf  Blatt  24* c  mit  dem  Fällen  der  Bäume,  welchem 
sich  die  Reihe  von  Göttern  anschliesst,  die  einen  in  einen  Ring  zusammen- 
geflochtenen Riemen  in  der  Hand  halten  und  vor  den  in  der  Mitte  zer- 
schnittenen Bäumen  dargestellt  sind.  Das  sind  diejenigen,  die  den  ge- 
fällten Baum  aus  dem  Walde  zu  holen  haben.  Darüber  scheint  in  der 
Abtheilung  b  des  Blattes  23*  die  Verehrung  des  Baumes,  bezw.  die  Ver- 
söhnung des  Gottes  des  Waldes,  zur  Anschauung  gebracht  zu  sein.  Die 
mittleren  Abtheilungen  von  Blatt  21*  möchte  ich  auf  die  Konsultation  der 
Priester  beziehen,  Blatt  20*c  auf  die  Reinigung  der  Theilnehmer, 
Blatt  20*  19* ab  auf  das  Abschiednehmen  von  den  Weibern  und  Blatt  20* 
19*d  auf  das  Hintragen  von  Lebensmitteln  in  die  Hütte,  in  der  die  Arbeit 
ausgeführt  wird,  und  die  die  Künstler  während  der  ganzen  Dauer  der 
Arbeit  nicht  verlassen  dürfen.  Darnach  beginnt  auf  Blatt  18*  17*ab  die 
eigentliche  Arbeit  mit  der  Selbstopferung,  der  Darbringung  von  Blut,  das 
man  aus  dem  durchstochenen  Ohr  und  der  durchschnittenen  Zunge  erhält, 
und  (Blatt  17*a)  mit  dem  feierlichen  Opfer  an  die  Gottheit,  deren  Abbild 
aus  Holz  geschnitzt  werden  soll.  Und  auf  denselben  Blättern  ist  dann  in 
der  untersten  Abtheilung  das  Bearbeiten  des  Kopfes  —  d.  h.  wie  ich  oben 
8.  404,  405  schon  ausgeführt  habe,  der  Figur  —  mit  der  Axt  dargestellt. 
Weiter  sehen  wir  auf  Blatt  17 *c,  wie  die  halbfertigen  Figuren  in  grosse 
Thongefässe  gelegt  und  zugedeckt  werden.  Und  dann  folgt  Blatt  16*  15*b 
noch  einmal  das  Bearl)eiten  der  Köpfe,  d.  h.  der  Figuren,  mit  der  Axt, 
dem  sich  auf  Blatt  15*  14*c  und  Blatt  14*d  das  Ausbohren  (der  Augen 
und  anderer  Oeffnungen?)  mit  einem  zugespitzten  Werkzeuge  aus  Knochen 
anschliesst.     Dabei  beobachtet  man  nun,  dass  die  Köpfe,  die  auf  Blatt  18* 


45(>  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglypheu-EntziÜening. 

17*d  mit  der  Axt  bearbeitet  werden,  geschlossene  Augen  haben,  also 
als  tot  gedacht  sind,  während  die  Köpfe,  die  auf  Blatt  Ki*  15*b  mit  der  Axt 
bearbeitet  werden,  und  weiterhin  die,  die  mit  dem  Bohrwerkzeug  be- 
arbeitet werden,  offene  Augen  haben,  oder  geradezu  sclion  mit  den  Zügen 
einer  Gottheit,  des  Gottes,  dessen  Gesicht  aus  den  AVindungen  eiuer 
Schlange  gebildet  ist  (vgl.  Abb.  33,  oben  S.  -tlO),  ausgestattet  sind.  Und 
gerade  zwischen  diesen  beiden  Darstellungen,  der  Ausführung  der  Arbeit 
an  der  toten  Figur  (dem  Kopf  mit  den  geschlossenen  Augen)  und  der 
Ausführung  der  Arbeit  an  der  lebendigen  Figur  (dem  Kopf  mit  den 
offenen  Augen  und  dem  mit  den  Zügen  des  Gottes)  stehen  die  beiden  Reihen 
Blatt  IG*  15*cd.  auf  denen  wir  die  Götter  mit  den  in  Abb.  228 — 231 
wiedergegebenen  Gegenständen  in  der  Hand  abgebildet  sehen,  deren 
wesentlichstes  Element  die  Hierogly])lie  ik  „Wind"  ist.  Da  die  Reihe 
„Wind",  „Hauch",  „Athem",  „Leben"  eine  natürliche,  ich  möchte  sagen.^ 
nothwendige  Begriff-  und  Gedankenentwickelung,  darstellt,  so  kann  ich 
hier  dieses  Ueberb ringen  der  Gegenstände  mit  dem  Elemente  ik  nicht 
anders  als  das  Lebendigmachen  der  Figuren,  das  Einsetzen  des 
Herzens  in  die  Figuren  deuten.  Die  Gegenstände  selbst,  die  gebracht 
werden  (Abb.  228 — 231)  möchte  ich  geradezu  als  Herzen  bezeichnen, 
indem  ich  die  gekrümmten  Figuren  darüber  als  die  abgerissenen  Aorten- 
enden auffasse  (vgl.  die  Zeichnung  des  Herzens  in  mexikanischen  Bilder- 
schriften Abb.  232 — 234),  oder  vielleicht  auch  als  Ausdruck  des  Dämpfens 
und  Rauchens  des  frisch  herausgerisseneu  Herzens,  oder  des  Blutens, 
wofür  —  will  man  mexikanische  Analogien  gelten  lassen  —  insbesondere 
die  Figur  Abb.  229  sprechen  würde.  —  In  dem,  diese  Bilder  begleitenden 
Texte  findet  der  Vorgang  in  den  Hieroglyphen  Abb.  235  —  239  und 
Abb.  240,  241  seinen  Ausdruck.  Diese  werden  wir  ungezwungen  als  das 
Ueberbringen  des  Herzens  (Abb.  235,  236),  üeberbringen  des  Verbindenden 
(Abb.  237),  Ueberbringen  des  leuchtenden  Edelsteins,  d.  h.  natürlich  des 
Herzens  (Abb.  238,  239;  240,  241)  deuten  können.  Begleitet  sind  diese 
Hieroglyphen  von  der  Hieroglyphe  Abb.  242,  die  ich  sonst  auf  das  Gefiederte, 
den  Vogel,  bezogen  habe. 

Aehnliche  Gegenstände,,  wie  die  Abb.  228 — 231,  die  ich  für  Herzen 
halte,  und  in  denen  ebenfalls  das  Zeichen  ik  zu  sehen  ist  (vgl.  Abb.  245 
bis  246),  werden  im  Codex  Tro  6*  und  5*c  von  Göttern  auf  hohen 
Stangen  getragen.  Hier  kann  man  an  den  yoUotopiUi,  den  Stab  mit 
dem  Herzen,  das  Abzeichen  des  mexikanischen  Gottes  Macuil  xochitl 
denken.  Der  Text  zeigt  ausser  den  Hieroglyphen  der  Personen  und 
einer  durchgehenden  Hieroglyphe  (auf  die  ich  unten  noch  zu  sprechen 
kommen  werde,  und  die,  meiner  Ansicht  nach,  das  Herabkommen  zum 
Opfer  bedeutet),  einmal  die  Hieroglyphe  Abb.  247,  das  andere  Mal  die 
beiden  Hieroglyphen  Abb.  248—249,  wo  die  letztere  eine  der  Hieroglyphen 
der  vorher  ano-eführten  Stellen  wiederholt. 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  nnd  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     457 

Hat  nun  aber  das  Zeichen  ik  die  in  Vorstehendem  angenommene  Be- 
ziehung- zum  Herzen,  zum  Leben,  so  ist  es  nicht  weiter  wunderbar,  dass 
wir  es  auch  direkt  unter  den  Darbringungen  finden,  und  zwar  nicht 
etwa  bloss  in  der  Hand  des  Todesgottes,  als  Verkehrung  des  wirklichen 
Opfers  in  ein  nichtiges,  windiges,  eitles,  sondern  wohlgemci-kt  unter  den 
übrigen  Darbringuugen,  ja,  wie  ich  annehme,  als  das  Kostbarste,  als  das  Herz, 
das  Leben.  Es  tritt  in  der  Beziehung  das  Zeichen  ik  ganz  gleichwerthig 
dem  Zeichen  kan  auf.     So  z.  B.  im  Codex  Tro  30c,  *29d. 

(Jeradezu  in  der  Bedeutung  „Herz"  scheint  das  Zeichen  ik  auf  Blatt  25 
des  Codex  Tro  verwendet  zu  werden.  Hier  ist  eine  Göttin  dargestellt,  die 
anscheinend  die  tödtlichen,  verderblichen  Eigenschaften  des  Wassers  ver- 
sinnbildlicht. Sie  ist  mit  der  blauen  Schlange  gegürtet.  Unten  an  ihrer 
rechten  Seite  befindet  sich  ein  Todtenschädel  mit  dem  ausgerissenen  Auge, 
zu  ihrer  linken  das  Zeichen  ik  (Abb.  250),  ganz  wie  man  in  mexikanischen 
Codices  bei  Todesgottheiten  oder  Opferdarstellungen  auf  der  einen  Seite 
den    Todtenschädel,    auf    der    andern    das   Herz    sieht.     Kwi   der    rechten 


o 

^  IS)  [^)  [&j 


B 


oberen  Seite  der  Göttin  stürzt  vor  dem  wässerigen  Strahl,  der  ihrem 
Munde  entspringt,  ein  todter  Mensch  herab,  und  vor  ihm  hebt  die  Göttin 
wiederum  das  Zeichen  ik  in  die  Hohe,  ganz  wie  mexikanische  Todesgötter 
das  ausgerissene  Herz  in  die  Höhe  halten. 

Auf  dem  berühmten  Blatt  41  —  42  des  Codex  Cortes,  das  C}'rus 
Thomas  in  seiner  neuesten  Publikation  eingehend  besprochen  hat  (vgl. 
die  der  folgenden  Abhandlung  unten  S.  524  beigeheftete  Tafel),  sehen 
wir  in  der  Mitte  der  vier  Himmelsrichtungen  unter  einem  nach  zwei  ent- 
gegengesetzten Seiten  vorspringenden  Dach  zwei  Gottheiten  sitzen,  in 
denen  wir  zweifellos  den  alten  Gott  —  Itzamnd,  den  „(rott  Vater"  des 
Priesters  Hernandez,  und  seine  weibliche  Genossin  (^Ixchel,  die  Mutter 
«ler  Chibiriac,  der  Mutter  der  Bacab)  zu  erkennen  haben.  Dieselben  Gott- 
heiten sind  auch  in  dem  Bilde  darüber,  unter  dem  Himmelszeichen, 
das  nach  der  gewöhnlichen  Annahme  den  Westen  bezeichnet,  zu  sehen. 
In  dem  Mittelbilde  hält  der  Gott  eine  Säule  von  drei  Zeichen  ik  (Abb.  253); 
und  vor  der  weiblichen  Gottheit  steht  eine  Säule  (Abb.  254),  die  unten 
ein  Element  zeigt,  das  in  der  Hieroglyphe  des  Regengottes  Chac  vorkommt, 
und  das  vielleicht  eine  Decke  darstellen  soll,  oder  Papierstreifen  der  Art, 


458  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

die  die  Mexikaner  teteuitl  nannten.  Darüber  sieht  man  die  Hieroglyphe 
ik,  und  endlich  eine  roh  gezeichnete  Thierfigur,  die  an  das  Zeichen  iniLv. 
das  Symbol  der  Fruchtbarkeit,  gemahnt.  In  dem  oberen  Bilde  hält  der 
alte  Gott  und  die  Göttin  ein  Zeichen  in  der  Hand  (Abb.  251  und  252), 
das  an  das  Zeichen  cauac  erinnert,  —  und  dieses  in  der  Tliat  auch  wohl 
bezeichnet  —  ausserdem  aber  eine  Speerspitze  trägt.  Das  Zeichen  ik 
kann  in  diesen  Darstellungen  kaum  etwas  anderes,  als  das  „Leben"  be- 
deuten. 

3.  votan,  a'kbal,  akbal.  Der  an  erster  Stelle  stehende  Tzental-Xame 
ist  nicht  der  eigentliche  Name  des  Zeichens,  sondern  der  des  Kulturheros 
der  Tzental,  des  berühmten  Yotan,  dem  ohne  Zweifel  dieses  Zeichen  ge- 
weiht war.  Den  Namen  Votan  erklärt  Brinton  (American  Hero  Myths 
p.  217)  aus  dem  Tzental-Worte  uotan,  das  in  einer  von  ihm  angeführten 
Stelle  eines  in  der  Tzental-Sprache  geschriebenen  geistlichen  Führers  mit 
„Herz"  und  „Brusf*  übersetzt  ist.  Diese  Erklärung  scheint  richtig  zu 
sein.  Auch  darin  gebe  ich  Brinton  Recht,  dass  ich  in  dem  Worte  uotan 
die  Maya -Wurzel  tan  erkenne,  die  ,,iumitten",  aber  auch  „Angesicht, 
Oberfläche,  Vorderseite,  Ausdehnung"  bedeutet.  Nur  kann  das  uo  kein 
Possesivpräfix  der  3.  Person  =  Maya  m  sein,  wie  Brinton  annimmt.  Das 
lautet  überhaupt  im  Tzental  anders.  Auch  könnte  dann  doch  kaum  in  der 
Ton  Brinton  angeführten  Stelle  a-uo-tan  [„dein  sein  Inneres"]  gesagt 
worden  sein.  Ich  meine  vielmehr,  dass  eine  alte  Wurzel  uo  vorliegt, 
die  mit  Maya  o/,  ^tol  —  („Herz,  Gemüth,  Wille,  Freiheit"  und  ,,Rundes") 
—  zusammenhängt,  und  deren  eigentliche  Bedeutung  „Herz"  ist.  Ich 
glaube,  dass  diese  Wurzel  in  dem  Monatsnamen  uo  noch  enthalten  ist. 
Denn  dessen  Hieroglyphe  (Abb.  255  —  258)  enthält  die  beiden  synonymen 
Elemente,  die  in  den  oben  (S.  454)  gezeichneten  Hieroglyphen  Abb.  236 
und  237  vorkommen,  und  die  beide,  wie  ich  oben  als  Vermuthung  aussprach, 
das  dargebrachte  Herz  bedeuten.  Das  zweite  dieser  Elemente  dient 
gleichzeitig  als  Symbol  der  Vereinigung  (vgl.  die  Abb.  75  —  79,  oben 
S.  414).  Vereinigung  heisst  aber  mol.  Und  mit  dem  Worte  mol  ist 
wiederum  ein  Monat  bezeichnet,  dessen  Hieroglyphe  das  erste,  das  in 
Abb.  236  enthaltene  Symbol  des  Herzens  aufweist.  Vgl.  die  Abb.  259,  die 
die  Zeichnung  Landa's  und  der  Dresdener  Handschrift  wiedergibt,  und 
die  Abb.  260,  die  der  Cedernholzplatte  von  Tikal  entnommen  ist.  Bedeutet 
aber  uo  „Herz",  so  könnte  uo-tan  das  „innerste  Herz",  oder  auch  das  „Herz 
der  Ausdehnung",  das  „Herz  der  Oberfläche"  bedeuten,  also  vielleicht  ver- 
gleichbar den  Qu'iche  u  c'ux  cah,  u  cu^v  uleu  „das  Herz  des  Himmels, 
das  Herz  der  Erde",  die  als  kosmogonische  Gestalten  und  Menschen- 
schöpfer im  Popol   Vuh  eine  Rolle  spielen. 

Das  Wort  a'kbal  bedeutet  „Nacht".  Wir  haben  im  Maya  noch  heute 
für  „Nacht"  die  Wörter  akab,  akabil,  akbil  im  Gebrauch ;  im  Qu'iche- 
Cakchiquel  a'kab.  a'ka.   a'kbal,  und  auch  im  Ixil  a'kbal.  —  Kann  dies  Wort 


(i.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     459 


4<^0  •      Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroyrlyphen-fclntzilfennig. 

mir  der  mexikanischen  Bezeichnung  dieses  Tages  im  Zusammenhang 
stehend  gedacht  werden?  Ich  ghmbe  wohl.  Die  Xacht  ist  eben  das 
dunkle  Haus  der  Erde,  das  die  Todten  in  seinem  Schoosse  auf- 
nimmt, und  in  dem  auch  die  Sonne  zur  Rast  geht.  Die  31exikaner 
verknüpften  das  Tageszeichen  caUi  mit  der  Region  des  Westens,  der 
Gegend,  wo  die  Sonne  untergeht.  Es  war  ein  trauriges  Zeichen,  die 
unter  ihm  Geborenen  waren  dumm  und  stumpf,  erdgeborene,  die  bestimmt 
waren,  alsbald  in  den  Schooss  der  Erde  zurückzukehren,  den  Feinden  in 
die  Hände  zu  fallen  und  auf  dem  Opferstein  ihr  Leben  zu  enden. 

Landa  gibt  das  Zeichen  akbal  in  Gestalt  der  Abb.  "261.  Der  Codex 
Tro  hat  die  Formen  Abb.  '2Q'2  und  263,  der  Codex  Cortes  die  ganz  gleichen 
Abb.  264  und  265.  In  der  Dresdener  Handschrift  finden  sich  theils  ähn- 
liche Formen  (Abb.  266 — 268).  Daneben  aber  sieht  man  Formen,  wo 
die  beiden  seitlichen  Theile  nicht  von  oben  herein,  sondern  von  unten 
herauf  ragen  (Abb.  2(59),  oder  geradezu  als  runde  Kreise  (Augeu?)  im 
Innern  der  Seitentheile  angegeben  sind  (Abb.  270).  Besondere  Formen 
sind  auch  die  Abb.  271— 273,  die  den  hinteren  Abschnitten  der  Dresdener 
Handschrift  entnommen  sind,  und  in  denen  wir  in  der  unteren  Hälfte  des 
Zeichens  noch  Punkte,  Kreise  otler  Halbkreise  markirt  finden.  Der  Codex 
Perez  hat  nur  die  flüchtig  gezeichnete  Form  Abb.  274. 

Das  Zeichen  akbal  ist  auch  mit  ziemlicher  Sicherheit  auf  den  3Iouumenten 
zu  erkennen.  So  in  der  Anfangshieroglyphe  der  Gruppe,  <lie  über  der 
linken  Figur  des  Mittelfeldes  sowohl  auf  dem  Altarblatt  des  Sonnen- 
tempels (Abb.  275),  wie  auf  dem  des  Tempels  des  Kreuzes  Xr.  1  in  Falenque 
(Abb.  276)  zu  sehen  ist,  und  es  ist  besonders  interessant,  das  wir  in  der 
letzteren  Figur  dieselbe  Besonderheit  wiederfinden,  die  auch  die  Abb.  271 
bis  273  der  Dresdener  Handschrift  zeigen.  Desgleichen  zeigen  die  Kreise 
oder  Punkte  in  der  unteren  Hälfte  des  Zeichens  auch  die  schön  ausge- 
führten Abb.  277  und  278  der  Cedernholzplatte  von  Tikal. 

Die  Formen  der  Bücher  des  Chilam  Balain  (Abb.  27!» — 282)  weichen 
vollkommen  ab. 

Was  zunächst  die  Formen  der  Handschriften  und  der  Monumente  angeht, 
so  ist  zu  bemerken,  dass  die  beiden  seitlichen  Spitzen,  die  wie  Zähne  in 
den  Innenraum  des  Zeichens  hineinragen,  keinesfalls  als  Zähne  gedeutet 
werden  dürfen.  Dagegen  spricht  ihre  gelegentlich  vollkommen  verschobene 
Stellung  (Abb.  269),  und  dass  sie  bisweilen  geradezu  als  Augen  erscheinen 
(Abb.  270  und  278).  Der  wesentliche  Theil  des  Zeichens  —  wodurch  es 
sich  auch  bestimmt  von  dem  ihm  sonst  ähnlichen  Zeichen  chuen  unter- 
scheidet —  ist  der  dreieckige,  unten  von  einer  welligen  Linie  begrenzte 
Spalt,  der  sich  noch  schärfer  an  gewissen  Formen  des  Zeichens  ausgeprägt 
findet,  (iie  ^uf  den  gleich  zu  erwähnenden  Himmelsschildern  gezeichnet 
sind.  Vgl.  Abb.  283.  Ich  bin  zur  Erklärung  des  Zeichens  geneigt,  an 
die  mexikanischen  Darstellungen  der  Höhle  zu  denken,  d.  h.  an  einen  Berg 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maja- Handschriften  und  ihre  Gottlieiten.     4<)1 

mit  aufgesperrtem  Rachen.  Vgl.  Abb.  284  und  285.  Die  wellige 
Linie  des  Zeichens  akhal  würde  ich  als  untere  Mundbegrenzung,  die  seit- 
lich hineinragenden,  sehr  häufig  abgerundet  endigenden  oder  als  runde 
Kreise  erscheinenden  Theile  als  die  Augen  des  Ungeheuers,  den  drei- 
eckigen Spalt  als  die  Rachenhöhle  ansehen.  Es  ist  l)emerkenswerth,  dass 
auf  den  Monumenten  die  Augen  in  der  Hieroglyphe  akbal  sehr  häufig  mit 
gekreuzter  Strichelung  erfüllt  gemeisselt  sind,  also  als  dunkel,  schwarz 
gelten  sollen.  Die  Höhle  ist  der  Eingang  in  das  Haus  der  Erde,  sie  ist 
das  Innere,  das  Herz  der  Berge,  sie  ist  der  Sitz  der  Nacht,  der  Dunkelheit. 
Wie  man  sieht,  würden  alle  Beziehungen,  die  sich  mit  dem  Namen  des 
dritten  Tageszeichens  verknüpfen,  durch  die  „Höhle"  ihre  vollkommene 
Erklärung  finden. 

Die  von  der  Form  der  Handschriften  abweichende  Form  der  Bücher 
des  Chilam  Balam  erweist  sich  als  nahezu  identisch  mit  den  Formen, 
die  dieselben  Bücher  für  das  Tageszeichen  ben  geben.  Ich  werde 
später  zu  erweisen  haben,  dass  dieses  Zeichen,  das  dem  mexikanischen 
acatl  „Rohr"  entspricht,  die  rohrgeflochtene  Matte  bedeutet,  und  die- 
selbe rohrgeflochtene  Matte  bildet,  wie  ich  oben  schon  erwähnt  habe,  einen 
wesentlichen  Theil  der  Hieroglyphe,  wodurch  der  Tempel  oder  das  Haus- 
dach bezeichnet  wird.  Ygl.  die  Abb.  34—36,  oben  S.  414.  Es  scheint 
also,  dass  die  Form  der  Bücher  des  Chilan  Balam  das  Haus  wiedergeben 
will,  entsprechend  der  Beziehung,  die  durch  den  mexikanischen  Xamen 
des  Zeichens  vermittelt  wird,  an  die  aber  sicher  auch  bei  der  Maya- 
benennung  des  Zeichens  mit  gedacht  wurde. 

Waa  nun  die  anderweitige  Verwendung  des  Zeichens  akbal  angeht, 
so  ist  zunächst  zu  erwähnen,  dass  wir  es  in  der  unzweifelhaften  Bedeutung 
„Nacht"  neben  dem  Zeichen  kin  „Tag"  verwendet  finden.  So  an  zahl- 
reichen Stellen  der  Dresdener  Handschrift.  Vgl.  auch  oben  S.  440  die 
Abb.  158  a  (Codex  Dresden  45  (2)  b).  Das  Zeichen  akbal  erweist  sich 
insofern  dem  Zeichen  Abb.  60  (siehe  oben  S.  414),  dem  Zahlzeichen  20, 
gleichwerthig,  über  dessen  Bedeutung  ich  in  einer  der  vorhergehenden  Ab- 
handlungen (vgl.  S.  401 — 403)  schon  eingehend  gesprochen  habe.  Eine 
Variante  des  Zeichens  akbal  scheint  die  Abb.  286  zu  sein,  die  im  Codex 
Dresden  57a  auf  einem  ähnlichen  Doppelfelde,  wie  das  in  den  Abb.  157, 
158  und  158  a  (oben  S.  440)  gezeichnete,  zu  sehen  ist. 

Hieran  anschliessend  erwähne  ich,  dass  das  Zeichen  akbal,  zum  Theil 
in  sehr  charakteristischen  Formen  (vgl.  die  Abb.  283  [Codex  Cortes],  287 
und  288  [Codex  Dresden]),  und  zwar  wiederum  neben  dem  Zeichen  kin, 
auf  den  viereckigen  Schildern  vorkommt  (vgl.  Abb.  157  und  158,  ol>en 
S.  440),  die,  wie  schon  Förstemann  und  Schellhas  erkannten,  zweifellos 
den  Himmel  bezeichnen.  Die  beiden  Zeichen  akbal  und  kirK  sind  indes 
nicht  die  einzigen  Bilder,  die  auf  diesen  Schildern  zu  sehen  sind.  AYir 
finden  daneben  einerseits   das   Zahlzeichen  20  (Abb.  288a),    das   wir   aber 


4li-J  Dritter  Abschnitt:    Kalender  unrl  Hieroglyphen-Entzifleruntr. 

schon  als  Variante  des  Zeichens  akbal  kenneu  gelernt  haben:  andererseits 
eine  Reihe  Formen  (Abb.  200  — 2!>U).  die  kaum  anders  wie  als  Varianten 
des  Zeichens  kin  zu  deuten  sind.  Ausserdem  aber  noch  Figuren,  die  in 
ausgeführter  Form  (Abb.  311:  Dresden  52  b)  an  eiuen  aufgesperrten 
cipacÜi-'RAQhew  erinnern,  in  der  Regel  aber,  vollständig  ornamental 
werdend,  nichts  von  einem  solchen  Urs])rung  mehr  erkennen  lassen  (Ab- 
bildungen 312 — 317).  Hierzu  kommen  Figuren,  die  als  ausschliesslichen 
oder  Hauptbestandtheil  das  schräge  Kreuz,  das  Element  der  Vereinigung, 
erkennen  lassen  (Abb.  300 — 304  und  30li— 310).  Endlich  —  allerdings 
nur  auf  den  Blättern  20,  22,  23  des  Codex  Tro  —  das  Gesicht  des  Gottes 
mit  der  Schlange  über  dem  Gesicht,  das  in  der  Hieroglyphe  desselben 
Gottes  (Abb.  33  oben  S.  410)  und  in  der  Hieroglyphe  der  zweiten  Himmels- 
richtung (Abb.  \S\  oben  S.  410)  vorkommt. 

Herr  Geheimrath  Förstemann  hat  in  seinen  werthvollen  Erläute- 
rungen zur  Dresdener  Handschrift,  in  denen  er  das  Problem  der  Zahlen- 
bilduns:  in  den  Mava-Handschrifteu  endsriltio'  s-elöst  und  o-leichzeitic^  das 
Vorhandensein  der  interessanten,  leider  ihrer  Bedeutung  nach  noch  dunklen,, 
bis  zu  hohen  Werthen  gleichmässig  fortschreitenden  Zahlenreihen  nach- 
gewiesen hat,  die  Vermuthung  aufgestellt,  dass  die  auf  den  Himmels- 
schildern abgebildeten  Zeichen  die  Sonne,  den  Mond,  den  Planeten  Venus 
und  vielleicht  auch  andere  Wandelsterne  darstellten.  Ich  kann  dem  nicht 
ganz  beipflichten.  Dass  die  Abb.  60  und  288  a  den  Mond  nicht  bedeuten, 
glaube  ich  in  meiner  früheren  Abhandlung  (vgl.  oben  S.  401 — 405)  nach- 
gewiesen zu  haben,  und  in  diesem  Zusammenhange  kann  ich  das  Zeichen 
nicht  anders  auffassen,  als  wir  es  wirklich  haben  auftreten  sehen,  nämlich 
als  eine  Variante  des  Zeichens  akbal. 

Die  Hieroglyphen  Abb.  318,  311»  sind  in  der  That.  wie  Förstemann 
angenommen  hat,  als  die  des  Planeten  Venus  anzusehen,  und  so  werden 
die  Abb.  20  4  —  2518,  die  die  gleichen  Forraelemente  aufweisen,  auch  das 
Gleiche  bedeuten.  Doch  kommen  die  Abb.  290,  296  in  dem  allerdings  wohl 
nicht  ganz  zuverlässigen  Codex  Tro   als   Variauten  des   Zeichens  kin  vor. 

Ich  gehe  nun  noch  zur  Betrachtung  einiger  weiterer  Vorkommnisse 
des  Zeichens  akbal  über. 

Erwähnenswerth  ist  vor  allem  das  Element  Abb.  326,  das  das 
Zeichen  akbal  von  Punkten  umgeben  zeigt.  Wir  finden  dieses  Element 
als  auszeichnendes  Merkmal  an  dem  Stiruschmucke  und  in  der  Hiero- 
glyphe des  alten  Gottes,  den  ich  mit  dem  Himmelsgotte  Itzammi  iden- 
tifizire.  Die  einen  Gegenstand  umgebenden  Punkte  bezeichnen  nicht  selten 
die  Flammen,  die  denselben  verzehren,  oder  das  Licht,  das  von  ihm  aus- 
geht. Vgl.  die  Abb.  327.  die  im  Codex  Tro  10b  im  Text  zu  sehen  ist^ 
während  die  bildliche  Darstellung  darunter  dieselben  gekreuzten  Todten- 
gebeine,   von  rothen  Flammenzungen  umlodert,   zeigt.     Die  Abb.  326,   als 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     4G5 

Symbol    des  Gottes  Itzamnä,    scheint    mir    darnach    das    vom    nächtlichen 
Dunkel  herabstrahlende  Licht,  den  Sternenhimmel,  zu  bedeuten. 

Ein  weiteres  auffälliges  Vorkommen  des  Zeichens  akbal  ist  das  über 
dem  Auge  von  nächtlichen  und  todtbringenden  Wesen.  So  an  der  Gestalt 
des  Todes-Gottes,  der  in  der  mittleren  Abtheilung  des  Blattes  28  der 
Dresdener  Handschrift  zu  sehen  ist  und  den  ich  mit  Uac  mitun  ahau 
identifizire  (Abb.  3i^8),  und  bei  einer  anderen  Todesgottheit  (Abb.  329)  im 
Codex  Cortes  38b.  Ferner  in  der  Hieroglyphe  der  Fledermaus  {zo'tz\  die 
zur  Bezeichnung  des  Monats  gleichen  Namens  diente.  (Vgl.  Abb.  330 
[Landa],  331 — 333  [Dresden  46c,  47a,  b]).  Ferner  in  der  Hieroglyphe 
eines  Vogels  von  der  Gestalt  eines  Adlers  (Abb.  334),  der  im  Codex 
Dresden  17  b  durch  die  beiden  Hieroglyphen  Abb.  335  und  336,  im  Codex 
Tro  18c  durch  die  beiden  Hieroglyphen  Abb.  337  und  338  bezeichnet  ist. 
Weiter  bei  der  einen  Gattung  von  Thieren,  die,  mit  der  Fackel  in  den 
Händen,  Feuer  auch  an  der  Quaste  des  langen  Schwanzes  führend,  vom 
Himmel  stürzend  dargestellt  sind,  und  die  wohl  das  Blitzfeuer  bezeichnen,, 
die  todbringenden  Diener  des  Chac.  Vgl.  Abb.  331)  (Dresden  36  a). 
Endlich  ist  dieselbe  Besonderheit  auch  an  dem  Kopfe  des  Monatsnamen* 
Xul  zu  sehen.  Vgl.  Abb.  340  (Landa)  und  341  (Dresden  40b).  Xut 
heisst  das  Ende,  die  Spitze;  xiiidul  „aufhören",  xulah^  xulezah  „beendigen", 
xuluh  „(womit  etwas  aufhört).  Hörner",  aber  auch  „der  Hörner  hat,  der 
Teufel";  xulhil  „Possen,  Streiche,  Teufeleien".  Man  sieht  also,  dass  auch 
diesem  Worte  unzweifelhaft  eine  Beziehung  auf  etwas  Unheimliches,  Ge- 
spenstisches, Dämonisches  innewohnt.  \  Auch  die  Fledermaus  ist  den 
Mittelamerikanern  nicht  blos  das  Nachtthier.  Der  Po'pol  Vvh  spricht  von 
einem  Zoizi-ha  „Fledermausliaus",  einem  der  fünf  Orte  der  Unterwelt. 
Dort  haust  der  c^ama-zo'tz^  die  „kopfabreissende  Fledermaus",  das  grosse 
Thier,  das  jedem  den  Garaus  macht,  der  in  seine  Nähe  kommt,  und  auch 
dem  Hunahpu  den  Kopf  abbeisst.  Auch  den  unvollkommenen  Bildungen  der 
ersten  Menschenschöpfung  macht  der  cama-zo'tz  ein  Ende,  indem  er  ihnen 
den  Kopf  abbeisst.  Der  in  der  Abb.  334  bezeichnete  Vogel  ist  zoologisch 
schwer  zu  bestimmen.  Immerhin  scheint  mir  zweifellos,  dfiss  ein  Raub- 
vogel gemeint  ist.  Seine  Hieroglyphe  (Abb.  335)  ist  interessant.  Sie 
enthält  den  Fledermauskopf,  daneben  aber  auch  das  Symbol  des  Scharfen, 
Schneidigen  (Abb.  73,  oben  S.  414)  und  das  Symbol  des  Vogels  (?) 
(Abb.  72,  oben  S.  414).  In  dem  hieroglyphischen  Texte  finden  wir,  hinter 
den  Zeichen  der  vier  (fünf)  Himmelsrichtungen,  nicht  selten  Hieroglyphen, 
die  einen  Thierkopf  mit  dem  Zeichen  akbal  über  dem  Auge  tragen.  Vgl. 
die  Abb.  180,  183,  186  (oben  S.  450)  und  342— 344  (Codex  Dresden  22b). 
Ich  glaube  diese  als  die  Blitzthiere,  die  Sturmgenien,  die  Genien  der  vier 
Himmelsrichtungen  bezeichnend  annehmen  zu  müssen. 

Zum  Schluss  will  ich  noch  die  Hieroglyphe  Abb.  345  erwähnen,  durch 
die    auf   Blatt    2G*b    des    Codex    Tro    das    Tabakrauchen,    bezsv.    da-^ 


4(i4  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Blasen  aus  ilein  Kohre,  bezeichnet  wird  (vy:l.  Abb.  3-16).  Derselbe  Vor- 
gansr  ist  noch  an  zwei  anderen  Stellen  des  Codex  Tro  zu  sehen,  nämlich 
auf  Blatt  34*1»,  wo  er  durch  die  Hieroglyphen  Abb.  347  und  348,  und  auf 
Blatt  25 *b.  wo  er  durch  die  beiden  Hieroglyphen  Abb.  340  und  300  zum 
Ausdruck  gebracht  ist. 

Das  Tabakrauchen  hat  natürlich  eine  mythologische  Bedeutung.  Nach 
den  werthvollen  Mittheilungen  des  Lic.  Zetina  von  Tihosuco,  die  uns 
Briuton  in  seiner  im  Folklore  Journal  Vol.  I  veröffentlichten  Abhandlung 
über  Volksglauben  in  Yucatan  zugänglich  gemacht  hat,  sind  die  Balam 
(d.  h.  die  Götter  der  vier  Himmelsrichtungen  oder  der  vier  Winde,  die 
gleichzeitig  die  Hüter  des  Dorfes  und  der  Gemarkung  sind)  grosse  Raucher, 
und  nach  allgemeinem  Volksglauben  sind  die  Sternschnuppen  nicht  anderes, 
als  die  brennenden  Stummel  der  Rieseuzigarren.  die  diese  Wesen  vom 
Himmel  her  unterwerfen.  Ein  Indianer  sah  einen  Balam  in  seinem  Korn- 
felde. Dieser  zog  eine  riesige  Zigarre  aus  seiner  Tasche,  und  mit  Kiesel 
und  Stahl  schlug  er  Feuer.  Aber  die  Funken,  die  er  schlug,  waren  Blitz- 
strahlen und  das  Klopfen  gegen  den  Stein  ertönte  wie  schrecklicher,  die 
Erde  erschütternder  Donner. 

Von  den  oben  angeführten  Hieroglyphen  enthalten  die  Abb  348 — 349 
Elemente,  die  den  wesentlichen  Bestandtheil  der  Hieroglyphe  der  Himmels- 
richtung „oben"  (Abb.  17 — "22,  oben  S.  410),  bezw.  des  Herabkommens 
von  oben  (vgl.  unten  Abb.  744 — 746),  bilden.  Die  Hieroglyphe  Abb.  345 
möchte  ich  den  Hieroglyphen  Abb.  342 — 344  parallelisiren.  Beide  enthalten 
als  sekundäres  Element  das  Symbol  des  Menschen,  die  Abb.  345  aber  als 
Hauptelement  das  Zeichen  akbaU  während  die  andern,  statt  dessen,  das 
Thier  mit  dem  «A'6a/-Zeichen,   das  Blitzthier,  als  Hauptelement  aufweisen. 

4.  ghanan,  kat  (c'ai),  kan.  Die  Bedeutung  des  Wortes  ist  zweifelhaft. 
Ximeuez  gibt  kat  (cat)  „Eidechse'".  Doch  habe  ich  den  starken  Ver- 
dacht, dass  das  mexikanische  Aequivalent  dieses  Zeichens  ihm  diese  Be- 
deutung eingegeben  hat.  Mit  den  Maya- Wurzeln  kan,  kaan  „Seil'%  „Strick", 
„Hangmatte",  und  kan  =  Qu"iche.  Cakchiquel  k'a7i  „gelb"  lässt  sich  nichts 
anfangen.  Ich  vermuthe.  dass  die  Tzental-Form  uns  einen  Fingerzeig  gibt; 
sie  lehrt  uns.  dass  wir  das  Wort  als  Participialform  auffassen  müssen. 
Und  da  finde  ich  im  Maya-Lexikon  von  Perez  die  Worte  k'anaan^  k'aanan^ 
Kanan  „abundante,  necesario  o  estimado.  cosa  importante".  k^aananil, 
„abundancia",  k'aancil  „sobrar,  sobreabundar,  flotar  sobre  el  agua,  sobre- 
nadar,  aboyarse  sobre  el  liquido";  k'ank'ab  „mar".  Ob  der  Apostroph, 
den  ich  gesetzt  habe,  richtig  ist,  ist  bei  der  unsorgfältigen  Form  des  Wörter- 
buches und  der  ungenügenden  Bezeichnung  der  Maya-Gutturale  überhaupt 
zweifelhaft.  Doch  werden  diese  Worte  in  dem  Lexikon  mit  demselben 
k  geschrieben,  wie  der  Xame  des  Tageszeichens  und  wie  das  Wort  kan 
„gelb'',  —  dem,  wie  der  Vergleich  mit  dem  Qu'iche  zeigt,  die  Letra 
herida  k'  zukommt.     Wir  hätten  also,  scheint  es,  eine  direkte  Entsprechung 


(6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maj'a-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.    465 


<ler  oben  angeführten  Maya-Worte  kaanan,  kanan,  die  „im  Ueberschuss 
vorhanden''  bedeuten,  mit  der  Tzentalbezeichnung  ghanaii.  Erinnern  wir 
uns,  dass  die  übliche  Bezeichnung  des  Tages  in  Mexiko  cuetzpalin 
„Eidechse",  in  Meztiüan  abweichend  mIoÜ  „der  junge  Maiskolben"  war, 
dass  aber  beide,  die  Eidechse  sowohl,  wie  der  Maiskolben,  bekannte  Sym- 
bole des  Reichthums  und  des  Ueberfiusses  sind,  —  el  que  «»n  este  nacia 
.  .  .  ternia  riquezas  y  de  comer  que  nunca  le  faltaria  (Duran),  —  so 
scheinen  mir  die  oben  gegebene  Deutung  des  Mayawortes  und  die  Identität 
mit  der  mexikanischen  Bezeichnung  ausser  Zweifel  zu  stehen. 

Landa  gibt  für  das  Zeichen  die  Abb.  351.  Im  Codex  Tro  treffen 
wir  die  Formen  Abb.  352  und  ;^53  und  unter  den  Opfergaben  häufig  die 
Form  Abb.  354.  Im  Codex  Cortes  haben  wir  dieselben  Formen  Abb.  352 
und  353,  daneben  aber  auch  die  Form  Abb.  355.  In  der  Dresdener 
Handschrift  begegnen  uns  die  gleichen  Formen.  Der  Codex  Perez  hat 
durchgängig  die  Form  Abb.  356.  Auf  der  rechten  Seite  der  Altarplatte 
des    Tempels    des    Kreuzes    Xr.    1    in    Palenque    treffen    wir    die    beiden 


'isi.  'ist         35"3 


'^Br*\ 


3j>  3fy_     ^96  3t7. 


'iS'i. 


Abb.  357  (Q.  8)  und  358  (R.  17),    die    ebenfalls  das  Zeichen   darzustellen 
scheinen.     Die  Bücher  des  Chilavi  Balam  geben  die  Abb.  359—362. 

Was  nun  die  Bedeutung  dieses  Zeichens  angeht,  so  scheint  mir,  dass 
ein  Auge  und  eine  Zahnreihe  die  Elemente  desselben  bilden.  In  mexi- 
kanischen Darstellungen  malt  man  das  Feuersteinmesser  mit  einer  Zahn- 
reihe und  einem  Auge  darüber  (vgl.  die  Abb.  136  und  137  oben  S.  438) 
Und  genau  ebenso  malte  man  den  Maiskolben  mit  einer  Zahnreihe  und 
einem  Auge  darüber,  aber  das  Auge  ist  hier  ein  lebendiges  (vgl.  Abb.  363), 
während  das  des  Feuersteinmessers  ein  todtes  ist.  Offenbar  betrachtete 
man  die  beiden  Dinge  als  gegensätzlich,  Dürre  und  Wasserreichthum, 
Mangel  und  Ueberfluss  bezeichnend.  Ich  glaube,  dass  das  Zeichen  kan 
das  oben  gezeichnete  mexikanische  Objekt,  den  Maiskolben,  wiedergibt. 
Dadurch  erklärt  es  sich  uns,  dass  das  Zeichen  kan,  wie  schon  oben  ange- 
führt, konstant  unter  den  Opfergaben  erscheint,  und  ich  glaube,  wir  haben 
hier  den  Schlüssel  für  die  sonst  schwer  verständliche  Thatsache,  dass  die 
Mexikaner  die  Jahre,    mit    denen  sie,    wie    es    scheint,    ihre  Zeitrechnung 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  30 


466  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

~begaimen,  nämlich  die  Reiehtlium,  Fruchtbarkeit  und  Glück  verheissendei» 
Jahre,  die  der  Himmelsrichtung  des  Ostens  zugeschrieben  wurden,  nach- 
dem Zeichen  acatl  „Rohr''  benannten,  während  die  Maya  auf  dieselben- 
Jahre  das  Tageszeichen  kau  anwandten. 

Die  Bilder,  die  die  Bücher  <les  ('hilam  Balam  für  das  Zeichen  kan 
geben  (Abb.  359 — 362),  haben  mit  der  Form  der  Handschriften  nichts^ 
gemein.  Sie  erinnern  in  frappanter  Weise  an  die  Formen,  die  die- 
selben Bücher  für  die  Zeichen  ik  und  cauac  angeben.  —  Sollten  es  nur 
Variationen  der  letzteren  sein  und  ihren  Ursprung  der  unzweifelliaft  im 
CJemüth  des  Indianers  vorhandenen  Gedankenverbindung  —  „Wolken- 
bedeckung, Regen  und  Wind,  Reichthum   und  Ueberfluss"  —  verdanken?" 

Von  den  Vorkommnissen  des  Zeichens  kan  erwähne  ich,  dass  es  als 
auszeichnendes  Merkmal  einerseits  bei  dem  Gotte  Abb.  31  (siehe  oben 
S.  410),  andererseits  bei  dem  Gotte  Abb.  170  (S.  450;  die  Hieroglyphe  siehe 
Abb.  30  oben  S.  410)  vorkommt.  Den  ersteren  habe  ich  deshalb  oben 
den  Gott  mit  dem  Ä;aw-Zeichen  genannt.  Den  letzteren  (Abb.  170)  bin- 
ich,  wie  ich  oben  S.  451  auch  schon  gesagt  habe,  versucht,  mit  dem  Gotte 
Ekchuah  zu  identifiziren. 

Von  Hieroglyphen,  in  denen  das  Zeichen  kan  vorkommt,  erwähne 
ich  die  des  Monatsnamens  cumku  oder  humku.  Abb.  364  (Lau da), 
Abb.  365  und  366  und  die  Variationen  Abb.  367 — 370,  die  alle  der  Dres- 
dener Handschrift  entnommen  sind.  —  cum  heisst  der  „Hohle",  der  „Topf'% 
aber  auch  der  „Klang,  den  man  bei  dem  Schlagen  auf  einen  hohlen 
Gegenstand  vernimmt" ;  hum  ebenfalls  „Geräusch,  Lärm,  Summen"'  Der 
obere  Theil  der  Hieroglyphe  scheint  in  der  That  einen  Topf  darstellen 
zu  sollen,  der,  umgestürzt  mit  der  Mündung  nach  unten,  auf  dem  Zeichen 
kan  liegt,  nach  oben  theils  eine  breite  Grundfläche  (Abb.  365,  366),  theils- 
drei  Füsse  zeigt  (Abb.  367 — 368)  oder  mit  der  Seite  auf  dem  Zeichen 
liegt?    (Abb.  370). 

5.  abagh^  can,  chicchan.  can  lieisst  im  Qu'iche-Cakchiquel,  can^  canit 
im  Maya  die  „Schlange";  ahau-can  die  Königsschlange,  die  Klapper- 
schlange.    Das  stimmt  also  zum  mexikanischen  coatl. 

Das  Wort  chicchan^  sagt  Perez,  liesse  sich  nur  erklären,  wenn  man 
annähme,  dass  das  Wort  falsch  geschrieben  und  chichan  zu  lesen  wäre, 
c/taw,  chanchan  und  chichan  bedeutet  „klein".  Damit  können  wir  natürlich 
nichts  anfangen.  Soll  man  eine  Nebenform  chan  für  can  annehmen?  Der 
Uebergang  wäre  nicht  ungewöhnlich.  Wir  haben  xacah  „fest  (auf  die  vier 
Füsse)  stellen",  xachah  „fest  (breitbeinig)  hinstellen"  ;  caac-ah  und  chaach- 
ah  „zausen,  Haar  ausreissen,  Blätter  abreissen" ;  co-ah  „abschälen,  ab- 
rinden"; cho-ah  „abreiben,  abwischen".  Der  erste  Theil  des  W^ortes 
würde  dann  auf  die  Wurzel  c/w,  chii  „Mund,  beissen"  bezogen  werden 
müssen;  chicchan  die  „beissende  Schlange",  wie  Molin a's  Wörterbuch  unter 
„vibora  generalmente"  tequani  coatl  (d.  h.  „der  Fresser  die  Schlange")  angibt. 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     467 

Das  Tzental-Wort  kmin  ich  nicht  erklären.  Im  Qu'iche  haben  wir 
abah  „Stein".  In  <ler  alten  Hauptstadt  der  ('akchiquel  war  das  Haupt- 
heiligthum  der  chay-abah^  der  eine  halbe  Klafter  grosse,  halbdurchsichtige 
Stein,  auf  dessen  Spiegelfläche  die  Wahrsager  die  Antworten  auf  alle  Fragen 
ablasen,  die  in  wichtigen  civilen  oder  militärischen  Sachen  den  Göttern 
vorgelegt  wurden. 

Landa  gibt  für  das  Zeichen  die  Abb.  371.  Im  Codex  Tro  finden  sich 
als  häufigste  die  Abb.  372 — 374.  Daneben  auch  Formen,  die  den  dunklen 
(karrirten)  Fleck  durch  einen  hellen  oder  durch  das  Zeichen  hin  ersetzen 
(Abb.  375—377).  Bemerkenswerth  sind  die  Abb.  378—380  (Codex  Tro  12a, 
7*b,  3ld),  die  neben  dem  Fleck  die  deutlichen  Züge  eines  Gresichtes 
zeigen.  Einen  ganz  anderen  Typus  stellen  die  Abb.  390 — 392  (Codex  Tro 
9*a,  19c,  9*a)  dar.  Im  Codex  Cortes  finden  sich  nur  Formen,  die  mit  den 
gewöhnlichen  des  Codex  Tro  (372—374)  übereinstimmen.  In  der  Dresdener 
Handschrift  überwiegen  entschieden  die  Formen,  die  den  Fleck  hell 
und  daneben  die  Züge  eines  Gesichtes  aufweisen  (Abb.  381 — 386).  Nur 
in  den  hinteren  Abschnitten  der  Handschrift  kommen  Formen  mit  dunkel 
(karrirt)  ausgefülltem  Fleck  vor  (Abb.  387),  ähnlich  den  gewöhnlichen  des 
Codex  Tro  und  Cortes.  Besondere  Formen  sind  die  Abb.  393  (Dresden  39  c), 
und  394  und  395  (Dresden  61  und  63).  Die  Formen  des  Codex  Ferez 
(Abb.  388  und  389)  ähneln  denen  der  Dresdener  Handschrift.  Die  Bücher 
des  Chilavi  Balam  haben  die  Formen  der  Abb.  396 — 399. 

Was  nun  den  Sinn  dieses  Zeichens  angeht,  so  zeigt  das  Stück  Schlange, 
das  in  Abb.  400  nach  Codex  Cortes  12b  wiedergegeben  worden  ist,  deutlich 
dass  der  karrirte,  von  schwarzen  Punkten  umsäumte  Fleck  die  Flecken 
einer  Schlangenart  bezeichnen  soll,  die  ich  natürlich  zoologisch  nicht  be- 
stimmen kann,  deren  besondere  Zeichnung  aber  in  den  Schlangenbildern 
des  Codex  Cortes  ebensowohl,  wie  auf  der  doppelköpfigen  Schlange  der 
Cedernholzplatte  von  Tikal  deutlich  zu  sehen  ist.  Denselben  karrirten 
Fleck  erkennen  wir  auch  in  der  Hieroglyphe  Abb.  401  (Dresden  70),  402 
(Dresden  21c)  und  403  (Tro  9*b),  wodurch  ein  Gott  bezeichnet  ist 
(Abb.  404  und  405),  dessen  besonderes  Kennzeichen  eine  zackige  Linie 
um  den  Mund  bildet  (Abb.  404),  und  dessen  Haupthieroglyphe  in  der  Eegel 
von  Todessymbolen  begleitet  ist:  der  Hieroglyphe  der  Eule  (Abb.  406: 
Dresden  7  b),  des  Thieres  mit  erhobener  Tatze  (Abb.  407:  Dresden  21c) 
und  des  Leichnams  (Abb.  408:  Tro  9*c).  Es  scheint  dieser  Gott  zu  den 
Schlangen  in  bestimmter  Beziehung  zu  stehen,  und  die  Formen  des  Zeichens 
chicchan,  die  neben  dem  Fleck  die  Züge  eines  Gesichtes  zeigen,  könnten 
den  Kopf  dieses  Gottes  wiedergeben  sollen. 

Die  Formen  der  Bücher  des  Chilavi  Balam  (Abb.  396 — 399)  haben  sich 
ohne  Zweifel  aus  den  Formen  der  Handschriften  entwickelt.  Vgl.  die 
Abb.  380  des  Codex  Tro  31  d. 

30* 


468 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferunsr. 


6.  iox,  camey,  cimi  (cimiy).  Im  31aya  lieisst  dm,  im  Qu'iche-Cakchiquel 
com,  „sterben".  Und  die  Wörter  cimiy,  camey  sind  Abstrakta  oder  Infinitive, 
mittels  eines  alten  Ableitungssuffixes  gebildet,  das  im  Maya  unter  den  ge- 
wöhnlichen Bildungen  nicht  mehr  fungirt,  aber  im  Qu'iche  noch  in  voller 
Anwendung  ist.  Die  Maya-  und  die  Cakchiquel-Bezeichnung  entspricht 
also  der  mexikanischen  (miquiztli)  vollkommen. 

Schwierigkeiten  macht  die  Tzental-Bezeichnung  to.v.  Ich  weiss  das 
Wort  nicht  zu  erklären.  Es  wäre  nicht  unmöglich,  dass  hier  wieder,  wie 
beim  dritten  Tageszeichen,  der  Xame  des  regierenden  Gottes  für  das 
Zeichen  steht. 

Landa  gibt  für  das  Zeichen  die  Form  Abb.  409.  Im  Codex  Tro  sind 
die  häufigsten  Formen  die  Abb.  410—412  (Kopf  der  Leiche).  Daneben 
kommen  die  Abb.  413 — 414  (Schädel),  und  endlich  als  dritte  Form  die 
Abb.  415 — 416    vor.     Im   Codex   Cortes    herrscht    die    erstere    Form    aus- 


^ni  ^' Vnsv  ^'1*SJV  ^lit.i   ,  '''Jr^  ^'i-— V  ^]Jrrr\  ^'j:,,      37<^.         jgr 


schliesslich  vor  (Abb.  418).  In  der  Dresdener  Handschrift  sieht  man  alle 
drei  Formen,  nur  in  besserer  Ausführung  (Abb.  419—426).  Daneben 
aber  finden  sich  noch  auf  Blatt  46  (Abb.  427—428)  und  auf  Blatt  53b 
(Abb.  429)  einige  Formen  vor,  die  einen  anderen  Typus  zu  repräsentiren 
scheinen.     Die  Bücher  des  Chilam  Balavi  haben  die  Abb.  430  und  431. 

Was  den  Sinn  dieses  Zeichens  angeht,  so  treffen  wir  die  erste  und 
die  zweite  Form  in  den  beiden  Hieroglyphen  des  Todesgottes,  die  ich  in 
einem  der  vorhergehenden  Aufsätze  (siehe  oben  S.  392,  393)  näher  be- 
sprochen habe.  Es  wäre  hier  nur  noch  nachzutragen,  dass  die  eigen- 
thümlich  gekrümmte  Linie,  die  sowohl  an  dem  Kopfe  mit  geschlossenen 
Augen  (erste  Form),  wie  an  dem  Schädel  (zweite  Form)  sich  wie  ein 
Schwanz  an  die  Reihe  der  freiliegenden  Zähne  anschliesst,  ohne  Zweifel 
aus  der  Linie  des  aufsteigenden  Astes  des  Unterkiefers  entstanden  ist. 
Das  ist  deutlich  an  Figuren  wie  Abb.  432  und  433   zu  sehen,    bei  denen 


G.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     460 

der  Unterkiefer  mit  seinem  aufsteigenden  Aste  und  der  Zahnreihe  voll- 
ständig gezeichnet  ist. 

Die  sich  daran  schliessende  Linie  mit  der  Zähneluug  am  äusseren 
rechten  Rande  deutet  vielleicht  auf  die  Schleife  oder  Schlinge,  in  der 
der  abgeschnittene  Kopf  getragen  ward.  Vgl.  die  Abb.  422  und  427—429 
und  die  Abb.  439  aus  Blatt  60  der  Dresdener  Handschrift,  die,  wie  es 
scheint,  einen  solchen  in  der  Schlinge  getragenen  abgeschnittenen  Kopf 
(Kopf  des  Opfers)  darstellt. 

Die  dritte  Form  des  Zeichens  cimi  (Abb.  415—417,  424—426)  sehen 
wir  an  Stelle  des  Auges  mit  geschlossenen  Lidern  in  der  zweiten  Hiero- 
glyphe des  Todesgottes,  Abb.  436  auf  Blatt  28  der  Dresdener  Handschrift. 
Wir  sehen  es  als  Todessymbol  auf  der  Wange  des  Gottes  Uac  mitun  ahau 
(Abb.  328)  und  auf  der  Hieroglyphe  desselben  Gottes  auf  Blatt  5b  der 
Dresdener  Handschrift  (Abb.  437).  Ich  habe  früher  die  Vermuthung  aus- 
gesprochen,   dass    auch    die    beiden  Hieroglyphen   Abb.  434  und  435,   von 


denen  die  erstere  der  Altarplatte  des  Tempels  des  Kreuzes  Nr.  2,  die  andere 
der  des  Sonnentempels  in  Palenque  entnommen  ist,  dasselbe  Zeichen  haben. 
Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass  dieses  eigenthümliche  Element 
der  Abb.  415 — 417,  424 — 426  aus  der  auch  in  mexikanischen  und  mittel- 
amerikauischen  Malereien  wohlbekannten  Figur  der  gekreuzten  Todten- 
beine  entstanden  ist. 

Die  Formen  der  Bücher  des  Chilam  Balam  (Abb.  430  und  431)  vermag 
ich  nicht  zu  deuten. 

Das  Zeichen  Abb.  438,  das  de  Rosny  in  seinem  Yocabulaire  de 
lecriture  hieratique  als  im  Codex  Tro  vorkommend  angibt,  habe  ich  bei 
genauem  Nachsuchen    unter  den   Tageszeichen    dort    nicht  finden   können. 

Das  Element  Abb.  60  (oben  S.  414),  das  Brasseur  als  Variante 
von  cimi  aufführt,  ist,  wie  ich  in  einer  früheren  Abhandlmig  mich  bemüht 
habe,  nachzuweisen,  ein  Symbol  des  Todes,  in  engerem  Sinne  des  Geopfert- 
werdens.   Es  dient  als  Ausdruck  für  den  Begriff  Mann  und  für  die  Zahl  20, 


47Ö  Dritter  Absclinitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

bezw.  den  Zeitraum  von  20  Taigen  (umal).  Unter  den  Tageszeichen  kommt  es 
niclit  vor.  AVo  man,  wie  auf  den  Blättern  32  und  33  c  des  Codex  Tro, 
es  in  der  Reihe  der  Tageszeichen  sieht,  da  dient  es  nicht  etwa  als  Tages- 
zeicheu,  sondern  steht  nach  den  Tageszeichen  cauac,  kan,  muluc,  i.r  im 
Sinne  von  „das  zwanzigste  darauffolgende  Zeichen",  das  natürlich  eben- 
falls das  Zeichen  caiiac,  kan,  muluc,  i.r  ist. 

7.  moxic,  queh,  manik.  Das  Zeichen  entspricht  dem  mexikanischen 
mai;atl  „Hirsch'^  „Reh"  (venado),  und  eben  das  bedeutet  auch  die 
C'akchiquel-Bezeichnung  queh  (nach  Maya-Orthographie  ceh  geschrieben). 

Dem  Worte  manik  scheint  die  Wurzel  man  oder  mal  zu  (Irunde  /u 
■liegen,  die  „schnell  vorübergehen",  „verschwinden",  aber  auch  „sich 
wiederholen"  bedeutet.  Im  Maya  wird  von  dieser  Wurzel  gebildet:  manac 
to  hin  „nachdem  einige  Tage  vergangen  waren";  manak  „leichter  Schatten"', 
„Spur",  „fernes  Echo";  manab  „Gespenst".  —  manik  könnte  demnach  der 
„Vorüberhuschende",  „Flüchtige"  heissen. 

Der  Wurzel  man  ist,  glaube  ich,  eine  parallele  Wurzel  max  mit  der- 
selben Bedeutung  anzusetzen,  von  der  maa.c  „AfPe",  maxan  „schnell"  sich 
ableitete.  Auf  diese  Wurzel  könnte  vielleicht  die  Tzental-Bezeichnung 
moxic  zurückzuführen  sein. 

In  der  Schrift  wird  das  Zeichen,  ziemlich  übereinstimmend  im  Landa, 
wie  in  den  Handschriften,  durch  die  Abb.  440  gegeben.  Die  Figur  stellt 
zweifellos  eine  Hand  dar,  deren  Daumen  den  gekrümmten  vier  anderen 
Fingern  gegenübergestellt  ist.  Davon  überzeugt  man  sich  leicht,  wenn 
man  das  Zeichen  mit  Hieroglyphen  vergleicht,  in  denen  die  Hand  in 
realistischer  und  unverkennbarer  Weise  dargestellt  ist,  wde  in  den 
Abb.  441 — 443.  Wie  kommt  nun  aber  die  Hand  dazu,  Symbol  des  Tages 
zu  werden,  der  —  in  einzelnen  Dialekten  sicher,  wie  im  Mexikanischen  — 
mit  dem  Namen  des  Hirsches  bezeichnet  wird? 

Es  scheint,  dass  das  Element  manik  (Abb.  440)  in  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  zu  vier  anderen  Elementen  steht,  \on  denen  drei  (Abb.  444 
bis  446)  allerdings  nur  Variationen  der  Hand  oder  des  Trägers  zu  sein 
scheinen,  während   das  vierte  (Abb.  447)  einen  neuen  Begriff  hineinbringt. 

Auf  Seite  10*  des  Codex  Tro  beginnt  eine  Reihe  von  Darstellungen 
—  der  sogenannte  Kalender  für  Bienenzüchter  — ,  in  denen,  wie  mir 
scheint,  das  Herabkommen  der  Götter  zum  Opfer  durch  ein  geflügeltes 
Insekt  ausgedrückt  ist,  das  vor  einem  viereckigen,  mit  den  Elementen  des 
Zeichens  caban  bedeckten  Schilde  zu  den  unten  aufgestellten  Opfergaben 
herabkommt.  Der  hieroglyphische  Text  zeigt  die  Namen  und  die  Attri- 
bute der  Götter.  Davor  eine  Hierogly])he  —  die  sogenannte  Hieroglyphe 
der  Biene  — ,  die  die  Elemente  des  Zeichens  der  Himmelsrichtung 
oben  —  unten  enthält  und  die  ich  als  Symbol  des  Herabkommens  betrachte. 
Und  davor  beginnt  der  Text  mit  einer  Hieroglyphe,  die  in  der  Anfangs- 
gruppe die  Form  Abb.  452,  in  den  folgenden  Gruppen  die  Form  Abb.  453 


6.  Tageszeichen  der  aztckisclieii  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     471 

hat  und  mehrfach  durch  Hieroglyphen,  die  den  Tempel  zum  Ausdruck 
J)rinuen  (siehe  unten  beim  Zeichen  ben),  ersetzt  ist  und  auf  Blatt  3*c, 
wie  es '  scheint,  in  aufgelöster  Form,  durch  die  Abb.  454  und  455  reprä- 
«entirt  ist. 

In  der  Dresdener  Handschrift  sind  auf  den  dem  Titelblatte  folgenden 
Blättern  2  (45)  und  3  eine  Anzahl  Bilder  zn  sehen,  die,  wie  es  scheint, 
Vorbereitungen  zum  Opfer  und  das  vollzogene  Opfer  darstellen:  ein  des 
Kopfes  beraubter  schreitender  Gefangener,  Götterfiguren,  Netze  und  Stl'icke 
haltend,  endlich  der  geopferte  Gefangene,  dessen  Eingeweide  als  Baum  zum 
Himmel  emporwachsen,  auf  dem  Baume  der  Adler,  der  das  Auge  aus  der 
Höhle  herauszieht.  Der  Text  zeigt,  neben  den  Hieroglj'phen  der  Personen, 
<ias  Zeichen   der  Verbindung  (Al)b.  77,  78,  oben  8.  414)   und   in    den   auf- 


H'iii  Hf-C).       Hn 


'*^^       --.      H'ii 


u^ 


mmmm 


•einander  folgenden  Abschnitten  die  Hieroglyphen  Abb.  456  (Dresden  ■2(45)a), 
457—460  (Dresden  2(45)b  c)  und  461—462  (Dresden  2(45)  d).  —  Auf  den 
folgenden  Blättern  der  Handschrift  treffen  wir  das  Zeichen  manik  zunächst 
in  der  Hieroglyphe  Abb.  463,  die  auf  den  Blättern  4 — 10a  am  Kopfe  der 
Textgruppen  steht,  die  dort  die  Darstellungen  der  zwanzig  Götter  be- 
gleiten. Weiterhin  folgen  Götter  mit  Darbringungen.  Hier  sehen  wir 
•einmal  (Blatt  10 — 12a)  die  Hieroglyphe  Abb.  464  (wechselnd  mit  Abb.  465), 
das  andere  Mal  (Blatt  12 — 13  a)  die  Hieroglyphe  Abb.  466.  Auch  in  der 
mittleren  und  unteren  Reihe  der  Blätter  sehen  wir  Götter  mit  Darbringungen. 
Hiör  stehen  einmal  (Blatt  10b)  die  beiden  Hieroglyphen  Abb.  467  und  468, 
sonst  (Blatt  10 — 12  b)  die  Hieroglyphe  Abb.  469  und  weiterhin,  wo  die 
Oötter  das  Zeichen  kan   in   der  Hand  haben,    die  Abb.  474—476.     In    der 


472  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

unteren  Reihe  (lerselben  Blätter  sind  die  Gegenstände,  die  die  Götter 
in  der  Hand  halten,  im  Text  selbst  zu  sehen.  Daneben  einmal  (Blatt  4 
bis  5  c)  die  Hieroglyphe  Abb.  470,  die  anderen  Male  (Blatt  12  c,  15  c)  die 
Abb.  471-473. 

Ich  glaubte  aus  den  angeführten  Vorkommnissen  schliessen  zu  müssen, 
dass  das  Element  manik  und  das  Element  Abb.  447  einander  vertreten. 
Zeigt  uns  nun  aber  das  Element  Tuanik  bloss  die  nach  o1ien  offene  Hand., 
so  stellt  die  Abb.  447  ohne  Zweifel  eine  Hand  dar,  die  einen  Kopf  —  und 
zwar  den  Kopf  eines  Todten,  das  beweisen  die  geschlossenen  Augen  — 
darl)ringt.  Ich  war  deshalb  geneigt,  sowohl  diese  Figur,  wie  das  ihm 
äquivalente  Zeichen  manik  als  Symbol  der  Darbringung,  des  Opfer» 
anzusehen.  Nachträglich  habe  ich  indes  erkannt,  dass  es  eine  noch  ein- 
fachere und  näher  liegende  Erklärung  gibt.  In  der  mexikanischen  Provinz 
reisend  und  genöthigt,  vielfach  die  Gastfreundschaft  der  Landeseingeboreiien 
in  Anspruch  zu  nehmen,  lernte  ich  sehr  bald,  dass  die  in  der  Weise  der 
Hieroglyphe  manik  eingekrümmten  Finger  der  Hand  Zeichensprache 
für  „Essen"-  sind,  indem  sie  die  Handhaltuno-  wiedero-ebeu,  mit  der  man 
einen  Bissen  zum  Munde  führt.  Ich  glaube  deshalb,  dass  der  Hirsch  mit 
diesem  Symbol  bezeichnet  wurde,  weil  der  Hirsch  das  „Fleisch",  die^ 
„Speise"  darstellt.  Im  Grunde  kommt  diese  Erklärung  mit  meiner  früheren 
zusammen,  indem  die  Fleischspeise  ja  auch  die  Opfergabe  darstellt.  Jeden- 
falls glaube  ich  darin  auch  den  Grund  dafür  zu  finden,  dass  die  das 
Zeichen  manik  enthaltenden  Hieroglyphen  anderen  (Abb.  466,  468)  synonym 
auftreten,  die,  wie  mir  scheint,  die  Elemente  des  Vogels  enthalten,  ü  luumU 
cutz  y-etel  ceh  „das  Land  des  Truthahns  und  des  Hirsches",  —  so  nannten 
ja  die  Maya  ihre  engere  Heimath. 

Beiläufig  bemerke  ich,  dass  der  Hirsch  als  Thier  zweimal  in  der 
Dresdener  Handschrift  abgebildet  ist.  Auf  Blatt  13  c  und  auf  Blatt  21b. 
An  der  ersten  Stelle  wird  er  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  477,  an  der 
zweiten  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  478  bezeichnet.  Beide  enthalten  das 
Element  manik  und  daneben  ein  anderes,  das  mit  dem  Tageszeichen  chuen 
(=  mexikanisch  ocomätli  „Aife")  übereinstimmt,  und  das  hier  vielleicht 
allgemein  „Thier"  bedeutet.  Au  der  zweiten  der  angeführten  Stellen  ist 
die  Hieroglyphe  des  Hirsches  von  dem  Symbol  des  Todes  begleitet! 

Ferner  bemerke  ich,  dass  die  bekannte  Hieroglyphe  des  Regengottes 
Chac  (Abb.  479)  das  in  den  obigen  Hieroglyphen  so  vielfach  vorkommende 
Element  Abb.  447  wiedergibt,  nur  dass  statt  des  Kopfes  mit  geschlossenen 
Augen  ein  Kopf  mit  auslaufenden  Augen  in  der  Hand  gehalten  wird.  Ich 
erinnere  an  die  Idole  mit  weinenden  Augen,  welche  nach  Las  Casas  an 
verschiedenen  Stellen  von  Guatemala  verehrt  wurden. 

Die  Formen  des  Zeichens  manik,  die  die  Bücher  des  Chilam  Balam 
geben  (Abb.  448—451),  glaube  ich  als  vollständig  unverständlich  ge- 
wordene Weiterbildungen  der  Form  der  Handschriften,  die  von  der  letzteren 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     473 

nur  den  durch  Daumen  und  Zeigefinger  begrenzten    nach    unten    sich  er- 
weiternden Raum  beibehalten  haben,  ansehen  zu  müssen. 

8.  lambat,  kanel,  lamat  Dem  Wort  kanel  gibt  Ximenez  —  mit 
welchem  Rechte,  weiss  ich  nicht  —  die  Bedeutung  „Kaninchen",  also  ent- 
sprechend der  mexikanischen  Benennung  des  Zeichens  (tochtli). 

Die  Wörter  lambat  und  lamat  weiss  ich  nicht  zu  deuten. 

Landa  hat  für  das  Zeichen  die  Form  Abb.  480.  Im  Codex  Tro 
finden  wir  theils  die  ähnlichen  Formen  Abb.  481  und  482,  theils  die  etwas 
abweichenden  Abb.  483 — 485.  Aehnlich  im  Codex  Cortes.  Auch  in  der 
Dresdener  Handschrift  haben  wir  theils  Formen,  die  mit  der  Landa' sehen 
übereinstimmen  (Abb.  486,  487),  theils  die  etwas  abweichenden  Abb.  488 
bis  490.  Im  Codex  Perez  findet  sich  nur  die  Abb.  486.  Die  Bücher  des 
Chilam  Balam  geben  die  Formen  Abb.  491 — 494. 

Das  Kaninchen  war  den  Mexikanern  das  Zeichen  der  Erde.  Vielleicht  soll 
die  Mayahieroglyphe  die  nach  den  vier  Richtungen  ausgedehnte  Erde  be- 
zeichnen. 

9.  mo/o  (mulu),  toh,  muluc.  Das  Wort  toh  hat  im  Qu'iche-Cakchiquel 
eine  bestimmte  Bedeutun»:.     Brasseur  übersetzt  es  in  seinem  Vokabular 


mit  „aguacero"  d.  i.  „Platzregen,  Gewitterregen",  und  tohoh  wird  überein- 
stimmend von  Brasseur  und  von  dem  Dicc.  Cakchiquel  Anon.  (von 
Brinton  zitirt)  mit  ,,sonar  el  rio  y  el  ayre",  „Brausen  des  Flusses,  Donner 
^n  der  Luft"  übersetzt.  ToM  war  der  Hauptgott  der  Qu'iche.  Xahila's 
Cakchiquel  Annalen  erzählen,  dass,  als  die  Nationen  sich  nach  einem  Be- 
schützer umsahen,  die  Qu'iche  sagten  „der  Donner  (tohoh)  ertönt  im  Himmel, 
fürwahr  im  Himmel  muss  unser  Beschützer  sein;  so  sagten  sie,  und  darum 
werden  sie  Tohohil  genannt".  Brinton  (Names  of  the  gods  in  the  Kiche 
myths)  hält  das  für  eine  spätere,  zur  Erklärung  des  Namens  erfundene 
Legende  und  möchte  dem  Namen  Tohil  vielmehr  die  Bedeutung  „justice, 
equity"  beilegen.  Ich  glaube,  dass  Ximenez  und  Brasseur  die  richtigere 
Erklärung  geben,  dass  es  der  reelle  Vertreter  des  yukatekischen  Chac,  des 
mexikanischen  Tldloc  ist,  der  von  den  Qu'iche  als  ihr  Stammgott  verehrt  wurde. 
Wie  stimmen  nun  aber  zu  dem  Cakchiquel- Wort  die  Tzental-  und 
Maya-Bezeichnungen  des  Tages?  In  diesen  ist  es  nicht  gut  möglich,  etwas 
anderes,  als  die  Wurzel  mol,  mul  „sich  vereinigen,  ansammeln,  häufen"  zu 
erkennen,  moloc,  muluc  „was  vereinigt,  gesammelt,  gehäuft  ist".  —  Dürfen 
wir  an  „Ansammluns:  der  Gewässer"  denken? 


474 


Dritter  Absclinitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Eutziffenino:. 


Landa  i;;ibt  für  das  Zeichen  die  Abb.  495.  Im  Codex  Tro  finden  wir 
die  Abb.  496—497,  ähnliche  und  die  Abb.  498,  499  im  Codex  Cortes.  Die 
Abb.  öOO  mid  501  zeigen  die  Formen  der  Dresdener  Handschrift.  Eine 
sonderbare  Form  ist  nur  die  Abb.  506,  die  auf  Blatt  30b  des  Codex 
Cortes  vorkommt. 

Sollte  das  Maya-Zeichen  mit  dem  mexikanischen  (äti)  übereinstimmen, 
so  würden  wir  zunächst  an  ein  Wassergefäss  denken  müssen.  Das 
Wassergefäss  finden  wir  in  den  Maya-Haudschriften  einmal  (Dresden  34  c) 
durch  die  Abb.  007  und  für  gewöhnlich  durch  die  Abb.  508  ausgedrückt. 
Häufig  aber  ist  das  Wasser  in  einer,  von  dem  Leibe  einer  Schlange  ge- 
bildeten Schlinge  (oder  Sack)  geborgen.  Die  Schlangen,  die  Wolken- 
dämonen, sind  eben  diejenigen,  die  das  Wasser  verschlossen  halten,  die 
veranlasst  werden  müssen,  die  Schlinge  zu  lösen  und  das  Wasser  heraus 
fliesseu  zu  lassen.  Auf  den  von  dem  Leibe  der  Schlange  gebildeten,  das 
AVasser  bergenden  Säcken  —  auf  ihnen  sitzt  gebührendermasseu  der  Cliac 


Hp.      H'J6-      *^??        fii       W      yog       SOI      soi.    Sby    5-0 V.    y^r 

O|f/0ffO||(^ 

4"/^.  S4S- 


—  sehen  wir  in  Blatt  33 — 35b  der  Dresdener  Handschrift,  und  ebenso 
Codex  Cortes  3 — 6  a,  bestimmte  Zahlzeichen  angegeben,  die  wohl  der 
Ausdruck  des  reichen  Inhalts  der  Säcke  sind.  Aehuliche  Zahlzeichen 
befinden  sich  auf  dem  Gefäss,  das  Codex  Cortes  7  b  auf  dem  Bauche  des 
Todesgottes  ruht  (Abb.  509).  Zahlen  sehen  wir  aber  auch  auf  dem  Bauche 
der  Gestalten  eingeschrieben,  die  in  der  Haltung  gebärender  Weiber  auf 
Blatt  39— 40a  des  Codex  Cortes  und  -29— 30a  des  Codex  Tro  abgebildet 
sind.  Auch  hier  scheint  mir  der  Inhalt  des  Bauchsackes  durch  die 
eingeschriebenen  Zahlen  zum  Ausdruck  gebracht  werden  zu  sollen.  Es 
gibt  ein  hieroglyphisches  Element,  das  innerhalb  des  kalkuliformen 
Umrisses  ebenfalls  eine  eingeschriebene  bestimmte  Zahl  aufweist.  Nun 
dieses  Element  finden  wir  in  Hieroglyphen,  wie  es  scheint,  einerseits 
dem  AVassergefäss  synonym  verwendet  —  vgl.  Abb.  514  und  515,  die  im 
Codex  Dresden  39  c  Attribute  des  Chac  bezeichnen  —  andererseits  (in 
anderen  Hieroglyphen)  dem  Elemente  muluc.     So  zeigen  uns  die  Abb.  510 


6.  Tageszeicheii  dor  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre'  Gottheiten.     475 

l)is  512  und  513  Hieroglyphen,  die  im  Codex  Dresden  44  (1)  45  (2)b 
mid  40b  als  Attribute  der  Blitzthiero,  der  Sturmffenien  aufü-eführt  sind. 
Dass  in  diesen  das  Element  muluc  enthalten  ist,  scheint  mir  zweifellos. 
Diese  ihrerseits  scheinen  stellenweise  durch  andere  vertreten  zu  werden-, 
die  statt  des  Elementes  muluc  das  Element  mit  der  eingeschriebenen 
Zahl  enthalten.  Ich  glaube,  diese  Zusammenhänge  machen  es  doch  wahr- 
scheinlich, dass  auch  das  Maya-Zeichen  dieselbe  Bedeutung  hat,  wie  das 
neunte  mexikanische  Zeichen,  dass  es  das  Wassergefäss,  bezw.  den  Wasser- 
sack oder  den  Bauch  der  Gewässer,  bezeichnet. 

Ich  behaupte  imn  allerdings  nicht,  dass  durch  die  Form  des  Zeichens 
das  Gefäss  zum  Ausdruck  gebracht  wird.  Vielleicht  bezeichnet  es  da^ 
Wasserauge,  den  Wasserspiegel.  Ich  verweise  auf  die  Darstellungen 
im  Codex  Tro  31 — 30d,  die  mit  dem  Wasser  ausgiessenden  Chac  beginnen. 
Hier  treffen  wir  eine  den  Abb.  510—513  ganz  äquivalente  Keihe  von 
Hieroglyphen  (Abb.  516 — 519),  die  nur  mit  dem  nach  den  Himmelsrichtungen 
wechselnden  Element,  dem  Element  der  Farbe  (vgl.  die  Abb.  13 — 16, 
oben  S.  410)  versehen  sind,  und  die  das  Element  muluc  zu  einem  voll- 
ständigen Gesicht,  dem  des  Gottes  mit  der  Schlange  über  dem  Gesicht 
(Abi).  33,  oben  S.  410),  ausbilden. 

Die  Formen,  die  die  Bücher  des  Chilam  Balam  für  das  Zeichen 
muluc  geben,  ähneln  ium  Theil  sehr  dem  vorigen  Zeichen,  und  ich  halte 
es  nicht  für  ausgeschlossen,  das  hier  irgend  eine  Yerwechselung  vorliegt. 

10.  elab,  izii,  oc.  Das  Zeichen  entspricht  dem  mexikanischen  ifzcu- 
intli  „Hund",  und  eben  das  bedeutet  auch  im  Qu'iche,  Cakchiquel  und 
Pokomam  das  Wort  tziiy  tzi,  das  wohl  auf  eine  Wurzel  [tzi]  ^  Qu'iche  ü^ 
Ixil  c/w,  Maya  cA?',  ^beissen,  Fleisch  fressen''  (Ixil  tzi^  Qu'iche,  Cakchiquel 
und  Maya  chi  „der  Mund")  zurückgeht. 

Der  Hund  heisst  im  Maya  i^ek  —  <las  Wort  scheint  mit  einer  Wurzel 
„sich  faul  hinstrecken,  am  Boden  liegen"  zusammenzuhängen  — ;  und  der 
kleine  haarlose  einheimische  Hund,  der  xolo-itzcuintli  der  Mexikaner  wird 
bil  genannt,  hil  bedeutet  auch  Kauhigkeit,  Saum  oder  Köper  im  Gewebe"-, 
auch  die  „kalcinirten  Knochen,  die  zum  Raulimachen  der  Finger  beim 
Spinnen  benutzt  werden";  bilim  ist  „Unebenheit  im  Wege,  Spur,  das  aus- 
gescharrte Lager  eines  Thieres". 

Auf  was  für  eine  Wurzel  das  Wort  oc,  die  Maya -Bezeichnung  des 
dem  mexikanischen  itzcuintli  „Hund"  entsprechenden  Tageszeichens,  zurück- 
zuführen ist,  vermag  ich  mit  den  mir  zu  (Jebote  stehenden  Hilfsmitteln 
nicht  festzustellen.  Ebensowenig  weiss  ich  mit  dem  Tzental-Wort  elab 
irgend  etwas  anzufangen. 

Das  Zeichen  ist  im  Landa  in  der  Form  der  Abb.  5"20  gegeben.  Im 
Codex  Tro  treffen  wir  ähnliche  Formen  (Abb.  521 — 523);  einige  Male  al»er 
(Tro  12a  12c)  stellt  das  Zeichen  ein  ganzes  Gesicht  dar  (Abb.  524),  und 
hier  erkennt  man  deutlich,  dass  die  Landa'sche  Figur  und  die  Abb.  521 


476 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


bis  523  nur  das  Ohr  des  Thieres  mit  einem  Paar  schwarzer  Flecken 
davor  wiedergeben  sollen,  im  Codex  Cortes  und  im  Codex  Perez  finden 
sich  nur  die  sewöhnlicheu  Formen.  Die  Dresdener  Handschrift  zeijrt 
neben  den  gewöhnlichen  Formen  (Abb.  525)  zunächst  solche,  die  ge- 
wissermassen  nur  den  ol>eren  Lappen  der  Ohrmuschel  darstellen  (Abb.  52G), 
dann  solche,  wo  der  obere  Lappen  zu  einem  geschlossenen  Kreise  ge- 
worden ist  (Abb.  527),  endlich  al)er  auch  solche,  die  mehr  oder  minder 
deutlich  ein  Gesicht  zeigen:  Abb.  528  (Blatt  30b),  529  (Blatt  30c),  530 
(Blatt  12  a),  531  und  532  (Blatt  45  (2)a  imd  64b).  —  Die  Bücher  des 
Chilam  Bala^n  haben  die  Abb.  533  —  536,  die  augenscheinlich  aus  der  ge- 
wöhnlichen Form  der  Handschriften  entstanden  sind. 


ns.       sib.      i^z?       5-<y-      yx9-      üi«  #iii^  rr— I  im 


Sin 


Der  kleine  einheimische  Hund  spielte  auch  in  Yucatan  eine  Rolle. 
Er  wurde  als  Hausthier  gehalten,  kastrirt  und  gemästet,  den  Göttern  als 
Opfer  geschlachtet  und  als  Festbraten  verzehrt.  Ich  habe  oben  erwähnt, 
dass  der  Hund  in  mexikanischen  Abbildungen  —  falls  er  nicht  roth  "euialt 
wird,  was  seinen  besonderen  mythologischen  Grund  hat  —  meist  mit 
schwarzen  Flecken  gezeichnet  wird,  und  wenn,  wie  häufig,  statt  des 
ganzen  Thieres  das  Ohr  allein  gezeichnet  wird,  dass  dann  dem  Ohre 
regelmässig  die  Spitze  abgerissen  ist,  so  dass  dasselbe  einen  zerfetzten 
oberen  Saum  zeigt.  Auch  in  den  Maya-Handschriften  treffen  wir  mehr- 
fach ein  Thier,  das  weiss  mit  schwarzen  Flecken  gezeichnet  ist,  einen 
Raubthierkopf  und   zerfetzte  Ohrspitzen   hat   und   gewöhnlich   auch    einen 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     477 

schwarzen  Fleck  um  das  Auge  aufweist.  Vgl.  die  Abb.  537—540,  die  der 
Dresdener  Handschrift,  und  A])b.  541,  die  dem  Codex  'Pro  entnommen  ist, 
Von  dem  Jaguar,  dem  das  Thier  stellenweis  ähnlich  sieht,  unterscheidet  es 
sich  —  ausser  durch  den  längeren  Kopf  und  die  zerfetzten  Ohren  — 
namentlich  durch  den  buschigen  Schwanz  —  der  Tiger  hat  einen  laugen, 
glatt  behaarten  Schwanz  —  und  ich  glaube,  wir  werden  in  diesem  Thiere 
den  Hund  erkennen  müssen.  Das  Thier  kommt  in  der  Dresdener  Hand- 
schrift 7  a  in  der  Reihe  der  zwanzig  Götter  vor.  Auf  Blatt  13a  sieht  man 
das  Thier  einem  Vogel  (Geier?),  auf  Blatt  21  !>  der  jungen  Göttin  gegen- 
übergestellt. Im  Codex  Tro  25 *c  folgen  aufeinander  unter  den  Zeichen 
der  vier  Himmelsrichtungen  (Abb.  18 — 21,  oben  S.  410)  die  ganzen  Ge- 
stalten eines  Menschen,  des  Hundes,  des  Affen  und  eines  Todtenvogels. 
Im  Codex  Tro  27  b  sitzen  um  die  Göttin  mit  der  Schlangenkopf  binde 
herum  der  Chac,  der  Hund,  das  Reh,  der  Jaguar  und  das  Schwein  — 
letzteres  durch  starke  Behaarung,  Rüssel  und  Hufe  gekennzeichnet.  Endlich 
im  Codex  Dresden  40b  (Abb.  540)  ist  das  Thier  mit  dem  Kopfschmuck 
des  Gottes  mit  dem  A'an-Zeichen  geschmückt  und  fungirt  als  Blitzdämon. 

Die  Hieroglyphe  des  Hundes  (Aldi.  542)  enthält  nun  allerdings  das 
Element  oc  nicht.  Sie  enthält  als  Hauptelement  ein  Element,  das  auch 
in  der  Hieroglyphe  des  Monatsnamens  Kankin  (Monat  April)  (Abi).  24  und 
25,  oben  S.  410)  vorkommt,  und  das  als  eine  kursive  Zeichnung  eines 
Skeletts  zu  betrachten  ist,  des  Rippenkorbs  und  der  Wirbelsäule,  indem  an 
dem  unteren  Ende  der  letzteren,  wie  auch  regelmässig  an  den  in  voller 
Zeichnung  ausgeführten  Skeletten  zu  sehen  ist,  eine  Analöffnung  angegeben 
ist.  Diese  Hieroglyphe  ist  im  Codex  Dresden  40b.  wo  das  Thier  als 
Blitzdämon  fungirt,  mit  dem  Element  des  Himmels  (vgl.  oben  S.  459 
Abb.  300  und  301)  assoziirt  (Abb.  543).  Als  Attribute  finden  wir  im 
Codex  Dresden  7a  der  Haupthieroglyphe  die  Hieroglyphen  Abb.  544  bis 
546,  d.  h.  das  Symbol  des  Adlers,  der  Eule  und  des  Raubthieres  (?)  hin- 
zugefügt. 

Enthält  nun  aber  auch  die  Hieroglyphe  dieses  Thieres,  des  Hundes,  das 
Element  oc  nicht,  so  ist  doch  eine  Beziehung  zwischen  dem  Elemente  oc  und 
diesem  Thiere  dadurch  vermittelt,  dass  wir  das  Element  oc,  in  der  Form,  wie 
es  die  Abb.  531  und  532  zeigen,  in  einer  Hieroglyphe  wiederfinden  (Abb.  547), 
die  überall  in  (xesellschaft  von  Hieroglyphen  auftritt  (Abb.  548 — 550), 
die  ohne  Zweifel  den  Blitz  oder  Attribute  der  Sturmgenien  darstellen, 
und  ferner,  dass  wir  im  Codex  Dresden  61 — 63  Formen  des  Monatsnamens 
XmZ  finden,  die  statt  der  Thiere  mit  dem  akhal  über  dem  Auge,  — 
die  ich  oben  schon  als  Blitzthiere  angesprochen  habe  (vgl.  Abb.  340  und 
341)  —  unser  Zeichen  oc  enthalten  (Abb.  551  und  552). 

Die  Beziehung  des  Hundes,  bezw.  des  Zeichens  oc,  zu  den  Blitzgenien, 
zum  Blitzfeuer,  ist  endlich  vielleicht  der  Grund  gewesen,  dass  als  Attribut, 
zunächst    Itzamnas,    dann    aber    auch   des   67m<?,    Ah    bolon    tz'acab'a    und 


478  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

einer  Reihe  anderer  irötter.  eine  Hierogh-phe  verwendet  wird  (Abb.  553 
und  554 — 555),  die  mit  einem  Zahlzeichen  (vier  im  Codex  Cortes  IIa, 
sonst  drei),  das  Element  oc  und  ein  anderes  (Abb.  70 — 71,  oben  S.  414)  ver- 
bindet, das  ich  oben  als  Symbol  des  Vogels  angesprochen  habe,  das  aber  auch 
für  die  einen  Mann  bezeichnenden  Elemente  eintritt.  Die  im  Codex 
Cortes  IIa  in  dieser  Hieroglyphe  angegebene  Vier  ist  wahrscheinlich  ein 
Irrthum.  Ueberall  sonst  ist  in  dieser  sehr  häufig  vorkommenden  Hiero- 
glyphe die  Ziffer  Drei  angegeben,  und  diese  scheint  wirklich  zu  dem 
Wesen  der  Hieroglvphe  zu  gehören.  Die  Hieroglyphe  würde  danach  oxil 
oc.  d.  h.  mexikanisch  yei  itzcuintli  „di'ei  Hund"  gelesen  werden  müssen, 
und  das  ist  in  der  Tliat  ein  Tag,  der  in  dem  mexikanischen  Codex  Telleriano- 
Remensis  als  Fest  und  Xame  des  Peuergotts  angegeben  wird.  Denn  er 
gehört  der  Woche  ce  tochtli  an.  in  der  der  Feuergott  regiert,  und  er  ist 
der  mit  der  Zahl  „drei'^  verbundene  Tag.  Die  Zahl  .,drei~  aber,  die  die 
Anzahl  der  Herdsteine  angibt,  scheint  als  ein  besonderer  Ausdi'uck  der 
Wesenheit  des  Peuergottes  betrachtet  worden  zu  sein. 

11.  baiz,  ba'iz,  chuen.  Das  Zeichen  entspricht  dem  mexikanischen 
ocojnatli  „Affe'',  und  dieselbe  Bedeutung  wird  auch  im  Uuiche  und  Cakchi- 
quel  für  das  Wort  ba'tz  augegeben,  obwohl  daneben  noch  und,  wie  es 
scheint,  häufiger  das  Wort  co'j/,  im  Maya  tnax.,  maax  verwendet  wird. 
hatz  ist  der  grosse  schwarze  Affe,  der  Brüllaffe  (zaraguato,  sariguate): 
c'oy  und  maa.v  bezeichnen  den  gewöhnlichen  Affen  (mono,  niico). 

Das  Wort  chuen  hat  im  heutigen  Maya  keine  Bedeutung  mehr.  Es 
gibt  ein  Wort  chuencht.  das  ..Brett"  bedeutet  und  mit  dem  man  auch 
einen  bestimmten  Baum  bezeichnet  (tabla,  y  un  ärbol  asi  llamado).  Dass 
indes  das  Wort  chuen  zu  batz,  bez.  zu  dem  Affen,  in  bestimmter  Be- 
ziehung steht,  das  scheint  mit  Sicherheit  aus  einer  Legende  des  Popol  Vuh 
hervorzugehen. 

Der  zweite  Theil  des  Popol  ruh  beginnt  mit  der  Erzählung  des  Ur- 
sprunges der  beiden  Heroeugötter  Sunahpu  und  Xbalanque  (Sonne  und 
Mond,  wie  ich  oben  schon  angeführt  habe).  Yoii  den  Urahnen  (iyanu 
rnamoni)  Xpiyacoc  und  Xmucane  werden  in  der  Xacht  die  beiden  Söhue 
Hun  hunahpu  (=  mexikanisch  ce  xochitl  „eins  Blume")  und  Vukub  hunahpu 
(=  mexikanisch  chicome  xochitl  „sieben  Blume")  erzeugt.  Der  letztere 
bleibt  ledig.  Aber  der  erstere  erzeugt  mit  der  Xbakiyalo  die  beiden  Söhne 
Hun  batz  (=  mexikanisch  ce  ocomätli  ..eins  Affe'')  und  Hun  chouen.  Diese 
werden  geschickte  und  in  allerhand  Künsten  erfahrene  Leute:  Flöten- 
spieler, Sänger,  Blasrohrschützen,  Bilderschriftkundige,  Bildhauer,  Stein- 
schneider, Goldschmiede.  Hunhunahpu  und  Vukubhunahpu,  die  gewaltigen 
Ballspieler,  verlassen,  einer  Herausforderung  der  unterweltlichen  Mächte 
folgend,  ihre  alte  Mutter  und  die  beiden  Gebrüder  Hunbatz  und  Hunchouen^ 
die  bei  der  Grossmutter  zurückbleiben,  und  steigen  in  das  Reich  Xibalba^ 
in  die  Untei-welt,    hinab.     Dort    erliegt    Hunhunahpu    den    Todesmächten. 


G.  Tageszeichett  der  aztekischen  und  der  Maya-Handscliriften  uud  ihre  Oöttheiten.     47^) 

Aber  aus  dem  Speichel,  den  sein  an  dem  Kopfbaum  (Kalebassenbaum) 
au%esteckter  Kopf  in  die  geöffnete  Hand  der  Jungfrau  Xqmc  speit,  werden 
(unbefleckt)  die  Gebrüder  Hunahpu  und  Xbalanque  empfangen.  Diese,  im 
Walde  geboren  und  erzogen,  schiessen  mit  dem  Blasrohr  allerhand  Vögel 
und  bringen  sie  der  Grossmutter  (Xmucane)  und  den  älteren  Brüdern 
{Hunbatz  und  Hun  choueri).  Aber  letztere  behandeln  die  beiden  jüngeren 
Brüder  schlecht.  Um  sich  zu  rächen,  fordern  die  beiden  Jünolino-e  ihre 
älteren  Brüder  auf,  ihnen  aus  den  Zweigen  des  Baumes  can-te  (Öchlangen- 
baum)  die  Vögel  herunterzuholen,  die  sie  geschossen,  und  die  beim  Fall 
dort  hängen  geblieben  sind.  Hunbatz  und  Runchouen  folgen  der  Auf- 
forderung. Aber,  als  sie  oben  sind,  wächst  der  Baum  in  die  Höhe,  dass 
sie  nicht  mehr  hinunter  können.  Und  als  sie  ihre  Schambinden  abnehmen, 
um  sich  an  diesen  herunterzulassen,  werden  diese  zu  Schwänzen.     Hunbatz 


S^H.       He      y6<      ^h  Si>ü 


5-60       s()t-      £61.    ^63, 


o  .'.  0    ^  <x 


i^t^^^    iz=it=y 


und  Hun  chouen  werden  zu  Affen.  Ihre  Grossmutter  freilich  möchte  sie 
zurück  haben.  Und  ihr  zu  Liebe  locken  Hunahpu  und  Xbalanque  viermal 
mit  der  Flöte  und  der  Melodie  hunahpu  c'oy  die  Brüder  aus  dem  Walde 
hervor.  Aber  ihr  Tanzen  und  ilire  Geberden  sind  so  komisch,  dass  die 
Alte  jedesmal  zu  lachen  anfängt.  Dadurch  werden  sie  immer  wieder  ver- 
scheucht, und  so  bleil)en  sie  im  Walde  und  bleiben  Affen. 

Xun,  dass  hier  chouen  dasselbe  ist  wie  Maya  chuen^  und  dass  chouen 
der  Zwillingsbruder  von  batz^  wie  Hunchoue7i  der  Zwillingsbruder  von  Hun 
batz,  des  Brüllaffen,  ist,  dass  demnach  auch  in  dem  Worte  chouen,  chuen 
der  Begriff  „Affe"  liegt  —  das  scheint  nicht  bezweifelt  werden  zu  können. 

Lau  da  giebt  für  das  Zeichen  die  Abb.  556.  Im  Codex  Tro  finden 
wir  die  Formen  Abb.  557 — 559.  Dieselben  hat  auch  der  Codex  Cortes. 
Im    ersten    Theil    der    Dresdener    Handschrift   finden    sich    ausschliesslich 


4^0  Dritter  Abschuitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Eutzififerung. 

Formen,  die  der  Abb.  559  gleichen,  aber  zum  Theil  mit  der  Variante 
Abb.  560.  Im  zweiten  Theil  der  Dresdener  Handschrift  begegnen  wir 
Formen,  die  den  Abb.  557  und  558  gleichen.  Eine  besondere  vereinzelte 
Form  ist  Abb.  r)(>l,  die  sich  im  Codex  Dresden  32b  findet.  Der  Codex 
Perez  hat  die  Abb.  562,  also  eine  ähnliche  Variante,  wie  derselbe  Codex 
für  das  Zeichen  kati  aufweist.  Auf  den  Reliefplatten  von  Palenque  findet 
man  vielfach,  und  mit  verschiedenen  Zahlenwerthen  verbunden  ein  Element, 
das  mit  dem  Zeiclien  chuen  die  grösste  Aehnlichkeit  hat  (vgl.  Abb.  5G3).') 
Die  Bücher  des  Chilam  Balam  geben  die  Formen  Abb.  564 — 567. 

Den  Affen  sehen  wir  unverkennbar  auf  dem  Blatt  25 'c  des  Codex  Tro 
{Abb.  570)  dargestellt,  und  zwar  in  der  merkwürdigen  Reihe  Mensch, 
Hund,  Affe.  Todtenvogel.  Der  Mensch  ist  dabei  durch  die  ruhende 
Figur  mit  Haarschopf  oder  Andeutung  eines  Kopfes  bezeichnet  (Abb.  50, 
oben  S.  414),  die  wir  auch  (vgl.  Abb.  84,  oben  S.  401)  als  hieroglyphisches 
Element  verwendet  fanden.  Ueber  ihnen  stehen  vier  Hieroglyphen,  die 
die  betreffenden  vier  Wesen  zu  nennen  scheinen.  Und  beide,  Gestalt  und 
Hieroglyphe,  stehen  in  einer  Columne  mit  je  einer  der  Hieroglyphen  der 
vier  Himmelsrichtungen  (Abb.  18—21,  oben  8.  410).  Die  Hieroglyphe, 
•durch  die  der  Affe  bezeichnet  wird,  ist  unverkenübar  (Fig.  571).  Aber 
dieselbe  Hieroglyphe  scheint  auch  für  den  Menschen  zu  stehen.  Und  der 
Hund  ist  durch  eine  besondere  Hieroglyphe  ausgedrückt  (Abb.  555  a,  oben 
S.  476),  die  ich  anderwärts  nicht  gefunden  habe. 

Eine  der  Abb.  571  ähnliche  Hieroglyphe  sehen  wir  nun  aber  auch 
auf  Blatt  15a  b  der  Dresdener  Handschrift  (Abb.  569).  Auch  hier  ist  der 
Affenkopf  unverkennbar,  dessen  eigenthümlichste  Besonderheit  gegenüber 
dem  menschlichen  Schädel  in  der  starken  Einsattelung  zwischen  Stirn-  und 
Nasentheil,  bezw.  in  dem  starken  Vorspringen  des  Gesiehtsschädels  liegt. 
Aber  dass  der  Affe  gemeint  ist,  ist  in  dieser  Hieroglyphe  noch  besonders 
dadurch  angedeutet,  dass  diesem  Kopf  als  Auge  das  Zeichen  chuen^  das 
Zeichen  des  Affen,  eingesetzt  ist.  Die  Hieroglyphe  steht  neben  einer 
anderen,  Abb.  568,  die  eines  der  eigenthümlichen  Elemente  enthält,  die  ich 
oben  als  Darbringung,  als  Opfer  gedeutet  habe.  Daneben  findet  sich  in  dem 
oberen  Abschnitt  des  Blattes  eine  dritte  Hieroglyphe  (Abb.  575),  die  ich  vor 
der  Hand  nicht  analysiren  kann.  Alle  drei  Hieroglyphen  begleiten  eine 
merkwürdige  Darstellung:  eine  Reihe  Göttergestalten,  die  zwischen  Blättern 
und  Gezweig  herabstürzen,  indem  ihre  Gliedmassen  zum  Theil  in  Blätter 
auswachsen. 

Dieselben  Hieroglyphen  (Abb.  572  und  574)  finden  wir  neben  einer 
anderen  (Abb.  573)  auf  Blatt  17  *b  des  Codex  Tro,  wo  Götter  aus  dem 
Gezweig  eines  Baumes  heraus  sich  kundzusebeil  scheinen. 


1)  Es  bezeichnet  auf  den  Monumenten  die  Hieroglyphe  ninal,  d.  h.  den  Zeit- 
raum von  zwanzig  Tagen  oder  die  Zahl  zwanzig,  wie  in  einer  der  am  Schluss 
dieses  Bandes  abgedruckten  Abhandlungen  näher  nachgewiesen  ist. 


<;.  Tageszeichen  der  aztekisthen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     481 

Ist  bei  diesMi  Hieroglyphen  und  diesen  Darstellungen  ein  direkter 
Zusammenhang  mit  dem  Affen  noch  denkbar,  und  sogar  wahrscheinlich  — 
der  Affe  ist  das  Thier  der  luftigen  Höhe,  der  im  Gezweig  sein  Wesen 
treibt,  —  so  finden  wir  in  den  Handschriften  auch  noch  andere  Thiere, 
die  in  derselben  Weise  als  Auge  das  Zeichen  chuen  haben.  Das  sind  die 
vier,  Blitzfackeln  in  den  Händen  tragenden  Thiere  Abb.  576  (Codex 
Tro  32 — 33c),  die  also  eine  dritte,  bezw.  vierte,  Klasse  von  Sturmgenien 
oder  Blitzthieren  darstellen  würden  (vgl.  Abb.  339,  oben  S.  459  und  Abb.  540, 
oben  S.  476  und  die  zugehörigen  Bilder  auf  den  Blättern  44(1),  45  (2)  b 
der  Dresdener  Handschrift). 

An  die  Abb.  569  und  den  eben  gezeichneten  Kopf  des  Blitzthieres 
schliesst  sich  die  Hieroglyphe  Abb.  577  an,  von  der  ich  oben  schon 
(Abb.  550,  S.  476)  eine  interessante  Variante  wiedergegeben  habe.  Die  Hiero- 
glyphe steht  im  Codex  Dresden  29 — 301)  vor  den  Zeichen  der  Himmelsrich- 
tungen, an  der  Spitze  der  Hieroglyphengruppen,  die  den  begleitenden  Text  zu 
Bildern  Chacs  bilden,  und  erinnert  insofern  an  die  Hieroglyphe  Abb.  37 
und  38 — 43,  oben  S.  414),  die,  wie  ich  zeigte,  den  Fänger,  den  Jäger,  den 
Krieger  bedeutet.  Die  Hieroglyphe  enthält  zwei  Merkmale,  die  an  den  Kopf 
eines  Todten  erinnern:  die  freiliegenden  Zähne  und  die  sich  anschliessende 
Linie,  das  Residuum  des  aufsteigenden  Astes  des  Unterkiefers,  und  die 
Kugeln  oder  Tropfen  unter  der  Hieroglyphe.  Ein  Besonderheit  sind  die 
beiden  schnurförmig  auseinandergehenden  Enden  am  oberen  Theil  der 
Hieroglyphe.  Mir  scheint  das  in  Verbindung  gebracht  werden  zu  müssen 
mit  Bildern,  die  einen  Krieger  zeigen,  der  einen  abgeschnittenen  Kopf 
oder  eine  ganze  Figur  in  der  Schlinge  trägt.  Vgl.  Codex  Dresden  67  a, 
Codex  Cortes  27  b.  Im  Text  sehen  wir  an  ersterer  Stelle  den  Vorgang 
ausgedrückt  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  578  (Mann  mit  abgeschnittenem 
Kopf  in  der  Schlinge),  eine  Hieroglyphe,  die  in  ganz  ähnlicher  Form 
(Fig.  578a)  im  Codex  Tro  20* — 23*a  an  der  Spitze  der  Hieroglyphen- 
gruppen zu  sehen  ist,  die  den  begleitenden  Text  zu  einer  Anzahl  Dar- 
stellungen von  in  der  Schlinge  oder  Falle  gefangenen  Thieren  bilden.  — 
Beiläufig  bemerke  ich,  dass  die  letzten  beiden  Hieroglyphen  weitere 
Beweise  für  die  von  mir  aufgestellte  Behauptung  heranbringen,  dass  die 
Abb.  60,  oben  S.  414  (das  Zahlzeichen  zwanzig)  den  abgeschnittenen  Kopf 
bedeutet. 

.  Mit  der  Hieroglyphe  Abb.  577  hat  eine  unbestreitbare  Aehnlichkeit 
die  Hieroglyphe  des  Monatsnamens  tzec,  von  der  ich  in  der  Abb.  579  die 
Landa'sche  Form,  in  den  Abb.  580 — 582  die  Formen  der  Dresdener 
Handschrift  gebe,  tze,  tzee  bezeichnet  den  zermalmten  oder  grob  gemahlenen 
Mais,  bezw.  das  Zermalmen,  Zerstosseu  (im  (Gegensatz  zu  dem  fein  Zer- 
reiben); tzeec  die  Zermalmung,  Züchtigung,  Busspredigt,  tzec,  tz!ec  den 
Schutt  oder  die  Ruinen  alter  Gebäude,  tzec  scheint  demnach  den  ,, Zer- 
malmer"   zu    bedeuten.      Der    Monat    tzec    ist    der    Monat,    in    dem    die 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  31 


4S2  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyplien-Entzifferung. 

Bieneuzüchter  den  Bacab  und  insbesondere  dem  Hobnil  (d.  i.  dem  Kanal 
Bakab)  Opfer  brachten.  Der  Honig  Avar  füi-  die  alten  Maya  viel  weniger 
der  süsse,  die  Speisen  würzende  Stoff,  als  derjenige,  von  dem  der  Honig- 
wein (ct),  das  berauschende  Getränk,  gemacht  wurde.  Der  Monat  izec 
war  ein  grosses  Saufgelage,  weil  in  ihm  die  Bienenzüchter,  frommen 
Sinnes,  den  zu  dem  Getränk  nöthigen  Honig  in  Menge  spendirten.  Darin 
scheint  mir  die  Bedeutung  des  Namens  und  der  Hieroglyphe  dieses  Monats 
zu  liegen.  Ich  «^'innere  daran,  dass  in  Mexico  der  Gott  des  Weins 
tequechmecauiani  „der  Erwürger",  teatlauiani  „der  Ertränker"  genannt  wird. 
In  gleicher  verwandtschaftlicher  Beziehung  zu  der  Hieroglyphe  Abb.  577 
scheint  die  Hieroglyphe  Abb.  583 — 585  zu  stehen,  die  in  der  mittleren 
Abtheilung  der  linken  Seite  der  Blätter  46 — 50  der  Dresdener  Handschrift, 
im  Verein  mit  der  Hieroglyphe  des  Planeten  Venus  (Abb.  318,  319,  oben 
S.  459),  je  einer  der  vier  Himmelsrichtungen  und  je  einer  von  zwanzig 
Gottheiten  und  einem  bestimmten  Monatsdatum  zugeschrieben  ist.  In  der 
oberen  Keihe  derselben  Blätter  wiederholen  sich  (mit  anderen,  aber  analog 
geordneten  Monatsdaten)  dieselben  20  Gottheiten,  die  Hieroglyphen  der 
Venus  und  die  Zeichen  der  Himmelsrichtungen,  aber  statt  der  Hieroglyphe 
Abb.  583—585  steht  hier  die  Hieroglyphe  Abb.  443  (oben  S.  471)  —  der 
Mann,  der  das  Messer  hält  oder  darreicht.  — 

Endlich  erscheint  das  Zeichen  chuen,  gewöhnlich  nicht  einzeln,  sondern 
in  Gruppen  von  zwei  oder  drei  und  mit  Zahlzeichen  versehen  (Abb.  586) 
uuter  den  Opfergaben.  Allerdings  nur  an  bestimmten  Stellen  der  Hand- 
schriften. So  auf  Blatt  25-28  des  Codex  Dresden.  Ferner  auf  den  zu- 
sammengehörigen Blättern  im  Codex  Tro  36  und  Cortes  22,  wo  diese 
cÄMßw-Packete  besondere  Reihen  bilden,  die  mit  anderen  —  die  Zeichen 
der  Himmelsrichtungen,  Hieroglyphen  der  Windgötter  oder  mannigfaltige 
andere  Opfergaben  enthaltenden  Reihen  abwechseln.  Endlich  auf  den 
Blättern  10* — 7*b  des  Codex  Tro,  wo  sie  im  hieroglyphischen  Text,  hinter 
den  Symbolen  der  Götter,  anfangs  neben  Abbreviaturen  der  unten  im 
Bild  dargestellten  Opfergaben,  weiterhin  allein,  wie  an  Stelle  der  letzteren, 
stehen.  In  den  unmittelbar  darauf  folgenden  Blättern  7*-5*b  des  Codex 
Tro  sieht  man  neben  den  Zeichen  der  Opfergaben,  wie  es  scheint,  an 
Stelle  der  cAwew-Packete  die  Hieroglyphe  Abb.  587,  die  auch  in  der 
Dresdener  Handschrift  (Abb.  588)  an  mehreren  Stellen  neben  Opfergaben 
vorkommt. 

12.  euob,  ee,  eb.  £",  ye  heisst  „die  Schneide",  „die  Schärfe",  „der 
Einschnitt";  eb,  ebiL  ebal,  yebal  (eine  Reihe  Einschnitte),  Stufenreihe, 
Treppe.  —  Auch  im  Qu'iche-Cakchiquel  heisst  e  der  Zahn,  die  Schneide; 
ee  ist  die  Cakchiquel-Pluralform  des  Wortes,  für  eeb  des  Qu'iche.  —  Auch 
euob  des  Tzental  ist  eine  Pluralform,  wie  ich  vermuthe,  von  einem  Singular 
eu=^  ee.  —  Der  Name  dürfte  also  in  allen  Sprachen  das  Gleiche,  und 
zwar  „Zahnreihe",    „Spitzenreihe"    bezeichnen  —  eine  Bedeutung,    die  zu 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     483 

manchen  mexikanischen  Formen  des  Zeichens  (Abb.  113.  114.  oben  S.  431), 
sowie  zu  dem  AI eztitlan-}\ amen  des  Zeichens  (itlan  „sein  Zahn"),  vor- 
trefflich passen  würde. 

Das  Zeichen  ist  im  Landa  durch  die  Abb.  589  gegeben.  Im  Codex 
Tro  finden  sich  die  Abb.  590  und  591.  Aehnliche  im  Codex  Cortes.  In 
der  Dresdener  Handschrift  haben  wir  die  Formen  Abb.  592 — 595  und 
Abb.  597.  Im  Codex  Perez  treffen  wir,  neben  den  gewöhnlichen  Formen, 
die  Abb.  596. 

Das  Zeichen  zeigt  in  der  Form  der  Handschriften  eine  unverkennbare 
Aehnlichkeit  mit  dem  unten  zu  erwähnenden  Zeichen  77ien,  das,  wie  wir 
«eben  werden,  ein  Gesicht  mit  eingekniffenem  Mundwinkel,  ein  Greisen- 
gesicht, darstellt.  Nur  sind  bei  dem  Zeichen  men  regelmässig  noch  Wangen- 
falten und,  wie  es  scheint,  borstige  Augenbrauen  gezeichnet,  und  es  fehlt 
die  von  Punkten  oder  Härchen  eingefasste  Linie  an  der  Seite  des  Kopfes. 
Zieht  man  indes  die  allerdings  seltenen  Fälle  zum  Vergleich  heran,  wo 
das  Zeichen  eb  auf  den  Monumenten  vorkommt,  so  erkennt  man,  dass  in 
<ler  Hieroglyi^he  eb  nicht  ein  Greisengesicht,  sondern  ein  Todtenschädel 


h^Al,  vibtid 


dargestellt  werden  sollte.  Besonders  gut  ist  das  auf  der  Stele  C  von 
Quirigua  zu  sehen.  Wir  haben  also  in  der  Hieroglyphe  eb  einen  Todten- 
schädel zu  erkennen,  an  dem  gewissermassen  als  Determinativ  ein  Gras- 
busch oder  ein  Besen  angebracht  ist,  d.  h.,  wir  haben  in  dieser  Hiero- 
glyphe eb  dieselben  konstituirenden  Elemente,  viie  die,  die  das  Wesen 
des  entsprechenden  mexikanischen  Zeichens  vialinalli  ausmachen  (vgl.  olien 
S.  431  Abb.  110).  Noch  merkwürdiger  ist  eine  Form  des  Tageszeichens  eb, 
die  auf  dem  berühmten  Jadeitcelt  des  Leidener  Museums  vorkommt, 
indem  dort  statt  des  Todtenschädels  nur  ein  Todtenunterkiefer  in 
Verbindung  mit  einem  Busch  gezeichnet  ist,  d.  h.  eine  Form,  die  genau  der 
Vaticauus  B-Form  des  Zeichens  malinalli,  Abb.  112,  oben  S.  431,  entspricht. 

Die  Bücher  des  Chilam  Balam  geben  für  das  Zeichen  eb  die  Formen 
der  Abb.  598 — 600,  die  mit  der  Form  der  Handschriften  offenbar  nichts 
zu  thun  haben.  Ich  weiss  sie  auch  nicht  zu  erklären,  es  sei  denn,  dass 
man  in  ihnen  ein  Geflecht  sieht,  —  und  dies  könnte  an  das  mexikanische 
malinalli-^irohs&i\  erinnern. 

Das  Zeichen  wird  in  Hieroglyphen  kaum  verwendet.  Als  einziges 
Vorkommniss  kann  icli  anführen,  dass  sich  das  Zeichen  eb  in  dem  Wasser 

31* 


484 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  uud  Hieroglyphen-Eutziflferung, 


tiutler,    das    auf   dem    letzten   Blatte    der  Dresdener  Handschrift  die    alte_ 
krallenbewaftnete,  rothe  Göttin  aus  dem  Kruge  giesst. 

13.  been,  ah,  ben.  Das  Quiclie-Cakchiquel-Wort  ah  soll  nacl> 
Ximenez  und  Brasseur  ^.Rohr",  ^Maisstaude'^  (caüa,  mazorca)  bedeuten. 
Das  Wort  liäugt  vielleicht  mit  dem  Worte  ac  zusammen,  womit  man  in 
Yucatan  eine  wild  wachsende,  hohe,  breitblätterige  (iraminee,  die  zum 
Dachdecken  verwendet  wird,  bezeichnet. 


^oS.         6o¥.        60^        6o6-       ^07.       6oH-         do^.       Qfo.      (,U       (,\l. 

/0\  ^^  rm\  nnfPJP^FQX 
^^  ^^  cS)  llüJMEoES 


\^^f^^^^\   ...c^^   ^^ 


^  .^ 


bV-  fM         Ai'i.       A-ä"-       ^3^-      ^^^         rrV-\     ^^*^'-      r- 

>;:..  ^V/.  /n.       *     /rv3.        ^^v. /-/7V:E5|  Ä-^r.  ^ 


Die  Wurzel  ben,  been  heisst  im  Maya   „verbraucht".     Wir  haben  ben- 
chahal  „verbraucht  werden",    beentah,  bentah  „allmählich  aufzehren",  benel, 
binel  „ausgehen",  „mangeln",  dann  ..weggehen",  „gehen'^  überhaupt. 

Das  Zeichen  ist  in  sehr  übereinstimmender  Form  sowohl  im  Landa 
(Abb.  603),  wie  in  den  Handschriften  (Abb,  604  und  605)  gegeben.  Be- 
sondere Formen  sind  nur  die  umgedrehte  Abb.  606  (Codex  Tro),  die  be- 
reicherte Abb.  607  (Tro  7*b)  und  die  abweichende  Abb.  608  (Dresden  10c). 
—  Abb.  609— 61  "J  sind  die  Formen,  die  die  Bücher  des  Chilan  Balam 
ireben. 


(i   Tageszeicheu  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     485 

Was  mm  die  Bedeutung  dieses  Zeichens  angeht,  so  unterliegt  es 
keinem  Zweifel,  dass  die  Figur  aus  der  Zeichnung  des  Rohrgeflechtes, 
der  Matte,  hervorgegangen  ist.  —  Die  Matte  erscheint  in  mexikanischen 
Malereien  in  der  aus  dem  Codex  Mendoza  u.  a.  genugsam  bekannten 
Form  Abb.  613.  Genau  ebenso  sehen  wir  sie  im  Codex  Tro  abge- 
bildet (Abb.  614).  Die  Dächer  der  Tempel  und  Häuser  sind  in  mexika- 
nischen Malereien,  wo  irgend  genauere  Zeichnung  vorliegt,  regelmässig 
mit  gelbor  Farbe  gegeben,  und  Strichelungen  lassen  erkennen,  dass 
man  Lagen  von  Stroh  oder  Palmblättern  übereinander  schichtete,  in  der- 
selben Weise,  wie  man  in  unseren  (legenden  die  Strohdächer  baut  oder 
])aute.  Ein  fester  geflochtener  First  sicherte  den  Zusammenhang  des  Ganzen. 
Vgl.  Abb.  615.  In  Yucatan  scheinen  in  der  Hauptsache  Palml)lätter  zum 
Dachdecken  verwandt  worden  zu  sein.  Den  oberen  Schluss  bildete  aber 
immer  die  rohrgeflochtene  Matte,  bezw.  das  festgeflochtene  Strohband.  Und 
wir  können  die  Formen  der  Matte  gerade  an  diesen  Tempeldächern  gut 
studiren.  Vgl.  die  Abb.  617 — 620.  Das  weite  Ueberhangen  der  Dächer, 
das  diese  Zeichnungen  zeigen,  entspricht  der  Art  der  yukatekischen 
Häuser,  so  wie  sie  Landa  beschreibt.  Eine  Wand  theilt  den  ganzen 
Raum  in  zwei  Theile.  Die  vordere  Hälfte,  an  den  Seiten  vollständig  frei, 
nur  von  dem  überhangenden  Dache  l)edeckt,  bildet  eine  Art  offener  Veranda, 
<lie  das  Empfangszimmer  und  der  gewöhnliche  Aufenthalt  des  Hausherrn 
bei  Tage  ist.  Die  hintere  Hälfte  (las  espaldas  de  la  casa)  ist  geschlossen 
und  enthält  die  Schlafräume  der  Familie. 

p]s  gibt,  w^ie  ich  schon  oben  S.  413  erwähnte,  eine  Gruppe  Hieroglyphen, 
•die  verwendet  werden,  bald  das  Tragen  in  einer  Matte,  (Abb.  616,  Codex 
Dresden  "iOc;  Abb.  ClU),  bald  das  Sitzen  auf  einer  Matte  (Abb.  622),  bald 
<las  Mattendach  des  Tempels  oder  den  Tempel  selbst  zu  bezeichnen 
(Abb.  623  —  630).  Diese  Hieroglyphe  enthält  als  Hauptelement  das  Element 
der  Matte  und  ein  Symbol  des  Tragens,  —  die  Hand  (Abb.  621)  oder  p]le- 
mente,  die  sich  aus  der  Zeichnung  der  Hand  entwickelt  haben  (Abb.  444 ' 
und  445,  oben  S.  471);  und  man  kann  an  diesen  Hieroglyphen  mit  voller 
Deutlichkeit  den  Uebergang  der  realistisch  gezeichneten  Matte  in  das 
Zeichen  ben  verfolgen. 

Die  Formen  des  Zeichens  ben  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam 
zeigen  —  wie  man  in  Abb.  619  sieht  —  ebenfalls  das  Mattengeflecht,  nur 
in  anderer  Zeichnung. 

Das  Zeichen  be?i  ist  einer  ganzen  Anzahl  wichtiger  Hieroglyphen  —  so- 
wohl in  den  Handschriften,  wie  auf  den  Monumenten  —  dem  Element  Abb.  631 
«esellt.  Dieses  wird  in  der  Regel  als  Variante  des  Zeichens  ik  gedeutet 
worden.  Es  tritt  in  einem  gewissen  Gegensatz  zu  dem  Zeichen  ka7i  auf. 
Wir  sehen  z.  B.  im  Codex  Tro  14* — 13*a  eine  Reihe  Götter  auf  dem  Zeichen 
<auac  sitzen.  Die  Götter  des  Regens,  der  Fruchtbarkeit,  des  Lichts  halten 
<las  Zeichen  kan  in  der  Hand,  die  Todesgötter  das  Zeichen  Abb.  632,  also 


43(1  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

unser  Element  von  einem  Puuktkranz  um,i;elten.  Der  Punktkranz  verleitet 
dazu,  an  die  Flamme  zu  denken.  in  der  That  sehen  wir  das  Element 
(vgl.  Abb.  633,  636)  auf  den  Blättern  25—28  der  Dresdener  Handschrift 
im  Feuer  von  den  Flammenzungen  umlodert,  ganz  ähnlich,  wie  im  Codex 
Tro  an  verschiedenen  Stellen  die  bekannte  schraul)enförmige  Figur  (Abb.63ö) 
im  Zentrum  der  Flamme  zu  sehen  ist.  Dieser  schraubenförmigen  Figur 
tritt  das  Element  Abb.  631  auch  in  zusammengesetzten  Hieroglyphen  homolog 
auf,  z.  B.  in  den  Hieroglyphen  Abb.  636  —  639.  Diese  Hieroglyphe  ist.  be- 
gleitet von  der  Hieroglyphe  Abb.  468,  auf  Blatt  18*a  des  Codex  Tro  zu 
sehen,  wo  Clötterfiguren  mit  dem  Obsidiansplitter  sich  das  Ohrläppchen, 
durchbohren  und  das  Blut  auf  unten  am  Boden  liegende  schüsselförmige 
Gegenstände  fliessen  lassen. 

Ich  möchte  das  Element  als  Symbol  des  Feuers  oder  des  Brennens 
auffassen  und  glaube,  dass  die  beiden  Elemente  —  he7i  und  das  eben  be- 
sprochene, dem  Zeichen  ik  ähnliche  —  neben  einander  dasselbe  bedeuten, 
wie  das,  was  im  Codex  Mendoza  durch  ein  stürzendes  Tempeldach  und 
darunter  hervorschiessende  rauchumhüllte  Flammenzungen  zum  Ausdruck 
gebracht  wird,  d.  h.  Eroberung,  Krieg.  Unterwerfung,   Zerstörung^ 

Dazu  scheint  die  Art  der  Hieroglyphen,  in  denen  diese  Gruppe 
vorkommt,  wohl  zu  passen.  Wir  finden  sie  nämlich  zunächst  in  der 
Abb.  640.  Das  ist  die  Haupthieroglyphe  des  Sonnen-  und  Kriegsgottes 
Kinch  ahau^  dem  nach  Landa  am  Vorneujahrsfest  der  viuluc-iohre  der 
holkan  okot  (Kriegertauz)  getanzt  wurde. 

Eine  zweite  sehr  gewöhnliche  Hieroglyphe,  in  der  die  Gruppe  vor- 
kommt, ist  die  Abb.  641,  ein  sehr  gewöhnliches  Attribut  verschiedener 
Götter.  Das  Hauptelement  dieser  Hieroglyphe  ist,  glaube  ich,  eine  etwas 
abgeschliffene  Form  eines  Elementes,  das  deutlicher  in  den  Abb.  578  und 
578a  (oben  S.  479)  vorliegt,  d.  h.  des  in  der  Binde  getragenen  ab- 
geschnittenen Kopfes.  Die  ganze  Hieroglyphe  würde  demnach  mit  „der 
mit  Ki'ieg  überzieht  und  Gefangene  heimbringt"  übersetzt  werden  können, 
und  das  wäre  der  Fürst,  der  König.  Diese  letztere  Bedeutung  ist.  meine 
ich,  auch  auf  Blatt  25 — 28b  der  Dresdener  Handschrift  anzunehmen,  wo 
die  Namen  der  den  einzelnen  Jahren  präsidirenden  Gottheiten  durch  diese 
Hieroglyphe  und  die  ihr  homologe  Abb.  642  eingeleitet  werden. 

Eine  dritte  Hieroglyphe  endlich  ist  die  Abb.  643,  die  neben  der  ben- 
Gruppe  eine  Variante  des  Elementes  rnen,  d.  h.  den  Adler  enthält.  Dieses 
letztere  Element,  scheint  es,  sehen  w^r  deutlicher  oder  ausgeführter  in 
einer  Hieroglyphe  der  Altarplatte  des  Kreuztempels  Nr.  1  in  Palenque,. 
Abb.  644.  Und  ebendort  finden  wir  auch  eine  weitere  Hieroglyphe, 
Abb.  645,  die  die  6eri-Gruppe  über  einem  deutlichen  Vogel-  (Adler-)  köpf 
erkennen  lässt. 

14.  hix,  yiz,  ix  (hiix).  Das  Zeichen  entspricht  dem  mexikanischen 
ocelotl  „Jaguar".     Die  Bedeutung  ,. Jaguar*'  aber  ist  in  den  obigen  Worten 


6.  Tageszeichen  der  aztekischeu  und  der  Maya-Haudschriften  und  ihre  Gottheiten.     487 

nicht  wiederzufinden.  Nach  Ximeuez  bezeichnet  yiz  den  „Zauberer". 
Diese  Bedeutung  ist  in  der  That  für  das  vierzehnte  Maya-Tageszeichen  an- 
zunehmen. Finden  wir  doch  sogar  in  einer  der  mexikanischen  Tages- 
zeichenlisten, in  der  des  Franziskanerklosters  von  («uatemala,  für  ocelotl 
„Jaguar"  das  Wort  teijolloquani  „der  jemandes  Herz  frisst",  d.  h.  „Zauberer" 
angegeben.  Und  diese  Begriffsumwandlung  ist  auch  sehr  wohl  verständlich. 
J3enn  die  Zauberer  waren  die  nauaualtin,  die  „Verkleideten",  die  naguales, 
wie  man  in  dem  späteren  Jargon  sagt,  die  Wehrwölfe,  die  die  Fähigkeit 
besassen,  allerhand  Thiergestalten  anzunelmien,  und  in  dieser  verwandelten 
Gestalt  ihre  nächtlichen,  unheilvollen  W^ege  giengen.  In  erster  Linie  aber 
pflegten,  nach  dem  Glauben  der  Mexikaner  und  dem  der  alten  Stämme 
Mittelamerikas,  die  Zauberer  die  Gestalt  von  Jaguaren  anzunehmen,  und 
so  sind  „Jaguar"  (d.  h.  AVehrwolf)  und  „Zauberer"  gleichbedeutende  Be- 
"•ritt'e  geworden. 

Das   Zeichen    ist    ziemlich    vielgestaltig.     Landa    gibt    die  Abb.  646. 
Im  Codex  Tro    sind   die   o-ewöhnlichsten   Formen  Abb.  647 — 655.     Einmal 


Sti.       6't7-     Sn-      b'i'^-     690      6St.     6St     6S2-     S5H.     k^s-.     iTS       ^«'^• 


in-CL' 


6^.        (60.  661      Ui       663.       66H-  ^      (66.    6i) 


^f^'J* 


(Blatt  30* c)  findet  sich  die  Abb.  (;5(i  und  einmal  (Blatt  12  c)  der  merk- 
würdige Kopf  Abb.  657.  Der  Codex  Cortes  und  Codex  Perez  weisen  keine 
wesentlich  verschiedene  Form  auf.  In  der  Dresdener  Handschrift  finden 
sich  die  Abb.  658 — 664.  Die  Bücher  des  Chilam  Balam  haben  die  Formen 
Abb.  665 — 667  (die  zweite  Figur  steht  offenbar  falsch  unter  dem  vorigen 
Zeichen). 

Die  Form  der  Handschriften  ist,  wie  man  sieht,  ziemlich  stereotyp. 
Die  echte  Gestalt  liegt  übrigens  nicht  in  der  Figur  Landa's,  sondern  in 
denen  der  Dresdener  Handschrift  und  den  besser  gezeichneten  der  ersten 
Blätter  (33*  32*)  des  Codex  Tro  vor.  Es  ist,  das  unterliegt  keinem 
Zweifel,  das  runde  haarige  Ohr  und  das  gefleckte  Fell  des  Jaguars,  das 
durch  dieses  Zeichen  dargestellt  wird.  Und,  wie  wir  sehen,  wird  gelegentlich 
auch  (Abb.  657  Tro  12  c)  statt  dessen  der  ganze  Kopf  des  Tigers  gezeichnet, 
oder  man  bringt  (Abb.  664,  Dresden  44(l)b)  durch  darin  angebrachte 
Zähne  das  reissende  Thier,  dessen  Bild  das  Zeichen  wiedergeben  soll,  in 
Erinneruno-. 


488  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hierogkphen-Entzififerung. 

Die  Formeil  der  Büclier  des  ( 7iila)n  Balavi  sind  vielleicht  aus  Formeit 
wie  Abb.  661  entstanden. 

Der  Jaguar  tritt  im  Codex  Dresden  8a  in  der  Keihe  der  20  Gott^ 
heiten  auf  und  ist  hier  in  dem  Text  durch  die  vier  Hieroglyphen 
Abb.  668— 671  bezeichnet.  Die  erste,  die  Hauptliieroglyphe,  zeigt  den  Kopf 
des  Jaguars  —  in  ähnlicher  Weise,  wie  in  dem  oben  gezeichneten  Bilde 
des  Tageszeichens  Abb.  657  —  und  als  sekundäres  Element  die  Abb.  13, 
die  wir  oben  (S.  410)  als  eines  der  vier  (fünf)  nach  den  Himmels- 
richtungen wechselnden  hieroglyphischen  Elemente  erkannt  haben,  und 
dem  ich  vermuthimgsweise  den  Lautwerth  chac  „roth"  zuschrieb. 

Der  Jaguar  erscheint  ferner  in  der  Reihe  der  fünf  Gottheiten,  die 
auf  den  Blättern  46—50  der  Dresdener  Handschrift,  am  unteren  Ende  der 
Kolumne  rechter  Hand,  vom  Speer  getroffen  am  Boden  liegend,  gezeichnet 
sind.  Die  Hieroglyphen  dieser  Gottheiten  stehen  in  dem  mittleren  Ab- 
schnitt der  rechten  Kolumne  und  zwar  am  Beginn  der  dritten  Reihe.  Die 
ganzen  Blätter  46—50  sind  in  verkürzter  Form  auf  Blatt  24  der  Dres- 
dener Handschrift  wiedergegeben.  "Wir  sehen  von  den  Hieroglyphen  der 
20  Gottheiten,  die  in  doppelter  Reihe  auf  der  linken  Seite  der  Blätter  46 
bis  50  vorkommen,  fünf,  und  zwar  das  9.,  13.,  7..  1.,  5.  Zeichen  auf  diesem 
Blatte  24  wiederholt,  und  zwar  in  Begleitung  derselben  eigenthümlichen 
Hieroglyphen,  die  auch  auf  den  Blättern  46 — 50  neben  den  Hieroglv])hen 
der  20  Gottheiten  angegeben  sind.  Desgleichen  finden  wir  die  Hiero- 
glyphen der  eben  erwähnten  fünf  durchschossen  am  Boden  liegenden  Gott- 
heiten auf  Blatt  24  in  derselben  Reihenfolge  unter  einander  geschrieben. 
Der  Jaguar  ist  au  beiden  Stellen  (Dresden  47  rechts  b,  Dresden  24)  durch 
dieselbe  Hieroglyphe  bezeichnet,  die  im  Codex  Dresden  8a  als  Haupt- 
hieroglyphe fungirt  (Abb.  Qi^S).  Auch  wo  wir  sonst  den  Jaguar  hiero- 
glyphisch bezeichnet  finden,  ist  regelmässig  der  Kopf  des  Thieres  von  dem 
Element  chac  (Abb.  13,  oben  S.  410)  begleitet.  Nur  im  Codex  Tro  17c  tritt 
statt  dessen  das  Zahlzeichen  vier  auf  (xA.bb.  672). 

You  den  Attributen  des  Jaguars  enthält  das  erste.  Abb.  669,  vielleicht 
das  Element  ix,  wie  es  z.  B.  in  den  Abb.  653 — 654  des  Codex  Tro  ge- 
zeichnet ist.  Es  ist  aber  hier  mit  der  Schleife  (dem  Handgriff)  und  dem 
Element  der  Schärfe,  der  Schneide,  der  Hieroglyphe  des  Steiumessers 
(Abb.  73,  oben  S.  414)  verbunden.  Die  ganze  Hierogly])he  finden  wir.  mit 
einigen  Varianten  (vgl.  Abb.  546  oben  S.  476  und  Abb.  673)  als  Attribute  ver- 
schiedener Götter  verwendet.  Sie  tritt  z.  B.  im  Codex  Cortes  regelmässig 
als  Hauptattribut  des  Gottes  Itzamnä  statt  der  sonst  üblichen  Abb.  553 
(oben  S.  476)  auf.  —  Das  zweite  Attribut.  Abb.  670,  ist  das  bekannte 
Symbol  des  Gottes  der  Fruchtbarkeit  und  des  Gedeihens  und  ist  dem  Jaguar 
vermuthlich  zugeschrieben,  weil  Balam  „Jaguar"  die  übliche  Bezeichnung 
für  die  Gottheiten  der  vier  Himmelsrichtungen,  der  regenbringenden  vier 
Winde  ist. 


G.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     489 

15.  iziquin,  tziquin,  men.  Das  Wort  tziquin  heisst  „Vogel".  Das 
Avürde  dem  mexikauischeii  Namen  de.s  Zeichens  {quauhtli  „Adler")  ent- 
sprechen. —  Schwer  ist  dagegen  zu  verstehen,  woher  die  yukatekische 
Benennung  dieses  Zeichens  genommen  ist.  men  heisst  „gemacht  werden", 
„Arbeit'%  „Werk'';  men,  h-men,  ah  men  der  „Verfertiger,  Handwerker, 
Künstler",  aber  auch  „der  Zauberer,  der  Weise",  der  in  dem  durchsichtigen 
Stein  das  Vergangene  und  Zukünftige  sieht.  Man  ist  versucht,  an  mexi- 
kanisch ce  quauhtli  „eins  Adler''  zu  denken,  unter  wek'hem  Namen  im 
Codex  Viennensis  eine  alte,  wohl  in  Beziehung  zur  Xochiquetzal-Tonacaciuatl 
stehende  und,  wie  diese,  gelegentlich  (z.  B.  im  Codex  Viennensis  17)  mit 
der  Helmmaske  des  Quetzal-\ ogeXs  dargestellte  Göttin  abgebildet  wird,  als 
deren  besonderes  Attribut  im  Codex  Viennensis  '28  künstlicli  verzierte 
Schulterdecken  angegeben  werden. 


^yv-       ^'P-      6n      677        $7i-      hif-     6io       iv      ^»^ 


6J3. 


Das  Zeichen  ist  im  Landa  sehr  undeutlich  durch  die  Abb.  674  ge- 
geben. Sehr  deutlich  und  charakteristisch  sind  die  Formen  des  Codex  Tro 
(Abb.  675 — 679).  Die  Codices  Cortes  und  Perez  fügen  nichts  Neues  hinzu  und 
auch  die  Formen  der  Dresdener  Handschrift  (Abb.  680  —  683)  bieten  kaum 
etwas  Anderes.  Abb. 684 — 686  zeigen  dieFormen  der  Bücher  des  ChüaiiiBalam. 

Die  Formen  der  Handschriften  sind,  wie  mir  scheint,  ziemlich  sicher 
als  ein  Greisengesicht  zu  deuten.  Wir  sehen  den  eingekniffenen  Mund- 
winkel und  die  Wangenfalten,  wie  sie,  genau  ebenso,  in  dem  Haujit- 
elemente  der  Hieroglyphe  des  alten  Gottes,  Itzarnnas,  zu  sehen  sind.  Mit 
Berücksichtigung  dessen,  was  ich  eben  bei  der  Besprechung  des  Namens 
men  angeführt,  bin  ich  versucht,  hier  an  eine  Göttin  zu  denken,  und  zwar 
an  die  Göttin,  deren  Hieroglyphe  als  auszeichnendes  Element  die  Abb.  14 
(oben  S.  410)  =  zac  „weiss"  enthält  und  die  ich  oben  S.  410  in  der  Abb.  "29 
wiedergegeben  habe,  die  greise  Göttin,  die  Genossin  Itzamnä^s,  der.  wie 
icli  meine,  der  Name  I.vchel  zukommt,  und  die  im  W^esen  jedenfalls  identisch 
ist   der  Tonacaciuafl-XochiquetzaL    der    im   Wiener  Codex   das   Zeichen  ce 


490  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

quauhtli  als  Namenshieroglyphe  tragenden,    die   Künste   nnd  Gewerbe  und 
die  kunstfertigen  Frauen  beschirmenden  Göttin. 

Das  Zeichen  men  ist  in  einer  Anzahl  augenscheinlich  zusammen- 
gehöriger Bilder  und  Hieroglyphen  zu  erkennen.  Bei  den  einen  (Abb.  687 
bis  G89)  sieht  man  den  Scheitel  des  Zeichens  mit  einer  Reihe  Federbälle 
besetzt,  und  hier  ist  gelegentlich  noch  eine  Schleife  (Abb.  689 — 690)  der 
Vorderseite  der  Hieroglyphe  angefügt.  Bei  den  anderen  (Abb.  691  — ()93) 
sieht  man  auf  dem  Scheitel  des  Zeichens  den  hieroglyphischen  Kopf  des 
Adlers,  ein  Auge  und  einen  Flügel.  Varianten  treten  auf,  die  den  hiero- 
glyphisohen  Kopf  des  Adlers  durch  ein  anderes  Element  ersetzen  (Ab- 
bildungen 696,  697).  Bei  anderen  ist  das  Zeichen  men  selbst  metanior- 
phosirt  (Abb.  694).  Endlich  finden  sich  solche,  die  das  metamorphosirte 
Zeichen  vien  auf  dem  Scheitel  mit  Federbällen  besetzt  zeigen  (Abb.  695). 
Eine  dritte  Keihe  von  Hieroglyphen  trägt  auf  dem  Scheitel  des  Zeichens 
men  die  sogenannte  hen-ik-Gva-^^e  (Abb.  698).  In  diesem  Zeichen  ist 
aber  gewöhnlich  das  Element  men  metamorphosirt  (Abb.  699,  700  und  oben 
S.  484  Abb.  643).  Und  diesen  schliesst  sich  die  oben  (S.  484)  gezeichnete 
Form  der  Monumente  an  (Abb.  644),  die  ein  stark  metamorphosirtes 
Zeichen  men^  auf  dem  Scheitel  mit  Federbällen  besetzt,  und  darüber  die 
sogenannte  ben -  ik  -  Gruppe  aufweist. 

Diese  Hieroglyphen  treten  als  Attribute  verschiedener  Götter  auf. 
Und  die  erstgenannten  (Abb.  687—689)  dienen,  gleich  dem  Zeichen 
Abb.  188  (oben  S.  450)  dem  Chac  und  seinem  Assistenten,  dem  Grott  mit 
der  Schlange  über  dem  Gesicht  (Abb.  33,  oben  S.  410)  als  Sitz. 

Die  Beziehung  zum  Adler  ist,  meine  ich,  deutlich  gegeben:  durch 
die  der  Hieroglyphe  Abb.  644  parallele  Abb.  645  (vgl.  oben  S.  484),  dadurch 
dass  der  hieroglyphische  Kopf  des  Adlers  (Abb.  335,  oben  S.  459)  auf  dem 
Scheitel  des  Zeichens  auftritt,  dass  die  Hieroglyphe  Abb.  643  (oben  S.  484) 
als  Attribut  des  Adlers  erscheint,  durch  die  Federbälle  und  die  Flügel 
und  die  kriegerischen  Embleme.  —  Dass  diese  Hieroglyphen  den  Göttern 
als  Attribute  beigegeben  werden,  können  wir  verstehen.  Wie  aber  kommt 
es,  dass  die  Abb.  687 — 689  dem  Chac  als  Sitz  dienen?  Nun,  der  Chac  ist 
kein  Gott  des  Wassers  überhaupt,  sondern  des  Regens,  die  regenschwangere 
Gewitterwolke  ist  sein  Vehikel,  der  Sturmvogel  ist  das  Reitthier,  auf  dem 
er  einherfährt.  Ich  werde  auch  unten  noch  zu  erwähnen  haben,  dass  diese 
Figuren  überall  unter  Symbolen  auftreten,  die  wir  als  Himmel  oder  W^olke 
zu  deuten  haben. 

16.  chabin,  ahmak,  cib.  Das  W^ort  cib  wird  im  heutigen  Maya  für 
„Kerze",  „Wachs",  „Kautschuk",  „Kopal"  gebraucht.  Das  ist  aber  erst 
eine  abgeleitete  Bedeutung.  Die  Wurzel  ist  c%  cii,  „gut  schmecken", 
„gut  rieclien".  Davon  abgeleitet  cib,  ,, wodurch  etwas  gut  schmeckt",  „wo- 
durch etwas  gut  riecht",  d.  i.  „Würze"  oder  ,, Räucherwerk".  —  Die 
anderen  Namen  weiss  ich  nicht  zu  deuten. 


6.  Tageszoichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     491 

Das  Zeichen  hat  bei  Lau  da  die  Form  Abb.  704.  Im  Codex  Tro 
finden  sich  die  Formen  Abb.  705 — 711.  Aehnliche  im  Codex  Cortes  und 
Perez.  Die  Dresdener  Handschrift  hat  die  Formen  Abb.  712— 717,  wo  nur 
die  letzten  beiden  (Dresden  46  und  49)  abweichen.  Die  Bücher  <les  Chilan 
Balam  geben  die  Formen  Abb.  718 — 721. 

Das  Zeichen  findet  sich  in  den  Handschriften  mehrfach  auf  Weinkrügon 
abgebildet  (Abb.  701 — 703).  Da  ci  im  Maya  der  Honigwein  heisst,  so 
stimmt  das  zusammen.  Ich  glaube,  dass  mit  dieser  Beziehung  auch  der 
Sinn  des  Zeichens  getroffen  wird,  und  möchte  die  korkzieherartige  Figur 
als  eine  Umwandlung  des  an  den  Enden  sich  einrollenden,  halbmond- 
förmigen Zeichens  ansehen,  das  in  den  mexikanischen  Handschriften  auf 
den  Bildern  des  Pulquekrugs  angegeben  wird,  und  das  nichts  anderes  als 
der  yacametztli,  die  halbmondförmige  goldene  Nasenplatte  der  Pulquegötter 
ist.  Den  Pulquekrug  sieht  man  in  mexikanischen  Abbildungen  in  der 
Kegel  von  einer  Schlange  umwunden,    —    zum  Zeichen   der  feurigen  und 


70^  ?05-.       lOJ.       101        708       709       7/0       7/f. 

748-     vr     7<°-     w. 


verderblichen  Eigenschaften  des  Getränkes.  Eine  Schlange  scheint  auch 
über  dem  oberen  Theil  des  Zeichens  cih  zu  liegen. 

Das  Zeichen  ist  im  Mexikanischen  nach  dem  Geier  benannt  und  ist 
Symbol  des  Alters.  Es  war  ein  auch  in  Bildern  mehrfach  ausgedrücktes 
Gesetz,  dass  der  Wein  —  vermuthlich,  wie  ich  an  einer  anderen  Stelle 
auseinandergesetzt,  wegen  der  religiösen  Bedeutung,  die  der  Wein  hatte,  — 
nur  dem  Alter  erlaubt  war,  zu  geniessen.  In  der  Liste  von  Meztitlan 
wird  das  sechszehnte  Zeichen  teotl  itonai  ,,das  Zeichen  des  Gottes"  genannt. 
Das  stimmt  sehr  wohl  zu  der  hier  vorgetragenen  Ansicht,  <la,  wie  ich 
oben  S.  432  schon  Gelegenheit  hatte  anzuführen,  in  der  Landschaft  Mez- 
titlan als  erster  und  Hauptgott  Ometochtli,  d.  h.  der  Pulquegott,  verehrt 
wurde. 

17.  chic,  nah,  caban.  Aus  den  Worten  ist  nicht  viel  herauszulesen. 
Cab  heisst  im  Maya  „Boden",  „Erde",  „Welt";  und  cab  heisst  „Honig, 
giftige  Absonderung  eines  Insekts,  Ausschwitzung  einer  Pflanze".  Die  erst- 
genannte Wurzel  bildet  eine  Relativform  cabal  mit  der  Bedeutung  „unten", 
„niedrig";  die  zweite  hat  die  Relativform  cabü  derselben  Bedeutung,  wie  die 


492  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  •Hieroglyphen-Entzifferung, 

Wurzel  d.  h.  „Honig",  caban  hat  die  Form  eines  Participiums  und  würde, 
falls  es  mit  den  üeiiannten  Wurzeln  in  Verbindung-  gebriicht  werden  darf,  etwa 
„was  an  den  Boden  gebracht"  oder  „was  ausgeschwitzt  worden  ist"  bedeuten. 
Allenfalls  könnte  also  das  Wort  der  mexikanischen  Bezeichnung  {olli 
„Kautschukball")  sich  anpassen,  Bes8er  stimmt  die  guatemaltekische  Be- 
nennung zu  dem  mexikanischen  Namen.  Denn  noh  heisst  nicht  nur  „stark, 
gewaltig",  sondern  auch  „Erdbeben".  Bei  den  Mexicanern  aber  war 
olin^  tlalolin  das  eigentliche  Wort  für  „Krdbelien'*,  wie  denn  auch  die 
Hieroglyphe  olin^  mit  der  Hieroglyphe  „Erde"  kombinirt,  ganz  allgemein 
zur  hierogl}q)hischen  Bezeichnung  des  Erdbebens  verwendet  wurde,  — 
Das  chiapanekische  Wort  chic  weiss  ich  nicht  zu  deuten, 

Landa  giebt  für  das  Zeichen  die  Abb.  722,  also  eine  nach  rechts  gewen- 
dete Form.  Der  Codex  Tro  hat  theils  rechts,  theils  links  gewendete  Formen 
(Abb.  723  bis  729).  Ebenso  der  Codex  Cortes.  Der  leztere  hat  daneben  noch 
einige  Doppelformen  (Abb.  730,  731).  In  der  Dresdener  Handschrift  sind  die 
Figuren,  bis  auf  einzelne  Ausnahmen  (Abb.  736),  nach  links  gewendet. 
Die  gewöhnliche  Form  ist  die  Abb.  732  und  733.  Daneben  finden  sich 
im  hinteren  Theil  der  Handschrift  noch  die  ein  besonderes  weiteres  Element 
enthaltenden  Abb.  734  und  735.  —  Die  Bücher  des  Chilani  Balam  geben 
die  Formen  Abb.  737—739. 

Das  Zeichen  caban  bildet  den  wesentlichen  Bestandtheil  der  Hieroglyphe, 
durch  die  eine  vertikale  Richtung,  die  Bewegung  von  oben  nach  unten  oder 
von  unten  nach  oben,  ausgedrückt  wird  (Abb,  18,  22,  23,  oben  S,  410),  Von 
der  Hieroglyphe  kommen  zwei  Varianten  vor,  und  man  könnte  zunächst  die 
Frage  aufwerfen,  ob  wir  es  hier  nur  mit  einer  verschieden  variirten  oder  zwei 
verschiedenen  Hieroglyphen  zu  thun  haben,  von  denen  die  eine  etwa  die 
Richtung  nach  oben,  die  andere  die  Richtung  nach  unten  bedeutete.  Ich 
möchte  mich  für  die  erstere  Auffassung  entscheiden.  Denn  ich  finde  die 
beiden  Hauptvariationen  der  Hieroglyphe  an  Stellen  verwendet,  wo  von 
einem  Richtungsunterschied  nicht  gut  die  Rede  sein  kann.  Vgl,  die 
Abb.  741—743,  die  auf  Blatt  32— 35b  der  Dresdener  Handschrift  am 
Schluss  der  Hieroglyphengruppen  stehen,  die  den  Text  zu  den  beiden 
Figuren  Chac'%  bilden  (des  schreitenden,  mit  der  Blitzfackel  in  der  Hand, 
und  des  anderen,  der  mit  dem  Kopalbeutel  in  der  Hand  auf  dem  von 
der  Schlange  gebildeten  Wassersack  sitzt).  Die  Abb.  22  (oben  S,  410),  Hiero- 
glyphe der  vertikalen  Richtung,  ist  vollkommen  gleich  der  Abb.  740,  die  im 
Codex  Tro  32*c  am  Kopf  des  Testes  steht,  wo  auf  dem  Bilde  darunter  ein 
schwarzer  Gott  dargestellt  ist,  der,  auf  einer  Matte  liegend,  ein  über  ihn 
gestülptes  Geflecht  in  die  Höhe  drückt.  Einen  besonderen  Abschnitt  des 
Codex  Tro  bilden  die  Blätter  10* — 1*,  die  von  Cyrus  Thomas  als  Kalender 
für  Bienenzüchter  erklärt  worden  sind.  Man  sieht  nämlich  in  den  meisten 
der  Al)schnitte  ein  geflügeltes  Insekt  —  von  der  Form  einer  Biene,  ikel- 
cab,    das    „Honiginsekt"    im    Maya    genannt    — ,    das  von    einer  Art    frei- 


G.  Tageszeichen  der  aztekischcii  imd  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     493 

schwebenden,  mit  den  Elementen  des  Zeichens  caban  beschriebenen  Brettes 
herabsohwebt  und  sich  auf  unten  aufgestellte  Opfergaben  zu  stürzen  scheint. 
h\\  Text  stehen  als  durchgehende  Hieroglyphe  die  Abb.  744 — 746.  Davor 
gewöhnlich  die  Hieroglyj)he  Abb.  452 — 453  (oben  Ö.  471),  das  Symbol  der 
Darbringung,  oder  die  Hieroglyphe  Abb.  623  —  628  (oben  S.  484),  das  Sym- 
bol des  Tempels.  Und  unmittelbar  darnach  die  Namen  und  Attribute  der 
liötter.  Die  Hieroglyphe  Abb.  744  bis  746  selbst  enthält  dieselben  Ele- 
meute,    wie    die  Hieroglyphe    der    vertikalen    Richtung.     Was  man  auch 

tu.      1l±     w^-    7ty      nu-     nxn.     7z%      iv-    lio       -rn 


über  die  Bedeutung  des  ganzen  Abschnitts  denken  mag,  —  ich  bin  durch- 
aus geneigt,  die  Cyrus  Thomas'sche  Erklärung  für  richtig  zuhalten  — , 
den  Vorgang  selbst  und  die  Hieroglyphe  kann  ich  nur  als  das  Herab- 
Ivommen  der  Uötter  zum  Opfer  deuten.  Bekannt  ist,  was  Lizana 
von  dem  Idol  Kinich  Kakmö  „Sol  con  rostro  que  sus  rayos  eran  de  fuego" 
erzählt,  dessen  Tempel  in  Itzmal  stand,  und  das  jeden  Mittag  vom 
Himmel  herunter  kam,  das  Opfer  auf  dem  Altar  zu  verbrennen,  wie  der 
bunte  Arara  im  Flug  herunterkommt  (como  bajava  volando  la  vacamaya 
con  sus  plumas  de  varios  colores). 


494  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferunj;^. 

Auf  Blatt  38b  39b  der  Dresdener  Handschrift  sehen  wir  den  Chac 
mit  einem  eigenthümlichen  Cegenstand  in  der  Hand  (vgl.  Abb.  747 — 748). 
gleichsam  aus  einem  Schlauch  giessend,  und  inmitten  dieser  beiden  Dar- 
stellungen ist  eine  andere,  die  die  rothe  Göttin  mit  den  Jaguarkrallen 
(vgl.  die  Hieroglyphe  Abb.  28  oben  S.  410)  zeigt,  Wasser  aus  einem  Kruge 
iiuf  die  Erde  giessend.  Im  Text  steht  beide  Mal  die  Hieroglyphe  Abb.  751 
bezw.  752  —  das  Symbol  der  vertikalen  Richtung  —  und  ein  drittes  Mal  die- 
selbe Hieroglyphe  und  ausserdem  die  Hieroglyphe  Abb.  755,  die  das  Element 
4:aban  und.  wie  es  scheint,  einen  Topf  enthält.  Im  Codex  Tro  29 — 30b 
sehen  wir  eine  ganz  ähnliche  Darstellung.  Vier  sitzende  Figuren  Chacs 
unter  den  Zeichen  der  vier  Himmelssichtungen.  In  der  Hand  derselbe 
merkwürdige  Gegenstand  (Abb.  749),  nur.  wie  es  scheint,  noch  mit  fallenden 
Tropfen  daran.  Er  hält  den  Gegenstand  über  der  Abb.  750,  d.  h.  das 
Zeichen  kan  mit  dem  Kopfputz  des  Gottes  des  Gedeihens.  Der  Text  zeigt 
eine  der  Abb.  755  durchaus  ähnliche  Abb.  75ß.  Daneben  aber  die  Hiero- 
glyphe Abb.  758.  Endlich  haben  wir  im  Codex  Tro  31 — 30 d  eine  Reihe 
Darstellungen,  die  mit  dem  Chac  beginnen,  der  aus  einem  Krug  Wasser 
auf  einen  der  Abb.  750  gleichen  Aufbau  giesst.  Im  Text  haben  wir. 
neben  der  Hieroglyphe  Abb.  516  —  519,  die  Hieroglyphe  Abb.  753  und  754. 
die  an  die  Abb.  744 — 746  erinnert  und  jedenfalls  auch  in  diesen  Zusammen- 
hang gehört.  Eine  den  Abb.  755  und  756  ähnliche  Hieroglyphe  ist  auch 
noch  die  Abb.  757,  die  im  Codex  Tro  30 — 29  c  im  Text  steht,  während 
man  darunter  den  Gott  des  Gedeihens,  den  Gott  mit  dem  ^-an-Zeichen. 
auf  dem  Elemente  cahan  sitzen  sieht,  das  erste  Mal  das  Zeichen  ik,  das 
letzte  Mal  das  Zeichen  kan  in  der  Hand  haltend. 

Das  Herabkommen  zum  Opfer,  das  Herabkommen  des  Regens  —  darum 
dreht  es  sich  in  allen  diesen  Hieroglyphen.  Und  aus  dem  konstanten  Vor- 
kommen des  Elementes  cahan  in  diesen  Hieroglyphen  schliesse  ich.  dass 
dem  letzteren  die  Bedeutung  das  „was  heruntergebracht  wird"  oder  „was 
unten  ist'"  zukommt.  Eben  das  scheint  mir  auch  aus  den  sonstigen  Vor- 
kommnissen dieses  Elementes  hervorzugehen. 

Ueberaus  häufig  fungirt  das  Element  cahan  als  Sitz  oder  Thron  oder 
Fussgestell  der  Götter.  Im  Codex  Tro  ist  dabei  meist  das  einfache 
Zeichen  cahan  verwendet,  sitzartig  erweitert  (Abb.  759)  oder  mit  einer 
Rückenlehne  aus  Mattengeflecht  versehen  (Abb.  760).  In  der  Dresdener 
Handschrift  dagegen  sehen  wir  gewöhnlich  das  Zeichen  cahan  und  muluc 
nebeneinander  (Abb.  761,  762),  —  ganz  wie  diese  in  der.Hierogly]ihe  der 
vertikalen  Richtung  (Abb.  18,  oben  S.  410  und  Abb.  741)  neben  einander 
zu  sehen  sind,  —  als  Sitz-  oder  Fussgestell  für  die  Götter  dienen.  Oder 
es  ist  eine  mit  den  Elementen  des  Zeichens  cahan  versehene,  oder  aus 
cahan  gebildete  Schlange  (Abb.  763 — 764),  auf  der  der  Chac  herunter- 
fährt. In  dem  Text  daneben  sieht  man  bald  die  Hieroglyphe  Abb.  741, 
bald  Abb.  742  oder  (in  dem  letzteren  Falle)  die  Abb.  765. 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     495 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus,  glaube  ich,  niuss  man  auch  die  vier- 
eckigen, theils  einfach  gelb  gemalten,  theils  mit  den  Elementen  des 
Zeichens  eaban  bedeckten,  theils  frei  schwebenden,  theils  gleichsam  an 
Stricken  aufgehängten  Schilder  betrachten,  von  denen  auf  den  Blättern  10* 
bis  1*  des  Codex  Tro  die  geflügelten  Insekten  herabschweben. 

Unter  gleichem  Gesichtspunkt  aber,  glaube  ich,  ist  es  auch  aufzufassen, 
wenn  wir  im  Codex  Tro  24*b  die  Bearbeitung,  bezw.  das  Fällen  des 
Baumes  Abb.  766,  durch  die  Hieroglyphe  Abb.  767  ausgedrückt  finden, 
wo  mir  das  Element  caban  für  „herniedergebracht,  gefällt"  zu 
stehen  scheint. 

18.  cfiinax,  iihax,  e'tznab  (ezanab).  Das  Zeichen  entspricht  dem 
mexikanischen  tecpatl  „Feuerstein".  Damit  stimmt  sehr  wohl  zusammen, 
wenn  Nunez  de  la  Yega  von  dem  Zeichen  cliinaa^  bezw.  von  seiner 
Tutelargottheit,  angiebt,  dass  dieser  Gott  ein  grosser  Krieger  war,  dass  er 
in  den  Kalendern  immer  mit  einem  Banner  in  der  Hand  dargestellt  worden 
sei,  und  dass  er  von  dem  „Nagual"  eines  anderen  heidnischen  Zeichens 
erwürgt  und  verbrannt  worden  sei. 

*]1Z       ITb-      mi      77^-     77f      777-      T7?-     'Jlf    78»*^^^ 
//      7?v 


Für  tihax  giebt  Ximenez  die  Bedeutung  „Obsidian"  an.  Mit  welchem 
Recht,  weiss  ich  nicht.  Das  Wort  scheint  mit  der  Wurzel  teuh  „kalt*', 
tih-ih  „kalt  sein"  zusammenzuhängen,  mit  der  auch  die  Worte  tic  „ein- 
stecken", „einstechen",  tiz  „nähen",  tiztic  „spitz"  zu  vergleichen  sind. 

Das  Wort  e'tznab  könnte  mit  der  Wurzel  e'tz  „fest",  „starr",  „hart"-, 
zusammenhängen. 

Das  Zeichen  ist  sehr  übereinstimmend  im  Landa  (Abb.  772)  und  in 
den  Handschriften  (Abb.  773 — 777)  gegeben.  ]S^ur  die  Formen  des  Chilam 
Balam  weichen  vollkommen  ab  (Abb.  778 — 781).  Der  Sinn  des  Zeichens 
ist  vollkommen  klar:  die  Bruchlinien  des  i>eschlagenen  Steins.  Und  dass 
dies  die  Bedeutung  des  Zeichens  ist,  geht  klar  daraus  hervor,  dass  wir 
auch  die  Feuersteinspitzen  der  Speere  (Abb.  782),  des  Steinbeils  (Abb.  783) 
und  des  Opfermessers  (Abb.  784)  mit  denselben  Zickzacklinien  gezeichnet 
sehen. 

19.  cahogh,  caok,  cauac.  Für  das  Cakchiquel-Wort  gibt  Ximenez 
die  Bedeutung  „Regen",  also  entsprechend  dem  mexikanischen  quiauitl. 
In  Bezug  auf  die  Etymologie  dieses  Worts,  die  mir  früher  nicht  klar  war, 
schliesse    ich    mich   jetzt    der  von  Brinton  in  seinem  „Native  Calendar" 


49(i  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

gegebenen  Deutung  „Blitz"  an,  es  nur  etwas- allgemeiner  als  „Gewitter'', 
„von  Blitz  und  Donner  begleiteten  Regenguss"  fassend.  Das 
augenscheinlich  verwandte  Wort  cahok  nämlich  hat  Stell  bei  den  Pokonchi 
mit  der  Bedeutung  „Blitz"  und  das  fast  gleichlautende  Wort  cohok  hat 
Sapper  bei  den  Pokomam  von  Jilotepeque  mit  derselben  Bedeutung 
„Blitz"  aufgezeichnet.  Noch  enger  schliesst  sich  lautlich  an  die  oben 
gegebenen  Bezeichnimgen  des  neunzehnten  Tageszeichens  das  Tzental- 
Wort  chauc  an,  das  ebenfalls  für  „Gewitter,  Donner,  Blitz"  gebraucht  wird. 

Die  oben  schon  einmal  erwähnte  mexikanische  Liste  des  Franziskaner- 
klosters von  Guatemala  hat  für  quiauitl  „Regen"  das  Wort  ayotl  „Schild- 
kröte", das  ist  eine  interessante  Variante.  Sie  erinnert  an  die  Rolle,  die 
wir  die  Schildkröte  in  den  Maya-Handschriften  spielen  sehen,  wo  z.  B.  im 
Codex  Cortes,  das  Thier  neben  dem  Frosch  im  Wasserstrahl  von  oben 
lierabkommt.  Da  aac  bei  den  Maya,  coc  oder  cok  bei  den  Guatemala- 
Stämmen  die  „Schildkröte"  heisst,  ist  man  versucht,  cah-ok  in  „Himmels- 
schildkröte"" aufzulösen.  Die  Vermittlung  zwischen  den  Begriffen 
„Gewitter''  und  „Schildkröte"  kann  darin  gesucht  werden,  dass  der  Schild- 
krötenpanzer die  natürliche  Pauke  ist.  Das  Getöse  des  Gewitters  und 
der  Donner  sind  eben  die  himmlische  Pauke.  In  der  Dresdener  Hand- 
schrift kommt,  w'ie  Schellhas  zuerst  festgestellt  hat,  die  Schildkröte  auch 
einmal  mit  der  Fackel  in  den  Händen,  also  als  Blitzthier,  vor. 

Das  Zeichen  ist  im  Landa  durch  die  Abb.  785  gegeben.  Der  Codex 
Tro  hat  die  Formen  Abb.  786 — 793  und  einmal  (Codex  Tro  28 *d)  die 
merkwürdige  Form  Abb.  794.  Die  Formen  des  Codex  Cortes  stimmen 
mit  den  gewöhnlichen  Formen  des  Codex  Tro  überein.  Nur  kommt  ge- 
legentlich einmal  (Codex  Cortes  10a,  14b,  17b)  eine  umgekehrte  Form 
vor.  Die  Dresdener  Handschrift  hat  die  Formen  Abb.  796 — 801.  Der 
Codex  Perez  hat  die  Form  Abb.  795.  Die  Bücher  des  Chilan  Balam  ent- 
halten die  Abb.  802—803. 

Ehe  ich  auf  die  weitere  bildliche  und  hieroglyphische  Verwendung  dieses 
Zeichens  eingehe,  erwähne  ich,  dass  es  als  Attribut  eines  eigenthümlichen 
Wesens  erscheint,  dessen  Kopf  in  der  Hieroglyphe  des  Monatsnamens  Moan 
{Muan)  vorliegt  (vgl.  die  Abb.  51,  52.  oben  S.  414  und  die  eigenthümliche 
Variante  Abb.  54).  Der  Kopf  dieses  Thieres  (Abb.  53,  oben  S.  414  und 
Abb.  804)  zeigt  einen  eulenartig  gekrümmten,  an  der  Basis  mit  starken  Schnurr- 
haaren oder  Bartfedern  eingefassten  Schnabel,  gi'osse  behaarte  (befiederte) 
und  gefleckte  Ohren  und  ein  grosses  Auge.  Der  Leib,  der  bald  Menschen- 
gestalt hat  (Dresden  10a,  7c),  bald  vogelartig  und  mit  Flügeln  versehen 
ist  (Dresden  16  c,  18b,  Tro  18 *c},  zeigt  regelmässig  einen  mit  grossen 
schwarzen  Flecken  besetzten  Rückentheil  und  läuft  in  einen  längeren  oder 
kürzeren,  in  der  Regel  stumpf  abgerundet  endigenden,  gleichfalls  gefleckten 
Schwanz  aus.  Hieroglyphisch  ist  das  Wesen  im  Codex  Dresden  10a  dnreh 
die  Abb.  805—808,    d.  h.   dm-ch  das  Symbol  der  13  Himmel,  das  Zeichen 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     497 

cauac,  das  Zeichen  der  Eule  und  den  Kopf  des  Blitzthieres  bezeichnet. 
Dresden  7  c  fehlt  die  letzte  Hieroglyphe,  und  die  beiden  ersten  sind  etwas 
variirt  (Abb.  810,  811).  An  anderen  Stellen  steht  als  Haupthieroglyphe 
die  Abb.  809,  d.  h.  die  Zahl  13  (an  Stelle  der  13  Himmel)  und  der  Kopf 
des  il/oaw-Tbieres  selbst.  Dahinter  folgt  gewöhnlich  die  Hieroglyphe  der 
Eule  (Abb.  807).  Dresden  12a  scheint  an  erster  Stelle  die  Abb.  813  zu 
stehen,  darnach  die  Abb.  805  und  an  Stelle  der  Eule  der  Kopf  des  Todten 
(Abb.  812). 


Muyal  heisst  im  Maya  die  „Wolke''  und  vioankin  ein  trüber,  reg- 
nerischer Tag"  (dia  nublado  y  lloviznoso).  Es  scheint  also,  dass  dieses 
Wesen  die  mythische  Konzeption  der  W^olkenbedeckung  des  Himmels 
darstellt.  Andererseits  scheint  es  keinem  Zweifel  zu  unterliegen,  dass 
eines  der  wesentlichsten  Elemente  des  Zeichens  cauac  -  nänilich  das, 
was  in  den  sorgfältiger  ausgeführten  Zeichnungen  der  Dresdener  Hand- 
schrift und  des  Codex  Tro  in  Gestalt  der  Abb.  8U  und  815  sich  dar- 
stellt —  nichts  anderes  ist,  als  der  am  Grunde  von  Bartfedern  eingefasste 
Schnabel  des  i/oar^-Yogels.     Als  besondere  Elemente  enthält  das  Zeichen 

Seier,  Gesammelte  Abliandlungen  I.  00 


498  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

cauac  noch  das  Kreuz  (Windkreuz?)  und  die  traubigen  Massen,  die  am 
richtigsten  wohl  als  die  scliweren.  vom  Himmel  herunterhängendcMi  NYoiken- 
balleu  gedeutet  werden. 

Findet  aber  in  der  That  dieser  Zusammenhang  zwischen  der  mythischen 
Konzeption  der  AVolkenbedeckung  des  Himmels  und  dem  Zeichen  cauac 
statt,  so  werden  wir  uns  nicht  weiter  wundern  dürfen,  dass  wir  dieses 
Zeichen,  ebenso  wie  andere  Symbole  des  Himmels,  gelegentlich  (z.  B. 
im  Codex  Tro  14*,  13 *a,  Codex  Cortes  25)  den  Göttern  als  Sitz  oder 
Fussgestell  dienen  sehen.  Wir  sehen  dabei  das  Zeichen  cauac  entweder 
einfach  sitzartig  verbreitert  (Abb.  ^16),  oder  es  hat  die  Gestalt  eines  an 
der  Aussenseite  eigenthümlich  ausgebuchteteu  Wassergefässes  (Abb.  817). 
oder  es  ist  ein  Kopf,  mit  den  Elementen  des  Zeichens  cauac  bedeckt 
(Abb.  818  und  819).  Die  Köpfe  sind  dieselben,  wie  sie  an  dem  Wurzel- 
ende von  Bäumen  zu  sehen  sind  (vgl.  Codex  Dresden  41b,  Codex  Tro  17 *a 
und  a.  a.  O.).  Dass  diese  Köpfe  nur  als  Abbreviaturen  von  Bäumen  anzu- 
sehen sind,  geht  aus  der  Abb.  8"20  und  aus  der  Thatsache,  dass  wir  auch 
die  Bäume  (z.  B.  Codex  Tro  15*a,  Dresden  25 — 28c)  n)it  den  Elementen 
des  Zeichens  cauac  bedeckt  sehen,  hervor.  Dass  diese  Bäume  und  die 
Abbreviaturen  derselben,  die  cawoc-Köpfe,  nur  den  Wolkenbaum,  den 
Himmel,  bedeuten  können,  erscheint  mir  klar. 

Ein  merkwürdiges  Yorkommniss  ist,  dass  wir  auf  den  Blättern  10* 
bis  1*  des  Codex  Tro  die  oben  erwähnten  caban-^veiiev  nicht  selten  mit 
ähnlichen  cawac-Brettern  kombinirt,  und  zwar  als  Unterlage  für  Opfer- 
gaben, finden.  Und  ebenso  auffällig  ist  es,  dass  wir  die  Basis  von  Tempeln 
nicht  selten  mit  den  Elementen  des  Zeichens  cauac  oder  mit  diesen  und 
daneben  mit  einer  ca^aw-Hieroglyphe  bedeckt  sehen. 

Merkwürdig  sind  auch  die  Bilder  im  Codex  Tro  32 *b.  Wir  sehen  eine 
Anzahl  Götter,  die  ein  mit  den  Elementen  des  Zeichens  cauac  be- 
decktes Brett  in  der  Hand  halten.  Im  Text  steht  die  Hieroglyphe  Abb.  822, 
begleitet  von  der  Hieroglyphe  Abb-  573.  Ein  ähnliches  Brett,  nur  mit  einer 
Art  von  geflochtenem  Handgriff  versehen  (Abb.  821),  treffen  wir  Blatt  r2*c 
des  Codex  Tro  vor  den  Götterfiguren  an.  Im  Text  steht  die  ähnliche 
Hieroglyphe  Abb.  823.  —  Eine  den  eben  gezeichneten  ähnliche  Hiero- 
glyphe kommt  auch  auf  Blatt  2  (45)bc  der  Dresdener  Handschrift  vor 
(Abb.  457  bis  460).  Hier  halten  aber  die  Götter,  statt  der  Bretter,  wie  es 
scheint,  Netze  und  Stricke  in  der  Hand. 

Von  den  hieroglyphischen  Vorkommnissen  des  Zeichens  sind  die  Al)- 
bildungen  824  und  825  bemerkenswerth.  Die  erste  sieht  man  im  Codex 
Dresden  4b  in  der  Reihe  der  Hieroglyphen  der  (6  bezw.  7)  Götter,  die 
—  ohne  Zweifel  wohl  die  sechs  Himmelsrichtungen  bezeichnend  —  dort 
das  grünbeschuppte,  mit  den  Hieroglyphen  des  Todesgottes  gezeichnete 
Ungeheuer  umgeben.  Und  sie  erscheint  im  Codex  Dresden  12  c  als 
Haupthieroglyphe    eines    alten    kahlköpfigen    Gottes    (Abb.  831),    der    in 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     499 

derselben  Reihe  etwas  später  (Dresden  21c)  noch  einmal,  aber  durch  eine 
andere  Haupthieroglyphe  (Abb.  826)  bezeichnet,  vorkommt.  Die  zweite 
Hieroglyphe,  Abb.  825,  tritt  im  Codex  Dresden  4a  als  zweite,  bezw. 
dritte  Hieroglyphe  eines  Gottes  auf,  der  wahrscheinlich  mit  dem  vorigen 
identisch  ist.  Wenigstens  zeigt  er  dieselben  markanten  Züge  und,  wie  es 
scheint,  auch  die  Linie  um  den  äusseren  Augenwinkel,  die  in  dem  Gesicht 
(Abb.  831)  und  der  Hieroglyphe  (Abb.  826)  des  eben  genannten  Gottes 
charakteristisch  hervortritt.  Der  Gott  selbst  ist  —  mit  dem  Kopfputz  der 
Hieroglyphe  (Abb.  830)  —  noch  einmal  im  Codex  Dresden  37a  in  einer 
Reihe  von  6'Aac-Darstellungen  zu  sehen.  Hier  ist  er  aber  hieroglyphisch  nicht 
durch  die  Abb.  824,  sondern  durch  die  Abb.  828  bezeichnet,  die  das  Element 
cauac  durch  ein  anderes  Element  (Abb.  832),  auf  das  ich  unten  noch  zu 
sprechen  kommen  werde,  für  das  ich  den  Lautwerth  tun  „Stein"  an- 
nehmen zu  müssen  glaube,  ersetzt.  Die  zweite  Hieroglyphe  (Abb.  825) 
finden  wir  auch  in  der  Reihe  der  Hieroglyphen  der  zwanzig  Gottheiten,  die 
mit  einmaliger  Wiederholung  auf  der  linken  Hälfte  der  Tafeln  46 — 50  und 
im  Auszug  auf  der  Tafel  24  der  Dresdener  Handschrift  zu  sehen  sind.  Und 
hier  tritt  neben  der  ursprünglichen  Form  (Abb.  827)  die  Variante  Abb.  829 
auf,  die  also  ebenfalls  das  Element  cauac  durch  das  Element  tu7i  „Stein" 
ersetzt  zeigt. 

