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Full text of "Gesammelte Dichtungen"

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Cäſar Flaiſchlen 
Geſammelte Dichtungen 


Zweiter Band 


Deutſche Derlags-Anftalt 
Stuttgart und Berlin 


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2 Caſar Flaiſchlen 


* Aus den > RT 
Lehr⸗ und Wander⸗ 


fahren des Lebens 


® 8 Gedichte, Brief- und Tage⸗ 
GE buchblätter in Verſen 


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E Deeutſche Derlags-Anftalt 
Stuttgart und Berlin 


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Lehr⸗ und Wanderfahre des Lebens Nee 


Vorbemerkung 


Diefe „Lehr⸗ und Wanderjahre” bilden eine Art Er⸗ 
gänzung zu den zwei Jahre früher erſchienenen Proſagedichten 
„Von Alltag und Sonne“ und enthalten eine Sammlung 
von Gedichten aus den Jahren 1884 bis 1899. 

Freunde ſagten mir, es habe etwas Bedenkliches, in einer 
Zeit ſo ſchneller Entwicklungen und ſo reicher lyriſcher Ernte 
Gedichte zum Druck zu bringen, deren Entſtehung zehn und 
fünfzehn Jahre zurück liegt. 

Ich gebe das gerne zu. Ich habe ſelbſtverſtändlich jedoch 
nur Gedichte aufgenommen, denen dieſe Wartezeit meiner 
Meinung nach nichts angehabt hat. Abgeſehen davon aber 
war und iſt es mir nicht darum zu tun, einen Band zu ver⸗ 
öffentlichen, der ſich von dieſer oder jener augenblicklichen 
Richtung tragen laſſen will. 

All die Is men, für die fo leidenſchaftlich gekämpft wurde, 
als ob es Wefensgrundfäge wären, blieben bei Licht beſehen 
ganz in äußerlichen techniſchen Fragen ſtecken. Der wirklich 
Schaffende ſchafft nur ſich, und jeder Ismus darf und wird 
ihm lediglich Mittel ſein und nicht Zielſatz. Die ewige große 
Verwechſlung! Man poſaunt ein einzelnes Kunſtmittel zum 
Kunſtziel empor und ſtreitet um den Kerl auf der Bühne, 
und das Weſentliche iſt doch der hinter der Bühne. N 

Es war mir nur darum zu tun, was mir geglückt ſchien, 


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VI DD dee dee Lehr- und Wanderſahre 


zu einem Bande zu vereinigen unter dem Geſichtspunkt der 
Lebens entwicklung, die ſich aus den Gedichten ſelbſt ergibt. 
Ich möchte daher auch, daß das Buch, wenigſtens von denen, 
die mir näher ſtehen, in dieſem Sinn genommen würde: als 
ein Ganzes und im Zuſammenhang auch mit meinen andern 
Dichtungen. 


Es enthält die Auf⸗ und Ab⸗Stimmungen, die in dieſer 


oder jener Weiſe ſchlechterdings jeder einmal lebt, da ſeder 
einmal 20 Jahre iſt und dann 25 und 30 und 35 wird. Denn 
unſere Lebensgänge find nicht fo verſchieden, als ihre äußere 
Verſchledenheit ſcheinbar dartut. Die Seele lebt im letzten 
Grunde immer und in jedem das gleiche Leben, nur die Ge⸗ 
ſichter ſind verſchieden und die Hüte, die man trägt. 
Die Innenwelt kämpft überall den gleichen Kampf und 
freut ſich überall der gleichen Freude. 

So verftanden objektiviert ſich auch das Indivlduellſte 
und Perſönlichſte zum Allgemeinen und Typiſchen. 

Der Schaffende kann nur ſich ſelbſt geben, wenn er ſich 
nicht damit genügen will, bloß Außenbilder zu zeichnen. Er 
begreift nur aus ſich heraus, nicht in ſich hinein. 

In dieſer Richtung liegen zugleich die beiden großen 
Grundgebiete alles dichteriſchen Schaffens. 

Das eine baut auf dem Leben der Innenwelt auf, das 
ſich nach außen hin zu vollbringen und aus zugeſtalten fucht 
und dabei zu ſtetem Kampf gezwungen iſt, das andere auf 
der wirklich errungenen oder nur bel Seite geſchobenen Uber⸗ 
windung dieſes Gegenſatzes. 

Was uns not tut, iſt eine Kunſt mit den Zielen der Kunſt 
Goethes und der Kunſt Schillers: die Kunſt einer beſtimmten, 
feften Weltanſchauung, nicht die irgend eines Ismus. 


. 


Es gilt für das Leben zu ſchaffen, nicht für techniſche Sell⸗ 
tänzereien! Freilich ohne darin ſtecken zu bleiben. Aus ihm 
heraus und darüber hinaus . ſowohl über Grau als über 
Blau. Wir brauchen eine Kunſt, die lebbar iſt, die mit hilft, 
aus dem Kampf, in dem wir alle liegen, hinaus zufinden, und 
die uns vorbildlich vorangeht. Mit Genrebildchen und An⸗ 
ſichts poſtkarten, mit Anekdoten und Novellchen iſt nichts getan. 

Unſere Dichtung ich bekenne mich herzlich gerne zu dem 
verrufenen „Soll!“ — muß allmählich wieder moraliſch“ 
werden, im Sinne Schillers. Alle große Kunſt war es, und 
ganz implicite. 

Und noch eines: 

Das alte ſchõne Wort ‚Dichter‘, das man in Kinderjahren 
mit der höchſten Weihe umgibt, kommt immer mehr außer 
Kurs und verliert immer mehr ſeine alle Gipfel umfaſſende 
Bedeutung, da ſich unſere beſten Könner bewußt oder un⸗ 
bewußt immer ausſchließlicher auf irgend ein Sondergebiet 
zurückziehen. a 

Nach außen hin leiſtet dies einer längſt zu Torheit ge⸗ 
wordenen Aſthetik Vorſchub, die eine Scheidung zwiſchen 
dramatiſchem, epiſchem und lyriſchem Schaffen feſtlegte und 
jedes Gebiet für eine beſondere Begabung abgrenzte. 

Ich meine, wer was kann, kann nicht bloß als Lyriker, 
kann auch als Epiker und als Dramatiker etwas, wenn er 
wirklich will, und das heißt: wenn er ſich auf ſeinen Stuhl 
ſetzt und nicht etwa denkt, den Seinen gäbe es der Herr im 
Schlaf, und Talent und Genie fei etwas, wofür man ſelber 
eigentlich nichts könne. Denn es gibt keine Weſensunter⸗ 
ſchiede zwiſchen dramatiſchem, novelliſtiſchem oder lyriſchem 
Schaffen. 


VM eee ee Lehr- und Wanderjahre 


Entweder es iſt Einer Dichter und dann kann er, wenn 
er nicht vor erlernbaren kleinen techniſchen Griffen zurück⸗ 
ſchreckt, ebenſo gut mit Pinſel als mit Stichel oder Feder bis 
zu der Höhe, bis zu der er überhaupt kann, oder er kann über⸗ 
haupt nicht zu einer Höhe. 

Wendet man ein, daß dies alles vielleicht mehr Charakter⸗ 
als Kunſtſache ſei — gut! Dann aber fehlt es eben an 
Charakteren. Virtuoſen können fie nicht erſetzen. 

Es wäre mir daher eine Art Genugtuung, wenn dleſes 
Bändchen Gedichte allen, die mich unter die Lyriker einreihen, 
den Beweis gäbe, daß ich es in ihrem Sinne weder war 
noch bin. 


Auf Mönchgut Cäſar Flaiſchlen. 
September 1899. 


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Zlaiſchlen, Lehr⸗ und Wanderfahre 1 


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* 


Brief⸗ und Tagebuchblätter 


Laß drohn, was will! 


Si doch den Wetterſturm am Himmel! 
ſieh doch die Wolken um die Höpn!“ 


Ich aber fag: das geht vorüber 
und auf den Abend wird es ſchön! 


Gebt mich nur frei und laßt mich's wagen, 
ein bißchen auch mir ſelbſt zu traun! 

Was frommt es denn, altjungfer⸗ängſtlich 
nach jedem Nebel aus zuſchaun!? 


Nur frei fein muß ich! frei und. . ehe 
der Zorn zum Sieg in mir erlahmt 
und was ich Großes möchte, elend 
in Alltagströdel ſich verkramt! 


DIDI DOIDCHDTHDT) Lehr: und Wanderjahre 


Noch trägt zu ſtolzbekränzten Zielen 
ein jauchzend Hoffen mich empor 
und bis zu Ende ſei gehalten, 

was meiner Jugend ich beſchwor! 


Und grollten rings auch tauſend Wetter 
und droht es noch fo von den Höhn. 
laß drohn, was will! es geht vorüber 
und auf den Abend wird es ſchön! 


. 


Kopf hoch! 


ell dir ein goldener Traum zerronnen, 
was haft du drum für herbe Qual?! 
es iſt doch nicht das erſte Mal, 
daß dich enttäuſcht, was du begonnen! 


Den Kopf hoch! auf! wozu verzagen 
kleingläubig gleich und hoffnungslos?! 
dein Mut ſchien doch ſo rieſengroß, 
das Letzte ſelber kühn zu wagen! 


Auf drum und weiter! ohne Bangen! 
und wenn's dir noch ſoviel entlaubt! 
Wer will und an ſein Können glaubt, 
wird immer an ſein Ziel gelangen! 


— 5 — 


EDONDOHDCIDIDOADT) Lehr: und Wanderjahre 


III 


Einem Freunde 


oviel auch Stürme dir's zerſplittern, 
hoch halte, freudig, ohne Zittern, 
das ſtolze Banner deiner Kunſt 
und fordere furchtlos ohne Wanken 
kampffroh dein Schickſal in die Schranken, 
ein Feigling nur erbuhlt ſich Gunſt. 


Wohl mag's ja ſchön ſein: ohne Grämen 
das Leben, wie ſich's gibt, zu nehmen, 
raſch zu genießen, eh's verrinnt, 
und ſeelenruhig abzuwarten, 
ob Glück, ob Unglück miſcht die Karten, 
ob man verliert, ob man gewinnt! 


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Doch größer ift: ſich aufzuraffen 
und ſelber ſein Geſchick zu ſchaffen 

mit kampf⸗ und trotzgemuter Kraft 
und ſich mit ungebrochenen Schwingen 
den Niederungen zu entringen 

und ihres Werktags dumpfer Haft. 


Und iſt auch mancher Flug vergebens, 
du doch biſt Herr dann deines Lebens 
und nicht ein wetterlauniſch Glück, 
du in den Händen hältſt die Zügel 
und gibſt ihm Unterſchrift und Siegel, 
und nicht ein zufallblind Geſchick. 


Und nennen Spötter drob dich Schwärmer, 
was liegt daran! fie find doch ärmer 

als du, trotz Geld und Gold und Glanz, 
und ob ſie alles ſich erfüllen, 
es wird ſich ihnen nie enthüllen, 

wie ſchön ein ſelbſterrungener Kranz. 


Sie fühlen nie, durch Ebnen ſchreitend, 
im großen Troß ihr Leben reitend, 

wie froh ſich's raſtet im Gebirg, 
der Sonne nahe und tief unten 


10 Tr) Lehr: und Wanderfahre 


zurückgekämpft und überwunden 
des Alltags dunſtiger Bezirk. 


Nicht blöder Diener blöder Götzen 

ſei ſtolz, Freund, und zertritt die Fetzen, 
mit denen Leere ſich verſchönt! 

Und ſollteſt du im Kampf erliegen, 

was du gewollt, wird dennoch ſiegen 
Unſterblichkeit iſt's, die dich krönt. 


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IV 


Zu einem Strauße 
Spätſommerroſen 


ürnet mir nicht, daß kaum erft erſchloſſen 
ich euch ſchon pflücke, zu ernſtem Scherz 
Grüßt eure Schweſter mir, duftende Rofen, 
eure Schweſter vom frühen März! 


Leiſe ſchon zittert 's wie Herbſt durch die Lüfte 
euer Blühen, wie lang wohl noch währt's?! 
Grüßt eure Schweſter mir, duftende Roſen, 
eure Schweſter vom frühen März 


Statt in Herbſtnächten einſam zu welken 
ſtürbt ihr nicht lieber verglühend am Herz 
eurer Schweſter, duftende Rofen, 
eurer Schweſter vom frühen März!? 


— 


N 


12 ONDIADIDIDIDT) Lehr- und Wanderjahre 


V 


We du ein Engel ſein, 
der mich begleitet? 
mein Unſtern oder, der 

mich irreleitet? 


Mein Glück? mein Unglück? o! 
mein Fluch? mein Segen? 
ein dunkles Müſſen treibt 

mich dir entgegen! 


Ich fühl, mein Leben liegt 

in deinen Händen. 

wirſt du zu Freude mir, 
zu Qual es wenden?! 


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Au luca, 
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Werren 


* 


2 ä Uber die Brücke = eee eee eee eee eee 13 


VI 


er trübe, graue Himmel klärte ſich, 
der dumpfe Nebel aus den Gärten wich, 
es knoſpete und keimte allenthalben, 
ſchon ſtand es rings voll Primeln im Geheg, 


= Frühveilchen dufteten am Wieſenweg 


und alles zwitſcherte von Schwalben. 


Und: Frühling! Frühling! klang's im Widerhall 
von tauſend Liedern überall 

da plötzlich wieder kalte Schauer, 
und was noch kaum erſt lenzfroh aufgeſproßt 
verwelkte in dem rauhen Froſt 

und ſank zurück in ſtumme Trauer. 


Nach wenig Tagen ſchon zerrann der Schnee 
und blitzend klomm die Sonne in die Höh, 
daß alles jubelnd ihr entgegenglühte, 
maiwonnig ſchön verfloß März und April 
und Sommer ward's, und dennoch heimlich ſtill 
klagt's dann und wann 
in Wies und Tann 
um jene erſte frühe Blüte. 


14 Ded Lehr- und Wanderjahre 


VII 


95 Geduld nur!“ 
tröſtet ihr freundlich, 
„Wolken ſind Wolken 

und gehen vorüber! 

und nur ein Weilchen 
bleibt es ſo grau! 

Habe Geduld nur! 

die Nebel verziehen 

und alles ſtrahlt wieder 
im goldenen Blau!“ 


Ja: Wolken ſind Wolken 
und gehen vorüber! 
aber inzwiſchen 

welken die Blumen, 
wandern die Vögel 

und färbt ſich das Laub 
und Frohſinn und Jugend 
und Glauben um Glauben 


Uber die Brücke D Deni; 


fallt müde 
dem ewigen 
Warten zu Raub! 


Und verzogen die Wolken 


Was frommt, ſagt, die Sonne 
verwelkenden Fluren? 

was ſterbenden Wäldern 

der maiſchönſte Glanz?! 

und was einem trübe 
verwarteten Herzen 
mitleidiger Liebe 

verſpäteter Kranz?! 


— 


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16 DIDI ID) Lehr- und Wanderjahre 


VIII 


8 war einmal. im Monat Mai 
kaum erft ein Jahr iſt's her.. 
denk ich an jenen Mai zurück, 
wird mir ums Herz fo ſchwer 


In weißen Rofen ftand die Welt 
und Glocken klangen durch die Luft 
und ſchauernd ſtumm vor Glück und Luſt 
durchſchritten Hand in Hand zwei Kinder 
das blütentraumverſunkene Tal 


„5 „4 „ „46 


Es war einmal. 
es war einmal! 


Denk ich an jenen Mai zurück. 
verwelkte Rofen, verwelktes Glück! 


Ober die Brüde SAD HSID DCHDI IDOL 11 


IX 
Von einem Königskinde. 


wende ab dein Auge, 

blick nicht ſo freundlich mich an, 
ich kann ja nichts als bitten: 
Verzeih, was ich dir getan 


Ein Röslein blüht im Garten, 
liebkoſt vom wandernden Wind. 

; Ich bin nur ein armer Geſelle, 
und du biſt ein Königskind! 


