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Full text of "Gesammelte Dichtungen"

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TORONTO 
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von Gu ſt a v F a l ie 


Ein Tageslauf 


Sitz ich ſinnend, Haupt in Hand geſtützt: 
Schöner Tag, hab ich dich recht genützt? 


Einen Kuß auf meines Weibes Mund, 
Liebesgruß in früher Morgenſtund. 


Sorg ums Brot in treuer Tätigkeit, 
offnes Wort in ſcharfem Männerſtreit. 


Einen guten Becher froh geleert, 
kräftig einem argen Wunſch gewehrt. 


Leuchtend kommt aus ewigem Sternenraum 
noch zuletzt ein ſeliger Dichtertraum. 


Sinnend ſitz ich, Haupt in Hand geſtützt: 
Schöner Tag, ich hab dich ausgenützt. 


Glück 


Ich vor dem Schreibtiſch gedankenſchwer, 
du vor dem Herd im hin und her, 
ſorgen wir beide den Boden zu nähren. 
Heimlich reifen unſere Ahren. 


Ruhen die Hände und halt' ich dich feſt 
abends, du Gute, ans Herz gepreßt, 
iſt mir's, als hört' ich ein Rauſchen und Regen: 
Feld an Feld in blühendſtem Segen. 


3 


Ein Unterſchied 


Das war einmal: ich liebe dich! 
Wie Jugend wohl zu Jugend ſagt, 
die ſich in ihrem Überſchwang 
an alle großen Worte wagt. 


Jetzt fragſt auch du nicht: liebſt du mich? 
Du fragſt nur ſchlicht: haſt du mich lieb? 
Und lächelſt, daß nach Luſt und Bluſt 
die reife Frucht am Stengel blieb. 


Ich hab dich lieb. Das klingt ſo ſüß 
und klingt ſo reif. Ein Sommerlaut, 
wenn rings der Blick im Vollbeſitz 


auf ſegenſchöne Felder ſchaut. 


Gib deine Hand, und keinen Kuß, 
mein Weib. Nur Blick in Blick. So. Gib. 
Und hör das Sommerſegenswort, 
das reife Wort: ich hab dich lieb. 


Frage und Antwort 


Reinſtes Glück, du läßt es mich genießen. 
Köſtlich ſind die Schalen, draus du ſchenkſt, 
und wie oft die Ränder überfließen, 
nie verſiegt, womit du täglich tränkſt. 
Sage mir, wo füllſt du die Gefäße 
immer wieder meinem durſtigen Mund? 


6 


Wenn ich nicht an reichen Quellen fäße, 
kämſt du bald den Schalen auf den Grund. 
Doch ſie tauchen jeden Abend wieder, 
jeden Morgen, in die Bronnen nieder, 
die für dich in meines Herzens ſtillen 
Tiefen ſtark und unerſchöpflich quillen. 
Mit den feinen Segenshänden übt 
Liebe dort das Wächteramt in Treuen, 
daß mir nichts die klaren Waſſer trübt, 
und nicht deine Lippen davor ſcheuen. 


Im Ballfaal 


Du fliegſt dahin von Arm zu Arm, 
du tanzſt ſo gern, 
dir werden Stirn und Wangen warm, 
es reißen ſich um dich die Herrn; 
ich ſteh gelehnt am Pfoſten 
auf eiferſüchtigem Poſten. 


Die hellen Flöten quälen mich. 
Du tanzſt ſo gern, 
mir iſt ein jeder Ton ein Stich. 
Bald meldet ſich der Morgenſtern, 
zu Hauſe flammt indeſſen 
Kaminglut, ſtill vergeſſen. 


Ich wollt', es wär' zu Ende ſchon, 
du tanzſt ſo gern. 
Ich höre einen ſanften Ton, 


der flattert wie aus weiter Fern'. 


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Den hat mit ihrem Bogen 
die Liebe fein gezogen. 


Hinterm Deich 


Hinterm Deich, weißt du, Schatz, 
hinterm Deich den Sonnenplatz? 
Überm Ginſter, überm ſchwanken 
Hafer hin das Spiel der blanken 
Schmetterlinge. Jetzt ein Schrei: 
eine Möwe flitzt vorbei. 
Einmal auch, wie weit, weit her, 
dumpfer Ruderſchlag vom Meer. 


Hinterm Deich, menſchenfern, 
kleine Nelken, Stern an Stern, 
kleine rote Nelken ſtanden, 
die wir uns zu Sträußen banden, 
große Kinder, ich und du, 
lachten wir vergnügt dazu, 


ſahn dann wieder ernſthaft drein: 


darf man denn ſo kindiſch ſein? 


Tempelhüterin 


Das hab ich dir zu danken, 
daß du die grünen Ranken 


des Glücks zu einem ſtillen Zelt mir biegſt, 


davor du ohne Klagen 
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getreu an allen Tagen 
als meines Friedens wache Hüterin liegſt. 


Du hörſt die leiſen Klänge, 
die heimlichen Geſänge, 
und horchſt mit einem halben Ohr hinein, 
und durch des Vorhangs Falten, 
den deine Hände halten, 
dringt nicht des Tages frecher Lärm und Schein. 


So läßt du mich gewähren, 
und weißt den Gott zu ehren, 
der herriſch dich von meiner Seite ſcheucht, 
und träumſt von Ruhmesſternen, 
und ſiehſt in goldne Fernen 
mit einem ſtillen, ſeligen Geleucht. 


Schamhafte Liebe 


Du ſchläfſt, und meine blöde Liebe 
darf ſich aus ihrem Winkel wagen 
und über dich ihr zärtlich Nachtgebet 
mit leiſem Mund und lautem Herzſchlag ſagen. 


Dem hellen Tag iſt ſie ein ſchreckhaft Kind 
und liebt Verſtecke, hüllt ſich gern in Schweigen, 
verſchüchtert leicht, wo andre lärmend ſind. 
Du ſchläfſt, und ihre ſtillen Sterne ſteigen. 
Weit öffnet ſich ihr Herz, und in verſchämter Pracht 
erglüht die keuſche Königin der Nacht. 


9 


Machtlos 


Was beſchattet plötzlich ſo 
dir im Schlaf dein liebes Angeſicht? 
Sahſt noch eben froh, 
und auf einmal ſchrickt und ſtirbt das Licht. 


Gleich des Tages Auf und Ab 
wirft des Traumes raſche Wechſelflut 
an der Seele Strand verworrnes Gut, 
und Geſpenſter ſteigen aus dem Grab. 


Kann mit Angſten und mit Händebreiten 
treue Liebe dunkle Mächte leiten? 
Muß am Ufer ftehn, 
Wind und Wellen ſehn, 
und ihr Liebſtes taumelt über Tod und Tiefe. 


Auf der Jagd 


Schmale Wege gingen wir 
Hand in Hand, 
Schmetterlinge fingen wir 
hart an eines Abgrunds Rand. 
Und mit jedem Falter glaubten wir 
gleich das Glück, das Glück gefangen, 
doch die Finger nur beſtaubten wir, 
und der ſchöne Schimmer war vergangen. 


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Aber nie genug. 
Immer reizt der Flug 
dieſer bunten Gaukler uns zum Fang. 
Dort, den Weg entlang, 
quer jetzt. Wie er lacht. 
Pfauenaugenpracht. 

Haſch ihn. Da. Das Glück. 
Über Tiefen. Halt! Zurück! 
Hoch im Sonnenglanz 
Faltertaumeltanz, 
aber unten droht die ſchwarze Nacht. 


Späte Roſen 


Jahrelang ſehnten wir uns, 
einen Garten unſer zu nennen, 
darin eine kühle Laube ſteht 
und rote Roſen brennen. 


Nun ſteht das Gärtchen im erſten Grün, 
die Laube in dichten Reben, 
und die erſte Roſe will 
uns all' ihre Schönheit geben. 


Wie ſind nun deine Wangen ſo blaß, 
und ſo müde deine Hände. 
Wenn ich nun aus den Roſen dir 
ein rotes Kränzlein bände 


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und feßfe es auf dein ſchwarzes Haar, 
wie ſollt' ich es ertragen, 

wenn unter den leuchtenden Roſen hervor 
zwei ſtille Augen klagen. 


Die letzte Nacht 


Wir gingen durch den weißen Sand, 
langſam, im letzten Sonnenbrand, 
die Wellen kamen ſachte, ſacht, 
und auf den Wellen kam die Nacht. 


Die eine Nacht, die letzte Nacht, 
die ſchwerſte, die ich je durchwacht. 
In unſere Hütte ſah der Schein 
der goldnen Sterne ſtill herein. 


Wir ſahen nach den Sternen nicht 
und ſahen auch kein andres Licht, 
wir ſahen nur in Herzenspein, 
in tiefe Finſternis hinein. 


Da küßt' ich deinen kühlen Mund, 
mein ſüßes Weib, du wirſt geſund! 
Ich wußte, daß ich Lüge ſprach; 
zur Wahrheit war mein Herz zu ſchwach. 
Du aber drückteſt mir die Hand 
und kehrteſt langſam dich zur Wand 
und weinteſt, weinteſt leis in dich 
hinein. Da ſchluchzt' ich bitterlich. 


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Trennung 


Ich laufe hin und laufe her 
und mag nicht dies und mag nicht das. 
Du gingſt, und alles iſt nun leer, 
in allen Zimmern fehlt mir was. 


Ich ſchlage unſern Flügel auf, 
greif in die Taſten voll hinein, 
doch ach! nach einem kurzen Lauf 
hock ich dahin und denke dein: 


Nun rauſchen wohl die Gärten ſacht 
und Wälder um dein ſtilles Haus, 
durchs offne Fenſter geht die Nacht 


mit irrem Flüſtern ein und aus. 


Auf deine weißen Kiſſen neigt 

ſie leiſe ſich und ſucht dein Ohr, 
und aus verworrnen Träumen ſteigt 
der Sehnſucht glüh' nder Stern empor. 


Heimweh 


Wo die Wälder Wache halten 
um dein weißes Haus, 
daß nicht wilde Sturmgewalten 
toben ein und aus, 


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kommt auf weichen, ſchnellen Schwingen 
öfter wohl ein Wehn, 
darin iſt ein ſüßes Singen 
und ein Glockengehn. 


Heimatlieder, liebe, traute, 
o, wie das doch ſingt, 
Heimatglocken, tiefe Laute, 
o, wie das doch klingt. 


Über deine dunklen, dichten 
Wälder wandert ſtill 
deine Sehnſucht, die zur lichten 
fernen Heimat will. 


Unterm Weinſtock 


Das iſt nun der erſte Wein, 
unter eigenem Dache erblüht; 
von himmliſcher Sonne durchglüht, 
ward er ſo ſüß und fein. 


Die Trauben hängen ſo ſchwer, 
grüngolden und purpurblau, 
und jedes Jahr, liebe Frau, 

bringt uns der Trauben mehr. 


Die Kinder freuen ſich ſo, 

und die Gäſte kommen zum Schmaus, 
und immer iſt unſer Haus 

voll Weines, und Wein macht froh. 


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So ift der gefegnefe Baum 
unferes Glückes Symbol. 
Liebe Frau, wie deuteſt du wohl 
meinen jüngſten Traum? 


Eine Traube, purpurrot, 
zerdrückten die Finger dein, 
und es tropfte der ſüße Wein 
in den Becher, den ich dir bot. 


Du lächelteſt ſtill und gut 
und ſahſt mich eigen an 

und ſprachſt leiſe dann: 

trink du, es iſt mein Blut. 


Aus bangem Traum 


Ein tiefes Angſten trübte dein Geſicht, 
ich wollt dich wecken, aber wagt es nicht. 


Bedarfſt du doch des Schlafes, liebes Weib, 
für deinen müden und zermürbten Leib. 


Da fuhrſt mit wehem Laut du jäh empor, 
o ſag, wohin die Seele ſich verlor. — 


„Auf kaltem Lager lag, ein Bild aus Stein, 
dein toter Leib, nicht dein mehr und nicht mein. 


Streng ſtarrten deine Züge, und ich ſtand 
wie fremd, mit unſerm Knaben an der Hand. 


15 


Zwei arme Kerzen flackerten im Raum, 
und irre war ich, ob's ein Traum im Traum. 


Da ſprach dein Söhnchen, feſt an mich geſchmiegt, 
mit ſcheuem Mund: „Wie ſtill der Vater liegt. 


Iſt er nun tot Mama?“ — O, wie das traf! 
Vor dieſen Worten flohen Tod und Schlaf. 


Komm, guter Mann, bett mich an deine Bruſt, 
daß ich des ſüßen Lebens werd bewußt.“ 


Tränen 


Deine heißen Tränen floſſen 
auf die fremden bunten Blumen, 
die verſteckten Beeten entſproſſen. 


Rieſelten über die ſchönen Geſtalten, 
die mein Herz auf heimlichen Tafeln 
mit Liebesgriffeln feſtgehalten. 


Tropften in die roten Flammen, 
die auf ihrem ſtillen Herde 
zuckten wie erſchreckt zuſammen. 


Und in dieſer Flut verwiſchte 
Bild um Bild ſich, und die Blumen 
ſtarben, und die Glut verziſchte. 


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Schutzheilige 


Laß mir deine liebe Hand, 
ſieh, die weißen Hände winken, 
ſieh, die roten Früchte blinken, 

Früchte, rot wie Blut und Brand. 


Dieſe Nacht, war es denn Traum? 
Fand ich mich im Paradieſe, 
tanzten auf beſonnter Wieſe 
Frauen dort um einen Baum. 


Zogen mich in ihren Kreis, 
von den Früchten mußt ich eſſen: 
ſüßes, ſeliges Vergeſſen; 
und ich gab dich, gab uns preis. 


Iſt denn nicht der Traum vorbei, 
iſt die Nacht noch nicht zu Ende? 
Gib mir deine beiden Hände, 
daß mein Wachen wirklich ſei. 


Wohin ſoll ich vor der Glut, 
vor den wilden, fremden Süchten 
als zu deinen Füßen flüchten: 
du verſtehſt, und du biſt gut. 


Und du läßt mir deine Hand. 
Sieh, die weißen Frauen winken, 

ſieh, die roten Früchte blinken, 
blinken rot wie Blut und Brand. 


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Tote Jahre 


Die letzten Kohlen verglimmen, 
ein Dunkel, wir ſehen uns kaum. 
Wir ſprechen mit leiſen Stimmen, 

wie aus einem Traum. 


Wir ſprechen von toten Jahren 
und ſchmücken ihre Gruft, 
ſprechen von Roſen, die waren, 
und ihrem ſüßen Duft. 


Vom monderhellten Fenſter 
herüber leuchten blaß 
zwei ſchlanke Blumengeſpenſter: 
weiße Narziſſen im Glas. 


Die ſchlanken, weißen Narziſſen 
ſehn ſo ſeltſam, ſehn 

ſo traurig her. Ob ſie wiſſen? 
Unſer Flüſtern verſtehn? 


Unſere leiſen, weinenden Worte 
von jenen Jahren, die nun 
hinter der dunklen Pforte 

für immer ruhn. 


Zwei 


Drüben du, mir deine weiße 
Roſe übers Waſſer zeigend, 
hüben ich, dir meine dunkle 
ſehnſüchtig entgegenneigend. 


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In dem breiten Strome, der uns 
ſcheidet, zittern unſre blaſſen 
Schatten, die vergebens ſuchen, 
ſich zu finden, ſich zu faſſen. 


Und ſo ſtehn wir, unſer Stammeln 
ſtirbt im Wind, im Wellenrauſchen, 
und wir können nichts als unſre 
ſtummen Sehnſuchtswinke tauſchen. 


Leis, geſpenſtig, zwiſchen unſern 
dunklen Ufern ſchwimmt ein wilder 
ſchwarzer Schwan, und ſeltſam ſchwanken 
unſre blaſſen Spiegelbilder. 


Die Lilie 


Sieh, dieſe Lilie bring ich dir, 
und keiner Roſe heiße Glut, 
nein, dieſer Lilie weiße Glut 
und meine Liebe bring ich dir. 


Sieh in den keuſchen Kelch hinein 
und weide dich an ſeinem Glanz, 
an ſeinem Glanz und deinem Glanz: 
kein Spiegelbild kann treuer ſein. 


Und ſieh im weißen Kelchbett tief 
den Fruchtſtaub, wie er leuchtend ruht, 
als ob aus Blut, aus unſerm Blut 
ein Kronring da zufammenlief. 


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Gebet 


Sieh, ich hab mich tief erniedrigt, 
willſt du mich nicht wieder heben, 
mir noch einmal wieder Flügel 
nach der hellen Heimat geben? 


Wenn ich meines Kindes Scheitel 

je in Schmach verſunken wüßte, 
griff ich weinend ſeine Locken, 
daß ich ſie verzeihend küßte. 


Willſt du nicht ein gleiches tun 
und mich als dein Kind erkennen? 
Willſt du? 

Ach, ſchon fühl durch meine Scham m 


deine Liebe brennen. 


Liebe 


Die lange Nacht war ſchwarz und ſchwül, 
in dumpfen Süchten dumpf befangen 
entfernt ich mich von mir, von dir, 

nun ſeh ich wieder über mir 
das Leuchten reiner Sterne hangen. 


Und eine Stimme, hold vertraut, 
nimmt mich ans Herz: der wilden Triebe 
ſchwälende Flamme löſcht der Wind. 
Sieh, heiter ſind 
die ewigen Lampen unſerer Liebe. 


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Heimkehr ı 


Du weißt, ich hab dich lieb gehabt, 
und immer gleich, an jedem Tag, 
ob ich ein wenig Glück uns fing, 
ob ſtill in Sorgen abſeits ging. 
Da kam ein Frühlingsſonnenſchein 
und kam ein junger Roſentag, 


ich ſtand in lauter Rauſch und Traum 
an eines fremden Gartens Saum. 


Aus holder Morgenlieblichkeit 
klang da ein Lied, ſo ſüß, ſo ſüß, 
daß ich im Lauſchen mich verlor 
und hatt für deinen Ruf kein Ohr. 
Doch gab des Gartens Tür nicht nach, 
ein zweifach Schlößlein lag davor, 
das hat den Träumer aufgeweckt, 
ihn auf ſich ſelbſt zurückgeſchreckt. 
Er riß ſich los und kehrt nun heim 
und drängt ſein Herz an deines hin. 
Trotz Rauſch und Traum, du fühlſt, es blieb 
das alte Herz und hat dich lieb. 


Heimkehr 2 
Ich ging in der Irre, du riefſt mich nicht, 
ließt heller nur brennen der Liebe Licht. 


Du warteteſt ruhig und warſt gewiß: 
mein Stern bleibt ſtehn in der Finſternis. 


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Verworrne Wege, wo lief es hinaus? 
Du lächelſt und haſt mich wieder zu Haus. 


Mondlicht 


Das blaſſe Licht des vollen Mondes geiſtert 
durchs ſchlechtverhängte Fenſter uns ins Zimmer. 
Du ſchläfſt. Die Kinder auch. Mir aber meiſtert 
der Magier der Nacht den Schlaf wie immer, 

und wachen Ohrs, das alles hört, ausfrägt 

und deutet, lieg ich. Unſre Altſte leiht 
verworrnem Traum, der ſie durch Schrecken trägt, 
angſtvollen Laut, richtet ſich auf und ſchreit 
entſetzt einmal den Namen ihrer Schweſter. 
Ich ruf ſie an: Schlaf! Still! dir träumt! Gleich weicht 
der böſe Alp von ihr. — O dieſe Neſter 
von Nachtgeſpenſtern, die der Mond beſchleicht 
und aufſtört, Neſter, eingebaut 
in unſrer Seelen abgelegene Ecken 
und Winkel, die uns zu betreten graut. 