Was  die  Natur  dieses  Gottes  anlangt,  so  hebe  ich  hervor,  dass  er  im 
Codex  Dresden  37  a  in  einer  Reihe  von  Darstellungen  Chac\  erscheint 
und,  wie  der  6'Aac,  mit  dem  Beil  in  der  Hand  unter  dem  Wasserströme 
herabsendenden  Himmelsschild  zu  sehen  ist;  dass  er  auch  im  Codex 
Dresden  4a  unmittelbar  dem  Chac  folgt;  dass  aber  im  Codex  Dresden  21c, 
wo  der  Gott  zweimal  vorkommt,  es  sich  augenscheinlich  um  geschlecht- 
liche Vereinigung  handelt,  —  wie  auch  durch  das  Zeichen  der  Vereinigung 
(Abb.  77 — 79,  oben  S.  414)  angezeigt,  —  und  dass  gerade  unser  Gott  hie,- 
in  sehr  eindeutiger  Position,  mit  geradezu  geilen  Allüren,  gezeichnet  ist. 
Als  Attribut  ist  ihm  im  Codex  Dresden  12  c  der  Kopf  des  Gottes  des 
Gedeihens  (des  Gottes  mit  dem  /(;aw-Zeichen  (Abb.  31)  beigegeben. 

Ein  zweites  interessantes  Vorkommen  ist  die  Hieroglyphe  Abb.  833, 
834,  die  gelegentlich  auch  (Codex  Tro  19  b)  in  der  Variante  Abb.  835 
auftritt,  und  die  eines  der  Hauptattribute  des  Sonnen-  und  Kriegsgottes 
Kinchahau^  aber  auch  des  Chac  und  seiner  Diener,  der  Blitzthiere,  bildet 
(vgl.  Codex  Dresden  37  a,  36  a,  39a,  45b).  —  Was  die  Elemente  dieser 
Hieroglyphe  angeht,  so  haben  wir  in  ihr  das  Zeichen  cauac,  das  Symbol 
des  wolkenbedeckten  Himmels  und  des  Gewitters,  ferner  das  Element, 
das  ich  oben,  S.  398,  als  die  Hieroglyphe  des  Wurfbretts  gedeutet  habe, 
und  das  wir  vielfach  zum  Ausdrucke  des  Werfens,  des  Schiagens,  Treffens 
verwendet  finden;  endlich  die  herausschiessenden  Strahlen,  die  auch  an  der 
Hieroglyphe  des  Blitzes  (Abb.  548,  oben  S.  476)  zu  sehen  sind.  Dieselbe 
Abb.  548  sehen  wir  übrigens,  begleitet  von  unserer  Hieroglyphe  Abb.  833, 

32* 


500  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung, 

im  Codex  Dresden  10  c,    wo   durch  sie  ohne  Zweifel  der  Blitz,    das  Feuer 
oder  ein  den  Blitz  oder  das  Feuer  führender  Gott  bezeichnet  ist. 

Merkwürdig  ist,  dass  gelegentlich  das  Element  cauac  dem  Elemente  kin 
homolog  auftritt.  Das  geschieht  in  der  Hieroglyphe  Abb.  836,  837,  die  im 
Codex  Tro  13*b  vorkommt  und  wohl  den  Seite  456  beim  Zeichen  ik  er- 
wähnten Hieroglyphen,  Abb.  235 — 239  (oben  S.  454),  verwandt  ist.  —  Diese 
Beziehung  erklärt  uns  vielleicht  auch  das  Vorkommen  des  Elements  cauac  in 
den  drei  Monatsnamen  yax^  zac  und  ceh  (Abb.  7 — 9,  oben  S.  410). 

Endlich  ist  noch  das  Vorkommen  des  Elements  cauac  in  der  Hiero- 
glyphe Abb.  838,  839  zu  erwähnen,  wodurch  im  Codex  Dresden  16 — 17  a, 
16— 17  b,  17  — 20  c,  25— 28  a  das  Tragen  in  einer  Rückentrage  bezeichnet 
wird,  das  wir  an  den  entsprechenden  Stellen  des  Codex  Tro  (20* — 19*d) 
durch  die  Abb.  621,  oben  S.  481,  ausgedrückt  finden.  Ich  habe  schon  in 
einer  früheren  Abhandlung  hervorgehoben,  dass  dieser  Unterschied  augen- 
scheinlich darin  seinen  Grund  hat,  dass  im  Codex  Tro  das  Tragen  in  einer 
Matte  geschieht,  —  die  Abb.  621  enthält  das  Element  der  Matte,  — 
während  in  der  Dresdener  Handschrift  eine  Rückentrage  von  der  Gestalt 
der  Abb.  840—842  zu  sehen  ist,  die,  wie  es  scheint,  aus  gebogenem  Leder 
oder  Holz  besteht. 

20.  aghual,  hunahpu,  ahau.  Das  Wort  ahau  heisst  „König",  „Herr" 
und  wird  in  dieser  Bedeutung  nicht  nur  in  dem  eigentlichen  Maya  von 
Yucatan,  sondern  auch  in  den  verwandten  Sprachen  Guatemala's  gebraucht. 
Das  Wort  ist  in  verschiedener  Weise  interpretirt  worden.  Dass  es  mit 
dem  Masculinpräfix  (bezw.  dem  Präfix  des  Besitzers)  ali  zusammenhängt, 
unterliegt  wohl  keinem  Zweifel.  Brasseur  erklärt  „Herr  des  Halsbands" 
{au).  Stell  (Sprache  der  Ixil-Indianer  S.  155)  „Herr  des  kultivirten 
Landes"  (vgl.  Kil  avuan,  „säen").  Auf  richtigerer  Fährte  scheint  mir 
der  letztere  zu  sein,  wenn  er  das  Ixil-Wort  vual  =  Pokonche  haual, 
re-haual,  „viel",  „sehr"  heranzieht  (ibid.  S.  53).  Ich  glaube,  dass  man  ein 
Radikal  hau  annehmen  muss,  von  dem  im  Mam  die  Worte  hauem  „Höhe", 
haui  „steigen",  hauizam  „in  die  Höhe  heben"  abgeleitet  sind,  dass  man 
also  eigentlich  ah-hau  zu  lesen  und  „Herr  der  Höhe",  „der  hohe"  zu  über- 
setzen hat,  ein  Begriff,  aus  dem  sich  ganz  natürlich  die  gewöhnliche  Be- 
deutung des  Wortes,  nämlich  „Herr"  entwickeln  musste.  In  prägnantem 
Sinne  aber,  und  als  Name  dieses  zwanzigsten  Tageszeichens,  bedeutet  ahau 
(eigentlich  ah-hau)  die  Sonne,  wie  im  Mam  ix-hau  „die  Herrin"  oder 
ix-hau  keya  „die  alte  Herrin"  für  den  Mond  gesagt  wird. 

Hunahpu  ist  der  Name  des  bekannten  Heros  der  Quiche-Mythen,  der 
mit  seinem  Genossen  Xbalanque  Ball  auf  der  Erde  spielt,  von  dem  Fürsten 
der  Unterwelt  zum  Wettkampf  herausgefordert,  in  die  Unterwelt  hinab- 
steigt, dort  verschiedene  Proben  siegreich  besteht,  zum  Schluss  aber  doch 
den  Mächten  der  Unterwelt  unterliegt,  — ■  allein  nicht  für  immer.  Die  unter- 
weltlichen Mächte   betrügend,    erwacht    er    zu    neuem  Leben    wieder    und 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     501 


steigt  als  Sonne  zum  Himmel  empor.    Ein  durchsichtiger  Mythus,  der  das 
tägliche  Verschwinden  der  Sonne  und  Wiederaufgehen  symbolisirt. 

Der  Name  Hunahpu  ist  aus  dem  Zahlwort  hun  „eins"  und  dem  Worte 
ahpu  zusammengesetzt,  das  gewöhnlich  als  „Herr  des  Blasrohrs"  Qpu)  oder 
„Blasrohrschiesser"  übersetzt  wird.  Der  Name  ist  genau  so  gebildet,  wie 
andere  Personennamen  der  Qu'iche-Cakchiquel,  die  in  der  überwiegenden 
Mehrheit  der  Fälle  dem  Kalender  entnommen  sind,  ohne  Zweifel  den  Tag 
bezeichnend,  an  welchem  die  Geburt  erfolgte.  Nun  existirt  allerdings 
ahpu  unter  den  Namen  der  Tageszeichen  nicht.  Es  ist  aber  sehr  wohl 
möglich,  dass  dieses  alipu,  als  ah-hpu  zu  lesen,  auf  eine  alte  Form  ah-hapu 
zurückgeht,  von  dem  sowohl  dieses  ahpu,  wne  die  Tzental-Form  ah  vu-al, 


tfi.      »Vf.      ns      %H      Sil     ^n     $i/-f.    sfo     ?5-y       35-z 


jTi-       94X      nr      »5^?      »5^      ^^C     ^U 


UnA  870  W 


wie  das  Maya-Wort  ali  a-u  abgeleitet  sein  könnten,  und  dass  nur  die  ge- 
wöhnliche Verbindung  hun-ahpu  in  dem  Namen  des  bekannten  Heros  das  Wort 
hun  „eins"  als  Bestandtheil  des  Namens  des  Tageszeichens  hat  erscheinen 
lassen^).  —  Wie  dem  auch  sei,  der  That  nach  entspricht  hun-ahpu  dem 
mexikanischen  ce  xochitl,  das  im  Wiener  Codex  23  unzweifelhaft  als  Symbol 
des  Sonnengottes,  oder  richtiger  wohl  als  Name  des  Sonnengottes  an- 
getroffen wird.  Die  Sonne  ist  der  König  unter  den  Göttern,  und  so  stimmen 
ahuu  und  hunahpu  und  das  mexikanische  xochitl  vortrefflich  zusammen. 

Das    Zeichen    ist    im    Landa    durch    die    Abb.   843    gegeben.      Damit 
stimmen  die  Formen  des  Codex  Tro  (Abb.  844)   und  Cortes  nahezu  voll- 


1)  Vgl.  in  der  Liste  von  Meztitlan,  oben  S.  418:  naui  oUn  „vier  Bewegung", 
für  olin  „Bewegung";  und  ome  xoch  itonal  „das  Zeichen  zwei  Blume"  für  xochitl 
-Blume". 


502  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

stäiulij;  überein.  Nur  kommt  gelegentlich  eine  umgekehrte  Form  vor 
(Abb.  845).  Auch  in  der  Dresdener  Handschrift  triift  man  ganz  ähnliche 
Formen  (Abb.  846,  847).  Gewöhnlich  aber  sind  in  dieser  Handschrift  die 
Formen  zeichnerisch  etwas  variirt  (Abb.  848—852),  und  auf  Blatt  24 
treffen  wir  eine  ganze  Reihe  von  merkwürdigen  veränderten  Zeichnungen 
(Abb.  854 — 859),  welchen  sich  in  gewisser  Weise  auch  die  Formen 
Abb.  860  (55b)  und  861  (Codex  Dresden  47,  50)  anschliessen.  Im  Codex 
Perez  findet  sich  neben  den  gewöhnlichen  Formen  die  Abb.  853.  Das 
Zeichen  hat  eine  weite  Verbreitung,  da  der  Xame  ahau  auch  der  Anfangs- 
tag uud  der  Xame  der  grösseren  Zeitperioden,  der  Katun,  der  Perioden 
von  20x360  Tagen  ist.  Es  ist  daher  nicht  wunderbar,  dass  wir  dieses 
Zeichen  auch  auf  den  Monumenten  vielfach  vorfinden,  und  ich  bemerke, 
dass  es  besonders  häufig  als  Aufaugshieroglyphe  erscheint.  Interessant 
ist  vor  Allem  die  Cedernholzplatte  von  Tikal  (Abb.  866).  Bemerkens- 
wertli  auch  wegen  der  vollständigen  üebereinstimniung  der  Schreibung  mit 
der  gewöhnlichen  Form  der  Dresdener  Handschrift,  die  Anfangshiero- 
glyphe der  Altarplatte  von  Lorillard  City  (Xr.  24  der  C h am  ay" sehen 
Sammlung)  (Abb.  867).  Auf  den  Altarplatten  von  Palenque  kommt  das 
Zeichen  ebenfalls  vielfach  vor,  gewöhnlich  in  ziemlich  gleichmässiger 
Gestalt.  Vgl.  die  Abb.  868,  die  der  linken  Seite  der  Altarplatte  des 
Kreuztempels  Nr.  1  entnommen  ist.  —  Die  Formen  der  Bücher  des 
Chilam  Balam  (Abb.  862  —  865)  sind  nur  Variationen  der  Form  der  Hand- 
schriften, 

Die  ganze  Reihe  der  Figuren  scheint  es  ziemlich  zweifellos  zu  machen, 
dass  ein  Gesicht  en  face  dargestellt  werden  sollte,  bezw.  dessen  promi- 
nenteste Theile,  Augen,  Nase,  Mund,  —  oder  auch  ein  en  face  gezeichnetes 
Vogelgesicht,  mit  Augen  und  Schnabel.  Und  ich  glaube,  wir  werden  an 
das  Sonnengesicht  oder  den  Sounenvogel  denken  müssen,  wie  solches 
z.  B.  auf  der  Cedernholzplatte  von  Tikal,  über  der  Gottheit  schwebend 
zu  sehen  ist.  Den  mittleren  Theil,  der  das  Vogelgesicbt  en  face  und  die 
Vogelkrallen  zeigt,  habe  ich  in  der  Abb.  870  wiedergegeben. 

An  die  Sonne  und  den  Vogel  erinnert  auch  die  merkwürdige  Abb.  869, 
die  in  der  Dresdener  Handschrift  9b  an  einer  Stelle  zu  sehen  ist,  wo 
eigentlich  das  Zahlzeichen  drei  erwartet  werden  müsste.  Wir  sehen  das 
Zeichen  ahau  von  Strahlen  oder  Tropfen  umgeben,  ganz  an  die  Art  er- 
innernd, wie  in  mexikanischen  Handschriften  (z.  B.  im  Codex  Viennensis) 
das  Bild  der  Sonne  von  bluthrothen  Tropfen  umgeben  ist;  und  darüber 
sehen  wir  eine  Feder. 

Von  den  sonstigen  Beziehungen,  die  das  Zeichen  ahau  erkennen  lässt, 
erwähne  ich,  dass  es  entschieden  Aehnlichkeit  mit  einem  Elemente  hat, 
dessen  handschriftliche  Formen  ich  in  den  Abb.  871,  872  (im  Codex  Dresden) 
und  873  (Codices  Perez,  Tro)  wiedergegeben  habe,  und  das  auch  unter 
den  Hieroglyphen  der  Monumente  überaus  häufig   angetroffen  wird.     Das 


6.  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten.     503 

Element  weist  in  den  Handschriften  zwei  benierkenswerthe  Vorkommnisse 
auf.  Einmal  nämlich  sehen  wir  es  in  dem  Stirnschmuck  des  oben  er- 
wähnten kahlköpfigen  Gottes  (Abb.  831),  und  hier  ist  es  in  dem  einfacher 
gezeichneten  Kopf,  Abb.  830,  ferner  in  den  Hieroglyphen  Abb.  824 — 829 
durch  die  einfache  Figur  des  Auges  vertreten.  Und  dann  sehen  wir  das 
Element  vielfach  als  Sitz  oder  Fussgestell  für  Götter  fungiren,  in  der- 
selben Weise,  wie  das  Zeichen  cahan  (im  Codex  Tro  32  d  sogar  mit  dem 
letzteren  abwechselnd),  wie  das  Zeichen  cauac  und  andere  Symbole  des 
Himmels.  Es  wäre  nicht  unmöglich,  dass  dem  Element  als  Grundbegriif 
die  Bedeutung  „Edelstein"  oder  „Smai'agd",  also  der  Lautwerth  tun^  zu- 
käme. Aus  diesem  könnte  sowohl  die  Beziehung  zum  Auge,  wie  zur 
Sonne  und  zum  Himmel  sich  ableiten.  AVir  haben  oben  (Abb.  824  und  828, 
827  und  829)  gesehen,  dass  in  Hieroglyphen  das  Element  synonym  dem 
Zeichen  cauac  auftritt,  und  da  ist  jedenfalls  zu  notiren,  dass  wir  in  den 
beiden  Hieroglyi^hen  Abb.  874  (Codex  Tro  35  d)  auch  das  Element  ahau 
dem  Element  cauac  synonym  verwendet  finden.  Ygl.  auch  oben  S.  497 
Abb.  836,  837. 

Von  den  Hieroglyphen,  in  denen  das  Zeichen  ahau  vorkommt,  ist  die 
bemerkenswertheste  die  Abb.  876,  wo  mit  dem  Elemente  ahau  die  Elemente 
der  Schärfe,  der  Schneide,  des  Steinmessers,  vereinigt  sind.  Die  Hiero- 
glyphe ist  das  gewöhnlichste  Attribut  des  Licht-  und  Himmelsgottes  Itzamnä, 
kommt  aber  auch  bei  einer  ganzen  Reihe  anderer,  doch  ausschliesslich 
bei  Licht,  Leben,  Gedeihen  verbürgenden  Gottheiten  vor,  bei  den  feind- 
lichen Gewalten,  den  Todesgottheiten,  vollkommen  fehlend. 

Die  in  dem  Vorstehenden  vorgenommene  Prüfung  des  Vorkommens 
und  der  Bedeutung  der  Maya-Tageszeichen  und  die  daran  sich  schliessen- 
den  Ausführungen  werden  —  das  verhehle  ich  mir  nicht  —  Irrthümer 
genug  enthalten.  Es  war  ein  erstes  Eindringen  in  einen  Urwald,  wo 
auch  der,  der  das  Auge  fest  auf  die  Bussole  gerichtet  hält,  schwer- 
lich jederzeit  die  richtige  Richtung  einzuhalten  im  Stande  sein  wird. 
Möge  ich  nachsichtige  Leser  finden.  Ein  Hauptresultat  wird  mir,  davon 
bin  ich  überzeugt,  nicht  streitig  gemacht  werden  können,  dass  —  so  ver- 
schieden auch  die  Ausgestaltung  im  Einzelnen  war  —  es  ein  Grundzug 
war,  der  die  Wissenschaft  der  Mexikaner  und  der  Maya-Völker  be- 
herrschte, dass  es  ein  patrimonium  commune  war,  an  dem  die  einen, 
wie  die  anderen  zehrten. 


504  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


7, 
Die  Chronologie  der  Cakchiquel-Annalen. 

Verhandlungen  der  Anthropologischen  Gesellschalt.    22.  Juni  1889.    Zeitschrift 
für  Ethnologie.    XXI.    S.  (475)  — (47(5). 


In  der  Vorrede  zu  der  von  ihm  veranstalteten  Ausgabe  von  Xahila's 
Cakchiquel  Annalen  —  des  sogenannten  „Memorial  de  Tecpan  Atitlan'^ 
Brasseur  de  Bourbourg's  —  führt  Brinton  an,  dass  bei  den  Cakchiquel 
Guatemalas  zwei  Arten  von  Zeitrechnung  im  Gebrauch  gewesen  seien. 
Die  eine  cKol-k'ih,  s.  v.  a.  „the  valuer  or  appraiser  of  days",  genannt,  sei 
nur  für  astrologische  und  augurische  Zwecke,  zur  Bestimmung  der  glück- 
lichen und  unglücklichen  Tage  benutzt  worden.  Die  andere,  may-kHh, 
s.  V.  a.  „the  revolution  or  recurrence  of  days",  genannt,  habe  der  wirklichen 
Chronologie  gedient. 

Die  erste  Rechnung  ist  das  eigenthümliche  System,  das  die  Zahl  "20, 
die  Grundlage  aller  zentral-amerikanischen  Zählungen,  mit  der  Zahl  13 
kombinirt,  und  so  einen  Turnus  von  260  Tagen  schafft,  nach  dessen  Ablauf 
dann  die  Tage  wieder  die  gleiche  Benennung  erhalten  Dieses  System  ist  das 
mexikanische  ional-amatl,  das  in  vollständig  übereinstimmender  Weise  bei 
allen  Kulturnationen  Mexico's  und  Mittelamerikas  in  Gebrauch  war. 

Die  andere  Rechnung  dagegen  ist  eine  besondere  und  eigenthümliche, 
die  bisher  nur  aus  den  Cakchiquel-Annalen  bekannt  geworden  ist.  Das 
Wesen  derselben  aber  ist  bis  in  die  neueste  Zeit  in  eigenthümlicher  Weise 
missverstanden  worden.  Die  Rechnung  geht  von  einem  in  der  Ge- 
schichte des  Stammes  hervorragenden  Ereigniss  aus,  der  Vernichtung  des 
aufrührerischen  Stammes  der  Tukuchee.  Dieses  Ereigniss  fand  an  einem 
Tage  statt,  der  nach  dem  System  des  ch'ol-kHk  oder  tonal-amatl  mit  der 
Ziffer  ]  I  und  dem  Zeichen  ah^  das  dem  mexikanischen  acatl  „Rohr" 
entspricht,  bezeichnet  wird.  Darnach  heisst  es  dann  (S.  160):  chi  vahxaki 
ah  xel  huna  yuhuh  „in  8  ah  gieng  aus  das  huna  des  Aufstandes";  chi  voo 
ah  jcel  um  caba  ru  banic  yuhuh  „in  5  ah  gieng  aus  das  zweite  des  Er- 
eignisses des  Aufstandes";  chi  cay  ah  xel  oxi  huna  ru  banic  yuhuh  „in  2  ah 
giengen  aus  drei  huna  des  Ereignisses  des  Aufstandes";  cablahuh  ah  wel 
ru  cah  huna  yuhuh  „in  12  ah  gieng  aus  das  vierte  huna  des  Aufstandes"; 


7.    Die  Chronologie  der  Cakchiquel-Annalen.  505 

chi  helehe  ah  a;el  voo  huna  rw  banic  yuhuh  „in  9  ah  giengen  aus  fünf  huna 
des  Ereignisses  des  Aufstandes"  u.  s.  f.,  bis  es  dann  auf  S.  168  heisst:  chi 
Od-i  ah  ca  xel  hun-may  ru  camic  Tukuchee  ru  banic  yuhuh  „in  3  ah  da  gieng 
aus  ein  may  des  Todes  der  Tukuchee  des  Ereignisses  des  Aufstaudes"  — 
und  weiter  chi  vuku  ah  xel-r-oxa  yw  ca-may  yuhuh  „in  7  ah  gieng  aus  das 
dritte  des  zweiten  may  der  Revolte". 
Es  ergiebt  sich  so: 

1.  dass  die  dieser  Zählung  zu  Grunde  liegende  chronologische  Einheit 
den  Namen  huna  führt. 

2.  20  huna  ergeben  eine  grössere  Periode,  die  den  Namen  may  führt. 

3.  Die  Endtage  der  aufeinanderfolgenden  huna  sind  folgende:  11  aÄ, 
8  ah,  5  aA,  2  ah,  12  ah,  9  ah,  6  ah,  3  ah,  13  ah,  10  ah,  7  ah,  4  ah, 
1  ah,  11  ah,  8  ah,  5  ah,  2  ah,  12  ah,  9  ah,  G  ah,  S  ah;  —  13  ah,  10  a/<, 
7  «Ä  u.  s.  f.  D.  h.  die  Endtage  der  aufeinanderfolgenden  huna  tragen  alle 
das  Zeichen  ah,  das  dem  mexikanischen  acatl  „Rohr''  entspricht,  aber 
die  Ziffern,  die  ihnen  zukommen,  ergeben  folgende  Periode:  11.  8.  5.  2. 
12.  9.  fi.  3.  13.  10.  7.  4.  1. 

Brinton  übersetzt  nun  das  Wort  hmia  einfach  mit  „Jahr".  Ich  weiss 
nicht,  ob  er  dabei  an  das  astronomische  Jahr  oder  an  das  astrologische 
von  260  Tagen  denkt.  Keines  von  beiden  kann  aber  mit  huna  gemeint 
sein.  Denn  wäre  huna  das  astrologische  Jahr,  so  müssten  die  Endtage 
dasselbe  Zeichen  und  dieselbe  Ziffer  haben.  Wäre  aber  huna  das  astro- 
nomische Jahr,  so  könnten  die  Endtage,  wie  ein  Blick  auf  den  mexikani- 
schen Kalender  lehrt,  weder  dieselbe  Ziffer  noch  dasselbe  Zeichen  haben. 
Endet  z.  B.  ein  Jahr  mit  „eins  Schlange",  so  endet  das  folgende  mit 
„zwei  Hund".  Brinton  sieht  diese  Schwierigkeit,  aber  schiebt  die 
Lösung  auf.  Stell  kommt  in  seiner  letzten  Arbeit  über  die  Ethnologie 
der  Indianerstämme  von  Guatemala  ebenfalls  auf  diese  eigenthümliche 
Chronologie  zu  sprechen.  Er  denkt  sich  als  die  chronologische  Einheit 
das  astrologische  Jahr.  Sein  Versuch  aber,  eine  Erklärung  für  die  Ver- 
schiebung   der  Ziffern    zu  finden,    muss  als  missglückt  betrachtet  werden. 

Und  doch  liegt  die  Sache  sehr  einfach.  Die  Kombination  der  Ziffern 
mit  dem  Zeichen  ah  soll  nicht  bedeuten,  dass  die  betreffenden  Tage,  wie 
Stell  sich  denkt,  bezw.  der  eilfte,  achte,  fünfte  u.  s.  w.  der  mit  dem 
Zeichen  ah  beginnenden  Woche  sind,  sondern  die  Tage  führen  als  Be- 
nennung einerseits  das  Zeichen  ah,  und  zweitens  die  Ziffern  11,  8,  5  u.  s.w. 
Das  ist  das  Wesen  des  tonal-amatl  oder  ch'ol-k'ih,  der  central-amerikanischen 
Tageszählung.  Nimmt  man  nun  das  Schema  eines  nach  mexikanischer 
Art  benannten  Kalenders  zur  Hand,  so  sieht  man,  dass,  vom  Tage  11  ah 
ausgehend,  es  gerade  der  20  X  20.  oder  400.  Tag  ist,  dem  das  Zeichen  ah 
und  die  Ziffer  8  zukommt.  Ebenso  folgt  auf  den  Tag  8  ah  genau  nach 
400  Tagen  der  Tag  5  ah  u.  s.  f.     Und    es  ist  ja  klar,    da  der  Zeichen  20 


^Qg  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung:. 

siud,  so  muss  nach  20  X -0  =  400  Tagen  dasselbe  Zeichen  wiederkehren. 
Da  aber  von  den  Ziffern  nur  1—13  verwendet  werden,  und  30  X  13  erst 
390  gibt,  so  muss  die  Ziffer  des  400.  Tages  um  die  Zalil  3  liinter  der  des 
Anfangstages  zurückstehen. 

Die  in  den  Cakchiquel-Annalen  vorliegende  Chronologie  ist  also  ein- 
fach eine  konsequente  Weiterentwickelung  des  vigesimalen  Zahl- 
systems. Die  erste  Einheit  sind  die  20  Tage,  die  auch  die  Basis  des 
tonal-amatl  bilden,  und  deren  jeder  mit  dem  Namen  eines  besonderen 
Zeichens  benannt  wird.  20  X '20  oder  400  Tage  sind  ein  htma,  und 
20  X  400  oder  8000  Tage  sind  ein  may. 


8.   Zur  mexikanischen  Chronologie.  507 


8. 

Zur  mexikanisclien  Chronologie,  mit  besonderer 
Berücksiclitigung  des  zapotekischen  Kalenders. 

Zeitschrift  für  Ethnologie.    XXIII.    (1891).   Seite  89  — 13.'5. 


Die  Eigenthümlichkeiteu  des  Zeitrechiiungssystems,  das  bei  den  ver- 
schiedenen Kulturnationen  des  alten  Mexico  und  bis  herunter  nach  Nicaragua 
im  Gebrauch  war,  sind  bekannt.  Wir  wissen,  dass  seine  Grundlage  ein 
Zeitraum  von  20  Tagen  bildete,  die  mit  den  Namen  verschiedener  sinnlich 
greifbarer  Objekte,  zumeist  Thiernamen,  benannt,  und  durch  die  Bilder 
dieser  Gegenstände  hieroglyphisch  bezeichnet  wurden.  Dass  20  Zeichen  ge- 
nommen wurden,  wird  durch  das  vigesimale  Zahlsystem  bedingt,  dessen  sich 
all  diese  Völker  bedienten.  Die  Zählung  der  Tage  wurde  aber  —  wenigstens 
bei  der  vorwiegend  gangbaren  Chronologie  —  nicht  einfach  vigesimal 
fortgesetzt,  sondern  mit  diesen  20  Zeichen  wurden  die  Ziffern  1 — 13  in 
der  Weise  kombinirt,  dass  jeder  der  aufeinanderfolgenden  Tage  mit  einem 
Zeichen  und  einer  Ziffer  bezeichnet  wurde,  dergestalt,  dass,  wenn  zur  Be- 
zeichnung des  ersten  Tages  die  Ziffer  1,  kombinirt  mit  dem  ersten  Zeichen, 
diente,  der  14.  Tag  das  14.  Zeichen,  aber  wieder  die  Ziffer  1  erhielt.  So 
gewann  man  als  höhere  chronologische  Einheit  einen  Zeitraum  von  13  X  20 
oder  260  Tagen.  Denn  erst  nach  Ablauf  dieses  Zeitraums  traf  es  wieder 
ein,  dass  ein  Tag  dieselbe  Ziffer  und  dasselbe  Zeichen  erhielt. 

Vergleiche  die  auf  Seite  508  und  509  stehende  Tabelle,  in  der  die 
20  Zeichen  durch  die  römischen,  die  13  Ziffern  durch  die  arabischen  Ziffern 
bezeichnet  sind. 

Dieser  Zeitraum  von  260  Tagen,  der  von  den  Mexikanern  tonalamatl, 
„Buch  der  (guten  und  der  bösen)  Tage",  in  Guatemala  ch!ol  k^ih,  „Tages- 
zählung", oder  k'ani  uuh,  „Buch  der  Lose",  bei  den  Maya  dagegen,  wie 
es  scheint,  —  die  gewöhnlichen  Angaben  lauten  anders,  —  kin  katuti, 
„Tagesordnung",  genannt  ward,  wurde  nun  in  verschiedener  Weise  mit 
dem  übrigen  Zeitrechnungssystem  in  Zusammenhang  gebracht. 

Die  Nationen  des  alten  Mexico  zählten  ihr  Jahr  zu  365  Tagen.  Das 
ergibt    sich    aus    der    Art    ihrer    Jahrbezeichnunü'    und    aus    der    Anzahl 


508 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


l 

I 

8 

I    i 

2 

I 

9 

I 

3 

I 

10 

I  ! 

4 

I 

2 

II 

9 

II 

3 

II 

10 

11 

4 

II 

11 

11 

5 

II 

III 

10 

III    ' 

4 

III 

11 

III 

5 

III 

12 

III 

G 

III 

4 

IV 

11 

IV 

5 

IV 

12 

IV 

G 

IV 

13 

IV 

7 

IV 

5 

V 

12 

V   1 

6 

V 

13 

V 

7 

V 

1 

V 

8 

V 

6 

VI 

13 

VI 

7 

VI 

1 

VI 

8 

VI 

2 

VI 

9 

VI 

7 

VII 

1 

VII 

8 

VII 

o 

VII 

9 

VII 

3 

VII 

10 

VII 

8 

VIII 

2 

VIII   : 

9 

VIII 

3 

VIII 

10 

VIII 

4 

VIII 

11 

VIII 

9 

IX 

3 

IX 

10 

IX 

4 

IX 

11 

IX 

5 

IX 

12 

IX 

10 

X 

4 

X 

11 

X 

5 

X 

12 

X 

6 

X 

13 

X 

11 

XI 

5 

XI 

12 

XI 

6 

XI 

13 

XI 

7 

XI 

1 

XI 

1-2 

XII 

(1 

XII 

13 

XII 

( 

XII 

1 

XII 

8 

XII 

2 

XII 

18 

XIII 

1 

XUI 

1 

XIII 

8 

XIII 

2 

XIII 

9 

XIII 

3 

XIII 

1 

XIV 

8 

XIV 

2 

XIV 

9 

XIV 

3 

XIV 

10 

XIV 

4 

XIV 

2 

XV 

9 

XV 

3 

XV 

10 

XV 

4 

XV 

11 

XV 

5 

XV 

3 

XVI 

10 

XVI 

4 

XVI 

11 

XVI 

5 

XVI 

1-2 

XVI 

6 

XVI 

4 

XVII 

11 

XVII 

5 

XVII 

1-2 

XVII 

G 

XVII 

13 

XVII 

7 

XVII 

n 

XVIII 

1-2 

XVIII 

G 

XVIII 

13 

XVIII 

1 

XVIII 

1 

XVIII 

8 

XVIII 

6 

XIX 

13 

XIX 

7 

XIX 

1 

XIX 

8 

XIX 

2 

XIX 

9 

XIX 

7 

XX 

1 

XX 

S 

1 

XX 

2 

XX 

9 

XX 

3 

1 

XX 

10 

XX 

der  Jahre,  die  sie  zu  einer  grösseren  Periode  zasammenfassteu.  Da 
365  =  28  X  13  -}-  1  und  =18  <  20  -{-  5  ist  so  folgt,  dass,  wenn  beispielsweise 
ein  Jahr  mit  einem  Tage  begönne,  der  die  Ziffer  1  und  das  I.  Zeichen 
trüge,  so  müsste  der  Anfangstag  des  folgenden  Jahres  die  Ziffer  2  und  das 
TL  Zeichen,  der  des  dritten  Jahres  die  Ziffer  3  und  das  XL  Zeichen,  der 
des  vierten  Jahres  die  Ziffer  4  und  das  XYI.  Zeichen  erhalten;  der  An- 
fangstag des  fünften  Jahres  dagegen  würde  mit  der  Ziffer  5  und  wiederum 
mit  dem  I.  Zeichen  benannt  werden  müssen.  TTir  erhalten  also  folgende 
Reihe  der  Jahresanfäuo-e: 


1 

I  ' 

1 

VI 

1 

XI 

1 

XVI 

1           I 

2 

VI 

2 

XI 

2 

XVI 

2 

I 

und  so 

3 

XI 

3 

XVI 

3 

I 

3 

VI 

fort,  wie 

4 

XVI 

4 

I 

4 

VI 

4 

XI 

am  An- 

5 

I  i 

5 

VI 

5 

XI 

5 

XVI 

fang. 

6 

VI 

i     6 

XI 

6 

XVI 

G 

I 

7 

XI 

7 

XVI 

7 

I 

1 

VI 

8 

XVI 

8 

I 

8 

VI 

8 

XI 

9 

I 

9 

VI 

9 

XI 

9 

XVI 

10 

VI 

10 

XI 

10 

XVI 

10 

I 

11 

XI 

11 

XVI 

11 

I 

11 

VI 

12 

XVI 

12 

I 

12 

VI 

12 

XI 

13 

I 

13 

VI 

13 

XI 

13 

i 

XVI 

8.   Zur  mexikanischen  Chronologie. 


509 


11 

I 

5 

I 

12 

I 

ü 

I 

13 

I 

7 

I 

1        I 

12 

II 

6 

II 

13 

II 

7 

II 

1 

II 

8 

II 

uud  so 

13 

III 

7 

III 

1 

III 

8 

III 

2 

III 

9 

III 

fort,  wie 

1 

IV 

8 

IV 

2 

IV 

9 

IV 

3 

IV 

10 

IV 

vorher. 

2 

V 

9 

V 

3 

V 

10 

V 

4 

V 

11 

V 

3 

VI 

10 

VI 

4 

VI 

11 

VI 

5 

VI 

12 

VI 

4 

VII 

11 

VII 

5 

VII 

12 

VII 

6 

VII 

13 

VII 

5 

VIII 

12 

VIII 

6 

VIII 

13 

VIII 

7 

VIII 

1 

VIII 

6 

IX 

13 

IX 

7 

IX 

1 

IX 

8 

IX 

2 

IX 

7 

X 

1 

X 

8 

X 

2 

X 

9 

X 

3 

X 

8 

XI 

2 

XI 

9 

XI 

3 

XI 

10 

XI 

4 

XI 

9 

XII 

3 

XII 

10 

XII 

4 

XII 

11 

XII 

5 

XII 

10 

XIII 

4 

XIII 

11 

XIII 

5 

XIII 

12 

XIII 

6 

XIII 

11 

XIV 

5 

XIV 

12 

XIV 

6 

XIV 

13 

XIV 

7 

XIV 

12 

XV 

6 

XV 

13 

XV 

7 

XV 

1 

XV 

8 

XV 

18 

XVI 

7 

XVI 

1 

XVI 

8 

XVI 

2 

XVI 

9 

XVI 

1 

XVII 

8 

XVII 

2 

XVII 

9 

XVII 

3 

XVII 

10 

XVII 

2 

XVIII 

9 

XVIII 

3 

XVIII 

10 

XVIII 

4 

XVIII 

11 

XVIII 

3 

XIX 

10 

XIX 

4 

XIX 

11 

XIX 

5 

XIX 

12 

XIX 

4 

XX 

11 

XX 

5 

XX 

12 

XX 

1 

6 

XX 

13 

XX 

# 

Man  sielit,  dass,  unter  der  Voraussetzung-  eines  Jahres  von  365  Tagen, 
auf  die  Anfaugstage  der  Jahre  nur  vier  von  den  20  Tageszeichen  fallen,  und 
zwar  vier  Zeichen,  die  je  um  fünf  Zeichen  von  einander  abstehen.  Und 
man  sieht,  dass  aus  der  Annahme  eines  Jahres  von  365  Tagen  sich  mit 
Nothwendigkeit  eine  Periode  von  52  Jahren  ergiebt.  Denn  da  365  =  5  X  73 
und  73  eine  Primzahl  ist,  so  kann  es  erst  nach  260/5  oder  52  Jahren 
eintreffen,  dass  auf  den  Anfangstag  des  Jahres  dieselbe  Ziffer  und  dasselbe 
Zeichen  des  Tonalamatl  fällt.  Nun  wissen  wir,  durch  die  übereinstimmen- 
den Angaben  der  Chronisten  und  der  Dokumente,  dass  die  mexikanischen 
Nationen  ihre  Jahre  in  der  Weise  bezeichneten,  wie  es  die  obige  Tabelle 
der  Jahresanfänge  darstellt,  und  es  wird  bei  einigen  Stämmen  mit  Be- 
stimmtheit angegeben,  dass  diese  Namen  der  Jahre  von  den  Namen  ihrer 
Anfangstage  hergenommen  worden  seien.  Andererseits  wissen  wir,  dass 
die  sämmtlichen  alten  Nationen  Mexicos  eine  Periode  von  52  Jahren  kannten 
und  nach  ihr  rechneten.  Wir  müssen  daher  schliessen,  dass  in  der  That, 
wie  oben  angegeben,  in  Mexico  das  Jahr  zu  365  Tagen  angenommen  wurde, 
die  Zeitrechnung  also  in  jedem  Jahr  um  5  St.  48  Min.  47 Va  Sek.  hinter 
der  wirklichen  Jahreslänge  zurückblieb. 

Dieser  einfache  und  klare  und  —  zieht  man  die  Kulturhöhe  der  alten 
Mexikaner  in  Betracht  —  gar  nicht  so  wunderbare  Thatbestand  ist  bis  in 
die  jüngste  Zeit  von  den  Autoren,  die  sich  mit  mexikanischer  Chronologie 
beschäftigt    haben,    hartnäckig    verkannt    worden.     Es    sind   hauptsächlich 


510  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

drei  Umstände,  die  eine  richtige  Auffassung  der  Sachlage  nicht  recht 
aufkommen  Hessen:  das  sind  erstens  gewisse  Annahmen,  die  in  Bezug  auf 
die  fünf  letzten  Tage  des  Jahres  gemacht  wurden,  sodann  die  Angaben 
der  Chronisten  über  Einschaltungen,  die  in  gewissen,  regelmässig  wieder- 
kehrenden Perioden  vorgenommen  worden  seien,  endlich  die  Variabilität 
des  Jahresanfangs  bei  den  verschiedenen  Stämmen  —  und  auch,  wie  es 
scheint,  in  den  verschiedenen  Zeiten,  —  die  eine  authentische  Konkordanz 
bestimmter,  historisch  bezeugter  Daten  des  mexikanischen  Kalenders  mit 
unserer  Chronologie  bisher  unmöglich  gemacht  haben. 

Die  chronologische  Einheit,  die  Zahl  von  '20  Tagen,  ist  in  365  Tagen 
18  Mal  enthalten.  Jeder  dieser  18  Zwanziger  —  von  den  Spaniern  fälsch- 
lich Jtfonate  genannt  —  war  bestimmten  Gottheiten  geweiht  und  gab  Ver- 
anlassung zu  einem  bestimmten  Feste,  das  mit  der  Jahreszeit,  den  in  der 
Jahreszeit  vorzunehmenden  Arbeiten  und  dem.  was  man  von  der  Jahres- 
zeit erwartete,  in  Zusammenhang  stand.  Fünf  Tage  blieben  übrig,  denen 
als  überschüssigen  eine  gewisse  unheimliche  Bedeutung  zugeschrieben  wurde. 
Die  Mexikaner  nannten  sie  nemontemi  oder  nen-ontemi,  d.  h.  „die  über- 
schüssigen, die  Ergänzungstage"",  mit  der  Nebenbedeutung:  „die  unbrauch- 
baren, die  keiner  Gottheit  geweiht,  zu  keinem  bürgerlichen  Geschäft 
brauchbar  waren'',  —  acain  poukgui,  „die  keinem  zugezählt  oder  zu- 
geschrieben wurden'',  „die  in  keiner  Werthschätzung  standen",  —  wie  es 
im  aztekischen  Text  von  Buch  II.  Kap.  37  des  Geschichtswerkes  des 
P.  Sahagun  heisst,  was  der  Pater  mit  den  Worten  erläutert:  —  „estos  cinco 
dias  ä  ningun  dios  estän  dedicados,  y  por  eso  les  llamavan  nemontemi., 
que  quiere  decir  por  demäs^.  —  Sie  galten  als  unheilvolle  Tage  (baldios  y 
aciagos).  Denn  mit  dem  Worte  nen,  „das  Ueberschiessende",  verband 
sich  auch  der  Begriff  des  ^Ueberflüssigen'',  Untauglichen",  „Unbrauch- 
baren". Keine  Handlung  von  irgend  welcher  Bedeutung,  oder  die  über 
den  Kreis  der  alleruothwendigsten  Lebeusverrichtungeu  liiuausgieuge,  ward 
vorgenommen.  Nicht  das  Haus  ward  gefegt,  kein  Gericht  gehalten,  und 
dem  Unglücklichen,  der  au  einem  dieser  Tage  geboren  ward,  ^dem  ist 
kein  Heil  beschieden,  elend  und  kümmerlich  und  arm  wird  er  leben  auf 
der  Erde*  (quihiotinemiz  ompa  onquiztinemiz  yn  tlalticpuc).  Insbesondere 
aber  hatten  diese  Tag^e  eine  vorbedeutende  Kraft  für  das  ganze  Jahr: 
ayac  teauaya,  ayac  manaya^  auh  yn  aca  oncan  teaua.^  quilmach  cenquicui, 
„Niemand  zankte,  Niemand  Hess  sich  in  einen  Streit  ein;  denn  wer  an 
diesen  Tagen  zankte,  von  dem  glaubte  man,  dass  er  es  immer  fortsetzen 
würde'',  —  heisst  es  im  aztekischen  Text  des  Sahagun.  Und  noch  aus- 
führlicher an  einer  anderen  Stelle,  die  Sahagun  mit  folgenden  Worten 
wiedergibt:  —  „guardabanse  en  estos  dias  fatales,  de  dormir  entre  dia,  ni  de 
renir  unos  con  otros,  ni  de  tropezar,  ni  de  caer,  porque  deciau  que  si 
alguna  cosa  de  estas  les  acontecia  que  siempre  les  habia  de  acontecer 
adelante''. 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  5 1 1 

Derselben  Vorstellung  begegnen  wir  in  Yucatan.  Man  gieng  an  diesen 
Tagen  so  wenig  wie  möglich  aus  dem  Hause,  wusch  und  kämmte  sich 
nicht,  und  nahm  sich  ganz  besonders  in  Acht,  irgend  welche  niedrige  oder 
mit  Beschwerden  verbundene  Arbeit  vorzunehmen,  ohne  Zweifel,  weil  man 
der  Ueberzeugung  lebte,  dass  das  dann  das  ganze  folgende  Jahr  so  fort- 
gehen würde.  Verhielten  sich  aber  die  Mexikaner  diesen  Tagen  gegenüber 
mehr  passiv,  indem  sie  sich  hüteten,  Unheil  für  das  folgende  Jahr  herauf- 
zubeschwören, so  machten  es  die  Maya  gründlicher,  sie  schafften  in  diesen 
Tagen,  vorbedeutend  für  das  ganze  Jahr,  das  Unheil,  was  etwa  drohen 
könnte,  heraus.  Sie  fertigten  aus  Thon  ein  Bild  des  Unheildämons  an, 
uuayayab^  d.  i.  u-uayab-haab,  „durch  den  das  Jahr  vergiftet  wird",  stellten 
es  der  Gottheit  gegenüber,  die  in  dem  betreffenden  Jahre  das  Regiment 
führte,  und  brachten  es  dann  in  der  Himmelsrichtung,  der  das  neue 
.lahr  angehörte,  aus  dem  Dorf  heraus. 

Von  diesen  fünf  Tagen  heisst  es  nun  in  den  Autoren  gewöhnlich,  „sie 
wurden  nicht  gezählt".  Und  man  stellt  sich  dabei  vor,  dass  die  übliche 
Bezeichnung  der  Tage  mit  Ziffern  und  Zeichen  auf  diese  Tage  nicht  an- 
gewendet worden  sei.  Richtig  ist,  dass  schon  der  aztekische  Text  des 
Sahagun  zu  dieser  Auffassung  Veranlassung  gibt.  Denn  dort  heisst 
es  von  den  nemontemi:  —  yn  aoctle  yntoca  tonalli,  yn  aocmo  ompouih,  yn 
aocmo  ompouhque,  „die  Tage  haben  keine  Namen  mehr,  sie  werden  nicht 
mehr  gezählt".  —  Und  weiter  unten:  —  ca  atle  ytonal,  ca  atle  ytoca  .  .  . 
cu  nel  amo  ompouhque  atle  ypouallo,  „sie  haben  kein  Zeichen,  keinen 
Namen  .  .  .  denn  sie  wurden  in  Wahrheit  nicht  gezählt".  —  Noch  deut- 
licher spricht  sich  Durän  aus:  —  „los  cinco  dias  que  sobraban,  tenianlos 
esta  nacion  por  dias  aciagos,  sin  cuenta  ni  provecho;  asi  los  dejaban  en 
blanco,  sin  ponerles  figura  ni  cuenta,  y  asi  los  llamaban  nemontemi,  que 
quiere  decir  dias  demasiados  y  sin  provecho".  —  In  Yucatan  wurden  diese 
Tage  auch  direkt  als  xma  kaba  kin,  „Tage  ohne  Namen"  bezeichnet. 
Und  was  Dur  an  angibt,  sehen  wir  im  Landa  dargestellt;  in  dem  von  ihm 
aufgezeichneten  Kalender  sind  die  fünf  überschüssigen  Tage  in  blanco 
aufgeführt,  ohne  Ziffer  und  ohne  Zeichen.  Soll  man  daher  in  der  That 
meinen,  dass  diese  Tage  die  fortlaufende  Towa/a^wa^Z-Rechnung  unter- 
brachen? Ich  glaube  nicht.  Das  acavi  pouhqui  und  aocmo  ompouhque 
besagen  nicht,  dass  diese  Tage  aus  der  Rechnung  herausfielen,  sondern, 
wie  auch  Sahagun  ganz  richtig  erläutert,  dass  keine  Feste  an  ihnen 
gefeiert  wurden,  dass  sie  als  zu  bürgerlichen  Handlungen  unbrauchbar 
und  werthlos  galten.  Vgl.  acan  ompoui:  „cosa  insufficente  y  falta,  6  per- 
sona de  quien  no  se  hace  caso"  (Molina).  Denselben  Sinn  werden  wir 
auch  der  Phrase  atle  ytoca  und  der  Maya-Bezeichnung  a;ma  kaba  kin  unter- 
legen müssen.  Und  wenn  nach  Durän  und  Landa  diese  Tage  weiss 
gelassen  wurden,  so  bedeutete  das  wohl  nur,  dass  man  sich  scheute,  diese 
Unglückstage  irgendwie  zu  nennen.    Stillschweigend  wurden  sie  weiter 


512  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

gezählt.  Sonst  könnte  z.  B.  Landa  nicht  angeben,  dass  die  auf  einander 
folo-enden  Jahre  mit  der  „letra  dominical",  kan,  muluc^  ii\  cauac,  d.  h.  dem 
IV.  IX.  XIV.  XIX.  Zeichen,  begönnen,  sondern  man  müsste  annehmen, 
wie  es  der  alte  Gama  allerdings,  aber  zweifellos  irrthümlich,  tlmt,  dass 
alle  Jahre  mit  derselben  Ziffer  und  demselben  Zeichen  begannen. 

Ebenso  unrichtig  ist  es,    was  Gama  (Dos  piedras  p.  75)  angibt,    dass 
die  fünf    Tage  nemontemi   der  „Acompanados''  entbehrten,    d.  h.    dass   die 
immer  wiederholten  Reihen  der  neun  sogenannten  „Senores  de  la  noche", 
die    neben    den    Zeichen    der    Tage    fortlaufend    weiter    gezählt    wurden, 
nur    bis   zu  dem   360.  Tage  des  Jahres  geführt  wurden.     Die  Hauptquelle 
Gama's    für    seine  Angaben  bezüglich  der  alten  Chronologie  sind  die  in 
mexikanischer  Sprache    geschriebenen  Aufzeichnungen    des  D.  Cr  istoval 
del  Castillo,  eines  Indianers  aus  vornehmem  tetzkokanischem  Geschlecht, 
der    im    Jahre   1606    als    alter,    SOjähriger    Mann    das    Zeitliche    segnete. 
Seineu  Aufzeichnungen    ist    ohne  Zweifel   auch  der  Kalender  entnommen, 
den  Gama  auf  S.  Q2 — 75  seines  Buches  abdruckt,   der  also  eigentlich  die 
Autorität    noch    ungebrochener  Tradition    für    sich    haben    sollte.     Dieser 
Kalender    lässt    das  Jahr  mit  ce  cipactli,  d.  i.  1  I,    beginnen  und  zählt  die 
nemontemi  mit  Ziffer  und  Zeichen  weiter  (10  I,   11  II,  12  III,  13  IV,   1  V). 
Aber  die  Reihe  der  9  „Senores  de  la  noche"  bricht  mit  dem  360.  Tage  des 
Jahres  ab.     Orozco  y  Berra    hat    die  Vermuthung    aufgestellt,    dass  der 
Sinn    dieser    doppelten  Zählung    der    gewesen    sei,    die  Tage    des  Jahres, 
denen  nach   der  Towa/ama^/- Rechnung    die  gleiche  Benennung  mit   Ziffer 
und  Zeichen  zukommen  würde,  durch  den  beigesetzten  „Acompanado"  zu 
unterscheiden.      In    der  That,    wenn    der    erste   Tag    des  Jahres,  als    den 
Gama    den  9.  Januar    nimmt,    mit  1  I  bezeichnet  würde,    so  würde  dem 
261.  Tage    des  Jahres,    d.  h.  dem  26.  September,    dieselbe  Benennung  zu- 
kommen.     Von   den  ,,Acompanados",    den  neun  Herren  der  Nacht,    aber 
würde,  wenn  der  erstere  Tag  (11=9.  Januar)  den  ersten  (Xiuhtecutli  Tletl) 
als  Begleiter  erhielte,  dem  letzteren  Tage  (1  1  =  26.  September)  als  Begleiter 
der  neunte  (jQuiauitl-Tlaloc)  zukommen,  denn  260  :  9  =  28 -)- 8.     Wäre  die 
Gama'sche  Angabe    richtig,    dass   die  nemontemi  der  „Acompanados"  ent- 
behren, so  würden  die  auf  einander  folgenden  Jahre  immer  mit  demselben 
„Acompanado"  anfangen.    Das  ist  aber  thatsächlich  nicht  der  Fall.    Es  gibt 
in  einer  der  Handschriften,  und  zwar  in  dem  schönen  Codex  Borbonicus, 
zwei  Blätter  (21  und  22),  auf  denen  die  52  Jahre  des  mexikanischen  Zyklus 
abgebildet  sind;  und  neben  jedem  sehen  wir  einen  der  neun  „Senores  de  la 
noche",   der  also   doch  wohl  derjenige  sein  muss,  der  auf  den  Anfangstag 
des    betreffenden    Jahres    fiel.      Diese    bei    den    Anfangstagen    der    Jahre 
stehenden    neun    Herren    sind    aber    in  den  aufeinander  folgenden  Jahren 
nicht  die  gleichen.   Allerdings  sind  es  merkwürdiger  W^eise,  wie  sowohl 
der  Herausgeber  wie  der  Kommentator  dieser  Handschrift  schon  gesehen 
haben,    nicht    diejenigen,    die    bei    einer  fortlaufenden  W^eiterzählung  der 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  513 

neun  Herren  auf  die  Anfangstage  der  Jahre  fallen  würden,  sondern  ein 
für  alle  Mal  die,  die  in  dem  (mit  1  cipactli  beginnenden)  Normal- 
Tonalamatl  mit  den  Namen  der  betreffenden  Tage  verbunden  sind. 
Diese  Bilder  der  neun  Herren  standen  also  zu  den  Tagen  des  TonalamatVs 
in  festem  "Verhältniss,  wurden  aber  mit  diesem  Tage  selbst,  sowohl  in  den 
360  ersten,  wie  in  den  unglücklichen  fünf  letzten  Tagen  des  Jahres,  auf- 
geführt. 

An  die  nemontemi  knüpfen  sich  nun  auch  die  ältesten  Angaben  über 
Einschaltungen,  die  angeblich  von  den  Mexikanern  in  bestimmten  Perioden 
vorgenommen  worden  seien,  um  ihr  Jahr  von  365  Tagen  mit  der  wirk- 
lichen Länge  des  Sonnenjahres  in  Uebereinstimmung  zu  bringen.  In  der 
Ueberschrift  zu  dem  19.  Kapitel  seines  zweiten  Buches  sagt  P.  Sahagun: 
—  «Hay  conjetura  que  cuando  ahujeraban  las  orejas  a  los  niiios  y  ninas, 
que  era  de  cuatro  en  cuatro  aiios,  echaban  seis  dias  de  nemontemi^  y  es  lo 
mismo  del  bisiesto,  que  nosotros  hacemos  de  cuatro  en  cuatro  aiios."  — 
Und  ähnlich  an  einer  anderen  Stelle:  —  „Otra  fiesta  hacian  de  cuatro  en 
cuatro  anos  ä  honra  del  fuego,  en  la  quäl  ahujeraban  las  orejas  ä  todos 
los  ninos,  y  la  llamaban  piUauanaliztli,  y  en  esta  fiesta  es  verosimil  y  hay 
conjeturas  que  hacian  su  bisiesto,  contando  seis  dias  de  nemontemi.^''  — 
Wohl  gemerkt,  der  Pater  sagt:  —  „es  verosimil  y  hay  conjeturas". 
Er  sagt  nicht,  dass  er  das  gehört  hat,  und  in  der  That  findet  sich  in  dem 
aztekischen  Text  an  den  betreffenden  Stellen  auch  kein  Wort  davon.  Die 
Vermuthung  des  P.  Sahagun  wird  von  späteren  Autoren  als  Gewissheit 
ausgesprochen.  So  gibt  es  der  gelehrte  Dominikaner  P.  Buxgoa  für  die 
Mixteca  und  die  Bewohner  von  Tehuantepec  an  (Geografica  Descriptio,  cit. 
bei  Orozco  y  Berra,  H.  p.  136),  ohne  indes  irgend  einen  Beleg  für 
seine  Behauptung  zu  erbringen.  Von  anderen  alten  Autoren  dagegen  wird 
dieser  Vermuthung  geradezu  widersprochen.  P.  Motolinia,  der  zu  den 
ersten  Missionaren  gehörte,  die  ins  Land  kamen,  sagt:  —  „Los  indios 
naturales  de  esta  Nueva  Espana,  al  tiempo  que  esta  tierra  se  ganö  y 
entraron  en  ella  los  Espanoles,  comenzaban  su  ano  en  principios  de  Märzo; 
mäs  por  no  alcanzar  bisiesto,  van  variando  su  afio  por  todos  los 
meses."  —  Derselben  Ansicht  ist  P.  Torquemada.  Und  der  Autor  der 
Chronica  de  la  S.  Provincia  del  Santissimo  Nombre  de  Jesus  de  Guatemala 
vom  Jahre  1683  bemerkt:  —  „porque  como  ni  los  Mexicanos  ni  estos  (los 
Guatimaltecas)  alcanzaron  el  bisiesto  .  .  .  se  apartaban  y  diferenciaban  de 
nuestro  calendario,  y  asi  ni  estos  ni  los  Mexicanos  comenzaban  siempre 
SU  aüo  a  primero  de  nuestro  Febrero,  sino  que  cada  cuatro  aiios  se  abra- 
saban  un  dia  ..."  —  In  der  That,  wäre  thatsächlich  eine  solche  Ein- 
schaltung vorgenommen  w^orden,  so  wäre  die  Periode  von  52  Jahren  und 
die  konsequente  Weiterbezeiclmung  der  Tage  innerhalb  derselben  ein  Un- 
ding. Oder  wenigstens  diese  Einschaltung  hätte  als  wichtiger  Faktor  in 
jeder,    über    den    Zeitraum    von    vier  Jahren    hinausgehenden  Aufzählung 

Seier,  Gesammelte  AbhaDcilunKen  I.  33 


514  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

notirt  werden  müssen.     Davon  habe  ich  aber  weder    in    den    aztekischen, 
noch  in  den  Maya-Handschriften  bisher  eine  Spur  entdecken  können. 

Der  Schwierigkeit  sich  bewusst,  in  dieser  Weise  eine  Uebereinstim- 
mung  der  alten  indianischen  Chronologie  mit  der  richtigeren  europäischen 
Zeitrechnung  herzustellen,  haben  Spätere  gemeint,  dass  am  Ende  des 
aiuhmolpilli,  der  Periode  von  52  Jahren,  eine  ganze  Woche  von  13  Tagen 
eingeschoben  worden  sei.  Es  ist  der  gelehrte  Jesuit  D.  Carlos  Sigüenza 
y  Göngora,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  lebte,  auf 
den  ohne  Zweifel  diese  Theorie  zurückzuführen  ist.  Das  Werk  dieses 
Autors,  „Ciclografia  Mexicana",  ist,  wie  es  scheint,  verloren  gegangen. 
Aber  Gemelli  Carreri  und  Clavigero  berufen  sich  auf  ihn.  Sigüenza 
hatte  wichtige  Dokumente  zur  Disposition,  Papiere  und  Bilderschriften, 
die  D.  Juan  de  Alva  Ixtlüxochitl^  einem  Abkömmling  der  tetzkokanischen 
Königsfamilie,  gehört  hatten,  und  er  war  ein  geschulter  Astronom.  Seine 
Vermuthung  wäre  auch  um  deshalb  annehmbarer,  weil  sie  die  Ordnung 
der  Tage  innerhalb  der  52  jährigen  Periode  unangetastet  lässt.  Trotzdem 
meine  ich,  dass  auch  seine  Angaben  auf  unbegründeten  Yermuthungen 
beruhen.  An  keiner  Stelle  der  alten  Autoren  ist  zu  ersehen,  dass  am 
Ende  der  52jährigen  Periode  ein  13  Tage  währendes  Fest  gefeiert  worden 
sei.  Es  handelt  sich  immer  nur  um  die  eine  Nacht,  die  Wende  des  Jahr- 
hunderts, in  der  das  Volk  unter  Zittern  und  Zagen  das  Aufflammen  des 
neuen  Feuers  auf  dem  TJixachtepec  erwartete.  Und  in  den  Bilderschriften 
finden  wir  Zeiträume  aufgezeichnet,  die  über  die  Periode  von  52  Jahren 
hinausgeiieiü  und  wo  die  Ordnung  der  Tage  ohne  Sprung  aus  der  einen 
in  die  andere  Periode  übergeführt  ist.  Vgl.  z.  B.  die  Blätter  46  —  50  der 
Dresdener  Handschrift,  die  bekannten  Blätter,  auf  denen  E.  Förstemann 
die  Reihe  der  um  236,  90,  250  und  8  Tage  von  einander  abstehenden 
Daten  nachgewiesen  hat.  Auf  ihnen  sind,  von  dem  Tage  1  ahau, 
dem  13.  des  Monats  Mac^  beginnend,  13x2920  Tage,  oder  13x8,  d.  h. 
2  X  52  oder  104  Jahre  durch  in  regelmässigen  Distanzen  von  einander  ab- 
stehende Daten  verzeichnet,  ohne  Sprung  irgend  welcher  Art  zwischen 
dem  einen  und  dem  anderen  der  beiden  52jährigen  Zyklen.  Noch  weit 
grössere  Zeiträume  sind  auf  den  hinteren  Blättern  der  Dresdener  Hand- 
schrift durch  ohne  Sprung  fortlaufende  und  von  Kontrolzahlen  begleitete 
Daten  belegt. 

Doch  auch  die  Vertheidiger  der  Einschaltung  berufen  sich  auf  Hand- 
schriften. Clavigero  (IL  Q'l')  sagt:  „Questi  tredici  giorni  erano  gl'inter- 
calari,  segnati  nelle  lor  dipinture  con  punti  turchini:  non  gli  con- 
tavano  nel  secolo  giä  compito,  neppur  nel  seguente,  ne  continuavano  in 
essi  i  periodi  di  giorni,  che  andavano  sempre  numerando  dal  primo  siuo 
allo  ultimo  giorno  del  secolo".  —  Clavigero  selbst  hat  solche  Hand- 
schriften nicht  gesehen.  Er  beruft  sich  auf  D.  Carlos  Sigüenza.  Die 
Materialien,  die  Sigüenza  besass,  sind,  wie  es  scheint,  zum  grössten  Theil 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  515 

in  den  Besitz  Boturin i's  übergegangen.  In  Folge  der  Beschlagnahme 
durch  die  vizekönigliche  Verwaltung  verschwanden  sie  vom  Schauplatz. 
Ein  Theil  befindet  sich  in  der  Anbin' sehen  Sammlung,  deren  gegen- 
wärtiger Besitzer  Herr  Eugene  Goupil  in  Paris  ist.  Ich  glaube  nicht, 
dass  darunter  sich  Papiere  befinden,  die  die  obigen  Angaben  Clavi- 
gero's  rechtfertigen.  Doch  habe  ich  in  einer  Maya-Handschrift  blaue 
Zahlzeichen  gesehen,  die  im  Sinne  einer  Korrektur,  also  auch  vielleicht 
einer  Einschaltung,  gedeutet  werden  könnten.  Auf  den  Seiten  23  und  24 
des  Codex  Perez,  des  Manuskript  Mexicain  Nr.  2  der  Bibliotheque  natio- 
nale in  Paris,  finden  sich  13  Kolumnen  von  je  fünf  Tagesdaten,  die  von 
hinten  nach  vorn  und  von  oben  nach  unten  gelesen  werden  müssen,  wie 
die  Rechnung  und  wie  die  Stellung  der  Hieroglyphen  ergibt,  die  hier  — 
abweichend  von  der  sonst  in  den  Maya-Handschriften  befolgten  Schreib- 
weise, —  ihre  Stirnseite  nach  hinten  (nach  rechts)  kehren.  Die  einzelnen 
Daten  in  der  Reihe  differireu  um  je  28  Tage  und  das  letzte  Datum  der 
ersten  (obersten)  Reihe  von  dem  ersten  Datum  der  zweiten  Reihe  eben- 
falls um  28  Tage.  Es  sind  also  im  Ganzen  5x13x28  oder  7x260  Tage, 
d.  h.  der  Zeitraum  von  7  Tonalamatl  Die  zu  den  Tagesdaten  gehörigen 
ZiflPern  sind,  wie  üblich,  mit  rother  Farbe  geschrieben,  aber  über  oder 
unter  jeder  Zifferkolumne  ist  mit  blauer  Farbe  eine  andere  Ziffer  ge- 
schrieben, die  ein  um  20  Tage  weiter  liegendes  Datum  bezeichnen 
würde.  Eine  Korrektur  liegt  augenscheinlich  vor,  aber  es  ist  zweifelhaft, 
ob  man  das  als  eine  Art  Einschaltung  aufzufassen  hat.  Es  ist  eine  Kor- 
rektur, die  angibt,  was  für  ZiflFern  den  Daten  zukommen,  wenn  der  An- 
fang der  ganzen  Reihe  um  eine  Einheit  von  20  Tagen  weiter  hinaus- 
geschoben wird. 

Eine  Variation  hat  Leon  y  Gama  in  der  Sigüenza' sehen  Ein- 
schaltungstheorie  angebracht,  indem  er  angibt  (Dos  Piedras  p.  52,  53), 
dass  die  alten  Mexikaner  am  Schlüsse  eines  Doppelzyklus  von  104  Jahren 
25  Tage,  oder  am  Schlüsse  des  52jährigen  Zyklus  1272  Tage  eingeschaltet 
und  demgemäss  die  Tage  des  einen  Zyklus  am  Morgen,  die  des  anderen 
am  Abend  angefangen  hätten.  Doch  das  ist  eitel  Spekulation.  Die  An- 
nahme endlich  des  Jesuiten  Fabrega,  der  sich  auch  A.  v.  Humboldt 
(Vue  des  Cordilleres,  IL  p.  81)  anschliesst,  dass  die  Mexikaner  am  Schlüsse 
einer  Grossen  Periode  von  20  Zyklen  oder  1040  Jahren  sieben  Tage 
unterdrückt  und  dadurch  ihr  Jahr  auf  nahezu  die  genaue  Länge  des  tro- 
pischen Jahres  gebracht  hätten,  beruht  auf  einem  thatsächlichen  Irrthum. 
An  der  betreffenden  Stelle  des  Codex  Borgia  49 — 53  (=  Kingsborough  6() 
bis  Q)'r)  handelt  es  sich  keineswegs  um  einen  so  langen  Zeitraum.  Die 
einfache  Reihe  der  20  Tageszeichen  ist  dargestellt  von  malinalli  =  XII 
auf  Blatt  49  ausgehend  und  mit  o^omatli  =  XI  auf  Blatt  53  endend.  Die 
Zeichen  sind  ohne  Zweifel  ursprünglich  auf  vier  Seiten  eines  Vierecks 
vertheilt  gedacht,  mit  dem  letzten  (opomatlz)  in  der  Mitte. 

33* 


516  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Ist  nun  eine  Einschaltung  in  keiner  Weise  als  sicher  zu  erweisen,  so 
erhebt  sich  um  so  drängender  die  Frage:  wie  fanden  sich  die  Mexikaner 
mit  ihrem  Zeitrechuungssystem  in  der  wirklichen  Zeit  zurecht?  Mussteu 
sie  nicht  gar  bald  merken,  dass  ihre  Jahresfeste,  die  doch  in  bestimmte, 
durch  den  Lauf  der  Sonne,  den  Wechsel  von  trockener  und  nasser  Zeit, 
von  Winterschlaf  und  Vegetationsfülle  bedingte  Jahresabschnitte  fielen, 
sich  im  Laufe  der  aufeinander  folgenden  Jahre  gar  merklich  verschoben? 
Ohne  Zweifel  haben  sie  es  gemerkt,  es  ist  aber  sehr  fraglich,  ob  man 
überall  gewusst  hat,  wie  dem  abzuhelfen  sei.  Und  jedenfalls  beruhen  auf 
dieser  Unsicherheit,  auf  dem  Fehlen  von  Einschaltungen,  die  konfusen 
und  widersprechenden  Angaben,  die  von  den  Indianern  selbst  über  die 
Zeit  ihres  Jahresanfanges  und  die  wirkliche  Zeit  ihrer  verschiedenen  Feste 
zu  erlangen  waren.  „Es  de  notar",  —  sagt  Sahagun  am  Schlüsse  des 
7.  Buches,  —  •»Ci^i©  discrepan  mucho  en  diverses  lugares  del  principio  del 
aiio:  en  unas  partes  me  dijeron  que  comenzaba  ä  tantos  de  Enero:  en 
otras  que  a  primero  de  Febrero:  en  otras  que  a  principios  de  Marzo.  En 
el  Tlaltelolco  junte  muchos  viejos,  los  mas  diestros  que  yo  pude  aver,  y 
juntamente  con  los  mäs  häbiles  de  los  colegiales  se  altercö  esta  materia 
por  muchos  dias,  y  todos  ellos  concluyeron,  diciendo,  que  comenzaba  el 
aüo  el  segundo  dia  de  Febrero." 

Die  an  den  Lauf  der  Jahreszeiten  geknüpften  Feste  mit  ihrem  ent- 
wickelten Zärimoniell  sind  ohne  Zweifel  uralte  Uebung  und  wurden  ähn- 
lich über  weite  Theile  des  Landes  gefeiert.  Die  Fixiruug  des  Jahres- 
anfangs steht  mit  diesen  Festen  in  enger  Verbindung  und  war  ebenfalls, 
wie  mit  Bestimmtheit  anzunehmen  ist,  über  weite  Theile  des  Landes  ur- 
sprünglich dieselbe.  Je  früher  aber  ein  Stamm  die  vage  Feststellung 
derselben  nach  dem  Lauf  der  Sonne  und  dem  Stand  der  Feldarbeiten  auf- 
gab, und  die  Priester  an  der  Hand  der  fortlaufenden  Tbwa/a7??örZ-Rechnung 
über  die  Feste  Buch  zu  führen  begannen,  desto  mehr  mussten  sich  für 
diesen  Stamm  der  Jahresanfang  und  die  Feste  oder  das  Verhältniss  der- 
selben zum  Jahresanfang  verschieben. 

Es  ist  Grund  vorhanden,  anzunehmen,  dass  dasjenige,  was  die  von 
Sahagun  in  Tlaltelolco  zusammenberufene  Indianerkonferenz  schliesslich 
feststellte,  nämlich  dass  das  Jahr  mit  dem  Quauitleua,  dem  Fest  der 
Regengötter  (^Tlaloqw'),  und  am  2.  Februar  der  christlichen  Zeitrechnung- 
begonnen  habe,  dem  ursprünglichen  Brauch  ungefähr  entsprochen  habe. 
Denn  in  dem  weit  entfernten  und  von  einer  anderen  Kulturnation  be- 
wohnten Yucatan  finden  wir  die  Anklänge  daran  in  der  Angabe  Landa's, 
dass  die  Maya  in  einem  der  beiden  sogenannten  Monate  (eigentlich  Ein- 
heiten von  20  Tagen)  CTien  und  Ycuc,  d.  h.  ungefähr  im  Monat  Januar,  an 
einem  Tage,  den  die  Priester,  ohne  Zweifel  nach  der  von  ihnen  geführten 
Chronologie,  besonders  bestimmten,  den  Regengöttern  (Chac)  das  Fest 
Ocnc/j  d.  h.  „Eintritt  in  das  Haus"   oder,   wie  Landa  übersetzt,  „Er- 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  517 

neuerung  des  Tempels",  gefeiert  hätten.  —  „Miraban  los  pronosticos 
de  los  Bacabes^'-,  —  d.  h.  sie  stellten  fest,  nach  der  Gottheit,  die  für  das 
Jahr  entscheidend  war,  ob  das  Jahr  gut  oder  böse  sein  würde,  —  „y  demas 
desto  renovavan  los  idolos  de  barro  y  sus  braseros,  y  si  era  menester, 
hacian  de  nuevo  la  casa  6  renovabanla,  y  ponian  en  la  pared  la  memoria 
destas  cosas  con  sus  caracteres".  —  Also  Feststellung  des  Charakters,  den 
das  Jahr  haben  wird,  und  Erneuerung  der  Kultusgegenstände  und  des 
Hausgeräthes,  —  Zärimonien,  deren  ursprünglicher  Sinn  nur  der  sein  kann, 
dass  man  in  diese  Zeit  den  Anfang  des  Jahres  setzte.  In  der  That 
scheinen  auch  die  den  Maya  nahe  verwandten  Zötzil  von  Chiapas  das  Jahr 
mit  dem  Monat  chen^  der  bei  ihnen  tzun^  d.  h.  „Anfang",  lautet,  begonnen 
zu  haben  (vgl.  Pineda,  zitirt  bei  Orozco  y  B  erra,  II.  p.  142).  Bei- 
läufig bemerke  ich,  dass,  wie  wir  hier  das  Neujahrsfest  der  Mexikaner  bei 
den  Maya  wiederfinden,  so  hat  auch  die  Art  und  Weise,  wie  ein  halbes 
Jahr  später,  im  Monat  Juli,  die  Maya  ihr  eigentliches  Neujahr  feierten, 
indem  sie  in  solenner  Weise  das  Unheil  aus  dem  Dorfe  herausbrachten, 
ein  Analogen  bei  den  Mexikanern  in  dem  im  August  gefeierten  Besenfest 
{Ochpaniztli). 

Die  Feststellung  der  Indianerkonferenz  von  Tlaltelolco,  dass  der  erste 
Tag  Quauitl  eua  auf  Anfang  Februar  gefallen  sei,  muss  auch  deshalb  als 
dem  wirklichen  Brauch  ungefähr  entsprechend  angesehen  werden,  weil  bei 
dieser  Annahme  die  verschiedenen  Feste  den  Jahreszeiten,  in  die  sie 
fallen,  angepasst  sind:  das  6.  Fest,  Etzalqualitztl%  das  dem  Einsetzen  der 
Regenzeit  gilt,  auf  den  13.  Mai.  Der  aus  tetzkokanischen  Quellen 
schöpfende  D.  Cristobal  de  Castillo,  welchem  Gama  folgt,  lässt  das 
Jahr  mit  dem  um  zwei  Zwanziger  zurückliegenden  Feste  Tititl  beginnen, 
setzt  aber  dafür  den  Anfang  des  Jahres  um  volle  24  Tage  früher  an,  so 
dass  das  dem  Einsetzen  der  Regenzeit  geltende  Fest  Etzalqualiztli  bei  ihm 
auf  den  29.  Mai  fällt.  Der  Interpret  des  Codex  Yaticanus  A  nimmt  an 
einer  Stelle  den  15.,  an  einer  anderen  den  24.  Februar  als  Anfang  des 
Jahres  an.  Darnach  würde  Etzalqualiztli  auf  den  26.  Mai,  bezw.  den 
4.  Juni  fallen.  Clavigero  mit  dem  26.  Februar,  Duran  mit  dem  I.März 
als  Jahresanfang  würden  sich  auch  noch  nicht  allzuweit  von  dem,  durch 
die  Natur  der  Jahreszeiten  Angezeigten  entfernen,  Etzalqualiztli^  das  Ein- 
setzen der  Regenzeit,  würde  auf  den  6.,  bezw.  9.  Juni  fallen.  Wir  hätten 
für  das  letztere,  in  dem  Leben  der  Kulturvölker  Mexiko's  besonders 
wichtige  Ereigniss  einen  Spielraum  von  der  ungefähren  Dauer  eines 
unserer  Monate,  —  einen  Spielraum,  der  dem  natürlichen  Verhalten  durch- 
aus entspricht.  Wenn  endlich  tlaxkaltekische  Quellen  das  Jahr  mit  Ate- 
moztli,  also  einem  drei  Zwanziger  vor  Quauitl  eua  fallenden  Feste,  be- 
ginnen lassen,  so  ergibt  das,  den  spätesten  Termin,  den  wir  eben  fanden, 
für  Quauitl  eua  augesetzt,  als  Jahresanfang  den  letzten  Dezember,  —  eine 
Angabe,    die    also  den  eigentlichen  Jahresanfang    wieder    auf   die    sowohl 


518  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

den  Mexikanern,  wie  den  Maya  bedeutungsvolle  Zeit,  die  Mitte  der 
trockenen  Jahreszeit,  verlegt.  Die  Thatsache  selbst  aber,  dass  die 
nemontemi.,  die  Schluss-  und  Ergänzungstage  des  Jahres,  bald  vor  Quauitl 
eua,  bald  vor  Tititl,  bald  vor  Atemoztli,  oder  andererseits,  wie  nach  der 
guatemaltekischen  Cronica  Franciscana  von  1683  bei  den  Cakchiquel 
üblich  war,  vor  Tlacaxipeualiztli  gesetzt  wurden,  beweist,  dass  bei  den 
Mexikauern  sich  die  Feste  verschoben,  dass  ihre  Jahre  thatsächlich  zu 
kurz  waren  und  sie  in  beständiger  Unordnung  mit  ihrem  Festkalender 
lebten. 

Wenn  aber  die  Feste  sich  bei  den  Mexikanern,  in  Folge  ihrer  Un- 
fähigkeit, die  wirkliche  Länge  des  Jahres  in  dem  System  ihrer  Chronologie 
zum  Ausdruck  zu  bringen,  beständig  verschoben,  so  bot  andererseits  die 
Tonalamatl-^echnung  ein  festes  Gerüst  dar,  das,  von  kundiger  Priester- 
hand weiter  geführt,  über  den  Zeitraum,  der  einen  bestimmten  Tag  von 
einem  anderen  trennte,  keinen  Augenblick  in  Zweifel  Hess.  Nur  an  einer 
Stelle  kommt  auch  hier  die  Unsicherheit  der  mexikanischen  Chronologie 
zum  Ausdruck,  das  ist  in  dem  Anfaugstage  ihrer  Jahre  und  in  der  Be- 
nennung, die,  diesem  Anfangstage  entsprechend,  den  verschiedenen  Jahren 
zukam. 

Wenn,  wie  ich  oben  anführte,  aus  dem  System  des  TonalamaÜ  und 
der  Annahme  eines  Jahres  von  365  Tagen  mit  Xothwendigkeit  folgt,  dass 
von  den  20  Zeichen  der  Tage  auf  die  Anfangstage  der  Jahre  nur  vier, 
und  zwar  vier  um  je  fünf  Zeichen  von  einander  abstehende  Zeichen  fallen, 
und  wir  weiter  finden,  dass  allgemein  die  Jahre  nach  vier  um  je  fünf 
Zeichen  von  einander  abstehenden  Tageszeichen  benannt  wurden,  so  ist  es 
zunächst  das  Natürlichste,  anzunehmen,  dass  es  eben  die  Anfangstage  der 
Jahre  waren,  nach  denen  diese  Jahre  selbst  benannt  worden  siud.  Das 
scheint  nun  aber  nicht,  oder  wenigstens  durchaus  nicht  durchgängig,  der 
Fall  gewesen  zu  sein. 

Bei  den  Mexikanern  wurden  die  Jahre  mit  den  Zeichen  acatl  (Rohr), 
teopatl  (Feuerstein),  calli  (Haus),  tochtli  (Kaninchen),  d.  h.  dem  XIII., 
XYni.,  III.  und  VIII.  der  20  Tageszeichen  bezeichnet.  Denen  entsprechen 
genau  die  chiapanikischen  been^  chinax^  votan,  latnbat,  während  in  Yucatan 
für  die  aufeinander  folgenden  Jahre  die  Zeichen  kan,  muluc,  ix  cauac^  d.  h. 
das  IV.,  IX.,  XIV.  und  XIX.  Tageszeichen  gebraucht  wurden.  Die  vier 
Zeichen  acatl^  tecpatl,  calli^  tochtli  wurden  auf  den  vier  Armen  eines  Haken- 
kreuzes in  der  Weise  eingetragen,  wie  es  die  auf  Seite  519  stehende 
Figur  zeigt.  Indem  man  nun  die  Spirale  im  entgegengesetzten  Sinne  der 
Drehung  des  Uhrzeigers  verfolgte,  gelangte  man  von  1.  acatl  über  2.  tecpatl, 
3.  calli^  4.  tochtli  nach  5.  acatl  u.  s.  f.  bis  13.  tochtli.  Wie  das  schon  diese 
Eintragung  an  die  Hand  gab,  wurden  jedesmal  die  auf  einem  Arm  des 
Hakenkreuzes  eingetragenen  Jahre  einer  bestimmten  Himmelsrichtung  zu- 
gewiesen, die  acatl-Jahre  dem  Osten,  tecpatl  dem  Norden,  calli  dem  Westen, 


8.   Zur  mexikanischen  Chronologie. 


519 


tochtli  dem  Süden.  Die  Zählung  innerhalb  des  Zyklus  begann  im  Osten 
mit  den  aca^Z- Jahren,  aber  nicht  mit  1.  acatl^  sondern  merkwürdigerweise 
mit  2.  acatl,  so  dass  also  der  Zyklus  mit  1.  tochtli  sehloss.  Die  gegen- 
wärtige Weltperiode  begann,  so  glaubten  die  Mexikaner,  im  Jahre  1  tochtli. 
In  diesem  wurde  die  Erde  geschaffen,  oder  vielmehr  der  am  Schlüsse  der 
letzten  prähistorischen  Weltperiode  eingestürzte  Himmel  wieder  empor- 
gehoben. Aber  erst  nachdem  das  vollzogen,  konnte  das  Feuer  neu  er- 
rieben und  damit  der  erste  52jährige  Zyklus  begonnen  werden.  So  ist  es 
ausdrücklich  in  dem  Codex  Fuenleal,  der  „Historia  de  los  Mexicanos  por 


sus  pinturas",  gesagt.  Darum  ist  2.  acatl  das  Anfangsjahr  des  ersten  und 
aller  folgenden  Zyklen.  Als  solches  ist  es  auch  in  sämmtlichen  Bilder- 
schriften historischen  Inhalts  durch  den  daneben  gesetzten  Feuerbohrer 
bezeichnet.  Die  Angabe  des  Interpreten  zu  Codex  Telleriano-Remensis, 
lY.  24,  auf  welche  Orozco  y  Berra  so  viel  Gewicht  legt,  dass  erst  im 
Jahre  1506  unter  Motecuhfoma  der  Beginn  des  Zyklus  von  1.  tochtli  auf 
2.  acatl  verlegt  worden  sei,  wegen  der  Hungersnötlie,  die  in  den  ersteren 
Jahren  regelmässig  eingetreten  seien,  ist  nur  ein  Versuch,  den  merk- 
würdigen Umstand,  dass  der  Zyklus  mit  der  Ziff'er  2  beginnt,  in  euheme- 


520  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

ristischer  Weise  zu  erklären.  Die  Angabe  des  Clavigero  aber,  dass  der 
Zyklus  mit  1.  tochtli  begonnen  habe,  ist  einfach  irrig.  Sie  widerspricht 
den  Berichten  der  alten  Autoritäten  und  dem,  was  die  Dokumente 
uns  lehren. 

Mit  welchem  Tage  begannen  nun  die  Jahre?  Durän  und  Cristöbal 
delOastillo  lassen  das  Jahr  mit  cipactli,  dem  ersten  der  "20  Tageszeichen, 
beginnen.  Und  ist  dieses  als  der  Anfaugstag  der  einen  Jahre  anzusetzen, 
so  würden  die  anderen  mit  miquiztli,  ofoinatli,  cozcaquauhtli,  dem  VI.,  XI. 
und  XYI.  Tageszeichen,  beginnen.  So  nimmt  es  auch  Clavigero  an,  der 
die  tochtli-,  acatl-^  tecpatl-,  colli-Jahre  entsprechend  mit  dpactli,  miquiztli, 
ocomatli,  cozcaquauhtli  beginnen  lässt.  Ich  selbst  habe  früher  in  gleicher 
Weise  gemeint,  dass  die  Jahre  acatl,  tecpatl,  calli,  tochtli  mit  den  Tagen 
dpactli,  miquiztli,  ofoviatli,  cozcaquauhtli  als  Anfangstagen  zu  verbinden 
seien,  auf  das  Blatt  27  (=  Kingsborough  12)  des  Codex  Borgia  mich 
stützeird,  dem  Codex  Yaticauus  B  69  (=  Kingsborough  28)  entspricht.  Hier 
sieht  man  die  fünf  Himmelsrichtungen  durch  fünf  Figuren  Tlaloc's,  des 
mexikanischen  Regengottes,  repräsentirt,  von  denen  die  eine  die  Mitte 
des  Blattes  einnimmt,  die  anderen  an  die  vier  Ecken  vertheilt  sind.  Unter 
den  letzten  Figuren  sind  die  Zeichen  der  vier  Jahre  augegeben,  und  zwar 
in  der  That  in  derselben  Weise,  wie  ich  das  oben  angenommen  habe,  den 
Zeichen  der  genannten  vier  Tage  koordiuirt.  Es  ist  mir  aber  neuerdings 
doch  zweifelhaft  geworden,  ob  das  wirklich  als  Beweis  dafür  anzusehen 
ist.  dass  die  Mexikaner  die  acatl-,  tecpatl-,  calli-,  tochtli-iahie  mit  den 
Tagen  dpactli,  miquiztli,  ogomatli,  cozcaquauhtli  begannen.  Denn  die  ge- 
nannten Blätter  der  beiden  Handschriften  lassen  sehr  wohl  eine  andere 
Erklärung  zu.  Xicht  nur  die  Jahre  des  Zyklus  nämlich  wurden  in  die  vier 
Himmelsrichtungen  vertheilt,  sondern  auch  die  vier  Abschnitte  des  mit 
1.  dpactli  beginnenden  Tonalamatl's.  Die  Anfangstage  dieser  vier  Viertel 
wurden  in  dem  zapotekischen  Kalender,  —  der,  wie  wir  sehen  werden, 
vielleicht  eine  der  urwüchsigsten  Formen  dieses  chronologischen  Systems 
darstellt,  —  geradezu  als  die  codjo  oder  pitäo,  d.  h.  „die  Halter  der  Zeit", 
„die  Regengötter"  oder  ..die  Grossen",  „die  Götter",  bezeichnet.  In  diesem 
Namen  ist  also  direkt  Bezug  genommen  auf  die  r/a/oc-Figureu.  die  wir  in 
Codex  Borgia  27  (=  Kingsborough  12)  und  Codex  Yaticanus  B  69  (=  Kings- 
borough 28)  als  Repräsentanten  der  Himmelsrichtungen  dargestellt  sehen. 
Und  die  unter  letztere  gesetzten  Tageszeichen  bedeuten  eben  die  Anfangs- 
tage der  Towa/awzö^/-Abschnitte  und  die  Anfangsjahre  der  Zyklenabschnitte, 
die  den  Himmelsrichtungen  koordinirt  gedacht  wurden. 

Die  Weisheit  der  mexikanischen  Priester-Chronisten  erschöpfte  sich 
in  dem  Ausbau  des  Tonalamatl  nach  seiner  zahlentheoretischen  und  seiner 
augurischen  Seite.  Wir  haben,  —  abgesehen  von  einer  Stelle  der  Maya- 
Handschriften,  auf  die  ich  gleich  noch  zu  sprechen  kommen  werde,  —  in 
der    ganzen    Masse    der    vorspanischer  Zeit    angehörenden    Bilderschriften 


8.    Zur  mexikanischen  Chronolofrie.  '521 

keine  einzige,  wo  die  auf  einander  folgenden  Jahre  mit  ihren  Anfangs- 
tagen aufgezählt  wären.  Dieser  Umstand  allein  muss  uns  schon  miss- 
trauisch  machen  gegenüber  den  Feststellungen  Durän's  und  Christobals 
del  Castillo.  Denn  cipactli,  der  Anfangstag  des  TonalamatVs.,  und  die 
folgenden  Zeichen  werden  in  den  Handschriften  allgemein  etwa  wie  unsere 
Ziffern  1  —  20  verwendet.  Für  den  Maya-Kalender  gibt  ja  Bischof  Lan  da 
auch  geradezu  an,  dass  der  Anfangstag  der  Jahre  und  der  Anfangstag  des 
TonalamatVa  absolut  nichts  mit  einander  zu  tliun  gehabt  hätten.  Zieht 
man  die  Verwirrung  in  Betracht,  die,  wie  ich  oben  auseinandersetzte,  in 
Mexico  bezüglich  des  Jahresanfangs  herrschte,  so  kann  man  sich  der  Vor- 
stellung nicht  erwehren,  dass  auch  die  Anfangstage  der  Jahre  im  Laufe 
der  Zeiten  sich  verschoben,  also  nicht  immer  die  gleiche  Benennung  be- 
halten haben  können.  Wird  aber  dies  einmal  zugegeben,  so  gewinnt  die 
Thatsache,  dass  man  sich  bemüssigt  gefunden  hat,  die  auf  einander 
folgenden  Jahre  gerade  mit  den  Namen  der  Tage  acatl^  tecpatl,  calli, 
tochtli  zu  benennen,  verstärkte  Bedeutung.  Man  kann  es  nicht  gut  ab- 
lehnen, anzunehmen,  dass  zu  der  Zeit,  als  —  und  an  dem  Orte,  wo  —  es 
den  Gelehrten  zum  ersten  Mal  aufgieng,  dass  auf  die  Aufangstage  der  Jahre 
nur  vier  von  den  zwanzig  Tageszeichen  fallen,  es  gerade  die  Tage  acatl, 
tecpatl,  calli,  tochtli  waren,  mit  denen  die  Jahre  damals  und  an  dem  Orte 
begannen,  oder  wenigstens,  dass  diese  Tage,  aus  irgend  welchen  Gründen, 
damals  und  an  dem  Orte  zu  Anfaugstagen  der  Jahre  gewählt  wurden. 
Dass  das  in  der  That  der  Fall  war,  dafür  sehe  ich  einen  indirekten  Be- 
weis in  dem  Umstände,  dass  alte  Berichte  aus  zwei  abgelegenen  und  weit 
von  einander  entfernten  Ortschaften,  aus  Meztitlan  an  den  Grenzen  der 
Huaxteca,  und  aus  Nicaragua,  die  Reihe  der  zwanzig  Tageszeichen  mit 
acatl  beginnen  lassen.  Und  ein  direkter  Beweis  liegt  in  den  Maya-Hand- 
schriften  vor.  In  der  Dresdener  Handschrift  beginnen  die  Jahre  nicht  mit 
kan,  muluc,  ü;  cauac,  dem  IV.,  IX.,  XIV.,  XIX.  Tageszeichen,  mit  denen 
in  späterer  Zeit  —  nach  Lan  da  und  den  Büchern  des  Chilam  Balam  zu 
urtheilen,  —  die  Maya  ihre  Jahre  anfangen  Hessen,  sondern  mit  been, 
etznah,  akbal,  lamat,  d.  i.  dem  XIII.,  XVIII.,  III.,  VIII.  Zeichen,  die  den 
mexikanischen  acatl,  tecpatl,  calli,  tochtli  entsprechen. 

In  einer  dem  internationalen  Amerikanisten-Kongress  zu  Berlin  vor- 
gelegten Abhandlung  hat  E.  Förstemann,  dem  wir  schon  so  viele  schöne 
Entdeckungen,  insbesondere  bezüglich  der  Mathematik  der  Dresdener 
Handschrift,  verdanken,  den  Nachweis  geführt,  dass  die  vielen  hohen  Zahlen, 
die  namentlich  im  zweiten  Theile  der  Dresdener  Handschrift  nachweisbar 
sind,  den  Tag  4  ahau  (=  4  XX),  den  achten  des  Monats  cumku  (des  letzten 
der  achtzehn  Jahresfeste),  als  Nullpunkt  voraussetzen,  dergestalt  dass, 
wenn  man  von  diesem  Tage  um  die  Anzahl  der  Tage,  die  die  darüber 
stehende  ZifPer  angibt,  weiter  zählt,  man  zu  einem  anderen  Datum  gelangt, 
das,    —    wiederum    genau    durch    Ziffer    und    Zeichen    und    Angabe    des 


52-2  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

wievielten  welches  Monats  bezeichnet,  —  daneben  hingeschrieben  ist. 
Förstemann  hat  nun  sehr  wohl  gesehen,  dass  dieser  Nullpunkt,  4  ahau, 
8.  cumku,  zu  dem  übrigens  alle  übrigen  Daten  der  Handschrift,  — 
ausser  einigen  wenigen  Fällen,  wo  offenbare  Verderbniss  vorliegt,  — 
stimmen,  mit  der  Landa'schen  Angabe  des  Jahresanfangs  nicht  in  Ueber- 
einstimmung  zu  bringen  ist.  Er  meint  daher,  dass  8.  cumku  wie  ein 
„heiliger  Abend*'  zu  verstehen  sei,  der  Tag,  auf  den  der  achte  Tag  des 
Monats  cumku  folge.  Das  Künstliche  dieser  Erklärung  hat  Förstemann 
gewiss  am  wenigsten  befriedigt.  Ich  meine,  8.  cumku  kann  doch  wirklich 
nicht  gut  etwas  anderes,  als  der  achte  Tag  des  Monats  cumku,  sein.  Lud 
soll  nun  ein  Tag  4  ahau  (4  XX)  der  achte  Tag  des  Monats  cumku  sein, 
so  muss  der  erste  Tag  dieses  Monats  ein  Tag  10  been  (10  XDl)  sein,  und 
dann  muss  auch  das  Jahr  mit  been,  dem  XIIL  Tageszeichen,  dem  mexika- 
nischen Zeichen  acatL  anfangen.  Die  Anfangstage  der  Jahre  waren  dar- 
nach also  nicht  das  IV..  IX..  XIV.,  XIX.  Tageszeichen  (/ran,  muluc,  i.c, 
cauac),  sondern  das  XIIL,  XVIIL,  Ltl ,  VIII.  Tageszeichen,  d.  i.  been, 
e'iznab,  akbal,  lamaf,  oder  mexikanisch  acatl,  tecpatl,  calli,  tochtli.  Dass 
dieses  sich  in  der  Dresdener  Handschrift  in  der  That  so  verhält,  bestätigt 
sich  auch  anderweit. 

Auch  die  Maya  theilten,  ähnlich  wie  ich  es  oben  von  den  Mexikanern 
angegeben  habe,  die  aufeinander  folgenden  Jahre  des  Zyklus  den  vier 
Himmelsrichtungen  zu.  Die  Bücher  des  Chilam  Balam,  von  denen  ich  eine 
von  dem  verstorbenen  Dr.  Bereu  dt  angefertigte  Kopie  in  der  Bibliothek 
Prof.  Brinton"s  einzusehen  Gelegenheit  hatte,  weisen  übereinstimmend 
die  kan-Jahre  dem  Osten,  die  muluc-Jalhre  dem  Xordeu,  die  ir-Jahi'e  dem 
"Westen,  die  cauac-Jahve  dem  Süden  zu.  Landa  widerspricht  dem  zwar. 
Doch  geht  aus  seinen  Angaben  die  gleiche  Beziehung  hervor.  Denn  die 
^aw-Jahre,  die  er  dem  Süden  zuweist,  waren  die  Jahre,  wo,  nach  Landa, 
man  in  den  Tagen  zuvor  den  für  die  kati-Jahre  bezeichnenden  Unheil- 
dämon von  der  Südseite  her  in's  Dorf  holte  und  ihn  dann  nach  der  Ost- 
seite, —  d.  h.  doch  wohl  nach  der  für  das  neue  Jahr  bezeichnenden 
Richtung,  —  zum  Dorfe  hinausbrachte.  Und  ähnlich  in  den  übrigen 
Jahren:  der  Chac-uuayayab  wird  vor  Beginn  der  muluc- Jahre  nach  Xorden, 
der  Zac-uuayayab  vor  Beginn  der  a^r-Jahre  nach  Westen,  der  Ek-uuayayab 
vor  Beginn  der  cawac-Jahre  nach  Süden  hinausgebracht.  Welche  Jahre 
und  welche  Himmelsrichtungen  werden  nun  in  den  Handschriften  zu- 
sammengebracht ? 

An  Hieroglyphen  für  die  vier,  bezw.  fünf  Himmelsrichtungen  mangelt 
es  in  den  Handschriften  nicht.  Wir  wissen  genau,  dass  mit  den  Abb.  1 
bis  4  die  vier  Kardinalpunkte  und  mit  den  Abb.  5 — 7,  die  augenscheinlich 
A'arianten  einer  Hieroglyphe  sind,  die  fünfte  Himmelsrichtung,  die  Richtung 
von  unten  nach  oben,  bezw.  von  oben  nach  unten,  bezeichnet  ward.  Es 
war    aber    bisher    immer    noch    streitig,    wie    die  Abb.  1 — 4  auf  die  vier 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie. 


523 


Himmelsrichtungen  zu  beziehen  sind.  Schultz-Sellack  (Zeitschrift  für 
Ethnol.,  XL  [1879J  S.  221)  und  Leon  de  Rosny  waren  der  Meinung,  dass 
die  Abb.  1—4  bezugsweise  den  Osten,  Norden,  Westen,  Süden  bezeichnen. 


H: 


Cyrus  Thomas  in  seinem  Study  of  the  Manuscript  Troano  vertauscht  1 
und  3  und  nimmt  an,  dass  die  erstere  den  Westen,  die  letztere  den  Osten 
bezeichne.     In  seiner  neueren,  in  dem  Third  Annual  Report  of  the  Bureau 


524  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

of  Ethnology  veröffentlichten  Arbeit  kehrt  er  die  ganze  Ordnung  um  und 
nimmt  an,  dass  die  Abb.  1 — 4  bezw.  dem  Westen,  Süden,  Osten,  Norden 
entsprechen.  Die  Argumentation  aber,  die  ihn  zu  dieser  Aufstellung  führt, 
ist  augenscheinlich  eine  verfehlte.  Richtig  ist  es,  dass  die  ^lexikaner  all- 
gemein die  Himmelsrichtungen  in  dem  umgekehrten  Sinne  der  Drehung 
des  Uhrzeigers  einander  folgen  Hessen,  wie  dies  ja  auch  in  der  auf  S.  519 
stehenden  Figur  angegeben  ist.  Aber  was  das  Doppelblatt  41  und  42  des 
Codex  Cortes  betrifft,  auf  das  Cyrus  Thomas  sich  stützt  (vgl.  die  bei- 
geheftete Tafel),  so  haben  die  dort  den  Quadranten  eingeschriebenen 
Hieroglyphen  der  Himmelsrichtungen,  die  Abb.  1 — 4,  nicht,  wie  Professor 
Thomas  annimmt,  Beziehung  auf  die  in  der  linken  Ecke  der  Quadranten 
gezeichneten  Daten  1.  ix,  1.  cauac,  1.  kan,  1.  muluc,  sondern  auf  die  ganze 
Reihe  der  Tage,  die  in  den  betreffenden  Quadranten  theils  durch  ihre 
Hieroglyphen,  theils  durch  die  die  Hieroglyphen  verbindenden  Punkte  be- 
zeichnet sind.  In  dem  Quadranten  (unten),  dem  die  Himmelsrichtung  der 
Abb.  1  eingeschrieben  ist,  sind,  an  der  inneren  linken  Ecke  beginnend 
und  über  die  äussere  linke  Ecke,  die  äussere  rechte  Ecke  bis  zur  inneren 
rechten  Ecke  einander  folgend,  die  Tage  vom  1.  imix  (1  I)  bis  13.  chicchan 
(13  V)  verzeichnet,  d.  h.  das  ganze  erste  Viertel  des  Tonalamatl.  Und  so 
in  dem  im  entgegengesetzten  Sinne  der  Drehung  des  Uhrzeigers  folgenden 
Quadranten  (rechts),  dem  die  Himmelsrichtung  der  Abb.  2  eingeschrieben  ist, 
die  Tage,  welche  das  zweite  Viertel  des  Tonalamatl  bilden.  Und  weiter  in 
dem  di'itten  Quadranten  (oben),  dem  die  Hieroglyphe  der  Abb.  3  einge- 
schrieben ist,  das  ^ritte  Viertel,  und  in  dem  letzten  Quadranten  (links)  mit 
der  Hieroglyphe  der  Abb.  4  das  letzte  Viertel  des  Tonalamatl.  Da  wir 
nun  wissen,  dass  die  vier  mit  1  I,  1  VI.  1  XI,  1  XVI  beginnenden  Viertel 
des  Tonalamatl' s,  dem  Osten,  Xorden,  "Westen,  Süden  zugeschrieben  wurden, 
so  ist  gerade  dieses  Doppelblatt  des  Codex  Cortes  der  stärkste  Beweis 
dafür,  dass  Schultz-Sellack  und  Leon  de  Rosny  im  Recht  waren,  die 
Hieroglyphen  der  Abb.  1 — 4  bezw.  auf  den  Osten,  Norden,  Westen, 
Süden  zu  beziehen. 

Abb.  1  und  3  enthalten  in  ihrer  unteren  Hälfte  ein  Element,  das  in 
dem  Monatsnamen  yaxkin  (Abb.  10  und  11)  enthalten  ist  und  das  zweifel- 
los die  Sonne  (Hw),  die  nach  den  vier  Himmelsrichtungen  Strahlen  ent- 
sendende Scheibe,  bezeichnet.  In  Abb.  10  und  11  ist  dieses  Element  mit 
einem  anderen  verbunden,  das  auch  in  der  Hieroglyphe  des  Monatsnamens 
yax  (Abb.  9)  vorkommt  und  das,  wie  ein  Vergleich  mit  anderen  Hiero- 
glyphen vermuthen  lässt,  den  Baum,  den  grünen  (yax),  bezeichnet.  In 
Abb.  1  ist  das  Element  kin  mit  der  Hieroglyphe  des  zwanzigsten  Tages- 
zeichens verbunden,  das  im  Maya  ahau  lautet.  Ahau  oder  abgekürzt  ah 
bedeutet  „der  Herr",  „der  König".  Das  Wort  erinnert  lautlich  an  das 
Zeitwort  ah,  das  „sich  erheben",  „aufwachen",  „aufstehen''  bedeutet;  ahal-ik, 
„der  Wind  erhebt  sich";  ahal-cab,  „die  Welt  erwacht"  (es  wirdTag);  ahi-cab, 


2:1  e 


Gegenüber  Seite  524. 


onamatl -Viertel.   —  chikin  „Westen". 


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alaiiiatl -Viertel.  —  lakin  „Osten". 


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Seier.  Gesauinielle  Ahhniidliiitireit  l. 


Dritter  Abschnitt:  Kalender  um]  Hieroij;Iy]tIieii-Eutzifieruiig.  —  8.  Zur  mexikanischen  Clu-onolugie 


-Drittes  Tonalnniatl-Viertel.  —  chikin  „Westen 


Erstes  Tunaknintl -Viertel.  —  W™  „Osten«. 


V    I 

1 


xi 


8,    Zur  mexikanischen  Chronologie.  525 

„seit  dem  Beginn  der  Welt".  Die  Hieroglyphe  Abb.  1  würde  also  ahal-kin 
zu  lesen  sein,  „die  Sonne  erhebt  sich",  und  das  ist  soviel  wie  hikin,  der 
eigentliche  Maya-Ausdruck  für  die  Himmelsrichtung  des  Ostens.  In  Abb.  6 
dagegen  ist  das  Element  kin  mit  einem  anderen  verbunden,  das  als  Hiero- 
glyphe des  siebenten  Tageszeichens  dient,  im  Maya  manik  lautet  und  dem 
mexikanischen  ma^atl,  „Hirsch",  entspricht.  Das  Element  stellt  eine  Hand 
dar  mit  den  vier  gegen  den  Daumen  eingekrümmten  Fingern.  Ich  habe 
das  so  schon  in  meiner  Abhandlung  über  die  Tageszeichen  der  aztekischen 
und  der  Maya- Handschriften  oben  S.  470  erläutert.  Die  eigentliche  Be- 
deutung war  mir  aber  zur  Zeit,  als  ich  jene  Abhandlung  schrieb,  unklar 
geblieben.  Es  ist  Zeichensprache  für  „essen".  Als  wir  in  der  Huaxteca 
reisten,  einem  Gebiet,  das  in  alter  Zeit  und  noch  heute  von  einer  Nation 
bewohnt  ist,  deren  Sprache  sie  als  nahe  Verwandte  der  Maya  von  Yucatau 
erweist,  wurde  die  Aufforderung  zum  essen,  „vamos  a  comer",  regelmässig 
begleitet  durch  eine  Geberde,  bei  der  die  in  der  Art  der  Hieroglyphe 
manik  eingekrümmte  Hand  zu  wiederholten  Malen  an  den  Mund  geführt 
ward.  Dass  dieses  Symbol  als  Hieroglyphe  für  manik,  „der  Hirsch",  ge- 
nommen wurde,  hat  seinen  Grund  wohl  darin,  dass  der  Hirsch  als  das 
„Fleisch"  xax  e^o'/rjv,  als  „der,  der  gegessen  wird",  gedacht  wurde.  Im 
Maya  heisst  „beissen",  „essen",  bezw.  „gebissen,  gegessen  werden"  chi. 
Die  Hieroglyphe  Abb.  3  würde  demnach  chikin  zu  lesen  sein,  ,,wo  die 
Sonne  gegessen  wird",  und  das  ist  bekanntlich  das  Maya-Wort  für  die 
Himmelsrichtung  des  Westens. 

Die  beiden  anderen  Hieroglyphen  der  Himmelsrichtungen,  Abb.  2  und  4, 
sind  nicht  phonetisch  konstruirt.  In  Abb.  4  haben  wir  dasselbe  Element, 
das  wir  schon  in  den  Abb.  9 — 11,  den  Hieroglyphen  yax  und  yaxkin^ 
sahen,  und  das  vielleicht  den  Baum,  vielleicht  aber  auch  das  Produkt  eines 
bestimmten  Baumes,  den  Kautschuk,  bezeichnet.  Wir  sehen  das  Element  in 
Abb.  4  von  Figuren  umgeben,  die  als  Rauch  oder  Feuer  zu  deuten  sind. 
Die  Abb.  4  wäre  also  die  Region  des  Feuers,  der  Süden.  Die  Abb.  2  zeigt  uns 
einen  Kopf  und  einen  Rachen,  beide  nicht  selten  in  der  Weise  vereint,  als  ob 
der  Kopf  in  den  Rachen  gezogen  würde  (Abb.  31,  32,  siehe  folgende  Seite). 
Gelegentlich  kommt  als  Variante  des  Rachens  auch  das  entgegenblickende 
Auge  vor.  Vgl.  Abb.  33  aus  Tro  24*a.  Endlich  kommt  noch  Tro  20*c 
für  die  Hieroglyphe  Abb.  2  die  Hieroglyphe  x4bb.  34  vor:  statt  des  in  den 
Rachen  gezogenen  Kopfes  ein  von  einer  offenen  Hand  gehaltener  oder 
aufgenommener  Kopf.  Die  Symbolik  ist  klar.  Es  ist  der  die  Lebendigen 
verschlingende  Erdrachen,  die  Unterwelt,  die,  wie  wir  wissen,  von  den 
Mexikanern  nach  Norden  verlegt  ward.  Im  Aztekischen  wird  der  Norden 
geradezu  mictlampa,  „Richtung  des  Todtenreichs",  genannt.  Noch  rich- 
tiger werden  wir  vielleicht,  —  da  der  in  den  Rachen  gezogene  Kopf 
nicht  ein  gewöhnlicher  Menschenkopf,  sondern  der  Kopf  einer  Gottheit  ist, 
deren  Gesichtszüge  aus  den  Windungen  einer  Schlange  gebildet  sind,   der 


h 


526 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


ein  gewöhnlicher  Begleiter  des  Regengottes  Chac  ist  und  daher  als  Wasser- 
gottheit betrachtet  werden  muss  —  diese  Hieroglyphe  als  die  der  Region 
wo  das  Wasser  verschwindet,  d.  h.  des  Nordens  als  der  Region 
der  Dürre  aufzufassen  haben. 

Die  Analyse  der  Hieroglyphen  führt  also  zu  demselben  Ergebniss,  wie 
das,  das  uns  die  Betrachtung  von  Codex  Cortes  41,  42  an  die  Hand 
gab,  dass  in  der  That  die  Hieroglyphen  Abb.  1  —  4  in  der  alten,  schon  von 


Schultz-Sellack  angezeigten  Weise  auf  die  Himmelsrichtungen  zu  be- 
ziehen seien,  d.  h.  dass  die  Abb.  1 — 4  den  Osten,  Norden,  Westen,  Süden 
bezeichnen. 

Hier  tritt  indes  zunächst  noch  eine  Schwierigkeit  auf,  die  zuvor  zu  be- 
seitigen ist,  ehe  wir  mit  Vertrauen  die  bisher  gewonnene  Erkenntniss  weiter 
verwerthen.  Schon  Schellhas  hat  (Zeitschr.  f.  Ethnol.,  XVHI.  S.  77)  auf 
die  hieroglyphischeu  Elemente  der  Abb.  19—22  (oben  S.  523)  aufmerksam 
gemacht,  die  den  Himmelsrichtungen  in  der  Weise  gesellt  sind,  dass  sie, 
je  nach  der  Himmelsrichtung,  den  wechselnden  Bestandtheil  einer  im 
Uebrigen  gleich  zusammengesetzten  Hieroglyphe  bilden.     So  sind    in    der 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  527 

Dresdener  Handschrift  Blatt  30  und  31b  und  Blatt  29  und  30  c  die  Hiero- 
glyphen 13 — 16  je  mit  einer  der  Hieroglyphen  der  vier  Himmels- 
richtungen zusammengestellt.  Und  ähnlich  sehen  wir  Blatt  30  und  31  c 
dieselben  Elemente  der  Abb.  19 — 22,  je  nach  der  Himmelsrichtung  wechselnd, 
den  Bestandtheil  einer  anderen,  im  Uebrigeu  nicht  ganz  so  klaren  Hiero- 
glyphe bilden.  Endlich  sind  dieselben  Elemente  Dresden  32 — 34b  der 
Haupthieroglyphe  Chac's  selbst  angefügt  und  mit  denselben  Himmels- 
richtungen zusammengestellt.  Ich  habe  nun  schon  in  meinem  Aufsatze 
über  den  Charakter  der  aztekischen  und  der  Maya- Handschriften  (oben 
8.  41 1)  die  Vermuthung  aufgestellt,  dass  diese,  nach  den  Himmelsrichtungen 
wechselnden  hieroglyphischen  Elemente  die  Bezeichnungen  der  Farben 
seien.  Wir  wissen  ja,  dass  die  Mexikaner,  wie  die  Maya  und  wie  viele 
andere  amerikanische  Völker,  den  Himmelsrichtungen  bestimmte  Farben 
zuschrieben,  und  dass  die  Gegenstände  oder  "Wesen,  deren  verschiedene 
Formen  in  den  verschiedenen  Himmelsrichtungen  residirend  gedacht  wurden, 
durch  die  der  betreffenden  Himmelsrichtung  zukommende  Farben  unter- 
schieden wurden.  So  wird  im  Landa,  bei  den  Xma  kaba  Hw-Zärimonien, 
je  nach  dem  Jahre,  bezw.  je  nach  der  Himmelsrichtung,  ein  gelber,  rother, 
weisser,  schwarzer  Bacab,  ein  gelber,  rother,  weisser,  schwarzer  Uuayayab, 
ein  gelber,  rother,  weisser,  schwarzer  Acantun  genannt.  Ist  aber  dies  der 
Fall,  so  muss  das  Element  der  Abb.  22  die  Farbe  ek^  „schwarz",  bezeichnen. 
Denn  an  beiden,  oben  angeführten  Stellen  der  Dresdener  Handschrift  ist  unter 
der  mit  diesem  Element  versehenen  Hieroglyphe  der  Regengott  (6'Aac)  in 
schwarzer  Farbe  dargestellt  (während  er  sonst  weiss  gelassen  ist).  Das 
Element  der  Abb.  21  dagegen  ist  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  als  Ausdruck 
der  Farbe  zac,  „weiss",  zu  bezeichnen,  denn  es  bildet  das  charakteristische 
Element  in  der  Hieroglyphe  des  Monatsnamens  Zac  (Abb.  8,  oben  S.  523). 
Das  Element  der  Abb.  20  dürfte  als  Ausdruck  für  chac,  „roth",  anzusprechen 
sein,  denn  es  bildet  das  charakteristische  Element  in  der  Hieroglyphe  einer 
Göttin  (Abb.  12),  einer  Begleiterin  des  Chac,  die  im  Codex  Dresden  67a 
und  74  mit  rother  Farbe  und  mit  Jaguartatzen  dargestellt  wird.  Die  Abb.  19 
endlich  scheint  als  kan,  „gelb",  angesprochen  werden  zu  müssen.  Das 
beweist  schon  die  Aehnlichkeit,  die  das  Element  mit  den  Figuren  auf- 
weist, durch  die  in  mexikanischen  Hieroglyphen  das  Gold,  das  „gelbe 
Metall",  bezeichnet  wird;  ferner  der  Umstand,  dass  es  im  Verein  mit  dem 
Elemente  yax,  das  vielleicht  den  Kautschuk  bezeichnet,  in  einem  Feuer- 
opfer vorkommt  (Abb.  35  und  36  a),  also  wohl  den  Kopal,  den  gelben, 
darstellen  soll  und  dass  es  stellvertretend  für  Am,  „Sonne",  eintritt  und 
umgekehrt  durch  den  hieroglyphischen  Ausdruck  der  letzteren  ersetzt  wird. 
Demnach  hätten  wir  in  der  That  in  den  Abb.  19 — 22  die  vier  Farben 
gelb,  roth,  weiss,  schwarz,  und  zwar  in  derselben  Reihenfolge,  wie 
sie  von  Landa  für  die  vier  Himmelsrichtungen  angegeben  wird.  Und  es 
sind  diese  Elemente,  die  ich  als  kan^  chac,  zac,  ek  anspreche,  an  den  oben 


528  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

augefülirten  Stellen  in  derselben  Weise,  wie  Landa  die  verschieden- 
farbigen Bacab  und  ihre  Jahre  auf  die  Himmelsrichtungen  bezieht,  dem 
Süden,  Osten,  Norden,  Westen  zugeschrieben. 

Die  Schwierigkeit,  von  der  ich  sprach,  und  der  es  mir  eigentlich  erst 
in  jüngster  Zeit  gelungen  ist,  wirklich  Herr  zu  werden,  ist  nun  folgende: 
Die  gelbe,  rothe,  weisse,  schwarze  Farbe,  und  die  ihnen  entsprechenden 
Bacab,  nämlich 

1.  Bobnil  oder  Kanal  Bacab,  Kan-pauah-tun^  Kan-xibchac: 

'2.  Canzienal  oder  Chacal  Bacab,  Chac-pauah-tun,  Chac  xibchac; 

3.  Zac  ziui  oder  Zacal  Bacab,  Zac-pauah-tun,  Zac-u-ibchac ; 

4.  Hozan  ek  oder  Ekel  Bacab,  Ek-pauah-tun,  Ek-xibchac, 

die  nach  ihm  dem  Süden,  Osten,  Norden,  Westen  gehören,  und  die, 
wie  aus  den  genannten  Stellen  der  Handschriften  hervorzugehen  scheint, 
in  der  That  mit  diesen  Himmelsrichtungen  zu  verbinden  sind,  bezieht 
Landa  auf  die  kan-muluc-ix-cauac-iahve.  Yon  den  kan-muluc-ix-cauac- 
Jahren  wissen  wir  aber,  dass  sie  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  all- 
gemein dem  Osten,  Norden,  Westen,  Süden  zugeschrieben  wurden,  und 
ich  habe  oben  schon  angegeben,  dass  —  implicite  —  Landa  auch  das 
Gleiche  sagt.  Denn  die  ^aw-Jahre,  die  er  dem  Süden  zuweist,  das  waren 
nach  ihm  die  Jahre,  wo  man  in  den  vorhergehenden  fünf  letzten  Tagen 
des  alten  Jahres  den  kan  uuayayab,  den  gelben  Unheildämon,  von 
der  Südseite  her  ins  Dorf  holte,  um  ihn  dann  zum  Schiuss,  d.  h.  am 
Beginn  des  neuen  Jahres,  nach  der  Ostseite,  der  für  das  neue  Jahr 
bezeichnenden  Richtung,  zum  Dorfe  hinauszubringen.  Das  ist  also  ein 
Widerspruch,  der,  meiner  Ansicht  nur  dadurch  zu  lösen  ist,  —  aber,  wie 
ich  meine,  auch  dadurch  wirklich  gehoben  wird  — ,  dass  man  annimmt, 
dass  Landa  die  verschiedenfarbigen  Bacab  und  die  verschieden- 
farbigen Unheildämonen  {ü  uayayab)  und  ihre  Himmelsrich- 
tungen den  folgenden  Jahren  zurechnete,  weil  mit  den  Bildern  der 
genannten  Unheildämonen  in  den  letzten  fünf  Tagen  des  alten  Jahres  be- 
sondere Zärimonien  vorgenommen  wurden,  sie  von  der  ihnen  zukommenden 
Himmelsrichtung  nach  der  Mitte  des  Dorfes,  dem  Hause  des  Kaziken, 
gebracht  wurden,  um  dann  —  selbst,  oder  der  neuen  Himmelsrichtung 
entprechend  verändert  —  am  Beginn  des  neuen  Jahres  an  der  dem  neuen 
Jahre  und  seiner  Himmelsrichtung  entsprechenden  Ausgaugspforte  des 
Dorfes  ihre  Stellung  zu  erhalten  oder  dort  hinausbefördert  zu  werden 
(„para  ir  alli  otro  ano  por  ella  [der  neuen  Himmelsrichtung],  y  echavanla 
por  ay").  Dass  aber  in  der  That  die  verschiedenen  Bacab  und  ihre 
Farben  in  der  Weise,  wie  es  Landa  angibt,  mit  den  Himmelsrichtungen 
zu  verbinden  sind,  dafür  glaube  ich  einen  bestimmten  Beweis  beibringen 
zu  können.  Den  vierten  der  oben  angeführten  Bacab,  den  schwarzen, 
der  nacli  Landa    der    Bacab    des    Westens    ist,    nennt  Landa    Hozan  ek. 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  529 

Hozan  ek  aber  ist  nach  dem  vom  Grafen  Cliarencey  herausgegebenen 
Vokabular  der  Name  des  Abendsterns. 

Eine  ähnliche  Schwierigkeit,  die  aber  vielleicht  auch  in  ähnlicher 
AVeise  zu  lösen  ist,  tritt  uns  bei  Betrachtung  der  Blätter  der  Dresdener 
Handschrift  (25  —  28)  entgegen,  die  den  verschiedenen  Jahren  und  den  vor 
Beginn  der  neuen  Jahre  in  den  xma  kaba  kin  vorgenommenen  Zärimonien 
gewidmet  sind.  Hier  ist  zunächst  festzustellen,  dass  die  zweimal  dreizehn 
Tageszeichen,  die  man  an  dem  linken  Rand  der  Blätter  übereinander  auf- 
geführt sieht,  nicht,  wie  Cyrus  Thomas  annahm,  die  letzten  beiden 
Tage  der  kan-muluc-ir-cauac-5dihrQ  bezeichnen  können.  Denn  erstens 
wurden,  wie  ich  oben  nachgewiesen  habe,  in  der  Dresdener  Handschrift 
die  Jahre  garnicht  mit  den  Tagen  kan,  muluc^  ix^  cauac^  die  in  Yucatan 
zur  Zeit  Landa's  die  Anfänge  der  Jahre  bildeten,  sondern  mit  den  Tagen 
been^  e'tznab,  akbal,  lamat,  die  den  mexikanischen  acatl,  tecpatl^  calli, 
tochtli  entsprechen,  begonnen.  Und  zweitens  wären  auf  diesen  Blättern 
Ib — 28  der  Dresdener  Handschrift  wirklich  die  beiden  dem  Anfang  von 
kan-miduc-ix-cauac-i'dhxew  vorhergehenden  Tage  dargestellt  worden,  so 
wären  diese  Jahre  hier  in  der  Ordnung  «"./•,  cauac^  kan,  muluc  aufgeführt 
worden,  was  nicht  gerade  wahrscheinlich  ist. 

Sind  dagegen  aber,  wie  es  zweifellos  ist,  auf  den  Blättern  25—28  der 
Dresdener  Handschrift  die  Anfänge  von  beert,  etznab,  akbal,  ^am«<- Jahren 
und  die  Endtage  der  ihnen  vorhergehenden  Jahre  angegeben,  so  müssten 
wir,  da  es  doch  wahrscheinlich  ist,  dass  diese  Tageszeichen  in  derselben 
AVeise,  wie  die  ihnen  entsprechenden  mexikanischen  auf  die  Himmels- 
richtungen bezogen  wurden,  folgern,  dass  diese  vier  Blätter  den  Himmels- 
richtungen in  der  Ordnung  Osten,  Norden,  AVesten,  Süden  entsprechen, 
und  wir  müssten  deshalb  erwarten,  die  Hieroglyphen  dieser  Himmels- 
richtungen in  derselben  Ordnung  auf  den  genannten  Blättern  verzeichnet 
zu  finden.  Nun  sind  in  der  That  die  Hieroglyphen  Abb.  1 — 4  (oben  S.  523)  in 
der  Schriftreihe,  die  den  oberen  Abschluss  des  unteren  Drittels  dieser  Blätter 
bildet,  vorhanden.  Aber  die  Ordnung  ist  eine  verkehrte.  Es  sind  auf 
den  Blättern  25  —  28  nicht  die  Hieroglyphen  Abb.  1,  2,  3,  4,  die,  wie  ich 
oben  annahm,  den  Himmelsrichtungen  in  der  Ordnung  Osten,  Norden, 
Westen,  Süden  entsprechen,  sondern  die  Hieroglyphen  Abb.  1,  4,  3,  2 
angegeben.  Es  scheinen  also  die  Abb.  2  und  4,  der  Norden  und  der 
Süden,  ihre  Stelle  getauscht  zu  haben.  Dass  hier  ein  Fehler  vorliegt,  ist 
klar.  Denn  nirgend  sonst  werden  in  dieser  Handschrift  die  genannten 
Hieroglyphen,  so  oft  sie  vorkommen,  in  dieser  verkehrten  Ordnung  auf- 
geführt. Und  sie  widers])richt  ja  auch  der  Ordnung,  die  wir  auf  den 
Blättern  41/42  des  Codex  Cortes  kennen  gelernt  haben.  Ich  habe  früher 
eine  einfache  A^ertauschung  der  beiden  Zeichen  angenommen,  bin  aber 
jetzt  zu  der  Erkenntniss  gelangt,  dass  nicht  die  in  der  Schriftreihe  über 
den    unteren    Dritteln    der    Blätter    26    und    28    stehenden    Zeichen    der 

Seier.  Gesammelte  Abhandlungen  l.  34 


530  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Himmelsriclituugeii,  sondern  dass  die  ganzen  unteren  Drittel  der  Blätter  '2(\ 
und  28  ihre  Stelle  zu  vertauselien  haben.  Erst  dann  kommt  Logik  in  die 
Darstellung,  erst  dann  entsprechen  diese  Blätter  dem,  was  uns  Landa 
über  diese  Jahresschluss-Zärimonien  erzählt. 

In  der  That,  wir  sehen  in  dem  oberen  Drittel  dieser  vier  Blätter  von 
dem  thierköpfigen  Priester  die  Gottheit  des  neuen  Jahres,  oder  vielmehr 
eine  ihr  verwandte,  sie  repräsentierende  Gestalt  herangebracht.  Wir  sehen 
in  dem  mittleren  Drittel  die  Gottheit  des  Jahres  selbst  unter  dem 
schützenden  Dache  des  Sakrariums  sitzend,  mit  Opfergaben  vor  ihr.  Und 
wir  sehen  in  dem  unteren  Drittel  auf  dem  Stein  das  Bild  des  Cuai/ai/ab 
—  in  den  meisten  Fällen  eine  Schlange  —  aufgerichtet  und  ihm  gegen- 
über, wo  die  Zeichen  der  Himmelsrichtungen  richtig  angegeben 
sind,  die  Gottheit  des  folgenden  Jahres  dem  Uuayaiiah  Opfer  bringen. 
Es  folgt  also,  dass  diese  unteren  Drittel  der  Blätter  die  Zärimonien,  die 
in  den  letzten  Tagen  der  auf  den  Blättern  dargestellten  Jahre  selbst  statt- 
fanden, nicht  die  der  ihnen  vorhergehenden  Schlusstage  des  alten  Jahres, 
zur  Anschauung  bringen. 

Tauscht  man  die  unteren  Drittel  der  Blätter  26  und  28,  so  dass  auf 
diesen  Blättern  nunmehr  die  richtigen  Himmelsrichtungen  Abb.  2  und  4 
zu  stehen  kommen,  so  sind  dann  auch  auf  diesen  Blättern  26  und  28  dem 
üuayayab  gegenüber  die  richtigen  Gottheiten,  die  Gottheiten  der  fol- 
genden Jahre,  zur  Anschauung  gebracht.  Ich  habe  in  dem  oben  S.  367—389 
abgedruckten  Aufsatze  ausgeführt,  dass  die  in  den  mittleren  Abtheilungen 
der  Blätter  25 — 28  abgebildeten  Götter,  deren  Haupthieroglypheu  (von 
zweien  auch  die  Begleithieroglyphe)  in  den  Abb.  23  und  27,  24  und  28, 
25  und  29,  26  und  30  (oben  S.  526)  wiedergegeben  sind,  den  von  Landa 
für  die  kan-^  muluc-,  ?.r-,  cauac-Jahre  genannten  Göttern  Ah  bolon  tzacab^ 
Kinch  ahau,  Itzamnü  und  Uac  initun  aliau  entsprechen.  Die  unteren 
Drittel  der  korrigirten  Blätter  zeigen  uns  nunmehr  entsprechend  in  der- 
selben Ordnung-  die  Götter  Kinch  ahau^  Itzamnd,  Uac  mitim  ahau  und  ^-1// 
bolon  tz'acab.  Ich  meine,  damit  ist  unwiderleglich  nachgewiesen,  dass 
die  von  mir  vorgeschlagene  Operation  die  einzig  richtige  und  mögliche 
Korrektur  ist. 

Damit  würde  nun  auch  die  Schul tz-Sellack- de  Eosny'sche  Lesung 
der  Hieroglyphen  der  Himmelsrichtungen,  die  ich  aufnehmen  zu  müssen 
glaubte,  bestätigt  sein.  Eine  letzte  Schwierigkeit  bleibt  aber  noch  zu 
überwinden.  Es  kommen  auf  diesen  Blättern  auch  zusammengesetzte 
Hieroglyphen  vor,  die,  den  Himmelsrichtungen  entsprechend,  als  wechselnden 
Bestandtheil  die  Elemente  Abb.  19—22  (vgl.  oben  S.  523),  die  Hiero- 
glyphen der  Farben,  enthalten.  Leider  nicht  auf  allen  Blättern.  Auf 
Blatt  25  und  27  ist  die  entsprechende  Hieroglyphe  zerstört.  Auf  Blatt  26 
und  28  aber  sind  in  dem  oberen  Drittel,  am  Anfang  der  zweiten  Schriftreihe 
die  beiden  Hieroglyphen  zu  sehen,  die  ich  oben  S.  523   in  Abb.  17  und  LS 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  531 

wifdorgegeben  habe,  die  bei  sonst  gleicher  Zusammeiisetzung  sich  in  der 
Wt'ise  unterscheiden,  dass  die  erste  an  der  Vorderseite  das  Element  chac 
..roth",  die  letztere  das  Element  ek  „schwarz"  enthält.  Es  ist  mit  Sicher- 
heit anzunehmen,  dass  am  Anfang  der  zweiten  Schriftreihe  von  Blatt  25  eine 
ähnliche  Hieroglyphe  stand,  die  an  der  Vorderseite  das  Element  kan  „gelb" 
enthielt.  Und  ebenso  am  Anfang  der  zweiten  Schriftreihe  von  Blatt  27  eine 
andere,  die  an  der  Vorderseite  das  Element  zac  „weiss"  enthielt.  Sind  in 
der  That  die  been-,  e'tznab-,  akbal-,  lamat-Jahre  dem  Osten,  Norden,  Westen 
und  Süden  zuzurechnen,  und  sind  entsprechend  auf  den  Blättern  25  —  28 
der  Dresdener  Handschrift  die  Hieroglyphen  lakin,  .vaman,  chikin,  nohol 
dargestellt,  so  hätten  wir  hier  also,  scheint  es,  eine  Beziehung  der  Farben 
zu  den  Himmelsrichtungen,  die  von  dem,  was  Landa  angibt,  und  dem, 
was  wir  an  anderen  Stellen  der  Handschrift  gesehen  haben,  abweicht. 
Ich  glaube  indes,  auch  dieser  Widerspruch  lässt  sich  heben,  und  zwar 
auf  Grund  ähnlicher  Erwägungen,  wie  die,  die  uns  über  die  in  den  An- 
gaben Landa's  vorliegende  Schwierigkeit  hinweghalfen.  Die  die  Farben 
enthaltenden  Hieroglyphen  gehören  den  obersten  Reihen  der  oberen  Drittel 
der  Blätter  25 — 28  an.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  in  diesen  Schriftreihen 
ilas,  was  in  den  Tagen  vor  Beginn  des  neuen  Jahres  vorgenommen  wurde, 
zur  Anschauung  gebracht  wurde,  d.  h.  das  Aufpflanzen  des  dem  alten  Jahre 
entsjirechenden,  in  der  Farbe  des  alten  Jahres  erscheinenden  Unheil- 
dämons an  der  dem  alten  Jahre  gehörenden  Seite  des  Dorfes.  Demnach  würde 
(his  Roth  der  Hieroglyphe  des  Blattes  26  (Abb.  17)  als  Farbe  dem  vorher- 
gehenden Blatte  25,  das  Schwarz  der  Hieroglyphe  des  Blattes  28  (Abb.  18) 
als  Farbe  dem  vorhergehenden  Blatt  27  zukommen,  und  es  bliebe  bei  der 
oben  festgesetzten  Beziehung,  dass  die  Farben  roth,  weiss,  schwarz, 
gelb  mit  den  Himmelsrichtungen  in  der  Ordnung  Osten,  Norden, 
Westen,  Süden  zu  Verbinden  sind. 

Wenn  endlich  in  dem  jüngeren  und  vermuthlich  aus  Yucatan  selbst 
stammenden  Codex  Tro,  der,  wie  Landa,  die  Jahre  nach  den  Zeichen 
hin,  muluc,  iv,  cauac  benennt,  oder  mit  diesen  Tagen  beginnen  lässt, 
auf  den  Blättern  23 — 20,  die  augenscheinlich  dieselben  xma  kaba  kin- 
Zärimonien  schildern,  wie  die  Blätter  25 — 28  der  Dresdener  Handschrift, 
in  den  cauac-  kan-,  muluc-,  it-Jahren  in  der  vierten  Schriftreihe  von  oben 
die  Hieroglyphen  der  Himmelsrichtungen  chikin  (Westen),  nohol  (Süden), 
lakin  (Osten),  .raman  (Norden)  zu  sehen  sind,  so  könnte  man  das  ja  dahin 
deuten,  dass  hier  in  der  That,  wie  es  Landa  angibt,  die  Jahre  ka7i,  muluc, 
ir,  cauac  auf  die  Himmelsrichtungen  Süden,  Osten,  Norden,  Westen  be- 
zogen seien.  Wahrscheinlicher  ist  mir  aber  auch  hier  wieder,  dass  eben 
in  diesen  oberen  Schriftzeichen  die  in  den  letzten  fünf  Tagen  des  vor- 
hergehenden Jahres  vorgenommenen  Zärimonien  veranschaulicht  sind,  dass 
diese  Hieroglyphen  der  Himmelsrichtungen  Westen,  Süden,  Osten,  Norden, 
•len    den   cauac-,    kan-,    muluc-,    ^a•- Jahren   vorhergehenden    i.r-,   cauac-, 

■dl* 


532  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

kan-,  ?nM/Mc- Jahren  eigentlich  zugehörig  zu  betrachten  sind.  Ich  bin  in 
der  That  bei  der  Untersuchung  dieser  Blätter  (vgl.  meinen  Aufsatz  über 
die  Namen  der  in  der  Dresdener  Handschrift  dargestellten  Götter,  oben 
S.  367—389)  zu  dem  Resultat  gelaugt,  dass  die  ganzen  oberen  Hälften 
dieser  Blätter,  wenigstens  was  die  bildlichen  Darstellungen  betrifft,  der  Ver- 
anschaulichung der  in  den  letzten  fünf  Tagen  der  alten,  der  vorhergehenden 
Jahre  vorgenommenen  Zärimonien  gewidmet  sind,  dass  diese  ganzen  obern 
Hälften  den  vorhergehenden,  den  ir-,  cauac-,  kan-,  muluc-,]ahren  zu- 
zurechnen sind. 

Ich  kehre  zu  unserm  eigentlichen  Thema  zurück.  Ich  habe  den  Nach- 
weis geführt,  dass  man  bei  tlen  Maya  in  Bezug  auf  die  Tage,  mit  denen 
die  Jahre  begonnen  wurden,  ein  älteres  System  unterscheiden  muss.  das 
mit  dem  bei  den  Mexikanern  üblichen  übereinstimmt,  und  das  auf  den 
Monumenten  und  in  der  Dresdener  Handschrift  vorliegt,  und  ein  jüngeres 
System,  das  wir  in  dem  Codex  Tro-Cortes  befolgt  sehen,  und  das  noch 
zur  Zeit  Landa's  in  Yucatan  im  Gebrauch  war.  Diese  Verschiebung  des 
Jahresanfangs,  der,  wie  es  scheint,  auch  eine  Verschiebung  des  sonstigen 
Kalenders  entspricht,  hat  für  uns  die  bedauerliche  Folge,  dass  uns  nun- 
mehr jegliche  Handhabe  fehlt,  die  Chronologie  der  Dresdener  Handschrift 
und  die  der  Monumente  au  die  allgemeine  Chronologie  anzuknüpfen.  Denn 
über  eine  Konkordanz  der  Maya-  und  der  europäischen  Chronologie  lie.üeii 
nur  aus  Yucatan  bei  Landa  und  seinen  Zeitgenossen  und  Nachfolgern 
Nachrichten  vor. 

Die  Benennung  der  Jahre,  wie  sie  sich  aus  dem  To7iaIamatl-'iy\ atem 
ergab,  hatte  den  Nachtheil,  dass  dem  53.  Jahre  wieder  dieselbe  Benennung^ 
dasselbe  Zeichen  und  dieselbe  Ziffer,  zukam,  wie  dem  ersten.  Wollte  man 
also  innerhalb  eines  grösseren  Zeitraums  bestimmte  Zeiten  genau  und  un- 
zweideutig bestimmen,  so  hätte  mau  noch  die  aufeinander  folgenden 
52jährigen  Zyklen  irgendwie  unterscheiden  müssen.  Das  haben  nun  die 
Maya,  soweit  man  das  nach  den  vorliegenden  Nachrichten  beurtheilen 
kann,  nicht  gethan;  und  ebensowenig  die  Mexikaner.  Während,  aber  in 
den  Auualen  der  Mexikaner  in  Folge  der  uuunterschiedenen  Zyklen  eine 
grosse  Verwirrung  herrscht,  wurde  bei  den  Maya -Völkern  eine  feste  Chro- 
nologie dadurch  erreicht,  dass  mau.  von  einem  Nullpunkte  aus,  nicht  <lie 
Jahre,  sondern  die  Tage  weiterzählte.  So  bot  die  Tonalamatl-B.echmmg 
ein  festes  Gerüst,  das  jede  Irrung  ausschloss. 

Bei  den  Cakcliiquel  gab  den  Nullpunkt  ein  bestimmtes  historisches 
Ereigniss  ab.  die  Vernichtung  des  aufrührerischen  Stammes  der  Tukuchee^ 
die  auf  einen  Tag  11.  ah  (11  XHI)  fiel.  Indem  man  nun  von  diesem 
Nullpunkt  aus  vigesimal  um  20  X  20  Tage  weiter  zählte,  erhielt  man 
Perioden,  die  alle  mit  einem  Tage  ah  (XIII  =  mexikanisch  acatl)  be- 
gannen, der  aber  der  Reihe  nach  die  Ziffern  11,  8,  5,  2,  12,  9,  6,  3,  13, 
10,  7,  4,  1   und  dann  wieder  11   erhielt.     Eine   solche  Periode  wurde    ein 


S.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  533 

huna  genannt  und  20  solcher  Perioden  ein  may.     (Vgl.  meine  Mittlieilung 
in  der  Zeitschr.  für  Ethnol.  XXL,  Verhandl.  S.  475,  oben  B.  504—500.) 

Bei  den  Maya  bildete  den  Ausgangspunkt  ohne  Zweifel  der  von 
Förstemann  in  der  Dresdener  Handschrift  nachgewiesene  Nullpunkt 
4  ahau,  8.  cumku,  d.  h.  ein  Tag,  der  die  Ziffer  4  und  das  Zeichen  ahau 
(XX  =  mexikanisch  xochiü)  trug  und  der  der  achte  des  uinaV?,  oder  so- 
genannten Monats  cumku,  des  letzten  der  18  Monate  des  Jahres,  war.  Von 
diesem  Nullpunkt  wurde  aber  nicht  konsequent  vigesimal,  sondern,  wie 
ebenfalls  aus  der  durch  Förstemann  klargelegten  Rechnung  der  Dresdener 
Handschrift  hervorgeht,  um  Perioden  von  20  X  360  Tagen  weitergezählt. 
Diese  Perioden  mussten,  da  ihre  Zahl  durch  20  theilbar  ist,  stets  dasselbe 
Zeichen  ahau  (XX  =  mexikanisch  xochitl)  erhalten.  Aber  da  die  Ziffer  13 
in  7200  nur  mit  einem  Rest  von  11  aufgeht,  so  musste  die  Ziffer  des 
Anfangstages  der  Periode  gegenüber  dem  Anfangstag  der  vorhergehenden 
Periode,  um  2  vermindert  erscheinen.  Mit  einem  Worte,  die  Anfangstage 
der  aufeinander  folgenden  Perioden  von  7200  Tagen  sind  4  ahau,  2  ahau, 
\yy  ahau,  11  ahau,  9  ahau,  7  ahau,  5  ahau,  3  ahau,  1  ahau,  12  ahau, 
10  ahau,  8  aJtau,  6  ahau  und  dann  wieder  4  ahau.  Eine  solche  Periode 
wurde  katun  genannt.  Auf  welchen  Umständen  es  beruhte,  dass  man 
gerade  eine  solche  Periode  von  20  X  360  Tagen  erwählte,  das  ist  noch 
eint'  offene  Frage.  Vielleicht  hat  man  eine  der  Länge  des  Jahres  nahe 
kommende  Periode  wählen  wollen.  Jedenfalls  aber  ist  dies  die  wahre 
(frösse  der  sogenannten  ahau  katun  Perioden,  deren  Rechnung  in  der 
Dresdener  Handschrift  klar  vorliegt,  deren  Bedeutung  aber  bis  in  die 
jüngste  Zeit  noch  arg  verkannt  worden  ist.  Die  spätere  Zeit  nämlich, 
der  der  Zusammenhang  mit  der  alten  Tradition,  wenn  nicht  ganz  ge- 
schwunden, so  doch  vielfach  durchlöchert  war,  nahm  den  katun  nicht  als 
20  <  360  Tage,  sondern  als  20  Jahre.  Und  da  stellte  sich  alsbald  heraus, 
dass  dann  die  Perioden  nicht  in  der  angezeigten  Weise  mit  4  ahau,  2  ahau, 
13  ahau  u.  s.  w.  beginnen  konnten,  denn  in  7300  geht  die  Ziffer  13  mit 
einem  Rest  von  7  auf.  Es  müssen  daher  die  Anfangstage  der  auf- 
einander folgenden  Perioden  von  20  Jahren  (das  Jahr  zu  365  Tagen  ge- 
rechnet) der  Reihe  nach  mit  4  ahau,  11  ahau,  5  ahau  u.  s.  f.  beginnen. 
Um  dieser  Schwierigkeit  zu  begegnen,  wurde  die  Theorie  aufgebracht, 
dass  der  katun  nicht  aus  20  Jahren,  sondern  aus  24  Jahren  gebildet  sei, 
denn  24  X  365  oder  8760  ist  ebenfalls  durch  20  theilbar,  und  die  Ziffer  13 
geht  darin  mit  einem  Rest  von  11  auf,  ebenso  wie  in  dem  wahren  katun, 
in  der  Periode  von  20  X  360  Tagen.  Und  daher  der  Streit,  über  den  viel 
unnützes  Papier  verschrieben  worden  ist,  ob  der  katun  mit  20  oder  mit 
24  Jahren  anzusetzen  sei.  In  Wahrheit  bestand  er  weder  aus  20,  noch 
aus  24  Jahren,  —  die  Jahre  nahmen  die  alten  Chronisten  direkt  garnicht 
in  ihre  Rechnung  auf,  —  sondern  aus  20  X  360  Tagen. 


534  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Nachdem  uuu  das  Yerhältniss  des  TonalamatV^  zu  der  übrigen  Zeit- 
reehuung  klar  gelegt  ist,  kehre  ich  noch  einmal  zu  dem  Tonalaniatl 
selbst  zurück.  Ich  habe  seiner  Zeit  in  meiner  Arbeit  über  die  Tages- 
zeichen der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften  und  ihre  Gottheiten 
(oben  S.  448 — 503)  den  Nachweis  zu  führen  gesucht,  dass  auch  die  an- 
scheinend ganz  abweichenden  und  anders  benannten  "20  Tageszeichen  der 
Maya  mit  den  sprachlich  und  hieroglyphisch  klaren  Zeichen  der  Mexikaner 
in  Uebereinstimmuug  zu  bringen  sind.  Ich  habe  aber  damals  einen  Kalender 
ausser  Acht  gelassen,  weil  er  mir  noch  nicht  zugänglich  oder  wenigstens 
nicht  verständlich  war,  das  ist  der  zapotekische,  der  in  der  Grammatik 
des  P.  Juan  de  Cördoba  aufgezeichnet  ist,  die  vor  einigen  Jahren  von 
Dr.  Leon,  —  leider,  wie  es  scheint,  etwas  ungenau  und  fehlerhaft,  — 
neu  herausgegeben  worden  ist. 

Ich  erwähnte  oben  schon,  dass  der  zapotekische  Kalender  einen  be- 
sonders alterthümlichen  Charakter  aufweist.  Das  zeigt  sich  einerseits  in 
der  alterthümlichen  Form  der  Worte,  die  aus  der  gegenwärtig  gesprochenen 
oder  der  bald  nach  der  Conquista  aufgezeichneten  Sprache  schwer  erklär- 
bar sind;  dann  aber  auch  dadurch,  dass  die  Beziehung  der  Zeichen  zu  den 
13  Ziffern  sich  in  der  Form  der  als  Tagesbenennung  dienenden  Worte  ge- 
wissermassen  inkrustirt  hat.  Man  kann  deshalb  bei  allen  von  dem  Namen 
des  Wortes  eine  Vorsilbe  loslösen,  die  für  alle  mit  der  gleichen  Ziffer 
verbundenen  Zeichen  annähernd  die  gleiche  ist.  Einige  Ausnahmen 
kommen  vor,  die  vielleicht  schon  Versehen  oder  irrthümliche  Auffassung 
des  verdienten  Mönches  waren,  der  diesen  Kalender  uns  erhalten  hat, 
vielleicht  aber  auch  einfach  auf  den  uusorgfältigen  Abdruck  zurückzu- 
führen sind.     Man  erhält  bei  den  mit  der  Ziffer 

1  (chaga^  s.  tobi)  verbundenen  Worten  die  Vorsilbe  quia,  quie, 

2  (^cato,  s.  topa  „  „  -.  :,         pe,  pi,  pela, 

3  (cayo,  s.  chona)  „  „  ..  „         peo,  peola, 

4  (taa,  s.  tapa)  „  „  „  „         cala, 

5  (caayo,  s.  gaayo)         ,.  ,,  „  „        pe,  pela, 

6  (d'opa)  y,  „  ,.  „         qua,  qunla, 

7  (caache)  „  „  ,.  „         püla, 

8  (xona)  „  ,.  ,.  „         ne,  ni,  nela, 

9  (caa,  s.  gaa)  „  „  ^  „        pe,  pi,  pela, 

10  {chij)  „  „  ^  „         pilla, 

11  (chijbitobi)  ,.  -  ,.  ..         ne,  ni,  nela, 

(das  ist  wenigstens  die  häufigste  Vorsilbe,    doch  sind  hier  die  Ausnahmen 
zahlreicher,  die  Konfusion  besonders  gross), 

12  {chijbitopa)         verbundenen  Worten  die  Vorsilbe  pina,  pino,  pinij, 

13  (chijao)  ,.  ,.  ,.  n         pece,  pici,  quid 
Von  diesen  verschiedenen  Vorsilben  scheint  jedoch  nur  einigen  wenigen 

eine  bestimmtere  Bedeutuno-    inne    zu   wohnen.     In  erster  Linie  der  Vor- 


8.   Zur  mexikanischen  Chronologie.  535 

silbe  quia^  quie,  die  den  mit  der  Zift'er  1  verbundenen  Zeichen  zukommt, 
die,  wie  wir  wissen,  eine  besondere  Stellung  einnahmen,  als  Regenten  der 
ganzen  folgenden  Dreizehuheit  galten.  Juan  de  Cördoba  sagt,  dass 
diese  Dreizehnhoiten  oder  die  Anfangstage  derselben  cocij,  tobi  cocij  ge- 
nannt worden  seien,  ,,como  decimos  nosotros,  un  mes,  un  tiempo".  Die 
vier  Zeichen  aber,  welche  der  1.,  6.,  IL,  16.  Dreizehuheit,  d.  h.  den  vier 
Abschnitten  des  Tonalamatl  präsidiren,  seien  cocijo  oder  pitäo^  d.  h. 
..Orosse",  genannt  worden.  ^lan  hätte  sie  als  Götter  angesehen  und  sie 
durch  Opfer  und  Blutentziehungen  geehrt.  Im  Lexikon  finde.n  wir  in  der 
Tliat  z.  B.  „tiempo  encogido,  en  que  no  sc  puede  trabajar"'  —  cocij  cogäa\ 
„tiempo  ile  mieses,  frutas  o  de  siego  5  de  algo"  —  cocij  collupa^  cocij 
laifna,  cocij:  „tiempo  enfermo  o  de  pestilencia"  —  pöo  yöocho,  yiye  yöocho, 
cocij  yöocho.  Die  ursprüngliche  Bedeutung  von  cocij  kann  aber  schwerlich 
„Zeit"  gewesen  sein.  Die  Vorsilbe  co  bezeichnet  ein  Nomen  agentis  und 
entspricht  in  gewisser  Weise  der  mexikanischen  Vorsilbe  tla.  Codi  be- 
deutet: „wenn  man  genommen  hat",  also  etwa  gleich  dem  mexikanischen 
tlapoualli,  und  gleich  diesem  bezeichnet  es  eine  Einheit  von  20  Tagen: 
codi,  „'JO  Tage  in  der  Vergangenheit",  d.  h.  heute  vor  20  Tagen;  huecii 
oder  cacii,  „20  Tage  in  der  Zukunft"  oder  „in  20  Tagen",  cacii-cacii, 
„immer  in  20  Tagen".  Ist  daher  die  Angabe  des  Paters  richtig,  so  kann 
die  Anwendung  des  Wortes  codi  auf  eine  Dreizehuheit  von  Tagen  nur 
eine  übertragene  oder  ungenaue  gewesen  sein.  Cocijo  dagegen  ist  im 
Lexikon  mit  „Dios  de  las  lluvias"  und  „rayo"  übersetzt;  tötia  -peni  quij 
cocijo,  „sacrificar  hombre  por  la  pluvia  o  nino";  täce  cocijo,  „caer  rayo  del 
ciolo"i  Mit  anderen  Worten,  cocijo  ist  der  Regeugott  Tlaloc,  der  hier  in 
dem  TojialamaÜ  seine  Stelle  hat,  weil  die  vier  Abschnitte  des  Tonalamatl 
den  vier  Himmelsrichtungen  zugehören,  und  der  Regengott  in  den  vier 
Himmelsrichtungen  zu  Hause  ist,  bezw.  nach  den  vier  Himmelsrichtungen 
verschieden  ist,  wie  das  die  oben  erwähnten  Blätter  der  Codices  Borgia  27 
(=  Kingsborough  12)  und  Vaticanus  B  69  (=  Kingsborough  28)  bildlich 
vor  Augen  führen.  Sehen  wir  nun  nach,  was  die  Vorsilbe  cjuia,  quie  in 
der  Sprache  bedeuten  könnte,  so  finden  wir  „schlagen",  „Stein'%  „Regen", 
„Verbrechen  oder  Strafe '%  „färben",  ,,Blunie",  wobei  sich  aber  die  ersten 
vier  durch  besondere  Aussprache  des  i  von  den  zwei  letzten  unterscheiden 
sollen.  Setzt  man  für  „Regen":  „Gewitter",  was  ja  in  jenen  Gegenden 
meistens  gleichbedeutend  ist,  so  lassen  sich  die  vier  ersten  Bedeutungen 
recht  gut  eine  aus  der  anderen  entwickeln,  und  nehmen  wir  dies  dann 
auch  als  die  Bedeutung  der  Vorsilbe  quia,  quie  an,  so  hätten  wir  z.  B. 
qiäa-chilla  mit  „der  Krokodil- T/afoc"  zu  übersetzen,  der  Tlaloc,  der  das 
Krokodil  als  Zeichen  führt,  oder  ce  cipactU  (1  I). 

Von  den  anderen  Vorsilben  scheinen  nur  noch  die  letzten  beiden 
eine  besondere  Bedeutung  zu  haben,  die  vielleicht  aus  dem  besonderen 
augurischen  Werth    der  Ziffern  12   \nid    13  hervorgeht.      Piid  heisst   „das 


536  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Vorzeichen-,  allerdings  gewölmlich  das  üble.  Piiio  könnte  eine  Neben- 
form von  chino  sein,  denn  p  und  ch  vertreten  in  zapotekischen  ^yort- 
formen  vielfach  einander.  Chiho,  chijnno  heisst  „voll",  „Glück",  „Segen", 
„Reiehthum'',  „dreizehn'^,  „fünfzehn".  Das  sind  aber  alles  Bedeutungen, 
die  mit  der  Ziffer  12.  —  auf  welche  die  Vorsilbe  piuo  hinweist.  —  kaum 
in  Beziehung  zu  bringen  sind.  Die  anderen  Vorsilben  scheinen  nur  Vari- 
anten der  bekannten  Präfixe  pe,  pi.  co,  hua  zu  sein,  wodurch  handelnde 
Personen  und  lebende  Wesen  bezeichnet  werden.  Die  Silbe  la  ist  demon- 
strativ. 

Lassen  wir  nun  diese,  nach  der  beigesetzten  Ziffer  wechselnden  Vor- 
.silben  bei  Seite,  so  erhalten  wir  für  das  erste  Tageszeichen  das  Wort 
chilla  oder  chijlla.  Hierfür  finde  ich  im  Lexikon  drei  Hauptbedeutungen: 
einmal  heisst  es  die  "Würfelbolme  (pkhijlla.  frisolillos  6  havas  con  que 
t'chau  las  suertes  los  sortilegos),  dann  der  Urat  (pkhijlla,  lechijlla,  chijlla- 
tani,  ^loma  ö  cordillera  de  sierra"),  ferner  das  Krokodil  (peho  pichijlla, 
pkhijlla- peöo,  peyöo.  „cocodrillo,  lagarto  grande  de  agua")  und  Schwert- 
fisch {pella-pichijlla-täo,  ,,espadarte  pescado").  Endlich  ist  chilla-täo.  _der 
grosse  Chilla^-,  noch  als  einer  der  Xamen  des  höchsten  Wesens  angegeben. 
Hier  scheint  mir  die  Bedeutung  ,,Krokodil"  die  ursprüngliche  und  hierher 
passende  zu  sein.  Denn  die  Art,  wie  das  erste  Tageszeichen  in  mexi- 
kanischen und  zapotekischen  Bilderschriften  gezeichnet  ist  (Abb.  37), 
lässt  zweifellos  den  Kopf  des  Krokodils  erkennen,  mit  dem  selbständig 
beweglichen,  nach  oben  klappenden  Oberkiefer,  der  diesem  Thiere  ein  so 
charakteristisches  Ansehen  gibt.  Die  von  Sahaguu  und  Duräu  für 
cipactli  gegebeneu  Erklärungen  ,.  Schwertfisch"  und  „  Schlangenkopf '^, 
obwohl  die  erste  ja  auch  in  dem  zapotekischen  Wort  vorliegt,  sind 
darnach  wohl  auszuscheiden.  Deu  Indianern  des  Hochthals  von  Mexico, 
den  Gewährsmäuuem  dieser  beiden  Historiker,  war  eben  das  L^rbild  des 
echten  cipactli  weder  aus  eigener  Anschauung,  noch  durch  sichere  Ueber- 
lieferung  bekannt.  Aus  der  Bedeutung  „Krokodil"  ist  die  andere  „Berg- 
reihe", „Spitzenreihe"  und  weiter  „Schwertfisch"  leicht  ableitbar.  Schwieriger 
ist  es,  einen  Uebergang  zu  der  Bedeutung  „Würfelbohne"  zu  finden.  Doch 
ist  auch  der,  meine  ich.  vorhanden.  Das  mit  cipactli  beginnende  Tonal- 
amatl  war  der  Inbegriff  aller  augurischen  Kunst.  Es  ist  durchaus  nicht 
gewagt,  anzunehmen,  dass  sich  deshalb  der  Xame  auch  auf  das  Hand- 
werkszeug der  Auguren,  die  Bohnen,  deren  sich  die  Wahrsager  neben 
dem  Tonalamatl  bedienten,  übertrug.  Bei  deu  Maya  wurde  die  Würfel- 
bohne am  genannt.  Bei  dem  Fest  im  Monat  Zip  Hessen  die  Zauberer 
und  die  Aerzte  dies  ihr  Handwerkszeug  blau  anstreichen,  d.  h.  weihen. 
Es  erscheint  mir  nun  nicht  imwahrscheinlich.  dass  die  Worte  ivii.r.  imox, 
mit  denen  die  Maya  und  die  Tzental-Zo"tzil  das  erste  Tageszeichen  be- 
nannten, mit  diesem  Worte  am  zusammenhängen.  Ja.  ich  möchte  noch 
das    etymologisch    sonst    schwer    erklärbare    mexikanische    Wort    amoxtli, 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie. 


537 


„Buch",  auf  diese  Mayawurzeln  zurückführen.  Die  Maya-Hieroglyphe  imic 
(Abb.  38)  findet  sich  überaus  häufig  mit  der  Hieroglyphe  kan  vergesell- 
schaftet, und  gar  nicht  selten  sehen  wir  diese  Gruppe  unter  den  den  Göttern 
dargelirachten  Gaben  (Abi).  39).    Sie  bedeutet  vielleicht  „Bohnen  und  Mais''. 


Bei  dem  zweiten  l^ageszeichen  ist  es  nicht  ein  Wort,  sondern  es  sind 
zwei  verschiedene  Worte,  die  nach  Ablösung  der  Vorsilben  übrig  bleiben: 
die  beiden  Worte  quij  und  laa,  die  aber  beide  dasselbe  bedeuten,  und 
zwar  nicht   „Wind",    wie   man  nach   dem    mexikanischen    zweiten   Tao-es- 


538  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Zeichen  ^'trafZ  vermuthen  sollte,  sondern  ^.Grluth"  oder  „Feuer".  Das  ist 
eine  ausnehmend  merkwürdige  Thatsache.  Denn  es  gibt  in  der  That  in 
den  Maya-Handschriften  ein  Element,  das  dem  Zeichen  ik  ausserordentlich 
ähnlich  ist,  das  von  den  meisten  Autoren  auch  anstandslos  als  eine  Form 
des  Zeichens  ik  angesehen  worden  ist,  — ^  ich  selbst  habe  es  allerdings  in 
meiner  Arbeit  über  die  Tageszeichen  der  aztekisclieu  und  der  Maya-Hand- 
schriften (vgl.  oben  S.  485.  486)  von  dem  Zeichen  ik  getrennt  gehalten.  - 
und  das  zweifellos  Feuer  oder  Flamme  bedeutet.  So  in  der  Abb.  40  aus 
Codex  Dresden  25,  wo  wir  es  im  Centrum  der  aus  dem  Feuergefäss  auf- 
lodernden Flamme  sehen  und  au  zahlreichen  anderen  Stellen.  Ferner  in  der 
Hieroglyphe  des  Sonnengottes  (Abb.  24.  oben  S.  526),  die  aus  dem  Bilde  der 
Sonne,  einem  Elemente,  das  vielleicht  „geflügelt"  bedeutet,  dem  Zeichen 
been,  das  die  geflochtene  Matte  und  das  geflochtene  Strohdach  bezeichnet, 
und  eben  jenem  dem  Zeichen  ik  ähnliche  Elemente  zusammengesetzt  ist, 
das  in  dieser  Kombination  nur  das  an  das  Dach  gelegte  Feuer  bedeuten 
kann.  Diese  aus  dem  Zeichen  been  und  dem  Elemente  des  Feuers  zu- 
sammengesetzte Gruppe,  die  ich  als  Hieroglyphe  für  Eroberung  deute, 
ist  daher  auch  ohne  Weiteres  immer  als  been-ik-(jxw^\ie  von  den  Autoren 
bezeichnet  worden.  Aber  nicht  nur  dieses  dem  Zeichen  ik  ähnliche 
Element,  auch  das  Zeichen  ik  selbst,  in  seiner  richtigen  Form,  finden  wir 
an  verschiedeneu  Stelleu  verwendet,  wo  die  Idee  von  Feuer  oder  Flamme 
nahe  zu  liegen  scheint.  Im  Cogolludo  ist  als  Name  eines  Kriegs- 
und Schlachtengottes  das  Wort  Kakupacat,  „Feuerblick"-,  gegeben  und 
von  ihm  gesagt:  ^fingian  que  traia  en  las  batallas  una  rodela  de  fuego, 
con  que  se  abroquelaba".  Für  Kak  u  pacat  ist  vielleicht  Kak  u  pocob 
„Feuerschild"  zu  setzen,  mit  dem  mir  allerdings  nur  aus  den  Guatemala- 
Sprachen  bekannten  Worte  pocob  „Schild"'.  Xun,  im  Codex  Tro  24  und 
Codex  Dresden  69  ist  der  schwarze  Chac  abgebildet  mit  Speer  und  Schild, 
und  letzterer  (Abb.  42)  hat  auf  seiner  Fläche  das  Zeichen  ik.  Mir  ist  es 
eigentlich  nicht  zweifelhaft,  dass  dies  der  Feuerschild  ist,  und  dass  eben 
der  schwarze  Chac  der  Kakupacat  oder  Kak  u  pocob  ist,  vielleicht  ver- 
wandt dem  Cit-chac  coh,  dem  die  Krieger  im  Monat  Pax  den  Kriegertauz 
{holcan-okot)  tanzten.  In  dem  sogenannten  Kalender  für  Bienenzüchter 
auf  den  (der  angenommenen  Zählung  nach)  ersten  Blättern  der  mit  einem 
Stern  *  bezeichneten  Seite,  sieht  mau  von  verschiedenen  Figuren  auf 
einem  Stabe  eine  Hieroglyphe  getragen  (Abb.  41),  die  ich  in  einer 
früheren  Abhandlung  (vgl.  oben  S.  456)  allerdings  als  Herz  gedeutet 
habe,  den  ganzen  Stab  dem  yollotopilli  des  mexikanischen  Gottes  Macuil- 
uochitl  vergleichend.  Aber  es  ist  vielleicht  nicht  ausgeschlossen,  dass 
diese  Hieroglyphe,  die  in  ihrem  Kern  das  unzweifelhafte  Zeichen  ik 
enthält,  vielleicht  —  oder  gleichzeitig  auch  —  eine  Fackel  bedeutet,  wie 
vermuthlich  auch  der  eben  erwähnte  yollotopilli  des  genannten  mexikanischen 
Gottes. 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  539 

Beim  dritten  Tageszeichen  erhalten  wir,  nach  Ablösung  der  nach  den 
Ziffern  wechselnden  Vorsilben  die  Formen  guela,  ela  und  ala  oder  laala. 
Hier  sind  giiela  und  ela  bekannte,  viel  gebrauchte  Wörter  für  Nacht: 
quelia  s.  gueHa,  „Nacht";  te-ela,  „bei  Nacht";  te-chij  te-Ha,  „bei  Tag  und 
bei  Nacht";  xilo-ela  cölo-ela,  „^Mitternacht".  Die  Form  ala  oder  laula 
scheint  zu  der  Zeit,  wo  Juan  de  Cordoba  die  Sprache  aufnahm,  nicht 
mehr  im  Gebrauch  gewesen  zu  sein.  Wir  werden  auch  weiterhin  finden, 
dass  bei  den  Namen  der  Tageszeichen  der  Vokal  a  gegenüber  späterem  e 
bevorzugt  ist.  In  der  Bezeichnung  des  dritten  Tageszeichens  mit  dem 
Namen  der  Nacht,  dem  „dunklen  Haus  der  Erde",  anstatt  des  azteki- 
schen calli,  „Haus",  stimmt  der  zapotekische  Kalender  mit  denen  der  ver- 
schiedenen Zweige  der  Maya-Familie  überein. 

Bei  dem  vierten  Tageszeichen  erhalten  wir  nach  Entfernung  der  Vor- 
silben die  Formen  giieche,  quichi,  ache,  achi,  ichi.  Das  Zeichen  entspricht 
dem  mexikanischen  cuetzpalin^  Eidechse.  Die  Bilderschriften  zeigen  ein 
in  der  Regel  blau  gemaltes,  geschwänztes,  eidechsenartiges  Thier,  und  die 
Interpreten  geben  an,  dass  das  Zeichen  „Reichthum  an  Wasser"  bedeute. 
Nun  ist  es  wirklich  schwer  verständlich,  wie  so  die  Eidechse,  die  man  ja 
am  häufigsten  auf  den  von  der  Sonne  erhitzten  Steinen  und  Mauern  findet, 
als  Symbol  des  Wasserreichthums  genommen  sein  kann.  Die  zapotekischen 
Wortformen  scheinen  diese  Schwierigkeit  zu  lösen,  denn  diese  sind  mit 
„Frosch"  oder  „Kröte"  zu  übersetzen.  Das  Lexikon  gibt  peche,  jjeeche, 
beeche,  „todo  genero  de  raua  ö  sapo".  Hier  ist  pe  nur  Vorsilbe,  die  wir 
in  der  Form  pe  oder  pi  bei  fast  allen  Thiernamen  vorfinden.  Und  dass 
das  ecke  mit  dem  ache,  achi,  ichi  des  Kalenders  gleich  zu  setzen  ist,  beweist 
der  Vergleich  mit  dem  14.  Tageszeichen,  wo  wir  dieselben  Formen,  gmche, 
ache,  ecke,  für  den  Jaguar  gebraucht  finden,  der  in  dem  Lexikon  mit 
prche-täo^  „der  grosse  pecke^,  bezeichnet  ist.  Der  Deutung  des  Zeichens 
als  „Frosch"  widerspricht  ja  nun  allerdings,  dass  das  Thier  immer  mit 
langem  Schwanz  dargestellt  wird.  Das  hat  besonders  Brinton  in 
seinem  „Native  Calendar"  mir  gegenüber  hervorgehoben.  Vielleicht  hat 
man  wirklich,  wie  Brinton  will,  an  zapotekisch  cotache  {guracJie),  die 
Iguana,  zu  denken.  Richtig  ist,  dass  sich  bei  Landa  (Relacion  de  las 
cosas  de  Yucatan)  gelegentlich  die  Angabe  findet,  dass  zu  einem  be- 
stimmten Opfer  Leguane  von  der  blauen  Art  genommen  werden  sollen. 
Blau  wird  das  Thier  des  vierten  Tageszeichens  in  der  Regel  gemalt. 

Wie  nun  aber  bei  dem  ersten  Tageszeichen  das  zapotekische  Wort 
uns  eine  Möglichkeit  an  die  Hand  gab,  die  anscheinend  so  inkongruenten 
mexikanischen  und  Maya-Hieroglyphen  und  deren  Bezeichnungen  mit  ein- 
ander zu  vereinen,  so  scheint  das  auch  hier  bei  dem  vierten  Tageszeichen 
der  Fall  zu  sein.  Piche  bezeichnet  im  Zapotekischen  nämlich  auch  das 
Maiskorn,  allerdings  nicht  das  einfache  reife  Korn,  sondern  das  geröstete 
und    in    Folge    des    Röstens    geplatzte.     Wir    wissen,    dass    diese  Körner, 


540  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

die  die  Mexikaner  momovhtli  nannten,  bei  den  Darbringungen  an  die 
Götter  eine  grosse  Rolle  spielten.  In  Yucatan  wird  bei  den  a-ma  kaha 
/-?'«-Zärimonien  sogar  jedes  Mal  angegeben,  wie  viel  solcher  Maiskörner 
zu  dem  Getränk  verwendet  wurden,  das  den  an  der  Prozession  theil- 
nelinienden  Priestern  und  Häuptlingen  entgegenbracht  wurde.  Die  Maya- 
Bezeichnung  für  das  vierte  Tageszeichen  ist  kan^  was  wohl  auf  kan^  kajicm. 
„eosa  abundante  6  preciosa'^,  zurückgeht.  Von  der  Hieroglyphe  habe  ich 
in  den  Abb.  39.  43,  44  (oben  S,  537)  die  charakteristischsten  Formen  ge- 
geben. Sie  zeigen  in  dem  oberen  Theil  entweder  die  Zähne  (wie  an  der 
Gefässmüudung  der  Abb.  39  und  in  den  Hieroglyphen  der  Abb.  26,  30  und 
31.  32,  oben  S.  526)  oder  das  Auge,  die  beide.  —  wie  ich  oben  schon 
bei  der  Hieroglyphe  der  Abb.  31  —  33  auseinandersetzte,  —  die  Idee  der 
OefFnung  des  Spaltes  geben.  In  dem  unteren  Theile  der  Hieroglyphe,  unter- 
halb der  geschwungenen  Querlinie,  haben  wir  ebenfalls  ein  paar  Zähne, 
die,  gleich  den  Zähnen  des  oberen  Theiles,  wenn  die  Hieroglyphe  farbig 
gemacht  ist,  weiss  gelassen  werden.  Sie  sind  am  natürlichsten  ebenfalls 
als  Andeutung  eines  Spaltes  aufzufassen.  Nimmt  mau  dazu,  dass  die  Hiero- 
glyphe, wenn  sie  farbig  gemacht  ist.  regelmässig  gelb,  d.  h.  in  der  Farbe 
der  Aussenrinde  des  Maiskorns,  gemalt  ist,  so  wird  man  einräumen  müssen, 
dass  die  Hieroglyphe  kcai  in  der  That  den  Vorstellungen,  die  das 
geplatzte  Maiskorn  an  die  Hand  giebt.  entspricht.  Und  wirklich  ist 
ja  auch  die  Polle,  die  diese  Hieroglv]3he  in  den  bildlichen  Darstellungen 
der  Maya- Handschriften  spielt,  eine  derartige,  dass  bisher  alle  Autoren 
von  selbst  darauf  gekommen  sind,  die  Hieroglyphe  kan  für  das  Maiskorn 
zu  erklären.  Ich  selbst  habe  früher,  weil  ich  nicht  an  das  geplatzte  Korn 
dachte,  für  kan  den  Maiskolben  gesetzt,  den  mau  mitunter  mit  Auge 
und  Zähnen  abgebildet  sieht,  kann  aber  jetzt  diese  Erklärung  fallen  lassen, 
weil  das  Wort  piche  und  die  damit  sich  verbindenden  Vorstellungen  einen 
genügenden  Aufschluss  über  die  besonderen  Merkmale  der  Hieroglyphe 
geben. 

Für  das  fünfte  Tageszeichen  gibt  der  zapotekische  Kalender  die  Stamm- 
worte zee,  zij.  die  wiederum  nicht,  wie  man  nach  dem  aztekischen  Namen 
des  fünften  Tageszeichens  (coatl)  vermutheu  sollte,  etwa  mit  ..Schlange" 
zu  übersetzen  wären.  —  die  Schlange  heisst  im  Zapotekischen  pella 
oder  bela,  —  sondern  die  zunächst  etwas  Abstraktes,  nämlich  „Unglück". 
„Unheil".  „Beschwerde",  ^Elend".  zu  bedeuten  scheinen.  An  einer  Stelle 
des  Kalenders,  und  zwar  gleich  in  der  ersten  Dreizehnheit,  ist  statt  zee, 
zii  das  Wort  ciguij  angegeben.  Und  das  bedeutet  „Betrüger",  „Fallen- 
steller, der  einen  ins  Unglück  bringt".  Zieht  man  diese  Variante  in 
Betracht,  so,  meine  ich,  werden  wir  dem  zii  eine  prägnantere  Bedeutung 
zuschreiben  können,  diejenige,  welche  in  dem  unzweifelhaft  von  dieser 
Wurzel  abgeleiteten  Worte  pijci  (pijze,  peezi)  vorliegt,  nämlich  „unheil- 
volles   Vorzeichen".      So    kommen    wir    auf   Umwegen    auf   denselben 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  541 

Betriff,  den  uns  der  aztekische  Name  des  fünften  Tageszeichens  an  die 
Hand  gibt,  auf  das  Wort  „Schlange".  Denn  diese  war  es,  die  den 
Zapoteken  als  das  erste  und  bedenklichste  aller  unheilvollen  Vorzeichen 
galt.  „Tenian  estos  Zapotecas  muchas  cosas  por  agueros,  a  las  quales  si 
encontraban  o  veuian  ä  sus  casas  6  junto  a  ellas,  se  tenian,  por  agorados 
dellas"  („dass  ihnen  dadurch  Unheil  gebracht  sei").  ,,E1  primero  y  nias 
principal  era  la  culebra,  que  se  llama  pella,  y  como  ay  muchas 
maneras  dellas,  de  la  manera  que  era  ella,  assi  era  el  aguero;  esto  des- 
lintlava  el  sortilegio"  (Juan  de  Cördoba,  Arte  edid.  Leon,  p.  214).  In 
meiner  Arbeit  über  die  Tageszeichen  der  aztekischeu  und  der  Maya-Hand- 
schriften  (oben  S.  467)  habe  ich  den  Nachweis  geführt,  dass  die  Maya- 
Hieroglyphe  des  fünften  Tageszeichens  (Abb.  45,  oben  S.  537)  von  be- 
stimmten Eigenthümlichkeiten  der  Schlange  hergenommen  ist  und  zweifel- 
los die  Schlange  bezeichnen  soll.  Die  Bedeutung  des  Wortes  aber,  mit 
dem  die  Maya  diesen  Tag  bezeichneten,  nämlich  chicchan^  war  mir  nicht 
ganz  klar  geworden.  Ich  möchte  jetzt  annehmen,  dass  es  chic-chaan^ 
<l.  h.  „tomado  seiial",  „tomado  aguero",  bedeuten  soll. 