Ich wollte nur dich tröſten, 

hätt nie dich zu lieben gewagt! 

und daß ich nur Unglück dir bringe, 
o daß mir's mein Herz nicht geſagt! 


Und muß ich nun gehen und ſcheiden, 

will ſuchen ich auf und ab, 

bis ich, die du verloren, 

die Krone wiederhab. 
statſch len, Lehr- und Wanderſahre 2 


18 N Needed Lehr» und Wanderſahre 


Ich will ſie aufs Haupt dir ſetzen 
mit flimmerndem Edelgeſtein, 
daß du als Königin wieder 

ziehſt in die Heimat ein. 


Da kommen viel vornehme Leute, 
Miniſter und große Herrn, 

und endlich der König ſelber 

mit Band und Ordenſtern. 


Doch langſam aus dem Gedränge 
ſtiehlt einer ſich ſtill bei Seit 

und träumt, eine Träne im Auge, 
von ſeliger Jugendzeit: 


Ein Röslein blüht im Garten, 
liebkoſt vom wandernden Wind .. 
Ich bin nur ein armer Geſelle, 
und du biſt ein Königskind! 


> 


ott ſei dank, ein wenig Ruhe! 

und daheim! und ungeſtört 
endlich einmal doch ein Abend, 
der mir wieder felbft gehört! 


Schön iſt's, ja! und bleibt es immer, 
guter Freunde Freund zu ſein! 

doch zuweilen gibt's auch Stunden, 
da man gern einmal allein: 


Auszudenken, was tagüber 

durch die Seele ſchwankt und ſchwirrt, 
eh ſich s, halb erfaßt nur, wieder 
ungelöſt ins Chaos wirrt. 


Ohne Lüge ſich zu freuen! 
wer es dürfte, wer es könnt! 


ſelbſt⸗genug ſich ſelbſt zu leben, 
glücklich, ſelig, wem's vergönnt! 


=. 


20 CD DTIDOIDT Lehr- und Wanderjahre 


XI 


ch hab's genug! ich mag nicht mehr! 
zum Teufel mit all dem Plunder! 
ein Gott im Himmel allenfalls 
hülf noch mit einem Wunder! 


Ich hab gekämpft und ich hätt gefiegt .. 
doch wer ſiegt gegen Schwindel! 

und wenn es Helden gewefen . doch 
nur Lumpen und Geſindel! 


Ihr ſeid die Stärkern, ich geſteh's! 

doch ihr ſeid mir noch lang keine Herren! 
ich wurde mir nur allmählich zu gut, 
noch länger mit euch zu zerren! 


Kerle, keinen Schuß Pulver wert!. 
o hätt ich nie begonnen! ... 

die Waffen weg! das Bruſtwams auf! 
meinetwegen . habt gewonnen! 


Ka 


Aber die Brücke 


21 


XII 


ein Gehirn iſt müde, 

Herz und Hand erſchlafft, 
längſt zu Aſche glühte 
alle Leidenſchaft. 


Mit verſengten Flügeln 
irrt ein dunkler Traum 
geiſterhaften Fluges 

durch den öden Raum. 
Tief im Niſchenwinkel 

an erloſchenem Herd 

kauert ſtumm ein Weibchen, 
uralt, abgezehrt. 


Im Getäfel hämmert 
heiſer eine Uhr, 

wie ein hartes, krankes 
Huſten auf dem Flur. 
Durch das blinde Fenſter 
zuckt ein Nordlichtſchein, 
und mit hohlem Lachen 
grinſt der Tod herein. 


en” Yu 


22 DONDCHDCHDOIDTHDT) Lehre und Wanderfahre 


XIII 


ch will in die Sonne ſehn, wenn ich ſterbe, 

wie fie in brennenden Wolken verloht . 
ich will mit der Sonne gehn, wenn ich fterbe, 
in ſommerflammendem Abendrot. 


Die Fenſter auf! dort drüben iſt meine 
Heimat und nicht in eurer Nacht und Not! 
ich will in die Sonne ſehn, wenn ich ſterbe, 
und ſinken gleich ihr in ſtrahlendem Tod. 


= 


Uber die Brüde Sesxs HD 


XIV 
Das Schloß am Rhein 


„ftatt ſonniger Ideale 
nädtige Totenmale l 


SS" einft ein Schloß am Rheine 
mit Zinnen hoch und hehr, 

Efeu und Rofen rankten 

um feine Mauernwehr 


Von feinen Türmen fandten 
die Flaggen ihren Gruß 
hinüber nach den Bergen, 
hinunter nach dem Fluß 


Und wer im ſchwanken Boote 
da unten fuhr vorbei, 

der ſah's und grüßte wieder 
und fuhr nicht gern vorbei 


24 DOZDEHDCHDOHDCHDT Lehr- und Wanderjahre 


Drt auf und ab im Lande 
traf man wohl keinen an, 
dem nicht allzeit willkommen 
das Tor ſich aufgetan. 


Heut aber ſich zu laden, 

kommt niemand mehr zu Sinn, 
das Schloß ſteht in Ruinen, 
und Geiſter hauſen drin 


In ſtiller Nacht nur reitet 's 
manchmal den Berg hinan 
und ſpringt vom Roſſe droben 
ein grauer Rittersmann 


Im fahlen Mondſchein flimmert 
Helmzier und Wappenſchild: 
ein Hofnarr, der mit Hellern 
und Herzen Fangball fpielt .. 


Der Letzte iſt's vom Schloſſe, 
der einſt von hinnen zog, 

als ihn das Glück am Leben 
ums befte Teil betrog ., 


26 LIDL NDR) Lehr: und Wanderjahre 


XV 


och ich hob nicht die Hand zum Stoßze, 
—ſch weinte ſtill nur, eine Nacht 
Dann aber fing ich an zu lachen 
und lachte, bis ich's durchgelacht. 


Und ſtieß die Fackel in die Trümmer 
hei, wie das aufſchlug, tollen Brands! 
und krachend barſt die letzte Säule 

in lohewildem Flammenkranz. 


Dann ging ich ruhig von der Stätte 
und ſchritt hinein ins Dämmergraun, 
und ließ des Morgens Oſterſonne 

den Nachtfroſt mir vom Herzen taun. 


Nun ſteh ich frei im freien Leben 
und aus dem Jüngling ward ein Mann 
und weitab liegt in Nacht und Nebel 

was ſeine Jugend hielt im Bann! 


mn 


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Ober die Brüde 27 


XVI 


oll in die Fenſter flammt 
der Frühmärzſonnenſchein 
und blendet irrlichtgolden 
durch meine Schreiberein 


Und neckt und nickt und lockt 
und läßt mir keine Ruh 
und vom Geſims ein Sperling 


piepſt kritiſch⸗frech dazu: 


s iſt Frühling, alter Mann! 
geh in den Wald hinaus 

und lüfte dir die Seele 

von Staub und Motten aus! 


Ein einziger Sonnenblick 
ſchafft mehr an Lebenskraft, 
als deiner klügſten Bücher 


weiſeſte Wiſſenſchaft! 


— — 


28H DIDTHDT) Lehr⸗ und Wanderjahre 


XVII 


u denen ſtets tritt offen, 
die Manns noch wollen ſein, 
was ſie vom Leben hoffen, 
nicht anderswo zu leihn! 


Die feſt und ohne Wanken 
auf Eines ſtolz bedacht: 

ſich ſelbſt nur es zu danken, 
wenn ſie's zu was gebracht! 


Für die die ſchwerſten Bürden 
nichts weiter, trotzgewillt, 

als ein Zum⸗Kampf⸗ſich⸗Gürten 
mit Panzer und mit Schild! 


Das Glück um Gunſt zu bitten, 
iſt feig und Torenwitz, 
erkämpft nur und erſtritten 
bleibt 's dauernder Beſitz! 


—5.— 


Uber die Brücke DDD eee 


XVIII 


»A vingt-cinq ans le cœur 
se brise ou se bronce.« 


ch hab getröftet mich darüber, 

ich hab's verwunden allgemach, 
und ſtatt zu klagen, ſpott ich lieber 
was tut es, daß das Herz mir brach! 


Ich hätt ja doch nicht halten können, 
was ich geglaubt, ſo groß es ſchien, 
ich hätte doch mich müſſen trennen, 
es waren doch nur Phantafien! 


Die Augen ſind mir aufgegangen, 

und nüchterner blick ich in die Welt, 
von weniger Selbſttrug mehr befangen, 
erkenn ich klar, was ich gefehlt: 


Daß Träume eben doch nur Träume 
und einzig eines Narren Glück! 
und lachend putz in meine Reime 


die letzten Fetzen ich als Flick! 


— 


30 DOCH DNDTHDOHDT) Lehre und Wanderjahre 


Vom Notizblock 


Etwas Geſchick, 
ein wenig Glück, 
ein bißchen Tück, 
gibt allezeit 

ein Meifterftüd. 


8. 
* 


Wer Glück hat, den kriegt 

ſelbſt mit dem Hut auf dem Kopf, 
ſein Glück, wenn es will, 

auch durch den Hut noch beim Schopf. 


A? 
... 


Aufs Bücherſchreiben ſich zu legen, 
ein danklos Ding, voll Ungemach! 
man glaubt, den Erdball zu bewegen 
und ach, es kräht kein Hahn danach! 


. 
* 


Erſt verſpottet und verlacht, 

dann im ſtillen nachgemacht, 

und zuletzt als neu erdacht 

mit viel Lärm zu Markt gebracht. 


12 
* 


Lieber Wortklauber, 
als Wortglauber. 


. 
* 


Bedenkt auch, wenn ihr etwas Fritifiert, 
und dies und das dran aus zuſetzen wißt, 
bedenkt, daß ein Urteil immer zugleich 
ein Urteil auch über den Urteiler iſt. 


. 
* 


Was frommt Talent, 
was frommt Genie, 
bleibt es latent 

und Flärt ſich s nie ?! 


. 
* 


Nicht Einem wohl genügt jo ganz, 

was ihm Geſchick und Ungeſchick brachte, 
daß er, noch einmal auf der Welt, 

es nicht von Grund aus anders machte. 


* 


J DHL DTIDTHDT) Lehr- und Wanderjahre 


Ein bißchen Arger und Verdruß 
gehört zum Leben 
nur Zucker und Zibeben 

wär auf die Dauer kein Genuß! 


5 


Was hilft alles Wollen, was alles Verſprechen, 
und wenn es das Herrlichſte verheißt, 

im Können liegt der Wert des Menſchen, 

die Tat allein iſt's, die beweiſt. 


*** 


Nicht: wer nur redet 
oder drum betet, 
wer es macht, 

hat die Macht. 


Das Beſte doch von allem Guten 

iſt dann und wann, fein ſtill und brav, 
und notabene ohne Träume: 

in gutem Bett ein guter Schlaf. 


> 


vr . 
Bat 


Quer⸗wegein mr DOSE) 35 


Brief⸗ und Tagebuchblãätter 
a | I 


wie du willft, 
es iſt nicht recht! 

ſei klug, ſei dumm, 

ſei brav, ſei ſchlecht! 


Ein jedes Ding 

hat jeden Zweck! 

Wer immer fragt, 
kommt nie vom Fleck! 


Und wer nicht ſelbſt 
ein Urteil hat 

und was drauf wagt, 
ſitzt immer .. patt! 


— 


Slatfhlen, Lehr⸗ und Wanderſahre 3 


36 ADD DTHDT) Lehr- und Wanderjahre 


II 


u” wenn ich Tor bin, fo laß es mich fein! 
ich bin es ja doch nur für mich allein! 
und nennſt du es Dummheit und Narretei, 
ſelbſt wenn du recht hättſt, was war viel dabei l? 


Den einen freut dies, den anderen das, 

der eine will trocken, der andere naß! | 
Du ſchiebſt gern Kegel und figft gern beim Bier! 
alſo ſchieb deine Kegel und ſetz dich zum Bier! 
ich mache Verſe! .. wozu des Gegreins 7! 

du lebſt dein Leben, ich lebe meins! 


Weß einer Spaß hat, def hab er den Lohn 
ein jeder ſei Narr, Freund, auf feine Fagon! 


— — 


Quer⸗wegein ANDI DCHDeNDOID 31 


III 


IB: es kann und wem's genügt, 
daß er ſich mit dem beſcheidet, 


ehrſam, biedermannvergnügt, 
drauf der Alltag ihn vereidet .. 


Wem genügt, was er ſo kann, 
ſchlecht und recht, wie eben jeder 
mit der Zeit ſich anübt, ſeis 
ſei s mit Pinſel oder Feder 


Der verträgt ſich freilich ſtets 
muſterhaft mit allen Tanten, 
weiß von guten Leuten nur, 
nur von guten Muſikanten. 


„Ruhe!“ rät er „Ruhe, Freund! 
Vorſicht, ſoll das Boot nicht kentern! 
unſer Kurs war gut bis jetzt, 

und wozu, was gut iſt, ändern!? 


33 DIDI DOHDTI Lehr- und Wanderjahre 


Was auch ſoll dein trotzig⸗toll 

Strom⸗ und Sturm⸗entgegen⸗Segeln 7! 
lerne lieber endlich Skat 

oder komm, eins mit zu kegeln!“ 


Und der Mann hat ja ſo recht: 
laß dein Mehr⸗als⸗andre⸗Wollen 
und begnüge dich damit, 

den gebahnten Weg zu trollen. 


Dichte, was die Leute freut, 

laß dein In⸗die⸗Tiefe⸗Graben! 
male, wie du, brauchſt du Geld, 
wünſchen wirſt, gemalt zu haben! 


Weiſe denkt, wer alſo denkt: 

voll ſtets hat er feine Kiepe! 

und das iſt ja doch der Zweck. 
was die Nachwelt meint, iſt — piepe! 


IV 


e älter man wird, um fo rückſichtsvoller 
J ehrt man des andern Eigenart: 

er trage, wie er will, ſein Koller 

und, wie ihm Spaß macht, ſeinen Bart! 


Ob Börſenlöwe, Zeitungstiger, 

ob Dichter oder ob Claqueur 

(am raſcheſten wird freilich Sieger, 
wer Dichter und zugleich Claqueur) 


Ob Filz doch oder ob Cylinder, 

ob ſchäbig oder fein im Frack, 

ob Diener oder ob Bedienter, 
Hauptſache bleibt . viel Geld im Sack! 


— 


40 DD DCHDT HDD) Lehr: und Wanderfahre 


V 


ieber auf eigene Rechnung 
ein Lump ſein, 
als ein feiner Herr 
auf Pump ſein! 
dieweil: 
wer ein ſolcher auf Pump iſt, 
nicht mal ein ehrlicher Lump iſt. 


Quer-wegein PPP ( ZDT 41 


VI 


ch ſeh die Welt, du ſiehſt die Welt, 
du nennſt es Proſa, ich Gedicht, 
was mir gefällt, 
gefällt dir nicht, 
und aus dem nämlichen Geſicht 
errätſt du Freude und ich Trauer, 
du nennſt es ſüß, ich nenn es ſauer 
wir fangen nun an, uns drüber zu ſtreiten 
und alles uns gründlich zu verleiden. 


Ein Dritter kommt dazu und lacht: 

Mein Gott, gehabt euch nicht fo töricht! 

im Winter, Kinder, iſt es Winter, 

und wenn der Mai kommt, wird es Frühling, 
und im Oktober nennt man's Herbſt. 
ich meinerſeits freu mich nicht minder 

an Winter, als an Mai und Herbſt. 


— 


42 DOHDCHDTHDCHDTNDO) Lehr⸗ und Wanderjahre 


VII 


an hätt es nicht dürfen, 
man hätt es nicht ſollen, 
und man hat es 
dennoch gewollt. 


Und es war ſo ſchön, 
wie's nie geweſen, 
hätt man es dürfen, 
hätt man's geſollt. 


