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Full text of "Gesammelte Reden und Schriften"

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GESAMMELTE 

REDEN  UND 

SCHRIFTEN 


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FERDINAND  LASSALLE 

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GESAMMELTE  REDEN 
UND  SCHRIFTEN 


HERAUSGEGEBEN 

UND  EINGELEITET 

VON 

EDUARD  BERNSTEIN 


VOLLSTÄNDIGE  AUSGABE 
IN  ZWÖLF  BÄNDEN 


VERLEGT  BEI  PAUL   CASSIRER    BERLIN 
1920 


FERDINAND  LASSALLE 


GESAMMELTE  REDEN 
UND  SCHRIFTEN 


HERAUSGEGEBEN 

UND  EINGELEITET 

VON 

EDUARD  BERNSTEIN 


ELFTER  BAND: 

DAS  SYSTEM  DER  ERWORBENEN  RECHTE 
11,1 


VERLEGT  BEI  PAUL  CASSIRER,  BERLIN 
1920 


ALLE  RECHTE  VORBEHALTEN 


DRUCK  VON   OSCAR  BR ANDSTETTER,    LEIPZIG 


INHALTSVERZEICHNIS   DES  ZWEITEN 
TEILES. 

Seite 

I.  DAS    WESEN    DES    RÖMISCHEN    ERB- 
RECHTES            9 

I.  Der  Begriff  des  römischen  Erbtumes      ...      22 
II.  Die    Sacra   und    ihre    Beziehung   zum    Erbtum. 

Der  Wechsel  im  Pontifikalrecht 47 

III.  Die  Sacra  und  die  beiden  Theorien  derselben 
in  der  Stelle  des  Cicero,  De  leg.,  II,  19 — 21. 
—  Die  historische  Entwickelung  der  Sakral- 
theorie    61 

IV.  Die  römischen  Definitionen  des  Testamentes. 
Die   offenbarte   Innerlichkeit.   Ehre  und   Haß. 

Die  Sphäre  der  geistigen  Freiheit 83 

V.  Die  Erbeinsetzung.   Das  Testament  als  Wille 

des  Erben.  —  Die  bonorum  possessio      ...      88 
VI.  Die    Spaltung.    Das    reale    Hervortreten    der 

Momente  der  Idee 96 

VII.  Die   Spaltung  und  das   Moment  der  Reibung. 
Der  geschichtliche  Verlauf  desselben.  Die  lex 

Furia,  lex  Voconia,  lex  Falcidia 102 

VIII.  Das    foraielle    Gesetztsein    der    Momente    der 
Idee.  Das  testamentum  per  aes  et  libram.  Seinfe 
Selbstentwickelung  zum  prätorischen  Testament  143 
IX.  Das  Fideikommiß  und  seine  geschichtliche  Ent- 

wickelung 166 

X.  Die  testameniifactio  und  ihre  Bedingxmgen.  Das 
Testament  ein  Produkt  des  historischen  Geistes- 
begriffes des  römischen  Volkes,  und  die  testa- 
mentifactio  darum  juris  publici.  —  Die  querela 
inofficiosi 197 

5 


Seite 
XI.  Fortsetzung    der    Bedingungen   der   testamenti- 

f actio.   Der  filius.   Die  Pubertät 218 

XII.  Fortsetzung    der    Bedingungen   der   testamenti- 

factio.   Das  Wissen 225 

XIII.  Unzulässigkeit  der  ungewissen  Erbeinsetzung. 
Die  kaptatorische  Einsetzung.  Die  bedingte 
Einsetzung.  Die  objektive  und  die  Willens- 
bedingung  227 

XIV.  Das  Legat ' .    .   233 

XV.  Das   Vindikationslegat.   Seine  Wirkung,   quiri- 

tarisches  Eigentum  zu  bilden.  Der  Testator  ein 
Gesetzgeber.  Die  Sabinianer  und  Prokulejaner. 
Der  Tote  stärker  als  der  Lebende.  Das  be- 
dingte Vindikationslegat.  Die  Kontroverse  der 
beiden  Schulen  und  ihr  Ergebnis.  Die  quiri- 
tarische  Sache  und  die  Quantität.  Die  Ak- 
kreszenz      236 

XV'.  Das  Vindikationslegat  als  Präzeptionslegat      .   257 
XV''.  Der  Widerspruch  des  Vindikationslegates  und 

seine  Selbstentwickelung  zum  Damnationslegat  260 

XVr.  Das  Damnationslegat  als  das  seinem  Be- 
griff adäquate  Legat  (optimum  jus  legati). 
Die  bonitarische  Sache.  Der  Eigentumsüber- 
gang der  per  damnationem  legierten  Sache  durch 
Manzipation,  in  jure  cessio  oder  Tradition  .    .   263 

XVI^  Das  Damnationslegat  als  das  reale  Gesetzt- 
sein der  Momente  des  Erbbegriffes,  in  seinen 
drei  Formen:  als  Legat  der  dem  Erben  ge- 
hörenden Sache,  als  legatimi  rei  alienae  und  als 
legatum  rei  futurae.  —  Die  Akkreszenz  .    .    .   268 

XVII.  Das  Damnationslegat  als  das  auf  den  Erb- 
begriff, und  damit  auf  die  Totalität  der 
Erbschaft  bezogene  Legat,  oder  das  legatum 
partitionis.  —  Der  heres  ex  ccrta  re  .  .  .  .272 
XVIII.  Die  Selbstaufhebung  des  Damnationslegates. 
Das  Gesetztsein  seiner  Widersprüche,  oder  das 
legatum  sinendi  modo 278 


Seite 

XIX.  Die  historische  Entwickelung  des  Legates.  Das 
SC.  Neronianum  und  Justinian 290 

XX.  Die  Operation  des  Begriffes  seitens  des  Erben. 
Rückblick  auf  den  allgemeinen  Begriff    .    .    .   300 

XXI.  Der  Erbe.  Der  suus  heres  oder  der  Erbe 
seiner  selbst.  Der  Begriff  der  Suität.  Das 
Zwölf  tafelgesetz  und  die  Definitionen  der  Römer  302 
XXII.  Erste  Andeutung  des  Verhältnisses  des  testa- 
mentarischen zum  Intestaterbrechte.  Der  Satz 
nemo  pro  parte  testatus  usw.  Der  suus  als  die 
indifferente  Mitte  von  testamentarischem  und 
Intestatrecht 323 

XXIII.  Fortsetzung  der  Suität  und  ihrer  begrifflichen 
Folgen.    Die  Vermittelung  und  ihre    Dialektik  337 

XXIV.  Fortsetzung  der  Suität.  Die  Enterbung  und  die 
Präterition.    Die   Enterbungsformel 340 

XXV.  Fortsetzung  der  Suität.  Die  Unterschiede,  die 
innerhalb  des  Suitätsbegriffes  liegen,  als  erb- 
rechtliche Unterschiede  zwischen  den  verschie- 
denen sui 344 

XXVI.  Der  suus  und  der  Grundsatz  nemo  pro  parte 
testatus  usw.  Fortsetzung  der  Erörterung  über 
das  Verhältnis  des  Intestaterbrechtes  zum  testa- 
mentarischen. —  Die  Dialektik  des  Begriffes 
als  Ursache  der  quantitativen  Erbteils- 
unterschiede bei  Einsetzung  und  Präterition  des 

suus 353 

XXVII.  Die   Unterschiede  in  der  Exheredationsformel 

und  die  Legatshinzufügung 360 

XXVIII.  Der  necessarius  heres  oder  der  als  ein  an- 
derer gesetzte  Erbe;  der  Sklave.  —  Der  Über- 
gang zum  extraneus  heres  oder  dem  Erben  über- 
haupt  363 

XXIX.  Der  bedingte  suus  oder  der  Übergang  des  suus 

in  den  extraneus  heres 376 

XXX.  Die  Erbfähigkeit  und  ihre  Bedingungen.  — 
Der  Zeitpunkt  der  Fähigkeit.  Die  lex  Papia 
und  die  apertura  tabularam 381 

7 


Seite 

XXXI.  Die  Erbfähigkeit   und    ihre    Bedingungen;    die 

incerta  persona.  Die  geistige  Individualität  ,    .   390 
XXXII.  Die  Unteilbarkeit  und  Teilbarkeit  des  Erbtums  398 

XXXIII.  Die  Erbunfähigkeiten  der  lex  Julia  und  Papia 
Poppaea.  Der  Unterschied  im  Zejtpunkt  der 
Fähigkeit.   Der  Begriff  der  Kaduzität    .    .    .   403 

XXXIV.  Die  Identifikationshandlung  des  Erben.  Die 
Adition  und  ihre  Bedingungen.  Das  spekulative 
Wissen  und  sein  Umfang 408 

XXXV.  Die  exceptio  doli  im  Erbrecht 440 

XXXVI.  Einzelne  Folgerungen.   Die  hereditatis  petitio. 
Die  persönlichen  Rechte.  Die  Stellung  des  Irr- 
tums im  Gebiet  des  Erbrechtes  überhaupt   .    .   452 
XXXVII.  Die    Identifikation    seitens    des    Erben;    Fort- 
setzung.  Der  Wahnsinnige  und  das  Kind    .    .   477 

XXXVIII.  Die  Delation  und  das  Wissen 482 

XXXIX.  Das  jus  adeundi.  Die  Transmission.  Das  SC. 
Silanianum.  Das  Karbonianische  Edikt.  Die 
transmissio  Theodosiana  und  Justinianea  .  .  490 
XL.  Der  konkrete  Begriff  des  zivilen  Intestaterb- 
rechtes und  die  Zwölf  Tafeln.  —  Die  alte 
usucapio    pro   berede.    —    Der    Übergang   zur 

prätorischen  bonorum  possessio 511 

Beilage  zu  S.  520 646 

XLI.  Die  religiöse  Substanz  und  die  pelasglsch-etrus- 

kische  Vorzeit 687 

XLII.  Schluß 747 

II.  DAS  WESEN  DES  GERMANISCHEN  ERB- 
RECHTES  757 


I. 


DAS  WESEN   DES  RÖMISCHEN 
ERBRECHTS 


Wenn  \vir  jetzt  dazu  übergehen,  den  Beweis  für  die 
schon  in  Bd.  I,  §  2,  A.,  assertorisch  vorausgeschickte 
Behauptung  zu  erbringen,  so  werden  wir  hierdurch  die 
letzte  Quader  aufgerichtet  haben,  auf  welcher  das  Ge- 
bäude unserer  Theorie  beruht,  und  den  letzten  Anschein 
zerstört  haben,  als  gäbe  es  irgendwelche  erworbene 
Rechte,  die  nicht  aus  der  eigenen  individuellen 
Willensaktion   des   Berechtigten   entspringen. 

Zv.-ar  stellt  sich,  den  Erblasser  anlangend,  die  Erb- 
schaft zunächst  auch  schon  ganz  äußerlich  als  eine  ^illens- 
aktion  desselben  dar,  indem  sie  entweder  auf  einer  testa- 
mentarischen Willenserklärung  desselben  beruht,  oder 
aber  von  der  Intestaterbschaft  —  da,  wo  diese  nur 
beim  Unterlassen  testamentarischer  Verfügung  eintritt  — 
gesagt  werden  kann,  daß  sie  nur  durch  den  (unterlassenen) 
Willen  des  Erblassers  vermittelt  und  dem  Erben  defenert 
werde. 

Allein  selbst  wenn  diese  äußere  Beti-achtung  genügen 
könnte,  um  das  Erbtum  in  bezug  auf  den  Erblasser  als 
em.e  Willensaktion  desselben  aufzuzeigen,  so  würde  dies 
doch  offenbar  auch  entfernt  nicht  hinreichen,  die  von  uns 
aufgestellte  Behauptung  zu  rechtfertigen ;  denn  wir  stellten 
a.  a.  O.  die  Behauptung  auf :  daß  vermöge  einer  im  Erb- 
recht bestehenden  Willensidentität  zwischen  Erben 
und  Erblasser  der  Wille  des  Erblassers  zugleich  auch  als 
der  identische  Wille  des  Erben  erscheine,  und  daß 
deshalb  auch  der  Erbe  seinerseits  nicht  als  durch  eine 
Tatsache  oder  durch  den  bloßen  Willen  eines  Dritten, 

11 


sondern  als  durch  seinen  eigenen  Willen  erbend 
angesehen  werden  müsse. 

Dies  also,  daß  alle  Erbschaft  auf  der  eigenen  indivi- 
duellen Willenstätigkeit  des  Erben  beruht,  und  jene 
Willensidentität  selbst  zwischen  Erben  und  Erblasser, 
welche  die  Wurzel  dieses  Satzes  bildet,  v/äre  jetzt  zu  er- 
weisen. 

Und  zwar  muß  sie  erwiesen  werden  sowohl  seitens  des 
Erben  selbst,  als  auch  ebensosehr  noch  zuvor  seitens 
des  Erblassers,  da  dessen  äußerliche  Willenshand- 
lung als  solche  —  das  Testament  oder  dessen  Unterlassung 
—  noch  durchaus  nicht  für  unsere  Forderung  genügen 
kann,  weil  sie  immer  nur  die  willentliche  Zuwendung 
einer  bestimmten  Vermögensmasse  an  eine  be- 
stimmte Person,  aber  noch  keineswegs,  auch  nicht  seitens 
des  Erblassers,  jene  hierüber  hinausgehende,  von  uns  be- 
hauptete Willensidentität  zwischen  ihm  und  dem 
Erben  darstellen  würde. 

Die  Notwendigkeit  dieses  Beweises  bildet  also  den 
Faden,  der  die  nachfolgenden  Ausführungen  mit  dem 
ersten  Bande  verknüpft  und  an  den  geeigneten  Orten  in 
der  erforderlichen  Weise  hervorgehoben  werden  wird. 

Zum  Zweck  dieses  Beweises  aber  müssen  wir  von 
diesem  Faden  scheinbar  ganz  abgehen  und  dazu  übergehen, 
das  Wesen  des  Erbrechtes  bloßzulegen,  welches  sich 
wiederum  nur  in  der  Verschiedenheit  seines  histo- 
rischen Geistes  bei  den  verschiedenen  Nationen  erkennen 
läßt. 

Zugleich  wird  sich  uns  dabei  von  selbst,  wie  bereits 
Bd.  I,  S.  724 fg.,  bemerkt,  die  Beantwortung  der  Frage 
ergeben,  warum  im  römischen  Recht,  außer  beim  suus, 
nur  durch  Adition,  im  germanischen  Recht  aber  ipso  jure 
durch  den  Tod  des   Erblassers  der  Erwerb  der  Erb- 

12 


Schaft  bewirkt  wird.  Diese  Frage  war  es,  die  uns  am 
Schluß  des  ersten  Bandes  bei  der  Behandlung  der  formell - 
juristischen  Natur  des  Erbrechtes  entstanden  ist  und  ent- 
stehen mußte.  Aber  mit  der  Erzeugung  dieser  Frage 
war  die  formell- juristische  Behandlung  des  Erbrechtes 
eben  an  ihrer  Grenze  angelangt,  an  dem  Punkt  angekom- 
men, wo  sie  über  sich  hinausweisen  muß  auf  jene  Wissen- 
scliaft,  welche  allein  das  geistige  Wesen  des  Rechtes  her- 
vortreten zu  lassen  vermag.  Als  eine  Frage  nach  dem 
geistigen  Inhalt  des  historisch- verschiedenen  Erb- 
rechtes war  sie  zugleich  eine  Frage  nach  seinem  begriff- 
lichen Inhalt  überhaupt,  und  so  waren  wir  denn  wieder 
von  selbst  durch  den  Lauf  unserer  Untersuchung  auf  die 
Frage  zurückgeworfen,  was  es  mit  dem  realen  Wesen  des 
Erbrechtes  und  somit  auch  mit .  jener  Willensidentität  auf 
sich  habe,  und  wie  dasselbe  aufzufassen  sei. 

Es  erhellt  daher  von  selbst,  daß  unsere  Ausführungen 
sich  nicht  in  jener  Abgerissenheit  und  Isolierung  erbringen 
lassen  werden,  die  man  sonst  wohl  einem  Punkte  zu  geben 
liebt,  der  nur  als  adminikulierender  Beweis  für  ein  anderes 
Thema  auftritt.  Denn  dieser  Punkt  gehört  zu  jenen,  welche 
nichts  anderes  als  den  geistigen  Zentralpunkt  eines  ge- 
samten Institutes  darstellen  und  sich  daher  gar  nicht  ent- 
wickeln lassen,  ohne  das  Ganze  desselben  zu  seinem  gei- 
stigen Verständnis  zu  bringen. 

Ebendeshalb  mußte  es  unsere  Aufgabe  sein,  nachfolgend 
das  Wesen  des  Erbrechtes  —  und  zwar  zunächst 
des  römischen  —  zu  schreiben,  d.h.  diesem  gesamten 
Institute  überall  den  verhüllenden  sinnlichen  Schleier  ab- 
zureißen, welcher  dasselbe  bisher  der  Erkenntnis  entrückt 
hat,  und  seine  reine  Seele  überall  durch  das  Stoffliche 
hindurch  zur  durchsichtigen  Erscheinung  zu  bringen. 
Brauchten  wir  daher  unserer  Darstellung  auch  nicht  not- 

13 


wendig  ganz  die  Ausdehnung  zu  geben,  deren  sie  fähig 
wäre,  wenn  wir  beabsichtigt  hätten,  eine  Dogmatik  des 
römischen  Erbrechtes  zu  schreiben,  so  mußten  wir  ihr 
doch  jedenfalls  die  Ausdehnung  und  den  Reichtum  geben, 
welche  erforderlich  waren,  um  jene  pulsierende  Seele 
als  die  einzige  bewegende  und  gestaltende  Macht  in  allen 
Teilen  des  Erbrechtes  und  bis  in  seine  kleinsten  Gebilde 
hinein  nachzuweisen.  Hieraus  empfangen  dann  auch  noch 
die  nicht  besonders  erörterten  Punkte  dieses  gewaltigen 
Stoffes  von  selbst  ihre  Aufhellung.  Denn  was  in  dem 
Nachfolgenden  versucht  worden  ist,  ist  nicht  sowohl  eine 
Erklärung  der  einzelnen  Stellen  des  römischen  Erb- 
rechtes, durch  welche  dann  immer  nur  die  besondere,  der 
Behandlung  unterworfene  Textesstelle  gedeutet  wird;  son- 
dern es  ist  eine  Reproduktion  des  Geistes,  aus 
welchem  das  römische  Erbrecht  geflossen  ist  und  aus 
dessen  einfacher  dialektischer  Tätigkeit  sich  alle  seine  Teile, 
Abschnitte,  seine  inhaltlichen  und  formellen  Bestimmungen, 
seine  historische  Gestaltung  und  seine  scheinbaren  Ano- 
malien bis  in  ihre  detailliertesten  Punktualitäten  hinein,  wie 
wir  sehen  v/erden,  gleichsam  spielend  und  von  selbst  ent- 
wickeln. 

Es  erhellt  von  selbst,  daß  zu  diesem  Behufe  eine  nicht 
geringe  Ausführlichkeit  und  ein  selbst  noch  bei  weitem 
detaillierteres  Eingehen  auf  die  subtilsten  positiven  Einzel- 
heiten in  den  Entscheidungen  der  römischen  Rechtsquellen, 
als  sich  in  den  Werken  unserer  positiven  römischen  Ju- 
risten findet,  unabweislich  geboten  war. 

Es  war  dies  schon  deshalb  eine  unvermeidliche  Pflicht 
im  Interesse  der  Sache,  weil  jede  Wahrheit  die  Schneide 
ihres  Beweises  immer  nur  an  ihrer  Durchführung  durch  den 
ganzen  konkreten  Reichtum  ihres  Gebietes  und  durch  das  ver- 
schlungenste  Gewirr  ihrer  scheinbaren  einzelnen  Ausnahmen 

14 


besitzt.  Eiiie  gewisse  Strecke  weit  können  auch  täuschende 
Erklärungen  zuzutreffen  scheinen.  Dann  aber  verschvändet 
dieser  Schein  ;  es  treten  die  Ausnahmen,  die  Abweichungen, 
die  Widersprüche,  die  Zusammenhanglosigkeiten  ein. 

Die  Kraft,  ein  ganzes  so  umfangreiches  und  vielver- 
zweigtes Gebiet  bis  in  seine  einzelnsten  Bestimmungen  und 
scheinbaren  Ausnahmen,  bis  in  seine  kantigsten  Kristalle 
hinein  harmonisch  aus  einem  Gedanken  und  seiner  ein- 
fachen Tätigkeit  aufschießen  zu  lassen,  gehört  lediglich 
der  Wahrheit  an  und  bildet  ihr  entscheidendes  Kriterium. 
Es  muß  in  diesem  Sinne  den  positiven  Juristen  vollständig 
darin  recht  gegeben  werden,  daß  die  Wahrheit  des  Rechtes 
in  dem  ganz  Positiven  und  Einzelnen  desselben  be- 
ruhe. Natürlich!  Denn  dies  ist  eben  das  Reale,  worin 
der  Geist  in  seiner  Wirklichkeit  zutage  tritt  und  sich  von 
blassen  Allgemeinheiten  abscheidet. 

Nicht  minder  nötigte  zu  einer  größeren  Ausführlichkeit 
der  Umstand,  daß  das  Erbrecht,  um  das  Wesen  des- 
selben heraustreten  lassen  zu  können,  nicht  bloß  dog- 
matisch, sondern  ebenso  historisch  entwickelt  werden 
mußte.  Denn  eine  Hauptseite  der  Bedeutung  des  Nach- 
folgenden besteht  für  uns  darin,  den  üblichen  Unterschied 
zwischen  der  dogmatischen  und  historischen  Be- 
handlung des  Rechtes  zu  durchbrechen.  Auch  das  Dog- 
matische eines  Rechtsinstitutes  ergibt  sich  nur  aus  dem 
Verständnis  seines  historischen  Begriffes,  d.h.  des  be- 
stimmten historischen  Stadiums  des  Geistes, 
auf  welchem  sich  das  zu  betrachtende  Institut  jederzeit  be- 
findet. Dies  war  hier  darzulegen,  und  somit  durch  be- 
stimmte Leistung  das  Versprechen  zu  erfüllen  und  die 
Anschauung  zu  rechtfertigen,  die  wir  im  allgemeinen  im 
ersten  Bande  •'^)  S.  139,  über  das  V^erhältnis  des  Rechtes  zu 

1)  Bd.  IX.  S.   139  fg.  d.  Ausgabe. 

15 


seiner  Geschichte  oder  des  Naturrechtes  zum  histo- 
rischen Rechte  aufgestellt  haben.  Dazu  konnte  aber 
wiederum  die  Skizzierung  der  historischen  Gegensätze  in 
ihren  größesten  Zügen  und  Umrissen  —  der  Gegensatz 
zwischen  römischem  und  germanischem  Erbrecht  —  nicht 
ausreichen.  Vielmehr  war  dieser  große  Gegensatz  selbst 
nicht  einmal  wahrhaft  zu  verstehen,  wenn  nicht  zuvor  auf 
die  innerhalb  des  römischen  Rechtes  selbst  stattfindende 
historische  Entwickelung  eingegangen  wurde.  Nichts  hat 
mehr  das  Verständnis  des  römischen  Rechtes  verhindert, 
als  dies,  daß  man  stets  nur  von  der  justinianeischen 
Gestalt  desselben  ausgeht,  die  aber  doch  nur  ein  Letztes 
und  daher  nur  aus  dem  großen  historischen  Prozesse, 
dessen  Endpunkt  sie  bildet,  zu  begreifen  ist.  Wenn  diese 
unbefangene  Identifikation  von  römischem  Recht  überhaupt 
und  seiner  letzten  justinianeischen  Gestalt  in  offener  Form 
bei  unseren  positiven  römischen  Juristen  auftritt,  so  gilt 
sie  nicht  weniger  auch  von  den  Rechtsphilosophen,  da  diese, 
auch  wenn  sie  von  dem  früheren  Rechte  ausgehen,  doch 
von  vornherein  —  was  z.  B.  selbst  bei  Gans  im  höchsten 
Maße  der  Fall  ist  —  mit  den  Begriffen  des  justinia- 
neischen Rechtes,  und  von  ihnen  die  Seele  beherrscht,  an 
den  älteren  Rechtsstoff  herantreten  und  daher  weder  diesen, 
noch  seinen  allmählichen  Prozeß,  noch  seinen  mit  Justinian 
eingetretenen  Abschluß  desselben  zu  verstehen  vermögen. 
Wir  dagegen  werden,  wo  wir  von  römischem  Recht 
ohne  weitere  Bezeichnung  sprechen,  immer  nur  das  alte 
jus  civile  im  Auge  haben.  Von  diesem  werden  wir  aus- 
gehen und  geeigneten  Ortes  die  Notwendigkeit  und  das 
Treibende  seiner  Bewegung,  die  dialektischen  Evolutionen, 
die  es  in  diesem  Prozesse  vollbringt,  und  jenen  letzten 
Selbstverlust  seiner,  zu  dem  es  sich  nach  Durchlaufung 

16 


seiner  verschiedenen  Phasen  unter  Justinian  forttreibt,  hin- 
reichend zur  Klarheit  bringen.  Aber  trotz  dieses  fast  to- 
talen Selbstverlustes,  den  das  alte  jus  civile  unter  Justinian 
erleidet,  werden  wir  gleichwohl  sehen,  durch  welche  eigen- 
tümliche dialektische  Bewegung  in  diesem  Selbstverlust 
der  Grundgedanke  des  jus  civile  ebenso  auch  wieder  noch 
aufbewahrt  und  erhalten  bleibt.  Das  justinianeische  Recht 
ist  so  das  Residuum  eines  Prozesses,  welches  seine  Seele 
und  Bedeutung  schlechterdings  nur  aus  dem  ihmVorher- 
gehenden  empfängt. 

Eine  andere  Nötigung  zu  eingehender  Darstellung  lag 
in  der  Schwierigkeit  unserer  Position. 

Schon  das  ist  gewiß  eine  nicht  gering  zu  nennende 
Schwierigkeit,  mit  einer  Auffassung  des  römischen  Erb- 
rechtes hervortreten  zu  sollen,  welche  Savigny  wie  Gans, 
Hugo  wie  Puchta,  Huschke  wie  Böcking  und  so  vielen 
andern  berühmten  Rechtslehrem,  kurz  der  in  der  gesamten 
Rechtswissenschaft  als  selbstredend  üblichen  Auffassung 
des  Erbrechtes  gänzlich  widerspricht,  und  die  Behauptung 
aufstellen  zu  müssen,  daß  nicht  bloß  dieses  und  jenes 
einzelne,  sondern  gerade  ebenso  das  Einzelne  wie  das 
Ganze  des  römischen  Erbrechtes  bis  auf  den  heutigen  Tag 
ohne  Ausnahme  völlig  mißverstanden  und  unerkannt  ge- 
blieben sei,  ein  unenträtseltes  Geheimnis ! 

Wenn  schon  diese  Schwierigkeit  erheblich  genug  ist,  so 
ist  aber  noch  viel  bedeutender  jene  andere,  daß  wir  ge- 
nötigt sind,  die  Entwickelung  des  römischen  Erbrechtes  mit 
einer  Behauptung  zu  beginnen,  welche  auf  den  ersten  Blick 
als  das  Übermaß  aller  Paradoxie,  ja  als  eine  wahre  meta- 
physische Abgeschmacktheit  erscheinen  kann!  Wenn  un- 
sere positiven  Juristen  lesen  werden,  daß  der  Begriff  des 
römischen  Erbtumes  substantiell  nichts  mit  dem  Vermögen 
zu  tun  haben  und  letzteres  nur  gegensätzlich  berühren 

2  Lasealle.    Ges.  Scbriften.   Band   XI  I  / 


soll,  daß  der  Erbe  im  römischen  Sinne  nur  Willens - 
erbe,  nicht  Vermögenserbe  des  Toten  sein  soll,  daß 
der  begriffliche  Gegenstand  und  das  Interesse  des  römi- 
schen Erbrechtes,  ebenso  wie  seine  historische  Ent- 
stehung, gar  nicht  in  der  vermögensrechtlichen  Sphäre 
liegen  sollen ;  wenn  sie  lesen  werden,  daß  das  Testament 
keine  Vermögensverfügung  und  das  zivilistische  Erb- 
recht überhaupt  keine  Vermögenszuwendung  seinem 
Begriffe  nach  darstellen,  sondern  eine  dieser  Verstandes- 
vorstellung geradezu  entgegengesetzte  quasimetaphy- 
sisch-theologische Anschauung  zu  seinem  Inhalt  haben  soll : 
so  steht  zu  befürchten,  daß  viele  derselben  lebhaft  ge- 
neigt sein  werden,  die  Lektüre  des  Buches  lieber  da  ab- 
zubrechen ! 

Dennoch,  mögen  sie  fortfahren !  Und  keiner,  der  sich 
überhaupt  die  Mühe  nimmt  und  fähig  ist,  dem  Gedanken- 
gange des  Werkes  ernsthaft  zu  folgen,  wird,  wie  wir  ver- 
bürgen zu  können  glauben,  auch  nur  die  ersten  zwanzig 
Paragraphen  der  nachfolgenden  Untersuchungen  gelesen 
haben,  ohne  eine  zwingende  Überzeugung  sich  seiner 
bemächtigen  zu  fühlen,  die  sich  immer  mehr  und  mehr 
zu  einer  unerschütterlichen  Positivität  gestalten  wird.  — 
Wir  schreiben  keineswegs  nur  für  philosophisch  vorein- 
genommene Leser,  und  rechnen  keineswegs  auf  solche.  Es 
ist  ein  ohnmächtiger,  schlechter  und  unwahrer  Gedanke,  der 
nicht  die  Macht  hat,  aus  sich  heraus  sein  Gegenteil  zu 
überwältigen  und  sich  zu  assimilieren.  Wir  schreiben  da- 
her vorzugsweise  auch  für  die  positiven  Juristen,  mit  wel- 
chen wir  ohnehin  den  Haß  gegen  jede  solche  Philosophie, 
die  immer  nur  beim  Allgemeinen  stehen  zu  bleiben  weiß, 
vollständig  gemeinsam  haben.  Gerade  die  Gemeinsamkeit 
dieses  Hasses  aber  mag  ihnen  vorläufig  die  Gewähr  dafür 
bieten,  daß  sie  es  in  dem  Nachfolgenden  nicht  mit  un- 

18 


wirklichen  Abstraktionen  zu  tun  haben  werden,  und  sie 
veranlassen,  mit  der  anscheinenden  Paradoxie  und  Abstrak- 
tion des  —  in  Wahrheit  von  Anfang  an  durch  und  durch 
konkreten  —  Begriffes  Geduld  zu  haben,  bis  wir  die  Zeit 
gehabt,  denselben  den  konkreten  Reichtum  auch  der  realsten 
erbrechtlichen  Bestimmungen  aus  sich  erzeugen  zu  lassen. 

Selbstredend  wird  aber  jene  zwingende  Überzeugung, 
die  wir  versprochen  haben,  sich  eben  wieder  nur  herbei- 
führen lassen  durch  die  Durchführung  des  Begriffes  gerade 
durch  das  Konkreteste  und  Einzelnste  des  erbrecht- 
lichen Materials. 

^X^enn  die  ganze  ungeheuere  Mosaik  dieses  Stoffes  sich 
als  das  einem  einzigen  Begriffe  und  seinen  Ver- 
schlingungen entflossene  Gedankengewebe  aufweist,  wenn 
er  nicht  nur  bis  auf  seine  sprödesten  Punktualitäten,  son- 
dern selbst  bis  auf  alle  Kontroversen  der  alten  Schulen, 
der  Sabinianer  und  Prokule janer,  die  erst  von  hier  aus  ihre 
innere  Notwendigkeit  erblicken  lassen,  sich,  wie  wir  sehen 
werden,  in  die  einfache  dialektische  Tätigkeit  dieses  einen 
Begriffes  auflöst,  so  wird  auch  hier  der  Beweis  geführt 
sein,  daß  gerade  das  scheinbar  ganz  Metaphysisch- 
Abstrakte,  wenn  es  kein  bloß  abstrakter,  sondern 
ein  konkreter  Begriff  ist,  und  wieder  das  ganz 
Konkret- Reale  vollständig  zusammenfallen. 

Für  die  Geduld,  die  war  in  Anspruch  nehmen,  werden 
die  Resultate  reichlich  lohnen.  Wir  haben  es  bereits  ge- 
sagt, daß  dies  Resultat  in  erster  Linie  kein  geringeres 
sein  wird,  als  die  Entdeckung  des  römischen  Erbrechtes 
und  seines  geistigen  Inhaltes,  ja  des  Erbrechtes  über- 
haupt-"^).   Es  ist  aber  gar  nicht  möglich,  diese  Entdeckung 

■*■)  Denn  es  wird  sich  später  herausstellen,  inwiefern  durch 
die  Verkennung  des  römischen  Erbrechtes  auch  das  germani- 
sche verkannt  werden  mußte. 

2'  19 


zu  machen,  ohne  dabei  noch  zwei  andere  Entdeckungen  zu 
bewerkstelligen,  nämlich  jene,  was  das  römische  jus 
civile,  diese  aus  dem  innersten  Herzen  und  Eingeweiden 
des  römischen  Volksgeistes  hervorgegangene  Schöpfung, 
überhaupt  bedeutet,  und  zugleich  ■ —  wovon  man  fühlt, 
wie  sehr  es  hiermit  zusammenfallen  muß  —  welches  die 
kulturhistorische  Stellung  und  Mission  des 
römischen  Volkes  in  der  weltgeschichtlichen 
Bewegung  überhaupt  gewesen  ist. 

Wir  bemerken  endlich  noch,  daß  wir  natürlich  eine  be- 
sondere Widerlegung  der  bisherigen  Ansichten  der  Autoren 
im  allgemeinen  für  vollständig  durch  die  Natur  unserer 
Arbeit  ausgeschlossen  erachten  mußten.  Da  wir  bei  jedem 
Satze  und  gegen  alle  unsere  Vorgänger  gleichmäßig  hätten 
Front  machen  müssen,  so  hätte  sich  hieraus  nur  eine  ebenso 
müßige  wie  lästige  Ausdehnung  des  Umfanges  unserer 
Erörterungen  ergeben.  Die  wahrhafte  kritische  Wider- 
legung muß  von  selbst  in  der  positiven  Entwicklung 
unserer  Lehre  vorhanden  sein.  Und  es  war  dies  um  so 
mehr  gegeben,  als  die  Hauptpfeiler  unserer  Beweisführung 
ebenso  wie  in  der  Entwickelung  des  bisher  irrig  Er- 
klärten, so  auch  auf  der  Erklärung  dessen  beruhen,  was 
bisher  überhaupt  noch  nicht  zu  erklären  versucht  worden 
ist.  Denn  wie  in  allen  anderen  Gebieten  ging  es  natürlich 
auch  hier,  daß  man  gerade  das  für  die  bisherigen  Auf- 
fassungen ganz  Unerklärliche  entweder  überhaupt  un- 
erwähnt ließ,  oder  es  wie  ein  ganz  Selbstredendes  und 
einer  Erklärung  überhaupt  gar  nicht  Bedürftiges  be- 
handelte. 

Wir  haben  daher  nur  dann  die  Ansichten  unserer  Vor- 
gänger einer  besonderen  Rücksichtnahme  unterworfen,  wo 
dies  ausnahmsweise  im  Interesse  größerer  Schärfe  und 
Deutlichkeit  zu  liegen  schien,  oder  wo  die  sich  entgegen- 

20 


stehenden  Unrichtigkeiten  in  den  Ansichten  der  Autoren 
einen  genetischen  Wert  zur  Ent\vickelung  der  Wahrheit  zu 
haben  schienen. 

Eine  weit  häufigere  kritische  Widerlegung  als  anderen 
Autoren  haben  \vir  dem  römischen  Erbrecht  von  Gzms 
widerfahren  lassen.  Keineswegs  in  dem  Sinne,  als  wollten 
wir  eine  besondere  Polemik  gegen  dieses  Buch  richten, 
oder  den  hohen  Geist  seiner  Ausführungen  irgendwie 
leugnen  und  das  seinem  Urheber  deshalb  zukommende 
Verdienst  verkleinem,  sondern  vielmehr  gerade  nur  des- 
halb, weil  uns  dieses  Werk  seiner  allgemeinen  Richtung 
nach  am  nächsten  stand,  und  weil  es  unbedingt  die  bei 
weitem  geistvollste  unter  allen  bisherigen  Behand- 
lungen des  erbrechtlichen  Stoffes  zu  nennen  ist. 

Allein  es  ist  einmal  ein  Gesetz  der  Philosophie,  daß, 
wo  von  einem  nur  abstrakten  Begriff  ausgegangen  wird, 
keine  noch  so  geistvolle  Behandlung  es  vermeiden  kann, 
daß  sich  die  Abstraktion  desselben  auch  in  den  Resul- 
taten nicht  nur  zu  abstrakten,  sondern  fast  überall  zu 
positiv  falschen  Folgerungen  treiben  muß,  häufig  selbst 
zu  um  so  falscheren,  je  näher  man  sich  dem  wahren  und 
noch  verfehlten  Begriffe  befindet.  Aber  auch  das  bloß 
Abstrakte  bildet  in  der  geistigen  Welt  dieselbe  Ent- 
stellung sowohl  des  Ganzen  des  Bildes,  als  seiner  ein- 
zelnen Züge,  welche  in  der  körperlichen  Welt  entsteht, 
wenn  eine  Gesichtsfläche  in  einen  Zerrspiegel  geworfen 
wird.  Sowohl  die  v/irkliche  Physiognomie  als  die  fälschende 
Verziehung  derselben  durchdringen  sich  in  jedem  Punkte 
gleichmäßig.  Nur  der  konkrete  Begriff  hat  die  Macht, 
die  konkrete  Wirklichkeit  aus  sich  zu  erzeugen. 

Wegen  dieser  Inkongruenz  ist  Gans'  geistvolles  Werk 
notwendig  ohne  erheblicheren  Einfluß  auf  die  positiven 
Juristen  geblieben. 

21 


Dies  Gesetz  des  spekulativen  Begriffes  galt  es  hierbei 
beiläufig  klar  an  den  Tag  treten  zu  lassen,  und  die  Philo- 
sophie so  gegen  die  so  häufig  beliebte  Identifizierung 
ihrer  mit  dem  Abstrakten  zu  verwahren,  wozu  die  Dis- 
kussionen mit  dem  Werke  von  Gans  oft  den  besten  An- 
laß boten. 

Die  Philosophie  kann  bei  diesen  Diskussionen  nur  ge- 
winnen. Denn  es  wird  sich  zeigen,  daß  Gans  den  Geist 
des  römischen  Erbrechtes  nur  deshalb  verfehlt  hat,  weil 
er  noch  die  Seele  von  den  empirischen  Auffassungen 
des  Erbrechtes  nicht  hinreichend  gereinigt  hatte. 

Nur  die  empirischen  Verstandeskategorien  — 
nur  sie  sind  das  Abstrakte! 


I.  Der  Begriff  des  römischen  Erbtums. 

Nichts  ist  üblicher,  als  von  einer  Personenidentität 
zwischen  dem  Erben  und  Erblasser  zu  sprechen,  und  die 
römischen  Juristen  selbst  haben  sich  so  weit  zum  Bewußt- 
sein über  den  ideellen  Charakter  ihres  Stoffes  erhoben, 
daß  sie  diese  Personenidentität  als  das  Wesen  des  Erb- 
rechtes bezeichnet  haben  ^).    Dennoch  ist  diese  vom  Wesen 


^)  Vgl.  z.  B.  Novelle  48,  §  1 :  ,,.  .  .  et  haec  quidem  in 
heredibus  qul  üdem  cum  defundo  quodammodo  esse  videntiir." 
Diese  Personenidentität  ist  natürlich  auch  die  Quelle  von  der 
Auffassung  des  Erbrechtes  als  einer  successio  in  Universum 
jus  defuncti.  L.  62  de  reg.  jur.  (50,  17) :  ..Hereditas  nihil 
aliud  est  quam  successio  in  Universum  jus  quod  defunctus  ha- 
buerit."  L.  59  eod.  tit.  :  ,,Heredem  ejusdem  potestatis  jurisque 
esse,   cujus  fuit  defunctus  constat."   L.   22   de  usurp.    (41,  3). 

22 


der  Familie  hergenommene^)  und  auf  das  Erbrecht  über- 
tragene Anschauung  gerade  für  das  römische  Erbrecht  viel 
zu  weit,  also  Niel  zu  abstrakt,  um  wahrhaft  zutrefrfend  zu 
sein.  Theoretisch  genommen,  würde  diese  Anschauung,  wie 
aus  dem  Folgenden  von  selbst  hervorgehen  wird,  das  rö- 
mische Erbrecht  durchaus  nicht  hinreichend  decken,  um 
das  Wesen  desselben  wirklich  zu  erklären ;  auch  läßt  sich 
von  einer  Identität  der  Personen  nur  bei  jenem  ,,arctissi- 
mum  inter  homines  procreationis  vinculum",  wae  Valerius 
Maximus  ^)  es  mit  Recht  nennt,  also  bei  der  Bluts - 
einheit,  als  der  das  gesamte  Physische  der  Person  um- 
fassenden Grundlage  reden.  Sohn  und  Erbe  fallen  aber 
im  römischen  Recht  durchaus  noch  nicht  zusammen. 

Praktisch  festgehalten,  würde  jene  Anschauung  oft  zu 
nicht  geringen  Unrichtigkeiten  führen.  Hier  mag  genügen, 
das  eine,  an  und  für  sich  sehr  Entscheidende  dagegen  an- 
zuführen, daß  ja  gerade  die  streng  persönlichen  Rechte 

—  diejenigen,  denen  die  personae  conditio  locum  facit^) 

—  nicht  auf  den  Erben  übergehen*). 

Diese  Anschauung  wird  daher  auch  wieder  praktisch 
nicht  festgehalten,  und  trotz  jener  successio  in  Universum 
jus  defuncti  und  dem  ejusdem  potestatis  ac  juris  (s.  S.  22, 
Note  1)  wird  %veder  von  den  alten  noch  modernen  rö- 
mischen Juristen  geleugnet,  daß  alle  diese  rein  persönlichen 
Rechte  nicht  auf  den  Erben  übergehen. 

^)  Siehe  z.  B.  L.  ult.  C.  cle  impuber.  et  aliis  subst.  (6, 
26)  :    cum  pater  et  filius  eadem  esse  persona  pene  intelllgantur. 

'')  Memorab.,   Lib.  VII,  c.   7,  T.   II,  p.   89.  ed.  Blp. 

3)  Vgl.  I.  716.  und  Note  1,  2.  3  das. 

*)  Während  z.B.  noch  im  Attischen  Erbrecht  die  An- 
klagen gegen  den  Erblasser  vom  Erben  aufgenommen  werden 
müssen,  und  ebenso  auch  dem  Erblasser  erteilte  Ehren  auf 
den  Erben  übergehen;  s.  Isaeus  super  Dicaeogenis  hered.,  p.  116. 
118,  ed.   Reisk.  Bunsen,  De  jur.  heredit.   Athen.,  p.  78- 

23 


Wegen  dieser  Inkongruenz  jener  Anschauung  von  der 
Personenidentität  mit  dem  Stofflichen  des  römischen  Erb- 
rechtes kam  man  dazu,  dieselbe  näher  dahin  zu  be- 
schränken, daß  es  nur  die  ,, vermögensrechtliche 
Persönlichkeit"  des  Erblassers  sei,  welche  auf  den 
Erben  übergehe.  Allein  gerade  durch  diesen  so  plausibel 
erscheinenden  Versuch,  die  Lehre  der  römischen  Juristen 
mit  dem  materiellen  Stoffe  in  Einklang  zu  setzen,  geriet 
man,  wie  sich  zeigen  wird,  von  dem  Regen  in  die  Traufe. 
Aus  dem  abstrakten  Irrtum  geriet  man  in  den  konkreten 
und  substantiellen  Irrtum  hinein.  Diese  noch  bei  den  heu- 
tigen Autoren  unbedingt  herrschende  Auffassung  ist  min- 
destens gerade  so  alt,  als  unsere  Kommentatoren  des  rö- 
mischen Rechtes  selbst.  Beispielsweise  genüge  es,  Hugo 
Grotius  anzuführen:  ,,.  . .  vera  causa  haec  est  quod  heres 
personam  defuncti  refert,  non  in  meritis,  quae  sunt  mere 
personalia,  sed  in  bonis,  quibus  ut  cohaererent  ea  quae 
alicui  debentur  ex  ipsa  rerum  inaequalitate,  simul  cum 
dominio  fuit  introductum^)."  Es  ergab  sich  hieraus  eine 
Lehre,  welche  wir  am  kürzesten  beispielsweise  durch  die 
Worte,  in  denen  Puchta  sie  vorträgt,  charakterisieren. 
Er  entwickelt  den  Begriff  des  Erbrechtes  folgender- 
maßen^) :  ,,Das  Ganze  der  auf  Sachen  sich  beziehenden 
und  in  ihnen  ihren  Maßstab  findenden  Rechte  und  Ver- 
bindlichkeiten, die  in  einer  Person  als  ihrem  Subjekt  ver- 
einigt sind,  das  Vermögen,  soll  eine  von  dem  Leben 
der  Person  unabhängige  Dauer  haben.  Dies  wird  dadurch 
erreicht,  daß  nach  dem  Tode  die  dadurch  aufgehobene 
natürliche  Person  fortwährend  als  zusammenhaltendes  Sub- 
jekt jener  Rechtsverhältnisse  gedacht,  somit  eine  juristische 

0  De  jure  belli  ac  pacis  II,  cap.   21,  §   19   (ed.  Francof. 

1696.  p.  675). 

2)  Pandekten,  §  446  (5.  Aufl..  1850) 


Person  an  der  Stelle  der  natürlichen  angenommen  wird. 
Das  hinterlassene  Vermögen  selbst  also  trägt 
eine  Persönlichkeit  in  sich,  und  dies  ist  die  fin- 
gierte des  Verstorbenen.  Dieser  Rechtssatz  ist  eine  not- 
wendige Ergänzung  des  Vermögensrechtes,  dessen 
Verhältnisse  erst  dadurch  eine  zu  ihrer  vollen  Entwicke- 
lung  unentbehrliche  Stetigkeit  erhalten.  Mit  diesem  Insti- 
tut wird  aber  zugleich  ein  anderes  Bedürfnis  befriedigt, 
indem  der  Übergang  der  Güter  des  Verstorbenen 
an  Überlebende  damit  in  Verbindung  gesetzt  wird. 
Dieser  Übergang  soll,  um  jenen  ersten  Zweck  zu  er- 
reichen, nicht  bloß  stückweise  erfolgen,  er  soll  die  Per- 
sönlichkeit des  Verstorbenen  in  vermögens- 
rechtlicher Hinsicht  in  sich  aufnehmen  und  repräsen- 
tieren und  damit  in  das  Vermögen  als  Ganzes  ein- 
treten. Darin  liegt  der  Begriff  des  Erben,  seiner  Suk- 
zession, der  Erbfolge  und  des  Rechtes,  das  er  durch  die 
Erbfolge  erhält"  usw. 

Wenn  man  später  einen  Blick  auf  diese  Lehre  zurück- 
wirft, so  wird  man  wissen,  warum  dieselbe  durchaus,  und 
zumal  die  in  derselben  durch  den  Druck  hervorgehobenen 
Sätze,  eine  Reihenfolge  der  radikalsten  Irrtümer  dar- 
stellt. 

Hier  ist  es  noch  nicht  möglich,  diese  Irrtümer  zu 
beweisen,  sondern  nur  bezeichnen  können  wir  einst- 
weilen, worin  die  Quelle  derselben  liegt  und  warum  wir 
sagten,  daß  man  mit  jener  verbessernden  Beschränkung, 
daß  es  die  vermögensrechtliche  Persönlichkeit 
des  Erblassers  sei,  die  auf  den  Erben  übergehe,  aus  dem 
Regen  in  die  Traufe,  aus  dem  abstrakten  Irrtum  in  den 
substantiellen  und  kompakten  geraten  sei.  Diese  durch 
jene  Verbesserung  bewirkte  Verschlechterung  liegt  darin, 
daß  durch  jene  Beschränkung  der  Personenidentität,  welche 

25 


die  römischen  Juristen  selbst  unmittelbar  als  den  Gedanken 
und  die  Seele  des  erbrecbtlichen  Stoffes  aussprechen,  auf 
die  vermögensrechtliche  Persönlichkeit,  das  Ver- 
mögen und  seine  Übertragung  auf  den  Erben  zum  sub- 
stantiellen Inhalt,  zum  Begriff  und  Gegenstand  des  römi- 
schen Erbrechtes  wird ;  eine  Auffassung,  die  freilich  auf 
den  ersten  Blick  nicht  nur  als  richtig,  sondern  sogar  als 
etwas  ganz  selbstredend  Notwendiges  und  gar  nicht  Anders- 
seinkönnendes erscheint,  und  so  bis  heute  erschienen  ist. 
Es  wird  hier  das  Erbrecht  zu  einem  ,, Vermögens- 
recht", zu  einer  bloßen  ,, Ergänzung  des  Vermögens- 
rechtes", wie  Puchta  soeben  sagte;  das  Institut  des  römi- 
schen Erbtums  ist  wegen  des  Vermögens,  zum  Zweck 
einer  Übertragung  auf  den  Erben  und  zur  Befriedigung  der 
Gläubiger^)  erfunden  und  vorhanden,  weshalb  der  In- 
begriff dieser  einzelnen  Vermögensrechte  und 
-Verpflichtungen  als  eine  künstliche  ,, juristische  Per- 
son" gedacht  werde;  dieses  hinterlassene  Vermögen 
ist  es,  v/elchem  die  Persönlichkeit  des  Verstorbenen 
einwohnt,  und  das  Erbtum  hat  den  Zweck,  daß  der  Erbe 
,,in  das  Vermögen  eintrete"  und  den  Verstorbenen 
in  demselben  repräsentiere,  ja  diese  ganze  Fortdauer 
der  juristischen  Persönlichkeit  des  Erblassers  ist  überhaupt 
nur  eine  dem  Vermögen  zuliebe  —  das  hier  überall 
zur  Substanz  der  Erbschaft  wird  ■ —  und  um  seiner 


^)  Wie  sehr  letzteres  gegen  den  Geist  des  alten  jus  civile 
ist,  hätte  z.  B.  schon  das  eine  zeigen  können,  daß  sogar  bei 
der  Arrogation,  d.  h.  alsoheidemUntergangeinerselb- 
ständigenWillenssubjektivität,  deren  körperliches  Sub- 
strat sogar  noch  fortlebt,  die  Schulden  des  Arro- 
gierten  nach  Zivilrecht  untergehen:  Gajus,  IV,  §  38, 
und  III,  §  84;  und  die  Gläubiger  nur  durch  prätorische  Billig- 
keit Restitution  erlangen  können :  L.  2,  §  1 ;  L.  7,;  §  2,  3, 
de  cap.  min.  (4,  5);  L.  2  de  in  int.  rest.  (4,  1). 

26 


Behandlung  willen  erfundene  Fiktion  0  ;  alles  Sätze,  welche 
uns  soeben  von  Puchta  selbst  mit  seiner  gewohnten  Klar- 
heit vorgetragen  wurden,  und  welche  sämtlich  die  radikalste 
Verkennung  dieses  Institutes  bilden.  Die  vorgetragene  An- 
sicht ist  aber  nicht  bloß  die  Puchtas,  der  hier  bloß  als 
Repräsentant  derselben  herausgegriffen  wurde,  sondern  die 
einmütige  und  unangezweifelte  Auffassung  sämtlicher 
Autoren,  auch  der  denkendsten  unter  ihnen-),  mit  alleiniger 


^)  Also,  wenn  die  Wahrheit  dieser  Ansicht  eingestanden 
wird,  ein  bloßer  Notbehelf,  wie  dies  bei  Puchta  nicht  weniger 
deutlich  als  bei  Scheuerle  hervortritt,  welcher  (Beiträge  zur 
Bearbeitung  des  römischen  Rechtes,  Nr.  1,  S.  7,  Erlangen 
1853)  die  Erbschaft  definiert  als  ,,ein  Vermögen  mit  einem 
fingierten  Subjekt,  indem  ihre  Behandlung  als  Vermögen 
nur  ermöglicht  wird  durch  die  Fiktion  fortdauernder  Per- 
sönlichkeit des  verstorbenen  Erblassers." 

^)  Siehe  z.  B.  Böcking,  welcher  (Pandekten  des  römischen 
Privatrechtes  usw.,  2.  Aufl.  [Bonn  1853],  I,  256,  Note  14) 
die  ,, vermögensrechtliche  Persönlichkeit  des  Testa- 
tors" auf  den  Erben  übertragen  werden  läßt,  deshalb  (daselbst, 
S.  232)  in  der  ,,Sachengesamtheit,  dem  Vermögen  eines 
Verstorbenen,  eine  juristische  Person  erblickt,  daher  auch  konse- 
quent (Pandekten-Lehrbuch,  4.  Aufl.,  1852,  S.  27)  definiert : 
,,Das  Erbrecht  ist  das  Güterrecht  der  sich  auflösenden  Fa- 
milie," imd  es  als  die  notwendige  ,, Entfaltung  der  Begriffe 
Familie  und  Vermögen"  bezeichnet,  ebenso,  am  erstange- 
führten Ort,  S.  139,  Note  2,  das  römische  Erbrecht  als  ein 
,,auf  Familienrecht  beruhendes  und  aus  ihm  hervorgehendes  Ver- 
mögensrecht" erklärt  usw.;  oder  Huschke,  der  (Studien  des 
römischen  Rechtes  [Breslau  1830],  S.  233,  Note  59)  den  Te- 
stator beim  testamentum  per  aes  et  libram  seine  „Vermögens - 
freiheit"  übertragen  läßt  usw.  Ganz-  dieselbe  Auffassung 
des  Vermögens,  als  der  Substanz  des  römischen  Erbtums,  ist 
es  auch,  die  Gans  behen'scht  (s.  z.  B.  S.  173,  ,,da  das  Testa- 
ment die  Beziehung  des  testierenden  Willens  zum  Vermögen 
ist,"  oder  S.  241,  „das  Familienerbrecht  [Intestaterbrecht]  hat  seirie 

27 


Ausnahme  Savignys,  dessen  bald  zu  erwähnender,  noch 
größerer  Irrtum  ebenso  den  Gegensatz  als  die  richtige 
Konsequenz  der  eben  dargestellten  Absicht  bildet. 

Betrachten  wir  nun,  in  \velchem  Verhältnis  die  beiden 
vorgetragenen  Auffassungen,  diejenigen  der  Römer  selbst 
und  diejenigen  unserer  Autoren,  wahrhaft  zueinander 
stehen,  so  muß  klar  sein,  daß  dieselben  geradezu  einen 
Gegensatz  zueinander  bilden.  Zwar  war  dies  nicht  die 
Absicht.  Es  sollte  nur  eine  nähere  Beschränkung  an  jener 
Auffassung  der  römischen  Juristen  von  der  Personen- 
identität zwischen  Erben  und  Erblasser,  an  ihrer  De- 
finition von  der  Übertragung  des  Universum  jus  defuncti 
auf  den  Erben  vorgenommen  werden,  indem  die  auf  ihn 
übertragene  Persönlichkeit  des  Erblassers  bestimmter 
als  die  ,, vermögensrechtliche  Persönlichkeit"  des- 
selben definiert  wurde.  Es  schien  dies  um  so  unanstößiger, 
als  die  Definition  der  römischen  Juristen  ja  offenbar  zu 
weit  war,  und  diese  Beschränkung  daher  nur  wie  eine  den- 
selben aus  ihrem,  eigenen  Sinn  heraus  hinzugefügte  aus- 
sah. Aber  obwohl  dies  nicht  die  Absicht  war,  so  war 
es  doch  die  Wirkung  dieser  Beschränkung,  daß  man  da- 


Stellung  bei  der  Auflösung  der  Familie,  und  zwar  istes  selbst 
diese  Auflösung  in  der  Sphäre  des  Vermögens"  usf.^  und. 
wie  wir  später  im  einzelnen  sehen  werden,  notvvendig  bei  jedem 
Schritt  diesen  geistvollen  Mann  zum  Verfehlen  seines  Gegen- 
standes zwingen  mußte.  —  Der  nachfolgend  im  Text  entwackelte 
Widerspruch  in  dieser  Auffassung  der  Erbschaft  treibt  sich 
zur  Marter  in  einem  Aufsatz  von  Huschke  im  Rhein.  Museum, 
welcher  aber  gerade  dadurch,  daß  der  Widerspruch  hier  schon 
als  Marter  sich  selbst  fühlbar  geworden,  eigentlich  das  Höchste 
bildet,  was  bisher  in  dem  Gebiet  des  Erbrechtes  geschrieben  und 
in  diesem  Sinne  selbst  Gans  überlegen  ist.  Wir  werden  diesen 
Aufsatz  deshalb  späier  einer  eingehenden  Betrachtung  unter- 
werfen.   (Siehe  die  Beilage  zu  Nr.  XL,  S.  646  fg.) 

28 


durch  jetzt  in  einen  entschiedenen  Gegensatz  zu  der 
von  den  römischen  Juristen  bekundeten  Auffassung  gefallen 
war.  In  der  bloßen  Nebeneinanderstellung  der  Worte : 
„vermögensrechtliche  Persönlichkeit",  hatte, 
wie  das  vermöge  der  inneren  Dialektik  des  Begriffes  bei 
jeder  Zusammenbindung  zweier  begrifflichen  Gegensätze, 
ohne  ihre  innere  Dialektik  zu  bewältigen,  der  Fall  sein 
muß,  das  eine  Gegenteil  das  andere  aufgegessen,  das  Ver- 
mögen die  Persönlichkeit  verschlungen. 

So  w^enig  dies  bisher  bemerkt  worden  ist,  so  unbestreit- 
bar ist  es  doch,  und  muß  schon  nach  der  obigen  Analyse 
der  zweiten  Ansicht  evident  sein.  Von  den  beiden  Fak- 
toren, um  die  es  sich  beim  Erbrecht  überhaupt  handeln 
kann,  Person  und  Vermögen,  und  die  ihrem  Begriffe 
nach  reine  Gegensätze  sind,  war  nach  der  Lehre  der  rö- 
mischen Juristen  die  Person  das  einzige,  was  übertragen 
wird,  und  vom  Vermögen  gar  keine  Rede.  Eine 
Person  zieht  die  Haut  der  anderen  an;  und  da  sie  somit 
jetzt  diese  Person  ist,  so  ist  zwar  klar,  daß  ihr  jetzt 
auch  das  Vermögen  derselben  gehören  muß ;  aber  nur  jene 
Häutung  ist  die  Substanz,  die  Seele,  der  Begriff  dieses 
rechtlichen  Prozesses,  nicht  die  Vermögensübertragung,  die 
als  etwas  ganz  Sekundäres,  als  bloß  zufällige,  faktische 
Folge  unerwähnt  im  Hintergrunde  liegen  bleibt.  Hier  kann 
man  also  sehen,  daß,  im  Vergleich  mit  der  zweiten  An- 
sicht, die  Persönlichkeit  das  Vermögen  verschlungen  hat, 
auf  welches  gar  nicht  geachtet  wird.  Nachdem  aber,  weil 
diese  Auffassung  durch  ihre  zu  gi'oße  Ausdehnung  —  da 
ja  die  rein  persönlichen  Rechte  nicht  mitangezogen  wer- 
den —  sich  als  offenbar  unzutreffend  ergeben  mußte,  nun- 
mehr die  anzuziehende  Haut  als  die  vermögensrecht- 
liche Haut  des  Verstorbenen  bestimmt  wurde,  ist  jetzt 
das  Gegenteil  eingetreten,  und  die  Persönlichkeit,  die 

29 


durch  das  Erbinstitut  übertragen  werden  sollte,  ist  aul- 
gehoben und  überall  in  das  Vermögen  zusammen- 
gesunken. Das  Vermögen  wird  jetzt  die  Substanz  und 
die  Bedeutung  dieses  Prozesses;  die  Aufrechterhaltung 
der  einzelnen  vermögensrechtlichen  Rechte  und  Verbind- 
lichkeiten gegen  die  Gläubiger,  die  Übertragung  der 
hinterlassenen  Sachen  an  den  Erben,  kurz  überall  das 
Vermögen  und  seine  Behandlung  wird  hier  zum  Zweck 
und  Grund,  zum  Begriff  und  Inhalt  dieses  Insti- 
tutes. Wo  ist  denn  hier  noch  die  Persönlichkeit  des 
Erblassers,  die  Anschauung  von  ihrer  Übertragung  auf 
den  Erben,  die  Personenidentität  zwischen  beiden  ge- 
blieben ?  Diese  Persönlichkeit  ist  hier  überhaupt 
untergegangen;  in  ihrem  Gegenteil,  der  Sachengesamt- 
heit, dem  Vermögen,  liegt  sie  jetzt ;  sie  hat  hier  überhaupt 
keine  andere  Bedeutung  mehr,  als  eine  unlebendige, 
nur  mechanische  Fiktion  für  die  kunstgerechte  Be- 
handlung des  Vermögens  zu  sein,  d.h.  sie  wird  hier 
zu  einer  nicht  in  der  Substanz  und  Urbestimmtheit  des 
römischen  Volksgeistes  mit  Notwendigkeit  lebenden  An- 
schauung, die  wir  heute  Fiktion  nennen  können,  insofern 
wir  diese  Anschauung  nicht  mehr  teilen,  sondern  sie  wird 
zu  einer  von  den  römischen  Juristen  erfundenen, 
zu  einer  bloßen,  d.h.  als  Fiktion  gewußten  Fik- 
tion, zu  einem  juristischen  Notbehelf  für  die 
Vermögensbehandlung  (s.  oben  S.  27,  Note  1). 
Es  zeigt  sich  also,  daß,  wenn  in  der  Definition  der 
römischen  Juristen  vom  Wesen  der  Erbschaft  die  Per- 
sonenidentität die  Substanz  dieses  Begriffes  bildet  und 
der  Vermögensbegriff  von  dieser  verschlungen  bleibt,  in 
dieser  zweiten  Ansicht  umgekehrt  das  Vermögen  Sub- 
stanz geworden  und  in  den  Vordergrund  getreten  ist,  und 
die  Übertragung  der  erblasserischen  Persönlichkeit  auf 

30 


den  Erben,  so  sehr  auch  den  Worten  nach  von  ihr  die 
Rede  ist,  doch  der  Sache  nach  untergegangen  und  vom 
Vermögen  verschlungen  worden  ist,  welches  jetzt  jene 
Vorstellung,  die  uns  die  Römer  als  das  Wesen  der 
Sache  berichten,  nur  als  ein  mechanisch-fiktives  Hilfs- 
mittel in  den  Dienst  seines  ungestörten  Funktionierens  ge- 
nommen hat. 

Und  so  sehr  ist  diese  von  uns  vollzogene  dialektische 
Kritik  die  eigene  Wahrheit  dieser  zweiten  Ansicht,  daß 
sie  nicht  bloß  unsere  negative  Kritik  ist,  sondern  ebenso 
in  der  Geschichte  der  Rechtswissenschaft 
selbst  als  die  positive  Folge  jener  Ansicht  auftritt. 
Savigny  ist  es,  welcher-^)  bei  dem  Punkte,  wo  diese 
Frage  am  entschiedensten  zur  Sprache  kommen  mußte, 
bei  der  Frage  nach  der  Persönlichkeit  der  ruhenden  Erb- 
schaft, dem  Einklänge  gegenüber,  mit  welchem  die  zweite 
Ansicht  den  Autorenkreis  beherrscht,  in  den  noch  größeren 
Irrtum  verfällt,  die  Persönlichkeit  der  Erbschaft  über- 
haupt zu  leugnen,  d.h.  sie  für  eine  Fiktion  zu  er- 
klären, die  von  den  römischen  Juristen  nur  mit  Rücksicht 
darauf,  daß  Sklaven  zu  einer  Erbschaft  gehören  konnten, 
zum  Behuf  der  Erleichterung  gewisser  Erwerbungsarten 
durch  diese  Sklaven  erfunden  worden  sei  und  sich  nur 
hierauf   beschränkt  habe^);   daß   es   daher  nicht   zu 

1)  System.  II.  363-373.  §  102. 

^)  „Die  einfachste  und  natürlichste  Behandlung  dieses 
Falles  (der  ruhenden  Erbschaft),"  sagt  Savigny.  a.  a.  O.. 
S.  365.  ..wäre  ohne  Zweifel  die.  daß  man  von  dem  Tode  an 
die  Erbschaft  als  das  Vermögen  eines  noch  unbekannten 
Herrn  ansähe,  der  aber  doch  einmal  bekannt  ^verden  muß.  und 
auf  welchen  dann  alles  zu  beziehen  ist,  was  sich  in  der  Zwi- 
schenzeit mit  diesem  Vermögen  etwa  zutragen  mag.  Diese  na- 
türliche Behandlung  der  Sache  ist  es,  welche  das  römische 
Recht  nicht  gelten  lassen  will,  indem  es  an  deren  Stelle  eine 

31 


rechtfertigen  sei,  wenn  diese  Fiktion  noch  als  Bestand- 
teil des  heutigen  römischen  Rechtes  aufgestellt  werde.  — 
Wenn  die  Autoren  fast  einstimmig  wegen  dieser  Ansicht 
auf  Savigny  eingedrungen  sind  und  gegen  ihn  Front  ge- 
macht haben,  so  ist  nur  zu  verwundern,  daß  sie  nicht  ge- 
sehen haben,  wie  diese  Ansicht,  trotz  ihres  immensen  Irr- 
tumes,  doch  nur  die  unvermeidliche  Konsequenz  und 
aufgedeckte  Wahrheit  ihrer  eigenen  vorhin  ent- 
wickelten Lehre  ist.  Sie  sagt  eben  bloß  heraus,  was 
bei  ihnen  bereits  tatsächlich  vorhanden  ist.  Wenn  ein- 
mal das  Vermögen  zur  Substanz  der  Erbschaft  und  die 
Übertragung  der  Persönlichkeit  nur  eine  zum  Behuf 
der  regulären  Abwickelung  dieses  Vermögensmechanismus 
und  seiner  Funktionen  gemachte  Fiktion  ist  —  so  ist  es 
eben  eine  als  Fiktion  gewußte  Fiktion,  eine  juri- 
stische Erfindung,  em  bloßer  Notbehelf,  m  welchem 
die  Persönlichkeit  bloß  Schein  und  Hilfsmittel,  das  Ver- 
mögensroulement  das  Lebendige  und  Fungierende  ist.  Was 
liegt   denn   daran,    und   welches   ist   der   Unterschied,   ob 

Fiktion  unter  zwei  verschiedenen  Ausdrücken  setzt."  Und  nun 
sucht  er  zu  beweisen,  \vas  er  S.  373  so  zusammenfaßt :  ,,Die 
eigentümliche  Behandlung  der  ruhenden  Erbschaft  vermittels 
einer  Fiktion  beschränkte  sich  bei  den  Römern  auf  die 
Erleichterung  gewisser  Erwerbungen  durch  die  zu  der  Erb- 
schaft gehörenden  Sklaven,"  worauf  er  dann  die  Folgerung  zieht, 
daß,  weil  Sklavenerwerb  jetzt  fortgefallen,  diese  Fiktion  über- 
haupt nicht  mehr  als  ein  Bestandteil  des  heutigen  römischen 
Rechtes  dargestellt  werden  könne.  —  Und  sicher,  daß,  wenn 
der  Begriff  des  römischen  Erbtumes  das  Vermögen  wäre, 
dies  die  natürlichste  und  einfachste  Behandlung,  ja  die 
einzig  mögliche  wäre,  >vird  niemals  geleugnet  werden  kön- 
nen! Es  wird  dies  bev,fiesen  werden  durch  den  Verlauf  unserer 
Entwicklung,  und  ist  objektiv  bewiesen  durch  die  Tatsache, 
daß  solche  Erbrechte,  welche  ihre  Substanz  im  Vermögen  haben, 
in  der  Tat  von  dieser  Fiktion  nichts  wissen. 

32 


diese  als  Fiktion  gewußte  Fiktion  bloß  zur  Erklärung  und 
Vermittelung  von  nur  mehreren  einzelnen  Fällen  von  Ver- 
mögenserwerbung, oder  zur  Erklärung  und  Vermittelung 
aller  Fälle  des  Vermögensroulements  überhaupt  erfunden 
worden  ist  ?  Mit  einer  richtigen  tieferen  Ahnung  ruft 
Böcking-^)  gegen  Savigny  aus:  „Rechtsbegriffe,  wie  der 
hier  in  Rede  stehende,  sind  nicht  erfundene  Regeln!" 
Aber  eine  solche  ,, erfundene  Regel"  bleibt  ja  die  Annahme 
der  Persönlichkeit  auch  nach  der  von  ihm  vertretenen  An- 
sicht, und  muß  sie  bleiben,  wenn  das  Wesen  des  Erb- 
rechtes darin  besteht,  ,, Güterrecht"  und  ,, Entfaltung  des 
Vermögensbegriffes"  zu  sein.  Die  Quantität  oder 
Totalität  der  Fälle,  zu  deren  Regulierung  sie  dient,  macht 
an  diesem  ihrem  Charakter  einer  bloßen  juristischen  Er- 
findung, eines  für  einen,  dieser  Persönlichkeitsanschauung 
selbst  ganz  fremden,  verständigen  Zweck  —  dem  ver- 
mögensrechtlichen Bedürfnis  —  geschickt  ersonnennen 
mechanischen  Hilfsmittels  keinen  Unterschied.  Eine  sub- 
stantielle organische  Anschauung  des  Volksgeistes,  von 
welcher  jene  juristische  Fiktion  bloß  der  Ausdruck  und 
Abdruck  sei,  ist  auch  in  dieser  Ansicht  weder  aufgezeigt, 
noch  innerhalb  ihrer  nur  möglich. 

Wir  unsererseits  können  also  Savignys  Ansicht^),  so 
sehr  sie  von  den  anderen  bekämpft  wird,  kaum  als  eine 
dritte  Ansicht,  sondern  nur  als  die  mit  scharfer  Ver- 
ständigkeit ausgesprochene  Konsequenz  jener  zweiten  auf- 
fassen, als  die  objektiv  herausgetretene  Unrich- 
tigkeit und  Auflösung  derselben.  Daß  es  für  diese 

^)  Pandekten  des  römischen  Privatrechtes,  I,  232,  Note  5. 

^)  EHeselbe  ist  auch  insofern  ganz  richtig,  als,  wie 
sich  später  es  zeigen  wird,  es  durchaus  nicht  das  Sachliche 
der  Erbschaft  ist,  in  welchem  die  Persönlichkeit  derselben 
ruht. 

3  Lassalle.    Gee.    Sckriften,    Band   XL  33 


zweite  Ansicht  keine  Empfehlung  ist,  innerlich  in  dem 
nachgewiesenen  begrifflichen  Gegensatz  mit  der  Definition 
der  römischen  Juristen  zu  stehen,  leuchtet  von  selbst  ein. 
Denn  wenn  nichts  natürlicher  ist,  als  daß  ein  Volksgeist 
in  seinen  Trägern  nicht  zur  begrifflichen  Sichselbstdurch- 
sichtigkeit, zur  klaren  Selbsterkenntnis  seines  treibenden 
Inneren  zu  gelangen  braucht,  so  ist  doch  wieder  nichts  un- 
möglicher, als  daß  er  sich  in  ihnen  so  mißverstünde,  um 
das  Gegenteil  seines  Wesens  für  sein  Wesen  zu  er- 
greifen. Inzwischen  auch  bei  der  Definition  der  römischen 
Juristen  kann  aus  den  oben  angegebenen  Gründen  nicht 
stehen  geblieben  werden. 

Das  Wesen  des  römischen  Erbrechtes  muß  also  be- 
stimmter und  konkreter  aufgefaßt  werden,  als  mit  dem  zu 
weiten  und  von  der  Blutseinheit  der  Familie  entlehnten 
Begriff  der  Personenidentität  gegeben  ist.  Seine  wahrhafte 
Entwicklung  wird  nur  eine  organische,  aus  der  Sub- 
stanz des  römischen  Volksgeistes  selbst  sein  können,  und 
diese  organische  Ent\vickelung  ist  es,  zu  der  wir  jetzt 
übergehen.    — 

Das  Christentum  und  die  germanische  Welt  pflegen 
als  die  Weltstufen  bezeichnet  zu  werden,  in  denen  die 
Unendlichkeit  des  Subjektes  zum  Bewoißtsein  ge- 
kommen und  zum  Prinzip  proklamiert  worden  ist.  Dies 
ist  auch  ganz  richtig,  wenn  man,  wie  auch  in  der  Regel 
der  Fall,  unter  der  Unendlichkeit  des  Subjektes  die  Un- 
endlichkeit des  subjektiven  Geistes  als  des  >'on  aller 
Außenwelt  abgelösten  und  rein  auf  seine  eigene  Innerlich- 
keit bezogenen  Gedankenwesens  versteht. 

Dieser  Unendlichkeit  des  Subjektes,  welche  die  Un- 
endlichkeit des  Geistes  ist,  geht  aber  in  der  Geschichte 
vorher,  und  muß  in  ihr,  als  der  stufenmäßigen  Ent- 
wicklung des  Geistes,  vorhergehen,  eine  andere,  äußer- 

34 


lichere  Unendlichkeit  des  Subjektes,  die  Un- 
endlichkeit des  subjektiven  Willens  als  der  gerade  noch 
auf  die  Außenwelt  bezogenen  und  mit  ihr  als  ihrem 
Gegenstand  behafteten  Innerlichkeit  der  Person. 

Dies  ist  es,  was  die  Bedeutung  des  römischen  Erb- 
rechtes und  des  römischen  Geistes  überhaupt 
ausmacht ! 

Es  ist  eine  kurze,  naive  Stelle  Quintilians,  in  welcher 
uns,  bei  richtiger  Auffassung  derselben,  das  innerste  Ge- 
heimnis des  römischen  Geistes  offenbart  ist.  ,,Denn  nicht, 
ruft  Quintilian  aus-'^),  ,, scheint  irgendein  anderer  Trost 
über  den  Tod  vorhanden  zu  sein,  als  der  über  den 
Tod  hinausgehende  Wille." 

Die  römische  Unsterblichkeit  —  denn  dies  ist  es, 
was  wir  als  den  waliren  Sinn  dieses  Satzes  in  Anspruch 
nehmen  —  die  römische  Unsterblichkeit  ist:  das 
Testament! 

Wir  glauben,  daß  bei  wahrem  Verständnis  schon  mit 
diesem  einen  Satze  und  der  von  uns  vorausgeschickten 
kurzen  Begriffsexplikation  das  innerste  Wesen  des  römi- 
schen Geistes  entschleiert  und  die  begriffliche  historische 
Notwendigkeit  seiner  Schöpfungen  bereits  wie  mit  einem 
Schlage  hell  geworden  sein  muß.  Denn  nicht  nur  ist  da- 
mit bereits  die  wahre  Bedeutung  und  innere  Entstehungs- 
notwendigkeit des  römischen  Erbrechtes  gegeben,  son- 
dern es  ist  dadurch  auch  schon  gegeben,  warum  das  Recht 
überhaupt  erst  Schöpfung  des  römischen  Volksgeistes 


^)  Quintiliani  Declam.  CCCVIII:  ..Neque  enim  aliud  vide- 
tur  solatium  mortis  quam  voluntas  ultra  mortem.  Alioquin  po- 
lest grave  viderl  etiam  ipsum  Patrimonium,  si  non  integram 
legem  habet,  et  cum  omne  jus  nobis  in  id  permittatur  viventibus, 
auferatur  morientibus." 

3»  35 


sein  kann  und  andererseits  mit  diesem  Volke  einen  nie 
wieder  erreichten  Grad  von  Virtuosität  und  Vollendung  er- 
langt. Denn  indem  diese  Unendlichkeit  des  subjektiven 
Willens,  als  sich  auf  die  Außenwelt  beziehend  und 
diese  sich  unterwerfend,  das  Geltende  derselben  ist,  muß 
sie  diese  Außenwelt  und  ihre  Verhältnisse  als  ein  Sy- 
stem der  Willensgeltung  hervorbringen,  d.  h.  das  Sy- 
stem der  Rechtsgliederung  überhaupt  schaffen. 
Oder  die  Unendlichkeit  des  subjektiven  Willens  läßt  sich 
daher  sofort  auch  aussprechen  als  die  Unendlichkeit 
der  Rechtssubjektivität  überhaupt.  Und  die  rö- 
mische Welt  kann  sich  daher  durch  kein  späteres  Volk 
und  keinen  späteren  Gelehrtenstand  in  jener  Schöpfung 
übertreffen  oder  erreichen  lassen,  weil  dort  das  innerste 
Wesen  des  Volksgeistes  auf  sie  als  seine  eigenste 
Substanz  bezogen  ist,  wie  der  Geist  der  griechischen 
Welt  auf  die  Plastik,  der  jüdischen  auf  die  Religion. 

Zugleich  ist  damit  gegeben,  inwiefern  und  warum  ge- 
rade das  Erbrecht  als  der  eigenste  spekulative  Kern  des 
ganzen  römischen  Rechtes  erscheint  und  gerade  dieser 
Mittelpunkt  ein  Ausbau  von  so  großartiger,  eigentümlicher 
und  systematischer  Vollendung  ist,  wie  wiederum  kein 
anderer  im  römischen  Recht, 

Es  ist  ferner  damit  erklärt  die  für  uns  fast  unbegreif- 
liche Rolle,  welche  das  Testament  ebenso  in  der  An- 
schauung des  Römers  wie  in  der  Geschichte  seines  Rechtes 
spielt,  die  Bedeutung,  welche  die  testamentifactio  bei  ihm 
hat,  und  die  unvergleiche  Wichtigkeit  und  Heiligkeit,  die 
er  dem  Testament  beimißt^),  eine  Wichtigkeit,  die  sich 


■^)  Daher  das  Erdrückende  in  der  Bezeichnung  eines  inte- 
stabihs;  siehe  z.B.  Horat.  Satyr.,  II,  3,  v.  181:  .  .  .  is  intes- 
tabilis    et   sacer   esto.      Plautus,  Curcul.  Act.,  I,  sc   1 :    Semper 

36 


vollkommen  wohl  in  Parallele  stellen  läßt  mit  der  Rich- 
tung  des   Ägypters  auf  sein   Grabmal,   dessen   Bereitung 

caveto,  ne  sis  infestabilis ;  vgl.  das  ..improbus  intestabilisque 
esto"  der  zwölf  Tafeln;  s.  Gellius  Noct.  Att.,  XV,  c.  13. 
Es  wräre  sehr  irrig  zu  glauben,  daß,  weil  intestabilis  sowohl 
einen  bezeichnet,  der  kein  Testament  machen,  als  einen,  der 
kein  Zeugnis  leisten  kann,  hier  vielleicht  nur  an  letzteres  zu 
denken  sei.  Zunächst  fallen  schon  äußerlich  beide  Unfähigkeiten 
zusammen:  Gajus,  L.  26  qui  test.  (28,  1):  „Quum  lege  quis 
intestabilis  jubetur  esse,  eo  pertinet,  ne  ejus  testimonlum  reci- 
piatur  et  eo  ampllus  ut  quidem  putant,  neve  ipsi  dicatur  testi- 
monium,"  und  Ulpian,  L.  18,  §  1,  eod.  tit. :  ,,Si  quis  ob 
earmen  famosum  damnetur,  Senatusconsulto  expressum  est,  ut 
intestabilis  sit ;  ergo  nee  testamentum  facere  poterit,  nee  ad 
testamentum  adhiberi."  Woher  kommt  aber  die  römische  Ver- 
knüpfung dieser  für  uns  ganz  verschiedenen  Eigenschaften  ? 
Erst  sub  Nr.  IV  wird  die  innere  Einheit  beider  von  selbst 
klar  werden.  Wir  werden  daselbst  sehen,  daß  und  wie  das 
Testament  nichts  anderes  ist  als  eine  Selbstbezeugung  des 
Geistes  (testatio  mentis).  Wer  nicht  Zeugnis  ablegen  kann, 
kann  eben  darum  auch  diesen  höchsten  Akt  des  Bezeugens,  die 
Selbstbezeugung,  nicht  vornehmen,  welche  das  Wesen  des  Te- 
stamentes Ist,  und  dies  stellt  sich  nur  äußerlich-juristisch  so 
dar,  daß  ihm  nicht  Zeugnis  für  diese  geistige  Selbstoffenbarung 
von  anderen  geleistet  werden  kann,  ,,neve  ipsi  dicatur  testi- 
monlum," er  also  kein  Testament  machen  kann.  —  Ebenso: 
wer  diese  Selbstoffenbarung  des  eigenen  Geistes,  diese  Ver- 
lautbarung des  Inneren,  nicht  vornehmen  kann,  kann  auch  nichts 
bezeugen,  was  durch  andere  (Personen  oder  Vorgänge)  In  den 
Umfang  dieses  Geistes  hineingesetzt  worden  Ist.  Denn 
alles  Bezeugen  von  Tatsachen  usw.  Ist  als  ein  Bezeugen  von 
Wahrnehmungen,  Immer  ein  Bezeugen  des  eigenen  Inneren 
und  seiner  subjektiven  Tätigkeit.  Der  Geist,  der,  von  dieser 
Selbstoffenbarung  einmal  prinzipiell  abgeschnitten,  für  sich 
selbst  nicht  mehr  Geist  und  Subjekt  ist,  wird  es  daher  auch 
nicht  für  andere  sein,  und  somit  auch  für  andere  nicht 
Zeugnis  ablegen  können.  Beidemal  Ist  somit  das  Substantielle 
In  dem  Verhältnis  und  das  Erschütternde  bei  der  Bezeichnung 

37 


ihm  als  der  hauptsächlichste  Zweck  seines  Lebens  er- 
scheint^). 

Es  ist  eine  Stelle  des  Cicero,  nicht  minder  kurz  als 
jene  Quintilianische,  welche,  mit  den  Augen  des  objek- 
tiven Begriffes  betrachtet,  nicht  nur  mit  gleicher  Deutlich- 
keit den  Begriff  des  römischen  Erbrechtes,  sondern  sogar, 
obwohl  Cicero  das  Bewußtsein  hierüber  nicht  hat,  die 
wahrhafte  historische  Entwickelung  des  Erbrechtes  bis  zu 
den  Römern  hervortreten  läßt.  ,,Quid  procrcatio  libe- 
rorum,"  sagt  Cicero  (Tuscul.  Quaest.,  I,  c.  14),  ,,quid 
propagatto  nominis,  quid  adoptiones  filiorum,  quid  testa- 
mentomm  diligentia,  quid  ipsa  sepulcrorum  monumenta, 
quid  elogia  significant,  nisi  nos  futura  etiam  cogitare?" 
,,Was  bedeutet  die  Erzeugung  der  Kinder,  was  die  Fort- 
pflanzung des  Namens  und  die  Adoption  von  Söhnen, 
was  die  Sorgfalt  der  Testamente,  was  die  Monumente 
der  Gräber  selbst,  was  die  Inschriften  anderes  als  dies, 
daß  wir  sogar  das  Zukünftige  erwägen?" 

Wir  sagen,  daß  diese  Stelle  nur  mit  den  Augen  des 
Begriffes  betrachtet  zu  werden  braucht,  um  in  einer  das 
direkte  Bewußtsein  Ciceros  noch  übersteigenden  Weise 
den  wahrhaften  gedankenmäßigen  Verlauf  der  welthisto- 
rischen Entv\ackelung  des  Erbrechtes  und  den  spezifi- 
schen Unterschied  des  römischen  zu  ergeben. 

Die  Erzeugung  der  Kinder,  das  erste  der  von 
Cicero  erwähnten  Momente,  ist  die  natürliche  und  wahr- 
hafte   Fortpflanzung   der   Person.     Hier   ist   durch   die 


eines  intestabills  nur  diese  Unfähigkeit  des  Sichselbstbe- 
zeugens  oder  die  Testierunfähigkeit.  Vgl.  noch  unten 
S.  327.  Note  1. 

■^)  Von  hier  aus  fällt  nun  auch  sofort  auf  die  so  enge  Ver- 
bindung des  Testamentes  mit  den  religiösen  Ideen  der 
Römer  und  den  sacris  ein  helles  Licht,  worüber  später. 

38 


Identität  des  Blutes  wirkliche  Personenidentität  in 
der  Familie  vorhanden,  und  auf  dieser  natürlichen 
Personenidentität  beruht  die  erste  Hauptgestalt  des 
Erbrechtes,  das  Familienintestatrecht  der  orientalischen 
Welt. 

Das  zweite  der  von  Cicero  hervorgehobenen  Momente 
ist  die  propagatio  nominis,  die  durch  die  Adoption  be- 
wirkte Fortpflanzung  des  Namens  (nur  rednerischer- 
weise zerlegt  Cicero  die  propagatio  nominis  und  die  adoptio 
filiorum  in  zwei  Glieder).  Was  hier  wirklich  hervor- 
gebracht wird,  ist  schon  nicht  mehr  Personen-,  sondern 
Namensidentität.  Durch  sie  wird  bewirkt,  daß  der 
Name  des  einzelnen  fortlebt  in  seinem  Volke, 
und  sie  wird  daher  hauptsächlich  da  hervortreten,  wo  der 
einzelne  sich  noch  nicht  in  sein  subjektives  Wesen  zurück- 
gezogen hat,  sondern  wo  für  ihn  selbst  auf  seinemVer- 
hältnis  zu  seinem  Volksganzen  der  substan- 
tielle Wert  und  die  wahrhafte  Unendlichkeit 
seines  Wesens  beruht.  Das  auf  Adoption  beruhende 
Erbrecht  spielt  daher  konsequent  seine  Hauptrolle  in  der 
griechischen  Welt^). 

Das  dritte  von  Cicero  parallelisierte  Moment  sind  end- 
lich die  Testamente,  die  sich  im  Gegensatz  zu  der  propo- 
gatio  nominis,  in  die  er  selbst  die  Adoption  auflöst,  auch 
ohne  die  Aushilfe  jener  Quintilianischen  Stelle  von  selbst 
auflösen  in  eine  propagatio  voluntatis,  in  eine  Fort- 
pflanzung des  subjektiven  Willens  als  solchen. 
Es  ist  nicht  mehr  die  natürliche  Fortpflanzung  und  Un- 
sterblichkeit des  einzelnen,  welche  in  der  Zeugung 
der  Familie,  nicht  mehr  die  Fortpflanzung  und  Un- 
sterblichkeit  des   Namens,   welche  in  der  Adoption 


^)  Siehe  Gans,  Erbrecht,  I,  383  fg.,  315  fg. 

39 


vor  sich  geht,  es  ist  die  Fortpflanzung  und  Un- 
sterblichkeit des  subjektiven  Willens  als  sol- 
chen, w^elche  im  Testament  sich  Dasein  gibt  und  das 
Wesen  des  römischen  Erbrechtes  bildet^). 

Die  Fortpflanzung  und  Unendlichkeit  des  subjektiven 
Willens  —  als  der  noch  diesseitigen  und  auf  die  dies- 
seitige reale  Außenwelt  als  ihren  Gegenstand  bezogenen 
Innerlichkeit  des  Menschen  — ,  dies  also  ist  das  in 
seiner  Bestimmtheit  ausgedrückte  v^ahre  Wesen  des  römi- 
schen Erbrechtes. 

Das  Testament  ist  die  Weise,  in  welcher  die  Un- 
endlichkeit des  Subjektes  dem  römischen 
Geiste  aufgegangen  und  von  ihm  erobert  wor- 
den ist. 

Zugleich  hat  sich  hier  also  bereits  die  positive  Seite 
und  das  dialektische  Förtschrittsmoment  ergeben,  welches 
das  Testament  in  der  welthistorischen  Entwicklung  der 
Freiheitsidee  darstellt,  ein  positiver  Gehalt,  -welchen  Gans 

^)  Gans  tut  daher  Cicero  sehr  unrecht,  wenn  er  (Erbrecht, 
II,  148)  von  diesen  Worten  desselben  tadelnd  sagt:  , .Cicero 
stellt  hier  die  fleißige  Abfassung  der  Testamente  auf 
gleiche  Linie  mit  den  substantiellsten  Forderungen  der  Fa- 
milie, des  Geschlechtes  und  der  Religion."  Es  liegt  hierin  ein 
gänzliches  Verkennen  der  objektiven  Idee  des  Testamentes  und 
des  oben  aufgezeigten  wahrhaften  Gedankens  der  Ciceroniani- 
schen  Stelle.  Cicero  will  beweisen,  daß  die  Menschen  auf  die 
Zeit  nach  ihrem  Tode  sehen  (futura  cogitare),  und  erfaßt 
ganz  richtig  diese  Selbstkontinuation  seiner  als  den  gemein- 
schaftlichen Grundgedanken  der  drei  analogen  und  den- 
noch differenten  Institute,  der  Familie,  der  Adoption  und  des 
Testamentes,  in  welchen  das  Privatrecht  diese  Verewigung  des 
Individuums  vollzieht.  Zugleich  ist  in  dem  Testament  der  histo- 
rische Fortschritt  anzuerkennen,  daß  hier  das  Wesen  der  Per- 
sönlichkeit in  die  von  der  Unmittelbarkeit  derselben  be- 
freite Innerlichkeit  des  Willens  gesetzt  ist. 

40 


vollkommen  übersieht,  wenn  er  dem  römischen  Testament 
immer  nur  seine  negative  Seite  und  Kritik,  ,,die  Leerheit 
und  Willkür  seines  Setzens",  entgegenhält^).  So  richtig 
dies  für  heute  sein  mag,  so  wesentlich  ist  es,  zuvor  das 
affirmative  Moment  zu  begreifen,  welches  die  römische 
Testamentsidee  darstellt,  und  welches  gerade  darin  be- 
steht, in  die  von  der  Schranke  der  natürlichen  und  ge- 
schlechtlichen Unmittelbarkeit  befreite  reine  Inner- 
lichkeit des  Willens  das  Wesen  und  die  Unendlich- 
keit der  Subjektivität  verlegt  zu  haben.  Dieser  Triumph 
der  reinen  Willensfreiheit,  der  abstrakten  Innerlich- 
keit, ist  es,  welche  das  Römertum  befähigt,  die  unmittel- 
bare dialektische  Vorstufe  für  die  noch  tiefere  und  ab- 
straktere Innerlichkeit  des  christlichen  Geistes  zu  werden. 
Soll  aber  der  subjektive  Wille  sich  wahrhaft  als  un- 
endlich setzen,  trotz  der  ihm  in  der  Sterblichkeit  der 
Person  entgegenstehenden  Grenze,  so  kann  er  diese  End- 
lichkeit nur  dadurch  überwinden,  daß  er  die  Gewalt  hat, 
aus  seiner  freien  Innerlichkeit  heraus  eine  andere  Person 
zu  seinem  Fortsetzer  und  Träger  zu  ernennen,  und 
so  eine  andere  Willensperson  zum  fortlaufenden  Dasein 
seiner  selbst  zu  machen-).    Es  würde  für  die  Unendlich- 


1)  Siehe  Gans  allerwärts  z.  B.  II.  31  fg..  175,  183  fg.. 
232  fg.  u.  a.  a.  O. 

^)  Wie  schon  aus  dem  Bisherigen  hervorgeht,  behandeln  wir 
einstweilen  den  testamentarischen  Erben  immer  als  den 
Erben  überhaupt,  also  als  den  gemeinschaftlichen  Reprä- 
sentanten von  Testaments-  und  Intestaterbtum.  Das  beson- 
dere Verhältnis  von  testamentarischem  und  Intestaterb- 
recht zueinander,  und  der  Unterschied  und  Gegensatz  zwischen 
ihnen,  der  unbeschadet  ihrer  Einheit  besteht,  wird  und  kann 
erst  später  (in  den  Nrn.  XXII,  XXVI,  XL)  zur  Entwicklung 
gelangen.  Dort  wird  sich  dann  auch  unsere  Berechtigung,  den 
testamentarischen   Erben  als  den  gemeinschaftlichen  Repräsen- 

41 


keit  des  Willens  nicht  ausreichen,  wenn  er  nur  eine  Ver- 
fügung über  die  Verteilung  des  Vermögens  nach  dem  Tode 

tanten  von  testamentarischem  und  Intestaterbrecht  zu  nehmen, 
entscheidend  und  konkret  nachweisen.  Hier  kann  dieselbe  nur 
vorläufig  mit  den  beiden  Gründen  belegt  werden:  daß  doch 
offenbar  testamentarischer  und  Intestaterbe  den  gemeinsamen 
Begriff  haben,  zivilrechtliche  Erben  zu  sein,  und  zwei- 
tens, daß  doch  auch  schon  das  bloße  Gefühl  häufig,  wenn  auch 
unklar  genug,  herausfühlt  und  herausgefühlt  hat,  daß  der  testa- 
mentarische Erbe  die  eigentliche  Spitze  und  der  Gipfel  des 
römischen  Erbrechtes  sei.  Er  wird  sich  uns  eben  als  die  ad- 
äquateste Realität  des  römischen  Erbbegriffes  er- 
geben. An  ihm  müssen  daher  die  realen  Momente  dieses  Be- 
griffes bloßgelegt  werden,  und  dann  erst  kann,  da  ja  nie  alles 
auf  einmal  gesagt  werden  kann,  zu  dem  Unterschiede  Innerhalb 
des  Erbtumes  übergegangen  werden.  Wir  sind  daher  zu  dieser 
vorläufigen  Identifikation  alles  Erbtums  mit  dem  testamentari- 
schen ebenso  berechtigt  wie  genötigt.  Freilich  wird  jener  schon 
durch  die  äußere  Wichtigkeit,  mit  welcher  die  Römer  den  testa- 
mentarischen Erben  behandeln,  gefühlsmäßig  eingeräumte  Satz, 
daß  er  die  höchste  Entfaltung  des  römischen  Erbrechtes  sei, 
auch  wo  er  zugegeben  wird,  immer  nur  so  ganz  im  allgemeinen 
zugegeben.  Sowie  bestimmt  auf  das  Verhältnis  des  testamen- 
tarischen zum  Intestaterbrecht  eingegangen  wird,  ist  die  herr- 
schende Ansicht  vielmehr  die  ganz  entgegengesetzte.  Hier  wird 
vielmehr  und  zwar  von  den  trefflichsten  Autoren  gelehrt:  das 
Prinzipale  des  Erbrechtes  sei  das  Intestaterbrecht  als 
das  Vermögensrecht  der  Familie.  Erst  aus  ihm  habe  sich 
die  Befugnis  des  abweichenden  Verfügens  entwickelt.  So  de- 
finiert z.B.  Böcking  in  einer  schon  oben  (S.  27,  2)  bezeichneten 
Stelle  das  Erbrecht  als  das  ,, Güterrecht  der  sich  auflösenden 
Familie,"  nennt  es  (Pandekten  des  römischen  Privatrechtes, 
I,  130,  Nr.  2)  „ein  auf  Familienrecht  beruhendes  und  aus  ihm 
hervorgehendes  Vermögensrecht,"  und  das.  S.  130,  Note  8, 
sagt  er  ganz  bestimmt:  ,,Es  wird  sich  im  dritten  Buche  heraus- 
stellen, daß  auch  nach  römischer  Rechtsansicht  alles  Erb- 
recht eigentlich  ein  Recht  der  Familienglieder,  das  te- 
stamentarische Erbrecht  nur  aus  der  Möglichkeit  und 

42 


getroffen  hat.  Denn  hiermit  würde  die  Dauer  des  erb- 
lasserischen Willens  nur  einen  Moment  lang  über  seine 

Statthaftigkeit  hervorgegangen  ist,  das  natürliche  Element 
in  dem  sittlichen  Bande  der  Familie  zu  ersetzen."  Ebenso 
nennen  Mommsen,  Jhering  u.  a.  das  Testament  mit  Bezug  auf 
das  testamentum  calatis  comitiis  eine  „Dispensation  von 
der  gesetzlichen  Erbfolge"  usw^. 

Gewiß,  wäre  dem  so,  so  würde  unser  Weg,  von  dem  testa- 
mentarischen Erben  auszugehen,  als  ein  prinzipiell  falscher  Weg 
notwendig  zu  einem  falschen  Ziele  führen  müssen.  Aber  nicht 
nur  dahin  führen  würde  er,  sondern  unser  Begriff  hätte  von 
Haus  aus  schon  inhaltlich  das  Falsche  In  sich.  Bereits  muß 
der  inhaltliche  Gegensatz,  in  welchem  der  von  uns  auf- 
gestellte römische  Erbtumsbegriff  zu  der  eben  referierten  Auf- 
fassung steht,  klar  genug  sein.  Denn  nach  ims  besteht  der  Be- 
griff und  die  historische  Bedeutung  des  römischen  Erbtums  ja 
gerade  darin,  daß  dem  subjektiven  Willen,  und  somit 
auch  durch  die  reine  Willensinnerlichkeit,  frei  von 
aller  Unmittelbarkeit  und  allen  Banden  der  Natürlichkeit,  des 
Blutes  und  der  Familie,  fortexistierende  Unendlichkeit  gegeben 
werde.  Es  ist  die  Innere  Unendlichkeit  des  subjektiven  Willens, 
die  sich  zum  Bewußtsein  gekommen  ist  und  zu  Ihrer  Realisierung 
die  Schranken  des  Todes  bricht.  Darum  kann  sie  auch  in  dieser 
Selbstrealisierung  nichts  anderes  als  sich  selbst,  diese  Willens- 
unendlichkeit, ausführen  und  an  keinen  anderen  Inhalt  gebun- 
den sein. 

Es  zeigt  sich  aber  auch  sofort,  daß  die  referierte  Ansicht  der 
Autoren  über  das  Verhältnis  des  testamentarischen  zum  Intestat- 
erbrecht, wie  unvermeidlich  sie  auch  war,  wenn  man  einmal 
vom  Vermögen  als  der  Substanz  des  Erbtums  ausging,  doch 
einen  der  radikalsten  und  größten  Irrtümer  darstellt, 
der  auf  dem  Gebiete  des  Erbrechtes  überhaupt  möglich  ist, 
und  der  mit  allem  Positiven  und  Historischen  des  römi- 
schen Rechtes  In  dem  grundsätzlichsten  Gegensatz  steht. 
Während  nach  dieser  Ansicht  das  Intestaterbrecht  das  Prinzi- 
pale des  Erbrechtes  ist  und  das  testamentarische  nur  die  Be- 
deutung eines  erlaubten  Abwelchens  und  Ersetzens  hat, 
gilt  bei  den  Römern  gerade  das  Umgekehrte,  daß  das  Testa- 

43 


natürliche  Dauer  hinaus  verlängert,  dann  aber  dennoch 
erloschen  sein.  Soll  also  mit  dem  spekulativen  Begriff 
Ernst  gemacht  werden,  und  soll  der  von  uns  entwickelte 
Begriff  wirklich  die  Seele  des  römischen  Testamentes  sein, 
so  müßte  die  wahre  Bedeutung  des  Testamentes  nicht  so- 
wohl darin  liegen,  daß  eine  Verfügung  über  die  hinter- 
lassenen  Vermögenssachen  getroffen,  sondern  darin, 
daß  ein  Willenssukzessor  geschaffen  ist,  und  beides 
müßte  nur  zufällig  miteinander  zusammenfallen,  ebenso- 
wohl aber  auch  sich  trennen  und  auseinandertreten 
können,  und  gerade  bei  dieser  Trennung  müßte  dann 
ganz  deutlich  hervortreten,  vAe  die  Bedeutung  des  Testa- 
ment das  Prinzipale  ist  und  das  Intestaterbrecht  nur  subsi- 
diäre Bedeutung  hat.  Ulpian,  L.  39  de  acqu.  vel  om.  her. 
(29,  2) :  „Quamdiu  potest  ex  testamento  adiri  hereditas,  ab 
intestato  non  defertur."  Das  Intestaterbrecht  soll  also  über- 
haupt nur  platzgreifen  ganz  subsidiär,  wenn  nicht  testiert 
worden  ist !  Eigentümliches  Schicksal  der  nichtspekulativen,  juri- 
stischen Verstandesbetrachtung,  daß  sie  stets  mit  ihrem  Stoff 
und  ihren  Quellen  in  den  entschiedensten  Widerspruch  treten 
muß!  Nicht  weniger  aber  wie  ihrem  dogmatischen  Stoffe 
widerspricht  jene  Ansicht  dem  historischen  Gange  des- 
selben ;  denn  während  das  älteste,  mit  Gewißheit  bekannte  Recht, 
das  Zwölf  tafelrecht,  absolute  Freiheit  des  Testierens  ge- 
währt und  von  jeder  Rücksicht  auf  die  Familienglieder  ent- 
bindet, erkämpft  sich  das  wirkliche  Familienrecht  (das 
Erbrecht  der  Kognaten)  erst  langsam  und  schrittweise  und  nur 
durch  prätorische  Hilfe  in  Rom  seine  Anerkennung  (vgl.  später 
über  die  querela  inofficiosi,  Nr.  X).  Und  drittens  ist  das 
alte  zivile  Intestaterbrecht  —  abgesehen  von  seinem  sub- 
sidiären Charakter  —  etwas  ganz  anderes  als  ein  Familien- 
erbrecht in  dem  hierbei  gemeinten  Sinne,  wie  wir  später  sehen 
werden. 

Um  nichts  richtiger  als  die  geschilderte  Ansicht  ist  aber  jene 
von  Gans,  nach  welcher  das  Intestaterbrecht  zwar  nicht  das 
Prinzipale  des  Erbrechtes,  und  das  testamentarische  bloß  sein 

44 


mentes  nicht  in  der  Verfügung  über  das  Vernrögen, 
sondern  in  der  Hervorbringung  einer  Willens- 
kontinuität besteht. 

Und  wie  dies  hier  als  ein  Postulat  des  apriorischen 
Begriffes  der  Unendlichkeit  des  subjektiven  Willens  von 
der  Seite  seiner  Dauer  entv^^ickelt  worden  ist,  so  kann 
ganz  die  entsprechende  Konsequenz  auch  aus  dem  In- 
halt des  Willensbegriffes  entwickelt  werden.  Soll  die 
Unendlichkeit  des  subjektiven  Willens  das  sein,  was 
durch  das  Testament  bewirkt  wird,  so  kann  die  Willens- 
innerlichkeit des  Testators  ebensowenig  an  dem  Ver- 
mögen desselben  seine  Grenze  haben,  wie  die  Willens- 
Surrogat,  heide  vielmehr  einander  gleich  gegenüberstehende  kämp- 
fende und  unversöhnte  Gegensätze  sind,  deren  Kampf  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  des  römischen  Rechtes  ausmache,  ein 
Dualismus,  in  welchem  das  Intestaterbrecht  das  substan- 
tielle Prinzip  (die  Seite  der  Familie),  das  testamentarische 
dagegen  die  leere  Willkür  darstelle.  Es  sind  das  alles  lauter 
Gegenteile  des  Richtigen,  wodurch  die  Bedeutung  des  römi- 
schen Rechtes  und  seiner  Geschichte  geradezu  auf  den  Kopf  ge- 
stellt wird. 

Wir  werden  auf  alle  diese  Punkte  später  näher  zurück- 
konmien,  wenn  erst  die  Grundlagen  zu  ihrer  entscheidenden 
Lösung  gelegt  sein  werden.  Hier  genügt  es,  gegen  Gans  darauf 
aufmerksam  zu  machen,  daß  der  koordinierte  und  gleichbe- 
rechtigte Dualismus,  den  er  dem  testamentarischen  und  Intestat- 
erbrecht als  ihre  Stellung  zueinander  anweist,  durch  den  römi- 
schen Hauptginindsatz  von  der  nur  subsidiären  Bedeutung  alles 
Intestaterbrechtes  ebenso  sehr  widerlegt  wird,  wie  die  erste 
Ansicht.  —  Hier  genügt  es  hervorzuheben,  daß,  wenn  es  römi- 
scher Hauptgrundsatz  ist,  das  Intestaterbrecht  habe  nur  sub- 
sidiäre Bedeutung,  es  somit  der  durchaus  angemessene 
und  absolut  notwendige  Weg  ist,  zuerst  das  testamentarische 
Erbtum  als  den  prinzipalen  Repräsentanten  des  Erb- 
tums  überhaupt  zu  entwickeln  —  und  sich  dann  erst  mit 
seinem   Surrogat  zu  beschäftigen. 

45 


innerlicKkeit  irgendeines  lebenden  Menschen  an  seinem 
Vermögen  ihre  inhaltliche  Grenze  hat.  Der  Wille  ist 
vielmehr  eine  freie  Innerlichkeit,  die  sich  auf  die  ge- 
samte Außenwelt  als  ihren  Gegenstand  bezieht,  und 
das  Vermögen  eines  Menschen  bildet  nur  das  unmittel- 
bare Dasein  und  die  schon  vorhandenen  realen  Aus- 
führungsmittel dieses  Willens,  aber  nicht  seine  inhalt- 
liche Grenze.  Es  müßte  also,  wenn  der  spekulative  Be- 
griff in  seinem  Rechte  sein  soll,  der  Wille  des  Testators 
sowohl  über  die  Grenze  seines  Vermögens  hinaus- 
greifen,  als  sich  überhaupt  von  demselben  ganz 
trennen  können,  und  es  müßte  sich  daher  auch  von 
hier  aus  nicht  nur  die  ideelle  Bedeutung  ergeben,  daß,  so 
paradox  dies  zunächst  klingt,  der  Testator  auf  den  Erben 
nicht  sein  Vermögen,  sondern,  auch  wo  beides 
zusammengeht,  nur  seinen  Willen  (und  ersteres 
lediglich  als  Akzessorium  des  letzteren)  vererbt;  sondern 
es  müßte  sogar  zur  deutlicheren  Bestätigung  dieser  speku- 
lativen Wahrheit  auch  von  hier  aus  wieder  die  reale 
Trennung  und  Auseinanderhaltung  beider  Mo- 
mente auch  tatsächlich  eintreten  können,  und 
diese  Trennung  gerade  das  echtere  und  reinere,  das 
spezifische  Verhältnis  des  Erbtumsbegriffes  bilden. 
Was  in  dem  Vorstehenden  als  die  strengen  Konse- 
quenzen des  apriorischen  Begriffes  entwickelt  wor- 
den ist,  das  ist  vorläufig  aufs  schärfste  festzuhalten.  Denn 
diese  ganze  entwickelte  Ideenreihe,  bis  in  ihre  rigoro- 
sesten Folgerungen  hinein,  und  besonders  auch  der  zu- 
nächst so  paradox  klingende  Satz,  daß  der  Erbe  nicht 
das  Vermögen,  sondern  den  Willen  des  Erblassers 
erbt,  und  daß  deshalb  auch  beides,  Erbtum  und  Ver- 
mögen, in  reale  Trennung  auseinander  treten  kann  und 
selbst  muß,  ja  sogar  daß  diese  Trennung  gerade  das 

46 


begrifflich -reinere,  echtere  und  spezifischere  und  darum 
bessere  Dasein  des  zivilistischen  Erbtums  bildet,  wird 
sich  im  Verlauf,  und  zwar  sehr  bald,  als  das  Reale  des 
römischen  Erbrechtes  ergeben,  und  es  wird  sich 
zeigen,  wie  gerade  nur  hierin  der  wahre,  stets  über- 
sehene Schlüssel  zu  dem  Wesen  des  römischen  Erbrechtes 
liegt,  ohne  welchen  das  Verständnis  desselben  daher  durch- 
aus verschlossen  und  unzugänglich  bleiben  mußte.  —  Zu- 
nächst haben  wir  aber  noch,  ehe  wir  uns  zu  dem  for- 
malen und  realen  Testamentsrecht  selbst  wenden  können, 
im  Interesse  systematischer  Aufhellung  eine  Grundlage  des- 
selben zu  betrachten. 


II.  Die  Sacra  und  ihre  Beziehung  zum  Erbtum. 
Der  Wechsel  im  Pontif ikalrecht. 

Schon  oben  haben  wir,  als  wir  jenes  intestabilis  et  sacer 
und  jener  unvergleichlichen  Heiligkeit  und  Wichtigkeit  ge- 
dachten, die  der  Römer  dem  Testament  beimißt,  als  wir 
hierbei  den  Vergleich  mit  der  Richtung  des  Ägypters  auf 
sein  Grabmal  zogen,  dessen  Bereitung  ihm  als  der  haupt- 
sächlichste Zweck  seines  Lebens  erscheint,  hierzu  die  Be- 
merkung gemacht  (S.  36  und  37),  daß  von  hier  aus  nun 
ein  helles  Licht  auf  die  enge  Verbindung  fällt,  in  welcher 
das  Testament  mit  den  religiösen  Ideen  der  Römer 
und  speziell  mit  den  sacris  gestanden  habe.  Aber  schon 
mit  der  ersten  Begriffsentwickelung,  schon  mit  dem  Satze : 
,,die  römische  Unsterblichkeit  ist  —  das  Testament", 
mußte  die  innere  Notwendigkeit  und  der  bestimmte  be- 
griffliche Zusammenhang  dieser  Verbindung  fühlbar  zu- 
tage getreten  sein. 

47 


Nach  den  bisherigen  Auffassungen  des  Erbrechtes  war 
dies  keineswegs  der  Fall.  Zwar  die  Tatsache  der  Ver- 
bindung des  Testamentes  mit  der  religiösen  Substanz  der 
Römer  transpirierte  von  zu  vielen  Seiten  her,  der  Zu- 
sammenhang der  Sacra  mit  demselben  war  durch  zu  viele 
Zeugnisse  positiv  überliefert,  um  nicht  in  dieser  positiven 
Tatsächlichkeit  anerkannt  zu  werden.  Aber  hierbei 
hatte  es  auch  sein  Bewenden.  Nicht  einmal  die  Frage 
nach  dem  bestimmten  inneren  Grunde  dieser  so  engen  Ver- 
bindung \Nairde  aufgeworfen.  Und  doch  nimmt  man  es 
offenbar  viel  zu  leicht,  wenn  man  dieselbe  als  eine  bei 
der  Natur  des  testamentarischen  Aktes  ganz  selbstredende 
und  keiner  Erklärung  bedürftige  betrachtet  I 

Wenn  Cicero  fragt:  ,,Denn  was  geht  denn  den  Pon- 
tifex  das  Recht  der  Scheidemauera  der  Häuser,  oder  der 
Gewässer,  oder  überhaupt  irgendeins  an  ?"  ^),  so  ist  ebenso 
allen  Ernstes  weiter  zu  fragen :  Was  geht  ihn  das  Testa- 
ment an,  wenn  dieses  doch  nur  eine  Vermögens- 
verfügung und  das  Erbrecht  also  ein  Vermögens- 
recht, wie  jene  andere,  bildet?  Und  es  würde  dann 
in  der  Tat  das  römische  Pontifikalrecht  ebensowenig  an- 
gegangen haben,  wie  unser  heutiges  Testament,  weil 
dieses  wirklich  eine  Vermögensverfügung  darstellt,  mit 
unserem  kirchlichen  Rechte  zu  tun  hat^). 


^)  De  legib.,  II,  c.  19:  quid  enim  ad  Pontificem  de  jure 
parietum  aut  aquarum  aut  ullo  omnino? 

^)  Selbst  das  Kanonische  Recht  läßt  sich  auf  das  Erb- 
recht nicht  ein,  soweit  es  sich  nicht  um  das  Vermögen  der 
eigenen  Mitglieder  der  Kirche  oder  um  ihr  selbst  vermachte 
Erbschaften  und  Legate  (ad  pias  causas)  handelt,  und  nur 
aus  diesem  direkten  Interesse  sucht  sie  die  Gerichtsbarkeit 
über  die  Testamente  überhaupt  an  sich  zu  bringen  und  die  Form 

48 


Wenn  also  Cicero  daselbst  fortfährt:  „Also  nur,  was 
mit  der  Religion  verbunden  ist.  Dies  aber,  wieviel 
umfaßt  dies  denn  überhaupt  ?  Die  Bestimmungen  über  die 
Sacra,  denke  ich,  über  die  Gelübde,  über  die  Feiertage, 
über  die  Gräber  und  was  es  etwa  noch  Derartiges  gibt  ^), 
SO  war  diese  religiöse  Verbindung  von  Testament  oder 
Erbtum  überhaupt  und  den  sacris  damals  zwar  dem  un- 
mittelbaren Gefühle  jedes  Hörers  gegenwärtig,  für  heute 
aber  bedarf  sie  eines  theoretischen  Nachweises  ihrer 
inneren  Beschaffenheit  und  Notwendigkeit,  ein  Nachweis, 
zu  welchem  die  Elemente  in  dem  Bisherigen  bereits  vor- 
liegen. 

Das  römische  Testament  (respektive  Erbtum  über- 
haupt), sagten  wir,  ist  die  realisierte  Unendlichkeit  des 
subjektiven  Willens. 

Allein  der  Wille  ist  selbst  wieder  in  sich  unter- 
schiedener Natur.  Was  in  dem  Willen  das  Unend- 
liche ist,  ist  nicht  der  einzelne,  bestimmte  Willensakt, 
sondern  die  durch  jeden  solchen  Willensakt  hindurch- 
gehende allgemeine  Willenssubjektivität  selbst,  diese 
Fähigkeit  des  Wollens  und  Fürsichseins,  also  das 
Wesen  des  Willens,  welches  freilich  auch  in  jeder  ein- 
zelnen Willensäußerung  zur  Erzitterung  gelangt.  Nicht 
unendlich  dagegen  ist  der  einzelne  inhaltliche  Wille  als 
solcher. 


derselben  zu  erleichtern,  wie  dies  gut  hervorgehoben  ist  in  der 
Behandlung  des  Kanonischen  Rechtes  bei  Gans,  Erbrecht,  III. 
135  fg. 

^)  A.  a.  O. :  ,,Ergo,  quod  cum  religione  conjunctum  est. 
Id  autem  quantulum  est?  de  sacris,  credo,  de  voti^,  de  feriis, 
de  sepulcris  et  si  quid  ejusmodi  est."  Die  nachfolgende  Ent- 
wicklung wird  von  selbst  hervortreten  lassen,  wie  alles  dies, 
Sacra,  vota  etc.,  nur  Momente  einer  Begriffsreihe  sind- 

4   Lae5:il]e,    Cef.    Schrihcn,   Btnd   XI.  49. 


Dieser  hat  vielmehr  in  dem  bestimmten  endhchen  In- 
halt und  Gegenstand,  auf  den  er  bezogen  ist,  die  Not- 
wendigkeit seiner  eigenen  Endlichkeit  und  Vergänglichkeit. 
Der  Wille  will  etwas  in  bezug  auf  einen  Gegenstand.  So- 
mit will  er  dies  nur,  so  lange  dieser  Gegenstand  existiert, 
und  unter  anderweitigen  bestimmten  Umständen.  Mit  diesen 
bestimmten  Umständen  und  jedenfalls  mit  der  Existenz 
dieses  bestimmten  und  zufälligen  Gegenstandes  geht  dieser 
Wille  notwendig  wieder  vorüber.  Der  Wille  hat  also  in 
der  Endlichkeit  des  bestimmten  Inhaltes,  auf  den  er 
sich  bezieht,  die  Notwendigkeit  seiner  eigenen  Endlichkeit. 
Jeder  Wille  ist  sogar  innerhalb  der  wollenden  Willens- 
subjektivität selbst  ein  mit  ihr  nicht  Gleichdauemdes,  wie- 
der Verschwindendes. 

Jede  bestimmte  Willensäußerung  ist  also  eine 
Schwingung,  in  welcher  das  Unendliche  des  Willens  wohl 
zur  erklingenden  Erzitterung,  aber  in  dieser  Äußerung  nicht 
zur  Gleichheit  mit  seinem  sich  darin  äußernden  Wesen 
gelangt.  Diese  Äußerung  ist  vielmehr  immer  ebenso 
eine  Entäußerung  und  Verendlichung  desselben. 