Für  das  sechste  Tageszeichen  ergibt  der  zapotekische  Kalender  die 
Wortform  lana  s.  laana.  Von  den  verschiedenen  Bedeutungen,  die  das 
Lexikon  für  diesen  Stamm  an  die  Hand  gibt,  würde  mir,  wenn  keine 
anderen  Vergleichsmomente  in  Betracht  gezogen  werden  müssen,  als  natür- 
lichste die  Bedeutung  „Hase''  erscheinen,  —  pela-püläana^  liebre  animal; 
too-qwLce-pülaana,  s.  pella  pülaana,  „ved  para  liebres",  —  um  so  mehr,  als 
wir  vorausgehend  Frosch  (Iguana)  und  Schlange  haben,  und  in  der  Reihe 
der  Tageszeichen  folgend  Hirsch  und  Kaninchen  antreffen  werden,  und 
als  Juan  de  Cördoba  in  seinen  Bemerkungen  zu  dem  Kalender  geradezu 
sagt:  „y  para  cada  treze  dias  d estos  tenian  aplicada  una  figura  de  animal, 
s  aguila,  mono,  culebra,  lagarto,  uenado,  liebre"  etc.  Dem  steht  nun  aber 
allerdings  gegenüber,  dass  wir  sowohl  in  dem  mexikanischen  Kalender, 
wie  in  denen  der  Maya-Stämme,  an  dieser  Stelle  das  Bild  des  Todes 
finden,  und  dass,  —  mit  einziger  Ausnahme  des  Tzental-Zo'tzü,  —  dieses 
'{'ageszeichen  auch  mit  dem  Namen  des  Todes  bezeichnet  wird.  Da  wir 
bei  den  übrigen  Zeichen  jederzeit  eine  direkte  oder  indirekte  Ueberein- 
stimmung  zwischen  diesen  drei  Kalendern  finden,  so  werden  wir  uns  um- 
sehen müssen,  ob  nicht  auch  bei  diesem  Zeichen  von  dem  in  dem  zapo- 
tekischen  Kalender  gegebenen  Wort  ein  Uebergang  zu  der  Bedeutung  der 
übrigen  Kalender  sich  finden  lässt.  Hier  könnte  man  nun  zunächst  in 
l)etracht  ziehen,  dass  pülaana,  „Hase'',  im  Lexikon  regelmässig  vergesell- 
schaftet ist  mit  p^'^a,  „Fleisch",  wie  etwa,  wenn  wir  sagen  würden:  „Hasen- 
wildpret",  und  dass  läna  auch  das  „frische,  rohe  Fleisch"  ist:  hualäna 
nalana,  „cosa  que  hiede  ä  carne  ö  carnaza'' ;  tüläa  naläna,  „heder  algo  h 
carnaza".  Man  könnte  also  etwa  an  das  frisch  getödtete,  das  erlegte  W^ild 
denken.    Lana  heisst  aber  auch  „verliüllt"',    „versteckt"^,  „dunkel",  ,,heini- 


542  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

lieh".  Und  ich  glaube,  dass  man  die  letztere  Bedeutung  vor  allem  zur 
Erklärung  des  Namens,  den  das  sechste  Tageszeichen  im  Zapotekischen 
hat,  heranziehen  müssen  wird. 

So  schwierig,  wie  das  sechste  Tageszeichen  zu  entziffern  war,  so  ein- 
fach ist  das  siebeute.  Wir  erhalten  nach  Entfernung  der  Vorsilben  den 
Namen  china,  und  das  ist  genau  das  mexikanische  jna^atl^  ,,Hirsch",  das 
in  den  mexikanischen,  und  das  queh^  quieh,  das  in  den  guatemaltekischen 
Kalendern  für  das  siebente  Tageszeichen  angegeben  wird.  Dass  auch  die 
Maya-Hieroglyphe  für  das  siebente  Tageszeichen  damit  übereinstimmt, 
habe  ich  mich  in  meiner  früheren  Arbeit  bemüht  nachzuweisen.  Die 
eigentliche  Bedeutung  derselben  ist.  wie  ich  oben  S.  47"J  auseinandersetzte, 
„essen",  ., Speise",  ,. Fleisch". 

•Für  das  achte  Tageszeicben,  das  dem  mexikanischen  tochtli,  ,, Kanin- 
chen", entspricht,  erhalten  wir.  nach  Entfernung  der  Vorsilben,  das  Wort 
lapa.  Ein  Wort  lapa,  „Kaninchen",  gibt  es  nun  allerdings  nicht.  Aber 
die  Bezeichnungen,  die  für  „Kaninchen"  gebraucht  werden,  führen  auf 
denselben  Begriff,  der  in  lapa  vorliegt.  Läpa  heisst  „zertheilen",  „zer- 
brechen", und  das  Kaninchen  heisst  peela  oder  piteeza,  zwei  Worte  die  beide 
„das  Zertheilte",  „das  Zerlegte"  bedeuten.  Dass  der  Begriff  des  Zertheilten, 
Zerlegten  der  Bezeichnung  dieses  Tageszeichens  zu  Grunde  liegt,  das 
scheint  auch  die  Maya-Hieroglyphe  zu  beweisen  (vgl.  Abb.  49,  oben  S.  537), 
in  der  das  Zertheilte,  Zerlegte  deutlich  angegeben  ist.  Vielleicht  führen 
auch  die  Ausdrücke  lambat  und  lamat,  die  im  Tzental-Zo"tzil  und  im  Maya 
für  dieses  Tageszeicben  gebraucht  werden,  und  die  aus  den  bekannten 
Maya- Wurzeln  kaum  erklärbar  sind,  auf  das  hier  vorliegende  zapotekische 
läpa  zurück.  Da  das  Kaninchen  den  Mexikanern  das  Zeichen  der  Erde 
war,  so  habe  ich  oben  (S.  473)  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  die 
Maya-Hieroglyplie  dieses  Tageszeichens  vielleicht  die  nach  den  vier 
Eichtungen  ausgedehnte  Erde  veranschaulichen  solle. 

Das  neunte  Tageszeicben  ist  im  Mexikanischen  atl,  „Wasser".  Der 
zapotekische  Kalender  ergibt  die  Worte  ?iiza  und  queza.  Das  erstere  ist 
das  bekannte  und  allgemein  gebrauchte  zapotekische  Wort  für  ., Wasser". 
Dass  queza  nur  eine  Variante  von  niza  ist,  beweisen  verschiedene  Ab- 
leitungen: peque^a,  peniQa,  s.  pini^a,  ,.milano  ave";  qule-cächeni^a^  quie--qutca-, 
marmor,  piedi'a  marmoleüa.  Beides  sind  vermuthlich  Ableitungen  von 
ezaa,  „hernieder  kommen". 

Für  das  zehnte  Tageszeichen  ergibt  der  zapotekische  Kalender  das  Wort 
tella,  der  mexikanische  hat  itzcuinüi^  „Hund".  Die  Maya -Ausdrücke  für 
dieses  Tageszeichen  sind  dunkel,  aber  dass  die  Hieroglyphe  (Abb.  50,  52, 
oben  S.  537)  den  Hund  bezeichnet,  habe  ich  in  meiner  früheren  Arbeit 
nachgewiesen.  Der  Hund  spielt  in  den  Maya-Handschriften  eine  bedeut- 
same Rolle.  Er  ist  das  Blitzthier,  das  mit  der  Fackel  in  den  Händen 
vom    Himmel    herunterstürzt    (vgl.  Codex  Dresden   40  b).      Und    die    tod- 


8.    Zur  mexikanisclien  Chronologie.  543 

bringende  Bedeutung  des  Hundes  ist  auch  in  seiner  Hieroglyphe  (Abb.  51) 
ausgesprochen,  in  der  man  die  Wirbelsäule  eines  Skeletts  dargestellt 
findet,  ähnlich  wie  in  der  Abb.  53,  der  Hieroglyphe  des  Monats  kan-kin, 
der  gelben,  d.  h.  der  sengenden,  im  Zenith  stehenden  Sonne.  Der  Hund 
theilt  diese  Rolle  als  Blitzthier  in  den  Handschriften  mit  zwei  anderen 
Wesen:  das  eine  stellt  ein  Raubthier  dar,  mit  langem  Schwanz,  ungefleckt, 
etwas  länglichem  Kopf  und  dem  Zeichen  akbal  über  dem  Auge,  das  in 
Codex  Dresden  36a  mit  der  Haupt-Hieroglyphe  des  Jaguars  und  daneben 
mit  der  Abb.  54  bezeichnet  ist,  einer  Hieroglj'-phe,  die  aus  dem  Tages- 
zeichen kan  und  der  Hieroglyphe  kan,  „gelb",  zusammengesetzt  ist,  die 
also  vielleicht  das  gelbe  Thier  bezeichnen  soll.  Ich  glaube,  dass  der 
Puma  (coh)  gemeint  ist,  der  ja  auch  z.  B.  im  Zapotekischen  als  „das  gelbe 
Raubthier"  (peche-i/aclte)  bezeichnet  ist.  Das  andere  Wesen  hat  einen  Kopf 
mit  rüsselartig  verlängerter  Schnauze  (Abb.  55)  und  Hufe  an  den  Füssen. 
Es  ist  hieroglyphisch  durch  eben  diesen  Kopf  und  daneben  durch  die 
Abb.  56  bezeichnet,  die  aus  einem  Beil,  einer  Feder  und  der  Abbre- 
viatur eines  Kopfes  oder  des  Zeichens  uinal  [ein  ganzer  Mann^)]  zu- 
sammengesetzt ist.  Dieses  Wesen  nehme  ich  als  tzimin,  „Tapir".  Wir 
wissen,  dass  der  Tapir  von  den  zentralamerikanisehen  Völkern  in  enge 
Verbindung  mit  den  Gottheiten  der  vier  Himmelsrichtungen  gebracht 
wurde.  Von  den  Itzaex  in  Peten  wird  berichtet,  dass  sie  ein  Idol  ,,de 
tigura  de  cavallo"  verehrten,  welches  den  Namen  Tzimin-Chac,  ,,Caballo 
del  Trueno  6  Rayo",  geführt  habe,  und  von  ihnen  als  Gottheit  des  Blitzes 
und  Donners  angesehen  worden  sei.  Von  dem  grossen  Gott  Votan  in 
Chiapas  berichtet  Nunez  de  la  Vega:  „que  en  Huehueta,  que  es  pueblo 
de  Soconusco  estuvo,  y  que  alli  puso  dantas  (Tapire),  y  un  tesoro  grande 
en  una  casa  löbrega,  que  fabricö  ä  soplos."  Ja,  bis  nach  Mexico  ist  das 
Wort  und  die  Vorstellung  der  himmelstützenden  Tapire  gedrungen.  Die 
sechs  tzitzimime  ilhuicatzitzquique,  „ängehjs  de  aire  sosteuedores  del  cielo", 
die  Tezozomoc  uns  nennt,  —  „que  eran,  segun  decian,  dieses  de  los 
aires  que  traian  las  lluvias,  aguas,  truenos,  relampagos  y  rayos, 
y  habian,  de  estar  ä  la  redonda  de  Uitzilopoc7itli'\  -  sind  nichts  anderes, 
als  die  nach  den  Regeln  der  mexikanisclien  Sprache  gebildete  Mehrheits- 
form von  tzimin,  ,, Tapir",  aus  der  freilich  dann  umgekehrt  eine  Singular- 
form,  tzitzimül,  abgeleitet  worden  ist.  Die  Tzitzimime^  ursprünglich  jeden- 
falls Stei'ngottheiten ,  die  Träger  des  Himmels  an  den  vier  Enden  der 
Welt,  wurden  s])äter  in  der  Vorstellung  der  Mexikaner  zu  Dämonen  der 
Finsterniss  —  die  nämlich  am  hellen  Tage  sichtbar  worden,  wenn  die 
Sonne  sich  verfinstert,  wenn  Sonnenfinsterniss  eintritt  —  und  tzitzimitl, 
die  Singularform,  wurde  als  Bezeichnung  einer  bestimmten,  mit  einer 
Schädelmaske  verbundenen  Kriegerrüstung  gebraucht.    Wenn  endlich  in  den 


1)  Vgl.  oben  S.  400—406. 


544  Dritter  Abschnitt:    Kalender  inul  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Maya-Haiulsohrifteii  der  Regengott  Chac  sieh  durcli  eine  besonders  lange, 
über  den  3Iund  herabgekrünimte  Nase  auszeichnet  (vgl.  die  Hieroglyphe 
Abb.  27,  oben  S.  526),  und  bei  der  anderen  Form  des  Regengottes, 
der,  wie  es  scheint,  der  Name  Ah  bolon  tz'acab  zukommt,  die  Nase 
sich  geradezu  ausbreitet  und  Ausläufer  treibt,  so  meine  ich,  hat  auch  dafür 
der  Tapir,  der  mit  dem  Chac^  dem  Regengott,  identisch  gesetzt  wurde, 
tlas  Vorbild  geliefert. 

Der  Tapir  heisst  im  Zapotekisclien  prche-aölo,  und  der  einheimische 
haarlose  Hund  pi'co-xölo.  Hund  und  Tapir,  die  beiden  vom  Himmel 
herabstürzenden  Thiere,  die  den  Blitz  und  Donnerschlag  in  den  Händen 
tragen,  sind  also  hier  durch  die  gemeinsame  Bezeichnung  xolo  zusammen- 
gebracht. Und  dieses  Wort  .colo  selbst  ist  der  bekannte  Name  eines 
Dämons,  des  Dämons  Xolotl,  der  die  sechszehute  Woche  (ce  cozcaquauhtli) 
und  das  siebzehnte  Tageszeichen  {olin)  regiert,  und  der  häufig  direkt  als 
Hund  (Codex  Vaticanus  B  93  =  Kingsbörough  4  und  29  =  Kingsborough  77) 
oder  doch  wenigstens  mit  den  abgestutzten  Ohren  des  Hundes  dargestellt 
wird  (Codex  Borgia  65  =  Kingsborough  50  und  Vaticanus  B  64  =  Kings- 
borough 33).  Der  Dämon  Xolotl^  von  den  Interpreten  in  der  Regel  als 
„Gott  der  Missgeburten''  bezeichnet,  ist  eigentlich  der  Gott  der  Zwillinge, 
oder,  noch  ursprünglicher,  eigentlich  der  Gott  des  Ballspiels,  das  immer 
zu  zweien  gespielt  Avird.  Da  aber  die  Zwillinge  als  etwas  Widernatürliches 
galten,  so  wurde  der  Gott  der  Zwillinge  zum  Gotte  der  Missgeburten. 
Thatsächlich  ist  er  auch  im  Codex  Borgia  10  (=  Kingsborough  27)  mit 
gekrümmten  Gliedmassen  und  auslaufenden  Augen  gezeichnet.  Und  mit 
dem  Worte  Xolotl  wurden  in  Mexico  allerhand  Zwitterbildungen,  die  als 
Missgeburten  angesehen  wurden,  bezeichnet. 

Kehren  wir  nun  zurück  zu  dem  Worte  tcia,  womit  im  zapotekisclien 
Kalender  das  zehnte  Tageszeichen  bezeichnet  ist,  so  zeigt  sich,  dass  für 
dasselbe  kein  Sinn  sich  herausfinden  lässt,  wollen  wir  hierfür  einfach 
„Hund",  entsprechend  dem  mexikanischen  itzcuintli,  setzen,  dass  aber  das 
Wort  sofort  verständlich  wird,  wenn  wir  an  den  vom  Himmel  herab- 
stürzenden Hund  denken,  den  uns  die  Maya-Handschriften  vor  Augen 
führen.  Tela  ist  nämlich  tee-läo,  „boca  abajo",  mit  dem  Kopf  nach  unten, 
also  entsprechend  dem  mexikanischen  Tzontemoc.  Die  zusammengezogene 
Form  tela  liegt  im  Zapotekisclien  in  verschiedenen  Ableitungen  vor,  wie 
fitela-nn,  was  von  dem  nach  hinten  Ausschlagen  der  Thiere  gebraucht 
wird;  tinhij-natela,  „verkehrte  Reden  führen";  totela,  „die  Würfel  aus 
«lem  (mit  der  Mündung  nach  unten  gekehrten)  Becher  schütten";  quela- 
7iatela-lachi,  ,, Verwirrung"  (wenn  im  Geiste  Alles  kopfüber  und  kopf- 
unter geht). 

Für  das  elfte  Tageszeichen  gibt  der  zapotekische  Kalender  nach  Ent- 
fernung der  Vorsilben  die  Form  loa  oder  (bei  1  XI)  goloo.  Das  entspricht 
dem   mexikanischen  o^omatl%   ,,Affe",   denn   in   dem  Vokabular  finden  wir 


8.   Zur  mexikanischen  Chronologie.  545 

pilläo,  pilli'o,  pillöo  gönnet  y  „mona  animal"  (^gönnä  ist  nur  Feminin -Be- 
zeichnung). Dass  auch  die  übrigen  Kalender,  sowie  die  Maya-Hieroglyphe 
dieses  Tag-eszeichens  mit  dieser  Bedeutung  in  Einklang  zu  bringen  sind, 
habe  ich  in  meiner  früheren  Arbeit  nachgewiesen. 

Für  das  zwölfte  Tageszeichen  hat  der  zapotekische  Kalender  die 
Form  pija.  Nur  bei  dem  mit  der  Ziffer  1  verbundenen,  wo  wir  quia  yija 
oder  quiepija  zu  erwarten  hätten,  ist  qui  cuija  angegeben.  Es  scheint, 
dass  hier  eine  Verderbniss  vorliegt,  und  dass  wir  quie  pija  oder  qui 
chija  zu  lesen  hätten.  Pii,  chii  heisst  „gedreht  werden".  Es  entspricht 
also  pija  genau  dem  Namen  (jnalinalli),  den  das  Tageszeichen  in  dem 
mexikanischen  Kalender  führt.  Abweichend  ist  die  Benennung  und  die 
Darstellung  dieses  Zeichens  in  den  Maya-Kalendern.  Der  Name  lautet  ee 
oder  eb,  d.  h.  „Zahnreihe",  „Spitzenreihe".  Er  wird  in  der  guatemalte- 
kischen Chronik,  ebenso  wie  das  mexikanische  malinalli,  mit  „escobilla" 
übersetzt.  Die  „escobilla"  ist  ein  aus  Pflanzenfasern  zusammengebundenes, 
besen-  oder  pinselartiges  Werkzeug,  das  noch  heutigen  Tags  allgemein 
zum  Reinigen  der  Kleider  und  zum  Kämmen  der  Haare  von  den  Indiane- 
rinnen gebraucht  wird  (zapotekisch:  peego). 

Bei  dem  dreizehnten  Tageszeichen  finden  wir  die  AVortformen  quij,  ij 
uud  laa.  Quij  heisst  „das  Rohr",  entsprechend  dem  Namen  acatl,  den 
das  Tageszeichen  im  mexikanischen  Kalender  führt,  und  mit  dem  auch 
die  guatemaltekische  Bezeichnung  ah  in  Uebereinstimmung  zu  stehen 
scheint.  Das  Maya-Wort  bren  ist  dunkel;  dass  aber  die  Hieroglyphe  been 
iuif  denselben  Begriff  des  Rohrs  oder,  genauer  vielleicht,  des  rohr- 
geilochtenen  Daches,  der  rohrgeflochtenen  Matte,  zurückführt,  habe  ich  in 
meiner  früheren  Arbeit  nachgewiesen.  Das  AYort  Icia  finde  ich  in  dem 
zapotekischen  Lexikon  in  der  Bedeutung  „Rohr"  nicht  angegeben.  Da 
wir  indes  bei  dem  zweiten  Tageszeichen  (Wind,  Feuer)  dieselben  Wort- 
formen quij,  laa  synonym  gefunden  haben,  so  spricht  die  Wahrscheinlich- 
keit dafür,  dass  auch  für  quij,  „Rohr",  ein  Synonym  laa  existirt  haben 
mag.  Es  ist  übrigens  ein  merkwürdiges  Zusammentreffen,  dass  in  der 
Maya-Schrift  die  Hieroglyphen  dieser  beiden,  im  Zapotekischen  gleich- 
lautenden Tageszeichen,  das  der  Hieroglyphe  ik  ähnliche  Element  und  die 
Hieroglyphe  been,  überaus  häufig  vergesellschaftet  angetroffen  werden  (vgl. 
Abb.  24). 

Beim  vierzehnten  Tageszeichen,  mexikanisch  ocelotl,  „Jaguar",  gibt  der 
zapotekische  Kalender  gueclie,  ecke,  aclie,  ähnlich  wie  beim  vierten  Tages- 
zeichen. Wie  wir  dort  in  den  Worten  peche,  peeche,  beeche^  „Frosch"  des 
Vokabulars,  in  gewisser  Weise  eine  Uebereinstimmung  mit  der  mexika- 
nischen Benennung  herstellen  konnten,  so  gibt  hier  das  Lexikon  peche-täo^ 
,,das  grosse  Thier"  =  „tigre,  animal  feroz'\  Dass  die  Maya-Hieroglyphe 
ebenfalls  den  Jaguar  zum  Ausdruck  bringt,  habe  ich  in  meiner  früheren 
Arbeit  nachgewiesen.     Für  den  Maya-Namen  dieses  Tageszeichens  (it)  ist 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  35 


546  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

wohl  die  Cakchiqiiel-Beneuuuiig  yiz,  —  d.  i.  Maya  h-ez.  ..der  Zauberer'', 
—  als  aufschlussgebend  zu  betrachteu.  Meiner  Auffassuog  nach  ein  Glied 
mehr  in  der  Kette  der  Gründe,  die  dafür  sprechen,  dass  das  Tageszeicheu- 
System  den  Maya  durch  Yermittelung  der  verwandten  Stämme  von  Chiapas 
bekannt  geworden  ist.  Denn  dem  Maya  z  entspricht  vielfach  ein  Tzental- 
Zo'tzil  a-.  Die  mexikanische  Liste  der  Chronik  des  Franziskanerklosters 
von  Guatemala  hat  entsprechend  für  das  vierzehnte  Tageszeichen  das 
Wort  teyolloqua7ii  „Zauberer".  Die  Verbindung  zwischen  den  Begriffen 
..Jaguar'"  und  ..Zauberer"  liegt  darin,  dass  der  Jaguar  die  gewöhnliche 
Verkleidung  darstellt,  in  der  die  Zauberer  ihr  Wesen  treiben. 

Das  fünfzehnte  Tageszeichen  hat  im  zapotekischen  Kalender  die  Form 
naa^  und  bei  dem  mit  der  Ziffer  1  verbundenen  quinnaa.  Die  mexikanische 
Bezeichnung  ist  quauhtli,  „Adler'",  mit  der  die  guatemaltekische  tziquin, 
„Vogel",  sich  recht  gut,  schwieriger  das  Maya-Wort  vien  und  die  Maya- 
Hieroglyphe  (Abb.  57,  oben  S.  537)  vereinen  lässt.  Aber  wiederum  liefert 
die  zapotekische  Bezeichnung  den  sprachlichen  Beleg  für  dasjenige,  was 
ich  in  meiner  früheren  Arbeit  aus  der  Form  der  Hieroglyphe  schliessen  zu 
müssen  glaubte.  Die  Maya-Hieroglyphe  (Abb.  57)  zeigt  uns  ein  altes,  ge- 
furchtes Gesicht.  Und  wir  sehen  diese  Hieroglyphe,  in  die  Länge  ge- 
zogen, mit  Federbällen  besteckt  (Abb.  58),  in  verschiedener  bildlicher  und 
hieroglyphischer  Verwendung,  unter  anderem  auch  in  der  Hieroglyphe, 
die  die  Haupt -Hieroglyphe  des  Adlers  zu  begleiten  pflegt.  Ich  hatte 
damals  geschlossen,  dass  die  Maya-Hieroglyphe  das  Bild  der  alten  Erd- 
mutter darstelle,  der  allverehrten  Göttin,  die  Tonantzin^  „unsere  Mutter", 
genannt  wird,  die  mit  den  feinen  weissen  Daunenfedern  des  Adlers  be- 
klebt einhergeht,  und  die  im  Wiener  Codex  geradezu  mit  der  Xamens- 
hieroglyphe  ce  quauhtli  =  „1.  Adler"  erscheint.  Xun,  die  zapotekische 
Benennung  ergibt  dasselbe,  denn  naa^  naa  heisst  „Mutter",  ein  Wort,  das 
nur  gewöhnlich  mit  dem  Präfix  ad  der  Geuitivbeziehung  erscheint,  weil 
Verwandtschaftsnamen  nie  ohne  Possessivbeziehung  genannt  zu  werden 
pflegen. 

Das  sechszehnte  Tageszeichen  ist  im  mexikanischen  Kalender  mit 
dem  Bild  des  Geiers  {cozcaquauhtli)  bezeichnet.  Die  Maya- Stämme  von 
Guatemala  nennen  es  ah-mak,  und  dieses  Wort  scheint  ebenfalls  den 
Geier  zu  bezeichnen,  „der  die  Augen  ausfrisst",  ,,der  grubige  Vertiefungen 
macht".  Das  zapotekische  Wort  ist  loo  oder  guillo.  Damit  könnte  zwar 
nicht  der  Geier,  aber  ein  anderer  Vogel,  der  Rabe  (peläo,  balld),  gemeint 
sein.  Der  Geier  heisst  im  Zapotekischen  pelläqui  (pelahui,  balai,  haldai). 
Und  es  wäre  nicht  unmöglich,  dass  diesen  beiden  Bezeichnungen  eine 
einheitliche  Vorstellung  zu  Grunde  liegt.  Läo^  löo  heisst  „Auge",  „An- 
gesicht", „Vorderseite",  „Aussenseite".  Laqui,  lahui,  lai  heisst  „mitten 
innen  eingesetzt",  „zwischen",  „gemeinsam",  „öffentlich".  Jedenfalls  aber 
ist    die  Bedeutung,    die    dem    Stammwort  von    pelläqui^    baldai,    „Geier", 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  547 

zu  Grunde  liegt,  auch  in  dem  Stammwort  loo  vorhanden.  Wir  haben  z.  B. 
xi-loo-eela^  co-loo-eela,  „Mitte  der  Nacht",  „Mitternacht";  loo-thöo,  „Mitte 
des  Körpers",  „Brust",  „Kumpf".  Noch  ein  dritter  Vogel  ist  in  dem 
mexikanischen  Kalender  der  Cronica  Franciscana  von  Guatemala  genannt, 
nämlich  tecolotl,   „der  Nachtvogel",    „die  Eule". 

Ganz  andere  Vorstellungen  ergeben  sich,  wie  ich  schon  in  meiner 
früheren  Arbeit  ausführte,  aus  der  Maya-Hieroglyphe.  Diese  zeigt  (vgl. 
Abb.  59,  oben  S.  537)  eine  Figur,  die  regelmässig  in  den  Handschriften  auf 
den  Krügen  angebracht  ist,  aus  denen  das  berauschende  Getränk,  der  Honig- 
wein, herausschäumt  (vgl.  Abb.  36b,  oben  S.  526),  und  die  nichts  anderes, 
als  eine  etwas  stylisirte  Form  des  yaca-metztli ,  des  halbmondförmigen 
Nasenschmuckes  der  Pulquegötter,  der  in  mexikanischen  Bilderschriften 
auf  Trinkgefässen  angebracht  wird,  zu  sein  scheint^).  Der  obere  Theil 
der  Hieroglyphe  zeigt  die  Streifung,  die  bei  Schlangen  angebracht  zu 
werden  pflegt,  und  scheint  die  Schlange  andeuten  zu  sollen,  die  nicht 
selten  den  Weinkrug  umwindend  gezeichnet  wird.  Auch  der  Name  cib 
passt  zu  dieser  Vorstellung,  denn  ci  ist  die  Magueypflanze  und  wird  auch 
zur  Bezeichnung  des  daraus  bereiteten  Pulque,  wie  jedes  anderen  be- 
rauschenden Getränkes,  verwendet.  Cib  dürfte  dann  mit  dem  Instru- 
mentalsuffix gebildet  sein  und  „was  zu  dem  Weine  dient"  bedeuten,  also 
entweder  den  Honig  oder,  richtiger  vielleicht,  die  narkotische  Wurzel,  die 
dem  gährenden  Getränk  zugesetzt  wurde.  Diesen  Zusatz  bezeichneten  die 
Mexikaner  mit  patli^  „Medizin",  wonach  der  Pulquegott  Pätecatl  genannt 
ward.  Eine  Verbindung  zwischen  diesen  Vorstellungen  und  dem  mexika- 
nischen Namen  des  Tageszeichens  (cozcaquauhtl%  „Geier")  ergibt  sich,  wie 
ich  ebenfalls  schon  in  meiner  früheren  Arbeit  andeutete,  aus  der  Vor- 
stellung des  Geiers,  des  kahlköpfigen,  als  Symbol  des  Alters,  denn  nur 
dem  Alter  war  in  Mexico  der  Genuss  des  Pulque,  des  berauschenden  Ge- 
tränkes, gestattet.  Es  scheint  nun,  als  ob  auch  der  zapotekische  Name 
dieses  Tageszeichens  in  den  Rahmen  dieser  Vorstellungen  sich  fügt,  denn 
loo^  loo-päa  heisst  die  Wurzel,  könnte  also  dem  pätU  der  Mexikaner,  dem 
Maya  cib,  d.  h.  der  Pulquewürze,  entsprechen.  Auch  in  unserer  Sprache 
besteht  ja  ein  unzweifelhafter  etymologischer  Zusammenhang  zwischen 
Wurzel  und  Würze.  Ja,  ich  meine,  der  Doppelsinn  der  zapotekischen 
Bezeichnung  ist  an  der  divergirenden  Darstellung  und  Benennung  des 
sechszehnten  Tageszeichens,  wie  sie  im  mexikanischen  und  Maya-Kalender 
vorliegen,  vielleicht  mehr  betheiligt,  als  der  Ideenzusammenhaug,  der  die 
Vorstellungen  von  Geier,  Kahlköpfigkeit,  Alter  und  Pulque  verknüpft. 
Irre  ich  nicht,  so  kommt  eine  divergirende  Darstellung  auch  in  der 
Maya-Hieroglyphe  dieses  Tageszeichens  direkt  zum  Ausdruck.     Denn  ge- 


1)  Vergl.  Veröffentlichungen  des  Königl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 
I.  S.  132,  133  und  Abb.  61,  62,  S.  169. 

35* 


548  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

legentlicli  finden  wir  als  Variante  derselben  die  Abb.  60  (oben  S.  537),  in  der 
der  auszeichnende  Bestaudtheil  nicht  das  Pulque-Symbol,  sondern  eine  Feder 
oder  vielleicht  direkt  der  Nachtvogel,  die  Eule,  ist  (vgl.  Abb.  63,  eine  der 
Hieroglyphen  der  Eule).  Das  würde  also  der  oben  augeführten  guate- 
maltekischen Benennung  dieses  Tageszeichens  entsprechen.  Auch  die 
Formen  der  Bücher  des  Chilam  Balam  (Abb.  61,  62)  scheinen  eine  Feder 
andeuten  oder  wiedergeben  zu  sollen. 

Das  siebenzelinte  Tageszeichen  heisst  im  zapotekischen  Kalender  ,roo. 
Das  entspricht  genau  dem  aztekischen  Namen  oZm,  Bewegung,  denn 
das  zapotekische  Wort  xoo  verbindet  mit  der  allgemeineren  Bedeutung 
„gewaltig",  „kräftig",  „gewaltsam"  die  besondere  „Erdbeben":  xöo^  wLvöom'y 
„temblor  de  tierra";  tixöo  laydo,  „temblar  la  tierra";  pitäo.wo,  „dios  de 
los  terremotos".  Und  bekanntlich  wird  in  mexikanischen  Bilderschriften 
historischen  Inhalts,  wie  in  den  Codices  Telleriano-Remensis  und  Vati- 
cauus  A,  das  Zeichen  olin,  —  allerdings  gewöhnlich  in  Yerbindung  mit 
den  braunen  und  schwarzen  punktirten  Streifen,  die  die  Erde  oder  den 
Acker  bedeuten,  —  allgemein  zur  Bezeichnung  eines  eintretenden  Erd- 
bebens verwendet,  wie  auch  das  Zeitwort  oUni  insbesondere  vom  Erd- 
beben gebraucht  wird:  „auh  in  tlalli  olini'-'-  (Olraos). 

Wenn  aber  dies  die  Grundbedeutung  des  olin  ist,  so  werden  wir  auch 
für  die  Hieroglyphe,  mit  der  in  den  Maya- Handschriften  das  sieb- 
zehnte Tageszeichen  bezeichnet  ist,  eine  ähnliche  Ausgangsvorstellung  ins 
Auge  zu  fassen  haben.  Und  in  der  That,  schon  der  Name,  den  das 
Tageszeichen  in  den  Kalendern  der  Maya-Stämme  führt,  weist  auf  diese 
Gruudvorstellung  hin.  Das  Tzental-Zo' tzil-W ort  chic  heisst  „sich  schütteln". 
Die  guatemaltekische  Bezeichnung  noh  heisst  „gross",  „gewaltig",  ent- 
sprechend der  Grundbedeutung  des  zapotekischen  xöo.  Der  Maya-Name 
cahan  heisst  „was  nach  unten  gebracht,  was  unten  ist",  s.  v.  a.  Erde, 
Welt.  Eine  noch  prägnantere  Bedeutung  hat  das  Stammwort  cab^  das  in 
Charencey's  Yokabular  mit  „terrain  volcanique"  übersetzt  ist,  also  „Erd- 
bebengebiet". Im  weiteren  Sinne  wird  es  auch  für  „Erde",  „Welt"  ge- 
braucht. Und  wenn  dasselbe  Stammwort  cab  ausserdem  noch  „Aus- 
scheidung" und  „Honig"  bedeutet  (^miel,  colmena,  ponzona  de  insecto, 
untuosidad  de  una  planta  o  fruta),  so  ist,  scheint  es,  der  Zwischenbegriff 
der  des  Abtropfens,  des  nach  unten  Tropfens. 

Die  Formen  der  Hieroglyphe  caban  (Abb.  64)  sind  sehr  überein- 
stimmend. Ihre  eigentliche  Bedeutung  aber  hatte  ich  in  meiner  früheren 
Arbeit  noch  nicht  erkannt.  Die  Hieroglyphe  enthält  ein  Element,  das  den 
charakteristischen  Bestaudtheil  der  Hieroglyphe  der  jungen  Göttin  bildet, 
der  vielleicht  der  von  dem  Priester  Hernandez  angegebene  Name 
Chibirias  oder  Ixchebelyax  zukommt.  In  der  Hieroglyphe  dieser  Göttin 
(Abb.  65,  (^Q)  ist  nun  deutlich  zu  sehen,  dass  das  Element,  das  die 
auszeichnenden  Bestandtheile    der  Hieroglyphe   caban    bildet,    einen  Theil 


8.   Zur  mexikanischen  Chronoloeie. 


549 


ffen 


des  dunklen  Haarschopfes  mit  den  lang  herabwallendeu.    peitschenarti 
Strähnen  darzustellen  bestimmt  ist,    die   der  ganzen  Figur  der  Göttin,  "wo 
sie  voll  gezeichnet  ist,  ein  so  charakteristisches  Ansehen  geben. \  Demnach 


werden  wir  die  Hieroglyphe  cahan  nur  als  eine  Abbreviatur  der  Hiero- 
glyphe dieser  Göttin  aufzufassen  haben,  und  kommen  also  wiederum  auf 
<lieselbe  Bedeutung  zurück,    die    ich   schon  aus  dem  zapotekischen  Worte 


550  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

u-oo  ableitete,  iiämlicli  auf  die  Erde.  Deiiu  die  Lvchebelya.r,  die  juiii^e 
Göttin,  ist  nur  eine  andere  Form  der  Erdgöttin,  die  der  alten  Erdmutter 
Ij:chel  in  ähnlicher  Weise  gegenübersteht,  wie  bei  den  Mexikanern  die 
Xochiqtietzal  der  Tonantzin.  Einen  schlagenden  Beweis  für  die  Kichtigkeit 
dieser  meiner  Auffassung  der  Hieroglyphe  cahan  sehe  ich  in  dem  Um- 
stände, dass  diese  Hieroglyphe  der  Hieroglyphe  men  (Abb.  57,  oben  S.  537) 
homolog  auftritt,  die,  wie  ich  oben  ausführte,  das  Bild  der  alten  Erds-öttin, 
der  Erdniutter,  der  Lvchel  oder  Tonantzin,  wiedergibt.  Vgl.  die  beiden 
Abb.  70  und  71,  die  Codex  Tro  9*a  für  die  herabfliegende  Biene  ge- 
braucht werden. 

Mit  dieser  Auffassung  des  Zeichens  cahan  stimmt  nun  endlich  auch 
sehr  gut  die  Rolle  überein,  die  wir  die  Hieroglyphe  cahan  in  den  Hiero- 
glyphengruppen der  31aya-Handschriften  spielen  sehen.  Dieses  Element 
bildet  nämlich  einen  wesentlichen  Bestandtheil  in  allen  Hieroglyphen,  die 
das  „unten"  oder  ^das  Herabkommen  aus  der  Höhe"  versinnbildlichen. 
So  in  der  Hieroglyphe  der  fünften  Eichtung  (Abb.  5  —  7,  oben  S.  523),  die  das 
Zentrum  bezeichnet;  in  der  Hieroglyphe  der  Biene  (Abb.  68—71),  des 
von  oben  herabschwebenden  Insekts;  in  der  Hieroglyphe  Abb:  74— 76,  die 
das  Ausgiessen  aus  dem  Kruge  oder  dem  Schlauche  veranschaulicht;  in 
der  Hieroglyphe  Abb.  77,  die  das  Fällen  des  Baumes  bezeichnet;  in 
der  aus  dem  Element  cahan  gebildeten  Schlange,  auf  der  im  Codex 
Dresden  30a  der  grüne  Chac,  der  Chac  der  fünften  Richtung,  her- 
niederfährt (vgl.  oben  S.  360,  Abb.  7).  Wenn  ich  in  meiner  früheren  Ab- 
handlung diese  ca^aw-Schlange,  wie  auch  die  Abb.  67,  die  in  der  Dresdener 
Handschrift  an  mehreren  Stellen  dem  Regengotte  Chac  als  Sitz  oder  Fuss- 
gestell  dient,  und  das  Element  cahan  überhaupt  als  den  himmlischen  Sitz 
bezeichnet  habe,  so  habe  ich  dabei  fälschlich  das  Herabkommen  aus  der 
Höhe  an  Stelle  des  Herabkommens  betont.  In  Wahrheit  ist  diese 
Figur,  gleich  der  Hieroglyphe  Abb.  58  (oben  S.  537),  die  an  anderen 
Stelleu  der  Dresdener  Handschrift  als  Sitz  des  Chac  fungirt,  als  das 
^ Unten",  als  die  Erde  zu  bezeichnen.  Das  Gresicht  der  alten  Erd- 
göttin liegt  ja  in  der  Abb.  58  klar  vor,  während  die  Figur  der  Hiero- 
glyphe cahan,  wie  ich  oben  anführte,  die  Frisur  der  Erdgöttin  zur  An- 
schauung bringt.  Ich  erwähne  noch  die  Abb.  72,  die  im  Codex  Tro  25 *b 
das  Bild  des  Tabak  rauchenden  Himmelsgottes  begleitet.  Xach  einer 
noch  heute  in  Yucatan  lebendigen  Anschauung  sind  die  Balam,  die 
Götter  der  vier  Himmelsrichtungen  oder  der  vier  Winde,  grosse  Raucher, 
und  die  Sternschnuppen  nichts  anderes,  als  die  brennenden  Stummel  der 
Riesenzigarren,  die  diese  Wesen  vom  Himmel  herniederwerfen.  Und 
wenn  es  blitzt  und  donnert,  so  schlagen  die  Balam  Feuer,  um  ihre 
Zigarren  anzuzünden^).     Die  Abb.  72    zeigt    das  Element  des  Steins  imd 

1)  Brinton,  Folklore  Journal,  Vol.  I. 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  551 

das  Element  des  HeraLkommens  aus  der  Höhe.  Der  bezeichnete  Yolks- 
ghiube  erklärt  daher  in  einfacher  Weise  diese  sonderbaren  Bilder  und  die 
Hieroglyphen,  die  diese  Bilder  begleiten.  An  einer  anderen  Stelle, 
Codex  Tro  26*  b,  ist  der  Raucher  im  Text  durch  die  Hieroglyphe  der 
Abb.  73  bezeichnet,  die  wohl  als  „der  Nächtliche"  (vgl.  die  Hieroglyphe 
akbal,  oben  S.  459)  zu  übersetzen  ist. 

Das  achtzehnte  Tageszeichen  führt  im  zapotekischen  Kalender  den 
Namen  opa  oder  gopa.  Das  ist  ohne  Zweifel  dasselbe  Wort  wie  copa^ 
„kalt",  „Kälte";  täca-cöpa,  tipee-cöpa,  frio  hacer,  tivöpa-ija,  „mir  ist  kalt". 
Diese  Bezeichnung  stimmt  zu  der  Bedeutung  des  Zeichens  im  mexikanischen 
Kalender  (tecpatl,  „Feuerstein")  und  zu  den  Bildern  der  Maya-Hiero- 
glyphe  (e'tznab),  die  ebenfalls  den  geschlagenen  Stein,  die  Feuersteinspitze 
zur  Anschauung  bringen.  Denn  die  Begriffe  „Stein",  „Spitze",  „Kälte" 
gehen  in  der  Vorstellung  und  in  den  Sprachen  der  Mexikaner  in  einander 
über.  Jtztlacoliuhqui,  der  Gott  des  Steins,  ist  zugleich  der  Gott  der  Kälte, 
der  Verblendung  und  der  Sünde. 

Der  zapotekische  Name  des  neunzehnten  Tageszeichens  ist  schwieriger 
zu  erklären.  Nach  Entfernung  der  Vorsilben  erhalten  wir  die  Formen 
ape,  appe,  aape,  §appe.  Das  glaubte  ich  früher  in  aa-pee  oder  caa-pee  auf- 
lösen zu  müssen,  indem  ich  es  als  „mit  Nebel  überzogen"  oder  „Wolken- 
bedeckung" deutete.  Ich  fand  einen  Anhalt  dazu  in  der  Form  der  Maya- 
Hieroglyphe  (Abb.  78,  S.  549),  die,  wie  ich  in  meiner  früheren  Arbeit 
nachgewiesen  habe,  eine  Abbreviatur  des  Kopfes  des  J/oaw- Vogels  (Abb.  46 
bis  48,  oben  S.  537)  enthält,  der  mythischen  Konzeption  des  muyal^  der 
Wolkeiibedeckung  des  Himmels.  Die  Maya-Namen  dieses  Tageszeichens 
cahogh^  caok,  cauac  geben  einen  andern  Begriff  an  die  Hand,  nämlich  den  von 
„Gewitter",  oder  geradezu  von  „Blitz  und  Donner",  —  ein  Begriff, 
der  in  der  That  mit  dem  des  mexikanischen  Zeichens  quiauitl  „Regen"  sich 
vollkommen  deckt,  denn  in  jenen  Gegenden  ist  fast  jeder  Regen  ein  Ge- 
witter. Der  zapotekische  Name  für  „Gewitter"  oder  „Blitz  und  Donner" 
ist  läha  quiepäa  quega  qwiepäa^  d.  h.  „Feuer  am  Himmel,  Wasser  am 
Himmel";  und  für  das  Zeitwort  „gewittern,  blitzen"  sagen  die  Zapotekeu 
ti-api-mca  ti-api-läa  „es  kommt  Wasser,  es  kommt  Feuer  herab".  Es  ist 
möglich,  dass  dieses  Zeitwort  api  „herabkommen"  in  der  zapotekischen 
Namensform  des  neunzehnten  Tageszeichens  enthalten  ist.  —  Noch  ein 
anderer  Name  dieses  Tageszeichens  wird  in  der  mexikanischen  Liste  des 
Franziskanerklosters  von  Guatemala  gegeben,  nämlich  ayotl  „Schildkröte". 
Das  erinnert  sehr  an  die  Rolle,  die  wir  die  Schildkröte  in  den  Maya- 
Handschriften  spielen  sehen.  Wir  sehen  sie  z.  B,  Codex  Cortes  17  a  als 
fliegende  (die  fliegende  Wolke?)  dargestellt  und  ihr  Bild  von  der  Hiero- 
glyphengruppe Abb.  79  begleitet,  die  in  ihrem  ersteren  Theile  oben  das 
Element  des  Fliegens  und  darunter  das  Element  cauac  enthält.  Anderen 
Orts    sehen  wir  die  Schildkröte  in  dem  Wasserstrahl,    neben  dem  Frosch, 


552  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hierogljphen-Entzifferung. 

vou  oben  herunterkommen,  oder  mit  aufgesperrtem  Rachen  an  dem 
Himmelsschilde  hängen^).  Vielleicht  wurde  die  Schildkröte,  deren  Panzer 
ganz  allgemein  als  Musikinstrument,  als  Pauke  verwendet  wurde,  auch  als 
Ausdruck  des  Getöses,  das  das  Gewitter  macht,  des  Donners,  d.h.  als  die 
himmlische  Pauke,  betrachtet. 

Wenn  aber  die  zapotekische  Benennung  des  neunzehnten  Tages- 
zoichens  nur  mit  einem  gewissen  Fragezeichen  den  Namen  der  anderen 
Kalender  anzureihen  ist,  so  bietet  andererseits  die  zapotekische  Sprache 
den  einzigen  und  direkten  Anhalt  zur  Erklärung  der  Rolle,  die  wir 
die  Hieroglyphe  cauac  in  den  Maya-Handschriften  spielen  sehen.  Wir 
finden  nämlicli  einerseits  allerdings  Verwendungen,  die  dem  Begriff  Wolke 
oder  Regen  nahe  liegen.  So  die  Hieroglyphe  Abb.  80  (S.  549),  die  Begleit- 
hieroglyjihe  der  Abb.  46  (S.  537),  d.  h.  des  Vogels  Moan.  Sodann  die  Abb.  28 
(oben  S.  526),  die  Begleithieroglyphe  des  Namens  Kinchahau,  die  ausser  cauac 
noch  das  Element  des  Feuers  und  das  des  Wurf  bretts  enthält,  wobei  man  also 
an  den  aus  der  Wolke  zuckenden  Strahl  denken  kann.  Vorwiegend  aber 
wird  die  Hieroglyphe  cauac  einfach  in  der  Bedeutung  „Stein"  oder  „Ge- 
wicht" gebraucht.  Das  zeigt  sich  am  auffälligsten  in  den  Thierf allen,  die 
im  Codex  Tro  9a  und  22 *a  abgebildet  sind,  wo  die  der  Balkenlage  auf- 
gelegten beschwerenden  Steine  mit  den  Elementen  der  Hieroglyphe  cauac 
beschrieben  sind.  Aber  dieselbe  Erklärung  müssen  wir  auch  annehmen, 
wenn  wir  den  Pyramidenuuterbau  der  Tempel  mit  den  Elementen  des 
Zeichens  cauac  bedeckt  finden.  Und  wenn  im  Codex  Tro  J5*a  dem,  einen 
Baum  fällenden  Chac  der  Todesgott  gegenübergestellt  ist,  einen  Baum 
fällend,  der  mit  den  Elementen  des  Zeichens  cauac  bedeckt  ist,  so  ist  hier 
wohl  eben  dem  Todesgott  als  starrer  Stein  untergeschoben,  was  bei  Chac 
ein  sprossender  Baum  ist.  Die  zahlreichen  Fälle,  wo  die  Hieroglyphe 
cauac  als  Sitz  oder  Fussgestell  der  Götter  dient,  sind  theilweise  wohl  als 
Wolken  zu  deuten,  in  den  meisten  Fällen  aber  unzweifelhaft  als  Stein, 
homolog  der  Hieroglyphe  caban  und  dem  Elemente  tun,  „Stein",  selbst 
(Abb.  85,  S.  549),  die  man  beide  ebenso  häufig  als  Sitz  und  Fussgestell 
der  Götter  gezeichnet  findet.  Ebenso  zweifellos  ist  in  der  Hieroglyphe 
Abb.  84,  durch  die  das  Tragen  einer  Last  auf  dem  Rücken  bezeichnet 
wird,  das  Element  cauac  einfach  als  der  Ausdruck  des  Beschwerenden, 
der  Last  aufzufassen.  In  den  sonderbaren  Fällen,  wo  wir  die  Götter  ein 
mit  den  Elementen  des  Zeichens  cauac  versehenes  Brett  in  der  Hand 
halten  sehen,  oder  wo  vor  den  Göttern  ein  mit  einem  geflochtenen  Griff' 
versehenes  Brett  gezeichnet  ist,   dessen  Fläche    mit    den  Elementen  cauac 


1)  Eine  ähnliche  Rolle  spielt  die  Schildkröte  auch  bei  den  nördlichen  Indianern. 
Catlin  erfuhr  bei  den  Mandan:  „There  were  four  tortoises,  one  in  the  North, 
one  in  the  East,  one  in  the  South  and  one  in  the  West.  Each  one  of  these 
rained  ten  days  and  the  water  covered  the  earth"  (lUustr.  Mann.  Cust.  N.  Am. 
Indians,  I.  p.  181). 


8.    Zur  mexikanischen  Chronologie.  553 

bedeckt  ist,  scheint  es  sich  um  Klangplatteu  zu  liandeln.  Denn  die  bei- 
gesetzten Hieroglyphen  scheinen  Musik  zu  bedeuten.  Endlich  finden 
sich  auch  direkte  Homologien  zwischen  dem  Elemente  cauac  und  dem 
Elemente  tun.  So  in  der  Hieroglyphe  des  Jagdgottes  Abb.  83  (S.  549),  dessen 
auszeichnendes  Kennzeichen  zu  sein  pflegt,  dass  er  in  der  Stirnbinde  ein 
Auge  oder  das  Element  tun  (d.  h.  einen  Edelstein)  trägt.  Die  Hiero- 
glyphe dieses  Gottes  wird  nämlich  bald  in  Gestalt  der  Abb.  81,  bald  in 
der  der  Abb.  82  geschrieben.  Und  das  hier  das  Element,  das  in  Abb.  82 
dem  Element  cauac  sich  unterschiebt,  in  der  That  als  tun  oder  „Stein'% 
„Edelstein"  aufzufassen  ist,  das  ergibt  sich  einerseits  aus  der  Verwendung 
als  Edelstein  im  Kopfschmuck  (tun^  „piedra,  piedra  preciosa"),  anderer- 
seits aus  der  als  Basis  für  den  Pfahl,  auf  dem  der  f/wa^aj/ai-Dämon,  in 
den  xma  kaba  kin  aufgesteckt  wird  (Codex  Dresden  25  c;  vgl.  oben  S.  368 
V»is  371).  Xuu  kann  man  ja  allerdings  an  sich  schon  mit  einer  gewissen 
Sicherheit  einen  begrifflichen  Zusammenhang  zwischen  Wolken,  Regen, 
Stein  konstruiren,  denn  in  jenen  Gegenden  ist  jeder  Regen  ein  Gewitter. 
Immerhin  aber  wird  man  es  begreiflich  finden,  dass  mir  ein  ganzer  Bann 
von  Zweifehl  gelöst  ward,  als  ich  im  Verlaufe  meiner  zapotekischen  Studien 
darauf  stiess,  dass  im  Zapotekischen  für  „Regen"  und  „Stein"  genau  das- 
selbe Wort,  nämlich  quia^  quie,  gebraucht  wird. 

Für  das  letzte  Tageszeichen  finden  wir  im  zapotekischen  Kalender 
den  Namen  läo  oder  loo,  und  das  bedeutet  „Auge",  „Gesicht",  „Vorder- 
seite". Das  stimmt  nun  wieder  nicht  direkt  zum  mexikanischen  xochitl, 
„Blume",  wohl  aber  zu  der  Form  der  Maya-Hieroglyphe  (Abb.  86,  87,  oben 
S.  549),  die  ohne  Zweifel  ein  Gesicht  darstellt.  Auch  der  Name  des  Maya- 
Zeichens  ahau,  „Führer",  fügt  sich  dem  an.  Die  Verbindung  zwischen 
dt'U  beiden  Bezeichnungen  liegt  darin,  dass  in  dem  in  fünfgliedrige  Säulen 
geordneten  Tonalamatl  der  Tag  ce  xochitl  „eins  Blume"  der  Anfang  des 
vierten  Tonalamatl-\ ievtei^,  also  der  Region  des  Südens,  ist  und  deshalb 
t'in  Name  für  die  in  jener  Weltgegend  mächtigen  Gottheit,  die  Sonne, 
geworden  ist. 

Dass  das  Zapotekenland  dasjenige  Gebiet  war,  durch  welches  vor- 
zugsweise der  Austausch  der  Kulturein  Wirkungen  von  dem  mexikanischen 
Gebiet  nach  dem  der  Maya-Stämme  und  umgekehrt  sich  vollzog,  ist  aus 
der  Lage  desselben  begreiflich  und  auch  historisch  bezeugt.  Wenn  also 
die  olien  angestellten  Untersuchungeu  über  die  Bedeutung  der  zapotekischen 
Tageszeichen  bei  verschiedenen  von  ihnen  ergeben  haben,  dass  die  zapote- 
kischen Benennungen  für  anscheinend  unvereinbare  Verschiedenheiten  in  der 
mexikanischen  und  der  Maya-Benennung  und  Bezeichnung  ein  Mittelglied 
abgeben,  so  wird  man  das  nur  verständlich  finden.  Vielleicht  müssen  wir 
aber  noch  weiter  gehen.  Vielleicht  ist  das  Zapotekenland  das  Land  ge- 
wesen, in  dem,  oder  in  dessen  Nähe,  dasjenige,  was  in  der  Wissenschaft 
der  mexikanischen  und  der  mittelamerikauischen  Stämme    den    breitesten 


554  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entziffernnp. 

Raum  einnimmt,  der  Kalender,  das  Tonalaviatl,  seineu  Ursprung  gehabt 
hat.  Thatsächlich  seheint  bei  kaum  einem  anderen  der  verschiedenen 
Stämme  der  Kalender  und  die  damit  verknüpfte  Schicksalsbestiramung  so 
sehr  alle  Verhältnisse  beherrscht  zu  haben,  ^vie  bei  den  Zapoteken  und 
den  ihnen  verwandten  Stämmen,  den  Mixteken  u.  a.  Mit  grösserer 
Sicherheit  wird  man  sich  über  diesen  Punkt  allerdings  erst  dann  aus- 
sprechen können,  wenn  wir  über  die  alten  Verhältnisse  der  atlantischen 
Küste  und  des  Isthmusgebiets,  und  den  Verlauf  der  alten  Handelswege, 
die  aus  dem  mexikanischen  Gebiet  nach  den  Maya-Ländern  und  den 
Küsten  der  beiden  Meere  führten,  genauer  unterrichtet  sein  werden. 


9.    Some  remarks  on  Prof.  Cyrus  Thomas'  brief  study  of  the  Palenque  tablet.      555 


9. 

Some  remarks  on  Prof.  Cynis  Thomas'  brief  study  of 
the  Palenque  tablet. 

Science  Vol.  XX.   No.  493.   New  York.    15.  July  1892. 


In  Science,  No.  488,  Professor  Cyrus  Thomas  stated  tliat  ,,tlie  par- 
ticular  manner  of  reckoning  the  days  of  the  month"  —  or  more  precisely, 
the  exact  designatioii  of  a  date  by  the  sign  of  the  day  and  the  position  it 
holds  in  the  number  of  twenty  days  (uinal)  that  people  are  in  the  habit 
of  calling  a  Maya  month  —  as  it  is  found  not  only  „in  some  of  the  series 
of  the  Dresden  Codex",  but  throughout  the  whole  of  it,  is  also  found  on 
the  Palenque  tablet.  This  statement  undoubtedly  is  a  correet  oue.  But 
Professor  Thomas,  following  Professor  Förstemann,  asserts  that  the 
„peculiarity  of  this  method  is  that  the  day  of  the  month  is  counted  not 
from  the  first  of  the  given  month,  but  froni  the  last  of  the  preeeding 
month;  thus  the  fifteenth  day  of  Pop,  beginning  the  count  with  the  first, 
will,  according  to  this  method,  be  numbered  16."  \  If  it  were  really  so, 
this  method  of  reckoning  the  days  of  the  month  would  be  a  very  curious 
one,  and  hardly  to  be  understood.  Professor  Förstemann  based  this 
assertion  on  the  supposition  that  the  calendar  system  of  the  Dresden  Codex 
is  the  same  as  that  which  prevailed  in  Yucatan  at  the  time  of  Bishop 
L  an  da 's  writing.  In  vol.  XXIII,  of  the  Zeitschrift  für  Ethnologie,  published 
by  the  Berlin  Anthropological  Society,  in  a  paper  entitled  „Zur  mexika- 
nischen Chronologie,  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  zapotekischen 
Kalenders,"  I  have  shown  that  the  priests  who  wrote  down  the  Dresden 
Codex  did  not  begin  their  years  with  the  days  kan,  muluc,  ix,  cauac,  as  in 
Landa's  time,  but  with  the  days  been,  itznab,  okhal,  lamat,  exactly  cor- 
responding  to  the  acatl,  tecpatl,  calli,  tochtli  (cane,  flint,  house,  rabbit),  the 
signs  used  by  the  Mexicans  to  designate  their  respective  years.  Beginning 
the  years  in  this  manner,  the  day  4  ahau,  8  cumku  is  really  the  eighth 
day  of  the  month  cumku  in  the  been,  or  „cane",  years.  The  day  9  kan 
12  kayab  is  really  the  twelfth  day  of  the  month  kayab  in  the  same  been, 
or  „cane,"  years;  and  thus  with  all  the  other  dates  throughout  the  whole 
Dresden  Codex. 


556  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

The  evideiice  derivecl  from  the  fact  that  tlie  same  method  of  number- 
ing  the  days  of  tlie  month,  that  is  to  say,  the  same  method  of  begimiiug- 
the  years,  is  also  found  in  the  Palenque  tablet,  leads  —  I  agree  with  Pro- 
fessor Thomas  —  to  the  inference  „that  there  were  intimate  relations 
betweeu  the  people  of  this  city  and  those  where  the  Dresden  Codex  was 
Tvritten,  and  that  there  is  no  very  great  difPerence  in  the  ages  of  the  two 
documents."  On  the  other  side,  it  is  proved  by  my  Statements  that  in 
this  peculiarity  both  the  Dresden  Codex  and  the  Palenque  tablet  differ 
from  the  Codex  Troano-Cortes.  For  in  the  latter  document  the  beginning 
of  the  years  is  in  the  days  kan^  muluc,  ir,  cauac.  This  is  proved  by 
Codex  Troano  23—20,  when  eompared  with  the  Dresden  Codex  -25 — 28. 
From  this,  and  the  general  character  of  the  Codex  Troano-Cortes,  we  may 
safely  infer  that  this  manuscript  is  of  a  later  date  than  the  Dresden  Codex, 
and,  perhaps,  of  a  somewhat  different  locality. 


10.   On  Maya  Chronology.  557 


10. 
On  Maya  Chronology. 

Science  Vol.  XX.   No.  49G.    New  York.   5.  August  1892. 


In  a  former  communication,  answering  Professor  Cyrus  Thomas's 
„Brief  Study  of  the  Palenqiie  Tablet,"  I  stated  that  the  theory  brought 
forward  by  Professor  Förstern ann,  that  the  Dresden  Codex  does  not 
count  the  days  from  the  fii'st  of  the  given  month  but  from  the  last  of  the 
preceding  month,  is  to  be  put  aside.  Professor  Förstemann's  theory  is 
based  on  the  supposition  that  the  calendar  System  of  the  Dresden  Codex 
was  the  same  as  that  which  prevailed  in  Yucatan  at  the  time  of  Bishop 
Landa's  wi'iting.  This  supposition,  however,  is  an  erroneous  one.  In  the 
„Zeitschrift  für  Ethnologie",  Vol.  XXIII.,  I  have  shown  that  the  priests 
who  wrote  down  the  Dresden  Codex  did  not  begin  their  years  with  the 
signs  kan,  muluc,  ix,  cauac,  as  in  Landa's  time,  but  with  the  signs  been^ 
etznab,  akbal,  lamat,  exactly  corresponding  to  the  signs  used  by  the 
Mexicans  to  designate  their  respective  years.  Beginning  the  years  in  this 
nianner,  the  day  4  ahau,  8  cumku,  is  really  the  eighth  day  of  the  month 
cumku  in  the  been  or  „cane"  years,  and  conformingly  all  the  other  dates 
throughout  the  whole  Dresden  Codex. 

I  wish  to  call  attention  to  a  passage  of  the  Chilam  Balam  of  Mani 
which  seems  to  confirm  my  opinion.  It  is  said  there  (Brinton,  Maya 
Chronicles,  p.  98):  „In  the  Katun,  13  Ahau,  Alipula  died.  It  was  in  the 
course  of  the  sixth  year  before  the  ending  of  the  katun,  as  the  countiug 
of  the  years  was  in  the  east,  and  (the  year)  4  Kan  seated  upon  the  throne, 
on  the  18 th  day  of  (the  month)  Zip,  on  the  day  9  Imix,  Ahpula  died''. 
Now  it  occurs  only  when  beginning  the  count  with  the  first  day  of  the 
month,  that  a  day  9  Imix  is  the  18  th  day  of  the  month.  Zip.  And,  indeed, 
in  the  year  that  begins  with  the  day  4  Kan,  the  day  9  Imix  is  the  18tli 
day  of  the  month  Zip  —  beginning  the  count  with  the  first. 

Here,  therefore,  we  have  the  same  designation  of  a  date  by  the  sign 
of  the  day  and  the  position  it  holds  in  the  number  of  twenty,  or  a  Maya 
month,  as  in  the  Dresden  Codex.  It  seems  scarcely  probable  that  the 
natural  manner  of  counting  seen  in  the  passage  of  the  Chilam  Balam, 
quoted  above,  should  be  replaced  in  the  Dresden  Codex  by  another  and 
wholly  unintelligible  one. 


558  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifl'erung. 


11. 

Ein  neuer  Versncli  zur  Entzifferung  der  Mayaschrift. 

Globus,  Bd.  62  (1892).    S.  59-61. 


In  der  Nummer  vom  27.  Mai  1892  der  Science  tlieilt  Professor  Cyrus 
Thomas  Tom  Bureau  of  Ethuology  in  Washington  mit,  dass  er  den  Schlüssel 
zur  Entzifferung  der  Mayaschrift  „endlich  glücklich  entdeckt"  habe.  Welcher 
Art  der  Schlüssel  sei,  darüber  macht  er  nur  kurze  Andeutungen.  Es  müsse 
Ton  links  nach  rechts  und  von  oben  nach  unten  gelesen  werden,  und  zwar 
so  nicht  nur  die  aufeinander  folgenden  Zeichen,  sondern  auch  die  einzelnen 
Elemente  desselben  Zeichens.  Obwohl  es  eine  Anzahl  „konventionelle 
Symbole"  gebe,  sei  doch  die  Mehrzahl  der  Hierogly])hen  in  wahrem  Sinne 
phonetisch  konstituirt.  Die  Landa'schen  Angaben  über  die  Mayaschrift 
seien  im  Wesentlichen  als  zutreffend  zu  bezeichnen.  Er  habe  in  dieser 
Weise  schon  die  Bedeutung  von  ein  paar  Dutzend  Zeichen  herausbekommen 
und  in  mehreren  Fällen  den  allgemeinen  Inhalt  einer  Gruppe  von  Zeichen, 
die  einen  Satz  bilden,  feststellen  können.  Er  sei  jetzt  dabei,  Proben  seiner 
Interpretationen  und  Erklärungen  zusammenzustellen,  und  sie  den  dortigen 
leitenden  Archäologen  und  Sprachgelehrten  vorzulegen. 

Es  ist  aus  diesen  kurzen  Andeutungen  nicht  recht  zu  entnehmen,  was 
Cyrus  Thomas  denn  nun  Neues  zu  der  Sache  hinzugebracht  hat.  Denn 
von  dem  Landa'schen  Alphabet  sind  auch  Brasseur  de  Bourbourg, 
de  Rosny  und  Le  Plongeon  ausgegangen,  deren  Entzifferungsversuche 
bekanntlich  bei  dem  einen  nicht  sehr  weit  gediehen,  bei  den  anderen  zum 
Theil  sehr  merkwürdig  ausfielen.  Landa's  Alphabet  ist  gewiss  keine 
blosse  „Erfindung".  Zweifellos  besitzen  seine  Zeichen  einen  gewissen 
Lautwerth.  Z.  B.  ist  sein  erstes  a  der  Kopf  der  Schildkröte  {aac)^  der 
deutlicher  in  einer  Hieroglyphe  zu  sehen  ist,  die  Codex  Cortes  17a  neben 
dem  Bilde  der  fliegenden  (schwimmenden)  Schildkröte  angegeben  ist. 
Landa's  erstes  \t  scheint  von  dem  Lautwerth  uin  abgeleitet  zu  sein. 
Denn  dieses  Zeichen,  das  eigentlich  einen  geöffneten  Rachen  darstellt, 
tritt,  wie  ich  nachgewiesen  habe^),    gleichwerthig    einem  anderen  Zeichen 


1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XX  (1888),  S.  9.    Vgl.  oben  S.  416. 


11.   Ein  neuer  Versuch  zur  Entzifferung  der  Mayaschrift. 


559 


auf  {uinal  =  20),  das  thatsächlich  diesen  Lautwerth  besitzt.  Landa's 
zweites  u  aber  bringt  zweifellos  die  Silbe  uuk  „trinken"  in  Erinnerung, 
da  es  ein  konventionelles  Symbol  für  Honigwein  ist.  Landa  gibt  nun 
aber  an,  dass  diese  Zeichen  einzelne  Laute,  die  er  unserm  ABC  koordinirt, 
repräsentirt  hätten,  und  dass  aus  ihnen  die  Silben  der  Sprache  in  der  Art 
unserer  Buchstabenschrift  zusammengestellt  worden  seien.  Es  ist  sehr 
wohl  glaublich,  dass  zu  Landa's  Zeit  in  Yucatan  so  geschrieben  worden 
ist.  Denn  ähnliches  sehen  wir  in  Mexico.  Auch  dort  tritt  in  spanischer 
Zeit  in  gewissen  Dokumenten  das  Bestreben  hervor,  die  hieroglyphischen 
Elemente  in  ihrem  BegrifPsumfange  zu  reduziren,  sie  den  einen  Einzellaut 
repräsentirendeu  Buchstaben  der  Spanier  ähnlich  zu  machen.  Ein  Beleg 
dafür  sind  der  zu  der  Boturini-Aubin'schen  Sammlung  gehörige  Codex 
Vergara  vom  Jahre  1539  und  die  hieroglyphischen  Paternoster  und 
Katechismen.  In  ihnen  werden  z.  B.  der  Topf  {com-itV)  und  die  Fahne 
(pan-tli),    die  in  alter,    echter  Bilderschrift  jederzeit  mit  dem  Silbenwerth 


Abb.  3. 


•    >.  ♦ 


Abb.  1. 


Abb.  4 


con  und  pan  auftreten,  zum  Ausdruck  von  co  und  pa  verwendet.  Der 
Dorn,  der  in  alter  Zeit  den  Begriff  und  die  Silbe  fo  „stechen"  ver- 
anschaulichte, wird  für  das  einfache  f  (z)  gebraucht,  u.  a.  m.  Dies  Ver- 
fahren ist  aber  der  alten  hieroglyphischen  Schrift  fremd.  Und  so  ist  es 
mir,  nach  dem  ganzen  Charakter  der  Mayatexte  und  der  Gruppirung  der 
Zeichen  in  ihnen  wenig  glaublich,  dass  in  alter  Zeit  in  der  von 
Landa  angegebenen  Weise  geschrieben  worden  sei. 

Der  Schlüssel,  den  Cyrus  Thomas  anbietet,  scheint  nun  aber  doch 
auf  dieser  Voraussetzung  zu  beruhen.  So  muss  man  wenigstens  nach  dem 
einen  Beispiel,  das  er  als  „one  result  of  this  discovery"  angibt,  urtheilen. 
Es  betrifft  die  beistehende  Abb.  1,  die  im  Codex  Cortes  32  rechts  unten 
unter  einer  Gruppe  von  dreimal  zwei  Hieroglyphen  gezeichnet  ist.  Hier 
stehe,  gibt  er  an,  die  Schlange  auf  dem  Zeichen  cab  „Erde",  und  die 
Zeichen,  die  die  menschliche  Figur,  die  aus  dem  geöffneten  Rachen  der 
Schlange  hervorsieht,  auf  der  Hand  halte,  seien  „a  Compound  symbol"  für 
1/ebj  yeebj  was  „Nebel,  Thau,  Feuchtigkeit"   bedeute.     Das  Kreuz    in    dem 


560  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Auge  des  Meiischengesichts  und  die  Schlange  seien  beide  Symbol  für 
Kegen  oder  Feuchtigkeit.  Und  somit  stimme  die  ganze  Figur  zu  der 
Bedeutung,  die  er  für  das  auf  der  Hand  gehaltene  Symbol  {yeb  uud  yeeb) 
gegeben  habe. 

Hier  ist  zunächst  richtig,  dass  das  unterste  Zeichen  (auf  dem  die 
Schlange  steht),  und  das  eine  Vergrösserung  des  17.  Tageszeichens  der 
Maya  {caban)  darstellt,  als  Ausdruck  für  cab  „Erde"  genommen  werden 
muss.  Das  habe  ich  im  vorigen  Jahre  in  meiner  Abhandlung  „zur 
mexikanischen  Chronologie"  festgestellt  und  näher  begründet^).  In  ge- 
wisser Weise  richtig  ist  auch,  dass  die  Schlange  als  Symbol  für  Regen 
gelte.  Genauer  freilich  bezeichnet  sie  nicht  den  Regen  selbst,  sondern 
die  Wolke,  die  den  Regen,  das  Wasser,  in  ihrem  Schosse  birgt.  Das 
Kreuz  aber  ist  richtiger  als  Symbol  der  vier  Windrichtungen  oder  des 
Himmels  zu  bezeichnen,  wird  aber  auch  in  anderem  Sinne,  z.  B.  zum 
Ausdruck  einer  Verbindung,  und  auch  als  Todessymbol,  gebraucht. 

Wenn  Cyrus  Thomas  das  zusammengesetzte  Zeichen,  das  die  aus 
dem  Rachen  der  Schlange  hervorschauende  menschliche  Figur  auf  der 
Hand  hält,  als  yeb  oder  yeeb  liest,  so  nimmt  er  augenscheinlich  an,  dass 
das  obere  Zeichen,  welches  in  den  Monatsnamen  yax  und  yaxkin  vorkonmit, 
den  Lautwerth  y  habe,  während  das  untere  dem  zweiten  b  des  Landa'schen 
Alphabets  entsprechen  würde.  Hier  habe  ich  zunächst  einzuwenden:  Ist 
es  denn  richtig,  dass  yeeb  „Feuchtigkeit"  bedeutet?  In  dem  Diccionario 
von  Pio  Perez  finde  ich  yeb-ha  mit  der  Bedeutung  „feiner  Regen"  ange- 
geben. Hier  kommt  aber  der  Begriff  „Regen"  oder  „Feuchtigkeit"  nur 
durch  das  Wort  ha  „Wasser"  zum  Ausdruck,  während  yeb  (oder  eb). 
Plural  von  ye  (oder  e)  s.  v.  a.  „Spitzeureihe,  Treppe,  Zahnreihe",  vielleicht 
auch  „Besen"  bedeutet,  aber  mit  Feuchtigkeit  und  Nebel  an  sich  nichts 
zu  thun  hat.  Ich  selbst  habe  für  die  iu  Rede  stehende  Hieroglyphen- 
gruppe vor  Jahr  und  Tag  eine  andere  Deutung  gegeben").  Ich  habe  ur- 
sprünglich an  Honig  (cah)  gedacht,  später  aber  ist  es  mir  wahrscheinlicher 
geworden,  dass  die  Gruppe  ein  Feueropfer  (Kautschuk  und  Kopal,  oder  Holz 
und  Kopal)  bezeichnet.  Ich  kam  dazu,  weil  ich  dem  unteren  Element  den 
Lautwertli  ka7i  „gelb"  zuschreiben  muss.  Dieselbe  Gruppe  kommt,  unten  mit 
einer  Wirbelzeichnung  (d.  h.  Feuer)  versehen  (vgl.  Abb.  4),  im  Codex 
Dresden  29,  30  neben  Speisedarbringungen  (Truthahn,  Stacheleidechse,  Fisch) 
vor  und  ist  dort  der  Hieroglyphe  Abb.  2  äquivalent;  die  einen  Hund  oder  eine 
Iguana  auf  einem  Maiskorn  in  einer  Schüssel  zeigt.  Im  Codex  Dresden  27  b 
endlich  sehen  wir  diese  Gruppe  auf  einer  flachen  Schüssel  (Abb.  5)  als  Dar- 
bringung vor  Itzamnd,  dem  Regenten  des  Westens.  Und  auch  hier  ist  diese 
Gruppe  der  Hieroglyphe  Abb.  3  gesellt,  die  mir  ebenfalls  einen  Hund  oder  eine/'' 


1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXIII  (18;»1),  S.  129,  loO.    Vgl.  oben  S.  548—550. 

2)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXIII  (1891),  S.  108,  109.    Vgl.  oben  S.  527. 


11.    Ein  neuer  Versuch  zur  Entzifferung  der  Mayaschrift.  ^61 

Iguana  darzustellen  scheint.  Die  Darbringungen,  die  auf  den  Blättern  25—28 
der  Dresdener  Handschriften  vor  den  Regenten  der  vier  Richtungen  und 
der  vier  Jahre  angegeben  sind,  entsprechen  genau  dem  Charakter  der 
Gottheit,  bezw.  der  Natur  des  Jahres.  Die  fruchtbaren,  regenreichen  heen- 
Jahre  sind  durch  den  Wassergott  bezeichnet,  den  Gott  mit  der  hervor- 
stehenden Tapirnase.  Vor  ilun  stehen  als  Darbringungen  ein  keimendes 
Maiskorn,  und  darunter  Maiskörner  auf  eiuer  Schüssel.  Die  brennenden 
dürren  etznab-iohve  zeigen  Kinchahau^  den  Sonnen-  und  Schlachtengott. 
Vor  ihm  sehen  wir  als  Darbringung  die  Hieroglyphe  des  Maiskorns, 
einem  Element  gesellt,  das  „roth"  (und  wohl  auch  brennend)  be- 
zeichnet. Und  darunter  auf  einer  Schüssel  zahlreiche  (mit  der  Ziffer  7 
versehene)  ausgerissene  Menschenherzen.  In  den  bösen,  unheilvollen  lamat- 
Jahren  herrscht  der  Todesgott.  Vor  ihm  sehen  wir  oben  offene  Thier- 
mäuler  (Insektenfrass?  Heuschrecken?)  und  darunter  verkohlte  Maiskörner. 
In  den  aÄ6a/-Jahren  endlich  herrscht  Itzamnd^  der  alte  Feuergott,  der 
Herr  des  Lebens.  Ihm  wäre  sowohl  der  Hund,  wie  das  Feueropfer  eine 
durchaus  angemessene  Darbringung. 

In  einem  Punkte  endlich  beruhen  die  thatsächlichen  Angaben,  die 
Cyrus  Thomas  in  seiner  Ankündigung  macht,  auf  offenbar  falscher 
Voraussetzung.  Er  führt  an,  dass  unter  anderen  bei  seinen  Untersuchungen 
sich  ergeben  habe,  dass  das  von  Landa  angegebene  Zeichen  für  die 
Aspiration  wirklich  als  solches  zu  gelten  habe.  Nun  hat  aber  Landa 
dieses  Zeichen  gar  nicht  aufgestellt,  sondern  dasselbe  ist  von  Brasseur 
de  Bourbourg  willkürlich  hineingebracht  worden,  der  auch  ver- 
schiedene Varianten  willkürlich  hinzugefügt  hat. 

Herr  Cyrus  Thomas  ist  ein  ernsthafter  Forscher.  Seine  Versuche 
sind  gewiss  mit  anderem  Auge  zu  betrachten,  als  die  bekannter  anderer 
Gelehrter,  die  vor  ihm  auf  ähnlichen  Wegen  demselben  Ziele  zustrebten. 
Immerhin  wird  man  gut  thun,  seiner  Ankündigung,  so  bestimmt  sie  aucli 
lautet,  nicht  ohne  Weiteres  Glauben  zu  schenken,  sondern  nähere  Nach- 
richten abzuwarten. 


Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  3G 


562  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


12. 

Does  there  really  exist  a  phonetic  key  to  the  Maya- 
Hierogl}i)hic  writing? 

Science  Vol.  XX.   No.  499.    New  York.   26.  August  1892. 


In  No.  494  of  this  Journal  Professor  Cyrus  Thomas  attempts  to  give 
a  key  for  the  Interpretation  of  the  Maya  hieroglyphie  writing,  taking  as  a 
guido  and  starting-point  Bishop  Landa's  well-known  aiphabet.  It  is  not 
for  the  first  time  that  in  this  way  an  Interpretation  of  the  Maya  Codices  lias 
been  attempted;  but  as  yet  most  seientists  were  of  the  opinion  that  these 
attempts  failed  to  give  a  satisfactory  result. 

The  hieroglyphs  given  as  letter  symbols  by  Bishop  Landa  without 
doubt  possessed  a  certain  phonetic  value.  For  instance,  Landa's  first  a 
(Fig.  1)  is  the  head  of  the  turtle,  aac^  represented  by  a  quite  similar 
hieroglyph  (Fig.  2)  in  Codex  Cortes  17a.  Landa's  cu  (Fig.  3)  is  the 
same  hieroglyph  as  that  of  the  day  cauac,  and  conveys  the  ideas  of  the 
cloud  and  of  heavy  things,  as,  for  instance,  a  stone.  It  is  an  essential 
element  of  the  hieroglyph  (Fig.  4)  which  expresses  the  idea  of  carrying 
a  load  ou  the  back,  euch.  Landa's  ku  (Fig.  5)  is  the  hieroglyph  of 
the  bird  named  y,qtietzal"'  by  the  Aztecs  and  kukul  by  the  Mayas.  The 
sign  of  this  bird  (Fig.  6)  is  seen  in  Dresden  16c  and  Troano  lT*b. 
Landa's  o  (Fig.  7)  seems  to  exhibit  the  characteristic  elements  of  the 
hieroglyph  of  the  great  red  macaw,  mo,  as  seen  in  Dresden  16  c  (Fig.  8). 
Landa's  first  u  (Fig.  9)  is  a  well-known  hieroglyphie  element,  exhibit- 
ing  on  the  Copan  steles  the  forms  shown  in  Fig.  10,  and  undoubtedly 
conveying  the  idea  of  a  face,  mch,  perhaps  of  a  bird.  The  same  hiero- 
glyphie element  frequently  occurs  on  the  neck  of  the  food  dishes  and 
drinking  cups  (Fig.  11),  probably  on  account  of  the  face  with  which  the 
Indians  used  to  ornament  that  part,  Landa's  second  u  (Fig.  12),  a 
hieroglyphie  element,  which  is  also  seen  in  the  sign  of  the  day  cib,  occurs 
on  the  jars  filled  with  spirit-liquor  (Fig.  13).  It  appears  to  be  a  modi- 
fication  of  a  similar  design  on  the  Aztec  drinking  cups  (Fig.  14).  The 
latter  refers  to  the  ome-toch  symbol,  that  is,  the  semi-lunar  curved  and 
hook-nosed    ornament    of  the    Totochtin^    the    wine    gods    (Fig.  15).     This 


12,   Does  there  really  exist  a  phonetic  key  to  the  Maya-Hieroglyphic  writing?     563 

element  therefore,  seems  to  convey    the    idea    of   drinking-,  uuk.     At  last, 
the    sign  of  aspiration  given  by  Professor  Thomas  (Fig.  16)  is  certainly 


nota  „Spaiiish  fabrication",  but  it  is  Brasseur  de  Bourbourg's  fabrication, 
since  it  is  not  seen  in  Landa's  text.  It  has  been  added  to  the  text  by 
Brassenr  de  Bourbourg's  wholly  arbitrary  decision.   See  the  Photographie 

36* 


564 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


reproduction  of  the  page  in  question  in  the  publication  of  Landa's  text 
procured  by  D.  Juan  de  Dios  de  la  Rada  y  Delgado.  In  the  hiero- 
glyphic  ^^Titing  the  eleiuent  Fig.  IG  occurs  as  a  Substitute  for  the  Cle- 
ment Fig.  17.  Tlie  latter,  probably.  is  intended  to  render  the  head  and 
the  wing  of  a  bird. 

It  is  quite  probable  that  in  Landa's  tinie  the  Mayas  used  to  write  in 
the  manner  indicated  by  Landa;  we  observe  the  same  in  the  Mexican 
area.  At  a  certain  time  after  the  eouquest  the  Indian  writers  were  in- 
clined  to  restrict  the  phonetic  value  of  their  old  hieroglyphs,  in  order  to 
write  with  them  in  the  same  manner  as  the  Spaniards  did  with  tlieir 
respective  hieroglyphs.  Compare  the  so-called  Codex  Yergara  of  the 
Aubin-Goupil  collectiou.     But  this  was    not    so    in  ancient  times.     Cer- 


Fig.  A. 
Codex  Tro  22  *a. 


Fig.  K. 
Codex  Cortes  26. 


Fig.  C. 
Codex  Tro  32  *b. 


tainly  there  existed  in  the  Maya  wi'iting  Compound  hieroglyphs  giving  the 
name  of  a  deity,  a  person,  or  a  loeality,  whose  elements  united  on  the 
phonetic  principle.  But  as  yet  it  is  not  proved  that  they  wrote  texts. 
And,  without  doubt,  great  part  of  the  Maya  hieroglyphs  were  conventional 
Symbols,  built  up  on  the  ideographic  principle. 

In  order  to  illustrate  the  combination  of  his  letter  Symbols,  Pro- 
fessor Thomas  gives  a  few  interpretations  of  groups  of  Compound 
characters. 

The  first  group  (see  Fig.  A)  found  in  the  upper  division  of  Plate  22* 
Codex  Troano  is  translated  by  Prof.  Thomas  as  follows:  —  (1)  u-zabal^ 
(2)  u-le,  (3)  cutz,  (4)  "1-yaxkin  „Set"  (or  literally  do  the  setting  of)  the 
snare  for  the  turkey  on  the  second  day  of  ya.i-kin''' .  —  It  is  true  that  the 
second  hieroglyph  of  this  group  (reproduced  in  my  Fig.  24)  contains  the 
elements  given  by  Landa    (Fig.  25)    as    expressing    the  sounds  l,  e,  i.e., 


12.   Does  there  really  exist  a  phonetic  key  to  the  Maya-Hieroglyphic  writing?     5G5 

le,  the  lasso,  the  sliiig;  and,  indeed,  in  the  figure  below  a  turkey  is  seen 
hanging  in  the  sling.  I  do  not  venture  to  settle  the  question  by  giving 
an  exphination  of  this  hieroglyph.  I  will  only  remark  that  the  secoud 
element  of  this  sign,  that  giveu  by  Landa  as  expressing  the  sound  e, 
occurs  in  various  Compound  hieroglyphs  (see  Figs.  26 — 28).  In  all  these 
cases  the  action  represented  refers  to  handling  a  rope  or  to  working  up 
thread.  Fig.  26  (taken  from  Codex  Troano  31  *b)  refers  to  handling  the 
rope  trimmed  with  thorns  that  the  penitent  used  to  dravv  through  the 
pierced  tongue  (see  the  Relief  of  Lorillard  City,  published  by  Charnay). 
Figs.  27,  28  (taken  from  Codex  Troano,  11*)  refer  to  weaving  and  em- 
broidery.  It  would  be  a  Gurions  coincidence  that  the  words  expressing 
these  different  actions  should  all  contain  an  e,  while  considering  the  idea 
ex])ressed,  the  coincidence  is  a  given  one. 

Considering  the  third  hieroglyph  of  this  group  —  whicli  is  indeed 
that  of  the  turkey,  cutz  (see  Fig.  19),  one  is  in  like  nianner  indueed  at 
the  first  glance  to  think  of  a  phonetic  Constitution.  For  the  first  element 
is  that  of  the  day  cauac,  giyen  by  Landa  (Fig.  3)  as  expressing  the 
sound  cu.  And  the  second  element  —  wanting  in  Landa's  list  of  letter 
glyphs  —  would  seem  to  record  the  sound  tz,  because  it  renders  the  con- 
ventional  design  of  a  headless  carcass  or  skeleton,  tzictzac^  seen  from  be- 
hind,  or  in  front,  with  its  ribs  and  the  anal  opening.  Compare  the  Fig.  23, 
the  design  of  a  skeleton  (the  death-god)  seen  „in  profile".  Nevertheless, 
it  would  be  a  hasty  conclusion  to  proclaim  as  established  and  beyond 
doubt  the  phonetic  Constitution  of  this  hieroglyph.  For  the  same  element 
of  the  skeleton  occurs  in  other  hieroglyphs,  expressing  things  the  names 
of  which  do  not  contain  a  trace  of  the  sound  tz.  Fig.  20  is  the  hiero- 
glyph of  the  dog,  'pek;  Fig.  21,  that  of  the  dog  of  the  heaven  that  carries 
the  lightning;  Fig.  22  is  the  hieroglyph  of  the  month  kan-kin,  „the  yellow 
(or  ripe)  sun". 

But  it  is  principally  the  first  hieroglyph  of  the  group  in  question  that 
rouses  the  gravest  doubts  about  the  rightness  of  Professor  Thomas's 
Interpretation.  The  whole  group  forms  part  of  a  series  of  representations, 
Alling  the  upmost  division  of  Flates  24*— 20*  of  the  Codex  Troano,  and 
recording,  undoubtedly,  the  capturing  of  animals.  The  series  begins  with 
the  prey-gods  of  the  five  regions.  These  are  followed  by  various  repre- 
sentations showing  the  hunting  god  —  with  a  captured  turkey  under  the 
arm,  or  holding  a  bag,  or  arraed  with  spears  and  throwing- stick  (Fig.  33); 
the  black  god  (Fig.  31  =  Ekchuah'?)^  and  different  captured  animals,  an 
ai'madillo  (?)  in  the  trap  loaded  by  heavy  stones,  a  turkey  seized  by  the 
snare,  a  deer  seized  by  the  snare,  a  deer  impaled  on  the  pointed  flint 
erected  in  the  bottoni  of  the  pit,  a  pizote  seized  by  the  snare,  and  a  tur- 
key entangled  in  the  hunter  s  net.  Each  figure  is  accompanied  by  a  group 
of  four  hieroglyphs  (as  a  rule).     The   first  hieroglyh  is  the   same  in 


566  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferang 

all  the  groups  (see  Fig.  A,  and  my  Figs.  31 — 33),  and  undoubtedly 
refers  to  the  action  of  capturing.  This  action  is  clearly  indicated  by  the 
form  of  the  hieroglyph  that  exhibits  the  head  of  the  victim  with  the  bloody, 
empty  eye-hole.  the  conventional  symbol  of  sacrifice.  This  head  is  held 
withiii  a  sling,  the  kuot  of  which  is  seen  on  the  summit.  Compare  the 
more  accurate  design  of  this  hieroglyph  in  Fig.  18,  taken  from  the 
Dresden  Codex  60a.  In  this  hieroglyph  all  is  figurative  and  Ideographie; 
uo  trace  of  phonetie  Constitution  can  be  observed, 

The  fourth  hieroglyph  of  the  group  A  (Fig.  29)  is  interpreted  by 
Professor  Thomas  as  the  second  day  of  the  month  ijaj:-kin.  But  this  is 
obviously  erroneous.  There  does  not  exist  a  numeral  designation  with 
Grosses  between  the  dots.  Fig.  29  seems  a  variant  of  the  hieroglyph 
seen  in  Fig.  30  plaeed  on  a  bovrl.  In  the  latter  hieroglyph,  the  second 
element  signifies  kan.  the  yellow  color.  It  is  replaced  in  Fig.  29  by  the 
element  kin,  the  sun.  The  hieroglyph  Fig.  30  —  which  in  a  former 
communication  was  interpreted  by  Professor  Thomas  as  signifying 
y,raoisture"*  —  occurs  on  düferent  pages  of  the  Dresden  Codex  among  the 
fignred  represeutations  of  offerings  (turkey.  lizard.  fish.  deer).  Undoubted- 
ly it  means  an  offering,  perhaps  wood  and  Indian  rubber,  or  copal. 

The  second  sample  given  by  Prof.  Thomas  ist  shown  in  Fig.  B. 
It  is  found  in  the  lower  division  of  plate  26  of  the  Cortesian  Codex. 
Prof.  Thomas  trauslates  the  group  as  follows:  —  (Deity)  u-an  yal-cab 
kal-cab  „As'*,  or  «in  the  uame  of  (the  deity)  slowly  gather  the  swarm  of 
bees  and  inclose  them  in  a  hive".  —  I  do  not  enter  into  a  discussion  of 
this  group.  because  I  find  nothing  in  it  that  might  impel  me  to  accept  the 
translation  given  by  Prof.  Thomas. 

Professor  Thomas"s  third  sample  (Fig.  C),  is  taken  from  the  middle 
division  of  plate  32*  of  the  Codex  Troano.  It  is  translated  by  him  as 
follows:  —  mul-cin  ku  ci-  (god  of  death)  xaan  „Collect  together  for  the 
temple  of  the  holy  god  of  death  palm  wood"  —  I  agree  with  Professor 
Thomas  that  the  boards  covered  with  the  hieroglyphic  design  of  the  day 
cauac  may  be  intended  for  -,wood~  or  „wooden",  though  I  am  more  in- 
clined  to  take  it  for  „stone"  or  -made  of  stone~.  The  same  board  is 
seen  in  Troano  12* c,  but  fitted  with  a  twisted  handle  on  its  surface.  Hera 
the  first  and  fourth  hieroglyph  of  the  group  are  also  seen;  the  second  one 
is  wanting.  Yariants  of  the  first  hieroglyph  occur  in  Troano  35  a.  35  b, 
34b,  and  Cortes  21a,  where  the  figure  below  shows  the  god  beating  a 
drum.  Professor  Thomas" s  explanation,  mul-cin,  „collect  together~,  is 
mereley  hypothetical.  The  same  applies  to  the  fourth  hieroglyph.  It  is 
the  same  as  that  given  by  Landa  as  expressing  the  sound  .v.  It  is  ma- 
terially  identical  with  that  of  a  well-known  deity  exhibiting  in  his  face  the 
same  characteristic  design  as  the  face  that  forms  the  essential  part  of  this 
hieroglyph.      In    Troano   11*    this    hieroglyph    accompauies    the    elements 


12.   Does  there  really  cxist  a  phonetic  key  to  the  Maya-Hieroglyphic  writing?     567 

which  seem  to  express  the  action  of  weaving.  And  on  the  two  contiguous 
plates,  Codex  Troano  35*  and  Cortes  22,  it  is  connected  with  red  nume- 
rals  and  forms  a  row  alternating  with  rows  of  various  offerings.  It  is 
scarcely  probable  that  in  all  these  cases  the  reading  xaan  should  corre- 
spond  to  the  matter  expressed. 

The  problem  of  the  Maya  writing  is  a  difficult  one.  I  cannot  con- 
vince  myself  that  the  list  given  by  Professor  Thomas  as  letter  glyphs 
acts  as  a  key  to  its  Interpretation.  For  the  samples  of  translation  he 
addnces  are  not  forcible,  and  include  misunderstandings.  In  my  opinion, 
in  the  present  state  of  things  it  would  be  far  more  appropriate  to  point 
out  the  real  meaning,  as  to  the  matter  expressed,  of  each  hieroglyph.  The 
determination  of  their  phonetic  value  will  then  follow,  and  consequently 
will  then  be  done  with  much  more  accuracy. 


568  Dritter  Abschnitt:    Kalender  iind  Hieroglyphen-Entzifferung. 


13. 
Is  the  Maya  HieroglypMc  Writing  Plionetic? 

Science  Vol.  XXI.    No.  518.    New  York.    6.  Jauuarv  1893. 


In  No.  505  of  the  Science,  Professor  Cyrus  Thomas  devotes  a  few 
more  pages  to  the  problem  of  the  Maya  hieroglyphic  writing,  „These", 
he  says,  „may  perhaps  be  profitable  to  the  subject,  if  confined  to  an 
earnest  endeavor  to  arrive  at  the  truth".  The  „additional  evidenee",  in- 
troduced  in  this  mann  er  by  Professor  Cyrus  Thomas,  he  has  seen  fit  to 
precede  by  some  remarks  intended  to  invalidate  the  criticism  I  offered  in 
this  paper  some  months  ago  (Science,  Aug.  26).  My  answer  to  these  re- 
marks is  presented  in  the  following  lines,  which,  I  trust,  will  also  be  profit- 
able to  the  subject,  although  I  do  not  claim  to  be  the  only  scientific 
man  that  „earnestly  endeavors  to  arrive  at  the  truth". 

Professor  Thomas  is  correct  in  stating  that  „a  dot  and  two  crosses 
with  a  month-symbol  form  a  date  in  the  bottom  line  of  Plate  49,  Dresden 
Codex".  Nevertheless,  I  firmly  believe  I  can  maintain  that  „there  does 
not  exist  a  numeral  designation  with  crosses  hetween  the  dots".  I  have 
never  seen  it  in  the  Codices.  On  the  other  band,  I  found,  for  instance, 
on  the  sides  of  the  Stela  J  of  Copan  (Maudslay,  „Biologia  Centrali  Ameri- 
cani",  PI.  69—70)  that  the  one  dot  of  the  numerals  1,  6,  11,  and  16 
always  is  framed  by  two  ornamental  signs,  but  there  is  never  an  orna- 
mental sign  between  the  two  dots  of  the  numbers  2,  7,  and  12.  Compare 
the  Figs.  1  — 16  of  the  adjoined  table.  Moreover,  I  think,  the  analogy 
between  the  two  hieroglyphs,  (Figs.  29  and  30  of  my  former  paper,  see  above 
pag.  563),  is  obvious.  Since  in  the  one  case  the  two  dots  and  the  cross 
are  a  part  of  the  hieroglyph  and  not  a  numeral,  I  hope,  it  will  not  be  a 
fault  of  veracity  to  believe  the  same  in  the  other. 

Professor  Thomas  says  I  am  not  correct  in  stating  that  Fig.  30  of  my 
former  paper  (see  pag.  563)  is  the  glyph  he  iuterpreted  „moisture".  „True, 
the  parts  are  similar",  he  says,  „but  the  details  and  surroundings  ^re  differ- 
ent".  In  the  adjoined  table  I  reproduce  the  Fig.  30  of  my  former  paper 
by  Fig.  17,  and  Professor  Thomas's  moisture  symbol  by  the  Fig.  18. 
Certainly,  the  surroundings  are  difi'erent.  In  Fig.  17  the  hieroglyph  is 
placed  on  a  dish,    in  Fig.   18    on  the    band.     And    there    are  wanting    in 


13.    Is  the  Maya  Hieroglyphic  Writing  Phonetic: 


569 


Fig.  18  the  two  clots  and  the  cross  that  are  seen  in  Fig-.  17.  But  the 
parts  are  not  „similar",  but  essentially  the  sanie.  And  that  the  whole 
hierolgyph  is  really  the  sanie,  is  proved  by  comparing  Figs.  19  and  20  of 


the  adjoined  table,  taken  from  the  Dresden  Codex,  18  a  and  19  c.  In 
Fig.  20  the  hieroglyph  of  Fig.  17  is  the  first  hieroglyph  of  the  text.  Its 
representative    is    shown    in    the    hieroglyph    carried    on    the  back  of  the 


570  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

woman  figured  below.  This  representative  of  the  text-hieroglyph  exhibits 
the  same  elements  in  tlie  same  order  as  Professor  Thomas's  moisture- 
syinbol  held  on  the  band  of  Fig.  18. 

Professor  Thomas  asserts  that  iny  statement  that  the  first  glyph 
showu  in  liis  Fig.  2,  p.  46  (Science,  July  22),  is  the  same  as  that  in  cer- 
taiu  groups  mentioned  by  me,  and  Figs.  31  —  33  (of  my  former  paper,  see 
above  pag.  563)  are  incorreet,  as  I  had  failed  to  include  the  prefix.  The 
character  of  my  first  figure,  he  says,  is  the  same,  but  the  characters  of 
my  two  other  figures  are  differeut  and  give  a  difiFerent  word.  The  first 
character  Professor  Thomas  had  iuterpreted  u-zabal,  ,,set  the  snare".  Re- 
specting  the  latter,  he  says,  it  is  possible  that  the  signification  is  suggested 
by  haoab,  „a  sword,  weapon  to  wonnd  with,  a  whip."  This  agrees,  Pro- 
fessor Thomas  asserts,  „very  well  with  what  we  see  in  the  hands  of  the 
figures  below,  and  also  with  the  general  tenor  of  the  series".  True,  in- 
stead  of  naming  one  character  and  one  series,  I  ought  to  have  spoken  of 
_two  allied  characters  and  two  allied  series".  But  my  objections  to  Pro- 
fessor Thomas's  Interpretation  were  chiefly  based  on  the  fact  that  each 
one  of  the  two  hieroglyphs  is  the  leading  character  in  a  series  of  repre- 
sentations,  embracing  differeut  actions,  and  not  only  the  „setting  of  the 
snare".  The  first  character  is  the  leading  hieroglyph  in  the  series  Figs.  26 
—  31  of  the  adjoined  table;  the  second  one  in  the  series  Figs.  32 — 35. 
It  is  obvious  that  —  although  there  are  represented  difi'erent  persons  and 
animals  —  the  general  tenor  of  the  two  series  is  esseutially  the  same. 
Both,  undoubtedly,  refer  to  capturing  animals,  showing  the  deity  armed 
for  hunting  and  differeut  captured  animals.  Now,  it  can  be  proved  that 
the  leading  character  of  the  hieroglyphic  groups  of  a  series  suggests  the 
action  in  which  the  persons  figured  below  are  represented  (compare,  for 
instance,  Codex  Dresden  4c  and  7  c  and  the  two  leading  hieroglyphs  in 
Codex  Dresden  12  c,  Codex  Troano  19  c,  etc.).  As,  in  our  case,  the  gene- 
ral tenor  of  the  two  series  is  the  same,  the  first  of  our  characters 
(Figs.  26 — 31)  will  be  intended  to  indicate  the  same  action  as  the  second 
one  (Figs.  32 — 35).  We  must  conclude,  therefore,  that  the  second  part, 
which  is  common  to  the  two  hieroglyphs,  is  the  essential  one;  and  that 
the  other,  the  so-called  „prefix",  is  subordinate,  referring  to  circumstances 
of  minor  importance,  perhaps  interchangeable.  This  conclusion  will  be 
proved  once  more  by  the  fact  that  the  second  part  occurs  alone,  and 
apparently  with  the  same  general  signification  (see  Fig.  35a,  taken  from 
Dresden  Codex  60a). 

As  to  Professor  Thomas's  Interpretation,  the  name  hacab  he  gives 
does  not  agree  with  bis  own  aiphabet.  For  the  element  in  question,  the 
knot  or  loop,  seen  on  the  top  of  the  second  part  of  the  hieroglyph,  ac- 
cording  to  Professor  Thomas's  aiphabet,  does  not  express  the  sound  of 
the  „letra  herida"  5,    that  is  to  say,    ta\    but    that  of  z,  or  s.     The   word 


13.   Is  the  Maya  Hieroglyphic  Writing  Phonetic?  571 

itself  is  not  ha-oab,  as  Professor  Thomas  reads,  biit  hao-ab,  an  instru- 
mental noun  derived  from  the  verb  Äa^,  „to  whip,  to  wound".  Pirfally, 
it  is  obvious  that  the  rendering,  „sword,  a  weapon  to  wound  with,  a 
whip",  does  not  more  agree  „with  what  we  see  in  the  hands  of  the 
figures  below,  and  also  with  the  general  tenor"  of  the  second  series 
(Figs.  32 — 35),  as  it  would  agree  with  that  of  the  first  one  (Figs.  26 — 31). 
I  may  safely  abandon  to  the  reader's  judgment  to  decide  whose  interpre- 
tation  in  this  case  is  the  more  based  on  ,,mere  assumptions".  Professor 
Thomas 's  or  mine,  and  who  has  more  earnestly  endeavored  to  arrive  at 
the  truth. 

Professor  Thomas  acknowledges  the  correctness  of  my  statement  that  the 
sign  of  aspiration  found  in  Brasseur's  „Landa"  is  not  in  the  original  text. 
„Nevertheless",  he  says  „we  have  to  thank  the  Abbe  for  a  happy  Sugges- 
tion ....  I  may  add  that  Dr.  Seier  has  gone  farther  than  Brasseur,  as  he 
has  given  us  in  bis  17a  (see  above  pag.  563)  a  character  which  appears  to 
be  new,  —  at  any  rate,  I  have  been  unable  by  a  careful  search  to  find  it  in 
any  of  the  Codices".  I  refer  Professor  Thomas  to  the  Figs.  23 — 25  of 
the  adjoind  table.  These,  and  some  other  variänts,  act  as  leading  hiero- 
glyphs  in  a  series  of  twenty-nine  hieroglyphic  groups,  accompanying  as 
many  figures  of  the  rain-god.  My  Fig.  23  contains  the  element  in  ques- 
tion,  with  exactly  the  same  characters  as  I  rendered  them  in  Fig.  17  a  of 
my  former  paper  (see  above  pag.  563).  This  Fig.  23  occurs  three  times  in 
the  series,  in  Dresden  Codex  30  c,  31  c,  and  39  c.  Professor  Thomas,  there- 
fore,  has  not  carefully  searched.  To  call  a  notorious  falsification  „a  happy 
Suggestion",  and  to  stigmatize  a  correct  statement  as  a  conscious  falsi- 
fication (I  say  it  with  due  regard  to  courtesy),  we  are  not  wont  to  con- 
sider  as  an  earnest  attempt  to  arrive  at  the  truth. 

Professor  Thomas  argues  that  I  had  criticised  his  article  without 
having  thoroughly  read  it,  because,  in  the  fourth  character  of  his  Fig.  4, 
I  overlooked,  he  says,  the  little  item  on  the  front  of  the  face.  Had  I  but 
looked  to  his  Fig.  3,  I  would  not  have  fallen  into  the  error  of  considering 
the  two  as  the  same.  I  regret  to  say  that  the  writer  of  the  Dresden 
Codex  has  fallen  into  the  same  error,  since  he  mentions  the  deity,  seen  in 
the  Figs.  21,  22,  of  the  adjoined  table,  in  Dresden  Codex  5  a  by  the  first 
hieroglyph  of  Fig.  21,  in  Dresden  Codex  13  b  by  the  first  hieroglyph  of 
Fig.  22,  both  differing  from  another  in  „the  little  item  on  the  front  of 
the  face",  nearly  in  the  same  way  as  the  characters  of  Professor  Thomas's 
Figs.  3  and  4  (Science,  p.  45)  diifer  from  another. 

Professor  Thomas  himself,  in  most  cases,  has  overlooked  the  noto- 
rious existence  of  variänts  of  writing  and  the  replacement  of  one  element 
by  another.  He  says,  „To  assume  that  the  Fig.  29  (of  my  former  paper 
see  above  pag.  563)  is  a  variant  of  Fig.  30,  is  certainly  straining  a  poiut  to 
the  utmost  tension".    I  could  show  to  my  Opponent  more  curious  variänts. 


0< 


Dritt t^r  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung:. 


As  to  the  mutual  replaceraent  of  the  element  Hn  and  Professor  Thomas' s 
„letter-glyph"  b  —  tliat.  in  my  view,  renders  the  sound  kan  „yellow''  — 
I  refer  him  to  Figs.  36,  37.  of  the  adjoined  table,  the  first  showing  the 
leading  hieroglyphs  of  Cort.  21,  Tro.  35 d,  the  latter  those  of  Codex  Tro. 
24*,  23*a. 

Professor  Thoraas  concludes  his  objections  against  my  criticism  with 
the  followiug  phrase:  ..I  must  confess  that  his  (Dr.  Seler's)  eyes  are 
sharper  thau  nüne.  if  he  cau  find  auy  figures  in  either  of  the  Codices  re- 
presenting  a  god  or  aiiy  one  eise  beatiug  a  drum.  This,  like  other  of  his 
assertions  in  regard  to  the  significauce  of  other  figures,  appears  to  be 
,.merely  hypothetical'\  My  reply  to  this  apostrophe  is  the  Fig.  40,  takeii 
from  Dresden  Codex  34  a.  vrhich,  for  the  beuefit  of  the  reader,  I  have 
contrasted  vrith  two  Mexicau  paintings,  Figs.  38  and  39.  takeu  from  Codex 


Fig.  38.    —    Codex  Borgia  m 
(=  Kingsborough  PI.  .55). 


Fig.  39.   —    Codes  Laud  PI.  39 
(Kingsborough's  numeration). 


Borgia  60,  and  Codex  Laud  39.  In  the  two  Mexican  paintings,  a  goddess 
is  Seen  and  a  god,  the  latter  beating  a  drum,  in  Fig.  39,  euriously  held 
between  the  legs.  Xo  scholar  versed  in  Mexican  pictographic  style,  will 
deny  that  the  instrument  seeu  in  those  paintings  is  really  the  drum,  the 
tlalpan-ueiietl,  raade  of  wood  and  covered  with  a  jaguar-skin.  Compare 
Fig.  43,  the  well-knowu  musician  of  the  Mendoza  Codex.  Now  the  god 
of  Fig.  39  has  his  exact  counterpart  in  one  of  the  persons  of  Fig.  40. 
Here.  in  the  very  middle  of  the  seenery,  we  have  the  head  cf  the  sacri- 
ficed  'or  the  dead  deity)  exposed  on  the  top  of  the  altar-pyramid.  On  the 
left  side  a  fire  is  buruing.  and  below  it  an  ofFering  of  maize  is  placed 
on  a  dish.  To  the  right  band  other  offerings  are  seen,  consisting  of  a 
meal  of  maize  and  turkey,  and  of  a  meal  of  maize  and  certain  other  game. 
Four  persons  sit  around.  playing  difiFerent  Instruments.  On  the  upper  part 
of  the  left  side,  a  black-colored  person  holds  the  chkauaztli,  the  well-known 


13.   Is  the  Maya  Hieroglyphic  Writing  Phonetic? 


573 


rattliiig  staff  of  the  Mexican  paintings  (see  „Compte  Rendu,  YII.  Sess. 
CongT.  International  Americanistes",  Berlin,  1888,  p.  661 — 664,  and  „Ver- 
öffentlichungen aus  dem  Königlichen  Museum  für  Völkerkunde",  I.,  p.  147, 
152).  Below  him  a  woman  beats  a  drum  of  curious  form.  The  music 
is  Seen  rising  froni  the  end  of  the  instrument.  To  the  right  hand  of  the 
altar,  in  the  lower  part,  a  man  is  playing  a  flute.  Here,  also,  the  music 
is  seen  rising  from  the  lower  end  of  the  flute.  The  upper  figure,  on  the 
riyht  side.  with  one  hand  shakes  the  rattle  and    with  the   other  beats  the 


Fig-.  40.  —  Dresden  Codex  34  a. 


Fig.  43.  —  Codex  Mendoza. 


drum,  held  between  the  legs  exactly  in  the  same  mauner  as  with  the 
god  of  the  Codex.  Land.  (Fig.  39).  Auother  series  of  musicians  occurs  in 
Codex  Tro.  24*,  23  *d.  Here  a  person,  exhibiting  a  black-colored  skin, 
like  that  of  Fig.  40,  is  seen  with  the  Chicauaztli  in  the  one  hand,  and  a 
rattling-ring  (?)  in  the  other  (Fig.  41),  while  another  deity  (Fig.  42)  is 
beating  a  drum.  On  the  top  of  the  figures  I  reproduce  the  leading  hiero- 
glyphic that  accompanies  the  figures  and  undoubtedly  refers  to  the  gene- 
ral  tenor  of  the  series.  The  curious  form  of  the  instrument  of  Dresden 
Codex  (Fig.  40)  occurs  also  on  Plate  24  of  the  Codex  Tro.,  together 
with    another    more    regulär    form    (see  Fig.  44  on  the  next  page).     And 


574 


Dritter  Abschuitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


consideriiig  tlie  former  and  the  other  figures  of  the  instniment  re- 
presented  above,  I  think,  nobody  will  doubt  that  also  in  the  figures  of 
Codex  Cortes  218  and  Codex  Tro.  35b  (Fig.  46  of  the  adjoined  table) 
the  writer  intended  to  represent  a  drum.  AVe  shall  the  less  doubt  of  it, 
as  this  action  here  is  accompanied  by  hieroglyphs  (Fig.  45).  the  one  of 
them  exhibiting  the  same  characteristics    as  those  accompauying  the  mu- 


i^-i^iaiOT^n^ 


Fig.  44.  —   Codex  Tro  -24. 


^^         W.  ^.  n. 

Fig.  47.  —  Dresden  Codex  29,  30c. 


O 

Fig.  4S.  —  Codex  Tro  31,  30d. 


sicians  in  Figs.  41  and  42.  We  hare.  thus.  in  the  known  Maya  Codices  at 
least  five  well  characterized  representations  of  persous  or  gods  beating  a 
drum.  My  mentioning,  thereiore,  of  a  god  beating  a  drum  was  not 
„merely  hypothetical'',  not  a  „mere  assumptiou*,  but  based  wholly  on  proofs. 
I  shall  not  go  into  further  details;  nor  shall  I  attempt  to  criticise  the 
„additional  evidence"   brought  forward   by  Professor  Thomas   in  his  last 


13.    Is  the  Maya  Hieroglyphic  Writing  Phonetic?  575 

article,  or  to  discuss  the  probability  of  that  curious  enumeration  of  histori- 
cal  facts  occurring  every  177  days,  for  the  space  is  limited.  Only,  by 
the  way,  I  note  that  Professor  Thomas  interprets  phonetically  a-aman  as 
„north",  the  character  that,  in  reality,  desiguates  nohol  „south"  (see  the  evi- 
dence  adduced  by  me  in  „Zeitschrift  für  Ethnologie",  XXIII.,  p.  104;  above 
pag.  522—526).  His  third  sample  of  the  use  of  his  „letterglyph"  b  is  one  of 
those  interesting  hieroglyphs  that  change  the  so-called  „prefix"  accordingto  the 
four  Cardinal  points.  Compare  Figs.  47,  48  of  the  adjoined  table,  the  former 
taken  from  Codex  Dresden  29,  30c,  the  latter  froni  Codex  Tro.  31,  30d. 
These  varying  elements  undoubtedly  are  indicating  the  names  of  colors, 
as  each  of  the  four  cardinal  points  was  distinguished  by  a  special  color. 
And  the  so-called  letterglyph  b,  with  all  probability,  has  to  be  considered 
as  expressing  the  element  kan  „yellow"  (see  „Zeitschrift  für  Ethnologie", 
XXIII.,  p.  108,  109;  above  pag.  527).  .  The  explanatiou  Professor  Thomas 
gives  of  the  five  dots,  seen  under  certain  hieroglyphs,  as  renderiug  the  sound 
ho  ,,five",  will  receive  a  curious  Illustration  by  the  varied  form  these  dots 
exhibit,  for  instance,  in  the  Fig.  35  b  (see  pag.  569),  taken  from  the  Dresden 
Codex.  It  does  not  appear,  with  all,  that  the  samples  of  Interpretation 
presented  by  Professor  Thoraas  in  his  last  paper  are  more  satisfactory  than 
those  of  his  former  one.  It  will  be  seen,  indeed,  that  there  is  no  reliance 
in  the  simple  fact  that,  applying  a  certain  key,  the  parts  give  apparently 
ap]>ropriate  results.  In  a  similar  way  there  coula  be  proved  and  has  been 
proved  that  the  Mexican  and  Pernviau  languages  are  derived  from  Öanscrit, 
and  that  the  descendants  of  the  lost  tribes  of  Israel  survive  in  the  Southern 
Sea.  The  right,  Professor  Thomas  claims,  to  apply  such  a  key  has  to 
be  proved  in  the  first  place.  I  am  awaiting  if,  in  the  paper  he  is  pre- 
paring  for  publication  by  the  Bureau  of  Ethnology,  he  will  be  able  to  do  so. 


576  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 


14. 

Some  additional  remarks  on  Maya  Hieroglyphic 

writing. 

„Science".    Vol.  XXI.    No.  524.   New  York.    17.  February  1893. 


In  a  former  communicatiou,  replyiug  to  some  objection  brought  for- 
ward  by  Professor  Thomas,  I  noticed  tliat  in  the  numerals,  coniposed  of 
straight  liues  and  dots,  which  are  seeu  accompanying  the  hieroglyphs  of 
the  Maya  iuscriptious,  the  one  dot  of  the  numbers  1,  6,  11,  16  always  is 
supported  and  framed  by  two  ornamental  signs  Alling  up  the  space,  while 
no  ornamental  sign  is  seen  between  the  two  dots  of  the  numbers  2,  7,  12, 
17.  I  noticed  this  for  a  Copan  Stela  published  by  Alfred  Maudslay 
(see  the  Figs.  1  —  16  in  my  former  paper).  I  may  add  that  the  same 
applies  to  the  inscriptions  of  the  Palenque  tablets,  only  that  here  the 
two  dots  of  the  number  2,  like  the  one  dot  of  the  number  1,  are  framed 
by  two  ornamental  signs,  while  the  two  dots  of  the  numbers  7,  12,  and 
17,  as  a  rule,  are  standin^-  alone.  I  wish  to  state  that  although  prevailing 
in  most  cases,  this  rule  may  allow  some  exception.  Alfred  Maudslay, 
page  39  of  the  text,  gives  drawings  of  the  numerals,  where  an  ornamental 
sign,  similar  to  the  two  ornamental  signs  of  the  numbers  1  and  6,  is  seen 
between  the  two  dots  of  the  numbers  2  and  7.  Maudslay  does  not 
raention  where  he  has  taken  these  figures.  But,  for  instance,  on  the 
eross-tablet  1,  of  Palenque,  in  the  hieroglyph  V.  17,  designating  the 
twelfth  day  of  the  month  Kaijah^  a  somewhat  peculiar  ornamental  sign, 
composed  of  two  nooks,  is  seen  between  the  two  dots  of  the  number. 

In  conneetion  with  these  facts,  I  wish  to  mention  that  there  exists 
an  instance  of  what  could  be  taken  as  a  cross  —  though  in  reality  it  is 
not  —  between  the  two  dots  of  a  number  in  Dresden  Codex  46,  already 
mentioned  by  Professor  Förstemann  in  Zeitschrift  für  Ethnologie,  23 
(1891),  p.  149.  At  all  events,  there  does  not  exist  in  the  whole  bulk  of 
Mayan  Manuscripts,  nor  in  the  wall -inscriptions,  a  numeral  designation, 
similar  to  the  instance  induced  by  Prof.  Thomas  (see  above  page  564, 
Fig.  A),  where  two  dots  and  two  crosses  are  seen  alternating  with  one 
another. 


10.    Die  wirkliche  Länge  des  Katun's  der  Maya-Chroniken.  577 


15. 

Die  wirkliche  Länge  des  Katun's  der  Maya-Chroniken 

und  der  Jahresanfang  in  der  Dresdener  Handschrift 

und  auf  den  Copan- Stelen. 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    15.  Juni  1895. 
Zeitschrift  für  Ethnologie.    XXVII.    S.  (441)  — (449). 


Während  in  den  mexikanischen  Annalen  die  Jahre  mit  ihren  Zeichen 
und  Ziffern  hinter  einander  aufgezählt  zu  werden  pflegen  und  nur  durch 
das  immer  beim  53.  Jahre  wiederkehrende  Bild  des  Feuerreibers  ein  Hin- 
weis auf  die  grösseren  Perioden,  die  man  kannte,  stattfand,  geben  auf  den 
Maya-lJenkmälern  und  in  den  Maya-Chroniken  gewisse  grössere  Zeiträume, 
Katun  genannt,  das  Hauptfachwerk  ab,  in  das  die  geschichtlichen  und 
sonstigen  Ereignisse  eingereiht  werden. 

Zur  Benennung  der  einander  folgenden  Tage  dienen  bei  den  mexika- 
nischen und  zentralamerikanischen  Stämmen  bekanntlich  20  Zeichen,  die 
mit  den  Ziffern  1  —  13  in  sich  wiederholenden  Reihen  kombinirt  werden. 
Auf  die  Anfangstage  der  Jahre  fallen,  wie  eine  einfache  Rechnung  ergibt, 
nur  vier  der  eben  genannten  20  Zeichen,  die  sich  aber  in  ähnlicher  Weise 
mit  den  Ziö'ern  1  —  13  in  fortlaufenden  und  sich  wiederholenden  Reihen 
konibiniren.  Die  Katune  der  Maya-Chroniken,  die  augenscheinlich,  gleich 
den  Jahren,  nach  ihren  Anfangstagen  benannt  sind,  werden  nur  mit  einem 
der  20  Tageszeichen,  dem  letzten,  ahau,  das  dem  mexikanischen  xochitl 
entspricht,  bezeichnet.  Und  die  Ziff'ern  kombiuiren  sich  mit  diesem  in 
der  Weise,  dass  sie  in  den  aufeinander  folgenden  Perioden  immer  um  den 
Werth  von  zwei  vermindert  erscheinen,  d.  h.  die  Namen  der  aufeinander 
folgenden  Katune  sind  folgende: 

13.  -,    11.  -,    9.  -,    7.  -,    5.  -,    3.  — ,    1.  — 
12.  — ,    10.  — ,    8.  — ,    6.  -,    4.  — ,    2.  ahau. 

Die  Grösse  des  Katun's  wird  von  den  alten  spanischen  Autoren  Lau  da, 
Cogolludo,    und    so    auch  im  Text  der  Bücher  des  Chilam  Balam  über- 
einstimmend zu  zwanzig  Jahren  angegeben.    Da  es  aber  schwer  begreiflich 
erschien,    wie    in    diesem  Falle   die  Katune   in  der  obigen  Weise  benannt 
Seier,  Gesammelte  -Abhandlungen  I.  3^ 


578  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglvphen-Entziffening. 

werden  konnten,    —   da   die  Anfangstage  von  zwanzigjälirigen  Zeiträumen 
die  Bezeichnungen 

13.  — ,  7.  -,  1.  — .  8.  — .  -2.  — .  9.  —  3.  — 
10.  — ,  4.  -,  11.  —.  5.  -,  1-2.  — ,  G.  ahmi 
erhalten  müssten,  —  so  haben  Spätere  der  Katuu-Länge  von  20  Jahren 
eine  solche  von  vierundzwanzig  Jahren  substituirt.  Zeiträume  von  dieser 
Länge  würden  in  der  That  mit  den  oben  genannten  Tagen  13.,  11.,  9., 
7.,  5.,  3.,  1-.  12..  10.,  8.,  H..  4.,  2.  ahait  begonnen  haben  können.  Ins- 
besondere hat  der  yukatekische  Archäolog  Pio  Perez  in  einer  Abhandlung, 
die  zuerst  im  Anhang  zum  ersten  Bande  von  Stepheus'  „Incidents  of 
Travel  in  Yucatan"  erschien,  diese  Theorie  mit  Entschiedenheit  vertreten. 
Und  Yalentini,  Cyrus  Thomas,  Brinton  und  zuletzt  auch  Förste- 
mann  haben  sich  ihm  angeschlossen.  Ich  habe  indes  schon  in  einer 
früheren  Arbeit^)  darauf  hingewiesen,  dass  absolut  kein  Grund  vorliegt, 
die  bestimmten  und  übereinstimmenden  Angaben  der  alten  Autoren  in 
dieser  "Weise  zu  korrigiren.  Zwanzig  Jahre  —  kal  haab  im  Mava  —  ist 
einfach  ein  ungenauer  Ausdruck  für  einen  Zeitraum  von  20  X  360  Tagen"). 
Perioden  dieser  Länge  genügen  ebenfalls  der  Bedingung,  dass,  wenn  die 
erste  z.  B.  mit  einem  Tage  13.  ahau  beginnt,  die  folgenden  der  Reihe 
nach  mit  IL,  9.,  7.,  5.,  3.,  1.,  12.,  10.,  8.,  6.,  4.,  2.  ahau  beginnen  müssen. 
Und  20  X  360  Tage  war  in  der  That  ein  Zeitraum,  mit  dem  die  Maya  zu 
rechnen  gewohnt  waren.  Das  geht  aus  der  Art  der  ZifFerschreibung  in 
der  Dresdener  Handschrift,  die  Förstemann  uns  kennen  und  lesen  gelehrt 
hat,  mit  unumstösslicher  Sicherheit  hervor. 

Für  seine  Theorie  der  Katun-Länge  von  24  Jahren  beruft  sich  Pio 
Perez  auf  die  3Iaja-,. Manuskripte",  d.  h.  auf  die  sogenannten  Bücher  des 
(Jhüam  Balam,  von  denen  Abschriften  in  seinen  Händen  sich  befanden. 
Ihm  gegenüber  hat  jedoch  schon  Brinton  darauf  hingewiesen'),  dass  von 
diesen  Büchern  des  Chilam  Balam  nur  drei,  —  die  von  Mani,  Kaua  und 
Oxcutzcah^  —  ausdrücklich  sich  für  die  Katun-Länge  von  24  Jahren  aus- 
zusprechen scheinen,  während  vier  oder  fünf  andere,  insbesondere  das 
wichtige  Buch  des  Chilam  Balam  von  Chumayel,  nur  eine  Katun-Länge 
von  20  Jahren  kennen.  Ich  kann  dem  hinzufügen,  dass  auch  in  den  erst- 
genannten drei  Büchern  diese  Angaben,  dass  der  Katun  zu  24  Jahren  an- 
zunehmen sei.  nur  in  Randbemerkungen,  die  anscheinend  alle  von  anderer 


1)  Zeitschrift  für  Ethnol.    XXlll.    1891.    S.  112,  113  (vgl.  oben  S.  533). 

2)  Dass  dem  Worte  haab  „Jahr"  durchaus  nicht  immer  der  bestimmte  Zahlen- 
werth  „365  Tage"  zukommt,  geht  aus  dem  Cakchiquel-Kalender  hervor.  Das  Wort 
huna^  womit  in  diesem  Kalender  ein  Zeitraum  von  400  Tagen  bezeichnet  wird,  ist 
eigentlich  hiinab,  d.i.  fiun-ab,  „ein  Jahr". 

3)  In  einem  Berichte  über  die  Bücher  des  Chilam  Balam,  der  am  8.  Januar 
1882  auf  der  Jahresversammlung  der  Numismatic  and  Antiquarian  Society  of 
Philadelphia  verlesen  wurde. 


15.   Die  Avirkliche  Länge  des  Katun's  der  Maya-Chroniken.  579 

Hand  zugefügt  sind,  sich  finden,  dass  aber  im  Text  selbst  immer  nur  von 
einem  Katun  von  20  Jaliren  die  Rede  ist.  Oa'lahunppel  ahauob  hunhun  kal 
haab  u  cuchma^  „die  dreizehn  ahau^  jeder  zählt  20  Jahre",  —  heisst  es 
S.  75  in  demselben  Buche  des  Chilam  Balam  von  Mani.  Und  wo  auch 
immer,  in  dem  chronistischen  Theil  dieser  Bücher,  Zusammenrechnungen 
versucht  werden,  da  ist  der  Katun  immer  zu  20  Jahren  angenommen. 
Und  mehr  noch,  die  Randbemerkungen,  die  von  einer  Katun-Länge  von 
24  Jahren  sprechen,  sind  nicht  nur  durch  die  Handschrift  als  später  hin- 
zugefügt kenntlich,  es  ist  auch  aus  den  Zeitangaben  ersichtlich,  dass  der 
Schreiber  dieser  Bemerkungen  nur  das  gegenwärtige  Jahrhundert  im  Auge 
hatte,  also  in  diesem  oder  frühestens  im  vorigen  Jahrhundert  gelebt  haben 
muss.  Genau  in  Uebereinstimmung  mit  der  von  Pio  Perez  (1.  c.  p.  442) 
aufgestellten  Katun-Tafel,  —  die  übrigens,  wie  wir  sehen  werden,  mit  den 
Angaben  der  Texte  nicht  in  Einklang  zu  bringen  ist  — ,  und  wonach  im 
Jahre  1488  ein  Katun  13.  ahau,  im  Jahre  1512  ein  Katun  11.  ahau  seinen 
Anfang  nahm,  wird  in  diesen  Randbemerkungen,  und  zwar  übereinstimmend 
in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  von  Mani  und  des  von  Kaua  angegeben, 
dass  im  Jahre  1800  der  Katun  2.  ahau  zu  Ende  sein  werde,  im  Jahre  1824 
der  von  13.  ahau^  im  Jahre  1848  der  von  11.  ahau^  im  Jahre  1872  der 
von  9.  ahau^  im  Jahre  1896  der  von  7.  ahau^  im  Jahre  1921  —  wie  in 
beiden  Büchern  augenscheinlich  falsch  für  1920  geschrieben  ist  —  der  von 
5.  ahau  zu  Ende  sein  werde*). 

Für  Pio  Perez  waren,  wie  es  scheint,  in  erster  Linie  Stellen  mass- 
gebend, wie  S.  75  des  Chilam  Balam  von  Mani")^  wo  es  heisst:  —  oxlahun 
cauac  u  zut  u  uuHz  katun^  u  zut  tu  caaten  oxlahun  cauac  u  cutal  katun  hun 
ahau^  „bei  (mit,  in)  13.  cauac  erneuert  sich  das  Katun-Bündel,  kehrt  es 
zum  anderen  Male  wieder  mit  13.  cauacj  beginni  .  der  Katun  1.  ahau'"''.  — 
Indem  Perez  hier  richtiger  Weise  oxlahun  cauac  für  das  Jahr  13.  cauac 
nahm,  ghüclizeitig  aber  auch  überzeugt  war,  dass  das  nun  auch  heissen 
müsste,  mit  dem  ersten  Tage  des  Jahres  oxlahun  cauac  beginnt  der 
Katun  hun  ahau^  kam  er  zu  der  Ansicht,  die  für  ihn  das  Grunddogma 
bildet,  dass  die  Katun-Perioden  mit  einem  Jahre  cauac  ihren  Anfang 
nehmen    und    nach   dem   zweiten  Ta^e  dieses  Jahres  benannt  seien.     Wir 


\)  Die  hier  gemachten  Zitate,  sowie  die,  die  ich  weiterhin  aus  den  Büchern  des 
Chilam  Balam  zu  machen  haben  werde,  sind  mir  durch  Kopien  ermöglicht,  die 
mir  Prof.  Brinton  von  den  in  seinem  Besitz  befindlichen  Berendt'schen  Ab- 
schriften der  Bücher  des  Chilam  Balam  zu  machen  gestattete,  als  ich  im  Jahre 
1S.S7  gelegentlich  meiner  Reise  nach  Mexico  einige  Tage  im  Hause  Prof.  Brinton's 
in  Media  bei  Philadelphia  zu  verweilen  die  Ehre  hatte. 

2)  Die  Seitenangaben  beziehen  sich  immer  auf  die  Seiten  der  Dr.  Berendt'schen 
Abschriften,  die  sich  damals  in  der  Bibliothek  Prof.  Brinton's  befanden,  jetzt 
der  Universitäts-Bibliothek  von  Philadelphia  angehören. 


580  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

werden  indes  sehen,  dass  die  Perez'sche  Annahme  des  Zusammenfallens 
von  Jahres-  und  Katun-Anfang  der  AYirkliohkeit  nicht  entspricht. 

In  dem  Buche  des  Chilayn  Balam  von  Mani  findet  sich  auf  Seite  101 
bis  115  eine  Aufzählung  der  Jahre,  die  zu  dem  Katun  5.  ahau  gehören, 
mit  den  Ereignissen,  die  in  denselben  stattfinden  werden.  Der  Katun 
beginnt  im  Jahre  13.  kan  (d.  h.  wo  der  erste  Tag  des  Uinal  pop  ein  Tag 
13.  kan  ist),  und  es  wird  dieses  Jahr  dem  Jahr  1093  der  christlichen  Zeit- 
rechnung gleich  gesetzt.  Im  „dritten  Stein"  (d.h.  im  dritten  Abschnitt 
dieses  Katun)  fällt  1.  pop  auf  3.  cauac^  „im  siebenten  Stein"  auf  7.  cauac^ 
im  eilften  auf  IL  cauac^  im  zwölften  auf  12.  kan^  u.  s.  f.  Und  20  Jahre 
werden  hinter  einander  aufgezählt. 

Dieser  Abschnitt  beginnt  mit  folgenden  Worten:  —  o.vlahun  kaan  tu 
hunte  poop,  chha  iduac  katun  ti  ho  ahau  tu  habil  1593  aaos  cuchi  tu  holhun  zeec 
yalcaha  hek  lay  u  euch  Heil  u  talel  ualic  lae,  he  tu  kinil  hii  u  chhabal  katun  lae. 

Wie  man  in  den  Bilderschriften  einer  Gruppe  beobachten  kann,  dass 
in  ihnen  dieselben  Gegenstände,  dieselben  Reihen  behandelt  sind,  und  nur 
die  Ordnung,  in  der  die  einzelnen  Abschnitte  vorgenommen  werden,  eine 
andere  ist,  so  erweisen  sich  auch  die  verschiedenen  Bücher  des  Chilam 
Balam  im  Grossen  und  Ganzen  nur  als  verschiedene'  Rezensionen  derselben, 
bald  vollständiger,  bald  unvollständiger  wiedergegebenen  Tradition.  Man 
findet  auch  in  ihnen  überall  dieselben  Gegenstände,  nur  in  verschiedener 
Reihenfolge,  behandelt.  Die  Aufzählung  der  Jahre,  die  zu  dem  Katun 
5.  ahau  gehören,  die  im  Chilam  Balam  erst  auf  S.  101 — 115  Platz  gefunden 
hat.  mit  der  beginnt  das  kürzere,  aber  gut  überlieferte  und  wahrscheinlich 
ältere  Buch  des  Chilam  Balam  von  Titzimin.  So  finden  wir  denn  in  ihm 
ilie  oben  angeführte  Stelle  am  Anfang  des  ganzen  Buches.  Sie  lautet  in 
dem  Buch  von   Titzimin  folgendermassen:  — 

ox  hiin  kan  tu  hunte  pop  chhah  u  lae  Katun  ti  ho  ahau  ti  hab  —  1593 
cuchi  tu  holhun  seec  yal  kaba  hek  lai  euch  ti  cutal  valic  lae. 

In  diesen  beiden  Stellen  ist  mir  allerdings  das  Wort  yal  kaba  —  wie 
das  Buch  von  Titzimin  wahrscheinlich  richtiger  für  das  yal  caba  des  Buches 
von  Mani  schreibt  —  unklar.  Wörtlich  heisst  es  „der  Sohn  des  Xamens". 
Man  sollte  erwarten,  dass  hier  noch  eine  Vervollständigung  des  vorher- 
gehenden Zahlausdrucks  kommt,  etwa  catac  cappel  „und  zwei".  Denn  das 
vorhergehende  Datum  tu  holhun,  zeec  ,,ani  fünfzehnten  des  (Uinal  oder 
Monats)  Zeec^'-  kann  unmöglich  richtig  sein,  da  wenn  der  erste  des  Uinals 
Pop  ein  Tag  13.  kan  ist,  nicht  der  fünfzehnte,  sondern  der  siebzehnte  des 
Uinal's  Zeec  der  Tag  hun  ahau  „I.  ahau""  ist.  Lassen  wir  also  das  Wort 
yal  kaba  zunächst  bei  Seite  und  korrigiren  wir  das  tu  holhun  zeec  m  tu 
holhun  zeec  catac  cappel^  so  würde  die  oben  angeführte  Stelle  folgender- 
massen zu  übersetzen  sein:  — 

„Wenn  der  erste  des  (UinaVs)  Pop  (d.  h.  der  Jahresanfang)  auf  einen 
Tag  13.  kan  fällt,    da    wird    die   Schüssel    für    den  Katun    5.  aliau  geholt 


15.    Die  wirkliche  Länge  des  Katun's  der  Maya-Chroniken.  581 

(d.  h.  da  tritt  der  Katuii  5.  ahau  seine  Herrschaft  an),  im  Jahre  1593  war 
es,  am  fünfzehnten  (verbessere  „siel)ze]inten")  des  (UinaFs)  Zeec.  Das  ist 
das  Zeichen,  in  dem  dieser  Katun  sicli  anf  den  Thron  setzt". 

An  dieser  Stelle  ist  also  ausdrücklich  gesagt,  dass  der  Katun  nicht 
mit  dem  1.  des  Uinal  pop,  dem  Jahresanfang,  begann,  sondern  dass  er 
mitten  im  Jahre,  in  diesem  Falle  im  fünften  Uinal,  dem  Uinal  zeec,  seinen 
Anfang  nahm.  Der  Katun  hatte  eben  mit  dem  Sonnenjahr  von  365  Tagen 
direkt  nichts  zu  thnn.  Die  ihm  zu  Grunde  liegende  Einheit  war  das  um 
die  5  xma  kaba  kin  verminderte  Sonnenjahr,  die  Zahl  360.  Unter  An- 
bringung der  oben  angegebenen  kleinen  Korrektur  stimmt  übrigens  das 
Exempel  genau.  Denn  wenn  der  Tag  13.  kan  der  erste  des  Uinal  pop 
ist,  so  ist  2.  kan  der  erste  des  Uinal  zeec^  und  5.  ahau  der  siebzehnte  Tag 
des  Uinal  zeec. 

An  der  Stelle,  wo  Pio  Perez  seine  Theorie  von  der  Katun-Länge 
von  24  Jahren  entwickelt,  gibt  er  an,  dass  man  die  ersten  20  Jahre  amay 
tun  oder  lamay  tun,  den  „viereckigen  Stein",  genannt  und  die  vier  letzten 
Jahre  als  lath  oc  katun  oder  chek  oc  katun,  „Fussgestell  des  Katun",  ge- 
wisserraassen  als  überschüssige  Jahre,  bezeichnet  habe.  Letztere  wären, 
gleich  den  fünf  über  die  Zahl  18  x  20  oder  360  überschüssigen  Tagen  des 
Jahres,  als  unheilvoll  betrachtet,  daher  u  yail  haah  genannt  worden. 

Ich  muss  gestehen,  dass  diese  bestimmten  Angaben  mich  anfangs 
ziemlich  stutzig  machten.  Denn  ich  musste  doch  annehmen,  dass  ihnen 
in  gleicher  Weise  bestimmte  Angaben  der  Manuskripte  zu  Grunde  liegen. 
Ich  habe  mich  aber  doch  nachmalen  überzeugen  müssen,  dass  wir  es  auch 
bei  diesen  Erklärungen  Perez 's  mit  späteren  Hinein-Interpretatiouen, 
nicht  mit  wirklichen  Originalangaben,  zu  thun  haben. 

Das  Wort  tun  „Stein"  bezeichnet  in  diesen,  sich  auf  Zeitperioden  be- 
ziehenden Stellen  nichts  anderes,  als  „Abschnitt".  Die  verschiedenen  Ab- 
schnitte des  Katun  werden  als  der  fünfte,  sechste,  siebente  u.  s.  w.,  tun 
(Stein),  oder  als  der  fünfte,  sechste,  siebente  u.  s.  w.,  uutz  (ümbiegung, 
Falte,  Bausch)  bezeichnet.  Amay-tun  oder  lamay-tun  sind  also  die  „im 
A'iereck  gestellten  Abschnitte",  d.  h.  die  nach  den  vier  Himmelsrichtungen 
vertheilten  Abschnitte.  Wie  die  einzelnen  Tage  des  Tonalamatl  und  wie 
die  aufeinander  folgenden  Jahre,  werden  auch  die  einzelnen  Abschnitte 
des  Katun  einer  bestimmten  Himmelsrichtung  angehörig  betrachtet  worden 
sein.  Diese  einfache  Bedeutung  könnte  das  Wort  amay-tun  gehabt  haben, 
wenn  es  sich  nicht  überhaupt  auf  ganz  etwas  anderes,  auf  die  Monumente, 
die  man  als  Bilder  der  Katune  zu  errichten  pflegte,  bezog. 

Den  Ausdruck  chek  oc  katun  oder  lath  oc  katun  habe  ich  in  den  wenigen 
Stücken,  die  es  mir  seiner  Zeit  vergönnt  war,  aus  den  Büchern  des  Chilam 
Balam  zu  kopiren,  nicht  angetroffen.  Dagegen  habe  ich  an  einer  Stelle 
den  Ausdruck  cheeh  oc  katun  gefunden.  Und  obwohl  cheeh  oc  ebenfalls 
einen  ganz  bestimmten  und  von  chek  oc  verschiedenen  Sinn  hat,  —  ersteres 


582  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

wird  im  Lexikou  mit  „casoabeles",  letzteres  mit  „pedestal"  übersetzt,  — 
so  glaube  ich  doch,  dass  in  diesem  Falle,  sei  es  in  Folge  fehlerhafter 
Schreibweise,  sei  es  in  Folge  einer  thatsächlich  vorhandenen  Variation 
der  Aussprache,  der  Ausdruck  cheeh  oc  katun  dasselbe  bedeuten  soll,  wie 
das  von  Perez  gebrauchte  Wort  chek  oc  katun. 

Der  Abschnitt,  wo  dieser  Ausdruck  vorkommt,  folgt  unmittelbar  auf 
den  Bericht  Aber  die  '10  Jahre,  die  der  Schreiber  als  dem  Katun  5,  ahau 
zugehörig  aufzählt.  An  dem  Kopfe  des  Abschnittes  stehen  die  drei 
Hieroglvphen,  die  in  der  foloenden  Abbildung  wiedero-egeben  sind.  Die 
erste  ist  die  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  übliche  Zeichnung  des 
Tageszeichens  oc,  mit  einigen  Zeichen  verbimden,  die  vielleicht  Ziffern 
sein  sollen,  die  ich  aber  nicht  bestimmt  deuten  kann.     Die  zweite  Hiero- 


o 


a 


Abb.  1.  Abb.  2.  Abb.  3. 

glyphe  ist  die  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  übliche  Zeichnung  des 
Tageszeichens  cauac,  verbunden  mit  der  Zahl  vier  (rechts  von  der  Hiero- 
glyphe). Die  dritte  ist  das  Tageszeichen  ahau,  verbunden  mit  der  Zahl 
fünf  (ebenfalls  auf  der  rechten  Seite  der  Hieroglyphe).  Auf  diese  drei 
Hieroglyphen  folgt  dann,    gewissermassen  als  Erklärung,    folgende  Stelle.: 

oxlahun  oc  uil  u  katun  u  cheeh  oc  katun  yetel  canil  cauac  ti  uil  u  ualak 
u  nutz  katun  u  kinil  u  ppatic  u  poop  u  tzam  yulel  u  hei  u  luch  u  pop  u 
hei  u  tz^am  u  hei  yahaulil,  tu  luhul  u  euch  ah  ho  ahau. 

„Dreizehn  oc,  das  ist  der  Tag  des  Fussgestells  des  Katun,  und  vier 
cauac,  da  verwandelt  sich  das  Katun-Bündel,  es  ist  der  Tag,  an  dem  (der 
eine  Katun)  seine  Herrschaft  aufgibt,  und  ein  Wechsel  in  der  Herrschaft 
erfolgt,  indem  (auf  diesen  Tag)  der  Träger  (das  Zeichen,  der  Aufangstag) 
des  Katun  5.  ahau  fällt." 

Wie  man  sieht,  bezieht  sich  hier  der  Ausdruck  „Fussgestell  des 
Katun"  nicht  etwa  auf  einen  Zeitraum  von  vier  Jahren,  wie  Perez  er- 
klärte, sondern  auf  einen  von  70  (oder  70  -j-  x.  260)  Tagen.  Auch  beginnt 
der  cheeh  oc  katun  nicht  mit  dem  Anfangstage  eines  Jahres,  sondern  sein 
Anfang  fällt  mitten  in  das  Jahr  hinein.  Was  dieser  so  bezeichnete  Zeit- 
raum nun  aber  für  eine  besondere  Bedeutung  hatte,  darüber  habe  ich 
allerdings  keine  Nachrichten.  Landa  berichtet,  dass  man  in  jedem  Katun, 
nach  Ablauf  der  ersten  zehn  Jahre,  neben  dem  Idol  des  laufenden  Katun 
das  des  folgenden  aufgerichtet  habe,  und  dieses  habe  dann  schon  für  die 
zweite  Hälfte  des  laufenden  Katmi  Bedeutung  gehabt.  Vielleicht  wm'den 
in     einem    letzten    Abschnitt   jedes    Katun    schon    im    Hinblick    auf    den 


15.   Die  wirkliche  Länge  des  Katun's  der  May a- Chroniken.  583 

kommenden  Katun  besondere  Zärimonien  gefeiert,  wie  in  den  .cma  kaba 
kin,  den  letzten  fünf  Tagen  des  Jahres,  besondere  Zärimonien  im  Hinblick 
auf  das  kommende  nächste  Jahr  gefeiert  wurden.  Und  es  hat  deshalb 
vielleicht  Perez  nicht  Unrecht,  wenn  er  diesen  chek  oc  katun  genannten 
Zeitraum  mit  dem  xma  kaba  kin  vergleicht. 

AVie  dem  auch  sei,  dieses  ganze  Kapitel  des  Chilam  Balam  von  Mani 
enthält  die  bündigste  Widerlegung  der  Perez'schen  Theorien.  Die  Katune 
der  Maya  fiengen  nicht  immer  mit  einem  cawöc-Jahre  an.  Die  Träger  der 
Jahre,  in  denen  ein  Katun  begann,  wechselten  vielmehr.  In  dem  Katun 
5.  ahau  z.B.,  der  in  das  Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  fiel,  war  es 
das  Jahr  13.  kan.  Die  Katune  begannen  auch  nicht  mit  dem  Anfangstage 
eines  Jahres,  sondern  ihr  Anfang  fiel  mitten  in  das  Jahr  hinein.  Der  ge- 
nannte Katun  5.  ahau  z.  B.  begann  am  siebzehnten  Tage  des  fünften  Uinal. 
Die  Katune  erstreckten  sich  eben  nicht  über  24  Jahre,  sondern  kamen 
noch  vor  Ablauf  des  zwanzigsten  Jahres  zum  Schluss. 

Von  Neueren  hat  insbesondere  Cyrus  Thomas  sich  die  Vertheidigung 
der  Perez'schen  Theorie  angelegen  sein  lassen^).  Seine  Beweisgründe 
sind  aber  nichtig.  Denn  sie  beruhen  auf  einer  falschen  Deutung  der 
rothen  und  schwarzen  Ziffern  in  den  Handschriften.  Und  es  ist  mir 
eigentlich  unverständlich,  wie  Förstemann,  der  uns  die  wahre  Bedeutung 
der  rothen  und  schwarzen  Ziffern  kennen  lehrte,  die  Auseinandersetzungen 
Thomas'  über  die  Katun-Länge  eine  „grundlegende  Untersuchung"  nennen 
konnte^).  Für  Förstemann  selbst  ist  der  Katun  von  24  Jahren  ge- 
wissermassen  ein  theoretisches  Postulat.  Denn  24  Jahre  seien  das  drei- 
fache von  8  Jahren,  und  letzteres  sei  der  Zeitraum,  in  welchem  sowohl 
die  Umlaufszeit  der  Sonne,  wie  die  des  Planeten  Yenus,  ohne  Rest  theilbar 
seien.  Der  Nachweis  ist  aber  noch  nicht  erbracht,  und  wird  meiner  An- 
sicht nach  auch  schwer  erbracht  werden  können,  dass  für  die  Fixirung 
jener  grossen  Zeitperiode,  die  die  Maya  Katun  nannten,  die  Umlaufszeit 
der  Yenus  in  irgend  einer  Y^eise  massgebend  gewesen  ist. 

Ich  habe  nun  versucht,  auf  Grund  der  von  dem  Chilavi  Balam  von 
Mani  gelieferten  Daten  die  Anfangszeiten  der  Katune  zu  bestimmen.  Für 
die  Berechnung  der  entsprechenden  Daten  der  christlichen  Zeitrechnung 
ist  angenommen  worden,  dass  der  Anfangstag  der  Maya-Jahre,  der  erste 
Tag  des  Uinal  pop,  um  die  Mitte  des  Katun  9.  ahau^  —  das  ist  etwa  die 
Zeit,  in  der  die  Abfassung  der  hauptsächlichsten  Stellen  der  Bücher 
des  Chilam  Balam  geschah,  —  auf  den  14.  Juli  alten  Styls  fiel.  Für  diese 
Annahme  habe  ich  eine  direkte  Stütze  in  einer  Stelle  des  Buches  von 
Titzimm,    wo    es    heisst:    —    tu  vaxac  lahunte  sac  ti  huluc  huen  tu  holhum 


1)  A   study    of   the    Manuscript  Troano.     Contributions    to    Xorth   American 
Ethnology.     Yol.  V.,  p.  29  ff. 

2)  Globus.     Bd.  63.     Nr.  2. 


584 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hierogrlyphen-Entzifferuug. 


pis   kin   febrero    1644    hab    „am    achtzehnten 
11.  chtien,  am  15.  Februar  des  Jahres  1544". 
=  15.  Februar  1544  ist,  so  ist  7.  w-,  1.  zaac  ■■ 
\.  pop  =  U.  Juli  1543. 


des  (UinaFs)  Zac.  am  Tage 
—  Wenn  11.  chuen,  18.  zaac 
=  30.  Januar  1544,  und  2.  i.i\ 


Name 

Name 

Anfang«  tag 

Datum  der 

des 

des 

des 

christlichen  Zeitrechnung 

Katun 

Jahres 

Katun 

(alten  Stvls) 

VIII.  ahau 

11.   w- 

7.  chheen 

=  29.  Januar        1436. 

YI.       „ 

5.  ijc 

7.  2o'te 

=  15.  Oktober      1455. 

IV.       „ 

11.  muluc 

12.  kai/ab 

=    3.  Juli             1475. 

II.       „ 

5.  muluc 

12.  cM 

=  19.  3rärz            1495. 

XIII.      „ 

12.  muluc 

12.  ifaxkin 

=    5.  Dezember  1514. 

XI.      „ 

6.  muluc 

12.    2^0 

=  22.  August        1534. 

IX.      „ 

12.  kaii 

17.  ??ioaw 

=    9.  Mai              1554. 

YII.      „ 

6.  ^aw 

17.  yao: 

=  24.  Januar         1574. 

V.      „ 

13.  A-aw 

17.  zeec 

=  16.  Oktober      1593. 

Ich  habe  an  anderer  Stelle  die  Bedeutung  des  Maya-Kalenders  für  die 
historische  Chronologie  näher  erörtert^)  und  bemerke  hier  nur,  dass  das 
einzige  Ereigniss.  was  mit  einiger  Genauigkeit,  sowohl  nach  der  indianischen, 
wie  nach  der  christlichen  Zeitrechnung,  registrirt  ist.  die  Festsetzung  der 
Spanier  in  Merida  in  Folge  des  am  Tage  des  Heiligen  Barnabas  (11.  Juni 
a.  St.)  des  Jahres  1541  erfochtenen  Sieges,  in  einer  im  Chilam  Balam  von 
Chumayel  enthaltenen  Chronik  in  den  siebenten  Abschnitt  des  Katun 
11.  ahau  gesetzt  wird,  was  genau  zu  der  oben  gegebenen  Berechnung  der 
Katun-Anfänge  stimmt.  Etwas  abweichend  gibt  ein  sonst,  wie  es  scheint, 
ziemlich  zuverlässiger  Chronist,  Nakuk  Pech,  der  Kazike  des  Dorfes  Chhac 
Xulub  Chheen.  den  fünften  Abschnitt  des  Katun  11.  ahau  für  dies  Er- 
eigniss an.  Er  muss  also  den  Anfang  von  11.  ahau  nicht  in  dem  Jahre 
1534,  sondern  in  1536  —  oder,  falls  er  unter  der  Festsetzung  der  Spanier 
in  Merida  die  Gründung  von  Merida  im  Januar  1542  verstand,  in  dem 
Jahre  1537  —  angenommen  haben.  In  Uebereinstimmung  damit  setzt  er 
an  einer  anderen  Stelle  den  Schluss  des  zweitvorhergehenden  Katun  in 
das  Jahr  1517.  Ich  bin  im  Allgemeinen  geneigt,  die  Feststellung  des 
Chilam  Balam  von  Ma?ii,  auf  Grund  deren  die  obige  Berechnung  der 
Katun-Anfänge  gemacht  ist.  für  zuverlässiger  zu  halten.  Jedenfalls  aber 
geht  aus  den  beiden  Stelleu  der  genannten  Chronik  unzweifelhaft  hei-vor, 
dass  auch  Nakuk  Pech  die  Grösse  des  Katun  zu  20  Jahren  oder  etwas 
weniger  als  20  Jahre  annahm^). 


1)  Globus  68.     Nr.  .3.     Ygl.  unten  S.  ö8.'5  ff. 

2)  Ganz  im  Gegensatz  dazu  folgert  Brinton  in  einer  Anmerkung  zu  der 
Chronik  des  yakuk  Pech  (Maya  chronicles  p.  250),  dass  Pech  die  Kahme  zu 
24  Jahren  gerechnet  haben  müsse,  ^  „because  he  has  already  informed  us  in  his 


15.    Die  wirkliche  Länge  des  Katun's  der  Maya-Clironiken.  585 

In  demselben  Aufsatz,  in  dem  icli  die  in  Obigem  näher  begründete 
Theorie  über  die  wahre  Länge  des  Katun  aufstellte,  hob  ich  auch  hervor, 
dass  aus  der  Art  und  Weise,  wie  in  der  Dresdener  Handschrift  ein  be- 
stimmter Tag  einerseits  durch  seine  Ziffer  und  sein  Zeichen,  andererseits 
durch  die  Beziehung  auf  einen  bestimmten  Uinal,  d.  h.  sogenannten  Monat 
von  20  Tagen,  bezeichnet  werde,  mit  unzweifelhafter  Gewissheit  hervor- 
gehe, dass  zu  der  Zeit  und  an  dem  Orte,  wo  die  Dresdener  Handschrift 
entstanden  sei,  die  Jahre  nicht,  wie  in  Yucatan  zu  Bischof  Landa's  Zeit, 
mit  den  Tagen  kan^  muluc,  ix^  cauac,  sondern  mit  been^  e'tznab^  akbal^  lamat, 
die  den  mexikanischen  acatl,  tecpatl,  colli,  tochtli  entsprechen,  begonnen 
worden  seien  ^).  In  der  That  sind  die  sämmtlichen  kombinirten  Daten  der 
Dresdener  Handschrift  —  und,  wie  ich  gleich  hinzusetzen  will,  auch  die 
der  Stelen  von  Copan  und  der  Altarplatteu  von  Palenque,  nach  dem 
Schema  4.  ahau\  8.  cumku  konstruirt,  d.  li.  von  einem  Tage,  der  die  Ziffer 
4.  und  das  Zeichen  aliau  trägt,  wird  ausgesagt,  dass  er  der  achte  des 
Üinal's  cumku  ist.  Wenn  aber  ein  Tag  4.  ahau  der  achte  des  Uinal's  cumku 
sein  soll,  so  nmss  der  erste  Tag  dieses  üinal's  der  Tag  10.  been  gewesen 
sein,  und  folglich  auch  das  Jahr  selbst  mit  einem  Tage  been  begonnen 
haben. 

Dieser  andere  Jahresanfang  in  der  Dresdener  Handschrift  ist  die  ein- 
fache und  natürliche  Erklärung  der  vermeintlichen  Inkongruenz  in  der 
Bezeichnung  der  kombinirten  Daten,  die  Förstemann  durch  die  Annahme, 
dass  die  Ziffer,  die  die  Stelle  des  Tages  im  Uinal  angebe,  auf  das 
Fest,  Ziffer  und  Zeichen  des  Tages,  selbst  auf  den  heiligen  Abend  Bezug 
habe,  zu  entfernen  versuchte.  Dass  Verschiebungen  des  Jahresanfangs 
stattgefunden  haben,  wissen  wir  ja.  Der  Vergleich  zwischen  dem  mexi- 
kanischen und  dem  Maya-Kalender  lehrt  uns  das.  Und  ich  will  hier  bei- 
läufig erwähnen,  dass  auch  noch  andere  Jahresanfänge,  als  die  des  mexi- 
kanischen und  des  Maya-Kalenders,  bekannt  sind.  In  der  einen  der  Bilder- 
Handschriften,  die  in  dem  grossen,  von  der  Junta  Colombina  de  Mexico 
herausgegebenen  Werke  reproduzirt  sind,  und  zwar  derjenigen,  die  dem 
Präsidenten  der  Republik  zu  Ehren  Codice  Porfirio  Diaz  getauft  w^orden 
ist,  sind  als  .lahresnamen,  d.  h.  als  Jahresanfänge,  Tage  mit  den  Zeichen 
eecatl,  ma^atl,  malitialli,  olin,  den  den  Zeichen  acatl,  tecpatl,  calli,  tochtli 
vorhergehenden  Zeichen,  angegeben.  Dass  aber  wirklich  mit  8.  cwnku 
nur  der  achte  Tag  des  UinaFs  cumku  gemeint  sein  kann,  das  lehren  uns  die 
kombinirten  Daten,  die  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  erwähnt  werden. 


introductory  paragraph  that  the  year  1541  was  the  close  ofUth-  ahau,  and 
1541-1517  =  24".  —  In  dem  einleitenden  Abschnitt  steht  aber  nicht,  dass  1541 
der  Schluss,  sondern  dass  es  der  fünfte  Abschnitt  von  11.  ahau  war.  Nakuk 
Fi'ch  setzt  also  den  Anfang  von  11.  ahau,  bezw.  den  Schluss  von  13.  ahau  in 
15:37  an,  und  1537-1517  =  20. 

1)  Zeitschr.  f.  Ethnol.    XXIII.    1891.    S.  H)3. 


58b'  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Unter  diesen  ist  vor  Allem  das  Datum,  das  den  Todestag  des  Ahpula 
Napot  Xiu  angibt,  bemerkeuswerth.  Dieses  Datum  wird  in  dem  Chilam 
Balam  von  Mani,  und  übereinstimmend  damit  auch  in  dem  Chilam  Balam 
von  Titzimin  und  in  der  einen  Liste  des  Chilam  Balam  von  Cliumayel 
folgendermassen  bezeichnet. 

ti  yanil  u  xocol  haab  ti  lakin  cuchil 

canil  kan  cumlahi  pop 

tu  holhun  zip  catac  o.c  ppeli 

holon  imiv  u  kinil  lai  cimci  Ahpula. 

„Als  die  Zählung  der  Jahre  im  Osten  war, 

und  „vier  kan^  den  Uinal  pop  begann, 

am  18.  Tage  des  UinaVs  zip, 

am  Tage  9.  imix  starb  Ahpula."' 

Hier  soll  also  9.  imix=l%  zip^  d.h.  der  achtzehnte  Tag  des  dritten 
der  mit  dem  üinal  pop  beginnenden  zwauzigtägigen  Zeitabschnitte  sein. 
Und  in  der  That,  wenn  9.  imia;  der  achtzehnte,  so  ist  5.  kan  der  erste  Tag 
des  Uinal's  zip,  und  folglich  4.  kan  der  erste  des  UinaFs  pop,  genau  wie  in 
dem  Text  angegeben  ist.  —  Andere  kombiuirte  Daten  sind  z.  B.  p.  115 
des  Chilam  Balam  von  Mani: 

tu  uaxac  lahunte  zaac, 

tu  buluc  te  chuuen. 

„am  Tage  11.  chuen,  dem  18.  des  UinaFs  zac'^ . 

Hier  muss,  wenn  11.  chuen  der  achtzehnte  des  Uinal's  zac  sein  soll, 
ein  Tag  7.  ix  der  erste  dieses  Uinal's  gewesen  sein,  und  folglich  das  Jahr 
mit  dem  Tage  2.  ix  begonnen  haben.  In  air  diesen  Fällen  haben  wir 
also  kombiuirte  Daten  für  den  in  Yucatan  zu  der  Zeit  üblichen  Jahres- 
anfang kan,  muluc,  ix,  cauac  genau  in  derselben  Weise  konstruirt,  wie  in 
der  Dresdener  Handschrift  die  kombinirten  Daten  für  den  Jahresanfang 
heen,  etznab,  akbal,  lamat  konstruirt  sind. 

Diesen  einfachen  und  klaren  Sachverhalt  glaubt  Brintou  in  seiner 
jüngsten  Schrift  über  den  einheimischen  Kalender  der  zentralamerikanischen 
Stämme  noch  leugnen  zu  müssen.  Er  führt  Cyrus  Thomas  als  Gewährs- 
mann au  und  sagt:  „In  some  correspondance  I  have"  had  with  Prof.  Cyrus 
Thomas,  ...  he  states  his  entire  agreement  with  Dr.  Förstemann 
that  the  Dresden  Codex  follows  the  usual  method  of  counting  by  the  four 
year  series  as  the  kan,  muluc,  ix  and  cauac  years"^).  —  Ich  weiss  nicht, 
wann  diese  briefliche  Mittheilung  Briuton  zugegangen  ist.  Jedenfalls 
hat  sich  Cyrus  Thomas  sehr  bald  nach  dem  Erscheinen  der  Brinton'schen 
Schrift    bekehrt.     In    seiner,    im  Jahre  1894    in  den  Schriften  der  Smith- 


1)  „The  Native  Calendar  of  Central  America  and  Mexico."    Philadelphia  1893. 
p.  11. 


15.   Die  wirkliche  Länge  des  Katun's  der  Maya-Chroniken.  587 

sonian  Institution    erschienenen    Abhandlung    über    das  Maya-Jahr^)  stellt 
er  sich  ganz  auf  den  in  dieser  Frage  von  mir  vertretenen  Standpunkt. 

Es  ist  nun  diese  Thatsache,  dass  in  der  Dresdener  Handschrift  die 
.Fahre  an  anderen  Tagen  begannen,  nicht  nur  in  allgemeiner  Hinsicht  von 
Interesse,  sondern  auch  deshalb,  weil  dadurch  dieser  Handschrift  eine 
besondere  Stelle  gegenüber  den  anderen  Maya-Handschriften  oder,  genauer, 
dem  Codex  Tro-Cortes^}  zugpwiesen  wird.  In  der  letzteren  Handschrift 
werden,  das  lehren  die  Blätter  Codex  Tro  20 — 23,  genau  wie  in  Yucatan 
zu  Bischof  Landa's  Zeit,  die  Jahre  mit  den  Tagen  kan,  muluc,  ia,  cauac 
begonnen.  Und  dazu  kommt,  dass  aueli  die  Form  der  Hieroglyphen  dieser 
Handschrift  und  die  ganze  lüderliche  Art  der  Zeichnung  zu  den  Beispielen, 
die  Bischof  Landa  gibt,  vortrefflich  passen.  Wir  werden  kaum  fehl 
gehen,  wenn  wir  den  Codex  Tro-Cortes  als  jüngere  und  als  in  Yucatan 
entstandene  Handschrift  annehmen.  Für  die  Entscheidung  über  das  Alter 
und  die  Herkunft  der  Dresdener  Handschrift  ist  es  dagegen  von  schwer- 
wiegender Bedeutung,  dass  auf  den  Stelen  von  Copan  und  auf  den 
Altarplatten  von  Palenque,  worauf  schon  Förstemann  und  Cyrus 
Thomas  aufmerksam  machten,  die  kombinirten  Daten  genau  in  der  Weise 
der  Dresdener  Handschrift  konstruirt  sind,  dass  also  auch  für  die  Erbauer 
der  Monumente  von  Copan  und  der  Tempel  von  Palenque  angenommen 
werden  muss,  dass  sie  die  Jahre  nicht  mit  den  Tagen  kan^  muluc,  ix,  cauac, 
sondern  mit  been,  e'tznah,  akbal,  laviat,  den  den  mexikanischen  acatl,  tecpatl, 
calli,  tochtli  entsprechenden  Tagen  begannen.  — 


1)  The  maya  year,  by  Cyrus  Thomas.     Sraithsonian  Institution.    Bureau  of 
Ethnology  1894.    p.  41. 

2)  Diese  beiden,  durch  besondere  Benennungen  unterschiedenen  Handschriften 
sind  nur  die  beiden  Hälften  einer  und  derselben  Handschrift. 


588  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


16. 

Bedeutimg  des  Maya- Kalenders  für  die  liistorisclie 

Chronologie. 

Globus,  Bd.  LXVIII.    Nr.  3.    Juni  1895.    S.  37-41. 


In  den  Traditionen  der  mexikanischen  und  zentralamerikanischeu 
Stämme  wird  von  einer  Kulturnation  berichtet,  die  vor  allen  anderen  im 
Lande  gewesen  sei,  und  die  die  Erfinderin  aller  Künste  und  Wissen- 
schaften war.  Das  sind  die  Tolteken.  Unter  anderem  wird  dieser  Nation 
auch  die  Erfindung  des  Kalenders  zugeschrieben,  und  es  wird  berichtet, 
dass  sie  auf  ihren  Wanderungen  ihre  Bücher  mit  sich  führten,  und  dass 
sie  geleitet  waren  von  ihren  Weisen  und  Wahrsagern,  den  Amoxuaque, 
„die  sich  auf  die  Bücher,  d.  h.  die  Bilderschriften,  verstanden".  Es  ist 
das  gewissermassen  die  Beglaubigung  dafür,  dass  sie  als  die  Erfinder  aller 
Künste  und  Wissenschaften  genannt  werden.  Denn  der  Kalender  bildet 
in  der  That  das  Alpha  und  Omega  der  zentralamerikanischen  Priester- 
weisheit, und  die  Hauptmasse  der  mexikanischen  und  der  Maya -Hand- 
schriften ist  weiter  nichts  als  eine  Ausgestaltung  dieses  Kalendersystems 
nach  seiner  zahlentheoretischen,  seiner  chronologischen  und  seiner  divi- 
natorischen  Seite. 

Worin  das  Wesen  dieses  Kalenders  besteht,  dass  er  aus  der  Grund- 
zahl 20  durch  Kombination  mit  der  Zahl  13  hervorgegangen  ist,  ist  eine 
bekannte  Sache.  Und  dass  aus  der  Anwendung  dieses  Grrundsystems  auf 
ein  Sonnenjahr  von  365  Tagen  die  eigenthümliche  Periode  von  52  Jahren, 
die  bei  den  mexikanischen  Stämmen  in  Gebrauch  war,  unmittelbar  hervor- 
geht, lehrt  eine  einfache  Rechnung^).  Meinungsverschiedenheiten  bestehen 
noch,  wie  weit  die  Mexikaner  selbst  es  verstanden,  das  System  mit  der 
wirklichen  Zeit,  dem  Sonuenjahre  und  den  Umläufen  der  verschiedenen 
Himmelskörper,  in  Uebereinstimmung  zu  bringen. 

Bei  den  Maya -Stämmen  scheint  das  System  besonders  nach  seiner 
zahlentheoretischen  Seite  zur  Ausbildung  gebracht  zu  sein.  Das  zeigen 
die  langen  und  bis   zu  beträchtlicher  Höhe    steigenden  Zahlenreihen,    die 


1)  Vgl.  Zeitschrift  für  Ethnologie  (1891),  Bd.  23,  S.  91  (oben  S.  508,  509). 


16.    Bedeutung  des  Maya-Kalenders  für  die  historische  Chronologie.  589 

Förstemanu  uus  zuerst  kennen  und  lesen  gelehrt  hat.  Aus  diesen  Zahlen- 
reihen scheint  eines  mit  Bestimmtheit  hervorzugehen,  dass  ausser  der 
Bewegung  der  Sonne  auch  die  der  grossen  Planeten  beobachtet  wurde, 
und  dass  man  die  Umlaufszeit  dieser  mit  dem  Sonnenjahre  von  365  Tagen 
und  mit  der  Periode  von  20x13  Tagen,  der  eigentlichen  Grundlage  des 
Systems,  in  Verbindung  zu  bringen  gewusst  hat.  Die  scheinbare  Umlaufs- 
zeit der  Yenus  kann  mit  ungefährer  Genauigkeit  auf  584  Tage  angesetzt 
werden.  Fünf  solcher  Umläufe  ergeben  die  Zahl  2970  oder  acht  Sonnen- 
jahre von  365  Tagen,  Und  gerade  diese  Zahl  liegt  den  Rechnungen  be- 
stimmter Blätter  der  Dresdener  Handschrift  deutlich  zu  Grunde.  65  solcher 
Umläufe  aber  ergeben  die  Zahl  37  960,  das  ist  das  Doppelte  der  Periode 
von  52  Jahren,  die,  wie  ich  sagte,  das  unmittelbare  Ergebniss  der  An- 
wendung der  Tagesbezeichnung  nach  dem  Systeme  der  20  Zeichen  und 
13  Ziffern  auf  das  Sonnenjahr  von  365  Tagen  ist.  In  ähnlicher  Weise 
scheint  auch,  wie  Försteniann  ebenfalls  nachgewiesen  hat,  der  schein- 
bare Umlauf  des  Merkur  um  die  Sonne,  der  in  115  Tagen  vollführt  wird, 
mit  der  Periode  von  20X13  Tagen  in  Verbindung  gebracht  worden  zu 
sein.  Denn  104  dieser  Umläufe  ergeben  die  Zahl  11 960,  die  gleichzeitig 
das  46  fache  der  Periode  von  20X13  Tagen  ist.  Und  diese  Zahl  liegt 
wiederum  anderen  Blättern  der  Dresdener  Handschrift  deutlich  zu  Grunde  ^J. 
Während  nun  diese  Ausgestaltung  des  Systems  durch  die  ausgedehnten, 
über  ganze  Reihen  von  Blättern  sich  ersti-eckenden  Rechnungen  ziemlich 
klar  gestellt  ist,  sind  wir  über  die  Kardinalfrage  noch  immer  im  Un- 
gewissen, ob  die  Maya  und  die  Mexikaner  dies  System,  in  dem  doch  immer 
nur  ganze  Tage  gezählt  werden,  mit  der  einen  Bruchtheil  eines  Tages 
einschliessenden  wirklichen  Jahreslänge  in  Uebereinstimmung  zu  bringen 
wussten,  mit  anderen  Worten,  ob  sie  Einschaltungen  kannten,  und  wie 
sie  dieselben  vornahmen.  Dass  das  Sonnenjahr  von  365  Tagen  mit  Noth- 
wendigkeit  eine  Verschiebung  des  Jahresanfangs  bewirkte,  die  innerhalb 
verhältuissmässig  kurzer  Zeiträume  sich  sehr  benierklich  macheu  musste, 
ist  klar.  Dass  diesem  Umstände  bei  den  Mexikanern  nicht,  oder  wenigstens 
innerhalb  kürzerer  Zeiträume  nicht  Rechnung  getragen  wurde,  das  beweist 
die  Verschiebung  des  Jahresanfangs,  die,  wie  ich  nachgewiesen  habe,  in 
der  Zeit  von  der  Eroberung  der  Stadt  Mexico  bis  zu  der  Zeit,  wo 
P.  Sahagun  seine  Aufzeichnungen  machte,  thatsächlich  stattgefunden  hat^). 
Die  Maya  waren  den  Mexikanern  gegenüber,  was  chronologische  Datirungen 
betrifft,  dadurch  günstiger  gestellt,  dass  sie  erstens  grössere  Perioden  von 
etwas  über  256  Jahren  hatten,  innerhalb  deren  sie  wenigstens  13  Abschnitte 
o-enauer  bezeichnen  konnten.      Und  ferner  scheint  sowohl   aus   den  Hand- 


1)  Fürstemann,  Die  Zeitperioden  der  Mayas,     Globus,  Bd.  63,  Nr.  2. 

2)  Die  ßilderhandschriften  .\lexander  von  Humboldt's  in  der  Königlichen 
Bibliothek  zu  Berlin  (vgl.  oben  S.  1«0,  181). 


590  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferuiio;. 

Schriften  wie  aus  den  Steimleiikmälern  hervorzugehen,  dass  die  Maya  ein 
Normaldatum  besassen,  auf  das  alle  icegenwärtigeu,  vergangenen  und  zu- 
künftigen Ereignisse  bezogen  wurden,  indem  einfach  die  Tage  von  den- 
selben aus  oder  bis  dahin  gezählt  wurden.  Dieses  Normaldatum,  das  uns 
ebenfalls  Forste  mann  kennen  lehrte,  ist  4  ahau  8  cumku,  d.  h.  der  mit 
der  Ziffer  4  und  dem  Zeichen  ahau  bezeichnete  Tag,  der  der  achte  des 
Monats  cumku  war.  Wo  in  den  Handschriften  Tages-  und  Monatsdaten 
genauer  angegeben  sind,  da  weisen  die  dabei  geschriebenen  Zahlen  immer 
auf  jenes  Normaldatum  als  Anfangs-  oder  Ausgangspunkt  hin.  Die  Stelen 
von  Copan  und  Quirigua,  die  Altarplatten  von  Palenque  tragen  alle  an 
ihrer  Spitze  eine  grosse  Zahl,  auf  die  ein  Datum,  ein  ahau,  das  An- 
fangsdatum oder  der  Name  einer  Periode  von  20x360  Tagen,  folgt. 
I'nd  diese  grossen  Zahlen  sclieiueu  überall  den  Abstand  des  letzteren 
Datums  von  dem  oben  erwähnten  Normaldatum  anzugeben.  Wo  eine  so 
oenaue  Zeitbestimmung  vorliegt,  und  wo  der  Zeitbestimmung  eine  solche 
Wichtigkeit  beigelegt  wird,  dass  ausnahmslos  die  in  den  verschiedenen 
Perioden  errichteten  Monumente  an  erster  Stelle  diese  Zeitbestimmung 
bringen,  da  durfte  mau  wohl  erwarten,  dass  diese  Leute  auch  im  Stande 
waren,  etwas  Ordnung  in  den  Kalender  zu  bringen,  die  aus  der  zu  kurz 
genommeneu  Jahreslänge  resultirenden  Verschiebungen  zu  reduziren.  Es 
ist  aber  in  der  That,  wie  ich  sagte,  noch  nicht  gelungen,  hierüber  ins 
Klare  zu  kommen. 

Als  Ausläufer  der  Maya -Handschriften  sind  die  sogenannten  Bücher 
des  Chüam  Balavi  zu  betrachten,  die  ihrer  Mehrzahl  nach  gegen  Ende 
des  16.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  entstanden  sind, 
und  die,  in  der  von  den  Mönchen  gelehrten  und  erfundenen  Schrift  das, 
was  damals  noch  von  alten  Traditionen  in  dem  Gedächtnisse  einzelner 
Leute  haftete,  wiedergeben.  Es  ist  zu  bedauern,  dass  diese  wichtigen 
Quellen,  die  in  verschiedenen  Abschriften  in  Yucatan  existiren,  und  von 
denen  auch  unser  unermüdlicher  Landsmann,  der  viel  zu  früh  für  die 
Wissenschaft  verstorbene  Dr.  Hermann  Berendt,  Kopien  gemacht  hat, 
die  nach  seinem  Tode  von  Prof.  Brinton  angekauft  wurden,  noch  nicht 
veröffentlicht  worden  sind.  Denn  dass  in  diesen  Büchern  im  Allgemeinen 
ähnliche  Gegenstände  behandelt  sind,  wie  wenigstens  in  einem  Theile  der 
hieroglyphischen  Maya- Handschriften,  und  dass  in  ihnen  noch  ein  gut 
Theil  von  den  alten  Traditionen  steckt,  dafür  habe  ich  in  Huelva, 
gelegentlich  der  vorletzten  Tagung  des  Amerikanisten  -  Kongresses  im 
Jahre  1892,  einige  Belege  gegeben. 

Li  diesen  Büchern  ist  auch  das  Wenige  enthalten,  was  von  historischen 
Nachrichten  aus  alter  Zeit  von  der  Tradition  aufbewahrt  worden  ist.  Sie 
sind  von  Brinton  zusammengestellt  und  in  dem  ersten  Bande  seiner 
Library  of  Aboriginal  American  Literature  unter  dem  Titel  „Maya  Chronicles" 
veröffentlicht  worden.      Kurze  Chroniken    sind  es  in  der  That,   eine  Auf- 


16.    Bedeutung  des  Maya-Kal enders  für  die  historische  Chronologie.  591 

Zählung  der  Zeiträume  oder  Perioden,  Katun  genannt,  die  seit  der  Ein- 
wanderung in  das  Land  verflossen,  und  der  wenigen  denkwürdigen  Er- 
eignisse, die  die  Tradition  festgehalten  hat.  „Das  ist  die  Reihe  der 
Katune",  „das  ist  die  Aufzählung  der  Katune",  „das.  ist  der  Bericht  über 
die  Katune"  —  sind  die  stereotypen  Formeln,  mit  denen  der  Text  dieser 
Chroniken  beginnt. 