Quer⸗wegeinn DANDCHDOHDO HDD HDD 43 


VIII 


Jenſeits der Straße 


s iſt nur Schein und iſt nur Phraſe, 
drauf dünkelſtolz der Alltag ſtelzt, 
das Beſte liegt jenſeits der Straße, 


da ſich der große Haufe wälzt: 


Jung und mit Leichtſinn nur zu finden, 
jenſeits der Straße, im Verſteck, 

in quelldurchrauſchten Roſengründen 
und üppig wildem Dorngehed .. 


— — 


44 DON DTIDCHDTDT Lehr- und Wanderjahre 


IX 


2 
tut nicht mehr weh, 
denn der März iſt in der Näh! 
aber im März 
hüte das Herz, 
daß es zu früh nicht knoſpen will! 
warte, warte und ſei ſtill! 


Und wär der ſonnigſte Sonnenſchein, 
und wär es noch ſo grün auf Erden, 
warte, warte und ſei ſtill: 

es muß erſt April geweſen ſein, 
bevor es Mai kann werden! 


Quer⸗wegein =D e 45 


X 


Se freu dich doch, daß es Frühling wird 
und laß die Wintergedanken, 

laß keimen, was der Sonnenſchein 

dir in die Seele will ranken. 


Allüberall alles voll Jubelgetön, 

voll Mailuſt⸗entgegen⸗Geneſen 

und die Luft ſo lau und der Himmel ſo blau 
und die Welt ſo ſchön, o, ſo wunderſchön, 
wie ſie noch nie geweſen. 


Es wird ſchon werden, es wird ſchon werden! 
ein kleines Weilchen nur noch, und: 

mit blühenden Roſen ſteht es am Weg 

und küßt auf die Stirn dich mit ſeligem Mund. 


> 


4% DONDCHDTIHDOIDTIHDT) Lehre und Wanderjahre 


XI 


Se ward es März, 

und fo kam Oſtern . 
der Schnee verkroch, 

das Eis zerſchmolz, 

und allerwärts 

ſchon leiſes Knoſpen 

an Buſch und Baum 


in Hag und Holz! 


So ward es März, 
und fo kam Oſtern . 
und mit dem Feſt 
auch Sonnenſchein 
und keimt ins Herz 
ein jubelnd Hoffen, 
daß endlich doch 

du endlich mein 


R u 


{ 15 
en 
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Kos 
Kind 


AS SIDIDILODTYIDT) Lehr- und Wanderjahre 


XII 


rrte auch im heißen Drange 

frohen Ungeſtüms ich lange 
durch die Welt und durch Gefahr, 
wahnbetört mein Glück zu finden, 
wo es nie zu finden war 


Immer doch in meinem Innern 
wie ein Traum klang ein Erinnern 
längſt verklungener Jahre nach 
und an dich, der ich als Knabe 
einſt die erſten Roſen brach. 


Jeder Kuß auf andere Lippen 
war ein Warten, war ein Nippen, 
ein Verlangen nur nach dir, 

du nur warſt es, die ich ſuchte, 

du allein und für und für. 


— — 


BA 


@ 2 . eee 49 


Und die Sehnſucht, die da klagte 

und mich unſtät weiterjagte 

ohne Raft und ohne Halt. 

nun erſt weiß ich's, all ihr Bangen 

daß es einzig dir nur galt! 

Du nur warſt's, die ich beweinte, 
die ich träumte, die ich meinte, 

wenn von Lieb und Glück ich ſprach, 


du nur, du, der ich als Knabe 
einſt die erſten Roſen brach. 


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Blaifhlen, Lehr und Wanderfahre 4 


— 


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SO DYDAHDCHDTIDTNDTI Lehr: und Wanderfahre 


XIII 


hr ſeid's, die mir wehe tun, 
erſte welke Blätter, 
die ſo früh ihr, im Auguſt, 
mitten in aller Liederluſt, 
mitten noch in Duft und Bluſt, 
ſonnenglanzumflittert, 
ohne daß ein Lüftchen weht, 
vom Geäſte zittert. 


Was euch welkte, war nicht Froſt, 
war der Tau des Morgens, 

der da ſonſt, was jung und ſtark, 
was noch Keimkraft hat und Mark, 
labt zu neuem Leben, 

aber euch, die müd und matt, 

früh ergrünt und frühe ſatt, 
bleichen macht und beben. 


— ar Aa ee 


Quer⸗wegeinn DHDCHITIDCHDTIDOIDTIDN 51 


Herbſtes erſte Mahner ihr, 
noch im ſchönſten Sommer! 
Das ach iſt's, was reubewußt, 
mitten rings in Lieb und Luſt, 


Vorwurf weckend, durch die Bruſt 


Furcht und Qual mir zittert: 

daß im Blühn der Sommer ſchon 
ſeiner Wonne wie zum Hohn, 

ſich zum Herbſt verwittert! 


Daß in alles Werden gleich 
Todeskeime wurzeln: 

daß ach! unſer beſtes Freun 
nur ein Welken und Verſtreun, 
daß Genuß ſchon ein Bereun, 
was wir auch umwerben, 

daß des Lebens höchſter Preis 
ein Verblättern nur und leis 
Tod⸗entgegen⸗Sterben! 


S ο⏑⏑ο Dee Lehr- und Wanderjahre 


XIV 


8 am Boden, Laub am Boden, 
gelb und rot und braun, 

Dorn und Hagebutt am Strauche, 
leere Neſter im Zaun! 


Sommerende . Spätoftober .. 
und ich glaub es nun doch, 

daß wir längſt Abſchied genommen, 
eh Dezember es noch! 


Sturm am Himmel . Schneegeſtöber 
Froſt im Herzen und Hohn! 

Wie ſo ſchön es einſt geweſen, 

o, du bereuſt's ja ſchon! 


Laub am Boden, Laub am Boden, 
gelb und rot und braun 

und der nächſte Windſtoß kehrt es 
lachend hinter den Zaun! 


2 


F 53 


XV 


ie Sonne ſinkt mit rotem Flackern, 
trübdumpfer Nebel kriecht heran 
Umſonſt ach! ſuch ich mich zu halten, 
ein immer froſtiger Erkalten 
ſchlägt winterſchauernd mich in Bann. 


Ich plünderte den ganzen Garten, 
in ſommerſchönſter Köſtlichkeit, 
mit Fliederbluſt und Roſenkränzen 
die frühen Gräber zu umlenzen, 
die dir das Leben tat zu leid! 


Ich plünderte den ganzen Garten, 
um ihn dir auf den Weg zu ftreun .. 
Ich tat es nicht um Dankes willen, 
nur: einen eigenen Wunſch zu ſtillen, 
ich wollte nur, du ſollteſt dich freun. 


Du einmal ſollteſt alles haben, 
was es auf Erden Schönes gibt 
und wonach andere, leidgetroffen, 


4 D Lehr- und Wanderjahre 


das ganze Leben oft verhoffen, 
einſam, glücklos, ungeliebt. 


Doch nun ich ſelber nichts mehr habe, 

wirfſt du's mir vor mit kühlem Spott 
und wendeſt ab dich, um zu gehen, 

und läßt in meinem Herbſt mich ſtehen, 
beraubt, verwelkt und ohne Gott . 


Die Sonne ſinkt mit rotem Flackern, 
trübdumpfer Nebel kriecht heran .. 
Was bin ich noch?! verquält, ver kümmert 
und von Enttäuſchungen umtrümmert, 
ein freudeloſer, müder Mann! 


— 


Querswegein DILDO DCHDOHDOC DT ISDN 55 


XVI 


1 hat das Leben mir auch dich genommen... 
nun hab ich nichts mehr zu verlieren, nichts 
du warſt das Letzte, 

das ich einſt noch lieb gewonnen 

und halten wollte. halten... 

o mit der ganzen Sehnſucht deſſen, 

der es noch einmal wagt, ſich aufzuraffen, 

den Glauben feiner Jugend ſich zu retten... 


Du warſt ihr großer Sonnenuntergang. 


Nun hab ich nichts mehr zu verlieren, 

drum ich zittern müßte 

nichts mehr, nichts, 

das mir das Haupt könnt beugen 

nichts mehr, nichts, 

das mich noch zwänge, auf den Knien zu liegen! 


Nun. werd ich. . ſiegen! 


— — 


5% G e ede Lehr: und Wanderſahre 


Singlieder 


1892 — 1894 


Horas 
non numero, nisi serenasl 
Singweiſe: Santa Luca 


Sind es nicht Toren, 
die da ſtets zittern 
und ſich das ſchöne 
Leben verbittern? 
Wein⸗, lieb⸗ und liederfroh 
horas non numero, 
nisi serenas! 


Was dir auch zugeloſt 
an Leid und Sorgen, 
ſelbſt auf die längſte Nacht 
folgt noch ein Morgen! 
Tag⸗, licht⸗ und ſonnenfroh 
horas non numero, 

nisi serenas 


Quer⸗wegein ADAC 7 


Und wenn der Sommer 
ſich neigt zur Wende 
Einmal, ſo ſchön es war, 
geht's doch zu Ende 
Dank⸗ und erinnerungs froh 
horas non numero, 

nisi serenas! 


e. 
* 


Sonn' entgegen! 


Singweiſe: 
Strömt herbei ihr Voͤlkerſcharen 


Nicht der Pflicht nur zu genügen, 
was ſie fordert und verlangt, 
nicht der Stunde nur zu leben, 
was fie nimmt und was fie dankt. 
einem ſtolzeren Wollen gelte 
unſeres Tages Ziel und Lauf: 
über Sturm und über Wolken 
Sonn’entgegen trag's uns auf! 


Sonn entgegen aus des Alltags 
nebeldumpfem Sorgenfpuf 
mit dem Siegtrotz froher Jugend 
über Not und Laſt und Druck 
und wenn andere töricht finden, 
was fie uns fo ‚träumen‘ ſehn, 
unſere Loſung ſei und bleibe: 
nie im Alltag aufzugehn! 


IS DDD Lehr: und Wanderjahre 


Gib dem Menſchen, was des Menſchen, 
doch laß Gott, was Gott gehört: 
nicht dem Kampf nur um dein Morgen 
auch dir ſelbſt ſei etwas wert! 
Auch dir ſelbſt, Freund, und der Jugend, 
die ſo ſtolz die Stirn uns ſchirmt 
und auf Feuerflügeln jauchzend 
unſere Seelen aufwärts ſtürmt. 


Und noch heut, ſo lang uns frohe 
Zuverſicht noch führt zum Sieg, 
laßt entſcheiden uns und wählen: 
mit wem Frieden, mit wem Krieg! 
Freunde, Männer laßt uns werden, 
die da ſtolz im Kampfe ſtehn, 
treu und furchtlos, feſtverſchworen: 
nie im Alltag aufzugehn! 


. 


Hab Sonne 


Singwelſe: Der Mat iſt gekommen 


Hab Sonne im Herzen, 
ob's ſtürmt oder ſchneit, 
ob der Himmel voll Wolken, 
die Erde voll Streit 
hab Sonne im Herzen, 
dann komme was mag: 
das leuchtet voll Licht dir 
den dunkelſten Tag! 


Hab ein Lied auf den Lippen 
mit fröhlichem Klang, 
und macht auch des Alltags 
Gedränge dich bang. 
hab ein Lied auf den Lippen, 
dann komme was mag: 
das hilft dir verwinden 
den einfamften Tag! 


Hab ein Wort auch für andre 
in Sorg und in Pein 
und ſag, was dich ſelber 
ſo frohgemut läßt ſein: 


S n Lehr- und Wanderjahre 


Hab ein Lied auf den Lippen, 
verlier nie den Mut, 

hab Sonne im Herzen, 

und alles wird gut! 


5 
E 


Trutzlied 


Singweiſe: Wohlauf, die Luft geht 


Wenn Geld im Beutel Sorgen macht, 
wie reiche Leute ſagen, 
von uns dann hätte wahrlich keins 
viel Grund, ſich zu beklagen: 
was unſereins zu ſehen kriegt, 
iſt ſelten lang zu heben, 
von darum alſo könnten wir 
wie Gott in Frankreich leben. 


Doch ob auch arme Teufel nur, 
das macht uns wenig Nöte, 
wir haben, drum ſo mancher gern 
ſein ganzes Gold uns böte, 
wir haben: jedes Argernis 
ins Gegenteil zu wenden, 
ein frohes Herz ſtets und Humor, 
ſo kein Gericht kann pfänden. 


— 


Quer⸗ wegein Yee 61 


Und klappt auch nirgends was und iſt 
ſedwede Müh vergebens, 
wir ſingen uns ein luſtig Lied 
und freun uns doch des Lebens 
Und das gerade iſt die Kunſt 
mit Geld kann's jeder haben 
auch ohne daß man zahlen muß, 
am Leben ſich zu laben. 


Und hier, Herr, ſag ich, liegt der Punkt, 
der Punkt, an dem ſich's bandelt: 
und wenn wie Kuckuckskinder nur 
das Schickſal uns behandelt, 
wir kriechen dennoch nicht zu Kreuz 
und werden keine Mucker: 
wenn wir dem Glück fo kuckuck find, 
iſt's uns noch viel kuckucker 


Wir wollen, was da werden ſoll, 
getroſt uns ſelber ſchmieden, 
denn was das Glück im Schoße hält, 
ſind doch nur lauter Nieten. 
Wir knieen nicht, wir betteln nicht, 
es mög uns Rofen ſtreuen, 
wir haben das Geheimnis, auch 
an Dornen uns zu freuen. 


So ſtehn wir ſtolz und trotzgewillt, 
wenn andre furchtſam zagen, 
wir wiſſen, was wir wollen, und 
wir wiſſen, was wir wagen 


S DOCH DIT) Lehr- und Wanderjahre 


Und löſt Freund Hein die Frage dann 
zum Schluß unwiderleglich, 

ſo haben wir's uns wenigſtens 

ſo froh gemacht als möglich! 


, 
* 


Lumpenlied 


Für einen Trupp Karnevalmuſikanten 


Singweiſe: 
Wenn ih an meinem Amboß fteh! 
d 7 


oder: 
Da ſtreiten ſich die Leut herum 
Kehrreim gepfiffen. 
Ich bin ein armer Be⸗Bi⸗Ba⸗ 
Bo⸗Bettelmuſikant, 
doch kreuzfidel ſtets pe⸗pi⸗ pa⸗ 
po⸗pump ich mich durchs Land, 
zu ſpielen gibt's allüberall, 
bar Geld nur leider keins, 
und dennoch bleib ich, was ich bin 
und pfi⸗pfa⸗pfeif mir eins! 


Ob hier, ob dort, was verfa⸗ fe⸗ 
was verfo⸗fu⸗verficht s?! 
ein Künſtler kam ſein La⸗Li⸗Le⸗ 
Lo⸗Lebtag noch zu nichts! 
und da dies mal jedweder Kunſt 
betrübter Erdenlauf, 
fo plag dich nicht umſi⸗ ſa⸗ſunſt 
und pfispfa=pfeif darauf! 


Quer zwegein DALAI DTIDTIDTIDT 63 


Auch ich hab einft von Ra⸗Re⸗Ni⸗ 
von Ri-Ro-Ruhm geträumt 
und hab damit mich ma⸗me⸗mi⸗ 
mu⸗mächtiglich geleimt! 
Drum nahm ich einen Nagel und — 
und hing den Kram dran auf 
und wurde Vi⸗Va⸗Vagabund 
und pfi⸗pfa⸗pfoff darauf! 


Ein Bettelmuſike⸗ki⸗ko⸗ 
ku⸗kant iſt auch nicht ſchlecht, 
und wer einmal ein Le⸗Li⸗Lo⸗ 
La⸗Lump iſt, ſei's auch recht! 
Zum Mi⸗Ma⸗Millio⸗nösnü⸗när 
bringt doch von uns es keins, 
drum bleib ich, was ich bi⸗ba⸗ bin 
und pfispfaspfeif mir eins 


(Dankſtrophe) 
Wir machen unſern Di⸗Da⸗Du⸗ 
Do⸗Dank dem Publiko: 
es bleib wie wir ſtets kri⸗kra⸗kru⸗ 
kro⸗kreuzfidel und froh! 
Ein Menſch, der keinen Spaß verſteht, 
merkt euch zum Schli⸗Schla⸗Schluß, 
bleibt ewiglich ein Rha⸗Rhe⸗Rhi⸗ 
Rho⸗Rhu⸗Nhinozerus! 
(Kehrreim) 
und während deſſen im Gänſemarſch ab. 


