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GESAMMELTE
REDEN UND
SCHRIFTEN
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FERDINAND LASSALLE
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GESAMMELTE REDEN
UND SCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN
UND EINGELEITET
VON
EDUARD BERNSTEIN
VOLLSTÄNDIGE AUSGABE
IN ZWÖLF BÄNDEN
VERLEGT BEI PAUL CASSIRER BERLIN
1920
FERDINAND LASSALLE
GESAMMELTE REDEN
UND SCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN
UND EINGELEITET
VON
EDUARD BERNSTEIN
ELFTER BAND:
DAS SYSTEM DER ERWORBENEN RECHTE
11,1
VERLEGT BEI PAUL CASSIRER, BERLIN
1920
ALLE RECHTE VORBEHALTEN
DRUCK VON OSCAR BR ANDSTETTER, LEIPZIG
INHALTSVERZEICHNIS DES ZWEITEN
TEILES.
Seite
I. DAS WESEN DES RÖMISCHEN ERB-
RECHTES 9
I. Der Begriff des römischen Erbtumes ... 22
II. Die Sacra und ihre Beziehung zum Erbtum.
Der Wechsel im Pontifikalrecht 47
III. Die Sacra und die beiden Theorien derselben
in der Stelle des Cicero, De leg., II, 19 — 21.
— Die historische Entwickelung der Sakral-
theorie 61
IV. Die römischen Definitionen des Testamentes.
Die offenbarte Innerlichkeit. Ehre und Haß.
Die Sphäre der geistigen Freiheit 83
V. Die Erbeinsetzung. Das Testament als Wille
des Erben. — Die bonorum possessio ... 88
VI. Die Spaltung. Das reale Hervortreten der
Momente der Idee 96
VII. Die Spaltung und das Moment der Reibung.
Der geschichtliche Verlauf desselben. Die lex
Furia, lex Voconia, lex Falcidia 102
VIII. Das foraielle Gesetztsein der Momente der
Idee. Das testamentum per aes et libram. Seinfe
Selbstentwickelung zum prätorischen Testament 143
IX. Das Fideikommiß und seine geschichtliche Ent-
wickelung 166
X. Die testameniifactio und ihre Bedingxmgen. Das
Testament ein Produkt des historischen Geistes-
begriffes des römischen Volkes, und die testa-
mentifactio darum juris publici. — Die querela
inofficiosi 197
5
Seite
XI. Fortsetzung der Bedingungen der testamenti-
f actio. Der filius. Die Pubertät 218
XII. Fortsetzung der Bedingungen der testamenti-
factio. Das Wissen 225
XIII. Unzulässigkeit der ungewissen Erbeinsetzung.
Die kaptatorische Einsetzung. Die bedingte
Einsetzung. Die objektive und die Willens-
bedingung 227
XIV. Das Legat ' . . 233
XV. Das Vindikationslegat. Seine Wirkung, quiri-
tarisches Eigentum zu bilden. Der Testator ein
Gesetzgeber. Die Sabinianer und Prokulejaner.
Der Tote stärker als der Lebende. Das be-
dingte Vindikationslegat. Die Kontroverse der
beiden Schulen und ihr Ergebnis. Die quiri-
tarische Sache und die Quantität. Die Ak-
kreszenz 236
XV'. Das Vindikationslegat als Präzeptionslegat . 257
XV''. Der Widerspruch des Vindikationslegates und
seine Selbstentwickelung zum Damnationslegat 260
XVr. Das Damnationslegat als das seinem Be-
griff adäquate Legat (optimum jus legati).
Die bonitarische Sache. Der Eigentumsüber-
gang der per damnationem legierten Sache durch
Manzipation, in jure cessio oder Tradition . . 263
XVI^ Das Damnationslegat als das reale Gesetzt-
sein der Momente des Erbbegriffes, in seinen
drei Formen: als Legat der dem Erben ge-
hörenden Sache, als legatimi rei alienae und als
legatum rei futurae. — Die Akkreszenz . . . 268
XVII. Das Damnationslegat als das auf den Erb-
begriff, und damit auf die Totalität der
Erbschaft bezogene Legat, oder das legatum
partitionis. — Der heres ex ccrta re . . . .272
XVIII. Die Selbstaufhebung des Damnationslegates.
Das Gesetztsein seiner Widersprüche, oder das
legatum sinendi modo 278
Seite
XIX. Die historische Entwickelung des Legates. Das
SC. Neronianum und Justinian 290
XX. Die Operation des Begriffes seitens des Erben.
Rückblick auf den allgemeinen Begriff . . . 300
XXI. Der Erbe. Der suus heres oder der Erbe
seiner selbst. Der Begriff der Suität. Das
Zwölf tafelgesetz und die Definitionen der Römer 302
XXII. Erste Andeutung des Verhältnisses des testa-
mentarischen zum Intestaterbrechte. Der Satz
nemo pro parte testatus usw. Der suus als die
indifferente Mitte von testamentarischem und
Intestatrecht 323
XXIII. Fortsetzung der Suität und ihrer begrifflichen
Folgen. Die Vermittelung und ihre Dialektik 337
XXIV. Fortsetzung der Suität. Die Enterbung und die
Präterition. Die Enterbungsformel 340
XXV. Fortsetzung der Suität. Die Unterschiede, die
innerhalb des Suitätsbegriffes liegen, als erb-
rechtliche Unterschiede zwischen den verschie-
denen sui 344
XXVI. Der suus und der Grundsatz nemo pro parte
testatus usw. Fortsetzung der Erörterung über
das Verhältnis des Intestaterbrechtes zum testa-
mentarischen. — Die Dialektik des Begriffes
als Ursache der quantitativen Erbteils-
unterschiede bei Einsetzung und Präterition des
suus 353
XXVII. Die Unterschiede in der Exheredationsformel
und die Legatshinzufügung 360
XXVIII. Der necessarius heres oder der als ein an-
derer gesetzte Erbe; der Sklave. — Der Über-
gang zum extraneus heres oder dem Erben über-
haupt 363
XXIX. Der bedingte suus oder der Übergang des suus
in den extraneus heres 376
XXX. Die Erbfähigkeit und ihre Bedingungen. —
Der Zeitpunkt der Fähigkeit. Die lex Papia
und die apertura tabularam 381
7
Seite
XXXI. Die Erbfähigkeit und ihre Bedingungen; die
incerta persona. Die geistige Individualität , . 390
XXXII. Die Unteilbarkeit und Teilbarkeit des Erbtums 398
XXXIII. Die Erbunfähigkeiten der lex Julia und Papia
Poppaea. Der Unterschied im Zejtpunkt der
Fähigkeit. Der Begriff der Kaduzität . . . 403
XXXIV. Die Identifikationshandlung des Erben. Die
Adition und ihre Bedingungen. Das spekulative
Wissen und sein Umfang 408
XXXV. Die exceptio doli im Erbrecht 440
XXXVI. Einzelne Folgerungen. Die hereditatis petitio.
Die persönlichen Rechte. Die Stellung des Irr-
tums im Gebiet des Erbrechtes überhaupt . . 452
XXXVII. Die Identifikation seitens des Erben; Fort-
setzung. Der Wahnsinnige und das Kind . . 477
XXXVIII. Die Delation und das Wissen 482
XXXIX. Das jus adeundi. Die Transmission. Das SC.
Silanianum. Das Karbonianische Edikt. Die
transmissio Theodosiana und Justinianea . . 490
XL. Der konkrete Begriff des zivilen Intestaterb-
rechtes und die Zwölf Tafeln. — Die alte
usucapio pro berede. — Der Übergang zur
prätorischen bonorum possessio 511
Beilage zu S. 520 646
XLI. Die religiöse Substanz und die pelasglsch-etrus-
kische Vorzeit 687
XLII. Schluß 747
II. DAS WESEN DES GERMANISCHEN ERB-
RECHTES 757
I.
DAS WESEN DES RÖMISCHEN
ERBRECHTS
Wenn \vir jetzt dazu übergehen, den Beweis für die
schon in Bd. I, § 2, A., assertorisch vorausgeschickte
Behauptung zu erbringen, so werden wir hierdurch die
letzte Quader aufgerichtet haben, auf welcher das Ge-
bäude unserer Theorie beruht, und den letzten Anschein
zerstört haben, als gäbe es irgendwelche erworbene
Rechte, die nicht aus der eigenen individuellen
Willensaktion des Berechtigten entspringen.
Zv.-ar stellt sich, den Erblasser anlangend, die Erb-
schaft zunächst auch schon ganz äußerlich als eine ^illens-
aktion desselben dar, indem sie entweder auf einer testa-
mentarischen Willenserklärung desselben beruht, oder
aber von der Intestaterbschaft — da, wo diese nur
beim Unterlassen testamentarischer Verfügung eintritt —
gesagt werden kann, daß sie nur durch den (unterlassenen)
Willen des Erblassers vermittelt und dem Erben defenert
werde.
Allein selbst wenn diese äußere Beti-achtung genügen
könnte, um das Erbtum in bezug auf den Erblasser als
em.e Willensaktion desselben aufzuzeigen, so würde dies
doch offenbar auch entfernt nicht hinreichen, die von uns
aufgestellte Behauptung zu rechtfertigen ; denn wir stellten
a. a. O. die Behauptung auf : daß vermöge einer im Erb-
recht bestehenden Willensidentität zwischen Erben
und Erblasser der Wille des Erblassers zugleich auch als
der identische Wille des Erben erscheine, und daß
deshalb auch der Erbe seinerseits nicht als durch eine
Tatsache oder durch den bloßen Willen eines Dritten,
11
sondern als durch seinen eigenen Willen erbend
angesehen werden müsse.
Dies also, daß alle Erbschaft auf der eigenen indivi-
duellen Willenstätigkeit des Erben beruht, und jene
Willensidentität selbst zwischen Erben und Erblasser,
welche die Wurzel dieses Satzes bildet, v/äre jetzt zu er-
weisen.
Und zwar muß sie erwiesen werden sowohl seitens des
Erben selbst, als auch ebensosehr noch zuvor seitens
des Erblassers, da dessen äußerliche Willenshand-
lung als solche — das Testament oder dessen Unterlassung
— noch durchaus nicht für unsere Forderung genügen
kann, weil sie immer nur die willentliche Zuwendung
einer bestimmten Vermögensmasse an eine be-
stimmte Person, aber noch keineswegs, auch nicht seitens
des Erblassers, jene hierüber hinausgehende, von uns be-
hauptete Willensidentität zwischen ihm und dem
Erben darstellen würde.
Die Notwendigkeit dieses Beweises bildet also den
Faden, der die nachfolgenden Ausführungen mit dem
ersten Bande verknüpft und an den geeigneten Orten in
der erforderlichen Weise hervorgehoben werden wird.
Zum Zweck dieses Beweises aber müssen wir von
diesem Faden scheinbar ganz abgehen und dazu übergehen,
das Wesen des Erbrechtes bloßzulegen, welches sich
wiederum nur in der Verschiedenheit seines histo-
rischen Geistes bei den verschiedenen Nationen erkennen
läßt.
Zugleich wird sich uns dabei von selbst, wie bereits
Bd. I, S. 724 fg., bemerkt, die Beantwortung der Frage
ergeben, warum im römischen Recht, außer beim suus,
nur durch Adition, im germanischen Recht aber ipso jure
durch den Tod des Erblassers der Erwerb der Erb-
12
Schaft bewirkt wird. Diese Frage war es, die uns am
Schluß des ersten Bandes bei der Behandlung der formell -
juristischen Natur des Erbrechtes entstanden ist und ent-
stehen mußte. Aber mit der Erzeugung dieser Frage
war die formell- juristische Behandlung des Erbrechtes
eben an ihrer Grenze angelangt, an dem Punkt angekom-
men, wo sie über sich hinausweisen muß auf jene Wissen-
scliaft, welche allein das geistige Wesen des Rechtes her-
vortreten zu lassen vermag. Als eine Frage nach dem
geistigen Inhalt des historisch- verschiedenen Erb-
rechtes war sie zugleich eine Frage nach seinem begriff-
lichen Inhalt überhaupt, und so waren wir denn wieder
von selbst durch den Lauf unserer Untersuchung auf die
Frage zurückgeworfen, was es mit dem realen Wesen des
Erbrechtes und somit auch mit . jener Willensidentität auf
sich habe, und wie dasselbe aufzufassen sei.
Es erhellt daher von selbst, daß unsere Ausführungen
sich nicht in jener Abgerissenheit und Isolierung erbringen
lassen werden, die man sonst wohl einem Punkte zu geben
liebt, der nur als adminikulierender Beweis für ein anderes
Thema auftritt. Denn dieser Punkt gehört zu jenen, welche
nichts anderes als den geistigen Zentralpunkt eines ge-
samten Institutes darstellen und sich daher gar nicht ent-
wickeln lassen, ohne das Ganze desselben zu seinem gei-
stigen Verständnis zu bringen.
Ebendeshalb mußte es unsere Aufgabe sein, nachfolgend
das Wesen des Erbrechtes — und zwar zunächst
des römischen — zu schreiben, d.h. diesem gesamten
Institute überall den verhüllenden sinnlichen Schleier ab-
zureißen, welcher dasselbe bisher der Erkenntnis entrückt
hat, und seine reine Seele überall durch das Stoffliche
hindurch zur durchsichtigen Erscheinung zu bringen.
Brauchten wir daher unserer Darstellung auch nicht not-
13
wendig ganz die Ausdehnung zu geben, deren sie fähig
wäre, wenn wir beabsichtigt hätten, eine Dogmatik des
römischen Erbrechtes zu schreiben, so mußten wir ihr
doch jedenfalls die Ausdehnung und den Reichtum geben,
welche erforderlich waren, um jene pulsierende Seele
als die einzige bewegende und gestaltende Macht in allen
Teilen des Erbrechtes und bis in seine kleinsten Gebilde
hinein nachzuweisen. Hieraus empfangen dann auch noch
die nicht besonders erörterten Punkte dieses gewaltigen
Stoffes von selbst ihre Aufhellung. Denn was in dem
Nachfolgenden versucht worden ist, ist nicht sowohl eine
Erklärung der einzelnen Stellen des römischen Erb-
rechtes, durch welche dann immer nur die besondere, der
Behandlung unterworfene Textesstelle gedeutet wird; son-
dern es ist eine Reproduktion des Geistes, aus
welchem das römische Erbrecht geflossen ist und aus
dessen einfacher dialektischer Tätigkeit sich alle seine Teile,
Abschnitte, seine inhaltlichen und formellen Bestimmungen,
seine historische Gestaltung und seine scheinbaren Ano-
malien bis in ihre detailliertesten Punktualitäten hinein, wie
wir sehen v/erden, gleichsam spielend und von selbst ent-
wickeln.
Es erhellt von selbst, daß zu diesem Behufe eine nicht
geringe Ausführlichkeit und ein selbst noch bei weitem
detaillierteres Eingehen auf die subtilsten positiven Einzel-
heiten in den Entscheidungen der römischen Rechtsquellen,
als sich in den Werken unserer positiven römischen Ju-
risten findet, unabweislich geboten war.
Es war dies schon deshalb eine unvermeidliche Pflicht
im Interesse der Sache, weil jede Wahrheit die Schneide
ihres Beweises immer nur an ihrer Durchführung durch den
ganzen konkreten Reichtum ihres Gebietes und durch das ver-
schlungenste Gewirr ihrer scheinbaren einzelnen Ausnahmen
14
besitzt. Eiiie gewisse Strecke weit können auch täuschende
Erklärungen zuzutreffen scheinen. Dann aber verschvändet
dieser Schein ; es treten die Ausnahmen, die Abweichungen,
die Widersprüche, die Zusammenhanglosigkeiten ein.
Die Kraft, ein ganzes so umfangreiches und vielver-
zweigtes Gebiet bis in seine einzelnsten Bestimmungen und
scheinbaren Ausnahmen, bis in seine kantigsten Kristalle
hinein harmonisch aus einem Gedanken und seiner ein-
fachen Tätigkeit aufschießen zu lassen, gehört lediglich
der Wahrheit an und bildet ihr entscheidendes Kriterium.
Es muß in diesem Sinne den positiven Juristen vollständig
darin recht gegeben werden, daß die Wahrheit des Rechtes
in dem ganz Positiven und Einzelnen desselben be-
ruhe. Natürlich! Denn dies ist eben das Reale, worin
der Geist in seiner Wirklichkeit zutage tritt und sich von
blassen Allgemeinheiten abscheidet.
Nicht minder nötigte zu einer größeren Ausführlichkeit
der Umstand, daß das Erbrecht, um das Wesen des-
selben heraustreten lassen zu können, nicht bloß dog-
matisch, sondern ebenso historisch entwickelt werden
mußte. Denn eine Hauptseite der Bedeutung des Nach-
folgenden besteht für uns darin, den üblichen Unterschied
zwischen der dogmatischen und historischen Be-
handlung des Rechtes zu durchbrechen. Auch das Dog-
matische eines Rechtsinstitutes ergibt sich nur aus dem
Verständnis seines historischen Begriffes, d.h. des be-
stimmten historischen Stadiums des Geistes,
auf welchem sich das zu betrachtende Institut jederzeit be-
findet. Dies war hier darzulegen, und somit durch be-
stimmte Leistung das Versprechen zu erfüllen und die
Anschauung zu rechtfertigen, die wir im allgemeinen im
ersten Bande •'^) S. 139, über das V^erhältnis des Rechtes zu
1) Bd. IX. S. 139 fg. d. Ausgabe.
15
seiner Geschichte oder des Naturrechtes zum histo-
rischen Rechte aufgestellt haben. Dazu konnte aber
wiederum die Skizzierung der historischen Gegensätze in
ihren größesten Zügen und Umrissen — der Gegensatz
zwischen römischem und germanischem Erbrecht — nicht
ausreichen. Vielmehr war dieser große Gegensatz selbst
nicht einmal wahrhaft zu verstehen, wenn nicht zuvor auf
die innerhalb des römischen Rechtes selbst stattfindende
historische Entwickelung eingegangen wurde. Nichts hat
mehr das Verständnis des römischen Rechtes verhindert,
als dies, daß man stets nur von der justinianeischen
Gestalt desselben ausgeht, die aber doch nur ein Letztes
und daher nur aus dem großen historischen Prozesse,
dessen Endpunkt sie bildet, zu begreifen ist. Wenn diese
unbefangene Identifikation von römischem Recht überhaupt
und seiner letzten justinianeischen Gestalt in offener Form
bei unseren positiven römischen Juristen auftritt, so gilt
sie nicht weniger auch von den Rechtsphilosophen, da diese,
auch wenn sie von dem früheren Rechte ausgehen, doch
von vornherein — was z. B. selbst bei Gans im höchsten
Maße der Fall ist — mit den Begriffen des justinia-
neischen Rechtes, und von ihnen die Seele beherrscht, an
den älteren Rechtsstoff herantreten und daher weder diesen,
noch seinen allmählichen Prozeß, noch seinen mit Justinian
eingetretenen Abschluß desselben zu verstehen vermögen.
Wir dagegen werden, wo wir von römischem Recht
ohne weitere Bezeichnung sprechen, immer nur das alte
jus civile im Auge haben. Von diesem werden wir aus-
gehen und geeigneten Ortes die Notwendigkeit und das
Treibende seiner Bewegung, die dialektischen Evolutionen,
die es in diesem Prozesse vollbringt, und jenen letzten
Selbstverlust seiner, zu dem es sich nach Durchlaufung
16
seiner verschiedenen Phasen unter Justinian forttreibt, hin-
reichend zur Klarheit bringen. Aber trotz dieses fast to-
talen Selbstverlustes, den das alte jus civile unter Justinian
erleidet, werden wir gleichwohl sehen, durch welche eigen-
tümliche dialektische Bewegung in diesem Selbstverlust
der Grundgedanke des jus civile ebenso auch wieder noch
aufbewahrt und erhalten bleibt. Das justinianeische Recht
ist so das Residuum eines Prozesses, welches seine Seele
und Bedeutung schlechterdings nur aus dem ihmVorher-
gehenden empfängt.
Eine andere Nötigung zu eingehender Darstellung lag
in der Schwierigkeit unserer Position.
Schon das ist gewiß eine nicht gering zu nennende
Schwierigkeit, mit einer Auffassung des römischen Erb-
rechtes hervortreten zu sollen, welche Savigny wie Gans,
Hugo wie Puchta, Huschke wie Böcking und so vielen
andern berühmten Rechtslehrem, kurz der in der gesamten
Rechtswissenschaft als selbstredend üblichen Auffassung
des Erbrechtes gänzlich widerspricht, und die Behauptung
aufstellen zu müssen, daß nicht bloß dieses und jenes
einzelne, sondern gerade ebenso das Einzelne wie das
Ganze des römischen Erbrechtes bis auf den heutigen Tag
ohne Ausnahme völlig mißverstanden und unerkannt ge-
blieben sei, ein unenträtseltes Geheimnis !
Wenn schon diese Schwierigkeit erheblich genug ist, so
ist aber noch viel bedeutender jene andere, daß wir ge-
nötigt sind, die Entwickelung des römischen Erbrechtes mit
einer Behauptung zu beginnen, welche auf den ersten Blick
als das Übermaß aller Paradoxie, ja als eine wahre meta-
physische Abgeschmacktheit erscheinen kann! Wenn un-
sere positiven Juristen lesen werden, daß der Begriff des
römischen Erbtumes substantiell nichts mit dem Vermögen
zu tun haben und letzteres nur gegensätzlich berühren
2 Lasealle. Ges. Scbriften. Band XI I /
soll, daß der Erbe im römischen Sinne nur Willens -
erbe, nicht Vermögenserbe des Toten sein soll, daß
der begriffliche Gegenstand und das Interesse des römi-
schen Erbrechtes, ebenso wie seine historische Ent-
stehung, gar nicht in der vermögensrechtlichen Sphäre
liegen sollen ; wenn sie lesen werden, daß das Testament
keine Vermögensverfügung und das zivilistische Erb-
recht überhaupt keine Vermögenszuwendung seinem
Begriffe nach darstellen, sondern eine dieser Verstandes-
vorstellung geradezu entgegengesetzte quasimetaphy-
sisch-theologische Anschauung zu seinem Inhalt haben soll :
so steht zu befürchten, daß viele derselben lebhaft ge-
neigt sein werden, die Lektüre des Buches lieber da ab-
zubrechen !
Dennoch, mögen sie fortfahren ! Und keiner, der sich
überhaupt die Mühe nimmt und fähig ist, dem Gedanken-
gange des Werkes ernsthaft zu folgen, wird, wie wir ver-
bürgen zu können glauben, auch nur die ersten zwanzig
Paragraphen der nachfolgenden Untersuchungen gelesen
haben, ohne eine zwingende Überzeugung sich seiner
bemächtigen zu fühlen, die sich immer mehr und mehr
zu einer unerschütterlichen Positivität gestalten wird. —
Wir schreiben keineswegs nur für philosophisch vorein-
genommene Leser, und rechnen keineswegs auf solche. Es
ist ein ohnmächtiger, schlechter und unwahrer Gedanke, der
nicht die Macht hat, aus sich heraus sein Gegenteil zu
überwältigen und sich zu assimilieren. Wir schreiben da-
her vorzugsweise auch für die positiven Juristen, mit wel-
chen wir ohnehin den Haß gegen jede solche Philosophie,
die immer nur beim Allgemeinen stehen zu bleiben weiß,
vollständig gemeinsam haben. Gerade die Gemeinsamkeit
dieses Hasses aber mag ihnen vorläufig die Gewähr dafür
bieten, daß sie es in dem Nachfolgenden nicht mit un-
18
wirklichen Abstraktionen zu tun haben werden, und sie
veranlassen, mit der anscheinenden Paradoxie und Abstrak-
tion des — in Wahrheit von Anfang an durch und durch
konkreten — Begriffes Geduld zu haben, bis wir die Zeit
gehabt, denselben den konkreten Reichtum auch der realsten
erbrechtlichen Bestimmungen aus sich erzeugen zu lassen.
Selbstredend wird aber jene zwingende Überzeugung,
die wir versprochen haben, sich eben wieder nur herbei-
führen lassen durch die Durchführung des Begriffes gerade
durch das Konkreteste und Einzelnste des erbrecht-
lichen Materials.
^X^enn die ganze ungeheuere Mosaik dieses Stoffes sich
als das einem einzigen Begriffe und seinen Ver-
schlingungen entflossene Gedankengewebe aufweist, wenn
er nicht nur bis auf seine sprödesten Punktualitäten, son-
dern selbst bis auf alle Kontroversen der alten Schulen,
der Sabinianer und Prokule janer, die erst von hier aus ihre
innere Notwendigkeit erblicken lassen, sich, wie wir sehen
werden, in die einfache dialektische Tätigkeit dieses einen
Begriffes auflöst, so wird auch hier der Beweis geführt
sein, daß gerade das scheinbar ganz Metaphysisch-
Abstrakte, wenn es kein bloß abstrakter, sondern
ein konkreter Begriff ist, und wieder das ganz
Konkret- Reale vollständig zusammenfallen.
Für die Geduld, die war in Anspruch nehmen, werden
die Resultate reichlich lohnen. Wir haben es bereits ge-
sagt, daß dies Resultat in erster Linie kein geringeres
sein wird, als die Entdeckung des römischen Erbrechtes
und seines geistigen Inhaltes, ja des Erbrechtes über-
haupt-"^). Es ist aber gar nicht möglich, diese Entdeckung
■*■) Denn es wird sich später herausstellen, inwiefern durch
die Verkennung des römischen Erbrechtes auch das germani-
sche verkannt werden mußte.
2' 19
zu machen, ohne dabei noch zwei andere Entdeckungen zu
bewerkstelligen, nämlich jene, was das römische jus
civile, diese aus dem innersten Herzen und Eingeweiden
des römischen Volksgeistes hervorgegangene Schöpfung,
überhaupt bedeutet, und zugleich ■ — wovon man fühlt,
wie sehr es hiermit zusammenfallen muß — welches die
kulturhistorische Stellung und Mission des
römischen Volkes in der weltgeschichtlichen
Bewegung überhaupt gewesen ist.
Wir bemerken endlich noch, daß wir natürlich eine be-
sondere Widerlegung der bisherigen Ansichten der Autoren
im allgemeinen für vollständig durch die Natur unserer
Arbeit ausgeschlossen erachten mußten. Da wir bei jedem
Satze und gegen alle unsere Vorgänger gleichmäßig hätten
Front machen müssen, so hätte sich hieraus nur eine ebenso
müßige wie lästige Ausdehnung des Umfanges unserer
Erörterungen ergeben. Die wahrhafte kritische Wider-
legung muß von selbst in der positiven Entwicklung
unserer Lehre vorhanden sein. Und es war dies um so
mehr gegeben, als die Hauptpfeiler unserer Beweisführung
ebenso wie in der Entwickelung des bisher irrig Er-
klärten, so auch auf der Erklärung dessen beruhen, was
bisher überhaupt noch nicht zu erklären versucht worden
ist. Denn wie in allen anderen Gebieten ging es natürlich
auch hier, daß man gerade das für die bisherigen Auf-
fassungen ganz Unerklärliche entweder überhaupt un-
erwähnt ließ, oder es wie ein ganz Selbstredendes und
einer Erklärung überhaupt gar nicht Bedürftiges be-
handelte.
Wir haben daher nur dann die Ansichten unserer Vor-
gänger einer besonderen Rücksichtnahme unterworfen, wo
dies ausnahmsweise im Interesse größerer Schärfe und
Deutlichkeit zu liegen schien, oder wo die sich entgegen-
20
stehenden Unrichtigkeiten in den Ansichten der Autoren
einen genetischen Wert zur Ent\vickelung der Wahrheit zu
haben schienen.
Eine weit häufigere kritische Widerlegung als anderen
Autoren haben \vir dem römischen Erbrecht von Gzms
widerfahren lassen. Keineswegs in dem Sinne, als wollten
wir eine besondere Polemik gegen dieses Buch richten,
oder den hohen Geist seiner Ausführungen irgendwie
leugnen und das seinem Urheber deshalb zukommende
Verdienst verkleinem, sondern vielmehr gerade nur des-
halb, weil uns dieses Werk seiner allgemeinen Richtung
nach am nächsten stand, und weil es unbedingt die bei
weitem geistvollste unter allen bisherigen Behand-
lungen des erbrechtlichen Stoffes zu nennen ist.
Allein es ist einmal ein Gesetz der Philosophie, daß,
wo von einem nur abstrakten Begriff ausgegangen wird,
keine noch so geistvolle Behandlung es vermeiden kann,
daß sich die Abstraktion desselben auch in den Resul-
taten nicht nur zu abstrakten, sondern fast überall zu
positiv falschen Folgerungen treiben muß, häufig selbst
zu um so falscheren, je näher man sich dem wahren und
noch verfehlten Begriffe befindet. Aber auch das bloß
Abstrakte bildet in der geistigen Welt dieselbe Ent-
stellung sowohl des Ganzen des Bildes, als seiner ein-
zelnen Züge, welche in der körperlichen Welt entsteht,
wenn eine Gesichtsfläche in einen Zerrspiegel geworfen
wird. Sowohl die v/irkliche Physiognomie als die fälschende
Verziehung derselben durchdringen sich in jedem Punkte
gleichmäßig. Nur der konkrete Begriff hat die Macht,
die konkrete Wirklichkeit aus sich zu erzeugen.
Wegen dieser Inkongruenz ist Gans' geistvolles Werk
notwendig ohne erheblicheren Einfluß auf die positiven
Juristen geblieben.
21
Dies Gesetz des spekulativen Begriffes galt es hierbei
beiläufig klar an den Tag treten zu lassen, und die Philo-
sophie so gegen die so häufig beliebte Identifizierung
ihrer mit dem Abstrakten zu verwahren, wozu die Dis-
kussionen mit dem Werke von Gans oft den besten An-
laß boten.
Die Philosophie kann bei diesen Diskussionen nur ge-
winnen. Denn es wird sich zeigen, daß Gans den Geist
des römischen Erbrechtes nur deshalb verfehlt hat, weil
er noch die Seele von den empirischen Auffassungen
des Erbrechtes nicht hinreichend gereinigt hatte.
Nur die empirischen Verstandeskategorien —
nur sie sind das Abstrakte!
I. Der Begriff des römischen Erbtums.
Nichts ist üblicher, als von einer Personenidentität
zwischen dem Erben und Erblasser zu sprechen, und die
römischen Juristen selbst haben sich so weit zum Bewußt-
sein über den ideellen Charakter ihres Stoffes erhoben,
daß sie diese Personenidentität als das Wesen des Erb-
rechtes bezeichnet haben ^). Dennoch ist diese vom Wesen
^) Vgl. z. B. Novelle 48, § 1 : ,,. . . et haec quidem in
heredibus qul üdem cum defundo quodammodo esse videntiir."
Diese Personenidentität ist natürlich auch die Quelle von der
Auffassung des Erbrechtes als einer successio in Universum
jus defuncti. L. 62 de reg. jur. (50, 17) : ..Hereditas nihil
aliud est quam successio in Universum jus quod defunctus ha-
buerit." L. 59 eod. tit. : ,,Heredem ejusdem potestatis jurisque
esse, cujus fuit defunctus constat." L. 22 de usurp. (41, 3).
22
der Familie hergenommene^) und auf das Erbrecht über-
tragene Anschauung gerade für das römische Erbrecht viel
zu weit, also Niel zu abstrakt, um wahrhaft zutrefrfend zu
sein. Theoretisch genommen, würde diese Anschauung, wie
aus dem Folgenden von selbst hervorgehen wird, das rö-
mische Erbrecht durchaus nicht hinreichend decken, um
das Wesen desselben wirklich zu erklären ; auch läßt sich
von einer Identität der Personen nur bei jenem ,,arctissi-
mum inter homines procreationis vinculum", wae Valerius
Maximus ^) es mit Recht nennt, also bei der Bluts -
einheit, als der das gesamte Physische der Person um-
fassenden Grundlage reden. Sohn und Erbe fallen aber
im römischen Recht durchaus noch nicht zusammen.
Praktisch festgehalten, würde jene Anschauung oft zu
nicht geringen Unrichtigkeiten führen. Hier mag genügen,
das eine, an und für sich sehr Entscheidende dagegen an-
zuführen, daß ja gerade die streng persönlichen Rechte
— diejenigen, denen die personae conditio locum facit^)
— nicht auf den Erben übergehen*).
Diese Anschauung wird daher auch wieder praktisch
nicht festgehalten, und trotz jener successio in Universum
jus defuncti und dem ejusdem potestatis ac juris (s. S. 22,
Note 1) wird %veder von den alten noch modernen rö-
mischen Juristen geleugnet, daß alle diese rein persönlichen
Rechte nicht auf den Erben übergehen.
^) Siehe z. B. L. ult. C. cle impuber. et aliis subst. (6,
26) : cum pater et filius eadem esse persona pene intelllgantur.
'') Memorab., Lib. VII, c. 7, T. II, p. 89. ed. Blp.
3) Vgl. I. 716. und Note 1, 2. 3 das.
*) Während z.B. noch im Attischen Erbrecht die An-
klagen gegen den Erblasser vom Erben aufgenommen werden
müssen, und ebenso auch dem Erblasser erteilte Ehren auf
den Erben übergehen; s. Isaeus super Dicaeogenis hered., p. 116.
118, ed. Reisk. Bunsen, De jur. heredit. Athen., p. 78-
23
Wegen dieser Inkongruenz jener Anschauung von der
Personenidentität mit dem Stofflichen des römischen Erb-
rechtes kam man dazu, dieselbe näher dahin zu be-
schränken, daß es nur die ,, vermögensrechtliche
Persönlichkeit" des Erblassers sei, welche auf den
Erben übergehe. Allein gerade durch diesen so plausibel
erscheinenden Versuch, die Lehre der römischen Juristen
mit dem materiellen Stoffe in Einklang zu setzen, geriet
man, wie sich zeigen wird, von dem Regen in die Traufe.
Aus dem abstrakten Irrtum geriet man in den konkreten
und substantiellen Irrtum hinein. Diese noch bei den heu-
tigen Autoren unbedingt herrschende Auffassung ist min-
destens gerade so alt, als unsere Kommentatoren des rö-
mischen Rechtes selbst. Beispielsweise genüge es, Hugo
Grotius anzuführen: ,,. . . vera causa haec est quod heres
personam defuncti refert, non in meritis, quae sunt mere
personalia, sed in bonis, quibus ut cohaererent ea quae
alicui debentur ex ipsa rerum inaequalitate, simul cum
dominio fuit introductum^)." Es ergab sich hieraus eine
Lehre, welche wir am kürzesten beispielsweise durch die
Worte, in denen Puchta sie vorträgt, charakterisieren.
Er entwickelt den Begriff des Erbrechtes folgender-
maßen^) : ,,Das Ganze der auf Sachen sich beziehenden
und in ihnen ihren Maßstab findenden Rechte und Ver-
bindlichkeiten, die in einer Person als ihrem Subjekt ver-
einigt sind, das Vermögen, soll eine von dem Leben
der Person unabhängige Dauer haben. Dies wird dadurch
erreicht, daß nach dem Tode die dadurch aufgehobene
natürliche Person fortwährend als zusammenhaltendes Sub-
jekt jener Rechtsverhältnisse gedacht, somit eine juristische
0 De jure belli ac pacis II, cap. 21, § 19 (ed. Francof.
1696. p. 675).
2) Pandekten, § 446 (5. Aufl.. 1850)
Person an der Stelle der natürlichen angenommen wird.
Das hinterlassene Vermögen selbst also trägt
eine Persönlichkeit in sich, und dies ist die fin-
gierte des Verstorbenen. Dieser Rechtssatz ist eine not-
wendige Ergänzung des Vermögensrechtes, dessen
Verhältnisse erst dadurch eine zu ihrer vollen Entwicke-
lung unentbehrliche Stetigkeit erhalten. Mit diesem Insti-
tut wird aber zugleich ein anderes Bedürfnis befriedigt,
indem der Übergang der Güter des Verstorbenen
an Überlebende damit in Verbindung gesetzt wird.
Dieser Übergang soll, um jenen ersten Zweck zu er-
reichen, nicht bloß stückweise erfolgen, er soll die Per-
sönlichkeit des Verstorbenen in vermögens-
rechtlicher Hinsicht in sich aufnehmen und repräsen-
tieren und damit in das Vermögen als Ganzes ein-
treten. Darin liegt der Begriff des Erben, seiner Suk-
zession, der Erbfolge und des Rechtes, das er durch die
Erbfolge erhält" usw.
Wenn man später einen Blick auf diese Lehre zurück-
wirft, so wird man wissen, warum dieselbe durchaus, und
zumal die in derselben durch den Druck hervorgehobenen
Sätze, eine Reihenfolge der radikalsten Irrtümer dar-
stellt.
Hier ist es noch nicht möglich, diese Irrtümer zu
beweisen, sondern nur bezeichnen können wir einst-
weilen, worin die Quelle derselben liegt und warum wir
sagten, daß man mit jener verbessernden Beschränkung,
daß es die vermögensrechtliche Persönlichkeit
des Erblassers sei, die auf den Erben übergehe, aus dem
Regen in die Traufe, aus dem abstrakten Irrtum in den
substantiellen und kompakten geraten sei. Diese durch
jene Verbesserung bewirkte Verschlechterung liegt darin,
daß durch jene Beschränkung der Personenidentität, welche
25
die römischen Juristen selbst unmittelbar als den Gedanken
und die Seele des erbrecbtlichen Stoffes aussprechen, auf
die vermögensrechtliche Persönlichkeit, das Ver-
mögen und seine Übertragung auf den Erben zum sub-
stantiellen Inhalt, zum Begriff und Gegenstand des römi-
schen Erbrechtes wird ; eine Auffassung, die freilich auf
den ersten Blick nicht nur als richtig, sondern sogar als
etwas ganz selbstredend Notwendiges und gar nicht Anders-
seinkönnendes erscheint, und so bis heute erschienen ist.
Es wird hier das Erbrecht zu einem ,, Vermögens-
recht", zu einer bloßen ,, Ergänzung des Vermögens-
rechtes", wie Puchta soeben sagte; das Institut des römi-
schen Erbtums ist wegen des Vermögens, zum Zweck
einer Übertragung auf den Erben und zur Befriedigung der
Gläubiger^) erfunden und vorhanden, weshalb der In-
begriff dieser einzelnen Vermögensrechte und
-Verpflichtungen als eine künstliche ,, juristische Per-
son" gedacht werde; dieses hinterlassene Vermögen
ist es, v/elchem die Persönlichkeit des Verstorbenen
einwohnt, und das Erbtum hat den Zweck, daß der Erbe
,,in das Vermögen eintrete" und den Verstorbenen
in demselben repräsentiere, ja diese ganze Fortdauer
der juristischen Persönlichkeit des Erblassers ist überhaupt
nur eine dem Vermögen zuliebe — das hier überall
zur Substanz der Erbschaft wird ■ — und um seiner
^) Wie sehr letzteres gegen den Geist des alten jus civile
ist, hätte z. B. schon das eine zeigen können, daß sogar bei
der Arrogation, d. h. alsoheidemUntergangeinerselb-
ständigenWillenssubjektivität, deren körperliches Sub-
strat sogar noch fortlebt, die Schulden des Arro-
gierten nach Zivilrecht untergehen: Gajus, IV, § 38,
und III, § 84; und die Gläubiger nur durch prätorische Billig-
keit Restitution erlangen können : L. 2, § 1 ; L. 7,; § 2, 3,
de cap. min. (4, 5); L. 2 de in int. rest. (4, 1).
26
Behandlung willen erfundene Fiktion 0 ; alles Sätze, welche
uns soeben von Puchta selbst mit seiner gewohnten Klar-
heit vorgetragen wurden, und welche sämtlich die radikalste
Verkennung dieses Institutes bilden. Die vorgetragene An-
sicht ist aber nicht bloß die Puchtas, der hier bloß als
Repräsentant derselben herausgegriffen wurde, sondern die
einmütige und unangezweifelte Auffassung sämtlicher
Autoren, auch der denkendsten unter ihnen-), mit alleiniger
^) Also, wenn die Wahrheit dieser Ansicht eingestanden
wird, ein bloßer Notbehelf, wie dies bei Puchta nicht weniger
deutlich als bei Scheuerle hervortritt, welcher (Beiträge zur
Bearbeitung des römischen Rechtes, Nr. 1, S. 7, Erlangen
1853) die Erbschaft definiert als ,,ein Vermögen mit einem
fingierten Subjekt, indem ihre Behandlung als Vermögen
nur ermöglicht wird durch die Fiktion fortdauernder Per-
sönlichkeit des verstorbenen Erblassers."
^) Siehe z. B. Böcking, welcher (Pandekten des römischen
Privatrechtes usw., 2. Aufl. [Bonn 1853], I, 256, Note 14)
die ,, vermögensrechtliche Persönlichkeit des Testa-
tors" auf den Erben übertragen werden läßt, deshalb (daselbst,
S. 232) in der ,,Sachengesamtheit, dem Vermögen eines
Verstorbenen, eine juristische Person erblickt, daher auch konse-
quent (Pandekten-Lehrbuch, 4. Aufl., 1852, S. 27) definiert :
,,Das Erbrecht ist das Güterrecht der sich auflösenden Fa-
milie," imd es als die notwendige ,, Entfaltung der Begriffe
Familie und Vermögen" bezeichnet, ebenso, am erstange-
führten Ort, S. 139, Note 2, das römische Erbrecht als ein
,,auf Familienrecht beruhendes und aus ihm hervorgehendes Ver-
mögensrecht" erklärt usw.; oder Huschke, der (Studien des
römischen Rechtes [Breslau 1830], S. 233, Note 59) den Te-
stator beim testamentum per aes et libram seine „Vermögens -
freiheit" übertragen läßt usw. Ganz- dieselbe Auffassung
des Vermögens, als der Substanz des römischen Erbtums, ist
es auch, die Gans behen'scht (s. z. B. S. 173, ,,da das Testa-
ment die Beziehung des testierenden Willens zum Vermögen
ist," oder S. 241, „das Familienerbrecht [Intestaterbrecht] hat seirie
27
Ausnahme Savignys, dessen bald zu erwähnender, noch
größerer Irrtum ebenso den Gegensatz als die richtige
Konsequenz der eben dargestellten Absicht bildet.
Betrachten wir nun, in \velchem Verhältnis die beiden
vorgetragenen Auffassungen, diejenigen der Römer selbst
und diejenigen unserer Autoren, wahrhaft zueinander
stehen, so muß klar sein, daß dieselben geradezu einen
Gegensatz zueinander bilden. Zwar war dies nicht die
Absicht. Es sollte nur eine nähere Beschränkung an jener
Auffassung der römischen Juristen von der Personen-
identität zwischen Erben und Erblasser, an ihrer De-
finition von der Übertragung des Universum jus defuncti
auf den Erben vorgenommen werden, indem die auf ihn
übertragene Persönlichkeit des Erblassers bestimmter
als die ,, vermögensrechtliche Persönlichkeit" des-
selben definiert wurde. Es schien dies um so unanstößiger,
als die Definition der römischen Juristen ja offenbar zu
weit war, und diese Beschränkung daher nur wie eine den-
selben aus ihrem, eigenen Sinn heraus hinzugefügte aus-
sah. Aber obwohl dies nicht die Absicht war, so war
es doch die Wirkung dieser Beschränkung, daß man da-
Stellung bei der Auflösung der Familie, und zwar istes selbst
diese Auflösung in der Sphäre des Vermögens" usf.^ und.
wie wir später im einzelnen sehen werden, notvvendig bei jedem
Schritt diesen geistvollen Mann zum Verfehlen seines Gegen-
standes zwingen mußte. — Der nachfolgend im Text entwackelte
Widerspruch in dieser Auffassung der Erbschaft treibt sich
zur Marter in einem Aufsatz von Huschke im Rhein. Museum,
welcher aber gerade dadurch, daß der Widerspruch hier schon
als Marter sich selbst fühlbar geworden, eigentlich das Höchste
bildet, was bisher in dem Gebiet des Erbrechtes geschrieben und
in diesem Sinne selbst Gans überlegen ist. Wir werden diesen
Aufsatz deshalb späier einer eingehenden Betrachtung unter-
werfen. (Siehe die Beilage zu Nr. XL, S. 646 fg.)
28
durch jetzt in einen entschiedenen Gegensatz zu der
von den römischen Juristen bekundeten Auffassung gefallen
war. In der bloßen Nebeneinanderstellung der Worte :
„vermögensrechtliche Persönlichkeit", hatte,
wie das vermöge der inneren Dialektik des Begriffes bei
jeder Zusammenbindung zweier begrifflichen Gegensätze,
ohne ihre innere Dialektik zu bewältigen, der Fall sein
muß, das eine Gegenteil das andere aufgegessen, das Ver-
mögen die Persönlichkeit verschlungen.
So w^enig dies bisher bemerkt worden ist, so unbestreit-
bar ist es doch, und muß schon nach der obigen Analyse
der zweiten Ansicht evident sein. Von den beiden Fak-
toren, um die es sich beim Erbrecht überhaupt handeln
kann, Person und Vermögen, und die ihrem Begriffe
nach reine Gegensätze sind, war nach der Lehre der rö-
mischen Juristen die Person das einzige, was übertragen
wird, und vom Vermögen gar keine Rede. Eine
Person zieht die Haut der anderen an; und da sie somit
jetzt diese Person ist, so ist zwar klar, daß ihr jetzt
auch das Vermögen derselben gehören muß ; aber nur jene
Häutung ist die Substanz, die Seele, der Begriff dieses
rechtlichen Prozesses, nicht die Vermögensübertragung, die
als etwas ganz Sekundäres, als bloß zufällige, faktische
Folge unerwähnt im Hintergrunde liegen bleibt. Hier kann
man also sehen, daß, im Vergleich mit der zweiten An-
sicht, die Persönlichkeit das Vermögen verschlungen hat,
auf welches gar nicht geachtet wird. Nachdem aber, weil
diese Auffassung durch ihre zu gi'oße Ausdehnung — da
ja die rein persönlichen Rechte nicht mitangezogen wer-
den — sich als offenbar unzutreffend ergeben mußte, nun-
mehr die anzuziehende Haut als die vermögensrecht-
liche Haut des Verstorbenen bestimmt wurde, ist jetzt
das Gegenteil eingetreten, und die Persönlichkeit, die
29
durch das Erbinstitut übertragen werden sollte, ist aul-
gehoben und überall in das Vermögen zusammen-
gesunken. Das Vermögen wird jetzt die Substanz und
die Bedeutung dieses Prozesses; die Aufrechterhaltung
der einzelnen vermögensrechtlichen Rechte und Verbind-
lichkeiten gegen die Gläubiger, die Übertragung der
hinterlassenen Sachen an den Erben, kurz überall das
Vermögen und seine Behandlung wird hier zum Zweck
und Grund, zum Begriff und Inhalt dieses Insti-
tutes. Wo ist denn hier noch die Persönlichkeit des
Erblassers, die Anschauung von ihrer Übertragung auf
den Erben, die Personenidentität zwischen beiden ge-
blieben ? Diese Persönlichkeit ist hier überhaupt
untergegangen; in ihrem Gegenteil, der Sachengesamt-
heit, dem Vermögen, liegt sie jetzt ; sie hat hier überhaupt
keine andere Bedeutung mehr, als eine unlebendige,
nur mechanische Fiktion für die kunstgerechte Be-
handlung des Vermögens zu sein, d.h. sie wird hier
zu einer nicht in der Substanz und Urbestimmtheit des
römischen Volksgeistes mit Notwendigkeit lebenden An-
schauung, die wir heute Fiktion nennen können, insofern
wir diese Anschauung nicht mehr teilen, sondern sie wird
zu einer von den römischen Juristen erfundenen,
zu einer bloßen, d.h. als Fiktion gewußten Fik-
tion, zu einem juristischen Notbehelf für die
Vermögensbehandlung (s. oben S. 27, Note 1).
Es zeigt sich also, daß, wenn in der Definition der
römischen Juristen vom Wesen der Erbschaft die Per-
sonenidentität die Substanz dieses Begriffes bildet und
der Vermögensbegriff von dieser verschlungen bleibt, in
dieser zweiten Ansicht umgekehrt das Vermögen Sub-
stanz geworden und in den Vordergrund getreten ist, und
die Übertragung der erblasserischen Persönlichkeit auf
30
den Erben, so sehr auch den Worten nach von ihr die
Rede ist, doch der Sache nach untergegangen und vom
Vermögen verschlungen worden ist, welches jetzt jene
Vorstellung, die uns die Römer als das Wesen der
Sache berichten, nur als ein mechanisch-fiktives Hilfs-
mittel in den Dienst seines ungestörten Funktionierens ge-
nommen hat.
Und so sehr ist diese von uns vollzogene dialektische
Kritik die eigene Wahrheit dieser zweiten Ansicht, daß
sie nicht bloß unsere negative Kritik ist, sondern ebenso
in der Geschichte der Rechtswissenschaft
selbst als die positive Folge jener Ansicht auftritt.
Savigny ist es, welcher-^) bei dem Punkte, wo diese
Frage am entschiedensten zur Sprache kommen mußte,
bei der Frage nach der Persönlichkeit der ruhenden Erb-
schaft, dem Einklänge gegenüber, mit welchem die zweite
Ansicht den Autorenkreis beherrscht, in den noch größeren
Irrtum verfällt, die Persönlichkeit der Erbschaft über-
haupt zu leugnen, d.h. sie für eine Fiktion zu er-
klären, die von den römischen Juristen nur mit Rücksicht
darauf, daß Sklaven zu einer Erbschaft gehören konnten,
zum Behuf der Erleichterung gewisser Erwerbungsarten
durch diese Sklaven erfunden worden sei und sich nur
hierauf beschränkt habe^); daß es daher nicht zu
1) System. II. 363-373. § 102.
^) „Die einfachste und natürlichste Behandlung dieses
Falles (der ruhenden Erbschaft)," sagt Savigny. a. a. O..
S. 365. ..wäre ohne Zweifel die. daß man von dem Tode an
die Erbschaft als das Vermögen eines noch unbekannten
Herrn ansähe, der aber doch einmal bekannt ^verden muß. und
auf welchen dann alles zu beziehen ist, was sich in der Zwi-
schenzeit mit diesem Vermögen etwa zutragen mag. Diese na-
türliche Behandlung der Sache ist es, welche das römische
Recht nicht gelten lassen will, indem es an deren Stelle eine
31
rechtfertigen sei, wenn diese Fiktion noch als Bestand-
teil des heutigen römischen Rechtes aufgestellt werde. —
Wenn die Autoren fast einstimmig wegen dieser Ansicht
auf Savigny eingedrungen sind und gegen ihn Front ge-
macht haben, so ist nur zu verwundern, daß sie nicht ge-
sehen haben, wie diese Ansicht, trotz ihres immensen Irr-
tumes, doch nur die unvermeidliche Konsequenz und
aufgedeckte Wahrheit ihrer eigenen vorhin ent-
wickelten Lehre ist. Sie sagt eben bloß heraus, was
bei ihnen bereits tatsächlich vorhanden ist. Wenn ein-
mal das Vermögen zur Substanz der Erbschaft und die
Übertragung der Persönlichkeit nur eine zum Behuf
der regulären Abwickelung dieses Vermögensmechanismus
und seiner Funktionen gemachte Fiktion ist — so ist es
eben eine als Fiktion gewußte Fiktion, eine juri-
stische Erfindung, em bloßer Notbehelf, m welchem
die Persönlichkeit bloß Schein und Hilfsmittel, das Ver-
mögensroulement das Lebendige und Fungierende ist. Was
liegt denn daran, und welches ist der Unterschied, ob
Fiktion unter zwei verschiedenen Ausdrücken setzt." Und nun
sucht er zu beweisen, \vas er S. 373 so zusammenfaßt : ,,Die
eigentümliche Behandlung der ruhenden Erbschaft vermittels
einer Fiktion beschränkte sich bei den Römern auf die
Erleichterung gewisser Erwerbungen durch die zu der Erb-
schaft gehörenden Sklaven," worauf er dann die Folgerung zieht,
daß, weil Sklavenerwerb jetzt fortgefallen, diese Fiktion über-
haupt nicht mehr als ein Bestandteil des heutigen römischen
Rechtes dargestellt werden könne. — Und sicher, daß, wenn
der Begriff des römischen Erbtumes das Vermögen wäre,
dies die natürlichste und einfachste Behandlung, ja die
einzig mögliche wäre, >vird niemals geleugnet werden kön-
nen! Es wird dies bev,fiesen werden durch den Verlauf unserer
Entwicklung, und ist objektiv bewiesen durch die Tatsache,
daß solche Erbrechte, welche ihre Substanz im Vermögen haben,
in der Tat von dieser Fiktion nichts wissen.
32
diese als Fiktion gewußte Fiktion bloß zur Erklärung und
Vermittelung von nur mehreren einzelnen Fällen von Ver-
mögenserwerbung, oder zur Erklärung und Vermittelung
aller Fälle des Vermögensroulements überhaupt erfunden
worden ist ? Mit einer richtigen tieferen Ahnung ruft
Böcking-^) gegen Savigny aus: „Rechtsbegriffe, wie der
hier in Rede stehende, sind nicht erfundene Regeln!"