Die  Perioden,  die  gezählt  werden,  die  Katune,  sind  von  ziemlicher 
Länge.  Ueber  ihre  wirkliche  Grösse  besteht  bis  in  jüngster  Zeit  eine 
Kontroverse.  Während  die  älteren  spanischen  Autoren,  Bischof  L^nda, 
Cogolludo,  ausnahmslos  sie  zu  20  Jahren  angeben,  und  dieselbe  Länge 
auch  den  Zusammenrechnungen  zu  Grunde  liegt,  die  in  dem  Texte  der 
Bücher  des  Chilavi  Balam  vorgenommen  wurden,  wird  in  Randglossen  zu 
diesem  Texte,  die  aber  augenscheinlich  von  späterer  Hand  hinzugefügt 
sind,  die  Länge  des  Katun  zu  24  Jahren  angegeben.  Und  das  gleiche  ist 
in  neuerer  Zeit  von  dem  yukatekischen  Archäologen  Pio  Perez  mit 
grosser  Bestimmtheit  behauptet  worden.  Ich  habe  schon  vor  Jahren  darauf 
hingewiesen^),  dass  aus  der  Art,  wie  die  Katune  benannt  und  gezählt 
wurden,  dass  sie  nämlich  mit  dem  Zeichen  des  Tages  ahau  und  einer 
Ziffer  benannt  wurden,  die  bei  jedem  folgenden  Katune  um  den  Wert 
von  zwei  vermindert  erscheint,  —  also  13 — ,  11 — ,  9 — ,  7 — ,  5 — ,  3 — , 
1—,  12 — ,  10 — ,  8—,  6 — ,  4 — ,  2  ahau  — ,  zu  entnehmen  ist,  dass  die 
Länge  des  Katun  weder  20,  noch  24  Sonnenjahre,  sondern  20><360  Tage 
betrug,  ein  Zeitraum,  mit  dem  die  Maya  in  der  That  rechneten,  wie  aus 
der  Zifferschreibung  der  Dresdener  Handschrift,  die  Förstemann  uns 
kennen  gelehrt  hat,  mit  Sicherheit  hervorgeht.  Es  ist  nur  eine  Uugenauig- 
keit  von  den  Alten,  wenn  diese  von  20  Jahren  statt  von  20x360  Tagen 
sprechen.  Und  die  neuere  Theorie  der  Katunlänge  von  24  Jahren  ist 
augenscheinlich  daraus  entstanden,  dass  die  Anfangstage  24  jähriger 
Perioden  dieselbe  Benennung  erhalten  würden,  wie  die  der  Perioden  von 
l'OO  Tagen. 

Ich  habe  auf  Grund  einer  Stelle  in  dem  Buche  des  Chilam  Balam 
von  Mani,  die  den  Anfang  des  Katun  5.  ahau  auf  den  17.  Tag  des 
Monats  zeec  im  Jahre  13.  kan  =  A.  D.  1593  ansetzt,  die  Anfangstage  der 
Katune  in  folgender  Weise  berechnet^): 

Datum  der  christlichen 
Zeitrechnung 

=  29.  Januar  1436 
=  15.  Oktober  1455 
=     3.  Juli  1475 

1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  (1891),  Bd.  23,  S.  112  (oben  S.  533). 

2)  In  einem  Aufsatze,  der  im  Juni  dieses  Jahres  der  Berliner  anthropolo- 
gischen Gesellschaft  vorgelegt  wurde. 


Name  des 

Name  des 

Anfangstag 

Katun 

Jahres 

des  Katun 

YIII.  ahau 

11.  ix 

7.  chheen 

\1.  ahau 

5.  ir 

7.  zo'tz 

IV.  ahau 

11.  muluc 

12.  kayah 

592  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Name  des  Name  des  Anfangstag  Datum  der  christlichen 

Katun  Jahres  des  Katiin  Zeitrechnung 

n.  ahau  5.   muluc  12.  ceh  =  19.  März  1495 

Xin.  ahau  12.  muluc  12.  yaxkin  =     5.  Dezember  1514: 

XL  ahau  6.  muluc  12.  uo  =  22.  August        1534 

IX.  ahau  12.  kan  17.  7noan  =     9.  Mai  1554 

Vn.  a/iau  6.  kan  17.  yaj;  =  24.  Januar         1574 

V.  ahau  13.  kan  17.  zeec  =  16.  Oktober      1593 

"Wer  sich  einmal  die  Mühe  genorameu  hat,  die  Daten  der  alten  mexi- 
kanischen Geschichte  nach  den  verschiedenen  Quellen  zusammenzustellen, 
wird  bald  die  Erfahrung  gemacht  haben,  dass  die  Chronologie  sehr 
im  argen  liegt,  ja  eine  genauere  Chronologie  fast  hoffnungslos  ist.  Das 
Datum  des  Falles  von  Mexico  ist  genau  festgehalten,  sowohl  nach  der  india- 
nischen, wie  nach  der  chi'istlichen  Zeitrechnung.  Und  diese  eine  Fest- 
stellung ermöglicht  wenigstens,  mit  annähernder  Sicherheit  eine  Konkor- 
danz der  beiden  Kalendersysteme  herzustellen^).  Aber  für  das,  was  davor 
liegt,  selbst  für  Ereignisse,  die  der  spanischen  Eroberung  ziemlich  nahe 
liegen,  gehen  die  Angaben  zum  Theil  weit  auseinander.  Noch  schlimmer 
fast  steht  die  Sache  für  die  Chronologie  der  Bücher  des  Chilam  Balam. 
Erstlich  ist  die  Liste  der  überlieferten  Ereignisse  eine  ausserordentlich 
dürftige.  Und  dann  können  nur  wenige  Daten  einigermassen  Anspruch 
auf  Zuverlässigkeit  macheu.  Bei  den  meisten  ergibt  sich  aus  der  An- 
ordnung des  ganzen  Berichtes,  dass  es  nach  einem  bestimmten  Schema 
angenommene,  keine  wirkliche  Daten  waren. 

Drei  Ereignisse  sind  es,  die  mit  einiger  Geuauigkeit  registrirt  sind: 
—  die  endgültige  Festsetzung  der  Spanier  und  die  Gründung  von  Merida. 
Der  Tod  eines  gewissen  Ahpula.  Und  das  erste  Erscheinen  der  Spanier 
auf  der  Halbinsel. 

Die  endgültige  Festsetzung  der  Spanier  war  die  Folge  des  Sieges, 
den  sie  am  Tage  des  heiligen  Barnabas,  d.  h.  am  11.  Juni  (alten  Styls) 
des  Jahres  1541  über  die  gewaltige  Liga  der  ihnen  feindlich  gesinnten 
yukatekischen  Häuptlinge  in  der  Stadt  Ich  can  zi  hoo,  dem  nachmaligen 
Merida,  erfochten").  Und  es  folgte  darauf,  am  6.  Januar  1542  die  Grün- 
dung der  spanischen  Stadt  Merida,  die  von  da  an  die  Hauptstadt  der 
Provinz  wurde ^).  Die  Berichte  der  einheimischen  Chronisten,  und  in 
L'ebereinstimmung  mit  ihnen  auch  der  erste  spanische  Chronist,  Bischof 
Landa,  setzen  dies  Ereignis  in  die  Periode,  die  den  Xamen  11.  ahau 
führt.     Und  wenn  in  einem  der  Berichte,    der   zweiten    Liste    des  Chilam 


1)  Ygl.  Erläuterungen  zu  den  .,Bilderhaadschriften  Alexander  v.  Humboldts' 
in  der  königl.  Bibliothek  zu  Berlin,  Berhn  1893  (oben  S.  177— l!s2). 

2)  Cogolludo,  3,  Kap.  7. 

3)  Cogolludo,  3,  Kap.  7. 


16.   Bedeutung  des  Maya-Kalenders  für  die  historische  Chronologie.  593 

Balam  von  Ommayel^  anscheinend  im  Widerspruche  dazu  das  Jahr  1519 
als  in  die  Periode  11.  aAtm  fallend  ang-egeben  wird,  so  scheint  das  einfach 
auf  einer  Verwechselung  zweier  Ereignisse,  des  Erscheinens  der  Plotille 
des  Hernan  Cortes  auf  der  Halbinsel  im  Jahre  15H»  und  der  späteren 
definitiven  Festsetzung  der  Spanier  im  Jahre  1541,  zu  beruhen.  Während 
aber  über  die  Periode  im  allgemeinen  die  Berichte  durchaus  überein- 
stimmen, gehen  die  Angaben  darüber,  in  welchem  Abschnitte  der  Periode 
das  genannte  Ereigniss  eintrat,  ziemlich  weit  auseinander.  Sollen  wir  dem 
Bischof  Landa  glauben,  so  wäre  das  Jahr  1541  das  Jahr,  in  welchem  die 
Spanier  in  Merida  sich  dauernd  etablirten,  das  erste  der  Periode  11.  ahau 
gewesen^).  Der,  wie  es  scheint,  im  allgemeinen  zuverlässige  Chronist 
Nakuk  Pech^  der  Kazike  des  Dorfes  Chhac  Xulub  Chhen,  des  heutigen  Chic 
Xulub,  der  um  1565  schrieb,  sagt,  es  sei  der  fünfte  Absclmitt  der  Periode 
gewesen^).  Die  oben  erwähnte  zweite  Liste  des  Chilam  Balam  von  Chu- 
mayel  setzt  das  Ereigniss  in  den  siebenten  Abschnitt  der  Periode  11.  ahau^). 
Der  Chilam  Balam  von  Mani  endlich  sagt,  die  Festsetzung  der  Spanier  in 
Merida  sei  vor  Ablauf,  d.  h.  wohl  nichts  anderes  als  „während  der  Dauer" 
des  Katuus  ll.aAöM,  erfolgt*).  Yon  diesen  verschiedenen  Angaben  würde 
die  des  Chilam  Balam  de  Chumayel  ziemlich  genau  mit  der  von  mir  ge- 
gebenen Berechnung  stimmen.  Denn  danach  würde  der  siebente  Abschnitt 
von  11.  ahau  am  18.  Juli  1541  zu  Ende  gekommen  sein,  und  am  11.  Juni 
des  Jahres  war,  wie  ich  oben  angab,  das  entscheidende  Treffen  bei 
Merida.  Die  Angabe  des  Nakuk  Pech  differirt  um  zwei  Jahre,  er  muss 
den  Anfang  des  Katuns  11.  ahau  in  das  Jahr  1536  der  christlichen  Zeit- 
rechnung gesetzt  haben.  Die  Angabe  des  Bischofs  Landa  beruht  wohl 
kaum  auf  genauerer  Information.  Als  den  Namen  des  Jahres  1542,  in 
welchem  die  Spanier  die  Stadt  Merida  gründeten,  ^ibt  Nakuk  Pech  13,  kan 
an.  Dies  stimmt  zu  den  sonstigen  Konkordanzen,  die  in  den  Büchern  des 
Chilam  Balam  sich  finden  —  mit  einer  Ausnahme,  auf  die  ich  gleich  zu 
sprechen  kommen  werde  — ,  und  auch  zu  der  obigen  Berechnung. 

Das  zweite  der  Daten,  die  mit  einiger  Genauigkeit  registrirt  sind,  ist 
der  Tod  eines  gewissen  Ahpula  oder  Ahpulha,  der  in  der  zweiten  Liste 
des  Chilam  Balam  de  Chumayel  noch  mit  dem  Namen  Napot  Xiu  genannt 
wird.  Das  letztere  ist  der  eigentliche  Name  des  Mannes,  der  also  väter- 
licherseits aus  dem  Geschlechte  der  Xiu^  der  regierenden  Dynastie  von  Mani, 
mütterUcherseits  aus  dem  Geschlechte  Pot  stammte.  Das  andere  Wort  be- 
zeichnet augenscheinlich  nur  die  Qualität,  das  Geschäft,  das  Handwerk  der 
betreffenden  Person,     ah-pul,   „der  Werfer",  oder  ah-pul-ya,  ah-pul  yaah^ 


1)  Relaciones  de  las  Cosas  de  Yucatan,  edid.  de  la  Rada  y  Delgado,  p.  103. 

*2)  Brinton,  Maya  Chronicies,  p.  I!i3.  ;5 

3)  Ibid.  p.  168. 

4)  Ibid.  p.  98. 

Seier,  Gesammelte  Abbandlungen  I.  38 


594  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

„der  Unheilwerfer,  Kraiikheitswerfer'',  war  die  technische  Bezeichnung  für 
eine  gewisse  Klasse  von  Zauberern,  von  denen  man  glaubte,  dass  sie  sich 
damit  beschäftigten,  ihren  Nebenmenschen  eine  Krankheit  anzuwerfen.  Der 
Tod  eines  gefürchteten  Zauberers  wird  also  gemeldet.  Nach  dem  Namen 
müssten  wir  annehmen,  dass  es  ein  Ereigniss  war,  das  insbesondere  das 
(xebiet  der  Herrschaft  von  Mani  angieng.  Ich  erwähne  übrigens,  dass 
Ah  Napot  Xiu  auch  als  Name  einer  mythischen  Persönlichkeit  vorkommt, 
die  gewissermassen  als  Titelbild  bei  einem   der   13  Katune  dargestellt  ist. 

Der  Tod  dieses  Ahpula  wird  in  drei  der  Listen  —  dem  Chilam  Balam 
von  Mani,  dem  von  Titzimin  und  der  ersten  Liste  des  Chilam  Balam  von 
Chumayel  —  übereinstimmend  und  mit  merkwürdiger  Genauigkeit  ange- 
geben. Nach  diesen  soll  Ahpula  sechs  Jahre  vor  Ablauf  des  Katun  13. 
ahau,  im  Jahre  4.  kan  am  18.  des  Monats  Zip  und  am  Tage  9.  imia;  ge- 
storben sein.  Abweichend  davon  setzt  die  zweite  Liste  des  Chilam  Balam 
von  Chumayel  den  Tod  Ahpula' %  in  den  ersten  Abschnitt  von  11.  ahau. 
Der  Chilam  Balam  von  Mani  und  der  von  Titzimin  setzen  ausserdem  das 
Jahr  dem  Jahre  1536  der  christlichen  Zeitrechnung  gleich.  In  der  ersten 
Liste  des  Chilam  Balam  von  Chumayel  ist  dafür  die  Ziffer  158  angegeben, 
die  verschiedene  Deutungen  zulässt^). 

So  bestimmt  nun  hier  die  Angaben  lauten,  so  unlösbare  Widersprüche 
ergeben  sich,  wenn  man  eine  genauere  Vergleichung  der  überlieferten 
Daten  vornimmt.  Schon  in  der  abweichenden  Angabe  der  zweiten  Liste 
des  Chilam  Balam  von  Chumayel  liegt  eine  arge  Diskrepanz  vor.  Und 
anderseits  kann  „sechs  Jahre  vor  Ablauf  von  13.  ahau""  niemals  das  Jahr 
1536  gewesen  sein.  Es  war  entweder  (nach  meiner  Berechnung)  das 
Jahr  1528,  oder  (wenn  man  die  Angabe  des  Nakuk  Pech,  dass  die  Fest- 
setzung der  Spanier  in  Merida  der  fünfte  Abschnitt  vom  11.  ahau  war, 
für  richtiger  hält)  das  Jahr  1530.  Und  wenn  man,  wie  es  Perez  that*), 
statt  „sechs  Jahre  vor  Ablauf  von  13.  ahau"-  „im  sechsten  Jahre  während 
der  Dauer  des  Katun  13.  ahau"  liest,  so  kommen  gar  die  Jahre  1520  oder 
1522  heraus.  Aber  lassen  wir  auch  diese  Konkordanzen  mit  der  christ- 
lichen Zeitrechnung  beiseite,  die  vielleicht  nur  Randglossen  sind,  in 
späterer  Zeit  und  von  unkundigen  Leuten  hinzugefügt,  so  liegt  ein  noch 
ärgerer  Widerspruch  in  den  Bestimmungen  der  indianischen  Zeitrechnung 
selbst.  9.  imi^  wav  in  der  That  der  achtzehnte  Tag  des  Monats  Zip  in 
einem  Jahre,  dessen  erster  Monat  mit  einem  Tage  4.  kan  begann.  Aber 
ein  solches  Jahr  kann,  nach  den  übereinstimmenden  Angaben  der  Bücher 
des  Chilam  Balam  und  anderen  Quellen  über  die  den  indianischen  Jahren 
entsprechenden  christlichen  Jahre  nur  das  Jahr  1493,  und  dann  wieder  das 
Jahr  1545  «ewesen  sein.     Und  das  Jahr  1493  kann  unmöglich  dem  Katun 


1)  Brinton,  Maya  Chronicles,  p.  98,  142,  156. 

■-')  Stephens,  Incidents  of  Travel  in  Yucatan,  Tom  I,  p.  443. 


16.    Bedeutung  des  Maya-Kalenders  für  die  historische  Chronologie.  595 

13.  ahau  angehört  haben,  sollen  wir  nicht  die  sämmtlichen  übereinstim- 
menden anderen  Angaben,  dass  in  11.  ahau  sich  die  Spanier  dauernd  in 
Merida  festsetzten,  dass  in  9.  ahau  das  Christentum  kam,  dass  in  7.  ahau 
der  Bischof  Landa  starb,  und  dass  der  Katun  5.  ahau  im  Jahre  1593 
begann,  für  falscli  halten. 

Die  Lösung  dieses  Widerspruches  wird,  wenn  jemals,  erst  dann  mög- 
lich sein,  wenn  durch  Yergleichung  der  verschiedenen  Abschriften  der 
Bücher  des  Chilam  Balam  eine  kritische  Rezension  des  Textes  und  eine 
Scheidung  der  ursprünglichen  Teile  von  den  späteren  Zufügungen  un<l 
Randglossen  hergestellt  sein  wird. 

Das  dritte,  genauer  registrirte  Ereigniss  ist  das  erste  Erscheinen  der 
Spanier  auf  der  Halbinsel  Yucatan.  Hier  würde  eine  Verschiedenheit  in  den 
Angaben  begreiflich  erscheinen.  Denn  man  kann  zunächst  zweifeln,  was 
mit  dem  ersten  Erscheinen  der  Spanier  gemeint  ist,  ob  das  Jahr,  wo  die 
Maya  zum  ersten  Male  überhaupt  einen  Spanier  zu  Gesicht  bekamen,  oder 
das  Erscheinen  der  ersten  bewaffneten  Truppen  an  der  Küste  von 
Yucatan,  oder  endlich  das  Jahr,  wo  die  Spanier  zum  ersten  Male  in  das 
Innere  des  Landes  vorzudringen  und  es  zu  erobern  versuchten.  Es  scheint, 
dass  die  Angaben  der  einheimischen  Quellen  sich  alle  auf  das  erste  dieser 
drei  Ereignisse  beziehen,  und  das  ist  das  Jahr  1511,  wo  die  Caravele 
Yaldivia's,  der  von  dem  Isthmus  von  Darien  nach  Espanola  zurückkehrte, 
auf  den  Untiefen  in  der  Nähe  von  Jamaica  scheiterte,  und  der  Rest  der  Mann- 
schaft in  einem  elenden  Boote  an  die  Küste  in  der  Nähe  der  Insel  Cozumel 
verschlagen  wurde,  unter  ihnen  der  Diakonus  Gerönimo  de  Aguilar,  der 
nachher  von  Cortes  befreit  wurde.  Dieses  Ereigniss  wird  übereinstimmend 
in  dem  Buche  des  Chilam  Balam  von  Mani  und  dem  des  Chilam  Balam 
von  Titzimin  in  den  Katun  2.  ahau^  d.  h.  die  dem  Katun  13.  ahau,  wo 
Ahpula  Napot  xiu  gestorben  sein  soll,  voraufgehende  Periode  verlegt. 

„In  8.  ahau  wurde  Mayapan  zerstört.  Dann  folgen  die  Katune  6.  ahau; 
4.  ahau;  2.  ahau.  Im  Verlaufe  der  Jahre  dieses  Katun  passirten  die 
Spanier  zum  ersten  Male,  kamen  sie  zum  ersten  Male  hier  in  das  Land, 
der  Provinz  Yucatan,  60  Jahre  nach  der  Zerstörung  der  Festung"  —  so 
heisst  es  im  Chilam  Balam  von  Mani, 

In  dem  Chilam  Balam  von  Titzimin  sind  verschiedene  Listen  zu- 
sammengeschrieben. Es  wird  zweimal  der  Katun  8.  ahau  und  die  Zer- 
störung von  Mayapan  angegeben.  In  der  ersten  Liste  heisst  es  bei  2.  ahau: 
„Im  dreizehnten  Stein  (Abschnitt)  passierten  die  Fremdlinge  (die  Spanier), 
kamen  sie  zum  ersten  Male  in  das  Land  der  Provinz  Yucatan^).    93  Jahre 


1)  Der  Wortlaut  ist  nahezu  derselbe,  wie  im  Chilam  Balam  von  Mani.  Nur 
ist  Wul,  „Fremdling",  für  „espanoles"  gesetzt,  und  statt  ulcob,  „sie  kamen",  steht 
irrthümlich  ilcob.  Vielleicht  war  aber  auch  letzteres  das  Ursprüngliche.  Dann 
müsste  übersetzt  werden  „sie  wurden  (zum  ersten  Male)  gesehen  (in  dem  Lande 
Yucatan)". 

38* 


596  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

(nach  der  Zerstörung  von  MayapanY .  In  der  zweiten  Liste  steht  bei 
2.  ahau  nur:  „Da  war  die  grosse  Ausschlag-krankheit"  (nohkahil).  Ebenso 
ist  im  Chüam  Balam  von  Chumaijel  bei  2.  ahau  nur  „die  Ausschlagkrank- 
heit, die  grosse  Aiisschlagkrankheit"  (kakü  noh  kakiV)  gemeldet. 

Sehen  wir  nun  unsere  Liste  nach,  so  würde  der  dreizehnte  Abschnitt 
von  "2.  ahaii  nach  meiner  Berechnung  in  das  Jahr  1507,  oder  wenn  man 
die  Bestimmungen  Nakuk  Pech''s  zu  Grunde  legt,  in  das  Jahr  1509  fallen. 
Das  stimmt  nicht  genau,  denn  der  Schiffbruch  Yaldivias  geschah,  wie  ich 
oben  angab,  im  Jahre  1511.  Und  so  berichtet  auch  Nakuk  Pech  an  zwei 
Stellen  seiner  Chronik,  dass  die  Spanier  zum  ersten  Male  im  Jahre  1511 
nach  Yucatan  kamen.  Jedenfalls  aber  fiel  das  Jahr  1511  in  den  Katun 
2.  ahau.  Denn  der  kam  erst  im  Jahre  1514,  oder,  nach  den  Bestimmungen 
Nakuk  Peches,  im  Jahre  1516  zu  Ende.  In  dieser  allgemeinen  Festsetzung 
ist  also  die  Angabe  der  einheimischen  Chronisten  genau.  Die  grosse  Aus- 
schlagkrankheit, die  nach  den  Chronisten  in  eben  diese  Zeit  fiel,  wird 
vom  Bischof  Lau  da  als  eine  Seuche  beschrieben,  die  grosse  Pusteln  her- 
vorbrachte, dergestalt,  dass  „der  Körper  faul  und  stinkend  wurde,  und 
die  Glieder  stückweis  innerhalb  vier  oder  fünf  Tagen  abfielen"^)./  Es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  schon  das  erste  Erscheinen  der  Spanier  eine 
Pockenepidemie,  diese  Geissei  der  Indianerstämme,  zur  Folge  hatte. 
Denn  das  Wort  kak,  „Feuer",  wird  späterhin  und  heute  allgemein  für 
„Ausschlagkrankheit",  insbesondere  „Pocken",  gebraucht^). 

In  die  dem  Katun  2.  ahau  vorhergehende  Periode  4.  ahau  verlegen 
die  Chronisten  ein  paar  Landplagen,  —  ein  allgemeines  Sterben  {maya- 
cimir),  das  Landa  als  ein  „ansteckendes  perniciöses  Fieber  bezeichnet, 
das  24  Stunden  angehalten  hätte,  und  danach  wären  die  Körper  ge- 
schwollen und  geplatzt  und  wären  voller  Würmer  gewesen".  Ferner  eine 
grosse  Schlächterei.  Landa  spricht  von  150  000  Menschen,  die  in  den 
Schlachten  fielen.  Die  einheimischen  Quellen  nennen  das  oc-na-kuch-ü, 
„wo  die  Zopilotes  in  die  Häuser  kommen'^,  d.  h.  wo  überall  die  Toten 
unbegraben  umherliegen. 

Yor  dieser  Zeit  berichtet  Landa  dann  noch  von  einem  grossen 
Wirbelsturme,  der  das  ganze  Land  rasiert  und  alle  hohen  Gebäude  um- 
gestürzt habe,  der  aber  in  den  einheimischen  Quellen  nicht  erwähnt  wird. 

Das  grosse  Ereigniss  in  der  vorspanischeu  Geschichte  Yucataus  ist  die 
Zerstörung  von  Mayapan.  Mayapan  war  eine  Stadt,  im  Innern  Yucatans, 
im  Gebiete  der  späteren  Herrschaft  Mani  gelegen,  von  der  zur  Zeit,  als 
Bischof  Landa  schrieb,  noch  ansehnliche  Ruinen  vorhanden  waren. 
Landa  erwähnt  insbesondere  grosse  Hieroglyphensteine  von  der  Art  derer. 


1)  „Pestilenica  de  unos  granos  grandes    que    les  podria    el    cuerpo  con  gran 
hedor,   de  nianera  que   les  caian   los  niiembros   a  pedazos  dentro  de  4  ö  5  dias." 

2)  „viruelas,  granos  i  erupcion  pustulera  del  cuerpo"  (Perez). 


16.    Bedeutung  des  Maya-Kalenders  für  die  historische  Chronologie.  59-7 

die  man  zu  Beginn  eines  Katun  anzufertigen  und  aufzurichten  pflegte. 
Der  Name  ist  mexikanisch.  Das  Wort  'pan  wird  zwar  auch  im  Maya- 
Lexikon  mit  der  Bedeutung  „Fahne,  Standarte"  angegeben,  aber  abge- 
sehen davon,  dass  auch  dieses  Wort  vermuthlich  aus  dem  Mexikanischen 
pam-itl  {pan-tli)  stammt,  so  ist  die  Etymologie  des  Namens  Mayapan  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  eine  ganz  andere.  Mayapan  heisst  „unter  den 
Maya",  „im  (lebiete  der  Maya",  wie  Otompan  ,, unter  den  Otomi",  „im 
Lande  der  Otomi"  heisst.  Das  ist  eine  rein  mexikanische  Namenbildung, 
ganz  abweichend  von  der  unter  den  Maya  üblichen,  wo  der  das  lokale 
oder  sonstige  Verhältniss  anzeigende  Bestandtheil  präfigirt,  nicht  suffigirt 
wird  (vgl.  Pan-choy,  „im  See",  Ti-kaa;,  „im  Wald",  Ti-bolon,  „in  den  neun'", 
Ti-ho,  „in  den  fünf"  u.  a.) 

Der  Name  Mayapan  erinnert  also  an  die  Periode  der  vorspanischen 
Geschichte  Yucatans,  wo  in  Yucatan  Bruchtheile  der  grossen  mexikanischen 
Nation  eine  Kolle  spielten.  Dass  diese  Beziehungen  sehr  rege  waren,  und 
dass  der  Einfluss  der  Mexikaner  ziemlich  lange  Zeit  sich  geltend  gemacht 
haben  muss,  das  ist  aus  verschiedenen  Thatsachen  zu  entnehmen. 

Die  berühmteste  Stadt  im  alten  Yucatan  und  der  berühmteste  alte 
Herrschersitz  war  Chichheen  Itza.  Man  ist  schon  lange  darauf  aufmerksam 
geworden,  dass  die  Skulpturen  in  den  Ruinen  dieser  Stadt  einen  durch- 
aus anderen  Charakter  tragen  als  die  der  grossen  Ruinenstädte  des 
Westens,  Copan  und  Palenque,  und  auch  als  die  Skulpturen,  die  z.  B.  aus 
der  Gegend  von  Merida  bekannt  geworden  sind.  Die  Haltung  der 
Figuren  ist  steifer,  die  Köpfe  sind  nicht  deformiert,  und  in  Tracht  und 
Ausputz  erinnert  vieles  an  die  Typen  der  mexikanischen  Bilderschriften. 
Insbesondere  tragen  die  Hauptfiguren  alle  die  Kopfbinde  mit  dem  drei- 
eckigen Stirnblatt  aus  Türkismosaik,  das  xiuh-uitzolli  der  mexikanischen 
Könige.  So  glaubte  denn  z.  B.  Charnay  in  der  That  in  Chichheen  Itza 
den  handgreiflichen  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  alten  Berichte,  von 
der  Auswanderung  der  Tolteken  nach  Yucatan  und  Guatemala  vor  sich 
zu  haben. 

Chichheen  Itza  gegenüber  ,  stellt  Mayapan  eine  in  jüngerer  Zeit  ent- 
standene Herrschaft  dar,  die  erst  nach  dem  Zusammenbruche  des  Reiches 
von  Chichheen  Itza  und  durch  diesen  Zusammenbruch  in  die  Höhe  kam. 
Die  Schuld  an  diesem  Zusammenbruche  wird  in  allen  Berichten  dem  Yer- 
rath  {kebanthan)  eines  gewissen  Hunac-ceel  zugeschrieben,  und  als  die 
unmittelbaren  Urheber  der  Zerstörer  von  Chichheen-  Itza  werden  „die 
sieben  Männer  von  Mayapan"'  —  Ah  zinteyut  chan^  Tzuntecum,  TaxcaU 
Pantemit,  Xuchueuet,  Ytzcuat,  Kakaltecat  —  genannt.  Yon  diesen  sieben 
Namen  sind  die  sechs  letzten  rein  mexikanisch,  und  der  erste  Name  ist 
eine  Kombination  eines  mexikanischen  und  eines  Mayawortes  mit  einem 
Maya-Praefix,  das  so  viel  als  „der"  heisst.  Die  Erzählung  Landa's,  dass 
die  Herrschaft  in  Mayapan  von  einem  Geschlecht  begründet  sei,  das  sich 


598  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

auf  die  in  den  grossen  Handelszentren  Tabasco  und  Xicalanco  ansässigen 
Mexikaner  stützte,  wird  demnach  durch  die  einheimischen  Berichte  voll 
bestätigt. 

Landa  erzählt  dann  weiter,  dass  dieses  Geschlecht,  die  Cocom^  die  in 
Mayapan  herrschten,  immer  ärgere  Bedrückungen  ausübten,  so  dass  end- 
lich die  verschiedenen  Dorfhäuptlinge  sich  unter  der  Führung  des  in  dem 
Distrikte  der  Sierra,  d.  h.  in  dem  Distrikte  von  Mani,  bei  den  ah-uitz 
(„den  Leuten  von  der  Sierra")  mächtigen  Häuptlingsgeschlechtes  der  Tutul 
xiu,  gegen  die  Cocom  erhoben,  die  sämmtlichen  ihnen  erreichbaren  Glieder 
dieses  Geschlechtes  erschlugen  und  die  „Festung  Mayapan"-  zerstörten. 
Diese  Zerstörung  von  Mayapan  ist  demnach  auch  insofern  das  grosse  Er- 
eigniss  in  der  vorspanischen  Geschichte  Yucataus,  als  es  die  nationale 
Reaktion  gegen  die  auf  die  Fremden  gestützte  Herrschaft  darsfcfellt.  Die 
Folge  davon  war  aber  auch,  dass  es  seitdem  keine  zentrale  Gewalt  mehr 
im  Lande  gab.  Verschiedene  Häuptlingsgeschlechter  hielten  grössere  oder 
kleinere  Theile  des  Landes  im  Besitz  und  befehdeten  sich  gegenseitig  mit 
allen  Mitteln  des  Verrathes  und  der  offenen  Gewalt. 

Nach  der  Angabe  Landa's  wären  zu  der  Zeit,  als  er  seine  Relaciones 
schrieb,  d.  h.  im  Jahre  1556,  ungefähr  120  Jahre  se^t  der  Zerstörung  von 
Mayapan  verflossen.  Die  Mehrzahl  der  einheimischen  Quellen  setzt  das 
Ereigniss  in  den  Katun  8.  ahau.  Und  das  stimmt  genau,  sowohl  zu  der 
Angabe  Landa's,  wie  zu  meiner  Berechnung.  Denn  der  Katun  8.  ahau 
begann  nach  meiner  Berechnung  am  19.  Januar  des  Jahres  1436. 

So  bedeutsam  dieses  Ereigniss  aber  auch  war,  so  sind  doch  selbst 
darüber  die  einheimischen  Chronisten  nicht  einig.  Denn  obwohl,  wie 
gesagt,  die  Mehrzahl  der  Quellen  den  Katun  8.  ahau  dafür  angeben, 
so  findet  sich  doch  eine  Liste,  die  zweite  des  Chilam  Balam  von 
Chumayel^  die  die  Zerstörung  von  Mayapan  in  den  Katun  1.  ahau,  das 
wäre  in  den  Zeitraum  vom  Jahre  1377  bis  1397,  setzt.  Und  in  einer 
anderen  Liste,  der  des  Chilam  Balam  von  Mani,  scheint  nebeneinander 
der  Katun  8.  ahau  und  der  Katun  11.  ahau  angesetzt  zu  sein.  Dass  für 
das  Ereigniss  der  Katun  1.  ahau  angegeben  ist,  scheint  darin  seinen  Grund 
zu  haben,  dass  diese  Liste  den  Katun  1.  ahau  als  den  Beginn  eines  grossen 
Zyklus  von  dreizehn  Katunen  annimmt.  Und  die  Angabe  11.  ahau  scheint 
auf  ähnlichen  Erwägungen  zu  beruhen.  Denn  der  Umstand,  dass  in  den 
Katun  11.  ahau  das  grosse  umstürzende  Ereigniss  der  dauernden  Fest- 
setzung der  Spanier  im  Lande  fiel,  war  für  einen  Theil  der  einheimischen 
Chronisten  Yei anlassung,  die  grösseren  Katunzyklen  mit  dem  Katun 
11.  ahau  beginnen  zu  lassen. 

Für  die  Ereignisse,  die  vor  der  Zerstörung  von  Mayapan  genannt 
werden,  —  den  Fall  der  Herrschaft  von  Chichheen  Itza^  den  Aufenthalt 
der  7tea-Leute  in  Champoton  und  die  Einwanderung  in  Yucatan  und 
die    erste    Gründung    von    Chichheen   Itza    —    werden    keine    ernsthaft    zu 


16.   Bedeutung  des  Maya-Kalenders  für  die  historische  Chronologie.  599 

nehmenden  chronologischen  Fixierungen  versucht.  Hier  werden  die  Haupt- 
ereignisse immer  um  eine  volle  Periode  von  13  Katunen  vor  dem  folgenden, 
also  alle  entweder  in  8.  ahau,  oder  alle  in  1,  ahau  angesetzt,  die  Rechnung 
im  Ganzen  um  vier  volle  Perioden  von  256  Jahren  +  146  Tagen  hinauf- 
geführt. Eine  Besonderheit  findet  sich  noch  in  einer  dritten,  in  dem 
Chilam  Balam  von  Chumayel  enthaltenen  Liste,  die  in  Brinton's  Maya 
Chronicles,  S.  178,  179  abgedruckt  ist.  und  die  aus  mancherlei  Gründen  ein 
besonderes  Interesse  beansprucht.  Es  wird  nämlich  hier  vor  den  im  Katun 
8.  ahau  erfolgenden  historischen  Ereignissen  der  Katun  4.  ahau  genannt, 
einerseits  als  die  Periode,  in  der  das  mythische  Reich  von  Chichheen  Itza 
zu  Ende  kam  und  davor  als  die  Periode,  in  der  die  Menschen  entstanden, 
das  grosse  und  kleine  Hinabsteigen  (die  grosse  und  kleine  Einwanderung) 
stattfand,  und  von  den  vier  Himmelsrichtungen  her  sich  die  Menschen 
in  Chichheen  Itza  zusammenfanden.  Das  ist  die,  [einzige  mir  bekannte 
Stelle  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam,  wo  eine  Beziehung  auf  das 
Normal-  und  Anfangsdatum  der  Dresdener  Handschrift  4.  ahau,  8.  cumku 
vorzuliegen  scheint. 

Wenn  nun  aber  die  Bücher  des  Chilam  Balam  auch  für  die  Chrono- 
logie nicht  sehr  ergiebig  sind,  so  sind  sie  um  so  reicher  an  Mittheilungen 
über  diejenige  Seite  des  Maya-Kalenders,  die  unstreitig  die  am  intensivsten 
kultivirte  war,  und  die  unzweifelhaft  auch  in  den  Maya-Handschrifteu 
einen  breiten  Raum  einnimmt,  den  hauptsächlichsten,  vielleicht  den  einzigen 
Inhalt  derselben  ausmacht,  das  ist  die  divinatorische,  die  Beurtheilung  der 
vorbedeutenden  Kraft,  die  den  Zeichen  und  Ziffern  der  Tage  und  der 
anderen  grösseren  und  kleineren  Zeitabschnitte  zukommt.  Die  Erörterung 
dieser  Verhältnisse  muss  ich  aber  für  eine  spätere  Mittheilung  mir  auf- 
sparen. 


gOQ  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


17. 

Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner. 


Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft  28.  März  1898. 
Zeitsclirift  für  Ethnologie  S.  (1G5)  — (177). 


Tonalamatl,  das  „Buch  der  (guten  und  bösen)  Tage",  nannten  die 
alten  Mexikaner  das.  was  wir  als  ihren  Kalender  betrachten  können,  die 
Cirund-  und  Hauptperiode  ihrer  Zeitrechnung.  Schon  dieser  Xame  lässt 
erkennen,  was  die  besondere  Eigenthümlichkeit  dieses  Zeitmessungs-  und 
Zeitbenennungs-Systems  war.  Es  ist  einmal  der  Umstand,  dass  ausser  der 
Tageszähluug  anscheinend  keine  anderen  asti'onomischen  Bestimmungen 
für  die  Feststellung  dieser  Periode  in  Betracht  kommen.  Und  dann,  dass 
dieser  Kalender  weniger  chronologischen,  als  vielmehr  weissagerischen, 
augurischen  Zwecken  diente.  Die  alten  Mexikaner  kannten  zwar  die 
Jahreslänge,  die  sie  zu  365  Tagen  bestimmten.  Sie  kannten  auch  die 
Umlaufszeit  eines  oder  einiger  der  gi-össeren  Planeten.  Aber  diese  Umlaufs- 
zeiten wurden  au  der  Grundperiode,  dem  Tonalamatl,  gemessen,  und  nicht 
umg-ekehrt.  Die  aufeinanderfolsrenden  Jahre  wurden  nicht  von  einem 
irgendwie  antrenommenen  Anfans:  an  gezählt,  sondern  nach  dem  aus  dem 
Tonalamatl-^jstem  für  ihre  Anfangstage  sich  ergebenden  Namen  benannt. 
Und  die  grösseren  Perioden,  die  Jahresbündel,  sind  die  einfache  Folge 
dieser  Benennung.  Ein  neues  Bündel  begann,  wenn  der  Anfangstag  eines 
Jahres  wieder  denselben  Xaraen  trug,  wie  in  der  Periode  zuvor. 

Das  Grundelement  des  Tonalamatl'?,  war  ein  Zeitraum  von  20  Tagen. 
Ein  solcher  Zeitraum  war  durch  das  vigesimale  Zahlensystem,  das  die 
alten  Mexikaner  entwickelt  hatten,  natürlich  gegeben.  Die  einzelnen  Tage 
dieses  Zeitraumes  wurden  jeder  durch  einen  besonderen,  in  der  Regel 
natürlichen  Objekten  entnommenen  I^amen  bezeichnet.  Das  sind  die 
"20  Tageszeichen,  mit  denen  ich  in  frühereu,  in  dieser  Zeitschrift  veröffent- 
lichten Abhandlungen  mich  eingehend  beschäftigt  habe.  Aber  mit  diesen 
20  Zeichen  wurden  13  Ziffern  in  regelmässiger  Aufeinanderfolge  kombinirt, 
indem  jeder  der  aufeinanderfolgenden  Tage  mit  einem  der  20  Zeichen  und 
einer  der  13  Ziffern  bezeichnet  wurde.x  Auf  diese  Weise  traf  es  erst  nach 
13x20  Tagen    ein,    dass    ein    Tag    wieder    die    gleiche    Benennung,    das 


17.    Das  Toualamatl  der  alten  Mexikaner.  601 

gleiche  Zeichen  kombinirt  mit  der  gleichen  Ziffer,  erhielt.  Dieser  Zeit- 
raum von  13X20  oder  "260  Tagen  ist  das   Tonalamatl. 

Was  die  Mexikaner  —  oder  wer  sonst  als  der  Erfinder  dieses  Kalenders 
betrachtet  werden  muss  —  veranlasste,  die  Zahl  13  mit  den  20  Tages- 
zeichen zu  verbinden,  das  konnte  bisher  noch  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
gestellt werden.  Man  hat  an  Hälften  eines  Monats  gedacht.  13  Tage  sei 
der  Mond  (in  der  Breite  von  Mexico)  nur  bei  Tage  sichtbar,  das  hätte 
man  das  „Schlafen"  genannt,  und  13  Tage  sei  er  in  der  Nacht  voll  sicht- 
bar, das  hätte  man  das  „Wachen"  genannt.  Diese  Angaben  und  diese 
Erklärung  beruhen  indes  augenscheinlich  nur  auf  Vermuthung.  In  einem 
Kapitel  über  den  Planeten  Venus,  das  von  Chavero  dem  Franziskaner- 
Mönch  Motolinia  zugeschrieben  wird,  weil  der  Text  dieses  Kapitels  in 
einer  Handschrift,  die  dem  verstorbenen  Garcia  Icazbalceta  gehörte,  dem 
ersten  Theile  der  von  dem  genannten  Mönche  verfassten  Historia  de  los 
Indios  angefügt  ist,  wird  die  Behauptung  aufgestellt,  dass  260  Tage  den 
Zeitraum  bezeichnen,  in  dem  an  dem  Himmel  von  Mexico  der  Planet 
Venus  als  Abeudstern  sichtbar  sei.  Diese  Erklärung  hat  im  ersten  Augen- 
blick etwas  Bestechendes.  Dass  die  mexikanischen  Astrologen  die  Be- 
wegungen dieses  Planeten  genau  beobachtet  hatten  und  bestimmt  anzugeben 
wussten,  an  welchem  Tage  er  wieder  erscheinen  und  wann  er  verschwinden 
würde,  wird  von  verschiedenen  Chronisten  berichtet.  Ihre  Angaben  haben 
neuerdings  durch  die  Untersuchungen  Förstemann's  über  die  Dres- 
dener Maya-Handschrift  eine  überraschende  Bestätigung  gefunden.  Und  in 
jüngster  Zeit  bin  ich  darauf  aufmerksam  geworden,  dass  auch  in  den 
Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe  dieselbe  Periode  bei  den  Figuren, 
die  die  Gottheit  des  Morgensterns  darstellen,  verzeichnet  ist.  Da  nun  der 
Gott  Quetzalcouatl  als  Erfinder  des  Tonalamatl  genannt  wird,  und  von 
diesem  Gotte  ausserdem  berichtet  wird,  dass  bei  seinem  Tode  sein  Herz 
sich  in  den  Morgenstern  verwandelt  habe,  so  liegt  es  in  der  That  sehr 
nahe,  sich  vorzustellen,  dass  die  Länge  des  TonalamatVs  zu  dem  ^  euus- 
umlauf,  oder  irgend  einer  seiner  Phasen,  in  Beziehung  stehe. 

So  verführerisch  diese  Hypothese  nun  auch  im  ersten  Augenblick 
erscheint,  so  grosse  Schwierigkeiten  ergeben  sich,  wenn  man  versucht, 
diese  angenommene  Beziehung  etwas  näher  zu  bestimmen.  Die  Angabe 
des  Kapitels  „über  den  Planeten  Venus",  dass  dieser  Planet  260  Tage 
lang  als  Abendstern  sichtbar  sei,  entspricht  nicht  den  thatsächlichen  Ver- 
hältnissen. Die  ganze  scheinbare  Umlaufszeit  der  Venus,  die  584  Tage 
beträgt,  steht  mit  dem  Tonalamatl  in  keiner  direkten  Beziehung.  Und 
dass  man  erst  aus  der  grösseren  Periode  von  104  Jahren,  in  der  die 
Umlaufszeiten  der  Venus,  die  Jahres-  und  die  Tonalamatl-1  Angen  gleich- 
massig  aufgehen,  das  Tonalamatl  abgeleitet  haben  sollte,  erscheint  wenig- 
glaublich.  Die  Thatsache  indes,  dass  man  in  dem  Tonalamatl  die  Reihen 
1 — 20    und    die    Reihen   1  — 13    neben    einander    verlaufen    Hess,    muss 


(J02  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

meines  Erachtens  als  eiu  sicherer  Fingerzeig-  dafür  augesehen  werden, 
dass  der  Zahl  13  als  solcher  ihre  Bedeutung  zukam.  Den  Grund  dieser 
Bedeutung  glaubte  ich  in  einer  Art  Zahlenspekulation  oder  Zahlenmystik 
suchen  zu  müssen  und  habe  diese  Annahme  auch  in  der  ersten  Veröffent- 
lichung dieses  Aufsatzes  der  Darstellung  zu  Grunde  gelegt. 

Ich  bin  in  neuerer  Zeit  indes  darauf  aufmerksam  geworden,  dass 
mittelbar  vielleicht  doch  ein  Zusammenhang  zwischen  dem  Tonalamatl  und 
der  Yenusperiode  besteht.  Das  Sonuenjahr  von  365  Tagen,  dass  die  alten 
Mexikaner  annahmen,  steht  zu  dem  Venusumlauf  von  584  Tagen  in  dem 
Yerhältniss,  dass  gerade  8  Sonnenjahre  genau  5  Yenusumläufen  gleich  sind. 
Sucht  man  nun  in  dieser  grösseren  Periode,  in  der  Sonnenjahr  und  Yenus- 
periode gleicherweise  aufgehen,  sowohl  die  8,  als  die  5  zu  sondern,  so 
findet  man,  dass  diese  grössere  Periode  =  5  X  8  X  73  Tagen,  das  Sonnen- 
jahr =  5  X  73,  die  Yenusperiode  =  8  X  73  Tagen  ist.'  Ich  glaube  nun,  dass 
die  alten  Mexikaner,  —  oder  wem  sonst  die  Erfindung  des  TonalamaWs 
zuzuschreiben  ist,  aus  dem  Sonneujahr  und  der  Yenusperiode  eine  Einheit 
gemacht  haben,  die  5  X  73  +  8  X  73  oder  13x73  Tage  umfasst  haben 
würde.  Nimmt  man  diese  Periode  als  Einheit  an,  so  würde  die  nächst 
höhere  Periode,  gemäss  dem  vigesimaleu  Zahlensystem  der  Mexikaner  die 
Periode  von  20x13x73  gewesen  sein.  Das  ist  der  bekannte  Zyklus  von 
52  Jahren,  die  mexikanische  Aera.  Vergleicht  man  nun  diese  Aera  mit 
dem  Sonnenjahr  und  mit  der  Yenusperiode,  so  sieht  man,  dass  hier  die 
260  (das  Tonalamatl)  der  Fünf  des  Sonnenjahres  und  der  Acht  der  Yenus- 
periode entspricht.  Und  es  erscheint  mir  nicht  unmöglich,  dass  in  dieser 
Weise  die  Mexikaner,  oder  wer  sonst  diesen  Kalender  erfunden  hat,  auf 
die  Zahl  13  und  das   Tonalamatl  von  260  Tagen  gekommen  sind. 

Eine  Zahlenspekulation  oder  Zahlenmystik  dagegen  glaube  ich  in  den 
die  Tonalamatl-Tsige  begleitenden  Figuren  zu  erkennen. 

Den  alten  indianischen  Philosophen  waren  verschiedene  Zahlen  und 
aus  verschiedenen  Gründen  wichtig.  Zunächst  die  Zahl  vier,  die  der  Zahl 
der  Himmelsrichtungen  entspricht,  dem  Sonnenaufgang,  dem  Sonnenunter- 
gang und  den  beiden  mittleren  Richtungen.  Die  Zahl  fünf  ist  einmal 
ebenfalls  als  Ausdruck  der  Zahl  der  Himmelsrichtungen  von  Bedeutung, 
indem  man  die  Mitte  oder  *die  Richtung  „uuten  —  oben"  als  fünfte  Gegend 
zählte.  Dann  aber  bezeichnet  die  Zahl  fünf  auch  das  über  das  Normale 
(d.  h.  die  Zahl  vier)  Hinausgehende,  das  Uebermässige,  Unmässige.  In 
gleicherweise  konnten,  wie  leicht  einzusehen  ist,  auch  die  Zahlen  sechs, 
acht  und  neun  als  Ausdruck  der  Zahl  der  Himmelsrichtungen  in  Betracht 
gezogen  werden  und  sind  an  verschiedenen  Orten  und  bei  verschiedenen 
Stämmen  hierfür  verwendet  worden. 

Yon  geringerer  Bedeutung  war  bei  den  Indianern  Zentral-Amerikas 
die  Zahl  drei,  die  in  der  Zahlenmystik  der  alten  Welt  eine  so  grosse 
Rolle  spielt.     Nur  bei  den  Maya  bin  ich   ihr  als  mystischer  oder  ritueller 


17.   Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner.  f503 

Zahl  häufiger  begegnet.  Drei  ist  ausserdem  die  Zahl  der  Herdsteine  und 
hat  deshalb  in  dem  Kultus  des  Feuergottes  ihre  Stelle, 

Auch  die  dem  europäischen  Aberglauben  so  wichtige  Zahl  Sieben  tritt 
in  den  zentral-amerikanischen  Zahlen-Spekulationen  verhältnissmässig  wenig 
hervor.  Nur  bei  Stämmen  der  Maya-Familie  wiederum,  insbesondere  den 
guatemaltekischen  Indianern,  wird  die  Zahl  Sieben  öfters  erwähnt.  So 
heisst  es  in  den  Cakchiquel-Aunalen,  dass  man  dem  Dämon  alle  sieben 
und  alle  dreizehn  Tage  Speise  brachte.  K^ucumatz,  der  Zauberfürst  der 
Qu'iche,  steigt  sieben  Tage  zum  Himmel,  sieben  Tage  zur  Hölle,  sieben 
Tage  ist  er  eine  Schlange,  sieben  Tage  ein  Adler,  sieben  Tage  ein  Jaguar, 
sieben  Tage  eine  Ansammlung  von  Blut.  Noch  in  späten  Vokabularien 
finden  wir  mit  besonderem  Namen  (ßapi  kHh)  einen  Zeitraum,  von  sieben 
Tagen  genannt,  der  von  den  alten  Cakchiquel  als  allgemeine  Ruhezeit  ge- 
halten worden  sei.  Und  in  den  Wandersagen  und  Historien  sind  die 
„Sieben  Stämme"  (vuk  amak)  die  übliche  Bezeichnung  der  Tz'utuhil- 
Konförderation,  denen  die  Qu'iche,  Cakchiquel  und  ihre  Verwandten  als 
die  „Krieger"  (ahlabal)  entgegengestellt  werden. 

Eine  ganz  hervorragende  Rolle  aber  spielen  in  der  Mystik  des  alten 
Mexico  und  des  alten  Zentral- Amerika  die  Zahlen  Neun  und  Dreizehn. 
Neun  über  einander  geschichtete  Himmel  [chicunauhnepaniukcan]^)  zählten 
die  alten  Mexikaner  über  der  Erde  und  neun  Unterw^elten  [chicunauh- 
mictlanY)-  Und  an  dem  Eingang  der  tiefsten  untersten  Hölle  fliesst  der 
neunfache  Strom  (chicunauhapan).  Während  aber  in  der  Neunzahl  die 
Zahl  der  Unterwelten  sich  erschöpft,  sind  über  den  neun  untern  über 
einander  geschichteten  Himmeln  noch  vier  obere  Himmel  vorhanden,  so 
dass  die  Zahl  der  Himmel  dreizehn  ist,  und  der  oberste  dreizehnte 
Himmel,  das  ist  das  Omeijocan,  der  „Ort  der  Zweiheit",  in  ihm  residiren 
die  Herreu  der  Zeugung,  Ometecutli  und  Omeciuatl,  von  denen  alles  Leben 
seinen  Ursprung  hat'').  In  den  Traditionen  der  Maya  werden  die  neun 
Generationen  {bolon  tzacab)  und  die  dreizehn  Generationen  {oxlahun  tz'acah') 
genannt.  Die  ersteren,  die  neun  Generationen  (bolon  tz'acab),  sind  der  be- 
zeichnende Name  einer  Gottheit.  Und  die  Vereinigung  beider  bolon 
tz'acab  oxlahun  tz'acab  wird  noch  in  der  heutigen  Sprache  als  Ausdruck 
für  „ewig"  gebraucht*).  Wie  die  Mexikaner  von  den  neun  Unterwelten 
und  den  13  Himmeln  redeten,  so  sprachen  die  Maya  von  den  13  Schichten 
der  Wolken  \ti  oxlahun  taz  muyal] ^).  Und  in  den  Historien  und  Wander- 
sagen der  guatemaltekischen  Indianer  sind  die  13  Abtheilungen  der 
„Sieben  Stämme",  oder  der  Tz'utuhü-KonfördeTation  (joxlahu  cKob  Vuk  aviak) 


1)  Codex  Vaticanus  A,  1. 

2)  Sahagun,  S.Appendix,  cap.  1. 

3)  Codex  Vaticanus  A,  1. 

4)  Perez,  Vocabulario. 

5)  Misa  Milpera  de  Xcanchakan. 


604 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


und  die  13  Abtheilungeu  der  „Krieg-er",  d.  li.  der  Qu'iche   und  ihrer  Ver- 
wandten {od-lahii  ch'oh  ahlabal)  eine  stellende  Bezeichnung. 

Für  die  Klarstellung  der  Bedeutung,  die  wir  der  Zahl  dreizehn  anzu- 
weisen haben,  ist  es  von  besonderer  Wichtigkeit,  dass  wir  in  den  oben 
angeführten  Ausdrücken  die  Zahlen  neun  und  dreizehn  neben  einander 
auftreten  sehen.  Die  Zahl  Neun  aber  scheint  bei  den  Mexikanern 
deutlich  auf  die  Zahl  der  Unterwelten  sich  zu  beziehen,  während  die 
dreizehn  die  Zahl  der  Himmel  angibt.  Ein  ähnlicher  Unterschied  muss 
auch  für  die  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  vielgenannten  neun  und 
dreizehn  Götter  {bolon  ti  ku,  ovlahun  ti  ku)  angenommen  werden. 


Abb.  1.    Die  neun  Herren  der  Stunden  der  Nacht. 
Codex  Telleriano-Remeusis. 

Dieselben  Zahlen  Neun  und  Dreizehn  treten  uns  nun  auch  in  den 
Figuren  entgegen,  die  man  in  verschiedenen  Tona/awia^/-Darstellungen  in 
sich  wiederholenden  Reihen  die  13  X  "20  Tage  des  TonalamatV^  begleiten 
sieht. 

Die  Reihe  der  neun  Figuren  ist  unter  der  Bezeichnung  „Herren  der 
Nacht"  bekannt.  Ihre  Namen  werden  von  dem  Interpreten  des  Codex 
Telleriano-Reniensis  und  des  Yaticanus  A,  von  einem  in  der  zweiten  Hälfte 
des  sechszehnten  Jahrhunderts  lebenden  tetzkokanischen  Schriftsteller 
Cristöval  de  Castillo  und  im  Manual  de  ministros  de  Indios  des  Jacinto 
de  la  Serna  genannt.  Von  letzterem  hat  Boturini  seine  Angaben  ent- 
nommen. In  verschiedenen  der  bilderschriftlichen  Tonalamatl  sehen  wir 
ihre  Bilder  die  Reihen  der  Tageszeichen  begleiten  (Abb.  1 — 5).  Und  in 
voller  Figur  sind  sie  ausserdem  auf  dem  schönen  Blatt  14  des  Codex 
Borgia    (Kingsborough,  PI.  25)    dargestellt,    dem    der  Codex  Yaticanus  B, 


17.    Das  Tonalamatl  der  alteu  Mexikaner. 


605 


19—23  (Kingsboroiigh,  PL  67 — 71)  und  Codex  Fejerväry  2 — 4  (Kings- 
borough,  PI.  43—41)  entsprechen.  Ihre  Namen  sind  nach  den  genannten 
Quellen  folgende: 


Abb.  2.    Die  neun  Herren  der  Stunden  der  Nacht.     Codex  Borbonicus. 


yfy:d/t. 


Abb.  3.     Die  neun  Herren  der  Stunden  der  Nacht, 
TonalamaÜ  der  Aubin'schen  Sammlung. 

1.  Xiuhteautli  (der  Fenergott), 

2.  Itztli  (der  Obsidianmesser-Gott),  identisch  mit  Tezcatlipoca, 

3.  Piltzinteotl  (Gott  der  Fürsten),  identisch  mit  Tonatiuh,  dem  Sonnengott, 


606 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung, 


4.  Cinteotl  (Maisgöttin), 

5.  Mictlantecutli  (Gott  der  Unterwelt), 

6.  Chalchiuhtlicue  (Wassergöttin), 


Abb.  4.    Die  neun  Herren  der  Stunden  der  Nacht.     (Figuren). 
Codex  Bologna. 


Abb.  5.    Die  neun  Herren  der   Stunden  der  Nacht.     (Symbole). 
Codex  Bologna. 

7.  Tlagolteotl  (Erdgöttin). 

8.  Tepeyollotl  (Gott  der  Höhlen), 

9.  Tlaloc  (Regengott). 


17.    Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner. 


607 


Vielleicht  haben  wir  dieselben  Gottheiten  auch  auf  den  merkwürdigen 
Blättern  21 — 31  (Kingsborough,  PI.  14 — 22)  des  Codex  Bologna  zu  erkennen. 
Nur  wären  dann  1—4  als  Abbilder  oder  verschiedene  Formen  Tezcatlipoca^s 
dargestellt,  und  es  wären  der  Reihe  der  neun  Gottheiten  auf  Blatt  23  und  24 
noch  zwei  weitere  hinzugefügt,  die  ebenfalls  sich  als  Abbilder  oder  andere 
Formen   Tezcatlipocas  geben. 

Die  Zahlen  1 — 13  sehen  wir  auf  dem  prächtigen  Blatte  Codex  Borgia  71 
(Kingsborough,  PI.  44)  von  Figuren  begleitet.  Das  Blatt  (vgl.  oben  8.  337) 
zeigt  uns  auf  der  linken  Seite  in  voller  Figur  und  mit  der  Sonnenscheibe 
den  Sonnengott,  dem  eine  in  grünes  Malinalli~(jra.s  gekleidete  Figur,  von 
Affengestalt  und  mit  Todtenkopf,  eine  Wachtel  darbringt.  Darüber,  rechts, 
eine  symbolische  Figur,    die  den  Mond  darstellt,  und  daneben  das  Datum 


Abb.  6.    Die  dreizehn  Vögel.     Codex  Borgia. 


VrW^. 


„eins  Rohr"-,  die  Hieroglyphe  des  Morgensterns.  In  dem  Umkreise  stehen 
in  quadratischen  Abtheilungen  die  Ziffern  1 — 13,  begleitet  von  je  einer 
Vogelfigur  (Abb.  6).     V^ir  erkennen  unschwer: 

1.  einen  laugschnäbligen  blauen  Vogel  (Kolibri?), 

2.  einen  laugschnäbligen  grünen  Vogel  (Kolibri?), 

3.  einen  Raubvogel  ohne  Federhaube  (Falke?), 

4.  Wachtel  (colin)^ 

5.  Adler  (quauhtli), 

6.  Schleiereule  (chiquatU), 

7.  Schmetterling  (papalotl), 

8.  gestreifter  Adler  (itzquauhtli), 

9.  Truthahn  {uexolotl), 

10.  Ohreule,  Uhu  (tecolotl), 

11.  rother  Guacamayo  (alo)^ 

12.  Quetzal  (^quetzaltototl), 

13.  grüner  Papagei  oder  Loro  (cocho). 


608 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Dieselbe  Reihe  von  Vögeln  ist  auch  in  dem  Tonalamatl  der  Aubiu- 
GoupiFschen  Sammlung  und  im  Codex  Borbonicus  (Abb.  7  und  8),  auf  allen 
18  Blättern,  in  der  ersten  Kolumne  angegeben,  aber  sie  sind  im  Tonalamatl 

der  Aubin'schen  Sammlung  (Abb.  8)  von  Köpfen  von  Gottheiten  begleitet. 


Abb.  7.     Die  dreizehn  Vögel.     Codex  Borbonicus. 


Abb.  8.    Die  dreizehn  Vögel.     Tonalamatl  der  Aubin'schen  Sammlung. 

die  gewissermassen  aus  dem  aufgesperrten  Rachen  dieser  Vögel  hervor- 
sehen, für  die  die  Vögel  also  eine  Art  Maske,  ihre  Verkleidung,  ihr  naualli, 
darstellen.  Die  Reihe  auch  dieser  Gottheiten  ist  nahezu  vollständig  mit 
Sicherheit  zu  bestimmen. 


17.   Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner,  609 

Es  sind: 

1.  Tlauizcalpan  tecutli,  der  Morgenstern, 

2.  ?  Ixtlilton? 
3-  Xochipilli, 

4.  Xipe-Totec, 

5.  ein  Gott  mit  Kriegortanz-Bemalung  ( Yaotl). 

6.  ein  Cfott  mit  der  Bemalung  und  Befederung    der    zum  Opfer    be- 
stimmten Kriegsgefangenen  {Uauantli), 

7.  XiuhtecutU,  der  Feuergott, 

8.  Tlaloc^  der  Regengott, 

^^ 

10.  Yayauhqui-Tezcatlipoca,  der  schwarze  Tezcatlipoca, 

11.  Xochipilli,  der  Gott  der  Blumen. 

12.  Cinteotl,  die  Maisgöttin, 

13.  Xochiquetzal,    die  Göttin   der  Blumen    und    der  weiblichen  Kunst- 
fertigkeit. 

Diese  Reihe,  über  deren  eigentliche  Bedeutung  allerdings  noch  nichts 
Näheres  bekannt  ist,  zeigt  jedenfalls,  dass  die  Vögel,  die  auf  dem  Blatte 
des  Codex  Borgia  neben  den  Ziffern  1 — 13  gezeichnet  sind,  nur  als  Re- 
präsentanten, als  Abbilder  oder  Verkleidungen  ebenso  vieler  Gottheiten  zu 
gelten  haben. 

In  dem  Tonalamatl  der  Au  bin 'sehen  Sammlung  und  im  Codex 
Borbonicus  findet  sich  aber  noch  eine  zweite  Reihe  von  13  Gottheiten,  die 
gleichfalls  auf  allen  20  Blättern  in  gleicher  W^eise  sich  wiederholt,  die 
zweite  Kolumne  bildend  (Abb.  9,  10,  S.  610).  Diese  unterscheidet  sich  von 
der  vorigen  zunächst  dadurch,  dass  vor  dem  Munde  jeder  Figur  ein 
Gegenstand  angebracht  ist,  dessen  eigentliche  Natur  in  den  Bildern  des 
Aub  in 'sehen  TonalamaiVs  allerdings  schwer  zu  deuten  ist,  der  aber,  wie 
die  Bilder  des  Codex  Borbonicus  erkennen  lassen,  nichts  anderes  als  das 
bekannte  Hauchzeichen,  das  Züngelchen  der  Rede,  ist,  das  „Rede"  und 
im  engeren  Sinne  „bedeutungsvolle  Rede,  Befehl,  Herrschaft",  andeutet. 
Auch  diese  Reihe  ist  ziemlich  mit  Sicherheit  zu  bestimmen,  und  zwar  sind 
ihre  Glieder  etwas  andere  als  die  der  ersten  Reihe: 

1.  Xiuhtecutli,  der  Feuergott, 

2.  Tlaltecutli,  der  Gott  der  Erde, 

3.  Chalchiuhtlicue,  die  Wassergöttin, 

4.  Tonatiuh,  der  Sonnengott  im  Sonnenbilde, 

5.  Tlafolteotl,  die  Erdgöttin, 

6.  Teoyaomiqui,  der  Gott  des  Kriegertodes, 

7.  Xochipilli-Cinteotly  der  Sonnengott  in  Vogelgestalt, 

8.  Tlaloc,  der  Regengott, 

9.  Quetzalcouatl,  der  Windgott, 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  .  39 


61U 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


10.  Yayauhqui-TezcatlipoccL,  der  schwarze  Tezcatlipoca, 

11.  MictlantecutH,  der  Herr  der  Unterwelt, 

12.  Tlauizcalpan  tecutli,  der  Abeudstern, 

13.  Ilamatecutli,  die  Göttin  des  Sternhimmels. 


Abb.  9.    Die   dreizehn  Herren  der  Stunden  des  Ta?es.     Codex  Borbonic 


Abb.  10.    Die  dreizehn  Herren  der   Stunden  des  Tages. 
Tonalamatl  der  Aubin' sehen  Sammlung. 

In  meinen  Erläuterungen  zum  Tonalamatl  der  A  üb  in  "sehen  Sammlung^) 
habe  ich  den  Nachweis  zu  führen  gesucht,  dass  die  alten  Stämme  Mexico's 
die  Xacht  und  den  Tag  in  neun  Stunden  theilten,  entsprechend  der  Zahl 


1)  Berlin  1900.    S.  18  ff.  — 


17.   Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner.  611 

der  Himmelsrichtungen,  dass  sie  aber,  um  den  geheimen  Beziehungen 
gerecht  zu  werden,  die  sich  für  sie  mit  den  Zahlen  neun  und  dreizehn 
verknüpften,  —  indem  neun  ihnen  die  Zahl  der  Unterwelten,  der  Nacht 
und  das  Zeichen  der  Zauberer,  dreizehn  die  Zahl  der  Himmel,  und  das 
Zeichen  der  Götter  des  Lebens  war,  —  die  beiden  ersten  und  die  beiden 
letzten  Nachtstunden  dem  Tage  zurechneten,  um  auf  diese  Weise  die 
Zahl  der  Tagesstunden  auf  dreizehn  zu  erhöhen. 

Die  neun  Figuren,  die  von  den  Interpreten  als  „Herren  der  Nacht" 
bezeichnet  werden,  und  die  in  beständig  sich  wiederholenden  Reihen  auf 
sämmtlichen  Blättern  des  TonalamatVs  zur  Anschauung  gebracht  sind 
(Abb.  1 — 5),  betrachte  ich  als  die  Hüter  der  neun  Stunden  der  Nacht. 
Die  dreizehn  Götter  aber,  die  auf  den  Blättern  des  TonalamatVs  die 
zweite  Reihe  bilden  (Abb.  9— 10),  und  die  dreizehn  Vögel  und  ihre  Götter, 
die  auf  den  Blättern  des  Tonalamatfs  in  der  ersten  Kolumne  stehen 
(Abb.  6—8),  halte  ich,  trotz  der  Abweichungen,  die  sie  im  Einzelnen 
zeigen,  für  homolog  und  betrachte  sie  als  die  Hüter  der  dreizehn 
Stunden  des  Tags.  Denn  es  ist  ja  klar,  dass  die  alten  Wahrsager,  die 
diese  Bücher  benutzten,  darin  nicht  nur  das  Geschick  der  einzelnen  Tage, 
sondern  auch  das  der  einzelnen  Tagesstunden  oder  Tageszeiten  finden 
mussten,  da  für  sie  die  Verschiedenheit  der  Tageszeit  oder  der  Tages- 
stunde sicher  nicht  ohne  Bedeutung  gewesen  sein  wird. 

Die  Verwendung  dieses  aus  13  Zahlen  und  20  Zeichen  sich  auf- 
bauenden Kalenders  geschah,  wie  ich  schon  Eingangs  erwähnte,  vorwiegend 
zu  weissagerischen,  augurischen  Zwecken.  Erwägt  man,  dass  jedes  der 
20  Zeichen  durch  die  Natur  des  Gegenstandes,  den  es  darstellte,  gewisse 
Ideen  suggerirte,  dass  man  den  Zahlen  an  sich,  oder  wenigstens  einzelnen 
Zahlen,  eine  bestimmte  Bedeutung  beimass,  —  Sahagun  gibt  z.  B.  an, 
ilass  alle  mit  der  Zahl  Sieben  kombinirten  Zeichen  als  gute  und  glückliche 
betrachtet  worden  seien,  weil  ,, Sieben  Schlange"  der  Tag  und  der  Name 
der  Maisgöttin  seien,  und  dass  alle  mit  der  Zahl  Neun  kombinirten  den 
Zauberern  günstig  seien,  —  erwägt  man  ferner,  dass  auch  für  die  Stunden, 
.sowohl  des  Tages  wie  der  Nacht,  wie  ich  eben  angegeben  habe,  immer 
andere  Gottheiten  als  einflussreich  und  geschickbestimmend  gedacht 
wurden,  so  begreift  man,  dass  der  Haruspex,  der  Tageszeichen-Zähler 
{tonalpouhqui),  der  alle  diese  Beziehungen  sich  gegenwärtig  hielt,  schon 
eine  fast  verwirrende  Fülle  von  Daten  zur  Verfügung  hatte,  nach  denen 
er  sein  Urtheil  sich  bilden  konnte.  Die  Sache  erfuhr  indes  noch  eine 
weitere  Entwickelung. 

Durch  die  Verbindung  der  13  Zahlen  mit  den  20  Zeichen  gliederte 
sich  das  ganze  Tonalamatl  in  20  Abschnitte  von  je  13  Tagen,  deren  An- 
fangstage jeder  die  Ziffer  1  erhielt,  wo  aber  nunmehr  die  20  Zeichen  in 
anderer  Weise  geordnet  erschienen.  Bezeichne  ich  die  20  Tageszeiciien 
-mit  römischen  Ziffern,   die  13  Zahlen    mit    arabischen,    so    stellt  sich  das 

39* 


61^ 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


in    dieser    "Weise    angeordnete   Tonalamatl   so    dar,    wie    es    die    folgende 
Tabelle  A  zur  Anschauung-  bringt: 


Tabelle  A. 

1 

2 

3 

4 

5               6 

7 

s 

9 

10 

1.    I 

1. 

XIV 

1  1.   VIT 

1. 

XX 

1.  XIII     1.    VI 

1. 

XIX 

1  1.   XII 

1.     V 

1.  XVIII 

2.     II 

2. 

XV 

2.  VIII 

:  2. 

I 

2.  XIV     2.   VII 

2. 

XX 

!  2.  XIII 

2.    VI 

2.  XIX 

3.    III 

8. 

XVI 

3.     IX 

;  3. 

II 

3.    XV      3.  VIII 

3. 

I 

3.  XIV 

3.    VII 

3.   XX 

4.    IT 

4. 

XVII 

4.     X 

4. 

III 

4.   XVI      4.    IX 

4. 

II 

4.    XV 

4.  VIII 

4.      I 

5.     V 

5.  XVIII 

5.    XI 

!   5. 

IV 

5.  XVII     5.     X 

5. 

III 

5.  XVI 

5.    IX 

5.     II 

6.    VI 

6. 

XIX 

i  6.    XII 

1  6. 

V 

6.  XVIII    6.    XI 

6. 

IV 

6.  XVII 

6.     X 

6.   .111 

7.   VII 

7. 

XX 

7.  XIII 

i^- 

VI 

7.  XIX     7.   XII 

7. 

V 

7.  XVIII 

7.    XI 

7.    IV 

8.  VIII 

8. 

I 

8.  XIV 

i  ^' 

VII 

8.   XX      8.  XIII 

8. 

VI 

8.   XIX 

8.   XII 

8.     V 

9.    IX 

9. 

II 

9.    XV 

9. 

VIII 

9.      I         9.  XIV 

9. 

VII 

9.    XX 

9.  XIII 

9.    VI 

10.     X 

10. 

III 

10.  XVI 

|10. 

IX 

10.     II      10.    XV 

10. 

VIII 

10.      I 

10.  XIV 

10.  vn 

11.    XI 

11. 

IV 

11.  XVII 

'll. 

X 

11.    III     11.   XVI 

11. 

IX 

11.     II 

11.    XV 

11.  VIII 

12.    XII 

12. 

V 

12.  XVIII 12. 

XI 

12.    IV      12.  XVII 

12. 

X 

12.    III 

12.  XVI 

12.    IX 

13.  XIII 

13. 

VI 

13.   XIX 

13. 

XII 

13.     V      13.XVIIIJ13. 

1 

XI 

13.    IV 

13.  XVII 

13.     X 

11 

12 

13 

u 

16 

16              17 

18 

19 

20        1 

1.    XI 

1. 

IV 

1. 

XVII 

1.     X     '  1.    III 

1. 

XVI  1  1.    IX 

1. 

XV 

1. 

vmJ 

2.   XII 

2. 

V 

2. 

XVIII 

2.    XI    1  2.    IV 

2. 

XVII  1  2.     X 

2.    III 

2. 

XVI 

2. 

IX  1 

3.  XIII 

3. 

VI 

3. 

XIX 

3.   XII      3.     V 

3.  XVIII 

3.    XI 

3.     IV 

3. 

XVII 

3. 

X    ^ 

4.  XIV 

4. 

VII 

4. 

XX 

4.  XIII     4.    VI 

4. 

XIX     4.   XII 

4.     V 

4.  XVIII 

4. 

XI 

5.   XV 

5. 

vin 

5. 

I 

5.  XIV     5.   VII 

5. 

XX    ,  5.  XUI 

5.    VI 

5. 

XIX 

5. 

XII 

6.  XVI 

6. 

IX 

6. 

II 

6.    XV      6.  VIII 

6. 

I 

6.  XIV 

6.   VII 

6. 

XX 

6. 

XIII 

7.  XVII 

7. 

X 

7. 

III 

7.  XVI      7.    IX 

7. 

II 

7.    XV 

7.  VIII 

7. 

I 

7. 

XIV 

8.  XVIII 

8. 

XI 

8. 

IV 

8.  XVII  :  8.     X 

8. 

III 

8.  XVI 

8.    IX 

8. 

11 

8- 

XV 

9.  XIX 

9. 

XII 

9. 

V 

9.  XVIII   9.    XI 

9. 

IV     j  9.  XVII 

9.     X 

9. 

III 

.9. 

XVI  j 

10.    XX 

10. 

XIII 

10. 

VI 

10.   XIX  jlO.   XII 

10. 

V 

10.  XVIII 

10.    XI 

10. 

IV 

10. 

XVII' 

11.    I 

11. 

XIV 

11. 

VII 

U.    XX 

11.  XIII 

11. 

VI 

11.  XIX 

11.   XII 

11. 

V 

11.  XVIII 

12.     II 

12. 

XV 

n. 

VIII 

12.      I 

12.  XIV 

12. 

vn 

12.    XX 

12.  xm 

12. 

VI 

12. 

XIX 

13.   iir 

13. 

XVI 

13. 

IX 

13.     11 

13.    XV 

13. 

vin 

13.      I 

13.  XIV 

13. 

VII 

13. 

XX 

Jedem  dieser  20  Abschnitte  von  je  13  Tagen  wurde  nun  eine  Gott- 
heit zugeschrieben,  die  für  die  Tage  dieses  Abschnittes  einflussreich  sein 
sollte.  Die  Reihe  dieser  20  Gottheiten  scheint  eines  der  besonderen 
Hauptstücke  der  priesterlichen  Wissenschaft  gewesen  zu  sein.  Wir  finden 
sie  in  yerschiedenen  Bilderschriften  dargestellt:  im  Codex  Telleriano- 
Remensis  und  Yaticanus  A  mit  dem  vollständig  ausgeschriebenen  Tonal- 
amatl, im  Codex  Borgia  und  Vaticanus  B  nur  mit  den  Zeichen  der  An- 
fangstage  der    Towa/awa^/- Abschnitte,    in    einer    Handschrift    der    Aubin- 


17.    Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner. 


61:3 


Goupil' sehen  Sammlung,  die  als  Beilage  zum  III.  Bande  der  Anales  del 
Museo  Nacional  de  Mexico  reproduzirt  und  neuerdings  von  Seiner  Excellenz 
dem  Herzog  von  Loubat  in  Faksimile  herausgegeben  worden  ist^),  eben- 
falls mit  vollständig  ausgeschriebenem  Tonalatnatl  und  desgleichen  in  einer 
Handschrift  der  Bibliothek  des  Corps  legislatif  in  Paris,  der  Hamy  den 
Namen  Codex  Borbonicus  gegeben  hat^).  Die  Namen  dieser  Gottheiten 
sind  in  den  Erklärungen,  die  es  für  den  Codex  Telleriano-Remensis  und 
Vaticanus  A  gibt,  genannt;  es  sind  die  folgenden: 


3. 

4. 
5. 
6. 


9. 

10. 
11. 
12. 
13 


1. 


(Name  des  Zeichens): 

I)  ce  cipactli  „eins  Kro- 
kodil''. 
XIV)  ce  ocelotl    „eins    Ja- 


uuar 


eins 


eins 


1.        VII)  ce       ma^atl 

Hirsch". 
1.       XX)  ce       .vochül 

Blume". 
1.      XIII)  ce  acatl  „eins  Rohr". 

1.  VI)  ce     miquiztli      „eins 

Tod". 
1.      XIX)  ce      quiauitl      „eins 

Regen". 
1.       XII)  ce    malinalli     „eins 

Drehkraut«. 
1.  V)  ce       couatl        „eins 

Schlange". 

1.  XVIII)  c^<g(?pa^^„  eins  Feuer- 
stein-Messer". 

1.  XI)  ce  ogojnatli  „eins 
Affe-. 

1.  IV)  c^  cuetzpaUn  „eins 
Eidechse". 

1.  XVII)  ce  olin  „eins  rol- 
lende Kugel". 


(Name  der  Gottheit): 
TonacatecutU  und  Tonacaciuatl,   die 

Herren  der  Zeugung. 
Quetzalcouatl,  der  Windgott. 

Tepeijolloil,    Gott    der  Höhlen,    und 

Quetzalcouatl. 
Ueuecoyotl,  der  alte  Coyote,  Gott  der 

Musik. 
Chalchiuhtlicuey  Göttin  des  fliessenden 

Wassers. 
Tecciztecatl,  der  Mondgott,  und  Tez- 

catUpoca. 
Tlaloc,  der  Regengott 

Mayauel,  Göttin  der  Agave-Pflanze. 

Tlauizcalpan  tecutli,  der  Morgen- 
stern, und  Xiuhtecutli,  der  Peuer- 
gott. 

Tonatiuk,  der  Sonnengott,  und  Mict- 
lantecutli,  der  Gott  der  Unterwelt. 

Pahtecatl,  der  Pulquegott. 

Itztlacoliuhqui,  Gottheit  des  Steins. 
71a(;olteotl,  die  Erdgöttiu. 


1)  Das  Tonalamatl  der  Aubin'schen  Sammlung.  Eine  altmexikanische  Bilder- 
handschrift der  Bibliotheque  Nationale  in  Paris.  (Manuscrits  Mexicains  No.  18 
bis  19).  Auf  Kosten  Seiner  Excellenz  des  Herzogs  von  Loubat  herausgegeben. 
Mit  Einleitung  und  Erläuterungen  von  Dr.  Eduard  Seier.     Berlin  1900. 

2)  Codex  Borbonicus.  Manuscrit  Mexicain  de  la  Bibliotheque  de  Palais 
Bourbon.  Public  en  Pacsimile,  avec  un  Commentaire  explicatif  par  M.  E.  T.  Hamy. 
Paris  (Ernest  Leroux)  1899. 


614 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  land  Hieroglyphen-Entzifferung. 


(Name  des  Zeichens): 

14.  (1.  X)  ce     itzcuintli     „eins 

Hund'-. 

15.  (1.         III)  ce  colli  „eins  Haus". 

16.  (1.      XYI)  ce  cozcaquaithfli  „eins 

Königs-Geier". 

17.  (1.         IX)  cg  a^Z  „eins  Wasser". 

18.  (1.  II)  c^^^cafZ  „eins  Wind". 


19.  (1.        XY)  ce      quauhtli      „eins 

Adler". 

20.  (1.      VIH)  ce        tochfli       „eins 

Kaninchen". 


(Name  der  Gottheit): 
Xipe  Totec,  der  Geschundene,  Erd- 
gott. 
Itzpapalotl,  Obsidianmesser-Schmet- 

terling,  Erdgöttin. 
Xolotl,  der  Gott  des  Ballspiels  und 

der  Zwillinge,  und  Tlalchitonatiuh. 
Cholchiuktofolin,    der  Truthahn,   als 

Abbild   TezcaÜipoca/s. 
Chantico,    Feuergöttin    und    der  im 

Hause  eingeschlossene    fastende 

Priester. 
Xochiquetzal,  Göttin  der  Blumen  und 

der  weiblichen  Kunstfertigkeit. 
Xiuhtecutli.  der  Feuergott,  und  Xipe 

Totec  als  Steinmesserg-ott. 


In  meiner  Arbeit  über  das  Tonalamatl  der  Aubin'schen  Sammlung^) 
habe  ich  über  diese  Gottheiten  ausführlich  berichtet,  und  ich  muss  mich 
hier  bescheiden,  darauf  zu  verweisen. 

Mit  dieser  Anordnung  des  Tonalamatl  und  der  Feststellung  der  in  deu 
einzelnen  Abschnitten  mächtigen  Gottheiten  hatten  die  alten  Astrologen 
aber  immer  noch  nicht  alle  in  dem  Tonalamatl  verkörpert  gedachten  ge- 
heimen Beziehuugeu  erschöpft.  Wahrscheinlich  veranlasst  durch  die  Be- 
obachtung der  Venusperiode,  wobei  sich  ergab,  dass  auf  die  Aufangstage 
der  aufeinander  folgenden  Yenusperioden  nur  fünf  von  den  20  Tageszeichen, 
und  zwar  die  fünf,  um  vier  Zeichen  von  einander  abstehenden  Zeichen 
fielen,  ordneten  sie  das  gesammte  Tonalamatl  in  Säulen  von  je  fünf 
Zeichen,  wie  es  die  hier  folgende  Tabelle  B  veranschaulicht: 

Tabelle  B. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

1 

I 

2 

II 

?. 

III 

4. 

IV 

5. 

V 

6. 

VI 

7. 

VII 

XIII 

2 

XIV 

3. 

XV 

4. 

XVI 

5. 

XVII 

6. 

XVIII 

7. 

XIX 

V 

2. 

VI 

3. 

vn 

4. 

VIII 

5. 

IX 

6. 

X 

7. 

XI 

XVII 

i'. 

XVIII 

3. 

XIX 

4. 

XX 

5. 

I 

6. 

II 

7. 

III 

IX 

2. 

X 

3. 

XI 

4. 

XII 

5. 

XIII 

l    6. 

i 

XIV 

7. 

XV 

1)  Berlin  1900.     Seite  36—126. 


17.   Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner. 


615 


8.  VIII 

8.  XX 

8.  XII 

8.  IV 

8.  XVI 


10 


11 


9.      IX 

0.       I 
9.  .XIII 
9.       V 
9.   XVII 


10. 
10. 

10. 


X 

II 

XIV 


10.      VI 
10.    XVIII 


11.  XI 

11.  III 

11.  XV 

11.  VII 

11.  XIX 


12 


12.  XII 

12.  IV 

12.  XVI 

12.  VIII 

12.  XX 


18 


13.  XIII 
13.      V 

13.  XVII 

13.  IX 
13.       I 


14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

1.     XIV 

2.    XV 

3.    XVI 

4.   XVII 

5.   XVIII 

6.   XIX 

7.    XX 

1.       VI 

2.    VII 

3.   VIII 

4.      IX 

5.        X 

6.     XI 

7.    XII 

1.    XVIII 

2.   XIX 

3.     XX 

4.       I 

5.       II 

6.     III 

7.     IV 

1.        X 

2.     XI 

3.    XII 

4.    XIII 

5.    XIV 

6.     XV 

7.   XVI 

1.     II 

2.     III 

3.     IV 

4.       V 

5.      VI 

6.    VII 

7.   VIII 

21 

22 

23 

24 

25 

26 

8.       I 

9.       II 

10.     III 

11.     IV 

12.       V 

13.       VI 

8.    XIII 

9.     XIV 

10.    XV 

11.   XVI 

12.    XVII 

13.   XVIII 

8.       V 

9.       VI 

10.   VII 

11.    VIII 

12.      IX 

13.        X 

8.    XVII 

9.    XVIII 

10.    XIX 

11.    XX 

12.       I 

13.       II 

8.      IX 

0.        X 

10.     XI 

11.    XII 

12.     XIII 

13.     XIV 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

33 

1.    VII 

2.   VIII 

3.     IX 

4. 

X 

5.     XI 

6.    XII 

7.    XIII 

1.   XIX 

2.     XX 

3.       I 

4. 

II 

5.    III 

6.     IV 

7.       V 

1.      XI 

2.     XII 

3.   XIII 

4. 

XIV 

5.    XV 

6.   XVI 

7.   XVII 

1.   III 

2.     IV 

8.      V 

4. 

VI 

5.    VII 

6.   VIII 

7.      IX 

I.    XV 

2.    XVI 

3.    XVII 

4. 

XVIII 

5.  XIX 

6.    XX 

7.       I 

34 

35 

36 

37 

38 

39 

8.     XIV 

9.    XV 

10.   XVI 

11.  XVII 

12.   XVIII 

13.   XIX 

8.      VI 

0.   VII 

10.   VIII 

11.      IX 

12.        X 

13.     XI 

8.    XVIII 

9.   XIX 

10.     XX 

11.     I 

12.       II 

13.    III 

8.       X 

9.     XI 

10.    XII 

11.    XIII 

12.     XIV 

13.    XV 

8.       II 

9.     III 

10.     IV 

11.       V 

12.       VI 

13.    VII 

40 

41 

42       - 

43 

44 

45 

46 

1.    XX 

2.       I 

3.       II 

4.    III 

5.     IV 

6.      V 

7.      VI 

1.    XII 

2.    XIII 

I    3.     XIV 

4.    XV 

5.    XVI 

6.   XVII 

7.  XVIII 

1.     IV 

2.       V 

3.      VI 

4.     VII 

5.    VIII 

6.      IX 

7.       X 

1.    XVI 

2.    XVII 

i    3.    XVIII 

4.   XIX 

5.     XX 

6.       I 

7.      II 

1.    VIII 

2.      IX 

i    3.        X 

4.     XI 

5.    XII 

6.    XIII 

7.     XIV 

616  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


47 

48 

49 

50 

51 

52 

8.    VII 

9.  vin 

10.      IX 

11.        X 

12.     XI 

13.    XII 

8.  XIX 

i).    XX 

10.       I 

11.     II 

1-2.     III 

13.     IV 

8.     XI 

9.    XII 

10.  xiir 

11.     XIV 

12.    XV 

13.    XVI 

S.    III 

9.     IV 

10.       V 

11.       VI 

12.    VII 

13.   VIII 

8.    XV 

9.    XVI 

10.    XVII 

11.    XVIII 

12.  XIX 

13.     XX 

Mit  dem  in  dieser  Weise  angeordneten  Tonalamatl  beginnen  der  Codex 
Borgia,  der  Codex  Yaticanus  B  und  der  Codex  Bologna.  Und  auch  diesen 
52  Kolumnen  sind  bestimmte  Götterfiguren  oder  Symbole,  und  zwar  je 
zwei,  eine  Figur  über,  eine  andere  unter  der  Kolumne,  beigefügt,  die 
aber  nicht  für  die  Zeichen  der  einzelnen  Kolumne  in  Betracht  zu  kommen, 
sondern  den  Charakter  des  ganzen  Tonalamatl -\\eviQ\%  zum  Ausdruck  zu 
bringen  scheinen.  Von  diesen  2  x  52  Figuren  oder  Symbolen  sind  eine 
grosse  Zahl  mit  Leichtigkeit  zu  bestimmen.  Bei  anderen  hält  die  Deutung 
schwerer.  Ich  bemerke  deshalb  nur,  dass  bei  der  ersten  dieser  Kolumnen 
QuetzakouatL  bei  der  14.  Tezcatlipoca,  bei  der  27.  die  Erdgöttin,  bei  der 
40.   TonatiuK  der  Sonnengott,  angegeben  ist. 

Dies  führt  mich  zu  einer  weiteren  Beziehung,  die  Yon  den  alten 
Astrologen  ohne  Zweifel  sehr  sorgfältig  beachtet  wurde,  dass  man  nämlich 
das  ganze  so  angeordnete  Tonalamatl  nach  den  vier  Himmelsrichtungen, 
Osten,  Xorden,  Westen,  Süden  vertheilte  und  für  die  gesammteu 
Zeichen  eines  Tonalamatl-XierieX?,  die  betreffende  Himmelsrichtung,  bezw. 
die  in  ihr  mächtige  Gottheit,  von  Einfluss  dachte.  Dieser  Beziehung  auf 
die  vier  Himmelsrichtungen  sind  schon  die  vier  Gottheiten  zuzuschreiben, 
die,  wie  ich  angab,  bei  der  1.,  14..  27.  und  40.  Tonalamatl-Ko\a.mne  ge- 
zeichnet sind.  \  Andere  Blätter  der  Handschriften  sind  allein  der  Dar- 
stellung der  in  den  Tonalamatl-\\Qvte\ii  mächtigen  Gewalten  gewidmet, 
und  es  werden  dabei  zum  Theil  auch  andere  Gottheiten  in  den  vier 
Vierteln,  bezw.  den  vier  Himmelsrichtungen,  angegeben.  So  auf  den 
schönen  Blättern  des  Codex  Borgia  49 — 52  (=  Kingsborough  Qß — 63).  wo 
die  Hauptfiguren,  den  Himmelsrichtungen  Osten.  Xorden.  "Westen,  Süden 
entsprechend,  der  Sonnengott,  Tezcatlipoca,  der  Maisgott  und  der  Todes- 
gott sind.  Daneben  findet  sich  auf  diesen  vier  Blättern  noch  eine  er- 
staunliche Fülle  anderer  Gruppen  gezeichnet,  von  denen  einzelne  auf 
Blättern  anderer  Handschriften  ihre  besondere  Entsprechung  haben.  Und 
an  diese  vier  Blätter  schliesst  sich  das  Blatt  53  des  Codex  Borgia  (Kings- 
borough 62),  wo  die  fünfte  Region,  die  Mitte,  oder  die  Richtung  unten- 
oben,  durch  eine  in  einen  Erdracheu  hinabstürzende  Gestalt  zum  Ausdruck 
gebracht  ist. 

Wie  man  sieht,  war  die  Aufgabe  des  Auguren,  der.  um  seinem  Auf- 
traggeber eine  richtige  Auskunft  ertheilen  zu  können,  alle  diese  in  Obigem 
skizzirten  Beziehunoen    und    noch    andere    mehr    kennen  und  in  Betracht 


17.   Das  Tonalamatl  der  alten  Mexikaner.  617 

ziehen  musste,  eine  verwickelte  und  schwierige.  Eine  Unsumme  geistiger 
Arbeit  gieng  in  dieser  Weise  —  wir  dürfen  es  wohl  sagen  —  verloren- 
Dem  Auguren  sein  Handwerk  zu  erleichtern,  oder  die  Kunst  den  nach- 
folgenden Generationen  zu  übermitteln,  das  war  der  vornehmste  Zweck 
der  Bilderschriften,  der  Bücher  der  alten  mexikanischen  Stämme.  Wenige 
davon  sind  bis  auf  unsere  Zeiten  gekommen.  Einige  der  vorzüglichsten, 
die  neben  anderen  aus  dem  alten  Mexico  stammenden  Schätzen  in  italie- 
nischen Bibliotheken  sich  erhalten  haben,  hat  der  grosse  Förderer  amerika- 
nistischer wissenschaftlicher  Bestrebungen,  Se.  Excellenz  der  Herzog  von 
Loubat,  jetzt  im  Faksimile  herausgegeben  und  mit  gewohnter  Freigebigkeit 
au  wissenschaftliche  Anstalten  und  an  Private  vertheilt.  Hoffen  wir,  dass 
damit  ein  neuer  Anstoss  gegeben  ist,  das,  was  in  dem  alten  mexikanischen 
Kalender  noch  dunkel  war,  nunmehr  seiner  richtigen  Deutung  entgegen  zu 
führen.  — 


6X8  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


18. 

Die  Yenusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex- 

Borgia- Gruppe. 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    16.  Juli  1898. 
Zeitschrift  für  Ethnologie.   XXX.   S.  ^346) -(383). 


Im  <S2.  Kapitel  der  Crönica  niexicaiia  des  Tezozomoc  wird  gelegent- 
lich des  Berichts  über  die  Formalitäten,  unter  denen  die  Erwählung 
Motecuh^oma  Xocoyotzin'B  zum  König  von  Mexico  vor  sich  gieng,  auch  der 
Inhalt  der  Reden  angegeben,  die  man  dem  neuerwählten  König  hielt.  Er 
wird  darin  ennahnt.  die  tributpflichtigen  Vasallen,  wenn  sie  nach  der  Haupt- 
stadt kommen,  gut  zu  empfangen,  und  sie  mit  dem  Xöthigen  zu  versehen, 
was  sie  zur  Rückreise  in  ihr  Land  brauchen.  Er  wird  ermahnt,  tapfer 
gegen  die  Feinde  zu  sein,  aber  auch  Diplomatie.  Schmeicheleien  und  Gre- 
schenke  anzuwenden,  um  sie  in  Güte  zur  Unterwerfung  zu  bringen.  Er 
soll  die  Tempel  ausstatten  und  den  alten  Leuten,  Männern  und  Frauen, 
Unterhalt  geben.  Er  soll  vor  Allem  mit  dem  Adel  sich  gut  stellen,  dessen 
Vorrechte  achten  und  ihn  täglich  zu  sich  zu  Gaste  ziehen.  Denn  auf  dem 
Adel  beruhe  seine  Herrschaft  und  seine  Gewalt.  Und  am  Beginn  einer 
langen  Reihe  von  Ermahnungen,  die  ihn  zur  Sorgsamkeit  in  Kultus- 
Handlungen,  zu  priesterlichen  Kasteiungen  und  zur  Instandhaltung  der 
Tempel,  der  heiligen  Stätten  und  der  \Yege  dahin  anhalten,  wird  ihm 
eingeschärft  —  ..insbesondere  es  sich  angelegen  sein  zu  lassen,  um 
Mitternacht  sich  zu  erheben  (und  nach  den  Sternen  zu  sehen):  dem 
yohualitqui  mamalhuaztli,  die  man  die  Schlüssel  Sankt  Petri  unter  den 
Sternen  am  Himmel  nenne,  dem  citlaltlachtli,  dem  Norden  und  seinem 
Rade,  dem  tianquiztli,  den  Plejaden,  dem  colotl  ivayac,  dem  Sternbild  des 
Skorpions,  die  die  vier  Weltgegenden  am  Himmel  bezeichnen.  Und  gegen 
Morgen  solle  er  sorgsam  das  Sternbild  donecuüli  beobachten,  das  Sankt 
Jakobs-Kreuz,  das  am  Südhimmel  in  der  Richtung  von  Indien  und  China 
erscheine,  und  er  solle  sorgsam  den  Morgenstern  beobachten,  der  zur  Zeit 
der  Morgenröthe  erscheine,  den  man  tlauizcalpan  teuctli  nenne". 

Die  in  diesen  Worten  enthaltenen  Angaben  über  den  Umfang  und  die 
Haupt-Elemente  der  altmexikanischen  Astronomie  werden  genau  bestätigt 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia  Gruppe.  619 

durch  das,  was  Sahagun  im  siebenten  Buche  seines  Geschichtswerkes 
über  die  Sternbilder,  die  von  den  alten  Mexikanern  beobachtet  wurden, 
berichtet.  In  dem  mexikanischen  Originaltext  seines  Werkes,  der  in  der 
Biblioteca  del  Palacio  in  Madrid  aufbewahrt  wird,  sind  bei  den  betreffenden 
Kapiteln  die  verschiedenen  Himmelskörper  und  Sternbilder,  die  im  Text 
genannt  werden,  auch  in  Bildern  dargestellt.  Man  sieht  tonatiuh,  die 
Sonne  (Abb.  1),  metztli,  den  3Iond  (Abb.  2),  citlalpol,  den  Morgenstern, 
den  Planeten  Venus  (Abb.  3),  citlalpopoca,  den  Kometen  (Abb.  4),  und  das, 
was  die  Mexikaner  citlaltlamina,  den  „schiessenden  Stern",  nannten  (Abb.  5). 
Darunter  endlich  fünf  Sternbilder,  von  denen  drei  —  Abb.  6  mamalhuaztU, 
Abb.  9  .conecuiUi,  Abb.  10  colotl  —  durch  die  beigesetzten  Namen  als 
dreien  der  obengenannten  Sternbilder  entsprechend  bezeichnet  werden, 
während  die  anderen  beiden,  Abb.  7  und  8,  sich  durch  Form  und  Zeich- 
nung als  Abbilder  der  anderen  obengenannten,  des  Sternbildes  der  Ple- 
jaden  und  des  „Stern-Ballspielplatzes",  des  citlallachtli,  erweisen. 


1 

Abb.  6  mamalhuaztli,  der  „Feuerbohrer",  die  „Feuerreibhölzer",  werden 
von  Tezozomoc  als  „Schlüssel  Sankt  Petri"  bezeichnet.  Es  muss  ein 
Sternbild  gewesen  sein,  in  dem  zwei  Sternreihen  unter  spitzem  Winkel 
auf  einander  stossen.  Im  Molina  wird  mamalhuaztU  mit  „astillejos  (Hölz- 
chen), constelacion"  übersetzt.  Und  Sahagun  bezeichnet  das  Sternbild 
als  die  „Himmelsstäbchen,  die  in  der  Nähe  der  Plejaden,  dem  Stern- 
bild des  Stiers,  sich  befinden"  (los  mastelejos  del  cielo  que  andan  cerca 
de  las  cabrillas  que,  es  el  signo  del  toro).  Als  „astillejos"  (Hölzchen) 
werden  in  Spanien  die  Zwillinge  des  Thierkreises  bezeichnet.  Das  scheint 
hier  ausgeschlossen  zu  sein,  da  diese  doch  von  den  Plejaden  zu  weit  ent- 
fernt liegen.  Die  üebersetzung  „astillejos"  soll  wohl  auch  nur  den  Wort- 
sinn des  mamalhuaztU  wiedergeben.  Wenn  Tezozomoc  das  Gestirn 
mamalhuaztU  die  Schlüssel  Sankt  Petri  nennt,  so  bemerkt  der  Heraus- 
geber, Jose  Maria  Vigil  dazu,  dass  man  im  Mittelalter  den  Widder  des 
Thierkreises  dem  Apostel  Peti'us  zugewiesen  und  Alpha  des  Widders 
als  die  Schlüssel  Sankt  Petri  bezeichnet  habe.  Ich  habe  deshalb  gemeint, 
dass  man  etwa  durch  Verbindung  von  c  der  Fliege,  a,  ß  des  Widders  mit 
ö  des  Widders  die  Form  des  mexikanischen  mamalhuaztU  erhalten  könnte. 


620 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Es  ist  mir  indes  neuerdings  etwas  zweifelhaft  geworden,  ob  in  der  an- 
geführten Stelle  des  Tezozonioc  das  Wort  ,,llave"  richtig  überliefert  ist. 
Ich  finde  nämlich  in  dem  zapotekisclien  Vokabular  des  P.Juan  de  Cördoba 
als  ein  leuchtendes  (und  zwar  von  den  Plejaden  verschiedenes)  Gestirn 
hervorgehoben:  —  picaana-coche  „siete  estrellas  que  llaman  la  nave  de 
San  Pedro"  „sieben  Sterne,  die  man  das  Schiff  Sankt  Petri  nennt''  — . 
Was  aber  die  Form  des  Sternbildes  angeht,  so  entspricht  vielleicht  der 
Aldebaran  (=  a  Tauri)  mit  den  Hyaden  (=  e,  den  beiden  ö  und  y 
Tauri),  der  Zeichnung  des  mexikanischen  Manuskriptes  besser,  vgl.  Abb.  6  a, 
wie  auch  der  leuchtende  Aldebaran,  die  rohint  der  Sanskrit  Indier, 
entschieden  besser  zu  der  hervorragenden  Bedeutung  passt  die  das  mamal- 


9 ; 


(oXsKs)^' 


huaztli  bei  den  Mexikanern  hatte.  ^^Tach  den  D an ckworth' sehen  Tafeln 
hatte  der  Aldebaran  um  das  Jahr  1500  die  Deklination  +  J5°  22'  27". 
In  der  Bi^eite  von  Mexico  (19°  25'  nördl.  Breite)  kulminirte  das  Gestirn 
also  nahezu  im  Zenith.  Nach  der  angeführten  Stelle  des  Tezozonioc 
scheint  es  den  Mexikanern  für  die  Himmelsrichtung  des  Ostens  bezeichnend 
gewesen  zu  sein.  Fj?,  wurAe  youalitqui,  ,, der  Bringer  der  Nacht"  (Tezozo- 
moc)  oder  youal  tecutli,  „der  Herr  der  Nacht"-  (Sahagun)  genannt.  Wenn 
es  im  Osten  aufgieug,  so  räucherte  man  und  sprach:  oualuetz  in  youaltecutli 
in  yacauiztli:  quen  uetziz  in  youalh,  quen  tlathuiz,  ,, gekommen  ist  der  Herr 
der  Nacht,  der  spitze  Stab.  Wie  wird  die  Nacht  ausfallen?  Wie  wird  es 
Morgen    werden?"    —    So    räucherte    man    dreimal,    zum    zweitenmal    um 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


621 


Mitternacht,    nämlich    wenn    das    Sternbild    im   Zenith    stand,    und    gegen 
Morgen,  wenn  es  untergieng^). 

Dem  mamalhuaztli  benachbart  sind  die  Plejaden,  die  von  den  Mexi- 
kanern miec,  „Haufe"  oder  tianquiztli,  „Markt",  genannt  wurden  (Ab- 
bildung 7  und  7  a).  Dieses  Sternbild  scheint  den  Mexikanern  die  fünfte 
Himmelsrichtung,  die  Mitte  oder  den  Zenith,  bezeichnet  zu  haben. 
Wenn  die  Plejaden  im  Zenith  standen,  um  Mitternacht  wurde  im  Beginn 
der  neuen  52jährigen  Periode  das  Feuer  neu  errieben  ^),  dessen  Aufflammen 
der  ängstlich  harrenden  Menge  ein  Zeichen  war,  dass  die  Welt  nicht,  wie 
man  fürchtete,  vom  Dunkel  verschlungen  werden,  sondern  der  Menschheit 
ein  neues  Jahrhundert  gegönnt  sein  würde. 


OL  Tauri 

^Alaeoaran) 


Abb.  6a. 


£  Centauri 


(Alcyone) 
Abb.  7  a. 


a  Crucis 
australis 


Abb.  9  a. 


•// 


K 


OL  • 
rsae  majoris 


•Ä  Coronae 

(Gemma) 


l^-flP 


Als  citlallachtli,  „Stern-Ballspielplatz*",  spreche  ich  die  Abb.  8  des 
Sahagun- Manuskripts  an.  Es  wird  von  Tezozomoc  als  „der  Norden 
und  sein  Rad'-  (el  norte  y  su  rueda)  bezeichnet.  Das  kann  kaum  etwas 
anderes  als  die  Sterne,  die  um  den  Polarstern  kreisen,  bedeuten.  Die 
Ursa  mayor  könnte  gemeint  sein.  Doch  müsste  man  mit  dieser  einige 
Sterne  des  Drachen  verbinden,  —  etwa  in  der  Art,  wie  es  die  Abb.  8a  zeigt, 
—  um  eine  Figur  zu  erhalten,  die  der  Abb.  8  des  Sahagun -Manuskripts 
und  der  bekannten  Form  des  mexikanischen  Ballspielplatzes  (tlachtli) 
entspricht. 


1)  Sahagun  7,  cap.  o.    Ms.  Bibl.  Laurenziana.    Florenz. 

•2)  Sahagun  4.    Appendix.     Edit.  Bustamante.     Vol.  I.  p.  346. 


622 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzitterung. 


Colotl,  „der  Skorpion"  (Abb.  10)  —  oder  colotl  ivayac  „das  Skorpion- 
Gesicht",  wie  Tezozonioc  das  Sternbild  nennt  —  muss  ein  dem  mamal- 
huaztli  diametral  entgegengesetztes  Sternbild  von  ungefähr  der  gleichen 
Deklination  gewesen  sein.  Denn  aus  der  augeführten  Stelle  des  Tezozonioc 
scheint  hervorzugehen,  dass  es  den  Mexikanern  die  Himmelsrichtung  des 
Westens  bezeichnete.     Vielleicht  war  es  der  Arcturus  (=  a  Bootes),  der 


Abb.  10b.     Himmelskarte  der  i/«ä7?o/-Indianer  des  Staates  Jalisco. 
(Nach  Karl  Lumholtz). 

Die  die  Sterne  verbindenden  Linien  fehlen  im  Original.  Die  anderen  Sterne  und 
Sternbilder,  die  ausserdem  auf  dieser  Karte  noch  angegeben  sind,  sind,  der  Deutlichkeit 
halber,  weggelassen. 

1.  tamäts  ioHodmi  „unser  älterer  Bruder,  der  Sänger'  =  der  Morgenstern; 

2.  rawci,  grosser  Einzelstern  im  Westen  [-  Gemma?]: 

3.  tevali  iioän-i  _der  [nördliche]  blaue  Grossvater",  Einzelstern.    Wächter  des  Himmels 
im  Norden; 

4.  tevali  Miäkanii    „der  südliche  Grossvater",    Einzelsteru.     Wächter  des  Himmels 
im  Süden; 

5.  taindts  teahika  „unser  älterer  Bruder  der  Skorpion"  [-  Bootes  mit  dem  Arcturus?] 

6.  semauir,  die  Plejaden. 

7.  wdkana,  „der  Hahn"  |=  Ursa  major,  von  den  Cora  uieapitast  genannt); 

8.  iruniiste  „der  Besen"  [=  Cassiopeia?]. 


nach  den  Danckworth'schen  Tafeln  um  das  Jahr  1500  die  Deklination 
—  21°  50'  31"  hatte.  Sahaguu  sagt,  dass  das  Sternbild  in  einigen 
Gegenden  als  der  Wagen  bezeichnet  wordeu  wäre.  Die  Mexikaner  hätten 
es  Skorpion  genannt,  weil  es  die  Figur  dieses  Thieres  gehabt  habe,  und 
so  würde  es  in  vielen  Theilen  der  Erde  genannt.  Die  letzte  Bemerkung 
des  Paters  scheint  darauf  hinzudeuten,    dass    er  es  mit  dem  Skorpion  der 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  623 

antiken  Astronomie  identifizirte.  Das  würde  eine  der  merkwürdigsten 
Gleichheiten  in  der  Namengebung  bedeuten.  Ich  halte  diese  Annahme 
indes  für  ausgeschlossen,  da  der  Scorpius  der  Alten  weit  nach  Süden  liegt. 
Nach  den  Danckworth'schen  Tafeln  hatte  «  Scorpii  um  das  Jahr  1500 
<lie  Deklination  -  25°  11'  18". 

In  neuerer  Zeit  ist  durch  Karl  Lumholtz^)  eine  merkwürdige  Stern- 
karte der  Huichol- iadianer  des  Staates  Jalisco  bekannt  geworden,  die 
auf  der  Unterseite  einer  der  Himmelsgöttin,  der  Adlerjungfrau  Täte  vlika 
uimdli,  geweihten  Scheibe  gezeichnet  ist.  Hier  sieht  man  das  Sternbild 
des  Skorpions,  von  den  Huichol  tamats  tmlüka,  von  den  benachbarten 
Cora  tzicuricat  genannt,  gross  und  bedeutend  in  der  Mitte  der  Karte  dar- 
gestellt. In  der  Mitte  befindet  sich  ein  grosser  Stern,  der  als  das  „Herz  des 
Skorpions"  bezeichnet  wird.  Die  ScheerenöfFnung  ist  dem  Westen,  der  Schwanz 
dem  Osten  zugekehrt,  während  vor  der  Mitte  der  Scheerenöffnuug  ein  anderer 
grosser  Stern,  rawd^  angegeben  ist,  der  als  „ein  grosser  Einzelstern  im 
Westen"  beschrieben  wird,  mit  dem  nach  Ablauf  eines  Jahres  der  Morgen- 
stern in  Konjunktion  komme.  Diesen  Skorpion  der  Huichol-\n(\\i\nev  und 
deshalb  auch  den  colotl  der  Mexikaner,  möchte  ich  nun  in  der  That  mit 
den  Hauptsternen  des  Bootes  identifiziren,  indem  ich  den  Arcturus 
(a  Bootis)  als  das  Herz  des  Skorpions,  »;,  t,  v  als  Leib  und  Schwanz 
des  Thieres  ansehe,  der  dann  nach  derselben  Seite  gekrümmt  erscheinen 
würde,  wie  die  ÄmcÄo/!- Indianer  den  Schwanz  des  Skorpions  zeichnen. 
(Vgl.  Abb.  10a,  10b).  £,  a,  q  des  Bootes  würden  dann  die  rechte  Scheere, 
^,  o,  71  die  linke  Scheere  bedeuten,  und  vor  der  Scheerenöffnung  die 
leuchtende  Gemma  (=  a  Coronae)  dem  rawä  der  Huichol  entsprechen. 

Xonecuilli  oder  citlalxonecuilli,  das  S-förmig  gekrümmte  Sternbild,  ist 
im  Tezozomoc  deutlich  als  das  südliche  Kreuz  beschrieben.  Dessen 
Form  kann  man  auch  ungefähr  in  der  Zeichnung  (Abb.  9)  des  Sahagun- 
Manuskripts  erkennen,  wenn  man  den  Centaurus  und  die  beiden  östlich 
von  diesem  gelegenen  Sterne  mit  dazu  nimmt  (vgl.  Abb.  9a).  Sahagun 
nennt  es  das  Sternbild,  das  in  der  Mündung  der  Trompete  steht  (las 
estrellas  que  estan  en  la  boca  de  la  bociua).  Als  Trompete  (bocina)  soll 
nach  dem  Lexikon  in  Spanien  das  Sternbild  des  kleinen  Bären  bezeichnet 
worden  sein.  Den  kann  aber  Sahagun  wohl  kaum  gemeint  haben.  Denn 
aus  der  ganzen  Anordnung  auch  bei  ihm  geht  hervor,  dass  es  sich  um 
ein  Sternbild  am  südlichen  Himmel  handelt. 

Diese  vier  oder  fünf  Sternbilder  hatten  für  die  Mexikaner  Bedeutung 
und  wurden  von  ihnen  beobachtet,  weil  sie  ihnen  die  vier  Hauptrichtungen 
bezeichneten,  und  die  Anlage  ihrer  Tempel  und  Städte    musste  nach   den 


1)  Karl  Luraholtz,  Symbolism  of  the  Huichol  Indians.  Memoirs  of  the 
American  Museum  of  Natural  History.  Vol.  II.  Anthropology  II.  New  York.' 
May  1900.    pag.  57. 


624  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Hauptrichtuiigen  geregelt,  eine  grosse  Zahl  von  Kultushandlungen  nach 
den  vier  Hauptrichtungen  vorgenommen  werden. 

Es  gab  aber  auch  einige  Sterne,  die  den  Mexikanern  durch  ihren 
Glanz  und  ihre  Bewegungen  auffielen,  denen  man  geheimnissvolle  Ein- 
wirkungen auf  die  Welt  und  die  Menschen  zuschrieb,  die  man  als  gött- 
liche Mächte  verehrte  und  deren  Erscheinung  und  deren  Bewegungen  man 
deshalb  mit  grosser  Sorgfalt  beobachtete.  Ein  solches  Gestirn  war  der 
Planet  Venus,  den  die  Mexikaner  citlalpol  oder  uei  citlalin,  d.  h.  „der 
grosse  Stern"  und  Tlauizcalpan  tecutl%  „Herr  der  Morgenröthe",  nannten, 
und  dessen  verschiedene  Erscheinung  als  Morgen-  und  Abendstern  ihnen 
wohl  bekannt  war. 

Der  Augustiner-Mönch  P.  Jeröuimo  Roman  y  Zamora  berichtet  von 
den  an  den  Grenzen  der  Zapoteken  und  Mixteken  angesiedelten  mexika- 
nischen Stämmen,  dass  sie  den  Morgenstern  in  grosser  Verehrung  gehalten 
und  über  sein  Erscheinen  genau  Buch  geführt  hätten:  —  „so  genau 
führten  sie  Buch  über  den  Tag,  wann  er  erschien,  und  wann  er  sich  ver- 
barg, dass  sie  sich  niemals  irrten"  (y  tan  gran  cuenta  tenian  con  el  dia 
que  aparecia  y  quando  se  ascondia,  que  nunca  erravan).  Aehnliches  liest 
man  in  einem  diesem  Planeten  gewidmeten  Kapitel,  das  in  einem  Manu- 
skript, das  dem  verstorbenen  D.  Joaquin  Garcia  Icazbalceta  gehörte, 
am  Schluss  des  ersten  Theiles  der  Historia  des  P.  Motolinia  eingefügt 
ist,  und  das  daher  von  Chavero  diesem  Mönche  zugeschrieben  wurde'). 
Wenn  dieser  Planet  von  Neuem  am  Horizont  aufgieng,  erzählt  der 
P.  Sahagun,  so  sollte  er  erst  viermal  verschwinden  und  dann  erst  in 
vollem  Glänze  wiederkehren,  leuchtend  wie  der  Mond.  Und  wenn  der 
Morgenstern  aufgieng,  berichtet  derselbe  Autor,  so  verstopfte  man  Schorn- 
steine und  Rauchlöcher,  damit  nicht  mit  seinem  Lichte  irgend  ein  Unheil 
in  das  Haus  dringe.  Bisweilen  sehe  man  ihn  aber  auch  als  etwas  Gutes 
an  [je  nach  der  Zeit,  in  der  er  im  Osten  erschien^)].  Auf  dem  Hofe  des 
grossen  Tempels  in  Mexico  befand  sich  eine  hohe  und  dicke  Säule,  über- 
deckt von  einem  Strohdach.  Man  nannte  sie  ilhuicatitlan,  „am  Himmel". 
Auf  dieser  Säule  war  das  Bild  des  Morgensterns  gemalt  und  man  opferte 
vor  ihr  Gefangene,  zur  Zeit  wo  der  Planet  von  Neuem  am  Himmel  auf- 
gieng^). Von  den  Leuten  von  Tehuacan,  Cozcatlan  und  Teotitlan  del 
Camino  erzählt  der  Pater  Roman,  dass  an  dem  Tage,  wo  der  Morgen- 
stern zum  ersten  Male  erschien,  ein  Menschenopfer  gebracht  wurde,  das 
der  König  des  Landes  stellen  musste,  und  dass  an  jedem  Tage  zu  der 
Stunde,  wo  dieser  Stern  aufgieng,  die  Priester  ihm  geräuchert  und  sich 
Blut  abgezapft  hätten,  das  sie  ihm  darbrachten. 


1)  Anales  del  Museo  Nacional  de  Mexico.    11.  p.  339. 

2)  Sahagun  7,  Cap.  3. 

3)  Sahagun  2.    Appendix.    Edit.  ßustamante.    Vol.  I.    p.  205. 


18.   Die  Venusperiode  in  den  bildcrschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  625 

Da  die  Beobachtung-    der  Gestirne  Obliegenheit    der  Priester  war,  so 
hat  man  auch,  wie  es  scheint,  den  Morgenstern  mit  der  göttlichen  Gestalt 
in  Verbindung  gebracht,   die  als  der  erste  Priester    und    als    der  Erfinder 
jeglicher  Kunst,   des  Kunsthandwerks    nicht  minder,    wie    der  besonderen 
priesterlichen  Kunst  und  Wissenschaft,  des  Kalenders  und  der  Wahrsage- 
kunst, galt,  mit  Quetzalcouatl,  dem  Heros  von  Tula,  dem  König  und  Herrn 
der  Tolteken.     Als  Quetzalcouatl,  so  berichtet  die   Sage,  durch  die  Ränke 
des  „Zauberers"    Tezcatlipoca    aus    seinem   Reiche    vertrieben,    nach   Osten 
gezogen  und  an  das  Gestade  des  Meeres,  in  das  tlülan  tlapallan,  das  Land 
der    schwarzen    und  der    rothen    Farbe,    d.  h.  das  Land  der  Schrift,  oder 
auch  das  Land  des  guten  Beispiels^),    in  das  tlatlayan,    den  Ort  des  Ver- 
brennens,    gelangt    war,    legte    er    seinen   Schmuck,    den    Federschmuck 
quetzalapanecuyotl  und  die  Maske   aus  Türkis-Mosaik  xiuhxayacatl  an  (wie 
die  Todten  auf  dem  Scheiterhaufen  mit  Schmuck   und  Maske   ausgestattet 
wurden)  und  verbrannte  sich  selbst.     Die  Asche  flog  alsbald  in  die  Höhe 
und   verwandelte    sich    in    allerhand    Vögel    von  glänzendem    Gefieder  — 
Löffelreiher  (tlauhquechol),  Kotinga  {xiuhtototl),  Tzinitzcan,  Ayoquan,  grüne 
Papageien  {toznene),  rothe  Guacamaya  {alo)  und   andere  Papageien  {cocho). 
Als  die  Asche  verstäubt  war,    tiog    auch    das    Herz    in  die  Höhe  und  ge- 
langte in  den  Himmel    und    verwandelte    sich  in  den  Morgenstern.     „Man 
sagte,  als  er  sichtbar  war,   starb  Quetzalcouatl,    den    man    nunmehr    Herrn 
der  Morgenröthe  (Tlauizcalpan  teuhtli)  nannte.     Man  sagte,  als  er  gestorben 
war,  dass  er  vier  Tage  nicht  sichtbar  war;  man  sagte,  dass  er  dann  in  der 
Unterwelt  wandelte,  und  weitere  vier  Tage  war  er  Knochen  (war  er  todt? 
war   er  mager?);    erst  nach    acht  Tagen    erschien    der    grosse    Stern    (der 
Morgenstern).     Man  sagte,    dass    dann   Quetzalcouatl    als    Gott    den    Thron 
bestieg^)". 

Dieser  Tod  Quetzalcouatl' s  soll  im  Jahre  „eins  Rohr"  (ce  acatl)  erfolgt 
sein.  Darum  nannte  man  auch  die  Gottheit  des  Morgensterns  Ce  acatl  und 
bezeichnete  ihn  hieroglyphisch  mit  der  Ziffer  eins  und  dem  Tageszeichen 
acatl  „Rohr". 


1)  Vgl.  Anales  de  Chimalpahin  ed.  Remi  Simeon  p.  29:  —  yn  iuh  ymamatla- 
cnilolpan  in  tliltica  Üapaltica  quicuilotehuaque,  „wie  sie  in  ihren  Bilderschriften  mit 
schwarzer  und  rother  Farbe  gemalt  (geschrieben)  haben";  —  und  Vocabulario  de 
Molina:  —  tlilli  tlapalli  nictlalia  „dar  buen  exemplo". 

2)  Anales  de  Quauhtitlan,  abgedruckt  im  Anhang  zum  III.  Bande  der  Anales 
del  Museo  Nacional  de  Mexico.  Ich  habe  dieses  wichtige  Manuskript  leider  im 
Original  nicht  einsehen  können.  Es  scheint  verschwunden  zu  sein.  Der  Ab- 
druck in  den  Anales  del  Museo  Nacional  de  Mexico  ist  sehr  fehlerhaft.  In  der 
vorliegenden  Stelle  habe  ich  das  augenscheinhch  verderbte  und  unverständliche 
^camj)a  huiihuül  yn  anio  nez  quitoaya  ycua  mitlan  nemito^  in  y^ca  nahuilhuill'  ge- 
ändert, denn  das  folgende  auh  no  nahuilhuiü  momiti  „und  weitere  vier  Tage  war 
er  Knochen"  verlangt  ein  vorhergehendes  nahuilhuiü. 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  4Q 


626  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglypheu-Entziflferang. 

Unter  diesem  Namen  und  mit  dieser  Hieroglyphe  sehen  -svir  die  Gott- 
heit des  Morgensterns  in  dem  Tonalaniatl^  dem  Kalender  von  13  X  20  Tagen, 
abgebildet.  Er  ist  dort  Herr  der  neunten,  mit  ce  couatl  ^eins  Schlange" 
beginnenden  Abtheilung  von  dreizehn  Tagen  und  ist  dem  Feuergott  gegenüber 
dargestellt.  Denn  der  ist  der  alte  Gott,  der  Ueueteotl,  der  schon  zur  Zeit  der 
Dämmerung,  als  noch  keine  Sonne  der  Welt  leuchtete,  vorhanden  war. 

Das  Bild  des  Tlauizcalpan  tecutlt,  der  (Gottheit  des  Morgensterns,  wie 
er    im    Tonalamatl    des  Codex  Telleriano-Renieiisis    und  des  Vaticanus  A 


liiiiiiiiitiiiniiiniuitiniuiiiinwiiwwww 

Abb.  11.     Tlauizcalpan  tecutlt,  Gottheit  des  Morgensterns, 

und  Hieroglyphe  ce  acatl  „eins  Rohr*. 

Codex  Telleriano-Remensis  14  verso  (=  Kingsborough  Parte  II.    Lam.  14  . 

dargestellt  ist,  zeigt  uns  die  Abb.  11.  Charakteristisch  für  den  Gott  ist 
die  weisse,  mit  rothen  Längsstreifen  versehene  Körperfarbe  und  die  tief- 
schwarze, halbmaskenartige  Bemalung  um  die  Augen,  die  hier,  aber  nicht 
immer,  von  kleinen  weissen  Kreisen  umrandet  und  zugleich,  was  aber 
ebenfalls  nicht  immer  der  Fall  ist,  mit  einer  rothen  Bemalung  um  die 
Lippen  verbunden  ist. 

Die  rothe  Sti'eifuug  auf  weissem  Grunde  ist  nur  eine  Variante,  eine 
Art  Darstellungsmodus  für  weisse  Körperfarbe.  Denn  wie  wir  sehen 
werden,  wird  der  Gott  auch  ganz  weiss  gemalt,  und  umgekehrt  finden 
vdv  Gottheiten,  für  die  im  Text  ausdrücklich  weisse  Körperfarbe  vor- 
geschrieben wird,  wie  die  Ciuateteö.  mit  rother  Längsstreifung  auf  weissem 
Grunde    abgebildet.     Die    technische  Bezeichnung    ist    moticaicauana    „mit 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  627 

■weisser  Erde  Läiigsstreifeii  gemacht".  Diese  weisse  Körperfarbe  ist  augen- 
scheinlich als  das  schwache  Licht,  als  das  Licht  der  Dämmerung,  oder  als 
ein  Glanz  gleich  dem  des  Mondes  gedacht.  Das  helle  Licht,  der  Glanz 
der  Sonne,  das  Leuchten  des  Feuers,  brachten  die  Mexikaner  durch  die 
leuchtenden  Farben  gelb  und  rotli  zum  Ausdruck.  Mit  diesen  Farben 
wurden  der  Sonnen-  und  der  Feuergott  gemalt,  und  zwar  verschieden:  in 
den  einen  Handschriften  der  Sonnengott  roth  und  der  Feuergott  gelb,  in 
den  anderen  der  Sonnengott  gelb  und  der  Feuergott  roth. 

Die  halbmaskenartige  schwarze,  von  kleinen  weissen  Kreisen  um- 
randete Bemalung  um  die  Augen  theilt  Tlauizcalpan  tecutli  mit  Mixcouatl- 
CamaxtU,  dem  Jagdgotte  und  Gotte  der  Tlaxkalteken,  mit  PainaL  dem  Todes- 
boten, dem  Abbilde  und  Stellvertreter  Uitzüojwcktlzs,  mit  Atlaua,  dem  Gotfe 
der  Chinampaneken  und  mit  den,  gleich  dem  letzteren,  mit  Todessymbolen 
ausgestatteten  Göttern,  die  von  Sahagun  unter  dem  Namen  Chachalmeca 
aufgeführt  werden.  In  der  technischen  Beschreibung  des  Ausputzes  dieser 
Götter  wird  diese  Bemalung  als  mixquauhcalichiuhticac  oder  ixuacalichiuale 
oder  mixtetlilcomolo  („im  Gesicht  hat  er  einen  Käfig  geraalt",  „um  die 
Augenlider  ist  mit  schwarzer  Farbe  eine  Grube  gemacht")  und  als  ixcitlal- 
ichiualp,  mizcitlalichichiuh,  Tnixcitlalhuiticac  moteneua  tlayoalli  („im  Gesicht 
hat  er  die  Sternbemalung,  Finsterniss  genannt")  bezeichnet.  Es  geht 
daraus  hervor,  dass  diese  Bemalung  die  übliche  Darstellung  der  Nacht,  die 
als  ein  dunkles,  mit  Augen  (Sternen)  besetztes  Feld  gemalt  wurde,  wieder- 
geben soll.  Die  Gottheit  wird  dadurch  als  eine  nächtliche,  am  Nacht- 
himmel erscheinende  gekennzeichnet. 

Charakteristisch  für  den  Gott  ist  ferner  noch  die  Krone  aus  schwarzen, 
mit  hellem  Endfleck  versehenen  Federn,  die  mit  Bällen  weisser  Daunen- 
federn {iztac  totoUuül)  besteckt  ist,  und  aus  der  hier  noch  ein  Büschel 
grüner  Quetzal- Federn  herausragt.  Ferner  die  Stirnbinde,  der  an  den- 
selben Stellen,  wo  auf  der  Stirnbinde  des  Sonnengottes  blaue  oder  grüne 
(aus  Türkis  oder  grünem  Edelstein  gefertigte)  Scheiben  augegeben  zu 
werden  pflegen,  zwei  spitz  -  eiförmige  weisse,  mit  rothem  Kern  versehene 
Körper  aufgesetzt  sind. 

Bemerkenswerth  ist,  wie  der  Zeichner  dieses  Bildes  es  zum  Ausdruck 
gebracht  hat,  dass  der  Gott  in  zwei  verschiedenen  Gestalten  bekannt  ist: 
—  das  Gesicht,  mit  Stirnbinde  und  Federkrone  geschmückt,  sieht  aus  dem 
geöffneten  Rachen  eines  Schädels  hervor,  dem  dieselbe  Stirnbinde  und 
dieselbe  Federkrone  aufgesetzt  sind.  Wir  können  annehmen,  dass  das 
menschliche  Gesicht  das  Gestirn,  wie  es  am  Osthimmel  vor  der  aufgehenden 
Sonne  erscheint,  bezeichnen  sollte,  die  Schädelmaske  dagegen  den  Stern, 
der  der  untergehenden  Sonne  nacheilend,  wie  die  Mexikaner  sich  dachten, 
in  die  Erde,  in  die  Unterwelt  hinabsteigt.  Es  ist  aber  auch  denkbar,  dass 
die  Schädelmaske  das  Gestirn  in  seiner  Unsichtbarkeitsperiode  veranschau- 
lichen soll. 

40* 


628 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Von  Bedeutung  ist  auch  der  Brustschmuck,  ein  weisser,  vielleicht 
aus  Muschelschale  geschliffener  Ring,  mit  dem,  ausser  diesem  Gott,  ins- 
besondere noch  der  Gott  Tezcatlipoca,  aber  auch  UitzUopochtli  und  sein 
Abbild  Painal,  geschmückt  erscheinen.  In  der  technischen  Beschreibung- 
wird bei  dem  letzteren  dieser  Schmuck  als  „sein  goldener  Ring''  {iteocuitla- 
anauuuh)  oder  „sein  Brustspiegel"  (eltezcatl)  bezeichnet. 

Ganz  dieselben  Elemente,  wie  in  der  vorher  beschriebenen  Figur, 
finden  wir  in  dem  Bilde,  das  in  dem  Tonalamatl  der  Aubin-GoupiTschen 
Sammlung  bei  der  neunten  Abtheiluug  angegeben  ist  (Abb.  12).  Hier 
sieht  man  links  den  Feuergott  und  ilmi  gegenüber,  auf  der  rechten  Seite 
des  Bildes,    Tlauizcalpan  tecutli,    die  Gottheit   des  Morgensterns.     Man  er- 


Abb.  12.    Xiiilitecidli,  der  Feuergott,  und  Tlauizcalpan  tccidll, 

Regenten  des  neunten,  mit  ce  coucrtl  „eins  Schlange"  beginnenden  Tonalamatl-hhsGhaiiis^ 

Tonalamatl  der  Aub in" sehen  Sammlung.     Tafel  9. 


kennt  die  weisse,  gestreifte  Körperbemalung,  die  schwarze,  von  kleinen 
weissen  Kreisen  umsäumte  halbmaskenartige  Bemalung  um  die  Augen, 
die  Stirnbinde  mit  den  beiden  aufgesetzten  weissen  spitz-eiförmigen  Körpern, 
die  Krone  aus  dunklen  Federn  und  den  Ring  als  Brustschmuck.  Nur 
ragen  hier,  statt  der  Quetzal-Federn,  Wasser  und  Feuer  {atl  tlachinolli), 
das  Symbol  des  Krieges,  aus  der  Federkrone  heraus,  und  die  Schädel- 
maske hängt  frei  auf  der  Hinterseite  des  Kopfschmuckes  herab.  Die 
Hieroglyphe  ce  acatl  „eins  Rohr"  fehlt.  In  der  Mitte  des  Bildes  sieht  man 
das  Zeichen  des  Feuers  {tlachinolli)^  ferner  ein  huudeartiges  Thier  Qcolotl), 
Tasche  {maüauacalli)  und  Pfeil  des  Jagdgottes,  endlich  noch  oben  einen  blau 
gemalten  Gegenstand.  Dieser  stellt  einen  in  den  Nasenflügel  eingesetzten 
Knopf  dar,  der,  gleich  dem  xolotl.,   Todtenschmuck  ist,    zum  Ausputze  der 


18.    Dio  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  629 

eingebündelten  Leiche    des    mit    einem    nacligemacliten   Kopfe    und   einer 
Maske  versehenen  Mumienbündels  dient  (vgl.  Abb.  12b  S.  630). 

In  dem,  dem  Tonalamatl  der  Au  bin 'sehen  Sammlung  verwandten, 
über  viel  besser  gezeichneten  Tonalamatl  des  Codex  Borbonicus  sieht  man 
in  der  neunten  Abtiieilung  wieder  Tlauizcalpan  tecutli  dem  Feuergotte 
gegenüber,    aber    auf    der  linken  Seite  des  Bildes  dargestellt  (Abb.  12a). 


Abb.  12  a.    XiuhtecHili,  der  Feuergott,  und  Tlauizcalpaniccntli,  Regenten  des  neunten, 
mit  ce  coitatl  „eins  Schlange"  beginnenden  Tona/ama^^-Abschnittes.     Codex  Borbonicus  5). 


Er  ist  mit  weissem  Körper  und  der  Sterngesichtsbemalung  {mixcitlalhuiticac 
moteneua  tlayoalli)  abgebildet  und  trägt  einen  Kopfschmuck,  ähnlich  dem 
der  Figur  des  Telleriano-Remensis  (Abb.  11).  Aber  die  Schädelmaske, 
die  bei  den  vorher  beschriebenen  beiden  Figuren  die  Rückendevise  bildet, 
fehlt  hier  und  ist  durch  ein  einfaches  Nackenschild,  das  auf  seiner  Fläche 
den  Kopf  eines  blau  gemalten  hühnerartigen  Yogels  zeigt,  ersetzt '  Zwischen 
Tlauizcalpan  tecutli  und  dem  Feuergott  sieht  man  oben  Wasser  {atl),  in  dem 


(;30 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


zwei  Speere  schwimmen,  und  weiter  unten,  gross  und  schön  gezeichnet,  das 
Symbol  des  Feuers  (tlachinolli) ,  an  dessen  Ende  ein  in  den  Farben  des 
Feuers  (gelb  und  blau)  gemalter  Schmetterling  die  lodernde  Flamme 
{tlepapaloü  =  tlexochtli)  veranschaulicht.  Wasser  und  Feuer  zusammen 
ergeben  wieder  atl-tlachinolli,  das  Symbol  des  Krieges.  Unten  endlich  sind 
eine  blaue  Kopf  binde,  zwei  blaue  Ohrpflöcke,  zwei  blaue  Nasenknöpfe 
und  das  —  ebenfalls  blau  gemalte  —  hundeartige  Thier  xolotl,  nebst  einer 
weissen  Schulterbinde  {amaneapanalli)  abgebildet.  All  das  ist  Todten- 
schmuck,  wie  man  das  an  der  Abb.  V2h  sehen  kann,  die  in  der  Bilder- 
handschrift der  Florentiner  Biblioteca  Nazionale  eine  Todtenerinnerungs- 
feier  veranschaulicht. 


Abb.  12  b.    Mumienbündel,  für  den  todten  Krieger  errichtet. 
(Bilderhandschrift  der  Florentiner  Biblioteca  Nazionale). 


Etwas  abweichender  sind  die  Bilder,  die  iu  den  TonalamaÜ  des  Codex 
Borgia  und  des  Codex  Vaticanus  B  den  neunten  Abschnitt  begleiten.  In 
dem  Bilde  des  Codex  Borgia  (Abb.  13)  steht  der  Morgenstern  auf  der 
linken  Seite,  dem  Feuergotte  gegenüber,  der  die  rechte  Seite  des  Bildes 
einnimmt.  Er  ist  ganz  weiss  —  nicht  weiss  mit  rothen  Streifen  — ,  trägt 
die  tiefschwarze  halbmaskenartige  Bemalung  um  die  Augen,  aber  ohne 
den  Saum  von  kleinen  weissen  Kreisen.  Stirnbinde  und  Federkrone  sind 
in  ihren  Elementen  dieselben,  wie  in  Abb.  11  und  12,  nur  ragen  hier 
jederseits  zwei  Bänder  heraus,  die  in  Bälle  von  Daunenfedern  enden.  Er 
trägt  als  Brustschmuck  nicht  den  Ring,  sondern  eine  breite,  viereckige 
Platte,  die  blau  gemalt,  also  wohl  mit  Türkis-Mosaik  inkrustirt  gedacht  ist, 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  631 

und  einen  Nasenstab    der    gleichen  Form,    wie    der,    mit    dem  die  Bilder 
TezcatUpocafi  ausgestattet  zu  werden  pflegen. 

In  dem  entsprechenden  Bikle  des  Codex  Yaticanus  B  (Abb.  14,  S.  632) 
ist  der  Morgenstern  auf  der  rechten  Seite  dargestellt.   Er  ist  weiss-  und  roth- 


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gestreift,  trägt  dieselbe  lialbmaskenartige  Bemalung  um  die  Augen,  den 
Ring  als  Brustschmuck  und  den  Nasenstab  Tezcatlipoca's.  In  der  Stirn- 
binde und  in  der  Federkrone  sind,  trotz  der  etwas  unsicheren  Zeichnung, 
die  gleichen  Elemente  wie  in  den  entsprechenden  Trachtstücken  der  anderen 


632 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entziflferang. 


Fieureu  zu  erkennen.  Xur  hängt  hier  aus  der  Krone  ein  dickes  Büudel 
von  Quetzal-Federn  heraus,  das  in  ähnlicher  Weise  in  die!<er  Handschrift 
auch  bei  einer  Reihe  anderer  Gottheiten  angegeben  wird.  — 

Was  uns  die  Geschichtsschreiber  von  der  Genauigkeit  zu  erzählen 
wissen,  mit  der  die  alten  ^[exikaner  das  Erscheinen  und  Wiedererscheineu 
des  Planeten  Venus  beobachteten,  hat  in  neuerer  Zeit  durch  Förstemann's 
Untersuchungen  über  die  Maya- Handschrift  der  Königlichen  öffentlichen 
Bibliothek  in  Dresden  eine  überraschende  Bestätigung  gefunden.  Wie 
Forste  manu  in  seinen  im  Jahre  188G  veröffentlichten  Erläuterungen  zu 
dieser  Handschi-ift  nachgewiesen  hat,  ist  auf  den  merkwürdigen  Blättern 
46 — 50  der  scheinbare  Umlauf  der  Venus,  der  584  Tage  (genau  583  Tage 
22  Stunden)   beträgt,    fünfmal    wiederholt    dargestellt,    und  zwar  jedesmal 


Abb.  14.    XiuhtecutU,  der  Fenergott,  und  Tlauizcalpan  tecutli, 

Regenten  des  neunten,  mit  ce  couatl  _eins  Schlange"  beginnenden  TonaJamatl-khschmtts, 

Codex  Vaticanus  B  (Nr.  3773)  57  (^=  Kingsborough  40). 


getheilt  in  90,  250,  8  und  236  Tage.  Diese  90,  250,  8  und  236  Tage  sind 
auf  jedem  der  Blätter  theils  dm'ch  nach  dem  Tonalamatl-System  benannte 
Tage,  die  diese  Abstände  von  einander  haben,  theils  durch  Monatsdaten 
und  endlich  durch  Zifferreihen,  die  in  diesen  Abständen  fortschreiten,  an- 
gegeben. Förstemann's  Hjrpothese  ist,  dass  hierbei  die  90  Tage  auf  die 
Unsichtbarkeit  des  Planeten  während  der  oberen  Konjunktion.  250  Tage 
auf  sein  Erscheinen  in  östlicher  Elongation  (als  Abendstern),  8  Tage  auf 
seine  Unsichtbarkeit  während  der  unteren  Konjunktion  und  236  Tage  auf 
seine  Sichtbarkeit  in  westlicher  Elongation  (als  Morgenstern)  zu  rechnen 
sind.  Eine  Verschiedenheit  in  der  Unsichtbarkeitsdauer  während  der 
unteren  und  der  oberen  Konjunktion  erklärt  sich  dadm'ch,  dass  in  der 
oberen  Konjunktion  die  Venus  hinter  der  Sonne  vorbeigeht,   also  wegen 


18.   Die  "Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-ßorgia-Griippe.  633 

der  gleichlaufenden  Bewegung  beider  (restirne  eine  weit  grössere  Zeit 
braucht.  Unter  der  Annahme,  dass  der  Planet  in  der  ganzen  Zeit  unsicht- 
bar ist,  in  der  er  weniger  als  10  Grade  von  der  Sonne  entfernt  ist, 
berechnete  Försteraann  die  Unsichtbarkeitsdauer  während  der  unteren 
Konjunktion  auf  etwa  12  Tage,  während  der  oberen  auf  77—80  Tage. 
Nun  sei  aber  die  Venus  zur  Zeit  der  oberen  Konjunktion  siebenmal  weiter 
von  der  Erde  entfernt,  als  zur  Zeit  der  unteren,  sie  stehe  auch  von  der 
Zeit  ihres  grössten  Glanzes  viel  weiter  ab,  als  zu  jener  anderen  Periode, 
sie  werde  also  mehr  als  10  Grade  Entfernung  von  der  Sonne  brauchen, 
um  wieder  deutlich  sichtbar  zu  sein.  So  rechtfertige  sich  die  Annahme 
von  90  Tagen  für  die  Unsichtbarkeit  während  der  oberen  Konjunktion. 
Die  Annahme  von  8  Tagen  für  die  Unsichtbarkeit  während  der  unteren 
Konjunktion,  die  um  4  Tage  kürzer,  als  die  berechnete  Unsichtbarkeits- 
dauer ist,  glaubt  Förstemann  durch  den  Hinweis  auf  den  klareren 
Himmel  von  Yucatan  und  das  plötzlichere  Eintreten  der  Nacht  vertheidigen 
zu  können.  Für  die  Differenz  in  den  Sichtbarkeitsperioden,  die  in  der 
Regel  zu  243  Tagen  jede  angenommen  werden,  aber  allerdings  nicht  genau 
gleich  zu  sein  brauchen,  erklärt  sich  Förstemann  ausser  Stande,  eine 
bestimmtere  Erklärung  zu  geben. 

Ich  bemerke  vorweg,  dass  ich  diese  detaillirten  Angaben  von  Sicht- 
barkeits-  und  Unsichtbarkeitsperioden  in  mexikanischen  Bilderschriften  bis- 
lang noch  nicht  verzeichnet  gefunden  habe.  Dagegen  ist  in  der  Stelle  der 
Anales  de  Quauhitlan,  die  ich  oben  (S.  625)  übersetzte,  deutlich  eine  Periode 
von  8  Tagen  von  der  Zeit  des  Verschwindens  als  Abendstern  bis  zum  Sichtbar- 
werden als  Morgenstern  angegeben.  Zur  Zeit  als  der  Planet  (als  Abend- 
stern) am  Himmel  sichtbar  war,  starb  QuetzalcoaÜ  ( —  yn  yuh  quitoa  yn 
icuac  necico  yn  rtiic  QuetzalcoaÜ^.  Und  als  QuetzalcoaÜ  gestorben  war,  war 
er  vier  Tage  nicht  sichtbar:  man  sagte,  dass  er  dann  in  der  Unterwelt 
wandelt,  und  weitere  vier  Tage  war  er  Knochen  (d.  h.  war  er  mager,  war 
er  schwach);  erst  nach  acht  Tagen  erschien  der  grosse  Stern  {ye 
chicueylhuiiica  yn  necico  huey  citlalli),  d.  h.  der  Gott  als  Morgenstern. 
Man  sagte,  dass  dann  Quetzalcoatl  als  Gott  den  Thron  bestieg  {yn  quitoaya 
Quetzalcoatl  quitoaya  ycuac  moteuhtlali). 

Wenn  nun,  wie  gesagt,  die  detaillirten  Angaben  von  Sichtbarkeits- 
und Unsichtbarkeitsperioden  des  Planeten  Venus  in  den  mexikanischen 
Bilderschriften  bislang  noch  nicht  haben  nachgewiesen  werden  können,  so 
ist  doch  das  Gesammtresultat  der  Blätter  4G— 50  der  Dresdener  Hand- 
schrift, der  scheinbare  Umlauf  von  584  Tagen  fünfmal,  und  diese  fünf 
Umläufe  dreizehnmal  wiederholt,  auch  auf  bestimmten  Blättern  der  Bilder- 
schriften der  Codex -Borgia- Gruppe  deutlich  verzeichnet,  und  nicht  nur 
dies,  auch  die  Bilder,  die  auf  den  Blättern  46 — 50  der  Dresdener  Hand- 
schrift die  Daten  und  die  Zahlenreihen  begleiten,  haben  auf  denselben 
Blättern  der  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe  ihre  Parallelen.    Es 


g34  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

ist  überhaupt  die  Veuusperiode  für  eine  grosse  Zahl  von  Blättern  dieser 
Handschrift  das  Leitmotiv. 

In  der  Zahl  von  584  Tagen,  die  der  scheinbare  Umlauf  der  Venus 
beträgt,  sind  das  Tonalamatl  von  260  Tagen  zweimal  und  dazu  64  Tage 
enthalten.  Es  geht  daraus  hervor,  dass,  wenn  die  eine  Yenusperiode  in 
dem  ersten  der  20  Tageszeichen  beginnt,  die  Anfänge  der  folgenden  Yenus- 
perioden  auf  das  fünfte,  neunte,  dreizehnte,  siebzehnte  Zeichen  fallen,  und 
der  Anfangstag  der  sechsten  Yenusperiode  wieder  mit  demselben  Zeichen 
benannt  ist,  wie  der  der  ersten.  Nur  die  mit  dem  Zeichen  verbundene 
Ziffer  ist  in  dem  Anfangstag  der  sechsten  Periode  eine  andere,  als  die  in 
dem  Anfangstag  der  ersten.  Mit  anderen  Worten,  auf  die  Anfangstage 
der  einander  folgenden  Yenusperioden  entfallen  nur  fünf  von  den  20  Zeichen, 
die  die  Grundlage  des  TonalamatT^  ausmachen. 

Diese  wichtige  Thatsache  erklärt  zunächst,  wie  mir  scheint,  die  be- 
kannte Anordnung  des  ToTialamatVs  in  Säulen  von  je  fünf  Zeichen.  Wir 
sehen  diese  Anordnung  in  ausgeführter  Form  in  dem  Tonalamatl,  mit  dem 
jede  der  drei  Bilderschriften  unserer  Gruppe,  der  Codex  Borgia,  der  Codex 
Yaticauus  B  (=  3773  des  Inventars)  und  der  Codex  Bologna,  beginnen. 
Und  sie  ist  implicite  auf  vielen  anderen  Blättern  dieser  Handschriften  und 
bei  der  überwiegend  grössten  Zahl  der  Darstellungen  der  Maya-Hand- 
schriften  angegeben.  Diese  wichtige  Thatsache  erklärt  es  aber  auch  vor 
Allem,  dass  man  fünf  aufeinander  folgende  Yenusperioden,  wie  es  auf  den 
Blättern  46 — 50  der  Dresdener  Handschrift  geschieht,  zu  einer  Einheit 
zusammenfasste.  Und  dieser  Thatsache  gegenüber  ist  es  gewissermassen 
nur  als  Zufälligkeit  zu  betrachten,  dass  dieser  Zeitraum  von  fünf  Yenus- 
perioden auch  genau  acht  Sonnenjahren,  jedes  Sounenjahr  zu  365  Tagen 
gerechnet,  gleich  war.  Und  wenn  auf  denselben  Blättern  46 — 50  der 
Dresdener  Handschrift  dieser  Zeitraum  von  fünf  Yenusperioden  dreizehn- 
mal wiederholt  verzeichnet  ist,  so  ist  auch  dies  vollkommen  genügend  und, 
meiner  Ansicht  nach,  einzig  aus  der  Tagebezeichnung,  wie  sie  durch  das 
Tonalamatl  gegeben  war,  zu  erklären.  Die  auf  diese  Weise  gewonnene 
grosse  Periode,  die  13  X  5  Yenusnmläufe  umfasste,  hatte  das  an  sich,  dass 
nach  ihrem  Ablauf  der  Anfangstag  der  Yenusperiode  wieder  dasselbe 
Zeichen  und  dieselbe  Ziffer  erhielt.  Diese  grosse  Periode  entsprach  also 
in  ihrer  Art  dem  Zyklus  von  52  Sonnenjahren,  der  die  gleiche  Eigenheit 
an  sich  hatte.  Und  es  ist  gewissermassen  wiederum  nur  als  Zufälligkeit 
zu  betrachten,  dass  dieser  Zeitraum  von  13  X  5  Yenusperioden  auch  13  X  8 
oder  2  X  52  Sonnenjahren  gleich  war. 

Ein  Zeitraum  von  fünf  Yenusperioden  ist,  wenn  auch  nicht  in  aus- 
gefühiter  Rechnung,  so  doch  deutlich  bezeichnet  auf  Blatt  25  (=  Kings- 
borough  14)  des  Codex  Borgia,  das  dem  Codex  Yaticanus  B  70  (=  Kings- 
borough  27)  entspricht,  angegeben.  Man  sieht,  in  die  vier  Ecken  des 
Blattes  gestellt,  vier  grosse  Götter-Figuren.     Neben    ihnen    sind  in  eigen- 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


635 


thümlicher  Vertheilung  die  20  Tageszeichen  verzeichnet,  nämlich  so,  dass 
iladurch  ein  bestimmter  Drehungssinn  (entgegengesetzt  der  Bewegung  des 
Uhrzeigers)  vorgeschrieben  wird.  In  der  Mitte  des  Blattes,  gross,  und  in 
besonderem,  viereckig  umrahmtem  Felde,  ist  das  siebzehnte  Tageszeichen 
olin  „Bewegung"  angegeben,  und  daneben  zweimal  fünf  Punkte,  die  zu- 
sammen die  Ziffer  Zehn  darstellen^). 

Das  erste  Tageszeichen  cipactli  steht  bei  einer  Figur,  die  ich  früher, 
aber  wohl  irrig,  mit  Tepeyollotl  identifizirt  habe,  die  die  zweifarbige  halb- 
rothe,  halbschwarze  Gesichtsbemalung  Quetzalcouatrs,  auch  dessen  grossen 
Bart  und  grosse  Augenwülste  hat,    aber    von    den    anderen  Figuren  dieser 


Abb.  15.     M/xcoiiatl, 

Gott  des  Nordens.     Codex  Borgia  25 

(=  Kingsborough  14). 


Abb.  16.     Mlxcouatl, 
Gott  des  Nordens.    Codex 
Vaticanus  B  (Nr.  3773)  70 

(=  Kingsborough  27). 


Handschrift  dadurch  abweicht,  dass  vor  dem  Munde  ein  Bündel  Stein- 
messer und  eine  Schlange  angegeben  sind.  Diese  merkwürdige  Gestalt, 
der  wir  in  den  Handsclu'iften  dieser  Klasse  sonst  selten  begegnen,  ist 
vielleicht  als  eine  einer  bestimmten  Landschaft  angehörige  besondere 
Form  oder  Auffassung  des  Gottes  Quetzalcouatl  anzusehen.  Auf  diesen 
Gott  folgt  dann  in  der  durch  den  Drehungssinn  angezeigten  zweiten  Ab- 
theilung des  Blattes  eine  Figur,  die  ich  hier  in  Abb.  15  (nach  Codex 
Borgiii)  und  16  (nach  Codex  Vaticanus  B)  wiedergebe.  Wir  erkennen  un- 
schwer die  weisse,  gestreifte  Körperfarbe,    die    tiefschwarze,    halbmasken- 


1)  Auf  dem  Blatte  des  Codex  Vaticanus  ist  fälschlich  die  Ziffer  11  geschrieben. 
Auch  ist  auf  diesem  Blatte  der  durch  die  Tageszeichen  angezeigte  Drehungssinn 
an  einer  Stelle  rückläufig,  indem  dort  drei  Tageszeichen  in  einer  der  allgemeinen 
Drehung  entgegengesetzten  Folge  hingeschrieben  sind. 


636 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


artige  Bemalimg  um  die  Augen,  wie  wir  sie  bei  dem  Tlauizcalpan  tecutli, 
der  Gottheit  des  Morgensterns,  kennen  gelernt  haben.  Nur  trägt  die 
Figur  hier  statt  der  Krone  aus  dunklen  Federn  eine  Perrücke  von  weissen 
Daunenfedern  und  darauf  einen  Busch,  aus  dem  zwei  dunkle  Adlerfedern 
herausragen  beides  augenscheinlich  ein  Kriegerschmuck.  Als  Brustschmuck 
finden  wir  bei  Abb.  15  eine  Platte,  ähnlich  der,  die  wir  bei  der  Abb.  13 
sahen.  Und  beide  Figuren  (15  und  16)  halten,  gleich  den  anderen  Figuren 
dieses  Blattes.  Wurfbrett  und  Speerbündel  in  der  Hand.  Die  Gottheit  des 
Morgensterns  werden  wir  auch  in  dieser  Gestalt  erkennen  müssen.  Es  ist  aber 
eine  besondere  Form  von  ihm,  der  Morgenstern  als  Mi^couatl,  als  Gott  der 
Jägerstämme  und  der  Jagd,  hier  dargestellt.  Wie  wir  sehen  werden,  wurde 
der  Morgenstern  von  den  Mexikanern  als  der  sc hi essende  Gott  betrachtet. 
Weiter  folgt,  in  der  durch  den  Drehungssinn  angezeigten  dritten  Abthei- 
lung des  Blattes,  der  Gott  Xipe  Totec,  „unser  Herr,  der  Geschundene^. 
In  der  vierten  endlich   Tlaloc,   der  Regengott.     Wenn    nun    der   Umstand. 

dass  an  erster  Stelle  unter  den 
vier  Figuren  eine  Form  Quetzal- 
couatl's.  an  zweiter  eine  der  Gott- 
heit des  Morgensterns  nahe  ver- 
wandte Gestalt  steht,  schon  die 
Yermuthung  erwecken  kann,  dass 
es  sich  auf  diesem  Blatte  um  eine 
Zeitperiode  handelt,  die  aus  den 
Bewegungen  des  Morgensterns  sich 
ergibt,  so  wird  diese  Yermuthung 
zur  Gewissheit  durch  das  Datum, 
das.  gross  und  auffällig  gezeichnet, 
die  Mitte  des  Blattes  einnimmt. 
Denn  matlactli  olin  ,.zehn  Bewegung"  ist  genau  der  Tag,  mit  dem  die  fünfte 
584-tägige  Periode  anfangen  muss.  wenn  die  erste  mit  ce  cipactli  „eins 
Krokodil",  dem  Aufangstage  des  TonalamatV s^.  begonnen  hat.  Die  fünf 
Yenusperioden  sind  es  also,  die  auf  diesem  Blatte  zur  Anschauung  ge- 
bracht und  augenscheinlich  hier  den  fünf  Himmelsrichtungen  zugeschrieben 
werden  sollen. 

Die  Yenusperiode  glaube  ich  weiter  aber  auch  in  einer  Reihe  sehr 
merkwürdiger  Darstellungen  zu  erkennen,  die  in  gleicher  Weise  in  drei 
Handschriften  dieser  Gruppe,  im  Codex  Borgia  auf  Blatt  15 — 17  (=  Kings- 
borough  24—22),  im  Yaticanus  B  auf  der  oberen  Hälfte  der  Blätter  33 — 42 
(Kingsborough  81 — 90)  und  im  Codex  Fejerväry  23 — 29  (=  Kingsborough  22 
bis  16),  angetroffen  werden.  Es  sind  vier  Reihen  von  je  fünf  Göttern. 
Die  Figuren  in  jeder  Reihe  sind  in  der  gleichen  Handlung  begriffen  dar- 
gestellt. Die  Handlungen  selbst  muss  ich  als  symbolische  Darstellungen 
priesterlicher  Thätigkeiten  bezeichnen. 


Abb.  17.     Gott  des  Ostens. 
Codex  Borgia  15  (=  Kingsborough  24). 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


637 


In  der  ersten  Reihe  sieht  man  die  Götter  einer  vor  ihnen  stehenden 
nackten  Menschen-Figur  mit  einem  spitzen  Knochen  das  Auge  ausbohren 
(Abb.  17).  Das  ist  ein  bekanntes  Symbol  der  priesterlichen  Kasteiungen, 
der  Selbstverletzungen  und  Blutentziehuugen  zu  Ehren  der  Götter,  die  bei 
den  Mexikanern   die  gewöhnlichste  Kultushandlung    und    als  Vorbereitung 


Abb.  18.     Tlauizcalpan  tecidli,    Gottheit 

des  Planeten  Venus.     Codex  Borgia  16 

(=  Kingsborough  23.) 


Abb.  19.     Tlauizcalpun  tecutli   als  Mix- 

couatl,   Gott  der  Jagd  und  des  Krieges. 

Codex  Borgia  15  (=  Kingsborough  24). 


Abb.  20.     Tlauizcalpan  tecutli,    Gottheit 

des  Planeten  Venus.    Codex  Vaticanus  B 

(Nr.  3773)  37  (=  Kingsborough  85). 


Abb.  21.    Tlauizcalpan  tecutli  als  Mix- 

couatl,  Gott  der  Jagd  und  des  Krieges. 

Codex  Vaticanus  B  (Nr.  3773)  37 

(=  Kingsborough  85). 


zu  jedem  ernsten  Geschäft  nöthig  waren*).  Die  Mexikaner  bezeichneten 
das  als  ne^oliztli  „sich  stechen",  nenacaztequüiztli  nenenepiltequüizüi  „sich 
Einschnitte  in  Ohren  und  Zunge  machen". 


1)  Ueber  dies  Ausbohren  des  Auges  als  Symbol  der  Kasteiung  und  Blutent- 
ziehung habe  ich  in  meinem  Aufsatze  über  das  Tonalamatl  der  Aubin'schen 
Sammlung  (Comptes  rendus  du  Congres  international  des  Americanistes,  Berlin 
1888)  an  verschiedenen  Stellen  (p.  548,  689)  ge-prochen.  Der  strikteste  Beweis 
ergibt  sich  aus  einem  Vergleich  der  homologen  Darstellungen  im  Codex  Telleriano- 
Remensis  II.  26/27  (siebzehnter  7ona/amö^/- Abschnitt  ce  atl  „eins  Wasser") 
und  Codex  Borgia  10  {—  Kingsborough  29)  rechts  oben  (achtzehntes  Tageszeichen 
tecpatl  „Feuerstein"). 


688 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


lu  der  zweiten  Reilie  reichen  die  Götter  ein  verkleinertes  Abbild  von 
sich  dar.  mit  einer  Haudbewegung,  die  unverkennbar  ein  Geben,  Schenken 
zum  Ausdruck  bringt  (Abb.  18—21,  S.  637).  Das  ist  ohne  Zweifel  ein  symbo- 
lischer Ausdruck  für  das  tlacarnictiliztli,  das  Menschenopfer.  Denn  bei 
allen  Festen,  wo  Menschen  geopfert  wurden,  wurde  zum  mindesten  eines 
der  Opfer  genau  in  der  Art  bemalt  und  gekleidet,  wie  das  Idol,  dem  das 
Fest  galt,  und  als  sein  Abbild  dem  Idole  dargebracht. 

Schwieriger  sind  die  Darstellungen  in  der  dritten  Reihe  zu  deuten. 
Man  sieht  die  Götter  einer  vor  ihr  .  knieenden  oder  liegenden  nackten 
menschlichen  Gestalt,  —  die  bei  der  einen  Figur  des  Codex  Vaticanus 
direkt  auf  dem  Opfersteine  mit  aufgeschnittener  Brust  liegend  dargestellt 
ist  — .  einen  gelben,  wellig  begrenzten  Streifen  aus  dem  Leibe  ziehen, 
der  in  Blumen,  Edelsteine  und  Bänder  mit  Schellen  endet  (Abb.  22  u.  23). 
Die  Ausatzstelle  dieses  Streifens  ist  am  Bauche,  so  dass  es  fast  aussieht, 
als  ob  der  Figur  die  Därme  aus  dem  Leibe    sjezogen   würden.     Das  kam 


Abb.  22.     Macuil  xochitl. 
Codex  Borgia  16  (=  Kingsborough  ?3). 


Abb.  23.    Tonatiiih.    Codex  Vaticanus  B 
(Nr.  3737)  38  (=  Kingsborough  86). 


ja,  wie  man  einigen  Stellen  entnehmen  kann,  bei  gewissen  Stämmen  als 
Marter  oder  Opfer  vor.  war  aber  durchaus  nicht  allgemeiner  Kultus- 
gebrauch. Dagegen  erinnert  die  Farbe  dieses  Streifens,  die  gelb  und  im 
Codex  Vaticanus  sogar  gelb-  und  rothpunktirt  ist,  und  die  wellige  Be- 
grenzung durchaus  au  die  Art.  wie  in  den  Bilderschriften  die  abgezogene 
Menschenhaut,  in  der  der  Xipe  gekleidet  geht,  dargestellt  zu  werden 
pflegt.  Da  mm  gerade  unter  den  fünf  Göttern  dieser  Reihe  auch  Xipe 
Totec  erscheint,  so  könnte  man  meinen,  dass  das  Abziehen  des  Streifens 
hier  das  tlacaxipeualitztU^  das  Schinden  der  Opfer,  wie  es  bei  dem  Feste 
Xipe  Totec's,  aber  auch  bei  den  Festen  der  Erdgö%:innen,  Brauch  war/  "^ 
zum  Ausdruck  bringen  soll.  Wahrscheinlicher  ist  mir  indes,  dass  auch' 
hier  nur  wieder  das  Herausnehmen  des  „Edelsteins'',  d.  h.  des  Herzens. 
d.  h.  das  Menschenopfer,  dargestellt  werden  sollte. 

In    der    vierten  Reihe    sind  fünf  weibliche  Gottheiten  dargestellt,  die 
einer    nackten    menschlichen    Gestalt    die    Brust    reichen    (Abb.  24).     Ich 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  639 

glaube,  dass  diese  Reihe  das  „Nähren"  der  Götter,  das  tlatlatlaqualüiztli 
zur  Anschauung  bringen  soll,  das  den  Schluss  des  Opfers  bildete,  dass 
man  nämlich  das  Blut  des  Opfers  in  einer  Schale  auffieng  und  daraus 
mittelst  eines  Papierstreifens  oder  eines  Stabes,  den  man  in  das  Blut  in 
der  Schale  tauchte,  den  Mund  der  Idole  netzte. 

Sämmtliche  Figuren  der  vier  Reihen  sind  von  Tageszeichen  begleitet, 
und  zwar  stehen  bei  jeder  Figur  vier  Tageszeichen  in  der  Ordnung,  wie 
sie  einander  folgen,  so  dass  im  Ganzen  80  Tageszeichen,  oder  die 
'20  Tageszeichen  viermal  wiederholt,  auf  diesen  Blättern  verzeichnet  sind. 
80  Tage  haben  als  Zeitabschnitt  keine  erkennbare  unmittelbare  Bedeutung. 
Sie  stellen  weder  einen  bestimmten  Abschnitt  des  TonalamatVä,  noch  des 
Jahres,  noch  einer  anderen  der  üblichen  Zeitperioden  dar.  80  Tage  vor 
dem  Hauptfest  fasteten  und  kasteieten  sich  die  Priester.  Vier  Tage  zu 
fasten,  war  der  gew'öhnliche  Gebrauch;  volle  20  Tage  fastete  man  bei  be- 


Abb.  24.     Chalchmhtlieue,  Göttin  des  fliessenden  Wassers.    Codex  Borgia  17 
(=  Kingsborough  22). 

sonders  feierlichen  Gelegenheiten  oder  aus  besonders  dringender  Ursache. 
Und  die  Priester,  die  von  Berufs  wegen  mehr  als  gewöhnliche  Sterbliche 
zu  leisten  verpflichtet  waren,  fasteten  eben  4x20  Tage.  Ich  glaube  indes 
nicht,  dass  solche  Erwägungen  für  diese  Blätter  in  Betracht  kommen. 
Von  Bedeutung  dagegen  ist,  dass  die  Reihen  immer  aus  5  Figuren  be- 
stehen. So  sind  die  ersten  Zeichen,  die  bei  den  Figuren  stehen,  immer 
die  folgenden  fünf: 

1.  cipactli,  Krokodil. 

2.  couatl,  Schlange. 

3.  atl,  Wasser. 

4.  acatl,  Rohr. 

5.  olin,  Bewegung. 

Und  das  sind  gerade  die  Zeichen,  die  auf  die  Anfangstage  der  Yenus- 
perioden  fallen,  wenn  die  erste  Periode  mit  dem  Anfangszeichen  des 
Tonalarnatrs,  mit  cipactli,  beginnt.    Ich  glaube,  dass  diese,  die  Anfangstage 


640  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

der  Veuusperioden.  hier  bezeichnet  werden  sollten,  und  dass  die  drei 
anderen  Zeichen,  die  neben  diesen  Anfangszeichen  bei  den  Figuren  noch 
gesetzt  sind,  nur  die  Bestimmung  haben,  von  dem  einen  der  Anfangs- 
zeichen zu  dem  anderen  überzuleiten,  genau  in  der  gleichen  AVeise,  wie 
wir  das  bei  der  im  Folgenden  zu  besprechenden  Darstellung  der  Veuus- 
perioden sehen  werden. 

Was  nun  aber  die  Handlungen  betrifft,  die  auf  diesen  Blättern  dar- 
gestellt sind,  und  die  ich  oben  näher  erläutert  habe,  so  glaube  ich,  dass  sie 
in  ihrer  Gesanimtheit  auf  den  Anfangstag  der  Yenusperiode  zu  beziehen 
sind.  Wir  haben  ja  gesehen,  dass  sowohl  in  Mexico,  als  namentlich  bei  den 
Stämmen  an  der  Grenze  des  fremdsprachlichen  Gebiets,  den  Leuten  von 
Tehuacan,  Cozcatlan  und  Teotitlan  del  Camino,  bei  denen  der  Flauet 
Venus  in  besonderer  Verehrung  stand,  das  erste  Erscheinen  des  Sternes 
am  (östlichen)  Himmel  mit  solennen  Menschenopfern  gefeiert  wurde.  Die 
Regenten  von  20  Yenusperioden  —  oder,  richtiger  wohl,  je  vier  Regenten 
für  fünf  einander  folgende  Veuusperioden  —  und  die  Kultushandlungen. 
die  man  ihnen  im  Beginn  der  Periode  widmete,  die  sehe  ich  auf  diesen 
Blättern  dargestellt. 

Innerhalb  jeder  der  vier  Reihen  von  Regenten  haben  wir  wohl  eine 
Anordnung  nach  den  fünf  Weltgegenden  oder  Hauptrichtungen  anzunehmen. 
In  der  Mitte  der  Reihen,  an  dritter  Stelle,  steht  immer  der  Todesgott, 
oder  —  bei  der  dritten  Reihe  —  Tezcatlipoca  mit  verbundenen  Augen, 
der  als  Gott  der  Erde  oder  des  FvdJijBern  aufzufassen  ist.  Diese  Figuren 
könnten  als  der  fünften  Weltgegend,  der  Region  der  Mitte,  oder  der 
Richtung  nach  unten,  aber  auch  dem  ynictlampa,  der  Region  des  Todten- 
reichs,  d.  h.  dem  Norden,  entsprechend  angesehen  worden  sein. 

Ich  habe  nun  noch  einige  Figuren  zu  besprechen,  die  auf  diesen 
Blättern  vorkommen,  und  die  für  die  im  Folgenden  zu  erörternde  Haupt- 
Darstellung  von  Bedeutung  sind.  Es  sind  die  oben  (S.  637)  in  Abb.  18, 19  und 
20,  21  wiedergegebenen.  Sie  stehen  an  vierter  und  fünfter  Stelle  in  der  zweiten 
Reihe,  d.  h.  in  der  Reihe  der  Götter,  die  das  Menschenopfer  dadurch  zur 
Anschauung  bringen,  dass  sie  ein  Abbild  von  sich  mit  einer  Hand- 
bewegung, die  ein  Schenken  ausdrückt  darreichen.  So  gibt  der  Regengott, 
der  an  zweiter  Stelle  steht,  ein  kleines  Bild  des  Regengottes,  schwarz  ge- 
färbt und  mit  dem  bekannten  charakteristischen  und  leicht  erkennbaren 
Gesichte  Tlaloc's.  Der  Todesgott  reicht  einen  kleineu  Todesgott  dar,  der 
in  Zeichnung  und  Farbe  mit  der  Hauptfigur  identisch  ist.  Bei  den  Abb.  18 
und  19,  die  an  vierter  und  fünfter  Stelle  in  dieser  Reihe  stehen,  fällt 
nun  auf,  dass  das  Abbild  von  sich,  das  sie  darreichen,  in  beiden  Fällen 
das  gleiche  ist,  und  zwar  stimmt  es  zunächst  überein  mit  der  Abb.  19, 
die  an  fünfter  Stelle  in  der  Reihe  steht.  Wir  werden  schliessen  müssen, 
dass  Abb.  18  derselbe  Gott  ist,  wie  Abb.  19,  und  ebenso  Abb.  20  derselbe 
Gott,  wie  Abb.  21,    dass  die  Abb.  18  und  20    nur    andere    Erscheinungs- 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


641 


formen  der  in  den  Abb.  19  und  21  dargestellten  Crottheit  ist.  Die  Abb.  19 
und  21  sind  identisch  mit  den  oben,  abgebildeten  Abb.  15  und  16,  d.  h. 
es  sind  Bilder  der  Gottheit  des  Planeten  Yenus,  des  Morgensterns,  in 
seiner  besonderen  Rolle  als  Jagdgott,  als  Kriegsgott.  Wir  müssen  dem- 
nach schliessen,  dass  auch  die  Abb.  18  und  20  die  Gottheit  des  Morgen- 
sterns darstellen.  Und  in  der  That,  die  Abb.  18  zeigt  genau  denselben  Kopf- 
schmuck, wie  die  Figur  Tlauizcalpan  tecutlt's,  die  in  dem  Codex  Borgia  dem 


Abb.  25.     Gottheit  des  Abendsterns. 

Das  Gesicht  ist  en  face  gezeichnet,  um  den  Quinffunx  weisser  Flecke,  die  Hieroglyphe 
des  Planeten  Venus,  die  die  Gesichtsbemalung  dieser  Gottheit  bildet,  zu  zeigen. 


Abb.  26.     Hieroglyphe 
des  Planeten  Venus. 

Dresdener 
Handschrift  46—50. 


TE^risa: 


Abb.  27.    Hieroglyphe  des 

Planeten  Venus, 

von  Himmelsschildern  der 

Dresdener  Handschrift. 


Abb.  28.    Hieroglyphe  des 
Planeten  Venus. 
Copan.     Altar  R. 


neunten  Abschnitt  des  TonalamatV^  präsidirt  (vgl.  Abb.  13,  oben  S.  631). 
Auch  die  Körperfarbe  ist  dieselbe,  und  der  Brustschmuck  ist  der  Ring, 
mit  dem,  wie  wir  sahen,  in  der  Regel  die  Bilder  des  Morgensterns  aus- 
gestattet sind.  Nur  die  Gesichtsbemalung  ist  eine  andere,  schwarz  mit 
zwei  tiefschwarzen  Querstreifen,  die  parallel  in  der  Höhe  der  Augen  und 
der  Mundwinkel  über  das  Gesicht  verlaufen,  und  —  in  der  Profilansicht 
—  mit  vier  runden  weissen  Flecken,  die  aber  in  der  Vorderansicht  sich 
zu  fünf  im  Quincunx    gestellten    weissen  ELreisen    ergänzen    müssen;    vgl. 

Seier.  Gesammelte  Abhandlungen  I.  41 


642 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen- Entzifferung. 


Abb.  25,  S.  641.  Denken  wir  uns  diese  im  Quincunx  gestellten  weissen  Kreise 
um  45°  gedreht,  so  glaube  ich,  haben  wir  das  vor  uns,  was  Förste- 
mann    in  den  Maya-Handschriften    als    Hieroglyphe    des    Planeten  Venus 


w 


.^     P2 


.e; 


nachgewiesen  hat  (vgl.  die  Abb.  26—28,  S.  641).  Die  Gottheit  des  Planeten 
Venus  mit  der  ins  Gesicht  gemalten  Hieroglyphe  des  Planeten  Venus,  das 
scheinen    mir  die  Abb.  18    und  20    darzustellen.     Wie    wir    nun    in    den 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschrifien  der  Codex-Borgia-Gruppe.  643 


Abb.  11  und  12  die  Gottheit  des  Morgensterns  mit  einem  Todtenkopfe 
als  Helmmaske  dargestellt  fanden,  der  die  andere  Form  der  Gottheit,  oder 
<Jen  Phmeten  in  seiner  Unsichtbarkeitsperiode,    zum  Ausdruck  zu  bringen 


0 


w 


P5 


O 


TS 

a 
9 


o» 


seheint,  so  finden  wir  auch  zu  der  mit  der  Hieroglyphe  Yenus  bemalten 
Figur  Parallel-Figuren,  die  uns  die  Gottheit  mit  denselben  Attributen  und 
derselben    Gesichtsbemalung,     aber     einem     Todtenkopfe, 


anstatt 
41* 


eines 


644 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Menschengesichts,  vor  Augen  führen.  Ygl.  die  Abb.  "jy  und  30,  S.  642,  643, 
die  auf  demselben  prächtigen  Blatte  19  (=  Kingsborough  20)  des  Codex 
Borgia  zu  sehen  sind. 

Nachdem  ich  dies  vorausgeschickt,  kann  ich  nunmehr  zu  der  Haupt- 
darstellung übergehen:  den  Blättern  53,  54  (=  Kingsborough  6'2,  61) 
des  Codex  Borgia,  die  dem  Codex  Vaticanus  B  80 — 84  (=  Kingsborough  17 
bis  13)  und  Codex  Bologna  9—11  entsprechen. 