— 


Lehr⸗ und Wanderjahre des Lebens DASS) 67 


Brief⸗ und Tagebuchblätter 
1 


Meiner Mutter 


IB" denn das ewige Sorgen, 
lieb Mütterchen! gib es doch auf! 


Sorgen macht alles nur ſchlimmer 

und ändert doch nichts im Lauf! 
Auf deine alten Tage 

möcht ich, daß froh du wärft 
und nicht mit Gedanken um uns, 

deine Kinder, das Herz dir beſchwerſt. 


Du haſt dich in deinem Leben 


wahrlich genug geſorgt, 
du gabeſt mit Zinſeszins ihm 

zurück, was es dir geborgt 
Du biſt bald ſiebzig Jahre 

und mich dünkt, du hätteſt nun 


Flatſchlen, Lehr⸗ und Wanderſahre 3 


- 


SS ee e eee Lehr- und Wanderjahre 


nicht bloß ein Recht mehr, nein, 

auch die Pflicht, dich auszuruhn. 
Du trugeſt Leid und Schmerzen, 

ohn daß ſich ein Wort dir entrang, 
du gingeſt mit ſchwerem Herzen | 

fo manchen ſchweren Gang. 
und als der Vater erblindet, 

die ganze, lange Zeit, 
du wurdeſt nie müde in treuer 

frohwilliger Freudigkeit! 
Nur als er dann ſtarb, da freilich 

wurde merklich weißer dein Haar, 
doch deine Liebe zu uns 

blieb ſo jung, wie ſie immer war. 
Und nun ſind wir groß geworden 

und wanderten in die Welt, 
und ein jedes hat ſich fürs Leben 

fein gutes Ziel geftellt ... 
Du aber, lieb Mütterchen, gib jetzt 

dein Sorgen endlich auf, 
Sorgen ſieht alles nur ſchwärzer 

und ändert doch nichts im Lauf! 


Du weißt ja, wir haben niemals 
Arbeit und Umtrieb geſcheut, 


Berg⸗ auf DAHIN DCHDTIDTIDT 69 


wir haben, im Gegenteil, immer 

ung jeglicher Mühe gefreut, 
und wenn auch nicht alles ging, 

wie man wünſchte, es möchte gehn, 
ſo blieb doch keines mutlos 

oder müßig am Markte ſtehn. 
Wir haben uns, Gott ſei Dank, 

immer ſelber zu raten vermocht, 
und ſchlug auch vieles fehl, 

phat uns doch nichts unterjocht. 

Daß einem das Herz einmal ſchwer 

und daß man weniger froh, 
das will nichts heißen, Mutter, 

das geht einem jeden ſo. 


Man hätte mitunter ja manches 

leichter und ſchneller erreicht, 
wenn man weniger . ſtolz geweſen 

und rückſichtsloſer vielleicht, 
und wenn .. ja, ja, wenn du früher 

nicht immer ſo abgewehrt, 
wenn der Vater warnen wollte: 

‚Hüte hätte gar keinen Wert, 
und Beſcheidenheit und dergleichen 


ſei ja ganz ſchön fürs Haus, 


70 DOCH HDD) Lehr: und Wanderjahre 


draußen im Leben doch gälte 

nur Vorteil und nur Fauſt! 
Seid ohne Arg wie die Tauben, 

ſag eine alle Lehr, 
aber: auch klug wie die Schlangen, 

ſetze ſie gleich hinterher. 
Es hätte uns manche Enttäuſchung 

erfpart und manche Gefahr 
und doch, ich möchte nicht anders 

geweſen ſein als ich war, 
denn auf die Dauer iſt's doch nichts 

mit allzuleichtem Gewinn 
ich warte gern und möchte 

nicht anders ſein, als ich bin! 


Aber drum laß auch dein Sorgen, 

du weißt nicht, wie ſtark mein Arm! 
wie zuverſichtfröhlich und reich 

mein Herz in der Bruſt und wie 
Und ob auch manche Blüte [warm! 

von Wetterſchlag verheert, 
das Lied meiner Jugend hat mir 

nicht Blitz, noch Froſt zerſtört! 
und noch grüßt blaurotflammend 

der Stern vom leuchtenden Pol, 


Berg⸗ auf ASIDIDCIDTHDTIDTIDT ID) 11 


wie damals vor Jahren, als ich 
zum erſtenmal ſagte Lebwohl! 
Nur zweifeln darfſt du nicht, Mutter, 
das nimmt die Zuverſicht 
und Siegvertrauen muß haben, 
wer da im Kampfe ficht. 


In lodernder Schönheit Prangen 

liegt offen vor mir die Welt, 
verkämpft iſt und überwunden 

was lang mir die Jahre vergällt, 
die Ketten, die mich gebunden, 

liegen zerſplittert im Grund, 
frei bin ich, Mutter, und ftarf 

und freudig und jung und gefund, 
und in goldenen Morgenfeuern 

glänzt ſonnenhell mein Ziel . 
und wer ſich ſo ſtark fühlt, Mutter, 

für den iſt Kampf nur Spiel! 


72 H ο⏑ο D Lehr- und Wanderjahre 


II 


Einem Freunde 


„Lege das Ohr an die Erde 
und höre! 


und du wirſt Hufgeſtampf hören, 
in weiter Ferne nur, aber näher 
und näher kommend!“ 


s liegt etwas in der Luft, mein Freund, 
es liegt etwas in der Luft! 
Hörtſt du den Wetterſturm zur Nacht, 
wie's in den alten Eichen gekracht? 
wie es die Fenſterläden ſchlug 
und heulend im Kamin ſich fing? 
Sahſt du den Himmel heute früh, 
wie Blut fo rot, brandfackelglüh?! 
Es liegt etwas in der Luft, mein Freund, 
es liegt etwas in der Luft! 


Es iſt eine ſeltſame Zeit, mein Freund, 

es iſt eine ſeltſame Zeit! 

ein immer toller Gehaſte von Jahr zu Jahr! 
nichts ſoll mehr bleiben, wie es war 


Berg⸗ auf ASIAN 73 


nichts ſoll im alten Gleis mehr gehn 

und ruhig, feſt und ſicher ſtehn! 

Ein jeder redet und redet drein, 

und jeder will der Klügere fein! 

Der eine hofft dies, der andere das, 

und keiner aber weiß recht: was 7! 
Es iſt eine ſeltſame Zeit, mein Freund, 
es iſt eine ſeltſame Zeit! 


Und wie es geſtalten ſich wird, mein Freund, 
und wie es geſtalten ſich wird? 
in welcher Richtung? in welchem Sinn? 
ob zu Verderben? ob zu Gewinn? 
Die Jungen haben es in der Hand. 
die Jungen mit ihrem Jugendmut, 
mit ihrem Glauben, mit ihrer Glut! 
und wenn ſie furchtlos feſten Blicks 
hinausſehn über ihr kleines Heut 
und über Parteigezänk und Neid 
dann, glaub ich, geſtaltet ſich's gut, mein Freund, 
dann, glaub ich, geſtaltet ſich's gut! 


u 


TA DCNDONDOYDTIDTYDTI Lehr⸗ und Wanderjahre 


III 


„Und wenn wir ohne Glanz und Ruhm 
der Dämmerung erliegen, 

es werden andere nach uns fein, 

und dieſe werden ſiegen!“ 


as iſt das einzige aber, das ihr tun könnt 
für eure Söhne und für eurer Söhne Kinder: 
wachen, wachen und wachen, 
daß ſie dereinſt in freieren Zeiten 
ihr Leben leben .. 
in Zeiten, 
da man endlich aufgeräumt mit all dem Schutt, 
da man die Trümmer abgetragen endlich, 
die mit Einſturz drohn 
und uns den Weg verſperren nach den Höhn, 
von denen 
die Banner goldner Königstage wehn! . 


Daß ihnen einſt in lichtem Glanze ſich erfülle, 
was unſere eigene Sehnſucht träumt und hofft .. 


Berg⸗auf DAISHLCNDCNDCHDOHDEIDO ID 15 


Wir felber, ach, 

wir find... in Kampf und Müh und Streit 

nur Dorbereiter, Schuttabräumer nur, Wegebner 
einer Zeit, 

die wir aufdämmern ahnen über unſere Nacht 

mit oſterlichter Morgenpracht, 

und der ein Tag dann folgen wird, 

ein Tag, von hallenden Glocken überläutet, 

ein Tag, an dem der Menſch 

abgürten von den Lenden darf das Schwert 

ein Tag des Friedens, 

und ein Tag der Freude 

da all die Qual, 

die uns zu Grabe nagt, 

da all die Ketten fallen der Erbärmlichkeit, 

die jeden Morgen uns aufs neue 

die Krone reißt vom Haupt 

| und uns zu Sklaven unſeres eigenen Lebens macht 

N ein Tag, 

an dem der Menſch zum Herrn wird endlich 

und mit freier Stirne 

als König ſchreiten darf auf feiner Erde 


— 


S e e re 


16 eee Lehr und Wanderjahre 


IV 


Du fragſt, was uns not tut, Freund, 
und was uns fehlt? .. O, fo viel! 
Ideale vor allem wieder 
und ein feſtes großes Ziel! 


Ideale, wie unſere Väter gehabt — 
die ſelbſt freilich taugen nicht mehr 
und ſind unmöglich geworden 
die vergangenen Jahre ber . . 
wie ſich das meiſte, das man 
uns in der Kindheit gelehrt, 
im Getriebe der Welt von heut 
zu Spott und Torheit verkehrt. 


Die uns erzogen, ſie meinten 
es alle ja herzlich gut, 
wenn ich zurückdenke aber, 
ſchwillt mir noch heute das Blut 


Berg⸗auf DADNINLNLILIHLNDNIDN 11 


ob all der Weisheiten, die man 

fo mühvoll uns eingepaukt, 
Weisheiten, von denen nicht eine 

zu wirklichem Leben getaugt! 


Und was in Büchern und Schriften 
als Vorbild uns hingeſtellt, 
mein Gott, das war doch erſt recht 
eine ganz unmögliche Welt! 
Und als es dann hieß: nun geh, 
und was du willft, nun erring s. 
da ſtand man mit all ſeinem Wiſſen 
und wußte nicht rechts noch links! 


Den Kampf aber, den's dann gekoſtet, 

und die Kraft, o die ſchöne Kraft, 
wenn Enttäuſchung über Enttäuſchung 

einem das Herz erfchlafft.. . 
und bis man abgeſchüttelt 

allmählich den ganzen Zwang 
und Schritt für Schritt wieder Mut ſich 

und feſteren Boden errang! 


Auch die Alten freilich nun laſſen 
uns ab und zu einmal recht 


Is eee Lehre und Wanderjahre 


und erklären nicht alles mehr 

von vornherein gleich für ſchlecht! 
Ja, in gutgelaunten Stunden 

geſtehen ſie ſogar: 
daß manches, das ſie beſtritten, 

doch ganz vernünftig war! 


Wenn ſie kommen aber und ſagen: 
Einreißen ſei kinderleicht! 
doch, ohne Erſatz zu wiſſen, 
was damit viel erreicht?! 
ſo müſſen wir ſtill ſein und ſchweigen — 
denn das iſt ja doch unſer Leid, 
die Not unſeres ganzen Lebens, 
der Jammer der ganzen Zeit: 


Daß wir zerdacht und zerzweifelt 
alles, was bisher war, 
und was wir ſelber wollen, 
noch nicht wie das Frühere klar 
wie zwiſchen Charfreitag und Oſtern 
fehlt Freude und Zuverſicht: 
der alte Gott iſt geſtorben, 
der neue erſtand noch nicht! 


Berg⸗ auf SID ETIDT HD ID ID 19 


Die Nacht, die lag, iſt gewichen, 
doch mit erloſchen ſind auch 
die Sterne, die ihr geleuchtet, 


und es weht ein froſtiger Hauch. 


In Erfüllung ging ja ſoviel ſchon, 

wofür das Herz uns ſchwoll, 
und doch weiß niemand ſo recht, 

was nun weiter kommen foll... 
ein jeder ſteht auf dem Platze, 

ein ſeder kämpft und ringt, 
doch es iſt nur ein Taſten und Suchen, 

und keiner weiß, was gelingt 


Du fragſt, was uns not tut, Freund, 


und was uns fehlt?! .. O, fo viel! 


Ideale vor allem wieder 
und ein feſtes, großes Ziel! 


— 


so DIDI) Lehr= und Wanderjahre 


V 
Einem Kinde 


ei nicht traurig, 
fei nicht traurig 
es iſt heute nur 
ſo trübe, 
es iſt heute nur 
ſo ſchwer! 


Morgen lacht die Sonne wieder, 
leuchten Roſen, weiß und rot, 
und mit lauter Lerchenliedern 
jubelt's in den hellen Morgen, 
jubelt's in den blauen Himmel 
ſiegreich über Leid und Not. 


Quillt und ſchwillt mit jungen Kräften, 
quillt und ſchwillt mit junger Luſt 
lebenswarm dir in die Bruft; 

weckt und wappnet deine Seele 
glaubensfroh zu neuer Wehr 


* 


glatfcten, Lehr und Wanderjahre 6 


S ND eee Lehre und Wanderjahre 


VI 


Mu findet's auch .. mit langem Suchen, 
viel Rechtes aber iſt es kaum! 


Es muß an deinem Wege liegen, 
es muß aufleuchten wie ein Traum! 


Du ſitzſt am Strand und ſinnſt auf Reime, 
und einer Woge frohe Haſt 

muß flimmernd es dir zu Füßen tragen, 
daß du dich nur zu bücken haſt! 


Du darfſt ihm nicht nachwandern müſſen, 
du darfſt nicht lange müſſen flehn, 
nein, wie ein Bettler, Einlaß bittend, 
muß es vor deiner Türe ſtehn! 


Und wie ein Sklave muß es folgen 

auf jeden Ruf, auf jeden Blick, 

und wie ein Hund muß es dir treu fein... 
alles andre . iſt kein .. Glück! 


— 


Berg⸗auf DASCHDCHDEIDT ID HEN DIDI 83 


VII 


Se drängt und treibt ſich alles vorüber 


unmerklich kommt es und verblinkt, 
Welle auf Welle hebt ſich und ſinkt, 
was trüb, wird hell, was hell war, trüber. 
Du ſelber trittſt dir als Fremder entgegen, 
und was dir hochheilig einſt ſchien und groß, 
du frägſt dich und lächelſt und ſpotteſt faſt drüber: 
wie war es nur möglich! wie konnte man bloß! 
wie konnte man zweifeln dabei und zögern, 
es lag doch ſo einfach, ſo glatt und ſo klar, 
wie konnte man ſich darüber erregen, 
da alles doch ſelbſtverſtändlich war! 


Schon aber drängt auch das vorüber 

du merkſt kaum, wie es verſinkt und verrinnt, 
wie es leiſe zu anderem übergaukelt, 

wie ſchon eine neue Welle beginnt 

und dich auf ihre Höhe ſchaukelt! 


DIDI D Lehre und Wanderjahre 


vIII 


ER Kind! ... die Fahrt, die du wagft, 
iſt weit! 

Mein Wunſch, daß es gut dir gehe, 

geb dir getreulich Geleit! 
Leb wohl! den Kopf immer hoch 

und fröhlich und unverzagt, 
und nie zuviel auch bei andern 

um Rat und Meinung gefragt! 
Raten iſt leicht, doch es geht ſchon 

nicht alles im rechten Gleis, 
wenn man Rat braucht, Kind, und ſich 

nicht ſelbſt zu helfen weiß! 
Es trägt ein jeder zudem ſchon 

ſo viel an eigener Laſt, 
daß er ſich meiſt nur ungern 

mit fremden Sorgen befaßt! 