Aber eine solche ,, erfundene Regel" bleibt ja die Annahme
der Persönlichkeit auch nach der von ihm vertretenen An-
sicht, und muß sie bleiben, wenn das Wesen des Erb-
rechtes darin besteht, ,, Güterrecht" und ,, Entfaltung des
Vermögensbegriffes" zu sein. Die Quantität oder
Totalität der Fälle, zu deren Regulierung sie dient, macht
an diesem ihrem Charakter einer bloßen juristischen Er-
findung, eines für einen, dieser Persönlichkeitsanschauung
selbst ganz fremden, verständigen Zweck — dem ver-
mögensrechtlichen Bedürfnis — geschickt ersonnennen
mechanischen Hilfsmittels keinen Unterschied. Eine sub-
stantielle organische Anschauung des Volksgeistes, von
welcher jene juristische Fiktion bloß der Ausdruck und
Abdruck sei, ist auch in dieser Ansicht weder aufgezeigt,
noch innerhalb ihrer nur möglich.
Wir unsererseits können also Savignys Ansicht^), so
sehr sie von den anderen bekämpft wird, kaum als eine
dritte Ansicht, sondern nur als die mit scharfer Ver-
ständigkeit ausgesprochene Konsequenz jener zweiten auf-
fassen, als die objektiv herausgetretene Unrich-
tigkeit und Auflösung derselben. Daß es für diese
^) Pandekten des römischen Privatrechtes, I, 232, Note 5.
^) EHeselbe ist auch insofern ganz richtig, als, wie
sich später es zeigen wird, es durchaus nicht das Sachliche
der Erbschaft ist, in welchem die Persönlichkeit derselben
ruht.
3 Lassalle. Gee. Sckriften, Band XL 33
zweite Ansicht keine Empfehlung ist, innerlich in dem
nachgewiesenen begrifflichen Gegensatz mit der Definition
der römischen Juristen zu stehen, leuchtet von selbst ein.
Denn wenn nichts natürlicher ist, als daß ein Volksgeist
in seinen Trägern nicht zur begrifflichen Sichselbstdurch-
sichtigkeit, zur klaren Selbsterkenntnis seines treibenden
Inneren zu gelangen braucht, so ist doch wieder nichts un-
möglicher, als daß er sich in ihnen so mißverstünde, um
das Gegenteil seines Wesens für sein Wesen zu er-
greifen. Inzwischen auch bei der Definition der römischen
Juristen kann aus den oben angegebenen Gründen nicht
stehen geblieben werden.
Das Wesen des römischen Erbrechtes muß also be-
stimmter und konkreter aufgefaßt werden, als mit dem zu
weiten und von der Blutseinheit der Familie entlehnten
Begriff der Personenidentität gegeben ist. Seine wahrhafte
Entwicklung wird nur eine organische, aus der Sub-
stanz des römischen Volksgeistes selbst sein können, und
diese organische Ent\vickelung ist es, zu der wir jetzt
übergehen. —
Das Christentum und die germanische Welt pflegen
als die Weltstufen bezeichnet zu werden, in denen die
Unendlichkeit des Subjektes zum Bewoißtsein ge-
kommen und zum Prinzip proklamiert worden ist. Dies
ist auch ganz richtig, wenn man, wie auch in der Regel
der Fall, unter der Unendlichkeit des Subjektes die Un-
endlichkeit des subjektiven Geistes als des >'on aller
Außenwelt abgelösten und rein auf seine eigene Innerlich-
keit bezogenen Gedankenwesens versteht.
Dieser Unendlichkeit des Subjektes, welche die Un-
endlichkeit des Geistes ist, geht aber in der Geschichte
vorher, und muß in ihr, als der stufenmäßigen Ent-
wicklung des Geistes, vorhergehen, eine andere, äußer-
34
lichere Unendlichkeit des Subjektes, die Un-
endlichkeit des subjektiven Willens als der gerade noch
auf die Außenwelt bezogenen und mit ihr als ihrem
Gegenstand behafteten Innerlichkeit der Person.
Dies ist es, was die Bedeutung des römischen Erb-
rechtes und des römischen Geistes überhaupt
ausmacht !
Es ist eine kurze, naive Stelle Quintilians, in welcher
uns, bei richtiger Auffassung derselben, das innerste Ge-
heimnis des römischen Geistes offenbart ist. ,,Denn nicht,
ruft Quintilian aus-'^), ,, scheint irgendein anderer Trost
über den Tod vorhanden zu sein, als der über den
Tod hinausgehende Wille."
Die römische Unsterblichkeit — denn dies ist es,
was wir als den waliren Sinn dieses Satzes in Anspruch
nehmen — die römische Unsterblichkeit ist: das
Testament!
Wir glauben, daß bei wahrem Verständnis schon mit
diesem einen Satze und der von uns vorausgeschickten
kurzen Begriffsexplikation das innerste Wesen des römi-
schen Geistes entschleiert und die begriffliche historische
Notwendigkeit seiner Schöpfungen bereits wie mit einem
Schlage hell geworden sein muß. Denn nicht nur ist da-
mit bereits die wahre Bedeutung und innere Entstehungs-
notwendigkeit des römischen Erbrechtes gegeben, son-
dern es ist dadurch auch schon gegeben, warum das Recht
überhaupt erst Schöpfung des römischen Volksgeistes
^) Quintiliani Declam. CCCVIII: ..Neque enim aliud vide-
tur solatium mortis quam voluntas ultra mortem. Alioquin po-
lest grave viderl etiam ipsum Patrimonium, si non integram
legem habet, et cum omne jus nobis in id permittatur viventibus,
auferatur morientibus."
3» 35
sein kann und andererseits mit diesem Volke einen nie
wieder erreichten Grad von Virtuosität und Vollendung er-
langt. Denn indem diese Unendlichkeit des subjektiven
Willens, als sich auf die Außenwelt beziehend und
diese sich unterwerfend, das Geltende derselben ist, muß
sie diese Außenwelt und ihre Verhältnisse als ein Sy-
stem der Willensgeltung hervorbringen, d. h. das Sy-
stem der Rechtsgliederung überhaupt schaffen.
Oder die Unendlichkeit des subjektiven Willens läßt sich
daher sofort auch aussprechen als die Unendlichkeit
der Rechtssubjektivität überhaupt. Und die rö-
mische Welt kann sich daher durch kein späteres Volk
und keinen späteren Gelehrtenstand in jener Schöpfung
übertreffen oder erreichen lassen, weil dort das innerste
Wesen des Volksgeistes auf sie als seine eigenste
Substanz bezogen ist, wie der Geist der griechischen
Welt auf die Plastik, der jüdischen auf die Religion.
Zugleich ist damit gegeben, inwiefern und warum ge-
rade das Erbrecht als der eigenste spekulative Kern des
ganzen römischen Rechtes erscheint und gerade dieser
Mittelpunkt ein Ausbau von so großartiger, eigentümlicher
und systematischer Vollendung ist, wie wiederum kein
anderer im römischen Recht,
Es ist ferner damit erklärt die für uns fast unbegreif-
liche Rolle, welche das Testament ebenso in der An-
schauung des Römers wie in der Geschichte seines Rechtes
spielt, die Bedeutung, welche die testamentifactio bei ihm
hat, und die unvergleiche Wichtigkeit und Heiligkeit, die
er dem Testament beimißt^), eine Wichtigkeit, die sich
■^) Daher das Erdrückende in der Bezeichnung eines inte-
stabihs; siehe z.B. Horat. Satyr., II, 3, v. 181: . . . is intes-
tabilis et sacer esto. Plautus, Curcul. Act., I, sc 1 : Semper
36
vollkommen wohl in Parallele stellen läßt mit der Rich-
tung des Ägypters auf sein Grabmal, dessen Bereitung
caveto, ne sis infestabilis ; vgl. das ..improbus intestabilisque
esto" der zwölf Tafeln; s. Gellius Noct. Att., XV, c. 13.
Es wräre sehr irrig zu glauben, daß, weil intestabilis sowohl
einen bezeichnet, der kein Testament machen, als einen, der
kein Zeugnis leisten kann, hier vielleicht nur an letzteres zu
denken sei. Zunächst fallen schon äußerlich beide Unfähigkeiten
zusammen: Gajus, L. 26 qui test. (28, 1): „Quum lege quis
intestabilis jubetur esse, eo pertinet, ne ejus testimonlum reci-
piatur et eo ampllus ut quidem putant, neve ipsi dicatur testi-
monium," und Ulpian, L. 18, § 1, eod. tit. : ,,Si quis ob
earmen famosum damnetur, Senatusconsulto expressum est, ut
intestabilis sit ; ergo nee testamentum facere poterit, nee ad
testamentum adhiberi." Woher kommt aber die römische Ver-
knüpfung dieser für uns ganz verschiedenen Eigenschaften ?
Erst sub Nr. IV wird die innere Einheit beider von selbst
klar werden. Wir werden daselbst sehen, daß und wie das
Testament nichts anderes ist als eine Selbstbezeugung des
Geistes (testatio mentis). Wer nicht Zeugnis ablegen kann,
kann eben darum auch diesen höchsten Akt des Bezeugens, die
Selbstbezeugung, nicht vornehmen, welche das Wesen des Te-
stamentes Ist, und dies stellt sich nur äußerlich-juristisch so
dar, daß ihm nicht Zeugnis für diese geistige Selbstoffenbarung
von anderen geleistet werden kann, ,,neve ipsi dicatur testi-
monlum," er also kein Testament machen kann. — Ebenso:
wer diese Selbstoffenbarung des eigenen Geistes, diese Ver-
lautbarung des Inneren, nicht vornehmen kann, kann auch nichts
bezeugen, was durch andere (Personen oder Vorgänge) In den
Umfang dieses Geistes hineingesetzt worden Ist. Denn
alles Bezeugen von Tatsachen usw. Ist als ein Bezeugen von
Wahrnehmungen, Immer ein Bezeugen des eigenen Inneren
und seiner subjektiven Tätigkeit. Der Geist, der, von dieser
Selbstoffenbarung einmal prinzipiell abgeschnitten, für sich
selbst nicht mehr Geist und Subjekt ist, wird es daher auch
nicht für andere sein, und somit auch für andere nicht
Zeugnis ablegen können. Beidemal Ist somit das Substantielle
In dem Verhältnis und das Erschütternde bei der Bezeichnung
37
ihm als der hauptsächlichste Zweck seines Lebens er-
scheint^).
Es ist eine Stelle des Cicero, nicht minder kurz als
jene Quintilianische, welche, mit den Augen des objek-
tiven Begriffes betrachtet, nicht nur mit gleicher Deutlich-
keit den Begriff des römischen Erbrechtes, sondern sogar,
obwohl Cicero das Bewußtsein hierüber nicht hat, die
wahrhafte historische Entwickelung des Erbrechtes bis zu
den Römern hervortreten läßt. ,,Quid procrcatio libe-
rorum," sagt Cicero (Tuscul. Quaest., I, c. 14), ,,quid
propagatto nominis, quid adoptiones filiorum, quid testa-
mentomm diligentia, quid ipsa sepulcrorum monumenta,
quid elogia significant, nisi nos futura etiam cogitare?"
,,Was bedeutet die Erzeugung der Kinder, was die Fort-
pflanzung des Namens und die Adoption von Söhnen,
was die Sorgfalt der Testamente, was die Monumente
der Gräber selbst, was die Inschriften anderes als dies,
daß wir sogar das Zukünftige erwägen?"
Wir sagen, daß diese Stelle nur mit den Augen des
Begriffes betrachtet zu werden braucht, um in einer das
direkte Bewußtsein Ciceros noch übersteigenden Weise
den wahrhaften gedankenmäßigen Verlauf der welthisto-
rischen Entv\ackelung des Erbrechtes und den spezifi-
schen Unterschied des römischen zu ergeben.
Die Erzeugung der Kinder, das erste der von
Cicero erwähnten Momente, ist die natürliche und wahr-
hafte Fortpflanzung der Person. Hier ist durch die
eines intestabills nur diese Unfähigkeit des Sichselbstbe-
zeugens oder die Testierunfähigkeit. Vgl. noch unten
S. 327. Note 1.
■^) Von hier aus fällt nun auch sofort auf die so enge Ver-
bindung des Testamentes mit den religiösen Ideen der
Römer und den sacris ein helles Licht, worüber später.
38
Identität des Blutes wirkliche Personenidentität in
der Familie vorhanden, und auf dieser natürlichen
Personenidentität beruht die erste Hauptgestalt des
Erbrechtes, das Familienintestatrecht der orientalischen
Welt.
Das zweite der von Cicero hervorgehobenen Momente
ist die propagatio nominis, die durch die Adoption be-
wirkte Fortpflanzung des Namens (nur rednerischer-
weise zerlegt Cicero die propagatio nominis und die adoptio
filiorum in zwei Glieder). Was hier wirklich hervor-
gebracht wird, ist schon nicht mehr Personen-, sondern
Namensidentität. Durch sie wird bewirkt, daß der
Name des einzelnen fortlebt in seinem Volke,
und sie wird daher hauptsächlich da hervortreten, wo der
einzelne sich noch nicht in sein subjektives Wesen zurück-
gezogen hat, sondern wo für ihn selbst auf seinemVer-
hältnis zu seinem Volksganzen der substan-
tielle Wert und die wahrhafte Unendlichkeit
seines Wesens beruht. Das auf Adoption beruhende
Erbrecht spielt daher konsequent seine Hauptrolle in der
griechischen Welt^).
Das dritte von Cicero parallelisierte Moment sind end-
lich die Testamente, die sich im Gegensatz zu der propo-
gatio nominis, in die er selbst die Adoption auflöst, auch
ohne die Aushilfe jener Quintilianischen Stelle von selbst
auflösen in eine propagatio voluntatis, in eine Fort-
pflanzung des subjektiven Willens als solchen.
Es ist nicht mehr die natürliche Fortpflanzung und Un-
sterblichkeit des einzelnen, welche in der Zeugung
der Familie, nicht mehr die Fortpflanzung und Un-
sterblichkeit des Namens, welche in der Adoption
^) Siehe Gans, Erbrecht, I, 383 fg., 315 fg.
39
vor sich geht, es ist die Fortpflanzung und Un-
sterblichkeit des subjektiven Willens als sol-
chen, w^elche im Testament sich Dasein gibt und das
Wesen des römischen Erbrechtes bildet^).
Die Fortpflanzung und Unendlichkeit des subjektiven
Willens — als der noch diesseitigen und auf die dies-
seitige reale Außenwelt als ihren Gegenstand bezogenen
Innerlichkeit des Menschen — , dies also ist das in
seiner Bestimmtheit ausgedrückte v^ahre Wesen des römi-
schen Erbrechtes.
Das Testament ist die Weise, in welcher die Un-
endlichkeit des Subjektes dem römischen
Geiste aufgegangen und von ihm erobert wor-
den ist.
Zugleich hat sich hier also bereits die positive Seite
und das dialektische Förtschrittsmoment ergeben, welches
das Testament in der welthistorischen Entwicklung der
Freiheitsidee darstellt, ein positiver Gehalt, -welchen Gans
^) Gans tut daher Cicero sehr unrecht, wenn er (Erbrecht,
II, 148) von diesen Worten desselben tadelnd sagt: , .Cicero
stellt hier die fleißige Abfassung der Testamente auf
gleiche Linie mit den substantiellsten Forderungen der Fa-
milie, des Geschlechtes und der Religion." Es liegt hierin ein
gänzliches Verkennen der objektiven Idee des Testamentes und
des oben aufgezeigten wahrhaften Gedankens der Ciceroniani-
schen Stelle. Cicero will beweisen, daß die Menschen auf die
Zeit nach ihrem Tode sehen (futura cogitare), und erfaßt
ganz richtig diese Selbstkontinuation seiner als den gemein-
schaftlichen Grundgedanken der drei analogen und den-
noch differenten Institute, der Familie, der Adoption und des
Testamentes, in welchen das Privatrecht diese Verewigung des
Individuums vollzieht. Zugleich ist in dem Testament der histo-
rische Fortschritt anzuerkennen, daß hier das Wesen der Per-
sönlichkeit in die von der Unmittelbarkeit derselben be-
freite Innerlichkeit des Willens gesetzt ist.
40
vollkommen übersieht, wenn er dem römischen Testament
immer nur seine negative Seite und Kritik, ,,die Leerheit
und Willkür seines Setzens", entgegenhält^). So richtig
dies für heute sein mag, so wesentlich ist es, zuvor das
affirmative Moment zu begreifen, welches die römische
Testamentsidee darstellt, und welches gerade darin be-
steht, in die von der Schranke der natürlichen und ge-
schlechtlichen Unmittelbarkeit befreite reine Inner-
lichkeit des Willens das Wesen und die Unendlich-
keit der Subjektivität verlegt zu haben. Dieser Triumph
der reinen Willensfreiheit, der abstrakten Innerlich-
keit, ist es, welche das Römertum befähigt, die unmittel-
bare dialektische Vorstufe für die noch tiefere und ab-
straktere Innerlichkeit des christlichen Geistes zu werden.
Soll aber der subjektive Wille sich wahrhaft als un-
endlich setzen, trotz der ihm in der Sterblichkeit der
Person entgegenstehenden Grenze, so kann er diese End-
lichkeit nur dadurch überwinden, daß er die Gewalt hat,
aus seiner freien Innerlichkeit heraus eine andere Person
zu seinem Fortsetzer und Träger zu ernennen, und
so eine andere Willensperson zum fortlaufenden Dasein
seiner selbst zu machen-). Es würde für die Unendlich-
1) Siehe Gans allerwärts z. B. II. 31 fg.. 175, 183 fg..
232 fg. u. a. a. O.
^) Wie schon aus dem Bisherigen hervorgeht, behandeln wir
einstweilen den testamentarischen Erben immer als den
Erben überhaupt, also als den gemeinschaftlichen Reprä-
sentanten von Testaments- und Intestaterbtum. Das beson-
dere Verhältnis von testamentarischem und Intestaterb-
recht zueinander, und der Unterschied und Gegensatz zwischen
ihnen, der unbeschadet ihrer Einheit besteht, wird und kann
erst später (in den Nrn. XXII, XXVI, XL) zur Entwicklung
gelangen. Dort wird sich dann auch unsere Berechtigung, den
testamentarischen Erben als den gemeinschaftlichen Repräsen-
41
keit des Willens nicht ausreichen, wenn er nur eine Ver-
fügung über die Verteilung des Vermögens nach dem Tode
tanten von testamentarischem und Intestaterbrecht zu nehmen,
entscheidend und konkret nachweisen. Hier kann dieselbe nur
vorläufig mit den beiden Gründen belegt werden: daß doch
offenbar testamentarischer und Intestaterbe den gemeinsamen
Begriff haben, zivilrechtliche Erben zu sein, und zwei-
tens, daß doch auch schon das bloße Gefühl häufig, wenn auch
unklar genug, herausfühlt und herausgefühlt hat, daß der testa-
mentarische Erbe die eigentliche Spitze und der Gipfel des
römischen Erbrechtes sei. Er wird sich uns eben als die ad-
äquateste Realität des römischen Erbbegriffes er-
geben. An ihm müssen daher die realen Momente dieses Be-
griffes bloßgelegt werden, und dann erst kann, da ja nie alles
auf einmal gesagt werden kann, zu dem Unterschiede Innerhalb
des Erbtumes übergegangen werden. Wir sind daher zu dieser
vorläufigen Identifikation alles Erbtums mit dem testamentari-
schen ebenso berechtigt wie genötigt. Freilich wird jener schon
durch die äußere Wichtigkeit, mit welcher die Römer den testa-
mentarischen Erben behandeln, gefühlsmäßig eingeräumte Satz,
daß er die höchste Entfaltung des römischen Erbrechtes sei,
auch wo er zugegeben wird, immer nur so ganz im allgemeinen
zugegeben. Sowie bestimmt auf das Verhältnis des testamen-
tarischen zum Intestaterbrecht eingegangen wird, ist die herr-
schende Ansicht vielmehr die ganz entgegengesetzte. Hier wird
vielmehr und zwar von den trefflichsten Autoren gelehrt: das
Prinzipale des Erbrechtes sei das Intestaterbrecht als
das Vermögensrecht der Familie. Erst aus ihm habe sich
die Befugnis des abweichenden Verfügens entwickelt. So de-
finiert z.B. Böcking in einer schon oben (S. 27, 2) bezeichneten
Stelle das Erbrecht als das ,, Güterrecht der sich auflösenden
Familie," nennt es (Pandekten des römischen Privatrechtes,
I, 130, Nr. 2) „ein auf Familienrecht beruhendes und aus ihm
hervorgehendes Vermögensrecht," und das. S. 130, Note 8,
sagt er ganz bestimmt: ,,Es wird sich im dritten Buche heraus-
stellen, daß auch nach römischer Rechtsansicht alles Erb-
recht eigentlich ein Recht der Familienglieder, das te-
stamentarische Erbrecht nur aus der Möglichkeit und
42
getroffen hat. Denn hiermit würde die Dauer des erb-
lasserischen Willens nur einen Moment lang über seine
Statthaftigkeit hervorgegangen ist, das natürliche Element
in dem sittlichen Bande der Familie zu ersetzen." Ebenso
nennen Mommsen, Jhering u. a. das Testament mit Bezug auf
das testamentum calatis comitiis eine „Dispensation von
der gesetzlichen Erbfolge" usw^.
Gewiß, wäre dem so, so würde unser Weg, von dem testa-
mentarischen Erben auszugehen, als ein prinzipiell falscher Weg
notwendig zu einem falschen Ziele führen müssen. Aber nicht
nur dahin führen würde er, sondern unser Begriff hätte von
Haus aus schon inhaltlich das Falsche In sich. Bereits muß
der inhaltliche Gegensatz, in welchem der von uns auf-
gestellte römische Erbtumsbegriff zu der eben referierten Auf-
fassung steht, klar genug sein. Denn nach ims besteht der Be-
griff und die historische Bedeutung des römischen Erbtums ja
gerade darin, daß dem subjektiven Willen, und somit
auch durch die reine Willensinnerlichkeit, frei von
aller Unmittelbarkeit und allen Banden der Natürlichkeit, des
Blutes und der Familie, fortexistierende Unendlichkeit gegeben
werde. Es ist die Innere Unendlichkeit des subjektiven Willens,
die sich zum Bewußtsein gekommen ist und zu Ihrer Realisierung
die Schranken des Todes bricht. Darum kann sie auch in dieser
Selbstrealisierung nichts anderes als sich selbst, diese Willens-
unendlichkeit, ausführen und an keinen anderen Inhalt gebun-
den sein.
Es zeigt sich aber auch sofort, daß die referierte Ansicht der
Autoren über das Verhältnis des testamentarischen zum Intestat-
erbrecht, wie unvermeidlich sie auch war, wenn man einmal
vom Vermögen als der Substanz des Erbtums ausging, doch
einen der radikalsten und größten Irrtümer darstellt,
der auf dem Gebiete des Erbrechtes überhaupt möglich ist,
und der mit allem Positiven und Historischen des römi-
schen Rechtes In dem grundsätzlichsten Gegensatz steht.
Während nach dieser Ansicht das Intestaterbrecht das Prinzi-
pale des Erbrechtes ist und das testamentarische nur die Be-
deutung eines erlaubten Abwelchens und Ersetzens hat,
gilt bei den Römern gerade das Umgekehrte, daß das Testa-
43
natürliche Dauer hinaus verlängert, dann aber dennoch
erloschen sein. Soll also mit dem spekulativen Begriff
Ernst gemacht werden, und soll der von uns entwickelte
Begriff wirklich die Seele des römischen Testamentes sein,
so müßte die wahre Bedeutung des Testamentes nicht so-
wohl darin liegen, daß eine Verfügung über die hinter-
lassenen Vermögenssachen getroffen, sondern darin,
daß ein Willenssukzessor geschaffen ist, und beides
müßte nur zufällig miteinander zusammenfallen, ebenso-
wohl aber auch sich trennen und auseinandertreten
können, und gerade bei dieser Trennung müßte dann
ganz deutlich hervortreten, vAe die Bedeutung des Testa-
ment das Prinzipale ist und das Intestaterbrecht nur subsi-
diäre Bedeutung hat. Ulpian, L. 39 de acqu. vel om. her.
(29, 2) : „Quamdiu potest ex testamento adiri hereditas, ab
intestato non defertur." Das Intestaterbrecht soll also über-
haupt nur platzgreifen ganz subsidiär, wenn nicht testiert
worden ist ! Eigentümliches Schicksal der nichtspekulativen, juri-
stischen Verstandesbetrachtung, daß sie stets mit ihrem Stoff
und ihren Quellen in den entschiedensten Widerspruch treten
muß! Nicht weniger aber wie ihrem dogmatischen Stoffe
widerspricht jene Ansicht dem historischen Gange des-
selben ; denn während das älteste, mit Gewißheit bekannte Recht,
das Zwölf tafelrecht, absolute Freiheit des Testierens ge-
währt und von jeder Rücksicht auf die Familienglieder ent-
bindet, erkämpft sich das wirkliche Familienrecht (das
Erbrecht der Kognaten) erst langsam und schrittweise und nur
durch prätorische Hilfe in Rom seine Anerkennung (vgl. später
über die querela inofficiosi, Nr. X). Und drittens ist das
alte zivile Intestaterbrecht — abgesehen von seinem sub-
sidiären Charakter — etwas ganz anderes als ein Familien-
erbrecht in dem hierbei gemeinten Sinne, wie wir später sehen
werden.
Um nichts richtiger als die geschilderte Ansicht ist aber jene
von Gans, nach welcher das Intestaterbrecht zwar nicht das
Prinzipale des Erbrechtes, und das testamentarische bloß sein
44
mentes nicht in der Verfügung über das Vernrögen,
sondern in der Hervorbringung einer Willens-
kontinuität besteht.
Und wie dies hier als ein Postulat des apriorischen
Begriffes der Unendlichkeit des subjektiven Willens von
der Seite seiner Dauer entv^^ickelt worden ist, so kann
ganz die entsprechende Konsequenz auch aus dem In-
halt des Willensbegriffes entwickelt werden. Soll die
Unendlichkeit des subjektiven Willens das sein, was
durch das Testament bewirkt wird, so kann die Willens-
innerlichkeit des Testators ebensowenig an dem Ver-
mögen desselben seine Grenze haben, wie die Willens-
Surrogat, heide vielmehr einander gleich gegenüberstehende kämp-
fende und unversöhnte Gegensätze sind, deren Kampf die ge-
schichtliche Entwicklung des römischen Rechtes ausmache, ein
Dualismus, in welchem das Intestaterbrecht das substan-
tielle Prinzip (die Seite der Familie), das testamentarische
dagegen die leere Willkür darstelle. Es sind das alles lauter
Gegenteile des Richtigen, wodurch die Bedeutung des römi-
schen Rechtes und seiner Geschichte geradezu auf den Kopf ge-
stellt wird.
Wir werden auf alle diese Punkte später näher zurück-
konmien, wenn erst die Grundlagen zu ihrer entscheidenden
Lösung gelegt sein werden. Hier genügt es, gegen Gans darauf
aufmerksam zu machen, daß der koordinierte und gleichbe-
rechtigte Dualismus, den er dem testamentarischen und Intestat-
erbrecht als ihre Stellung zueinander anweist, durch den römi-
schen Hauptginindsatz von der nur subsidiären Bedeutung alles
Intestaterbrechtes ebenso sehr widerlegt wird, wie die erste
Ansicht. — Hier genügt es hervorzuheben, daß, wenn es römi-
scher Hauptgrundsatz ist, das Intestaterbrecht habe nur sub-
sidiäre Bedeutung, es somit der durchaus angemessene
und absolut notwendige Weg ist, zuerst das testamentarische
Erbtum als den prinzipalen Repräsentanten des Erb-
tums überhaupt zu entwickeln — und sich dann erst mit
seinem Surrogat zu beschäftigen.
45
innerlicKkeit irgendeines lebenden Menschen an seinem
Vermögen ihre inhaltliche Grenze hat. Der Wille ist
vielmehr eine freie Innerlichkeit, die sich auf die ge-
samte Außenwelt als ihren Gegenstand bezieht, und
das Vermögen eines Menschen bildet nur das unmittel-
bare Dasein und die schon vorhandenen realen Aus-
führungsmittel dieses Willens, aber nicht seine inhalt-
liche Grenze. Es müßte also, wenn der spekulative Be-
griff in seinem Rechte sein soll, der Wille des Testators
sowohl über die Grenze seines Vermögens hinaus-
greifen, als sich überhaupt von demselben ganz
trennen können, und es müßte sich daher auch von
hier aus nicht nur die ideelle Bedeutung ergeben, daß, so
paradox dies zunächst klingt, der Testator auf den Erben
nicht sein Vermögen, sondern, auch wo beides
zusammengeht, nur seinen Willen (und ersteres
lediglich als Akzessorium des letzteren) vererbt; sondern
es müßte sogar zur deutlicheren Bestätigung dieser speku-
lativen Wahrheit auch von hier aus wieder die reale
Trennung und Auseinanderhaltung beider Mo-
mente auch tatsächlich eintreten können, und
diese Trennung gerade das echtere und reinere, das
spezifische Verhältnis des Erbtumsbegriffes bilden.
Was in dem Vorstehenden als die strengen Konse-
quenzen des apriorischen Begriffes entwickelt wor-
den ist, das ist vorläufig aufs schärfste festzuhalten. Denn
diese ganze entwickelte Ideenreihe, bis in ihre rigoro-
sesten Folgerungen hinein, und besonders auch der zu-
nächst so paradox klingende Satz, daß der Erbe nicht
das Vermögen, sondern den Willen des Erblassers
erbt, und daß deshalb auch beides, Erbtum und Ver-
mögen, in reale Trennung auseinander treten kann und
selbst muß, ja sogar daß diese Trennung gerade das
46
begrifflich -reinere, echtere und spezifischere und darum
bessere Dasein des zivilistischen Erbtums bildet, wird
sich im Verlauf, und zwar sehr bald, als das Reale des
römischen Erbrechtes ergeben, und es wird sich
zeigen, wie gerade nur hierin der wahre, stets über-
sehene Schlüssel zu dem Wesen des römischen Erbrechtes
liegt, ohne welchen das Verständnis desselben daher durch-
aus verschlossen und unzugänglich bleiben mußte. — Zu-
nächst haben wir aber noch, ehe wir uns zu dem for-
malen und realen Testamentsrecht selbst wenden können,
im Interesse systematischer Aufhellung eine Grundlage des-
selben zu betrachten.
II. Die Sacra und ihre Beziehung zum Erbtum.
Der Wechsel im Pontif ikalrecht.
Schon oben haben wir, als wir jenes intestabilis et sacer
und jener unvergleichlichen Heiligkeit und Wichtigkeit ge-
dachten, die der Römer dem Testament beimißt, als wir
hierbei den Vergleich mit der Richtung des Ägypters auf
sein Grabmal zogen, dessen Bereitung ihm als der haupt-
sächlichste Zweck seines Lebens erscheint, hierzu die Be-
merkung gemacht (S. 36 und 37), daß von hier aus nun
ein helles Licht auf die enge Verbindung fällt, in welcher
das Testament mit den religiösen Ideen der Römer
und speziell mit den sacris gestanden habe. Aber schon
mit der ersten Begriffsentwickelung, schon mit dem Satze :
,,die römische Unsterblichkeit ist — das Testament",
mußte die innere Notwendigkeit und der bestimmte be-
griffliche Zusammenhang dieser Verbindung fühlbar zu-
tage getreten sein.
47
Nach den bisherigen Auffassungen des Erbrechtes war
dies keineswegs der Fall. Zwar die Tatsache der Ver-
bindung des Testamentes mit der religiösen Substanz der
Römer transpirierte von zu vielen Seiten her, der Zu-
sammenhang der Sacra mit demselben war durch zu viele
Zeugnisse positiv überliefert, um nicht in dieser positiven
Tatsächlichkeit anerkannt zu werden. Aber hierbei
hatte es auch sein Bewenden. Nicht einmal die Frage
nach dem bestimmten inneren Grunde dieser so engen Ver-
bindung \Nairde aufgeworfen. Und doch nimmt man es
offenbar viel zu leicht, wenn man dieselbe als eine bei
der Natur des testamentarischen Aktes ganz selbstredende
und keiner Erklärung bedürftige betrachtet I
Wenn Cicero fragt: ,,Denn was geht denn den Pon-
tifex das Recht der Scheidemauera der Häuser, oder der
Gewässer, oder überhaupt irgendeins an ?" ^), so ist ebenso
allen Ernstes weiter zu fragen : Was geht ihn das Testa-
ment an, wenn dieses doch nur eine Vermögens-
verfügung und das Erbrecht also ein Vermögens-
recht, wie jene andere, bildet? Und es würde dann
in der Tat das römische Pontifikalrecht ebensowenig an-
gegangen haben, wie unser heutiges Testament, weil
dieses wirklich eine Vermögensverfügung darstellt, mit
unserem kirchlichen Rechte zu tun hat^).
^) De legib., II, c. 19: quid enim ad Pontificem de jure
parietum aut aquarum aut ullo omnino?
^) Selbst das Kanonische Recht läßt sich auf das Erb-
recht nicht ein, soweit es sich nicht um das Vermögen der
eigenen Mitglieder der Kirche oder um ihr selbst vermachte
Erbschaften und Legate (ad pias causas) handelt, und nur
aus diesem direkten Interesse sucht sie die Gerichtsbarkeit
über die Testamente überhaupt an sich zu bringen und die Form
48
Wenn also Cicero daselbst fortfährt: „Also nur, was
mit der Religion verbunden ist. Dies aber, wieviel
umfaßt dies denn überhaupt ? Die Bestimmungen über die
Sacra, denke ich, über die Gelübde, über die Feiertage,
über die Gräber und was es etwa noch Derartiges gibt ^),
SO war diese religiöse Verbindung von Testament oder
Erbtum überhaupt und den sacris damals zwar dem un-
mittelbaren Gefühle jedes Hörers gegenwärtig, für heute
aber bedarf sie eines theoretischen Nachweises ihrer
inneren Beschaffenheit und Notwendigkeit, ein Nachweis,
zu welchem die Elemente in dem Bisherigen bereits vor-
liegen.
Das römische Testament (respektive Erbtum über-
haupt), sagten wir, ist die realisierte Unendlichkeit des
subjektiven Willens.
Allein der Wille ist selbst wieder in sich unter-
schiedener Natur. Was in dem Willen das Unend-
liche ist, ist nicht der einzelne, bestimmte Willensakt,
sondern die durch jeden solchen Willensakt hindurch-
gehende allgemeine Willenssubjektivität selbst, diese
Fähigkeit des Wollens und Fürsichseins, also das
Wesen des Willens, welches freilich auch in jeder ein-
zelnen Willensäußerung zur Erzitterung gelangt. Nicht
unendlich dagegen ist der einzelne inhaltliche Wille als
solcher.
derselben zu erleichtern, wie dies gut hervorgehoben ist in der
Behandlung des Kanonischen Rechtes bei Gans, Erbrecht, III.
135 fg.
^) A. a. O. : ,,Ergo, quod cum religione conjunctum est.
Id autem quantulum est? de sacris, credo, de voti^, de feriis,
de sepulcris et si quid ejusmodi est." Die nachfolgende Ent-
wicklung wird von selbst hervortreten lassen, wie alles dies,
Sacra, vota etc., nur Momente einer Begriffsreihe sind-
4 Lae5:il]e, Cef. Schrihcn, Btnd XI. 49.
Dieser hat vielmehr in dem bestimmten endhchen In-
halt und Gegenstand, auf den er bezogen ist, die Not-
wendigkeit seiner eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit.
Der Wille will etwas in bezug auf einen Gegenstand. So-
mit will er dies nur, so lange dieser Gegenstand existiert,
und unter anderweitigen bestimmten Umständen. Mit diesen
bestimmten Umständen und jedenfalls mit der Existenz
dieses bestimmten und zufälligen Gegenstandes geht dieser
Wille notwendig wieder vorüber. Der Wille hat also in
der Endlichkeit des bestimmten Inhaltes, auf den er
sich bezieht, die Notwendigkeit seiner eigenen Endlichkeit.
Jeder Wille ist sogar innerhalb der wollenden Willens-
subjektivität selbst ein mit ihr nicht Gleichdauemdes, wie-
der Verschwindendes.
Jede bestimmte Willensäußerung ist also eine
Schwingung, in welcher das Unendliche des Willens wohl
zur erklingenden Erzitterung, aber in dieser Äußerung nicht
zur Gleichheit mit seinem sich darin äußernden Wesen
gelangt. Diese Äußerung ist vielmehr immer ebenso
eine Entäußerung und Verendlichung desselben.
Einen Gegenstand aber gibt es notwendig, auf welchen
bezogen der Wille diese im Willensakt ihm durch den
endlichen Inhalt desselben widerfahrende Verendlichung
seines unendlichen Wesens nicht erleidet. Es ist die Be-
ziehung des Willens auf das rein Unendliche selbst,
oder die Gottheit. Der hierauf bezogene subjektive
Wille ist nicht mehr sinnlicher und besonderer, dieser oder
jener zufällige Wille, verschwindend mit der Zufälligkeit
seines endlichen Gegenstandes. Vielmehr auf das Absolute
selbst bezogen, tritt hier der subjektive Wille in seiner
idealsten, reinsten, vom Zufälligen des Stoffes befreiten,
sich selbst gleichen Form heraus. Diese Beziehung des
subjektiven Willens auf die Gottheit ist im Willen wieder
50
das Bleibende des Willens. Mit anderen Worten: In
der Beziehung des subjektiven Willens auf die Gottheit ist
der einzelne Willensakt von derselben Ideali-
tät und Unendlichkeit, wie das Wesen des Willens,
die allgemeine Willenssubjektivität selbst. Die Beziehung
des Willens auf die Gottheit ist also diejenige einzelne
Äußerung des subjektiven Willens, in welcher derselbe
in Gleichheit und Identität mit seinem sich äußern-
den Wesen, mit seiner eigenen Unendlichkeit ver-
bleibt, eine Schwingung, in deren Erklingung die Sub-
stanz des Willens nicht bloß zum Erzittern, sondern zum
vollen Austönen ihrer Unendlichkeit, zu einem dem
Willensbegriff adäquaten Dasein gelangt. Jede
Beziehung des subjektiven Willens auf die Gottheit ist
also, obwohl einzelner, bestimmter Willens akt, dennoch
um der adäquaten Form willen, in welcher der Wille
sich hier realisiert, oder respektive was \on diesem der
Grund ist, um der Unendlichkeit des Gegenstandes
willen, auf den sich der subjektive Wille hier bezieht,
identisch und auf gleicher Linie stehend mit dem Dasein
dieser Willenssubjektivität überhaupt.
Jetzt muß aber der innere Zusammenhang von sacra
und Erbtum bereits in vollster Evidenz stehen. Denn es
bedarf nunmehr zu seiner Heraushebung nur noch der bei-
den folgenden von selbst klaren Sätze : Die Beziehung des
subjektiven Willens auf die Gottheit — das in bezug auf
den Gott Gewollte — ist das votiim. Und die Realisation
der Vota sind die dem Gotte gestifteten sacra.
Daher die Notwendigkeit, daß die sacra privata, und
zwar gerade wieder die sacra singiili hominis'^), die von
■^) Siehe Festus, v*^ Publica sacra, p. 243, ed. Müller:
. . . at privata, quae pro singulis hominibiis, familiis, gentibus
fiunt. Sehr richtig weist Savigny nach (Zeitschrift für ge-
4* 51
dem einzelnen Subjekt dem Gotte für seine Person ge-
machten Stiftungen, eine von dem Erbtum unzertrennliche
Grundlage desselben bilden. Sie müssen dieselbe bilden,
denn beide sind, wie wir gesehen haben, nur ganz und
gar dasselbe: die realisierte Willensunsterblichkeit!
Die ideale Beziehung, welche sich der subjektive Wille
in den votis^) und sacris zur Gottheit gegeben hat, soll
schichtliche Rechtswissenschaft. II, 383 fg.). daß diese Fa-
miliensacra auf einem bloßen Irrtum des Festus beruhen und
es keine anderen sacra privata gegeben hat als die sacra sin-
guli hominis — von denen auch die angezogene und bald näher
zu betrachtende Stelle des Cicero ausschließlich handelt —
und die sacra gentilitia.
^^ . . . voti enim obhgatlonem ad heredem transire constat;
Ulpian, L. 2, § 2, de pollicit. (50, 12). Hier bereits kommt
es zum Klappen, daß die Substanz des Erbtums nicht das
Vermögen, daß es nicht die ,, Vermögensrecht liehe Per-
sönlichkeit" des Erblassers ist, die auf den Erben übergeht.
Denn wie könnte dann der bloß ideale Schwur, den der Erb-
lasser Gott ablegt, wie könnte dies rein persönliche innere
Verhältnis, aus welchem für niemand Vermögensrechte ent-
stehen, auf den Erben übergehen ? Mit einer durchaus richtigen,
hoch anzuerkennenden Konsequenz lehrt daher Hugo Grotius,
weil er (s. oben S. 24) sich zu dar Lehre von dem Über-
gang der bloß ,, vermögensrechtlichen Persönlichkeit" auf den
Erben bekennt, daß durch den bloß Gott abgelegten Schwur
der Erbe nicht verpflichtet werde, a. a. O., II, Kap. 13,
§ 17, S. 460, Frankfurter Ausgabe von 1696: , .Verum illud
notandum est, quoties non personae jus nascitur ex tali aliquo
defectu, qualem diximus, sed Deo obstringitiir fides, heredem
ejus qui juravit non teneri. Quia ad heredem sicut bona tran-
seunt, id est quae in hominum sunt commercio, ita bonorum
onera; non item alia quae quis ex officio, puta pietatis, gra-
tiae, fidei debuit. Haec enim ad illud quod stricte Jus dicitur
inter homines non pertinent, ut alibi quoque ostendere memini-
mus." Hierbei hat nun aber Grotius, wie Ulpian konstatiert,
alle römischen Juristen sich gegenüber. Die Nachfolger
52
perpetuiert werden, wie das Erbtum die Existenz dieser
Willenssubjektivität selbst perpetuiert. Und jene Be-
ziehung muß perpetuiert werden, wenn und so lange von
einer Fortexistenz dieser Willenssubjektivität (Erben)
die Rede sein soll ; denn, als Beziehung des subjektiven
Willens auf das Unendliche selbst, enthält sie das Un-
endliche, wie es für diesen Willen vorhanden ist, und
also — da hier ja vom subjektiven Willen die Rede
ist, dessen Sein in seinem Fürsichsein besteht — das
wahrhaft Unendliche dieses subjektiven Willens.
Oder, wie wir vorher sagten, die Beziehung des subjek-
tiven Willens auf die Gottheit ist im Willen wieder das
Bleibende des Willens, oder das Allgemeine im
Willen, und also identisch mit dem Dasein dieser Willens-
subjektivität selbst. Letztere kann also nicht nach dem
Tode fortdauern, die Unendlichkeit des subjektiven Willens
nicht realisiert sein, wenn nicht auch die einzelnen Be-
ziehungen, die er sich auf die Gottheit durch vota und
Sacra gegeben hat, ins Unendliche fortdauern. Darum
sagt Cicero, die Wissenschaft der sacra fasse sich in den
einen Satz zusammen : ut sint perpetua V, gerade wie wir
oben sagten, der Begriff des römischen Erbt ums fasse
sich in den einen Satz zusammen, daß der subjektive Wille
ins Unendliche als fortexistierend perpetuiert werde.
von Grotius aber, die, trotzdem sie dieselbe Lehre von dem
Übergang der ,, vermögensrechtlichen" Persönlichkeit aufstellen,
ihm in diesen Konflikt hinein zu folgen vermeiden, ermangeln
dann sehr der hohen begrifflichen Kraft und Konsequenz ihres
großen Vorgängers.
^) De leg., II, 19: Cur igitur haec tanta facimus, cum
caetera perparva sint ; de sacris autem, qui locus patet latms,
haec slt una sententia, ut conserventur semper et deinceps fa-
miliis prodantur et, ut in lege posul, perpetua smt sacra.
53
Von der entwickelten Grundidee der sacra privata aus
begreift sich nun alles sie Betreffende^); wir aber haben
es hier nur mit dem zu tun, was unmittelbar zu unserem
Gegenstande gehört.
So mag zunächst erwähnt werden, wie durch das Ge-
sagte zuvörderst eine Bestimmung in völlige Klarheit tritt,
die bisher ganz unbegreiflich bleiben mußte. Der römische
filius familias kann sich bekanntlich aus allen Gründen
gültig obligieren, und kann sogar, als ob er pater familias
wäre, sofort eingeklagt werden^). Durch das Votum
aber, das der Sohn ohne den Willen des Vaters gelobt,
wird er nicht verpflichtet. Ulpian^): ,,... filius enim
familias vel servus sine patris dominive auctoritate voto
non obligatur." Wenn dies sonst eine unbegriffene ,, sin-
gulare Ausnahme" darstellen mußte*), um so mehr, als
ja der filius auch durch jede gewöhnliche Pollizitation ^),
durch die ein pater familias verpflichtet wird*"), gleich-
falls obligiert wird, und nur gerade durch die stärkere
Pollizitation des Votums nicht verpflichtet werden
soll, so muß diese Befremdlichkeit jetzt fortgefallen sein.
Denn das Votum, wie wir gesehen haben, als die Be-
^) Z. B. jetzt auch die ,,detestatio sacrorum", welche der
Adoption vorhergehen mußte und über welche der Recht s -
gelehrte Servius Sulpicius ein Werk schrieb. Aul. Gellius,
Noct. att.. lib. VI. c. 12.
^) L. 39 de o. et a. (44, 7) : Filius familias ex Omnibus
causis tanquam pater familias obligatur et ob id agi cum eo
tamquam cum patre familias potest. — L. 57 de jud. (5, 1):
L. 141, § 2. de v. o. (45. 1) etc.
') L. 2, § 2. de polHcit. (50, 12)
*) Savigny, System, II, 54, Note f.
^) Denn ex omnibus causis wird er verpflichtet, s. An-
merk. 2.
*) Vgl. den Digestentitel de pollicitationibus (50, 12).
54
Ziehung, die sich der subjektive Wille auf das Unend-
liche gibt, ist selbst das Setzen des Verhältnisses, welches
für diesen subjektiven Willen zum Unendlichen vorhanden
sein soll, und also selbst das Heraussetzen seiner eigenen
fürsichseienden Unendlichkeit und gleichbedeutend mit dem
Fürsichsein dieser Willenssubjektivität überhaupt. Dieses
Setzens seiner fürsichseienden Unendlichkeit oder des Vo-
tums kann daher nur der fähig sein, welcher bereits eine
für sich seiende Willenssubjektivität ist, und
somit nicht der in der Gewalt stehende Sohn, welcher das
Fürsichsein seiner Willensunendlichkeit noch in einem
anderen, dem Vater, hat und also die Unendlich-
keit der subjektiven Willensinnerlichkeit noch gar nicht
erreicht hat^).
^) Wie sich dies später durch die Entwicklung des römi-
schen Familienbegriffes beim suus deutlich zeigen wird. Da-
selbst wird auch klar werden, warum der Sohn andere Obliga-
tionen gültig eingehen können muß.
Übrigens folgt aus dem Obigen auch der Grund des Unter-
schiedes in der Behandlung der Pollizitationen und des Votums,
sowohl in bezug auf den Votierenden selbst, als auf den
Erben. Das Votum ist im juristischen Sinne eine polli-
citatio sine causa. Die pollicitationes sine causa verbinden nicht,
weder den Versprechenden noch dessen Erben (Ulpian,
L. 1, §§ 1 u. 2, de pollic, 50, 12), wohl aber die Vota:
Ulpian, L. 2 das. : Si quis rem aliquam voverit, voto obli-
gatur. Und zwar darf man dies sich nicht so erklären, als
wäre die Sache, welche den Gegenstand des Votums bildet,
durch das Gelübde geweiht. Das Verhältnis bleibt vielmehr ein
rein persönliches und die Sache wird nicht zur res sacra.
Ulpian, a. a. O. : ,,Quae res personam voventis, non rem, quae
vovetur, obligat ; res enim quae vovetur, soluta quidem liberal
vota, ipsa vero sacra non efficitur." Ebenso heißt es in bezug
auf das Erbrecht beim Votum: . . . voti enim obligationem
ad heredem transire constat (Ulpian, § 2, a. a. O.), während
55
Durch die nachgewiesene Identität der sacra und des
Erbtums, welche beide nur den Ausdruck, jene in der
religiösen, dieses in der privatrechtlichen Sphäre,
derselben Grundidee, der Fortdauer des subjektiven Willens
bilden, ist aber natürlich nicht nur die Notwendigkeit von
der Perpetuität der sacra, sondern, da beide eben
identisch sind, ihre unzertrennliche Verbindung mit der
Qualität des Erben gegeben, der sie anhaften^). Es ist
gleichwohl für unser Thema von Interesse, die Worte zu
betrachten, mit welchen Cicero die Frage zu beantworten
beginnt, wer zu den sacris verpflichtet sei: ,,Heredum
causa justissima est^); nuUa est enim persona, quae ad
vicem ejus qui e vita emigravit proprius accedat." ,,Der
Erben Verpflichtung ist die gerechteste ; denn keine
Person gibt es, welche der Rolle dessen, der aus dem
Leben schied, näher stünde." So abstrakt richtig also
auch Valerius Maximus ^) die Zeugung das ,,engste
Band zwischen den Menschen" nennt — ein Band
gibt es dennoch für den Römer, welches auch dieses
an Nähe noch schlägt und überwindet, das Band
des Erbtums. Keiner steht dem Verstorbenen näher als
der Erbe eine solche Verpflichtung in Bezug auf die poUicitatio
sine causa, wo kein Anfang von Ausführung da ist, natürlich
so wenig wie der Votant selbst hat und selbst bei einem
Anfang von Ausführung sich dieser Verpflichtung durch Über-
lassung des fünften, resp. zehnten Teiles der Erbschaft ent-
ziehen kann ; s. Modestinus, L. '9 eod. tit. ; vgl. L. 14 das-
^) Und bekanntlich starrten die Erbschaften von sacris so,
daß sich, wie wir aus Festus (v*^ sine sacris her., p. 290,
ed. M.) wissen, die Redensart: sine sacris hereditas als sprich-
wörtliche Bezeichnung für ein seltenes, ungetrübtes Glück bilden
konnte.
'') A. a. O.. II. Kap. 19.
^) Siehe oben S. 23-
56
der Erbe, und wenn Sohn und Erbe auseinander fallen,
wie dies rechtlich zulässig und bekanntlich in Rom so
häufig der Fall war, so steht also der Erbe dem Toten
näher als der Sohn. Diese Anschauung aber, die es
allein hervorbringen konnte, daß die sacra nicht auf den
Sohn, sondern auf den Erben übergehen, kann nach unserer
Entwicklung des römischen Erbbegriffes nicht im ge-
ringsten mehr wundernehmen. Denn der Erbe ist gei-
stige Willensidentität mit dem Verstorbenen, ist der
Kontinuator seiner Willenssubjektivität, eine Identität,
gegen deren Innerlichkeit sich die bloß natürliche
Blutsidentität des Sohnes als das Schwächere und nur
Sinnlich-Zufällige, dem Geiste Fremde bestimmt. Der
Erbe ist der durch einen geistigen Zeugungs- und
Identifikationsprozeß, den wir später näher betrachten
werden, geschaffene Sohn.
Es ist nie geraten, ganz unzweifelhafte Resultate, wenn
auch nur scheinbar, dadurch abzuschwächen, daß man ohne
eine hierzu vorliegende Notwendigkeit sie mit anderen
Punkten von vielleicht weniger unbedingter und z^veifel-
loser Natur zusammen behandelt und durcheinanderwirft.
Es ist daher hier einstweilen nicht am Ort, die sehr
dunkle und durch alle Bemühungen der Ausleger von
Balduinus bis Savigny^) noch durchaus nicht hinreichend
aufgehellte Stelle Ciceros, deren Anfang wir betrachtet
haben, in ihrem weiteren Verlauf (De leg., II, 19 — 22)
und in den Einzelheiten desselben zu zergliedern.
Wir wollen uns also mmdestens nicht hier^) darauf
^) Siehe dessen Aufsatz in der Zeitschrift für geschicht-
liche Rechtswissenschaft (Berlin 1816), II, 362 fg.
-) Wir werden dieser Aufgabe vielmehr die selbständige
Nr. III widmen, und sie so von dem Vorhergehenden und
Nachfolgenden auch äußerlich abscheiden.
57
einlassen, die beiden Theorien des pontifikalen Rechtes
über die Frage, wer zu den sacris verpflichtet sei, die
ältere und die neuere, die Cicero daselbst einander gegen-
überstellt in ihren einzelnen Bestimmungen zu betrach-
ten, zumal diese ja nur die Frage betreffen, wer noch,
sei es außer dem Erben, sei es überhaupt nur sub-
sidiarisch, wenn kein Erbe da sei, zu den sacris ver-
pflichtet sei, und sich also bereits von unserem eigentlichen
Gegenstande, dem Erbtum, zu entfernen anfangen.