"Wir  sehen  hier  auf  dem  ersten  der  Blätter  des  Yaticanus  (Abb.  31)  rechts 
eine  Figur,  die  auf  den  ersten  Blick  sich  mit  der  Abb.  20  (oben  S.  637)  als 
identisch  ausweist,  also  die  Gottheit  des  Planeten  Yenus  mit  der  Hiero- 
glyphe des  Planeten  als  Gesichtsbemalung  darstellen  muss.  Nur  ist  unter 
dem  Auge  noch  ein  Schnörkel  hinzugefügt,  der  an  die  Gesichtsbildung 
gewisser  in  den  Maya-Handschriften  dargestellter  Personen    und    auch  an 


Abb.  31.     Tlauizcalpan  tecuth',  Regent  der  ersten  der  fünf  Venusperioden. 
Codex  Vaticanus  B  (Nr.  3737)  80  (=  Kingsborough  17). 

V 

Thonfiguren  zapotekischen  und  Maya-  (chiapanekischen,  guatemaltekischen) 
Ursprungs  erinnert.  Und  der  Quincunx  der  Gesichtsbemalung  ist  hier, 
—  ebenso  freilich  auch  in  Abb.  20  —  nicht  so  korrekt  zum  Ausdruck  ge- 
bracht, wie  in  den  Figuren  des  besser  gezeichneten  Codex  Borgia.  Die 
Gottheit  hält  Wurfbrett  und  Speerbündel  in  der  Hand.  Yor  ihr  sind  fünf 
Kreise,  wie  aufflammende  Sterne,  zu  sehen.  Und  ihr  gegenüber  eine 
Gottheit,  die  vom  Speer  getroffen  ist.  Genau  die  gleiche,  Speer  und 
Wurfbrett  haltende  Gottheit  des  Planeten  Yenus  ist  auf  der  rechten  Seite 
der  anderen  Blätter  zu  sehen;  auch  die  fünf  aufflammenden  Sterne  sind 
in  gleicher  Weise  auf  den  vier  anderen  Blättern  wiederholt,  nur  sind  sie 
auf  dem  zweiten  und  vierten,  wie  auf  dem  ersten  Blatte,  blau,  auf 
dem  dritten  und  fünften  aber  gelb  gemalt.  Dagegen  wechselt  die  vom 
Speer  getroffene  Gestalt,  deren  Stelle  auf  den  anderen  Blättern  theils 
andere  Gottheiten,  theils  bestimmte  Symbole  einnehmen. 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  645 

Die  Figur,  die  auf  den  Blättern  des  Codex  Borgia  in  der  ersten  der 
fünf  Abtheilungen  zu  sehen  ist,  gebe  ich  in  Abb.  32  wieder.  Man  erkennt 
wiederum  unschwer  die  Gottheit  des  Planeten  Venus  mit  der  Hieroglyphe 
Venus  als  Gesichtsbemalung.  Nur  ist  sie  hier  mit  einem  Todtenkopfe 
dargestellt,  wie  auf  dem  Blatte  Abb.  30.  Auch  hier  hält  die  Gottheit 
Wurfbrett  und  Speerbündel  und  schleudert  den  Speer  auf  eine  vor  ihr 
knieende  Gestalt.  Die  fünf  aufflammenden  Sterne  fehlen.  In  den  anderen 
Abtheilungen  ist  im  Codex  Borgia  die  Gottheit  nicht,  wie  im  Codex  Vati- 
canus,  in  ganz  gleicher  Weise  wiederholt.  Es  wechselt  die  Körperfarbe, 
die  bei  der  Gottheit  der  ersten  Abtheilung  weiss  und  gestreift,  bei  den 
anderen  blau,  roth,  gelb  und  wieder  weiss  und  gestreift  ist.    Und  an  Stelle 


V.r  d./Slfinln/ 


Abb.  32,     Tlauizcalpan  tecutlt,  Eegent  der  ersten  der  fünf  Venusperioden. 
Codex  Borgia  53  (=  Kingsborough  G'2). 

des  charakteristischen  Gesichts  der  Gottheit  des  Planeten  Venus  sind  in 
den  drei  folgenden  Abtheilungeu  Thierköpfe  (Raubvogel,  Hund,  Kaninchen) 
und  in  der  letzten  ein  weisser  Todtenschädel  eingesetzt.  Ausstattung, 
Tracht  und  Aktion  sind  im  übrigen  genau  die  gleichen  wie  bei  der  ersten 
Figur.  Die  vom  Speer  getroffenen  Gestalten  wechseln  in  ähnlicher  Weise 
wie  im  Vatieanus,  nur  ist  die  Reihenfolge  eine  etwas  andere. 

Die  in  der  ersten  Abtheiluug  der  Blätter  des  Codex  Bologna  dar- 
gestellte Gruppe  gebe  ich  in  Abb.  33,  S.  646  wieder.  Die  Homologie  mit 
den  Gruppen  der  anderen  beiden  Handschriften  ist  ohne  Weiteres  klar.  Die 
Hauptfigur  ist  hier  in  der  ersten  Abtheilung  weiss  und  gestreift,  in  den 
anderen  grün,  gelb,  braun,  blau.  Die  vom  Speer  getroffenen  Gestalten 
entsprechen  denen  der  anderen  Handschriften,  doch  ist  die  Reih(?»tÄige 
hier  wieder  eine  etwas  andere. 


646 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung, 


In  der  Abb.  31  habe  ich  auch  die  Tau:eszeichen  sämmtlich  wieder- 
gegeben, die  bei  der  Figur  der  ersten  Abtheilung  zu  sehen  sind,  und  die 
genau  in  gleicher  Weise  auch  im  Codex  Borgia  in  der  ersten  Abtheilung, 
neben  der  Abb.  3"2,  verzeichnet  sind.  Es  ist  das  Zeichen  cipactU  dreizehn 
Mal  wiederholt,  und  zwar  mit  dreizehn  verschiedeneu  Ziffern.  An  der 
Stelle  von  cipactU  haben  wir  in  der  zweiten  Abtheilung  das  Zeichen 
couatl,  Schlange.  In  der  dritten  atl,  Wasser.  In  der  vierten  acatl,  Rohr. 
Und  in  der  fünften  olin,  Bewegung.  Also  die  fünf  oben  schon  genannten 
Zeichen,  die  auf  die  Anfaugstage  der  Yenusperioden  fallen,  wenn  die  erste 
Periode  mit  dem  Anfangstage  des  Tonalamatl's  beginnt.  Auf  der  Fläche 
eines  jeden  Blattes  sind  im  Codex  Borgia  und  Vaticanus  B  ausserdem 
noch  die  drei  Zeichen  angegeben,    die    von    dem    einen    der  fünf  zu  dem 


Abb.  33.     Tlauizcalpan  tecutli,  Regent  der  ersten  der  fünf  Venusperioden. 
Codex  Bologna  9. 


nächsten  überführen.  In  Abb.  31  sind  es  die  Zeichen  eecatl^  Wind,  calli^ 
Haus,  cuetzpalin,  Eidechse,  die  das  Intervall  zwischen  cipactU  und  couatl 
ausfüllen.  Etwas  anders  geartet  ist  die  Tageszeichenreihe,  die  auf  den 
Blättern  des  Codex  Bologna  die  Figuren  begleitet.  Hier  sind  die  20  Tages- 
zeichen mit  ihren  Ziffern  abgebildet,  wie  sie  vom  ersten  Tage  des  Tonal- 
amail  bis  zum  zwanzigsten  einander  folgen.  Aber  die  fünf  Zeichen 
cipactli,  couatl,  atl.  acatl.  olin  fallen  aus  der  Reihe,  indem  sie  nicht  mit 
den  ihnen  zukommenden  Ziffern,  sondern  gross  mit  der  Ziffer  1.  abge- 
bildet sind. 

Die    auf   den    fünf  Blättern    des  Vaticanus  B    und  des  Borgia  durch 
Ziffern  und  Zeichen  benannten  Daten  sind  folsrende: 


1. 

8. 

2. 

9. 

3. 

10, 

4. 

11. 

5. 

12. 

6. 

13. 

5. 

12. 

6. 

13. 

7. 

1. 

8. 

2. 

9. 

3. 

10. 

4. 

9. 

3. 

10. 

4. 

11. 

5. 

12. 

6. 

13. 

7. 

1. 

8, 

13. 

7. 

1. 

8. 

2. 

9. 

3. 

10. 

4. 

11. 

5. 

12, 

4. 

11. 

5. 

12. 

6. 

13. 

7. 

1. 

8. 

2. 

9. 

3 

18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-ßorgia-Gruppe.  647 

7.  cipactli,  Krokodil. 
11.  couatl,  Schlange. 
2.  atl,  Wasser. 
6.  acatl,  Rohr. 
3.    10.  olin,  Bewegung. 

Das  sind  die  Anfangstage  der  5  X  13  Venusperioden,  die  zusammen 
die  grosse  oben  erwähnte  Periode  ausmachen,  nach  deren  Ablauf  der 
Anfangstag  der  Venusperiode  wieder  dieselbe  Ziffer  und  dasselbe  Zeichen 
erhält,  die  einem  Doppelzyklus  von  2  X  52  oder  104  Sonnenjahren  äquivalent 
ist,  und  in  der  das  Tonalamatl  146  mal  enthalten  ist.  Nur  sind  diese 
Anfangstage  hier  nicht  so,  wie  sie  in  Wirklichkeit  einander  folgen,  auf- 
geführt, sondern  in  mehr  schematischer  Weise,  wie  sie  in  dem  Tonalamatl 
hinter  einander  zu  stehen  kommen  würden.     Die  wirkliche  Folge  ist: 


1. 

9. 

4. 

12. 

7. 

2. 

10. 

5. 

13. 

8. 

3. 

11. 

6. 

cipactli. 

13. 

8. 

3. 

11. 

6. 

1. 

9. 

4. 

12. 

7. 

2. 

10. 

5. 

couatl. 

12. 

7. 

2. 

10. 

5. 

13. 

8. 

3. 

11. 

6. 

1. 

9. 

4. 

atl. 

11. 

6. 

1. 

9. 

4. 

12. 

7. 

2. 

10. 

5. 

13. 

8. 

3. 

acatl. 

10. 

b. 

13. 

8. 

3. 

11. 

6. 

1. 

9. 

4. 

12. 

7. 

2. 

olin. 

Dieselben  13  X  5  Venusperioden  sind,  wie  ich  oben  schon  erwähnte, 
auf  den  Blättern  46 — 50  der  Dresdener  Maya- Handschrift  verzeichnet. 
Aber  in  dieser  Handschrift,  in  der  die  Perioden  nicht,  wie  in  den  Hand- 
schriften unserer  Gruppe,  bloss  durch  die  Anfangsdaten  markirt,  sondern 
auch  in  ihrer  wirklichen  Länge  in  ausgeführter  Rechnung  angegeben  sind, 
sind  diese  Anfangstage  auch  in  ihrer  wirklichen  Folge  niedergeschrieben. 
Merkwürdiger  Weise  enthält  keines  der  auf  dem  ersten  Blatte  46  der 
Dresdener  Handschrift  angegebenen  Anfangsdaten  die  Ziffer  1.  Dagegen 
ist  an  der  Stelle,  wo  der  Förstemann'schen  Deutung  nach  der  erste  Tag 
der  Sichtbarkeit  als  Morgenstern  anzusetzen  wäre,  das  Datum  13.  kan  = 
13.  cuetzpalin,  nach  mexikanischer  Benennung,  verzeichnet.  Nehmen  wir 
an,  dass  dieses  Datum  nicht  den  Anfang  der  Sichtbarkeit,  sondern  vielmehr 
das  Ende  der  Unsichtbarkeit  bezeichnen  solle,  so  würden  wir  als  den  Tag 
des  ersten  Aufgehens  als  Morgenstern  auf  Blatt  46  der  Dresdener  Hand- 
schrift den  Tag  1.  chicchan  =  1.  couatl.,  nach  mexikanischer  Benennung, 
verzeichnet  haben.  Dass  dies  in  der  That  die  Meinung  dieses  Blattes  ist, 
möchte  ich  daraus  schliessen,  dass  in  dem  Tonalamatl  der  mexikanischen 
Handschriften  das  Bild  des  Morgensterns  gerade  in  der  Abtheilung  steht,, 
die  mit  dem  Tage  1.  couatl  beginnt! 

Auf  Blatt  46  der  Dresdener  Handschrift  steht  die  Periode  der  Sicht- 
barkeit als  Morgenstern  nicht  an  erster  Stelle.  Das  erste  Datum  be- 
zeichnet vielmehr,  der  Förstemann'schen  Deutung  gemäss,  den  Anfang 
der  Zeit,    wo    der  Morgenstern    in    den   Strahlen    der    aufgehenden  Sonne 


648  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

verschwindet.  Dieses  erste  verzeichnete  Datum  ist  3.  cib  =  3.  cozcaquauJitli, 
nach  mexikanischer  Benennung.  Nehmen  wir  auch  hier  wiederum  an, 
dass  nicht  der  Anfang  der  Unsichtbarkeit,  sondern  das  Ende  der  Sichtbar- 
keit mit  diesem  Datum  gemeint  ist,  so  würde  auf  diesem  Blatte  der 
Dresdener  Handschrift  der  Tag  4.  caban  =  4.  olin  als  der  Tag  angegeben 
sein,  an  dem  der  3Iorgensteru  sich  mit  der  Sonne  vereinigt.  Da  4.  olin 
oder  naui  olin  geradezu  als  Symbol  der  Sonne  gilt,  und  dieser  Tag  in 
einen  Tonalamatl-Kh?,c\n\\ii  fällt,  dem  Quetzalcouatl,  der  mit  dem  Morgen- 
stern identifizirte  Crott,  als  Regent  gesetzt  ist,  so  glaube  ich  auch  darin 
die  Meinung  dieses  Maya-Blattes  richtig  gedeutet  zu  haben. 

Eine  Stütze  für  diese  Deutungen  finde  ich  in  den  Blättern  71,  72 
(=  Kingsborough  26,  25)  des  Codex  Yaticanus  B.  Auf  dem  ersten  dieser 
beiden  Blätter,  das  mir  lange  unverständlich  war,  ist  der  Tag  1.  couatl 
aus  dem  Erd-Racheu  aufsteigend  dargestellt.  Acht  Darstellungen  folgen, 
die  in  ähnlicher  Weise  ausser  diesen  noch  drei  andere  mit  der  Ziffer  eins 
versehene  Tage  zum  Ausdruck  bringen.  Aber  diese  scheinen  nur  orna- 
mentale Bindeglieder,  Ueberleitungen,  zu  sein,  da  die  fünfte  (die  Mitte) 
und  die  neunte  (das  Ende)  wieder  der  Tag  1.  couatl  ist. 

Auf  Blatt  72  aber  folgen  neun  andere  Darstellungen.  Pulque  trinkende 
Götterfiguren,  die  (unten  rechts)  mit  dem  Datum  naui  olin  und  der 
Figur  beginnen,  die  auch  in  der  Wiener  Handschrift  mit  diesem  Datum 
benannt  ist. 

Wenn  demnach  bis  in  die  Einzelheiten  der  Daten  sich  Verwandt- 
schaften zeigen,  die  die  anscheinend  so  ganz  anders  gearteten  Darstellungen 
der  Maya-Handschriften  mit  denen  der  Codex-Borgia-Gruppe  und  den 
mexikanischen  Handschriften  überhaupt  verknüpfen,  so  wird  man  es  nicht 
mehr  verwunderlich  finden,  dass  auch  in  den  figürlichen  Gruppen  Ana- 
logien hervortreten.  Diese  liegen  nun  bei  den  Blättern  46 — 50  der 
Dresdener  Handschrift  klar  zu  Tage. 

Auch  auf  den  fünf  Blättern  dieser  Handschrift  sehen  wir,  wie  in  den 
Abb.  31 — 33,  eine  mit  Wurfbrett  und  Speerbündel  bewaffnete  Gestalt  und 
unter  ihr  —  nicht  ihr  gegenüber  —  eine  andere  vom  Speer  getroffen. 
Die  mit  Wurf  brett  und  Speerbündel  bewaffnete  Gestalt  ist  allerdings  nicht, 
fünfmal  wiederholt,  die  Gottheit  des  Morgensterns,  wie  in  den  oben  be- 
sprochenen Darstellungen  der  Handschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe, 
sondern  es  sind  fünf  verschiedene  Figuren,  über  deren  Bedeutung  ich 
unten  noch  zu  sprechen  haben  werde.  Die  vom  Speer  getroffenen  Ge- 
stalten dagegen  sind,  wenigstens  auf  den  drei  ersten  Blättern,  offenbar 
dieselben,  wie  in  den  Darstellungen  der  Codex-Borgia-Gruppe. 

Im  Codex  Borgia  sehen  wir  auf  dem  ersten  Blatt  vom  Speer  getroffen 
die  Göttin  des  Wassers,  die  mexikanische  ChalchiuhtUcue^  im  Wasser 
(Abb.  32).  Und  ebenso  im  Codex  Bologna  (Abb.  33).  Im  Codex  Vaticanus 
desgleichen  (Abb.  34),  nur  auf  dem  zweiten,    nicht  auf  dem  ersten  Blatte, 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  649 

denn  die  Reihenfolge  ist  hier  nicht  ganz  die  gleiche,  wie  im  Codex 
Borgia.  Die  Gestalt,  die  auf  Blatt  46,  dem  ersten  der  hierauf  bezüglichen 
Blätter  der  Dresdener  Handschrift,  vom  Speer  getroffen  dargestellt  ist, 
habe  ich  in  Abb*  35  in  Hieroglyphe    und    ganzer  Figur    wiedergegeben  ^). 


Abb.  34.     ChalchiiihtUcue   vom    Speer 
getroffen.    Codex  Vaticanus  B  (3773)  81 
(=  Kingsborough  16). 


^^ 


■cfff 


Abb.  35.    Ah-BoloH  tz'acab. 

Dresdener 
Handschrift,  46,  rechts  unten. 


CODEX    DRESDE/V. 

-3«-  7.a. 

Abb.  36.  Abb.  37.  Abb.  38. 

Ah-Bolon  tz'acab,   die  Wassergottheit. 

Es  ist  dieselbe  Gottheit,  die  auf  Blatt  25  der  Dresdener  Handschrift  als 
Regent  der  mit  beert  (=  acatl  der  mexikanischen  Benennung)  beginnenden 
Jahre  (Abb.  39,  S.  650)  und  auf  Blatt  7  als  der  zwölfte  in  der  Reihe  der 


1)  Die  Hieroglyphen  der  vom  Speer  getroffenen  Gestalten  stehen  auf  der 
rechten  Seite  der  Blätter  unmittelbar  unter  der  Hieroglyphe  der  den  Speer  schleu- 
dernden Gottheit.     Durch  die  Hieroglyphe    ist    diese  vom  Speer  getroffene  Gestalt 


650 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


20  Götter  dargestellt  ist  (Abb.  37,  S.  649).  Das  Gesicht  dieses  Gottes 
zeichnet  sich  durch  eine  merkwürdig  proliferirende  Nase  aus,  und  die 
Hieroglyphe  stellt  einen  thierisch  geformten  Kopf  dar,  von  dessen  Stirn 
ein  Körper  vorspringt  mit  zwei  Ausstrahlungen  wie  Flammeuzungen.  Auf 
den  Skulpturen  von  Copan  und  Palenque  ist  dieser  Gott  überaus  häufig  dar- 
gestellt. Vgl.  Abb.  41 — 47.  Die  Nase  ist  hier  nicht  so  stark  proliferirend, 
wie  in  der  Handschrift,  aber  immer  nach  oben  gebogen.  Der  von  der  Stirn 
vorspringende  Körper  mit  den  beiden  Flammenzungen  fehlt  nie  Auf  seiner 
Fläche  sieht  man  häufig  (vgl.  Abb.  43,  46)  zwei  gekreuzte  Stäbe,  die  von 
Dieseldorff  als  Feuerbohrer  erklärt  werden,  die  aber  vielleicht  astro- 
nomische Bedeutung  haben.  Auf  der  Stirn  trägt  er  nicht  selten  das  Sonnen-*^ 
zeichen  kin.     Prof.  Forste  mann  vermuthet  in  dieser  Figur  eine  Sturni- 


Abb.  39.     Ah  bolon  tz'acab,  Regent  der 
iee;i-Jahre.    Dresdener  Handschrift  25b. 


Abb.  40. 


gottheit,  deren  ornamentale  Nase  nach  der  konventionellen  Darstellungs- 
weise der  zentral-amerikanischen  Völker  das  Blasen  des  Sturmes  darstelle. 
Dieseldorff  identifizirt  ihn  mit  Kukidcan,  also  dem  Quetzalcouatl  der 
mexikanischen  Stämme.  Ich  halte  es  für  ziemlich  zweifellos,  dass  er  die 
Wasser-Gottheit  darstellt.  Auf  den  Stelen  von  Copan  und  in  Menche  er- 
scheint er  als  Schlange  (Abb.  46,  46  a).  Im  Codex  Tro  26  ist  er  die 
Schlange,  auf  der  der  Chac,  der  Kegengott,  reitet  (Abb.  40).  Als  sein 
Abbild  fungirt  in  der  oberen  Abtheilung  von  Blatt  25  der  Dresdener 
Handschrift,  von  dem  hundsköpfigen  Priester  herbeigetragen,  der  Regen- 
gott Ckac,  mit  dem  er  überhaupt,  wenn  auch  nicht  in  der  Nase,  —  die 
bei  dem  Regengott  nach  unten  gebogen  und  zwar  gross,  aber  einfach  ist, 


auch  auf  dem  dem  Blatte  46  unmittelbar  vorhergehenden  Blatte  24,  das  den  Inhalt 
der  Blätter  46—50  gewissermassen  zusaramenfasst,  zur  Anschauung  gebracht.  Von 
den  beiden  Hieroglyphen,  die  ich  in  Abb.  35  gezeichnet  habe,  ist  die  erste  die  von 
Blatt  24,  die  zweite  die  von  Blatt  46. 


1 8.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


651 


—  doch  in  der  ganzen  Gesichtsbildung  und  den  laug  heraushängenden 
Zähnen,  die  wie  metamorphosirte  Tlaloc-Zähne  erscheinen,  übereinstimmt, 
und  dessen  Kopf  auch  an  einer  Stelle  der  Dresdener  Handschrift  (Blatt  3) 
seine  Hieroglyphe  bildet;  vgl.  Abb.  36,  S.  649.  Nach  seiner  Stellung  als 
Regent  der  der  Region  des  Ostens  angehörigen  been-  oder  acatl-,l{ihre  habe 
ich  auf  ihn  die  yukatekische  Benennung  Ah-Bolon  tzacah  „Herr  der  neun 
Generationen"    beziehen   zu  müssen  geglaubt  (vgl.  oben  S.  377).      In  der 


Abb.  45. 


Abb.  41. 


Abb.  4?. 


Abb.  4G. 


Abb.  46  a. 


Abb.  47. 


That  erscheint  seine  Hieroglyphe  in  den  Skulpturen  in  der  Regel  mit  der 
Ziffer  neun  verbunden;  vgl.  Abb.  41,  42,  44,  45.  (In  der  Hieroglyphe 
Abb.  43  ist  der  vordere  Theil  zerstört!) 

Auf  dem  zweiten  der  zu  dieser  Darstellung  gehörigen  Blätter  sieht  man 
im  Codex  Borgia  Tezcatlipoca  vom  Speere  getroffen  (Abb.  48,  S.  652).  Die 
anderen  beiden  Handschriften  (Vaticanus  und  Bologna)  haben  an  Stelle  dessen 
den  Jaguar  (Abb.  49,  S.  652),  allerdings,  in  Folge  der  veränderten  Reihen- 
folge, auf  dem  fünften,  nicht  auf  dem  zweiten  Blatte.  Hier  ist  der  Jaguar 
nur  als  andere  Gestalt  des  Gottes  Tezcatlipoca  aufzufassen.  Tezcatlipoca 
und    der  Jaguar    sind  eins.     Das    zweite  Weltalter,    in  dem  die   Giganten 


652 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


lebten,  und  in  dem  Tezcatlipoca  als  Sonne  leuchtete,  wird  in  den  Anales 
de  Quauhtitlan  als  ocelotonatiuh  „Jaguar -Sonne''  bezeichnet.  Nach  der 
Historia  de  los  Mexicanos  por  sus  pinturas  verwandelt  sich  Tezcatlipoca 
in    einen    Jaguar    und    frisst    die    Giganten.     Es    ist    also  klar,    dass  eine 

genaue  Uebereinstimmung  mit 
der  Darstellung  des  Codex 
Borgia  vorliegt,  wenn  wii* 
auf  dem  zweiten  hierher- 
gehörigen Blatte  47  der  Dres- 
dener Handschrift  den  Jaguar 
vom  Speer  getroffen  sehen 
[Fig.  50^)]. 

Noch  klarer  ist  die  Ueber- 
einstimmung in  der  dritten 
Darstellung.  Im  Codex  Borgia 
ist  es  deutlich  die  Maisgöttin, 
die  hier  vom  Speere  ge- 
troffen gezeichnet  ist  (Ab- 
Abb.  48.  Tezcatlipoca,  vom  Speer  getroffen.  bildung  51).  Im  Codex  Yati- 
Codex  Borgia  54  (=  Kingsborough  61).  (.^q^s  steht  die  entsprechende 

Darstellung  an  erster  Stelle,  es  ist  die  oben  S.  644  in  Abb.  31  wieder- 
gegebene. Die  Maisgöttin  ist  hier  nicht  in  gleicher  Weise  von  Maiskolben 
umrahmt,    aber    sie    ist  durch   die  winklig  gebrochenen  schwarzen  Längs- 


Abb.  49.    Der  Jaguar,  vom  Speer 

getroffen.     Codex  Vaticanus  B 
(Nr.  3773)  84  (=  Kingsborough  13). 


Abb.  50.     Der  Jaguar,  vom  Speer 

getroffen. 

Dresdener  Handschrift  47. 


streifen  im  Gesicht  nicht  minder  als  solche  gekennzeichnet.  Im  Codex 
Bologna  endlich,  wo  die  entsprechende  Darstellung  an  zweiter  Stelle  steht, 
lassen  die   in  Fülle  angebrachten  3Iaiskolben   (Abb.  52)  wiederum  keinen 


1)  In  Abb.  50   ist    die  erste  der  beiden  Hieroglyphen  wieder  der  zusammen- 
fassenden Darstellung  des  Bialtes  24,  die  andere  dem   Blatte  50  selbst  entnommen. 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


653 


Zweifel  über  die  Bedeutung  der  Figur  übrig.  Die  Figur,  die  auf  dem 
dritten  Blatte,  Blatt  48,  der  Dresdener  Handschrift  vom  Speer  getroffen 
zu  sehen  ist,  habe  ich  in  Abb.  53  in  Bild  und  Hieroglyphe  wiedergegeben. 
Es  ist  der  Gott  „mit  dem  ifaw-Zeichen",  der  in  der  Reihe  der 
20  Gottheiten    am  Anfange  der  Dresdener  Handschrift  an  18.  Stelle  steht 


Abb.  51.  Die  Maisgöttin,  vom  Speer  getroffen.     Abb.  52.  Die  Maisgöttin,  vom  Speer  getroffen. 
Codex  Borgia  54  (=  Kingsborough  (Jl).  Codex  Bologna  9. 


Abb.  53.  Der  Gott  mit  dem  Ä;an-Zeichen, 
vom  Speer  getroffen.   Dresdener  Handschrift  48. 


Abb.  54.  Der  Gott  mit  dem  i-aw-Zeichen. 
Dresdener  Handschrift  9  a. 


(Abb.  54).    Er  wird  auch  sonst  in  den  Maya-Handschriften  häufig  angetroffen 
und  ist  von  jeher  von  den  xA.utoren  als  Maisgottheit  betrachtet  worden. 

Auf  diese  drei  Darstellungen  beschränken  sich  die  die  direkten,  oder 
wenigstens  die  deutlicher  erkennbaren  Uebereinstimmungen  der  Dresdener 
Handschrift    mit    den    Handschriften    der    Codex-Borgia-Gruppe.      In    der 


654 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 


vierten  und  fünften  Darstellung  sind  in  den  Handschriften  der  Codex- 
Borgia-Gruppe  nicht  Personen,  sondern  Symbole,  vom  Speer  getroffen, 
abgebildet.  Im  Codex  Borgia  ist  auf  dem  vierten  Blatte  die  Abb.  55  zu 
sehen,  der  im  Codex  Yaticauus  die  Abb.  5G  entspricht.  Man  sieht  einen 
von    dem  Speer    getrott'enen,    hölzernen    geschnitzten    Stuhl,    auf  dem  ein 


Abb.  55.    Codex  Borgia  54 
(=  Kingsborough  Gl). 


Abb.  56.     Codex  Vaticanus  B 

(Nr.  3773)  83 

(=  Kingsborough  14). 


^\\\\\\\\\^\\\\\\\\\\\V?^ 


Abb.  57.  Abb.  58.  Codex  Vaticanus  B 

Codex  Borgia  (=  Kingsborough  61).  (Nr.  3773)  82 

(=  Kingsborough  15). 

Jaguarfell  liegt.  In  der  Abb.  56  über  dem  Jaguarfell  ausserdem  noch  eine 
Matte.  Stuhl,  Jaguarfell  und  Matte  sind^bekannte  Abzeichen  königlicher 
Würde.  Und  dass  sie  auch  hier  als  solche  gemeint  sind,  ist  im  Codex 
Vaticanus  (Abb.  56)  noch  besonders  dadurch  zur  Anschauung  gebracht, 
dass  oben  eine  auf  einem  Jaguarfell  sitzende  Gestalt  mit  dem  Zeichen  der 
Rede  vor  dem  Mund,  ein  Sprecher,  ein  tlatöani,  d.  h.  ein  König,  abgebildet 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriftsn  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


655 


ist.  In  den  Kreis  derselben  Vorstellungen  gehört  es  auch,  dass  im  Codex 
Bologna  auf  dem  Tlironsessel  vom  Speer  getroffen  noch  das  Bild  der 
Sonne  zu  sehen  ist.  Denn  die  Könige  sind,  das  ist  eine  weitverbreitete 
Anschauung,  die  Sonnensöhne.  Und  Piltzinteotl  oder  Piltzintecutli  „Gott" 
oder  „Herr  der  Fürsten"  war  den  Mexikanern  ein  bekannter  Name  des 
Sonnengottes. 

Das  fünfte  Blatt  des  Codex  Borgia  zeigt  uns  vom  Speer  getroffen  die 
Figur  Abb.  57:  —  Schild  und  Speerbündel  und  darüber  einen  Adlerkopf,  be- 
kannte Symbole  des  Krieges  und  der  Krieger.  Schild  und  Speerbündel 
ruhen  auf  einem  Felde,  das  gelb  gemalt,  gestrichelt  und  mit  Wirbelzeich- 


Abb.  59.    Die  Schildkröte, 

vom  Speer  getroffen. 
Dresdener  Handschrift  49. 


Abb.  60.   Der  Kriegsgott, 

vom  Speer  getroffen. 
Dresdener  Handschrift  50. 


Abb.  61.    aac,  die  Schildkröte. 
Codex  Perez  24. 


Abb.  62. 
aac,  die  Schildkröte. 


Abb.  63. 
Hieroglyphe  haijab. 


nung  versehen  ist.  Es  könnte  das  Feuer,  oder  verbranntes  Feld  bedeuten, 
vielleicht  sogar  als  eine  elliptische  Darstellung  des  atl-tlachinolli  „Wasser 
und  Feuer",  d.  h.  des  Krieges,  aufzufassen  sein.  Im  Codex  Vaticanus 
entspricht  diesen  Symbolen  die  Abb.  58,  die  uns  "Wasser  und  einen  Berg 
und  darauf  einen  Adler  vorführt.  Der  Adler  ist  zweifellos  wieder  als  ein 
Symbol  des  Kriegers  anzusprechen.  Der  Berg  ist  gelb  gemalt.  Man 
könnte  daher  vielleicht  auch  wieder  an  Feuer  und  an  atl-tlachinolli  denken. 
AVahrscheinlicher  ist  mir  aber,  dass  das  Wasser  und  der  Berg  ein  Ausdruck 
für  atl-tepetly  d.  i.  altepetL  oder  für  die  aua-tepeua  sind,  d.  h.  für  das  Dorf, 


ß56  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

die  Gemeinde  oder  die  Bürger,  als  entgegengesetzt  dem  Könige,  sind.  In 
tlatoant,  in  altepetl:  „der  König  und  die  Gemeinde",  werden  in  den  Texten 
immer  neben  einander  genannt. 

Die  Darstellungen,  die  in  der  Dresdener  Handschrift  an  vierter  und., 
fünfter  Stelle  stehen,  sind  anscheinend  ganz  anderer  Xatur.  An  vierter 
Stelle  (Blatt  49)  sieht  man  die  vom  Speer  getroffene  Schildkröte  (Abb.  59). 
An  fünfter  Stelle  (Blatt  oO)  eine  Kriegerfigur,  die  durch  eine  eigenthüm- 
liche,  über  das  Auge  verlaufende  eingerollte  Zeichnung  gekennzeichnet 
ist,  eine  Zeichnung,  die  auch  in  der  Hierogly})he  zu  erkennen  ist  (Abb.  60). 
Hier  scheint  mir  nun  zum  mindesten  die  letztere  Figur  durchaus  eine 
Parallel-Darstellung  zu  dem  zu  sein,  was  die  Handschriften  der  Codex- 
Borgia-Gruppe  an  fünfter  Stelle  zum  Ausdruck  brachten.  Denn  dass  die 
Abb.  60  insbesondere  eiuen  Krieger  bezeichnen  solle,  scheint  mir  dadurch 
angezeigt  zu  sein,  dass  dies  die  einzige  unter  den  fünf  vom  Speer  ge- 
troffeneu Gestalten  ist,  die  iu  aktiver  Yertheidigung  dargestellt  ist,  den  Speer 
schleudernd    und    den  Schild  zur  Abwehr  dem  Geschoss   entgegenhaltend. 

Aber  auch  die  Schildkröte  bietet  vielleicht  einen  Anhalt  zur  Yer- 
gleichung.  Die  Schildkröte  trägt  die  Zeichnung  der  Sonne  auf  ihrem 
Schilde.  Siehe  die  Abb.  61,  die  dem  Codex  Perez  '24  entnommen  ist. 
Die  weit  verbreitete  nordamerikanische  Dosen-Schildkröte,  von  der  die 
besondere,  im  südlichen  Mexico  vorkommende  Spielart  unter  dem  Namen 
Onychotria  mexicana  beschrieben  worden  ist,  zeigt  iu  der  That  auf  ihrem 
Panzer  eine  gelbe  strahlige  Zeichnung,  die  wohl  als  Bild  der  Sonne  ge- 
deutet werden  konnte.  Daher  kommt  es  vielleicht,  dass  ihre  Hieroglyphe 
—  soweit  diese  nicht  einfach  den  Kopf  des  Thieres  wiedergibt,  wie  in 
Abb.  62  —  eine  der  Hieroglyphe  der  Sonne  ähnliche  Zeichnung  als  Auge 
hat.  So  hier  (Abb.  59)  und  in  der  Hieroglyphe  des  Uiual  kayab  (Abb.  63), 
die  ebenfalls  den  Schildkröten-Kopf  als  Element  enthält.  Und  daher 
kommt  es  vielleicht  auch,  dass  man  die  Schildkröte  auf  Blatt  40  der 
Dresdener  Handschrift  mit  Fackeln  in  den  Händen  abgebildet  sieht.  Viel- 
leicht wurde  sie  deshalb  als  das  Sonnenthier  und  als  das  königliche 
Thier  betrachtet. 

Wie  dem  auch  sei,  iu  den  drei  ersten  der  vom  Speer  getroffenen  Ge- 
stalten, und,  meines  Erachtens,  auch  in  der  fünften,  liegen  die  Analogien 
zwischen  den  Figuren  der  Blätter  46 — 50  der  Dresdener  Handschrift  und 
den  der  gleichen  Darstellung  der  13  x  5  Yenusperioden  gewidmeten  Blättern 
der  Codex-Borgia-Gruppe  klar  zu  Tage. 

Was  haben  wir  uns  nun  aber  dabei  zu  denken,  dass  auf  diesen  Blättern 
die  Figuren  der  Gottheit  des  Morgensterns  —  und  der  an  ihrer  Stelle  in 
der  Dresdener  Handschrift  abgebildeten,  unten  noch  zu  besprechendeu 
Gottheiten  —  den  Speer  schleudernd  dargestellt  werden,  und  dass  von 
ihrem  Speer  einmal  die  Gottheit  des  Wassers,  dann  der  Jaguar,  der  Mais- 
gott,   der    Repräsentant    der    Könige    und    die    die    Gemeinde    bildenden 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  657 

Krieger  getroffen  erscheineu?  Förstemann  wirft  die  Frage  auf,  ob  das 
der  Kampf  der  Sonne  mit  der  Venus  sei,  der  mit  der  Unsichtbarkeit  der 
letzteren  ende.  Das  scheint  mir  ausgeschlossen,  denn,  wie  die  Hand- 
schriften der  Codex-Borgia-Gruppe  lehren,  ist  umgekehrt  die  Venus  als 
der  siegende  Theil  dargestellt.  Man  könnte  auch  an  Zusammentreffen  mit 
anderen  Sternbildern  denken.  Diese  sind  für  die  fünf  Perioden  ja  in  der 
That  verschieden.  Und  dass  ein  Zusammentreffen  des  Planeten  mit  anderen 
Sternbildern  beobachtet  wurde,  dafür  liegen  in  gewissen  Reliefs  von 
Chichen  itza  die  bestimmten  Beweise  vor.  Auch  ist  es  sicher,  das  der 
.Jaguar  und  die  Schildkröte  und  die  Schlange  von  den  Maya-Völkern  am 
Himmel  gesehen  wurden.  Es  ist  jedoch  auch  möglich,  dass  wir  hier  ein- 
fach eine  aus  abergläubischer  Furcht  vor  der  Einwirkung  des  Lichts 
dieses  mächtigen  Gestirns  entstandene  astrologische  Spekulation  vor  uns 
haben. 

Vermöge  einer  natürlichen  Gedankenverbindung  werden  die  Licht- 
strahlen, die  die  Sonne  oder  andere  leuchtende  Körper  entsenden,  als 
Geschosse  oder  Pfeile  aufgefasst,  die  von  dem  Lichtkörper  nach  allen 
Seiten  geschleudert  werden.  Und  das  um  so  eher,  je  mehr  diese  Strahlen 
als  unangenehme,  verletzende  empfunden  werden.  Von  dem  mexika- 
nischen Worte  viitl  „Pfeil"  ist  in  dieser  Weise  das  Abstraktum  miotli  oder 
meyotli  mit  der  Bedeutung  „Lichtstrahl"  abgeleitet.  Solche  Abstrakta  treten 
im  Mexikanischen  für  die  konkrete  Bezeichnung  des  Gegenstandes  ein, 
wenn  der  Gegenstand  einem  anderen  von  Natur  oder  eigenthümlich  zu- 
gehört. So  ist  miotli  oder  meyotli  der  Pfeil,  der  von  Natur  zu  einem 
Pfeile  aussendenden  Körper,  einem  Lichtkörper,  gehört.  Tonalmitl  oder 
tonalmeyotli  sind  die  Sonnenpfeile,  die  Sonnenstrahlen;  miotli  oder  meyotli 
allein  „der  Strahl".  Und  weiter  ist  davon  ein  Zeitwort  miyotia,  auch 
mihiotia  geschrieben,  abgeleitet,  das  die  Bedeutung  „Licht  aussenden"  hat, 
und  tepan  miyotia  „auf  jemand  strahlen",  „jemand  mit  seinem  Lichte 
treffen". 

Ich  habe  oben  schon  erwähnt,  dass  man  in  Mexico  dem  Lichte  des 
Planeten  Venus  besondere,  zumeist  unheilvolle,  nur  in  gewissen  Zeichen 
günstige  Einflüsse  zuschrieb,  dass  man  daher  Rauchlöcher  und  Schornsteine 
verstopfte,  wenn  der  Planet  von  Neuem  aufgieng,  damit  sein  Licht  nicht 
in  das  Haus  dringe.  Ueber  diese  Einflüsse  des  Lichtes  des  Planeten 
Venus  wird  in  den  Anales  de  Quauhtitlan  im  Anschluss  an  die  Erzählung  von 
der  Verwandlung  Quetzalcouatl\  in  den  Morgenstern  Näheres  berichtet. 
Es  ist  eine  merkwürdige  Stelle,  die  ich  hier  im  Wortlaut  wiedergebe: 

1.  auh  yn  iuh  quimatia  und  wie  sie  erfuhren  (die  Alten,  die 

Vorfahren): 

2.  yniquac  hualneQtiuh  wenn  er  erscheint  (aufgeht), 

3.  yn  tleyn  ypan  tonalli  je    nach    dem    Zeichen,    in    dem    er 

(aufgeht), 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  42 


658 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung:. 


4.  cecentlamantin  ynpan  mlyotia 

5.  quinmina  qiiintlahuilia 

6.  171^^  ce  cipactli  ypan  yauh 

7.  quinmina  huehuetgue  ylamatque 

8.  mochi  yuhqui  yntla  ce  ocelotl 

9.  yntla  ce  ma^atl 

10.  yntla  ce  xochitl 

11.  quinviiyia  pipiltotontzin 

12.  auh  yntla  cetn  acatl 

13.  quinmina  tlatoque 

14.  mochi  yuhqui  yntla  ce  miquiztli 

15.  auh  yntla  ce  quiyahuitl  [verbessere 
cou^tl] 

16.  quiminaya  quiahuitl 

17.  amo  quiyahuiz 

18.  auh  yntla  ce  olin 

19.  quinmina  telpopochtinychpopochtin 

20.  auh  yntla  ce  atl 

21.  ye  tohuaquif. 


triift  er  verschiedene  Klassen  von 
Leuten  mit  seinen  Strahlen, 

schiesst  sie,  wirft  sein  Licht  auf  sie, 

wenn  er  im  (L)  Zeichen  „  eins  Krokodil" 
erscheint, 

schiesst  er  die  alten  Männer  und 
Frauen. 

Ebenso  im  (IL)  Zeichen  „eins  Jaguar''. 

Im  (in.)  Zeichen  „eins  Hirsch"*, 

im  (lY.)  Zeichen  ,,eins  Blume" 

schiesst  er  die  kleinen  Kinder. 

Und  im  (Y.)  Zeichen  „eins  Rohr" 

schiesst  er  die  Könige. 

Ebenso  im  (YI.)  Zeichen  „eins  Tod". 

Und  im  (YII.)  Zeichen  „eins  Regen" 
[verbessere:  (IX.)  Zeichen  „eins 
Schlange"]. 

schiesst  er  den  Regen, 

es  wird  nicht  regnen. 

Und  im  (XIII.)  Zeichen  „eins  Be- 
wegung" 

schiesst  er  die  Jünglinge  und  Jung- 
fraueu. 

Und  im  (X YII.) Zeichen  „eins  Wasser" 

ist  allo-emeiue  Dürre. 


Ich  bemerke,  dass  der  Text  dieser  Anoalen  leider  sehr  verderbt  ab- 
gedruckt ist.  Ich  habe  daher  schon  einige  kleine  Yerbesserungen  vor- 
nehmen müssen:  —  in  der  9.  Zeile  ce  magatl  für  ce  mecatl  und  in  der  12. 
cem  acatl  für  ce  mafatl.  Die  Richtigkeit  dieser  Korrekturen  ist  durch  die 
Reihenfolge  der  Zeichen  im  Tonalamatl  gewährleistet.  Ich  möchte  aber 
noch  eine  dritte  grössere  Aenderung  vornehmen.  Für  das  ce  quiyahuitl 
der  15.  Zeile  möchte  ich  ce  couatl  „eins  Schlange",  also  für  das  YII.  Zeichen 
das  LK.  Zeichen  setzen.  Ich  glaube  dazu  berechtigt  zu  sein,  weil  das  ein- 
leitende auh  „und''  in  der  That  hier  sonst  nur  bei  den  Zeichen  der 
Kolumne  cipactli,  acatl,  couatl,  olin,  atl  steht,  und  durch  Yerlesen  das 
folgende  quiauitl  sehr  leicht  für  couatl  sich  untergeschoben  haben  kann. 

Lassen  wir  diese  Aenderung  zu,  und  lassen  wir  vorläufig  das  bei  den 
Zeichen  ce  ma^atl  und  ce  xochitl  (Zeile  9  — 11)  Gesagte  bei  Seite,  so  würden 
die  fünf  Zeichen  der  Kolumne :  cipactli^  acatl,  couatl,  olin,  atl  übrig  bleiben, 
die  in  der  That,  wie  wir  gesehen  haben,  die  an  den  Anfangstagen  der 
Yenusperioden  herrschenden  Zeichen  sind.  Ordnen  wir  sie  nach  der 
Reihe,    nicht    wie    sie    im    Tonalamatl,    sondern  in  Wirklichkeit   einander 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  659 

folgen,  so  würde  über  den  Einfluss  des  Planeten  Yenus  in  seinen  fünf 
aufeinander  folgenden  Perioden  in  den  Anales  de  Quauhtitlan  Folgendes 
ausgesagt  sein: 

1.  Im    (I.)    Zeichen   cipactli  „Krokodil''   schiesst  er  die  alten  Männer 
und  Frauen. 

2.  Im    (IX.)    Zeichen    couatl    „Schlange"   schiesst    er  den  Regen,    es 
wird  nicht  regnen. 

3.  Im  (XVII.)  Zeichen  all  „Wasser"  ist  allgemeine  Dürre. 

4.  Im  (Y.)  Zeichen  acatl  „Rohr''  schiesst  er  die  Könige. 

5.  Im  (Xni.)  Zeichen  olin  „Bewegung"  schiesst  er  die  Jünglinge  und 
Jungfrauen. 

Hier  springt  nun  sofort  in  die  Augen,  dass  zunächst,  was  die  vierte  und 
fünfte  Periode  betrifft,  die  Angaben  der  Anales  de  Quauhtitlan  sich  genau  "mit 
dem  decken,  was  der  Codex  Borgia  uns  im  Bilde  vorführt.  Auch  im  Codex 
Borgia  haben  wir  ja  in  der  vierten  Periode  (vgl.  Abb.  55,  oben  S.  654) 
das  Königtlmra  vom  Speer  getroffen,  und  in  der  fünften  (vgl.  Abb.  57)  die 
Kriegerschaft.  Die  jungen  Männer  (telpochtin)  und  die  Krieger  (quauhUn) 
sind  ihrem  Wesen  und  dem  Sprachgebrauch,  wenigstens  des  Mexikanischen, 
nach  eins.  Aber  auch  in  der  dritten  Periode  zeigt  sich  zwischen  den  An- 
gaben der  Anales  und  den  Darstellungen  des  Codex  Borgia  genaue  Ueberein- 
stimmung.  Im  Codex  Borgia  sahen  wir  in  der  dritten  Periode  (vgl.  Abb.  51, 
oben  S.  653)  die  Maisgöttin  vom  Speere  getroffen.  Aber  die  Maisgöttin 
ist  hier  offenbar  nicht  die,  die  die  Nahrungsmittel  in  reicher  Fülle 
spendet,  sondern  die  Göttin,  die  der  Interpret  des  Codex  Telleriano- 
Remensis  nennt,  „la  que  causava  las  hambres",  die,  welche  die  Hungers- 
nöthe  verursacht.  Denn  unter  ihr  sieht  man  in  Abb.  51  die  Maiskolben 
weissgemalten,  mit  Todtenköpfen  versehenen  Würmern  als  Frass  dienen. 
Und  auch  die  entsprechende  Darstellung  des  Codex  Bologna  (Abb.  52) 
zeigt  uns  das  Erdreich  unter  der  Maisgöttin  rings  von  Flammen  und 
Rauch  umgeben,  d.  h.  dürr  und  trocken. 

Schwieriger  ist  es  in  der  zweiten  Periode  —  falls  die  oben  vor- 
geschlagene Korrektur  wirklich  mit  Recht  vorgenommen  wird  —  sich 
über  eine  etwaige  Uebereinstimmung  zwischen  den  Angaben  der  Annalen 
und  den  Darstellungen  der  Bilderschriften  klar  zu  werden.  Auch  für  die 
erste  Periode  verzichte  ich  vorläufig  darauf,  ein  Tertium  comparationis 
ausfindig  zu  machen.  Soviel  aber,  glaube  ich,  lehrt  doch  der  Bericht  der 
Annalen,  dass  wir  schwerlich  etwas  anderes  als  augurische,  durch  die 
Zeichen  der  Perioden-Anfänge  suggerirte  Spekulationen  über  den  Einfluss 
des  Planetenlichtes  in  diesen  vom  Speer  getroffenen  Gestalten  zu  erkennen 
haben.  Und  zwar  werden  wir  das  nicht  nur  für  die  Darstellungen  der 
Codex-Borgia-Gruppe,  sondern  auch  für  die  figürlichen  Darstellungen  und 
den  Hieroglyphentext  der  Dresdener  Handschrift  anzunehmen  haben. 

42* 


gßO  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Nicht  yaiiz  ohne  Interesse  ist  es.  dass  in  der  oben  angeführten  Stelle 
der  Anales  de  Qnauhtitlan  auch  der  augurischen  Bedeutung  der  Zeichen 
ce  macatl  und  ce  jcochitl  (Zeile  9 — 11)  Erwähnung  geschieht.  Es  sind  das 
keine  Zeichen,  die  mit  den  Anfängen  der  Yenusperiode  etwas  zu  thun 
haben.  Das  erste  Zeichen  bezeichnet  die  Tage,  an  denen  die  Ciuapipütin, 
die  gespenstischen  Frauen,  die  Seelen  der  im  Kindbett  gestorbenen  Frauen, 
die  im  Westen  hausen,  vom  Himmel  herabkommen,  an  denen  man  daher 
die  Kinder  im  Hause  hielt,  weil  die  Ciuapipütin  die  Kinder  mit  Epilepsie 
schlagen.  In  dem  anderen  Zeichen  aber  war  eine  Gruppe  von  Göttern 
mächtig,  als  deren  Typus  MacuiLwchitl  oder  Auiateotl,  der  Gott  der 
Lustbarkeit,  bezeichnet  werden  kann,  und  die  auf  den  Blättern  47  — 4» 
(:=  Kiugsborough  68,  67)  des  Codex  Borgia  neben  den  Ciuapipütin  dar- 
gestellt sind.  Es  darf  wohl  als  gewiss  angenommen  werden,  dass  die 
Beziehung  dieser  Zeichen  zu  diesen  Gottheiten  sich  aus  der  Vorstellung 
ableitet,  dass  die  einzelnen  Abschnitte  des  in  Säulen  von  je  fünf  Zeichen 
geordneten  Tonalamatl  in  geheimnissvoller  Weise  mit  den  vier  Haupt- 
richtungen verknüpft  seien.  Dass  aber  in  den  Anales  de  Quauhtitlan  das, 
was  aus  dieser  Verknüpfung  sich  ergibt,  als  unheilvoller  Einfluss  des 
Gestirns  der  Venus  bezeichnet  werden  koimte,  ist  nur  ein  Beweis  dafür, 
dass  diese  ganze  Anordnung  des  Tonalamatrs  in  Säulen  von  je  fünf  Zeichen 
der  Parallelisirung  des  Tonalamatl^  mit  der  beobachteten  Venusperiode 
ihren  Ursprung  verdankt. 

Es  bleibt  nun  noch  übrig,  sich  über  die  Bedeutung  der  Gestalten 
klar  zu  werden,  die  auf  den  Blättern  46 — 50  der  Dresdener  Handschrift 
mit  Wurfbrett  und  Speerbündel  in  der  Hand  dargestellt  sind,  die  Stelle 
der  mit  Wurfbrett  und  Speerbündel  bewaffneten  Gottheit  des  Morgensterns 
der  anderen  Handschriften  vertretend.  Sie  sind  ebenfalls  auf  der  rechten 
Hälfte  der  Blätter,  aber  in  der  mittleren  Abtheihmg  abgebildet.  Ihre 
Hieroglyphe  steht  in  dem  Text  darüber,  am  Anfang  der  zweiten  Zeile 
und  unmittelbar  über  der  Hieroglyphe  der  vom  Speer  getroffenen  Gestalten, 
und  sie  ist  begleitet  von  der  Hieroglyphe  des  Morgensterns  (vgl.  oben  S.  641 
Abb.  26),  augenscheinlich  zum  Zeichen,  dass  diese  Gestalten  als  die 
Regenten  der  fünf  einander  folgenden  Venusperioden  anzusehen  sind. 

Der  Regent  der  ersten  Periode  ist  der  schwarze  Gott,  den  ich  in 
Abb.  64  in  Gestalt  und  Hieroglyphe  wiedergegeben  habe^).  Er  ist  in  der 
Reihe  der  20  Gottheiten  am  Anfang  der  Dresdener  Handschrift  an 
10.  Stelle  abgebildet  (Abb.  65)  und  kommt  auch  sonst  in  der  Dresdener 
Handschrift  mehrfach  vor,  z.  B.  in  der  mittleren  und  unteren  Abtheilung 
von  Blatt   14    (Abb.  m,  67),    und    auf   Blatt    74,    dem    Schlussblatt.     Mit 


1)  Auch  die  Hieroglyphen  dieser  Regenten  der  Venusperioden  sind  auf  dem 
zusammenfassenden  Blatte  24  verzeichnet,  aber  nur  die  der  Regenten  der  beiden 
ersten  Perioden. 


18.    Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe.  661 

einem  Skorpiouschwanz  erscheint  er  im  Codex  Tro  34,  33.  Und  hier 
scheint  eine  andere  schwg,rze  Gottheit  sehr  eng  mit  ihm  verbunden,  die 
sonst  durch  Hieroglyphe  und  Gesichtsbildung  sich  von  ihm  unterscheidet, 
die  aber  dort  im  Codex  Tro  in  unmittelbarem  Anscliluss  an  ihn  und 
augenscheinlich  in  verwandten  Darstolluiigen  auftritt  und  ebenfalls  einen 
Skorpionschwanz    trägt.       Ich    will    midi    in    keine    Spekulationen    über 


Abb.  G4. 


Abb.  65. 


Abb.  6G. 


Abb.  67. 


Abb.  GS. 


Charakter  und  etwaigen  Namen  dieser  Gottheit  einlassen,  sondern  nur  als 
meine  persönliche  Ansicht  aussprechen,  dass  wir  in  diesem  Gott  eine  dem 
Feuergott  der  alten  Mexikaner  verwandte  Gestalt  zu  erkennen  haben.  Wir 
dürfen  wohl  annehmen,  dass  er  hier  die  erste  Himmelsrichtung  oder  den 
Osten  bezeichnen  soll. 

Den  Regenten  der  zweiten  Periode  und  seine  Hieroglyphe    habe   ich 
in  Abb.  68    wiedergegeben.     Das    ist    eine    Figur,    die    mir  sonst    in  den 


662 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Handschriften  nicht  bei>:egnet  ist,  und  die  daher  auch  in  der  Schellhas'- 
schen  Liste  fehlt.  Dass  die  in  Abb.  68  angegebene  Hieroglyphe  auch 
wirklich  die  hieroglyphische  Bezeichnung  für  die  Person  dieses  Gottes  ist, 
ist  mit  Sicherheit  daraus  zu  entnehmen,  dass  sie  an  derselben  Stelle  steht, 
wie  die  bekannte  Hieroglyphe  des  Regenten  der  ersten  Periode,  und  dass 
sie  auch  auf  Blatt  24  der  Hieroglyphe  des  Regenten  der  ersten  Periode 
folgt.  Der  Leib  dieses  Gottes  ist  roth  gemalt,  und  auf  der  dem  Beschauer 
zugewendeten  Vorderseite  des  Rumpfes  sind  die  Wirbelkörper  und  Bogen- 
rippen  eines  Skeletts  gezeichnet.  Die  Nase  ist  nach  abwärts  gebogen,  wie 
bei    dem    Regengotte    Chac.      Es    fohlen    aber    die    anderen    Kennzeichen 


Abb.  69.     Tlauizcalpan  tecutli,  Gottheit  des  Abendstems. 
Codex  Vaticaniis  B  80  {^-  Kingsborough  17). 


dieses  Gottes,  die  langen,  gekrümmten  Zähne  und  die  dem  Nasenrücken 
aufliegende  Ranke.  Auch  ist  in  dem  unteren  Theile  des  Gesichts  ( —  was 
in  der  Zeichnung  leider  nicht  richtig  wiedergegeben  ist  — )  ein  fleisch- 
loser Todtenunterkiefer  angegeben.  Ton  Bedeutung  scheint  mir,  dass  an 
der  Edelstein-Schnur,  die  aus  dem  Kopf-Aufsatz  heraus  nach  vorn  hängt, 
mit  einer  Schleife  befestigt  die  Hieroglyphe  des  Planeten  Tenus  zu  sehen 
ist.  Ich  kann  nicht  umhin,  das  mit  dem  Schmuck  in  Vergleich  zu  setzen, 
den  auf  den  Blättern  80 — 84  des  Codex  Vaticanus  B  die  Gottheit  des 
Planeten  Venus  (Abb.  69)  vor  der  Brust  hängen  hat,  und  der  auch  ein 
Lichtauge,  einen  Stern  darstellen  muss.     Das  lehren  die  Figuren  Abb.  70, 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


663 


die  in  der  Wiener  Handschrift  und  in  den  Wandmalereien  von  Mitla  zur 
Wiedergabe  eines  Lichthimmels,  eines  Wohnsitzes  der  Götter  des  Lebens, 
verwendet  werden.  Ich  möchte  deshalb  geradezu  vermuthen,  dass  wir  in 
unserer  Abb.  68  die  Maya- Darstellung  der  Gottheit  des  Morgensterns, 
oder  des  Planeten  Venus,  zu  erkennen  haben.  Die  Hieroglyphe  stimmt 
in  dem  wesentlichen  Elemente  mit  der  Haupt-Hieroglyphe  des  Moan-Yogels 
überein  (vgl.  Abb.  71).  Zur  Deutung  der  letzteren  habe  ich  seiner  Zeit 
die  o.vlahun  taz  muyal^  die  „dreizehn  Schichten  der  Wolken",  die  in  der 
Misa  milpera  von  Xcanchakan  angerufen  werden,  herangezogen. 


Abb.  70.     Sternenauge  oder  Strahlenauge, 
a)  Wiener  Handschrift,     b)  Wandmalereien  von  Mitla. 


Abb.  71.     Der  Vogel  Moan. 
Dresdener  Handschrift  10a. 


Abb.  72. 


Den  Regenten  der  dritten  Periode  und  seine  Hieroglyphe  gibt  die 
Abb.  72  wieder.  Auch  dieser,  und  ebenso  die  Regenten  der  beiden 
letzten  Perioden,  sind  in  der  Schellhas'schen  Liste  nicht  enthalten.  Das 
Gesicht  zeigt  unverkennbar  etwas  Thierisches.  Ein  Thierohr  ist  auch 
über  der  durchbohrten  Ohrscheibe  kenntlich.  Die  Hieroglyphe  enthält  ein 
Zeichen,  das  als  wesentliches  Element  in  der  Hieroglyphe  eines  hirsch- 
köpfigen  Gottes  in  der  Dresdener  Handschrift  vorkommt  (vgl.  Abb.  73), 
allerdings  auch  im  Codex  Tro  in  einer  Hieroglyphe,  die  eine  weibliche 
Thätigkeit,  W^eben  oder  Sticken,  zum  Ausdruck  bringt  (vgl.  Abb.  74). 


(3(54  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Der  Regent  der  vierten  Periode  ist  in  Abb.  75  in  Bild  nnd  Hiero- 
glyphe wiedergegeben.  Es  ist  augenscheinlich  eine  kriegerische  Gottheit. 
Er  hat  ein  Jaguar- Fell  um  die  Hüften  geschlagen  und  trägt  eine,  wie  es 
seheint,  mit  Jaguar-Fell  umsäumte  Scheibe  auf  der  Brust.  Als  Kopf- 
schmuck trägt  er  den  stilisirten  Kopf  eines  mit  Scheitelfeder-Kamm  ver- 
sehenen Yogels.  Ein  ganzer  Vogel  ist  als  Ohrpiluck  mit  dem  Kopf  nach 
vorn  durch  das  stark  erweiterte  Loch  des  Ohrläpi)chens  gesteckt.  Vor 
dem  Munde  ist  der  Kopf  einer  Schlange  zu  sehen  (als  Nasenstab?),  und 
über  der  Stirn  streckt  sich  der  Kopf  eines  Vogels  vor.  Die  Gesichts- 
bemalung  erinnert  auffallend  an  die  des  mexikanischen  Tezcatlipoca, 
während  andererseits  die  Vogeltigur  an  der  Stirnseite  des  Kopfschmucks 
und  die  als  Nasenstab  dienende  Schlange  gewisse  Tragabzeiclien  des  mexi- 
kanischen Feuergottes  wiederzugeben  scheinen.  Die  Hieroglyphe  ist 
leider  in  der  Zeichnung  nicht  recht  herausgekommen.  Ich  habe  sie  daher 
in  Abb.  75  a  noch  einmal,  etwas  vergrössert,  wiedergegeben.  Man  sieht 
vorn  das  Element,  das  in  der  Hieroglyphe  des  Jaguars  mit  dem  abbre- 
viirten  Jaguarkopf  verbunden  vorkommt,  an  anderen  Stellen  der  Himmels- 
richtung des  Ostens  associirt  ist,  und  das  wahrscheinlich  eine  Farbe  (chac 
„roth")  bezeichnet.  3Ian  erkennt  hinten  unschwer  das  Element  kin  „Sonne" 
und  in  der  Mitte  einen  Kopf  mit  blutender,  leerer  Augenhöhle.  Alles 
Elemente,  die  einem  Kriegsgott  wohl  entsprechen  würden. 

Der  Regent  der  letzten  Periode  endlich  (Abb.  76)  ist  ein  Gott  mit 
verbundenen  Augen,  wie  er  der  fünften  Himmelsrichtung,  der  Richtung 
uach  unten,  der  Tiefe  des  Erdinnern,  durchaus  angemessen  ist.  Auch  in 
der  Hieroglyphe,  die  das  Zeichen  ahciu  auf  dem  Kopfe  stehend  enthält, 
ist  man  versucht,  ein  Tzo7itemoc,  ,,mit  dem  Kopfe  nach  abwärts  sich  be- 
wegend", herauszulesen. 

Es  finden  sich  dann,  in  der  Dresdener  Handschrift,  in  der  obersten 
Abtheilung  der  rechten  Blattseiten  noch  fünf  weitere  Gottheiten,  die  ein 
Gefäss  in  der  Hand  halten  und  auf  einem  Himmelsthroue  sitzend  dar- 
gestellt sind.  Da  aber  entsprechende  Gestalten  in  den  Blättern  der  Codex- 
Borgia-Gruppe  fehlen,  so  unterlasse  ich  es,  hier  auf  sie  näher  einzugehen. 

In  allen  bisher  besprochenen  Fällen  des  Vorkommens  der  Venus- 
periode handelte  es  sich  um  Vielfache,  die  sich  naturgemäss  aus  der  Länge 
der  Periode  und  der  Bezeichnung  der  Tage  nach  dem  TonalamatlSy stein 
ergeben.  Es  kommt  nun  aber  auch,  und  zwar  unter  den  Handschriften 
dieser  Gruppe  allein  im  Codex  Borgia,  eine  Darstellung  vor,  wo  die  Länge 
der  Venusperiode  direkt  mit  der  Länge  des  Sonnenjahres  verglichen  oder 
an  ihr  gemessen  zu  sein  scheint.  In  frülieren  Abhandlungen  habe  ich 
schon  wiederholt  Gelegenheit  gehabt,  auf  die  Bedeutung  des  schönen 
Blattes  Codex  Borgia  27  (=  Kingsborough  12)  aufmerksam  zu  machen. 
Auf  diesem  Blatt  sieht  man  die  vier  Viertel  des  TonalamatV s  und  die  vier 
Viertel    der  52jährigen  Periode,    die    durch    ihren    x\nfangstag,    bezw.  ihr 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


665 


Anfangsjahr  bezeichnet  sind,  in  der  Weise  je  einer  der  vier  Himmels- 
richtungen zugeordnet,  dass  sie  vier  in  den  Ecken  des  Blattes  vertheilten, 
und  je  nach  der  Himmelsrichtung  mit  verschiedener  Farbe  (schwarz,  gelb, 
bhui,  roth)  gemalten  und  je  nach  der  Himmelsrichtung  bald  als  nützlich, 
bald  als  schädlich  für  das  Gedeihen  der  Feldfrucht  dargestellten  Figuren 


Abb.  73. 

Der  Hirschdämon. 

Dresdener  Handschrift  13c. 


Abb.  74. 

Die  alte  Göttin  am  Webstuhl. 

Codex  Tro  ll*c. 


Abb.  75. 


Abb.  76. 


des  Regengottes  beigeschrieben  sind.  Eine  fünfte,  weiss-  und  rothgestreifte 
Figur  des  Regengottes  ist  in  der  Mitte,  zur  Bezeichnung  der  fünften 
Himmelsrichtung,  des  Zentrums,  oder  der  Richtung  von  oben  nach  unten, 
hinzugefügt,  bei  der  aber  natürlich,  da  mit  den  vier  Vierteln  die  Zeit- 
abschnitte vollendet  sind,  Daten,  entsprechend  denen,  die  bei  den  Eckfiguren 
any:eo:eben  sind,  fehlen. 


gg(j  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hierogljphen-EntzifFerung. 

Diesem  Codex-Borgia-Blatt  entspricht  im  Vaticanus  B  das  69.  (=  Kings- 
borough  28).  Während  aber  der  Codex  Vaticanus  B  sich  mit  diesem 
einen  Blatte  begnügt,  ist  im  Codex  Borgia  dem  eben  beschriebenen  Blatte 
noch  eine  zweite  Parallel-Darstellung  gegenübergestellt.  Auch  auf  diesem 
Blatte,  Codex  Borgia  28  (=  Kingsborough  11),  sieht  man  fünf  Figuren 
des  Regengottes,  vier  in  die  Ecken  vertheilt  und  eine  in  der  Mitte. 
Auch  sie  sind  durch  die  Nebendarstellungeu  bald  als  nützlich,  bald  als 
schädlich  für  das  Gedeihen  der  Feldfrucht  bezeichnet.  Aber  der  Farbeu- 
folge  fehlt  anscheinend  die  innere  Logik.  Die  Folge  ist,  im  Osten  be- 
ginnend bis  zur  Mitte:  schwarz,  weiss-  und  roth  gestreift,  gelb,  wieder 
schwarz,  endlich  roth.  Und  es  sind  Daten  bei  allen  fünf  Figuren  au- 
gegeben, und  zwar  drei  in  jeder  Abtheilung,  die  leider  zum  Theil  ver- 
wischt sind. 

Es  sind,  soweit  es  sich  ausmachen  lässt.  die  folgenden: 

(Osten.)        Schwarzer  Eegengott:  Jahr  1.  acatl;  Tag  4.    olin;  ? 
(Norden.)     Weiss-     und    rothge- 
streifter  Eegengott;            „      2.  tecpatl;            ,,     5.    cipocfli;  10.  quiauitl. 
(Westen.)    Gelber  Regengott:                  .,      3.  call! ;                „    9.    atl;                  7.  couatl. 
(Süden.)      Schwarzer    Regengott:           „      4.  tocJitli;             „   [3.]  atJ;                   ?    couatl. 
(Mitte.)       Rother  Regengott;                  .,      5.  acatl:               .,     1.    atl:  13    magatl. 

Fünf  auf  einander  folgende  Jahre  sind  also,  wie  man  sieht,  hier  an- 
gegeben, und  in  jedem  sind  zwei  Tage  genannt.  Der  in  dem  ersten  Jakre 
an  erster  Stelle  genannte  Tag  ist  der  Tag  4.  olin.  auf  den  iu  der  Dres- 
dener Handschrift,  wie  oben  auseinandergesetzt,  als  den  Tag  hingewiesen 
ist,  an  dem  der  Morgenstern  in  den  Strahlen  der  aufgehenden  Sonne  ver- 
schwindet, oder  wo  der  Morgenstern  mit  der  Sonne  zugleich  aufgeht.  Und 
der  in  dem  fünften  Jahre  an  erster  Stelle  genannte  Tag,  der  Tag  1.  atl 
„eins  Wasser*',  ist  von  dem  Tage  4.  olin  genau  um  1752  Tage  oder  drei 
Yenusperioden  entfernt,  —  wobei  allerdings  festgehalten  werden  muss, 
dass,  wie  überhaupt  im  Codex  Borgia  bei  allen  sich  über  eine  längere 
oder  kürzere  Reihe  von  Tagen  erstreckenden  Berechnungen,  als  Anfangs- 
tag 1.  cipactli  gesetzt  ist,  auch  die  fünf  Jahre  hier  von  1.  cipactli  aus- 
gehend gezählt  werden,  w^ährend  die  Benennung  der  Jahre,  wie  immer, 
mit  1.  acatl  beginnt.  Es  bezeichnet  demnach  der  Tag  1.  atl  in  dem 
fünften  Jahre  wiederum  den  Tag,  an  dem  der  Morgenstern  mit  der  Sonne 
zugleich  aufgeht.  Obwohl  ich  für  die  dazwischen  und  dahinter  namhaft 
gemachten  Tage  noch  kein  Gesetz  habe  ausfindig  machen  können  und 
vorläufig  annehmen  muss,  dass  sie  nur  überleitende  Glieder  sind,  so  kann 
doch  jene  Bedeutung  des  Datums  5.  acatl.  1.  atl  keine  zufällige  sein.  Wir 
werden  zugeben  müssen,  dass  auch  auf  diesem  Blatte  ein,  und  zwar  sehr 
merkwürdiges  Vorkommen  der  Venusperiode  vorliegt. 

Ich  komme  zum  Schluss.  Den  bis  ins  Einzelne  gehenden  Ueberein- 
Stimmungen,  die  das  System  des  Kalenders  und  der  20  Tageszeichen  bei 
den  Mexikanern  und  bei  den  Maya  aufweist,   hat   ohne  Zweifel   auch  eine 


18.   Die  Venusperiode  in  den  Bilderschriften  der  Codex-Borgia-Gruppe. 


667 


Gemeinsamkeit  in  vielen  Stücken  des  sonstigen  priesterlichen  Wissens 
entsprochen.  Das  konnte  bei  dem  regen  Verkehr,  der  zwischen  diesen 
beiden  grossen  Kulturstämmen  bestand,  auch  kaum  anders  sein.  Den 
ersten  strikten  Beweis  dafür  glaube  ich  in  dem  Obigen  gegeben  zu  haben. 
Während  aber  für  die  Analyse  der  Tageszeichen  die  mexikanischen  Formen 
und  Benennungen  aufschlussgebend  gewesen  sind,  haben  für  die  astro- 
nomischen Perioden  erst  die  ausgeführten  Rechnungen  der  Dresdener 
Handschrift  und  Fö  rsteniann's  Feststellune-en  die  Basis  geliefert.     Dass 


VVo'/>. 


Abb.  77.    Die  vier  und  die  neun  Formen  des  Abendsterns. 
Codex  Borffia  45. 


in  den  mexikanischen  Handschriften  die  Rechnungen,  die  man  vor- 
genommen hat,  nur  angedeutet  sind,  wird  ihre  Deutung  immer  zu  einer 
schwierigen  machen. 

Immerhin  steht  zu  erwarten,  dass  die  Fortschritte,  die  bezüglich  der 
Deutung  der  Dokumente  des  einen  Yolkes  gemacht  werden,  auch  zur  Auf- 
hellung dessen,  was  in  den  Dokumenten  der  anderen  dieser  beiden 
grossen  Kulturnationen  noch  unverstanden  ist,  sich  als  fruchtbar  erweisen 
werden. 


QQg  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Quetzalconatl-Kiikiilcan  in  Yiicatan. 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XXX.    1S;>8.    S.  377—410. 


Die  imverkennbareii  üebereiustimraungeu.  die  die  beiden  grossen 
Kiiltur-Xatiouen  des  alten  Zentral- Amerika,  die  Mexikaner  und  die  Maya- 
Stämme.  in  vielen  Elementen  ihrer  Kultur,  in  unbedeutenden  Einzelheiten 
des  Lebens  und  in  gewissen,  in  erstaunlicher  Weise  ausgebildeten  Zweigen 
priesterlicher  Wissenschaft  aufweisen,  haben  von  jeher  es  als  selbstver- 
ständlich erseheinen  lassen,  dass  eine  Beeinflussung  des  einen  Volkes 
durch  das  andere  stattgefunden  hat.  und  wenn  man  über  die  Art  dieser 
Beeinflussung  sieh  Rechenschaft  ablegen  wollte,  dann  ist  vor  Allem  eine 
Gestalt  ins  Feld  geführt  worden,  die  von  den  Mexikanern  und  den  Tuka- 
teken  mit  gleichem  Xamen  Quetzalcouatl  oder  Kukulcan.  d.  h.  -Quetzal- 
feder-Schlange" genannt  wurde,  ein  Gott  oder  Heros,  von  dem  die 
Mexikaner,  wie  die  Yukateken  in  gleicher  Weise  erzählten,  dass  er  der 
Ausgangspunkt  ihrer  Zivilisation  gewesen  sei.  Xach  den  Berichten  der 
Mexikaner  hätte  er  lange  Zeit  in  einem  Ort  Xamens  Tollan  in  Frieden 
geherrscht,  wäre  dann  aber  vertrieben  worden  und  mit  seinem  Volke  nach 
Osten,  nach  den  Ländern  der  Küste  gezogen.  Die  Yukateken  ihrerseits 
erzählten  von  ihm,  er  wäre  aus  Westen  zu  ihnen  gekommen,  hätte  Tempel, 
Paläste  und  Städte  gegründet  und  wäre  dann  wieder  nach  Westen  zurück- 
gegangen. Ich  will  hier  nicht  versuchen,  mich  in  Spekulationen  über  diese 
Gestalt  einzulassen  oder  das  Dunkel  ihres  Ursprungs  aufzuhellen.  Aber 
gegenüber  den  verschiedenen  Versuchen,  die  in  neuerer  Zeit  unternommen 
worden  sind,  die  eine  oder  andere  Gestalt  der  Maya-Dokumente  mit  ihr 
zu  identifiziren,  erscheint  es  mir  doch  an  der  Zeit,  einmal  festzustellen, 
was  in  Yucatan  unter  Kukulcan  verstanden  wurde,  die  Orte  namhaft  zu 
machen,  wo  er  gewohnt  haben  sollte,  und  zu  versuchen,  ob  nicht  aus  den 
Resten  und  den  Bildwerken  dieser  Orte  eine  zuverlässigere  Identifikation 
vorgenommen  werden  kann. 

Zwei  Hauptberichte  sind  es  vor  allem,  auf  denen  unsere  Kenntniss 
der  Kukulcan  betrefl'enden  Tradition  beruht,  das  ist  die  Erzählung  des 
P.  Hernandez  und  die  „Relacion"  des  Bischofs  Fray  Die2:o  de  Landa. 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  669 

Der  P.  Francisco  Horiiandez  war  ein  Geistlicher,  der  verschiedene 
Jahre  unter  den  Indianern    j^ewirkt    hatte  und   ihre   Sprache    sprach,    und 
den  der  Bischof  von  Chiapas,  der  bekannte  Las  Casas,  zn  seinem  Vikar 
g-emacht    und    zu  Visitationen    und  Missionspredigten    ins  Land    geschickt 
hatte.     Dieser  schrieb  dem  Bischof,  wie  Las  Casas  im  123.  Kapitel  seiner 
Historia  apologetica  erzählt^):    —    „er  habe  einen  Fürsten  getroffen,    der, 
als    er    ihn    über    seinen  Glauben  und  seine   alte  Religion    befragte,    ihm 
gesagt    habe,    sie  kennten  und  glaubten  an  Gott,    der  im  Himmel  wohne, 
und  dass  dieser  Gott  Vater,    Sohn  und  Heiliger  Geist  sei,    und    dass    der 
Vater  I^ona  heisse,    der    die  Menschen    und    alle  Dinge    geschaffen    habe, 
dass    der    Sohn    Bacab    genannt    werde,    der    von    einer  Jungfrau  Namens 
Chibirias    geboren    sei,    die    bei   Gott    im   Himmel    wohne.     Den  Heiligen 
Geist,    sagte    er,    nennten  sie  Echuac.     Ifona  solle  „der  grosse  Vater"  be- 
deuten; Bacab  „der  Sohn".     Ihn  solle  Eopuco  getödtet  haben:  er  habe  ihn 
geissein    lassen,    ihm    eine    Dornenkrone    aufgesetzt,    und    ihn    mit    aus- 
gestrecktem Arm  an  einem  Holz  befestigt,    —    nicht  angenagelt,    sondern 
angebunden,  und  um  das  auszudrücken,   habe  er  (der  Erzähler)  die  -Arme 
ausgestreckt    —    wo    er  schliesslich  gestorben  sei.  \  Drei  Tage  sei  er  todt 
gewesen  und  am  dritten  Tage  wieder  lebendig  geworden  und  zum  Himmel 
aufgestiegen,  wo  er  mit  seinem  Vater  weile.     Danach  sogleich  sei  Echuac 
gekommen,   der  heilige  Geist,   und  habe  die  Erde  mit  aller  Nothdurft  an- 
gefüllt.    Gefragt,    was  Bacab    oder  Bacabab    bedeute,    habe    er  „Sohn  des 
grossen  Vaters"   geantwortet,    und    von   dem  Namen  Echuac    habe    er    an- 
gegeben, dass  er  „Kaufmann"  bedeute,  und  fürwahr  gute  Kaufmannswaaren 
bringe  der  Heilige  Geist  der  Welt,  da  er  die  Erde,  das  sind  die  Menschen 
der  Erde,  mit  seinen  Gaben  und  ebenso  göttlichen  wie  überreichen  Gnaden 
anfülle.     Chibirias    bedeute    „Mutter  des  Sohnes   des  grossen  Vaters".     Er 
habe    dann    noch    hinzugefügt,    dass    zu    einer  Zeit  alle  Menschen  sterben 
müssten,    aber    von    der  Auferstehung  des  Fleisches   hätten  sie  nifchts  ge- 
wusst.      Gefragt,     woher    sie    denn    von    allen    diesen    Dingen    Kenntniss 
gehabt    hätten,    habe    er    geantwortet,    dass    die  Fürsten   es   ihren  Söhnen 
lehrten,  und  so  (die  Kenntniss)  von  Hand  zu  Hand  weitergegeben  worden 
sei.     Und  weiter  hätten  sie  versichert,    dass    vor  Alters    20  Männer    nach 
jenem  Lande  gekommen  seien    —    von    fünfzehn    gab    er    die  Namen  an, 
aber,    da  sie  schlecht  geschrieben  und  hier  nicht  von  Bedeutung  sind,    so 
schreibe  ich  sie  nicht  nieder;  von  den  übrigen  fünf,   sagt  der  Pater,  habe 
er  keine  Spur  gefunden.  —  Der  erste  dieser  (zwanzig)  habe  Cocolcan  ge- 
heissen,  den  hätten  sie  Gott  des  Fiebers  (dios  de  las  fiebras  6  calenturas) 
genannt,  zwei  andere:  Götter  der  Fische,  weitere  zwei:   Götter  der  Land- 
püter,  eineu  des  Donners  u.  s.  w.     Diese  hätten  lange  Gewäuder,  Sandalen, 


1)  Coleccion    de    documentos    ineditos    para    la  Historia  de  Espafia.    Vol.  66. 
p.  453—455. 


670  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

grosse  Barte  untl  keine  Mützen  auf  dem  Kopfe  getragen;  sie  hätten  den 
Leuten  befohlen,  zu  beichten  und  zu  fasten,  und  einige  hätten  am  Freitag 
gefastet  weil  an  ihm  jener  Bacab  gestorben  sei,  und  jener  Tag  werde  mit 
Namen  hiviü  genannt,  den  sie  ehrten  und  dem  sie  Devotion  weihten,  um 
des  Todes  des  Bacab  willen. '  Die  Fürsten  verstünden  all  diese  besonderen 
Dinge,  aber  das  gewöhnliehe  Yolk  glaube  nur  an  die  drei  Personen  I^ona 
und  Bacab  und  Echuac,  und  an  Chibirias^  die  Mutter  Bacab's,  und  an  die 
Mutter  der  Chibirias,  Namens  Hischen^  von  der  wir  annehmen,  dass  es  die^ 
heilige  Anna  gewesen  sei  .  .  .". 

Dieser  wunderliche  Bericht  ist  also,  wie  man  sieht,  ein  Stück 
Katechismus  Romanus  mit  eingesetzten  heidnischen  Götternamen.  Die 
Namen  sind  natürlich  stark  verderbt;  der  P.  Hernandez  scheint*  die 
Maya-Sprache  selbst  nicht  verstanden  zu  haben,  sondern  sich  mittelst  der 
mexikanischen  mit  den  Indianern  verständigt  zu  haben.  I^ona  ist  ver- 
muthlich  Itzamnä  „Haus  des  Tropfens",  der  Name  des  Himmelsgottes, 
eines  bekannten,  von  Landa  genannten  Gottes  der  Maya  von  Yucatan. 
Bacab  heisst  „der  Häuptling",  oder  vielleicht  richtiger  „der  Jüngling"*. 
Echuac  ist  Ekchuah.  auch  eine  bekannte  Gottheit,  die  von  Landa  in  der 
That  als  Gott  der  Kaufleute  bezeichnet  wird.  Auch  Eopuco  vermag  ich 
jetzt  zu  deuten.  Es  ist  Ah  uoli  puc^  der  in  einem  der  Chilam  balam  als 
der  Name  eines  Dämons  der  Vernichtung  genannt  wird.  Chibinas  ist 
sicher  wohl  Ix-chebel-yaj.\  der  Name  einer  auch  von  Landa  angegebenen 
Göttin.  Rüchen  vermuthlich  Ijc-chel.  Cocolcan  ist  Kukulcan,  und  der  Tag 
himis  ist  imiv,  der  (ursprüngliche)  erste  Tag  des  Kalenders,  der  dem 
mexikanischen  cipactli  entspricht. 

Es  geht  nun  aus  diesem  Bericht  Folgendes  hervor: 

1.  Die  Beschreibung,  die  von  Kukulcan  und  seinen  Genossen  gegeben 
wird,  erinnert  stark  an  die  namentlich  bei  den  indianisch-christ- 
lichen Historikern,  wie  Li-tULvochitl,  beliebte  Schilderung  Quetzal- 
couatVs  und  der  Tolteken. 

2.  Kukulcan  ist  der  erste  in  einer  Reihe  von  20  Gottheiten.  Daraus 
können  wir  wohl  mit  Sicherheit  schliessen,  dass  er  der  erste  der 
Gottheiten  des  Kalenders,  der  20  Tageszeichen  oder  der  20  Ab- 
schnitte des  Kalenders  war.  Er  selbst  wird  Gott  des  Fiebers,  — 
d.  h.  wohl  Regengott?  — ,  genannt,  zwei  weitere  als  Götter  der 
Fische  (oder  des  Fischfangs),  zwei  andere  als  Götter  der  Land- 
güter, ein  sechster  als  der  Donnergott  bezeichnet. 

3.  Ueber  Kukulcan  und  seine  Genossen  wissen  nur  die  Fürsten  Be- 
scheid. Das  gewöhnliche  Volk  kennt  nur  die  Götter  Itzamnä, 
Bacab,  Ekchuah,  Ixchebelyaxy  LvcheU 

Ich  gehe  nun  zu  dem  zweiten  Hauptbericht,  dem  des  Bischofs  Landa, 
über,  dessen  „Relacion  de  las  Cosas  de  Yucatan"  die  Hauptquelle  für  alle 
Yucatan  betreffenden  Angelegenheiten  ist.     Landa  erzählt  uns,  dass  es  in 


i 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


671 


Yucatan  viele  schöne,  alte  Bauwerke  gebe.  Als  ersten  Ort,  wo  dergleichen 
sich  finde,  nennt  er  Izamal^  nächstdem  Tihoo  (das  heutige  Merida)  und 
Chi  ch'en  Itza.  Chi  ch'en  Itza  —  der  Bischof  schreibt  immer  Chicheniza  —  „ist 
ein  sehr  guter  Ort,  10  Leguas  von  Izamal  und  11  von  Valladolid  entfernt. 
Hier,  sagt  man,  herrschten  einst  drei  Brüder,  die  von  Westen  nach  jenem 
Lande  gekommen  waren,  und  die  sehr  fromm  waren.  Und  so  bauten  sie 
schöne  Tempel  und  lebten  ohne  Weiber  in  Züchten  und  Ehren.  Und 
einer  von  ihnen  starb,  oder  zog  fort,  und  darum  veruneinten  sich  die 
andern  und  lebten  schändlich,  und  darum  erschlug  man  sie." 

An  einer  späteren  Stelle  erzählt  der  Bischof  etwas  ausführlicher,  dass 
hier  in  Chi  cKen  Itza  —  „wie  die  alten  Indianer  erzählten,  drei  Brüder  ge- 
herrscht hätten,  die,  wie  sie  sich  erinnerten,  von  ihren  Vorfahren  gehört 
zu  haben,  aus  Westen  nach  jenem  Lande  gekommen  seien,  und  die  an 
jenem  Orte  eine  grosse  Zahl  von  Dörfern  und  Stämmen  vereinigt  hätten, 
die  sie  einige  Jahre  in  Frieden  und  mit  Gerechtigkeit  regiert  hätten.    Sie 


Orient« 


Abb.  1.    Das  „Hauptgebäude"  in  Chi  ch'en  Itza.     (Nach  Diego  de  Landa.) 

waren  grosse  Verehrer  ihres  Gottes,  und  so  erbauten  sie  ihm  viele  und 
schöne  Bauwerke,  insbesondere  eines"  —  hier  gibt  der  Bischof  den  Grund- 
riss  des  heutzutage  unter  dem  Namen  „El  Castillo"  bekannten  Gebäudes, 
(vgl.  Abb.  1),  dessen  Innengemächer  er  auch  genau  und  kenntlich  be- 
schreibt. — 

„Diese  Fürsten,  sagt  man,  lebten  ohne  Weiber  und  in  Züchten  und 
Ehren,  und  so  lange  sie  so  lebten,  ehrte  mau  sie  und  erwies  ihnen  Ge- 
horsam. Später,  wie  die  Zeit  hingieng,  war  der  eine  von  ihnen  nicht  mehr 
da,  der  wohl  gestorben  sein  müsse,  obwohl  die  Indianer  sagen,  er  habe 
auf  dem  Wege  über  Bac-halal^'-  —  richtiger  Bakhalal,  das  heutige  Bacalar, 
die  grosse  Lagune  an  den  Grenzen  von  Belize  —  „das  Land  verlassen. 
Wie  nun  das  aber  auch  gewesen  sein  mag,  seine  Abw^esenheit  erwies  sich 
so  verhäugnissvoll  für  die,  die  nach  ihm  regierten,  dass  sie  alsbald  in 
Zwistigkeiten  geriethen  und  so  sehr  ohne  jegliche  Ordnung  und  Zucht 
lebten,  dass  das  Volk  sie  zu  hassen  anfieng  und  sie  schliesslich  tödtete, 
und  dass  die  Leute  auseinandergiengen  und  sich  zerstreuten  und  die  Ge- 
bäude wüst  liegen  Hessen." 


672  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

„Es  ist  die  allgonieine  Meinung  der  Indianer"  —  fäln-t  dann  der 
Bischof  an  der  ersten  Stelle  fort  —  „dass  bei  den  Iza^  die  Chicheniza 
kolonisirten,  ein  grosser  Fürst  Namens  Cuculcan  herrsehte,  und  dass  das 
"Wahrheit  ist,  beweist  das  Hauptgebäude  (in  Chi  cJien  Ttza)^  das  den  Namen 
Cuculcan  führt.  Und  man  sagt,  dass  er  von  Westen  ins  Land  kam,  und 
sie  sind  verschiedener  Meinung  darüber,  ob  er  vor  oder  nach  den  Iza 
öder  mit  ihnen  kam,  und  sie  sagen,  dass  er  wohlgestaltet  gewesen  sei,  keine 
Weiber  und  keine  Kinder  gehabt  habe,  und  dass  er  nach  seiner  Rückkehr 
in  Mexico  als  einer  ihrer  Götter  angesehen  und  Cehalcouati  (sprich:  Ke^al- 
kouati,  d.  h.  Quetzalcouatl)  genannt  worden  sei,  und  dass  sie  in  Yucatan  ihn 
auch  als  einen  Gott  angesehen  hätten,  weil  er  ein  grosser  Staatsmann  ge- 
wesen sei.  Und  dass  dem  so  sei,  habe  man  an  der  Niederlassung  gesehen, 
die  er  in  Yucatan  nach  dem  Tode  der  Herren  (von  Chi  ch'en  Itza)  gründete, 
um  die  Zwietracht  zu  stillen,  die  ihr  Tod  in  dem  Lande  verursacht  hatte." 

„(Man  sagt  nämlich),  dass  dieser  Cuculcan  es  wiederum  unternahm, 
eine  andere  Stadt  zu  gründen,  indem  er  darüber  mit  den  eingeborenen 
Fürsten  des  Landes  unterhandelte,  eine  Stadt,  in  der  er  und  sie  (die  ein- 
geborenen Fürsten)  leben  sollten:  und  dass  dort  alle  Angelegenheiten  und 
alle  Geschäfte  vorgebracht  werden  sollten.  Und  zu  diesem  Zwecke  er- 
wählten sie  einen  sehr  guten  Ort,  um  8  Leguas  weiter  im  Lande  von  der 
Stelle,  wo  heute  Merida  liegt,  und  15  oder  16  Leguas  vom  Meere  entfernt, 
und  sie  machten  dort  eine  breite  Ringmauer  aus  festem  Stein,  etwa 
Vg  Legua  lang,  indem  sie  nur  zwei  enge  Thore  Hessen,  dabei  die  Mauer 
nicht  sehr  hoch  machend.  Und  in  der  Mitte  dieser  Ringmauer  erbauten 
sie  ihre  Tempel,  und  den  grössten,  der  so  ist,  wie  der  von  Chicheniza^ 
nannten  sie  Cuculcan.  Und  sie  erbauten  einen  zweiten  runden  Tempel, 
mit  vier  Eingängen,  verschieden  von  allen  Tempeln,  die  man  sonst  im 
Lande  sieht,  und  viele  andere  rings  umher,  die  einen  neben  den  andern. 
Und  innerhalb  dieser  Ringmauer  erbauten  sie  Häuser  allein  für  die  Fürsten, 
unter  die  sie  das  ganze  Land  vertheilten,  indem  sie  jedem,  gemäss  dem 
Alter  seines  Stammes  und  der  Wichtigkeit  seiner  Person,  Dörfer  zu- 
theilten.  Und  Cuculcan  nannte  die  Stadt  nicht  nach  seinem  Namen,  wie 
es  die  Ah-iza  in  Chicheniza  gemacht  hatten  —  ein  Wort,  das  „der  Brunnen 
der  Iza"'  bedeutet  — ,  sondern  er  nannte  sie  Mayapan,  d.  h.  „Banner  der 
Maya",  weil  man  die  Sprache  des  Landes  Maya  nennt,  und  die  Indianer 
nennen  sie  (die  Stadt)  Ichpa,  d.  h.  „innerhalb  der  Ringmauer". 

„Dieser  Cuculcan  lebte  mit  den  Fürsten  einige  Jahre  in  jener  Stadt, 
und  indem  er  sie  in  Frieden  und  Freundschaft  zurückliess,  kehrte  er  auf 
demselben  Wege  wieder  nach  Mexico  zurück,  und  auf  der  Durchreise  hielt 
er  sich  in  Champoton  auf,  und  zur  Erinnerung  an  ihn  und  seinen  Weggang 
baute  er  dort  mitten  im  Meer,  einen  Steinwurf  vom  Ufer  entfernt,  einen 
schönen  Tempel  nach  Art  dessen  von  Chicheniza,  und  so  hinterliess 
Cuculcan  in  Yucatan  für  alle  Zeiten  ein  Gedächtniss." 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  673 

Der  Bischof  berichtet  dann  noch  weiter,  dass  nach  Cuculcan'%  Weg- 
gang in  Mayapan  das  Haus  der  Cocom  regiert  habe,  dass  zu  einer  ge- 
wissen Zeit  von  Süden  her  die  Tutulxiu  ins  Land  gekommen  seien  und 
sich  in  den  Bergen  gegenüber  Mayapan  niedergelassen  liätten;  dass  die 
Cocom  angefangen  hätten,  das  Volk  zu  unterdrücken,  und  zu  dem  Zwecke 
die  Mexikaner  von  Tabasco  und  Xicalunco  ins  Land  gerufen  hätten;  dass 
aber  dann  die  Maya,  die  von  den  Mexikanern  Waffendienst  und  Kriegs- 
kunst gelernt  hätten,  sich  unter  der  Führung  des  Fürsten  der  Tutulxiu 
erhoben  und  die  Cocom  erschlagen  hätten,  und  dass  seit  dieser  Zeit,  —  das 
sei  ungefähr  120  Jahre  vor  der  Zeit,  wo  der  Bischof  Lauda  schrieb,  —  die 
Festung  Mayapan  verlassen  sei. 

Endlich  berichtet  Landa  in  dem  besonderen  Kapitel,  das  von  den 
Festen  handelt,  die  die  Maya  von  Yucatan^ im  Laufe  des  Jahres  feierten, 
noch  Folgendes: 

„Nach  dem  Weggang  Cuculcan's  aus  Yucatan  gab  es  unter  den 
Indianern  einige,  die  da  sagten,  er  sei  zum  Himmel  zu  den  Göttern  ge- 
gangen, und  darum  sah  man  ihn  als  einen  Gott  an  und  setzte  für  ihn  eine 
Zeit  fest,  wo  man  ihm  als  Gott  ein  Fest  feierte,  und  bis  zur  Zerstörung 
von  Mayapan  feierte  dies  das  ganze  Land.  Nach  der  Zerstörung  von 
Mayapan  feierte  man  das  Fest  bloss  in  der  Provinz  i/am,  und  die  anderen 
Provinzen,  in  Anerkennung  dessen,  was  sie  Cuculcan  verdankten,  brachten, 
die  eine  in  einem,  die  andere  in  einem  anderen  Jahre,  in  Mani  vier  und 
bisweilen  fünf  prächtige  Federbauner  dar,  mit  welchen  mau  in  folgender, 
von  den  vorhergehenden  Festen  abweichender  Art  das  Fest  feierte.  Am 
16.  des  Monats  Xul''  —  das  ist  nach  der  von  Landa  angegebenen 
Konkordanz  der  8.  November  —  ,,karaeu  alle  Fürsten  und  Priester  in 
Mani  zusammen  und  mit  ihnen  ein  grosser  Haufen  Volks  aus  den  Dörfern, 
und  sie  kamen  alle  schon  vorbereitet  durch  Fasten  und  Enthaltsamkeit. 
Am  Abend  dieses  Tages  zogen  sie  mit  einem  grossen  Festzug  und  begleitet 
von  vielen  Maskentänzern  aus  dem  Hause  des  Kaziken,  wo  sie  versammelt 
waren,  und  begaben  sich  mit  grosser  Feierlichkeit  nach  dem  Tempel 
Cuculcan's,  den  sie  reich  geschmückt  hatten.  Und  nachdem  sie  an- 
gekommen waren,  steckten  sie  unter  Gebeten  die  Banuer  auf  der  Spitze 
des  Tempels  auf,  und  unten  im  Hofe  legten  sie  auf  einem  Bett  von  Laub, 
das  sie  zu  dem  Zwecke  gemacht  hatten,  ein  jeder  seine  Idole  hin,  und 
nachdem^  sie  neues  Feuer  errieben  hatten,  fiengen  sie  an  vielen  Stellen 
zugleich  au,  ihren  Weihrauch  zu  verbrennen  und  ungesalzene  und  nicht 
mit  Pfeffer  gewürzte  Speisen  und  Getränke  aus  ihren  Bohnen  und  Kürbis- 
samen  darzubringen,  und  es  brachten  mit  Kopalverbrennen,  mit  diesen 
Darbringungen,  ohne  nach  ihren  Wohnungen  zurückzukehren,  die  Fürsten 
und  die,  welche  gefastet  hatten,  fünf  Tage  und  fünf  Nächte  im  Gebet  uud 
mit  einigen  religiösen  Dingen  zu,  bis  zum  ersten  Tage  des  (folgenden) 
Monats   Yaxkin.     Die  Maskentänzer    gingen    in  diesen  fünf  Tagen  in  den 

Seier.  Gesammelte  Abhaudlun^en  I.  43 


674:  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Häusern  der  Vornehmen  herum,  indem  sie  ihre  A'orstellungen  gaben,  und 
sammelten  die  Geschenke  ein,  die  man  ihnen  gab,  und  brachten  alles  zum 
Tempel,  wo,  nachdem  die  fünf  Tage  vorbei  waren,  die  Fürsten  und  die 
Priester  und  die  Tänzer  alle  Geschenke  unter  sich  vertheilten,  und  man 
nahm  die  Banner  und  die  Idole  und  kehrte  nach  dem  Hause  des  Kaziken 
und  von  dort  ein  jeder  nach  seinem  Hause  zurück.  Sie  sagten  und 
glaubten  fest,  dass  am  letzten  dieser  (fünf)  Tage  Cuculcan  vom  Himmel 
herabkomme  und  den  ihm  erwieseneu  Dienst,  die  Nachtwachen  und  die 
Darbringungen  entgegenoehme.  Man  nannte  dieses  Fest  Chicckaban.''''  — 
Es  geht  also  aus  diesen  Mittheilungen  des  Bischofs  Lau  da,  der  besten 
Autorität,  die  wir  über  yukatekische  Dinge  haben,  ebenfalls  hervor: 

1.  Dass  Kukulcan  von  den  Maya^Yölkern  Yucatan's  mit  dem  mexi- 
kanischen Quetzalcouatl  identifizirt  wurde.  —  Ferner 

2.  Dass  Kukulcan  als  der  Genosse  der  Gründer  von  Chi  cKen  Itza  und 
als  der  Hauptgründer  von  Mayapan  betrachtet  wurde. 

3.  Dass  es  sowohl  in  Chi  cKen  Itza  wie  in  Mayapan  Tempel  gab,  die 
noch  zu  Landa's  Zeiten  mit  dem  Namen  Kukulcan  benannt 
wurden ;  dass  dies  in  Chi  cKen  Itza  die  hohe  Hauptpyramide  war,  die 
gegenwärtig  unter  dem  Namen  „El  Castillo"  bekannt  ist,  und  dass 
auch  in  Champoton^  einen  Steinwurf  vom  Ufer  entfernt,  im  Meere 
eine  den  genannten  ähnliche  Pyramide  stand,  deren  Erbauung 
Kukulcan  zugeschrieben  wurde. 

4.  Dass  es  auch  Landa  bekannt  war,  dass  es  in  Mayapan  einen 
runden  Tempel  gab,  der  durch  seine  Bauart  von  den  sonst  im 
Lande  üblichen  abwich.  (Den  ganz  gleichartigen  runden  Tempel 
in  Chi  cKen  Itza  hat  Landa  nicht  beachtet,  oder  erwähnt  ihn 
wenigstens  nicht.) 

5.  Dass  in  der  Zeit,  deren  sich  Landa's  Gewährsmänner  erinnerten, 
dem  Gotte  Kukulcan  nur  in  der  Provinz  Mani  —  das  ist  die 
Gegend,  in  der  die  alte  Festung  Maijapan  lag  —  Kultus  erwiesen 
wurde. 

6.  Dass  dem  Gotte  Kukulcan  in  Mani  in  den  letzton  fünf  Tagen 
des  Uinars  Xul  ein  Fest  gefeiert  wurde,  an  dem  sich  die  anderen 
Provinzen  wenigstens  in  der  Weise  betheiligten,  dass  sie  —  ab- 
wechselnd in  jedem  Jahre  immer  eine  andere  Stadt  —  die  vier, 
oder  fünf,  Federbanner  lieferten,  die  am  ersten  Tage  des  Festes  auf 
dem  Tempel  aufgesteckt,  am  Schluss  wieder  abgenommen  wurden. 

7.  Dass  dieses  Fest  in  eine  Jahreszeit  fiel,  die  zu  Landa's  Zeit  dem 
•  8. — 12.  November  alten  Styls  gleichgesetzt  wurde. 

8.  Dass  während  der  fünf  Tage  dieses  Festes  die  Festtheilnehmer  im 
Tempelhofe  wohnten  und  ihren  Idolen,  die  sie  dort  auf  einer 
Unterlage  von  Laub  ausgebreitet  hatten,  Weihrauch  und  Opfer- 
gaben von  Fastenspeisen  brachten. 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  675 

Den  späteren  Berichten  ist  nicht  viel  zu  entnehmen.  Cogolludo 
führt  Kukulcan  allerdings  unter  den  von  den  Yukateken  verehrten  Götzen- 
bildern auf,  weiss  aber  nichts  anderes  von  ihm  zu  berichten,  als  dass  er 
ein  grosser  „capitan"  gewesen  sei.  Nicht  ganz  ohne  Interesse  ist  es  viel- 
leicht, was  ich  in  einem  aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  stammenden 
Bericht  über  das  Dorf  Mutul  gefunden  habe^).  Hier  wird  in  Betreff  der 
alten  Religion  der  Bewohner  dieses  Orts  berichtet,  dass  ursprünglich  an 
diesem  Orte  ein  Gott,  der  der  Schöpfer  aller  Dinge  gewesen,  und  der 
seine  "Wohnung  im  Himmel  habe,  verehrt  worden  sei,  dass  aber  dann  von 
ausserhalb  des  Landes  ein  grosser  Fürst  mit  Gefolge  von  Leuten  ge- 
kommen sei,  Namens  Kukulcan^  und  dass  er  und  sein  Volk  Götzendiener 
gewesen  seien,  und  dass  von  der  Zeit  an  auch  die  Bewohner  des  Landes 
angefangen  hätten,  Götzendienst  zu  treiben,  blutige  Opfergebräuche  zu 
vollziehen,  Kopal  zu  verbrennen  u.  dgl.  m. 

Endlich  erwähne  ich  noch,  dass  auch  bei  den  nahe  verwandten 
Tzeltal-Stämmeu  des  inneren  Chiapas  die  Gestalt  dieses  Gottes  unter  der 
nur  dialektisch  etwas  variirten  Xamensform  Cuchulchan  bekannt  war.  Der 
Bischof  Nunez  de  la  Vega  berichtet  von  ihm,  dass  er  in  den  Kalender- 
büchern der  p]ingeboreneu  bei  dem  siebenten  Zeichen,  und  zwar  in  der 
Gestalt  eines  Menschen  und  einer  Schlange,  dargestellt  worden  sei,  und 
dass  die  Kalendergelehrten  ihn  als  „die  Federschlange,  die  im  Wasser 
geht",  erklärt  hätten.  Dieser  Bericht  scheint  Cuchulchan  mit  dem  Regen- 
gotte  zu  identifiziren.  Den]i  der  steht  in  den  Kalenderbüchern  bei  dem 
siebenten  Zeichen. 

Wenn  man  diese  Nachrichten  unbefangen  prüft,  so  glaube  ich,  wird 
man  sich  der  Folgerung  nicht  entziehen  können,  dass  in  Kukulcan  und 
seiner  Gleichsetzung  mit  Quetzalcouatl  etwas  mehr  als  der  übereinstimmende 
Ausdruck  gleichartiger  Elementarvorstelluugen  vorlieo-t:  die  Ano-aben,  dass 
diese  Gestalt  zu  den  Maya  von  Yucatan  aus  dem  Auslande  gekommen, 
und  dass  seine  Thätigkeit  nur  eine  vorübergehende  Phase  in  der"  Ent- 
wicklung des  Landes  darstelle,  sind  zu  bestimmt.  Und  ich  glaube,  auch 
wir  werden  zu  dem  Schlüsse  kommen,  den  schon  viele  andere  zuvor 
gemacht  haben,  dass  Kukulcan  eine  direkte  mexikanische  Uebertrasuns:, 
der  Ausdruck    der  Einwirkung    der  Mexikaner    auf   die  Maya-Stämme  ist. 

Gerade  in  den  Orten,  wo  Kukulcan  gewirkt  haben  sollte,  in  Chi  ch'en  Itza 
und  Mayapan,  wo  Tempel,  die  seinen  Namen  trugen,  standen,  wo  noch  in 
später  Zeit  ihm  Feste  gefeiert  wurden,  ist  ja  die  mexikanische  Einwirkung 
unverkennbar.  —  Die  geschichtlichen  Nachrichten  bezeugen  das.  Denn 
Bischof  Landa  berichtet  uns,  dass  der  Dynast  von  Mayapan  sich  auf 
mexikanische  Garnisonen  stützte,  und  dass  von  diesen  Mexikanern  die 
Yukateken    und   die  Bewohner  benachbarter  Hügel,    die  bisher  nur  Jaird- 


•1)  Ms.  Archive  General  de  Indias.     Sevilla. 

43^ 


576  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

fauggeräthe  kannten,  die  Kriegswatt'en  und  die  Kunst  des  Krieges  gelernt 
hätten.  Und  in  einem  alten,  in  iler  einheimischen  Sprache  geschriebenen 
Berieht,  dem  Chilambalam  von  Ma7ii,  werden  als  die  „sieben  Männer  von 
Mayapan^  lauter  Männer  mit  fast  rein  mexikanischen  Namen  genannt  (^Ah- 
zinteyut-chan^  Tzuntecum,  Ta^cal,   Pantemit,  Xuchueuet,  Ytzcuat,  Kakaltecat). 

Ich  habe  nun  aber  in  einem  einheimischen  Dokument  auch  eine  Stelle 
gefunden,  der  man,  wie  ich  meine,  direkt  entnehmen  muss,  dass  Kukulcan 
mit  diesen  Mexikanern,  den  sieben  Männern  von  Mai/apan,  identifizirt 
wurde.  In  der  eben  zitirten  Stelle  des  Chilam  Balam  von  Mani^  der  eine 
ganz  ähnliche  des  Chilam  Balam  von  Titzimin  entspricht,  heisst  es,  dass 
in  der  Periode  8.  ahau  der  König  von  Chi  ch'en  Itza  durch  den  Yerrath 
Hunaceefs,  besiegt  wurde.  „Es  geschah  zur  Zeit,  als  Chac  .nb  chac  (König) 
von  Chi  cKeti  Itza  (war),  durch  den  Yerrath  HunaceeVs,  des  Königs  von 
Mayapan.  Im  zehnten  Abschnitt  der  Periode  8.  ahau  war  es,  da  wurde 
er  besiegt  von  Ahzinteyut  chan,  Tzuntecum,  Ta.vcal,  Pantemit,  Xuchueuet, 
Ytzcuat,  Kakaltecat,  den  sieben  Männern  von  Mayapan.''  —  Diese  selbe 
Besiegung  Chac  ,rib  chac's,  des  Königs  von  Chi  ch'en  Itza,  wird  an  einer 
anderen  Stelle,  im  ChilaTn  Balam  von  Titzimin,  folgendermasseu  be- 
richtet: —  ,.In  der  Periode  8.  ahau  geschah  es  in  Chi  ch'en  Itza,  wie  von 
dem  Herrn  der  Leute  von  ü.vmal  (der  Quelle  für  den  Chilam  Balam)  auf- 
geschrieben worden  ist,  dass  Chac  atb  chac  zu  Boden  getreten  wurde  durch 
Nacxit  Kukulcan"^  ^).  —  An  der  einen  Stelle  also  werden  als  Sieger  über 
Chac  .i'ib  chac  die  sieben  Mexikaner  von  Mayapan,  au  der  anderen  Nacxit 
Kukulcan  genannt.  Der  Beweis  ist  zwingend.  Und  ich  erwähne  nur  noch 
beiläufig,  dass  der  Name  Xacxit,  mit  dem  liier  Kukulcan  genannt  wird, 
wahrscheinlich  mexikanischen  Ursprungs  ist  und  in  mexikanischen  Quellen, 
der  Crönica  mexicana  des  Tezozomoc,  als  ein  Name  QuetzalcouatV &  an- 
gegeben wird. 

Das  Gleiche  lehrt  uns  auch  das  archäologische  Material. 

Schon  lange  ist  man  darauf  aufmerksam  geworden,  dass  die  Skulpturen 
in  den  Ruinen  von  Chi  ch'en  Itza  einen  ganz  anderen  Charakter  tragen,  als 
die  der  grossen  Ruinenstätte  im  Süden,  Copan,  Quiriguä,  Palenque,  dass 
die  Köpfe  der  Figuren  nicht,  wie  es  in  den  Maya-Ländern  und  auch  in 
Yucatan  üblich  war,  deformirt  sind,  dass  in  Tracht  und  Ausputz  Yieles  an 
die  Typen  der  mexikanischen  Bilderschriften  erinnert.  In  den  Skulpturen 
an  der  ^Yand  des  Saales  am  Ballspielplatz  sehen  wir  das  Bild  der  mexika- 
nischen Sonne  (vgl.  unten  Abb.  6  und  13).  Unter  den  Kriegerfiguren,  die 
in  langem  Zuge  den  Göttern  huldigend  nahen,  sieht  man  die  erste  mit  der 
aus  Türkis-Mosaik  gefertigten  und  durch  ein  dreieckig  aufragendes  Stirn- 
blatt    ausgezeichneten     mexikanischen     Königskrone,      dem     Xiuhuitzolli^ 


1)  vaxac  ahau  uchci  tu  chichfen,    ca  tzibtabi  uyahau   ah  iixmal  ca  tali  u  chekeb 
n  pack  chac  xib  chac,  tumenel  ah  nacxit  kukulcan  (Chilam  Balam  Titzimin  fol.  1 1  verso). 


19.   Quetzalcouatl-Kukulcau  in  Yucatan. 


677 


geschmückt.  Und  so  auch  die  eine  der  vier  Pfeilerfiguren  in  der  Tempel- 
Cella  des  Castillo.  Die  halbliegende  Figur,  die  Auguste  Le  Plongeon 
in  dem  einen  Mausoleum  in  Chi  dien  Itza  ausgegraben  und  mit  dem  Namen 
C'/tac-wo^  getauft  hat,  —  ein  Typus,  der,  wie  Teobert  Maler  nachgewiesen 
hat,  in  Chi  cKen  Itza  noch  durch  vier  andere,  nur  in  Bruchstücken  vor- 
handene Figuren  vertreten  ist,  —  liat  ihre  mehr  oder  minder  genauen 
Entsprechungen  auf  dem  Hochlande  von  Mexico,  in  Tlaxcala^  Cueimavaca^) 


Abb.  2.    Grundriss  und  Aufriss   des  Tempels  „Caracol"  in  Chi  ch'en  Itza. 

(Nach  Holmes.) 


und  in  den  Tempeln  von  Cempoallan  im  Staate  Vera  Cruz.  Ein  kleines, 
durchaus  gleichartiges  Bild  habe  ich  auch  in  Pcitzcuaro  in  der  Provinz 
Mechoacan  gesehen.  Dass  die  Schäfte  der  beiden  Säulen,  die  das  Portal 
der  Tempel-Cella  des  Castillo  bilden,  in  auffallendster  Weise  solchen  aus 
den  Ruinen  des  alten  prähistorischen  Tollan  gleichen,  hat  schon  Desire 
Charnay  mit  grossem  Nachdruck  hervorgehoben.  Die  merkwürdigen 
niedrigen  Karyatiden  endlich,  die  Teobert  Maler  in  zweien  der  Tempel- 


1)  Vgl.  Anales  del  Museo  Nacional  de  Mexico.     I.     p.  270ff. 


g78  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

o^ebäude  von  Chi  ch'en  Itza  aufgedeckt  liat^),  uiui  die  im  Relief  als  Träger 
der  Figuren,  und  oberhalb  desselben  als  Träger  der  Balken,  auch  auf  den 
Pfeilern  im  Innern  der  Tempel-Cella  des  Castillo  dargestellt  sind,  gleichen 
durchaus  ähnliclien  Tragfiguren,  die  aus  dem  Gebiete  von  TlciJccala  bekannt 
geworden  sind,  und  von  denen  eine  im  Museo  Xacional  de  Mexico,  zwei 
andere  in  der  Philipp  Beckerschen  Sammlung,  jetzt  im  k.  k.  natur- 
historischen Hofmuseum  in  Wien,  aufbewahrt  werden. 

Mit  der  stärkste  Beweis  aber  für  den  mexikanischen  Ursprung  des 
yukatekischen  Kukulcan  liegt  in  der  Existenz  jener  beiden,  allein  in 
(Jhi  ch'en  Itza  und  Mayapan,  den  Städten  Kuhilcayi's,  bisher  angetroffenen, 
in  ihrer  Bauart  von  der  sonst  im  Lande  üblichen  durchaus  abweichenden 
runden  Tempel,  deren  schon  Landa  in  Mayapan  gedenkt,  die  auch 
Stephens  als  merkwürdige  und  auffallende  Gebäude  sowohl  von  Mayapan 
wie  von  Chi  ch'en  Itza  abbildet^),  und  von  denen  der  in  Chi  cKen  Itza,  dem 
die  heutigen  Bewohner  des  Landes  den  Xamen  Caracol  „Schnecke"  gegeben 
haben,  neuerdings  sowohl  von  Maudslay,  wie  von  Holmes,  eingehend 
studirt  worden  ist  (vgl.  Abb.  "2). 'Es  ist  bekannt,  dass  dem  mexikanischen 
Quetzalcouatl  runde  Tempel  erbaut  wurden.  Denn  (Juetzalcouatl  galt  den 
Mexikanern  als  der  Gott  des  Luftraumes  und  des  Windes,  als  der  Kreisende, 
Wirbelnde,  und  rund  oder  spiralgedreht  war  daher  alles,  was  ihn  angieng. 
Rund,  kegelförmig  seine  Mütze,  das  ocelo-copilli.  Rund  die  Enden  seiner 
Kopfschleife  und  seiner  Scham  binde.  Schneckenförmig  eingerollt  das 
obere  Ende  seines  Wurfbrettes.  Aus  dem  spiralgedrehten  Sclmecken- 
gehäuse  waren  sein  Brustschmuck  und  seine  Ohrgehänge  geschliffen.  Lud 
rund  und  spiral  mussten  daher  auch  seine  Tempel  sein.  Dass  der  Caracol 
von  Chi  ch'en  Itza  kreisförmig  in  seinem  Grundriss  ist.  mit  Oeffnungen  nach 
den  vier  Hauptrichtungen,  und  dass  er  auch  noch  in  seinem  Inneren  einen 
spiralgewundenen  Gang  enthält,  der  aus  dem  Erdgeschoss  in  das  obere 
Stockwerk  führt,  —  ist,  soweit  mau  überhaupt  in  solchen  Dingen  von 
Beweisen  reden  kann  —  ein  sicherer  Beweis,  dass  er  dem  Windgotte  ge- 
widmet war.  Die  Mexikaner  wussten  von  ihrem  Gott  Quetzalcouatl,  dass 
er  der  Gott  des  Windes  war,  und  bauten  iliui  überall  runde  Tempel.  In 
den  allerdings  nur  sehr  mangelhaften  Aufzeichnungen  über  die  mytho- 
logischen Gestalten  der  Yukateken  hören  wir  nichts  von  einem  Gott  der 
Winde.  Auch  über  Kukulcan  ist  noch  keine  Stelle  bekannt  geworden,  wo 
er  als  solcher  bezeichnet  worden  wäre.  Und  ininde  Tempel  finden  wir  in 
Yucatan  nur  in  den  beiden  Städten,  die  augenscheinlich  unter  Einfluss 
der  Mexikaner  entstanden  sind.  Ich  glaube,  man  wird  die  Folgerimg 
nicht  abweisen  können,  dass  Kukulcan  nicht  bei  den  Yukateken  ein- 
heimisch   war.    und    dass    er    auch    nicht    von    irsrend    welchen    anderen 


1)  Vgl.  die  Abbildungen  im  Globus,  Bd.  68,  S.  288. 

2)  Incidents  of  Travel  in  Yucatan.    Xew  York  1843.    I.    p.  136.    U.    p.  298. 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  679 

Nachbarn    zu    ihnen    gekommen    ist,    sondern    dass  er  der  von  den  Mexi- 
kanern nacli  Yucatan  verpflanzte  Quetzalcouatl  war. 

Die  leider  arg'  zerstörten  Ruinen  von  Mayapan  sind  bislier  noch  nicht 
genauer  durchforscht  und  aufgononimen  worden.  Chi  dien  Itza  ist  dagegen 
durch  die  Aufnahmen  Desire  Charnay's,  durch  die  Arbeiten  von 
Maudslay  und  Holmes  und  besonders  durch  die  Ausgrabungen  unseres 
Landsmannes  Teobert  Maler  genauer  bekannt  geworden.  Wie  ich  oben 
schon  angeführt  habe,  ist  es  der  von  Landa  ganz  kenntlich  beschriebene, 
auf  hoher  Pyramide  gelegene  Haupttempel  „El  Castillo",  der  den  Namen 
Kukulcan  fülirte  und  der,  wie  Landa  sich  ausdrückt,  beweise,  dass  die 
Angaben  der  Indianer,  Kukulcan  habe  einst  in  Chi  clien  Itza  geherrscht,  auf 
Wahrheit  beruhen.  Dieser  Tempel  hat  seine  Hauptfa<;ade  nach  Norden. 
An  dem  auf  dieser  Seite  hinaufführenden  Treppenaufgang  ist  der  Anfang 
der  Treppenwangen  von  je  einem  Schlangenkopf  gebildet.  Und  der  Haupt- 
eingang, der  oben,  auf  der  Höhe  der  Pyramide,  in  das  Innere  des  Tempels 
führt,  ist  durch  zwei  massige  Pfeiler  getheilt,  die  eine  auf  der  ganzen 
Länge  des  Leibes  mit  Federn  bedeckte  Schlange  darstellen.  Es  ist  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  diese  Pfeiler  die  Veranlassung  waren,  dass  zu 
Landa's  Zeiten  dieses  (iebäude  als  Kukulcan  bezeichnet  wurde.  Ganz 
ähnliche  Pfeiler  theilen  auch  den  Haupteingang  der  nach  Westen  ge-  , 
richteten  HauptfaQade  des  von  Maler  als  „Tempel  der  Jaguare  und  der 
Schilde"  bezeichneten  Tempels,  der  dem  südlichen  Theil  der  Ostmauer 
des  Ballspielplatzes  angebaut  ist.  Herr  Maler  bemerkt,  dass  er  Feder- 
schlangen-Pfeiler und  Federschlangen-Säulen  bisher  nur  an  den  Tempeln 
von  Chi  cKen  Itza  und  sonst  in  keiner  der  vielen  von  ihm  untersuchten 
Kuinenstädte  Yucatan's  gefunden  habe.  Und  es  ist  gewiss  eine  interessante 
Thatsache,  auf  die  zuerst  Herr  Charnay  aufmerksam  gemacht  hat,  dass 
ganz  ähnliche  Säulen  in  dem  historischen  Tollan^  im  Norden  der  Haupt- 
stadt Mexico  sich  finden.  Eigentliche  Abbilder  des  Gottes  konnten  diese 
ornamentalen  konstruktiven  Theile  kaum  sein.  Aber  im  Innern  des 
Tempels  El  Castillo  befinden  sich  an  den  Thürpfosten  und  an  den  Seiten 
der  zwei  Pfeiler,  die  das  Gewölbe  stützen,  in  gut  ausgearbeitetem  Relief 
aufrechte  männliche  Figuren,  die  durch  ihre  Haltung  und  durch  die  Yer- 
schiedenartigkeit  ihrer  Symbole  die  Yermuthung  erwecken,  dass  sie  gött- 
liche oder  mythische  Personen  darzustellen  bestimmt  sind. 

Die  auf  den  Seiten  der  Pfeiler  skulpirten  Figuren  (Sammlung 
Charnay  Nr.  16)  sind  auf  Tafeln  stehend  dargestellt,  die  von  Karyatiden 
getragen  werden,  und  über  ihnen  sieht  man  die  Bilder  anderer  Karyatiden, 
die  gleichsam  die  Deckbalken  stützen.  Die  Figuren  selbst  sind  in  reicher 
Tracht,  aber  nicht  mit  Kriegswaffen  in  der  Hand  gezeichnet.  Die  zweite 
Figur  trägt  einen  langen  Bart;  der  Kopf  der  vierten  ist  ein  fleischloser 
Todtenschädel.  Yielleicht  dürfen  wir  diese  Figuren  mit  den  auf  den 
Blättern  25 — 28    der  Dresdener  Handschrift    abgebildeten  Gestalten    (vgl. 


680 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


oben  S.  368 — 371)  in  Parallele  stellen  und  sie  als  Bilder  der  in  den  vier 
Himmelsrichtun2:en  mächtiiren  Gewalten  deuten.  Verwandte  Fig-uren  sind 
auch  auf  den  Pfeilern  des  im  Osten  des  Castillo  gelegenen  Tempels  zu 
sehen,  in  dem  Maler  die  oben  erwähnten  Tragfiguren  gefunden  hat,  und 
den  er  den  ,,Tempel  des  grossen  Göttertisches"  nennt. 


Abb.  3.     Relief-Figur  aus  dem  Innern  des 
Tempels  „El  Castillo"  in  Chi  ch'en  Itza. 


Abb.  4.    Relief-Figur  aus  dem  Imiern  des 
Tempels  „El  CastiUo"  in  Chi  ch'eti  liza. 


Individueller  scheinen  die  beiden  Figuren,  die  an  den  Pfosten  der 
Thüren  einander  gegenüberstehen  (Sammlung  Charnay  Nr.  17):  —  die 
eine  (Abb.  3),  die  schon  von  Catherwood.  aber  ziemlich  mangelhaft, 
abgebildet  ist'),  ist  die  Figur  eines  stattlichen  Kriegers.  Er  trägt  eine 
Stirnbinde  aus  Türkis-Mosaik,    an    der    vorn   ein   mit  dem  Schnabel  nach 


1)  Stephens.  Incidents  of  Travel  in  Yucatan  II.  p.  314. 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  681 

unten  gerichteter  Vogel  sichtbar  ist,  wie  man  ihn  ganz  ähnlich  an  der 
Stirnbinde  des  Feuergottes  in  mexikanischen  Handschriften  sieht.  Um 
den  Hals  trägt  die  Figur  Abb.  3  einen  breiten  Schmuck  der  Art,  die 
die  Mexikaner  cozcapetlatl  nannten.  Dazu  einen  Ring  um  den  Ober- 
arm, von  dem  lauge  Federn  herabhangen,  und  einen  riesigen,  anscheinend 
auch  mit  Türkis-Mosaik  iukrustirten  Kreuzspiegel  {tezcacuitlapilli),  der  dem 
breiten,  vorn  zusammengeschnallten  Gürtel  hinten  aufsitzt.  In  der  Linken 
liält  die  Gestalt  vier  Speere,  in  der  Rechten  ein  Wurfbrett.  Was  aber 
diese  Figur  besonders  auszeichnet,  ist  die  grosse  Schlange,  deren  Kopf  über 
dem  Kopf  der  Figur  sich  vorstreckt,  während  der  Leib  in  drei  grossen 
Krümmungen  nach  unten  geht  und  der  Schwanz,  au  dem  die  Crotalus- 
Klappern  deutlich  sind,  voi*  dem  Fuss  der  Figur  zum  Vorschein  kommt. 
Der  Leib  dieser  Schlange  ist,  —  mit  Ausnahme  der  Bauchseite,  an  der 
die  Bauchschuppeii  in  ihrer  natürlichen  Erscheiimng  sichtbar  sind,  —  wie 
mit  einem  Mosaik  bedeckt,  und  von  dem  Rücken  erheben  sich  in  seinem 
ganzen  Verlauf  sich  kräuselnde  Gebilde,  die  auch  hier  und  da  an  der 
Bauchseite  hervortreten,  und  die  man  versucht  ist,  als  sich  kräuselnde 
Federn  zu  deuten. 

Die  andere  Figur  des  gegenüberliegenden  Pfostens  (Abb.  4)  ist  in  der 
ganzen  Haltung  und  Ausstattung  der  vorigen  ähnlich.  Sie  trägt  auch  die 
Kopfbinde  mit  der  Vogelfigur  an  der  Stirnseite,  aber  reicheren  Feder- 
schmuck. Halssehmuck,  Gürtel,  das  dreieckige  Hüfttuch  und  der  riesige 
Kreuzspiegel  sind  die  gleichen.  Der  Hing  um  den  Oberarm  fehlt.  Dafür 
ist  der  ganze  untere  Theil  des  Arms  mit  Fellstreifen  umwunden,  ähnlich 
denen,  die  bei  den  meisten  Figuren  um  das  Knie,  oder  unterhalb  desselben 
angegeben  sind.  Der  rechte  Unterarm  ist  in  dem  Charnay'schen  Ab- 
klatsch nicht  sehr  gut  herausgekommen,  doch  ist  klar,  dass  auch  hier  die 
rechte  Hand  ein  Wurfbrett  hält.  Mit  der  Linken  umfasst  die  Figur  drei 
Speere,  deren  Spitzen  unter  der  linken  Hand  sichtbar  sind,  während  die 
befiederten  Schaftenden  über  der  rechten  Schulter  hervorsehen.  Vor  dem 
Munde  sieht  man,  den  ganzen  vorhandenen  freien  Raum  füllend,  ein  in 
merkwürdig  ornamentaler  Weise  ausgestaltetes  Zeichen  der  Rede,  das 
durch  ein  aufgesetztes  Auge  halb  und  halb  in  einen  Ungeheuerkopf  trans- 
formirt  erscheint.  Aelmliche  Redezeichen  werden  in  grösserer  oder 
geringerer  Ausbildung  vielfach  vor  dem  Munde  dieser  Chi  cJien  /tea-Figuren 
angetroffen. 

Dem  auf  hoher  Pyramide  gelegenen,  unter  dem  Namen  „Castillo'" 
bekannten  Haupttempel  ist  im  Grundriss  wie  in  der  Ornamentation  ein 
anderer  Tempel  verwandt,  der  dem  südlichen  Theil  der  Ostmauer  des 
Ballspielplatzes  angebaut  ist  und  seine  Fagade  nach  W^esten  gerichtet  hat. 
Maudslay  bezeichnet  ihn  auf  seinem  Plan  als  den  Tempel  A  des  Grossen 
Ballspielplatzes,  während  Maler  ihn  den  „Tempel  der  Jaguare  uud  der 
Schilde"  nennt.    Er  steht  ebenfalls  auf  einem  Unterbau,  der  den  Ballspiel- 


682 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


platz  überragt,  und  sein  llaupteing-aiig-  ist  in  gleicher  Weise  wie  der  des 
Tempels  El  Castillo  durch  zwei  massige  Federschlangen -Pfeiler  in  drei 
Oeffnungeu  gegliedert.  Auch  im  Innern  dieses  Tempels  finden  sich 
skulpirte  Pfeiler  (Sammlung  Charnay  Nr.  15),  deren  Figuren  aber  nicht 
auf  Karyatiden,  sondern  auf  Masken  stehen,  die  wohl  im  Flachrelief  die- 
selben Maskentypeu  darstellen  sollen,  wie  die  tief  gearbeiteten  Relief- 
Masken,  die  so  vielfach  die  Aussenseite  der  Tempel  schmücken.  Die 
Figuren  dieser  Pfeiler  haben  auch  niclit  bloss  Streifenbündel  in  der  Hand, 
gleich  den  Pfeilerfiguren  des  Castillo  und  des  Tempels 
des  grossen  Göttertisches,  sondern  Wehr  imd  Waffen 
gleich  den  Pfostenfiguren,  die  ich  oben  aus  dem 
Castillo  abgebildet  und  beschrieben  habe.  Direkt 
vergleichbar  den  Pfeiler-Figuren  des  Castillo  und  des 
grossen  Göttertisch-Tempels  erscheinen  sie  auch  in- 
sofern nicht,  als  hier  keine  Figur  mit  Todtenkopf 
darunter  ist.  Dagegen  begegnen  wir  einer  Figur 
(Abb.  5),  die  als  eine  Parallele  der  Abb.  3  sich  dadurch 
kundzugeben  scheint,  dass  sie  ebenfalls  von  einer 
Schlange  begleitet  ist,  deren  Vorderleib  über  dem 
Kopfe  der  Figur,  deren  Schwanzende  vor  dem  Unter- 
schenkel sichtbar  wird,  während  der  übrige  Theil  des 
Leibes  auf  dem  schmalen  Pfeiler  nicht  mehr  zur 
Anschauung  gebracht  werden  konnte.  Die  Kopfbinde 
aus  Türkis -Mosaik  ist  hier  genau  in  der  Art  der 
mexikanischen  Königskrone  {xiuhuitzolli)  gebildet,  mit 
dreieckigem  Stirnblatt.  Das  cozcapetlati,  der  Gürtel 
und  der  Kreuzspiegel  sind  die  gleichen,  wie  in  der 
Abb.  3.  Und  auch  der  Oberarmring  mit  den  lang 
herabhangenden  Federn  fehlt  nicht.  Die  linke  Hand 
hält  auch  hier  ein  Speerbündel.  Und  in  der  rechten 
Hand  ist  das  Wurfbrett  deutlich. 

Demselben  Tempel  gehört  auch  der  schön  ge- 
schnitzte Deckbalken  an,  von  dem  Charnay  einen 
Abklatsch  gemacht  hat,  der  auf  demselben  Blatt  (Sammlung  Charnay 
Nr.  15)  von  ihm  kopirt  worden  ist.  Maudslay  bildet  ihn  auf  Tafel  35 
seines  dritten  Bandes  ab.  Die  Zeichnung,  die  hier  in  Abb.  6  gegeben 
ist,  ist  nach  dto  Charnay' sehen  Abklatsch  angefertigt  worden.  Hier 
sieht  man,  von  zwei  gähnenden  Keptilrachen  eingefasst,  zwei  sitzende 
Figuren.  Zur  Recl^ten  erkennt  man  unschwer  wieder  den  Mann  mit  der 
Schlange.  Der  rechte  Arm  liegt  vor  der  Brust,  und  die  rechte  Hand 
hält  ein  Wurfbrett,  dessen  Ende  über  der  linken  Schulter  sichtbar  ist. 
Ihm  gegenüber  sitzt  in  einem  Sonnenbilde,  das  ganz  an  die  Art  erinnert, 
wie  in  den  mexikanischen  Bilderschriften  die  Sonne  dargestellt  zu  werden 


Abb.  5.  Relief-Figur 
aus  dem  Innern  des 
„Tempels  der  Jaguare 
und  der  Schilde"  in 
Chi  ch'en  Itza. 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


683 


-/ 


pflegt,  eine  Gestalt,  vor  deren  Kopfe  man,  ähnlich  wie  in  Abb.  4,  ein  merk- 
würdig- stylisirtes  Zeichen  der  Rede  sieht,  das  hier  mit  Auge,  Nüstern  und 
Zcähnen  ganz  als  ein  Ungeheuer-,  Reptil-  oder  Schlangenrachen  ausgebildet  ist. 

Dem  Unterbau  des  „Tempels  der  Jaguare 
und  der  Schilde"  ist  an  der  Ostseite  ein  Saal  an- 
gebaut, dessen  Front  dem  Ballspiclplatze  zuge- 
kehrt war.  Maudslay  bezeichnet  ihn  als  ZinmierE. 
Die  Yorderwand  ist  zerstört.  Von  den  Pfeilern, 
die  in  der  Mitte  die  Tragbalken  stützten,  sind 
mir  die  Untertheile  erhalten,  die  aber,  so^veit 
man  sie  noch  erkennen  kann,  mit  Skulpturen, 
ilurchaus  iihnlich  denen  der  Pfeiler  des  Castillo, 
bedeckt  waren.  Zwischen  ihnen  ist  noch  der 
Rumpf  eines  Jaguars  sichtbar.  Die  ganze  Hinter- 
wand und  die  Seitenwände  aber  waren  mit  Skulp- 
turen bedeckt,  von  denen  die  der  Hinterwand  und 
die  der  einen  Seitenwand  noch  in  grösserer  Aus- 
dehnung erhalten  sind.  Es  sind  sogar  noch  über- 
all deutliche  Spuren  der  Bemalung  sichtbar,  die 
sie  ehemals  in  ihrer  ganzen  Fläche  bedeckte. 

Fünf  Reihen  von  Figuren  sind  hier  über  ein- 
ander aufgebaut.  So  ist  es  wenigstens  auf  der 
Hauptwand,  der  Hinterwand  als  nach  Osten  ge- 
öffneten Gemaches,  d.  h.  der  westlichen  Wand, 
und  auf  der  anstossenden  Nordwand,  noch  zu 
sehen.  Auf  <ler  Südwand  ist  dagegen  nur  die 
unterste  Reihe  und  eine  Figur  der  zweiten  Reihe 
erhalten. 

Zu  Unterst  zieht  sich  um  die  drei  Seiten  des 
Gemaches  ein  Fries  aus  einem  Rankenwerk  von 
Blumen,  zwischen  denen  allerhand  Menschen- 
figuren, Vögel,  Fische  vertheilt  sind.  Die  Aus- 
gangsstelle für  die  Rankon  bilden  Masken  oder 
Köpfe  —  wohl  eine  Art  Regengottmaske  — ,  die 
in  der  Mitte  jeder  Wand  und  auch  dazwischen 
in  angemessenen  Abständen  angebracht  sind,  und 
die  gewissermassen  den  in  der  Erde  wurzelnden 
Stamm  der  Bäume  darstellen  (Abb.  7  —  10). 

Die  sämmtlichen  fünf  Figurenreihen  bestehen 
aus  zwei  langen  Reihen  von  Gestalten,  die  von 
links  und  rechts  auf  einander  zuschreiten  und  in  der  Mitte  der  Hinter- 
wand zusammentreffen.  In  der  untersten  Reihe  ist  es  deutlich,  dass  zwei 
verschiedene  Stämme  dargestellt  sein  sollen.     Denn  die  Figuren  der  linken 


o 


684 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Abb.  7. 

Die  ersten  drei  Figuren  der  linken  Hälfte  der  untersten    fünften)  Reihe  des  Reliefs 
an  der  Hinterwand  des  Saales  E  am  Ballspielplatze  in  Chi  cJi'en  Itza. 


Abb.  S. 

Figuren  der  untersten  (fünften)  Reihe  des  Reliefs  an  der  Südwand  des  Saales  E 
am  Ballspielplatze  von  Chi  ch'eii  Itza. 


li».    Qaetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


685 


Abb.  9. 

Die  ersten  drei  Figuren  der  rechten  Hälfte  der  untersten  (fünften)  Reihe  des  Reliefs  an 
der  Hinterwaud  des  Saales  E  am  Ballspielplatze  vou  Chi  ch'en  Itza. 


Abb.  10. 

Die  vierte  bis  sechste  Figur  der  rechten  Hälfte  der  untersten  (fünften)  Reihe  des  Reliefs 
an  der  Hinterwand  des  Saales  E  am  Ballspielplatze  von  Chi  ch'en  Itza. 


686  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

und  der  rechten  Hälfte  unterscheiden  sich,  wenn  auch  nicht  so  sehr  dunli 
Kleidung  und  Schmuck,  so  doch  in  auffallender  Weise  durch  die  Be- 
waffnung. Die  der  linken  Hälfte  (Abb.  7  und  8)  führen  AVurfspeere  mit 
zackiger  Holzspitze  der  Art.  die  die  Mexikaner  Üatzontectli  nannten,  und 
Wurtbtetter  (atlatl).  die  in  ct?r  Yomt^ow  dem  der  oben  in  Abb.  ö  wieder- 
gegebenen Pfeilerfigur  und' auch  von  denen,  die  mau  bei  den  augen- 
scheinlich,yj»rnel>mereii  Figuren  der  oberen  Reihen  sieht,  abweichen.  \T)ie 
Figuren  der  ftjx-hten  Hälfte  der  untersten  Reihe  dagegen  tragen  Spiesse 
mit^langer  Feuersteijispitze  und  einer  grossen  Federquaste  unterhalb  der 
,^^^'^^lümfüguh'gstelle  der  Steinspitze.  Die  Führer  beider  Gruppen  (vgl.  Abb.  7 
un^  9)  haben  merkwürdiger  Weise  nicht  die  gleichen  Waffen  wie  ihr 
Q^efulge,  sondern  führen  jeder  eine  Schlagwaffe,  in  der  man  das  macquauitl 
d€r  Mexikaner,  die  schwertartige  XVa^ffe,  mit  den  zwei  Schneiden  aus 
eingekitteten  Obsidian-  oder  J^«rtier#teinsplittern,  erkennen  möchte.  Der 
Führer  der  linken  Hälfte  trägt  ausserdem  in  der  anderen  Hand  einen 
Spiess,  von  dem  al^iAzeichen  ein  Fischnetz  herabhängt.  Sein  Kopf  ist 
leider  zerstört.  Aber  es;  ist  offenbar,  dass  das  Gesicht  aus  dem  Rachen 
eines  grossen  Fisclijfc  hervor^ah.  dessen  Leib  hint-er  dem  Leibe  des  Mannes 
bis  auf  den  Boden  hängt.  Auch  unter  den  Figuren  seines  Gefolges  sieht 
man  einige  auffallende  Verkleidungen.  So  schaut  bei  dem  ersten  der  vier 
in  Abb.  8  wiedergegebenen  Figuren  das  Gesicht  aus  dem  offenen  Rachen 
einer  Federschiauge  hervor,  das  des  zweiten  ^is  dem  Rachen  einer 
schwarzgefleckteu  Klapperschlange,  das  des  dritten  aus  einem  Reiher- 
schnabel. Der  Führer  de^rechten  Gruppe  (^^bb.  9)  scheint  durch  eine 
Schädelhelmmaske  mit  aufgesteckten  Papierfähnchen,  dem  bekannten 
Todten-  und  Opferschmuck,  ausgezeichnet  zu  sein  und  hat  auch  auf  seiner 
Schambinde  allerhand  Todessymbole  angegeben.  Von  den  jfem  folgenden 
Figuren  fällt  die  Mehrzahl  durch  ihren  reichen  Federschihuck  auf.  Die 
meisten  scheinen  überdies  Masken  vor  dem  Gesicme  zu  haben.  L'eber 
jeder  Figur,  sowohl  der  linken,  wie  der  rechten  Hälfte,  ist  —  ganz  in  der 
Art  der  mexikanischen  historischen  Malereien"  —  d'er  Xame  der  Person 
durch  eine  Hieroglyphe  angegeben,  und  diese  Hiefoglyphen  sind  nicht 
von  der  bekannten  kalkuliformen  Art  der  Maya-Handschrifteu,  sondern  es 
sind,  wie  in  den  mexikanischen  Handschriften,  einfache  Bilder  von  Ob- 
jekten, —  eine  Kröte,"  eine  Sonnenblume,  ein  Baum,  zwei  Knochen  und  " 
ein  Grasbündel,  eiije  Taube,  eine  Axt.  ein  Haus,  drei  Yogelköpfe  u/^.  w. 
In  der  auf  die  unterste  folgenden  vierten  Reihe  sieht  man  in  der 
Mitte  des  Bildes,  zwischen  den  beiden  auf  einander  zuschreitenden  Reihtjn 
(vgl.  Abb.  11)  eine  merkwürdige  Figur,  an  der  man  eine  Maske  vor  dem 
Gesicht,  eine  grosse  Ohrscheibe,  von  einer  Perlenkette  umwundenes  Haar 
mit  einem  Federschmuck  nach  Art  des  mexikanischen  Kriegerschmucks 
aztcuveUi,  darunter  den  Rumpf  und  die  Beine  und  die  dicht  mit  Fell^reifen 
umwundenen  Arme  erkennt.     Die  Brust  ist  mit  einer  orosseu  G/^scheibe ' 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


687 


geschmückt.  Die  Hüften  mit  einem  Tucli  umwunden,  wie  bei  den  mexi- 
kanischen Götterfiguren,  wo  das  mit  den  Worten  —  .viuhtlalpüli  motzinil- 
piticac  —  beschrieben  wird,  darüber  aber  sieht  man  einen  steifen  Gürtel, 
der  einen  fast  an  die  Gürtel  der  Figuren  der  Reliefs  von  Santa  Lueia 
Cozumalhuaj)a  erinnert.  Die  linke  Hand  soll  augenscheinlich  einen  Schild 
halten.  Die  rechte  Hand  aber  fehlt!  Und  an  dem  Rumpf  und  den  Gliedern 
scheinen  nach  hinten  überall  Flammen  zu  lodern.  —  Eine  Figur,  wie  diese. 


Abb.  11.    Figiu-en  aus  der  Mitte  der  dritten  und  vierten  Reihe  des  Reliefs  an  der 
Hinterwand  des  Saales  E  am  Ballspielplatze  von  Chi  ch'en  Itza. 

ist  nur  zu  verstehen,  entweder  als  ein  Idol,  ähnlich  dem,  das  die  Mexikaner 
am  Feste  Izcalli  dem  Feuergott  aus  einem  Gestell  aus  Reisig  und  Zweigen 
aufbauten  und  mit  der  Maske  und  dem  gesammten  Schmuck  des  Gottes 
behängten,  oder  als  eine,  sozusagen,  Kenotaphfigur,  eine  Figur  eines 
Verstorbenen,  die  in  ähnlicher  Weise  aus  Reisig  und  Zweigen  angefertigt, 
mit  Kleidern,  Maske  und  Schmuck  ausgestattet  wurde,  um  bei  der  Toten- 
erinnerungsfeier sammt  den  Gaben,  die  frommer  Sinn  den  Toten 
spendete,  und  die  als  Geschenke  gedacht  waren,  die  der  Tote  dem  Herrn 


ß88  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

der  Unterwelt  bei  seinem  Eiutreifeu  dort  zu  überreichen  verpflichtet  war, 
verbrannt  zu  werden.  Ich  möchte  mich  für  die  letzte  Auffassung  ent- 
scheiden, ilenu  dafür  scheinen  in  der  Tliat  die  Flammenzungen  zu  sprechen, 
die  man  überall  aus  der  Figur  herausschlagen  sieht.  Diese  Figur,  die  im 
Zentrum  des  Bildes  gerade  in  Augenhöhe  angebracht  ist,  bildet  für  mich 
den  Schlüssel  für  die  Erklärung  dieses  ganzen  Reliefs.  Hinter  ihr  sieht 
man  nämlich  in  zwei  mächtigen  Windungen  und  mit  dem  Kopf  in  die 
darüber  folgende  «Iritte  Figurenreihe  reichend,  eine  grosse  Federschlange. 
Diese  ist,  wie  der  Augenschein  lehrt,  keine  Verkleidung,  keine  Helm- 
maske der  Figur,  neben  der  sie  angebracht  ist,  der  eben  besprochenen, 
sozusagen,  Kenotaphfigur.  Ich  kann  sie  daher  nur  als  ein  Seitenstück 
zu  den  kleineren  Bildern  auffassen,  die  in  der  untersten  fünften,  und 
auch  in  dieser  vierten  Reihe,  neben  oder  über  den'  Figuren  angegeben 
sind  und  offenbar  den  Namen  der  betrefi'enden  Figur  wiedero-eben.  Ich 
meine  also,  dass  dieses  grosse  Bild  der  Federschlange  uns  Quetzalcouatl 
auf  mexikanisch,  oder  Kukidcun  in  der  Maya- Sprache,  als  den  Namen 
der  eben  besprochenen  Kenotaphfigur  angibt,  dass  dieses  ganze 
Relief  eine  Darstellung  der  viel  wiederholten  Erzählung  von  dem  Tode 
Quetzalcouatl' i^  oder  einer  Feier  zur  Erinnerung  dessen,  ist.  Und  ich  glaube, 
dass  auch  die  übrigen  Theile  dieses  Bildes  zu  dieser  Erklärung  stimmen. 
In  den  untersten  fünften  Reihe  hätten  wir  die  beiden  Stämme  darge- 
stellt, die  Fischerbevölkerung  der  Küste  —  sagen  wir  die  Olmeca  oder  die  — 

chah-car  vinak  xqui  canah  chila  relebal  k'ih 

Tapcu  Oliman  qui  hi 

„die  Ballspiel-  und  Fischleute,  die  sie  dort  im  Sonnenaufgang 
zurückliessen, 

Tapcu  Oliman  werden  sie  genannt''  ^)  — 

und  die  durch  die  grossen  Federschmucke  {quetzalapanecayotl')  berühmten 
Tabasco-Leute  oder  das  eigentliche  Volk  Quetzalcouatrs,  die  Mexikaner, 
die  Tolteken,  die   Yaqui  vinak  der  Qu'iche-Sagen. 

In  der  nun  folgenden  vierten  Reihe  sehen  wir  dieselben  oder  andere 
Stämme,  der  oben  beschriebenen  Scheiterhaufenfigur  Quetzalcouatl' %,  vor 
der  aus  Decken  und  Mänteln,  wie  es  scheint,  ein  Sitz  oder  Tisch  auf- 
gebaut ist,  Gaben  bringend  nahen.  Von  rechts  her  kommen  (vgl.  Abb.  II) 
zwei  Figui'en,  die  schwere  Ketten  aus  Perlen  oder  Federwerk  bringen. 
Das  Zeichen  der  Rede  vor  ihrem  Munde  ist  vollständig  als  blühende 
Ranke  gezeichnet.  Eine  blühende,  fein  stylisirte,  schmuckvolle  Rede 
scheint  dadurch  zum  Ausdruck  gebracht  werden  zu  sollen.  Ihnen  folgen 
Kriegerfiguren,  die  mit  Speerbündel  und  einem  Wurfbrett  von  der  ge- 
wöhnlichen Form  der  Chi  cKen  itea-Figuren  bewaffnet  sind,  und  die  auch 
vielfach  schon  als  Mittelstück  des  Halsschmuckes  die  merkwürdige  —  wohl 


1)  Popol  Vuh,  Buch  3,  cap.  9. 


19.  Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


689 


eine  stylisirte  Vogelfigur  darstellende  —  Platte  tragen,  die  wir  ganz  all- 
gemein bei  den  Figuren  der  oberen  Reihen  sehen.  —  Auf  der  linken 
Seite  der  Quetzalcouatl-Figur  sind,  auf  den  Führer  folgend  (der  in  Abb.  11 
noch  angegeben  ist),  andere  Gabenbringer,  die,  wie  es  scheint,  Feder- 
schmucke darbringen. 

Die  dritte  Reihe  darüber  (vgl.  Abb.  11)  enthält  nur  Kriegerfiguren,  die 
in  ähnlicher  Weise,  wie  die  der  vierten  Reihe,  mit  Speerbündel  und 
Wurf  brett  bewaffnet,  aber  mit  reicheren  Federschmucken  ausgestattet  sind. 
Das  sind  wohl  die  hervorragenderen  Krieger,  die  Fürsten  und  die  Könige.  Sie 
bringen  keine  Gaben  dar,  aber  kommen,  sich  verneigend  und  ihre  Waffen 
darbietend,  wie  man  auf  dem  grossen  Quauhxicalli  Königs  Ti^oc,  der  an 
dem  Orte  des  grossen  Tempels  in  Mexico  stand,  die  unterworfenen  Stämme 
ilire  Waffen  darbieten  sieht.  \  Merkwürdig    ist  die  Form,    die  das  Zeichen 


Abb.  12.    Figuren  aus  der  zweiten  Reihe  des  Reliefs  an  der  Hinterwand  des  Saales  am 
Ballspielplatz  in  Chi  ch'en  Itza. 


der  Rede  bei  diesen  Figuren  hat,  das  z.  B.  bei  dem  Führer  der  rechten 
Gruppe  (siehe  Abb.  11)  ganz  in  die  Gestalt  eines  Schlangenrachens  um- 
gewandelt worden  ist. 

Die  beiden  obersten  Reihen  springen  dachartig  über  den  unteren  Theil 
tler  Wand  vor.  Auf  der  rechten  Seite  sieht  man  lange  Reihen  von  Krieger- 
figuren, ähnlich  denen  der  dritten  Reihe  und  in  ähnlicher  Haltung.  Von 
den  Figuren  zur  Linken  ist  in  den  beiden  Reihen  nur  die  erste  Figur 
erhalten.  Die  der  zweiten  Reihe  (Abb.  12)  hat  hinter  sich  die  Figur 
einer  Schlange,  die  au  der  ganzen  Länge  ihres  Leibes  mit  sich  kräuselnden 
Gebilden  besetzt  ist,  die  ebenso,  wie  der  Leib,  eine  schuppige  oder  mosaik- 
artige Zeichnung  aufweisen.  Aielleicht  soll  das  ein  dem  Xiukcouatl,  der 
„Türkisschlange",  der  Mexikaner  entsprechendes  Wesen  sein.  Die  erste 
Figur  der  linken  Seite  der  obersten  Reihe  sitzt  auf  einem  Stuhle,  der  in 
der  Gestalt  eines  Jaguar    oder  Puma    geschnitzt    ist,    und    ist    von    einem 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  44 


690 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entziflferuntr. 


Sounenbilde  umgeben.  Das  Zeichen  der  Rede  hat  hei  ihm  eine  ähnliche 
Schhingenrachengestalt,  wie  bei  dem  Führer  der  rechten  Seite  in  der 
Reihe  III.  Yielleicht  sollen  diese  beiden  Figuren  nicht  Menschen,  sondern 
Götter  darstellen.  Ohne  Zweifel  müssen  wir  sie  den  beiden  Figuren  ident 
ansehen,  die  auf  dem  oben  S.  683  in  Abb.  6  wiedergegebenen  geschnitzten 
Deckbalken  aus  dem  Innern  des  Tempels  der  Jaguare  und  der  Schilde  al>- 
gebildet  sind.  Und  ebenso  werden  wir  die  Pfeilerfigur  Abb.  3  (oben 
S.  680),  die  von  einer  Schlange  ganz  gleicher  Art  begleitet  ist,  der  linken 
Fisrur  der  Abb.  12  2:leiclisetzen  müssen. 

Bezüglich  dieser  höchst  interessanten  Reliefs  möchte  ich  zunächst 
hervorheben,  dass  die  ganze  Zeichnung  und  die  Tracht  und  Ausstattung  der 
Figuren  ebenso  sehr  an  die  mexikanischen  Bilderschriften  und  die  mexika- 
nischen Skulpturen  erinnern,  wie  sie  von  den  Maya-Handschriften,  und  auch 
von  den  Skulpturen  der  südlichen,  dem  Zentrum  der  Mayakultur  angehörigen 


Abb.  13.    Figuren  aus  der  ersten  (obersten)  Eeihe  des  Reliefs  an  der  Hinterwand  des 
Saales  E  am  Ballspielplatz  in  Chi  ch'en  Itza. 


Ruinen-Städte  abweichen.  Dass  das  Kopfband  aus  Türkis-Mosaik  bei  ver- 
schiedenen dieser  Figuren  genau  die  Form  der  mexikanischen  Königskrone 
hat,  habe  ich  schon  hervorgehoben.  Der  Vogel,  der  bei  einigen  an  der  Stirn- 
seite des  Kopf  bandes  zu  sehen  ist,  erscheint  in  mexikanischen  Bilderschriften 
als  eine  Besonderheit  der  Tracht  des  Feuergottes.  Aber  auch  das  tezcacuitla- 
pilH,  die  mit  Türkis-Mosaik  inkrustirte  Scheibe,  die  über  dem  dreieckigen, 
um  die  Hüften  geschlagenen  Tuch,  an  dem  breiten,  den  Leib  umschliessenden 
Gürtel  hinten  befestigt  ist,  ist  ein  acht  mexikanisches  Trachtstück.  Die 
Figuren  der  Maya-Handschriften  zeigen  über  einem  anscheinend  aus  festem 
Material  gearbeiteten  Gürtel  ausnahmslos  eine  hinten  hervorragende  Schleife 
der  Schambinde.  Und  das  Gleiche  sieht  man,  wo  in  den  Skulpturen  der  süd- 
lichen Ruinenstädte  Fig-uren  im  Profil  gezeichnet  sind.  Ornamentale  Stücke, 
Masken  und  dergleichen,  werden  in  diesen  Skulpturen  vorn  am  Gürtel  an- 
gebracht.   Man  muss  in  den  Bilderschriften  der  Codex  Borgia-Gruppe  nach- 


19.   Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  691 

sehen,  um  die  mit  Türkis-Mosaik  inkrustirten  Kreuzspiegel  der  Chi  cKen 
/tea-Skulpturen  wiederzufinden.  In  diesen  Handschriften  sind  sie  aber 
regelmässig  bei  den  Figuren  angegeben.  Und  ebenso  an  Skulpturen  aus 
verschiedenen  Theilen  des  mexikanischen  Gebiets.  Allerdings  meist  nur 
an  solchen,  die  einen  gewissen  archaischen  Charakter  an  sich  tragen.  Von 
den  Mexikanern  der  historischen  Zeit  scheint  dieser  tezcacuitlapiUi  (wört- 
lich: „Spiegelschwanz")  als  ein  besonderes  Stück  göttlicher  —  oder  viel- 
leicht toltekisch-göttlicher  —  Tracht  angesehen  worden  zu  sein.  Denn 
bei  der  viererlei  Kleidung,  die  König  MotemihQoma  dem  als  der  wieder- 
kehrende Quetzalcouatl  betrachteten  Cortes  entgegenschickt,  und  die  aus 
den  Kostümen  Quetzalcouatl'^  (eigentlich  des  Feuergottes),  Tezcatlipoca's, 
Tlalocs  und  des  Windgottes  Quetzalcouatl  bestand,  wird  der  tezcacuitlapiUi 
regelmässig  angegeben  und  im  Text  als  —  iuhquin  xiuhchimalli  tlacciuhtza- 
cutli  xiuhtica  tlatzacutli  tlaxiuhgalolli  „eine  Art  Türkis-Scheibe,  mit  Türkis- 
Mosaik  inkrustirter  Scheibe"  —  bezeichnet  und  in  der  Uebersetzung  mit 
—  „una  medalla  grande  hecha  de  obra  de  mosaico  que  lo  llevaba  y  ceiiida 
sobre  los  lomos"  —  näher  beschrieben. 

Mexikanisch  gekleidete  Krieger,  mit  unverdrückten,  normal  gebildeten 
Köpfen,  haben  wir  auf  diesem  Relief  vor  uns,  die  nach  der  in  den 
mexikanischen  Annalen  üblichen  Art  hieroglyphisch  bezeichnet  sind. 
AVenn  wir  also  in  dem  Zentrum  dieser  Darstellung,  als  die  Figur,  auf  die 
hin  das  ganze  Relief  aufgebaut  ist,  eine  Gestalt  finden,  die  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  als  eine  Kenotaphfigur  Quetzalcouatl- Kukulcan\  zu  er- 
klären ist,  so  verstärkt  das,  meine  ich,  gewiss  die  Gründe,  die  dafür 
sprechen,  dass  der  yukatekische  Kukulcan  nndi  alles,  was  mit  ihm  verknüpft 
ist,  nur  ein  mexikanischer  Import  ist. 

Es  gibt  indes  in  den  Ruinen  von  Chi  cKen  Itza  noch  eine  andere  Dar- 
stellung Quetzalcouatl- Kukulcan\^  der  noch  weniger,  ja  kaum  etwas, 
Hypothetisches  anhaftet,  und  die  ich  nur  deshalb  nicht  an  erster  Stelle 
genannt  habe,  weil  sie  mir  den  Gott  in  einer  besonderen  Rolle,  wie  es 
scheint  als  Herrn  des  Kalenders  und  identisch  mit  dem  Morgenstern,  zur 
Anschauung  zu  bringen  scheint.  Wir  verdanken  die  Kenntniss  dieser 
Figur  den  rastlosen,  mit  Verstand  und  Sachkenntniss  ins  Werk  gesetzten 
Bemühungen  des  Hauptmanns  Teobert  Maler.  Im  Norden  der  hohen 
Tempel-Pyramide  El  Castillo  liegt  ein  Mausoleum,  das  Holmes  auf  seinem 
Plan  als  „Temple  of  the  Coues"  bezeichnet  —  (wegen  gewisser  kegel- 
förmiger Steine,  die  eine  Simsbekrönung  gebildet  zu  haben  scheinen)  — , 
während  Maler  ihm  die  Benennung  Mausoleum  III  gibt.  Es  war,  wie 
Maler  mittheilt,  schon  von  Le  Plongeon  aufgebrochen  worden,  der  hier 
die  grosse  steinerne  Urne  mit  dem  zaz-tun,  der  Krystallkugel,  fand.  Auf 
der  Höhe  der  Plattform  befand  sich  einst  eine  halb  liegende  Figur,  ähn- 
lich der  von  Le  Plongeon  in  einem  anderen  benachbarten  Mausoleum 
gefundenen    und    mit    dem   Namen  Chac-mol  getauften  Figur,  die  jetzt  im 


692 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Museo  Nacional  iu  JMexico  aufbewahrt  wird.  Diese  ist  aber  schon  seit 
langem  von  den  Spaniern  gesprengt  und  herabgeworfen  worden.  Ihre  Stücke 
liegen  zerstreut  am  Fusse  des  Grabmals.  Wichtiger  und  interessanter  als 
diese  Figur  aber  sind  vier  flach-erhabene  Bildwerke,  von  denen  ich  in 
Abb.  14:  eins  wiedergegeben  habe.  Diese  befanden  sich  in  der  Mitte  der 
vier  Aussenflächen,  rechts  und  links  eingefasst  von  Skulpturstücken,  die 
unzweifelhaft  gewisse  Zeitperioden  darstellen,  unter  sich  aber  ganz  gleich- 
artig sind,  und  von  denen  die  Abb.  15  eines  zur  Anschauung  bringt. 

Das  flach-erhabene  Bildwerk  Abb.  14  zeigt  uns  ein  Menschengesicht, 
das  mit  einer  stufenförmig  sich  verjüngenden  Naseuplatte  geschmückt  jist 
—  ähnlich    der,    die  in  den  Bilderschriften  der  Codex  Borgia-Gruppe  die 


Abb.  14.     Quetzalcoiiatl-Kukuh-aii,  Relief  am  Mausoleum  III  in  Chi  ch'eti  Itza. 
(Nach  Photographie  von  Teobert  Maler.) 


Göttin  XocJiiquetzal  trägt  — ,  und  dieses  Menscheugesicht  schaut  aus  dem 
geöffneten  Rachen  einer  Schlange  hervor,  die  als  solche  durch  die  sich 
gabelnde  Zunge  und  die  durch  gekreuzte  Striche  markirten  Flecken  ge- 
kennzeichnet ist.  Die  Schlange  selbst  ist  mit  Armen  versehen,  die  in 
Jaguartatzen  enden.\  Und  auf  der  Mittellinie  der  Nase,  über  den  Augen- 
brauen und  in  der  ganzen  Länge  der  Schultern  und  Oberarme  erheben 
sich  mächtige  Quetzalfederbüschel.  Dass  dieses  Bildwerk  die  Feder- 
schlange, den  Quetzalcouatl  oder  Kukulcan  darstellen  soll,  unterliegt  wohl 
keinem  Zweifel.  Teobert  Maler  nennt  es  Quetzalcouatl-Chacmol  —  an- 
gemessener würde  man  vielleicht  Kukulcan-Chacmol  zusammensetzen  — 
wegen  der  in  Jaguartatzen  endenden  Arme.  Denn  chac  sei  „roth  oder 
gelb",  mool  „Tatze"-  oder  „Fährte".  Es  scheint  mir  aber  etwas  gefährlich 
und    auch    unnütz,    den    Namen    Chac-mol,    der   ja    —    allerdings  in   ganz 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


693 


willkürlicher,  absolut  unberechtigter  Weise  —  von  Le  Plongeon  den 
halb  liegenden  Figuren  beigelegt  worden  ist,  nun  in  ganz  anderer  Weise 
zu  verwenden.  Ich  meine,  es  genügt,  ■  Quetzalcouatl  oder  Kukulcan  zu 
sagen,  vielleicht  mit  dem  Zusatz  „als  Federschlange".  Diese  Bildwerke 
haben  ihre  Parallele  in  den  im  Hochlande  von  Mexico  zahlreich  auf- 
gefundenen Skulpturen,  die  uns  eine  in  der  Regel  aufgerollte  Feder- 
schlange vor  Augen  führen,  aus  deren  geöffnetem  Rachen  ein  Menschen- 
gesicht hervorsieht.  Es  dürfte  bekannt  sein,  dass  dieses  Menschengesicht 
nicht  selten  —  wie  z.  B.  bei  dem  ausgezeichneten  Stück  des  Trocadero- 
Museums  —  mit  den  Schmuckstücken  (Ohrgehängen)  geschmückt  ist,  die 
für  den  Grott  Quetzalcouatl  kennzeichnend  sind.  Gegenüber  den  Bildern, 
die  uns  den  Gott  in  menschlicher  Gestalt  zeigen,  stellen  diese  Skulpturen, 
—  und  so  auch  unsere  Abb.  14  — 
den  Gott  in  seiner  Verkleidung  dar. 
Oder  vielleicht  geben  sie  auch  nur 
gewissermassen  die  Hieroglyphe, 
den  Xamen  des  Gottes,  anstatt  ihn 
selbst  in  Person  uns  vor  Augen  zu 
stellen. 

Ich  sagte  oben,  dass  die  Bild- 
werke Abb.  14  den  Gott  in  der  be- 
sonderen Rolle  als  Kalendergott, 
als  identisch  mit  dem  Morgenstern, 
darzustellen  scheinen.  Das  kann 
man  aus  der  Vergesellschaftung  mit 
den  chronologischen  Bildwerken  Ab- 
bildung 15  erschliessen.  Diese 
letzteren  sind  von  hohem  Interesse. 
Ich  habe  leider  nicht  feststellen 
können,  wie  viele  dergleichen  Steine 
vohl  an  dem  Mausoleum  vorhanden  gewesen  sind.  Jeder  einzelne  Stein  zeigt 
in  der  einen  Hälfte,  die  wohl  ursprünglich  die  rechte  Seite  bildete,  ein 
Element,  das  in  lapidarem  Stil  das  Zeichen  wiedergibt,  das  in  den  Bilder- 
schriften der  Gruppe  der  Wiener  Handschrift  und  auch  im  Codex  Borgia 
zur  Bezeichnung  eines  Jahres  verwendet  wird  (Abb.  IG).  In  der  Form  der 
Bilderschriften  sieht  man  deutlich,  dass  es  aus  einem  Ring  und  einem 
Strahle  besteht,  die  in  einander  verschlungen  sind.  Es  ist  also  gewisser- 
massen eine  Abbreviatur  des  Sonnenbildes,  dessen  beide  wesentliche 
Elemente  es  enthält. \  Es  bezeichnet  einen  Sonnenlauf.  Unter  diesem  Symbol 
des  Jahres  sieht  man  in  Abb.  15  eine  Schleife  und  dann  etwas  wie  eine 
Anzahl  Halme,  die  an  zwei  Stellen  zusammengenommen  oder  zusammen- 
gebunden sind.  Das  Ganze  kann  wohl  zweifellos  als  Ausdruck  des  xiuh- 
molpiäi,    des  Jahresbündels,    angesehen    werden,    von  dem  ich  in  Abb.  17 


Abb.  1.5.    Periode  von  8  x  52  Jahren. 
Relief  am   Mausoleum  III    in    Chlchenitza. 
(Nach  Photographie  von  Teobert  Maler.) 


694  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

eine  der  kursiveren,  in  späteren  Bilderschriften  üblichen  Formen  wieder- 
gegeben habe,  und  das,  wie  allgemein  bekannt,  den  Zeitraum  von  52  Jahren, 
das  aus  der  Tonalatfiatl-lRechniin'^  sich  ergebende  Saeculum  der  Mexikaner, 
bezeichnete.  Die  ganze  rechte  Hälfte  des  chronologischen  Steines  Abb.  15 
würde  daher  acht  solche  Saecula,  oder  einen  Zeitraum  von  8  X  52  Jahren 
zur  Anschauung  bringen. 

Auf  der  linken  Seite  ist  der  Stein  Abb.  15  leider  nicht  vollständig. 
Und  ich  habe  auch  unter  den  verschiedenen  Aufnahmen,  die  der  Haupt- 
mann Maler  von  den  "Werkstücken  dieses  Mausoleums  gemacht  hat,  keinen 
vollständigen  gesehen.  Immerhin,  glaube  ich,  kann  man  erkennen,  uass 
hier  auf  der  linken  Seite,  in  lapidarem  Stil,  die  Hieroglyphe  des  Planeten 
Yenus  wiedergegeben  werden  sollte,  die  Förstemann  zuerst  in  der 
Dresdener  Handschrift  aufgefunden  hat,  und  von  der  ich  in  Abb.  18  einige 
Formen  zur  Anschauung  bringe. 

"Was  hat  nun  dieses  Nebeneinander  der  Hieroglyphe  des  Planeten 
Yenus  und  des  Zeitraums  von  8  X  52  Jahren    auf  den  Steinen  Abb.  15  zu 


Abb.  16.  Abb.  17.  xiuhmolpiUi  s.  toxiuhmolpia 

cc  xiuitl  ^ein  Jahr"*.  „Jahresbündel"  oder  „unsere  Jahre 

Bilderhandschrift   der  werden   gebunden"   =  Periode   von 

K.  K.  Hof  bibliothek  52  Jahren.     (Historia  mexicana. 

in  Wien.  Manuskript   der  Sammlung  Au  bin - 

Goupil.) 

bedeuten?  Es  besagt,  dass  dieser  Zeitraum  auch  mit  Beziehung  auf  die 
Yenus  seine  besondere  Bedeutung  hat,  dass  er  gewissermassen  eine  grosse 
Yenusperiode,  eine  Yenus -Aera  darstellt.  Es  ist  nämlich  dieser  Zeitraum 
von  8  X  52  Jahren  genau  gleich  260  Yenusumläufen ,  deren  einzelner 
bekanntlich  nahezu  genau  mit  584  Tagen  anzusetzen  ist.  \  Diese  grosse 
Periode  enthält  also  die  beiden  Hauptperioden,  die  neben  der  Jahrzählung 
und  unabhängig  von  dieser  und  unabhängig  von  einander  bestanden,  das 
Tonalamatl  und  die  Yenusperiode,  vereinigt.  Das  ist  ihre  Bedeutung  und 
das  ist  jedenfalls  der  Grrund,  weswegen  wir  diese  Steine  hier  aufgestellt 
finden  zu  den  Seiten  der  Bilder  Quetzalcouatl-Kukulcans,  des  Gottes,  der 
nach  seinem  Tode  sich  in  den  Morgenstern  verwandelt  haben  soll,  des 
alten  Priesters,  dem  die  Erfindung  des  Kalenders,  der  Wahrsagekunst,  der 
Zauberei  und  jeglicher  priesterlicher  Wissenschaft  zugeschrieben  wurde. 
Noch  ein  drittes  ausgezeichnetes  Bild  Quetzalcouatl-Kukulcan  ^  wird 
man,  vielleicht,  au  den  Gebäuden  von  Chi  cKen  Itza  finden.  Das  ist  die 
Figur,    die    sich    über    dem    an   der  Ostseite   gelegenen  Eingang  des  nach 


19.    Quctzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


695 


Osteu  vorgeschobeneu  Flügels  der  Casa  de  Moujas  —  von  Maler  als 
„Inschriften-Tempel"  bezeichnet  —  findet.  Ich  wage  aber  nicht,  darüber 
eine  bestimmtere  Meinung  zu  äussern,  da  die  Bilder  dieser  Figur  auf  den 
Photographien,  die  mir  bisher  zu  Gesicht  kamen,  zu  kleip  sind.  Ein  Um- 
stand lässt  mich  aber  muthmassen,  dass  auch  diese  Figur  den  mexikanisch- 
toltekischen  Gott  Quetzalcouatl  -  Kukulcan  darstellt.  Und  das  ist,  dass 
unter  ihr  ein  schmales  Band  sich  findet,  von  dem  Maudslay  eine  genauere 
Abbildung  gegeben  hat  (vgl.  Abb.  19),  auf  dem  die  Hieroglyphe  der  Yenus 


•mn'mL 


Abb.  18.    Hieroglyphe  des  Planeten  Venus  nach  der  Dresdener  Handschrift  und  von  dem 

Altar  R  in  Copan. 


GSiEi'-i 


Abb.  19.     Schmales  Eeliefband  über  dem  Thüreingang  des  Ostflügels  der  Casa  de  Monjas 
in  Chi  ch'en  Itza.    (Nach  Maudslay.) 

wiederholt,  und  zwar  in  einer  solchen  Weise  dargestellt  ist,  dass  man  zu 
der  Yermuthung  gedrängt  wird,  es  sollten  hier  ihre  Konjunktionen  mit 
anderen  Sternen  zur  Anschauung  gebracht  werden.  Was  für  Sterne  das 
sind,  darüber  erlaube  ich  mir  allerdings  vor  der  Hand  noch  keine  Muth- 
massung. 

Die  Thatsache  aber,  dass  hier  auf  diesem  Boden,  wo  mexikanische 
Stämme  thätig  waren,  wo  sie  die  Gebilde  ihrer  mythischen  Phantasie  und 
die  Gestalten  ihrer  Krieger,  in  Wehr  und  Waffen  und  in  vollem  Putz,  an 
den    skulpirten    Steinwänden    uns    hinterlassen    haben,    das    Gestirn    des 


696 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Abb.  20. 


Planeten  Venus  und  seine  Perioden  in  hervorragender  Weise  dargestellt 
worden  sind,  ist  ein  Beweis,  dass  diese  alten  mexikanischen  Stämme  die 
volle  Kenntniss  dieser  astronomischen  Verhältnisse  besassen,  wie  sie  die 
Maya- Völker,  die  die  grossen,  im  Süden  der  Halbinsel  Yucatan  gelegenen 
Städte  erbauten,  zweifellos  auch  besessen  haben.  Fragt  man  aber,  auf 
wen  etwa  die  Legung  der  Grundlinien  dieser  Wissenschaft  zurückzuführen 
sei,  so  fällt,  meiner  Meinung  nach,  doch  sehr  ins  Gewicht,  dass  nach  all- 
gemeiner Tradition  Quetzalcouatl  als  der  Erfinder  des  Kalenders  bezeichnet 
wird,  dass  er  gleichzeitig  von  der  Tradition  zu  dem  Morgenstern  in  direkte 
und  persönliche  Beziehung  gebracht  wird,  dass  aber  Quetzalcouatl  zwar 
überall  in  mexikanischen  Landen  bekannt  ist,  im  Gebiet  der  Maya-\ölker 

aber  nur  da,  wo  die  Mexikaner  ihren  Fuss  hin- 
gesetzt haben,  oder  wo  die  Mexikaner  unmittel- 
bare Nachbarn  waren. 

Die  alte  Tradition,  dass  Kukulcan  in  Chi  cKen 
Itza  einst  geherrscht  habe,  und  dass  er  dort  in 
den  Tempeln  noch  zu  sehen  sei,  hat  also  eine 
Musterung  der  Baulichkeiten  und  der  in  ihnen 
noch  erhaltenen  Skulpturen  voll  bestätigt.'  Gleich- 
zeitig hat  sich  aber  auch  ergeben,  dass  diese 
Skulpturen  und  diese  Bildwerke  auf  das  deut- 
lichste das  Gepräge  mexikanischer  Kunstübung 
tragen,  —  freilich  einer  älteren  und  eigenartig 
entwickelten  Schicht  dieses  grossen  Volks- 
stammes angehörend,  einer  Zeit,  in  der  noch 
nicht  die  besondere  Form  der  Gesichtsmaske  des 
Idols  von  Cholula  in  der  Kunstübung  und  der 
Hieroglyphik  zu  allgemeiner  Annahme  gelangt 
war.  Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  ob  wir  nun- 
mehr annehmen  müssen,  dass  Kukulcan  auf  diese 
Orte,  auf  die  Stützpunkte  der  mexikanischen  In- 
Aus  dem  Bericht  des  P.  Hernandez  wissen  wir, 
dass  in  den  Maya  sprechenden  Ländern  das  gewöhnliche  Volk  nur  die  Götter 
Itzamna^  Bacab,  Ekchuah,  Lvchebelyad-,  Ixchel  kannte  und  nichts  von 
Kukulcan  und  seinen  Genossen  wusste.  Dagegen  sagt  uns  der  Bischof 
Landa.  dass,  bis  zu  dem  Eindringen  des  Christenthums,  in  dem  Gebiet 
der  alten  Festung  Mayapan,  in  Mani,  die  Fürsten  und  die  Priester  und 
zahlreiches  Volk  im  November  dem  Gotte  Kukulcan  ein  Fest  feierten. 
Und  der  P.  Hernandez  stellt  dem  gewöhnlichen  Volk  die  Fürsten 
gegenüber,  d.  h,  also  die  in  priesterlicher  W^issenschaft  unterrichteten, 
gebildeten,  oberen  Schichten,  die  „in  all  diesen  Dingen  Bescheid  wissen". 
In  der  Litteratur,  in  den  von  den  Gebildeten  verstandenen  Bilder- 
schriften   und    ihren  monumentalen  Aequivalenten  werden  wir   also   auch 


Abb.  21.     Kakiil  can.  ('0 
Dresdener  Handschrift  4  a. 

vasiou,  beschränkt  war. 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcaii  in  Yucatan. 