Wie ſtill, unſchuldig, ruht auf unſern Decken 
das Licht des Monds und iſt doch voller Tücken. 

Es ruht! Nein, wandelt. Dieſes breite Band 

milchigen Lichtes ſeh ich weiterrücken, 
langſam. So taſtet leiſe eine Hand, 
die Arges vorhat und behutſam gleitet, 
nach ihrem Raub. Nun ſchiebt das kalte Licht 
ſich mählich auf dein Bett hinüber, breitet 
ſich über deine Kiſſen. Dein Geſicht, 
fühlt es das Licht? Du rückſt, weichſt, kriechſt 


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ganz weg vor dieſem Licht. Könnt deinen Traum 
ich jetzt belauſchen. Mit der Stirne liegſt 
du eingewühlt in deines Kiſſens Flaum, 
wie weggeduckt vor dieſem böſen Licht, 
das jetzt auf deinem ſchwarzen Scheitel laſtet, 
ſchwer laſtet. Du, wie leblos, rührſt dich nicht. 
So ſitzt, vom Blick der Schlange ſchon betaſtet, 
der Vogel wie erſtarrt, noch eh der Schlund 
des giftigen Wurms ihn wegſchluckt. Langſam läßt 
das Licht von dir. Und aus dem dunklen Grund 
des Grauens tauchſt du auf. Noch geht gepreßt 
dein Atem, ſtockend. Doch du wendeſt wieder 
die Stirn nach oben. Dein Geſicht iſt blaß, 
und einmal zucken deine feinen Lider, 
als würdeſt du nun wach. Du murmelſt was. 
Ich ruf. Ein Seufzer nur. „Liebſte!“ Kein Laut. 
— Mich fröſtelt. Wenn nur erſt der Morgen graut. 


Gemeinſame Fahrt 


Treugeſellt in einem Nachen, 
nach dem unbekannten Ziel, 

traun dem Glück wir und der ſchwachen 
Planken leichtgefügtem Kiel. 


Einmal Hauch erfriſchter Wieſen, 
einmal eines Kornfelds Gold, 
lächelnd wie aus Paradieſen 
grüßt uns eine Roſe hold. 


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Trauerweiden, überhängend, 
ſpiegeln ſtill ihr Nachtgeäft, 
Ufer, auseinanderdrängend, 
dämmern wie ein Nebelreſt. 


Blaſſe Sterne, dunkle Weiten, 
Meeresgruß und Möwenſchrei, 
eingelegte Ruder gleiten 
einem letzten Licht vorbei. 


An Detlev von Liliencron 


Heute hatt' ich einen Feſttag, einen Frohtag. 
In den Federn lag ich noch, ich Siebenſchläfer, 
als, erſchreckend mich, an meinem Klingelzug ſchon 
ſtürmiſch riß der brave, ſchnauzige Stephansjünger, 
er, ſo mancher meiſtens unverhoffter Freuden 
unbewußter, mürriſch kalter Botenträger. 

An die Türe ſtürz' ich eins zwei drei auf Socken, 
ſtürze, ſtolpre, rutſche. Durch die ſchmale Spalte 
eine Handvoll „Poſt“ reicht mir herein der Brave: 
Briefe, Bücher, eine lange Notenrolle. 

Ei, verflog der Schlaf, der halbwegs mich umfing noch. 
Dennoch zog ich ſchnell zurück ins warme Bett mich. 
In des Wintermorgens mattem trübem Frühlicht 
überflog ich ſchnell die reiche Stephansſpende, 
brach das Brieflein: „Viel zu kalt iſt's heute,“ ſchrieb mein 
Mütterchen, „für unſre Domfahrt, und ich ſchone 
lieber mich zum Feſte.“ — Aus der ſchlanken Rolle 
zog die erſten fünf ich von den dreiundfünfzig 


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Mörikegeſängen Hugo Wolfs, den unlängft 
du begeiſtert mir geprieſen und in deinem 
neuſten, prächtigen Verſebuch: „Der Haidegänger“ 
kräftiglich in deiner kernigen Art beſungen. 
Und da war er ſelbſt in ſeinem gelben Kleide, 
kam mit einem gelben Zettelchen, auf welchem 
zier geſchrieben: „Mit ergebenſter Empfehlung 
vom Verleger überreicht.“ Schon hatt' am Abend 
fröhlich ich für ihn das Portemonnaie gezogen 
und mit meinem Federmeſſer alſogleich ihn 
unterſucht nach wahren, echten Dichtergaben. 
Zwei der edlen „Gänger“ ſtehen nun im Stall mir, 
Bücherſtall: ſo nenn' ich meinen kleinen gelben 
Schrank. Einſt war es Mutters Wäfchefchrapf. Jetzt ſtehen 
drin in Reih und Glied geordnet (Schöne Ordnung!) 
groß und kleine und berühmt und unberühmte 
teutſche Dichter, die ja, wie bekannt, nur ſchreiben 
tapfer fleißig für ihr Volk, auf daß es ſchmunzelnd 
ſie und ſtolz als höchſte nationale Güter 
in den Schrank ſtellt! Aber Freund, ſei ohne Sorge, 
eins von deinen Haidegängerbüchern mag drin 
neben Goethe, Schiller, Platen, Lenau, Reuter 
neben Bibel und Fürſt Bismarck Ruhe pflegen, 
von dem Schreibtiſch kommt mir nicht das andre eher, 
bis ich Vers für Vers zu eigen mir gemacht hab'. 
Kommſt du, wie du ja verſprochen, gleich nach Neujahr 
auf die Bude mir, ſo will für alles Schöne, 
das ſeit letzten Sommer ich dir danke, herzlich 
beide Hände ich dir drücken. Und dann ſingſt du 
— denn mir ahnt: Du ſingſt, verſtehſt zu ſingen — jene 
ſchönen Lieder mir vom neuen Liederkönig 


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Hugo Wolf. Vor allem das entzückend luſt' ge 
Lied vom Knaben mit dem Immlein. Ach, ich ſelber 
ſinge nur in Tönen wie ein Nebelhorn, das 
mitternächtig ruft bei trübem, dickem Wetter 
Angſt und Graun im Herzen wach der Paſſagiere, 
die mit Zagen denken der Gefahr, davon ſie 
einzig nur des Schiffes dünne Planken trennen. 
Heute noch dazu quält mich ein Rieſenſchnupfen: 
Schnaufend, nieſend, kröchelnd, ächzend ſchreib ich dieſe 
ſeltſame Epiſtel an dich nieder, während 
draußen, Omeletten gleich dick überzuckert, 
alle Dächer tragen friſchen Winterſchmuck, denn 
ſchon ſeit frühem Morgen ſchneit es unaufhörlich 
auf die Dächer, Straßen, Plätze und die grünen 
waldentführten Weihnachtsbäume. Wenige Tage 
noch, und auch in meiner kleinen Klauſe leuchtet 
ſolch ein lichtgeſchmücktes Bäumchen mir zum erſten 
frohen Chriſtfeſt an dem eignen Herd. Wie köſtlich! 


Und du Böſer wollteſt einſt mich ſorglich warnen 
keinem Weib zu feſt ins ſchlaue Garn zu gehen, 
denn die leidigen Ehefeſſeln brächten wenig 
Freude einem teutſchen Dichter. Nun, am Ende 
bin ich gar kein Dichter, denn fürs erſte ſchmeckt mir 
noch die Ehe wie ein Honigkuchen, d' rauf mit 
weißen Mandeln eingelegt ein ſchönes Herz iſt. 


Doch, gewiß, ich weiß ja, Ehe ach und Ehe! 
Aber daß nun meine Frau ſo übel gar nicht 
und ein dichterfreundlich Herz hat, zeigt allein ſchon, 
daß trotz jener Warnung ſie nicht ſchmollt mit dir, und 
ihren „Erſten! — wenn das Störchlein nicht vergißt drauf — 


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Detlev nennen will: Hans Detlev. Heute ſchickt fie 
dir beſondern Gruß und Dank durch mich für deinen 
allerliebſten „Puppenhimmel“. Damit, Beſter, 
Gott befohlen. Und ein frohes, ſchönes Chriſtfeſt. 
Gleich nach Neujahr hoff' ich dir die Hand zu drücken. 


Meinem Kinde 


Du ſchläfſt und ſachte neig' ich mich 
über dein Bettchen und ſegne dich. 
Jeder behutſame Atemzug 
iſt ein ſchweifender Himmelsflug, 
iſt ein Suchen weit umher, 
ob nicht doch nicht ein Sternlein wär', 
wo aus eitel Glanz und Licht 
Liebe ſich ein Glückskraut bricht, 
das ſie geflügelt herniederträgt 
und dir aufs weiße Deckchen legt. 


An die Sorge 


Knarrt die Stiege? Schritt vor Schritt, 
ſchlurfend, ſchleifend kommt es nah. 
Kenne dich am Tapp und Tritt, 
Sorge, biſt du wieder da? 


Argert dich mein Wohlergehn, 
dieſer ganz beſcheidene Glanz? 
Kannſt du niemand fröhlich ſehn? 
Zerrſt und zauſt an jedem Kranz? 


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Gönn' mir doch das wenige Gut, 
das ein harter Fleiß beſchert, 
löſch des Friedens ſanfte Glut 

neidiſch nicht auf meinem Herd. 


Und die Wiege dort, davor 
Mutterangſt Gebete ſpricht, 
Liebe lauſcht mit wachem Ohr, 
all mein Glück, o ſtör' es nicht. 


Aus dem Takt 


Mein Weib und all mein holder Kreis, 
mein Kind und all mein lachend Glück, 
ich rühre an die Saite leis, 
wie hell klingt es zurück. 


Nur manchmal, wenn von Ferne ich 
die großen Ströme rauſchen höre, 
wenn ſich der vollern Lebenschöre 
ein Ton in meine Seele ſchlich, 
ſchrei laut ich auf und hebe Klag: 

Mehr Licht, mehr Licht, nur einen Tag! 


Und blutend leg ich, abgewandt, 
mein Herz in eure Liebeshand, 
bis es von aller Angſt entbunden, 
und wieder ſeinen Takt gefunden, 
den Gleichtakt zwiſchen Wunſch und Pflicht. 
Herddämmerglück, Herddämmerlicht. 


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Lied des Armen 


An die Arbeit! Mürriſch treibt 
mich ins Joch die Sorge wieder, 
und ihr harter Peitſchenſchlag 
fällt im Gleichtakt auf mich nieder. 
Selig, wem beim Hahnenſchrei 
Glück den Morgengruß bereitet, 
und wen durch den goldnen Tag 
ſeine weiche Hand geleitet. 


Einmal trifft auch mich ſein Blick, 
der ich ſchwer im Pfluge gehe, 
wenn ich keuchend, todesmatt 
vor der letzten Torfahrt ſtehe. 


Läſſig ſchirrt's mich aus dem Joch; 
ſoll ich dankbar mich ihm zeigen, 
oder feiner fpäfen Gunſt 
ſtumm den müden Nacken neigen. 


Auf dem Amboß 


Auf einem Block von Eiſen kalt 
lag rücklings ich und feſtgeſchnallt, 
und neben mir die Sorge ſtand. 
Mit ſehnigem Arm und harter Hand 
ſie ihren ſchweren Hammer ſchwang, 
ein knochig Weib mit welken Brüſten, 
und an der Lippen bleichen Küſten 
brach ſich ein heiſerer Geſang. 


29 


Daneben, hold wie Sonnenlicht, 
die Liebe ſchwang im Händchen fein 
ein blitzend golden Hämmerlein. 
Sie hatt' der Liebſten Angeſicht, 
ihr braunblond Haar, den Küſſemund, 
den ſchlanken Leib, maifriſch, geſund, 
die großen, grauen Augen, trug 
ein erdbeerfarben Kleid, und ſchlug 
mit ihrem kleinen Hammer brav 
aufs Herz mir. Jeder Schlag der traf, 
Und von den friſchen Lippen klang 
ein rührend ſüßer Kinderſang. 


Und wechſelnd fielen Schlag auf Schlag 
die beiden Hammer mir aufs Herz, 
der hülf los ich gefeſſelt lag, 
die Lippen biß und ſchrie vor Schmerz. 
Bis unerträglich war die Qual. 
Ein Ruck! Hinklirrt der Kettenſtahl. 
Der Sorge reiß' ich aus der Fauſt 
den Eiſenhammer. Niederſauſt 
der angſtgeführte, wuchtige Hieb 
und trifft, o Gott, und trifft mein Lieb. 
Sie ſinkt, fie feufzt — — — 

Vergieb! Vergieb! 
Am Boden wein' ich bitterlich. 
Die Sorge aber weidet ſich 
an meinem Schmerz mit kaltem Hohn 
und hebt den ſchweren Hammer ſchon, 


ſchlag zu, ſchlag zu — — —. 


30 


Gold, wenn ich's hätte 


Gold, wenn ich's hätte, 
das große Los! 
Ob ich mir ein Reitpferd hielte? 
Einen Viererzug? 

Ob ich mir ein Rittergut kaufte? 
Vielleicht gründete ich ein Aſyl 
für verarmte Börfianer 
oder invalide Rennpferde, 
vielleicht kaufte ich Schopenhauers 
geſammelte Werke. 

Ich täte noch viel mehr, 
ſchöneres, edleres: 
ich rauchte eine beſſere Zigarre, 
und gäbe meiner Frau 
hundert Mark, 
tauſend Mark Wochengeld. 
Vielleicht auch hielt' ich eine zweite Frau, 
ein kleiner Paſcha, 
in jedem Stadtviertel eine. 
Vor allem aber 
würde fromm ich, ſehr fromm, 
und ließe für Sankt Marien 
ein Altarbild malen: 
Chriſtus, 
die Schächer zum Tempel hinausjagend. 
Aber ein Realiſt ſollt' es malen, 
ſo einer mit großen, wahren Augen, 
der die Dinge ſieht, wie ſie ſind, 
ohne Heiligenſchein. 


31 


Chriſtus, 
mit dem heiligen Feuer des Zornes, 
Verachtung im edlen Antlitz, 
das derbe Tau in der ſtrafenden Hand, 
und vor ihm geduckt, 
zitternd, ſtolpernd, fluchend, greinend, 
in Kaftan und Frack, 
ſchmierig außen und innen, 
oder nur innen, 
und außen parfümiert und geſchniegelt, 
alle die edlen Seelen, 
die hundert Prozent nehmen; 
die Kaffeeſchwindler mit ſcheinehrlichem Geſicht; 
die Buttermanſcher mit den angeſehenen Bäuchen; 
die Gotteswortfälſcher 
mit den gleichfalls angeſehenen Bäuchen, 
und noch viele andere. 
Und einige Leute, 
die ich beſonders haſſe, 
die ſollten mir ganz vorne abkonterfeit werden, 
ganz ſo ehrlich, tugendhaft, 
mit Phariſäerlächeln, 
wie ich täglich ſie ſehe. 

Aber das Genie meines Realiſten 
ereilte ſie mit heiliger Vergeltung, 
und durch Farbe und Lack, 
durch Dünkel und Lächeln 
grinſte ihr hohles Nichts, 
deutlich, 
man könnte es mit Händen greifen. 
Gold wenn ich's hätte, 


32 


das große Los. 
Kein Reitpferd, keine Maitreſſe. 
Kein Aſyl 
für Opfer unſerer modernen Wirtſchaftsordnung, 
Freiheit, weite gold' ne Freiheit. 
Fort! irgendwohin, 
nur fort! 
In die Einſamkeit? 
In die Haide? 
Oder aufs Weltmeer hinaus 
auf wiegender Planke? 
Oder durch die ſtille, 
herzüberſchauernde Wüſte 
auf ſtelzendem Kamel? 
Freiheit. Welt. Nur fort. 
O, der kleine lächelnde Jude, 
den ich neulich auf der Pferdebahn traf, 
wie ich ihn beneide, 
dieſen kleinen ſchmunzelnden Iſraeliten, 
der Konſtantinopel geſehen hatte, 
Roßſchweife, Harems, das goldne Horn, 
und andere Hörner. 
Wie ward das Herz mir groß 
bei ſeinem Erzählen. 
Und er war nur ein Kaufmann, 
reiſte vielleicht 
mit wollenen Unterhoſen, 
patentierte Jäger, 
oder mit Wiener Schuhwaren, 
und ich, ich bin ein Dichter 


und würde mit meiner Muſe reiſen. 


33 


D, meine Mufe. 
Neulich noch ſchalt fie mich, 
daß ich ſie verſauern ließe, 

ſtubenhockeriſch. 

Sie hätte keine Luſt, 
eine alte Hutzel zu werden. 
Sie bedürfe Bewegung, 
Luftveränderung, 
Zerſtreuung, 
Nahrung. 

Von Hamburger Rauchfleiſch allein 
könnte ſie nicht leben. 


O, meine Muſe, 
ich weiß, 
du biſt ſchlecht daran, 
ſehr ſchlecht. 
Dir fehlt es am Nötigſten 
zu deiner Entwicklung, 
du wirſt ewig 
bleichſüchtig bleiben 
in der ſtickigen Stadtluft, 
in der Miſere 
des täglichen Lebens. 
Glaube, das Herz tut mir weh darob, 
aber ich kann dir nicht helfen. 
Gold, wenn ich's hätte, 
das große Los. 
Ja, wollt' ich dich halten. 
Herrlich ſollteſt du ſein, 
eine Fürſtin, 


34 


getränkt mit dem Nektar der Freiheit, 
geſpeiſt mit dem Brot der Freiheit, 
groß, heiter. 

Wie es Göttern geziemt und Göttinnen, 
gingſt du mit Siegesſchritten, Tanzſchritten, 
über Länder, 
über Meere, 
brächeſt Roſen 
aus dem glutflammenden Nordlicht 
und ſchöpfteſt Diamanten 
mit hohler Hand 
aus den flimmernden Feldern 
des Südpols. 

Aus den Tiefen der Meere 
drängten ſich jauchzend 
die Wunderweſen entgegen dir, 
Tritonen und Nereiden, 
und lachend, 
daß es widerhallte durch alle Himmel 
neigten aus Sternenhöhen 
ſelige Scharen ſich 
entgegen der Schweſter. 


O, meine Muſe. 

Ich bin nur ein armer, 
ſtundenlaufender Klavierlehrer, 
verheiratet, 
ohne Vermögen, 
und bitter ſüße 
den Übermut ich, 
daß ich mir den Luxus geſtatte, 


35 


mir eine Muſe zu halten, 
die ich nicht ernähren kann, 
nicht ſtandesgemäß ernähren kann, 
wie es ſich für Muſen gehört. 
Nun welkſt du hin, 
blutarm, 
und kränkelſt in Sehnſucht 
und Heimweh. 


O, meine Muſe, 
Gold, wenn ich's hätte, 
das große Los. 


Vaterland 


Deutſchland, ich ſoll dich lieben, 
und läßt deine Dichter hungern, 
von Tür zu Tür ſich ſchieben 


und lungern. 


Deutſchland, was ſollen wir ſagen, 
den Blick zu Boden gewandt, 
wenn ſie kommen und fragen 

nach unſerm Vaterland? 


O, wär ich in welſchen Landen 
geboren, oder im Norden, 
mein Leben wär nicht zu Schanden 
geworden. 


36 


Ob dir das Herz wird ſchlagen, 
ob du in Scham entbrennſt, 
wenn ſie nach deinen Dichtern fragen, 
die du nicht kennſt? 


Dann läßt du deine beſten, 

berühmteſten Profeſſoren 

nach unſeren Leichenreſten 
wühlen und bohren. 


Und unter die heiligſten Güter 
reihſt unſere Knochen du ein, 
der Ideale Hüter, 
und wahrſt den Schein. 


Aber ſo lange wir leben, 
wollen laut wir klagen, 
unſere Stimme erheben 

und deine Schande ſagen. 