Berg⸗ auf SADODCHDCHDITIDTNDOHDTNDTN 85 


Es kommt auch felten etwas 

dabei heraus und ich mein: 
man müſſe für Glück und Unglück 

immer ſelbſt verantwortlich ſein. 
Wer ſeines Zieles klar iſt, 

erreicht, was er erſtrebt, 
und wer ein Ziel errungen, 

hat nie vergebens gelebt! 


Lebwohl, Kind! und wenn es wettert 

und Blitze und Volken dräun, 
es kommen auch Tage wieder, 

die Blüten und Roſen ſtreun. 
Es ging ja uns beiden im Leben 

nie noch beſonders gut, 
wir erfuhren niemals, wie ſchön es 

ohne Sorge ſich ruht, 
wir haben von früh an in fremde 

Launen uns ſchicken gemußt 
und hatten niemand, zu teilen, 

weder bei Leid noch bei Luft; 
und gerade in Jugendtagen 

; ift das wohl der herbſte Schmerz: 

man träumt da von Wunderdingen 

und hat ſo voll das Herz, 


SO ο⏑π e Lehr» und Wanderjahre 


man möchte jubeln und jauchzen 

und möchte glücklich ſein 
und denkt, das Leben beſtünde 

aus lauter Sonnenſchein. 


Es kann ja nun alles ſich ändern, 
ich glaubte für dich es ſo gern: 
es kann vom Himmel fallen 
wie ein rotblitzender Stern, 
es kann auf ſchimmerndem Flügel 
herrauſchen im Windeswehn, 
es kann mit jauchzendem Liede 
urplötzlich vor dir ſtehn! . 
Dichter ſind's, die das ſagen, 
auch hört man es ſonſt dann und 
im wirklichen Leben aber. wann, 
ich glaube nicht recht daran! 
Ich glaube viel eher, es wird 
ſo ſein, wie es bisher war: 
von allem, was man ſich wünſcht, 
a wird nur das Wenigſte wahr! 
ja ich glaube beinahe, das große 
Glück, von dem man ſo träumt 
und an das ein jeder fo viel 
ſeines beſten Lebens verſäumt: 


Berg⸗ auf S D HIHI IDLYDAIDN 81 


daß es das gar nicht gibt. 
s als feſtes dauerndes Gut, 

daß alles Glück nur in kleinen 

ganz flüchtigen Dingen beruht! 
Es iſt wie Gold, das man auch nicht 

in Klumpen und Blöcken hebt, 
das man nur ſtaubkorngroß 

aus Geröll und Getrümmer gräbt. 


>>» 


88 


Lehr⸗ und Wanderjahre 


IX 


lles längſt nun, längſt vorüber! 
Fünfmal ſchon ward's Winter drüber! 
immer andres drängte her! 
Neue Jahre, neue Ziele! 
Selten ſpiel ich jene Spiele 
und noch ſeltener ſing ich mehr! 


Wie die Zeit es eben ändert: 

jener landet, dieſer kentert, 

der liegt windſtill wo auf See. 
bleibt man nur auf ſeinem Poſten 
und läßt Kopf und Herz nicht roſten, 
geh es immer, wie es geh! 


Meiſt wohl iſt's ja dummer Plunder, 
manchmal doch glückt auch ein Wunder, 
noch viel eher aber fällt's! 

Was drum rinnt, laß ruhig rinnen! 
nur wer aus hält, wird gewinnen .. 
nicht ein jeder freilich hält's! 


— 


F 39 


Bleiſtiftſkizzen 
Rügen 


| ief und ftill 
5 in grauem Regen 
f liegen Wald und 
j liegen Wieſen 
j tief und ftill 
mit müden, ſchweren 
Wellen 
ſchleppt das Meer zum Strand. 
graue Möwen 
flügelſchlagend 
ſchreien um die Kreidefelſen, 
und im weißen 
Dunſt der Ferne 
zieht in breitgeballter Wolke 
dicken Qualmes, 
wie der ſchwarze 
Schwan des Todes, 
horizontentlang ein Dampfer, 
tief und ſtill 
in grauem Regen. 


= 


1 r 1 
l 


I eee Lehr- und Wanderfahre 


2 
Herbſt 


eber den See hin 
braut der Nebel 
lautlos leiſe 


Wie große weiße 

ſeltſame Spinnen 

rinnt und ſpinnt es 

über die Waſſer, 

lautlos leiſe 

und im Schilf 

die großen 

Rofen 

ſchließen fröſtelnd ihre Kelche. 


Lautlos leiſe 

rinnt und ſpinnt es 
Ufer holz⸗ entlang 
und höher 

durch die Gitter 


Berg⸗auf OAIINEIAIALAIDNDINDINIDN N 


in die Gärten, 
über ſpielzertretene Rafen, 
über welke Blumenbeete 


Am Verandafenſter, lauſchend, 
tief in weichen, weißen Kiſſen, 
träumt ein Mädchen 

und von ihres ſonnenloſen 
Gartens herbſtverfallenen Roſen 
ſuchen ihre ſehnſuchtgroßen 
ſtillen Augen 

weit in's weite 

letzte müde Abendrot 


Und 

lautlos leiſe 

rinnt und ſpinnt es 

um das Fenſter 

durch das Weinlaub 
und lautlos leiſe 

küßt es die weiße 

Stirn ihr 

und den lächelnden Mund. 


— 


92 ede Lehr- und Wanderjahre 


3 
Totenſonntag. 


roſtlos traurig grau in grau: 
Himmel, 
Dächer, 
Straßen, 
Menſchen 
troſtlos traurig grau in grau... 
wie mit hungergieriger Lippe 
ſaugt ein ungeheures Schweigen 
Licht und 
Luft und 
Leben an ſich 
und mit grauenſtummer Marter 
überſchleicht es 
und bekriecht es 
herzblut⸗tief⸗ und tiefer⸗ſaugend 
Himmel, 
Dächer, 
Straßen, 
Wenſchen, 
qualvoll hilflos grau in grau. 


2 


Berg⸗ auf DASADCHDCHDCN LONDON DT 93 


Xl 
Was müde macht! 


as iſt es, 

was müde macht: 
dieſes heimliche Warten, 
dieſes ruheloſe 
ſtille Horchen nach der Treppe, 
dieſes Aufſpringen, 
wenn es klingelt 
ſtatt der erwarteten Freude aber 
mit blitzendem Aug 
und lachendem Mund 
ſteht ein frierendes Kind draußen, 
ver härmt und elend, 
und bittet weinend 
um ein Stückchen Brot. 


— 


S DDCHDTHDTIDT Lehr- und Wanderjahre 


XII 


ch habe Nächte dafür geopfert, 

ich habe Herzblut daran gegeben, 
und feige Buben nun kommen und heben 
die Hand auf gegen das fertige Werk. 


— — — — — — — — 


Das ſchmerzt! 


Und doch: 

glückt euch, es wirklich zu zertrümmern, .. gut! 
dann war's nicht echt! 

dann glückte mir nicht, was ich wollte 
und .. ihr . habt. recht! 


NN 


Berg⸗ auf LIASAINIIDIIDNDNDADN 95 


XIII 


chlaf”, müde Seele, 
daß nichts dich mehr quäle! 
ſchlaf und vergiß 
deines Tagewerks Laſt! 
ſchlaf und vergiß, 
wie viel du auch heute 
an Lieb und Freude verloren haſt, 
wie viel es wieder dir 
Rofen zerriß 
ſchlaf, müde Seele, 
ſchlaf und vergiß! 


Was dir zerrann 

an Glauben und Glück, 

in ſeligem Traum 

träum es zurück! 

Ob die Welt dich auch verdamme, 
deiner Sehnſucht heilige Flamme 
zwingt die Nacht, durch die du wanderſt, 
zwingt die Furcht, die dich umdroht, 
lodert auf zu frühlings lichtem 
oſtergoldenem Morgenrot! 


— — 


% eee eee Lehr- und Wanderjahre 


XIV 


12” fo zerbrödelt fih Monat um Monat 
und Jahr um Jahr 

in ſonnenloſem Sich-müde⸗Hoffen 

und nirgends auch nur ein Schimmer von Schein, 
daß es irgend einmal würde anders ſein! 


Man gibt das Beſte, das man kann, 
man gibt ſein glühendſtes Herzblut dran, 
mit Leben bezahltes Leben 
und hat man etwas fertig gebracht. 

dann iſt der ganze Dank dafür, 
daß ein paar Freunde freundlich ſagen: 
Freut mich, das haſt du gut gemacht! 


Und damit iſt die Sache dann erledigt! 


— 


Berg uf S dee ede eee ede 97 


XV 


ja, wir ſind Phantaſten, 
Narren und Schwärmer 

und kindertörichte Toren 

ihr habt recht! 

wir find es. 

unfern Träumen nachzuhängen 

und unſere Kraft an Dinge zu vertrödeln, 

ſo wert⸗ und zwecklos 

ihr habt recht!. 

anſtatt praktiſch zu ſein 

und Geld zu verdienen! 

oder .. wenn ſchon: 

Bücher zu ſchreiben, 

wie der Verleger will, 

und wie ſie gekauft werden 

ihr habt recht: 

es iſt Narrheit, 

ſich ſeine Jugend derart zu verquälen 

und freiwillig 

als Bettler ſich durch's Leben zu ſchlagen, 

und in den beſten Jahren dann 


Flalſchlen, Lehr⸗ und Wanderſahre 7 


IE e Nd Lehr: und Wanderjahre 


gebrochen und müde zu fein, 
erſchöpft und leer! 

und .. gebrochen .. wodurch? 
und. müde... wovon? 

von nichts II.. 

und mit verflackerndem Auge 
zurückzuſehn 

und ſich ſagen zu müſſen, 

daß alles Mühn und alles Ringen, 
daß aller Kampf .. umfonft war! 
und nicht bloß umſonſt, 

daß es lächerlich war: 

törichter Träume wegen 

ſein beſtes Leben lang ſich 

von der Gnade anderer abhängig zu machen 
anſtatt . anſtatt 


anſtatt . 


und doch .. und doch: 
nur Starke können ſolche Narren ſein! 


—⁵ — 


s lohnt fi nicht! 15 


weiß Gott, es 


lohnt 
nicht! 


Es iſt alles nur 


Kauf! 


es iſt alles nur 


Handwerk! 


es iſt alles nur 


Mache! 


Es. lohnt. ſich nicht! 


100 HIN DT HDT IT) Lehr- und Wanderjahre 


XVII 


Lied des Wanderers 


bend⸗rot ſchon gegen Weſten 
lenkt die Sonne ihren Lauf, 
immer neue Gipfel aber 
ſteigen vor dem Wanderer auf! 


Ach, es iſt ein mühſam Ringen! 
und was lohnt am letzten Schluß 7! 
Immer ſteiler führt es weiter, 
immer müder wird der Fuß 


Immer neue Gipfel ragen 
über den erklommenen auf! 
ach, und immer abendtiefer 
ſenkt die Sonne ihren Lauf! 


D 


— rec ee ie ee vier m ee 


Lehr⸗ und Wanderjahre des Lebens Am) 105 


Brief⸗ und Tagebuchblätter 


Vom Frühling 
Februar 


Soda leuchtet die Sonne wieder am Himmel 
und ſchmilzt die Schneelaſt von den Dächern 
und taut das Eis auf an den Fenſtern 

und lacht ins Zimmer: wie geht's? wie ſteht 's? 


Und wenn es auch noch lang nicht Frühling, 
fo laut es überall tropft und rinnt. 

du ſinnſt hinaus über deine Dächer 

du ſagſt, es ſei ein ſchreckliches Wetter, 

man werde ganz krank! und biſt im ſtillen 
glückſelig drüber wie ein Kind. 


ag. "ge 


104 DIDI DTIDT) Lehr- und Wanderjahre 


März 


Sr noch nicht vom Frühling, es iſt zu früh! 
ſo lockend die Sonne vom Himmel blitzt, 
fo lockend alles glänzt und glitzt . 

ſprich noch nicht vom Frühling, es iſt zu früh! 
Es werden Tage wieder kommen 

bevor erblüht, wovon du träumſt, 

da alles wie vorher troſtlos weh 

in Regen ſich begräbt und Schnee, 

Tage voll Traurigkeit, Tage voll Müh. 


ſprich noch nicht vom Frühling, es iſt zu früh! 


Und doch und dennoch: mit jubelndem Liede 
grüße dies frohe befreiende Blau 

über all dem farbloſen Grau, 

freu dich der flimmernden Mittagsſtunden, 
ſonne das Herz dir zu keimender Kraft, 

daß es dem müde machenden Winter 

und ſeiner Enttäuſchung ſich wieder entrafft! 


Nur warte, nur wart noch! es wird ſich erfüllen, 
es wird ſich erfüllen, was du erſehnſt: 


r 105 


Glutig auflodern wird es am Himmel, 
über die Berge her wird es wehn 

und wie donnernde Oſterglocken 

wird es durch die Lande gehn 

nur warte, nur wart noch und hab Geduld! 
So ſchön und ſo köſtlich dies blitzende Blau 
mit feinem füßen ſtillen Locken, 

es kommen Tage noch und Wochen 

farblos grau, 

da alles wie vorher troſtlos weh 

in Regen ſich begräbt und Schnee, 

Tage voll Traurigkeit, Tage voll Müh 


ſprich noch nicht vom Frühling, es iſt zu früh! 


106 SOHN Lehr- und Wanderjahre 


April 


u” wenn du jetzt aufwachſt morgens 
ganz leis und fein 

ſpielt um die Dächer 

der Sonnenſchein, 

und du biſt nicht mehr müde, 

wie ſonſt, und verzagt: 

was ſoll nun wieder 

voll Mühſal und Plag 

der ganze lange endloſe Tag!? 


Froh und munter 

geht's ihm entgegen, 

und alles iſt ſo wunderbar 

friſch und ſtark und hell und klar, 
das ganze Leben ſo frei, ſo leicht, 
daß du dich ſelber drüber wunderſt: 
von was für töricht dummen Dingen 
du das Herz dir ließeſt zwingen 

und kaum begreifſt: 

mit welch erbärmlichen Kleinigkeiten 
die Menſchen ſich das Leben verleiden . 


Höhenzentlang SAY INDTIDTISTYDT) 101 


Kleinigkeiten, ob denen es kaum 

der Mühe wert, ein Wort zu verlieren, 
geſchweige denn tage⸗ und wochenlang 
zu quälen ſich und zu fchifanieren .. 
und vollends jetzt, das Frühling wird 
und, wenn du aufwachſt morgens, 

ganz leis und fein 

um die Dächer ſpielt 

der Sonnenſchein 

und alles rings ſo wunderbar 

friſch und ſtark und hell und klar 
wozu ſich da grämen und betrüben! 
nein, weg mit all den Schererei'n! 

es lohnt ſich da wahrlich nur: zu lieben! 
es lohnt ſich da wahrlich nur: froh zu fein! 


c— 


108 ASNEIDIDrHDT) Lehr- und Wanderjahre 


Von Dem und Jenem 


1 


W. ſchreit und lärmt und ereifert fi, 
man findet es dumm und lächerlich 


und gegen allen Anſtand und Brauch, 

man ruft die Polizei zu Hilfe, 

und dieſe kommt und verbietet es auch 

und ſperrt die Straßen und raſſelt mit Ketten 
und tut, ſoviel ſie irgend kann, 

die bedrohte Bürgerruhe zu retten. 


Und ein paar Jahre ſpäter, gib acht, 

iſt alles, worob man den Lärm gemacht, 
wofür man ereifert ſich und erregt, 

wogegen man Himmel und Hölle bewegt 
kein Menſch weiß, wie es eigentlich kam: 

ſo ſelbſtverſtändlich, ſo alltäglich, 

ſo eingefügt in den ganzen Lauf 

und mit Sitte und Anſtand ſo wohl verträglich, 
als wär man's gewöhnt ſo von Jugend auf. 