Aber die Hauptachse, auf welcher daselbst die ge-
samte Argumentation des Cicero gegen die von den beiden
Scävola in das Pontifikalrecht gebrachte Neuerung be-
ruht, muß schlechterdmgs hier noch hervorgehoben werden.
Denn sie hängt einerseits noch untrennbar mit unserem
Gegenstand zusammen, und andererseits ergibt sie sich noch
mit der unzweifelhaftesten Gewißheit aus den aus-
drücklichen Worten Ciceros selbst. Gleichwohl ist ge-
rade sie, während man sich immer vorzugsweise mit den
einzelnen Fällen beschäftigte, in welchen die Abweichung
der beiden Theorien hervortritt, nie mit hinreichendem Nach-
druck hervorgehoben worden, weshalb dann auch die aus
ihr sofort resultierenden Folgemngen nicht gezogen wurden.
Diese Hauptachse aber, welche dem von Cicero gegen
die beiden Scävola erhobenen Vorwurf, das pontifikale
Recht durch ihre Neuerungen verdorben zu haben, zu-
grunde liegt, und die von Cicero auch ausdrücklich so
bezeichnet und als das Prinzip hingestellt wird, aus
welchem die Unterschiede in den einzelnen Bestimmungen
der neuen und älteren Theorie nur ein notwendiger Aus-
fluß seien, ist folgende : Nach der alten Theorie seien
die Sacra mit dem Vermögen nicht verbunden
gewesen, durch die Scävola erst sei dem Grundsatz
Eingang verschafft worden, daß die sacra an das Ver-
58
mögen geknüpft sein und mit ihm übergehen sollten, und
hiervon seien die Verschiedenheiten in den einzelnen
Sätzen beider Theorien über die Verpflichtung zu den
sacris nur die einfache Folge. Die Ausdrucksvveise Ci-
ceros ist hierin so positiv, \vie nur irgend möglich : ,,Videtis
igitur — sagt er — omnla pendere ex uno illo quod Ponti-
fices pecuniam sacris conjungi volunt." ,,Ihr seht also,
daß alles (d.h. alle die von ihm vorher betrachteten
Unterschiede in den einzelnen dogmatischen Bestimmungen
beider Theorien) aus diesem Einen herfließt, daß
die Pontifices wollen, die sacra sollen mit dem Ver-
mögen-^) verbunden sein." Und später nochmals:
„Nam Sacra cum pecunia, Pontificum auctoritate, nulla
lege, conjuncta sunt." ,,Denn die sacra sind mit dem
Vermögen nur durch die Autorität der Pontifices, aber
durch kein Gesetz verknüpft^)."
Wenn die prinzipielle Neuerung, welche die Scävola
hervorbringen, somit darin besteht, daß die sacra mit dem
Vermögen verknüpft sind und übergehen, so muß somit
eine Zeit gewesen sein — und dies ist eben, wie Cicero
sagt, die Zeit der alten Theorie — , wo die sacra
^) Pecunia heißt hier (wie Savigny in der Zeitschrift a. a. O.,
S. 363, Note 3 bereits bemerkt), wie in vielen Stellen, nicht
bares Geld, sondern alles, was im Eigentum! ist ; vgl. Festus.
vO pecunia. L. 5 pr. ; L. 178 pr. ; L. 222 D. de v. s. (50, 16).
^) Und in dieser Verknüpfung sieht Cicero einen sol-
chen Verderb des pontifikalen Rechtes der sacra, daß er
sagt: „Civilis enim juris scientia, Pontiflcium quodammodo
tollitisJ' Und : ,,Itaque si vos tantummodo Pontifices essetis,
Pontificalis maneret audoritas; sed quod iidem juris civilis estis
peritissimi, hac scientia illam cludifis." Warum er einen so
totalen Verderb darin erblickt, wird wohl schon aus dem
hier weiter Folgenden deutlicher, zu völliger Klarheit aber erst
In Nr. III kommen.
59
nicht mit dem Vermögen übergingen, wo also die sacra
und das Vermögen des Erblassers in reale
Trennung auseinandertreten konnten. DasErb-
tum aber, die zivile hereditas, und die sacra konnten nie-
mals auseinandertreten, nicht einmal nach der neuen
Theorie, wo der Erbe immer noch der primo loco Ver-
pflichtete bleibt, geschweige denn nach der alten. E r b -
Qualität und sacra fallen also immer zusammen. Wenn
dennoch eine Zeit war, wo sacra und Vermögen nicht
miteinander gingen, so scheint also schon hier die erste
textmäßige Hindeutung — die wir einstweilen nur
für eine ganz schwache, umflorte ausgeben wollen, da
darüber ohnehin die positivsten Beweise später zu Gebote
stehen — vorhanden zu sein, daß es eine Zeit in Rom
gegeben haben muß, wo innerhalb des jus clvile
Erbtum und Vermögensanfall an und für sich
unabhängige Begriffe voneinander sind, und auch der Sitte
nach realiter in Spaltung auseinandertreten, und
daher der wirklich antretende Erbe^), der hier-
durch also mit den sacris belastet wurde, nichts von
dem Vermögen des Erblassers zu erhalten pflegte.
^) Wir sagen: der wirklich antretende Erbe, um das
Mißverständnis zu vermeiden, als nähmen wir hier etwa das
Wort ,,Erbe" in dem Sinne, wie man den gesetzlichen Intestat-
erben, der aber durch einen testamentarischen Erben
(oder auch durch einen bonorum possessor) geschlagen wird,
der Kürze halber uneigentlich einen ,, Erben" nennt, hierunter
aber nur einen solchen verstehend, der nach dem Zivilrecht zum
Erben geworden wäre, wenn nicht ein testamentarischer
Erbe oder ein bonorum possessor da gewesen wäre. Ein sol-
cher ist natürlich nicht Erbe, was er nur durch die wirkliche
Adition wird, sondern hätte es nur sein können, und ist
natürlich auch gar nicht zu den sacris verpflichtet, die nur durch
die reelle hereditas (die wirklich angetretene) auf ihn
übergehen.
60 ~ ~
III. Die Sacra und die beiden Theorien dersel-
ben in der Stelle des Cicero, de Leg., II, 19 — 21.
— Die historische Entwickelung der Sakral-
theorie.
Wir behandeln jetzt jene dunkle Stelle des Cicero und
die beiden Sakraltheorien, die in ihr zutage treten, nach-
folgend in einer selbständigen Nummer, weil, wie sehr das
Folgende bei der inneren Identität von sacra und Erb-
tum auch in innigem, es doch in keinem untrenn-
baren Zusammenhange mit unserem Gegenstande steht,
und wir so dem sich für die archaistisch - religiösen
Zusammenhänge des römischen Erbtums weniger inter-
essierenden Leser die Möglichkeit gewähren wollen, un-
mittelbar zu Nr. IV überzugehen, um sich unserer Be-
handlung des juristischen Erbrechtes im engeren Sinne
schneller zu nähern, zumal wir hier manches (z. B. über
die Bedeutung der bonorum possessio) voraussetzen
müssen, was sich uns erst später erweisen kann. — Wir
wollen zugleich durch diese abgetrennte Behandlung mar-
kieren, daß, wie zwingende Evidenz wir auch unserer
Interpretation der Ciceronianischen Stelle geben und zu
welchem sprechenden Dokumente über die historische Ent-
wickelung der Sakraldogmatik wir sie auch erheben zu
können glauben, dennoch hierin von unserer Ansicht ab-
gewichen werden kann, ohne daß dadurch im geringsten
unsere Lehre vom Erbrecht überhaupt beeinträchtigt würde.
Die beiden Theorien, die Cicero einander entgegenhält,
lauten also, zuerst die neuere, wegen deren Einführung er
die Scävola so hart angreift : ,,Heredum causa justissima
est . . . Deinde qui morte testamentove ejus tantumdem
capiat, quantum omnes heredes. Id quoque ordine ; est
enim ad id, quod propositum est, accommodatum. Tertio
61
loco, si nemo slt heres, is qui de bonis, quae ejus fuerlnt
cum moritur, usu ceperit plurimum possidendo. Quarto,
si nemo sit, qui ullam rem ceperit de creditoribus ejus
qui plurimum servet. Extrema illa persona est, ut, si
qui ei, qui mortuus sit, pecuniam debuerit, neminique eam
solvent, proinde habeatur, quasi eam pecuniam ceperit."'
Nun wendet sich Cicero zu der älteren Theorie : ,,Haec
nos a Scaevola didicimus ; non ita descripta ab antiquis.
Nam illi quidem his verbis docebant: tribus modis sacris
adstringi : hereditate ; aut, si majorem partem pecuniae
capiat ; aut, si major pars pecuniae legata est, si inde
quippiam ceperit. " Konstatieren wir zunächst folgendes:
Die jüngere Theorie enthält fünf Fälle, die ältere bloß
drei, jene also nicht bloß eine Abänderung, sondern
auch eine Vermehrung der Bestimmungen. Ferner aber
besonders : Nicht nur eine Abänderung und Vermehrung
der Bestimmungen, sondern auch eine Verschleifung
ihrer Reihenfolge liegt vor. Der zweite Fall in
der jüngeren Theorie tritt an die Stelle des dritten
Falles in der älteren Theorie, und der dritte Fall in
der jüngeren Theorie an die Stelle des zweiten Falles
in der älteren. Daß dies so ist, ist freilich ganz klar
und wird auch von Savigny in seiner Behandlung beider
(a.a.O., S. 366, 367) anerkannt. Um Grundund Be-
deutung dieser Verschleifung bekümmert sich aber Sa-
vigny nicht, während gerade in ihnen, wie sich zeigen
wird, ein erheblicher Aufschluß über das Verhältnis bei-
der Theorien und über den Sinn ihrer Bestimmungen liegt.
Um nun die jüngere Theorie und ihr Verhältnis zur
älteren zu verstehen, ist es nötig, nicht, wie man, weil dies
der zufällige Fortgang bei Cicero ist, bisher stets getan
hat, mit der jüngeren Theorie anzufangen, sondern um-
gekehrt erst selbständig den Sinn der älteren, einfacheren
62
zu erfassen, woraus sich dann eret die zweite (jüngere)
Theorie und ihre Neuerung begreifen wird. Die ältere
Theorie also sagt : Zu den sacris wird man verpflichtet :
hereditate, durch Erbschaft; aut, si majorem partem
pecuniae capiat ; „oder" — d, h. wenn kein Erbe
(Zivilerbe, wie heres in der ganzen Stelle, wie Savigny
bereits bemerkt, nur heißen kann) da ist (si nemo sit
heres, wie es in dem entsprechenden dritten Falle der
jüngeren Theorie heißt) — ,,wenn einer den
größeren Teil des Vermögens nimmt". Savigny
bestimmt bereits richtig, daß mit diesem Fall die präto-
rische bonorum possessio, respektive wenn weder zivile
noch prätorische Erben da waren und das Vermögen
herrenlos wurde, die Usukapion der Erbschaft gemeint war
(Savigny, a.a.O., S. 368 fg., 373fg.). Nun der dritte
und letzte Fall: aut, si major pars pecuniae legata est,
si inde quippiam ceperit; ,,oder, d.h. also immer
noch, wenn kein Erbe (Zivilerbe) da ist, falls der
größere Teil des Vermögens einem legiert wurde, wenn
der Legatar davon etwas genommen hat". Hier also
tritt der Irrtum Savignys ein, welcher, durch den ent-
sprechenden zweiten Fall der jüngeren Theorie ver-
führt, meint, daß hier der Legatar aus einem zivili-
stischen Testamente neben dem zivilistischen
Erben verpflichtet werden soll (a.a.O., S. 366 fg.),
oder der Irrtum der früheren Interpretatoren, welche mein-
ten, daß dieser Legatar aus dem zivilistischen Testament
sogar allein verpflichtet sein und den Zivilerben be-
freien sollte. Beide Ansichten gehen von dem gemein-
samen Grundirrtum aus, daß in diesem dritten Fall
der älteren Theorie das Dasein eines Zivilerben unter-
stellt wird, Vy'ährend umgekehrt im dritten wie zweiten
Falle der älteren Theorie gleichmäßig unterstellt
63
wird: wenn überhaupt kein Zivilerbe da sei (si
nemo sit heres), also der Legatar bei einer prätorischen
bonorum possessio gemeint ist. Alles hängt für unsere
Ansicht von diesem Fundamentalpunkt ab, zuvor ganz fest-
zustellen, daß auch der dritte Fall die Unterstellung ent-
hält, daß gar nicht nach Zivilrecht geerbt wird.
Aber bei genauerer Betrachtung kann man ja gar keiner
anderen Ansicht sein ! Denn daß schon der durch das
erste aut eingeführte zweite Fall die ausschließende Vor-
aussetzung : ,,wenn keine zivile hereditas eintritt" (si nemo
sit heres), in sich enthält, ist sowohl sprachlich klar (in
der jüngeren Theorie, wo sich der erste und zweite Fall
nicht ausschließen, fährt daher Cicero auch nicht mit
aut, sondern mit deinde fort), als besonders durch den
realen Inhalt dieses zweiten Falles unumstößlich. Denn
dieser besteht ja nach Savigny selbst darin : wenn durch
bonorum possessio oder Usukapion einer den größeren Teil
des Vermögens nimmt. Dies ist ja aber nur dann möglich,
wenn überhaupt kein Zivilerbe da ist, respektive was
wir hierunter natürlich einbegreifen und damit ganz iden-
tisch ist, wenn etwa der zum Zivilerbtum Befähigte durch
den bonorum possessor geschlagen würde, wo ja dann
immer nicht nach Zivilrecht geerbt wird. Ist somit schon
durch das erste aut (durch den zweiten Fall) das Da-
sein einer zivilen hereditas ausgeschlossen, ist also
zu übersetzen — wie dies ja in dem ausdrücklichen si
nemo sit heres des diesem Falle entsprechenden
dritten Falles der jüngeren Theorie deutlich heraus-
tritt — : ,, durch Erbschaft, oder, falls zivile Erbschaft
nicht stattfindet, wenn einer die größere Hälfte des
Vermögens erwirbt", so ist ja logisch unmöglich, bei dem
zweiten aut, ohne daß dies von Cicero durch irgendein
Wort angedeutet wird, den ausschließenden Sinn des
64
ersten aut durch das fortfahrende zweite aut als auf-
gehoben zu denken. Das dort schon Ausgeschlossene bleibt
vielmehr ausgeschlossen, das dort Vorausgesetzte bleibt
vorausgesetzt, und das zweite aut introduziert nur
eine neue Ausschließung und Abstufung inner-
halb des durch das erste aut eingeführten zweiten
Falles.
Wir werden dies bald noch stärker beweisen. Über-
schauen wir zunächst nun das Ganze der älteren Theorie,
wie sie sich nach dieser Auffassung jetzt ergibt. Man
wird also zu den sacris verpflichtet zuvörderst durch
Zivilerbschaft, und deren Verpflichtung ist die ab-
solute und ausschließende, so daß, insofern nur
irgend ziviles Erbtum eintritt, kein anderer, kein Legatar,
er bekomme so viel er wolle, und der Erbe so wenig er
wolle, neben ihm oder außer ihm verpflichtet wird.
Tritt aber gar keine hereditas ein, so soll nun der prä-
torische bonorum possessor verpflichtet sein (respektive
der Usukapient), aber nur dann, wenn sein Erwerb
mehr als die Hälfte der Hinterlassenschaft umfaßt.
Fällt dagegen dem bonorum possessor nur weniger als
die Hälfte der Hinterlassenschaft anheim, indem mehr
als die Hälfte derselben einem Legatar auf Grund der
tabulae herauszugeben ist, so soll dieser Legatar, wenn er
das Legat nicht verschmäht, zu den sacris verpflichtet
sein.
Man sieht, welche geschlossene innere Übereinstimmung
diese Lehre bei dieser Auffassung empfängt. Wenn here-
ditas eintritt, ist nur der Erbe verpflichtet, denn seine
Verpflichtung ist die begrifflich adäquate, die causa
justissima. Er ist Willenskontinuator. Wenn die Stelle
dieser begrifflich-adäquaten Verpflichtung also ausgefüllt
ist. so kann es zu gar keiner Verpflichtung für einen
5 Lassalle. Ges. ScKrifte:!, Band XI. 65
anderen menr kommen, die überhaupt nur subsidiarischer
Natur, nicht dem strengen Geist des jus civile entflossen
wäre. Erst wenn diese Stelle gar nicht besetzt ist, wenn
gar nicht ziviliter geerbt wird, beginnt die subsidia-
rische Aushilfe. Weil aber der sogenannte prätorische
Erbe, der bonorum possessor, kein Erbe ist, so tritt seine
subsidiarische Aushilfe nur dann ein, wenn er mindestens
für sich allein einen solchen Zusammenhang in dem
Vermögen des Verstorbenen repräsentiert, daß er allein
mehr erhält als alle anderen Personen, die aus der Hinter-
lassenschaft erwerben, zusammengenommen. Diese Be-
schränkung ist dem Gedanken, auf welchem diese subsidia-
rische Aushilfe beruht, höchst konsequent entflossen. Denn
da der bonorum possessor kein Willensfortsetzer des
Erblassers ist-*^), ihm die Verpflichtung vielmehr nur durch
das Vermögen, das er erhält, auferlegt wird, so muß
ihm dieses wenigstens in einem solchen überwiegenden
quantitativen Maße zufallen, daß noch der Widerschein
der früheren Willensherrschaft in des possessors Ver-
hältnis zu dem Vermögen durch den Zusammenhang,
in dem er es besitzt, zu erkeimen ist. Er muß es also
mindestens in einem solchen Totalitätsverhältnis be-
kommen, daß sich der Rest desselben ihm gegenüber nur
als einzelne Stücke betrachten läßt, also über die
Hälfte. Denn sonst wäre nicht mehr abzusehen, warum
nicht jeder, der auch nur ein einzelnes Stück aus dem Ver-
mögen erhält, also jeder beliebige Legatar, zu den sacris
verpflichtet sein solle. So begreift sich auch erst, wie
so unter der gleichen Bedingung auch die Usukapion
(pro suo wie pro berede) ebensogut wie die bon. poss.
zu den sacris verpflichten kann. Allein durch die bisherige
^) Siehe über die Bedeutung der bonorum possessio später
s-ub Nr. V. ■
66
Erörterung ist nun auch die Bestimmung des dritten
Falles mit Notwendigkeit gegeben. Wie nämlich, wenn
zwar bon. poss. eintritt, durch die Tafeln aber ein Le-
gatar ein Legat erwirbt, welches über die Hälfte des
Vermögens umfaßt ? Der bon. poss. kann hier nicht mehr
verpflichtet sein ; das folgt schon mit dürren Worten aus
der Bestimmung des zweiten Falles, da er ja nun we-
niger als die Hälfte erhält. Aber ebenso folgt jetzt aus
dem Geiste dieser Bestimmung, daß jetzt der Legatar
mit demselben Rechte verpflichtet sein muß, mit
welchem es der bon. poss. im zweiten Falle war. Der
Legatar ist freilich bloßer Singularsukzessor. Aber Erbe
ist der bon. poss. ebensowenig. Auch die bon. poss. ist
(s. hierüber später) zum Unterschied vom Erb tum eine
bloße Vermögenszuwendung und in dieser Hin-
sicht also dasselbe, was das Legat ist. Konnte dem
bon. poss. durch die bloße Vermögensübernahme (und
ebenso dem Usukapienten) die Verpflichtung der sacra
zufallen, wenn er das Vermögen in dem erörterten Um-
fange übernahm, daß durch seinen Zusammenhang der
Widerschein der früheren Willensherrschaft noch zu er-
kennen war, — mm, so muß dasselbe auch aus dem
gleichen Grunde für den im gleichen Falle befindlichen
Legatar gelten. Denn Willensfortsetzer ist der
bon. poss. so wenig wie er, Vermögens nehmer er
aber so gut, wie der bon. possessor. Jetzt erst wird
auch klar, wie so auf einen bloßen Legatar die sacra
überhaupt übergehen können. Hätte man nicht die Ge-
wohnheit, gerade die schwierigsten Fragen lieber unauf-
geworfen zu lassen, so hätte diese Frage bisher für un-
lösbar erscheinen müssen. Denn der bon. poss, ist immer-
hm ein Universalsukzessor wie der Erbe. Von ihm also
konnte seine Verpflichtung zu den sacris plausibel er-
5- 67
scheinen. Der Legatar ist aber doch immer nur Singu-
larsukzessor, Wie das Legat aber, von dem uns die rö-
mischen Juristen, Ulpian, Gajus, die Institutionen, immer
so sorgfältig hervorheben, daß es eigentlich nichts mit
dem Erbrecht zu tun habe, daß es, weil es keiner jener
juris ligurae sei, durch welche per universitatem erworben
wird, nur zu den Zivilerwerbsarten einzelner Sachen
gehöre, dennoch trotz dieses seines Charakters dazu
kommen könne, eine Verpflichtung zu den sacris — also
eine so rein persönliche und nur auf dem Verhältnis
zu der universitas juris des Erblassers beruhende Ver-
pflichtung — in irgendwelcher Weise begründen zu
können, dies mußte bei dem totalen Gegensatz zwischen
Universalsukzession und Singularerwerb als der höchste
innere Widerspruch erscheinen. Jetzt ist aber derselbe in
gedoppelter Weise gelöst. Denn einmal hat sich ge-
zeigt, daß, sofern Zivilerbschaft eintritt, in der Tat
von keiner Verpflichtung eines noch so reich bedachten
Legatars die Rede sein kann, weder von einer den Erben
befreienden, wie die älteren Ausleger wollen, noch von
einer neben der Verpflichtung des Zivilerben herlaufen-
den, wie Savigny will. Insoweit existiert also jene Be-
fremdlichkeit gar nicht. Insoweit aber subsidiarisch, wenn
gar nicht Zivilerbschaft, sondern bon. poss. stattfindet,
diese Verpflichtung für den in jenem Maße bedachten Le-
gatar eintritt, so weit hat sie sich jetzt auch befriedigend
erklärt. Denn es hat sich gezeigt, wie diese subsidiäre
Verpflichtung eines solchen Legatars durch die schon im
zweiten Falle ausgesprochene Verpflichtung des bon. poss.
selbst vermittelt ist, da ein solcher Legatar begriff-
lich genau in derselben Lage ist, wie der über die
Hälfte erwerbende bon. poss. (oder Usukapient) des zwei-
ten Falles, und also, wenn und nachdem man sich einmal
68
entschlossen hatte, falls Zivilerbschaft nicht eintrat, dem
über die Hälfte erwerbenden bon. poss. oder Usukapienten
die Sacra aufzuerlegen, man auch genötigt war, dem trotz
alles Gegensatzes von Universal- und Singularsukzession
doch in ganz gleicher Lage, wie jener possessor, befind-
lichen Legatar über die Hälfte ebenso zu behandeln. Zu-
gleich muß schon hier ein heller Blick darauf gefallen
sein, daß — was erschöpfend erst später sich nachweisen
wird — der ganze Gegensatz von erbrechtlicher
Universalsukzession und Singularsukzession
nur ein unbegrifflicher und ungelenker Ausdruck
ist für den wahrhaften, darin verborgenen be-
grifflichen Gegensatz von : Willensfortsetzung
und Sacherwerb. Besonders bei der Entwicklung der
Legatenlehre wird dies aufs genaueste bewiesen werden.
Der Gegensatz zwischen dem Zivilerben, der Wil-
lensfortsetzer ist, und dem bloßen Vermögens-
nehmer, was der bon. poss. — worüber später — eben-
sogut bloß ist, wie der Legatar, ist der prinzipielle.
Wenn ein Willenserbe da ist, ist der Vermögensnehmer
von der Verpflichtung zu den sacris ausgeschlossen. Der
Unterschied zwischen dem bonorum possessor aber, ob-
gleich dieser Universalsukzessor ist, und dem Le-
gatar sinkt sofort zu einem bloß quantitativen Dasein zu-
sammen, und wenn der Legatar mehr als die Hälfte emp-
fängt, so wird er zu den sacris verpflichtet, von denen der
per universitatem sukzedierende Vermögensnehmer, der
bonorum possessor, befreit \vird. Ebenso zeigt aber auch
schon der zweite Fall der Theorie, daß der Gegensatz
von Universal- und Singularsukzessor im Erbrecht, wenn
nicht jener Gegensatz von Willenskontinuation und Ver-
mögenszunahme in ihm tätig ist, gleichgültig zu wer-
den anfängt. Denn schon im zweiten Falle der Theorie
69
ist der per universitatem sukzedierende bonorum possessor
und der die einzelnen Sachen erwerbende Usukapient in
der Verpflichtung zu den sacris gleichgestellt.
Unsere Entwickelung der älteren Sakraltheorie beruht
auf dem Fundamente, daß der dritte wie der zweite Satz
gleichmäßig nur für den Fall, daß keine Zivilerbschaft
eintritt, zu verstehen sind. Diese Auffassung scheint uns
aber, sowohl in Hinsicht auf den Geist der Sache, wie
auf den Wortlaut, von zwingender Evidenz zu sein.
Denn was wäre wohl dem Geist des alten jus civile an-
gemessener als der Satz, daß, insofern eine Zivilerbschaft
eintritt, nur der Zivilerbe, diese volle Willensidentität
mit dem Erblasser, verbunden sein kann ? Und was wäre
grammatisch richtiger, als daß, wenn durch das erste aut
bereits der Fall der Zivilerbschaft ausgeschlossen ist, auch
durch das zweite aut nicht stillschweigend der schon aus-
geschlossene Fall wieder unterstellt wird.
Wahrscheinlich würde man auch niemals auf eine an-
dere als diese so einfache Auffassung geraten sein, wenn
man nicht immer zuerst von der jüngeren Theorie aus-
gegangen und hierdurch mit einer irrigen Voraussetzung
erfüllt worden wäre, indem man aus der jüngeren Theorie
jenes Prinzip, in welchem gerade ihre Neuerung be-
steht, unmittelbar auch in die ältere Theorie hinüber-
schleifte. Nachdem jetzt aber einmal der Sinn der alten
Theorie gefunden ist, erlangt derselbe seine schlagend-
sten Beweise gerade dadurch, wenn man nun zu der
jüngeren Theorie übergeht, denn jetzt erst wird sich
das Verhältnis derselben zur älteren, und die durch sie
vollbrachte Neuerung verstehen lassen, die bisher so
dunkeln Worte und Vorwürfe Ciceros sich überall in
hellstes Licht umwandeln und die ganze Stelle harmo-
nischste Einheit empfangen.
70
Auch nach der jüngeren Theorie bleibt primo loco der
Erbe verpflichtet. Dann aber heißt es : „deinde qui morte
testamentove ejus tantumdem capiat, quantum omnes here-
des". Also nicht ,,aut", sondern deinde, d.h. in zweiter
Linie, aber neben dem Zivilerben ist derjenige Legatar
verpflichtet, der soviel vom Vermögen nimmt, \vie der
Erbe, oder respektive, wenn mehrere Erben sind, wie
alle Erben zusammengenommen. Und darin be-
steht nun eben die Neuerung dieser Theorie, daß jetzt
auch im Falle der Zivilerbschaft noch ein an-
derer als der Zivilerbe neben diesem verpflichtet
sein soll. Wenn man sich unserer Auffassung nicht an-
schließt, — worin besteht denn dann eigentlich die Neue-
rung überhaupt, welche die jüngere Theorie an der älteren
vornimmt, und über die Cicero in so erstaunlichem Eifer
gegen die beiden Scävola gerät ? Sie besteht darin, nach
Savigny (a. a. O., S. 366 fg.), daß nach der älteren
Theorie dem Legatar mehr als die Hälfte des ganzen
Vermögens zugewendet sein mußte, und jetzt — schon
diese Hälfte genügte, um ihn zu den sacris zu ver-
pflichten ! Savigny selbst bemerkt, diese Änderung sei
darauf gegründet, daß die lex Voconia allen zensierten
Bürgern verboten hatte, einem Legatar mehr zu hinter-
lassen, als den Erben zusammengenommen bleiben werde :
so daß nun die neue Theorie demjenigen Legatar die sacra
auflegt, welcher das größte nach der lex Voconia noch
erlaubte Legat erhält. Allein gerade durch diese Bezug-
nahme auf die lex Voconia erweist sich diese Änderung
— die Änderung von ,,über die Hälfte" in ,,die Hälfte"
— vollständig gerechtfertigt und der Vereinigung des
Geistes der alten Sakraltheorie mit dem neuen durch die
lex Voconia begründeten Zustand vollkommen angemessen.
Aber selbst abgesehen von dieser rechtfertigenden Wirkung
1\
der lex Voconia, — wenn dies der ganze Unterschied
war, so ist der Lärm, den Cicero erhebt, schlechthin un-
begreiflich. Ob dem Legatar irgendeine Kleinigkeit, etwa
die bekannten centum numi, über die Hälfte oder nur
die akkurate Hälfte zufallen mußte, um ihn zu den
sacris zu verpflichten, dieser mikroskopisch-geringfügige
Unterschied kann doch gewiß nicht erklären, daß Cicero
mit so heftigem Zorne deshalb den Pontifices eine totale
Delusion, eine Fälschung und Verderbung des pontifikalen
Rechtes zur Last legt!
Und dennoch ist der Unterschied beider Theorien ge-
rade in diesem zweiten Falle der jüngeren Theorie zu
suchen. Derselbe muß das ganze Prinzip des Unter-
schiedes enthalten. Dies geht aus den ausdrücklichen
Worten Ciceros hervor. Denn gerade bei diesem zweiten
Falle unterbricht er sich mit der Bemerkung: ,,Id quo-
que ordine ; est enim ad id, quod propositum est, accommo-
datum." Man scheint auch diese Worte bisher ganz miß-
verständlich, etwa als ein Lob oder als eine objektive Be-
merkung über den Charakter der Sakralinstitution auf-
gefaßt zu haben. Das ist ja aber ganz unmöglich! ,,Id
quod propositum est", das ist der Zweck des Scävola,
sein in das alte Sakralrecht hineingeschwärzter Neuerungs-
gedanke. Diesen tadelt ja aber Cicero so heftig. Die
Worte sind also nur ironisch zu fassen, und etwa so
zu übersetzen: ,,Und freilich ist das auch in der Ord-
nung! Denn für den Zweck, zu dem man einmal ge-
langen will, ist dies allerdings das angemessene Mittel,"
Dann aber sagt ja Cicero mit dürren Worten: das Prin-
zip der Neuerung sei in diesem zweiten Falle ent-
halten.
Und so sehr ist dies der Fall, daß er noch einmal gegen
das Ende seiner Erörterungen mit \ollster Betonung ge-
72
rade hierauf zurückkommt und wiederum gerade diesen
zweiten Fall als das treibende Prinzip der Neuerung
bezeichnet; II, c. 21 : „Placuit P. Scaevolae et Corun-
canio, Pontificibus maximis itemque ceteris qui tantundem
caperet, qiiantiini omnes heredes sacris alligari." — „Aber
es gefiel nun einmal den pontifices (im Gegensatz zur
Satzung des jus civile), daß der, der ebensoviel nähme,
wie alle Erben, zu den sacris verpflichtet werde.
Wiederum also weist Cicero mit aufgehobenem Finger auf
diesen zweiten Fall, als die wahre Seele der Neuerung
hin (statt auf die in der alten Theorie gar nicht enthaltenen
Fälle Nr. 4 und 5), und gleichwohl hat man sich bisher
nicht einmal die Frage vorgelegt, wie dies denn zu-
sammenhängen solle. Ebensowenig wie die mit so großem
Nachdruck angegriffene Neuerung selbst, läßt sich aber
ohne unsere Auffassung begreifen, wie Cicero sagen kann,
der gesamte Unterschied zwischen den Fällen der älteren
und neuen Theorie ,, flösse aus jenem Einen her, daß die
pontifices wollen, es solle das Vermögen mit den sacris
verknüpft werden" (videtis igitur omina pendere ex uno
illo, quod pontifices pecuniam sacris conjungi volunt).
Denn wie konnte man denn bei den bisherigen Inter-
pretationen sagen, daß dieser Grundsatz überhaupt erst
durch die jüngere Theorie eingeführt sei? Oder wie
konnte man nur sagen, daß beide Theorien in bezug auf
diesen Punkt irgend prinzipiell abwichen? War
ein Zivilerbe da, so war ja dieser auch nach der jüngeren
Theorie immer primo loco verpflichtet, ohne Rücksicht auf
die Größe seines Anteiles am hinterlassenen Vermögen.
Daß aber umgekehrt jemand, auch ohne Erbe zu sem,
durch die bloße Erwerbung eines gewissen Anteiles an
dem Vermögen des Erblassers zu den sacris verpflichtet
werden könne, dieser Grundsatz war ja unbestritten und
73
unbestreitbar schon in der älteren Theorie (zweiter und
dritter Fall) vorhanden, und wenn er also die Bedeutung
des ,,pecuniam sacris conjungi" bilden sollte, so wäre
nicht zu begreifen, wie Cicero behaupten kann, er sei erst
durch die Theorie der Scävola aufgebracht worden.
Unsere Auffassung dagegen setzt beide Punkte in das
hellste Licht und läßt so erst das Verständnis des Ver-
hältnisses beider Theorien zueinander hervortreten.
Nach unserer Interpretation besteht die Neuerung darin,
daß während nach der älteren Theorie nur subsidia-
risch, wenn die Stelle des Erben gar nicht besetzt
war, durch den bloßen Vermögensübergang von einem
gewissen Umfang eine Verbindlichkeit zu den sacris ent-
stehen kann, diese nach der neuen Theorie auch trotz
des Eintretens von Zivilerbschaft, und ungeachtet dessen
also, daß die Stelle des Zivilerben, des Willensfortsetzers,
ausgefüllt ist, durch den bloßen Vermögens-
erwerb von gewissem Umfange dem Legatar ebensogut
wie dem Erben und neben diesem die Verpflichtung auf-
erlegt sein sollte. Hierdurch war nun freilich durch eine
unscheinbare Weiterführung der alten Theorie einem ganz
neuen Prinzip Eingang verschafft worden. Aus einer
aushilf s weisen und subsidiarischen war die Ver-
pflichtung zu den sacris durch einen bestimmten Ver-
mögenserwerb erst jetzt zu einer ebenso selbständigen
und prinzipalen, wie die des Willensfortsetzers ge-
worden, und man fühlt, wie sehr dadurch der strenge
Geist der alten Anschauung erschüttert werden mußte.
Jetzt also konnte gesagt werden, daß nun erst, trotz
jener schon in der älteren Theorie aushilfsweise eintreten-
den Verpflichtung, prinzipiell das Vermögen mit den
sacris verknüpft worden sei, und man sieht sofort,
welche weitere praktisch wichtigen Folgen sich aus diesem
74
prinzipalen, dem Erbtum koordinierten Charakter
der Verpflichtung, im Unterschiede von der bloß aushilfs-
weisen Zulassung in der älteren Theorie, ergeben mußten.
In der älteren Theorie muß der bonorum possessor, damit
ihm, der nicht Willensfortsetzer ist und daher beim Da-
sein eines Erben niemals verpflichtet sein kann, durch
das Vermögen die sacra auferlegt werden, dasselbe, wie
wir oben zeigten, mindestens in einem solchen
quantitativen Zusammenhange übernommen
haben, daß durch diesen Zusammenhang der Wider-
schein der früheren Willensherrschaft (des
Toten) entsteht. Jetzt aber, wo durch die bloße Ver-
mögensübernahme eine ebenso prinzipale und selb-
ständige Verpflichtung, wie die des Erben, entstehen soll,
ist konsequenterweise dieser Widerschein nicht mehr
nötig. Jetzt ist also konsequenterweise ein bestimmter
quantitativer Umfang gar nicht mehr nötig, um das
absolute Dasein einer Verpflichtung an sich selbst
zu begründen. Sondern jetzt kann nur noch relativ, d.h.
den anderen Personen gegenüber, auf die das Ver-
mögen auch übergeht, ganz angemessen dem neuen Prin-
zip der Vermögenserwerbung, das Quantum derselben
einen Unterschied machen. Und so ergibt sich denn sofort
durch die strengste begriffliche Konsequenz aus dem
zweiten Falle der jüngeren Theorie der dritte Fall
derselben : Tertio loco, si nemo sit heres, is, qui de bonis
quae ejus fuerint cum moritur, usu ceperit plurimum possi-
dendo. ,,In dritter Reihe, wenn kein Erbe ist, ist der
verpflichtet, welcher von den Gütern des Toten das
meiste erwirbt." Wenn also ein Usukapient auch nur
ein einzelnes Stück aus der Hinterlassenschaft er-
wirbt, so geringfügig es sei, alle anderen Personen aber
nichts aus ihr erwerben, so ist er zu den sacris ver-
75
pflichtet, denn er hat immer das meiste erworben ! Und
so heißt es dann deshalb auch im vierten Falle : Si nemo
sit, qui iillani rem ceperit. Man sieht jetzt, wie richtig
es ist, zu sagen, durch diese neue Theorie sei prinzipiell
die Verbindung der sacra mit dem Vermögen eingeführt.
Der Erwerb des geringsten Vermögensteiles begründet
schon diese Verpflichtung an sich selbst und nur r e 1 a -
tivisch, also anderen Vermögensnehmem gegenüber
tritt sie in einer durch das Prinzip der Vermögensnahme
selbst gesetzten Weise vor dem mehr Erwerbenden
zurück. Der Usukapient ist also bloß dann nicht ver-
pflichtet, wenn ein anderer mehr erworben hat. Der Le-
gatar, wo bonorum possessio eintritt, bloß dann nicht ver-
pflichtet, wenn der bonorum possessor mehr erhält. Ja,
dieses Prinzip waltet auch schon im zweiten Falle,
dem Zivilerben gegenüber. Denn hat der Erbe ex
asse oder die Erben zusammengenommen nur ebenso-
viel Vermögen erhalten (weniger können sie wegen der
lex Voconia nicht bekommen) als der Legatar, so ist
dieser ja ebensosehr verpflichtet wie sie. Hat der Erbe
aber mehr Vermögen erworben als der Legatar, so
schlägt er dessen Verpflichtung ja gar nicht qua heres,
sondern schon als stärkerer Vermögenserw erber.
So wird immer tiefer ersichtlich, wie wahr es sei, daß
jetzt Sacra cum pecunia conjuncta! Die Selbständig-
keit der Übertragung der sacra durch das bloße Ver-
mögen trägt also, nachdem sie durch die zunächst unschein-
bare Änderung, welche der zweite Fall der neuen Theorie
in das Sakralrecht einführt, einen ganz anderen Geist in
dasselbe eingebürgert hat, ihre stärkste Folge in dem
dritten Fall, indem jetzt nicht mehr der Widerschein
der früheren Willensherrschaft erforderlich ist, der in der
,, major pars pecuniae" liegt, die nach der älteren Theorie
76
nötig ist, um zu verpflichten, sondern jedes noch so
kleine Vermögensstück zu dieser Verpflichtung hin-
reicht, die nur vor dem stärkeren Vermögenserwerbe
Nvieder verschwindet. Besteht aber einmal das Prinzip, daß
jeder noch so geringe Vermögenserwerb die Verpflich-
tung an sich selbst auferlegt, die nur durch einen
größeren Erwerb seitens anderer fortfallen kann, so er-
geben sich jetzt hieraus der vierte und fünfte Fall der
jüngeren Theorie ganz von selbst, und dieselbe hat sich
jetzt aus jener einen zunächst kaum merklichen, den Le-
gatar nur neben dem Zivilerben verpflichtenden, aber da-
durch die Verpflichtung des Vermögens aus einer subsidia-
rischen in eine selbständige umwandelnden Abänderung
zu einem harmonischen, sich selbst entwickelnden Gan-
zen aufgebaut, einem durchaus anderen Gebäude
als demjenigen, welches die ältere Theorie darstellt. Man
sieht jetzt erst, wie Cicero gerade bei dem zweiten
Falle der jüngeren Theorie, obgleich dessen Änderung dem
sinnlichen Anscheine nach sich lange nicht so groß dar-
stellt, wie die des dritten, oder die des in der älteren
Theorie ganz fehlenden vierten und fünften Falles, mit so
tiefem Rechte ausrufen kann: ,,Id quoque ordine ; est
enim ad id, qaod propositum est, accommodatum !" Die
prinzipielle Selbständigkeit der durch das Ver-
mögen übertragenen Verpflichtung, die in dem Vor-
handensein einer solchen für den Legatar trotz des Da-
seins eines zivilistischen Willensfortsetzers
liegt, — dies war das rechte Mittel, diese totale Um-
vvandlung zu vollbringen, die Cicero mit Recht als einen
vollständigen Verderb des alten Pontifikalrechtes dar-
stellen kann !
Zugleich zeigt sich auch bei dieser Auffassung, warum
in der jüngeren Theorie gegen die ältere außer der Ab-
77
änderung auch noch die Verschleifung der Fälle statt-
finden muß, daß der zweite Fall der jüngeren dem dritten
Fall der älteren Theorie, und der zweite Fall dieser dem
dritten Fall jener abändernd entspricht. Denn da die
jüngere Theorie in dem zweiten Falle einen solchen ein-
schiebt, der in der älteren gar nicht vorhanden, die
Verpflichtung des Legatars neben der des Zivilerben, so
parallelisiert sich nun hierzu nicht mehr der zweite, wohl
aber der dritte Fall der älteren Theorie, insofern dieser
von der Verpflichtung des Legatars im Falle der bonorum
possessio handelt.
Ebenso erklärt sich jetzt vollständig, welchen Beweg-
grund die pontifices hatten, um dadurch das Untergehen
der Sacra zu vermeiden, diese Neuerung vorzunehmen.
Nichts war leichter möglich als der Untergang der sacra
bei der alten Theorie. Es brauchte nur die Hinterlassen-
schaft von drei bonorum possessores zu drei gleichen Teilen
oder doch so, daß keiner über die Hälfte des Ganzen
hatte, erworben zu werden, und keiner von ihnen war
zu den sacris verpflichtet. Oder zwei bonorum possessores .
und ein Legatar, oder ein bonorum possessor und zwei
oder mehr Legatare brauchten sich so in das Vermögen
zu teilen, daß keinem mehr als die absolute Hälfte zu-
stand, so war wiedeiiim niemand zu den sacris verpflichtet.
Nach der neuen Theorie konnte aber niemand nur irgend
etwas von dem Vermögen erworben haben, ohne mit der
Verpflichtung behaftet zu sein, die nur von ihm wich,
wenn ein anderer mehr hatte.
Endlich ist auch das ersichtlich, wie dieser Theorie,
trotz der so wesentlichen Änderung, die sie hervorbrachte,
durch die pontifices Eingang verschafft werden konnte,
und die historische Entwickelung des Sakralrechtes
überhaupt. Denn es wird mindestens dringend wahr schein -
78
lieh jetzt sein, daß auch die ältere Theorie nicht die
älteste war; daß es vielmehr eine Zeit gegeben haben
muß, wo die Verpflichtung zu den sacris übertragen
wurde hereditaie, und auf durchaus keine andere Weise,
so daß die sacra eines jeden untergingen, dessen Erbschaft
nicht angetreten wurde. Es ist dies jene älteste Zeit des
jus civile, ehe das prätorische Erbrecht existiert. Als
sich die prätorische bonorum possessio gebildet hatte,
mußte natürlich dies Institut auch auf das Institut der
Sacra einwirken, die sonst sogar in die Gefahr eines all-
gemeinen Unterganges hätten geraten müssen. Man will
dem bonorum possessor, wenn er an die Stelle des Erben
tritt, auch an dessen Stelle die sacra auferlegen, aber,
noch möglichst streng festhaltend an dem alten Geist der
sacra und des Zivilrechtes, doch nur dann, wenn ein bono-
rum possessor für sich allein einen solchen über\viegen-
den Zusammenhang in dem Vermögen des Erblassers dar-
stellt, daß hierdurch mindestens der Widerschein der
früheren Willensherrschaft fortdauert. Allein dann war
man auch genötigt, im gleichen Falle dem Usukapienten
die sacra aufzuerlegen. Denn Willensfortsetzer
(Erbe) ist der bonorum possessor so wenig wie er, und
jener Widerschein entsteht bei ihm so gut wie beim bono-
rum possessor, wenn er soviel usukapiert ; und so wird
denn auch der in diesem Falle befindliche Usukapient in
den zweiten Fall der älteren Theorie einbegriffen. Allein
aus beiden Gründen mußte man dann auch wieder den
hierin auf ganz gleicher Linie stehenden Legatar dem
bonorum possessor gegenüber und mit Ausschluß dieses
letzteren beiasten, denn Willensfortsetzer ist er nur eben-
sowenig wie dieser, und jener faktische Anschein
des Fortschaltens der früheren Willensherrschaft durch
das Zusammenbleiben der größeren Hälfte desVer-
79
mögens kann bei ihm so gut entstehen, wie bei jenem.
So entsteht also die ältere der bei Cicero vorgetragenen
Theorien, die sich in den einen Gedanken zusammenfaßt,
daß nur subsidiarisch und aushilfsweise, wenn
kein Zivilerbtum eintrete, das Vermögen als solches
die Verpflichtung nach sich ziehen können solle.
Noch immer bleibt diese ältere Theorie von dem
strengen Geiste des jus civile durchdrungen. Denn noch
immer bleibt, wenn eine Zivilerbschaft eintritt, der
Zivilerbe, wie wenig er auch erhalten mag, der einzige
und ausschließend Verpflichtete. Die dritte Theorie
endlich entwickelt sich von selbst durch die scheinbar
ganz unbedeutende Änderung, daß dem Grundsatz von der
durch das bloße Vermögen aufzuerlegenden Verpflichtung,
der schon in der zweiten Theorie subsidiär da war,
nun eine der Verpflichtung des Zivilerben koordinierte
Stellung gegeben wird. Die Scävola hätten sich Cicero
gegenüber damit verteidigen können : daß sie gar keinen
neuen Grundsatz, der nicht auch in der älteren Theorie
da war, in das Pontif ikalrecht eingeführt hätten ; daß auch
sie primo loco die Verpflichtung jedes einzelnen
Erben, wie wenig er auch bekäme — und die lex Voconia
hinderte nicht, daß ein einzelner Erbe weit weniger als
der Legatar bekam — , fortdauern ließen ; daß die Ver-
änderung der major pars der älteren Theorie in das
,, ebenso viel wie alle Erben" durch die lex Voconia
selbst mit Notwendigkeit gegeben und gerechtfertigt sei :
daß femer durch die Verpflichtung dessen, ,,der soviel
nehme, wie alle Erben", auch schon um so mehr die Ver-
pflichtung dessen gegeben sei, der, weil kein Erbe da
sei, mehr nehme, als von Erben überhaupt genommen
würde, also auch dessen, qui ullam rem ceperit (somit die
Verpflichtung des dritten Falles und der folgenden
80
Fälle). Alles dies wäre richtig und unleugbar; aber alles
dies zeigt eben, daß durch die so unmerkliche und schein-
bar so unverfängliche Änderung, das subsidiarische
Prinzip der älteren Theorie zum selbständig koordi-
nierten der jüngeren zu machen, also durch den zweiten
Fall, von dem Cicero daher mit solchem Recht ausruft,
er sei die rechte Brücke, das geeignete Mittel zur Er-
reichung dessen gewesen, was man habe erreichen wollen,
ein Prinzip eingeführt war, welches sich durch seine eigene
Tätigkeit sofort zu dem Gebäude einer ganz anderen
Doktrin entwickeln mußte, daß jetzt das Vermögen
statt des Erbtumes oder der Willensfortsetzung die Basis
der Verpflichtung zu den sacris geworden war, und selbst
der oder die Erben, die zusammen weniger als der größte
Legatar wegen der lex Voconia nicht erhalten konnten,
nur qua gleiche Vermögensnehmer mit diesem zu
den sacris verpflichtet zu sein scheinen konnten.
Und so schlagend ist es, daß die von uns entwickelte
Auffassung den wahren Sinn der Stelle bildet, daß sich
dadurch auch noch im weiteren Verlauf derselben ihre
bisher unzugänglichen Einzelheiten erklären. Cicero wirft
später den Scävola noch vor, daß sie aber auch noch ein
Mittel erfunden hätten, um die Verpflichtung des Le-
gatars zu den sacris zu umgehen, nämlich für diesen den
Rat : er solle eine Kleinigkeit weniger als alle
Erben nehmen. ,,Inventa est ratio, cur pecunia sacrorum
molestia liberaretur. Quod si hoc, qui testamentum fa-
ciebat, cavere noluisset, admonet Jurisconsultus hie quidem
ipse Mucius, Pontifex idem, ut minus capiat, quam Omni-
bus heredibus relinquatur . . . Rursus sacris libemntur.' '
In der Tat scheint zunächst dieses Tun der Scävola nach
allen Seiten unverständlich. Sie, die pontifices, geben den
Rat, den Willen des Toten zu eludieren und zu umgehen !
6 Lassalle. Geä. Schriften. Bar.<l XI. öl
Sie, die pontifices, erfinden ein Mittel, von der V^erpflich-
tung der sacra, an deren Erhaltung ihnen ja gerade
gelegen war, zu entbinden! Sie, die eben erst selbst
gegen das alte Recht den zivilistischen Legatar in diese
Verpflichtung hineingearbeitet hatten, arbeiten ihn jetzt in
Widerspruch mit ihrer eigenen Lehre wieder heraus !
Allein alle diese scheinbaren Widersprüche lösen sich
jetzt. Die pontifices empfinden selbst, welch große Ab-
\veichung vom Geist des alten Zivil- und Sakralrechtes sie
vollbracht haben, indem sie den beim Dasein von Zivil-
erben ganz unverpflichteten Legatar ungebührlich in diese
Verbindlichkeit hineingearbeitet haben. Zugleich kann ihnen
praktisch gar nichts an der Verpflichtung des Legatars
bei dem Dasein eines Zivilerben liegen, denn ihr Zweck,
daß die sacra nicht untergehen, ist ]a schon durch das Da-
sein des Erben hinreichend gedeckt. Aber sie brauchen,
wie wir ausführlich gezeigt haben, die selbständige
koordinierte Verpflichtung des Legatars neben
dem Erben als die theoretische Brücke, um zu den
weiteren Konsequenzen, dem dritten Falle der Theorie
usw., zu gelangen. So arbeiten sie denn den Legatar in
diese Verpflichtung hinein, ge^vinnen so die erforder-
liche theoretische Brücke, um zu den gewünschten
Konsequenzen (ad id, quod propositum est) zu gelangen,
und geben ihm dann, insofern Zivilerben da sind,
aus Billigkeit praktisch ein Mittel an die Hand, sich
mit Leichtigkeit der ihm aufgebürdeten Verpflichtung zu
entziehen, sich bewußt, daß ihnen nun deshalb von
Seiten der Zivilerben kein gegründeter Vorwurf gemacht
werden könne, weil diese ja eben nach dem substantiellen
Geiste des Institutes die ausschließlich Verpflich-
teten sein sollen, und sie, die pontifices, also durch
82
diese künstliche Aufhebung der Pflicht des Legatars nur
ihre eigene Aufhebung des alten Rechtes wieder aufheben.
Dies ist das Ganze der Ciceronianischen Stelle und die
historische Entvvickelung der sacra.
IV. Die römischen Definitionen des Testamen-
tes. Die offenbarte Innerlichkeit. Ehre und
Haß. Die Sphäre der geistigen Freiheit.
Ehe wir aber auf das formale und reale Testaments -
recht selbst eingehen, müssen wir zuvor noch die Defini-
tionen betrachten, welche die Römer von dem Testament
geben, sovv^ie einige höchst bedeutungsvolle Gebräuche, die
in diesem Zusammenhange ihr Licht empfangen.
Unser heutiges Testament ist eine Vermögens-
verfügung, und niemals ist es den Juristen in den Sinn
gekommen, daran zu zweifeln, daß auch das römische
Testament eine solche sei, wie denn in der Tat immer
eine solche durch es bewirkt wird. — Hiernach ist aber
schon auffallend, daß die römischen Juristen das Testa-
ment nicht als eine Verfügung über das Vermögen
definieren. Nicht nur die Institutionen^), sondern schon
der berühmte alte Rechtsgelehrte Servius Sulpicius, der
Zeitgenosse Ciceros, definiert das Testament etymologi-
sierend als QixiQ ,,testatio nie litis' ', ,,eine Kundgebung
des geistigen Inneren-)". Und wenn Gellius auch
^) Inst, pr., II, 10 de lest. ord.
0 Bei Gellius. Noct. att., VI. 12.
83
mit Recht diese grammatisch ganz falsche Etymologie in
dieser Hinsicht tadelt, so tritt er doch ihrer Sinnbedeutung
als einer zutreffenden vollkommen bei^). Dieselbe De-
finition treffen wir bei Ulpian^), und von Hand zu Hand
bis zu den Institutionen und Theophilus^) schleppt sich
die Autorität dieser alten Formel.