Nachher müſſen wir's dulden 
daß du mit uns prahlſt 
und deine Ehrenſchulden 
mit einem Stein bezahlſt. 


Der Baum 


Wie ſollt ich die Scholle nicht lieben, 
das gute, treue Land, 
wo ich Wurzeln getrieben, 
in allen Winden ſtand. 


37 


In allen Wettern und Winden 
wuchs ich auf und trieb 
Blüten. Kein Baum iſt zu finden, 
der dankbar der Scholle nicht blieb. 


Nun tragen meine Aſte 
Früchte, rot und blank, 
die Vögel, die himmliſchen Gäſte, 
kommen und ſagen nicht Dank. 


Ich aber treib' indeſſen 
die Wurzeln tief in den Grund, 
und während ſie oben eſſen, 
trink ich unten mit durſtigem Mund. 


Und fühle die Säfte ſteigen 
und fühl' die lebendige Kraft, 
den brauſenden Lebensreigen 
kreiſen durch meinen Schaft. 


Nach der Taufe 


Roſe, die am heut vergangnen Tag 
mit den Schweſtern um ein Becken lag, 
eine Schale ſommerſchön umkränzte, 
worin ein geweihtes Waſſer glänzte. 


Leuchtendes Symbol der Liebe, nun 
allgemach die Feierklänge ruhn, 
Ziehen holde, weltliche Gedanken 

durch mein Träumen ihre roten Ranken. 


38 


Roſen ſeh ich, die bei Roſen ftehn, 
ihren Duft um eine Wiege wehn, 
zukunftstrunken hör' ein zart Gefieder 
leis ich rauſchen, feine Liebeslieder. 


Schwirren hör' ich einen fernen Pfeil — 
ſchlaf Kind, bei den Parzen liegt dein Heil. 
Flehen will ich zu den Hüterinnen, 
daß ſie einen goldnen Faden ſpinnen. 


Meinem Sohn zur Taufe 


Als wir deine Schweſtern getauft, 
hab ich die herrlichſten Roſen gekauft, 
brauchte ſich keine zu verſtecken, 
war jede ein Schmuck fürs geweihte Becken. 


Inzwiſchen iſt mir's beſcheiden geglückt, 
daß ein eigen Gärtchen das Haus mir ſchmückt, 
und an der Wand zu jeder Seite 
ſpinnt ſich ein rankend Roſengebreite. 


Eigene Roſen. Wie die doch gleich 
anders leuchten. Mein Sohn, du biſt reich. 
Kein beſſeres Omen kann dir blühen 
als dieſes helle Roſenglühen. 


Aus Eigenem muß du die Kränze binden, 
die deine Tage hold umwinden. 
Alles, was dir von außen kommt, 
wenig zu deinem Glücke frommt. 


39 


Nennſt du nichts im Leben dein 

als einen vollen Herzensſchrein, 
wirſt du nach äußerm Glanz nicht fragen 

und fröhlich eigene Roſen tragen. 


Zu fpät 


Die Muſen und die Grazien ſtehn 
rings um ein Bett und flüſtern, 
das Kind, das ſie in Windeln ſehn, 
ſoll einſt mit ihrer Patengunſt 
ein Meiſter ſein am Bau der Kunſt, 
nach höchſtem Lorbeer lüſtern. 


Sie zogen grad' im Reigentanz 
vorüber dieſer Pforte, 

da ſah'n ſie einen hellen Glanz 

verkündend überm Giebel ſtehn, 

Thalia hat's zuerſt geſehn 

und ſpricht: Wir ſind am Orte. 


Und ungeſehen, alleſamt, 
umdrängen ſie die Wiege, 
wetteifernd im Gevatteramt: 
Von jeder Muſe einen Kuß, 
die Grazien, kichernd, machen Schluß, 
da knarrt was auf der Stiege. 


Und in den Kreis der Hohen tritt 
der Vater, nimmt das Seine 


40 


und küßt den Sohn: Ihr Götter, bitt' 
für dieſen ich um eine Gunſt, 

verſchont ihn mit Genie und Kunſt, 
gebt Brot ihm und nicht Steine. 


Da klingt es wie ein Lachen leis 
und ſpöttiſch durch das Zimmer. 
Zerſtoben iſt der Muſenkreis, 
der Knabe liegt und ſchläft und träumt, 
hell auf der kleinen Stirne ſäumt 
ein roſenroter Schimmer. 


Kinderreim 


Riſche raſche ruſche, 
der Haſe ſitzt im Buſche. 
Woll'n wir 'mal das Leben wagen? 
Woll'n wir 'mal den Haſen jagen? 


Ruſche raſche riſche, 
der Haſe ſitzt bei Tiſche. 
Siehſt du dort im grünen Kohl ihn? 
Flink, nun lauf mal hin und hol' ihn! 


Riſche ruſche raſche, 
haſt ihn in der Taſche? 
Was? Er iſt ins Feld gegangen? 
Atſch! Kann nicht 'mal Haſen fangen! 


41 


Konſequenz 


In meinem Gärtchen, zwei Fuß vom Weg, 
hinter dem niedern Gittergeheg, 
blüht mir ein blauer Syringenſtrauch, 
meine Freude und meiner Kinder auch. 
Aber die Buben von den Gaſſen, 
die Racker, können das Räubern nicht laſſen. 


Wenn ſie früh in die Schule gehn, 
ein Kleinſter bleibt begehrlich ſtehn, 
ein zweiter ſtellt ſich daneben auf 
und ſchielt mit ihm zum Bäumchen hinauf, 
möchten gerne von den Syringen 
ein Zweiglein mit in die Klaſſe bringen. 


Kommt ein dritter, hops, wie er hupft, 
hat ſich ein paar Blätter gerupft, 
aber der Grünkram genügt ihm nicht, 
er iſt mal auf Syringen erpicht. 
Noch einmal, hops! — Euch will ich kriegen. 
Ich klopf ans Fenſter. Hei, wie ſie fliegen. 


So ein Bubenvolk iſt ſchlimm, 
gefällt ihm was, gleich denkt es: nimm! 
Aber daß auch die Mädel — ich bitt, 

kommen da welche gleich zu dritt, 
recken die Hälschen, drehen die Köpfchen 
ängſtlich und ſchlenkern mit den Zöpfchen. 


Hebt ſich die längſte auf den Zeh'n, 
einmal, zweimal, es will nicht gehn. 


42 


Gehuſchel, Getuſchel. Mädel find klug; 
hat ſie, bevor ich ans Fenſter ſchlug, 
das kleinſte ſchnell auf den Arm genommen 
und die allerſchönſten Syringen bekommen. 


Ich drohe ihr, ſie lacht mich an, 
wie nur ein Mädel lachen kann, 
ſpitzbübiſch, ſchelmiſch und doch ganz lieb. 
Es iſt ein allerliebſter Dieb, 
und da — ich will recht finſter blicken 
und kann nur lachen und freundlich nicken. 


In Zukunft ſind die Syringen frei, 
ob Mädel, ob Buben, iſt einerlei. 
Was ihr im Sprung erhaſchen könnt, 
ihr Diebsgelichter, ſei euch gegönnt. 
Nur braucht ihr das ſelber nicht grade zu wiſſen, 
mein Bäumchen würde mir arg zerriſſen. 


Tein Penn 


„Tein Penn man, Herr! — Herr, man tein Penn.“ — 
Was hatte 

das Herz verhärtet mir, daß rauh ich wehrte 

mit kaltem Nein? — „Herr, man tein Penn de 
Blomen.“ 

Kornblumen waren's, und das letzte Sträußchen. 

Und Angſt im Herzen vor den Schelten, Schlägen, 

die dein vielleicht zu Hauſe harrten, liefſt du 

ein Streckchen mit noch: „Herr, tein Penn man, Herr“. 

Und ſchwächer dann und ſchüchtern von der Mitte 

des Fahrdamms klang es noch einmal: „Tein Penn“. 


43 


War's Scham, einmal gefprochenes umzuſtoßen, 
daß ich das ſchroffe Nein nicht widerrief? 
War es das wunderliche Fühlen wieder, 
das nie mich ohn' Erröten geben läßt 
auf offner Straße, vor der Leute Augen? 
Kommt an mein Haus. So zwiſchen Tür und Pfoſten, 
ſo durch die Spalte, zehnmal zehn „tein Penn“, 
mit frohem Herzſchlag ſchnell und gern gegeben. 


War's das? Der Abend war doch ſchon ſo dunkel, 
Der Regen rieſelte, und barfuß ſtandeſt 
im Schmutz der Straße du und batſt „tein Penn“, 
und batſt umſonſt, indes an meinem Arm 
ein liebes Weſen ſprach von Eingemachtem, 
von Preißelbeeren, Gurken und Gelee, 
und teurem Zucker. War mein Herz verſteint, 
daß ich nicht gab? Nun hör' ich bittend immer: 
„Tein Penn man, Herr!“ und ſchäme mich. Du aber, 
wie oft umſonſt noch, Kleiner, wirſt du rufen: 
„Tein Penn man, Herr!“ und mancher, der dich ſcheuchte 
mit barſchem Nein, geht heim vielleicht und lieſt 
„Bellamys Rückblick“, nickt und ſeufzt: „Der Träumer! 
Ja, wenn wir Menſchen keine — Menſchen wären.“ 


Unſchuld 


Knarrt die Tür und durch halben Spalt 
ſchiebt ſich die zierlichſte Geſtalt, 
trägt eine Tulpe in der Hand: 

Sieh mal, Papa, was Urſel fand. 


44 


Wirklich? Was du nicht fagft. Ei ſeht! 
Die ſchönſte Tulpe vom ganzen Beet. 
Gefunden haſt du den Feuerhelm? 

Ich fürchte, du flunkerſt, kleiner Schelm. 


Sie kichert und guckt in den Kelch hinein, 
freut ſich; und ich ſoll böſe ſein? 
Gelbt ſich am Griffel das Näschen und macht 
hatſchi, hatſchi, ganz fein und ſacht. 


Hellſtes Glück, kindliche Luſt, 
die keines Böſen ſich bewußt, 
lautere Unſchuld, die nicht wägt, 
ob ihr Tun auch Tränen trägt. 


Dienert nicht lange: Mit Verlaub? 
Nimmt ſich von allem ihren Raub, 
liebt, was leuchtet, ſchmauſt, was ſchmeckt. 
Für wen iſt denn der Tiſch gedeckt? 


Iſt mir's auch um die Tulpe leid, 

fühl' keinen Zorn, nur leiſen Neid; 

viel ſchönere Blumen weiß ich ſtehn, 
und muß daran vorüber gehn. 


Hauskonzert 


Wenn Mütterchen am Flügel ſitzt 
und läßt die Finger ſpringen, 
wies Bübchen da die Ohren ſpitzt, 
und wie die Schweſtern ſingen. 


45 


Die Trudel ſingt ſchon friſch und rein, 
die Urſel noch mit Zagen, 
auf einmal ſetzt mein Bübchen ein: 
Ach, was, man muß nur wagen! 


Trifft man nicht gleich den rechten Ton, 
was kümmert das den Sänger, 
den nächſten nimmt man beſſer ſchon 
und hält ihn deſto länger. 


Das gibt dann einen Kunſtgenuß, 
wer kann es ſchöner machen? 
Nur leider kommt man nicht zum Schluß, 
man kann nicht mehr vor Lachen. 


Muſik 


Eine Muſik lieb ich mehr 
als die ſchönſte der größten Meiſter. 
Täglich klingt ſie um mich her, 
klingt täglich lauter und dreiſter. 


Ich liebe ſie ſehr, und doch, es gibt 
Stunden, da muß ich ſie ſchelten, 
dann iſt für die, die das Herz ſo liebt, 
ein Donnerwetter nicht ſelten. 

Da ſchweigt ſie wohl erſchrocken ſtill, 
doch dauert die Pauſe nicht lange, 
und wenn ich der Ruhe mich freuen will, 
iſt ſie wieder im beſten Gange. 


46 


Zuletzt geb ich mich doch darein 
und lache: laß klingen, laß klingen! 
Und hör durch des Hauſes Sonnenſchein 
vier Kinderfüße ſpringen. 


Künſtler 


Ein liebes Buch hält meine Hand, 
darin ein herrlicher Poet, 
was er an ſeltnen Schätzen fand, 
aus reicher Fülle um ſich ſät. 


In allen guten Tönen ſang 
der gottbegabte Liedermund 
und führte mich im Eifergang 
gleich um ein ganzes Erdenrund. 


Und führte mich durch tiefes Tal 
und über hohen Zackenſchroff, 
durch manchen freudenhellen Saal 
und Gärten, wo's von Düften troff. 


Und meinem wackern Schweizersmann, 
den ſie auf Gottfried einſt getauft, 
hab ich ein feurig Ruhmgeſpann 

in eitel Dankbarkeit gekauft. 
Doch neben mir am Tiſchchen ſteht 
mit Stift und einem Briefpapier 
ein freilich kleinerer Poet, 
drei Käſe hoch, vielleicht auch vier. 


47 


Der malt in Runen wunderſam, 
was ſeine junge Seele träumt, 
und wenn die Schrift zu Rande kam, 
beſchreibt den Tiſch er ungeſäumt. 


Auf einmal zerrt er mich am Rock, 
in Anſtandsformen nicht genau, 
und reicht mir ſeinen Schreibeſtock: 
Papa, ach bitte, ein Wauwau! 


Und läßt nicht nach und quält und rührt, 
bis ich in ungeübtem Tun 
den Stift aufs weiße Blatt geführt, 
halb ward's ein Hund und halb ein Huhn. 


Papa, ein Pferd. Papa, ein Hahn. 

Er will das ganze Tierreich ſehn, 

und ſieht in ſeinem ſchönen Wahn 
die Schöpfung neu durch mich entſtehn. 


Doch bald, ſo ſchwerer Kunſt erlahmt, 
leg ich das Blatt in ſeine Hand, 
und ſelig hat er nachgeahmt, 
was dort an krauſen Wunden ſtand. 


Ich aber greif aufs neu zurück 
nach meines Zürchers Perlenſchrein. 
Hier Meiſterſtück, dort Kinderglück, 

Poeten groß, Poeten klein. 


48 


Es ſchneit 


Der erſte Schnee, weich und dicht, 
die erſten wirbelnden Flocken. 
Die Kinder drängen ihr Geſicht 

ans Fenſter und frohlocken. 


Da wird nun das letzte bißchen Grün 
leiſe, leiſe begraben. 
Aber die jungen Wangen glühn, 
ſie wollen den Winter haben. 


Schlittenfahrt und Schellenklang 
und Schneebälle um die Ohren! 
— Kinderglück, wo biſt du? Lang, 
lang verſchneit und erfroren. 


Fallen die Flocken weich und dicht; 
ſtehen wir wohl erſchrocken, 
aber die Kleinen begreifens nicht, 
glänzen vor Glück und frohlocken. 


Weihnachtsſperlinge 


Vor meinem Fenſter die kahlen Buchen 
ſind über und über mit Schnee behangen. 
Die Vögel, die da im Sommer ſangen, 
wo die wohl jetzt ihr Futter ſuchen? 
Im fernen Süden ſitzen ſie warm 
und wiſſen nichts von Hunger und Harm. 


49 


Ihre ärmlichen Vettern, die Spatzen und Krähen, 
müſſen ſich durch den Winter ſchlagen, 
müſſen oft mit leeren Magen 
vergebens nach einem Frühſtück ſpähen. 

Da kommen ſie dann auf mein Fenſterbrett: 
Geſegnete Mahlzeit, wie ſitzt du im Fett! 


Eine unverſchämte Bemerkung! 

Aber was will man von Spatzen verlangen? 
Sind nie in die Anſtandsſtunde gegangen, 
und Not gibt ihrer Frechheit Stärkung. 
Und ſchließlich, hungern iſt nicht geſund 
und für manches ein Milderungsgrund. 


Da laß ich's dann gelten und kann mich gar freuen, 
wenn meine beiden Mädel leiſe, 
— leiſe iſt ſonſt nicht ihre Weiſe — 
den kleinen Bettlern Brotkrümlein ſtreuen. 
Ich belauſch ſie da gern, es iſt ihnen mehr 
als ein Spaß, es kommt von Herzen her. 


Ja, ſie geben beide gerne, 
gütige Hände ſind ihnen eigen. 

Doch will ich mich nicht in Lob verſteigen, 
und daß ich mich nicht von der Wahrheit entferne: 
Untereinander gönnt oft keins 
dem andern ein größeres Stück als ſeins. 


Oft ſind ſie auch ſelbſt wie die Spatzen und Raben, 
das Brüderchen iſt dann im Bunde der dritte, 
da zwitſchern ſie auch ihr bitte! bitte! 
reißen den Hals auf und wollen was haben. 


30 


Sommers und Winters, Winters zumeift, 
und gar um Advent herum werden ſie dreiſt. 


Dann fangen ſie an zu bitten und betteln: 
Papa, zu Weihnacht, du haſt mir's verſprochen, 
ich möcht einen Herd, ſo richtig zum Kochen, 
und ich ein Zweirad. Auf Weihnachtswunſchzetteln 
wachſen die ſtolzeſten Träume ſich aus. 
Knecht Ruprecht ſchleppt das ſchon alles ins Haus. 


Und morgens, da ſteht von den zierlichſten Schuhen 
je einer, ganz heimlich hingeſtellt, 
an dem allerſichtbarſten Platz der Welt. 
Die Schelme können des Nachts kaum ruhen: 
ob wohl der Weihnachtsmann ſie entdeckt? 
ob er wohl was in den Schuh uns ſteckt? 


Der Weihnachtsmann! Er muß bald kommen. 
Schon ſtapft er durch die beſchneiten Felder, 
hat vom Rand der weißen Wälder 
ein grünes Tännlein mitgenommen. 
Von unſeren Buchen die Spatzen und Krähn 


können ihn ſicher ſchon erſpähn. 


Gewiß, ſie haben den guten Alten 
längſt geſehen! Sie lärmen und kreiſchen, 
als wollten ſie doppelte Brocken erheiſchen, 
und hätten ſie Schühlein vom Herrgott erhalten, 
ich fände ſie morgens alle, ich wett, 
eine zierliche Reih, auf dem Fenſterbrett. 


Das wär eine Wonne für meine Kleinen! 
Die gütigen Hände würden ſich regen 
51 


und jedem was in fein Schühlein legen, 
ein Brötchen, ein Krümchen, vergäßen nicht einen, 
und ihr roſiges Kindergeſicht 
ſtrahlte dabei wie ein Weihnachtslicht. 


Ich aber will doch morgen ſehen 
— wir haben ja ſchon Advent geſchrieben — 
ob es beim alten Brauch geblieben 
und wohl irgendwo Schühlein ſtehn. 
Rechte Spatzenpantoffel mögen es ſein, 
und geht gewiß nicht viel hinein. 


Weihnacht 


In dieſen Wochen heimlich aufgeblüht, 
des Kinderglaubens zarte Wunderblume — 

der keuſche Kelch, wie lieblich er erglüht. 

Ich knie vor dem vergeſſnen Heiligtume 
in holder Scheu, wie einſt der Knabe, nieder 

und atme ſolche Segensdüfte wieder 
mit durſtendem Gemüt 
und allen ſüßen Schauern ein. 


Kein Laut von außen ſoll mich ſtören 
und kein Gedanke fremder Scham, 
dir reinen Herzens kindlich zu gehören. 
Ich lauſch, durchs Wolkentor, den heiligen Himmelschören, 
dem Engelsgruß, der zu den Hirten kam, 
ich ſeh das Kreuz, vernehm des Heilands Stimme, 
und ſeh ſein Blut, das auf die ſchlimme, 


32 


die arge Welt wie lauter Rofen taut: 
Ich ſterb für dich, du meine ſüße Braut. 