Höhen⸗entlang IH II HDD 109 


2 


as ſich dir auch erfüllen mag 
und wie's in deine Türe trete, 
ob königſtolz 
an lautem Tag, 
ob bettler ſcheu 
in ſtiller Nacht, 
du haſt es immer doch ganz anders, 
ganz anders dir gedacht 


Und ob du noch ſo ſehr dich freuſt, 
ein bißchen biſt du immer enttäuſcht. 


RT 


10 wre Lehr- und Wanderjahre 


3 


ch darf's, 
du darfſt's 
und jeder, 
der da gleich ſtolzen Sinnes wär, 
der ſo wie ich, der ſo wie du 
die Jahre hin, die Jahre her 
den eigenen Wunſch im Zügel hielt, 
daß er nun ganz von ſelbſt nicht mehr 
auf Wege drängt, die wir nicht wollen, 
ein jeder, der 
fo drüber ſtände 
wie du und ich 
darüber ſtehn . 
die Welt würd ruhig weiter gehn, 
es würde niemand was geſchehn, 
es würde niemand was genommen! 


Und dennoch, ſieh! eh wirs verſähn, 
würden ſie dutzendweiſe kommen: 
Wer ſind die, die da oben gehn?! 


FF 111 


wer find die, die da haben dürfen, 

was ung verfagt?! wir find doch wohl 
nicht weniger gut, nicht weniger ſchlecht?! 
gleiche Steuern, gleiches Recht! 


So ſchrie es und im Handumdrehn .. 
wir find nicht weniger gut und ſchlecht! . 
wär Zaun und Garten niedergetreten .. 
gleiche Steuern, gleiches Recht! 


Und alles, was in langen Jahren 

wir uns erkämpft als ſtillen Lohn 
freiwilliger Frohn, 

es würde nur uns ſelbſt zum Hohn! 


= 


12 ö Lehr- und Wanderjahre 


* 


imm einen jeden, wie er ift... 
es hat ein jeder ſeine Mängel 
und ſelbſt der Beſte, denn wir ſind 
nun einmal Menſchen und nicht Engel! 


Man nimmt dich auch dann, wie du biſt. 
es hat ein jeder ſeine Mängel 

und ſelbſt der Beſte, denn wir ſind 

nun einmal Menſchen und nicht Engel! 


We 


| 
. 
N 


nnn. m 


Höhen⸗ entlang D 13 
5 


Da⸗ iſt ſo, Freund, ja, ja! 

.. die andern 
dürfen alles ſich erlauben, 
dürfen's treiben, wie ſie wollen, 
geck und keck und klug und dumm, 
dürfen mit anmaßungs vollen 
Eitelkeiten laut ſich blähn 
und wie Wetterfahnen luſtig 
fi mit jedem Windchen drehn. 
niemand nimmt es weiter krumm! 


Aber wage du das einmal, 
wage du einmal ein Wort, 
das nicht überall entſchuldigt, 
hab dich du einmal ſo wichtig, 
hab dich du einmal mit ihrem 
feierlichen Selbſtbewußtſein . 


Ach, es würde eine Luſt ſein, 
wie ſie's alle übel nähmen, 


Blatfhlen, Lehr⸗ und Wanderſahre 8 


LIAN Lehr- und Wanderjahre 


wie fie tief beleidigt kämen: 

was du wärft und was du dächteſt! 
andre ſei'n fo viel wie dul 

und es wäre blaſſer Neid nur! 
wahres Können ſei auch Gönnen! 
wahre Freiheit ſei beſcheiden! 
wahre Stärke ſtütze andre 

wahre Größe . wahre Bildung. 


Ja, es wäre eine Luſt, 

wie ſie ohne es zu merken, 
rührend harmlos und vergnügt, 
ſich mit ihren Kaſtagnetten 

an den eigenen Naſen hätten! 


Höhen⸗entlang ASYL 115 


6 


8 ein anderer was gemacht, 

iſt's gut und ſchön und klug bedacht, 
man nimmt’g, wie's iſt, und freut ſich dran: 
wieder einer, der was kann! 


Doch wenn du ſelber damit kämeſt, 
begänn ein Wackeln mit den Zöpfen, 
ein Schütteln mit den weiſen Köpfen: 
die Sache ſei viel zu verzwickt 

und dies und das vorbeigeglückt! 

man hätte zu viel dabei zu denken! 
man wolle Erholung, nicht Quälerein! 
das Leben ſei ohnehin ernft genug! 
Kurzum: man müſſe leichter ſein! 


Und glückte was mit leichterer Feder 
weiß Gott, ſo kämen ſie erſt recht: 

fo was könn heutzutage jeder! 

mit ſolchen billigen Spielerein 

erwürbe man ſich kaum viel Gunſt! 
mehr⸗können müſſe, wer da wolle, 

daß man ihn höher werten ſolle! 

hart ſei das Leben, hart ſei auch die Kunſt! 


— N — 


16 EADDIDFHDFIEr) Lehr: und Wanderjahre 


7 


Faun Witze, lieber Freund, 

kann ein jeder Klempnermeiſter machen, 
faule Witze, über die dann 

andre Klempnermeiſter wieder lachen 


Immer freilich, mein ich, könn man 
derart geiſtreich ſich nicht faſſen, 
und zuweilen, mein ich, könn man 
ruhig auch was gelten laſſen! 


> 


Höhen⸗entlang CALASAL IIND 117 


Und nehmt ihr's übel 


nd nehmt ihr's übel, nehmt es übel! 

in Gottes Namen, reißt es zum Riß! 
ich kann und .. will auch nicht! Gewiß, 
ich will auch nicht 

Die zwei, drei Stunden, 

die mir als letzten, müden Reft 
des Tages Arbeit übrig läßt, 
ich will ſie nicht ſo zwecklos vergeuden 
mit hohlem Gerede und mit Leuten, 
für die ich genau ſo viel und ſo wenig 
als ſie für mich 
mit denen ich ſitze und Braten eſſe, 
und die ich nach eilig ſteifem Adieu 
vor der Haustür unten wieder vergeſſe 
und all mein Lebtag nicht wiederſeh. 


Die zwei, drei Stunden am ſpäten Abend 


118 CRD) Lehr- und Wanderjahre 


fie find das einzige, was ich habe, 

ſie ſind mein Lohn und ſind mein Leben 
und koſten mich denn doch zu viel, 

um ſie ſo planlos zu verläppern 

für andere zu bloßem Spiel! 


Und wenn ich auch nichts weiter tue, 

als daß ich mich in aller Ruhe 

zu Haus einmal aufs Sofa ſtrecke 

und über alten Plänen hecke 

und ein paar Verſe reime .. 

oder träume 

wie man ſo träumt, 

wenn man vom Leben 

ein bißchen mehr will, als bloß eben 
. leben! 


— 


as überfliehn?! 


was überhaften?! 


Ruhiges Mühn, 
ruhiges Raften! 


Eines gebe 


dem Andern Gewicht: 
reude, 


fröhliche 5 
fröhliche Pflicht! 


TEE BE Te 
dcr 
22 


120 ede Lehr- und Wander jahre 


Im Spiel des Lebens 


1 


Ar und nieder 
ſchwankt die Wage 
deiner Tage, 

wie ſich füllen 

ihre Schalen, 

dieſe hoch und jene tief. 


Laß ſie ſinken, 
laß fie ſteigen 
dieſe hoch und jene tief . 


Du nur zwiſchen beide ſtehe, 
unbeirrt in deinem Ziel, | 

feft und ſtark, als Halt und Träger, 
als gerechter Gleicher und Wäger, 
ſtill und ruhig über ihrem 

ſteten Auf- und Niederſpiel. 


— Zn 


Höhen⸗ entlang ede de ed eds sev Ss 121 


a aber liegt's: 
der eine biegt's, 
der andre bricht's! 
laß nur das Schwert nicht in die Scheide roſten, 
den freien Mut des freien Manns! 
Wer etwas will, der kann .. 
der kann's! 
und würd es eine Welt ihn koſten! 


Was du vor dir biſt, nur entfcheidet! 
der Spruch der Welt, du lieber Gott, 
zerrt heute hiſt und morgen hott, 

und wenn ſie dich mit Purpur kleidet 
für das, was einer litt und leidet, 

iſt all ihr Purpur Faſtnachts⸗Spott! 


Was du vor dir biſt, nur entſcheidet 
und wird des Ganzen innerer Kern. 
nicht Glück, nicht Zufall oder Stern! 
und was dann auch dagegen ſtreitet, 
der Freie macht ſich ſtets zum Herrn! 


122 N Lehr- und Wanderjahre 


Was du vor dir biſt, nur entſcheidet 
und bleibt im buntverwirrten Spiel 
des breiten Weltgetriebs das einzig 
unverlierbar klare Ziel, 

der einzige ſchaffende Gedanke, 

der all dem blinden Her und Hin 
Beziehung gibt, Verſtand und Sinn, 
daß es ſich formt und fügt und ordnet 
und ſtill zu einem Ganzen webt 
der einzige 

feſte 

Punkt, von dem aus 

ein Starker 

die Welt aus ihren Angeln hebt! 


Den einen trügt's, 
den andern trägt's, 

dem einen liegt's, 

der andere legt 's. 

laß nur das Schwert nicht in die Scheide roſten, 
den freien Mut des freien Manns! 

wer etwas will, der kann s. 

der kann's! 

und würd es eine Welt ihn koſten! 


— Xx — 


Höhen⸗entlang ALAND 123 


3 


ums das allein iſt's, drum ſich's handelt, 
wie Welt und Zeit auch ſtürmt und wandelt 
mit allem, was du je begannſt: 

daß ohne Vorwurf, ohne Lüge, 

daß ohne Reue, ohne Rüge, 

auch vor dem eigenen Tribunal, 

daß du mit ruhigem Gewiſſen 

zurück⸗ und vorwärtsblicken kannſt 

auf deines Jahres ſtille Mühe 


ob du verlorſt, ob du gewannſt. 


Nicht fremden Anderen zu Dank. 
was denn auch ſollen dieſe Andern! 
es iſt ja doch ein ſtetes Wandern 
voll Mißgunſt überall und Zank! 
Nein, dir allein zu Recht und Ehre, 
dir allein zu Luſt und Laſt: 

deinem Glauben, deinem Leben, 
deinem Schaffen Genüge zu geben. 


Rc 2 


rc 


124 Wr Lehr: und Wanderſahre 


Mag man’s dann loben oder tadeln, 
was liegt daran!? 

Es wird ſich immer adeln, 

trotz Acht und Bann: 

wer ohne Vorwurf, ohne Lüge, 

wer ohne Reue, ohne Rüge 
zurückſehn darf und ſagen kann 

von ſeines Jahres ſtiller Mühe: 

er habe feine Pflicht getan 


ob er verlor, ob er gewann 


Und weder Glück noch Unglück 
hab je was über ihn vermocht, 
und weder Täuſchung noch Erfüllung 
das freie Herz ihm unterjocht! 


— 


Höhen-entlang DALAI DTIDIDTIDT 125 


Dem Dichter 


Greift nur hinein in's volle Menſchenleben, 

ein jeder lebt's, nicht vielen iſt's bekannt, 

und wo ihr's packt, da iſt's intereſſant. 
Vorſpiel zum Fauſt. 


Des nicht, was du von außen packſt, 
ob dich ein Zufall glücklich leitet, 
und wenn du's noch fo ſcharf umzackſt, 
: krönt dich zum Sieger und entfheidet .. 


Nein: ob du's mit den Wurzeln greifft 
und wie du's ſtimmſt und wie du's reifſt 
in ſtiller Tage ſtillem Werden, 
ob du's zur Sonne aufwärts hebſt, 
empor aus ſeines Unwerts Trübe, 
empor aus ſeines Werktags Dunſt, 

| ob du's mit deinem Ich durchlebſt 

i und mit der Sehnſucht deiner Liebe, 

5 dem Gottesatem freier Kunſt. 


Fre 


126 Irre Lehr: und Wanderjahre 


Was follen wir mit fremder Menſchen 
gleichgültiger Luft, gleichgültigem Leid?! 
Du gib ihm Wort erft, Wert und Weihe 
zu dem, dem du dich felbft geweiht! 

Wir wollen dich, nicht .. ung, nicht andre! 
wir wollen dich, was dich bewegt, 

was dich . auf freigekämpften Schwingen, 
dem Staub entträgt, 

dem Staub, dem Dunſt, in dem wir ringen, 
der Mühſal zwiſchen Heut und Morgen, 
die uns mit ewigen Pfennig⸗Sorgen 

um unſer beſtes Teil betrügt! 


Wit deines Wortes mächtigem Werde 
zerreiß die Nebel, ſchaff uns Licht... 
und über unſerem kleinen Daſein 

mit ſeinem rieſengroßen Leid 

zeig uns die morgengoldenen Feuer 
der Sonne deiner Ewigkeit 


Fr ISIN) 177 


2 


er Dinge unerkanntes Wefen .. 
ein Lehrling auch wird's manchmal löſen 
mit irgendwo erlauſchtem Spruch 
ein Lehrling auch vermag mitunter 
ein Wunder 
und kann, was im Verborgenen ruht, 
aus dumpfer, traumgebundener Hut 
zu Aufſturm und zu Tat befrein... 
doch Meiſter wird er drum nicht fein! 
denn Sieg iſt's nirgends: blinde Kraft 
zu löſen nur und zu entflügeln b 
Sieg iſt es erſt: 
in freiem Spiel, 
zu jeder Zeit, zu jedem Ziel 
die Macht zu haben, ſie zu zügeln! 


— u 


128 eee Lehr- und Wanderjahre 


3 


D* Was iſt's nicht! 

Wer etwas kann, 
zwingt ſich den ſprödeſten Stoff zu Willen, 
zwingt zu lebendig friſchem Quell 
das Felsgeſtein, das ſonnzerglühte, 
zwingt das verdorrteſte Reis am Weg 

zu Keim und Blüte 
mit bloßem Wort .. er will und ſpricht's, 
und . überflammt von tauſend Sonnen, 
befreit er eine Welt voll Wonnen 
aus leerem, dämmergrauem Nichts! 


Das Was iſt's nicht! Das Wie allein 
wird Kranz und Krone dir verleihn! 
Stoff iſt nur Stoff, in blinder Haft. 
dein Wille erſt wird ſeine Kraft, 

dein Wort erſt wird ſein Werde! 


Es iſt die gleiche Handvoll Erde. | 
ein Gott wird Menſchen daraus fchaffen, 
ein Stümper .. Affen! 


* 


Fa nicht, 

mach's fertig, 

und es iſt gut! 

Frägſt du, 

weiß jeder was einzuwenden, 

der im Ernſt und der im Spaß, 8 
du aber ſtehſt mit verdroſſenen Händen, a 
zweifelnd, mißgeſtimmt und laß Ä 
und beginnft zu ändern 

aber die erfte 
Freude ift weg 2 
und ihr heiliger Mut. > 


Frag nicht, 


mach's fertig, 
und es iſt gut! 


— 


Slatſchlen, Lehr ⸗ und Wanderſahre 9 


130 DN D Lehr- und Wanderjahre 


5 


Me was du willſt, mach's wie du willſt, 


nur ſorg, daß es in deinem Sinn 
als Ganzes, Volles dir gelingt, 
und daß nichts Fremdes dazwiſchen klingt! 
Man nenn'ẽs dann gut, man nenn es ſchlecht. 
es habe ruhig jeder recht, 
und wer da lachen will, ſoll lachen .. 
Witze ſind über alles zu machen! 
die einzige Frage, die da gilt, 
ob einer lobt nun oder ſchilt, 
die einzige Frage iſt: gabſt du ein Eig' nes !? 


— 


Übertragungen 
E nach 


Baul Verlaine 
Still! 


Tiefſtiller dunkler Schlaf 
ſinkt über meinen Tag, 
daß ich nichts hoffen mehr, 
nichts fürchten mag! 

Das ganze Leben 

ich entſinne mich kaum, 


war es froh, war es traurig?! 
Alles wird Traum 


Still. Still! 