697 


in  dem  eigentlichen  Maya- Gebiet  der  Figur  Kukulcari's  zu  begegnen  er- 
warten dürfen. 

Der  P.  Hernandez  berichtet  uns,  dass  Kukulcan  der  erste  in  einer 
Reihe  von  20  Gottheiten  gewesen  sei,  die  er  alle  mit  Namen  zu  nennen 
wusste.  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  Las  Casas  sich  nicht  die  Mühe 
gegeben  hat,    die    krausen  Schriftzüge    dieses  Priesters   zu  entziffern,  und 


Abb.  22.     Der  junge  Gott,    Dresdener  Handschrift  4c,  Ga,  7  c,  IIa,  12b. 


Abb.  23.    Dresdener  Abb.  24.     Der  Gott  mit  dem  chicchan-¥\&ck. 

Handschrift  12c.        Dresdener  Handschrift  Tb,  21c;  Codex  Tro  9*b;  Dresdener 

Handschrift  69:  Codex  Tro  12. 


diese  Namen,  die  für  uns  von  höchstem  Interesse  wären,  uns  verschwiegen 
hat.  Zweifellos  aber  dürfen  wir  annehmen,  dass  diese  20  Gottheiten  die 
Titular-Gottheiten  des  Kalenders  waren.  Ob  die  Eeihen  von  Titular- 
Gottheiten  des  Kalenders,  wie  wir  sie  in  den  mexikanischen  Bilderschriften, 
insbesondere  den  Büchern  der  Codex-Borgia-Gruppe,  antreffen,  überhaupt 


698  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entziffernng. 

in  den  Maya-Handscliriften  vorhanden  sind,  ist  eine  noch  offene  Fraye. 
Aber  Reihen  von  '20  Gottheiten  oder  mythischen  Personen  sind  in  der 
Dresdener  Handschrift  an  zvrei  Stelleu  vorhanden.  In  der  obersten  Reihe 
der  Blätter  4 — 10  sind  20  Gottheiten  in  ganzer  Figur  und  mit  Haupt- 
uud  drei  Xeben-Hierogh'])hen  dargestellt,  während  die  Hieroglyphen- 
Gruppe  Abb.  20  als  Leit-Hieroglyphe,  die  ohne  Zweifel  die  Bedeutung 
der  ganzen  Reihe  zum  Ausdruck  bringt,  bei  jeder  der  20  Figuren  sich 
wiederholt.  Eine  zweite  Reihe  von  20  Gottheiten  oder  mythischen 
Personen  ist  auf  den  Blättern  46—50,  auf  der  linken  Hälfte  der  Blätter 
in  der  vierten  und  achten  Hieroglyphen-Reihe,  durch  ihre  Hieroglyphen 
dargestellt.  Vielleicht  sieben  davon  stimmen  mit  Figuren  der  zuerst  ge- 
nannten Reihe  überein.  Die  anderen  sind  neu.  Doch  ist  nicht  aus- 
geschlossen, dass  wir  unter  ihnen  vielleicht  weniger  Gottheiten  oder 
mythische  Personen,  als  Sternbilder  zu  erkennen  haben. 

Was  die  Leit-Hieroglyphen-Gruppe  Abb.  20  bedeutet,  ist  noch  nicht 
mit  Sicherheit  festgestellt.  Die  erste  Hieroglyphe  enthält  den  Kopf  des 
Blitzthieres  (des  Hundes?)  und  das  Element  des  Steins  und  als  drittes  ein 
Element,  das  vielleicht  einen  Flügel  oder  einen  Vogel  darstellt,  alle  drei 
verbunden  mit  einem  vierten  Element,  dass  als  die  aufgelöste  Form  einer 
der  Hieroglyphen  für  „Mann"  zu  erklären  ist  (vgl.  oben  S.  405  u.  415),  und 
das  vielleicht  mit  ah-,  dem  Praefixe  männlicher  Personen,  zu  übersetzen  ist. 
Die  zweite  Hieroglyphe  enthält  die  beiden  Elemente  manik,  die  vermuthlich 
als  Darbringung  zu  deuten  sind  (vgl.  oben  S.  471,  472).  Ebensowenig 
vermag  ich  jetzt  schon  eine  bestimmte  Meinung  darüber  zu  äussern, 
ob  die  Reihe  der  20  Gottheiten  auf  den  Blättern  4 — 10  der  Dresdener 
Handschrift  die  Kalender- Gottheiten  darstellen  soll  oder  nicht.  Die 
Tonalamatl-Ahschnitte,  die  bei  den  einzelnen  Figuren  angegeben  sind, 
zeigen  unregelmässig  wechselnde  Distanzen.  Aber  merkwürdig  ist  es 
doch,  dass,  die  erste  Figur  in  dieser  Reihe  von  20  Gottheiten  (Abb.  21) 
einen  langschwänzigen,  quetzalartigen  Vogel  auf  dem  Rücken  (als  Devise? 
oder  als  Helmmaske?)  trägt  und  in  der  Hand  eine  Schlange  hält,  also 
gewissermassen  die  beiden  Elemente  des  Namens  Quetzalcouatl  oder 
Kukulcan  in  seiner  Person  veranschaulicht,  und  dass  diese  Figur'"—  die 
einzige  in  der  Dresdener  Handschrift  —  ein  Halsband  von  Schnecken- 
gehäusen, den  Schmuck  Quetzalcouatl'^^  trägt,  und  dass  die  einzigen  Ent- 
sprechungen dieser  Figur,  die  ich,  und  zwar  aus  dem  Codex  Tro,  gleich 
nachweisen  werde,  ebenfalls  das  Halsband  von  Schneckengehäusen  haben. 

Schellhas  hat  diese  Figur  in  seiner  Liste  unter  dem  Buchstaben  H 
und  der  Bezeichnung  „Schlangengott"  mit  zwei  ganz  anderen  Figuren 
zusammengeworfen,  mit  dem  jungen  Gott  Abb.  22  und  mit  der  ganz  ab- 
weichenden Gestalt  Abb.  24.  Die  Götter  Abb.  21  und  22  ähneln  sich  ja 
allerdings  in  der  Haupt-Hieroglyphe.  Aber  Gesichtsbildung,  Gesichts- 
bemalung  und  Tracht  sind  ganz  abweichend,  und  die  Begleit-Hieroglyphen 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  6 

sind  durcliaus  anders.  Scliellhas  betrachtet  die  lialbkreisförmige,  orna- 
raentirte  und  umsäumte  Scheibe,  die  zum  Theil  an  der  Schläfe  der 
Figuren  und  ausnahmslos  an  der  Schläfe  der  Haupt-Hieroglyphe  zu  sehen 
ist,  als  Schlangenzeichnung,  indem  er  sie  mit  einem  ähnlich  gestalteten 
Fleck  in  der  Hieroglyphe  chicchan  (das  ist  das  dem  Tageszeichen  couatl 
^Schlange"  entsprechende  Tageszeichen)  vergleicht.  Zunächst  möchte  ich 
bemerken,  dass  diese  Zeichnung  keine  „Schlangenschuppe"  ist,  wie 
Schellhas  sie  immer  nennt,  sondern  ein  dunkler  Hautfleck.  Das  lehrt 
ein  Blick  auf  das  dem  Codex  Cortes  12b  entnommene  Stück  Schlangeu- 
leib  (Abb.  24,  an  der  rechten  Seite),  das  ich  übrigens  schon  bei  meiner  Er- 
läuterung des  Zeichens  chicchan^)  zum  Vergleich  daneben  gezeichnet  habe. 
Die  halbkreisförmige  Zeichnung  auf  der  Schläfe  in  unseren  Abb.  21  und  22 
unterscheidet  sich  aber  von  dem  chicckan-Fleck  durch  zwei  sehr  wesentliche 
Merkmale.  Der  ckicchan-Fleek  ist  auf  seiner  Fläche  mit  sich  kreuzenden 
Strichen  ausgefüllt.  Wo  diese  fehlen,  ist  die  gekreuzte  Strichzeichnung, 
wie  das  z.  B.  bei  der  Netzmantel-Zeichnung  fast  allgemein  geschah,  mit 
rother  Tinte  gemacht  gewesen  und  ist  ausgeblasst.  Der  Schläfenfleck  der 
Abb.  21  und  22  zeigt  auf  seiner  Fläche  —  ausnahmslos  in  sämmtlichen 
Hieroglyphen  —  eine  dreitheilige  Ornamentation,  die  vielleicht  eine  Nase 
und  zwei  Augen  andeuten  soll.  Der  chicchan-Fleck  ist  ferner  mit  einzelnen 
schwarzen  Flecken  umsäumt,  ähnlich  den  schwarzen  Flecken  in  der 
Hieroglyphe  oc.  Der  Schläfenfleck  der  Abb.  21  und  22  ist  von  dicht 
aneinanderstossenden  unkolorirten  Kreisen  oder  Doppelkreisen  umsäumt, 
die  möglicherweise  Federn  zum  Ausdruck  bringen  sollen.  Der  ächte 
chicchan-Fleck  ist  in  der  Hieroglyphe  der  Person  Abb.  24  zu  sehen.  Sie 
mag  man,  wenn  man  will,  als  Schlangengott  deuten.  Die  Abb.  21  und  22 
haben  mit  einer  Schlange  als  wesentlichem  hieroglyphischem  Merkmal 
nichts  zu  thun,  wenn  auch  Abb.  21  eine  Schlange  in  der  Hand  hält. 

Wie  ich  diese  Schlange  erkläre,  habe  ich  schon  oben  angegeben. 
Der  Schläfenfleck  der  Abb.  21  und  22  ist  vermuthlich  ein  wirklicher 
Schläfenfleck,  eine  Schläfenzeichnung,  die  ich  am  liebsten  mit  dem  rothen 
Fleck  vergleichen  möchte,  der  genau  an  der  gleichen  Stelle  und  in 
gleicher  Gestalt  in  den  Bildern  der  mexikanischen  Priester  zu  sehen  ist. 
In  der  That  finden  wir  die  Haupt-Hieroglyphe  des  jungen  Gottes  an  einer 
Stelle  (Abb.  22a)  von  der  Hieroglyphe  kin  „Sonne,  Tag,  Fest"  begleitet,  und 
zwar  genau  von  der  Form,  wie  sie  auf  Blatt  61  und  69  der  Dresdener  Hand- 
schrift für  kin  „Tag"  steht.  Ah  -  ki7i  aber  heisst  in  der  Mayasprache  der 
Priester.  Bedeutet  aber  der  Kopf  mit  dem  Schläfenfleck  nichts  anderes 
als  „Priester",  so  versteht  man,  dass  er  als  Haupt-Hieroglyphe  zwei  ganz 
verschiedenen  göttlichen  Gestalten  dienen  konnte.  Dass  diese  zwei  Ge- 
stalten verschieden   sind,    lehrt  der  Augenschein.      Abb.  21    ist    ein    alter 


/ 


1)  „Die  Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-H  and  Schriften"  (oben  S.  468). 


700 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Oott  und  hat  eine  eigentliümliche  Zeichnung  um  den  äusseren  Augen- 
winkel. Abb.  22  ist  ein  junger  Gott,  mit  glattem  Gesicht,  der  in  Ge- 
sichtsschnitt und  Tracht  dem  Gott  mit  dem  ^an-Zeichen  nahe  verwandt 
ist.  Dass  Abb.  21  und  22  verschieden  sind,  lehren  aber  vor  allem  auch 
die  Begleit-Hieroglyphen.  Die  erste  der  beiden  Hieroglyphen,  die  die 
Haupt-Hieroglyphe  in  Abb.  21  begleiten,  hat  einige  Varianten,  die  ich  in 
Abb.  25  wiedergegeben  habe.  Sie  kommt  (Form  c)  Dresden  7  a  als  Be- 
gleiterin der  Haupt-Hieroglyphe  des  Hundes  vor;  (Form  b)  Dresden  8a 
beim  Jaguar;  (Form  b)  Dresden  9a  beim  alten  Gott;  (Form  b)  Dresden  5a 
bei  dem  Gotte,    dessen  Gesicht    im  Umkreis    durch   die  Windungen    einer 


Abb.  25. 


|Abb.  2(i. 


Abb.  27. 


Abb.  28.  Kakulcan.Cö  Codex  Tro  22. 


Abb.  29.  Kitkitl can.CO  Codex Tro  31  b. 


Schlange  gebildet  ist,  und  dessen  Züge  in  der  Hieroglyphe  der  Nord- 
richtung zu  erkennen  sind;  (Form  d)  Dresden  11c  beim  Regengott; 
(Form  d)  Dresden  14  b,  c  bei  dem  schwarzen  Gotte,  der  der  ersten  der 
fünf  Yenusperioden  präsidirt  (vgl.  Abb.  64- — 67,  oben  S.  661),  der  wahr- 
-scheinlich  ein  Feuergott  ist,  und  auf  den  ich  den  Xamen  Ekchuah  be- 
ziehen möchte;  (Form  d)  Dresden  16b  bei  dem  durch  das  grosse  Auge  im 
schwarzen  Felde  hieroglyphisch  gekennzeichneten  zweiten  schwarzen 
■Gotte;  (Form  d)  Dresden  22b  bei  dem  Gotte  mit  dem  Äaw-Zeichen. 
Niemals  aber  bei  dem  jungen  Gotte,  den  ich  in  Abb.  22  wieder- 
gegeben habe,  der  vielmehr  auch  in  den  Begleit-Hieroglyphen  dem  Gotte 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  701 

mit  dem  kan-Zeicheu  ähnelt.  Noch  deutlicher  ist  die  letzte  Hieroglyphe  der 
Abb.  21.  Ich  habe  sie  seinerzeit  als  Abbild  des  Käuzchens  gedeutet.  Jeden- 
falls findet  sie  sich  ausschliesslich  bei  Gottheiten  des  Todes,  oder  solchen,  die 
mit  Todessymbolen  ausgestattet  sind,  oder  solchen,  die,  wie  der  Vogel  Moan, 
eine  dunkle  nächtige  Gottheit  darzustellen  scheinen.  Diese  Hieroglyphe  ist 
dem  ganzen  Komplex  der  Begleit-Hieroglyphen  des  jungen  Gottes  Abb.  22  ab- 
solut fremd.  Es  ist  daher  zweifellos,  dass  wir  die  beiden  Gottheiten  Abb.  21 
und  22  auseinanderzuhalten  haben.  Und  selbstverständlich  auch  die  Abb.  24. 
Denn  hier  ist,  wie  ich  oben  nachgewiesen  habe,  auch  die  Hieroglyphe  eine 
ganz  andere,  indem  die  Haupt-Hieroglyphe  des  Gottes  Abb.  24  die  echte 
chicchan-Zeichnung  trägt.  Dagegen  möchte  ich  die  Abb.  23  zu  der  Gottheit 
Abb.  22  ziehen.  Hier  ist  aber  der  Priester  mit  der  Maske  einer  anderen 
Gottheit  ausgestattet.     Er  trägt  als  oberste  Maske  die  des  Regengottes. 

Beiläufig  möchte  ich  bemerken,  dass  ich  kaum  glaube,  dass  Förste- 
mann  auf  einem  richtigen  Wege  ist,  wenn  er  (Globus  71,  S.  78,  79)  auch 
den  oben  beschriebenen  Begleit-Hieroglyphen  chronologische  Werthe  bei- 
legt. Yon  den  Variauten  unserer  Abb.  25  sieht  er  a,  b  und  c,  d  als  ge- 
sonderte Hieroglyphen  an,  während  er  mit  a,  b  die  augenscheinlich  doch 
wohl  ganz  anders  konstruirten  Hieroglyphen  Abb.  26  und  27  konfundirt. 
Unsere  Abb.  25  a,  b  setzt  er  auf  Grund  einer  wirklich  halsbrechenden 
Konstruktion  dem  Anfang  und  Ende  der  Regenzeit  gleich,  Abb.  25  c,  d, 
Abb.  26  und  27  einem  Zeitraum  von  13  Tagen. 

Ich  kehre  zu  unserer  Abb.  21  zurück.  In  der  Dresdener  Handschrift 
kommt  dieser  Gott  nur  an  dieser  einen  Stelle,  an  der  Spitze  der  Reihe 
der  20  Gottheiten,  vor.  Aber  in  dem  Codex  Tro  ist  er  noch  an  ein  paar 
Stellen  dargestellt.  Auf  Blatt  22  bei  den  kan-Jahven  (vgl.  Abb.  28). 
Diese  Jahre  werden  in  der  Regel  der  Himmelsrichtung  Osten  zugeschrieben. 
Im  Text  ist  aber  auf  diesem  Blatt  die  Hieroglyphe  nohol  „Süden"  an- 
gegeben. Das  stimmt  zu  der  Angabe  Landa's,  der  die  kan-Jnhve  und 
ihren  Bacab  der  Himmelsrichtung  des  Südens  zuweist.  Ich  habe  in  einer 
früheren  Abhandlung  (vgl.  oben  S.  384,  385)  darauf  hingewiesen,  dass  iu 
der  oberen  Hälfte  dieser  Blätter  immer  die  Zärimonien  dargestellt  sind, 
die  in  den  letzten  Tagen  des  vorhergehenden  Jahres  im  Hinblick  auf  das 
neue  Jahr  vorgenommen  wurden,  und  dass  deshalb  die  in  der  oberen 
Hälfte  dieser  Blätter  abgebildete  Gottheit  vermuthlich  immer  den  Bacab 
des  vorhergehenden,  hier  also  des  cawac-Jahres ,  das  dem  Süden  gehört, 
vorführen  soll.  Die  Handlung,  in  der  dieser  Gott  hier  dargestellt  ist 
—  man  möchte  „an  einen  Tropfen  auf  die  Erde  schütten"  denken  — 
ist  auch  in  den  drei  anderen  Arten  von  Jahren  bei  der  diese  Jahre 
repräsentirenden  Gottheit  zum  Ausdruck  gebracht.  Die  andere  Stelle, 
wo  ich  den  Gott  Abb.  21  wiedererkenne,  ist  Codex  Tro  31,  30  a,  b. 
Der  Gott  ist  dort,  in  derselben  Aktion,  bei  den  vier  Himmelsrichtungen 
dargestellt  (vgl.  Abb.  29),  während  in  der  fünften  HimmelsrichtuDg  dieser 


70"2  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Oott   durch  den  Regengott  ersetzt  ist.     Die  Identität  der  Abb.  '2S  und  '29 
mit    der    Abb.  21    ergibt    sich    1.  aus    dem  Vogel    auf  dem  Rücken  (der 
bei    den    Figuren    des    Codex  Tro  freilich   nur  noch  in  Resten  vorhanden 
ist);    '2.  durch   den   Kopfschmuck,    in   dem  sowohl  in  der  Figur  der  Dres- 
dener Handschrift  (Abb.  "21).    wie    in  denen  des  Codex  Tro  (Abb.  '2S)  ein 
grosser  Edelstein,    von  zwei  Quasten  eingefasst,  deutlich  ist;    3.  durch  die 
Zeichnung  um  den  äusseren  Augenwinkel  und  4.  durch  das  Halsband  von 
Schneckengehäusen,    das    in  der  That   bei  den  Personen  der  Maya-Hand- 
schriften  sonst  nicht  gesehen  wird,  und  ausser  bei  unserem  Gotte  Abb.  21 
und  28,  29  nur  noch  bei  dem  schwarzen  Bacab  vorkommt,  der  in  der  oberen 
Hälfte  des  Blattes  23  des  Codex  Tro  bei  den  cawac-Jahren  abgebildet  ist. 
Gegenüber  dem  vielfach  ausgesprochenen  Raisonnement,  dass  der  von 
den  Maya  mit  dem  Namen  Kukidcan  bezeichnete  Gott  iu  den  Maya-Hand- 
schriften  häufig  sein  müsse,    bin    ich  umgekehrt  der  31einung,    dass  er  iu 
ihnen  nur  sporadisch  vorkommen  wird.     Denn  die  Federschlange  und  den 
Gott  der  mit  ihrem  Xamen  bezeichnet  wurde,   halte  ich  im  Wesentlichen 
für  eine  mythische  Konzeption  der  mexikanisch-toltekischen  Stämme.    Yon 
ihnen,    glaube    ich,    ist    erst    diese    Gestalt    iu    die    Quiche-Mythen    über- 
gegangen.    In  Tollan,    in  Tla^rcala.    in  dem   jüngst  ausgegrabenen  qnauh- 
xicalU  der  Hauptstadt  Mexico  und  in  Chi  dien  Itza  kann  man,  oft  in  über- 
raschender Weise  übereinstimmend  im  Stil,  die  Federschlange  ornamental 
verwendet    und    in    selbständigen    Bildwerken    dargestellt  finden.     In  dem 
jetzt  von  den  Maya  bewohnten  Gebiet  ist  die  Federschlange  im  Uebrigen 
selten.      In    Copan    gibt    es    ein    Paar    Skulpturen,    in    denen    man    die 
Federschlange    erkennt.     Sonst    nur    noch    an    Orten    wie    L\v7nal,    die  in 
unmittelbarer  Nachbarschaft  von  Chi  cKen  Itza  und  Mayapan  gelegen  und  im 
Stil  ihrer  Bauwerke  denen  der  letzteren  Orte  nahe  verwandt  sind.     Unter 
den  angeblichen  Typen  der  Federschlange,    die  Maudslay  in  dem  ersten 
Bande  seines  grossen  Werkes  auf  der  Tafel  23  vereinigt,  sind  nur  die  den 
Bildwerken  von  Chi  dien  Itza  entnommenen  echte  Federschlangen.  \  Alle 
anderen    fallen    unter    den  Typus    der    im  Codex  Tro-Cortes  dargestellten 
Schlangen,  zeigen  die  cÄiccAan-Flecken  (vgl.  Abb.  20  e)  und  zeigen  nur  am 
Kopf-  und  Schwanzende  ornamentale  Auflösungen,    die  aber  mit  Quetzal- 
federn nichts  zu  thun  haben.    Das  gilt  auch  für  die  Cedrelaholz-Platte  von 
Tikal.    Die  Quetzalfedern,  die  dort  auf  der  oberen  Wölbung  der  Schlange 
zu    sehen    sind,    gehören    dem  Kopfschmuck    des  Kriegers    an.     Ich    habe 
diesen  Sachverhalt    schon    längst  und  wiederholt  hervorgehoben.     Aber  je 
unbegründeter  eine  Behauptung  ist.    ein    um    so   zäheres  Leben  pflegt  sie 
zu  haben.     Das  wird  wohl  auch  für  den  sogenannten  „Hauptgott  der  Maya 
£ukulcan^  seine  Geltung  haben. 

Zum  Schluss  sei  es  mir  gestattet,  noch  einmal  auf  das  Fest  zurück- 
zukommen, das  die  Yukateken  in  dem  letzten  Viertel  des  Uiual  Xul  dem 
Gotte  Kukulcan  in  Mani  feierten.     Das  Fest  bestand,  wie  oben  näher  be- 


19.    Quetzalcouatl-Kukulcan  in  Yucatan.  703 

schrieben  ist,  in  einem  Wachen  im  Tempel  unter  Darbringung  von  Räucher- 
werk und  ungewürzten  Fastenspeisen  vor  den  Idolen  und  den  Fetischen, 
die  man  auf  dem  Tempelhofe  auf  einem  Bette  von  Laub  ausgebreitet  hatte. 
Es  war  also  im  Wesentlichen  ein  Fest  der  Vorbereitung.  Am  Schluss 
dieser  fünf  Tage  kam  nach  allgemeinem  Glauben  Kukulcon  vom  Himmel 
herab.  Erwägt  man,  dass  Xul  s.  v.  w.  „Ende"  bedeutet,  dass  der  darauf 
folgende  Uinal  den  Namen  Yax  kin  trägt,  was  mit  „die  erste  Sonne",  „der 
erste  Tag",  oder  auch  wohl  „das  erste  Fest",  übersetzt  werden  muss,  und 
dass  auch  die  Kalender  der  Tzeltal,  wie  ich  in  der  folgenden  besonderen 
Abhandlung  mich  zu  erweisen  bemühen  werde,  einen  „Monat"  Yax  quin 
kennen,  auf  den,  als  den  Beginn  einer  neuen  Periode,  die  Bezeichnungen 
der  ihm  vorhergehenden  Zeitabschnitte  deuten,  so  wird  man  zu  dem 
Schlüsse  gedrängt,  dass  das  oben  beschriebene  Fest  in  Mani  die  aus 
irgend  einer  vorgeschichtlichen  Periode  stehengebliebene  Jahresabschluss- 
feier war,  in  den  letzten  fünf  Tagen,  nach  Ablauf  der  18  X  20  Tage,  vor 
Beginn  des  neuen  Jahres,  gefeiert. 

Unter  den  verschiedenen  Jahresfesten  der  Maya,  die  Landa  uns  be- 
schreibt, gibt  es  noch  eins,  an  welchem  ähnliche  Zärimonien,  wie  am 
Ausgang  Xul^  vor  dem  Beginn  von  Yax  kin,  vorgenommen  wurden.  Das 
ist  das  Fest  Fax,  vor  dessen  Beginn,  wie  Landa  uns  erzählt,  man  eben- 
falls fünf  Tage  wachte,  genau  in  der  Art,  —  das  hebt  Landa  ausdrücklich 
hervor,  —  wie  in  den  letzten  fünf  Tagen  des  Uinal  Xul.  Aber  man 
wachte  vor  dem  Fest  Fax  nicht  im  Tempel  Kukulcan'%,  sondern  in  dem 
•des  Gottes  Cit  chac  coli,  des  „Idols  des  rothen  Löwen",  eines  Gottes,  der 
mit  dem  Ek  halam  chac,  dem  „schwarzen  Jaguar",  und  anderen  Göttern  in 
den  fünf  Tagen  vor  den  den  cawac-Jahren,  gefeiert  wurde. 

Das  Fest  Fax  ist  von  dem  Feste  Yax  kin  genau  um  9  X  20  Tage 
oder  ein  halbes  Jahr  entfernt.  Die  fünf  ihm  vorhergehenden  Tage  würden 
nach  der  vom  Bischof  Landa  gegebenen  Konkordanz  auf  den  7.  — 11.  Mai 
alten  Stils  fallen.  Dass  ihnen  in  ähnlicher  Weise  eine  chronologische  Be- 
•deutung  zukomme,  wie  den  fünf  dem  Feste  Yax  kin  voraufgehenden  Tagen, 
ist  wohl  zweifellos. 

Es  scheint  demnach,  dass  wir  zwei  Jahresanfänge  anzunehmen  haben, 
von  denen  einer  in  das  Ende  der  trockenen,  der  andere  in  das  Ende  der 
nassen  Jahreszeit  fiele.  In  dem  einen  kam  der  Quetzalcouatl-Kukulcan 
vom  Himmel  herab.  Und  in  dem  anderen  wird,  so  werden  wir  an- 
nehmen müssen,  der  Cit  chac  coli  der  Yukateken  herabgestiegen  sein.  Es 
wird  bei  den  verschiedenen  Stämmen  verschieden  gewesen  sein,  welcher 
von  diesen  beiden  Anfängen  als  für  das  ganze  Jahr  bezeichnend  an- 
gesehen wurde,  und  welcher  nur  für  das  halbe  Jahr  Gültigkeit  haben 
sollte.  Dass  man  in  der  That  mit  zwei  „ersten  Festen"  im  Jahre  rechnete, 
darauf  deutet  der  Name,  mit  dem  in  den  Büchern  des  Chilam  Balam  das 
von    Landa    Yax  kin    g-enannte    Fest    bezeichnet    wird.     Die  Bücher    des 


704:  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 

Chilam  BuUuii  ueniien  es  nämlich  regelmässig  Tze  yax  kin  „das  kleine 
erste  Fest**,  ^'ii  niuss  also  daneben  ein  Noh  yax  kin^  ein  ^grosses  erstes 
Fest"  gegeben  hf\ben,  und  das  wird  wohl  das  Fest  Paa;  gewesen  sein. 
Ohne  Zweifel  aber  gehörte  diese  Fixirimg  des  Jahresanfangs  in  Yucatan 
einer  vorgeschichtlichen-.  Epoche  an.  Denn  wenn  auch  die  Zärimonien, 
die  im  Ya.i-  kin  begonnen  wurden  und  in  den  nächsten  Abschnitten  sich 
fortsetzten,  in  der  That  noch  deutlich  erkennen  lassen,  dass  man  in  diesem 
Vinal  eine  neue  Periode  begann,  —  die  Yukateken  Hessen  im  Ya.v  kin 
alle  Gebrauchsgegenstände,  das  AVerkzeug  der  Handwerker,  die  Spindeln 
der  Weiber,  die  Pfosten  der  Häuser,  mit  blauer  Farbe  salben,  also  zu 
neuem  Gebrauche  weihen;  sie  schnitzten  im  Mol  ihre  neuen  Götterbilder, 
renovirten  im  Ch'e7i  den  Tempel  und  das  Tempelgeräth,  versöhnten  im 
Zac  die  Götter  wegen  des  vergossenen  Blutes  der  erlegten  Jagdthiere  und 
feierten  dann  im  Mac  die  grosse  Feuer-Zärimonie,  tup-kak,  wobei,  ganz 
wie  bei  dem  grossen  Feste  der  Tlaxkalteken  und  bei  dem  Feste  des 
Gottes  der  Tlatelolca,  allerhand  Gethier  ins  Feuer  geopfert  wurde  — :  so 
war  doch  der  offizielle  Anfang  des  Jahres  in  Yucatan  der,  vor  welchem 
die  fünf  .i-'ma  kaba  kin,  die  fünf  überschüssigen  Tage,  angesetzt  wurden, 
in  der  historischen  Zeit  das  Fest  Pop,  das  von  dem  Feste  Paa;  um  60, 
von  dem  Feste  Ya.v  kin  um  120  Tage  entfernt  war.  Dagegen  hat  sich 
mir  auf  Grund  von  anderen  Untersuchungen  ergeben,  dass  der  Anfang  des 
andern  Halbjahrs,  der  12.  Mai  alten  Stils,  der  gleichzeitig  für  die  Breite 
von  Yucatan  die  besondere  Bedeutung  hat,  dass  an  ihm  die  Sonne  auf  ihrer 
nordwärts  gerichteten  Bewegung  zum  ersten  Mal  den  Zenith  erreicht,  das 
eigentliche  Neujahrsfest  der  mexikanischen  Stämme  war.^)  Damit  stimmt 
eine  Notiz  des  Petrus  Martyr,  auf  die  Förstemanu')  aufmerksam  ge- 
macht hat,  dass  die  Mexikaner  von  Tabasco  und  an  der  Küste  von  Yera  Cruz 


IJ  -Die  jifht^^ii  Ja'iresfeste  der  Mexikaner".  Yeröffentlichuiigen  aus  dem 
Ivö'nigl.  Museum  für  Völkerkunde  Bd.  VI  (Berlin  1899)  S.  24,  166,  167. 

2)  Globus,  Bd.  65,  p.  246.  Doch  irrte  sich  Förstemann,  wenn  er  auch  den 
Tzeltal  einen  Jahresanfang  im  Mai  zuschrieb.  Die  diesbezügliche  Angabe  in 
Brinton's  „Native  Calendar*  beruht  darauf,  dass  Brinton  die  spanischen  Worte 
für  „Weihnachten"  und  „Ostern"  verwechselte.  Ferner  ist  Förstemann  im  Irr- 
thum,  wenn  er  annimmt,  dass  an  der  betreffenden  Stelle  des  Petrus  Martyr 
wirkliche  Mondmonate  erwähnt  seien.  Petrus  Martyr  sagt  unmittelbar  darauf: 
—  mensem  autem  a  luna  nominant  tona  .  .  .  .  eorum  idiomate  sol  Tonaticiis  dicitur. 
Tonaiicus  ist  das  mexikanische  Wort  tonatiuh  „Sonne".  Und  tona  ist  augenschein- 
lich von  dem  mexikanischen  tonal-amatl  abgeleitet  und  bezeichnet  einen  der  Ab- 
schnitte des  tonalamati,  aber  nicht  den  Monat!  Der  Mond  und  der  Monat  heisst 
im  Mexikanischen  metztU.  Und  so  berichtet  denn  Petrus  Martyr  auch  gleich 
darauf:  —  sed  nulla  ratione  moti,  annum  distribuunt  in  viginti  menses,  menses 
autem  etiam  diebus  viginti  concludunt,  d.  h.  die  angeblichen  Mondmonate  sind 
Monate  von  20  Tagen,  von  denen  etwas  über  18  —  Petrus  Martyr  sagt  un- 
genau 2()  —  auf  ein  Jahr  gehn. 


19.    Quetzal couatl-Kukulcan  in  Yucatan. 


705 


das  Jahr  —  ab  occasu  eliaco  Yergiliarum  „wenn  die  Sonne  im  Gestirn 
der  Plejaden  iintergelit'^,  (das  war  im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  der 
21.  April  alten  Stils)  begonnen  hätten.  Und  auffallend  ist  es,  worauf 
Förstemann  ebenfalls  schon  aufmerksam  gemacht  hat,  dass  die  Hiero- 
glyphe, die  auf  den  Denkmalen  von  Palenque  und  Copan  den  Zeitraum 
von  360  Tagen,  d.  h.  ein  Jahr,  bezeichnet  (Abb.  30),  mit  der  Hieroplyphe 
des  Festes  Pa,v  (Abb.  31),  —  das,  nach  der  Angabe  des  Petrus  Martyr 
mit  dem  ersten  Jahresfest  der  Mexikaner  von  Tabasco  zusammenfallen 
müsste,  —  auf  das  engste  verwandt  ist. 


k 


Abb.  30. 


Abb.  31. 


Somit  begegnen  wir  auch  hier  wieder,  und  sogar  in  der  Hieroglyphik       } 
der    Denkmale    der    grossen    Maya- Städte,    den  Spuren    der^ten    mexi-      1" 


^iten    m 
ffetfr-Wi 


der- 


kanischen  Stämme  der  atlantischen  Küste.     Quetzalcouatl  und  i 
spiel  Tezcatlipoca,  die  in  den  mexikanischen  Kulten  unTWreu  mexikanischen 
Sagen  j^eine    so    hervorragende  Stellung    einnehmen,    sie    erscheinen    auch  ^ 
bedeutsam    als    die  Vertreter    der    beiden  Hälften  d^s  Jahres.     Während;^ 
bei    den  mexikanischen  Stämmen   der   atlantischen  Küste,    wie  es  scheint, 
die  Quetzalcouatl- Tezcatlipoca -Perioden    sich    zur  Zeit  der  Conquista  noch-' 
in  voller  Geltung    befanden,    waren   sie   in  Yucatan  nur    ein    Ueberlebsel 
einer  vorgeschichtlichen  Zeit. 


*^ 


Sbler,  Gesammelte  Abhandlungen  I. 


4ö 


70(j  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


20. 

Der  Festkalender  der  Tzeltal  und  der  Maya 
Von  Yucatan. 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XXX.     1S9S.     S.  410—416. 


Xeben  den  Hieroglyphen  der  Tageszeichen  sind  die  der  Uinal.  oder 
Zeiträume  von  "20  Tagen,  bezw.  der  in  ihuen  gefeierten  Feste  so  ziemlich 
die  einzigen  Maya-Hieroglyphen.  die  in  ihrer  Form  und  ihrem  Lautwerth 
bisher  sicher  erkannt  worden  sind.  Es  ist  das  bekannte  Werk  des  Bischofs 
Landa:  ..Relacion  de  las  Cosas  de  Yucatan"  vom  Jahre  1566.  in  dem, 
neben  den  Xamen  und  Zeichen  der  Tage,  auch  die  der  18  Uinal.  der 
sogenannten  Monate  oder  Jahresfeste  der  Yukateken.  gegeben  sind.  In 
den  Handschriften  sind  sie  zuerst  von  Förstemann  in  der  Dresdener 
Handschrift  nachgewiesen  worden.  Und  seither  sind  sie  auch  auf  den 
Denkmalen  vielfach  wieder  erkannt  worden. 

Während  demnach  über  die  Form  dieser  Hieroglyphen  und  ihren 
Lautwerth  kaum  noch  Zweifel  bestehen,  ist  doch  die  Bedeutung  der  Zeichen 
noch  keineswegs  klar.  Und  das  hängt  zum  Theil  damit  zusammen,  dass 
auch  die  Bedeutung  der  Namen  dieser  18  Jahresfeste  durchaus  noch  nicht 
sicher  erkannt  worden  ist.  Angesichts  der  Thatsache.  dass  das  veröffent- 
lichte Material  für  die  Sprache  von  Yucatan  sehr  dürftig  ist,  die  Sprache 
wenig  gepflegt  ist.  und  noch  keine  authentische  Uebersetzung  alter  Texte 
vorliegt, \  muss  man  sich  nach  Hülfsmitteln  umsehen,  wo  immer  nur  wir 
solche  zu  finden  erwarten  dürfen.  3Ian  hat  deshalb  schon  lange  versucht, 
die  benachbarten  Dialekte,  insbesondere  das  nahe  verwandte  Tzeltal  heran- 
zuziehen. 

Auch  die  Tzeltal  kannten  und  benannten  die  18  Zeiträume  von 
20  Tagen,  nebst  den  überschüssigen  fünf  Tagen.  •  Und  sollen  wir  ein- 
heimischen Schriftstellern  glauben,  so  wären  diese  Benennungen  noch  heute 
im  Gebrauch.  Während  aber  die  Tagesnamen  der  Tzeltal  vielfach  sich 
sehr  eng  verwandt  mit  denen  der  Maya  von  Yucatan  erweisen,  lässt  sich 
das  Gleiche  nicht  von  den  Xamen  der  sogenannten  Monate  sagen.  Listen 
der  Tzeltal-Namen  der  18  Monatsfeste  sind  in  einer  im  Jahre  1845  von 
Emeteri-o    Fineda     veröffentlichten     geographischen    Beschreibung    von 


20.    Der  Festkalender  der  Tzeltal  und  der  Maya  von  Yucatan. 


707 


Chiapas  und  Soconusco  uud  in  der  im  Jahre  1888  erschienenen  Tzeltal- 
Orammatik  des  Lic.  Yicente  Pineda  mitgetheilt  worden.  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  sind  beide,  wie  vermuthlich  auch  die  genannte 
Orammatik  selbst,  Abschriften  eines  älteren  Manuskripts  entnommen./ Die 
von  Emeterio  Pineda  veröffentlichte  Liste  ist,  mit  den  Bemerkungen  des 
Autors,  in  dem  zweiten  Bande  von  Orozco  y  Berra's  Historia  Antigua 
y  de  la  Conquista  in  Mexico  abgedruckt  worden.  Die  Liste  Yicente 
Pineda"s  unterscheidet  sich,  abgesehen  von  den  anderen  Namen,  die  er 
gibt,  namentlich  dadurch,  dass  zwei  der  Feste  an  eine  andere  Stelle 
gesetzt  worden  sind.  Ich  habe  Gründe,  in  dieser  Beziehung  die  Reihen- 
folge Emeterio  Pineda's  für  zuverlässiger  zu  halten,  und  führe  in  dein 
Folgenden  die  beiden  Listen  neben .  einander  und  in  der  Anordnung 
Emeterio  Pineda's  auf. 

Die    Abweichungen    der    zweiten    Liste    sind    durch    die    beigesetzten 
Ziffern  kenntlich. 


A.   Liste  D.  Emeterio  Pineda's. 

1 .  tzun 

2.  hatziä 

3.  sis-sac  (verbessert  für  sisac) 
A.  muctasac 

5.  vioc 

6.  olalti 

7.  ulol 

8.  oquin  ajual 

y.  uch  (verbessert  für  veh) 

10.  eluch  (?)  (verbessert  für  elecK) 

1 1 .  nichcum 

12.  sbal  vinquil  (verbessert  für 
sbancinquil) 

13.  xchibal  vinquil 

14.  yoxibal  vinquil 

15.  xchanibal  vinquil 

16.  'pom  (verbessert  für  poin) 

17.  mux 

18.  yaa-quin 


B.   Liste  D.  Yicente  Pineda's. 


9. 
10. 
11. 
12. 


tzun  „siembra'' 
batzul  „primeros  bledos" 
saquil  ja  „agua  clara" 
ajel  chac  „abundancia  de  pulgas" 
mac  „tapa,  cerca.  tapar,  cercar" 
olalti  „boca  de  nino" 
/w/or„llegö  la  criatura" 
oquen  ajab  „llorö  el  cerro  grande" 
yal-uch  „hijo  del  tlacuatzin'^ 
mucucJi  ^tlacuatzin  grande*^ 
juc  vinquil   „setimo   nacimiento" 
wac  vinquil   ,,sexto   nacimiento" 


13.  jo    vinquil    „quinto    nacimiento'^ 

14.  chan  vinquil  „cuarto  nacimiento" 

15.  o.r   vinquil    „tercer    nacimiento'' 

18.  pom  „incienso'' 

16.  mux  „ablandamiento  general  de 
la  tierra  por  la  excesiva  lluvia'^ 

17.  yax-quin  „fiesta  hümeda" 

19.  chay-quin   „se   perdio  la  fiesta* 


Die  Orthographie  der  zweiten  Liste  habe  ich  der  der  ersten  an- 
gepasst  und  auch  die  von  Yicente  Pineda  angegebenen  Uebersetzungen 
hinzugefügt,  die  allerdings,  wie  wir  sehen  werden,  in  der  ^lehrzahl  sehr 
zweifelhaft  sind. 

45* 


708  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Emeterio  P  ine  da  bemerkt  zu  dem  5.  Fest  {moc  oder  viac):  „Das 
ist  der  Monat,  in  dem  man  die  Zäune  in  Ordnung  bringen  muss." 

Zu  dem  6.  Fest  (plalti):  „In  diesem  Monat  müssen  die  Saaten  bestellt 
werden,  wie  auch  immer  die  atmosphärischen  Verhältnisse  beschafifen 
sein  mögen;  so  dass,  wenn  die  Aussaat  durch  Kegenmangel  oder  wegen 
zu  vielen  Regens  zu  Grunde  geht,  sie  in  keinem  anderen  Monat  noch 
einmal  gemacht  wird,  auch  wenn  Temperatur  und  Bewässerung  es  er- 
lauben." 

Zu  dem  9.  Fest  (uch):  —  „In  diesem  Monat  werden  die  Pflanzen  von 
Krankheiten  befallen,  insbesondere  von  einem  Insekt  wie  ein  grosser  Floh, 
der  sie  zum  Absterben  bringt  und  vernichtet." 

Zu  dem  10.  Fest  (eluch):  —  ^,In  diesem  Monat  kommen  die  heilsamen 
Winde.  Aber  wenn  sie  nicht  günstig  sind,  so  ist  das  Zugrundegehen  bei 
vielen  Pflanzen  sicher.  Insbesondere  bei  der  Kartoffel,  die  nicht  mehr 
zur  Blüthe  kommt  und  keine  Ernte  gibt." 

Zu  dem  11.  Fest  (nichcum):  —  „bezeichnet  die  Blüthe." 
Zu  dem  12.  Fest  {sbal  vinquil):  —   „bezeichnet  die  Befruchtung." 
Zu    dem    13.  bis  15.  Fest  {d-chibal    vinquil,    yoxibal    vinquil,    xchanibal 
vinquil^:  —  „Die  drei  Zeiten  der  Ausbildung  des  Getreidekorns, " der  Perl- 
zustand, der  milchige  und  der  mehlige  Zustand." 

Zu  dem  16.  Fest  {pom):  —  „In  diesem  Monat  muss  mau  die  Bienen- 
stöcke ausschneiden  und  die  Ernte  einheimsen." 

Zu  dem  17.  Fest  (mux):  —  „Bezeichnet  den  nahenden  Frost." 
Zu  dem  18.  Fest  {yawquiii):  —  „Ist  die  Weihnachtszeit." 
In  seinem  Native  Calendar  hat  Brinton  die  Liste  Emeterio  Pineda"s 
ebenfalls  angeführt  und  die  Xamen  zu  erklären  versucht.  Er  hat  aber  die 
Fehler  in  9,  10,  12  und  16  nicht  erkannt  und  auch  für  verschiedene  der 
anderen  Namen  offenbar  falsche  Etymologien  gegeben,  (z.  B.  in  '8,  wo 
ajual,  das  gewöhnliche  Tzeltal-Wort  für  „Herr",  von  ihm  mit  dem  Quiche- 
Wort  auan  „Pflanzung"  in  Zusammenhang  gebracht  wird).  Der  ärgste 
Schnitzer  aber  ist,  dass  er  bei  18  (yaxqtiin)  das  „el  tiempo  de  Pascua" 
des  mexikanischen  Autors  mit  „Ostern"  übersetzt  und  den  Schluss  macht, 
dass  das  Tzeltal-Jahr  „ungefähr  am  1.  April"  begonnen  habe.  Schon  dass 
das  vorhergehende  Fest  17  (mux)  nach  Emeterio  Pineda  den  „nahenden 
Frost"  bezeichnen  soll,  hätte  ihn  stutzig  machen  sollen.  Aber  auch  der 
Vergleich  mit  dem  yaa;  kin  der  Maya  hätte  ihn  lehren  können,  dass  der 
Monat  Dezember  gemeint  ist.  „Pascua"  bezeichnet  im  Spanischen  jedes 
grössere  Fest:  Weihnachten,  die  heiligen  drei  Könige,  Ostern  und  Pfingsten. 
Pascua  im  engeren  Sinne  aber  ist  Weilmachten.  Wenn  man  Ostern  meint, 
pflegt  man  Pascua  de  flores  zu  sagen,  oder  in  der  gebildeten  geistlichen 
Sprache  Pascua  de  Resurreccion. 

Vergleicht  man  nun  die  obigeu  Tzeltal-Listen  mit  der  Liste  der 
Jahresfeste,  die  uns  der  Bischof  Landa  für  Yucatan  nennt,  so  ergibt  sich 


20.   Der  Festkalender  der  Tzeltal  und  der  Maya  von  Yucatan.  709 

«ine  merkwürdige  Thatsache.  Zählt  man  —  natürlicli  unter  Beiseite- 
lassung der  chay  quin,  der  „ausfallenden,  verlorengehenden  Tage'%  d.  h. 
der  fünf  am  Schluss  der  18  X  20  eingefügten  überschüssigen  Tage,  —  von 
t/aa;  quin,  dem  i/ax  kin  der  Maya,  d.  h.  wie  ich  in  der  vorigen  Abhandlung 
dargethan  habe,  dem  „ersten  Jahresfest",  weiter,  so  entspricht  dem  dritten 
darauf  folgenden  Maya-Feste  ya.c  das  zweite  darauf  folgende  Tzeltal-Fest 
batzul,  das  von  Alicen te  Pineda  als  „das  erste  Grün"  erklärt  wird;  dem 
vierten  darauf  folgenden  Maya-Feste  zac  „weiss,  hell"^  das  dritte  darauf 
folgende  Txeltal-Fest  sissac  oder  saquil  ja  „klares  Wasser";  dem  sechsten 
darauf  folgenden  Maya-Feste  7nac  das  fünfte  darauf  folgende  Tzeltal-Fest 
moc  oder  mac,  d.  h.  es  würde  in  diesem  Theil  der  Liste  eine  Ueberein- 
stimmung  des  Maya-  und  des  Tzeltal-Kalenders  hergestellt  werden  können, 
wenn  man  annähme,  dass  das  Fest  Nr.  7  der  Tzeltal-Listen  ulol  oder  julol 
eigentlich  an  den  Anfang  gehört,  unmittelbar  auf  yaxquin  folgend,  dem 
mol  des  Maya-Festkaleuders  entsprecliend.  Eine  sprachliche  Verwandt- 
schaft zwischen  diesen  beiden  Namen  seheint  ja  vorzuliegen,  wenn  nicht 
geradezu  ulol  aus  mol,  oder  dieses  aus  jenem,  durch  Abschreibefehler  ent- 
standen ist. 

In  dem  folgenden  Theile  der  Liste  zeigen  die  Maya-  und  die  Tzeltal- 
Feste  durchgängig  verschiedene  Namen.  Aber  bei  dem  sechszehnten  auf 
yaxhin  folgenden  Feste,  dem  pom  der  Tzeltal,  dem  zeec  der  Maya,  ist  in- 
sofern eine  Uebereiustimmung  festzustellen,  als  der  Berichterstatter  über 
den  Tzeltal-Kalender  bei  diesem  ^,Monat"  angibt,  dass  man  in  ihm  die 
Bienenstöcke  ausschneiden  und  die  Ernte  einheimsen  soll,  während  bei 
den  Maya,  wie  Lau  da  berichtet,  am  Feste  zeec  die  Bienenzüchter  den 
Bacah,  insbesondere  dem  Hobnil,  eine  Art  Erntefest  feierten  und  den  vier 
Chac  auf  Schüsseln  Kugeln  von  Weihrauch  (pom)  darbrachten. 

Was  nun  im  Einzelnen  die  Namen  der  Tzeltal-Feste  angeht,  so  kann 
ich,  bei  der  Unsicherheit  der  überlieferten  Formen  und  der  Spärlichkeit 
des  für  die  Maya-Sprachen  von  Chiapas  vorliegenden  Materials,  es  natürlich 
nicht  unternehmen,  eine  vollständige  Etymologie  von  ihnen  zu  geben. 
Solche  wissenschaftlich  ziemlich  fragwürdigen  Leistungen  überlasse  ich 
gern  Andern.  Nur  auf  Einzelnes  will  ich  eingehen,  was  gesichert  er- 
scheint, und  was  für  eine  bestimmte,  hier  zu  erörternde  Frage  von 
Wichtigkeit  ist. 

Der  erste  Name  in  Emeterio  Pineda's  Liste,  tzun,  wird  von  Yicente 
Pineda  mit  „Saat"  übersetzt,  was  das  AYort  im  Tzeltal  auch  thatsäehlich 
heisst.  Brinton  bringt  es,  und  das  scheint  mir  richtiger  zu  sein,  mit 
dem  Maya-Worte  chu7i  in  Verbindung,  das  „Wurzelstock,  Fundament, 
Grund,  Anfang,  Ursache"^  bedeutet.  Das  Fest  entspricht  dem  Maya-Feste 
Clien,  das  nach  Lau  da  in  den  Anfang  des  Januars  fiel.  Auch  das  Tzeltal- 
Fest  werden  wir,  wenn  yaxquin  in  den  Dezember,  in  die  Zeit  vor  Weih- 
nachten   fiel,    in  den  IMonat  Januar  zu  setzen  haben.     Und  es  scheint  das 


710  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

auch  der  Grund  zu  sein,  dass  man  diesen  Festkalender  mit  tzun  beginnen 
liess.  Denn  diese  in  eliristlicher  Zeit  niedergeschriebenen  Listen  sind 
wahrscheinlich  ursprünglich  dem  christlichen  Kalender  parallelisirt  gewesen. 

Das  zweite  Fest,  batzuL  wird  von  Yicente  Pineda  mit  -primeros 
bledos"  übersetzt,  was  man  vielleicht  mit  .«das  erste  Grün"  verdeutschen 
kann.  Dann  würde  dieser  Xame  im  Sinne  dem  Xanien  des  entsprechenden 
Maya-Festes,  yax,  entsprechen.  Ich  habe  indes  doch  ein  gewisses  Be- 
denken, diese  Erklärung  ohne  Weiteres  anzunehmen.  Das  Material  der 
Vocabulare  gibt  keine  recht  befriedigende  Uebersetzung  an  die  Hand. 
Wir  finden  im  Maya  batzil  mit  der  Bedeutung  _für  sich  allein".  Im 
Tzeltal  batzil  mit  der  Bedeutung  „gerade,  richtig,  zur  rechten  Hand^: 
batzil  cob  .korrekte  Sprache",  batzil  tzeub  ,,echte  Jungfrau'^:  batzil  cab  oder 
uayil'cab  >die  rechte  Hand,  der  Norden"'.  Brinton  zieht  es  vor,  den 
Xamen  batzul  von  bat  abzuleiten,  was  „die  Tzeltal-  und  Maya-Bezeichnung 
für  Korn,  Samen  u.  s.  w.-  sei.  Ich  fürchte,  hier  hat  Brinton  wieder  seine 
mangelhafte  Kenntniss  des  Spanischen  einen  Streich  gespielt.  Das  Tzeltal 
bat,  das  Zo'tzil  bot,  das  Maya  bat,  batil  ist  in  den  Wörterbüchern  mit 
^granizo"  übersetzt,  das  heisst  aber  nicht  ,.Kom'",  sondern  _HageP! 

Die  Xamen  für  das  dritte  Fest  sis-sac  und  saquil  ja  entsprechen 
augenscheinlich  dem  Maya-Feste  zac  „weiss''.  Sis-sac  heisst  -der  kleine 
Weisse"^),  und  das  vierte  Fest  muc  ta  sac  _der  grosse  Weisse"*.  Das  s/ 
dritte  und  vierte  Fest  der  Tzeltal-Listen  verhalten  sich  also  zu  einander, 
wie  die  mexikanischen  Feste  togoztontli  und  ueitofoztli,  tecuilhuiiontli  und 
uei  tecuilhuitl.  Ueber  den  Xamen  ajel  chac,  den  die  Liste  Yicente 
Pinedas  für  muc  ta  sac  gibt,  erlaube  ich  mir  keiue  Mutmassung. 

Die  an  fünfter  Stelle  stehenden  Xamen  jjioc  und  mac  —  das  erste  ist 
Zo'tzil-,  das  zweite  Tzeltal-Aussprache  —  entsprechen  genau  dem  in  der 
vukatekischen  Liste  folgenden  Feste  mac.  Im  Tzeltal  bedeutet  mac 
„Deckel"  oder  -Zaun".  Und  Emeterio  Pineda  gibt  daher  bei  diesem 
-Monat"  an,  dass  man  in  ihm  die  Zäune  in  Ordnimg  bringen  müsste. 

Bei  den  folgenden  Xamen  liegt  keine  klare  Beziehung  mehr  zu  den 
Maya-Festen  vor.  Ich  kann  mich  daher  kurz  fassen.  Der  achte  Xame 
ist  in  den  beiden  Listen  etwas  variirt  und  lässt  verscliiedene  Deutungen 
zu.     Der  Abschnitt  entspricht  dem  Maya-Feste  Moan. 

Bei  dem  neunten  und  zehnten  Feste  müssen  wir  yal-uch  und  muc-uck 
der  Liste  Yicente  Pinedas  wieder  mit  _der  kleine"  und  ^der  grosse" 
uch  übersetzen.  Die  von  Emeterio  Pineda  überlieferten  Xamen  dieser 
Feste  sind  augenscheinlich  verderbt.  Uch  bedeutet  im  Tzeltal  „Laus'' 
und  üch  (mit  langem  u)  die  ^Beutelratte"  (mexikanisch  tlacuatzin). 
Emeterio  Pineda  berichtet,  dass  in  diesen  beiden  „Monaten"  ein  Insekt, 
wie  ein  orosser  Floh,  den  Pflanzen  schädlich  werde. 


1)  Ygl.  sis-balam  _tigrillo"  „der  kleine  Jaguar". 


20.   Der  Festkalender  der  Tzeltal  und  der  Maya  von  Yucatan.  711 

Von  dem  folg-enden  Feste  an  zeigt  sich  in  den  beiden  Listen  eine 
merkwürdige  Differenz.  Die  Liste  Emeterio  Pineda's  hat  für  das  jetzt 
zunächst  folgende  Fest  noch  einen  besonderen  Namen:  nichcum.  Im 
Tzeltal  heisst  nich  die  Blüthe,  und  Emeterio  Pineda  bezeichnet  diesen 
Abschnitt  demnach  auch  als  Zeit  der  Blüthe.  Für  den  zweiten  Theil  des 
Namens  scheint  sich  aus  dem  Tzeltal-Sprachschatz  kein  passendes  Wort 
zu  ergeben.  Doch  erinnert  diese  zweite  Silbe  an  den  Namen  cumku,  den 
der  entsprechende  Abschnitt  des  Maya-Festkalenders  führt.  Im  Maya 
heisst  cum  der  „Topf".  Brinton  hat,  ich  weiss  nicht  mit  welchem  Rechte, 
nichcum  in  7iichquiii  „Zeit  der  Blüthe"  verändert. 

Die  dann  folgenden  Feste  heissen  in  der  Liste  Emeterio  Pineda's 
einfach:  „Der  erste  Zwanziger"  \sbal  vinquüY),  „der  zweite  Zwanziger" 
[jichibal  vinquil],  „der  dritte  Zwanziger"  [yoxibal  vinquü],  „der  vierte 
Zwanziger"  [uchanibal  oinquü\.  Die  Liste  Yicente  Pineda's  aber  be- 
zeichnet schon  das  vorhergehende  Fest  nichcum  und  die  vier  auf  dieses 
folgenden  Feste  mit  Zahlennamen,  und  zwar  mit  den  Namen  juc  vinquil, 
wac  vinquil,  jo  vinqiiil,  clian  oinquil,  o,i-  vinquil,  die  „sieben  Zwanziger", 
„sechs  Zwanziger",  „fünf  Zwanziger'',  „vier  Zwanziger",  „drei  Zwanziger" 
bedeuten.  Diese  letzteren  Bezeichnungen  der  Vicente  Pineda'schen 
Liste  können  nur  den  Sinn  haben,  dass  sieben-,  sechs-,  fünf-,  vier-,  drei- 
mal zwanzig  Tage  noch  bis  zum  Schluss  des  Jahres,  oder  bis  zum  neuen 
Jalu'e  fehlen.  Und  so  können  auch  die  in  der  Liste  Emeterio  Pineda's 
gegebenen  Namen  nur  den  Sinn  haben:  „Der  erste,  zweite,  dritte,  vierte 
der  letzten  (sechs)  Zwanziger". 

Demnach  scheint  aus  dieser  Namengebung  hervorzugehen,  dass  das 
Tzeltal- Jahr  mit  dem  in  der  Liste  Emeterio  Pineda's  an  siebzehnter 
Stelle  genannten  mux  schloss,  und  dass  yaxquin  das  erste  Fest  des  neuen 
Jahres  w^ar,  was  ja  in  der  That  auch  der  Name  dieses  Festes  besagt. 

Ganz  das  Gleiche  hat  sich  mir  gelegentlich  der  Betrachtungen,  die  in 
der  vorhergehenden  Al)handlung  über  „Quetzalcouatl-Kukulcmi  in  Yucatan" 
niedergelegt  sind,  für  das  Maya-Jahr  ergeben.  Und  ich  habe,  da  sich 
hieran  wichtige  Folgerungen  knüpfen,  diese  Betrachtungen  über  die 
Tzeltal-Feste  hier  anfügen  zu  müssen  geglaubt. 


1)  shal,  zbal  oder  xbal  heisst  im  Tzeltal  und  Zo'tzii  „der  erste",  abgeleitet 
von  dem  Worte  ba  „der  Gipfel".  Bai  ist  das  von  ha  abgeleitete  Abstraktum,  und 
«,  2,  X  das  Possesiv- Präfix  der  dritten  Person. 


712  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


21. 

Die  Monumente  von  Copan  und  üuiriguä  und  die 
Allarplatten  von  Palenque. 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft.    18.  November  1899, 
Zeitschrift  für  Ethnologie  XXXI.    S.  (670)  — (738). 


You  all  den  "Wundern  der  bildenden  Kunst  der  alten  Völker  Zeutral- 
Amerikas,  die  durch  John  L.  Stephens"  und  F.  Catherwood"s  epoche- 
machende Reise  in  den  Jahren  1839  und  1840  für  die  europäische  und 
amerikanische  Welt  gewissermassen  neu  entdeckt  wurden,  hat  nichts  so 
sehr  das  Staunen  der  Entdecker,  wie  der  Leser  jener  klassischen  ..Incidents 
of  Travel  in  Central  America.  Chiapas  and  Yucatan"  hervorgerufen,  als 
die  im  tropischen  Waldesdunkel  verborgenen  Denkmäler  von  Copan.  Durch 
die  für  die  damalige  Zeit  und  die  damaligen  Mittel  meisterhafte  Wieder- 
gabe Catherwood"s  ist  die  allgemeine  Form  dieser  Monumente  uns  seit 
Langem  vertraut  geworden.  Später  sind  von  Dr.  Alplions  S  tu  bei 
Zeichnungen  veröffentlicht  worden,  die  Herr  Heinrich  Meye  aus  Eis- 
leben von  den  Hauptdenkmälern  aus  Copan  und  einigen  von  Quiriguä  an- 
gefertigt^) hatte.  Aber  erst  die  Aufnahmen  und  die  Abklatsche,  die  Herr 
Alfred  P.  Maudslay  in  siebenjähriger  Arbeit,  unter  enormer  Aufwendung 
von  Geld  und  Mitteln,  hat  fertigstellen  können,  und  die  er  in  einem  seit 
dem  Jahre  1883  erseheinenden  Werk,  in  dem  archäologischen  Theil  der 
Biologia  Centrali-Americana,  in  geradezu  mustergiltiger  Weise  wiedergibt 
und  beschreibt,  haben  das  Bild  jener  Monumente  in  allen  ihren  Einzel- 
heiten und  in  einer  Yollkommenheit  uns  vor  Augen  geführt,  wie  sie  in 
gleicher  Weise  kaum  für  irgend  welche  anderen  Denkmäler  erreicht 
worden  ist.  In  neuerer  Zeit  hat  das  Peabody-Museum  die  Arbeiten 
Maudslay 's  aufgenommen  und  fortgeführt,  und  auch  über  diese  Aufnahmen 
und  Untersuchungen  liegt  ein  Bericht  in  der  ersten  und  in  der  sechsten 
Nummer    des    ersten    Bandes    der    „Memoirs    of    the  Peabody  Museum   of 

1)  Vgl.  Verband].  Berliner  Anthropol.  Gesellsch.  1>)78,  Zeitschrift  f.  Ethnologie 
Bd.  X,  S.  (424):  Verhandl.  Berliner  Anthrop.  Gesellsch.  18.s3.  Zeilschrift  Ethno- 
logie, Bd.  XV,  S.  (-215). 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      713 

American  Etliiiology  and  Archasology  (Cambridge  Mass.,  1896  und  1902)" 
vor.  Endlich  ist  bei  Gelegenheit  der  vierhundertjährigen  Erinnerungsfeier 
der  Entdeckung  Amerikas  eine  Anzalil  dieser  Denkmäler  abgeformt  und 
auf  der  Welt-Ausstellung  in  Chicago  zur  Schau  gestellt  worden.  Hierzu 
kommen  dann  noch  die  Aufnahmen  und  die  Abklatsche,  die  Herr  Desire 
Charnay  in  wiederholten  Expeditionen  aus  Palenque,  Chich'en  Itza  und 
anderen  Ruinenstätten  von  Yucatan  zusammengebracht  hat,  so  dass  in  der 
That  jetzt  schon  ein  umfangreiches  Material  an  Werken  der  bildenden 
Kunst  der  alten  Völker  Zentral-Amerikas  dem  Studium  zugänglich  gemaclit 
worden  ist. 

Freilich  ist  dieses  Material  nicht  immer  leicht  und  nicht  für  jeden 
erreichbar.  Das  Königliche  Museum  für  Völkerkunde  besitzt  seit  dem 
Jahre  1888  die  vollständige  Serie  von  Abklatschen  Desire  Charnay's 
aus  Palenque,  Chicli'en  Itza  und  Menclie  Tinamit.  Es  ist  aber  erst  in 
jüngster  Zeit  möglich  geworden,  die  hauptsächlichsten  Stücke  von  ihnen 
im  Lichthof,  wenn  auch  zum  Theil  nicht  in  sehr  vortheilhafter  Weise,  zur 
Ausstellung  zu  bringen.  Durch  Austausch  mit  dem  Field  Columbian 
Museum  sind  die  Abklatsche  zweier  Monumente  aus  Quiriguä  in  den 
Besitz  des  Königlichen  Museums  gelangt,  die  in  dem  Lichthofe  eine  Auf- 
stellung gefunden  haben.  Wir  verdanken  es  der  Freigebigkeit  des  grossen 
Förderers  der  amerikanistischen  Studien,  Seiner  Excellenz  des  Herzogs 
V.  Loubat,  dass  in  jüngster  Zeit  auch  eine  Anzahl  der  merkwürdigen 
Bildwerke  von  Copan  in  vorzüglicli  gelungenen  Abformungen  zur  Schau 
gestellt  werden  konnten.  Für  das  Studium  der  Uebrigen  sind  wir  auf  die 
Abbildungen  in  dem  grossen  Werke  Maudslay's  und  auf  Photographien 
angewiesen. 

Ueber  den  allgemeinen  Eindruck,  den  diese  Monumente,  insbesondere 

die  von  Copan   auf  den  Beschauer    machen,    und    ihre  Bedeutung    spricht 

sich  Stephens  in  dem  oben  genannten  Werke^)  folgen dermassen  aus:  — 

„Of  the  moral  effect    of    the    monuments    themselves    standing    as 

they  do  in  the  dephts  of  a  tropical  forest,  silent  and  solemn,  stränge  in 

design,  excellent  in  sculpture,  rieh  in  Ornament,  different  from  the  works 

of   any    othcr    people,    their  uses   and  purposes,    their  whole  history  so 

entirely     unknown,     with     hieroglyphs     explaining     all,     but     perfectly 

unintelligible,    I    shall    not    pretend    to    convey    any    idea.      Often    the 

imagination  was  pained  in  gazing  at  them.     The    tone    which    pervades 

the    ruins    is    that    of    deep   solemnity.     An   imaginative  mind  might  be 

infected  with  suporstitious  feelings.     From   constantly    calling    them    by 

that    namc,    in    cur    intercourse    with    the    Indians,    we    regarded    these 

solemn  memorials    as  „idols"  —  deified  kings  and  heroes  —  objects  of 

adoration    and    ceremonial    worship.     We  did  not   find  on  either  of  the 


1)  Band  l,  S.  158,  15!). 


714 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferune. 


monuinents  or  sculptureU  fragmeuts  any  delineations  of  liuniau,  or.  in 
fact,  any  other  kind  of  sacrifice,  but  hail  no  doubt  tbat  the  large 
sculptured  stone  invariably  fonnd  before  eacb  „idol''  was  employed  as 
a  sacrificial  altar."* 

So  reservirt  sich  also  Stephens  im  Allgemeinen  diesen  Denkmälern 
gegenüber  verhält,  so  steht  er  doch  nicht  an,  den  Ausdruck  „Idole"'  für 
die  pfeilerartig  aufragenden  Werkstücke  zu  gebrauchen,  die  vorn,  und 
häufig    auch  hinten,    in  Uestalt  von  menschlichen  Figuren    gearbeitet,    an 


Abb.  1.  Altar  vor  der  Stele  C  in  CojHin, 

zum  Theil  ergänzt.  (Nach  der  Zeichnung 

im  1.  Heft  der  Memoirs  of  the  Peabody 

Museum.) 


Abb.  2.     Altar  vor  der  Nordseite   der 
Stele  N  von  Copun. 


Abb.  2  a.  Abb.  2  b. 

CoMcc- Zeichen  von  Altären  in  i'opun: 
2a:  von  dem  Altar  vor  der  Westseite  2b:  von  dem  Altar  vor  der 


der  Stele  M. 


Südseite  der  Stele  D. 


den  Seiten,  und  zum  Theil  auch  hinten,  mit  Hieroglyphen  geschmückt 
sind,  während  er  die  zum  Theil  sehr  sonderbar  geformten  skulptirten 
Steine,  die  vor  diesen  ,.Idolen"  angetroifen  werden,  als  Opferaltäre  erklärt. 
Vorsichtiger  drückt  sich  Maudslay  aus.  Er  behält,  obwohl  mit  Vorbehalt 
den  Ausdruck  _ Altar"  für  die  letztgenannten  kleineren  AVerkstücke  bei- 
bezeichnet aber  die  grösseren,  pfeilerartig  aufragenden  nur  allgemein  als 
Stelen.  Ueber  die  Bedeutung  der  kleineren  Skulpturstücke,  der  so- 
genannten „Altäre'',  erlaube  ich  mir  kein  Urtheil.  Ich  erwähne  nur,  dass 
die  Ingenieure  des  Peabodv  Museum   unter  ihnen   einen   gefunden   haben. 


21.    Monumente  von  Copan  und  »^uiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      715 

der  aus  den  wesentlichen  Elementen  einer  Schildkröte  (Rückenscliild,  Kopf 
und  4  Klauen)  aufgebaut  ist  (vgl.  Abb.  1,  S.  714),  während  andere  dieser 
Altäre  ein  phantastisches,  reptilartiges  Thier  mit  riesig  ausgebildetem 
Kopfe,  oder  auch  nur  den  Kopf  eines  solchen  darzustellen  scheinen.  ^  Auf 
Letzteren  tritt,  in  der  Regel  in  der  Schultergegend  angebracht,  bedeutsam 
uns  die  monumentale  Form  des  Zeichens  cauac  entgegen  (vgl.  Abb.  2,  2a,  2b, 
S.  714),  die  ohne  Zweifel  wohl  Wolkenballeu  und  daraus  hervorzüngelndes 
Feuer  zum  Ausdruck  bringt.  Die  pfeilerartigen  Werkstücke  dagegen,  die 
Stelen,  sind  Monumente,  die  eine  bestimmte  Zeitperiode  bezeichnen.  Das 
Gleiche  gilt  von  den  Altarplatten  von  Palenque.    Und  auch  die  mit  Hiero- 


ICQfl^H.  StdiiJ) 


SüJseite 


bXO?h\Sfe/nC 


iüÄlMM^ 


6  COPAN  SifinJ> 
Südfme 


glyphen  bedeckten  grossen  Skulpturen,  die,  ähnlich  manchen  „Altären" 
von  Copan,  die  allgemeine  Form  eines  reptilartigen  Ungeheuers  wieder- 
zugeben scheinen,  —  wie  die  grosse  sogenannte  Tortuga  (Schildkröte)  von 
Quirigua  — ,  gehören  in  die  gleiche  Klasse  von  Denkmälern. 

Mit  Recht  bezeichnet  Stephens  die  Hieroglyphen  auf  diesen  Stelen 
als  ^explaining  all"',  aber  durch  die  rastlosen  Bemühungen  der  letzten 
Jahrzehnte  sind  sie  nicht  mehr  „perfectly  unintelligible". 

Die  Reihe  der  Hieroglyphen  beginnt  auf  allen  diesen  Denkmälern, 
und  auch  auf  den  Altarplatten  von  Palenque,  mit  einer  Haupt-Hieroglyphe 
mehr  oder  minder  ornamentaler  Gestalt,  deren  verschiedene  Formen  und 
Varianten    ich    in    den    Abbildungen  3 — 2()    zusammengestellt    habe.     Der 


716 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Hauptbestandtheil  der  Anfangs-Hieroglyphe  ist  ein  auch  aus  den  Hand- 
schriften bekanntes  Element,  das  in  der  Dresdener  Handschrift  als  Basis 
des  Pfahls  erscheint,  auf  dem  der  Uuayai/ab-Dämon  aufgesteckt  wird,  und 
anderwärts  in  der  Art  einer  Edelsteinscheibe  in  der  Stirnbinde  gewisser 
Götter    zu    sehen    ist.    dem    ich  deshalb  den  Lautwerth  tmi  „Stein.    Edel- 


9.C0PÄN.  StelaJ 


mCOfiS  Su/kJ 


aCOPSN  Jte^4 


iicopaN.ji^^Ä 


\3C0P^\.sc^ü3..>/ 


^M^^ 


.'Ur'AV    ^'üirS 


'ie.COPAHSre/ajf 


\8C0i'iSi'fe^ay 


Stein"  zuschreiben  zu  müssen  glaubte^).  Eingefasst  oder  gekrönt  wird 
dieses  wesentlichste  Element  der  Anfangs-Hieroglyphe  von  zwei  anderen, 
seitlich  stehenden,  die  in  den  ornamentalen  Ausgestaltungen  dieser  Haupt- 
Hieroglyphe  (vgl.  Abb.  3 — 5)  deutlich  als  Figuren  von  Fischen  (Maya:  cdi, 


1)  Vgl.  meine  Abhandlung:    -Zur  mexikanischen  Chronologie,  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  zapotekischen  Kalenders":  oben  S.  553. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      717 


1^ 


718  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entziflfemng. 

Tzeltal  und  Chol:  chdi.  Guatemala-Sprachen:  car)  zu  erkennen  sind.  Ich 
möchte  meinen,  dass  diese  letzteren  Elemente  mit  dem  Hauptelement 
phonetisch,  nach  Art  der  mexikanischen  Hieroglyphen,  zusammenzusetzen 
sind,  und  ihre  Vereinigung  ca-tun  oder  katun  zu  lesen  ist.  Mit  anderen 
Worten,  ich  bin  der  Meinung,  dass  diese  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe 
nichts  anderes  als  der  Ausdruck  für  „Periode"  (kaiun)  ist.  Wir  werden 
iu  der  That  sehen,  worauf  Forste  mann  schon  hingewiesen  hat^),  dass 
die  Hieroglyphe  für  '20  X  360,  d.  h.  die  Anzahl  von  Tagen,  die  der  katuti 
der  Maya  enthält,  mit  dieser  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe  im  Wesent- 
lichen identisch  ist.  Ich  werde  diese  Haupt-Hieroglyphe  als  „  Katun - 
Zeichen"  aufführen. 

Die  Köpfe,  die  in  der  oberen  Hälfte  dieser  Anfangs-  und  Haupt- 
Hieroglyphe  die  Mitte  einnehmen,  haben,  wie  mau  iu  den  Abbildimgen 
sieht,  auf  den  verschiedenen  Stelen  und  Altarplatten,  und  auch  auf  den 
verschiedenen  Seiten  derselben  Stele  verschiedene  Gestalt  und  verschiedenes 
Ansehen.  Ich  glaube  in  einigen  (Abb.  9  und  22)  den  Sonnengott  zu 
erkennen.  Andere  (Abb.  10,  12,  14)  scheinen  ebenso  zweifellos  die 
Wassergottheit  darzustellen,  die  die  Yukateken  Ah  bolon  tz'acab  nannten, 
aber  auch  (Abb.  21)  den  Yogel  Moan,  der  aber  wohl  nur  ein  Vertreter 
der  Wassergottheit  ist.  Wieder  andere  (Abb.  6,  8  u.  '2<o)  lassen  ziemlich 
deutlich  einen  Jaguar-Kopf  erkennen.  Andere  (Abb.  11)  den  Kopf 
eines  Reptils  (Krokodils).  Andere  (Abb.  3,  4,  20)  zeigen  ein  regel- 
mässiges, bartloses  Gesicht,  flachgedrückte  Stirn  und  Züge,  die  denen  des 
jüngeren  der  beiden  Priester  auf  den  Altarplatten  von  Palenque  gleichen. 
Eine,  namentlich  in  den  Abb.  4  und  20  deutlich  erkennbare  Haarflechte, 
die  vor  dem  Ohr  laug  herunterhängt,  und  eine  Art  Breloque,  die  von  der 
Stirn  herab  über  die  Nasenwurzel  hängt,  lassen  erkennen,  dass  hier  ein 
weiblicher  Kopf  dargestellt  werden  sollte.  In  einer  der  Hieroglyphen 
(Abb.  5)  scheint  ein  Kopf  mit  Todes-Symbolen  gezeichnet  zusein.  Auf 
den  Altarplatten  aus  Palenque  endlich  ist  iu  der  Anfangs-Hieroglyphe 
statt  eines  Kopfes  ein  Tageszeichen  zu  sehen:  im  Kreuztempel  Xr.  I 
(Abb.  23)  das  Zeichen  caban,  das  dem  mexikanischen  olin  „Bewegung'- 
entspricht.  Im  Kreuztempel  Xr.  H  (Abb,  24)  das  Zeichen  ik,  das  dem 
mexikanischen  eecatl  „Wind"  entspricht. 

Ich  bin  der  Meinung,  dass  bei  den  alten  Stämmen,  die  diese  Monu- 
mente bauten,  die  verschiedenen  Zeitperioden  den  verschiedenen  Himmels- 
richtungen zugewiesen  wurden,  in  derselben  Weise,  wie  das  bei  den  Maya 
der  späteren  Zeit  geschah,  wofür  die  Bücher  des  Chilam  Balam  uns 
Zeugniss  geben,  und  dass  wir  in  diesen  Köpfen  der  Katun-Hieroglyphen 
Gottheiten  der  vier  Himmelsrichtungen  zu  erkennen  haben.  Nehmen 
wir  an,  wie  es  wahrscheinlich  ist,  dass  bei  diesen  alten  Stämmen  derselbe 


1)  Globus,  Bd.  72  (1897),  S.  46. 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      719 

Symbolismus  herrschte,  wie  er  auf  den  Blättern  25 — 28  der  Dresdener 
Handschrift  vorliegt,  und  wie  ihn  ähnlich  auch  Bischof  Land a  aus  Yucatan 
uns  berichtet,  so  würden  wir  die  Wassergottheit  Ah  bolon  tzacab  und 
seine  Repräsentanten,  den  Vogel  Moaii  und  das  Zeichen  ik,  dem  Osten 
zuzuweisen  haben;  den  Sonnengott  und  seinen  Repräsentanten,  den  Jaguar^ 
der  Himmelsrichtung  des  Nordens;  die  weibliche  Gottheit  und  das 
Zeichen  cahan  der  Himmelsrichtung  des  Westens;  denn  das  Zeichen 
caban  enthält,  wie  ich  schon  in  einer  früheren  Abhandlung  dargethan 
habe^),  in  Abbreviatur  die  auszeichnenden  Bostandtheile  der  Weiber- 
Physiognomie,  einen  Theil  des  dunklen  Haarschopfes  mit  den  lang  herab- 
hängenden peitschenartigen  Haarsträhnen,  die  den  Weiberköpfen  der 
Dresdener  Handschrift  ein  so  charakteristisches  Ansehen  geben,  n  Die 
weibliche  Gottheit  ist  die  Erdgottheit.  Und  auch  deshalb  entspricht  das 
Zeichen  caban  der  weiblichen  Gottheit.  Denn  olin^  die  mexikanische  Ent- 
sprechung des  Zeichens  caban^  ist  ein  bekanntes  Symbol  für  Erdbeben. 
Und  die  Erde  selbst  lieisst  im  Maya  cab.  So  könnte  auch  der  Reptil- 
kopf,  da  das  Reptil  im  mexikauisch-zentralamerikanischen  Symbolismus 
allgemein  die  Erde  vertritt,  als  Repräsentant  derselben  Himmelsrichtung 
augesehen  werden.  Der  Kopf  mit  Todessymboleu  endlich  müsste  die 
vierte  Himmelsrichtung,  den  Süden,  bezeichnen.  Es  ist  indes  nicht  aus- 
geschlossen, dass  nicht  bloss  vier,  sondern  sechs  Himmelsrichtungen  unter- 
schieden wurden,  und  dass  wir  unter  diese  die  verschiedenen  Köpfe  und 
Symbole  zu  vertheilen  hätten.  Dann  würde  unter  anderem  das  Zeichen 
caban  und  der  Weiberkopf,  oder  vielleicht  auch  der  Kopf  mit  Todes- 
symbolen, auch  für  die  Richtung  unten  in  Betracht  kommen  können. 

Der  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe,  die  eine  besondere  Stellung 
einnimmt,  und  der  in  der  Regel  auch  ein  grösserer  Raum  als  den  übrigen 
Hieroglyphen  zugewiesen  ist,  folgen  dann  sechs  andere,  die  auf  der  Mehr- 
zahl der  hier  in  Frage  kommenden  Denkmale  gleiche  oder  homologe 
Reihen  bilden.  Maudslay  bezeichnet  sie  als  „Initial  Series".  Die  Zu- 
sammenstellung, die  er  auf  Tafel  31  seines  grossen  Werkes  für  die  Copan- 
Stelen  und  auf  Tafel  92  für  die  Altarplatten  von  Palenque  gegeben  hat, 
lassen  diesen  Homologismus  klar  hervortreten.  Das  Gleiche  zeigen  auch 
die  Stelen  von  Quirigua  und  verwandte  Denkmale  anderer  Ruinenstätten. 

Die  letzte  sechste  Hieroglyphe  ist  in  den  meisten  dieser  Reihen  aus 
dem  Tageszeichen  ahau  und  einer  Ziffer  gebildet.  Es  ergibt  sich  daraus 
sofort  der  Schluss,  dass  diese  Denkmale  auf  die  grossen  Zeitperioden,  die 
den  Maya  Yucatan's  unter  dem  Namen  Katun  bekannt  waren  und  die  der 
Reihen  nach  mit  den  Tagen  4.  2.  13.  11.  9.  7.  5.  3.  1.  12.  10.  8.  6.  ahau 
benannt    wurden,    d.  h.  mit  diesen  Taigen  beoannen,    oder  auf  ihre  Unter- 


1)  „Zur  mexikanischen  Chronologie,  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  zapo- 
tekisclien  Kalenders";  oben  S.  548 — 550. 


720  Dritter  Abschuitt:    Kalender  und  Hieroglypheu-Eutzifferuug. 

nbtlieiliingeu,  die  ebenfalls  mit  oineni  Tage  ahau  bouaimt  waren,  Bezug 
nehmen. \  Wo,  wie  es  zuweilen  vorkommt,  die  sechste  Hlk-oglyphe  kein 
a//aM-Tag  ist,  —  wie  z.  B.  auf  der  Altarplatte  des  Sonnen tempels  in 
Palenque,  und  auf  einem  von  Maiulslav  nach  Europa  gebrachten  Hiero- 
glvphen-Bande  von  MeJiche  Tinamit^  —  da  ist  die  sechste,  die  Schluss- 
Hieroglyphe  der  „Initial-Series",  doch  immer  nur  ein  Tagesdatum,  und 
wir  w^erden  sehen,  dass  dieses  Datum  fast  regelmässig  in  naher  Beziehung 
zu  einem  der  oben  genannten  aÄaw- Daten  steht.  Ich  habe  seiner  Zeit 
nachgewiesen^),  dass  diese  mit  ahau  beginnenden  Perioden,  denen  von 
den  alten  spanischen  Chronisten  eine  Dauer  von  20  Jahren  zugeschrieben 
ward,  imd  die  von  neueren  Archäologen  (Pio  Perez,  Cyrus  Thomas) 
zu  24  Jahren  angenommen  wurden,  in  Wahrheit  einen  Zeitraum  von 
20x360  Tagen  umfassen. 

Die  Form,  in  der  das  Zeichen  ahau  an  dieser  hervorragenden  Stelle 
der  Monumente  dargestellt  wird,  ist  in  vielen  Fällen  der  der  Handschriften 
gleich.  Vgl.  Abb.  27  und  die  ersten  Hieroglyphen  der  Gruppen  28,  29, 
39  und  40.  In  vielen  Fällen  aber  ist  ihm  eine  ornamentalere  Gestalt 
gegeben  worden,  indem  innerhalb  der  kalkuliformen  Umrandung,  die  immer 
stark  markirt  ist,  das  Gesicht  eines  Mannes  (Abb.  30,  37  und  die  ersten 
Hieroglyphen  der  Gruppen  31,  34,  35,  38,  41)  oder  eines  Vogels  (Abb.  32,  33) 
oder  die  ganze  Gestalt  eines  Mannes  (Abb.  36)  erscheint.  Ich  habe  in 
meiner  ersten  Mittheilung  über  die  Maya-Tageszeichen^)  das  schematisirte 
en-face-Gesicht  des  Zeichens  ahau  als  das  des  Sonnengottes  oder  des 
Sonnenvogels  gedeutet.  Yon  den  kalligraphischen  Yarianten  der  Monu- 
mente scheinen  einige  diese  Deutung  zu  bestätigen.  So  stimmt  z.  B.  in 
Abb.  36  die  in  dem  kalkuliformen  Kahmen  sitzende,  rückwärts  gewandte 
Gestalt  in  der  That  in  den  wesentlichen  Zügen  mit  der  Figur  überein, 
die  auf  derselben  Stele  unmittelbar  vorher  als  Hieroglyphe  des  Zeichens 
kin  oder  eines  einzelnen  Tages  gezeichnet  ist.  ^  In  weitaus  den  meisten 
Fällen  aber  zeigt  das  von  der  Umrahmung  eingefasste,  überall  ziemlich 
gleichartig  gezeichnete  Gesicht  nichts,  was  einen  unmittelbar  veranlassen 
könnte,  es  als  das  Gesicht  des  Sonnengottes  zu  deuten.  Charakteristisch 
sind  zwei  die  Stirn  einnehmende  Haarbüschel  oder  Bindentroddeln  und 
ein  dunkler  Fleck  auf  der  Wange.  Wo  ein  Yogelgesicht  gezeichnet  ist 
(Abb.  32,  33),  scheinen  wenigstens  die  beiden  Büschel  ebenfalls  angedeutet 
zu  sein. 

Aus  der  Thatsache,  dass  am  Ende  der  „Initial  Series"  oder  Keihen 
homologer  Hieroglyphen  ausnahmslos  ein  Datum  steht,  zog  der  Scharfsinn 
Förstemann's    sofort    die    Folge,    dass    die    vorhergehenden  fünf  Hiero- 


1)  Vgl.  oben  S.  533  und  S.  577  ff. 

2)  „Die   Tageszeichen    der  aztekischen  und   der  Maya- Handschriften",    oben 
S.  502. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      721 


3  ^^ 


ibb.  27.    Copun,  Stele  M.     Abb.  28.    Copan,  Stele  M.     Abb.  29.    Copun,  Altar  S.     Abb.  30.    Copan, 
Stele  P.     Abb.  31.    Copan,  Stele  B.     Abb.  32.    Copan,  Stele  A.     Abb.  33.    Copan,  Stele  J. 


Abb.  36.    Copan,  Stele  U. 


Abb.  34.    Copan,  Stele  C,  1,  2. 
Abb.  35.    Copan,  Stele  C,  1  a,  2  a. 


an 


Ob^ 


b.  37.    Quirigud,  Stele  A.    Abb.  38.   QuiHgud,  Stele  C  (Ostseite).    Abb.  39.   Quiriguä,  Stele  C  (Westseite). 
Abb. -40.    Pa/e?»gMe,  Kreuz -Tempel  I.    Abb.  41.    Pa/em^»^,  Tempel  IL 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  J.  46 


722 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


glypheu  zusammen  einen  Zahlenausdruck  darstellen  müssen.  Und  es  ist 
nur  Hfitürlich,  anzunehmen,  dass  diese  Zahleuausdrücke  in  derselben  Weise 
gebildet  sein  werden,  wie  die  der  Dresdener  Handschrift,  d.  h.  dass  von 
unteu  nach  oben,  bezw.  von  hinten  noch  vorn,  sich  Einer  (einzelne  Tage, 
kin),  Zwanziger  (20tägige  Zeiträume,  uifial),  Dreihundertsechziger  (Katun- 
Abschnitte  oder  „Steine^,  tun,  wie  diese  Zeiträume  bei  den  Yukateken 
hiessen),  Zwanzigfache  von  360  (Perioden  von  7200  Tagen,  Katun)  und 
Zwanzigfache  von  Katunen  (oder  Zeiträume  von  144  000  Tagen)  einander 
folgen  werden.     Das  ist,  wie  wir  sehen  werden,  in  der  That  der  Fall. 

Allerdings  weicht  die  Art.  wie  hier  auf  den  Monumenten  die  Zahlen 
geschrieben  sind,  von  der  in  den  Handschriften  üblichen  beträchtlich   ab. 


Abb.  42.    Dresdener  Hand- 
schrift 24. 


Abb.  43.    Dresdener 
Handschrift  43b. 


*0  • 


♦.::  =ö^ 


tB^Bt^^ 


Abb.  44.   Dresdener  Hand- 
schrift 31a. 


In  den  Handschriften  werden  nahezu  ausnahmslos  die  Ziffern  durch  Kom- 
bination von  Strichen  und  Punkten  zum  Ausdruck  gebracht,  wobei  der 
Punkt  immer  eine  Einheit,  der  Strich  die  Zahl  fünf  bedeutet.  Nur  die 
Ziffer  0  wird  dm'ch  ein  besonderes  Zeichen  gegeben,  durch  die  in  der 
Regel  mit  rother  Farbe  geschriebene  Figur  eines  kleines  Meerschnecken- 
Gehäuses.  Die  Einer  aber,  die  Zwanziger,  Dreihundertundsechziger  u.  s.  w., 
die  mit  den  einzelnen  Ziffern  zu  multipliziren  sind,  werden  in  den  Hand- 
schriften in  der  Regel  gar  nicht  bezeichnet.  Ihr  Multiplikationswerth  ist 
implicite  durch  ihre  Stellung  in  der  Ziffersäule  gegebeu. 

In  Abb.  42  z.  B.,  die  dem  Blatte  24  der  Dresdener  Handschrift  ent- 
nommen ist,  sehen  wir  drei  Ziffersäulen  neben  einander,  deren  jede  als 
unterstes  Glied    das  Zeichen    der  Xull    aufweist.     In  der  ersten   Säule  ist 


21.    Monumente  von  Gepan  und  Quirigiiä  und  die  Altarplatten  von  Palenquc.      723 

aber  diese  Anfangs-Xull  in  einer  Art  Umrahmung  eingeschlossen,  die,  wie 
die  Bandschleife  darüber  andeutet,  als  zugebunden,  geschlossen  anzusehen 
ist.  Försteman  hat  nachgewiesen,  dass  Ziffern  oder  Ziffersäulen,  deren 
unterstes  Glied  in  dieser  Weise  von  einer  Art  Kranz  umschlossen  ist, 
von  anderen  Ziffern  abzuziehen  sind.  Diese  ümkränzung  mit  der  Band- 
schleife ist  also  nichts  als  ein  diakritisches  Zeichen  und  hat  für  die  Art 
der  Summirung  der  einzelnen  Glieder  der  Ziffersäule  selbst  keine  Be- 
deutung, Wie  ich  sagte,  wächst  der  Multiplikationswerth  der  einzelnen 
Ziffern  von  unten  nach  oben.  Wir  haben  demnach  die  drei  Ziffersäulen 
fols'endermassen  zu  lesen: 


II. 


III. 


6  X  360  =  2160 

9x20x20x360  = 

1296  000 

9x 

20 

X  20  X  360  = 

1  296  000 

2x  20=  40 

9  x  20  X  360  = 

64  800 

9 

X  20  X  360  = 

64  800 

Ox  1=   0 

16  X  360  = 

5  760 

9  X  360  = 

3  240 

220(1 

Ox  20  = 

0 

16  X  20  = 

820 

Ox  1  = 

0 

Ox  1  = 

0 

1  366  560 

1  364  360 

Die  I.  Summe,  deren  Anfangsglied  von  einem  Kranz  umschlossen  ist, 
ist,  wie  ich  sagte,  abzuziehen.  Ziehen  wir  Summe  I  von  Summe  EL  ab,  so 
erhalten  wir  die  Zahl  1  364  360.  Das  ist  die  Summe  IE.  Und  das  ist 
genau  der  Abstand  des  unter  der  II.  Ziffersäule  stehenden  Datums  1.  ahau, 
J  8.  kayab  von  dem  davor,  unter  der  I.  Ziffersäule  stehenden  Datum  4.  ahau^ 
8.  cumku. 

In  Abb.  43,  die  der  mittleren  Abtheilung  von  Blatt  43  der  Dresdener 
Handschrift  entnommen  ist,  haben  wir  zwei  grosse  Zahlen  übereinander, 
beide  getrennt  durch  das  Zeichen  3.  lamat,  das  auch  am  Kopf  der  Säule, 
über  dem  phantastischen  Thierkopf  zu  sehen  ist.  Die  obere  Ziffer  ist 
folgendermassen  zu  lesen: 

9  X  20  X  20  X  360  =  1  296  000 

19X20X360=     136  800 

8  X  360  =        2  880 

15  X   20=  300 

OX      1-  0 


1  435  980 


Die  untere,    deren  unterstes   Glied  von  einem  Kranz  umschlossen  ist 
die  also  wieder  zu  subtrahiren  ist,  ist  folgendermassen  zu  lesen: 

17  X  20  =  340 
12X    1=    12 


352 


46' 


724  Dritter  Abschnitt:    Kalender  and  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Die  untere  Summe  von  der  oberen  abgezogen,  gibt  die  Zahl  1  435  268, 
und  das  ist  genau  der  Abstand  eines  Tages  3.  lamat  von  dem  am  Fusse 
der  Säule  stellenden  Datum  4.  ahau. 

In  ähnlicher  Weise  sind  in  Abb.  44  in  den  ersten  beiden  Kolumnen 
die  oberen  über  dem  Datum  13.  akbal  stehenden  Zahlen: 

8x20x20x360=1152  000  8x20x20x360=1152000 

16x20x360=     115  200  !                 16X20x360=     115  200 

14x360=        5  040  3x360=        1080 

15  X    20=           300  13  X    20=           260 

4X      1=               4  ,                            OX      1=               0 


1  272  544  '■  1  268  540 

Die  unteren,  in  den  Ejanz  eingeschlossenen  Zahlen  sind  entsprechend: 


6X20=120 
IX    1=      1 


121 


0X20=    0 
17X    1  =  17 


17 


1272  544—121  und  1268  540—17  geben  beide  den  Abstand  eines 
Tages  13.  aJcbal  von  dem  am  Fusse  der  Säulen  verzeichneten  Xormaldatum 
4.  ahau,  8.  cumku. 

In  der  Dresdener  Handschrift  werden  in  dieser  Weise  lange  Reihen 
von  Ziffern  geschrieben,  die  in  regelmässigen  Abständen  wachsen.  In  der 
Abb.  45  z.  B.  habe  ich  zunächst  zwei  auf  der  linken  Seite  von  Blatt  70 
der  Dresdener  Handschrift  stehende  Ziffersäulen  wiedergegeben,  deren  jede 
aus  zwei  durch  das  Datum  9.  ix  getrennten  Zahlen  besteht.  Die  unteren 
Zahlen  sind  von  den  oberen  abzuziehen.  Die  beiden  Kolumuen  geben 
uns  demnach  die  Zahlen  1  394  120  -  606  =  1  393  514,  und  1437020  -  1646  = 
1  435  374,  die  beide  den  Abstand  eines  Tages  9.  «>  von  dem  am  Fusse 
der  Säulen  stehenden  IXormaldatum  4.  ahau,  8.  cumku  darstellen.  Daneben 
habe  ich  aber  eine  Reihe  von  Ziffern  gesetzt,  die  in  dem  oberen  Abschnitt 
der  Blätter  71 — 73  der  Dresdener  Handschrift  stehen.  Hier  geben  die 
oben  über  den  Kränzen  stehenden  Ziffern  die  Zahlen 

54,  108,  162,  216,  270,  324,  378,  432,  486,  540,  594,  648, 
also  lauter  um  die  Differenz  54  wachsende  Zahlen,  und  es  schliesst  sich 
an  diese  Reihe  eine  andere:  Zahlen,  die  auf  den  Blättern  71  und  70  von 
rechts  nach  links  einander  folgen,  die  mit  720,  also  dem  auf  648  folgenden 
Gliede  beginnen,  aber  dann  immer  um  720  fortschreiten,  und  von  denen 
ich  die  beiden  ersten  Glieder  auf  der  rechten  Seite  der  Abb.  45  noch  hin- 
geschrieben habe.  Die  in  Abb.  45  wiedergegebene  erste  Reihe  ist  nicht 
nur  wegen  der  regelmässigen  Differenz  (54  =  6X9)  interessant.  Sie  ist 
auch  deshalb  merkwürdig,  weil  wir  hier  eine  andere  Verwendung  des 
diakritischen  Zeichens,  des  Kranzes  mit  der  Bandschleife,  vorfinden. 
Während  nämlich  sonst,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  dieser  Kranz  immer 


21.    Monumente  von  Gepan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      725 

bedeutet,  dass  die  Summe,  deren  unterstes  Glied  von  dem  Kranze  um- 
schlossen ist,  zu  subtrahiren  ist,  bedeutet  hier  der  Kranz  im  Gegentheil, 
dass    die    von    ihm    umschlossene    Ziffer    nicht    zu    den    darüberstehenden 


Ziffern  gehört.  Es  sind  vielmehr  diese  von  dem  Kranz  umschlossenen 
Zififern  die  ZifTern  der  Tage  11.  lamat,  13.  ik,  2.  cib,  4.  oc,  6.  kan,  8.  e'tznab, 
10.  eb,  12.  cimi,  1.  ahau,  3.  ix,  5.  lamat,  7.  ik,  —  Tage,  die,  von  9.  ix  als 
Nullpunkt    ausgehend,    immer    um    die  Differenz    von   54  Taoen  von  ein- 


726 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung, 


ander  abstehen  und  deren  Endglied  dann  der  ebenfalls  um  54  Tage  vom 
7.  ik  abstellende  Tag  9.  cib  ist,  der  in  der  anschliessenden,  um  720  Tage 
fortschreitenden  Reihe  dann  auch  wirklich  unter  der  zugehörigen  Ziffer- 
säule hingeschrieben  ist. 

Die  aus  den  vorstehenden  Beispielen  ersichtliche  Zifferschreibung  ist 
die  allgemein  in  der  Dresdener  und  den  anderen  Maya- Handschriften 
übliche.  Einige  wenige  Stellen  kommen  aber  in  der  Dresdener  Hand- 
schrift vor,  wo  die  ZiffBTh'  nach  einem  anderen  Plan  geschrieben  sind, 
indem  die  Multiplikanden,  die  Einer,  die  Zwanziger,  die  Dreihundertund- 
sechziger  u.  s,  w,  nicht  bloss  durch  ihi'e  Stelle  in  der  Ziffersäule  bezeichnet 
sind.  Es  werden  an  diesen  Stellen  überhaupt  keine  Ziffersäulen  geschrieben, 
sondern  der  zusammengesetzte  Zalilausdruck  wird  durch  mit  Ziffern  ver- 
sehene Hierogly|)hen,  die  eben  die  Hieroglyphen  der  Multiplikanden  sind. 


Abb.  46.    Dresdener 
Handschrift  61. 


OO  OOo 


Abb.  47.    Dresdener        Abb.  48.    Dresdener 
Handschi-ift  69.  Handschrift  61. 


Abb.  49. 
Dresdener  Hand- 
schrift 69. 


zur  Anschauung  gebracht.  Das  sind  zunächst  die  beiden  wichtigen 
Blätter  61  und  69  der  Dresdener  Handschrift.  Die  beiden  Blätter  zeigen 
uns  homologe  Darstellungen:  eine  Säule  aus  18  übereinandergestellten 
Paaren  von  Hieroglyphen,  und  dahinter  eine,  bezw,  vier,  grosse  Schlangen- 
figuren, über  deren  geöffnetem  Rachen  eine  Gottheit  thront.  Die  Säulen 
zerfallen  in  zwei  Abtheilungen,  Die  obere,  aus  10  Hieroglyphen-Paaren 
bestehend,  schliesst  mit  dem  Datum  4,  ahau,  8,  cuviku^  die  untere,  aus 
8  Hieroglyphen-Paaren  bestehend,  mit  dem  Datum  9,  kan^  12.  kayab.  Das 
Datum  9,  kan,  12,  kayab  schliesst  auch  die  kurzen  Säulen  von  je  vier  Hiero- 
glyphen-Paaren, die  der  Schreiber  über  den  auf  den  Schlangen  thronenden 
Gottheiten  angebracht  hat. 

In  dem  unteren,  mit  dem  Datum  9.  kan,   12.  kaijab  schliessenden  Theil 
der  grossen  Säulen  sehen  wir  auf  Blatt  69    unmittelbar    über  dem  Datum 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.       7'27 

9.  kan,  12.  kayab  (vgl.  Abb.  49)  eine  Gruppe  von  vier  Hieroglyphen,  deren 
letzte  das  mit  der  Ziffer  4  versehene  Zeichen  für  kin  „Sonne"  oder  „Tag" 
ist.  Es  liegt  nahe,  die  davorstehenden  Hieroglyphen  dementsprechend  als 
4  X  20,  9  X  360  und  15  X  20  X  360  zu  deuten.  Und  in  der  That,  nehmen 
wir  das  an,  so  erhalten  wir  die  Summe  4  +  80  -(-  3240  -f  108000=-  111324. 
Und  das  gibt  wirklich  den  Abstand  eines  Tages  9.  kan  von  dem  darüber 
stehenden  Normal-Datum  4.  ahau^). 

Noch  interessanter  ist  der  obere,  mit  4.  ahau,  8.  cumku  schliessende 
Theil  der  Säulen.  Hier  sehen  wir  (vgl.  Abb.  47),  von  dem  Datum  aller- 
dings durch  einige  Hieroglyphen  getrennt,  eine  ähnliche  Gruppe  von  vier 
Hieroglyphen,  deren  letzte  auch  wieder  die  Hieroglyphe  kin  „Sonne"  oder 
„Tag"  ist.  Die  Gruppe  ist  —  wofür  ich  allerdings  erst  in  dem  weiteren 
Verlauf  dieser  Abhandlung  Belege  beibringen  kann  —  1  X  20  X  360  -|-  8 
X  360  +  16  X  20  +  0  X  1  =  10400  zu  lesen.  Und  das  ist  auch  der  Abstand 
eines  Tages  4.  ahau  von  dem  Normal-Datum  4.  ahau. 

Die  entsprechenden  Gruppen  auf  Tafel  61 
(vgl.  Abb.  48  und  46)  sind  durchaus  homolog. 
Nur  liegt  in  Abb.  48  ein  Fehler  vor.  Die 
letzte  der  vier  Hieroglyphen  ist  natürlich 
nicht  3.  kin,  sondern  4.  kin  zu  lesen. 

Dieselben,  oder  nahezu  dieselben  Hiero- 
glyphen der  Multiplikanden  finden  wir  in 
umgekehrter  Reihe,  von  oben  nach  unten, 
bezw.von  links  nach  rechts,  einander  folgend.  Abb.  50.  Abb.  51. 

in  der  oberen  Abtheilung  von  Blatt  52  der       „  ^'''tZ\.      o  ^?'f  TL 

°  Handschrift  51.     Handschrift  52  a. 

Dresdener  Handschrift  (vgl.  Abb.  51).    Und 

das  Zeichen  kin  „Tag"    ist  auch   auf  Blatt  51    der  Dresdener  Handschrift 

zu  sehen  (Abb.   50),    wo  8.  kin    den  Abstand   der    beiden   dort  stehenden 

Daten,  des  Normal-Datums  4.  ahau  und  des  Tages  12.  lamat  angibt. 

Genau  wie  in  diesen  vereinzelten  Fällen  der  Handschriften  wird  nun 

auf   den    Monumenten    allgemein    geschrieben.     Reihen    von    Ziffern,    bei 

denen  jede  Ziffer,    je    nach    ihrer  Stellung,    einen    verschiedenen  Multipli- 

kationswerth  hat,  kommen  nicht  vor.     Die  Multiplikanden,    die  Einer,  die 

Zwanziger,  die  Dreihundertsechziger  u.  s.  w.,   sind  immer  durch  besondere 

Hieroglyphen    zur  Anschauung    gebracht.     Nur  die  Einzeltage,    die  Einer, 

machen  eine  Ausnahme,    indem    sie    im  Text  häufig  nur  in  Ziff'ern  neben 

die  mit  Ziffer  versehenen  Hieroglyphen  gesetzt  werden,  die  die  Anzahl  der 

Zwanziger   angeben.    Vgl.  die  Abb.  78   unten   S.  733.    Die  Multiplikatoren 

ihrerseits  werden  durch  Ziffern  bezeichnet,  oder  durch  Hieroglyphen,  denen 

ein  bestimmter  Zifferwerth  zukommt.    Die  Reihenfolge  wird  dabei,  nahezu 

1)  In  Bezug  auf  die  Üinal-Daten  finden  sich  hier  und  in  den  folgenden  grossen 
Zahlen  Unregelmässigkeiten,  deren  Ursache  noch  nicht  sicher  ermittelt  ist. 


728  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

ausnahmslos,  genau  innegehalten.  Es  folgen  die  Einer,  oder  einzelne  Tage 
{kin),  die  Zwanziger  (uinal),  die  Dreihundertsechziger  (tun),  die  Zwanzig- 
fachen von  360  (katun)  und  die  Zwanzigfachen  der  Katune,  die  die  letzten 
höchsten  Glieder  der  Zahlen-Ausdrucke  sind.  So  sind  also  in  den  Reihen 
der  „Initial  Series"  die  an  fünfter  Stelle,  unmittelbar  über  dem  ahau- 
Datum  stehenden  Hieroglyphen  Einer  (kin),  die  an  vierter  Stelle  stehenden 
Zwanziger  (uinal),  die  an  dritter  Stelle  stehenden  Dreihundertsechziger 
{tun),  die  an  zweiter  Stelle  stehenden  Katune,  und  die  an  erster,  un- 
mittelbar unter  der  Anfaugs-Hieroglyphe,  dem  Katuu-Zeichen,  stehenden 
Hieroglyphen  sind  Zwanzigfache  von  Katunen. 

Im  Text  der  Inschriften  kommt  es  bisweilen  vor,  dass  die  Reihen- 
folge sich  umkehrt,  dass  nicht  die  Zwanzigfachen  von  Katunen,  oder  über- 
haupt der  grösste  Multiplikationswerth,  sondern  die  Einzeltage,  oder  die 
niedersten  Multiplikationswerthe  zu  oberst  oder  zuerst  stehen.  Aber  inner- 
halb der  Reihe  wird  die  Folge  fast  immer  genau  innegehalten.  Immer 
steigt  es  in  Ordnung  entweder  vom  höchsten  zum  niedersten  Multiplikandus, 
von  den  grössten  zu  den  kleinsten  Zeiträumen,  ab,  oder  vom  niedersten 
und  kleinsten  zu  dem  höchsten  und  grössten  auf. 

Die  Form,  die  die  Hieroglyphen  der  Multiplikanden  auf  den  Monu- 
menten aufweisen,  ist  dabei  zum  Theil  dieselbe,  wie  die,  die  wir  eben  in 
den  Abb.  46—51  kennen  gelernt  haben.  Häufiger  aber  noch  erscheinen 
auf  den  Monumenten  abweichende  und  sehr  merkwürdige  Formen.  Und 
die  monumentale  Ausgestaltung  der  Hieroglyphen  hat  zur  Folge,  dass 
ganze  Figuren,  Menschen-  und  Thier-Gestalten  als  Ausdruck  für  Zahlen 
und  Zeiträume  auftreten. 

Die  Einer,  die  Einzeltage  ki?i,  werden  auch  auf  den  Monumenten  ver- 
schiedentlich durch  die  Hieroglyphe  zum  Ausdruck  gebracht,  die  in  den 
Hieroglyphen-Gruppen  der  Abb.  46 — 49  an  vierter  Stelle  steht  und  die 
ein  Element  enthält,  in  dem  man  schon  längst  das  Zeichen  für  kin 
„Sonne"  oder  „Tag"  erkannt  hat,  weil  dasselbe  Element  in  einem  mit  kin 
zusammengesetzten  Uinal-  oder  sogen.  Monats-Namen  {yaxkin)  und  in  den 
Hieroglyphen  der  ebenfalls  mit  kin  zusammengesetzten  Ausdrücke  für 
Osten  und  Westen  (lakin  und  chikin)  vorkommt,  und  weil  die  Figur  und 
die  Hieroglyi^he  des  Gottes,  den  man  Grund  hat  als  den  Sonnengott 
Kinich  aliau  anzusehen,  dasselbe  Element  an  der  Stirn  trägt.  Wir  finden 
diese  Hieroglyphe  an  der  fünften  Stelle  der  „Initial  Series"  der  Stele  M 
von  Copan  (Abb.  52)  und  an  fünfter  Stelle  der  Initial  Series  der  Altar- 
Platte  des  Kreuz-Tempels  Xr.  1  von  Falenque  (Abb.  55).  Und  auch  im 
Text  der  Altar-Platten  von  Palenque  kommt  diese  Form  an  verschiedenen 
Stellen  vor  (Abb.  53,  54).  In  dem  Bilde  erkennen  wir  die  nach  den  vier 
Richtungen,  d.  h.  allen  Richtungen,  Licht  aussendende  Scheibe.  Das 
Gleiche  führen  uns  das  Bild  der  mexikanischen  Sonne  und  die  mexika- 
nischen Hieroglyphen  für  Spiegel,  Smaragd,  Türkis  vor  Augen.     Die  hart- 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      729 

artigen  Anhänge  habe  ich  früher  wohl  als  Flügel  gedeutet.  Man  wird 
richtiger  vielleicht  an  lodernde  Flammen,  oder  an  den  u  mex  km,  den  ,  Bart 
der  Sonne%  d.  h.  die  Strahlen  der  Sonne,  denken  müssen 


Abb.  52—74.     Hieroglyphe  Kin,  Einer  oder  Einzeltage. 

An  diese  Hieroglyphe  schliessen  sich  die  Hieroglyphen  für  „eins"  un- 
mittelbar an,  die  ich  in  den  Abb.  57-60  wiedergegeben  habe.  Wir  haben 
hier  denselben  Sonnenbart,  aber  statt  der  Sonnenscheibe  den  Sonnengott, 
mit  dem  charakteristischen  grossen  Auge  und  der  eigenthümlichen "aus- 
feilung  der  Schneidezähne,    auf  die  als  Kennzeichen  des  Sonnengottes  ich 


730  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

schon  in  einer  früheren  Abhandlung-  aufmerksam  gemacht  habe^).  Die 
erste  dieser  Figuren  (Abb.  57),  aus  der  Initial  Series  der  Stele  J  von 
Copan,  zeigt  auf  der  Stirn  auch  das  Zeichen  kin.  Eine  besondere  Haar- 
tracht scheint  auch  vorhanden  zu  sein.  Vielleicht  eine  über  der  Stirn 
aufzüngelnde  Locke.  Doch  ist  das  aus  den  Hieroglyphen  nicht  mit 
Sicherheit  festzustellen.  Ganz  nach  Art  dieser  Hieroglyphen  ist  die 
Abb.  56  aus  dem  Text  des  Kreuztempels  Nr.  H  von  Palenque.  Der 
Sonnengott,  wie  in  Abb.  57 — 60.  Nur  fehlt  der  Sonnenbart.  Aber  auf 
der  Wange,  vor  dem  Ohr,  ist  wieder  die  Sonnenscheibe  angegeben. 

Eine  neue  Form  der  Hieroglyphe  für  „eins"  zeigen  uns  die  Abb.  61 
bis  65.  Hier  ist  es  nicht  mehr  das  Gesicht  des  Sonnengottes,  sondern  ein 
Vogel-Gesicht.  Die  Beziehung  zur  Sonne  ist  aber  auch  hier  in  Abb.  61 
durch  das  Bild  der  Sonnenscheibe  auf  der  Wange  vor  dem  Ohr  und  bei 
den  übrigen  Figuren  durch  den  gekrümmten  Hauzahn  des  Sonnengottes 
angezeigt.  Ich  erinnere  daran,  dass  wir  oben,  bei  Besprechung  der  Formen 
des  Tageszeichens  ahau^  fanden,  dass  ein  Vogel-Gesicht  stellvertretend  für 
das  Bild  des  Sonnengottes  eintritt.  In  unseren  Abb.  61 — 65  ist  überall 
deutlich  ein  über  die  Stirn  gehendes,  breites  Band  gezeichnet,  das  in 
Abb.  63  deutlich  ein  Mattengeflecht  aufweist.  Sollte  hier  das  mecapalli, 
das  Band,  o^'emeint  sein,  das  der  indianische  Lastträger  sich  über  die  Stirn 
legt?  Und  sollte  hier  der  Vogel  der  Träger  der  Sonnenscheibe  sein? 
Dann  hätten  wir  eine  interessante  Parallele  für  gewisse  altweltliche  Dar- 
stellungen. 

Ein  merkwürdiges  Bild  zeigt  uns  die  Abb.  66,  die  au  fünfter  Stelle 
der  Initial  Series  der  Stele  N  von  Copan  steht.  Hier  liegt  augenscheinlich 
eine  pathologische  Bildung  vor:  eine  zerstörte  Nase  und  eine  Wucherung- 
unter  dem  Auge.  Wenn  man  bei  der  Nasenform  auch  Zerstörung  des 
Steins  oder  mangelhafte  Zeichnung  annehmen  wollte,  so  ist  doch  die 
Wucherung-  unter  dem  Auge  kaum  anders,  denn  als  ein  Krankheits-Er- 
zeugniss  zu  deuten.  Man  möchte  an  präkolumbische  Lepra  denken,  wenn 
sie  nachgewiesen  wäre,  oder  an  Syphilis.  Jedenfalls  scheint  eine.  Haut- 
krankheit vorzuliegen.  Eine  Erklärung  für  das  Vorkommen  dieser  merk- 
würdigen Hieroglyphe  ist,  glaube  ich,  nicht  schwer  zu  geben.  Aus  den 
Berichten  der  Mexikaner  wissen  wir,  dass  die  sozusagen  Aussätzigen,  die 
Hautkrauken  und  mit  Syphilis  Behafteten,  dem  Sonnengott  geweiht  waren, 
dass  Nanauatzin^  der  „kleine  Syphilitiker"  es  war,  der  in  das  Feuer  sich 
stürzend  darnach  als  Sonne  am  Himmel  emporstieg.  —  Eine  ähnliche 
Deutung  möchte  ich  auch  dem  Kopf  der  Figur  geben,  die  auf  der  Stele  D 


1)  „Alterthümer  aus  Guatemala".  Veröffentlichungen  aus  dem  Königl.  Museum 
für  Völkerkunde,  Band  TV,  Heft  1,  S.  37.  —  Bekanntlich  sind  in  dieser  Weise 
ausgefeilte  Schneidezähne  in  der  That  bei  den  Ausgrabungen  des  Peabody-Museums 
in  Copan  gefunden  worden. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      731 

von  Copan  einen  einzelnen  Tag  bezeichnet  (vgl.  Abb.  73).  Ob  auch  die 
Abb.  67,  der  Initial  Series  der  Hieroglyphen-Treppe  von  Palenque 
(Maudslay  IV,  PL  23)  entnommen,  hierher  zu  rechnen  ist,  oder  ob  nur 
eine  durch  Verstümmelung  entstandene  Veränderung  der  Züge  des  Sonnen- 
gottes vorliegt,  lasse  ich  dahingestellt. 

Nicht  zu  deuten  vermag  ich  die  Abb.  68,  69  und  70,  71,  die  im  Text 
der  Monumente  für  „eins"  vorkommen.  Erstere  zeigen  den  Kopf  eines 
hundeartigen  Thieres,  bei  dem  das  Auge  durch  ein  paar  gekreuzte  Todten- 
knocheu  ersetzt  ist.  Von  Abb.  70,  71  vermag  ich  auch  nicht  einmal 
genau  anzugeben,  was  das  Bild  vorstellen  soll.  Vielleicht  ein  Schnecken- 
Gehäuse.  Der  Werth  der  einen  und  der  anderen  Form,  als  Hieroglyphen 
für  „eins",  ergibt  sich  aber  durch  die  Rechnung  als  ausser  allem  Zweifel. 

Eine  letzte  Form  der  Hieroglyphe  „eins"  (Abb.  22)  habe  ich  auf  der 
schönen  Cedrelaholz-Platte  von  Tikal  gefunden,  die  durch  Dr.  Bernouilli 
nach  dem  Museum  von  Basel  gekommen  ist.  Diese  Hieroglyphe,  die  vor 
einem  Datum  steht,  das  in  der  That  um  einen  Tag  dem  vorher  ver- 
zeichneten Datum  voraus  ist,  zeigt  uns  zwischen  einem  hieroglyphischen 
Element,  das  ich  schon  längst  als  Himmel  gedeutet  habe^),  und  dem 
Element  caban^  das,  wie  wir  oben  sahen,  die  Erde  bezeichnet,  die  Sonnen- 
scheibe, und  zwar,  wie  aus  einem  Spalt  zwischen  der  Hieroglyphe  Himmel 
und  der  Hieroglyphe  caban  hervorkommend,  ein  leicht  verständliches  Bild 
des  anbrechenden  Tages. 

Ich  gehe  über  zu  den  an  vierter  Stelle  in  den  Initial  Series  stehenden 
Hieroglyphen,  die  uns,  wenn  die  oben  auseinandergesetzte  Theorie  sich 
bewährt,  die  Zwanziger,  die  Uinal^  oder  Zeiträume  von  zwanzig  Tagen 
bezeichnen.  In  den  Gruppen  Abb.  48,  49  der  Dresdener  Handschrift  (oben 
S.  726)  ist  an  der  betreffenden  Stelle  (der  dritten)  eine  Hieroglyphe  ge- 
zeichnet, die  als  wesentliches  Element  das  Tageszeichen  chuen  enthält. 
Dasselbe  Zeichen  sehen  wir  in  der  Tliat  an  der  entsprechenden  Stelle  der 
Initial  Series  des  Kreuztempels  Nr.  I  von  Palenque  (Abb.  76),  der  Initial 
Series  der  Stele  C  von  Copan  und  an  zahllosen  Stellen  des  Textes,  wobei 
besonders  häufig  die  Zahl  der  Einzeltage  daneben  einfach  durch  eine  Ziffer 
zum  Aasdruck  gebracht  ist,  wie  das  die  Abb.  78  uns  zeigt,  die  12  X  20  -f-  2 
zu  lesen  ist.  Dem  Maya-Tageszeichen  chuen  entspricht  bekanntlich  das 
mexikanische  o<;omätli,  „Affe".  Ich  habe  seinerzeit^)  eine  Verbindung 
zwischen  dem,  dem  Worte  chuen  zu  Grunde  liegenden  Begriff  und  dem 
Affen  hergestellt,  indem  ich  auf  das  Zwillingsbrüder-Paar  Hun  batz  („eins 
Affe"),    Hun  chouen    verwies,    von  denen  das  Popul  Vuh  uns  erzählt,    dass 


1)  Es  kommt,  mit  der  Ziffer  13  verbunden,  in  der  Hieroglyphe  des  Vogels 
Moan  vor,  und  ich  habe  es  dort  als  die  oxla/mn  taz  mmjal,  „die  dreizehn  Schichten 
der  Wolken"  gedeutet  (vgl.  oben  S.  486,  487). 

2)  „Tageszeichen  der  aztekischen  und  der  Maya-Handschriften",  Zeitschrift  für 
Ethnologie  XX  (LssS),  S.  72—73  (oben  S.  47«,  479). 


732 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Ton  ihm  das  Geschlecht  der  Affen  abstamme.  Gegen  diese  Zusammen- 
bringung ist  von  gewisser  Seite  polemisirt  worden,  weil  der  betreffende 
Autor  das  Zeichen  chuen  aucli  bei  einer  beissenden  Schlange  fand  und  es 
deslialb  lieber  mit  der  Schlange  in  Verbindung  bringen  zu  müssen  glaubte. 
Diese  Einzeldeutung  ist  zweifellos  unrichtig.  Das  Element  chuen  kommt 
so  häufig  in  den  Hieroglyphen  und  den  Figuren,  und  in  so  vielseitiger 
Verwendung  vor,  dass  der  Autor  mit  dem  Begriffe  „Schlange''  sicher  nicht 
durchkommt.  Ich  halte  die  A'^erbindung  mit  dem  mexikanischen  ocomätli 
aufrecht,  und,  bin  der  Meinung,  dass  das  Bild  chuen  zur  Bezeichnung  des 
Affen  verwendet  wurde,  weil  der  Affe  das  zähnefletschende  Thier  ist. 
Denn  das  Zeichen  chuen  scheint  mir  in  der  That  nichts  weiter  als  einen 
offenen  Rachen   darzustellen.     Ich    verweise    auf    die  Abb.  75,    die    der 

Figur  auf  der  Rückseite  der  Stele  H  von  Copan 
entnommen  ist.  Man  sieht,  dass  die  ausgefeilten 
unteren  Schneidezähne  genau  die  Figur  geben, 
die  in  dem  chuen-B'ilde  in  der  Mitte  des  unteren 
Randes  in  den  Innenraum  vorragt  und  die  in 
Abb.  77  nur  in  etwas  abgerundeter  Form  ge- 
zeichnet ist.  Die  an  den  Seiten  in  den  Innen- 
raum vorragenden  Theile  stellen  die  Eckzähne 
dar.  Das  Element  am  oberen  Rande  endlich 
müssten  die  oberen  Schneidezähne  sein.  In  der 
That  finden  wir  dieses  gelegentlich  (vgl.  Ab- 
bildung 79,  80)  genau  in  der  Form  gezeichnet, 
wie  das  gegenüberliegende  des  unteren  Randes, 
das  wir  schon  als  die  ausgefeilten  unteren 
Schneidezähne  erkannt  haben.  Vielleicht  könnte 
aber  auch  das  obere  Element  —  wenigstens 
-78  —  ein  Auge  angeben  und  den  offenen 
Dass    der    offene,    zähnestarrende 


Abb.  75.    Gesicht  des  Sonnen- 
gottes. Von  der  Eückseite  der 
Stele  H  von  Copa)i. 


in  den  Abbildungen  76- 
Rachen  zum  Ausdruck  bringen  sollen. 
Rachen  den  Begriff  eines  Thieres  gab,  dass  man  au  „beissen"  dachte, 
auch  dass  man  den  im  Affekt  den  Rachen  w-eit  aufreissenden  Affen  durch 
dieses  Symbol  bezeichnete,  lässt  sich  alles  verstehen.  Wie  kommt  aber 
dieses  Zeichen  dazu,  die  Zahl  zwanzig  auszudrücken?  \  In  den  Maya- 
Sprachen  wird  allgemein  die  Zahl  zwanzig  durch  Ableitungen  von  dem 
Stamme  u-in  ausgedrückt,  dem,  wie  es  scheint,  eine  ursprüngliche  Be- 
deutung „sich  vermehren"  zukam,  und  von  dem  auch  die  Ausdrücke  für 
Mensch  —  Quiche  vinak,  Maya  uinic  —  hergeleitet  sind,  die  vielfach 
geradezu  zur  Bezeichnung  der  Zahl  zwanzig  verwendet  wurden.  Das 
Maya-Wort  tänal  für  den  Zeitraum  von  20  Tagen  führt  natürlich  auch  auf 
denselben  Stamm  zurück.  Dass  „Mensch"  und  „zwanzig"  sich  decken, 
begreift  man.  Wenn  man  mit  dem  Abzählen  der  Finger  zu  Ende  ist, 
kommt  man  auf  zehn,    und    wenn    man    auch  die  Zehen  zu  Hülfe  nimmt. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.       733 

auf  zwanzig-.  Darum  sind  die  Zahl-Systeme  der  verschiedenen  Völker 
bald  auf  der  Einheit  von  zehn,  bald  auf  der  von  zwanzig  aufgebaut.  Soll 
man  nun  annehmen,  dass  die  alten  Maya-Literaten  zwanzig  gleichartige 
Dinge  zu  Grunde  legen  wollten  und  lieber  an  die  Zahl  der  Finger  des 
Affen,  als  an  die  Pinger  und  Zehen  des  Menschen  denken  wollten?  Ich 
glaube,  UKin  kann  das  als  Konjektur  annehmen,  so  lange  man  keine  bessere 


Abb.  76—101.    Hieroglyphe  Uinal,  Zwanziger,  oder  zwanzig  Tage. 


Erklärung  weiss.  Wenn  einmal  die  Sprachen  der  Maya-Stämme  gründ- 
licher bekannt  sein  werden,  wird  man  vielleicht  eine  befriedigendere  Er- 
klärung finden. 

Das  Zeichen  chuen  kommt  zur  Bezeichnung  der  Zahl  zwanzig  im 
Text  der  Monumente  ungemein  häufig  vor.  Es  ist  aber  durchaus  nicht 
die  einzige  dafür  verwandte  Hieroglyphe;  daneben  erscheint  im  Text  der 
Monumente  bisweilen,  und  in  den  Initial  Series  fast  regelmässig,  ein 
anderes  Zeichen,  der  merkwürdige  Thierkopf,  dessen  verschiedene  Vor- 
kommnisse   ich    in    den    Abb.  81  —  95  und   97 — 100    wiedergegeben    habe. 


734  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung, 

^Vie  schon  die  Köpfe  erkennen  lassen,  niul  wie  es  noch  deutlicher  die 
ganze  Figur  zeigt,  die  auf  der  Stele  D  von  Copan  diese  Hieroglyphe  zum 
Ausdruck  bringt  (Abb.  97),  handelt  es  sich  hier  augenscheinlich  um  ein 
Reptil.  Und  ich  glaube,  man  wird  an  die  Iguana  (im  Maya  huh  genannt) 
denken  müssen.  Dafür  sprechen  das  Aussehen  der  ganzen  Figur,  die 
kurzen  dreieckigen  Zähne,  —  der  seitlich  heraushangende  gekrümrate 
Eckzahn  ist  natürlich  Phantasie,  wird  aber  von  den  Mayaschreibern  genau 
in  gleicher  AYeise  in  dem  Bilde  der  Schildkröte  gezeichnet  — ,  dafür 
spricht  das  deutlich  markirte  runde  Nasenloch  und  vielleicht  auch  das 
über  dem  Ohr  angebrachte  runde  Schild,  auf  dem  mit  grosser  Regel- 
niässigkeit  drei  kleine  Kreise  angegeben  sind.  Damit  könnte  das  grosse, 
von  grossen  Schuppen  umsetzte  äussere  Trommelfell  gemeint  sein.  Viel- 
leicht aber  auch  die  grossen  höckrigen  Schuppen,  die  bei  der  Iguana  in 
der  Nackengegend,  also  gewisserraassen  über  dem  Ohr,  zu  sehen  sind. 
Ich  habe  in  Abb.  101  noch  eine  Thierfigur  der  Dresdener  Handschrift 
hinzugefügt,  die  auch  am  Ohr  ein  solches  Schild  mit  drei  Punkten  hat, 
und  vielleicht  dasselbe  Thier  bezeichnen  soll.  —  Wie  kommt  nun  aber, 
müssen  wir  wieder  fragen,  die  Iguana  dazu,  ein  Symbol  für  die  Zahl  20 
zu  sein?  Ich  kann  leider  hierfür  auch  nicht  einmal  eine  Yermuthung 
beibringen  und  begnüge  mich,  die  Thatsache  festzustellen.  Eine  ab- 
weichende Gestalt  zeigt  die  Hieroglyphe  uinal  auf  der  Stele  P  von  Copan 
(Abb.  96).  Hier  haben  wir  denselben  Vogelkopf  wie  in  der  Hieroglyphe 
kin.  Nur  der  Hauzahn  fehlt.  Und  an  der  Schläfe  sieht  man  ein  Orna- 
ment, das  fast  wie  ein  Ammonit  oder  Nautilusgehäuse  aussieht. 

Andere  Zeichen  für  die  Zahl  zwanzig  kommen  in  den  Handschriften 
und  auch  auf  den  Monumenten  vor,  die  ich  aber  hier  noch  unbesprochen 
lasse,  weil  sie  nicht  als  Multiplikanden,  nicht  als  Bezeichnung  eines  Uinal, 
sondern  als  Multiplikatoren,  oder  einfach  als  Ziffer  „zwanzig"  verwendet 
werden.  Dagegen  darf  ich  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  in  der  dritten 
Hieroglyphe  der  Abb.  46,  47  der  Kopf  mit  dem  Kreuz  als  Auge  und  dem 
fleischlosen  Unterkiefer,  wie  ich  später  zu  zeigen  haben  werde,  als  16  zu 
lesen  ist,  und  dass  demgemäss  die  an  der  Hinterseite  dieses  Kopfes  sicht- 
bare Figur,  die  wie  eine  Schleife  oder  wie  ein  Ohrpflock  mit  einem  oberen 
und  unteren  Anhang  aussieht,  vielleicht  als  eine  andere  Bezeichnung  der 
Zahl  zwanzig  aufzufassen  ist. 

Der  nächst  höhere  Multiplikandus  ist  die  Zahl  360  oder  ein  Zeitraum 
von  360  Tagen.  Die  Maya  hatten  für  diese  Zeiträume,  von  denen  zwanzig 
auf  ein  Katun  kamen,  den  Ausdruck  tun,  „Stein".  So  liest  man  im 
historischen  Theil  des  Chüam  Balam  von  Mani:  —  turnen  hunpiz  tun  oxlahun 
ahau  cuchie,  ca  uliob  uay  ti  petene:  denn  im  ersten  Tun  (Abschnitt)  des 
(Katun)  13  ahau  war  es,  dass  sie  (die  Spanier)  hierher  nach  Yucatan 
kamen".  —  Und  im  Chüam  Balam  von  Chumayel:  —  tu  yox  piz  tun  ychil 
hun  ahau  paxci  u  chich'een:  „im  dritten  Tun  (Abschnitt)  im  (Katun)  1  ahau 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      735 

^rde  Chi  cKeen  zerstört".  -  Dazu  stimmt  es  dann  vortrefflich  dass  wir 
als  Hieroglyphe  für  diese  Zeiträume  ein  Zeichen  verwendet  finden  dem 
ich  schon  längst  aus  anderen  Gründen  den  Lautwerth  ^-  -f -.^;" J 
müssen  glaubte^).    Wir  sehen  dies  in  den  der  Dresdener  Handschrift  ent- 


Abb  102-125.    ffieroglyphe  Tun,  Dreihundertundsechziger  oder  Zeiträume 

von  360  Tagen. 

„ommeuen  Abb.  46-49  (oben  S.  726),  wo  die  ™-*;  ,«-™f  P.^^.  ''" 
Gruppen  die  Zeitränme  von  360  Tagen,  die  Tun,  darstell .  -  n  Abb.  46 
ist  L  Zeichen  tun   mit  einen,  Kopf  verbunden,    der   pleonast.sch   noch 


1)  Vgl.  meine  Bemerkungen  darüber  oben  S.  553. 


736  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

einmal  deu  vorher  schon  durch  die  Ziöer  bezeichneten  Multiplikator  acht 
zur  Anschauung  bringt.  » Das  Gleiche  zeigen  uns  auch  die  Monumente, 
wo  wir  dieselbe  Hieroglyphe  an  der  entsprechenden  Stelle  (der  dritten), 
sowohl  im  Text  der  Monumente  (vgl.  Abb.  108,  104),  wie  auch  gelegentlich 
in  der  Initial  Series  vorfinden  (Abb.  102).  Mitunter  allerdings  nicht  allein, 
sondern  getragen  von  einem  Togelkopf  (vgl.  Abb.  105,  106),  der  vielleicht 
allgemein  den  Begriff  Zeitraum  zur  Anschauung  bringt.  Einmal  auch 
finden  wir  (vgl.  Abb.  107)  den  Zeitraum  von  360  Tagen  durch  einen 
Vogelkopf  über  dem  Zeichen  tun  ausgedrückt,  oder  durch  einen  Yogel- 
kopf,  bei  dem  der  Unterschnabel  oder  Unterkiefer  durch  das  Zeichen  tun 
ersetzt  ist. 

Diese  letztere  Hieroglyphe,  Abb.  107,  bildet,  meine  ich,  den  Ueber- 
gang  und  liefert  die  Erklärung  zu  der  anderen  Form  der  Hieroglyphe  360, 
die  in  den  Initial  Series  der  Monumente  nahezu  ausschliesslich,  und  ge- 
legentlich auch  im  Text  der  Monumente  vorkommt,  und  von  der  ich  die 
wichtigsten,  mir  bekannt  gewordenen  Formen  in  den  Abb.  108 — 125 
wiedergegeben  habe.  Man  sieht,  dass  hier  überall  ein  Togelkopf,  bezw. 
Vogelleib  und  Yogelkopf,  gezeichnet  ist,  dem  als  Unterschnabel  oder 
Unterkiefer  ein  Knochen  eingesetzt  ist.  Ich  glaube,  dass  wir  die 
Ideeuverbindung  von  tun  „Stein"  und  bac  (oder  Qu'iche  hak)  „Knochen" 
heranzuziehen  haben,  und  dass  wir  so  die  Abb.  107  mit  den  folgenden 
Abbildungen  zu  parallelisiren  haben.  In  der  That  finden  wir  in  der 
Tzeltalsprache  für  die  auf  zwanzig  (tah)  folgende  höhere  Einheit  —  dem 
Vokabularium  nach  die  Zahl  20x20  =  400  in  Wahrheit  aber  wohl  18x20 
=  360  bezeichnend  —  das  Wort  bac  „Knochen"  gebraucht.  Als  akzessorische 
Kennzeichen  dieser  zweiten  Form  der  Hieroglyphe  360  kommen  die  drei 
kleinen  Kreise  im  Auge  hinzu,  die  vielleicht  die  durch  den  Knochen  an- 
geregte Idee  weiter  spinnen  und  eine  leere,  blutende  Augenhöhle  dar- 
stellen sollen.  Und  ganz  in  Ueberein Stimmung  damit  finden  wir  denn 
auch,  wo  der  ganze  Vogelleib  gezeichnet  ist,  den  Rumpf  als  Skelett 
mit  fleischloser  Wirbelsäule  und  fleischlosen  Rippen  dargestellt  (vgl. 
Abb.  124). 

Auf  die  Tun  folgen  die  Katun^  die  Hauptperioden,  die  Zeiträume  von 
20  X  360  Tagen.  Da  das  Wort  tun  in  Katun  enthalten  ist,  so  ist  es  nur 
natürlich,  dass  wir  auch  in  der  Hieroglyphe  Katun,  der  ersten  Hieroglyphe 
der  Abb.  46—49  (oben  S.  726),  und  in  den  Abb.  126—128,  die  der 
zweiten  Stelle  der  Initial  Series  der  Altarplatte  des  Kreuztempels  I  von 
Palenque  und  den  Stelen  C  und  M  von  Copan  entnommen  sind,  als 
Hauptelement  das  Zeichen  tun  finden.  Ich  habe  schon  auf  einer  der 
ersten  Seiten  dieser  Abhandlung  auf  die  Gleichartigkeit  hingewiesen,  die 
zwischen  der  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe  der  Monumente  (Abb.  3 
bis  26,  oben  S.  715—717)  und  dieser  Katun-Hierogljphe  besteht.  In  der 
That,    wir  haben  hier,    wie  da,    als  Hauptelemeut  das   Zeichen    tun.     Wir 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.       737 

haben  das  Letztere  gekrönt  oder  eiugefasst  von  zwei  seitlich  stehenden 
Elementen,  deren  Identit.ät  in  die  Augen  springt,  und  die  uns  gewisse 
ornamentale  Formen  der  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe  (Abb.  3 — 6, 
oben  S.  71ö)  als  Abbreviaturen  oder  Symbole  einer  Fischfigur  erkennen 
Hessen.  Wir  haben  endlich  zwischen  diesen  seitlich  stehenden  Elementen 
in  der  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe   einen  Kopf,   der  in  der  Anfangs- 


fJO 


Abb.  1 26 — 14 1 .  Hieroglyphe  Katun,  das  Zwanzigfache  von  360  oder  Zeiträume  von  7200  Tagen. 


und  Haupt-Hieroglyphe  in  verschiedenen  Formen  erscheint,  bald  als 
Wassergottheit  Ah  bolon  tzacah^  bald  als  Sonnengott,  bald  als  Frau,  bald 
als  Jaguar,  bald  als  Krokodil,  oder  endlich  auch  durch  ein  Tageszeichen 
{ik  oder  caban)  ersetzt  ist  —  wie  ich  oben  auseinandersetzte,  wahrscheinlich 
mit  Beziehung  auf  die  verschiedenen  Himmelsrichtungen,  unter  die,  nach  der 
Anschauung    dieser    alten  Stämme,    die  verschiedenen  Zeitperioden   fielen. 


Seier,  Gesammelte  Ablian(llnnp:en  I. 


47 


738  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

AVir  haben  iu  der  Katun-Hieroglyphe  dagegen  an  dieser  Stelle  aus- 
nahmslos dasselbe  Element,  das  Tageszeiehen  cauac.  das  bekanntlich  dem 
mexikanischen  quiauitl  ..Regen''  entspricht  und  dfher  wohl  den  Regen- 
und  "NViudgott  schleclitweg  als  den  Herrn  der  Himmelsrichtungen  nnd  der 
Jahreszeichen  bezeichnen  soll.  In  einer  Zusammensetzung  der  Worte 
„Fisch"  cay  und  ^.Stein"  tun  habe  ich  oben  einen  Anklang  an  das  Wort 
Katun  erkennen  zu  müssen  geglaubt.  Und  es  ist  diese  Identität  der  An- 
fangs- und  Haupt-Hieroglyphe  der  Monumente  mit  der  A'afM7i-Hieroglyphe 
der  strikteste  Beweis,  dass  all  diese  Monumente  Zentral-Amerikas  sich 
auf  jene  vielgenannten  grossen  Zeitperioden  beziehen. 

Die  Abb.  126— 128  stellen  indes  nicht  die  einzige  Form  der  Hiero- 
glyphe Katun  dar.  Im  Text  der  Monumente  selten,  um  so  häufiger  dafür 
in  den  Initial  Series,  finden  wir  die  Zeiträume  von  20  X  360  Tagen  durch 
einen  Vogelkopf  zur  Anschauung  gebracht,  dessen  Besonderheiten  eine  das 
Auge  überschattende  dichte  Federbraue  und  ein  die  Schuabelwurzel  um- 
gebender Federbart  zu  sein  scheint  (vgl.  insbesondere  die  Abb.  139,  131, 
135).  und  der  gelegentlich  auch  (vgl.  Abb.  129  u.  130)  mit  der  oberen 
Hälfte  der  ersten  Form  der  Katun-Hieroglyphe,  dem  von  dem  Zeichen 
cay  eingefassten  caj/oc-Zeicheu.  gekrönt  erscheint^).  Freilich  kommen 
auch  Formen  vor  (vgl.  insbesondere  die  Abb.  134,  136,  137,  138),  die 
weder  die  eine,  noch  die  andere  dieser  Besonderheiten  deutlich  erkennen 
lassen,  und  wo  es  mir  noch  nicht  möglich  gewesen  ist,  das  gerade  diese 
Zeiträume  kennzeichnende  Merkmal  herauszufinden. 

Die  letzten  und  höchsten  Multiplikanden  sind  die  Zahlen  20  X  20  X  360 
oder  Perioden  von  20  Katunen,  für  die  im  Tzeltal  der  2Same  mam  „Gross- 
vater"  gebraucht  wird,  für  die  mir  aber  aus  Yucatan  kein  einheimischer 
Js^ame  bekannt  ist.  Ich  werde  sie  als  Zyklen  bezeichnen.  Das  ist  auch 
der  höchste  Multiplikandus,  mit  dem  in  den  Handschriften  gerechnet  wird. 
Wir  haben  absolut  keine  Veranlassung,  anzunehmen,  dass  die  Maya  mit 
noch  grösseren  Zeiträumen  rechneten,  wenn  auch  in  den  Wörterbüchern 
Zahlbenennungen  gegeben  werden,  die  noch  um  zwei  Grade  höher  atif- 
steigen.  Eine  Hierogh-phe  für  diese  Perioden  ist  mir  aus  den  Hand- 
schriften nicht  bekannt.  Auf  den  Monumenten  aber  kommen  zwei  ver- 
schiedene Formen  von  ihr  vor.  Die  eine  (Abb.  142  — 145)  ist  die  im 
Text  der  Monumente  übliche,  kommt  aber  auch  in  den  Initial  Series 
vor.     Die  andere  (Abb.  146 — 158)  wird  mit  Vorliebe  in  den  Initial  Series 


1)  In  der  Initial  Series  des  Altars  S  von  Copan  sind  augenscheinhch  die  die 
Zahlen  360  und  '20  X  360  bezeichnenden  Vogelköpfe  mit  einander  verwechselt.  Es 
erscheint  der  Vogel  mit  dem  Knochen  als  Unterkiefer  (die  Hieroglyphe  360)  an 
zweiter  Stelle  und  mit  dem  von  den  crt^r-Zeichen  eingefassten  c-ö»flc-Zeichen  gekrönt, 
xmd  der  Vogel  mit  der  Federbraue  und  dem  Federbart  (Hieroglyphe  20  X  360)  an 
dritter  Stelle,  wo  die  Hieroglyphe  3t)0  stehen  sollte. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      739 

verwendet,  wo  sie  dann  die  erste  Stelle  einnimmt.  Die  erstere  Form  der 
Hieroglyphe  (Abb.  142 — 145)  zeigt  uns  zweimal  nebeneinander  das  Zeichen 
cauac  und  darunter  noch  häufig  (vgl.  Abb.  142  u.  143)  eine  Figur,  die  wie 
eine  zusammeugeknotete  Strähne  Garn  aussieht.  Die  andere,  monumentalere 
Form    der  Hieroglyphe    des  Zyklus    (Abb.  14ß  — 158)    stellt    wieder    einen 


/n 


Abb.  142—158.     Hieroglyphe  des  Zyklus,  des  Zwanzigfachen  eines  Katun.  oder  der 
Zeiträume  von  UIOOO  Tagren. 


Vogelkopf  dar.  der  aber  als  auszeichnende  Besonderheit,  als  Unter- 
kiefer, oder  am  Unterkiefer,  die  Figur  einer  menschlichen  Hand  zeigt,  an 
deren  Grunde  eine  ovale  Scheibe  augenscheinlich  die  als  Handgelenks- 
Schmuck  getragenen  Perlen  zum  Ausdruck  bringen  soll.  Ob  die  Figur 
der  Hand  hier  etwa  „Zusammenfassung''  bedeutet,  oder  welche  Idee  sonst 
dieser  Zeichnung  zu  Grunde  liegen  könnte,  darüber  vermag  ich  nichts  an- 

17* 


740  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 

zugeben.  Ich  bemerke  nur.  dass  wir  die  Hand  in  ähnlicher  Weise  auch 
an  menschlichen  Figuren  und  Köpfen,  aber  dann  mit  ganz  anderer  Be- 
deutung finden  werden. 

AVir  haben  demnach  unter  den  Hieroglyphen,  die  als  Multiplikanden 
Glieder  der  Initial  Series  bilden,  mit  Ausnahme  der  letzten  (an  erster 
Stelle  stehenden),  überall  Formen  gefunden,  die  genau  mit  denen  über- 
einstimmen, für  die  aus  der  Dresdener  Handschrift  schon  die  Zahlen- 
werthe  1 ,  20.  360,  20  X  360  festgestellt  wurden.  Die  in  der  Einleitung 
aufgestellte  Theorie,  dass  die  Hieroglyphen,  die  die  Glieder  der  Initial 
Series  bilden,  in  dieser  Weise  aufsteigende  Multiplikanden  bilden,  wird 
dadurch  allein  schon  sehr  wahrscheinlich  gemacht.  Als  wirklich  begründet 
indes  wird  man  diese  Theorie  erst  dann  betrachten  dürfen,  wenn  der 
Nachweis  gelingt,  dass  das  Exempel  stimmt,  d.  h.  wenn  die  in  dieser 
Weise  angenommenen  Zahlenausdrücke  bei  der  Zusammenrechnung  eine 
Summe  ergeben,  die  zu  dem  darauf  folgenden  Datum  passt  und  zu  ihm 
in  bestimmter  gesetzmässiger  Beziehung  steht,  so  dass  aus  der  Summe  der 
in  dieser  Weise  angenommenen  Zahlenwerthe  das  Datum  selbst  sich  ergibt. 
Einen  solchen  Nachweis  glaube  ich  nun  in  der  That  für  den  grössten  Theil 
dieser  Monumente  beibi'ingen  zu  können. 

Eines  der  schönsten  Resultate  der  arithmetischen  Untersuchungen 
Förstemann's  bezüglich  der  Dresdener  Handschrift  ist  der  Nachweis, 
dass  die  grossen  in  dieser  Handschrift  aufgeführten  Zahlenreihen,  was 
immer  auch  das  Euddatum  sei,  auf  das  sie  sich  beziehen,  in  den  aller- 
meisten Fällen  von  einem  und  demselben  Normaldatum  ihren  Anfang 
nehmen,  und  zwar  von  dem  Tage,  der  mit  der  Ziffer  vier  und  dem 
Zeichen  ahau  bezeichnet  wird,  und  der  zugleich  der  achte  Tag  des 
UinaTs  cumku  ist.  Förstemaun  hat  bis  vor  wenigen  Jahren  noch  der 
Ansicht  gehuldigt,  dass  die  Katune  der  Maya  an  einem  und  demselben 
Tage  des  Jahres  beo-anuen,  und  dass  sie  einen  Zeitraum  von  24  Jahren 
urafassten.  Die  besondere  Bedeutuuo-  des  von  ihm  entdeckten  Normal- 
datums  springt  aber  erst  dann  in  die  Augen,  wenn  man  weiss,  dass  das 
letztere  nicht  der  Fall  war,  sondern  dass  die  Katune  der  Maya,  wie  ich 
das  nachgewiesen  habe,  einem  Zeitraum  von  20  X  300  Tagen  entsprachen 
und  dass  ihre  Anfänge  auf  wechselnde  Tage  fielen;  denn  es  liegt  dann 
natürlich  sehr  nahe,  anzunehmen,  dass  das  Normaldatum  nicht  ein  zufällig- 
bestimmter  Tag  innerhalb  der  grösseren  Zeiträume,  sondern  dass  es  selbst 
der  Anfangstag  einer  Periode,  eines  Katun's,  war. 

Aehnlich  wie  hier  das  Normaldatum,  und  wie  vielfach  die  Daten  der 
Handschriften  überhaupt,  werden  auch  auf  den  Monumenten  die  ahau-  und 
anderen  Tage,  die  am  Schluss  der  Initial  Series  stehen  oder  im  Text  der 
Monumente  vorkommen,  nicht  bloss  durch  Ziffer  und  Zeichen  gegeben, 
sondern    mit    einem    Uinal- Datum    koinbiuirt.     Tao-eszeichen    und    Uinal- 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      741 

Zeichen  zeigen  dabei,  wie  das  auch  schon  von  anderer  Seite  erkannt 
worden  ist,  auf  den  Monumenten  im  Wesentlichen  die  gleiche  Form,  wie 
die,  die  uns  Landa  überliefert  hat  und  die  aus  den  Handschriften  sich 
feststellen  lassen. 

Ich  gebe  in  den  Abb.  Iö9— 1G4  eine  Uebersicht  der  Tages-  und  der 
Uinal-Hieroglyphen,  nach  Landa,  nach  den  Handschriften,  und  wie  sie 
auf  den  Monumenten  vorkommen,  ohne  mich  heute  in  eine  Diskussion 
dieser  Formen  einzulassen. 

Von  cliiccluni  ist  mir  keine  sichere  Form  auf  den  Monumenten  bekannt,  ebenso 
wenig  von  muhic.  Das  Zeichen  chien,  das  auf  den  Monumenten  so  vielfach  als 
Bezeichnung  des  MultipHkanden  20  vorkommt,  habe  ich  als  Tageszeichen  auf  den 
Monumenten  noch  nicht  angetroffen.  Das  Zeichen  ix  scheint,  wie  die  Rechnung 
ergibt,  auf  dem  OstQügel  des  Inschriften-Tempels  von  Palenque  (Kolumne  M, 
Zeile  S)  vorzukommen,  ist  aber  so  undeutlich,  dass  ich  auf  seine  Wiedergabe 
verzichtet  habe.  Das  Zeichen,  das  ich  für  men  angegeben  habe,  kommt  auf  der 
Basis  der  Stele  N  von  Copan  vor.  Es  ist  mit  13.  j)op  verbunden,  kann  also  nur 
c/iiccan,  oc,  men  oder  ahau  sein. 

Von  den  ^'/»f/Z-Zeichen  der  Monumente  ist  tzec  nur  aus  einer  gewissen  Aehn- 
lichkeit  mit  der  Form  der  Handschriften  erschlossen;  denn  an  keiner  der  Stellen, 
%vo  auf  den  bisher  veröffentlichten  Monumenten  das  Zeichen  vorkommt,  ist  eine 
sichere  Rechnung  aufzustellen.  Das  Zeichen  zac  habe  ich  auf  den  Monumenten 
bisher  nicht  mit  Sicherheit  konstatiren  können.  In  der  Zeile  9  der  Kolumne  F 
des  Kreuztempels  Nr.  I  kommt  ein  Uinal-Zeichen  vor,  das  man  der  Aehnlichkeit 
der  Form  nach  als  zac  deuten  möchte.  Hier  scheint  aber  die  Rechnung  das 
Zeichen  vielmehr  als  eine  Variante  von  ch'en  zu  bezeichnen.  Pax  kommt  nur 
einmal  auf  dem  Westflügel  des  Inschriftentempels  von  Palenque  vor,  ist  aber  dort 
durch  die  Rechnung  bestimmt.  Für  die  .vmn  kaba  kin  gibt  Landa  keine  Hiero- 
glyphe an.  In  der  Dresdener  Handschrift  findet  sich  an  einer  Stelle  die  Form 
Abb.  163a,  wie  in  der  Abhandlung,  die  den  Schluss  dieses  Bandes  bildet,  näher 
nachgewiesen  werden  wird.  Das  in  Abb.  164  wiedergegebene  Zeichen  kommt 
Zeile  S,  Kolumne  C  des  Kreuztempels  Nr.  II,  und  Zeile  4,  Kolumne  Q  des  West- 
flügels des  Inschriftentempels  von  Palenque  vor.  An  beiden  Stellen  ist  die  Be- 
deutung durch-  die  Rechnung  gewährleistet. 


Abb.  159.    Die  20  Tageszeichen  Abb.  160.    Die  20  Tageszeichen  nach  der 

nach  Bischof  Landa.  Dresdener  Handsclirift. 


(42 


Dritter  Abschnitt;    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


trntx.  i/c 


LaL 


Ku*x 


QxS 


Abb.  161.     Die   20  Tageszeichen   in   der  Form,   ^ie  sie  auf  den  Monumenten  vorkommeu. 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      743 


Abb.  1G2.    Die  18  Uinal  nach  Bischof  Landa. 


Abb.  163a.     Die    xma 

kuha  kill  nach 

der  Dresdener  Haad- 

schrift. 


Abb.  163.    Die  18  Vinal  nach  der  Dresdener  Handschrift. 


ninc 


'Cait'/wni  maci/tx 


1 


P^\         Ka^cil' 


C4Al,XKiC  X^mCL  Kci{;0L  KUX. 


i 


Abb.  164.   Die  IN  rhial  und  die  .n/ia  l-aha  hin  in  der  Form,  wie  sie  auf  den  Monumenten  vorkommen. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.       745 

Erst  durch  diese  Kombination  mit  einem  Uinal-Datum  werden  die 
Tage,  und  werden  insbesondere  auch  die  l'age  ahau^  als  Anfangstage  eines 
Katun's  genauer  bestinnnt.  Denn  Ziffer  und  Zeichen  eines  Tages  sind  be- 
kanntlich nach  260  Tagen  genau  die  gleichen.  Und  auch  der  Anfangstag 
eines  Katun's  hat  nach  Ablauf  von  13  Katun,  d.  h.  nach  "256  Jahren  und 
160  Tagen,  wieder  genau  die  gleiche  Bezifferung.  Der  Anfangstag  eines  Tww's 
oder  Katun-Ahschnittes,  hat  ebenso  schon  nach  Ablauf  von  13  Tu7i,  d.  h. 
13  X  360  Tagen  oder  12  J;\hren  und  300  Tagen,  wieder  die  gleiche  Benennung. 
Fixirt  man  aber  die  Tage  dadurch,  dass  man  gleichzeitig  ihre  Stellung 
innerhalb  des  Sonnenjahres  festsetzt,  d.  h.  angibt,  welchem  der  18  Uiiial 
der  betreffende  Tag  angehört,  und  der  wievielte  in  diesem  Uinal  er  ist, 
so  trifft  es  erst  nach  13x20x73  Tagen  oder  52  Jahren  ein,  dass  ein 
gleiehbenannter  Tag  auf  denselben  Tag  desselben  UinaVs  fällt. \  Und  fin- 
den Anfangstag  eines  Katun's  wird  es  —  wenn  wir  z.  B.  von  dem  Tage 
4.  ahau,  S.  cumku  ausgehen  —  erst  nach  13x20x360x73  Tagen,  oder 
18720  Jahren  eintreten,  dass  der  Anfangstag  eines  Katmi's  wieder  ein  Tag 
4.  ahau  ist,  der  gleichzeitig  der  achte  Tag  des  Uiual's  cumku  ist.  Und 
auch  für  den  Anfangstag  eines  Tun^s  wird  es  erst  nach  13  X  360  X  373  Tagen 
oder  936  Jahren  eintreten,  dass  ein  gleicher  Ahau-Tag  mit  einem  gleichen 
üinal-Datum  zusammenfällt.  Somit  ist  es  für  die  Katun-  und  die  Tun- 
Anfänge  durch  diese  Kombination  mit  einem  C/maZ-Datum  innerhalb  der 
möglichen  Grenzen  menschlicher  Zeitrechnung  genau  bestimmt,  welchen 
der  verschiedenen  gleichbenannten  Katune  oder  Tune  die  Errichter  der 
Monumente  im  Sinne  hatten.  Dass  aber  die  Maya  das  Bedürfniss  fühlten, 
die  Anfangstage  der  Katune  durch  Kombination  mit  einem  Uinal-Datum 
genauer  zu  fixiren,  ist  ein  Beweis  dafür,  dass  ihre  Zeitrechnung  und  ihre 
Zeiterinnerung  über  den  Zeitraum  von  13  Katunen  oder  256  Jahren  und 
160  Tagen  hinausgieng  und  grössere  Perioden  umspannte,  während  anderer- 
seits die  Auffindung  dieses  Cfesetzes  der  wechselnden  Assoziation  von 
^AaM-Tagen  und  rmaZ-Daten  wohl  die  Hauptveranlassung  oder  der  Haupt- 
ausgangspunkt für  die  Zahlenspekulationen  war,  die  in  so  grossem  Umfang  in 
den  Handschriften  und  auch  auf  den  Denkmälern  vorliegen,  und  die  durch 
die  Grösse  der  Zahlen,  mit  denen  hantirt  wird,  unser  Staunen  erregen. 

Dass  auch  die  Art  der  Kombination  der  Tagesuamen  und  der  Uinal-Daten 
auf  den  Steindenkmälern  von  Honduras  und  Guatemala  genau  die  gleiche  ist, 
wie  in  der  Dresdener  Handschrift,  ist  von  Forste  mann  u.  A.  schon  längst 
erkannt  worden.  Es  ergibt  sich  daraus  für  die  Chronologie  der  Steindenkmäler 
das  Gleiche,  was  ich  für  die  der  Dresdener  Handschrift  nachgewiesen  habe  ^), 
dass  die  Jahre  nicht  mit  kan^  muluc,  id.;  cauac,  wie  es  zu  L  an  da 's  Zeit  in 
Yucatan  üblich  war,  sondern  mit  been,  etznab,  akbaL  lamat,  die  den  mexi- 
kanischen Zeichen  acatl-,  tecpatl,  ca/ti.  tochtli  entsprechen,  begannen'^). 

1)  Vgl.  hierüber  meine  Bemerkungen  oben  S.  521,  522;  555 — 557;  585—587. 

2)  Vgl.  auch  Cyrus  Thomas,  The  Maya  year.  Smithsonian  Institution, 
Bureau  of  Ethnology  1894,  p.  14. 


746  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Es  zeigt  sich  aber  nun  noch  eine  andere  sehr  wichtige  Ueberein- 
stinimnng-  zwischen  den  Daten  der  Denkmäler  und  denen  der  Dresdener 
Handschrift.  Unter  Zugrundelegung  der  Theorie,  dass  die  fünf  ersten 
Hieroglyphen  der  Initial  Series  der  Stelen  und  der  Altarplatten  Zahlen- 
ausdrücke darstellen,  die  genau  in  der  gleichen  Weise  koustruirt  sind, 
wie  die  grossen  Zahlen  der  Dresdener  Handschrift,  d.  h.  dass  von  unten 
nach  oben  (von  rechts  nach  links)  Einer,  Zwanziger,  Dreihundertsechziger, 
Zwanzigfache  von  3()0  (oder  Katune)  und  Zwanzigfache  von  Katunen  einander 
folgen,  zeigt  sich  nändich  —  so  ist  es  wenigstens  bei  einer  Anzahl  Denk- 
mälern bestimmt  nachzuweisen  — ,  dass  bei  der  Zusammenrechnung  dieser 
Zahlenwerthe  sich  eine  Summe  ergibt,  die  genau  den  Abstand  des  am 
Schluss  der  Initial  Series  stehenden  Ahau-Tageä  von  dem  Normaldatum 
4.  akau,  8.  cumku  angibt.  Damit  ist,  für  diese  Denkmale  wenigstens,  der 
Nachweis  erbracht,  dass  das  Exempel  stimmt,  und  die  Deutung  der  ein- 
zelnen Glieder  der  Initial  Series  als  Zahleuausdrücke,  in  der  Weise,  wie 
ich  es  eben  und  wie  ich  es  oben  angegeben  habe,  für  diese  Denkmale, 
und  damit  für  alle,  als  sichergestellt  anzunehmen. 

Dass  dieser  Nachweis  zunächst  nur  für  einige  Denkmale  mit  Sicherheit 
zu  führen  ist,  liegt  nicht  etwa  daran,  dass  für  die  anderen  das  Exempel 
nicht  stimmt,  sondern  an  der  monumentalen  Art  der  Schreibung.  Wie 
ich  oben  angab  und  durch  Beispiele  belegte,  werden  in  den  Handschriften 
die  Multiplikatorenziffern  nahezu  ausnahmslos  durch  Kombination  von 
Strichen  und  Punkten  zum  Ausdruck  gebracht,  wobei  der  Punkt  immer 
eine  Einheit,  der  Strich  die  Zahl  fünf  bezeichnet.  Anders  auf  den 
Monumenten.  Dort  werden  die  Zahlen,  die  mit  den  Einern,  Zwanzigern, 
Dreihundertsechzigern  u.  s.  w.  zu  multipliziren  sind,  in  einer  Anzahl 
Fälle  allerdings,  ebenso  wie  in  den  Handschriften,  durch  Punkte  und 
Striche  bezeichnet.  Nur  ist  die  Eigenthümlichkeit  zu  notiren,  dass  auf 
den  Monumenten  immer  das  Bestreben  herrscht,  den  Raum  zu  füllen. 
Es  wird  selten  ein  einzelner  Punkt  (kleiner  Kreis),  oder  zwei  solche, 
neben  einen  Strich  (Stab)  gesetzt,  sondern  diese  fast  immer  mit  zwei, 
bezw.  einem,  offenen  Kreise  verbunden,  so  dass  der  Raum  gefüllt 
wird.  Erst  wenn  drei  Punkte  neben  einen  Strich  zu  stehen  kommen,  sieht 
man  von  diesen  raumfüllenden  Elementen  ab.  In  anderen  Fällen  aber, 
und  namentlich  häufig  in  den  Initial  Series  am  Kopf  der  Monumente, 
werden  die  Multiplikatorenzahlen  ebenfalls  durch  figürliche  Zeichen  oder 
Hieroglyphen,  Köpfe  oder  ganze  Figuren,  zum  Ausdruck  gebracht.  Die 
Hieroglyphen,  die  die  Einer,  Zwanziger,  Dreihundertsechziger  u.  s.  w.  be- 
zeichnen, sind  durch  die  Stelle,  die  sie  in  der  Initial  Series  einnehmen, 
bestimmt.  Die  Ziffern  aber,  die  die  Multiplikatorenzahlen  bezeichnen, 
können  wir  mit  Sicherheit  zunächst  nur  in  den  Fällen  erkennen,  wo  sie, 
nach  Art  der  Handschriften,  mit  Punkten  und  Strichen  geschrieben  sind. 
Wo,    in    monumentalerer  Art,    anstatt    der  aus  Punkten    und  Strichen  ge- 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quiriguii  und  die  Altarplatten  von  Palenque.     747 


<2>    <S> 

<^     <®>     <@>      <®> 
<@>      <^^      ^^ 

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bildeten  Ziffern    ebenfalls  Hieroglyplien,    Zeichen    oder  Köpfe  stehen,    da 
muss  der  Zahlwerth  dieser  Hieroglyphen  erst  bestimmt  werden. 

Zu  den  Zeichen  oder  Hieroglyphen,  deren  Zahlwerth  ohne  Schwierig- 
keit festzustellen  ist,  gehören  die  Zeichen  für  die  Ziffer  Null.  In  den 
Handschriften  wird  dafür,  wie  wir  sahen,  das  mit  rother  Farbe  gemalte 
Bild  eines  Schneckenge- 
häuses verwendet.  Die  ver-  ^^^:>  ^^^  <S^ 
schiedenen  Formen  dieser 
Hieroglyphe  Null,  die  in 
der  Dresdener  Handschrift 
vorkommen,  habe  ich  in 
Abb.  165  zusammengestellt. 
Auf  den  Monumenten  habe 
ich  als  einfachsten  Ausdruck 
der  Null  die  Zahl  eins,  d.  li. 
einen  Kreis  gefunden,  dessen 
Tnnenraum  mit  gekreuzter 
Streifung,  d.  h.  dunkel,  aus- 
gefüllt ist.  So  in  der  Hiero- 
glyphengruppe  4  der  Stele  C  ^^^  ^S^ 
von  Copan.  Im  Uebrigen 
werden  aufden Monumenten 
für  die  Null  hauptsächlich 
zwei  Zeichen  verwendet, 
von  denen  ich  in  den 
Abb.  166,  167,  S.  748  einige 
Typen  gegeben  habe.  Die 
erste  Hieroglyphe,  Abb.  166, 
hat  schon  Maudslay  als 
besonderes  Zeichen  er- 
kannt. Er  hält  es  aber 
für  eine  Hieroglyphe  der 
Zahl  "20,  während  Brinton, 
der  sich  im  Uebrigen  der 
Deutung  Maudslay 's  an- 
schliesst,  das  Zeichen  unter 
dem    sonderbaren     Namen 


doJ-  Vi^^oltt^    St  9  :i 


^j[jjpß> 


4S^  <E& 


dod-  Pre^oisyK.   7<?— 73 


6  3. 

Abb.  165.    Hieroglyphe  Null 


„cosmic  sign"  bespriclit. 
Eine  Bedeutung  "20  ist  indes  ausgeschlossen,  da  mit  den  immer  um  das 
Zwanzigfache  aufsteigenden  Multiplikanden  nur  die  Multiplikatoren  0 — 19 
verwendet  worden  sein  können.  Wir  werden  unten  sehen,  dass  aus  der 
Rechnung  sich  der  Werth  Null  für  dieses  Zeichen  ergibt.  Die  Idee  eines 
sich  nach  allen  vier  Richtungen    erstreckenden  dunklen  (leeren)  Raumes 


748 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


scheint  in  dem  Bilde  vorznliegen.  Denn  anf  den  Monumenten  wird  allgemein 
gekreuzte  Streifung  angewandt,  wo  die  Handschriften  mit  Schwarz  füllen.  Das 
Zeichen  ist  also  gewissermassen  nur  eine  Erweiterung  des  an  erster  Stelle  ge- 
nannten, des  mit  gekreuzter  Schraffirung  erfüllten  Kreises.  In  gleicher  Weise 
ergibt  die  Rechnung  auch  für  das  zweite  Zeichen  (Abb.  167)  den  Wertli  Null. 
Ueber  die  Bedeutung  dieser  Hieroglyphe  habe  ich  keine  sichere  Muthmassung. 
Mau    könnte    meinen,    dass    der  Gegenstand,    der  auf  der  Hand  liegt,  ein 


Abb.  168a,  b.     Hieroglyphe  Null. 

Schneckengehäuse  darstellen  soll.  Dann  hätten  wir  die  Null  hier  in  der- 
selben Weise,  wie  in  den  Handschriften,  ausgedrückt.  Aber  fast  scheint 
es,  als  ob  in  dieser  Hieroglyphe  die  Hand  das  Hauptelement  wäre.  Denn 
wir  finden  den  Begriff  Null  auch  in  der  Weise  ausgedrückt,  dass  die 
Zeichnung  einer  Hand  als  diakritisches  Zeichen,  gewissermassen  als  Gesichts- 
bemalung,  an  dem  unteren  Theile  eines  menschlichen  Gesichtes  angebracht 
wird.  So  sehen  wir  das  in  den  Abb.  168a,  die  den  Initial  Series  des 
Kreuztempels  II  von  Palenque  und  der  Westseite  der  Stele  C  von  Quirigua 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      749 


eutnommen  sind,  und  sehen  das  regelmässig  auch  in  den  Fällen,  wo  man 
den  Hieroglyphen  eine  monumentalere  Form  liat  geben  wollen,  also  statt 
der  einzelnen  Zeichen  oder  Köpfe  ganze  Figuren  gezeichnet  hat.  So  zeigen 
die  beiden  Figuren  (Abb.  168  b)  der  Stele  D  von  Copan  an,  dass  dort 
den  Multiplikanden  20  und  1  ein  Multiplikator  Null  zukommt.  Und  ebenso 
gibt  die  Zeichnung  einer  Hand,  die  auf  dem  Gesicht  der  vorderen  Figur 
der  Gruppen  4  und  5  der  Kröte  B  und  der  Gruppe  5  der  Stele  D  von 
Quirigua  zu  sehen  ist,  an,  dass  auch  dort  keine  Zwanziger  und  keine 
Einer,  bezw.  keine  Einer,  zu  zählen  sind.  Diese  Hand  auf  dem  Unter- 
theil  eines  menschlichen  Gesichts  er- 
innert ganz  an  die  Hand,  die,  als 
diakritisches  Zeichen  an  einem  Yogel- 
kopfe  angebracht,  auf  den  Monu- 
menten die  Hieroglyphe  „Zyklus", 
die  Periode  20x20x360  zum  Aus- 
druck bringt  (vgl.  oben  S.  739,  Ab- 
bildung 146—158).  Nur  scheint  dort 
der  Daumen  immer  ausgestreckt  und 
den  anderen  Fingern  geo-enüberge- 
stellt  zu  sein. 

In  ähnlicher  Weise,  wie  für  die 
Al)b.  166—168,  hoffe  ich  weiter  unten 
auch  für  andere,  mit  den  Multipli- 
kanden-Hieroglyphen verbundene  Fi- 
guren einen  bestimmten  Zifferwerth 
glaublich  machen  zu  können.  Ehe 
ich  aber  darauf  näher  eingehen  kann, 
habe  ich  den  oben  angekündigten 
Nachweis  zu  führen,  dass  für  die- 
jenigen Anfangsreihen  der  Monumente, 
bei    denen    die    Multiplikatoren    mit 

Ziffern  (Punkten  und  Strichen)  geschrieben,  daher  in  ihrer  Bedeutung- 
zweifellos  sind,  das  Exempel  stimmt,  d.  h.  dass  in  der  That  durch  Zu- 
sammenrechnung der  Zahlen,  die  darnach  für  die  fünf  ersten  Hieroglyphen- 
Gruppen  der  Initial  Series  als  Werth  angenommen  werden  müssen,  sich  eine 
Summe  ergibt,  die  den  Abstand  des  am  Schluss-  der  Initial  Series  ver- 
zeichneten Datums  von  dem  Normaldatum  4.  ahau^  8.  cumku  anzeigt. 

Ich  schicke,  zur  Illustration  der  Art  der  Rechnung,  einen  etwas 
anders  gearteten,  aber  einfachen  und  zweifellosen  Fall  voraus,  den  der 
Cedrelaholzplatte  von  Tikal,  die  mit  der  Bernoulli'schen  Sammlung  in 
den  Besitz  des  Museums  von  Basel  gekommen  ist.  Hier  ist  der  Ausgangs- 
j)unkt  der  Zaiilenreihen  nicht  das  Normaldatuni,  sondern  das  am  Anfang 
der  Hieroglypnenreihen    (links  oben)    verzeichnete  Datum  3.  ahau,  3.  mol. 


JGJGi 


Abb.  169.    Die  sieben  ersten  Hieroglyphen 
der  Cedrelaholz-Platte  von  Tikal. 


750 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 


Ich  gebe  in  Abb.  169  eine  Zeichnung  der  sieben  ersten,  die  Zeilen  1 — 4 
der  Kolumnen  A,  B  füllenden  Hieroglyphen  dieser  Platte.  Diese  sind 
nach  dem  oben  Auseinanders-esetzten  folgendermassen  zu  lesen: 


A 

B 

1. 

3.  ahau 

3.  mol 

1. 

•> 

0  X  20  X  20  X  3(30 

2  X  20  +  2 

o 

3. 

•2  X  360 

11,  //• 

3. 

4. 

15.  ch'oi 

4. 

Dass  die  Lesung  3.  ahau,  3.  mol  richtig  ist,  lehrt  ein  Blick  auf  die  Tages- 
zeichen und  die  t7;ia/-Hieroglyphen,  die  ich  oben  8.  741 — 744  in  Abb.  161  bis 
164  gegeben  habe.  Aber  auch  die  Hieroglyphen  der  Multiplikanden  20  X  20 
X  360,  20  und  oGO  wird  mau  nach  den  Formen,  die  ich  oben  Abb.  146 — 158 
(S.  739),  8 1 —100  (S  733)  und  105, 106  (S.  735)  zusammengestellt  habe,  unschwer 
erkennen.  Sonderbar  ist  nur,  dass  die  20  X  360,  die  Katuue,  ausgelassen  sind, 
und  die  Reihenfolge  anomal  ist.  Auch  die  Form  des  Xullzeichens,  das  nur 
in  der  unteren  Hälfte  mit  den  in  Abb.  166  (oben  S.  748)  zusammengestellten 


Abb.  170. 


Abb.  ITl. 


Cedrelaholz- Platte  von  TikaL 


In  Abb.  170  geht  ein  Eiss  durch  die  Platte,  der  die  Zahlen  der  zweiten  Hieroglyphe  zum 
Tbeü  zerstört  hat.     Die  beiden  Fünferstriche  in  dieser  Hieroglyphe  sind  also  ergänzt. 

Figuren  übereinstimmt,  ist  etwas  ungewöhnlich.  Es  wäre  nicht  unmöglich 
dass  das  Zeichen  eine  andere,  nur  formale  Bedeutung  hat.  Zweifellos  ist 
wieder  die  Lesung  11.  ik.  In  Bezug  auf  die  letzte  Hieroglyphe  könnte 
man  etwas  schwanken,  da  die  hier  vorliegende  Form  des  Zeichens  cJien 
von  den  von  Landa  und  in  den  Handschriften  o-eoebenen  abweicht.  Doch 
sieht  man,  dass  auch  bei  Landa  und  in  den  Handschriften  das  Zeichen 
cauac  den  Hauptbestandtheil  des  c7«'m-Zeichens  ausmacht.  Und  auch  der 
Kopf  unserer  Hieroglyphe  A  4  zeigt  hinten  deutlich  die  Elemente  des 
röwac-Bildes.      Die  Richtigkeit  unserer  Lesung-  wird  durch  die  Rechnun«- 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      751 

bestätigt.  Denn  (2  X  20  -f  2)  -f  (2  X  360)  gibt  762.  Und  das  sind  zwei 
vollständige  Tonalamatl  und  242  Tage,  und  sind  zwei  vollständige  Sonnen- 
jahre und  32  Tage.  Die  über  die  vollständigen  Tonalamatl  ül)erschüssigen 
242  Tage  geben  genau  den  Abstand  des  Tages  W.  ik  vom  Tage  3.  ahau, 
und  die  über  die  vollständigen  Sonnenjahre  überschüssigen  32  Tage  geben 
genau  den  Abstand  des  Tages  15.  cJ^en  vom  Tage  3.  viol. 