Die Verlautbarung der geistigen Innerlich-
keit also, nicht eine Vermögensverfügung, ist nach den
Römern das Testam.ent, und diese Definition ist, abgesehen
von der Spielerei der Etymologie, gar nicht realistisch und
markig genug aufzufassen ! So erklären sich denn jetzt von
hier aus interessante und mit Unrecht unbeachtet gelassene
Stellen der alten Schriftsteller, die, obwohl außerhalb des
juristischen Kreises stehend und von jener etymologisieren-
den Definition daher nicht berührt, dennoch das Wesen des
Testamentes im Volksgeiste ganz in derselben Weise her-
vortreten lassen. Der Spötter Lucian sagt, daß ,,die ein-
zige wahre Verlautbarung, welche die Römer in
ihrem ganzen Leben von sich geben, diejenige in den
Testamenten sei*)".
^) A. a. O. : .^ . falsa quidem, sed non abhorrens, neque
inconcinna quasi mentis quaedam in hoc vocabulo significatio.
") XX, § 1 : Testamentum est mentis nostrae justa con-
testatio.
') Lib. II, Tit. X, § 1. T. I, p. 328. ed. Reitz.: Ugb
x(b ä/dcov ävayy.aiov elneiv xbv xrjg dia^7]X7]g oqov tjxol
irvjuo?.oyio.v r) de dia^r'jy.r] Tiaqä Pcojuaiotg Xeyexat Testamentum,
ivxev'&ev öe^a^uh'ij xrjv ixvjuoXoylav, quod testatio mentis sit
{sTihdt] [xagxvQia öiavoiag ioxi) y.ai yaQ juaoxvgtav eyei rrjg xov
xelEvxrjGavxoQ öiavoiag.
0 Lucian in Nigrin., c. 30, T. I, p. 52, ed. Bip. : . . . oxi
jniav (pcov7]v Ol Pco/iiaicov noideg dXtj'&i] 7ta§ ölov xov ßiov
ngoievxai, xijv iv xaig dia§}]xaig Xeycov x. x. X.
84
Und der Römer Lucretius sagt fast dasselbe^):
Nam verae voces tunc demum pectore ab imo
Eliciuntur, deripitur persona, manet res.
In diesem Zusammenhange begreift sich jetzt also von
selbst die bisher bloß als Kuriosität erscheinende und nie-
mals zur Erklärung des Wesens des römischen Testa-
mentes benutzte, so charakteristische Sitte der Römer,
aus den Testamentstafeln zugleich ein Denkmal der
Schande für ihre Feinde zu machen, Schimpf und
Schmähung darin den vollsten, ungehindertsten Lauf zu
lassen. — Es reicht hin, an die Beispiele bei Tacitus zu
erinnern. Fulcinus Trio ergießt sich in seinem Testament
in ,,multa et atrocia" gegen Marco und andere Günstlinge
des Tiberius, vv^ie nicht minder gegen Tiberius selbst^).
Fabricius Vejent verfaßt in der Form \'on Kodizillen
ganze Schmähschriften gegen Senat und Priester^). Pe-
tronius, der sich aus Furcht vor dem Tode selbst die Adern
öffnet, beschreibt ausführlich in seinen Kodizillen alle
Schandtaten Neros, unter namentlicher Angabe der ein-
zelnen Männer und Weiber und der Neuheit einer jeden
einzelnen seiner Ausschweifungen, und schickt dies Testa-
ment dem Nero zu^).
Schmähung und Schande sind der negative Gegenpol
') De rer. nat., III, 57.
') Tacit. Annal., VI, 38.
') Tacit. Annal., XIV, 50: quod multa et probrosa in patres
et sacerdotes composuisset, iis libris quibus nomen codidllonun
dederat ... et (Nero) libros exuri jussit.
*) Tacit. Annal., XVI, c. 19: ne codicillis quidem, quod
plerique pereuntium, Neronem aut Tigellinum, aut quem alium
potentium adulatus est; sed flagitia principis sub nominibus
exoletorum feminarumque et novitate cujus stupri perscripsit,
atque obsignata misit Neroni.
85
des Testamentes, dessen positiver Pol die durch die Erb-
einsetzung manifestierte Identität des Geistes ist. Eben-
deshalb, als Proklamation dieser geistigen Willensidentität,
ist die Erbeinsetzung nicht sowohl Wohltat, Bereiche-
rung und Liebe, wie der Fall wäre, wenn sie in ihrem
Wesen eine Vermögenszuwendung wäre, sondern als jener
Auftrag an den Dritten zur Fortsetzung der ganzen
eigenen Willenssubjektivität ist sie nach römischen
Begriffen eine — Ehre, und läßt dies noch bei späteren
Schriftstellern als ihr vorherrschendes Wesen in den
Vordergrund treten ■'^).
So kann dann allerdings der Brauch nicht mehr wunder-
nehmen, wenn selbst die bedeutendsten, vornehmsten und
reichsten Männer des Staates von anderen in weit unter-
geordneterer Lage schon während des Lebens derselben
immer öffentlich als ihre künftigen Erben designiert und
behandelt werden^), ohne daß für diese im römischen
Volksgeist hierin das geringste Anstößige und Unpassende,
zu dem Verdacht einer Bereicherungssucht oder Erb-
schleicherei Anlaß Gebende, enthalten ist. Im Gegenteil,
der diese von ihm erregte Voraussetzung hinterher täu-
schende Erblasser kann sich dadurch so frivol an dem
gediegensten Verhältnis im Volksgeiste zu vergreifen und
die Substanz desselben zu verraten scheinen, daß in den
Zeiten der Republik, wo das Volksgefühl noch lebendig
ist, sein Leichnam vom Volke mißhandelt und durch die
^) Valer. Maxim., VII, c 7 : ... quaeve ad alios quam
qui exspectabant, honorem hereditatis transtulerunt ; vgl. das.,
VII, c. 8, no. 4, wo es in bezug auf den im Testament über-
gangenen Bruder, dem alieni et humiles vorgezogen waren, heißt :
,,ut non solum flagitiosum silentium sed etiam praelatio con-
tuineliosa videri posset" ; vgl. Tacit. Annal., III, c. 76.
') Valer. Maxim.. VII, c 8, no. 5 et 6.
86
Straßen geschleift wird, während sein Testament dennoch
bestehen bleibt ■'^).
Wenn aber, wie bereits gesagt, Ehre und Schande
die beiden Gegenpole des Testamentes sind, so identisch
miteinander wie sositiv und nagtiv, so muß auch dieselbe
unbeschränkte Freiheit, wie der positiven Ehre der Erb-
einsetzung, dem Schimpf und der Schmähung im
Testament zukommen.
Die Lizenz des Testamentes ist daher die schranken-
lose. Natürlich! Wenn das Testament, wie wir sagten,
die römische Unsterblichkeit ist, \vie das
Himmelreich diejenige des Christen, so muß es
für den Römer auch das Himmelreich seiner
Freiheit sein, in das überhaupt durch keine ir-
dische Gewalt eingegriffen werden kann. Die Im-
peratoren sogar, welche alle staatliche Freiheit ver-
nichten, vor denen selbst Leben und Vermögen, alle reale
Freiheit des Individuums ein Spott ist — vor dieser
metaphysischen, transzendenten Freiheit des rö-
mischen Subjektes schrecken sie zurück, beugen sich vor
ihr und erdulden sie lieber, als mit diesem innersten Heilig-
tum des Volksgeistes in Konflikt zu geraten. Als der rö-
mische Senat die Servilität so weit treibt, diese Schmähungs-
lizenz der Testamente beschränken zu wollen, da, wie wir
aus Sueton wissen, interveniert wohlweislich Augustus
selbst und verhindert es^). Ja, sogar ein Tyrann wie Ti-
berius verbietet es den Erben des Fulcinus Trio, welche
^) Wie dies dem Q. Cäcilius erging : ,,cum prae se semper
tulisset, unum illum (L. Lucullum) sibi esse heredem," wäh-
rend er hinterher im Testament den Pomponius Atticus einsetzte ;
s. Valer. Maxim- 1- 1.
-) Sueton. vit. Aug., c. 56: de inhibenda testamentorum
licentia ne senatus quidquam constitueret, intercessit.
87
die Schmähungen, mit welchen das Testament gegen Ti-
berius und seine Günstlinge angefüllt war, verheimlichen
wollen, und befiehlt, das Testament dem Gebrauche ge-
mäß laut zu verlesen, ,,patientiam libertatis alienae osten-
tans", wie Tacitus sagt^). Das Testament ist die un-
antastbare Sphäre der römischen Freiheit, eine Sphäre, in
deren Transszendenz selbst ein Tiberius die Freiheit
so geduldig anerkennt, wie der größte christliche Tyrann
die Gleichheit im Himmel; — und es ist noch
ganz unter dem traditionellen Einfluß dieses Begriffes, daß
Kaiser Konstantin schreibt 2) : ,,Nilül enim est, quod magis
hotninibus debeatur. quam ut supremae voluntatis, post-
quam jam aliud velle non possunt. Über slt Stylus et lici-
tum quod iterum non redit arbitrium.
V. Die Erbeinsetzung. Das Testament als Wille
des Erben. — ■ Die bonorum possessio.
Stärker aber und unleugbarer, als in einer Definition
der Fall sein kann, tritt nun überall im formalen und realen
Testamentsrecht jene Ideenreihe hervor. Das Testament
muß eine institutio heredis, eine formelle Einsetzung
eines Erben enthalten^). Jede bloße, im Testament
vorgenommene Vermögensverteilung wäre nichtig,
wenn die ausdrückliche Institution, diese direkte Ein-
setzung des Willenskontinuators, fehlt. Diese
Erbeinsetzung muß ferner vor allem anderen, namentlich
') Tacit. Anna!., VI, c. 38.
) L. IC. de sacros. eccl. (1, 2).
«) Dig., XXVIII, 5. Inst.. II. 14. Cod., VI. 24. de hered.
instit.
vor den Legaten vorhergehen, sie muß den Anfangt)
des Testamentes bilden. Wenn endlich der eingesetzte Erbe
nicht ersvirbt, wenn er vor dem Erwerbe der Erbschaft
stirbt oder ausschlägt, so bricht als Regel das ganze
Testament zusammen, auch alle Legate werden hin-
fällig^). Der Erbe ist es somit erst, welcher durch sein
Dasein dem Testament Dasein gibt, welcher durch
seinen Willen den Willensbestimmungen des Testators
Halt und rechtliche Existenz verleiht^).
Was auf das deutlichste hierin liegt, ist, daß nur, wenn
im Erben der Wille des Verstorbenen noch als
fortexistierend gesetzt ist, der Wille des Toten
noch als daseiend angeschaut wird und in seinem Ver-
mögen zur Ausführung kommt. Ohne den Willens-
kontinuator bleibt der Wille des Toten das, was er
der Realität nach ist, ein toter, gewesener, nicht mehr
existierender, nicht willensfähiger Wille, der, weil er keine
lebendige Existenz, auch keinen Anspruch auf Geltung hat.
Während man also jene Bestimmungen des römischen
^) . . . heredis institutione plerumque debet initium facere
testamenti. Ulpian. L. 1 pr. de hered. inst. (28, 5).
-) L. 9 de test. cur. (26, 2) ; L. 3, § 2 ; L. 16 de jur.
codlc. (29. 7); L. 1, § 1, de legat. III; L. 181 de reg. jur.
(50, 17); L. 2 C. sl quis om. caus. test. (6, 39); L. 14 C
de fideic. (6, 42).
^) Somit erscheint schon hier das Testament nicht als
bloßer Wille des Erblassers, sondern als der eigene Wille
des Erben und als durch diesen gesetzt, so daß sich
auch jetzt erst das innere Verständnis des römischen Satzes
ergibt, der Erbe sei dem Legatar quasi-contractu, d.h. durch
Willensbestimmung verpflichtet (s. unseren Bd. I, S. 619
und vgl. § 2, C. das.). So daß also schon hier der Beweis
vom testamentarischen Erbrecht geliefert ist, den wir umfas-
sender erst durch alles Folgende erbringen können, daß das-
selbe dem Erben aus seinem eigenen Willen herfließt.
89
Rechtes stets als einen bloßen Ausfluß des „rigorosen
Formalismus" des Römers hingestellt hat, eine freilich
ebenso bequeme als nichts erklärende Erklärung, haben
sie sich hier — wie das durchgängig im folgenden mit
allen Formbestimmungen der Fall sein wird — als die
von allem Formalen weit entfernte, notwendige Konse-
quenz der innersten spekulativen Idee des römischen
Erbrechtes ergeben.
Wie aber kann allein die gültige Form der Erb-
einsetzung lauten ? Der Erbe soll nach dem entwickelten
Begriff nicht etwas haben (das Vermögen), sondern
etwas sein (Willenserhalter). Nur zufällig und sekun-
där, wenn nicht über das Vermögen verfügt ist, hat der
Erbe auch das erblasserische Vermögen, weil er selbst ja,
als die Fortexistenz der erblasserischen Willenssubjektivi-
tät, somit natürlich Herr des dieser Willensherrschaft
Unterworfenen ist. Aber nicht in diesem Haben liegt der
Begriff des Verhältnisses, und nicht darauf darf daher
der Reflex in der Formel fallen. Es ist daher jede Erb-
einsetzung nichtig, welche den Erben mit einem Haben
oder Nehmen (habeto, sumito, capito), wie es bei dem
Legatar heißen muß, dessen Begriff in der Vermögens -
Zuwendung besteht (s. Nr. XIV), in Verbindung brächte,
z. B. Titius habe mein Vermögen oder meine Erbschaft.
Die einzige begrifflich konsequente Erbeinsetzung muß
lauten: ,, Titius sei Willensfortsetzer" (Titius heres
esto) ^). Und ferner : Damit der Erbe Willensidentität
mit dem Erblasser sei, muß er zuvor von diesem dazu
gemacht werden. Dies erfordert zunächst einen Willens-
akt seitens des Erblassers, vollbringt sich also nur durch
den Befehl, den Willensstoß des Imperativs.
^) Über die etymologische Bedeutung und den sprachlichen
Gebrauch von heres und hereditas vgl. die Note sub Nr. XXI.
90
Würde bloß erzählt: „Titium heredem esse volo, here-
dem facio, instituo", so würde diese Erzählung oder
Erklärung ja immer noch nicht den Willensakt, die
Willenshandlung enthalten, durch welche seitens des
Erblassers die Metamorphose des Erben in seine Willens -
Subjektivität bewirkt wird, vielmehr würde hier eine
solche Operation, an der es dann aber überall fehlt, als
schon anderweitig geschehen, in dieser Erzählung nur vor-
ausgesetzt sein-*^). Diese im Präsens gehaltenen Erb-
einsetzungen müßten daher gleichfalls wirkungslos sein,
und es muß auch in dieser Hinsicht bei der imperativi-
schen Form: ,,Titius heres esto (oder sit)", als der einzig
wirksamen, verbleiben. Nur bei der Formel heredem esse
jubeo kann ein Zweifel entstehen, indem hier der be-
fehlende Inhalt des Zeitwortes und der bloß erklä-
rende Charakter der Zeitform sich einander gegenüber-
stehen und hierdurch der Formel, nicht ohne Mühe, im
Lauf der Zeit Anerkennung verschaffen^).
Wir haben oben gesagt, es würde für die Unendlich-
keit des erblasserischen Willens nicht ausreichen, wenn er
nur einen Zeitmoment über seine natürliche Dauer hinaus
verlängert, dann aber, wie dies bei der Auffassung des
Erbrechtes als einer bloßen Vermögensverfügung der Fall,
erloschen wäre. Dies vielmehr sei der unterscheidende
Begriff des römischen Erben, daß er den Willen des
^) Der Imperativ: T. heres esto, erweist sich so nur als
die Abbreviatur der, wie %vir später sehen werden, in ihrer
adäquatesten Form im testamentum per aes et libram voll-
zogenen dramatischen Willenshandlung.
**) Gajus, II, § 117: Solemnis autem institutio haec est
„Titius heres esto"; sed et illa jam comprobata videtur „Titium
heredem esse jubeo"; at illa non est comprobata „Titium here-
dem esse volo"; sed et illae a plerisque improbatae sunt „here-
dem instituo" item „heredem facio" Ulpian, Fr. XXI, 1.
91
Erblassers als einen schlechthin unsterblichen, un-
endlichen kontinuiere^).
Dann aber folgt hieraus, daß auch die bloße Verlänge-
rung dieses Willens bis zu irgendeinem beliebigen, wenn
auch noch so fernen oder ungewissen Zeitmoment dem
Wesen dieses Erbtums widerspricht, oder mit anderen
Worten, es ist hiermit gegeben, daß die Erbeinsetzung
nicht in ihrer Dauer beschränkt (nicht ad idem ge-
troffen) ^) und ebensowenig an irgendwelche Resolutiv-
bedingung geknüpft werden kann^), solche Bedingung
vielmehr durch die Maxime semel heres, semper heres
bei dem Erben beseitigt wird, während sie bei dem Legat,
welches im Unterschied vom Erbtum die bloße Ver-
fügung über die Vermögensmaterie darstellt, voll-
kommen wirksam bleiben kann^).
^) Wie es von den sacra heißt (s. oben S. 53) : ut sint
perpetiia, und diese Perpetuität wird in der Tat erreicht, indem
die Willenssubjektivität, wie die sacra, durchs Erbtum immer
von einem Erben auf den wieder mit diesem identischen Willens-
träger desselben übergehend ins Unendliche erhalten wird.
^) Papinian, L. 34 de hered. inst. (28, 5). Hereditas ex
die vel ad dient non recte datur, sed temporis vitio sublato
manet institutio. Inst., § 9, de hered. inst. (2, 14).
^) Gajus, L. 88 h. t. (28, 5) : ... quum autem semel
heres extiterit servus, non potest adjectus efficere, ut qui semel
heres extitit, desinat heres esse; vgl. L. 15, § 4 de test.
milit. (29, 1).
*) L. 26 C. de legatis (6, 37). — Hierdurch wird nun
auch, gleichviel wie sich dies bei den Legaten im älteren
Rechte verhalten haben möchte (vgl. L. 55 de leg. I ;
L. 44 de o. et a. 44, 7), die von einigen aufgestellte und
von der herrschenden Ansicht ohnehin verworfene Lehre voll-
ständig von innen heraus widerlegt, daß auch bei der Erbein-
setzung die zugefügte Resultivbedingung in die umgekehrte
Suspensivbedingung verwandelt und so aufrecht gehalten werden
92
Aus demselben Grunde kann nun auch die Wirksamkeit
der Erbeinsetzung nicht durch eine Zeitbestimmung
aufgeschoben werden^), da, wenn es die Willens-
subjektivität des Erblassers ist, die durch den Erben als
dauernd erhalten und dargestellt werden soll,
diese Fortsetzung eine unmittelbare, ununter-
brochene sein muß. Die Suspensivbedingung dagegen
kann zulässig bleiben, da bei ihr die Erfüllung auf den
Tag des Todes zurückschlägt und ihn zum Erben ab tunc,
mit allen Wirkungen und Nutzungen der Zwischenzeit,
macht. Aber aus demselben Grunde, aus dem wir die Un-
möglichkeit der Resolutivbedingung haben hervorfließen
sehen, muß nun auch bei der Suspensivbedingung der
Unterschied eintreten, daß sie bei der Erbschaft auch
die Delation derselben bis zum Eintritt der Bedingung
verschiebt, während sie bei der bloßen bonorum possessio
diese Wirkung nicht hat, hier vielmehr gegen fidejusso-
rische Kaution die Hinterlassenschaft dem prätorischen
Erben sofort übergeben wird-).
müsse (siehe v. Wening- Ingenheim im Jurist. Archiv, I, 9;
Zimmern, das. VII, 7; Mejer in Schweppes Handbuch, V,
64). Wenn dies, wie man jenen Schriftstellern nachgeben kann,
bei den Legaten der Fall ist (d.h., wie wohl die richtigere
Auffassung sein dürfte, im früheren Rechte der Fall ge-
wesen ist, weshalb eben von Justinian durch die L. 26 nun
auch die direkte, nicht umgewandelte Resolutivbedingung bei
den Legaten zugelassen wird), so liegt ein unendliches Ver-
kennen des Geistes des Erbrechtes darin, aus der Analogie
der Legate für die Erbeinsetzung — wie übrigens ganz allgemein
geschieht — räsonnieren zu wollen, während man ebenso gut
e contrario daraus folgern könnte.
^) Siehe die Stellen in Anm. 2, S. 92.
^) L. 5 pr. ; L. 6; L. 10; L. 12 de hon. poss. sec. tab.
(37, 11); L. 12 L. 13 qui satisd. cog. (2, 8); L. 8 pr. de
stip. pret. (46, 5).
93
Denn schon muß es genügen, der bonorum possessio in
diesem Zusammenhange nur zu erwähnen, um, wie
immer, wenn man sich erst im Zentrum einer Substanz be-
findet, ihren Begriff und ihr wahrhaftes Verhältnis zu der
hereditas, das durch so viele und gelehrte Untersuchungen
nicht aufgeklärt zu werden vermochte und daher in den
widersprechendsten Veranlassungen gesucht wurde, in voll-
ständigster Tageshelle hervortreten zu lassen. Schon muß
nämlich klar sein, daß sich die prätorische bonorum
possessio zur zivilrechtlichen hereditas gar nicht anders
verhält, als, nach unserer obigen Begriffsbestimmung,
innerhalb des Zivilrechtes selbst das Legat zur
Erbeinsetzung, d.h. daß die bonorum possessio, wie
es jetzt ja auch ihr Name in so einfacher Evidenz zeigt,
nichts anderes darstellt, als die bloße Nachfolge in
die Vermögensmaterie, ohne, wie der zivilrechtliche
Erbe, die verewigende, identifizierende Nachfolge in die
ideale Willenssubjektivität des Erblassers zu sein. Mit
anderen Worten: Was man das Zivilistische im Erb-
recht — das zivilrechtliche Erbrecht — zu nennen
pflegt, ist nichts anderes als das streng konsequente Walten
des (aufgezeigten) spekulativen historischen Be-
griffes der römischen Geistesstufe im Erbtum, ein Sy-
stem, gegen weiches der Gedanke der Erbschaft als
bloßer Vermögensvererbung zu reagieren und sich
ihm als eine freie Totalität im prätorischen Erbrecht ent-
gegenzustellen beginnt ^ ) .
^) Es zeigt sich von hier aus das relativ Richtige, in-
nerlich Richtige in der Meinung derer, die, wie Hugo
(Rechtsgesch., II, 238), die bonorum possessio aus dem jus
gentium entspringen lassen. Nicht das nämlich wird also nacn
unserer Ansicht hieran das Richtige sein, daß die bonorum
possessio ursprünglich von dem praetor peregrinus den Fremden
94
Es liegt ebenso außer dem Plane wie außer dem Räume
des gegenwärtigen Werkes, dies nun näher durch die Glie-
in Rom bewilligt und aus seinem Edikt in das Edikt des
praetor urbanus hinübergeflossen sei, sondern die bonorum pos-
sessio beruht auf demselben Ankämpfen des Gedankens des
jus gentmm gegen das jus civiie, welches die ganze römische
Rechtsgeschichte beherrscht. — Relativ am richtigsten noch
hat Gans (Erbrecht, 11, Kap. 6) die allgemeine Stellung
der bonorum possessio zur hereditas angegeben. Allein diese
Richtigkeit ist noch eine ganz abstrakte, die eben nur in der
Stellung besteht, welche er beiden Systemen als geschlos-
senen Totalitäten gegeneinander zuweist. Wenn Gans (das.
S. 465) sagt: die bonorum possessio, dem römischen Erbrecht
gegenüber, hat die Bedeutung des abstrakt Freien, im Gegen-
satz des abstrakt Substantiellen," so ist das richtig, aber selbst
noch ganz abstrakt gesagt. Was fehlt, ist, was dem gesamten
Werke von Gans überhaupt fehlt, nämlich anzugeben, in wel-
chem bestimmten Gedankeninhalt das Substantielle im
römischen Erbrecht bestehe. Dies konkret Substantielle besteht
aber eben nur in dem oben explizierten Gedanken des Erb-
tums als Dasein der Willensunendlichkeit, welcher erst in der
Trennung der Willensvererbung von der Vermögensvererbung
in ganzer Schärfe hervortritt, wie sich das oben immer deut-
licher ergeben wird. Ohne diese Inhaltsangabe bleiben die Be-
zeichnungen des abstrakt Substantiellen und abstrakt Freien
selbst so abstrakt und leer, daß sie sich miteinander vertauschen
lassen. Ja, eigentlich ist dies Gans selbst in dem zitierten Satze
zugestoßen; denn er sieht im Laufe des ganzen Werkes das
Substantielle im römischen Erbrecht irrig nur in der In-
testaterbfolge, wogegen ihm das Testament nur als das
abstrakt Willkürliche erscheint (während dasselbe, wie nach-
gewiesen, erst wahrhaft den substantiellen Inhalt des römischen
Geistes zum Dasein bringt) ; wenn er also hier die bonorum
possessio als das Freie, im Gegensatz zum testamentarischen
Erbrecht als dem Substantiellen bezeichnet, so nimmt er
diesen Ausdruck plötzlich in einer seinem ganzen Werke wider-
sprechenden und von ihm nicht näher erklärten Bedeutung.
95
derung der bonorum possessio durchzuführen, die sich
übrigens jedem mit Stoff und Gedanken Vertrauten nun-
mehr von selbst aus dem angegebenen Begriffe zur To-
talität ihrer Bestimmungen aufrollen und in ihrem ein-
greifenden Verhältnis zur zivilrechtlichen hereditas ent-
wickeln wird ; nur gelegentlich werden wir häufig auf sie
zurückkommen und diesen ihren Begriff näher belegen.
Wir kehren also zu dem zivilen Erbrecht zurück, das
uns allein hier beschäftigt, und haben jetzt den Nachweis
zu bringen, daß nicht nur im Gedanken das Erbrecht
nur in der im Erben gesetzten Fortdauer des erblasseri-
schen Willens (Erbeinsetzung) besteht und von der
Vermögensnachfolge, die dem Willen nur als sein Akzesso-
rium zufällt, unterschieden ist, sondern daß dies so wahr
und so sehr der spezifische Begriff des römi-
schen Erbrechtes'ist, daß nicht nur sogar die reale
Trennung beider Seiten eintreten und der Erbe
auch faktisch als Erbe des Willens erscheinen kann,
ohne Erbe des Vermögens zu sein ; sondern daß es eine
Zeit des jus civile gegeben, wo diese Spaltung herr-
schende Sitte war, ja daß diese Zeit allein sich
als die Zeit des echten und ungeschwächten jus civile, als
die Zeit des zivilistischen Erbtums in seiner noch un-
versehrten markigen Lebendigkeit herausstellt.
VI. Die Spaltung. Das reale Hervortreten der
Momente der Idee.
Es bedarf aber, um dies und das oben (S. 40 — 48.)
hierüber apriorisch Entwickelte in sinnlichster Evidenz
hervortreten zu lassen, zunächst nur eines Blickes auf eine
Stelle des Gajus.
96
,,Sed olim quldem licebat, totum Patrimonium legatis
atque libertatibus erogare nee quicquam heredi relinqiiere
praeterquam inane nomen heredis; idque lex XII tabu-
larum permiüere \'idebatur, qua cavetur, ut quod quisque
de re sua testatus esset, id ratum haberetur, bis verbis :
Uti legassit suae rei, ita jus esto ; quare qui scripti here-
des erant, ab hereditate se abstinebant et idcirco plerique
intestati moriebantar V-"
Bis aufs kleinste tritt hier also alles das hervor, was
wir oben apriorisch als die paradoxe, aber notwendige
Konsequenz des spekulativen Begriffes entwickelt haben,
als das entscheidende Kennzeichen dessen, ob der von uns
nachgewiesene spekulative Begriff wirklich der das rö-
mische Erbrecht beherrschende sei. Früher, sagt Gajus,
stand es frei, die gesamte Erbmasse durch Legate zu er-
schöpfen und dem Erben nichts zu hinterlassen, außer
dem leeren Namen des Erben. Jene Unabhängig-
keit des Begriffes des Erben — als des bloßen Fort-
setzers der reinen Willenssubjektivität des Toten
— von der Vermögenszuwendung, ja die reale
Trennung, in die beide Seiten gegeneinander treten
können, dies also, daß der Erbe nur als Erbe des
Willens, nicht des Vermögens des Testators er-
scheint, — diese ungeheuere Paradoxie, welche unseren
heutigen Begriffen von Erbrecht, welche die Autoren un-
willkürlich auch dem römischen zugrunde legen, so sehr
widerspricht, daß sie auf den ersten Blick nicht einmal
einen Sinn zu gewähren scheint, diese Paradoxie zeigt sich
also durch historischen Beweis als der spezifische und
charakteristische Geist des römischen Erbrechtes ! Durch
die Vermögensverfügung der Legate wurde das
1) Gajus. II. 224.
7 Luealle. Gm. Schriften, Band XI. 97
Vermögen erscnöpit, durch die Erbeinsetziing nur die
ideelle Bedeutung des Willenserhalters, „der leere
Name des Erben", wie Gajus sagt, auf seine Person
übertragen. Und man beachte wohl, Gajus bekundet nicht
nur, wie man meint, daß dies nach der Auslegung der
Zwölf tafelgesetze erlaubt war. Obgleich schon ein so
bizarres Recht, das unseren Erbbegriff so gänzlich auf-
zuheben scheint, schlechterdings eine innere Erklärung er-
fordert hätte, wenn eine solche nach der bisherigen Auf-
fassung des römischen Erbrechtes eben möglich gewesen
wäre. Gajus aber bezeugt noch mehr. Er bezeugt auch,
daß diese Weise des Testierens nicht nur erlaubt war,
sondern auch so häufig vorkam, so allgemein üblich
war, daß sie sogar die Regel bildete, so daß deshalb
die meisten (et idclrco plerique), weil die Erben nun
ausschlugen und das Testament also zusammenfiel, als in-
testati starben^). Gebe man uns nun heute hundertmal
ein Gesetz, welches uns die allerfreieste Vermögens -
Verfügung im Testament und auch diese reale Enterbung
des Erben erlaubte, wer, glaubt man wohl, würde von
letzterer Befugnis Gebrauch machen? Wer heutzutage
würde, wenn er die unbeschränkteste Befugnis hat, zum
Erben einzusetzen, wen er will, jemand zum Erben ein-
setzen, den er hinterher realiter wieder enterben will ?
Man fühlt also, daß nicht das geringste damit getan war,
wenn jenes Recht als solches zum Beispiel damit er-
klärt wurde, daß es aus dem Formalismus einer zu ängst-
lich - strengen Festhaltung an dem Buchstaben des
Zwölftafelgesetzes entstanden sei, diesem allezeit offenen
^) So daß hieraus nun, worüber bald mehr, die lex Furia
entsprang (s. Gajus, a. a. O.), durch welche der erste Schritt
auf der Laufbahn geschieht, den Erben notwendig mit Ver-
mögen zu erfüllen.
98
Schlupfwinkel, in den sich überall beim römischen Recht
jeder sofort rettet, wenn er das Wesen der Sache nicht
zu durchdringen vermag. Denn diese Erklärung würde
jedenfalls gänzlich unerklärt lassen, warum die Römer von
einer ihnen nur durch zu formalistische Auslegung ge-
gebenen Befugnis auch Gebrauch gemacht, und zwar in
der Regel Gebrauch gemacht haben. Die Tatsache dieses
Gebrauches verlangt also jedenfalls noch eine andere, sie
aus dem Inneren des bestimmten Volksgeistes ableitende
Erklärung. Ist eine solche aber gegeben, so ist mit der-
selben von selbst auch jenes Recht plötzlich durchsichtig
geworden und aus seiner angeblichen Buchstabenquelle in
sein inwendiges Wesen umgebogen, und es zeigt sich da-
her an diesem Beispiel recht deutlich, was es mit der Er-
klärung aus dem Buchstabenformalismus überhaupt auf
sich hat, eine Erklärung, die nur erklärt, daß etwas nicht
erklärt werden könne.
Sonderbares, unbegi"eifliches Volk also, muß es scheinen,
diese Römer ! Erst enterben sie die eigenen Kinder, um
einen freigewählten Erben einzusetzen. Und dann ent-
erben sie wieder diesen in absolutester Freiheit
gewählten Erben, um das Vermögen Legataren zu-
zuwenden !
Es liegt auf der Hand, daß solange, wie bisher, nicht
einmal die Frage nach der Quelle dieses so unbegreif-
lichen und befremdenden Widerspruches und seiner Lösung
aufgeworfen wurde, solange auch nicht einmal der Ver-
such gemacht war, in den Geist des römischen Erb-
rechtes einzudringen.
Uns aber hat sich nun mit der Frage zugleich auch
die Lösung derselben im voraus ergeben. Denn dieser
Widerspruch ist überhaupt gar kein anderer als der Wider-
spruch des römischen und unseres heutigen Erb-
7. Q9
begriffes. Dieser Widerspruch entsteht überhaupt nur,
wenn das Vermögen, als zum Wesen des Erbtums
gehörig, das Erbtum als Vermögensnachfolge gedacht
wird. Für uns hat sich statt dessen bereits in dem
früheren ergeben, aus welcher Quelle sovvohl jenes Recht,
als auch die herrschende Sitte seiner tatsäch-
lichen Anwendung notwendig herfließt. Es ist
jene spezifische Anschauung des römischen Geistes, es ist
sein inhaltlicher Begriff des Erbtums selbst, welcher
jenes Recht setzt und zugleich die allgemeine An-
wendung desselben nicht nur hervorbringt, sondern
hervorbringen muß, weil sie eben im Wesen der römischen
Erbauffassung ihre Wurzel hat. Ja, es ist ersichtlich, wie
in der realen Anwendung dieser Spaltung, die uns
allein in die wahrhafte Substanz des römischen Erbrechtes
blicken läßt, das höchste Interesse, die gesteigertste Be-
friedigung des Erblassers liegen muß.
Wenn der Begriff des Erbtums ist, die Fortexistenz
der erblasserischen Willenssubjektivität zu realisieren, so
liegt das Interesse des Erblassers nicht darin, daß der
Erbe hat, sondern daß der Erbe handelt, nach seinem,
des Erblassers, Willen handelt^). Den Erben nach seinem
^) Sehr deutlich lassen dies oft die Aussprüche der Dichter
hervorti-eten, s. Ovid. Tristia, I, 2, Vers 53.
Est aliquid fatoque suo ferroque cadentem
In solida moriens ponere corpus humo.
Et mandare suis aliqua et sperare sepulcrum.
Nicht darauf, daß der Erblasser den Erben etwas hinterläßt,
für sie sorgt usw. — darauf, daß er ihnen Aufträge gibt, sie
nach seinem Willen handeln macht, kommt es ihm
an. Noch deutlicher Ovid. Tristia, III, 3, Vers 43 : '
Nee mandata dabo? nee cum clamore supremo
Labentes oculos condet amici manus?
100
Willen handeln zu machen, ist daher der Triumph des
Erblassers, der echte Beweis von der Fortdauer seines
Willens, und wir werden diesen Satz später bei der Le-
gatenlehre in seiner konkreten Wichtigkeit sich näher ent-
falten sehen. Aber solange der Erbe noch hat und
handelt, ist die Situation immer noch zweideutig. Es
bleibt immer noch möglich, daß es nur sein eigenes
Interesse ist, welches den Erben zum Erbtum bestimmt.
So wäre dann gar nicht der Erbe die Fortexistenz
des erblasserischen Willens, sondern es wäre sein
eigenes Interesse und sein eigener egoistischer
Wille, der im Erben lebendig wäre und die erb-
lasserische Willenssubjektivität, statt sie fortzusetzen, nur
verschlungen und vernichtet hätte. Aber ein entscheidendes
Mittel hat der Erblasser, um sich zu vergewissern und es
zur zweifellosesten Sicherheit zu bringen, daß es sein
Wille ist, der im Erben existiert und fortlebt, nicht dessen
eigener Egoismus. Dies Mittel besteht darin, dem Erben
nicht das geringste eigene Interesse zu gewähren,
ihn \ielmehr in direkten Gegensatz mit seinem ego-
istischen Interesse zu bringen. Der Erbe, der nichts be-
kommt und dennoch Erbe ist und nach dem Willen
des Erblassers handelt^) — der enterbte Erbe-) — ,
ist der unerschütterliche Beweis, daß es der erblasse-
rische Wille ist, der in ihm fortexistiert. Der ent-
erbte Erbe ist der gipfelnde Triumph des erblasse-
^) Nämlich die Legate verteilt.
") Der noch zu den Schulden und Lasten der Erbschaft ver-
pflichtet bleibt, wogegen er sich, wenn diese nicht durch Legate
gedeckt sind, durch Transaktionen mit den Legataren decken
kann, ähnlich wie Gajus es uns vom Fiduclarerben in bezug
luf die Fideikommissare erzählt; siehe hierüber sub Nr. IX.
101
Tischen Willens, die absolute Gewißheit und der höchste
Genuß seiner Fortexistenz, den sich dieser Wille geben
kann. Im enterbten Erben feiert und befriedigt dieser
transszendente Wille seinen wollüstigsten metaphysischen
Kitzel 1)!
Aber schon ist mit dieser höchsten triumphierenden
Stellung des Erblassers auch das Moment der Reibung
gegeben, welches dieses starre, idealistische Erbtum end-
lich in geschichtlichen Fluß bringen und aus sich heraus-
zutreten zwingen muß.
VII. Die Spaltung und das Moment der Reibung.
Der geschichtliche Verlauf desselben. Die lex
furia, lex voconia, lex falcidia.
Nachdem Gajus a.a.O. gesagt hat: ,,et idcirco pleri-
que intestati moriebantur", fährt er so fort: ,,Itaque lata
est lex Furia, qua exceptis personis quibusdam, ceteris
plus mille assibus legatorum nomine mortisve causa ca-
pere permissum non est." Weil also, sagt Gajus, die testa-
mentarischen Erben ausschlagen und so die meisten ab in-
testato beerbt werden mußten, so ^vurde deshalb die lex
Furia erlassen, durch welche verfügt wurde, daß, mit Aus-
nahme gewisser Personen (wahrscheinlich der Kinder und
^) Man sieht jetzt übrigens, wie der Römer bei diesem
Erbtum auch sehr gut das Mittel hatte, die Ehre der Wil-
len sidentität (s. S. 86) einem Freunde und das Vermögen
durch Legate den Kindern zuzuwenden.
102
nächsten Anverwandten^), kein Legatar ein größeres Le-
gat als tausend Aß nehmen darf^).
„Aber," fährt Gajus sehr naiv fort, ,,auch dieses
Gesetz vollbrachte nicht, was es wollte (sed et
haec lex non perfecit quod voluit); denn wer zum Bei-
spiel fünftausend Aß im Vermögen hatte, konnte dadurch,
daß er fünf einzelnen Legataren je tausend Aß legierte,
das ganze Vermögen erschöpfen^)."
Wie naiv auch die bald näher zu betrachtende Vor-
stellung des Gajus sei, das Gesetz habe ,, nicht vollbracht,
was es wollte", seine tatsächliche Kritik, daß dem
Erben dadurch noch keineswegs irgendwelcher Anteil am
realen Vermögen gesichert worden sei, bleibt richtig.
,, Deshalb," fährt Gajus weiter fort, , .wurde später die
lex Voconia erlassen, durch welche verfügt wurde, daß
keinem erlaubt sein solle, auf Grund von Legaten oder
von Todes wegen überhaupt mehr zu nehmen als die
Erben*); aus welchem Gesetze die Erben doch wenig-
^) Dann sollte also an dem in der vorigen Note Bemerkten noch
nicht einmal durch die lex Furia irgend etwas geändert werden.
-) Auch die Ausdrucksweise des Gesetzes ist zu bemerken.
Es wird nicht dem Testator verboten, einem Legatar mehr
als tausend Aß zu legieren — und wenn er es dennoch tut,
kann daher sein Testament weder als solches, noch in bezug
auf das Legat in den Verdacht geraten, als gegen Verbots-
gesetze angehend ungültig zu sein — , sondern bloß dem
Legatar wird verboten, mehr als tausend Aß zu nehmen
(legatorum nomine mortisve causa capere), wodurch nun das
von ihm nicht Genommene von selbst in der Willensherrschaft
des Willenskontinuators verbleibt.
^) Gajus, II, 225 : qui enim verbi gratia quinque millium
aeris Patrimonium habebat, poterat quinque hominibus singulis
millenos asses legando totum Patrimonium erogare.
^) D.h. mehr als der Erbe Tex asse), oder als alle
Erben zusammengenommen.
103
stens irgend etwas notwendig zu haben schienen'). '
Aber es scheint, nach Gajus, ein eigener Unstern über
der römischen Gesetzgebung zu schweben, denn er fährt
fort: „sed tarnen vitium simile nascebatur". „Aber den-
noch entstand auch hier ein ähnlicher Fehler , ein
ähnlicher nämlich, wie bei der lex Furia ; also auch die
lex Voconia vollbringt wieder nicht, was sie vollbringen
will. ,,Denn durch Zerstückelung des Vermögens auf
eine große Anzahl von Legataren konnte man dem Erben
ein solches Minimum hinterlassen, daß es für ihn nicht
lohnte, wegen dieses Gewinnes die Lasten der ganzen
Erbschaft auf sich zu nehm.en')."
Immer also, meint Gajus, ist der Zweck, den schon
die lex Furia hatte, noch nicht erreicht. Endlich wird
er es ! ,,Und so wurde denn die lex Falcidia erlassen,
durch welche verfügt woirde, daß es nicht freistehen solle,
über mehr als drei Viertel des Vermögens durch Ver-
mächtnis zu verfügen ; und so ist es denn notwendig, daß
der Erbe den vierten Teil der Erbschaft hat ; und das
ist das Recht, das jetzt bei uns besteht^)."
Gajus hat uns also nicht bloß oben gesagt, daß es in
^) Gajus, II, 226: Ideo postea lata est lex Voconia, qua
cautum est, ne cui plus legatorum nomine mortlsve causa capere
llceret quam heredes caperent; ex qua lege plane quldem ali-
quid utlque heredes haberen vldebantur.
-) Nam In multas legatarlorum personas dlstrlbuto patri-
monlo poterant adeo heredi mlnimum rellnquere, ut non ex-
pediret heredi hujus lucri gratia totlus hereditatls onera su-
stlnere.
^) Lata est itaque lex Falcidia qua cautum est, ne plus
Icgare llceat quam dodrantem ; Itaque necesse est, ut heres quar-
tam partem hereditatls habeat ; et hoc jure nunc utlmur ; vgl.
Ulpian. Fr. XXIV. § 32.
104
der alten Zeit des Zwölf tafelrechtes herrschende Sitte
war, dem Erben nichts zu hinterlassen, so sehr herr-
schende Sitte, daß nun die meisten Erblasser, da die
Testamentserben deshalb ausschlugen, ab intestato beerbt
werden mußten; sondern er beweist dies nun auch, in-
dem gerade zur Abhilfe dieses Übelstandes ^) — der
also notwendig ein sehr häufig eintretender gewesen
sein muß — sogar ein besonderes Gesetz, die lex
Furia, erlassen wurde, der, da sie jenem Übelstande doch
nicht abhilft, die lex Voconia und, da diese wiederum
nicht abhilft, endlich die lex Falcidia folgt, welche wahr-
hafte Abhilfe schafft.
In bezug auf diesen rein tatsächlichen Inhalt ist
die Stelle des Gajus ebenso klar wie unangreifbar. Aber
was einer anderen Erklärung bedarf, als Gajus sie zu
geben vermochte, das ist das Verhältnis dieser drei Ge-
setze zueinander und der dadurch im Erbtum vor sich
gehenden Entwickelung.
Gajus macht sich freilich die Sache sehr leicht, indem
er einfach sagt, die lex Furia ,. vollbrachte nicht, was sie
vollbringen wollte", woraus die lex Voconia hervor-
gegangen sei. Dieser aber sei das gleiche Unglück zu-
gestoßen, und so habe man denn nun endlich die lex
Falcidia erlassen, die nach dieser Darstellung nur das
vollbrachte, was schon vor ihr die lex Voconia, und schon
vor dieser die lex Furia vollbringen gewollt hatte.
*) Es wird sich später bei der Darlegung des Begriffes der
Intestaterbfolge zeigen, daß und warum es für den römi-
schen Geist durchaus nicht gleichgültig sein konnte, ob Testa-
ments- oder Intestaterbschaft eintrat. Beide zwar sind ziviles
Erbtum oder Willenskontinuation, aber nur das testamen-
tarische Erbtum ist die Realisation dieses Begriffes in sei-
ner adäquatesten Form.
105
Und weil Gajus dies sagt-^), ist man denn auch darin
bisher allgemein seiner Darstellung gefolgt. Ja, selbst ein
so geistvoller Mann, wie Gans, behält dieselbe noch im
wesentlichen bei").
Wird es denn aber wirklich möglich sein, diese An-
sicht irgend ernsthaft festhalten zu wollen ? Wenn schon
die lex Furia vollbringen wollte, was ihr mißlang, nach
ihr der lex Voconia mißlingt und erst durch die Falcidia
erreicht wird, so war es also in letzter Instanz, und ohne
^) Vgl- die entsprechende Darstellung der Inst., II, 22,
ad leg. Falc.
^) Gans faßt daher diese Gesetze auch irrtümlich als einen
Kampf zwischen dem Erben und dem Legatar auf und verfehlt
selbst des Gajus' Sinn, indem er dessen Worte so versteht :
die lex Furia sei erlassen worden, ,, indem nun das Ausschlagen
des Erben dem Testamente, also selbst den Legaten
gefährlich wurde," also im Interesse der Legate und
Ihres Bestandes, woran auch Gajus gar nicht denkt. Die lex
Furia wurde vielmehr im Interesse der Erblasser erlassen,
damit diese nicht durch das Ausschlagen der Erben um den
gewollten testamentarischen Willensfortsetzer
kämen, wie es deshalb auch in den Inst., II, 22, heißt: ,,Idque
(der Erlaß der lex Furia) ipsorum testatorum gratia provisum
est ob id quod plerique intestati moriebantur, recusantibus scrip-
tis heredibus pro nullo aut minimo lucro hereditates adire."
Aber Gans ist, weil er Erbtum und Testament ihrem Wesen
nach ebenso gut wie die positiven Juristen sämtlich noch für
eine Vermögens Verfügung hält (siehe z. B. Gans, II, 173:
,,da das Testament die Beziehung des testierenden Willens auf
das Vermögen ist," und allerwärts), gerade wegen seiner
philosophischen Konsequenz zu einem der größten begriff-
lichen und historischen Irrtümer gelangt, die überhaupt im Erb-
recht möghch sind ; zu der Folgerung nämlich, daß unter dem
Zwölf tafelrecht, vor der lex Furia, Erbe und Legatar
gleiche Bedeutung haben, und daß sich erst durch die
lex Furia, Voconia und Falcidia der Unterschied zwischen
106
Wortverhüllung gesprochen, nur eine Redaktions-
ungeschicklichkeit, welche die lex Furia verhindert,
sofort selbst ihren Zweck zu erreichen ! Eine Redaktions-
ungeschicklichkeit, die gar nicht aufhört, dies zu sein, wenn
man sie auch, wie Gans a.a.O., in eine ,, Einseitigkeit
der Verordnung" umtauft, die sich ,,aber sehr bald be-
merkbar gemacht" habe ; als ob es den Römern nicht schon
beim Erlaß der lex Furia und wieder der lex Voconia
hätte klar sein müssen, daß die totale Enterbung des
ihnen entwickelt. Gans, II, 187: „Dem Kampf der Testa-
mentserbschaft und des Legates geht daher dasjenige Moment
voran, worin beide noch nicht unterschieden sind, d.h.
sich noch nicht feindlich gegenüberstehen . . . Testamentserb-
schaft und Legat sind nach dem Ausspruch der zwölf Tafeln,
uti legassit, noch ganz ineinander und gegeneinander
gehalten von völlig gleicher Bedeutung." Dieser Irr-
tum ist der absolute, denn der begriffliche wie juristische Ge-
gensatz von heres und Legatar (Willensfortsetzer und Ver-
mögensnehmer) ist seit den ältesten Zeiten des römischen Rech-
tes der diametrale gewesen, und wenn er auch nie ganz
aufhörte, so lange römisches Recht existierte, so war er am
stärksten doch gerade in der Zeit des ältesten römischen
Rechtes, und gerade die geschichtliche Fortbewegung desselben
bringt vielmehr (wie dies die sehr natürliche Folge der um
sich greifenden Anschauung war. daß der Erbe mit Vermögen
erfüllt sein müsse) hervor, daß sich Erbe und Legatar
mähhch einander annähern und ihr Gegensatz sich ab-
schwächt, wie sich dies bei der fideikommlssarischen und
bei der Benefizlarerbschaft deutlich zeigt, worüber später. Den-
noch ist die Notwendigkeit jenes so absoluten, unhistori-
schen Irrtums von Gans einleuchtend. Denn wenn man einmal
von der Grundanschauung ausgeht, daß das Wesen des Erb-
rechtes Vermögens nachfolge sei, so kann man dann aller-
dings in der Zeit, wo Erbe und Legatar gleich bedacht werden
können, konsequent auch keinen Unterschied zwischen beiden
mehr sehen.
107
Erben, dort durch Zerteilung des Vermögens unter viele
Legatare, hier durch ähnliche Häufung von Legataren,
verbunden mit den auf den Erben fallenden Lasten der
Erbschaft, möglich bleibe, und als ob erst die Praxis
hierüber habe belehren müssen.
Die Ansicht von einer solchen Redaktionsungeschick-
lichkeit, vermöge w^elcher die Gesetze nicht erreichen,
was sie selbst erreichen wollen — eine Ansicht, seltsam
genug, zumal bei einem solchen Volk von Gesetzes-
künstlern wie die Römer — wird doch aber schon zur
radikalsten Unmöglichkeit, wenn man nur einen Blick auf
das chronologische Verhältnis dieser Gesetze zueinander
wirft. Das Datum der lex Furia steht nicht ganz fest.
Sie wird aber in der Regel auf das Jahr 571 nach Er-
bauung Roms gesetzt, und jedenfalls muß sie vor der lex
Voconia ergangen sein. Aber von der lex Vocoiiia steht
fest, daß sie im Jahre 585, und von der lex Falcidia,
daß sie im Jahre 714 p. u. c. ergangen ist^). Zwischen
der lex Furia und der Voconia verfließen also ganze
vierzehn Jahre, ohne daß den Römern die Redaktions-
ungeschicklichkeit, respektive Mangelhaftigkeit des Ge-
setzes zum Bewußtsein kommt, und von der lex Voconia,
von der Gans (a. a. O., S. 192) sagt, daß ihre , , Ein-
seitigkeit.. . sogleich sichtbar wird", dauert es sogar
hundertunddreißig Jahre, bis diese Einseitigkeit den,
wie es scheint, sehr schwer begreifenden Römern deutlich
und durch die lex Falcidia verbessert wird !
Wer wird bestreiten wollen, daß hier ein ganz anderes
vorliegen muß, daß diese einen fast hundertundfünf zig-
jährigen Zeitraum umfassenden drei Gesetze nur zu be-
greifen sind als ein sich in denselben vollziehender schwerer
1) Dio Cassius. XLVIII. 33: LVI. 10. und Eusebius. Chro-
nic, a. 1970.
108
und hartnäckiger Kampf, den der römische Geist mit seinen
innersten Anschauungen kämpft, als ein furchtbares Ringen
desselben mit seiner eigensten Substanz ; als ein Kampf,
gekämpft, nicht, wie man glaubt, zwischen Erben und
Legatar — denn der Legatar hat weder Erben noch Erb-
lasser gegenüber die gleichberechtigte, selbständige Stel-
lung, einen Kampf mit ihnen eingehen zu können — ,
sondern ein Kampf, gekämpft im tiefsten Wesen des
römischen Erbbegriffes selbst, somit ein Kampf,
gekämpft lediglich und allein zwischen — Erben und
Erblasser!
Sprechen wir es zunächst mit einem Worte aus, was
hier schon vollständig durchsichtig sein muß ; diese drei
Gesetze stellen nichts anderes dar als die schrittweise Aus-
gleichung des selbständigen römischen Erbbegriffes mit
der Vermögenshinterlassenschaft ; nichts anderes als die
schrittweise Erweichung und Abai'beitung jenes starren
idealistischen Erbtums und dessen ebenso hartnäckigen,
nur Schritt iür Schritt weichenden Widerstand ; nichts
anderes als somit, was hiermit identisch ist, die allmäh-
liche Abreibung des zivilistischen Momentes inner-
halb des zivilen Erbrechtes selbst — eine Bewegung, auf
die sich, wie wir später sehen werden, die gesamte Ge-
schichte des römischen Erbrechtes zurückführt — ; nichts
anderes endlich als den allmählichen und endlichen Durch-
bruch der Anschauung: der Erbe muß mit Vermögen
erfüllt, das Erbtum von realer Vermögenszuwen-
dung begleitet sein. Es ist innerhch nur dieselbe An-
schauung, die wir als den Grundsatz sacra cum pecunia
bereits als einen Wendepunkt im Pontifikalrecht haben
entstehen sehen, welche endlich auch im Zivilrecht ihren
entscheidenden Sieg mit der lex Falcidia feiert. Es ist
dieselbe Anschauung, denn wenn das Vermögen an und
109
für sich die nur dem Erbcharakter entfließende Ver-
pflichtung zu den sacris übertragen soll, so ist eben die
prinzipielle Verknüpfung beider gesetzt (wie
Cicero auch sagt sacra conjuncta cum pecunia), und es
ist dann also nur die umgekehrte, aber auf dasselbe
Prinzip sich zurückführende Folge, daß auch das Erb-
tum, dessen religiöser Ausdruck die sacra sind, mit An-
teil am realen Vermögen verknüpft sein muß.