Einen  Gegenstand  aber  gibt  es  notwendig,  auf  welchen 
bezogen  der  Wille  diese  im  Willensakt  ihm  durch  den 
endlichen  Inhalt  desselben  widerfahrende  Verendlichung 
seines  unendlichen  Wesens  nicht  erleidet.  Es  ist  die  Be- 
ziehung des  Willens  auf  das  rein  Unendliche  selbst, 
oder  die  Gottheit.  Der  hierauf  bezogene  subjektive 
Wille  ist  nicht  mehr  sinnlicher  und  besonderer,  dieser  oder 
jener  zufällige  Wille,  verschwindend  mit  der  Zufälligkeit 
seines  endlichen  Gegenstandes.  Vielmehr  auf  das  Absolute 
selbst  bezogen,  tritt  hier  der  subjektive  Wille  in  seiner 
idealsten,  reinsten,  vom  Zufälligen  des  Stoffes  befreiten, 
sich  selbst  gleichen  Form  heraus.  Diese  Beziehung  des 
subjektiven  Willens  auf  die  Gottheit  ist  im  Willen  wieder 

50 


das  Bleibende  des  Willens.  Mit  anderen  Worten:  In 
der  Beziehung  des  subjektiven  Willens  auf  die  Gottheit  ist 
der  einzelne  Willensakt  von  derselben  Ideali- 
tät und  Unendlichkeit,  wie  das  Wesen  des  Willens, 
die  allgemeine  Willenssubjektivität  selbst.  Die  Beziehung 
des  Willens  auf  die  Gottheit  ist  also  diejenige  einzelne 
Äußerung  des  subjektiven  Willens,  in  welcher  derselbe 
in  Gleichheit  und  Identität  mit  seinem  sich  äußern- 
den Wesen,  mit  seiner  eigenen  Unendlichkeit  ver- 
bleibt, eine  Schwingung,  in  deren  Erklingung  die  Sub- 
stanz des  Willens  nicht  bloß  zum  Erzittern,  sondern  zum 
vollen  Austönen  ihrer  Unendlichkeit,  zu  einem  dem 
Willensbegriff  adäquaten  Dasein  gelangt.  Jede 
Beziehung  des  subjektiven  Willens  auf  die  Gottheit  ist 
also,  obwohl  einzelner,  bestimmter  Willens akt,  dennoch 
um  der  adäquaten  Form  willen,  in  welcher  der  Wille 
sich  hier  realisiert,  oder  respektive  was  \on  diesem  der 
Grund  ist,  um  der  Unendlichkeit  des  Gegenstandes 
willen,  auf  den  sich  der  subjektive  Wille  hier  bezieht, 
identisch  und  auf  gleicher  Linie  stehend  mit  dem  Dasein 
dieser  Willenssubjektivität  überhaupt. 

Jetzt  muß  aber  der  innere  Zusammenhang  von  sacra 
und  Erbtum  bereits  in  vollster  Evidenz  stehen.  Denn  es 
bedarf  nunmehr  zu  seiner  Heraushebung  nur  noch  der  bei- 
den folgenden  von  selbst  klaren  Sätze :  Die  Beziehung  des 
subjektiven  Willens  auf  die  Gottheit  —  das  in  bezug  auf 
den  Gott  Gewollte  —  ist  das  votiim.  Und  die  Realisation 
der  Vota  sind  die  dem  Gotte  gestifteten  sacra. 

Daher  die  Notwendigkeit,  daß  die  sacra  privata,  und 
zwar  gerade  wieder  die  sacra  singiili  hominis'^),  die  von 

■^)  Siehe  Festus,  v*^  Publica  sacra,  p.  243,  ed.  Müller: 
.  .  .  at  privata,  quae  pro  singulis  hominibiis,  familiis,  gentibus 
fiunt.    Sehr    richtig    weist    Savigny    nach    (Zeitschrift    für    ge- 

4*  51 


dem  einzelnen  Subjekt  dem  Gotte  für  seine  Person  ge- 
machten Stiftungen,  eine  von  dem  Erbtum  unzertrennliche 
Grundlage  desselben  bilden.  Sie  müssen  dieselbe  bilden, 
denn  beide  sind,  wie  wir  gesehen  haben,  nur  ganz  und 
gar  dasselbe:  die  realisierte  Willensunsterblichkeit! 

Die  ideale  Beziehung,  welche  sich  der  subjektive  Wille 
in  den  votis^)   und  sacris  zur  Gottheit  gegeben  hat,  soll 

schichtliche  Rechtswissenschaft.  II,  383  fg.).  daß  diese  Fa- 
miliensacra  auf  einem  bloßen  Irrtum  des  Festus  beruhen  und 
es  keine  anderen  sacra  privata  gegeben  hat  als  die  sacra  sin- 
guli  hominis  —  von  denen  auch  die  angezogene  und  bald  näher 
zu  betrachtende  Stelle  des  Cicero  ausschließlich  handelt  — 
und   die   sacra  gentilitia. 

^^  .  .  .  voti  enim  obhgatlonem  ad  heredem  transire  constat; 
Ulpian,  L.  2,  §  2,  de  pollicit.  (50,  12).  Hier  bereits  kommt 
es  zum  Klappen,  daß  die  Substanz  des  Erbtums  nicht  das 
Vermögen,  daß  es  nicht  die  ,, Vermögensrecht  liehe  Per- 
sönlichkeit" des  Erblassers  ist,  die  auf  den  Erben  übergeht. 
Denn  wie  könnte  dann  der  bloß  ideale  Schwur,  den  der  Erb- 
lasser Gott  ablegt,  wie  könnte  dies  rein  persönliche  innere 
Verhältnis,  aus  welchem  für  niemand  Vermögensrechte  ent- 
stehen, auf  den  Erben  übergehen  ?  Mit  einer  durchaus  richtigen, 
hoch  anzuerkennenden  Konsequenz  lehrt  daher  Hugo  Grotius, 
weil  er  (s.  oben  S.  24)  sich  zu  dar  Lehre  von  dem  Über- 
gang der  bloß  ,, vermögensrechtlichen  Persönlichkeit"  auf  den 
Erben  bekennt,  daß  durch  den  bloß  Gott  abgelegten  Schwur 
der  Erbe  nicht  verpflichtet  werde,  a.  a.  O.,  II,  Kap.  13, 
§  17,  S.  460,  Frankfurter  Ausgabe  von  1696:  , .Verum  illud 
notandum  est,  quoties  non  personae  jus  nascitur  ex  tali  aliquo 
defectu,  qualem  diximus,  sed  Deo  obstringitiir  fides,  heredem 
ejus  qui  juravit  non  teneri.  Quia  ad  heredem  sicut  bona  tran- 
seunt,  id  est  quae  in  hominum  sunt  commercio,  ita  bonorum 
onera;  non  item  alia  quae  quis  ex  officio,  puta  pietatis,  gra- 
tiae,  fidei  debuit.  Haec  enim  ad  illud  quod  stricte  Jus  dicitur 
inter  homines  non  pertinent,  ut  alibi  quoque  ostendere  memini- 
mus."  Hierbei  hat  nun  aber  Grotius,  wie  Ulpian  konstatiert, 
alle  römischen  Juristen  sich  gegenüber.   Die  Nachfolger 

52 


perpetuiert  werden,  wie  das  Erbtum  die  Existenz  dieser 
Willenssubjektivität  selbst  perpetuiert.  Und  jene  Be- 
ziehung muß  perpetuiert  werden,  wenn  und  so  lange  von 
einer  Fortexistenz  dieser  Willenssubjektivität  (Erben) 
die  Rede  sein  soll ;  denn,  als  Beziehung  des  subjektiven 
Willens  auf  das  Unendliche  selbst,  enthält  sie  das  Un- 
endliche, wie  es  für  diesen  Willen  vorhanden  ist,  und 
also  —  da  hier  ja  vom  subjektiven  Willen  die  Rede 
ist,  dessen  Sein  in  seinem  Fürsichsein  besteht  —  das 
wahrhaft  Unendliche  dieses  subjektiven  Willens. 
Oder,  wie  wir  vorher  sagten,  die  Beziehung  des  subjek- 
tiven Willens  auf  die  Gottheit  ist  im  Willen  wieder  das 
Bleibende  des  Willens,  oder  das  Allgemeine  im 
Willen,  und  also  identisch  mit  dem  Dasein  dieser  Willens- 
subjektivität selbst.  Letztere  kann  also  nicht  nach  dem 
Tode  fortdauern,  die  Unendlichkeit  des  subjektiven  Willens 
nicht  realisiert  sein,  wenn  nicht  auch  die  einzelnen  Be- 
ziehungen, die  er  sich  auf  die  Gottheit  durch  vota  und 
Sacra  gegeben  hat,  ins  Unendliche  fortdauern.  Darum 
sagt  Cicero,  die  Wissenschaft  der  sacra  fasse  sich  in  den 
einen  Satz  zusammen :  ut  sint  perpetua  V,  gerade  wie  wir 
oben  sagten,  der  Begriff  des  römischen  Erbt  ums  fasse 
sich  in  den  einen  Satz  zusammen,  daß  der  subjektive  Wille 
ins  Unendliche  als  fortexistierend  perpetuiert  werde. 


von  Grotius  aber,  die,  trotzdem  sie  dieselbe  Lehre  von  dem 
Übergang  der  ,, vermögensrechtlichen"  Persönlichkeit  aufstellen, 
ihm  in  diesen  Konflikt  hinein  zu  folgen  vermeiden,  ermangeln 
dann  sehr  der  hohen  begrifflichen  Kraft  und  Konsequenz  ihres 
großen  Vorgängers. 

^)  De  leg.,  II,  19:  Cur  igitur  haec  tanta  facimus,  cum 
caetera  perparva  sint ;  de  sacris  autem,  qui  locus  patet  latms, 
haec  slt  una  sententia,  ut  conserventur  semper  et  deinceps  fa- 
miliis   prodantur  et,  ut  in   lege  posul,  perpetua  smt  sacra. 

53 


Von  der  entwickelten  Grundidee  der  sacra  privata  aus 
begreift  sich  nun  alles  sie  Betreffende^);  wir  aber  haben 
es  hier  nur  mit  dem  zu  tun,  was  unmittelbar  zu  unserem 
Gegenstande  gehört. 

So  mag  zunächst  erwähnt  werden,  wie  durch  das  Ge- 
sagte zuvörderst  eine  Bestimmung  in  völlige  Klarheit  tritt, 
die  bisher  ganz  unbegreiflich  bleiben  mußte.  Der  römische 
filius  familias  kann  sich  bekanntlich  aus  allen  Gründen 
gültig  obligieren,  und  kann  sogar,  als  ob  er  pater  familias 
wäre,  sofort  eingeklagt  werden^).  Durch  das  Votum 
aber,  das  der  Sohn  ohne  den  Willen  des  Vaters  gelobt, 
wird  er  nicht  verpflichtet.  Ulpian^):  ,,...  filius  enim 
familias  vel  servus  sine  patris  dominive  auctoritate  voto 
non  obligatur."  Wenn  dies  sonst  eine  unbegriffene  ,, sin- 
gulare Ausnahme"  darstellen  mußte*),  um  so  mehr,  als 
ja  der  filius  auch  durch  jede  gewöhnliche  Pollizitation  ^), 
durch  die  ein  pater  familias  verpflichtet  wird*"),  gleich- 
falls obligiert  wird,  und  nur  gerade  durch  die  stärkere 
Pollizitation  des  Votums  nicht  verpflichtet  werden 
soll,  so  muß  diese  Befremdlichkeit  jetzt  fortgefallen  sein. 
Denn   das  Votum,   wie  wir  gesehen  haben,  als   die   Be- 


^)  Z.  B.  jetzt  auch  die  ,,detestatio  sacrorum",  welche  der 
Adoption  vorhergehen  mußte  und  über  welche  der  Recht s - 
gelehrte  Servius  Sulpicius  ein  Werk  schrieb.  Aul.  Gellius, 
Noct.  att..  lib.  VI.  c.   12. 

^)  L.  39  de  o.  et  a.  (44,  7) :  Filius  familias  ex  Omnibus 
causis  tanquam  pater  familias  obligatur  et  ob  id  agi  cum  eo 
tamquam  cum  patre  familias  potest.  —  L.  57  de  jud.  (5,  1): 
L.    141,  §  2.  de  v.  o.    (45.   1)  etc. 

')  L.  2,  §  2.  de  polHcit.  (50,  12) 

*)  Savigny,   System,   II,   54,   Note  f. 

^)  Denn  ex  omnibus  causis  wird  er  verpflichtet,  s.  An- 
merk.  2. 

*)  Vgl.   den   Digestentitel  de  pollicitationibus   (50,   12). 

54 


Ziehung,  die  sich  der  subjektive  Wille  auf  das  Unend- 
liche gibt,  ist  selbst  das  Setzen  des  Verhältnisses,  welches 
für  diesen  subjektiven  Willen  zum  Unendlichen  vorhanden 
sein  soll,  und  also  selbst  das  Heraussetzen  seiner  eigenen 
fürsichseienden  Unendlichkeit  und  gleichbedeutend  mit  dem 
Fürsichsein  dieser  Willenssubjektivität  überhaupt.  Dieses 
Setzens  seiner  fürsichseienden  Unendlichkeit  oder  des  Vo- 
tums kann  daher  nur  der  fähig  sein,  welcher  bereits  eine 
für  sich  seiende  Willenssubjektivität  ist,  und 
somit  nicht  der  in  der  Gewalt  stehende  Sohn,  welcher  das 
Fürsichsein  seiner  Willensunendlichkeit  noch  in  einem 
anderen,  dem  Vater,  hat  und  also  die  Unendlich- 
keit der  subjektiven  Willensinnerlichkeit  noch  gar  nicht 
erreicht  hat^). 


^)  Wie  sich  dies  später  durch  die  Entwicklung  des  römi- 
schen Familienbegriffes  beim  suus  deutlich  zeigen  wird.  Da- 
selbst wird  auch  klar  werden,  warum  der  Sohn  andere  Obliga- 
tionen gültig  eingehen  können  muß. 

Übrigens  folgt  aus  dem  Obigen  auch  der  Grund  des  Unter- 
schiedes in  der  Behandlung  der  Pollizitationen  und  des  Votums, 
sowohl  in  bezug  auf  den  Votierenden  selbst,  als  auf  den 
Erben.  Das  Votum  ist  im  juristischen  Sinne  eine  polli- 
citatio  sine  causa.  Die  pollicitationes  sine  causa  verbinden  nicht, 
weder  den  Versprechenden  noch  dessen  Erben  (Ulpian, 
L.  1,  §§  1  u.  2,  de  pollic,  50,  12),  wohl  aber  die  Vota: 
Ulpian,  L.  2  das. :  Si  quis  rem  aliquam  voverit,  voto  obli- 
gatur.  Und  zwar  darf  man  dies  sich  nicht  so  erklären,  als 
wäre  die  Sache,  welche  den  Gegenstand  des  Votums  bildet, 
durch  das  Gelübde  geweiht.  Das  Verhältnis  bleibt  vielmehr  ein 
rein  persönliches  und  die  Sache  wird  nicht  zur  res  sacra. 
Ulpian,  a.  a.  O. :  ,,Quae  res  personam  voventis,  non  rem,  quae 
vovetur,  obligat ;  res  enim  quae  vovetur,  soluta  quidem  liberal 
vota,  ipsa  vero  sacra  non  efficitur."  Ebenso  heißt  es  in  bezug 
auf  das  Erbrecht  beim  Votum:  .  .  .  voti  enim  obligationem 
ad    heredem    transire    constat  (Ulpian,  §  2,  a.  a.  O.),  während 

55 


Durch  die  nachgewiesene  Identität  der  sacra  und  des 
Erbtums,  welche  beide  nur  den  Ausdruck,  jene  in  der 
religiösen,  dieses  in  der  privatrechtlichen  Sphäre, 
derselben  Grundidee,  der  Fortdauer  des  subjektiven  Willens 
bilden,  ist  aber  natürlich  nicht  nur  die  Notwendigkeit  von 
der  Perpetuität  der  sacra,  sondern,  da  beide  eben 
identisch  sind,  ihre  unzertrennliche  Verbindung  mit  der 
Qualität  des  Erben  gegeben,  der  sie  anhaften^).  Es  ist 
gleichwohl  für  unser  Thema  von  Interesse,  die  Worte  zu 
betrachten,  mit  welchen  Cicero  die  Frage  zu  beantworten 
beginnt,  wer  zu  den  sacris  verpflichtet  sei:  ,,Heredum 
causa  justissima  est^);  nuUa  est  enim  persona,  quae  ad 
vicem  ejus  qui  e  vita  emigravit  proprius  accedat."  ,,Der 
Erben  Verpflichtung  ist  die  gerechteste ;  denn  keine 
Person  gibt  es,  welche  der  Rolle  dessen,  der  aus  dem 
Leben  schied,  näher  stünde."  So  abstrakt  richtig  also 
auch  Valerius  Maximus ^)  die  Zeugung  das  ,,engste 
Band  zwischen  den  Menschen"  nennt  —  ein  Band 
gibt  es  dennoch  für  den  Römer,  welches  auch  dieses 
an  Nähe  noch  schlägt  und  überwindet,  das  Band 
des  Erbtums.    Keiner  steht  dem  Verstorbenen  näher  als 


der  Erbe  eine  solche  Verpflichtung  in  Bezug  auf  die  poUicitatio 
sine  causa,  wo  kein  Anfang  von  Ausführung  da  ist,  natürlich 
so  wenig  wie  der  Votant  selbst  hat  und  selbst  bei  einem 
Anfang  von  Ausführung  sich  dieser  Verpflichtung  durch  Über- 
lassung des  fünften,  resp.  zehnten  Teiles  der  Erbschaft  ent- 
ziehen  kann ;   s.    Modestinus,   L.  '9  eod.    tit.  ;  vgl.   L.    14  das- 

^)  Und  bekanntlich  starrten  die  Erbschaften  von  sacris  so, 
daß  sich,  wie  wir  aus  Festus  (v*^  sine  sacris  her.,  p.  290, 
ed.  M.)  wissen,  die  Redensart:  sine  sacris  hereditas  als  sprich- 
wörtliche Bezeichnung  für  ein  seltenes,  ungetrübtes  Glück  bilden 
konnte. 

'')  A.   a.  O..  II.  Kap.    19. 

^)  Siehe  oben  S.  23- 

56 


der  Erbe,  und  wenn  Sohn  und  Erbe  auseinander  fallen, 
wie  dies  rechtlich  zulässig  und  bekanntlich  in  Rom  so 
häufig  der  Fall  war,  so  steht  also  der  Erbe  dem  Toten 
näher  als  der  Sohn.  Diese  Anschauung  aber,  die  es 
allein  hervorbringen  konnte,  daß  die  sacra  nicht  auf  den 
Sohn,  sondern  auf  den  Erben  übergehen,  kann  nach  unserer 
Entwicklung  des  römischen  Erbbegriffes  nicht  im  ge- 
ringsten mehr  wundernehmen.  Denn  der  Erbe  ist  gei- 
stige Willensidentität  mit  dem  Verstorbenen,  ist  der 
Kontinuator  seiner  Willenssubjektivität,  eine  Identität, 
gegen  deren  Innerlichkeit  sich  die  bloß  natürliche 
Blutsidentität  des  Sohnes  als  das  Schwächere  und  nur 
Sinnlich-Zufällige,  dem  Geiste  Fremde  bestimmt.  Der 
Erbe  ist  der  durch  einen  geistigen  Zeugungs-  und 
Identifikationsprozeß,  den  wir  später  näher  betrachten 
werden,  geschaffene  Sohn. 

Es  ist  nie  geraten,  ganz  unzweifelhafte  Resultate,  wenn 
auch  nur  scheinbar,  dadurch  abzuschwächen,  daß  man  ohne 
eine  hierzu  vorliegende  Notwendigkeit  sie  mit  anderen 
Punkten  von  vielleicht  weniger  unbedingter  und  z^veifel- 
loser  Natur  zusammen  behandelt  und  durcheinanderwirft. 

Es  ist  daher  hier  einstweilen  nicht  am  Ort,  die  sehr 
dunkle  und  durch  alle  Bemühungen  der  Ausleger  von 
Balduinus  bis  Savigny^)  noch  durchaus  nicht  hinreichend 
aufgehellte  Stelle  Ciceros,  deren  Anfang  wir  betrachtet 
haben,  in  ihrem  weiteren  Verlauf  (De  leg.,  II,  19 — 22) 
und  in  den  Einzelheiten  desselben  zu  zergliedern. 

Wir   wollen   uns   also   mmdestens   nicht   hier^)    darauf 


^)  Siehe  dessen  Aufsatz  in  der  Zeitschrift  für  geschicht- 
liche  Rechtswissenschaft   (Berlin   1816),   II,   362  fg. 

-)  Wir  werden  dieser  Aufgabe  vielmehr  die  selbständige 
Nr.  III  widmen,  und  sie  so  von  dem  Vorhergehenden  und 
Nachfolgenden    auch    äußerlich    abscheiden. 

57 


einlassen,  die  beiden  Theorien  des  pontifikalen  Rechtes 
über  die  Frage,  wer  zu  den  sacris  verpflichtet  sei,  die 
ältere  und  die  neuere,  die  Cicero  daselbst  einander  gegen- 
überstellt in  ihren  einzelnen  Bestimmungen  zu  betrach- 
ten, zumal  diese  ja  nur  die  Frage  betreffen,  wer  noch, 
sei  es  außer  dem  Erben,  sei  es  überhaupt  nur  sub- 
sidiarisch, wenn  kein  Erbe  da  sei,  zu  den  sacris  ver- 
pflichtet sei,  und  sich  also  bereits  von  unserem  eigentlichen 
Gegenstande,  dem  Erbtum,  zu  entfernen  anfangen. 

Aber  die  Hauptachse,  auf  welcher  daselbst  die  ge- 
samte Argumentation  des  Cicero  gegen  die  von  den  beiden 
Scävola  in  das  Pontifikalrecht  gebrachte  Neuerung  be- 
ruht, muß  schlechterdmgs  hier  noch  hervorgehoben  werden. 
Denn  sie  hängt  einerseits  noch  untrennbar  mit  unserem 
Gegenstand  zusammen,  und  andererseits  ergibt  sie  sich  noch 
mit  der  unzweifelhaftesten  Gewißheit  aus  den  aus- 
drücklichen Worten  Ciceros  selbst.  Gleichwohl  ist  ge- 
rade sie,  während  man  sich  immer  vorzugsweise  mit  den 
einzelnen  Fällen  beschäftigte,  in  welchen  die  Abweichung 
der  beiden  Theorien  hervortritt,  nie  mit  hinreichendem  Nach- 
druck hervorgehoben  worden,  weshalb  dann  auch  die  aus 
ihr  sofort  resultierenden  Folgemngen  nicht  gezogen  wurden. 

Diese  Hauptachse  aber,  welche  dem  von  Cicero  gegen 
die  beiden  Scävola  erhobenen  Vorwurf,  das  pontifikale 
Recht  durch  ihre  Neuerungen  verdorben  zu  haben,  zu- 
grunde liegt,  und  die  von  Cicero  auch  ausdrücklich  so 
bezeichnet  und  als  das  Prinzip  hingestellt  wird,  aus 
welchem  die  Unterschiede  in  den  einzelnen  Bestimmungen 
der  neuen  und  älteren  Theorie  nur  ein  notwendiger  Aus- 
fluß seien,  ist  folgende :  Nach  der  alten  Theorie  seien 
die  Sacra  mit  dem  Vermögen  nicht  verbunden 
gewesen,  durch  die  Scävola  erst  sei  dem  Grundsatz 
Eingang  verschafft  worden,  daß  die  sacra  an  das  Ver- 

58 


mögen  geknüpft  sein  und  mit  ihm  übergehen  sollten,  und 
hiervon  seien  die  Verschiedenheiten  in  den  einzelnen 
Sätzen  beider  Theorien  über  die  Verpflichtung  zu  den 
sacris  nur  die  einfache  Folge.  Die  Ausdrucksvveise  Ci- 
ceros  ist  hierin  so  positiv,  \vie  nur  irgend  möglich :  ,,Videtis 
igitur  —  sagt  er  —  omnla  pendere  ex  uno  illo  quod  Ponti- 
fices  pecuniam  sacris  conjungi  volunt."  ,,Ihr  seht  also, 
daß  alles  (d.h.  alle  die  von  ihm  vorher  betrachteten 
Unterschiede  in  den  einzelnen  dogmatischen  Bestimmungen 
beider  Theorien)  aus  diesem  Einen  herfließt,  daß 
die  Pontifices  wollen,  die  sacra  sollen  mit  dem  Ver- 
mögen-^) verbunden  sein."  Und  später  nochmals: 
„Nam  Sacra  cum  pecunia,  Pontificum  auctoritate,  nulla 
lege,  conjuncta  sunt."  ,,Denn  die  sacra  sind  mit  dem 
Vermögen  nur  durch  die  Autorität  der  Pontifices,  aber 
durch  kein  Gesetz  verknüpft^)." 

Wenn  die  prinzipielle  Neuerung,  welche  die  Scävola 
hervorbringen,  somit  darin  besteht,  daß  die  sacra  mit  dem 
Vermögen  verknüpft  sind  und  übergehen,  so  muß  somit 
eine  Zeit  gewesen  sein  —  und  dies  ist  eben,  wie  Cicero 
sagt,    die    Zeit    der    alten    Theorie    — ,    wo   die    sacra 


^)  Pecunia  heißt  hier  (wie  Savigny  in  der  Zeitschrift  a.  a.  O., 
S.  363,  Note  3  bereits  bemerkt),  wie  in  vielen  Stellen,  nicht 
bares  Geld,  sondern  alles,  was  im  Eigentum!  ist ;  vgl.  Festus. 
vO  pecunia.  L.  5  pr. ;  L.  178  pr. ;  L.  222  D.  de  v.  s.  (50,  16). 

^)  Und  in  dieser  Verknüpfung  sieht  Cicero  einen  sol- 
chen Verderb  des  pontifikalen  Rechtes  der  sacra,  daß  er 
sagt:  „Civilis  enim  juris  scientia,  Pontiflcium  quodammodo 
tollitisJ'  Und :  ,,Itaque  si  vos  tantummodo  Pontifices  essetis, 
Pontificalis  maneret  audoritas;  sed  quod  iidem  juris  civilis  estis 
peritissimi,  hac  scientia  illam  cludifis."  Warum  er  einen  so 
totalen  Verderb  darin  erblickt,  wird  wohl  schon  aus  dem 
hier  weiter  Folgenden  deutlicher,  zu  völliger  Klarheit  aber  erst 
In  Nr.  III  kommen. 

59 


nicht  mit  dem  Vermögen  übergingen,  wo  also  die  sacra 
und  das  Vermögen  des  Erblassers  in  reale 
Trennung  auseinandertreten  konnten.  DasErb- 
tum  aber,  die  zivile  hereditas,  und  die  sacra  konnten  nie- 
mals auseinandertreten,  nicht  einmal  nach  der  neuen 
Theorie,  wo  der  Erbe  immer  noch  der  primo  loco  Ver- 
pflichtete bleibt,  geschweige  denn  nach  der  alten.  E  r  b  - 
Qualität  und  sacra  fallen  also  immer  zusammen.  Wenn 
dennoch  eine  Zeit  war,  wo  sacra  und  Vermögen  nicht 
miteinander  gingen,  so  scheint  also  schon  hier  die  erste 
textmäßige  Hindeutung  —  die  wir  einstweilen  nur 
für  eine  ganz  schwache,  umflorte  ausgeben  wollen,  da 
darüber  ohnehin  die  positivsten  Beweise  später  zu  Gebote 
stehen  —  vorhanden  zu  sein,  daß  es  eine  Zeit  in  Rom 
gegeben  haben  muß,  wo  innerhalb  des  jus  clvile 
Erbtum  und  Vermögensanfall  an  und  für  sich 
unabhängige  Begriffe  voneinander  sind,  und  auch  der  Sitte 
nach  realiter  in  Spaltung  auseinandertreten,  und 
daher  der  wirklich  antretende  Erbe^),  der  hier- 
durch also  mit  den  sacris  belastet  wurde,  nichts  von 
dem  Vermögen  des   Erblassers  zu  erhalten  pflegte. 

^)  Wir  sagen:  der  wirklich  antretende  Erbe,  um  das 
Mißverständnis  zu  vermeiden,  als  nähmen  wir  hier  etwa  das 
Wort  ,,Erbe"  in  dem  Sinne,  wie  man  den  gesetzlichen  Intestat- 
erben, der  aber  durch  einen  testamentarischen  Erben 
(oder  auch  durch  einen  bonorum  possessor)  geschlagen  wird, 
der  Kürze  halber  uneigentlich  einen  ,, Erben"  nennt,  hierunter 
aber  nur  einen  solchen  verstehend,  der  nach  dem  Zivilrecht  zum 
Erben  geworden  wäre,  wenn  nicht  ein  testamentarischer 
Erbe  oder  ein  bonorum  possessor  da  gewesen  wäre.  Ein  sol- 
cher ist  natürlich  nicht  Erbe,  was  er  nur  durch  die  wirkliche 
Adition  wird,  sondern  hätte  es  nur  sein  können,  und  ist 
natürlich  auch  gar  nicht  zu  den  sacris  verpflichtet,  die  nur  durch 
die  reelle  hereditas  (die  wirklich  angetretene)  auf  ihn 
übergehen. 

60  ~  ~ 


III.  Die  Sacra  und  die  beiden  Theorien  dersel- 
ben in  der  Stelle  des  Cicero,  de  Leg.,  II,  19 — 21. 
—   Die  historische   Entwickelung  der   Sakral- 
theorie. 

Wir  behandeln  jetzt  jene  dunkle  Stelle  des  Cicero  und 
die  beiden  Sakraltheorien,  die  in  ihr  zutage  treten,  nach- 
folgend in  einer  selbständigen  Nummer,  weil,  wie  sehr  das 
Folgende  bei  der  inneren  Identität  von  sacra  und  Erb- 
tum  auch  in  innigem,  es  doch  in  keinem  untrenn- 
baren Zusammenhange  mit  unserem  Gegenstande  steht, 
und  wir  so  dem  sich  für  die  archaistisch  -  religiösen 
Zusammenhänge  des  römischen  Erbtums  weniger  inter- 
essierenden Leser  die  Möglichkeit  gewähren  wollen,  un- 
mittelbar zu  Nr.  IV  überzugehen,  um  sich  unserer  Be- 
handlung des  juristischen  Erbrechtes  im  engeren  Sinne 
schneller  zu  nähern,  zumal  wir  hier  manches  (z.  B.  über 
die  Bedeutung  der  bonorum  possessio)  voraussetzen 
müssen,  was  sich  uns  erst  später  erweisen  kann.  —  Wir 
wollen  zugleich  durch  diese  abgetrennte  Behandlung  mar- 
kieren, daß,  wie  zwingende  Evidenz  wir  auch  unserer 
Interpretation  der  Ciceronianischen  Stelle  geben  und  zu 
welchem  sprechenden  Dokumente  über  die  historische  Ent- 
wickelung der  Sakraldogmatik  wir  sie  auch  erheben  zu 
können  glauben,  dennoch  hierin  von  unserer  Ansicht  ab- 
gewichen werden  kann,  ohne  daß  dadurch  im  geringsten 
unsere  Lehre  vom  Erbrecht  überhaupt  beeinträchtigt  würde. 

Die  beiden  Theorien,  die  Cicero  einander  entgegenhält, 
lauten  also,  zuerst  die  neuere,  wegen  deren  Einführung  er 
die  Scävola  so  hart  angreift :  ,,Heredum  causa  justissima 
est . .  .  Deinde  qui  morte  testamentove  ejus  tantumdem 
capiat,  quantum  omnes  heredes.  Id  quoque  ordine ;  est 
enim  ad  id,  quod  propositum  est,  accommodatum.    Tertio 

61 


loco,  si  nemo  slt  heres,  is  qui  de  bonis,  quae  ejus  fuerlnt 
cum  moritur,  usu  ceperit  plurimum  possidendo.  Quarto, 
si  nemo  sit,  qui  ullam  rem  ceperit  de  creditoribus  ejus 
qui  plurimum  servet.  Extrema  illa  persona  est,  ut,  si 
qui  ei,  qui  mortuus  sit,  pecuniam  debuerit,  neminique  eam 
solvent,  proinde  habeatur,  quasi  eam  pecuniam  ceperit."' 

Nun  wendet  sich  Cicero  zu  der  älteren  Theorie :  ,,Haec 
nos  a  Scaevola  didicimus ;  non  ita  descripta  ab  antiquis. 
Nam  illi  quidem  his  verbis  docebant:  tribus  modis  sacris 
adstringi :  hereditate ;  aut,  si  majorem  partem  pecuniae 
capiat ;  aut,  si  major  pars  pecuniae  legata  est,  si  inde 
quippiam  ceperit.  "  Konstatieren  wir  zunächst  folgendes: 
Die  jüngere  Theorie  enthält  fünf  Fälle,  die  ältere  bloß 
drei,  jene  also  nicht  bloß  eine  Abänderung,  sondern 
auch  eine  Vermehrung  der  Bestimmungen.  Ferner  aber 
besonders :  Nicht  nur  eine  Abänderung  und  Vermehrung 
der  Bestimmungen,  sondern  auch  eine  Verschleifung 
ihrer  Reihenfolge  liegt  vor.  Der  zweite  Fall  in 
der  jüngeren  Theorie  tritt  an  die  Stelle  des  dritten 
Falles  in  der  älteren  Theorie,  und  der  dritte  Fall  in 
der  jüngeren  Theorie  an  die  Stelle  des  zweiten  Falles 
in  der  älteren.  Daß  dies  so  ist,  ist  freilich  ganz  klar 
und  wird  auch  von  Savigny  in  seiner  Behandlung  beider 
(a.a.O.,  S.  366,  367)  anerkannt.  Um  Grundund  Be- 
deutung dieser  Verschleifung  bekümmert  sich  aber  Sa- 
vigny nicht,  während  gerade  in  ihnen,  wie  sich  zeigen 
wird,  ein  erheblicher  Aufschluß  über  das  Verhältnis  bei- 
der Theorien  und  über  den  Sinn  ihrer  Bestimmungen  liegt. 

Um  nun  die  jüngere  Theorie  und  ihr  Verhältnis  zur 
älteren  zu  verstehen,  ist  es  nötig,  nicht,  wie  man,  weil  dies 
der  zufällige  Fortgang  bei  Cicero  ist,  bisher  stets  getan 
hat,  mit  der  jüngeren  Theorie  anzufangen,  sondern  um- 
gekehrt erst  selbständig  den  Sinn  der  älteren,  einfacheren 

62 


zu  erfassen,  woraus  sich  dann  eret  die  zweite  (jüngere) 
Theorie  und  ihre  Neuerung  begreifen  wird.  Die  ältere 
Theorie  also  sagt :  Zu  den  sacris  wird  man  verpflichtet : 
hereditate,  durch  Erbschaft;  aut,  si  majorem  partem 
pecuniae  capiat ;  „oder"  —  d,  h.  wenn  kein  Erbe 
(Zivilerbe,  wie  heres  in  der  ganzen  Stelle,  wie  Savigny 
bereits  bemerkt,  nur  heißen  kann)  da  ist  (si  nemo  sit 
heres,  wie  es  in  dem  entsprechenden  dritten  Falle  der 
jüngeren  Theorie  heißt)  —  ,,wenn  einer  den 
größeren  Teil  des  Vermögens  nimmt".  Savigny 
bestimmt  bereits  richtig,  daß  mit  diesem  Fall  die  präto- 
rische  bonorum  possessio,  respektive  wenn  weder  zivile 
noch  prätorische  Erben  da  waren  und  das  Vermögen 
herrenlos  wurde,  die  Usukapion  der  Erbschaft  gemeint  war 
(Savigny,  a.a.O.,  S.  368 fg.,  373fg.).  Nun  der  dritte 
und  letzte  Fall:  aut,  si  major  pars  pecuniae  legata  est, 
si  inde  quippiam  ceperit;  ,,oder,  d.h.  also  immer 
noch,  wenn  kein  Erbe  (Zivilerbe)  da  ist,  falls  der 
größere  Teil  des  Vermögens  einem  legiert  wurde,  wenn 
der  Legatar  davon  etwas  genommen  hat".  Hier  also 
tritt  der  Irrtum  Savignys  ein,  welcher,  durch  den  ent- 
sprechenden zweiten  Fall  der  jüngeren  Theorie  ver- 
führt, meint,  daß  hier  der  Legatar  aus  einem  zivili- 
stischen Testamente  neben  dem  zivilistischen 
Erben  verpflichtet  werden  soll  (a.a.O.,  S.  366  fg.), 
oder  der  Irrtum  der  früheren  Interpretatoren,  welche  mein- 
ten, daß  dieser  Legatar  aus  dem  zivilistischen  Testament 
sogar  allein  verpflichtet  sein  und  den  Zivilerben  be- 
freien sollte.  Beide  Ansichten  gehen  von  dem  gemein- 
samen Grundirrtum  aus,  daß  in  diesem  dritten  Fall 
der  älteren  Theorie  das  Dasein  eines  Zivilerben  unter- 
stellt wird,  Vy'ährend  umgekehrt  im  dritten  wie  zweiten 
Falle  der  älteren  Theorie  gleichmäßig  unterstellt 

63 


wird:  wenn  überhaupt  kein  Zivilerbe  da  sei  (si 
nemo  sit  heres),  also  der  Legatar  bei  einer  prätorischen 
bonorum  possessio  gemeint  ist.  Alles  hängt  für  unsere 
Ansicht  von  diesem  Fundamentalpunkt  ab,  zuvor  ganz  fest- 
zustellen, daß  auch  der  dritte  Fall  die  Unterstellung  ent- 
hält, daß  gar  nicht  nach  Zivilrecht  geerbt  wird. 
Aber  bei  genauerer  Betrachtung  kann  man  ja  gar  keiner 
anderen  Ansicht  sein !  Denn  daß  schon  der  durch  das 
erste  aut  eingeführte  zweite  Fall  die  ausschließende  Vor- 
aussetzung :  ,,wenn  keine  zivile  hereditas  eintritt"  (si  nemo 
sit  heres),  in  sich  enthält,  ist  sowohl  sprachlich  klar  (in 
der  jüngeren  Theorie,  wo  sich  der  erste  und  zweite  Fall 
nicht  ausschließen,  fährt  daher  Cicero  auch  nicht  mit 
aut,  sondern  mit  deinde  fort),  als  besonders  durch  den 
realen  Inhalt  dieses  zweiten  Falles  unumstößlich.  Denn 
dieser  besteht  ja  nach  Savigny  selbst  darin :  wenn  durch 
bonorum  possessio  oder  Usukapion  einer  den  größeren  Teil 
des  Vermögens  nimmt.  Dies  ist  ja  aber  nur  dann  möglich, 
wenn  überhaupt  kein  Zivilerbe  da  ist,  respektive  was 
wir  hierunter  natürlich  einbegreifen  und  damit  ganz  iden- 
tisch ist,  wenn  etwa  der  zum  Zivilerbtum  Befähigte  durch 
den  bonorum  possessor  geschlagen  würde,  wo  ja  dann 
immer  nicht  nach  Zivilrecht  geerbt  wird.  Ist  somit  schon 
durch  das  erste  aut  (durch  den  zweiten  Fall)  das  Da- 
sein einer  zivilen  hereditas  ausgeschlossen,  ist  also 
zu  übersetzen  —  wie  dies  ja  in  dem  ausdrücklichen  si 
nemo  sit  heres  des  diesem  Falle  entsprechenden 
dritten  Falles  der  jüngeren  Theorie  deutlich  heraus- 
tritt — :  ,, durch  Erbschaft,  oder,  falls  zivile  Erbschaft 
nicht  stattfindet,  wenn  einer  die  größere  Hälfte  des 
Vermögens  erwirbt",  so  ist  ja  logisch  unmöglich,  bei  dem 
zweiten  aut,  ohne  daß  dies  von  Cicero  durch  irgendein 
Wort    angedeutet    wird,    den   ausschließenden   Sinn    des 

64 


ersten  aut  durch  das  fortfahrende  zweite  aut  als  auf- 
gehoben zu  denken.  Das  dort  schon  Ausgeschlossene  bleibt 
vielmehr  ausgeschlossen,  das  dort  Vorausgesetzte  bleibt 
vorausgesetzt,  und  das  zweite  aut  introduziert  nur 
eine  neue  Ausschließung  und  Abstufung  inner- 
halb des  durch  das  erste  aut  eingeführten  zweiten 
Falles. 

Wir  werden  dies  bald  noch  stärker  beweisen.  Über- 
schauen wir  zunächst  nun  das  Ganze  der  älteren  Theorie, 
wie  sie  sich  nach  dieser  Auffassung  jetzt  ergibt.  Man 
wird  also  zu  den  sacris  verpflichtet  zuvörderst  durch 
Zivilerbschaft,  und  deren  Verpflichtung  ist  die  ab- 
solute und  ausschließende,  so  daß,  insofern  nur 
irgend  ziviles  Erbtum  eintritt,  kein  anderer,  kein  Legatar, 
er  bekomme  so  viel  er  wolle,  und  der  Erbe  so  wenig  er 
wolle,  neben  ihm  oder  außer  ihm  verpflichtet  wird. 
Tritt  aber  gar  keine  hereditas  ein,  so  soll  nun  der  prä- 
torische  bonorum  possessor  verpflichtet  sein  (respektive 
der  Usukapient),  aber  nur  dann,  wenn  sein  Erwerb 
mehr  als  die  Hälfte  der  Hinterlassenschaft  umfaßt. 
Fällt  dagegen  dem  bonorum  possessor  nur  weniger  als 
die  Hälfte  der  Hinterlassenschaft  anheim,  indem  mehr 
als  die  Hälfte  derselben  einem  Legatar  auf  Grund  der 
tabulae  herauszugeben  ist,  so  soll  dieser  Legatar,  wenn  er 
das  Legat  nicht  verschmäht,  zu  den  sacris  verpflichtet 
sein. 

Man  sieht,  welche  geschlossene  innere  Übereinstimmung 
diese  Lehre  bei  dieser  Auffassung  empfängt.  Wenn  here- 
ditas eintritt,  ist  nur  der  Erbe  verpflichtet,  denn  seine 
Verpflichtung  ist  die  begrifflich  adäquate,  die  causa 
justissima.  Er  ist  Willenskontinuator.  Wenn  die  Stelle 
dieser  begrifflich-adäquaten  Verpflichtung  also  ausgefüllt 
ist.    so   kann   es   zu   gar   keiner   Verpflichtung   für   einen 

5   Lassalle.   Ges.  ScKrifte:!,   Band  XI.  65 


anderen  menr  kommen,  die  überhaupt  nur  subsidiarischer 
Natur,  nicht  dem  strengen  Geist  des  jus  civile  entflossen 
wäre.  Erst  wenn  diese  Stelle  gar  nicht  besetzt  ist,  wenn 
gar  nicht  ziviliter  geerbt  wird,  beginnt  die  subsidia- 
rische Aushilfe.  Weil  aber  der  sogenannte  prätorische 
Erbe,  der  bonorum  possessor,  kein  Erbe  ist,  so  tritt  seine 
subsidiarische  Aushilfe  nur  dann  ein,  wenn  er  mindestens 
für  sich  allein  einen  solchen  Zusammenhang  in  dem 
Vermögen  des  Verstorbenen  repräsentiert,  daß  er  allein 
mehr  erhält  als  alle  anderen  Personen,  die  aus  der  Hinter- 
lassenschaft erwerben,  zusammengenommen.  Diese  Be- 
schränkung ist  dem  Gedanken,  auf  welchem  diese  subsidia- 
rische Aushilfe  beruht,  höchst  konsequent  entflossen.  Denn 
da  der  bonorum  possessor  kein  Willensfortsetzer  des 
Erblassers  ist-*^),  ihm  die  Verpflichtung  vielmehr  nur  durch 
das  Vermögen,  das  er  erhält,  auferlegt  wird,  so  muß 
ihm  dieses  wenigstens  in  einem  solchen  überwiegenden 
quantitativen  Maße  zufallen,  daß  noch  der  Widerschein 
der  früheren  Willensherrschaft  in  des  possessors  Ver- 
hältnis zu  dem  Vermögen  durch  den  Zusammenhang, 
in  dem  er  es  besitzt,  zu  erkeimen  ist.  Er  muß  es  also 
mindestens  in  einem  solchen  Totalitätsverhältnis  be- 
kommen, daß  sich  der  Rest  desselben  ihm  gegenüber  nur 
als  einzelne  Stücke  betrachten  läßt,  also  über  die 
Hälfte.  Denn  sonst  wäre  nicht  mehr  abzusehen,  warum 
nicht  jeder,  der  auch  nur  ein  einzelnes  Stück  aus  dem  Ver- 
mögen erhält,  also  jeder  beliebige  Legatar,  zu  den  sacris 
verpflichtet  sein  solle.  So  begreift  sich  auch  erst,  wie 
so  unter  der  gleichen  Bedingung  auch  die  Usukapion 
(pro  suo  wie  pro  berede)  ebensogut  wie  die  bon.  poss. 
zu  den  sacris  verpflichten  kann.   Allein  durch  die  bisherige 

^)  Siehe  über  die  Bedeutung  der  bonorum  possessio  später 
s-ub  Nr.  V.       ■ 

66 


Erörterung  ist  nun  auch  die  Bestimmung  des  dritten 
Falles  mit  Notwendigkeit  gegeben.  Wie  nämlich,  wenn 
zwar  bon.  poss.  eintritt,  durch  die  Tafeln  aber  ein  Le- 
gatar ein  Legat  erwirbt,  welches  über  die  Hälfte  des 
Vermögens  umfaßt  ?  Der  bon.  poss.  kann  hier  nicht  mehr 
verpflichtet  sein ;  das  folgt  schon  mit  dürren  Worten  aus 
der  Bestimmung  des  zweiten  Falles,  da  er  ja  nun  we- 
niger als  die  Hälfte  erhält.  Aber  ebenso  folgt  jetzt  aus 
dem  Geiste  dieser  Bestimmung,  daß  jetzt  der  Legatar 
mit  demselben  Rechte  verpflichtet  sein  muß,  mit 
welchem  es  der  bon.  poss.  im  zweiten  Falle  war.  Der 
Legatar  ist  freilich  bloßer  Singularsukzessor.  Aber  Erbe 
ist  der  bon.  poss.  ebensowenig.  Auch  die  bon.  poss.  ist 
(s.  hierüber  später)  zum  Unterschied  vom  Erb  tum  eine 
bloße  Vermögenszuwendung  und  in  dieser  Hin- 
sicht also  dasselbe,  was  das  Legat  ist.  Konnte  dem 
bon.  poss.  durch  die  bloße  Vermögensübernahme  (und 
ebenso  dem  Usukapienten)  die  Verpflichtung  der  sacra 
zufallen,  wenn  er  das  Vermögen  in  dem  erörterten  Um- 
fange übernahm,  daß  durch  seinen  Zusammenhang  der 
Widerschein  der  früheren  Willensherrschaft  noch  zu  er- 
kennen war,  —  mm,  so  muß  dasselbe  auch  aus  dem 
gleichen  Grunde  für  den  im  gleichen  Falle  befindlichen 
Legatar  gelten.  Denn  Willensfortsetzer  ist  der 
bon.  poss.  so  wenig  wie  er,  Vermögens  nehmer  er 
aber  so  gut,  wie  der  bon.  possessor.  Jetzt  erst  wird 
auch  klar,  wie  so  auf  einen  bloßen  Legatar  die  sacra 
überhaupt  übergehen  können.  Hätte  man  nicht  die  Ge- 
wohnheit, gerade  die  schwierigsten  Fragen  lieber  unauf- 
geworfen zu  lassen,  so  hätte  diese  Frage  bisher  für  un- 
lösbar erscheinen  müssen.  Denn  der  bon.  poss,  ist  immer- 
hm  ein  Universalsukzessor  wie  der  Erbe.  Von  ihm  also 
konnte   seine   Verpflichtung   zu   den   sacris   plausibel   er- 

5-  67 


scheinen.  Der  Legatar  ist  aber  doch  immer  nur  Singu- 
larsukzessor, Wie  das  Legat  aber,  von  dem  uns  die  rö- 
mischen Juristen,  Ulpian,  Gajus,  die  Institutionen,  immer 
so  sorgfältig  hervorheben,  daß  es  eigentlich  nichts  mit 
dem  Erbrecht  zu  tun  habe,  daß  es,  weil  es  keiner  jener 
juris  ligurae  sei,  durch  welche  per  universitatem  erworben 
wird,  nur  zu  den  Zivilerwerbsarten  einzelner  Sachen 
gehöre,  dennoch  trotz  dieses  seines  Charakters  dazu 
kommen  könne,  eine  Verpflichtung  zu  den  sacris  —  also 
eine  so  rein  persönliche  und  nur  auf  dem  Verhältnis 
zu  der  universitas  juris  des  Erblassers  beruhende  Ver- 
pflichtung —  in  irgendwelcher  Weise  begründen  zu 
können,  dies  mußte  bei  dem  totalen  Gegensatz  zwischen 
Universalsukzession  und  Singularerwerb  als  der  höchste 
innere  Widerspruch  erscheinen.  Jetzt  ist  aber  derselbe  in 
gedoppelter  Weise  gelöst.  Denn  einmal  hat  sich  ge- 
zeigt, daß,  sofern  Zivilerbschaft  eintritt,  in  der  Tat 
von  keiner  Verpflichtung  eines  noch  so  reich  bedachten 
Legatars  die  Rede  sein  kann,  weder  von  einer  den  Erben 
befreienden,  wie  die  älteren  Ausleger  wollen,  noch  von 
einer  neben  der  Verpflichtung  des  Zivilerben  herlaufen- 
den, wie  Savigny  will.  Insoweit  existiert  also  jene  Be- 
fremdlichkeit gar  nicht.  Insoweit  aber  subsidiarisch,  wenn 
gar  nicht  Zivilerbschaft,  sondern  bon.  poss.  stattfindet, 
diese  Verpflichtung  für  den  in  jenem  Maße  bedachten  Le- 
gatar eintritt,  so  weit  hat  sie  sich  jetzt  auch  befriedigend 
erklärt.  Denn  es  hat  sich  gezeigt,  wie  diese  subsidiäre 
Verpflichtung  eines  solchen  Legatars  durch  die  schon  im 
zweiten  Falle  ausgesprochene  Verpflichtung  des  bon.  poss. 
selbst  vermittelt  ist,  da  ein  solcher  Legatar  begriff- 
lich genau  in  derselben  Lage  ist,  wie  der  über  die 
Hälfte  erwerbende  bon.  poss.  (oder  Usukapient)  des  zwei- 
ten Falles,  und  also,  wenn  und  nachdem  man  sich  einmal 

68 


entschlossen  hatte,  falls  Zivilerbschaft  nicht  eintrat,  dem 
über  die  Hälfte  erwerbenden  bon.  poss.  oder  Usukapienten 
die  Sacra  aufzuerlegen,  man  auch  genötigt  war,  dem  trotz 
alles  Gegensatzes  von  Universal-  und  Singularsukzession 
doch  in  ganz  gleicher  Lage,  wie  jener  possessor,  befind- 
lichen Legatar  über  die  Hälfte  ebenso  zu  behandeln.  Zu- 
gleich muß  schon  hier  ein  heller  Blick  darauf  gefallen 
sein,  daß  —  was  erschöpfend  erst  später  sich  nachweisen 
wird  —  der  ganze  Gegensatz  von  erbrechtlicher 
Universalsukzession  und  Singularsukzession 
nur  ein  unbegrifflicher  und  ungelenker  Ausdruck 
ist  für  den  wahrhaften,  darin  verborgenen  be- 
grifflichen Gegensatz  von :  Willensfortsetzung 
und  Sacherwerb.  Besonders  bei  der  Entwicklung  der 
Legatenlehre  wird  dies  aufs  genaueste  bewiesen  werden. 
Der  Gegensatz  zwischen  dem  Zivilerben,  der  Wil- 
lensfortsetzer ist,  und  dem  bloßen  Vermögens- 
nehmer,  was  der  bon.  poss.  —  worüber  später  —  eben- 
sogut bloß  ist,  wie  der  Legatar,  ist  der  prinzipielle. 
Wenn  ein  Willenserbe  da  ist,  ist  der  Vermögensnehmer 
von  der  Verpflichtung  zu  den  sacris  ausgeschlossen.  Der 
Unterschied  zwischen  dem  bonorum  possessor  aber,  ob- 
gleich dieser  Universalsukzessor  ist,  und  dem  Le- 
gatar sinkt  sofort  zu  einem  bloß  quantitativen  Dasein  zu- 
sammen, und  wenn  der  Legatar  mehr  als  die  Hälfte  emp- 
fängt, so  wird  er  zu  den  sacris  verpflichtet,  von  denen  der 
per  universitatem  sukzedierende  Vermögensnehmer,  der 
bonorum  possessor,  befreit  \vird.  Ebenso  zeigt  aber  auch 
schon  der  zweite  Fall  der  Theorie,  daß  der  Gegensatz 
von  Universal-  und  Singularsukzessor  im  Erbrecht,  wenn 
nicht  jener  Gegensatz  von  Willenskontinuation  und  Ver- 
mögenszunahme in  ihm  tätig  ist,  gleichgültig  zu  wer- 
den anfängt.    Denn  schon  im  zweiten  Falle  der  Theorie 

69 


ist  der  per  universitatem  sukzedierende  bonorum  possessor 
und  der  die  einzelnen  Sachen  erwerbende  Usukapient  in 
der  Verpflichtung  zu  den  sacris  gleichgestellt. 

Unsere  Entwickelung  der  älteren  Sakraltheorie  beruht 
auf  dem  Fundamente,  daß  der  dritte  wie  der  zweite  Satz 
gleichmäßig  nur  für  den  Fall,  daß  keine  Zivilerbschaft 
eintritt,  zu  verstehen  sind.  Diese  Auffassung  scheint  uns 
aber,  sowohl  in  Hinsicht  auf  den  Geist  der  Sache,  wie 
auf  den  Wortlaut,  von  zwingender  Evidenz  zu  sein. 
Denn  was  wäre  wohl  dem  Geist  des  alten  jus  civile  an- 
gemessener als  der  Satz,  daß,  insofern  eine  Zivilerbschaft 
eintritt,  nur  der  Zivilerbe,  diese  volle  Willensidentität 
mit  dem  Erblasser,  verbunden  sein  kann  ?  Und  was  wäre 
grammatisch  richtiger,  als  daß,  wenn  durch  das  erste  aut 
bereits  der  Fall  der  Zivilerbschaft  ausgeschlossen  ist,  auch 
durch  das  zweite  aut  nicht  stillschweigend  der  schon  aus- 
geschlossene Fall  wieder  unterstellt  wird. 

Wahrscheinlich  würde  man  auch  niemals  auf  eine  an- 
dere als  diese  so  einfache  Auffassung  geraten  sein,  wenn 
man  nicht  immer  zuerst  von  der  jüngeren  Theorie  aus- 
gegangen und  hierdurch  mit  einer  irrigen  Voraussetzung 
erfüllt  worden  wäre,  indem  man  aus  der  jüngeren  Theorie 
jenes  Prinzip,  in  welchem  gerade  ihre  Neuerung  be- 
steht, unmittelbar  auch  in  die  ältere  Theorie  hinüber- 
schleifte. Nachdem  jetzt  aber  einmal  der  Sinn  der  alten 
Theorie  gefunden  ist,  erlangt  derselbe  seine  schlagend- 
sten Beweise  gerade  dadurch,  wenn  man  nun  zu  der 
jüngeren  Theorie  übergeht,  denn  jetzt  erst  wird  sich 
das  Verhältnis  derselben  zur  älteren,  und  die  durch  sie 
vollbrachte  Neuerung  verstehen  lassen,  die  bisher  so 
dunkeln  Worte  und  Vorwürfe  Ciceros  sich  überall  in 
hellstes  Licht  umwandeln  und  die  ganze  Stelle  harmo- 
nischste Einheit  empfangen. 

70 


Auch  nach  der  jüngeren  Theorie  bleibt  primo  loco  der 
Erbe  verpflichtet.  Dann  aber  heißt  es  :  „deinde  qui  morte 
testamentove  ejus  tantumdem  capiat,  quantum  omnes  here- 
des".  Also  nicht  ,,aut",  sondern  deinde,  d.h.  in  zweiter 
Linie,  aber  neben  dem  Zivilerben  ist  derjenige  Legatar 
verpflichtet,  der  soviel  vom  Vermögen  nimmt,  \vie  der 
Erbe,  oder  respektive,  wenn  mehrere  Erben  sind,  wie 
alle  Erben  zusammengenommen.  Und  darin  be- 
steht nun  eben  die  Neuerung  dieser  Theorie,  daß  jetzt 
auch  im  Falle  der  Zivilerbschaft  noch  ein  an- 
derer als  der  Zivilerbe  neben  diesem  verpflichtet 
sein  soll.  Wenn  man  sich  unserer  Auffassung  nicht  an- 
schließt, —  worin  besteht  denn  dann  eigentlich  die  Neue- 
rung überhaupt,  welche  die  jüngere  Theorie  an  der  älteren 
vornimmt,  und  über  die  Cicero  in  so  erstaunlichem  Eifer 
gegen  die  beiden  Scävola  gerät  ?  Sie  besteht  darin,  nach 
Savigny  (a.  a.  O.,  S.  366  fg.),  daß  nach  der  älteren 
Theorie  dem  Legatar  mehr  als  die  Hälfte  des  ganzen 
Vermögens  zugewendet  sein  mußte,  und  jetzt  —  schon 
diese  Hälfte  genügte,  um  ihn  zu  den  sacris  zu  ver- 
pflichten !  Savigny  selbst  bemerkt,  diese  Änderung  sei 
darauf  gegründet,  daß  die  lex  Voconia  allen  zensierten 
Bürgern  verboten  hatte,  einem  Legatar  mehr  zu  hinter- 
lassen, als  den  Erben  zusammengenommen  bleiben  werde : 
so  daß  nun  die  neue  Theorie  demjenigen  Legatar  die  sacra 
auflegt,  welcher  das  größte  nach  der  lex  Voconia  noch 
erlaubte  Legat  erhält.  Allein  gerade  durch  diese  Bezug- 
nahme auf  die  lex  Voconia  erweist  sich  diese  Änderung 

—  die  Änderung  von  ,,über  die  Hälfte"  in  ,,die  Hälfte" 

—  vollständig  gerechtfertigt  und  der  Vereinigung  des 
Geistes  der  alten  Sakraltheorie  mit  dem  neuen  durch  die 
lex  Voconia  begründeten  Zustand  vollkommen  angemessen. 
Aber  selbst  abgesehen  von  dieser  rechtfertigenden  Wirkung 

1\ 


der  lex  Voconia,  —  wenn  dies  der  ganze  Unterschied 
war,  so  ist  der  Lärm,  den  Cicero  erhebt,  schlechthin  un- 
begreiflich. Ob  dem  Legatar  irgendeine  Kleinigkeit,  etwa 
die  bekannten  centum  numi,  über  die  Hälfte  oder  nur 
die  akkurate  Hälfte  zufallen  mußte,  um  ihn  zu  den 
sacris  zu  verpflichten,  dieser  mikroskopisch-geringfügige 
Unterschied  kann  doch  gewiß  nicht  erklären,  daß  Cicero 
mit  so  heftigem  Zorne  deshalb  den  Pontifices  eine  totale 
Delusion,  eine  Fälschung  und  Verderbung  des  pontifikalen 
Rechtes  zur  Last  legt! 

Und  dennoch  ist  der  Unterschied  beider  Theorien  ge- 
rade in  diesem  zweiten  Falle  der  jüngeren  Theorie  zu 
suchen.  Derselbe  muß  das  ganze  Prinzip  des  Unter- 
schiedes enthalten.  Dies  geht  aus  den  ausdrücklichen 
Worten  Ciceros  hervor.  Denn  gerade  bei  diesem  zweiten 
Falle  unterbricht  er  sich  mit  der  Bemerkung:  ,,Id  quo- 
que  ordine  ;  est  enim  ad  id,  quod  propositum  est,  accommo- 
datum."  Man  scheint  auch  diese  Worte  bisher  ganz  miß- 
verständlich, etwa  als  ein  Lob  oder  als  eine  objektive  Be- 
merkung über  den  Charakter  der  Sakralinstitution  auf- 
gefaßt zu  haben.  Das  ist  ja  aber  ganz  unmöglich!  ,,Id 
quod  propositum  est",  das  ist  der  Zweck  des  Scävola, 
sein  in  das  alte  Sakralrecht  hineingeschwärzter  Neuerungs- 
gedanke. Diesen  tadelt  ja  aber  Cicero  so  heftig.  Die 
Worte  sind  also  nur  ironisch  zu  fassen,  und  etwa  so 
zu  übersetzen:  ,,Und  freilich  ist  das  auch  in  der  Ord- 
nung! Denn  für  den  Zweck,  zu  dem  man  einmal  ge- 
langen will,  ist  dies  allerdings  das  angemessene  Mittel," 
Dann  aber  sagt  ja  Cicero  mit  dürren  Worten:  das  Prin- 
zip der  Neuerung  sei  in  diesem  zweiten  Falle  ent- 
halten. 

Und  so  sehr  ist  dies  der  Fall,  daß  er  noch  einmal  gegen 
das  Ende  seiner  Erörterungen  mit  \ollster  Betonung  ge- 

72 


rade  hierauf  zurückkommt  und  wiederum  gerade  diesen 
zweiten  Fall  als  das  treibende  Prinzip  der  Neuerung 
bezeichnet;  II,  c.  21  :  „Placuit  P.  Scaevolae  et  Corun- 
canio,  Pontificibus  maximis  itemque  ceteris  qui  tantundem 
caperet,  qiiantiini  omnes  heredes  sacris  alligari."  —  „Aber 
es  gefiel  nun  einmal  den  pontifices  (im  Gegensatz  zur 
Satzung  des  jus  civile),  daß  der,  der  ebensoviel  nähme, 
wie  alle  Erben,  zu  den  sacris  verpflichtet  werde. 
Wiederum  also  weist  Cicero  mit  aufgehobenem  Finger  auf 
diesen  zweiten  Fall,  als  die  wahre  Seele  der  Neuerung 
hin  (statt  auf  die  in  der  alten  Theorie  gar  nicht  enthaltenen 
Fälle  Nr.  4  und  5),  und  gleichwohl  hat  man  sich  bisher 
nicht  einmal  die  Frage  vorgelegt,  wie  dies  denn  zu- 
sammenhängen solle.  Ebensowenig  wie  die  mit  so  großem 
Nachdruck  angegriffene  Neuerung  selbst,  läßt  sich  aber 
ohne  unsere  Auffassung  begreifen,  wie  Cicero  sagen  kann, 
der  gesamte  Unterschied  zwischen  den  Fällen  der  älteren 
und  neuen  Theorie  ,, flösse  aus  jenem  Einen  her,  daß  die 
pontifices  wollen,  es  solle  das  Vermögen  mit  den  sacris 
verknüpft  werden"  (videtis  igitur  omina  pendere  ex  uno 
illo,  quod  pontifices  pecuniam  sacris  conjungi  volunt). 
Denn  wie  konnte  man  denn  bei  den  bisherigen  Inter- 
pretationen sagen,  daß  dieser  Grundsatz  überhaupt  erst 
durch  die  jüngere  Theorie  eingeführt  sei?  Oder  wie 
konnte  man  nur  sagen,  daß  beide  Theorien  in  bezug  auf 
diesen  Punkt  irgend  prinzipiell  abwichen?  War 
ein  Zivilerbe  da,  so  war  ja  dieser  auch  nach  der  jüngeren 
Theorie  immer  primo  loco  verpflichtet,  ohne  Rücksicht  auf 
die  Größe  seines  Anteiles  am  hinterlassenen  Vermögen. 
Daß  aber  umgekehrt  jemand,  auch  ohne  Erbe  zu  sem, 
durch  die  bloße  Erwerbung  eines  gewissen  Anteiles  an 
dem  Vermögen  des  Erblassers  zu  den  sacris  verpflichtet 
werden  könne,  dieser  Grundsatz  war  ja  unbestritten  und 

73 


unbestreitbar  schon  in  der  älteren  Theorie  (zweiter  und 
dritter  Fall)  vorhanden,  und  wenn  er  also  die  Bedeutung 
des  ,,pecuniam  sacris  conjungi"  bilden  sollte,  so  wäre 
nicht  zu  begreifen,  wie  Cicero  behaupten  kann,  er  sei  erst 
durch  die  Theorie  der  Scävola  aufgebracht  worden. 

Unsere  Auffassung  dagegen  setzt  beide  Punkte  in  das 
hellste  Licht  und  läßt  so  erst  das  Verständnis  des  Ver- 
hältnisses beider  Theorien  zueinander  hervortreten. 

Nach  unserer  Interpretation  besteht  die  Neuerung  darin, 
daß  während  nach  der  älteren  Theorie  nur  subsidia- 
risch, wenn  die  Stelle  des  Erben  gar  nicht  besetzt 
war,  durch  den  bloßen  Vermögensübergang  von  einem 
gewissen  Umfang  eine  Verbindlichkeit  zu  den  sacris  ent- 
stehen kann,  diese  nach  der  neuen  Theorie  auch  trotz 
des  Eintretens  von  Zivilerbschaft,  und  ungeachtet  dessen 
also,  daß  die  Stelle  des  Zivilerben,  des  Willensfortsetzers, 
ausgefüllt  ist,  durch  den  bloßen  Vermögens- 
erwerb von  gewissem  Umfange  dem  Legatar  ebensogut 
wie  dem  Erben  und  neben  diesem  die  Verpflichtung  auf- 
erlegt sein  sollte.  Hierdurch  war  nun  freilich  durch  eine 
unscheinbare  Weiterführung  der  alten  Theorie  einem  ganz 
neuen  Prinzip  Eingang  verschafft  worden.  Aus  einer 
aushilf s weisen  und  subsidiarischen  war  die  Ver- 
pflichtung zu  den  sacris  durch  einen  bestimmten  Ver- 
mögenserwerb erst  jetzt  zu  einer  ebenso  selbständigen 
und  prinzipalen,  wie  die  des  Willensfortsetzers  ge- 
worden, und  man  fühlt,  wie  sehr  dadurch  der  strenge 
Geist  der  alten  Anschauung  erschüttert  werden  mußte. 
Jetzt  also  konnte  gesagt  werden,  daß  nun  erst,  trotz 
jener  schon  in  der  älteren  Theorie  aushilfsweise  eintreten- 
den Verpflichtung,  prinzipiell  das  Vermögen  mit  den 
sacris  verknüpft  worden  sei,  und  man  sieht  sofort, 
welche  weitere  praktisch  wichtigen  Folgen  sich  aus  diesem 

74 


prinzipalen,  dem  Erbtum  koordinierten  Charakter 
der  Verpflichtung,  im  Unterschiede  von  der  bloß  aushilfs- 
weisen  Zulassung  in  der  älteren  Theorie,  ergeben  mußten. 
In  der  älteren  Theorie  muß  der  bonorum  possessor,  damit 
ihm,  der  nicht  Willensfortsetzer  ist  und  daher  beim  Da- 
sein eines  Erben  niemals  verpflichtet  sein  kann,  durch 
das  Vermögen  die  sacra  auferlegt  werden,  dasselbe,  wie 
wir  oben  zeigten,  mindestens  in  einem  solchen 
quantitativen  Zusammenhange  übernommen 
haben,  daß  durch  diesen  Zusammenhang  der  Wider- 
schein der  früheren  Willensherrschaft  (des 
Toten)  entsteht.  Jetzt  aber,  wo  durch  die  bloße  Ver- 
mögensübernahme eine  ebenso  prinzipale  und  selb- 
ständige Verpflichtung,  wie  die  des  Erben,  entstehen  soll, 
ist  konsequenterweise  dieser  Widerschein  nicht  mehr 
nötig.  Jetzt  ist  also  konsequenterweise  ein  bestimmter 
quantitativer  Umfang  gar  nicht  mehr  nötig,  um  das 
absolute  Dasein  einer  Verpflichtung  an  sich  selbst 
zu  begründen.  Sondern  jetzt  kann  nur  noch  relativ,  d.h. 
den  anderen  Personen  gegenüber,  auf  die  das  Ver- 
mögen auch  übergeht,  ganz  angemessen  dem  neuen  Prin- 
zip der  Vermögenserwerbung,  das  Quantum  derselben 
einen  Unterschied  machen.  Und  so  ergibt  sich  denn  sofort 
durch  die  strengste  begriffliche  Konsequenz  aus  dem 
zweiten  Falle  der  jüngeren  Theorie  der  dritte  Fall 
derselben :  Tertio  loco,  si  nemo  sit  heres,  is,  qui  de  bonis 
quae  ejus  fuerint  cum  moritur,  usu  ceperit  plurimum  possi- 
dendo.  ,,In  dritter  Reihe,  wenn  kein  Erbe  ist,  ist  der 
verpflichtet,  welcher  von  den  Gütern  des  Toten  das 
meiste  erwirbt."  Wenn  also  ein  Usukapient  auch  nur 
ein  einzelnes  Stück  aus  der  Hinterlassenschaft  er- 
wirbt, so  geringfügig  es  sei,  alle  anderen  Personen  aber 
nichts  aus  ihr  erwerben,   so  ist  er  zu  den  sacris  ver- 

75 


pflichtet,  denn  er  hat  immer  das  meiste  erworben !  Und 
so  heißt  es  dann  deshalb  auch  im  vierten  Falle :  Si  nemo 
sit,  qui  iillani  rem  ceperit.  Man  sieht  jetzt,  wie  richtig 
es  ist,  zu  sagen,  durch  diese  neue  Theorie  sei  prinzipiell 
die  Verbindung  der  sacra  mit  dem  Vermögen  eingeführt. 
Der  Erwerb  des  geringsten  Vermögensteiles  begründet 
schon  diese  Verpflichtung  an  sich  selbst  und  nur  r e  1  a - 
tivisch,  also  anderen  Vermögensnehmem  gegenüber 
tritt  sie  in  einer  durch  das  Prinzip  der  Vermögensnahme 
selbst  gesetzten  Weise  vor  dem  mehr  Erwerbenden 
zurück.  Der  Usukapient  ist  also  bloß  dann  nicht  ver- 
pflichtet, wenn  ein  anderer  mehr  erworben  hat.  Der  Le- 
gatar, wo  bonorum  possessio  eintritt,  bloß  dann  nicht  ver- 
pflichtet, wenn  der  bonorum  possessor  mehr  erhält.  Ja, 
dieses  Prinzip  waltet  auch  schon  im  zweiten  Falle, 
dem  Zivilerben  gegenüber.  Denn  hat  der  Erbe  ex 
asse  oder  die  Erben  zusammengenommen  nur  ebenso- 
viel Vermögen  erhalten  (weniger  können  sie  wegen  der 
lex  Voconia  nicht  bekommen)  als  der  Legatar,  so  ist 
dieser  ja  ebensosehr  verpflichtet  wie  sie.  Hat  der  Erbe 
aber  mehr  Vermögen  erworben  als  der  Legatar,  so 
schlägt  er  dessen  Verpflichtung  ja  gar  nicht  qua  heres, 
sondern  schon  als  stärkerer  Vermögenserw erber. 
So  wird  immer  tiefer  ersichtlich,  wie  wahr  es  sei,  daß 
jetzt  Sacra  cum  pecunia  conjuncta!  Die  Selbständig- 
keit der  Übertragung  der  sacra  durch  das  bloße  Ver- 
mögen trägt  also,  nachdem  sie  durch  die  zunächst  unschein- 
bare Änderung,  welche  der  zweite  Fall  der  neuen  Theorie 
in  das  Sakralrecht  einführt,  einen  ganz  anderen  Geist  in 
dasselbe  eingebürgert  hat,  ihre  stärkste  Folge  in  dem 
dritten  Fall,  indem  jetzt  nicht  mehr  der  Widerschein 
der  früheren  Willensherrschaft  erforderlich  ist,  der  in  der 
,, major  pars  pecuniae"  liegt,  die  nach  der  älteren  Theorie 

76 


nötig  ist,  um  zu  verpflichten,  sondern  jedes  noch  so 
kleine  Vermögensstück  zu  dieser  Verpflichtung  hin- 
reicht, die  nur  vor  dem  stärkeren  Vermögenserwerbe 
Nvieder  verschwindet.  Besteht  aber  einmal  das  Prinzip,  daß 
jeder  noch  so  geringe  Vermögenserwerb  die  Verpflich- 
tung an  sich  selbst  auferlegt,  die  nur  durch  einen 
größeren  Erwerb  seitens  anderer  fortfallen  kann,  so  er- 
geben sich  jetzt  hieraus  der  vierte  und  fünfte  Fall  der 
jüngeren  Theorie  ganz  von  selbst,  und  dieselbe  hat  sich 
jetzt  aus  jener  einen  zunächst  kaum  merklichen,  den  Le- 
gatar nur  neben  dem  Zivilerben  verpflichtenden,  aber  da- 
durch die  Verpflichtung  des  Vermögens  aus  einer  subsidia- 
rischen in  eine  selbständige  umwandelnden  Abänderung 
zu  einem  harmonischen,  sich  selbst  entwickelnden  Gan- 
zen aufgebaut,  einem  durchaus  anderen  Gebäude 
als  demjenigen,  welches  die  ältere  Theorie  darstellt.  Man 
sieht  jetzt  erst,  wie  Cicero  gerade  bei  dem  zweiten 
Falle  der  jüngeren  Theorie,  obgleich  dessen  Änderung  dem 
sinnlichen  Anscheine  nach  sich  lange  nicht  so  groß  dar- 
stellt, wie  die  des  dritten,  oder  die  des  in  der  älteren 
Theorie  ganz  fehlenden  vierten  und  fünften  Falles,  mit  so 
tiefem  Rechte  ausrufen  kann:  ,,Id  quoque  ordine ;  est 
enim  ad  id,  qaod  propositum  est,  accommodatum !"  Die 
prinzipielle  Selbständigkeit  der  durch  das  Ver- 
mögen übertragenen  Verpflichtung,  die  in  dem  Vor- 
handensein einer  solchen  für  den  Legatar  trotz  des  Da- 
seins eines  zivilistischen  Willensfortsetzers 
liegt,  —  dies  war  das  rechte  Mittel,  diese  totale  Um- 
vvandlung  zu  vollbringen,  die  Cicero  mit  Recht  als  einen 
vollständigen  Verderb  des  alten  Pontifikalrechtes  dar- 
stellen kann ! 

Zugleich  zeigt  sich  auch  bei  dieser  Auffassung,  warum 
in  der  jüngeren  Theorie  gegen  die  ältere  außer  der  Ab- 

77 


änderung  auch  noch  die  Verschleifung  der  Fälle  statt- 
finden muß,  daß  der  zweite  Fall  der  jüngeren  dem  dritten 
Fall  der  älteren  Theorie,  und  der  zweite  Fall  dieser  dem 
dritten  Fall  jener  abändernd  entspricht.  Denn  da  die 
jüngere  Theorie  in  dem  zweiten  Falle  einen  solchen  ein- 
schiebt, der  in  der  älteren  gar  nicht  vorhanden,  die 
Verpflichtung  des  Legatars  neben  der  des  Zivilerben,  so 
parallelisiert  sich  nun  hierzu  nicht  mehr  der  zweite,  wohl 
aber  der  dritte  Fall  der  älteren  Theorie,  insofern  dieser 
von  der  Verpflichtung  des  Legatars  im  Falle  der  bonorum 
possessio  handelt. 

Ebenso  erklärt  sich  jetzt  vollständig,  welchen  Beweg- 
grund die  pontifices  hatten,  um  dadurch  das  Untergehen 
der  Sacra  zu  vermeiden,  diese  Neuerung  vorzunehmen. 
Nichts  war  leichter  möglich  als  der  Untergang  der  sacra 
bei  der  alten  Theorie.  Es  brauchte  nur  die  Hinterlassen- 
schaft von  drei  bonorum  possessores  zu  drei  gleichen  Teilen 
oder  doch  so,  daß  keiner  über  die  Hälfte  des  Ganzen 
hatte,  erworben  zu  werden,  und  keiner  von  ihnen  war 
zu  den  sacris  verpflichtet.  Oder  zwei  bonorum  possessores . 
und  ein  Legatar,  oder  ein  bonorum  possessor  und  zwei 
oder  mehr  Legatare  brauchten  sich  so  in  das  Vermögen 
zu  teilen,  daß  keinem  mehr  als  die  absolute  Hälfte  zu- 
stand, so  war  wiedeiiim  niemand  zu  den  sacris  verpflichtet. 
Nach  der  neuen  Theorie  konnte  aber  niemand  nur  irgend 
etwas  von  dem  Vermögen  erworben  haben,  ohne  mit  der 
Verpflichtung  behaftet  zu  sein,  die  nur  von  ihm  wich, 
wenn  ein  anderer  mehr  hatte. 

Endlich  ist  auch  das  ersichtlich,  wie  dieser  Theorie, 
trotz  der  so  wesentlichen  Änderung,  die  sie  hervorbrachte, 
durch  die  pontifices  Eingang  verschafft  werden  konnte, 
und  die  historische  Entwickelung  des  Sakralrechtes 
überhaupt.   Denn  es  wird  mindestens  dringend  wahr  schein - 

78 


lieh  jetzt  sein,  daß  auch  die  ältere  Theorie  nicht  die 
älteste  war;  daß  es  vielmehr  eine  Zeit  gegeben  haben 
muß,  wo  die  Verpflichtung  zu  den  sacris  übertragen 
wurde  hereditaie,  und  auf  durchaus  keine  andere  Weise, 
so  daß  die  sacra  eines  jeden  untergingen,  dessen  Erbschaft 
nicht  angetreten  wurde.  Es  ist  dies  jene  älteste  Zeit  des 
jus  civile,  ehe  das  prätorische  Erbrecht  existiert.  Als 
sich  die  prätorische  bonorum  possessio  gebildet  hatte, 
mußte  natürlich  dies  Institut  auch  auf  das  Institut  der 
Sacra  einwirken,  die  sonst  sogar  in  die  Gefahr  eines  all- 
gemeinen Unterganges  hätten  geraten  müssen.  Man  will 
dem  bonorum  possessor,  wenn  er  an  die  Stelle  des  Erben 
tritt,  auch  an  dessen  Stelle  die  sacra  auferlegen,  aber, 
noch  möglichst  streng  festhaltend  an  dem  alten  Geist  der 
sacra  und  des  Zivilrechtes,  doch  nur  dann,  wenn  ein  bono- 
rum possessor  für  sich  allein  einen  solchen  über\viegen- 
den  Zusammenhang  in  dem  Vermögen  des  Erblassers  dar- 
stellt, daß  hierdurch  mindestens  der  Widerschein  der 
früheren  Willensherrschaft  fortdauert.  Allein  dann  war 
man  auch  genötigt,  im  gleichen  Falle  dem  Usukapienten 
die  sacra  aufzuerlegen.  Denn  Willensfortsetzer 
(Erbe)  ist  der  bonorum  possessor  so  wenig  wie  er,  und 
jener  Widerschein  entsteht  bei  ihm  so  gut  wie  beim  bono- 
rum possessor,  wenn  er  soviel  usukapiert ;  und  so  wird 
denn  auch  der  in  diesem  Falle  befindliche  Usukapient  in 
den  zweiten  Fall  der  älteren  Theorie  einbegriffen.  Allein 
aus  beiden  Gründen  mußte  man  dann  auch  wieder  den 
hierin  auf  ganz  gleicher  Linie  stehenden  Legatar  dem 
bonorum  possessor  gegenüber  und  mit  Ausschluß  dieses 
letzteren  beiasten,  denn  Willensfortsetzer  ist  er  nur  eben- 
sowenig wie  dieser,  und  jener  faktische  Anschein 
des  Fortschaltens  der  früheren  Willensherrschaft  durch 
das  Zusammenbleiben  der  größeren  Hälfte  desVer- 

79 


mögens  kann  bei  ihm  so  gut  entstehen,  wie  bei  jenem. 
So  entsteht  also  die  ältere  der  bei  Cicero  vorgetragenen 
Theorien,  die  sich  in  den  einen  Gedanken  zusammenfaßt, 
daß  nur  subsidiarisch  und  aushilfsweise,  wenn 
kein  Zivilerbtum  eintrete,  das  Vermögen  als  solches 
die  Verpflichtung  nach  sich  ziehen  können  solle. 

Noch  immer  bleibt  diese  ältere  Theorie  von  dem 
strengen  Geiste  des  jus  civile  durchdrungen.  Denn  noch 
immer  bleibt,  wenn  eine  Zivilerbschaft  eintritt,  der 
Zivilerbe,  wie  wenig  er  auch  erhalten  mag,  der  einzige 
und  ausschließend  Verpflichtete.  Die  dritte  Theorie 
endlich  entwickelt  sich  von  selbst  durch  die  scheinbar 
ganz  unbedeutende  Änderung,  daß  dem  Grundsatz  von  der 
durch  das  bloße  Vermögen  aufzuerlegenden  Verpflichtung, 
der  schon  in  der  zweiten  Theorie  subsidiär  da  war, 
nun  eine  der  Verpflichtung  des  Zivilerben  koordinierte 
Stellung  gegeben  wird.  Die  Scävola  hätten  sich  Cicero 
gegenüber  damit  verteidigen  können :  daß  sie  gar  keinen 
neuen  Grundsatz,  der  nicht  auch  in  der  älteren  Theorie 
da  war,  in  das  Pontif ikalrecht  eingeführt  hätten ;  daß  auch 
sie  primo  loco  die  Verpflichtung  jedes  einzelnen 
Erben,  wie  wenig  er  auch  bekäme  —  und  die  lex  Voconia 
hinderte  nicht,  daß  ein  einzelner  Erbe  weit  weniger  als 
der  Legatar  bekam  — ,  fortdauern  ließen ;  daß  die  Ver- 
änderung der  major  pars  der  älteren  Theorie  in  das 
,, ebenso  viel  wie  alle  Erben"  durch  die  lex  Voconia 
selbst  mit  Notwendigkeit  gegeben  und  gerechtfertigt  sei : 
daß  femer  durch  die  Verpflichtung  dessen,  ,,der  soviel 
nehme,  wie  alle  Erben",  auch  schon  um  so  mehr  die  Ver- 
pflichtung dessen  gegeben  sei,  der,  weil  kein  Erbe  da 
sei,  mehr  nehme,  als  von  Erben  überhaupt  genommen 
würde,  also  auch  dessen,  qui  ullam  rem  ceperit  (somit  die 
Verpflichtung    des    dritten    Falles    und    der    folgenden 

80 


Fälle).  Alles  dies  wäre  richtig  und  unleugbar;  aber  alles 
dies  zeigt  eben,  daß  durch  die  so  unmerkliche  und  schein- 
bar so  unverfängliche  Änderung,  das  subsidiarische 
Prinzip  der  älteren  Theorie  zum  selbständig  koordi- 
nierten der  jüngeren  zu  machen,  also  durch  den  zweiten 
Fall,  von  dem  Cicero  daher  mit  solchem  Recht  ausruft, 
er  sei  die  rechte  Brücke,  das  geeignete  Mittel  zur  Er- 
reichung dessen  gewesen,  was  man  habe  erreichen  wollen, 
ein  Prinzip  eingeführt  war,  welches  sich  durch  seine  eigene 
Tätigkeit  sofort  zu  dem  Gebäude  einer  ganz  anderen 
Doktrin  entwickeln  mußte,  daß  jetzt  das  Vermögen 
statt  des  Erbtumes  oder  der  Willensfortsetzung  die  Basis 
der  Verpflichtung  zu  den  sacris  geworden  war,  und  selbst 
der  oder  die  Erben,  die  zusammen  weniger  als  der  größte 
Legatar  wegen  der  lex  Voconia  nicht  erhalten  konnten, 
nur  qua  gleiche  Vermögensnehmer  mit  diesem  zu 
den  sacris  verpflichtet  zu  sein  scheinen  konnten. 

Und  so  schlagend  ist  es,  daß  die  von  uns  entwickelte 
Auffassung  den  wahren  Sinn  der  Stelle  bildet,  daß  sich 
dadurch  auch  noch  im  weiteren  Verlauf  derselben  ihre 
bisher  unzugänglichen  Einzelheiten  erklären.  Cicero  wirft 
später  den  Scävola  noch  vor,  daß  sie  aber  auch  noch  ein 
Mittel  erfunden  hätten,  um  die  Verpflichtung  des  Le- 
gatars zu  den  sacris  zu  umgehen,  nämlich  für  diesen  den 
Rat :  er  solle  eine  Kleinigkeit  weniger  als  alle 
Erben  nehmen.  ,,Inventa  est  ratio,  cur  pecunia  sacrorum 
molestia  liberaretur.  Quod  si  hoc,  qui  testamentum  fa- 
ciebat,  cavere  noluisset,  admonet  Jurisconsultus  hie  quidem 
ipse  Mucius,  Pontifex  idem,  ut  minus  capiat,  quam  Omni- 
bus heredibus  relinquatur  . .  .  Rursus  sacris  libemntur.' ' 
In  der  Tat  scheint  zunächst  dieses  Tun  der  Scävola  nach 
allen  Seiten  unverständlich.  Sie,  die  pontifices,  geben  den 
Rat,  den  Willen  des  Toten  zu  eludieren  und  zu  umgehen ! 

6   Lassalle.    Geä.  Schriften.    Bar.<l  XI.  öl 


Sie,  die  pontifices,  erfinden  ein  Mittel,  von  der  V^erpflich- 
tung  der  sacra,  an  deren  Erhaltung  ihnen  ja  gerade 
gelegen  war,  zu  entbinden!  Sie,  die  eben  erst  selbst 
gegen  das  alte  Recht  den  zivilistischen  Legatar  in  diese 
Verpflichtung  hineingearbeitet  hatten,  arbeiten  ihn  jetzt  in 
Widerspruch  mit  ihrer  eigenen  Lehre  wieder  heraus ! 

Allein  alle  diese  scheinbaren  Widersprüche  lösen  sich 
jetzt.    Die  pontifices  empfinden  selbst,  welch  große  Ab- 
\veichung  vom  Geist  des  alten  Zivil-  und  Sakralrechtes  sie 
vollbracht  haben,  indem  sie  den  beim  Dasein  von  Zivil- 
erben ganz  unverpflichteten  Legatar  ungebührlich  in  diese 
Verbindlichkeit  hineingearbeitet  haben.  Zugleich  kann  ihnen 
praktisch  gar  nichts  an  der  Verpflichtung  des  Legatars 
bei  dem  Dasein  eines  Zivilerben  liegen,  denn  ihr  Zweck, 
daß  die  sacra  nicht  untergehen,  ist  ]a  schon  durch  das  Da- 
sein des  Erben  hinreichend  gedeckt.    Aber  sie  brauchen, 
wie   wir   ausführlich   gezeigt   haben,    die   selbständige 
koordinierte   Verpflichtung   des    Legatars   neben 
dem  Erben  als  die  theoretische  Brücke,  um  zu  den 
weiteren  Konsequenzen,  dem  dritten  Falle  der  Theorie 
usw.,  zu  gelangen.    So  arbeiten  sie  denn  den  Legatar  in 
diese  Verpflichtung  hinein,  ge^vinnen  so  die  erforder- 
liche theoretische  Brücke,  um  zu  den  gewünschten 
Konsequenzen  (ad  id,  quod  propositum  est)  zu  gelangen, 
und   geben  ihm   dann,   insofern  Zivilerben  da  sind, 
aus  Billigkeit  praktisch  ein  Mittel  an  die  Hand,  sich 
mit  Leichtigkeit  der  ihm  aufgebürdeten  Verpflichtung  zu 
entziehen,    sich    bewußt,    daß    ihnen   nun   deshalb    von 
Seiten  der  Zivilerben  kein  gegründeter  Vorwurf  gemacht 
werden  könne,  weil  diese  ja  eben  nach  dem  substantiellen 
Geiste  des  Institutes  die  ausschließlich  Verpflich- 
teten sein  sollen,  und  sie,  die  pontifices,  also  durch 


82 


diese  künstliche  Aufhebung  der  Pflicht  des  Legatars  nur 
ihre  eigene  Aufhebung  des  alten  Rechtes  wieder  aufheben. 
Dies  ist  das  Ganze  der  Ciceronianischen  Stelle  und  die 
historische  Entvvickelung  der  sacra. 


IV.  Die  römischen  Definitionen  des  Testamen- 
tes.    Die   offenbarte    Innerlichkeit.      Ehre    und 
Haß.     Die   Sphäre    der   geistigen    Freiheit. 

Ehe  wir  aber  auf  das  formale  und  reale  Testaments - 
recht  selbst  eingehen,  müssen  wir  zuvor  noch  die  Defini- 
tionen betrachten,  welche  die  Römer  von  dem  Testament 
geben,  sovv^ie  einige  höchst  bedeutungsvolle  Gebräuche,  die 
in  diesem  Zusammenhange  ihr  Licht  empfangen. 

Unser  heutiges  Testament  ist  eine  Vermögens- 
verfügung, und  niemals  ist  es  den  Juristen  in  den  Sinn 
gekommen,  daran  zu  zweifeln,  daß  auch  das  römische 
Testament  eine  solche  sei,  wie  denn  in  der  Tat  immer 
eine  solche  durch  es  bewirkt  wird.  —  Hiernach  ist  aber 
schon  auffallend,  daß  die  römischen  Juristen  das  Testa- 
ment nicht  als  eine  Verfügung  über  das  Vermögen 
definieren.  Nicht  nur  die  Institutionen^),  sondern  schon 
der  berühmte  alte  Rechtsgelehrte  Servius  Sulpicius,  der 
Zeitgenosse  Ciceros,  definiert  das  Testament  etymologi- 
sierend als  QixiQ  ,,testatio  nie  litis' ',  ,,eine  Kundgebung 
des   geistigen   Inneren-)".    Und  wenn   Gellius   auch 


^)  Inst,  pr.,  II,  10  de  lest.  ord. 
0  Bei  Gellius.  Noct.  att.,  VI.  12. 


83 


mit  Recht  diese  grammatisch  ganz  falsche  Etymologie  in 
dieser  Hinsicht  tadelt,  so  tritt  er  doch  ihrer  Sinnbedeutung 
als  einer  zutreffenden  vollkommen  bei^).  Dieselbe  De- 
finition treffen  wir  bei  Ulpian^),  und  von  Hand  zu  Hand 
bis  zu  den  Institutionen  und  Theophilus^)  schleppt  sich 
die  Autorität  dieser  alten  Formel. 

Die  Verlautbarung  der  geistigen  Innerlich- 
keit also,  nicht  eine  Vermögensverfügung,  ist  nach  den 
Römern  das  Testam.ent,  und  diese  Definition  ist,  abgesehen 
von  der  Spielerei  der  Etymologie,  gar  nicht  realistisch  und 
markig  genug  aufzufassen !  So  erklären  sich  denn  jetzt  von 
hier  aus  interessante  und  mit  Unrecht  unbeachtet  gelassene 
Stellen  der  alten  Schriftsteller,  die,  obwohl  außerhalb  des 
juristischen  Kreises  stehend  und  von  jener  etymologisieren- 
den Definition  daher  nicht  berührt,  dennoch  das  Wesen  des 
Testamentes  im  Volksgeiste  ganz  in  derselben  Weise  her- 
vortreten lassen.  Der  Spötter  Lucian  sagt,  daß  ,,die  ein- 
zige wahre  Verlautbarung,  welche  die  Römer  in 
ihrem  ganzen  Leben  von  sich  geben,  diejenige  in  den 
Testamenten  sei*)". 

^)  A.  a.  O. :  .^  .  falsa  quidem,  sed  non  abhorrens,  neque 
inconcinna  quasi  mentis   quaedam  in  hoc  vocabulo  significatio. 

")  XX,  §  1  :  Testamentum  est  mentis  nostrae  justa  con- 
testatio. 

')  Lib.    II,   Tit.   X,    §    1.   T.    I,   p.    328.   ed.   Reitz.:  Ugb 

x(b  ä/dcov  ävayy.aiov  elneiv  xbv  xrjg  dia^7]X7]g  oqov  tjxol 
irvjuo?.oyio.v  r)  de  dia^r'jy.r]  Tiaqä  Pcojuaiotg  Xeyexat  Testamentum, 
ivxev'&ev  öe^a^uh'ij  xrjv  ixvjuoXoylav,  quod  testatio  mentis  sit 
{sTihdt]  [xagxvQia  öiavoiag  ioxi)  y.ai  yaQ  juaoxvgtav  eyei  rrjg  xov 
xelEvxrjGavxoQ  öiavoiag. 

0  Lucian  in  Nigrin.,  c.  30,  T.  I,  p.  52,  ed.  Bip. :  .  .  .  oxi 
jniav  (pcov7]v  Ol  Pco/iiaicov  noideg  dXtj'&i]  7ta§  ölov  xov  ßiov 
ngoievxai,  xijv  iv  xaig   dia§}]xaig  Xeycov  x.  x.  X. 

84 


Und  der  Römer  Lucretius  sagt  fast  dasselbe^): 

Nam   verae  voces  tunc  demum  pectore  ab  imo 
Eliciuntur,    deripitur  persona,   manet   res. 

In  diesem  Zusammenhange  begreift  sich  jetzt  also  von 
selbst  die  bisher  bloß  als  Kuriosität  erscheinende  und  nie- 
mals zur  Erklärung  des  Wesens  des  römischen  Testa- 
mentes benutzte,  so  charakteristische  Sitte  der  Römer, 
aus  den  Testamentstafeln  zugleich  ein  Denkmal  der 
Schande  für  ihre  Feinde  zu  machen,  Schimpf  und 
Schmähung  darin  den  vollsten,  ungehindertsten  Lauf  zu 
lassen.  —  Es  reicht  hin,  an  die  Beispiele  bei  Tacitus  zu 
erinnern.  Fulcinus  Trio  ergießt  sich  in  seinem  Testament 
in  ,,multa  et  atrocia"  gegen  Marco  und  andere  Günstlinge 
des  Tiberius,   vv^ie  nicht  minder  gegen  Tiberius  selbst^). 

Fabricius  Vejent  verfaßt  in  der  Form  \'on  Kodizillen 
ganze  Schmähschriften  gegen  Senat  und  Priester^).  Pe- 
tronius,  der  sich  aus  Furcht  vor  dem  Tode  selbst  die  Adern 
öffnet,  beschreibt  ausführlich  in  seinen  Kodizillen  alle 
Schandtaten  Neros,  unter  namentlicher  Angabe  der  ein- 
zelnen Männer  und  Weiber  und  der  Neuheit  einer  jeden 
einzelnen  seiner  Ausschweifungen,  und  schickt  dies  Testa- 
ment dem  Nero  zu^). 

Schmähung  und  Schande  sind  der  negative   Gegenpol 


')  De  rer.  nat.,  III,  57. 

')  Tacit.   Annal.,  VI,  38. 

')  Tacit.  Annal.,  XIV,  50:  quod  multa  et  probrosa  in  patres 
et  sacerdotes  composuisset,  iis  libris  quibus  nomen  codidllonun 
dederat  ...  et  (Nero)  libros  exuri  jussit. 

*)  Tacit.  Annal.,  XVI,  c.  19:  ne  codicillis  quidem,  quod 
plerique  pereuntium,  Neronem  aut  Tigellinum,  aut  quem  alium 
potentium  adulatus  est;  sed  flagitia  principis  sub  nominibus 
exoletorum  feminarumque  et  novitate  cujus  stupri  perscripsit, 
atque  obsignata  misit  Neroni. 

85 


des  Testamentes,  dessen  positiver  Pol  die  durch  die  Erb- 
einsetzung manifestierte  Identität  des  Geistes  ist.  Eben- 
deshalb, als  Proklamation  dieser  geistigen  Willensidentität, 
ist  die  Erbeinsetzung  nicht  sowohl  Wohltat,  Bereiche- 
rung und  Liebe,  wie  der  Fall  wäre,  wenn  sie  in  ihrem 
Wesen  eine  Vermögenszuwendung  wäre,  sondern  als  jener 
Auftrag  an  den  Dritten  zur  Fortsetzung  der  ganzen 
eigenen  Willenssubjektivität  ist  sie  nach  römischen 
Begriffen  eine  —  Ehre,  und  läßt  dies  noch  bei  späteren 
Schriftstellern  als  ihr  vorherrschendes  Wesen  in  den 
Vordergrund  treten  ■'^). 

So  kann  dann  allerdings  der  Brauch  nicht  mehr  wunder- 
nehmen, wenn  selbst  die  bedeutendsten,  vornehmsten  und 
reichsten  Männer  des  Staates  von  anderen  in  weit  unter- 
geordneterer Lage  schon  während  des  Lebens  derselben 
immer  öffentlich  als  ihre  künftigen  Erben  designiert  und 
behandelt  werden^),  ohne  daß  für  diese  im  römischen 
Volksgeist  hierin  das  geringste  Anstößige  und  Unpassende, 
zu  dem  Verdacht  einer  Bereicherungssucht  oder  Erb- 
schleicherei Anlaß  Gebende,  enthalten  ist.  Im  Gegenteil, 
der  diese  von  ihm  erregte  Voraussetzung  hinterher  täu- 
schende Erblasser  kann  sich  dadurch  so  frivol  an  dem 
gediegensten  Verhältnis  im  Volksgeiste  zu  vergreifen  und 
die  Substanz  desselben  zu  verraten  scheinen,  daß  in  den 
Zeiten  der  Republik,  wo  das  Volksgefühl  noch  lebendig 
ist,  sein  Leichnam  vom  Volke  mißhandelt  und  durch  die 


^)  Valer.  Maxim.,  VII,  c  7 :  ...  quaeve  ad  alios  quam 
qui  exspectabant,  honorem  hereditatis  transtulerunt ;  vgl.  das., 
VII,  c.  8,  no.  4,  wo  es  in  bezug  auf  den  im  Testament  über- 
gangenen Bruder,  dem  alieni  et  humiles  vorgezogen  waren,  heißt : 
,,ut  non  solum  flagitiosum  silentium  sed  etiam  praelatio  con- 
tuineliosa     videri  posset" ;  vgl.   Tacit.   Annal.,   III,  c.   76. 

')  Valer.    Maxim..  VII,  c   8,  no.    5  et  6. 

86 


Straßen  geschleift  wird,  während  sein  Testament  dennoch 
bestehen  bleibt  ■'^). 

Wenn  aber,  wie  bereits  gesagt,  Ehre  und  Schande 
die  beiden  Gegenpole  des  Testamentes  sind,  so  identisch 
miteinander  wie  sositiv  und  nagtiv,  so  muß  auch  dieselbe 
unbeschränkte  Freiheit,  wie  der  positiven  Ehre  der  Erb- 
einsetzung, dem  Schimpf  und  der  Schmähung  im 
Testament  zukommen. 

Die  Lizenz  des  Testamentes  ist  daher  die  schranken- 
lose. Natürlich!  Wenn  das  Testament,  wie  wir  sagten, 
die  römische  Unsterblichkeit  ist,  \vie  das 
Himmelreich  diejenige  des  Christen,  so  muß  es 
für  den  Römer  auch  das  Himmelreich  seiner 
Freiheit  sein,  in  das  überhaupt  durch  keine  ir- 
dische Gewalt  eingegriffen  werden  kann.  Die  Im- 
peratoren sogar,  welche  alle  staatliche  Freiheit  ver- 
nichten, vor  denen  selbst  Leben  und  Vermögen,  alle  reale 
Freiheit  des  Individuums  ein  Spott  ist  —  vor  dieser 
metaphysischen,  transzendenten  Freiheit  des  rö- 
mischen Subjektes  schrecken  sie  zurück,  beugen  sich  vor 
ihr  und  erdulden  sie  lieber,  als  mit  diesem  innersten  Heilig- 
tum des  Volksgeistes  in  Konflikt  zu  geraten.  Als  der  rö- 
mische Senat  die  Servilität  so  weit  treibt,  diese  Schmähungs- 
lizenz der  Testamente  beschränken  zu  wollen,  da,  wie  wir 
aus  Sueton  wissen,  interveniert  wohlweislich  Augustus 
selbst  und  verhindert  es^).  Ja,  sogar  ein  Tyrann  wie  Ti- 
berius  verbietet  es  den  Erben  des  Fulcinus  Trio,  welche 


^)  Wie  dies  dem  Q.  Cäcilius  erging :  ,,cum  prae  se  semper 
tulisset,  unum  illum  (L.  Lucullum)  sibi  esse  heredem,"  wäh- 
rend er  hinterher  im  Testament  den  Pomponius  Atticus  einsetzte ; 
s.  Valer.  Maxim-  1-  1. 

-)  Sueton.  vit.  Aug.,  c.  56:  de  inhibenda  testamentorum 
licentia  ne  senatus  quidquam  constitueret,    intercessit. 

87 


die  Schmähungen,  mit  welchen  das  Testament  gegen  Ti- 
berius  und  seine  Günstlinge  angefüllt  war,  verheimlichen 
wollen,  und  befiehlt,  das  Testament  dem  Gebrauche  ge- 
mäß laut  zu  verlesen,  ,,patientiam  libertatis  alienae  osten- 
tans",  wie  Tacitus  sagt^).  Das  Testament  ist  die  un- 
antastbare Sphäre  der  römischen  Freiheit,  eine  Sphäre,  in 
deren  Transszendenz  selbst  ein  Tiberius  die  Freiheit 
so  geduldig  anerkennt,  wie  der  größte  christliche  Tyrann 
die  Gleichheit  im  Himmel;  —  und  es  ist  noch 
ganz  unter  dem  traditionellen  Einfluß  dieses  Begriffes,  daß 
Kaiser  Konstantin  schreibt  2)  :  ,,Nilül  enim  est,  quod  magis 
hotninibus  debeatur.  quam  ut  supremae  voluntatis,  post- 
quam  jam  aliud  velle  non  possunt.  Über  slt  Stylus  et  lici- 
tum  quod  iterum  non  redit  arbitrium. 


V.  Die  Erbeinsetzung.  Das  Testament  als  Wille 
des  Erben.    — ■   Die  bonorum  possessio. 

Stärker  aber  und  unleugbarer,  als  in  einer  Definition 
der  Fall  sein  kann,  tritt  nun  überall  im  formalen  und  realen 
Testamentsrecht  jene  Ideenreihe  hervor.  Das  Testament 
muß  eine  institutio  heredis,  eine  formelle  Einsetzung 
eines  Erben  enthalten^).  Jede  bloße,  im  Testament 
vorgenommene  Vermögensverteilung  wäre  nichtig, 
wenn  die  ausdrückliche  Institution,  diese  direkte  Ein- 
setzung des  Willenskontinuators,  fehlt.  Diese 
Erbeinsetzung  muß  ferner  vor  allem  anderen,  namentlich 


')  Tacit.  Anna!.,  VI,  c.  38. 
)  L.   IC.  de  sacros.  eccl.  (1,  2). 

«)  Dig.,  XXVIII,  5.  Inst..  II.  14.  Cod.,  VI.  24.  de  hered. 
instit. 


vor  den  Legaten  vorhergehen,  sie  muß  den  Anfangt) 
des  Testamentes  bilden.  Wenn  endlich  der  eingesetzte  Erbe 
nicht  ersvirbt,  wenn  er  vor  dem  Erwerbe  der  Erbschaft 
stirbt  oder  ausschlägt,  so  bricht  als  Regel  das  ganze 
Testament  zusammen,  auch  alle  Legate  werden  hin- 
fällig^). Der  Erbe  ist  es  somit  erst,  welcher  durch  sein 
Dasein  dem  Testament  Dasein  gibt,  welcher  durch 
seinen  Willen  den  Willensbestimmungen  des  Testators 
Halt  und  rechtliche  Existenz  verleiht^). 

Was  auf  das  deutlichste  hierin  liegt,  ist,  daß  nur,  wenn 
im  Erben  der  Wille  des  Verstorbenen  noch  als 
fortexistierend  gesetzt  ist,  der  Wille  des  Toten 
noch  als  daseiend  angeschaut  wird  und  in  seinem  Ver- 
mögen zur  Ausführung  kommt.  Ohne  den  Willens- 
kontinuator  bleibt  der  Wille  des  Toten  das,  was  er 
der  Realität  nach  ist,  ein  toter,  gewesener,  nicht  mehr 
existierender,  nicht  willensfähiger  Wille,  der,  weil  er  keine 
lebendige  Existenz,  auch  keinen  Anspruch  auf  Geltung  hat. 

Während  man  also  jene  Bestimmungen  des  römischen 

^)  .  .  .  heredis  institutione  plerumque  debet  initium  facere 
testamenti.   Ulpian.  L.   1  pr.   de  hered.  inst.  (28,  5). 

-)  L.  9  de  test.  cur.  (26,  2) ;  L.  3,  §  2 ;  L.  16  de  jur. 
codlc.  (29.  7);  L.  1,  §  1,  de  legat.  III;  L.  181  de  reg.  jur. 
(50,  17);  L.  2  C.  sl  quis  om.  caus.  test.  (6,  39);  L.  14  C 
de  fideic.   (6,  42). 

^)  Somit  erscheint  schon  hier  das  Testament  nicht  als 
bloßer  Wille  des  Erblassers,  sondern  als  der  eigene  Wille 
des  Erben  und  als  durch  diesen  gesetzt,  so  daß  sich 
auch  jetzt  erst  das  innere  Verständnis  des  römischen  Satzes 
ergibt,  der  Erbe  sei  dem  Legatar  quasi-contractu,  d.h.  durch 
Willensbestimmung  verpflichtet  (s.  unseren  Bd.  I,  S.  619 
und  vgl.  §  2,  C.  das.).  So  daß  also  schon  hier  der  Beweis 
vom  testamentarischen  Erbrecht  geliefert  ist,  den  wir  umfas- 
sender erst  durch  alles  Folgende  erbringen  können,  daß  das- 
selbe dem  Erben  aus  seinem  eigenen  Willen  herfließt. 

89 


Rechtes  stets  als  einen  bloßen  Ausfluß  des  „rigorosen 
Formalismus"  des  Römers  hingestellt  hat,  eine  freilich 
ebenso  bequeme  als  nichts  erklärende  Erklärung,  haben 
sie  sich  hier  —  wie  das  durchgängig  im  folgenden  mit 
allen  Formbestimmungen  der  Fall  sein  wird  —  als  die 
von  allem  Formalen  weit  entfernte,  notwendige  Konse- 
quenz der  innersten  spekulativen  Idee  des  römischen 
Erbrechtes  ergeben. 

Wie  aber  kann  allein  die  gültige  Form  der  Erb- 
einsetzung lauten  ?  Der  Erbe  soll  nach  dem  entwickelten 
Begriff  nicht  etwas  haben  (das  Vermögen),  sondern 
etwas  sein  (Willenserhalter).  Nur  zufällig  und  sekun- 
där, wenn  nicht  über  das  Vermögen  verfügt  ist,  hat  der 
Erbe  auch  das  erblasserische  Vermögen,  weil  er  selbst  ja, 
als  die  Fortexistenz  der  erblasserischen  Willenssubjektivi- 
tät, somit  natürlich  Herr  des  dieser  Willensherrschaft 
Unterworfenen  ist.  Aber  nicht  in  diesem  Haben  liegt  der 
Begriff  des  Verhältnisses,  und  nicht  darauf  darf  daher 
der  Reflex  in  der  Formel  fallen.  Es  ist  daher  jede  Erb- 
einsetzung nichtig,  welche  den  Erben  mit  einem  Haben 
oder  Nehmen  (habeto,  sumito,  capito),  wie  es  bei  dem 
Legatar  heißen  muß,  dessen  Begriff  in  der  Vermögens - 
Zuwendung  besteht  (s.  Nr.  XIV),  in  Verbindung  brächte, 
z.  B.  Titius  habe  mein  Vermögen  oder  meine  Erbschaft. 
Die  einzige  begrifflich  konsequente  Erbeinsetzung  muß 
lauten:  ,, Titius  sei  Willensfortsetzer"  (Titius  heres 
esto)  ^).  Und  ferner :  Damit  der  Erbe  Willensidentität 
mit  dem  Erblasser  sei,  muß  er  zuvor  von  diesem  dazu 
gemacht  werden.  Dies  erfordert  zunächst  einen  Willens- 
akt seitens  des  Erblassers,  vollbringt  sich  also  nur  durch 
den    Befehl,    den    Willensstoß    des    Imperativs. 

^)  Über  die  etymologische  Bedeutung  und  den  sprachlichen 
Gebrauch  von  heres  und  hereditas  vgl.  die  Note  sub  Nr.  XXI. 

90 


Würde  bloß  erzählt:  „Titium  heredem  esse  volo,  here- 
dem  facio,  instituo",  so  würde  diese  Erzählung  oder 
Erklärung  ja  immer  noch  nicht  den  Willensakt,  die 
Willenshandlung  enthalten,  durch  welche  seitens  des 
Erblassers  die  Metamorphose  des  Erben  in  seine  Willens - 
Subjektivität  bewirkt  wird,  vielmehr  würde  hier  eine 
solche  Operation,  an  der  es  dann  aber  überall  fehlt,  als 
schon  anderweitig  geschehen,  in  dieser  Erzählung  nur  vor- 
ausgesetzt sein-*^).  Diese  im  Präsens  gehaltenen  Erb- 
einsetzungen müßten  daher  gleichfalls  wirkungslos  sein, 
und  es  muß  auch  in  dieser  Hinsicht  bei  der  imperativi- 
schen  Form:  ,,Titius  heres  esto  (oder  sit)",  als  der  einzig 
wirksamen,  verbleiben.  Nur  bei  der  Formel  heredem  esse 
jubeo  kann  ein  Zweifel  entstehen,  indem  hier  der  be- 
fehlende Inhalt  des  Zeitwortes  und  der  bloß  erklä- 
rende Charakter  der  Zeitform  sich  einander  gegenüber- 
stehen und  hierdurch  der  Formel,  nicht  ohne  Mühe,  im 
Lauf  der  Zeit  Anerkennung  verschaffen^). 

Wir  haben  oben  gesagt,  es  würde  für  die  Unendlich- 
keit des  erblasserischen  Willens  nicht  ausreichen,  wenn  er 
nur  einen  Zeitmoment  über  seine  natürliche  Dauer  hinaus 
verlängert,  dann  aber,  wie  dies  bei  der  Auffassung  des 
Erbrechtes  als  einer  bloßen  Vermögensverfügung  der  Fall, 
erloschen  wäre.  Dies  vielmehr  sei  der  unterscheidende 
Begriff  des  römischen  Erben,  daß  er  den  Willen  des 

^)  Der  Imperativ:  T.  heres  esto,  erweist  sich  so  nur  als 
die  Abbreviatur  der,  wie  %vir  später  sehen  werden,  in  ihrer 
adäquatesten  Form  im  testamentum  per  aes  et  libram  voll- 
zogenen dramatischen  Willenshandlung. 

**)  Gajus,  II,  §  117:  Solemnis  autem  institutio  haec  est 
„Titius  heres  esto";  sed  et  illa  jam  comprobata  videtur  „Titium 
heredem  esse  jubeo";  at  illa  non  est  comprobata  „Titium  here- 
dem esse  volo";  sed  et  illae  a  plerisque  improbatae  sunt  „here- 
dem instituo"  item   „heredem  facio"   Ulpian,   Fr.  XXI,   1. 

91 


Erblassers  als  einen  schlechthin  unsterblichen,  un- 
endlichen kontinuiere^). 

Dann  aber  folgt  hieraus,  daß  auch  die  bloße  Verlänge- 
rung dieses  Willens  bis  zu  irgendeinem  beliebigen,  wenn 
auch  noch  so  fernen  oder  ungewissen  Zeitmoment  dem 
Wesen  dieses  Erbtums  widerspricht,  oder  mit  anderen 
Worten,  es  ist  hiermit  gegeben,  daß  die  Erbeinsetzung 
nicht  in  ihrer  Dauer  beschränkt  (nicht  ad  idem  ge- 
troffen) ^)  und  ebensowenig  an  irgendwelche  Resolutiv- 
bedingung geknüpft  werden  kann^),  solche  Bedingung 
vielmehr  durch  die  Maxime  semel  heres,  semper  heres 
bei  dem  Erben  beseitigt  wird,  während  sie  bei  dem  Legat, 
welches  im  Unterschied  vom  Erbtum  die  bloße  Ver- 
fügung über  die  Vermögensmaterie  darstellt,  voll- 
kommen wirksam  bleiben  kann^). 


^)  Wie  es  von  den  sacra  heißt  (s.  oben  S.  53) :  ut  sint 
perpetiia,  und  diese  Perpetuität  wird  in  der  Tat  erreicht,  indem 
die  Willenssubjektivität,  wie  die  sacra,  durchs  Erbtum  immer 
von  einem  Erben  auf  den  wieder  mit  diesem  identischen  Willens- 
träger desselben  übergehend  ins  Unendliche  erhalten  wird. 

^)  Papinian,  L.  34  de  hered.  inst.  (28,  5).  Hereditas  ex 
die  vel  ad  dient  non  recte  datur,  sed  temporis  vitio  sublato 
manet  institutio.   Inst.,   §  9,   de  hered.   inst.    (2,   14). 

^)  Gajus,  L.  88  h.  t.  (28,  5) :  ...  quum  autem  semel 
heres  extiterit  servus,  non  potest  adjectus  efficere,  ut  qui  semel 
heres  extitit,  desinat  heres  esse;  vgl.  L.  15,  §  4  de  test. 
milit.    (29,   1). 

*)  L.  26  C.  de  legatis  (6,  37).  —  Hierdurch  wird  nun 
auch,  gleichviel  wie  sich  dies  bei  den  Legaten  im  älteren 
Rechte  verhalten  haben  möchte  (vgl.  L.  55  de  leg.  I ; 
L.  44  de  o.  et  a.  44,  7),  die  von  einigen  aufgestellte  und 
von  der  herrschenden  Ansicht  ohnehin  verworfene  Lehre  voll- 
ständig von  innen  heraus  widerlegt,  daß  auch  bei  der  Erbein- 
setzung die  zugefügte  Resultivbedingung  in  die  umgekehrte 
Suspensivbedingung  verwandelt  und  so  aufrecht  gehalten  werden 

92 


Aus  demselben  Grunde  kann  nun  auch  die  Wirksamkeit 
der  Erbeinsetzung  nicht  durch  eine  Zeitbestimmung 
aufgeschoben  werden^),  da,  wenn  es  die  Willens- 
subjektivität des  Erblassers  ist,  die  durch  den  Erben  als 
dauernd  erhalten  und  dargestellt  werden  soll, 
diese  Fortsetzung  eine  unmittelbare,  ununter- 
brochene sein  muß.  Die  Suspensivbedingung  dagegen 
kann  zulässig  bleiben,  da  bei  ihr  die  Erfüllung  auf  den 
Tag  des  Todes  zurückschlägt  und  ihn  zum  Erben  ab  tunc, 
mit  allen  Wirkungen  und  Nutzungen  der  Zwischenzeit, 
macht.  Aber  aus  demselben  Grunde,  aus  dem  wir  die  Un- 
möglichkeit der  Resolutivbedingung  haben  hervorfließen 
sehen,  muß  nun  auch  bei  der  Suspensivbedingung  der 
Unterschied  eintreten,  daß  sie  bei  der  Erbschaft  auch 
die  Delation  derselben  bis  zum  Eintritt  der  Bedingung 
verschiebt,  während  sie  bei  der  bloßen  bonorum  possessio 
diese  Wirkung  nicht  hat,  hier  vielmehr  gegen  fidejusso- 
rische  Kaution  die  Hinterlassenschaft  dem  prätorischen 
Erben  sofort  übergeben  wird-). 

müsse  (siehe  v.  Wening- Ingenheim  im  Jurist.  Archiv,  I,  9; 
Zimmern,  das.  VII,  7;  Mejer  in  Schweppes  Handbuch,  V, 
64).  Wenn  dies,  wie  man  jenen  Schriftstellern  nachgeben  kann, 
bei  den  Legaten  der  Fall  ist  (d.h.,  wie  wohl  die  richtigere 
Auffassung  sein  dürfte,  im  früheren  Rechte  der  Fall  ge- 
wesen ist,  weshalb  eben  von  Justinian  durch  die  L.  26  nun 
auch  die  direkte,  nicht  umgewandelte  Resolutivbedingung  bei 
den  Legaten  zugelassen  wird),  so  liegt  ein  unendliches  Ver- 
kennen des  Geistes  des  Erbrechtes  darin,  aus  der  Analogie 
der  Legate  für  die  Erbeinsetzung  —  wie  übrigens  ganz  allgemein 
geschieht  —  räsonnieren  zu  wollen,  während  man  ebenso  gut 
e  contrario  daraus  folgern  könnte. 