Wie  hier  am  Anfang  der  Tafel  das  Exempel  glatt  stimmt,  so  auch  in 
den  folgenden  Abschnitten,  wo  Daten  und  Zahlen  gegeben  sind.  So  findet 
man  auf  den  Zeilen  4,  5  der  Kolumnen  C,  D  die  drei  Hieroglyphen,  die 
ich  in  Abb.  170  wiedergebe.  Die  erste  dieser  Hieroglyphen  ist  das  Zeichen 
für  einenEinzeltag,  das  ich  oben  S.731  schon  besprochen  und  in  Abb. 72  (S.729) 
wiedergegeben  habe.    Die  beiden  folgenden  Hieroglyphen  geben  das  Datum 

12.  akbaL  Iß.  dien,  das  in  der  That  um  einen  Tag  von  dem  letzten  vor- 
hergehenden Datum,  dem  Datum  11.  ik^  15.  dien.,  absteht.  —  Und  in  den 
Zeilen  1,  2  der  Kolumnen  B,  F  folgen  dann  die  drei  Hieroglyphen,  die 
ich  in  Abb.  171  wiedergebe.  Hier  ist  die  erste,  wie  man  sieht,  als 
3  X  360  zu  lesen.  3  ■  3G0  oder  1080  Tage  geben  vier  vollständige  Tonal- 
amatl und  40  Tage,  und  zwei  vollständige  Sonnenjahre  und  350  Tage.  Das 
ist  genau  der  Abstand  des  in  Abb.  171  auf  die  erste  Hieroglyphe  folgenden 
Datums  13.  akbal,  1.  di'en  von  dem  letzten  vorhergehenden  Datum  12.  akbal, 
16.  dien. 

Ich  gehe  nun  zu  der  Besprechung  der  Initial  Series  der  Stelen  über. 
Ganz  klar  und  einfach  liegt  der  Fall  für  die  Stelen  B  und  M  von  Copan 
und  die  Westseite  der  Stele  C  von  Quirigua. 

Auf  der  Stele  B  von  Copan  ist  die  unter  der  Anfangs-  und  Haupt- 
Hieroglyphe,  dem  Katun-Zeichen  (vgl.  Abb.  12,  S.  716),  aufgeführte  Initial 
Series  folgendermassen  zusammengesetzt: 

1.  9  X  20  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  149,  S.  739). 

2.  15  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  131,  S.  737). 
*  3.     0  X  360  (vgl.  Abb.  1 10,  S.  735). 

4.  0  X  20  (vgl.  Abb.  84,  S.  733). 

5.  0x1  (vgl.  Abb.  59,  S.  729). 

6.  4.  ahau  1    .     ,     . ,  ,     <.,     ^,    _  ... 
(.  \6.  ya,r     > 

Das  in  der  dritten  bis  fünften  Hieroglyphe  verwendete  Zeichen  für  Null 
ist  das  erste  der  beiden  oben  (S.  748)  angeführten  (Abb.  166).  Rechnet  man 
zusammen,  so  ergibt  die  Summe  die  Zahl  1  404  000.  Das  sind  5400  voll- 
ständige Tonalamatl  (von  260  Tagen),  oder  3846  Sonnenjahre  (von  365 
Tagen)  und  210  Tage,  und  das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages  4.  ahau, 

13.  ya,v  von  dem  Normaldatuni  4.  ahau,  8.  cumku.  Ich  habe  die  auf  den 
vorigen  Blättern  auseinandergesetzte  Theorie  gerade  unter  Berufung  auf 
dieses  und  die  gleich  zu  erwähnenden  Beispiele  schon  vor  sechs  und  sieben 
Jahren  in  mündlichen  Yorträoen  wiederholt   auso'eführt  und  habe  darüber 


75'2  Dritter  Absclmitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

aiieli  vor  der  im  Jahre  1895  in  Mexico  tagenden  internationalen  Amerikanisten- 
Versammlung-  einen  Vortrag  gehalten,  von  dem  in  den  gedruckten  Akten 
des  Kongresses  ein  Bericht  enthalten  ist*). 

Ebenso  klar  ist  das  Exempel  für  die  Stele  M  von  Copan.  Hier  zeigt 
die  unter  der  Anfangs-  und  Hau])t-Hieroglyplie,  dem  Katun-Zeichen, 
folgende  Initial  Series  die  nachstehende  Zusammensetzung: 

1.  9  X  20  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  158,  S.  739). 

2.  16  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  128,  S.  737). 

3.  5  X  360  (vgl.  Abb.  128,  S.  735). 

4.  0  X  20  (vgl.  Abb.  99,  S.  733). 

5.  0x1  (vgl.  Abb.  52,  S.  729). 

6.  8.  aUau  |  ^^^.^  ^^^   ^^^  ^ 
I .  ö.  zo  tz     -" 

Die  Zeichen  für  Xull  in  der  vierten  und  fünften  Hieroglyphe  sind  wieder 
von  der  ersten  Form  (Abb.  166,  oben  S.  748).  Eechnet  man  zusammen,  so 
erhält  man  die  Zahl  1  413  000.  Das  sind  5434  Tonalmnatl  und  160  Tage, 
oder  3871  Sonnenjahre  und  85  Tage,  und  das  ist  genau  der  Abstand  des 
Tages  8.  ahau,  8.  zoHz  von  dem  Normaldatum  4.  ahau,  8.  cumku. 

Auf  der  Westseite  der  Stele  C  von  Quiriguä  finden  wir  unter  der 
Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe  eine  Initial  Series  der  folgenden  Zu- 
sammensetzung: 

1.  9  X  20  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  155,  S.  739). 

2.  1  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  136,  S.  737). 


1)  Actas  de  la  Undecima  Reunion  del  Congreso  Internacional  de  Americanistas, 
Mexico  1895,  p.  274,  275:  ...  „El  Dr.  Sei  er  hizo  reproducir  la  vista  de  la  Cruz 
del  Palenque    y    dijo  en  seguida:  ......  Sahen  Vdes    que    la    cuestion    de    la 

descifracion  de  los  jerogh'ficos  mayas  es  muy  intricada.  No  tenemos  clave  de 
interpretacion  para  esta  escritura,  como  la  tenemos  para  los  jeroglificos  del  Codice 
Mendocino.  Sin  embargo,  ha  sido  posible  hacer  algo.  Un  gran  niimero  de  los 
signos  representados  en  los  manuscritos  mayas,  en  las  tablas  del  Palenque  y  en 
las  estelas  de  Copan,  se  ha  coraprobado  que  son  signos  cronolögicos,  signos  de 
dia,  y  signos  de  nies.  Y  en  particular,  he  podido  yo  averiguar  que  los  siete 
primeros  signos  que  se  encuentran  casi  de  la  misma  nianera,  tanto  en  las  tablas 
de  Palenque"  como  en  las  estelas  de  Copan,  tienen  relacion  con  la  cronolögia, 
del  modo  siguiente:  —  El  primer  signo  es  jeroglifico  del  nombre  katiLn^  „periodo". 
Se  compone  de  un  signo  (jue  es  sfmbolo  de  la  piedra,  tnv,  y  una  cabeza  fantastica 
entre  dos  peces,  c<///.  El  septirao  signo  es  el  nombre  del  dia  ahau^  conipuesto  con 
un  numeral,  que  indica  el  primer  dia  de  uno  de  los  trece  katunes  6  siglos  mayas. 
Del  segundo  signo  hasta  el  sexto  son  numerales  y  dan  un  numeral  grande; 
en  la  estela  B  de  Copan,  por  ejemplo,  el  numeral  1 404  000.  Y  este  numeral 
grande  es  la  distancia  exacta  del  dia  que  estä  representado  por  su  nombre  y  por 
SU  posicion  en  el  mes,  en  el  septimo  y  octavo  signo  de  la  estela  citada,  de  un  dia 
normal  y  sagrado  que  sirve  de  base  a  todos  los  calculos,  asi  en  los  manuscritos 
como  en  los  relieves,  es  decir  del  dia  4.  ahau,  8.  cumku.'' 


21.   Monumente  A'on  Copan  und  Quirigufi  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      753 


3. 

4. 
5. 
(i. 
7. 


0  X  3()0  (vgl.  Abb.  lU,  S.  735). 
0  X  20  (vgl.  Abb.  1)L>,  S.  733). 
0  X  1  (vgl.  Abb.  (^0,  S.  729). 

^•«^«^     }  (vgl.  Abb.  3«),  S.  721). 


13.  yaxkin 

Das  Zeichen  für  Null  in  der  dritten  und  vierten  Hieroglyphengruppe  ist  hier 
wieder  das  der  ersten  Form  (Abb.  166,  oben  S.748),  das  in  der  fünften  Gruppe 
aber  die  zweite  Variation  der  zweiten  Form 
(Abb.  168a).  Zwisclien  der  fünften  und 
sechsten  Gruppe  ist  eine  andere,  fremde 
Hieroglyphe  eingeschoben,  über  deren  Be- 
deutung ich  noch  nichts  sagen  kann.  Die  Zu- 
sammenrechnung ergibt  die  Zahl  1  303  200. 
Das  sind  5012  TonalamaÜ  und  80  Tage, 
oder  3570  Sonnenjahre  und  150  Tage. 
Das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages 
6.  ahau^  13.  yajckin  von  dem  Normaldatum 
4.  ahau,  8.  cumku. 

Der  Nachweis  des  Bestehens  dieses 
Gesetzes,  an  drei  verschiedenen  Monu- 
menten aus  zwei  ganz  verschiedenen  Lo- 
kalitäten geführt,  ist  eigentlich  für  die 
Frage  entscheidend.  Unter  Berücksichti- 
gung gewisser  Verhältnisse  ist  das  Gesetz 
aber  noch  für  eine  ganze  Anzahl  anderer 
Monumente  nachweisbar. 

Auf  dem  Altar  S  von  Copan  weist, 
wie  ich  S.  738  in  der  Anmerkung  schon 
angab,  die  Initial  Series  augenscheinlich 
eine  gewisse  Unregelmässigkeit  auf,  da  die 
Vogelköpfe  des  zweiten  und  dritten  Gliedes, 
die  die  Katun  und  die  Tun  bezeichnen, 
mit  einander  vertauscht  sind.  Aber  auch 
in  den  Ziffern  liegt,  wenigstens  in  der 
Zeichnung  in  dem  Maudslay'schen  Werk, 
ein  Fehler  vor.  Der  Zeichner  hat  bei  dem 
zweiten  Gliede,  den  Katun,  die  Ziffer  13 
angegeben,  hat  aber  durch  Schraffirung 
angedeutet,  dass  er  bezüglich  der  Lesung 
unsicher  ist.  Es  muss  15  heissen,  und  die  ganze  Initial  Series  ist  darnach 
folgendermassen  zu  lesen: 

1.  9  X  20  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  147,  S.  739). 

2.  15  X  20  X  360. 

Seier,  Gesammelte  Abhandinngen  L  48 


Abb.  172.     Ostseite  des  Enano 
(Stele  K)  von  Quiriguä. 


754  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung, 

3.  0  X  360. 

4.  0  X  20  (vgl.  Abb.  85,  S.  733). 

5.  0x1. 

G.     Aahau^  (vgl.  Abb.  29,  S.  721). 
i.   }ö.  yaa     J 

Die  Zeichen  für  Null  sind  dabei  alle  von  der  ersten  Form  (Abb.  16G, 
oben  S.  748).  Wir  haben  also  hier  dieselbe  Initial  Series  und  dasselbe 
Enddatum,  wie  in  der  Stele  B  von  Copan.  Das  Gesetz,  das  für  Stele  B 
richtig  war,  bestätigt  sich  auch  hier. 

Die  Stele  K  von  Quirigua,  der  sogenannte  „Enano"  (Zwerg),  so 
genannt,  weil  sie,  obwohl  von  respektabler  Höhe,  doch  die  kleinste  aller 
dort  befindlichen  Stelen  ist,  ist  von  Maudslay  noch  nicht  publizirt  worden. 
Aber  sie  ist  seinerzeit  für  die  Columbian  World-fair  abgeklatscht  worden, 
und  ein  Abguss  ist  durch  Tausch  auch  in  den  Besitz  des  Königl.  Museums 
für  Völkerkunde  gekommen.  Abb.  172  ist  eine  Zeichnung  der  Seite,  die 
das  Katun-Zeichen  und  die  Initial  Series  trägt.  Man  sieht,  dass  die  Initial 
Series  folgendermassen  zu  lesen  ist: 

1.  9  X  20  X  20  X  360. 

2.  18  X  20  X  360. 

3.  15  X  360. 

4.  0  X  20. 

5.  0  X  1. 

6.  .3.  ahau. 

Ein  Uinaldatum  ist  hier  nicht  gegeben.  Rechnet  mau  aber  zusammen, 
so  erhält  man  die  Zahl  1  431  000.  Das  sind  5503  TonalamaÜ  und  220  Tage, 
oder  3920  Jahre  und  200  Tage.  Das  würde  genau  den  Abstand  des  Tages 
3.  aAaw,  3.  yax  von  dem  Normaldatum  4.  ahau,  8.  cumku  ergeben.  Gehen 
wir  nun  eine  Zeile  weiter,  so  sehen  wir  dort  in  der  Reihe  unter  dem 
Tage  3.  ahau  die  Zahl  (10  X  20)  +  10  angegeben.  Und  es  folgt  dann  das 
Datum  1.  oc,  18.  kayab.  Geht  man  nun  vom  Tage  3.  ahau,  3.  yax  um 
(10  X  20)  -+  10  oder  210  Tage  zurück,  so  kommt  man  genau  auf  den  Tag 
1.  oc,  18.  kayab.  Damit  ist  erwiesen,  dass  auf  dieser  Stele  der  Tag  3.  ahau, 
3.  yax  gemeint  ist,  der  den  in  der  Initial  Series  gegebenen  Abstand  vom 
Normaldatum  4.  ahau,  8.  cumku  hat. 

Die  Initial  Series  der  Stele  A  von  Copan  hat  folgende  Zusammensetzung: 

1.  9  X  20  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  148,  S.  739). 

2.  14  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  129,  S.  737). 

3.  19  X  360  (vgl.  Abb.  109,  S.  735). 

4.  8  X  20  (vgl.  Abb.  83,  S.  733). 

5.  0x1  (vgl.  Abb.  58,  S.  729). 

6.  12.  ahau  (vgl.  Abb.  32,  S.  721). 

Ein  Uinal-Datum  ist  auch  hier  unmittelbar  nicht  genannt.  Es  folgt 
eine  mit  der  Ziffer  7  versehene  Hieroglyphe,    die  aber  kein  Uinal-Datum 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      755 

ist,  auch  kein  üinal-Datum  sein  kann,  weil  die  Erbauer  der  Monumente 
sowohl,  wie  die  Schreiber  der  Handschriften,  die  Jahre  mit  den  Tagen 
been,  e'tznab,  akbal,  lamat  begannen,  also  die  Tage  ahau  nur  auf  den  3., 
8.,  13.,  18.  eines  üinal  fallen  konnten.  Rechnet  man  die  Initial  Series 
zusammen,  so  erhält  man  die  Zahl  1  403  800.  Das  sind  5399  Tonalamatl 
und  60  Tage,  oder  3846  Sonnenjahre  und  10  Tage.  Diese  Zahl  ergibt 
genau  den  Abstand  des  Tages  12.  ahau^  18.  cumku  von  dem  Xormaldatum 
4.  ahau,  8.  cumku.  Dass  nun  dieser  Tag  wirklich  geraeint  ist,  ergibt  sich 
daraus,  dass  in  der  That  in  derselben  Kolumne  fünf  Zeilen  weiter  unten 
das  Datum  18.  cumku  steht.  Und  vergleichen  wir  die  Fortsetzung  der 
Inschrift  auf  der  Westseite  der  Stele,  so  finden  wir  dort  in  der  zweiten 
Zeile  die  Zahl  (3  X  20)  4-  0  und  dahinter  das  Datum  4.  ahau.,  18.  moan. 
Auf  dieses  Datum  kommt  man  aber,  wenn  man  von  12.  ahau,  18.  cumku  um 
(3  X  20)  -f-  0  Tage  zurückgeht.  Somit  bestätigt  auch  diese  Stele  das  Gesetz. 
Ein  Fall,  der  anscheinend  aus  dem  Gesetz  herausfällt,  aber  doch,  wie 
wir  sehen  werden,  sich  ganz  gut  mit  ihm  verträgt,  ist  der  der  Ostseite  der 
Stele  C  von  Quiriguä.     Hier  zeigt  die  Initial  Series  folgende  Werthe: 

1.  13  X  20  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  153,  S.  739). 

2.  0  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  137,  S.  737). 

3.  0  X  360  (vgl.  Abb.  1)3,  S.  735). 

4.  0  X  20  (vgl.  Abb.  91,  S.  733). 

5.  0x1  (vgl.  Abb.  64,  S.  729). 

6.  4.  ahau 

7.  8.  cumku 
Für  die  Null  ist  dabei  bei  der  zweiten,  dritten  und  fünften  Gruppe  die 

zweite  Form  (Abb.  167,  oben  S.748),  bei  der  vierten  Gruppe  die  erste  (Abb.  16h) 
verwendet.  Hier,  sieht  man,  ist  das  Enddatum  das  Normaldatum  selber. 
Für  dieses  kann  der  Abstand  vom  Normaldatum  nur  mit  0,  oder  mit  dem 
obengenannten  ungeheuren  Zeitraum  von  18  720  Jahren  angesetzt  werden. 
Die  Erbauer  der  Monumente  haben  keines  von  beiden  gethan.  Sie  haben  die 
niederen  Multiplikanden  oder  die  kleineren  Zeiträume  alle  mit  dem  Index  Null 
versehen,  zu  dem  höchsten  und  grössten  aber  den  Multiplikator  13  gesetzt. 
Dreizehn  ist  die  Anzahl  der  Indexziffern,  die  bei  den  Tun-,  den  Katun-  und 
den  Zyklennamen  möglich  sind.  Wenn  also  hier  am  Anfang  der  Initial 
Series  die  13  Zyklen  genannt  sind,  so  heisst  das  nichts  anderes  als  „die 
Zeiträume  überhaupt".  Und  die  ganze  Initial  Series  würde  also  etwa 
den  folgenden  Gedankengang  geben:  —  „Das  ist  ein  chronologisches 
Denkmal.  Der  Anfang  der  Zählung  ist  der  Tag  4.  ahau,  8.  cumku."-  — 
Dazu  stimmt  dann  ganz  gut,  dass  auf  der  Westseite  derselben  Stele  ein 
anderes  bestimmtes  Datum  und  sein  Abstand  vom  Normaldatum  genannt  ist 
(vgl.  S.  752,  753). 

Aehnlich,    meine  ich,    sind  auch  die  13  Zyklen  zu  verstehen,    die  auf 
den  beiden  Seiten  der  Stele  C  von  Copan    unmittelbar    unter  den  Katun- 

48* 


}  (vgl.  Abb.  38,  S.  721). 


756 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


datum  4.  ahan^  8.  cumku  lesen  möchte 


Abb.  173.     Anfangs -Hieroglyphen  der  Nord- 
und  Südseite  der  Stele  C  von  Copan. 


zeichen,    den  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphen,    eingemeisselt  sind    (vgl. 
Abb.  173).    Auf  der  einen  Seite  folgt  ein  Datum,  das  man  als  das  Normal- 

Das  ^Ärtw-Zeichen  ist  aber  hier 
mit  einer  ganz  unmöglichen  Ziffer 
verbunden.  Auf  der  anderen  Seite 
folgt  auf  die  1 3  Zyklen  das  Datum 
().  ahau^  18.  kayab.  Das  ist  auf 
derselben  Seite  der  Stele  weiter 
unten  noch  einmal  angegeben. 
Und  davor  eine  Reihe  von  Zahlen, 
die  von  der  niedersten  zur  höchsten 
aufsteigen,  aber  eine  Beziehung 
dieses  Datums  auf  das  Normal- 
datiim   nicht  ergeben. 

Wie  hier,  so  scheint  auch  auf 
der  Stele  N  von  Copan  ein  Rechen- 
(oder  Zeichen-)  Fehler  vorzuliegen. 
Die  angegebeneu  Multiplikatoren- 
Zahlen  führen  nicht  auf  deu  am 
Schluss  der  Initial  Series  ange- 
gebenen Tag  1.  ahau^  sondern  auf 
10.  aliau.  Vielleicht  muss  man  im 
zweiten  Gliede  IG  X  20  X  360  (statt  18  X  20  X  360)  lesen.  In  diesem  Falle 
würde  die  Summirung  eine  Zahl  ergeben,  die  den  Abstand  des  Tages 
1.  ahau^  8.  zi'p^  von  dem  Normaldatum  4.  ahau^  8.  cumku  anzeigt. 

Ich  gehe  nun  zu  den  Fällen  über,  die  nicht  nur  das  Gesetz  bestätigen, 
sondern  uns  ein  Stück  weiter  führen  sollen,  und  erwähne  hier  zunächst 
die  Stele  A  von  Quiriguä.     Die  Initial  Series  ist  folgende: 

1.  9  X  20  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  152.  S.  739). 

2.  17  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  134,  S.  737). 

3.  5  X  360  (vgl.  Abb.  112,  S.  735). 

4.  0  X  20  (vgl.  Abb.  90,  S.  733). 

5.  0x1  (vgl.  Abb.  63,  S.  729). 

Die  Null  ist  dabei   in   beiden  Fällen   von  der 
zweiten  Form  (Abb.  167,  oben  S.  748).    An  sechster 
Stelle  folgt  aber  hier  nicht  ein  mit  Ziffer  versehenes 
&-Vf?  f'^^//«         Zeichen  ahau^  sondern  die  Abb.  37  (vgl.  oben  S.  721), 

C^^^^-^  ^^y<i  die  vor  dem  Zeichen  ahau  einen  mit    bestimmten 

Merkmalen  versehenen  Kopf  zeigt,  der  also  hier  die 
■    ''^'       Stelle  der  Ziffer  vertritt  und  demgemäss  einen  be- 
stimmten Zahlwerth  repräsentiren  muss.    Zählen  wir  die  Zahlen  der  Initial 
Series  zusammen,   so  erhalten  wir   1  420  200.      Das  sind   5462   Tonalamatl 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      757 


und  80  Tage,  oder  3890  Sonnenjahre  und  350  Tage.  Und  das  ist  genau 
der  Abstand  des  Tages  6.  ahau,  13.  kayab  von  dem  Normaldatum  4.  ahau^ 
8.  cumku.  Können  wir  nun  demgemäss  schliessen,  dass  die  Abb.  37  den 
Tag  6.  ahau  darstellt,  dass  also  der  vor  dem  ^ÄaM-Zeiehen  stehende  Kopf, 
den  ich  in  Abb.  174  besonders  wiedergegeben  habe,  die  Ziffer  sechs 
repräsentirt?  Ich  glaube,  wir  können  es.  Denn  wir  finden  in  der  That 
auf  derselben  Seite  der  Stele  A  von  Quiriguä,  vier  Zeilen  weiter  unten, 
in  Ziffern  das  Datum  13.  kayab^  6.  ahau  angegeben,  dessen  Abstand  von 
dem  Normaldatum  die  Initial  Series  uns  anzeigte. 


Y7Ö 


Ich  gehe  weiter  zur  Stele  I  von  Copan.     Die  Initial  Series  ergibt: 

1.  9X20X20X360  (vgl.  Abb.  151,  S.  739). 

2.  12  X  20  X  360  (vgl.  Abb.  130,  S.  737). 

3.  3x360  (vgl.  Abb.  108,  S.  735). 

4.  14  X  20  (vgl.  Abb.  89,  S.  733). 

5.  0  X  1  (vgl.  Abb.  57,  S.  729). 

Die  Null  in  der  letzten  Gruppe  ist  von  der  zweiten  Form  (Abb.  167, 
oben  S.  748).'  Hierauf  folgt  nun  wiederum  nicht  ein  mit  Ziffer  versehener 
JAöw-Tag,  sondern  die  Abb.  33  (oben  S.  721).  Auch  hier  wird  man  wieder 
zu  der  Annahme  gedrängt,  dass  das  alte  Gesicht,  mit  dem  Zeichen  tun  auf 
dem  Kopf,  das  vor  dem  y^Äaw-Zeichen  zu  sehen  ist,  eine  bestimmte  Zahl 
repräsentiren  müsse.  Zählt  man  die  Zahlen  der  Initial  Series  zusammen, 
so  erhält  man  1  383  760.  Das  sind  5322  TonalamaÜ  und  40  Tage,  oder 
3791  Sonnenjahre  und  45  Tage.  Und  das  ist  der  Abstand  des  Tages 
5.  ahau,  8.  uo  von  dem  Normal-Datum  4.  ahau,  8.  cumku.  Unter  der  Vor- 
aussetzung, dass  diese  Annahme  nicht  mit  anderen  Thatsachen  in  Wider- 
spruch geräth,  werden  wir  schliessen  können,  dass  das  alte  Gesicht  mit 
dem  Zeichen  tun  auf  dem  Kopf,  das  ich  in  Abb.  175  noch  einmal  be- 
sonders reproduzire,  die  Zahl  Fünf  darstellt. 


758  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Da  wir  min  einmal  beim  Ziffersuchen  sind,  so  gibt  mir  dieselbe 
Stele  noch  Anlass  zu  weiteren  Verniuthungen.  Ich  war  schon  längst  auf 
ein  Datum  aufmerksam  geworden,  das  auf  den  Altären  Q  und  S  von  Copan 
vorkommt  (Abb.  176,  177),  und  das,  wie  man  sieht,  6.  caban,  10.  mol  zu 
lesen  ist.  Da  fand  ich  denn  auf  der  Hieroglyphen-Treppe  von  Copan 
(Maudslay  I,  PI.  8)  an  hervorragender  Stelle  die  Abb.  178,  und  es 
drängte  sich  mir  sofort  der  Gedanke  auf,  dass  man  diese  ebenfalls  6.  caban^ 
10.  mol  lesen  müsse.  Ist  das  der  Fall,  so  müsste  der  Todtenkopf  mit  dem 
freien  Auge  (?)  an  der  Stirn,  der  in  der  zweiten  Hieroglyphe  von  Abb.  178 
mit  dem  Uinal-Zeichen  mol  verbunden  ist,  die  Zahl  10  repräsentiren, 
Dass  das  in  der  That  der  Fall  ist,  scheinen  einige  Hieroglyphen-Gruppen 
der  oben  besprochenen  Stele  I  von  Copan  zu  beweisen.  In  der  Gruppe  24 
auf  dieser  Stele  finden  wir  die  Figur,  die  auf  der  linken  Seite  von 
Abb.  179  wiedergegeben  ist,  die,  wenn  die  eben  ausgesprochene  Yer- 
mutliuug  richtig  ist,  10.  ahau  gelesen  werden  müsste.  Und  weiter  unten 
auf  derselben  Seite  der  Stele  finden  wir  in  den  Gruppen  29  und  30  die 
Figuren,  die  ich  auf  der  rechten  Seite  von  Abb.  179  wiedergegeben  habe. 
Hier  sehen  wir  zuvörderst  ein  Zeichen,  das  mit  den  Abb.  70,  71,  die  wir 
oben  als  Zeichen  für  einen  einzelnen  Tag  kennen  gelernt  haben,  über- 
einstimmt, und  darüber  in  einer  Umkreisung  die  Ziffer  8.  Dann  folgt 
derselbe  Todteukopf  mit  dem  Uinal-Zeichen,  eine  Gruppe,  die  also  10  X  20 
gelesen  werden  müsste.  Und  dann  folgt  der  Tag  10.  lamat.  Sehen  wir 
im  Kalender  nach,  so  finden  wir,  dass  der  Tag  10.  lamat  in  der  That  um 
(10  X  20)  -f-  8  Tage  von  dem  Tage  10.  ahau  absteht.  Ich  glaube,  diese 
Stellen  beweisen  zur  Genüge,  dass  der  Todtenkopf,  den  ich  in  Abb.  180 
noch  einmal  besonders  gezeichnet  habe,  ein  Repräsentant  der  Zahl   10  ist. 

Die  Abb.  175  und  174,  die  uns  die  Hieroglyphen  fünf  und  sechs  geben, 
sind  wichtig.  Denn  sie  bieten  einen  Anhalt  zu  weiteren  Deutungen.  In 
Abb.  181  habe  ich  die  Initial  Series  der  Altarplatte  des  Sonnen-Tempels 
von  Palenque  wiedergegeben.  Diese  Initial  Series  gehört,  wie  man  sieht, 
zu  denen,  bei  denen  die  Zahlen,  die  für  die  Multiplikanden  20  X  20  X  360, 
20  X  360,  360,  20,  1  die  Multiplikatoren  bilden,  nicht  in  Ziffern  ge- 
schrieben, sondern  ebenfalls  durch  Hieroglyphen,  durch  menschliche  und 
thierische  Köpfe,  zur  Anschauung  gebracht  sind.  Sehen  wir  nun  diese 
Multiplikatoren-Hieroglyphen  durch,  so  wird  man  ohne  Schwierigkeit  er- 
kennen, dass  die  dritte  dieser  Hieroglyphen  das  gefurchte  Greisengesicht 
mit  dem  Zeichen  tun  auf  dem  Kopfe  ist,  das  wir  als  Repräsentanten  der 
Zahl  Fünf  kennen  gelernt  haben  (Abb.  175),  und  dass  der  fünfte  der 
Multiplikatoren  das  Gesicht  mit  dem  Kreuz  im  Auge  ist,  das  sich  als 
Repräsentant  der  Zahl  Sechs  erwies  (Abb.  174).  Werfen  wir  nun  einen 
Blick  auf  die  dritte  und  vierte  Kolumne  (C,  D)  dieser  selben  Platte,  so 
finden  wir,  dass  dort  —  und  zwar  auf  derselben  Zeile,  die  in  den  ersten 
beiden  Kolumnen  das  letzte  Glied  der  Zahlenreihe  enthält,  also  gewisser- 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      759 

massen  in  unmittelbarem  Anschluss  an  diese,  —  eine  Zahlenreihe  beginnt, 
die  in  umgekehrter  Reihenfolge  (mit  den  Multiplikanden-Werthen  auf- 
steigend) geschrieben,  die  folgende  Zusammensetzung  hat: 

6X1 
3x20 
5  X  360 
18  X  20  X  360 
1  X  20  X  20  X  360. 


Abb.  181. 


Abb.  182. 


Abb.  183. 


Abb.  184. 


Abb.  181.  Initial  Series  der  Altarplatte  des  Sonnentempels,  Palenque.     Abb.  182.    Palenque. 

Sonnentempel,  Kolumnen  C,  D,  7,  8.    Abb.  183.  Initial  Series  des  Kreuzteinpels  II,  Palenque. 

Abb.  184,    luitial  Series  des  Kreuztempels  I,  Palenque. 

Ich  habe  diese  Zahlenreihe  in  Abb.  182  wiedergegeben,  aber  sie  so 
geordnet,  dass  die  Multiplikanden,  entsprechend  denen  der  luitial  8eries, 
von  dem  höchsten  zum  niedersten  absteigen.  Man  sieht,  dass  dann  auch 
diese  Reihe  au  der  dritten  Stelle  den  Multiplikator  Fünf,  an  der  fünften 
den  Multi])likator  Sechs  enthält.     Die  Verniuthung  muss  einem  aufsteigen, 


760  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

dass  auch  die  anderen  Multiplikatoren  in  beiden  Reihen  dieselben  sind. 
Ist  dem  so,  dann  niüsste  die  Zahlenreihe  Abb.  182,  die  wir  lesen  und 
Summiren  können,  auch  die  Erklärung-  für  das  am  Ende  der  Initial  Series 
stehende  Datum  geben,  sie  müsste  den  Abstand  dieses  End-Datums  von 
dem  Normal-Datum  4.  ahau^  8.  cumku  darstellen.  Das  Datum,  das  am 
Ende  der  Initial  Series  steht,  ist  —  ein  seltener  Fall  —  nicht  ein  Ahau- 
Tag,  sondern  ein  Tag  civii.  Welcher  Tag  civii,  ist  noch  nicht  ohne 
"Weiteres  ersichtlich.  Denn  die  das  Tageszeichen  ergänzende  Zahl  ist  hier 
nicht  durch  eine  Ziffer,  sondern  wieder  durch  eine  Hieroglyphe  dargestellt. 
x\ber  das  dann  folgende  Uinal-Datum  ist  in  allen  seinen  Theilen  klar,  es 
ist  das  Datum  19.  ceh.  Der  Tag,  der  den  in  der  Zahlenreihe  Abb.  182 
ausgedrückten  Abstand  vom  Normal-Datum  hat,  muss  —  wenn  sich  unsere 
Yermuthung  der  Identität  der  Zahlenreihen  Abb.  181  und  182  bewähren 
soll  —  ein  Tag  cimi  und  der  19.  des  Uiual  ceh  sein.  Führen  wir  die 
Rechnung  aus,  so  finden  wir,  dass  die  Zahlenreihe  Abb.  182  die  Zahl 
275  466  ergibt.  Das  sind  1059  Tonalamatl  und  126  Tage,  oder  754  Sonneu- 
jahre  und  256  Tage.  Und  das  ist  der  genaue  Abstand  des  Tages  13.  cimi^ 
19.  ceh  von  dem  Normal-Datum  4.  ahau.  8.  cumku.  Die  Rechnung  hat 
also  unsere  Yermuthung  durchweg  bestätigt.  Die  beiden  Zahlenreihen 
Abb.  181  und  182,  die  der  Initial  Series  und  die  mit  Multiplikatoren- 
Ziffern  geschriebene  der  dritten  und  vierten  Kolumne  (C,  D),  sind  identisch. 
Als  akzessorischen  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Feststellung  könnte 
mau  noch  anführen,  dass  in  der  dritten  und  vierten  Kolumne  (C,  D)  die 
Zahlenreihe  Abb.  182,  in  umgekehrter  Folge  geschrieben,  gewissermassen 
wieder  zu  dem  Normal-Datum  4.  ahau^  8.  cumku  zurückführt.  Dieses  selbst 
folgt  dort  allerdings  nicht,  aber  es  folgt  eine  grosse  Zahl,  die  den  Abstand 
von  diesem  Normal-Datum  zu  dem  in  den  folgenden  beiden  Kolumnen  N,  0 
verzeichneten  Datum  2.  cib.  14.  mol  angibt.  Es  ergibt  sich  nun  aus  den 
obigen  Feststellungen:  erstens,  dass  der  Vogelkopf,  der  in  der  sechsten 
Gruppe  unserer  Abb.  181  mit  dem  Zeichen  cimi  verbunden  ist,  die  Zahl  13 
repräsentirt,  und  dann,  dass  die  vorderen  Köpfe  der  ersten  bis  fünften 
Gruppe  der  Reihe  nach  die  Zahlen  1,  18,  5,  3,  6  darstellen.  Das  ist  ein 
wichtiger  Fortschritt;  er  führt  aber,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  zu  noch 
weiteren  Ergebnissen. 

Vergleichen  wir  jetzt  nämlich  mit  dieser  Abb.  181  die  Initial  Series 
der  Altar-Platte  des  Kreuz-Tempels  Nr.  II  von  Palenque,  die  ich  in 
Abb.  183  wiedergegeben  habe,  so  sieht  man,  dass  diese  in  den  drei  ersten 
Gliedern  vollständig  mit  der  ersteren  übereinstimmt.  In  der  vierten  Gruppe 
kommt  ein  noch  unbekannter  Multiplikator.  In  der  fünften  der  Multi- 
plikator Null,  in  der  Form,  wie  wir  ihn  oben,  bei  Besprechung  der  Initial 
Series  der  Westseite  der  Stele  C  von  Quirigua,  schon  kennen  gelernt 
haben.  Dann  folgt  in  der  sechsten  Gruppe  das  Zeichen  ahau,  kombinirt 
mit  einer  Hieroglyphe,    die    in    allen  Einzelheiten    mit    dem  Multiplikator 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      761 

der  ersten  Gruppe  von  Abb.  181  übereinstimmt,  die  also  die  Zahl  Eins 
darstellen  muss.  Und  endlich  in  der  siebenten  Gruppe  ein  Uinal-Datum, 
dessen  Form  allerdings  aus  den  Handschriften  kaum  bekannt  ist.  Es  er- 
innert in  wesentlichen  Elementen  an  die  Landa'sche  Zeichnung  des  Uinal 
Mac^  die  auch  in  der  Dresdener  Handschrift  einmal  (Blatt  69,  unten)  ge- 
funden wird.  Dass  es  in  der  Tliat  V.^.  mac  gelesen  werden  muss,  beweist 
eine  Stelle  auf  dem  Ostflügel  des  Inschriften -Tempels  von  Palenque 
(Maudslay  IV,  PI.  60,  Kolumne  M,  N),  wo  auf  die  Zahlen  14x1  und 
6x20  erst  das  Datum  13.  ahau^  18.  mac  und  dann  das  Datum  4.  ix,  7.  uo 
folgt,  das  von  13.  ahau,  18.  mac  in  der  Tliat  um  (14  X  1)  +  (6  X  20)  oder 
134  Tage  absteht.  Die  Initial  Series  des  Kreuz-Tempels  II  ist  danach  in 
folgender  Weise  zu  lesen: 

1.  1x20x20x360. 

2.  18x20x360. 

3.  5  X  360. 

4.  XX  20. 

5.  0x1. 

6.  1.  ahau. 

7.  13.  mac. 

Setzt  man  hier  für  x  die  Zahl  4  ein  und  summirt,  so  erhält  man  die 
Zahl  275  480.  Das  sind  1059  Tonalamatl  und  140  Tage,  oder  754  Sonnen- 
jahre und  270  Tage.  Und  das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages  1.  ahau, 
13.  mac  von  dem  Normal-Datum  4.  a//aw,  8.  cumkii. 

Die  Rechnung  hat  uns  also  hier  eine  weitere  Zahlen-Hieroglyphe,  die 
Hieroglyphe  der  Zahl  4  ergeben.  Es  zeigt  sich  ausserdem,  dass  das  End- 
Datum  der  Initial  Series  des  Kreuz-Tempels  H  um  14  Tage  von  dem  der 
Initial  Series  des  Sonnen-Tempels  absteht,  dass  das  sakrale  Datum  der 
Altar-Platte  des  Sonnen-Tempels  14  Tage  vor  das  der  Altar-Platte  des 
Kreuz-Tempels  II  fällt.  In  der  That  erweisen  sich  diese  beiden  Altar- 
Platten  auch  in  ihrem  weiteren  Inhalt  als  durchaus  zusammengehörig; 
dieselben  Daten  2.  cib^  14.  mol  und  8.  oc,  3.  kayah  treten  bedeutsam  in 
ihnen  hervor.  Und  auch  in  der  Gruppirung  der  anderen  Hieroglyphen 
sind  Parallelen  nachweisbar. 

Da  für  diese  beiden  Altar-Platten  die  Lösung  so  glatt  gelang,  so  war 
ich  natürlich  versucht,  auch  die  Initial  Series  der  dritten  und  berühmtesten 
der  drei  Platten  von  Palenque,  der  des  Kreuz-Tempels  Nr.  I,  einer 
Deutung  zu  unterwerfen.  Ich  habe  in  Abb.  184  die  Initial  Series  dieser 
\  Platte  wiedergegeben.  Man  sieht,  dass  die  Multiplikanden  hier  die  ein- 
fache Form  leicht  erkennbarer  symbolischer  Zeichen  haben.  Die  Multi- 
plikatoren aber  und  die  Zahlen-Indices  des  Tages-  und  des  Uinal-Datums 
sind  nicht  durch  Ziffern  gegeben,  sondern,  .  wie  auf  den  anderen  beiden 
Altar-Platten,  durch  Köpfe.     Leider   begegnen    uns    unter    diesen    Köpfen 


762 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


uur  weuige,  deren  Zahlwerth  nach  dem  bis  jetzt  Ermittelten  feststeht.  In 
der  vierten  Hieroglyphen-Gruppe  ist  der  Multiplikator  wieder  Vier,  wie 
in  Abb.  183.  In  der  fünften  wird  der  Multiplikator  durch  die  zweite 
Form  der  Null  (oben  S.748.  Abb.  IGT)  gebildet.  Und  der  Kopf,  der  in  der 
letzten  Gruppe  die  Zahl  des  Uinal-Datums  angibt,  scheint  mit  den  Multi- 
plikatoren der  zweiten  Hieroglyphen -Gruppen  in  Abb.  181  und  183 
identisch  zu  sein,  also  18  gelesen  werden  zu  müssen.  Aber  die  vier 
anderen  Köpfe  sind  neu,  ihr  Zahlwerth  ist  nach  dem  bisher  Ermittelten 
nicht  ohne  Weiteres  klar. 

Xach  dem,    was    nns    die  Initial  Series  des  Sonnen-Tempels  und  des 
Ki-euz-Tempels  Nr.  H  gelehrt  haben,  kennen  wir: 
1.  Die  Hieroglyphe  der  Zahl  Eins.     Ich  habe  aus  den  drei  Gruppen,  in 
denen  sie  vorkommt,    die  Hieroglyphe    in  Abb.  185    noch  einmal  be- 
sonders wiedergegeben.     Man  sieht,    es    ist    ein  bartloses  Gesicht  mit 


/er 


i$6 


Abb,  185.    Hieroglyphe  der  Zahl  Eins. 

flachgedrückter  Stirn.  Besondere  Merkmale  sind  eine  Art  von 
Breloque,  die  über  der  Stirn  hängt,  eine  an  der  Seite  des  Gesichts 
lang  herunterhangende  Haarsti'ähne  und  ein  Ohrschmuck,  der,  wie  es 
scheint,  aus  einer  durchbohrten  Scheibe  besteht,  aus  deren  Oeffnuog 
ein  Riemen  heraushängt,  der  am  Ende  mit  Metall  beschlagen  ist  oder 
eine  Schelle  trägt.  In  einem  im  Jahre  1897  erschienenen  Buche,  das 
sich  auch  mit  diesen  Monumenten  beschäftigt,  und  auf  das  ich  noch 
zu  sprechen  kommen  werde,  ist  dieses  Gesicht  mit  dem  der  Frauen- 
Figuren  der  Dresdener  Handschrift  verglichen  worden.  Dieser  Ver- 
gleich ist  durchaus  glücklich.  Das  gescheitelte  Haar  und  die  lang 
herabfallende  Haarsträhne  sind  in  der  That  die  besonderen  Kenn- 
zeichen des  Maya- Weibes  (vgl.  Abb.  186)  und  sind  von  den  Maya- 
Schriftgelehrten  auch  in  der  Hieroglyphe  der  Frau  (vgl.  Abb.  186, 
oben)  als  besonderes  Merkmal  hervorgehoben  worden.     Ich  habe  oben 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      763 


Hieroglyphe  der 
Zahl  Drei. 


schon  erwähnt,  dass  auch  das  Zeichen  caban  die  dunklen  Haarpolster 
und  die  lange  Haarsträhne  als  wesentliche  Elemente  enthält,  weil 
caban  die  Erde  ist,  und  die  Erde  weiblich  gedacht  wurde.  Auf  den 
Monumenten  erscheint  gelegentlich  dieser  weibliche  Kopf,  ohne  dass 
man  an  der  Stelle  einen  Zahlwerth  nachweisen  könnte.  Vgl.  Abb.  187, 
wo  die  lange  Haarsträhne  am  Grunde  umwickelt  und  in  eine  Metall- 
Hülse  gefasst  erscheint. 
"2.  Die  Hieroglyphe  der  Zahl  Drei.  Ich  habe  sie  in 
Abb.  188  noch  einmal  besonders  gezeichnet.  Das 
Kennzeichen  dieser  Figur  ist  eine,  wie  es  scheint, 
aus  Gold  getriebene  Scheibe,  die  an  einem  um 
den  Kopf  gehenden  Bande  über  der  Stirn  befestigt 
ist.  Die  Ohrgegend  wird  von  einer  ovalen  Scheibe 
eingenommen,  auf  der  man  eine  Figur,  wie  ein 
um  90°  gedrehtes  Zeichen  ik  erkennen  möchte. 

3.  Die  Hieroglyphe  der  Zahl  Vier  (Abb.  189).  Das  ist  augenscheinlich 
das  Gesicht  des  Sonnen-Gottes,  für  den  wir  wohl  den  in  Yucatan  ge- 
bräuchlichen  Namen    Kinch   ahau    verwenden 

können.  Es  ist  hier  »anz  analos:  den  oben  S.  729 
gegebenen  Abb.  56  —  60,  wo  das  Gesicht  des- 
selben Gottes  den  Multiplikandus  Eins,  oder 
einen  einzelnen  Tag,  bezeichnet.  Wie  dort, 
so  haben  wir  auch  hier  das  grosse  Auge,  die 
ausgefeilten  Schneidezähne,  den  grossen  Hau- 
zahn und  das  Zeichen  kin  anf  der  Wange. 
Die  Zeichnung  der  Monumente  stimmt  in  den 
wesentlichen  Elementen  mit  der  Art  überein, 
wie  in  den  Handschriften  dieser  Gott  dar- 
gestellt wird.  Als  Beleg  dafür  habe  ich  in 
Abb.  190  aus  Blatt  5  der  Dresdener  Hand- 
schrift die  Hieroglyphe  und  das  Bild  dieses 
Gottes  wiedergegeben. 

4.  Die  Hieroglyphe  der  Zahl  Fünf.  Ich  gebe 
in  den  Abbildungen  191,  192  und  193,  S.  764, 
die  Hieroglyphe,  die  wir  von  der  Stele  I  von  Copan  und  den 
beiden  Altar-Platten  von  Palenque  kennen  gelernt  haben,  und  füge 
in  Abb.  195  den  Kopf  einer  Figur  der  Stele  D  von  Copan  hinzu  (auf 
die  ich  gleich  nachher  zu  sprechen  kommen  werde),  die  dort  ebenfalls 
die  Zahl  Fünf  bezeichnet.  Man  sieht,  dass  wir  in  allen  diesen  Fällen 
ein  runzliges  Greisen-Gesicht  vor  uns  haben,  —  besonders  charakte- 
ristisch mit  dem  durch  die  Runzeln  verkleinerten  Auge  in  den  Bildern 
von  Palenque  (Abb.  192,  193)  —  das  als  besonderes  Abzeichen  das 
Zeichen   tun    „Stein"    über  der  Stirn    träo-t.     Aus    den    Handschriften 


Abb.  189  u.  190.  Hiero- 
glyphe der  Zahl  Vier. 


764 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


könnte  die  eine  oder  andere  Figur  als  Seitenstück  in  Betracht  kommen. 
Die  Vergleiche  erscheinen  aber  vorläufig  noch  zu  unsicher,  so  dass 
ich  es  mir  versage,  darauf  einzugehen. 

5.  Die  Hieroglyphe  der  Zahl  Sechs.  Ich  habe  sie  auf  8.  705  in  Abb.  202 
ebenfalls  noch  einmal  besonders  gezeichnet.  Das  Gesicht  ist  ohne 
Zweifel  eine  genaue  Parallele  des  Gesichts  des  Sonnengottes,  der  als 
Multiplikator  die  Ziffer  Vier  anzeigt  (vgl.  Abb.  189).  Nur  ist  hier  bei 
der  Gottheit  der  Zahl  Sechs  im  Auo:e  ein  Kreuz  ansrebracht. 

6.  Die  Hieroglyphe  Zehn.  Sie  wird  durch  einen  Todtenkopf  bezeichnet. 
Ich  habe  die  Formen,  die  wir  kenneu  gelernt  haben,  in  Abb.  196 
und  197  noch  einmal  besonders  zusammengestellt. 

7.  Die  Hieroglyphe  Dreizehn  (Abb.  198).  Es  ist  ein  Yogelkopf  (mit 
einem    von    der    Stirn    herabhangenden    Federbusch,     der     als    aus- 


ISf 


Abb.  191—193  und  195.    Hieroglyphen 

der  Zahl  Fünf. 

Abb.  194:.    Hieroglyphe  der  Zahl  Fünfzehn. 


.-/58 


Abb.  196—198.    Hieroglyphen 

der  Zahl  Zehn 

und  der  Zahl  Dreizehn. 


zeichnendes  Merkmal  über  dem  Auge  das  Zeichen  chiien  hat.  Ich 
habe  denselben  Kopf,  mit  der  Ziffer  Eins  versehen,  also  als  Multi- 
plikandus,  auf  der  westlichen  Tafel  des  Inschriftentempels  von  Palenque 
gefunden  (Abb.  199). 
8.  Die  Hieroglyphe  der  Zahl  Achtzehn  (vgl.  Abb.  203,  S.  766).  Auf 
diese  werde  ich  gleicli  noch  zu  sprechen  kommen. 

Eine  Eigenthümlichkeit  der  Hieroglyphe  der  Zahl  Achtzehn  und  gleich- 
zeitig zweier  der  noch  unbekannten  Multiplikatoren-Hieroglyphen  der  Initial 
Series  des  Kreuzterapels  Nr.  1  von  Palenque,  des  Multiplikators  der  zweiten 
und  der  dritten  Gruppe  (oben  Abb.  184),  ist.  dass  als  diakritisches  Zeichen. 
als  unterscheidendes  Merkmal,  die  Zeichnung  eines  Knochens  an  dem 
Unterkiefer  des  Gesichtes  angebracht  ist,  ganz  ähnlich  wie  wir  oben  bei 
dem  Yogelkopf,  der  den  Multiplikandus  360  darstellt,  einen  Knochen  als 
diakritisches  Zeichen  am  Unterkiefer  oder  Unterschnabel  ans-ebracht  fanden 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      765 


(vgl.  oben  S.  737,  Abb.  132 — 141).  Da  dieses  Merkmal  bei  Köpfen  ver- 
schiedenen Ansehens  erscheint,  so  ist  zu  verniuthen,  dass  ihm  eine  von 
dem  betreffenden  Kopfe  unabhängige  Bedeutung  zukommt.  Wir  müssen 
versuchen,  diese  Bedeutung  festzustellen. 

Ich  habe  in  Abb.  200  drei  Gruppen  von  Hieroglyphen  wiedergegeben, 
die  an  drei  verschiedenen  Stellen  des  Inschriftentempels  von  Palenque, 
aber  genau  in  dieser  Folge  wiederkehren.  Wie  man  sieht,  sind  die  ersten 
beiden  Hieroglyphen  der  drei  Gruppen  genau  identisch.  In  der  dritten 
Gruppe  sind  sie  nur  auf  den  Raum  einer  Hieroglyphe  zusammengedrängt. 
Von  der  dritten  Hieroglyphe  ist  die  hintere  Hälfte  in  den  drei  Gruppen 
ebenfalls  identisch.  Aber  die  vordere  Hälfte  der  dritten  Hieroglyphe 
wird  in  der  ersten  Reihe  von  der  Ziffer  16  gebildet,  in  den  beiden  anderen 
von  einem  Gesicht,  in  dem  wir  unschwer  die  Hieroglyphe  der  Zahl  Sechs 
wiedererkennen,  in  der  aber  als  diakritisches  Zeichen,  wie  bei  der  Hiero- 

Z01 


2,o^ 


Abb.  200.     Inschrifteutempel  von  Palenque. 
Mitte  A,  B,  9, 10 

„       G,  H,  10;  I,  1 
Ostflügel  S,  T.  r,. 


Abb.  201,  202.   Hieroglyphen  der  Zahl 
Sechzehn 
und  der  Zahl  Sechs. 


glyphe  Achtzehn,  am  Unterkiefer  die  Zeichnung  eines  Knochens  angebracht 
ist.  Ich  habe,  um  das  deutlicher  erkennen  zu  lassen,  in  Abb.  201  dieses 
Gesicht  besonders  gezeichnet,  und  in  Abb.  202  die  Hieroglyphen  der  Zahl 
Sechs,  wie  wir  sie  oben  kennen  gelernt  haben,  daruntergesetzt.  Nun, 
glaube  ich,  können  wir  aus  der  Abb.  200  mit  ziemlicher  Sicherheit 
schliessen,  dass  die  Abb.  201  die  Zahl  Sechzehn  repräsentirt.  Die  Abb.  201 
(Zahl  16)  unterscheidet  sich  von  der  Abb.  202  (Zahl  6)  durch  die  Zeichnung 
des  Knochens  am  Unterkiefer.  Also,  müssen  wir  schliessen,  erhöht  das 
diakritische  Zeichen  des  Knochens  den  Zifferwerth  um  Zehn. 
Da  wir  oben  gefunden  haben,  dass  die  Hieroglyphe  der  Zahl  Zehn  ein 
Todtenschädel  ist  (vgl.  Abb.  196,  197),  so  ist  ja  diese  Bedeutung  des 
Knochens  auch  ganz  verständlich. 

Ist  das  aber  der  Fall,  so  folgt,  dass  die  Hieroglyphe  der  Zahl  Acht- 
zehn ( —  ich  habe  die  Formen,  die  wir  kennen  gelernt  haben,  in  Abb.  203 


766 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Z03 


zusammengestellt  — ),  wemi  man  den  Knochen  am  Unterkiefer  weglässt, 
die  Hieroglyphe  der  Zahl  Acht  geben  muss,  und  da  sehen  wir  ohne 
Weiteres,  dass  die  vordere  Hieroglyphe  der  vorletzten  Gruppe  von  Abb.  184 
(vgl.  oben  S.  750),  die  die  Zahl  des  Ahau-Datums  der  Initial  Series  der  Kreuz- 
platte I  von  Paleuque  angeben  soll  und  die  ich  in  Abb.  204  noch  besonders 
wiedergegeben    habe,    die  Zahl  Acht  bezeichnen  muss.  —  Sehen  wir  uns 

nun  diese  Hieroglyphen  der  Zahlen  Acht- 
zehn und  Acht,  die  ja  das  Gesicht  der- 
selben göttlichen  oder  mythischen  Person 
wiedergeben  müssen,  genauer  an,  so  er- 
kennen wir,  dass  die  besonderen  Kenn- 
zeichen desselben  ein  jugendliches  Ge- 
sicht, eine  vor  der  Stirn  sich  kräu- 
selnde Locke  oder  Feder  und  ein  über 
den  Hinterkopf  fallender  abgegrenzter 
Theil  ist,  der  sich  zum  Theil  auch  in 
Federn  oder  Locken  auflöst.  Und  macht 
man  sich  diese  Besonderheiten  klar,  so  wird  man  sofort  begreifen,  dass 
dieses  Gesicht  nichts  anderes  sein  kann  als  das  des  Gottes  mit  dem 
Äaw-Zeichen,  den  ich  in  Hieroglyphe  und  Bild  nach  zwei  Stellen  der 
Dresdener  Handschrift    in    Abb.  205    wiedergegeben    habe.     Wer    bei  der 


Hieroglyphen  der  Zahl  Achtzehn 
und  der  Zahl  Acht. 


Z06 


Abb.  205. 


Abb.  206. 


Bild  und  Hieroglyphe  des  Gottes  mit  dem  ^««-Zeichen. 
Nach  der  Dresdener  Handschrift. 


Beti'achtung  der  ganzen  Figur  noch  zweifeln  sollte,  den  werden  die  Hiero- 
glyphen und  der  hieroglyphische  Kopf  Abb.  206  belehren,  die  ja  beide 
auch  in  der  Form  der  Handschriften  die  vordere  sich  kräuselnde  Locke 
oder  Feder  und  den  hinten  abgegrenzten  Theil  auf  das  Deutlichste  er- 
kennen lassen. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      767 

Werfen  wir  nun  noch  einmal  einen  Blick  auf  Abb.  184  (oben  S.  759), 
die  Initial  Series  der  Kreuzplatte  Nr.  I  von  Palenque,  so  kennen  wir  jetzt 
in  ihr  den  Multiplikator  der  vierten  und  fünften  Gruppe  (Vier  und  Null), 
die  Zahl  des  ^Äaw- Datums  (Acht)  und  die  des  Uinal-Datums  (Achtzehn). 
Die  Multiplikatoren  der  zweiten  und  dritten  Gruppe,  die  ich  in  Abb.  208 
und  207  einmal  besonders  gezeichnet  habe,  haben  beide  als  besonderes 
Merkmal  die  Zeichnung  des  Knochens  am  Unterkiefer.  Es  muss  ihnen 
also  eine  Hieroglyphe  entsprechen,  die  dasselbe  Gesicht  ohne  den  Knochen 
zeigt,  und  deren  Zahlwerth  um  10  geringer  ist.  Leider  können  wir  eine 
solche  nach  dem  bisher  Erkannten  noch  nicht  mit  Sicherheit  feststellen. 
Der  erste  Multiplikator  aber  ist,  nach  wie  vor,  ganz  unbekannt.  Die 
Hieroglyphe  (Abb.  209)  zeigt  zwar  äusserlich  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit 
der  der  Ziffer  Fünf  (oben  S.  704,  Abb.  191—193  und  195).  Aber  diese  Aehn- 
lichkeit ist  nur  scheinbar.  In  Wirklichkeit  bestehen  zwischen  beiden  die 
•tiefgehendsten  Verschiedenheiten.  Die  Abb.  209  zeigt  ein  junges  glattes 
Gesicht.  Das  Charakteristikum  der  Hieroglyphe  der  Zahl  Fünf  ist  das 
gefurchte  Greisengesicht.     Und    das  Element,    das    die  Abb.  209    auf  dem 


Abb.  207. 


Abb.  208. 


Abb.  209. 


Kopfe  trägt,  ist  nicht  das  Zeichen  tun,  wie  bei  der  Hieroglyphe  Fünf, 
sondern  ein  Zeichen,  das  eine  gewisse  Variante  des  Tageszeichens  been  dar- 
zustellen scheint,  und  das  wir  oben  S.  729  in  Abb.  72  als  Symbol  des  Himmels 
kennen  gelernt  haben.  Wir  haben  also  in  der  Initial  Series  der  Kreuz- 
platte I  immer  noch  drei  Unbekannte.  Dazu  kommt,  dass  auch  das  Uinal- 
Zeichen  nicht  ganz  zweifellos  ist.  Es  ist  mit  keiner  der  Uinal-Hieroglyphen 
Landa's  und  der  Handschriften  direkt  zu  vergleichen.  An  den  Stellen, 
wo  es  sonst  auf  den  bisher  publizirten  Monumenten  vorkommt,  ist  seine 
Bedeutung  auch  nicht  ausser  jedem  Zweifel.  Und  auf  der  Kreuzplatte  I 
von  Palenque  folgt  zwar  in  denselben  Kolumnen  ein  weiteres  Datum, 
dessen  Formen  klar  sind.  Es  fehlen  aber  Zahlen,  die  den  Abstand  dieses 
Datums  von  dem  Enddatum  der  Initial  Series  geben.  Somit  haben  wir 
für  die  Initial  Series  der  Kreuzplatte  I  von  Palenque  immer  noch  nicht 
Bestimmungen  genug  zur  Hand.  Wir  müssen  sehen,  ob  wir  auf  einem 
anderen  Wege  weiter  kommen.  Und  ein  solcher  Weg  bietet  sich  in 
der  That. 

Ich  habe  oben  die  Stelen  und  Altäre  von  Copan  und  Quiriguä  be- 
sprochen, und  wir  hatten  gefunden,  dass  für  diejenigen  von  ihnen,  bei  denen 
die  Multiplikatoren  der  Initial  Series  in  Ziffern  geschrieben,  daher  in  ihrer 


768 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Bedeutung  zweifellos  sind,  das  Gesetz  gilt,  dass  die  Summe  der  Zahlen 
der  Initial  Series  den  Abstand  des  Enddatums  der  Initial  Series  von  dem 
Normaldatum  4.  ahau,  8.  cumku  angibt.  Wir  konnten  die  Gültigkeit  dieses 
Gesetzes  für  alle  untersuchten  Stelen  mit  Ausnahme  weniger  Fälle,  wo  viel- 
leicht ein  Fehler  vorliegt,  feststellen.  Neben  diesen  Monumenten,  auf  denen 
die  Multiplikatoren  der  Initial  Series  in  Ziffern  geschrieben  sind,  kommen 
aber  nuu  noch  andere  vor,  bei  denen  ebenso  wie  auf  den  Altarplatten  von 
Paleuque  die  Multiplikatoren  nicht  durch  Ziffern,  sondern  durch  Hiero- 
glyphen bezeichnet  sind.  Wir  könnten  nun  versuchen,  auch  diese  einer 
Deutung  zu  unterwerfen,  und  sehen,  ob  wir  nicht  auf  diesem  Wege  zu 
einigen  weiteren  Feststellungen  gelangen. 

Da  bietet  sich  nuu  zuerst  die  interessante  Stele  D  von  Copan  dar, 
bei  der  die  Hieroglyphen,  die  die  Hinterseite  der  Stele  bedecken,  sämmt- 
lich  nicht  durch  zu  Lettern  abreviirte  Bilder,  sondern  durch  stanze  Figuren 
gegeben  sind.  Die  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe  dieser  Stele,  das 
Katuu-Zeichen,    ist  oben  S.  715  in  Abb.  3,    die  Multiplikanden   der  Initial 


ZiO    I 


%11L 


Hieroglyphen  der  Zahl  Neun. 

Series  in  Abb.  156,  139,  124,  97,  73  (oben  S.  739,  737,  735,  733,  729) 
wiedergegeben.  Yon  den  Multiplikatoren  habe  ich  den  der  fünften  und 
vierten  Gruppe  in  Abb.  168  b  (oben  S.  748)  abgebildet.  Er  hat  in  diesen 
beiden  Gruppen  den  Werth  Null.  Der  Multiplikator  der  dritten  Gruppe 
ist  Abb.  195  (oben  S.  764),  das  alte  Gesicht  mit  dem  Zeichen  tun  auf 
dem  Kopf,  der  Repräsentant  der  Zahl  Fünf.  Der  Multiplikator  der 
zweiten  Gruppe  (Abb.  194,  oben  S.  764)  zeigt  dasselbe  alte  Gesicht,  mit 
dem  Zeichen  tun  auf  dem  Kopf;  aber  auf  dem  Unterkiefer  ist  hier  die 
Zeichnung  eines  Knochens  angebracht.  Es  muss  folglich  diese  Figur  den 
Zahlenwertli  Fünfzehn  haben.  Der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  end- 
lich ist  eine  Figur,  deren  Kopf  ich  in  Abb.  210  wiedergegeben  habe. 
Ihr  Zahlwerth  ist  vorläufig  noch  unbekannt.  Die  Zahlenreihe  der  Initial 
Series  der  Stele  D  von  Copan  ist  demnach  folgende: 

1 .  X  X  20  X  20  X  360. 

2.  15X20x360. 

3.  5  X  360. 

4.  0X20. 

5.  0x1. 


21.   Monumente  von  Gepan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      769 


Es  fragt  sich,  ob  wir  den  Multiplikator  x  der  ersten  Gruppe  bestimmen 
können.  Sehen  wir  die  Initial  Series  der  anderen  Stelen  durch,  so  finden 
wir,  dass  dort  in  der  ersten  Gruppe  fast  immer  der  Multiplikator  Neun 
steht.  Eine  Ausnahme  machen  allein  die  Altarplatten  von  Palenque.  Und 
das  ist  ein  besonderer  Fall,  auf  den  ich  unten  noch  zu  sprechen  kommen 
werde.  Sonst  hat  man  überall  einen  Zeitraum  von  9  Zyklen,  oder  9  Zwanzig- 
fachen eines  Katun,  als  seit  dem  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau^ 
8.  cumku  verflossen  angenommen.  Mehr  aber  nicht.  Und  das  ist  begreif- 
lich. Die  Gemeinwesen,  in  deren  Mitte  hier,  in  den  fruchtbaren  Thälern 
und  zum  Theil  im  tropischen  Waldgebiet,  jene  herrlichen  Monumente  ent- 
standen, werden  schwerlich  lange  Jahrhunderte  oder  gar  Jahrtausende 
geblüht  haben.  Dagegen  spricht  Alles,  was  uns  bisher  über  die  Ruinen- 
stätten von  Zentral- Amerika  bekannt  geworden  ist.  In  dem  Zeitraum 
eines  Zyklus,    der  nahezu  400  Jahre    (genauer  394  Jahre   und   190  Tage) 


^ZiS 


%ie 


XI  r 


umfasst,  konnte  sich  leicht  die  ganze  Geschichte  der  Reiche  an  jener 
Stelle  zusammengedrängt  haben.  Ist  aber  Neun  überall  der  Multiplikator 
der  ersten  Gruppe  der  Initial  Series,  so  ist  entschiedene  Wahrscheinlich- 
keit da,  dass  auch  der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  der  Stele  D  von 
Copan,  unser  gesuchtes  x,  die  Zahl  Neun  ist.  Und  um  so  grösser  wird 
die  Wahrscheinlichkeit  sein,  wenn  sich  herausstellen  sollte,  dass  auch  in 
anderen  Monumenten  mit  hieroglyphischen  Multiplikatoren  in  der  Initial 
Series  der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  vou  einer  der  Abb.  210  gleichen 
oder  verwandten  Hieroglyjihe  gebildet  wird.  Und  das  ist  in  der  That  der 
Fall,  wie  wir  gleich  an  ein  paar  anderen  Beispielen,  der  Palasttreppe  von 
Palenque  und  der  Stele  P  von  Copan,  sehen  werden  (vgl.  die  erste  Hiero- 
glyphe in  den  Abb.  221  und  222,  unten  S.  771,  772).  Eine  Ausnahme  macht 
allein  die  Stele  E  von  Copan,  wo  aber  der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  nicht 
durch  einen  Kopf,  sondern  durch  ein  Zeichen  gegeben  ist,  das  eine  andere 
Yeranschaulichung  derselben  Zahl  sein  könnte  (vgl.  unten  S.  773,  Abb.  223). 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  49 


770 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 


Und  nicht  ganz  sicher  deutbar  sind  mir  in  der  Zeichnung  die  Multiplikatoren 
der  ersten  Gruppe  der  Kröte  B  und  der  Stele  D  von  Quirigua.  Ein 
weiterer  Beweis  aber,  dass  unsere  Abb.  210  eine  Hieroglyphe  der  Zahl 
Neun  ist,  ist  der  Umstand,  dass  wir  dieses  selbe  Gesicht,  dessen  Kenn- 
zeichen ein  über  die  Stirn  herabgebogener  Schmuck  und  eine  mit 
Jaguarfleckeu  und  Haaren  versehene  untere  Gesichtshälfte  sind,  in 
anderen  Inschriften  mit  gewissen  charakteristischen  Elementen  zu  Hiero- 
glyphen vereinigt  finden,  die  sonst  mit  der  Ziffer  Neun  verbunden  sind 
(vgl.  Abb.  213,  214).  Alle  diese  Thatsachen  sprechen  in  der  That  dafür, 
dass  unser  x,  der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  der  Stele  D  von  Copan 
(Abb.  210),  die  Hieroglyphe  der  Zahl  Neun  ist.  Setzen  wir  diese  in  die 
Initial  Series  ein,  so  gibt  die  Zusammenrechnung  der  gesammten  Aus- 
drücke   die    Zahl    1 405  800.     Das    sind    5406   Tonalamatl   und   240  Tage, 


zn 


%%o 


oder  3851  Sonnenjahre  und  185  Tage.  Das  ist  genau  der  Abstand  des 
Tages  10.  ahau,  8.  ch'en  von  dem  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau^ 
8.  cumku. 

Sehen  wir  uns  nun  das  Ahau- Datum  dieser  Stele  au.  das  dort 
die  sechste  Gruppe  bildet,  —  ich  habe  es  oben  (S.  721)  in  Abb.  36 
wiedergegeben  und  reproduzire  es  hier  noch  einmal  — ,  so  erkennt 
man,  dass  die  Yorderfigur,  die  die  Zahl  des  Ahau-Datums  darstellt  und 
den  kalkuliformen  Rahmen  des  ^/low-Zeichens  umklammert  hält,  mit 
einem  Todtenschädel  gezeichnet  ist,  also  ganz  in  Uebereinstimraung 
mit  der  Hieroglyphe  der  Zahl  Zehn,  die  wir  oben  S,  764  in  den 
Abb.  196,  197  erkennen  konnten.  Das  Uinal-Datum  aber,  das  hier  nicht 
an  siebenter,  sondern  erst  an  achter  Stelle  folgt,  und  das  ich  in  Abb.  218 
wiedergebe,  zeigt  uns  in  der  Yorderfigur,  die  hier  —  eine  interessante 
Darstellung  —  die  Maske  des  Sonnengottes  im  Arme  hält,  unverkennbar 
den  Gott  mit  dem  Äaw-Zeicheu  (vgl.  oben  S.  766,  Abb.  205),  der,  wie 
wir  oben  gesehen  haben,  der  Repräsentant  der  Zahl  Acht  ist.    Und  dass  der 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.       771 

hintere  Theil  von  Abb.  218,  der  uns  eine  Art  Vogel- 
kopf mit  den  Elementen  des  cawac-Zeicliens  und  mit 
einer  zusammengeknoteten  Garn-  oder  Haar-Strähne 
.auf  dem  Scheitel  vor  Augen  führt,  nur  eine  Form 
des  Zeichens  cKen  ist,  lehrt  ein  Vergleich  mit  den 
Hieroglyphen,  die  in  den  oben  (S.  749,  750)  nach 
•der  Cedrelaholz -Platte  von  Tikal  wiedergegebenen 
•Gruppen  (Abb.  169 — 171)  den  Uinal  cKen  bezeichnen, 
und  mit  den  Hieroglyphen  dieses  Zeichens,  die  ich 
nach  dem  Kreuztempel  von  Palenque  und  nach  einer 
.Stele  von  Quirigua  in  Abb.  219  und  220  dan eben- 
gesetzt  habe.  Somit  ist  in  der  That  das  Enddatum 
•der  Initial  Series  der  Stele  D  von  Copan  das  Datum 
10.  aliau.  8.  cJien^  das  unter  Einsetzuno'  des  Werthes 
Neun  für  den  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  sich 
aus  der  Rechnung  ergibt. 

Ich  gehe  gleich  weiter  zu  den  auch  durch  ihre 
Formen  interessanten  Hieroglyphen  der  Palasttreppe 
Ton  Palenque,  die  Maudslay  auf  Tafel  23  seines 
IV.  Bandes  abbildet.  Die  Hieroglyphen,  die  man 
sonst  auf  die  Seiten  einer  Stele  vertheiit  findet, 
nehmen  hier  in  zweimal  zwei  Streifen  die  horizon- 
tale und  vertikale  Seite  (Tritt-  und  Aufstiegfläche) 
dreier  Treppenstufen  ein.  Die  Gruppen  der  Initial 
Series  gebe  ich,  in  ihrer  Folge  nach  Art  der  Altar- 
platten von  Palenque  übereinand  ergeordnet,  in  Abb.  221 
wieder.  Von  den  vorderen  Hieroglyphen,  die  die 
3Iultiplikatoren  darstellen,  bezeichuet  die  erste  wieder 
■die  Zahl  Neun.  Wir  haben  hier  denselben  über  die 
Stirn  herabgebogenen  Schmuck,  dieselbe  mit  Jaguar- 
flecken und  Haai'en  versehene  untere  Gesichtshälfte 
wie  in  den  anderen  Gesichtern,  die  wir  als  Hiero- 
glyphe der  Zahl  Neun  erkannt  haben.  Der  Multipli- 
kator der  zweiten  Gruppe  ist  unverkennbar  die  Hiero- 
glyphe der  Zahl  Acht  (vgl.  oben  S.  7G(),  Abb.  204). 
Der  der  dritten  wieder  Neun,  Bei  dem  Multiplikator 
der  vierten  Gruppe  könnten  wir  zweifeln.  Man  sieht 
aber,  dass  er  genau  übereinstimmt  mit  der  Hiero- 
glyphe, die  auf  der  Vorderseite  der  achten  Hiero- 
glyphen-G^ruppe  steht,  und  die  die  Zahl  des  Uinal- 
Datums  darstellt.      Da  nun   das  Enddatum  hier,    wie 

gewöhnlich,    ein  JAaw-Tag  ist,    und  die  ^Äaw-Tage    r  •^^^  c.    ■"-,   \.  ^    . 
°  '  0-5  o       Initial  Series  der  Palast- 

aus den  oben  schon  einmal  angeführten  Gründen  nur      treppe  von  Palenque. 

49* 


772 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


^^=J 


entweder  der  dritte,  achte,  dreizehnte  oder  achtzehnte  Tag  eines  Uinal 
sein  können,  so  steht  für  die  Bestimmung  des  Werthes  des  Multiplikators 
der  vierten  Gruppe  nur  eine  dieser  vier  Zahlen  (3,  8,  13  oder  18)  zur 
Yerfüo"ung.  B  und  18  erscheinen  ausgeschlossen,  und  auch  die  Hiero- 
glvphe  der  Zahl  3  hat  ein  ganz  anderes  Ansehen.  So  bleibt  nur  die  Zahl  13. 
Und  mit  der  Hieroglyphe  der  Zahl  13  (vgl.  oben  S.  KU,  Abb.  198)  stimmt 
der  Multiplikator  unserer  vierten  Gruppe  in  der  That 
in  den  wesentlichen  Elementen  überein.  "Wir  haben 
'  denselben  Vogelkopf  wie  dort.  Nur  ist  statt  des 
^/^^=^  /  6'Äwew-Schildes,  das  dort  über  dem  Auge  gezeichnet  ist, 
hier  in  unserer  Abb.  221  bei  dem  Multiplikator  der 
vierten  Gruppe,  und  der  entsprechenden  Hieroglyphe 
der  siebenten  Gruppe,  über  dem  Auge  ein  von  einem 
Rande  mit  sich  einrollenden  Yorsprüngen  umgebener 
Schild  zu  sehen,  über  desseu  Fläche  gerade  die 
Schleife  des  Bandes  liegt,  mit  dem  der  Schild  über 
dem  Auge  befestigt  ist.  Der  Multiplikator  der  fünften 
Gruppe  stellt  eine  neue  Form  dar.  Wir  erkennen, 
dass  es  ein  Gesicht  ist,  das  aus  dem  aufgesperrten 
Rachen  eines  Todteuschädels  hervorsieht.  Leider  ge- 
hört diese  Hieroglyphe  den  Stufen  au,  das  Gesicht 
ist  vollständig  verwischt.  Da  das  Enddatum  hier  aber 
wieder  ein  Ahau-Datum  ist,  so  kann  dieser  Multipli- 
kator der  fünften  Gruppe  nur  wieder  eine  Yer- 
anschaulichuug  der  Xu  11  sein.  Denn  von  4.  ahmt  bis 
zu  einem  anderen  ^Äaw-Tage  kann  die  Entfernung 
nur  in  ganzen  Zwanzigern  gemessen  sein.  In  der  Zahl 
des  ^Äaw-Tages  endlich  müssen  wir  wieder  das  Gesicht 
des  Gottes  mit  dem  A'aw- Zeichen  erkennen,  sie 
ist  also  8  zu  lesen.  Die  ganze  Initial  Series  hat  dem- 
nach die  folgende  Zusammensetzung: 

1.  9X20X20X360. 

2.  8  X  20  X  360. 

3.  9  X  360. 

4.  13X20. 

5.  OXl. 

6.  8.  ahau. 

7.  13?     (Das  Uiiial-Zeichen  ist  verwischt.) 
Die  Summiruno-  erg-ibt  die  Zahl  1  357  100.    Das  sind  5219  Tonalamatl 

und  160  Tage,  oder  3718  Sonnenjahre  und  30  Tage.  Das  ist  genau  der 
Abstand  des  Tages  8.  ahau^  13.  pop  vom  Anfangs-  und  Normaldatum 
4.  ahau^  8.  cumku.  So  bestätigt  die  Rechnung  also  auch  bei  dieser  Initial 
Series  das  Gesetz  und  die  Richtigkeit  unserer  Deutungen. 


Abb.  222. 

Initial  Series 

der  Stele  P  von 

Copan. 


21.    Monumente  von  Gepan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      773 


Die  Stele  P  von  Copan  zeichnet  sich  vor  anderen  durch  einen  ge- 
v^issen  schnörkelhaften  Zug  ihrer  Hieroglyphen-Zeichnung  aus.  Die  Multi- 
plikanden der  Initial  Series  (vgl.  Abb.  222)  zeigen  alle  annähernd  dasselbe 
Vogelgesicht,  bei  dem  nur  durch  kleine  Abzeichen  —  den  gekrümmten  Hau- 
zahn des  Sonnengottes,  den  Knochen  der  Perioden  tun^  die  ilie  Schnabel- 
wurzel umgebenden  Federborsten  des  Katun-Vogels  —  die  besondere  Periode 
zum  Ausdruck  gebracht  ist.  Die  Multiplikatoren  sind  in  den  ersten  beiden 
Gruppen  wieder  Neun.  In  der  dritten  begegnet  ims  eine  anscheinend  noch 
unbekannte  Form.  In  der  vierten  und  fünften  Gruppe  ist  der  Multi- 
plikator Null.  Wie  die  Ziffer  des  ^Aaw-Tages  zu  lesen  ist,  darüber  könnte 
man  zweifeln,  da  von  den  drei  Perlen, 
die  dem  oberen  Rande  der  Hieroglyphe 
aufgesetzt  sind,  und  die  die  Ziffer  an- 
geben müssen,  nur  die  mittlere  ge- 
schlossen, die  anderen  nach  unten  etwas 
geöffnet  sind.  Da  indes  in  den  übrigen 
Hieroglyphen  der  Stele  mehrfach  auch 
die  nach  unten  offenen  Perlen  als  Einer 
auftreten,  so  glaube  ich  annehmen  zu 
müssen,  dass  die  sechste  Hieroglyphe 
der  Initial  Series  3.  ahau  zu  lesen  ist. 
Ein  Uinal-Datuni  fehlt.  Demnach  hat 
die  Initial  Series  der  Stele  P  die  fol- 
gende Zusammensetzung: 

9  X  20  X  20  X  360. 

9  X  20  X  360. 

X  X  360. 
20. 
1. 

3.  ahau. 
Ich  glaube,  wir  können  für  das  x 
hier  die  Zahl  Dreizehn  einsetzen.  Denn 
mit  der  Hieroglyphe  dieser  Zahl  (vgl.  oben  Seite  764  Abb.  198  und  den 
Multiplikator  der  vierten  Gruppe  in  Abb.  221)  stimmt  der  Multiplikator 
unserer  dritten  Gruppe  in  den  wesentlichen  Zügen  überein.  Die  Zusammen- 
rechnung ergibt  dann  5251  Tonalamatl  und  220  Tage,  oder  3741  Sonnen- 
jahre und  15  Tage.  Das  ist  der  Abstand  des  Tages  3.  ahau,  3.  amia  kaha 
von  dem  Normaldatum  4.  ahau,  8.  cuniku. 

Zum  Schluss  führe  ich  noch  die  Initial  Series  der  Stele  E  von 
Copan  an  (Abb.  223).  Hier  sind  leider  die  unteren  Hieroglyphen  voll- 
ständig zerstört.  Die  erhaltenen  Reste  sind  aber  doch  interessant  genug. 
Die  Stele  weicht  von  den  anderen  dadurch  ab,  dass  Multiplikator  und 
Multiplikandus,  wenigstens  in  den   oberen  Gliedern,  nicht,  wie  sonst,  dicht 


1. 
2 

3. 

4.  0 

5.  0 

6. 


Abb.  223. 


Initial  Series  der  Stele  E 
von  Copan. 


774 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


aneinandergerückt,  sondern  als  gesonderte  Hieroglyphen  geschrieben  sind. 
Die  Multiplikanden  ähneln  der  Stele  P  insofern,  als  sie  auch  wenig  aus- 
drucksvoll sind.  Ein  ziemlich  gleichartiger  Yogelkopf  liegt,  soweit  der 
Erhaltungsstand  dies  erkennen  lässt.  überall  zu  Grunde.  Dem  Multi- 
plikandus  der  ersten  Gruppe  fehlt,  wie  in  Stele  P,  das  sonst  überall  an- 
gegebene diakritische  Zeichen  der  Hand.  Aber  bei  dem  Multiplikandus 
der  dritten  Gruppe,  der  die  tun  oder  Zeiträume  von  360  Tagen  bezeichnet^ 
sind  deutlich  die  drei  dunklen  Kreise  im  Auge  gezeichnet,  die  wir  in  den 


i  (£l  '\0  miQ  ^ 


•  •«• 


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Ahb.  224.    Hieroglyphen  der  Zahl  Zwanzig. 

Hieroglyjihen  dieser  Periode  fast  regelmässig  angegeben  fanden  (vgl.  oben 
S.735  Abb.  110— 115,  117.  118,  120,  121,  124, 125).  Unter  den  Multiplikatoren 
fällt  der  der  ersten  Gruppe  auf,  der  eine  ganz  neue  Form  darstellt,  und 
von  dem  ich  nur  die  Vermuthung  aussprechen  darf,  dass  er  —  vielleicht  — 
eine  andere  Form  der  Hieroglyphe  Neun  ist.  Der  Multiplikator  der 
zweiten  Gruppe  scheint,  wie  der  dritten  der  der  Stele  P.  mit  dem  "Werthe 
dreizehn  angesetzt  werden  zu  müssen.  Bei  dem  dritten  Multiplikator  der 
Stele  E  hört  leider  schon  jede  Identifizirung  auf. 

Sehr    gereizt    hätte    es    mich,    die    in  Hieroglyphen  ornamentaler  Art 
ausgeführten  Initial  Series    der    Kröte  B    und  der    Stele  D    von  Quirisruä 


21.   Monumente  von  Gepan  und  Quirig-uä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      775 

zu  analysireii.  Aber  für  Stele  D  liegt  in  dem,  von  Maudslay  bisher 
publizirt  hat,  nur  eine  Photographie  vor,  die  doch  ein  genaueres  Studium 
nicht  ermöglicht.  Und  auf  der  Kröte  B  ist  gerade  das  Ahau-Datum 
zerstört. 

"Wenden  wir  uns  nun  mit  dem,  was  wir  aus  den  letzten  Feststellungen 
an  Kenntniss  gewonnen  haben,  noch  einmal  zu  der  Kreuzplatte  I  von 
Palenque  (vgl.  oben  S.  759  Abb.  184)  zurück,  so  scheint  sich  für  den 
Multiplikator  der  zweiten  Grruppe,  den  ich  oben  S.  767  in  Abb.  208  noch 
einmal  besonders  gezeichnet  habe,  eine  Erklärung  zu  geben.  Man  ist 
versucht,  ihn  Neunzehn  zu  lesen.  Denn  lässt  man  das  diakritische  Zeichen 
des  Knochens  weg,  so  erhält  man  ein  Gesicht,  das  in  der  That  die  Be- 
sonderheiten der  Hieroglyphe  Neun,  wie  wir  sie  oben  kennen  lernten,^ 
aufzuweisen  scheint.  Der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  aber  (Abb.  209, 
oben  S.  7t)7)  und  der  der  dritten  (Abb.  207,  oben  S.  767)  sind  nach  wie 
vor  noch  unbekannt.  Ich  habe  nun  bald  diesen,  bald  jenen  Werth  ein- 
gesetzt und  durch  die  Rechnung  geprüft,  bin  aber  bisher  noch  zu  keinem 
befriedigenden  Resultate  gelangt.  Nimmt  man  an,  was  ja  wohl  wahr- 
scheinlich ist,  dass  für  die  Zahlenreihe  des  Kreuztempels  I  derselbe  Tag 
4.  ahau,  8.  cumku  als  Ausgangspunkt  zu  setzen  ist,  wie  der,  von  dem  aus 
die  Eingangszahlenreihen  der  Altarplatten  des  Kreuztempels  II  und  des 
Sonnentempels  gerechnet  sind,  so  müsste  die  Initial  Series  des  Kreuz- 
tempels I  folgendermassen  lauten  — 

2  X  20  X  20  X  360 
7x20x360 
2  X  360 
4x    20 
Ox      1 
d.  h.  der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  (Abb.  209,  oben  S.  767)  müsste 
Zwei  gelesen    werden,    was    vielleicht    thatsächlich    richtig    ist.     Der  der 
zweiten  aber  (Abb.  208,  oben  S.  7(>7)  müsste  Sieben,  und  der  der  dritten 
(Abb.  207,  oben  S.  767)  müsste  ebenfalls  Zwei,  wie  der  der  ersten  Gruppe 
gelesen  werden.     In  der  That  weisen  der  Multiplikator  der  ersten  und  der 
dritten  Gruppe  in  dem  obersten  Element  eine  Verwandtschaft  auf.     Aber 
gegen  diese  Lesung  spricht  doch  eigentlich,  dass  die  Multiplikatoren,    so- 
wohl der  zweiten,  wie  der  dritten  Gruppe,  an  dem  Unterkiefer  den  Todten- 
knochen  zu  haben  scheinen,  der  den  Zahlwerth  um  zehn  erhöht. 

Es  ist  bedauerlich,  dass  gerade  bei  diesem  wichtigen  und  bekanntesten 
Monumente  die  Lösung  nicht  gelingt.  Immerhin  bleibt  eine  ganze  Anzahl 
von  gesicherten  Ergebnissen:  die  gesicherte  Lesung  der  Initial  Series  einer 
grossen  Zahl  von  Monumenten,  auch  solcher,  in  denen  die  Multiplikatoren 
nicht  Ziffern,  sondern  Hieroglyphen  sind,  und  die  Feststellung  einer  ganzen 
Anzahl  zahlbezeichnender  Hieroglyphen,  die  nahezu  den  ganzen  Zahlen- 
raum von  1 — 19  umfassen.    Ich  füge  noch  in  Abb.  224  ein  Zeichen  für  die 


776  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Zahl  Zwanzig-  hinzu,  das  in  den  Handschriften  ganz  allgemein  zur  Be- 
zeichnung von  üistanzaugaben  gebraucht  wird. 

Ehe  ich  mich  nun  den  Schlussbetrachtungen  zuwende,  muss  ich 
eines  Werkes  gedenken,  das  sich  mit  ähnlichen  Untersuchungen  be- 
schäftigt, und  in  dem  ein  grosser  Theil  der  Resultate,  zu  denen  ich 
gelangt  bin,  schon  enthalten  ist.  Das  ist  das  Werk  von  J.  T.  Goodman: 
„The  Archaic  Maya  Inscriptions",  das  auf  Veranlassung  und  auf  Kosten 
Alfred  P.  Maudslay's  als  YIII.  Theil  des  grossen  Maudslay'schen 
Werkes,  der  archäologischen  Abtheilung  der  Biologia  Centrali-Americana, 
im  Februar  1897  erschienen  ist.  Der  verstorbene  Professor  Brinton  hat 
in  der  ^Science"  vom  April  desselben  Jahres  eine  sehr  abfällige  Kritik 
über  dies  Buch  veröffentlicht,  die  aber  durchaus  ungerecht  ist.  Von  dem, 
was  Goodman  wirklieh  gesehen  und  erreicht  hat,  hatte  Brinton  keine 
Ahnung  und  konnte,  bei  dem  Stande  seiner  Kenntnisse  von  der  Sache, 
auch  keine  Ahnung  haben.  Der  erregte  Ton  seiner  Kritik  war  vielleicht 
zum  Theil  dadurch  veranlasst,  dass  sich  Brinton  durch  Goodman's  Be- 
merkungen über  die  gelehrten  Dilettanten  selbst  etwas  getroffen  fühlte. 
In  zwei  Beziehungen  hat  aber  Brinton  das  Goodman 'sehe  Buch  ganz 
gut  charakterisirt,  indem  er  das  Fehlen  von  Beweisen  für  die  aufgestellten 
Behauptungen  und  das  vollständige  Verschweigen  aller  Vorarbeiten  und 
aller  Vorarbeiter  auf  diesem  Gebiete  hervorhob. 

Goodman  hat  Alles  aus  der  Tiefe  seines  Gemüthes  konstruirt.  Er 
ist  zunächst  daran  gegangen,  den  Jahreskaleuder  zu  konstruiren,  d.  h.  sich 
Rechenschaft  über  die  Verbindung  der  Tageszeichen-  und  der  Uinaldaten 
zu  geben.  Ich  habe  oben  angeführt,  dass  ich  schon  im  Jahre  1891  und 
•später  1895^)  darauf  hingewiesen  habe,  dass  die  Verbindung  der  Tages- 
zeichen- und  der  Uinaldaten  in  der  Dresdener  Handschrift  und  auf  den 
Monumenten  Folgendes  beweist:  die  Schreiber  dieser  Handschrift  und 
die  Errichter  der  Monumente  haben  die  Jahre  nicht  mit  kan^  muluc,  ix, 
cauac,  wie  die  Yukateken,  begonnen,  sondern  mit  den  Tagen  been^  e'tznab^ 
akbal,  lamat,  die  den  mexikanischen  Tagen  acatl^  tecpatl,  calli,  tochtli  ent- 
sprechen. Goodman  hat  das  auch  gesehen.  Aber  bei  dieser  Annahme 
muss  er  mit  anderen  Aufstellungen  in  Konflikt  gerathen  sein.  Nachdem  er 
daher,  wie  er  sagt,  bei  dieser  einfachen  Aufgabe  lange  Zeit  im  Ungewissen 
gewesen  sei,  habe  er  endlich  die  Entdeckung  gemacht,  dass  die  Er- 
richter der  Monumente  ihre  Jahre  mit  den  (den  Tagen  been,  e'tznab,  akbal, 
lamat  vorhergehenden)  Tagen  eb,  caban,  ik,  manik  begonnen,  dass  sie  aber 
ihre  Uinal  (ihre  sogenannten  Monate)  nicht  mit  dem  ersten,  sondern  mit 
dem  zwanzigsten  Tage  begonnen  und  dann  den  ersten,  zweiten,  dritten 
u.  s.  f.  weitere-ezählt  hätten!     D.  h.  mit  anderen  Worten:   wenn  Goodman 


1)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXIII,   S.  103  u.  111;  ebend.  XXVII,  Verhandl. 

S.  (447),  (44! t).     Vgl.  oben  S.  521  und  585. 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.       777 

auf  den  Monumenten  ein  Datum  1.  ik^  20.  pop  findet,  so  wäre  das  nach 
ihm  zu  lesen:  „ein  Tag  \.  ik^  der  der  erste  des  Uinal  j9op  ist".  Das 
Datum  2.  akbal,  1.  pop  hiesse:  „ein  Tag  2.  akbal,  der  der  zweite  des  üinal 
pop  isf  u.  s.  f.  —  Das  heisst  in  der  That  die  Dinge  auf  den  Kopf  stellen, 
um  einer  einfachen  Erklärung  zu  entgehen. 

Weiter  ist  Goodman  zur  Konstruktion  des  sogenannten  „chrono- 
logischen Kalenders"  d.  h.  der  Katunrechnung  übergegangen.  Diese  Auf- 
gabe sei  viel  schwieriger  gewesen.  Sieben  Jahre  habe  er  sich  bemüht, 
ohne  zu  einem  Resultat  zu  gelangen,  durch  PioPerez  missleitet,  der  die 
vorliegende  Schwierigkeit  anscheinend  dadurch  loste,  dass  er  dem  Katun 
eine  Länge  von  24  Jahren  zuschrieb.  Endlich  nach  sieben  Jahren  sei 
ihm,  Goodman,  ein  Licht  aufgegangen.  In  dramatisch  bewegten  Worten 
schildert  er  seine  Entdeckung,  apostrophirt  Pio  Perez,  der  schon  so 
nahe  daran  gewesen  sei,  die  Wahrheit  zu  finden  — :  „Poor  Don  Pio!  to 
have  the  pearl  in  his  grasp  and  be  unaware  of  its  pricelessness  like  so 
many  others"  —  und  kommt  dann  mit  der  Entdeckung  heraus,  dass  der 
Katun  weder  20,  noch  24  Jahre,  sondern  20  X  360  Tage  umfasst  habe! 
Also  genau  das,  was  ich  in  der  eben  angezogenen  Abhandlung  vom  Jahre 
1891  geschrieben  und  gedruckt  und  später  noch  des  öfteren  wiederholt 
habe!  Nun  kommt  es  gewiss  nicht  selten  vor,  dass  zwei  Leute  unab- 
hängig von  einander  auf  denselben  Gedanken  kommen,  und  dass  der  eine 
ihn  erst  viel  später  veröffentlicht,  als  der  andere.  Auch  mag  man  Herrn 
Goodman,  der  sich  rühmt,  ein  „ungelehrter  Proletarier"  zu  sein,  es 
glauben,  dass  er  kein  Deutscli  versteht.  Es  kommen  hierbei  aber  doch 
noch  einige  besondere  Umstände  in  Betracht.  Ich  habe  seiner  Zeit  meine 
Arbeiten  an  Edward  S.  Holden  nach  Kalifornien  geschickt,  der  mir 
schrieb:  —  „There  are  several  cultivators  to  this  study  in  California,  and 
it  will  give  me  pleasure  to  band  your  paper  to  them,  as  they  will  be 
much  interested  in  it."  —  In  der  Vorrede  zu  seinem  Buche  berichtet 
Goodman  selbst,  dass  auf  dem  Titelblatt  seines  Buches  eigentlich 
Dr.  Gustav  Eisen  in  San  Fancisco  hätte  mitgenannt  werden  müssen, 
der  seine  Aufmerksamkeit  zuerst  auf  diese  Studien  gelenkt,  12  Jahre  zu- 
sammen mit  ihm  gearbeitet,  und  das  meiste  von  dem  Material,  das  von 
ihm,  Goodman,  verarbeitet  worden  sei,  für  ihn  gesammelt  habe.  Nun, 
Gustav  Eisen  ist  ein  Schwede  und  versteht  Deutsch.  Goodman  hat 
seine  Vorrede  im  November  1895  geschrieben.  Wenn  er  12  Jahre  mit 
Eisen  gearbeitet  hat,  so  hat  er  also  etwa  im  Jahre  1883  angefangen.  Und 
wenn  er,  wie  er  angibt,  sich  sieben  Jahre  vergeblich  mit  der  Sache  ab- 
gemüht hat,  so  hat  er  seine  Entdeckung  gerade  in  dem  Jahre  gemacht, 
in  dem  meine  Arbeit  an  Edward  S.  Holden  nach  San  Francisco  kam. 
Das  ist  gewiss  ein  eigenthümliches  Zusammentreffen.  Man  wird  es  mir 
nicht  verargen,  wenn  ich  auf  den  Gedanken  komme,  dass  dem  „ungelehrten 
Proletarier",    der  aber  von  einem  gebildeten.  Deutsch  verstehenden  Arzte 


778  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

mit  Material  für  seine  Arbeiten  versehen  wurde,  die  von  mir  gemachten 
Feststellungen  nicht  ganz  unbekannt  geblieben  sein  können,  dass  ich  aber 
mit  Forste  mann  und  manchem  Anderen  die  Ehre  theile,  in  Goodman 's 
Buche  iguorirt  zu  werden. 

Goodman  hat  sich  die  Mühe  gemacht,  für  die  ganzen  52  Jahre  des 
mexikanischen  Jahrhunderts  die  Tage  mit  ihren  Uinal-  (sog.  Monats-) 
Daten  auszuschreiben.  Das  kostet  eine  Masse  Papier  und  hat  wenig 
praktischen  Werth.  Zudem  hat  er  seine  Tabellen,  wenn  nicht  unbrauchbar, 
so  doch  für  den  Benutzer  verwirrend  gemacht,  indem  er  auf  ihnen  seine 
sonderbare  Idee,  dass  die  alten  Maya  den  zwanzigsten  Tag  eines  Uinal 
als  ersten,  den  ersten  als  zweiten,  den  zweiten  als  dritten  Tag  u.  s.  f. 
gezählt  hätten,  zum  Ausdruck  gebracht  hat.  Auf  Grund  der  richtigen  Katun- 
länge,  wie  sie  meiner  Feststellung  entspricht,  hat  Goodman  weiter  die 
Aufangstage  der  einander  folgenden  Katune  mit  ihren  zugehörigen  Uinal- 
daten  ausgeschrieben.  Als  Anfang  aber  setzt  er  nicht  das  Normaldatum, 
das  Förstemann  uns  kennen  lehrte,  und  das,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  nahezu  ausnahmslos  auf  allen  Monumenten  als  Ausgangspunkt  der 
Rechnung  nachzuweisen  ist,  sondern  er  griff  ein  Datum  heraus,  das  ihm 
auffällig  war,  weil  es  allein  unter  den  Monumenten  von  Copan  auf  dreien 
von  ihnen  an  hervorragender  Stelle  anzutreffen  ist,  das  Datum  4.  ahau^ 
13.  yax^  das,  wie  wir  gesehen  haben,  um  1  404  000  Tage,  oder  etwas  über 
3846  Sonuenjahre  von  dem  Normaldatum  absteht.  Indem  er  aber  dieses 
Datum  4.  ahau^  13.  yax  nicht  etwa  bloss  als  Anfangstag  eines  Katun, 
sondern  als  Anfangstag  grosser  Aeren  von  13  X  20  Katunen  setzte,  weil 
auf  den  Monumenten  Zwanzigfache  von  Katunen  mit  der  Ziffer  13  kom- 
binirt  vorkommen^),  und  indem  er  weiter  fand,  dass  auch  für  die  Zwanzig- 
fachen eines  Katun,  wie  für  die  einfachen  Katun^  und  die  Tun^  es  gilt, 
dass  ■  erst  nach  Ablauf  von  73  X  13  dieser  Zwanzigfachen  von  Katunen 
dieselbe  Kombination  des  väAa?«- Tages  und  des  C/VwaZ- Datums  eintritt,  so 
kam  er  dazu,  73  grosse  Aeren  von  je  260  Katunen  zu  konstruiren,  deren 
fünfundfünfzigste  erst  —  in  Goodman'scher  Bezeichnung  die  Nummer  54, 
weil  er  auch  hier  von  der  Idee  ausgeht,  dass  die  Maya  mit  der  letzten 
der  möglichen  Ziffern,  hier  73,  die  erste  dieser  Aeren  bezeichnet  hätten  — 
unser  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau^  8.  cumku  ist.  Man  sieht,  dass 
er  auf  diese  Weise  spielend  zu  der  netten  Zahl  von  276  953  Jahren  ge- 
langte, die  vor  unserem  Anfangs-  und  Normaldatum,  dem  Datum  4.  ahau, 
8.  cumku^  liegen  sollten. 

Die  Multiplikanden  auf  den  Monumenten  hat  Goodman  im  All- 
gemeinen richtig  erkannt,  verräth  aber  auf  keiner  Seite  seines  dickleibigen 
Werkes,    dass    diese  Multiplikanden-Lesung    aus    der  Zifferschreibung  der 


1)  Wie  dieses  Vorkommen  zu  deuten    ist,    dafür    habe    ich  oben  S.  755  eine 
Erklärung  gegeben. 


21.    Monumeute  von  Copan  und  Qnirigiiä  unrl  die  Altarplatten  von  Palenque.      779 

Dresdener  Handschrift,  die  Förstemann  uns  kennen  lehrte,  hervorgeht, 
und  ebensowenig,  dass  Förstemann  schon  vor  ihm  die  20,  360  und  7200 
erkannte.  Dass  ich  in  der  Identifizirung  der  Multiplikanden  der  Initial 
Series  Goodman  vorangegangen  bin,  habe  ich  oben  (S.  752,  Anm.)  durch 
die  Anführung  der  Stelle  aus  den  Actas  des  Amerikanisten-Kongresses  in 
Mexico  dargethan.  Durch  Nachrechnung  der  Distanzen  zwischen  den 
einzelnen  Daten  des  Textes  ist  Goodman  weiter  auch  zu  einer  im  All- 
gemeinen richtigen  Identifizirung  der  Uinal-Hieroglyphen  gelangt.  An 
einer  richtigen  Deutung  der  Initial  Series  aber  hinderten  ihn  seine  Idee, 
dass  die  Multiplikatoren  der  Initial  Series  als  Ordinalzahlen  zu  betrachten 
seien,  und  ferner  der  Umstand,  dass  er  die  Hieroglyphen,  von  denen  ich 
oben  nachwies,  dass  sie  den  Multiplikator  Null  darstellen,  als  Bezeichnung 
der  Zahl  20  auffasst.  Um  sich  dabei  mit  den  Thatsachen  abzufinden, 
muss  er  (S.  90  seines  Buches)  annehmen,  dass,  wo  bei  einem  Uinal  die 
Ordinalzahl  18  stehe,  sie  ausnahmslos  in  allen  Fällen  durch  die 
Hieroglyphe  20  zum  Ausdruck  gebracht  werde!  —  Goodman  liebt 
das  „I  discovered,  I  determined",  und  er  bricht  in  die  stolzen  Worte 
aus:  —  „I  expect  my  calendar  to  be  challenged.  It  would  be  without 
precedent  in  the  history  of  discovery,  if  it  were  not.  ßut  I  leave  it  to 
defend  itself,  conscious  that  it  is  as  infallible  as  the  multiplication  table, 
and  knowing  that  all  antagonists  must  finally  go  down  before  it."  —  Das, 
was  in  „seinem"  Kalender  richtig  ist,  die  wahre  Katunlänge,  ist  nicht  von 
Goodman,  sondern  von  mir  entdeckt  und  lange  vor  Goodman 's  Buch 
von  mir  veröffentlicht  worden.  Auch  dass  auf  den  Monumenten  die  gleiche 
Art  der  Kombination  von  Tagesdaten  und  Uinaldaten  vorliegt,  wie  in  der 
Dresdener  Handschrift,  ist  schon  vor  Goodman  von  Förstemann,  Cyrus 
Thomas  und  mir  ausgesprochen  worden;  ebenso  wie  auch  die  Multipli- 
kanden-Hieroglyphen von  Förstemann  und  mir  selbständig  erkannt  worden 
sind.  "Was  Goodman  hinzugethan  hat:  die  Anfänge  mit  dem  zwanzigsten 
der  Monate,  die  lange  Reihe  der  Acren  von  dem  willkürlich  gesetzten 
Anfang  4.  ahau^  13.  yax^  und  die  Art  der  Initial  Series-Lesung,  ist  theils 
willkürlich,  theils  falsch. 

Wenn  ich  Goodman  nun  aber  auch  „seinen"  Kalender  streitig 
machen  muss,  so  gebührt  ihm  doch  das  Verdienst,  die  Hieroglyphen  der 
Multiplikatorenzahlen,  die  er  „Face  numerals"  nennt,  in  ihrer  Bedeutung 
erkannt  und  einen  grossen  Theil  derselben  richtig  bestimmt  zu  haben. 
Merkwürdig  ist  nur,  dass  er  es  nicht  für  nöthig  erachtet,  anzugeben,  wie 
er  zu  seinen  Bestimmungen  gelangt  ist.  Er  kann  ja  allerdings  darauf  ver- 
weisen, die  Probe  an  den  Monumenten  zu  machen.  Aber  dann  müsste 
doch  der  zu  wählende  Ausgangspunkt  zweifellos  festgestellt  sein.  Aber 
die  Thatsache,  dass  Goodman  bei  seinen  Berechnungen  der  Initial  Series- 
Zahlen  im  Grunde  auch  von  dem  von  Förstemann  entdeckten  Normal- 
datum 4.  ahau,    8,  cumku    ausgeht,    erscheint    geradezu    verschleiert.     Man 


YgQ  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

kann  es  Brinton  in  gewisser  Weise  nicht  verargen,   dass  er  eine  wissen- 
schaftliche Abhandlung,   in  der  Argumente  wie  —  „Ich  wette,   das  ist  so" 
—  „Ich  habe  nicht  ein  Bischen  Zweifel  daran"  —  eine   nicht  unbeträcht- 
liche  Rolle    sjuelen,   kurzer   Hand    bei  Seite   schieben  zu  können  meinte. 
Die  Entwickeluug,  die  ich  oben  für  die  Bestimmung  der  Hieroglyphen  der 
Multiplikatorenzahlen,    der  „Face  numerals"  Goodman's,    gegeben    habe, 
zeigt  nicht  nur  den  Weg,  wie  ich  dazu  gelangt  bin,  sondern  gibt  auch  die 
Beweise,  die  man  in  Goodman's  Buche  vergeblich  sucht.     Vieles    ist    in 
Goodman's  Bestimmungen  auch  direkt  gerathen,  was  mit  grosser  Sicher- 
heit vorgetragen  wird.     Da   er  sich  aber   gedrungen  fühlte,    die  Liste  der 
Zahlen-Hieroglyphen  vollständig  von  \—'20  zu  geben,  und  da  er  ausserdem 
auf    einigen  Monumenten,    so    besonders  der   Stele  D  von  Copan    und  der 
Palasttreppe  von  Palenque,    die  Multiplikatoren    zweifellos    falsch  gelesen 
hat,    so  wird    man    es    begreifen,    dass    mau    bei  ihm   die  richtigen  Fest- 
stellungen mit  falschen  und   absolut  unsicheren  gemischt  findet.     So  sind 
die  Formen,  die  er  für  die  Hieroglyphe  Sieben  gibt,  durchaus  hypothetisch, 
durch  keine  Initial  Series  gewährleistet.    Die  Hieroglyphe  der  Zahl  Neun 
ist  bei  ihm  unter  die  Zahlen  Drei,  Neun  und  Zwölf  vertlieilt.     Die  Hiero- 
glyphe 13  aus  der  Initial  Series  von  Palenque  führt  er  unter  15  auf,   was 
ein  Unding    ist,    da  mit  einem  Ahmi-Tage    kein    fünfzehnter    eines  Uinal 
verbunden  sein  kann.     Dass  auf  der  Stele  D   in   der  zweiten  Gruppe  15 
und  nicht  5  zu  lesen  ist,  hat  er  nicht  gesehen.      Und  die  Zahl  13  ist  bei 
ihm  eine  Vereinigung  sicher  nicht  zusammengehöriger  Typen.     Goodman 
stellt  die  merkwürdige  Theorie  auf:    —    „that  the   sculptors  assumed  that 
everybody  must  know  what  the  current   cycle  was,    and    therefore  carved 
the  sign  with  the  greatest  freedom  in  initial  dates!"  — 

Eine  glückliche  Muthmassuug  von  ihm  ist  es  vielleicht,  wenn  er,  von  der 
Thatsache  ausgehend,  dass  ein  Todtenkopf  die  Zahl  Zehn  und  zugleich  das 
sechste  Tageszeichen  cimi  bezeichnet,  auch  den  anderen  Tageszeichen  in 
ihrer  Reihenfolge  einen  entsprechenden  Zalilenwerth  zuschreibt.  Wir 
würden  dann  in  der  That  für  die  Zahl  Acht  das  vierte  Tageszeichen,  das 
Zeichen  kan  erhalten.  Und  wir  haben  gesehen,  dass  die  Acht  durch  den 
Gott  mit  dem  Kan-Zeichen  dargestellt  wird.  Die  Zahl  Sechs  für  das 
zweite  Tageszeichen  ik  „Wind"  würde  auch  stimmen,  denn  die  Hieroglyphe 
hat  das  Kreuz,  das  Symbol  der  vier  Windrichtungen,  im  Auge.  Die  Zahl 
Vier,  deren  Hieroglyphe  das  Gesicht  des  Sonnengottes  ist,  würde  dem 
zwanzigsten  Tageszeichen  ahau  entsprechen,  und  die  Zahl  Eins,  deren 
Hieroglyphe  das  Gesicht  der  Frau  ist,  dem  siebzehnten  Tageszeichen  caban: 
mit  beidem  kann  man  sich  durchaus  einverstanden  erklären.  Die  von 
Goodman  dabei  gegebenen  Erklärungen  laufen  im  Wesentlichen  auf  eine 
Summirung  von  ihm  angenommener  Zahlwerthigkeiteu  hinaus.  Nur  bei 
caban  gibt  er  eine  sachliche  Erklärung.  Die"  Aufstellung  eines  Zusammen- 
hano-es  zwischen  dem  Gesichte  der  Frau  und  dem  Zeichen  caban   ist  aber 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      781 


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782  Dritter  Abschuitt:    Kalender  und  Hieroglyplien-Entzifferung. 

auch  wieder  so  ein  intimer  Zuy,  in  dem  ich  Fleisch  von  meinem  Fleische 
und  Geist  von  meinem  Geiste  zu  erkennen  glaube. 

Goodman  führt  diese  Parallelisirung-  mit  den  Zahlen  für  die  zwanzig 
Tageszeichen  durch,  deren  jedes  er  darnach  direkt-  als  Zeichen  für  eine 
bestimmte  Zahl  ansieht.  •  Mir  erscheint  es  zweifelhaft,  ob  man  den  Ver- 
gleich über  die  Zahl  Zehn  hinausführen  darf.  Jenseit  dreizehn  fanden  wir 
die  mit  dem  Symbol  der  Zahl  10,  dem  Knochen,  zusammengesetzten  Zahlen- 
Hieroglyphen.  Ich.  möchte  eine  andere  Parallele  heranziehen:  die  zwanzig 
Götter,  die  im  oberen  Theil  der  Blätter  4—10  der  Dresdener  Handschrift 
dargestellt  sind,  und  möchte  glauben,  dass  die  zwanzig  Tageszeichen 
sowohl,  wie  auch  die  zwanzig  Götter,  sich  in  zwei  Reihen  von  je  zehn 
ordnen,  deren  einzelne  Glieder  einander  und  den  auf  den  Monumenten 
die  Zahlen  1  — 10  bezeichnenden  Götterköpfen  in  der  Weise  entsprechen, 
wie  ich  das  in  Abb.  225  (S.  781)  angezeigt  habe.  Dass  bei  dieser  An- 
ordnung in  der  That  an  den  verschiedensten  Stellen  Parallelen  auftauclien, 
davon  wird  man  sich  leicht  überzeugen.  Ich  hebe  liervor  die  Tageszeichen 
muluc  (Wasser)  und  cauac  (Regen);  been  (Rohr  und  Dach)  und  akbal  (Nacht 
und  Haus).  Unter  den  Göttern  in  der  zweiten  Kolumne  6'Aac,  den  Regeu- 
gott,  und  Ah  holon  tz'acab.  den  AYassergott.  In  der  sechsten  Kolumne  Kinch 
ahau^  den  Sonnengott,  und  Itzamnd,  den  alten  Hiramelsgott.  In  der  achten 
den  Gott  mit  dem  Ä'aTi-Zeichen  und  den  jungen  Gott.  Mau  vergleiche 
ferner  die  Hieroglyphe  Zehn  und  den  Todesgott;  die  Hieroglyphe  Acht 
und  den  Gott  mit  dem  Ka?i-Zeichen;  die  Hieroglyphe  Sechs  mit  dem 
Windkreuz  im  Auge  und  den  alten  Himmelsgott;  die  Hieroglyphe  Fünf 
das  Greisengesicht  und  den  kahlköpfigen  Yogel,  den  Geier;  den  Sonnen- 
gott und  den  Jaguar.  Und  auch  für  die  Hieroglyphe  Neun  ist  der  Vogel 
Moan,  der  zur  Hälfte  Jaguar  ist,  eine  direkte  Parallele.  An  anderen 
Stelleu  freilich  scheint  die  Parallele  zu  versagen,  so  gerade  in  der  ersten 
Kolumne.  Doch  mögen  hier  Beziehungen  obwalten,  die  uns  noch  ver- 
borgen sind.  Jedenfalls  glaube  ich,  dass  man  allen  Grund  hat,  diesen 
Vergleich  im  Auge  zu  behalten.  Auf  eine  ursprünglich  dekadische  An- 
ordnung lässt  auch  die  merkwürdige  Thatsaclie  schliesseu,  dass  die  beiden 
Hauptreihen  von  zwanzig  Göttern,  die  in  den  mexikanischen  Handschriften 
vorkommen,  an  der  elften  Stelle  eine  Verschiebung  aufweisen. 

Dass  in  der  That  die  alten  Maya  die  Tageszeichen  dekadisch  an- 
ordneten und  dementsprechend  numerisch  verwertheten,  dafür  könnte  ein 
Beleg  —  vielleicht  —  darin  gefunden  werden,  dass  die  Abb.  226,  der  auf- 
gerichtete Daumen,  der  gewissermasseu  eine  der  Schmalseite  der  Hiero- 
glyphe angepasste  Abbreviatur  der  Hand,  d.  i.  des  Tageszeichens  monik 
ißt,  auf  der  Altarplatte  des  Kreuztempels  I  von  Palenque  als  Multiplikator 
„Eins"  vorkommt,  also  den  gleichen  numerischen  Werth  wie  das  Zeichen 
caban  hat,  dem  wir  oben  den  Zahlwerth  „Eins"  zuschrieben. 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguii  und  die  Altarplatten  von  Palenque.       783 

In  ähnlicher  Weise  wie  den  Tageszeichen  schreibt  Goodman  auch 
den  Uinal  einen  ihrer  Reihenfolge  entsprechenden  Zahlenwerth  zu,  indem 
er  zo'tz  gleich  Vierzehn  setzt,  weil  die  Fledermaus  in  bestimmten  Hiero- 
olyphen-Gruppen  einmal  für  die  Zahl  Vierzehn  eintrete.  —  Ist  dies  schon 
hypothetisch  genug,  so  beginnt  bei  den  „directive  signs",  den  „numeric 
features  of  personages"  u.  s.  w.  die  „Intuition"  Ooodman's  freier  zu 
walten,  ohne  dass  man  dabei  in  Bezug  auf  die  Sicherheit  der  Ueber 
Zeugung  irgendwie  eine  Abnahme  verspürte.  Goodman  ist  in  der  That 
der  Meinung,  dass  die  gesanimten  Monumente  Mittel -Amerikas  in  all 
ihren  Theilen  —  Figuren,  Gesichtern,  Hieroglyphen  und  Theilen  von 
Gesichtern  und  Hieroglyphen  —  aus  Zahlen  und  Zahlen- 
Symbolen  zusammengesetzt  seien,  der  ungeheure  Aus- 
druck eines  Kultus  der  Zahl.  Dieser  Versuch,  die 
lebendigen  Gestalten,  die  Gesichter,  die  Ornamente, 
die    Hieroglyphen,     in    lauter    Zahl -Symbole     zu    zer-  Abb.  226. 

schneiden,  erinnert  an  die  ähnlichen  Versuche  Hilborne      Eine  andere  Hiero- 
T.  Cresson's,   die  Maya-Hieroglyphen   in  lauter  alpha-     ^  ^^  ^  J^.^ 
betische    Elemente    zu    zerlegen.       Von    den    Letzteren 
spricht  heute    schon    kein    Mensch    mehr.      Ueber    die   Ersteren  wird    die 
Wissenschaft  vermuthlich  ebenso  zur  Tagesordnung  übergehen. 

Ich  habe  zum  Schluss  nun  noch  das  Verhältniss  zu  besprechen,  in 
dem  die  verschiedenen  Monumente,  die  wir  kennen  lernten,  zu  ein- 
ander stehen.  Hier  ist  zunächst  des  merkwürdigen  Gegensatzes  zu  ge- 
denken, der  zwischen  den  Altarplatten  von  Palenque  und  den  übrigen 
Monumenten  besteht.  Ich  habe  oben  schon  erwähnt,  dass  die  Initial  Series 
aller  Monumente,  die  wir  lesen  können,  in  dem  ersten  Gliede  den  Multi- 
plikator Neun  enthalten.  Und  ich  kann  hinzufügen,  dass  auch  für  die 
Stelen  von  Quiriguä,  die  ich  noch  nicht  behandeln  konnte,  weil  sie  in  dem 
Maudslay' sehen  Werke  noch  nicht  zur  Veröffentlichung  gelangten,  und 
für  die  von  den  Ingenieuren  des  Peabody-Museums  ausgegrabene  Stele  6 
von  Copan  das  Gleiche  gilt.  Auf  den  Altarplatten  von  Palenque  dagegen, 
soweit  wir  sie  entziffern  können,  steht  im  ersten  Gliede  der  Multiplikator 
Eins.  Gibt,  wie  ja  das  von  vornherein  das  Wahrscheinlichste  ist,  das  am 
Ende  der  Initial  Series  verzeichnete  Datum  die  Zeit  der  Errichtung  des 
betreffenden  Monumentes  an,  so  müssten  wir  schliessen,  dass  alle  anderen 
Monumente  innerhalb  des  zehnten  Zyklus  nach  dem  Anfangs-  und  Normal- 
datum 4.  ahau,  8.  cumku^  der  Kreuztempel  II  von  Palenque  und  der  Sonnen- 
tempel aber  innerhalb  des  zweiten  Zyklus,  der  des  Kreuztempels  I  innerhalb 
des  dritten  Zyklus,  nach  dem  Anfangs-  und  Normaldatum  errichtet  worden 
seien.  Mit  anderen  Worten,  wir  müssten  annehmen,  dass  zwischen  der 
Zeit  der  Errichtung  der  Tempel  von  Palenque  und  der  aller  anderen 
Monumente  ein  Zeitraum    von    etwa  3160  Jahren    liege,    dass  die  Tempel 


784  Dritter  Abschnitt:    Kalender  and  Hieroglyphen-Entzifferung. 

von  Palenque  um  etwa  3160  Jahre  älter  seien  als  die  Monumente  von 
Copan  und  Quiriguti  und  als  die  Treppe  des  unweit  der  Tempel  auf- 
ragenden Palastes  von  Palenque.  Das  ist  an  sich  nicht  wahrscheinlich, 
und  um  so  weniger,  als  man  nach  dem  Stil  der  Hieroglyphen  und  der 
Figuren  viel  eher  geneigt  sein  würde,  die  Tempel  von  Palenque  für  jünger 
als  die  Stelen  von  Copan  zu  erklären.  Die  Lösung  des  Räthsels  kann 
eine  verschiedene  sein.  Es  kann  sein,  dass  in  den  Initial  Series  der 
Tempel  von  Palenque  das  Enddatum  nicht  die  Zeit  der  Errichtung  des 
Tempels,  sondern  ein  frülieres  heiliges  Datum  zur  Anschauung  zu  bringen 
bestimmt  war.  Es  kann  aber  auch  sein,  dass  man  die  Zeit  der  Errichtung 
des  Monuments  nicht  durch  Aufzeichnung  des  wirklicheu,  traditionell  an- 
genommenen Abstandes  vom  Xormaldatum,  sondern  gewissermassen  in 
arithmetischer  Weise  durch  Aufzeichnung  eines  Abstandes,  der  vom  Xormal- 
datum  zu  einem  Tage  dieser  Benennung  führte,  zur  Anschauung  brachte. 
Die  Enddaten  der  Initial  Series  aller  übrigen  Monumente,  die  wir 
lesen  können,  liegen,  wie  gesagt,  innerhalb  des  zehnten  Zyklus  nach  dem 
Anfangs-  und  Xormaldatüm  4.  ahau^  8.  cumku.  Für  eine  Uebersicht  der 
auf  die  Katun-  und  Tun-Anfänge  fallenden  möglichen  Kombinationen  von 
^ÄQM-Tagen  und  Uinal-Dateu  sind  die  Tabellen  ganz  praktisch,  die 
Goodman  am  Schluss  seines  Werkes  unter  der  Ueberschrift  „Perpetual 
chronological  calendar"  gibt.  Die  Konstruktion  dieser  Tabellen  ist  mit 
das  Beste  in  Goodman" s  Buch.  Xur  muss  man  natürlich  den  richtigen 
Anfangspunkt  setzen,  das  ist  das  Xormaldatüm  4.  ahau,  8.  cumku.  Die 
Uebersicht  der  möglichen  Zyklen- Anfänge,  die  Goodman  auch  gibt,  hat 
kaum  eine  praktische  Bedeutung,  und  die  der  73  von  ihm  angenommenen 
grossen  Aeren  noch  weniger.  Ich  gebe  in  Tabelle  A  (S.  786/787)  ein  ver- 
bessertes Schema  der  möglichen  Tariationen  der  Katun-Anfänge.  mit  dem 
Normal-Datum  4.  ahau,  8.  cumku  beginnend,  in  Tabelle  B  (S.  788/789)  ein 
verbessertes  Schema  der  möglichen  Variationen  der  Tim-Anfänge,  mit  dem 
ersten  Tuji  des  zehnten  Zyklus  beginnend.  Auf  beiden  habe  ich  durch 
fette  Umrahmung  diejenigen  Tage  hervorgehoben,  die  als  End-Daten  in 
den  Initial  Series  der  Monumente  vorkommen.  Dabei  habe  ich  für  die 
Stelen  E,  F  und  J  von  Quiriguä,  die  ich  nicht  selbst  studiren  konnte,  da 
sie  von  Maudslay  noch  nicht  veröffentlicht  sind,  die  End-Daten  nach 
den  Angaben  in  dem  Goodmanschen  Buche  berechnet  und  in  das 
Schema  eingetragen.  Die  Rechnung  bestätigt  auch  für  diese  Stelen  durch- 
weg meine  Theorie.  Die  Zahlen,  wie  sie  nach  meiner  Feststellung  ge- 
lesen werden  müssen,  geben  genau  den  Abstand  des  am  Schluss  der  Initial 
Series  verzeichneten  Datums  von  dem  Xormal-Datum  4  ahau,  8.  cumku. 
Nur  ist  zu  bemerken,  dass  auf  der  Ostseite  von  Stele  F,  wohl  durch  ein 
Versehen  Goodman" s,  die  9  Zyklen  am  Anfange  ausgelassen  worden 
sind.  Fügt  man  sie  hinzu,  so  gibt  die  Initial  Series  der  Ostseite  der 
Stele  F  von  Quiri^^uä  die  Summe  1  414  800.     Das  ist   o;enau  der  Abstand 


21.   Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      785 

des  am  Ende  der  Initial  Series  verzeichneten  Datums  1.  ahau^  3.  zip  von 
dem  Normal-Datum  4.  ahau^  8.  cumku. 

Sieht  man  nun  zu  wie  die  End-Daten  der  Initial  Series  der  Monu- 
mente sich  zeitlich  vertheilen,  so  zeigt  sich  zunächst,  dass  —  unter  der 
Voraussetzung,  die  hier  gemacht  ist,  dass  das  Anfangs-  und  Normal-Datum 
4.  ahau^  8.  cumku  den  Anfang  eines  Katun's  und  eines  Zyklus  darstellt  — 
nur  drei  der  Daten  der  Monumente  auf  den  Anfang  eines  Katun's  fallen. 
Es  sind  dies  das  Datum  der  Westseite  der  Stele  C  von  Quiriguä,  6.  ahau, 
13.  yaxkin,  das  der  Stele  B  von  Copau,  4.  ahau^  13.  yax^  das  auch  auf 
dem  Altar  S  und  der  Skulptur  G  2  von  Copan  vorkommt,  und  das  Datum 
der  Ostseite  der  Stele  E  von  Quiriguä,  13.  ahau^  18.  cumku.  Die  anderen 
Daten  fallen  theils  auf  den  Anfang  eines  Tuti's,  theils  aber  nicht  einmal 
auf  einen  solchen,  sondern  innerhalb  eines  Twn's.  Ich  habe  diese  letzteren 
durch  ein  kleines  Viereck  neben  der  Zahl,  die  den  Anfangstag  des  be- 
treffenden Tuu's  angibt,  in  der  Tabelle  B  eingetragen.  Dabei  zeigt  sich 
aber,  dass  —  mit  einziger  Ausnahme  der  Stele  P  von  Copan  —  die  End- 
Daten  der  Initial  Series,  die  den  Anfangstag  eines  Tun's  bezeichnen,  auf 
den  ersten,  sechsten,  elften  oder  sechzehnten  Tun  eines  Katun's  fallen. 
Mit  anderen  "Worten,  es  zeigt  sich,  dass  die  Anfangstage  der  vier 
Viertel  eines  Katuns  mit  Vorliebe  durch  ein  Monument  ausgezeichnet 
worden  sind.  Und  zwar  finden  sich  nicht  weniger  als  drei  solcher  Katun- 
vi  er tel- Anfänge,  für  die  sowohl  in  Copan,  wie  in  Quiriguä  Monumente 
errichtet  worden  sind,  —  ein  Zeichen  dafür,  dass  die  Blüthe  dieser  beiden 
örtlich  nicht  weit  auseinanderliegenden  Gemeinwesen  zum  Theil  in  die- 
selbe Zeit  fiel.  Von  den  Initial-Series-End-Daten,  die  nicht  auf  Katun- 
viertel- Au  fange  fallen,  stehen  einige  wenigstens  in  naher  Beziehung  zu 
solchen.  So  fällt  das  Datum  der  Stele  A  von  Copan  '200  Tage  vor  den 
Katunanfang,  4.  ahau^  13.  yax,  der  auch  im  Text  dieser  Stele  vorkommt, 
und  der  das  End-Datum  der  Initial  Series  der  Stele  B  von  Copan  bildet. 
Bei  anderen  dieser  Daten  ist  mir  eine  solche  Beziehung  zu  einem  Katun- 
viertel-Anfang  bisher  noch  nicht  deutlich  geworden. 

Das  eine  der  drei  Daten,  die  auf  den  Anfang  eines  Katun's  fallen,  das 
der  Westseite  der  Stele  C  von  Quirigmi,  6.  ahau,  13.  yaxkin,  ist  zugleich 
das  älteste.  Das  Datum  3.  ahau,  3.  yax,  das  End-Datum  der  Stele  K  von 
Quiriguä,  der  Stele,  die  dort  unter  dem  Namen  Enano  (Zwerg)  bekannt 
ist,  ist  das  jüngste.  Zwischen  beiden  liegt  ein  Zeitraum  von  355  Tun  oder 
etwas  über  350  Jahren,  und  die  Hauptmasse  der  anderen  Monumente  fällt 
in  die  zweite  Hälfte  dieses  Zeitraums,  also  in  eine  Zeit  von  etwa 
180  Jahren.  Die  Meinung,  die  ich  oben  aussprach,  dass  die  Blüthe  dieser 
Gemeinwesen  sich  wahrscheinlich  in  wenige  Jahrhunderte  zusammen- 
drängte, wird  also  durch  die  Daten  der  Monumente  vollauf  bestätigt.  Man 
möchte  wünschen,  nun  auch  die  absolute  Zeit,  in  die  diese  Monumente 
fallen,    bestimmen    zu    können.     Doch    scheint    das  leider  hoffnungslos  zu 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  50 


786 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


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21.    Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      787 


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Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


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790  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

sein.  Die  einzigen  mageren  chronologischen  Datirungeu,  die  eine  An- 
knüpfung an  unsere  Zeitrechnung  gestatten,  stammen  aus  Yucatan.  Vnd 
dort  galt  zur  Zeit  der  Conquista,  und  wahrscheinlich  lange  vorher,  eine 
andere  Kombination  von  Ahau-Tagen  und  Ut7ial-Daten:  der  Jahresanfang 
hatte  gegenüber  dem  der  Monumente  eine  Verschiebung  um  1,  6,  11,  16, 
oder  allgemeiner  um  1-1- 5x  Zeichen,  erfahren.  Eine  Anknüpfung  an  die 
Daten  der  Monumente  ist  demnach  nicht  mehr  herzustellen. 

Ebensowenig  hat  sich  bis  jetzt  feststellen  lassen,  was  für  eine  be- 
sondere Bewandtniss  es  mit  dem  Anfangs-  und  Xormal-Datum  4.  ahau, 
8.  cumku  hat,  und  was  die  Erbauer  der  Monumente  und  ihre  Nachfolger, 
die  Schreiber  der  Dresdener  Handschrift,  veranlasste,  gerade  dieses  Datum 
als  Anfangs-  und  Ausgangspunkt  ihrer  Zeitrechnung  zu  setzen.  Es  liegt 
3570  Jahre  vor  dem  ältesten  Datum  der  Monumente,  dem  der  Westseite 
der  Stele  C  von  Quiriguä.  Es  ist  kaum  anzunehmen,  dass  es  durch 
Tradition  durch  diese  lange  Zeit  festgehalten  worden  ist.  Vielmehr  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  es  durch  Zurückrechnung  gefunden  wurde.  Es  ist 
aber  dunkel,  was  die  leitenden  Prinzipien  dabei  waren.  Dieselbe  Stele, 
die  Stele  C  von  Quiriguä,  die  auf  der  Westseite  das  Datum  trägt,  das 
bisher  sich  als  das  älteste  erwies,  ti'ägt  auf  der  Ostseite  das  Xormal-Datum 
4.  ahau^  8.  cumku.  Xeun  Paare  von  Hieroglyphen  folgen,  von  denen  die 
letzten  vielleicht  gewisse  grosse  Perioden  bezeichnen.  Aber  ihre  Be- 
deutung hat  bis  heut  noch  nicht  ermittelt  werden  können.  — 

Die  Betrachtung  der  Tabellen  A  und  B,  in  denen  die  Katun-  und 
Tun-Variationen  zusammengestellt  sind,  erweckt  mir  nun  -einige  Gedanken, 
denen  ich  zum  Schluss  noch  Ausdruck  geben  will.  Von  jeher  ist  der 
dunkelste  Punkt  in  der  mexikanisch-zentralamerikanischen  Chronologie 
die  Bedeutung  der  Zahl  13  gewesen.  Die  Einen  haben  an  Mondphasen 
gedacht.  Ich  selbst  habe,  weil  ich  keine  bessere  Erklärung  wusste,  bis 
in  die  letzten  Jahre  der  Ansicht  gehuldigt,  dass  eine  sich  im  Sprach- 
gebrauch fixirende  symbolische  Bedeutung  der  Zahl  13  diese  Auszeichnung 
verschafft  habe.  Ich  bin  indes  jetzt  doch  anderer  Ansicht  geworden.  \  Ich 
meine,  dass  die  Zahl  13  und  das  Tonalamatl  bei  den  mexikanisch-zentral- 
amerikanischen Stämmen  durch  einen  Vergleich  des  Sonnenjahrs  und  der 
Venus-Periode,  der  beiden  grossen  astronomischen  Perioden,  die  diese 
Stämme  zu  beobachten  und  aufzuzeichnen  gelernt  hatten,  entstanden  ist. 
Das  Sonnenjahr  umfasst  5  X  73,  die  Veuusperiode  8  X  73  Tage.  So  geben 
Sonnenjahr  und  Venusperiode  13  X  73  Tage.  Setzt  man  diese  Periode  als 
Einheit,  so  ist  die  nächst  höhere  Einheit  20  X  13  X  73  Tage,  das  ist  der 
52jährige  Zyklus.  Eine  Vergleichung  dieses  52jährigen  Zyklus  mit  dem 
Sonnenjahr  und  der  Venusperiode  gibt  20  X  13,  das  ist  das  Tonalamatl, 
als  den  Faktor,  der  dem  Faktor  5  des  Sonnenjahrs  und  dem  Faktor  8  der 
Venusperiode  entspricht.  So  wäre  denn  doch  die  Venusperiode  der  Aus- 
gangspunkt des  Tonalamatl\  und  die  alte  Sage,  dass  Quetzalcouatl  (das  ist 


21.    Monumente  von  Copan  und  Quirigua  und  die  Altarplatten  von  Palenque.      791 

der  Morgenstern)  der  Erfinder  des  Kalenders,  d.  h.  des  TonalamatVa,  das 
die  Basis  aller  Zeitrechnung  bildete,  gewesen  sei,  hätte  ihre  thatsächliche 
Berechtigung.  Ich  weiss  nicht,  ob  die  obige  Begründung  der  Zahl  13 
nicht  von  Förstemann  schon  irgendwo  ausgesprochen  worden  ist.  Ich 
will  keiner  Priorität  zu  nahe  treten.  Ich  bin  aber  jetzt  voll  überzeugt, 
dass  das  die  richtige  Lösung  ist,  und  meine,  dass  die  weiteren  Unter- 
suchungen der  Hieroglyphen-Reihen  der  Handschriften  und  der  Monumente 
vor  Allem  darauf  gerichtet  sein  sollten,  ob  nicht  die  Perioden  5  X  73, 
8  X  73,  13  X  73  irgendwo  auftauchen.  In  erster  Linie  habe  ich  dabei  den 
Inschriften-Tempel  von  Palenque  im  Auge.  Gelingt  es,  in  dieser  Be- 
ziehung einen  Fund  zu  machen,  so  wird,  meine  ich,  auch  ein  grosser 
Theil  des  Textes  der  Monumente  sich  uns  enthüllen,  und  auch  wohl  ein- 
mal Aufschluss  über  die  Bedeutung  des  Anfangspunktes,  des  Normal- 
Datums,  gewonnen  werden. 

Die  Untersuchungen,  die  ich  in  Obigem  zur  Yeröfientlichung  bringe, 
haben  mich  schon  vor  Jahren  beschäftigt,  als  das  IL  Heft  der 
Mau dslay' sehen  Publikation  erschien  und  in  ihm  zum  ersten  Male  von 
einer  Reihe  von  Denkmalen  die  Initial  Series  in  treuer  und  mustergültiger 
Weise  veröffentlicht  wurden.  Ich  habe  die  Untersuchungen  damals  nicht 
zum  Abschluss  gebracht,  weil  ich  neues  Material  glaubte  abwarten  zu 
müssen.  Da  nunmehr  Copan  und  Palenque  vollständig,  und  mit  dem 
ersten  Heft  von  Quirigua  einige  der  hervorragendsten  Denkmale  auch 
dieser  Ruinenstätte  veröffentlicht  sind,  so  konnten  jetzt  mit  einiger 
Sicherheit  die  Resultate  gezogen  werden.  Es  steht  zu  hoffen,  dass  mit 
dem  Verständniss  auch  das  Interesse  für  jene  eigenartigen  Schöpfungen 
altamerikanischer  Kunst  und  altamerikanischen  Denkens  sich  beleben 
wird.  Hr.  Mau  dslay  aber  kann  sich  rühmen,  derjenige  zu  sein,  der 
durch  seine  Arbeiten  und  seine  Publikationen  unter  allen  lebenden 
Menschen  am  meisten  zur  Förderuno-    dieser  Studien    beigetrao-en  hat.  — 


792  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


99 


Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und 

üuiriguä. 

Verhandlungen  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft,  17.  März  1900. 

Zeitschrift  für  Ethnologie,  XXXII,  S.  (188)  — (227). 


Vor  wenigen  Wochen  ist  der  XII.  Theil  von  Maudslay's  Archaeology 
in  der  ßiologia  Centrali-Americana  zur  Ausgabe  gelaugt.  Er  enthält  die 
Abbildungen  der  Stelen  D,  E,  F,  G,  H,  I,  K,  der  Kröte  G  und  des 
Altars  L  von  Quiriguä,  lauter  wohlerhaltenen  und  wichtigen  Monumenten, 
die  ich  zu  meinem  Bedauern  in  der  Mittheilung,  die  ich  im  November 
vorigen  Jahres  der  Gesellschaft  machte,  noch  nicht  berücksichtigen  konnte. 
Ich  habe  mich  gleich  an  das  Studium  dieser  Yeröffentlichung  gemacht. 
Die  Ergebnisse,  zu  denen  ich  in  meiner  vorigen  Untersuchung  gelangt 
war,  habe  ich  im  wesentlichen  bestätio:t  o-efunden.  Es  hat  sich  aber  auch 
einiges  Xeue  ergeben,  das  ich  zur  Vervollständigung  des  von  mir  Mit- 
getheilten  hier  noch  vorlegen  möchte. 

Unter  den  Monumenten,  auf  die  sich  bisher  meine  Untersuchungen 
erstreckten,  fanden  sich  zwei,  die  Stele  C  von  Quiriguä  und  die  Stele  C 
von  Copan.  auf  denen  auf  zwei  entgegengesetzten  Seiten  zwei  verschiedene 
Initial  Series  mit  entsprechend  verschiedenem  End- 
datum eingemeisselt  sind.  Und  zwar  fanden  wir  bei 
beiden  auf  der  einen  Seite,  die  bei  der  Stele  von 
Quiriguä  die  Ostseite  ist,  das  Normal-Anfangsdatum 
^^C"    ^T"^*^^^^  ■^-  ahxiu,  8.  cumku,  auf  der  anderen  ein  anderes  Ähau- 

^ — J^-^^kzJ  Datum,    den  Anfang  eines  Katun's,    bezw.  den    eines 

Abh.  1.   Hieroglyphe       Katunviertels,    bezeichnend.     Das   jetzt  zur  Ausgabe 

caban,  Westseite  der       gelangte  XE.  Heft  Maudslay's  bringt  die  Abbildungen 
Stele  D  von  Oi«;vo«f/.  .,,  .  ii-^r  l  t-z-h 

von  nicht  weniger  als  drei  Monumenten,  wo  ebentalls 

auf  entgegengesetzten  Seiten  verschiedene  Initial  Series  und  verschiedene 
Enddaten  dargestellt  sind.  Aber  hier  findet  sich  auf  der  Ostseite  das  Ahau- 
Datura,'  das  den  Anfang  eines  Katun's,  bezw.  eines  Katunviertels,  be- 
zeichnet. Auf  der  Westseite  dagegen  ein  Ca6aw-Datum,  das  bei  zwei  der 
Stelen  die  gewöhnliche  Form  des  6'a6aw-Zeicheus  aufweist,  bei  der  Stele  D 


22.    Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


793 


von  Quiriguä  aber  die  ornamentale  Form  hat,  die  ich  in  Abb.  1  wieder- 
gegeben habe.  Das  Datum  selbst  ist  in  den  ersten  beiden  Fällen  bei 
den  Stelen  E  und  F  von  Quiriguä  das  gleiche:  12.  caban,  5.  kayab.  Es 
wird  bei  beiden  Stelen  im  Text  zunächst  mit  dem  folgenden  Katun- 
Anfang,  dem  Datum  4.  ahau,  13.  yax^  und  weiterhin  mit  dem  ^Äaw-Datum 
der  Ostseiteu  der  beiden  Stelen  in  Verbindung  gesetzt.  Das  6'o6a7i-Datum 
der  Stele  D  dagegen  ist  ein  anderes.  Es  wird  unten  näher  bestimmt 
werden. 


Abb.  2.  Quiriguä,  Stele  C,  Ostseite  (4.  ahau,  8.  cuntku). 

„  3.  Copan,  Stele  C  (4.  ahau,  8.  cuuiku). 

„  4.  Quiriguä,  Stele  C,  Westseite  (6.  ahau,  13.  i/axkin). 

y,  5.  Copan,  Stele  C  (6.  ahau,  18.  kai/ah). 

„  6.  Quiriguä,  Stele  D,  Ostseite  (7.  ahau,  18.  poj)). 

y,  7.           „             „      D,  Westseite  (8.  caban,  5.  yaxkin). 

„  8.           ,,             „      E,  Ostseite  (13.  ahau,  18.  cumJcu). 

„  9.           ..             „      E,  Westseite  (12.  caban,  5.  kai/ab). 

„  10.           „             „      F,  Ostseite  (1.  ahau,  3.  zip). 

„  11.           „             „      F,  Westseite  (12.  caban,  5.  kai/ab). 


Die  Gegensätzlichkeit  der  verschiedenen  Stelenseiten  ist  in  diesen 
Fällen  schon  in  dem  Katun-Zeichen,  das  am  Anfang  der  Hieroglyphen- 
reihen steht,  in  dem  Kopf  oder  der  Figur,  die  dort  über  dem  Elemente 
tun  angebracht  ist  und  den  auszeichnenden  Bestandtheil  des  betreffenden 
Katun-Zeichens  bildet,  zum  Ausdruck  gebracht.  So  finden  wir  auf  der 
Stele  C  von  Quiriguä  in  dem  Katun-Zeichen  der  Ostseite,  das  dem  Normal- 
Datum  4.  ahau,  8.  cumku  entspricht,  einen  mythischen  Yogelkopf  (Abb.  '2), 


794  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung, 

auf  der  Westseite  den  Kopf  des  Sonnengottes  (Abb.  4).  auf  der  Stele  C 
von  Copau  auf  der  Seite,  die  das  Xormal-Datum  trägt,  gleichfalls  einen 
phantastischen  Thierkopf  (Abb.  3),  auf  der  entgegengesetzten  Seite  den 
Kopf  einer  weiblichen  Gottheit  (Abb.  5).  Auf  der  Stele  D  von  Quirigua 
sieht  man  auf  der  Ostseite  in  dem  Katun-Zeicheu  den  Jaguar  (Abb.  6), 
auf  der  Westseite,  die  das  Caban-Datnm  trägt,  die  Gestalt  des  Sonnen- 
gottes (Abb.  7).  Auf  den  Stelen  E  und  F  von  Quirigua  auf  der  Ostseite 
wieder  einen  phantastischen  Thierkopf  (Abb.  8,  10),  auf  der  Westseite, 
die  das  Caban-Datmn  trägt,  den  Kopf  der  Göttin  (Abb.  9,  11). 

Ich  habe  in  meiner  vorigen  Abhandlung  die  Theorie  aufgestellt,  dass 
die  Yerschiedenheit  der  Götterköpfe,  die  man  als  auszeichnenden  Bestand- 
theil  in  den  Katun-Zeicheu  der  verschiedeneu  Monumente  angebracht 
findet,  ihren  Grund  darin  hat,  dass  die  aufeinander  folgenden  Katun  ab- 
wechselnd einer  der  verschiedenen  Himmelsrichtungen  zugeschrieben 
wurdeu.  Wir  haben  indes  gesehen,  dass  nicht  nur  die  Anfänge  ganzer 
Katune  oder  des  ersten  Katun- Viertels,  sondern  auch  die  der  übrigen 
Katun-Viertel  durch  Monumente  ausgezeichnet  wurden.  Und  es  erhebt 
sich  deshalb  die  Frage,  ob  nicht  die  von  mir  angenommene  Beziehung 
auf  die  Himmelsrichtungen  viel  mehr  für  diese  Katun- Viertel  Geltung  hat, 
in  der  Weise,  dass  man  etwa  das  erste  dem  Osten,  das  zweite  dem  Xorden, 
das  dritte  dem  Westen,  das  vierte  dem  Süden  zuzuschreiben  hätte,  wie 
ja  thatsächlich,  wie  wir  wissen,  die  vier  Viertel  des  mexikanischen  Tonal- 
amatl's,  in  dieser  Weise  zu  den  Himmelsrichtungen  in  Beziehung  gesetzt 
wurden. 

Köpfe,  die  den  auszeichnenden  Bestandtheil  im  Katun-Zeichen  solcher 
Stelenseiten  bilden,  auf  denen  das  Anfangs-  und  Normal-Datum  4.  ah.au, 
8.  cumk-u  verzeichnet  ist,  sind  oben  in  Abb.  2,  3  wiedergegeben.  Auf  An- 
fänge anderer  ganzer  Katune  oder  erster  Katun-Viertel  beziehen  sich  die 
Abb.  8,  12,  13  und  die  abweichende  Abb.  4.  In  den  Katun-Zeichen  von 
Stelen,  die  den  Anfang  eines  zweiten  Katun- Viertels  zum  Ausdruck  bringen, 
finden  wir  die  Abb.  14 — 17.  In  solchen,  die  sich  auf  den  Anfang  eines 
dritten  Katun- Viertels  beziehen,  die  Abb.  18,  19.  Und  ihnen  ist,  wie  wir 
sehen  werden,  auch  die  Kröte  B  von  Quirigua  anzuschliessen,  in  deren 
Katun-Zeichen  die  in  Abb.  20  wiedero-egebene  Gottheit  zu  sehen  ist.  Der 
prächtige  Jaguar  endlich  der  Ostseite  der  Stele  D  von  Quirigua  (oben 
Abb.  6)  und  die  Abb.  21,  22  sind  Monumenten  entnommen,  die  auf  den 
Anfang  eines  vierten  Katun-Viertels  fallen. 

2simmt  man  an,  dass  für  diejenigen  Monumente,  deren  Datum  nicht  auf 
den  Anfang  eines  Katun-Viertels,  sondern  auf  den  eines  beliebigen  anderen 
Tun's,  oder  gar  in  den  Zeitraum  eines  Tun's  hineinfällt,  die  Himmels- 
richtung massgebend  ist,  die  dem  Anfangstag  des  betreffenden  Katun- 
Viertels  zukommt,   so  würden  Abb.  23,  24   noch  dem  ersten,    Abb.  25,  26 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quirigua. 


795 


dem  zweiten,  Abb.  27 — 29,  aber  auch  Abb.  7,  9,  11  dem  dritten,  Abb.  30, 
31  dem  vierten  Katun-Viertel  zuzurechnen  sein^). 

Man  sieht,  dass  in  den  Fällen,  wo  die  Daten  der  Monumente  im  Tag 
und  im  Uinal  gleich  sind,  auch  der  Kopf  oder  die  Figur,  die  den  aus- 
zeichnenden Bestandtheil  des  am  Anfang  der  Initial  Series  stehenden  Katun- 
Zeichens  bildet,  in  der  Regel  die  gleiche  ist.  Vgl.  Abb.  9,  11  (12.  caban, 
5.  kayab)^  Abb.  12,  13  (4.  ahau^  13.  yax)^  Abb.  18,  19  (1.  ahau^  3.  zip). 
Eine  Ausnahme  scheint  bei  Stele  J  von  Quirigua,  im  Vergleich  zu  Stele  M 
von  Copan,  vorzuliegen.    Das  Datum  ist  bei  beiden  Monumenten  das  gleiche 


Abb.  12.  Copan,  Stele  B  (4.  ahau,  13.  i/ax;. 

„  13.         „        Altar  S  (4.  ahau,  13.  yax) 

„  14.        „        Stele  D  (10.  ahau,  8.  ch'en). 

,  15.  Quirigua,  Stele  A  (6.  ahau,  13.  kayab). 

„  1^1.  Copan,  Stele  M  (8.  ahau,  8.  zo'tz). 

„  17.  Quirigua,  Stele  J  (8.  ahau,  8.  zo'tz). 

r,  18.  „  Stele  F,  Ostseite  (1.  ahau,  3.  zip). 

„  19.  Copan,  Stele  N  (1.  ahau,  3.  zip). 

,  20.  Quirigua,  Kröte  B  (12.  ahau,  8.  pax). 

„  21.  „  Kröte  G  (5.  ahau,  3.  moan). 

„  22.  „  Kröte  K  (3.  ahau,  3.  i/ax). 

(8.  ahau,  8.  zo'tz).  In  dem  Katun-Zeichen  aber  sehen  wir  bei  der  Stele  J 
von  Quirigua  die  merkwürdige  Abb.  17,  in  der  man,  obwohl  der  vordere 
Theil  zerstört  ist,  doch  unschwer  die  Gestalt  einer  Federschlange,  ähnlich 
der  der  Skulptur  G  2  von  Copan,  erkennen  kann,  —  bei  der  Stele  M  von 
Copan  dagegen  den  Kopf  Abb.  16. 

Auch    abgesehen    von    diesen    direkten  Identitäten,    scheinen    in  dem 
deichen  Katun-Yiertel    hier    und  da  Analogien  hervorzutreten.     Man  ver- 


1)  Vgl.  die  Eintragung  der  Monumente  ihrer  Zeit    nach    in    der  unten  S.  830 
folgenden  Tabelle. 


796 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen- Entzifferung. 


gleiche  namentlich  die  dem  ersten  Katun -Viertel  angehörigen  Abb.  6  und 
12,  13.  Im  Uebrigen  aber  ist  ein  Gesetz  nicht  zu  erkennen.  Und  man 
muss  wohl  in  Rechnung  zielien,  dass,  je  nachdem  diese  oder  jene  Be- 
ziehung erwogen  wurde,  für  dieselbe  Himmelsrichtung  bald  die  eine,  bald 
die  andere  Gottheit  massgebend  gedacht  wurde.  Beispiele  für  eine  solche 
Behandlung  der  Sache  sind  aus  den  mexikanischen  kalendarischen  Schriften 
in  Menge  bekannt. 

Unter  den  Multiplikanden  der  Initial  Series,    die    das    XII.  Heft    der 
Maudslay 'sehen  Publikation  bringt,  den  Einern,  Zwauzigeru,  Dreihundert- 


Abb  23.    Palenque,  Kreuztempel  II  (1.  ahau, 

13.  mac). 
„     24.   Palenque,    Sonnentempel    (13.  ciini, 

19.  ceh). 
,,     25.    Palenque,  Palasttreppe  (8.  ahau, 

13.  poj)). 
„     26.    Copan,  iStele  I  (5.  ahau,  8.  tw). 
„     27—29.    Co2)au,  Stele  P  (3.  ahau, 

3.  xma  kaha). 
„     30.    Palenque,    Kreuztempel  I  (8.  ahau, 

18.  tzec). 
„     31.    Copan,  Stele  A  (12.  ahau,  18.  cumku). 


Abb.  32.     Hieroglyphe  hin, 
Kröte  B  von  Quirigud. 


Abb.  33  a  und  b.     Hieroglyphe  kin.     Ost- 
und  Westseite  der  Stele  D  von  Quhi'gud. 


undsechzigern  u.  s.  w.,  sind  von  besonderem  Interesse  die  der  beiden  Seiten 
der  Stele  D  von  Quirigua,  weil  hier  die  einzelnen  Hieroglyphengruppen  in 
ornamentaler  Weise  nicht  durch  einfache  Köpfe  und  Ziffern,  sondern  durch 
ganze  Figuren  dargestellt  sind.  Die  Figuren,  durch  die  die  Einer 
oder  Einzeltage  (kin)  zum  Ausdruck  gebracht  sind  (Abb.  32,  33),  weichen 
nicht  wesentlich  von  den  Formen  der  anderen  Stelen  von  Quirigua 
ab,  die  ich  in  meiner  vorigen  Abhandlung  (oben  S.  729,  Abb.  63,  64) 
abjirebildet  habe.     Aber  für  die  Zwanzis-er  oder  die  Zeiträume  von  zwauzigf 


22.    Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quirigu.1 


797 


Tagen  {uinal)  findet  sich  auf  den  beiden  Seiten  der  Stele  D  nicht 
nur  eine  Figur  (Abb.  34),  die  den  Eidechsen-  oder  Iguana-Figuren  der 
anderen  Monumente  sich  anschliesst  (vgl.  oben  S.  733,  Abb.  81—100), 
sondern  auch  die  Abb.  35,  eine  Figur,  deren  Kopf  etwas  an  den  der 
Wasser-Gottheit  Ah  bolon  tz'acab  erinnert,  die  auf  dem  Rumpf  und  den 
(lliedern  mit  der  Hieroglyphe  akbal  „Nacht"  gezeichnet  ist  und  an  Armen 
und  Beinen  Jaguarpranken  hat.  \Auch  die  beiden  Figuren,  die  auf  der 
Stele  D  den  Zeitraum  von  3G0  Tagen 
(tuTi)  zum  Ausdruck  bringen  (Ab- 
bildungen 36,  37),  weichen  von  den 
Darstellungen  der  anderen  Monu- 
mente etwas  ab.  Wir  hatten  ge- 
sehen, dass  dieser  Multiplikandus 
durch  die  Gestalt  eines  Vogels  zur 
Anschauung  gebracht  wird,  der  am 
Unterkiefer  einen  Totenknochen 
hat  (vgl.  oben  S.  735,  Abb.  108  bis 
124).  Hier  (Abb.  36,  37)  ist  die 
ganze  Yogelfigur  skelettartig  aus- 
gearbeitet, mit  offener  Nasenhöhle, 
knochigem  Kopf,  heraustretenden 
Rippen.  Die  Brust  ist  geöffnet, 
und  es  tritt  aus  der  Oeffnung  ein 
doppelter,  sich  schneckenörmig  ein-  33 
rollender  Strom  —  Eingeweide  oder 
Blut  —  heraus. 

Der  nächst  höhere  Multipli- 
kandus, der  Katun  oder  Zeitraum 
von  20  X  360  Tagen,  wird  auf  den 
Monumenten  von  Copan  durch  eine 
Vogelfigur  bezeichnet,  deren  Be- 
sonderheiten, wo  sie  deutlich  aus- 
gedrückt sind,  eine  das  Auge  über- 
schattende dichte  Braue  und  eine 
Art   Federbart    um    die    Schnabel- 


Abb.  34,  35.    Hieroglyphe  tnnal. 
„     36,  37.  „  tun. 

„88.  „  katun. 

„     39.  „  des  Zyklus. 

Stele  D  von  Quirigud. 


Wurzel  bilden  (vgl.  oben  S.  737,  Abb.  129,  131,  135,  138,  139).  Dieser 
Federbart  ist  auch  an  den  entsprechenden  Figuren  der  Stele  D  von 
Quirigua  (Abb.  38)  deutlich  zu  erkennen.  Der  höchste  Multiplikandus,  die 
Zahl  20  X  20  X  360,  wird  auf  den  Monumenten  allgemein  durch  eine  Vogel- 
figur veranschaulicht,  die  als  besonderes  Kennzeichen  am  Unterkiefer  die 
Zeichnung  einer  Hand  mit  vorgestrecktem  Daumen  erkennen  lässt  (vgl.  oben 
S.  739,  Abb.  146 — 158).  In  den  monumentalen  Formen  dieser  Hieroglyphe, 
die  uns  die  Stele  D  (Abb.  39),  und  auch  die  Kröte  B  von  Quirigua,  zeigt, 


798 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


ist  es  interessant  zu  sehen,  wie  der  Flügelbug,  der  obere,  die  eigentliche 
Extremität  darstellende  Theil,  von  dem  die  Schwungfedern  ausstrahlen,  in 
Gestalt  eines  Reptilrachens  oder  Oberkiefers,  mit  Auge,  Zähnen  und 
Nasenaufwölbung  ausgebildet  ist  (vgl.  Abb.  39). 

Die  Multiplikatoren  der  Initial  Series  sind  auf  den  in  dem  neuen 
Hefte  Maudslay's  abgebildeten  Monumenten  in  der  Regel  durch  Hiero- 
glyphen bezeichnet.     Nur  auf  der  Stele  E  von  Quiriguä,  der  grossen,  halb 


Abb.  4<J.    Initial  Series  der  West- 
seite der  Stele  E   von  Quirigud: 
12.  cahan,  5.  hayah. 


Abb.  41.    Initial  Series  der  West- 
seite der  Stele  F  von   Quirigud. 


v^ 


Abb.  42.  Quirigud,  Stele  F, 
Westseite,  Hieroglyphe  31, 
32:    12.  caban,    5.   kayah. 


Abb.  43  a.     Quirigud, 
Stele  F,  Westseite,  Hiero- 
glyphe 16. 


Abb.  43  b.     Quiriguä, 
Stele  F,  Westseite,  Hiero- 
glyphe 18,  19:  6.  cimi, 
4.  tzec. 


in  den  Bodeu  gesunkenen,  übergeneigten  Säule,  und  der  Stele  K  hat  man 
sie  in  Ziffern  gemeisselt.  Unter  den  Hieroglyphen  dieser  Multiplikatoren 
treffen  wir  interessante  Varianten  der  schon  bekannten,  von  mir  in  der 
Abhandlung  vom  November  vorigen  Jahres  festgestellten  und  abgebildeten 
Formen  und  auch  einige  neue  Formen. 

Interessant  ist  zunächst  die  Initial  Series  der  Westseite  der  Stele  F 
von  Quiriguä,  weil  auf  ihr  dasselbe  Datum  (12.  caban,  b.kayab)  ver- 
zeichnet ist,  wie  auf  der  mit  Multiplikatoren  Ziffern  geschriebenen  Initial 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä.  799 

Series  der  Westseite  der  Stele  E  von  Quiriguä.  Ich  habe  diese  beiden 
Initial  Series  in  den  Abb.  41  und  40  wiedergegeben,  und  zwar  diesmal  in 
der  Weise,  wie  die  Hieroglyphengruppen  auf  den  Monumenten  selbst  ge- 
ordnet sind,  d.  h.  paarweise.  Die  Lesung  geht  also  von  links  nach  rechts 
und  von  oben  nach  unten.  Dass  hier  in  der  That  in  Abb.  41  die  Hiero- 
glyphengruppe Zeile  3  rechts,  Zeile  4  links  das  Datum  12.  caban,  5.  kaijab 
bezeichnet  und  den  Hieroglyphen  Abb.  40,  Zeile  3  rechts,  Zeile  4  rechts 
entspricht,  wird  nicht  nur  dadurch  bewiesen,  dass  dieses  selbe  Datum,  mit 
Ziffern  geschrieben,  auf  derselben  Stelenseite  weiter  unten  noch  einmal 
vorkommt  (Abb.  42),  sondern  auch  dadurch,  dass  wir  unter  der  Initial 
Series  vier  Zeilen  tiefer  die  Gruppe  Abb.  43a,  und  eine  Zeile  weiter  die 
Gruppe  Abb.  43b  finden.  Die  Gruppe  Abb.  43a  ist  9  +  (9  X  20)  +  (13  X  360) 
=  4869  zu' lesen.  Und  die  Gruppe  Abb.  43b  ist  das  Datum  Q.  cimi,  4,.  tzec, 
das  auf  diesen  Stelen  von  Quirigua  auch  sonst  noch  mehrfach  vorkommt. 
Das  Datum  6.  cimi,  4.  tzec  ist  genau  um  4869  Tage  von  dem  Datum 
12.  cabon,  5.  ka^ab  entfernt.  Also  muss  das  in  Abb.  41  am  Ende  der 
Initial  Series  stehende  Datum  das  Datum  12.  caban,  5.  kayab  sein.  Ist 
aber  dies  der  Fall,  so  sind  Abb.  40  und  Abb.  41  genau  zu  parallelisiren, 
und  die  Multiplikatoren,  die  in  Abb.  40  mit  Ziffern,  in  Abb.  41  in  Hiero- 
glyphen geschrieben  sind,  unmittelbar  zu  vergleichen.  Nur  ist  allerdings  zu 
bemerken,  dass  in  Abb.  40  in  der  dritten  Gruppe  (Zeile  2  links)  die  Ziffer 
falsch  geschrieben  oder  von  dem  Zeichner  Maudslay's  falsch  kopirt  ist. 
Der  Kreis  in  der  Mitte  vor  den  Stäben  darf  nicht  offen,  sondern  muss  ge- 
schlossen sein.  Die  Ziffer  kann  nicht  die  Zahl  12,  sondern  muss  die 
Zahl  13  bezeichnen.  Nur  dann  stimmt  das  Exempel.  Nur  dann  gibt  die 
Summirung 

9  X  20  X  20  X  360  =  1 296000 

14x20x360=    100800 

13x360=        4680 

4x    20=  80 

17  X      1=  17 

die  Summe  1401577 

—  eine  Zahl,  die  den  genauen  Abstand  des  am  Ende  der  Initial  Series 
verzeichneten  Datums  12.  caban,  5.  kayab  von  dem  allen  Rechnungen  der 
Monumente  zu  Grunde  liegenden  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau, 
8.  cumku  angibt.  Leider  hat  auch  diese  Westseite  der  Stele  F  ziemlich 
viel  vom  Wetter  und  von  mechanischen  Einwirkungen  gelitten,  sodass 
viele  der  Hieroglyphen  ziemlich  verwischt  sind.  Immerhin  erkennt  man 
unter  den  Multiplikatoren  der  Abb.  41  ohne  weiteres  die  Zahl  Vier 
(Zeile  2  rechts),  die  das  Gesicht  des  Sonnengottes  darstellt  (vgl.  oben 
S.  763,  Abb.  189),  und  die  Zahl  Vierzehn  (Zeile  1  rechts),  dasselbe 
Gesicht  des  Sonnengottes,  aber  mit  einem  Todtenknochen  am  Unterkiefer. 


800 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Ferner  die  Zalil  Dreizehn  (Zeile  2  links),  einen  Vogelkopf  (vgl.  oben 
S.  7(.U,  Abb.  U>8)  nnd  die  Zahl  Fünf  (Zeile  4),  den  Greisenkopf  mit  dem 
Zeichen  tun  anf  dem  Kopf  (vgl.  oben  S.  764,  Abb.  191  — 1!I3^).  Der  Multi- 
plikator Neun  aber  (Zeile  1  links)  hat  gerade  seine  charakteristischsten 
Kennzeichen,  die  Fleckenzeichnung  auf  dem  unteren  Theil  des  Gesichts 
(vgl.  oben  S.  768,  Abb.  "210 — 212),  durch  Abreibung  verloren.  Und  gerade 
die  Hieroglyphen  der  beiden  Multiplikatoren-Zahlen,  die  uns  hier  zum 
ersten  Mal  begegnen,  der  Multiplikator  Siebzehn  (Zeile  3  links)  und  die 
Zahl  Zwölf  (Zeile  3  rechts),  sind  stark  beschädigt. 

Besser    erhalten    ist    die  Initial  Series    der  Ostseite    der  Stele  F    von 
Quirigua  (Abb.  44).     AYir  erkennen  ohne  Schwierigkeit  in  Zeile  2  rechts 


Abb.  45.  Quirigua, 
Stele  F,  Ostseite. 

Hieroglyphe  16,  17 
(1.  ahau,  3.  zip). 


Abb.  44.     Initial  Series  der  Ostseite 
der  Stele  F  von  Quirigua. 

und  Zeile  3  links  das  Gesicht  mit  der  Zeichnung  der  Hand  am  Unter- 
kiefer, den  Multiplikator  Xull  (vgl.  oben  S.  748,  Abb.  168).  Deutlich  ist 
auch  der  Multiplikator  Neun  (Zeile  1  links),  mit  den  stilisirten  Jaguarfell- 
flecken auf  der  unteren  Gesichtshälfte,  der  Multiplikator  Sechzehn 
(Zeile  1  rechts),  das  Gesicht  mit  dem  Windkreuz  im  Auge  und  dem 
Todtenknochen  am  Unterkiefer  (vgl.  oben  S.  765,  Abb.  201),  und  der 
Multiplikator  Zehn  (Zeile  2  links),  das  Totengesicht,  mit  einer  Variante 
des  Zeichens  cimi  auf  der  "Wange.  Die  Zahl-Hieroglyphe,  die  zu  dem 
Ahau-Datum  gehört,  stimmt  in  wesentlichen  Kennzeichen  überein  mit  dem 


1)  Ich  habe  unten  in  Abb.  76  ff.  die  sämmtlichen  mir  bekannt  gewordenen 
und  als  zweifellos  festgestellten  Multiplikatoren-Hieroglyphen  zusammengestellt. 
Ich  bitte,  bei  diesen  und  den  folgenden  Erörterungen  diese  Figuren  zu  vergleichen. 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Gepan  und  QuiripuÄ.  801 

Kopf  der  Göttin  (vgl.  oben  S.  762,  Abb.  185),  den  wir  als  Hieroglyphe  der 
Zahl  Eins  erkannt  haben.  Das  Uinal-Datuni,  das  zu  diesem  Ahau-Datum 
gehört,  folgt  auf  der  Stele  drei  Zeilen  tiefer.  Ich  habe  es  aber  in  Abb.  44 
unmittelbar  unter  das  Ahau-Datum  gesetzt.  Für  die  Hieroglyphe,  die  die 
Ordinalzahl  des  Uinal-Datums  anzeigt  (Abb.  44,  Zeile  4),  ergibt  sich,  wie 
wir  gleich  sehen  werden,  durch  die  Rechnung  der  Werth  Drei.  Mit  der 
Hieroglyphe,  die  wir  früher  als  die  der  Zahl  Drei  erkannt  hatten  (vgl. 
oben  S.  763,  Abb.  188),  zeigt  diese  auch  in  der  That  eine  gewisse 
Verwandtschaft,  die  sich  namentlich  in  der  Form  der  Kopfbinde  und  der 
Ornamentation  der  Ohrplatte  ausspricht.  Nur  fehlt  der  Hieroglyphe  hier 
die  Stirnscheibe,  die  wir  bei  der  Hieroglyphe  der  Zahl  Drei  des  Sonnen- 
Tempels  von  Palenque  kennen  gelernt  hatten.  Die  ganze  Initial  Series 
der  Ostseite  der  Stele  F  von  Quirigua  ist  demnach  folgendermassen  zu 
lesen: 

9x20x20x360  16x20x360 

10x360  Ox    20 

0X1  1.  aho-u 

8.  zip. 

Die  Summirung  ergibt  die  Zahl  1  414  800.  Das  sind  5441  Tonalamatl 
und  140  Tage  oder  3876  Sonnenjahre  und  60  Tage.  Das  ist  genau  der 
Abstand  des  Tages  1.  ahau.,  3.  zip  von  dem  Anfangs-  und  Normal-Datum 
4.  ahau,  8.  cumku.  Dass  diese  Lesung  der  Initial  Series  Abb.  44  richtig 
ist,  wird  in  gewisser  Weise  dadurch  bestätigt,  dass  wir  auf  der  Westseite 
derselben  Stele  (vgl.  Abb.  45)  das  Datum  1.  ahau^  3.  zip^  —  die  3  in 
Ziffern,  die  1  in  einer  anderen,  uns  schon  bekannten  Hieroglyphe  ge- 
schrieben —  antreffen. 

Wiederum  etwas  undeutlicher  ist  die  Initial  Series  der  Kröte  G  von 
Quirigua,  deren  einzelne  Glieder  ich  in  Abb.  46  in  der  Weise,  wie  sie 
einander  folgend  gelesen  werden  müssen,  untereinander  gesetzt  habe. 
Doch  ist  auch  hier  der  erste  Multiplikator  deutlich  als  Hieroglyphe  der 
Zahl  Neun  zu  erkennen.  Der  dritte  als  Hieroglyphe  Fünfzehn.  Der 
vierte  und  fünfte  als  Hieroglyphe  Null.  Das  folgende  Datum  als  5.  ahau. 
Und  dazu  gehört  das  sechs  Abtheilungen  weiter  rechts  stehende  Uinal- 
Datum  3.  moan,  das  ich  in  Abb.  46  unmittelbar  unter  das  Ahau-Datum 
gesetzt  habe.  Aus  der  Rechnung  ergiebt  sich  dann,  dass  der  zweite 
Multiplikator,  der  leider  etwas  zerstört  ist,  die  Zahl  Siebzehn  be- 
zeichnen muss:  — 

9  X  20  X  20  X  360  =  1  296  000 

17  X  20  X  360  =      122  400 

15  X  360  =         5  400 

0  X    20  =  0 

Ox      1  = 0_^ 

1  423  800 

Seier,  Gesammelte  Abhandlangen  I.  51 


802 


Dritter  Abschnitt;   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Das  sind  5476  Tonalamatl  und  40  Tage,  oder  3900  Jahre  und 
300  Tage,  und  das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages  5.  ahau^  3.  moan  von 
dem  Anfangs-  und  Normal-Datum  4.  ahau^  8.  cumku. 

Schön  deutlich  ist  endlich  die  Initial  Series  der  Stele  J  von  Quirigua 
(Abb.  47).  Einige  der  Multiplikatoren  haben  hier  die  Eigenthümlichkeit, 
dass  die  Köpfe,  durch  welche  diese  Multiplikatoren-Zahlen  dargestellt 
sind,  einen  Vogel-  oder  Reptil-Rachen  als  Helm-Maske  tragen.  Man  er- 
kennt unschwer  die  Multiplikatoren  Neun,  Sechzehn,  Fünf,  Null,  Null. 


Abb.  48.    Der  Tag  ahau. 

Ostseite  der  Stele  D 

von  Quirigud. 


Abb.  46.    Initial  Series 
der  Kröte  G  von  Quingud. 

Abb.  47.    Initial  Series  der  Stele  J 
von  Quirigud. 

Das  Datum  muss  8.  ahau  sein,  und  dazu  gehört  das  8  Abtheilungen 
(4  Zeilen)  weiter  verzeichnete  Uinal-Datum  8.  so'te,  das  ich  in  Abb.  47 
unmittelbar  unter  das  Ahau-Datum  gesetzt  habe.     Die  Rechnung  ergibt: 

9  X  20  X  20  X  360  =  1  296  000 

16x20x360  =   115  200 

5  X  360  =    1  800 

0  X  20  =      0 

0X1=       0 


1  413  000 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


803 


Das  sind  5434  Tonalamatl  und  160  Tage,  oder  3871  Sonnenjahre  und 
85  Tage.  Und  das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages  8.  ahau,  8.  zoHz  von 
dem  Anfangs-  und  Normal-Datum  4.  ahau,  8.  cumku.   -> 

Es  bleiben  nun  noch  die  Stele  D  und  die  Kröte  B  von  Quiriguä,  die 
beide  dadurch  ausgezeichnet  sind,  dass  die  Glieder  der  Initial  Series  — 
und  bei  der  Kröte  B  aucli  die  übrigen  Hieroglyphen  —  in  monumentaler 
Weise  nicht  durch  blosse  Köpfe  oder  Zeichen,    sondern    durch  ganze,    in- 


Abb.  49.     Quiriffud,  Stele  D,  Ostseite.    Hieroglyphe  14. 
V     50.  „      ,      „      E,        „  „  17. 

,•.  51.  „  ,55  J5  55  55  '^•• 

einander  verschlungene  Figuren  zum  Ausdruck  gebracht  sind.  Bei  der 
Kröte  B  ist  das  Ahau-Datum  leider  zum  grössten  Theil  zerstört.  Aber 
auf  der  schönen  Stele  D  von  Quiriguä  sind  die  Initial  Series  auf  beiden 
Seiten  wohl  erhalten.  Das  End-Datum  der  Initial  Series  ist  auf  der  Ost- 
seite ein  Tag  ahau.  Die  Gestalt,  in  der  das  Zeichen  ahau  hier  dargestellt 
ist,  habe  ich  in  Abb.  4'8  wiedergegeben.  Auf  der  Westseite  ist  das  End- 
Datum  der  Initial  Series,  wie  schon  Maudslay  richtig  erkannt  hat,  ein 
Tag  caban.  Ich  habe  die  Form,  in  der  dieses  Tages- 
zeichen hier  dargestellt  ist,  oben  "S.  792  in  Abb.  1  wieder- 
gegeben. 

Das  Ahau-Datum  der  Ostseite  der  Stele  D  von 
Quiriguä  ist  mit  dem  Uinal-Datum  ]S.pop  zu  verbinden, 
das  3  Zeilen  tiefer  in  der  fünften  darauf  folgenden  Hiero- 
glyphen-Gruppe verzeichnet  ist.  Das  Ahau-Datum  selbst 
können  wir  wohl  mit  Bestimmtheit  als  7.  ahau  lesen. 
Denn  7.  ahau  kommt  mit  Ziffern  geschrieben  auf  derselben 
Stelenseite  weiter  unten  vor,  und  zwar  in  Kombination 
mit  einer  Hieroglyphe,  die  auf  anderen  Stelen  von  Quiriguä  ebenfalls 
kombinirt  mit  dem  Ahau-Tage  der  Initial  Series  angetroffen  wird  (vgl.  die 
Abb.  49 — 51).  Und  auf  der  letzten  Zeile  dieser  Ostseite  der  Stele  D  von 
Quiriguä  ist  das  vollständige  Datum  7.  ahau,  18.  pop,  in  Ziffern  geschrieben, 
noch  einmal  verzeichnet  (vgl.  Abb.  52). 

Ist  aber  7.  ahau,  18.  pop  wirklich  das  End-Datum  der  Initial  Series 
dieser  Stelenseite,  so  ist  die  merkwürdige  Figur,  die  in  der  6.  Gruppe 
dieser  Stelenseite  mit  dem  Zeichen  ahau  kombinirt  ist,  und  die  ich  in 
Abb.  53  wiedergebe,  die  Hieroglyphe  der  Zahl  Sieben.     Und    wir    haben 

51* 


Abb.  52.  Quirigud, 
Stele  D,  Ostseite. 

Hierogl.  21. 
7.  ahau,  18.  po})- 


804 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  nnd  Hieroglyphen-Entzifferung. 


damit  für  diese  Zahl,  für  die  ich  in  meiner  vorigen  Abhandlung  noch  keine 
Hieroglyphe  feststellen  konnte,  eine  wohlausgeführte,  mit  charakteristischen 
Merkmalen  versehene  hieroglyphische  Darstellung  gefunden.  Dass  diese 
Deutung  richtig  ist,  ergibt  der  Vergleich  mit  der  Figur,  die  auf  der  West- 
seite der  Stele  D  die  Anzahl  der  Einzeltage  der  Initial  Series  anzeigt.    Da 


Abb.  53.    Hieroglyphe  der 

Zahl  Sieben. 

Stele  D  von  Quirigud. 

Ostseite. 


Abb.  54.     Hieroglyphe 

der  Zahl  Siebzehn. 

Stele  D  von  QuiHffuä. 

Westseite. 


Abb.  55.    Hieroglyphe  der 

Zahl  Siebzehn. 