X X 


132 Dede Lehr- und Wanderjahre 


Serenade 


Als ob ein Toter im Grabe müd und wund 
nach Leben riefe, 

ſucht mein Lied ſich zu dir mit klagendem Mund 
aus dunkler Tiefe. 


Laß lauſchen dein Ohr, deine Seele dem Klang 
meiner Zither: 

für dich, für dich nur gilt mein Geſang. 
ſo ſüß, ſo bitter. 


Ich ſinge von goldlichter Augen Pracht 
voll ſüßem Frohlocken, 

von ſelig vergeſſendem Traum in der Nacht 
ſchwarz wallender Locken. 


Als ob ein Toter im Grabe müd und wund 
nach Leben riefe, 

ſucht mein Lied ſich zu dir mit klagendem Mund 
aus dunkler Tiefe. 


Und ich ſing von der wonnigen Wundergeſtalt 
deiner Glieder, 

in ſchlafloſen Nächten voll Sehnſucht umwallt 
ihr Duft mich wieder. 


a , 
und der Suf, mit der du mich quältet, o du. 
mein Engel! mein Elend! 


134 WDADAHDOHDTIDTHDT) Lehr- und Wanderjahre 


Im Gefängnis 


Der Himmel, drüben über dem Dach, 
in tiefblauem Schweigen, 
ein Baum, drüben über dem Dach, 
mit wiegenden Zweigen. 


In dem Himmel, den man ſieht, 
klingts wie von Glocken, 
ein Vogel auf dem Baum, den man ſieht, 


ſingt ſein Frohlocken. 


Mein Gott, mein Gott, fo friedlich und ſchön . 
das dort iſt Leben! 

in der Stadt drüben dieſes frohe Getön 

und Summen und Weben! 


Und du, der du hier weinſt, 

durchs Gitter lugend, 

was haft du gemacht, ſag, der du hier weinft, 
mit deiner Jugend !? 


— 50 — 


Lehr⸗ und Wanderjahre des Lebens AS 137 


Brief⸗ und Tagebuchblätter 


1 
Sylveſter 


omm, vergiß einmal all die Geſchichten 
komm und begrab einmal all den Kram! 
es ſind ja doch nur Lumpereien, 
die einem nur das Herz zerquälen, 
die einen nur müde machen und lahm! 


Die Menfchen find fo, ich weiß es wohl: 

ſtatt fröhlich und guter Dinge zu ſein, 
vernörgeln ſie ſich die ſchönſten Stunden 

mit kindiſch törichten Hetzerein. 

Sie möchten es ſelbſt nicht, wenn man frägt 
ſie ſehnen ſich, harmloſer ſein zu dürfen, 

ſie nennen es Unrecht, Schande und Hohn 
und möchten heraus aus all dem Gezänke 
und kommen doch nicht los davon 


DIS reed Lehr- und Wanderjahre 


und wenn man ſo zuſieht, wie ſie allmählich 
mutloſer werden, trüber und trüber 


Mein Gott, man könnte weinen drüber! 


Lebt mit mehr Freude! ach, ich möcht's 
groß wie die Sonne an den Himmel ſchreiben, 
daß es wie Feuer in die Herzen lobt... 
lebt mit mehr Freude und ohne die Not 
und ohne den Haß und ohne den Neid, 
an den ihr das halbe Leben verpaßt... 
macht's euch zu Luſt und nicht zu Laſt! 
lebt mit mehr Freude, 
lebt mit mehr Raft! 


7 


Ziel⸗ entgegen SADASCHICHDL HD ID ID 139 


II 
Neujahr 


oldrot im Nebel glüht die Sonne 
friſch hinein in den prächtigen Tag! 


friſch hinein in das junge Jahr! 
vorwärts! Glück und Sieg entgegen! 


Einen Mantel um, den Hut ins Geſicht, 

einen Stock in die Hand! mehr braucht es nicht! 
Um Gottes willen nur nicht lang grämen! 

nur nicht lang ſtehen und Abſchied nehmen! 
ſei froh, den Kram einmal los zu ſein! 

oder mit langem Räumen und Schnüren 

und Hin und Her die Zeit verlieren! 

Es bleibt jedes Jahr ein kleiner Reſt, 

den man am beſten liegen läßt! 


Aber das iſt's ja: ... das viele Gepäck, 
mit dem man ſich durchs Leben ſchleppt! 
Einen Mantel um, den Hut ins Geſicht, 
einen Stock in die Hand! mehr braucht es nicht! 


rr 


N 


r 


140 SCI IDOHDT Lehr- und Wanderjahre 


ein bißchen Mut und Glückvertraun, 
ein bißchen Zuverſicht zu ſich ſelber, 
ganz ſtill! 
dann geh und komme, was da will, 
du brauchſt nicht ängſtlich zurückzuſorgen, 
ob alles in Ordnung, und umzudrehn, 
du kannſt jedwedem jungen Morgen 
mit freier Kraft entgegengehn! 


III 


Sonnenkraft 


nd immer wieder ſinkt der Winter 
und immer wieder wird es Frühling 
und immer immer wieder ſtehſt du 
und freuſt dich an dem erſten Grün, 
und wenn die kleinen Veilchen blühn, 
und immer wieder iſt es ſchön 
und macht es jung und macht es froh, 
und ob du's tauſendmal geſehn: 
wenn hoch in lauen blauen Lüften 
die erſten Schwalben luſtig zwitſchern 
immer wieder . jedes Jahr 
fag, iſt das nicht wunderbar?! 


Dieſe ſtille Kraft der Seele: 
immer neu ſich aufzuringen 
aus dem Banne trüber Winter, 


1427 IC HICHDHDTHDT) Lehr- und Wanderjahre 


aus dem Schatten grauer Nächte, 

aus der Tiefe in die Höhe 

ſag, iſt das nicht wunderbar ?! 

dieſe ſtille Kraft der Seele, 
immer wieder 

ſich zur Sonne zu befrein, 

immer wieder ſtolz zu werden, 

immer wieder froh zu ſein ?! 


* 222 


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144 deer Lehr- und Wanderjahre 


V 


N geht kein Tag zu Ende, 
richt es, ſchicht es, wie du willſt. 


rührſt du noch ſo ſehr die Hände 
und liegt alles glatt und fertig, 
was da fertig werden ſollte, 

richt es, ſchicht es, wie du willſt, 
reſtlos bringſt du's nie zu Ende... 
eine Sorge, eine Frage 

zwirnt ſich ſtets zum andern Tage, 
flicht es, ſchlicht es, wie du willſt.. 


Doch vielleicht auch eine Freude, 
wägſt du mit gerechter Wage! 


208 


VI 


ozu das Geklage: ‚du habeſt kein Glück! 
und . . das ſei dein Geſchick! 


Geſchick iſt nur, wozu du ſelbſt 

mit eigener Kraft und eigenem Willen 
die Reihe deiner Tage webft.. 

und Glück doch auch nur, was du ſelber 
aus deines Wunſches Tiefe hebſt! 


— 


Zlaiſchlen, Lehr⸗ und Wanderſahre 10 


146 DD DOT Dee Lehr= und Wanderjahre 


VII 


as iſt das Leben! was erwarteſt du mehr?! 
was du haſt, iſt alles! es gibt nichts mehr? 


Das iſt das Leben: 

all dieſe kleinen Alltäglichkeiten 

von Stund zu Stunde: dies Aufſtehn morgens 
und dann den ſtillen Tag entlang 

in ſtillem Gleichlauf deine Arbeit... 
Reſte von geſtern, Sorgen zu morgen... 
zuweilen auch wohl ein . froherer Gang, 
ein hellerer . ein vollerer Klang. 

ein bißchen Scherz, ein bißchen Ärger, 
ein bißchen Glück, ein bißchen Tück. 
hochwichtig alles für den Augenblick, 

im nächſten aber ſchon vergeſſen 

und ſchließlich auch ganz einerlei: 

ob morgen wohl ſchön Wetter ſei?! 

und wenn, wohin man abends gehe? 


und wie es da⸗ und damit ftehe?! 
und dies und das und das und dies, 
hundert kleine Was und Wie s, 
hundert kleine Wohl und Wehe. 


Das ift das Leben! erwarte nicht mehr! 
was du haft, iſt alles! niemand hat mehr! 


Es frägt ſich nur, wie's jeder faßt 
und ſchiebt und fiebt.. 

und wie du's in die Zügel ſtraffſt 
und wie du's auseinanderſpielſt 
und wieder dann zuſammenzielſt, 
damit ſich doch zuletzt ein Ganzes, 
großlinig Eigenes draus ergibt! 


— 


148 ALINA ITYDT) Lehr- und Wanderjahre 


VIII 


Den einen macht es Spaß, bei Reichen 
zu Gaſt zu ſein, 

dem andern mehr bei ſeinesgleichen 

zu Raſt zu fein 

und in erträumten Königreichen 

auf goldenem Thron 

Phantaſt zu ſein. 


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Ziel⸗ entgegen SDHC ID IND 149 


IX 


fe nur ſein zu können, 
was du ſein willſt, 

das iſt das Bittere 

in halbverlorenen, abendmüden Stunden nur 
ſtatt mit der vollen Luſt des vollen Tags 
freihaupt, gradaus, wie andre, 

die ganze Kraft zu einem Ziel zu treiben 


Daß du dir mühſam erſt aus ſchwerem Schacht 
das Eiſen graben mußt, 

die Axt zu ſchmieden, 

die dir den Weg zur Höhe bahnen ſoll: 

auf deren Gipfel du in weißem Glanz 

die Tempelburg erbaun willſt, die du träumſt 
die Tempelburg 

mit ihren goldenen Königsbannern auf den Türmen, 
mit ihren roſenüberblühten Zinnen, 
und ihrem nie verſchloſſenen Tor! 


Von allem eines wäre ſchwer genug! 


— 6 — 


150 SIIHLRDIYDYHDT) Lehre und Wanderjahre 


X 


O nur nicht müde werden! 
alles andre. 
nur nicht müde werden! 


Ich meine nicht: vom äußern Lärm des Tags, 
nicht vom Gedränge kleiner Unruhſtunden . 
das alles löſt ſich immer ganz von felbft.. 
und löſt ſich's nicht, 

fo wirf es hinter dich. 

das große Ziel nur laß dir's nicht verbiegen! 


Es kann ein trüber Tag dich wohl verſtimmen, 
es kann Enttäuſchung mißgemut dich machen, 
es kann Verdruß ob ſo viel plumpem Schwindel 
zu jähem Zorn vielleicht die Fauſt dir ballen, 
es kann dir auf die Nerven fallen: 

lohnt ſich's denn überhaupt, zu fiegen!? 


* 


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1527 SAD e Lehr- und Wanderfahre 


XI 


uf den Höhen des Lebens 
du dachteſt: 
in Ewigkeiten zu ſenken 
das trunkene Auge 
und erkennſi 
noch tiefer nur 
des ganzen Getriebs 
kernloſe Schalheit . 
auf den Höhen des Lebens! 


Auch dieſe Erkenntnis aber 
iſt .. Sieg. 


865 


aß endlich, laß dieſes Dringen und Drängen, 
dies müdemachende Zwingen und Zwängen 

was einer tun kann, haſt du getan! 

und mehr vielleicht! 

Nun mache Raft 

am grünen Hang 

es muß jetzt für ſich ſelber forgen, 

es muß ſich ohne deinen Rat 

aus eigener Kraft jetzt weiterwenden 

und ſich zu ſeinem Ziel vollenden! 


Du aber rüſte dich und reife 
zu neuen Schaffens froher Tat! 


— 


154 DDD D Dees Lehr- und Wanderjahre 


XIII 


anz ſtill zuweilen, wie ein Traum, 
klingt in dir auf ein fernes Lied. 
du weißt nicht, wie es plötzlich kam, 
du weißt nicht, was es von dir will 
und wie ein Traum ganz leis und ſtill 
verklingt es wieder, wie es kam 


Wie plötzlich mitten im Gewühl 

der Straße, mitten oft im Winter 

ein Hauch von Roſen dich umweht, 
wie oder dann und wann ein Bild 
aus längſtvergeſſenen Kindertagen 
mit fragenden Augen vor dir ſteht 


Ganz ſtill und leiſe, wie ein Traum 
du weißt nicht, wie es plötzlich kam, 
du weißt nicht, was es von dir will, 
und wie ein Traum ganz leis und ſtill 
verblaßt es wieder, wie es kam. 


Zielzentgegen DSL HICHDCHDO HDD) 155 


XIV 


itunter freilich kommen Stunden: 

und was du nie bewußt empfunden, 
gleich einem grauen Regen regnet's dir ins Herz, 
und wie ein ſcheuer Bettler bleibſt du ſtehn, 
verſtohlen durch die Hecken zu ſpähn, 

hinter denen ſie ſitzen und plaudern und lachen, 
fröhliche Menſchen in fröhlichen Kleidern 
plaudern, lachen, ſingen und küſſen 

fo leichten Bluts, 

ſo frohen Muts: 


Als ob es all das Schwere gar nicht gäbe, 
an das du ſo viel Kraft verfehlſt! 
als ob der Kampf, von dem du ſprichſt, 
und all die Müh und Sorge . nichts! 
als ob es eitel Hirngeſpinſte, 
worüber du dich härmſt und quälſt! 
; und als ob allen, die da figen 
fo kinder froh 
und ſingen und ſpielen, tanzen und küſſen, 


156 DIL) Lehre und Wanderſahre 


erfüllt ſchon längſt, 
was du als letzten Dank dir denkſt, 
als Endlohn für Jahre voll Kampf und Schmerz. 


Und wie ein grauer Regen regnet's dir ins Herz 

und wie ein Bettler drückſt du dich von dannen 
einſam 

deinen einſamen Weg. 


Ziel⸗entgegen LASAILNIIINLINILDN 157 


XV 


as aber ift das Schwere dann: 
binauszuwiffen 
über ein erreichtes Ziel und: 
nicht ftehen zu bleiben 
und fich betören: 
nun ſei's getan, 
nun gehe alles ſeinen Gang, 
nun habe alle Not ein Ende, 
am Ziele anzukommen, ſei genug! 


Ich aber ſage: es iſt nicht genug! 

ein Ziel iſt nichts! an ein Ziel bringt ſich ſeder! 
und ſtehen bleiben rechnet überhaupt nicht! 

Es gilt weit mehr, als nur ans Ziel zu kommen. 
im Großen wie im Kleinen, 

im Groben wie im Feinen: 


158 III DT) Lehr und Wanderjahre 


Es gilt: hinauszuwiſſen über das Erreichte, 
hinauszuringen über das Errungne! 

es gilt: von jedem erſtrittenen Punkt 
weiterzuwollen und weiterzuſehn 

und immer aufs neue Wege zu finden 
hochauf zu immer freieren Höhn! 


XVI 


De war ein ganzer Tiſch voll Freunde, 
und alle tranken ſie dir zu 
und alle machten mit dir Bu. 


Und ſchöne Fraun bei Küſſen und Koſen i 
kränzten die Stirn dir mit blühenden Rofen... 


Und ſchließlich 5 
biſt du doch allein gebliebe 
und einſam, wie du immer warſt. 


160 ⏑⏑⁹¼α ] Dee Lehr⸗ und Wanderfahre 


XVII 


eſter nur drück dir den Hut ins Geſicht, 
feſter nur faſſe den Stock. 
dein Weg war immer ſchon einſam genug 
über Klippen und über Geſtein 
und wird je höher zur Höhe empor 
nur noch ſteiler und einſamer ſein 
feſter drum drück dir den Hut ins Geſicht, 
feſter nur faſſe den Stock! 


Du konnteſt wie alle einſt wählen und gehn 
durch blühende Gärten im Tal 

doch es drängte nach Kampf dich, mit ſchaffender Tat 
zum Gipfel zu zwingen den ſteinigen Pfad .. 8 
und nun er ſteiler und ſteiler wird, 

und nun er dich weiter und weiter verirrt 
in ſein großes entſagendes Schweigen 
feſter nur drück dir den Hut ins Geſicht, 
feſter nur faſſe den Stock! 