^)  Siehe  die  Stellen  in  Anm.  2,  S.  92. 

^)  L.  5  pr. ;  L.  6;  L.  10;  L.  12  de  hon.  poss.  sec.  tab. 
(37,  11);  L.  12  L.  13  qui  satisd.  cog.  (2,  8);  L.  8  pr.  de 
stip.   pret.   (46,  5). 

93 


Denn  schon  muß  es  genügen,  der  bonorum  possessio  in 
diesem  Zusammenhange  nur  zu  erwähnen,  um,  wie 
immer,  wenn  man  sich  erst  im  Zentrum  einer  Substanz  be- 
findet, ihren  Begriff  und  ihr  wahrhaftes  Verhältnis  zu  der 
hereditas,  das  durch  so  viele  und  gelehrte  Untersuchungen 
nicht  aufgeklärt  zu  werden  vermochte  und  daher  in  den 
widersprechendsten  Veranlassungen  gesucht  wurde,  in  voll- 
ständigster Tageshelle  hervortreten  zu  lassen.  Schon  muß 
nämlich  klar  sein,  daß  sich  die  prätorische  bonorum 
possessio  zur  zivilrechtlichen  hereditas  gar  nicht  anders 
verhält,  als,  nach  unserer  obigen  Begriffsbestimmung, 
innerhalb  des  Zivilrechtes  selbst  das  Legat  zur 
Erbeinsetzung,  d.h.  daß  die  bonorum  possessio,  wie 
es  jetzt  ja  auch  ihr  Name  in  so  einfacher  Evidenz  zeigt, 
nichts  anderes  darstellt,  als  die  bloße  Nachfolge  in 
die  Vermögensmaterie,  ohne,  wie  der  zivilrechtliche 
Erbe,  die  verewigende,  identifizierende  Nachfolge  in  die 
ideale  Willenssubjektivität  des  Erblassers  zu  sein.  Mit 
anderen  Worten:  Was  man  das  Zivilistische  im  Erb- 
recht —  das  zivilrechtliche  Erbrecht  —  zu  nennen 
pflegt,  ist  nichts  anderes  als  das  streng  konsequente  Walten 
des  (aufgezeigten)  spekulativen  historischen  Be- 
griffes der  römischen  Geistesstufe  im  Erbtum,  ein  Sy- 
stem, gegen  weiches  der  Gedanke  der  Erbschaft  als 
bloßer  Vermögensvererbung  zu  reagieren  und  sich 
ihm  als  eine  freie  Totalität  im  prätorischen  Erbrecht  ent- 
gegenzustellen beginnt  ^ ) . 


^)  Es  zeigt  sich  von  hier  aus  das  relativ  Richtige,  in- 
nerlich Richtige  in  der  Meinung  derer,  die,  wie  Hugo 
(Rechtsgesch.,  II,  238),  die  bonorum  possessio  aus  dem  jus 
gentium  entspringen  lassen.  Nicht  das  nämlich  wird  also  nacn 
unserer  Ansicht  hieran  das  Richtige  sein,  daß  die  bonorum 
possessio  ursprünglich  von  dem  praetor  peregrinus  den  Fremden 

94 


Es  liegt  ebenso  außer  dem  Plane  wie  außer  dem  Räume 
des  gegenwärtigen  Werkes,  dies  nun  näher  durch  die  Glie- 


in  Rom  bewilligt  und  aus  seinem  Edikt  in  das  Edikt  des 
praetor  urbanus  hinübergeflossen  sei,  sondern  die  bonorum  pos- 
sessio beruht  auf  demselben  Ankämpfen  des  Gedankens  des 
jus  gentmm  gegen  das  jus  civiie,  welches  die  ganze  römische 
Rechtsgeschichte  beherrscht.  —  Relativ  am  richtigsten  noch 
hat  Gans  (Erbrecht,  11,  Kap.  6)  die  allgemeine  Stellung 
der  bonorum  possessio  zur  hereditas  angegeben.  Allein  diese 
Richtigkeit  ist  noch  eine  ganz  abstrakte,  die  eben  nur  in  der 
Stellung  besteht,  welche  er  beiden  Systemen  als  geschlos- 
senen Totalitäten  gegeneinander  zuweist.  Wenn  Gans  (das. 
S.  465)  sagt:  die  bonorum  possessio,  dem  römischen  Erbrecht 
gegenüber,  hat  die  Bedeutung  des  abstrakt  Freien,  im  Gegen- 
satz des  abstrakt  Substantiellen,"  so  ist  das  richtig,  aber  selbst 
noch  ganz  abstrakt  gesagt.  Was  fehlt,  ist,  was  dem  gesamten 
Werke  von  Gans  überhaupt  fehlt,  nämlich  anzugeben,  in  wel- 
chem bestimmten  Gedankeninhalt  das  Substantielle  im 
römischen  Erbrecht  bestehe.  Dies  konkret  Substantielle  besteht 
aber  eben  nur  in  dem  oben  explizierten  Gedanken  des  Erb- 
tums  als  Dasein  der  Willensunendlichkeit,  welcher  erst  in  der 
Trennung  der  Willensvererbung  von  der  Vermögensvererbung 
in  ganzer  Schärfe  hervortritt,  wie  sich  das  oben  immer  deut- 
licher ergeben  wird.  Ohne  diese  Inhaltsangabe  bleiben  die  Be- 
zeichnungen des  abstrakt  Substantiellen  und  abstrakt  Freien 
selbst  so  abstrakt  und  leer,  daß  sie  sich  miteinander  vertauschen 
lassen.  Ja,  eigentlich  ist  dies  Gans  selbst  in  dem  zitierten  Satze 
zugestoßen;  denn  er  sieht  im  Laufe  des  ganzen  Werkes  das 
Substantielle  im  römischen  Erbrecht  irrig  nur  in  der  In- 
testaterbfolge, wogegen  ihm  das  Testament  nur  als  das 
abstrakt  Willkürliche  erscheint  (während  dasselbe,  wie  nach- 
gewiesen, erst  wahrhaft  den  substantiellen  Inhalt  des  römischen 
Geistes  zum  Dasein  bringt) ;  wenn  er  also  hier  die  bonorum 
possessio  als  das  Freie,  im  Gegensatz  zum  testamentarischen 
Erbrecht  als  dem  Substantiellen  bezeichnet,  so  nimmt  er 
diesen  Ausdruck  plötzlich  in  einer  seinem  ganzen  Werke  wider- 
sprechenden und  von  ihm  nicht   näher  erklärten   Bedeutung. 

95 


derung  der  bonorum  possessio  durchzuführen,  die  sich 
übrigens  jedem  mit  Stoff  und  Gedanken  Vertrauten  nun- 
mehr von  selbst  aus  dem  angegebenen  Begriffe  zur  To- 
talität ihrer  Bestimmungen  aufrollen  und  in  ihrem  ein- 
greifenden Verhältnis  zur  zivilrechtlichen  hereditas  ent- 
wickeln wird ;  nur  gelegentlich  werden  wir  häufig  auf  sie 
zurückkommen  und  diesen  ihren  Begriff  näher  belegen. 

Wir  kehren  also  zu  dem  zivilen  Erbrecht  zurück,  das 
uns  allein  hier  beschäftigt,  und  haben  jetzt  den  Nachweis 
zu  bringen,  daß  nicht  nur  im  Gedanken  das  Erbrecht 
nur  in  der  im  Erben  gesetzten  Fortdauer  des  erblasseri- 
schen Willens  (Erbeinsetzung)  besteht  und  von  der 
Vermögensnachfolge,  die  dem  Willen  nur  als  sein  Akzesso- 
rium  zufällt,  unterschieden  ist,  sondern  daß  dies  so  wahr 
und  so  sehr  der  spezifische  Begriff  des  römi- 
schen Erbrechtes'ist,  daß  nicht  nur  sogar  die  reale 
Trennung  beider  Seiten  eintreten  und  der  Erbe 
auch  faktisch  als  Erbe  des  Willens  erscheinen  kann, 
ohne  Erbe  des  Vermögens  zu  sein ;  sondern  daß  es  eine 
Zeit  des  jus  civile  gegeben,  wo  diese  Spaltung  herr- 
schende Sitte  war,  ja  daß  diese  Zeit  allein  sich 
als  die  Zeit  des  echten  und  ungeschwächten  jus  civile,  als 
die  Zeit  des  zivilistischen  Erbtums  in  seiner  noch  un- 
versehrten markigen  Lebendigkeit  herausstellt. 


VI.  Die  Spaltung.    Das  reale  Hervortreten  der 
Momente  der  Idee. 

Es  bedarf  aber,  um  dies  und  das  oben  (S.  40 — 48.) 
hierüber  apriorisch  Entwickelte  in  sinnlichster  Evidenz 
hervortreten  zu  lassen,  zunächst  nur  eines  Blickes  auf  eine 
Stelle  des  Gajus. 

96 


,,Sed  olim  quldem  licebat,  totum  Patrimonium  legatis 
atque  libertatibus  erogare  nee  quicquam  heredi  relinqiiere 
praeterquam  inane  nomen  heredis;  idque  lex  XII  tabu- 
larum  permiüere  \'idebatur,  qua  cavetur,  ut  quod  quisque 
de  re  sua  testatus  esset,  id  ratum  haberetur,  bis  verbis : 
Uti  legassit  suae  rei,  ita  jus  esto ;  quare  qui  scripti  here- 
des  erant,  ab  hereditate  se  abstinebant  et  idcirco  plerique 
intestati  moriebantar  V-" 

Bis  aufs  kleinste  tritt  hier  also  alles  das  hervor,  was 
wir  oben  apriorisch  als  die  paradoxe,  aber  notwendige 
Konsequenz  des  spekulativen  Begriffes  entwickelt  haben, 
als  das  entscheidende  Kennzeichen  dessen,  ob  der  von  uns 
nachgewiesene  spekulative  Begriff  wirklich  der  das  rö- 
mische Erbrecht  beherrschende  sei.  Früher,  sagt  Gajus, 
stand  es  frei,  die  gesamte  Erbmasse  durch  Legate  zu  er- 
schöpfen und  dem  Erben  nichts  zu  hinterlassen,  außer 
dem  leeren  Namen  des  Erben.  Jene  Unabhängig- 
keit des  Begriffes  des  Erben  —  als  des  bloßen  Fort- 
setzers der  reinen  Willenssubjektivität  des  Toten 
—  von  der  Vermögenszuwendung,  ja  die  reale 
Trennung,  in  die  beide  Seiten  gegeneinander  treten 
können,  dies  also,  daß  der  Erbe  nur  als  Erbe  des 
Willens,  nicht  des  Vermögens  des  Testators  er- 
scheint, —  diese  ungeheuere  Paradoxie,  welche  unseren 
heutigen  Begriffen  von  Erbrecht,  welche  die  Autoren  un- 
willkürlich auch  dem  römischen  zugrunde  legen,  so  sehr 
widerspricht,  daß  sie  auf  den  ersten  Blick  nicht  einmal 
einen  Sinn  zu  gewähren  scheint,  diese  Paradoxie  zeigt  sich 
also  durch  historischen  Beweis  als  der  spezifische  und 
charakteristische  Geist  des  römischen  Erbrechtes !  Durch 
die   Vermögensverfügung   der   Legate   wurde   das 


1)  Gajus.  II.  224. 

7   Luealle.   Gm.  Schriften,    Band  XI.  97 


Vermögen  erscnöpit,  durch  die  Erbeinsetziing  nur  die 
ideelle  Bedeutung  des  Willenserhalters,  „der  leere 
Name  des  Erben",  wie  Gajus  sagt,  auf  seine  Person 
übertragen.  Und  man  beachte  wohl,  Gajus  bekundet  nicht 
nur,  wie  man  meint,  daß  dies  nach  der  Auslegung  der 
Zwölf tafelgesetze  erlaubt  war.  Obgleich  schon  ein  so 
bizarres  Recht,  das  unseren  Erbbegriff  so  gänzlich  auf- 
zuheben scheint,  schlechterdings  eine  innere  Erklärung  er- 
fordert hätte,  wenn  eine  solche  nach  der  bisherigen  Auf- 
fassung des  römischen  Erbrechtes  eben  möglich  gewesen 
wäre.  Gajus  aber  bezeugt  noch  mehr.  Er  bezeugt  auch, 
daß  diese  Weise  des  Testierens  nicht  nur  erlaubt  war, 
sondern  auch  so  häufig  vorkam,  so  allgemein  üblich 
war,  daß  sie  sogar  die  Regel  bildete,  so  daß  deshalb 
die  meisten  (et  idclrco  plerique),  weil  die  Erben  nun 
ausschlugen  und  das  Testament  also  zusammenfiel,  als  in- 
testati  starben^).  Gebe  man  uns  nun  heute  hundertmal 
ein  Gesetz,  welches  uns  die  allerfreieste  Vermögens - 
Verfügung  im  Testament  und  auch  diese  reale  Enterbung 
des  Erben  erlaubte,  wer,  glaubt  man  wohl,  würde  von 
letzterer  Befugnis  Gebrauch  machen?  Wer  heutzutage 
würde,  wenn  er  die  unbeschränkteste  Befugnis  hat,  zum 
Erben  einzusetzen,  wen  er  will,  jemand  zum  Erben  ein- 
setzen, den  er  hinterher  realiter  wieder  enterben  will  ? 
Man  fühlt  also,  daß  nicht  das  geringste  damit  getan  war, 
wenn  jenes  Recht  als  solches  zum  Beispiel  damit  er- 
klärt wurde,  daß  es  aus  dem  Formalismus  einer  zu  ängst- 
lich -  strengen  Festhaltung  an  dem  Buchstaben  des 
Zwölftafelgesetzes  entstanden  sei,  diesem  allezeit  offenen 

^)  So  daß  hieraus  nun,  worüber  bald  mehr,  die  lex  Furia 
entsprang  (s.  Gajus,  a.  a.  O.),  durch  welche  der  erste  Schritt 
auf  der  Laufbahn  geschieht,  den  Erben  notwendig  mit  Ver- 
mögen zu  erfüllen. 

98 


Schlupfwinkel,  in  den  sich  überall  beim  römischen  Recht 
jeder  sofort  rettet,  wenn  er  das  Wesen  der  Sache  nicht 
zu  durchdringen  vermag.  Denn  diese  Erklärung  würde 
jedenfalls  gänzlich  unerklärt  lassen,  warum  die  Römer  von 
einer  ihnen  nur  durch  zu  formalistische  Auslegung  ge- 
gebenen Befugnis  auch  Gebrauch  gemacht,  und  zwar  in 
der  Regel  Gebrauch  gemacht  haben.  Die  Tatsache  dieses 
Gebrauches  verlangt  also  jedenfalls  noch  eine  andere,  sie 
aus  dem  Inneren  des  bestimmten  Volksgeistes  ableitende 
Erklärung.  Ist  eine  solche  aber  gegeben,  so  ist  mit  der- 
selben von  selbst  auch  jenes  Recht  plötzlich  durchsichtig 
geworden  und  aus  seiner  angeblichen  Buchstabenquelle  in 
sein  inwendiges  Wesen  umgebogen,  und  es  zeigt  sich  da- 
her an  diesem  Beispiel  recht  deutlich,  was  es  mit  der  Er- 
klärung aus  dem  Buchstabenformalismus  überhaupt  auf 
sich  hat,  eine  Erklärung,  die  nur  erklärt,  daß  etwas  nicht 
erklärt  werden  könne. 

Sonderbares,  unbegi"eifliches  Volk  also,  muß  es  scheinen, 
diese  Römer !  Erst  enterben  sie  die  eigenen  Kinder,  um 
einen  freigewählten  Erben  einzusetzen.  Und  dann  ent- 
erben sie  wieder  diesen  in  absolutester  Freiheit 
gewählten  Erben,  um  das  Vermögen  Legataren  zu- 
zuwenden ! 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  solange,  wie  bisher,  nicht 
einmal  die  Frage  nach  der  Quelle  dieses  so  unbegreif- 
lichen und  befremdenden  Widerspruches  und  seiner  Lösung 
aufgeworfen  wurde,  solange  auch  nicht  einmal  der  Ver- 
such gemacht  war,  in  den  Geist  des  römischen  Erb- 
rechtes einzudringen. 

Uns  aber  hat  sich  nun  mit  der  Frage  zugleich  auch 
die  Lösung  derselben  im  voraus  ergeben.  Denn  dieser 
Widerspruch  ist  überhaupt  gar  kein  anderer  als  der  Wider- 
spruch des  römischen  und  unseres  heutigen  Erb- 

7.  Q9 


begriffes.  Dieser  Widerspruch  entsteht  überhaupt  nur, 
wenn  das  Vermögen,  als  zum  Wesen  des  Erbtums 
gehörig,  das  Erbtum  als  Vermögensnachfolge  gedacht 
wird.  Für  uns  hat  sich  statt  dessen  bereits  in  dem 
früheren  ergeben,  aus  welcher  Quelle  sovvohl  jenes  Recht, 
als  auch  die  herrschende  Sitte  seiner  tatsäch- 
lichen Anwendung  notwendig  herfließt.  Es  ist 
jene  spezifische  Anschauung  des  römischen  Geistes,  es  ist 
sein  inhaltlicher  Begriff  des  Erbtums  selbst,  welcher 
jenes  Recht  setzt  und  zugleich  die  allgemeine  An- 
wendung desselben  nicht  nur  hervorbringt,  sondern 
hervorbringen  muß,  weil  sie  eben  im  Wesen  der  römischen 
Erbauffassung  ihre  Wurzel  hat.  Ja,  es  ist  ersichtlich,  wie 
in  der  realen  Anwendung  dieser  Spaltung,  die  uns 
allein  in  die  wahrhafte  Substanz  des  römischen  Erbrechtes 
blicken  läßt,  das  höchste  Interesse,  die  gesteigertste  Be- 
friedigung des  Erblassers  liegen  muß. 

Wenn  der  Begriff  des  Erbtums  ist,  die  Fortexistenz 
der  erblasserischen  Willenssubjektivität  zu  realisieren,  so 
liegt  das  Interesse  des  Erblassers  nicht  darin,  daß  der 
Erbe  hat,  sondern  daß  der  Erbe  handelt,  nach  seinem, 
des  Erblassers,  Willen  handelt^).   Den  Erben  nach  seinem 


^)  Sehr  deutlich  lassen  dies  oft  die  Aussprüche  der  Dichter 
hervorti-eten,   s.   Ovid.  Tristia,  I,  2,  Vers  53. 

Est  aliquid  fatoque  suo  ferroque  cadentem 

In  solida  moriens  ponere  corpus  humo. 
Et  mandare  suis  aliqua  et  sperare  sepulcrum. 

Nicht  darauf,  daß  der  Erblasser  den  Erben  etwas  hinterläßt, 
für  sie  sorgt  usw.  —  darauf,  daß  er  ihnen  Aufträge  gibt,  sie 
nach    seinem   Willen   handeln   macht,    kommt   es    ihm 
an.   Noch  deutlicher  Ovid.  Tristia,  III,  3,  Vers  43 :  ' 
Nee  mandata  dabo?  nee  cum  clamore  supremo 
Labentes   oculos  condet  amici  manus? 

100 


Willen  handeln  zu  machen,  ist  daher  der  Triumph  des 
Erblassers,  der  echte  Beweis  von  der  Fortdauer  seines 
Willens,  und  wir  werden  diesen  Satz  später  bei  der  Le- 
gatenlehre in  seiner  konkreten  Wichtigkeit  sich  näher  ent- 
falten sehen.  Aber  solange  der  Erbe  noch  hat  und 
handelt,  ist  die  Situation  immer  noch  zweideutig.  Es 
bleibt  immer  noch  möglich,  daß  es  nur  sein  eigenes 
Interesse  ist,  welches  den  Erben  zum  Erbtum  bestimmt. 
So  wäre  dann  gar  nicht  der  Erbe  die  Fortexistenz 
des  erblasserischen  Willens,  sondern  es  wäre  sein 
eigenes  Interesse  und  sein  eigener  egoistischer 
Wille,  der  im  Erben  lebendig  wäre  und  die  erb- 
lasserische Willenssubjektivität,  statt  sie  fortzusetzen,  nur 
verschlungen  und  vernichtet  hätte.  Aber  ein  entscheidendes 
Mittel  hat  der  Erblasser,  um  sich  zu  vergewissern  und  es 
zur  zweifellosesten  Sicherheit  zu  bringen,  daß  es  sein 
Wille  ist,  der  im  Erben  existiert  und  fortlebt,  nicht  dessen 
eigener  Egoismus.  Dies  Mittel  besteht  darin,  dem  Erben 
nicht  das  geringste  eigene  Interesse  zu  gewähren, 
ihn  \ielmehr  in  direkten  Gegensatz  mit  seinem  ego- 
istischen Interesse  zu  bringen.  Der  Erbe,  der  nichts  be- 
kommt und  dennoch  Erbe  ist  und  nach  dem  Willen 
des  Erblassers  handelt^)  —  der  enterbte  Erbe-)  — , 
ist  der  unerschütterliche  Beweis,  daß  es  der  erblasse- 
rische Wille  ist,  der  in  ihm  fortexistiert.  Der  ent- 
erbte Erbe  ist  der  gipfelnde  Triumph  des  erblasse- 


^)  Nämlich  die  Legate  verteilt. 

")  Der  noch  zu  den  Schulden  und  Lasten  der  Erbschaft  ver- 
pflichtet bleibt,  wogegen  er  sich,  wenn  diese  nicht  durch  Legate 
gedeckt  sind,  durch  Transaktionen  mit  den  Legataren  decken 
kann,  ähnlich  wie  Gajus  es  uns  vom  Fiduclarerben  in  bezug 
luf  die  Fideikommissare  erzählt;  siehe  hierüber  sub  Nr.   IX. 

101 


Tischen  Willens,  die  absolute  Gewißheit  und  der  höchste 
Genuß  seiner  Fortexistenz,  den  sich  dieser  Wille  geben 
kann.  Im  enterbten  Erben  feiert  und  befriedigt  dieser 
transszendente  Wille  seinen  wollüstigsten  metaphysischen 
Kitzel  1)! 

Aber  schon  ist  mit  dieser  höchsten  triumphierenden 
Stellung  des  Erblassers  auch  das  Moment  der  Reibung 
gegeben,  welches  dieses  starre,  idealistische  Erbtum  end- 
lich in  geschichtlichen  Fluß  bringen  und  aus  sich  heraus- 
zutreten zwingen  muß. 


VII.  Die  Spaltung  und  das  Moment  der  Reibung. 

Der  geschichtliche  Verlauf  desselben.    Die  lex 

furia,  lex  voconia,  lex  falcidia. 

Nachdem  Gajus  a.a.O.  gesagt  hat:  ,,et  idcirco  pleri- 
que  intestati  moriebantur",  fährt  er  so  fort:  ,,Itaque  lata 
est  lex  Furia,  qua  exceptis  personis  quibusdam,  ceteris 
plus  mille  assibus  legatorum  nomine  mortisve  causa  ca- 
pere  permissum  non  est."  Weil  also,  sagt  Gajus,  die  testa- 
mentarischen Erben  ausschlagen  und  so  die  meisten  ab  in- 
testato  beerbt  werden  mußten,  so  ^vurde  deshalb  die  lex 
Furia  erlassen,  durch  welche  verfügt  wurde,  daß,  mit  Aus- 
nahme gewisser  Personen  (wahrscheinlich  der  Kinder  und 


^)  Man  sieht  jetzt  übrigens,  wie  der  Römer  bei  diesem 
Erbtum  auch  sehr  gut  das  Mittel  hatte,  die  Ehre  der  Wil- 
len sidentität  (s.  S.  86)  einem  Freunde  und  das  Vermögen 
durch  Legate  den  Kindern  zuzuwenden. 

102 


nächsten  Anverwandten^),  kein  Legatar  ein  größeres  Le- 
gat als  tausend  Aß  nehmen  darf^). 

„Aber,"  fährt  Gajus  sehr  naiv  fort,  ,,auch  dieses 
Gesetz  vollbrachte  nicht,  was  es  wollte  (sed  et 
haec  lex  non  perfecit  quod  voluit);  denn  wer  zum  Bei- 
spiel fünftausend  Aß  im  Vermögen  hatte,  konnte  dadurch, 
daß  er  fünf  einzelnen  Legataren  je  tausend  Aß  legierte, 
das  ganze  Vermögen  erschöpfen^)." 

Wie  naiv  auch  die  bald  näher  zu  betrachtende  Vor- 
stellung des  Gajus  sei,  das  Gesetz  habe  ,, nicht  vollbracht, 
was  es  wollte",  seine  tatsächliche  Kritik,  daß  dem 
Erben  dadurch  noch  keineswegs  irgendwelcher  Anteil  am 
realen  Vermögen  gesichert  worden  sei,  bleibt  richtig. 
,, Deshalb,"  fährt  Gajus  weiter  fort,  , .wurde  später  die 
lex  Voconia  erlassen,  durch  welche  verfügt  wurde,  daß 
keinem  erlaubt  sein  solle,  auf  Grund  von  Legaten  oder 
von  Todes  wegen  überhaupt  mehr  zu  nehmen  als  die 
Erben*);  aus  welchem  Gesetze  die  Erben  doch  wenig- 

^)  Dann  sollte  also  an  dem  in  der  vorigen  Note  Bemerkten  noch 
nicht  einmal  durch  die  lex  Furia  irgend  etwas  geändert  werden. 

-)  Auch  die  Ausdrucksweise  des  Gesetzes  ist  zu  bemerken. 
Es  wird  nicht  dem  Testator  verboten,  einem  Legatar  mehr 
als  tausend  Aß  zu  legieren  —  und  wenn  er  es  dennoch  tut, 
kann  daher  sein  Testament  weder  als  solches,  noch  in  bezug 
auf  das  Legat  in  den  Verdacht  geraten,  als  gegen  Verbots- 
gesetze angehend  ungültig  zu  sein  — ,  sondern  bloß  dem 
Legatar  wird  verboten,  mehr  als  tausend  Aß  zu  nehmen 
(legatorum  nomine  mortisve  causa  capere),  wodurch  nun  das 
von  ihm  nicht  Genommene  von  selbst  in  der  Willensherrschaft 
des  Willenskontinuators  verbleibt. 

^)  Gajus,  II,  225 :  qui  enim  verbi  gratia  quinque  millium 
aeris  Patrimonium  habebat,  poterat  quinque  hominibus  singulis 
millenos  asses  legando  totum  Patrimonium  erogare. 

^)  D.h.  mehr  als  der  Erbe  Tex  asse),  oder  als  alle 
Erben  zusammengenommen. 

103 


stens  irgend  etwas  notwendig  zu  haben  schienen').  ' 
Aber  es  scheint,  nach  Gajus,  ein  eigener  Unstern  über 
der  römischen  Gesetzgebung  zu  schweben,  denn  er  fährt 
fort:  „sed  tarnen  vitium  simile  nascebatur".  „Aber  den- 
noch entstand  auch  hier  ein  ähnlicher  Fehler  ,  ein 
ähnlicher  nämlich,  wie  bei  der  lex  Furia ;  also  auch  die 
lex  Voconia  vollbringt  wieder  nicht,  was  sie  vollbringen 
will.  ,,Denn  durch  Zerstückelung  des  Vermögens  auf 
eine  große  Anzahl  von  Legataren  konnte  man  dem  Erben 
ein  solches  Minimum  hinterlassen,  daß  es  für  ihn  nicht 
lohnte,  wegen  dieses  Gewinnes  die  Lasten  der  ganzen 
Erbschaft  auf  sich  zu  nehm.en')." 

Immer  also,  meint  Gajus,  ist  der  Zweck,  den  schon 
die  lex  Furia  hatte,  noch  nicht  erreicht.  Endlich  wird 
er  es !  ,,Und  so  wurde  denn  die  lex  Falcidia  erlassen, 
durch  welche  verfügt  woirde,  daß  es  nicht  freistehen  solle, 
über  mehr  als  drei  Viertel  des  Vermögens  durch  Ver- 
mächtnis zu  verfügen ;  und  so  ist  es  denn  notwendig,  daß 
der  Erbe  den  vierten  Teil  der  Erbschaft  hat ;  und  das 
ist  das  Recht,  das  jetzt  bei  uns  besteht^)." 

Gajus  hat  uns  also  nicht  bloß  oben  gesagt,  daß  es  in 


^)  Gajus,  II,  226:  Ideo  postea  lata  est  lex  Voconia,  qua 
cautum  est,  ne  cui  plus  legatorum  nomine  mortlsve  causa  capere 
llceret  quam  heredes  caperent;  ex  qua  lege  plane  quldem  ali- 
quid utlque  heredes  haberen  vldebantur. 

-)  Nam  In  multas  legatarlorum  personas  dlstrlbuto  patri- 
monlo  poterant  adeo  heredi  mlnimum  rellnquere,  ut  non  ex- 
pediret  heredi  hujus  lucri  gratia  totlus  hereditatls  onera  su- 
stlnere. 

^)  Lata  est  itaque  lex  Falcidia  qua  cautum  est,  ne  plus 
Icgare  llceat  quam  dodrantem ;  Itaque  necesse  est,  ut  heres  quar- 
tam  partem  hereditatls  habeat ;  et  hoc  jure  nunc  utlmur ;  vgl. 
Ulpian.   Fr.  XXIV.  §  32. 

104 


der  alten  Zeit  des  Zwölf  tafelrechtes  herrschende  Sitte 
war,  dem  Erben  nichts  zu  hinterlassen,  so  sehr  herr- 
schende Sitte,  daß  nun  die  meisten  Erblasser,  da  die 
Testamentserben  deshalb  ausschlugen,  ab  intestato  beerbt 
werden  mußten;  sondern  er  beweist  dies  nun  auch,  in- 
dem gerade  zur  Abhilfe  dieses  Übelstandes ^)  —  der 
also  notwendig  ein  sehr  häufig  eintretender  gewesen 
sein  muß  —  sogar  ein  besonderes  Gesetz,  die  lex 
Furia,  erlassen  wurde,  der,  da  sie  jenem  Übelstande  doch 
nicht  abhilft,  die  lex  Voconia  und,  da  diese  wiederum 
nicht  abhilft,  endlich  die  lex  Falcidia  folgt,  welche  wahr- 
hafte Abhilfe  schafft. 

In  bezug  auf  diesen  rein  tatsächlichen  Inhalt  ist 
die  Stelle  des  Gajus  ebenso  klar  wie  unangreifbar.  Aber 
was  einer  anderen  Erklärung  bedarf,  als  Gajus  sie  zu 
geben  vermochte,  das  ist  das  Verhältnis  dieser  drei  Ge- 
setze zueinander  und  der  dadurch  im  Erbtum  vor  sich 
gehenden  Entwickelung. 

Gajus  macht  sich  freilich  die  Sache  sehr  leicht,  indem 
er  einfach  sagt,  die  lex  Furia  ,. vollbrachte  nicht,  was  sie 
vollbringen  wollte",  woraus  die  lex  Voconia  hervor- 
gegangen sei.  Dieser  aber  sei  das  gleiche  Unglück  zu- 
gestoßen, und  so  habe  man  denn  nun  endlich  die  lex 
Falcidia  erlassen,  die  nach  dieser  Darstellung  nur  das 
vollbrachte,  was  schon  vor  ihr  die  lex  Voconia,  und  schon 
vor  dieser  die  lex  Furia  vollbringen  gewollt  hatte. 


*)  Es  wird  sich  später  bei  der  Darlegung  des  Begriffes  der 
Intestaterbfolge  zeigen,  daß  und  warum  es  für  den  römi- 
schen Geist  durchaus  nicht  gleichgültig  sein  konnte,  ob  Testa- 
ments- oder  Intestaterbschaft  eintrat.  Beide  zwar  sind  ziviles 
Erbtum  oder  Willenskontinuation,  aber  nur  das  testamen- 
tarische Erbtum  ist  die  Realisation  dieses  Begriffes  in  sei- 
ner adäquatesten  Form. 

105 


Und  weil  Gajus  dies  sagt-^),  ist  man  denn  auch  darin 
bisher  allgemein  seiner  Darstellung  gefolgt.  Ja,  selbst  ein 
so  geistvoller  Mann,  wie  Gans,  behält  dieselbe  noch  im 
wesentlichen  bei"). 

Wird  es  denn  aber  wirklich  möglich  sein,  diese  An- 
sicht irgend  ernsthaft  festhalten  zu  wollen  ?  Wenn  schon 
die  lex  Furia  vollbringen  wollte,  was  ihr  mißlang,  nach 
ihr  der  lex  Voconia  mißlingt  und  erst  durch  die  Falcidia 
erreicht  wird,  so  war  es  also  in  letzter  Instanz,  und  ohne 


^)  Vgl-  die  entsprechende  Darstellung  der  Inst.,  II,  22, 
ad  leg.  Falc. 

^)  Gans  faßt  daher  diese  Gesetze  auch  irrtümlich  als  einen 
Kampf  zwischen  dem  Erben  und  dem  Legatar  auf  und  verfehlt 
selbst  des  Gajus'  Sinn,  indem  er  dessen  Worte  so  versteht : 
die  lex  Furia  sei  erlassen  worden,  ,, indem  nun  das  Ausschlagen 
des  Erben  dem  Testamente,  also  selbst  den  Legaten 
gefährlich  wurde,"  also  im  Interesse  der  Legate  und 
Ihres  Bestandes,  woran  auch  Gajus  gar  nicht  denkt.  Die  lex 
Furia  wurde  vielmehr  im  Interesse  der  Erblasser  erlassen, 
damit  diese  nicht  durch  das  Ausschlagen  der  Erben  um  den 
gewollten  testamentarischen  Willensfortsetzer 
kämen,  wie  es  deshalb  auch  in  den  Inst.,  II,  22,  heißt:  ,,Idque 
(der  Erlaß  der  lex  Furia)  ipsorum  testatorum  gratia  provisum 
est  ob  id  quod  plerique  intestati  moriebantur,  recusantibus  scrip- 
tis  heredibus  pro  nullo  aut  minimo  lucro  hereditates  adire." 
Aber  Gans  ist,  weil  er  Erbtum  und  Testament  ihrem  Wesen 
nach  ebenso  gut  wie  die  positiven  Juristen  sämtlich  noch  für 
eine  Vermögens  Verfügung  hält  (siehe  z.  B.  Gans,  II,  173: 
,,da  das  Testament  die  Beziehung  des  testierenden  Willens  auf 
das  Vermögen  ist,"  und  allerwärts),  gerade  wegen  seiner 
philosophischen  Konsequenz  zu  einem  der  größten  begriff- 
lichen und  historischen  Irrtümer  gelangt,  die  überhaupt  im  Erb- 
recht möghch  sind ;  zu  der  Folgerung  nämlich,  daß  unter  dem 
Zwölf  tafelrecht,  vor  der  lex  Furia,  Erbe  und  Legatar 
gleiche  Bedeutung  haben,  und  daß  sich  erst  durch  die 
lex  Furia,  Voconia  und  Falcidia  der  Unterschied  zwischen 

106 


Wortverhüllung  gesprochen,  nur  eine  Redaktions- 
ungeschicklichkeit, welche  die  lex  Furia  verhindert, 
sofort  selbst  ihren  Zweck  zu  erreichen !  Eine  Redaktions- 
ungeschicklichkeit, die  gar  nicht  aufhört,  dies  zu  sein,  wenn 
man  sie  auch,  wie  Gans  a.a.O.,  in  eine  ,, Einseitigkeit 
der  Verordnung"  umtauft,  die  sich  ,,aber  sehr  bald  be- 
merkbar gemacht"  habe ;  als  ob  es  den  Römern  nicht  schon 
beim  Erlaß  der  lex  Furia  und  wieder  der  lex  Voconia 
hätte   klar   sein   müssen,    daß   die   totale    Enterbung   des 


ihnen  entwickelt.  Gans,  II,  187:  „Dem  Kampf  der  Testa- 
mentserbschaft und  des  Legates  geht  daher  dasjenige  Moment 
voran,  worin  beide  noch  nicht  unterschieden  sind,  d.h. 
sich  noch  nicht  feindlich  gegenüberstehen  .  .  .  Testamentserb- 
schaft und  Legat  sind  nach  dem  Ausspruch  der  zwölf  Tafeln, 
uti  legassit,  noch  ganz  ineinander  und  gegeneinander 
gehalten  von  völlig  gleicher  Bedeutung."  Dieser  Irr- 
tum ist  der  absolute,  denn  der  begriffliche  wie  juristische  Ge- 
gensatz von  heres  und  Legatar  (Willensfortsetzer  und  Ver- 
mögensnehmer)  ist  seit  den  ältesten  Zeiten  des  römischen  Rech- 
tes der  diametrale  gewesen,  und  wenn  er  auch  nie  ganz 
aufhörte,  so  lange  römisches  Recht  existierte,  so  war  er  am 
stärksten  doch  gerade  in  der  Zeit  des  ältesten  römischen 
Rechtes,  und  gerade  die  geschichtliche  Fortbewegung  desselben 
bringt  vielmehr  (wie  dies  die  sehr  natürliche  Folge  der  um 
sich  greifenden  Anschauung  war.  daß  der  Erbe  mit  Vermögen 
erfüllt  sein  müsse)  hervor,  daß  sich  Erbe  und  Legatar 
mähhch  einander  annähern  und  ihr  Gegensatz  sich  ab- 
schwächt, wie  sich  dies  bei  der  fideikommlssarischen  und 
bei  der  Benefizlarerbschaft  deutlich  zeigt,  worüber  später.  Den- 
noch ist  die  Notwendigkeit  jenes  so  absoluten,  unhistori- 
schen Irrtums  von  Gans  einleuchtend.  Denn  wenn  man  einmal 
von  der  Grundanschauung  ausgeht,  daß  das  Wesen  des  Erb- 
rechtes Vermögens  nachfolge  sei,  so  kann  man  dann  aller- 
dings in  der  Zeit,  wo  Erbe  und  Legatar  gleich  bedacht  werden 
können,  konsequent  auch  keinen  Unterschied  zwischen  beiden 
mehr   sehen. 

107 


Erben,  dort  durch  Zerteilung  des  Vermögens  unter  viele 
Legatare,  hier  durch  ähnliche  Häufung  von  Legataren, 
verbunden  mit  den  auf  den  Erben  fallenden  Lasten  der 
Erbschaft,  möglich  bleibe,  und  als  ob  erst  die  Praxis 
hierüber  habe  belehren  müssen. 

Die  Ansicht  von  einer  solchen  Redaktionsungeschick- 
lichkeit, vermöge  w^elcher  die  Gesetze  nicht  erreichen, 
was  sie  selbst  erreichen  wollen  —  eine  Ansicht,  seltsam 
genug,  zumal  bei  einem  solchen  Volk  von  Gesetzes- 
künstlern wie  die  Römer  —  wird  doch  aber  schon  zur 
radikalsten  Unmöglichkeit,  wenn  man  nur  einen  Blick  auf 
das  chronologische  Verhältnis  dieser  Gesetze  zueinander 
wirft.  Das  Datum  der  lex  Furia  steht  nicht  ganz  fest. 
Sie  wird  aber  in  der  Regel  auf  das  Jahr  571  nach  Er- 
bauung Roms  gesetzt,  und  jedenfalls  muß  sie  vor  der  lex 
Voconia  ergangen  sein.  Aber  von  der  lex  Vocoiiia  steht 
fest,  daß  sie  im  Jahre  585,  und  von  der  lex  Falcidia, 
daß  sie  im  Jahre  714  p.  u.  c.  ergangen  ist^).  Zwischen 
der  lex  Furia  und  der  Voconia  verfließen  also  ganze 
vierzehn  Jahre,  ohne  daß  den  Römern  die  Redaktions- 
ungeschicklichkeit, respektive  Mangelhaftigkeit  des  Ge- 
setzes zum  Bewußtsein  kommt,  und  von  der  lex  Voconia, 
von  der  Gans  (a.  a.  O.,  S.  192)  sagt,  daß  ihre  , , Ein- 
seitigkeit.. .  sogleich  sichtbar  wird",  dauert  es  sogar 
hundertunddreißig  Jahre,  bis  diese  Einseitigkeit  den, 
wie  es  scheint,  sehr  schwer  begreifenden  Römern  deutlich 
und  durch  die  lex  Falcidia  verbessert  wird ! 

Wer  wird  bestreiten  wollen,  daß  hier  ein  ganz  anderes 
vorliegen  muß,  daß  diese  einen  fast  hundertundfünf  zig- 
jährigen Zeitraum  umfassenden  drei  Gesetze  nur  zu  be- 
greifen sind  als  ein  sich  in  denselben  vollziehender  schwerer 

1)  Dio  Cassius.  XLVIII.  33:  LVI.  10.  und  Eusebius.  Chro- 
nic,  a.   1970. 

108 


und  hartnäckiger  Kampf,  den  der  römische  Geist  mit  seinen 
innersten  Anschauungen  kämpft,  als  ein  furchtbares  Ringen 
desselben  mit  seiner  eigensten  Substanz ;  als  ein  Kampf, 
gekämpft,  nicht,  wie  man  glaubt,  zwischen  Erben  und 
Legatar  —  denn  der  Legatar  hat  weder  Erben  noch  Erb- 
lasser gegenüber  die  gleichberechtigte,  selbständige  Stel- 
lung, einen  Kampf  mit  ihnen  eingehen  zu  können  — , 
sondern  ein  Kampf,  gekämpft  im  tiefsten  Wesen  des 
römischen  Erbbegriffes  selbst,  somit  ein  Kampf, 
gekämpft  lediglich  und  allein  zwischen  —  Erben  und 
Erblasser! 

Sprechen  wir  es  zunächst  mit  einem  Worte  aus,  was 
hier  schon  vollständig  durchsichtig  sein  muß ;  diese  drei 
Gesetze  stellen  nichts  anderes  dar  als  die  schrittweise  Aus- 
gleichung des  selbständigen  römischen  Erbbegriffes  mit 
der  Vermögenshinterlassenschaft ;  nichts  anderes  als  die 
schrittweise  Erweichung  und  Abai'beitung  jenes  starren 
idealistischen  Erbtums  und  dessen  ebenso  hartnäckigen, 
nur  Schritt  iür  Schritt  weichenden  Widerstand ;  nichts 
anderes  als  somit,  was  hiermit  identisch  ist,  die  allmäh- 
liche Abreibung  des  zivilistischen  Momentes  inner- 
halb des  zivilen  Erbrechtes  selbst  —  eine  Bewegung,  auf 
die  sich,  wie  wir  später  sehen  werden,  die  gesamte  Ge- 
schichte des  römischen  Erbrechtes  zurückführt  — ;  nichts 
anderes  endlich  als  den  allmählichen  und  endlichen  Durch- 
bruch der  Anschauung:  der  Erbe  muß  mit  Vermögen 
erfüllt,  das  Erbtum  von  realer  Vermögenszuwen- 
dung begleitet  sein.  Es  ist  innerhch  nur  dieselbe  An- 
schauung, die  wir  als  den  Grundsatz  sacra  cum  pecunia 
bereits  als  einen  Wendepunkt  im  Pontifikalrecht  haben 
entstehen  sehen,  welche  endlich  auch  im  Zivilrecht  ihren 
entscheidenden  Sieg  mit  der  lex  Falcidia  feiert.  Es  ist 
dieselbe  Anschauung,  denn  wenn  das  Vermögen  an  und 

109 


für  sich  die  nur  dem  Erbcharakter  entfließende  Ver- 
pflichtung zu  den  sacris  übertragen  soll,  so  ist  eben  die 
prinzipielle  Verknüpfung  beider  gesetzt  (wie 
Cicero  auch  sagt  sacra  conjuncta  cum  pecunia),  und  es 
ist  dann  also  nur  die  umgekehrte,  aber  auf  dasselbe 
Prinzip  sich  zurückführende  Folge,  daß  auch  das  Erb- 
tum,  dessen  religiöser  Ausdruck  die  sacra  sind,  mit  An- 
teil am  realen  Vermögen  verknüpft  sein  muß. 

Aber  diese  Anschauung,  daß  der  Erbe  mit  Vermögen 
erfüllt,  notwendiger  realer  Vermögensnehmer  sein  müsse 
—  wie  ist  sie  denn  entstanden?  Wie  konnte  sie 
nur  plötzlich  in  dem  starren  idealistischen  Geiste  des  zivi- 
listischen Erbtums,  dessen  striktes  dialektisches  Gegen- 
teil sie  ist,  entstehen?  Nichts  wäre  erklärt,  solange 
dies  nicht  erklärt  wäre. 

Denn  wenn  diese  Anschauung  ein  so  entschiedenes 
inneres  Gegenteil  des  echten  römischen  Erbbegriffes  ist, 
wie  aus  unserer  Darstellung  folgt,  so  konnte  sie  doch  nicht 
auf  einmal  in  den  römischen  Geist  bloß  hineinschneien, 
und  alles  bliebe  daher  unbegreiflich,  wenn  nicht  die 
innere  dialektische  Notwendigkeit  aufzuweisen 
wäre,  vermöge  welcher  sich  der  starre  römische  Erb- 
begriff der  idealistischen  Willensfortsetzung 
endlich  zur  Auffassung  des  Erben  als  eines  notwen- 
digen Vermögenserwerbes  treiben  muß. 

In  der  Tat  aber  ist  dieser  innere  Übergang  schon  in 
dem  enthalten,  was  wir  am  Ende  der  vorigen  Nummer 
(S.  100 fg.)  nachgewiesen  haben. 

Der  enterbte  Erbe,  zeigten  wir  dort,  d.  h.  der 
realiter  nichts  empfangende  Erbe  ist  der  höchste  Triumph 
des  Erblassers.  Denn  in  ihm  hat  er  die  entscheidende  Ge- 
währ, daß  es  sein  Wille,  und  nicht  das  eigene  Inter- 
esse  und  also  der  eigene  Wille  des   Erben  ist,  der 

110 


in  diesem  lortexistiert.  Im  enterbten  Erben  leiert  daber 
der  erblasserische  Egoismus  die  seligste  Gewißheit  seiner 
Fortexistenz.  Aber  in  dieser  triumphierenden  Stellung  des 
Erblassers,  sagten  wir  daselbst,  ist  auch  schon  das  Mo- 
ment der  Reibung  gegeben,  welches  dies  starre  idea- 
listische Erbtum  zur  Fortbewegung  zwingen  und  in  Fluß 
bringen  muß. 

Denn  durch  diesen  höchsten  Willensegoismus  des  Erb- 
lassers, durch  welchen  er  die  Willenssubjektivität  des 
Erben  in  der  Tat  vernichtet  und  unterwirft  und  zum 
leeren  selbstlosen  Gehäuse  der  seinigen  macht,  fordert 
derselbe  dadurch  auch  den  Willensegoismus  des 
Erben  zum  Widerstand  heraus.  Der  Egoismus  des 
Erben,  der  seine  eigene  Willenssubjektivität  nicht  ver- 
nichten lassen  will,  und  der  Widerstand,  den  er  leistet, 
bildet  das  immanente  Moment  der  Reibung  der  beiden 
Willen,  die  sich  als  identische  setzen  sollen.  Und  diese 
Reibung  ist  es,  die  dieses  Erbtum  zur  Fortbewegung 
treiben  muß.  Es  ist  also  ein  Kampf  zwischen  Erben 
und  Erblasser,  der  sich  erhebt,  und  in  diesem  Kampfe, 
in  welchem  der  Erbe  dem  Erblasser  gegenüber  zunächst 
ganz  wehrlos  erscheinen  könnte,  hat  er  vielmehr  das  ebenso 
einfache  wie  entscheidende  Mittel,  daß  er  nicht  will, 
d.  h.  ausschlägt. 

Der  subjektive  Wille  des  Erblassers  kann  also  die 
von  ihm  gewollte  Willensfortexistenz  nur  finden,  wenn 
er  sich  auf  den  subjektiven  Willen  des  Erben  ein- 
läßt und  ihn  zu  befriedigen  weiß.  Er  muß  mit  dem 
Erben  transigieren,  um  diesen  anderen  Willen  zum 
Dasein  seines  Willens  zu  machen.  Er  muß  sich  also 
mit  dem  persönlichen  Interesse  und  dem  eigenen 
Willensegoismus  des  Erben  durch  irgendeinen  Anteil  an 
der  realen   Hinterlassenschaft   abfinden,   wenn  er  sich 

111 


in  dieser  anderen  Willenssubjektivität  Fortexistenz  geben 
will.  Der  endliche,  durch  seine  fortgesetzte  Weigerung 
herbeigeführte  Sieg  des  Erben  in  diesem  langen  Kampfe, 
oder,  was  das  Resultat  dieses  Sieges  ist,  der  Triumph 
der  Anschauung,  daß  der  Erbe  notwendig  Ver- 
mögen erhalten  müsse,  vollbringt  sich  erst  durch  die 
lex  Falcidia. 

Aber  diese  Umwälzung  im  Erbtum  ist  eine  viel  zu 
tiefe  und  totale,  um  sich  auf  einen  Schlag,  um  sich  ohne 
langen  Kampf  und  den  zähes ten  Widerstand  der  Sub- 
stanz des  römischen  Volksgeistes  erreichen  zu  lassen. 

Zunächst  ist  hervorzuheben,  daß  es  bis  zum  Jahre  der 
Stadt  571  dauert,  ehe  die  lex  Furia  ergeht.  Bis  zu  einem 
gewissen,  dieser  lex  vorhergehenden  Zeitraum  muß  also 
der  Übelstand,  daß  die  meisten  ausschlagen  und  also 
massenhafte  Hinfälligkeit  von  Testamenten  eintritt,  noch 
nicht  fühlbar  gewesen  sein,  da  sonst  die  Abhilfe  der  lex 
Furia  früher  eingetreten  wäre. 

Was  bewog  aber  bis  dahin,  und  also  jedenfalls  einen 
so  äußerst  langen  Zeitraum  hindurch  die  testamentarischen 
Erben,  mindestens  in  ihrer  großen  Mehrzahl,  die  hereditas 
zu  übernehmen,  wenn  sie  auch  keinen  Vermögensvorteil 
davon  hatten,  und  trotz  der  Belästigungen,  in  welche  sie 
sogar  durch  die  onera  der  Erbschaft  geraten  konnten  ? 

Hier  könnte  vielleicht  versucht  werden,  eine  Antwort 
durch  eine  näher  eingehende  Untersuchung  auf  gewisse 
frühere  Testamentsformen  abzuleiten.  Aber  die  wahre 
und  wesentliche  Antwort  bleibt  jedenfalls  die:  In  der 
Zeit  des  noch  gediegenen  Volksgeistes  kann  diese  Auf- 
lehnung des  persönlichen  Interesses  im  Erben  nicht  um 
sich  greifen,  weil  das  Erbtum  eben  die  bindendste  und 
heiligste  Substanz  dieses  Volksgeistes,  sein  religiöser  und 
geistiger   Zentralpunkt,   seine   spezifisch-römischste 

112 


Ader,  seine  welthistorische  Bedeutung,  das  innerste 
Herzensgeheimnis  ist,  in  welches  dieser  Volksgeist  ver- 
tieft ist. 

Die  subjektive  Willensunsterblichkeit,  die  Fortexistenz 
der  Willenssubjektivität  nach  dem  Tode,  ist  der  spezi- 
fische welthistorische  Inhalt  dieses  Geistes,  ist  somit  sein 
eigenstes  religiöses  wie  öffentliches  Interesse,  und  jeder, 
der  mit  ihm  vom  Becher  derselben  Substanz  getrunken 
hat,  ordnet  in  religiöser  Scheu  sein  persönliches  Inter- 
esse dem  Willen  des  Toten,  diesem  metaphysisch-politi- 
schen Interesse  des  Volksgeistes,  unter.  Wenn  wir  später 
(Nr.  X  und  XV)  näher  belegen  werden,  welche  Kultus- 
feier seines  eigenen  Wesens  das  Testament  für  den  rö- 
mischen Voiksgeist  darstellt,  welches  Interesse  des  öffent- 
lichen Geistes  jeder  einzelne  Testator  in  sich  konzentriert, 
wird  diese  Unterordnung  zur  Zeit  der  in  den  Individuen 
noch  unauf  gelockerten  gediegenen  Herrschaft  des  Volks - 
geistes  vollends  nicht  im  geringsten  wundernehmen  können. 
Nur  solchen  würde  diese  Erklärung  vielleicht  schwach 
und  unbewiesen  erscheinen  können,  welche  sich  niemals  aus 
ihren  subjektiven  rationalistischen  Anschauungen  heraus  in 
das  Wesen  eines  Volksgeistes  versenkt,  niemals  einen  Be- 
griff erlangt  haben  von  dem  stummen  Zwange,  welcher  in 
jeder  klassischen  Zeit  aus  der  geistigen  Einheit  des- 
selben für  alle  Individuen  dieses  Volkes  quillt,  sie  als  ihr 
wahrhaftes  Band  zusammenbindet  und  weit  intensiver  als 
Gesetz  und  Rechtsvorschrift  in  den  Zeiten  auflockernden 
Subjektivismus  ihr  Handeln  bestimmt. 

Aber  selbst  für  solche  ist  der  unwiderlegliche  Beweis 
des  Gesagten  zur  Stelle.  Dieser  mit  Händen  greifbare 
Beweis  ist  nichts  anderes  als  —  die  Sitte  der  Fiduziar- 
erbschaft,  durch  deren  bloße  Erwähnung  in  diesem  Zu- 
sammenhange schon  klar  sein  muß,  wie  sie  nichts  als  die 

8   LasäaUe.    Ges.  Schriften,    Band  XI.  113 


letzte  analoge  Nachbildung  jenes  enterbten  zivilistischen 
Willenserben  darstellt,  worüber  später  (Nr.  X).  Allein 
abgesehen  einstweilen  von  allem  näheren  Eingehen  —  so- 
viel steht  jedenfalls  fest,  daß  der  Fiduziarerbe  gleichfalls 
nicht  das  geringste  reale  Emolument  aus  dem  Vermögen 
empfängt  oder  zu  empfangen  braucht,  ja,  daß  auch  ihn 
die  Laster  der  Erbschaft  treffen.  Was  zwingt  denn  nun 
den  Fiduziarerben,  die  Erbschaft,  von  der  er  nichts  be- 
halten soll,  anzutreten?  Was  zwingt  ihn,  sie,  deren 
Restitution  erst  mit  dem  Verfall  der  Republik,  unter 
Augustus,   erzwingbar   wird,   herauszugeben? 

Und  dennoch,  was  steht  mehr  historisch  fest,  als  die 
Treue  und  Unterwerfung  unter  den  Willen  des  Toten,  mit 
welcher  diese  Fiduziarerbschaften  angetreten  und  aus- 
geantwortet  werden  ?  Eine  Treue  und  Unterwerfung,  ohne 
deren  regelmäßiges  Eintreten,  so  daß  man  mit  Sicherheit 
darauf  zählen  konnte,  ein  solcher  Gebrauch  gar  nicht  hätte 
um  sich  greifen,  ein  solches  Institut  gar  nicht  hätte  zur 
Existenz  gelangen  können ;  eine  Treue  und  Unterwerfung, 
von  deren  traditioneller  Regelmäßigkeit  gerade  das  Zeter- 
geschrei, das  die  Römer  noch  in  so  später  Zeit  wie  der  des 
Cicero  erheben,  wenn  jetzt  die  Ausnahme  der  Nicht- 
ausantwortung  der  Erbschaft  einzutreten  und  jetzt  aller- 
dings um  sich  zu  greifen  beginnt,  den  besten  Beweis 
liefert ! 

Es  ist  also  das  erste  sehr  bemerkenswerte  Moment,  daß 
es  bis  zum  Jahre  571  dauert,  ehe  das  Umsichgreifen  der 
Testamentsrepudiationen  wegen  des  verletzten  Interesses 
des  Erben  fühlbar  und  eine  Abhilfe  zum  Bedürfnis  wird. 
Und  daß  ein  so  langer  Zeitraum  bis  dahin  —  mindestens 
müßte  derselbe  doch  von  der  Zwölftafelgesetzgebung  an, 
also  immerhin  über  ein  Vierteljahrtausend  umfassend,  ge- 
rechnet  werden   —   verfließen  konnte,   ist  kein   geringer 

114 


Beweis  von  jener  innersten  untrennbaren  Gediegenheit,  mit 
welcher  dieser  transszendente  Begriff  der  durch  das  Erb- 
tum  zu  realisierenden  Willensunsterblichkeit  die  Substanz 
des   römischen  Volksgeistes   durchdringt. 

Als  aber  die  substantielle  Gediegenheit  des  Volks- 
geistes sich  überhaupt  aufzulockern  beginnt,  und  der  Ego- 
ismus und  Subjektivismus  der  Individuen  um  sich  zu  greifen 
anfängt,  da  kann  und  muß  auch  der  Egoismus  des  Erben 
anfangen,  sich  gegen  den  Erblasser  geltend  zu  machen. 
Der  Erbe,  der  seinen  persönlichen  Vorteil  nicht  gewahrt 
findet,  setzt  seinen  Egoismus  dem  durch  die  gesamte 
metaphysisch-religiöse  Grundlage  des  Volksgeistes  ver- 
klärten und  daher  nicht  als  Egoismus,  sondern  als  Sub- 
stanz erscheinenden  Egoismus  des  Erblassers  entgegen, 
und  weigert  sich,  ihm  auf  solche  Bedingungen  hin  Willens- 
fortsetzer zu  sein.  Die  Ausschlagungen  werden  massen- 
haft, und  die  Notwendigkeit  einer  Abhilfe  tritt  ein.  Die 
chronologischen  Data  sind  sehr  bezeichnend.  Es  ist  die 
letzte  Periode  der  Republik,  die  Periode  des  bereits  be- 
ginnenden Verderbens,  in  welcher  die  lex  Furia  erlassen 
wird  und  also  der  erste  Versuch  einer  Abhilfe  erforder- 
lich wird. 

Daß  eine  Abhilfe  erforderlich  wird,  daß  massenhaftes 
Ausschlagen  der  Testamentserben  eme  Kalamität  für 
den  Volksgeist  darstellen  muß,  obgleich  ja  jetzt 
die  Intestaterben  darankommen,  und  also  nach  wie  vor 
ziviles  Erbtum  eintritt,  —  dies  wird  sich  durch 
unsere  spätere  Erörterung  des  Verhältnisses  der  Inte- 
staterbschaft ^ur  Testamentserbschaft  klar  er- 
geben. Penn  es  wird  sich  daselbst  zeigen,  daß  die  Intestat- 
erbschaft für  den  römischen  Geist  nur  ein  subsidiäres 
Surrogat,  durchaus  kein  Äquivalent  mit  der  testa- 
mentarischen Erbschaft  darstellt,  und  das  massenhafte  Ein- 

&*  115 


treten  der  Intestaterbschaft  daher  durchaus  nicht  jene 
Kalamität  zu  beseitigen  vermag^).  Ebenso  ist 
schon  nach  dem  Bisherigen  klar,  daß  es  das  ganze  Volk 
ist,  welches,  also  durch  ein  Gesetz,  zur  Beseitigung  dieses 
Konfliktes  intervenieren  muß,  dessen  Abmachung  vom 
römischen  Standpunkt  aus  durchaus  nicht  dem  einzelnen 
Erblasser  und  seinem  Erben  überlassen  werden  kann.  Denn 
es  ist  nicht  bloß  das  Los  des  einzelnen  Erblassers,  son- 
dern eben  die  Substanz  des  ganzen  Volkes,  das  höchste 
metaphysische  Daseinsinteresse  des  öffentlichen 
Geistes,  welches  bei  der  Gefalir  des  Unterganges  des 
testamentarischen  Erbtums  auf  dem  Spiele  steht-). 

Aber  noch  herrscht  jener  starre  idealistische  Erbbegriff 
mit  zu  großer  Gewalt  im  römischen  Geiste  vor,  um  einen 
direkten  Angriff  auf  seine  Substanz  zu  unternehmen,  den 
Willenserhalter  für  einen  notwendigen  Ver- 
mögensnehmer  zu  erklären,  dem  Erblasser  diese 
höchste  triumphatorische  Selbstgewißheit  seiner  Willens - 
fortexistenz,  die  in  dem  enterbten  Erben  liegt,  zu  verbieten, 
seine  Willenssubjektivität,  die  vom  Erben  ja  nur  er- 
halten werden  soll,  vielmehr  durch  jene  des  Erben 
beugen  und  zwingen  zu  lassen  —  das  sind  Dinge,  die 
viel  zu  sehr  gegen  den  innersten  Begriff  dies  Erbtums 
angehen,  um  dieselben  bereits  zu  dieser  Zeit  und  ohne  ein 
langes  Ringen  des  römischen  Geistes  mit  sich  selbst  wagen 


^)  Wohl  aber  zeigt  sich  schon  von  hier  aus,  wie  irrig  die 
Ansichten  der  Autoren  über  das  Verhältnis  des  Intestatrechtes 
zum  testamentarischen  als  des  Prinzipalen,  Vorausgehenden, 
oder  auch  als  des  Gleichberechtigten  und  Substantielleren  sind. 

^)  Bereits  muß  schon  lange  von  selbst  ein  helles  Licht 
darauf  gefallen  sein,  inwiefern  das  Testament  bei  den  Römern 
juris  publici  sein  muß  ;  siehe  Nr.  X  und  X.W 

116 


zu  können.  Am  klarsten  wird  dies  in  folgender  Wendung : 
in  die  Beziehung  einzugreifen,  welche  sich  die  Willens- 
subjektivität des  Erblassers  zu  der  des  Erben  gibt,  ist 
überhaupt  unmöglich,  denn  jene  Beziehung  ist  ja  nur  eine 
Beziehung  der  erblasserischen  Willenssubjektivität  zu  sich 
selbst,  zu  ihrem  eigenen  Dasein  und  Insichsein; 
denn  der  Erbe  ist  ja  der  Erblasser^). 

In  seiner  Willensbeziehung  zum  Legatar  dagegen  be- 
zieht sich  der  Erblasser  auf  einen  anderen.  Der  Be- 
ziehung des  einen  subjektiven  Willens  auf  einen  anderen 


^)  Dem  widerspricht  es  keineswegs,  wenn  z.  B.  ein  anderes 
Kapitel  der  lex  Voconia  verbietet,  daß  Weiber  von  Bürgern, 
die  auf  100000  Aß  in  den  Zensusrollen  eingetragen  sind, 
zu  Erben  gemacht  werden  können  (Gajus,  II,  274);  denn 
dies  war  eine  Erbunfähigkeit  der  Weiber,  wenn  auch  nur 
eine  Erbunfähigkeit  in  bezug  auf  Bürger  einer  gewissen 
Klasse,  aber  immerhin  im  Prinzip  eine  Erbunfähigkeit  wie 
jede  andere.  Ein  ganz  anderes,  als  Personen  des  Erbtums  un- 
fähig erklären,  ist  dies :  der  Willensbeziehung  des  Erblassers 
zum  Erben,  d.h.  zu  dem,  der  wirklich  sein  Erbe  wird 
und  ist,  Gesetze  vorschreiben.  Dort  kommt  es  gar  nicht  zum 
Erbtum  und  also  zur  Willensidentifikation.  Hier  aber^ 
wenn  und  indem  es  zu  derselben  kommt,  den  Inhalt  der  Willens- 
beziehung zum  Erben  vorschreiben  zu  wollen,  würde  heißen  in 
das  Verhältnis  dieser  Willenssubjektivität  zu  sich  selbst 
eingreifen.  Gerade  durch  ihre  Bestim-mung  hinsichtlich  der  Wei- 
ber läßt  die  lex  Voconia  diesen  Unterschied  sehr  deutlich  her- 
vortreten. Sie  hindert  nicht  und  will  nicht  hindern,  daß  Weiber 
von  Bürgern,  die  zu  100000  Aß  und  mehr  eingeschrieben  sind, 
die  Hälfte  ihres  Vermögens  erben.  Aber  sie  gestattet  dies 
nicht  in  der  Form,  daß  sie  solchen  Bürgern  erlaubt,  Weiber  zur 
Hälfte  zu  Erben  einzusetzen,  sondern  sie  entzieht  den  letz- 
teren die  Erbfähigkeit  für  solche  Erbschaften  gänz- 
lich —  diese  einmal  zugelassen,  wäre  die  quantitative  Be- 
schränkung damals  noch  unmöglich  gewesen  — ,  gestattet  ihnen 
aber  den  Erwerb  der  Vermögenshälfte  durch   Legat. 

117 


könne  ohne  Anstoß  —  dies  ist  ja  vielmehr  die  Bestim- 
mung der  Gesetze  überhaupt  —  Gesetze  vorgeschrieben 
werden,  und  ebensogut  also,  wie  dem  einzelnen  Willens- 
akt des  Lebendigen,  können  auch  dem  einzelnen 
Willensakt  des  Testators,  d.i.  dem  Legat,  inhalt- 
liche  Vorschriften  auferlegt  werden. 

Der  Erbe  schleppt  also  den  Legatar  auf  den  Kampf- 
platz. Und  zwar  ist  es  der  eigene  und  wahre  Begriff 
des  Legatars,  den  er  gegen  diesen  ins  Treffen  schickt. 
Ich  bin,  sagt  der  Erbe,  Willensperpetuierer  des  Toten, 
gleichviel  ob  ich  von  dem  Vermögen  der  Hinterlassen- 
schaft etwas  erwerbe  oder  nicht,  und  habe  daher  allerdings 
keinen  notwendigen  Anspruch  auf  das  Vermögen.  Aber 
dann  muß  auch  der  Legatar  seinerseits  seinem  Begriffe 
treu  bleiben.  Der  Begriff  des  Legatars  aber  (s.  Nr.  XIV) 
besteht  darin,  daß  er  im  Gegensatz  zu  mir,  der  ich 
Willenserbe,  Träger  der  ganzen  Willenssubjektivität  des 
Erblassers  bin,  nur  reale  Vermögensstücke  von  diesem 
empfangen  kann.  So  soll  er  sich  denn  auch,  seinem  Be- 
griffe gemäß,  auf  solches  Stückwerk  beschränken,  kein 
einzelner  Legatar  aber  das  Vermögen  in  einem 
solchen  Zusammenhang  übernehmen,  daß  durch  diesen 
Zusammenhang  auf  ihn  allein  der  Widerschein  und  Re- 
flex der  früheren  Willensherrschaft  fallen  kann. 

Und  so  wird  denn  durch  die  lex  Furia  dem  Erblasser 
zwar  immer  noch  gestattet,  das  Vermögen  durch  Ver- 
teilung an  Legatare  zu  erschöpfen,  aber  jedem  einzelnen 
Legatar  verboten,  mehr  als  ein  geringfügiges  Stück,  die 
unbedeutende  Summe  von  tausend  Aß  zu  nehmen.  Und 
auch  das  ist  bemerkenswert,  daß  sich  selbst  dieses  Ver- 
bot der  Form  nach  nicht  gegen  den  Erblasser  richtet, 
sondern,  ebenso  wie  noch  später  durch  die  lex  Voconia, 
dem  Erblasser  noch  völlige  Freiheit  gelassen  und  nur  dem 

118 


Legatar  das  Nehmen  —  bei  Strafe  des  Vierfachen  — 
verboten  wird. 

Nichtsdestoweniger  wäre  es  ein  großer  Irrtum,  mit 
Gans  und  anderen  zu  glauben,  daß  die  in  der  lex  Furia 
bis  zur  lex  Falcidia  stattfindende  Bewegung  ein  gegen 
den  Legatar  gerichteter  Kampf  des  Erben  ist.  Der 
Legatar  ist  nur  der  Prügeljunge,  auf  dessen  Rücken  der 
Erbe  seinen  Kampf  mit  dem  Erblasser  schlägt.  Ganz 
entscheidend  zeigt  sich  dies  ja  in  der  Aufeinanderfolge 
dieser  Gesetze,  dadurch  nämlich,  daß  durch  die  beiden 
späteren  die  Lage  des  Legatars  wieder  auf  das  aller- 
erheblichste  verbessert  %vird.  Ausgegangen  wird  von  dem 
Zwölftafelrecht,  nach  %velchem  die  Lage  des  Legatars  die 
günstigste  ist.  Plötzlich  wird  sie  die  ungünstigste  durch 
die  lex  Furia,  die  ihn  auf  die  Kleinigkeit  eines  festen 
Stückes  von  tausend  Aß  einschränkt.  Durch  die  lexVo- 
conia  wird  sie  schon  auf  das  erheblichste  gebessert,  in- 
dem der  Legatar  nun  die  volle  Hälfte  des  Vermögens, 
also  unendlich  mehr  als  tausend  Aß,  erhalten  kann.  Noch 
viel  günstiger  wird  sie  schließlich  durch  die  lex  Falcidia, 
nach  welcher  er  sogar  drei  Viertel  des  Vermögens,  also 
mehr  als  der  Erbe  selbst  erhalten  kann.  Als  Kampf  zwi- 
schen Erben  und  Legatar  aufgefaßt,  wäre  also  weder 
Sinn  noch  Zusammenhang  in  dieser  Entwickelung,  wäh- 
rend alles  in  das  klarste  Licht  tritt,  wenn  man  den  Sinn 
und  die  Richtung  dieser  Bewegung  als  einen  gegen  den 
Erblasser  gerichteten  Kampf  auffaßt,  in  welchem  der 
Legatar  —  seiner  passiven  Rolle  gemäß  —  gar  kein 
selbständiger  Faktor  ist,  nicht  derjenige,  um  den  sich  s 
handelt,  sondern  derjenige,  an  dem  sich's  handelt,  der 
bloße  Boden  des  Streites,  der  daher  seine  guten  und 
bösen  Chancen  als  ein  reines  Schicksal  je  nach  den  Sta- 
dien empfängt,  in  welche  jener  Kampf  zwischen   Erben 

119 


und  Erblasser  tritt.  Als  der  Erbe  ertrotzt  hat,  was  er 
vom  Erblasser  ertrotzen  will,  hat  er  nichts  dagegen,  daß 
der  Legatar  sich  so  breit  mache  wie  er  wolle,  und  weit 
mehr  bekomme  als  er. 

Aber  Gajus  sagte  uns  bereits,  daß  die  lex  Furia  ,, nicht 
erreichte,  was  sie  wollte",  weil  nun  jeder  Erblasser  sein 
Vermögen  durch  Vermächtnisse  an  lauter  einzelne  Le- 
gatare von  je  tausend  Aß  erschöpfen  kann,  und  daß  des- 
halb nun  die  lex  Voconia  erlassen  wird. 

Wie  naiv  auch  in  theoretischer  Hinsicht  die  Wendung 
des  Gajus :  haec  lex  non  perfecit  quod  voluit,  sein  mag, 
an  dem  tatsächlichen  Kern  seiner  Nachricht  läßt 
sich  natürlich  nicht  im  geringsten  zweifeln.  Die  Aus- 
schlagungen der  Testamentserben  müssen  also  immer  fort- 
gedauert haben ;  denn  sonst  ließe  sich  gar  nicht  sagen,  daß 
die  lex  Furia  ihren  Zweck  nicht  erreicht  habe,  und  es 
war  gar  kein  praktischer  Anlaß  zu  dem  Erlaß  der  lex 
Voconia  vorhanden.  Die  bloße  formelle  Möglich- 
keit, welche  die  lex  Furia  dem  Testator  übrig  ließ, 
konnte  hierzu  nicht  treiben,  wenn  die  Erblasser  nicht  auch 
praktisch  von  dieser  Möglichkeit  Gebrauch  gemacht 
hätten,  und  hierdurch  also  auch  der  frühere  Übelstand 
der  Ausschlagung  praktisch  fortgedauert  hätte. 

Es  ist  also  durch  den  Bericht  des  Gajus  selbst  kon- 
statiert —  und  dies  ist  auch  sein  unmittelbarer  Wort- 
sinn — ,  daß  die  Erblasser  auch  realiter  von  jener  for- 
mellen Möglichkeit,  die  ihnen  die  lex  Furia  noch  übrig 
läßt,  Gebrauch  machen.  Sie  zersplittern  also 
lieber  ihr  ganzes  Vermögen  in  einzelne  Le- 
gate ä  je  tausend  Aß,  um  nur  dem  Erben  nichts 
zukommen  zu  lassen!  So  zäh  saß  in  der  Volks- 
substanz jene  alte  Anschauung  des  Erben  als  des  rein 
idealistischen  Willenserhalters,  jener  metaphysische  Kitzel 

120 


der  nicht  durch  das  eigene  Interesse  und  den  eigenen 
Willensegoismus  des  Erben  verdunkelten  Willenslort- 
existenz  des  Erblassers !  Es  erhellt  von  selbst,  wie  sich 
diesen  Tatsachen  des  ga janischen  Berichtes  ohne  unsere 
gesamten  vorhergehenden  Ausführungen  über  den  Begriff 
des  römischen  Erbtums  auch  nicht  der  geringste  Sinn  ab- 
gewinnen läßt.  Denn  wie  sollte  sonst  —  eine  Frage,  die 
man  freilich  sich  auch  nur  aufzuwerfen  sorglich  ver- 
mieden hat  —  dieser  sonderbare  Haß  des  Erblassers 
gegen  den  Erben,  der  jenen,  um  diesen  nackt  zu  stellen, 
sogar  vor  dieser  Vermögenszersplitterung  nicht  zurück- 
weichen läßt,  auch  nur  irgend  begreiflich  sein?  Aber  es 
zeigt  sich  hier  eben  nur  wieder  ganz  klar,  wie  das  Erb- 
recht für  den  Erblasser  ganz  wo  anders  seinen  Begriff 
und  sein  Interesse  hat  als  im  Vermögen  und  der  Ver- 
mögenssphäre. 

Das  Moment  der  Reibung  zwischen  den  beiden 
Willenssubjektivitäten,  welche  das  Institut  des  Erbtums 
als  identische  setzen  soll,  dauert  also  immer  noch  fort. 

Der  Erblasser  fährt  fort  zu  enterben,  der  Erbe  fährt 
fort  auszuschlagen. 

Der  Erbe  daher,  um  den  Erblasser  zu  treffen,  schlägt 
wieder  auf  den  Rücken  des  Legatars,  den  selbstlosen 
Boden  dieses  Kampfes.  Und  was  er  diesmal  vorbringt, 
ist  wieder  wie  das  vorige  Mal  eine  ebenso  strenge  dialek- 
tische Folgerung  des  Legatsbegriffes,  als  es  zugleich  die 
strenge  dialektische  Konsequenz  des  in  der  lex  Furia  an 
sich  schon  Enthaltenen  ist. 

In  der  Tat,  was  hatte  der  Erbe  gegen  den  Legatar  in 
der  lex  Furia  geltend  gemacht  ?  Er  hatte  gegen  ihn  (s. 
oben  S.  118)  den  Begriff  des  Legates  geltend  ge- 
macht, welcher  im  Gegensatze  zum  Erbbegriff  das 
Empfangen  eines  realen  Vermögensstückes  ist  und 

121 


den  Legatar  hierdurch  auf  das  bestimmte  Stück  be- 
schränkt. An  sich  ist  also  in  der  lex  Furia  bereits  der 
Legatsbegriff  zum  Erbbegriff  in  Verhältnis  gebracht 
und  durch  die  Gegensätzlichkeit  dieses  Begriffs- 
verhältnisses die  Beschränkung  des  Legatars  hervor- 
gebracht. Die  lex  Furia  ist  nur  das  Produkt  der  Be- 
ziehung, die  zwischen  Erb-  und  Legatsbegriff  stattfindet. 
In  der  lex  Furia  ist  also  das  Verhältnis  beider  Be- 
griffe zueinander,  das  Verhältnis  des  Legatars  im  Gegen- 
satz zum  Erbtum,  bereits  als  die  innere  Grundlage  des 
Gesetzes,  obwohl  es  vom  Erben  schweigt,  schon  vor- 
handen. Was  so  in  der  lex  Furia  schon  an  sich  vor- 
handen ist,  wird  in  der  lex  Voconia  nur  aus- 
gesprochen, und  deshalb  kann  es  auch  bei  dieser 
inneren  Identität  beider  Gesetze  schon  in  dem  kurzen  Zeit- 
raum von  vierzehn  Jahren  zu  dieser  Umänderung  kommen. 
Der  Erbe  gesteht  also  noch  immer  in  thesi  zu,  daß  er 
an  sich  selbst  gar  keinen  Anspruch  darauf  habe,  Ver- 
mögen vom  Erblasser  qua  Erbe  zu  empfangen.  Aber, 
sagt  er,  das  ist  nicht  zu  dulden,  daß  ein  einzelner 
Legatar,  dessen  Begriff  doch  nur  das  einzelne  Stück  ist, 
für  sich  selbst  genommen,  einen  größeren  Zusammen- 
hangt) in  der  Vermögenshinterlassenschaft  des  Toten 
darstelle,  als  ich,  der  ich  der  Fortsetzer  seiner  all- 
gemeinen  Willensherrschaft  bin.    Hierdurch  vergreift  er 


^)  Man  erinnere  sich  des  oben  (Nr.  III)  über  die  major  pars 
in  der  älteren  Sacraltheorie  Gesagten,  und  der  organische  Zu- 
sammenhang der  Anschauungen  in  beiden  wird  klar  sem.  Dort 
war  es  die  absolute  major  pars  des  Vermögens,  die  den  Legatar 
zu  einem  Analogon  des  Zivilerben  machen  und  daher  die  sacra 
auferlegen  soll.  Hier  ist  es  die  major  pars,  die  der  einzelne 
Legatar  dem  Erbtum  gegenüber  darstellt,  wodurch  er  in  das 
letztere  unzulässig  eingreifen  soll. 

122 


sich  an  meinem  Begriff.  —  Der  Erbe  will  also  dem 
Erblasser  nach  wie  vor  freistellen,  ihm  nichts  zukommen 
zu  lassen,  vorausgesetzt,  daß  er  ein  Mittel  findet,  den 
Legataren  auch  nichts  zu  geben.  Diese  Freistellung  ist 
konsequent.  Denn  der  Erbe  behauptet  nicht,  daß  er  ab- 
solut, er  behauptet  nur,  daß  er  relativ,  dem  Legatar 
gegenüber,  zu  Vermögen  berechtigt  sei.  Und  man  sehe 
femer,  mit  welcher  Konsequenz  es  nur  der  Begriff 
des  Erbtums  ist,  dessen  Verhältnis  zum  Wesen  des 
Legatars  der  Erbe  hier  ins  Feld  schickt.  Daß  er,  als 
einzelner  Erbe,  etwas  haben  müsse,  oder  soviel  haben 
müsse  wie  der  Legatar,  behauptet  der  Erbe  selbst  nicht ; 
nur  alle  Erben  zusammengenommen  (oder  respek- 
tive der  alleinige  Erbe)  müssen  ebensoviel  realen  Ver- 
mögenszusammenhang hinter  sich  haben,  wie  jeder  ein- 
zelne Legatar,  damit  nicht  der  Begriff  des  Erb- 
tums vom  Legatar  überwunden  zu  sein  scheine.  Sind  also 
viele  Erben  eingesetzt,  so  kann  jeder  einzelne  Erbe  viel 
weniger  erhalten,  als  jeder  einzelne  Legatar.  Der  Erbe 
vergleicht  nicht  sich,  den  einzelnen  Erben,  mit  dem  ein- 
zelnen Legatar,  sondern  nur  das  gesamte  Dasein  des 
Erbtumsbegrif f es,  und  sich  also,  insofern  er  aus- 
schließend dies  Dasein  ist,  vergleicht  er  mit  dem  Le- 
gatar^). Umgekehrt  vergleicht  er  auch  nicht  den  ge- 
samten Erbtumsbegrif f  mit  dem  Begriff  des  Legaten- 


■*■)  Es  ist  einfach  ein  faktischer  Irrtum  von  Gans,  wenn  er 
von  der  lex  Voconia  so  spricht,  als  wehre  sie,  dem  einzelnen 
Legatar  mehr  zu  geben,  als  jedem  einzelnen  Erben,  wenn 
mehrere  sind.  Die  Berichte  der  Quellen  widersprechen  dem 
ganz  positiv,  und  Gans,  der  hierin  auch  ganz  isoliert  steht, 
ist  wohl  nur  durch  ein  Übersehen  zu  diesem  Irrtum  gekommen, 
den  er,  ohne  auch  nur  eine  Begründung  zu  versuchen,  wie  etwas 
Selbstverständliches  voraussetzt. 

123 


tums  überhaupt.  Dies  würde  ihm  nichts  nützen,  und 
hier  würde  er  schlecht  fortkommen !  Denn  da  der  Begriff 
des  Erbinstitutes  die  Willensfortsetzung,  worin  nichts  vom 
Vermögen  enthalten,  der  Begriff  des  Legateninsti- 
tutes aber  eben  gerade  die  Vermögensvergabung 
(s.  Nr.  XIV)  ist,  so  ist  es  bei  einem  Vergleich  beider 
Institute  gerade  durch  den  Begriff  derselben  gegeben,  daß 
das  Erb  tum  dem  Legatentum  im  Vermögensgebiet 
keine  Konkurrenz  machen  kann;  sondern  den  Begriff 
des  Erbtums  überhaupt  vergleicht  er  mit  dem  Be- 
griffe des  einzelnen  lebendigen  Legatars  (statt 
mit  dem  des  Legates  überhaupt),  um  dar  zutun,  daß  dieser 
einzelne  Legatar  nicht  das  Dasein  des  Erbbegriffes 
überhaupt,  das  gesamte  Erbtum,  an  Zusammenhang  im 
Vermögen  übertreffen  könne.  Das  also  wird  durch  die 
lex  Voconia  keineswegs  geändert,  sondern  durch  den  Erben 
selbst  anerkannt,  daß  in  einem  Testamente  durch  Le- 
gate überhaupt  ein  weit  größerer  Vermögensteil 
vergabt  sein  kann,  als  nicht  nur  dem  einzelnen  Erben, 
sondern  auch  allen  Erben  zusammengenommen, 
also  dem  Erbtum  selbst,  verbleibt,  wenn  nur  die  Einteilung 
so  getroffen  ist,  daß  kein  einzelner  Legatar  für  sich 
allein  einen  größeren  Zusammenhang  im  Vermögen  dar- 
stellt, als  alle  Erben  zusammen. 

Für  den  Legatar  ist  dieser  neue  Schlag,  den  auf  seinem 
Rücken  der  Erbe  dem  Erblasser  gibt,  an  sich  ein  höchst 
wohltuender.  Er  kann  jetzt  ganz  unverhältnismäßig  mehr 
als  nach  der  lex  Furia  bekommen.  Als  Maximum  kann 
er  sogar  die  volle  Hälfte  des  ganzen  Vermögens 
erhalten,  nur  das  Mehr  als  die  Hälfte  ist  ihm  unter- 
sagtQ. 

^)  Man  vgl.  wieder  über  die  major  pars  in  der  älteren 
Sacraltheorie  oben  sub  Nr.  III. 

124 


Aber  nicht  minder  scheint  dieser  Schlag  im  Interesse 
des  Erben  ein  entscheidender  zu  sein.  Der  Erblasser  trifft 
und  negiert  den  Erben  in  seinem  persönlichen  Interesse 
vermittelst  des  Legatars,  dem  er  das  Vermögen  ver- 
gabt. Jetzt  hat  der  Erbe  aber  gerade  das  Mittel  aus- 
findig gemacht,  sich  vielmehr  durch  den  Legatar  gegen 
den  Erblasser  zu  decken!  Je  mehr  ein  Legatar  be- 
kommen soll,  desto  mehr  muß  der  Erbe  auch  be- 
kommen. Der  Erblasser  schlägt  auf  den  Erben  los  mit 
den  Hammerschlägen  der  einzelnen  Vermögensstöße,  die 
zugunsten  des  Legatars  Stücke  vom  Nachlaß,  diesem 
sekundären  Appendix  der  Willensherrschaft,  lostrennen 
und  ihn  dadurch  absorbieren.  Der  Erbe  aber  springt 
hinter  den  Rücken  des  Legatars  und  deckt  sich  durch 
dessen  Brust  gegen  jene  Schläge.  Will  der  Erblasser  ihn 
treffen,  so  ist  er  durch  diesen  dialektischen  Sprung  in  die 
sich  selbst  widersprechende  Notwendigkeit  versetzt,  zuvor 
den  Legatar  zu  treffen,  zu  dessen  Gunsten  gerade  der 
Schlag  ausfallen  sollte. 

Und  jedenfalls  scheint  jetzt  als  notwendiges  prak- 
tisches Resultat  die  Folge  erreicht,  daß  der  Erbe 
doch  immer  irgend  etwas  vom  Vermögen  haben 
müsse.  Als  bloß  praktisches  Resultat  und  Folge,  sagen 
wir,  noch  nicht  als  begriffliche  Forderung.  Denn  die 
prinzipielle  These,  daß  er  irgend  etwas  vom  Ver- 
mögen bekommen  müsse,  hat  —  wie  durchaus  festgehalten 
werden  muß,  und  wovon  wir  sofort  die  theoretisch  und 
praktisch  gleichwichtigen  Folgen  sehen  werden  —  der 
Erbe  ja  noch  nicht  aufzustellen  gewagt ;  sondern  nur  re- 
lativ, dem  Legatar  gegenüber,  behauptet  er,  daß  dieser 
nicht  mehr  haben  könne  als  alle  Erben  zusammen.  Da 
aber  der  Erblasser  doch  kein  anderes  Mittel  hat,  dem 
Erben  das  Vermögen  zu  entziehen,  als  diese  Verfügungen 

125 


von  Todes  wegen,  so  scKeint  jetzt  mindestens  als  prak- 
tisches Resultat  ganz  unvermeidlich  geworden  zu  sein,  daß 
der  Erbe  jedenfalls  etwas  vom  Vermögen  erhält.  ,,Ex 
qua  lege,"  sagt  Gajus  (II,  126),  ,, plane  quidem  aliquid 
utique  heredes  habere  videbantur."  ,,Aus  welchem  Ge- 
setze die  Erben  überall  doch  mindestens  irgend  etwas  vom 
Vermögen  haben  zu  müssen  schienen."  Und  diese  bloße, 
für  das  heutige  Bewußtsein  gewiß  sehr  befremdliche  Aus- 
drucksform hätte  schon  lange  zu  der  Untersuchung  an- 
regen sollen,  warum  es  denn  für  den  römischen  Geist  eines 
gar  so  großen  Zwanges  bedurfte,  dem  Erben  etwas 
vom  Vermögen  zukommen  zu  lassen ! 

Aber  noch  hat,  wie  bemerkt,  der  Erbe  nicht  die  prin- 
zipielle These  aufzustellen  gewagt,  daß  er  absolut  und 
für  sich  genommen  Vermögen  bekommen  müsse.  Noch  ist 
er  daher  auch  nicht  wahrhaft  durchgedrungen. 

Denn  ein  Mittel  hat  der  Erblasser  noch  in  diesem  er- 
bitterten Kampfe  zwischen  ihm  und  dem  Erben !  Nach 
der  lex  Furia  mußte  er  das  Vermögen  zerstückeln, 
um  den  Erben  zu  enterben.  Jetzt  muß  er  es  zerstieben! 
Wenn  der  Erblasser  das  Vermögen  zerstiebt,  pulve- 
risiert und  seine  Atome  in  alle  Lüfte  sprengt, 
wenn  er,  um  den  hinter  dem  Legatar  versteckten  Erben 
zu  treffen,  auf  Erben  und  Legatar  ohne  Unterschied  los- 
schlägt, wenn,  wie  es  im  alten  Liede  heißt,  ,, Keiner 
nichts  kriegt",  dann  hat  es  der  Erblasser  glücklich  wie- 
der auf  das  Seinige  gebracht !  Wenn  der  Erblasser  sich 
hierzu  zu  entschließen  vermag,  dann  kann  er  wieder  den 
Triumph  genießen,  den  Erben  nackt  und  bloß  zu  stellen. 
Und  freilich  tritt  noch  ein  Umstand  hinzu,  welcher  dem 
Erblasser  diesen  verzweifelten  Entschluß  praktisch  sehr 
erleichtern  kann.  Der  Erbe  hat  sich  noch  nicht  zu  der 
Behauptung  zu  erheben  gewagt,  daß  er  absolut,  für  sich 

126 


selbst  genommen,  haben  müsse.  Nur  relativ,  dem  Le- 
gatar gegenüber,  muß  er  haben.  Aber  nur  relativ,  nur 
einem  anderen  gegenüber,  haben  müssen,  heißt  nur  for- 
mell haben  müssen.  Bloß  für  sich  selbst  genommen 
haben  müssen,  nur  dies  heißt  materiell  haben  müssen. 

Es  reicht  also  nach  der  dialektischen  Konsequenz  des 
spekulativen  Begriffes  vollkommen  hin,  wenn  der  Erbe, 
respektive  wenn  alle  Erben  zusammengenommen  bloß 
formell,  bloß  dem  Legatar  gegenüber,  soviel  wie  dieser 
haben,  wenn  sie  auch  materiell  nicht  das  geringste 
haben !  Die  Konsequenz  des  spekulativen  Begriffes  ge- 
langt gleichfalls  zu  ilirem  strengsten  realen  Ausdruck  in 
der  lex  Voconia.  Denn  nach  dieser  wird  nur  dies  vor- 
geschrieben, daß  kein  Legatar  ein  größeres  Haben  aus 
der  Hinterlassenschaft  nimmt,  als  alle  Erben  ihrerseits 
nehmen.  Nur  auf  diese  formelle,  vergleichungs- 
weise  Gleichheit  des  Nehmens  wird  geachtet,  und 
nur  hierauf  kann  geachtet  werden,  da  die  lex  Voconia 
eben  überhaupt  nur  eine  Vergleichung  von  Erben  und 
Legatar,  und  nicht  einen  Anspruch  des  Erben  auf  ein 
absolutes  Haben  darstellt.  Es  wird  daher  bei  der 
lex  Voconia  ganz  davon  abstrahiert,  daß  der  Legatar,  was 
er  nimmt,  rein  nimmt,  während  dem  Erben  infolge  seines 
Begriffes  alle  Lasten  und  Schulden  der  Erbschaft 
zufallen.  Wenn  also  auch  der  oder  die  Erben  formell 
ebensoviel  nehmen,  als  der  größte  Legatar,  so  können  die 
Erben  dennoch  durch  die  Erbschaftsschulden  so  gestellt 
sein,  daß  sie  materiell  und  für  sich  genommen  viel 
weniger,  ein  Minimum,  nichts  oder  noch  weniger 
als  nichts,  ein  Schuldendefizit  haben. 

Sind  also  die  Schulden  der  Erbschaft  bedeutend,  so 
ist  es  dadurch  dem  Erblasser  praktisch  erheblich  erleich- 
tert,  einem  der   Legatare  eine  erhebliche   Summe   zuzu- 

127 


wenden  und  die  Erben  dennoch  materiell  trocken  zu 
legen. 

Und  wirklich  entschließt  sich  —  der  Bericht  des  Ga- 
jus  ist  da,  es  zu  beweisen  —  der  Erblasser  sogar  zu  diesem 
äußersten  Mittel,  um  den  Erben  vermögenslos  zu  stellen. 
,,Sed  tarnen  fere  Vitium  simile  nascebatur,  nam  in  multas 
legatariorum  personas  distributo  patrimonio  poterat  adeo 
heredi  minimum  relinquere  testator,  ut  non  expediret  heredi 
hujus  lucri  gratia  totius  hereditatis  onera  sustinere."  (Ga- 
jus,  a.a.O.)  —  ,,Aber  dennoch  entstand  beinahe  der 
gleiche  Übelstand  (wie  bei  der  lex  Furia)  auch  hier  (bei 
der  lex  Voconia),  denn  indem  er  sein  Vermögen  auf  viele 
Legatare  zerstreute,  konnte  der  Testator  dem  Erben  ein 
solches  Minimum  hinterlassen,  daß  es  für  den  Erben  kein 
Nutzen  mehr  war,  wegen  dieses  Gewinstes  die  Lasten 
der  gesamten  Erbschaft  auf  sich  zu  nehmen." 

Wenn  Gajus  sagt,  daß  der  gleiche  Übelstand  wie 
bei  und  vor  der  lex  Furia  wieder  entstand,  so  sagt  er 
hierdurch  natürlich,  daß  er  praktisch  entstand,  d.h.  daß 
der  Erblasser  auch  realiter  von  dieser  Möglichkeit  Ge- 
brauch machte  und  der  Erbe  deshalb  auch  realiter  wieder 
ausschlug.  Denn  sonst  entstand  der  Übelstand  ja  eben 
gar  nicht.  Die  bloß  formelle,  nicht  praktisch  fühlbar 
werdende  Möglichkeit  bildete  keinen  solchen  und  konnte 
nicht  zum  Anlaß  werden,  daß  deshalb  (lata  est  itaque 
lex  Falcidia,  fährt  Gajus,  a.a.O.,  nach  den  letzten  Wor- 
ten fort)  ein  neues  Gesetz  erlassen  werden  mußte. 

Es  ist  also  konstatiert,  daß  —  so  unbezwingbar  be- 
herrscht die  Anschauung  von  dem  Erben  als  dem  reinen 
idealistischen  Willensfortpflanzer  den  römischen  Geist  — 
der  Erblasser  sogar  vor  diesem  äußersten  Mittel  nicht 
zurückschreckt. 

Das  Moment  der  Reibung  dauert  also  immer  fort.  Der 

128 


Erblasser  sucht  die  eigene  Willenssubjektivität  des  Erben 
zu  negieren,  um  es  zur  klaren  Evidenz  zu  bringen,  daß  es 
nur  die  seinige  ist,  die  in  ihm  fortlebt;  der  Erbe  nieder 
seinerseits  negiert  die  Willenssubjektivität  des  Erblassers, 
indem  er  deren  Fortexistenz  zu  sein  ausschlägt  und  die 
seinige  behauptet.  Die  beiden  Willenssubjektivitäten,  welche 
die  Fiktion  des  Erbtums  als  identische  setzen  soll, 
zeigen  sich  vielmehr  durch  die  reale  Geschichte  des 
Institutes  als  das,  was  sie  nach  ihrer  Naturwahrheit  sind, 
als  andere  gegeneinander,  ja  als  einander  ne- 
gierende. Und  dies  ist  notwendig.  Denn  es  ist  ein 
Kampf  der  Fiktion  des  Institutes  mit  seiner  ihr  wider- 
sprechenden realen  physischen  Grundlage  und  ihrer 
Naturwahrheit.  Erbe  und  Erblasser,  das  Erbtum  mag 
noch  so  sehr  ihre  fiktive  Identität  proklamieren,  sind 
doch  nun  einmal  andere  Willenssubjektivitäten,  und  in- 
dem sie  sich  so  zeigen  müssen,  wie  sie  wirklich  sind, 
müssen  sie  sich  als  andere  gegeneinander  setzen, 
d.  h,  sich  negieren. 

Ebendeshalb  aber,  weil  dieser  Widerspruch  gar  kein 
anderer  als  der  Widerspruch  des  Begriffes  mit 
seiner  eigenen  Realität  ist,  ist  dieser  Konflikt  gar 
nicht  beizulegen.  Alle  Auskunftsmittel,  ihn  zu  beseitigen, 
ohne  der  Beziehung  der  erblasserischen  Willenssubjektivi- 
tät auf  sich  selbst,  auf  ihren  alter  Ego,  den  Erben, 
Gewalt  anzutun,  sind  erschöpft,  und  immer  ist  der  in 
der  natürlichen  Realität  begründete  Konflikt  wieder  durch- 
gebrochen. 

Ob  jenem  Übelstand  der  repudiierten  Testaments- 
erbschaften daher  abgeholfen  werde  oder  nicht  —  in 
beiden  Fällen  muß  dieses  Erbtum  gleichmäßig  unrettbar 
verloren  sein,  und  es  war  dies  an  sich  schon  von  jenem 

9  LwjaUe.   G«.  Sctriften,    BaaJ  XI.  1  2Q 


Tage  des  Verderbens  an,  wo  die  in  der  stummen  Ein- 
mütigkeit der  Sitte  sich  äußernde  Herrschaft  des  substan- 
tiellen Volksgeistes  über  die  Individuen  aufgelockert  ge- 
nug war,  um  dem  Erben  zu  erlauben,  seinen  materiellen 
Egoismus  dem  metaphysisch-verklärten  Egoismus  des  Erb- 
lassers als  einen  gleichberechtigten  gegenüber  zu  setzen 
und  deshalb  die  Erbschaft  auszuschlagen. 

Wir  sagen,  das  Erbtum  ist  in  beiden  Fällen  gleich- 
mäßig verloren ;  denn  wird  dem  Konflikt  abgeholfen,  so 
wird  in  die  Willensbeziehung  des  Erblassers  auf  sein  alter 
Ego,  den  Erben,  negierend  eingegriffen;  es  wird  dem 
Erben  gestattet,  die  Willenssubjektivität,  deren  Erhalter 
und  einfaches  Dasein  er  sein  soll,  vielmehr  zu  beugen 
und  zu  negieren. 

Wird  dem  Übelstand  aber  nicht  abgeholfen,  so  wird  es 
dahin  kommen,  daß  die  Testamentserbschaft  nur  noch  im 
Rechtskodex  steht,  in  der  Wirklichkeit  des  Volkslebens 
aber  verschwindet. 

So  vergehen  von  neuem  einhundertdreißig  Jahre  in 
diesem  furchtbaren  Ringen  des  Volksgeistes  mit  seiner 
eigenen  Substanz,  bis  denn  endlich  mit  der  lex  Falcidia 
die  Anschauung  ihren  Triumph  feiert :  der  Erbe  ist 
notwendiger  Vermögensnehmer ,  der  Erbe  muß 
haben! 

Aber  —  und  man  sehe,  wie  bezeichnend  die  chrono- 
logischen Daten  sind  —  nicht  eher  tritt  diese  entschei- 
dende Konzession  in  der  Substanz  des  Volksgeistes,  dieser 
prinzipielle  Verderb  des  altrömischen  Erbbegriffes  ein,  als 
mit  jenem  entscheidenden  Untergang  der  ursprünglicher 
Substanz  des  römischen  Volksgeistes  über- 
haupt,   mit    dem    Untergang    der    Republik!     Die 

130 


lex  Falcidia  wird  unter  der  Herrschaft  des  Augustus  er- 
lassen^).   — 

Da  jetzt  der  Erbe  die  direkte  Anforderung  aufgestellt 
hat,   daß  er   qua  Erbe  haben,  für  sich  selbst  oder 

^)  Und  erst  durch  die  justinianeische  Gesetzgebung  wird 
die  lex  Falcidia  insofern  wieder  aufgehoben,  als  Justinian  dem 
Testator  gestattet,  durch  ausdrückliche  Willenserklärung  ina 
Testament  dem  Erben  den  Abzug  der  lex  Falcidia  auch  zu 
verbieten;  s.  Novelle  1,  Kap.  2.  §  2.  Wie  ist  dies  möglich? 
Wird  jetzt  plötzlich  mit  dieser  letzten  Gestalt  des  römi- 
schen Rechtes  zu  seinem  ursprünglichen  zivilistischen 
Geiste  zurückgekehrt?  Natürlich  durchaus  nicht!  Im  Gegen- 
teil!  Erst  im  justinianeischen  Recht  kann  und  muß  sich  der 
Erblasser  wieder  über  die  lex  Falcidia  erheben  können,  weil 
jetzt  gerade  —  spätere  Entwicklungen  bei  den  einzelnen  Erb- 
rechtsinstituten über  die  Bedeutung  des  justinianeischen  Rechtes 
werden  dies  klarer  machen  —  der  letzte  und  höchste  Unter- 
gang des  zum  bloßen  Schatten  gewordenen  civilistischen  Erb- 
begriffes eingetreten  ist,  der  im  römischen  Recht  überhaupt 
möglich  war.  Denn  mit  der  justinianeischen  Gesetzgebung 
ist  der  begriffliche  Gegensatz  selbst  zv/ischen  dem 
Erben  und  Legatar,  dem  Willensperpetuierer  und  dem  Ver- 
mögensnehmer,  abgestumpft  und  zusammengegangen, 
und  der  Willensfortsetzer  ist  jetzt  auch  seinem  Wesen  nach 
zum  Vermögen  s nehmer  geworden.  Wenn  Erbe  und  Legatar 
jetzt  beide  in  ihrem  Wesen  dasselbe  sind,  so  kann  natürlich 
auch  keiner  von  beiden  einen  notwendigen  Unterschied-  gegen 
den  Willen  des  Testators  behaupten,  und  der  Testator  wirft 
daher  auf  diesem  Standpunkt  den  Zwang  der  lex  Falcidia 
wieder  ab,  der  nur  in  dem  begrifflichen  Unterschied  von' 
Erben  und  Legatar  wurzelt.  Es  zeigt  sich  hier  also  durch  diese 
justinianeische  Aufhebung  der  lex  Falcidia  ganz  positiv  und 
entscheidend,  wie  unrecht  Gans  hat  (vgl.  oben  S.  106,  Note  2), 
zu  meinen,  unter  dem  Zwölftafelrecht  habe  Erbe  und  Legatar 
gleiche  Bedeutung.  Damals  ist  vielmehr  der  Gegensatz  der 
höchste,  und  was  Gans  für  den  Ausgangspunkt  des  Pro- 
zesses nimmt,  ist  vielmehr  der  letzte  Endpunkt  desselben! 
—  Von  der  lex  Falcidia  kann  man  natürlich  noch  keineswegs 

9*  131 


absolut  haben  müsse,  so  sind  jetzt  keine  Schwierigkeiten 
mehr    vorhanden,    und    es    kann    auch    kein    formelles. 


sagen,  daß  sie  den  BegriHsunterschied  zwischen  Erben  und 
Legatar,  Willensfortsetzer  und  Vermögensnehmer,  aufhebe. 
Im  Gegenteil,  sie  wurzelt  in  demselben  und  ist  noch  seine 
entscheidende  Betonung.  Denn  wenn  der  Erbe  nur  dasselbe 
wäre,  wie  der  Legatar,  wie  käme  er  dazu,  gegen  den  Willen 
des  Testators  ein  bestimmtes  Quantum  haben  zu  müssen? 
Er  würde  dann  eine  solche  Forderung  so  wenig  aufstellen 
können,  wie  der  Legatar  sie  aufstellen  kann.  Durch  die  lex 
Falcidia  sagt  also  der  Erbe  bestimmt:  weil  ich  nicht  bloßer 
Vermögensnehmer  (Legatar),  sondern  vielmehr  Willens- 
perpetuierer  bin,  muß  ich,  um  dieses  meines  spezifischen 
und  unterschiedenen  Wesens  willen,  ein  durch  mein  eige- 
nes Recht  bestimmtes  Quantum  haben.  Aber  freilich  ist  nun 
damit  die  Dialektik  eingetreten,  daß,  indem  der  Erbe  dadurch 
notwendig  Vermögen  nimmt,  der  erste  Schritt  auf  der  Bahn 
geschehen  ist,  ihn  zum  bloßen  Vermögensnehmer,  zu 
demselben,  was  der  Legatar  ist,  bis  auf  den  nie  verschwin- 
denden Schatten  seines  früheren  zivilistischen  Wesens  werden 
zu  lassen,  weshalb  wir  die  lex  Falcidia  den  ersten  radi- 
kalen Selbstverlust  des  römischen  Erbbegriffes  nannten. 
Die  Mittelstadien  dieses  großen  Prozesses,  und  damit  der 
Schatten  des  früheren  Wesens,  der  bei  Justlnlan  noch  übrig 
bleibt,  werden  später  klarer  werden.  Wenn  Justlnlan  in  der 
angeführten  Novelle  bei  Aufhebung  des  Zwanges  der  lex 
Falcidia  sagt :  ,,QuodsI  (testator)  expresse  declaraverit,  se  nolle 
heredem  retlnere  Falcldiam,  necesse  est,  ut  testatorls  voluntas 
obtineat,  et  sl  defuncto  juste,  forte  et  pie  qiiaedam  relinquenti 
obtemperare  velit,  lucnim  non  in  accipiendo,  sed  solum  in  pie 
accipiendo  ponat,  nee  talem  heredltatem  minus  lucrosam  esse 
exlstlmet ;  sin  nolit,  Ipse  quidem  reccdat  ab  hujusmodi  insti- 
tufione,  locus  autem,  prout  ante  dlclmus,  flat  substltutls  et 
coheredibus,  legataris,  fideicommissarlls,  servls,  heredlbus  ab 
intestato  et  rellquls  (für  Justlnlan  sind  alle  diese  ein  und 
dasselbe)  secundum  modum,  quem  antea  in  hls  rebus  Invenlmus 
—  klingen  da  die  hervorgehobenen  Worte,  klingt  diese  Auffor- 
derung an  den  Erben,  nur  im  Gehorsam   gegen  den  Willen 

132 


durch  die  Schulden  wieder  aufgezehrtes  Haben  mehr  hin- 
reichen.    Das    Viertel    der    Erbschaft,    welches    die    lex 


des  Testators  den  Vorteil  der  Erbschaft  zu  sehen,  nicht  „im 
Nehmen",  und  die  für  ihn  leere  Erbschaft  nicht  für  , .weniger 
vorteilhaft"  zu  hallen,  nicht  ganz  zivilistisch?  Klingen  sie  nicht 
gerade  ganz  im  Geist  des  von  uns  entwickelten  ältesten  Erb- 
iums gesprochen?  Und  in  der  Tat  klingt  dieser  alte  Erb- 
begriff der  Willenserhaltung  durch  sie  hindurch.  Aber 
für  Justinian  ist  das  Testament  zur  bloßen  Vermögens - 
Verfügung,  der  Wille  des  Testators  aus  einer  selbständig 
zu  erhaltenden  spiritualistischen  Willenssubjektivität  zu  einem 
bloßen  Willen  über  sein  Vermögen  geworden;  was  auf- 
recht erhalten  werden  soll,  ist,  die  vermögensrechtliche 
Willensbestimmung  des  Toten,  und  da  an  diesem  Ver- 
mögenswillen freilich  alle.  Erben,  Legatare,  Fideikommissare 
usw.,  teilhaben,  so  ist  einer,  was  der  andere  ist,  und  der  Le- 
gatar verdrängt  den  Erben,  wenn  er  besser  als  dieser  den  ver- 
mögensrechtlichen Willen  des  Toten  ausführen  will.  —  Gleich- 
wohl ist  eben  darum  das  justinianeische  Recht  nur  zu  verstehen 
durch  den  Schatten  des  altzivilistischen  Erbbegriffes,  der  auch 
in  ihm  noch  überall  bestehen  bleibt  und  die  Unterschiede  des 
Erbrechtes  zugleich  gliedert  —  und  zu  schattenhaft  verschwin- 
denden macht.  Wird  dies  erst  später  im  einzelnen  ganz  klar  ge- 
legt werden,  so  tritt  dies  doch  auch  hier  schon  in  hinreichend 
deutlichen  Umrissen  hervor.  Alles  bleibt  und  alles  ist  doch 
wieder  aufgehoben.  Die  lex  Falcidia  bleibt  und  bleibt  gegen 
das  Testament  des  Testators,  aber  der  Testator  kann  sie  auch 
ausschließen.  Der  Unterschied  des  Erben  und  des  Legatars 
bleibt.  Aber  der  Legatar  kann  auch  den  Platz  des  Erben  aus- 
füllen. Die  Schulden  bleiben  dem  Erben.  Aber  er  kann  sie  auch 
ausschließen,  wenn  er  sub  beneficio  inventarii  antritt  usw.  Alle 
alten  Begriffsunterschiede  sind  erhalten,  aber  aus  ihrer  aus- 
schließenden und  darum  körperlichen  Gestalt  sind  sie 
zu  widerstandslos  sich  durcheinander  hindurch  be- 
wegenden und  daher  schattenhaften  Phantomen  herab- 
gesetzt —  und  aus  diesem  Schattenballett,  dessen  Zaubenvort 
nur  in  seiner  Vergangenheit  liegt,  will  man  jetzt  römisches 
Recht  lernen! 

133 


Falcidia  dem  Erben  als  seine  notwendige  Vermögensbeute, 
die  er  sich  von  der  Erbschaft  abziehen  kann,  zubilligt, 
wird  daher  konsequent  als  reines  Viertel  aufgefaßt,  d.h. 
als  Viertel  des  Erbschaftsvermögens  nach  Abzug  aller 
Schulden^).  Und  wenn  mehrere  Erben  eingesetzt  sind, 
so  muß  jeder,  insoweit  er  zum  Erben  eingesetzt  ist,  d.h. 
also  das  Viertel  der  Erbschaftsquote,  auf  die  er  ein- 
gesetzt ist,  bekommen"). 

Wir  sagen,  es  können  keine  Schwierigkeiten  mehr  ent- 
stehen. Fernere  Verwickelungen  können  freilich  noch  ge- 
nug entstehen,  allein  diese  sind  alle  durch  den  spekulativen 
Gedanken,  welcher  der  lex  ■  Falcidia  zugrunde  liegt,  im 
voraus  geschlichtet.  Dieser  spekulative  Gedanke  wäre  aber 
auch  noch  abstrakt  und  unrichtig  mit  den  Worten  an- 
gegeben :  der  Erbe  muß  ein  Viertel  haben,  respek- 
tive ein  Viertel  seiner  Erbschaftsquote  haben.  Der  kon- 
krete spekulative  Gedanke  der  lex  Falcidia  ist  vielmehr, 
wie  unsere  ganze  Entwickelung  derselben  gezeigt  hat,  ge- 
nau der :  daß  dem  Erben  das  Recht  zustehen  soll,  von 
allem,  worauf  er  durch  den  Willen  des  Testators  zum 
Erben  eingesetzt  ist,  gegen  den  Willen  des  Testators 
das  reine  Viertel  zu  behalten.  Es  ist  ein  Haben  durch 
und  gegen  den  Willen  des  Testators  zugleich,  nicht 
ein  bloßes  Haben  aus  der  Erbschaft  überhaupt,  und  die 
zivilistische  Auslegung  weiß  diesen  spekulativen  Unter- 
schied, dessen  theoretische  und  praktische  Wichtigkeit  sich 


1)  Siehe  z.  B.  Ulplan.  Fr.  XXIV,  32:  „Lex  Falcidia  jubet. 
non  plus  quam  dodrantem  totius  patrimonii  legari,  ut  omni 
modo  quadrans  integer  apud  heredem  remaneat" ;  vgl.  Gajus, 
II,  227.  und  die  Falcidia  selbst  bei  Paulus,  L.  1  pr.  ad  leg. 
Falc.    (35.  2). 

2)  Inst,  §  1  ad  leg.  Falc,  II.  22.  -  Gajus.  L.  77  ad 
leg.    Falc.   (35.  2). 

134 


sofort  näher  zeigen  ^vir(^,  scharf  festzuhalten.  Wie  näm- 
lich, wenn  ein  Erbe  auf  verschiedene  Erbportionen  ein- 
gesetzt ist,  auf  die  eine  pure,  auf  die  andere  aber  sub 
conditione  oder  als  heres  substitutus,  und  nur  die  eine  von 
beiden  Quoten  durch  Legate  erschöpft  oder  überbürdet 
ist  ?  Wird  die  Berechnung  der  Falcidia  in  der  Weise  ge- 
schehen, daß  beide  Erbportionen  zusammenaddiert  werden 
und  von  der  Summe  die  Quart  abgezogen  ^vird  ?  Oder 
wird  der  Abzug  von  jeder  Portion  insbesondere,  ohne 
Rücksicht  auf  die  andere,  geschehen  ?  Der  praktische 
Unterschied  kann  ein  sehr  großer  sein.  Man  setze  den 
Fall:  Eine  Erbschaft  betrage  120  000  Taler.  Titius  ist 
auf  ein  Viertel,  also  auf  30  000  Taler  pure  instituiert, 
dann  noch  auf  die  Hälfte  =  60  000  Taler,  sub  conditione 
oder  als  heres  substitutus,  wird  aber  auch  für  diese  Por- 
tion durch  Eintreten  der  Bedingung  usw.  Erbe.  Die  drei 
Viertel  der  gesamten  Hinterlassenschaft,  die  der  Testator 
überhaupt  legieren  konnte,  betragen  90  000  Taler,  also 
gerade  so  viel  wie  Titius  überhaupt  empfängt.  Jedenfalls 
könnte  er  sich,  wenn  die  90  000  Taler  von  ihm  allein 
legiert  worden  sind,  die  Falcidische  Quart  abziehen,  also 
von  den  90  000  Talern,  die  seine  Erbportionen  betragen, 
22  500  Taler  für  sich  behalten  und  nur  67  500  Taler  den 
Legataren  auszahlen.  Man  setze,  der  Testator  habe  diese 
90  000  Taler,  oder  auch  nur  die  erlaubten  67  500  Taler, 
von  den  Erbportionen  des  Titius  legiert.  Aber  in  fol- 
gender Weise.  Er  hat  53  500  Taler  von  jener  ihm  durch 
Kondition  oder  Substitution  vererbten  Hälfte,  14  000 
Taler  von  dem  unbedingten  Viertel  legiert.  Muß  Titius 
seine  Erbportionen  zusammenrechnen  und  dann  den  Be- 
trag der  Falcidischen  Quart  sich  abziehen,  so  behält  er 
nur  die  schon  angegebenen  22  500  Taler.  Kann  er  im 
Gegenteil   von  jeder   Erbportion  insbesondere  die  Quart 

135 


verlangen,  so  kommt  er  zu  einem  ganz  anderen  Resultat, 
Er  zieht  sich  von  der  bedingten  Hälfte  =60  000  Taler 
sein  Viertel  mit  1 5  000  Taler  ab  und  gibt  den  mit 
53  500  Taler  bedachten  Legataren  nur  45  000  Taler. 

Von  dem  Viertel  (30  000  Taler)  zahlt  er  die  von 
diesem  ausgeworfenen  Legate  von  14  000  Talern  aus,  die 
ihm  hier  zu  keinem  Abzug  Anlaß  geben,  behält  hiervon 
16  000  Taler  und  im  ganzen  also  31  000  Taler.  Welches 
^v'ird  der  richtige  Modus  sein  ?  Aber  es  kann  nicht  zweifel- 
haft sein,  daß  es  hier  nur  der  erste  Modus  ist.  Denn  für 
beide  Quoten  ist  Titius,  ob  unbedingter,  bedingter  oder 
substituierter  Erbe,  immerhin  durch  den  Willen  des 
Testators  Erbe,  und  die  Falcidia  spricht  dem  Erben  nur 
das  Recht  zu :  von  allem,  worauf  einer  durch  denWil- 
len  des  Testators  als  Erbe  eingesetzt  ist,  gegen  dessen 
Willen  den  realen  Viertelsbetrag  für  sich  zu  behalten. 
Und  die  Rechtsquellen  entscheiden  daher,  daß  die  Por- 
tionen zusammenzurechnen  seien ^).  Jetzt  setze  man  aber 
den  Fall :  Es  ist  zwar  im  übrigen  ganz  so  testiert  worden, 
nur  daß  Titius  bloß  für  das  Viertel,  für  die  Hälfte  aber 
Sejus  eingesetzt  worden  sei,  Titius  aber  auch  diese  Hälfte 
dadurch  ersvorben  habe,  daß  er  den  Sejus  arrogiert  habe 
(oder  zum  Erben  des  Sejus  geworden  sei).  Erbe  ist  jetzt 
Titius  für  beide  Portionen  so  gut  wie  vorhin.  Käme  es 
für  die  Falcidia  nur  auf  das  Haben  eines  reinen  Viertels 
der  zustehenden  Erbschaftsquote  an,  so  würde  Titius  jetzt 
gleichfalls  nur  die  22  500  Taler  behalten  können.  Aber 
für  jene  Hälfte  ist  er  nicht  durch  den  Willen  des 
Testators  Erbe,  sondern  durch  die  Vermittelung  der  von 

1)  Julian,  L.  87.  §  3  ad  leg.  Falc.  (35,  2).  (Es  ist  der 
obige  reale  Fall,  welcher  bei  den  Worten  Julians  unterstellt 
wird.)  Paulus,  L.  1,  §  13  Papinian,  L.  11.  §  5;  L.  14, 
§   2  eod.    tit. 