Kniet, Stolz und Trotz, die Stirne tief geneigt, 
all euer Prahlen thront auf toten Grüften, 
daraus kein Hauch des ewigen Lebens ſteigt; 

hier badet euch in dieſen holden Düften: 
dies zarte Blümlein, weiß und ſchlicht, 
es birgt in ſeinem Kelch das Licht, 
das alles Leuchten dieſer Welt 
mit ſeinen Glänzen überhellt. 
So hoch ihr ſteigt, von Schein zu Schein, 
das letzte Licht, es wird ein Wunder ſein. 


Vor Schlafengehen 


Die Kinder ſchlummern in den Kiſſen, 
weich, weichen Atems, nebenan, 
ein Traum vom heutigen Tag, und wiſſen 
nicht, was mit dieſem Tag verrann. 


Wir aber fühlten jede Stunde, 
die uns mit leiſem Flügel ſtreift, 
und wiſſen, daß im Dämmergrunde 
der Zeit uns ſchon die letzte reift. 


Wir ſitzen enggeſchmiegt im Dunkeln. 
So träumt ſich's gut. Und keines ſpricht. 
Durchs Fenſter fällt ein Sternenfunkeln, 

vom Ofen her ein Streifchen Licht. 


33 


Einmal, im Schlaf, lacht eins der Kleinen 
ganz leis. Was es wohl haben mag? 
Springt es mit ſeinen kurzen Beinen 
noch einmal fröhlich durch den Tag? 


Ein Mäuschen knabbert wo am Schragen, 
kniſternd verkohlt ein letztes Scheit, 
die alte Uhr hebt an zu ſchlagen — 
da ſprichſt du leis: Komm, es iſt Zeit. 


Die feinen Ohren 
(Meiner Mutter) 


Du warſt allein, 
ich ſah durchs Schlüſſelloch 
den matten Schein 
der ſpäten Lampe noch. 


Was ſtand ich nur und trat nicht ein? 
Und brannte doch, 
und war mir doch, es müßte ſein, 
daß ich noch einmal deine Stirne ſtrich 
und zärtlich flüſterte: Wie lieb ich dich. 


Die alte böſe Scheu, 
dir ganz mein Herz zu zeigen, 
ſie quält mich immer neu. 
Nun lieg ich durch die lange Nacht 
und horche in das Schweigen, 
ob wohl ein weißes Haupt noch wacht. 


54 


7 


Und einmal hab ich leis gelacht: 
Was ſorgſt du noch, 
ſie weiß es doch, 
ſie hat gar feine Ohren, 
ihr geht von deines Herzens Schlag, 
obwohl die Lippe ſchweigen mag, 
auch nicht ein leiſer Ton verloren. 


Der Zitronenbaum 


Weinend ſitzt die alte Frau im Garten; 
Wo ihr Schmerz die ſchwarze Erde feuchtet, 
ſprießt ein Baum, in deſſem dunklen Laube 
Frucht bei Frucht in gelbem Golde leuchtet. 

Kommt der Sohn und ſieht der Mutter Tränen. 

Die Zitronen pflückt er, pflückt ſie alle, 
ſchlürft den Saft mit ſeinen jungen Lippen, 

daß kein herber Tropfen ihm entfalle. 
Spricht die Mutter: Lieber, meinen Kummer 
nahmſt du von mir, mag dich Gott belohnen. 

Und der Sohn drauf: Kann es Früchte geben, 
die noch ſüßer ſind als die Zitronen? 


Die tote Mutter 


Mütterlein, du haſt dich ganz 
in die Erde nun verloren. 


55 


Wenn dich meine Liebe ruft, 
wo ſind deine feinen Ohren? 


Ach, was iſt dir nun dein Kind, 
ſeine Freuden, ſeine Klagen! 
Oder lockerſt du den Grund, 
weicher ſeinen Fuß zu tragen? 


Oder ſchweifſt mit Zärtlichkeit 
durch die Würzelgärtlein unten: 
Keimt, ihr Kräutlein, die ihr liebt, 
grüßt ihn, Blümlein all, ihr bunten? 


Oder atmeſt, ſüßer Hauch, 
vor mir in der Roſe Brennen, 
ſchenkſt mir wieder deinen Kuß, 

und ich kann dicht nicht erkennen? 


Die Mutter 
(Ein Traum) 


Es war im Garten. Fröhliche Geſellen 
umgaben mich. Wir tranken. Und in hellen 
plätſchernden Bächen ſprudelten die Worte 
von jungen Lippen. Aber nah der Pforte, 

in einer einſamen, erhöhten Laube, 

ſaß meine Mutter. Eine reife Traube 

lag goldig ihr im Schoße, und ſie aß 
und hörte nicht auf uns. Wie ſie ſo aß, 

wegbreit nur von uns und doch abgeſchieden, 


56 


einfam in ihres Alters blaſſem Frieden, 
zwang mir's den Blick magiſch dahin, doch konnte 
ich nicht vom Platz, den Jugend überſonnte 
und laute Luſt umklang. Auf einmal ſchwand 
das alles, und es langte eine Hand, 
alt, rührend welk und kühl, wie aus der Erde 
an meinem Bettrand auf mit Bittgebärde: 
Willſt du mir deine Hand nicht geben? Ach, 
kaum daß ich gab, und weinend wurd ich wach. 


So komm doch! 
(Meiner Schweſter) 


Noch lag mir der Reiſeſtaub auf den Schuhn, 
der Tag war heiß, gewitterſchwül, 
du aber ſchickteſt dich an zu ruhn 
mit weißem Geſicht auf weißem Pfühl. 


Die Stube war klein und dunkel nur, 
ein Dämmerlicht, ich ſah dich kaum. 
Dein Atem ging ſtockend, ich hörte, die Uhr 
lief ab. Der Tod ſtand am Treppenſaum. 


Deine magern Hände, wie feucht und ſchwer 
ich küßte ſie weinend; die Stirn, wie kalt! 
Die brechenden Augen ſahen nichts mehr 

durch den halbgeſchloſſenen Spalt. 


Auf einmal riefſt du, riefſt laut und bang: 
So komm doch! Und leiſe noch einmal: 


57 


So komm doch! Ich frage im Ohr den Klang 
durch alle Jahre, all ſeine Qual. 


Dann warſt du hinüber. Im fremden Land 
haben wir dir das Grab geſchmückt. 
Heute, im Traum, hat meine Hand 
Blumen von deinem Hügel gepflückt. 


Die Gedenktafel 
(Meinem Bruder) 


Du wollteſt, jung und hohen Sinns, 
Paläſte baun und Tempel, 

und ſehnteſt dich, ein Haus zu ſehn 
mit deines Geiſtes Stempel. 

Was dir der Gott an Schönheit gab, 

das liegt nun all im dunklen Grab; 
der Tod, der Neidgeſelle, 
nahm dir zu früh die Kelle, 

das Richtmaß und den Zirkel ab. 


Ich aber lebe noch im Licht 
und bau auf meine Weiſe, 
und bau an einem Tempel fromm, 
darin ich bet und preiſe. 

Aus Liedern ſoll ein Haus erſtehn, 
draus meine Augen fröhlich ſehn, 
darin vor allen Wänden 
in ſtillen Opferbränden 
der Schönheit ewige Flammen wehn. 


38 


Und eine Tafel bring ich an, 
davor zwei Kerzen ragen, 
die ſoll auf ihrem hellen Grund 
nur deinen Namen tragen, 
und ſoll mich mahnen früh und fpät, 
je herrlicher mein Haus gerät, 
wie oft ein hohes Streben 
ſich bitterlich muß geben 
und all in einer Nacht vergeht. 


An einem Grabe 


Zehn Schritte kaum, faſt Grund an Grund 
und über niedre Kirchhofsmauern 
ſeh ich im Wind vom Fenſter aus 
Kaſtanien leis herüberſchauern. 


Die weißen Blüten fallen ſacht 
auf ein geliebtes Grab hernieder, 
was ſtand ich doch in all der Zeit 
nicht einmal an dem Hügel wieder? 


Ein ſchönes Land liegt rings im Glanz 
der Sommerſonne ausgebreitet, 
in das mein Fuß an jedem Tag 
auf immer neuen Wegen ſchreitet. 


Es zieht mich hier, es zieht mich dort 
ein hold Geheimnis in den Lüften, 


59 


das reiche, reiche Leben führt 
mich abſeits von den ſtillen Grüften. 


Es iſt ja nicht, daß ich vergaß; 
Was wir geliebt, kann ja nicht ſterben, 
ein jeder Tag Erinnerung 
läßt das Verlorne neu erwerben. 


Es iſt nur, daß ich das mir nicht 
in Nacht und Moder denken konnte, 
was einſt mit ſeiner heißen Glut 
das Leben, wie mich ſelbſt, durchſonnte. 


Ich ſeh dich oft ins helle Land 


wie ſonſt an meiner Seite ſchweifen, 


mit raſcher Hand nach jeder Frucht 
und jeder bunten Blüte greifen. 


Ich ſeh dich oft, ein ſtiller Geiſt, 
an meinem Flügel ſtehn und lauſchen, 
als wäreſt du nicht tot, als wär' 
das Sterben nur ein Kleidertauſchen. 


Und heute doch, was zog mich hin, 
daß ich an deinem Hügel weine, 
daß ich dein ungeſchmücktes Grab 
als eine tiefe Schuld vermeine? 


Mir iſt, als ſtreckte eine Hand 
ſich aus den halbverſunknen Schollen 
und bät um eine Roſe nur 
aus meinem Kranz, dem lebensvollen. 


60 


Als taſtete ein leiſer Laut 
des Vorwurfs ſich zu meinen Ohren: 
warum haſt du ſobald den Weg, 
den kurzen Weg zu mir verloren? 


Als träfe mich ein ſtummer Blick 
und eine klagende Gebärde: 
du darfſt in grünen Kränzen gehn, 
und meine modern in der Erde. 


Totenamt 


Das iſt ein Wandern, ſo von Gruft zu Gruft, 
viel welke Kränze raſcheln in der Luft, 
Erinnerung beſtreut mit weißer Hand 

das Totenland. 


Du, deſſen Seele feſt am Schönen hing, 
mit Künſtlerträumen ſtolz und abſeits ging, 
es ſollten Schlöſſer, ſollten Tempel ſein; 
dein Haus, wie klein! 


Und du, in deren müdem kranken Schoß 
ein Knabe lag, mit Augen ernſt und groß, 
dein letztes Glück, du nahmſt es mit hinab, 

mit in dein Grab. 


Und du und du, die meinen Weg geſchmückt, 
und du und du, dem ich die Hand gedrückt, 
ich lade euch zu ſtillem Totenamt, 
die Lampe flammt. 


61 


Und keiner fehlt. Und alle blickt ihr froh, 

mit Augen, draus der Lebensjammer floh, 

ſtill, ſelig. Und ein jeder ſpricht mir zu: 
Wann kommſt auch du? 


Aus fernen Tagen 


Ganz ohne Anlaß kommt Erinnerung, 
wie aus des Himmels weitem, leerem Blau 
verſchämt ein roſig Sommerwölkchen taucht: 


Still lag der Wald, ſtill lagen Feld und Weg, 
darüber ſchon fein Sternentuch der Abend 
von einem Ende bis zum andern ſpannte. 

Kein Hauch, kein Laut. Nur aus der Ferne manchmal, 
weit hinter uns, das ganz gedämpfte Lachen 
zurückgebliebener trunkener Genoſſen. 

Zwei, drei der Pärchen vor uns, weit voraus, 
denn eine ſchmale, ſchwarze Wetterwand 

am Horizont trieb Angſtliche zur Eile. 
Und wir allein ſo zwiſchen Wald und Feld 
und ſchweigſam wie das Schweigen um uns her. 


Da murrte leiſe übers Feld, ganz leiſe 
der erſte Donner, und erſchrocken ſchmiegteſt 
du näher dich mit ſanftem Druck mir an, 
und wie ein Zittern lief's von deinem Arm 
in meinen über, und mein Herz ſchlug ſchneller. 


62 


Und wieder übers Feld das leiſe Murren, 
ein kurzer Blick, halb ſchreckhaft, halb verſchämt, 
ſo voller rührend ſcheuer Kinderangſt, 
traf mich aus deinen großen blauen Augen 
und fragte deutlich: Find' ich Schutz bei dir? 


„So ängſtlich?“ neckte ich und drückte dir 
wie zur Beruhigung die kleine Hand 
und hielt ſie feſt, und ſpielte mit den Fingern 
und fühlte durch den Seidenzwirn des Handſchuhs 
das warme, junge warme Leben pulſen. 


Und wieder übers Feld ein Murren, lauter 
und länger wie zuvor, und wieder drauf 
dein ſanftes taubenſcheues Anmichſchmiegen. 


War's die Gewißheit eines leichten Sieges? 
Weit breitete die Leidenſchaft auf einmal 
die ſtarken Schwingen, und ein Falke ſtand 
Sekunden ſie, ganz Auge, ganz Begierde, 
Stoßſicher über ihrem ſcheuen Opfer. 


Da brach in jähem flirrendem Zickzacklauf 
der erſte Blitz aus ſeiner dunklen Burg. 
Erſchrocken ſank mir der erhobene Arm, 
der ſchulternah zum Kuß dich ſchon umfaßte. 
Die erſten ſchweren, großen Tropfen fielen, 
und hinter uns in Eile nahten ſich 
die aufgeſchreckten trunkenen Genoſſen 
und miſchten ihr Gejohle in das Grollen 
des Donners, der im Walde fern erſtarb. — 


63 


. ²˙ Tr RE NBRE RE 2 


Ohn' Anlaß kam mir die Erinnerung, 
wie aus des Himmels weitem leerem Blau 
verſchämt ein roſig Sommerwölkchen taucht. 


Konfirmation 


Warſt eben aus der Kirche gekommen, 
das junge Herz noch heilig beklommen, 
aber doch wieder weltlich ſo weit, 
daß du mir zur linken Seit' 
brav Brötchen ſchmauſteſt am Frühſtückstiſch, 
und nach dem Brötchen frech und friſch 
das größte Stück nahmſt von der Torte. 
Zur Rechten mir ſprach würdige Worte 
der Großpapa. Ihm hatte vor allen 
des Herrn Paſtoren Text gefallen: 
„Der Glaube macht es, der Glaube allein. 
Des ſollen wir denn getröſtet ſein, 
nicht laſſen durch Spott und Hohn uns rauben 
den wahren, einfältigen Chriſtenglauben.“ 
Der Papa nach ſeiner ſtillen Art 
lächelt in den weißen Bart: 

„Ich würde das alles auch unterſchreiben, 
wär ich Paſtor. Bin's nicht, laß es bleiben.“ 
Auch ich hätt' gern vermerkt, was ich dacht', 
aber es war nicht angebracht. 


Achte den Glauben nicht gering, 
es iſt um den Glauben ein trefflich Ding, 
und ging er dir über in Fleiſch und Blut, 
fährſt du wahrlich mit ihm gut; 


64 


von mir ſchon längſt er Abſchied nahm, 
irgendwo mir abhanden kam, 
ſind mir nur die zwei andern geblieben: 
Das Hoffen, Kind, und das Lieben, das Lieben. 


Mit dieſen beiden kam ich bisher 
leidlich zurecht, oft etwas für quer, 
aber alles in allem genommen, 
bin ich dabei zu Gewinn gekommen 
und möchte im Leben nicht anders fahren, 
und bin doch ſchon einigermaßen bei Jahren. 
Du haſt nun die Schule erſt hinter dir, 
die Welt liegt vor dir, ein blühend Revier, 
in das deine ſchönen, großen, grauen 
Augen erwartend und ahnend ſchauen. 


Dein ſchwarzes Kleid, dein ſüßes Geſicht, 
deines Zöpfchens blondbraun Licht, 
dein kindlich Weſen, dein ſchwellender Mund, 
dein junger Leib, friſch und geſund: 
wie ich ſo neben dir ſitze, geht 
es wie ein tief und fromm Gebet 
durch mein ungläubig Herz, und leis, 
verſtohlen, nach frommer Beter Weiſ', 
kreuz' ich die Finger: Hoffen und Lieben, 
die treu mir alle Tage geblieben, 
wendet auch dieſem Kind euch zu, 
ſtreut eure Roſen vor ſeinem Schuh, 
daß es gleich mir mit hellem Mut 
ſpricht dereinſt: Das Leben iſt gut. 


65 


Fußwaſchung 


Welch Traum doch nur: Ich auf den Knien vor dir, 
das Tuch bereit in halb erhobenen Händen, 
und du den nackten, weißen Kinderfuß, 
die Rechte raffte leicht den Saum des Kleides, 
ganz ohne Scheu entgegenſtreckend mir. 
Das liebe, blonde Köpfchen ſanft geneigt, 
mit unſchuldsvollem, reinem Kinderlächeln, 
und mit den großen grauen ſchönen Augen 
anleuchtend mich, mir in die Seele leuchtend, 
als wollteſt ein Geheimnis du erforſchen. 
Und alles ſo naiv, ſo unbefangen, 
ein traumbelebtes, holdes Heiligenbild, 
wie es die alten frommen Meiſter malten. 


Wie kam in meinen Schlaf nur dieſer Traum? 
So rein, ſo keuſch hätt' nie der Wachende 
ein Wort, ein Bild gefunden für ſein Lieben: 
Verſtehſt du dieſen Traum, verſtehſt ihn ganz, 


der mich beglückt noch Tag und Tage lang 
und mich erröten läßt in zarter Scham? 


Erſcheinung 


Du kamſt zu mir in einem fremden Glanz, 
und ſchweigend kamſt du, wie die Sterne ſtill, 
die aus den hohen, rätſelvollen Weiten 
in halber Nacht an uns vorübergleiten. 


66 


Und brachteſt Duft von fremden Blumen mit: 
Mattweiße Lilien, unter deinem Fuß 
erblüht, die mich wie deine Wächter deuchten, 
umſtanden dich mit einem leiſen Leuchten. 


Und eine große Sehnſucht ſprach aus dir, 
und deine Augen ſagten: Sieh, ich litt 
um dich. Und falteteſt, unſäglich rührend, 
die Hände; ſie an deine Lippen führend. 


Und weinend fühlt ich deine Sehnſucht mit 
und rief dich, rief dich laut. Doch langſam wich 
dein Bild zurück, und meine Arme faßten 
ins Leere, und die bleichen Blumen blaßten 


und ſchwanden hin, und nur ein Stern noch ſtand 
zitternd im Dunkel, blinkte, blaßte, ſchwand. 


Es war 


Dein Herz iſt ſo voll ſtillen Glücks geweſen 
und Zuverſicht, 
von allen Schmerzen war es lind geneſen. 
So ſitzt im Licht 
des Maienmorgens ein geſundet Kind, 
wirft Blütenblätter ſpielend in den Wind 
und denkt, es wär' nun immer ſo, 
ſo ſonnenſchön und frühlingsfroh. 


— — — — — — — —— — — — 


Dein Herz iſt ſo voll ſtillen Glücks geweſen 
und Zuverſicht, 
nun kannſt du dir die welken Blüten leſen. 


67 


Willſt du es nicht? 

Ein Totenkränzchen gibt's noch her. Ach nein, 
die braunen Blumen in den Wind hinein! 
Spurlos verweht's im weiten Raum — 
Und Glück iſt Traum und alles Traum. 


Ich trage Gedichte 


Um den Teetiſch ſaßen wir, 
oder tranken wir Kaffee oder Schokolade, 
ein Traum nur war es, 
und alles lebt nur wie Schatten noch, 
wie Bilder aus einer Laterna magika 
in meiner Erinnerung. 
Deutlich nur ſeh ich 
zur Rechten mir das kleine zierliche Mädchen, 
zwölfjährig, kaum älter. 
Unendlich traurig 
ſah es mit großen blauen Augen 
in ſeinen Schoß, 
die einzige Betrübte in unſerem heitern, 
ſcherzbelebten Kreis. 