Aber diese Anschauung, daß der Erbe mit Vermögen
erfüllt, notwendiger realer Vermögensnehmer sein müsse
— wie ist sie denn entstanden? Wie konnte sie
nur plötzlich in dem starren idealistischen Geiste des zivi-
listischen Erbtums, dessen striktes dialektisches Gegen-
teil sie ist, entstehen? Nichts wäre erklärt, solange
dies nicht erklärt wäre.
Denn wenn diese Anschauung ein so entschiedenes
inneres Gegenteil des echten römischen Erbbegriffes ist,
wie aus unserer Darstellung folgt, so konnte sie doch nicht
auf einmal in den römischen Geist bloß hineinschneien,
und alles bliebe daher unbegreiflich, wenn nicht die
innere dialektische Notwendigkeit aufzuweisen
wäre, vermöge welcher sich der starre römische Erb-
begriff der idealistischen Willensfortsetzung
endlich zur Auffassung des Erben als eines notwen-
digen Vermögenserwerbes treiben muß.
In der Tat aber ist dieser innere Übergang schon in
dem enthalten, was wir am Ende der vorigen Nummer
(S. 100 fg.) nachgewiesen haben.
Der enterbte Erbe, zeigten wir dort, d. h. der
realiter nichts empfangende Erbe ist der höchste Triumph
des Erblassers. Denn in ihm hat er die entscheidende Ge-
währ, daß es sein Wille, und nicht das eigene Inter-
esse und also der eigene Wille des Erben ist, der
110
in diesem lortexistiert. Im enterbten Erben leiert daber
der erblasserische Egoismus die seligste Gewißheit seiner
Fortexistenz. Aber in dieser triumphierenden Stellung des
Erblassers, sagten wir daselbst, ist auch schon das Mo-
ment der Reibung gegeben, welches dies starre idea-
listische Erbtum zur Fortbewegung zwingen und in Fluß
bringen muß.
Denn durch diesen höchsten Willensegoismus des Erb-
lassers, durch welchen er die Willenssubjektivität des
Erben in der Tat vernichtet und unterwirft und zum
leeren selbstlosen Gehäuse der seinigen macht, fordert
derselbe dadurch auch den Willensegoismus des
Erben zum Widerstand heraus. Der Egoismus des
Erben, der seine eigene Willenssubjektivität nicht ver-
nichten lassen will, und der Widerstand, den er leistet,
bildet das immanente Moment der Reibung der beiden
Willen, die sich als identische setzen sollen. Und diese
Reibung ist es, die dieses Erbtum zur Fortbewegung
treiben muß. Es ist also ein Kampf zwischen Erben
und Erblasser, der sich erhebt, und in diesem Kampfe,
in welchem der Erbe dem Erblasser gegenüber zunächst
ganz wehrlos erscheinen könnte, hat er vielmehr das ebenso
einfache wie entscheidende Mittel, daß er nicht will,
d. h. ausschlägt.
Der subjektive Wille des Erblassers kann also die
von ihm gewollte Willensfortexistenz nur finden, wenn
er sich auf den subjektiven Willen des Erben ein-
läßt und ihn zu befriedigen weiß. Er muß mit dem
Erben transigieren, um diesen anderen Willen zum
Dasein seines Willens zu machen. Er muß sich also
mit dem persönlichen Interesse und dem eigenen
Willensegoismus des Erben durch irgendeinen Anteil an
der realen Hinterlassenschaft abfinden, wenn er sich
111
in dieser anderen Willenssubjektivität Fortexistenz geben
will. Der endliche, durch seine fortgesetzte Weigerung
herbeigeführte Sieg des Erben in diesem langen Kampfe,
oder, was das Resultat dieses Sieges ist, der Triumph
der Anschauung, daß der Erbe notwendig Ver-
mögen erhalten müsse, vollbringt sich erst durch die
lex Falcidia.
Aber diese Umwälzung im Erbtum ist eine viel zu
tiefe und totale, um sich auf einen Schlag, um sich ohne
langen Kampf und den zähes ten Widerstand der Sub-
stanz des römischen Volksgeistes erreichen zu lassen.
Zunächst ist hervorzuheben, daß es bis zum Jahre der
Stadt 571 dauert, ehe die lex Furia ergeht. Bis zu einem
gewissen, dieser lex vorhergehenden Zeitraum muß also
der Übelstand, daß die meisten ausschlagen und also
massenhafte Hinfälligkeit von Testamenten eintritt, noch
nicht fühlbar gewesen sein, da sonst die Abhilfe der lex
Furia früher eingetreten wäre.
Was bewog aber bis dahin, und also jedenfalls einen
so äußerst langen Zeitraum hindurch die testamentarischen
Erben, mindestens in ihrer großen Mehrzahl, die hereditas
zu übernehmen, wenn sie auch keinen Vermögensvorteil
davon hatten, und trotz der Belästigungen, in welche sie
sogar durch die onera der Erbschaft geraten konnten ?
Hier könnte vielleicht versucht werden, eine Antwort
durch eine näher eingehende Untersuchung auf gewisse
frühere Testamentsformen abzuleiten. Aber die wahre
und wesentliche Antwort bleibt jedenfalls die: In der
Zeit des noch gediegenen Volksgeistes kann diese Auf-
lehnung des persönlichen Interesses im Erben nicht um
sich greifen, weil das Erbtum eben die bindendste und
heiligste Substanz dieses Volksgeistes, sein religiöser und
geistiger Zentralpunkt, seine spezifisch-römischste
112
Ader, seine welthistorische Bedeutung, das innerste
Herzensgeheimnis ist, in welches dieser Volksgeist ver-
tieft ist.
Die subjektive Willensunsterblichkeit, die Fortexistenz
der Willenssubjektivität nach dem Tode, ist der spezi-
fische welthistorische Inhalt dieses Geistes, ist somit sein
eigenstes religiöses wie öffentliches Interesse, und jeder,
der mit ihm vom Becher derselben Substanz getrunken
hat, ordnet in religiöser Scheu sein persönliches Inter-
esse dem Willen des Toten, diesem metaphysisch-politi-
schen Interesse des Volksgeistes, unter. Wenn wir später
(Nr. X und XV) näher belegen werden, welche Kultus-
feier seines eigenen Wesens das Testament für den rö-
mischen Voiksgeist darstellt, welches Interesse des öffent-
lichen Geistes jeder einzelne Testator in sich konzentriert,
wird diese Unterordnung zur Zeit der in den Individuen
noch unauf gelockerten gediegenen Herrschaft des Volks -
geistes vollends nicht im geringsten wundernehmen können.
Nur solchen würde diese Erklärung vielleicht schwach
und unbewiesen erscheinen können, welche sich niemals aus
ihren subjektiven rationalistischen Anschauungen heraus in
das Wesen eines Volksgeistes versenkt, niemals einen Be-
griff erlangt haben von dem stummen Zwange, welcher in
jeder klassischen Zeit aus der geistigen Einheit des-
selben für alle Individuen dieses Volkes quillt, sie als ihr
wahrhaftes Band zusammenbindet und weit intensiver als
Gesetz und Rechtsvorschrift in den Zeiten auflockernden
Subjektivismus ihr Handeln bestimmt.
Aber selbst für solche ist der unwiderlegliche Beweis
des Gesagten zur Stelle. Dieser mit Händen greifbare
Beweis ist nichts anderes als — die Sitte der Fiduziar-
erbschaft, durch deren bloße Erwähnung in diesem Zu-
sammenhange schon klar sein muß, wie sie nichts als die
8 LasäaUe. Ges. Schriften, Band XI. 113
letzte analoge Nachbildung jenes enterbten zivilistischen
Willenserben darstellt, worüber später (Nr. X). Allein
abgesehen einstweilen von allem näheren Eingehen — so-
viel steht jedenfalls fest, daß der Fiduziarerbe gleichfalls
nicht das geringste reale Emolument aus dem Vermögen
empfängt oder zu empfangen braucht, ja, daß auch ihn
die Laster der Erbschaft treffen. Was zwingt denn nun
den Fiduziarerben, die Erbschaft, von der er nichts be-
halten soll, anzutreten? Was zwingt ihn, sie, deren
Restitution erst mit dem Verfall der Republik, unter
Augustus, erzwingbar wird, herauszugeben?
Und dennoch, was steht mehr historisch fest, als die
Treue und Unterwerfung unter den Willen des Toten, mit
welcher diese Fiduziarerbschaften angetreten und aus-
geantwortet werden ? Eine Treue und Unterwerfung, ohne
deren regelmäßiges Eintreten, so daß man mit Sicherheit
darauf zählen konnte, ein solcher Gebrauch gar nicht hätte
um sich greifen, ein solches Institut gar nicht hätte zur
Existenz gelangen können ; eine Treue und Unterwerfung,
von deren traditioneller Regelmäßigkeit gerade das Zeter-
geschrei, das die Römer noch in so später Zeit wie der des
Cicero erheben, wenn jetzt die Ausnahme der Nicht-
ausantwortung der Erbschaft einzutreten und jetzt aller-
dings um sich zu greifen beginnt, den besten Beweis
liefert !
Es ist also das erste sehr bemerkenswerte Moment, daß
es bis zum Jahre 571 dauert, ehe das Umsichgreifen der
Testamentsrepudiationen wegen des verletzten Interesses
des Erben fühlbar und eine Abhilfe zum Bedürfnis wird.
Und daß ein so langer Zeitraum bis dahin — mindestens
müßte derselbe doch von der Zwölftafelgesetzgebung an,
also immerhin über ein Vierteljahrtausend umfassend, ge-
rechnet werden — verfließen konnte, ist kein geringer
114
Beweis von jener innersten untrennbaren Gediegenheit, mit
welcher dieser transszendente Begriff der durch das Erb-
tum zu realisierenden Willensunsterblichkeit die Substanz
des römischen Volksgeistes durchdringt.
Als aber die substantielle Gediegenheit des Volks-
geistes sich überhaupt aufzulockern beginnt, und der Ego-
ismus und Subjektivismus der Individuen um sich zu greifen
anfängt, da kann und muß auch der Egoismus des Erben
anfangen, sich gegen den Erblasser geltend zu machen.
Der Erbe, der seinen persönlichen Vorteil nicht gewahrt
findet, setzt seinen Egoismus dem durch die gesamte
metaphysisch-religiöse Grundlage des Volksgeistes ver-
klärten und daher nicht als Egoismus, sondern als Sub-
stanz erscheinenden Egoismus des Erblassers entgegen,
und weigert sich, ihm auf solche Bedingungen hin Willens-
fortsetzer zu sein. Die Ausschlagungen werden massen-
haft, und die Notwendigkeit einer Abhilfe tritt ein. Die
chronologischen Data sind sehr bezeichnend. Es ist die
letzte Periode der Republik, die Periode des bereits be-
ginnenden Verderbens, in welcher die lex Furia erlassen
wird und also der erste Versuch einer Abhilfe erforder-
lich wird.
Daß eine Abhilfe erforderlich wird, daß massenhaftes
Ausschlagen der Testamentserben eme Kalamität für
den Volksgeist darstellen muß, obgleich ja jetzt
die Intestaterben darankommen, und also nach wie vor
ziviles Erbtum eintritt, — dies wird sich durch
unsere spätere Erörterung des Verhältnisses der Inte-
staterbschaft ^ur Testamentserbschaft klar er-
geben. Penn es wird sich daselbst zeigen, daß die Intestat-
erbschaft für den römischen Geist nur ein subsidiäres
Surrogat, durchaus kein Äquivalent mit der testa-
mentarischen Erbschaft darstellt, und das massenhafte Ein-
&* 115
treten der Intestaterbschaft daher durchaus nicht jene
Kalamität zu beseitigen vermag^). Ebenso ist
schon nach dem Bisherigen klar, daß es das ganze Volk
ist, welches, also durch ein Gesetz, zur Beseitigung dieses
Konfliktes intervenieren muß, dessen Abmachung vom
römischen Standpunkt aus durchaus nicht dem einzelnen
Erblasser und seinem Erben überlassen werden kann. Denn
es ist nicht bloß das Los des einzelnen Erblassers, son-
dern eben die Substanz des ganzen Volkes, das höchste
metaphysische Daseinsinteresse des öffentlichen
Geistes, welches bei der Gefalir des Unterganges des
testamentarischen Erbtums auf dem Spiele steht-).
Aber noch herrscht jener starre idealistische Erbbegriff
mit zu großer Gewalt im römischen Geiste vor, um einen
direkten Angriff auf seine Substanz zu unternehmen, den
Willenserhalter für einen notwendigen Ver-
mögensnehmer zu erklären, dem Erblasser diese
höchste triumphatorische Selbstgewißheit seiner Willens -
fortexistenz, die in dem enterbten Erben liegt, zu verbieten,
seine Willenssubjektivität, die vom Erben ja nur er-
halten werden soll, vielmehr durch jene des Erben
beugen und zwingen zu lassen — das sind Dinge, die
viel zu sehr gegen den innersten Begriff dies Erbtums
angehen, um dieselben bereits zu dieser Zeit und ohne ein
langes Ringen des römischen Geistes mit sich selbst wagen
^) Wohl aber zeigt sich schon von hier aus, wie irrig die
Ansichten der Autoren über das Verhältnis des Intestatrechtes
zum testamentarischen als des Prinzipalen, Vorausgehenden,
oder auch als des Gleichberechtigten und Substantielleren sind.
^) Bereits muß schon lange von selbst ein helles Licht
darauf gefallen sein, inwiefern das Testament bei den Römern
juris publici sein muß ; siehe Nr. X und X.W
116
zu können. Am klarsten wird dies in folgender Wendung :
in die Beziehung einzugreifen, welche sich die Willens-
subjektivität des Erblassers zu der des Erben gibt, ist
überhaupt unmöglich, denn jene Beziehung ist ja nur eine
Beziehung der erblasserischen Willenssubjektivität zu sich
selbst, zu ihrem eigenen Dasein und Insichsein;
denn der Erbe ist ja der Erblasser^).
In seiner Willensbeziehung zum Legatar dagegen be-
zieht sich der Erblasser auf einen anderen. Der Be-
ziehung des einen subjektiven Willens auf einen anderen
^) Dem widerspricht es keineswegs, wenn z. B. ein anderes
Kapitel der lex Voconia verbietet, daß Weiber von Bürgern,
die auf 100000 Aß in den Zensusrollen eingetragen sind,
zu Erben gemacht werden können (Gajus, II, 274); denn
dies war eine Erbunfähigkeit der Weiber, wenn auch nur
eine Erbunfähigkeit in bezug auf Bürger einer gewissen
Klasse, aber immerhin im Prinzip eine Erbunfähigkeit wie
jede andere. Ein ganz anderes, als Personen des Erbtums un-
fähig erklären, ist dies : der Willensbeziehung des Erblassers
zum Erben, d.h. zu dem, der wirklich sein Erbe wird
und ist, Gesetze vorschreiben. Dort kommt es gar nicht zum
Erbtum und also zur Willensidentifikation. Hier aber^
wenn und indem es zu derselben kommt, den Inhalt der Willens-
beziehung zum Erben vorschreiben zu wollen, würde heißen in
das Verhältnis dieser Willenssubjektivität zu sich selbst
eingreifen. Gerade durch ihre Bestim-mung hinsichtlich der Wei-
ber läßt die lex Voconia diesen Unterschied sehr deutlich her-
vortreten. Sie hindert nicht und will nicht hindern, daß Weiber
von Bürgern, die zu 100000 Aß und mehr eingeschrieben sind,
die Hälfte ihres Vermögens erben. Aber sie gestattet dies
nicht in der Form, daß sie solchen Bürgern erlaubt, Weiber zur
Hälfte zu Erben einzusetzen, sondern sie entzieht den letz-
teren die Erbfähigkeit für solche Erbschaften gänz-
lich — diese einmal zugelassen, wäre die quantitative Be-
schränkung damals noch unmöglich gewesen — , gestattet ihnen
aber den Erwerb der Vermögenshälfte durch Legat.
117
könne ohne Anstoß — dies ist ja vielmehr die Bestim-
mung der Gesetze überhaupt — Gesetze vorgeschrieben
werden, und ebensogut also, wie dem einzelnen Willens-
akt des Lebendigen, können auch dem einzelnen
Willensakt des Testators, d.i. dem Legat, inhalt-
liche Vorschriften auferlegt werden.
Der Erbe schleppt also den Legatar auf den Kampf-
platz. Und zwar ist es der eigene und wahre Begriff
des Legatars, den er gegen diesen ins Treffen schickt.
Ich bin, sagt der Erbe, Willensperpetuierer des Toten,
gleichviel ob ich von dem Vermögen der Hinterlassen-
schaft etwas erwerbe oder nicht, und habe daher allerdings
keinen notwendigen Anspruch auf das Vermögen. Aber
dann muß auch der Legatar seinerseits seinem Begriffe
treu bleiben. Der Begriff des Legatars aber (s. Nr. XIV)
besteht darin, daß er im Gegensatz zu mir, der ich
Willenserbe, Träger der ganzen Willenssubjektivität des
Erblassers bin, nur reale Vermögensstücke von diesem
empfangen kann. So soll er sich denn auch, seinem Be-
griffe gemäß, auf solches Stückwerk beschränken, kein
einzelner Legatar aber das Vermögen in einem
solchen Zusammenhang übernehmen, daß durch diesen
Zusammenhang auf ihn allein der Widerschein und Re-
flex der früheren Willensherrschaft fallen kann.
Und so wird denn durch die lex Furia dem Erblasser
zwar immer noch gestattet, das Vermögen durch Ver-
teilung an Legatare zu erschöpfen, aber jedem einzelnen
Legatar verboten, mehr als ein geringfügiges Stück, die
unbedeutende Summe von tausend Aß zu nehmen. Und
auch das ist bemerkenswert, daß sich selbst dieses Ver-
bot der Form nach nicht gegen den Erblasser richtet,
sondern, ebenso wie noch später durch die lex Voconia,
dem Erblasser noch völlige Freiheit gelassen und nur dem
118
Legatar das Nehmen — bei Strafe des Vierfachen —
verboten wird.
Nichtsdestoweniger wäre es ein großer Irrtum, mit
Gans und anderen zu glauben, daß die in der lex Furia
bis zur lex Falcidia stattfindende Bewegung ein gegen
den Legatar gerichteter Kampf des Erben ist. Der
Legatar ist nur der Prügeljunge, auf dessen Rücken der
Erbe seinen Kampf mit dem Erblasser schlägt. Ganz
entscheidend zeigt sich dies ja in der Aufeinanderfolge
dieser Gesetze, dadurch nämlich, daß durch die beiden
späteren die Lage des Legatars wieder auf das aller-
erheblichste verbessert %vird. Ausgegangen wird von dem
Zwölftafelrecht, nach %velchem die Lage des Legatars die
günstigste ist. Plötzlich wird sie die ungünstigste durch
die lex Furia, die ihn auf die Kleinigkeit eines festen
Stückes von tausend Aß einschränkt. Durch die lexVo-
conia wird sie schon auf das erheblichste gebessert, in-
dem der Legatar nun die volle Hälfte des Vermögens,
also unendlich mehr als tausend Aß, erhalten kann. Noch
viel günstiger wird sie schließlich durch die lex Falcidia,
nach welcher er sogar drei Viertel des Vermögens, also
mehr als der Erbe selbst erhalten kann. Als Kampf zwi-
schen Erben und Legatar aufgefaßt, wäre also weder
Sinn noch Zusammenhang in dieser Entwickelung, wäh-
rend alles in das klarste Licht tritt, wenn man den Sinn
und die Richtung dieser Bewegung als einen gegen den
Erblasser gerichteten Kampf auffaßt, in welchem der
Legatar — seiner passiven Rolle gemäß — gar kein
selbständiger Faktor ist, nicht derjenige, um den sich s
handelt, sondern derjenige, an dem sich's handelt, der
bloße Boden des Streites, der daher seine guten und
bösen Chancen als ein reines Schicksal je nach den Sta-
dien empfängt, in welche jener Kampf zwischen Erben
119
und Erblasser tritt. Als der Erbe ertrotzt hat, was er
vom Erblasser ertrotzen will, hat er nichts dagegen, daß
der Legatar sich so breit mache wie er wolle, und weit
mehr bekomme als er.
Aber Gajus sagte uns bereits, daß die lex Furia ,, nicht
erreichte, was sie wollte", weil nun jeder Erblasser sein
Vermögen durch Vermächtnisse an lauter einzelne Le-
gatare von je tausend Aß erschöpfen kann, und daß des-
halb nun die lex Voconia erlassen wird.
Wie naiv auch in theoretischer Hinsicht die Wendung
des Gajus : haec lex non perfecit quod voluit, sein mag,
an dem tatsächlichen Kern seiner Nachricht läßt
sich natürlich nicht im geringsten zweifeln. Die Aus-
schlagungen der Testamentserben müssen also immer fort-
gedauert haben ; denn sonst ließe sich gar nicht sagen, daß
die lex Furia ihren Zweck nicht erreicht habe, und es
war gar kein praktischer Anlaß zu dem Erlaß der lex
Voconia vorhanden. Die bloße formelle Möglich-
keit, welche die lex Furia dem Testator übrig ließ,
konnte hierzu nicht treiben, wenn die Erblasser nicht auch
praktisch von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht
hätten, und hierdurch also auch der frühere Übelstand
der Ausschlagung praktisch fortgedauert hätte.
Es ist also durch den Bericht des Gajus selbst kon-
statiert — und dies ist auch sein unmittelbarer Wort-
sinn — , daß die Erblasser auch realiter von jener for-
mellen Möglichkeit, die ihnen die lex Furia noch übrig
läßt, Gebrauch machen. Sie zersplittern also
lieber ihr ganzes Vermögen in einzelne Le-
gate ä je tausend Aß, um nur dem Erben nichts
zukommen zu lassen! So zäh saß in der Volks-
substanz jene alte Anschauung des Erben als des rein
idealistischen Willenserhalters, jener metaphysische Kitzel
120
der nicht durch das eigene Interesse und den eigenen
Willensegoismus des Erben verdunkelten Willenslort-
existenz des Erblassers ! Es erhellt von selbst, wie sich
diesen Tatsachen des ga janischen Berichtes ohne unsere
gesamten vorhergehenden Ausführungen über den Begriff
des römischen Erbtums auch nicht der geringste Sinn ab-
gewinnen läßt. Denn wie sollte sonst — eine Frage, die
man freilich sich auch nur aufzuwerfen sorglich ver-
mieden hat — dieser sonderbare Haß des Erblassers
gegen den Erben, der jenen, um diesen nackt zu stellen,
sogar vor dieser Vermögenszersplitterung nicht zurück-
weichen läßt, auch nur irgend begreiflich sein? Aber es
zeigt sich hier eben nur wieder ganz klar, wie das Erb-
recht für den Erblasser ganz wo anders seinen Begriff
und sein Interesse hat als im Vermögen und der Ver-
mögenssphäre.
Das Moment der Reibung zwischen den beiden
Willenssubjektivitäten, welche das Institut des Erbtums
als identische setzen soll, dauert also immer noch fort.
Der Erblasser fährt fort zu enterben, der Erbe fährt
fort auszuschlagen.
Der Erbe daher, um den Erblasser zu treffen, schlägt
wieder auf den Rücken des Legatars, den selbstlosen
Boden dieses Kampfes. Und was er diesmal vorbringt,
ist wieder wie das vorige Mal eine ebenso strenge dialek-
tische Folgerung des Legatsbegriffes, als es zugleich die
strenge dialektische Konsequenz des in der lex Furia an
sich schon Enthaltenen ist.
In der Tat, was hatte der Erbe gegen den Legatar in
der lex Furia geltend gemacht ? Er hatte gegen ihn (s.
oben S. 118) den Begriff des Legates geltend ge-
macht, welcher im Gegensatze zum Erbbegriff das
Empfangen eines realen Vermögensstückes ist und
121
den Legatar hierdurch auf das bestimmte Stück be-
schränkt. An sich ist also in der lex Furia bereits der
Legatsbegriff zum Erbbegriff in Verhältnis gebracht
und durch die Gegensätzlichkeit dieses Begriffs-
verhältnisses die Beschränkung des Legatars hervor-
gebracht. Die lex Furia ist nur das Produkt der Be-
ziehung, die zwischen Erb- und Legatsbegriff stattfindet.
In der lex Furia ist also das Verhältnis beider Be-
griffe zueinander, das Verhältnis des Legatars im Gegen-
satz zum Erbtum, bereits als die innere Grundlage des
Gesetzes, obwohl es vom Erben schweigt, schon vor-
handen. Was so in der lex Furia schon an sich vor-
handen ist, wird in der lex Voconia nur aus-
gesprochen, und deshalb kann es auch bei dieser
inneren Identität beider Gesetze schon in dem kurzen Zeit-
raum von vierzehn Jahren zu dieser Umänderung kommen.
Der Erbe gesteht also noch immer in thesi zu, daß er
an sich selbst gar keinen Anspruch darauf habe, Ver-
mögen vom Erblasser qua Erbe zu empfangen. Aber,
sagt er, das ist nicht zu dulden, daß ein einzelner
Legatar, dessen Begriff doch nur das einzelne Stück ist,
für sich selbst genommen, einen größeren Zusammen-
hangt) in der Vermögenshinterlassenschaft des Toten
darstelle, als ich, der ich der Fortsetzer seiner all-
gemeinen Willensherrschaft bin. Hierdurch vergreift er
^) Man erinnere sich des oben (Nr. III) über die major pars
in der älteren Sacraltheorie Gesagten, und der organische Zu-
sammenhang der Anschauungen in beiden wird klar sem. Dort
war es die absolute major pars des Vermögens, die den Legatar
zu einem Analogon des Zivilerben machen und daher die sacra
auferlegen soll. Hier ist es die major pars, die der einzelne
Legatar dem Erbtum gegenüber darstellt, wodurch er in das
letztere unzulässig eingreifen soll.
122
sich an meinem Begriff. — Der Erbe will also dem
Erblasser nach wie vor freistellen, ihm nichts zukommen
zu lassen, vorausgesetzt, daß er ein Mittel findet, den
Legataren auch nichts zu geben. Diese Freistellung ist
konsequent. Denn der Erbe behauptet nicht, daß er ab-
solut, er behauptet nur, daß er relativ, dem Legatar
gegenüber, zu Vermögen berechtigt sei. Und man sehe
femer, mit welcher Konsequenz es nur der Begriff
des Erbtums ist, dessen Verhältnis zum Wesen des
Legatars der Erbe hier ins Feld schickt. Daß er, als
einzelner Erbe, etwas haben müsse, oder soviel haben
müsse wie der Legatar, behauptet der Erbe selbst nicht ;
nur alle Erben zusammengenommen (oder respek-
tive der alleinige Erbe) müssen ebensoviel realen Ver-
mögenszusammenhang hinter sich haben, wie jeder ein-
zelne Legatar, damit nicht der Begriff des Erb-
tums vom Legatar überwunden zu sein scheine. Sind also
viele Erben eingesetzt, so kann jeder einzelne Erbe viel
weniger erhalten, als jeder einzelne Legatar. Der Erbe
vergleicht nicht sich, den einzelnen Erben, mit dem ein-
zelnen Legatar, sondern nur das gesamte Dasein des
Erbtumsbegrif f es, und sich also, insofern er aus-
schließend dies Dasein ist, vergleicht er mit dem Le-
gatar^). Umgekehrt vergleicht er auch nicht den ge-
samten Erbtumsbegrif f mit dem Begriff des Legaten-
■*■) Es ist einfach ein faktischer Irrtum von Gans, wenn er
von der lex Voconia so spricht, als wehre sie, dem einzelnen
Legatar mehr zu geben, als jedem einzelnen Erben, wenn
mehrere sind. Die Berichte der Quellen widersprechen dem
ganz positiv, und Gans, der hierin auch ganz isoliert steht,
ist wohl nur durch ein Übersehen zu diesem Irrtum gekommen,
den er, ohne auch nur eine Begründung zu versuchen, wie etwas
Selbstverständliches voraussetzt.
123
tums überhaupt. Dies würde ihm nichts nützen, und
hier würde er schlecht fortkommen ! Denn da der Begriff
des Erbinstitutes die Willensfortsetzung, worin nichts vom
Vermögen enthalten, der Begriff des Legateninsti-
tutes aber eben gerade die Vermögensvergabung
(s. Nr. XIV) ist, so ist es bei einem Vergleich beider
Institute gerade durch den Begriff derselben gegeben, daß
das Erb tum dem Legatentum im Vermögensgebiet
keine Konkurrenz machen kann; sondern den Begriff
des Erbtums überhaupt vergleicht er mit dem Be-
griffe des einzelnen lebendigen Legatars (statt
mit dem des Legates überhaupt), um dar zutun, daß dieser
einzelne Legatar nicht das Dasein des Erbbegriffes
überhaupt, das gesamte Erbtum, an Zusammenhang im
Vermögen übertreffen könne. Das also wird durch die
lex Voconia keineswegs geändert, sondern durch den Erben
selbst anerkannt, daß in einem Testamente durch Le-
gate überhaupt ein weit größerer Vermögensteil
vergabt sein kann, als nicht nur dem einzelnen Erben,
sondern auch allen Erben zusammengenommen,
also dem Erbtum selbst, verbleibt, wenn nur die Einteilung
so getroffen ist, daß kein einzelner Legatar für sich
allein einen größeren Zusammenhang im Vermögen dar-
stellt, als alle Erben zusammen.
Für den Legatar ist dieser neue Schlag, den auf seinem
Rücken der Erbe dem Erblasser gibt, an sich ein höchst
wohltuender. Er kann jetzt ganz unverhältnismäßig mehr
als nach der lex Furia bekommen. Als Maximum kann
er sogar die volle Hälfte des ganzen Vermögens
erhalten, nur das Mehr als die Hälfte ist ihm unter-
sagtQ.
^) Man vgl. wieder über die major pars in der älteren
Sacraltheorie oben sub Nr. III.
124
Aber nicht minder scheint dieser Schlag im Interesse
des Erben ein entscheidender zu sein. Der Erblasser trifft
und negiert den Erben in seinem persönlichen Interesse
vermittelst des Legatars, dem er das Vermögen ver-
gabt. Jetzt hat der Erbe aber gerade das Mittel aus-
findig gemacht, sich vielmehr durch den Legatar gegen
den Erblasser zu decken! Je mehr ein Legatar be-
kommen soll, desto mehr muß der Erbe auch be-
kommen. Der Erblasser schlägt auf den Erben los mit
den Hammerschlägen der einzelnen Vermögensstöße, die
zugunsten des Legatars Stücke vom Nachlaß, diesem
sekundären Appendix der Willensherrschaft, lostrennen
und ihn dadurch absorbieren. Der Erbe aber springt
hinter den Rücken des Legatars und deckt sich durch
dessen Brust gegen jene Schläge. Will der Erblasser ihn
treffen, so ist er durch diesen dialektischen Sprung in die
sich selbst widersprechende Notwendigkeit versetzt, zuvor
den Legatar zu treffen, zu dessen Gunsten gerade der
Schlag ausfallen sollte.
Und jedenfalls scheint jetzt als notwendiges prak-
tisches Resultat die Folge erreicht, daß der Erbe
doch immer irgend etwas vom Vermögen haben
müsse. Als bloß praktisches Resultat und Folge, sagen
wir, noch nicht als begriffliche Forderung. Denn die
prinzipielle These, daß er irgend etwas vom Ver-
mögen bekommen müsse, hat — wie durchaus festgehalten
werden muß, und wovon wir sofort die theoretisch und
praktisch gleichwichtigen Folgen sehen werden — der
Erbe ja noch nicht aufzustellen gewagt ; sondern nur re-
lativ, dem Legatar gegenüber, behauptet er, daß dieser
nicht mehr haben könne als alle Erben zusammen. Da
aber der Erblasser doch kein anderes Mittel hat, dem
Erben das Vermögen zu entziehen, als diese Verfügungen
125
von Todes wegen, so scKeint jetzt mindestens als prak-
tisches Resultat ganz unvermeidlich geworden zu sein, daß
der Erbe jedenfalls etwas vom Vermögen erhält. ,,Ex
qua lege," sagt Gajus (II, 126), ,, plane quidem aliquid
utique heredes habere videbantur." ,,Aus welchem Ge-
setze die Erben überall doch mindestens irgend etwas vom
Vermögen haben zu müssen schienen." Und diese bloße,
für das heutige Bewußtsein gewiß sehr befremdliche Aus-
drucksform hätte schon lange zu der Untersuchung an-
regen sollen, warum es denn für den römischen Geist eines
gar so großen Zwanges bedurfte, dem Erben etwas
vom Vermögen zukommen zu lassen !
Aber noch hat, wie bemerkt, der Erbe nicht die prin-
zipielle These aufzustellen gewagt, daß er absolut und
für sich genommen Vermögen bekommen müsse. Noch ist
er daher auch nicht wahrhaft durchgedrungen.
Denn ein Mittel hat der Erblasser noch in diesem er-
bitterten Kampfe zwischen ihm und dem Erben ! Nach
der lex Furia mußte er das Vermögen zerstückeln,
um den Erben zu enterben. Jetzt muß er es zerstieben!
Wenn der Erblasser das Vermögen zerstiebt, pulve-
risiert und seine Atome in alle Lüfte sprengt,
wenn er, um den hinter dem Legatar versteckten Erben
zu treffen, auf Erben und Legatar ohne Unterschied los-
schlägt, wenn, wie es im alten Liede heißt, ,, Keiner
nichts kriegt", dann hat es der Erblasser glücklich wie-
der auf das Seinige gebracht ! Wenn der Erblasser sich
hierzu zu entschließen vermag, dann kann er wieder den
Triumph genießen, den Erben nackt und bloß zu stellen.
Und freilich tritt noch ein Umstand hinzu, welcher dem
Erblasser diesen verzweifelten Entschluß praktisch sehr
erleichtern kann. Der Erbe hat sich noch nicht zu der
Behauptung zu erheben gewagt, daß er absolut, für sich
126
selbst genommen, haben müsse. Nur relativ, dem Le-
gatar gegenüber, muß er haben. Aber nur relativ, nur
einem anderen gegenüber, haben müssen, heißt nur for-
mell haben müssen. Bloß für sich selbst genommen
haben müssen, nur dies heißt materiell haben müssen.
Es reicht also nach der dialektischen Konsequenz des
spekulativen Begriffes vollkommen hin, wenn der Erbe,
respektive wenn alle Erben zusammengenommen bloß
formell, bloß dem Legatar gegenüber, soviel wie dieser
haben, wenn sie auch materiell nicht das geringste
haben ! Die Konsequenz des spekulativen Begriffes ge-
langt gleichfalls zu ilirem strengsten realen Ausdruck in
der lex Voconia. Denn nach dieser wird nur dies vor-
geschrieben, daß kein Legatar ein größeres Haben aus
der Hinterlassenschaft nimmt, als alle Erben ihrerseits
nehmen. Nur auf diese formelle, vergleichungs-
weise Gleichheit des Nehmens wird geachtet, und
nur hierauf kann geachtet werden, da die lex Voconia
eben überhaupt nur eine Vergleichung von Erben und
Legatar, und nicht einen Anspruch des Erben auf ein
absolutes Haben darstellt. Es wird daher bei der
lex Voconia ganz davon abstrahiert, daß der Legatar, was
er nimmt, rein nimmt, während dem Erben infolge seines
Begriffes alle Lasten und Schulden der Erbschaft
zufallen. Wenn also auch der oder die Erben formell
ebensoviel nehmen, als der größte Legatar, so können die
Erben dennoch durch die Erbschaftsschulden so gestellt
sein, daß sie materiell und für sich genommen viel
weniger, ein Minimum, nichts oder noch weniger
als nichts, ein Schuldendefizit haben.
Sind also die Schulden der Erbschaft bedeutend, so
ist es dadurch dem Erblasser praktisch erheblich erleich-
tert, einem der Legatare eine erhebliche Summe zuzu-
127
wenden und die Erben dennoch materiell trocken zu
legen.
Und wirklich entschließt sich — der Bericht des Ga-
jus ist da, es zu beweisen — der Erblasser sogar zu diesem
äußersten Mittel, um den Erben vermögenslos zu stellen.
,,Sed tarnen fere Vitium simile nascebatur, nam in multas
legatariorum personas distributo patrimonio poterat adeo
heredi minimum relinquere testator, ut non expediret heredi
hujus lucri gratia totius hereditatis onera sustinere." (Ga-
jus, a.a.O.) — ,,Aber dennoch entstand beinahe der
gleiche Übelstand (wie bei der lex Furia) auch hier (bei
der lex Voconia), denn indem er sein Vermögen auf viele
Legatare zerstreute, konnte der Testator dem Erben ein
solches Minimum hinterlassen, daß es für den Erben kein
Nutzen mehr war, wegen dieses Gewinstes die Lasten
der gesamten Erbschaft auf sich zu nehmen."
Wenn Gajus sagt, daß der gleiche Übelstand wie
bei und vor der lex Furia wieder entstand, so sagt er
hierdurch natürlich, daß er praktisch entstand, d.h. daß
der Erblasser auch realiter von dieser Möglichkeit Ge-
brauch machte und der Erbe deshalb auch realiter wieder
ausschlug. Denn sonst entstand der Übelstand ja eben
gar nicht. Die bloß formelle, nicht praktisch fühlbar
werdende Möglichkeit bildete keinen solchen und konnte
nicht zum Anlaß werden, daß deshalb (lata est itaque
lex Falcidia, fährt Gajus, a.a.O., nach den letzten Wor-
ten fort) ein neues Gesetz erlassen werden mußte.
Es ist also konstatiert, daß — so unbezwingbar be-
herrscht die Anschauung von dem Erben als dem reinen
idealistischen Willensfortpflanzer den römischen Geist —
der Erblasser sogar vor diesem äußersten Mittel nicht
zurückschreckt.
Das Moment der Reibung dauert also immer fort. Der
128
Erblasser sucht die eigene Willenssubjektivität des Erben
zu negieren, um es zur klaren Evidenz zu bringen, daß es
nur die seinige ist, die in ihm fortlebt; der Erbe nieder
seinerseits negiert die Willenssubjektivität des Erblassers,
indem er deren Fortexistenz zu sein ausschlägt und die
seinige behauptet. Die beiden Willenssubjektivitäten, welche
die Fiktion des Erbtums als identische setzen soll,
zeigen sich vielmehr durch die reale Geschichte des
Institutes als das, was sie nach ihrer Naturwahrheit sind,
als andere gegeneinander, ja als einander ne-
gierende. Und dies ist notwendig. Denn es ist ein
Kampf der Fiktion des Institutes mit seiner ihr wider-
sprechenden realen physischen Grundlage und ihrer
Naturwahrheit. Erbe und Erblasser, das Erbtum mag
noch so sehr ihre fiktive Identität proklamieren, sind
doch nun einmal andere Willenssubjektivitäten, und in-
dem sie sich so zeigen müssen, wie sie wirklich sind,
müssen sie sich als andere gegeneinander setzen,
d. h, sich negieren.
Ebendeshalb aber, weil dieser Widerspruch gar kein
anderer als der Widerspruch des Begriffes mit
seiner eigenen Realität ist, ist dieser Konflikt gar
nicht beizulegen. Alle Auskunftsmittel, ihn zu beseitigen,
ohne der Beziehung der erblasserischen Willenssubjektivi-
tät auf sich selbst, auf ihren alter Ego, den Erben,
Gewalt anzutun, sind erschöpft, und immer ist der in
der natürlichen Realität begründete Konflikt wieder durch-
gebrochen.
Ob jenem Übelstand der repudiierten Testaments-
erbschaften daher abgeholfen werde oder nicht — in
beiden Fällen muß dieses Erbtum gleichmäßig unrettbar
verloren sein, und es war dies an sich schon von jenem
9 LwjaUe. G«. Sctriften, BaaJ XI. 1 2Q
Tage des Verderbens an, wo die in der stummen Ein-
mütigkeit der Sitte sich äußernde Herrschaft des substan-
tiellen Volksgeistes über die Individuen aufgelockert ge-
nug war, um dem Erben zu erlauben, seinen materiellen
Egoismus dem metaphysisch-verklärten Egoismus des Erb-
lassers als einen gleichberechtigten gegenüber zu setzen
und deshalb die Erbschaft auszuschlagen.
Wir sagen, das Erbtum ist in beiden Fällen gleich-
mäßig verloren ; denn wird dem Konflikt abgeholfen, so
wird in die Willensbeziehung des Erblassers auf sein alter
Ego, den Erben, negierend eingegriffen; es wird dem
Erben gestattet, die Willenssubjektivität, deren Erhalter
und einfaches Dasein er sein soll, vielmehr zu beugen
und zu negieren.
Wird dem Übelstand aber nicht abgeholfen, so wird es
dahin kommen, daß die Testamentserbschaft nur noch im
Rechtskodex steht, in der Wirklichkeit des Volkslebens
aber verschwindet.
So vergehen von neuem einhundertdreißig Jahre in
diesem furchtbaren Ringen des Volksgeistes mit seiner
eigenen Substanz, bis denn endlich mit der lex Falcidia
die Anschauung ihren Triumph feiert : der Erbe ist
notwendiger Vermögensnehmer , der Erbe muß
haben!
Aber — und man sehe, wie bezeichnend die chrono-
logischen Daten sind — nicht eher tritt diese entschei-
dende Konzession in der Substanz des Volksgeistes, dieser
prinzipielle Verderb des altrömischen Erbbegriffes ein, als
mit jenem entscheidenden Untergang der ursprünglicher
Substanz des römischen Volksgeistes über-
haupt, mit dem Untergang der Republik! Die
130
lex Falcidia wird unter der Herrschaft des Augustus er-
lassen^). —
Da jetzt der Erbe die direkte Anforderung aufgestellt
hat, daß er qua Erbe haben, für sich selbst oder
^) Und erst durch die justinianeische Gesetzgebung wird
die lex Falcidia insofern wieder aufgehoben, als Justinian dem
Testator gestattet, durch ausdrückliche Willenserklärung ina
Testament dem Erben den Abzug der lex Falcidia auch zu
verbieten; s. Novelle 1, Kap. 2. § 2. Wie ist dies möglich?
Wird jetzt plötzlich mit dieser letzten Gestalt des römi-
schen Rechtes zu seinem ursprünglichen zivilistischen
Geiste zurückgekehrt? Natürlich durchaus nicht! Im Gegen-
teil! Erst im justinianeischen Recht kann und muß sich der
Erblasser wieder über die lex Falcidia erheben können, weil
jetzt gerade — spätere Entwicklungen bei den einzelnen Erb-
rechtsinstituten über die Bedeutung des justinianeischen Rechtes
werden dies klarer machen — der letzte und höchste Unter-
gang des zum bloßen Schatten gewordenen civilistischen Erb-
begriffes eingetreten ist, der im römischen Recht überhaupt
möglich war. Denn mit der justinianeischen Gesetzgebung
ist der begriffliche Gegensatz selbst zv/ischen dem
Erben und Legatar, dem Willensperpetuierer und dem Ver-
mögensnehmer, abgestumpft und zusammengegangen,
und der Willensfortsetzer ist jetzt auch seinem Wesen nach
zum Vermögen s nehmer geworden. Wenn Erbe und Legatar
jetzt beide in ihrem Wesen dasselbe sind, so kann natürlich
auch keiner von beiden einen notwendigen Unterschied- gegen
den Willen des Testators behaupten, und der Testator wirft
daher auf diesem Standpunkt den Zwang der lex Falcidia
wieder ab, der nur in dem begrifflichen Unterschied von'
Erben und Legatar wurzelt. Es zeigt sich hier also durch diese
justinianeische Aufhebung der lex Falcidia ganz positiv und
entscheidend, wie unrecht Gans hat (vgl. oben S. 106, Note 2),
zu meinen, unter dem Zwölftafelrecht habe Erbe und Legatar
gleiche Bedeutung. Damals ist vielmehr der Gegensatz der
höchste, und was Gans für den Ausgangspunkt des Pro-
zesses nimmt, ist vielmehr der letzte Endpunkt desselben!
— Von der lex Falcidia kann man natürlich noch keineswegs
9* 131
absolut haben müsse, so sind jetzt keine Schwierigkeiten
mehr vorhanden, und es kann auch kein formelles.
sagen, daß sie den BegriHsunterschied zwischen Erben und
Legatar, Willensfortsetzer und Vermögensnehmer, aufhebe.
Im Gegenteil, sie wurzelt in demselben und ist noch seine
entscheidende Betonung. Denn wenn der Erbe nur dasselbe
wäre, wie der Legatar, wie käme er dazu, gegen den Willen
des Testators ein bestimmtes Quantum haben zu müssen?
Er würde dann eine solche Forderung so wenig aufstellen
können, wie der Legatar sie aufstellen kann. Durch die lex
Falcidia sagt also der Erbe bestimmt: weil ich nicht bloßer
Vermögensnehmer (Legatar), sondern vielmehr Willens-
perpetuierer bin, muß ich, um dieses meines spezifischen
und unterschiedenen Wesens willen, ein durch mein eige-
nes Recht bestimmtes Quantum haben. Aber freilich ist nun
damit die Dialektik eingetreten, daß, indem der Erbe dadurch
notwendig Vermögen nimmt, der erste Schritt auf der Bahn
geschehen ist, ihn zum bloßen Vermögensnehmer, zu
demselben, was der Legatar ist, bis auf den nie verschwin-
denden Schatten seines früheren zivilistischen Wesens werden
zu lassen, weshalb wir die lex Falcidia den ersten radi-
kalen Selbstverlust des römischen Erbbegriffes nannten.
Die Mittelstadien dieses großen Prozesses, und damit der
Schatten des früheren Wesens, der bei Justlnlan noch übrig
bleibt, werden später klarer werden. Wenn Justlnlan in der
angeführten Novelle bei Aufhebung des Zwanges der lex
Falcidia sagt : ,,QuodsI (testator) expresse declaraverit, se nolle
heredem retlnere Falcldiam, necesse est, ut testatorls voluntas
obtineat, et sl defuncto juste, forte et pie qiiaedam relinquenti
obtemperare velit, lucnim non in accipiendo, sed solum in pie
accipiendo ponat, nee talem heredltatem minus lucrosam esse
exlstlmet ; sin nolit, Ipse quidem reccdat ab hujusmodi insti-
tufione, locus autem, prout ante dlclmus, flat substltutls et
coheredibus, legataris, fideicommissarlls, servls, heredlbus ab
intestato et rellquls (für Justlnlan sind alle diese ein und
dasselbe) secundum modum, quem antea in hls rebus Invenlmus
— klingen da die hervorgehobenen Worte, klingt diese Auffor-
derung an den Erben, nur im Gehorsam gegen den Willen
132
durch die Schulden wieder aufgezehrtes Haben mehr hin-
reichen. Das Viertel der Erbschaft, welches die lex
des Testators den Vorteil der Erbschaft zu sehen, nicht „im
Nehmen", und die für ihn leere Erbschaft nicht für , .weniger
vorteilhaft" zu hallen, nicht ganz zivilistisch? Klingen sie nicht
gerade ganz im Geist des von uns entwickelten ältesten Erb-
iums gesprochen? Und in der Tat klingt dieser alte Erb-
begriff der Willenserhaltung durch sie hindurch. Aber
für Justinian ist das Testament zur bloßen Vermögens -
Verfügung, der Wille des Testators aus einer selbständig
zu erhaltenden spiritualistischen Willenssubjektivität zu einem
bloßen Willen über sein Vermögen geworden; was auf-
recht erhalten werden soll, ist, die vermögensrechtliche
Willensbestimmung des Toten, und da an diesem Ver-
mögenswillen freilich alle. Erben, Legatare, Fideikommissare
usw., teilhaben, so ist einer, was der andere ist, und der Le-
gatar verdrängt den Erben, wenn er besser als dieser den ver-
mögensrechtlichen Willen des Toten ausführen will. — Gleich-
wohl ist eben darum das justinianeische Recht nur zu verstehen
durch den Schatten des altzivilistischen Erbbegriffes, der auch
in ihm noch überall bestehen bleibt und die Unterschiede des
Erbrechtes zugleich gliedert — und zu schattenhaft verschwin-
denden macht. Wird dies erst später im einzelnen ganz klar ge-
legt werden, so tritt dies doch auch hier schon in hinreichend
deutlichen Umrissen hervor. Alles bleibt und alles ist doch
wieder aufgehoben. Die lex Falcidia bleibt und bleibt gegen
das Testament des Testators, aber der Testator kann sie auch
ausschließen. Der Unterschied des Erben und des Legatars
bleibt. Aber der Legatar kann auch den Platz des Erben aus-
füllen. Die Schulden bleiben dem Erben. Aber er kann sie auch
ausschließen, wenn er sub beneficio inventarii antritt usw. Alle
alten Begriffsunterschiede sind erhalten, aber aus ihrer aus-
schließenden und darum körperlichen Gestalt sind sie
zu widerstandslos sich durcheinander hindurch be-
wegenden und daher schattenhaften Phantomen herab-
gesetzt — und aus diesem Schattenballett, dessen Zaubenvort
nur in seiner Vergangenheit liegt, will man jetzt römisches
Recht lernen!
133
Falcidia dem Erben als seine notwendige Vermögensbeute,
die er sich von der Erbschaft abziehen kann, zubilligt,
wird daher konsequent als reines Viertel aufgefaßt, d.h.
als Viertel des Erbschaftsvermögens nach Abzug aller
Schulden^). Und wenn mehrere Erben eingesetzt sind,
so muß jeder, insoweit er zum Erben eingesetzt ist, d.h.
also das Viertel der Erbschaftsquote, auf die er ein-
gesetzt ist, bekommen").
Wir sagen, es können keine Schwierigkeiten mehr ent-
stehen. Fernere Verwickelungen können freilich noch ge-
nug entstehen, allein diese sind alle durch den spekulativen
Gedanken, welcher der lex ■ Falcidia zugrunde liegt, im
voraus geschlichtet. Dieser spekulative Gedanke wäre aber
auch noch abstrakt und unrichtig mit den Worten an-
gegeben : der Erbe muß ein Viertel haben, respek-
tive ein Viertel seiner Erbschaftsquote haben. Der kon-
krete spekulative Gedanke der lex Falcidia ist vielmehr,
wie unsere ganze Entwickelung derselben gezeigt hat, ge-
nau der : daß dem Erben das Recht zustehen soll, von
allem, worauf er durch den Willen des Testators zum
Erben eingesetzt ist, gegen den Willen des Testators
das reine Viertel zu behalten. Es ist ein Haben durch
und gegen den Willen des Testators zugleich, nicht
ein bloßes Haben aus der Erbschaft überhaupt, und die
zivilistische Auslegung weiß diesen spekulativen Unter-
schied, dessen theoretische und praktische Wichtigkeit sich
1) Siehe z. B. Ulplan. Fr. XXIV, 32: „Lex Falcidia jubet.
non plus quam dodrantem totius patrimonii legari, ut omni
modo quadrans integer apud heredem remaneat" ; vgl. Gajus,
II, 227. und die Falcidia selbst bei Paulus, L. 1 pr. ad leg.
Falc. (35. 2).
2) Inst, § 1 ad leg. Falc, II. 22. - Gajus. L. 77 ad
leg. Falc. (35. 2).