136 


diesem  unabhängigen  Arrogation.  Er  braucht  sich 
also  die  Zusammenrechnung  der  Portionen  nicht  gefallen 
zu  lassen,  weil  er  nicht  unmittelbar  dui'ch  den  Willen  des 
Testators  für  beide  berufen  ist.  Hier  tritt  ganz  schroff 
und  scharf  heraus,  daß  durch  die  Falcidia  der  Erblasser 
vom  Erben  negiert  werden  soll.  Im  ersteren  Fall  ist 
der  Erbe  vom  Erblasser  doch  immer  nur  einmal  zum 
Erbtum  bemfen,  wenn  auch  für  zwei  Portionen^). 
Im  zweiten  Fall  aber  ist  Titius  zweimal  Erbe,  ver- 
einigt zwei  Qualitäten  in  sich,  durch  deren  jede  er 
Erbe  ist:  durch  die  ihm  vom  Testator  selbst  übertragene 
Willensfortsetzung  und  durch  die  dem  Sejus  über- 
tragene, dessen  Arrogator  oder  Erbe,  also  dessen  Willens- 
träger  er  in  beiden  Fällen  ist.  Und  weil  er  hier  zwei- 
mal Erbe  ist,  so  soll  er,  da  ja  die  spekulative  Be- 
deutung der  Falcidia  die  ist,  daß  der  Erbe  durch  sie  den 
Erblasser  negieren  können  soll,  hier  zweimal,  re- 
spektive so  oft  er  Erbe  ist,  für  jede  Portion  be- 
sonders, den  Erblasser  negieren  können.  So  ent- 
scheiden denn  die  zivilistischen  Ausleger  ganz  richtig,  daß 
hier  die  Portionen  separiert  zu  berechnen  seien-). 

Für  den  Legatar  ist  der  entscheidende  Schlag,  den  der 
Erbe  durch  die  lex  Falcidia  dem  Erblasser  versetzt,  die 
Erlösung  von  der  Pein,  den  dröhnenden  Resonanzboden 
zu  bilden,  auf  dem  Erbe  und  Erblasser  ihre  Trampolin- 
sprünge gegeneinander  aufführen.    Er  kann  nun  wieder  zu 

^)  Nur  zwei  Quantitäten  sind  ihm  gegeben,  das  ide- 
elle Verhältnis  ist  nur  eines;  siehe  hierüber  und  über  die 
Bedeutung  der  Erbschaftsquoten  und  der  Pluralität  der  Erben 
überhaupt   sub   Nr.   XXXII. 

'")  Paulus,  L.  1,  §  15  eod.  lit.  :  ,,Si  coheredem  meum  post 
aditam  hereditatem  arrogavero,  non  dubitabitur,  quin  separan- 
daef  sint  portiones,  perinde  atque  si  coheredi  meo  heres  extitis- 
sem" ;  vgl.  Gajus,  L.  78  u.  80;  Papinian,  L.   11,  §  7  eod.  tit. 

137 


seinem  Selbstgenusse  kommen,  und  so  wenig  ist  die  Be- 
wegung gegen  ihn  gerichtet,  und  so  wenig  bestreitet  der 
Erbe  ihm,  daß  er  als  Vermögensnehmer  seinem  Wesen 
nach  eine  ganz  andere  und  viel  größere  Beziehung  auf 
das  Vermögen  habe,  als  seine  (des  Erben)  eigene  er- 
zwungene Beziehung,  daß  jetzt  ein  emziger  Legatar  wie- 
der dreimal  so  viel  als  alle  Erben  zusammen  erhalten  kann. 

Für  uns  oder  an  sich  bedeutet  nun  die  lex  Falcidia, 
wie  das  frühere  bereits  ergeben  hat,  nichts  anderes,  als 
daß  die  Unwahrheit  der  Fiktion,  welche  dem  ganzen 
Erbtum  von  vornherein  zugrunde  liegt,  nun  auch  zum 
Vorschein  gekommen  und  gesetzt  ist.  Die  Fiktion, 
v/elche  die  Basis  des  ganzen  Erbtums  bildet,  ist  ja  die, 
daß  der  Erbe  nur  die  Fortexistenz  der  erblasserischen 
Willenssubjektivität  sein  soll.  Statt  dessen  ist  jetzt  die 
natürliche  Wahrheit  der  Sache  zum  Vorschein  gekommen 
und  gesetzt.  Es  ist  gesetzt,  daß  jene  Fiktion  eine  Fik- 
tion ist.  Es  ist  gesetzt,  daß  beide  Willen  vielmehr 
andere  gegeneinander  sind,  daß  der  Wille  des  Erben 
den  Willen  des  Erblassers  beugen  und  zwingen  kann, 
daß  die  Willenssubjektivität  des  Erblassers,  statt  im  Erben 
nur  ihren  Erhalter  zu  haben,  in  ihm  vielmehr  nur  in 
einen  anderen,  ihn  negierenden  Willen  einer  leben- 
digen Person  untergegangen  ist.  Und  darum  konnten  wir 
die  lex  Falcidia  als  den  ersten  entscheidenden 
Untergang  des  gesamten  römischen  Erbtums  bezeichnen. 

Allein  dies  ist  noch  immer  erst  an  sich  oder  für  uns 
gesetzt.  Es  ist  noch  nicht  für  den  Römer  gesetzt, 
und  der  erste  Untergang  ist  noch  weit  entfernt  vom 
letzten   Untergange. 

Zunächst  muß  hier  wenigstens  darauf  hingedeutet  wer- 
den, wie  der  römische  Volksgeist  im  Tempel  des  Erb- 
rechtes noch  eine  Kapelle  zu  finden  weiß,  in  welcher  er 

138 


sein  Allerheiligstes  auch  gegen  diesen  ersten  Untergang 
noch  schützt.  Es  ist  bereits  im  Vorstehenden  einmal  des 
fideikommissarischen  Erbtums  Erwähnung  getan  worden 
(S.  114),  und  schon  muß  hier  die  tiefe  Bedeutung  eines 
noch  immer  gänzlich  unbeachtet  gelassenen  chronologischen 
Zusammenhanges  in  Lapidarschrift  hervortreten.  Die  lex 
Falcidia  wird  unter  Augustus  erlassen  —  und  gerade 
unter  Augustus  auch  wird  die  Herausgabe  fidei- 
kommissarischer  Erbschaften  für  erzwingbar  erklärt. 
Was  hierin  gegeben  ist,  ist  kurz  folgendes.  Das  Fidei- 
kommiß ist  die  Sphäre  der  Freiwilligkeit  und  darum 
der  Abwesenheit  von  dem  Zwange  des  Zivilrechtes.  Vor 
Augustus  kann  der  Fiduziarerbe  nicht  gezwungen  werden, 
die  fideikommissarische  Erbschaft  herauszugeben.  Welches 
ist  denn  nun  aber  das  Wesen  dieser  Freiwilligkeit?  Es 
ist,  wie  es  schon  der  Name  des  Institutes  sagt,  die  Treue; 
nicht  die  Treue  gegen  das  einzelne  Individuum,  welche 
nur  die  sinnliche  Folge  ist,  sondern  die  Religion  dieser 
Treue,  die  Treue  des  Individuums  gegen  die  sittliche 
Substanz  des  Volksgeistes  und  seine  Überlieferungen.  Die 
erste  Folge  hiervon  ist :  Wer  überhaupt  Erbe  ist  auf  der 
Basis  dieser  freiwilligen  Treue  gegen  den  Volksgeist  und 
der  Heiligkeit  seiner  Überlieferungen  —  der  darf  und 
kann  auch  von  dem  neuen  Zwange,  der  dem  Erben 
gegen  den  Erblasser  eingeräumt  ist,  keinen  Gebrauch 
machen ;  e  r  muß  stehen  bleiben  bei  dem  alten,  starren 
Erbtumsbegriff  des  Volksgeistes,  dem  idealistischen,  ver- 
mögenslosen Willenserhalter.  Mit  anderen  Worten:  Der 
Fiduziarerbe  allein,  und  obgleich  er  so  gut  Zivilerbe 
ist  wie  jeder  andere,  hat  keinen  Anspruch  auf  den 
Abzug  der  Falcidia.  Zweite  Folge:  Der  Fiduziar- 
erbe aber  braucht  ja  gar  nichts  abzugeben;  er  kann  ja, 
wenn  er  will,  die  ganze  Erbschaft  für  sich  behalten.  Wenn 

139 


also  noch  irgendein  Asyl  sein  soll  für  die  Substanz  des 
untergehenden  Volksgeistes,  so  muß  es  allerdings  diese 
Sphäre  der  geheiligten  Treue  gegen  die  Tradition  des 
Volksgeistes,  aber  ebendeshalb  dieselbe  nun  auch  unver- 
letzbar und  der  Erblasser,  der  sich  in  dieses  Asyl 
flüchtet,  vom  Erben  nicht  mehr  zu  negieren  sein.  Und 
so  wird  denn  die  Herausgabe  der  fideikommissarischen 
Erbschaft  für  erzwingbar  erklärt!  —  Die  durch  die 
Dialektik  des  spekulativen  Begriffes  hervorgetriebenen 
Widersprüche  gipfeln  hier !  Die  fideikommissarische 
Sphäre  soll  Asyl  für  den  Erblasser  gegen  den  Zivilzwang 
der  Falcidia  sein,  um  ihrer  Freiwilligkeit  halber; 
aber  um  dieser  Freiv/illigkeit  halber  hört  sie  auf, 
überhaupt  freiwillig  zu  sein,  und  wird  in  den  Zivil- 
zwang  hineingerissen!  Der  Fiduziarerbe  soll  das  Ver- 
mögen abgeben  müssen  so  gut  wie  jeder  andere  testa- 
mentarische Zivilerbe ;  aber  um  abgeben  zu  müssen  s  o 
gut  wie  jeder  andere,  muß  er  umgekehrt  viel  mehr  ab- 
geben als  jeder  andere !  Der  Erbe  hat  mit  der  lex  Fal- 
cidia den  Legatar  losgelassen,  ist  über  ihn  hinweg  dem 
Erblasser  direkt  an  die  Kehle  gesprungen  und  glaubt  ihm 
das  Knie  auf  die  Brust  gesetzt  zu  haben.  Aber  in  diesem 
vielverschlungenen  dialektischen  Pas  de  deux,  welches  sich 
bisher  nur  um  den  Legatar  herumbewegte,  ist,  diesen  jetzt 
auch  seinerseits  wegstoßend,  der  Erblasser  nun  vielmehr 
mit  einer  einzigen  Avirbelnden  Pirouette  über  den  Kopf  des 
Erben  hinweg  hoch  oben  auf  das  ihm  aus  dem  Himmel 
seines  Begriffes  ausgeworfene  Rettungsseil  fideikommissa- 
rischer  Freiheit  gesprungen,  und  hier,  hoch  über  dem 
Erben,  hoch  erhaben  nicht  nur  über  die  lex  Falcidia,  son- 
dern jetzt  auch  über  den  früheren  Zwang  der  Voconia 
und  Furia  und  über  allen  Zwang  überhaupt,  schickt  er 
dem   erstaunten   Erben,   der   ihn   schon   gefaßt   zu   haben 

140 


glaubte,  ein  schallendes  Gelächter  hinunter.  Konnte  er 
bisher  den  Erben  nur  durch  die  einzelnen  Legate  züch- 
tigen und  ihm  die  eigene  Persönlichkeit  abarbeiten,  so  kann 
er  ihm  jetzt  sogar  direkt  befehlen,  das  gesamte  Erb- 
schaftsvermögen als  solches  abzugeben,  und  zwar 
mit  gültigem  Zivil  zwang. 

Der  Römer  kehrt  sich  nicht  an  den  Verstandeswider- 
spruch, daß  der  Fiduziarerbe  um  seiner  Treue  willen 
schlechter  fortkommen  soll,  als  der  durch  den  rigor 
juris  civilis  verpflichtete  Erbe.  Er  kehrt  sich  auch  nicht 
daran,  daß  er  ihn  um  seiner  Treue  willen  als  einen  un- 
treuen behandelt  und  in  Fesseln  schlägt.  Er  sieht  zu- 
nächst nur  darauf,  einen  letzten  Rettungswinkel  für  die 
bedrohte  Substanz  seines  Geistes  ausfindig  gemacht  zu 
haben,  einen  Rettungswinkel,  in  welchem  sich  der  Erb- 
lasser, freilich  nicht  für  immer,  dem  nachsetzenden  Erben 
wird  entziehen  können^). 

Noch  ist  also  trotz  der  lex  Falcidia  auch  jener  erste 
Untergang  des  römischen  Erbtums  nicht  gänzlich  voll- 
bracht. Noch  einmal  lodert  vielmehr  die  energische 
Flamme  dieses  Begriffes  hoch  auf  vor  dem  Erlöschen,  in 
höherer  Glut  als  sie  seit  hundertundfünfzig  Jahren  ge- 
strahlt hat,  in  der  Sphäre  der  dadurch  mit  Zwang 
bekleideten  fideikommissari sehen  Freiheit,  auf  den  Erb- 
lasser dieselbe  Intensität  der  realen  Enterbungsbefugnis 
ausströmend,  die  ihm  unter  dem  Zwölftafelrecht  zustand, 
ja  eine  noch  größere  jetzt,  indem  er  den  Erben  jetzt 
auch  formell  enterben  kann. 

Auch  jener  erste  Untergang  ist  also  erst  gänzlich  voll- 
bracht, als  unter  Vespasian  durch  das  SC.  Pegasianum 
die  falcidische  Quart  auch  auf  f ideikommissarische 

^)  Genaueres  über  die  Bedeutung  und  historische  Entwick- 
lung des  Fideikommisses  siehe  sub  Nr.  IX. 

141 


Erbschaften  für  anwendbar  erklärt  wird,  und  nun  kein 
Gebiet  mehr  existiert,  auf  welchem  sich  der  Erblasser 
dem  Zwange  des  Erben  entwinden  kann. 

Allein  auch  abgesehen  von  dem  Fideikommiß,  und  auch 
wenn  dieses  der  lex  Falcidia  schon  unterv/orfen  sein  wird, 
bleibt  es  dabei :  Noch  ist  die,  wie  wir  zeigten,  in  der  lex 
Falcidia  gesetzte  Unwahrheit  der  Fiktion  des  Erb- 
begriffes nur  für  uns  oder  an  sich,  nicht  für  den 
Römer  gesetzt. 

Solange  römischer  Geist  existiert,  wird  er  an  der  Wahr- 
heit dieser  Fiktion  von  der  Willensfortexistenz  des  Erb- 
lassers, von  der  Willensidentität  seiner  und  des  Erben, 
festzuhalten  streben.  Je  mehr  er  sie  auch  durch  sein  eigenes 
geschichtliches  Tun  realiter  als  unwahr  setzt,  er  wird 
sie  dennoch  immer  durch  eine  neue  dialektische  Wendung, 
obschon  in  immer  verblaßterer  Gestalt,  noch  zu  retten 
suchen.  Diese  Fiktion  zu  setzen  und  zu  zerstören, 
zu  zerstören  und  doch  wieder  aufzubewahren,  dies 
ist  sein  Schicksal,  an  dem  er  sich  marternd  abringt.  Er 
muß  es  zu  vollbringen  suchen,  sie  im  Aufgeben  ihrer 
noch  zu  bewahren.  Denn  wenn  diese  Fiktion  durch 
immer  entscheidendere  Schläge  gänzlich  aufgehoben  ist,  so 
ist  auch  die  Stunde  dieses  Geistes  abgelaufen,  und  Rom 
und  römisches  Recht  ist  gewesen!  Er  wird  sie 
daher  selbst  nach  dem  letzten  Schlage,  der  ihr  jedes 
Leben  raubt,  mindestens  noch  als  blutlosen  Schatten  auf- 
bewahren, der  sehnsüchtige  Blicke  in  seine  gewesene  Wirk- 
lichkeit schickt  und  noch  als  dieser  Schattenriß  das 
Ganze  des  Erbrechtes,  seine  Gliederung  und  Einteilung, 
seine  Institute  und  Unterschiede  beherrscht,  die  sich  nur 
aus  der  Erinnerung  des  oberweltlichen  Lebens  verstehen 
lassen,  welchem  dieser  unterweltliche  Schatten  einst  an- 
gehörte. 

142 


Inzwischen,  mit  der  Falcidia  ist  das  römische  Erbrecht 
von  jenem  letzten  Ende  noch  weit  entfernt.  Noch  ist 
im  Erben  der  Begriff  des  Willensperpetuierers 
lebendig,  und  noch  wurzelt  die  lex  Falcidia  in  der  starken 
Betonung  dieses  Begriffes  und  seines  Unterschiedes 
vom  bloßen  Vermögensnehmer  (Legatar).  Denn-'^) 
wenn  der  Erbe  auch  jetzt  auch  Vermögensnehmer 
ist,  so  soll  er  dies  doch  notwendig  und  für  ein  be- 
stimmtes Quantum  aus  eigenem  Rechte  sein,  was 
dem  bloßen  Vermögensnehmer  (Legatar)  keineswegs  zu- 
steht und  zustehen  kann,  soll  also  dieses  Recht  gerade 
qua  Willensfortsetzer  und  Nichtvermögens- 
nehmer  haben,  soll  es  um  seines  begrifflichen 
Unterschiedes  willen  vom.   Legatar  haben. 

In  diesem  ihm  auf  Grund  seines  Charakters  als 
Willenskontinuator  eingeräumten  Zwangsrecht  ist 
also  der  spezifische  Begriff  des  Erben  ebenso  einst- 
weilen noch  erhalten,   wie  schon  untergegangen. 


VIII.    Das   formelle    Gesetztsein   der   Momente 

der  Idee.    Das  testamentum  per  aes  et  libram. 

Seine     Selbstentwickelung    zum     prätorischen 

Testament. 

Wir  sagten  bereits  oben  (S.  99),  daß  die  reale  An- 
wendung jener  Spaltung  zwischen  Erben  und  Vermögen 
es  allein  sei,  die  uns  in  die  wahrhafte  Substanz  des  rö- 
mischen Geistes  blicken  lasse.  Ja,  die  reale  Anwendung 
dieser  Spaltung  ist  dem  römischen  Geiste  s  o  notwendig, 

1)  Vgl.   oben   S.  131.    Note  1. 

143 


daß,  wie  das  Materielle  des  Erbrechtes,  so  auch  das 
Formale  der  Testamentshandlung  nur  in  ihr 
seine  Selbsterklärung  zu  linden  vermag;  eine 
Erklärung,  die  allem  Bisherigen  wiederum  die  eklatanteste 
Bestätigung  verleihen  wird. 

Es  ist  das  dritte  der  römischen  Testamente,  das  auf  das 
Testament  calatis  comitiis  und  in  procinctu  folgende  testa- 
mentum  per  aes  et  libr£un,  das  wir  im  Auge  haben.  Es 
ist  dasjenige  Testament,  welches  sich  weitaus  am  längsten 
bei  den  Römern  erhalten  hat,  und  auch  bereits  häufig  als 
das  am  spezifischsten  römische  bezeichnet  worden  ist.  Seine 
Form  bestand  bekanntlich  darin •^),  daß  der  Testator  unter 
Zuziehung  von  fünf  Zeugen^)  und  einem  libripens  dem 
familiae  emptor  die  familia,  d.  h.  das  Patrimonium,  durch 
einen  Scheinverkauf,  wie  die  Römer  sagen,  manzipierte 
und  hierauf  die  nuncupatio  testamenti,  d.  h.  die  Willens- 
erklärung, folgen  ließ :  ,,was  er  (der  Testator)  einem 
jeden  nach  dem  Tode  gegeben  wissen  wolle  ^)". 

1)  Siehe  Gajus,  Comm.  II.  §  102;  Ulpian.  Fr.  XX,  §  9. 
Theophil,    ad  §   1   Inst,  de  test.   ord. 

-)  Welche,  wie  bereits  Demburg  bemerkt  (Beiträge  zur  Ge- 
schichte der  römischen  Testamente  [Bonn  1821],  S.  23.  Note  21), 
das  Volk  der  Quirlten  darstellen. 

^)  „.  .  .  amico  familiam  suam,  id  est  Patrimonium  suum, 
mancipio  dabat,  eiimque  rogahat,  quid  cuiqne  post  mortem  suam 
dari  vcllet,"  sagt  Gajus.  Wir  haben  im  Text  absichtlich  die 
Worte  des  Gajus:  .  .  .  familiam  Suam,  id  est  Patrimonium  suum, 
unübersetzt  gelassen.  Sie  bedeuten  aber  nicht,  daß  der  Erb- 
lasser dem  fam.  emptor  Familie  oder  Vermögen  verkauft, 
sondern  daß  er  ihm  seine  Willensherrschaft  veräußert, 
und  daher  alles  derselben  Unterworfene  diesem  zusteht.  Dies 
ist  die  Bedeutung  von  Patrimonium.  Wir  erinnern  nur  an 
die  Einteilung  der  Dinge  in  res  extra  nostrum  Patrimonium  imd 
quae  in  nostro  patrimonio  habentur,  und  was  wir  im  ersten 
Band«^   hierüber   gesehen   haben.    Darum   also   erläutert    Gajus 

144 


Wie  man  nun  an  der  vorhin  erklärten  Stelle  des  Gajus 
stets  achtlos  auf  ihren  wahren  Inhalt  vorüberging,  so  ist 
dies  vielberühmte  Testament  per  aes  et  libram  bis  auf 
den  heutigen  Tag,  trotz  aller  darüber  geführten  Unter- 
suchungen, ein  unerklärtes  und  bizarres  Kuriosum  ge- 
blieben. Noch  immer  ist  die  Kritik,  die  schon  Plutarch 
gegen  dies  Testament  übt^):  ,,Wenn  die  Römer  Testa- 
mente anfertigen,  so  lassen  sie  die  einen  als  Erbteil- 
empfänger zurück  und  anderen  verkaufen  sie  das  Ver- 
mögen, was  widersinnig  erscheint",  eine  unbeseitigte.  In 
der  Tat,  wozu  dieser  Verkauf  ?  Und  wie  ist  er  möglich, 
wenn  hinterher  wieder  durch  den  Willen  des  Testators 
über  das  Verkaufte  verfügt  wird  und  dann  andere  Per- 
sonen als  der  Käufer  die  Erbschaft  erhalten  sollen  ?  Es 
ist  eine  imaginaria  venditio,  sagen  die  Römer.  Aber  wozu 
die  Veranstaltung  dieser  Scheinform,  wenn  gerade  nach 
derselben  die  Sache  unmöglicher  erscheint  als  früher  ? 
Worauf  beruht  und  wozu  ist  erforderlich  diese  sonder- 
bare und  sich  selbst  widersprechende  Rolle  des  familiae 
emptor?  Diese  und  andere  Fragen  sprießen  hier  von 
selbst  empor,  und  es  ist  bekannt,  wie  sie  von  Bergmann-), 


familiam  suani  durch  id  est  Patrimonium  suum.  —  Daß  aber 
auch  schon  familia  nichts  anderes  heißt,  werden  wir  später 
bei  Erörterung  des  römischen  FamiHenbegnffes  sehen.  Wir 
werden  daselbst  zeigen,  daß  die  römische  familia  nur  genau 
denselben  spekulativen  Begriff  der  Willensidentität  aus- 
drückt Im  zeitlichen  Nebeneinander  der  Subjekte,  wel- 
chen das  Erbtum  im  zeitlichen  Nacheinander  darstellt. 

')  Plut.  de  ser.  num.  vind..  p.  550.  C,  T.  III.  p.  220, 
ed.  Wytt. :  „öxav  de  öiad^^y.ag  y^dq^cooiv,  htgovg  /.dy  djioÄei- 
jiovoL  >iX>]Qov6uovi;,  heooL^  de  ncoXoüoi  rag  ovoiag." 

^)  De  numero  septenarlo  testium  in  testamentls,  §§  5  u.  6. 

10   UfsaUe.  G«    Schriftea.   Baod  XI.  145 


Heineccius^),  Trekell-),  Schrader^),  Dernburg*)  u.  ä. 
zu  beantworten  und  die  Entstehung  dieser  sonderbaren 
Testamentsform  künstlich-historisch  zu  erklären  versucht 
worden  ist.  Aber  wenn  diese  Versuche  ihr  Ziel  nicht  er- 
reicht haben,  so  hat  doch  Gans  ebenso  unrecht^),  die 
Frage,  wie  die  Römer  zu  dieser  Testamentsform  ge- 
kommen, als  eine  relativ -unbedeutende  neben  der  Frage 
nach  dem  Geist  dieses  Testamentes  beiseite  zu  werfen. 
Denn,  richtig  gefaßt,  ist  vielmehr  offenbar,  daß  hier  die 
Fragen  nach  der  Entstehung  und  nach  dem  Geiste  dieser 
Testamentsform  gänzlich  zusammenfallen  müssen,  weshalb 
es  denn  auch  Gans  daselbst  durchaus  nicht  gelungen  ist, 
den  Geist  dieses  Testamentes  wirklich  zu  erklären. 

In  dem  gegenwärtigen  Zusammenhange  muß  aber  dieser 
Geist  schon  so  durchsichtig  geworden  sein,  daß  es  statt 
aller  verwickelten  Untersuchungen  nur  noch  des  Her- 
setzens einer  ganz  kurzen  Stelle  des  Gajus  bedarf,  um 
in  vollständigster  Evidenz  so  Entstehung  wie  Bedeutung 
dieser  Testamentsform  hervortreten  zu  lassen. 

Gajus  sagt^):  ,,Sed  illa  quidem  duo  genera  testamen- 
torum  in  desuetudinem  abierunt ;  hoc  vero  solum,  quod  per 
aes  et  libram  fit,  in  usu  retentum  est ;  sane  nunc  aliter 
ordinatur  atque  olim  solebat,  namque  olim  familiae  emptor, 
id  est  qui  a  testatore  familiam  accipiebat  mancipio,  heredls 
locum   obtlnebat,  et  ob  id  ei  mandabat  testator,  quid  cui- 

^)  De  origlne  testamenti  factionis  et  ritu  testandi  antiquo 
(in  opusc.   Syll.  exerc,  XXVII,  970  sqq.)- 

'^)  De    origine    et    progressu    testamenti    factionis    (Leipzig 

1739). 

^)  In  Hugos  ziv.   Magazin.  V,  Nr.  7,   156. 
*)  Beiträge  zur  Geschichte  der  römischen  Testamente  (Bonn 
1822). 

')  Erbrecht,  II.  82  fg. 
«)  Comm..   II,  §   103. 

14Ö 


que  post  mortem  suam  dari  vellet;  nunc  vero  alias  heres 
testamento  instituitur,  a  quo  etiam  legata  relinquunter,  alius 
dicis  gratia  propter  veteris  juris  imitationem  familiae  emp- 
tor  adhibetur." 

Früher  also,  sagt  Gajus,  nahm  der  familiae  emptor 
selbst  die  Stelle  des  Erben  ein  (locum  heredis  ob- 
tinebat),  und  deswegen  trug  ihm  der  Testator  auf, 
was  er  einem  jeden  nach  dem  Tode  gegeben  wissen  wolle. 
Jetzt  aber  wird  ein  „anderer  Erbe"  (fl//ws  heres;  hier 
tritt  also  nochmals  und  noch  bestimmter  hervor,  daß  früher 
der  familiae  emptor  der  heres  war)  eingesetzt,  von  dem 
auch  die  Legate  ausgehen,  und  nur  noch  zum  bloßen  Schein, 
um  an  das  alte  Recht  zu  erinnern,  wird  noch  ein  familiae 
emptor  dabei  angewandt  —  wie  übrigens  diese  positive 
Tatsache  als  solche,  trotz  des  versuchten  Wider- 
spruches von  Hotomannus,  Thomasius,  Trekell,  Dern- 
burg  u.  a.  heute  (s.  Gans,  a.a.O.,  Huschke^),  Jhering^) 
und  viele  andere)  lange  als  allgemein  anerkannt  gilt,  auch 
schon  von  den  älteren  Autoren  und  den  Auslegern  des 
Theophilus,  Vinnius,  Conradus  Reitz  usf.,  immer  fest- 
gehalten worden  ist,  und  auch  durch  das  Zeugnis  des 
Gajus,  der  Institutionen^)  und  des  Theophilus^),  sowie 
durch  realen  Beweis  viel  zu  positiv  verbürgt  war,  um 
nicht,  trotz  der  inneren  Unbegreiflichkeit  der  Sache,  fest- 
gehalten werden  zu  müssen^). 

^)  Studien  des  römischen  Rechtes  (Breslau  1830),  I,  235. 

^)  Geist  des  römischen  Rechtes,  II,  561,  562. 

3)  Inst..  §   10  de  test.  ord.   (2,   10). 

^)  Lib.   II,  tit.  X.  §   1,  p.  332  sqq.,  ed.  Reitz. 

^)  Dieser  liegt  nämlich  darin,  daß  noch  lange,  nachdem 
fam.  emptor  imd  Erbe  auseinandergefallen,  die  in  der  Gewalt 
des  fam.  emptor  Stehenden  —  als  des  ursprünglichen  formellen 
Erben  —  nicht  zu  Testamentszeugen  gemacht  werden  können, 
während  die  in  der  Gewalt  des  in  den  Tafeln  geschriebenen 

10«  147 


Hierin  aber,  daß  der  familiae  emptor  früher  der 
wahrhafte  zivilrechtliche  Erbe  war,  das  Ver- 
mögen aber  nicht  für  sich  erhält,  sondern  weil  er 
des  Erben  Stelle  einnimmt  {ob  id,  sagt  Gajus,  sc.  quia 
heredis  locum  obtinebat),  nur  den  Auftrag  erhält,  wie 
das  reale  Vermögen  unter  die  Familie  oder  andere  Per- 
sonen verteilt  werden  soll,  —  hierin  liegt,  wie  sich  jetzt 
zeigt,  die  Entstehung  und  Bedeutung  der  Testa- 
mentsform per  aes  et  libram,  und  wiederum  ein  souveräner 
Beweis  für  die  spekulative  Bedeutung  des  zivilistischen 
Erbbegriffes,  die  wir  oben  als  das  spezifische  Wesen 
des  römischen  Erbrechtes  und  des  römischen  Volksgeistes 
überhaupt  entwickelt  haben,  und  die  im  testamentari- 
schen Erbrecht^)  die  Spaltung  zwischen  dem  zivi- 
listischen Erbtum  und  der  Vermögenszuwendung  als  ihre 
notwendige  und  den  Geist  dieses  Erbtums  erst  enthüllende 
Folge  hervorbringt. 

Um  dies  näher  zu  zeigen,  ist  es  von  Interesse,  zuvor 
die  Widersprüche  zu  betrachten,  in  welche  sich  die  Au- 
toren über  diese  Stelle  des  Gajus  verwirren.  Die  gemein- 
schaftliche Quelle  dieser  Widersprüche  ist  natürlich -eben 


Erben  —  als  eines  ursprünglich  bloßen  Legatars  —  zu  Zeugen 
genommen  werden  können,  was  sich  bis  auf  Justinian  erhält; 
s.  Gajus.  II.  §  108;  Ulpian.  XX.  §§  3-5;  Inst.  1.  1. ;  Theoph.. 
lib.  II.  tit.  X.  §  10.  p.  342.  ed.  R.  Schon  Justinian  wirft 
diesem  scheinbaren  Widerspruch  vor,  daß  durch  ihn  totum 
jus  conturbatum  sei.  Als  Reliquat  des  ursprünglichen  testa- 
mentum  per  aes  et  libram  begreift  er  sich  ?her  sehr  leicht. 
^)  Im  Intestaterbrecht  muß  dieser  Begriff  des  römi- 
schen Erben  verhüllt  bleiben,  weil,  da  ja  hier  nichts  über  das 
Vermögen  verfügt  ist  und  dasselbe  somit  dem  Willen  als  seinem 
Herrn  folgen  muß,  die  Spaltung  nicht  eintreten  kann,  und  also 
der  Willensfortsetzer  (Erbe)  stets  mit  dem  Vermögen  erfüllt 
sein  muß. 

148 


die,  daß  sie,  jenes  spekulativen  Begriffes  des  römischen 
Erbrechtes  nicht  mächtig,  imm.er  voraussetzen,  Erbe  sein 
und  das  Vermögen  erhalten  sei  innerlich  dasselbe,  oder 
daß  sie,  wie  dies  nun  in  scharfer  Antithese  wird  aus- 
gedrückt werden  können,  den  zivilistischen  Erben  als  Ver- 
mögen Serben  statt  als  Erben  des  Willens  des  Erb- 
lassers betrachten.  Immer  von  dieser  heutigen  Anschau- 
ung durchdrungen,  müssen  sie  sich  dabei  natürlich  in  die 
entgegengesetztesten  Irrtümer  verwickeln.  So  sagt  Gans^) 
also  mit  hohem  Unrecht  gegen  Dernburg :  ,,Dernburg 
nämlich  meint,  der  familiae  emptor  sei  zuvor  ein  bloßer 
Fiduziar,  also  nicht  der  Erbe  selbst  gewesen ;  erst 
späterhin  habe  sich  die  Person  des  Erben  und  des  fa- 
miliae emptor  identifiziert.  Das  Zeugnis  der  Römer  aber 
ist  gerade  das  andere,  daß  zuerst  der  familiae  emptor  und 
der  Erbe  eine  Person  gewesen,  daß  aber  späterhin  ein 
anderer  den  Erben,  ein  anderer  den  familiae  emptor  ab- 
gegeben habe",  wofür  sich  nun  Gans  auf  die  in  Rede 
stehende  Stelle  des  Gajus  bezieht.  Wenn  hier  also  Gans, 
weil  er  den  Begriff  des  Erben  und  der  Nachfolge  in  die 
Vermögenshinterlassenschaft,  wie  alle  unsere  Autoren,  für 
identisch  hält,  die  Dernburgsche  Behauptung,  der  fa- 
miliae emptor  sei  zuerst  ein  bloßer  Fiduziar  gewesen, 
als  unrichtig  bezeichnet  und  sie  durch  jene  Stelle  des 
Gajus  (die  sie  vielm.ehr  durchaus  bestätigt)  widerlegen 
will,  so  tadelt  er  gerade  das  Richtigste,  was  bisher 
noch  über  den  familiae  emptor  gesagt  worden  ist.  Nichts 
in  der  Tat  ist  passender  für  denselben,  als  der  Vergleich 
mit  dem  Fiduziarerben,  der  gleichfalls  durchaus  den 
zivilistischen  (idealistischen)  Charakter  des  Erben  be- 
hält, das  Vermögen  aber  wie  jener  an  andere  abgeben  muß. 


■)  Erbrecht.   II.  83. 

149 


Ebenso  falsch  ist  es,  wenn  Gans  (das.  S.  79)  den  Ein- 
wand Demburgs^),  warum  der  Erbe  nicht  selbst  familiae 
emptor  werde,  da  ein  Dritter  dem  Erben  nach  römischen 
Grundsätzen  kein  römisches  (quiritarisches)  Eigentum  er- 
werben könne,  dadurch  widerlegen^)  will,  daß  der  fa- 
miliae emptor  früher  wirklich  mit  dem  Erben  eine  Per- 
son gewesen  sei  —  was  er  nämlich  wieder  so  versteht, 
als  habe  der  familiae  emptor  früher  auch  die  Erbschaft 
(das  Vermögen)  behalten  sollen. 

Aber  andererseits  ist  Dernburgs  Ansicht,  trotz  der  rich- 
tigen Auffassung  des  familiae  emptor  als  eines  bloßen 
Fiduziar,  nicht  weniger  falsch  und  genau  durch  denselben 
Grundfehler,  weil  er  den  Erben  mit  einem  Vermögens- 
empfänger für  identisch  hält,  zu  den  entgegengesetzten  Irr- 
tümern  gezwungen  und-  nicht  nur  um  die   Resultate  ge- 


^)  Gegen  Trekell,  welcher  glaubt,  das  Manzipationstesta- 
ment  habe  seinen  Grund  darin,  dem  Erben  dadurch  das  quiri- 
tarische  Eigentum  zuzuwenden,  da  dieses  sonst  bei  den  Intestat- 
erben verblieben  und  nur  das  bonitarische  auf  den  Erben  über- 
gegangen wäre. 

^)  Die  wahre  Widerlegung  dieses  Dernburgschen  Elnwan- 
des  ist  vielmehr  die,  daß,  wie  sich  aus  dem  Folgenden  von 
selbst  ergibt,  die  mit  dem  Vermögen  Bedachten  nicht  durch 
den  Erben  (familiae  emptor)  als  durch  eine  dritte  Person 
das  Vermögen  des  Erblassers  erwerben,  sondern  es  lediglich 
von  dem  Erben  erwerben,  der  beim  Tode  als  Fortsetzer  der 
menschlichen  Willensherrschaft  zum  momentanen  Eigentümer 
geworden  ist,  und  jenes  Hindernis  gegen  den  Erwerb  des  qui- 
ritarischen  Eigentums  also  gar  nicht  vorliegt.  Es  wird 
hier  wiederum  deutlich,  wie  wichtig  es  ist,  den  Satz  richtig  zu 
begreifen,  daß  der  Legatar  (was  Dernburg,  Gans  und  die 
Autoren  sämtHch  unter  dem  Erben  beim  testamentum  per  aes 
et  libram  verstehen,  wird  uns  —  in  der  ursprünglichen 
Form  dieses  Testamentes  —  notwendig  zum  Legatar)  qaasi 
contractu  vom  Erben  (also  vom  famihae  emptor)  erwerbe. 

150 


bracht,  welche  diese  scharfsinnige  historische  Unter- 
suchung sonst  gehabt  haben  würde,  sondern  auch  gerade 
zu  dem  unhistorischsten  Resultate  hingetrieben.  Dieser 
Grundirrtum  Dernburgs  spricht  sich  schon  in  seinem  eben 
geäußerten  Einwurf  aus,  warum  (ursprünglich)  der  Erbe 
nicht  selbst  fa'miliae  emptor  gewesen  —  da  er  vielmehr 
gerade  dies,  und  bloß  nicht  der  mit  dem  Vermögen 
Bedachte,  allerdings  gewesen  ist. 

So  kommt  Demburg  zu  der  Folgerung,  die  wahren 
Erben  seien  bei  diesem  Testament  ursprünglich  die  Inte- 
staterben geblieben ;  femer  der  familiae  emptor,  und  durch 
ihn  der  Erbe,  habe  zuerst  nicht  mehr  in  Anspruch  nehmen 
können,  als  ihm  wirklich  manzipiert  Avorden,  da  ihm  doch 
vielmehr,  wie  die  Stelle  des  Gajus  deutlich  zeigt,  gar 
nicht  einzelne  Vermögensgegenstände,  sondern  nur 
die  Willensherrschaft  (familia  id  est  Patrimonium) 
manzipiert  wurde.  Ferner :  allmählich  habe  sich  der 
Rechtssatz  ausgebildet,  daß  ,,der  familiae  emptor  zwar 
noch  nicht  Erbe,  aber  doch  so  nahe  daran  sei,  daß 
er  loco  heredis  genannt  werden  könne".  Hiergegen  ist 
zweierlei  zu  bemerken :  einmal,  daß,  wie  Gans  bereits 
richtig  eingeworfen,  diese  Identifikation  zwischen  Erben 
und  familiae  emptor,  statt  allmählich  zu  entstehen,  viel- 
mehr der  ursprüngliche  Anfang  ist,  und  ferner,  daß  der 
hier  noch  übrig  gelassene  Unterschied,  der  familiae  emp- 
tor sei  ,,zwar  noch  nicht  Erbe,  aber  doch  so  nahe 
daran,  daß  er  loco  heredis  genannt  werden  könne",  ein 
ganz  irriger  ist.  Der  famihae  emptor  war  vielmehr  ganzer 
und  wahrer  Erbe  und  nicht  nur  ,,so  nahe  daran"  usw. 
Wenn  sich  Gajus  zuerst  ausdrückt,  ,,locum  heredis  ob- 
tinebat",  so  kommt  das  nur  daher,  weil  er  eben  andeuten 
will,  daß  dieser  Erbe  (in  der  Regel)  nichts  vom  Ver- 
mögen bekam  und  nur  den  juristischen  Charakter  des 

151 


Erben  hatte,  während  zu  Gajus'  Zeit  und  für  sein  Be- 
wußtsein doch  schon  der  Begriff  des  Erben  und  des 
Vermögensnehmers  ganz  und  gar  zusammengefallen 
war.  Daß  aber  der  familiae  emptor  wirklich  ganzer 
und  voller  zivilistischer  Erbe  gewesen  ist  und  das  ,,loco 
heredis"  hier  eben  nur  diesen  Unterschied  andeuten  soll, 
geht  schon  daraus  hervor,  daß  ja  jedes  römische  Testa- 
ment doch  einen  wirklichen  Erben  brauchte  und  das 
Manzipationstestament  also  im  Anfang  ohne  jeden  solchen 
gewesen  wäre,  wenn  nicht  eben  der  familiae  emptor  wahr- 
hafter Erbe  war,  und  ferner  sagt  es  ja  Gajus  unmittelbar 
darauf  mit  den  bestimmtesten  Worten :  nunc  vero  alias 
heres  instituitur,  womit  also  zugleich  gesagt  ist,  daß  fmher 
der  emptor  der  heres,  und  nicht  bloß  loco  heredis,  ge- 
wesen ist. 

Wenn  also  Dernburg  infolge  alles  dessen  bei  dem  Re- 
sultate anlangt:  der  familiae  emptor  sei  im  Anfang  ein 
bloßer  Fiduziar  und  nicht  der  Erbe  selbst  ge- 
wesen, und  zweitens:  erst  späterhin  habe  sich  die 
Person  des  Erben  und  des  familiae  emptor  iden- 
tifiziert, so  liegt  schon  in  dem  ersten  Satze  das  ganz 
Wahre  und  ganz  Falsche  friedlich  nebeneinander.  Aller- 
dings war  der  familiae  emptor  ein  bloßer  Fiduziar,  aber 
ebendeshalb  war  er  nicht  ,, nicht  der  Erbe  selbst",  son- 
dern gerade  deshalb  und  als  solcher  bloßer  Fiduziar 
war  er  der  Erbe  selbst.  Und  weil  also  auch  hier  das 
Falsche  schon  da  ist,  so  tritt  dasselbe  nun  in  dem  zweiten 
Satz  zu  dem  alles  verderbenden  und  das  historische  Zeug- 
nis der  Römer  geradezu  auf  den  Kopf  stellenden,  durch- 
aus unhistorischen  Gesamtresultat  heraus,  erst  später- 
hin habe  sich  die  Person  des  Erben  und  des  familiae 
emptor  identifiziert,  während  sie,  wie  Gajus  ausdrück- 
lich  bezeugt,   vielmehr   ursprünglich  identisch   sind 

152 


und  sich  erst  späterhin  trennen.  Man  muß  daher  aller- 
dings mit  Gans  in  den  Vorwurf  des  durchaus  Unhistori- 
schen, welchen  er  dem  Resultat  dieser  historischen  For- 
schung macht,  übereinstimmen.  Wenn  aber  Gans  dagegen 
sagt:  ,,das  Zeugnis  der  Römer  aber  ist  gerade  das  Um- 
gekehrte, daß  zuerst  der  familiae  emptor  und  der  Erbe 
eine  Person  gewesen,  daß  aber  späterhin  ein  anderer  den 
Erben,  ein  anderer  den  familiae  emptor  abgegeben  habe", 
so  ist  dies  den  Worten  nach  und  in  unserem  Sinne 
ganz  richtig,  in  dem  aber  schon  oben  nachgewisenen  Sinne, 
den  es  bei  Gans  hat,  daß  der  ,,Erbe"  auch  der  Ver- 
mögensnehmer  gewesen  sei,  ebenso  vöUig  falsch  und 
unhistorisch  wie  das  Demburgsche  Resultat.  Der  histo- 
rische Verlauf  der  Sache  ist  vielmehr  der,  daß  Begriff 
des  Erben  und  des  familiae  emptor  zuerst  identisch  und 
von  dem  Vermögensnehmer  getrennt  (i.  e.  nicht  not- 
wendig mit  ihm  verbunden  und  auch,  wie  Gajus  oben 
durch  das  plerique  bezeugt,  faktisch  der  Regel  nach 
nicht  mit  ihm  verbunden)  ist,  daß  allmählich  aber  Be- 
griff und  Stellung  des  Erben  auf  den  Vermögens- 
nehmer übergeht,  d.h.  auf  den,  welcher  in  der  ur- 
sprünglichen Form  des  Manzipationstestamentes  bloß 
Vermögensnehmer,  Legatar  gewesen  war.  Der  von 
uns  entwickelte  Begriff  des  römischen  Erben  als  bloßen 
Willenserben  zum  Unterschied  vom  Vermögens- 
nehmer und  die  Spaltung,  in  die  er  zu  letzterem  tritt, 
ist  allein  der  den  Autoren  fehlende  Ariadnefaden,  der  in 
den  hierdurch  entstandenen  Ver\virrungen  derselben  zu- 
rechthilft. 

Bereits  muß  nun  aber  auch  die  Bedeutung  und  Ent- 
stehung des  Testamentes  per  aes  et  libram,  nicht  aus 
irgendwelcher  untergeordneten  historischen  Veranlassung, 

153 


sondern  aus  dem  Innersten  des  historischen  römischen 
Volksgeistes  heraus  vollkommen  klar  geworden  sein. 

Diese  Testamentsform  ist  nämlich  nichts  anderes  als 
das  auch  in  der  Form  gesetzte  Dasein  des  von  uns  ent- 
wickelten römischen  Erbrechtsbegriffes  überhaupt. 
Im  Testament  calatis  comitiis  kann  bloß  der  eingesetzte 
Erbe  so  mit  Vermögens  Verfügungen  zugunsten  anderer  be- 
schwert werden,  daß  nichts  von  der  Hinterlassenschaft 
auf  ihn  kommt;  hier  ist  dies  also  bloß  materielles 
Recht,  ob\vohl  freilich  diese  Spaltung  so  sehr  Zug  des 
römischen  Geistes,  daß  in  der  Regel,  wie  uns  Gajus 
oben  verraten,  diese  Spaltung  vorgenommen  und  dem 
Erben  nichts  hinterlassen  wird.  Aber  ebendeshalb  muß 
nun  dieser  materielle  Erbrechtsbegi'iff  auch  als  die  eigene 
Form,  des  Testamentsaktes  selbst  an  demselben 
heraustreten  —  und  so  entsteht  das  Testament  per  aes 
et  libram,  welches  dies  vollständig  vollbringt  und  des- 
halb die  anderen  Testamente  überwindet  und  so  lange 
überlebt. 

Es  wird  durch  einen  Scheinverkauf  der  Willens- 
fortsetzer  für  die  Zeit  nach  dem  Tode  gesetzt,  und 
dieser,  der  familiae  emptor,  hat  ursprünglich  lediglich  und 
allein  die  Bedeutung,  der  Erbe  des  Erblassers  zu  sein; 
und  da  nun  dem  römischen  Geiste  die  Substanz  des  Erb- 
begriffes lediglich  in  der  Willenskontinuation 
(Willenserbschaft),  nicht  in  dem  einer  Vermögenserb- 
schaft, besteht,  so  wird  nun  durch  den  Willen  des  Testa- 
tors dem  mit  ihm  identischen  Willen  seines  Willens- 
erhalters,  d.h.  Erben,  aufgegeben,  an  welche  an- 
dere Personen  nach  dem  Tode  das  Vermögen  ge- 
geben werden  solle.  Die  Worte  des  Gajus :  et  ob  id, 
nämlich  quia  heredis  locum  obtinebat,  et  mandabat  testa- 
tor,    quid  cuique   post   mortem   suam   dari   vellet,   zeigen 

154 


schon  an  und  für  sich  bei  unbefangener  Betrachtung,  daß 
das  Vermögen  durch  die  Verteilung  an  andere  er- 
schöpft wurde  und  der  emptor  nichts  davon  erhielt, 
und  bestätigen  dies  durch  die  mildernde  Paraphrase,  ,,lo- 
cum  heredis  obtinebat",  zu  der  Gajus  greift,  weil  schon 
für  sein  Bewußtsein  ein  Erbe  ohne  Vermögenserbschaft 
nicht  mehr  recht  faßlich  war.  Aber  so  viel  hat  sich 
Gajus  noch  von  der  altrömischen  Anschauung  gerettet,  um 
im  Konflikt  zwischen  dem,  der  den  Willen  des  Erb- 
lassers ausführt,  und  dem,  der  sein  Vermögen  nimmt,  nur 
in  dem  ersteren  den  Erben  und  in  dieser  Willens- 
erhaltung überhaupt  das  wahre  Wesen  der  Erbschaft  zu 
sehen.  Und  darum  verbindet  er  diesen  Satz  mit  dem  vorigen 
durch  ein  gar  nicht  genug  hervorzuhebendes  ,,ob  id",  d.  h. 
er  sagt,  um  diesen  Satz  nach  seinem  wahrhaften  Sinne 
zu  übersetzen,  ganz  unbefangen:  ,,und  weil  jener  der 
Erbe  war,  trug  ihm  der  Testator  auf,  an  welche  an- 
dere das  Vermögen  kommen  solle",  während  wir  nach 
unserer  heutigen  Anschauung  mindestens  erwarten  müßten, 
zu  hören:  ,,und  obgleich  jener  der  Erbe  war,  trug 
ihm  der  Testator  auf,  an  welche  andere  usw.". 

Der  familiae  emptor  oder  der  Erbe  ist  also  nur  die 
vollbrachte  Willensunsterblichkeit  des  Testa- 
tors. Dieser  kann  jetzt  ruhig  sterben,  denn  er  hat  den  Er- 
halter seiner  Willenssubjektivität  gefimden.  In  diesem,  als 
einem  lebendigen  Subjekte  von  geltendem  Willen, 
wird  sich  sein  Wille  fortsetzen  und  an  der  Außenwelt 
ausführen.  Der  familiae  emptor  kann  sehr  wohl  als  der 
Verteiler  des  Vermögens  etwa  mit  dem  modernen  Te- 
stamentsexekutor verglichen  werden^),   bis   auf  den 

^)  An  einer  höchst  interessanten,  immer  unbeachtet  geblie- 
benen Stelle  in  einem  an  Bibelstellen  (vgl.  Brief  an  die  Galater, 
IV,  24 — 31)  angelehnten  und  bei  ihm  besonders  häufig  wieder- 

153 


einen  Unterschied,  der  aber  der  totale  Unterschied  des 
Begriffes  wäre,  daß  der  familiae  emptor  Erbe  ist  und 
der  Testamentsexekutor  nicht,  d.  h.  daß  der  familiae  emp- 
tor die  Willenssubjektivität  des  Toten  in  seiner  eigenen 
Person  fortdauernd  darstellt,  während  der  Testa- 
mentsexekutor nur  vorübergehend  einen  bestimmten 
Willensinhalt  des  Testators  als  einen  ihm  selbst 
fremden  Willen  ausführt,  ein  Unterschied  des  Be- 
griffes, der,  weit  entfernt  davon,  ein  bloßer  Wortunter- 
schied zu  sein,  vielmehr  so  reale  Folgen  hat,  daß  auf 
den  römischen  familiae  em.ptor,  auf  diesen  erbteillosen 
Erben,  auch  die  sacra  und  die  Schulden  übergehen. 

Wenn  uns  also  der  heilige  Ambrosius  von  einer    here- 
ditas  sine  re  berichtet,  wenn  er  sagt:   ,,sed.  sunt  heredes 


kehrenden  bildlichen  Vergleich  zwischen  dem  Testament  im 
rechtlichen  Sinne  und  dem  religiösen  Testament  (Altem  und 
Neuem)  und  den  zur  Erbschaft  darin  Berufenen  scheint  der 
hl.  Augustnius  fast  diese  ganz  richtige  Einsicht  über  die  be- 
griffliche Stellung  des  Erben  zum  alten  Manzipationstestament, 
im  Verhältnis  zu  seiner  Stellung  zu  der  späteren  Form  des- 
selben, zu  bekunden.  Er  sagt  (contra  duas  epist.  Pelag.,  lib. 
IIl.  c.  4,  T.  X.  p.  297.  D..  ed.  Ord.  Bened.  [congreg. 
S.  Mauri]  Antwerp.  1700)  :  ,,Sed  quia  in  eo  (im  Alten  Testa- 
ment) praefigurabatur  novum,  qui  hoc  intelligebant  tunc  ho- 
mmes  Dei,  secundum  distributionem  temporum,  veterb  quidem 
Testamenti  dispensatores  et  gcstatores,  sed  novi  demonstrantur 
heredes."  Wenn  man  die  Stelle  in  ihrem  Gesamtverlauf  liest, 
wird  man  sich  noch  weniger  enthalten  können,  in  diesen  Worten 
die  deutliche  Spur  der  Einsicht  bei  Augustinus  hervortreten  zu 
sehen,  daß  auch  im  Substrat  seines  Bildes  —  dem  recht- 
lichen Testament  —  ein  altes  Testament  zu  unterscheiden 
ist,  bei  \velchem  der  Erbe  nur  „dispensator  et  gestator",  oder, 
wie  wir  oben  sagten,  Testamentsexekutor  und  Ver- 
teiler ist,  und  ein  neues  Testament,  in  welchem  er  erst 
wahrhafter   Erbe,   d.h.   Empfänger  ist.    So  erst  wird  auch 

156 


sine  re,  sunt  et  cum  rey,  so  Ist  es  nur  dieses  alte 
Willenserbtum  ohne  Vermögenszuvvendung,  von  dem  sich 
bei  ihm  noch  eine  Erinnerung  aulbewahrt  hat,  eine  Er- 
innerung, die  er  aber,  ungleich  dem  heiligen  Augustinus 
(siehe  die  vorige  Note)  selbst  nicht  mehr  versteht,  so 
daß  er  sich  nun  diesen  Satz,  von  dem  er  gehört  hat,  in 
höchst  schwankender  und  sich  selbst  auflösender  Weise 
bald  als  das  Verhältnis  der  Erben  bei  Lebzeiten  des 
Testators  (et  dicuntur  heredes  testatore  vivente  qui  scripti 
sunt,  sed  sine  re),  bald  und  an  derselben  Stelle  durch 
die  unter  Tutel  befindlichen  Erben  zu  erklären  sucht.  Ja, 
noch  bis  in  diese  Begriffsverwirrung  hinein  dämmert  ein 
Anklang  des  Richtigen.  Denn  freilich  ist  es  das  charak- 
teristische Merkmal  des  durch  das  testamentum  calatis 
comitiis  und  des  durch  das  testamentum  per  aes  et  libram 
in    seiner   alten    Form   ernannten    Erben    (des    familiae 


das  Substrat  des  Bildes  ein  zu  diesem  wahrhaft  passendes. 
Darum  fügt  Augustinus  später  (das.,  S.  299,  C),  immer  noch 
an  diesem  Substrat  seiner  Darstellung  festhaltend,  hinzu,  daß, 
während  das  Alte  Testament  bloß  in  Servituten!  generat,  nur 
bei  dem  Neuen  Testament  für  den  Erben  eine  „spes  bonomm" 
vorhanden  sei,  freilich,  wie  er  hinzusetzt,  „non  carnalium,  sed 
spiritualium,  non  terrenorum,  sed  caelestium,  non  temporalium, 
sed  aetemorum."  Gerade  aber,  daß  die  ,,spes  bonorum",  die 
ihm  zum  charakteristischen  Unterschied  des  Neuen  Testamentes 
wird,  ihm  ja  für  seinen  spiritualistischen  Zweck  nicht  kon- 
venieren kann  und  er  daher  gezwungen  ist,  dieselbe  erst  wieder 
umzudeuten,  zeigt,  daß  er  bei  diesem  Bilde  unter  der  Ein- 
wirkung seines  juristischen  Substrates  steht  und  also 
von  einem  alten  Manzipationstestament.  wo  der  Erbe  nur  dis- 
pensator  und  gestator  ist,  und  von  einem  neuen,  in  welchem  er 
erst  eine  spes  bonorum  empfängt,  sehr  wohl  gewußt  haben 
muß. 

1)  Epistol.,  lib.  V.  ep.  43.  Opp.  omn.  (Paris  1632).  T.  V. 
p.  294.  E. 

157 


emptor),  daß  sie  schon  bei  Lebzeiten  des  Testators 
ernannte  und  kundgetane  Willenserhalter  sind.  Und  von 
selbst  muß  nun  durch  diese  hereditas  sine  re  klar  ge- 
worden sein,  wie  die  noch  in  den  Rechtsquellen  auf- 
bewahrte Einteilung  der  bonorum  possessio  in  bon.  poss. 
cum  re  und  sine  re,  die  man  bisher  mit  Recht  als  eine 
völlig  leere  Subtilität  zwecklos  und  verwunderlich  fmden 
konnte^),  nur  die  organische  Nachbildung  jenes 
Unterschiedes  der  hereditas  sine  re  und  cum  re  ist, 
welcher  begrifflich  wie  praktisch  von  höchster  Wichtig- 
keit und  von  epochemachender  Entwickelung  im  E  r  b  - 
tum  ist^). 

Der  entscheidendste  Beweis  aber  für  die  aufgezeigte 
Bedeutung  des  Testamentes  per  aes  et  libram  ist  seine 
Formel.  Sie  lautet^):  ,,FaniiUani  peciinianique  tuam 
endo  mandatelam  tiitelam  custodelamque  meam  esse  ajo 
eaque  quo  tu  jure  testamentum  facere  possis  secundum 
legem  publicam^),  hoc  aere  (et  ut  quidem  adjiciunt  aenea- 
que  libra^)    esto  mihi  empta." 

Was  heißt  das  in  wahrhaft  sinngetreuer  Übersetzung 


^)  Siehe  Savigny  in  dem  oben  (Nr.  II  u.  III)  bezogenen 
Aufsatz   der  Zeitschrift  für  geschichtliche   Rechtswissenschaft. 

^)  Und  jetzt  müssen  nun  in  ihrer  ganzen  begrifflichen  Trag- 
weite und  in  ihrer  ganzen  Beweiskraft  für  unsere  Entwicklungen 
Aussprüche  der  Rechtsquellen,  wie  die  folgenden,  durchsichtig 
sein :  L.  50  pr.  de  h.  p.  (5,  3) :  Hereditas  enim  sine  ullo  cor- 
pore juris  intelledum  habet.  L.  119  de  v.  s.  (50,  16):  Here- 
dltatlä  appellatio  sine  dubio  contlnet  etlam  damnosam  here- 
ditatem,  juris  enim  nomen  est,  sicuti  bonorum  possessio.  L.  3 
pr.    §    1   de  bon.   poss.    (37,    1)   u.   a. 

^)  Gajus,   II,  §   104. 

^)  Über  dieses  legem  publicum    siehe  sub  Nr.  X. 

M  Vgl.  Gajus,  I.  119.  Varro  de  L.  L.  IX.  83.  p,  518, 
ed.   Müller.  Tertulllan  adv.  Marc,  II,  6. 

158 


anders,  als:  „Ich  setze  deine  Willensherrschalt 
als  die  mein  ige,  damit  du  nun  mit  diesem  Recht 
für  die  Zeit  nach  deinem  Tode  verfügen  kannst,  und 
eigne  sie  mir  darum  an  durch  diesen  symbolischen  Kauf." 
Es  ist  ein  Kauf  und  der  familiae  emptor  gibt  dem  Testa- 
tor den  symbolischen  Kaufpreis  des  aes.  Denn  bisher  hat 
der  Erbe  allein  gesprochen,  und  freilich  kann  er  dies 
auch,  vor  allen  Dingen  seinen  Willen  bekundend,  denn 
er  wird  der  überlebende  Wille  sein,  der  durch  seinen 
Willen  die  Willenssubjektivität  des  Erblassers  fortsetzen 
soll.  Damit  er  diese  aber  nicht  bloß  an  sich  gerissen 
zu  haben  scheine,  damit  es  auch  formell  gesetzt  sei, 
daß  der  Erblasser,  der  bis  dahin  den  Erben  bloß  fak- 
tisch sistiert  hat,  die  Ehre  seines  Willens  bei  dieser 
Aneignung  desselben  habe,  ,,zur  Teilung  der  Ehre", 
elg  xbv  Ti/iirjg  jueoiojuöv  —  wie  ein  anderer  Kirchen- 
vater^) an  einer  schönen,  gleichfalls  immer  unbeachtet  ge- 
lassenen Stelle,  die  wir  sub  Nr.  X  ausführlicher  mitteilen 
werden  und  die  daselbst  unsere  gesamte  Auffassung 
dieses  Testamentes  noch  einmal  auf  das  schlagendste  be- 
stätigen wird,  über  dasselbe  sagt  — ,  gibt  er  ihm  den 
symbolischen  Kaufpreis.  Die  Ehre,  die  nach  Clemens 
hierbei  geteilt  wird,  das  ist  jener  honor  des  römischen 
Erbtums  überhaupt,  die  Ehre  der  Willensherr- 
schaft (s.  oben  S.  86).  Es  gibt  nichts  Erläuternderes 
zu  dieser  solennellen  Formel,  als  die  Worte  des  Plau- 
tus^)  :  ,,. . .  quod  tuum'st,  meums'st,  omnemeum  est  autem 
tuum.**  In  der  Tat  ist  die  Identifikation  der  beiden  Wil- 
len die  vollständige  und  gedoppelte,  daß  nicht 
nur  der  Wille  des  Erblassers  als  Wille  des  Erben,  son- 


^)  Clemens   Alexandr.   Strom.,  V,   c   8,   p.   574,  ed.   Sylb. 
^)  Trin..   II,  2,  52. 

159 


dem  auch  der  Wille  des  Erben  als  Willensherrscliaft  des 
Erblassers  gesetzt  wird^).  Auch  liegt  dies  ja  schon  not- 
wendig im  Begriff  der  Identität  des  Willens  über- 
haupt und  ist  auch  durchaus  erforderlich,  damit  der  Te- 
stator nun  über  den  Willen  und  die  Willenshandlungen 
des  Erben  verfügen  kann,  spricht  sich  also  ganz  deutlich 
in  dem  Teile  der  Formel  aus :  quo  tu  jure  test.  facere 
possis.  Endlich  hat  es  aber  auch  seine  sinnlich-fühlbare 
Realität  sowohl  in  dem  später  zu  betrachtenden  Legat 
rei  alienae,  als  in  den  Schulden,  die,  wenn  der  Erbe 
auch  nichts  von  der  Erbschaft  bekommen  hat  oder  um 
wie    viel   sie   auch   dieselbe   überschreiten,    dennoch   dem 

1)  Wenn  Huschke  (Studien.  S.  233.  Note  59)  und  Böcking 
(Pandekten  des  römischen  Privatrechtes.  I,  256.  Note  15). 
um  die  Schwierigkeit  der  Manzipationsform  dieses  Testamentes, 
obgleich  ja  die  hereditas  (Gajus,  II,  34)  keine  res  mancipii 
sei.  zu  erklären,  sagen :  bei  dieser  Manzlpation  werde  ..ja  nicht 
die  hereditas  (quae  viventis  nulla  est),  sondern  die  familla. 
d.  h.  der  eine  Teil  der  Privatfreiheit  des  Testators,  welcher 
mit  seinem  Tode  eine  Sache  bilden  (sein)  wird,  die 
Ve r m ö g e n s f reiheit  manzipiert.  und  diese  ist  ebenso  gut.  wie 
die  ganze  Person,  mancipii;  Gajus,  I.  120"  — ,  so  ist 
dieser  Vergleich  mit  der  Manzipationsfähigkeit  der  ganzen  Per- 
son ein  höchst  trefflicher  und  zeigt  in  der  Tat  den  Grund, 
warum  die  Manzipationsform  bei  dem  Testament,  ohne  Wider- 
spi-uch  gegen  die  Einteilung  in  die  res  mancipii  und  nee  man- 
cipii, angewendet  werden  kann.  Aber  nach  jener  Lehre  selbst 
ist  dieser  Vergleich  noch  kein  berechtigter;  sie  \vider- 
sprlcht  ihr  vielmehr.  Denn  wenn  etwas  für  den  Augenblick 
des  Todes  manzipiert  wird,  was  in  diesem  Zeitpunkt  ,,elne 
Sache  bilden  (sein)  wird,"  so  würde  ja  wirklich  eine  Sache 
manzipiert,  und  zwar  eine  unkörperliche,  die  hereditas, 
die  ja  eben  nicht  res  manclpl  sein  kann.  Erst  in  unserer  Ent- 
wicklung, nach  welcher  nicht  Vermögen  noch  Sache,  sondern 
die  Willenssubjektivität  des  Erblassers  dem  Erben  man- 
zipiert  wird,   empfängt   jener   Hinwels    auf   die    Manzipations- 

160 


Erben  zur  Last  fallen  und  das  seiner  eigenen  Willens - 
Herrschaft    unterworfene   Vermögen   verzehren^). 

Nachdem  nun  in  dem  ersten  Akt,  dem  symbolischen 
Kauf,  die  bloße  Willensidentität  des  Erblassers  mit 
einem  Dritten  und  also  der  Erbe  gesetzt  ist,  folgt  nun 
die  Verlautbarung  des  Willensinhaltes  des  Te- 
stators, d.h.  die  nuncupatio  testamenti.  Diese  Zwei- 
heit  dessen,  was  in  diesem  Testament  geschieht,  läßt  Ul- 

fähigkeit  der  ganzen  Person  seine  volle  Berechtigung.  —  Ebenso 
zeigt  auch  schon  die  Formel :  familiam  pecuniamque  tuam  endo 
mandatelam  tutelam  custodelamque  meam  esse  ajo,  gegen 
Huschke,  daß  nicht  bloß  ,,ein  Teil  der  Privatfreiheit,  die  Ver- 
mögensfreilieit",  sondern  die  ganze  subjektive  Willens- 
herrschaft der  Person,  Patrimonium,  wie  Gajus  richtig  er- 
klärt (s.  oben  S.  114,  Note  3),  mit  Hinsicht  auf  den  Moment 
des  Todes  zur  Aufrechterhaltung  übertragen  wird.  —  Ebenso 
wenn  Böcking,  a.  a.  O.,  I,  134,  Testament  und  Erbschaft  so 
auffaßt :  „Das  Testament  macht  den  dazu  ernannten  Erben  in 
Beziehung  auf  die  Nachlassenschaft  des  Testators  zu 
dessen  Familienglied,"  so  zeigt  sich  jetzt,  wie  dem  schon 
die  Formel  ganz  positiv  entgegensteht.  Denn  nicht  der  Erbe 
\vird  vom  Testator  zum  Glied  seiner  Familie  gemacht, 
sondern  er  rezipiert  in  sich  die  gesamte  famiha  des  Te- 
stators (meam  esse  ajo).  nicht  als  Glied,  sondern  als  Trä- 
ger, nicht  die  Familie,  sondern  die  römische  familia,  was 
etwas  ganz  anderes  ist  (s.  Nr.  XL),  nämlich  die  subjektive 
Willensherrschaft.  —  Nur  der  spekulativen  Behandlung  ist  es 
gegeben,  hier  wie  anderwärts  in  voller  Übereinstimmung  mit 
den  römischen  Formeln  zu  sein,  während  die  juristisch- ver- 
ständige Auffassimg,  wenn  auch  oft  unmerklich,  in  einen  ent- 
schiedenen positiven  Widerspruch  zu  Ihnen  treten  muß  —  ein 
nicht  geringer  Beweis  für  die  Wahrheit  der  ersteren  Methode. 
^)  Daher  das  Widerstreben  und  das  Odium  des  römischen 
Geistes  gegen  den  Benefiziarerben,  der  erst  imter  Justlnlan  sich 
sein  Dasein  erkämpft,  auch  dann  noch  stets  die  Vermutung  gegen 
sich  hat  usw. ;  vgl.  unten  Nr.  XLI  und  beim  Wesen  des  ger- 
manischen Erbrechtes. 

11    Lai.stli     Ge»    Sctrifren.   Baod    XI.  161 


pian  scharf  hervortreten^):  „In  testamento  quod  per  aes 
et  libram  fit,  duae  res  agiintur,  familiae  mancipatio  et 
nuncupatio  testamenti",  und  ebenso  hat  Gans  diesen  Dualis- 
mus, obwohl  mit  einer  unrichtigen  Erklärung  desselben, 
mit  Recht  scharf  hervorgehoben^).  Was  aber  sagt  nun 
der  Testator  ?  Er  sagt  nicht  —  denn  er  kann  nach  dem 
Obigen  ja  gar  nicht  mehr  sagen  —  heres  esto  oder  here- 
dem  esse  jubeo,  sondern  seine  Formel  ist :  ,,haec  ita  ut 
in  his  tabulis  cerisque  scripta  sunt,  itafdo  ita  lego  ita 
testor  itaque  vos,  Quirites,  testimonium  mihi  perhibitote" ; 
d.  h.  —  und  es  ist  unbegreiflich,  wie  alles  dies  stets  so 
unbeachtet  bleiben  konnte  —  das  ganze  Testament  ist 
nach  seinem  Inhalt,  wie  die  Formel  zeigt,  eine  do  lego 
Verfügung,  d.h.  eine  bloße  Legatenverfügung, 
ein  Testament,  das  sogar  nach  prätorischen  Begriffen 
vollkommen  nichtig  wäre,  da  es  ja  ein  Testament 
ohne  Erbeinsetzung  ist.  Woher  kommt  es,  daß  auf 
einmal  hier,  während  stets  das  umgekehrte  Verhältnis 
waltet,  das  prätorische  Recht  formalistischer  und  strenger 
zu  sein  scheint,  als  das  Zivilrecht  ?  Aber  natürlich !  Der 
Testator  kann  hier  ja  gar  keinen  Erben  im  Inhalt  seiner 
Willenserklärung  mehr  einsetzen,  denn  der  Erbe  ist 
ja  nur  der  Willenserhalter,  und  dieser  ist  ja 
hier  schon  in  dem  familiae  emptor,  ist  schon  in  der 
Form  des  Testamentes,  in  der  Handlung  desselben,  im 
symbolischen  Kaufe,  gegeben"'). 


^)  Fragm.   XX,  9. 

-)  Erbrecht.  II.  85  fg. 

^)  Man  sieht  jetzt  noch  deutlicher,  warum  es  im  schrift- 
lichen Testamente  (vgl.  oben  S.  90  fg.)  schlechterdings  heißen 
muß:  heres  esto.  An  die  Stelle  dessen,  was  im  Manzipations- 
testament  in  seiner  ursprünglichen  Form  durch  die  dramati- 
sche Handlung  bewirkt  wird,  kann  nur  der  imperatorische 

162 


Das  Wahrste  also,  was  bisher  über  das  testamentum 
per  aes  et  libram  und  über  das  römische  Erbrecht  über- 
haupt gesagt  worden  ist,  ist,  wie  unsere  Entwickelungen 
zeigen,  eine  Bemerkung  des  alten  Thomasius,  über  die  er 
nicht  selten  hart  ausgescholten  worden  ist ;  seine  Bemer- 
kung nämlich^),  die  Römer  hätten,  weil  sie  die  natur- 
rechtliche  Wahrheit  des  Grundsatzes,  daß  kein  Mensch 
nach  dem  Tode  und  darum  also  auch  nicht  für  den  Todes- 
fall über  sein  Vermögen  verfügen  könne,  selbst  gefühlt 
hätten,  um  ihre  Gesetzgebung  mit  diesem  naturrechtlichen 
Grundsatze  wieder  auszugleichen,  deshalb  das  Testament 
durch  die  Manzipationsform  zu  einem  Geschäft  unter 
Lebenden  gemacht.  Freilich  tritt  hier  das  Wahre  wieder 
in  einer  sich  selbst  ganz  entfremdeten,  verkehrten  Form 
auf.  Nicht  um  die  Wahrheit  jenes  naturrechtlichen  Grund- 
satzes ruhig  bestehen  zu  lassen  und  nun  dennoch  über  das 
Vermögen  verfügen  zu  können,  wird  zu  der  Manzipation 
gegriffen,  sondern  um  diesen  naturrechtlichen  Grundsatz 
und  die  in  ihm  hervortretende  Schranke  der  Endlichkeit 
zu  besiegen,  um  zu  bewirken,  daß  der  Wille  auch 
nach  seinem  Erlöschen  noch  fortdauere,  in 
diesem  spezifischsten  Interesse  des  römischen  Geistes  und 
seines  historischen  Inhaltes  wird  durch  die  Handlung 
unter  Lebenden  der  identische  Willens- 
erhalter erzeugt  und  nun,  nachdem  die  Schranken  der 
Endlichkeit,  des  Natürlichen  und  Naturrechtlichen,  über- 
wunden sind  (vgl.  Nr.  X)  und  die  Willensfortdauer  her- 


Willensstoß  treten.  Ein  erzählendes  tempus  würde  unwahr  sein, 
weil  ja  das  Erzählte  noch  nicht  eingetreten,  und  ebenso  ist  Er- 
klären, das  man  macht  (das  praesens),  noch  kein  Machen, 
sondern  bloßes  Sagen.  —  Vgl.  über  das  Bewirken  noch 
sub  Nr.  X  über  die  Produktivkraft  der  Formel-Solennitäten. 
^)  De  sensu  leg.  decemviralis,  §§  10,  21. 

11-  163 


vorgebracht  ist,  kann  über  das  Vermögen  testiert 
werden. 

Was  ferner  durch  die  vorstehende  Entwickelung  dar- 
getan ist,  ist  dreierlei : 

Erstens:  daß  schon,  selbst  wenn  der  Bericht  des 
Gajus,  Theophilus  usw.  nicht  vorhanden  wäre,  die 
Sakramentelle  Formel  dieses  Testamentes 
selbst  zureichend  zeigen  würde,  daß  ursprünglich  der 
familiae  emptor  der  Erbe  gewesen,  und  daß  hierauf 
die   ganze   Bedeutung  dieses   Testamentes  beruht ; 

Zweitens:  daß  nun,  indem  allmählich  der  Satz  sich 
ausbildet,  daß  die  sacra  cum  pecunia  übergehen,  d.  h.  in- 
dem sich  allmählich  der  starre  zivilistische  (idealistische) 
Erbbegriff  des  römischen  Geistes  zu  der  Anschauung  er- 
weicht, daß  der  Erbe  auch  der  materiell  Bedachte  sein 
müsse,  und  daher  nun,  wie  Gajus  berichtet,  ein  anderer 
als  der  familiae  emptor  durch  Erbeinsetzung  in  den 
iabulis  cerisque  zum  Erben  wird  (nunc  vero  alias  heres 
insUtiiltur),  —  daß  dann,  sagen  wir,  dieses  Testament 
um  jeden  Sinn  gekommen,  mit  sich  selbst  in  Wider- 
spruch, ja  in  absolute  Inkongruenz  mit  seiner 
eigenen  Formel  getreten  ist  (da  das  mündlich  ge- 
sprochene do  lego  gebraucht  wird  für  die  in  den  tabulis 
enthaltene  Instltütio  heredisY),  und  daß  jetzt  daher  diese 
Testamentsform  nur  noch  als  das  altertümliche  Symbol 
einer  nicht  mehr  verstandenen  Vergangenheit 
fortbesteht; 


■')  Eine  absolute  Inkongruenz  des  Begriffes,  von  welcher 
die  von  Justinian  und  Jhering  bemerkte  Inkongruenz  (s.  oben 
S.  147,  Note  5  u.  2),  daß  die  in  der  Gewalt  des  Erben 
Stehenden  Testamentszeugen  sein  können  und  die  des  familiae 
emptor  nicht,  nur  eine  verhältnismäßig  sehr  verschwandende,  sehr 
winzige  Folge  ist. 

164 


Drittens  aber  endlich,  daß,  indem  jetzt  der  Gebrauch 
aufgekommen,  einen  Erben  in  den  tabuHs  einzusetzen,  das 
zivilistische  Manzipationstestament  nicht  nur  seinen  inneren 
Existenzgrund  verloren,  sondern  sich  von  selbst  zum 
prätorischen  Testament  entwickelt  hat.  Es  muß 
dies  bereits  sonnenklar  sein.  Dem  familiae  emptor  im 
Manzipationstestament  entspricht  der  instituierte  Erbe  im 
prätorischen,  den  materiell  Bedachten  in  jenem,  die  Le- 
gatare in  diesem.  Nachdem  es  Sitte  geworden,  statt  des 
familiae  emptor  einen  der  in  den  Tafeln  materiell  Be- 
dachten auch  zum  Erben  zu  machen,  ist  hierdurch  von 
selbst,  unter  Fortfall  des  nun  überflüssigen  emptor,  die 
schriftliche  Erbeinsetzung  des  einen  Bedachten  und  die 
Verknüpfung  der  anderen  zu  bedenkenden  Personen  mit 
ihm  als  Legatare  entstanden,  oder  das  zivilistische 
Testament  hat  sich  von  sich  selbst  zum  prä- 
torischen Testament  entwickelt,  wobei  nun  fa- 
miliae emptor,  libripens  und  die  fünf  Zeugen  zu  sieben 
Zeugen  werden. 

Aber  so  hartnäckig  erhält  sich  die  Ahnung,  daß  der 
wahrhafte  spezifische  Erbbegriff  des  römischen  Geistes, 
der  in  jener  Spaltung  des  Erben  und  des  Bedachten  be- 
steht, die  sich  im  Testament  per  aes  et  libram  ihre  eigen- 
tümliche Form  gibt,  hierbei  zugrunde  gegangen  ist,  daß 
nun  dennoch  dies  prätorische  Testament  die  zivilrecht- 
liche hereditas  nicht  zu  übertragen  vermag,  sondern  nur 
bonorum  possessio  verleiht,  bis  denn  in  der  christlichen 
Kaiserzeit  die  Unterschiede  des  prätorischen  und  des 
Zivilrechtes  verlöschen. 


^r'. 


IX.  Das  Fideikommiß  und  seine  geschichtliche 
Entwickelung. 

Es  ist  bereits  oben  (S.  113)  vergleichsweise  an  den 
Fiduziar  erinnert  worden  und  es  liegt  in  der  Sache,  auf 
die  bisherige  Betrachtung  noch  einen  Blick  auf  das  In- 
stitut der  römischen  Fideikommisse  folgen  zu  lassen.  Be- 
reits muß  der  Schleier  auch  von  diesem  Institut  gefallen 
sein,  da  wir  uns  nun  einmal  in  dem  spekulativen  Licht- 
kem  des  römischen  Erbrechtes  befinden,  von  welchem  aus 
alle  noch  so  festen  und  verknoteten  Gebilde  desselben  sich 
zu  transparenten,  sich  selbst  erleuchtenden  Gestalten  auf- 
schließen. 

Die  bisherige  Ansicht  über  die  römischen  Fideikommisse 
ging  dahin,  daß  sie  erfunden  worden  seien,  um,  da  das 
Fideikommiß  die  höchste  Freiheit  genoß,  Verbotsgesetze, 
wie  die  lex  Voconia  und  andere  Hindernisse  zu  umgehen. 
Bei  dieser  Ansicht  bleibt  nur  unerklärlich,  wie  ein  Volk 
dazu  kommen  soll,  sich  erstens  Gesetze  zu  schaffen,  die 
keine  äußere  Macht  ihm  aufnötigt  und  die  von  ihm  hoch 
und  heilig  gehalten  werden,  und  zweitens  Umgehungs- 
institute, um  alle  diese  Gesetze  wieder  illusorisch  zu 
machen,  ja,  diese  Umgehungsinstitute  mit  der  öffentlichsten 
moralischen  und  zuletzt  auch  rechtlichen  Billigung  zu 
bekleiden,  da  es  dann  weit  einfacher  gewesen  wäre,  jene 
Gesetze  wieder  aufzuheben,  als  besondere  Umgehungs- 
institute zu  ihrer  Eludierung  einzurichten. 

Im  gegenwärtigen  Zusammenhange  muß  nun  bereits  ein 
ganz  anderes  Licht  auf  die  Fideikommisse  und  ihre  Ent- 
stehung gefallen  sein.  Denn  durch  die  bloße  Zusammen- 
stellung mit  dem,  was  wir  vorher  über  das  materielle 
Recht  des  testamentum  calatis  comitiis,  sowie  bei  Ge- 
legenheit der  lex  Falddia  (S.  137 fg.)  und  jetzt  über  das 

166 


testamentum  per  aes  et  libram  gesagt  haben,  verliert  das 
Fideikommiß  die  Isoliertheit,  die  es  bisher  behauptet 
hat,  und  erweist  sich  als  die  analoge  Reproduktion 
des  das  gesamte  römische  Erbrecht  durchdringenden 
Geistes. 

Es  ist  immer  derselbe  Trieb  uralt  römischer  Rechts - 
bildung,  welcher  in  der  fideikommissarischen  Erbschaft 
sein  drittes  und  bereits  relativ  schwächstes  Reis  treibt. 
Es  ist  derselbe  Trieb  der  Spaltung  z\vischen  dem  Erben, 
der  Willenserbe  ist,  und  dem  mit  dem  Vermögen 
Bedachten,  der,  wie  er  im  testamentum  calatis  comitiis  als 
unbedingtes  materielles  und  in  der  Regel  angewendetes 
Recht  der  totalen  Absorbierung  des  Vermögens  durch 
Legate,  im  testamentum  per  aes  et  libram  als  die  eigene 
Form  des  Testamentsaktes,  so  endlich  im  Fideikommiß 
als  ein  auf  die  freie  Anerkennung  dieser  im  Volksgeist  ge- 
heiligten Sitte,  als  ein  auf  die  spontane  Achtung  der  im 
Erbrecht  vorhandenen  Willensidentität  des  Erben  mit  dem 
Erblasser  basiertes  Institut  auftritt. 

Die  fideikommissarische  Erbschaft  besteht  darin,  daß 
jemand  zum  Erben  emgesetzt  wird,  der  nicht  materiell 
bedacht  werden  soll  (der  Fiduziar),  und  ihm,  auf  Grund 
jener  Willensidentität,  die  den  Erblasser  ja  befähigt,  über 
die  Willenshandlungen  des  Erben  zu  verfügen,  aufgegeben 
wird,  einem  anderen  materiell  zu  Bedenkenden,  der  aber 
nicht  Erbe  wird,  das  Materielle  der  Erbschaft  auszu- 
händigen. —  Auf  diese  Weise  kann  das  Fideikommiß  nun 
freilich  benutzt  werden,  um  Verbotsgesetze  zu  umgehen 
und  Erbunfähigen  das  Vermögen  zuzuwenden.  Aber  es 
kann  hierzu  nur  benutzt  werden,  weil  dies  Institut  schon 
vorher  in  der  E  r  b  t  u  m  s  auf f assung  des  römischen  Volks- 
geistes, in  jener  Anschauung  des  Erben  als  bloßen,  nichts 
Materielles  lukrirenden  Willenserhalters  seine  orga- 

167 


nische  Grundlage,  seine  Entstehung  und  Erklärung  hat; 
nicht  aber  als  ob  es  etwa  aus  einem  besonderen,  dem 
Gesetzbildungstrieb  der  Völker  zur  Seite  stehenden,  Ge- 
setzumgehungstrieb im  römischen  Volksgeiste  hervor- 
gegangen wäre^). 

Es  zeigt  sich  dies  nun  in  allen  charakteristischen  Zügen 
des  Erbschaltsfideikommisses. 

Zuvörderst  muß  der  Erbe,  d.h.  der  nichts  vom  Ver- 
mögen erhalten  soll,  in  aller  Form  Rechtens  Erbe  sein 
können,  während  dies  von  demjenigen,  dem  restituiert  wird, 
gleichgültig  ist,  sonst  ist  kein  Willensaufrechterhalter  da, 
und  darum  kann  dann  auch  der  Bedachte  nichts  vom  Ver- 
mögen bekommen.  ,,Inprimis  igitur  sciendum  est  opus  esse, 
ut  aliquis  heres  recto  jure  instituatur,  ejusque  fidei  com- 
mittatur,  ut  eam  hereditatem  alii  restituat ;  alioquin  iimiile 
est  testamentum,  in  quo  nemo  recto  jure  heres  institui- 
tur")."  Als  besonders  charakteristisch  aber  tritt  hervor, 
daß  dieser  Fiduziar  nach  wie  vor  Erbe  bleibt,  auch 


^)  Ja,  man  läßt  mit  Unrecht  unbeachtet,  daß,  wo  wirklich 
nur  die  Umgehung  positiver  Verbotsgesetze  der  Zweck 
war,  dies  doch  auf  ernste  Schwierigkeiten  im  Volksgeiste  ge- 
stoßen zu  sein  scheint.  So  erzählt  doch  wenigstens  Cicero,  wenn 
er  selbst  auch  anderer  Meinung  ist,  daß  von  jener  zahl- 
reichen Versammlung,  deren  Urteil  sich  P.  Sextilius  Rufus, 
der  Fiduziar  des  Q.  Fadius,  unterwirft,  ob  er  der  Tochter 
desselben  mehr  als  die  lex  Voconia  gestatte,  aushändigen  solle, 
keiner  dieser  Ansicht  ist.  Cic.  de  fin.  hon.  et  mal.  II,  c.  17: 
„.  .  .  Addebat  etiam  se  in  legem  Voconiam  juratum  contra  eam 
facere  tion  audere,  nisi  aliter  atnicis  videretur.  Aderamus  nos 
quidem  adolescentes,  sed  etiam  miilü  atnplissimi  viri,  quorum 
nemo  censuit  plus  Fadiae  dandum,  quam  posset  ad  eam  lege 
Voconia  pei-venire."  Ebenso  zeigt  Gajus,  II,  §§  284,  285, 
daß  die  Umgehung,  den  peregrinis  durch  Fideikommisse  Ver- 
mögen zuzuwenden,  prohibiert  wurde. 

")  Gajus,   Comm.,   II,   §   248. 

168 


nachdem  er  die  Erbschaf t' dem  Fideikommis- 
sar  abgegeben  hat,  während  dieser  dadurch  nicht 
zum  Erben  wird.  „Restituta  autem  hereditate,  is  qui  re- 
stituit,  nlhilo  minus  heres  pennanef^)."  Der  zivilistische 
(ideaUstische)  Charakter  des  Erben  ist  eben  gar  nicht  an 
das  Vermögen  geknüpft. 

Man  hat  diesen  Fiduziarerben  auch  einen  heres  apparens, 
einen  Scheinerben,  genannt.  Allein  es  ist  so  wenig  Schein 
dabei,  und  der  Begriff  hat  vielmehr  eine  so  harte  Reali- 
tät, daß  der  Fiduziar  nicht  nur  die  Aktionen  behält,  son- 
dern auch,  nachdem  er  alles  abgegeben,  die  Aktionen 
der  Gläubiger  gegen  ihn  als  den  wahren  Erben 
gehen.  Dieser  enterbte  Erbe  hat  daher  in  der  früheren 
Zeit  kein  anderes  Mittel,  sich  gegen  Schaden  zu  decken, 
als  nun  seinerseits  mit  dem  Fideikommissar  einen  Schein- 
verkauf der  Erbschaft  vorzunehmen.  ,,01im  autem  nee 
heredis  loco  erat  nee  legatarii  (der  Fideikommissar),  sed 
potius  emptoris ;  tunc  enim  in  usu  erat,  ei  cui  restitue- 
batur  hereditas,  nummo  uno  eam  hereditatem  dicis  causa 
venire;  et  quae  stipulationes  inter  venditorem  hereditatis 
et  eniptorem  interponi  solent,  eaedem  interponebantur  inter 
heredem  et  eum  cui  restituebatur  hereditas^)." 

Allein  der  dialektische  Humor  von  der  Sache  ist,  daß 
der  Erbe  durch  diese  verkäufliche  Überlassung  der  Erb- 
schaft an  den  Fideikommissar  doch  immer  nur  den  Wil- 
len des  Erblassers  ausführt,  und  daß  er  also,  da 
dies  ja  gerade  der  Begriff  des  Erben  ist,  der  Willens- 
ausführer des  Erblassers  zu  sein,  durch  diese  Willens- 
ausführung des  Erblassers  die  Qualität  des  Erben 
durchaus  nicht  los  werden  kann,  sie  vielmehr  ge- 


^)  Gajus,  II.  251. 

^)  Gajus,  Comm.,  II,  §  252. 


169 


rade  betätigt  und  daher  nach  wie  vor  Erbe  und  den 
Aktionen  verhaftet  bleibt. 

Er  gewinnt  daher  nur  einen  Vertreter  an  dem  Fidei- 
kommissar  für  alles,  wozu  er  selbst  als  Erbe  verurteilt 
wöirde,  was  ihn  aber  gar  nicht  außer  Gefahr  bringt  für 
den  Fall,  daß  er  an  diesem  keine  Deckung  mehr  findet. 
Gajus  gibt  daher  a.  a,  O.  den  Inhalt  jener  Stipulationen 
weiter  so  an :  ,,id  est  hoc  modo :  heres  quidem  stipula- 
batur  ab  eo  cui  restituebatur  hereditas,  ut  quidquid  here- 
dltario  nomine  condemnatus  fuisset,  sive  quid  alias  bona 
fide  dedisset,  eo  nomine  indemnis  esset  et  omnino  si  qiäs 
cum  eo  heredltarlo  nomine  ageret,  ut  recte  def enderetur ; 
ille  vero  qui  recipiebat  hereditatem,  invicem  stipulabatur. 
ut  si  quid  ex  hereditate  ad  heredem  pervenisset,  id  sibi 
restitueretur,  ut  etiam  pateretur  eum  hereditarias  actiones 
procuratorlo  aut  cognltorlo  nomine  exequlJ' 

Endlich  wird,  unter  Nero,  um  den  Erben  gegen 
diese  Gefzihr  zu  decken^),  durch  das  SC.  Trebellianum 
aus  der  Billigkeit^)  bestimmt,  daß,  wenn  der  Erbe 
die  Erbschaft  restituiert  hat,  die  Aktionen  nicht 
mehr    ihm    und    gegen    ihn^),    sondern    dem    Fidelkom- 


^)  Ulpian  sagt  ausdrücklich  in  der  L.  1,  §  3  ad  SC.  Tre- 
bellianum (36,  1):  ..Sublata  est  hoc  Senatusconsulto  dubitatio 
eorum,  qui  adire  hereditatem  recusare  seu  metu  litlum  seu  prae- 
textu  metus  censuerunt." 

^)  ,,Cum  esset  aequissimum"  etc.,  beginnt  dieses  Senatus- 
konsult  1.  1. 

^)  Gans  (Erbrecht,  II.  222  fg.)  muß  bei  seiner  von  der 
obigen  gänzlich  abweichenden  Darstellung  der  historischen  Ent- 
wicklung des  Fideikommisses  bei  diesem  Senatuskonsult  den 
Schein  erregen,  als  liefen  neben  den  actiones  utiles  gegen  den 
Fideikommissar  auch  die  direkten  Aktionen  gegen  den  Erben 
fort.  Denn  er  begründet  dies  SC.  so:  ,,Da  nun  der  Fidei- 
kommissar ebenso  ein  Ganzes,  wie  der  Erbe  vertritt,  so  ist  das 

170 


missar  und  gegen  den  FIdeikommissar  gegeben  werden 
sollten -'^). 

So  fielen  denn  nun,  da  jetzt  der  Prätor  dem  Fidei- 
kommissar  und  gegen  den  Fidelkommissar  utiles  actiones 
gab,   jene   Scheinverkäufe   als   überflüssig  fort"). 

Als  nun  aber  in  der  Anschauung  des  Erbschaftsbegriffes 
im  Volksgeiste  allmählich  die  Änderung  vorgeht,  daß  der 

Nächste,  daß  er  auf  ähnliche  Weise,  vvie  der  Erbe,  in  Be- 
ziehung auf  das  Vermögen  betrachtet  wird,  d.  h.  daß  er  acticwies 
utiles  erhält,  sowie  daß  actiones  utiles  gegen  ihn  gestattet 
werden.  Dieses  wird  durch  das  SC  Trebellianum  bewirkt." 
Er  spricht  daher  auch,  S.  223,  von  einem  durch  dies  SC.  her- 
vorgebrachten ,,Nebene  in  and  erbe  stehen  des  Erben  und 
Fideikommissars"  in  der  Erbschaft,  während  dies  Nebenein- 
anderbestehen durch  dies  SC.  vielmehr  gerade  aufgehoben  wird. 
Er  sieht  daher  die  innere  Veranlassung  dieses  SC  darin,  daß 
die  Fidelkommisse  (unter  Augustus)  aufhören,  ,,von  der  Will- 
kür des  Erben  abhängig  zu  sein,"  und  daß  nun  deshalb  ,,das 
Verhältnis  des  Erben  zu  dem  Fideikommissar  nichts  mehr 
mit  dem  Erbschaftsverkaufe  gemein  hat  (eine  An- 
sicht, von  der  wir  gleichfalls  sehr  bald  sehen  werden,  wie  positiv 
falsch  sie  ist),  und  zwar  um  so  häufiger,  als  häufig  gar 
nicht  die  ganze  Erbschaft  restituiert  wird,  sondern  der  Erbe 
neben  dem  Fideikommissar  in  der  Erbschaft  bleibt." 
Allein  diesen  Fall  hat  das  SC  zunächst  gar  nicht  vor  Augen, 
wie  sein  Text  zeigt.  Es  läßt  daher  auch  nicht,  wie  Gans  noch 
später,  S.  226,  in  den  Worten:  ,,aber  daß  in  jedem  Falle  dem 
Fideikommissar,  wie  dem  Erben,  die  Erbschaftsklagen  zustehen, 
sowie  es  das  SC  Trebellianum  verordnete,"  positiv  sagt,  actio- 
nes utiles  neben  den  actiones  in  heredes  zu,  sondern  schneidet 

dieselben    ausdrücklich    ab:    placet   et    actiones    quae 

in  heredes  heredibusque  dan  solent,  eis  nequein  eos  nequehisdari 
qui  fideicommissum  etc.,  sed  his  et  in  eos"  etc. 

^)  Siehe  Gajus,  Comm.,  II,  254;  Ulpian,  XXV,  14.  Dig. 
36,  1. 

'^)  Gajus,  a.  a.  O. :  „.  .  •  post  quod  senatusconsultum  desie- 
runt  Illae  cautiones  in  usu  haben." 

171 


Erbe  auch  mit  Vermögen  erfüllt  sein  müsse  (vgl. 
oben  sub  Nr.  VII)  —  was  sich  in  Rom  stets  einfach  so 
äußert,  daß  immer  mehr  und  mehr  Erben  sich  weigern, 
wegen  des  ,, leeren  Namens  des  Erben ^)",  die  Erbschaft 
anzutreten  und  daher  die  Fideikommisse  hinfällig  wer- 
den^) — ,  da  muß  nun  auch  der  Fiduziar,  diese 
bloße  Durchgangsperson,  gewählt  vom  Erblasser,  u  m 
nichts  zu  haben,  dieser  sogenannte  bloße  Schein - 
erbe,  dessen  Erbschaft  nicht  bloß  zufällig  durch  das 
Dasein  von  Verfügungen  über  alle  einzelne  Gegenstände 
der  Erbschaft  (Legate)  aufgezehrt  wird,  sondern  der  aus- 
drücklich gewählt  wird,  um  die  Erbschaft  als 
Ganzes  zu  übergeben  {heredltatem  restituere),  —  auch 
dieser  muß  nun,  da  er  als  Willenserhalter  einmal  realer 
zivilistischer  Erbe  ist,  und  gleichviel  ob  dies  dem 
Willen  des  Erblassers  entspricht  oder  nicht,  seinen 
realen  Anteil  an  der  Hinterlassenschaft  haben. 
Er  muß  es  gerade  wegen  der  jetzt  vorhandenen  Identität 
zwischen  Erben  und  Vermögenserben.  Indem  aber 
so  der  Fiduziar  auch  realer  Teilnehmer  am  Ver- 
mögen werden  soll,  und  zugleich  um  seines  zivili- 
stischen Charakters  als  Erbe  willen  von  selbst  die 
gesamte  Hinterlassenschaft  erhalten  würde,  insofern 
darüber    nicht    anders    vom    Erblasser    verfügt    worden 

wäre,  ist  dadurch  der  Fiduziar  zum  Fideikommissar  von 

I 

^)  Inane  notnen  heredis,  s.  Gajus  daselbst. 

^)  Darum  sagt  auch  hier  wieder  Gajus,  II,  §  254:  „Sed 
rursus  quia  heredes  scrlpti  cum  aut  totam  hereditatem  aut 
paene  totam  plerumque  restituere  rogabantur,  adire  hereditatem 
ob  nulluni  aut  minimum  lucruin  recusabant  et  ob  id  extingue- 
bantur  fideicommissa"  etc.  Im  Anfang  kann  dies  also  nicht  der 
Fall  gewesen  sein,  und  es  tritt  also  die  allmähliche  Umwandlung 
der  Anforderung,  welche  Sitte  und  Volksgeist  mit  dem  Begriff 
des  Erbtums  verbinden,  auch  hier  v/ieder  deutlich  hervor, 

172 


selbst  in  das  Verhältnis  des  Erben  zum  Legatar  ge- 
treten, d.  h.  es  hat  sich  jetzt  durch  seine  eigene  dialek- 
tische Notwendigkeit  das  Verhältnis  ganz  auf  den 
Kopf  gestellt.  Denn  der  Fiduziarerbe  wird  jetzt, 
weil,  sowie  er  mit  dem  realen  Vermögen  in  irgendwelchen 
Kontakt  gesetzt  wird,  sein  begrifflicher  Charakter  als 
zivilistischer  Erbe  durchschlagen  muß,  zum  Nicht- 
fiduziarerben,  und  der  Fideikommissar,  welchem 
nach  dem  Willen  des  Testators  die  hereditas  als  Ge- 
samtheit übergeben  werden  sollte,  wird  dadurch  zum 
einfachen  Quotenlegatar,  zum  legatarius  partiarius^), 
d.h.  zum  Nichterben,  zu  dessen  Gunsten  eine  bloße 
Verfügung  über  einen  Vermögensteil  getroffen  wor- 
den ist. 


■^)  Also  erst  durch  dieses  den  Fiduziar  notwendig  mit 
einem  realen  Anteil  an  der  Hinterlassenschaft  erfüllende  SC. 
Pegaslanum  wird  das  Fideikommiß  zum  Legat,  durchaus  nicht 
schon,  wie  Gans,  II,  218,  will,  durch  die  unter  Augustus  be- 
ginnende Erzwingbarkelt  der  Restitution  des  Fideikom- 
mlsses  vom  Fiduziar.  Durch  diese  Erzwingbarkeit  haben  die 
Fideikommisse  freilich  einerseits  aufgehört,  „eine  Hervorbrin- 
gung der  Pietät  zu  sein,"  aber  es  ist  so  wenig  wahr,  daß  sie, 
wie  Gans  sagt,  , .dadurch  ihren  eigentümlichen  Begriff  verloren 
und  von  den  Legaten  nicht  mehr  zu  unterscheiden" 
seien,  daß  sie  vielmehr  nach  wie  vor  diesen  Unterschied  in  noch 
größerer  Stärke  bewahren;  denn  während  der  Erbe  von  den 
Legaten  die  falzidische  Quart  abziehen  kann,  kann  er  dies 
vom  Fidelkommiß  noch  nicht,  worin  sich  nur  zeigt,  wie 
der  Begriff  der  fideikommlssarischen  Erbschaft,  eine  ,, Hervor- 
bringung der  Pietät  zu  sein,"  auch  trotz  der  Erzwingbarkeit 
der  Restitution  wieder  noch  fortdauert  und  in  ihr  gerade  am 
stärksten  sich  betätigt   (s.  oben  S-  137 fg.). 

Noch  besteht  also  der  Unterschied  von  Fideikommiß  und 
Legat,  und  dies  ist  auch  nicht  anders  möglich.  Denn  er  besteht 
von  Anfang  an  nur  darin,  daß  beim  Legat  ein  einzelner  Gegen- 

173 


Wenn  aber  der  Fiduziar  bei  dem  geringsten  eigenen 
Kontakt  mit  der  realen  Hinterlassenschaft,  wegen  des 
Durchschlagens  seines  alten  Erbbegriffes  den  Fidei- 
kommissar  begrifflich  in  einen  bloßen  Legatar  ver- 
wandein muß,  so  kann  jetzt,  wenn  dieser  Kontakt  über- 
haupt eintreten  soll,  auch  rechtlich  und  quantitativ 
der  Fiduziar,  diese  bloße  Schein-  und  Durchgangsperson, 
die  alles  abgeben  soll,  im  Verhältnis  zum  Fideikommissar, 
der  das  Vermögen  als  einfache  Gesamtheit  erhalten  soll, 


stand  und  resp.  ein  Teil,  beim  Fideikommiß  aber  die  hereditas 
als  einfache  Totalität  abgegeben  wird.  Neben  diesem  Un- 
terschied besteht  aber  von  Anfang  an,  und  nicht  erst  seit  der 
Erzwingbarkeit  der  Restitution,  die  auch  von  Gans  infolge 
seines  Verfehlens  des  zentralen  spekulativen  römischen  Erb- 
rechtsbegriffes notwendig  übersehene  Gleichheit  zwischen  Fidei- 
kommiß und  Legat,  daß  beide  bloße  Vermögenszuwen- 
dungen ohne  jeden  erbrechtlichen  Charakter  sind,  während 
der  Fiduziar  und  der  Erbe  rechtliche  Erben  ohne  jede 
Vermögenszuwendung  sind,  resp.  sein  können.  Aber  erst 
indem  es  dahin  kommt,  daß  nun  auch  beim  Fideikommiß  nicht 
mehr  die  Totalität  herausgegeben  wird,  ist  jener  Unter- 
schied durchbrochen  und  durch  die  nun  durchschlagende 
Seite  der  Identität  das  Fideikommiß  zum  Legat  geworden. 
Durch  die  bloße  Erzwingbarkeit  der  fideikommissarischen 
Herausgabe  ist  dieser  Unterschied  nicht  berührt.  Ja,  fast  wird 
das  Fideikommiß  durch  dieselbe  nur  um  so  mehr  dem  alten 
Erbrechte  im  testamentum  calatis  comitiis  und  per  aes  et  libram 
angenähert,  wo  der  Erbe  gleichfalls  alles  abzugeben  ge- 
zwungen werden  kann.  Nur  daß  der  Unterschied  immer  be- 
steht, daß  hier  der  Erbe  alles  als  einzelne  Gegenstände 
abgibt,  über  welche  verfügt  worden  ist,  so  daß  er  hierdurch 
gleichsam  nur  zufällig  und  faktisch  erblos  wird,  weil  nun 
nach  Erfüllung  dieser  Verfügungen  nichts  mehr  in  der  Erb- 
schaft ist,  während  er  beim  Fideikommiß  die  Erbschaft  als 
einfache  Totalität  abgibt  (er  ist  gebeten  hereditatem  resti- 
tuere),  also  hier  auch  in  der  Form  erblos  werden  soll. 

174 


gar  nicht  anders  behandelt  werden,  als  wie  der 
Erbe  im  Verhältnis  zur  Gesamtheit  der  Legatare. 
Wie  es  also  dem  Erben  zusteht,  sich  der  Gesamtheit 
der  Legatare  gegenüber  die  falcidische  Quart  ab- 
zuziehen, so  muß  nun  auch  dem  Fiduziar  dieselbe  Be- 
fugnis dem  Fideikommissar  gegenüber,  ohne  Rücksicht  auf 
den  Willen  des  Erblassers,  gegeben  werden.  Und  dies 
geschieht  durch  das  SC.  Pegasianum,  welches  die  lex 
Falcidia  auf  die  Fideikommisse  ausdehnt. 

Es  ist  also  eine  Bewegung,  von  der  innersten  Not- 
wendigkeit und  von  der  eigensten  Dialektik  des  spekula- 
tiven Begriffes  hervorgebracht,  welche  uns  Gajus  II, 
§  254  in  den  einfachen  Worten  schildert :  ,,Sed  rursus 
quia  heredes  scripti  cum  aut  totam  hereditatem  aut  paene 
totam  plerumque  restituere  rogabantur,  adire  hereditatem 
ob  nullum  aut  minimum  lucrum  recusabant,  atque  ob  id 
extinguebantur  fideicommissa-"-),  Pegaso  et  Pusione  consu- 
libus  senatus  censuit  ut  ei  qui  rogatus  esset  hereditatem 
restituere,  perinde  liceret  quartam  partem  retinere  atque 
e  lege  Falcidia  in  legatis  retinetidi  jus.  conceditur,  . . .  ille 
autem  qui  ex  fideicommisso  reliquam  partem  hereditas 
recipit,  legatarii  partiarli  loco  est,  id  est  ejus  legatarii 
cui  pars  bonorum  legatur,  quae  species  legati  partitio  vo- 
catur,   quia  cum  berede  legatarius  partitur  hereditatem." 

Allein  hier  tritt  nun  sofort  eine  weitere  begriffliche 
Folgerung  hervor. 

Ist  der  Fiduziar  jetzt  mit  einem  realen  Anteil  an  der 
Hinterlassenschaft  befaßt,  so  ist  zu  der  Billigkeit  des 
vorher    betrachteten    SC.  Trebellianum   nun    gar    keine 

•^)  Man  sieht,  es  ist  immer  dasselbe  Moment  der  Rei- 
bung, das  Ausschlagen  des  Erben,  der  Kampf  der  beiden 
Wiilenssubjektivitäten,  welcher  die  Institute  des  Erbrechtes  zur 
Bewegung   zwingt ;   s.   Nr.  VII. 

175 


innere  Veranlassung  mehr.  Denn  diese  wurzelte 
doch  nur  darin,  daß  der  Erbe,  obwohl  er  es  als  solcher 
muß,  nicht  die  Schulden  der  Erbschaft  tragen  soll,  wenn 
er  doch  trotz  seines  Erbcharakters  nichts  aus  derselben 
empfängt.  Jetzt  empfängt  er  aber  nicht  nur,  sondern 
dies  Empfangen  durch  das  SC.  Pegasianum  ist  auch  nichts 
anderes  als  das  Durchschlagen  seines  alten  Erb- 
begriffes innerhalb  der  neuen  Anschauung,  daß  der 
Erbe  auch  Vermögen  erhalten  müsse.  Wird  aber  dieser 
Erbbegriff  durch  die  Anwendung  des  SC.  Pegasianum 
als  durchschlagend  gesetzt,  so  muß  er  auch  in  den 
Passivis  wieder  durchschlagen.  Hieraus  fließen  also  so- 
fort wieder  zwei   Folgesätze: 

1 .  d  a  s  SC.  Pegasianum  und  das  SC.  Trebellianum 
schließen  sich  gegenseitig  aus,  so  daß  wo 
das  eine  zur  Anwendung  kommt,  das  andere 
nicht  zur  Anwendung  kommen  kann,  und 

2.  der  Fiduziarerbe,  der  auf  Grund  dieses  SC.  Pe- 
gasianum den  vierten  Teil  zurückbehält,  muß  nun 
wieder  für  alle  Schulden  der  Erbschaft  ein- 
stehen-*^). 

Der  zweite  Satz,  der  nur  wieder  ein  Folgesatz  des 
weiter  gehenden  ersten  ist  —  welchen  wir  auch  in  diesem 
weiteren  Umfang  sehr  bald  vollständig  nachweisen  wer- 
den — ,  wird  uns  von  Gajus  ganz  positiv  bekundet,  indem 


•^)  Hierin  also,  weil  das  SC.  Pegasianum  gerade  die  An- 
wendung und  das  Gesetztsein  des  alten  ziviHstischen  Erb- 
begriffes und  das  Vorwiegen  desselben  über  die  Billig- 
keit zugunsten  des  Fiduziars  enthält  (denn  nach  der  Billig- 
keit soll  der  Fiduziar  nichts  bekommen  und  bloß  ohne 
Schaden  ausgehen),  liegt  der  Grund,  daß  hierdurch  die  bloße 
BilHgkeit  des  SC.  Trebellianum,  auch  wo  sie  zugunsten 
des  Fiduziar  ist,  durch  das  SC.  Pegasianum  ausgeschlossen 

176 


er  a.  a.  O.  fortfährt :    ,,per  qiiod  senatusconsultum  (SC. 
Pegasianum)  heres  ipse  onera  heredltaria  sustinet" 

Dadurch  kann  nun  aber  der  Fiduziar  wieder  viel 
schlimmer  stehen,  als  er  vorher  stand,  denn  während  er 
ein  Viertel  abgezogen,  kann  er  wieder  für  einen  weit 
größeren  Schuldenbetrag  aktioniert  werden.  Da  er  sich 
weder  durch  das  SC.  Trebellianum  decken  kann,  welches 
er  durch  die  Anwendung  des  SC.  Pegasianum  aus- 
geschlossen, noch  auch  wie  früher  einen  fingierten  Erb- 
schaftsverkauf vornehmen  kann  (s.  oben  S.  169),  —  denn 
er  kann  jetzt  nicht  einmal  fingieren,  die  Erbschaft  zu 
überlassen,  da  er  vielmehr  ja  als  teilnehmender  Erbe 
in  der  realsten  Beziehung  zu  derselben  bleibt  — ,  so  bleibt 
ihm  jetzt  nichts  übrig,  als  ganz  konsequent  mit  dem  Fidei- 
kommissar,  den  er  ohnehin  in  einen  legatarius  partiarius 
verwandelt  hat,  die  Stipulation  vorzunehmen,  durch  welche 
sich  der  Erbe  dem  legatarius  partiarius  gegenüber  (und 
umgekehrt)  zu  decken  pflegt,  die  Stipulation  ratierlicher 
Verteilung  der  sich  ergebenden  Passiva  und  Aktiva  der 
Erbschaft.  Darum  fährt  Gajus  also  fort:  ,,Unde  effec- 
tum  est  ut  quae  solent  stipulationes  inter  heredem  et  par- 
tiarium  legatarium  interponi,  eaedem  interponantur  inter 
eum  qui  ex  fideicommissi  causa  recipit  hereditatem  et 
heredem,  id  est  ut  le  lucrum  et  damnum  hereditarium  pro 
rata  parte  inter  eos  commune  sit." 


sein  muß,  nicht  aber  darin,  daß,  wie  Gans,  II.  224,  ganz 
irrig  sagt,  der  Fiduziar  hierdurch  „eine  feindliche  Rich- 
tung gegen  den  Fideikommlssar  genommen,  so  daß  ein  Neben- 
einanderbestehen beider  in  der  Erbschaft,  wie  das  SC. 
Trebellianum  wolle,  nicht  mehr  gedacht  werden  könne."  Viel- 
mehr wird  ja  gerade  erst  durch  das  SC.  Pegasianum  das 
Nebeneinanderbestehen  beider  in  der  Erbschaft,  die  Tei- 
lung derselben  zwischen  ihnen,  hervorgebracht. 

12   LjsdaUe.    G«.  SctrifteD,    Band  XI.  177 


Es  sind  nun  aber  hierbei  mehrere  Fälle  möglich.  Ga- 
jus-^)  fährt  zunächst  also  fort:  „Ergo  si  quidem  non  plus 
quam  dodrantem  hereditatis  scriptus  heres  rogatus  sit  re- 
stituere,  tum  ex  Trebelliano  senatusconsulto  restituitur  here- 
ditas  et  in  utrumque  actiones  hereditariae  pro  rata  parte 
dantur,  in  heredem  quidem  jure  civili,  in  eum  vero,  qui 
recipit  hereditatem,  ex  senatusconsulto  Trebelliano."  Wenn 
also  der  Fiduziar  um  nicht  mehr  als  drei  Viertel  der 
Erbschaft  beschwert  ist,  so  tritt  dennoch  der  Schutz  des 
Trebel lianischen  Senatuskonsultum  für  ihn  ein,  und  dies 
könnte,  da  der  Fiduziar  ja  jetzt  ein  Viertel  behält,  dem 
zu  widersprechen  scheinen,  was  wir  soeben  hierüber  ge- 
sagt haben,  bestätigt  es  aber  nur  vielmehr. 

Denn  nicht  durch  das  bloße  Faktum,  daß  der  Fiduziar 
ein  Viertel  der  Erbschaft  für  sich  erhalten,  wird  das  SC. 
Trebellianum  ausgeschlossen.  Sondern  die  Billigkeit 
dieses  Senatuskonsults,  in  welchem  der  Fiduziar  schon 
gar  nicht  mehr  als  Erbe  behandelt  wird,  ist  nur 
dann  ausgeschlossen,  wenn  durch  Anrufung  und  An- 
wendung des  SC.  Pegasianum  gerade  die  formelle 
Gewalt  des  zivilistischen  Erbbegriffes  seiner- 
seits als  das  herrschende,  und  gegen  den  Willen 
des  Testators  als  das  diesen  beugende,  die  Billig- 
keit somit  ausschließende  Moment  gesetzt  wird.  Hat 
daher  der  Fiduziar  durch  den  eigenen  Willen  des 
Testators  ein  Viertel  erhalten,  wie  Gajus  voraussetzt  (si 
non  plus  —  rogatus  sit  restituere),  so  ist  die  Billigkeit 
des  Trebellianischen  Senatuskonsults  durch  nichts  ausge- 
schlossen und  muß  daher  dem  Fiduziar  zu  Hilfe  kommen, 
wenn  er  trotz  des  erhaltenen  Viertels  in  die  durch  dieses 
Senatuskonsult    zu    verhütende    unbillige    Lage     geraten 


1)  Comm..  II.  255. 
178 


sollte^).  Obgleich  also  das  SC.  Trebellianum  eigentlich 
nur  den  Fall  vor  Augen  hat,  daß  der  Fiduziar  alles  ab- 
geben soll,  so  wird  es  hier  mit  dem  vollsten  spekulativen 
Rechte  analog  angewendet,  und  obwohl  der  vom  Erb- 
lasser mit  einem  Teil  bedachte  Fiduziar  immer  auch  für 
den  von  ihm  restituierten  Teil,  und  nach  der  Restitution, 
Erbe  bleibt,  wie  Gajus  mit  Recht  hervorhebt,  und  da- 
her die  Aktionen  ganz  für  und  gegen  ihn  laufen  (quam- 
quam  heres  etiam  pro  ea  parte,  quam  restituit,  heres  per- 
manet,  eique  et  in  eum  soiidae  actiones  competunt),  so 
werden  doch  jetzt  beiden  und  gegen  beide,  Fiduziar  und 
Fideikommissar,  die  Aktionen  pro  rata  erteilt,  in  bezug 
auf  ersteren  aus  dem  zivilen  Erbrecht,  in  bezug  auf  letz- 
teren aus  dem  SC.  Trebellianum,  so  daß  für  und  gegen 
den  Fiduziar  die  Aktionen  nur  so  weit  laufen,  als  sein 
Anteil  aus  der  Erbschaft  beträgt.  ,,Sed  non  ulterius  one- 
ratur,  nee  ulterius  illi  dantur  actiones,  quam  apud  eum 
commodum  hereditatis  remanet^)." 

Wenn  also  der  Fiduziar  vom  Erblasser  selbst  nicht  über 
das  Viertel  beschwert  ist,  so  tritt  das  SC.  Trebellianum 
ein.  Wenn  er  dagegen  über  das  Viertel  beschwert  ist,  so 
liegt  der  Fall  vor,  das  SC.  Pegasianum  anzuwenden.  Aber 
hier  können  nun  zwei  Fälle  eintreten.  Der  Fiduziar  wen- 
det das  SC.  Pegasianum  an  und  zieht  sich  die  Quart  aus 
demselben  ab,  oder  er  wendet  es  nicht  an  und  gibt  frei- 


^)  Darum  also,  nicht  weil  hier,  \vie  Gans,  II,  224  sagt, 
„das  friedliche  Verhältnis  zwischen  Erben  iind  Fideikommissar 
nicht  als  gestört  zu  betrachten  sei,"  tritt  hier  das  SC.  Tre- 
bellianum wieder  in  Kraft. 