Was fehlt dir Alice? 
Warum denn ſo ſtill heute? 
Ach, ſo klang es von roſigen Kinderlippen, 
ich bin ſo ſchwermütig heute — 
ich trage Gedichte. 


Was? du trägſt Gedichte, Alice? 
Und endloſes Gelächter umſchwirrte dich, 


68 


übermüfig, 
wie ausgelaſſene Tagvögel 
die alte ernſte, unzufriedene Eule umſpotten. 

Ich trage Gedichte 
Wachend hör' ich immer noch 
dieſe zaghafte, traurige Antwort, 

die mich ſo tief rührte, 
aus Kindermund ſo tief rührte: 

Ich trage Gedichte 


Meine Gläubiger 


Ihr Hochmütigen, 
euch mehr dünkenden, 
ihr Phariſäer, 
wie vieles danke ich euch. 
Nicht vielleicht alles? 


Ich danke euch meine Einſamkeit, 
mein Abſeitsſein; 
ich danke euch meinen zornigen Stolz 
und danke euch meinen Schmerz; 
und mein Lachen danke ich euch, 
mein ſtilles, einſames Lachen. 


Jegliche Spuren des tauſendfüßigen Tages 
bewahrt auf weicher, 
wächſerner Tafel die empfindliche Seele. 
Und auf den Knien die Tafel, 
hockt brütend darüber die Einſamkeit. 
Und der Stolz tritt herriſch heran, 


69 


und mit fchnellem, zornigem Knöchelſchlag 
klopft er bald hier, bald da 
hart auf. 
Und der Schmerz, 
über die Tafel geneigt, 
gleitet mit leiſem, durchſichtigen Krankenfinger 
über dieſe, über jene Stelle: 
„Hier deine Ernte.“ 
Und wie der Bauer 
beim Anblick ſeiner vollen Tenne 
friſchgefallenen Segens, 
unterm Sichelſchnitt gefallen, 
jäh, weinend, 
wer hörte das Weinen gemäheter Halme? 
Wie der Bauer, 
ſo lacht meine Seele und freut ſich 
ihres mehrenden Reichtums. 
Wie vieles danke ich euch! 
Alles vielleicht! — 


Zufriedene Stunde 


Zufriedene Stunde. Durch die offne Tür 
kommt vom Balkon die milde weiche Luft 
des niedergehenden Septembertages 
und, minder mild, der Lärm der Straße: Kreiſchen 
von Knaben, die ſich balgen; helle Stimmen 
der kleinen Mädchen, Ringelreihe tanzend: 
das ſcharfe Kleffen meines Nachbarhündchens 
und dann und wann der tiefe Polterbaß 


70 


des Milchmannshundes. Auch das Läuten trägt 
der Pferdebahn zu mir der ſchnelle Schall, 
und, dumpfer, von dem nahen Fluſſe her 

den kläglich heiſern Ton der kleinen Dampfer. 


Zufriedene Stunde. Auf den Knieen das Buch, 
„Jenſeits von Gut und Böſe“ nennt der Vater 
ſein wunderſames Kind der Einſamkeit, 
ſo auf den Knien das aufgeſchlagene Buch, 
laſſ' ich den wirren Klang des Lebens lächelnd 
die zarten ſchüchternen Gedanken mir 
zurück ins dunkle Neſt der Seele ſcheuchen. 


Zufriedene Stunde. War ich je ſo fröhlich, 
ſo herzensſtill, ſo gütig? Oftmals ſchon 
ſchlug ich die Tür mit leiſem Fluche zu, 

wenn ſo von draußen mit der plumpen Fauſt 
der wüſte, rohe Lärm des Tages griff 
in meine zarten feinen Seelenfäden, 
das kaum begonnene Geſpinſt zerſtörend. 
Doch heute kann ich's lächelnd dulden. Seltſam. 


Zufriedene Stunde. Ohn' warum, wozu. 
Du dreimal Glücklicher, dem jeder Tag 
bringt ſolche Stunde, ſolche Stunden wohl. 
Und gibt's nicht Glückliche, die immer ſo, 
ſo fraglos, leben hin ihr ganzes Leben? 
Ein wirrer Ton, ein unbeſtimmter Klang 
in all den wirren, unbeſtimmten Klängen 
der wunderſamen Lebensſymphonie, 
Füllſtimmen nur im wuchtig lauten Tutti. 


71 


Zufriedene Stunde. Oder nicht? Iſt Schlaf 
nur dieſe Stille, dieſe ſatte Stimmung, 
die wunſch⸗ und fragelofe? Wie? Nicht Glück? 
Nicht Glück für mich? Wenn ſich dem wirren Lärm 
nun hell und klar, wie rieſelnd Gold, entringen 
die zauberhaften Soloſtimmen wieder, 


die feinen, kirrenden Zauberflötentöne? 
Und in dem ſtillen, dunklen Rattenneſt, 
das meine Seele nenn' ich, wird's lebendig 
und läuft und ſpringt und drängt und pfaucht und pfeift? 
Nein! tutti tutti! forte! con fuoco! 
Recht brauſend, lärmend, alles übertäubend! 
Bum bum! tam tam! Nicht dieſe zarten, feinen 
geheimnisvollen Rattenfängerſoli. 


Zufriedene Stunde, ſtille, ſatte Stunde! 
Ganz ohne Wunſch die eingelullte Seele, 


So ruhefroh, ſo flach, ſo unbewegt — 


Sorglos 


Ich hab in Stunden, wo der Nebel fiel, 
den Phantaſie mit Farben bunt beſtickt, 
auf meines Lebens krauſen Strom geblickt 
und in ſein raſtlos ſchnelles Wellenſpiel. 


Und ſah ein Schiff, das ſich auf ſchwachem Kiel 
mit Segeln, die gar wunderlich geflickt, 
und Zufallswind mutig zur Fahrt anſchickt 
nach einem fernen unbekannten Ziel. 


72 


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Und ſah den Steuermann am Ruder ftehn, 
als gäb es keine Stürme, keine Klippen, 
nun ſah ein Lied auf ſeinen kecken Lippen. 


Und wußt nicht, ſollt ich grauſen oder lachen, 
wie doch der Narr in ſeinem leichten Nachen 
ſo ſorglos mochte auf die Reiſe gehn. 


An das Glück 


O Glück, halt an den Taumelflug 
und öffne deine Blumenhand, 
viel armes Land, das Diſteln trug, 
ward ſchon durch dich zum Gartenland. 


Hier fleht um eine Knoſpe nur 
ein vielgequältes Herz und ſchreit 
und hebt zu deiner Sternenſpur 
die Augen aus der Dunkelheit. 


Du aber biſt den Tränen blind, 

und kein Gebet zieht dich herab, 

ſtreuſt deine Roſen in den Wind 
und ſtreuſt ſie lachend in ein Grab. 


Unraſt 


Tag und Tage geh ich 
wie durch tiefen Sand, 
und am Wege ſteh ich 
wie in fremdem Land. 


73 


Nacht und Nächte lieg’ ich 
ſchlummerlos, allein, 
und vergebens wieg' ich 
meine Unraſt ein. 


Hoch in Sternenkühle 
ſchwebt der Friede. Ach, 
von zerwühltem Pfühle 


ſchrei ich laut danach: 


Einen Flaum nur deines 
Schneegefieders, nur 
einen Traum lang deines 
Segens eine Spur. 


Der Reiter 


Ich ſah zurück auf lange Strecken, 
die ich durch tiefen Sand hinging. 
Hier, da, an kahlen Hecken 
ein bunter Fetzen hing. 


Das Glück war mir vorausgeritten, 
ich ſah ſeinen roten Mantel wehn, — 
konnt' doch mit meinen müden Schritten 

ſo ſchnell nicht gehn. 

Wer hält da vorn im Weg und richtet 
ſein Rabenrößlein auf mich her, 
von einem fahlen Glanz umlichtet? 
Mein Herz bangt ſehr. 


74 


„Haſt du das Glück nicht reiten ſehen, 
du lieber Rittersmann? 
Einen roten Mantel im Winde wehen 
mit goldner Troddel dran?“ 


Da ſprach der Tod, und ich erbleichte: 
„Dein Glück hält hier,“ 
und aus dem Sattel reichte 
er ſeine harten Hände mir. 


Zu hoch 


Ihr kommt zu richten. Schlagt denn auf 
und ſucht den ſtrengſten Paragraphen, 
um meines Lebens Sündenlauf 
mit euerm Sprüchlein zu beſtrafen. 


Und ſeht mich lächelnd vor euch ſtehn 
und nichts nach euerm Henker fragen. 
Was könnte Schlimmes dem geſchehn, 
der ſelber ſich ans Kreuz geſchlagen. 


Der tief mit eigner Hand den Kranz 
der Dornen in die Stirn ſich preßte, 
fern euerm Phariſäertanz 
und euerm lauten Tugendfeſte. 


Mein Kreuz iſt hoch, mein Kranz iſt hart, 

und alle meine Wunden weinen. 

7 Habt ihr den Mut der Pöbelart, 
1 ſo werft nach Kreuz und Kranz mit Steinen. 


73 


* 


BERNER een ROTEN LEE 
. 


Mein Leben 


Das ift mein Leben: hoher Gang, 
wie Könige im Krönungskleide, 
doch ſtatt der Krone Dornenſtrang, 
und hanfnen Strick ſtatt Gurtgeſchmeide. 


Auf bleicher Stirn ein Tropfen Blut, 
und um den Mund ein ſelig Lächeln, 
zu Kampf und Tod gelaſſnen Mut, 
und um die Wange Friedenfächeln. 


In rechter Hand den Bettelſtab 
und rote Roſen in der linken, 
mit trotzigen Schritten ſtumm bergab, 
und ſingend wenn die Höhen winken. 


Laut ſingend, wie die Quelle ſingt, 
wenn ſie aus ihren ſtillen Gründen 
dem hellen Tag entgegenſpringt 
ihr heimlich Weſen ihm zu künden. 


Das iſt mein Leben; Kronenglanz, 

und Licht, und Lied, und Friedefülle. 

Und iſt mein Leben: Dornenkranz, 
und Blut, und Staub, und härene Hülle. 


Rechtfertigung 
Ich kann nicht taſtend gehen 
und prüfen Stein für Stein, 
ich muß nach Sternen ſehen 
und ihrem hohen Schein. 


76 


So geh ich wie im Traume 
und irre tauſendfach, 
die Dornen zerren am Saume, 


im Staube ſchleift er nach. 


Und ſchleift er dann im Staube, 
die Stirn umleuchtet doch 
ein Kranz aus hellem Laube, 
ein unberührter noch. 


Daran könnt ihr nicht langen 
mit eurem kleinen Neid, 
es ſind die grünen Spangen 
mein Stolz und Ehrenkleid. 


Die trag ich bis ans Ende 
in fleckenloſem Glanz 
und leg in Götterhände 
den unverſehrten Kranz. 


Der Träumer 


Ich, du und die mich ſchelten, 

ſind Blüten an einem Baum, 

Gott und die rollenden Welten 
wir alle ſind ein Traum. 


Ihr ſcheltet meine Träume, 
wenn auch mit mildem Wort, 
daß ich das Hier verſäume 
um ein erdichtetes Dort. 


77 


Wohl bleib ich fern den Toren, 
was auch ihr Tun beginnt, 
die da nach Quellen bohren, 

wo keine Quelle rinnt. 


Ich ſuche mir das Waſſer, 
deſſen meine Seele bedarf, 


den Quell, in den kein Haſſer, 
kein Neidling Steine warf. 


Und meine Eimer ſteigen 
hinab, herauf in Ruh, 
die Tiefe wird mein Eigen, 
Leben fließt Leben zu. 


Und wenn es ſteigt und flutet 
und füllt die Seele ganz, 
und auf der Fülle glutet 
von oben her ein Glanz — 


Da hebt von ſelbſt zu tönen 
die volle Tiefe an, 

das laß ich mir nicht höhnen, 

meine Seligkeit hängt daran. 


Wollt ihr um andres ſchmälen, 
da lächle ich nur ſtill, 
mag jeder ſein Rößlein wählen 
und reiten wie er will. 
Sitz er nur feſt im Bügel 
und wiſſe, wohin es geht: 
Nach einem kleinen Hügel, 
darüber Vergeſſen weht. 


78 


Genug, wenn eine Platte 
mit einem Sprüchlein d' rin 
das Grab mir deckt: Er hatte 
ein Herz und gab es hin. 


Gral 


Es iſt ein Berg, hoch aufgetürmt, 
von Nacht und Wettern viel umſtürmt, 
der Gipfel tief in Wolken ſteckt, 
den Fuß hält Tann und Dorn umheckt, 
daß man den Weg kaum finden kann. 
Und doch, den Berg muß ich hinan. 


Da oben ſteht in weißer Pracht 
ein Tempel, marmorüberdacht, 
darin aus einem ewigen Licht 
der Glanz der höchſten Gnade bricht, 
darin ich rein von Staub und Ruß 
die nackte Seele baden muß. 


Kein Tann ſo dicht, kein Dorn ſo ſcharf, 
daß er den Fuß mir hemmen darf, 
und keine Nacht ſo ſchwarz und ſchwer, 
kein Wind und Wetter ſtürmt ſo ſehr, 
kein Tod und Teufel ſperrt den Pfad, 
die Seele ſchreit nach ihrem Bad. 


Du arme, arme Seele du, 
ohn' Rock und Hemd, ohn' Strumpf und Schuh, 
nackt, blutend, kämpfſt du deinen Streit, 
kennſt nicht den Weg, weißt nicht wie weit; 


79 


dein einziger Stecken das Vertraun, 
daß du das ſüße Licht wirſt ſchaun. 


Ach, wenn du auf den Stufen liegſt, 
die du mit letzter Kraft erſtiegſt, 
und über dir die heilige Glut 
mit einem ſtillen Leuchten ruht, 
und alle Wunden haben ſacht 
die kranken Lippen zugemacht: 


Dann hebſt du deine Hände auf 
und ſegneſt deinen Weg und Lauf. 
All' Leid und Unruh fallen ab 
und legen ſich ins ſtille Grab, 
und Glanz hüllt dich und Himmelsſchein 
in einen weichen Mantel ein, 


Leben 


Ihr wollt mein Singen ſchelten 
dem Leben fremd. O ſagt, 
was ſoll für Leben gelten, 

wenn meins euch nicht behagt? 


Wenn ich von Liebe ſinge, 
die alle Herzen ſtimmt, 
euch meinen Becher bringe, 
drin eine Roſe ſchwimmt, 


wenn ich mein Weib umfange 
und preiſe ſolchen Bund, 
nach meinen Kindern lange 

und küſſe ſie auf den Mund, 


80 


Eee, 


Freer 7 
c 


und ſtreu auf meine ſtillen 

Grabhügel Blumen hin, 
und nehme des Lebens Willen 

in Seele auf und Sinn, 


und kehre heim, zu loben 
den Tag und ſeinen Schein, 
und pflücke die Sterne oben 

in meinen Kranz hinein, 


und trage meine Sorgen 

in einen bangen Traum 
und ſchüttle ſie am Morgen 
von mir wie einen Flaum, 


und gehe auf die Gaſſe, 
ins Marktgewühl hinaus 
und bringe, ſoviel ich faſſe, 
verdientes Brot nach Haus, 


und reiche, von Scham geſchlagen, 
dem Bettler durch die Tür, 
ohne ihn auszufragen, 
von meinem Brot herfür, 


und ſchelte ehrlich das Schlechte, 
ohne Tadelſucht, 

und preiſe das Starke und Rechte 

und nehme mich ſelbſt in Zucht: 


Iſt das nicht alles Leben, 
wohl eines Mannes wert, 
der ſtill im Nehmen und Geben 
den, der ihm gab, verehrt? 


81 


Durch alle meine Lieder 
geht wie rotes Blut 
mein Leben auf und nieder 
und iſt voll Lebensmut. 


Iſt ein warmes Leben, 
ſo gut wie eures auch, 
nur brennt's im Stillen eben, 
ein Feuer ohne viel Rauch. 


Wenn alle Welt zuſammen 

den Lärmern Beifall ſchreit, 

leg ich in meine Flammen 
ſtill ein neues Scheit. 


Die Wage 


Ich ſitz, in Dämmer eingehüllt, 
vor zweier Schalen leichtem Tanz. 
Die beiden ſchwanken halbgefüllt, 

und keine hebt die andre ganz. 


Der Zeiger ſehnt nach einem Ziel, 
wie lange ſoll er ſuchen gehn? 

Zuletzt kann ich das müde Spiel 
in gleicher Schwebe ruhen ſehn. 


So ſchwankten meine Tage auch 
im Ungewiſſen auf und ab. 
So ruht nun meine Wage auch 
und ſteht und zittert leis der Stab. 


82 


Und darum hab ich jahrelang 
mit allem hohen Mut gewerkt, 
daß meiner Seele Feuergang 
nicht einmal dieſes Zünglein merkt? 


Erreichtes hier, Verfehltes dort, 
und keins, das ſich dem andern neigt, 
und jedes ſpricht ein feines Wort, 
davor der Stolz betroffen ſchweigt. 


Schnecklein, Schnecklein komm heraus 


Herz, wo haſt du deine leichten Füße, 
die ſo über alle Sorgen ſprangen, 
und wo haſt du deine flinken Hände, 
hundert kleine Freuden einzufangen, 
und die hellen Augen, die noch Sterne 
aus dem Dunkel tiefſter Nächte ſtörten, 
und die feinen Ohren, die die ferne 
leiſeſte Muſik herüber hörten? 
Welche Schrecknis macht dich ſo verzagen, 
daß du ſelbſt in dieſen Frühlingstagen 
ein verſchüchtert Schnecklein dich verkriechſt, 
wie in einem dumpfen Häuschen liegſt? 
Schnecklein, Schnecklein komm heraus, 
ſtreck dein vierfach Hörner aus. 


Mein Herz 
Heute bin ich wieder fröhlich, fröhlich, 


alle meine bangen Nächte ſind vergeſſen, 


83 


und als hätten Angſte nie befeffen 
dieſes Herz mit ſeinem Jubelſchlag, 
pocht's und läutet ein den ſchönen Tag. 


Herbſttag mit der klaren Morgenſonne, 
mit dem letzten goldverbrämten Laube, 
noch ein Weilchen, eh' es ſtirbt im Staube, 
läßt es ſeine bunten Fahnen wehn, 
ſich in allen ſeinen Farben ſehn. 


Herz, mein altes Herz, ich muß dich lieben, 
immer findeſt du dein Lachen wieder, 
ſingſt die lieben Kindheitsmorgenlieder 
mit dem alten, hellen, tapfern Ton, 

wie vor Jahren ſchon. 
Und ſo preiſ' ich dich und deine Tugend: 
Deine immer unverdroſſ'ne Jugend. 


Unterwegs 


Ging ich um die heiße Mittagsſtunde, 
die gewitterſchwüle, durch die öde 
ſonnige Vorſtadtgaſſe meinen Plichtweg. 


Aus den offnen Fenſtern einer Schule 
ſchallen kräftig friſche Knabenſtimmen, 
lautes, taktgemäßes Fibelleſen, 
jede Silbe ſcharf hervorgeſtoßen. 