134
sofort näher zeigen ^vir(^, scharf festzuhalten. Wie näm-
lich, wenn ein Erbe auf verschiedene Erbportionen ein-
gesetzt ist, auf die eine pure, auf die andere aber sub
conditione oder als heres substitutus, und nur die eine von
beiden Quoten durch Legate erschöpft oder überbürdet
ist ? Wird die Berechnung der Falcidia in der Weise ge-
schehen, daß beide Erbportionen zusammenaddiert werden
und von der Summe die Quart abgezogen ^vird ? Oder
wird der Abzug von jeder Portion insbesondere, ohne
Rücksicht auf die andere, geschehen ? Der praktische
Unterschied kann ein sehr großer sein. Man setze den
Fall: Eine Erbschaft betrage 120 000 Taler. Titius ist
auf ein Viertel, also auf 30 000 Taler pure instituiert,
dann noch auf die Hälfte = 60 000 Taler, sub conditione
oder als heres substitutus, wird aber auch für diese Por-
tion durch Eintreten der Bedingung usw. Erbe. Die drei
Viertel der gesamten Hinterlassenschaft, die der Testator
überhaupt legieren konnte, betragen 90 000 Taler, also
gerade so viel wie Titius überhaupt empfängt. Jedenfalls
könnte er sich, wenn die 90 000 Taler von ihm allein
legiert worden sind, die Falcidische Quart abziehen, also
von den 90 000 Talern, die seine Erbportionen betragen,
22 500 Taler für sich behalten und nur 67 500 Taler den
Legataren auszahlen. Man setze, der Testator habe diese
90 000 Taler, oder auch nur die erlaubten 67 500 Taler,
von den Erbportionen des Titius legiert. Aber in fol-
gender Weise. Er hat 53 500 Taler von jener ihm durch
Kondition oder Substitution vererbten Hälfte, 14 000
Taler von dem unbedingten Viertel legiert. Muß Titius
seine Erbportionen zusammenrechnen und dann den Be-
trag der Falcidischen Quart sich abziehen, so behält er
nur die schon angegebenen 22 500 Taler. Kann er im
Gegenteil von jeder Erbportion insbesondere die Quart
135
verlangen, so kommt er zu einem ganz anderen Resultat,
Er zieht sich von der bedingten Hälfte =60 000 Taler
sein Viertel mit 1 5 000 Taler ab und gibt den mit
53 500 Taler bedachten Legataren nur 45 000 Taler.
Von dem Viertel (30 000 Taler) zahlt er die von
diesem ausgeworfenen Legate von 14 000 Talern aus, die
ihm hier zu keinem Abzug Anlaß geben, behält hiervon
16 000 Taler und im ganzen also 31 000 Taler. Welches
^v'ird der richtige Modus sein ? Aber es kann nicht zweifel-
haft sein, daß es hier nur der erste Modus ist. Denn für
beide Quoten ist Titius, ob unbedingter, bedingter oder
substituierter Erbe, immerhin durch den Willen des
Testators Erbe, und die Falcidia spricht dem Erben nur
das Recht zu : von allem, worauf einer durch denWil-
len des Testators als Erbe eingesetzt ist, gegen dessen
Willen den realen Viertelsbetrag für sich zu behalten.
Und die Rechtsquellen entscheiden daher, daß die Por-
tionen zusammenzurechnen seien ^). Jetzt setze man aber
den Fall : Es ist zwar im übrigen ganz so testiert worden,
nur daß Titius bloß für das Viertel, für die Hälfte aber
Sejus eingesetzt worden sei, Titius aber auch diese Hälfte
dadurch ersvorben habe, daß er den Sejus arrogiert habe
(oder zum Erben des Sejus geworden sei). Erbe ist jetzt
Titius für beide Portionen so gut wie vorhin. Käme es
für die Falcidia nur auf das Haben eines reinen Viertels
der zustehenden Erbschaftsquote an, so würde Titius jetzt
gleichfalls nur die 22 500 Taler behalten können. Aber
für jene Hälfte ist er nicht durch den Willen des
Testators Erbe, sondern durch die Vermittelung der von
1) Julian, L. 87. § 3 ad leg. Falc. (35, 2). (Es ist der
obige reale Fall, welcher bei den Worten Julians unterstellt
wird.) Paulus, L. 1, § 13 Papinian, L. 11. § 5; L. 14,
§ 2 eod. tit.
136
diesem unabhängigen Arrogation. Er braucht sich
also die Zusammenrechnung der Portionen nicht gefallen
zu lassen, weil er nicht unmittelbar dui'ch den Willen des
Testators für beide berufen ist. Hier tritt ganz schroff
und scharf heraus, daß durch die Falcidia der Erblasser
vom Erben negiert werden soll. Im ersteren Fall ist
der Erbe vom Erblasser doch immer nur einmal zum
Erbtum bemfen, wenn auch für zwei Portionen^).
Im zweiten Fall aber ist Titius zweimal Erbe, ver-
einigt zwei Qualitäten in sich, durch deren jede er
Erbe ist: durch die ihm vom Testator selbst übertragene
Willensfortsetzung und durch die dem Sejus über-
tragene, dessen Arrogator oder Erbe, also dessen Willens-
träger er in beiden Fällen ist. Und weil er hier zwei-
mal Erbe ist, so soll er, da ja die spekulative Be-
deutung der Falcidia die ist, daß der Erbe durch sie den
Erblasser negieren können soll, hier zweimal, re-
spektive so oft er Erbe ist, für jede Portion be-
sonders, den Erblasser negieren können. So ent-
scheiden denn die zivilistischen Ausleger ganz richtig, daß
hier die Portionen separiert zu berechnen seien-).
Für den Legatar ist der entscheidende Schlag, den der
Erbe durch die lex Falcidia dem Erblasser versetzt, die
Erlösung von der Pein, den dröhnenden Resonanzboden
zu bilden, auf dem Erbe und Erblasser ihre Trampolin-
sprünge gegeneinander aufführen. Er kann nun wieder zu
^) Nur zwei Quantitäten sind ihm gegeben, das ide-
elle Verhältnis ist nur eines; siehe hierüber und über die
Bedeutung der Erbschaftsquoten und der Pluralität der Erben
überhaupt sub Nr. XXXII.
'") Paulus, L. 1, § 15 eod. lit. : ,,Si coheredem meum post
aditam hereditatem arrogavero, non dubitabitur, quin separan-
daef sint portiones, perinde atque si coheredi meo heres extitis-
sem" ; vgl. Gajus, L. 78 u. 80; Papinian, L. 11, § 7 eod. tit.
137
seinem Selbstgenusse kommen, und so wenig ist die Be-
wegung gegen ihn gerichtet, und so wenig bestreitet der
Erbe ihm, daß er als Vermögensnehmer seinem Wesen
nach eine ganz andere und viel größere Beziehung auf
das Vermögen habe, als seine (des Erben) eigene er-
zwungene Beziehung, daß jetzt ein emziger Legatar wie-
der dreimal so viel als alle Erben zusammen erhalten kann.
Für uns oder an sich bedeutet nun die lex Falcidia,
wie das frühere bereits ergeben hat, nichts anderes, als
daß die Unwahrheit der Fiktion, welche dem ganzen
Erbtum von vornherein zugrunde liegt, nun auch zum
Vorschein gekommen und gesetzt ist. Die Fiktion,
v/elche die Basis des ganzen Erbtums bildet, ist ja die,
daß der Erbe nur die Fortexistenz der erblasserischen
Willenssubjektivität sein soll. Statt dessen ist jetzt die
natürliche Wahrheit der Sache zum Vorschein gekommen
und gesetzt. Es ist gesetzt, daß jene Fiktion eine Fik-
tion ist. Es ist gesetzt, daß beide Willen vielmehr
andere gegeneinander sind, daß der Wille des Erben
den Willen des Erblassers beugen und zwingen kann,
daß die Willenssubjektivität des Erblassers, statt im Erben
nur ihren Erhalter zu haben, in ihm vielmehr nur in
einen anderen, ihn negierenden Willen einer leben-
digen Person untergegangen ist. Und darum konnten wir
die lex Falcidia als den ersten entscheidenden
Untergang des gesamten römischen Erbtums bezeichnen.
Allein dies ist noch immer erst an sich oder für uns
gesetzt. Es ist noch nicht für den Römer gesetzt,
und der erste Untergang ist noch weit entfernt vom
letzten Untergange.
Zunächst muß hier wenigstens darauf hingedeutet wer-
den, wie der römische Volksgeist im Tempel des Erb-
rechtes noch eine Kapelle zu finden weiß, in welcher er
138
sein Allerheiligstes auch gegen diesen ersten Untergang
noch schützt. Es ist bereits im Vorstehenden einmal des
fideikommissarischen Erbtums Erwähnung getan worden
(S. 114), und schon muß hier die tiefe Bedeutung eines
noch immer gänzlich unbeachtet gelassenen chronologischen
Zusammenhanges in Lapidarschrift hervortreten. Die lex
Falcidia wird unter Augustus erlassen — und gerade
unter Augustus auch wird die Herausgabe fidei-
kommissarischer Erbschaften für erzwingbar erklärt.
Was hierin gegeben ist, ist kurz folgendes. Das Fidei-
kommiß ist die Sphäre der Freiwilligkeit und darum
der Abwesenheit von dem Zwange des Zivilrechtes. Vor
Augustus kann der Fiduziarerbe nicht gezwungen werden,
die fideikommissarische Erbschaft herauszugeben. Welches
ist denn nun aber das Wesen dieser Freiwilligkeit? Es
ist, wie es schon der Name des Institutes sagt, die Treue;
nicht die Treue gegen das einzelne Individuum, welche
nur die sinnliche Folge ist, sondern die Religion dieser
Treue, die Treue des Individuums gegen die sittliche
Substanz des Volksgeistes und seine Überlieferungen. Die
erste Folge hiervon ist : Wer überhaupt Erbe ist auf der
Basis dieser freiwilligen Treue gegen den Volksgeist und
der Heiligkeit seiner Überlieferungen — der darf und
kann auch von dem neuen Zwange, der dem Erben
gegen den Erblasser eingeräumt ist, keinen Gebrauch
machen ; e r muß stehen bleiben bei dem alten, starren
Erbtumsbegriff des Volksgeistes, dem idealistischen, ver-
mögenslosen Willenserhalter. Mit anderen Worten: Der
Fiduziarerbe allein, und obgleich er so gut Zivilerbe
ist wie jeder andere, hat keinen Anspruch auf den
Abzug der Falcidia. Zweite Folge: Der Fiduziar-
erbe aber braucht ja gar nichts abzugeben; er kann ja,
wenn er will, die ganze Erbschaft für sich behalten. Wenn
139
also noch irgendein Asyl sein soll für die Substanz des
untergehenden Volksgeistes, so muß es allerdings diese
Sphäre der geheiligten Treue gegen die Tradition des
Volksgeistes, aber ebendeshalb dieselbe nun auch unver-
letzbar und der Erblasser, der sich in dieses Asyl
flüchtet, vom Erben nicht mehr zu negieren sein. Und
so wird denn die Herausgabe der fideikommissarischen
Erbschaft für erzwingbar erklärt! — Die durch die
Dialektik des spekulativen Begriffes hervorgetriebenen
Widersprüche gipfeln hier ! Die fideikommissarische
Sphäre soll Asyl für den Erblasser gegen den Zivilzwang
der Falcidia sein, um ihrer Freiwilligkeit halber;
aber um dieser Freiv/illigkeit halber hört sie auf,
überhaupt freiwillig zu sein, und wird in den Zivil-
zwang hineingerissen! Der Fiduziarerbe soll das Ver-
mögen abgeben müssen so gut wie jeder andere testa-
mentarische Zivilerbe ; aber um abgeben zu müssen s o
gut wie jeder andere, muß er umgekehrt viel mehr ab-
geben als jeder andere ! Der Erbe hat mit der lex Fal-
cidia den Legatar losgelassen, ist über ihn hinweg dem
Erblasser direkt an die Kehle gesprungen und glaubt ihm
das Knie auf die Brust gesetzt zu haben. Aber in diesem
vielverschlungenen dialektischen Pas de deux, welches sich
bisher nur um den Legatar herumbewegte, ist, diesen jetzt
auch seinerseits wegstoßend, der Erblasser nun vielmehr
mit einer einzigen Avirbelnden Pirouette über den Kopf des
Erben hinweg hoch oben auf das ihm aus dem Himmel
seines Begriffes ausgeworfene Rettungsseil fideikommissa-
rischer Freiheit gesprungen, und hier, hoch über dem
Erben, hoch erhaben nicht nur über die lex Falcidia, son-
dern jetzt auch über den früheren Zwang der Voconia
und Furia und über allen Zwang überhaupt, schickt er
dem erstaunten Erben, der ihn schon gefaßt zu haben
140
glaubte, ein schallendes Gelächter hinunter. Konnte er
bisher den Erben nur durch die einzelnen Legate züch-
tigen und ihm die eigene Persönlichkeit abarbeiten, so kann
er ihm jetzt sogar direkt befehlen, das gesamte Erb-
schaftsvermögen als solches abzugeben, und zwar
mit gültigem Zivil zwang.
Der Römer kehrt sich nicht an den Verstandeswider-
spruch, daß der Fiduziarerbe um seiner Treue willen
schlechter fortkommen soll, als der durch den rigor
juris civilis verpflichtete Erbe. Er kehrt sich auch nicht
daran, daß er ihn um seiner Treue willen als einen un-
treuen behandelt und in Fesseln schlägt. Er sieht zu-
nächst nur darauf, einen letzten Rettungswinkel für die
bedrohte Substanz seines Geistes ausfindig gemacht zu
haben, einen Rettungswinkel, in welchem sich der Erb-
lasser, freilich nicht für immer, dem nachsetzenden Erben
wird entziehen können^).
Noch ist also trotz der lex Falcidia auch jener erste
Untergang des römischen Erbtums nicht gänzlich voll-
bracht. Noch einmal lodert vielmehr die energische
Flamme dieses Begriffes hoch auf vor dem Erlöschen, in
höherer Glut als sie seit hundertundfünfzig Jahren ge-
strahlt hat, in der Sphäre der dadurch mit Zwang
bekleideten fideikommissari sehen Freiheit, auf den Erb-
lasser dieselbe Intensität der realen Enterbungsbefugnis
ausströmend, die ihm unter dem Zwölftafelrecht zustand,
ja eine noch größere jetzt, indem er den Erben jetzt
auch formell enterben kann.
Auch jener erste Untergang ist also erst gänzlich voll-
bracht, als unter Vespasian durch das SC. Pegasianum
die falcidische Quart auch auf f ideikommissarische
^) Genaueres über die Bedeutung und historische Entwick-
lung des Fideikommisses siehe sub Nr. IX.
141
Erbschaften für anwendbar erklärt wird, und nun kein
Gebiet mehr existiert, auf welchem sich der Erblasser
dem Zwange des Erben entwinden kann.
Allein auch abgesehen von dem Fideikommiß, und auch
wenn dieses der lex Falcidia schon unterv/orfen sein wird,
bleibt es dabei : Noch ist die, wie wir zeigten, in der lex
Falcidia gesetzte Unwahrheit der Fiktion des Erb-
begriffes nur für uns oder an sich, nicht für den
Römer gesetzt.
Solange römischer Geist existiert, wird er an der Wahr-
heit dieser Fiktion von der Willensfortexistenz des Erb-
lassers, von der Willensidentität seiner und des Erben,
festzuhalten streben. Je mehr er sie auch durch sein eigenes
geschichtliches Tun realiter als unwahr setzt, er wird
sie dennoch immer durch eine neue dialektische Wendung,
obschon in immer verblaßterer Gestalt, noch zu retten
suchen. Diese Fiktion zu setzen und zu zerstören,
zu zerstören und doch wieder aufzubewahren, dies
ist sein Schicksal, an dem er sich marternd abringt. Er
muß es zu vollbringen suchen, sie im Aufgeben ihrer
noch zu bewahren. Denn wenn diese Fiktion durch
immer entscheidendere Schläge gänzlich aufgehoben ist, so
ist auch die Stunde dieses Geistes abgelaufen, und Rom
und römisches Recht ist gewesen! Er wird sie
daher selbst nach dem letzten Schlage, der ihr jedes
Leben raubt, mindestens noch als blutlosen Schatten auf-
bewahren, der sehnsüchtige Blicke in seine gewesene Wirk-
lichkeit schickt und noch als dieser Schattenriß das
Ganze des Erbrechtes, seine Gliederung und Einteilung,
seine Institute und Unterschiede beherrscht, die sich nur
aus der Erinnerung des oberweltlichen Lebens verstehen
lassen, welchem dieser unterweltliche Schatten einst an-
gehörte.
142
Inzwischen, mit der Falcidia ist das römische Erbrecht
von jenem letzten Ende noch weit entfernt. Noch ist
im Erben der Begriff des Willensperpetuierers
lebendig, und noch wurzelt die lex Falcidia in der starken
Betonung dieses Begriffes und seines Unterschiedes
vom bloßen Vermögensnehmer (Legatar). Denn-'^)
wenn der Erbe auch jetzt auch Vermögensnehmer
ist, so soll er dies doch notwendig und für ein be-
stimmtes Quantum aus eigenem Rechte sein, was
dem bloßen Vermögensnehmer (Legatar) keineswegs zu-
steht und zustehen kann, soll also dieses Recht gerade
qua Willensfortsetzer und Nichtvermögens-
nehmer haben, soll es um seines begrifflichen
Unterschiedes willen vom. Legatar haben.
In diesem ihm auf Grund seines Charakters als
Willenskontinuator eingeräumten Zwangsrecht ist
also der spezifische Begriff des Erben ebenso einst-
weilen noch erhalten, wie schon untergegangen.
VIII. Das formelle Gesetztsein der Momente
der Idee. Das testamentum per aes et libram.
Seine Selbstentwickelung zum prätorischen
Testament.
Wir sagten bereits oben (S. 99), daß die reale An-
wendung jener Spaltung zwischen Erben und Vermögen
es allein sei, die uns in die wahrhafte Substanz des rö-
mischen Geistes blicken lasse. Ja, die reale Anwendung
dieser Spaltung ist dem römischen Geiste s o notwendig,
1) Vgl. oben S. 131. Note 1.
143
daß, wie das Materielle des Erbrechtes, so auch das
Formale der Testamentshandlung nur in ihr
seine Selbsterklärung zu linden vermag; eine
Erklärung, die allem Bisherigen wiederum die eklatanteste
Bestätigung verleihen wird.
Es ist das dritte der römischen Testamente, das auf das
Testament calatis comitiis und in procinctu folgende testa-
mentum per aes et libr£un, das wir im Auge haben. Es
ist dasjenige Testament, welches sich weitaus am längsten
bei den Römern erhalten hat, und auch bereits häufig als
das am spezifischsten römische bezeichnet worden ist. Seine
Form bestand bekanntlich darin •^), daß der Testator unter
Zuziehung von fünf Zeugen^) und einem libripens dem
familiae emptor die familia, d. h. das Patrimonium, durch
einen Scheinverkauf, wie die Römer sagen, manzipierte
und hierauf die nuncupatio testamenti, d. h. die Willens-
erklärung, folgen ließ : ,,was er (der Testator) einem
jeden nach dem Tode gegeben wissen wolle ^)".
1) Siehe Gajus, Comm. II. § 102; Ulpian. Fr. XX, § 9.
Theophil, ad § 1 Inst, de test. ord.
-) Welche, wie bereits Demburg bemerkt (Beiträge zur Ge-
schichte der römischen Testamente [Bonn 1821], S. 23. Note 21),
das Volk der Quirlten darstellen.
^) „. . . amico familiam suam, id est Patrimonium suum,
mancipio dabat, eiimque rogahat, quid cuiqne post mortem suam
dari vcllet," sagt Gajus. Wir haben im Text absichtlich die
Worte des Gajus: . . . familiam Suam, id est Patrimonium suum,
unübersetzt gelassen. Sie bedeuten aber nicht, daß der Erb-
lasser dem fam. emptor Familie oder Vermögen verkauft,
sondern daß er ihm seine Willensherrschaft veräußert,
und daher alles derselben Unterworfene diesem zusteht. Dies
ist die Bedeutung von Patrimonium. Wir erinnern nur an
die Einteilung der Dinge in res extra nostrum Patrimonium imd
quae in nostro patrimonio habentur, und was wir im ersten
Band«^ hierüber gesehen haben. Darum also erläutert Gajus
144
Wie man nun an der vorhin erklärten Stelle des Gajus
stets achtlos auf ihren wahren Inhalt vorüberging, so ist
dies vielberühmte Testament per aes et libram bis auf
den heutigen Tag, trotz aller darüber geführten Unter-
suchungen, ein unerklärtes und bizarres Kuriosum ge-
blieben. Noch immer ist die Kritik, die schon Plutarch
gegen dies Testament übt^): ,,Wenn die Römer Testa-
mente anfertigen, so lassen sie die einen als Erbteil-
empfänger zurück und anderen verkaufen sie das Ver-
mögen, was widersinnig erscheint", eine unbeseitigte. In
der Tat, wozu dieser Verkauf ? Und wie ist er möglich,
wenn hinterher wieder durch den Willen des Testators
über das Verkaufte verfügt wird und dann andere Per-
sonen als der Käufer die Erbschaft erhalten sollen ? Es
ist eine imaginaria venditio, sagen die Römer. Aber wozu
die Veranstaltung dieser Scheinform, wenn gerade nach
derselben die Sache unmöglicher erscheint als früher ?
Worauf beruht und wozu ist erforderlich diese sonder-
bare und sich selbst widersprechende Rolle des familiae
emptor? Diese und andere Fragen sprießen hier von
selbst empor, und es ist bekannt, wie sie von Bergmann-),
familiam suani durch id est Patrimonium suum. — Daß aber
auch schon familia nichts anderes heißt, werden wir später
bei Erörterung des römischen FamiHenbegnffes sehen. Wir
werden daselbst zeigen, daß die römische familia nur genau
denselben spekulativen Begriff der Willensidentität aus-
drückt Im zeitlichen Nebeneinander der Subjekte, wel-
chen das Erbtum im zeitlichen Nacheinander darstellt.
') Plut. de ser. num. vind.. p. 550. C, T. III. p. 220,
ed. Wytt. : „öxav de öiad^^y.ag y^dq^cooiv, htgovg /.dy djioÄei-
jiovoL >iX>]Qov6uovi;, heooL^ de ncoXoüoi rag ovoiag."
^) De numero septenarlo testium in testamentls, §§ 5 u. 6.
10 UfsaUe. G« Schriftea. Baod XI. 145
Heineccius^), Trekell-), Schrader^), Dernburg*) u. ä.
zu beantworten und die Entstehung dieser sonderbaren
Testamentsform künstlich-historisch zu erklären versucht
worden ist. Aber wenn diese Versuche ihr Ziel nicht er-
reicht haben, so hat doch Gans ebenso unrecht^), die
Frage, wie die Römer zu dieser Testamentsform ge-
kommen, als eine relativ -unbedeutende neben der Frage
nach dem Geist dieses Testamentes beiseite zu werfen.
Denn, richtig gefaßt, ist vielmehr offenbar, daß hier die
Fragen nach der Entstehung und nach dem Geiste dieser
Testamentsform gänzlich zusammenfallen müssen, weshalb
es denn auch Gans daselbst durchaus nicht gelungen ist,
den Geist dieses Testamentes wirklich zu erklären.
In dem gegenwärtigen Zusammenhange muß aber dieser
Geist schon so durchsichtig geworden sein, daß es statt
aller verwickelten Untersuchungen nur noch des Her-
setzens einer ganz kurzen Stelle des Gajus bedarf, um
in vollständigster Evidenz so Entstehung wie Bedeutung
dieser Testamentsform hervortreten zu lassen.
Gajus sagt^): ,,Sed illa quidem duo genera testamen-
torum in desuetudinem abierunt ; hoc vero solum, quod per
aes et libram fit, in usu retentum est ; sane nunc aliter
ordinatur atque olim solebat, namque olim familiae emptor,
id est qui a testatore familiam accipiebat mancipio, heredls
locum obtlnebat, et ob id ei mandabat testator, quid cui-
^) De origlne testamenti factionis et ritu testandi antiquo
(in opusc. Syll. exerc, XXVII, 970 sqq.)-
'^) De origine et progressu testamenti factionis (Leipzig
1739).
^) In Hugos ziv. Magazin. V, Nr. 7, 156.
*) Beiträge zur Geschichte der römischen Testamente (Bonn
1822).
') Erbrecht, II. 82 fg.
«) Comm.. II, § 103.
14Ö
que post mortem suam dari vellet; nunc vero alias heres
testamento instituitur, a quo etiam legata relinquunter, alius
dicis gratia propter veteris juris imitationem familiae emp-
tor adhibetur."
Früher also, sagt Gajus, nahm der familiae emptor
selbst die Stelle des Erben ein (locum heredis ob-
tinebat), und deswegen trug ihm der Testator auf,
was er einem jeden nach dem Tode gegeben wissen wolle.
Jetzt aber wird ein „anderer Erbe" (fl//ws heres; hier
tritt also nochmals und noch bestimmter hervor, daß früher
der familiae emptor der heres war) eingesetzt, von dem
auch die Legate ausgehen, und nur noch zum bloßen Schein,
um an das alte Recht zu erinnern, wird noch ein familiae
emptor dabei angewandt — wie übrigens diese positive
Tatsache als solche, trotz des versuchten Wider-
spruches von Hotomannus, Thomasius, Trekell, Dern-
burg u. a. heute (s. Gans, a.a.O., Huschke^), Jhering^)
und viele andere) lange als allgemein anerkannt gilt, auch
schon von den älteren Autoren und den Auslegern des
Theophilus, Vinnius, Conradus Reitz usf., immer fest-
gehalten worden ist, und auch durch das Zeugnis des
Gajus, der Institutionen^) und des Theophilus^), sowie
durch realen Beweis viel zu positiv verbürgt war, um
nicht, trotz der inneren Unbegreiflichkeit der Sache, fest-
gehalten werden zu müssen^).
^) Studien des römischen Rechtes (Breslau 1830), I, 235.
^) Geist des römischen Rechtes, II, 561, 562.
3) Inst.. § 10 de test. ord. (2, 10).
^) Lib. II, tit. X. § 1, p. 332 sqq., ed. Reitz.
^) Dieser liegt nämlich darin, daß noch lange, nachdem
fam. emptor imd Erbe auseinandergefallen, die in der Gewalt
des fam. emptor Stehenden — als des ursprünglichen formellen
Erben — nicht zu Testamentszeugen gemacht werden können,
während die in der Gewalt des in den Tafeln geschriebenen
10« 147
Hierin aber, daß der familiae emptor früher der
wahrhafte zivilrechtliche Erbe war, das Ver-
mögen aber nicht für sich erhält, sondern weil er
des Erben Stelle einnimmt {ob id, sagt Gajus, sc. quia
heredis locum obtinebat), nur den Auftrag erhält, wie
das reale Vermögen unter die Familie oder andere Per-
sonen verteilt werden soll, — hierin liegt, wie sich jetzt
zeigt, die Entstehung und Bedeutung der Testa-
mentsform per aes et libram, und wiederum ein souveräner
Beweis für die spekulative Bedeutung des zivilistischen
Erbbegriffes, die wir oben als das spezifische Wesen
des römischen Erbrechtes und des römischen Volksgeistes
überhaupt entwickelt haben, und die im testamentari-
schen Erbrecht^) die Spaltung zwischen dem zivi-
listischen Erbtum und der Vermögenszuwendung als ihre
notwendige und den Geist dieses Erbtums erst enthüllende
Folge hervorbringt.
Um dies näher zu zeigen, ist es von Interesse, zuvor
die Widersprüche zu betrachten, in welche sich die Au-
toren über diese Stelle des Gajus verwirren. Die gemein-
schaftliche Quelle dieser Widersprüche ist natürlich -eben
Erben — als eines ursprünglich bloßen Legatars — zu Zeugen
genommen werden können, was sich bis auf Justinian erhält;
s. Gajus. II. § 108; Ulpian. XX. §§ 3-5; Inst. 1. 1. ; Theoph..
lib. II. tit. X. § 10. p. 342. ed. R. Schon Justinian wirft
diesem scheinbaren Widerspruch vor, daß durch ihn totum
jus conturbatum sei. Als Reliquat des ursprünglichen testa-
mentum per aes et libram begreift er sich ?her sehr leicht.
^) Im Intestaterbrecht muß dieser Begriff des römi-
schen Erben verhüllt bleiben, weil, da ja hier nichts über das
Vermögen verfügt ist und dasselbe somit dem Willen als seinem
Herrn folgen muß, die Spaltung nicht eintreten kann, und also
der Willensfortsetzer (Erbe) stets mit dem Vermögen erfüllt
sein muß.
148
die, daß sie, jenes spekulativen Begriffes des römischen
Erbrechtes nicht mächtig, imm.er voraussetzen, Erbe sein
und das Vermögen erhalten sei innerlich dasselbe, oder
daß sie, wie dies nun in scharfer Antithese wird aus-
gedrückt werden können, den zivilistischen Erben als Ver-
mögen Serben statt als Erben des Willens des Erb-
lassers betrachten. Immer von dieser heutigen Anschau-
ung durchdrungen, müssen sie sich dabei natürlich in die
entgegengesetztesten Irrtümer verwickeln. So sagt Gans^)
also mit hohem Unrecht gegen Dernburg : ,,Dernburg
nämlich meint, der familiae emptor sei zuvor ein bloßer
Fiduziar, also nicht der Erbe selbst gewesen ; erst
späterhin habe sich die Person des Erben und des fa-
miliae emptor identifiziert. Das Zeugnis der Römer aber
ist gerade das andere, daß zuerst der familiae emptor und
der Erbe eine Person gewesen, daß aber späterhin ein
anderer den Erben, ein anderer den familiae emptor ab-
gegeben habe", wofür sich nun Gans auf die in Rede
stehende Stelle des Gajus bezieht. Wenn hier also Gans,
weil er den Begriff des Erben und der Nachfolge in die
Vermögenshinterlassenschaft, wie alle unsere Autoren, für
identisch hält, die Dernburgsche Behauptung, der fa-
miliae emptor sei zuerst ein bloßer Fiduziar gewesen,
als unrichtig bezeichnet und sie durch jene Stelle des
Gajus (die sie vielm.ehr durchaus bestätigt) widerlegen
will, so tadelt er gerade das Richtigste, was bisher
noch über den familiae emptor gesagt worden ist. Nichts
in der Tat ist passender für denselben, als der Vergleich
mit dem Fiduziarerben, der gleichfalls durchaus den
zivilistischen (idealistischen) Charakter des Erben be-
hält, das Vermögen aber wie jener an andere abgeben muß.
■) Erbrecht. II. 83.
149
Ebenso falsch ist es, wenn Gans (das. S. 79) den Ein-
wand Demburgs^), warum der Erbe nicht selbst familiae
emptor werde, da ein Dritter dem Erben nach römischen
Grundsätzen kein römisches (quiritarisches) Eigentum er-
werben könne, dadurch widerlegen^) will, daß der fa-
miliae emptor früher wirklich mit dem Erben eine Per-
son gewesen sei — was er nämlich wieder so versteht,
als habe der familiae emptor früher auch die Erbschaft
(das Vermögen) behalten sollen.
Aber andererseits ist Dernburgs Ansicht, trotz der rich-
tigen Auffassung des familiae emptor als eines bloßen
Fiduziar, nicht weniger falsch und genau durch denselben
Grundfehler, weil er den Erben mit einem Vermögens-
empfänger für identisch hält, zu den entgegengesetzten Irr-
tümern gezwungen und- nicht nur um die Resultate ge-
^) Gegen Trekell, welcher glaubt, das Manzipationstesta-
ment habe seinen Grund darin, dem Erben dadurch das quiri-
tarische Eigentum zuzuwenden, da dieses sonst bei den Intestat-
erben verblieben und nur das bonitarische auf den Erben über-
gegangen wäre.
^) Die wahre Widerlegung dieses Dernburgschen Elnwan-
des ist vielmehr die, daß, wie sich aus dem Folgenden von
selbst ergibt, die mit dem Vermögen Bedachten nicht durch
den Erben (familiae emptor) als durch eine dritte Person
das Vermögen des Erblassers erwerben, sondern es lediglich
von dem Erben erwerben, der beim Tode als Fortsetzer der
menschlichen Willensherrschaft zum momentanen Eigentümer
geworden ist, und jenes Hindernis gegen den Erwerb des qui-
ritarischen Eigentums also gar nicht vorliegt. Es wird
hier wiederum deutlich, wie wichtig es ist, den Satz richtig zu
begreifen, daß der Legatar (was Dernburg, Gans und die
Autoren sämtHch unter dem Erben beim testamentum per aes
et libram verstehen, wird uns — in der ursprünglichen
Form dieses Testamentes — notwendig zum Legatar) qaasi
contractu vom Erben (also vom famihae emptor) erwerbe.
150
bracht, welche diese scharfsinnige historische Unter-
suchung sonst gehabt haben würde, sondern auch gerade
zu dem unhistorischsten Resultate hingetrieben. Dieser
Grundirrtum Dernburgs spricht sich schon in seinem eben
geäußerten Einwurf aus, warum (ursprünglich) der Erbe
nicht selbst fa'miliae emptor gewesen — da er vielmehr
gerade dies, und bloß nicht der mit dem Vermögen
Bedachte, allerdings gewesen ist.
So kommt Demburg zu der Folgerung, die wahren
Erben seien bei diesem Testament ursprünglich die Inte-
staterben geblieben ; femer der familiae emptor, und durch
ihn der Erbe, habe zuerst nicht mehr in Anspruch nehmen
können, als ihm wirklich manzipiert Avorden, da ihm doch
vielmehr, wie die Stelle des Gajus deutlich zeigt, gar
nicht einzelne Vermögensgegenstände, sondern nur
die Willensherrschaft (familia id est Patrimonium)
manzipiert wurde. Ferner : allmählich habe sich der
Rechtssatz ausgebildet, daß ,,der familiae emptor zwar
noch nicht Erbe, aber doch so nahe daran sei, daß
er loco heredis genannt werden könne". Hiergegen ist
zweierlei zu bemerken : einmal, daß, wie Gans bereits
richtig eingeworfen, diese Identifikation zwischen Erben
und familiae emptor, statt allmählich zu entstehen, viel-
mehr der ursprüngliche Anfang ist, und ferner, daß der
hier noch übrig gelassene Unterschied, der familiae emp-
tor sei ,,zwar noch nicht Erbe, aber doch so nahe
daran, daß er loco heredis genannt werden könne", ein
ganz irriger ist. Der famihae emptor war vielmehr ganzer
und wahrer Erbe und nicht nur ,,so nahe daran" usw.
Wenn sich Gajus zuerst ausdrückt, ,,locum heredis ob-
tinebat", so kommt das nur daher, weil er eben andeuten
will, daß dieser Erbe (in der Regel) nichts vom Ver-
mögen bekam und nur den juristischen Charakter des
151
Erben hatte, während zu Gajus' Zeit und für sein Be-
wußtsein doch schon der Begriff des Erben und des
Vermögensnehmers ganz und gar zusammengefallen
war. Daß aber der familiae emptor wirklich ganzer
und voller zivilistischer Erbe gewesen ist und das ,,loco
heredis" hier eben nur diesen Unterschied andeuten soll,
geht schon daraus hervor, daß ja jedes römische Testa-
ment doch einen wirklichen Erben brauchte und das
Manzipationstestament also im Anfang ohne jeden solchen
gewesen wäre, wenn nicht eben der familiae emptor wahr-
hafter Erbe war, und ferner sagt es ja Gajus unmittelbar
darauf mit den bestimmtesten Worten : nunc vero alias
heres instituitur, womit also zugleich gesagt ist, daß fmher
der emptor der heres, und nicht bloß loco heredis, ge-
wesen ist.
Wenn also Dernburg infolge alles dessen bei dem Re-
sultate anlangt: der familiae emptor sei im Anfang ein
bloßer Fiduziar und nicht der Erbe selbst ge-
wesen, und zweitens: erst späterhin habe sich die
Person des Erben und des familiae emptor iden-
tifiziert, so liegt schon in dem ersten Satze das ganz
Wahre und ganz Falsche friedlich nebeneinander. Aller-
dings war der familiae emptor ein bloßer Fiduziar, aber
ebendeshalb war er nicht ,, nicht der Erbe selbst", son-
dern gerade deshalb und als solcher bloßer Fiduziar
war er der Erbe selbst. Und weil also auch hier das
Falsche schon da ist, so tritt dasselbe nun in dem zweiten
Satz zu dem alles verderbenden und das historische Zeug-
nis der Römer geradezu auf den Kopf stellenden, durch-
aus unhistorischen Gesamtresultat heraus, erst später-
hin habe sich die Person des Erben und des familiae
emptor identifiziert, während sie, wie Gajus ausdrück-
lich bezeugt, vielmehr ursprünglich identisch sind
152
und sich erst späterhin trennen. Man muß daher aller-
dings mit Gans in den Vorwurf des durchaus Unhistori-
schen, welchen er dem Resultat dieser historischen For-
schung macht, übereinstimmen. Wenn aber Gans dagegen
sagt: ,,das Zeugnis der Römer aber ist gerade das Um-
gekehrte, daß zuerst der familiae emptor und der Erbe
eine Person gewesen, daß aber späterhin ein anderer den
Erben, ein anderer den familiae emptor abgegeben habe",
so ist dies den Worten nach und in unserem Sinne
ganz richtig, in dem aber schon oben nachgewisenen Sinne,
den es bei Gans hat, daß der ,,Erbe" auch der Ver-
mögensnehmer gewesen sei, ebenso vöUig falsch und
unhistorisch wie das Demburgsche Resultat. Der histo-
rische Verlauf der Sache ist vielmehr der, daß Begriff
des Erben und des familiae emptor zuerst identisch und
von dem Vermögensnehmer getrennt (i. e. nicht not-
wendig mit ihm verbunden und auch, wie Gajus oben
durch das plerique bezeugt, faktisch der Regel nach
nicht mit ihm verbunden) ist, daß allmählich aber Be-
griff und Stellung des Erben auf den Vermögens-
nehmer übergeht, d.h. auf den, welcher in der ur-
sprünglichen Form des Manzipationstestamentes bloß
Vermögensnehmer, Legatar gewesen war. Der von
uns entwickelte Begriff des römischen Erben als bloßen
Willenserben zum Unterschied vom Vermögens-
nehmer und die Spaltung, in die er zu letzterem tritt,
ist allein der den Autoren fehlende Ariadnefaden, der in
den hierdurch entstandenen Ver\virrungen derselben zu-
rechthilft.
Bereits muß nun aber auch die Bedeutung und Ent-
stehung des Testamentes per aes et libram, nicht aus
irgendwelcher untergeordneten historischen Veranlassung,
153
sondern aus dem Innersten des historischen römischen
Volksgeistes heraus vollkommen klar geworden sein.
Diese Testamentsform ist nämlich nichts anderes als
das auch in der Form gesetzte Dasein des von uns ent-
wickelten römischen Erbrechtsbegriffes überhaupt.
Im Testament calatis comitiis kann bloß der eingesetzte
Erbe so mit Vermögens Verfügungen zugunsten anderer be-
schwert werden, daß nichts von der Hinterlassenschaft
auf ihn kommt; hier ist dies also bloß materielles
Recht, ob\vohl freilich diese Spaltung so sehr Zug des
römischen Geistes, daß in der Regel, wie uns Gajus
oben verraten, diese Spaltung vorgenommen und dem
Erben nichts hinterlassen wird. Aber ebendeshalb muß
nun dieser materielle Erbrechtsbegi'iff auch als die eigene
Form, des Testamentsaktes selbst an demselben
heraustreten — und so entsteht das Testament per aes
et libram, welches dies vollständig vollbringt und des-
halb die anderen Testamente überwindet und so lange
überlebt.
Es wird durch einen Scheinverkauf der Willens-
fortsetzer für die Zeit nach dem Tode gesetzt, und
dieser, der familiae emptor, hat ursprünglich lediglich und
allein die Bedeutung, der Erbe des Erblassers zu sein;
und da nun dem römischen Geiste die Substanz des Erb-
begriffes lediglich in der Willenskontinuation
(Willenserbschaft), nicht in dem einer Vermögenserb-
schaft, besteht, so wird nun durch den Willen des Testa-
tors dem mit ihm identischen Willen seines Willens-
erhalters, d.h. Erben, aufgegeben, an welche an-
dere Personen nach dem Tode das Vermögen ge-
geben werden solle. Die Worte des Gajus : et ob id,
nämlich quia heredis locum obtinebat, et mandabat testa-
tor, quid cuique post mortem suam dari vellet, zeigen
154
schon an und für sich bei unbefangener Betrachtung, daß
das Vermögen durch die Verteilung an andere er-
schöpft wurde und der emptor nichts davon erhielt,
und bestätigen dies durch die mildernde Paraphrase, ,,lo-
cum heredis obtinebat", zu der Gajus greift, weil schon
für sein Bewußtsein ein Erbe ohne Vermögenserbschaft
nicht mehr recht faßlich war. Aber so viel hat sich
Gajus noch von der altrömischen Anschauung gerettet, um
im Konflikt zwischen dem, der den Willen des Erb-
lassers ausführt, und dem, der sein Vermögen nimmt, nur
in dem ersteren den Erben und in dieser Willens-
erhaltung überhaupt das wahre Wesen der Erbschaft zu
sehen. Und darum verbindet er diesen Satz mit dem vorigen
durch ein gar nicht genug hervorzuhebendes ,,ob id", d. h.
er sagt, um diesen Satz nach seinem wahrhaften Sinne
zu übersetzen, ganz unbefangen: ,,und weil jener der
Erbe war, trug ihm der Testator auf, an welche an-
dere das Vermögen kommen solle", während wir nach
unserer heutigen Anschauung mindestens erwarten müßten,
zu hören: ,,und obgleich jener der Erbe war, trug
ihm der Testator auf, an welche andere usw.".
Der familiae emptor oder der Erbe ist also nur die
vollbrachte Willensunsterblichkeit des Testa-
tors. Dieser kann jetzt ruhig sterben, denn er hat den Er-
halter seiner Willenssubjektivität gefimden. In diesem, als
einem lebendigen Subjekte von geltendem Willen,
wird sich sein Wille fortsetzen und an der Außenwelt
ausführen. Der familiae emptor kann sehr wohl als der
Verteiler des Vermögens etwa mit dem modernen Te-
stamentsexekutor verglichen werden^), bis auf den
^) An einer höchst interessanten, immer unbeachtet geblie-
benen Stelle in einem an Bibelstellen (vgl. Brief an die Galater,
IV, 24 — 31) angelehnten und bei ihm besonders häufig wieder-
153
einen Unterschied, der aber der totale Unterschied des
Begriffes wäre, daß der familiae emptor Erbe ist und
der Testamentsexekutor nicht, d. h. daß der familiae emp-
tor die Willenssubjektivität des Toten in seiner eigenen
Person fortdauernd darstellt, während der Testa-
mentsexekutor nur vorübergehend einen bestimmten
Willensinhalt des Testators als einen ihm selbst
fremden Willen ausführt, ein Unterschied des Be-
griffes, der, weit entfernt davon, ein bloßer Wortunter-
schied zu sein, vielmehr so reale Folgen hat, daß auf
den römischen familiae em.ptor, auf diesen erbteillosen
Erben, auch die sacra und die Schulden übergehen.
Wenn uns also der heilige Ambrosius von einer here-
ditas sine re berichtet, wenn er sagt: ,,sed. sunt heredes
kehrenden bildlichen Vergleich zwischen dem Testament im
rechtlichen Sinne und dem religiösen Testament (Altem und
Neuem) und den zur Erbschaft darin Berufenen scheint der
hl. Augustnius fast diese ganz richtige Einsicht über die be-
griffliche Stellung des Erben zum alten Manzipationstestament,
im Verhältnis zu seiner Stellung zu der späteren Form des-
selben, zu bekunden. Er sagt (contra duas epist. Pelag., lib.
IIl. c. 4, T. X. p. 297. D.. ed. Ord. Bened. [congreg.
S. Mauri] Antwerp. 1700) : ,,Sed quia in eo (im Alten Testa-
ment) praefigurabatur novum, qui hoc intelligebant tunc ho-
mmes Dei, secundum distributionem temporum, veterb quidem
Testamenti dispensatores et gcstatores, sed novi demonstrantur
heredes." Wenn man die Stelle in ihrem Gesamtverlauf liest,
wird man sich noch weniger enthalten können, in diesen Worten
die deutliche Spur der Einsicht bei Augustinus hervortreten zu
sehen, daß auch im Substrat seines Bildes — dem recht-
lichen Testament — ein altes Testament zu unterscheiden
ist, bei \velchem der Erbe nur „dispensator et gestator", oder,
wie wir oben sagten, Testamentsexekutor und Ver-
teiler ist, und ein neues Testament, in welchem er erst
wahrhafter Erbe, d.h. Empfänger ist. So erst wird auch
156
sine re, sunt et cum rey, so Ist es nur dieses alte
Willenserbtum ohne Vermögenszuvvendung, von dem sich
bei ihm noch eine Erinnerung aulbewahrt hat, eine Er-
innerung, die er aber, ungleich dem heiligen Augustinus
(siehe die vorige Note) selbst nicht mehr versteht, so
daß er sich nun diesen Satz, von dem er gehört hat, in
höchst schwankender und sich selbst auflösender Weise
bald als das Verhältnis der Erben bei Lebzeiten des
Testators (et dicuntur heredes testatore vivente qui scripti
sunt, sed sine re), bald und an derselben Stelle durch
die unter Tutel befindlichen Erben zu erklären sucht. Ja,
noch bis in diese Begriffsverwirrung hinein dämmert ein
Anklang des Richtigen. Denn freilich ist es das charak-
teristische Merkmal des durch das testamentum calatis
comitiis und des durch das testamentum per aes et libram
in seiner alten Form ernannten Erben (des familiae
das Substrat des Bildes ein zu diesem wahrhaft passendes.
Darum fügt Augustinus später (das., S. 299, C), immer noch
an diesem Substrat seiner Darstellung festhaltend, hinzu, daß,
während das Alte Testament bloß in Servituten! generat, nur
bei dem Neuen Testament für den Erben eine „spes bonomm"
vorhanden sei, freilich, wie er hinzusetzt, „non carnalium, sed
spiritualium, non terrenorum, sed caelestium, non temporalium,
sed aetemorum." Gerade aber, daß die ,,spes bonorum", die
ihm zum charakteristischen Unterschied des Neuen Testamentes
wird, ihm ja für seinen spiritualistischen Zweck nicht kon-
venieren kann und er daher gezwungen ist, dieselbe erst wieder
umzudeuten, zeigt, daß er bei diesem Bilde unter der Ein-
wirkung seines juristischen Substrates steht und also
von einem alten Manzipationstestament. wo der Erbe nur dis-
pensator und gestator ist, und von einem neuen, in welchem er
erst eine spes bonorum empfängt, sehr wohl gewußt haben
muß.
1) Epistol., lib. V. ep. 43. Opp. omn. (Paris 1632). T. V.
p. 294. E.
157
emptor), daß sie schon bei Lebzeiten des Testators
ernannte und kundgetane Willenserhalter sind. Und von
selbst muß nun durch diese hereditas sine re klar ge-
worden sein, wie die noch in den Rechtsquellen auf-
bewahrte Einteilung der bonorum possessio in bon. poss.
cum re und sine re, die man bisher mit Recht als eine
völlig leere Subtilität zwecklos und verwunderlich fmden
konnte^), nur die organische Nachbildung jenes
Unterschiedes der hereditas sine re und cum re ist,
welcher begrifflich wie praktisch von höchster Wichtig-
keit und von epochemachender Entwickelung im E r b -
tum ist^).
Der entscheidendste Beweis aber für die aufgezeigte
Bedeutung des Testamentes per aes et libram ist seine
Formel. Sie lautet^): ,,FaniiUani peciinianique tuam
endo mandatelam tiitelam custodelamque meam esse ajo
eaque quo tu jure testamentum facere possis secundum
legem publicam^), hoc aere (et ut quidem adjiciunt aenea-
que libra^) esto mihi empta."
Was heißt das in wahrhaft sinngetreuer Übersetzung
^) Siehe Savigny in dem oben (Nr. II u. III) bezogenen
Aufsatz der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft.
^) Und jetzt müssen nun in ihrer ganzen begrifflichen Trag-
weite und in ihrer ganzen Beweiskraft für unsere Entwicklungen
Aussprüche der Rechtsquellen, wie die folgenden, durchsichtig
sein : L. 50 pr. de h. p. (5, 3) : Hereditas enim sine ullo cor-
pore juris intelledum habet. L. 119 de v. s. (50, 16): Here-
dltatlä appellatio sine dubio contlnet etlam damnosam here-
ditatem, juris enim nomen est, sicuti bonorum possessio. L. 3
pr. § 1 de bon. poss. (37, 1) u. a.
^) Gajus, II, § 104.
^) Über dieses legem publicum siehe sub Nr. X.
M Vgl. Gajus, I. 119. Varro de L. L. IX. 83. p, 518,
ed. Müller. Tertulllan adv. Marc, II, 6.
158
anders, als: „Ich setze deine Willensherrschalt
als die mein ige, damit du nun mit diesem Recht
für die Zeit nach deinem Tode verfügen kannst, und
eigne sie mir darum an durch diesen symbolischen Kauf."
Es ist ein Kauf und der familiae emptor gibt dem Testa-
tor den symbolischen Kaufpreis des aes. Denn bisher hat
der Erbe allein gesprochen, und freilich kann er dies
auch, vor allen Dingen seinen Willen bekundend, denn
er wird der überlebende Wille sein, der durch seinen
Willen die Willenssubjektivität des Erblassers fortsetzen
soll. Damit er diese aber nicht bloß an sich gerissen
zu haben scheine, damit es auch formell gesetzt sei,
daß der Erblasser, der bis dahin den Erben bloß fak-
tisch sistiert hat, die Ehre seines Willens bei dieser
Aneignung desselben habe, ,,zur Teilung der Ehre",
elg xbv Ti/iirjg jueoiojuöv — wie ein anderer Kirchen-
vater^) an einer schönen, gleichfalls immer unbeachtet ge-
lassenen Stelle, die wir sub Nr. X ausführlicher mitteilen
werden und die daselbst unsere gesamte Auffassung
dieses Testamentes noch einmal auf das schlagendste be-
stätigen wird, über dasselbe sagt — , gibt er ihm den
symbolischen Kaufpreis. Die Ehre, die nach Clemens
hierbei geteilt wird, das ist jener honor des römischen
Erbtums überhaupt, die Ehre der Willensherr-
schaft (s. oben S. 86). Es gibt nichts Erläuternderes
zu dieser solennellen Formel, als die Worte des Plau-
tus^) : ,,. . . quod tuum'st, meums'st, omnemeum est autem
tuum.** In der Tat ist die Identifikation der beiden Wil-
len die vollständige und gedoppelte, daß nicht
nur der Wille des Erblassers als Wille des Erben, son-
^) Clemens Alexandr. Strom., V, c 8, p. 574, ed. Sylb.
^) Trin.. II, 2, 52.
159
dem auch der Wille des Erben als Willensherrscliaft des
Erblassers gesetzt wird^). Auch liegt dies ja schon not-
wendig im Begriff der Identität des Willens über-
haupt und ist auch durchaus erforderlich, damit der Te-
stator nun über den Willen und die Willenshandlungen
des Erben verfügen kann, spricht sich also ganz deutlich
in dem Teile der Formel aus : quo tu jure test. facere
possis. Endlich hat es aber auch seine sinnlich-fühlbare
Realität sowohl in dem später zu betrachtenden Legat
rei alienae, als in den Schulden, die, wenn der Erbe
auch nichts von der Erbschaft bekommen hat oder um
wie viel sie auch dieselbe überschreiten, dennoch dem
1) Wenn Huschke (Studien. S. 233. Note 59) und Böcking
(Pandekten des römischen Privatrechtes. I, 256. Note 15).
um die Schwierigkeit der Manzipationsform dieses Testamentes,
obgleich ja die hereditas (Gajus, II, 34) keine res mancipii
sei. zu erklären, sagen : bei dieser Manzlpation werde ..ja nicht
die hereditas (quae viventis nulla est), sondern die familla.
d. h. der eine Teil der Privatfreiheit des Testators, welcher
mit seinem Tode eine Sache bilden (sein) wird, die
Ve r m ö g e n s f reiheit manzipiert. und diese ist ebenso gut. wie
die ganze Person, mancipii; Gajus, I. 120" — , so ist
dieser Vergleich mit der Manzipationsfähigkeit der ganzen Per-
son ein höchst trefflicher und zeigt in der Tat den Grund,
warum die Manzipationsform bei dem Testament, ohne Wider-
spi-uch gegen die Einteilung in die res mancipii und nee man-
cipii, angewendet werden kann. Aber nach jener Lehre selbst
ist dieser Vergleich noch kein berechtigter; sie \vider-
sprlcht ihr vielmehr. Denn wenn etwas für den Augenblick
des Todes manzipiert wird, was in diesem Zeitpunkt ,,elne
Sache bilden (sein) wird," so würde ja wirklich eine Sache
manzipiert, und zwar eine unkörperliche, die hereditas,
die ja eben nicht res manclpl sein kann. Erst in unserer Ent-
wicklung, nach welcher nicht Vermögen noch Sache, sondern
die Willenssubjektivität des Erblassers dem Erben man-
zipiert wird, empfängt jener Hinwels auf die Manzipations-
160
Erben zur Last fallen und das seiner eigenen Willens -
Herrschaft unterworfene Vermögen verzehren^).