-)  D.  h.  für  den  Mehrbetrag  wird  er  jetzt  utilis  exceptio 
erhalten;  siehe  L.  21  de  praescr.  verb.  (19,  5).  Quotiens  de- 
iicit  actio  vel  exceptio,  utilis   actio  vel  exceptio  danda  est. 

12*  17Q 


willig  die  ganze  Erbschaft  heraus.  In  beiden  Fällen  fallen 
ihm  natürlich  zunächst  als  zivilistischem  Erben  die  ge- 
samten Schulden  anheim  (,,sive  retinuerit .  .  .  sive  noluit 
retinere,  ipse  universa  onera  hereditaria  sustinet",  sagt 
Gajus^),  und  es  fragt  sich  eben,  wie  er  sich  hiergegen 
deckt,  und  hierin  erst  wird  sich  der  Unterschied  der 
Fälle  herausstellen  können. 

Im  ersten  Fall,  wenn  der  Fiduziar  die  Quart  aus  dem 
Pegasianum  abzieht,  hat  er  durch  die  Anwendung  des- 
selben das  SC.  Trebellianum  ausgeschlossen  und  kann  sich 
daher,  da  er  den  Fideikommissar  in  einen  legatarius  par- 
tiarius  verwandelt  hat,  nur  durch  die  Stipulationen  partis 
et  pro  parte  decken.  Dies  ist  es,  was  wir  bereits  oben 
gesehen  haben,  und  es  ist  nur  eine  Widerholung  des- 
selben, wenn  Gajus  fortfährt:  ,.sed  quarta  quidem  retenta 
quasi  partis  et  pro  parte  stipulationes  interponi  debent 
tanquam   inter   partiarium   legatarium  et   heredem". 

Allein  wenn  der  Fiduziar  die  Quart  nicht  abzieht  und 
also  das  Pegasianum  nicht  anwendet,  sondern  alles 
freiwillig  herausgibt,  so  scheint  es  zunächst  nach  dem 
früheren,  als  müßte  hier  das  SC.  Trebellianum  wieder 
eintreten  und  ihn  decken.  Nichtsdestoweniger  fährt  Gajus 
fort:  ,,si  vero  totam  hereditatem  restituerit,  ad  exemplum 
emptae  et  venditae  hereditatis  stipulationes  interponendae 
sunt".  Wenn  der  Fiduziar  also  freiwillig  alles  heraus- 
gibt, so  soll,  wie  in  der  älteren  Zeit  vor  dem  Trebellia- 
num (s.  oben  S.  169),  der  Scheinverkauf  der  Erbschaft 
wieder  zur  Deckung  vorgenommen  werden.  Warum  aber 
tritt,  was  auf  den  ersten  Blick  sehr  überraschen  muß,  das 
SC.  Trebellianum  hier  nicht  ein,  da  es  ja  durch  keine  An- 
wendung des  Pegasianum  ausgeschlossen  ist  ?   Diese  Frage 

'■)  Ib.,  §  257. 
180 


muß  in  voller  Bestimmtheit  aufgeworfen  werden^)  und 
ist  von  hohem  Interesse,  weil  sich  gerade  durch  sie  die 
Stellung  und  Bedeutung,  welche  wir  oben  dem  SC.  Trebel- 
lianum  in  dieser  historischen  Bewegung  gegeben  haben, 
vollständig  bewährt.  Das  SC.  Trebellianum  war  uns  das 
Moment  der  Billigkeit  gegenüber  dem  Walten  des 
streng  zivilistischen  Erbbegriffes  in  der  historischen 
Entwickelung  des  Fideikommisses.  Auf  die  Billigkeit 
Icann  sich  aber  nur  berufen,  wer  durch  die  formelle 
Härte  des  Rechtes,  durch  die  iniquitates  juris,  in  eine 
gefährdete  Lage  versetzt  wird.  Denn  dies  ist  eben  die 
Bedeutung  der  römischen  aequitas,  daß  sie  nur  dem  jus 
und  seiner  Strenge  gegenüber  als  Ausgleichung  dienen  soll. 

^)  Was  Gans  unterläßt,  welcher  II,  225,  den  Bericht  des 
Gajus  hierbei  dadurch  rechtfertigt,  daß  ,, diese  Freiwilligkeit 
der  Entsagung  auf  ein  Recht,  das  eigentlich  gegen  den  über- 
beschwerenden Erblasser  gerichtet  ist,  die  aus  der  Fideikom- 
missenlehre  verdrängte  Pietät  in  ihrer  völligen  Integrität  wie- 
der enthält."  Aber  in  diesem  Berufen  auf  die  Pietät  tritt  der 
Begriff  nicht  heraus.  Gerade  in  der  Unklarheit,  in  welcher 
sich  Gans  über  diese  Frage  blieb,  ist  der  Grund  der  falschen 
Bedeutung  zu  sehen,  welche  er  dem  SC.  Trebellianum  über- 
haupt gibt.  Gans  sieht  in  demselben  immer  nur  das  ,, Neben- 
einanderbestehen beider  in  der  Erbschaft"  (s.  oben  S.  170, 
Note  3;  S.  173,  Note  1.  und  S-  176,  Note  1),  während  dies 
nur  eine  analoge  Ausdehnung  dieses  Senatuskonsultes  ist  (s. 
S.  170,  Note  3),  welches  diesen  Fall  ursprünglich  nicht  oder 
doch  nicht  notwendig  vor  Augen  hat.  Wenn  wir  dagegen  dies 
SC.  als  das  Auftreten  des  Momentes  der  Billigkeit  gegen 
den  zivilistischen  Erbrechtsbegriff  in  der  Entwicklung  des  Fi- 
deikommisses fassen,  so  verweisen  wir,  außer  auf  das  hierüber 
bereits  Nachgewiesene  und  die  schon  oben  zitierten  Worte  des 
Senatuskonsultes:  aequissimum  est  etc.,  auf  den  bald  folgenden 
Fall  der  wieder  eintretenden  Geltung  dieses  SC.  (den  Fall 
des  erzwungenen  Erbschaftsantrittes),  welcher  unserer  Auf- 
fassung  desselben  die  glänzendste   Bestätigung   verleihen  wird. 

181 


Wer  dagegen  freiwillig  sich  in  diese  Lage  versetzt,  in- 
dem er  auf  die  ihm  vom  SC.  Pegasianum  angebotene  Ver- 
mögenserfüllung verzichtete,  der  kann  sich  nun  auch  den 
Passivis  gegenüber,  weil  er  jetzt  nicht  mehr  durch  die 
Rigorosität  des  jus,  sondern  durch  eigenen  Willen 
gefährdet  ist,  nicht  auf  die  Billigkeit  berufen,  sondern 
mag  sich  an  seinen  freien  Willen  halten.  —  Es  tritt  da- 
her das  dialektisch  höchst  interessante  Resultat  ein,  daß, 
seitdem  das  SC.  Pegasianum  da  ist,  und  wenn  der  Erbe 
vom  Erblasser  über  das  Viertel  beschwert  ist,  das  SC. 
Trebellianum  wie  durch  die  Anwendung  des  Pegasia- 
num, so  auch  durch  die  Nichtanwendung  desselben 
ausgeschlossen  sein  muß^). 

Näher  in  bezug  auf  den  Erbrechtsbegriff  betrachtet, 
begründet  sich  dieses  höchst  spekulative  Resultat  so :  das 
Trebellianum,  in  welchem,  wie  früher  schon  bemerkt,  der 
Fiduziarerbe  gar  nicht  mehr  als  Erbe  behandelt 
wird,  stellt  das  Vorwiegen  der  Billigkeit  über  den  strengen 
Erbrechtsbegriff  dar.  Das  SC.  Pegasianum  stellt  um- 
gekehrt (s.  S.  172 fg.)  das  Vorwiegen  und  die  —  zu- 
gunsten des  Fiduziar  ausschlagende  —  Herrschaft  des 
formellen  zivilistischen  Erbbegriffes,  und  zwar  in  der 
nfeuen  Auffassung  der  Erbschaft  als  einer  realen  Ver- 
mögenszuwendung, im  Fideikommisse  dar.  Der  Ver- 
zicht aber  des  überbeschwerten  Fiduziars  auf  das  SC. 
Pegasianum  stellt  nicht  weniger  ein  Setzen  des 
formell-zivilistischen  Erbbegriffes  als  des  Herrschenden 
und  Überwiegenden  dar,  nur  dieses  Erbbegriffes  gerade 
in  seiner  noch  strafferen  und  formelleren  alten  Anschau- 
ung als   des   vom   Vermögen   unabhängigen   abstrakten 

^)  Es  bleibt  daher  vorläufig  kein  anderer  Fall  der  An- 
wendung des  SC.  Trebellianum,  als  wenn  (s.  oben  S.  178) 
der   Erblasser   selbst  dem   Fiduziar  das  Viertel   gelassen  hat. 

182 


Willenserben.  Durch  die  Anwendung  des  Pegasia- 
num  hat  der  Fiduziar  die  Billigkeit  gegen  den  Te- 
stator, durch  die  Ausschlagung  des  Pegasianum  hat  er 
die  Billigkeit  gegen  sich  selbst  abgewiesen.  In  bei- 
den Fällen  ist  die  Billigkeit  also  negiert,  in  beiden 
der  Begriff  des  zivilistischen  Erben  im  Fiduziar 
als  das  im  fideikommissarischen  Verhältnis  herrschende 
und  bestimmende  Moment  gesetzt.  In  beiden  Fällen  kann 
daher  mit  dem  vollsten  Recht  des  spekulativen  Begriffes 
gleich  wenig  vom  SC.  Trebellianum  als  der  bloßen  Bil- 
ligkeit die  Rede  sein. 

Wir  sahen  daher,  daß  der  überbeschwerte  Fiduziar, 
der  freiwillig  das  Pegasianum  ausschlägt,  sich  nun  an 
seinen  eigenen  Willen  halten  mag,  wenn  ihm  nun  die 
onera  der  Erbschaft  zur  Last  fallen.  So  muß  er  sich  in 
der  Tat  durch  eine  Willenshandlung  dagegen  sichern,  und 
da  er,  der  nichts  aus  der  Erbschaft  behält,  deshalb  auch 
keine  Stipulationen  pro  parte  mit  dem  Fideikommissar 
qua  Legatar  machen  kann,  so  bleibt  ihm  notwendig  nichts 
übrig,  als  wieder  zu  der  ältesten,  ursprünglichsten  Form 
zurückzugreifen  und  den  Scheinverkauf  der  Erbschaft 
mit  dem  Fideikommissar  vorzunehmen^). 

Allein  wir  haben  oben,  wo  wir  diesen  Scheinverkauf 


^)  Es  zeigt  sich  also  hier  entscheidend,  daß  die  von  Gans 
gegebene  (II,  222)  Entwicklung  der  alten  Scheinverkäufe 
zum  SC.  Trebellianum,  eine  Entwicklung,  deren  bewegendes 
Moment  er  darin  sieht,  daß  die  Fidelkommisse  unter  Augustus 
erzwingbar  geworden  wären,  wodurch  ,,das  Verhältnis  des  Erben 
zu  dem  Fideikommissar  nichts  mehr  mit  dem  Erbschaftsverkauf 
gemein  hat,"  und  weshalb  diese  Verkäufe  nun  hätten  fortfallen 
müssen  (s.  dagegen  unsere  Darstellung,  S.  169  fg.),  nicht  die 
richtige  ist,  da  ja  hier  die  Scheinverkäufe  lange  nach  der 
Erzwingbarkeit  der  Fideikommisse  und  bei  Fortdauer  der- 
'^elben   wieder  hervortreten. 

183 


betrachteten  (S.  169),  gezeigt,  daß  der  Fiduziar  durch 
denselben  doch  nur  eine  Vertretung  gewinnt,  aber  durch- 
aus nicht  von  den  Erbschaftsklagen  selbst  befreit  und 
somit  auch  nicht  aller  Gefahr  los  wird. 

Wir  sagten  oben,  das  sei  vielmehr  der  Humor  davon, 
daß  der  Fiduziar  durch  den  Scheinverkauf  der  Erbschaft 
dennoch  den  Charakter  des  Erben  (und  also  die  Lasten) 
nicht  los  werden  kann.  Denn  durch  die  Überlassung 
der  Erbschaft  an  den  Fideikommissar  erfüllt  er  gerade 
den  Willen  des  Erblassers,  und  da  der  Begriff  des 
Erben  im  römischen  Geiste  nicht  an  die  Vermögens- 
erbschaft geknüpft  ist^),  sondern  eben  nur  darin  besteht, 
Willenskontinuator  des  Toten  zu  sein,  so  betätigt 
sich  eben,  weit  entfernt,  durch  diese  Überlassung  den 
Erbcharakter  abstreifen  zu  können,  der  Fiduziar  durch 
dieselbe  als  wahrer  römischer  Erbe.  Das  Zutreffende 
dieser  Dialektik  bestätigt  sich  jetzt  noch  einmal  in  wahr- 
haft glänzender  Weise,  und  noch  einmal  ergibt  sich  hier, 
fast  schon  am  Ende  der  fideikommissarischen  Entwicke- 
lung,  der  Begriff  der  subjektiven  Willensidentität 
als  das  alleinige,  das  römische  Erbrecht  beherrschende 
und  noch  bis  in  seine  letzten  Zeiten  fortreagierende  Mo- 
ment. 

Ein  Mittel  hat  nämlich  der  Fiduziarerbe  aller- 
dings, um  den  Charakter  des  Erben  und  mit  ihm 
die  onera  der  Erbschaft  abzustreifen. 

Durch  das  SC.  Pegasianum  wird  nämlich  zugleich  ver- 
fügt, daß,  wenn  sich  der  Fiduziar  weigert,  die  Erbschaft 
anzutreten,   er  vom   Fideikommissar   durch   Vermitte- 


^)  In  welchem  Falle  er  allerdings  mit  der  Überlassung 
der  Erbschaft  als  solcher  auch  den  Charakter  des  Erben  los 
werden  müßte. 

184 


lung  des  Prätor  dazu  angehalten  werden  kann^).  Wie 
seit  Augustus  zur  Restitution  der  Erbschaft,  kann  er 
jetzt  auch  zur  Antretung  derselben  gezwungen 
werden. 

Das  in  den  bisher  erörterten  Fällen  über  die  Aus- 
schließung des  SC. Trebellianum  durch  die  Anwendung 
wie  Nichtanwendung  des  SC.  Pegasianum  Gesagte 
gilt  nun  bloß  in  dem  Falle,  wenn  sich  der  Fiduziar  zum 
Erbschaftsantritt  nicht  erst  zwingen  läßt-). 

Läßt  sich  der  Fiduziar  aber  zwingen,  d.h.  legt  er 
also  an  den  Tag,  daß  er  in  keiner  Willensidentität 
mit  dem  Testator  sei,  daß  er  den  Willen  desselben 
nicht  fortsetzen  wolle,  so  hat  er  hierdurch  aller- 
dings entscheidend  den  Charakter  des  Erben 
abgestreift;  denn  dann  hat  er  eben  das  negiert,  worin 
nach  unserer  Darstellung  allein  der  Begriff  des  Erben 
besteht.  Dann  also  ist  er  gar  nicht  mehr  Erbe,  dann 
erst  ist  er  zur  bloßen  Schein-  und  Durchgangs- 
person geworden,  dann  verliert  er  hierdurch  einerseits 
mit  dem  Wesen  des  Erben  notwendig  das  Abzugs- 
recht  auf  die  Quart,  wie  andererseits  damit  auch  die 
Schulden  von  ihm  fortfallen,  welche  die  wieder  ein- 
tretende Billigkeit  des  SC.  Trebellianum  von  dem 
Nichterben,  zu  welchem  der  Fiduziar  hier  geworden, 
ausschließlich  auf  den  hinter  dem  Rücken  dieser  bloßen 


^)  Gajus,  II,  258:  „Sed  si  recuset  scriptus  heres  adire 
hereditatem  ob  id,  quod  dicat  eam  sibi  suspectam  esse  quasi 
damnosam,  cavetur  Pegasiano  senatusconsulto,  ut  desiderante 
eo  cui  restituere  rogatus  est,  jussu  praetoris  adeat  et  restituat." 

^)  Darum  sagt  Gajus  ausdrücklich  oben,  II,  257:  „Sed  is 
qui  semel  adierit  hereditatem,  5/  modo  siia  voluntate  adierit, 
sive  retinuerit  quartam  partem  sive  noluerit  retinere,  ipse  uni- 
versa  onera  hereditaria  sustinet  etc."  Wir  übergingen  dies  oben, 
well  hier  erst  dieser  Unterschied  klar  werden  kann. 

185 


Scheinperson  selbständig  agierenden  Fideikommissar  über- 
gehen läßt,  so  daß  der  Fiduziar  jetzt  keinerlei  Stipu- 
lationen mehr  nötig  hat,  um  sich  gegen  Schulden  zu  decken, 
die  ihn  nach  Abstreifung  des  Erbbegriffes  nicht  mehr  zu 
treffen  haben.  Und  so  wird  denn  alles  dies  in  der  bün- 
digsten Weise  bekundet  von  Gajus,  Comm,,  II,  §  258: 
,,Sed  si  recaset  scriptus  heres  adire  hereditatem . .  .  ca- 
vetur  Pegasiano  senatusconsulto,  ut  desiderante  eo,  cui 
restituere  rogatus  est,  jussu  Praetorio  adeat  et  re- 
stituat,  perindeque  ei  et  in  eum  qiii  receperit  adiones 
detitur,  ac  juris  est  ex  senatusconsulto  Trebelliano'^),  quo 
casu  nullis  stipulationibus  opus  est,  quia  simul  et  huic  qui 
restituit  securitas  datur  et  actiones  hereditariae  ei  et  in 
eum  transferuntur  qui  receperit  hereditatem." 

Jetzt  erst,  mit  dieser  Schlußbestimmung,  ist  das  SC. 
Pegasianum  als  Ganzes  in  seinem  Gedankengange  und  in 
seinem  [Verhältnis  zum  Trebellianum  wahrhaft  zu  ver- 
stehen. Das  SC.  Pegasianum  stellt  dem  Fiduziar  ein- 
fach die  Alternative,  ob  er  sich  als  zivilistischer 
Erbe,  oder  ob  er  sich  als  bloße  Scheinperson  be- 
trachten und  setzen  will. 

Will  er  seinen  zivilistischen  Erbbegriff  festhalten,  so 
soll  er,  weil  bereits  mit  der  lex  Falcidia  die  Anschauung 
triumphiert  hat,  daß  dem  Erben  auch  Vermögen  zuge- 
wendet werden  müsse,  sich  die  falcidische  Quart  gegen 
den  Willen  des  Testators  abziehen  können.  Aber  dann 
muß    er    auch    die   anderen    Folgen    des    \'on   ihm    fest- 


^)  Es  zeigt  sich  hier  also  von  neuem,  daß  der  Gedanke 
des  SC.  Trebellianum  durchaus  nicht,  wie  Gans  will,  auf  einem 
..Nebenein  anderbe  stehen  des  Erben  und  Fideikommissar 
in  der  Erbschaft,"  sondern  vielmehr  lediglich  auf  dem  Auf- 
treten der  Billigkeit  gegen  den  zivilistischen  Erbrechtsbegriff 
beruht. 

186 


gehaltenen  Erbbegriffes  tragen.  Sämtliche  Schulden  gehen 
auf  ihn  über,  die  frühere  Billigkeit  des  SC.  Trebellianum, 
welches  sich  gegen  die  Härte  des  formellen  Erbrechtes 
erhob,  kann,  weil  er  selbst  letzteres  Moment  für  sich  in 
Anspruch  genommen  und  sich  als  zivilistischen  Erben  zu 
setzen  vorgezogen  hat,  für  ihn  nicht  mehr  in  Betracht 
kommen,  und  er  mag  sich  daher  auf  eigene  Faust,  wenn 
auch  unvollkommen,  gegen  die  onera  decken. 

Will  dagegen  der  Fiduziar  nicht  den  zivilistischen  Erb- 
begriff  festhalten,  will  er  sich  als  bloße  Scheinperson 
betrachten,  so  muß  er  dies  setzen  durch  die  Nicht- 
identität  des  Willens  mit  dem  Testator ;  d.  h.  er  muß 
sich  weigern  und  sich  zwingen  lassen.  Hiermit  tritt 
dann  die  Billigkeit  für  diesen  sich  als  Nichterben  setzen- 
den Fiduziar  wieder  ein,  die  Schulden  gehen  aus  dem 
Trebellianum  sämtlich  von  ihm  über,  aber  er  hat  dann 
auch  kein  Recht  auf  den  Abzug  der  falcidischen,  erb- 
rechtlichen  Quart. 

Und  ebenso  ist  hier  ganz  klar  ersichtlich,  wie,  wenn 
der  Mittelfall  eintritt,  d.  h.  wenn  der  Fiduziar  freiwillig 
die  Erbschaft  antrat,  aber  auch  frei^villig,  ohne  den  ihm 
verstatteten  Abzug  zu  machen,  alles  herausgab,  das  SC, 
Trebellianum  nicht  zu  seiner  Entlastung  von  den  Schulden 
von  ihm  angerufen  werden  kann.  Denn  wenn  er  freiwillig 
antritt,  so  hat  er  immerhin  sich  damit  als  zivilistischen 
Erben  gesetzt  und  betätigt,  und  durch  die  freiwillige  Her- 
ausgabe des  ganzen  Vermögens  hat  er  dies  so  wenig  auf- 
gehoben, daß  er  dadurch  vielmehr  diesen  Erbbegriff  in 
seiner  ursprünglichsten  Form  und  abstraktesten 
Härte  gesetzt,  und  also  ebensosehr,  wie  durch  Ab- 
haltung der  Quart,  die  gegen  diesen  Erbbegriff  an- 
kämpfende Billigkeit  ausgeschlagen  hat ! 

Es  ist  daher  eine  tiefgehende  Bemerkung  von  Justinian, 

187 


wenn  er  gerade  in  dieser  Bestimmung  des  Pegasianum  über 
den  Antretungszwang,  aus  welcher,  wie  wir  sahen,  sein 
Geist  sich  erst  begreift,  den  Hauptinhalt  dieses  Se- 
natuskonsults  erblickt^):  ,,Sed  etiam  id,  quod  praecipuum 
Senatusconsulti  fuerat,  ut  quando  recusabat  heres  scriptus 
sibi  datam  hereditatem  adire,  necessitas  ei  imponeretur 
etc.2)." 

Wir  sind  aber  mit  der  Anführung  dieser  Institutionen- 
stelle zum  Schlußstein  in  der  Entwickelung  der  histori- 
schen Bewegung  des  Fideikommisses  gelangt. 

Die  Gestalt,  die  das  Fideikommiß  bei  Justinian  emp- 
fängt, entspricht  ganz  dem,  was  auch  sonst  die  allgemeine 
Umbildung  des  Rechtes,  die  unter  ihm  vorgeht,  kenn- 
zeichnet. 

Der  Kampf  des  zivilistischen  Erbrechtes  mit  der  Bil- 
ligkeit im  Fideikommiß  war  mit  dem  Pegasianum  zu  der 
Ausgleichung  gekommen,  daß  jeder  dieser  beiden  Stand- 
punkte zu  einem,  das  andere  ausschließenden, 
System  für  sich  entwickelt  ist  und  der  Fiduziar  zwi- 
schen beiden  Systemen  zu  wählen  hat.  Daher  die 
große  Anzahl  der  feinen,  begriffsmäßigen  und  sich  durch- 
kreuzenden Unterschiede.  Mit  Justinian  erliegt  der  zivili- 
stische Erbrechtsbegriff  gänzlich  der  bloßen  Billigkeit, 
welche  jetzt  allein  das  Feld  behauptet.  Daher  die  Ab- 
stumpfung und  das  Verschwinden  jener  Unterschiede  zu 
dem  gleichgültigsten  Einerlei,  welches  nur  Zeugnis  ablegt, 
daß  das  Erbrecht  um  seinen  Begriff  gekommen.  Ob  der 
Fiduziar  aus  dem  Willen  des  Testators  die  Quart,  oder 
mehr  oder  weniger,  oder  gar  nichts  hat,   —  er  soll  die 

^)  iWährend  Gajus  a.  a.  O.  uns  diese  Bestimmung  nur  ganz 
am  Ende,  und  ohne  irgend  welchen  besonderen  Ton  darauf  zu 
legen,  noch  anführt. 

^)  Inst.,  §  7  de  fideicomm.  hered.   (2.  23). 

188 


Quart  abziehen  können,  und  gleichwohl  sollen  stets  die 
Aktionen  aus  dem  SC.  Trebellianum  sowohl  gegen  ihn  als 
gegen  den  Fideikommissar  pro  rata  laufen.  Gibt  er  die 
gesamte  Erbschaft  heraus,  so  sollen,  auch  wenn  er  sie 
freiwillig  angetreten  hat,  die  Aktionen  aus  dem  Trebel- 
lianum nur  gegen  den  Fideikommissar  zustehen,  und  ganz 
ebenso  soll  es  natürlich  auch  dann  sein,  wenn  er  sie  nur 
gezwungen  antrat.  Stipulationen  sind  nun  in  keinem  Falle 
mehr  nötig,  denn  die  äußerliche  Billigkeit  hat,  alle  Ge- 
dankenunterschiede zertretend,  alles  auf  sich  selbst  ge- 
nommen, und  darum  wird  alles  auf  das  SC.  Trebellia- 
num als  auf  das  einzige  Gesetz  der  Sache  zurück- 
geführt. 

Die  in  dieser  Hinsicht  höchst  interessante  Institutionen - 
stelle  (§  7,  Inst.  2,  23)  lautet :  ,,Sed  quia  stlpulationes 
ex  Senatusconsulto  Pegasiano  descendentes  et  ipsi  anti- 
quitati  displicuerunt  et  quibusdam  casibus  captiosas  eas 
homo  excelsi  ingenii  Papinianus  appellat  et  nobis  in  legi- 
bus magis  simplicitas,  quam  difficultas  placet,  ideo  Omni- 
bus nobis  suggestis  tam  similitudinibus,  quam  differentiis 
utriusque  Senatusconsulti,  placuit  exploso  Senatusconsulto 
Pegasiano,  quod  postea  supervenit,  omnem  auctorltatem 
Trebelliano  Senatusconsulto  praestare  ut  ex  eo  fideicom- 
missariae  hereditates  restituantur ;  sive  habeat  heres  ex 
voluntate  testatoris  quartam,  sive  plus,  sive  minus,  sive 
penitus  nihil,  ut  tunc  quando  vel  nihil  vel  minus  quarta 
apud  eum  remanet,  liceat  ei  vel  quartam  vel  quod  deest, 
ex  nostra  auctoritate  retinere,  vel  repetere  solutum  quasi 
ex  Trebelliano  Senatusconsulto,  pro  rata  portione,  actio- 
nibus  tam  in  heredem  quam  in  fideicommissarium  com- 
petentibus.  Si  vero  totam  hereditatem  sponte  restituerit, 
omnes  hereditariae  actiones  fideicommissario  et  adversus 
eum  competunt.    Sed  etiam  id  quod  praecipuum  Senatus- 

189 


consulti  fuerat,  ut  quando  recusabat  heres  scriptus  sibi 
datam  hereditatem  adire,  necessitas  ei  imponeretur  totam 
hereditatem  volenti  fideicomnussario  restituere,  et  omnes 
ad  eum  et  contra  eum  transire  actiones,  et  hoc  transponl- 
mus  ad  Senatusconsultum  TrebelUanum,  ut  ex  hoc  solo  et 
necessitas  heredl  imponatur  si,  ipso  nolente  adire,  fidei- 
commissarius  desiderat  restitui  sibi  hereditatem,  nullo  nee 
danino  nee  commodo  apud  heredem  remanente." 

Es  ist  höchst  eigentümlich  und  charakteristisch,  wie 
Justinian  in  den  kursiv  gedruckten  Worten  nicht  nur  ver- 
ordnet, was  er  verordnet,  sondern  auch  noch  dies  ver- 
ordnet, daß  alle  Verfügungen,  die  er  aus  dem  Pegasianum 
herübernimmt,  auf  das  Trebellianum  übertragen  und  als 
aus  dessen  Autorität  herfließend  angesehen  werden 
sollen,  obgleich  er  doch  in  seiner  eigenen  Darstellung  kein 
Hehl  daraus  macht,  daß  das  Trebellianum  diese  Ver- 
fügungen durchaus  nicht  enthalte.  Woher  kommt  dieser 
bizarre  Geschmack,  zu  dekretieren,  und  zwar  nicht  in 
Interpretationsweise,  daß  ein  Gesetz  zu  enthalten  scheinen 
solle,  was  es  eingestandenermaßen  nicht  enthalte  ?  Be- 
reits Gans  hebt  diesen  Umstand  als  sehr  bezeichnend  her- 
vor. Aber  bei  ihm  steht  diese  Bemerkung  noch  in  der 
Luft,  weil  er  das  Trebellianum  irrtümlich  als  das  Neben- 
einanderbestehen von  Erben  und  Fideikommissar  in  der 
Erbschaft  auffaßt,  und  es  wird  daher  das  Innere  dieses 
bezeichnenden  Umstandes  nicht  klar^).    Bei  uns  verleiht 


^)  Gans  sagt  hierüber  (II,  226  fg.) :  „Die  feinen  begriffs- 
mäßigen Unterscheidungen  also,  ob  der  Erbe  überbeschwert 
sei  oder  nicht,  ob  er  abziehen  wolle  oder  nicht,  sind  in  dieser 
äußerlichen  Einheit  verschwunden.  Daher  (?)  ist  es  sogar 
konsequent,  daß  Justinian  auch  die  verschiedenen  Namen 
der  Senatskonsuite  nicht  mehr  existieren  lassen  will  und  alles 
mit  dem  Namen  des  Trebellianischen  Senatuskonsultes  belegt.'" 

190 


derselbe  unserer  Auffassung  des  Trebellianum  eine  neue 
Bestätigung  und  wirft  andererseits  ein  helles  Licht  auf 
die  Art  von  Bewußtheit,  die  bei  der  Justinianeischen 
Rechtsumbildung  stattfindet.  Da  wir  nämlich  das  Trebel- 
lianum als  die  sich  gegen  den  zivilistischen  Erbbegriff  er- 
hebende Billigkeit  nachge\viesen  haben,  so  ist  es  jetzt 
in  seiner  ganzen  inwendigen  Konsequenz  einleuchtend, 
warum  Justinian,  bei  welchem  der  zivilistische  Erbbegriff 
ganz  und  gar  unter  den  Anforderungen  der  Billigkeit  er- 
legen ist,  diese  Bedeutung  des  Trebellianum  fühlend,  alle 
seine  eigenen  Anordnungen  auf  dieses  Senatuskonsult  über- 
trägt. 

Es  ist  endlich  noch  erforderlich,  einen  Gegensatz  her- 
vorzuheben, welcher  die  Geschichte  des  Fideikommisses 
in  zwei  Hälften  teilt. 

Es  ist  bereits  erwähnt  worden,  daß  bis  auf  die  Zeit 
des  Augustus  die  Restitution  des  Vermögens  seitens  des 
Fiduziarerben  etwas  Freiwilliges  und  völlig  Unerzwing- 
bares  istO-    Erst  Augustus  befahl  in  einigen  besonderen 

Nein,  daher,  weil  Justinian  die  feinen  begriffsmäßigen  Un- 
terscheidungen aufhebt,  ist  noch  nicht  abzusehen,  warum  er 
diese  seine  aufhebenden  Anordnungen  auf  alte  Senatskonsuite 
fiktive  zurückträgt,  statt  sie  als  seine  eigenen  Verordnungen 
stehen  zu  lassen;  und  ebensowenig  warum,  wenn  er  dies  schon 
tun  will,  er  sich  gerade  das  Trebellianum  und  nicht  das  Pe- 
gasianum  dazu  aussucht.  Und  endlich  bedarf  selbst  die  Aus- 
löschung der  „feinen  begriffsmäßigen  Unterscheidungen,"  die 
bei  Justinian  vor  sicii  geht,  einer  letzten  Erklärung  ihres  Woher  ?, 
eine  Erklärung,  die  eben  nur  in  der  Verdrängung  des  zivili- 
stischen Erbbegriffes,  in  welchem  allein  jene  begriff- 
lichen Unterschiede  wurzeln,  durch  die  bloße  Billigkeit  zu 
sehen  ist. 

■^)  Inst.,  §  1  de  fideic.  her.  (2,  23) :  ,,Sciendum  itaque  est, 
omnia  fideicommissa  primis  temporibus  infirma  esse,  quia  nemo 
invitus   cogebatur  praestare  id,   de   quo  rogatus   erat   etc." 

191 


Fällen  den  Konsuln,  gegen  den  treulosen  Fiduziar  zu 
intervenieren,  und  dies  war  so  populär,  daß  es  sehr  bald 
zum  festen  Rechte  ward.  ,,Postea  primus  divus  Augustus, 
semel  iterumque  gratia  personarum  motus,  vel  quia  per 
ipsius  salutem  rogatus  quis  diceretur,  aut  ob  insignem 
quorundam  perfidiam,  jussit  consulibus  auctoritatem  suam 
interponere.  Quod  quia  justum  videbatur  et  populäre  erat, 
paulatim  conversus  est  in  assiduam  jurisdictionem^).'  — 
Es  fragt  sich  nun,  wie  verhält  sich  diese  Veränderung  zu 
dem  Erbbegriff,  den  wir  als  den  waltenden  und  tätigen 
Faktor  dieser  ganzen  Sphäre  entwickelt  haben,  und  welche 
innere  Modifikation  wird  dadurch  im  Wesen  des  fidei- 
kommissarischen  Institutes  hervorgebracht  ?  Abstrakt  ge- 
nommen, könnte  man  ebensogut  sagen,  jener  Erbbegriff, 
welcher  den  Erben  als  feinen  Willenskontinuator  ohne  Ver- 
mögenszuwendung —  oder  mindestens  ohne  notwendige 
Vermögenszuwendung  —  setzt,  finde  eine  stärkere  Be- 
tätigung darin,  daß  der  Fiduziar  sogar  rechtlich  zur  Ver- 
mögensherausgabe gezwungen  werden  kann,  als  auch: 
seine  Blüte  bestehe  gerade  darin,  daß  die  bloße  Sitte, 
das  Walten  dieser  Anschauung  im  Volksgeiste,  diese  Her- 
ausgabe sichert  ohne  rechtlichen  Zwang,  dessen  Eintreten 
daher  schon  den  Verfall  jener  Anschauung  betätige. 

Solche  Reflexionen  sind  also  überhaupt  nicht  geeignet, 
das  Wesen  der  Sache  zu  bestimmen.  Hierzu  muß  viel- 
mehr der  Begriff  des  Fideikommisses  und  das  Verhältnis 
des  Fiduziars  zum  nicht-fidelkommissarischen  Erben  noch 
näher  bestimmt  werden. 

Der  Begriff  des  Erben  besteht  nach  uns  darin, 
Willenserbe,  Willenserhalter  zu  sein.  Diese 
Willensidentität   zeigt  sich  aber  nun  konsequenterweise 

')  Inst..  1.  c. 
192 


nicht  darin,  daß  der  Testator  dem  Erben  ein  Haben  zu- 
wendet, sondern  vorzüglich  darin,  daß  er  ihn,  den  Erben, 
nach  seinem  Willen  handeln  läßt  und  hierdurch  die 
Fortdauer  seines  Willens  nach  und  trotz  seinem  Tode 
erweist.  Und  gerade,  sagten  wir  oben  (S.  101,  110 fg.),  je 
mehr  die  Handlungen,  die  dem  Erben  aufgegeben  werden, 
gegen  dessen  eigenes  Interesse  gehen,  wie  die  Er- 
schöpfung des  ganzen  Vermögens  durch  Legate,  desto 
mehr  erweist  sich  hierin  der  Triumph  und  die  Fortdauer 
des  erblasserischen  Willens.  Der  Fiduziar,  welchem  der 
Erblasser  ein  solches  Tun  aufgibt^),  steht  darin  ganz 
und  gar  in  Übereinstimmung  mit  dem  Begriff  des  echten 
Erben,  und  ist  darum  ein  solcher.  Daß  ihm  auferlegt 
wird,  alles  abzugeben,  verletzt  sein  materielles  Recht 
nicht,  da  es  auch  bei  der  nicht-fideikommissarischen 
Erbschaft  der  Fall  sein  kann.  Ein  Unterschied  aber  ist 
allerdings  vorhanden.  Der  Erbe  bei  der  nicht-fideikom- 
missarischen Erbschaft  gibt  das  gesamte  Vermögen  nur 
in  der  Form  von  lauter  einzelnen  Gegenständen 
ab,  über  welche  verfügt  worden  ist,  und  die,  in  dieser 
Vereinzelung  genommen,  gar  keine  andere  Beziehung  zum 
Erblasser  haben,  als  einzelne  der  Herrschaft  seines  Wil- 
lens unterworfene  Objekte  zu  sein,  ja  für  welche  nicht 
einmal  diese  schon  vorhandene  Beziehung  zum  Erblasser 
notwendig  und  somit  auch  nicht,  wenn  sie  auch  da  ist, 
charakteristisch  ist,  denn  er  kann  ebenso  gut  über  eine 
seinem  Willen  nicht  unterworfene  fremde  Sache  ver- 
fügen (Legatum  rei  alienae).  Was  also  durch  Legate 
abgegeben  wird,  sind  schlechterdings  nur  Gegenstände 
als  solche.  Anders  beim  Fiduziar.  Er  soll  nicht  das 
in    seine    einzelne   Gegenständlichkeit    aufgelöste 

^)  Vgl.   Inst.  pr.  de  codic.   (2,  25)  .  .  .  qulbus  ab  Augusto 
petiit  per  fideicommissum,   ut  faceret  aliquid. 

13  Li,sall<.  Gsä.  Sctriften.  Band  XI  193 


Vermögen,  sondern  das  Vermögen  als  Ganzes,  die  here- 
ditas,  herausgeben.  Werden  aber  die  Vermögensgegenstände 
so  in  ihre  einfache  Totalität  zusammengefaßt,  als 
das  Vermögen  des  Erblassers,  so  erlangen  sie 
durch  diese  einfache  Einheit,  in  der  sie  gesetzt  werden, 
einen  Widerschein  von  Subjektivität  und  einen  Re- 
flex der  Willenspersönlichkeit  des  Erblassers,  die 
ihnen  früher  fehlte.  Sie  werden  zwar  hierdurch  noch  nicht 
(s.  oben  S.  46)  zur  Grenze  und  zum  Inhalt  dieses 
Willens,  aber  sie  werden  jetzt  zur  „vermögensrecht- 
lichen Persönlichkeit"  des  Erblassers,  und  so  wenig 
diese,  in  welcher  man  bisher  irrig  den  Begriff  des  Erb- 
rechtes gesehen  hat,  mit  der  Willenspersönlichkeit 
zusammenfällt,  und  so  wenig  letztere  in  sie  aufgeht,  so  ist 
sie  doch  das  Abbild,  der  Widerschein  und  das 
unmittelbare  Dasein  dieser  Willenspersönlichkeit  in 
der  Sphäre  des  Vermögens.  Die  Vermögensgegen- 
stände, statt  in  ihrer  gegenständlichen  Form  als  das  Ganze 
des  Erblassers  gesetzt,  sind  der  Leib  und  die  unmittel- 
bare Realität  seiner  Willenssubjektivität.  Die  Zu- 
mutung an  den  Erben,  alles  abzugeben,  in  dieser  Form 
(der  einfachen  Totalität)  ausgesprochen,  enthält  also  aller- 
dings eine  formelle  Verletzung  seines  Rechtes,  denn  er 
soll  die  Realität  jener  Willenssubjektivität  als  solche 
abgeben  und  soll  doch  selbst  die  fortdauernde  Realität 
derselben  sein.  —  Weil  die  Zumutung  das  materielle 
Recht  des  Erben  nicht  verletzt,  kann  sie  überhaupt  in  der 
Sitte  um  sich  greifen ;  sie  kann  —  was  nur  hierdurch  er- 
klärlich ist  —  bei  den  Erblassern  gebräuchlich  werden 
und  auf  ihre  Erfüllung  durch  den  Erben  rechnen.  Weil 
aber  die  Zumutung  das  formelle  Recht  des  Erben  ver- 
letzt, kann  sie  nicht  peremtorisch  und  mit  Rechts- 
zwang, sondern  nur  bitt weise  gestellt  werden  und  muß 

1Q4 


sich  der  Formeln:  peto,  rogo,  volo,  fideicoramitto^)  be- 
dienen. 

Wenn  also  seit  Augustus  die  fideikommissarisclie  Resti- 
tution erzwingbar  wird,  so  ist  hierin  ein  Doppeltes  gegeben. 

Zunächst  liegt  darin  ein  Sieg  jenes  alten  materiellen 
Rechtes  des  Erblassers  über  das  formelle  Recht  vor. 
Jene  alte  Anschauung  von  der  Spaltung  des  Erben  als 
Willenserben  und  des  Vermögensnehmers,  im  eigent- 
lichen Erbrecht  ungefähr  gleichzeitig  durch  die  lex 
Falcidia  besiegt  und  geschlagen,  rettet  sich  in  die  Sphäre 
der  fideikommissarischen  formlosen  Freiheit  und  Frei- 
willigkeit als  in  ihren  letzten  Zufluchtsort  und  gibt  sich 
—  ein  spekulativer  Gegensatz  vom  höchsten  Interesse  — 
nun  gerade  in  dieser  Sphäre  der  Freiwilligkeit  er- 
zwingbares  Dasein-). 

Und  in  hohem  Grade  sind  interessant  die  Worte,  mit 
v.elchen  uns  die  Institutionen  die  Entstehung  dieser 
Zwangsrestitution  berichten.  Nachdem  Augustus  in  einigen 
Ausnahmsfällen  eingeschritten  sei,  so  sei  dies  ,,quia  ju- 
stum  et  populäre  erat"  zur  dauernden  Jurisdiktion  ge- 
worden. So  populär  war  also  —  das  gewöhnliche  Ge- 
rede von  der  Pietät  ohne  weiteren  substantiellen  Inhalt 
reicht  durchaus  nicht  aus,  dies  zu  erklären ;  denn  Pietät 
hat  man  zu  allen  Zeiten  gehabt,  und  doch,  von  welcher 
anderen  Nation  und  Zeit,  als  der  römischen,  würde  man 


^)  Gajus,  Comin.,  II,  §  249.  Darum  sagt  Ulpian,  Fragm. 
XXV,  1 :  ..Fideicommissum  est,  quod  non  civilibus  verbis,  sed 
precative  relinquitur,  nee  ex  Hgore  juris  civilis,  sed  ex  voluntate 
dalur  relinquentis."  Der  Gegensatz  „ex  voluntate  relinquentis," 
der  befremden  kann,  da  Ja  alle  testamentarische  Verfügung 
aus  dem  Willen  des  Verstorbenen  stammt,  zu  der  Sti'enge  des 
Erbbegriffes,  der  er  formell  widerspricht,  ist  so  erst 
ganz   verständKch. 

^)   Siehe  hierüber   oben   S.  137  fg. 

13*  195 


dies  sagen  können?  —  so  populär  und  hartnäckig  war 
also  noch  damals  jene  uralte  römische  Anschauung  von 
der  gänzlichen  Trennung  zwischen  Erben  und  Vermögens- 
erwerb, daß,  nachdem  dieselbe  eben  im  formellen  Erb- 
recht durch  die  lex  Falcidia  besiegt,  respektive  auf  eine 
quantitative  Grenze  eingeschränkt  worden  war,  es  bloß 
einiger  willkürlicher  Präzedenzfälle  bedurfte,  um  sie,  ob- 
wohl damals  das  SC.  Trebellianum  noch  nicht  bestand 
und  der  Fiduziar  also  durch  die  Schulden  der  Erbschaft 
noch  ruiniert  werden  konnte,  sofort  und  ohne  eigentliches 
Gesetz,  durch  ihren  bloßen,  dem  Volksgeist  ent- 
sprechenden Charakter  (populäre),  im  Reiche  fidei- 
kommissarischer  Freiheit,  welches  hierdurch  seinen  ganzen 
Charakter  formloser  Freiwilligkeit  verliert,  sich 
em  erzwingbares  Dasein  geben  zu  sehen.  Aber  in 
diesem  letzten  Siege  jener  alten  Anschauung  liegt  auch 
bereits  wegen  jener  Verletzung  der  Form  der  dialektische 
Keim  zu  ihrem  letzten  Untergange. 

Denn  indem  jetzt  das  Ganze  des  persönlichen  Ver- 
mögens, die  hereditas,  zu  einem  erzwingbar-abgeb- 
lichen  geworden  ist,  wird  sie  andererseits  wie  ein  Le- 
gat behandelt,  und  es  hat  sich  also  gerade  dadurch  die 
Identität  von  hereditas  und  Vermögenszuwendung  (Le- 
gat) auch  im  Fideikommiß  hervorgetan.  Ist  aber  erst 
diese  Identität  zwischen  hereditas  und  Vermögenszuwen- 
dung auch  im  Fideikommiß  zum  Vorschein  gekommen, 
so  muß  somit  auch  der  Fiduziarerbe  als  Vermögens- 
erbe behandelt  werden,  und  es  liegt  also  gerade  in  dieser 
gänzlichen  Rechtlosigkeit  des  Fiduziars  der  Keim  zu 
seinem  höchsten  Rechte,  es  liegt  gerade  in  dieser  letzten 
Aufrechterhaltung  der  Spaltung  zwischen  Erben  undVer- 
mögensnehmer  ihre  letzte  und  entscheidende  Niederlage, 
oder  es  liegt  gerade  in  der  Erzwingbarkeit  der  Restitution 

1Q6 


der  dialektische  Keim  zu  dem  SC.  Pegasianum,  welches  die 
durch  die  lex  Falcidia  gegebene  notwendige  Vermögens- 
erfüllung des  Erben  auch  auf  den  Fiduziarerben  ausdehnt. 
Es  hat  sich  uns  also  jetzt  auch  das  Fideikommiß  und 
seine  gesamte  geschichtliche  Entwickelung  als  der  Kampf 
des  von  uns  aufgestellten  Erbbegriffes  mit  der  Anschau- 
ung des  Erben  als  eines  notwendig  materiell  Bedachten 
dargetan.  Wie  das  prätorische  Testament,  seine  Form  der 
Erbeinsetzung  und  die  ihm  gestatteten  Bedingungen,  wie 
das  materielle  Recht  der  testamenta  calatis  comitiis  und 
seine  regelmäßige  Anwendung,  nebst  den  später  hieraus 
hervorgehenden  Gesetzen,  der  Furia,  Voconia,  Falcidia, 
wie  die  Form  und  Bedeutung  des  testamentum  per  aes 
et  libram,  so  hat  sich  uns  auch  das  Fideikommiß  und  sein 
historischer  Verlauf  erwiesen,  nichts  als  das  Dasein  und 
die  Bewegung  jenes  spekulativen  Begriffes  des  Erb- 
iums als  der  Her\orbringung  der  individuellen 
Willensunsterblichkeit  zu  sein. 


X.  Die  testamentif actio  und  ihre  Bedingungen. 
Das  Testament  ein  Produkt  des  historischen 
Geistesbegriffes  des  römischen  Volkes  und  die 
testamentif  actio  darum  juris  publici.  —  Die 
querela  inofficiosi. 

Von  diesem  spekulativen  Zentrum  aus,  daß  der  Erbe 
nur  die  Bedeutung  hat,  den  Nichtuntergang  des  sub- 
jektiven Willens  darzustellen,  indem  er  durch  sich 
selbst  wie  durch  den  Erblasser  gesetzt  wird  als  die 
reine  subjektive  Willensidentität  mit  diesem,  und 

1Q7 


zwar  nicht  dem  erblasserischen  Vermögen,  son- 
dern der  gesamten  Außenwelt  gegenüber,  daß  er 
deshalb  auch  das  erblasserische  Vermögen  durchaus  nicht 
notwendig  für  sich  erwirbt,  sondern  dies  nur  dann,  wenn 
keine  Vermögens  Verfügungen  getroffen  sind,  daß  aber  das 
Treffen  von  solchen  die  echte  Betätigung  der  Willens- 
fortdauer des  Erblassers  ist,  mdem  er  den  Erben  dadurch 
nicht  haben,  sondern  handeln  läßt  und  so  sich  selbst, 
wie  bei  Lebzeiten,  weiter  als  der  Willensherr  über  das 
Vermögen  erweist,  daß  endlich  der  Triumph  dieser  An- 
schauung gerade  darin  bestehen  wird,  den  Erben  zu  ent- 
erben, weil  gerade  durch  die  von  jeder  Vermögens- 
zuwendung entblößte  Position  des  Erben  die  siegreiche 
Fortdauer  des  erblasserischen  Willens,  die  reine,  inter- 
esselose Willensidentität  des  Erben  mit  ihm,  der 
ideale  begriffliche  Charakter  des  Institutes  am  schärfsten 
und  härtesten  hervortritt,  und  daß  daher  diese  harte  Ab- 
straktion den  charakteristischen  Zug  des  römischen  Geistes 
und  das  Moment  der  Reibung  in  der  Geschichte  seines 
Erbrechtes  bilden  wird,  —  von  diesem  Zentrum  aus,  und 
nur  von  ihm  aus,  begreifen  sich  alle  Erscheinungen,  Teile 
und  Sätze  des  römischen  Erbrechtes,  wie  dies  die  Folge 
noch  weiter  zeigen  wird.  Die  dunkelsten  Gestaltungen 
desselben,  die  am  weitesten  voneinander  abliegenden  und 
scheinbar  positivsten  und  willkürlichsten  Verzwickungen 
desselben  erweisen  sich  als  die  Adern  eines  organischen 
Leibes,  welche  durch  die  flüssige  Dialektik  dieser  sich 
durch  sie  hindurchtreibenden  Seele  im  engsten  und  inner- 
sten, sich  gegenseitig  erzeugenden  Zusammenhange  mit- 
einander stehen.  Die  Gliederung  dieses  Begriffes  gibt 
die  Dogmatik  des  römischen  Erbrechtes.  Sein  Kampf 
und  seine  durch  die  eigene  Härte  seiner  Abstraktion  her- 
vorgebrachte Reibung  gibt  die  Geschichte  desselben, 

19S 


welche  in  einem  allmählichen  Erliegen  dieses  Begriffes 
und  in  der  Annäherung  seiner  an  die  besonders  in  der 
Form  der  Billigkeit  sich  geltend  machende  Vermögens- 
erfüllung des  Erben  besteht.  Aber  noch  bis  in  die  spä- 
testen Zeiten  bleibt  das  Erbrecht,  da  es  nie  den  Zusammen- 
hang mit  seiner  Wurzel  gänzlich  verliert,  stets  von  diesem 
Begriffe  bestimmt  und  durchdrungen. 

Wir  haben  dies  zunächst  nun  an  den  Regeln  über  die 
Testamentsfähigkeit  und  einigen  damit  zusammenhängenden 
Vorschriften  zu  zeigen. 

So  spricht  sich  zuvörderst  ein  sehr  richtiges,  instinkt- 
mäßiges Erfassen  der  eigenen  historischen  Bedeutung 
seines  Volksgeistes  darin  aus,  daß,  so  nahe  der  Irrtum 
lag^),  das  Testament  für  juris  gentium  zu  halten,  der 
Römer  die  Fähigkeit,  zu  testieren,  an  die  römische 


')  Der  Irrtum,  das  Testament  für  naturrechtlich  zu 
halten,  welcher  seit  alten  Zeiten  so  lebhafte  Kontroversen  her- 
vorrief und  heutzutage  wieder  besondere  Gunst  zu  gewinnen 
scheint,  muß  bereits  von  selbst  durch  unsere  gesamten  Ent- 
wickelungen  des  testamentarischen  Erbrechtes  seine  einzige 
wahrhafte,  weil  objektive  Widerlegung  empfangen  haben 
und  weiter  empfangen  (vgl.  oben  S-  163).  —  Dies  wird  beiläufig 
auch  nicht  dadurch  beeinträchtigt,  daß  Ulpian  (Fragm.  XX, 
§  14)  bei  dem  Peregrinen  das  Recht  anzuerkennen  scheint 
,,ut  adversus  leges  civitatis  suae  testetur"  ;  denn  der  Peregrine 
wird  hierdurch  nicht  bloß  darauf  angewiesen,  wie  das  Gesetz 
seines  Staates  fordere,  zu  testieren,  sondern  auch  darauf,  wann 
das  Gesetz  seines  Staates  ein  Testamentsrecht  kenne,  in  wel- 
chem Falle  ihm  dasselbe  natürlich  nicht  verkümmert  werden 
kann.  Und  indem  Ulpian  dabei  ausdrücklich  hervorhebt,  der 
dedititius  könne  absolut  nicht  testieren,  weil  er  gar  keinem 
bestimmten  Staate  angehört:  ,,nec  quasi  peregi-inus,  quo- 
niam  nullius  certae  civitatis  civis  est,"  tritt  gerade  das  zivi- 
listische, politische  Wesen  des  Testamentsrechtes  aufs 
deutlichste  hervor. 

199 


Zivität  als  ihre  Bedingung  bindet.  Nur  wer  in  diesen 
bestimmten  Volksgeist  aufgenommen  ist,  ist  dieser 
Willensunendlichkeit  teilhaft^),  welche  erst  das 
historische   Produkt  und  den  eigentümlichsten  Inhalt  der 


*)  Mit  Unrecht  meint  daher  Savigny  (System.  VIII,  452). 
daß  die  testamentif actio  Im  obigen  Sinne,  als  Testler- 
fähigkelt,  diejenige  Standeseigenschaft  im  römischen 
Staate  bedeutet,  welche  „fähig  macht  zur  Manzlpation,  als 
der  Grundform  der  römischen  Testamente." 

Wie  nämlich  die  Bedeutung  des  Testamentes,  wenn  auch  die 
Manzlpation  seine  Form  Ist.  noch  über  die  bloße  Manzlpation 
hinausgeht,  so  muß  —  wenn  der  obige  Begriff  konsequent  fest- 
gehalten und  richtig  sein  soll  —  auch  zum  Testament  eine  über 
die  bloße  Manzipatlonsfähigkeit  noch  hinausgehende 
Fähigkeit  und  Standeselgenschaft  erforderlich  sein,  die  Fähig- 
keit, einen  anderen  subjektiven  Willen  zum  Idealen  Träger  und 
Erhalter  seiner  selbst  zu  setzen,  eine  Eigenschaft,  welche  der 
diese  Anschauung  hervorbringende  römische  Volksgelst  mit 
Recht  schlechterdings  nur  in  den  seines  eigenen  Bewußt- 
seins Teilhaftigen  erblicken  kann  und  daher  an  die  römi- 
sche ZivItät  binden  muß.  Es  Aväre  also  für  den  Begriff  erforder- 
lich, daß  die  Testierfähigkeit  noch  nicht  gegeben  sei  mit  dem 
commercium,  welches  zur  Manzlpation  allerdings  berechtigt, 
und  daß  also  nicht,  wie  Savigny  a.  a.  O.  sagt,  die  testa- 
mentifactlo  In  diesem  Sinne  „gleichbedeutend  mit  commercium" 
sei.  Und  wäre  dem  so,  so  wäre  hierdurch  wiederum  bewiesen, 
daß,  was  Im  Testamente  vor  sich  geht,  jene  Ideale  Identi- 
fizierung und  nicht  eine  Vermögenshandlung  sei;  denn 
zu  allen  nach  jus  clvlle  möglichen  Vermögensrechten  Ist 
die  Fähigkeit  durch  das  commercium  gegeben.  Nun  verhält  es 
sich  aber  auch  wirklich  so,  wie  wir  hier  sagen.  Der  Beweis 
Hegt  in  Ulplan,  Fragm.  XIX,  §  4,  vor.  Nicht  von  dem  La- 
tlnus  Junianus  wollen  wir  sprechen;  denn  die  Ihm  fehlende 
Testierfähigkeit  —  die  testamentlfactlo  Im  Sinne  der  Testa- 
mentszeugenschaft hat  er  —  kann  lediglich  darauf  zu  beruhen 
scheinen,  daß  bei  seinem  Tode  das  Vermögen  dem  Patron  ge- 
hören soll,  obgleich  auch  bei  Ihm  seine  Unfähigkeit,  selbst  Erbe 

200 


römischen  Geistesstufe  bildet  und  daher  ebenso 
streng  national  ist,  wie  etwa  die  religiöse  Mission  der 
Juden.  Der  Peregrinus,  die  Latini  Juniani  und  die  de- 
dititii  haben  daher  dies  Recht  nicht  ^). 

zu  werden,  gleichfalls  auf  einen  noch  anderen  Grund  hinweist 
(vgl.  Nr.  XXXIII).  Aber  entscheidend  ist,  daß  Ulpian  daselbst 
unter  den  Manzipationsfähigen  auch  die  Peregrinen  aufzählt, 
welchen  ausnahmsweise  das  commercium  gegeben  sei :  ,, Man- 
cipatio locum  habet  inter  cives  Romanos  .  .  .  eosqiie  peregrinos, 
quibus  commercium  datum  est."  TeStierfähig  sind  dagegen 
die  peregrini  schlechterdings  nicht;  Ulpian,  Fr.  XX,  §  14, 
und  XXII,  §  2.  Testierfähigkeit  und  Manzipationsfähigkeit  (oder 
commercium)  decken  sich  daher  durchaus  nicht  und  spielen 
eine  sehr  verschiedene  Rolle  im  römsichen  Geiste.  [So  wird 
man  schon  von  selbst  fühlen,  daß,  wenn  (s.  oben  Anm.  1, 
S.  36)  römische  Dichter  ausrufen  können :  „Semper  caveto  ne 
sis  intestabilis,"  man  doch  gewiß  nicht  bei  ihnen  etwa  einen 
ähnlichen  Ausruf  über  die  Manzipationsfähigkeit  würde  finden 
können.]  Ebenso  bleibt  der,  welcher  zur  Strafe  intestabilis  wird 
(quem  lex  improbum  intestabilemque  esse  jubet;  s.  Inst.,  §  6 
de  test.  ord.  2,  10),  darum  immer  noch  manzipationsfähig.  — 
Man  sieht,  daß  man  aus  der  Manzipation  als  solcher  viel  zu 
viel  für  dasselbe  zu  erklären  gesucht  hat. 

^)  Siehe  Ulpian,  a.  a.  O.  —  Wenn  Gans  dies  so  begründet 
(II,  156) :  ,,Das  Testament  ist  der  Wille  des  Römers  in  der 
Sphäre  seines  Vermögens;  es  versteht  sich  also  von  selbst, 
daß  Nichtrömer  kein  Testament  machen  können,"  so  ist  das 
nur  eine  petitio  principii  und  keine  Begründung.  Einmal  ent- 
hält  der  Vordersatz  eben  jenen  bisherigen  Irrtum  über  das 
wEihre  Wesen  des  römischen  Erbrechtes,  den  wir  nun  bereits 
widerlegt  zu  haben  hoffen  und  bei  dessen  Festhaltung  die  Be- 
dingung der  Zivität  durchaus  nicht  genügend  zu  erklären  wäre, 
und  zweitens  folgt  der  zweite  Satz  durchaus  nicht  selbstver- 
ständlich aus  dem  ersten.  Denn  wäre  das  Testament  wirklich 
nur  der  Wille  in  der  Sphäre  des  Vermögens,  also  eine  Ver- 
mögensverfügung, so  müßte  vielmehr  mindestens  jeder, 
der  commercium  hat,  zu  derselben  befähigt  sein ;  s.  die  vorige 
Anmerkung. 

201 


Weil  aber  der  Begriff  des  Erbtums  gerade  die  gei- 
stige Identität  zwischen  Erblasser  und  Erben  ist,  das 
Erbverhältnis  somit  schon  äußerlich  sich  als  Gleichung 
a  =  a  darstellen  läßt,  so  können  nicht  Ungleiche  ein- 
ander gleichgesetzt  werden,  oder  es  ist  mit  anderen 
Worten,  um  dies  schon  hierher  zu  nehmen,  dieselbe  Fähig- 
keit, wie  zum  Testieren,  auch  erforderlich,  um  zum  Erben 
eingesetzt  werden  zu  können^).  Die  eben  Genannten 
können  daher  auch  nicht  Erben  werden^). 

Wenn  aber  die  Teilnahme  am  römischen  Volks- 
geiste,  welcher  die  Anschauung  dieser  Unsterblichkeit 
des  subjektiven  Willens  erst  aus  seinem  eigensten  Wesen 
erzeugt  hat,  deshalb  die  notwendigste  und  erste  Bedingung 
aller  Testierfähigkeit  ist,  so  begreift  sich  nun  erst  deut- 
lich, warum  jede,  auch  nur  temporäre,  Aufhebung 
dieses  geistigen  Verhältnisses  die  Fähigkeit  zu  testieren 
aufheben  muß.  Dieser  Zusammenliang  mit  römischem 
Volksgeist  ist  aber  suspensiert,  wenn  ein  Römer  in  die 
Gewalt  und  Botmäßigkeit  eines  fremden  Volksgeistes 
geraten  ist.  Und  darum  kann  der  vom  Feind  gefangene 
Römer  kein  Testament  machen^),  und  ebensowenig  die 
einem  fremden  Volke  gegebenen  Geiseln*).  Man  muß 
sich  aber  hüten,  zu  glauben,  wie  scheinbar  sehr  nahe  liegen 
kann,  daß  diese  Unfähigkeit  des  Gefangenen  in  der  Rück- 


^)  Ulpian,  Fragm.  XXII,  1 :  ..Heredes  institui  possunt  qui 
testamenti    factionem    cum    testatore    habent." 

^)  Cicero  pro  Caecina.  c  35 ;  Ulpian,  a.  a.  O. ;  Gajus, 
Comm..    II,    110. 

"'')  L.  8  pr.  qui  test.  fac.  poss.  (28,  1);  §  5,  Inst,  quibus 
non  est  penii.  (2,  12);  Ulpian,  Fr.  XXIII,  5.  -  Nicht 
einmal  der  miles,  der  überall  ausgenommen  ist,  genießt  hier 
eine  Ausnahme;   L.    10  de  test.   mil.    (29,    1). 

*)  L.    11    qui  test.   fac.   poss.    (28.    1). 

202 


sieht  auf  die  in  der  Gelangenschalt  vielleicht  gelährdete 
Freiheit  und  Selbständigkeit  seines  Privat- 
willens  ihren  Grund  habeO-  Sie  hat  vielmehr  durch- 
aus nur  jene  objektive  und  streng  spekulative  Bedeu- 
tung des  durch  die  völkerrechtliche  Gewalt  eines  Iremden 
Staates  suspendierten  Zusammenhanges  mit  dem  objektiven 
römischen  Volksgeist.  Und  der  scharfe  Beweis  hier- 
für liegt  darin,  daß  der  von  Räubern  gelangene  Römer, 
obgleich  die  Freiheit  seines  Privatwillens  hier  ebenso,  ja 
noch  weit  mehr,  zumal  in  bezug  auf  das  Vermögen,  ge- 
fährdet sein  kann,  dennoch,  weil  er  hier  keinem  Irem- 
den Volks g eist  gegenübersteht,  Räuber  vielmehr  nur 
eine  faktische,  nicht  völkerrechtliche  Gewalt  dar- 
stellen, jene  ideale  Gemeinschalt  im  rechtlichen  Sinne  also 
nicht  unterbrochen  ist,  deshalb  die  volle  Fähigkeit  zu 
testieren   behält-). 

Wenn  so  die  Teilnahme  an  der  Substanz  des  gemein- 
samen historischen  Volksgeistes  die  erste  und 
wesentlichste  Bedingung  der  Testierlähigkeit  war,  so  hat 
sich  jetzt  hierdurch  von  selbst  einer  der  Nvichtigsten  und 
inhaltsschwersten  Sätze  beiläulig  erklärt,  der  Satz:  ,,Te- 
stamentilactio  non  privati,  sed  publici  juris,  est^)."  Man 
hat  diese  der  modernen  Aullassung  so  widersprechende 
Anschauung,  daß  das  Testament  zum  öllentlichen 
Recht  gehöre,  allgemein  damit  zu  erklären  gesucht,  daß 
es   ein   formalistisches    Überbleibsel   des   alten   Komitien- 


^)  Wie  selbst  Gans  glaubt  (II,  157),  das  Testament  des 
Gefangenen  sei  ungültig,  ,,da  ihm  sein  allgemeiner  Boden,  der 
freie   Wille,   abging." 

■)  Marcianus,  L.  13  pr.  qui  test.  (28,  1):  ,,Qui  a  latroni- 
bus  capti  sunt,  quum  libri  manent.  possunt  lacere  testamen- 
tura." 

^)  Papinian,    L.   3   D.   h.    t. 

203 


testaments  sei,  durch  welches  das  Testament  selbst  die 
Form  eines  Gesetzes  erhalten  habe.  Man  übersieht  nur 
bei  dieser  Art  von  Erklärungen  das  beständig  sich  wieder- 
holende voTsgov  TTQÖteQov,  daß  die  angebliche  Erklärung 
wiederum  eine  solche,  und  zwar  gerade  das  zu  Erklärende 
zu  seiner  eigenen  Erklärung  voraussetzt.  Denn  daß  Te- 
stamente in  den  Volksversammlungen  gemacht  werden  — 
also  die  ganze  Form  und  Entstehungsmöglichkeit  des 
testamentum  calatis  comitiis  — ,  ist  wieder  nur  dann 
wahrhaft  begreiflich,  wenn  das  Testament  als  Sache  des 
öffentlichen  Geistes  aufgefaßt  wird^).  Jetzt  kann 
auch  der  scheinbar  entgegenstehende  Ausspruch  des  Ci- 
cero^): „In  publicis  nihil  est  lege  gravius,  in  prlvatis 
firmissimum  sit  testamentum",  weder  eine  Schwierigkeit 
bilden,  noch  eine  Änderung  dieser  Anschauung  zur  Zeit 
Ciceros  ^u  bekunden  scheinen.  Denn  der  bestimmte 
Gebrauch,  der  von  der  Testamentsfähigkeit  gemacht 
wird,  ist  allerdings  Privatsache;  aber  das  Dasein 
der  Testamentsfähigkeit  überhaupt,  die  Formen,  in  denen 
ein  Testament  errichtet  werden  kann,  ja  sogar  dies,  daß 
überhaupt  Testamente  gemacht  werden,  ist  Sache 
dieses  bestimmten  Volksgeistes,  dessen  innerstes 
ideales  Wesen  diese  Willensunendlichkeit  als  semen  not- 
wendigen Ausdruck  hervorgebracht  hat,  ist  also  Sache  des 
öffentlichen  Geistes.  Das  Testament  ist  für  das 
römische  Volk  der  Kultus  seines  eigenen  Wesens  und 
geht  daher,  wie  jede  andere  Kultushandlung,  nicht 
nur  in  der  Volksversammlung  und  unter  dem  Beisein  der 


^)  Zu  dem  hier  Folgenden  vgl.  man  das  sub  Nr.  XV: 
,,Das  Vindikationslegat.  Der  Testator  ein  Gesetzgeber,"  welter 
hierüber   Nachgewiesene. 

2)  Philipp..   II.   12. 

204 


Pontifices^),  sondern  in  den  ausdrücklich  nur  zu 
religiösen  Zwecken^)  (quae  pro  collegio  pontificum 
habentur)  zusammengerufenen  Komitien  vor  sich^).  Es 
ist  ein  Kultusakt,  sagen  wir,  denn  es  ist  die  höchste 
Selbstbetätigung  seines  allgemeinen  Volksgeistes,  zu 
der  der  Römer  es  bringt,  und  schon  alles  das  ist  Kultus 
und  religiöser  Natur,  worin  ein  Volk  den  öffentlichen 
Geist  feiert,  der  es  durchdringt.    Es  ist  aber  auch  reli- 


^)  Gellius,  Noct.  att.,  XV,  c.  27:  ,.In  libro  Laelii  Felicis 
ad  Q,  Mucium  primo  scriptum  est,  Labeonem  scribere,  Calata 
Comitia  esse  quae  pro  collegio  pontificum  habentur,  aut  Regis 
Sacrorum  aut  Flaminum  inaugurandonim  causa  .  .  .  lisdem  co- 
mitiis  quae  calata  appellari  diximus,  sacrorum  detestatio  et 
testamenta   fieri   solebant." 

")  Es  versteht  sich  bei  unserer  Auffassung  von  selbst,  daß 
wir  die  von  Demburg  auf  einem  anderen  Wege  gut  ent\\'ickelte 
Ansicht  teilen,  in  der  Komitienforra  dieser  Testamente  eine 
bloße  Soiennität,  ohne  Abstimmungsrecht  des  Volkes,  zu 
erblicken,  eine  Ansicht,  von  der  Gans  mit  Unrecht  wieder 
abgegangen   ist. 

*)  Hierin  also  liegt  der  organische  Grund  des  öffent- 
lichen Testierens  in  den  Komitien,  nicht  in  dem  „Beweis  mo- 
ralischer Selbständigkeit,"  den  Jhering  (Geist  des  römischen 
Rechtes,  T.  II,  Abt.  1,  S.  13)  in  der  öffentlichen  Testa- 
mentserrichtung erblicken  zu  wollen  erklärt.  Die  öffentliche 
und  die  geheime  Testamentserrichtung  kann  derartige  Wir- 
kungen haben,  daß  die  erstere  die  moralische  Selbständig- 
keit, die  zweite  die  Feigheit  begünstigt  —  weiter  als  zum 
Begünstigen  ist  selbst  in  den  Wirkungen  dies  Moment 
nicht  zu  führen,  und  nie  wird  ein  Volk  aus  solchen  Einrich- 
tungen Selbständigkeit  oder  Feigheit  empfangen,  wenn  sie 
nicht  zuvor  im  Volksgeist  liegt  — ;  aber  niemals  ist  in  sol- 
chen verständigen  Reflexionen  und  pädagogischen  Selbsterzie- 
hungsmotiven der  Grund  für  die  Einrichtungen  eines  Volkes 
zu  erblicken,  der  vielmehr  nur  aus  der  organischen  Funktion 
des    Institutes   im   Volksgeist    abgeleitet   werden   kann. 

205 


giöser  Akt  im  intensivsten  Grade,  denn  was  der  Römer 
hier  feiert,  ist  ja  nichts  anderes,  als  diese  spezifische 
Selbstgewißheit  des  römischen  Geistes,  diese  inten- 
sivste religiös -metaphysische  Grundanschauung  des- 
selben, sich  in  dem  Erben  über  den  Tod  hinaus  die  blei- 
bende Fortexistenz  seines  Willens  zu  geben. 

Weil  aber  doch  jeder  einzelne  Testamentsfall  immer 
nur  ein  einzelner  bestimmter  Gebrauch  von  der  Testa- 
mentsfähigkeit, und  insofern  also  Privatsache  ist,  so 
kann  die  Anfertigung  des  Testamentes  zwar  auch  privatim 
erfolgen  und  die  Leichtigkeit  dieses  Modus  das  testa- 
mentum  calatis  comitiis  verdrängen.  Dann  aber  tritt  das 
Bewußtsein,  daß  das  Testament  ein  Ausfluß  des  öffent- 
lichen Geistes  sei,  sowohl  in  der  symbolischen  Anrede 
,,Quirites"  an  die  das  Volk  repräsentierenden  fünf 
Zeugen^)  hervor,  als  durch  die  solennelle  Formel  des 
familiae  emptor :  ,,.  . .  quo  tu  jure  testamentum  facere 
possis  secundiim  legem  piiblicam-)"  ;  endlich  aus  den  Re- 
siduis   der   religiösen    Gebräuche^). 

1)  Bereits  Dernburg  (a.  a.  O.,  S.  23,  Note  21)  hat  die 
Bemerkung  gemacht,  daß  diese  Anrede  vom  testamentum  ca- 
latis  comitiis  herrühre. 

2)  Gajus,    II.   §    104. 

^)  Bekannt  ist  der  Gebrauch,  die  Testamente  in  den  Tem- 
peln, und  zwar  in  dem  größten  Heiligtume  Roms,  dem  Ve  s  t  a  - 
tempel,  aufzubewahren;  s.  Tacitus,  Annal.,  I,  Kap.  8;  Sue- 
tonlus,  Caes.,  83;  Ulpian,  L.  3,  §  3.  de  tab.  exh.  (43.  5): 
..Proinde  et  si  custodiam  tabularum  aedituus  vel  tabularius 
suscepit."  — ■  In  bezug  auf  das  aes  bei  dem  Testament  per 
aes  et  libram  mag  es  für  die  ursprünglich  religiöse  Bedeutung 
desselben  (wie  für  die  eherne  Wage)  hinreichen,  auf  die 
Stelle  des  Macrobius,  Saturn..  V,  Kap.  19,  S.  135  fg.,  hin- 
zuweisen, welche  beginnt:  „Omnino  autem  ad  rem  divinam 
pleraque  aenea  adhiberi  solita  sunt,  multa  indicio  sunt ;  et  in 
his   maxime    sacris     quibus    delinire    aliquos   aut    devovere    etc.'" 

206 


Hieraus  folgt  sofort  ein  Weiteres.  Die  Willensfort- 
fortdauer  ultra  mortem,  welche  das  Wesen  des  l  esta- 
mentes  ausmacht,  und  die  Willensidentifikation 
zwischen  Erblasser  und  Erben,  durch  welche  sie  bewirkt 
wird,  indem  ein  anderes  Ich  als  das  fortdauernde 
eigene  Ich  gesetzt  wird,  beruht  also  mcht  auf  dem 
Konsens  des  bloßen  Privatwillens  zwischen  Erben 
und  Erblasser,  welcher  bloße  Privatwille  vielmehr  zur 
Hervorbringung  eines  so  metaphysischen  Aktes  ganz  un- 
fähig wäre,  sondern  diese  Identifikation  schöpft  ihre 
Kraft,  die  Kraft,  sich  hervorzubringen,  wie  schon  alles 
Bisherige  zeigte,  nur  aus  dem  geistigen  Wesen  des 
gesamten  Volkes,  aus  dem  Wesen  des  öffentlichen 
Geistes  somit  —  und  also  aus  der  Solennität  der 
Formel  des  öffentlichen  Rechtes,  welche  diese 
Identifizierung  erst  bewirken  soll. 

Schön  läßt  diese  Produktivkraft  der  Formel  der 
Kirchenvater  Clemens  von  Alexandrien  hervortreten  in 
einer  Stelle-^),  die  wir  schon  oben  berührt  haben.  So 
gequält  auch  in  den  Einzelheiten  sein  Vergleich  ist  zwi- 
schen dem  biblischen  Zusammentreffen  Jesus  mit  dem 
Täufer  und  dem  Akt  des  römischen  Manzipationstesta- 
mentes,  so  geht  doch  schon  selbst  durch  diesen  Vergleich 
der  beiden  gemeinschaftliche  Atemzug  hindurch,  daß  es 
sich  in  jenem  Zusammentreffen  wie  in  der  Handlung 
dieses  Testamentes  um  geistige  Fortsetzung  eines 
Individuums  durch  ein  anderes,  und  zwar  um  eine  gegen- 
seitige Anerkennung  ihrer  in  diesem  geistigen  Fort- 
setzungsverhältnis  handelt.  Wenn  der  Kirchenvater  also 
das  biblische  Begegnen  Jesus  mit  dem  Täufer,  weil  dieser 
ihn  als  seinen  größeren  und  vorher  verkündeten  geistigen 


1)  Strom.    V.   c.   8.   p.    574.   ed.    Syll. 

207 


Fortsetzer,  den  er  deshalb  nicht  taufen  könne,  für  eine 
symbolische  Darstellung  desselben,  was  in 
dem  römischen  Testament  per  aes  et  libram  ge- 
schehe, erklärt,  so  zeigt  sich  darin-  allerdings,  wie 
sich  der  alte  Kirchenvater  ein  weit  tieferes  Verständ- 
nis des  römischen  Manzipationstestamentes  gerettet  hat, 
als  alle  Juristen  miteinander^).  Besonders  aber  zwei 
Punkte  sind  es,  die  bei  seiner  hierauf  folgenden  Dar- 
stellung  dieses   Testamentes   von   Interesse   sind. 

Clemens  sagt :  symbolisch  {kxxaXvxpag   ri]v    ewoiav    rä>v 
ovjußöXcov)    habe  hier  das  bei  den  Römern  in  dem  Testa- 


^)  Und  beiläufig:  wenn  Clemens  das  „historische"  Zu- 
sammentreffen des  Täufers  mit  Jesus  (Matth.  3.  14),  des 
letzteren  Verlangen,  von  ihm  getauft  zu  werden,  des  Täufers 
Weigerung,  weil  er  vielmehr  nicht  würdig  sei,  Jesus  die 
Schuhriemen  aufzulösen,  für  eine  „symbolische  Darstel- 
lung" {ixxaXvyjag  rrjv  evvoiav  tmv  ovjußokcov)  dessen  erklärt, 
„was  bei  den  Römern  in  ihrem  Testament  ge- 
schieht," also  für  eine  symbolische  Darstellung  der 
geistigen  Fortsetzung,  welche  der  Standpunkt  Jesus  zu 
dem  Standpunkt  des  Täufers  bildet,  und  der  gegenseitigen 
Anerkennung  als  solche,  —  wie  weit  ist  denn  da  der  Kir- 
chenvater noch  von  Bruno  Bauers  Evangelienauffassung  ent- 
fernt? Worin  unterscheidet  sich  seine  Auffassung  hierbei  von 
der  Auffassung  dieses  Zusammentreffens  bei  Bruno  Bauer, 
Kritik  der  Synoptiker,  I,  240  fg.,  welcher  dasselbe  auf  die 
ideale  Wahrheit  zurückführt:  „Nachher,  aus  der  Kraft  ihres 
Selbstbewußtseins  heraus,  können  und  werden  immer  die  Spä- 
teren die  Mächte,  die  auf  dem  Schauplatz  ihrer  Tätigkeit 
galten,  anerkennen  und  als  ihre  Vorläufer  zu  wür- 
digen wissen."  Aber  dieses  „ideale  Zusammentreffen  des 
Früheren  und  des  Spätergekommenen  in  der  Erinnerung  und 
Anerkennung  des  letzteren  genügt  dem  religiösen  Bewußtsein 
der  Gemeinde  nicht,"  weshalb  dieselbe  In  ihrem  Pragmatis- 
mus diesen  Inneren  Zusammenhang  In  einen  geschichtlichen 
Vorgang   verkehren  müsse. 

208 


ment  Geschehende  platzgegriffen  xai  xä  naoä  Pco^ualoig 
im  xcov  diaß-tyy.cöv  yevoueva  zd^iv  eiÄi]yj)  und  schddert 
letzteres  als  in  folgende  drei  Momente  zerfallend :  „xd 
did  diy.aioovvrjv  exelva  C^yä  y.al  äooaoia,  y.aQTiiO[xoi  xe,  xal 
al  xcov  torcüv  sncy^iav oeiq",  ,,jene  Wagen  und  Asse, 
der  Gerechtigkeit  halber,  dann  die  Manzipationen,  und 
die  Berührungen  (Einströmungen)  der  Ohren", 
und  diese  drei  Momente  erklärt  er  wieder  so:  „xä  ^kv 
yciQ,  Iva  dixaicog  yivrjxaf  xd  de,  eig  xov  xfjg  xiui]g  uioto- 
juov '  xd  ö'oTicog  6  Jiaoaxvxdiv,  (Lg  ßuQOvg  xivog  avxcS 
kjiLXideuhov,  eotchg  ay.ovotj  y.al  xd^iv  jueoixov  Xdßrf\ 
,,das  Erste  nämlich  (die  Wage),  damit  es  gerecht  vor 
sich  ginge;  das  Zweite  (die  Asse)  zur  Teilung  der 
Ehre  (die  haben  wir  schon  oben  S.  159  betrachtet);  das 
Dritte  aber  (die  Einströmungen,  Berührungen,  Strei- 
fungen der  Ohren),  damit  der  Dabeistehende •'^),  wie  in- 
dem eine  gewisse  Schwere  (Last,  Gewicht)  auf 
ihn  eindringe,  stehend  höre  und  die  Rolle  des  Mitt- 
lers nehme". 

Diese  Einströmungen  der  Ohren,  diese,  wie  Cle- 
mens nochmals  hervorhebt,  sinnliche  Schwere,  mit 
welcher  das  gesprochene  Wort  der  feierlichen 
Formel  des  öffentlichen  Rechtes  sich  wuchtend 
auf  das  Ohr  niederläßt  und  in  es  ergießt,  —  dies  ist  es, 
welches  zustande  bringt,  was  durch  den  Akt  zustande 
gebracht  werden  soll.  Diese  Produktivkraft  der 
Formel  ist  es,  welche  ihr  wahres,  stets  übersehenes 
Wesen  bildet.  Nicht  als  Darlegung  des  Privatwillens, 
als   Willenserklärung,   kommt  sie   in   Betracht.     Dies   ist 


^)  Die  Interpretatoren  beziehen  diesen  auf  den  Antestatus; 
vgl.  über  diesen  Priscian,  VIII.  4,  p.  792,  ed.  Putsch. ;  Lach- 
mann in  der  Zeitschrift  für  geschichtliches  Rechtswesen,  XI, 
117;    Böcking,   Pand.   d.    röm.   Privatr.,    I,    178. 

14   LassalU.  C«.  Sckrifr«.  Band  XI  209 


nur  nebenbei  der  Fall,  indem  ohne  diese  Einwilligung 
der  Sprechende  sie  nicht  sprechen  würde.  Aber  dies  ist 
nicht  ihr  Wesen ;  denn  wo  diese  Privatwillenserklärung 
für  sich  allein  hinreicht,  da  liegt  nicht  Formel,  son- 
dern formlose  Willenserklärung  vor,  d.h.  in  jeder  be- 
liebigen Form  kaim  der  Privatwille  erklären  und  er- 
reichen, was  er  für  sich  allein  zu  erreichen  vermag.  Das 
Wesen  der  Formel  liegt  in  jener  ihr  einwohnenden  Pro- 
duktivkraft, durch  ihre  Verlautbarung  das  zu 
wirken  und  zu  bewirken,  was  dem  Konsens  der 
Privat  willen  für  sich  allein  zu  bewirken  unmöglich  wäre, 
das,  was  nur  aus  dem  Wesen  dieses  Volksgeistes  folgt, 
im  vorliegenden  Fall  die  Identifikation  zweier  Willens- 
subjektivitäten. Wie  in  der  Anrufung  des  Gottes  durch 
den  Priester  in  der  Gemeinde  der  Gott  lebendig  wird 
und  wirksam  hervortritt,  so  tritt  der  durch  die  Verlaut- 
barung der  Formel "  angerufene  öffentliche  Geist  dieses 
Volkes  wirksam  und  produzierend  hervor  und  bringt  zu- 
stande, was  zustande  gebracht  werden  solP). 

^)  Diese  Produktivkraft  der  Formel  ist,  wie  aus 
dem  Obigen  von  selbst  folgt,  auch  der  alleinige  und  wahr- 
hafte organische  Grund  alles  altrömischen  For- 
melwesens überhaupt,  welcher  auch  noch  von  dem  geist- 
reichen Jhering  in  seiner  interessanten  Abhandlung  über  den 
römischen  Formalismus  (Geist  des  römischen  Rechtes  [Leip- 
zig 1838],  T.  II,  Abt.  2.  S.  496-695),  nicht  weniger  als 
von  seinen  Vorgängern,  gänzlich  unbeachtet  gelassen  worden 
ist.  Es  muß  dies  bereits  vollkommen  durchsichtig  sein  und 
die  Bedeutung  ganzer  Rechtsgebiete  und  Rechtseinteilungen  von 
hier  aus,  als  ihrem  geistigen  Zentralpunkt,  in  volle  Helle  tre- 
ten. Nur  was  das  Individuum  aus  seinem  bloßen  Privatwillen, 
aus  seiner  allgemein-menschlichen,  jiaturrechtlichen  Willensfähig- 
keit hat,  d.h.  also  nur  alles,  was  es  ex  jure  gentium 
hat,  ist  formlos,  vom  Formelkultus  befreit;  alles  dagegen, 
was  es  nur  aus  dem  Wesen  dieses  bestimmten  Volksgei- 

210 


Wer  sich  also  an  der  Formel  nicht  beteiligen  kann, 
wer  die  auf  den  Erblasser  kommende  Hälfte  nicht 
sprechen,  die  auf  den  Erben  fallende  Hälfte  nicht 
hören  kann,  der  kann,  wie  konsensfähig  er  immer  sei, 
diese  Identifizierung  nicht  hervorbringen,  und  darum  kön- 
nen weder  der  Stumme  noch  der  Taube^)  ein  Testa- 
ment machen. 


stes  als  seinem  spezifischen  produzierenden  Faktor  hat,  alles 
also,  was  es  ex  jure  Quiritium  hat,  ist  dem  Formeldienst 
unter^v•orfen  —  und  so  ist  denn  mit  diesem  einen  Satze  der 
eigentliche  Sinn  jener  Einteilung  von  jus  gentium  und  jus  pro- 
prium Romanum,  sein  inneres  Verhältnis  zur  Einteilung  von 
jus  naturale  und  civile,  das  Formelwesen  altzivilistischen  Rech- 
tes, die  Notwendigkeit  der  Formeln  bei  den  quiritarischen 
Erwerb&arten,  der  alte  Prozeßformalismus  usw.,  und  die  Ge- 
schichte dieses  immer  mehr  verschwindenden  alten  Formalis- 
mus gegeben.  —  Die  Wahrheit  des  Gesagten  beweist  sich  aber, 
wenn  noch  ein  Bev/eis  nötig  wäre,  auch  in  folgender  Weise : 
Alles  Formalwesen  ist  jus,  jus  in  jenem  strengen  Sinne,  in 
welchem  es  die  römischen  Juristen  der  voluntas  (Privatwillen) 
entgegensetzten;  das  jus  in  diesem  Sinne  ist  es  aber, 
welches  sie  zugleich  mit  dem  jus  publicum  identifizieren  (siehe 
die  Bd.  I,  S-  76,  Note  1,  angegebenen  Stellen  und  Autoren), 
und  so  tritt  denn  schon  hiemach  das  öffentliche  Recht,  der 
öffentliche  Geist,  als  der  in  der  ihm  entflossenen  Formel 
des  Privatrechtes  wirkende  und  produzierende  Faktor  hervor. 
^)  Ulpian,  Fragm.  XX,  13:  ,,Mutus,  surdus  .  .  .  testa- 
mentum  facere  non  possunt ;  mutus,  quoniam  verba  nuncupa- 
tionis  loqui  non  potest,  surdus  quoniam  verba  familiae  emptoris 
exaudire  non  potest."  —  Die  Tiefe  dieses  von  Ulpian  ange- 
gebenen, durchaus  nicht  ,, formalistischen"  Grundes,  bei  richtiger 
Auffassung  desselben,  liegt  jetzt  zutage,  und  es  ist  also  durch- 
aus irrig,  wenn  Gans  (II,  552)  die  Worte  Ulpians  als  eine 
bloß  „äußere"  Herleitung  bezeichnet  und  den  wahren  Grund 
darin  erblicken  will,  daß  Taubheit  und  Stummheit  ,,auf  die 
Freiheit  des  Geistes  Einfluß  haben"  und  bei  ihnen  „die  Ver- 
mutung einer  Geistesschwäche,  oder  wenigstens  die  Vermutung 

14»  211 


So  erklärt  sich  denn  jetzt  auch,  warum  Cicero  (de 
Oratore,  I,  c.  57),  als  er  dem  Redner  Anweisung  gibt, 
wie  er  zugunsten  des  von  seinem  Vater  übergangenen  miles 
das  Testament  des  ersteren  umwerfen  solle,  sagt:  ,,.  . .  vel 
si  causam  ageres  militis,  patrem  ejus,  ut  soles,  dicendo  a 
mortuis  excitasses,  statuisses  ante  oculos,  complexus  esset 
filium,  flensque  eum  centumviris  commendasset,  lapides 
mehercule  omnes  flere  ac  lamentari  coegisset,  ut,  totum 
illud.  uti  lingiia  nunciipasslt  non  in  XII  tabulis,  quas  tu 
Omnibus  bibliothecis  anteponis,  sed  in  magistri  carmine 
scriptum  videretur."  Cicero  läßt  hier  also  den  Redner 
gegen  den  Satz  der  zwölf  Tafeln  angehen:  ,,Qui  nexum 
faciet  mandplumque  uti  llngua  nuncupassit ,  jus  esto^' 
(s.  Festus,  v*^  Pec.  nunc,  Cicero  de  Offic,  II,  16), 
während  man,  wie  Dernburg,  S.  103,  Note  31,  meint, 
zunächst  erwarten  sollte,  daß  er  ihn  würde  gegen  den  be- 
kannten anderen  Zwölftafelsatz :  ,,uti  legassit  paterfamilias 
etc.  jus  esto",  als  die  Grundlage  des  Testamentsrechtes 
sich  wenden  lassen.  Allein  näher  betrachtet,  muß  Cicero 
so  verfahren.  Der  Satz  uti  legassit  rüstet  den  Testator 
nur  mit  dem  materiellen  Testamentsrecht,  mit  der 


vorherrscht,  daß  derselbe  (der  Taube,  resp.  Stumme)  seinen 
■Willen  nicht  deutlich  ausdrücken  könne."  Aber  freilich  war 
es  unmöglich,  die  Worte  Ulpians  richtig  aufzufassen,  solange 
man  nicht  wahrhaft  begriff,  warum  und  inwiefern  das  Testa- 
ment juris  publici  sei,  was  sich  wieder  nur  aus  seiner  Grund- 
idee ergibt.  —  Zum  Formalismus  wird  die  Unfähigkeit  erst, 
als  das  prätorische  Testament  auch  das  per  aes  et  libram  ver- 
drängt hat  und  allein  übrig  geblieben  ist.  Jetzt  ist  diese  Un- 
fähigkeit um  ihren  Sinn  gekommen,  wird  daher  von  Justinian 
nur  bei  vereinigter  Stummheit  und  Taubheit  aufrecht  erhalten 
und  von  Ihm  so  behandelt,  daß  es  ersichtlich  Ist,  wie  er  sie 
bereits  In  demselben  mißverständlichen  Sinne,  wie  Gans,  auf- 
faßt; s.  L.    10  C.   qui  test.  fac.   (6,  22). 

212 


Befugnis  aus,  beliebig  über  sein  Vermögen  zu  verfügen. 
Er  kann  so  testieren.  Die  Kraft  aber  und  Existenz 
des  gemachten  einzelnen  Testamentes  beruht  auf  dem 
Vollbrachtsein  jener  Identifikation  und  somit  auf  der 
sie  vollbringenden  Formel,  also  schlechterdings  auf 
dem  uti  lingua  nuncupassit.  Es  verhält  sich  somit  mcht 
so,  wie  Dernburg  meint,  daß  aus  dieser  Äußerung  Ci- 
ceros  ,, nicht  undeutlich  hervorzugehen  scheine,  daß  es 
sehr  gewöhlich  war,  die  Kraft  eines  Testamentes  aus 
dem  Satze  uti  nuncupassit  etc.  abzuleiten".  Sondern  die 
Kraft  des  besonderen  Testamentes,  sein  Dasein,  kann 
stets  und  schlechterdings  nur,  und  wir  wissen  jetzt  warum, 
auf  der  die  Identität  bewirkenden  Formel  beruhen.  Der 
Sinn  Ciceros  ist  also :  er  läßt  den  Redner  die  Hörer  so 
erschüttern,  daß  es  ihnen  vorkommt,  als  wäre  dies  Testa- 
ment gar  nicht  gemacht  worden;  nicht  aber,  als 
hätte  der  Testator  die  Befugnis  nicht  gehabt,  so  zu 
testieren.  Gegen  diese  allgemeine  Befugnis  braucht  der 
Redner  nicht  anzugehen,  und  kann  dies,  zumal  zu  jener 
Zeit,  wo  die  eben  erst  in  der  Ent\vickelung  begriffene 
querela  inofficiosi  testamenti  noch  ganz  auf  der  subjelc- 
tiven  richterlichen  Kognition  beruht  (s.  d.  Abhandlung  von 
Zimmern  in  seinen  und  Neusteteis  ,, Römisch-rechtliche 
Untersuchungen"  [Heidelberg  1821j,  S.  48fg.),  auch  gar 
nicht  mit  einer  Aussicht  auf  Erfolg  tun.  —  Durch  die 
vorstehenden  Bemerkungen  ist  aber  —  so  sehr  schlagen 
im  römischen  Recht  formales  und  materielles  Recht  von 
selbst  ineinander  um  —  zugleich  die  ganze  Entstehung, 
Bedeutung  und  Entwicklung  der  querela  inofficiosi  testa- 
menti klar  geworden.  Diese  charakterisiert  sich  eben  da- 
durch, daß  nicht  die  Befugnis  des  Testators  angegriffen, 
sondern  wegen  der  Unbilligkeit  dieses  Willens  faktisch 
bezweifelt  wird,  daß  das  Testament  Ausdruck  eines  wahr- 

213 


haften  Willens  sei  (L.  2  u.  5  de  inoff.  lest.,  5,2: 
,,. . .  quasi  non  sanae  mentls  fuisse,  quum  testamentum  ini- 
que  ordinaret").  Das  Gemachtsein  eines  wahren  Te- 
stamentes wird  also  in  Abrede  gestellt.  Hierdurch  erklärt 
sich,  wie  selbst  in  jener  Zeit,  wo  bereits  das  Pflicht- 
teil eingeführt  ist  und  das  Testament  durch  die  Berück- 
sichtigung desselben  gegen  die  Inoffiziositätsquerel  ge- 
schützt wird,  dennoch  die  bei  Nichtberücksichtigung  des 
Pflichtteiles  siegreiche  Inoffiziositätsklage  nicht  die  Er- 
gänzung und  Verabreichung  des  Pflichtteiles,  sondern 
konsequent  das  Nichtdasein  eines  wahrhaften  Testa- 
mentes und  somit  die  —  vielleicht  zugunsten  eines  anderen 
als  des  obsiegenden  Klägers  eintretende  —  Intestaterb- 
folge nach  sich  zieht  (s.  Ulpian,  L.  6,  §1,  h.  t. :  ,,Si 
quis  ex  bis  personis,  quae  ad  successionem  ab  intestato  non 
admittuntur,  de  inofficioso  egerit  [nemo  enim  eum  repellit] 
et  casu  obtinuerit,  non  et  prosit  victoria,  sed  his  qui  habent 
ab  intestato  sucessionem,  nam  intestatum  patrem  fa- 
milias  facit").  —  Als  Justinian  dies  abändert  und  ver- 
fügt (Inst..  §  3  de  inoff.  test.  2,  18.  —  L.  30,  §  2,  L.  36 
C.  h.  t.,  3,  28),  daß  bei  nicht  vollständiger  Hinterlassung 
des  Pflichtteiles  bloß  dieses  ergänzt,  das  Testament  aber 
bestehen  bleiben  solle,  so  ist  hierdurch  —  so  notwendig 
die  Inoffiziositätsquerel  diese  Entwicklung  auch  haben 
mußte  —  das  testamentarische  Erbrecht  jetzt  erst  seinem 
Begriffe  wahrhaft  entfremdet  und  eine  Schranke 
für  die  Befugnis  des  Testators  und  gegen  das  Recht 
des  Erben  (dessen,  der  auch  Erbe  bleibt)  gezogen 
worden.  Denn  selbst  die  Einführung  des  Pflicht- 
teiles, solange  dies  noch  nicht  erzwingbar  ist,  sondern 
seine  Verletzung  nur  das  Testament  umstößt  — -  womit 
also  auch  der  eingesetzte  Erbe  überhaupt  fort- 
fällt — ,  hat  noch  nicht  die  Bedeutung,  die  Befugnis 

214 


der  testierenden  Willensfreiheit  und  die  Fortsetzung  seiner 
Totalität  durch  den  Erben  zu  beschränken,  sondern  nur 
diese,  durch  die  Verabreichung  der  legitima  den  objek- 
tiven Beweis  von  der  normal -menschlichen  Beschaffen- 
heit des  testierenden  Willens,  den  Beweis  gegen  die  Ver- 
mutung ,, quasi  non  sanae  mentis"  und  somit  von  dem 
Dasein  eines  wahrhaften  Testamentes  zu  geben.  In- 
dem jetzt  aber  auch  der  gültig  eingesetzte  Erbe, 
d.h.  der  als  solcher  bestehen  bleibt,  von  dem  Ver- 
mögen des  von  ihm  fortgesetzten  Testators  gegen  dessen 
Willen  abgeben  muß,  ist  jetzt  der  gesamte  spekulative 
Erbrechtsbegriff  zugrunde  und,  wie  wir  dies  überall  bei 
Justinian  gesehen  haben  und  weiter  sehen  werden,  in 
menschliche  Billigkeit  untergegangen. 

Wegen  dieses  bloß  faktischen  Zweifels,  welchen 
die  Inoffiziositätsquerel  darstellt,  muß,  wenn  der  Zweifel 
selbst  wieder  zweifelhaft  wird,  die  Vermutung  zu- 
gunsten des  Testamentes  ausschlagen,  d.h.  so  erklärt  es 
sich,  daß  wenn,  wie  leicht  vorkommen  kann,  der  Intestat- 
erbe gegen  den  einen  Testamentserben  vor  den  centum- 
viris  obgesiegt  hat,  gegen  den  anderen  aber  unterlegen  ist, 
die  Entscheidung  zugunsten  des  Testamentes  die  gegen 
dasselbe  ergangene  besiegt  und  auch  nicht  einmal  eine 
teilweise  Reszission  des  Testamentes  stattfindet  (s.  Mar- 
cellus,  L.  10  de  inoff.  test.  [5,  2])  :  ,,Sie  pars  judicantium 
de  inoff icioso  testamento  contra  testamentum,  pars  secun- 
dum  id  sententiam  dederit,  quod  interdum  fieri  solet,  huma- 
nius  erit,  sequi  ejus  partis  sententiam  quae  secunaum  te- 
stamentum spectavit."  Das  ,,humanius  erit"  wäre  für  un- 
sere heutige  Anschauung  unbegreiflich,  da  es  nach  uns 
humaner  gerade  wäre,  die  Familie  nicht  zu  enterben. 
Aber  der  Römer  findet  es,  da  die  Querel  nicht  die  Rechts - 
befugnis    des   Toten,    sondern   seine   Willensintegrität   an- 

215 


tastet,  ganz  konsequent  humaner,  in  diesem  Falle  des 
Zweifels  dem  Toten  die  Ehre  der  Annahme  seiner  Willens- 
integrität nicht  zu  versagen.  —  Daß  auch  nicht  einmal 
eine  teilweise  Reszission  des  Testamentes  erfolgt,  hat 
nicht  etwa  seinen  Grund  in  der  Regel :  Nemo  pro  parte 
testatus,  pro  parte  intestatus  etc.  Denn  einen  Fall  gibt 
es  allerdings,  wo  diese  teilweise  Reszission  des  Testa- 
mentes eintritt  —  dann  nämlich,  wenn  es  der  filius  fa- 
milias  war,  der  gegen  den  einen  Testamentserben  siegte 
und  gegen  den  anderen  unterlag.  Papinian,  L.  15,  §  2  h.  t. : 
,, Filius  qui  inofficiosi  actione  adversus  duos  heredes  ex- 
pertus  diversas  sententias  judicum  tulit,  et  unum  vicit,  ab 
altero  superatus  est,  et  debitores  convenire  et  ipse  a  cre- 
ditoribus  conveniri  pro  parte  potest,  et  corpora  vindicare 
et  hereditatem  dividere ;  verum  enim  est,  familiae  ercis- 
cundae  Judicium  competere,  quia  credimus  eum  legitimum 
heredem  pro  parte  esse  factum ;  et  ideo  pars  hereditatis 
in  testamento  remansit.  Nee  absurdum  videtur,  pro  parte 
intestatum  videri" 

Bei  dieser  absoluten  Nähe  der  Personen,  bei  dieser 
natürlichen  Identität,  die  den  Testator  mit  dem  filius 
verbindet,  kann,  wenn  derselbe  gegen  den  einen  Erben 
einmal  durchgedrungen  ist,  dieser  Zweifel  am  testie- 
renden Willen  nicht  mehr  vsie  beim  gewöhnlichen  Intestat- 
erben durch  sein  Unterliegen  gegen  den  anderen  heres  er- 
schüttert werden.  Ebenso  große  Kraft  hat  aber  noch  der 
Erbbegriff,  und  der  einmal  als  gültig  ein- 
gesetzt anerkannte  Erbe  kann  gleichfalls  von 
keinem  mehr  überwunden  werden.  Hier  platzen 
also  die  Gegenstände  der  natürlichen  Identität  und  der 
abstrakten  Willensidentität  in  ihrer  größten  Kraft  auf- 
einander, und  da  keiner  weichen  kann,  bleibt  nichts  übrig, 
als  sich  zu  teilen.    In  diesem  Falle  aber  entsteht  nun  die 

216 


Frage :  Wie  verträgt  sich  dies  mit  der  Regel  nemo  pro 
parte?  Die  Erklärung,  die  Gans,  II,  461,  hiervon  gibt 
—  um  anderer  hier  zu  geschweigen  — ,  ist  nicht  richtig. 
Denn  wäre  sie  dies,  so  müßte  sie  notwendigerweise  dazu 
führen,  dies  auch  auf  die  Querel  jedes  Intestaterben,  nicht 
bloß  des  filius,  anzu\venden,  während  hier,  wie  wir  eben 
aus  Marcellus  sahen,  das  Gegenteil  stattfindet.  Auch  ^vürde 
sie  innerlich  nur  auf  die  Erkämpfung  eines  Pflicht- 
teiles durch  den  Intestaterben,  nicht  aber  auf  die  Er- 
streitung des  Erbrechtes  anwendbar  sein.  Allein  hier 
kann  diese  Frage  nur  aufgeworfen  und  auf  ihre  bisherige 
Nichtlösung  aufmerksam  gemacht  werden.  Ihre  wahrhafte, 
mit  dem  faktischen  Charakter  der  Querel  völlig  in  Ver- 
bindung stehende  Lösung  kann  und  wird  sie  erst  nach  der 
Erörterung    des    Suitätsbegriffes    empfangen. 

Indem  jetzt  aber  durch  die  angezogenen  Verordnungen 
Justinians  auch  der  gültig  eingesetzte  Erbe,  der 
als  solcher  bestehen  bleibt,  wenn  nur  irgendein  Teil 
der  legitima  hinterlassen  wurde,  vom  Vermögen  des  von 
ihm  fortgesetzten  Testators  ohne  dessen  Willen  ab- 
geben muß,  wird  jetzt  also  der  aufrechtbleibende 
Erbe  vom  Pflichtteilsberechtigten  überwunden.  Aber 
noch  bis  in  diesen  Verderb  des  Begriffes  hinem  setzt  sich 
der  fgiktische  Charakter  der  Inoffiziositätsquerel  und  die 
obige  Auffassung  des  Pflichtteiles  als  eines  Beweises 
von  dem  Dasein  eines  normalen  Willens  beim  Testator 
deutlich  fort.  Denn  nur  wenn  der  Testator,  indem  er  dem 
Pflichtteilsberechtigten  gar  nichts  hinterließ,  einen  ganz 
unnatürlichen  Willen  bekundet  hat,  soll  das  alte  Recht  be- 
stehen bleiben  und  die  Inoffiziositätsklage  das  Testament 
umstürzen;  hat  er  dagegen  dem  Legitimar  nur  einiges 
hinterlassen  und  so  doch  einen  Beweis  von  der  Normali- 
tät seines  Willens  gegeben,  so  soll  die  Inoffiziositätsklage 

217 


ausgeschlossen  und  nur  die  actio  ad  supplementum 
legitimae  zulässig  sein  (de  inofficioso  querela  quiescente 
id  quod  iis  deest  etc.  Inst.,  §  3,  h.  t. ;  L.  30,  §  2 ;  L.  35, 
§  2  C.  h.  t.). 


XI.    Fortsetzung   der   Bedingungen  der   testa- 
mentifactio.    Der  filius.    Die  Pubertät. 

Daß  der  filius  familias  nicht  testieren  kann,  da  er  noch 
gar  keine  selbständige  Willenssubjektivität  darstellt,  diese 
sich  vielmehr  in  der  Gewalt  eines  anderen  befindet,  würde 
hier  als  selbstredend  gar  keine  Erwähnung  verdienen.  Was 
dagegen  Erwähnung  verdient,  ist,  daß  auch  nicht  einmal 
die  Genehmigung  des  väterlichen  Gewalthabers  ihm  diese 
Fähigkeit  verleihen  kann.  (Gajus,  L.  6  pr.  h.  t.,  28,  1  : 
,,Qui  in  potestate  parentis  est,  testamenti  faciendi  jus  non 
habet,  adeo  ut  quamvis  pater  ei  permittat,  nihilomagis  tamen 
jure  testari  possit.")  Es  spricht  sich  hier  wieder  auf  das 
deutlichste  aus,  daß  das  Testament  etwas  ganz  anderes 
als  eine  Vermögensverlügung  ist.  Zu  Vermögens- 
handlungen kann  der  Vater  den  Sohn  ermächtigen,  z.  B. 
zur  Kontrahierung  von  Anleihen  trotz  des  SC.  Macedonia- 
num  (vgl.   Bd.  I,  S.  485fg.)^),   wie  ja  auch  sein  Wille 


^)  Oder  zu  Schenkungen,  zu  denen  er  ihn  ebenso  gut 
vorher  ermächtigen,  kann,  als,  wenn  sie  ohne  seinen  Willen 
geschehen  sind,  sie  nachträglich  (vgl.  dagegen  die  folgende 
Note)  ratihabieren  kann  (s.  Cicero,  De  legg.,  II,  20,  p- 312, 
Mos. ;  Julian,  L.  2  pr.  und  §  1  de  donat.,  39,  5 ;  Ulpian, 
L.  7  pr.  und  §§  1,  2  eod.  tit.).  Ja,  auch  zur  Schenkung 
von   Todes   wegen   —   denn   auch   diese   ist   nur  eine   Ver- 

218 


und  Recht  allein  hier  in  Betracht  kommt ^).  Aber  auch 
die  väterliche  Gewalt,  so  unbeschränkt  sie  ist,  hat  ihre 
Grenzen  an  der   Logik.   Testieren  ist  der  absoluteste 


mögensverfügung  —  kann  ihn  der  Vater  ermächtigen,  wie  Ul- 
pian  (L.  7,  §§  4  u.  5)  ausdrücklich  sagt  (quamvis  enim  ex 
patris  voluntate  mortis  qiioque  causa  donare  possit),  und  es 
tritt  hier  also  der  jeder  Vermögensverfügung  fremde  idealistische 
Charakter    des   Testamentes   handgreiflich   hervor. 

^)  Noch  deutlicher  vielleicht  tritt  dieser  Unterschied  beim 
Erbschafts  erwerb  hervor.  Der  Vater  kann  den  vom  filius 
familias  ohne  seinen  Willen  vorgenommenen  Erbschaftsantritt 
nicht  nachträglich  ratihibieren  (L.  25,  §  4  de  acqu.  vel  om. 
her.,  29,  2) ;  denn  sich  als  Erbe  konstituieren,  heißt  die  Iden- 
tifikation der  eigenen  Willenssubjektivität  mit  einer  fremden 
vornehmen.  Der  Erbe  muß  also  vor  allem  ein  eigener  und  un- 
abhängiger subjektiver  Wille  sein.  Der  Vater  kann  also  durch 
den  ihn  repräseijtierenden  Sohn  die  Adition  der  Erbschaft  vor- 
nehmen, die  dann  ihm  erworben  wird.  Aber  dann  muß  sein  Be- 
fehl vorausgehen  (jussum  ejus  .  .  .  praecedere  debet).  Ist 
dies  nicht  geschehen,  so  vermag  das  Privatrecht  des  Vaters  nicht 
ex  post  zu  bewirken,  daß  der  Sohn  hatte,  was  er  nicht  hatte, 
eine  selbständige  Willenssubjektivität.  Die  Identifikation  der 
Willen,  d.  h.  die  Adition,  ist  also  gar  nicht  eingetreten,  und  es 
ist,  als  wenn  nichts  geschehen  wäre.  —  Umgekehrt  kann  bei 
der  bonorum  possessio,  weil  diese  eben  keine  solche  Iden- 
tifikation von  zwei  subjektiven  Willen,  sondern  einen  bloßen 
Vermögenserwerb  darstellt,  die  ohne  Wissen  des  Vaters  oder 
Herrn  vorgenommene  Agnition  allerdings  nachträglich 
ratihabiert  werden  (L.  6,  §  1  eod.  tit. :  ,,Sed  in  bonorum 
pKJssessione  placuirt,  ratam  haberi  posse  eam,  quam  citra  volunta- 
tem  agnovit  is,  qui  potestati  subjectus  est."  Ulpian,  L'.  3,  §  7  de 
bon.  poss.,  37,  1).  Die  Schulden  der  Erbschaft  werden  aber 
bei  der  bonorum  possessio  wie  bei  der  hereditas  übernommen, 
und  es  zeigt  sich  daher,  daß  die  ständige  Angabe  der  Autoren, 
Kind  oder  Sklave  könnten  nur  deshalb  nicht  ohne  Wissen  des 
Gewallhabers  eine  Erbschaft  antreten,  weil  sie  ihn  nicht  ohne 
seinen  Willen  mit  Schulden  belasten  können,   falsch  ist. 

21 Q 


Akt  des  menschlichen  Willens,  denn  es  heißt  im  römischen 
Sinne  eben  nicht  über  besondere  Vermögensgegenstände 
verfügen,  wozu  ihn  der  Vater  autorisieren  könnte,  sondern 
einen  anderen,  den  Erben,  zum  Repräsentanten  der  eigenen 
allgemeinen  Willenssubjektivität  machen.  Der  Sohn  ist 
aber  eben  dies,  noch  keine  selbständige  Willenssubjektivi- 
tät  zu  sein.  Der  Vater  kann  ihm  dieselbe  geben  —  so 
entläßt  er  ihn  aus  der  väterlichen  Gewalt.  Was  er  aber 
nicht  kann,  ist  ihm  dieselbe  zugleich  geben  und  zu- 
gleich vorenthalten,  imd  dieser  Widerspruch  würde 
also  vorliegen,  wenn  er  ihn  ohne  Emanzipation  zum  Te- 
stieren ermächtigen  wollte. 

Wie  aber  der  Sohn  keine  Willenssubjektivität  hat,  weil 
sich  dieselbe  in  der  Gewalt  des  Vaters,  so  hat  der  Ver- 
schwender keine,  weil  sich  dieselbe  in  der  Gewalt  der  sinn- 
lichen Gegenständlichkeit  befindet  und  also  ebensowenig 
ein  selbständiges,  geschlossenes  Ich  darstellt.  Der  Ver- 
schwender muß  deshalb  unfähig  sein,  und  es  ist  daher  ge- 
rade sehr  spekulativ,  ihn  als  einen  solchen  hinzustellen,  der 
tatsächlich  gleichsam  ,, seines  Geistes  nicht  mächtig 
(mentis  suae  non  compos)  wäre^). 


1)  L.  12.  §  2  de  tut.  et  cur.  (26,  5).  Mit  Unrecht  also 
nennt  Gans,  II,  155,  diese  Auffassung  des  prodigus,  als  eines 
partiell  Wahnsinnigen,  einen  , .äußeren"  Grund,  der  wie  immer 
im  römischen  Recht  für  das  an  und  für  sich  Wahre  noch 
dazu  gefunden  werden  müsse,  welches  Wahre  er  in  der  Sorgfalt 
des  Staates  erblicken  will,  daß  ,,der  Wohlstand  und  das  Glück 
der  Familien  nicht  durch  Verschwendung  untergraben  werde." 
Diese  äußere  Sorgfalt  für  den  Wohlstand  der  Familie  kann 
nicht  der  Grund  der  Testierunfähigkeit  des  prodigus  in  Rom 
sein,  d.  h.  in  einem  Staate,  wo  nicht  nur  das  unbedingteste 
Enterbungsrecht  gegen  die  Familie  gesetzlich  bestand,  sondern 
auch  überaus  häufig  ganz  grundlos  von  diesem  Rechte  Gebrauch 
gemacht  wird.  (Es  reicht  hin,  das  Zeugnis  der  Institutionen  an- 

220 


Daß  der  impubes  testamentsunfähig  ist,  „quoniam  non- 
dum  plenum  Judicium  animi  habet ■^)',  scheint  ganz  selbst- 
redend zu  sein.  Aber  dies  scheinbare  Licht  verwandelt 
sich  sofort  in  völlige  Dunkelheit,  wenn  nun  auf  das  Wesen 
der  Pubertät  eingegangen  und  weiter  gefragt  wird,  warum 
denn  die  geistige  Reife  an  das  Alter  der  physischen 
Zeugungsfähigkeit  geknüpft  und  diese  zur  Bedmgung 
der  Testierfähigkeit  —  und  aller  Handlungsfähigkeit  über- 
haupt —  gemacht  wird.  Man  hat  sich  bisher  begnügt, 
die  Tatsache  zu  konstatieren,  daß  ,,das  römische 
Recht,  soweit  historische  Nachrichten  aufwärts  reichen, 
annimmt,  mit  der  Geschlechtsreife  sei  zugleich  auch 
der  volle  Vemunftgebrauch  wirklich  vorhanden^)", 
ohne  die  innere  Quelle  dieser  Anschauung  aufzu- 
suchen^), und  auffällig  fast  ist  es,  daß  selbst  denen, 
die  sich  besonders  mit  dem  Einfluß  der  griechischen  Philo- 
sophie auf  das  römische  Recht  beschäftigt  haben,  der  hier 
so  deutlich  vorliegende  Zusammenhang  entgangen  ist.  Der 

zuführen:  Quia  plerumque  parentes  sine  causa  liberos  suos 
vel  exheredant  vel  omittunt  etc.  Inst.  pr.  de  inoff.  test-,  2,  18.) 
Die  Testamentsiinfähigkeit  des  prodigus  hat  daher  ihren  inneren 
Grund  in  dem  Obigen,  und  dieser  hat  seinen  äußeren  Ausdruck 
darin,  daß  dem  prodigus  sogar  das  commercium  abgeht,  was 
wieder  nur  ein  Ausfluß  der  ihm  gänzlich  fehlenden  Willens- 
subjektivität ist;  s.  Ulpian,  Fr.  XX,  §   13. 

^)  Ulpian.  Fr.  XX.  §  12;  vgl.  Gajus.  Comm..  II.  §  113; 
Paulus,   III.  4.  A.  §   1. 

^)  Savigny,  System,  III,  24  u.  54 — 68;  Böcking,  Pandekten 
des    römischen   Privatrechtes    (Bonn    1853),    I,    152. 