Aber alles übertönen plötzlich 
aus dem dritten Stockwerk eines Hauſes, 
einer Mietskaſerne gegenüber, 
lange, ſchreckliche Poſaunenklänge; 


84 


immer die vier gleichen Takte quälend, 
qualvoll in die Welt hinausgeblaſen. 
Iſt es eines kleinen Tanzorcheſters 
Poſauniſt, der ſich da oben abquält? 
Iſt ein Dilettant es, kunſtbegeiſtert? 
Ach, der Weg zur Kunſt, zu jeder, jeder 
iſt ſo ſchwer. So viele Stufen führen 
aufwärts nach den lichten, reinen Höhen: 
Auf den unterſten, den breitgelagert 
freigeräumigen, dies Stoßen, Drängen, 
dies Gewimmel; aber mählich aufwärts 
lichtet ſich's, und ſpärlich nur bevölkert 
ſehn die höchſten über Zeit und Raum weg. 
Und die Spitze? Und die höchſte Höhe? 
Hat ſie je ein Sterblicher erklommen? 
Oder harrt noch einſam ſie des Kommers, 
der von dort mit ſeinem Finger leiſe 
an die Fackel rührt, die alles Licht gibt. 
Hinter mir lag längſt die heiße Gaſſe, 
aber immer klang mir in den Ohren 
noch das qualvoll unverdroſſene Blaſen, 
wie das Stöhnen einer kranken Seele, 
die mit ihrem Erdenfluch ſich abringt, 
leidend, ſieglos, aber ſtolz und ſtörrig: 
Es muß ſein! 


Der Kletterer 


Herbſtmorgen, klar und mild, aus gutem Traum 
haſt du, ein wenig früh, mich aufgeweckt. 


85 


Ich fand mich unter einem Kirſchenbaum, 
die Hand nach ſeinen Früchten ausgeſtreckt. 


Ein Knirps war ich, wie ich als Knabe war 
und ach, zu hoch hing mir die ſüße Frucht. 
Da kam ein Wind. Faſt packt ich, um ein Haar, 
den ſchlanken Zweig, da war er auf der Flucht. 


Schon wollt ich weinen, als vom Baum herab 
ein Vogel pfiff. Als ich nach oben ſah, 
pickt er ſich grad die ſchönſten Kirſchen ab. 
Ich warf nach ihm. Er pfiff nur und blieb da. 


Du! rief ich böſe, hätt' ich Flügel nur! 
Doch wart, ich hab ſie. Und im Zorn umfing 
den glatten Stamm ich, mit dem ſtillen Schwur: 
Du kommſt hinauf! Und welche Luſt! Es ging! 


Schon ſchwang ich mich ins grüne Laub hinein, 
der freche Vogel floh mit hellem Schrei. 
Hurra! Nun ſind die Kirſchen alle mein! 

Schon wollt ich ſchmauſen, o, da war's vorbei. 


Nun lieg ich lächelnd halb und halb betrübt 
und denk des Traums. Er war ſo wunderſam, 
als mir, der nie im Klettern ſich geübt, 
plötzlich die Kraft zu meinem Willen kam. 


Hätt' nicht der Wind mit ſchlankem Zweig geneckt, 
Spottvogel nicht gereizt, es hätt' die Gier 
umſonſt den kleinen Hungerhals gereckt. — 

Jetzt, Herbſt, zeig deine höchſten Früchte mir! 


86 


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5 


Am Himmelstor 


Ich träumte mich auf einem bangen Weg, 
auf einem hohen, ſchwindelſchmalen Steg, 
der führte mich bis an das Himmelstor. 

Da ſtand ich lange, ohne Mut, davor. 


Und zitternd griff ich nach dem roſtigen Ring, 
das Himmelsglöcklein an zu läuten fing, 
mein Herz erſchrak vor ſeinem hellen Klang, 
ein armer Sünder auf dem letzten Gang. 


Dann raſſelte ein großes Schlüſſelbund, 
ein Knarren, bis der Himmel offen ſtund, 


doch haſcht ich nur von ſeiner Herrlichkeit 


mit ſcheuem Blinzeln einen Streifen breit, 


ein Wieſengrün und einen Engelsfuß. 
Sankt Peter barg mir jeden weitern Gruß 
mit breitem Rücken und erſchreckte mich 
mit barſcher Frage: „Freund, wer ſchickte dich?“ 


Mich ſchickte keiner. „Und was ſuchſt du hier?“ 
Nach Erdennot ein ruhiges Quartier, 
ein Flügelpaar und himmliſches Gewand, 
ein Tröpfchen Tau aus Gottes hohler Hand. 


„Haſt du zu ſolchen Dingen auch ein Recht, 
warſt du auf Erden ein getreuer Knecht?“ 
Ich war Poet. „Und kommſt zu Fuß hier an? 
Wo haſt du deine Flügel hingetan?“ 


87 


Ich ſchämte mich, weil fie fo ſehr beſchmutzt, 
und ihre ſchönſten Federn arg geſtutzt, 
weil durch das Fliegen nach dem Flitterkranz 
des Menſchenruhmes dunkel ward ihr Glanz. 


„Und deinen Kranz?“ Ich hab ihn abgelegt, 

daß man mit andern ihn zum Kehricht fegt, 

und komm nun nackt und ohne Glorienſchein. 
Da ſprach der Pförtner gütig: „Komm tritt ein.“ 


Durch den Tag 


Wenn vor Tag und Tageshelle 
ſich die Finſternis verſteckt, 
und die ewige Lebensquelle 

alle ihre Kinder weckt, 


fühl ich mich wie neubegnadet, 

wie das Licht ſo rein und gut, 
Leib und Seele wie gebadet 
und erfriſcht in klarer Flut. 


Aber Tag und Helle wachſen, 

glühend ſteht der Feuerball. 

Und des Lebens heiße Achſen 
wirbeln raſend Staub und Schwall. 


Nach den Morgenparadieſen 
trauert die betäubte Bruſt, 
aber ewig ausgewieſen; 
vorwärts! gellt es, und du mußt. 


88 


An Gewiſſe 
Ob ich euch haſſe? Zwiſchen ſechs und ſieben, 


und eins und zwei, ſo manchmal, ſtundenweis, 
bis mich mein Herz mahnt: dein Beruf iſt Lieben. 
Und lächelnd ſchließ ich wieder meinen Kreis. 


Die Pforten, die zu meinem Zirkel führen, 
ſind euch verſchloſſen, und kein Riegel rückt, 
und wohnt ein Friede hinter dieſen Türen, 
wie er nicht einmal eure Träume ſchmückt. 


Geſellſchaft 


Dieſes laue Händedrücken, 
abgemeſſene Verneigen. 
Lieber, Hände hinterm Rücken, 
frei und ehrlich Farbe zeigen. 


Abſage 


Jahre gingen wir gleichen Schritt, 
Jahre tat ich beſcheiden mit, 
dämpfte die Glut und beugte den Stolz. 
Ihr glaubtet, ich wär aus euerm Holz, 
aber ich kann es nicht länger ertragen, 
muß endlich einmal freiweg ſagen, 
wie ihr gedrückt mich und gequält, 
an meinem Lebensbaum geſchält, 
und jetzt blutet, ein brennend Naß, 
aus allen Wunden der rote Haß. 


89 


Die Bodenkammer 


Das war auf unſrer Bodenkammer, 
wo ſchräg das Dach darüber lief. 
Ach, was verſchloß die roſtige Klammer 
der ſchweren Tür! Von keinem Brief 
wurd' je ein Siegel weggebrochen 
mit ſo erhöhtem Herzenspochen, 
als wir zum Paradies dort oben 
die ſchwere Luke keuchend hoben. 


Da gab es einen Tannenbaum, 
vom letzten Feſt noch aufgehoben, 
der fuhr als Schlitten durch den Raum, 
daß Staub und trockne Nadeln ſtoben. 
Da gab es eine Wäſchemangel, 
die rollend an zu kreiſchen fing, 
wie noch in keiner roſtigen Angel 
je eine alte Türe ging. 


Da gab es eine leere Kiſte, 
ganz wie gemacht zum Höhlenhaus, 
ein morſches Ding, ein Wurmgeniſte, 
und Spinnen tapezierten's aus. 
Doch Kinderſinn hat Zauberkraft 
mehr als die Lampe Aladins. 
ein Wunſch — da baut ſich Schaft an Schaft 
das ſchönſte Schloß, Fürſten beziehn's. 


Dann war da eine alte Wanne, 
die, leck, ſchon längſt kein Waſſer ſah, 


und eine alte Gärtnerkanne, 


90 


2 durchlocht und ganz zerbeulf, war da. 

4 Das war ein Trommeln und Trompeten! 

10 Herr Hauptmann und Herr General! 
Das ganze Bataillon antreten! 


Zu Pferde ſtieg der Feldmarſchall. 


Und ja das Pferd! Kein Blücher drückte 
ein beſſres unterm Siegeslaub. 
Dort floß der Rhein, der überbrückte, 
dort der Kartoffelſack war Kaub. 
Der alte brave Schaukelſchecke 
fiel vom Galopp in pleine carrière 
und mitten in der Feinde Heer, 
kam er dabei auch nicht vom Flecke. 


Ach Golt, was ſchloſſen dieſe Wände 
nicht alles ein, die ganze Welt, 
von einem bis zum andern Ende, 
war zwiſchen ihnen aufgeſtellt. 

Im ſchiefen Dach das kleine Fenſter 
warf Licht in ein unendlich Land, 

wo Räuber, Könige und Geſpenſter 
das Kind in jedem Winkel fand. 


O könnt' ich einmal noch im Leben 
die knarrenden Stufen da hinan, 
die alte ſchwere Luke heben 
und in der Bodenkammer dann 
noch einmal auf dem Schaukelpferde 
Napoleon in Agypten fein 
und mit tyranniſcher Gebärde 
die Welt in Grund und Boden fchrei’n. 


91 


Aus manchem Sattel mußt' ich gleiten 
drin ich ein Feldherr mich geglaubt, 
und mußte ſtill zu Fuß dann ſchreiten, 
ein Wandrer, den der Weg beſtaubt. 
O Rößlein meiner Knabenſpiele, 
du trugſt mich ſchlank an alle Ziele, 
die mein Papierhelm vor ſich ſah — 
ein Gertenſchlag; Viktoria! 


Die Räuber 


Ich war, ein Knabe, in den Wald gegangen 
mit meinen Brüdern. Wie die wilden Rangen 
den Ferienmorgen durch die Büſche trieben, 
daß er entfloh, als hätt er Haſenläufe. 

Und ſelber jagten ſie ſich umeinander, 
hierhin, dorthin, wie ſteuerloſe Brander. 

Und wirklich wär bald nichts vom Wald geblieben. 
als funkenüberſtreute Aſchenhäufe. 


Ein rechter Räuber, ſeines Werts durchdrungen, 
und ſei er auch der Schule juſt entſprungen, 
kann nicht der Bürger glatte Wege wandeln, 

wo Förſter und Magiſter ihm begegnen. 

Er braucht das Dickicht, wo kein Hund ihn wittert, 
braucht finſtre Höhlen, buſchwerkübergittert, 
wo kein Geſetz ihm lähmt das kühne Handeln 
und keine Prügel in ſein Handwerk regnen. 


O Freiheit, deine roten Flammen ſchlugen 
ſo ſtürmiſch nie, und keine Hände trugen 


92 


fo hochgemut die lodernden Fanale; 
wir waren Räuber und dazu Indianer, 
zum „Großen Adler“ wurde Hänschen Meier, 
und Müllers Fritzchen „Gefleckten Geier“, 
die Friedenspfeife ging zum dritten Male 
von Hand zu Hand, und blaß ſaß der Quartaner. 


Und ſchweigend qualmten um die dürren Reiſer 
die tapfern Krieger, jeder Held ein Weiſer 
im großen Rat; und durch die Buchenrunde 
zog ſacht der Rauſch des Feuers und der Pfeifen. 
Dann ging die Flaſche mit dem Himbeerſafte, 
die der verwegene Häuptling ſich verſchaffte, 
„der große Büffel“, ſtill von Mund zu Munde. 
Ein Pfiff! Und nach dem Kriegsbeil galt's zu greifen. 


Ihr Knabenſpiele unter Sommerbuchen, 
wo ſoll ich köſtlichere Freuden ſuchen, 
als die aus eurem tollen Treiben ſproſſen, 
wie helle Roſen aus den wilden Ranken. 
Doch Dornen hatten, weh! auch dieſe Roſen, 
und ſie zerriſſen nicht allein die Hoſen, 
auch rotes Blut iſt jämmerlich gefloſſen, 
und dann, zu Haus, der Räubermutter Zanken. 


Und einmal mußten wir die Häuptlingsrücken, 
o Schmach für Helden, untern Stecken bücken. 
Den großen Büffel nahm man feſt beim Horne, 
der große Adler mußte Federn laſſen, 
denn aus der Aſche unſrer Höhlenſcheite 
erſtand ein Kläger, der in alle Weite 
die Klage rief; die ward zum Todesdorne 
für unſern Mut und ließ uns feig erblaſſen. 


93 


Der Wald in Flammen! Weh, die Schreckenskunde! 
Wir zitterten. Nun iſt die letzte Stunde 
für euch gekommen, und die Meſſer blitzen, 
kreisrund den Skalp von eurem Haupt zu trennen. 
Der Wald in Flammen! Förſter, Poliziſten, 
Kerker, Schafott, ringsum die Stadtgardiſten — 
doch nein, man wird euch ſchon die Haut nicht ritzen. 
Mut, großer Büffel! Nur die Weiber flennen. 


Die Zähne feſt! Und Hiebe gab es, Hiebe! 
Und iſt die Züchtigung ein Werk der Liebe, 
kein Vater liebte heißer ſeine Knaben 
und mehr als ſie verdienten, wie ich meine: 
Zwei junge Buchen waren drauf gegangen, 
und unſres Wigwams rauchgeſchwärzte Stangen 
ſchrien unſre Schandtat in das Ohr des Raben, 
der Krumen las an unſerm Opferſteine. 


Probatum est 


„Mir wird das Dichten verteufelt ſchwer, 
wo nehmen Sie bloß die Gedanken her?“ 


Von den Wänden, mein Lieber, aus Winkeln und Ecken, 
die alle voller Gedanken ſtecken. 
Sehn Sie nur immer ſtramm auf die Wand, 
Wem dann nicht zum gelobten Land 
die Muſe öffnet Tür und Tor, 
mit dem hat Gott was andres vor. 


94 


Ausbeute 


Bei Tagesanbruch ſingt das Herz und lacht: 
Heut wird dein Segen unter Dach gebracht. 


Der Abend kommt, zu ſehen, was es ſei: 
In hohler Hand ein Körnchen oder zwei. 


Nach Jahren 


Die ruhenden, ſtillen Felder 
darüber der Vollmond ſteht, 
die weiten, ſchweigenden Wälder, 
daher ein Schauer weht. 


Wie hab' ich ſelig genoſſen 
die ſchöne Nachteinſamkeit 
und habe den Schatz verſchloſſen 
für kommende, dürſtende Zeit. 


Nun träum' ich die alten Träume 
und rühre leiſe den Schatz, 
ſacht rauſchen die alten Bäume, 
und alles am alten Platz. 


Mir iſt, als könnt ich gehen 
nur grad ins Feld hinein, 
mit geſchloſſenen Augen ſehen 
den klaren Vollmondſchein. 


Und leiſe Schauer wehen 
kühl mich wieder an, 


9 


und die alten Sterne ftehen 
über dem träumenden Mann. 


Unerreichbar 


Ich kannt ein ſchönes, ſtilles Land 
jetzt liegt es wie in Märchendämmer, 
da weidete im Lichtgewand 
der Friede ſeine weißen Lämmer. 


Ich weiß den Weg, bin ich ihn doch, 
und nicht im Traum nur, hergegangen, 
und ſpür in meinen Kleidern noch 
den Duft von ſeinen Blumen hangen. 


Doch wend ich mich zurück, und breit 
die Arme aus nach jener Ferne — 
o Jugendland, wie liegſt du weit 
und unerreichbar wie die Sterne. 


Letzter Wunſch 


Auf freiem Felde, wo die Winde wehn, 
da ſollt ihr Freunde mir den Holzſtoß ſchichten 
und ſingend um die roten Flammen ſtehn, 
die, was an mir vergänglich iſt, vernichten. 


Der Rauch ſteigt auf und ſchwankt im Morgenwind, 
die Glut verkniſtert mit den letzten Pſalmen, 
und ſo verkohlt ein töricht Menſchenkind 
mit Lorbeerkränzen und mit Friedenspalmen. 


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Den Aſchenreſt ſtreut auf das Land umher, 
vor Huf und Pflug; ſo mag er nicht verderben. 
Es grünt die Saat, das Korn wogt ſegenſchwer 

und rauſcht ein Lied von Keim und Frucht und Sterben. 


Was will ich mehr 


Noch halt mit beiden Händen ich 
des Lebens ſchöne Schale feſt, 
noch trink und kann nicht enden ich 
und denk nicht an den letzten Reſt. 


„Doch einmal wird die Schale leer, 
die letzte Neige ſchlürfteſt du.“ 
So trank ich doch, was will ich mehr, 
dem Tod ein volles Leben zu. 


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Neue Liebe 


Blühſt du meinen ſpäten Tagen, 


ſüße Liebe, noch einmal? 
Bäumen, die ſchon Früchte tragen, 
lacht ein zweiter Frühlingsſtrahl? 


Zwiſchen Blüten, zwiſchen Früchten 
hab ich nun die ſchwere Wahl, 
möchte pflücken, möchte flüchten — 
neue Liebe, neue Qual. 


* * 
An 


Was ich dir verdanke? 
Goldenen Tag und Traum. 
des Glücks eine blühende Ranke 
um meinen Lebensbaum, 
eine Liebe, die im Verzichten 
ſchweren Sieg errang, 
und für mein Singen und Dichten 
einen reinen, keuſchen Klang. 


Auf Flügeln 


Herz, erträgſt du dieſe Freude, 
trägſt du ſo viel Seligkeit? 
Himmel, Erde: Eine Sonne 

und Ein Blühen weit und breit. 


101 


Wo die überglühten Wipfel 
baden hoch im Morgenhauch, 
wo die weißen Mauern winken, 
wohnt der ſchöne Frühling auch. 


Jeder Schlag der raſchen Pulſe 
ruft das holde Ziel heran, 
und die Ferne wird zur Nähe, 
und die Liebe hat's getan. 


Durch den Garten, über Stiegen, 
wie auf Flügeln hebt es dich; 
ſchneller als die ſchnelle Schwalbe, 
höher ſchwingt die Liebe ſich. 


Himmelspforten, welch Willkommen! 
öffnen glänzend ſich und groß, 
und der kecke Vogel flattert 
einem Engel in den Schoß. 


Darum 


Was freut dich ſo? Möcht's wiſſen, mein Herz. 
Ach, meint das Herz, das kann ich nicht ſagen. 
Vielleicht iſt's nur allein der März, 
und daß die Bäume nun Knoſpen tragen, 


und daß die Buben fo fröhlich find 
auf den wiederbeſonnten Gaſſen, 
und daß die Mädel im Frühlingswind 
ihre Zöpfe fliegen laſſen, 


102 


Und daß die eine dir geftern die Hand 
ſo herzlich gedrückt. Wer will es ſagen? 


4 Im Frühling ift alles aus Rand und Band. 
4 Warum? Darum! Nun laß dein Fragen. 
. | 

g 

A Glocken 


Eben mit den Schweſtern froh 
und auf einmal ſtill beiſeite, 
Mädchen ſag, was horchſt du fo 
traumverloren in die Weite? 


eee eee 


Iſt's, daß wo ein Glöcklein tönt, 

und du ſinnſt, was es bedeutet? 

Ob man wo ein Bräutlein krönt 
oder eins zu Grabe läutet? 


Glocken gehn im Land ringsum, 
leis und laut an allen Tagen; 

ſteht der einen Zünglein ſtumm, 
hat die andre viel zu ſagen. 