Nachdem nun in dem ersten Akt, dem symbolischen
Kauf, die bloße Willensidentität des Erblassers mit
einem Dritten und also der Erbe gesetzt ist, folgt nun
die Verlautbarung des Willensinhaltes des Te-
stators, d.h. die nuncupatio testamenti. Diese Zwei-
heit dessen, was in diesem Testament geschieht, läßt Ul-
fähigkeit der ganzen Person seine volle Berechtigung. — Ebenso
zeigt auch schon die Formel : familiam pecuniamque tuam endo
mandatelam tutelam custodelamque meam esse ajo, gegen
Huschke, daß nicht bloß ,,ein Teil der Privatfreiheit, die Ver-
mögensfreilieit", sondern die ganze subjektive Willens-
herrschaft der Person, Patrimonium, wie Gajus richtig er-
klärt (s. oben S. 114, Note 3), mit Hinsicht auf den Moment
des Todes zur Aufrechterhaltung übertragen wird. — Ebenso
wenn Böcking, a. a. O., I, 134, Testament und Erbschaft so
auffaßt : „Das Testament macht den dazu ernannten Erben in
Beziehung auf die Nachlassenschaft des Testators zu
dessen Familienglied," so zeigt sich jetzt, wie dem schon
die Formel ganz positiv entgegensteht. Denn nicht der Erbe
\vird vom Testator zum Glied seiner Familie gemacht,
sondern er rezipiert in sich die gesamte famiha des Te-
stators (meam esse ajo). nicht als Glied, sondern als Trä-
ger, nicht die Familie, sondern die römische familia, was
etwas ganz anderes ist (s. Nr. XL), nämlich die subjektive
Willensherrschaft. — Nur der spekulativen Behandlung ist es
gegeben, hier wie anderwärts in voller Übereinstimmung mit
den römischen Formeln zu sein, während die juristisch- ver-
ständige Auffassimg, wenn auch oft unmerklich, in einen ent-
schiedenen positiven Widerspruch zu Ihnen treten muß — ein
nicht geringer Beweis für die Wahrheit der ersteren Methode.
^) Daher das Widerstreben und das Odium des römischen
Geistes gegen den Benefiziarerben, der erst imter Justlnlan sich
sein Dasein erkämpft, auch dann noch stets die Vermutung gegen
sich hat usw. ; vgl. unten Nr. XLI und beim Wesen des ger-
manischen Erbrechtes.
11 Lai.stli Ge» Sctrifren. Baod XI. 161
pian scharf hervortreten^): „In testamento quod per aes
et libram fit, duae res agiintur, familiae mancipatio et
nuncupatio testamenti", und ebenso hat Gans diesen Dualis-
mus, obwohl mit einer unrichtigen Erklärung desselben,
mit Recht scharf hervorgehoben^). Was aber sagt nun
der Testator ? Er sagt nicht — denn er kann nach dem
Obigen ja gar nicht mehr sagen — heres esto oder here-
dem esse jubeo, sondern seine Formel ist : ,,haec ita ut
in his tabulis cerisque scripta sunt, itafdo ita lego ita
testor itaque vos, Quirites, testimonium mihi perhibitote" ;
d. h. — und es ist unbegreiflich, wie alles dies stets so
unbeachtet bleiben konnte — das ganze Testament ist
nach seinem Inhalt, wie die Formel zeigt, eine do lego
Verfügung, d.h. eine bloße Legatenverfügung,
ein Testament, das sogar nach prätorischen Begriffen
vollkommen nichtig wäre, da es ja ein Testament
ohne Erbeinsetzung ist. Woher kommt es, daß auf
einmal hier, während stets das umgekehrte Verhältnis
waltet, das prätorische Recht formalistischer und strenger
zu sein scheint, als das Zivilrecht ? Aber natürlich ! Der
Testator kann hier ja gar keinen Erben im Inhalt seiner
Willenserklärung mehr einsetzen, denn der Erbe ist
ja nur der Willenserhalter, und dieser ist ja
hier schon in dem familiae emptor, ist schon in der
Form des Testamentes, in der Handlung desselben, im
symbolischen Kaufe, gegeben"').
^) Fragm. XX, 9.
-) Erbrecht. II. 85 fg.
^) Man sieht jetzt noch deutlicher, warum es im schrift-
lichen Testamente (vgl. oben S. 90 fg.) schlechterdings heißen
muß: heres esto. An die Stelle dessen, was im Manzipations-
testament in seiner ursprünglichen Form durch die dramati-
sche Handlung bewirkt wird, kann nur der imperatorische
162
Das Wahrste also, was bisher über das testamentum
per aes et libram und über das römische Erbrecht über-
haupt gesagt worden ist, ist, wie unsere Entwickelungen
zeigen, eine Bemerkung des alten Thomasius, über die er
nicht selten hart ausgescholten worden ist ; seine Bemer-
kung nämlich^), die Römer hätten, weil sie die natur-
rechtliche Wahrheit des Grundsatzes, daß kein Mensch
nach dem Tode und darum also auch nicht für den Todes-
fall über sein Vermögen verfügen könne, selbst gefühlt
hätten, um ihre Gesetzgebung mit diesem naturrechtlichen
Grundsatze wieder auszugleichen, deshalb das Testament
durch die Manzipationsform zu einem Geschäft unter
Lebenden gemacht. Freilich tritt hier das Wahre wieder
in einer sich selbst ganz entfremdeten, verkehrten Form
auf. Nicht um die Wahrheit jenes naturrechtlichen Grund-
satzes ruhig bestehen zu lassen und nun dennoch über das
Vermögen verfügen zu können, wird zu der Manzipation
gegriffen, sondern um diesen naturrechtlichen Grundsatz
und die in ihm hervortretende Schranke der Endlichkeit
zu besiegen, um zu bewirken, daß der Wille auch
nach seinem Erlöschen noch fortdauere, in
diesem spezifischsten Interesse des römischen Geistes und
seines historischen Inhaltes wird durch die Handlung
unter Lebenden der identische Willens-
erhalter erzeugt und nun, nachdem die Schranken der
Endlichkeit, des Natürlichen und Naturrechtlichen, über-
wunden sind (vgl. Nr. X) und die Willensfortdauer her-
Willensstoß treten. Ein erzählendes tempus würde unwahr sein,
weil ja das Erzählte noch nicht eingetreten, und ebenso ist Er-
klären, das man macht (das praesens), noch kein Machen,
sondern bloßes Sagen. — Vgl. über das Bewirken noch
sub Nr. X über die Produktivkraft der Formel-Solennitäten.
^) De sensu leg. decemviralis, §§ 10, 21.
11- 163
vorgebracht ist, kann über das Vermögen testiert
werden.
Was ferner durch die vorstehende Entwickelung dar-
getan ist, ist dreierlei :
Erstens: daß schon, selbst wenn der Bericht des
Gajus, Theophilus usw. nicht vorhanden wäre, die
Sakramentelle Formel dieses Testamentes
selbst zureichend zeigen würde, daß ursprünglich der
familiae emptor der Erbe gewesen, und daß hierauf
die ganze Bedeutung dieses Testamentes beruht ;
Zweitens: daß nun, indem allmählich der Satz sich
ausbildet, daß die sacra cum pecunia übergehen, d. h. in-
dem sich allmählich der starre zivilistische (idealistische)
Erbbegriff des römischen Geistes zu der Anschauung er-
weicht, daß der Erbe auch der materiell Bedachte sein
müsse, und daher nun, wie Gajus berichtet, ein anderer
als der familiae emptor durch Erbeinsetzung in den
iabulis cerisque zum Erben wird (nunc vero alias heres
insUtiiltur), — daß dann, sagen wir, dieses Testament
um jeden Sinn gekommen, mit sich selbst in Wider-
spruch, ja in absolute Inkongruenz mit seiner
eigenen Formel getreten ist (da das mündlich ge-
sprochene do lego gebraucht wird für die in den tabulis
enthaltene Instltütio heredisY), und daß jetzt daher diese
Testamentsform nur noch als das altertümliche Symbol
einer nicht mehr verstandenen Vergangenheit
fortbesteht;
■') Eine absolute Inkongruenz des Begriffes, von welcher
die von Justinian und Jhering bemerkte Inkongruenz (s. oben
S. 147, Note 5 u. 2), daß die in der Gewalt des Erben
Stehenden Testamentszeugen sein können und die des familiae
emptor nicht, nur eine verhältnismäßig sehr verschwandende, sehr
winzige Folge ist.
164
Drittens aber endlich, daß, indem jetzt der Gebrauch
aufgekommen, einen Erben in den tabuHs einzusetzen, das
zivilistische Manzipationstestament nicht nur seinen inneren
Existenzgrund verloren, sondern sich von selbst zum
prätorischen Testament entwickelt hat. Es muß
dies bereits sonnenklar sein. Dem familiae emptor im
Manzipationstestament entspricht der instituierte Erbe im
prätorischen, den materiell Bedachten in jenem, die Le-
gatare in diesem. Nachdem es Sitte geworden, statt des
familiae emptor einen der in den Tafeln materiell Be-
dachten auch zum Erben zu machen, ist hierdurch von
selbst, unter Fortfall des nun überflüssigen emptor, die
schriftliche Erbeinsetzung des einen Bedachten und die
Verknüpfung der anderen zu bedenkenden Personen mit
ihm als Legatare entstanden, oder das zivilistische
Testament hat sich von sich selbst zum prä-
torischen Testament entwickelt, wobei nun fa-
miliae emptor, libripens und die fünf Zeugen zu sieben
Zeugen werden.
Aber so hartnäckig erhält sich die Ahnung, daß der
wahrhafte spezifische Erbbegriff des römischen Geistes,
der in jener Spaltung des Erben und des Bedachten be-
steht, die sich im Testament per aes et libram ihre eigen-
tümliche Form gibt, hierbei zugrunde gegangen ist, daß
nun dennoch dies prätorische Testament die zivilrecht-
liche hereditas nicht zu übertragen vermag, sondern nur
bonorum possessio verleiht, bis denn in der christlichen
Kaiserzeit die Unterschiede des prätorischen und des
Zivilrechtes verlöschen.
^r'.
IX. Das Fideikommiß und seine geschichtliche
Entwickelung.
Es ist bereits oben (S. 113) vergleichsweise an den
Fiduziar erinnert worden und es liegt in der Sache, auf
die bisherige Betrachtung noch einen Blick auf das In-
stitut der römischen Fideikommisse folgen zu lassen. Be-
reits muß der Schleier auch von diesem Institut gefallen
sein, da wir uns nun einmal in dem spekulativen Licht-
kem des römischen Erbrechtes befinden, von welchem aus
alle noch so festen und verknoteten Gebilde desselben sich
zu transparenten, sich selbst erleuchtenden Gestalten auf-
schließen.
Die bisherige Ansicht über die römischen Fideikommisse
ging dahin, daß sie erfunden worden seien, um, da das
Fideikommiß die höchste Freiheit genoß, Verbotsgesetze,
wie die lex Voconia und andere Hindernisse zu umgehen.
Bei dieser Ansicht bleibt nur unerklärlich, wie ein Volk
dazu kommen soll, sich erstens Gesetze zu schaffen, die
keine äußere Macht ihm aufnötigt und die von ihm hoch
und heilig gehalten werden, und zweitens Umgehungs-
institute, um alle diese Gesetze wieder illusorisch zu
machen, ja, diese Umgehungsinstitute mit der öffentlichsten
moralischen und zuletzt auch rechtlichen Billigung zu
bekleiden, da es dann weit einfacher gewesen wäre, jene
Gesetze wieder aufzuheben, als besondere Umgehungs-
institute zu ihrer Eludierung einzurichten.
Im gegenwärtigen Zusammenhange muß nun bereits ein
ganz anderes Licht auf die Fideikommisse und ihre Ent-
stehung gefallen sein. Denn durch die bloße Zusammen-
stellung mit dem, was wir vorher über das materielle
Recht des testamentum calatis comitiis, sowie bei Ge-
legenheit der lex Falddia (S. 137 fg.) und jetzt über das
166
testamentum per aes et libram gesagt haben, verliert das
Fideikommiß die Isoliertheit, die es bisher behauptet
hat, und erweist sich als die analoge Reproduktion
des das gesamte römische Erbrecht durchdringenden
Geistes.
Es ist immer derselbe Trieb uralt römischer Rechts -
bildung, welcher in der fideikommissarischen Erbschaft
sein drittes und bereits relativ schwächstes Reis treibt.
Es ist derselbe Trieb der Spaltung z\vischen dem Erben,
der Willenserbe ist, und dem mit dem Vermögen
Bedachten, der, wie er im testamentum calatis comitiis als
unbedingtes materielles und in der Regel angewendetes
Recht der totalen Absorbierung des Vermögens durch
Legate, im testamentum per aes et libram als die eigene
Form des Testamentsaktes, so endlich im Fideikommiß
als ein auf die freie Anerkennung dieser im Volksgeist ge-
heiligten Sitte, als ein auf die spontane Achtung der im
Erbrecht vorhandenen Willensidentität des Erben mit dem
Erblasser basiertes Institut auftritt.
Die fideikommissarische Erbschaft besteht darin, daß
jemand zum Erben emgesetzt wird, der nicht materiell
bedacht werden soll (der Fiduziar), und ihm, auf Grund
jener Willensidentität, die den Erblasser ja befähigt, über
die Willenshandlungen des Erben zu verfügen, aufgegeben
wird, einem anderen materiell zu Bedenkenden, der aber
nicht Erbe wird, das Materielle der Erbschaft auszu-
händigen. — Auf diese Weise kann das Fideikommiß nun
freilich benutzt werden, um Verbotsgesetze zu umgehen
und Erbunfähigen das Vermögen zuzuwenden. Aber es
kann hierzu nur benutzt werden, weil dies Institut schon
vorher in der E r b t u m s auf f assung des römischen Volks-
geistes, in jener Anschauung des Erben als bloßen, nichts
Materielles lukrirenden Willenserhalters seine orga-
167
nische Grundlage, seine Entstehung und Erklärung hat;
nicht aber als ob es etwa aus einem besonderen, dem
Gesetzbildungstrieb der Völker zur Seite stehenden, Ge-
setzumgehungstrieb im römischen Volksgeiste hervor-
gegangen wäre^).
Es zeigt sich dies nun in allen charakteristischen Zügen
des Erbschaltsfideikommisses.
Zuvörderst muß der Erbe, d.h. der nichts vom Ver-
mögen erhalten soll, in aller Form Rechtens Erbe sein
können, während dies von demjenigen, dem restituiert wird,
gleichgültig ist, sonst ist kein Willensaufrechterhalter da,
und darum kann dann auch der Bedachte nichts vom Ver-
mögen bekommen. ,,Inprimis igitur sciendum est opus esse,
ut aliquis heres recto jure instituatur, ejusque fidei com-
mittatur, ut eam hereditatem alii restituat ; alioquin iimiile
est testamentum, in quo nemo recto jure heres institui-
tur")." Als besonders charakteristisch aber tritt hervor,
daß dieser Fiduziar nach wie vor Erbe bleibt, auch
^) Ja, man läßt mit Unrecht unbeachtet, daß, wo wirklich
nur die Umgehung positiver Verbotsgesetze der Zweck
war, dies doch auf ernste Schwierigkeiten im Volksgeiste ge-
stoßen zu sein scheint. So erzählt doch wenigstens Cicero, wenn
er selbst auch anderer Meinung ist, daß von jener zahl-
reichen Versammlung, deren Urteil sich P. Sextilius Rufus,
der Fiduziar des Q. Fadius, unterwirft, ob er der Tochter
desselben mehr als die lex Voconia gestatte, aushändigen solle,
keiner dieser Ansicht ist. Cic. de fin. hon. et mal. II, c. 17:
„. . . Addebat etiam se in legem Voconiam juratum contra eam
facere tion audere, nisi aliter atnicis videretur. Aderamus nos
quidem adolescentes, sed etiam miilü atnplissimi viri, quorum
nemo censuit plus Fadiae dandum, quam posset ad eam lege
Voconia pei-venire." Ebenso zeigt Gajus, II, §§ 284, 285,
daß die Umgehung, den peregrinis durch Fideikommisse Ver-
mögen zuzuwenden, prohibiert wurde.
") Gajus, Comm., II, § 248.
168
nachdem er die Erbschaf t' dem Fideikommis-
sar abgegeben hat, während dieser dadurch nicht
zum Erben wird. „Restituta autem hereditate, is qui re-
stituit, nlhilo minus heres pennanef^)." Der zivilistische
(ideaUstische) Charakter des Erben ist eben gar nicht an
das Vermögen geknüpft.
Man hat diesen Fiduziarerben auch einen heres apparens,
einen Scheinerben, genannt. Allein es ist so wenig Schein
dabei, und der Begriff hat vielmehr eine so harte Reali-
tät, daß der Fiduziar nicht nur die Aktionen behält, son-
dern auch, nachdem er alles abgegeben, die Aktionen
der Gläubiger gegen ihn als den wahren Erben
gehen. Dieser enterbte Erbe hat daher in der früheren
Zeit kein anderes Mittel, sich gegen Schaden zu decken,
als nun seinerseits mit dem Fideikommissar einen Schein-
verkauf der Erbschaft vorzunehmen. ,,01im autem nee
heredis loco erat nee legatarii (der Fideikommissar), sed
potius emptoris ; tunc enim in usu erat, ei cui restitue-
batur hereditas, nummo uno eam hereditatem dicis causa
venire; et quae stipulationes inter venditorem hereditatis
et eniptorem interponi solent, eaedem interponebantur inter
heredem et eum cui restituebatur hereditas^)."
Allein der dialektische Humor von der Sache ist, daß
der Erbe durch diese verkäufliche Überlassung der Erb-
schaft an den Fideikommissar doch immer nur den Wil-
len des Erblassers ausführt, und daß er also, da
dies ja gerade der Begriff des Erben ist, der Willens-
ausführer des Erblassers zu sein, durch diese Willens-
ausführung des Erblassers die Qualität des Erben
durchaus nicht los werden kann, sie vielmehr ge-
^) Gajus, II. 251.
^) Gajus, Comm., II, § 252.
169
rade betätigt und daher nach wie vor Erbe und den
Aktionen verhaftet bleibt.
Er gewinnt daher nur einen Vertreter an dem Fidei-
kommissar für alles, wozu er selbst als Erbe verurteilt
wöirde, was ihn aber gar nicht außer Gefahr bringt für
den Fall, daß er an diesem keine Deckung mehr findet.
Gajus gibt daher a. a, O. den Inhalt jener Stipulationen
weiter so an : ,,id est hoc modo : heres quidem stipula-
batur ab eo cui restituebatur hereditas, ut quidquid here-
dltario nomine condemnatus fuisset, sive quid alias bona
fide dedisset, eo nomine indemnis esset et omnino si qiäs
cum eo heredltarlo nomine ageret, ut recte def enderetur ;
ille vero qui recipiebat hereditatem, invicem stipulabatur.
ut si quid ex hereditate ad heredem pervenisset, id sibi
restitueretur, ut etiam pateretur eum hereditarias actiones
procuratorlo aut cognltorlo nomine exequlJ'
Endlich wird, unter Nero, um den Erben gegen
diese Gefzihr zu decken^), durch das SC. Trebellianum
aus der Billigkeit^) bestimmt, daß, wenn der Erbe
die Erbschaft restituiert hat, die Aktionen nicht
mehr ihm und gegen ihn^), sondern dem Fidelkom-
^) Ulpian sagt ausdrücklich in der L. 1, § 3 ad SC. Tre-
bellianum (36, 1): ..Sublata est hoc Senatusconsulto dubitatio
eorum, qui adire hereditatem recusare seu metu litlum seu prae-
textu metus censuerunt."
^) ,,Cum esset aequissimum" etc., beginnt dieses Senatus-
konsult 1. 1.
^) Gans (Erbrecht, II. 222 fg.) muß bei seiner von der
obigen gänzlich abweichenden Darstellung der historischen Ent-
wicklung des Fideikommisses bei diesem Senatuskonsult den
Schein erregen, als liefen neben den actiones utiles gegen den
Fideikommissar auch die direkten Aktionen gegen den Erben
fort. Denn er begründet dies SC. so: ,,Da nun der Fidei-
kommissar ebenso ein Ganzes, wie der Erbe vertritt, so ist das
170
missar und gegen den FIdeikommissar gegeben werden
sollten -'^).
So fielen denn nun, da jetzt der Prätor dem Fidei-
kommissar und gegen den Fidelkommissar utiles actiones
gab, jene Scheinverkäufe als überflüssig fort").
Als nun aber in der Anschauung des Erbschaftsbegriffes
im Volksgeiste allmählich die Änderung vorgeht, daß der
Nächste, daß er auf ähnliche Weise, vvie der Erbe, in Be-
ziehung auf das Vermögen betrachtet wird, d. h. daß er acticwies
utiles erhält, sowie daß actiones utiles gegen ihn gestattet
werden. Dieses wird durch das SC Trebellianum bewirkt."
Er spricht daher auch, S. 223, von einem durch dies SC. her-
vorgebrachten ,,Nebene in and erbe stehen des Erben und
Fideikommissars" in der Erbschaft, während dies Nebenein-
anderbestehen durch dies SC. vielmehr gerade aufgehoben wird.
Er sieht daher die innere Veranlassung dieses SC darin, daß
die Fidelkommisse (unter Augustus) aufhören, ,,von der Will-
kür des Erben abhängig zu sein," und daß nun deshalb ,,das
Verhältnis des Erben zu dem Fideikommissar nichts mehr
mit dem Erbschaftsverkaufe gemein hat (eine An-
sicht, von der wir gleichfalls sehr bald sehen werden, wie positiv
falsch sie ist), und zwar um so häufiger, als häufig gar
nicht die ganze Erbschaft restituiert wird, sondern der Erbe
neben dem Fideikommissar in der Erbschaft bleibt."
Allein diesen Fall hat das SC zunächst gar nicht vor Augen,
wie sein Text zeigt. Es läßt daher auch nicht, wie Gans noch
später, S. 226, in den Worten: ,,aber daß in jedem Falle dem
Fideikommissar, wie dem Erben, die Erbschaftsklagen zustehen,
sowie es das SC Trebellianum verordnete," positiv sagt, actio-
nes utiles neben den actiones in heredes zu, sondern schneidet
dieselben ausdrücklich ab: placet et actiones quae
in heredes heredibusque dan solent, eis nequein eos nequehisdari
qui fideicommissum etc., sed his et in eos" etc.
^) Siehe Gajus, Comm., II, 254; Ulpian, XXV, 14. Dig.
36, 1.
'^) Gajus, a. a. O. : „. . • post quod senatusconsultum desie-
runt Illae cautiones in usu haben."
171
Erbe auch mit Vermögen erfüllt sein müsse (vgl.
oben sub Nr. VII) — was sich in Rom stets einfach so
äußert, daß immer mehr und mehr Erben sich weigern,
wegen des ,, leeren Namens des Erben ^)", die Erbschaft
anzutreten und daher die Fideikommisse hinfällig wer-
den^) — , da muß nun auch der Fiduziar, diese
bloße Durchgangsperson, gewählt vom Erblasser, u m
nichts zu haben, dieser sogenannte bloße Schein -
erbe, dessen Erbschaft nicht bloß zufällig durch das
Dasein von Verfügungen über alle einzelne Gegenstände
der Erbschaft (Legate) aufgezehrt wird, sondern der aus-
drücklich gewählt wird, um die Erbschaft als
Ganzes zu übergeben {heredltatem restituere), — auch
dieser muß nun, da er als Willenserhalter einmal realer
zivilistischer Erbe ist, und gleichviel ob dies dem
Willen des Erblassers entspricht oder nicht, seinen
realen Anteil an der Hinterlassenschaft haben.
Er muß es gerade wegen der jetzt vorhandenen Identität
zwischen Erben und Vermögenserben. Indem aber
so der Fiduziar auch realer Teilnehmer am Ver-
mögen werden soll, und zugleich um seines zivili-
stischen Charakters als Erbe willen von selbst die
gesamte Hinterlassenschaft erhalten würde, insofern
darüber nicht anders vom Erblasser verfügt worden
wäre, ist dadurch der Fiduziar zum Fideikommissar von
I
^) Inane notnen heredis, s. Gajus daselbst.
^) Darum sagt auch hier wieder Gajus, II, § 254: „Sed
rursus quia heredes scrlpti cum aut totam hereditatem aut
paene totam plerumque restituere rogabantur, adire hereditatem
ob nulluni aut minimum lucruin recusabant et ob id extingue-
bantur fideicommissa" etc. Im Anfang kann dies also nicht der
Fall gewesen sein, und es tritt also die allmähliche Umwandlung
der Anforderung, welche Sitte und Volksgeist mit dem Begriff
des Erbtums verbinden, auch hier v/ieder deutlich hervor,
172
selbst in das Verhältnis des Erben zum Legatar ge-
treten, d. h. es hat sich jetzt durch seine eigene dialek-
tische Notwendigkeit das Verhältnis ganz auf den
Kopf gestellt. Denn der Fiduziarerbe wird jetzt,
weil, sowie er mit dem realen Vermögen in irgendwelchen
Kontakt gesetzt wird, sein begrifflicher Charakter als
zivilistischer Erbe durchschlagen muß, zum Nicht-
fiduziarerben, und der Fideikommissar, welchem
nach dem Willen des Testators die hereditas als Ge-
samtheit übergeben werden sollte, wird dadurch zum
einfachen Quotenlegatar, zum legatarius partiarius^),
d.h. zum Nichterben, zu dessen Gunsten eine bloße
Verfügung über einen Vermögensteil getroffen wor-
den ist.
■^) Also erst durch dieses den Fiduziar notwendig mit
einem realen Anteil an der Hinterlassenschaft erfüllende SC.
Pegaslanum wird das Fideikommiß zum Legat, durchaus nicht
schon, wie Gans, II, 218, will, durch die unter Augustus be-
ginnende Erzwingbarkelt der Restitution des Fideikom-
mlsses vom Fiduziar. Durch diese Erzwingbarkeit haben die
Fideikommisse freilich einerseits aufgehört, „eine Hervorbrin-
gung der Pietät zu sein," aber es ist so wenig wahr, daß sie,
wie Gans sagt, , .dadurch ihren eigentümlichen Begriff verloren
und von den Legaten nicht mehr zu unterscheiden"
seien, daß sie vielmehr nach wie vor diesen Unterschied in noch
größerer Stärke bewahren; denn während der Erbe von den
Legaten die falzidische Quart abziehen kann, kann er dies
vom Fidelkommiß noch nicht, worin sich nur zeigt, wie
der Begriff der fideikommlssarischen Erbschaft, eine ,, Hervor-
bringung der Pietät zu sein," auch trotz der Erzwingbarkeit
der Restitution wieder noch fortdauert und in ihr gerade am
stärksten sich betätigt (s. oben S- 137 fg.).
Noch besteht also der Unterschied von Fideikommiß und
Legat, und dies ist auch nicht anders möglich. Denn er besteht
von Anfang an nur darin, daß beim Legat ein einzelner Gegen-
173
Wenn aber der Fiduziar bei dem geringsten eigenen
Kontakt mit der realen Hinterlassenschaft, wegen des
Durchschlagens seines alten Erbbegriffes den Fidei-
kommissar begrifflich in einen bloßen Legatar ver-
wandein muß, so kann jetzt, wenn dieser Kontakt über-
haupt eintreten soll, auch rechtlich und quantitativ
der Fiduziar, diese bloße Schein- und Durchgangsperson,
die alles abgeben soll, im Verhältnis zum Fideikommissar,
der das Vermögen als einfache Gesamtheit erhalten soll,
stand und resp. ein Teil, beim Fideikommiß aber die hereditas
als einfache Totalität abgegeben wird. Neben diesem Un-
terschied besteht aber von Anfang an, und nicht erst seit der
Erzwingbarkeit der Restitution, die auch von Gans infolge
seines Verfehlens des zentralen spekulativen römischen Erb-
rechtsbegriffes notwendig übersehene Gleichheit zwischen Fidei-
kommiß und Legat, daß beide bloße Vermögenszuwen-
dungen ohne jeden erbrechtlichen Charakter sind, während
der Fiduziar und der Erbe rechtliche Erben ohne jede
Vermögenszuwendung sind, resp. sein können. Aber erst
indem es dahin kommt, daß nun auch beim Fideikommiß nicht
mehr die Totalität herausgegeben wird, ist jener Unter-
schied durchbrochen und durch die nun durchschlagende
Seite der Identität das Fideikommiß zum Legat geworden.
Durch die bloße Erzwingbarkeit der fideikommissarischen
Herausgabe ist dieser Unterschied nicht berührt. Ja, fast wird
das Fideikommiß durch dieselbe nur um so mehr dem alten
Erbrechte im testamentum calatis comitiis und per aes et libram
angenähert, wo der Erbe gleichfalls alles abzugeben ge-
zwungen werden kann. Nur daß der Unterschied immer be-
steht, daß hier der Erbe alles als einzelne Gegenstände
abgibt, über welche verfügt worden ist, so daß er hierdurch
gleichsam nur zufällig und faktisch erblos wird, weil nun
nach Erfüllung dieser Verfügungen nichts mehr in der Erb-
schaft ist, während er beim Fideikommiß die Erbschaft als
einfache Totalität abgibt (er ist gebeten hereditatem resti-
tuere), also hier auch in der Form erblos werden soll.
174
gar nicht anders behandelt werden, als wie der
Erbe im Verhältnis zur Gesamtheit der Legatare.
Wie es also dem Erben zusteht, sich der Gesamtheit
der Legatare gegenüber die falcidische Quart ab-
zuziehen, so muß nun auch dem Fiduziar dieselbe Be-
fugnis dem Fideikommissar gegenüber, ohne Rücksicht auf
den Willen des Erblassers, gegeben werden. Und dies
geschieht durch das SC. Pegasianum, welches die lex
Falcidia auf die Fideikommisse ausdehnt.
Es ist also eine Bewegung, von der innersten Not-
wendigkeit und von der eigensten Dialektik des spekula-
tiven Begriffes hervorgebracht, welche uns Gajus II,
§ 254 in den einfachen Worten schildert : ,,Sed rursus
quia heredes scripti cum aut totam hereditatem aut paene
totam plerumque restituere rogabantur, adire hereditatem
ob nullum aut minimum lucrum recusabant, atque ob id
extinguebantur fideicommissa-"-), Pegaso et Pusione consu-
libus senatus censuit ut ei qui rogatus esset hereditatem
restituere, perinde liceret quartam partem retinere atque
e lege Falcidia in legatis retinetidi jus. conceditur, . . . ille
autem qui ex fideicommisso reliquam partem hereditas
recipit, legatarii partiarli loco est, id est ejus legatarii
cui pars bonorum legatur, quae species legati partitio vo-
catur, quia cum berede legatarius partitur hereditatem."
Allein hier tritt nun sofort eine weitere begriffliche
Folgerung hervor.
Ist der Fiduziar jetzt mit einem realen Anteil an der
Hinterlassenschaft befaßt, so ist zu der Billigkeit des
vorher betrachteten SC. Trebellianum nun gar keine
•^) Man sieht, es ist immer dasselbe Moment der Rei-
bung, das Ausschlagen des Erben, der Kampf der beiden
Wiilenssubjektivitäten, welcher die Institute des Erbrechtes zur
Bewegung zwingt ; s. Nr. VII.
175
innere Veranlassung mehr. Denn diese wurzelte
doch nur darin, daß der Erbe, obwohl er es als solcher
muß, nicht die Schulden der Erbschaft tragen soll, wenn
er doch trotz seines Erbcharakters nichts aus derselben
empfängt. Jetzt empfängt er aber nicht nur, sondern
dies Empfangen durch das SC. Pegasianum ist auch nichts
anderes als das Durchschlagen seines alten Erb-
begriffes innerhalb der neuen Anschauung, daß der
Erbe auch Vermögen erhalten müsse. Wird aber dieser
Erbbegriff durch die Anwendung des SC. Pegasianum
als durchschlagend gesetzt, so muß er auch in den
Passivis wieder durchschlagen. Hieraus fließen also so-
fort wieder zwei Folgesätze:
1 . d a s SC. Pegasianum und das SC. Trebellianum
schließen sich gegenseitig aus, so daß wo
das eine zur Anwendung kommt, das andere
nicht zur Anwendung kommen kann, und
2. der Fiduziarerbe, der auf Grund dieses SC. Pe-
gasianum den vierten Teil zurückbehält, muß nun
wieder für alle Schulden der Erbschaft ein-
stehen-*^).
Der zweite Satz, der nur wieder ein Folgesatz des
weiter gehenden ersten ist — welchen wir auch in diesem
weiteren Umfang sehr bald vollständig nachweisen wer-
den — , wird uns von Gajus ganz positiv bekundet, indem
•^) Hierin also, weil das SC. Pegasianum gerade die An-
wendung und das Gesetztsein des alten ziviHstischen Erb-
begriffes und das Vorwiegen desselben über die Billig-
keit zugunsten des Fiduziars enthält (denn nach der Billig-
keit soll der Fiduziar nichts bekommen und bloß ohne
Schaden ausgehen), liegt der Grund, daß hierdurch die bloße
BilHgkeit des SC. Trebellianum, auch wo sie zugunsten
des Fiduziar ist, durch das SC. Pegasianum ausgeschlossen
176
er a. a. O. fortfährt : ,,per qiiod senatusconsultum (SC.
Pegasianum) heres ipse onera heredltaria sustinet"
Dadurch kann nun aber der Fiduziar wieder viel
schlimmer stehen, als er vorher stand, denn während er
ein Viertel abgezogen, kann er wieder für einen weit
größeren Schuldenbetrag aktioniert werden. Da er sich
weder durch das SC. Trebellianum decken kann, welches
er durch die Anwendung des SC. Pegasianum aus-
geschlossen, noch auch wie früher einen fingierten Erb-
schaftsverkauf vornehmen kann (s. oben S. 169), — denn
er kann jetzt nicht einmal fingieren, die Erbschaft zu
überlassen, da er vielmehr ja als teilnehmender Erbe
in der realsten Beziehung zu derselben bleibt — , so bleibt
ihm jetzt nichts übrig, als ganz konsequent mit dem Fidei-
kommissar, den er ohnehin in einen legatarius partiarius
verwandelt hat, die Stipulation vorzunehmen, durch welche
sich der Erbe dem legatarius partiarius gegenüber (und
umgekehrt) zu decken pflegt, die Stipulation ratierlicher
Verteilung der sich ergebenden Passiva und Aktiva der
Erbschaft. Darum fährt Gajus also fort: ,,Unde effec-
tum est ut quae solent stipulationes inter heredem et par-
tiarium legatarium interponi, eaedem interponantur inter
eum qui ex fideicommissi causa recipit hereditatem et
heredem, id est ut le lucrum et damnum hereditarium pro
rata parte inter eos commune sit."
sein muß, nicht aber darin, daß, wie Gans, II. 224, ganz
irrig sagt, der Fiduziar hierdurch „eine feindliche Rich-
tung gegen den Fideikommlssar genommen, so daß ein Neben-
einanderbestehen beider in der Erbschaft, wie das SC.
Trebellianum wolle, nicht mehr gedacht werden könne." Viel-
mehr wird ja gerade erst durch das SC. Pegasianum das
Nebeneinanderbestehen beider in der Erbschaft, die Tei-
lung derselben zwischen ihnen, hervorgebracht.
12 LjsdaUe. G«. SctrifteD, Band XI. 177
Es sind nun aber hierbei mehrere Fälle möglich. Ga-
jus-^) fährt zunächst also fort: „Ergo si quidem non plus
quam dodrantem hereditatis scriptus heres rogatus sit re-
stituere, tum ex Trebelliano senatusconsulto restituitur here-
ditas et in utrumque actiones hereditariae pro rata parte
dantur, in heredem quidem jure civili, in eum vero, qui
recipit hereditatem, ex senatusconsulto Trebelliano." Wenn
also der Fiduziar um nicht mehr als drei Viertel der
Erbschaft beschwert ist, so tritt dennoch der Schutz des
Trebel lianischen Senatuskonsultum für ihn ein, und dies
könnte, da der Fiduziar ja jetzt ein Viertel behält, dem
zu widersprechen scheinen, was wir soeben hierüber ge-
sagt haben, bestätigt es aber nur vielmehr.
Denn nicht durch das bloße Faktum, daß der Fiduziar
ein Viertel der Erbschaft für sich erhalten, wird das SC.
Trebellianum ausgeschlossen. Sondern die Billigkeit
dieses Senatuskonsults, in welchem der Fiduziar schon
gar nicht mehr als Erbe behandelt wird, ist nur
dann ausgeschlossen, wenn durch Anrufung und An-
wendung des SC. Pegasianum gerade die formelle
Gewalt des zivilistischen Erbbegriffes seiner-
seits als das herrschende, und gegen den Willen
des Testators als das diesen beugende, die Billig-
keit somit ausschließende Moment gesetzt wird. Hat
daher der Fiduziar durch den eigenen Willen des
Testators ein Viertel erhalten, wie Gajus voraussetzt (si
non plus — rogatus sit restituere), so ist die Billigkeit
des Trebellianischen Senatuskonsults durch nichts ausge-
schlossen und muß daher dem Fiduziar zu Hilfe kommen,
wenn er trotz des erhaltenen Viertels in die durch dieses
Senatuskonsult zu verhütende unbillige Lage geraten
1) Comm.. II. 255.
178
sollte^). Obgleich also das SC. Trebellianum eigentlich
nur den Fall vor Augen hat, daß der Fiduziar alles ab-
geben soll, so wird es hier mit dem vollsten spekulativen
Rechte analog angewendet, und obwohl der vom Erb-
lasser mit einem Teil bedachte Fiduziar immer auch für
den von ihm restituierten Teil, und nach der Restitution,
Erbe bleibt, wie Gajus mit Recht hervorhebt, und da-
her die Aktionen ganz für und gegen ihn laufen (quam-
quam heres etiam pro ea parte, quam restituit, heres per-
manet, eique et in eum soiidae actiones competunt), so
werden doch jetzt beiden und gegen beide, Fiduziar und
Fideikommissar, die Aktionen pro rata erteilt, in bezug
auf ersteren aus dem zivilen Erbrecht, in bezug auf letz-
teren aus dem SC. Trebellianum, so daß für und gegen
den Fiduziar die Aktionen nur so weit laufen, als sein
Anteil aus der Erbschaft beträgt. ,,Sed non ulterius one-
ratur, nee ulterius illi dantur actiones, quam apud eum
commodum hereditatis remanet^)."
Wenn also der Fiduziar vom Erblasser selbst nicht über
das Viertel beschwert ist, so tritt das SC. Trebellianum
ein. Wenn er dagegen über das Viertel beschwert ist, so
liegt der Fall vor, das SC. Pegasianum anzuwenden. Aber
hier können nun zwei Fälle eintreten. Der Fiduziar wen-
det das SC. Pegasianum an und zieht sich die Quart aus
demselben ab, oder er wendet es nicht an und gibt frei-
^) Darum also, nicht weil hier, \vie Gans, II, 224 sagt,
„das friedliche Verhältnis zwischen Erben iind Fideikommissar
nicht als gestört zu betrachten sei," tritt hier das SC. Tre-
bellianum wieder in Kraft.
-) D. h. für den Mehrbetrag wird er jetzt utilis exceptio
erhalten; siehe L. 21 de praescr. verb. (19, 5). Quotiens de-
iicit actio vel exceptio, utilis actio vel exceptio danda est.
12* 17Q
willig die ganze Erbschaft heraus. In beiden Fällen fallen
ihm natürlich zunächst als zivilistischem Erben die ge-
samten Schulden anheim (,,sive retinuerit . . . sive noluit
retinere, ipse universa onera hereditaria sustinet", sagt
Gajus^), und es fragt sich eben, wie er sich hiergegen
deckt, und hierin erst wird sich der Unterschied der
Fälle herausstellen können.
Im ersten Fall, wenn der Fiduziar die Quart aus dem
Pegasianum abzieht, hat er durch die Anwendung des-
selben das SC. Trebellianum ausgeschlossen und kann sich
daher, da er den Fideikommissar in einen legatarius par-
tiarius verwandelt hat, nur durch die Stipulationen partis
et pro parte decken. Dies ist es, was wir bereits oben
gesehen haben, und es ist nur eine Widerholung des-
selben, wenn Gajus fortfährt: ,.sed quarta quidem retenta
quasi partis et pro parte stipulationes interponi debent
tanquam inter partiarium legatarium et heredem".
Allein wenn der Fiduziar die Quart nicht abzieht und
also das Pegasianum nicht anwendet, sondern alles
freiwillig herausgibt, so scheint es zunächst nach dem
früheren, als müßte hier das SC. Trebellianum wieder
eintreten und ihn decken. Nichtsdestoweniger fährt Gajus
fort: ,,si vero totam hereditatem restituerit, ad exemplum
emptae et venditae hereditatis stipulationes interponendae
sunt". Wenn der Fiduziar also freiwillig alles heraus-
gibt, so soll, wie in der älteren Zeit vor dem Trebellia-
num (s. oben S. 169), der Scheinverkauf der Erbschaft
wieder zur Deckung vorgenommen werden. Warum aber
tritt, was auf den ersten Blick sehr überraschen muß, das
SC. Trebellianum hier nicht ein, da es ja durch keine An-
wendung des Pegasianum ausgeschlossen ist ? Diese Frage
'■) Ib., § 257.
180
muß in voller Bestimmtheit aufgeworfen werden^) und
ist von hohem Interesse, weil sich gerade durch sie die
Stellung und Bedeutung, welche wir oben dem SC. Trebel-
lianum in dieser historischen Bewegung gegeben haben,
vollständig bewährt. Das SC. Trebellianum war uns das
Moment der Billigkeit gegenüber dem Walten des
streng zivilistischen Erbbegriffes in der historischen
Entwickelung des Fideikommisses. Auf die Billigkeit
Icann sich aber nur berufen, wer durch die formelle
Härte des Rechtes, durch die iniquitates juris, in eine
gefährdete Lage versetzt wird. Denn dies ist eben die
Bedeutung der römischen aequitas, daß sie nur dem jus
und seiner Strenge gegenüber als Ausgleichung dienen soll.
^) Was Gans unterläßt, welcher II, 225, den Bericht des
Gajus hierbei dadurch rechtfertigt, daß ,, diese Freiwilligkeit
der Entsagung auf ein Recht, das eigentlich gegen den über-
beschwerenden Erblasser gerichtet ist, die aus der Fideikom-
missenlehre verdrängte Pietät in ihrer völligen Integrität wie-
der enthält." Aber in diesem Berufen auf die Pietät tritt der
Begriff nicht heraus. Gerade in der Unklarheit, in welcher
sich Gans über diese Frage blieb, ist der Grund der falschen
Bedeutung zu sehen, welche er dem SC. Trebellianum über-
haupt gibt. Gans sieht in demselben immer nur das ,, Neben-
einanderbestehen beider in der Erbschaft" (s. oben S. 170,
Note 3; S. 173, Note 1. und S- 176, Note 1), während dies
nur eine analoge Ausdehnung dieses Senatuskonsultes ist (s.
S. 170, Note 3), welches diesen Fall ursprünglich nicht oder
doch nicht notwendig vor Augen hat. Wenn wir dagegen dies
SC. als das Auftreten des Momentes der Billigkeit gegen
den zivilistischen Erbrechtsbegriff in der Entwicklung des Fi-
deikommisses fassen, so verweisen wir, außer auf das hierüber
bereits Nachgewiesene und die schon oben zitierten Worte des
Senatuskonsultes: aequissimum est etc., auf den bald folgenden
Fall der wieder eintretenden Geltung dieses SC. (den Fall
des erzwungenen Erbschaftsantrittes), welcher unserer Auf-
fassung desselben die glänzendste Bestätigung verleihen wird.
181
Wer dagegen freiwillig sich in diese Lage versetzt, in-
dem er auf die ihm vom SC. Pegasianum angebotene Ver-
mögenserfüllung verzichtete, der kann sich nun auch den
Passivis gegenüber, weil er jetzt nicht mehr durch die
Rigorosität des jus, sondern durch eigenen Willen
gefährdet ist, nicht auf die Billigkeit berufen, sondern
mag sich an seinen freien Willen halten. — Es tritt da-
her das dialektisch höchst interessante Resultat ein, daß,
seitdem das SC. Pegasianum da ist, und wenn der Erbe
vom Erblasser über das Viertel beschwert ist, das SC.
Trebellianum wie durch die Anwendung des Pegasia-
num, so auch durch die Nichtanwendung desselben
ausgeschlossen sein muß^).
Näher in bezug auf den Erbrechtsbegriff betrachtet,
begründet sich dieses höchst spekulative Resultat so : das
Trebellianum, in welchem, wie früher schon bemerkt, der
Fiduziarerbe gar nicht mehr als Erbe behandelt
wird, stellt das Vorwiegen der Billigkeit über den strengen
Erbrechtsbegriff dar. Das SC. Pegasianum stellt um-
gekehrt (s. S. 172 fg.) das Vorwiegen und die — zu-
gunsten des Fiduziar ausschlagende — Herrschaft des
formellen zivilistischen Erbbegriffes, und zwar in der
nfeuen Auffassung der Erbschaft als einer realen Ver-
mögenszuwendung, im Fideikommisse dar. Der Ver-
zicht aber des überbeschwerten Fiduziars auf das SC.
Pegasianum stellt nicht weniger ein Setzen des
formell-zivilistischen Erbbegriffes als des Herrschenden
und Überwiegenden dar, nur dieses Erbbegriffes gerade
in seiner noch strafferen und formelleren alten Anschau-
ung als des vom Vermögen unabhängigen abstrakten
^) Es bleibt daher vorläufig kein anderer Fall der An-
wendung des SC. Trebellianum, als wenn (s. oben S. 178)
der Erblasser selbst dem Fiduziar das Viertel gelassen hat.
182
Willenserben. Durch die Anwendung des Pegasia-
num hat der Fiduziar die Billigkeit gegen den Te-
stator, durch die Ausschlagung des Pegasianum hat er
die Billigkeit gegen sich selbst abgewiesen. In bei-
den Fällen ist die Billigkeit also negiert, in beiden
der Begriff des zivilistischen Erben im Fiduziar
als das im fideikommissarischen Verhältnis herrschende
und bestimmende Moment gesetzt. In beiden Fällen kann
daher mit dem vollsten Recht des spekulativen Begriffes
gleich wenig vom SC. Trebellianum als der bloßen Bil-
ligkeit die Rede sein.
Wir sahen daher, daß der überbeschwerte Fiduziar,
der freiwillig das Pegasianum ausschlägt, sich nun an
seinen eigenen Willen halten mag, wenn ihm nun die
onera der Erbschaft zur Last fallen. So muß er sich in
der Tat durch eine Willenshandlung dagegen sichern, und
da er, der nichts aus der Erbschaft behält, deshalb auch
keine Stipulationen pro parte mit dem Fideikommissar
qua Legatar machen kann, so bleibt ihm notwendig nichts
übrig, als wieder zu der ältesten, ursprünglichsten Form
zurückzugreifen und den Scheinverkauf der Erbschaft
mit dem Fideikommissar vorzunehmen^).
Allein wir haben oben, wo wir diesen Scheinverkauf
^) Es zeigt sich also hier entscheidend, daß die von Gans
gegebene (II, 222) Entwicklung der alten Scheinverkäufe
zum SC. Trebellianum, eine Entwicklung, deren bewegendes
Moment er darin sieht, daß die Fidelkommisse unter Augustus
erzwingbar geworden wären, wodurch ,,das Verhältnis des Erben
zu dem Fideikommissar nichts mehr mit dem Erbschaftsverkauf
gemein hat," und weshalb diese Verkäufe nun hätten fortfallen
müssen (s. dagegen unsere Darstellung, S. 169 fg.), nicht die
richtige ist, da ja hier die Scheinverkäufe lange nach der
Erzwingbarkeit der Fideikommisse und bei Fortdauer der-
'^elben wieder hervortreten.
183
betrachteten (S. 169), gezeigt, daß der Fiduziar durch
denselben doch nur eine Vertretung gewinnt, aber durch-
aus nicht von den Erbschaftsklagen selbst befreit und
somit auch nicht aller Gefahr los wird.
Wir sagten oben, das sei vielmehr der Humor davon,
daß der Fiduziar durch den Scheinverkauf der Erbschaft
dennoch den Charakter des Erben (und also die Lasten)
nicht los werden kann. Denn durch die Überlassung
der Erbschaft an den Fideikommissar erfüllt er gerade
den Willen des Erblassers, und da der Begriff des
Erben im römischen Geiste nicht an die Vermögens-
erbschaft geknüpft ist^), sondern eben nur darin besteht,
Willenskontinuator des Toten zu sein, so betätigt
sich eben, weit entfernt, durch diese Überlassung den
Erbcharakter abstreifen zu können, der Fiduziar durch
dieselbe als wahrer römischer Erbe. Das Zutreffende
dieser Dialektik bestätigt sich jetzt noch einmal in wahr-
haft glänzender Weise, und noch einmal ergibt sich hier,
fast schon am Ende der fideikommissarischen Entwicke-
lung, der Begriff der subjektiven Willensidentität
als das alleinige, das römische Erbrecht beherrschende
und noch bis in seine letzten Zeiten fortreagierende Mo-
ment.
Ein Mittel hat nämlich der Fiduziarerbe aller-
dings, um den Charakter des Erben und mit ihm
die onera der Erbschaft abzustreifen.
Durch das SC. Pegasianum wird nämlich zugleich ver-
fügt, daß, wenn sich der Fiduziar weigert, die Erbschaft
anzutreten, er vom Fideikommissar durch Vermitte-
^) In welchem Falle er allerdings mit der Überlassung
der Erbschaft als solcher auch den Charakter des Erben los
werden müßte.
184
lung des Prätor dazu angehalten werden kann^). Wie
seit Augustus zur Restitution der Erbschaft, kann er
jetzt auch zur Antretung derselben gezwungen
werden.
Das in den bisher erörterten Fällen über die Aus-
schließung des SC. Trebellianum durch die Anwendung
wie Nichtanwendung des SC. Pegasianum Gesagte
gilt nun bloß in dem Falle, wenn sich der Fiduziar zum
Erbschaftsantritt nicht erst zwingen läßt-).
Läßt sich der Fiduziar aber zwingen, d.h. legt er
also an den Tag, daß er in keiner Willensidentität
mit dem Testator sei, daß er den Willen desselben
nicht fortsetzen wolle, so hat er hierdurch aller-
dings entscheidend den Charakter des Erben
abgestreift; denn dann hat er eben das negiert, worin
nach unserer Darstellung allein der Begriff des Erben
besteht. Dann also ist er gar nicht mehr Erbe, dann
erst ist er zur bloßen Schein- und Durchgangs-
person geworden, dann verliert er hierdurch einerseits
mit dem Wesen des Erben notwendig das Abzugs-
recht auf die Quart, wie andererseits damit auch die
Schulden von ihm fortfallen, welche die wieder ein-
tretende Billigkeit des SC. Trebellianum von dem
Nichterben, zu welchem der Fiduziar hier geworden,
ausschließlich auf den hinter dem Rücken dieser bloßen
^) Gajus, II, 258: „Sed si recuset scriptus heres adire
hereditatem ob id, quod dicat eam sibi suspectam esse quasi
damnosam, cavetur Pegasiano senatusconsulto, ut desiderante
eo cui restituere rogatus est, jussu praetoris adeat et restituat."
^) Darum sagt Gajus ausdrücklich oben, II, 257: „Sed is
qui semel adierit hereditatem, 5/ modo siia voluntate adierit,
sive retinuerit quartam partem sive noluerit retinere, ipse uni-
versa onera hereditaria sustinet etc." Wir übergingen dies oben,
well hier erst dieser Unterschied klar werden kann.
185
Scheinperson selbständig agierenden Fideikommissar über-
gehen läßt, so daß der Fiduziar jetzt keinerlei Stipu-
lationen mehr nötig hat, um sich gegen Schulden zu decken,
die ihn nach Abstreifung des Erbbegriffes nicht mehr zu
treffen haben. Und so wird denn alles dies in der bün-
digsten Weise bekundet von Gajus, Comm,, II, § 258:
,,Sed si recaset scriptus heres adire hereditatem . . . ca-
vetur Pegasiano senatusconsulto, ut desiderante eo, cui
restituere rogatus est, jussu Praetorio adeat et re-
stituat, perindeque ei et in eum qiii receperit adiones
detitur, ac juris est ex senatusconsulto Trebelliano'^), quo
casu nullis stipulationibus opus est, quia simul et huic qui
restituit securitas datur et actiones hereditariae ei et in
eum transferuntur qui receperit hereditatem."
Jetzt erst, mit dieser Schlußbestimmung, ist das SC.
Pegasianum als Ganzes in seinem Gedankengange und in
seinem [Verhältnis zum Trebellianum wahrhaft zu ver-
stehen. Das SC. Pegasianum stellt dem Fiduziar ein-
fach die Alternative, ob er sich als zivilistischer
Erbe, oder ob er sich als bloße Scheinperson be-
trachten und setzen will.
Will er seinen zivilistischen Erbbegriff festhalten, so
soll er, weil bereits mit der lex Falcidia die Anschauung
triumphiert hat, daß dem Erben auch Vermögen zuge-
wendet werden müsse, sich die falcidische Quart gegen
den Willen des Testators abziehen können. Aber dann
muß er auch die anderen Folgen des \'on ihm fest-
^) Es zeigt sich hier also von neuem, daß der Gedanke
des SC. Trebellianum durchaus nicht, wie Gans will, auf einem
..Nebenein anderbe stehen des Erben und Fideikommissar
in der Erbschaft," sondern vielmehr lediglich auf dem Auf-
treten der Billigkeit gegen den zivilistischen Erbrechtsbegriff
beruht.