^)  Dagegen  wirft  Savigny,  a.  a.  O.,  S.  68,  die  andere 
Frage  auf:  ,,Wie  kam  man  überhaupt  auf  das  Alter  von 
vierzehn  Jahren  als  Zeitpunkt  der  Pubertät?  Dieses  könnte 
zusammenhängen  mit  der  alten  Lehre  griechischer  Phi- 
losophen von  der  Wichtigkeit  der  Zahl  Sieben,  so 
daß   die  Jahre  der   Impubertät   genau  den   doppelten  Zeitraum 

221 


Vater  dieser  geistige*:!  Anschauung  ist  nämlich  kein  anderer 
als  Herakleitos,  der  Dunkle  von  Ephesus,  welcher  auch 
das  Alter  der  Geschlechtsreife  auf  vierzehn  Jahre 
fixierte,  und  bei  welchem  dieser  Gedanke  der  mit  der 
Zeugungsfähigkeit  gegebenen  geistigen  Reife 
nichts  anderes  als  die  notwendige  und  von  ihm  selbst  ge- 
zogene und  weiter  entwickelte  Konsequenz  seines  systema- 
tischen Grundgedankens  war.  Wir  haben  über  den  gei- 
stigen Inhalt  dieser  physisch-ethischen  Anschauung  Hera- 
klits  anderwärts  ausführlich  gehandelt^)  und  können  hier 
nur  darauf  hinverweisen.  Hier  muß  es  genügen,  an  das 
Resultat  der  dortigen  Entwickelung  kurz  zu  erinnern.  Alle 
Vollendung  bestand  dem  Ephesier,  wie  wir  daselbst  sagten, 
, ,nur  in  der  Tätigkeit  des  SichselbstherVor- 
bringens",  in  der  Tätigkeit  eines  jeden,  sich  zu  dem 
,,zu  machen,  was  es  an  sich  schon  ist"  —  diesem 
wahren  Inhalt  des  heraklitischen  Bewegungsprinzipes.  Dies 
Prinzip  durch  das  gesamte  natürliche  und  geistige  Uni- 
versum hindurchführend,  kam,  wie  wir  dort  zeigten,  Hera- 
kleitos notwendig  zu  der  Konsequenz,  wie  die  Vollendung 
der  Pflanze,  so  auch  die  Vollendung  des  Menschen,  die 


der  Kindheit  ausfüllen  sollten."  Allein  Savlgny  selbst  ver- 
wirft diese  auf  pythagoräische  Philosopheme  zurückgehende 
Vermutung  als  unhaltbar.  Durch  die  im  Texte  folgende  Auf- 
lösung erklärt  sich  auch  die  Fixierung  auf  vierzehn  Jahre 
zugleich  mit  dem  geistigen  Gehalt  und  Ursprung  der  Ver- 
knüpfung von  Geschlechts-  und  Verstandesreife  von  selbst. 

^)  S.  unsere  ,, Philosophie  Herakleitos  des  Dunklen  von 
Ephesos"  (Berlin  1858),  II,  189—192  u.  636fg.;  vgl.  S.260fg., 
woselbst  auch  die  Beweisstellen  zu  dem  Obigen.  —  Es  mag 
hier  noch  beiläufig  bemerkt  werden,  daß  auch  die  Zahl  der 
dreißigjährigen  heraklitischen  yeved  (s.  das.)  den  Römern  nicht 
fremd  ist;  s.  Varro  ap.  Censorinum  de  die  nat.,  c.  14  und 
Servius   ad  Virgil.   Aen.,   IV,  653. 

222 


geistige  Reife  —  die  „Einsicht  des  Guten  und 
Bösen  und  der  Belehrung  darüber^)"  —  an  die 
erlangte  Fähigkeit  zu  knüpfen,  „sich  auch  selbst  fort- 
zeugend wieder  hervorbringen  zu  können'  ,  und  sie 
daher  mit  dem  vollendeten  vierzehnten  Jalire  als  dem  von 
ihm  angenommenen  Zeitpunkt  der  Samenabsonderung  ein- 
treten zu  lassen.  Die  Entstehung  und  der  ursprüngliche 
Gedanke  der  Verknüpfung  von  physischer  Zeugungsfähig- 
keit und  Vernunftreife  ist  also,  ebenso  wie  der  Urheber 
der  vierzehn  Jahre,  in  unzweifelhafter  Weise  nachgewiesen. 
Wie  dieser  Gedanke,  daß  der  Mensch  dann  vollendet, 
seinem  Begriff  entsprechend,  oder,  wie  die  heu- 
tige Philosophie  etwa  sagen  würde,  zu  seinem  wahrhaften 
Fürsichsein  gelangt  sei,  wenn  er  zu  der  Fähigkeit  der 
Selbstverwirklichung  gekommen  ist.  sich  selbst  als 
das  zu  setzen,  was  er  an  sich  ist,  wenn  also  das  Er- 
zeugte (das  Kind)  sich  selbst  wieder  als  einen  Er- 
zeugenden darstellen  und  hervorbringen  kann,  —  wie 
diese  Anschauung  durchaus  geeignet  dazu  war,  auch  da, 
wo  sie  um  jeden  Zusammenhang  mit  ihrer  systematischen 
Gedankengrundlage  und  somit  um  jedes  innere  Verständ- 
nis gekommen,  dennoch  die  weiteste  Verbreitung  und  den 
leichtesten  Eingang  bei  den  antiken  Völkern  zu  finden, 
ist  aus  dem  objektiven  Geiste  dieser  Völker^)  von  selbst 
klar.  Entsprach  er  doch  völlig  der  Gesinnung  der  Völker, 
welche  in  dem   Leben   für  den  Staat   und  darum  in  der 


^)  Wie  Plut.  Plac,  V,  24,  von  ihm  und  den  ihm  in  dieser 
v.'ie  in  jeder  Hinsicht  folgenden  Stoikern  berichtet;  siehe 
a.   a.   O. 

^)  Sehr  gut  stellt  Böcking,  Pandekten,  I,  152,  unter  Be- 
ziehung auf  Grimms  Deutsche  Rechtsaltertümer,  S.  447,  der 
römischen  Pubertät  die  deutsche  ,, Mündigkeit"  entgegen,  welche 
„die    Reife   des    Willens,    vermöge    welcher   die    Person    sich 

223 


Fortzeugung  des  Geschlechtes  die  sittliche  Bestimmung 
des  Individuums  sieht ;  stellt  er  doch  selbst  nur  das  ge- 
dankenmäßige Bewußtsein  über  die  dunkle  Vorstellung 
dar,  welche  schon  im  orientalischen  Altertum  in  der  Ehe- 
und  Kinderlosigkeit  eine  Schande  • — •  eben  die  Schande, 
dem  eigenen  Begriffe  nicht  zu  entsprechen  —  erblickt. 

Wenn  daher  einleuchtet,  wie  sich  dieser  Gedanlce  seine 
Aufnahme  auch  im  Rechte  erobern  und  als  Norm  mensch- 
licher Vollendung  auch  zur  Norm  der  juristischen  Hand- 
lungsfähigkeit im  allgemeinen  werden  konnte,  und  mit 
welcher  echten  und  strengen  Gedankenkonsequenz  die  Sa- 
binianer,  mit  der  normativen  Bestimmung  der  vierzehn 
Jahre  sich  nicht  begnügend,  die  individuelle  Unter- 
suchung der  geschlechtlichen  Reife  des  pubes  forderten, 
so  ist  die  noch  ganz  besonders  angemessene  Beziehung, 
in  welcher  dieser  Gedanke  zur  römischen  Testaments- 
fähigkeit steht,  nicht  weniger  klar.  Was  in  der  E  r  b  - 
einsetzung  vor  sich  geht,  ist,  nach  unserer  Entwicke- 
limg,  ganz  dasselbe  was  in  der  Zeugung.  Die  Her- 
vorbringung des  eigenen  Ich  Ist  es,  die  in  beiden 
geschieht,  dort  die  geistig- willkürliche,  hier  die 
natürliche.  Nichts  konsequenter  daher,  als  daß  die 
Erlangung  der  realen  Fähigkeit,  das  eigene  Ich  hervor- 
bringen zu  können,  auch  als  Bedingung  für  seine  v/lllkür- 
liche  Hervorbringung  auftritt. 


selbst  zu  schützen  vermag,  ausdrückt."  Wie  deutlich  tritt 
hier  wieder  die  Geistesrichtung  der  germanischen  Welt  auf  das 
Besondere  der  Person,  in  ihrem  Verhältnis  zu  anderen  beson- 
deren Persönlichkelten,  im  Gegensatz  zu  der  objektiven  Gesin- 
nung der  Alten  hervor. 


224 


XII.    Fortsetzung   der    Bedingungen   der   testa- 
mentifactio.    Das  Wissen. 

Allein  wenn  die  Erbemennung  die  geistige  Hervor- 
bringung des  eigenen  Ich  ist,  so  hat  sie  noch  eine  andere 
Bedingung,  denn  wie  alles  Geistige  muß  sie  dann  ihre 
Wurzel  im  Wissen  haben. 

Wenn  man  daher  hier  nachliest,  was  wir  oben  in  der 
Abhandlung  über  die  faktische  und  Rechtsunwissenheit, 
über  das  Wissen  desjus suum  als  der  einfachen  Inner- 
lichkeit  des  Individuums  auseinandergesetzt  haben 
(s.  Bd.  I,  S.  196  fg.,  und  S.  199,  Note  2),  so  wird  die 
unbedingte  Notwendigkeit  evident  sein,  weshalb  jeder  Irr- 
tum und  jedes  Zweifeln  über  das  Jus  suum  alle  Testier- 
fähigkeit aufheben  muß.  Denn  diese  einfache  Inner- 
lichkeit ist  es  ja  eben,  welche  durch  die  Ernennung  des 
Erben  fortgesetzt  werden  soll,  ohne  die  Gewißheit  über 
das  jus  suum  aber  gar  nicht  da,  sondern  in  Bewußt- 
losigkeit zerflossen  ist.  Denn:  Innerlichkeit  oder 
Subjektivität  heißt  nicht  Sein,  sondern  Fürsich- 
sein,  Wissen  seiner  selbst.  Ohne  dies  Sichselbst- 
wissen ist  also  diese  Spitze  der  Subjektivität,  die  in 
sich  reflektierte  Innerlichkeit,  gar  nicht  vorhanden,  welche 
gerade  auf  den  Erben  durch  seine  Einsetzung  übertragen 
werden  soll.  Und  da  das  Wissen  ebenso  ausgeschlossen 
wird  von  der  Ungewißheit,  wie  von  der  objektiven 
Unwahrheit,  so  muß  hier  der  Zweifel  ganz  ebenso 
wirken,  vv'ie  der  Irrtum. 

Paulus,  L.  14  qui  test.  fac.  (28,1):  „Qui  in  testa- 
mento  domini  manumissus  est,  si  ignorat  dominum  de- 
cessisse,  aditamque  ejus  esse  hereditatem,  testamentum  fa- 
cere  non  potest,  licet  jatn  paterfamilias  et  sui  juris  est; 
nam  qui    incertus  de  statu  suo  est,  certam  legem  testa- 

15   Lassallc.    Ges.   Sc'nrift«n.    Band  XI.  225 


mento  dicere  non  potest"     Ulpian,  Fr.  XX,  §  11 :  ,,Qui 

de  statu  suo  inceHus  est,  fac  ita,  quod  pater  jseregre 
rriörtuo,  ignorat,  se  sui  juris  esse,  testamentum  facere  non 
potest." 

Ulpian,  L.  15  D.  h.  t. :  ,,De  statu  suo  dubitantes  vel 
errantes  testamentum  facere  non  possunt  etc." 

Wenn  irgend  etwas,  so  zeigt  wiederum  dieser  Unfähig- 
keitsgrund, der  nach  der  bisherigen  Auffassung  des  Erb- 
rechtes eigentlich  schlechthin  unerklärlich  bleiben  mußte, 
auf  das  deutlichste,  wie  weit  entfernt  das  römische  Testa- 
ment davon  ist,  seinem  Begriffe  nach  eine  Verfügung  über 
das  Vermögen  zu  sein.  Denn  zu  gültigen  Vermögens - 
handlungen  ist  das  Individuum  durch  den  Mangel  dieser 
inneren  Gewißheit  seiner  selbst  durchaus  nicht  un- 
fähig^), und  Paulus  hebt  deshalb  mit  Recht  scharf  her- 
vor, daß  auch  der  Unwissende  dennoch  bereits  durch  das 
objektive  Faktum  sui  juri  ist.  Aber  eben  weil  die  Erb- 
einsetzung keine  Vermögensverfügung,  sondern  die  Fort- 
setzung der  eigenen  Willenssubjektivität  ist,  welche  ohne 
diese  Spitze  des  individuellen  Fürsichseins  gar  nicht  vor- 
handen ist,  kann  sie  ohne  dieses  innere  Wissen  von  sich 
selbst,  weil  nicht  vorhanden,  auch  nicht  übertragen  wer- 
den, oder,  \vie  dies  Paulus  charakteristisch  ausdrückt,  eine 
„certa  lex"  dem  Testament  nicht  geben. 


^)  So  wenig  unfähig,  daß  der  Irrtxim  darin  sogar,  wie  der 
Rechtsirrtum,  in  der  Regel  schädlich  ist,  das  Individuum 
also  an  seine  Handlung  gebunden  bleibt;  s,  L.  3  pr.  de  ign. 
jur.  et  facti  (22.  6) ;  L.  2,  §  7  de  jure  fisci  (49,  14) ; 
vgl.  Bd.  l  S.  195—205. 


226 


XIII.   Unzulässigkeit    der    ungewissen  Erbein- 
setzung. Die  kaptatorische  Einsetzung.  Die  be- 
dingte Einsetzung.    Die  objektive  und  die  Wil- 
lensbedingung. 

Da  es  aber  die  eigene  Willenssubjektivität  des  Testa- 
tors ist,  welche  im  Erben  sich  selbst  fortsetzt,  so  er- 
fordert gerade  die  Unbeschränktheit  des  Willens  die 
Beschränkung,  daß  der  Testator  die  Erbeinsetzung 
nicht  von  einem  fremden  Willen  abhängig  machen 
kann,  daß  er  also,  ebensowenig,  wie  er  —  was  eigentlich 
erst  zur  Betrachtung  der  Erbfähigkeit  gehört  —  den- 
jenigen zum  Erben  einsetzen  kann,  den  ein  Dritter  wollen 
wird,  einen  bestimmten  Erben  unter  der  Bedingung  ein- 
setzen kann,  daß  ihn  ein  Dritter  wollen  wird.  Denn  durch 
diesen  dritten  Willen  wäre  die  geschlossene  Identität  zwi- 
schen Erblasser  und  Erben  nach  beiden  Seiten  zerstört ; 
die  Fortsetzung  des  subjektiven  Willens  des  Erblassers 
wäre  jemand  übertragen,  der  nicht  der  Erbe  ist,  und  der 
Erbe  wäre  der  Träger  eines  anderen  als  des  erblasse- 
rischen Willens.  Der  erblasserische  Wille  würde  sich  so 
setzen  und  verleugnen  zugleich. 

Gajus^):  ,,Illa  institutio :  Quos  Titius  voluerlt  ideo 
vitiosa  est,  quod  alleno  arbltrio  permissa  est,  nam  satis 
constanter  veteres  decreverunt  testamentorum  jura  ipsa  per 
se  firma  esse  opertere,  non  ex  alieno  arbritrio  pendere." 

Pomponius^):  ,,Atquin  si  quis  ita  scripserit:  si  Titas 
voluerlt,  Sempronius  heres  esto,  non  valet  institutio." 

Hieraus  leitet  sich  von  selbst  auch  die  Ungültigkeit  der 
kaptatorischen   Einsetzungen  ab.    Ungültig  ist  jede  Ein- 


1)  L.  32  de  her.  inst.   (28,  5). 

2)  L.  68  eod.  tit. 


227 


Setzung,  die  an  die  Bedingung  geknüpft  ist,  daß  der  ein- 
gesetzte Erbe  wiederum  den  Erblasser  selbst,  oder  auch 
einen  Dritten  zum  Erben  einsetze^).  Es  ist  von  Inter- 
esse, sich  ganz  klar  zu  machen,  warum  dies  unzulässig 
ist,  während  doch  die  bedingte  Erbeinsetzung  überhaupt 
gültig  ist,  die  Bedingung  sogar  auch  in  eine  reine 
Willenshandlung  des  Erben  gesetzt  werden  kann,  und 
dies  also,  da  ja  auch  die  von  diesem  seinerseits  vor- 
genommene Institution  eine  Willenshandlung  desselben  ist, 
eine  Inkonsequenz  zu  sein  scheinen  könnte.  Ja,  schon  dies, 
daß  die  Erbeinsetzung  an  eine  Bedingung  überhaupt  ge- 
knüpft werden  kann,  kann  unserer  Auffassung  des  Erben, 
den  subjektiven  Willen  des  Erblassers  selbst  darzustellen 
und  fortzusetzen,  zu  widersprechen  scheinen,  da  doch  auch 
hierin  eine  Abhängigmachung  des  Erben  von  Fremden 
einerseits,  eine  Selbstverleugnung  des  testierenden  Willens 
andererseits  zu  liegen,  und  also  die  reine  Willensidentität 
zwischen  ihm  und  dem  Erblasser  aufgehoben  zu  sein 
scheinen  kann.  Bei  Festhaltung  dieses  Begriffes  müßte 
zunächst  nur  die  unbedingte  Erbeinsetzung  zulässig  er- 
scheinen, und  es  wäre  daher  zuerst  zu  zeigen,  warum  dies 
nicht  der  Fall  ist,  worauf  sich  die  vorerwähnten  Punkte 
von  selbst  rechtfertigen  werden. 

Der  Wille  ist  zwar  die  freie  und  von  der  Außenwelt 
unabhängige,  ihr  selbst  entgegentretende  Innerlichkeit 
des  Subjektes.  Aber  er  ist,  wie  wir  dies  bereits  oben  bei 
Beginn  unserer  Entwicklung  hervorgehoben  haben  (S.  34, 
40 fg.),  stets  auf  die  Außenwelt  bezogen.  Der  Wille 
ist  die  auf  die  Außenwelt  als  seinen  Gegenstand  ge- 
richtete Tätigkeit  des  menschlichen  Inneren.   Als  Gegen - 

')  Papinian.  L.  70  de  her.  inst.  (28,  5);  Paulus.  L.  71 
eod.  tit. 

228 


stand  des  Willens  ist  die  Außenwelt  seine  Voraus- 
setzung. Der  Wille  hat  also  an  der  äußeren  Wirklich- 
keit seine  Voraussetzung.  Wenn  er  aber  in  ihr  seine 
Voraussetzung  hat,  so  ist  er  somit  verschieden, 
je  nachdem  die  äußere  Wirklichkeit  diese  oder  jene  ist. 
Er  ist  deshalb  noch  nicht  unfrei  oder  abhängig,  denn  er 
kann  sich  ebensogut  negativ  als  übereinstimmend  gegen 
diese  seine  Voraussetzung,  die  Wirklichkeit,  verhalten, 
d.h.  er  ist  nicht  von  ihr  bestimmt,  sondern  bleibt  freie 
Innerlichkeit.  Da  er  aber  in  der  äußeren  WirkKchkeit 
seine  Voraussetzung  hat  und  daher  verschieden  ist,  je 
nachdem  diese  äußere  Wirklichkeit  diese  oder  jene  ist, 
so  ist  er  von  ihr  bedingt.  Es  liegt  also  wesentlich  in 
der  Natur  des  Willens,  von  der  äußeren  Wirklichkeit 
bedingt  zu  sein. 

Es  ist  also,  wegen  dieses  im  Begriff  des  Willens  selbst 
gelegenen  Verhältnisses  zur  Außenwelt  als  seiner  Voraus- 
setzung, kein  Widerspruch  mit  dem  Wesen  des  Willens, 
wenn  derselbe  ein  anderer  ist  und  sich  einen  anderen  Fort- 
setzer gibt,  je  nachdem  diese  oder  jene  äußere  Wirklich- 
keit eingetreten  sein  wird^). 

Rechtfertigt  sich  hierdurch  die  durch  das  Eintreten 
äußerer  Tatsachen  bedingte  Erbeinsetzung,  so  verhält  es 
sich  nicht  anders,  wenn  die  Bedingung  in  die  Willens - 
handlung  eines  Dritten  gesetzt  wird,  wenn  also  z.B. 
testiert  wird :  Titius  sei  Erbe,  wenn  Mävius  auf  das  Ka- 
pitol  gegangen  sein  wird,  während,  wie  wir  früher  sahen, 
die  Bedingung :  wenn  Mävius  wollen  wird,  das  Testament 
ungültig  machen  würde.  Denn  darauf,  daß  die  Kapitol- 
besteigung  vom  Willen  des  Mävius  abhängt,  fällt  der 
Reflex    nicht,    wie    die    Bedingung    ja    auch    erfüllt    sein 


1)  Inst.,   §§  9,    10  de  her.   inst.    (2,    14). 

229 


würde,  wenn  es  gelungen  wäre,  den  Mävius  gegen  seinen 
Willen  zu  veranlassen,  das  Kapitol  zu  besteigen.  Für 
das  Subjekt  bleibt  auch  die  Handlung  eines  Dritten  bloße 
äußere  Tatsache,  schlechthin  Außenwelt  als  solche,  und 
ob  diese  Tatsache  durch  Willensvermittelung  oder  irgend- 
welche andere  entstanden  ist,  ist  um  so  gleichgültiger,  als 
alle  äußere  Wirklichkeit  selbst  wiederum  das  Produkt 
der  mamnigfachsten  und  nicht  übersehbaren  Vermitte- 
lungen  ist. 

Wird  aber  endlich  die  Bedingung  der  Erbeinsetzung  in 
eine  vom  Willen  des  Erben  selbst  abhängige  Handlung 
gesetzt,  so  liegt  auf  der  Hand,  daß  dies  optimo  jure  zu- 
lässig sein  muß.  Denn  der  Erblasser  läßt  dann  den  Erben 
nach  seinem,  des  Erblassers,  Willen  handeln,  was  den 
wahren  Begriff  des  Erbverhältnisses  bildet,  imd  bewährt 
so  die  zwischen  ihm  und  dem  Erben  stattfindende  Willens - 
Identität,  Es  ist  hier  also  bloß  als  Bedingung  gesetzt 
und  zu  einzelnen  Folgerungen  getrieben,  was  ohnehin  die 
Substanz  des  Erbverhältnisses  bildet,  wie  z.  B.  die  Be- 
dingung der  Erbschaftsantretung  stets  stillschweigend  vor- 
liegen würde. 

Ganz  anders  bei  der  kaptatorischen  Einsetzung.  Auch 
diese  ist  zunächst  eine  bedingte,  und  die  Bedingung  ist  in 
eine  Willenshandlung  des  Erben  gesetzt.  Indem  aber  jede 
Erbeinsetzung  nichts  anderes  als  die  Übertragung  und 
Fortpflanzung  der  eigenen  unendlichen  Willenssubjektivität 
ist,  würde  der  Erblasser,  der  hierin  seinem  Erben  eine 
Vorschrift  machen  wollte,  demselben  nichts  Geringeres  als 
überhaupt  seine  allgemeine  Willenssubjektivität  rauben. 
Der  Erblasser  würde  also  bei  dieser  Bedingung  nicht 
den  Willen  des  Erben  als  einen  mit  ihm  identischen  und 
in  diesem  fortexistierenden  Willen  seinen  eigenen 
Erhalter  und  Träger  setzen,  welche  Identität  er  deshalb 

230 


durch  einzelne  Willenshandlungen,  die  er  ihm  aufgibt,  be- 
währen kann,  sondern  er  würde  in  den  ungeheueren  Wider- 
spruch verfallen,  eben  diese  Fortexistenz  der  all- 
gemeinen Willenssubjektivität,  die  ihn  selber  fortsetzen 
soll,  selbst  aufzuheben.  Diese  Bedingung  wäre  also 
nicht  nur  eine  nichtige,  non  scripta,  sondern  diese  Erb- 
einsetzung muß,  als  eine  sich  selbst  zerstörende,  eine  un- 
gültige sein.  Da  es  nichts  anderes  als  die  metaphysische 
Willensunendlichkeit  selbst  ist,  die  sich  in  der  Ernennung 
des  Erben  Dasein  gibt,  so  woirde  jedes  Binden  und  jeder 
Eingriff  hierin,  statt  eine  Identität  zwischen  beiden  Wil- 
len zu  setzen,  dem  Erben  diese  Willensunendlichkeit  ge- 
rade entziehen^)  und  ihm  das  vernichten,  was  das 
innerste  Wesen  des  Willens  ausmacht,  und  ihn  so- 
mit auch  unfähig  machen,  die  Fortsetzung  des  erblasse- 
rischen Willens  zu  sein.  Ganz  vortrefflich  definiert  da- 
her Papinian,  a,  a.  O.,  kaptatorische  Einsetzungen  seien 
solche  ,,quarum  conditio  confertur  ad  secretum  alienae 
voluntatis".  Es  ist  ein  Eingriff  in  das  innerste  Willens- 
heiligtum, der  hierin  vorgeht,  und  Papinian  übersieht  nur, 
daß,  ohne  den  spekulativen  Erbrechtsbegriff  und  die  aus 
demselben  im  Vorstehenden  entwickelte  Unterscheidung, 
seine  Worte  sich  auch  auf  jede  andere  zur  Bedingung  ge- 
machte Willenshandlung  würden  anwenden  lassen. 

Aus  dem  angeführten  Grunde  muß  es  auch  gleichgültig 
sein,  ob  der  Erblasser  dem  Erben  zur  Bedingung  macht, 
ihn  selbst  oder  einen  anderen  Dritten  einzusetzen.    Denn 


^)  Daher  auch  der  römische  Haß  gegen  die  Erb  ver- 
trage, die  im  germanischen  Recht  sich  solcher  Gunst  er- 
freuen. Sie  stellen  dem  Römer  eine  solche  Veräußerung  der 
unveräußerlichen  Willensfreiheit  dar;  nicht  eine  Ver- 
pflichtung des  Willens,  sondern  ein  Aufgeben  seines  Wesens. 

231 


nicht,  daß  der  Erblasser  sich  selbst  einen  Vorteil  zu- 
wenden will,  macht  die  Bedingung  unerlaubt,  sondern  jener 
negierende  Eingriff  in  das  Wesen  des  Willens  macht  sie 
unmöglich.  Dieser  ist  aber  ebenso  vorhanden,  wenn  ein 
Dritter  der  vorgeschriebene  Erbe  ist,  und  darum  erklärt 
Paulus,  a.a.O.,  dies  für  gleich  unmöglich:  ,,.  .  .  veluti 
si  ita  scripserit :  Titius,  si  Maevlum  tabulis  testamentl  siil 
heredem  a  se  scriptum  ostenderlt  probaveritque,  heres  esto; 
quod  in  sententiam  Senatusconsulti  incidere  non  est  du- 
btum." 

Sind  dagegen  die  Erbeinsetzungen  zwar  gegenseitig, 
aber  auf  gegenseitiger  Freiwilligkeit  beruhend, 
ohne  daß  die  eine  die  Bedingung  der  anderen  ist,  so 
findet  jener  Eingriff  nicht  statt,  und  folglich  sind  die  In- 
stitutionen gültig  :  Papinian,  a.  a.  O. :  ,,Captatorias  insti- 
tutiones  non  eas  Senatus  improbavit,  quae  mutuis  affectio- 
nibus  judicia  provocaverunt." 

Es  kann  aber  auch  die  eine  Erbeinsetzung  offen  als 
Grund  der  anderen  auftreten,  nur  nicht  als  Bedingung. 
Denn  tritt  das  Testament  des  einen  als  Grund  auf  für 
das  Testament  des  anderen  Erblassers,  so  ist  dies  nur  eine 
Vermittelung  für  den  freien  Willen  des  letzteren,  und 
der  Wille  ist  eben  dies,  sich  aus  tausend  beliebigen  Tat- 
sachen zu  vermitteln,  und  seine  Freiheit  besteht  eben  darin, 
daß  ihm  hierin  nichts  vorgeschrieben  werde,  während*  es. 
als  Bedingung  gesetzt,  gerade  die  Willensfreiheit  des 
ersten  Erblassers  aufheben  würde.  Wird  aber  eine  Erb- 
einsetzung als  Grund  gesetzt  für  die  andere,  so  muß  die 
erstere  schon  vorher  geschehen  sein,  während  sie,  wo 
sie  als  Bedingung  auftritt,  in  die  Zukunft  verlegt 
wird.  Vortrefflich  genug  sagt  also  Paulus,  a.  a.  O.,  diesen 
Unterschied  von  Grund  und  Bedingung  in  dem  aus  ihm 
hervorfließenden  Unterschied  der  Zei'en  hervortreten  las- 

232 


send :  ,,Illae  autem  institutiones  captatoriae  non  sunt,  veluti 
si  ita  heredem  quis  instituit :  qua  ex  parte  Tiüiis  me  here- 
dem  instituit,  ex  ea  parte  Maevius  heres  esto,  quia  in  prae- 
teritum,  non  in  futurum  institutio  collata  est." 


XIV.    Das    Legat. 

Es  ist  endlich,  um  den  von  uns  entwickelten  Begriff 
Aq;?>  römischen  Erb  tu  ms  zur  unuiderleglichsten  Evidenz 
zu  bringen,  nur  noch  erforderlich,  einen  Blick  auf  das, 
was  mit  diesem  Erbtum  auf  das  innigste  verknüpft,  aber 
als  sein  absolutes  Gegenteil  mit  ihm  verknüpft  ist, 
auf  das  Legat,  zu  vverfen.  Wir  haben  zwar  schon  hin 
und  wieder  den  Begriff  des  Legates  vorw^eggenommen,  weil 
es  gar  nicht  möglich  ist,  den  reinen  Begriff  dieses  Erb- 
tums  zum  Vorschein  zu  brmgen  ohne  die  Antithese  mit 
diesem  seinen  Gegenpol.  Ebendarum  wird  sich  aber  erst 
in  der  Dogmatik  des  Legates,  in  der  Stellung,  die  der 
Erbe  zu  ihm  einnimmt,  und  in  den  hieraus  hervorfließen- 
den erbrechtlichen  Bestimmungen,  durch  die  blendende 
Helle  dieses  Unterschiedes,  der  Begriff  beider 
zur  absoluten  Gewißheit  bringen. 

Das  Legat  ist  eine  Vermögens  Verfügung.  Das 
Legat  ist  also  im  jus  civile  in  Wahrheit  das,  was  man 
trotz  allem,  was  man  bisher  von  der  Personenidentität  im 
Erbrecht  und  deshalb  hin  und  wieder  auch  von  einem  ge- 
wissen metaphysischen  Charakter  im  Erbrecht  gesprochen 
hat,  bisher  für  den  Begriff  der  Erbschaft  gehalten  oder 
doch  mit  diesem  als  ein  integrierendes  Moment  desselben 
durcheinandergeworfen  hat.    Das  Legat  ist,  um  dies  etwa 

233 


in  eine  kurze  Antithese  zusammenzudrängen,  reines  Ver- 
mögens Vermächtnis,  das  Erbtum  reines  Willens- 
vermächtnis. 

Wir  haben  bereits  S.  88  fg.  gezeigt,  warum  die  Legate 
hinfällig  werden  müssen,  wenn  der  eingesetzte  Erbe  nicht 
£mtritt.  Die  Willensherrschaft  des  Eigentümers  über  seine 
Vermögensgegenstände  kann  nur  wirken,  solange  sein 
Wille  selbst  währt,  kann  also  nach  seinem  Tode  nur  wir- 
ken, wenn  sein  Wille  dennoch  —  im  Erben  —  als 
daseiend  und  fortdauernd  gesetzt  ist^),  was  eben 
nach  uns  die  wahre  und  ganze  Bedeutung  des  römischen 
Erben  ist.  Auf  das  entscheidendste  ist  dies  ersichtlich  bei 
dem  Vindikationslegat,  welches  ja  in  keiner  Weise  mit  dem 
Erben  zusammenhängt  und  keine  persönliche  Schuld  des- 
selben bildet.  Wenn  gleichwohl  auch  dieses  Legat  ohne 
die  Antretung  des  Erben  hinfällig  wird,  so  zeigt  sich  hier 
auf  das  deutlichste,  wie  jede  auch  mit  dem  Erben  selbst 
nicht  verbundene  Willensbestimmung  des  Testators  eben 
nur  durch  die  im  Erben  gegebene  Fortexistenz  seines 
Willens  Kraft  hat.  Es  ist  derselbe  Grund,  weshalb  auch 
formell  vor  der  Erbeinsetzung  kein  Legat  im  Testamente 


^)  Ist  die  Willensherrschaft,  welche  die  Sache  zum  Eigen- 
tum macht,  erloschen,  ohne  daß  vorher  der  Gegenstand  in  das 
Eigentum  eines  anderen  übergegangen  ist,  so  würde  das  Eigen- 
tum aufhören,  Eigentum  (individuelles)  zu  sein,  und  die  Sache 
wieder  zur  bloßen  Gegenständlichkeit  geworden  sein.  Von  hier 
aus  ist  daher  die  abstrakte,  aber  strenge  Konsequenz  erst 
begreiflich,  vermöge  welcher  vor  der  lex  Julia  (s.  Ulpian, 
Fr.  XXVIII,  7)  das  auch  im  prätorischen  Sinne  erb  lose 
Vermögen  herrenlos  und  Sache  des  primus  occupans  wurde, 
wie  Savigny  aus  der  Stelle  des  Cicero,  De  legibus,  II,  19 
bis  21,  entscheidend  nachgewiesen  hat.  (In  der  Zeitschrift  für 
geschichtliche   Rechtswissenschaft,   II,   378.) 

234 


hinterlassen  werden  kann;  denn,  wie  Ulpian  sehr  durch- 
sichtig in  dem  von  ihm  angegebenen  Grunde  hervortreten 
läßt,  die  ganze  Kraft  des  Testamentes  beruht  auf  dem 
fortdauernden  Dasein  des  Willens  im  Erben :  Ante 
heredis  institutionem  legari  non  potest ;  quoniam  et  po- 
testas  testamenti,    ab    heredis  institutlone  inclpit'^). 

Auf  das  schärfste  tritt  dies  nun  auch  konsequent  weiter 
darin  hervor,  daß,  ebenso  wie  nur,  wenn  das  Dasein  des 
erblasserischen  Willens  im  Erben  als  fortdauernd  gegeben 
ist,  legiert  werden  kann,  auch  nur  solange  dieses  Dasein 
fortdauert,  legiert  werden  kann.  Es  ist  also  spekulativ 
ganz  notwendig,  was  Ulpian  (das.  §16)  weiter  sagt: 
,,Post  mortem  heredis  legari  non  potest,  ne  ab  heredis 
berede  legari  videatur;  quod  juris  civilis  ratio  non  pa- 
titur."  Warum  duldet  es  die  ratio  des  jus  civile  nicht,  daß 
von  dem  Erben  des  Erben  legiert  werde  ?  Sicher,  wäre 
die  Erbschaft  eine  Vermögensübertragung,  so  würde 
dieser  Verfügung,  daß  erst  nach  dem  Tode  des  Erben 
ein  Legat  ausgezahlt  werden  solle,  ja  sogar,  daß  dies  aus- 
drücklich von  dem  Erben  des  Erben  geschehe,  ebenso- 
wenig etwas  entgegenstehen,  wie  im  deutschen  Rechte,  wo 
dies  sogar  zur  Grundlage  ganzer  Institute,  wie  z.  B.  der 
Familienfideikommisse,  wird.  Aber  weil  die  Erbschaft 
eine  Willensübertragung  ist,  so  kann  sie  sich  nur 
auf  den  Erben  selbst  erstrecken,  mit  welchem  die  Identität 
wie  eine  Gleichung  geschlossen  ist.  Des  Erben  Erbe  steht 
außerhalb  dieser  Gleichung,  und  kann  nicht  mehr  von  dem 
ersten  Erblasser  den  Willen  desselben  empfangen. 
Wenn  aber  nicht  auf  die  Zeit  nach  dem  Tode  des  Erben, 
so  kann  doch  auf  die  Zeit  seines  Todes  legiert  werden, 
Ulpian,  a.a.O.:  ,, In  mortis  autem  heredis  tempus  legari 


')  Ulpian,    Fr.   XXIV,   §    15. 

235 


potest,  velut :  cum  heres  moriatur."  Denn  diese  Zeit  des 
Todes,  welche  nicht  die  Zeit  nach  dem  Tode  sein  soll/ 
ist  der  ideelle  Zeitmoment,  wo  der  Erbe  als  sterbend, 
aber  darum  auch  noch  als  daseiend  gedacht  wird. 
Und  so  lange  nur  irgend  der  erblasserische  Wille  durch 
das  Dasein  des  Erben  als  fortexistent  gesetzt  ist,  kann  er 
wirken. 


XV.  Das  Vindikationslegat.  Seine  Wirkung, 
quiritarisches  Eigentum  zu  bilden.  Der  Testa- 
tor ein  Gesetzgeber.  DieSabinianerundProku- 
lejaner.  Der  Tote  stärker  als  der  Lebende.  Das 
bedingte  Vindikationslegat.  Die  Kontroverse 
der  beiden  Schulen  und  ihr  Ergebnis.  Die  qui- 
ritarische  Sache  und  die  Quantität.  Die  Ak- 
kreszenz. 

Aus  dem  Gegensatze,  welchen  das  Legat  zum  Erbtum 
bildet,  entwickelt  sich  nun  die  erste  Erscheinungsform 
des  Legates  sofort  von  selbst. 

Der  Erbe  ist  der  Kontinuator  und  Träger  der  all- 
gemeinen Willenssubjektivität  des  Erblassers.  Alles,  was 
sich  also  im  Augenblick  des  Todes  im  Eigentum  des  Erb- 
lassers vorfindet,  ist  notwendig  von  selbst  dieser  Willens- 
herrschaft unterworfen,  gehört  somit,  wenn  auch  nur  folge- 
weise, dem  Erben  mit  demselben  Recht,  mit  dem  es  bis- 
her Eigentum  des  Erblassers  war.  Soll  also  dennoch  eine 
Vermögenszuwendung  an  andere  Personen  eintreten,  so 
kann  dies  zunächst  nur  dadurch  geschehen,  daß  ein  oder 
mehrere  individuell  bestimmte  Gegenstände  von  der  Hinter- 
lassenschaftsmasse ausgeschieden  und  unmittelbar  als 

236 


das  Eigentum  einer  dritten  Person  (des  Legatars) 
gesetzt  werden.  Dies  geschieht  durch  das  sogenannte 
legatum  per  v'mdicationem'^).  Dies  Legat  vollbringt  sich 
daher  durch  den  Willensstoß:  do  lego-).  So  lautet  die 
Formel,  insofern  auf  die  Ausstoßung  des  Gegenstandes 
aus  der  Hinterlassenschaftsmasse  Rücksicht  genommen 
wird.  Da  aber  auch  dabei  auf  den  Gegensatz  im  Ver- 
hältnis des  Erben  und  des  Legatars  zum  Erblasser 
Rücksicht  genommen  werden  kann,  kann  die  Formel  auch 
lauten,  sumito,  sibi  habeto,  capito^).  Es  tritt  nämlich 
hierbei  schon  in  der  Formel  auf  das  deutlichste,  und  ganz 
unserer  Entwicklung  entsprechend,  der  Gegensatz  im 
Wesen  des  Erben  und  des  Legatars  hervor.  Der  Erbe 
soll  etwas  sein,  der  Legatar  etwas  haben,  und  darum 
heißt  es  von  jenem :  heres  esto,  vom  Legatar :  sumito, 
capifo,  sibi  habeto. 

Ausgeschieden  aber  aus  der  Willensherrschaft  des  Erb- 
lassers ist  die  Sache  nur  dann,  wenn  sie  Eigentum  eines 
anderen  geworden  ist.  Darum  wird  durch  dies  Legat, 
sowie  das  Weiterdasein  des  erblasserischen  Willens 
durch  die  Antretung  der  Erbschaft  durch  den  Erben  ge- 
wiß ist,  im  selben  Gedankenmomente  die  Sache  sofort 
und  unmittelbar  zum  Eigentum  des  Legatars;  sie 
steht  in  keinem  Verhältnis  zum  Erben,  und  dieser  hat 
keine  Obligation  und  Verpflichtung  in  bezug  auf  sie  und 
nicht  vom  Erben  zu  fordern,  sondern  durch  Vindika- 


^)  Diese  Abschneidung  und  Ausstoßung  von  der 
Masse,  die  im  Vindikationslegat  geschieht,  tritt  wie  in  allem 
Folgenden,  so  besonders  auch  in  der  Identität  des  legatum  per 
vindicationem  mit  dem  legatum  per  praeceptionem  deutlich 
hervor. 

-)  Ulpian,  XXIV.  §  3;  Gajus,  Comm.,   II,  §   193. 

^)  Ulpian,   a.   a.   O. ;  Gajus,  a.   a.  O. 

237 


tlon  als  seine  eigene  quiritarische  Sache  hat  sie 
der  Legatar  allerwärts  zu  reklamieren. 

Gajus^)  :  „Ideo  autem  per  vindicationem  legatum  appel- 
latur,  quia  post  aditamherediiatem^)  statim  ex  jure  Quiri- 


^)  Comm.,  II.  §  194. 

'^)  Es  ist  daher  nicht  richtig,  mit  Gans,  II,  195,  von  diesem 
Legat  zu  sagen,  es  sei  so  ,,als  wenn  bloß  der  Legatar  und 
die  bestimmte  Sache  vorhanden  wären."  Der  Erbe  kommt  aller- 
dings, aber  nur  als  der  Gegensatz  des  Legats,  als  der  da- 
seiende Wille  dabei  in  Betracht.  Aber  das  Einwirken  und 
NIchteinwirken  dieses  Faktors  erklärt  sich  eben  nur  aus  der 
Erfassung  des  konkreten  spekulativen  Begriffes  des  Erben, 
durch  dessen  Nichterfassimg  Gans  auch  diesen  Gegensatz  not- 
wendig verfehlen  mußte.  Gans  erfaßt  diesen  Begriff  nur  ebenso 
wie  die  positiven  Juristen  in  ganz  ahnender,  abstrakter  und 
unbestimmter,  und  deshalb  unwahrer  Weise.  Hierdurch  ge- 
schieht es,  daß  die  Ausdrücke,  in  denen  er  den  Erb-  und  Le- 
gatsbegriff beschreibt,  hin  und  \vieder  zu  dem  wahren  Wesen 
der  Sache  zu  stimmen  scheinen  können,  unmittelbar  daneben 
aber  wieder  solch  estehen,  bei  denen  dies  durchaus  nicht  mehr 
zutrifft,  und  das  r^eelle  Verfehlen  des  wahren  Begriffes  auf 
das  gewichtigste  dann  bei  der  Auffassung  der  einzelnen  realen 
Rechtsbestimmungen  heraustritt.  So  sagt  Gans  (II,  186),  richtig 
fühlend,  dem  Verhältnis  des  Erben  zum  Testator  komme  „ein 
gewisser  Charakter  von  Idealität  zu".  Aber  das  Mangel- 
hafte ist  eben,  daß  nicht  erfaßt  wird,  worin  dieser  „gewisse" 
Charakter  von  Idealität  besteht.  Darum  folgen  bei  ihm  un- 
mittelbar hierauf  die  nicht  mehr  richtigen  Worte,  das  Ver- 
hältnis des  Erben  zum  Testator  sei  „ein  konkretes,  die  Einheit 
von  vielfachen  Bestimmungen".  Dies  ist  nicht  mehr  rich- 
tig, denn  nicht  in  der  Einheit  von  vielfachen  Bestimmungen, 
sondern  schlechthin  nur  in  der  einfachen  Bestimmung,  das  Dasein 
seines  Willens  zu  bilden,  besteht  der  Begriff  des  Erben. 
Jenes  Ahnen  des  Begriffes  verliert  sich  daher  hierbei  bei  Gans, 
wie  bei  den  positiven  Juristen,  in  die  schwankende  und  nebel- 
hafte Wortbildnerei,  wenn  er  sagt,  daß  im  Erben  ein  „Leben- 
diges und  Persönliches"  liege,  daß  (S.   187)  der  Testator  im 

238 


tüim  res  legatarii  fit ;  et  si  eam  rem  legatarius  vel  ab 
herede  vel  ab  alio  quocumque  qiiL  eam  possidet,  petat, 
vlndicare  debet,  id  est  intendere  rem  suam  ex  jure  Quiri- 
tium  esse." 


Erben  „eine  volle,  lebendige  und  vielseitige  Per- 
sönlichkeit erzeugt,"  welches  letztere  gar  nicht  mehr  zu- 
treffend ist.  —  Gans  ist  so  genötigt,  den  Unterschied  zwischen 
Erben  und  Legatar  darin  zu  sehen,  daß  der  Erbe  vom  Testator 
die  Totalität  des  Vermögens,  der  Legatar  nur  eine  be- 
stimmte, einzelne  Sache  erbt.  Der  Erbe  sei  es,  der 
..nicht  bloß  vom  Testator  etwas  Bestimmtes,  Einzelnes 
erhalten  hat,"  während  bei  dem  Legatar  , .nicht  das  Ideelle, 
die  Einheit  von  Vielfachem,  die  Wesenheit  sei"  (S.  186) 
und  das  Legat  als  das  von  jedem  Zusammenhang  in  der  Sache 
mit  der  Totalität  des  Vermögens  sich  Lossagende,  die  Spitze 
der  Willkür  in  der  testierenden  Willkür  sei  (S.  184,  187). 
Auch  insofern  in  diesen  Sätzen  ein  richtiges  Moment 
unterläuft,  bildet  dasselbe  doch  nicht  den  herrschenden 
Begriff  der  Sache,  sondern  nur  eine  Folge  desselben, 
und  ist  daher  keineswegs  geeignet,  den  Gegensatz  von  Erbe 
und  Legatar  zu  erklären,  sondern  erhält  selbst  erst  seine 
Erklärung  aus  jenem  herrschenden  Begriffe.  Es  läuft  aber 
eben  in  dieser  Auffassiing  nur  ein  richtiges  Moment  unter,  und 
sie  selbst  ist  weit  entfernt  davon,  richtig  zu  sein.  Dies  zeigt 
sich  seitens  des  Erben  darin,  daß  er,  wie  wir  so  ausführlich 
nachgewiesen  haben,  auch  gar  nichts  vom  Verm.ögen  zu  er- 
halten braucht  und  in  den  früheren  Zeiten  so  überwiegend  häufig 
nichts  davon  erhält.  Seitens  des  Legatars  zeigt  es  sich  auf  das 
deutlichste  darin,  daß  auch  der  Legatar  so  gut  wie  der  Erbe 
—  nämlich  als  legatarius  pariiarius  —  eine  ,,Einheit  von 
Vielfachem"  sein,  eine  Beziehung  auf  die  „Totalität  des 
Vermögens"  empfangen  kann.  Ja,  daß  der  generische  Begriff 
des  Legates  nicht  In  der  „atomistlschen  Zusammenhangslosig- 
keit"  der  Einzelheit  mit  der  Totalität  des  Vermögens  besteht, 
zeigt  sich  schon  in  dem  legatum  per  damnatlonem,  in  welchem 
dieser  Zusanmienhang  allerdings  gesetzt  ist.  Der  Unterschied 
von    Vermögenstotalität   imd    Vermögens einzelheit   ist 

239 


Es   ist  daher   nicht   richtig,   wenn   Gajus    (II,  195  fg.) 
in  der  Benennung  dieses  Legates  als  legatum  per  vindi- 


daher  weit  entfernt  davon,  den  Unterschied  zwischen  dem  Be- 
griff des  Erben  und  des  Legatars  anzugeben.  Der  wahre  und 
einfache  begriffhche  Unterschied  von  Erbschaft  und  Legat  ist 
vielmehr  der  Unterschied  von  Wille  und  Sache.  In  der 
Erbschaft  wird  jener,  im  Legat  dieser  übertragen,  und  erst 
aus  diesem  begrifflichen  Unterschied  erhält  jener  andere  von 
Vermögenstotalität  und  einzelnem  Vermögensstück  sein  rela- 
tives Dasein,  seine  Richtigkeit  und  sein  Verständnis. 

Eben  weil  ihm  so  der  wahrhafte  Begriffsunterschied  zwi- 
schen Erbe  und  Legat  abgeht,  gelangt  Gans  zu  dem  großen, 
oben  gerügten  (S.  106,  Note  2;  vgl.  S.  131,  Note  1)  histo- 
rischen Irrtum,  daß  zur  Zeit  der  Zwölftafeln  wegen  der  — • 
gerade  durch  den  echten  Begriff  des  Erbt  ums  gegebenen  — 
unbedingten  Freiheit,  zu  testieren  und  das  Vermögen  durch 
Legate  ganz  zu  erschöpfen,  ein  Unterschied  zwischen  beiden 
noch  gar  nicht  vorhanden  gewesen  sei :  ,,die  testierende  Willkür 
ist  hier  noch  nicht  zu  der  Reflexion  gekommen,  zwischen  der 
Persönlichkeit  und  Substantialität  des  Erben  und  der  Unleben- 
digkeit  und  Leerheit  des  Legatars  zu  unterscheiden.  Die  Will- 
kür ist  hier  noch  in  ihrer  einfachsten  Abstraktion ;  sie  will  bloß 
wollen  können ;  was  dieser  Wille  hervorbringt,  ist  gleichgültig. 
Testamentserbschaft  und  Legat  sind  nach  dem  Ausspruch  der 
Zwölf  tafeln,  uti  legassit,  noch  ganz  ineinander  und  gegen- 
einander gehalten  von  völlig  gleicher  Bedeutung." 
(Gans,  das.  S.  187  fg.)  Die  Größe  dieses  Irrtums  ergibt  sich, 
außer  allem  anderen,  schon  historisch  aus  dem  flüchtigsten 
Blicke  auf  das  Recht  der  sacra,  da  noch  nach  der  älteren 
der  beiden  von  Cicero  erwähnten  Sacraltheorien  die  sacra  auf 
den  Legatar,  wenn  ein  Zivilerbe  da  ist,  niemals,  und 
selbst  nach  der  neueren  dortigen  Theorie  nur  dann  auf  ihn 
übergehen,  wenn  er,  nach  der  lex  Voconia,  für  sich  allein 
ebenso  viel  empfangen  hatte,  als  alle  Erben  zusammen  (s. 
sub  Nr.  III),  während  jeder  Erbe,  wie  klein  immerhin  auch  se.n 
Anteil,  zu  den  sacris  verpflichtet  war.  —  Es  Imuß  ebenso  als  ein 
gewisses  Ahnen  des  Begriffes  bezeichnet  werden,  wenn  Gans 
hin  und  wieder,  wie  schon  in  den  zuletzt  angeführten  Worten, 
den  Erben  im  Verhältnis  zum  Legatar  als  das  ,, Höhere,  Sub- 

240 


cationem  eine  unpassendere,  weil  nar  vom  Hinterher  der 
Wirkung  entlehnte,  Bezeichnung  sieht,  als  in  der  Be- 
nennung legatum  do  lego.  Denn  in  diesem  Hinterher  der 
Wirkung  —  der  Vindikation  —  tritt  vielmehr  aufs  stärkste 
die  eigentliche  begriffliche  Natur  dieses  Legates  hervor, 
daß  ein  Gegenstand  von  der  Vermögenshinterlassenschaft 
des  Erblassers  abgeschnitten  und  als  unmittelbares  Eigen- 
tum eines  anderen  gesetzt  worden  ist. 

Ebenso  ist  es  nicht  richtig,  wenn  Gans  meint,  daß  in 
der  Bezeichnung  dieses  Legates  als  legatum  do  lego  ,, dieses 
letzte  subjektive  Wollen  der  Willkür  liegt".  Die  Will- 
kür ist  vielmehr  in  gleichem  Maße  bei  allen  Arten  der 
Legate  vorhanden.  Was  in  dieser  gehäuften  und  schnellen 
stoß^v'eisen    Aufeinanderfolge    der    Worte    do    lego    etwa 


stantielle,  gegenüber  der  Leerheit  der  Willkür,"  charak- 
terisiert. Fragt  man  aber  bei  Gans  nach  der  Bedeutung  und 
dem  Inhalt  dieses  Substantiellen,  das  im  Testamenterben  liegen 
soll,  so  erhält  man  —  da  Gans  die  wirkliche  Substantialität 
nur  in  der  Intestaterbschaft  sieht  —  zur  Antwort,  daß  die 
Erbeinsetzung  wiederum  selbst  nichts  anderes  als  diese  höchste 
Leerheit  der  absoluten  Willkür  sei,  die  sich  selbst  aber,  in 
einer  durchaus  unerklärten  Weise,  als  etwas  höchst  Heiliges 
und  Substantielles  vorgekommen  sei  (z.  B.  S.  183  fg.  u.  a. 
and.  O.).  Damit  fällt  aber  auch  wieder  jener  Gegensatz  von 
Erbe  und  Legatar  völlig  in  sich  selbst  zusammen,  wie  anderer- 
seits eben  dadurch  die  wahre  Bedeutung  des  römischen  Erb- 
rechtes und  damit  der  kulturhistorische  Fortschritt  der 
römischen  Geistesstufe  überhaupt,  das  positive  Moment, 
welches  Rom  in  der  weltgeschichtlichen  Entwicklung  der  Frei- 
heit bildet,  verfehlt  wird. 

Wenn  daher  Gans,  zur  Erklärung  dessen,  daß  die  Legate 
durch  das  Ausschlagen  des  Erben  hinfällig  werden,  sagt  (das. 
S.  188),  daß  „jene  Einzelheit  nur  in  diesem  Substantiellen  ihre 
Wurzel  haben  könne,"  so  ist  auch  dies  nur  ein  Sagen  und 
Versichern  jenes  positiven  Rechtssatzes,  der  deshalb  gleich- 
falls bei  ihm  noch  gänzlich  unbegriffen  und  unbewiesen  bleibt. 

16   La?«Ue.  Ge..  Srhnft<fn.  Bard  XI  •  241 


liegen  kann,  ist  offenbar  die  Abschneidung  des  Gegen- 
standes von  der  Vermögens masse  des  Testators. 

Wir  haben  gezeigt,  warum  durch  dies  Legat,  sowie  die 
Fortdauer  des  erblasserischen  Willens  durch  die  Erb- 
antretung gewiß  ist,  die  Sache  sofort  und  unmittelbar  zur 
quiritarischen  Sache  des  Legatars  werden  muß.  Dieser 
Punkt  verdient  eine  besonders  scharfe  Beleuchtung,  weil 
in  ihm  wieder  in  besonders  markiger  Weise  das  gesamte 
Wesen  des  Testamentes  hervortritt. 

Hier  wird  also  quiritarisches  Eigentum  übertragen, 
ohne  daß  eine  in  jure  cessio,  noch  eine  Manzipation  mit 
dem  Erwerber  stattgefunden  hat ;  ja,  nicht  einmal  eine 
Tradition  ist  vorgegangen.  Es  müßte  dies  allen  römischen 
Rechtsbegriffen  zu  widersprechen  scheinen,  aber  jetzt,  nach 
unserer  begrifflichen  Analyse,  ist  nichts  notwendiger  und 
nichts  beweisender  als  dieser  Punkt.  In  der  Tat,  wie  sollte 
hier  von  einem  Eigentum  ex  jure  gentium  die  Rede  sein 
können,  da  diese  Fähigkeit,  über  den  Tod  hinaus  wollen 
und  etwas  nach  dem  Tode  zum  Eigentum  eines  anderen 
machen  zu  können,  gar  nicht  ex  jure  gentmm  ist^)?  Nur 
in  dem  Dasein  dieses  spezifischen  Volksgeistes  wurzelt 
sie,  und  man  könnte  daher  sagen,  sie  sei  die  am  spezi- 
fischsten römische  Übertragungsweise  von  allen.  Dieser 
spezifische  Volksgeist  feiert  in  diesem  Akte  seine  höchste 
Selbstbetätigung,  die  höchste  Gewißheit  seines  Daseins 
und  Inhaltes.  Mit  der  ganzen  Wucht  dessen,  was  den 
wahrhaften  welthistorischen  Inhalt  des  römischen  Geistes 
bildet,  und  diesen  besiegelnd,  testiert  jeder  Römer,  und 
der  Satz,  daß  dies  Legat  quiritarisches  Eigentum 
wird,  hat  daher  gar  keinen  anderen  Inhalt,  als  der  Satz 
testamenti  factio  juris  publici  est  nach  unserer  obigen  Er- 


^)  Vgl.  hiermit  oben  S    163  und  Nr.  X. 
242 


klärung  (Nr.  X).  Wenn  aber  jeder  Römer  so  mit  der 
ganzen  Wucht  des  öffentlichen  Geistes  und  öffentlichen 
Rechtes  in  seiner  einzelnen  Hand  testiert,  so  ist  jetzt  wahr- 
haft durchsichtig  die  Definition,  die  Ulpian,  Fr.  XXIV, 
§  1  vom  Legate  gibt :  ,,Legatum  est,  quod  legis  modo, 
id  est  imperative,  testamento  relinquitur."  Das  Legat  ist 
ein  Gesetz,  denn  der  absolute  Inhalt  des  gesamten  römi- 
schen Volksgeistes,  das  allgemeine  Schicksal  und  Dasein 
desselben  steht  eben  dabei  auf  dem  Spiele,  daß  diese 
menschliche  Unendlichkeit,  dieses  Wollenkönnen  über  den 
Tod  hinaus,  da  sei. 

Wenn  daher  sein  Wille  bei  seinem  Leben  Privatwille 
war,  so  ist  er  öffentlicher  Wille  bei  seinem  Tode. 
Wie  oft  hat  man  nicht  den  Satz  gesagt,  daß  der  römische 
Testator  einem  Gesetzgeber  vergleichbar  sei!  Aber 
dieser  Satz  war  stets  in  dem  flachen  Sinne  gemeint  wor- 
den, dadurch  nur  die  unbeschränkte  Freiheit  des  testieren- 
den Privatwillens  zu  bezeichnen,  respektive  das  Komitien- 
testament  als  ein  Gesetz  wegen  der  Beseitigung  der  auf 
Gesetz  beruhenden  Intestaterbfolge  zu  erklären^).  Wir 
zeigten  aber  daselbst  bereits,  daß  durch  den  circulus  vitio- 
sus  solcher  nichts  erklärenden  Erklärungen  immer  nur  als 
das  Erklärende  gesetzt  wird,  was  vielmehr  vor  allem  selbst 
einer  Erklärung  bedürftig  wäre  und  diese  nur  aus  dem  zu 
Erklärenden  empfangen  würde.  Das  Testament  kann  nicht 
eine  lex,  der  Testator  ein  Gesetzgeber  sein,  weil  das 
Testieren  in  den  Volkskomitien  vor  sich  geht ;  sondern  um- 
gekehrt:  nur  wenn  das  Testament  eine  lex,  der  Testator 
em  Gesetzgeber  ist,  wird  sich  hieraus  begreifen  lassen, 
wie  so  er  dazu  kommen  kann,  in  den  Komitien  zu  testieren. 
Mehr  vielleicht  als  alles  andere  hat  dieser  ganz  allgemein 


1)  Vgl.   oben   S.  42.    .^nm. 
16-  243 


bei  den  Juristen  grassierende  Formalismus  des  Den- 
kens —  sehr  verschieden  von  dem  alten  produktiven 
Formalismus  des  römischen  Rechtes,  der  durch  seinen 
geistigen  Inhalt  zugleich  bewirkt,  daß  die  römischen  Ju- 
risten bei  der  Gesetzes  au  siegung  unter  dem  Schein  des 
Wortformalismus  immer  den  spekulativen  Gedanken 
treffen  und  festhalten  —  die  Resultatlosigkeit  juristischer 
Untersuchungen  verursacht.  Es  wird  bei  dieser  Methode 
des  Räsonnierens  immer  so  zu  Werke  gegangen,  als  wenn 
nicht  die  geistige  Bedeutung  eines  Aktes  oder  Institutes 
das  tätige  Prius  wäre,  welches  seine  Form  nach  sich 
zieht  und  in  ihr  sich  Ausdruck  gibt,  sondern  als  wenn 
diese,  man  weiß  nicht  woher  geflogene,  Form  das  Prius 
wäre,  aus  welchem  sich  erst  die  Befugnisse  und  Bedeu- 
tung des  Aktes  entwickelten.  Das  positive  Material  er- 
mangelt nie,  die  gänzliche  Nichtigkeit  solchen  angeblichen 
Erklärens  haarscharf  nachzuweisen.  Aber  an  diesem  posi- 
tiven Material  wird  dann  mit  fest  zugedrückten  Augen  vor- 
übergegangen. Sprechend  zeigt  sich  das  wieder  an  dem  in 
Rede  stehenden  Fall.  Und  zwei  Beweise  mögen  hier  ge- 
nügen, von  denen  der  zweite  in  dem  uns  eben  beschäftigen- 
den Vindikationslegat  liegt,  der  erste  aber  eine  kurze  Ab- 
schweifxmg  auf  das  jus  sepulcrorum  erfordert.  —  Die  rö- 
mischen Grabstätten  waren,  als  loca  religiosa,  extra  com- 
mercium. Aber  abgesehen  von  der  Nichtigkeit  der  Ver- 
äußerung und  von  der  Strafe,  welche  dieselbe  infolge  der 
lex  Julia  de  sacrilegis  nach  sich  ziehen  konnte,  war  es 
Sitte,  daß  der  Erblasser  auch  in  den  Inschriften  der 
Grabmonumente,  die  er  sich  häufig  schon  während 
seiner  Lebzeiten  zu  errichten  pflegi:e,  eine  beliebige  Ver- 
mögensstrafe für  den  Fall  der  Veräußerung,  Ver- 
mietung oder  Verpfändung  gegen  die  Zuwiderhandelnden 
festsetzte,  Strafen,  welche  nach  diesen  Inschriften  immer 

244 


an  die  Vestalinnen  oder  die  Kasse  der  Pontifices  oder  an 
das  öffentliche  Ärarium  zu  zahlen  waren.  Man  sehe  zahl- 
reiche solche  Grabinschriften  mitgeteilt  bei  Gutherius,  De 
jure  manium^).  Diese  Vermögensstrafen  waren  häufig 
sehr  bedeutend").  Daß  diese  vom  Erblasser  in  den  In- 
schriften \ erhängten  Strafen  im  älteren  Recht  nicht  ohne 
Effekt,  nicht  zum  Spaß  dahin  geschrieben  sein  konnten, 
ergibt  sich  schon  aus  dem  Dasein  dieser  Inschriften  von 
selbst^).  Nun  brauchte  ein  solcher  Erblasser  aber  die 
Strafandrohung  auf  der  Inschrift  nicht  im  Testamente 
zu  wiederholen.  Ja,  er  konnte  überhaupt  intestatus  sterben. 
Woher  also,  wenn  das  Testament  nur  deshalb  em  Gesetz 
ist,  weil  es  in  den  Komitien  errichtet  ist,  kommt  dem  Erb- 
lasser bei  dieser  Grabmäler Verfügung,  die  nicht  in  dem 
Testament  zu  stehen  braucht,  die  von  dem  intestatus  ge- 
troffen werden  kann,  die  gesetzgeberische  Stellung, 
die  Straf gewalt  zu?  Aber  noch  mehr!  Nach  allen 
heutigen  Begriffen  vom  römischen  Erbrecht  würde  er  diese 

1)  Lib.  III.  c.  5,  6.  p.  413-419.  ed.  Par.  1615. 

^)  Eine  dieser  Inschriften,  bei  Gutherius,  S.  410,  eine 
Brundisische,  verfügt  sogar  die  Konfiskation  des  ganzen  Ver- 
mögens der  Zuwiderhandelnden:  SI  QUI  ADVERSUS  ID 
FECERINT.  EORUM  BONA  PERTINERE  DEBE- 
BUNT  AD  REMPUBLICAM  BRUNDISINORUM. 

^)  Siehe  Gutherius.  S.  418  fg.  —  Vgl.  was  wir  noch  in 
den  Rechtsquellen  über  die  Strafen,  unter  welchen  der  Te- 
stator dem  Erben  gültig  auferlegen  kann,  ihm  ein  Monument 
zu  setzen,  finden.  L.  27  de  condit.  et  demonstrat.  (35,  1). 
Zu  Justinians  Zeit  wußte  man  damit  nicht  mehr  viel  anzufangen 
und  setzte  es  in  den  Titel  de  conditionibus  etc.  Aber  es  ist 
keine  conditio,  und  diese  Versetzung  ist  falsch,  nach  Mar- 
cianus  selbst,  L.  2  de  his  quae  poenae  causa  (34,  6) :  „Poe- 
nam  a  conditione  voliintas  lestatoris  separat,  et  an  poetia,  an 
conditio,  an  translatio  sit.  ex  voluntate  defuncti  apparet  idque 
Divi   Severus  et   Antoninus   rescripseinint." 

245 


Kompetenz  doch  höchstens  nur  haben  könn^i  seinen  Erben 
und  den  Erben  derselben  gegenüber.  Die  Inschriften  aber 
zeigen  das  Gegenteil.  Nach  denselben  bestraft  der  Erb- 
lasser den  fremden  Käufer  ebenso  und  mit  der- 
selben Strafe  wie  den  Verkäufer  (s.  Inschrift  auf 
S.415  daselbst:  ...ET  EI  CUI  DONATUM  VEL 
VENDITUM  FUERIT,  EADEM  POENA  TENE- 
BITUR.  Inschrift  auf  S.416:  . . .  DARE  DAMNAS 
ESTO  AERARIO  POPULI  ROMANI  .  .  .  EMP- 

TOR  ET  VENDITOR).  Wenn  das  Testament  nur  in- 
sofern ein  Gesetz  ist,  als  es  an  Stelle  der  gesetz- 
lichen Intestaterbfolge  tritt,  und  zur  Dispensation  von 
dieser  daher  die  Errichtung  in  den  Komitien  nötig  ist,  und 
dem  Testamente  hierdurch  den  formellen  Charakter  einer 
lex  gibt,  —  \vie  kann  der  Erblasser  oder  Testator,  wenn 
man  selbst  seine  Verfügung  auf  dem  Grabmonument  um  der 
ideellen  Gleichartigkeit  willen  als  einen  letzten  Willen, 
als  ein  Testament  auffaßt,  über  den  ihm  ganz  fremden 
Käufer,  der  weder  Erbe  noch  Legatar  aus  dem  Testament 
ist  und  mit  dem  Intestatgesetz  und  der  Dispensation  von 
demselben  gar  nichts  zu  tun  hat,  wie  kann  er  über  dieses, 
in  gar  keinem  Verhältnis  zu  ihm  stehende  andere  dritte 
Subjekt  Strafen  verhängen  ?  Woher  schöpft  er  diese 
höchst  materielle  gesetzgeberische   Gewalt? 

Statt  diese  Fragen  zu  lösen,  hat  man  vorgezogen,  sie, 
wie  so  viele  andere,  niemals  auf  zuwerfen  und  jenes  jus 
sepulcrale,  etwa  wie  einen  archaistischen  Schnörkel,  gänz- 
lich unbeachtet  zu  lassen.  Als  wenn  nicht  gerade  jene 
Gräberverfügung  eben  um  ihrer  gedoppelten  Stellung  wil- 
len, formell  kein  Testament,  nach  ihrem  geistigen  In- 
halt aber  dasselbe,  was  ein  Testament,  letztwillige  Ver- 
fügung über  die  Fortbewahnmg  des  eigenen  aufgehobenen 
Ichs  zu  sein,  am  schneidendsten  hätte  hervortreten  lassen 

246 


müssen  —  und,  wie  man  sieht,  auch  wirklich  hervortreten 
läßt  — ,  was  aus  der  geistigen  Bedeutung,  aus  dem 
Begriffe  des  Testamentes  folgt.  

Die  Lösung  der  aufgeworfenen  Fragen  ergibt  sich  von 
selbst,  wenn  wir  uns  dem  zweiten  Beweise,  dem  uns  be- 
schäftigenden Vindikationslegat  wieder  zuwenden.  Wir 
können  die  Eigentümlichkeit  desselben,  die  wir  jetzt  be- 
trachten wollen,  ebensogut  aus  jenem  jus  sepulcrale,  als 
jenes  aus  dieser  erklären.  Denn  beide  sind  eben  nur  die 
Darstellung  und  der  Ausdruck  des  in  ihnen  hervor- 
tretenden gemeinschaftlichen  Begriffes.  Beide  sind 
schon  in  jenem  obigen  Satze  enthalten,  daß  der  Wille  der 
Person,  wenn  er  Privatwille  war  bei  ihrem  Leben, 
zum  öffentlichen  Willen  wird  bei  ihrem  Tode. 

In  der  Tat,  die  Wahrheit  des  Satzes,  daß  der  Te- 
stator ein  Gesetzgeber  sei,  liegt  nicht  darin,  daß 
das  Testament  in  den  Komitien  errichtet  wird,  sondern  sie 
liegt,  zugleich  mit  dem  Grund,  warum  dieses  Testieren  in 
den  Komitien  überhaupt  möglich  Ist^),  in  dem  oben  ent- 
wickelten Sinne,  daß  jene  Willens fortdauer  das  Innerste 
des  öffentlichen  Geistes  bildet,  dem  der  Testator  Dasein 
gibt,  weshalb  seine  Verfügung  mit  der  ganzen  Kraft 
des  öffentlichen  Geistes  bekleidet  ist.  Im  Tode 
steht  dem  Römer  zu,  was  er  im  Leben  niemals  ver- 
mochte. Im  Tode  erweitern  sich  seine  Befugnisse;  im 
Tode  verklärt  er  sich  zum  Gesetzgeber.  Er  muß 
sich  zum  Gesetzgeber  verklären  infolge  seines  eigenen  Be- , 
griffes  und  in  dessen  Interesse,  denn  er  soll  jetzt  ja  seinen 
Willen  als  einen  fortdauernden  und  aller  Außen- 
welt gegenüber  bestehenden,  d.  h.  als  Gesetz, 
setzen.   Er  muß  und  kann  sich  aber  auch  zum  Gesetz- 


1)  Siehe  oben  S.  203  fg. 

247 


geber  verklären  den  anderen  Rechtssubjekten  gegenüber 
und  deren  Rechtsspbäre  verletzen.  Denn  diesem  meta- 
physischen Interesse  des  öffentlichen  Geistes 
gegenüber,  welches  in  ihm  ruht,  kommen  die  anderen 
Rechtspersonen,  welche  gegen  ihn,  den  Toten,  bloße 
Privatwillen,  bloße  Lebende  sind,  gar  nicht  in 
Betracht.  Und  darum  muß  diese  gesetzgeberische  Kraft, 
noch  viel  stärker  und  entscheidender  als  in  der  Definition 
Ulpians,  in  den  realen  juristischen  Konsequenzen 
hervortreten,  sowohl  in  dem  jus  sepulcrale^)  als  in  dem 
Vindikationslegat.  Während  nämlich  alles  Eigentum  nie 
ohne  den  Willen  des  Erwerbers  übertragen  werden  kann, 
während  dieses  Moment  des  Wissens  und  Wollens  gerade  auch 
beim  Erbrecht,  wie  wir  später  sehen  werden,  von  fun- 
damentalster Wichtigkeit  und  ohne  dasselbe  ein  Erbschafts- 

^)  Hier  hat  er  das  stärkste  Attribut  des  Gesetzgebers,  die 
Strafgewalt,  weil  er  hier  nur  über  seine  eigene  Fort- 
dauer, die  Fortexistenz  seines  aufgehobenen  Ichs,  dekretiert. 
—  So  unterscheidet  sich  auch  diese  poena  von  dem  legatum 
poenae  nomine,  welches  im  älteren  Recht  (s.  Gajus,  II. 
235;  Ulpian,  XXIV,  17)  unzulässig  war,  unter  welchem  aber 
immer  ein  solcher  Befehl  verstanden  wird,  welchen  der  Te- 
stator dem  Erben  in  bezug  auf  dessen  ihn  selbst  (den  Erben) 
persönlich  betreffendes  Handeln  erteilt  (weshalb  auch  immer 
das  Beispiel  angeführt  wird:  Si  heres  meus  filiam  suam  Titio 
in  matrimonium  collocaverit,  X  Millia  Sejo  dato),  nie  aber 
ein  solcher  Befehl,  durch  welchen  ein  auf  den  Erblasser 
selbst  bezügliches  Handeln  geboten  wird,  wie  wir  ganz  klar 
aus  der  in  Note  3,  S.  245,  angez.  L.  27  ersehen,  wo  die  vom 
Erblasser  über  den  Erben  in  bezug  auf  ein  ihm  zu  errich- 
tendes Grabmonument  verhängte  Strafe  als  eine  gültige  be- 
handelt wird.  Eben  wegen  dieses  Unterschiedes  aber  können 
wir  uns  hier  der  Untersuchung  entschlagen,  ob  das  legatum 
poenae  nomine,  welches,  im  älteren  Recht  ungültig,  von  Ju- 
stinian  erlaubt  wird   (L.   un.   C.   de  his   quae  poenae   causa 

245 


erwerb  nicht  denkbar  ist,  steht  dem  Testator  bei  diesem 
Legat  ein  Größeres  zu.  Durch  seine  alleinige  Dis- 
position und  ohne  Wissen  und  Wollen  des  Legatars  macht 
er  die  Sache  zum  Eigentum  desselben,  gerade  wie  durch 
ein  Gesetz  das  Individuum  ohne  sein  Wissen  und  Wollen 
sofort  mit  dem  Eigentum  befaßt  wird,  das  es  verleiht^). 
Dies  ist  in  jener  Kontroverse,  deren  tiefe  Notwendig- 
keit von  hier  aus  klar  wird,  die  Meinung  der  Sabinianer, 
welche  ausdrücklich  behaupten,  sofort  durch  den  Erb- 
schaftsantritt werde  die  durch  das  Vindikationslegat  ver- 
machte Sache  auch  ohne  Wissen  des  Legatars  zu  dessen 
Eigentum,  und  höre  nur  auf  solches  zu  sein,  wenn  er 
sie  ausschlage,  während  umgekehrt  die  Prokulejaner,  fest- 
haltend daran,  daß  Eigentumsübertragung  im  allgemeinen 


etc.,  6,  41),  schon  in  einer  ältesten  Zeit  gültig  war  und 
von  Justinian  nur  wiederhergestellt  wird,  freilich  mit 
einem,  durch  die  Verschiebung  des  gesamten  Erbbegriffes,  ganz 
anderen  Begriffsinhalte,  als  es  in  jener  ältesten  Zeit  gehabt 
haben  würde,  —  wie  wir  einen  ähnlichen  organischen  Trieb 
in  der  römischen  Rechtsbildung,  am  Ende  auf  das  ur- 
sprünglichste, aber  mit  einem  nun  ganz  geänderten  gei- 
stigen Inhalt,  zurückzukehren,  schon  oben  bei  der  jus'cinia- 
ncischen  Befreiung  des  Testators  von  der  falzidischen  Quart 
gesehen  haben   und   weiter   gelegentlich   konstatieren  werden. 

^)  Während  es  bekanntlich  heißt,  Ulpian.  L.  19,  §  2  de 
donat.  (39,  5):  ,,Non  potest  llberalitas  nolenti  acquiri."  — 
Kami  ihm  wider  seinen  Willen  zugewendet  werden,  so  wu"d 
er  auch  wider  seinen  Willen  beschädigt  werden  können, 
und  so  werden  wir  später  sehen,  wie  noch  die  Kaiserkonsti- 
tutionen dem  Testator  ausdrücklich  das  Recht  zuerkennen, 
,,ln  fraudem  creditorum"  die  Sklaven  durch  Testament  frei- 
zulassen, was  er  bei  Lebzeiten  niemahi  können  würde.  Aber 
im  Leben  ist  er  auch  nur  ein  Rechtssubjekt  gegen  andere  Rechts- 
subjekte. Im  Testament  dagegen  sind  die  Kreditoren,  wie  wir 
oben  sagten,   ,,bloß  Lebende"  gegen  ihn,  den  Toten. 

249 


und  aller  Erbschaftserwerb  insbesondere  nur  durch  das 
Wissen  und  ^X^ollen  des  erwerbenden  Individuums  ver- 
mittelt und  angeeignet  werden  kann,  die  legierte  Sache  erst 
durch  den  Willen  des  Legatars  in  sein  Eigentum  über- 
gehen lassen. 

Gajus,  Comm.,  II,  195:  „In  eo  vero  dissentiunt  pru- 
dentes ;  nam  Sabinus  quidem  et  Cassius  ceterique  nostri 
praeceptores  quod  ita  legatum  sit,  statim  post  aditam  here- 
ditatem  putant  fieri  legatarii,  etiam  s'i  Ignoret  sibi  legatum 
esse  dimissum,  et  posteaquam  sclerlt  et  sprevent  legatum, 
perinde  esse  atque  si  legatum  non  esset.  Nerva  vero  et 
Proculus  ceterique  illius  scholae  auctores  non  aliter  pu- 
tant rem  legatarii  fieri,  quam  sie  voluerit  eam  ad  se  per- 
tinere;  sed  hodie  ex  divi  Pii  Antonini  constitutione  hoc 
magis  jure  uti  videmur  quod  Proculo  placuit  etc." 

Wir  haben  diese  Kontroverse  eine  notwendige  genannt. 
Ihre  Notvv'endigkeit  entsteht  nämlich  aus  dem  Konflikt,  in 
welchen  m  diesem  Legat  die  Souveränität  der  beiden 
Ich.  die  miteinander  in  Beziehung  treten  (des  Erblassers 
und  Legatars),  geraten  muß.  Die  Souveränität  des  im 
Legatar  vorhandenen  Ich  verlangt,  daß  seiner  streng  ge- 
schlossenen Unabhängigkeitssphäre  nichts  ohne  seinen 
Willen  einverleibt  werden  kann.  Die  im  Testament  trium- 
phierende Unendlichkeit  des  subjektiven  Willens,  welche 
das  innerste  pulsierende  Herz  des  römischen  Volksgeistes 
bildet,  bringt  aber  hervor,  daß  der  Testator  mit  der  ganzen 
Wucht  des  öffentlichen  Geistes  testiert,  und  verlangt  somit 
umgekehrt,  daß,  da  im  Legat  nicht,  wie  in  der  Erb- 
einsetzung,  der  Wille,  sondern  nur  die  Sache  ver- 
macht wird,  auf  den  Willen  des  Legatars  überhaupt 
nicht  gesehen,  sondern  ihm  die  Sache  wie  durch 
ein  Gesetz  ohne  seinen  Willen  angeeignet  wird.  Der 
Wille   des  Toten   ist   mächtiger  und   wichtiger,    weil  die 

250 


Substanz  des  Volksgeistes  darstellend,  als  der  des 
Lebenden. 

Vom  Standpunkte  des  Erbrechtes  aus  betrachtet,  zeigt 
sich  daher  die  Ansicht  der  Sabinianer  als  die  strengere 
und  konsequentere.  Aber  gerade  deswegen  mußte  sie  in 
der  späteren  Zeit  erliegen.  Ebenso  ist  die  tiefe  Konse- 
quenz evident,  durch  welche  diese  Ansicht  mit  der  ent- 
wickelten spezifischen  Natur  des  Vindikationslegates 
—  bei  welchem  allein  diese  Kontroverse  möglich  ist  — 
verbunden  ist.  Denn  aus  der  Willensherrschaft  des  Erben, 
welche  diejenige  des  Erblassers  ist,  kann,  sagten  wir,  die 
einzelne  Sache  überhaupt  nur  dann  herausgeraten  sein, 
wenn  sie  schon  zum  wirklichen  Eigentum  eines  Dritten 
geworden  ist.  Ist  sie  dies  im  Moment  des  Erbschafts- 
antrittes noch  nicht,  so  vs^rde  sie  immer  noch  unter  diese 
Willensherrschaft  gehören  und  somit  dem  Erben,  da  er 
ja  keinen  Auftrag  in  bezug  auf  die  so  legierte  Sache 
empfangen  hat,  verbleiben  müssen^). 

Dies  begriffliche  Moment  wird  im  römischen  Recht  mit 
so  schneidend  scharfer  Bestimmtheit  festgehalten,  daß  jetzt 
wieder  die  Prokulejaner,  unter  der  treibenden  Dialektik 
dieses  Begriffes  die  Konsequenz  der  Sabinianer  über- 
treffend, behaupten:  die  durch  ein  bedingtes  Vindika- 
tionslegat vermachte  Sache  sei  während  der  hängigen 


^)  Darum  sagen  auch  die  Sabinianer  nicht,  daß  die  legierte 
Sache  durch  Ausschlagung  des  Legatars  zum  Eigentum  des 
Erben,  etwa  durch  Akkreszenzrecht,  wird;  denn  die  Entäuße- 
rung der  Sache  durch  den  Legatar  würde  an  und  für  sich 
noch  nicht  imstande  sein,  sie  unter  die  Willensherrschaft 
des  Erben  zurückzubringen,  sondern  sie  stellen  dies  so  dar, 
als  sei  dies  Legat  gar  nicht  dagewesen,  ,,et  posteaquam 
sciverit  et  spreverit  legatum,  perinde  esse  atque  'si  legatum  non 
esset". 

251 


Bedingung  nicht  des  Erben,  sondern  die  Sache 
niemandes. 

Gajus.  II,  §  200:  ,,Illud  quaeritur,  quod  sub  conditione 
per  vindicationem  legatum  est  pendente  conditione  cujus 
esset;  nostri  praeceptores  heredis  esse  putant  exemplo 
statu  liberi  id  est  ejus  servi,  qui  testamento  sub  aliqua 
conditione  über  esse  jussus  est,  quem  constat  interea  here- 
dis servum  esse ;  sed  dtversae  scholae  auctores  putant 
nullius  Interim  eam  rem  esse."  Und  notwendig  nehmen  sie 
auch  dasselbe  von  der  pure  legierten  Sache  an,  so  daß  sie, 
wenn  sie  dieselbe  auch  zum  Eigentum  des  Legatars  erst 
durch  dessen  Wissen  und  Willen  werden  lassen,  sie  doch 
immerhin  darin  mit  den  Sabinianern  übereinstimmen,  daß 
sie  dieselbe  schon  vorher  als  res  nullius  von  der  Willens- 
herrschaft  des    Erben   abgeschnitten   betrachten^). 

Da,  wie  v.'ir  sahen,  die  Sache  durch  -dieses  Legat  zum 
unmittelbaren  quiritari sehen  Eigentum,  des  Legatars  wer- 
den muß,   weil   sie  sofort  als  die  seinige  gesetzt  wird 

^)  Aber  wenn  die  pure  legierte  Sache  bis  zum  Wissen  und 
Willen  des  Legatars,  und  die  sub  conditione  legierte  bis  zur 
Erfüllung  der  Bedingung  nach  den  Prokulejanern  res  nullius 
sein  soll,  warum  kann  sie  nicht  okkupiert  und  usukapiert 
werden?  Und  wieder  umgekehrt,  die  Sablnlaner  anlangend,  wenn 
die  Sache  nach  diesen  durch  dies  Legat  so  sehr  der  Willens- 
herrschaft entzogen  Ist,  daß  sie  selbst  vor  dem  Wissen  und 
Willen  des  Legatars  unmittelbares  Eigentum  desselben  ist,  wie 
kann  sie  während  der  hängigen  Bedingung  noch  unter  der  Wil- 
leusherrschaft  des  Erben  stehen  ?  Auf  keine  dieser  beiden  Fragen 
gibt  es  eine  Antwort.  An  diesen  äußersten  dialektischen  Spitzen 
zeigt  sich  also  das  notwendige  Scheitern  der  beabsichtigten  Kon- 
sequenz der  juristischen  Verstandesbestim.mungen,  ein  Scheltern, 
notwendig  deshalb,  well  diese  Bestimmungen  auf  der  Gnmdlage 
eines  fingierten  Begriffes  (Willensfortdauer  nach  dem 
Tode)  stattfinden.  Das  einzige  konsequente  Testamentsrecht  ist 
das  römische  —  und  dieses  muß  Inkonsequent  sein. 

252 


und  so  gesetzt  wird  auf  Grund  jener  nur  dem  römischen 
Geiste  einwohnenden  Willensunsterblichkeit,  so  ergibt  sich 
als  Folge  beider  Sätze  von  selbst,  daß  per  vindicationem 
vom  Erblasser  nur  legiert  werden  kann,  was  er  selbst  in 
seinem  quiritarischen  Eigentum  hat.  Gajus,  II,  §  196  : 
,,Eae  autem  solae  res  per  vindicationem  legantur  recte, 
quae  ex  jure  Quiritium  ipsius  testatoris  sunt.'  Aber  hier- 
mit ist  die  Reihe  der  Konsequenzen,  zu  welcher  sich  der 
Begriff  dieses  bestimmten  Legates  abrollen  muß,  noch 
lange  nicht  erschöpft. 

Das  Vindikationslegat,  sagten  wir,  stellt  nicht  eine  Ver- 
mögensverfügung des  Erblassers  überhaupt,  sondern  eine 
Abschneidung  und  Ausstoßung  einer  bestimmten 
Sache  von  der  Vermögensmasse  des  Testators  und  somit 
von  seiner  auf  den  Erben  übergehenden  Willensherrschait 
dar.  Stellte  es  eine  Vermögensverfügung  überhaupt  dar, 
so  würde  es,  wie  wir  später  bei  den  anderen  Legaten 
sehen  werden,  auch  auf  die  res  futura  sich  erstrecken 
können.  Wenn  es  aber  die  Abschneidung  und  Entlassung 
einer  Sache  aus  der  Willensherrschaft  und  Vermögens- 
hinterlassenschaft des  Erblassers  ist,  so  muß  diese  be- 
stimmte Sache,  um  so  von  ihr  abgetrennt  und  entlassen 
werden  zu  können,  logisch  notwendig  vorher  in  dieser 
Vermögensmasse  und  Willensherrschaft  gewesen  sein,  und 
daher  auch  schon  zu  dieser  Zeit  mit  eben  jenem  ent- 
scheidenden quiritarischen  Rechte,  welches  wir 
als  die  notwendige  Bedingung  für  die  gesetzgeberische  und 
durch  bloße  Willensverfügung  die  Sache  als  quiritarisches 
Eigentum  des  Legatars  setzende  Bestimmung  erkannt 
haben.  Dies  also  ist  der  begriffliche  Grund,  weshalb  das 
Vindikationslegat  allein  sich  nur  auf  solche  Sachen  er- 
strecken kann,  die  nicht  bloß  zur  Zeit  des  Todes,  son- 
dern schon  zur  Zeit  der  Testamentsanfertigung 

253 


im  quiritarischen  Eigentum  des  Testators  ge- 
wesen sind. 

Uipian,  Fr.  XXIV,  §  7 :  ,,Per  vindicationem  legari 
possunt  res,  quae  utroque  tempore  ex  jure  Quiritium  testa- 
mentoris,  mortis  et  quando  testamentum  faciebat^)'' 

Hiervon  gibt  es  eine  Ausnahme.  ,,Praeterquam,"  fährt 
Uipian  fort,  ,,si  pondere,  mimero,  mensura  contineantiir, 
m  his  enim  satis  est  si  vel  mortis  duntaxat  tempore  fuerint 
ex  jure  Quiritium  -)."  Es  gibt  nichts  Interessanteres  als  diese 
Ausnahme,  die  keine  Ausnahme  ist,  wenn  auf  den  speku- 
lativen Begriff  gesehen  wird.  Denn  was  wir  vorhin  sagten, 
gilt  notwendig  nur  von  der  individuell  bestimmten 
Sache.  Die  Sache  muß  als  diese  individuell  be- 
stimmte schon  zur  Zeit  der  Verfügung  im  quiritarischen 
Eigentum  des  Testators  gewesen  sein,  um  in  dieser  Be- 
stimmtheit von  ihm  aus  seiner  Vermögensmasse  abgetrennt 
und  als  quiritarisches  Eigentum  des  Dritten  gesetzt  zu 
werden.  Diejenigen  Sachen  aber,  welche  , .durch  Ge- 
wicht, Zahl,  Maß  bestimmt  werden",  sind  gar 
keine  geschlossene  Individualitäten,  individuell  bestimmte 
Sachen  ;  sie  sind  vielmehr  —  Quantitäten.  Die  Quan- 
tität ist  ja  aber  eben  die  logische  Kategorie  der  sich 
gleichgültigen  Veränderung,  oder  des  in  der 
Veränderung  mit  sich  Gleichbleibenden,  und  es 
zeigt  sich  hier,  daß  das  Recht  diesen  Satz  der  objek- 
tiven spekulativen  Logik  wohl  zu  berücksichtigen 
weiß.  Weil  das  Wesen  des  Quantitativen  dies  beständige 
Fließen   und   Außersichkommen   ist,    das   aber   in 


^)  Vgl.  Uipian,  das.  §  11;  Gajus,  Comm.,  II,  §  196: 
„.  .  .  alioquin  inutile  est  legatum." 

^)  Gajus  führt  als  Beispiel  an,  a.  a.  O. :  „veluti  \anum, 
oleum,  frumentum,  pecuniam  numeratam." 

254 


dieser  Veränderung  stets  mit  sich  identisch, 
stets  Quantität  bleibt,  so  ist  durch  diese  Verände- 
rung nichts  geändert,  sondern  das  Wesen  des  Gegen- 
standes geblieben,  w^s  er  war.  Ja,  es  ist  eben  wegen  der 
objektiven  Wirklichkeit  des  Spekulativen  gar  keine 
andere  Rechtsbestimmung  möglich.  Denn  smnlich  aus- 
gedrückt :  Hätte  der  Testator  diese  Quantität  Öl,  Wein 
usw.  zur  Zeit  der  Testamentsanfertigung  besessen,  so 
könnte  er  sie  gar  nicht  mehr  —  außer  durch  höchsten 
Zufall  —  auch  noch  zur  Zeit  des  Todes  besessen  haben, 
und  besäße  er  dieselbe  Quantität  noch,  so  wäre  nur  das 
Quantitative  der  Sache  (100  Maß  Öl,  Wein)  das- 
selbe, aber  es  wäre  schwerlich  diese  Quantität  der  da- 
mals besessenen  Sache,  desselben  Weines,  Öles  usw.  Es 
liegt  im  wirklichen  Schicksal  des  Quantitativen,  weil  im 
Wesen  der  Quantität,  beständig  ab-  oder  auch  zuzu- 
nehmen. Die  vorhandenen  Quantitäten  zur  Zeit  des 
Testamentes  und  zur  Zeit  des  Todes  können  sich  also 
gar  nicht  entsprechen,  weil  die  Quantität  eben  nicht  Qua- 
litatives, Bleibendes  ist,  und  bei  Dingen,  die  ihr 
Wesen  im  Quantitativen  haben  ,,quae  pondere,  nu- 
mero,  mensura  contineantur",  reicht  es  daher,  weil  diese 
die  Kategorie  des  gegen  seine  Veränderung  Gleichgültigen 
darstellen,  hin,  wenn  sie  nur  zur  Zeit  des  Todes  vorhanden 
sind. 

Wir  haben  den  Begriff  des  Vindikationslegates  aus  dem 
Gegensatz  zwischen  Erben  und  Legatar,  zwischen 
Willens-  und  S  ach  Vermächtnis  überhaupt,  abgeleitet 
und  ihn  infolgedessen  als  die  Abschneidung  einer  be- 
stimmten Sache  von  der  Hinterlassenschaft  des  Te- 
stators erkannt,  wodurch  allein  diese  Sache  der  in  den 
Erben  fortdauernden  Willensherrschaft  über  das  Vermögen 
entzogen  werden  kann. 

255 


Wir  zeigten,  wie  vermöge  begrifflicher  Notwendigkeit 
diese  Abschneidung  nur  durch  die  unmittelbare  Entäuße- 
rung der  Sache  zur  Sache  eines  Dritten  sich  vollbringen 
kann,  so  daß  durch  das  Dasein  dieses  Legates  die  Sache 
auf  das  vollständigste  von  der  Vermögenshinterlassenschaft 
des  Testators  abgetrennt  ist. 

Diese  radikale  Abtrennung  der  einzelnen  Sache  von  der 
Willensherrschaft  des  Testators  zeigt  sich  wieder  ent- 
scheidend in  den  Bestimmungen  über  die  Akkreszenz. 
Wenn  nämlich  dieselbe  Sache  per  vindicationem  Zweien 
legiert  ist,  sei  es  conjunctim,  sei  es  disjunctim,  und  der  eine 
Legatar  konkurriert  nicht,  so  akkresziert  der  Teil  des  aus- 
fallenden Legatars  nicht  dem  Erben  (wie  dies  beim 
Damnationslegat  der  Fall),  sondern  dem  anderen  Le- 
gatar. Denn  das  Dasein  des  Legates  würde  erst  durch 
das  Ausfallen  sämtlicher  Legatare  fortfallen.  Durch  den 
konkurrierenden  disjunktiven  oder  den  conjunctim  gesetzten 
Kollegatar  aber  wird  immer  gleichmäßig  das  Dasein  des 
Legates  f estgehalten-*^),  durch  dies  Dasein  aber  die 
Sache  so  entscheidend  von  dem  Vermögen  des  Erblassers 
abgetrennt,  daß  die  Akkreszenz  nur  zugunsten  des  Kolle- 
gatars, statt  des  Erben,  gehen  kann. 


^)  Tiefer  daher  als  der  bald  folgende  äußerliche  Bericht 
des  Gajus,  sagt  uns  Ulpian  (das.  §  12).  bei  dem  conjunctim 
gesetzten  Vindikationslegat  entständen  nach  Zivilrecht  die 
Teile  erst  durch  die  reale  Konkurrenz  der  Legatare:  „.  .  .  si 
vero  conjunctim,  velut  ,,„Titio  et  Sejo  hominem  Stichum  do, 
lego" "  jure  civili  concursii  partes  ficbant;  non  concurrente 
ajtero,  pars  ejus  alteri  adcrescebat."  Durch  dieses  erst  Ent- 
stehen der  Teile  durch  die  reale  Konkurrenz  ist  die  Not- 
wendigkeit gegeben,  daß  hierbei  die  Akkreszenz  überhaupt  ein- 
tritt, welche  erst  durch  die  lex  Papla  Poppaea  beseitigt  und  in 
Kaduzität  umgewandelt  wird. 

256 


Gajus,  Comm.  II,  §199:  ,,Illud  constat,  si  duobus 
pluribusve  per  vindicationem  eadem  res  legata  sit,  sive  con- 
junctim,  sive  disjunctim,  si  omnes  veniant  ad  legatum, 
partes  ad  singulos  pertinere  et  deficientis  portionem  coUe- 
gatario  adcrescere." 


XVa.    Das  Vindikationslegat  als  Präzeptions- 

legat. 

Es  ist  jetzt  nötig,  eine  Bestimmung  hervorzuheben, 
welche  alle  Arten  von  Legaten  betrifft  und  den  begriff- 
lichen Gegensatz  zwischen  Legatar  und  Erben  auf  das 
hellste  bloßlegt:  ,,A  legatario  legari  non  potest^)."  In 
der  Tat,  da  das,  was  dem  Legatar  übertragen  wird,  nicht 
der  Wille,  sondern  die  bloße  Sache  ist,  so  kann  e  r  zu 
keinem  Willensvollstrecker  gemacht  und  zu  keinem  wei- 
teren Abgeben  veranlaßt  werden.  Diesem  Satze  entspricht 
auf  der  Seite  des  Erben  der  umgekehrte :  ,, Heredi  a  semet 
ipso  legari  non  postest^).  '  Dem  Erben  kann  nicht  von 
sich  selbst  legiert  werden.  In  der  Tat  ist  dies  ebenso  un- 
möglich, als  bewirken,  daß  dem  Eigentümer  seine  Sache 
noch  mehr  gehört,  als  sie  ihm  schon  gehörte.  Als  der 
Willensherr  ist  er  der  Eigentümer  der  gesamten  Hinter- 
lassenschaft, insoweit  nicht  Stücke  von  dieser  abge- 
schnitten worden  sind,  indem  sie  als  Eigentum  eines 
Dritten  gesetzt  wurden.  Aber  eben  weil  das  Vindikations- 
legat diese  Abschneidung  der  einzelnen  Sache  von  der 
Erbschaft  vollbringt,  so  kann  gerade  durch  das  Le- 
gat  per  vindicationem,   und  nur   durch  dieses,   der  ab- 

1)  Ulpian,  XXIV.  §  20. 

2)  Ulpian,  XXIV.  §  22. 

17  Lassalle.    Ges.  Setriften,   Band   XI.  257 


geschnittene  Gegenstand,  eben  weil  er  nicht  mehr  zur 
Erbschaft  gehört,  auch  besonders  dem  Erben  gegeben  wer- 
den. In  bezug  auf  diesen  kann  also  auch  der  Erbe  Le- 
gatar sein,  —  und  gerade  hierdurch  tritt  auf  das  aller- 
entscheidendste  jenes  Abgeschnittensein  des  Gegen- 
standes von  der  Erbschaft  als  der  Charakter  dieses  Le- 
gates hervor.  Zwar  hat  nun  dieses  Vindikationslegat,  wenn 
der  Erbe  selbst  der  Legatar  ist,  einen  besonderen  Namen 
empfangen :  legatum  per  praeceptionem.  Allein  die  völlige 
substantielle  Identität  desselben  mit  dem  Vindikationslegat 
liegt  offen  am  Tage.  Sie  tritt  schon  in  den  Worten  Ul- 
pians  hervor :  ,,Per  praeceptionem  legari  possunt  res,  quae 
etiam  per  vindicationem^)."  Noch  deutlicher  aber  zeigt 
sie  sich  gerade  in  der  Kontroverse,  welche  dies  Legat 
zwischen  den  Sabinianern  und  Prokulejanern  veranlaßt  hat, 
wobei  sich  zugleich  der  einzige  Unterschied  ergibt,  der 
etwa  noch  zwischen  ihm  und  dem  Vindikationslegat  ge- 
funden werden  kann. 

Wenn  nämlich  der  gewöhnliche  Legatar  bei  diesem 
Legat  durch  die  Vindikation  die  Sache  von  der  Erbschaft 
abschneidet,  so  wird  dieses  Abschneiden,  sobald  der  Erbe 
der  Legatar  ist,  notwendig  von  selbst  zu  einem  Voraus-, 
Vorherabschneiden,  vor  Übernahme  der  Erbschafts- 
masse. Denn  hätte  der  Erbe  sich  erst  in  die  Erbschafts - 
masse  einsetzen  lassen,  so  kann  er  die  Sache  doch  nicht 
mehr  von  sich  selbst  vindizieren,  besäße  sie  also  nicht 
legati  modo,  und  deshalb  muß  auch,  wenn  mehrere 
Erben  sind,  sofort  durch  das  Judicium  familiae  erciscundae 
dem  Erben  der  ihm  legierte  Gegenstand  zugesprochen 
werden^).    Hieraus  fließt  also  die  Ansicht  der  Sabinianer 

^)  Fr.  XXIV   §  11. 

^)  Gajus,  II,  §  219:  ,,Ilem  nostri  praeceptores,  quod  ita 
legatum  est,   nulla  ratione   putant  consequi  eum,  cui  fuerit  lega- 

258 


hervor,  daß  per  praeceptionem  nur  dem  Erben  legiert 
werden  könne,  denn  bei  dem  bloßen  Legatar  fehlt  das 
Hinterher  der  Erbschaft,  welches  jenes  Abschneiden 
zu  einem  Vorabschneiden  macht,  wie  er  deshalb  auch 
immer  vindizieren  kann. 

Gajus,  II,  §217:  ,,Sed  nostri  quidem  praeceptores 
nuUi  alii  eo  modo  legari  posse  putant,  nisl  ei  qui  aliqua 
ex  parte  heres  scriptus  esset;  praecipere  enim  esse  prae- 
cipuum  sumere;  quod  tantum  in  ejus  persona  procedit,  qui 
aliqua  ex  parte  heres  institutus  est,  quod  is  extra  portionem 
hereditatis  /7/-ö^cipuum  legatum  habiturus  sit." 

Aber  ebenso  ergibt  sich  hieraus,  daß  der  ganze  Unter- 
schied beider  Legate  doch  nur  der  Unterschied  von  A  b  - 
schneiden  und  Vorabschneiden  sei,  daß  er  sich  also 
auf  die  Silbe  ,,vor"  reduziere,  welche,  in  bezug  auf  den 
gewöhnlichen  Legatar  hinzugefügt,  sinnlos  und  unverbind- 
lich sei,  aber  doch  sein  Legat  nicht  umwerfen  könne,  so 
daß  sich  bei  ihm  das  Präzeptionslegat  von  selbst 
als   einfaches  Vindikationslegat   darstelle. 

Gajus,  II,  §  221 :  ,,Sed  diversae  scholae  auctores  pu- 
tant etiam  extraneo  per  praeceptionem  legari  posse,  proinde 
ac  si  ita  scribatur :  Titius  hominem  Stichum  capito,  super- 
vacuo  adjecta  Prae  syllaba ;  ideoque  per  vindlcationem 
eam  rem  legatam  videri,  quae  sententia  dicitur  divi  Ha- 
driani  constitutione  confirmata  esse." 


tum,  praeterquam  judicio  familiae  erciscundae,  quod  inter  heredes 
de  hereditate  erciscunda,  id  est  dividunda,  accipi  solet;  officio 
enim  judicis  id  contineri,  ut  et  quod  per  praeceptionem  lega- 
tum est,  adjudicetur. 


17«  259 


XVb.     Der    Widerspruch    des    Vindikations- 
legates   und    seine    Selbstentwickelung    zum 
Damnationslegat. 

Überschauen  wir  nun,  was  sich  bei  Betrachtung  des 
Vindikationslegates  ergeben  hat,  so  ist  es  zunächst  der  dia- 
lektische Widerspruch,  in  welchem  dieses  Legat  mit 
seinem  eigenen  Begriff  steht,  und  zweitens  die  Auf- 
hebung dieses  Widerspruches,  die  an  sich  bereits  ein- 
getreten ist. 

Durch  die  souveräne  Willensverfügung  dieses  Legates 
wird  die  Sache,  sowie  die  Fortsetzung  des  erblasserischen 
Willens  durch  den  Erbschaftsantritt  des  eingesetzten  Erben 
gewiß  ist,  unmittelbar  entäußert  und  als  das  quiritarische 
Eigentum  eines  Dritten  gesetzt.  Allein  ebendeshalb  ist  sie 
dadurch  auf  das  radikalste  von  der  Willensherrschaft 
des  Testators,  und  darum  des  Erben,  abgetrennt  (s. 
oben  S.  236  fg.).  Der  dialektische  Widerspruch  ist  also 
der.  daß,  während  der  Begriff  des  testamentarischen 
Rechtes  überhaupt  die  Realisierung  der  subjek- 
tiven Willensunendlichkeit  ist  und  diese  auch  einer- 
seits ihren  Triumph  durch  das  unmittelbare  gesetz- 
geberische Setzen  der  Sache  als  Eigentum  eines  Dritten 
feiert  (s.  S.  241  fg.),  andererseits  gerade  durch  diese  Ab- 
trennung der  Sache  von  der  Willensherrschaft  des  Testa- 
tors der  Wille  desselben  —  in  bezug  auf  diese  be- 
stimmte Sache  —  fortzugehen  aufgehört  hat.  In- 
dem der  Wille  tut,  was  er  kann,  ist  er  untergegangen ;  in- 
dem er  von  seiner  Befugnis  Gebrauch  macht,  hat  er  sich 
selbst  negiert  und  ist  in  dieser  Sache  erloschen.  Sie  ist 
nicht  mehr  Dasein  dieses  Willens  und  steht,  absolut  ge- 

260 


trennt  von  ihm.  in  keinerlei  Bezug  mehr  auf  ihn^).  Der 
Legatar  reklamiert  sie  als  die  seinige,  als  res  siia,  nicht 
auf  Grund  eines  fortdauernden  Willens  des  Testators, 
sondern  gerade  auf  Grund  dessen,  daß  sie  dieser  Willens- 
herrschaft  entzogen  und  entäußert,  daß  dieselbe  in  bezug 
auf  sie  zugrunde  gegangen  ist.  —  Der  Wille  hat  sich  also 
in  seinem  Setzen  und  Verwirklichen  ebenso  vollständig 
aufgehoben  als  gesetzt.  Dies  ist  also  noch  das  Un- 
angemessene und  dem  Begriffe  des  Testamentes,  der  reali- 
sierten Willensunendlichkeit  des  erblasserischen 
Willens,  Widersprechende  an  diesem  Legat,  weil  durch 
dasselbe  der  Wille  des  Erblassers  über  die  Sache  gerade 
sein  Ende  gefunden  hat.  Dies  ist  also  das  Treibende 
und  Fortentwickelnde  in  dem  Begriff  des  Vindikations- 
legates. Soll  das  Legat  wahrhaft  und  harmonisch  dem  Be- 
griffe des  Testamentes  entsprechen,  soll  es  die  unendliche 
Willensfortdauer  des  Testators  verwirklichen,  ohne 
sie  zugleich  aufzuheben,  so  muß  die  Sache  auf  Grund 
des  noch  fortdauernden  Willens  des  Erblassers, 
und  also  als  Eigentum  desselben  —  und  daher  auch, 
was  immer  notwendig  identisch  ist,  als  Eigentum  des 
Erben  —  in  den  Besitz  des  Legatars  übergehen. 
Das  Mittel  zu  dieser  höchsten  adäquaten  Realisierung 
des  Legates  ist  bereits  gegeben.  Es  liegt  im  Willens- 
erhalter, im  Erben,  vor  und  hat  sich  ebenso  auch  schon 
im  Legat  selbst  herausgestellt:  im  Präzeptionslegat. 
Indem  nämlich  dem  Erben  selbst  die  Sache  legiert  wurde, 


^)  Daher,  wie  wir  S.  256  sahen,  die  Akkreszenz  zugunsten 
des  Kollegatars.  Der  dialektische  Widerspruch  treibt  sich  so 
weit,  daß  die  Sache  erst  dann  wieder  zu  dem  Willen  des  Te- 
stators (Erben)  in  Beziehung  tritt,  wenn  gerade  sein  Wille  auf- 
hört, d.  h.  wenn  es  durch  das  Fortfallen  sämtlicher  Legatare 
ist,  als  wenn  das  Legat  nicht  da  wäre. 

2f)\ 


mußte  er,  jenes  Vorabschneiders  wegen,  genötigt  werden, 
in  bezug  auf  das  Legat  zu  handeln.  Es  durfte  daher 
beim  Erben  nicht  mehr  heißen,  mit  Benutzung  der  anderen 
Formel  des  Vindikationslegates :  Praehabeto,  sondern 
lediglich :  Praecipito.  Der  Erbe  muß  also  hier  auch  in 
bezug  auf  die  von  der  Erbschaft  und  Willensherrschaft 
abgetrennte  Sache  handeln.  Ist  dies  aber  gegeben,  so 
liegt  überhaupt  kein  Grund  mehr  vor,  die  legierte  Sache 
von  der  Willensherrschaft  abzutrennen ;  oder  vielmehr  die 
Trennung  derselben  ist  überwunden  und  das  Legat  hat  die 
Form  angenommen,  daß  es  zu  einem  verpflichtenden 
Willensauftrag  des  Testators  an  den  Erben  wird,  eine 
bestimmte  Handlung  des  Gebens  und  Verab- 
reichens  vorzunehmen. 

Dies  ist  das  legatum  per  damnationem,  durch  welches 
bewirkt  wird,  was  sich  uns  eben  als  notwendiges  Postulat 
ergeben,  daß  die  Sache  auf  Grund  des  noch  fortdauern- 
den Willens  des  Testators  und  als  Eigentum  desselben 
wie  des  Erben  auf  den  Legatar  übergeht. 

Gajus,  II,  §  204:  ,,Quod  autem  ita  legatum  est,  post 
aditam  hereditatem,  etiam  si  pure  legatum  est,  non,  ut 
per  vindicationem  legatum,  continuo  legatario  adquiritur, 
sed  nihilominus  heredis  est;  ideo  legatarius  in  personam 
agere  debet,  id  est  intendere  heredem  rem  sibl  dare  opor- 
tere."  Die  Sache  bleibt  also  bei  dem  Tode  des  Testators, 
trotz  des  Legates,  Eigentum  des  Erben,  und  der  Le- 
gatar hat  jetzt  auf  Grund  des  noch  fortdauernden 
Willens  des  Erblassers  gegen  den  Erben  die  persön- 
liche Klage,  daß  dieser  ihm  das  Eigentum  daran  ab- 
trete. 


262 


XVIa  Das  Damnationslegat  als  das  seinem  Be- 
griff adäquate  Legat  (optimum  jus  legati).  Die 
bonitarische  Sache.  Der  Eigentumsübergang 
der  per  damnationem  legierten  Sache  durch 
Manzipation,    in    jure   cessio    oder    Tradition. 

Das  Damnationslegat  ist  also  die  höchste  wahrhafte 
Form  des  Legates,  weil  in  ihr  der  testamentarische  Erb- 
rechtsbegriff, die  subjektive  Willensfortdauer,  in  seinem 
Gegensatz  selbst  zu  seiner  affirmativen  Realisierung  ge- 
langt ist.  Im  Damnationslegat  bleibt  das  Legat  zwar 
immer  noch  der  Gegensatz  der  Erbeinsetzung,  Sachüber- 
tragung im  Gegensatz  zur  Willensübertragung,  weil  dies 
der  allgemeine  Begriff  des  Legates  überhaupt  ist,  der  da- 
her alle  Formen  des  Legates  beherrschen  muß.  Aber 
dieser  Gegensatz  ist  hier  nicht  mehr,  wie  beim  Vindika- 
tionslegat, ein  bloß  abstrakter,  sondern  das  Legat  ist 
hier  selbst  von  seinem  Gegensatze,  dem  Erbbegriff, 
durchdrungen,  indem  der  Erbe  hier  zum  tätigen 
Subjekt  des  Legates  selbst  gemacht  worden  ist.  Der 
früher  abstrakte  Gegensatz  zwischen  Wille  und  Sache, 
Erben  und  Legatar,  realisiert  sich  hier  so,  daß  der  Wille 
zum  Übergreifenden  beider,  zur  Einheit  seiner 
und  seines  Gegenteiles  sich  bestimmt  und  somit  nach 
seinem  wahrhaften  Wesen  verwirklicht  hat.  Oder  der 
Triumph  des  Erbbegriffes  in  diesem  Legat  besteht  darin, 
den  Erben  handeln  zu  machen,  worin  sich,  wie  uir 
dies  schon  früher  überall  zeigten,  der  Begriff  des  Erb- 
iums, die  Willensidentität  z^vischen  Erblasser  und  Erben, 
erst  wahrhaft  bewährt.  Und  zwar  bewährt  sich  hier 
der  Begriff  des  Erben  gerade  am  Gegenteile  seiner 
?eibst,  der  Sachverfügung  des  Legates,  und  ist  so  erst 

263 


zur  herrschenden  Einheit  der  ganzen  Sphäre  aus  der 
früheren  bloßen  Gegensätzlichkeit  erhoben  worden.  Zu- 
gleich bewährt  er  sich  durch  das  Fortgehen  der 
Sache  als  das  interesselose  reine  Dasein  des  erb- 
lasserischen Willens. 

Weil  also  in  diesem  Legat  die  Willensfortdauer  des 
Erblassers,  welche  in  der  abstrakten  Gegenübersetzung 
von  Wille  und  Sache  im  Vindikationslegat  ebenso  gesetzt 
als  negiert  war,  zur  affirmativen  Verwirklichung  in  ihrem 
eigenen  Gegensatz  gelangt,  so  muß  dciher  dieses  Legat,  als 
das  vom  Begriffe  der  gesamten  Sphäre  des  Testament- 
rechtes affirmativ  durchdrungene,  dem  römischen  Geiste 
als  das  seinem  Begriffe  adäquateste,  d.h.  als  das 
beste,  erscheinen.  Und  so  sehr  ist  unsere  Entwicklung 
nichts  janderes  als  der  eigene  Geist  des  römischen  Erb- 
rechtes, daß  uns  deshalb  vom  römischen  Rechte  das 
Damnationslegat  ausdrücklich  als  das  ,,opümum  jus  le- 
gati"  bezeichnet  wird.  Ulpian,  Fr.  XXIV,  §11:,,...  quo 
cautum  est  (nämlich  durch  das  SC.  Neronianum),  ut  quod 
minus  aptis  verbis  legatum  est,  perinde  sit,  ac  si  optimo 
jure  legatum  esset ;  Optimum  autem  jus  legati  per  dam- 
natlonem  est/'  Und  Gajus,  Comm.,  II,  §  197:  „Sed  sane 
hoc  ita  est  jure  civili ;  postea  vero  auctore  Nerone  Caesare 
senatusconsultum  factum  est,  quo  cautum  est,  ut  si  eam 
rem  quisque  legaverit,  quae  ejus  nunquam  fuerit,  perinde 
utile  sit  legatum,  atque  si  optimo  jure  relidum  esset; 
Optimum  autem  jus  est  per  damnationem  legatum.'' 

Da  das  Damnationslegat  kein  Geben  des  Erblassers 
darstellt,  sondern  einen  den  Willen  des  Erben  bestimmen- 
den, vom  Erblasser  ausgegangenen  Willensbefehl,  daß  er, 
der  Erbe,  die  zu  seinem  Eigentum  gewordene  Sache 
fortgebe  —  die  Formel  lautet  deshalb  konsequent :  Heres 
meus    Stichum    ser\Tim    meum    dare    damnas    esto    oder 

264 


dato  — ,  so  ist  es  natürlich  schon  deshalb  nicht  mehr 
erforderlich,  daß  die  Sache,  wie  beim  Vindikationslegat, 
quiritarisches  Eigentum  des  Testators  sei,  und  daß  sie  be- 
reits zur  Zeit  der  Testamentsanfertigung  in  seinem  Eigen- 
tum, quiritarischen  oder  bonitarischen,  sich  befinde.  Denn 
daraus,  daß  die  Sache  erst  vom  Erben  gegeben  wird, 
folgt,  daß  die  Sache  unter  Lebenden  gegeben  wird, 
und  hieraus  wieder,  daß  der  Zeitpunkt  der  Testaments- 
emfertigung überhaupt  ganz  gleichgültig  ist.  Da  der  Erb- 
lasser die  Sache  nicht  dem  Legatar  gegeben,  son- 
dern nur  den  Willensauftrag  hierzu  für  den  Erben  Kinter- 
lassen  hat,  so  ist  notwendig  zunächst  schon  das  ganz  einer- 
lei, ob  er  die  Sache  bereits  zur  Zeit  des  ersten  Willens- 
ausdruckes oder  erst  zur  Zeit  der  im  Tode  vor  sich 
gehenden  Willensbestätigung  (vgl.  Bd.  I,  sub  III,  Nr.  VI) 
im  Eigentum  gehabt  hat. 

Femer,  wenn  die  Sache,  weil  durch  den  Erben  ge- 
geben, unter  Lebenden  gegeben  wird,  so  folgt  daraus, 
daß  dieses  Legat,  obgleich  es  Legat  optimo  jure  ist, 
dennoch  nicht  den  gesetzgeberischen  und  spezi- 
fisch-römischen Charakter  haben  kann,  den  wir  oben 
(Nr.  XV)  als  eine  begrifflich  notwendige  Seite  des  Vin- 
dikationslegates entwickelt  haben ;  d.  h.  es  folgt  hieraus 
schon,  daß  die  Sache  überhaupt  nicht  im  quiritarischen 
Eigentum  des  Erblassers  gestanden  zu  haben  braucht,  son- 
dern durch  dieses  erst  durch  den  Erben  wirkende  Legat 
auch  bonitarische  Sachen  gerade  so  gegeben  werden 
können,  wie  sie  überhaupt  unter  Lebenden  ver- 
äußert werden  können.  Denn  das  quiritarische  Eigentum 
des  Testators  war,  wie  wir  oben  sahen,  nur  deshalb  nötig, 
weil  dasselbe  durch  den  Toten  selbst  —  beim  Da- 
sein des  Erben,  d.h.  bei  der  durch  die  Erbantretung  ge- 
wiß gewordenen  Willensfortdauer  des  Testators  —  ge- 

265 


geben,  also,  wie  wir  daselbst  sagten,  auf  die  römisch- 
ste Weise  von  der  Welt  gegeben  wird  und  wegen 
dieser  gesetzgeberischen,  d.  h.  mit  der  ganzen  Wucht  des 
bestimmten  öffentlichen  Volksgeistes  ausgerüsteten  Weise 
des  Gebens  unmittelbar  als  spezifisch-römisches  Eigen- 
tum des  Legatars  gesetzt  wird,  weshalb  aber  eben  diese 
Weise  des  Gebens  sich  nur  auf  Sachen  erstrecken  kann, 
an  denen  dem  Testator  zuvor  selbst  dies  spezifisch - 
römische,  quiritarische  Eigentum  zustand. 