Eine weiß ich, die für dich 
Tag und Nacht nicht ruht zu klingen, 
hörſt du wohl ihr Läuten ſich 
ſelig durch den Frühling ſchwingen? 


Und ein Glöcklein in der Bruſt 
ſchwankt im Widerhall, dem ſüßen, 
1 und hebt an in gleicher Luſt 
N fein Geſchwiſter zu begrüßen? 


JJC 


103 


Von weißen Roſen | 


Das Glück teilt feine Roſen aus, 
macht auch wohl mal ein Kränzlein draus, 
aus roten, die gleich Sonnen glühn, 
aus weißen, die gleich Sternen blühn. 
Der roten viel am Wege ſtehn, 
die weißen muß es ſuchen gehn. 


Viel flinke Hände ſchickt es aus, 
Hilfsenglein ſucht von Haus zu Haus: 
Ein Wunſch, von Herz zu Herz gedacht, 

ein Seufzer in verſchwiegener Nacht, 
ein Tränlein, oder was es ſei, 

gib acht, flieg nicht daran vorbei! 


Mein Garten iſt voll weißen Glücks. 
Das Englein ſieht's: Wie lieblich! Pflück's 
für ſie, für die's in Blüte ſteht: 

Ein Morgengruß. Ein Nachtgebet. 
Ein Habdichlieb! Ein Denkedein! — 
Ihm zittern vor Freude die Flügelein. 


Und alle Roſen, die es fand, 
nimmt es in ſeine weiße Hand, 
und wo es nur ein Röslein nahm, 
ſogleich ein anderes wiederkam. 
So findet's immer einen Flor 
für dich erblühter Roſen vor. 


Da macht das Glück die Augen groß, 
hat einen überreichen Schoß: 


104 


Das langt ja bis zum Jüngſten Tag, 
ob's Mädel den erleben mag? 
Und geht es eh zum Himmel ein, 
bringt's lauter Roſen mit hinein! 


Und ſinnend ſieht's, närriſcher Traum, 
es ſchon vorweg im Himmelsraum: 
Gar lieblich geht's mit ſeinem Kranz 

und überſtrahlt der Engel Glanz. 

Im Schürzlein hat es, weiße Pracht, 

ein Häuflein Roſen mitgebracht. 


Als unverſehns vor Gott es ſteht, 
ein Schreck ihm durch die Glieder geht. 
Die Roſen fallen ihm aus dem Schoß, 

ſogleich geſchieht ein Wunder groß: 

Was eben weiße Blüte war, 
wird eine lichte Bubenſchar: 


Ein Morgengruß. Ein Nachtgebet. 
Ein Wunſch, der ſich verſchämt verrät. 
Ein Tränlein, ſtill in ſich hinein. 
Ein Habdichlieb. Ein Denkedein. 
Die knieen, ein lieblicher Kranz, mit ſtumm 
| gefaltenen Händchen um fie herum. 


Der Herr, halb lächelnd, halb gerührt, 
ein ſeltſam Herzbewegen ſpürt. 
Und iſt kein Laut im Himmel d'rin, 
ſehn alle auf die Holde hin. 
Die ſteht verwirrt, verſchämt — da fällt 
das Glück jäh aus der Himmelswelt. 


105 


Mein Englein kommt, fein Schelmblick lacht, 
mit einer neuen Roſenfracht. 
Kein Märggeſtöber fällt fo dicht, 
wie jetzt ein Schnee herniederbricht. 
Halt! ruft das Glück, weiß überſchneit, 
das reicht für Zeit und Ewigkeit! 


Märchen 


In deiner lieben Nähe 
bin ich ſo glücklich. Ich mein', 
ich müßte wieder der wilde, 
ſelige Knabe ſein. 


Das macht deiner ſüßen Jugend 
ſonniger Frühlingshauch. 

Ich hab dich ſo lieb. Und draußen 
blühen die Roſen ja auch. 


O Traum der goldenen Tage! 
Herz, es war einmal. 
Abendwolken wandern 
über mein Jugendtal. 


Eine Liebe 


Faſt noch ein Kind und haſt Gewalt ſchon, biſt 
ſchon Herrin über mich, der nun ſein Glück 
einzig an deiner Huld und Güte mißt, 
demütig dein, und kann nicht mehr zurück. 


106 


O junge Herrin, unter gütigem Stern 
ſind meine ſtillen Jahre hingegangen, 
doch träumte mir von einer Inſel, fern, 
ach ſo traumfern, wo ſolche Lieder klangen, 
wie ſie mein waches Ohr niemals vernahm, 
ſüß wie das Singen lockender Sirenen, 
und wo verſchwiegenem und tiefſtem Sehnen 
ſelige Erfüllung hold entgegenkam. 

Ein neuer Stern iſt leuchtend aufgeſtiegen, 
in ſeinem Licht ſeh' ich das Ufer liegen, 
an das die Waſſer meiner Sehnſucht ſchäumen 
in wehem Wachen und in kranken Träumen, 
und all mein Leben zittert ihm entgegen. 
Laß mich die Hand in deine Hände legen, 
auf deinen Schoß die heiße Stirne ſenken, 

8 und wenn mich dann dein leiſer Atem trifft, 
g glauben, das Meer der Sehnſucht ſei durchſchifft, 

3 und meine Seele ſich im Hafen denken. 


Ja holde Herrin, faſt noch Kind, und ſchon 
vom Schickſal auserſehn für einen Thron, 
ſo herrlich wie kein König ihn beſteigt, 
nimm hin mein Herz, das ſich dir willig neigt, 
dies reiche Herz, das eine Welt umſchließt 
und heiße Lebensſtröme in ſie gießt, 
ein Herz, ſo reich, daß es ſich arm nicht gibt, 
und das ſein Alles hingibt, wo es liebt. 

O Lieb, dies ſind nicht raſche Schwärmerworte, 
nicht Schwüre eines leicht entflammten Knaben. 
Ein Jahr lang hielt verſchloſſen ich die Pforte, 


107 


warf hinter mich den Schlüſſel. Mählich haben 
die Riegel ſich gelockert, und nun drängt 
gefangene Glut, bis ſie die Pforte ſprengt. 


Nie hat es keuſchere Leidenſchaft gegeben, 
wenn Leidenſchaft denn keuſch ſein kann und iſt, 
die ja ihr Recht nur an ſich ſelber mißt. 
Liebe ſucht Liebe, Leben will zu Leben, 
und wenn es ſucht und ſehnt: nenn's Leidenſchaft 
nenn's Liebe, Mädchen, keuſch iſt jede Kraft, 
die Leben wirkt. Und alſo lieb ich dich, 
und ſo, in Keuſchheit, will ich dich für mich. 


Es darf nicht ſein! Ich hab' ein liebes Weib 
und liebe Kinder. Meine Seele ringt. 

Iſt's auch nicht Sünde, was ſie niederzwingt, 
daß wie im Fieber ſchauern Herz und Leib, 
die Tage elend, meine Nächte ſchwer, 
ſchlaflos, oder von wilden Träumen krank — 
Es darf nicht ſein! So grundlos wälzt kein Meer 
ſich zwiſchen zwei getrennten Ufern hin, 
als ich von dir durch die geſchieden bin, 
die älteres Recht auf Liebe, Treue, Dank, 
auf alles, was ich hab' und bin, ihr nennen. 
Würd' ich in ihrer Augen reinem Spiegel, 
den nie ein Argwohn trübt, mich wiederkennen, 
zerbräch ich die beſchworenen heiligen Siegel, 
verriete ſie und träte vor ſie hin 
mit Schmeichelwort, ein andrer als ich bin, 


108 


küßt fie mit Lippen, d'rauf dein Kuß noch blühte, 
mit Worten, d'rin heimliche Glut noch glühte 
verſtohlenen Glücks, das nicht ihr Glück, und legt' 
heuchelnd den Arm um die, die ſchwach und blaß 
mich täglich mahnt, daß ſie von allem, was 
mich eh an ihr entzückt, den Kindern gab, 
und ihre ehrfurchtswürdige Armut trägt 
wie eine Fürſtin, deren Altersſtab 
der edle Stolz erfüllter Pflicht allein 
und ihres kleinen Volkes Liebe? Nein, 
es darf nicht ſein! Doch meine Seele ſchreit 
laut auf in ihrem fürchterlichen Streit. 

Iſt's auch nicht Sünde, weil es Liebe iſt, 
nicht Sinnengier, die ſchlangenzähnig frißt — 
Mein Tag iſt elend, meine Nächte ſchwer, 
ſchlaf los oder von wilden Träumen krank, 
und Sünde kann es werden, nackt und blank. 


Ach, ſüßes Lieb, ich liebe dich ſo ſehr. 


Der Gärtner 


Ich war als Gärtner ihm beſtellt 
und zog es auf, ſo Jahr für Jahr, 
und war kein Bäumchen auf der Welt, 
das ſo ein liebes Bäumchen war. 


Und hatten andre Freude dran, 
war meine Freude größer noch, 
und kam einmal ein Nörgler an, 
ich lächelte — und liebt es doch. 


109 


Und jetzt, da es in Blüte prangt, 

ſo zart und weiß und wunderfein, 
erſchrickt mein Herz und zagt und bangt: 
Das Bäumchen, Narr, iſt ja nicht dein. 


Die Früchte, die ſich leiſe jetzt 
aus dieſen Blüten ringen los, 
o Gott, ein Fremder kommt zuletzt 
und ſchüttelt ſie ſich in den Schoß. 


Geh nicht! 


Leb wohl! Wie ruhte Hand in Hand 
ſo kalt. Ich litt. 

O, daß ich nicht ein Wort des Herzens fand! 
Du gehſt und nimmſt den Frühling mit, 
nimmſt Tag und Licht. — 

Geh nicht! 


Des Gärtners Klage 


In meinem kleinen Garten, 
ach wie eng iſt die Welt! 
Geduldig muß ich warten, 
bis ich mein Beet beſtellt. 


Tulpen und Maiglöckchen 
und kleine Vergißmeinnicht, 
und an ihrem Stöckchen 
wagen ſich Roſen ans Licht. 


110 


Lebt alles in Farben und Düften, 
aber es freut mich nicht ſehr, 

hoch in den flimmernden Lüften 

kommen die Wolken her, 


die weißen Frühlingswölkchen — 
wenn meine Gedanken ſo 
gingen, ein freies Völkchen, 
wie wär ich froh! 


Aber ſie ſpinnen nur immer 
den alten Faden an. 
Ach, daß ich dich nimmer 


vergeſſen kann. 


Du biſt nun draußen im Weiten, 

wo die leuchtenden Berge ſtehn, 

ich muß meinen Garten abſchreiten 
und nach den Blumen ſehn. 


Klage 


Unter Sternen wandelſt du, 
mondlichtüberfloſſen, 
mitternächtige Gartenruh, 
jeder Mund geſchloſſen. 


Nur in deinem Herzen wacht 
noch ein Lied vom Tage 
und verzittert in der Nacht, 

eine ſtumme Klage. 


111 


Zirpt im Neſt ein leifer Ton, 

ſehnſt dich nach dem Hafen. 

Ach, es iſt das Beſte ſchon: 
Schlafen und verſchlafen. 


Seliger Eingang 


Vorm Himmelstor, o ſüßer Traum, 
treffen wir uns wieder, 
hängt über die Mauer ein Apfelbaum 
ſeine weißen Blüten nieder. 


Hockt auf der Mauer ein Englein quer 
und baumelt mit den Füßen, 
kommen ans Tor zehn andere her, 
uns liebreich zu begrüßen. 


Schlagen zwei die Flügel leis, 
will jedes ein Röslein geben, 
die rote mir und dir die weiß', 
und uns beiden das ewige Leben. 


Sonnenaufgang 


Tage, die ich ohne dich verbracht, 
waren Tage nicht, ſie waren Nacht, 
nun von deiner Rückkehr mir ward Kunde, 
warte ich auf meine Morgenſtunde. 


112 


Wenn das Licht ſich aus dem Dunkel hebt, 
alles Leben ihm entgegen bebt, 
klingt, wie von verborgenen Zauberſaiten, 
hell ein Klang durch alle Welt und Weiten. 


Ein um dich verträumtes Leben harrt 
deiner wundertätigen Gegenwart. 
Komm! Es will mit lautem Liebesſingen 
ſelig ſeinen Morgengruß dir bringen. 


Weiße Narziſſen 


Weiße Narziſſen leuchten 
über dein Bild her und ſagen 
mit leiſen Märchenſtimmen 
von heimlichen Frühlingstagen. 


Von heimlichen, warmen Tagen, 
wo ſich die Blumen verfrühten, 
ſtille weiße Sterne 
aus meinem Herzen blühten. 


Stille weiße Sterne 
der Liebe, um dich zu ſchmücken, 
aber du gingſt vorüber, 
durfteſt ſie nicht pflücken. 
Irgendwo warten, 
gewiegt von zärtlichen Winden, 
rote Roſen deiner, 
du wirſt den Weg wohl finden. 


113 


r 8 


Indeſſen leuchten die ftillen 
großen Narziſſenſterne 
über dein Bild, wie aus weiter, 
weißer Märchenferne. 


Der letzte Schmerz 


O Herz, nun alle die Blumen 
und alle die Düfte im Garten 
und draußen in Feld und Wieſe — 
Worauf willſt du denn warten? 


Kannſt du dich nicht ermannen? 
Kannſt du denn nicht vergeſſen? 
So manches Herz hat alles, 
was du beweinſt, beſeſſen, 


und mußte es laſſen und lernte 
ſich wieder des Frühlings freuen. 
Du mußt nur auch den letzten 
großen Schmerz nicht ſcheuen: 
Begrabe dein Lieben und Hoffen! 
Des Frühlings lächelnde Güte 
wird es mit Sonne bedecken 
und leuchtender Lebensblüte. 


Gib dich darein 


Ich wollte das Reis ausreuten, 
das mir aus dem Herzen trieb, 
wund riß ich den Boden, 
aber die Wurzel blieb. 


114 


Die tiefklammernde Wurzel 
tötete ich nicht, 
treibt immer neue Keime 
und neue Blüten ans Licht. 


Rote, brennende Blüten, 
die ſpotten meiner: Tor! 
wir ſchießen wie rote Funken 
aus der alten Glut hervor. 


Wir kommen immer wieder, 
gib dich doch darein. 
Deine größten Schmerzen ſollen 
deine tiefſte Freude ſein. 


Vergebliche Bitte 


Maiblumen, deinem Herzen nah, 
blühten an deinem Kleide. 

Ich bat: „Schenk mir den Frühling da.“ 

„Nein,“ riefſt du mir zu Leide. 

„Es war nur Spiel, war nur zum Scherz, 

daß ich mich damit ſchmückte.“ 

Und wie ein Stich ging mir's durchs Herz, 
als deine Hand die Blumen ſchnell 
vom Buſen riß und auf der Stell 

zerpflückte, zerpflückte. 

Was gabſt du mir die Blumen nicht, 
mir, dem die Jugend ſchwindet, 
und der auf deinem Angeſicht 

ihr letztes Glück noch findet? 


113 


Mir war's, als fo umſonſt ich warb 
um dieſe Frühlingsſpenden, 
als ob nun mit den Blumen ſtarb 
auch meiner Jugend goldner Tag, 
und ſeine letzte Blüte lag 
zerpflückt von deinen Händen. 


Liebesgeſtammel 


Es iſt alles nicht auszuſagen, 
was ich um dich gelitten. 

Du mußt meine ſchlafloſen Nächte fragen, 
da ich mit Beten um dich geſtritten, 
mit Wünſchen und Sehnen und Hoffen viel 
trieb ein törichtes Liebesſpiel. 


Und am Tage ging ich umher, 
eine einſame Seele, die keiner verſteht. 
Sie bangt um ihren Himmel ſehr 
und weiß nicht, wo die Straße geht, 
ſchlägt in raſtloſem Sehnſuchtsſpiel 
tauſend Brücken nach ihrem Ziel, 
über die mit zitternden Knien 
all ihre weinenden Wünſche ziehn. 


Ich bin dein, 
o wärſt du mein! 

Hülfe mir Beten, hülfe mir Bitten — 
aber ich will mich des Hoffens entſchlagen. 
Es iſt alles nicht auszuſagen, 
was ich ſo lange um dich gelitten. 


116 


Der Bettler Tag 


Geliebte, meine Träume bringen dir 
in weißen Händen ihre roten Rofen 
aus jenen Gärten, die dem Liebesſtern 
das ſelige Leuchten ewigen Frühlings leihen. 
Mit ausgeſtreckten Händen bettelt ſie 
der Tag um eine Roſe an, nur eine! 
Mitleidig geben ſie dem Bettler, aber ach, 
in ſeiner Hand, wie ſeltſam ſind die Roſen, 
mit bleichen Dornen und mit blaſſen Blüten 
und ſchwülem Duft, wie er aus Totenkränzen 
aufſteht und den erſchrocknen Atem feſſelt. 
Beklommenen Herzens läßt er das Geſchenk 
der reichen Träume fallen. Ach, ihm blühen 
die Roſen nicht. 


Und alſo lieb ich dich 


So keuſch und zärtlich, wie Geſchwiſter lieben, 
die eines Blutes gleicher Puls belebt, 
ſo lieb ich dich und wünſcht', ich wär' dein Bruder, 
der ſeine ſchöne junge Schweſter ſchützt, 
Geſpiel ihr und ein Freund in Luſt und Leid, 
und Lehrer, Rater ſo wie ältere Brüder 
bei kleinen Schweſtern gern den Vormund machen. 
O reine Liebe, ohne ein Begehren, 
weil ſie ja alles, was ſie hold beglückt, 
ſchon von Natur fraglos zu eigen hat. 


117 


Und wieder lieb ich dich, der ich an Jahren 
ſo weit voraus dir, daß ich Mann ſchon war. 
als deiner erſten Erdenträume Neſt 
noch die umwachten Wiegenwände waren. 


So liebt ein Vater ſeine junge Tochter, 
ganz Glück, ganz Sorge und ganz Zärtlichkeit, 
voll heißer Wünſche täglich und Gebete, 
in ſeltſamer und faſt verſchämter Liebe, 
voll ſtiller Rührung, die die Lippen meidet 
und nur die reine Mädchenſtirne küßt. 

O heilige Liebe, ſelbſtlos, nichts verlangend, 
und nur beſtrebt, zu ſorgen und zu fegnen. 


Und anders lieb ich dich, wie Liebe liebt, 
die ganz Begehren und ein einziger Schrei 
nach ihrem Himmel iſt. Ich ſchließ die Augen, 
und vor mir ſteht dein Bild; ich öffne ſie, 
und alles Leben webt nur wie ein Schatten 
und lautlos um dein Bild. Dein Name löſt 
ſich unbewußt von meinen Lippen, wie 

traumhaft ſich eine Blüte löſt vom Zweig 
und leuchtend niederſchwebt. Red’ ich, iſt's nur 

fo hingeſprochen, denn ein andres ſpricht 

| indeffen meine Seele, Zwiegeſpräch 

mit holden Träumen, Anruf deines Bildes: - 

Herz, Welt, Geliebte! Alles voll Begehren, 
in ſüßer Wirrnis und mit Sehnſuchtshänden, 
mit immer ausgeſtreckten Sehnſe uchtshänden, 
und Lippen, die nach deinen Küſſen dürſten. 

O füße Liebe, ſüße ſchlimme Liebe, 


118 


die fo mit Roſen peitſcht, daß unſer Blut 
die Schwelle färbt, wo unſere Sehnſucht kniet. 


Aus Liebestiefen 


Als ich heute deiner gedacht, 

hat mich mein Töchterchen angelacht. 
Holdſeliges empfand ich da 

und war dir, wie noch niemals, nah. 