Du haſt's gewollt, blick nicht zurück, 

laß hinter dir liegen, was hinter dir liegt! 
und wird es noch ſo ſtill und einſam 

und ſtarr und hart und kalt und kahl, 
ſchrick nicht zurück, du wußteſt, 

daß du verzichten mußteſt 

auf die Feſte der Menſchen im Tal. 


— 


Statſchten, Lehr-und Wanderfahre 11 


162 WEIL STHDTHEDT) Lehr- und Wanderjahre 


XVIII 


ch habe Nächte dafür geopfert, 

ich habe Herzblut daran gegeben, 
und feige Buben nun kommen und heben 
die Hand auf gegen das fertige Werk. 


Zerſchlagt, zerſchlagt es! wenn ihr könnt! 
ich glaub es nicht! jedoch . . zerſchlagt's! 
mir tut ihr nichts damit! mich trefft ihr nicht: 
ich ſteh und ſeh euch zu und lach! 


Und wenn ihr Rieſen oder ſonſt was wärt 
was es mir gab und war, indem es wurde, 
das zu zerſtören, ſeid ihr doch zu ſchwach! 


A A Are de a 4 


XIX 


leib feſt und wiſſe, was du willft 
und wie du dich zu dir erfüllſt, 
und laß dich töricht machen nicht 
durch törichtes Gerede, 
und laß dich von den Liedern, 
die ſie draußen ſingen, 
ablocken nicht von deinem Weg 
ſei ſtolz und glaube an dich ſelber 
und bleib dir treu! 


Es führen alle Wege wohl zur Kunſt, 
es führen alle Wege wohl zu Freiheit, 
denn Kunſt ſoll Freiheit ſein 

und Freiheit geben. 
Ziele, über dich ſelbſt hinaus, 
Kraft, dich über den Wandel der Tage, 
über der Dinge kleinliche Klage 


Flaiſchlen, Lehr⸗ und Wanderſahre 11* 


164 DONDOHDTIDOIDOHNDT) Lehr- und Wanderſahre 


trotz⸗ und ſiegfroh emporzuheben, 
dich und die, für die du aufwärts ringſt! 


Es führen alle Wege ſo zur Kunſt, 

doch immer mitten nur durchs Leben, 
durch Kampf und Schmerz, 

und nicht abſeits verlorene Felder entlang, 
und immer mitten nur durchs eigene Herz! 


Für jeden freilich immer nur der eine, 

den er in dunkler Knabenſehnſucht fand 

und den er weiterſchreitend durch die Jahre 
in ſtetem Reifen und in ſtetem Mühn 

mit immer freier- und lichterem Glühn 


von Höh zu Höhe ſich gebahnt. 


ep, 


8 
2 
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E 
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1 
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D 
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166 dee Lehr- und Wanderſahre 


XXI 


nd dennoch: 

Nein, ich beneid euch nicht!. 
Hell iſt mein Herz und hell mein Blick 
und hell in goldener Sonne liegt 
die Welt, ſo ſommerklar und ſchön, 
leuchtende Wolken über den Höhn 
und immer tiefer ſinkt das Tal 

und ſein Gewühl 
und alle Angſt und alles Enge, 
alle Schwere, alles Gedränge . 
und immer höher, immer breiter, 
immer lichter, immer weiter 

wird der Himmel, 

wird mein Ziel! 


en nr 
— 
— 
2 


Ziel⸗ entgegen CALDIIHINTICYHDTIDTNDTY 167 


XXII 


ur wieder kehre ich aus fremdem Lande 
und ſeines Lebens buntes Bilderſpiel 
verglüht zu ſtiller, weißer Flamme: 


Du in dir nur trägſt den Punkt, 

in dem ſich alles faßt und findet 

und löft und bindet 

Du biſt die Welt und nicht das laute 
vieldeutig immer andere Ding, 

das ſich ſo nennt, das niemand kennt 

und nichts und alles iſt! .. du biſt die Welt 
und nicht die Länder, nicht die Meere, 

die du durchquerſt in raſchem Flug, 

auch nicht was Menſchenkönnen ſchuf 


Du biſt die Welt und du allein 
und biſt du Gottes, wird ſie Gottes ſein! 


—b̃— 


168 OAIADHDTHDTIDT) Lehr und Wanderjahre 


XXIII 


ch kann euch eures Alltags Laſt nicht nehmen, 
wie mir die meine niemand nehmen kann 
und auch nicht nehmen ſoll . N 
ein jeder finde ſelber ſich zurecht, 
ein jeder trage ſelbſt, womit er ſich belädt, 
und kämpfe ſelber ſich durch Weh und Wohl! 


Was ich vermag, es iſt nicht mehr vielleicht, 
als euch in ſtiller Feierabendſtunde 

zu zeigen: 

wie es mir gleich tauſend andern ging: 
wie's mich geduckt, 

und wie ich gezuckt 

und wie ich jede Zuverſicht verlor... 

und wie ich plötzlich dann trotzig wurde: 
was andre zwingen, das zwingſt du auch! 
es gibt kein Schickſal! Verluſt und Gewinn 
iſt nur, was ich ſelber will und bin! 


Een 
* Re 


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Ziel⸗ entgegen EADILIINIZN DON 169 


Und wie ich die Arme dann frei mir rang, 
und wie ich den Kopf wieder hoch bekam, 
und wie ich zu mir ſelber fand, 

und wie ſich langſam immer klarer, 
immer freier, voller und wahrer 

aus der verſchütteten Tiefe hob: 

alles, was ich ſeit Knabentagen 

glühend in der Seele getragen! 


Und wie es Geſtalt und Leben gewann 
und ſich verwuchs und zuſammenſpann 
und höher mich und höher trug, 
Morgen, Sonne und Sommer entgegen, 
und wie's mit immer hellerem Glanze, 
mit immer freudefroherem Ruf 

mich umklang und aus des Alltags 

Laft mir Kraft und Freiheit ſchuf. 


170 rn) Lehre und Wanderjahre 


XXIV 


ch habe wohl einmal gezagt, 
ich hab auch wohl einmal geklagt, 
wie jeder zagt, 
wie jeder klagt, 
wenn Müdigkeit ihn überkam 
und ſeine Zuverſicht ihm nahm 


Und doch: ſo viel auch in die Brüche ging, 
worauf ich hoffte und woran ich hing, 

ein ſtilles frohes Lachen in der Tiefe, 

ganz fern aus Kinderzeiten her, 

hat nichts und niemand noch mir nehmen können. 
ein ſtilles frohes Lachen, ich weiß ſelbſt nicht wie: 
ganz fern aus Kinderzeiten her 

klingt ſeinen Klang es in mein Leben, 


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Ziel⸗ entgegen ILNINLINLNIHDNEN 171 


voll heimlichen Glücks, bald fern, bald nah, 
plötzlich verſtummt und plötzlich wieder da. 


Ein Lachen, weißt du, wie's im Walde lacht, 
wenn in Hochſommermitternächten, 

der Herbſtſturm in ſeine Wipfel kracht, 
ganz fein und fern wo in der Tiefe 
wie wenn ein Sonnenelfchen riefe 

und über die Rieſen ſich luſtig mache, 

die rings ihm drohn und nach ihm rennen 
und nirgend doch es faſſen können 


Ein ſtilles frohes Lachen, das da weiß, 
daß es mächtiger iſt als Schnee und Eis, 
und wenn es aufbricht aus der Tiefe 

und in die Täler niederſchwillt, 

daß es dem rauheſten Sturm zu Trotz, 
mit Sonnenmacht 

über Nacht 

die ganze Welt voll Roſen lacht. 


Ich habe wohl einmal gezagt, 
ich hab auch wohl einmal geklagt, 
wie jeder zagt, wie jeder klagt, 


172 SDADODOIDTIDTN Lehr- und Wanderjahre 


und doch dies ftille frohe Lachen 
ganz fern aus Kinderzeiten ber .. 
dies Lachen, weißt du, wie's im Walde lacht, 
wenn in Hochſommermitternächten N 
der Herbſtſturm in ſeine Wipfel kracht, 
dies Frühlingslachen, das da weiß, 
daß es mächtiger doch als Schnee und Eis, 
hat niemand noch 

und nichts mir nehmen können. 


— 


Zielsentgegen DIL HLC HDD HDOIDOND 113 


XXV 


nd immer weiter führt dein Weg 
und immer mehr legt ſich allmählich alles 
hinter dich, 
was du in Kindertagen einſt 
mit glühendem Wunſch in deine Zukunft träumteſt. 
du hätteſt bis zum letzten Reſt darum gekämpft. 


Doch wie du weiterſchreiteſt durch die Jahre 
reift eins ums andre dir von ſelbſt entgegen 
und hängt mit vollen Früchten über deinem Weg. 


Du ſiehſt es, lächelſt und . gehſt weiter! 


Du hätteſt bis zum letzten Reſt darum gekämpft 
in Kindertagen einft .. und nun 

vermiſſeſt du es kaum 

im breiten Reichtum des gewonnenen Lebens 
und wunderſt dich, es je begehrt zu haben! 


Du lächelſt und gehſt weiter, ſtill und froh 
Und ſo erfüllſt du dich an deinem Ziel, 
wie ſich allmählich ſo dein Ziel an dir erfüllt. 


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174 ISIN DTIDR) Lehr: und Wanderjahre 


XXVI 


S dacht ich auch einſt: was ich träumte 
in Frühlingsfülle müſſe es ein Mai 
ausſchütten über mich aus goldenem Horn 
und eines Morgens oder eines Abends müßten 
plötzlich 

die Berge auseinandergehn, durch die ich rang, 
und alles köſtlich in Erfüllung ſtehn, 

in Glanz und Klang. 


Und Jahr um Jahr kam und verrann 

und Ferne über Ferne hüllte 

ſich auf ... nicht eine aber erfüllte, 

was meine Sehnſucht hinter ihre Schleier ſpann! 


Nun wart ich längſt nicht mehr . 

auf ſolche Märchentage 
und glaube wie ein töricht Kind 
mein beſtes Können in den Wind! 


AJtel⸗entgegen CASH 115 


Ich will vom Leben nichts geſchenkt mehr haben! 


; 8 ich ſchaff mir ſelbſt, was ich mir wünſche! 


Tat iſt Erfüllung, nicht Gebet: 
die Ferne reift nur, was die Nähe ſät! 


8 Ich nehme mir, was ich vom Leben will 


ich will vielleicht ſo viel nicht mehr wie früher, 
doch lachend ſteht es und hält ſtill 

und blüht mir feinen Überfluß entgegen 

in reicherer Fülle, als ich je geträumt! 


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Lehr⸗ und Wanderjahre des Lebens LADYS) 177 


Inhaltsüberſicht 


Gedichte, Brief⸗ und Tagebuchblätter 


Aus den Jahren 1884 bis 1890: 
Über die Brücke 


Laß drohn, was will. 5 
4 7 
Einem Freunde 8 
Spätfommerrofen .... 11 
Wirſt du ein Engel fein 12 
Der trübe, graue Himmel 13 


Habe Geduld 14 
Es war einmal 16 
Von einem Königskinde 17 
Gott ſei Dank 19 


Ich hab's genug! .... 20 
Mein Gehirn ift müde. 21 
Ich will in die Sonne 
FF 22 
Das Schloß am Rhein 23 
Doch ich hob nicht... 26 
Voll in die Fenſter .. . 27 
Zu denen ſtets tritt offen 28 
Ich hab getröſtet 29 
Vom Notizblock 30 


Aus den Jahren 1890 bis 1892: 
Quer⸗wegein 


Treib's, wie du willft . 35 
Und wenn ich Tor bin. 36 
Wer es kann und wem's 37 
Je älter man wird. . 39 


Ich ſeh die Welt 41 
Man hätt es nicht . . . 42 
Jenſeits der Straße.. . 43 
Februarſchnee 44 


Leber auf eigene 40 So freu dich doch . . . 45 


178 DAILY Lehr- und Wanderjahre 


So ward es März... 46 
Irrte auch 48 
Ihr feid’g, die mir wehe 50 
Laub am Boden „„ 
Die Sonne finft.... 53 
Nun hat das Leben .. 55 


Singlieder (1892 bis 189%: 
Horas non numero. 56 
Sonn ' entgegen... 57 
Hab Sonne im Herzen 59 
Trutz lied „ 
Lumpenlieed ER 


Aus den Jahren 1890 bis 1894: 
Berg⸗ auf 


Meiner Mutter . 67 
Einem Freunde... 72 
Das tft das einzige .. 74 


Du fragft, was uns not 
tut, Freund? J. 76 
Einem Kinde 80 


Man findet's auch.. 82 
So drängt und treibt. 83 
Lebwohl, Kind.... 84 
Alles längſt nun .... 88 


Bleiſtiftſkizzen: Rügen 89 
„ Herbſ t.. man 90 
„Totenſonntag 92 
Was müde macht.. 9 
Ich habe Nächte 94 


Schlaf’, müde Seele, 95 
Und fo zerbrödelt.... 96 
D ja, wir find. 
Es lohnt ſich nicht.. 99 
Lied des Wanderers. 100 


Aus den Jahren 1893 bis 1896: 
Höhen⸗ entlang 


Vom Frühling: 
ehrt 103 

8 A FR . 104 
Be 106 


Von Dem und Jenem: 
„Man ſchreit und lärmt 108 


„Was ſich dir auch... 109 
„Ich darf's, du darfſt's 110 
„Nimm einen jeden . . 112 


Das iſt fo, Freund!. 113 


„Sobald ein anderer . 115 
„Faule Witze 116 


Und nehmt ihr's übel. 117 
223 119 


Ausgleich 

Im Spiel des Lebens: 
„Auf und nieder .... 120 
— lest... 121 
„Und das allein iſt's . 123 


Dem Dieter: 


„Doch nicht, was du. 125 


„Der Dinge unerkanntes 127 
‚Das Was iſt's nicht. 128 
„Frag nicht. 129 
„Mach, was du willſt. 130 
Nach Paul Verlaine: 

G 131 
„Serenade 132 
‚Im Gefängnis . 134 


Aus den Jahren 1896 bis 1899: 
Ziel⸗ entgegen 


Sylveſter. 137 
Neuſahr 139 
Sonnenkraft. 141 


Als Uberwinder . 143 
Neſtlos geht kein Tag. 144 
Wozu das Geklage.. . 145 
Das iſt das Leben... 146 
Dem einen macht es . 148 
Nebenher nur fein... 149 
O, nur nicht müde... 150 


Mitunter freilich. . 155 
Das aber ift....... 157 
Da war ein ganzer Tiſch 159 
Feſter nur drück dir . 160 
Ich habe Nächte 162 
Bleib feſt. 163 
Das iſt vielleicht... 165 
Und dennoch, nein! . 166 
Und wieder kehre ich. 167 
Ich kann euch 168 


Auf den Höhen 152 Ich habe wohl einmal 170 
Laß endlich, las. 153 Und immer weiter führt 173 
Ganz ſtill zuweilen . 154 So dacht ich auch einft 174 
Zierſtücke 
nach Originalzeichnungen von 


audwig von Hofmann, Emil Orlik und Philipp Franck. 
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Lehr⸗ und Wanderſahre 
des Lebens 


Ur⸗Satz und Druck: Offizin W. Drugulin, Leipzig 

Oktober 1899 / Zweite Auflage März 1902 / Dritte 

1904 / Vierte 1906 / Fünfte 1908 / Zehnte 1916 / 
Fünfzehnte 1917 / Zwanzigſte 1918 
Dreißigſte 1919 / Vierzigſte 1920 


Neuausgabe in Walter Tiemannſchriſt, April 1920: 
Siebenundvierzigſte Auflage u. ff. Satz und Druck: 
Buchdruckerel von E. S. Mittler und Sohn, Berlin. 
Fünfundſechzigſte Auflage und ff. Plattendruck der 
Deutſchen Verlags⸗Anſtalt, Stuttgart. 


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Vol. E. 


Gesammelte Dichtungen. 


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