Soll  das  aber  alles  richtig  sein,  was  v/ir  hier  sagten, 
so  würde  zunächst  noch  ein  anderes  folgen  müssen.  Es 
würde  nämlich  hier  wieder  hell  und  deutlich  hervortreten 
müssen,  mit  welchem  Rechte  wir  oben  (S.  243 fg.)  sagten, 
daß  der  Tote  stärker  und  mächtiger  sei  als  der 
Lebende.  Da  nämlich  die  per  damnationem  legierte 
Sache  nicht  vom  Toten  selbst,  sondern  durch  den 
Erben,  und  also  unter  Lebenden  gegeben  wird,  so 
würde  die  legierte  Sache  nicht  durch  das  Legat  als  solches, 
auch  nicht  durch  ihre  Überlassung  seitens  des  Erben,  nicht 
selbst  durch  ihre  Übergabe  durch  den  Erben  an  den  Le- 
gatar in  das  Eigentum  des  letzteren  übergehen 
können,  sondern  dieser  Übergang  in  das  Eigentum  des- 
selben wird  nur  bewerkstelligt  werden  können  durch  das 
Hinzutreten  jener  Formen,  welche,  je  nach  der  Be- 
schaffenheit der  Sache,  allein  Eigentumsübertrag 
unter  Lebenden  hervorzubringen  imstande 
sind.  Und  so  sagt  Gajus  ausdrücklich,  II,  §  204  :,,....  et 
tum  heres,  si  mancipii  sit,  mancipio  dare  aut  in  jure  cedere 
possessionemque  tradere  debet ;  si  nee  mancipii  sit,  suff icit 
si  tradiderit ;  nam  si  mancipii  rem  tantum  tradiderit,  nee 
mancipaverit,  usucapione  dumtaxat  pleno  jure  fit  lega- 
tarii." 

Die  Sache  muß  also,   wenn  sie  res  mancipii  ist,  vom 

266 


Erben  dem  Legatar  manzipiert  oder  in  jure  zediert  werden, 
um  sie  zum  Eigentum  dessellx^n  zu  machen ;  wenn  sie  res 
nee  mancipii  ist,  ist  mindestens  die  Tradition  erforderlich. 
Es  muß  dies  sein,  und  der  Begriff  behauptet  mit  jedem 
Schritt  sein  siegreiches  Recht ;  denn  das  Damnationslegat 
ist,  weil  bei  ihm  der  Erbe  die -Sache  als  sein  Eigentum 
gibt,  nicht  mehr  ein  Geben  des  Toten,  und  also  der 
Kraft  desselben  beraubt,  die  Sache  durch  bloßen  Willens- 
akt als  Eigentum  des  Dritten  zu  setzen ;  sondern  es  ist 
ein  Geben  unter  Lebenden  geworden^),  und  daher 
nur  in  denjenigen  Formen  zu  vollbringen,  welche  für  Ver- 
äußerungen unter  Lebenden  maßgebend  sind. 


■*)  Und  man  bemerke,  wie  Schritt  für  Schritt  die  Vollendung 
des  Testamentsrechtes,  um  der  fiktiven  Natur  des  zugrunde 
liegenden  Begriffes  willen,  sich  als  em  ebenso  fortgesetztes 
beständiges  Scheitern  darstellt.  Es  ist  die  ungeheure 
riesenhafte  Anstrengung,  das  zu  vollbringen,  was  gar  nicht  voll- 
bracht werden  kann.  Beim  Vindikationslegat  scheitert  der  Wille, 
der  sich  im  Testamente  fortsetzen  will,  daran,  daß  er,  wie  wir 
oben  gesehen  haben  (S.  260  fg.).  sich  In  diesem  Setzen  vielmehr 
negiert.  Durch  seine  Verfügung  hat  er  In  Bezug  auf  die  Sache 
zu  sein  aufgehört,  sie  von  sich  abgetrennt,  und  der  Le- 
gatar reklamiert  sie  nicht  als  die  Sache  des  Testators,  sondern 
als  die  seinige. 

So  erhebt  sich  das  Legat  zu  seiner  adäquatesten  Blüte,  zum 
Optimum  jus  des  Damnationslegates.  Jetzt  erhält  der  Legatar 
die  Sache  auf  Grund  des  fortdauernden  Wdlens  des  Te- 
stators, muß  sie  als  Sache  des  Testators  und  des  Erben  be- 
gehren. Aber  nun  hat  das  Legat  überhaupt  aufgehört,  als 
testamentarische  Verfügung  die  Sache  zu  geben  und  Ist 
zu  einem  Akte  unter  Lebenden  geworden,  was  sich 
eben  am  deutlichsten  In  der  Notwendigkeit  der  Manzlpatlons- 
handlung  ausspncht ! 


267 


XVIb-  Das  Damnationslegat  als  das  reale  Ge- 
setztsein der  Momente  des  Erbbegriffes,  in 
seinen  drei  Formen:  als  Legat  der  dem  Erben 
gehörenden  Sache,  als  legatum  rei  alienae  und 
als  legatum  rei  futurae.     Die  Akkreszenz. 

Aber  hiermit  kann  der  Kreis  der  vom  Begriff  hervor- 
getriebenen Konsequenzen  noch  nicht  geschlossen  sein.  Das 
Damnationslegat  ist  dasjenige  Legat,  welches,  wie  wir 
sahen,  vom  Erbbegriffe  selbst  durchdrungen  ist.  Indem 
also  in  ihm  der  Erbbegriff  selbst  erschemt,  und  zwar  nicht 
mehr  als  bloß  ruhig  seiende  Willensfortsetzung,  son- 
dern mdem  er  hier  als  das  Tätige,  auf  sein  Gegen- 
teil, die  legierte  Sache,  Gespannte  und  Bezogene  auf- 
tritt, muß  gerade  hier,  in  dieser  scharfen  und  gegensätz- 
lichen Stellung  des  Erben,  der  wahre  und  wirkliche  Be- 
griff des  Erbtums  wie  unter  dem  Reflex  eines  plötzlichen 
grellen  Lichtes  in  der  schneidendsten  Markierung  heraus- 
treten. Wenn  also  wirklich  das  der  wahrhafte  Begriff  des 
Erbtums  ist,  was  wir  vom  Anfang  dieser  Abhandlung  an 
entwickelt  haben,  daß  nicht  die  Vermögensüber- 
tragung, sondern  nichts  anderes  als  die  Willensfort- 
pflanzung, die  subjektive  Willensunsterblich- 
keit, der  Begriff  des  Erbtums  ist,  so  wird  hier  der  Ort 
sein,  wo  dies  in  der  gegensätzlichsten  und  jeder  Ver- 
wischung unzugänglichen  grellen  Schärfe  der  Züge  zum 
Vorschein  kommen  muß.  Und  in  der  Tat  findet  der  ent- 
wickelte spekulative  Begriff  hier  seinen  souveränen  und 
]eden  Widerspruch  abschneidenden  Beweis  in  drei  Sätzen  ^)  : 
Der  Erblasser  kann  die  Sache  legieren,  die  gar  nicht  sein, 


1)  Gajus.  II.  §§  202,  203.  210:  Ulplan.  XXIV.  §§  8.  10. 
268 


f 


sondern  nur  des  Erben  Eigentum  ist.  Er  kann  ferner  die 
res  aliena,  d.h.  die  Sache  legieren,  die  weder  sein  noch 
seines  Erben  Eigentum,  sondern  das  eines  beliebigen 
Dritten  ist.  Er  kann  endlich  die  res  futura  legieren, 
d.  h.  die  Sache,  die  noch  gar  nicht  in  rerum  natura  ist, 
sondern  erst  künftighin  einmal  existieren  wird. 

In  dem  ersten  Satz  zeigt  sich  die  zutreffende  Wahr- 
heit des  schon  früher  von  uns  zur  Erklärung  des  Erb- 
begriffes  (vgl.  S.  159)  angerufenen  Verses  des  Plautus  in 
seinen  beiden  Hälften.  Wenn  das  Testament  eine  V  e  r  - 
m  ö  g  e  n  s  Übertragung  wäre,  so  würde  der  Testator  nie- 
mals dazu  kommen  können,  über  das  selbständige  Eigen- 
tum des  Erben  zu  disponieren.  Da  aber  der  Begriff  der 
Erbeinsetzung  vielmehr  der  ist,  einen  anderen  subjektiven 
Willen  als  die  Fortexistenz  und  das  identische  Da- 
sein des  eigenen  Willens  zu  setzen,  so  findet  eben 
Willensidentität  zwischen  beiden  statt,  und  der  Erb- 
lasser wird  also  notwendig  ebenso  Willensherr  über  das 
Vermögen  des  Erben,  als  dieser  über  das  Vermögen  des 
Erblassers,  wie  dies  (vgl.  Nr.  VIII)  als  aus  dem  Be- 
griffe folgend  näher  gezeigt  worden  ist  und  sich  hier  nur 
an  diesem  Legate  praktisch  bestätigt. 

Auf  das  stärkste  tritt  in  dem  zweiten  Satze,  dem  Le- 
gate der  weder  Erben  noch  Erblasser  gehörenden  Sache, 
der  wahre  geistige  Begriff  des  Erbtums  in  seiner  von  uns 
entwickelten  kulturhistorischen  Tiefe  und  Bedeutung  (vgl. 
S.  44 fg.)  her\'or.  Wenn  das  Erbtum  in  seinem  Begriffe 
eine  Vermögenszuwendung,  das  Testament  eine  Verfügung 
des  Testators  über  sein  Vermögen  wäre,  so  würde  es  keine 
Brücke  geben,  welche  dahin  führte,  die  Sache  eines  Dritten 
legieren  zu  können. 

Der  testamentarische  Erbe  ist  aber,  sagten  wir,  die 
römische  Unsterblichkeit,  d.h.  diejenige  geistige 

269 


Unsterblichkeit,  welche  sich  der  welthistorische  Geist  auf 
der  römischen  Stufe  erobert,  die  Unsterblichkeit 
des  subjektiven  Willens.  Der  Wille  ist  aber,  wie 
wir  gleich  anfangs  als  seinen  Begriff  entwickelten 
(S.  34 fg.),  nichts  anderes  als  der  Trieb  des  Sub- 
jektes, sich  in  der  Außenwelt  zu  realisieren  und  die- 
selbe sich  zu  unterwerfen.  Der  subjektive  Wille  ist  durch- 
aus nicht,  wie  wir,  worauf  hier  Bezug  genommen  werden 
muß,  schon  oben  (S.  46)  als  begrifflich  notwendig  und 
als  besonders  kennzeichnend  nachgewiesen  haben,  auf  das 
Eigene  der  wollenden  Person,  auf  ihr  Eigentum  be- 
schränkt. Er  hat  in  dem  eigenen  Vermögen  der  Person 
nur  die  unmittelbar  gegebenen  Mittel  seiner  Ausfüh- 
rung, aber  durchaus  nicht  die  Grenze  und  das  ausschließ- 
liche Objekt  seines  Wollens,  die  er  vielmehr  nur  in  der 
gesamten  Außenwelt  hat.  Soll  also  die  von  uns  in 
Anspruch  genommene,  gleichsam  supranaturalistische  Be- 
deutung der  subjektiven  Willensfortdauer  wirklich 
die  zentrale  Bedeutung  des  Erbtums  sein,  soll  diese  Fort- 
dauer eine  reale  sein,  so  muß  der  Wille  des  Testators 
noch  nach  seinem  Tode  fortleben  und  der  gesamten 
Außenwelt  gegenüber  fortwirken  und  fort- 
gelten können,  ganz  wie  während  des  Lebens  des  In- 
dividuums. 

Darum  muß  der  Testator  durch  das  Damnationslegat, 
durch  welches  er  den  Erben  nach  seinem  Willen  handeln 
läßt,  auch  die  res  aliena  legieren  können,  und  der  Erbe 
ist  nun  verpflichtet,  die  Sache  herbeizuschaffen,  oder, 
wenn  des  Testators  Wille  an  der  Souveränität  eines  an- 
deren Ich,  an  der  Unabhängigkeit  des  Eigentümers,  der 
sie  nicht  verkaufen  will,  zerschellt  und  auf  Unmöglichkeit 
stößt,  und  er  also  die  Sache  in  ihrer  spezifischen  Körper- 
lichkeit nicht  übergeben  kann,  mindestens  das  Mögliche 

270 


aus  dem  testierenden  Willen  zu  erfüllen  und  ihren  all- 
gemeinen Tauschwert  dem  Legatar  abzuführen  (Ga- 
jus,  II,  202:  .  . . -dwi  aestimationem  ejus  dare  debet"). 
Vgl.  Bd.  I.  S.  184.  iNote  3,  S.  347,  Note  1. 

In  dem  legatum  rei  alienae  feiert  also  die  subjektive 
Willensfortdauer  deshalb  ihren  höchsten  Triumph,  weil  sie 
sich  durch  dasselbe  der  gesamten  ob  jektivenAuDen- 
welt  gegenüber  als  fortbestimmend  und  fort- 
wirkend betätigt.  Und  ganz  merkwürdig  deutet  uns 
in  einem  nunmehr  ganz  klaren,  obwohl  bisher  gleichfalls 
stets  übersehenen  Sinnzusammenhange  Gajus  an,  eben- 
deshalb sei  das  legatum  per  damnationem  das  Optimum 
jus,  weil  durch  dasselbe  die  res  aliena  legiert  werden 
könne.  ,,Comm.,  II,  §197:  ,,...  Optimum  autem  jus  est 
per  damnationem  legatum,  quo  genere  etiam  aliena  res 
legari  potest,  sicut  inferius  apparebit !  ..." 

Wenn  aber  das  Erbtum  wahrhaft  die  realisierte  Willens- 
fortdauer des  Toten  sein  soll,  so  darf  der  Wille  des  Toten 
nicht  etwa,  wie  wir  gleichfalls  schon  früher  zeigten 
(S.  42  fg.),  nur  einen  Augenblick  über  den  Tod  hinaus 
fortdauern,  um  dann  zu  erlöschen,  wie  dies  für  die  bloße 
Vermögensübertragung  hinreichend  wäre,  sondern  er  muß 
überhaupt  und  ins  Unendliche  als  fortexistierend  gesetzt 
sein,  d.h.  so  lange  natürlich,  als  der  Erbe,  der  das  Da- 
sein dieses  Willens  bildet,  da  ist,  wodurch  aber,  da  der 
Erbe  wieder  seinerseits  einen  Erben,  d.  h.  Willenserhalter 
hinterläßt,  das  Dasein  dieses  Willens  ins  Unendliche  kon- 
tinuiert  ist.  Ist  der  subjektive  Wille  so  für  alle  Zukunft 
als  daseiend  gesetzt,  so  braucht  er  sich  in  seinen  Wir- 
kungen nicht  auf  die  zur  Zeit  des  Todes  vorhandene  Welt 
zu  beschränken,  sondern  hat  die  Bewährung  seiner  Un- 
endlichkeit gerade  darin,  dtiß  er  auch  über  die  in  Zu- 
kunft erst  entstehende  Sache  schalten  und  walten 

271 


kann.  Er  kann  also  über  noch  gar  nicht  Vorhan- 
denes, über  ein  Kind,  das  künftig  einmal  eine  Sklavin 
gebären  wird,  oder  über  Früchte,  die  in  Zukunft  auf  einem 
Acker  gewachsen  sein  werden,  verfügen.  Gajus,  II,  203: 
,,Ea  quoque  res  quae  in  rerum  natura  non  est,  si  modo 
futura  est,  per  damnationem  legari  potest,  velut  fructus 
qui  in  illo  fundo  nati  erunt,  aut  quod  ex  illa  ancilla 
natum  erit." 

Kaum  bedarf  es  noch  der  Erwähnung,  daß  bei  dem 
Damnationslegat,  weil  hier  die  Sache  zunächst  Eigentum 
des  Erben  bleibt,  wenn  von  konjunktim  gesetzten  Lega- 
taren einer  fortfällt,  die  Akkreszenz  seines  Anteiles,  im 
Unterschiede  vom  Vindikationslegat,  zugunsten  des  Erben, 
unter  dessen  Willensherrschaft  die  Sache  ja  steht,  laufen 
und  der  Anteil  also  jure  civilt  in  der  Erbschaft  bleiben 
mußi). 


XVII.     Das    Damnationslegat   als    das    auf   den 

Erbbegriff,    und   damit   auf   die    Totalität   der 

Erbschaft   bezogene   Legat,    oder   das   legatum 

partitionis.    —   Der  heres  ex  certa  re. 

Der  Begriff  des  Legates  überhaupt  ist,  daß  Sachen 
übertragen  werden,  im  Gegensatz  zum  Willen,  der  auf 
den  Erben  übertragen  wird.  Der  besondere  Begriff  des 
Damnationslegates  ist,  daß  dies  S  a  c  h  Vermächtnis  durch 
den  Willensträger  selbst,  dem  ein  Handeln  auf- 
getragen wird,  zur  Ausführung  gebracht  werden  soll. 


1)  Ulpian,  Fr.  XXIV,  §  13;  Gajus.  II.  §  206. 
272 


Durch  das  Vindikationslegat  können  immer  nur 
einzelne  Sachen  vermacht  werden,  zwar  alle  einzelnen 
Sachen,  aber  immer  nur  als  einzelne,  und  zwar  not- 
wendig deshalb,  weil  der  Begriff  dieses  Legates,  wie  wir 
gesehen  haben,  der  ist,  die  Sache  von  der  Willensherr- 
schaft des  Testators  abzustoßen,  abzuschneiden. 
Bei  dem  Damnationslegat  dagegen,  welches  nicht  mehr  bei 
dem  abstrakten  Gegensatz  von  Wille  und  Sache  stehen 
bleibt  und  das  Vermächtnis  durch  die  Abtrennung  der 
Sache  vom  Willen  vollbringt,  sondern  den  Erben  selbst 
zum  Handelnden  macht,  kann  also  diese  Beschränkung 
nicht  mehr  stattfinden.  Weil  der  Begriff  des  Le- 
gates prinzipiell  durchaus  nicht  im  Gegensatze  vom 
Einzelnen  und  Ganzen  der  Erbschaft,  sondern  schlech- 
terdings nur  in  dem  angegebenen  Gegensatze  von  Wille 
und  Objekt  liegt,  muß  es  hier  gestattet  sein,  ebensogut  wie 
einzelne  Sachen  auch  einen  universellen  Anteil  der 
Erbschaftsmasse,  und  z^^'ar  jede  beliebige  Quote 
derselben  zu  legieren.  Dies  zeigt  sich  im  legatum 
partitionis,  welches  sich,  da  der  Erbe  darin  zum  Han- 
delnden gemacht  ist,  als  eine  einfache  begriffliche  Unter- 
art des  Damnationslegates  darstellt. 

Ulpian,  Fr.  XXIV,  §  25 :  Sicut  singulae  res  legari 
possunt,  ita  universarum  quoque  summa  legari  potest,  ut 
puta  hoc  modo,  heres  meus  cum  Titio  hereditatem  meam 
partito,  dividito ;  quo  casu  dimidia  pars  legata  videtur. 
Potest  autem  et  alia  pars,  velut  tertia,  vel  quarta  legari, 
quae  species  partitio  vocatur-"^). 

Nichts  kann  also  entscheidender  zeigen,  als  das  Parti- 
tionslegat,  daß  der  Gegensatz  des  Einzelnen  und  des 
Ganzen  des  Vermögens  gar  nicht,  wie  Gans  überall  meint 


1)  Vgl.  Gajus,  Comm.,  II,  §  254. 

18  L?£5al]*     Ges.  Sctriften.    B=..d    XI.  273 


und  überdies  allgemein  angenommen  wird,  den  Begriff 
des  Legates  bildet.  Gans  wiederholt  gerade  noch  bei 
diesem  Anlaß  (II,  209)  :  ,,Das  Legat  verhält  sich  zur 
Erbschaft  wie  ein  Einzelnes  zum  Ganzen."  Nein!"  Das 
Legat  verhält  sich  zur  Erbschaft  wie  das  Objekt  zum 
Willen,  und  nur  weil  der  Wille  das  Allgemeine 
(nicht  Ganze)  der  einzelnen  Objekte  bildet,  die  unter 
seiner  Herrschaft  stehen,  hat  auch  jener  Satz  von  Gans 
seine  relative,  häufig  äußerlich  zutreffende  Richtigkeit, 
kann  aber  niemals  den  Begriff  und  die  geistige  Bedeu- 
tung von  Legat  und  Erbrecht  angeben,  und  ebensowenig 
auch  nur  äußerlich-praktisch  überall  zutreffen^).  Der 
durch  solche  Verfügung  Bedachte  erhält  in  dem  von  Ul- 
pian  gesetzten  Fall  ganz  dieselbe  Totalität  der 
Hinterlassenschaft,  wie  der  Erbe;  er  erhält  sie 
nicht  nur  fsiktisch,  d.h.,  wie  Gans  (S.  210)  sehr  will- 
kürlich und  gegen  die  direkte  Tatsache  sagt  ,,zu  lauter 
Einzelnen  und  diesen  (Gegenständen)  abgezählt",  sondern 
er  erhält  sie  auch  ausdrücklich  als  Totalität:  heredi- 
tatem  meam  partito,   dividito.    Er  ist  also   gesetzt  als 

^)  So  scheitert  er  z.  B.  völlig,  wie  beim  Partitionslegat,  auch 
beim  legatum  rei  alienae,  und  schon  beim  Legat  der  Sache 
des  Erben.  Denn  wäre  der  Gegensatz  des  Einzelnen  zum  Ganzen 
der  Erbschaft  der  Begriff,  so  könnte  nun  immer  ein  Einzelnes 
aus  der  Erbschaft,  also  aus  dem  eigenen  Vermögen,  legiert 
werden.  Da  aber  der  Begriff  des  Erbtiuns  nur  die  Wdlens- 
erhaltung  ist,  und  der  Wille  zu  seinem  begrifflichen  Gegenstand 
nur  die  gesamte  Außenwelt  hat,  der  Gegensatz  von  Erbe  und 
Legat  also  nur  der  von  Wille  und  Objekt  überhaupt 
ist,  so  muß  auch  das  fremde  Objekt  vermacht  werden  können, 
was  daher  bei  Gans  (II,  200)  gleichfalls  eine  nicht  begriffene 
Tatsache  bleiben  muß.  So  scheitert  also  dieser  Begriff  ebenso 
sehr  an  dem  Legat  selbst,  wie  wir  früher  gesehen  haben,  daß 
er  unfähig  ist,  das  Erbium  zu  erklären. 

274 


ein  solcher,  der  dieselbe  Vermögenstotalität 
haben  soll,  wie  der  Erbe.  (Er  kann  selbst,  wie  die 
Worte  Ulpians  zeigen,  somit  die  lex  Falcidia  nicht  ver- 
letzt wird,  noch  einen  viel  größeren  Totalitätsanteil  er- 
halten, als  der  Erbe).  Gleichwohl  bleibt  der  so  Bedachte 
immer  nur  ein  bloßer  Legatar,  denn  was  ihm  so  übertragen 
wird,  ist  immer  nur  —  ob  als  Einzelnes,  ob  als  Totalitäts- 
anteil —  Gegenständlichkeit,  materielle  Vermögens- 
hinterlassenschalt,  Sache,  nicht  Wille,  was  allein  den 
Begriff  des  römischen   Erben  konstituiert^). 


^)  Dies  ist  so  sehr  der  Begriff  des  Erben,  daß  ihm  gar 
keine  Sache  gegeben  werden  kann.  Hierdurch  würde  er 
zum  Sachempfänger,  d.h.  Legatar  werden.  Der  Erbe  kann 
die  Sachen  immer  nur  als  Folge  dessen  haben,  daß  er  ist 
(heres  esto\  der  daseiende  Wille  des  Testators  ist;  aber 
die  Sache  geben  kann  ihm  selbst  der  ausdrückliche 
iWille  des  Testators  nicht,  ohne,  wie  wir  gleich  sehen  werden, 
ihn  zum  Legatar  zu  machen.  Dies  zeigt  sich  mit  der  streng- 
sten und  interessantesten  spekulativen  Konsequenz  beim  heres 
ex  certa  re.  Wird  nämlich  jemand  ausdrücklich  vom  Testator 
für  eine  bestimmte  Sache  zum  Erben  eingesetzt, 
so  schlägt  und  beseitigt  der  ihm  einmal  aufgedrückte  Charakter 
als  Willensinhaber  des  Toten  die  Beziehung  auf  die 
Sache,  deren  Erbe  allein  er  sein  sollte,  und  er  ist  Erbe 
überhaupt,  als  wäre  nichts  von  der  Sache  hinzugefügt. 
Ulpian,  L.  1,  §  4  de  her.  inst.  (28,  5):  „Si  ex  fundo  fuisset 
ahquis  solus  institutus,  valet  institutio    detracta  fundi    mentione." 

Der  Erbe  kann  also  negativ  auf  eine  Sache  beschränkt 
werden,  indem  die  anderen  Sachen  sämtlich  von  der  Erbschaft 
abgestoßen  werden  (Vindikationslegat),  oder  ihm  aufgetragen 
wird,  sie  abzugeben.  Aber  in  positiv-direkte  Beziehung 
auf  die  Sache  kann  er  selbst  durch  den  Willen  des  Testators 
nicht  gebracht  werden.  Der  Willensbegriff  in  ihm  greift  sofort 
über  und  beseitigt  die  unmittelbare  Beziehung.  Es  kann  ihm 
rachts  vom  Testator  gegeben  werden;  denn  sowie  ihm  der 
speziellste  Gegenstand  mit  der  Erbformel  gegeben  wird,  stößt 

i8»  275 


Und  ebensowenig  hört  der  Erbe  dadurch  auf,  Erbe  zu 
sein,  obwohl  er  dieselbe  oder  größere  Vermögenstotalität 
als  solche,  die  er  bekommt,  abzugeben  angewiesen  wird. 

sein  hierdurch  erzeugter  Begriff,  Willenskontinuator  zu  sein, 
die  Sache  ?ls  eine  gegebene  von  sich  ab  und  unterwirft  sie, 
wie  alles,  was  in  der  Erbmasse  vorhanden  ist,  seiner  eige- 
nen, aus  seinem  eigenen  Rechte  als  Willensdasein  des 
T.qteii  fließenden  Herrschaft.  Die  entwickehe  Natur  des  Be- 
griffes tritt  endlich  noch  deutlicher  hervor,  wenn  nicht  ein, 
sondern  mehrere  Erben  ex  certa  re  eingesetzt  sind. 
iWieder  Nvird  durch  die  Kraft  des  zivilrechtlichen  Begriffes 
jeder  von  ihnen  zum  Erben  zu  gleichen  Teilen,  als  lautete 
die  Erbeinsetzung  nicht  auf  eine  bestimmte  Sache;  die  hin- 
zugefügte Sache  aber  wird  zum  Präzeptionslegat,  d.h. 
es  wird  zur  Bestätigung  dessen,  was  wir  am  Eingang  dieser  Note 
sagten,  daß  der  Testator  dem  Erben  als  solchem  nicht  geben 
kann,  dieser  vielmehr  hierdurch  notwendig  zum  Legatar  würde, 
der  Erbe  tatsächlich  und  durch  die  bloße  Operation  des  Be- 
griffes von  selbst  zum  Legatar  für  die  gegebene  Sache 
verwandelt.  Ulpian,  L.  35  pr.  de  her.  inst.  (28,  5):  „Dice- 
bam  receptum  esse,  rcnini  heredem  instituti  posse  (schon  die 
bloße  Versicherung,  es  könne  in  gewisser  Weise  ein  rerum  heres 
eingesetzt  werden,  hätte  unseren  Autoren  die  größte  Verwun- 
derung und  dadurch  ihr  Nachdenken  veranlassen  sollen,  da  sie 
bisher  ja  jeden  Erben  inhaltlich  immer  nur  als  einen  rerimi 
heredem  auffaßten),  nee  esse  inutilem  stipulationem ;  sed  ita 
ut  officio  Judicis  familiae  herciscundae  cognoscentis  continsa- 
tur,  etc. ;  emnt  qiiidcm  lieredes  ex  aequis  partibns  quasi  suis 
partibus  instituti ;  verumtamen  officio  Judicis  tenebuntur,  ut 
unicuique  eoruni  fundus  qui  relictum  est  adjudicetur  aut  attri- 
buatur."  Papinian,  L.  78  pr.  eod.  tit. :  „.  .  .  jure  semisses 
ambos  habere  constitit,  sed  arbitnim  dividendae  hereditatis  su- 
premam  voluntatem  etc."  Gajus,  L.  17  de  lest.  mil.  (29,  1): 
„Si  certarum  rerum  instituerit  miles,  veluti  alium  urbanorum 
praediorum,  alium  rusticorum,  alium  ceterarum  rerum,  valebit 
institutio,  perindeqiie  habebitur  atque  si  sine  partibus  heredes  eos 
instituisset,  resque  omnes  suas  per  praeceptionem  cuique  le- 
gando  distribuisset." 

276 


Denn  abgebend  bekundet  er  sich  gerade  als  der,  den  der 
Testator  handeln  macht  als  der  echte  Willensträger 
i.  e.  Erbe  desselben. 

Es  ist  daher  nur  die  Folge  dieses  Verkennens  des  wal- 
tenden Begriffes,  welche  Gans  dazu  bringen  muß,  das 
Partitionslegat  als  eine  ,, Unangemessenheit"  zu  bezeichnen 
(S.  210)  und  die  Rache  für  diese  Unangemessenheit  des 
Verstandes  darin  zu  sehen,  daß  die  Schulden  allein  auf 
den  Erben  übergehen,  dieser  sich  daher  erst  mit  dem  Le- 
gatar durch  besondere  Stipulationen  partis  et  pro  parte 
wegen  der  Schulden  sichern  muß.  Es  ist  dies  vielmehr 
nur  die  konsequente  und  echt  spekulative  Folge  des  zivil - 
rechtlichen  Erbbegriffes,  während  der  Legatar,  der  nur  em 
Vermögensaktivum  empfangen  hat,  an  und  für  sich  mit 
den  Schulden  nichts  zu  tun  haben  kann. 

Wenn  aber  der  Testator  dem  Erben  dies  Abgeben  des 
gleichgroßen  und  größeren  Anteiles,  den  er  selbst  emp- 
fängt, auftragen  kann,  so  kann  er  ihn  zunächst  doch  nicht 
beauftragen,  die  gesamte  Totalität  als  Totalität 
abzugeben.  Denn  wenn  er  ihn  sehr  wohl  zum  Abgeben 
des  ganzen  Vermögens  durch  Verfügung  über  alle  ein- 
zelnen Objekte  beauftragen,  oder  durch  Vindikations- 
legate alle  diese  von  seiner  Willensherrschaft  abstoßen 
kann,  so  würde  es  doch,  wie  wir  schon  früher  gesehen 
haben,  formell  den  Begriff  des  Erben  verletzen  (s.  hier- 
über oben  S.  192 fg.),  die  gesamte  Totalität  als  Totalität 
fortzugeben.  Denn  das  Vermögen  der  Person  als  ein- 
faches Ganzes  gesetzt,  drückt  nicht  mehr  bloß  einzelne 
Sachen,  oder  einen  Umfang  von  Sachen,  sondern  die 
Realität  ihres  Willens  aus,  das  gegebene  unmittel- 
bare reale  Dasein  dieser  Willenssubjektivität. 
Der  Erbe  soll  nun  selbst  das  reale  Dasein  des  erb- 
lasserischen   Willens   darstellen.     Es    muß    daher   wider- 

277 


sprechend  erscheinen,  während  er  selbst  diese  Realität  sein 
soll,  ihm  dieselbe  als  solche,  als  einfache  Einheit, 
wieder  abzusprechen.  Soll  dies  gleichwohl  geschehen,  so 
muß  es  also  mit  Berücksichtigung  jenes  for- 
mellen Rechtes  des  Erben,  d.h.  bittweise  ge- 
schehen (Fideikommiß),  bis  dann  die  Dialektik  des  Um- 
standes,  daß  nach  jus  civile  durch  Einzelverfügungen  das- 
selbe Resultat  zu  erreichen  freistand,  der  Bitte  Zwang 
verleiht.    (S.  hierüber  genauer  oben  sub  Nr.  IX.) 

Das   Fideikommiß  erweist  sich  so  seitens  des   Fidei- 
kommissars  als  ein  Ausfluß  des  Damnationslegates. 


XVIII.    Die  Selbstaufhebung  des   Damnations- 
legates.  Das  Gesetztsein  seiner  Widersprüche, 
oder  das  legatum  sinendi  modo. 

Wir  haben  aber  bereits  gezeigt  (S.  265 — 268),  daß  der 
Begriff  des  Testamentes  im  Damnationslegat  nicht  we- 
niger, wenn  auch  in  umgekehrter  Weise,  scheitert  als  im 
Vindikationslegat,  Denn  aus  der  testamentarischen  Ver- 
fügung ist  jetzt  ein  Geben  der  Sache  als  Eigentum 
des  Erben  und  folgeweise  ein  Akt  unter  Lebenden 
geworden,  so  daß,  wie  wir  an  der  Notwendigkeit  der 
Manzipationshandlung  gesehen  haben,  der  Erbe 
erst  die  Gültigkeit  der  Eigentumszuwendung 
hervorbringen  muß,  die  ja  gerade  als  Wille  des 
Toten  Gültigkeit  haben  soll. 

Das  Testament  versucht  daher,  auch  diese  Negation 
seiner  selbst  aufzuheben  und,  indem  es  durch  den  Erben 

278 


handelt,    doch   den    Erben    wieder    zu   beseitigen    und 
durch  sich  selbst  zu  geben,  was  es  gibt. 

Diese  neue  Anstrengung,  welche  die  dritte  und  letzte 
Form  des  Legates,  das  legatum  sinendi  modo,  erzeugt, 
bringt  es  aber  nur  zu  dem  offenen  Heraustreten  der 
bisher  innerlich  im  Legat  verborgenen  Wider- 
sprüche, so  daß  das  legatum  sinendi  modo  als  die  voll- 
ständige Auflösung  des  Legates  überhaupt  erscheint, 
und  die  jetzt  offen  hervorgetretenen  Widersprüche  des 
Begriffes  Schritt  für  Schritt  das  Aufeinanderplatzen  der 
Kontroversen  nach  sich  ziehen  müssen. 

Die  Formel  dieses  Legates  lautet:  ,,Heres  meus  dzim- 
nas  esto  sinere  Lucium  Titium  hominem  Stichum  sumere 
sibique  habere^)."  Schon  in  dieser  äußerlichen  Formel 
tritt  der  Begriff  dieses  Legates  vollkommen  klar  zutage. 
Es  ist  kein  unmittelbares  Geben  durch  den  Testator,  wie 
das  Vindikationslegat,  sondern  ein  Handeln  desselben  durch 
den  Erben,  ein  Willensauftrag  an  diesen.  Es  ist  daher  ein 
Damnationslegat,  und  darum  heißt  es  auch  in  der 
Formel  ,,damnas  esto".  Andererseits  soll  aber  der  Erbe 
wieder  verdrängt  werden,  damit  der  Testator  selbst  als 
der  Handelnde  zum  Vorschein  komme.  Die  Handlung 
welche  dem  Erben  aufgetragen  wird,  ist  daher  ein  Nicht- 
handeln,  ein  Nichtgeltendmachen  seines  Erbrechtes,  eine 
reine  Passivität.  Damit  also  das  Testament  selbst  als 
das  Handelnde  zum  Vorschein  kommt,  hat  der  Erbe  nur 
zuzulassen,  und  zwar  dies  zuzulassen,  daß  der  Legatar 
selbst  auf  Grund  des  Testamentes,  wie  beim  Vindikations- 
legat, die  Sache  nimmt  und  für  sich  hat,  und  es  werden 
deshalb  konsequent  vom  Vindikationslegat  die  Worte  und 
die  Formel  aufgenommen:  ,, sumere  sibique  habere".  Dieser 


0  Gajus,  II,  §  209. 

270 


Charakter  des  Vindikationslegates  wird  aber  wieder  da- 
durch aufgehoben,  daß  das  Legat  durch  den  Erben  gehen 
soll,  und  also  ein  Damnationslegat  ist,  und  dies  wird 
wieder  dadurch  aufgehoben,  daß  der  Erbe  sich  beiseite 
halten  und  der  Legatar  sich  direkt  auf  Grund  des  Testa- 
mentes nehmen  soll,  daß  es  also  ein  Vindikationslegat  ist, 
und  dies  wird  wieder  in  unaufhörlichem  Wechsel  negiert 
durch  das  erste  Glied,  wie  dieses  durch  das  zweite,  und 
umgekehrt  ins  Unendliche.  Das  legatum  sinendi  modo  ist 
also  nicht  die  Einheit^)  des  Damnations-  und  Vindi- 
kationslegates, sondern  der  herausgesetzte  Wider- 
spruch eines  jeden  von  beiden  mit  sich  selbst, 
der  geoffenbarte  Widerspruch  und  die  objektiv 
gewordene  Unmöglichkeit,  die  im  gesamten 
Legats-  und  testamentarischen  Erbbegriff  liegt. 
Der  Wille  kann  wohl  sagen :  Titius  soll  mein  Dasein  sein, 
ohne  sich  dabei  schon  in  sich  selbst  zu  widersprechen.  Er 
stellt  damit  nur  ein  unmögliches  Postulat  auf,  dem  bloß 
die  Realität  widerspricht,  weil  Titius  in  alle  Ewigkeit 
ein  anderer  subjektive  Wille  als  der  Sagende  ist  und  bleibt. 
Wenn  aber  der  Wille  nun  weiter  geht  und  zum  Beweise 
seiner  realen  Fortdauer  sich  von  selbst  unter- 
scheiden und  reale  Bestimmungen  (Legate) 
treffen  will,  dann  muß  die  von  Anfang  an  vorhandene  Un- 
möglichkeit des  fiktiven  Begriffes  ihm  als  Widerspruch 


^)  Wie  Gans,  II,  201  fg.,  meint,  der  aber  bei  dieser  An- 
sicht deshalb  stehen  bleiben  muß,  weil  er  völlig  übersieht,  wie 
sowohl  das  Vindikations-  als  das  Damnationslegat  jedes  schon 
seinem  eigenen  Begriffe  widerspricht  und  die  testamen- 
tarische Willensfortdauer  ebenso  aufhebt  wie  verwirklicht, 
wie  wir  dies  oben  ausführlich  nachgewiesen  haben.  Erst  durch 
diese  Darstellung  wird  dem  testamentarischen  Erbrecht  mit  semer 
objektiven  Entwicklung  auch  seine  objektive  Kritik  zuteil. 

280 


mit  sich  selbst  zu  allen  Poren  herausschlagen,  und  das 
Ringen  gerade,  diesen  Widerspruch,  in  welchen  der  Wille 
jedesmal  im  Vindikations-  wie  im  Damnationslegat  inner- 
lich mit  sich  selbst  gerät,  zu  überwinden,  kann,  weil  dieser 
Widerspruch  sein  not\vendiges  Schicksal,  in  nichts  anderes 
als  in  den  offenbar  gewordenen  und  heraus- 
gesetzten Widerspruch  als  solchen,  d.  h.  in  die  voll- 
ständige Auflösung  des  Legates  münden,  eine  Auf- 
lösung, welche  aber  der  an  seine  eigene  Substanz  gläubige 
Geist  ganz  naiv  wieder  als  eine  dritte  und  neue  Form 
des  Legates  auffaßt. 

Das  Gesagte  wird  sich  sofort  zum  näheren  Nachweis 
bringen.  Die  Folge  dieser  totalen  Auflösung  des  Le- 
gates selbst,  die  im  legatum  sinendi  modo  vor  sich  ge- 
gangen, äußert  sich  sofort  darin,  daß  hier  bei  jedem  Schritt 
die  Kontroversen  aufeinanderstoßen,  welche  nur  der  Aus- 
druck der  in  diesem  Legat  gesetzten  Widersprüche  sind. 
Diese  Kontroversen  können  hier  auch  nicht  bloß  diejenigen 
der  beiden  Schulen  sein,  denn  ihr  Quell  liegt  hier  durch- 
aus nicht  bloß  in  der  Auffassungsweise,  in  einem  inneren 
Widerspruch,  sondern  dieser  ist  eben  äußerlich  her- 
ausgetreten. In  der  Tat  ist  bei  diesem  Legat  nichts 
sicher,  als  daß  der  Testator  auf  diese  Weise  nur  seine 
Sache  und  diejenige,  welche  schon  zur  Zeit  seines  Todes 
dem  Erben  gehörte,  nicht  aber  die  res  aliena,  legieren 
kann^).  1 

Dieser  Punkt  ist  nach  beiden  Seiten  hin  notwendig. 
Der  Testator  muß  die  Sache  des  Erben  so  legieren  können, 
denn  als  Auftrag  für  den  Erben  wirkt  dies  Legat  durch 
den  mit  dem  Erblasser  identischen  Willen  desselben, 
und  verfügt  also  ebensowohl  über  die  der  Willensherrschaft 
des  Erben  als  des  Testators  unter\vorfenen  Gegenstände. 

1)  Ulpian,    Fr.   XXIV,   §    10;   Gajus,   II.   §  210. 

281 


Als  Auftrag  dagegen  zu  einem  bloßen  Zulassen  kann 
dies  Legat  den  Erben  nicht  zu  einem  Handeln  nach 
außen  in  Bewegung  setzen  und  ihn  daher  nicht  zwingen, 
die  Sache  herbeizuschaffen  und  zu  erwerben. 

Von  hier  ab  ist  alles  streitig  und  der  Streit  kein  zu 
schlichtender,    weil   er   eben   nur   der   Ausdruck   des 
inneren   Widerstreites  des   Begriffes   ist.    Zunächst  muß 
schon  streitig  sein,  ob  zur  Gültigkeit  des  Legates  erforder- 
lich ist,  daß  die  Sache  schon  zur  Zeit  des  Todes  im 
Eigentum  des  Erben  war,  oder  ob  es  auch  dann  gültig  ist, 
wenn  sie  erst  später  in  sein  Eigentum  gelangt.    So  viel 
zwar  muß  feststehen,  daß  die  Sache  keineswegs  scholl  zur 
Zeit  der  Testamentsanfertigung  dem  Erben  zu  ge- 
hören   braucht,    denn  .  da    dies    Legat    nicht     (vgl.    oben 
S.  252 fg.,  265  fg.)  eine  Abtrennung  der  Sache,  sondern  ein 
Auftrag  an  den  Willen  des  Erben  darstellt,  so  muß 
es  jedenfalls  völlig  hinreichend  sein,  wenn  der  Gegenstand 
in  dem  Momente  unter  der  Willensherrschaft  des  Erben 
steht,  in  welchem  seine  Willensidentität  mit  dem  Erb- 
lasser —  rückwirkend  durch  die  spätere  aditio  —  reell 
geworden  und  er  als  sein  Fortsetzer  eingetreten 
ist.   Ist  es  nun  aber  nötig,  daß  die  Sache  schon  zu  dieser 
Zeit  des  Todes  dem  Erben  gehört,  oder  bleibt  das  Legat 
gültig,  wenn  er  sie  auch  erst  später  erwirbt  ?   Diese  Frage 
ist  schon  nicht  mehr  zu  lösen.   Denn  einerseits  hat  der  zur 
Zeit  des  Todes  wirksam  werdende  Wille  des  Testators 
den  Erben  nur  zu  einem  Lassen  bestimmt,  er  konnte  also 
nur  über  das  bereits  damals  Seinige  verfügen.  Oder 
tiefer  gesagt :  Durch  das  legatum  sinendi  modo  wollte  ja 
eben,   und  deshalb   verschmähte  er  das   Damnationslegat, 
der  Testator  den  Erben  verdrängen  und  selber  als  der 
testamentarisch    Gebende    zum   Vorschein    kommen.    So 
konnte  er  über  die  Objekte  des  Erben  verfügen ;  aber  als 

282 


Handelnder  und  somit  auch  als  künftig  Erwerben- 
der sollte  derselbe  ja  gerade  nach  dem  Begriff  dieses  Le- 
gates beiseite  bleiben,  und  die  Konsequenz  dieses  Begriffes 
erfordert  daher,  daß  sich  dasselbe  auf  die  künftigen  Er- 
werbshandlungen des  Erben  nicht  erstrecken  kann.    Um- 
gekehrt ist  aber  der  Wille,  den  der  Erblasser  dem  Erben 
aufdrückt,  ein  bleibender.    Der  Erbbegriff  ist  gerade, 
wie  wir  häufig  gesehen  haben,  dies,  daß  der  Erbe  nicht 
bloß  einen  Augenblick  nach  dem  Tode,  sondern  das  fort- 
dauernde Dasein  des  erblasserischen  Willens  ist.    Der 
Erbe  muß  also  jederzeit  lassen,  d.h.  jederzeit  das 
zulassen,  was  sich  durch  sein  bloßes  Lassen  bewirken  läßt. 
Weil  also  der  Testator  hier  wieder  nicht  direkt  über  die 
Sache,  wie  durch  das  Vindikationslegat,  sondern  über  den 
Willen   des    Erben   verfügt,    muß    die    Wirkung    eine 
dauernde  sein,  gleichviel  zu  welcher  Zeit  der  Gegenstand 
in  sein  Eigentum  gelangt.   Es  ist  also  ganz  gleichgültig,  für 
welche  von  beiden  Meinungen  man  sich  entscheidet.   Gleich 
richtig  und   gleich   falsch,    sind   sie   nur   das   unvermeid- 
liche  Aufeinanderplatzen    des    aufgezeigten    begrifflichen 
Widerspruches.  Eine  Entscheidung  vom  zivilistischen  Stand- 
punkt ist  hier  nicht  möglich.    Und  daß  auch  die  erstere 
Meinung  Verteidiger  findet,  ja,  daß  diese  gerade  die  Mehr- 
zahl bilden,  wie  Gajus  bezeugt,  beweist  nur,  mit  welcher 
Stärke  im  römischen  Bewußtsein  der  von  uns  entwickelte 
Begriff  dieses  Legates,  als  das  zum  Vorscheinkommen  und 
Verdrängen  des  im  Damnationslegat  vom  Erben  verdrängt 
gewesenen  Testators,  tätig  ist.  Gajus,  II,  §  212  :  ,,Quod  si 
post  mortem  testatoris  ea  res  heredis  esse  coeperit,  quae- 
ntur,  an  utile  sit  legatum,  et  plerique  putant  inutile  esse." 
Noch  stärker  aber  tritt  immer  derselbe  Widerspruch  bei 
der  Frage  hervor,  wie  denn  die  so  legierte  Sache  über- 
haupt in  das  Eigentum  des  Legatars  übergeht. 

283 


Da  hier  die  Sache  nicht  durch  die  gesetzgeberische  Ver- 
fügung des  Vindikationslegates  unmittelbar  als  die  eigene 
Sache  des  Legatars  gesetzt  worden  ist,  oder  mit  anderen 
Worten,  da  sie  nicht  von  der  im  Erben  fort- 
existierenden Willensherrschaft  des  Erb- 
lassers, wie  im  Vindikationslegat,  abgestoßen  und 
abgeschnitten  worden  ist  —  denn  diese  Selbstnegierung 
des  Willens  im  Vindikationslegat  will  der  Wille  eben  ver- 
meiden, indem  er  die  Sache  als  die  seinige  reicht  — , 
so  steht  sie  noch  unter  der  Willensherrschaft  des  Erben, 
gehört  ihm  also  noch,  und  fes  wird  darum  am  Erben 
sein  müssen,  sie  zur  Sache  des  Legatars  zu  machen. 
Darum  sagt  Gajus,  II,  §  213:  ,,Sicut  autem  per  damna- 
tionem  legata  res  non.statim  post  aditam  hereditatem  lega- 
tarii  efficitur,  sed  manet  heredts  eo  usque  donec  is  heres 
tradendo  vel  mancipando  vel  in  jure  cedendo  legatarii  eam 
fecerit,  Ita  et  in  sinendl  modo  legato  juris  est\  et  ideo 
liujus  quoque  legati  nomine  in  personam  actio  est :  Qiiid- 
qiiid  heredem  ex  testamento  dare  facere  oportet." 

Allein,  wenn  der  Erbe  so  die  sinendi  modo  legierte 
Sache  gleichfalls  erst  durch  Manzipation  zum  Eigentum 
des  Legatars  machen  muß,  so  ist  ja  das  legatum  sinendi 
modo  als  eine  eigene  Art  des  Legates  ganz  fortgefallen 
und  schlechthin  zum  gewöhnlichen  Damnationslegat 
geworden.  Die  testamentarische  Verfügung,  die  gerade, 
um  als  solche  zu  wirken  und  zum  Vorschein  zu  kommen, 
vom  Damnationslegat  abgehen  und  eine  neue  Art  des  Le- 
gierens  schaffen  wollte,  hat  diesen  Zweck  gänzlich  ver- 
fehlt und  ist  wieder,  ganz  wie  beim  Damnationslegat,  in 
den  Akt  unter  Lebenden  umgewandelt,  welcher  ihr 
erst  die  Kraft  und  Wirksamkeit  der  Eigentumsübertragung 
verleiht. 

Da  es  aber  gerade  der  Begriff  dieses  Legates  war,  den 

284 


Erben  als  Gebenden  zu  verdrängen  und  den  Testator  selbst 
durch  diese  testamentarische  Verfügung  als  das  Gebende 
zum  Vorschein  zu  bringen,  somit  gerade  den  Akt  unter 
Lebenden  zu  beseitigen  —  und  deshalb  eben  wurde 
der  Erbe  nur  angewiesen,  zu  lassen,  und  der  Legatar 
direkt,  wie  beim  Vindikationslegat,  ,,zu  nehmen  und  für 
sich  zu  haben"  — ,  so  muß  diese  Konsequenz  falsch 
und  die  Vornahme  der  Manzipation,  in  jure  Zession  oder 
Tradition  durch  den  Erben  hier  überflüssig  sein.  Und 
darum  fährt  Gajus  fort,  II,  §  214:  ,,Sunt  tamen  qui  pu- 
tant  ex  hoc  legato  non  videri  obligatum  heredem,  ut  man- 
cipet  aut  in  jure  cedat  aut  tradat,  sed  sufficere,  ut  lega- 
tarium  rem  sumere  patiatur,  quia  nihil  ultra  ei  testator  im- 
peravit  quam  ut  sinat,  id  est  patiatur^  legatarium  rem  sibi 
habere."  Diese  Ansicht  ist,  wie  die  ihr  von  uns  gegebene 
Entwickelung  zeigt,  keine  bloße  Wortreiterei,  sondern 
beruht  vielmehr,  da  die  Formel  selbst  nur  der  Ausdruck 
des  Begriffes  ist,  auf  dem  innersten  Begriffe  dieses 
Legates. 

Aber  gleichwohl  ist  diese  Ansicht  ebenso  falsch,  wie 
die  vorige.  Denn  es  ist  offenbar,  daß  auf  diese  Weise  das 
Eigentum  der  Sache  auf  den  Legatar  gar  nicht  über- 
gehen würde.  Wodurch  sollte  das  Eigentum  über- 
gegangen sein  ?  Der  Testator  hatte  die  Sache  nicht  von 
der  Willensherrschaft  des  Erben  abgetrennt,  und  es  wird 
niemand  einfallen  zu  behaupten,  daß  der  Legatar  sie  vin- 
dizieren könne ;  er  hat  vielmehr  nur,  vvie  Gajus  deshalb 
mit  Recht  hervorhob,  eine  in  personam  actio  gegen  den 
Erben.  Indem  der  Testator  dem  Willen  des  Erben  einen 
Auftrag  in  bezug  auf  die  Sache  gab,  erkannte  er  vielmehr, 
daß  sie  unter  diesem  Willen  stehen,  bei  seinem  Tode 
Eigentum  desselben  sein  solle,  was  nicht  bestritten  werden 
kann.  Wenn  aber  die  Sache  nun  einem  Lebenden  ge- 

285 


hört,  so  kann  ihre  Veräußerung  wiederum  nur  durch  die 
Formen  bewirkt  werden,  welche  allein  Veräußerung 
unter  Lebenden  zu  bewirken  vermögen,  und  es  wird 
daher  hier  mit  derselben  Notwendigkeit,  wie  beim  legatum 
per  damnationem,  die  Manzipation  usw.  nötig  sein,  um  das 
Eigentum  zu  übertragen.  Damit  tritt  aber  wieder  der 
vorige  Widerspruch  ein,  und  so  geht  das  Ballspielen  des- 
selben mit  sich  selbst  fort  ins  Unendliche. 

Wir  hatten  also  Recht  zu  sagen,  daß  das  legatum  si- 
nendi  modo  nur  die  vollständige  Auflösung  und  das 
Scheitern  des  Legates  überhaupt  darstellt,  das  Her- 
austreten des  inneren  Widerspruches  im  Legatsbegriffe 
selbst,  welches  wiederum  nur  die  Äußerung  jener  fik- 
tiven Natur  des  Erbbegriffes  ist,  vermöge  welcher  der 
Wille  nach  seinem  Erlöschen  fortexistieren  und  sich  als 
fortexistierend  bewähren  will. 

Es  ist  immer  nur  eine  Folge  desselben  Begriffswider- 
spruches,  daß  eine  ebensowenig  zu  entscheidende  Kontro- 
verse darüber  ausbrechen  muß,  was  eintreten  soll,  wenn 
sinendi  modo  mehreren  Legataren  disjunctim  dieselbe  Sache 
legiert  ist.  —  Wenn  per  damnationem  zwei  Legataren 
dieselbe  Sache  legiert  ist,  so  wird  sie  jedem  von  beiden 
vom  Erben  ganz  geschuldet^).  Denn  der  Wille  desselben 
ist  angewiesen,  sie  jedem  von  beiden  zu  geben,  und  der 
Erbe  muß  daher,  nachdem  er  sie  dem  einen  Legatar  über- 
liefert, in  bezug  auf  das  andere  Legat,  wie  bei  der  res 
aliena,  welche  ihr  Eigentümer  nicht  ablassen  will  (vgl. 
oben  S.  270),  mindestens  das  Mögliche  tun,  und  wenn 
er  die  Sache  nicht  in  ihrer  spezifischen  Körperlichkeit 
herbeischaffen  kann,  doch  ihre  allgemeine  Materia- 


^)  Ulpian,   Fr.  XXIV,   §   13:   „quod  sl  disjunctim,   singulis 
solidum  debetur." 

286 


lität,   den  Tauschwert,   dem  anderen  Legatar  über- 
geben^). 

Wie  aber  beim  Legat  sinendi  modo  ?  Die  legierte  Sache 
ist  unter  den  Willen  des  Erben  gestellt  und  dieser  für 
jeden  von  beiden  Legataren  auf  gleiche  Weise  an- 
gewiesen worden,  ihm  eine  Sache  zu  überlassen,  welche 
auch  im  Augenblick  des  erblasserischen  Todes  dem  Erb- 
lasser respektive  Erben  gehörte,  und  daher  sinendi  modo 
legiert  werden  konnte.  Der  Erbe  schuldet  sie  also  auf 
gleiche  Weise  jedem  von  beiden  Legataren  und  muß 
den  Willen  des  Testators  jedem  von  beiden  gegenüber 
zum  Dasein  bringen.  Er  muß  also,  wenn  er  den  einen 
Legatar  die  spezifische  Sache  nehmen  ließ,  dem  anderen 
gegenüber  nichtsdestoweniger  seine  Willensverpflich- 
tung erfüllen  und  ihn,  wie  bei  der  nicht  beizuschaffen- 
den res  aliena,  das  Sein  der  Sache  für  den  Men- 
schen, d.  h.  ihren  allgemeinen  Tauschwert  nehmen 
lassen-).  Oder  mit  anderen  Worten:  das  legatum  sinendi 
modo  ist,  wie  wir  früher  sahen,  weil  auch  das  Lassen 
immer  eine  innere  Willenshandlung  darstellt,  die- 
jenige nämlich:  von  seinem  Rechte  keinen  Gebrauch  zu 
machen,  immer  auch  ein  Damnationslegat,  und  da- 
her die  Verpflichtung  dieselbe.  Ja,  da  Lassen  gleichfalls 
eine  Willenshandlung  ist,  kann  man  sogar  sagen,  daß  der 

^)  Gajus,  II,  §  205 :  ,,si  vero  disjunctim  singulis  solida  res 
debetur,  ut  scilicet  heres  alteri  rem,  alteri  aestimationem  ejus 
praestare  debeat." 

')  Mit  Unrecht  meint  daher  Gans,  II,  202,  der  die  gesamte 
Reihe  dieser  Kontroversen  nicht  entwickelt,  weil  ihm  der  wahre 
Testamentsbegriff  entgeht,  welcher  in  ihnen  waltet  und  schei- 
tert, bei  der  Erwähnung  dieser  letzten  Kontroverse,  daß  die 
andere  bald  folgende  Ansicht  die  konsequentere  sei  wegen  des 
Wortes:  lassen.  —  Der  Erbe  könnte  ja  ebenso  gut  den  zwei- 
ten  Legatar  den   Tauschwert  nehmen  lassen. 

287 


Erbe  dem  zweiten  Legatar  zur  Entschädigung  ver- 
pflichtet ist,  weil  er  die  für  diesen  bestimmte  und  in  seiner 
Willensherrschaft  befindliche  Sache  von  einem  anderen 
—  dem  ersten  Legatar  —  nehmen  ließ^). 

Und  diese  Ansicht  gerade  ist  es,  die  am  meisten  durch- 
gedrungen ist^). 

Aber  umgekehrt  sagt  der  Erbe  mit  demselben  Recht : 
der  Testator  hat,  indem  er  sinendi  modo  legierte,  mich 
gerade  außer  Spiel  bringen,  und  selbst  als  der  Gebende 
zum  Vorschein  kommen  wollen.  Es  existiert  also  bei 
diesem  Legat  nur  der  Testator  und  der  Legatar  als  die 
tätigen,  gebenden  und  nehmenden  Parteien ;  ich  selbst 
existiere  nur  als  ein  Lassender,  sich  beiseite  Hal- 
tender, und  halte  mich  daher  ebenso  beiseite  dem 
zweiten  Legatar  gegenüber,  der  die  Sache  nicht  mehr, 
wie  dem  erstgekommenen,  der  die  Sache  noch  in  meinem 
Besitze  vorfindet.  Und  so  berichtet  Gajus,  II,  215: 
,, Major  illa  dissensio  in  hoc  legato  intervenit,  si  eandem 
rem  duobus  pluribusve  disjunctim  elegasli ;  qiildam  putant 
utrisque  solidum  deberi,  sicut  per  damnationem ;  nonniilH 
occupantis  esse  meliorem  conditionem  aestimant  quia  cum 
in  eo  genere  legati  damnetur  heres  patientiam  praestare, 
ut  legatarius  rem  habeat,  sequitur  ut  si  priori  patientiam 
praestiterit  et  is  rem  sumpserit,  securus  sit  adversus  eum 
qui  postea  legatum  petierit,  quia  neque  habet  rem,  ut  pa- 
tiatur  eam  ab  eo  sumi  neque  dolo  malo  fecit  quo  minus 
eam  rem  haberet." 

Dies  sind  die  drei  Formen  des  Legates,  von  welchen 
die  anderen  Legate   (per  praeceptionem  und  per   parti- 

^)  Hierin  zielt  das  letzte  Moment  in  der  Antwort,  welche 
die  Anhänger  der  anderen  Ansicht  bei  Gajus,  II,  §  215,  er- 
teilen :  „neque  dolo  malo  fecit,  quo  minus  eam  rem  haberet." 

")  Celsius,  L.   14  de  usu  et  usufr.   (33,  2). 

288 


tlonem)  nur  Unterarten  bilden.  Das  Legat  mußte  sich, 
wie  wir  gesehen  haben,  seinem  eigenen  Begriff  zufolge, 
weil  es  den  Gegensatz  vom  S  ach  Vermächtnis  zum  Wil- 
lens Vermächtnis  darstellt,  zuerst  als  legatum  per  vindica- 
tionem  bestimmen.  Die  Unangemessenheit  aber,  in  welche 
in  diesem  Legat  der  testierende  Wille  mit  sich  selbst  ge- 
rät, indem  er,  seine  Fortexistenz  an  der  Sache  bewähren 
wollend,  sich  vielmehr  selbst  negiert,  muß  dieses  Legat 
dazu  treiben,  über  sich  selbst  hinauszugehen  und  sich  zum 
legatum  per  damnationem  zu  entwickeln,  in  welchem  der 
testierende  Wille  die  Sache  als  die  seinige,  und  so- 
mit in  affirmativer  Bewährung  seiner  Fortexistenz  verab- 
reicht. Aber  auch  diese  adäquateste  Realisierung  und 
vollendetste  Gestalt  des  Legates,  in  welcher  dasselbe  dem 
Erbbegriff  nicht  mehr  abstrakt  gegenübersteht,  sondern 
von  ihm  durchdrungen  und  vermittelt  ist,  ist  erst  recht 
die  höchste  Selbstent  äußerung  des  testierenden  Wil- 
lens. Denn  die  testamentarische  Verfügung  ist  jetzt  völlig 
untergegangen  und  zum  AktunterLebenden  geworden. 
Indem  der  Wille  des  Toten  gegen  diese  neue  Negation 
angehen  und  sich  als  das  Selbstgeltende  bewähren 
wollen  muß,  schafft  er  das  legatum  sinendi  modo,  kann 
aber  sachgemäß  durch  dasselbe  nichts  anderes  zustande 
bringen,  als  das  offene  und  positive  Heraus-  und 
Gegenübersetzen  dieser  bisher  nur  innerlichen  Wider- 
sprüche, so  daß  dieselben  jetzt  nicht  mehr  bloß  innerlich 
als  Widersprüche  des  Begriffes  und  für  den  Begriff  vor- 
handen, sondern,  als  herausgesetzte,  auch  für  das  posi- 
tive Recht  da  sind,  und  sich  in  jedem  Punkt  die  auf- 
einanderplatzende  Masse  unlösbarer  Kontroversen  erzeugt, 
in  welchen  sich  die  Auflösung  des  Legates  und  das 
Scheitern  des  Testamentsbegriffes  an  seiner  realen  Un- 
möglichkeit  objektives   Dasein   gibt.     So   ist   beim    Erb- 

19   LaseaUe,  Gee.  Sckriftec.  Band  XI  28Q 


begriff,  wie  anderwärts,  seine  objektive  Darstellung  und 
Entwickelung  zugleich  seine  alleinige  und  wahrhafte 
Kritik.  Dem  in  seine  Substanz  versenkten  und  zum  Be- 
wußtsein über  sich  selbst  aber  noch  nicht  gelangten  Geist 
kann  diese  objektive  Kritik,  die  er  selbst  in  seinem  Ent- 
wickelungsdrange  vollzieht,  noch  nicht  als  Kritik  er- 
scheinen. Er  faßt  sie  vielmehr  immer  nur  als  ein  neues 
objektives  Produkt  und  folglich  das  legatum  sinendi  modo, 
welches  nur  die  herausgetretene  Selbstauflösung  des  Te- 
stamentsbegriffes ist,  ruhig  als  eine  neue  und  dritte  Form 
des  Legates,  welche  friedlich  neben  die  beiden  anderen 
tritt. 


XIX.     Die   historische    Entwickelung    des    Le- 
gates.   Das  SC.   Neronianum  und  Justinian. 

Die  Umbildung  aber,  welche  später  durch  das  SC.  Ne- 
ronianum und  endlich  durch  Justinian^)  mit  dem  Legate 
vorgeht,  würde  bereits  kaum  einer  näheren  Zergliederung 
bedürfen,  da  sie  nur  den  ganz  analogen,  auf  dem  allmäh- 
lichen Absterben  des  Begriffes  beruhenden  Verlauf  nimmt, 
v/elchen  wir  oben  bei  dem  Fideikommiß  und  der  querela 
inofficiosi  bis  ins  einzelne  dargetan  haben,  und  ihr  Ver- 
ständnis also  für  jeden  unter  analoger  Festhaltung  jener 
parallelen  Bewegung  völlig  klar  zutage  liegen  muß. 

In  Kürze  ausgeführt,  ist  diese  geschichtliche  Entwicke- 
lung folgende:  Was  in  den  Unterschieden  der  Legaten- 
dogmatik  das  gliedernde  Element  bildete,  war,  wie  wir 


1)  L.  1  C.  Comm.  de  leg.  (6,  43) ;  vgl.  L.  21  G.  de  leg. 
C.  de  leg.  (6,  37). 


290 


näher  gesehen  haben,  die  Anstrengung  des  erblasserischen 
Willens  in  der  Betätigung  und  Äußerung  seiner  Willens- 
lortexistenz,  die  in  der  Legatenverfügung  vor  sich  geht, 
sich  und  seinen  Willen  als  das  allein  Fortexistierende 
und  Geltende,  Vermögen  vvie  Erben  gegenüber,  zur  mar- 
kierten Unterscheidung  zu  bringen  und  in  betonter  Diffe- 
renzierung hervorzuheben ;  ein  Streben,  welches,  wie  wir 
ebenfalls  sahen,  ihm  stets  mißglücken  und  notwendig  in 
das  Gegenteil  umschlagen  mußte,  vielmehr  sein  Unter- 
gegangensein in  den  Legatar  oder  Erben  hinein  immer 
deutlicher  zu  manifestieren,  so  daß  das  dritte  Legat,  das 
legatum  sinendi  modo,  nur  das  positive  Gesetztsein 
dieser  Widersprüche  seines  Wollens  und  Erreichens  dar- 
stellt. Indem  jetzt  aber  in  dieser  Legatsform  das  Zer- 
schellen dieses  Unterscheidens,  das  Nichterreichen 
dessen,  was  durch  jenen  Differenzierungstrieb  erreicht 
werden  sollte,  gesetzt  ist,  sind  somit  auch  dadurch  schon 
die  Unterschiede  dieser  Legatsformen  zu  an  sich 
gleichgültigen,  indifferenten  geworden. 

Der  Erblasser  muß  jetzt  einsehen,  daß  er  es  zu  einer 
höheren,  reineren  Willensfortdauer  als  der  im  Erben 
gegebenen  auf  dem  gesamten  erbrechtlichen  Gebiete  nicht 
bringen  kann,  und  daß  sein  Trieb,  auch  diesem  gegen- 
über und  in  Unterscheidung  von  dem  eigenen  Willen 
desselben  sich  als  die  fortwollende  Kraft  aufzuzeigen,  ein 
höchst  illusorischer  ist.  Er  hat  in  der  Erschöpfung  dieser 
Unterschiede  gesehen,  daß  er  bei  diesem  Triebe  nur  von 
der  Scylla  in  die  Charybdis,  von  dem  Untergang  im  Erben 
in  den  noch  schlimmeren  Untergang  in  den  bloßen  Sach- 
empfänger hineinfällt.  So  bleibt  ihm  denn  nichts  übrig, 
als  gegen  den  Untergang  im  Erben  die  Augen  zuzudrücken 
und  die  andere  Seite  hervorzuheben,  daß  er  in  ihm  ja  den 
Willenserhalter  haben  soll.  Aber  freilich,  das  Geständ- 
ig* 291 


nis  von  der  Gleichgültigkeit  dieser  Unterschiede,  von  der 
Vergeblichkeit  dieser  Zermarterung  an  der  unmöglichen 
Aufgabe,  ^vird  er  nicht  eher  ablegen  können,  den  Mut  der 
Resignation,  die  zu  diesem  Eingeständnis  erforderlich, 
wird  er  nicht  eher  in  sich  finden  können,  als  bis  er  sich 
schon  einige  Zeit  überhaupt  daran  gewöhnt  hat,  im 
Erben  sein  Grab  zu  finden  und  von  seinem  Willenserhalter 
sich  Zwang  antun  zu  lassen,  d.h.  bis  einige  Zeit  nach 
der  lex  Falcidia  verflossen,  von  der  wir  ja  gesehen  haben, 
wie  gerade  hierin  ihre   Tat  und   Bedeutung  besteht^). 

Und  so  steht  denn  wieder  Begriff  wie  Chronologie  und 
ebenso  die  Entwickelung  des  Erbtums,  wie  die  parallele 
des  Legatensystems,  in  vollster  innerer  Übereinstimmung 
bei  der  Hauptbresche,  welche  durch  das  unter  Nero  er- 
lassene und  nach  ihm  benannte  Senatuskonsult  in  die  Dog- 
matik  der  Legatsunterschiede  geschossen  wird.  Durch  das 
SC.  Neronianum  wird  verfügt,  daß  jedes  bestimmte 
Legat,  welches  in  seiner  Bestimmtheit  nichtig  wäre 
—  also  ein  Vindikationslegat,  weil  die  legierte  Sache  nicht 
zu  beiden  Zeiten  (des  Testamentes  und  des  Todes)  quiri- 
tarisches  Eigentum  des  Testators  ^var,  oder  ein  legatum 
sinendi  modo,  w^enn  die  Sache  eine  res  aliena  ist  — ,  doch 
so,  als  wäre  es  optimo  jure  legiert  worden,  d.h.  als 
Damnationslegat  aufrecht  bleiben  solle. 

Ulpian^):  ,,Si  ea  res,  quae  non  fuit  utroque  tempore 
testatoris  ex  jure  Quiritium,  per  vindicationem  legata  sit, 
licet  jure  civili  non  valeat,  tamen  senatusconsulto  Nero- 
niano  firmatur,  quo  cautum  est,  ut  quod  minus  aptis  verbis 
legatum  est,  perinde  sit,  ac  si  optimo  jure  legatum  esset; 
Optimum  autem  jus  legati  per  damnationem  est^). 

1)  Siehe  oben  Nr.  VII. 

2)  Fragm.  XXIV,  §  \\\ 

')  Vgl.  Gajus.  II.  §§  197.  212.  222. 

292 


Vom  juristischen  Standpunkt  aus  kann  man  in  diesem 
Senatuskonsult  die  größte  Freiheit  der  Legaten  Verfügung, 
somit  eine  höhere  Entwickelung  derselben  und  alles  Be- 
liebige sehen.  Vom  Standpunkt  des  streng  logischen  Be- 
griffes aus  hat  dasselbe,  in  präzisester  Anpassung  an  die 
von  ihm  gegebene  materielle  Vorschrift,  nur  eine  präzise 
Bedeutung :  die  Unterschiede  des  Vindikationslegates, 
Damnationslegates,  legatum  sinendi  xnodo  sind  zwar  nicht 
aufgehoben.  Denn  jedes  derselben  soll  ja  in  seiner  Eigen- 
tümlichkeit und  mit  seinen  ihm  eigentümlichen  zivilrecht- 
lichen Wirkungen  bestehen  bleiben,  wenn  zivilrechtlich  in 
der  bestimmten  Form  legiert  werden  konnte,  in  der  legiert 
worden  ist.  Die  Unterschiede  der  Legate  bleiben 
also  noch  bestehen  und  werden  als  bestehende  er- 
halten. Aber  wenn  das  Legat  in  seiner  bestimmten 
Unterschiedenheit  nichtig  wäre,  dann  soll  es  von 
selbst  seine  Form  wechseln,  dann  sollen  diese  Unter- 
schiede ihre  unterscheidende  und  ausschließende  Kraft 
gegeneinander  verlieren,  und  es  soll  angesehen  werden,  als 
ob  es  schlechthin  Legat  überhaupt,  Damnationslegat, 
wäre. 

D.  h.  also :  die  Unterschiede  der  Legatendogmatik 
bleiben  bestehen,  werden  aber  als  gleichgültige 
gesetzt,  als  indifferente  eingestanden.  Das 
SC.  Neronianum  ist  das  seufzende  Eingeständnis  des  er- 
matteten Testators:    ,,Es  ist  ja  alles  einerlei!" 

Wenn  die  Unterschiede  aber  als  gleichgültige  gesetzt 
werden,  so  sind  sie  doch  damit  an  sich  aufgehoben  — 
und  was  tut  dann  Justinian  anders,  als  daß  er  dem  durch 
das  SC.  Neronianum  schon  innerlich  Geschehenen  nur 
Ausdruck  gibt?  daß  er  das  Geständnis  des  Testators, 
es  sei  ja  alles  einerlei,  nur  beim  Wort  nimmt  und 
aus  Tatsachen  in  Worte  übersetzt,   wenn  er  in  der 

293 


schon  oben  angezogenen  Konstitution^)  sagt:  die  gesamten 
Unterschiede  in  der  Legatendogmatik  seien  eine  bloße 
S  u  b  t  i  1  i  t  ä  t  (quis  vel  vindicationis  vel  sinendi  modo 
aliorumque  generum  legatorum  subtilitatem  prono  animo 
admittet?),  welche  schon  die  Zeit  vor  ihm  unerträglich 
gefunden  (quam  posteritas,  optimis  rationibus  usa,  nee 
facile  suscepit  etc.),  und  er  wolle  daher  alle  Legate  auf 
eine  Natur  zurückfahren  (omnibus  vero  tam  legatariis 
quam  fideicommissariis  iinam  naturam  imponere?). 

Allein  freilich,  gerade  durch  dieses  ,,beim  Wort  nehmen' 
des  Testators  entsteht  notwendig  ein  großer  inhaltlicher 
Unterschied  zwischen  der  Verordnung  Justinians  und  dem 
SC.  Neronianum,  der  ebensowenig  übersehen  werden  darf. 
Durch  das   SC.   Neronianum  waren  die   Unterschiede 
der  Legatendogmatik  hoch  als  bestehende  anerkannt  worden, 
und  so  erzeugte  jedes  Legat,  das  in  gültiger  Weise  hinter- 
lassen worden  war,  noch  die  ihm  eigentümliche  Wirkung, 
das  Vindikationslegat  die  actio  in  rem,  das  Damnations- 
legat  die   actio   in  personam  usw.    Allerdings   hatte  der 
Erblasser  durch  die  Bestimmung,  daß  jedes  in  seiner  Be- 
stimmtheit  nichtige   Legat   als   Legat   überhaupt    (optimo 
jure)  oder  Damnationslegat  fortwirken  solle,  die  Unter- 
schiede als  gleichgültige  gesetzt  und  das  Geständnis  ab- 
gelegt, daß  alles  einerlei  sei.   Allein  auch  dieses  Geständ- 
nis hatte  er  erst  an  sich  oder  für  uns  gesetzt.   Für  sich 
selbst  hält  er  noch,  worauf  bereits  oben  hingedeutet,  an 
der  anderen   Seite   der  Sache,   an   ihrem   noch   positiven 
Scheine  fest. 

Das  Legatum  per  damnationem  ist  ja,  wie  wir  früher 
gezeigt,  als  Geben  durch  den  fortexistierenden  Willen 
(den  Erben),  die  adäquateste  Realisation  des  Erbbegriffes  ; 


^)  L    IC.  Comm.  de  leg.  (6.  43). 
294 


gerade  darum  ist  es  Legat  par  excellence  (Legat  optimo 
jure)  oder  Legat  überhaupt.  Indem  nun  jedes  für 
sich  nichtige  Legat  noch  als  Legat  überhaupt,  als  Legat 
optimo  jure  bestehen  bleibt,  klammert  sich  der  Erblasser 
noch  an  den  Trost  an,  daß  er  ja  dadurch  seine  höchste 
Willensbetätigung  und  Fortdauer  habe!  Nachdem  seine 
Anstrengung  zerschellt  ist,  durch  das  Vindikationslegat 
und  durch  den  Übergang  von  dem  schon  gefundenen  Dam- 
nationslegat zum  Legat  sinendi  modo  sich  gegen  dem 
Erben  als  das  Fortwirkende  zu  differenzieren  und  ihm 
gegenüber  aufzuzeigen,  kehrt  er  —  und  darum  jetzt,  wie 
wir  früher  sagten,  mit  zugedrückten  Augen,  zugedrückt 
gegen  die  Resultate  seines  eigenen  Tuns  und  die  Er- 
fahrungen seines  eigenen  Dogmatisierens  —  zu  dem  illusio- 
nären Trost  zurück,  daß  er  in  dem  Erben  ja  seine  höchste 
Willenserhaltung  habe,  und  jedes  Legat,  wenn  es  nichts 
anderes  sei,  mindestens  diese  höchste  Willensbetäti- 
gung  per  damnationem,  ein  Gesetz  für  den  Erben,  sei. 

Aber  wie  er  sich  diesen  illusionären  Trost  auf  dem  rein 
erbrechtlichen  Felde  wird  vergehen  lassen  müssen,  so  muß 
er  ihn  auch  ganz  parallel  auf  dem  Legatengebiete  rettungs- 
los sich  auflösen  sehen,  und  gerade  durch  diese  höchste 
Stellung  des  Damnationslegats  ist  schon  an  sich  die  Auf- 
hebung desselben  und  dieser  seiner  trostreichen  Bedeutung 
gegeben. 

Denn  ^vas  ist  denn  dem  Erblasser  zerschellt  ?  Eben 
nur  jenes  Bestreben,  das  Legat  als  eine  reale  Betätigung 
seines  Selbstgebens  und  seiner  fortwirkenden  Willens- 
äußerung zu  vernutzen.  Dies  war  der  begriffliche  Existenz- 
grund des  Legates,  dies  das  treibende  Prinzip  seiner 
Dogmatologie,  seiner  Gliederung  zu  jenen  begrifflichen 
Unterschieden  gewesen.  Aber  dies  gerade,  dieser  spiritua- 
listisch-begriffliche  Tic,  den  der  Erblasser  im  Legat  aus- 

295 


zuführen  strebt,  hat  Schiffbruch  gelitten.  Mit  jenem 
resignierten  Eingeständnis:  „es  ist  ja  alles  einerlei",  das 
der  Erblasser  durch  das  Neronianische  Senatuskonsult  ab- 
legte in  bezug  auf  die  Form  der  Legate,  hat  er  somit 
zugleich  an  sich  in  bezug  auf  den  Inhalt  des  Legats- 
begriffes das  Geständnis  abgelegt :  mit  jenem  in  seinem 
Legieren  Sichselbst  zum  Vorschein  bringen 
wollen,  mit  jener  Anstrengung,  die  fortexistierende 
Eigenwilligkeit  als  das  herrschende  und  geltende  Prin- 
zip in  der  Form  des  Legates  an  den  Tag  legen  zu  wollen, 
sei  es  nichts;  das  Legat  sei  nur  das  Geben  von 
Sachen  überhaupt;  gleichviel  welche  Form  das  Legat 
habe,  es  lasse  sich  eben  nur  geben,  und,  gleichviel  wie, 
gegeben  sei  gegeben. 

Mit  dem  Geständnis  von  dem  Alleinerlei  der  Legaten- 
f  orm  ist  also  zugleich  in  bezug  auf  den  Inhalt  des  Legats- 
gedankens an  sich  eine  entscheidende  Umwendung,  ein 
totaler  Verderb  des  Prinzips  eingetreten. 

Während  ursprünglich  das  Legat  oder  die  Sache  nur 
der  Boden  war,  an  dem  und  auf  dem  der  Erblasser 
die  Lebendigkeit  seines  Willens  durch  die  oszillieren- 
den Schwingungen  desselben  zum  Erben  gegenüber  äußern 
und  bewähren  wollte,  während  also  das  Legat  oder 
die  Sache  nur  die  Bedeutung  für  ihn  hatte,  der  Boden  zu 
sein,  den  er  von  sich  erzittern  machte,  so  ist  jetzt 
erst  die  Sache  aus  diesem  Boden  des  Willens  zu  seinem 
Inhalt  geworden.  Jetzt  erst  hat  das  Legat,  weit  ent- 
fernt, die  bloße  Resonanz  jenes  Subjektivismus  zu  sein, 
der  gerade  an  seinem  Gegenteil,  der  Sache,  durch  seine 
Macht  über  sie  seine  Lebendigkeit  am  meisten  bewährt, 
sie  an  ihr  äußert  und  ausläßt,  die  substantielle 
Bedeutung  erhalten,  bloßes  Fortgeben  von  Ver- 
mögen zu  sein.   Der  tätige  Begriff  des  Legates  ist  damit 

296 


dialektisch  in  sein  Gegenteil  umgeschlagen,  er  ist  unter- 
gegangen in  die  Sache  und  ihren  Empfänger.  Er 
ist  jetzt  nur  zu  jener  Selbstaufhebung  des  Willens 
geworden,  die  in  dem  bloßen  Fortgeben  von  Sachen  liegt. 
Wie  die  Willenssubjektivität  im  Erben,  in  dem  sie  ihren 
Erhalter  finden  wollte,  seit  der  lex  Falcidia  ihren  nega- 
tiven Unterdrücker  und  somit  ihr  Grab  gefunden  hat, 
so  hat  sie  mit  dem  SC.  Neronianum  im  Reich  des  Legates, 
durch  welches  sie  ihre  im  Erben  fortdauernde  Existenz 
gegen  denselben  äußern  und  setzen  wollte,  im  bloßen 
Vermögensnehmer,  dem  Legator,  ihr  Grab  gefunden. 

Alles  dies  ist  an  sich  im  SC.  Neronianum  mit  der 
eingestandenen  Alleinerleiheit  der  Legatsform  enthalten,  a  n 
sich  ist  daher  in  demselben  auch  schon  das  Dam- 
nationslegat als  solches  —  das  Damnationslegat  in 
seiner  spezifischen  begrifflichen  Bedeutung  als 
adäquateste  Äußerung  des  supranaturalistisch  fortexistie- 
renden Willens,  wie  wir  es  oben  hatten  —  zugrunde 
gegangen. 

Daß  das  Damnationslegat  hier  schon  an  sich  zugrunde 
gegangen,  obgleich  es  als  die  vorherrschende  Form  aller 
Legate  gesetzt  ist,  zeigt  sich  unschwer  auch  in  folgender 
Weise:  Das  Damnationslegat,  welches  gegen  ^eine 
Form  gleichgültig  ist,  welches  in  jedem  Vindikations- 
legat, Sinendilegat  usw.  enthalten  sein  soll,  kann  ja  nicht 
mehr  seiner  Bedeutung  nach  identisch  sein  mit  jenem 
ursprünglichen  Damnationslegat,  welches  a n 
seine  Form,  in  deren  spezifischer  Natur  gerade  der 
Punkt  lag,  weshalb  dieses  Legat  optimum  jus  bildete 
(s.  oben  S.  261  fg.),  ausschließlich  gebunden  war.  Das 
Damnationslegat,  als  allgemeines,  in  jedem  Legat  vor- 
handenes Legat  gesetzt,  weil  es  das  Legat  optimo  jure 
ist,    verliert    dadurch    gerade   das,    wodurch    es    Legat 

297 


optimo  jure  war;  dieses  Damnationslegat  ist  also  jetzt 
gar  nicht  mehr,  was  nur  in  seiner  Form  lag,  Dam- 
nationslegat, d.h.  jene  die  Fortexistenz  des  erblasse- 
rischen Willens  auf  die  adäquateste  Weise,  weil  durch 
sein  Handeln  im  Erben  siegreich  aufzeigende  Selbst- 
betätigung, sondern  es  ist  Legat  überhaupt,  bloßes  Ver- 
mögensgeben, entleert  von  dieser  begrifflichen  splritua- 
listischen  Bedeutung,  geworden. 

Alles  dies  liegt  aber  nur  an  sich  im  SC.  Neronianum. 
Justinian  spricht  diese  inhaltliche  Seite  nun  nicht  weniger 
aus,  als  er  das  Auf  gehobensein  aller  Legatsunter- 
schiede durch  dieses  Senatskonsult  ausspricht.  Da  sich 
doch  einmal  durch  das  Legat  nur  geben  läßt,  und  gar 
nichts  anderes  tun  noch  beweisen,  so  sei  beim  Legat  eben 
nur  vom  Geben  die  Rede,  und  gegeben  sei  gegeben, 
mehr  als  eine  Sache  geben  könne  man  nicht,  und  wer 
eine  Sache  gebe,  der. gebe  sie  eben  auf  alle  Weise. 

Dies  ist  die  Sprache  des  innerlichen  Begriffes,  in  welche 
sich  seine  Verordnung  übersetzt  und  welche  sogar  aus 
den  Worten  hin  und  wieder  nicht  undeutlich  herausklingt. 

( Si  enim  testator  ideo  legata  vel  fideicommissa  dereli- 

quit,  ut  omni  modo  personae  ab  eo  honoratae  ea  percipiant 
etc."  Das  heißt  doch  also  ganz  direkt:  nur  um  das  Geben 
handle  es  sich  beim  Legat,  und  wer  eine  Sache  irgendwie 
gebe,  gäbe  sie  auf  alle  Weise.)  Aber  auf  das  stärkste 
tritt  es  in  den  realen  Vorschriften  seiner  Verordnung 
hervor.  Denn  weil  das  Legat  nur  gebe,  und  geben  heiße 
auf  alle  Weise  geben,  wird  jetzt  auch  das  Dam- 
nationslegat aufgehoben  und  die  Wirkungen  aller 
Legatsformen,  die  actio  in  rem  aus  dem  Vindikations- 
legat, die  actio  in  personam  aus  dem  Damnationslegat, 
und  noch  eine  actio  hypothecaria,  wird  also  alles  mög- 
liche und   noch   einiges  darüber   auf   dieses   eine   Legat 

298 


des  bloßen  Vermögensgebens  gehäuft  („apparet", 
heißt  es  nach  den  zuletzt  angeführten  Worten  unmittelbar 
weiter,  „ex  ejus  [testatoris]  voluntate  etiam  praefatas 
acticMies  contra  res  testatoris  esse  instituendas,  nioninibiis 
möflf/s  voluntati  ejus  satisfiat").  So  zertritt  denn  auch  hier 
mit  ehernem  Fuße  der  jetzt  zur  Herrschaft  gekommene 
stupide  Vermögensstandpunkt  alle  jene  feinen  und  orga- 
nischen Unterschiede  des  Begriffes,  welche  im  Legat 
herrschten,  solange  Legat  Legat  und  Erbrecht  Erbrecht 
war. 

Unsere  Juristen  aber  haben  die  schöne  Unbefangenheit 
gehabt,  Justinian  zu  glauben,  daß  das  Legat  immer  das 
gewesen  sei,  wozu  es  durch  ihn  erst  wird;  daß  es  immer 
das  gewesen  sei,  wozu  es  erst  in  einer  Zeit  wird,  in 
welcher  Legatar  wie  Erbe  beide  so  sehr  den  spannen- 
den Gegensatz  ihres  Wesens  verloren  haben,  daß 
beide  jetzt  an  sich  dasselbe  sind,  und  der  Legatar  daher 
den  Erben  sogar  verdrängen  und  seinen  Platz 
einnehmen  kann^),  weil  Legat  wie  Erbtum  eben  sich 
gleichmäßig  zum  bloßen  Vermögensnehmen  degradiert 
haben,  und  der  Begriff  nur  noch  wie  ein  Schatten  seiner 
früheren  Wirklichkeit  über  den  Figurationen  und  Ein- 
teilungen des  Rechts  schwebt. 

Wir  gehen  jetzt  aber  dazu  über,  die  Operation  des  Erb- 
begriffes nun  auch  auf  der  besonderen  Seite  des  Erben 
hervortreten  zu  lassen. 


■^)  Siehe  oben  die  Note   1   zu  S.  131. 


299 


XX.    Die  Operation  des  Begriffes  seitens  des 
Erben.   Rückblick  auf  den  allgemeinen  Begriff. 

Wir  haben  gesehen,  daß  der  Begriff  des  Erbtums  die 
Willensidentität  zwischen  Erblasser  und  Erben  ist. 
Sie  ist  es,  welche  seitens  des  Erblassers  durch  die  Erb- 
einsetzung erzeugt  wird,  und  letztere  besteht  in  nichts  anderem 
als  darin:  eine  andere  Person  als  das  Dasein  des 
eigenen  Willens  zu  setzen,  wodurch  sich  der 
Testator  jene  unendliche  Fortdauer  seiner  Willens- 
subjektivität, jene  subjektive  Willensunsterblich- 
keit erzeugt,  welche  wir  als  das  innerste  Geheimnis  und 
die  wahre  welthistorische  Bedeutung  des  römischen  Geistes, 
als  die  geistige  Unsterblichkeit  in  ihrer  römischen 
Auffassung,  oder,  was-  dasselbe  ist,  als  die  unmittel- 
bare Vorstufe  der  christlichen  Unsterblichkeit, 
kennen  gelernt  haben,  in  welcher  der  individuelle  Geist 
sich  nicht  mehr  als  auf  dieAußenwelt  bezogen  (als 
endlicher  Wille),  sondern  als  insichseiender,  als  rein 
auf  .sein  eigenes  Wesen  bezogener  (als  Geist), 
als  unsterblich  setzt.  Man  kann  daher  das  Verhältnis  und 
den  Gegensatz  von  Römertum  und  Christentum  kurz  in 
die  Antithese  von  Willensunsterblichkeit  und  Un- 
sterblichkeit des  Geistes  zusammendrängen.  Der 
Gegensatz  besteht  eben  darin,  daß  dort  noch  der  indivi- 
duelle Geist  als  auf  die  Außenwelt  bezogener,  d.  h. 
also  gerade  als  endlicher  subjektiver  Wille,  als  der 
gerade  auf  diese  Sphäre  der  Endlichkeit  (der  Gegen- 
ständlichkeit) bezogene  Trieb,  hier  dagegen,  im  Christen- 
tum, der  individuelle  Geist  als  auf  sein  unendliches 
Wesen  bezogener,  der  alle  Außenwelt  und  jeden  Trieb 
gegen  dieselbe  (Wille)  daher  abgestreift  hat,  also  als 
reine  Seele,  als  das  Unendliche  gesetzt  wird. 

300 


Wenn  dieses  kulturhistorische  Verhältnis  beider  Geistes- 
gestalten zueinander,  auf  welches  näher  einzugehen  hier 
nicht  der  Ort  ist,  bloß  in  seinem  Begriffe  angegeben  zu 
werden  braucht,  um  sich  sofort  durch  sich  selbst  zu  be- 
weisen und  in  Zeitfolge  und  Geschichte  seine  glänzenden 
Belege  zu  finden,  die  erst  von  hier  aus  ihr  wahres  Ver- 
ständnis erlangen,  so  mußte  dagegen  die  römische  Rechts- 
materie aus  diesem  spekulativen  Begriffe  entwickelt  werden. 
Und  wir  haben  gesehen,  wie  die  religiöse  Bedeutung  des 
römischen  Testamentes,  die  sacra  als  Grundlage  und  sub- 
stantielle Wurzel  alles  römischen  Erbrechts,  die  Formen 
der  Testamente  und  ihr  Übergang  ineinander,  die  Be- 
dingungen der  Fähigkeit  des  Erblassers  und  seine  materielle 
Befugnis,  seine  Unbeschränktheit  und  seine  Schranke,  das 
Verhältnis  des  Erben  und  des  Legatars  und  der  verschiede- 
nen Legate  untereinander,  formales  und  materielles  Recht, 
jus  civile  und  prätorisches  Recht,  kurz  die  Dogmatik  des 
testamentarischen  Erbrechts  wie  seine  Fortbewegung  und 
Veränderung  in  der  Geschichte,  —  wie  sich  alles  dies, 
und  zwar  bis  in  seine  einzelnsten,  detailliertesten  und  sich 
am  meisten  kreuzenden  Bestimmungen,  aus  der  dialektischen 
Tätigkeit  dieses  spekulativen  Begriffes  von  selbst  abgeleitet 
hat.  Allein  wir  haben  bisher  die  Institute  des  römischen 
Erbrechts  vorzüglich  in  bezug  auf  den  Erblasser  betrachtet, 
wenn  es  auch  nicht  möglich  war,  einen  Schritt  zu  tun, 
ohne  das  mit  ihm  identische  Wesen  des  Erben  zum  Vor- 
schein kommen  zu  sehen.  Gegenwärtig  wird  es  unsere 
Aufgabe  sein,  den  Erben  als  solchen  zu  betrachten  und 
die  Bestimmungen  zu  entwickeln,  welche  semerseits  aus 
der  Tätigkeit  des  spekulativen  Begriffes  herfließen  müssen. 


301 


XXI.  Der  Erbe.  Der  suus  heres  oder  der  Erbe 
seiner  selbst.  Der  Begriff  der  Suität.  Das 
Zwölf tafelgesetz    und    die    Definitionen    der 

Römer. 

Wenn  vom  Erben  die  Rede  ist,  so  beginnt  jede  zivi- 
listische Abhandlung  aus  guten  Gründen  mit  dem  suus. 

Der  suus  heres,  berichten  die  römischen  Juristen,  ist 
ein  solcher,  der  in  der  Gewalt  des  Erblassers  steht ^). 
Allein  auf  den  Sklaven  wendet  sich  diese  Bestimmung 
nicht  an,  obwohl  er  doch  auch  in  des  Erblassers  Gewalt 
steht.  Er  ist,  wenn  er  selbst  zum  Erben  gem.acht  wird, 
wohl  ein  heres  necessarius,  was  der  suus  auch  ist,  aber 
niemals  ein  suus.  Somit  scheint  der  Begriff  des  suus  auf 
die  natürliche  Verwandtschaft  zu  gehen  und  das  Recht 
der  Familie,  des  Blutes  anzuerkennen.  Allein  auch  die 
in  manum  geheiratete  Frau  ist  ein  suus.  Und  wieder  der 
Enkel,  welcher  der  suus  des  Großvaters  wäre,  wenn  sein 
Vater  bei  Lebzeiten  desselben  gestorben  wäre,  ist  kein 
suus,  wenn  sein  Vater  noch  beim  Tode  des  Großvaters 
lebt,  und  zv/ar  auch  dann  nicht,  wenn  er  von  letzterem 
wirklich  zum  Erben  eingesetzt  wird.  Und  wiederum  der 
Sohn,  welcher  an  sich  ein  suus  vv'äre,  wenn  er  zum  Erben 
eingesetzt  wird,  und  sogar,  wenn  der  Vater  ab  intestato 
stirbt,  als  suus  erbt,  ist  es  dann  nicht,  wenn  er  enterbt 
wird ;  denn  die  Enterbung  bricht  wieder  die  Suität.  Und 
wie  kann  der  suus,  wenn,  wie  es  scheint,  sein  Begriff 
darin  bestehen  soll,  daß  er  aus  eigenem  Rechte  erbt, 
überhaupt  enterbt  werden,  und  zwar  durch  die  ganz  un- 
beschränkte Willkür  des  Testators  ?  Wiederum  aber,  wenn 
er   nicht   aus   eigenem   Rechte   erbt,   warum   bedarf  er 


1)  Z.  B.  Gajus.  II.  §  156. 


502 


allein  der  Antretung  der  Erbschaft  nicht,  um  sie  zu 
erwerben,  sondern  hat  sie  sofort  ipso  jure  als  die  seinige  ? 
Und  warum  bricht  er  sogar  als  notwendiger  Erbe  das 
Testament,  in  dem  er  präteriert  ist  ? 

Die  Schwierigkeiten,  mit  welchen  der  Begriff  des  suus 
zu  kämpfen  hat,  von  denen  hier  nur  einige  der  haupt- 
sächlichsten angeführt  worden  sind,  und  die  Unerkläriich- 
keit  dieses  Namens  haben  daher  seit  je  für  unlösbar  ge- 
golten. Schon  die  römischen  Juristen  haben  umsonst  diese 
Begriffs-  und  Namenserklärung  zu  finden  versucht.  Gajus 
sagt,  II,  §157:  ,,Sed  sui  quidem  heredes  ideo  appellan- 
tur,  quia  domestlcl  heredes  sunt  et  vivo  quoque  parente 
quodam  modo  domini  existimantur",  und  die  Institutionen 
Justinians  haben  (§2  de  her.  quai.  II,  19)  diese  seine 
Erklärung  treu  wiedergegeben.  Aber  abgesehen  davon,  daß 
diese  Erklärung  keineswegs  die  Widersprüche  der  voraus- 
geschickten realen  Bestimmungen  lösen  würde,  ist  sie  schon 
in  sich  selbst  sehr  verunglückt.  Denn  im  Hause  können 
viele  leben,  die  keine  sui  sind,  und  die  römischen  sui  sind 
nichts  weniger  als  domini  während  des  Lebens  des 
Vaters ;  denn  während  semes  Lebens  smd  sie,  statt  Herren 
zu  sein,  vielmehr  ohne  jedes  Miteigentumsrecht  nur  selber 
von  ihm  beherrscht,  und  bei  seinem  Tode  kann  er  sie  ent- 
erben, so  daß  dieses  ,, quodam  modo  domini"  vielmehr 
ein  „nullo  modo  domini"  darstellt.  Und  endlich,  warum 
v/ürde  dann  der  gleichfalls  im  Hause  lebende  Enkel,  der 
bei  Lebzeiten  des  Vaters  zum  Erben  eingesetzt  wird,  kein 
suus  sein  ?  usw. 

Diese  Erklärung  hat  daher  keinem,  auch  nur  einiger- 
maßen tieferen  Bedürfnis  genügen  können,  und  die  Sache 
blieb  als  unerklärbar  auf  sich  beruhen.  Bekannt  ist  die 
Anekdote,  die  Alciatus  erzählt,  daß,  als  Politianus  sich 
einst  rühmte,  den  Accursius  in  seinen  Glossen  übertroffen 

303 


zu  haben,  Socinus  ihn  fragte,  er  möge  ihm  sagen,  was  ein 
suus  sei,  worauf  jener  sofort  verstummte. 

Und  so  ist,  von  unrichtigen  oder  den  Gajus  bloß  nach- 
sprechenden Erklärungen  abgesehen,  die  Sache  geblieben 
bis  auf  den  heutigen  Tag^). 

Es  ist  daher  ein  Triumph  des  spekulativen  Begriffes, 
wenn  aus  ihm  sich  spielend  und  von  selbst  die  Bedeutung 
entwickelt,  welche  dieser  bishel"  rätselhaften  Bestimmung 
der  Suität  zukommt,  und  ebenso  von  selbst  alle  die  ein- 
zelnen Rechtssätze  hervorfließen,  zu  denen  sich  dieselbe 
treiben  muß.  Freilich  wird  dabei  zugleich  auch  klar  werden, 
daß  der  Begriff  der  Suität  gar  nicht  gefaßt  werden 
konnte,  ohne  den  richtigen  Begriff  des  Erbtums  über- 
haupt zu  haben"),  und  daß  daher  die  bei  der  Suität 
entstehende  Schwierigkeit  nur  ein  helles  Symptom  von  der 
Dunkelheit  war,  in  der  sich  jener  befand. 

Der  Begriff  des  Erbtums  ist,  wie  wir  sahen,  die 
Willensidentität  zwischen  Erblasser  und  Erben.  Der 
Begriff  der  Erbeinsetzung  ist  also,  genau  gesprochen 
(vgl.  oben  sub  Nr.  VIII),  die  Hervorbringung  der 
Identität,  die  Identifikation  der  beiden  Willenssubjek- 
tivitäten des  Erblassers  und  Erben.  Dies  eben  haben  wir 
schon  als  die  symbolische  Bedeutung  des  Testamentes  per 
aes  et  libram  hervorgehen  sehen,  daß  der  Erbe  (familiae 
emptor)   seitens   des   Testators   durch   dessen   Wahl   und 

••)  Ebenso  z.  B.  auch  bei  Huschke,  welcher  (Rhein.  Mus-, 
VI,  306)  ganz  wie  Gajus  definiert :  „Denn  vermöge  der  Per- 
soneneinheit mit  dem  Erblasser  sind  sie  gewissermaßen 
(quodam  modo,  wie  Gajus  sagt)  schon  bei  seinen  Lebzeiten 
in  ihm  Eigentümer  des  Vermögens!!"  Vgl.  hierüber  die 
Beilage  zu  Nr.  XL. 

")  Wie  denn  hieraus  erst  wieder,  worauf  schon  oben  hin- 
gedeutet, der  wahre  Begriff  der  römischen  familia  sich  er- 
geben wird. 

304 


von  ihm  vorgenommene  Handlung,  seitens  seiner  durch 
eben  diese  Handlung  und  die  solenne  Formel,  gesetzt 
wird  als  das  fortdauernde  Dasein,  als  der  iden- 
tische Träger  des  erblasserischen  Willens.  Um  nichts 
weniger  ist  dies  Setzen  und  Hervorbringen  zweier 
an  und  für  sich  gegeneinander  selbständiger  Willen  als 
identischer  aber  auch  später  der  Fall,  wo  ein  anderer 
als  der  emptor  in  den  tabulis  zum  Erben  eingesetzt  wird. 
Denn  hier  wird  ebenso  beiderseitig  der  Akt  der  Identifi- 
zierung der  beiden  Willen  vollbracht,  seitens  des  Testators 
in  dem  schriftlichen  Testament  durch  den  Befehl:  ,,heres 
mihi  esto"^),  und  seitens  des  Erben  durch  den  von  diesem 


^)  Jetzt  wird  auch  sprachlich  diese  Bedeutung  des  Erben 
in  die  Augen  fallen.  Denn  heres  ist  nichts  anderes  als  Herr, 
Wille  nsherr,  Gebieter,  der  Inhaber  eines  frei 
schaltenden  Willens,  einer  selbständigen  Willens- 
subjektivität überhaupt  und  ohne  jede  Beziehung  auf  ein 
Eigentum.  Heres  mihi  esto  heißt  also  auch  sprachlich  gar 
nichts  anderes  als :  er  sei  der  Inhaber,  Träger,  Herr  meiner 
Willenssubjektivität.  Diese  absolute,  nicht  auf  ein  Eigentum 
bezogene  Bedeutung  von  heres  tritt  zunächst  in  herus  und  hera, 
Herr,  Herrin,  Herrscher,  Gebieter  (häufig  bei  Plau- 
tus,  z.B.  Merc,  3.  4.  12;  Horatius.  Satir-,  II.  2.  129  und 
bei  anderen)  deutlich  heraus,  wo  sich  dieselbe  bewahrt  hat. 
Es  war  aber  dies  nicht  weniger  auch  die  alte  Bedeutung  von 
heres,  wie  uns  Festus,  v*^  heres,  p.  99,  ed.  Müll.,  ausdrücklich 
bezeugt :  ,, Heres  apud  antiquos  pro  domino  ponebatur,"  und 
ebenso  auch  die  Institutiones,  §  7  de  her.  quäl.,  II,  19:  ,,Ve- 
teres  enim  heredes  pro  dominis  appellahant."  Es  ist  also  genau, 
was  das  deutsche,  ja  gleichfalls  nicht  in  bezug  auf  ein  Eigen- 
tum, sondern  als  Titel  gebrauchte  Herr,  welches  nur  eine 
freie  unabhängige  Willenssubjektivität,  einen  Willens- 
herrn, ohne  Rücksicht  auf  Besitz,  bezeichnet.  Mit  herus, 
hera  vergleicht  bereits  Passow  das  griechische  fjQco;,  welches 
bekanntlich  ja  bei  Homer  noch  jeden  ehrenwerten  freien 
Mann  überhaupt  als  allgemeiner  Ehrenname  bezeichnet.  Daher 

JO  LawaU«.   Ge».  Sckrifteo.   Bind  XI.  305 


ausgehenden  Willensakt  der  Adition,  durch  welchen  er 
nun  auch  seinerseits  jenen  Willen  des  Erblassers  als  den 
seinigen  setzt. 

Allein  dies  Setzen  und  Hervorbringen  der  Willens- 
identität, der  Akt  der  Identifikation,  ist  sowohl  sei- 
tens des  Erblassers  als  des  Erben  vollständig  über- 
flüssig in  bezug  auf  solche  Personen^),  welche 
schon  ohnehin  und  unmittelbar  in  Willens- 
identität mit  dem  Erblasser,  d.h.  in  seiner  Gewalt 
stehen.  Denn  die  Gewalt,  d.h.  die  Familie  in  ihrer 
römischen  Auffassung,  stellt  eben  die  Willens - 
einheit  körperlich  getrennter  Personen  dar,  welche 
Identität  in  dem  Gewalthaber  nur  ihr  Subjekt,  ihren 
funktionierenden  Träger  hat.  Es  sind  viele  Per- 
wird, genau  gesprochen,  einem  römischen  Erben  ein  Besitz  vom 
Erblasser  nicht  zur  Erbschaft,  sondern  durch  Erbschaft, 
durch  das  Tragen  seiner  Willenssubjektivität,  durch  Erb  Ver- 
hältnis (Erbtum,  wie  wir  deshalb  sagen)  hinterlassen;  z.B. 
Vellejus  Paterculus,  Hist.  Rom.,  II,  4:  „.  .  .  mortuo  rege 
Attalo,  a  quo  Asia  populo  Romano  hereditate  relicta  erat," 
was  man  also  mit  Unrecht  in  hereditati  hatte  verbessern  wollen, 
oder  Quinctilian,  Declam.,  308:  „Servus  aut  domi  natus  est, 
aut  relictus  hereditate";  vgl.  Cicero,  De  Inv.,  I,  45.  —  Jene 
Übereinstimmung  der  Wurzel  und  Grundbedeutung  von  heres 
in  den  drei  Sprachen  weist  offenbar  auf  eine  sehr  frühe  Ent- 
wicklung und  ein  substantielles  Hervortreten  dieses  Be^griffes 
hin.  [Es  ist  indessen  zu  beachten,  daß  herus  und  heres  ver- 
schiedene Quantität  haben,  und  wäre  desKalb  zu  wünschen,  daß 
die  Etymologie  der  beiden  Wörter  bis  hinter  das  Griechische 
zurück  verfolgt  würde.  ^^^    ^^^  ^^^^j^^^  Ausgabe.] 

■^)  Hierin  liegt  der  Unterschied  vom  Sklaven,  welcher  Sache 
ist,  nicht  Person.  Die  Kinder  dagegen  sind  freie  römische 
Personen  (darum  libcri,  wie  die  Alten  etymologisieren),  deren 
identischer  Wille  nur  in  dem  Gewalthaber  der  Familieneinheit 
sein  Subjekt  hat. 

306 


sonen,  die  aber  trotz  der  individuellen  Getrenntheit  iden- 
tischen Willens  sind,  und  der  Ausdruck  und  daher 
der  allein  berechtigte  Träger  dieser  ideellen  Willens- 
identität ist  der  jezeitige  pater  familias.  Dies  ist  der  Be- 
griff der  römischen  Gewalt,  oder,  denn  beides  ist  völlig 
identisch,  der  römischen  Familie^). 

Der  Erblasser  braucht  daher  keinen  Fortsetzer 
seiner  Willenssubjektivität  erst  einzusetzen,  er  braucht 
keine  Identifikation  eines  anderen  subjektiven  Willens 
mit  dem  seinigen  vorzunehmen,  um  einen  solchen  Kon- 
tinuator  zu  haben ;  er  hat  schon  vorher  an  den  in  seiner 
Gewalt  stehenden  Personen  unmittelbare  Erben, 
denn  er  hat  an  ihnen  Personen,  welche  unmittelbar 
vorhandene  Willensidentität  mit  ihm  bilden  und 
daher  die  unmittelbare  Fortexistenz  seiner 
Willenssubjektivität  sind. 

Diese  in  seiner  Gewalt  stehenden  Personen  müssen 
daher,  wenn  der  Erblasser  ohne  Testament  stirbt,  seine 
ersten  Intestaterben  sein^),  nicht  in  dem  Sinne,  daß 
sie  vom  Gesetz  dazu  gemacht  wären,  sondern  deshalb, 
weil  sie  diese  unmittelbaren  Willensidentitäten,, 
daseiende  Fortdauer  der  erblasserischen  Wil- 
le nssubjektivität  sind.  Das  Intestatgesetz  wird  dies 
Verhältnis  daher  am  schärfsten  hervorheben,  wenn  es 
diesen  Erben  die  Intestaterbschaft  gar  nicht  selbst 
überträgt,  sondern  im  Gegenteil  dieselbe  gerade  nur  auf 
andere  Klassen  für  den  Fall  überträgt,  wenn  keine 
Erben  von  jener  Art  da  sind.  Das  Zwölf tafelgesetz  sagt 
daher,   des   suus   nur   mit  einer  negativen   Wendung 

^)  Siehe  hierüber  das  fortlaufend  Nachzuweisende,  und  be- 
sonders sub  Nr.  XL. 

2)  Gajus.    Comm..    III.    1;    Ulpian,   XXVI,    §    1;    Paulus. 

R.  S..  IV.  8,  §  3  usw. 

20-  307 


gedenkend  und  gerade  dadurch  auf  das  deutlichste  mar- 
kierend, wie  es  dem  suus  gar  nicht  qua  lex  die  Erbschaft 
gibt,  sondern  ihn  nur  als  diesen  unmittelbar  von  selbst 
vorhandenen  Fortsetzer  des  eigenen  erblasserischen  Willens 
anerkennen   muß  : 

,,Si  intestatus  moritur,  ad  suus  heres  nee  sit,   agnatus 
proximus  familiam  habeto^)." 

^)  Es  verhält  sich  durchaus  nicht  so,  wie  Jhering  in  seiner 
Abhandlung  über  die  Wortinterpretation  (Geist  des  Römi- 
schen Rechtes  [Leipzig  1858],  II,  482  fg.)  an  diesem  Zwölf - 
tafelsatze  zu  zeigen  versucht  hat,  daß  das  römische  Zivilrecht 
durch  einen  starren  Geist  bloßer  Wortinterpretation  geleitet 
worden  sei.  ,,Fast  jedes  Wort  ist  hier,"  sagt  er,  ,,die  Quelle 
eines  wichtigen  Rechtssatzes  geworden,  und  zwar  eines  Rechts- 
satzes, an  den  der  Gesetzgeber  selbst  gar  nicht  gedacht  hat,  der 
also  nicht  in  seinem  Willen,  sondern  nur  In  dem  Wort  seinen 
Grund  hat."  Es  gibt  gar  keinen  verhängnisvolleren  und  folgen- 
reicheren Irrtum  als  diesen  hier  so  prinzipiell  vorgetragenen  des 
geistreichen  Mannes,  und  deshalb  möge  es  gestattet  sein,  so  sehr 
auch  unsere  ganze  Entwicklung  solche  Anschauungen  widerlegt, 
an  diesem  von  Jhering  ausführlich  behandelten  Beispiel  nachzu- 
weisen, wie  die  Römer  nach  Ihm  zu  Ihrem  jus  clvile  gekommen 
■  sein  sollen,  und  wie  weit  dies  von  jedem  Anspruch  auf  Wahrheit 
entfernt  ist.  , .Zuerst,"  sagt  Jhering,  ,,das  Wort  Intestato-  Aus 
ihm  folgerte  man,  daß,  wenn  die  Erbschaft  nur  von  einem  der 
mehreren  Testament  Serben  angetreten,  die  ausfallenden  Teile 
rieht,  wie  man  erwarten  könnte  (d.  h.,  wie  wir  bei  Behandlung 
des  Satzes  nemo  pro  parte  testatus  etc.  sehen  werden,  wie  das 
deutsche  Bewußtsein  In  Jhering,  wie  seme  irrtümliche  Auf- 
fassung des  Erbrechtes  als  eines  Vermögensrechtes  erwarten 
könnte),  an  die  Intestaterben  gelangten;  denn  die  Bedingung, 
unter  der  sie  gerufen,  war  das  Intestato  morl  des  Erblassers : 
wessen  Erbschaft  aber  auch  nur  von  einem  der  mehreren 
Testamentserben  angetreten  war,  von  dem  ließ  sich  nicht  be- 
haupten, daß  er  Intestatus  gestorben  sei."  Allein  es  folgt  schon 
aus  dem  Begriff  der  Akkreszenz  (Nr.  XVI^  u.  XV),  und  wir 
werden  bei  der  Behandlung  der  Mehrheit  von  Erben  (Nr.  XXXII) 

308 


Bereits  muß  nun  aber  auch  der  Name  und  mit  ihm 
noch  bestimmter  der  Begriff  des  suus  klar  geworden  sein. 
Der  nicht  in  der  Gewalt  des  Erblassers  stehende  Erbe  ist 


näher  sehen,  wie  jeder  Erbe  die  Willenssubjektivität  des  Erb- 
lassers darstellt,  und  wie  also  nach  dem  spekulativen  Be- 
griff des  Erbtumes,  und  ohne  jedes  Wort  des  Intestat- 
gesetzes,  notwendig  die  Willensherrschaft  des  Erben  über  die 
nicht  vergriffene  Sache  eintreten  muß.  —  Jhering  fährt  fort : 
,, Sodann  das  Wort  moritur.  Hierauf  stützte  man  das  Requisit, 
daß,  wer  zur  Erbschaft  gelangen  wolle,  im  Moment  des  Todes 
des  Erblassers,  wenn  auch  nur  im  Mutterleibe,  existiert  haben 
müsse."  Allein  wenn  der  Begriff  des  Erbtumes  die  Identifi- 
zierung der  beiden  Willenssubjektivitäten  des  Erben  und  Erb- 
lassers ist,  so  muß  ja  natürlich,  ganz  abgesehen  von  jedem 
Wort  jenes  Intestatgesetzes,  der  Erbe  bereits  ein  existenter 
Wille  und  also  eine  lebende  Person  sein,  sonst  kann  der  Erb- 
lasser seine  Forterhaltung  in  ihm  nicht  finden  (vgl.  z.  B.  oben 
S.  159,  163,  595).  Jhering  weiter:  ,, Ferner:  agnatus  proximus. 
Das  Wort  proximus  mußte  als  Vor  wand  zur  Ausschließung 
der  successio  graduum  dienen  usw."  (nämlich  zur  Beseitigung 
der  folgenden  Agnaten,  wenn  der  nächste  ausgeschlagen  hatte). 
Aber  wir  werden  sub  Nr.  XL  nachweisen,  wie  ganz  abgesehen 
von  diesem  Wortlaut  nach  dem  Begriff  des  alten  Zivil- 
intestatrechtes  die  successio  graduum  wie  ordinum  ausgeschlos- 
sen sein  mußte. 

Ist  es  nun  aber  nicht  merkwürdig,  daß  Jhering,  der  auf  diese 
Weise  alles  aus  einer  formalistischen  starren  Wortinterpretation 
herleitet  und  jedes  Wort  des  Zwölftafelsatzes  so  strikte  zer- 
gliedert, ebensowenig  wie  seine  Vorgänger  auf  den  einfachen 
Gedanken  kommt,  zu  sehen,  daß,  weil  das  Zwölftafelgesetz  den 
suus  nicht  einsetzt,  sondern  nur  wenn  er  nicht  da  sei 
verfügt,  der  suus  gar  kein  Intestaterbe  ist;  ein  Satz,  der, 
wie  wir  später  sehen  werden  (Nr.  XXII,  XXVI  u.  XL),  der 
einzige  Schlüssel  zum  Verständnis  des  Intestaterbrechtes  ist? 
Und  wer  schon  einmal  so  strikteste  Wortinterpretation  treibt, 
der  hätte  doch  vor  allem  dies  hier  in  den  Worten  so  deutlich 
Vorhandene  herausfinden  müssen,  —  wie  denn  die  römischen 
Juristen,  wie  wir  sehen  werden,  dies  zwar  nicht  theoretisch  aus- 

309 


vor  der  Erbschaft  ein  selbständiges  Ich  gegen  den  Erb- 
lasser, ein  Ich  außerhalb  des  erblasserischen  Ichs,  und 
wird  deshalb,  wie  nahe  verwandt  er  auch  dem  Erblasser, 
und  wenn  er  sein  eigener  emanzipierter  Sohn  sei,  extraneus 
heres  genannt.  Er  wird  eines  fremden  Willens  Fort- 
setzer und  erst  durch  die  Erbschaft  identisch  mit  ihm. 

Gerade  deshalb  muß  er  die  noch  nicht  vorhandene 
Identität  mit  dem  subjektiven  Willen  des  Erblassers 
erst  durch  Willensakt  setzen,  um  Erbe  zu  sein;  er 
erwirbt  also  die  Erbschaft  erst  durch  den  Akt  der 
AditionO- 

gesprochen,  eiber  praktisch  dieses  Verhältnis  des  suus  zum 
Intestaterbrecht'  sehr  genau  festgehalten  haben! 