Die Mutter meiner Kinder hält 
in ihrer Güte eine Welt, 
verſteht und weiß, wie Liebe tut, 
und daß alles in göttlichen Händen ruht. 

Das gibt mir meinen heiligen Halt 
und hat über alles Begehren Gewalt, 
ſo tief meines Kindes Augen ſehn, 

kann mein Herz vor ihm beſtehn. 


Betende Hände hab ich bewegt 

um ſeinen kleinen Nacken gelegt, 

für dich betende Hände. Nie war 
meine Seele ſo fromm und lebensklar. 


Fromm 


Der Mond ſcheint auf mein Lager, 
ich ſchlafe nicht, 


meine gefalteten Hände ruhen 
in ſeinem Licht. 


119 


Meine Seele iſt ſtill, fie kehrte 
von Gott zurück, 
und mein Herz hat nur einen Gedanken: 
Dich und dein Glück. 


Trüber Tag 


Ein feuchtes Wehen wühlt im Laub und ſtreut 
ins naſſe Gras ringsum den Tropfenfall, 
und wo noch geſtern laute Luſt, träumt heut 
ſchwermütiges Schweigen überall. 


Die frühen Roſen frieren ſo im Wind. 
Geſtern, als heißer Mittag darauf lag, 
brach ich die ſchönſte dir. Wo biſt du, Kind? 
Wo iſt die Roſe? Wo der helle Tag? 


Auch morgen, wenn die Sonne wieder ſcheint, 
und ganz voll Duft mein kleiner Garten iſt, 
ruft dich mein Herz und weint 
und weiß nicht, wo du biſt. 


Waldgang 


Heut bin ich durch den fremden Wald gegangen, 
abſeits von Dorf und Feld und Erntemühen. 
Den ganzen Tag trug ich ein Herzverlangen 

nach dieſem Gang. Nun ſtahl das erſte Glühen 

des Abends heimlich ſich ins Dämmerreich 
des Buchenſchlages, und das Laub entbrannte 


120 


in einem roten Gold ringsum, und gleich 
Glühwürmchen lag's auf Moos und Kraut. Ich kannte 
nicht Weg und Steg und ließ dem Fuß den Willen, 
der ziellos ging, indes die Augen ſchweifen. 
Hier ſtand ich ſtill und ſah, erſchreckt vom ſchrillen 
Raubvogelruf, den Weih die Wipfel ſtreifen. 
Dort lockte mich die ſchwarze Brombeerfrucht, 
ein Schneckenpaar, das einen Pilz beſtieg, 
und eines ſpäten Falters ſcheue Flucht. 
Und um mich war das Schweigen, das nicht ſchwieg, 
das Laute ſpann, ſpinnwebenfeine Laute, 
womit es ſich dem alten Wald vertraute. 


Und als ich ſtand und ſo der Stille lauſchte, 
ganz hingegeben ihrem Raunen, lenkte 
ein Buntſpecht, der durchs niedere Laubdach rauſchte, 
meine Auge nach ſich, und nun es ſich ſenkte, 
ſah ich zwei Herzen in des Bäumchens Rinde, 
verſchränkte Herzen, heut erſt eingeſchnitten; 
es tropfte noch das Blut der jungen Linde, 
die fremder Liebe willen Schmerz gelitten. 


— — — — — — — — — — — 


e Ich ging 
auf ſchmalem Pfad, der durchs Geſtrüpp ſich wand, 


dem Ausgang zu. Dort überm Felde hing 
der ſtille Mond und kleidete den Rand 
des Waldes weit in Frieden und in Licht, 
mir aber kam die ſelge Ruhe nicht. 

Am Waldrand ſtand, flimmernd im Mondenſchein, 
ein Eichbaum. Von der riſſigen Rinde hub 
ein eingekerbtes Kreuz ſich ab. Allein 
die Klinge, die dem Stamm die Wunde grub, 


121. 


war abgebrochen, und das roſtige Stück 
ſtak unterm Kreuz noch in dem alten Baum. 
Was redete das Kreuz? Von totem Glück? 
Von totem Leid? Von einem toten Traum? 


Ein leiſer Wind kam übers reife Korn, 
die Büſche rauſchten, und in Schatten ſank 
ſo Kreuz wie Klinge. Nur ein dürrer Dorn 

am Fuß des alten Baums ſtand nackt und blank 

im Licht des Mondes. Und es war einmal 

daß er im Grün die roten Blüten trug, 
flammend, ein ſelig Frühlingsfeuer. — Dual 
lag in dem Seufzer, den der Wind verſchlug, 
und ich ging heim und dachte in der Nacht 

dem Leben nach, das alles ſterben macht. 


Viſion 


Die Tage gingen, und die Jahre gingen, 
und ich war alt und liebte dich noch immer, 
und der Erinnerung duftige Roſen hingen 
noch um dein Bild mit erſtem Jugendſchimmer. 
Ich wußte nicht, ob du noch lebteſt. Weit 
hatt' uns des Schickſals harter Zwang getrennt 
und früh getrennt, nach einer kurzen Zeit 
herbſüßen Glückes. Doch die Liebe kennt 
nicht Raum und Zeit. — Wie nun die Jahre gingen, 
ward kälter ich vor Menſchen und vor Dingen 
und war nur noch der Erde müder Gaſt, 


122 


R 


der heim ſich ſehnt zu einer langen Raſt, 
von tauſend bunten Täuſchungen genarrt, 
nur auf den Schluß des ſchalen Feſtes harrt. 


Ich war im Strahlenkreis des ewigen Lichts 
und ſtand vor Gottes Thron und brachte nichts 
als meine Liebe mit, denn ſie war alles: 
Mein größtes Glück und meiner Seele Schmerz, 
die ſüße Urſach meines tiefſten Falles 
und meines Lebens ſchönſte Tat. Das Herz 
des Höchſten tat ſich liebreich auf und brannte 
wie ein Rubin, und ſeine Lippe nannte 
den lieben Namen, der von meinem Munde 
zu ihm entfloh in meiner Todesſtunde. 

Und alfo ſprach er mit ihm und durch ihn 

| mich felig. 


O dieſe Schauer, als du felbft nun kamſt 
und meinen reinen Gruß entgegennahmſt. 
Er führte dich, ihr ſchrittet Hand in Hand, 
der ehemals deinem Herzen näher ſtand 
als ich und deiner Küſſe Wonne trank, 
da ich am Wege dürſtend niederſank; 
ich hatt' ihn nie geſehn und ſah nun auch 
ſein Antlitz nur gleich eines Traumes Hauch. 


Und wie ein Schatten wallte die Geſtalt 
zurück vor mir. Du aber machteſt Halt 
und ſtandeſt, ganz in reinem, weißen Licht, 
reglos vor mir, und war dein Angeſicht 
das alte, liebe, unvergeſſene, war 
Leib und Geſtalt gealtert um kein Jahr. 


123 


Eh ſchienſt verjüngt du mir, nicht ſchöner, nein, 
doch ſo in deiner Schönheit holdem Schein 
durch nichts entſtellt, daß ich den Blick nicht wandte 
und ſcheu nur deinen lieben Namen nannte. 
Da regteſt du die Lippen mir entgegen 
und küßteſt mich mit alſo ſüßem Segen 
und ſprachſt mich ſelig. 

Die Tage gehen, und die Jahre gehen, 
und immer lieb ich dich. 


In tiefer Scham 


Ich weinte auf mein Brot und würgte dran 
und konnt's nicht würgen und ſtand auf vom Mahl 
und ging hinaus ins kalte, kahle Feld 
und bot dem Märzwind meine heiße Qual. 


An einem Dornbuſch hing ein Fetzen Tuch. 
Wer warf es weg, wen wärmte es zuletzt? 
Vielleicht wie er bin ich ein Bettler nun, 
und was ſo warm mich hielt, iſt ganz zerfetzt. 
Wenn du dein Herz in deine Hände nimmſt 
und gibſt es hin, da, nimm's, und ohn Entgelt, 
man nimmt es, dankt und wirft dir's plötzlich hin: 
Ich mag's nicht mehr! dann ſtirbt dir eine Welt. 


Dann ſtehſt du da, entblößt und bettelarm 
und weißt nicht hin vor Scham, vor nackter Scham. 


— — — — — — — — — — — — — 


Aus tiefer Dual 


Kind, fieh nicht deinen Vater an, 
er hat ſich gar ſo ſehr geſchämt, 
ſich eine lange, bange Nacht 
um dieſe ſeine Scham gegrämt. 
Und geh zu deiner Mutter, Kind, 
i und ſpiel mit ihr im Sonnenſchein 


und ſprich ihr auch vom Vater nicht, 
Scham will allein im Dunkeln ſein. 


Geh, Kind, vor deinem großen Blick 
erſchrickt mein Herz und faßt ſich nicht, 
und weint. Und war noch geſtern, Kind, 

ſo rein wie deiner Augen Licht. 


Cr 


Im Entſchlummern 


Leiſe Füße gehn im Gras, 

eine Stimme flüſtert was. 
Ich hör es deutlich vom Garten her; 
ein Halbſchlaf drückt die Lider ſchwer. 


Es ſpielt in meinen Traum hinein; 
ö die Füße müſſen meine ſein, 

ſie wandeln her, ſie wandeln hin, 
Vergangenes geht mir durch den Sinn: 


Viel ſüßer Duft und Sonnenlicht, 
und eine Hand, die Roſen bricht. 
vor ihrem Bilde glühten ſie, 
vor ihrem Bild verblühten ſie. 


125 


Der Schlaf drückt mir die Augen ſchwer. 
Ich höre die leiſe Stimme nicht mehr. 
— Vor ihrem Bilde glühten ſie, 

— vor ihrem Bild verblühten ſie. 


Beſiz 


Die Sonne überſtrahlt dein Bild, 
mein Herz wird warm und freut ſich, 
Dein liebes Bild. 

Alles Licht ferner Tage erneut ſich. 


So recht in tiefſtem dankbar ſein, 
daß ich dir durfte begegnen, 
dieſe Frucht blieb mein. 

Kann Liebe ein Leben reicher ſegnen? 


Ich durfte dich nicht beſitzen, es war 
viel Schmerz meiner Liebe beſchieden. 
Es war. 

Nun iſt alles Freude und Frieden. 


Der Parkteich 


Ein ſtiller Teich träumt im verlaſſnen Park, 
von ſonnendunklem Laub dicht überſchattet. 
Nun manchmal, wenn der Wind heftiger rauſcht, 
huſcht ein verlorener Lichtſtrahl übers Waſſer, 
und zittert ein erſchrockenes Wellchen auf 
und haſtet ängſtlich in das Uferkraut. 


126 


Einſamer Weg führt um den ftillen Teich, 
gleich ihm von hängenden Zweigen überdämmert. 
Halbausgelöſchte Spuren ſind im Weg 
vom Regen halb verwaſchen und vom Wind 
ſacht überſtäubt. Von wem erzählen ſie? 


Mir iſt, als müßte dieſe große Stille 
ein Mädchenlachen plötzlich unterbrechen, 
aus ihrem grünen Traum aufftören. Wenn der Wind 
das Laub ein wenig hebt, und in dem Spiegel 
des dunklen Teichs ein Licht aufblitzt, gedenk ich 
eines tief lieben, jungen Augenpaares, 
das ich aus einem ſtillen Mädchentraum 
manchmal auf leuchten ſehe, und ich meine, 
es hätte hier wohl einmal vor dem Bild 
parkſtillen Friedens lieblich ſich erhellt. 


Ein ſanftes Wellchen hebt ſich an das Ufer. 
Will es den Platz mir zeigen, wo ſie ſtand? 
wo ſie geſeſſen? Leiſe rauſcht das Laub. 

Es iſt ein Flüſtern. Ach, was flüſtert's doch? 
Nichts. Nur ein Laub im Wind. Doch in mir wacht 
ein Holdes auf und ſucht nach Worten, findet 
nur einen lieben Namen, und der ſchwebt, 
leiſe dem Wind vertraut, über den Teich. 


Bewahr den Namen, märchentiefe Stille, 
bewahre ihn, daß er, ein ſüßer Laut 
der lieblichen Natur, hier Heimat hat. 

Und kehrt ſie wieder, wandelt einmal noch 
durch dieſen Frieden, der nun doppelt heilig, 
mag ſie, wie ich heut, lauſchend ſtehn und fragen: 
Was flüſtert doch das Laub? Und mag erröten 


127 


und lächeln, meint fie, übern Teich her ruft 
ein andrer ſie mit Namen. 


Leiſe rauſcht 
das ſommerdunkle Laub rings um den Teich. 
Ein Sonnenlächeln zittert auf dem Spiegel. 
Und horch! Ein Mädchenlachen? Nein, Herz, nein. 
Traumſtille Einſamkeit nur atmete 
einmal aus ihrem Frieden ſelig auf. 


Erinnerung 


In meinen Verſen weint und lacht, 

was mir mein Leben reich gemacht. 

wie mir das ſtille Tröſtung gibt: 
Ich habe dich ſo ſehr geliebt. 


Auch du blickſt wohl darauf zurück; 

und war's dir auch kein großes Glück, 

war's doch vielleicht, mag's wenig ſein, 
ein Wegeſtreckchen Sonnenſchein. 


128 


3 


ER 


5 
je) 


An de Gorenport 


Aewer de Wifchen weit de Wind 
fo week as de Atem vun en Kind, 
un kümmt doch vun dat grote Meer, 

vun de wille Nordſee her. 


De liggt dar nu wull ganz ſo ſtill 
aſ'n Kind, dat flapen will, 
ſo liſing gluckt an'n Strand de Welln, 
as wull en wat in'n Drom vertelln. 


Ik dröm hier an de Gorenport 
un bün en Kind up mine Ort, 
un legg ganz ſach de Handn toſam, 
un ſprek ganz ſach 'n leeven Nam. 


Lengen 


Ik kann nich flapen, 
all lang hev ik wacht, 
dat Finſter ſteit apen, 
wa ſchön is de Nacht. 
Dar blinkt de Man, 
wit achter dat Meer; 
mi kümmt en Thran, 
ik weet wull, waher. 

Ik hör in de Böm 

den liſen Wind 


131 


flüftern un dröm 
vun di, min Kind. 


Wa is dat nu wull, 
flöppft du week un faſt? — 
In'n Goren full 
en Appel vun'n Aſt. 


En Steern blink un bev 
un ſchött achtern Dik. — 
Keen hätt di fo leev, 
keen ſo, as ik. 


Verbaden Leev 


Un hev ik mi vergeten, 
un wenn ik mi verſchull, 
uns Herrgott möf dat weten, 
min Hart weer gar to vull. 


Dree lange, lange Jahren 
leeg dat as glönige Kahl'n, 
ik wull min Leev bewahren, 
un koſt dat duſend Qual'n. 


Uns Herrgott möt dat weten, 
dat ik dat ſwigen wull, 
un hey mi doch vergeten, 

min Hart weer gar to vull. 


132 


Go' Nach 


Go’ Nach, giv mi noch mol de Hand, 
de is ſo warm un week; 

dörch't Finſter ſchient de helle Man 
uns up de witte Deek. 


Dit is en Stunn, eer noch de Slap 
uns inlullt ſach un ſöt, 
wo ut'ne reine Minſchenboſt 
de ſchönſten Blomen blöt. 


Min Hart is as en Sommerbeet, 
un di, di blöht dit Flach. 

Giv mi noch mol din warme Hand, 
un du verſteiſt mi ſach. 


Lütt Urſel 


Lütt Urſel, 
Lütt Snurſel, 
wat fnöferft du 'rum? 
Di ſteit din lütt Näs wull 
na Appel un Plumm'. 


Lütt Urſel, 
Lütt Snurſel, 
Din Näs is man'n Spann, 
doch is dat'n Näãs all 
för Pött un för Pann. 


Lütt Urſel, 
Lütt Snurſel, 


133 


Dar heſt'n Rofin, 
dar ſünd dre lütt Steen in, 
un all' dre ſünd din. 


Lütt Greten 


Hans Adeboor hett uns lütt Greten funn 
ganz achter de Welt in'n deepen, deepen Brunn 


un hett ſe ſik uphalſt, ſe rid as to Peer, 
tweeduſend Milen aerverf deepe, deepe Meer. 


Un weer ſe darinfulln, keen hal er wedder rut. 
Nu liggt fe in de Weeg mit er lüttje luſtige Snut. 


RES 


Ein Tageslauf . 
Wieck 

Ein Unterſchied 

Frage und Antwort 
Im Ballſaal 

Hinterm Deich. 
Tempelhüterin 
Schamhafte Liebe 
Machtlos 

Auf der Jagd. 
Späte Rofen . 

Die letzte Nacht 
Trennung 

Heimweh \ 
Unterm Weinſtock 
Aus bangem Traum 
Tränen 
Schutzheilige 

Tote Jahre 
Zwei 

Die Lilie 

Gebet 

Liebe 

Heimkehr 

Mondlicht 
Gemeinſame Fahrt 
An Detlev von Liliencron 
Meinem Kinde 

An die Sorge 

Aus dem Takt. 

Lied des Armen . 
Auf dem Amboß . 
Gold, wenn ich's 1 8 
Vaterland 5 
Der Baum 
Nach der Taufe 


137 


Meinem Sohn zur Tr 


Zu fpät . 
Kinderreim . 
Konfequenz . 

Tein Penn. 
Unſchuld 
Hauskonzert. 
Muſik 

Künftler . 

Es ſchneit . 
Weihnachtsſperlinge 
Weihnacht 
Vor Schlafengehen 
Die feinen Ohren. 
Der Zitronenbaum 
Die tote Mutter 
Die Mutter 
So komm doch! 
Die Gedenktafel 
An einem Grabe 
Totenamt b 
Aus fernen Tagen 
Konfirmation 
Fußwaſchung 
Erſcheinung. 

Es war 

Ich trage Gedichte 
Meine Gläubiger. 
Zufriedene Stunde 
Sorglos 

An das Glück. 
un  . 

Der Reiter 

Zu hoch. 
Mein Leben 
Rechtfertigung 


Der Träumer 


Gral 
Leben 
Die Wage 


Schnecklein, Schnecklein ko komm beraue 


Mein Herz 
Unterwegs 

Der Kletterer 

Am Simmelstor . 
Durch den Tag . 
An Gewiſſe 
Geſellſchaft 

Abfage . 

Die Bodenkammer 
Die Räuber 
Probatum est 
Ausbeute 

Nach Jahren. 
Unerreichbar . 
Letzter Wunſch a 
Was will ich mehr 


Eine Liebe . 
Neue Liebe. 
. 

Auf Flügeln 8 
Darum 
Glocken 5 
Von weißen Roſen a 
Märchen a 
Eine Liebe . 

Der Gärtner 

Geh nicht!. g 
Des Gärtners lage 
Klage ’ 
Seliger Eingang . 
Sonnenaufgang 
Weiße Narziſſen 


139 


Der letzte Schmerz 
Gib dich darein 
Vergebliche Bitte 
Liebesgeſtammel 

Der Bettler Tag 


Und alſo lieb ich dich 


Aus Liebestiefen 
Fromm. 0 
Trüber Tag 
Waldgang . 
Viſion N 
In tiefer Scham 0 
Aus tiefer Qual 
Im ee f 
DaB . & En 
Der Parkteich 


Erinnerung 


Plattdeutſches. 


An de Gorenport 
Lengen . a 
Verbaden Leer 
Go' Nacht. 

Lütt Urfel . 

Lütt Greten 


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Dies Buch wurde gedruckt bei Poeſchel & Trepte 
in Leipzig. Einband und Ausſtattung beſorgte 
C. O. Czeſchka, Hamburg. Auch wurde eine 
numerierte Ausgabe von 25 Exemplaren auf 
echt Bütten gedruckt und in Leder gebunden. 


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