Kröte  B  von  Quin'gud. 


auf  der  Westseite  der  Stele  D  am  Ende  der  Initial  Series  ein  Tag  caban 
steht,  so  müssen  in  der  Initial  Series  17  Einzeltage  angegeben  sein.  Von 
der  Figur  aber,  die  die  Zahl  Siebzehn  zum  Ausdruck  bringt,  werden  wir 
voraussetzen  können,  dass  sie  dieselben  Züge  aufweist,  wie  die  Figur,  mit 

der  die  Zahl  Sieben  bezeichnet  wird.  Nur  müsste 
bei  der  Figur,  die  die  Zahl  Siebzehn  darstellt,  am 
Unterkiefer  noch  ein  Totenknochen  gezeichnet  sein. 
Sehen  wir  nun  zu,  was  für  eine  Gestalt  auf  der 
Westseite  der  Stele  D  mit  der  Hieroglyphe  kin 
(Einzeltag)  kombinirt  ist,  so  finden  wir  dort  die 
Figur,  die  ich  in  Abb.  54  wiedergegeben  habe.  Es 
zeigt  sich,  dass  diese  in  der  That  mit  der  Abb.  53 
in  den  wesentlichen  Zügen  übereinstimmt,  in  dem 
allgemeinen  Charakter  des  Gesichts,  dem  grossen 
Auge  und  vor  allem  in  dem  langen  Gebilde,  das, 
von  dem  unteren  Theil  der  Wange  ausgehend,  wie 
ein  Bart  nach  unten  hängt.  Auch  hat  die  Abb.  54 
Jaguar-Tatzen  wie  die  Abb.  53,  und  scheint  auch 
dieselbe  Zeichnung  auf  Oberarm  und  Oberschenkel  aufzuweisen.  Nur  ist  eben 
in  Abb.  54  auf  dem  Unterkiefer  noch  ein  Totenknochen  angegeben.  Die 
Gottheit,  die  also  hier  die  Zahl  Sieben  und,  mit  dem  akzessorischen  Merkmal 
des  Totenknochens  am  Unterkiefer  die  Zahl  Siebzehn  repräsentirt,  scheint 
eine  wohl  charakterisirte  Gestalt  zu  sein.     Wir  finden  eine  ausgezeichnete 


Abb.  5G.    Kopf,  Hand  und 

Fuss  der  Figur  auf  der 

Xordseite  der  Stele  A 

von  Quirigud. 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


805 


Darstellung  von  ihr  auf  der  Nordseite  der  Stele  A  von  Quiriguä.  Nur 
hat  der  Zeichner  Maudsl ay 's  dort  im  Auge  ein  Windkreuz  gezeichnet, 
das  augenscheinlich  falsch  ist,  und  auf  der  photographischen  "Wiedergabe 
des  Abklatsches  dieser  Stelenseite  auch  in  der  That  nicht  zu  erkennen 
ist.  Ich  gebe  in  Abb.  56  den  Kopf  dieser  Figur  mit  einem  Theile  des 
Kopfschmuckes  und  Hand  und  Fuss.  Wir  erkennen  auch  hier  das  grosse 
Auge,  das  bartartige  Gebilde,  das  den  Mundwinkel  umzieht,  und  auch 
diese  Figur  ist,  wie  wir  sehen,  mit  Jaguar-Tatzen  dargestellt.  Für  den 
besonderen  Charakter,  den  wir  etwa  dieser  Gottheit  zuzuschreiben  haben. 


Abb,  57.  Abb.  58. 

Abb.  57  u.  58:    Hieroglyphe  NulL    Kröte  B  von  Quiriguä. 


Abb,  61. 
Hieroglyphe  cimi  „Tod". 


Abb.  59.  Abb.  60. 

Hieroglyphe  Null,     Ostseite  der  Stele  D  von  Qurrigud. 


scheint  es  nicht  ohne  Belang  zu  sein,  dass  die  Gestalt  auf  der  Nordseite 
der  Stele  A  ein  Brett  mit  astronomischen  Zeichen,  ein  Himmels-Schild, 
auf  dem  Kopfe  trägt. 

Bezeichnet  nun  die  Abb.  53  die  Zahl  Sieben,  die  Abb.  54  die  Zahl 
Siebzehn,  so  werden  wir  auch  der  Figur,  die  in  der  zweiten  Gruppe  der 
Initial  Series  der  Kröte  B  von  Quiriguä  mit  der  die  Periode  Katun 
repräsentirenden  Vogel-Gestalt  kombiuirt  ist,  und  die  ich  in  Abb.  55 
wiedergegeben  habe,  als  Hieroglyphe  der  Zahl  Siebzehn  ansehen  müssen; 
denn  sie  stimmt  auch  in  den  allgemeinen  Zügen  des  Gesichts,  dem  grossen 
Auge,  dem  von  dem  unteren  Theil  der  Wange  ausgehenden  proliferirenden 


806  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Auhängsel  und  auch  der  Zeichnung  auf  den  Gliedern  mit  der  Abb.  53 
und  54  übereiii,  und  zeigt,  wie  die  Abb.  54,  den  Totenknochen  am 
Unterkiefer.  Nur  hat  die  Abb.  55  keine  Jaguar-Tatzen,  sondern  mensch- 
liche Hände  und  Füsse.  Aber  solche  Varianten  kommen  aucli  bei  Dar- 
stellungen anderer  Figuren  vor. 

Suchen  wir  nun  weiter  die  Multiplikatoren  der  anderen  Glieder  der 
Initial  Sories  der  Stele  D  und  der  Kröte  B  von  Quirigua  zu  bestimmen, 
so  sind  zunäclist  die  j\Iultiplikatoren  der  Gruppen  4  und  5  der  Kröte  B 
von  Quirigua  (Abb.  57  und  58)  durch  die  Zeichnung  der  Hand  am  unteren 
Theil  des  Gesichts  ohne  Weiteres  als  Repräsentanten  der  Null  zu  erkennen. 
Und  ebenso  die  Figur,  die  auf  der  Ostseite  der  Stele  D  in  der  Gruppe  5 
mit  der  Hieroglyphe  kin  kombinirt  ist,  und  die  ich  in  Abb.  59  wieder- 
gegeben habe.  Dass  aber  auch  die  sonderbare  Enface-Figur  60,  die  der 
Gruppe  4  der  Ostseite  der  Stele  D  angehört,  als  Repräsentant  der  Null 
anzusehen  ist,  war  nach  der  in  dem  Werke  Maudslay's  gegebenen 
Zeichnung  nicht  ohne  Weiteres  anzunehmen.  Zwar  stimmt  diese  Figur 
in  dem  Kopfschmuck,  den  Hals-,  Arm-  und  Bein-Ringen,  und  auch  in  der 
Bemalung  mit  einer  Variante  des  Zeichens  cimi  „Tod",  durchaus  mit  der 
Abb.  59  überein.  Aber  es  fehlt  in  der  Maudslay'schen  Zeichnung  das 
Merkmal  der  Hand  am  unteren  Theil  des  Gesichts.  Glücklicher  Weise 
besitzt  das  Königl.  Museum  für  Völkerkunde  einen  Abguss  dieser  Hiero- 
glyphen-Gruppe, den  wir  Hrn.  Erwin  P.  Dieseldorff  verdanken.  An 
diesem  Abguss  konnte  ich  erkennen,  dass  die  Abb.  60  in  der  That  unter 
dem  Munde  die  Zeichnung  einer  Hand  aufweist,  die  quer  über  dem  Kinn 
liegt,  so  dass  der  Kreis  mit  einem  Loch  in  der  Mitte,  der  regelmässig  an 
der  Handwurzel  gezeichnet  wird  und  der  ohne  Zweifel  ein  Armband  aus 
Stein-Perlen  markiren  soll,  gerade  auf  dem  Kinn  seine  Stelle  hat.  Es 
ist  demnach  zweifellos,  dass  auch  Abb.  60  den  Multiplikator  Null  be- 
zeichnen soll. 

Die  Abb.  59  und  60  zeigen  die  Gesichtszüge  des  Todesgottes,  Abb.  60 
ist  auch  skelettartig  mit  freiliegenden  Rippen  dargestellt,  und  beide  haben 
die  Glieder  mit  einem  Symbol  bemalt,  das  wohl  aus  der  Zeichnung  zweier 
gekreuzter  Todtengebeine  entstanden  ist,  jedenfalls  in  den  Handschriften 
als  eine  Variante  des  Tageszeichens  cimi  „Tod"  vorkommt  (vgl.  Abb.  61). 
Die  entsprechenden  Figuren  der  Kröte  B  (Abb.  57  und  58)  zeigen  zwar 
nicht  die  Gesichtszüge  des  Todesgottes,  aber  sie  sind  auch  auf  den  Gliedern 
mit  dem  Symbol  cimi  bemalt,  und  beide  haben  ausserdem  auf  dem  Scheitel 
einen  phantastischen  Reptil- (Schlangen-?)  Kopf,  der  in  ganz  ähnlicher 
Weise  auch  auf  den  Bildern  des  Todesgottes  in  den  Handschriften  vor- 
kommt (vgl.  Abb.  63).  Es  sind  also  hier  diese  Figuren,  die  die  Null 
repräsentiren,  als  Todesgötter,  oder  mit  Todessymbolen  dargestellt,  und 
nur  die  Zeichnung  der  Hand  auf  dem  unteren  Theil  des  Gesichts  gibt 
diesen  Figuren  die  besondere  Bedeutung  des  Multiplikators  Null. 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


807 


Vergleichen  wir  nun  mit  den  Abb.  57,  58  die  Figur,  die  auf  demselben 
Denkmal  den  Multiplikator  der  dritten  Gruppe  darstellt,  und  die  ich  in 
Abb.  64  wiedergegeben  habe,  so  sieht  man,  dass  sie  in  allen  wesentlichen 
Theilen,  in  der  Bemalung  mit  dem  Zeichen  cimi  und  auch  in  dem  Reptil- 
kopf auf  dem  Scheitel,  mit  den  Abb.  57,  58  übereinstimmt,  aber  en  face 
gezeichnet  ist,  wie  die  Abb.  60  als  Enfacefigur  der  Profil-Abb.  59  ent- 
spricht. Nur  in  einem  Punkte  zeigt  die  Abb.  64  einen  wesentlichen 
Unterschied  gegenüber  den  Abb.  57,  58.  Auf  dem  unteren  Theile  des 
Gesichts  ist  nicht  eine  Hand,  sondern  hier  deutlich  ein  fleischloser  Unter- 
kiefer, ein  Totenknochen  gezeichnet.  Ein  Repräsentant  der  Null  kann 
also  diese  Abb.  64  nicht  sein.  Aber  mussten  wir  schon  Abb.  57,  58  als 
eine  Art  Darstellung    des  Todesgottes    ansehen,    so    werden   wir  mit  noch 


fmm 


Abb.  62.  Abb.  63. 

Der  Todesgott. 
Dresdener  Handschrift  10  a,  12  b. 


Abb.  64.    Hieroglyphe  der  Zahl  Zehn. 
Kröte  B  von  Quiriguä. 


viel  grösserem  Rechte  die  Abb.  64  für  eine  solche  erklären  müssen,  ob- 
wohl sie  keineswegs  ein  Skelett,  der  Kopf  keineswegs  einen  Schädel  dar- 
stellt. Stellt  aber  die  Abb.  64  wirklich  den  Todesgott  vor,  so  werden 
wir  ihr  den  Zahlwerth  Zehn  zuschreiben  müssen;  denn  diese  Zahl  wird 
ja,  wie  ich  in  meiner  vorigen  Abhandlung  gezeigt  habe,  und  wie  wir  auch 
bei  der  Initial  Series  der  Ostseite  der  Stele  F  (oben  S.  800  Abb.  44)  gesehen 
haben,  auf  den  Monumenten  durch  die  Figur,  oder  den  Kopf  des  Tod.es- 
gottes  repräsentirt. 

Noch  di-ei  andere  Multiplikatoren  scheinen  ebenfalls  mit  Sicherheit 
feststellbar  zu  sein.  Das  ist  erstens  der  der  dritten  Gruppe  der  Ostseite 
der  Stele  D  von  Quiriguä  (Abb.  65).  Diese  Figur  scheint  auf  den  ersten 
Blick    allerdings    einen    ganz    neuen  Typus    darzustellen.     Sehen   wir  uns 


808 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


aber  die  Einzelheiten  näher  an,  so  erkennen  wir  auf  dem  Scheitel,  zwar 
nicht  der  Figur  selbst,  aber  des  Vogelkopfs,  den  die  Figur  als  Helm- 
maske trägt,  das  Zeichen  tun.  Da  müssen  wir  sofort  uns  erinnern,  dass 
die  Zahl  Fünf  durch  einen  Greisenkopf  dargestellt  wurde,  der  auf  dem 
Scheitel  das  Zeichen  tun  trägt.  Nun  sind  zwar  in  dem  Gesichte  hier 
keine  Runzeln  und  Falten  deutlich,  aber  die  Glieder  sind  auffallend  mager 
und  eckig  gezeichnet,  so  dass  die  Annahme  berechtigt  erscheint,  dass  ein 
alter  Körper  zur  Anschauung  gebracht  werden  sollte.  Haben  wir  also 
hier  einen  alten  Mann  mit  dem  Zeichen  tun  auf  dem  Kopf,  so  würde, 
unter  Berücksichtigung  des  akzessorischen  Merkmals  des  Totenknochens, 
der  an  dem  Unterkiefer  zu  sehen  ist,  die  Abb.  65  als  Repräsentant  der 
Zahl  Fünfzehn  erklärt  werden  müssen. 

In  der  Figur,  die  den  Multiplikator  der  vierten  Gruppe  der  Westseite 
der  Stele  D  von  Quirigua  vorstellt,  und  die  ich  in  Abb.  66  wiedergegeben 
habe,  ist  das  Gesicht  des  Sonnengottes  sofort  erkennbar.    Das  sieht  man 


Abb.  65.  Hieroglyphe  Fünfzehn, 

Ostseite  der  Stele  D  von 

Quirigua. 


Abb.  6ß.   Hieroglyphe 

Vier,  Westseite  der 

Stele  D  von  Quirigua. 


Abb.  67.    Hieroglyphe 

Dreizehn,  Westseite  der 

Stele  D  von  Quirigua. 


an  dem  grossen  Auge,  dem  winklig  ausgefeilten  Zahn  und  vor  allem 
an  der  halbmondförmigen  Zeichnung  am  Mundwinkel,  durch  die  der 
herausstehende  Hauzahn,  mit  dem  die  Künstler  von  Palenque  das  Gesicht 
des  Sonnengottes  ausstatteten,  auf  den  Monumenten  von  Quirigua  ersetzt 
zu  werden  pflegt.  Auch  die  Gestalt  der  Ohrplatte  ist  in  Abb.  66  genau 
die  gleiche  wie  in  dem  Bilde  des  Sonnengottes,  das  man  in  dem  Katun- 
zeichen  derselben  Stelenseite  sieht  (oben  S.793  Abb.  7).  Dass  der  Sonnengott 
die  Zahl  Vier  bezeichnet,  habe  ich  in  meiner  vorigen  Abhandlung  gezeigt. 
Endlich  scheint  auch  die  Figur,  die  den  Multiplikator  der  dritten 
Gruppe  der  Westseite  der  Stele  D  bildet,  die  ich  in  Abb.  67  wieder- 
gegeben habe,  mit  Sicherheit  als  Repräsentant  der  Zahl  Dreizehn  zu 
deuten  zu  sein.  Der  phantastische  Vogelkopf,  durch  den  diese  Zahl  dar- 
gestellt wird,  den  wir  vorhin  auch  in  der  Initial  Series  der  Westseite 
der  Stele  F  von  Quirigua  (oben  S.  798  Abb.  41)  fanden,  ist  hier  verbunden 
mit  einer  Art  Schlangenleib,  an  dem  Blüthen  und  Federbüschel  zu  sprossen 
scheinen. 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


809 


Wir  haben  jetzt  demnach  in  der  Initial  Series  der  Kröte  B  die 
sämmtlichen  Multiplikatoren  bis  auf  einen,  den  der  ersten  Gruppe,  und  in 
den  Initial  Series  der  Stele  D  die  Multiplikatoren  bis  auf  die  beiden  ersten 
der  beiden  Stelenseiten  bestimmt. 

Die  Figur,  die  den  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  der  Kröte  B  von 
Quiriguä  darstellt,  habe  ich  in  Abb.  68  wiedergegeben.  Ich  habe  in 
meiner  vorigen  Abhandlung  gezeigt,  dass  auf  allen  Monumenten  von  Copan 
und  Quiriguti,  die  der  Untersuchung  unterzogen  werden  konnten,  der 
Multiplikator  der  ersten  Gruppe  die  Zahl  Neun  war,  mit  anderen  Worten, 
dass  auf  allen  diesen  Monumenten  9  Zyklen  oder  9  Zwanzigfache  eines 
Katun    seit    dem  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau^    8.  cumku  verflossen 


Abb.  G8.    Hieroglyphe  Neun. 
Kröte  B  von  Quiriguä. 


Abb,  69.    Hieroglyphe  Neun. 
Ostseite  der  Stele  D  von  Qulrigud. 


Abb.  70.    Hieroglyphe  Neun. 
Westseite  der  Stele  D  von  Quiriguä. 


Abb.  71.     Hieroglyphe  Zwölf. 
Kröte  B  von  Quiriguä. 


erscheinen.  Mit  einer  gewissen  und  nicht  geringen  Wahrscheinlichkeit 
werden  wir  daher  annehmen  können,  dass  auch  die  Abb.  68  den  Multi- 
plikator Neun  repräsentirt.  Die  Initial  Series  der  Kröte  B  würde  dann 
die  Summe  ergeben: 

9  X  20  X  20  X  360  =  1  296  000 

17x20x360=     122  400 

10  X  360  =        3  600 

OX    20=  0 

0X1=  0 


1  422  000 

das  sind  5469  Tonalamatl  und  60  Tage  oder  3895  Sonnenjahre  und 
325  Tage.  Und  das  ist  der  genaue  Abstand  des  Tages  12.  ahau.,  8.  pax 
von  dem  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau.^  8.  cuviku. 


810  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Nun  ist  allerdings  auf  diesem  Monumente  das  Ahau-Datum  zerstört. 
Der  Kopf  der  Figur  aber,  die  die  Tageszalil  angibt,  ist  erhalten.  Ich 
habe  ihn  in  Abb.  71  wiedergegeben.  Es  ist,  wie  man  sieht,  ein  Kopf, 
der  an  den  Weiberkopf,  der  die  Zahl  Eins  bezeichnet,  und  auch  an  den 
Kopf  des  Gottes  mit  dem  Kan- Zeichen,  der  die  Zahl  Acht  repräseutirt, 
erinnert.  Eine  Hieroglyphe  für  die  Zahl  Zwölf  haben  wir  leider  bisher 
nur  auf  der  Westseite  der  Stele  F  von  Quirigua,  auf  der  die  Initial  Series 
auch  ziemlich  beschädigt  ist,  gefunden.  Immerhin  kann  man  erkennen, 
dass  auch  dort  (vgl.  oben  S.798  Abb. 41,  Zeile  3  rechts)  die  Zahl  Zwölf  durch 
einen  Kopf,  der  an  den  Weiberkopf,  die  Hieroglyphe  Eins,  erinnert,  dar- 
gestellt wird. \  Zieht  man  nun  in  Betracht,  dass  das  Datum  12.  ahau,  8.  fax 
o-anz  in  die  Nähe  der  Daten  der  anderen  Monumente  von  Quirio-ua  fällt 
—  es  fallt  genau  in  die  Mitte  zwischen  das  Datum  der  Stele  A  und  das 
der  Kröte  G  — ,  dass  es  ferner  auf  den  Anfang  eines  Katun-Yiertels  fällt, 
und  dass,  wie  wir  gesehen  haben,  es  ja  gerade  die  Anfänge  der  Katun- 
Yiertel  sind,  die  durch  Monumente  ausgezeichnet  wurden,  so  wird  man 
zugeben  müssen,  dass  es  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  es  nahezu  gewiss 
ist,  dass  die  Initial  Series  der  Kröte  B  von  Quirigua  in  der  Weise,  wie 
ich  es  oben  angegeben  habe,  gelesen  werden  muss. 

Ist  das  aber  der  Fall,  so  wäre  erwiesen,  dass  die  Abb.  68  eine  Hiero- 
glyphe der  Zahl  Neun  ist  und  als  solche  erklärt  werden  muss,  obwohl 
sie  von  den  uns  bisher  bekannt  gewordenen  Formen  dieser  Hieroglyphe 
abweicht.  Denn  hier  suchen  wir  vergebens  nach  den  realistisch  wieder- 
o-eo^ebenen  oder  stilisirten  Jao-uarfellflecken  auf  der  unteren  Hälfte  des 
Gesichts.  Dagegen  treten  als  merkwürdige  Besonderheiten  eine  bartartige 
Verlängerung,  die  den  unteren  Theil  des  Gesichts  einrahmt  und  mit  einer 
Art  pflanzlichen  Gebildes  zu  enden  scheint,  und  eine  eingerollte  Zeichnung 
vor  dem  Munde  hervor,  die  in  solcher  Weise  bisher  noch  bei  keiner 
anderen  der  abgebildeten  Figuren  getroffen  wurde.  Gerade  in  diesen 
beiden  Kennzeichen  und  überhaupt  in  dem  ganzen  Schnitt  des  Gesichts 
zeigt  sich  die  Abb.  68  aber  auf  das  engste  verwandt  mit  der  Figur,  die 
auf  der  Ostseite  der  Stele  D  von  Quirigua  den  Multiplikator  der  ersten 
Gruppe  repräseutirt,  und  die  ich  in  der  Abb.  69  wiedergegeben  habe. 
Wir  müssen  folgern,  dass  auch  diese  Figur  eine  Hieroglyphe  der  Zahl 
Neun  ist.     Ist    das    der  Fall,    so    wäre  die  Initial  Series  der  Ostseite  der 

Stele  D: 

9x20x20x360 

X  X  20  X  360 

15  X  360 

Ox    20 

Ox      1 

Das  Enddatum  der  Initial  Series  dieser  Stelenseite  ist,  wie  wir  gesehen 

haben,  7.  ahau^  18.  pop.     Auf  dieses  Datum  kommt  man,  wenn  man  für  x 


22.    Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä, 


811 


den  Wertli  Sechzehn  einsetzt.  Denn  dann  erhalten  wir  die  Summe 
1  416  600.  Das  sind  5448  Tonalamatl  und  120  Tage,  oder  3881  Sonnen- 
jahre und  35  Tage.  Das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages  7.  ahau,  18.  yop 
von  dem  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau,  8.  cumku.  Und  es  fällt 
auch  dieser  Tag  7.  ahau,  18.  pop  darnach  ganz  in  die  Nähe  der  Daten 
der  anderen  Monumente  von  Quiriguä  und  auf  den  Anfang  eines  Katun- 
Viertels. 

Müssen  wir  demnach  diese  Lesung  als  beglaubigt  ansehen,  so  muss 
die  Figur,  die  den  Multiplikator  der  zweiten  Gruppe  darstellt,  und  die  ich 
in  der  Abb.  73  wiedergegeben  habe,  der  Repräsentant  der  Zahl  Sech- 
zehn sein,  lind  sie  muss  als  solcher  erklärt  werden,  obwohl  sie  von  den 
bisher    bekannt    gewordenen    Formen    dieser    Hieroglyphe     abzuweichen. 


Abb.  72,  73.     Hieroglyphe   der  Zahl 

Sechzehn.    Westseite  und  Ostseite 

der  Stele  D  von  Quiriguä. 


Abb.  74.     Hieroglyphe  Acht. 
Westseite  der  Stele  D  von  Quirigiui. 


insbesondere  des  Windkreuzes  im  Auge  (vgl.  oben  S.  800  Abb.  44,  Zeile  1 
rechts)  zu  entbehren  scheint. 

Es  bleibt  nun  noch  die  Westseite  der  Stele  D  von  Quiriguä.  Die 
Multiplikatoren  der  drei  letzten  Glieder  der  Initial  Series,  die  der  Einer, 
der  Zwanziger,  der  Dreihundersechziger,  habe  ich  schon  bestimmt.  Wir 
fanden  dafür  die  Zahlen  Siebzehn,  Yier,  Dreizehn.  Den  Multiplikator  der 
zweiten  Gruppe  —  die  Figur,  die  in  dem  Bündel  auf  dem  Rücken  die 
Hieroglyphe  des  Zeitraums  Katun  trägt  —  habe  ich  in  Abb.  72  wieder- 
gegeben. Die  Figur  scheint  in  wesentlichen  Zügen,  insbesondere  auch  in 
der  Bemalung  der  Gliedmassen,  mit  der  Abb.  73  übereinzustimmen,  also 
eine  Hieroglyphe  der  Zahl  Sechzehn  darzustellen. 

Der  Multiplikator  der  ersten  Gruppe  endlich  ist  meine  Abb.  70. 
Diese  stimmt  in  dem  Schnitt  des  Gesichts,  in  dem  Ohrschrauck  und  dem 
Thierfuss  über  dem  Ohr,  sowie  in  Halsring  und  Brustschmuck  mit  der 
Abb.  69  überein,  ermangelt  aber  —  falls  die  Zeichnung  in  dem  Maudslay'- 


gl2  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

sehen  Werke  richtig  wiedergegeben  ist  —  des  den  unteren  Theil  des 
Gesichts  umrahmenden  bartartigen  Anhängsels.  Immerhin  spricht  die 
Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  auch  hier  der  Multiplikator  der  ersten 
Gruppe  als  Repräsentant  der  Zahl  Neun  aufzufassen  ist.  Darnach  wäre 
die  Initial  Series  der  Westseite  der  Stele  D  von  Quiriguä  zu  lesen: 

9  X  20  X  20  X  360 

16  X  20  X  360 

13X360 

4x    20 

17  X      1 

Durch  Summirung  dieser  Werthe  erhalten  wir  die  Zahl  1  415  977.  Das 
sind  5446  Tonalamatl  und  17  Tage,  oder  3879  Sonnenjahre  und  142  Tage. 
Das  ist  der  Abstand  des  Tages  8.  caban,  5.  yaxkin  von  dem  Anfangs-  und 
Normaldatum  4.  ahau,  8.  cumku.  Das  Uinal-Datum  5.  yaxkin  ist  in  der 
That  in  der  dritten  Zeile  unter  dem  ca6aw-Tage  angegeben.  Die  Ziffer 
des  caÄaw -Tages  wird  durch  die  Abb.  74  bezeichnet,  die  auch  wirklich 
durch  den  Schnitt  des  Gesichts  und  den  hinten  lang  herabfallenden,  in 
Federn  endenden  Kopfanhang  an  den  Gott  mit  dem  Kan-Zeichen,  den 
Repräsentanten  der  Zahl  Acht  (vgl.  oben  S.  766,  Abb.  205),  erinnert,  wenn 
auch  die  besondere  Absetzung  des  hinteren  lang  herabfallenden  Theils  in 
dieser  Zeichnung  nicht  so  deutlich  wie  in  anderen  Bildern  heraustritt. 
Demnach  können  wir  auch  für  diese  Stelenseite  die  angenommene  Initial 
Series-Lesung  als  beglaubigt  ansehen  —  ein  Resultat,  zu  dem  übrigens 
auch  schon  Maudslay,  die  Goodman'chen  Tabellen  zu  Grunde  legend, 
gelangt  ist. 

Die  Liste  der  Formen,  die  wir  für  die  Hieroglyphen  der  Multipli- 
katoren-Zahlen gefunden  hatten,  wird  also  durch  die  Monumente,  die 
Maudslay  in  seinem  XII.  Hefte  abbildet,  sowohl  was  die  Zahl,  als  auch 
was  den  Charakter  derselben  betrifft,  beträchtlich  erweitert.  Ich  stelle  in 
dem  Folgenden  diese  Hieroglyphen  der  Multiplikatoren-Zahlen  übersichtlich 
zusammen. 

Hieroglyphe  Null  (Abb.  75—108). 

Abb.  75  ist  die  in  den  Handschriften  übliche  Form  und  stellt  ein 
Schneckengehäuse  dar.  Abb.  76  kommt  auf  der  Stele  C  von  Copan  in  der 
Gruppe  4  a  vor  und  gibt  dort  an,  dass  keine  Einzeltage  gezählt  werden 
sollen.  Wie  man  sieht,  stellt  dieses  Zeichen  einen  einfachen  Kreis,  wie 
er  zur  Bezeichnung  der  Ziffer  „Eins"  verwandt  wird,  dar,  dessen  Innen- 
raum mit  gekreuzter  Streifung  erfüllt  ist,  d.  h.  dunkel,  schwarz,  also  leer, 
gedacht  werden  soll.  Abb.  77 — 85  und  87,  88  können  demnach  wohl  kaum 
etwas  anderes,  als  Leere  nach  allen  Richtungen  bedeuten.  Ich  mache  auf 
das  Vorkommen  des  Zeichens  cimi^  „Tod",  in  dem  Inuenraum  dieser 
Hieroglyphe    bei  der  Abb.  82,    die    dem  Inschriften-Tempel  von  Palenque 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


813 


entuommen^  ist,  aufmerksam.  Abb.  86  ist  in  den  Hieroglyphen-Säulen 
auf  Blatt  61  und  69  der  Dresdener  Handschrift  mit  der  Hieroglyphe  kin, 
„Tag",  verbunden,  wo  es  scheint,  dass  der  Werth  Null  angenommen 
werden  muss.  Es  ist  aber  zweifelhaft,  ob  dies  Gebilde  nicht  einfach 
zu  der  Ausgestaltung  der  Hieroglyphe  kin  gehört,  wie  man  in  der  That 
aus  anderen  Vorkomm- 
nissen dieser  Hieroglyphe  <53^  ^^^  ^s^ 
zu  folgern  veranlasst  ist, 
Abb.  89  kommt  mit  dem 
WerthNull  auf  den  Stelen- 
Bruchstücken  vor,  die  ich 
von  Sacchanä  an  der 
Grenze  von  Chiapas  und 
Guatemala  nach  Europa 
gebracht  habe.    Ueber  die 


dieser    Figur 


Bedeutung 
vermag  ich  nichts  zu  sagen. 
Ebenso  masse  ich  mir  über 
die  eigentliche  Bedeutung 
der  Abb.  91  —  94  auch 
heute  noch  kein  Urtheil 
an.  Aber  in  den  Abb.  95 
bis  102  werden  wir,  ebenso 
wie  in  den  Abb.  105—108, 
den  Tödesgott  erkennen 
müssen,  wie  ich  das  oben 
S.  806,  807  näher  ausein- 
andergesetzt habe.  Und 
dann  werden  auch  die  Ab- 
bildungen 103,  104  unter 
denselben  Begriff  fallen. 
In  der  That  stimmen  diese 
Figuren  in  Hals-  und 
Brustschmuck  mit  den  an- 
deren und  mit  den  Figuren 
des  Todesgottes  überein. 
In  dem  Kopfschmuck  der 


<^      <^     <@>       <^ 
<^>       <^^       ^^ 

<^^   <^^  ^^  <^^  ^^ 
d^^  ^^^   *^^ 


to<J-  ^T^^de-ti     St  9^ 


Abb.  75. 


Hieroglyphe  Null. 


(Form  der  Handschriften.) 
Und  das  merkwürdige 


Abb.  104  glaube  ich  auch 

deutlich  einen  Totenknochen  erkennen  zu  können. 

Gebilde,  das  die  Abb.  104  in  Händen  hält,  erweist  sich  dem  Reptil- (Schlangen-) 

Rachen  gleich,  den  die  Abb.  105,  106  als  Helmmaske  tragen,  und  der,  wie 

wir  oben  gesehen  haben,  auch  in  der  Dresdener  Handschrift  als  Helmmaske 

des  Todesgottes  vorkommt,  i  Ist  aber  wirklich    in    all  diesen  Köpfen    und 


SU 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Abb.  76.     Copan,  Stele  C,  4  a. 

„     77.         „  „     J,  4. 

..     78.  „  ..     B,  3. 

.,     79 M,  2. 

„     80 C,  4  a. 

„     81.    Falcnqur,  Kreuztempel  I, 
D,  1. 
82.    Paleiique,  Inschriften- 
Tempel,  Westflügel  P,  8. 

„     83.     Quiriguä,  Stele  C,  West- 
seite 16. 

„     84.     Quirigud,  Stele  C,  West- 
seite 4. 

„      85.     Quirigud,  Stele  J,  72. 

„     86.    Dresdener  Handschrift- 
Tafel  (51. 

„     87.     Quirigud,    Stele   E,    Ost- 
seite 5. 

„     88.     Quirigud,    Stele   F,   Ost- 
seite 3. 

„     89.     Stelenbnichstück  von  Sac- 
chatid  (Samml.  Sei  er). 

„      90.     Pa/eH3«e,  Palast-Treppe  5. 

„      91.     Copan,  Stele  I,  5. 

„      92.     Quirigud,  Stele  A,  4. 

„      93.     Palenque,  Kreuztempel  I, 
B,  7. 

„      94.     Quirigud,    Stele    C,    Ost- 
seite 3. 

„     95.    Palctique,  Kreuztempel  II, 
A,  7. 

„     96.     Quirigud,  Stele  C,  West- 
seite 5. 

„     97.    ^j>*?'^Ma,SteleJ,7. 

„98.  „  „  F,  Ostseite  4. 

„     99,100.     „       Kröte  G,  4,  5. 

„    101.  „       Stele  J,  9. 

„   102.  „  ;,  F,  Ostseite 5. 


Abb.  76—102.    Hieroglyphe  Null  (Form  der  Monumente). 


Abb.  103,  101.    Hieroglyphe  Null,  Cojjan,  Stele  D,  4,  5. 


22.   Einif^es  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quirigud. 


815 


Figuren  der  Todesgott,  oder  eine  mit  Todes-Symbolen  ausgestattete  Gestalt 
zum  Ausdruck  gebracht,  so  werden  wir  jetzt  vielleicht  uns  auch  über  das 
eigenthümlicho  akzessorische  Merkmal  dieser  Figuren,  die  Zeichnung  einer 
menschlichen  Hand  am  unteren  Theile  des  Gesichtes,  eine  Vorstellung 
machen  können.  Bei  der  Hand  denkt  man  naturgemäss  an  die  Handlung 
des  Nehmens,  und  bei  einer  Hand  mit  eingeschlagenen  Fingern,  wie  sie 
ja  an  einzelnen  dieser  Blätter  (vgl.  Abb.  98)  ganz  deutlich  gezeichnet  ist, 
an  ein  „Zusammennehmen".    So  könnte  die  Hand,  die  wir  als  diakritisches 


Abb.  105.  Abb.  106. 

Hieroglyphe  Null.     Kröte  B  von  Quirigt 


Abb.  107.  Abb.  108. 

Hieroglyphe  Null.    Ostseite  der  Stele  D  von  Quirigiid. 


Zeichen  an  den  Vogelköpfen  gefunden  haben,  mit  denen  die  höchsten 
Multiplikanden,  die  Zyklen  oder  Zeiträume  von  20  Katunen,  bezeichnet 
werden  (vgl.  oben  S.  739,  Abb.  146 — 158),  etwa  als  „Zusammen- 
fassung" gedeutet  werden,  und  die  Hand,  die  wir  hier  an  den  Köpfen 
und  Figuren  (Abb.  95 — 108)  sehen,  etwa  als  vollendeter  Tod,  als 
absolutes  Nichts. '  Das  Auftreten  desselben  diakritischen  Zeichens  an  zwei 
so  verschiedenen  Hieroglyphen,  an  dem  Symbol  der  Zahl  20  X  20  X  360 
und  an  dem  Symbol  der  Null,  würde  auf  diese  Weise  eine  Erklärung 
finden.     Anscheinend  abweichend  von  den  übrigen  Fisruren  ist  die  Hiero- 


816 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


glyphe  Abb.  90,  die  in  der  Initial  Series  der  Palastti'eppe  von  Palenque 
mit  dem  Werthe  Null  vorkommt.  Die  Figur  ist  aber  unvollständig,  das 
Gesieht  ist  abgerieben  und  verwittert.  Es  ist  möglich  und  wahrscheinlich, 
dass  hier  auch  ein  Totengesicht  mit  der  Zeichnung  einer  Hand  am  Unter- 
kiefer dargestellt  war,  und  dass  dieses  Totengesicht  hier  nur  ausserdem 
noch  mit  dem  Reptil-  (Schlangen-)  Rachen  als  Helmmaske  ausgestattet 
ist,  den  wir  ja  auch  an  den  Abb.  105,  106  sehen,  und  den  wir,  wie  ich 
oben  schon  erwähnte,  auch  als  Helmmaske  des  Todesgottes  in  den  Hand- 
schriften angetrofiPeu  haben. 

Hieroglyphe  Eins  (Abb.  109—114). 

Abb.  109,  110  stellen,  wie  man  sieht,  einen  ausgestreckten  Finger  dar. 
Das  Zeichen  kommt  als  Multiplikator  „Eins'^,  mit  der  Hierogly]3he  tun, 
katun  und  der  des  Zyklus  verbunden,  auf  den  Altar-Platten  von  Palenque 
und  als  Zahl  eines  Ahau-Datums  auf  den  Stelen  von  Quiriguä  (vgl.  oben 
S.  800  Abb.  45)  vor.  Die  anderen  Hieroglyphen,  Abb.  111  —  114,  zeigen  einen 
Kopf   mit   vor    dem  Ohr  lang  herabfallenden  Haarflechten,    der,    wie    ich 


Abb.  109.  Palenque,  Kreuztempel  I,  C,  15. 

110.  Quiriguä,  Stele  F,  Ostseite  16. 

111.  „  „     F,        „        6. 

112.  Palenque,  Sonnentempel  A,  3. 

113.  „        Kreuztempel  II,  A,  3. 

114.  „  „  II,  A,  8. 


Hieroglyphe  Eins. 

schon  in  meiner  vorigen  Abhandlung  dargethan  habe,  einen  Weiberkopf, 
also  wohl  eine  Göttin,  bezeichnet.  Der  allgemeine  Schnitt  des  Gesichts 
ähnelt  dem  des  Gottes  mit  dem  Kan-Zeichen,  der  den  Multiplikator  Acht 
repräsentirt.  Denselben  Weiberkopf  haben  wir  wiederholt  auch  in  dem 
Katun-Zeichen,  der  Anfangs-  und  Haupt-Hieroglyphe,  die  über  oder  vor 
der  Initial  Series  angegeben  zu  werden  pflegt  (vgl.  oben  S.  793,  795 
Abb.  5,  9,  11,  15),  angetroffen. 


Hieroglyphe  Zwei. 

Eine  solche  ist  vielleicht  der  Multiplikator  des  ersten 
Hieroglyphenpaares  auf  der  Altarplatte  des  Kreuztempels  I 
Abb.  114 juPa^eMOMe  "^^^  Palenque,  den  ich  hier  in  Abb.  114a  wiedergebe. 
Kreuztempel  I,  A,  3.  Vgl.  die  Bemerkungen  hierüber  oben  S.  775. 


22.    Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  uncl  Quiri^uä. 


817 


Hieroglyphe  Drei  (Abi).  115—118). 

Abb.  115  liabeii  wir  auf  der  Altarplatte  des  Sonnen-Tempels  von 
Palenque  kennen  gelernt,  Abb.  116  auf  der  Ostseite  der  Stele  F  von 
Quirigua  (vgl.  oben  S.  800,  Abb.  44).  Abb.  117  kommt  auf  der  Stele  J 
von  Copan  in  der  siebenten  Gruppe  vor,  wo  man  die  Ordinalzahl  des 
rinal-Datums  erwarten  sollte.  Sowohl  das  Ahau-Datum,  wie  das  Uinal- 
Datum  sind  auf  dieser  Stele  zerstört,  die  Abb.  117  ist  der  einzig  erhaltene 


a 


^uuO 


Hieroy^lyphe  Drei. 
Abb.  115.    Falenqiip,  Sonnen-Tempel  A,  6. 
,,     116.    Quirigmi,  Stele  F,  Ostseite,  12. 
„     117.    Co2H()i,  Stele  J,  7. 
..     118.    Dresdener  Handschrilt  9b. 

Rest.  Aus  der  Rechnung  ergibt  sich  aber,  dass  auf  dieser  Stele  das 
Datum  7.  ahau,  3.  ciimku  verzeichnet  sein  müsste.  Abb.  118  endlich 
kommt  in  der  mittleren  Abtheilung  des  Blattes  9  der  Dresdener  Hand- 
schrift über  der  Tageszeichen-Säule  muluc,  ix,  cauac^  kan,  da  wo  man  die 
Ziffer  dieser  Tageszeichen  erwarten  müsste,  vor.  Durch  die  folgenden 
schwarzen  (Differenz-)  und  rothen  (Tageszeicheu-)  Ziffern  ergibt  sich,  dass 
über  dieser  Tageszeichen-Säule  die  Ziffer  Drei  stehen  müsste. 


Hieroglyphe  Yier  (Abb.  119—122). 

Die  Figuren    geben    das  Bild   des  Sonnengottes    mit    dem    grossen 
Auge,  den  winklig  ausgefeilten  Schneidezähnen  und  dem  grossen  Hauzahn. 


Hieroglyphe  Vier. 

Abb.  119.    Palenque,  Kreuztempel  II,  A,  6. 

„     l'^O.  „  „  I,  A,  6. 

„     121.    Quirigua,  Stele  F,  Westseite  4. 


Abb.  122.   Hieroglyphe 

Vier.     Quirigud, 
Stele  D,  Westseite  4. 


Abb.  119,  120  von  Palenque  zeigen  auch  das  Symbol  der  Sonne  (Jan)  auf 
der  Wange.  In  den  Zeichnungen  der  Monumente  von  Quirigua  (Abb.  122, 
vgl.  auch  oben  S.  729  Abb.  60,  63,  64)    ist    der  heraushängende  Hauzahn 

Seier,  Gesammelte  Abhaudlunpen  I.  52 


818 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


des  Sonnengottes  in  eigenthümlicher  Weise  stilisirt  und  zu  oineni  halb- 
mondförmigen Gebilde  geworden,  das  den  Mundwinkel  begrenzt.  Auch 
der  niederste  Multiplikandus,  die  Hieroglyphe  kin  (ein  einzelner  Tag), 
wird,  wie  wir  oben  S.  728,  729  sahen,  durch  das  Bild  des  Sonnen- 
gottes zum  Ausdruck  gebracht.  Als  Multiplikator  Vier  scheint  der  Sonnen- 
gott stets  mit  menschlichen  Zügen  dargestellt  zu  sein.  In  der  Hiero- 
glyphe kin  wird  statt  des  Menschengesichts  häufiger  ein  Vogel  köpf  ver- 
wendet, der  mit  Attributen  des  Sonnengottes  (Hauzahn,  Gesichtsbemalung 
mit  dem  Zeichen  kin)  ausgestattet  wird. 

Hieroglyphe  Fünf  (Abb.  123—125)). 

Auch  das  siml  sehr  charakteristische  Figuren:  ein  runzliges  Greisen- 
gesicht, mit  dem  Zeichen  tun  auf  dem  Kopfe.  Bei  der  Hieroglyphe 
Fünfzehn,  die  ja  dasselbe  Gesicht,  aber  mit  dem  akzessorischen  Merkmal 


Hieroglyphe  Fünf. 

Abb.  123.  Copan,  Stele  J,  6. 

„     124.  Palenque,  Sounentenipel  A,  5. 
„    125.  „  Kreuztempel  II,  A,  5. 

„     126.  Copan,  Stele  D,  3. 

„     127.  Quirigiid,  Kröte  G,  6. 
„     128.  „  Stele  F,  Westseite  7. 

,,     IJJ.  „  ,,     J,  0. 

des  Totenknochens  am  Unterkiefer  darstellt,  finden  wir  eine  besondere 
Variante,  wo  statt  des  einfachen  Elementes  tun  ein  das  Zeichen  tun  auf 
dem  Scheitel  tragender  Vogelkopf  über  dem  menschlichen  Gesicht,  als 
Helm-Maske,  angegeben  ist  (vgl.  unten  Abb.  173). 


Hieroglyphe  Sechs  (Abb.  130—132) 

isa. 

m 


Abb.  130.    Palenque,  Sonnentempel  A,  7. 
„     131.  „         Inschriften-Tempel  A,  45. 

(Maudslay  IV,  Fl.  53). 
,,     132.    Quirigud,  Stele  A,  Ostseite  6. 


Hieroglyphe  Sechs. 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


819 


Die  Figuren  zeigen,  wie  ich  schon  in  meiner  vorigen  Abhandlung 
hervorgehoben  habe,  das  Gesicht  des  Sonnengottos  mit  dem  Windkreuz 
im  Auge.  Eine  ändert,  besondere  Form  dieser  Hieroglyphe  könnte  aus 
den  Hieroglyphen  für  Seclizehn,  unten  Abb.  179,  180,  entnommen  werden. 


Hieroglyphe  Sieben  (Abb.  133). 

Diese  Hieroglyphe  habe  ich  nur  einmal 
angetroffen.  Doch  konnten  wir  die  Gottheit, 
die  den  Multiplikator  Sieben  repräsentirt, 
in  der  ganzen  Figur  der  Nordseite  der 
Stele  A  von  Quiriguä  erkennen  (vgl.  meine 
Bemerkungen  darüber  oben  S.  804  und 
Abb.  56).  Andere  Abbildungen  derselben 
Gottheit  findet  man  bei  der  Hieroglyphe 
Siebzehn  (unten  Abb.  183,  184). 


Abb.  133.    Hieroglyphe  Sieben. 

Quiriguä,  Stele  D,  Ostseite  7, 

Hierogl.-Gr.  6. 


Hieroglyphe  Acht  (Abb.  134—141). 

Die  Figuren  stellen  den  aus  den  Handschriften  bekannten  Gott  mit 
dem  JTaw-Z eichen  vor.  Dessen  besondere  Kennzeichen  sind,  wie  ich 
schon  in  meiner  vorigen  Abhandlung  hervorgehoben  habe,  ein  jugendliches 
Gesicht,    mit  fliehender  Stirn,    eine  sich  kräuselnde  Locke  über  der  Stirn 


Hieroglyphe  der  Zahl  .\cht. 

Abb.  134.  Palenque,  Kreuz-Tempel  I,  A,  8. 
„     135.  „  Palast-Treppe  A,  4. 

„     136.  „  „  A,  2. 

„     137.  Quirif/itä,  Stele  J,  11. 

„    138.  Copan,  Stele  0,  10. 
„    139.        „  „     D,  8. 

und  ein  besonders  abgesetzter,  nach  hinten  fallender  Theil,  der  in  den 
Handschriften  manchmal  wie  ein  breiter  Thierschwanz  aussieht,  der 
am  Ende  in  eine  Quaste  von  Quetzalfedern  auseinandergeht.  In  Abb.  1 37, 
die  der  Initial  Series  der  Stele  J  von  Quiriguä  entnommen  ist,    trägt    der 

52* 


820 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Gott  eiue  Art  Scblaugeu-Racheu  als  Helm-Maske.  Da  auch  bei  diesem 
Gott  in  der  Regel  seitlich  vor  dem  Ohr  herunterfallende  Haarsträhnen  an- 
gegeben sind,  so  ist  sein  Gesicht  manchmal  (vgl.  Abb.  141)  schwierig  von 


Abb.  140.    Bild  und  Hieroglyphe  des  Gottes 

mit  dem  Ä'aw-Zeichen,  des  Eepräsentanten 

der  Zahl  Acht.     (Nach  der  Dresdener 

Handschrift ) 


Abb.  141.    Hieroglyphe  Acht. 

Stele  D  von  Quiriyiid, 

Westseite,  Hieroglyphe  6. 


dem  der  Göttin,  die  den  Multiplikator  „Eins"  repräsentirt,  zu  unter- 
scheiden. Andere  Bilder  derselben  Gottheit  findet  man  bei  der  Hieroglyphe 
Achtzehn. 

Hieroglyphe  Neun  (Abb.  142—154). 


Hieroglyphe  Neun. 

Abb.  142,  143.    Falenque,  Palast-Treppe  B,  1,  2. 

144,  145.    Copan,  Stele  P,  1,  2. 

14(J.  Copan,  Stele  D,  1. 

147.  Palenque,  Inschriften-Tempel,  Ostflügel  S,  (5 

148.  Quiriguci,  Stele  F,  Ostseite  1. 

149.  „         Kröte  G,  1. 

150.  „         Stele  J,  1. 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quirigua. 


821 


Der  Multiplikator  Neun  wird  anscheinend  durch  zwei  ganz  verschiedene 
Gestalten  zur  Anschauung  gebracht.  Einmal  haben  wir  ein  Gesicht 
(Abb.  142 — 150),  dessen  untere  Hälfte  Jaguarflecken  und  Haare  zeigt, 
also  mit  Jaguarfell  überzogen  gedacht  ist.  In  Abb.  150  kommt  dazu 
ein  Vogelkopf  als  Helm-Maske.  Das  andere  Mal  (Abb.  151  bis  153) 
haben  wir  ein  (lesicht,  dessen  Schnitt  an  den  des  Gottes  mit  dem 
Kau -Zeichen    erinnert,     dessen    besondere    Merkmale     ein    den     unteren 


Abb.  151.    Hieroglyphe  Neun, 
Kröte  B  von  Quirigua,  1. 


Abb.  152.    Hieroglyphe  Neun, 
Quingud,  Stele  D,  Ostseite  1, 


Abb.  153.    Hieroglyphe  Neun, 
Qiiirii/ud,  Stele  D,  Westseite  1. 


Abb.  154.   Hieroglyphe  Neun  (?), 
Copan,  Stele  E,  1. 


Theil  des  Gesichts  umrahmender,  in  eine  Quaste  endender  bartartiger 
Anhang  und  ein  S-förmig  gekrümmtes  Gebilde  vor  dem  Munde  zu  sein 
scheinen. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dass  auch  das  Zeichen  Abb.  154,  das  auf  der 
Stele  E  von  Copan,  an  der  ersten  Stelle  der  Initial  Series,  mit  der  Hiero- 
glyphe des  Zyklus  verbunden  vorkommt,  die  Hieroglyphe  Neun  bezeichnet. 
Denn  wir  haben  ja  auf  den  Monumenten  von  Copan  und  Quirigua  gesehen, 
dass  von  den  Zyklen  immer  neun  gezählt  werden.  Die  Sache  lässt  sich 
aber  nicht  mit  Bestimmtheit  entscheiden,  weil  auf  dieser  Stele  der  untere 
Theil  der  Initial  Series  zerstört  ist. 


Hieroglyphe  Zehn  (Abb.  155—160). 

Diese  Zahl  wird,  wie  ich  in  meiner  vorigen  Abhandlung  näher  aus- 
geführt habe,  durch  das  Bild  des  Todesgottes  zur  Anschauung  gebracht. 
Abb.  155,  156,   157  und  vielleicht  auch  159  zeigen  einen  Schädel,  Abb,  158 


8-2t? 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 


uud  160  ein  Gesicht  mit  Todessyrabolen  (dem  Zeichen  cimi  „Tod"). 
üeber  den  Zusammenhang  der  letzteren  Figur  mit  einer  der  Gestalten 
der  Hieroglyphe  Null  liabe  ich  oben  (S.  806  und  807)  ausführlich  ge- 
sprochen. 


Hieroglyphe  Zehn. 
Abb.  155.    CopcDK  Stele  I,  29. 
„     156.         ,  .      I,  24. 

„     157.        „        Hieroglyphentreppe. 
„     158.    Quin'ff^ud,  Stele  F,  Ustseite  3. 
„     159.    Copa»,  Stele  D,  6. 


Abb.  160.   Hieroglyphe  Zehn. 
Quirigud,  Kröte  B,  3. 


Hieroglyphe  Eilf. 

Für  diese  Zahl  habe  ich  auf  den  mir  bislang  bekannt  gewordenen 
Monumenten  noch  keine  Hieroglyphe  gefimden. 

Hieroglyphe  Zwölf  (Abb.  161,  16-2). 

Auch  diese  Hieroglyphe  kommt  selten  vor.  Nur  auf  der  Westseite  der 
Stele  F  von  Quirigua  (Abb.  161)  uud  als  Ziffer  des  Ahau-Datums  auf  der 
Kröte  B  von  Quirigua  (Abb.  162)  habe  ich  sie  bisher  gefunden.  Das 
Gesicht    ist    selir    ähnlich    dem    Frauenkopf,    der    die    Hieroglyphe    Eins 


Abb.  161.    Hieroglyphe  Zwölf. 
Quirigud,  Stele  F,  Westseite  t". 


Abb.  162.     Hieroglyphe  Zwölf. 
Quirigud,  Kröte  B,  6. 


repräsentirt.  In  beiden  mir  bekannt  gewordeneu  Fällen  scheint  es  aber 
deutlich,  dass  ein  Totenknochen  am  unteren  Theil  des  Gesichtes  nicht 
vorhanden  ist.  Die  durch  Kombination  mit  der  Hieroglyphe  Zehn  (dem 
Totenknochen)  gebildeten  Zahl -Hieroglyphen  beginnen  erst  nach  der 
Dreizehn. 


22.    Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


823 


Hieroglyphe  Dreizehn  (Abb.  163—169). 
Der  Multiplikator  Dreizehn  wird  durch  einen  phantastischen  Yogel- 
kopf  zur  Anschauung  gebracht,  der  in  der  Zeichnung  auffällig  an  die 
Vogelkö])fe  erinnert,  die,  mit  gewissen  diakritischen  Abzeichen  versehen, 
zur  Bezeichnung  der  höheren  Multiplikanden,  der  Tun,  der  Katun  und  der 
Zyklen,  verwendet  werden.  Besondere  Merkmale  sind  ein  seitlich  heraus- 
hangender, gekrümmter  Hauzahn  und  eine  Art  Spiegel  über  der  Stirn, 
der    in    Abb.  J66,   167    mit    einem  Band    auf   der  Stirn    festgebunden   ist, 


Hieroglyphe  Dreizehn.  Abb.  169.     Hieroglyphe  Dreizehn. 

Abb.  163.  Falenquf,  Sonnentempel  A,  8.  Quirigud,  Stele  D,  Westseite  3. 

„  164.  Qnh-igud,  Stele  F,  Westseite  3. 

„  165.  Copan,  Stele  E,  3. 

„  166.  Palenque,  Palasttreppe  A,  3. 

„  167.  „  „  B,  4. 

,.  168.  CojHin,  Stele  P,  3. 

in  Abb.  163  aber  die  Elemente  des  Zeichens  chuen  aufzuweisen  scheint. 
In  Abb.  169  ist  dieser  phantastische  Vogelkopf  mit  einer  Art  Schlangen - 
leib  verbunden,  dem  Blumen  und  Federbüschel  zu  entsprossen  scheinen. 
Die  Abb.  16.j  und  168  habe  ich  nur  unter  Vorbehalt  mit  aufgeführt.  Denn 
auf  der  Stele  E  von  Copan,  von  der  die  Abb.  165  genommen  ist,  ist  die 
Initial  Series  unvollständig.  Die  Bestimmung  der  Multiplikatoren  kann 
also  hier  nicht  durch  die  Rechnung  kontrollirt  werden.  Und  auch  auf  der 
Stele  P  von  Copan,  der  die  Abb.  168  entnommen  ist,  ist  die  Lesung  der 
Initial  Series  ebenfalls  etwas  unsicher. 

Hieroglyphe  Vierzehn  (Abb.  170). 
Diese  Hieroglyphe  habe  ich  nur  einmal,   auf  der  ^^^ 

Westseite  der  Stele  F  von  Quiriguä,  getroffen.  Mit 
dieser  Hieroglyphe  beginnt  die  Reihe  der  kombinirten 
Zeichen.  Sie  zeigt  das  Gesicht  des  Sonnengottes,  der 
die  Zahl  Vier  darstellt,  aber  versehen  mit  einem  Toten- 
knochen am  Unterkiefer,    der.    als  pars   pro   toto,    für  ^^^-  ^'^;   Hieroglyphe 

\  lerzehn.  IJiornjiui, 
einen  Schädel   oder  den  Todesgott,   d.  h.  für   die  Zahl     g(.gjg  p   Westseite  2. 

Zehn,  steht.  Wir  haben  also  in  dem  Bilde  dieser  Hiero- 
glyphe gewissermassen  die  Summe  4  -h  10,  das  ist  Vierzehn. 


824 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Hieroglyphe  Fünfzehn  (Abb.  171—173). 

Auch  diese  Hieroglyphe  ist  deutlich  die  Hieroglyphe  Fünf  (vgl.  oben 
Abb.  123 — 129).  aber  mit  dem  diakritischen  Zeichen  des  Toteuknochens 
am  Unterkiefer  versehen,    wodurch  der  Zahlwerth    um   Zehn   erhöht  veird. 


Hieroglyphe  Fünfzehn. 
Abb.  171.     Qiiin'fjiifl,  Kröte  G,  3. 
^      172.     Copan,  Stele  D,  2. 


Abb.  173.    Hieroglyphe  Fünfzehn. 
Quiriguä,  Stele  D,  Ostseite  3. 


Eine  besondere  Form  ist  die  Abb.  173  an  der  Ostseite  der  Stele  D  von 
Quiriguä.  bei  der  statt  des  einfachen  Zeichens  tun  ein  Yogelkopf  mit  dem 
Zeichen  tun  auf  dem  Scheitel  über  dem  Kopfe  der  Figur,  gewisserraassen 
als  Helmmaske,  augebracht  ist. 

Hieroglyphe  Sechzehn  (Abb.  174—180). 

An  dieser  Hieroglyphe  hatten  wir  zuerst  das  Gesetz  der  Bildung  der 
kombiuirten  Zahlhieroglyphen  mittels  des  diakritischen  Zeichens  des  Toten- 


Hieroglyphe  Sechzehn. 
Abb.  174.     Palenque,  Inschriften-Tempel,  Mitte,  I  1. 
„      175.  „  „  Ostflügel,  T  6. 

„      176.     Quirigiia,  Stele  F,  Ostseite  2. 
.      177.  „  „      I  3. 

„     178.     Dresdener  Handschrift,  61. 

knochens  am  Unterkiefer  erkannt.  Man  sieht  iu  der  That  ohne  Schwierig- 
keit, dass  hier  dasselbe  Gesicht  gezeichnet  ist,  das  ohne  dieses  diakritische 
Zeichen  des  Todtenknochens  der  Repräsentant  des  Multiplikators  Sechs 
ist.     Es  ist  interessant,  dass  wir  diese  Hieroglyphe  auch  iu  der  Dresdener 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


8-25 


Handschrift,  Blatt  61  und  (iO,  in  den  Hieroglypliensäulen,  die  vor  den 
Schlangenzahlen  stehen,  finden  (vgl.  Abb.  178).  Abweichende  und  des 
wesentlichsten  Kennzeichens,  des  Windkreuzes  im  Auge,  entbehrende 
Formen  stellen  die  Abb.  17*,)  — 180  dar.  Wir  haben  aber  oben  gesehen 
(vgl.  S.  810,  811),  dass  aus  der  Rechnung  sich  in  der  That  der  Werth 
Sechzehn  für  diese  Figuren  ergibt. 


Abb.  17y. 

Hieroglyphe  Sechzehn. 

Quirigmi,  Stele  D,  Westseite  2. 


"-^ 


Abb.  ISO. 

Hieroglyphe  Sechzehn. 

Quiriguä,  Stele  D,  Ostseite  2. 


Hieroglyphe  Siebzehn  (Abb.  181  —  184). 

Eine  einzige  Figur  hatten  wir  auf  den  Monumenten  gefunden,  die  die 
Zahl  Sieben  als  Multiplikator  zur  Anschauung  bringt.  Es  war  das  aber 
eine  wohlcharakterisirte  Gestalt,  die  wir  in  einer  grossen,  eine  ganze 
Stelenseite  einnehmenden  Figur  wiedererkennen  konnten.    Die  Hieroglyphe 


Hieroglyphe  Siebzehn. 
Abb.  181.     Quiriguä, 

Kröte  G,  2. 
Abb.  182.     Quiriguä, 
Stele  F,  Westseite  5. 


Abb.  183. 
Hieroglyphe  Siebzehn. 
Quiriguä,  Stele  D,  West- 
seite 5. 


Abb.  184 

Hieroglyphe  Siebzehn. 

Quiriguä,  Kröte  B,  2. 


der  Zahl  Siebzehn  nmss  das  Gesicht  derselben  Gottheit  enthalten,  nur  mit 
dem  akzessorischen  Merkmal  des  Totenknochens  am  Unterkiefer.  Diese 
Erwartung  erfüllen  in  der  That  die  Abb.  183.  184,  die  der  Stele  D  und 
der  Kröte  B  von  Quiriguä  entnommen  sind.  Dagegen  genügen  die  Hiero- 
glyphen Abb.  181,  182,  die  in  den  Initial  Series  der  Kröte  G  und  der 
Westseite  der  Stele  F  von  Quiriguä  vorkommen,  dieser  Bedingung  kaum. 


826 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entziffernng. 


Das  kommt  aber  bei  der  ersten  Hieroglyphe,  der  Abb.  181,  mir  daher, 
dass  dort  der  mitere  Tlieil  des  Gesichtes  zerstört  ist.  Bei  der  Abb.  182 
dagegen  scheint  es  in  der  That,  dass  die  Hieroglyphe  charakterloser  ge- 
zeichnet war.  So  wie  sie  in  dem  Maudslay 'sehen  Werke  wiedergegeben 
ist,  könnte  man  sie  eben  so  gut  als  Multiplikator  Vierzehn  lesen.  Es  ist 
indes  möglich,  dass  auch  hier  eine  kennzeichnende  Eigenthümlichkeit  durch 
Verwitterung  oder  Beschädigung  verschwunden  ist.  Denn  die  ganze  West- 
seite der  Stele  F,  oder  wenigstens  die  Initial  Series,  befindet  sich  in 
einem  etwas  beschädigten  Zustand. 


Hieroglyphe  Achtzehn  (Abb.  185—188). 

Auch  in  dieser  Hieroglyphe  erkennt  man  leicht  die  des  betreffenden 
Einers  (Acht)  und  das  akzessorische  Merkmal  des  Toteuknochens,  der  den 
Zahlwerth  um  zehn  erhöht. 


Hieroglyphe  Achtzehn. 

Abb,  185.     Palenque,  Kreuztempel  II,  A  4. 

„      186.  „         Sonnentempel  A  4. 

,      187.  „         Kreuztempel  I,  A  9. 

„      188.     Copan,  Stele  C,  6. 

Hieroglyphe  Neunzehn  (Abb.  189—191). 

Abb.  189,    die    als   Ordinalzahl   des   Uinal  pop  auf  dem  Ostflügel  des 
Palastes  A  in  Palenque  vorkommt,  entspricht  genau  gewissen  Formen  der 

Hieroglyphe  Neun  (oben  Abb.  147). 
Abb.  19U  vom  Kreuztempel  I  von 
Palenque  muss  ihren  Kennzeichen 
nach  auch  eine  Form  der  Hiero- 
glyphe Neunzehn  sein,  obwohl  der 
Zahlwerth  hier  durch  die  Rechnung 
noch  nicht  sicher  festgestellt  werden 
konnte. 


Hieroglyphe  Neunzehn. 
Abb.  189.     Palenque,  Palast  A,  Ostflügel. 
„     190.  „         Kreuztempel  I,  A  4. 


HierogljT>he  Zwanzig  (Abb.  191—193). 

Aus  den  Handschriften  sind  schon  längst  die  Formen  bekannt,  die  ich 
in  Abb.  191  zusammengestellt  habe.  Sie  werden  dort  in  der  Hauptsache 
verwendet,  wo  den  Werth  19  übersteigende  Differenzen  zwischen  zwei 
Tagesdaten  anzugeben  sind.  Auf  den  Monumenten  kommt  das  Zeichen 
tun  als  Ordinalzahl  von  Uiualdaten  vor,  und  zwar  an  einer  Stelle  wenigstens, 
wo  die  Rechnung  mit  Bestimmtheit  dafür  den  Werth  zwanzig  zu  ergeben 


22.    Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä. 


827 


scheint,  das  ist  in  der  9.  Zeile  der  Kolumne  D  der  Altarplatte  des  Kreuz- 
tempels I  von  Palenquo  (Abb.  192).  Der  Uinal  ist  mol,  und  das  Tages- 
datum 13.  ik.  Yorker  steht  in  denselben  Kolumnen  C,  I)  das  Normal- 
Anfangsdatum  4.  ahau,  8.  cumku  und  ihm  folgend  die  Zahlen  (2x1)  - 
(9  X  20)  ^  ( 1  X  360),  das  ist  542.  Und  das  ist  in  der  That  der  Abstand 
des  Tages  13.  ik^  20.  mol  von  dem  Anfangs-  und  Normaldatum  4.  ahau^ 
8.  cumku.     Es  folgt  auf  das  Datum,  dessen  üinalzahl  die  Abb.  192  ist,  am 


Cool  "Ort^oit^^  Ho-  a  C 


•  ••• 


Wk 


..  s^'//n 


[«^ö^i 


Abb.  191.     Hieroglyphe  Zwanzig  (gewöhnliche  Form  der  Handschriften). 

Anfang  der  folgenden  Kolumnen  E,  F  das  Datum  9.  ik,  15.  ceh.     Zwischen 
beiden  .stehen  die  Zahlen: 

OX  1 
12  X  20 
3  X  360 
18  X  20  X  360 
1  X  20  X  20  X  360 

Das  sind  274  920  Tage,  und  das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages 
9.  ik,  15.  ceh  von  dem  Tage  13.  ik,  20.  mol.  Damit  scheint  bewiesen,  dass 
das    Zeichen    Abb.  192    den  Werth  20    hat.     Und    ist    dies    der    Fall,    so 


828  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

werden  wir  auch  dem  Tun-Zeicheu  Abb.  li)3.  das  auf  einem  der  Pfeiler 
des  VVestflügels  des  Palastes  C  von  Palenque  als  Ordinalzahl  des  Uinal 
(/(uvkin  und  mit  dem  Tage  IS.  maiiik  verbunden  vorkommt,  denselben 
"^Verth  20  zuschreiben  müssen,  obwohl  ein  Beweis  dafür  durch  die  Rechnung 
dort  nicht  zu  führen  ist. 

Ein  Vergleich  der  von  mir  gefundenen  Werthe  für  die  Multiplikatoren- 
Hieroglyphen  mit  denen,  die  in  Goodman's,  in  meiner  vorigen  Abhandlung 
näher  besjirochenem  Werke  enthalten  sind,  wird  erkennen  lassen,  dass  in 
den  Hauptzügen  unsere  beiden  Listen  übereinstimmen.  Nur  sind  bei 
Goodman  die  Null  und  die  Zwanzig  konfundirt.  Unter  der  Sieben  hat 
er  ganz  hypothetische,  durch  keine  Initial  Series  gewährleistete  Formen. 
Ebenso  unter  der  Elf.  Die  sämmtlichen  bei  ihm  unter  der  Zwölf  an- 
geführten Formen  sind  mit  einer  einzigen  Ausnahme  falsch,  und  deshalb 
sicher  auch  die  Hieroglyphe,  die  er  für  die  Zwei  annimmt.  Auch  zwei 
von  den  drei  Hieroglyphen,  die  er  bei  der  Siebzehn  aufgenommen  hat, 
sincl  zweifellos  falsch,  und  ebenso  zwei  oder  drei  der  bei  der  Dreizehn 
genannten  Formen.  Ausserdem  hat  er  die  Initial  Series  der  Palasttreppe 
von  Palenque  falsch  gelesen  und  danach  die  Multiplikatoren  dieses  Monu- 

Hieroglyphe  Zwanzig. 
Abb.  192.     Palenque,  Kreuztempel  I,  D  9. 
,      193.  .         Palast  C,  Westflägel. 


ments  in  ganz  irriger  "Weise  vertheilt.  Aber  immerhin  gebührt  ihm  das 
Verdienst,  als  erster  die  Bedeutung  dieser  Hieroglyphen  erkannt  und  eine 
Anzahl  von  ihnen  auch  ganz  richtig  bestimmt  zu  haben,  wie  er  auch  schon 
vor  mir  die  Bedeutung  des  Totenknochens  in  den  Zahl-Hieroglyphen  erkannte. 
Es  bleibt  mir  nun  noch  die  Aufgabe,  die  in  dem  neuen  Hefte  der 
Maudslay"schen  Publikationen  abgebildeten  Monumente  unter  die  übrigen 
einzureihen.  Nach  dem,  was  ich  auf  den  obigen  Seiten  feststellen  konnte, 
ist  jetzt  für  die  sämmtlichen  bisher  bekannt  gewordenen  und  beschriebenen 
Monumente  von  Quiriguä  das  Enddatum  der  Initial  Series  bestimmt.  Trägt 
man  diese  Daten  in  die  Tabelle  der  Tww -Variationen  des  10.  Zyklus  ein, 
die  ich  in  meiner  früheren  Arbeit  gegeben  habe  und  die  ich  hier  noch 
einmal  reproduzire  (s.  S.  830,  831).  so  sieht  mau.  dass  von  den  Monumenten 
von  Quiriguä  sieben,  eine  lückenlose  Reihe  bildend,  immer  die  Anfangs- 
tage einander  folgender  Katun -Viertel  bezeichnen.     Es  sind: 

Stele  J,  Datum    8.  ahau,  8.  zo'tz,  Aufangstag  des  zweiten  Viertels  des  17,  Katun 


■)■: 

P, 

55 

1. 

5» 

3.  zip, 

55 

55 

dritten 

,, 

17. 

55 

D5 

„ 

7. 

,, 

18.  pop, 

55 

5» 

vierten 

17, 

55 

E, 

55 

13. 

18.  cionku. 

55 

ersten 

18. 

55 

A, 

55 

6. 

„ 

13.  kai/ab, 

55 

55 

zweiten 

18. 

röt 

eB, 

55 

12. 

„ 

8.  pax, 

55 

55 

dritten 

18. 

55 

G, 

55 

5. 

5) 

3.  )»0(n), 

55 

55 

vierten 

18. 

22.    Einio[es  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä.  829 

Ein  Monument  von  Quirigmi  fällt  weit  vor  diese  Reihe.  Es  ist  die 
Stele  C,  die  auf  der  Ostseite  das  Normal-Datum,  auf  der  Westseite  das 
Datum  6.  ahau^  13.  ija.ckin^  den  Anfaugstag  des  zweiten  Katuu's  desselben 
zehnten  Zyklus,  trägt.  Ein  anderes  Datum,  das  des  „Euano"  (Zwergs), 
der  Stele  K,  fällt  genau  vier  Katun- Viertel  hinter  diese  Reihe. 

Noch  sind  nicht  alle  Monumente  von -(^uirigua  beschrieben  worden. 
Aber  ich  glaube,  wir  können  zuversichtlich  erwarten,  dass  die  fehlenden 
sich  an  die  obige  Reihe  in  der  einen  oder  der  anderen  Richtung  anschliessen 
werden 

Daneben  sind  auf  den  Monumenten  von  (Quiriguä  noch  zwei  caban- 
Daten  angegeben.  Das  eine  fällt  1^4  tun  vor  das  Haupt-Datum  der 
anderen  Stelenseite.  Das  andere  dagegen  liegt  über  drei  ganze  Katun  vor 
dem  Ahau-Datum  der  anderen  Seite.  Ueber  ihre  eigentliche  Bedeutung 
habe  ich  mir  noch  keine  feste  Meinung  gebildet.  Es  ist  gewiss  auffällig, 
dass  in  diesen  beiden  Fällen  das  zweite  Datum  des  Monuments  ein  Caban- 
Datnm  ist,  und  dass  es  in  beiden  Fällen  auf  die  Westseite  der  Stele  fällt. 
Wir  haben  gesehen,  dass  das  Zeichen  caban  gewissermassen  eine  Abbreviatur 
des  Maya-Weiberkopfs  ist.  Es  ist  wohl  möglich,  dass  durch  dieses  ganze 
Datum  nur  die  weibliche  Ergänzung  der  Gottheit,  der  die  Hauptperiode 
des  Monuments  geweiht  ist,  dargestellt  werden  sollte. 

Von  den  Monumenten  von  Copan  fallen  zwei  mit  den  Anfangsgliedern 
der  obigen  Quiriguä-Reihe  zusammen,  zwei  andere  haben  Daten,  die  4 
bezw.  5  Katun-Viertel  früher  fallen,  andere  solche,  die  noch  weiter  zurück- 
liegen. Daneben  aber  begegnen  uns  gerade  unter  den  Monumenten  von 
Copan  mehrere,  deren  Daten  nicht  auf  den  Anfang  eines  Katun-Viertels, 
sondern  auf  den  Anfang  eines  anderen  Tun's,  oder  in  den  Zeitraum  eines 
solchen  hineinfallen. 

Die  Monumente  von  Palen que  sind,  wie  ich  in  meiner  vorigen  Ab- 
handlung auseinandergesetzt  habe,  zweifelhaft  in  ihrer  Datirung.  Nur  die 
Initial  Series  der  Palast-Treppe  enthält,  wie  es  scheint,  eine  wirkliche  Zeit. 
Sie  gehört  dem  neunten  Katun  des  zehnten  Zyklus  an,  fällt  aber  auch 
nicht  auf  einen  Katunviertel-Anfang. 

Von  anderen  Monumenten  möchte  ich  noch  das  Hieroglyphenband  von 
Menche  Tinamit  erwähnen,  das  Maudslay  nach  Europa  gebracht  hat  und 
das  nachträglich  von  ihm  dem  Königl.  Museum  f.  Völkerkunde  zu  Berlin 
als  Geschenk  überwiesen  worden  ist.  Es  trägt  das  Datum  7.  imiv,  19.  wo, 
und  die  Initial  Series  ist  9—15—6 — 13 — 1  zu  lesen.  Es  fällt  also  in  den 
IG.  Katun,  denselben,  dem  die  Stelen  B  und  D  von  Copan  angehören. 

An  der  Grenze  von  Chiapas  und  Guatemala,  zwischen  Tepancuapam 
und  Chaculä,  habe  ich  zwei  Bruchstücke  von  Stelen  gefunden  und  mit 
nach  Europa  gebracht,  die  mit  allerdings  etwas  roheren  Hieroglyphen 
bedeckt  sind  und  ebenfalls  eine  Initial  Series  aufweisen.  Ihre  Daten  fallen 
aber  etwas  später,    in   den  dritten  Katun  des  elften  Zyklus.     Abbildungen 


830 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


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22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä.  831 


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83-2 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


von  ihnen  habe  ich  in  meiner  Beschreibung  der  Alterthümer  von  Chacuhi 
gegeben^).  Von  ihnen  stammt  das  besondere  Zeichen  für  die  Null,  das  ich 
oben  in  Abb.  89  wiedergegeben  habe. 

Endlich  möchte  ich  noch  die  schöne  Nephrit-Phitte  des  l^eidener 
Museums  erwähnen,  die  von  dem  niederländischen  Ingenieur  van  Braam, 
zusammen  mit  einigen  anderen  Nephrit-  und  Stein-Cregenständen  und  einer 
Bronze-Schelle,  bei  Kanalarbeiten  ^am  Bio  Gracioza  (?)  in  der  Nähe  von 
San  Filippo  (?)  an  der  Urenze  von  Britisch-Honduras  und  Guatemala"  ge- 
funden worden  und  von  Leemans  in  dem  Compte  rendu  des  in  Luxem- 
burg tagenden  zweiten  internationalen  Amerikanisten-Kongresses  abgebildet 
und  beschrieben  worden  ist.  Die  Platte  ist  auf  beiden  Seiten  mit  ein- 
geritzten Figuren  bedeckt.  Das  harte  Material  hat  dem  Zeichner  augen- 
scheinlich Schwierigkeiten  gemacht.  Die  Umrisse  sind  etwas  schief  und 
eckig,  nicht  ganz  von  der  Eleganz,  die  wir  an  den  Skulpturen  von  Copan 

und  Quirigua  zu  sehen  gewohnt 
sind.  Aber  im  üebrigeu  erinnert 
die  Zeichnung  durchaus  an  den 
Stil  dieser  Monumente.  Auf  der 
einen  Seite  sehen  wir  eine  Figur  in 
reicher  Tracht,  mit  phantastischem 
Kopf -Aufputz,  der  augenscheinlich 
einen  Schlangen-Rachen  darstellt, 
aus  dessen  OefFnung  das  Gesicht 
heraussieht.  Die  beiden  Hände 
sind  an  die  Brust  gelegt,  und  auf 
den  Armen,  der  Brust  angedrückt, 
liegt  die  Abb.  194,  die,  wie  man 
sieht,  eine  doppelköpfige  Schlange  vorstellt,  aus  deren  geöffnetem  Rachen 
vorn  und  hinten  je  eine  menschliche  Figur  hervorsieht:  —  vorn  die  Wasser- 
Gottheit  Ah  höhn  tz'acah,  hinten  jedenfalls  eine  Gottheit  gegensätzlicher 
Natur.  Auf  der  anderen  Seite  der  Platte  dagegen  findet  man  die  Hiero- 
glyphen-Säule, die  ich  in  Abb.  195  wiedergegeben  habe.  Man  sieht,  dass 
es  in  der  Hauptsache  eine  Initial  Series  ist,  mit  dem  Katun-Zeichen  an 
der  Spitze,  fünf  darauf  folgenden  Gruppen  von  Zahl-Ausdrücken  und  au 
sechster  Stelle  mit  dem  Datum  1.  eb  endend,  dem  dann  noch  zwei  paar- 
weise gestellte  Hieroglyphen-Gruppen  folgen.  Die  Multiplikanden  der 
Initial  Series  sind  alle  deutlich  zu  erkennen.  Nm-  sind  die  Hieroglyphen 
des  Zyklus  und  des  Katun's  miteinander  vertauscht,  denn  an  zweiter  Stelle 
unter    dem    Katun-Zeichen    steht    der  Yogelkopf   mit    der   Zeichnung    der 


Abb.  194.    Loppelköpfige  Schlange. 
Nephrit-Platte  des  Leidener  Museums. 


1)  Sei  er.  Die  alten  Ansiedelungen  von  Chaculä  im  Distrikte  Nenton  des 
Departements  Huehuetenango  der  Republik  Guatemala.  Berlin  (Dietrich  Reimer) 
1901,  S.  17,  Abb.  5,  6. 


22,    Eiuiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  yniriguä. 


83» 


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Hand  am  Unterschnabel,  der  eigentlich  Hieroglyphe  für  Zyklns  ist  und  an 
erster  Stelle  stehen  müsste.     Und  dort  wiederum  steht  der  Yogelkopf  mit 
dem  Federbart,    der    die  Hieroglyphe  des  Katurb%  ist  und    daher    erst    an 
zweiter  Stelle  folgen  dürfte.     Es  hat  eben   hier 
eine    direkte    Verwechslung    der    Hieroglyphen 
stattgefunden.     Interessant  ist  die  an  der  dritten 
Stelle  unter  dem  Katun-Zeichen  stehende  Hiero- 
glyphe,     die     die      Tun,     die     Perioden     von 
360  Tagen,    bezeichnet.     Der   Yogelkopf  ist  in 
der  bekannten  Art  gezeichnet,  mit  lang  heraus- 
ragendem   gekrümmtem    Hauzahn.       Das    dia- 
kritische Zeichen  des  Toten-Knochens  am  Unter- 
schnabel fehlt.     Dagegen  fügt  sich  an  den  Kopf, 
wie  es   scheint,    ein  Schlangenleib,    so   dass   die 
ganze  Hieroglyphe  in  der  auffälligsten  Weise  an 
die  Figur  erinnert,  die  wir  auf  der  Westseite  der 
Stele  D  von  Quirigua  als  Hieroglyphe  des  Multi- 
plikators Dreizehn  gefunden  haben    (vgl.  oben 
S.  808  und  823  Abb.  67  und  169).  In  der  an  vierter 
Stelle  unter  dem  Katun-Zeichen  folgenden  Hiero- 
glyphe   erkennt  man    unschwer    das    eidechseu- 
artige  Thier  mit  dem  gekrümmten  Hauzahn,  das 
wir  als  Hieroglyphe  des  UinaVa,  des  Zeitraumes 
von  20  Tagen,  kennen  gelernt  haben.     Auf  den 
Altar-Platten  von  Palenque,   aber  auch  auf  den 
anderen    Monumenten,     finden    wir     den    Kopf 
dieses    Thieres    von    einem    Band    umschlungen 
(vgl.    oben    S.  733,    Abb.  82,    88,    i33,    94,    98, 
und    S.  797,    Abb.  34).       Dasselbe    sehen    wir 
auch    hier    bei   dem  Thier  der  vierten    auf   das 
Katun-Zeichen    folgenden  Gruppe.     Die  Hiero- 
glyphe,   die  an  fünfter  Stelle  nach   dem  Katun- 
Zeichen     steht,     muss     die     Einzel-Tage     {kin) 
bezeichnen.     Diese  scheint,  merkwürdigerweise, 
den  Kopf  eines  Affen  wiederzugeben,  eine  Dar- 
stellung,    die     ich     auf    anderen     Denkmälern 
bisher  noch  nicht  angetroffen  habe.    An  sechster 
Stelle    endlich    steht    der  Tag    1.  eb.      Man   er- 
kennt   die  Hieroglyphe    ohne  Weiteres    an    der 

durch  Strichelung  eingefassten  Zeichnung  in  der  rechten  oberen  Ecke. 
In  der  Form,  die  Landa  und  die  Handschriften  diesem  Zeichen  geben, 
ist  diese  durch  Strichelung  begrenzte  Zeichnung  an  einem  Gesichte  ange- 
bracht,   das  nur  in   ganz  vager,    wenn   auch  immerhin  kenntlicher  Weise, 

Seier,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  53 


Abb.  195. 

Hieroglyphen-Seite 

der  Nephrit-Platte 

des  Leidener  Museums. 


834 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


an  das  des  Todesgottes  ^)  erinnert  (vgl.  oben  S.  741,  Abb.  159,  160).  Auf 
den  Monumenten  ist  sie  (vgl.  oben  S.  742,  Abb.  161)  in  der  Schläfen-Gegend 
eines  Todten-Schädels  zu  sehen.  Auf  der  Nephrit-Platte  ist  aber  hier  der 
Todton-Schädel  nur  durch  einen  fleischlosen  Unterkiefer  markirt.  Und  es 
erinnert  nun  diese  Kombination  eines  fleischlosen  Unterkiefers  mit  der 
durch  Strichelung  eingefassten  Zeichnung  in  auffälligster  Weise  an  gewisse 
Formen  des  mexikanischen  Zeichens  malinalli  (vgl.  Abb.  196),  dem  das 
Maya-Tageszeichen  eb  ja  entspricht. 


Abb.  196.     Das  zwölfte  Tageszeichen  ^nalinalli. 
Nach  dem  Codex  Borgia,  Codex  Vaticanus  B,  Codex  Bologna. 

Die  Initial  Series  dieser  Platte  ist  demnach  so  zu  lesen: 

8  X  20  X  20  X  360 

14x20x360 

3  X  360 

IX    20 

12X      1 

1.  eb. 

Die  Summirung  ergibt  die  Zahl  1  253  912.  Das  sind  4822  Tonalamatl 
und  192  Tage,  oder  3435  Sonnenjahre  und  137  Tage.  Das  ist  der  Abstand 
des  Tages  1.  eb,  20.  ccul  von  dem  Anfangs-  und  Normal-Datum  4.  ahau, 
8.  cumku. 

Interessant  ist  hierbei  insbesondere  das  verhältnissmässig  hohe  Alter, 
das  sich  darnach  für  dieses  Stück  ergibt.  Es  gehört,  nach  dieser  Initial 
Series,  schon  dem  neunten  Zyklus  an  und  liegt  sechs  ganze  Katun  und 
über  sechzehn  Tun  (genauer  135  Jahre  und  13  Tage)  vor  dem  ältesten, 
durch  ein  Datum  bezeichneten  Monument,  der  Stele  C  von  Quirigua.    Und 


1)  Ich  habe,  eben  dieser  Unbestimmtheit  halber,  in  früheren  Mittheilungen  die 
Merkmale  des  Todesgottes  in  dem  Zeichen  eh  irriger  Weise  für  solche  eines  alten 
Gesichts  angesehen. 


22.   Einiges  mehr  über  die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä.  835 

zwischen  der  Leidener  Nephrit-Platte  und  dem  jüngsten  bisher  bekannt 
gewordenen  Monument,  dem  Stelen-Bruchstück  von  Sacchanä,  müssten  28 
ganze  Katun  und  7  Tmw,  das  sind  nahezu  560  Sonnenjahre,  verflossen  sein 
—  ein  ganz  respektabler  Zeitraum,  der  weit  über  die  Perioden  hinausgeht, 
mit  denen  wir  in  der  beglaubigten  mexikanischen  Geschichte  zu  rechnen 
im  Stande  sind. 

Freilich,  sollen  wir  Goodman  glauben,  der  die  Leidener  Platte  am 
Schlüsse  seines  Werkes  ebenfalls  behandelt,  so  würden  nicht  bloss  560, 
sondern  8383  Jahre  zwischen-  ihr  und  dem  von  ihm  als  jüngstes  angesetzten 
(^uiriguä-Monumente  verflossen  sein,  das  Stück  also  ein  absolutes  Alter 
von  10  731  Jahren  haben  und  so  das  älteste  bekannte  historische  Monument 
der  Welt  sein.  Goodman  liest  nämlich  die  Hieroglyphen-Gruppe,  die  am 
Schlüsse  der  Initial  Series  auf  das  Datum  1.  eh  folgt,  5.  sac,  d.  h.  er  meint, 
<lass  auf  der  Platte  ein  Tag  1.  eh  angegeben  sei,  der  der  fünfte  des  Uinal's 
zac  sei,  und  er  setzt  darnach  die  Leidener  Platte  in  die  54.  seiner  grossen, 
je  260  Katune  umfassenden  Aeren.  Sie  müsste  also  nicht  bloss  einen 
Zyklus,  sondern  eine  ganze  solche  Aera  und  einen  Zyklus,  also  14  ganze 
Zyklen  vor  der  Hauptreihe  der  Monumente  von  Quiriguä  liegen.  Richtig 
ist,  dass  in  der  auf  das  Datum  1.  eh  folgenden  Gruppe  eine  Fünf  erkennbar 
ist.  Aber  es  gehört  mehr  als  Intuition  dazu,  in  dem  Rest  der  Gruppe  die 
Formen  des  Zeichens  zac  zu  sehen.  Das  Element  kin  ist  in  der  Gruppe 
deutlich.  Aber  von  dem  Elemente  cauac^  das  den  Haupttheil  des  Zeichens 
zac  bildet,  ist  keine  Spur  vorhanden.  Wahrscheinlich  haben  wir  hier 
überhaupt  kein  Uinal-Zeichen  vor  uns.  Freilich  fehlt  nun  auf  dem  Mo- 
numente auch  das  Datum  20.  xul^  das,  wenn  wir  4.  ahau,  8.  cumku  als 
Anfang  setzen,  sich  aus  der  Rechnung  ergibt  —  es  sei  denn,  dass  wir 
etwa  die  zweite  Hieroglyphen-Gruppe  unter  dem  1.  eh  als  zwanzig,  die 
dritte  als  xul  zu  lesen  hätten,  was  immerhin  möglich  ist,  vorläufig  aber 
<loch  noch  zu  hypothetisch  erscheint.  Aber  wir  haben  auch  unter  den 
grossen  Monumenten  verschiedene  gefunden,  die  am  Ende  der  Initial 
Series  nur  den  Tag  und  nicht  das  Uinal-Datum  angeben,  wo  aber  doch 
verschiedene  Umstände  es  uns  glaublich  machten,  dass  auch  bei  ihnen  der 
Anfang  der  Zählung  das  Normal-Datum  4.  ahau,  8.  cumku  war.  Und  wir 
werden  das  Gleiche  auch  für  die  Nephrit-Platte  des  Leidener  Museums 
annehmen  dürfen.  Haben  wir  aber  darin  Recht,  so  sind  es  eben  doch 
nur  560  Jahre,  die  diese  Platte  älter  ist  als  die  jüngsten  Stelen,  die  Stelen- 
Bruchstücke  von  Sacchanä.  Die  gewaltigen  von  Goodman  angenommenen 
Zeiträume  sind  eitel  Phantasie. 

Was  überhaupt  das  absolute  Alter  dieser  Monumente  betrifft,  so  habe 
ich  schon  in  meiner  vorigen  Abhandlung  erwähnt,  dass,  so  sicher  die  innere 
Chronologie  der  Monumente  jetzt  erscheint,  es  leider  doch  bisher  nicht 
möglich  gewesen  ist,  sie  an  die  europäische  Zeitrechnung  anzuschliessen. 
Wir    sind    daher  immer  noch  ausser  Stande,    eine  absolute  Zeit  für  diese 

53* 


830  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung:. 

Monumente  anzugeben.  Immerhin  kann  man  eine  obere  Grenze  setzen. 
Die  Gegend,  der  die  Stelen-Bruchstücke  aus  Sacchanä  entstammen,  der 
Distrikt  Nenton  an  den  Grenzen  von  Guatcniahi  und  Chiapas,  war, 
das  wissen  wir,  in  den  letzten  christlichen  Jahrhunderten  menschenleer 
und  muss  es  schon  in  der  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  gewesen 
sein.  Denn  die  Truppen-Körper,  die  unter  Führung  des  Lic.  Pedro 
Ramirez  sich  im  Jahre  1559  in  Comitan  sammelten,  mussten  auf  ihrem 
Wege  nach  der  Laguna  del  Lacandon  diese  Gegenden  passiren.  Hätten 
sie  hier  eine  der  Fülle  der  Monumente  entsprechende  Bevölkerung  ge- 
funden, wir  hätten  davon  eine  Nachricht  haben  müssen.  Somit  muss  das 
älteste  Monument,  die  Nephrit-Platte  von  Rio  Gracioso,  mindestens  um 
560  Jahre  älter  als  der  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  sein,  also  spätestens 
aus  der  Mitte  des  10.  Jahrhunderts  stammen;  die  Hauptreihe  der  Monu- 
mente von  Quirigua  müsste  spätestens  Mitte  oder  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts fallen,  könnte  natürlich  aber  auch  beträchtlich  älter  sein.  Wie 
weit  wir  eventuell  berechtigt  wären  zurückzugehen,  dazu  fehlt  bislang 
jeglicher  Anhalt,  und  es  wäre  müssig,  da  eine  Schätzung  zu  versuchen. 
Vor  der  Hand  müssen  wir  uns  bescheiden  und  abwarten,  ob  vielleicht  in 
den  kommenden  Jahren  ein  glücklicher  Zufall  oder  weitere  Entdeckungen 
uns  einen  Schlüssel  in  die  Hand  geben.  — 


23.    Die  Cedrcla-Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel.  837 


23. 

Die  Cedrela-Holzplatten  von  Tikal  im  Museum 

zu  Basel. 

Zeitschrift  für  Ethnologie  XXXII.     (1900.)     S.  101—126. 


In  der  ersten  meiner  beiden  Mittheilungen  über  die  Monumente  von 
Copan  und  Quiriguä*)  habe  ich  (vgl.  oben  S.  749  —  751)  auch  die  Hiero- 
glyphen besprochen,  die  sich  auf  der  grossen  Cedrela- Holzplatte^)  von 
Tikal  befinden,  die  durch  den  im  Jahre  1878  in  San  Francisco  ver- 
storbenen Dr.  Bernouilli  in  das  Museum  zu  Basel  gekommen  ist.  Ich 
konnte  diese  Hieroglyphen  heranziehen,  da  durch  Charnay  von  dieser 
Platte  ein  vorzüglicher  Abguss  hergestellt  worden  ist,  von  dem  auch  im 
Königlichen  Museum  für  Völkerkunde  eine  Kopie  vorhanden  ist.  Ausser 
den  fünf  Holzstücken,  aus  denen  sich  diese  grosse  Platte  zusammensetzt, 
besitzt  das  Basler  Museum  aber  nocli  acht  andere,  aus  derselben  Lokalität 
stammende  Stücke,  die  in  ähnlicher  Weise  mit  in  kräftigem  Relief  aus- 
geführten Figuren  und  Hieroglyphen  bedeckt  sind,  die  sich  aber  nicht 
zu  einer  zusammenhangenden  Darstellung  aneinanderfügen  lassen.  Diese 
letzteren  sind  bisher  nur  durch  die  Photographien  bekannt  geworden,  die 
de  Rosny  im  Jahre  1881  aufgenommen  und  in  dem  Bericht  über  seine 
Studienreise*)  veröffentlicht  hat.  So  schön  diese  Aufnahmen  sind,  sind 
sie  doch  zu  klein,  um  die  Einzelheiten  in  den  Hierogly])hen  zu  studiren. 
Es  war  mir  daher  erst  durch  ein  Paar  in  grösserem  Massstabe  aufge- 
nommene Photographien,  die  Herr  Dr.  Fritz  Sarrasin  die  grosse  Liebens- 
würdigkeit hatte  für  mich  anzufertigen,  möglich,  die  Hieroglyphen-Reihen 
auch  dieser  anderen  Tikal-Bruchstücke  einer  Analyse  zu  unterwerfen. 


1)  Zeitschrift  für  Ethnologie,  XXXI  (1899),  S.  (670)  — (738).    Oben  S.  706—791. 

2)  In  meiner  Abhandlung  habe  ich,  der  üblichen  Bezeichnung  folgend,  „Ceder- 
Holzplatte"  für  „Cedrela-Holzplatte"  gesagt.  Auch  die  letztere  Bezeichnung,  die 
ich  indes  beibehalten  zu  müssen  glaubte,  beruht  auf  einer  etwas  zweifelhaften 
Bestimmung  des  Holzes  durch  einen  Basler  Naturforscher,  auf  die  de  Rosny  in 
seiner  Mittheilung  über  diese  Hieroglyphen-Platten  (Memoires  de  la  Societe  d'Ethno- 
graphie,  Nr.  3,  p.  97,  Anm.)  Bezug  nimmt. 

3)  „Les  Documents  ecrits  de  l'Antiquite  Americaine''  (Memoires  de  la  Societe 
d'Ethnographie,  Nr.  3,  Paris  1882). 


838 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififernng'. 


Die  Schnitzereien  auf  diesen  Holzplatten  gehören  zu  dem  Vollendetsten, 
was  die  Maya- Kunst  geschaffen  hat.  Die  grosse  Platte  zeigt  unten  einen 
in  drei  Stufen  aufsteigenden  Bau.  eine  richtige  Stufen-Pyramide,  die  links 
und  rechts  durch  eine  auf  der  Unterlage  festgebundene,  im  Querschnitt 
sichtbare  Stange  begrenzt  ist.  Diese  Stangen  deuten  vielleicht  an,  dass 
der  ganze  Treppenbau.  mit  allem  was  darauf  ist,  tragbar  sein,  in  Prozession 
vom  Tempel  oder  zum  Tempel  oder  durch  die  Strassen  des  Orts  getragen 
werden  sollte.  AVährend  die  unterste  und  die  zweite  Stufe  frei  nach  aussen 
vorspringen,  reicht  bis  an  den  äusseren  Raml  der  dritten  Stufe  ein  Relief, 
das  die  Vorderseite  des  Treppenaufbaus  in  seiner  ganzen  Höhe  bedeckt, 
leider  aber  nur  an  der  einen  Seite  einigermassen  erhalten  ist.  Die  Seiten- 
theile  dieses  Reliefs  bilden  zwei  übereinander  angebrachte,  nach  aussen  ge- 
richtete phantastische  Thierrachen,  oder  vielmehr  nur  die  Oberkiefer  von 
solchen,  die  an  der  rechten  Seite  (zur  Linken  vom  Beschauer)  mit  in 
üblicher  Weise  gezeichneten  Augen  dargestellt   sind,    an   der  linken  Seite 


Abb.  1. 


aber  (zur  Rechten  vom  Beschauer)  statt  des  Auges  ein  aus  der  Zeichnung 
hervorragendes  ganzes  menschliches  Profilgesicht  aufweisen  (Abb.  1).  In 
der  Mitte  dieses  die  Vorderseite  des  Treppenaufbaus  bedeckenden  Reliefs 
scheint  links  und  rechts  je  ein  mit  dem  Gesicht  nach  innen  gerichtetes 
sitzendes  Skelet  dargestellt  gewesen  zu  sein,  von  denen  aber  nur  auf  der 
einen  Seite  deutlich  erkennbare  Reste  noch  vorhanden  sind.  Zwischen 
ihnen  befand  sich  zweifelsohne  noch  ein  Symbol,  von  dem  es  sich  aber  nicht 
mehr  feststellen  lässt,  was  es  war.  da  das  Holz  hier  abgebrochen  ist. 

Auf  diesem  Aufbau  steht  oder  sitzt  eine  menschliche  Figur,  in  en-face 
Stellung  mit  auswärts  gesetzten  Füssen,  gleich  den  Figuren  der  Stelen 
von  Copan  und  Quiriguä,  aber  mit  nach  rechts  (nach  links  vom  Beschauer) 
gewandtem,  also  in  Profil  dargestelltem  Gesicht  (Abb.  2).  Vorn  fällt  bis 
zu  den  Füssen  eine  kostbare,  in  eigenthümlicher  Weise  gemusterte  und 
mit  Fransenborte  versehene  Decke  herab.  Darüber  bedeckt  die  Schultern 
ein  aus  aneinandergereihten  Steinperlen  gefertigter  Halskragen  von  der  Art, 
die  die  Mexikaner  chalchiuh-cozca-yetlatl  nannten,  mit  einem  Fransen-  und 


23.    Die  Cedrela- Holzplatten  vou  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


839 


Schellenbesatz  und  einem  Mittelstück  oder  Bnistschmuck,  der  ein  phan- 
tastisches en  face -Gesicht,  das,  wie  es  scheint,  das  eines  Jaguars  sein  soll, 
und  fünf  von  ihm  nach  unten  hangende  Riemen  mit  Schellen  am  Ende  zeigt. 
Die  rechte  Hand  hält  einen  Stab,  der  mit  Federn  und  Rosetten  geschmückt 
ist    und    augenscheinlich    keine  Waffe    ist,    sondern    vielleicht    eher    dem 


^ift^<J^^*cn.M^K 


k\)h. 


chicauaztU,  dem  Rasselstab  der  mexikanischen  Erd-,  Mais-  und  Wasser- 
Gottheiten,  zu  vergleichen  ist.  Am  linken  Arm  hängt  ein  Rundschild  von 
merkwürdig  kleinem  Durchmesser,  der  auf  seiner  Fläche  ein  von  breiten 
Streifen  gebildetes  Kreuz  zeigt  und  auf  dem  senkrechten  der  beiden  sich 
kreuzenden  Streifen  —  mit  gekreuzter  Strichelung  ausgefüllt,  daher  schwarz 
"■emalt  gedacht  —  eine  Form  des  Zeichens  cwii  „Tod^^  trägt,  die  ohne  Zweifel 


{^40  Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entziffernnj:. 

wohl  aus  gekreuzten  Todtenbeinen  entstanden  ist,  und  die  wir  ganz  allgemein 
auf  den  Monumenten  auf  Armen,  Beinen  oder  dem  Gesichte  solcher  Götter 
anffeo^eben  finden,  die  wir  aus  verschiedenen  Gründen  berechtigt  sind  als 
Todes  -  Gottheiten  anzusehen  ^). 

Das  Auffälligste  aber  an  der  Erscheinung  dieser  Hauptfigur  (Abb.  2) 
der  Holzplatte  von  Tikal  ist,  dass  das  Gesicht  aus  dem  geöffneten  zähne- 
starreuden  Eachen  eines  Ungeheuers  hervorsieht,  das  eine  schuppige  oder  wie 
mit  Mosaik  inkrustirte  Haut  aufweist,  sowie  ein  grosses,  stark  hervortretendes 
Auge,  und  dessen  Schnauzen-Ende  in  eigenthümlicher  Weise  winklig  nach 
oben  umgebogen  ist.  Hätte  ich  eine  mexikanische  Figur  vor  mir,  so 
würde  ich  dies  als  .nuh-cova-naualh\  als  „Türkisschlangen -Verkleidung" 
bezeichnen.  Denn  das  mit  diesem  Namen  genannte  eigenthümliche  Abzeichen 
des  mexikanischen  Feuergottes,  das  in  gleicher  Weise  auch  bei  TJitzilopochtli 
uud  bei  Tezcatlipoca  angetroffen  wird,  und  das  zweifelsohne  auch  schon 
von  dem  Quetzalcouatl  von  Tollan  getragen  wurde,  zeichnete  sich,  wie  das 
selbst  in  späten  Darstelluugen  noch  hervorti'itt ,  durch  ein  in  ähnlicher 
Weise  nach  oben  umgebogenes  Schnauzen-Ende  aus  (vgl.  Abb.  3).\  In  der 
That  gehört  auch  zu  dem  mit  Schuppen-  oder  mit  Türkis-Mosaik  bedeckten 
Ungeheuerkopf,'  der  die  Helm-Maske  der  Hauptfigur  unserer  Tikal -Platte 
bildet,  ganz  wie  zu  dem  Drachenkopf,  den  der  mexikanische  Feuergott 
hinten  am  Nacken  als  seine  Devise  trägt,  eine  Art  Schlangenleib,  der  als 
verhältnissmässig  winziges  Anhängsel  hinter  dem  Kopfe  der  Figur  sichtbar 
wird.  Er  ist,  wie  die  grosse  Schlange,  die  wir  gleich  zu  besprechen  haben 
werden,  mit  „Spiegeln"  —  Scheiben,  die  einen  Kern  in  der  Mitte  haben  — 
gezeichnet  uud  endet  in  eine  als  Gesicht  ausgebildete  oder  mit  einem 
Gesicht  verzierte  Federquaste.  Der  kanimärtige  Federschmuck,  der  hinter 
dem  Kopfe  der  Figur  bis  zu  dem  Schulterkragen  herabreicht,  gehört  vielleicht 
als  Federkamm  zu  dem  Kopf  dieser  Türkisschiauge.  Bedeutsam  endlich 
tritt  au  der  Schläfe  dieser  Türkisschlangen-A'erkleiduug  dem  Beschauer 
bei  unserer  Tikal-Figur  das  Symbol  entgegeu.  das  Forste  mann  uns 
als  die  Hieroglyphe  des  Planeten  Venus  kennen  gelehrt  hat.  Es 
ist,  wie  alles  übrige  an  dieser  Helm -Maske,  wie  mit  Mosaik  inkrustirt 
gezeichnet. 

Die  ganze  Figur,  die  ich  in  Obigem  näher  beschrieben  habe,  hebt 
sich,  wie  das  auch  in  Abb.  2  wiedergegeben  ist,  von  einer  Platte  ab,  die 
die  Gestalt  eines  Quadrats  mit  abgerundeten  Ecken  hat  und  die  wohl  die 
Rückenlehne  eines  Stuhls  darstellt,  dessen  Seitentheile  weiter  unten  zu 
Seiten  der  Kniee  sichtbar  werden.  Die  Rückenplatte  dieses  Stuhls  zeigt  in 
der  rechten  (für  den  Beschauer  linken)  oberen  Ecke  —  trotz  des  durch- 
gehenden Risses  der  Holzplatte  deutlich  sichtbar  —  das  Zeichen  des  Todes, 
zwei   gekreuzte  Todtenbeine.     Die  nach  vorn  vorspringenden  Seiten- 


1)  Vgl.  oben  S.  805,  Abb.  .57— (iü  und  S.  807,  Abb.  64. 


23.    Die  Ccdrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel, 


841 


Abb.  o.     Xiiih-i-oii((-i>(iu((Ui  „Tüi'kisschlangen -Verkleidung": 

a  des  Feuergotts  (Xii(hteciitJI).     Codex  Telleriano-Reniensis  24. 

b  ..  ,.  ,.  Ms.  Bibl.  Nazionalo  Florenz.    77. 

(■  ^  >  „  Codex  Borbonicus  20. 

rf  „  „  „  Aubin'sches  Toiialaniatl  9. 

p  ^  y,  ,.  Codex  Borbonicus  9. 

f  „  ,.  „  Sabagun-Ms.  Bibl.  del  Palacio. 

g  üitzilopochtlPs.     Sahagun-Ms.  Bibl.  del  Palacio. 

h  Tezcatlipoca^s.     Codex  Borbonicus  22. 


842 


Dritter  Abschnitt:   Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


begrenzuiigen  des  eigeutlichen  Sitzes  tragen  auf  der  Vorderseite  eine  eigen- 
thümliche  Ornamentation,  auf  der  man,  wiederum  wie  in  3[osaik-Inkrustation 
ausgefülirt,  einen  aufrechten  Todtenknochen.  darüber  einen  gleichen  in 
querer  Lage  und  darüber  endlich,  ebenfalls  in  Mosaik -Inkrustation,  die 
untere  Hälfte  eines  nach  links  (rechts  YOin  Beschauer)  gewandten  Todten- 
schädels  erkennen  kann. 


Abb.  4. 


Dieser  Sitz  und  die  auf  ihm  thronende  reich  geschmückte  Gestalt 
erheben  sich  über  dem  —  tragbaren  —  dreistufigen  Unterbau,  den  ich  im 
Eingang  näher  beschrieben  habe.  Derselbe  Unterbau  dient  aber  noch  als 
Träger  für  eine  zweite  Figur.  Auf  ihm  ruhen,  zur  Rechten  und  zm'  Linken 
der  Hauptfigur,  der  Kopf-  und  das  Schwänzende  einer  mächtigen  Schlange, 
deren  dicker  Leib,  einen  Bogen  oder  eine  Art  Hufeisen  bildend,  hinten 
und  zu  Seiten  der  Mittel-  und  Hauptfigur  zu  seilen  ist.  Der  innere  Saum 
dieses  Hufeisens  wird  von  der  Reihe  der  Bauchschuppen  gebildet.  Der 
übrige  Theil  des  Schlangenleibes  ist  theils  mit  ovalen  Scheiben,  die  einen 


23.    Die  Cedrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


843 


doppelt  kontourirten  Kern  in  der  Mitte  haben.  —  tezcati  „Spiegel"  würden 
die  Mexikaner  solclie  Figuren  nennen  — ,  theils  mit  grossen  breiten 
schwarzen  Flecken,  die  von  kleineren  schwarzen  Flecken  umsäumt  sind  — 
das  Schwarz  ist  hier,  wie  gewöhnlich  in  den  Reliefs,  durch  gekreuzte 
Streifung  zum  Ausdruck  gebracht  —  in  seiner  ganzen  Länge  bedeckt. 
Der  Kopf  dieser  Schlange  ist  nach  rechts  (links  vom  Beschauer)  gewendet. 
Der  Rachen  ist  weit  geöffnet,  und  aus  ihm  kommt  der  Kopf  und  der  Arm 
einer  Gottheit  hervor  (Abb.  4),  die  durch  eine  nach  oben  gebogene,  oft 
ganz  und  gar  in  Schnörkel  auseinandergehende  Nase  gekennzeichnet  ist, 
und  die  der  Ah  boloii  tz'acab^  der  „Herr  der  neun  Medizinen"  oder  „Herr 


Abb.  5. 

der  neun  Generationen",  die  Wasser-Gottheit,  ist.  Das  Schwanzende  der 
Schlange,  das  links  (zur  Rechten  vom  Beschauer)  liegt,  ist  ebenfalls  als 
Kopf  ausgebildet,  der  in  den  allgemeinen  Linien  auch  die  Gestalt  des 
Kopfes  der  Wasser-Gottheit  wiedergibt,  aber  als  todter  Wassergott,  mit 
einem  fleischlosen  Unterkiefer,  dargestellt  ist  (Abb.  5).  Dieser  Kopf  ist 
nicht  nach  hinten,  sondern  nach  oben  gerichtet,  und  er  ist,  mit  Beziehung 
auf  den  Schlangenleib,  verkehrt  orientirt.  Seine  Kinn-  oder  Bauch- 
seite fällt  mit  der  Rückenlinie  des  Schlangenleibes  zusammen.  Seine 
Stirnseite  ist  der.  Bauchseite  der  Schlange  zugekehrt. 

Die  obere  Wölbung  des  von  dieser  Schlange  gebildeten  Hufeisens  ist 
von  einem  Federkamm  umsäumt,  und  auf  deni  Scheitel  des  Hufeisens  ist 


344  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzififerung. 

ein  Busch  sichtbar,  von  dein  auf  beiden  Seiten  eine  Fülle  von  Quetzal 
Federn  herunterfällt.  Ueber  dem  Scheitel  aber  thront  das  en-face-Gesicht 
eines  Vogels  (Abb.  6),  von  den  beiden  Flügeln  eingefasst,  die,  wie  das 
bei  den  Vogel-Figuren  der  Maya-Deukmäler  ziemlieh  allgemein  beobachtet 
wird^),  in  die  Gestalt  eines  Reptilrachens  umgebildet  sind,  wobei  der  Flügel- 
bug die  das  Auge  tragende  Oberseite  dieses  Rachens  darstellt. 

Die  Vereinigung  des  Vogels,  der  Quetzal-Federn  und  der  Schlange,  und 
vielleicht  mehr  noch  das  Aufti-eten  der  Hieroglyphe  des  Planeten  Venus 
an  der  Schläfe  der  Türkisschlange,  die  die  Helm -Maske  dieser  Figur 
bildet,  erwecken  die  Vermuthung,  dass  die  Hauptfigur  dieser  Holzplatte 
von  Tikal  den  Gott  Quetzalcouatl-Kuhulcan  zur  Anschauung  bringen  soll. 
Das  Zeichen  cimi  aber,  dass  wir  auf  seinem  Schilde  fanden,  und  die  ge- 
kreuzten Todtenbeine,  mit  denen  die  Lehne  und  die  Seitentheile  seines 
Stuhles  verziert  sind,  deuten  darauf  hin.  dass  er  als  der  zu  den  Todten 
hinabgehende  oder  über  die  Todten  herrschende,  oder  als  der  westliche, 
der  Abendstern,  dargestellt  werden  sollte. 

Ich  möchte  in  diesem  Zusammenhang  auf  eine  parallele  Darstellung 
hinweisen,  die  auf  den  nördlichen  und  den  anstossenden  östlichen  und 
westlichen  Wänden  des  Ost -Korridors  des  Palastes  E  von  Palenque  in 
Stuckrelief  ausgeführt  ist^),  und  die  ich  nach  der  von  Maudslay  gegebeneu 
Abbildung  in  Abb.  7  wiedergebe.  Wie  man  sieht,  haben  wir  auch  hier 
in  der  Mitte  oder  dem  Scheitel  des  Ganzen  das  en-face -Vogelgesicht,  von 
den  beiden  Flügeln  eingefasst.  die  auch  hier  in  einen  Reptilrachen  um- 
gewandelt sind.  Wir  haben  zur  Rechten  (links  vom  Beschauer)  deu  Kopf 
der  Schlange,  die  aber  hier  den  Rachen  nicht  aufgesperrt  hat  und  keine 
Figm*  aus  ihm  hervorkommend  zeigt.  Wir  haben  aber  zur  Linken  (rechts 
vom  Beschauer)  denselben  Kopf  der  todten  Wasser- Gottheit  und  in  der- 
selben verkehrten  Orientirung.  Die  Hieroglyphe  des  Planeten  Venus,  die 
auf  der  Holzplatte  von  Tikal  an  der  Schläfe  der  Türkisschlangen- Maske 
der  Mittelfigur  zu  sehen  ist,  ist  hier  an  der  Schläfe  des  das  rechte  Ende 
bildenden  Schlangenkopfes  angegeben,  der  dieselbe  Hieroglyphe  auch  in 
seinem  Auge  erkennen  lässt.  Statt  des  Schlangenleibes  ist  aber  hier  ein 
starrer  Streifen  angegeben,  der  mit  den  Symbolen  von  Gestirnen  be- 
deckt ist,  gleich  den  sogenannten  Himmelsschildern,  die  wir  aus  den  Maya- 
Handschriften  ken  neu.  DerVergleich  mit  dieser  Palenque -Skulptur  lehrt 
uns  daher,  dass  die  Federschlange,  der  Quetzalcouatl-Kukukan,  in  der  Auf- 
fassung dieser  Maya-Stämme  das  Himmelsgewölbe  veranschaulichen  soll. 
Und  das  erklärt  die  eigenthümliche  bogen-  imd  hufeisenförmige  Gestalt, 
die  dem  Leibe  der  Schlange  auf  unserer  Holzplatte  von  Tikal  gegeben  ist. 


1)  Vgl.  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXXII  (19eK)),  VerhandU  S.  (193),  Abb.  39. 

2)  Maudsl ay.  Bioloffia  Centrah-americana.    IV.    PI.  43. 


23.    Die  Cedrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


845 


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346  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

Es  ist  bemerkenswerth,  dass  von  den  drei  Darstellungen  der  Feder- 
schlange, die  sich  unter  den  Monumenten  von  Copan  befinden,  den  Skulpturen 
G,,  G„  O  Maudslay'scher  Bezeichnung,  die  eine,  die  Skulptur  Gg,  den 
Leib  der  Schlange,  der  auch  hier  theils  mit  Spiegeln,  theils  mit  breiten, 
drei-  oder  viereckigen  schwarzen  Flecken  gezeichnet  und  auf  der  Rücken- 
linie mit  einem  Federkamm  versehen  ist,  in  derselben  eigenthümlichen 
hufeisenförmigen  Aufwölbung  darstellt,  wie  wir  das  auf  der  Holzplatte  von 
Tikal  sehen.  Es  ist  das  ein  Beweis,  dass  auch  in  Copan  sich  mit  dem  Bilde 
dieses  Fabelthiers  die  Vorstellung  des  Himmelsgewölbes  verknüpfte. 

Die  Federschlange  Gj  von  Copan  zeigt,  wie  die  unserer  Holzplatte 
von  Tikal.  an  dem  Kopfende  den  Kopf  der  Schlange  mit  aufgesperrtem 
Rachen,  aus  dem  der  Kopf  und  der  Arm  einer  Gottheit  hervorkommen,  die 
aber  hier  nicht  mit  deformirter  Nase,  sondern  mit  einfachen  menschlichen 
Zügen  dargestellt  ist.  Wie  bei  dem  Stuckrelief  von  Palenque  (Abb.  7), 
ist  die  Hieroglyphe  des  Planeten  Yeuus  sowohl  auf  einer  über  der  Schläfe 
emporragenden  Arabeske,  wie  auf  dem  Lide  des  Auges  der  Schlange  an- 
gegeben. Das  Schwanzende  der  Skulptur  Gj  von  Copan  ist,  wie  das  der 
Schlange  unseres  Tikal-Reliefs  und  das  des  Stuckreliefs  von  Palenque,  als 
Kopf  der  Wasser -Gottheit,  aber  mit  fleischlosem,  aus  Todtenknochen  ge- 
bildetem Unterkiefer  dargestellt.  Auch  die  zugehörigen  Arme  sind  als 
Skelettarme,  aus  Knochen  gebildet,  gezeichnet.  Der  Kopf  hat  aber  hier 
nicht  die  verkehrte  Orientirung,  die  wir  sowohl  auf  der  Holzplatte  von 
Tikal,  wie  an  dem  Stuckrelief  von  Palenque  beobachteten.  Das  Augenlid 
dieses  Kopfes  ist  durch  Ausfüllung  mit  gekreuzter  Strichelung  als  dunkles, 
schwarzes,  nächtiges  gekennzeichnet. 

Bei  der  Skulptur  Gg  von  Copan  fehlt  das  Kopfende  der  Schlange. 
Das  Schwanzende  ist  ähnlich  dem  der  Skulptur  Gj  gebildet.         TJ 

Die  Skulptur  O  von  Copan  zeigt  einen  abweichenden  Charakter.  Es 
ist  ein  etwas  unregelmässiger,  sich  nach  oben  keilförmig  zuschärfender 
Block,  der  in  der  Mitte  seiner  oberen  Kante  eine  tiefe  rechtwinklige 
Ausarbeitung,  wie  für  die  Aufnahme  eines  anderen  Werkstückes,  zeigt. 
Auf  der  einen  Seite  dieses  Blocks  sieht  man  ein  Reptil,  dessen  Kopf  die 
konventionelle  phantastische  Form  eines  weit  aufklappenden  Schlangen- 
rachens hat,  und  dessen  schuppiger,  auf  der  Fläche  mit  Spiegeln,  die  einen 
schwarzen  Kern  umschliessen,  gezeichneter  Leib  längs  des  ganzen  Rückens 
mit  einem  Federkamm  besetzt  ist  und  am  Schwanzende  sich  spiral  ein- 
rollt. Die  andere  Seite  des  Blocks  dagegen  zeigt  links  und  rechts  je  einen 
Schlangenrachen  der  gleichen  phantastischen  Gestalt,  zu  denen  je  ein 
dünner,  in  eine  mit  einem  Gesicht  verzierte  Federquaste  endender  Schlangeu- 
leib  gehört,  die  aber  sich  verschlingend  einen  viereckigen  Raum  um- 
schliessen, mit  einem  etwas  an  manche  Formen  des  mexikanischen  Zeichens 
acatl  erinnernden  Symbol,  das  bisher  noch  nicht  gedeutet  worden  ist.    Auf 


23.   Die  Cediela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


847 


den  Schmalseiten  des  keilförmigen  Blocks  endlich  sieht  man  Wasserthiere 
Fische  und  eine  Kröte,  und  zwei  menschliche  Figuren. 

Zu  derselben  Klasse  von  Monumenten  scheint  auch  noch  ein  vier- 
eckiges postamentartiges  Stück  zu  gehören,  das  an  dem  Fuss  der  Treppe, 
die  zu  dem  Tempel  11  von  Copan  hinaufführt,  gefunden  worden  ist.  Auf 
der  einen  der  beiden  längeren  Seiten  dieses  Stückes  ist  das  merkwürdige 
Thier  abgebildet,  das  ich  in  Abb.  8  wiedergegeben  habe.  Wie  man  sieht, 
zeigt    auch    hier    das    Ko])fende    des    Thieres    einen    weit    aufklappenden 


Abb.  (S.     Skulpturstück  am  Fuss  von  Tempel  11.     Copan. 


phantastischen  Schlangenrachen,  aus  dem  der  Kopf  eines  Gottes  hervorsieht; 
das  Schwanzende  dagegen  zeigt  den  Kopf  der  Wasser- Gottheit,  aber  mit 
fleischlosem  Todtenknochen  am  Unterkiefer.  Das  Thier  ist  indes  hier 
keine  Federschlange,  sondern  eine  Art  Reptil.  Seine  besondere  Natur  aber 
ist  durch  das  Symbol  zum  Ausdruck  gebracht,  das  man  unterhalb  seines 
Rückens  sieht,  das  die  wesentlichen  Elemente  des  Zeichens  cauac  wieder- 
gibt, —  des  Zeichens,  das  dem  mexikaniscken  Zeichen  quiauiü  „Regen" 
entspricht,  das  in  manchen  Listen  auch  ayoü  „Schildkröte"  genannt  wird, 
und  das  ohne  Zweifel  den  Gewittersturm,  Donner  und  Blitz,  und  den  mit 
Wolken  überzogenen  Himmel  diesen  alten  Stämmen  veranschaulichte. 

Das  Stuckrelief  von  Palenque  und  die  Skulptur  0  von  Copan  sind  von 
keinen  Hieroglyphen  begleitet.  Auf  den  beiden  Seiten  der  Skulptur  G^ 
ist  eine  Doppelreihe  von  Hiero- 
glyphen vorhanden,  die  aber  noch 
der  Deutung  harren.  Auf  der 
Skulptm-  G2  von  Copan  dagegen, 
derselben,  die,  gleich  unserer 
Holzplatte  von  Tikal,  die  Feder- 
schlange mit  hufeisenförmig  auf- 
gewölbtem Leibe  vorführt,  sehen 
wir  in  dem  Hohlraum  der  Wölbung  eine  Gruppe  von  vier  Hieroglyphen, 
deren  erste  beiden  das  Datum  4  ahau  18  yaoo  darstellen.  Es  scheint  das 
ein  für  Copan  besonders  wichtiges  Datum  gewesen  zu  sein,  eines,  mit  dem 
eine  Aera  grossartiger  Bauwerke  begann.  200  Tage  vor  dieses  Datum 
fällt  die  Stela  A  von  Copan.  Und  auf  dieses  Datum  selbst  der  Altar  S 
von  Copan  und  die  merkwürdige  Stele  B,  die  eine  Verkörperung  der  Gottheit 


Abb.  9. 


848 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


des  Zeichens  cauac  uud  der  Schildkröte  darzustellen  scheint.  (Vgl.  Abb.  !•, 
S.  847.)  Den  Kopf  der  Schildkröte  sieht  man  in  einem  der  offenen  Räume 
der  Hinterseite  dieser  Stele  in  Hieroglyphe  wiedergegeben. 

Das  Datum  4  ahau.  18  ya.v  bezeichnet  den  Anfang  eines  ganzen  Katun. 
oder  eines  ersten  Katun -Viertels').  Auf  den  Anfang  des  darauf  fol- 
genden zweiten  Viertels  dieses  selben  Katun.  den  Tag  10  ahau, 
8  cKen,  fällt  dann  die  Stele  D  von  Copau.  die  merkwürdigste  aller  Copan- 
Stelen,  die  auf  der  Hinterseite  eine  Doppelreihe  von  durchweg  in  ganziMi 
Figuren  ausgeführten  Hieroglyphen  ti'ägt.  auf  der  Vorderseite  die  Figur 
einer  mit  einer  Maske  vor  dem  Gresicht  dargestellten  Gottheit  zeigt,  und 
im  üebrigen  die  Verkörperung  der  Wasser-Gottheit,  des  Ah  bolon  tz'acab,^ 
des  „Herrn  der  neun  Medizinen  oder  der  neun  Generationen''  ist,  dessen 
Kopf  denn  auch  in  der  auf  der  einen  der  beiden  Seiten  der  Stele  angegebenen 
Hieroglyphe  Abb.  10.  rechts  zu  sehen  ist,  gegenüber  dem  durch  die  Zahl 
Sieben  gekennzeichneten  Gotte,  den  ich  in  meinem  Buche  über  Chaculä ') 
als   Uuc  ekel  ahau  bestimmt  habe. 


Abb.  lu. 


Der  Anfang  des  dritten  Viertels  dieses  selbeu  Katuü"s  endlich, 
der  Tag  3  ahau^  3  mol.  ist  es,  der  an  den  Kopf  der  Hieroglyphen-Reihen 
der  grossen  Cedrela-Holzplatte  von  Tikal  gesetzt  ist,  und  der  ohne  Zweifel 
wohl  den  Tag  der  Errichtung  dieses  Monumentes,  den  Tag,  für  den  dieses 
Monument  bezeichnend  sein  sollte,  angibt.  Ich  habe  oben  S.  749  dieses 
Anfangs-Datum  und  die  Hieroglyphen  der  Zahlen,  die  von  ihm  zu  anderen 
Daten  führen,  abgebildet.  Es  sind  keine  grossen  Zeiträume,  die  hier  dar- 
gestellt sind.  Von  dem  Aufangs-Datum  führt  ein  Zeitraum  von  2  Tunen  oder 
"^X360  und  42  Tagen  zu  dem  Datum  11  ik\  15  ch'en  (vgl.  Abb.  11).  Dann 
folgen  in  der  unteren  Hälfte  der  Kolumnen  A.  B  und  der  oberen  Hälfte  der 
Kolumnen  C,  D  eine  Anzahl  Hieroglyphen,  die  noch  uueutziffert  sind. 

In  der  vierten  und  fünften  Zeile  der  Kolumnen  C,  D  folgen  darauf  die 
3  Hieroglyphen  Abb.  12,    von  denen  die    erste   eine  interessante  Variaute 


1)  Vgl.  die  Tabelle  der  Tun-Änfiinge  in  meiner  Abhandlung  über  die  Monu- 
mente von  Gepan  und  Quiriguä.     Oben  S.  8oO,  831. 

2)  „Die  ahen  Ansiedlungen  von  Chaculä  im  Distrikte  Xenton  des  Departements 
Huehuetenango  der  Repubhk  Guatemala.''  Berlin  (Dietrich  Reimer)  1901.  S.  94—1)6. 


23.   Die  Cedrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


849 


des  Zeichens  für  einen  Tag-  {hun  kin),  die  beiden  anderen  das  Datum 
12  akbal,  16  ch'en  darstellen,  das  in  der  That  den  auf  11  ik,  15  ch'en 
folgenden  Tag,  das  um  einen  Tag  von  ihm  abstehende  Datum,  bezeichnet. 
Nach  weiteren  sechs  un entzifferten  Hieroglyphen  folgen  endlich  in  den  ersten 
beiden  Zeilen  der  Kolumnen  E,  F  die  drei  Hieroglyphen  Abb.  13,  die  den 
Zeitraum  von  3  Tun,  oder  3  X  360  Tagen,  und  das  Datum  13  akbal,  1  ch'en, 
das  um  den  genannten  Zeitraum  von  dem  vorhergehenden  Datum,  dem 
Datum  12  akbal,  16  ch'en,  absteht,  zur  Anschauung  bringen. 


^Abb.  11 


Abb.  13. 


Das  Datum  13  akbal,  1  ch'en  ist  das  letzte  der  auf  der  grossen  Hiero- 
glyphen-Platte von  Tikal  genannten  Daten.  Es  steht,  wie  man  sieht,  von 
dem  Anfangs-Datura  3  ahau,  3  mol  um  5  Tun  (5  X  360  Tage)  und  43  Tage 
ab.  Es  gehört  nicht  mehr  dem  mit  3  ahau,  3  mol  beginnenden  dritten, 
sondern  dem  folgenden  vierten  Katun -Viertel  an,  dessen  Anfangstag  der 
Tag  9  ahau,  18  arul  ist,  und  bezeichnet  in  diesem  Katun -Viertel  den  ersten 
Tag  des  ersten  in  dieses  Viertel  fallenden  Uinals  (sogenannten  Monats) 
ch'en.  Es  hat  gewiss  seine  Bedenken,  das,  was  uns  die  späteren  Historiker 
aus  Yucatan  oder  Chiapas  berichten,  ohne  Weiteres  zur  Erklärung  des 
auf  den    zentral- amerikanischen  Monumenten  Dargestellten    zu  benutzen. 

Süler,  Gesammelte  Abhandlungen  I.  54. 


850 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


Aber  ich  kauu  mich  doch  nicht  enthalten  darauf  hinzuweisen,  dass  der 
Uinal  cÄ'en,  der  auf  der  grossen  Tikal-Platte  so  bedeutsam  hervortritt,  aucli 
in  dem  yukatekischen  Fest-Kalender  eine  besondere  Rolle  spielt.  In  ihn 
fiel  nach  Landa  das  Fest  Ocna,  das  Fest  der  Erneuerung  des  Tempels. 
Es  wurde,  nach  ihm,  den  C'/mc,  den  Göttern  des  Feldbaus,  —  oder  richtiger 
den  Göttern  der  vier  "Winde,  den  Regengöttern  —  zu  Ehren  gefeiert.  Man 
erforschte  an  ihm  das,  was  nach  den  herrschenden  Zeichen  von  dem  Jahre 
zu  erwarten  war,  und  man  erneuerte  die  Idole,  die  Räuchergefässe,  man 
baute,  wenn  es  nöthig  war,  den  Tempel  neu  oder  erneuerte  ihn,  —  y  ponian 
en  la  pared  la  memoria  destas  cosas  con  sus  caracteres  =  „und  man  schrieb 
auf  die  Wand  in  Hieroglyphen  einen  Bericht  über  diese  Vorgänge". 

Was  nun  die  anderen  Bruchstücke  von  Tikal  betrifft,  die  sich  nicht 
zu  einer  einheitlichen  Darstellung  aneinanderfügen,  so  sind  auf  denen, 
die  de  Rosny  in  seiner  oben  genannten  Mittheilung  mit  den  Buch- 
staben d,  e,  f  bezeichnet,  nur  noch 
unzusammenhangende  und  schwer 
deutbare  Reste  von  Figuren  und  Sym- 
bolen sichtbar.  Dagegen  sind  auf  den 
Platten  g  und  h  de  Rosny 's  —  ich 
will  sie  als  Hieroglyphen-Platte  II  be- 
zeichnen —  und  auf  der  Platte  i  de 
Rosny 's  —  ich  bezeichne  sie  ent- 
sprechend als  Hieroglyphen-Platte  HI 
—  neben  Figuren -Resten  noch  zu- 
sammenhangende Reihen  von  Hiero- 
glyphen erhalten. 

Auf    der    Platte    II    von     Tikal 

scheint    eine  Profil -Figur   dargestellt 

gewesen  zu  sein,  deren  Kopf  die  Züge 

/iSü^.:;^^;^^  "^'        tier  Gottheit  der  Zahl  „Sieben«  *)  auf- 

I  V  j«*i^,'jr'T~2^A  1  weist,    und  die  als  Schmuck  auf  der 

Brust  oder  am  Gürtel  einen  Kopf 
trägt,  der  von  ansehnlichen  Dimen- 
sionen und  noch  wohl  erhalten  ist. 
Vor  dieser  Figur  sieht  man  eine 
Doppelreihe  von  17  Paaren  gut  er- 
haltener Hieroglyphen,  und  über  ihr  ist  daneben  eine  zweite  Doppelreihe 
von  vier  Paaren  von  Hieroglyphen  wenigstens  noch  in  Resten  vorhanden. 
Die  erste  Doppelreihe,  die  Reihe  von  17  Hieroglyphen-Paaren,  beginnt 
mit  demselben  Datum  wie  die  in  dem  Vorhergehenden  besprochene  Haupt- 
platte  (I)  von  Tikal.    Es  ist  3  ahau^  3  viol,  der  Anfang  des  dritten  Viertels 


Abb.  14. 


1)  Vgl.  oben  S.  804,  Abb.  5b— 56. 


2;i.   Die  Cedrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


851 


des  Katun  4  ahau^  13  yax^  —  der  bedeutsamen  Zeitperiode,  die  durch 
die  Stele  B  und  die  Federschiauge  G,  von  Copan  bezeichnet  wird,  und  in 
deren  zweites  Viertel  die  Stele  D  von  Copan  fällt.  Wie  auf  der  Haupt- 
platte (I)  von  Tikal  folgt  dann  auf  dieses  Anfangs- Datum  eine  Anzahl 
Hieroglyphen,  die  Zahlen  bezeichnen,  und  danach  ein  zweites  Datum,  das 
eben  um  den  Betrag  dieser  Zahlen  von  dem  Anfangs-Datum  3  ahau^  3  mol 
absteht.  Die  zahlbezeichnenden  Hieroglyphen  sind  durchaus  analog  denen 
der  Hauptplatte  (1)  von  Tikal.  Aber  ihre  Summe  ist  eine  andere,  und 
dementsprechend  ist  auch  das  zweite  Datum,  auf  das  sie  hinführen,  ein 
anderes.  Ich  gebe  in  Abb.  14  die  sieben  ersten  Hieroglyphen  dieser  Hiero- 
glyphen-Platte II  von  Tikal  wieder.    Sie  sind  in  folgender  Weise  zu  lesen: 


3  ahau 

3  mol 

Kein  Cyklus 

12  (kin)  +  11  Uinal 

(0  X  20  X  20  X  360) 

a2xl    +11x20) 

2  Tun 
(2x360) 

6  eb 

Vorabend 

pop 

In  der  That,  suramirt  mau  diese  Zahlen,  so  erhält  mau  12  -j-  220  -|-  720 
=  952.  Das  sind  drei  Tönalaviatl  und  172  Tage,  oder  zwei  Sonnenjahre 
und  222  Tage.  Und  das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages,  der  den  Namen 
6  eb  trägt,  und  der  der  Tag  vor  Pop^  oder  der  letzte  der  5  xma  kaha  ist, 
von  dem  Anfangs -Datum  3  ahau^  3  mol. 

Das    Resultat    ist    interessant,     weil    sich    aus  ihm   ergibt,     dass    das 
Element,  das  hier  mit  der  Hieroglyphe  des  Festes  Pop  verbunden  ist,  und 
das  ich  in  Abb.  15   noch    einmal  besonders  wiedergebe,    das 
Zeichen  für  „Vorabend"  ist.     Ich  habe  danach  allerdings 
eine  Richtigstellung  vorzunehmen.    Was  ich  in  einer  meiner 
frühesten    Abhandlungen^)    auf   Grund    gewisser  Stellen    der 
Dresdener  Handschrift    als  Zeichen  für    die  Zahl  „Zwanzig" 
feststellen  zu  müssen  geglaubt  habe,  und  was  ich,  mit  diesem 
W^erth,    auch    noch    in  "  den    Zusammenstellungen    der    zahl- 
bezeichnenden Hieroglyphen    in    meinen  Mittheiluugen    über 
die  Monumente  von  Copan  und  Quiriguä  aufgeführt  hatte  ^),  ist  in  Wahrheit 
nicht  ein  Zeichen   für  die   Zahl   20,    sondern    eben  diese  Hieroglyphe  für 


Abb.  15. 


1)  „Ueber  die  Bedeutung  des  Zahlzeichens  '20  in  der  Maya-Schrift".    Zeitschrift 
für  Ethnologie  XIX  (1887),  Verband).  S.  (237)  — (240).     Vgl.  oben  S.  400—40(3. 

2)  Zeitschrift  für  Ethnologie  XXXI  (1899),    Verband).  S.  (724),    Abb.  225.  — 
XXXII  (1900;,  Verband).  S.  (22(»),  Abb.  193—197. 

54* 


852 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


den  Vorabend.    Dass  sich  dies  in  der  That  so  verhält,  werde  ich  weiter 
unten  noch  näher  begründen. 

Auf  die  sieben  in  Abb.  14  wiedergegebenen  Hieroglyphen  folgen  dann 
auf  der  Hieroglyphen-Platte  H  von  Tikal  sieben  andere  Hieroglyphen,  deren 
Bedeutung  noch  nicht  festgestellt  werden  konnte.  Und  danach  die  drei,  die 
icli  in  Abb.  16  wiedergebe.  Hier  haben  wii-  in  der  ersten  Hieroglyphe 
wieder  die  Ziffer  1  und  das  merkwürdige  Zeichen  für  kin  „Tag",  das  wir 
schon  auf  der  grossen  Hieroglyphen-Platte  I  von  Tikal  angetroffen  haben 
(vgl.  oben  Abb.  12),  und  das  die  Sonnenscheibe  zeigt  wie  aus  einem  Spalt 
zwischen  der  Hieroglyphe  des  Himmels  und  der  Hieroglyphe  der  Erde 
hervorkommend').  Die  beiden  anderen  Hieroglyphen  geben  das  Datum 
7  been^  1  pop,  das  in  der  That  den  auf  6  eb,  5  xma  kaba  kin  folgenden 
Tag,  das  von  ihm  um  einen  Tag  abstehende  Datum,  bezeichnet. 


^^f^A 


Abb.  16. 


"Wieder  folgen  Hieroglyphen,  deren  Bedeutung  noch  nicht  festgestellt 
ist.  Aber  am  Schluss  dieser  ersten  Doppelreihe  stehen  die  zwei  Hieroglyphen- 
Paare,  die  ich  in  Abb.  17  wiedergebe.  Und  diese  bezeichnen  wieder  einige 
Zahlen: 

7  Einzeltage,  2  Uinal  (=  2  X  20),  3  Tun  (=  3  X  360), 

deren  Summe  die  Zahl  1127  ergibt,  und  darauf  folgt  das  Datum  3  ahau, 
13  tw),  das  in  der  That  um  7  -f  2  X  20  -j-  3  X  360  oder  1 127  Tage  von  dem 
vorher  aufgeführten  Datum  7  been^  1  pop  absteht. 

In  der  zweiten  auf  dieser  Platte  H  von  Tikal  noch  erkennbaren  Doppel- 
reihe von  Hieroglyphen  sind  keine  Zahlen  und  keine  Daten  angegeben. 
Ob  nun  auf  den  Platten,  die  sich  hier  angeschlossen  haben,  die  wir  nicht 
haben,  nicht  doch  noch  weitere  Zahlen  und  weitere  Daten  genannt  gewesen 
sind,  darüber  lässt  sich  natürlich  eine  Yermuthung  nicht  äussern.  Jeden- 
falls sind  wir  schon  mit  dem  Datum  3  ahau^   13  wo,  das   den  Schluss  der 


1)  Vgl.  oben  S.  731. 


23.   Die  Cedrela-Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


853 


ersten  Doppelreihe  der  Platte  11  bildet,  über  das  mit  3  ahau,  3  mol  be- 
ginnende dritte  Viertel  hinaus  in  den  Anfang  des  vierten  Viertels  des 
Katuns  4  ahau,  13  yax  gelangt. 

Die  Hieroglyphen-Platte  III  von  Tikal  („panneau  i"  Leon  de  Rosny's) 
enthält  zunächst  sehr  benierkenswerthe  figürliche  Reste.  Man  sieht  eine 
nach  links  (rechts  vom  Beschauer)  gewandte  männliche  Gestalt,  in  reicher 
Tracht,  mit  einer  Helm-Maske,  die  die  Gesichtszüge  des  Sonnengottes  auf- 
weist, auf  einem  in  sehr  eigenthümlicher  Weise  verzierten  Lehnstuhl  sitzen. 
Darüber  wird  der  prächtig  gezeichnete  Kopf  und  die  vorgestreckte  Pranke 
eines  Jaguars  sichtbar.  Davor  befanden  sich  andere  Figuren  oder  Sym- 
bole, die  aber  nach  den  wenigen  erhaltenen  Resten  nicht  zu  bestimmen 
sind.  Vor  dem  Jaguarkopf  und  über  der  Pranke  sind  zwei  Doppelreihen  von 
je  sechs  Hieroglyphen-Paaren  noch  wohl  erhalten.  Weitere  Reihen,  die  sogar 
mehr  als  sechs  Hieroglyphen  bezw. 
Hieroglyphen-Paare  enthalten  haben 
müssen,  schliessen  sich  an.  Von 
ihnen  ist  aber  gerade  nur  noch 
der  vordere  Rand  der  ersten  Reihe 
vorhanden. 

Diese  Hieroglyphen-Gruppen  der 
Platte  in  von  Tikal  beginnen  eben- 
falls mit  einem  Datum,  das  aber 
nicht,  wie  auf  den  Platten  I  und  II 
von  Tikal,  das  Datum  3  ahau^  3  mol, 
der  Anfang  des  dritten  Viertels  des 
Katuns  4  ahau,  13  yax,  sondern 
das  Datum  9  ahau,  13  pop  ist.  Es 
ist  das  ein  Tag,  der  um  genau 
20  Tage  vor  dem  Datum  liegt,  das 
den  Schluss  der  ersten  Doppelreihe 
der  Hieroglyphen -Platte  II  von  Tikal  bildet.  Er  steht  also  um  5  Tun 
(5  \  360)  und  260  Tage  von  dem  Anfangs -Datum  der  anderen  beiden 
Platten,  dem  Tage  3  ahau,  3  mol,  ab  und  fällt  in  den  Anfang  des  vierten 
Viertels  des  Katuns  4  ahau,  13  yax.  Aber  nicht  genau  auf  den  Anfang  dieses 
mit  9  ahau,  18  xul  beginnenden  Viertels,  sondern  260  Tage  später,  auf 
das  erste  Fest  Pop,  das  in  diesem  Katun -Viertel  gefeiert  wurde. 

Ich  gebe  in  Abb.  18  die  ersten  sechs  Hieroglyphen  der  Platte  HI  von 
Tikal  wieder.     Sie  sind  fol^endermaassen  zu  lesen: 


Abb.  IJ 


9  ahau 


13  pop 


Kein  Zyklus  (0  x  20  x  20  x  3G0) 
11  e'tznab 


18  [kin]  (18  X  1)  +  7  Uinal  (7  x  20) 
11  ch'en 


854 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


18  X  1  -f-  7  X '20  sind  158  Tage,  und  das  ist  genau  der  Abstand  des  Tages 
11  e'tznab,  11  ch'eii  von  dem  Tage  9  ahau^  13  pop.  Wie  auf  den  Platten  I 
und  n  folgt  also  auch  hier  auf  das  Anfangs-Datum  eine  Differenzzahl  und 
dann  ein  durch  diese  Differenzzahl  bestimmtes  zweites"  Datum.  Dieses 
zweite  Datum  ist  hier  wiederum,  wie  auf  der  Platte  I,  ein  Tag,  der  dem 
Uiual  dien  angehört.  Ausser  dem  Anfangs-  und  diesem  zweiten  Datum 
wird  auf  der  Platte  III  nur  noch  ein  Datum  gefunden.  Es  steht  in  der 
ersten  Zeile  der  zweiten  Doppelreihe  von  Hieroglyjihen  (Abb.  19)  und 
bezeichnet  den  Tag  12  e'tznab^  11  zac^  der  um  genau  40  Tage  von  dem 
zuvor  genannten  Datum  absteht. 

Es  gehen  demnach  die  sämmtlichen  Daten  dieser  Hieroglyphen-Platten- 
Bruchstücke  von  Tikal  auf  3  ahau,  3  mol  zurück,  den  Anfang  des  dritten 
Viertels  des  Katuns  4  ahau^  13  yaa;,  der  bedeutsamen  Zeitperiode,  deren 
Anfang  oder  erstes  Viertel  durch  die  Stele  B  und  die  Federschlange  Gg 
von  Copan  bezeichnet  wird.  Die  Daten  führen  aber  von  diesem  Anfange 
3  ahau^   3  mol  fort  bis  in  den  Anfang  des  vierten  Viertels  dieses    selben 


Abb.  19. 


Katun's.  Sie  fallen  theils  in  den  Uinal  cKen^  den  Uinal  des  Festes  Ocna, 
des  Festes  der  Erneuerung  des  Tempels,  theils  in  den  Uinal  Pop^  die 
Periode,  in  der  in  späterer  Zeit  in  Yucatan  das  Neujahr  gefeiert 
wurde.  Der  Uinal  cKen  entspricht  unseren  Monaten  Dezember  und  Januar, 
der  Uinal  Pop  dem  Monat  August.  Nur  in  einem  dieser  Daten  ist  der  auf 
Pop  folgende  Uinal  Uo  genannt. 

Die  Hieroglyphen  haben  auf  allen  drei  Platten  eine  durchaus  gleich- 
artige, übereinstimmende  Gestalt.  Die  Sicherheit  der  Linienführung  und 
ein  künstlerischer  Zug  in  der  Zeichnung  sind  unverkennbar.  Ueber  die 
eigenartige  Gestalt,  in  der  die  Hieroglyphe  des  Uinals  cNen  hier  erscheint, 
habe  ich  in  einer  meiner  vorigen  Mittheilungen  schon  gesprochen^).  Die 
Hieroglyphe  des  Zeichens  ahau  (vgl.  Abb.  11,  14,  17,  18)  ist  deutlicher, 
als  es  sonst  der  Fall  zu  sein  pflegt,  als  ein  männliches  en-face-Gesicht  zu 
erkennen,  indem  die  Nase  deutlich  als  solche  und  mit  einem  Stab  in  der 
durchbohrten  Scheidewand  gezeichnet  ist,  und  in  dem  Munde   die  winklig 


1)  Vgl.  oben  S.  750. 


23.   Die  Cedrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel.  855 

ausgefeilten  Zähne  des  Sonnengottes  angegeben  sind^).  Das  Zeichen  akbal 
(vgl.  Abb.  12,  13)  ist  ebenfalls  deutlicher,  als  wohl  sonst  die  Regel  ist,  als 
ein  verdunkeltes,  maskirtes  en- face -Gesicht  zu  erkennen,  und  auch  das 
Zeichen  ik  (vgl.  Abb.  11)  ist  charakteristischer  als  auf  anderen  Monumenten 
und  als  in  den  Handschriften  gezeichnet. 

Was  die  Hieroglyphen  der  Zeitperioden,  der  Multiplikanden  in  den 
hieroglyphischen  Zahlenausdrücken,  betrifft,  so  kommt  das  Zeichen  kin 
„Tag"  auf  diesen  Platten  nicht  vor.  Die  Einer  sind  immer  nur  durch 
ihre  Stellung  neben  den  Zwanzigern  gekennzeichnet.  —  Die  Uinal,  die 
Zwanziger,  kommen  bald  in  der  Form  des  Zeichens  chuen  vor  (Abb.  18), 
bald  als  der  Reptilkopf  (Iguana?)  mit  den  kurzen  dreieckigen  Zähnen, 
dem  seitlich  heraushangenden,  langen,  gekrümmten  Eckzahn  und  der 
Schläfen-Platte  mit  den  drei  dunklen  Flecken").  —  Eigenartig  ist  die  Form 
des  Zeichens  tun^  des  Zeitraums  von  360  Tagen.  Man  sieht  hier  das 
Element  tun  „Stein''  als  Stirn-Platte  eines  phantastischen  Yogelkopfes,  der 
vielleicht  allgemein  den  Begriff  „Zeitraum'^  zur  Anschauung  bringt.  Es 
ist  das  eine  Gestalt,  die  an  sich  schon  auf  den  anderen  Monumenten  selten 
vorkommt.  Ich  habe  sie  auf  dem  Altar  K  von  Copan,  auf  der  Palast- 
treppe von  Palenque-')  und  in  dem  Inschriften-Tempel  von  Palenque  an- 
getroffen. Auf  den  Hieroglyphen -Platten  von  Tikal  ist  aber  ausserdem 
noch  die  Besonderheit  zu  bemerken,  dass  dem  Vogelkopfe  der  Unter- 
schnabel fehlt,  und  dafür  eine  Art  von  Wurm  oderTausendfuss  zu  sehen  ist,  mit 
einem  umgekehrten  a^aw-Zeichen  als  Kopf  und  zwei  fühlerartigen  Schwanz- 
Anhängseln.  —  Ein  Zeichen  für  die  nächst  höheren  Zeitperioden,  die  Katun 
oder  Zeiträume  von  20  X  360  Tagen,  kommt  auf  den  Hieroglyphen-Bruch- 
stücken von  Tikal  nicht  vor.  Dagegen  ist  merkwürdigerweise  auf  sämmt- 
lichen  drei  Platten,  jedesmal  nach  dem  Anfangs  -  Datum,  angegeben,  dass 
keine  Zyklen,  keine  höchsten  Zeitperioden  von  20x20x360  Tagen,  zu 
zählen  sind.  Die  Form  der  Hieroglyphen  dieser  Zyklen  ist  im  übrigen 
die  gleiche  wie  auf  den  anderen  Monumenten:  bald  (Abb.  18)  ein  cauac- 
Paar*),  bald  der  phantastische  Yogelkopf  mit  der  Zeichnung  einer  mensch- 
lichen Hand  am  Unterkiefer*). 

Eigenartig  ist  auch  die  Gestalt  des  Zeichens  Null,  das  neben  diesen 
Hieroglyphen  der  Zyklen  steht  (vgl.  Abb.  11,  14,  18).  Das  in  der  dritten 
Hieroglyphen-Gruppe  der  Platte  HI,   Abb.  18,  scheint  die  Form  zu  haben. 


1)  Vgl.  meine  Abhandlung  über  „Alterthümer  aus  Guatemala''  in  Veröffentl. 
a.  d.  Königl.  Museum  f.  Völkerkunde  IV,  Heft  1,  S.  37;  und  Zeitschrift  f.  Ethnologie 
XXXI  (1899),  Verhandl.  S.  (686).     Oben  S.  729,  730. 

2)  Vgl.  oben  S.  733,  Abb.  81—100. 

3)  Oben  S.  735,  Abb.  105,  106. 

4)  Oben  S.  739,  Abb.  142—145. 

5)  Oben  S.  739,  Abb.  146—158. 


856  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

die  man  auf  den  von  mir  mitgebrachten  Stelen-Bruchstücken  von  Sacchaua 
sieht  ^). 

Ich  komme  nun  noch  einmal  auf  das  Zeichen  zurück,  das  in  der 
siebenten  Hieroglyphen -Gruppe  der  Platte  H  (vgl.  oben  Abb.  14  und  15) 
mit  dem  Zeichen  des  Uinals  Pop  verbunden  vorkommt,  und  das,  wie  aus 
dieser  Stelle  hervorgeht,  das  Zeichen  für  den  Vorabend  oder  den  Tag 
vor  dem  Eintritt  eines  Festes  oder  Uinals  ist.  Ich  sagte  oben  schon,  dass 
dieses  Zeichen  auch  in  der  Dresdener  Handschrift  und  auf  anderen  Monu- 
menten vorkommt,  dass  ich  es  aber  früher  fälschlich  als  Bezeichnung  der 
Zahl  „zwanzig"  angesehen  habe. 

In  der  Dresdener  Handschrift  finden  wir  dieses  Zeichen  —  aller- 
dings in  sehr  vereinfachter,  kursiverer  Form  (Abb.  20)  —  auf  den  merk- 
würdigen Blättern  46 — 50,  auf  denen  13x5  Venus -Umläufe  dargestellt 
sind,  ein  Zeitraum,  der  bekanntlich  2  X  52  Sonnenjahren  entspricht.  Jeder 
Venus-Umlauf  (von  584  Tagen)  ist  dabei  in  Abschnitte 
^    ^  ^  von  90  +  250  -f-  8  4-  236  Tagen  getheilt,  und  diese  13  X 

K  ^  ^  ^  5  X  (90  +  250  +  8  ^-  236)  Tage  sind  durch  die  nach 
dem    Tonalamatl- System    ihnen    zukommenden    Namen 

„.  ■ ,"  ■  der  Anfangstage  auf  diesen  Blättern  zur  Anschauung  ge- 

Hierogljphe  Vor-  ■,  l  -,  i    ^^ 

abend     Dresdener    hraclit.    Ausserdem  aber  sind  die  Anfangstage  der  ersten 

Handschrift.  fünf  dieser  (90  4-  250  4  8  4-  236)  Tage  durch  die  Angabe 

ihrer  Stellung  im  Jahr  bezeichnet,  d.  h.  durch  die  An- 
gabe, in  welchen  der  18Uinal  oder  zwanzigtägigen  Zeiträume,  die  das  Jahr 
enthält,  und  auf  den  wievielten  dieser  sogenannten  Monate  sie  fallen.  Wir 
haben  daher  auf  diesen  fünf  Blättern  der  Dresdener  Handschrift  eine  Reihe 
von  5X4  genau  bestimmten  Uinal-  (oder  sogenannten  Monats-)  Daten.  Und 
mehr  noch.  Zwei  andere,  in  gleichen  Distanzen  fortschreitende  Reihen  von 
Uinal-  (oder  sog.  Monats-)  Daten  sind  unterhalb  der  ersten  noch  angegeben, 
die  ich  zum  Unterschiede  von  der  ersten  (A)  mit  B  und  C  bezeichnen 
will,  deren  Ausgangspunkt  gegenüber  dem  der  ersten  eine  Verschiebung 
von  85,  bezw.  85  4-1^0  Tagen  aufweist.  Damit  erhöht  sich  die  Anzahl 
der  auf  diesen  fünf  Blättern  der  Dresdener  Handschrift  angegebenen  Uinal- 
Daten  auf  15x4  oder  60.  Unter  diesen  60  Uinal -Daten  finden  sich  nun 
einige,  die  den  zwanzigsten  Tag  des  betrefPenden  Uinals  bezeichnen.  Hier 
ist  ganz  allgemein  die  Zahl  zwanzig  nicht  durch  vier  senkrechte  oder 
horizontale  Striche  (=  4  X  5),  sondern  durch  das  Zeichen  ausgedrückt,  dessen 
verschiedene  Formen,  wie  sie  auf  diesen  fünf  Blättern  der  Dresdener  Hand- 
schrift vorkommen,  ich  in  der  Abb.  20  wiedergegeben  habe.  Man  sielit 
auf  den  ersten  Blick,   dass  das  nur  eine  vereinfachte,  kursivere  Form  der 


1)  Vgl.  oben  S.  814,  Abb.  89.  Vgl.  Sei  er,  Die  alten  Ansiedelungen  von 
Chaculä,  im  Distrikte  Nenton  des  Departements  Huehuetenango  der  Republik 
Guatemala,  Berlin  (Dietrich  Reimer)  1901,  S.  17. 


23.   Die  Cedrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


857 


Hieroglyphe  sein  kann,  die  wir  auf  der  Hieroglyphen -Platte  H  von  Tikal 
als  Ausdruck  für  Yorabend  angetroffen  haben,  und  die  ich  oben  in 
Abb.  15  besonders  gezeichnet  habe.  In  der  That  sehen  wir  —  allerdings 
mit  einer  Ausnahme  —  auch  auf  diesen  Blättern  das  Zeichen,  Abb.  20, 
nicht  mit  der  Hieroglyphe  des  Uinals,  dessen  zwanzigster  Tag  angegeben 
werden  soll,  sondern  mit  der  des  folgenden  Uinals  verbunden,  so  dass  es 
klar  ist,  dass  auch  diese  kursive  Form  der  Ausdruck  für  Vorabend  ist. 
Ich  schreibe  in  Folgendem  die  Reihen  dieser  in  Distanzen  von  90, 
250,  8  und  236  Tagen  fortschreitenden  Daten,  wie  sie  auf  den  Blättern 
46 — 50  der  Dresdener  Handschrift  vorkommen,  nieder:  — 


Reihe  A. 

H(^^- 

4  yaxkin 

14  zac 

19  tzec 

7 

xul 

(Blatt  46) 

3  cumku 

8  zo'tz   ' 

18  pax 

6 

kayab 

(    «     47) 

17  yax 

7  moan 

12  ch'en 

V 

orabend 

yax 
=  20  cÄ'ew 

(    «     48) 

11  zif 

1  mol 

6  uo 

14 

MO 

(    .     49) 

10  kankin 

Vorabend 
xma  kaba 
=  20  cumku 

3  mac 
Reihe  B. 

13 

mac 

(    „      50) 

9  zac 

19  moan 

4  yax 

12 

yax 

(Blatt  46) 

3  zoHz 

13  mol 

18  uo 

6 

zip 

(    »     47) 

2  moan 

7  pop 

17  mac 

5 

kankin 

(    «     48) 

16  yaxkin 

6  ceh 

11  xul 

19 

xul 

(    „      49) 

15  cumku 

Vorabend 

tzec 

=  20  zo'tz 

10  kayab 
Reihe  C. 

18 

kayab 

(    „     50) 

19  kayab 

4  tzec 

14  pax 

2 

kayab 

(Blatt  46) 

13  yax 

3  moan 

8  ch'en 

16 

ch'en 

(    «      47) 

7  zip 

17  yaxkin 

2  uo 

10 

uo 

(    „     48) 

6  kankin 

16  cumku 

1  mac 

9 

m,ac 

.    (    „      49) 

Vorabend  xul 

10  rac 

15  tzec 

3 

xul 

(    .     50) 

[falsch  für  Vor- 

tcy'X'^ir^ ■-«-«-*■>' 

abend  yaxkin] 

=  20  xul 

In  der  Reihe  C  hat,  wie  man  sieht,  der  Schreiber  der  Handschrift  sich 
verschrieben.  Um  20  xul  zu  bezeichnen,  hat  er,  statt  Vorabend  yaxkin^ 
Vorabend  xul  geschrieben.  Es  ist  dies  Verschreiben  der  Hauptgrund 
gewesen,  dass  ich  seiner  Zeit  das  Zeichen  Abb.  20  fälschlich  als  Zeichen 


858  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

für    „zwanzig"   angesehen   habe.     Die   drei  anderen  Vorkommnisse  in  den 
ersten    beiden    Reihen    bestätigen    dagegen    durchaus    meine    obige  Fest- 
stellung.   Von  besonderem  Interesse  ist  daneben  noch,  dass  damit  nunmehr 
auch  in  der  Dresdener  Handschrift  das  Vorkommen  eines  Zeichens  für  die 
amia  kaba  kin,   die  fünf  über  die  18  X  20  überschüssigen  Tage  des  Jahres, 
nachgewiesen  ist.      Es  ist   das  Zeichen,    das  in  der  Reihe  A  auf  Blatt  50 
an    zweiter  Stelle    vorkommt,    und    das    ich    in  Abb.  21    wiedergebe.     Es 
stimmt  mit  der  Form  der  Hieroglyphe  j;ma  kaba  kin,   die  auf  den  Monu- 
menten nachgewiesen  ist  (Abb.  22),  in  durchaus  befriedigender  Weise  überein. 
In  gleicher  Weise  bestätigen  mir  aber  auch  weitere  Vorkommnisse  auf 
den  Monumenten,  dass  das  Zeichen  Abb.  15  der  Ausdruck  für  Vorabend  ist. 
Hier  kommt    besonders    in  Betracht    die  Altar -Platte   des  Kreuz -Tempels 
Nr.  I  von  Palenque.      Ich    habe  in   meiner  ersten  Mit- 
theilung   über  die  Monumente  von  Copan  und  Quirigua 
die  Initial   Series    dieser  Altar-Platte    besprochen.     Es 
Abb.  '21.  war  die  einzige  Initial  Series,  deren  Deutung  nicht  voll- 

Hieroglyphe  .nua       kommen  gelang.      Ich  glaubte    einen  Fehler  annehmen 

Aaba  kin.  Dresdener  ,.        ,  „,.        ,  iT-m, 

Handschrift  '^^  müssen  und  wies  daraui  hin,  dass  auch  die  im  lext 

angegebenen  chronologischen  Fixa  durch  die  dazwischen 
verzeichneten  Distanzen  nicht  immer  gut  begründet 
sind,  dass  mehrfach  die  Distanzen  nur  für  die  Tages- 
zeichen-Namen, nicht  für  die  der  Uinal-Daten  richtig 
sind.  Es  ist  nun  aber  doch  zu  bemerken,  dass  ein  Theil 
dieser  anscheinenden  Ungenauigkeiten  bei  Einsetzung 
Abb.  22.  des    Werthes    „Vorabend"    für    das    Zeichen    Abb.  15, 

Hieroglyphe  xma       ^^^  j^^j  Anbringung    einer  einzigen  kleinen  Korrektur, 
kaba  kin.  Palenque. 

schwindet. 

Auf  die  Initial  Series  folgt  in  der  vorletzten  Zeile  der  Kolumnen  A 
7  und  B  das  Datum  1  ahau,  18  2;o'fe,  das  20  Tage  vor  dem  End-Datura  der 
'  Initial  Series,  dem  Tage  8  ahau,  18  tzec,  liegt.  Dem  folgen  in  den  ersten 
beiden  Zeilen  der  Kolumnen  C,  D  die  Zahlen:  0x1,  5X20,  8X360, 
deren  Summe  2980  ist.  Die  Bedeutung  dieser  Summe  ist  aber  noch  nicht 
klar.  Fassen  wir  sie  als  Distanzzahl  auf,  die  zu  einem  weiteren  Datum 
hinleitet,  so  würden  wir  das  Datum  4  ahau.,  18  yaxkin  erhalten,  das  aber 
hier  nicht  angeführt  ist.  Es  folgt  vielmehr  in  Zeile  3  und  4  das  Normal- 
und  Anfangs-Datum  4  aÄaw,  8  cumku.  Von  diesem  an  aber  sind  die  Zahlen 
und  die  Daten  nunmehr  in  Ordnung. 

Auf  4  ahau,  8  cumku  folgt  zunächst  in  Kolumne  C,  D,  Zeile  4,  5  ein 
Zeichen,  das  vielleicht  „Anfang"  bedeutet,  und  danach  die  Hieroglyphe 
des  Zyklus  mit  der  Ziffer  13  verbunden,  was  zusammen  vielleicht:  — 
„4  ahau.,  8  cumku  ist  der  Ausgangspunkt  der  13  Zyklen"  —  heissen  soll. 
Danach  folgen  die  Zahlen  2x1,  9X20,  1X360,  die  die  Summe  542  er- 
geben.    Das  führt    von  dem  Tage  4  ahau.,    8  cumku  zu  dem  Tag*   13  ik^ 


23.   Die  Cedrela -Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


859 


20  mol,  der  in  der  That  unmittelbar  darauf  in  der  Zeile  9  der  Columnen  C, 

D  verzeichnet  ist    (Abb.  23),      Wir   haben  hier,    wie    ich    auch    schon    in 

meiner  vorigen  Abhandhing  hervorgehoben  habe^), 

mit  der  Hieroglyphe  mol  verbunden  ein  wirkliches 

Zeichen  für  die  Zahl  zwanzig.    Und  zwar  fungirt 

als  solches  das  Element  tun  „Stein",   ^Abschnitt", 

hier    allerdings     noch     mit    einem    akzessorischen 

Element  verbunden.    4  Zeilen  weiter  unten  kommt 

dann  wieder    ein  Zahlausdruck.      Hier  nun  schon 

eine  arrössere  Zahl: 


Abb.  23. 
13  ik,  20  »/»o/,  Palenque. 
Kreuz-Tempel  I,  C,  D,  9. 


OX 

1 

= 

0 

12X 

•20 

= 

240 

3X360 

= 

1080 

18  X 

20  X  360 

= 

129  600 

IX 

20  X  20  X  360 

= 

144  000 

274  920, 

wobei  in  dem  letzten  Ausdruck  die  Zahl  „eins"  nicht  durch  eine  Ziffer, 
sondern  durch  das  Bild  des  ausgestreckten  Fingers^)  bezeichnet  ist. 
274  920  sind  1057  Tonalamatl  und  100  Tage,  oder  753  Sonnenjahre  und 
75  Tage,  und  das  ist  genau  die  Zahl  der  Tage  zwischen  13  ik,  20  mol  und 
dem  Tage  9  ik^  15  ceh,  der  in  der  That  unmittelbar  darauf,  in  der  ersten 
Zeile  der  Kolumnen  E,  F  verzeichnet  ist. 

Diese  beiden  Daten,  und  das  was  neben  ihnen  in  den  Hieroglyphen 
vermerkt  ist,  scheinen  gewissermassen  eine  Parenthese  darzustellen.  Denn 
die  Zahlausdrücke  und  die  Daten,  die  nunmehr  folgen,  schliessen  sich  nicht 
an  sie  an,  sondern  nehmen  ihren  Ausgangspunkt  von  dem  Datum  4  ahau^ 
18  zo'tz^  das  in  der  vorletzten  Zeile  der  ersten  beiden  Kolumnen  A,  B 
steht.  Wir  finden  nämlich  zunächst  in  der  fünften  und  sechsten  Zeile 
der  Kolumnen  E,  F  die  Zahlen: 

2x      1  =  2 

llX    20  =        220 

7X360  =      2  520 

IX   20X360  =      7  200 

2  X    20  X  20  X  360  =  288  000 


297  942, 

das  sind  1145  Tonalamatl  und  242  Tage,  oder  816  Sonnenjahre  und 
102  Tage,  und  das  ist  die  Zeit,  die  zwischen  dem  Tage  4  ahau,  18  zo'tz 
und  dem  Tage  9  ik^  20  cKen  verflossen  ist.     Dieser  Tag  ist  nun  allerdings 


1)  Oben  S.  828,  Abb.  192. 

2)  Oben  S.  81G,  Abb.  109,   110. 


860 


Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 


hier  nicht  verzeichnet.  Der  Schreiber,  bezw.  der  Bildhauer,  hat  sich 
wieder  einmal  verschrieben.  Um  20  cKen  zu  bezeichnen,  hätte  er  Yor- 
abend  yax  schreiben   müssen.     Er  hat,  statt  dessen,  9  ik.  Vorabend  zac 

geschrieben  (Abb.  24),  indem  er  sich  in  ähnlicher 
Weise,  wie  der  Schreiber  auf  Blatt  50  der  Dresdener 
Handschrift,  um  einen  Uinal  verrechnete.  Die 
weitere  Eechuung  beweist  aber,  dass  hier  nur  ein 
Schreibfehler  vorliegt,  der  übrigens  in  der  That 
leicht  eintreten  konnte,  da  die  beiden  Uinal  yax 
und  zac  einander  ähnlich  sind,  das  unterste  oder 
Hauptelement  in  ihrer  Hieroglyphe  gleich  haben 
und  sich  nur  in  dem  oberen  Theile  ihrer  Hiero- 
glyphen unterscheiden. 
Es  folgt  nämlich  hier,  unmittelbar  auf  9  ih.  Vorabend  zac  (ver- 
bessere Vorabend  ya.x)  die  Zahl: 

2X      1  =  2 

12x    20  =        240 

10  X  360  =3  600 

6X    20x360  =   43  200 

3X    20  X  20  X  360  =  4320£0_ 


Abb.  24. 

9  j^,  Vorabend  zae. 

Palenque.  Kreuz-Tempel  I 

E,  F,  9. 


479  042, 


das  sind  1842  Tonalamatl  und  122  Tage,  oder  1312  Sonnenjahre  und 
162  Tage,  und  das  ist  eine  Tie^i.  die  uns  von  dem  Tage  9  «A-,  Vorabend 
yax  zu  dem  Tage  1  kan,  2  cumku  führt.  Dieser  Tag  ist  nun  ebenfalls 
hier  nicht  ausgeschrieben.  Aber  es  folgt  bald  darauf  ein  zweiter  Zahl- 
ausdruck: 

13  X      1  =13 

7X    20  =    140 

6x360  =2160 

IX    20X360  =  7200 


das  sind  36  Tonalamatl  und  153  Tage,  oder  'IQ  Sonnenjahre  und  23  Tage, 
und  das  ist  genau  der  Abstand,  der  von  dem  hier  davor  einzuschaltenden 
Tage  1  kan^  2  cumku  zu  dem  in  den  ersten  Zeilen  der  folgenden  Kolumnen 
—  das  sind  die  jenseit  der  Mitteldarstellung  folgenden  Kolumnen  P,  Q  — 
verzeichneten  Datum  11  caban,  Vorabend  liop  (Abb.  25),  das  ist  11  caban^ 
5  xma  kaba  knn,  führt.  Es  ist  also  die  Rechnung  in  diesem  Theile  der 
Platte  durchaus  in  Ordnung,  und  die  kleine  Korrektur,  die  wir  in  dem 
Datum  E,  F,  Zeile  9  (Abb.  24)  vornahmen,  wird  hierdurch  bestätigt. 

Wir  haben    also    hier    das  Zeichen,    das  wir  auf    der    Hieroglyphen- 
Platte  H  von  Tikal  (siehe  oben  Abb.  14,  15)  als  Ausdruck  für  Vorabend 


23.    Die  Cedrela- Holzplatten  von  Tikal  im  Museum  zu  Basel. 


861 


fanden,  in  den  Hieroglyphen- Gruppen  Abb.  24,  25  der  Altar-Platte  von 
Palenque  in  derselben  Bedeutung  verwendet.  Ich  habe,  der  Deutlichkeit 
halber,  in  Abb.  26  dies  Zeichen  für  „Vorabend"  besonders  herausgezeichnet 
und  eine  dritte  Form  hinzugefügt,  die  in  der  Kolumne  R  derselben  Altar- 


Abb.  25.    11  cuban,  Vorabend  pop. 
Palenque.    Kreuztempel  I,  P,  Q. 


Abb.  26.   Hieroglyphe  Vorabend. 
Palenque.    Kreuz-Tempel  I. 


Platte  vorkommt.  Man  wird  die  Identität  dieses  Zeichens  einerseits  mit 
der  Abb.  15,  andererseits  mit  der  Figur  der  Handschriften  Abb.  20  nicht 
verkennen. 

Auf  dem  Altar  U  von  Copan  kommt  dieses  selbe  Zeichen  zweimal  als 
Ordinalzahl  eines  Uinal-Datums  vor.  Da  es  aber  hier  nicht  möglich  ist, 
die  Bedeutung  des  Zeichens  durch  die  Rechnung  zu'  prüfen,  so  unterlasse 
ich  es,  darauf  einzugehen. 

Zum  Schluss  erwähne  ich  noch,  dass  dasselbe  Element  auch  in  einer 
Hieroglyphe  enthalten  ist,  von  der  verschiedene  Varianten  (vgl.  Abb.  27) 
auf  dem  Ost-  und  dem  Westflügel  des  Inschriften-Tempels  von  Palenque, 
meist  unmittelbar  hinter  einem  Zahlausdruck,    in  einigen  Fällen  auch  un- 


Abb.  27.     Paleuque.     Inschriften -Tempel. 

Ostflügel:    A.  11.  —  G.  6.  —  L.  3.  —  L.  10.  —  M.  12.  —  R.  10. 

Westflügel:    B.  9.  —  C.  2.  —  E.  9.  -  R.  8.  -  T.  7. 


mittelbar  hinter  einem  Uinal-Datum  vorkommen.  Die  interessanten  Hiero- 
glyphen, die  die  umfangreichen  Wand-Inschriften  dieses  Bauwerks  zusammen- 
setzen, sind  leider  —  abgesehen  von  den  Daten  und  Zahl-Hieroglyphen  — 
noch  ungedeutet.  Denn  was  Goodman  hier  versucht,  ist  nur  eine  müssige 
Stilübung. 

Es  liegt  mir  daher  auch  ferne  zu  behaupten,  dass  den  Hieroglyphen 
Abb.  27,  die  das  Element  „Vorabend"  als  Hauptbestandtheil  enthalten, 
deswegen  auch  dieselbe  Bedeutung  zuzuschreiben  ist.      Aber  ich  hielt   es 


.gß2  Dritter  Abschnitt:    Kalender  und  Hieroglyphen-Entzifferung. 

für  nützlich,  ihre  Abbildungen  hier  zu  geben,  weil  hier  das  Element,  das 
mit  einer  Uinal-Hieroglyphe  verbunden  die  Bedeutung  „Vorabend"  besitzt, 
grösser  und  sorgsamer  ausgeführt  erscheint  und  uns  wenigstens  etwas 
deutlicher  erkennen  lässt,  was  den  kursiven  Formen  Abb.  20,  in  denen 
ich  seinerzeit  mit  Sicherheit  ein  Paar  menschliclie  Augen  erkennen  zu 
können  meinte,  eigentlich  zu  Grunde  liegt.  Jedenfalls  nicht  ein  Paar 
menschliche  Augen.  Der  untere,  regelmässig  mit  Kern  in  der  Mitte  ge- 
zeichnete Kreis  bezeichnet  wohl  einen  Handgelenk -Edelstein,  wie  in  der 
Hieroglyphe  des  Tages -Zeichens  manik.  Und  man  könnte  daher  ver- 
muthen,  dass  das  ganze  Gebilde  eine  geschlossene  Faust  darzustellen 
bestimmt  ist.  Der  obere  Kreis,  oder  das  obere  augeuartige  Gebilde,  ist 
aus  einem  Kopf  entstanden,  der,  wie  man  in  der  Abb.  27  sieht,  bald  als 
lebendiger  Menschenkopf,  bald  als  Schädel  gezeichnet  ist,  bald  auch  durch 
das  Tages-Zeichen  cauac  ersetzt  zu  werden  scheint.  An  diesem  Kopf  ist 
das  eine  Auge  heraushangend,  also  als  herausgebohrt,  gezeichnet.  In  den 
mexikanischen  Bilderschriften  ist  das  ein  bekanntes  und  geläufiges  Bild 
der  Kasteiung.  Und  das  im  Haus  oder  im  Kasten  Yerschlossensein  ein 
Sinnbild  des  Fastens.  Es  wird  wohl  nicht  zu  gewagt  erscheinen,  das 
Gleiche  auch  für  die  Symbolik  der  Maya-Zeichuer  anzunehmen.  Denn  in 
all  den  auf  den  Kultus  bezüglichen  Dingen  bestand  grosse  Uebereinstimmung 
zwischen  den  verschiedenen  mexikanisch- zenti'alamerikanischen  Stämmen. 
Demgemäss  werden  wir  uns  vorstellen  können,  dass  dieses  Zeichen  Abb.  15, 
20,  26  zum  Ausdruck  für  Vorabend  deshalb  geworden  ist,  weil  man  am 
Tage  vor  dem  Feste  fastete  und  sich  kasteite.  Und  es  erscheint  nicht 
unmöglich,  dass  die  ausgeführteren  Hieroglyphen  Abb.  27  auf  den  Inschriften 
des  Inschriften-Tempels  von  Palenque  die  Bedeutung  Fasttag  haben. 


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Druck  von  Gebr.  Unger  in  Berlin,  Bernburger  Str.  30. 


GETTY  RESEARCH  INSTITUTE 


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