Aber  die  bloße  Wortinterpretation  macht  es  eben  nicht! 
Es  ist  scheinbar  starre  Wortinterpretation  bei  den  römischen 
Juristen  vorhanden.  Um  diese  wirklich  zu  verstehen,  muß  man 
zuvor  die  nie  wieder  erreichte  konzlse  Form  begreifen,  in  wel- 
cher (man  sehe  das  eben  In  Rede  stehende  Beispiel)  die  römi- 
schen Gesetze  den  spekulativen  Gedanken  wie  In  Stein 
zu  graben  wissen,  und  dann  die  ebenso  spekulative  Tätigkeit  des 
römischen  Volksgeistes  begreifen,  welcher,  in  den  römischen 
Juristen  fortwirkend  und  Immer  den  spekulativen  Geist  des 
alten  jus  civlle  festhaltend,  es  Ihnen  möglich  macht, 
gerade  Indem  sie  unter  der  echten  Herrschaft  des  Begriffes 
stehen,  scheinbare  Wortinterpretation  zu  treiben,  mit  jener 
graphischen  Wortform  des  Gesetzes  übereinzustimmen  und 
auch  wirklich  In  Ihr,  vermöge  der  Härte,  mit  welcher  der  speku- 
lative Begriff  hier  In  unnachgiebige  P'ormen  eingeschnitten  ist, 
ein  Korrektiv  ihrer  geistigen  Auslegungstätigkeit  zu  finden. 
Wir  werden  dies  positiv  klar  machen.  Indem  wir  unsererseits 
sub  Nr.  XL  ein  Beispiel  von  Wo  r  t  Interpretation  am  Zwölf- 
tafelgesetz geben  werden.  —  Bei  der  breiartigen  Sprache,  in 
welcher  die  modernen  deutschen  Gesetze  abgefaßt  sind,  wäre 
das  freilich  schwer  möglich. 

^)  Die  Kretlonsformel,  welche  die  solennelle  Darlegung  die- 
ser Identifikation  ist,  lautet:  „Quod   me  Publius  Maevius  testa- 

310 


Der  suus  dagegen  ist  der  Erbe  und  Fortsetzer 
eines  Willens,  mit  dem  er  schon  vorher  identisch 
war;  er  ist  also  nicht  eines  fremden,  sondern  seines 
eigenen  Willens  Erbe  und  Fortsetzer,  und  wird 
darum  auf  das  richtigste  5«//sheres,  sein  eigener  Erbe, 
Erbe  und  Fortsetzer  seiner  selbst  genannt^). 

mento  suo  heredem  instituit,  eam  hereditatem  adeo  cemoque." 
(Gajus.  II.  §  166;  Ulpian.  XXII.  §  28.)  Es  reicht  also  nicht 
hin  zu  sagen:  ..Publii  Maevii  hereditatem  adeo  cernoque," 
sondern  es  muß  das  beiderseitige  Setzen  oder  Vollbringen 
der  Identifizierung,  die  im  Testament  per  aes  et  libram  in  der 
beiderseitigen  simultanen  Handlung  Hegt,  hier  mindestens  Im 
Satze  ausdrücklich  hervortreten. 

^)  Der  einzige,  der  bisher  etwas  hiervon  geahnt  hat,  ist 
der  geistvolle  Donellus,  der  diese  Bedeutung  des  suus  als  Eines, 
der  sich  selbst  Erbe  ist,  sprachlich  erwies,  aber  freilich 
bei  der  realen  juristischen  Rechtfertigung  dieser  sprach- 
lichen Bedeutung  wieder  In  den  schon  betrachteten  großen  Irr- 
tum des  Gajus  und  der  Institutionen  und  einer  bald  noch  näher 
zu  untersuchenden  Stelle  des  Paulus  verfällt.  Donellus  sagt, 
Comm..  IIb.  VII,  c.  2  (Hanau  1612),  S.  286:  „Quid  sIt 
necessarlum  heredem  esse,  omnes  Intelllgunt  ex  significatlone 
verbi  nota.  —  —  Quid  sIt  suum  esse,  parum  llquet.  Si  dicemus 
cum  Justlnlano  suos  heredes  Ideo  appellarl,  quia  domestlci 
heredes  sunt,  quasi  suus  heres  significet  domesticum  heredem 
et  proprium,  usus  et  significatio  verbi  nos  coargiiet.  Non  enim 
recte  dicam:  iste  homo  est  mihi  suus,  pro  eo  quod  est:  iste 
homo  est  mihi  domesticus,  aut  mihi  proprias.  Ne  multls  morer ; 
hie  suus  hetes  plane  eadem  forma  eodemque  modo  dicitur, 
ut  meus  heres,  tuus  heres.  Nam  haec  omnia  mutatls  tantum 
personis  Idem  significant ;  nempe  possesslonem  ejus,  de  quo 
dicuntur.  Unde  a  Grammaticis  appellantur  possessiva.  Ergo 
ut  meus  heres  dicitur,  qui  mihi  successit,  tuus  heres,  qui  tibi 
successit,  Ita  recte  et  appositc  dicetur  suus  heres  qui  successit 
sibi,  qui  suus  successor  est,  seu  qui  se  ipsum  sibi  successorem 
habet.  Hanc  vlm  subesse  hulc  verbo  prImus  conjecit  Vigllus  ad 
§   sul.   Inst-   de  her.   et  quäl,   diff.,    sed    ita    ut    In    eo    nihil 

311 


Aber  eben  wegen  dieser  bei  ihnen  schon  vorher  vor- 
handenen unmittelbaren  Identität  der  Willenssubjektivitäten 
brauchen  und  können  die  sui   gar  keine   Identifizierung 


certi  habeat,  nee  tradat  ceteris.  Eodem  enim  loco  scribit  here- 
dem  suum  esse,  quasi  domesticum,  proprium  heredem,  et  do- 
minatum,  quaslque  sui  ipsius  heredem,  inter  quae  multum  in- 
terest.  Nam  proprius  et  domesticus  heres  dicitur,  qui  proprius 
est  et  domesticus  patri  heres.  Nunc  autem  suum  heredem  dici- 
mus  qui  ipse  heres  est  sibi.  —  Er  führt  dies  sprachlich  noch 
weiter  aus  und  fährt  dann,  zur  juristischen  Rechtfertigung  dieseif 
sprachlichen  Bedeutung  übergehend,  fort :  „Rationent  verbi,  seu 
Wide  haec  appellatio  nata  sit  videamus.  Et  vero  significatio 
quam  optime  rei  convenit.  Sic  enim  res  habet,  ut  cum  filii  sui 
heredes  succedunt  patri  mortuo,  quamvis  dici  possint  heredes 
patri,  nihilo  tamen  minus  5/^/  ipsis  quoqiie  succedere  videantur 
et  vere  sibi  ipsis  esse  heredes."  Das  Thema  des  Beweises, 
den  er  führen  soll,  hält  also  auch  hier  Donellus  noch  ganz  fest. 
Wie  er  aber  nun  endlich  diesen  Beweis  selbst  erbringen  und  die 
begriffliche  Angemessenheit  dieser  Bezeichnung,  die  juristische 
Wirklichkeit  der  sprachlich  entwickelten  Bedeutung  nachweisen 
soll,  sagt  er  nun,  unmittelbar  nach  den  letzten  Worten  fort- 
fahrend :  ,,Quod  jus  ex  eo  est,  quod  filii,  qui  sunt  in  potestate 
morientls,  etiam  antequam  heredes  existerent,  domini  fuerunt, 
qui  etiam  vivo  patre  domini  exlstlmantur  bonorum."  Hier  also 
scheitert  Donellus  wieder  gänzlich  und  verfällt  in  die  gang  und 
gebe  Gewaltsamkeit,  zur  Erklärung  des  suus  fingieren  zu  ^vollen, 
als  hätten  die  römischen  Kinder  schon  bei  Lebzeiten  des  Vaters 
ein  Miteigentum  an  den  Sachen ;  ein  Irrtum  oder  vielmehr  — 
denn  weder  er  noch  sonst  jemand  nimmt  es  mit  diesem  Irrtum, 
außer  für  diesen  einzigen  Behuf,  ernst  —  eine  Gewalt,  die  für 
ihn  freilich  unvermeidlich  war,  da  er  den  Begriff  des  Erbtumes 
nicht  durchschaut  hatte,  und  für  die  er  sich  noch  auf  das  Falsche 
in  einer  ibald  zu  zergliedernden,  aus  Wahrem  und  Falschem  be- 
stehenden Stelle  des  Paulus  beruft.  —  Aber  gerade  um  so  mehr 
ist  bei  Donellus  die  Scharfsinnigkeit  seines  Blickes  zu  bewun- 
dern, die  ihn  von  sprachlicher  Seite  her  mindestens  das  Po- 
stulat des  Beweises  richtig  entwickeln  ließ. 

312 


derselben  erst  noch  vornehmen,  und  sind  daher  ohne 
jede  Adition  durch  den  Tod  des  Erblassers  statim  ipso 
jure^),  d.  h.  durch  die  bloße  Kraft  jenes  Begriffes,  zu 
Erben  geworden. 

Soll  aber  das  Gesagte  wahrhaft  richtig  sein,  so  muß 
die  Kraft  dieser  Unmittelbarkeit  so  groß  sein, 
daß  sie  ebensowenig  wie  sie  der  Adition  benötigt,  ebenso- 
wenig auch  zu  der  Repudiation  befähigt  sind.  Sie 
sind  unmittelbare  Willensidentitäten  mit  dem  Erblasser, 
und  nicht  sie,  sondern  nur  er,  das  allein  berechtigte  Subjekt 
dieser  Willensidentität,  kann  dies  ändern.  In  dem  Augen- 
blick, wo  sie  durch  den  Tod  des  Gewalthabers  sui  juris 
werden,  in  demselben  Augenblick  bereits  finden  sie  sich, 
gleichviel,  ob  er  sie  einsetzte,  oder  ob  er  ohne  Testa- 
ment starb,  schon  als  seine  daseienden  Willens- 
fortsetzer, als  seine  sui  juris  gewordene  Willens- 
identitäten, also  schon  mit  der  Erbqualität  be- 
haftet vor ;  sie  finden  sich  durch  die  Kraft  des  Begriffes 
genau  in  derselben  Lage  vor,  wie  der  extraneus  nach 
der  Adition,  und  können  daher  an  dieser  einmal  ein- 
getretenen Erbqualität  nichts  mehr  ändern.  Und  so  sind 
denn  in  der  Tat  (nach  Zivilrecht)  die  sui  notwendige 
Erben  (sui  et  necessarli),  die  wider  ihren  Willen  erben 
müssen  und  die  schuldenüberbürdete  Erbschaft  nicht  aus- 
schlagen können^). 


^)  Gajus,  L.  14  de  suis  et  legitim,  hered.  (38,  16) :  ,,In  suis 
heredibus  aditlo  non  est  necessaria,  quia  statim  ipso  jure  heredes 
existunt."  Dies  existunt,  nicht  fiunt,  ist  bezeichnend.  Sie  wer- 
den nicht  Erben;  sie  sind  schon  als  solche  da. 

^)  Ulpian,  XXII.  §  24;  Gajus.  Comm..  II.  156-159.  - 
Erst  die  prätorische  Billigkeit,  welche  durchgehends.  wie  wir 
gesehen  haben,  die  Abstraktion  von  dem  im  jus  civile  tätigen 
spekulativen  Begriff  und  die  Rücksicht  auf  das  Vermögen  dar- 

313 


Gleichwohl  muß  nun  aus  der  vorstehenden  Entvvicke- 
lung  der  überaus  wichtige  Punkt  ganz  deutlich  sein,  daß 
die  sui  dennoch  die  Erbschaft  durch  ih'e  Willens- 
aktion erwerben,  durch  ihren  Willen  nämlich,  der 
durch  den  Willen  ihres  Gewalthabers  vorgestellt  ist. 
Aber  sei  es,  daß  sie  durch  Testament  desselben,  sei  es 
selbst,  daß  sie  ab  intestato  erwerben,  so  erwerben  sie  immer 
durch  den  in  ihnen  daseienden  Willen  des  Ge- 
walthabers, und  also  um  der  Identität  dieses  Willens 
halber  durch  eigenen  Willen,  wie  bei  der  Personen- 
repräsentation überhaupt-^). 

Ehe  wir  aber  in  der  Ableitung  der  Folgen,  zu  welchen 
sich  der  nachgewiesene  Begriff  der  Suität  treiben  muß, 
weiter  fortschreiten,  wird  es  von  Interesse  sein,  auf  unsere 


stellt,  bewilligt  den  suis,  wenn  sie  sich  nicht  eingemischt  hatten, 
das  Recht  der  Abstinenz,  den  praktischen  Wirkungen  der 
Repudiation  beim  extraneus  entsprechend. 

*)  Dieser  Punkt,  daß,  wie  jetzt  nachgewiesen,  auch  der  suus 
die  Erbschaft  durch  innere  Willensaktion  erwirbt,  ist  von  der 
äußersten,  weitgreifendsten  Wichtigkeit  für  den  Hauptgegen- 
stand  dieses  Werkes.  Denn  er  zeigt,  wie  der  von  uns  durch- 
geführte Begriff,  daß  erworbene  Rechte  nur  solche  sind, 
welche  durch  individuelle  Willensaktion  vermittelt 
werden,  auch  am  Erbrecht,  auch  am  suus  sogar  keine 
Ausnahme  findet.  Hauptsächlich  mit  aus  diesem  Grunde 
mußte  die  begriffliche  Analyse  des  Erbrechtes  von  uns  unter- 
nommen werden.  Denn  bisher  mußte  freilich  stets  angenommen 
werden,  und  wurde  von  allen  Autoren  ohne  Ausnahme  stets  an- 
genommen, daß  der  Erbschaftserwerb  des  suus  lediglich  durcn 
eine  objektive  Tatsache  vermittelt  wird ;  es  genüge  als  Bei- 
spiel dafür  Böcking  anzuführen,  welcher  (Einleitung  In  die 
Pandekten  usw.  [Bonn  1853],  I,  334,  Note  4)  ihn,  weil  er 
„statlni  ipso  jure,  ohne  aditio"  stattfindet,  lediglich  als  aus 
einem  „natürlichen  Ereignis"  entspringend  klassifiziert  und 
Ihn  deshalb  mit  der  Alluvlon  vergleicht.  Die  Größe  dieses 
Irrtums  muß  jetzt  ersichtlich  sein. 

314 


Entwickelung  dieses  Begriffes  rückwärts  blickend,  ihn  mit 
einigen  Definitionen  der  römischen  Juristen  selbst  zu  ver- 
gleichen. Denn  es  wird  jetzt  in  denselben,  und  zwar  gleich- 
mäßig sowohl,  soweit  sie  ihn  treffen,  als  soweit  sie 
ihn  verfehlen,  der  angegebene  spekulative  Begriff  auf 
das  deutlichste  als  die  instinktive  Grundlage,  als  das 
ringende  und  treibende  Moment  dieser  Definitionen 
sich  kundgeben  und  daher  eine  neue,  nicht  geringe  Bestäti- 
gung unserer  gesamten  Entwickelung  verleihen.  Diese 
Definitionen  des  Römers  sind,  weil  derselbe  nur  unter  der 
Einwirkung  seiner  Substanz  steht  und  noch  nicht  zur 
bewußten  Selbsterfassung  seiner  gelangt  ist,  nur  die  un- 
geheuere Anstrengung,  den  Begriff  zu  sagen;  sie 
sind  die  Anstrengung  des  stummen  Mundes,  das  Seelische 
zu  verlautbaren,  was  er  ebensosehr  in  der  Herausringung 
erzitternder  Töne  erreicht,  als  er  es  m  der  stammelnden 
Ungewißheit  derselben  wieder  verfehlt. 

So  sagt  Paulus  ^)  :  ,,In  suis  heredibus  evidentlus  apparet, 
continuationem  dominil  (also  was  wir  stets  als  den  be- 
stimmten Begriff  alles  Erbrechts  bezeichneten:  die  Kon- 
tinuation  der  Willensherrschaft,  nicht  allgemein 
die  Personenidentität)  eo  rem  perducere,  ut  nulla 
videatur  hereditas  fuisse  (hier  tritt  also  auf  das  stärkste 
hervor,  was  wir  als  den  Begriff  der  Suität  ent^vickelt  haben : 
die  Unmittelbarkeit  der  Willensfortsetzung; 
die  Willensfortsetzung  ist  so  sehr  der  Begriff  alles 
Erbrechts,  und  jene  Unmittelbarkeit  derselben  so 
sehr  der  Begriff  der  Suität,  diese  ist  so  sehr  der  hier 
herrschende  Begriff,  daß  Paulus  deshalb  sagen  kann,  es 
finde  hier  gar  keine  Erbschaft  statt.  Das  Wahre 
und  Falsche  hiervon  muß  aus  dem  Obigen  klar  ssin :  es 


1)  L.  11  de  lib.  et  posth.  her.  (28.  2). 

315 


findet,  wie  wir  S.  306  zeigten,  keine  Identifikation 
der  Willenssubjektivitäten,  keine  Hervorbringung 
eines  Erben  statt,  was  Paulus  dies  zu  sagen  veranlaßt. 
Aber  es  findet  Identität  der  Willenssubjektivitäten, 
Dasein  eines  identischen  subjektiven  Willens  und  somit 
Erbschaft  statt)  ;  quasi  olim  hi  domini  essent,  qui  etiam 
vivo  patre  quodammodo  domini  existimantur  (hier  gerät 
also  Paulus  von  der  Tiefe  seiner  bisherigen  Bestimmungen 
wieder  ab  und  auf  den  so  nahe  liegenden  völlig  falschen 
Abweg  des  Gajus,  denn  es  gibt  nichts  Unwahreres,  als 
im  römischen  Recht,  zumal  im  alten  jus  civile,  von  einem 
Miteigentumsrecht  der  Kinder  zu  sprechen)  unde  etiam 
f ilius/a/7z///as  appellatur,  sicut  patei familias,  sola  ^ota  hac 
adjecta  (hier  ist  Paulus  wieder  auf  dem  tiefsten  Wege.  Im 
gemeinschaftlichen  Anhang  familias,  den  beide  Bezeich- 
nungen führen,  tritt  eben  auch  äußerlich  die  Einheit 
des  Willenskreises,  dessen  Dasein  sie  beide  sind, 
hervor,  und  die  verschiedenen  Vorsilben  des  Kompositum 
unterscheiden,  wie  Paulus  schön  sagt,  nur  wie  eine  ,,nota" 
den  tätigen  Ausdruck,  das  Subjekt  dieser  Willens- 
einheit, von  der  ruhenden  Substanz  derselben)  per 
quam  distinguitur  genitor  ab  eo,  qui  genitus  sit  (hier  gerät 
Paulus,  nicht  sagen  könnend,  was  er  sagen  will,  wieder  ins 
Sinnlich-Äußerliche ;  er  will  eigentlich  sagen,  wie  wir  eben 
zeigten :  durch  welche  [nota]  die  für  sich  seiende  Einheit 
von  der  an  sich  seienden,  das  Subjekt  von  seinem  sub- 
stantiellen Kreise  unterschieden  wird).  Itaque  post 
mortem  patris  non  hereditatem  pcrclpere  videntur;  sed 
magls  liberam  bonorum  administraüonem  consequuntur 
(ebenso  tief  wahr,  als  völlig  falsch ;  tief  wahr,  wenn  auf 
den  spekulativen  Begriff  des  Erbtums  gesehen 
wird :  Fortsetzung  einer  Willenssubjektivität 
zu  sein.    Der  suus  übernimmt  nicht,  wie  der  extraneus, 

316 


eine  ihm  andere  [fremde]  Willenssubjektivität  zur 
Fortsetzung  [also  non  percipit  heredltaierri ,  sondern  indem 
er  Erbe  wird,  wird  er  jetzt  nur  selbst  zum  Subjekt 
desselben  Willens,  der  schon  bisher  substantiell  in 
ihm  vorhanden  und  der  seinige  war;  er  setzt  nur 
jetzt  als  Subjekt,  für  sich  geworden,  sich  selber, 
seine  eigene  bisherige  Willenssubstanz  fort.  Indem  dies 
Fürsich  werden  des  Willens,  der  Begriff  des  Subjektes, 
allerdings  das  Moment  der  Freiheit  ist,  kann  man  mit 
vollem  Recht  sagen,  daß  der  suus  durch  die  Erbschaft 
nur  die  Freiheit  dessen  erlangt,  was  er  bisher 
schon  war  und  vorstellte,  und  dies  ist  also  das  tief 
Wahre  auch  in  den  folgenden  Worten  des  Paulus :  sed 
magis  liberam  b.  a,  c.  Wird  aber  der  spekulative  Erb- 
begriff verfehlt  und  statt  in  jene  spiritualistische  Willens- 
fortsetzung in  seine  bloße  Folge,  den  Vermögens- 
erwerb, gesetzt,  so  wird  alles  wieder  völlig  falsch,  und 
freilich  stößt  dies  Paulus  selbst  zu.  Denn  indem  er 
sagt,  daß  der  suus  durch  die  Erbschaft  nur  die  freie 
Administration  der  Güter  erlange,  deutet  er  wieder, 
wie  dies  auch  seine  Absicht  und  wenige  Zeilen  vorher 
seine  Worte  sind,  von  neuem  an,  als  habe  der  suus  auch 
schon  vor  dem  Tode  des  Vaters  irgendein  gebundenes 
latentes  Eigentum  an  dem  Vermögen  gehabt,  wie 
z.  B.  etwa  heute  die  Frau  in  der  französischen  Güter- 
gemeinschaft. Es  läßt  sich  hier  gerade  sehr  scharf  zeigen, 
warum  der,  wie  wir  sahen,  richtige  Satz,  daß  der  suus 
durch  die  Erbschaft  nur  die  Freiheit  dessen  erlangt, 
was  er  schon  bis  dahin  war,  durch  die  falsche 
empirische  Auffassung  der  Erbschaft  als  eines  Vermögens - 
erwerbs  notwendig  falsch  werden  muß.  Denn  in  substan- 
tieller Willensidentität  war  der  suus  mit  dem  Gewalthaber 
auch   schon   vor   dessen   Tode   und   bringt   also  allerdings 

317 


durch  die  Erbschaft  sein  bisheriges  substantielles  Sein  nur 
zur  Freiheit,  zum  Subjektsein.  Eigentum  aber 
ist  erst  Folge  der  Freiheit,  des  Subjektseins,  und 
vor  diesem  gar  nicht  möglich.  Darum  ist  der  suus,  weit 
entfernt,  vor  dem  Tode  des  Gewalthabers  irgendein  Eigen- 
tum zu  haben,  vielmehr  selbst  ein  Eigentum  des- 
selben. So  muß,  merkwürdig  genug,  die  falsche  Auf- 
fassung des  Erbbegriffes  als  Vermögensübertragung, 
wenn  es  zur  Erklärung-  der  Suität  kommt,  im  Munde  der 
römischen  Juristen  selbst  einen  Satz  zur  Folge  haben, 
den  sie  selbst  sehr  wohl  als  den  positiv-falschesten 
von  der  Welt  wissen,  und  über  den  sie  ihre  Verlegenheit 
vergeblich  unter  einem  unbestimmten  ,,quodammodo'  und 
„magis"  zu  verbergen  suchen.)  Haec  ex  causa  licet  non 
sint  heredes  instituti,  domini  sunt  (man  vergleiche,  was 
wir  oben  S.  307  fg.  über  das  Zwölftafelgesetz  gesagt 
haben),  nee  obstat,  quod  licet  eos  exheredare,  quos  et  occi- 
dere  licebat."  (Hier  kommt  also  wieder  die  Verlegenheit 
und  Unmöglichkeit  zum  Vorschein,  ein  Eigentumsrecht  bei 
denen  anzunehmen,  die  ganz  willkürlich  enterbt 
werden  können,  eine  Verlegenheit,  die  Paulus  eigentüm- 
lich genug  dadurch  zu  beseitigen  sucht,  daß  er  sie  noch 
steigert,  indem  er  darauf  hinweist,  wie  die  Kinder,  statt 
Eigentum  haben  zu  können,  vielmehr  selbst  Eigentum  sind.) 
Dieselbe  Bestätigung  der  von  uns  dem  Begriff  der  Suität 
gegebenen  Entwicklung  spricht  sich  in  einer  anderen  Stelle 
des  Paulus  aus^):  ,,Quum  ratio  naturalis  (man  denke 
hier  nur  nicht,  wozu  man  allerdings  unwillkürlich  geneigt 
ist,  an  das  Gefühl  der  natürlichen  Verwandt- 
schaft, denn  zu  den  suis  gehört  ja  ebensogut  wie  die 
Kinder  auch  die  Ehefrau,  und  zwar  wieder  nicht  die 


^)  L.  7  pr.  de  bonis  damnat.  (48,  20)- 
318 


Ehefrau  überliaupt,  sondern  nur  die  in  manum  geheiratete ; 
die  ratio  naturalis  bedeutet  hier  in  Wahrheit,  ^vie  auch  die 
unmittelbar  folgenden  Worte  zeigen,  nichts  anderes  als  die 
selbstredende  Kraft  des  Begriffes,  das  selbst- 
redende Dasein  der  Willensidentität  in  den  Genossen 
des  Gewaltbandes,  wodurch  die  sui  unmittelbar  Erben 
sind)  quasi  lex  qiiaedam  tacifa  (hier  zeigt  sich  also  deut- 
lich das  eben  Gesagte)  liberis  parentum  hereditatem  addi- 
ceret,  velut  ad  debitam  successionem  eos  vocando  (hier 
tritt  wiederholt  jene  Unmittelbarkeit  des  im  suus  ge- 
gebenen Erben  und  zugleich  das  hervor,  was  wir  vorher 
über  das  Zwölftafelgesetz  gesagt  haben,  welches  dem 
suus  nicht  die  Erbschaft  überträgt,  sondern  nur  das 
Faktum  konstatiert,  daß  er  von  selbst  Erbe  ist) 
propter  quod  et  in  jure  civili  suomm  heredum  nomen  iis 
indictum  est  etc."  Setzt  man  diese  Namenserklärung 
in  Einheit  mit  den  von  uns  aufgelösten  Sätzen,  mit  welchen 
sie  durch  das  propter  quod  zusammengebunden  ist,  so 
erhält  man  von  selbst  die  von  uns  gegebene  Auflösung 
und  Erklärung  des  Namens  des  suus  als  eines  Erben 
seiner  selbst,  d.h.  als  eines  Fortsetzers  seines 
eigenen  Willens^). 


^)  Beiläufig  wird  jetzt  aus  dem  spekulativen  Begriff  auch 
klar  sein,  warum  das  prätorische  Erbrecht  der  Aszendenz 
nicht  dasselbe  sein  kann,  wie  das  der  Deszendenz.  Wenn 
auf  die  Verwandtschaft  gesehen  wird,  so  ist  allerdings 
der  Vater  dem  Kinde  so  nahe  verwandt,  wie  das  Kind  dem 
Vater.  Aber  wenn  die  Kinder  die  unmittelbar  daseiende  Fort- 
setzung der  väterlichen  Willenssubjektivität  sind,  so  läßt  sich 
umgekehrt  nicht  ebenso  sagen,  daß  der  Vater  die  natürliche 
Fortsetzung  des  Kindes  sei,  das  vielmehr  nur  seine 
Fortsetzung  bildet.  Aus  dieser  aus  dem  spekulativen  Begriff 
entspringenden  mangelnden  Gegenseitigkeit  werden  jetzt 
z   B.    die  Worte   Papinians   ganz   klar   sein,    L.    7,   §    1   unde 

319 


Jetzt  zeigt  sich  auch  erst  der  tiefere  Grund  und  die 
innere  begriffliche  Bedeutung  dessen,  daß  der  suus,  der 
enterbt  wird,  jetzt  nicht  mehr  enterbter  suus,  sondern 
überhaupt  kein  suus  sein  kann,  d.  h.  daß  der  Begriff 
der  Suität  durch  die  Enterbung  gebrochen  wird,  und 
dies  bleibt,  auch  wenn  der  Betreffende  dennoch  das 
Vermögen  des  Erblassers  erlangt.  Denn  indem  die 
Identität  mit  dem  Gewalthaber  und  die  Unmittelbarkeit 
der  Willensfortsetzung  im  filius  durch  die  Enterbung  ge- 
brochen und  aufgehoben  ist,  er  aber  durch  den  Tod 
des  Vaters  sui  juris  geworden  ist  —  was  man  irrig  mit 
der  Bedeutung  des  suus  hat  zusammenwerfen  wollen  — , 
setzt  er  jetzt  nicht  mehr  die  väterliche  Willenssubjektivität, 
also  nicht  mehr  seine  eigene  und  bisherige,  fort, 
sondern  hat  gleichsam,  wie  bei  der  Emanzipation,  eine 
neue  und  selbständige,  seiner  bisherigen  andere  er- 
langt, was  sich  also  auch  dadurch  nicht  ändern  kann,  wenn 
er  auch  als  Fideikommissar  das  väterliche  Ver- 
mögen erhält,  s.  Ulpian^):  ,,Multi  non  nota  e  causa 
exheredant  filios,  nee  ut  iis  obsint,  sed  ut  iis  consulant 
utputa  impuberibus,  iisque  fldeicoinmissam  hereditatem 
dant"-)."  Mit  anderen  Worten:  die  Suität  haftet,  was 
das  vorige  wiederum  bestätigt,  streng  am  zivilrecht- 
lichen Erbbegriffe,  dem  Begriffe  der  Willens- 
liberi (38,  6) :  „Non  sie  parentibus  liberonim,  ut  liberis  paren- 
tum  debetur  hereditas;  parentes  ad  bona  liberorum  ratio  mise- 
rationis  admittit,  liberos  naturae  simiil  et  parentum  eommune 
Votum."  —  Das  Fortwirken  oder  der  Widerschein  des 
zivilistischen  Geistes  im  prätorischen  Erbrecht,  trotz  der  Ge- 
gensätzlichkeit desselben,  kann  seine  volle  Erklärung  freilich 
erst  später  (Nr.  XL)  finden. 

')  L.   18  de  lib.  et  posth.  (28.  2). 

^)  Siehe  über  die  Auslöschung  der  Suität  durch  die  Ent- 
erbung Cujacius  in  Dig.   1.   1.  et  in   Nov.   I,   part.   I. 

320 


fortsetzung,  und  wird  daher  dadurch,  daß  der  ent- 
erbte Sohn  zum  fidelkommissarischen  Erben  gemacht  wird, 
nicht  wiederhergestellt,  weil  der  lideikommissarische  Erbe 
eben  gar  kein  Erbe  im  Sinne  des  spekulativen  Begriffes 
oder  des  jus  civile,  nicht  Willensfortsetzer,  son- 
dern nur  Vermögensempfänger  ist. 

Wir  haben  bisher  den  Begriff  und  die  Notwendigkeit 
des  suus,  die  Bedeutung  seines  Namens  und  den  Grund, 
warum  .er  weder  der  Adition  benötigt,  noch  zivilrechtlich 
der  Repudiation  fähig  sein  kann,  kennen  gelernt.  Es  ist 
jetzt  am  Ort,  die  weiteren  Konsequenzen  des  spekulativen 
Begriffes  zu  entwickeln  und  als  ebenso  viele  Sätze  des 
jus  civile  nachzuweisen. 

Was  zunächst  den  Umfang  der  Bezeichnung  des  suus 
betrifft,  so  ist  klar,  daß,  da  der  Begriff  der  Suität  nichts 
mit  der  natürlichen  Verwandtschaft,  noch  mit  der  Familie 
in  unserem  (heutigen)  Sinne  zu  tun  hat,  sondern  schlecht- 
hin in  der  vorhandenen  Willensidentität  der  in  seiner  Ge- 
walt stehenden  Personen  mit  dem  Erblasser  wurzelt,  nur 
alle  solche,  aber  auch  schlechthin  alle  solche,  die  in 
seiner  Gewalt  stehen,  sui  sind.  Die  Ursache  der  Ge- 
walt, ob  eheliche  Zeugung,  Adoption,  causae  probatio, 
Legitimation  oder  in  manum  conventio,  ist  daher  gleich- 
gültig und  es  erben  daher  die  in  manum  übernommene 
Frau,  und  die  Tochter  wie  der  Sohn,  ja  sogar  die 
Schwiegertochter  als  die  in  manum  geheiratete  Frau 
des  in  der  Gewalt  stehenden  Sohnes  gleichmäßig  als  sui^). 
Und  da  der  Begriff  des  suus  in  der  Unmittelbarkeit 
der  Identität,  in  der  Willenseinheit  als  daseiender  be- 
steht,  so  kann  hier  nichts   auf  Wissen  und  Kennen  an- 


I  1)  Gajus.   Comm.,  III.  §   1;   Ulpian.  XXII.   §   14.  XXVI. 

'       §  1;  Paulus.  R.  S..  IV.  8.  §§  3.  4.  8.  10. 

21   LasiiUc,   Ges.  Sckriften.   Band  XI.  321 


kommen,  welches  alles  V^ermittelungen  und  daher  nur 
da  n'^tig  sind,  wo  erst  durch  besonderes  Wissen  und 
Wollen  eine  Identität  hergestellt  werden  soll,  und  es 
erbt  deshalb  der  während  unseres  Lebens  empfangene 
postumus,  wenn  er  nur  bei  seiner  Geburt  in  unserer  Gewalt 
gestanden  hätte  (d.  h.  unser  Sohn  oder  der  Sohn  eines 
in  unserer  Gewalt  Stehenden  ist),  gleichfalls  als  suus. 
Ulpian^):  Postiiini  quoque  liberi,  ii  qui  in  utero  surt, 
si  tales  sunt,  ut  nati  in  potestate  nostra  futuri  sint,  siionim 
heredum  numero  sunt.  Denn  als  seiende  Willenseinheit, 
als  unmittelbar  gegebene,  dringt  dieselbe  bis  in  den 
Uterus  und  ergreift  die  Person  bis  in  die  Anfänge  ihres 
Personseins  hinein.  Der  postumus  ist  darum  durchaus  in 
eben  solcher  Willenseinheit,  er  ist  auch  als  Enkel  us.v. 
ein  ebenso  unmittelbarer  Willensfortselzer  des  Ge- 
walthabers, als  es  des  postumus  Vater  gewesen  wäre.  Es 
tritt  hier  wieder,  wie  bei  jedem  Schritt,  hervor,  wie  das 
gesamte  Erbrecht  nicht  zu  \erslehen  ist  ohne  den  \oa 
uns  entwickelten  spekulativen  Begriff.  Wir  werden  später 
sehen,  daß  und  warum  eine  incerta  persona  zum  Erben 
nicht  einmal  eingesetzt  werden  darf.  Es  beruht  dies 
darauf,  daß,  damit  der  subjektive  Wille  sich  als  identisch 
mit  einer  anderen  Willenssubjektivität  setzen  kann,  dieser 
andere  Wille  ein  für  den  ersten  gewisser  und  be- 
kannter Wille  sein  muß.  Der  postumus  gilt  aber  im 
römischen  Zivilrecht  als  eine  persona  incerta;  Gajus^): 
,.Ac  ne  hercs  quidem  potest  institui  postumus  alienus ; 
est  enim  incerta  persona.''  Hier  scheint  also  ein  Wider- 
spruch vorzuliegen,  da  der  postumus  dennoch  wieder  suus 
heres   ist.     Allein    dieser    scheinbare    Widerspruch    ver- 


^J  Fragm.  XXII.  15. 
-)  II.  241.  242. 


322 


schwindet  \'or  der  Kraft  des  Begriffes.  Denn  eine  incerta 
persona  kann  nur  der  fremde  postumus  sein.  Der  eigene 
postumus  aber,  als  identisches  Dasein  des  eigenen 
Willens  des  Gewalthabers,  ist  ihm,  weil  eine  mit  seinem 
eigenen  Willen  identische,  auch  eine  sehr  ge- 
wisse, sehr  bekannte,  ihm  trotz  seines  noch  unter- 
irdischen Daseins  gerade  so  gut  wie  er  sich  selbst 
tekannte  Willensperson!  Er  ist  also  gar  keine 
persona  incerta  für  den  eigenen  Gewalthaber,  sondern  nur 
für  den  Fremden. 


XXII.  Erste  Andeutung  des  Verhältnisses  des 
testamentarischen  zum  Intestaterbrechte.  Der 
Satz  nemo  pro  parte  testatus  usw.  Der  suus 
als  die  indifferente  Mitte  von  testamentari- 
schem und   Intestatrecht. 

So  widerlegt  sich  also  bei  dem  wahren  Erbbegriffe 
von  selbst,  was  Gans,  II.  Note  110,  sagt:  ,,Es  könnte 
vielleicht  umgekehrt  scheinen,  daß,  weil  eine  incerta  p3r- 
sona,  wozu  auch  der  alienus  postumus  gehört,  als  Erbe 
des  alten  Rechtes  nicht  eingesetzt  werden  könne,  diese 
Ausnahme  zugunsten  des  postumus  suus  auf  eine  Bestimmt- 
heit und  auf  die  gegenwärtige  Liebe  für  die  zu  er- 
wartenden Kinder  deute.  Aber  gerade,  daß  die  Römer 
den  postumus  für  eine  incerta  persona  erklären,  für  den 
suus  aber  die  Einsetzung  oder  Exheredation  gestatten, 
macht  diesen  postumus  suus  nicht  weniger  zu 
einer  incerta  persona,  aber  zu  einer  ausgenommenen." 
Es  hat  sich  vielmehr  gezeigt,   daß   von  einer  Ausnahme 

21-  323 


gar  nicht  die  Rede  sein  kann,  der  postumus  vielmehr  ledig- 
lich für  den  Fremden  eine  persona  incerta  sein  kann,  für 
den   Gewalthaber   aber   eine   certissima   sein    muß.    Von 
,, Liebe"  kann  bei  dem  römischen  Erbrecht  überhaupt  so 
wenig  die  Rede  sein,  daß  dieselbe  ebensowenig  auch  nur 
als  Gegensatz  und  kritischer  Maßstab  zu  gebrauchen  ist, 
um  dasselbe  zu  verstehen.    Hierin  wurzelt  eben  der  das 
Verfehlen  alles   Weiteren   dann   mit   Notwendigkeit  nach 
sich  ziehende   Grundirrtum  von  Gans,   daß   er,   statt  den 
konkreten  römischen  Erbbegriff  aufzusuchen,  das  Intestat- 
erbrecht seinem  Prinzip  nach  als  das  System  der  Familien- 
liebe  auffaßt,    dies    dem   testamentarischen    Erbrecht   als 
gleichberechtigten  begrifflichen  Gegensatz  gegenüberstellt, 
und  letzteres  dann  aus  diesem  Gegensatz  und  seiner  Reibung 
mit  dem  ersteren,  als  seinem  inneren  Faktor,  erklären  will 
sowohl  in  bezug  auf  seine  dogmatische  Gliederung  als  ge- 
schichtliche Bewegung,   welches  alles  in  gleichem  Maße 
irrig  ist. 

Die  Stellung  des  römischen  Intestaterbrechtes  zum  testa- 
mentarischen ist  vielmehr,  um  dies  kurz  hier  anzudeuten 
und  so  weit  schon  hier  der  Charakter  des  Intestatrechtes 
dargelegt  werden  kann  (s.  später  Nr.  XXVI  und  XL), 
folgende:  Beide  haben  zunächst  ihre  Einheit  in  dem 
von  Gans  nicht  erkannten  Grundgedanken  alles  römischen 
Erbrechtes,  der  Unsterblichkeit  des  noch  als  sub- 
jektiver Wille  aufgefaßten  Geistes,  kürzer,  der  sub- 
jektiven Wiilensunsterblichkeit.  Dieser  Begriff  bildet  die 
Gattung  der  beiden  Arten  des  Intestat-  und  Testaments- 
erbrechtes, die  bei  Gans  gar  keine  Gattungseinheit  gemein- 
sam haben,  sondern  bloße  Gegensätze  sind.  Gerade  um 
der  Einheit  dieses  Gattungsbegriffes  willen  gibt  es  auch 
eine  Einheit  von  testamentarischem  und  Intestaterbrecht, 
eine  indifferente   Mitte  beider.    Diese  indifferente 

324 


Mitte  bildet  nämlich  eben  der  suus,  der,  als  unmittelbar 
von  selbst  daseiende  Willensfortsetzung,  sowohl  erbt  ohne 
Testament    (als    präter  i  erter),    als    ohne    Gesetz 
(s.  oben  S.  307  fg.  über  den  Zwölftafelsatz,  welcher  den 
suus  nicht  einsetzt,  sondern  sein  von  selbst  vorhandenes 
Erbtum  nur  voraussetzt.)    Nur  wenn  die  im  suus  vor- 
handene unmittelbare  Willensfortsetzung  nicht  vorliegt, 
wenn  also  kein  suus  da  (oder  wenn  er  durch  Enterbung 
beseitigt  ist),  tritt  die  Notwendigkeit  ein,  daß  der  subjek- 
tive Wille  sich  selbst  durch   eigene   Übertragung  fort- 
setzt (Testament),  oder,  wenn  diese  fehlt,  durch  Anordnung 
des    Staates    übertragen    und    fortgesetzt    wird    (Intestat- 
erbfolge).   Daß  der  Intestaterbe  gleichfalls  dieselbe  Fort- 
setzung des  subjektiven  Willens  ist  ^vie  der  Testaments- 
erbe, zeigt  sich  außer  allem  anderen  schon  daran,  daß  er 
gleichfalls  vor  allem  die  sacra  singuli  hominis  perpetuieren 
muß.    Das  Intestaterbrecht  des  jus  civile  sucht  daher  die 
Willensfortsetzung   des   Toten   auf,   und   findet   es   keine 
unmittelbaren  Willensidentitäten  mit  ihm  (sui),  so  bestimmt 
es  nun  als  jene  Fortsetzer  die  mit  ihm  in  dieser  Willens - 
identität  Gewesenen,  d.  h.  die  Agnaten,  die  durch 
das   Gewaltband   früher   Geeinten.     Das    Intestaterbrecht, 
auf   welches   wir   uns   einstweilen   noch   unmöglich   näher 
einlassen  können,  hat  daher  inhaltlich  kein  selbstän- 
diges   und   kein   dem   testamentarischen    Erbrecht   ent- 
gegengesetztes, hat  kein  anderes  Prinzip  als  das  testa- 
mentarische selbst.    Es  ist  ein  Grundirrtum  von  Gans,  daß 
er   —  ein  Vor^vurf,   der  auch  alle  positiven  Juristen  in 
ganz  demselben  Grade  trifft  —  statt  sich,  wo  es  sich  um 
das   alte   jus   civile   handelt,   in   den   antik-römischen 
Geist  hineinzuversenken,   unbewoißt   von  relativ -modernen 
und   in   ihrer   Substanz   germanischen  Anschauungen   aus- 
gehend, das  römische  Intestatrecht  stets  auffaßt  als  eine 

325 


Pflicht  des  Toten  gegen  die  Hinterbliebenen, 
ihnen  sein  Vermögen  zu  hinterlassen,  während  es  um- 
gekehrt   begrifflich    zunächst    wurzelt    in    der    Pietäts- 
pflicht    der    Lebenden    gegen    den    Toten,    seine 
Willenssubjektivität  fortzusetzen    (eine   Pietätspflicht, 
die    eben    deshalb    bei    der    Nähe    des    suus    sogar   eine 
Zwargspf licht  ist),  Vermögen  und  Erbtum  über- 
haupt dem  römischen  Geiste  in  ihrem  Begriffe  durchaas 
nicht  identisch  sind  und  daher  auch  in  der  Wirklichkeit 
dt-rchaus   nicht   notwendig   zusammenfallen,   wie  wir   dies 
als  den  wahren  und  alleinigen  Schlüssel  zum  Wesen  des 
römischen    Zivilrechtes   außer   allen    Z^veifel    gesetzt    zd 
haLen   hoffen.     So   verkehrt   sich   für   Gans    —   und  dii 
Autoren  überhaupt  —  das  Intestaterbr2cht  in  einen  selb- 
siändigen  und  dem  Testament  als  dem  Prinzip  der  ,, reinen 
persönlichen,  auf  sich  beruhenden  Willkür"  gegenüber- 
stehenden   .Ausdruck    des    dieser    Willkür    entgegen- 
gesetzten substantiellen  Prinzips"  (I,  31  und  überall), 
in    ein    Prinzip    sittlicher    Familienliebe   und   der 
Anerkennung  ihres  Rechtes  auf  den  Vermögensnachlaß, 
obwohl   Gans   hierbei   doch  selbst   wieder   zugeben   muß, 
wie  dieses  angebliche  Prinzip  , .dieselbe  Härte  und  Lieb- 
lasigkeit",  dieselbe  „Hervorbringung  der  Willkür"  (S.  51 
und  a.  a.  O.)  ist,  wie  auch  das  testamentarische  Erbrecht, 
ein   Zugeben,    womit   nichts   anderes    zugegeben    ist,    als 
daß    dieser   ganze   Gegensatz    zwischen   Testaments-    und 
Intestaterbrecht  gar  nicht  stattfindet  und  ein  lediglich  von 
Gans  aus  heutigen  Anschauungen  supponierter  und  fingier- 
ter Gedanke  ist.  Wie  fremd  dem  römischen  Intestaterbrecht 
ein  solches   Prinzip   substantieller   Familienliebe   ist,   be- 
weist  gerade,    als   dasselbe   wirklich   beim    Untergang 
echtrömischer  Geisteswelt  —  beim  Untergang  der  Repu- 
blik   —   auflösend   hereinzubrechen   beginnt,    die    un- 

326 


gewisse,  zitternde  und  sich  selbst  verleugnende  unprinzipielle 
Form,  in  der  es  auftritt  (s.  was  wir  oben  sub  Nr.  X  über 
die  querela  inofficiosi  gesagt  haben).  Ebensowenig  wie 
das  Intestatrecht  inhaltlich  einen  selbständigen  Begriffs- 
gegensatz gegen  das  Testamentsrecht  bildet,  ebensowenig 
bildet  es  formell  einen  selbständigen  und  gleichberech- 
tigten Gegensatz  gegen  dasselbe,  wie  Gans  dies  als  das 
,, plebejische  und  patrizische  Prinzip"  charakterisierend 
darstellt.  Da  Erbtum  überhaupt  Fortsetzung  des  sub- 
jektiven Willens  ist,  so  ist  die  ihrem  Begriff 
adäquateste  Fortsetzung  diejenige,  die  durch  den  sub- 
jektiven Willen  selbst  gesetzt  ist,  und  es  wird  daher 
vorzüglicher  sein,  sogar  den  suus,  den  unmittelbar  seienden 
Willensfortsetzer,  lieber  selbst  einzusetzen,  um  zu 
zeigen^),  daß  dies  Verhältnis  des  unmittelbaren  Seins  vom 


^)  Besser  als  alle  Texte  der  römischen  Juristen  zu  zeigen 
vermöchten,  zeigt  ein  Fluch  bei  Plautus,  welchen  unendlichen 
Vorzug  im  römischen  Volksgeist  das  Testament  über  das  Be- 
erbtwerden ab  iniesiaio  hat,  auch  wenn  gar  nicht  darauf  Rück- 
sicht genommen  wird,  ob  nicht  nach  beiden  Systemen  dieselbe 
Person  Erbe  sein  würde.  Es  ist  der  Fluch  bei  Plautus,  Cure, 
V,  2,  24:  ,, Jupiter  te  male  disperdat,  intestatus  vivito."  (,,Daß 
Jupiter  dich  verderbe,  mögest  du  Intestatus  leben.")  Was  ist 
denn  das  nun  aber  für  ein  Unglück,  wenn  man  Kmder  oder 
Verwandte  hat,  die  ebenso  gut  ab  intestato  dran  kommen  wür- 
den, als  wir  sie  wohl  selbst  zu  Erben  einsetzen?  Wie  kann 
das  also  zum  Fluch  werden?  Man  versuche  doch  einmal  heut 
jemand  zu  fluchen :  ,, Mögest  du  ohne  Testament  sterben," 
und  sehe,  ob  ihm  das  einen  Eindruck  machen  wird !  Es  kann 
nur  da  zum  Fluch  werden,  wo  es  nicht  sowohl  darauf  an- 
kommt, wer  erben,  als  vorzüglich  wie  geerbt  werden  wird. 
Es  kann  nur  darum  zum  Fluch  werden,  weil  der  Intestaterbe 
als  solcher  nur  der  vorausgesetzte,  vermutete,  subsi- 
diäre Willenserhalter  des  Subjektes  und  darum  für  den  Volks- 
geisi  von  unendlich  geringerem  Wert,  von  unendlich  geringerem 

327 


subjektiven  Willen  selbst  gewollt  ist^).  Mit  anderen 
Worten :  das  Testamentserbrecht  ist  als  adäquateste  Er- 
Trost für  die  subjektive  Fortdauer  ist  als  4er  durch  aus- 
drücklichen subjektiven  Willen  Gesetzte  (vgl.  Nr.  VII  und 
Nr.  XL). 

Um  einem  etwaigen  Mißverständnis  vorzubeugen,  bemerken 
wir:  der  Fluch  bei  Plautus  wird  vom  Sprechenden  gegen  jemand 
ausgestoßen,  der  sich  geweigert  hatte,  ihm  als  Zeuge  bei  einer 
in  jus  vocatio  zu  dienen,  und  so  könnte  man  vielleicht  entgegnen 
wollen,  daß  das  intestatus  vivito  bloß  ganz  allgemein  heißen 
solle,  er  möge  auch  unbezeugt  leben,  keinen  Zeugen  finden. 

Allein  nach  unseren  früheren  Ausführungen  muß  schon  ein- 
leuchten, wie  dies  nur  auf  einem  Umweg  zu  demselben  Resultat 
führt.  Das  Testament  ist  eben  die  testatlo  mentis,  die  Be- 
zeugung, Offenbarung  des  Geistes.  Wer  niemals  einen 
Zeugen  findet,  kann  auch  diese  höchste  und  substanti- 
ellste Selbstbezeugung  nicht  vornehmen,  was  eben  erst  diesem 
zur  Strafe  für  die  Weigerung  ausgestoßenen  Wunsch  die 
innere  Gerechtigkeit  verleiht,  ihn  an  die  Weigerung  des  zum 
Zeugen  Ersuchten  anzuknüpfen  und  zugleich  andererseits  die 
von  dem  Sprechenden  offenbar  beabsichtigte  Wirkung,  etwas 
zwar  aus  der  Handlung  des  anderen  Folgendes,  aber  noch 
viel  Schwereres  ihm  anzuwünschen ;  was  also  erst  den 
Worten  die  schwere  Bedeutung  des  Fluches  und  der  Ver- 
wünschung  gibt   (vgl.   oben   S.  36,   Note   1). 

^)  Will  man  hierfür,  außer  dem  bekannten  ängstlichen  Wert, 
welchen  die  Römer  darauf  legen,  nicht  ohne  Testament  zu 
sterben,  selbst  wenn  sie  nur  dieselben  einsetzen,  die  auch  In- 
testaterben gewesen  wären,  noch  einen  besonderen  Beweis,  so 
tritt  er  auf  das  ausdrücklichste  in  dem  gesamten  Dlgestentitel : 
„Sl  quls  omissa  causa  testamenti  ab  intestato  vel  allo  modo 
possldeat  heredltatem"   (29,  4),   hervor. 

Gerade  in  seinen  Verschlingungen  mit  dem  prätorlschen  Recht 
kann  oft  der  wahre  Geist  des  Zivilrechtes  am  deutlichsten  sich 
kundgeben.  Denn  es  ist  für  das  gesamte  Verhältnis  des  prä- 
torlschen Rechtes  zum  jus  clvlle  hauptsächlich  wichtig,  immer 
festzuhalten,  wie  das  prätorische  Recht  nicht  nur  die  Auf- 
lösung und  Aufweichung  des  jus  clvlle  darstellt,  sondern 

328 


scheinung  des  Erbtums  überhaupt  mit  dem  Begriffe  des- 
selben identisch  und  darum  selbst  die  höhere  Ein- 


in  dieser  Auflösung  immer  noch  von  dem  Geist  des  jus  civile 
selbst  regiert  bleibt  (vgl.  Nr.  V,  IX  und  XL).  Der  besagte 
Digestentitel  richtet  sich  dagegen,  daß  die  eingesetzten  Erben, 
wenn  sie  zugleich  die  Intestaterben  sind,  die  Testamentserb- 
schaft prätermittleren,  um  die  Intestaterbschaft  anzutreten.  Es 
ist  dies  ihr  strenges  zivlllstlsches  Recht,  aber  es  ist  unbillig 
von  ihnen  gegen  den  Toten,  daß  sie,  statt  Ihm  die  ihrem 
Begriff  adäquateste,  die  vom  subjektiven  Willen  aus- 
drücklich gesetzte  Willenserhaltung  zu  geben,  ihm  nur 
die  vom  Staat  subsidiarisch  verordnete  geben,  aus  Rücksicht 
auf  Ihren  eigenen,  aus  der  Beseitigung  der  Legate  entsprin- 
genden Vermögens  vorteil.  Darum  tritt  hier  die  prätori- 
sche  Billigkeit  wieder  zugunsten  des  zivilistischen 
Erbbegriffes  ein  und  zwingt  diese  Intestaterben  das  Te- 
stament aufrecht  zu  erhalten.  (Ulplan,  L.  1  pr.  hoc 
tit. :  ,, Praetor  volunfafes  defunctorum  tnetiir  et  eorum  calli- 
ditati  occurrlt,  qui  omissa  causa  testamenti  ab  intestato  here- 
dltatem  partemve  ejus  possident  ad  hoc.  ut  eos  circumvenlant, 
quibus  quid  ex  judicio  defuncti  deberi  potuit,  si  non  ab  Intestato 
possideretur  hereditas  et  in  eos  actionem  polllcetur.)  Freilich 
ist  nichts  näher  liegender  und  plausibler,  als  auch  hier  wieder" 
die  Täuschung,  das  sei  bloß  eine  Billigkeit  gegen  das  Ver- 
mögensrecht der  bedachten  Legatare.  Aber  dies  ist  nur 
der  Schein;  sie  sind  wieder  nur  der  Boden,  auf  welchem 
sich  die  Rücksicht  auf  den  In  seiner  Ausdrücklichkeit  fort- 
exlstlerenden  erblasserischen  Willen  zeigt.  Man  wird  dies 
schon  nach  allen  bisherigen  Ausführungen  von  selbst  evident 
finden.  Aber  auch  sämtliche  reale  Bestimmungen  dieses 
Digestentitels,  die  wir  hier  freilich  nicht  analysleren  können, 
beweisen  dies;  oft  schimmert  es  selbst  aus  den  Worten  klar 
genug  her\or,  z.B.  Ulplan,  L.  1,  §  3  h-  t. :  ,,QuId  ergo,  si 
servus  ejus,  quum  juberetur  adire  hereditatem,  diclo  audiens 
non  fult?  Sed  compellendus  est  servus  hoc  facere;  ideoque 
dominus  ab  Intestato  veniens  In  Edictum."  Auf  die  innere 
Willensbeziehung  des  Erben  auf  den  erblasserischen  Wil- 
len kommt  alles  an,  nicht  auf  das  äußere  Recht  der  Legatare. 

32Q 


heit  seiner  und  des  Intestaterbrechtes,  oder,  wie 
die  römischen  Juristen  diesen  Satz  ausdrücken :  Intestat- 
erbrecht wird  erst  ganz  subsidiarisch,  wenn  die  Erb- 
folge auf  keine  Weise  mehr  aus  einem  Testament  ge- 
geben werden  kann,  verliehen.  (L.  39  de  acqu.  vel  om. 
her.  29,  2.)  In  diesem  Satze  zeigt  sich  auf  das  durch- 
schlagendste, daß  das  Intestaterbrecht  nicht,  wie  Gans* 
gesamter    Entwickelung    zugrunde    liegt,    ein    formell - 

Dies  tritt  nämlich  sofort  realiter  darin  hervor,  daß,  wenn  nur 
die  Willensbeziehung  des  Erben  auf  den  Erblasser  eine 
untadel hafte  war,  wenn  ci  also  z.  B.  von  dem  Sklaven  nicht 
in  Kenntnis  gesetzt  wurde  und  -o  die  Intestaterbschaft  antrat,  er 
niclu  unter  das  prätorische  Edikt  fällt  und  den  Legataren 
nichts  zu  leisten  braucht,  obgleich  doch  deren  Recht  und 
seine  Verkürzung  hier  ganz  dieselbe  ist;  Ulpian,  L.  1, 
§  4  h.  t.  :  ,,Sin  autem  nee  certioratus  est  dominus  a  servo,  et 
postea  ipse  ab  intestato  possedit  hereditatem,  non  debet  inci- 
dere  in  Edictum,  nisl  fingit  Ignorantiam."  Es  tritt  ferner  darin 
hervor,  daß,  wenn  etwa  der  Schein  entsteht,  das  Aus- 
schlagen des  Testamentes  geschähe  mit  dem  Willen  des 
Toten,  das  Edikt  nicht  zur  Anwendung  kommt,  dann  also  z.  B., 
wenn  ein  Erbe  prätermittiert,  der  vom  Testator  nicht  nur  in- 
stituiert,  sondern  auch  substituiert  war,  weil  durch  die  Sub- 
stitution der  Testator  selbst  den  Erben  zu  ermächtigen 
schien,  die  Institution  auszuschlagen  und  er  also  hierbei 
ein  anderes  Verhältnis  zu  seinem  Willen  hat,  als  wenn  er  sie 
nur  auf  Grund  des  ermächtigenden  Gesetzes,  resp.  seines  eigenen 
Rechtes  ausschlug;  L.  1,  §  5  h.  t. :  ,,Si  proponatur  idem  et 
institutus  et  substitulus,  et  praetermiserit  institutionem,  an  inci- 
dat  in  Edictum  quaeritur ;  et  non  puto  incidere  quasi  testator 
hanc  ei  dederit  facultatem,  qui  eum  substituit" ;  vgl.  L.  6  pr. 
§   1   h.  t. 

Die  Billigkeit,  mit  welcher  so  der  Prätor  den  zivilistischen 
Erbbegriff  gegen  das  formell-zivilistische  Recht  seiner  Beein- 
trächtigung aufrecht  hält,  findet  aber  auch  dem  testamentarisch 
eingesetzten  suus  gegenüber  statt,  der  sich  des  Testamentes 
enthält  und  ab  intestato  antritt;   L.    1,   §   7,   L.   23  h.   t. 

330 


selbständiger,  begrifflicher  und  darum  gleich- 
berechtigter Gegensatz  zum  Testamentserbrecht  ist,  sondern 
von  diesem  als  der  übergreifenden  Einheit  zu  einem 
untergeordneten  Momente  seiner  selbst  herabgesetzt  ist. 
Wie  kann  begrifflich  von  einem  prinzipiellen,  formellen 
begrifflichen  Gegensatz  die  Rede  sein,  \venn  das 
eine  Moment  dem  anderen  nicht  formell  und  gleichberech- 
tigt gegenübersteht,  sondern  von  diesem  selbst  zu  einem 
subsidiären  Dasein,  zu  einem  bloßen  Dasein,  falls  es 
selbst  nicht  da  ist,  also  zu  einem,  wenn  auch  gegen- 
sätzlichen Momente  seiner  eigenen  Einheit  herab.^ejwtzt 
ist  ?  Wie  kann  historisch  vom  Testaments-  und  Intestat- 
erbrecht als  dem  Gegensatz  des  „plebejischen  und  patri- 
zischen  Prinzips"  die  Rede  sein,  wenn  das  Intestaterbrecht, 
also  gerade  das,  was  das  patrizische  Prinzip  dar- 
stellen soll,  nur  subsidiarisch  gilt?  Wir  würden  so 
das  patrizische  Prinzip  als  die  untergeordnete, 
subsidiäre  Aushilfe  des  plebejischen  Prinzips 
ge\\innen ! !  Und  dieser  Satz,  daß  alles  Intestatrecht  nur 
subsidiarisch  in  Betracht  kommt,  läuft  doch  allermindestens 
bis  auf  die  Zeit  des  Zwölftaf elgesetzes  zurück !  Zu  so 
erstaunlichen  Irrtümern  muß  jedes  Philosophieren  auch 
den  Geist-  und  Verdienstvollsten  notwendig  treiben,  sobald 
es,  im  Abstrakten  stehen  bleibend,  den  konkreten  Be- 
griff verfehlt.  Das  Testamentsrecht  kann  somit  durchaus 
nicht,  wie  Gans  v/ill,  aus  dem  Intestatrecht,  und  aus  seinem 
Gegensatze  zu  diesem,  wohl  aber  dieses  aus  jenem 
erklärt  werden,  weil  jenes  eben  schon  selbst  die  Ein- 
heit beider  ist.  Das  Testamentserbrecht  kann  ebenso- 
wenig, wie  Gans  tut,  in  seiner  geschichtlichen  Be- 
wegung aus  dem  Intestatrecht  und  dem  Kampfe  mit  dem 
Prinzip  desselben  entwickelt  werden,  weil  eben  jener  Kampf 
gar  kein  prinzipaler,  sondern  zum  ruhigen  Gegensatze 

331 


innerhalb  der  Einheit  des  Testamentsrechtes  herabgesetzt 
ist,  also  gar  nicht  das  treibende  Moment  der  historischen 
Entwickelung  bildet.  Indem  nun  aber  die  Fortsetzung  und 
Identifizierung  des  subjektiven  Willens  nur  dann  eine 
wahrhaft  ihrem  Begriff  adäquate  ist,  wenn  sie  vom  sub- 
jektiven Willen  selbst  gesetzt  und  vollbracht  ist,  schließt 
jedes  Selbstsetzen  seiner  Identität  und  Fortsetzung  durch 
den  subjektiven  Willen  jede  durch  die  positiven  Gesetze 
des  Staates  nach  der  ihm  eigenen  allgemeinen  Ordnung 
aushilfsweise  als  solche  gesetzte  und  an- 
erkannte Fortsetzung  seiner  aus,  d.  h.  der  Wille  kann 
nicht  als  ein  aus  seiner  allgemeinen  Natur  zu  ergänzender 
gelten,  wenn  er  sich  selbst  gesetzt  hat  (=  alles  In- 
testaterbrecht gilt  nur  subsidiär)  oder,  was  dasselbe  ist 
und  mit  Notwendigkeit  daraus  hervorgeht :  der  subjektive 
Wille  kann  immer  nur  entweder  als  sich  selbst  setzen- 
der oder  als  ein  durch  den  Staat  gesetzter  vorhanden  sein. 
Denn  durch  sein  Selbstsetzen  hebt  er  jedes  Gesetzt- 
sein seiner  durch  andere  auf,  schließt  es  also  aus  (=  nemo 
pro  parte  testatus,  pro  parte  intestatus  decedere  potest). 
Pomponius  hat  also  recht,  zu  sagen  (L.  7  D.  de  reg. 
jur.  50,  17):  ,,earumque  rerum  naturallter  inter  sepugna 
est,  testatus  et  intestatus".  Man  hat  diesen  so  einfachen 
Satz  nie  zu  begreifen  vermocht,  obwohl  man  ganze  Bände 
über  ihn  geschrieben ;  man  hat  ihm  die  künstlichsten,  wider- 
sprechendsten und  gequältesten  angeblich  historischen  Aus- 
legungen gegeben^).    Das  war  wiederum  nur  die  einfache 


^)  So  erklärt  ihn  Haubold,  „De  causis  cur  idem  et  testato 
et  intestato  decedere  non  potest"  (Leipzig  1788),  mit  dem  be- 
liebten, von  der  Komitienform  des  Alten  Testamentes  herge- 
nommenen Räsonnement;  da  die  Intestaterbfolge  ein  Gesetz  ge- 
wesen sei,  das  in  den  Komitien  gemachte  Testament  aber  auch 
die  Form  eines  Gesetzes  gehabt  und  so  ein  Abgehen  von  jenem 

332 


Folge  davon,  daß  man  das  Erbrecht  immer  als  eine  Ver- 
mögensverfügung auffaßte.    Bei  dieser  Auffassung 


früheren  Gesetz  dargestelU  habe,  so  wäre  in  dieser  äußerUchen 
.Weise  der  Grundsatz  von  der  Unvereinbarkeit  beider  entstan- 
den.  Auch  wären  bei  den  sacris  die  Intestat-  und  Testaments- 
erben sonst  leicht  in  ein  mißliches  Verhältnis  gekommen.  End- 
lich habe  die  Form  des  Testamentes  per   aes  et  libram  die 
Manzipation  der  ganzen  Familie  verlangt   (warum?  Danach 
fragt  man  ja  eben!  Denn  freilich  fällt  die  letzte  begriffliche 
Antwort  auf  die  Frage,  warum  das  Manzipationstestament  diese 
Form  hat,  warum  es  über  das  ganze  Vermögen  verfügen  muß 
—  worauf  die  wahre  Antwort  ist:  weil  es  überhaupt  gar  nicht 
über  das  Vermögen,   sondern  nur  über  den  Willen  verfügt; 
s.  Nr.  VIII  —  auch  ganz  und  gar  mit  der  Frage  nach  der  Be- 
deutung des  obigen  Grundsatzes  zusammen).  —  Thibaut  (Civil. 
Abhandlungen,  S.  70  fg.)  widerlegt  daher  dies  alles  imd  will 
den   Grundsatz  bloß   aus  dem  buchstäbhchen  Anklammern   an 
das    Wort   intestato    im    Zwölftafelgesetz    herleiten,    wie    ganz 
ebenso  der  neueste  Autor  Jhering   (s.   oben  S-  308,   Note  1) : 
einen  innerlichen  Grund  habe  die  Regel  nicht.  Seuffert  (Archiv 
für  zivil.   Praxis,  III,   117  fg.)  begnügt  sich  zu  gestehen,  daß 
man  überhaupt  keine  befriedigende  Antwort  auf  die  Frage  geben 
kann.  Demburg  (Beiträge  zur  Geschichte  der  römischen  Testa- 
mente, S.  311  fg.)  beantwortet  sie  mit  der  Hauboldschen  pe- 
titio  principii  von  der  Form  des  Manzipationstestamentes.  Van- 
gerow  (Pandekten  [Marburg  1852],  II,  5)  erklärt  den  „Sinn" 
dieser  Regel  dahin:  ,,der  Sinn  dieser  Regel  ist,  daß  das  Testa- 
ment als  den  ganzen  Nachlaß  erschöpfend  angenommen  werden 
müsse"    usw.,   wobei   also   unter   ,,Sinn"    die   unmittelbare   und 
niemals  in  Streit  gewesene  Wortbedeutung  der  Regel  verstanden 
wird.  Ganz  genau  genommen,  ist  aber  nicht  einmal  diese  Wort- 
bedeutung richtig.  Denn  die  Regel  hat  nicht  den  Sinn,  daß  das 
Testament  selbst  als  den  Nachlaß  erschöpfend  ange- 
nommen werden,  sondern  daß  es  diese  forcierte  Wirkung 
haben  müsse.   Im  übrigen  meint  Vangerow  mit  Seuffert,  daß, 
wie  schon  Cujacius  früher  unterschieden  hat,  nur  ab  initio  nicht 
so   testiert   werden,   hinterher   aber   der   Testator   so   beerbt 

333 


mußte  dann  freilich  ganz  unbeg'-eiflich  bleiben,  warum 
nicht  der  eine  Teil  des  Vermögens  nach  Testament,  der 
andere  nach  Intestatrecht  sollte  geerbt  werden  können. 
Sowie  aber  der  Erbbegriff  als  die  identische  subjektive 
Willensfortexistenz  erfaßt  wird,  verschwindet  jede 
Schwierigkeit,  der  Satz  wird  vielmehr  zur  selbstredendsten 
logisch-notwendigen  Folge,  und  man  begreift,  daß  dem 
Römer  mit  Recht  jeder  Widerspruch  gegen  denselben  als 
etwas  ,, Absurdes"  (s.  Papinian,  L.  15,  §2,  de  inoff. 
test.  5,  2),  den  Denkgesetzen  Widerstreitendes  erscheinen 
muß.  Denn  der  Wille  ist  ein  ideeller,  in  sich  unteilbarer 
Akt.  Hat  der  Wille  sich  durch  eigenes  Setzen  s^ine 
Fortexistenz  bestimmt,  so  hat  er  durch  dies  Selbst- 
bestimmen  jeden  ihm  überhaupt  nur  aushilfs weise 
gegebenen  Fortsetzer  -^  eine  Ergänzung,  die  ja  nur  eben 
bei  seinem  eigenen  Schweigen  eintreten  kann  und  soll  — 
ausgeschlossen:   gilt  er  dagegen  als  ein  solcher,   der 


werden  könne  (vgl.  Huschke,  Rhein.  Mus..  VI,  298  fg.j; 
eine  irrige  Unterscheidung,  welche  nu.-  auf  der  nicht  verstandenen 
Ausnahme  der  querela  inofficiosi  beruht,  welche  sich  uns  unten 
(Nr.  XXVI)  ganz  anders  erklären  wird.  Über  den  Aufsatz  von 
Huschke  endlich  über  diese  Regel  (Rhein.  Mus.,  Bd.  6)  siehe 
ausführlicher  in  der  Beilage  zu  Nr.  XL. 

Aber  auch  die  Erklärung,  die  Gans  von  diesem  Grundsatz 
gibt,  der  in  ihm  die  Darlegung  des  Kampfes  der  beiden  sich 
gleichberechtigt  gegenüberstehenden  Sphären  des  Intestatrechtes, 
als  des  substantiellen  Prinzipes,  mit  dem  Testamentsrecht,  als 
dem  Prinzip  der  Willkür  sieht,  ist  nur  glänzender  und  geistvoller, 
aber,  wie  ^vir  später  genauer  sehen  werden,  um  nichts  wahrer 
als  die  vorhergehenden.  Hier  genügt  es,  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  daß  der  Grundsatz  gar  nicht,  wie  Gans  will,  einen 
Kampf  zwischen  Intestaterbrecht  und  Testaments  recht  aus- 
drückt, sondern  nur,  daß  ein  bestimmtes  Erbium  nicht  zu- 
gleich ab  intestato  und  durch  Testament  übertragen  werden 
könne. 

334 


in  dem  Falle  dieses  Schweigens  ist,  in  welchem  ihm  das 
Gesetz  den  Fortsetzer  bestimmt  hat,  so  kann  er  eben  sich 
nicht  durch  eigenes  subjektives  Setzen  Ausdruck  gegeben 
haben.  Jedes  schließt,  wie  die  Bestimmungen  von  positiv 
und  negati\',  wie  Reden  und  Schweigen  usw.,  das  andere  aus. 
Es  ist  somit  allerdings  ein  Gegensatz,  ein  ,, natürlicher 
Kampf",  wie  Pomponius  sagt,  zwischen  Testaments-  und 
Intestaterbrecht  vorhanden.  Beides  schließt  sich  so  not- 
wendig und  einfach  aus,  \vie  ich  dadurch,  daß  ich  durch 
ausdrückliche  Angabe  über  das,  worin  ich  mein 
Wesen  setze,  jede  stillschweigende  oder  durch  einen 
anderen  dieser  Selbstoffenbarung  gegebene  Ergänzung 
notwendig  ausschließe.  Aber  dieser  Gegensatz  ist  ein  ein- 
facher logischer  Verstandesgegensatz  innerhalb 
der  begrifflichen  Einheit;  dieser  Gegensatz  ist  ein 
kleiner  seitwärts  liegender  ruhiger  Kreis,  welchen  der  groß^ 
Kreis  des  römischen  d.  i.  testamentarischen  Ei'.:i- 
begriffes  als  der  Kontinuation  der  Willenssubjektivität  in 
seiner  Selbstentwickelung  wirft.  Dieser  Gegensatz  ist 
also  da,  aber  als  ein  untergeordneter  unJ  sein  Wesen 
nicht  in  sich,  sondern  in  einem  anderen  haber.cbr  als  ehr 
ruhige  Gegensatz  der  Ergänzung,  eine  Ergänzung,  dis, 
schon  als  Ergänzung,  notwendig  in  einer  begriff- 
lichen Einheit  mit  dem  zu  Ergänzenden  steht,  und  nur 
deshalb  zu  ihrem  Prinzipale  wieder  in  einem  aus- 
schließenden und  von  ihm  ausgeschlossenen  Ver- 
hälti  is  stehen  muß,  weil  die  Frage  beim  Testament  gar 
nicht  die  ist,  was  alles  gewollt  w^orden  ist  (d.  h.  welche 
Vermögensbestimmungen  getrofien  wurden:  hier 
wäre  eine  nicht  ausschließende  Ergänzung  zulässig),  son- 
dern ob  überhaupt  ausdrücklich  gev/ollt  worden  ist  (ob 
der  Wille  sich  selbst  den  Perpetuierer  erzeugt  hat)  eine 
nur  mit  Ja  oder  Nein  zu  beantwortende  qualitative  Frage. 

335 


Indem  nun  aber  Gans  aus  diesem  seitwärts  liegenden  unter- 
geordneten Kreise,  aus  dem  Gegensatz  von  Intestat-  und 
Testamentsrecht  das  Ganze  des  Erbrechtes,  seine  dogma- 
tische Gliederung  und  historische  Bewegung  erklären  will, 
gerät  er  dadurch  zu  demselben  in  die  Stellung,  die  jemand 
zu  einem  Bilde  hat,  das  er  von  der  Seitenfläche  desselben 
aus  betrachtet.  Alle  Linien  und  Konfigurationen  des  Ge- 
mäldes verschieben  sich,  und  selbst  das  Richtige  noch, 
was  m  seiner  Betrachtung  liegt,  nimmt  einen  schielen- 
den Charakter  an. 

Das  testamentarische  Erbrecht  hat  vielmehr  wie  das 
Prinzip  seiner  dogmatischen  Gliederung,  so  auch, 
wie  bereits  gezeigt  worden  ist,  das  seiner  treibenden  histo- 
rischen Bewegung  nirgends  anderwärts  als  in  seinem 
eigenen  spekulativen  Begriffe.  Der  Wille,  als  das  der 
realen  Außenwelt  gegenüberstehende  ideelle  Subjek- 
tive, muß  diese  seine  spekulative  Natur  auch  im  Erben 
zeigen,  indem  er  denselben,  diese  Spaltung  an  ihm  mani- 
festierend, der  Realität  des  Vermögensobjektes  gegenüber- 
stellt und,  ihm  nichts  als  den  inane  nomen  heredis  lassend, 
realiter  enterbt.  Gerade  in  dieser  Spaltung  hat  zugleich 
der  Erblasser  den  höchsten  Triumph  und  die  höchste  Ge- 
währ seiner  uninteressierten  reinen  Willensfortdauer.  Aber 
dieses  Interesse  des  Erblassers  findet  seinen  Gegensatz  am 
Interesse  des  Erben,  der,  an  sein  eigenes  Selbst  denkend, 
auszuschlagen  beginnt,  und  nun  entsteht  der  Kampf  wie 
die  Reibung  dieser  beiden  Selbst,  die  im  Erbtum  gerade 
identifiziert  werden  sollen,  als  das  entwickelnde  Moment 
der  geschichtlichen  Veränderung,  wie  wir  es  oben  dar- 
gestellt haben,  erzeugt  bei  fortschreitender  Abreibung  des 
spezifischen  Römertums  die  für  sich  abgesonderte  Berech- 
tigung der  Vermögensfolge  als  solcher,  als  die  außer- 
halb seiner,  des  zivilrechtlichen  Erbkreises,  liegende  prä- 

336 


torische  bonorum  possessio,  durchdringt  sich  in  den  mannig- 
faltigsten Verwickelungen  und  Verschlingungen  mit  diesem 
für  sich  selbständig  gesetzten  Prinzip,  und  übt  dieselbe 
gestaltende  Einwirkung  auch  auf  das  Intestatrecht  aus. 


XXIII.     Fortsetzung   der   Suität   und   ihrer   be- 
grifflichen Folgen.    Die  Vermittelung  und  ihre 
Dialektik. 

Wenn  aber  der  Begriff  des  suus  die  Unmittelbar- 
keit der  Willensidentität  ist,  so  ist  die  notwendige  Folge 
hiervon,  daß  dies  Willensverhältnis  nicht  als  ein  ver- 
mitteltes vorhanden  sein  darf.  Es  ist  also  eine  höchst 
spekulative  Konsequenz  des  Begriffes,  daß  die  Suität 
ausgeschlossen  ist,  wenn  noch  ein  Vermittler  vor- 
handen ist,  durch  welchen  der  in  der  Gewalt  Stehende 
mit  dem  Gewalthaber  zusammengeschlossen  und  vermittelt 
wird ;  d.  h.  der  Enkel,  der  der  suus  des  Großvaters  wäre, 
ist  es  nicht,  wenn  sein  Vater  beim  Tode  des  Groß- 
vaters noch  lebt  und  in  dessen  Gewalt  steht ■^).  Die 
Rechtfertigung  dieses  Satzes  liegt  vollständig  in  dem  Ge- 
sagten vor.  Aber  je  tiefer  man  ihn  betrachtet,  desto  mehr 
rechtfertigt  er  sich  und  unsere  obige  Begriffsentwickelung. 
Denn  wenn  der  suus  heres,  wie  wir  sagten,  nur  dies 
ausdrückt,  zum  Subjekt  und  Träger  seiner  eigenen 
Willenssubstanz  zu  werden,  so  kann  der  Enkel,  wenn 
beim  Tode  des  Großvaters  der  Vater  lebt,  nicht  suus 
sein,  weil  er  überhaupt  noch  nicht  Subjekt  (sui  juris), 

1)  Gajus,  Comm..  II.  §  156;  Paulus.  R.  S..  IV.  8.  §§  7 
und  8;  Inst..  §  2  de  hered.   quae  ab  int.  def.  (3.   1). 

22   LiisaUe.    Ge».  Sebriften.   Bona  XJ  337 


also  auch  nicht  Subjekt  seiner  eigenen  Willenssubstanz 
(suus  heres)  wird,  sondern  dies  Subjekt  noch  immer  nach 
wie  vor  in  einem  anderen,  dem  Vater,  behält.  Der  Enkel 
wird  also  nicht  zum  suus,  wenn  er,  mit  Enterbung  des 
Vaters,  vom  Großvater  eingesetzt  ist.  Denn  er  ist  dann 
immer  nur  gesetzter,  nicht  vonselbstdaseiender 
Erbe.  Er  wird  ebensowenig  —  unter  Voraussetzung  der 
justinianischen  successio  graduUxm  —  zum  suus,  wenn  der 
Großvater  ab  intestato  stirbt  und  dann  der  Vater  sich 
enthält^).  Denn  immer  erscheint  sein  Erbrecht  dann  durch 
den  Vater  vermittelt.  Indem  vielmehr  sein  Begriff  gerade 
dann  besteht,  nicht  vermittelt  zu  sein,  muß  die  Maxime 
sich  bilden  —  und  dies  ist  ihre  Bedeutung  — :  ,, successio 
in  5///s  heredibus  non  est"^). 

Aber  wenn  der  Vater  vor  dem  Großvater  gestorben, 
oder  nicht  mehr  in  seiner  Gewalt  steht,  dann  muß  der 
Enkel  ein  suus  sein.  Denn  die  Willensidentität  zwischen 
ihm  und  dem  Gewalthaber  ist  jetzt  nicht  mehr  eine  durch 
das  Dasein  des  Vaters  vermittelte.  Durch  das 
Ausscheiden  desselben  ist  aufgehobene  Vermittelung, 
also  zur  Unmittelbarkeit  zusammengesunlcene  Ver- 
mittelung vorhanden. 

Als  verschvv'undene  Vermittelung  hebt  dieselbe  den 
Charakter  der  durch  ihr  Verschwinden  hergestellten 
Unmittelbarkeit  nicht  auf,  und  die  zur  Zeit  des  Todes 
unvermittelt  in  der  Gewalt  stehenden  Enkel,  Urenkel 
und  Ururenkel  kömien  daher,  da  sie  jetzt  gleichfalls  un- 
mittelbare Willensidentitäten  mit  dem  Erblasser  sind,  durch 
einen  anderen  noch  lebenden  Sohn  des  Erblassers  nicht 


^)  Cujacius.    Obss..   III.   21,    ad   Africanum   L.    16    D.   ds 
post.  et  Üb. 

^)  Ulpian.   L.   1,  §  8,  de  suis  et  legit.  hered.   (28,  16). 

338 


ausgeschlossen  werden,  sondern  erben  trotz  des  näheren 
Grades  desselben  gleichzeitig  niit  ihm^),  und  zwar  eben- 
falls als  sui^). 

Allein,  wenn  die  gewesene  Vermittelung  die  durch 
ihr  Verschwinden  hergestellte  Unmittelbarkeit  auch  nicht 
hindert,  Unmittelbarkeit  zu  sein,  so  kann  es  doch  bei  kon- 
kreter Begriffserfassung  nicht  so  sein,  als  ob  die  ge- 
wesene Vermittelung  niemals  gewesen  wäre;  sondern 
als  gewesene  und  aufgehobene  Vermittelung  ist  sie  eben 
aufgehoben,  d.h.  als  verschwunden  in  der  Er- 
innerung aufgehoben  und  ideell  bewahrt.  Oder 
näher :  Der  tote  Sohn  hat  durch  sein  Ausscheiden  die 
von  ihm  Abstammenden  in  unmittelbare  Einheit  mit 
dem  Gewalthaber  gesetzt.  Aber  er  hat  eben  alle  von 
ihm  Abstammenden,  nicht  sie  als  einzelne  und  jeden 
insbesondere,  sondern  als  die  einheitliche  Be- 
stimmung der  durch  ihn  Vermittelten,  als  die  ein- 
heitliche Bestimmung  seiner  Deszendenz,  also  als 
eine  Einheit  unter  sich,  in  die  Unmittelbarkeit 
der  Beziehung  zum  Gewalthaber  gebracht.  Wenn  die 
einzelnen  als  solche  schon  früher  in  der  Gewalt  des  Groß- 
vaters, aber  in  der  vermittelten,  gestanden  haben,  so  ist, 
was  durch  das  Ausscheiden  des  Sohnes  in  die  Unmittel- 
barkeit der  Beziehung  zum  gewalthabenden  Großvater 
gekommen,  was  also  wirklich  und  allein  zum  suus  ge- 
worden ist,  diese  Einheit  der  Deszendenz  des  Aus- 
geschiedenen. Dieselbe  kann  also  nur  als  Einheit,  als 
ein  suus  erben,  wie  sie  nur  als  Einheit  zum  suus  ge- 


1)  Gajus,  Comm.,  III,  §  7;  Ulpian,  XXVI,  §  2;  Inst.. 
§  6  de  her.   quae  ab  int.    (3,   1). 

^)  Siehe  Acosta  (gegen  Cujacius),  Comm.  ad  Instit.  de 
hered.  quae  ab  int.,  No.  10;  L.  ult.  C.  de  liber.  praet.  vel 
exher.    (6.  28). 

22»  339 


worden  ist ;  oder  mit  anderen  Worten,  es  muß  Erbfolge 
in  stirpes,  nicht  in  capita,  eintreten  und  die  Enkel,  aus 
einem  toten  Sohne,  obwohl  sui,  zusammen  nur  soviel  er- 
halten, wie  jeder  lebende  Sohn^). 


XXIV.   Fortsetzung  der  Suität.    Die  Enterbung 
und   die   Präterition.     Die    Enterbungsformel. 

Der  suus  ist  also  unmittelbar  daseiender  Erbe. 
Allein  indem  der  Römer  dies  anerkennt,  konstatiert  er 
nur  gleichsam  eine  naturhistorische  Tatsache,  die 
aber  nicht  die  Bedeutung  haben  kann,  eine  Schranke 
für  die  römische   Geistesfreiheit  zu  bilden. 

Sie  kann  keine  solche  Schranke  bilden;  denn  der  sub- 
jektive Wille,  der  überhaupt  den  Inhalt  des  römischen 
Geistes  ausmacht  und  der  im  Erben  als  fortexistierend 
gesetzt  werden  soll,  ist  seinem  Begriffe  nach  eben  dies, 
an  alles  unmittelbare  Dasein  nicht  gebunden  zu  sein, 
sondern  sich  diesem  auch  gegenüberstellen  und  es  auf- 
heben zu  können.  Der  Begriff  der  Erbeinsetzung  for- 
dert es  also  absolut,  daß  ihre  Freiheit  eine  unbeschränlite 
sei,  daß  der  subjektive  Wille  seine  daseiende  Identität 
auch  aufheben,  auch  als  Nichtidentität  bestimmen 
kann.  Der  suus  muß  also  enterbt  werden  können.  Da 
der   suus   aber   das    unmittelbare    Dasein    des    erb- 


^)  Siehe  die  Stellen  oben  in  Anm.  1;  Ulpian,  a.  a.  0-: 
,,Si  defuncto  sit  filius  et  ex  altero  filio  mortuo  jam  nepos  unus, 
vel  etiam  plures,  ad  omnes  hereditas  pertinet,  non  ut  in  capita 
dividatur,  sed  in  stirpes,  id  est  ut  filius  solus  mediam  partem 
hfheat  et  nepotes  quotquot  sunt,   alterani  dimidiam." 

340 


lasserischen  Willens  ist,  so  muß  er,  wie  alles  unmittel- 
bare Sein,  wenn  es  nicht  sein  soll,  zuvor  auf  gshoban 
werden,  d.  h.  der  suus  muß,  um  nicht  Erbe  zu  sein, 
ausdrücklich  enterbt  werden.  Nicht  durch  bloßes 
Hinwegsehen  und  Ignorieren  beseitigt  sich  das  Seiende, 
welches  hierbei  vielmehr  nach  wie  vor  ein  Seiendes  bleiben 
würde;  es  muß  tätig  negiert,  ausdrücklich  auf- 
gehoben werden,  um  nicht  zu  sein,  und  der  bloß  prä- 
terierte  suus  bricht  daher  notwendig  das  Testament. 
Gajus,  II,  123  :  ,,Item  qui  filium  in  potestate  habet,  curare 
debet,  ut  eum  vel  heredem  instituat,  vel  nominatim  ex- 
heredet;  aiioquin  si  eum  silentio  praeterierit,  inutiliter 
testabitur."  Ulpian  XXII,  §  14 :  ,,Sui  heredes  instituendi 
sunt   vel  exheredandi." 

Der  Satz,  daß  der  suus,  obwohl  er  enterbt  werden  kann, 
das  Testament  besiegt,  wenn  er  bloß  übergangen  und  ein 
anderer  als  Erbe  eingesetzt  ist,  daß  also  zu  seiner  wirk- 
samen Beseitigung  die  Formel  der  exheredatio  unerläßlich 
ist,  ist  daher  keine  müßige  Form,  keine  ,,formalis(:iscne" 
Schrulle  des  römischen  Rechtes,  wofür  man  so  geiieigt 
sein  mußte,  ihn  zu  halten;  er  ist  ebensowenig,  wie  Gang 
meint ^),  ,, bereits  ein  Sieg  des  Familiensystems  über 
das  System  der  Willkür'",  indem  sich  das  letztere  dss 
ersteren  ,,als  der  ihm  eigentlich  vorgehenden  (  ! !)  Ord- 
nung erinnern  muß"");  er  ist  ebensowenig,  wie  Gans 

1)  Erbrecht.   II.  94. 

^)  Es  zeigt  sich  hier  wieder  recht  deutlich,  bis  zu  welcher 
Unwahrheit  und  zu  welchem  Widerspruch  gegen  alles  Positive 
jede  bloß  abstrakte  Begriff  sauf  fassung  sich  treiben  muß. 
Das  „Fämiliensystem"  als  die  dem  Testament  ,,ei gen t lieh 
vorgehende  Ordnung."  während  sie  doch  in  Wirklichkeit 
die  ihm  nachstehende,  nur  subsidiär  —  si  intestatus  moritur, 
sagt  das  Zwölf tafelgesetz  —  zur  Geltung  kommende  ist.  Das 
wirkliche   Recht  wird  damit  zum   Uneigentlichen,   und 

341 


ferner  meint  ^),  als  eine  ,,Ehre"  für  den  suus  und  anderer- 
seits wieder  als  eine  größere  „Härte  und  Grausamkeit" 
aufzufassen ;  er  ist  überhaupt  gar  nicht  psychologisch 
oder  menschlich  aufzufassen,  womit  man  sich  von  vorn- 
herein auf  einem  falschen  und  darum  notwendig  zu  falschen 
Resultaten  führenden  Weg  befände,  sondern  er  ist  einfach 
rein  logisch  aufzufassen,  als  das  Dasein  der  logischen 
Notwendigkeit,  daß  das  Unmittelbare,  wenn  es  nicht 
sein  soll,  tätig  aufgehoben  werden  muß. 

Sowohl  dies  wie  unsere  ganze  Begriffsentwickelung  des 
suus  empfängt  eine  neue  Bestätigung  durch  die  Formel 
der  Exheredation,  wie  denn  überhaupt  in  den  Formeln 
des  römischen  Rechtes  immer  in  graphischster  Kürze  und 
monumentaler  Gedrungenheit  der  ganze  echt  spekulative 
Begriff  liegt  und  durch  genau-wörtliche  Analyse 
herausgelöst  werden  kann.  Die  Formel  lautet:  ,,Titius 
filius  meus  exheres  esto"-).  Sie  kann  also  nicht  lauten: 
non  heres  esto.    In  dem  rxheres  liegt  aber,  wie  in  jedem 


schon  dadurch  allein  hätte  sich  für  einen  Philosophen  von  der 
Stärke  von  Gans  ergeben  sollen,  daß  in  dieser  Bezeichnung  des 
wirklich  Nachstehenden  als  des  eigentlich  Vorgehenden, 
und  umgekehrt,  eigentlich  nichts  anderes  heraustritt  als  die 
Verfehlung  des  eigentlichen  Begriffes  der  Sache.  —  Es  wird 
übrigens  wiederholt  erinnert,  daß,  wenn  \vir  vorzugsweise  Gans 
kritisieren,  dies  nur  deshalb  geschieht,  weil  er  eben  der  wür- 
digste und  den  positiven  Juristen  weit  überlegene  Gegner  ist. 

^)  A.  a.  O.,  S-  94  u.  105.  Gans  kommt  hierdurch  dahin, 
sagen  zu  müssen:  ,,Die  allgemeine  Qualität  als  Erbe 
hat  der  exheres  auch;  in  Beziehung  darauf  ist  es,  wie  schon 
gesagt  worden,  dieselbe  Ehre,  heres  oder  exheres  zu  sein." 
Hiernach  soll  also  dem  exheres  die  Qualität  als  Erbe  blei- 
ben, was  eine  ebenso  positive  Unwahrheit  ist,  wie  die  in  der 
vorigen  Note;  denn  die  exheredatio  ist  ja  eben  dies,  ihm  diese 
Qualität  zu  nehmen. 

2)  Gajus,   II.  §   127. 

342 


Kompositum  mit  ex,  der  genaue  Sinn,  daß  der  Zustand, 
der  verneint  wird,  der  bisherseiende  war,  der  jetzt 
nun  aufgehoben  und  beendigt  sein  soll,  während  non 
heres  esto  nur  das  künftige  Eintreten  der  hereditas 
verhüten  würde.  Es  tritt  also  in  dem  exheres  deutlich 
hervor,  daß  der  suus  schon  bis  dahin  Erbe  war^), 
daß  er  unmittelbar  daseiender  Erbe  war  und  dieser 
bereits  existierende  Zustand  daher  erst  gebrochen 
und  beendigt  werden  muß,  um  nicht  fortzudauern. 

Dieselbe  Konsequenz  tritt  nun  in  der  Stellung  heraus, 
welche  die  Exheredationsformel  im  Testamente  einzuneh- 
men hat.  Wir  haben  oben  gezeigt  (Nr.  V),  warum  die 
Erbeinsetzung  schlechthin  das  erste  sein  muß,  womit  das 
Testament  zu  beginnen  hat.  Denn  wenn  nicht  zuvor  durch 
den  Erben  das  nach  dem  Tode  fortexistierende  Dasein 
des  Willens  gegeben  ist,  kann  der  Wille  auch  keine  Äuße- 
rungen seiner  vornehmen.  Was  muß  nun  aber  vorher- 
gehen, die  Institution  des  Erben,  oder  die  Enterbung  des 
suus  ?  Die  Institution  des  Erben  muß  vorhergehen,  denn 
wenn  und  solange  der  Wille  nicht  seine  Fortdauer  hervor- 
gebracht hat,  kann  er  als  nicht  existierender  keine  Wir- 

^)  A.uch  beim  extraneus  heres  heißt  es  in  der  Kretionsformel : 
„Qiiod  iii  ita  creveris,  exheres  esto."  Aber  hier  ist  dies  ganz 
natürlich,  da  der  extraneus  durch  das  vorgängige  ,, heres  esto" 
in  den  Zustand  des  Erben  versetzt  worden  war.  Beim  suus  da- 
gegen hätte  dies  auffallen  müssen,  da  hier  keine  Einsetzung 
desselben  vorhergegangen  ist  und  somit  etwas  beendigt  wird, 
was  niemals  eingetreten  zu  sein  scheint. 

Dies  empfängt  nun  durch  den  ent-Nvickelten  Begriff  des  suus, 
als  seienden  Erben,  seine  befriedigende  Lösung,  und  es  zeigt 
sich  hierbei  wieder  deutlich,  wie  der  suus  als  die  daseiende 
Willensidentität  vor  und  ohne  Testament  schon  ganz  in 
derselben  Lage  ist,  in  die  der  exter  erst  durch  die  Einsetzung 
und  ihre  Annahme  kommt.  Der  exter  kann  daher  ohne  vorherige 
Einsetzung  nicht  exherediert  werden   (vgl.    Gajus,   II,    140). 

343 


kungen  und  somit  auch  keine  Enterbung  hervorbringen. 
Umgekehrt,  die  Enterbung  des  suus  muß  vorhergehen,  denn 
solange  der  daseiende  Willensträger  nicht  aufgehoben  und 
also  noch  vorhanden  ist,  kann  kein  anderer  an  seine  Stelle 
gesetzt  werden.  Die  Frage  ist  also  wegen  der  fiktiven 
Natur  der  Willenskontinuation  eine  notwendig  unlösbare, 
und  in  der  Verzweiflung,  eine  begriffliche  Entscheidung 
derselben  zu  erlangen,  entschließt  sich  daher  der  Römer, 
es  gleichgültig  sein  zu  lassen,  ob  Exheredation  oder 
Institution  einander  vorhergehen ;  nur  daß  beide  unmittel- 
bar aufeinander  folgen  und  den  Anfang  des  Testamentes 
bilden  müssen.  Ulpian^:  ..Qui  testatur,  heredis  insti- 
tutione  plerumque  debet  initium  facere  testamenti,  licet 
etiam  ab  exheredatione  quam  nominatim  facit ;  nam  Divus 
Trajanus  rescripsit,  posse  nominatim  etiam  ante  heredis 
institutionem  filium  exheredare^)." 


XXV.     Fortsetzung    der    Suität.     Die    Unter- 
schiede,   die    innerhalb    des    Suitätsbegriffes 
liegen,    als    erbrechtliche   Unterschiede    zwi- 
schen den  verschiedenen  sui. 

Aber  der  obige  Satz,  daß  der  suus  als  präterierter 
das  Testament  bricht,  muß,  den  Begriffsunterschieden 
entsprechend,  die  der  suus  in  sich  hat,  in  formeller  wie 
materieller  Hinsicht  sich  zu  einem  konkreten  Reichtum 
leiner  Unterschiede  entwickeln. 


1)  L.  1  de  her.  inst.  (28.  5). 

2)  Vgl.  L.  3,  §  3,  de  lib.  et  post.  (28.  2):  L.  3.  §  2. 
de  injusto  (28,  3). 

344 


Der  in  der  Gewalt  stehende  Sohn  ist  unmittelbare  und 
volle  Identität  mit  dem  Gewalthaber.  Er  schließt  eben 
deshalb,  wie  wir  sahen  (s.  Nr.  XXIII),  den  aus  ihm 
erlangten  Enkel  des  Großvaters  aus,  weil  er  selbst  durch 
dessen  Tod  das  berechtigte  Subjekt  eines  Willenskreises 
wird,  zu  dessen  Substanz  er  bisher  gehörte.  Er  ist  so 
das  wahrhafte  und  volle  Subjektwerden  der  bisherigen 
Willenssubstanz,  er  kann  der  suus  in  seiner  höchsten  Potenz 
genannt  werden,  und  seine  Identität  ist,  weil  sie  eine  den 
eigenen  Begriff  des  väterlichen  Gewalthabers  selbst  aus- 
füllende und  deckende  ist,  die  totale. 

Wenn  aber  der  filius  präteriert  ist,  so  muß  das  Testa- 
ment als  solches  durchaus  ungültig,  die  heredes  scripti 
als  non  scripti  zu  betrachten  sein,  und  der  suus  sukzediert, 
als  wenn  kein  Testament   vorläge. 

Aber  nicht  mehr  ganz  dasselbe  Verhältnis  wie  der  filius 
hat  die  filia  zum  Gewalthaber.  Zwar  ist  sie  gleichfalls, 
als  in  seiner  Ge^valt  stehend,  Willensidentität  mit  ihm 
und,  als  unvermittelt  in  diesem  Verhältnis,  unmittel- 
bare Identität;  sie  ist  deshalb  ebenfalls  sua,  wie  der  filius, 
denn  sie  stellt  gleichfalls  beim  Tode  des  Vaters  ein  Frei- 
und  Für  sich  werden  ihrer  eigenen  bisherigen  Willens- 
substanz dar.  Aber  wenn  sie  ebenso  unmittelbare 
Identität  mit  dem  Vater  ist,  wie  der  filius,  so  ist  sie  doch 
nicht  ebenso  totale  Identität  mit  ihm.  Denn  sie  stellt 
nicht,  wie  der  filius,  dies  dar:  zum  Subjekt  eines 
Willenskreises  werden  zu  können,  dem  sie  bisher  sub- 
stantiell angehörte.  Da  sie  als  Weib  niemand  in  ihrer 
Gewalt  haben  kann,  da  das  Weib  deshalb,  wie  der  Römer 
sagt,  Caput  et  finis  familiae  suae  ist,  so  stellt  sie  beim 
Tode  des  Vaters  nur  die  Vereinzelung  und  Auflösung, 
nur  das  für  sich  frei  werdende  Herausfallen  aus  dem 
substantiellen    Wirkungskreise,     nicht    aber    die 

345 


Fortsetzung  eines  bisher  durch  sie  hindurchgehenden 
identischen  Willenskreises  als  Subjekt  und  Träger 
desselben  dar.  Sie  hat  und  deckt  nur  die  eine  Seite 
des  im  Vater  vorhandenen  Willensbegriffes:  frei 
für  sich  zu  sein,  keinem  anderen  anzugehören.  Sie 
deckt  und  realisiert  nicht  die  andere  Seite  des  im  pater 
f amilias  vorhandenen  Willensbegriffes  :  Willenssubjekt 
einer  durch  ihn  hindurchgehenden  identischen  Willens- 
substanz, einer  Einheit  von  Willen  zu  sein.  Oder 
mit  anderen  Worten :  sie  erlangt  ihren  bisherigen  sub- 
stantiellen, durch  sie  hindurchgehenden  Willen  jetzt  in 
nur  subjektiver,  negativer  Weise;  seine  posi- 
tive, substantielle  Seite,  die  darin  besteht,  nicht  bloß 
isoliert  für  sich,  sondern  zugleich  positive  Identität  mit 
anderen  Willen  zu  sein  (und  die  darin  gerade  wieder  den 
höchsten  Triumph  der  Willenssubjektivität  bildet),  kann 
sie  als   Subjekt  nicht   fortsetzen-'^). 

Da  die  Tochter  also  nur  die  eine  der  beiden  Seiten 
deckt,  die  im  väterlichen  Willensbegriff  gegeben  sind,  ist 
sie  nur  die  Fortsetzung  der  Hälfte  seines  Wesens, 
oder  ihre  unmittelbare  Identität  mit  dem  Vater  ist 
nur  die  halbe^). 


^)  Der  weibliche  Wille  ist  deshalb  auch  seiner  eigenen 
unmittelbaren  Fortsetzung  nicht  fähig.  Das  Weib  kann  keinen 
suus  haben. 

^)  Die  aber  um  der  Unmittelbarkeit  der  Identität  willen 
deimoch,  wenn  der  Wille  des  Vaters  schwieg,  also  bei  der 
Intestaterbschaft,  jeden  Nicht-suus  ausschließen  muß.  Dieser 
halbe  Charakter  der  Identität  kann  also  nur  in  Betracht  kom- 
men: entweder  einem  ebenso  unmittelbaren  Erben  gegenüber, 
und  dies  tut  er  stets,  da  natürlich,  wenn  auch  nur  ein  suus 
vorhanden,  die  Tochter  ab  intestato  immer  nur  die  Hälfte  erben 
kann,  oder  aber  dem  eingesetzten  Erben  gegenüber,  der, 
wenn  er  einmal  rite  eingesetzt  ist,  ebenso  gut  Erbe 

346 


Von  einer  anderen  Seite  her  tritt  dasselbe  Resultat 
notwendig  aber  auch  beim  Enkel  ein,  und  zwar  fließt 
es  hier  aus  demselben  Begriff smoment,  das  wir  schon 
oben  (S.  337 fg.)  aufgezeigt  haben,  daß  nämlich  die  Ver- 
mittelung,  in  welcher  der  Enkel  durch  seinen  Vater 
zum  Großvater  steht,  durch  das  Ausscheiden  des  Vaters 
zur  gewesenen,  aufgehobenen  Vermittelung  und  also 
zur  hergestellten  Unmittelbarkeit  der  Willensidentität 
wird,  daß  aber  die  gewesene  Vermittelung  nicht  zu 
einer  solchen  wird,  die  niemals  gewesen,  die  auf- 
gehobene Vermittelung  vielmehr  eben  deshalb  auch 
wahrhaft  aufgehoben,  d.  h.  ideell  aufbewahrt, 
bleibt,  und  dieser  als  Erinnerung  an  der  neuen  Unmittelbar- 
keit haftende  und  fortbestehende  ideelle  Charakter  sich 
daher  auch   zu   seinen   realen   Folgen   treiben   muß. 

Diese  Folgen  zeigen  sich  sehr  deutlich  beim  Vergleich 
des  begrifflichen  Verhältnisses  zwischen  Sohn  und  Enkel 
zum  Großvater,  wie  es  im  Intestatrecht  hervortritt. 

Der  Sohn  ist  die  unmittelbare  Willensidenti- 
tät mit  dem  Gewalthaber  als  solche.  Er  ist  daher  der 
ausschließende  Erbe  desselben,  der  ausfüllende, 
totale  Erbe,  der  keinen  Platz  neben  sich  läßt.  Denn 
er  duldet  nichts,   was  nicht  in  derselben   Unmittel- 


ist.  wie  der  suus,  so  daß  die  Frage  nur  die  ist,  ob  er  rite 
eingesetzt  war,  d.h.  ob  ein  Platz,  eine  logische  Mög- 
lichkeit zur  Einsetzung  (ohne  Exheredation)  vorhanden  war, 
und  welcher  Platz?  Dies  ist  durch  die  Halbheit  jener 
Identität  gegeben.  Aber  bei  der  Intestatfolge,  wo  also  über- 
haupt nicht  eingesetzt  worden,  der  vorhandene  Platz  nicht 
benutzt  worden  ist,  muß  natürlich  die  Unmittelbarkeit 
der  Willensfortsetzung  der  bloß  subsidiären  Aushilfe  ge- 
genüber, also  die  filia  dem  Agnaten  gegenüber,  ausschließend 
^\irken.  —  Dasselbe  gilt  bei  der  folgenden  Erörterung  über 
den  Enkel. 

347 


barkeit  der  Beziehung  zum  Gewalthaber  steht,  nichts, 
was  nicht  gleichfalls  filius  oder  filia  ist.  Den  aus  ihm 
selbst  erzeugten  Enkel  schließt  er  aus  von  jener  Un- 
mittelbarkeit der  Identität,  die  ganz  von  ihm  ausgefüllt 
ist.  Zwar  teilt  er  als  einzelner  filius  mit  einem  «mderen 
filius  oder  filia.  Aber  so  teilt  er  nur  wieder  mit  sich 
selbst.  Der  Begriff,  die  Kategorie  des  Sohnes 
schließt  jeden  anderen  Erben  aus.  Zwar  teilt  er  auch  mit 
dem  Enkel  aus  einem  anderen  ausgeschiedenen  Sohne. 
Aber  hierbei  tritt  das  Gesagte  nur  um  so  deuilicher  hervor. 
Denn  er  teilt  mit  dem  Enkel  nur,  sofern  dieser  nicht 
Enkel  ist,  sondern  den  Begriff  des  gewesenen  Sohnes 
erinnernd  in  sich  darstellt  (repräsentiert).  Dies 
zeigt  sich  daran,  daß,  wenn  mehrere  Enkel  aus  dem 
gewesenen  Sohne  vorhanden  sind,  der  filius  nicht  zu  ihnen 
als  einzelnen,  also  nicht  zu  ihnen  als  Enkeln  —  denn 
Enkel  ist  jeder  einzelne  von  ihnen  —  ein  Verhältnis 
hat,  sondern  sie  alle  zusammendrückt  auf  den  Begriff  des 
einen  Sohnes,  den  sie  ideell  in  sich  darstellen  (Erb- 
folge der  sui  in  stirpes,  s.  oben  S.  339),  und  sie  ihm  also 
nur  qua  filius  gegenüberstehen.  Es  bleibt  also  wahr,  daß 
die  Kategorie  des  Sohnes  um  der  Unmittelbarkeit  ihrer 
Identität  willen  keinen  cinderen  Erben  neben  sich  duldet. 
Nicht  dies  ist  die  Stellung  des  Enkels.  Er  ist  nicht 
selbständiger  Erbe,  denn  er  ist  ausgeschlossen  durch 
den  noch  lebenden  filius,  dessen  Sohn  er  ist.  Er  hat 
auch,  insofern  dieser  aus  der  Gewalt  ausgeschieden  und 
er  selbst  also  zum  suus  wird,  noch  Raum  neben  sich  für 
einen  anderen  Erbbegriff  als  den  seinigen;  denn  er 
muß  mit  dem  filius,  der  kein  Enkel  ist,  teilen.  Ja,  er 
kommt  überhaupt  nur  dadurch  zum  Erbbegriff,  daß  er 
nicht  als  er  selbst,  als  Enkel,  auftritt,  sondern  auf 
einen  anderen  Begriff  als  den  seinigen,  auf  den  Repräsen- 

348 


tanten  des  filius  in  ihm,  hinweist.  Es  liegt  daher  wesent- 
lich im  Erbbegriff  des  Enkels,  nicht  ausschließen- 
der Erbe  zu  isin,  sondern  noch  Platz  für  einen  anderen 
Erobegi-iff,  für  eine  andere  Erbkategorie  neben  sich 
zu  haben. 

Oder  um  dasselbe  Moment  formeller  zu  ent\vickeln : 
Durch  das  Ausscheiden  des  Sohnes  ist  die  Identität  des 
Enkels  mit  dem  Großvater  als  aufgehobene  Vermitte- 
lung  zwar  hergestellte  Unmittelbarkeit  geworden, 
und  so  ist  der  Enkel  ein  suus.  Aber  aufheben  heißt 
ja  wieder:  vermitteln,  und  bestehe,  in  welcher  Gestalt 
es  auch  auftrete,  tatsächlich  in  einem  tätigen  Akt  der 
Vermittelung.  Diese  sich  hier  erhebende  Dialektik  des 
Begriffes  bev.irkt  daher,  daß  die  Identität,  in  welcher 
der  Enkel  jetzt  zum  Großvater  steht,  als  eine  gedoppelte 
erscheint:  als  eine  unmittelbare,  denn  die  Vermitte- 
lung ist  aufgehoben;  als  eine  vermittelte,  denn  dieses^ 
Aufheben  war  selbst  ein  neues  Vermitteln. 

Indem  diese  Unmittelbarkeit  also  nur  einerseits  eine 
unmittelbare,  andererseits  aber  wieder  eine  ver- 
mittelte ist,  bestimmt  sie  sich  für  den  Verstand  im 
Widerstreit  dieser  beiden  Seiten  zur  halben  Unmittel- 
barkeit. 

Wenn  also  bei  der  Tochter  die  Identität  mit  dem 
Willensbegriff  des  Vaters  nur  die  halbe  war,  so  ist 
hier  beim  Enkel  zwar  die  Identität  die  totale  —  denn 
der  Enkel  kann  pater  familias  sein  — ,  aber  dafür  die 
Unmittelbarkeit  der  Identität  nur  die  halbe. 

Weil  also  die  Willensidentität  oder  resp.  die  Un- 
mittelbarkeit derselben,  in  welcher  sich  Tochter  und 
Enkel  zum  Gewalthaber  befinden,  nur  die  halbe  ist, 
sind  sie  nicht  in  dem  Sinne  ausschließende  Erben  wie 
der  filius,  sondern  lassen  neben  sich  einen  ideellen  Platz, 

349 


eine  Möglichkeit  für  eine  Erbeinsetzimg,  einen  Platz,  aus 
welchem  sie  nicht  erst  durch  formelle  Exheredation 
ausgetrieben  zu  sein  brauchen,  um  die  Erbeinsetzung 
wirksam  vornehmen  zu  können. 

Wenn  daher  der  präterierte  Sohn  als  die  unbeseitigte 
und  den  Willensbegriff  des  Gewalthabers  in  totaler  Gleich- 
heit und  vollster  Unmittelbarkeit  ausfüllende  Willens- 
identität keinen  anderen  Erben  dulden  kann^),  und  des- 
halb das  Testament  annulliert,  so  wird  eine  ganz  andere 
Folge  eintreten  m.üssen,  wenn  der  präterierte  suus  eine 
Tochter  oder  ein  Enkel  ist.  Es  wird  nämlich  in 
strenger  Konsequenz  des  entwickelten  spekulativen  Be- 
griffes die  Folge  eintreten  müssen,  daß  auch  die  Willens - 
einsetzung,  wie  gezeigt,  bestehen  muß,  da  Tochter 
oder  Enkel,  weil  ihre  Identität  oder  resp.  die  Unmittel- 
barkeit ihres  Daseins  nur  die  halbe  ist,  auch  ohne 
ausdrückliche  Aufhebung  ihrer  unmittelbaren  Iden- 
tität (ihres  Erbtums,  ihrer  Suität)  noch  eine  logische 
Möglichkeit,  einen  ideellen  Raum,  für  die  durch  subjek- 
tives Setzen  hervorzubringende  Identifizierung  des  von 
ihnen  nicht  ganz  oder  doch  nicht  ganz  unmittelbar 
ausgefüllten  gewalthaberischen  Willens  übrig  lassen ;  daß 
also  einerseits  die  testamentarische  Erb- 
einsetzung gültig  bleibt;  daß  aber  andererseits 
auch  diese  präterierten  sui  um  der  in  ihnen  vorliegenden 
Unmittelbarkeit  willen  von  selbst  als  Erben  her  vor- 
schießen, als  unmittelbar  vorhandene  Willensidentitäten 
den  gesetzten  Willensidentitäten  anwachsend;  und 
daß  sie  endlich,  in  diesem  Anwachsen  genau  den  Raum 
einnehmend,  der  ihnen  nach  ihrem  entwickelten   Begriffe 

^)  Vgl.  Ulpian,  XXII,  16:  ,,Ex  suis  heredibus  filius  qui- 
dem  neque  heres  institutus  neque  nominatim  exheredatus,  nori 
patitiir  valere  lestamentum." 

350 


zukommt,  jene  eingesetzten  Erben  auf  den  Raum  zu- 
sammendrücken, der  von  ihrem  eigenen  konkreten  Be- 
griffe für  jene  übrig  gelassen  wird. 

Und  genau  so  berichtet  Gajus,  einen  der  glän- 
zendsten Beweise  für  die  fast  wunderbare  spekulative  Kon- 
sequenz des  alten  Zivilrechtes  gebend,  II,  124:  ,,Ceteras 
vero  liberorum  personas"  (andere  nämlich  als  der  filius) 
,,si  praeterient  testator,  valet  testamentum ;  praeteritae  istae 
personae  scriptis  heredibus  in  partem  adcrescunt ..." 

Aber  welches  ist  der  ihnen  gebührende  quantitative 
Raum  ?  Es  ist  dies  durch  die  obige  Begriffsentwickelung 
bereits  gegeben.  Nur  sind  zwei  Fälle  zu  unterscheiden. 
Die  eingesetzten  Erben  können  gleichfalls  sui  sein, 
oder  aber  sie  können  extranei  sein. 

Sie  sind  gleichfalls  sui,  so  sind  sie  dasselbe,  was 
der  präterierte  suus  ist.  Hier  findet  dann  also  kein  Ver- 
hältnis von  Begriff  zu  Begriff,  von  Kategorie  zu  Kategorie 
statt,  die  vielmehr  dann  nur  die  durch  alle  gleichmäßig 
hindurchgehende  identische  ist.  Die  eingesetzten  Erben 
und  der  präterierte  müssen  sich  also  hier  zueinander  ver- 
halten wie  einzelne  zu  einzelnen,  von  denen  jeder 
dasselbe,  was  der  andere  ist,  d.  h.  alle  einzelnen  müssen 
erben  zu  gleichen  Teilen  nach  der  Kopfzahl,  pro  parte 
virili. 

Sind  aber  die  eingesetzten  Erben  extranei,  so  tritt  erst, 
indem  sie  etwas  anderes  sind  als  der  präterierte  suus, 
der  Begriff  desselben  in  seine  deutlichste  unterschei- 
dende Existenz.  Denn  er  muß  sich  dann  zu  ihnen  ver- 
halten wie  Begriff  zu  Begriff,  wie  Kategorie  zu 
Kategorie.  Als  unmittelbar  vorhandene  Willens- 
identität, die,  ohne  aufgehoben  zu  sein,  einer  erst  gesetzten 
Identität  gegenübersteht,  muß  daher  hier  der  präterierte 
suus  (Enkel  oder  Tochter)  zuvor  allen  Raum  einnehmen, 

351 


der  dem  nichtexheredierenden  Setzen  des  Testators  gegen- 
über in  notwendig  gegebener  Weise  durch  seinen  eigenen 
Begriff  schon  ausgefüllt  ist;  nur  was  dann  noch  übrig 
bleibt,  für  die  Einsetzung  der  fremden  Erben,  wieviel  ihrer 
auch  sein  mögen,  offen  lassend.  Der  Präterierte  muß 
also,  weil,  wie  wir  vorher  sahen,  —  bei  der  Tochter  — 
die  Identität  mit  der  Willenssubjektivität  des  Gewalt- 
habers, oder  —  beim  Enkel  —  die  Unmittelbarkeit 
der  Willensidentität  die  halbe  ist,  vor  allem  diese  von 
ihm  schlechthin  ausgefüllte  Erbtumshälfte  behaupten, 
der  freien  Willenseinsetzung  des  Testators  nur  in  der 
anderen  von  ihm  nicht  notwendig  durchdrungenen  Hälfte 
weichen,  und  daher  alle  eingesetzten  Erben,  so- 
viel deren  auch  sein  mögen,  auf  die  andere 
Hälfte  der  Erbschaft  zusammendrücken. 

Und  so  fährt  denn  Gajus  in  der  angeführten  Stelle 
unmittelbar  fort:  ,,in  partem  adcrescunt,  sisull/istitiitisint, 
in  virilem;  si  extranei,  in  dimidiam;  id  est  si  quis  tres 
verbi  gratia  filios  heredes  instituerit  et  filiam  praeterierit, 
filia  adcrescendo  pro  quarta  parte  fit  heres  .  .  .  habitura 
esset ;  at  si  extraneos  ille  heredes  instituerit  et  filiam 
praeterierit,  filia  adcrescendo  ex  dimidia  parte  fit  heres ; 
quae  de  filia  diximus,  eadem  et  de  ncpote  deque  ommbus 
liberorum  personis,  sive  masculini  sive  feminini  sexus,  dicta 
intelligimus."  Und  ebenso  Ulpian,  XXII,  17:  ,,Reliquae 
vero  personae  liberorum  velut  filia,  nepos,  neptis,  si  prae- 
teritae  sint,  valet  testamentum,  scriptis  heredibus  adcrescunt, 
suis  quidem  heredibus  in  partem  virilem,  extraneis  autem 
in  partem  dimidiam." 


352 


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