186
gehaltenen Erbbegriffes tragen. Sämtliche Schulden gehen
auf ihn über, die frühere Billigkeit des SC. Trebellianum,
welches sich gegen die Härte des formellen Erbrechtes
erhob, kann, weil er selbst letzteres Moment für sich in
Anspruch genommen und sich als zivilistischen Erben zu
setzen vorgezogen hat, für ihn nicht mehr in Betracht
kommen, und er mag sich daher auf eigene Faust, wenn
auch unvollkommen, gegen die onera decken.
Will dagegen der Fiduziar nicht den zivilistischen Erb-
begriff festhalten, will er sich als bloße Scheinperson
betrachten, so muß er dies setzen durch die Nicht-
identität des Willens mit dem Testator ; d. h. er muß
sich weigern und sich zwingen lassen. Hiermit tritt
dann die Billigkeit für diesen sich als Nichterben setzen-
den Fiduziar wieder ein, die Schulden gehen aus dem
Trebellianum sämtlich von ihm über, aber er hat dann
auch kein Recht auf den Abzug der falcidischen, erb-
rechtlichen Quart.
Und ebenso ist hier ganz klar ersichtlich, wie, wenn
der Mittelfall eintritt, d. h. wenn der Fiduziar freiwillig
die Erbschaft antrat, aber auch frei^villig, ohne den ihm
verstatteten Abzug zu machen, alles herausgab, das SC,
Trebellianum nicht zu seiner Entlastung von den Schulden
von ihm angerufen werden kann. Denn wenn er freiwillig
antritt, so hat er immerhin sich damit als zivilistischen
Erben gesetzt und betätigt, und durch die freiwillige Her-
ausgabe des ganzen Vermögens hat er dies so wenig auf-
gehoben, daß er dadurch vielmehr diesen Erbbegriff in
seiner ursprünglichsten Form und abstraktesten
Härte gesetzt, und also ebensosehr, wie durch Ab-
haltung der Quart, die gegen diesen Erbbegriff an-
kämpfende Billigkeit ausgeschlagen hat !
Es ist daher eine tiefgehende Bemerkung von Justinian,
187
wenn er gerade in dieser Bestimmung des Pegasianum über
den Antretungszwang, aus welcher, wie wir sahen, sein
Geist sich erst begreift, den Hauptinhalt dieses Se-
natuskonsults erblickt^): ,,Sed etiam id, quod praecipuum
Senatusconsulti fuerat, ut quando recusabat heres scriptus
sibi datam hereditatem adire, necessitas ei imponeretur
etc.2)."
Wir sind aber mit der Anführung dieser Institutionen-
stelle zum Schlußstein in der Entwickelung der histori-
schen Bewegung des Fideikommisses gelangt.
Die Gestalt, die das Fideikommiß bei Justinian emp-
fängt, entspricht ganz dem, was auch sonst die allgemeine
Umbildung des Rechtes, die unter ihm vorgeht, kenn-
zeichnet.
Der Kampf des zivilistischen Erbrechtes mit der Bil-
ligkeit im Fideikommiß war mit dem Pegasianum zu der
Ausgleichung gekommen, daß jeder dieser beiden Stand-
punkte zu einem, das andere ausschließenden,
System für sich entwickelt ist und der Fiduziar zwi-
schen beiden Systemen zu wählen hat. Daher die
große Anzahl der feinen, begriffsmäßigen und sich durch-
kreuzenden Unterschiede. Mit Justinian erliegt der zivili-
stische Erbrechtsbegriff gänzlich der bloßen Billigkeit,
welche jetzt allein das Feld behauptet. Daher die Ab-
stumpfung und das Verschwinden jener Unterschiede zu
dem gleichgültigsten Einerlei, welches nur Zeugnis ablegt,
daß das Erbrecht um seinen Begriff gekommen. Ob der
Fiduziar aus dem Willen des Testators die Quart, oder
mehr oder weniger, oder gar nichts hat, — er soll die
^) iWährend Gajus a. a. O. uns diese Bestimmung nur ganz
am Ende, und ohne irgend welchen besonderen Ton darauf zu
legen, noch anführt.
^) Inst., § 7 de fideicomm. hered. (2. 23).
188
Quart abziehen können, und gleichwohl sollen stets die
Aktionen aus dem SC. Trebellianum sowohl gegen ihn als
gegen den Fideikommissar pro rata laufen. Gibt er die
gesamte Erbschaft heraus, so sollen, auch wenn er sie
freiwillig angetreten hat, die Aktionen aus dem Trebel-
lianum nur gegen den Fideikommissar zustehen, und ganz
ebenso soll es natürlich auch dann sein, wenn er sie nur
gezwungen antrat. Stipulationen sind nun in keinem Falle
mehr nötig, denn die äußerliche Billigkeit hat, alle Ge-
dankenunterschiede zertretend, alles auf sich selbst ge-
nommen, und darum wird alles auf das SC. Trebellia-
num als auf das einzige Gesetz der Sache zurück-
geführt.
Die in dieser Hinsicht höchst interessante Institutionen -
stelle (§ 7, Inst. 2, 23) lautet : ,,Sed quia stlpulationes
ex Senatusconsulto Pegasiano descendentes et ipsi anti-
quitati displicuerunt et quibusdam casibus captiosas eas
homo excelsi ingenii Papinianus appellat et nobis in legi-
bus magis simplicitas, quam difficultas placet, ideo Omni-
bus nobis suggestis tam similitudinibus, quam differentiis
utriusque Senatusconsulti, placuit exploso Senatusconsulto
Pegasiano, quod postea supervenit, omnem auctorltatem
Trebelliano Senatusconsulto praestare ut ex eo fideicom-
missariae hereditates restituantur ; sive habeat heres ex
voluntate testatoris quartam, sive plus, sive minus, sive
penitus nihil, ut tunc quando vel nihil vel minus quarta
apud eum remanet, liceat ei vel quartam vel quod deest,
ex nostra auctoritate retinere, vel repetere solutum quasi
ex Trebelliano Senatusconsulto, pro rata portione, actio-
nibus tam in heredem quam in fideicommissarium com-
petentibus. Si vero totam hereditatem sponte restituerit,
omnes hereditariae actiones fideicommissario et adversus
eum competunt. Sed etiam id quod praecipuum Senatus-
189
consulti fuerat, ut quando recusabat heres scriptus sibi
datam hereditatem adire, necessitas ei imponeretur totam
hereditatem volenti fideicomnussario restituere, et omnes
ad eum et contra eum transire actiones, et hoc transponl-
mus ad Senatusconsultum TrebelUanum, ut ex hoc solo et
necessitas heredl imponatur si, ipso nolente adire, fidei-
commissarius desiderat restitui sibi hereditatem, nullo nee
danino nee commodo apud heredem remanente."
Es ist höchst eigentümlich und charakteristisch, wie
Justinian in den kursiv gedruckten Worten nicht nur ver-
ordnet, was er verordnet, sondern auch noch dies ver-
ordnet, daß alle Verfügungen, die er aus dem Pegasianum
herübernimmt, auf das Trebellianum übertragen und als
aus dessen Autorität herfließend angesehen werden
sollen, obgleich er doch in seiner eigenen Darstellung kein
Hehl daraus macht, daß das Trebellianum diese Ver-
fügungen durchaus nicht enthalte. Woher kommt dieser
bizarre Geschmack, zu dekretieren, und zwar nicht in
Interpretationsweise, daß ein Gesetz zu enthalten scheinen
solle, was es eingestandenermaßen nicht enthalte ? Be-
reits Gans hebt diesen Umstand als sehr bezeichnend her-
vor. Aber bei ihm steht diese Bemerkung noch in der
Luft, weil er das Trebellianum irrtümlich als das Neben-
einanderbestehen von Erben und Fideikommissar in der
Erbschaft auffaßt, und es wird daher das Innere dieses
bezeichnenden Umstandes nicht klar^). Bei uns verleiht
^) Gans sagt hierüber (II, 226 fg.) : „Die feinen begriffs-
mäßigen Unterscheidungen also, ob der Erbe überbeschwert
sei oder nicht, ob er abziehen wolle oder nicht, sind in dieser
äußerlichen Einheit verschwunden. Daher (?) ist es sogar
konsequent, daß Justinian auch die verschiedenen Namen
der Senatskonsuite nicht mehr existieren lassen will und alles
mit dem Namen des Trebellianischen Senatuskonsultes belegt.'"
190
derselbe unserer Auffassung des Trebellianum eine neue
Bestätigung und wirft andererseits ein helles Licht auf
die Art von Bewußtheit, die bei der Justinianeischen
Rechtsumbildung stattfindet. Da wir nämlich das Trebel-
lianum als die sich gegen den zivilistischen Erbbegriff er-
hebende Billigkeit nachge\viesen haben, so ist es jetzt
in seiner ganzen inwendigen Konsequenz einleuchtend,
warum Justinian, bei welchem der zivilistische Erbbegriff
ganz und gar unter den Anforderungen der Billigkeit er-
legen ist, diese Bedeutung des Trebellianum fühlend, alle
seine eigenen Anordnungen auf dieses Senatuskonsult über-
trägt.
Es ist endlich noch erforderlich, einen Gegensatz her-
vorzuheben, welcher die Geschichte des Fideikommisses
in zwei Hälften teilt.
Es ist bereits erwähnt worden, daß bis auf die Zeit
des Augustus die Restitution des Vermögens seitens des
Fiduziarerben etwas Freiwilliges und völlig Unerzwing-
bares istO- Erst Augustus befahl in einigen besonderen
Nein, daher, weil Justinian die feinen begriffsmäßigen Un-
terscheidungen aufhebt, ist noch nicht abzusehen, warum er
diese seine aufhebenden Anordnungen auf alte Senatskonsuite
fiktive zurückträgt, statt sie als seine eigenen Verordnungen
stehen zu lassen; und ebensowenig warum, wenn er dies schon
tun will, er sich gerade das Trebellianum und nicht das Pe-
gasianum dazu aussucht. Und endlich bedarf selbst die Aus-
löschung der „feinen begriffsmäßigen Unterscheidungen," die
bei Justinian vor sicii geht, einer letzten Erklärung ihres Woher ?,
eine Erklärung, die eben nur in der Verdrängung des zivili-
stischen Erbbegriffes, in welchem allein jene begriff-
lichen Unterschiede wurzeln, durch die bloße Billigkeit zu
sehen ist.
■^) Inst., § 1 de fideic. her. (2, 23) : ,,Sciendum itaque est,
omnia fideicommissa primis temporibus infirma esse, quia nemo
invitus cogebatur praestare id, de quo rogatus erat etc."
191
Fällen den Konsuln, gegen den treulosen Fiduziar zu
intervenieren, und dies war so populär, daß es sehr bald
zum festen Rechte ward. ,,Postea primus divus Augustus,
semel iterumque gratia personarum motus, vel quia per
ipsius salutem rogatus quis diceretur, aut ob insignem
quorundam perfidiam, jussit consulibus auctoritatem suam
interponere. Quod quia justum videbatur et populäre erat,
paulatim conversus est in assiduam jurisdictionem^).' —
Es fragt sich nun, wie verhält sich diese Veränderung zu
dem Erbbegriff, den wir als den waltenden und tätigen
Faktor dieser ganzen Sphäre entwickelt haben, und welche
innere Modifikation wird dadurch im Wesen des fidei-
kommissarischen Institutes hervorgebracht ? Abstrakt ge-
nommen, könnte man ebensogut sagen, jener Erbbegriff,
welcher den Erben als feinen Willenskontinuator ohne Ver-
mögenszuwendung — oder mindestens ohne notwendige
Vermögenszuwendung — setzt, finde eine stärkere Be-
tätigung darin, daß der Fiduziar sogar rechtlich zur Ver-
mögensherausgabe gezwungen werden kann, als auch:
seine Blüte bestehe gerade darin, daß die bloße Sitte,
das Walten dieser Anschauung im Volksgeiste, diese Her-
ausgabe sichert ohne rechtlichen Zwang, dessen Eintreten
daher schon den Verfall jener Anschauung betätige.
Solche Reflexionen sind also überhaupt nicht geeignet,
das Wesen der Sache zu bestimmen. Hierzu muß viel-
mehr der Begriff des Fideikommisses und das Verhältnis
des Fiduziars zum nicht-fidelkommissarischen Erben noch
näher bestimmt werden.
Der Begriff des Erben besteht nach uns darin,
Willenserbe, Willenserhalter zu sein. Diese
Willensidentität zeigt sich aber nun konsequenterweise
') Inst.. 1. c.
192
nicht darin, daß der Testator dem Erben ein Haben zu-
wendet, sondern vorzüglich darin, daß er ihn, den Erben,
nach seinem Willen handeln läßt und hierdurch die
Fortdauer seines Willens nach und trotz seinem Tode
erweist. Und gerade, sagten wir oben (S. 101, 110 fg.), je
mehr die Handlungen, die dem Erben aufgegeben werden,
gegen dessen eigenes Interesse gehen, wie die Er-
schöpfung des ganzen Vermögens durch Legate, desto
mehr erweist sich hierin der Triumph und die Fortdauer
des erblasserischen Willens. Der Fiduziar, welchem der
Erblasser ein solches Tun aufgibt^), steht darin ganz
und gar in Übereinstimmung mit dem Begriff des echten
Erben, und ist darum ein solcher. Daß ihm auferlegt
wird, alles abzugeben, verletzt sein materielles Recht
nicht, da es auch bei der nicht-fideikommissarischen
Erbschaft der Fall sein kann. Ein Unterschied aber ist
allerdings vorhanden. Der Erbe bei der nicht-fideikom-
missarischen Erbschaft gibt das gesamte Vermögen nur
in der Form von lauter einzelnen Gegenständen
ab, über welche verfügt worden ist, und die, in dieser
Vereinzelung genommen, gar keine andere Beziehung zum
Erblasser haben, als einzelne der Herrschaft seines Wil-
lens unterworfene Objekte zu sein, ja für welche nicht
einmal diese schon vorhandene Beziehung zum Erblasser
notwendig und somit auch nicht, wenn sie auch da ist,
charakteristisch ist, denn er kann ebenso gut über eine
seinem Willen nicht unterworfene fremde Sache ver-
fügen (Legatum rei alienae). Was also durch Legate
abgegeben wird, sind schlechterdings nur Gegenstände
als solche. Anders beim Fiduziar. Er soll nicht das
in seine einzelne Gegenständlichkeit aufgelöste
^) Vgl. Inst. pr. de codic. (2, 25) . . . qulbus ab Augusto
petiit per fideicommissum, ut faceret aliquid.
13 Li,sall<. Gsä. Sctriften. Band XI 193
Vermögen, sondern das Vermögen als Ganzes, die here-
ditas, herausgeben. Werden aber die Vermögensgegenstände
so in ihre einfache Totalität zusammengefaßt, als
das Vermögen des Erblassers, so erlangen sie
durch diese einfache Einheit, in der sie gesetzt werden,
einen Widerschein von Subjektivität und einen Re-
flex der Willenspersönlichkeit des Erblassers, die
ihnen früher fehlte. Sie werden zwar hierdurch noch nicht
(s. oben S. 46) zur Grenze und zum Inhalt dieses
Willens, aber sie werden jetzt zur „vermögensrecht-
lichen Persönlichkeit" des Erblassers, und so wenig
diese, in welcher man bisher irrig den Begriff des Erb-
rechtes gesehen hat, mit der Willenspersönlichkeit
zusammenfällt, und so wenig letztere in sie aufgeht, so ist
sie doch das Abbild, der Widerschein und das
unmittelbare Dasein dieser Willenspersönlichkeit in
der Sphäre des Vermögens. Die Vermögensgegen-
stände, statt in ihrer gegenständlichen Form als das Ganze
des Erblassers gesetzt, sind der Leib und die unmittel-
bare Realität seiner Willenssubjektivität. Die Zu-
mutung an den Erben, alles abzugeben, in dieser Form
(der einfachen Totalität) ausgesprochen, enthält also aller-
dings eine formelle Verletzung seines Rechtes, denn er
soll die Realität jener Willenssubjektivität als solche
abgeben und soll doch selbst die fortdauernde Realität
derselben sein. — Weil die Zumutung das materielle
Recht des Erben nicht verletzt, kann sie überhaupt in der
Sitte um sich greifen ; sie kann — was nur hierdurch er-
klärlich ist — bei den Erblassern gebräuchlich werden
und auf ihre Erfüllung durch den Erben rechnen. Weil
aber die Zumutung das formelle Recht des Erben ver-
letzt, kann sie nicht peremtorisch und mit Rechts-
zwang, sondern nur bitt weise gestellt werden und muß
1Q4
sich der Formeln: peto, rogo, volo, fideicoramitto^) be-
dienen.
Wenn also seit Augustus die fideikommissarisclie Resti-
tution erzwingbar wird, so ist hierin ein Doppeltes gegeben.
Zunächst liegt darin ein Sieg jenes alten materiellen
Rechtes des Erblassers über das formelle Recht vor.
Jene alte Anschauung von der Spaltung des Erben als
Willenserben und des Vermögensnehmers, im eigent-
lichen Erbrecht ungefähr gleichzeitig durch die lex
Falcidia besiegt und geschlagen, rettet sich in die Sphäre
der fideikommissarischen formlosen Freiheit und Frei-
willigkeit als in ihren letzten Zufluchtsort und gibt sich
— ein spekulativer Gegensatz vom höchsten Interesse —
nun gerade in dieser Sphäre der Freiwilligkeit er-
zwingbares Dasein-).
Und in hohem Grade sind interessant die Worte, mit
v.elchen uns die Institutionen die Entstehung dieser
Zwangsrestitution berichten. Nachdem Augustus in einigen
Ausnahmsfällen eingeschritten sei, so sei dies ,,quia ju-
stum et populäre erat" zur dauernden Jurisdiktion ge-
worden. So populär war also — das gewöhnliche Ge-
rede von der Pietät ohne weiteren substantiellen Inhalt
reicht durchaus nicht aus, dies zu erklären ; denn Pietät
hat man zu allen Zeiten gehabt, und doch, von welcher
anderen Nation und Zeit, als der römischen, würde man
^) Gajus, Comin., II, § 249. Darum sagt Ulpian, Fragm.
XXV, 1 : ..Fideicommissum est, quod non civilibus verbis, sed
precative relinquitur, nee ex Hgore juris civilis, sed ex voluntate
dalur relinquentis." Der Gegensatz „ex voluntate relinquentis,"
der befremden kann, da Ja alle testamentarische Verfügung
aus dem Willen des Verstorbenen stammt, zu der Sti'enge des
Erbbegriffes, der er formell widerspricht, ist so erst
ganz verständKch.
^) Siehe hierüber oben S. 137 fg.
13* 195
dies sagen können? — so populär und hartnäckig war
also noch damals jene uralte römische Anschauung von
der gänzlichen Trennung zwischen Erben und Vermögens-
erwerb, daß, nachdem dieselbe eben im formellen Erb-
recht durch die lex Falcidia besiegt, respektive auf eine
quantitative Grenze eingeschränkt worden war, es bloß
einiger willkürlicher Präzedenzfälle bedurfte, um sie, ob-
wohl damals das SC. Trebellianum noch nicht bestand
und der Fiduziar also durch die Schulden der Erbschaft
noch ruiniert werden konnte, sofort und ohne eigentliches
Gesetz, durch ihren bloßen, dem Volksgeist ent-
sprechenden Charakter (populäre), im Reiche fidei-
kommissarischer Freiheit, welches hierdurch seinen ganzen
Charakter formloser Freiwilligkeit verliert, sich
em erzwingbares Dasein geben zu sehen. Aber in
diesem letzten Siege jener alten Anschauung liegt auch
bereits wegen jener Verletzung der Form der dialektische
Keim zu ihrem letzten Untergange.
Denn indem jetzt das Ganze des persönlichen Ver-
mögens, die hereditas, zu einem erzwingbar-abgeb-
lichen geworden ist, wird sie andererseits wie ein Le-
gat behandelt, und es hat sich also gerade dadurch die
Identität von hereditas und Vermögenszuwendung (Le-
gat) auch im Fideikommiß hervorgetan. Ist aber erst
diese Identität zwischen hereditas und Vermögenszuwen-
dung auch im Fideikommiß zum Vorschein gekommen,
so muß somit auch der Fiduziarerbe als Vermögens-
erbe behandelt werden, und es liegt also gerade in dieser
gänzlichen Rechtlosigkeit des Fiduziars der Keim zu
seinem höchsten Rechte, es liegt gerade in dieser letzten
Aufrechterhaltung der Spaltung zwischen Erben undVer-
mögensnehmer ihre letzte und entscheidende Niederlage,
oder es liegt gerade in der Erzwingbarkeit der Restitution
1Q6
der dialektische Keim zu dem SC. Pegasianum, welches die
durch die lex Falcidia gegebene notwendige Vermögens-
erfüllung des Erben auch auf den Fiduziarerben ausdehnt.
Es hat sich uns also jetzt auch das Fideikommiß und
seine gesamte geschichtliche Entwickelung als der Kampf
des von uns aufgestellten Erbbegriffes mit der Anschau-
ung des Erben als eines notwendig materiell Bedachten
dargetan. Wie das prätorische Testament, seine Form der
Erbeinsetzung und die ihm gestatteten Bedingungen, wie
das materielle Recht der testamenta calatis comitiis und
seine regelmäßige Anwendung, nebst den später hieraus
hervorgehenden Gesetzen, der Furia, Voconia, Falcidia,
wie die Form und Bedeutung des testamentum per aes
et libram, so hat sich uns auch das Fideikommiß und sein
historischer Verlauf erwiesen, nichts als das Dasein und
die Bewegung jenes spekulativen Begriffes des Erb-
iums als der Her\orbringung der individuellen
Willensunsterblichkeit zu sein.
X. Die testamentif actio und ihre Bedingungen.
Das Testament ein Produkt des historischen
Geistesbegriffes des römischen Volkes und die
testamentif actio darum juris publici. — Die
querela inofficiosi.
Von diesem spekulativen Zentrum aus, daß der Erbe
nur die Bedeutung hat, den Nichtuntergang des sub-
jektiven Willens darzustellen, indem er durch sich
selbst wie durch den Erblasser gesetzt wird als die
reine subjektive Willensidentität mit diesem, und
1Q7
zwar nicht dem erblasserischen Vermögen, son-
dern der gesamten Außenwelt gegenüber, daß er
deshalb auch das erblasserische Vermögen durchaus nicht
notwendig für sich erwirbt, sondern dies nur dann, wenn
keine Vermögens Verfügungen getroffen sind, daß aber das
Treffen von solchen die echte Betätigung der Willens-
fortdauer des Erblassers ist, mdem er den Erben dadurch
nicht haben, sondern handeln läßt und so sich selbst,
wie bei Lebzeiten, weiter als der Willensherr über das
Vermögen erweist, daß endlich der Triumph dieser An-
schauung gerade darin bestehen wird, den Erben zu ent-
erben, weil gerade durch die von jeder Vermögens-
zuwendung entblößte Position des Erben die siegreiche
Fortdauer des erblasserischen Willens, die reine, inter-
esselose Willensidentität des Erben mit ihm, der
ideale begriffliche Charakter des Institutes am schärfsten
und härtesten hervortritt, und daß daher diese harte Ab-
straktion den charakteristischen Zug des römischen Geistes
und das Moment der Reibung in der Geschichte seines
Erbrechtes bilden wird, — von diesem Zentrum aus, und
nur von ihm aus, begreifen sich alle Erscheinungen, Teile
und Sätze des römischen Erbrechtes, wie dies die Folge
noch weiter zeigen wird. Die dunkelsten Gestaltungen
desselben, die am weitesten voneinander abliegenden und
scheinbar positivsten und willkürlichsten Verzwickungen
desselben erweisen sich als die Adern eines organischen
Leibes, welche durch die flüssige Dialektik dieser sich
durch sie hindurchtreibenden Seele im engsten und inner-
sten, sich gegenseitig erzeugenden Zusammenhange mit-
einander stehen. Die Gliederung dieses Begriffes gibt
die Dogmatik des römischen Erbrechtes. Sein Kampf
und seine durch die eigene Härte seiner Abstraktion her-
vorgebrachte Reibung gibt die Geschichte desselben,
19S
welche in einem allmählichen Erliegen dieses Begriffes
und in der Annäherung seiner an die besonders in der
Form der Billigkeit sich geltend machende Vermögens-
erfüllung des Erben besteht. Aber noch bis in die spä-
testen Zeiten bleibt das Erbrecht, da es nie den Zusammen-
hang mit seiner Wurzel gänzlich verliert, stets von diesem
Begriffe bestimmt und durchdrungen.
Wir haben dies zunächst nun an den Regeln über die
Testamentsfähigkeit und einigen damit zusammenhängenden
Vorschriften zu zeigen.
So spricht sich zuvörderst ein sehr richtiges, instinkt-
mäßiges Erfassen der eigenen historischen Bedeutung
seines Volksgeistes darin aus, daß, so nahe der Irrtum
lag^), das Testament für juris gentium zu halten, der
Römer die Fähigkeit, zu testieren, an die römische
') Der Irrtum, das Testament für naturrechtlich zu
halten, welcher seit alten Zeiten so lebhafte Kontroversen her-
vorrief und heutzutage wieder besondere Gunst zu gewinnen
scheint, muß bereits von selbst durch unsere gesamten Ent-
wickelungen des testamentarischen Erbrechtes seine einzige
wahrhafte, weil objektive Widerlegung empfangen haben
und weiter empfangen (vgl. oben S- 163). — Dies wird beiläufig
auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß Ulpian (Fragm. XX,
§ 14) bei dem Peregrinen das Recht anzuerkennen scheint
,,ut adversus leges civitatis suae testetur" ; denn der Peregrine
wird hierdurch nicht bloß darauf angewiesen, wie das Gesetz
seines Staates fordere, zu testieren, sondern auch darauf, wann
das Gesetz seines Staates ein Testamentsrecht kenne, in wel-
chem Falle ihm dasselbe natürlich nicht verkümmert werden
kann. Und indem Ulpian dabei ausdrücklich hervorhebt, der
dedititius könne absolut nicht testieren, weil er gar keinem
bestimmten Staate angehört: ,,nec quasi peregi-inus, quo-
niam nullius certae civitatis civis est," tritt gerade das zivi-
listische, politische Wesen des Testamentsrechtes aufs
deutlichste hervor.
199
Zivität als ihre Bedingung bindet. Nur wer in diesen
bestimmten Volksgeist aufgenommen ist, ist dieser
Willensunendlichkeit teilhaft^), welche erst das
historische Produkt und den eigentümlichsten Inhalt der
*) Mit Unrecht meint daher Savigny (System. VIII, 452).
daß die testamentif actio Im obigen Sinne, als Testler-
fähigkelt, diejenige Standeseigenschaft im römischen
Staate bedeutet, welche „fähig macht zur Manzlpation, als
der Grundform der römischen Testamente."
Wie nämlich die Bedeutung des Testamentes, wenn auch die
Manzlpation seine Form Ist. noch über die bloße Manzlpation
hinausgeht, so muß — wenn der obige Begriff konsequent fest-
gehalten und richtig sein soll — auch zum Testament eine über
die bloße Manzipatlonsfähigkeit noch hinausgehende
Fähigkeit und Standeselgenschaft erforderlich sein, die Fähig-
keit, einen anderen subjektiven Willen zum Idealen Träger und
Erhalter seiner selbst zu setzen, eine Eigenschaft, welche der
diese Anschauung hervorbringende römische Volksgelst mit
Recht schlechterdings nur in den seines eigenen Bewußt-
seins Teilhaftigen erblicken kann und daher an die römi-
sche ZivItät binden muß. Es Aväre also für den Begriff erforder-
lich, daß die Testierfähigkeit noch nicht gegeben sei mit dem
commercium, welches zur Manzlpation allerdings berechtigt,
und daß also nicht, wie Savigny a. a. O. sagt, die testa-
mentifactlo In diesem Sinne „gleichbedeutend mit commercium"
sei. Und wäre dem so, so wäre hierdurch wiederum bewiesen,
daß, was Im Testamente vor sich geht, jene Ideale Identi-
fizierung und nicht eine Vermögenshandlung sei; denn
zu allen nach jus clvlle möglichen Vermögensrechten Ist
die Fähigkeit durch das commercium gegeben. Nun verhält es
sich aber auch wirklich so, wie wir hier sagen. Der Beweis
Hegt in Ulplan, Fragm. XIX, § 4, vor. Nicht von dem La-
tlnus Junianus wollen wir sprechen; denn die Ihm fehlende
Testierfähigkeit — die testamentlfactlo Im Sinne der Testa-
mentszeugenschaft hat er — kann lediglich darauf zu beruhen
scheinen, daß bei seinem Tode das Vermögen dem Patron ge-
hören soll, obgleich auch bei Ihm seine Unfähigkeit, selbst Erbe
200
römischen Geistesstufe bildet und daher ebenso
streng national ist, wie etwa die religiöse Mission der
Juden. Der Peregrinus, die Latini Juniani und die de-
dititii haben daher dies Recht nicht ^).
zu werden, gleichfalls auf einen noch anderen Grund hinweist
(vgl. Nr. XXXIII). Aber entscheidend ist, daß Ulpian daselbst
unter den Manzipationsfähigen auch die Peregrinen aufzählt,
welchen ausnahmsweise das commercium gegeben sei : ,, Man-
cipatio locum habet inter cives Romanos . . . eosqiie peregrinos,
quibus commercium datum est." TeStierfähig sind dagegen
die peregrini schlechterdings nicht; Ulpian, Fr. XX, § 14,
und XXII, § 2. Testierfähigkeit und Manzipationsfähigkeit (oder
commercium) decken sich daher durchaus nicht und spielen
eine sehr verschiedene Rolle im römsichen Geiste. [So wird
man schon von selbst fühlen, daß, wenn (s. oben Anm. 1,
S. 36) römische Dichter ausrufen können : „Semper caveto ne
sis intestabilis," man doch gewiß nicht bei ihnen etwa einen
ähnlichen Ausruf über die Manzipationsfähigkeit würde finden
können.] Ebenso bleibt der, welcher zur Strafe intestabilis wird
(quem lex improbum intestabilemque esse jubet; s. Inst., § 6
de test. ord. 2, 10), darum immer noch manzipationsfähig. —
Man sieht, daß man aus der Manzipation als solcher viel zu
viel für dasselbe zu erklären gesucht hat.
^) Siehe Ulpian, a. a. O. — Wenn Gans dies so begründet
(II, 156) : ,,Das Testament ist der Wille des Römers in der
Sphäre seines Vermögens; es versteht sich also von selbst,
daß Nichtrömer kein Testament machen können," so ist das
nur eine petitio principii und keine Begründung. Einmal ent-
hält der Vordersatz eben jenen bisherigen Irrtum über das
wEihre Wesen des römischen Erbrechtes, den wir nun bereits
widerlegt zu haben hoffen und bei dessen Festhaltung die Be-
dingung der Zivität durchaus nicht genügend zu erklären wäre,
und zweitens folgt der zweite Satz durchaus nicht selbstver-
ständlich aus dem ersten. Denn wäre das Testament wirklich
nur der Wille in der Sphäre des Vermögens, also eine Ver-
mögensverfügung, so müßte vielmehr mindestens jeder,
der commercium hat, zu derselben befähigt sein ; s. die vorige
Anmerkung.
201
Weil aber der Begriff des Erbtums gerade die gei-
stige Identität zwischen Erblasser und Erben ist, das
Erbverhältnis somit schon äußerlich sich als Gleichung
a = a darstellen läßt, so können nicht Ungleiche ein-
ander gleichgesetzt werden, oder es ist mit anderen
Worten, um dies schon hierher zu nehmen, dieselbe Fähig-
keit, wie zum Testieren, auch erforderlich, um zum Erben
eingesetzt werden zu können^). Die eben Genannten
können daher auch nicht Erben werden^).
Wenn aber die Teilnahme am römischen Volks-
geiste, welcher die Anschauung dieser Unsterblichkeit
des subjektiven Willens erst aus seinem eigensten Wesen
erzeugt hat, deshalb die notwendigste und erste Bedingung
aller Testierfähigkeit ist, so begreift sich nun erst deut-
lich, warum jede, auch nur temporäre, Aufhebung
dieses geistigen Verhältnisses die Fähigkeit zu testieren
aufheben muß. Dieser Zusammenliang mit römischem
Volksgeist ist aber suspensiert, wenn ein Römer in die
Gewalt und Botmäßigkeit eines fremden Volksgeistes
geraten ist. Und darum kann der vom Feind gefangene
Römer kein Testament machen^), und ebensowenig die
einem fremden Volke gegebenen Geiseln*). Man muß
sich aber hüten, zu glauben, wie scheinbar sehr nahe liegen
kann, daß diese Unfähigkeit des Gefangenen in der Rück-
^) Ulpian, Fragm. XXII, 1 : ..Heredes institui possunt qui
testamenti factionem cum testatore habent."
^) Cicero pro Caecina. c 35 ; Ulpian, a. a. O. ; Gajus,
Comm.. II, 110.
"'') L. 8 pr. qui test. fac. poss. (28, 1); § 5, Inst, quibus
non est penii. (2, 12); Ulpian, Fr. XXIII, 5. - Nicht
einmal der miles, der überall ausgenommen ist, genießt hier
eine Ausnahme; L. 10 de test. mil. (29, 1).
*) L. 11 qui test. fac. poss. (28. 1).
202
sieht auf die in der Gelangenschalt vielleicht gelährdete
Freiheit und Selbständigkeit seines Privat-
willens ihren Grund habeO- Sie hat vielmehr durch-
aus nur jene objektive und streng spekulative Bedeu-
tung des durch die völkerrechtliche Gewalt eines Iremden
Staates suspendierten Zusammenhanges mit dem objektiven
römischen Volksgeist. Und der scharfe Beweis hier-
für liegt darin, daß der von Räubern gelangene Römer,
obgleich die Freiheit seines Privatwillens hier ebenso, ja
noch weit mehr, zumal in bezug auf das Vermögen, ge-
fährdet sein kann, dennoch, weil er hier keinem Irem-
den Volks g eist gegenübersteht, Räuber vielmehr nur
eine faktische, nicht völkerrechtliche Gewalt dar-
stellen, jene ideale Gemeinschalt im rechtlichen Sinne also
nicht unterbrochen ist, deshalb die volle Fähigkeit zu
testieren behält-).
Wenn so die Teilnahme an der Substanz des gemein-
samen historischen Volksgeistes die erste und
wesentlichste Bedingung der Testierlähigkeit war, so hat
sich jetzt hierdurch von selbst einer der Nvichtigsten und
inhaltsschwersten Sätze beiläulig erklärt, der Satz: ,,Te-
stamentilactio non privati, sed publici juris, est^)." Man
hat diese der modernen Aullassung so widersprechende
Anschauung, daß das Testament zum öllentlichen
Recht gehöre, allgemein damit zu erklären gesucht, daß
es ein formalistisches Überbleibsel des alten Komitien-
^) Wie selbst Gans glaubt (II, 157), das Testament des
Gefangenen sei ungültig, ,,da ihm sein allgemeiner Boden, der
freie Wille, abging."
■) Marcianus, L. 13 pr. qui test. (28, 1): ,,Qui a latroni-
bus capti sunt, quum libri manent. possunt lacere testamen-
tura."
^) Papinian, L. 3 D. h. t.
203
testaments sei, durch welches das Testament selbst die
Form eines Gesetzes erhalten habe. Man übersieht nur
bei dieser Art von Erklärungen das beständig sich wieder-
holende voTsgov TTQÖteQov, daß die angebliche Erklärung
wiederum eine solche, und zwar gerade das zu Erklärende
zu seiner eigenen Erklärung voraussetzt. Denn daß Te-
stamente in den Volksversammlungen gemacht werden —
also die ganze Form und Entstehungsmöglichkeit des
testamentum calatis comitiis — , ist wieder nur dann
wahrhaft begreiflich, wenn das Testament als Sache des
öffentlichen Geistes aufgefaßt wird^). Jetzt kann
auch der scheinbar entgegenstehende Ausspruch des Ci-
cero^): „In publicis nihil est lege gravius, in prlvatis
firmissimum sit testamentum", weder eine Schwierigkeit
bilden, noch eine Änderung dieser Anschauung zur Zeit
Ciceros ^u bekunden scheinen. Denn der bestimmte
Gebrauch, der von der Testamentsfähigkeit gemacht
wird, ist allerdings Privatsache; aber das Dasein
der Testamentsfähigkeit überhaupt, die Formen, in denen
ein Testament errichtet werden kann, ja sogar dies, daß
überhaupt Testamente gemacht werden, ist Sache
dieses bestimmten Volksgeistes, dessen innerstes
ideales Wesen diese Willensunendlichkeit als semen not-
wendigen Ausdruck hervorgebracht hat, ist also Sache des
öffentlichen Geistes. Das Testament ist für das
römische Volk der Kultus seines eigenen Wesens und
geht daher, wie jede andere Kultushandlung, nicht
nur in der Volksversammlung und unter dem Beisein der
^) Zu dem hier Folgenden vgl. man das sub Nr. XV:
,,Das Vindikationslegat. Der Testator ein Gesetzgeber," welter
hierüber Nachgewiesene.
2) Philipp.. II. 12.
204
Pontifices^), sondern in den ausdrücklich nur zu
religiösen Zwecken^) (quae pro collegio pontificum
habentur) zusammengerufenen Komitien vor sich^). Es
ist ein Kultusakt, sagen wir, denn es ist die höchste
Selbstbetätigung seines allgemeinen Volksgeistes, zu
der der Römer es bringt, und schon alles das ist Kultus
und religiöser Natur, worin ein Volk den öffentlichen
Geist feiert, der es durchdringt. Es ist aber auch reli-
^) Gellius, Noct. att., XV, c. 27: ,.In libro Laelii Felicis
ad Q, Mucium primo scriptum est, Labeonem scribere, Calata
Comitia esse quae pro collegio pontificum habentur, aut Regis
Sacrorum aut Flaminum inaugurandonim causa . . . lisdem co-
mitiis quae calata appellari diximus, sacrorum detestatio et
testamenta fieri solebant."
") Es versteht sich bei unserer Auffassung von selbst, daß
wir die von Demburg auf einem anderen Wege gut ent\\'ickelte
Ansicht teilen, in der Komitienforra dieser Testamente eine
bloße Soiennität, ohne Abstimmungsrecht des Volkes, zu
erblicken, eine Ansicht, von der Gans mit Unrecht wieder
abgegangen ist.
*) Hierin also liegt der organische Grund des öffent-
lichen Testierens in den Komitien, nicht in dem „Beweis mo-
ralischer Selbständigkeit," den Jhering (Geist des römischen
Rechtes, T. II, Abt. 1, S. 13) in der öffentlichen Testa-
mentserrichtung erblicken zu wollen erklärt. Die öffentliche
und die geheime Testamentserrichtung kann derartige Wir-
kungen haben, daß die erstere die moralische Selbständig-
keit, die zweite die Feigheit begünstigt — weiter als zum
Begünstigen ist selbst in den Wirkungen dies Moment
nicht zu führen, und nie wird ein Volk aus solchen Einrich-
tungen Selbständigkeit oder Feigheit empfangen, wenn sie
nicht zuvor im Volksgeist liegt — ; aber niemals ist in sol-
chen verständigen Reflexionen und pädagogischen Selbsterzie-
hungsmotiven der Grund für die Einrichtungen eines Volkes
zu erblicken, der vielmehr nur aus der organischen Funktion
des Institutes im Volksgeist abgeleitet werden kann.
205
giöser Akt im intensivsten Grade, denn was der Römer
hier feiert, ist ja nichts anderes, als diese spezifische
Selbstgewißheit des römischen Geistes, diese inten-
sivste religiös -metaphysische Grundanschauung des-
selben, sich in dem Erben über den Tod hinaus die blei-
bende Fortexistenz seines Willens zu geben.
Weil aber doch jeder einzelne Testamentsfall immer
nur ein einzelner bestimmter Gebrauch von der Testa-
mentsfähigkeit, und insofern also Privatsache ist, so
kann die Anfertigung des Testamentes zwar auch privatim
erfolgen und die Leichtigkeit dieses Modus das testa-
mentum calatis comitiis verdrängen. Dann aber tritt das
Bewußtsein, daß das Testament ein Ausfluß des öffent-
lichen Geistes sei, sowohl in der symbolischen Anrede
,,Quirites" an die das Volk repräsentierenden fünf
Zeugen^) hervor, als durch die solennelle Formel des
familiae emptor : ,,. . . quo tu jure testamentum facere
possis secundiim legem piiblicam-)" ; endlich aus den Re-
siduis der religiösen Gebräuche^).
1) Bereits Dernburg (a. a. O., S. 23, Note 21) hat die
Bemerkung gemacht, daß diese Anrede vom testamentum ca-
latis comitiis herrühre.
2) Gajus, II. § 104.
^) Bekannt ist der Gebrauch, die Testamente in den Tem-
peln, und zwar in dem größten Heiligtume Roms, dem Ve s t a -
tempel, aufzubewahren; s. Tacitus, Annal., I, Kap. 8; Sue-
tonlus, Caes., 83; Ulpian, L. 3, § 3. de tab. exh. (43. 5):
..Proinde et si custodiam tabularum aedituus vel tabularius
suscepit." — ■ In bezug auf das aes bei dem Testament per
aes et libram mag es für die ursprünglich religiöse Bedeutung
desselben (wie für die eherne Wage) hinreichen, auf die
Stelle des Macrobius, Saturn.. V, Kap. 19, S. 135 fg., hin-
zuweisen, welche beginnt: „Omnino autem ad rem divinam
pleraque aenea adhiberi solita sunt, multa indicio sunt ; et in
his maxime sacris quibus delinire aliquos aut devovere etc.'"
206
Hieraus folgt sofort ein Weiteres. Die Willensfort-
fortdauer ultra mortem, welche das Wesen des l esta-
mentes ausmacht, und die Willensidentifikation
zwischen Erblasser und Erben, durch welche sie bewirkt
wird, indem ein anderes Ich als das fortdauernde
eigene Ich gesetzt wird, beruht also mcht auf dem
Konsens des bloßen Privatwillens zwischen Erben
und Erblasser, welcher bloße Privatwille vielmehr zur
Hervorbringung eines so metaphysischen Aktes ganz un-
fähig wäre, sondern diese Identifikation schöpft ihre
Kraft, die Kraft, sich hervorzubringen, wie schon alles
Bisherige zeigte, nur aus dem geistigen Wesen des
gesamten Volkes, aus dem Wesen des öffentlichen
Geistes somit — und also aus der Solennität der
Formel des öffentlichen Rechtes, welche diese
Identifizierung erst bewirken soll.
Schön läßt diese Produktivkraft der Formel der
Kirchenvater Clemens von Alexandrien hervortreten in
einer Stelle-^), die wir schon oben berührt haben. So
gequält auch in den Einzelheiten sein Vergleich ist zwi-
schen dem biblischen Zusammentreffen Jesus mit dem
Täufer und dem Akt des römischen Manzipationstesta-
mentes, so geht doch schon selbst durch diesen Vergleich
der beiden gemeinschaftliche Atemzug hindurch, daß es
sich in jenem Zusammentreffen wie in der Handlung
dieses Testamentes um geistige Fortsetzung eines
Individuums durch ein anderes, und zwar um eine gegen-
seitige Anerkennung ihrer in diesem geistigen Fort-
setzungsverhältnis handelt. Wenn der Kirchenvater also
das biblische Begegnen Jesus mit dem Täufer, weil dieser
ihn als seinen größeren und vorher verkündeten geistigen
1) Strom. V. c. 8. p. 574. ed. Syll.
207
Fortsetzer, den er deshalb nicht taufen könne, für eine
symbolische Darstellung desselben, was in
dem römischen Testament per aes et libram ge-
schehe, erklärt, so zeigt sich darin- allerdings, wie
sich der alte Kirchenvater ein weit tieferes Verständ-
nis des römischen Manzipationstestamentes gerettet hat,
als alle Juristen miteinander^). Besonders aber zwei
Punkte sind es, die bei seiner hierauf folgenden Dar-
stellung dieses Testamentes von Interesse sind.
Clemens sagt : symbolisch {kxxaXvxpag ri]v ewoiav rä>v
ovjußöXcov) habe hier das bei den Römern in dem Testa-
^) Und beiläufig: wenn Clemens das „historische" Zu-
sammentreffen des Täufers mit Jesus (Matth. 3. 14), des
letzteren Verlangen, von ihm getauft zu werden, des Täufers
Weigerung, weil er vielmehr nicht würdig sei, Jesus die
Schuhriemen aufzulösen, für eine „symbolische Darstel-
lung" {ixxaXvyjag rrjv evvoiav tmv ovjußokcov) dessen erklärt,
„was bei den Römern in ihrem Testament ge-
schieht," also für eine symbolische Darstellung der
geistigen Fortsetzung, welche der Standpunkt Jesus zu
dem Standpunkt des Täufers bildet, und der gegenseitigen
Anerkennung als solche, — wie weit ist denn da der Kir-
chenvater noch von Bruno Bauers Evangelienauffassung ent-
fernt? Worin unterscheidet sich seine Auffassung hierbei von
der Auffassung dieses Zusammentreffens bei Bruno Bauer,
Kritik der Synoptiker, I, 240 fg., welcher dasselbe auf die
ideale Wahrheit zurückführt: „Nachher, aus der Kraft ihres
Selbstbewußtseins heraus, können und werden immer die Spä-
teren die Mächte, die auf dem Schauplatz ihrer Tätigkeit
galten, anerkennen und als ihre Vorläufer zu wür-
digen wissen." Aber dieses „ideale Zusammentreffen des
Früheren und des Spätergekommenen in der Erinnerung und
Anerkennung des letzteren genügt dem religiösen Bewußtsein
der Gemeinde nicht," weshalb dieselbe In ihrem Pragmatis-
mus diesen Inneren Zusammenhang In einen geschichtlichen
Vorgang verkehren müsse.
208
ment Geschehende platzgegriffen xai xä naoä Pco^ualoig
im xcov diaß-tyy.cöv yevoueva zd^iv eiÄi]yj) und schddert
letzteres als in folgende drei Momente zerfallend : „xd
did diy.aioovvrjv exelva C^yä y.al äooaoia, y.aQTiiO[xoi xe, xal
al xcov torcüv sncy^iav oeiq", ,,jene Wagen und Asse,
der Gerechtigkeit halber, dann die Manzipationen, und
die Berührungen (Einströmungen) der Ohren",
und diese drei Momente erklärt er wieder so: „xä ^kv
yciQ, Iva dixaicog yivrjxaf xd de, eig xov xfjg xiui]g uioto-
juov ' xd ö'oTicog 6 Jiaoaxvxdiv, (Lg ßuQOvg xivog avxcS
kjiLXideuhov, eotchg ay.ovotj y.al xd^iv jueoixov Xdßrf\
,,das Erste nämlich (die Wage), damit es gerecht vor
sich ginge; das Zweite (die Asse) zur Teilung der
Ehre (die haben wir schon oben S. 159 betrachtet); das
Dritte aber (die Einströmungen, Berührungen, Strei-
fungen der Ohren), damit der Dabeistehende •'^), wie in-
dem eine gewisse Schwere (Last, Gewicht) auf
ihn eindringe, stehend höre und die Rolle des Mitt-
lers nehme".
Diese Einströmungen der Ohren, diese, wie Cle-
mens nochmals hervorhebt, sinnliche Schwere, mit
welcher das gesprochene Wort der feierlichen
Formel des öffentlichen Rechtes sich wuchtend
auf das Ohr niederläßt und in es ergießt, — dies ist es,
welches zustande bringt, was durch den Akt zustande
gebracht werden soll. Diese Produktivkraft der
Formel ist es, welche ihr wahres, stets übersehenes
Wesen bildet. Nicht als Darlegung des Privatwillens,
als Willenserklärung, kommt sie in Betracht. Dies ist
^) Die Interpretatoren beziehen diesen auf den Antestatus;
vgl. über diesen Priscian, VIII. 4, p. 792, ed. Putsch. ; Lach-
mann in der Zeitschrift für geschichtliches Rechtswesen, XI,
117; Böcking, Pand. d. röm. Privatr., I, 178.
14 LassalU. C«. Sckrifr«. Band XI 209
nur nebenbei der Fall, indem ohne diese Einwilligung
der Sprechende sie nicht sprechen würde. Aber dies ist
nicht ihr Wesen ; denn wo diese Privatwillenserklärung
für sich allein hinreicht, da liegt nicht Formel, son-
dern formlose Willenserklärung vor, d.h. in jeder be-
liebigen Form kaim der Privatwille erklären und er-
reichen, was er für sich allein zu erreichen vermag. Das
Wesen der Formel liegt in jener ihr einwohnenden Pro-
duktivkraft, durch ihre Verlautbarung das zu
wirken und zu bewirken, was dem Konsens der
Privat willen für sich allein zu bewirken unmöglich wäre,
das, was nur aus dem Wesen dieses Volksgeistes folgt,
im vorliegenden Fall die Identifikation zweier Willens-
subjektivitäten. Wie in der Anrufung des Gottes durch
den Priester in der Gemeinde der Gott lebendig wird
und wirksam hervortritt, so tritt der durch die Verlaut-
barung der Formel " angerufene öffentliche Geist dieses
Volkes wirksam und produzierend hervor und bringt zu-
stande, was zustande gebracht werden solP).
^) Diese Produktivkraft der Formel ist, wie aus
dem Obigen von selbst folgt, auch der alleinige und wahr-
hafte organische Grund alles altrömischen For-
melwesens überhaupt, welcher auch noch von dem geist-
reichen Jhering in seiner interessanten Abhandlung über den
römischen Formalismus (Geist des römischen Rechtes [Leip-
zig 1838], T. II, Abt. 2. S. 496-695), nicht weniger als
von seinen Vorgängern, gänzlich unbeachtet gelassen worden
ist. Es muß dies bereits vollkommen durchsichtig sein und
die Bedeutung ganzer Rechtsgebiete und Rechtseinteilungen von
hier aus, als ihrem geistigen Zentralpunkt, in volle Helle tre-
ten. Nur was das Individuum aus seinem bloßen Privatwillen,
aus seiner allgemein-menschlichen, jiaturrechtlichen Willensfähig-
keit hat, d.h. also nur alles, was es ex jure gentium
hat, ist formlos, vom Formelkultus befreit; alles dagegen,
was es nur aus dem Wesen dieses bestimmten Volksgei-
210
Wer sich also an der Formel nicht beteiligen kann,
wer die auf den Erblasser kommende Hälfte nicht
sprechen, die auf den Erben fallende Hälfte nicht
hören kann, der kann, wie konsensfähig er immer sei,
diese Identifizierung nicht hervorbringen, und darum kön-
nen weder der Stumme noch der Taube^) ein Testa-
ment machen.
stes als seinem spezifischen produzierenden Faktor hat, alles
also, was es ex jure Quiritium hat, ist dem Formeldienst
unter^v•orfen — und so ist denn mit diesem einen Satze der
eigentliche Sinn jener Einteilung von jus gentium und jus pro-
prium Romanum, sein inneres Verhältnis zur Einteilung von
jus naturale und civile, das Formelwesen altzivilistischen Rech-
tes, die Notwendigkeit der Formeln bei den quiritarischen
Erwerb&arten, der alte Prozeßformalismus usw., und die Ge-
schichte dieses immer mehr verschwindenden alten Formalis-
mus gegeben. — Die Wahrheit des Gesagten beweist sich aber,
wenn noch ein Bev/eis nötig wäre, auch in folgender Weise :
Alles Formalwesen ist jus, jus in jenem strengen Sinne, in
welchem es die römischen Juristen der voluntas (Privatwillen)
entgegensetzten; das jus in diesem Sinne ist es aber,
welches sie zugleich mit dem jus publicum identifizieren (siehe
die Bd. I, S- 76, Note 1, angegebenen Stellen und Autoren),
und so tritt denn schon hiemach das öffentliche Recht, der
öffentliche Geist, als der in der ihm entflossenen Formel
des Privatrechtes wirkende und produzierende Faktor hervor.
^) Ulpian, Fragm. XX, 13: ,,Mutus, surdus . . . testa-
mentum facere non possunt ; mutus, quoniam verba nuncupa-
tionis loqui non potest, surdus quoniam verba familiae emptoris
exaudire non potest." — Die Tiefe dieses von Ulpian ange-
gebenen, durchaus nicht ,, formalistischen" Grundes, bei richtiger
Auffassung desselben, liegt jetzt zutage, und es ist also durch-
aus irrig, wenn Gans (II, 552) die Worte Ulpians als eine
bloß „äußere" Herleitung bezeichnet und den wahren Grund
darin erblicken will, daß Taubheit und Stummheit ,,auf die
Freiheit des Geistes Einfluß haben" und bei ihnen „die Ver-
mutung einer Geistesschwäche, oder wenigstens die Vermutung
14» 211
So erklärt sich denn jetzt auch, warum Cicero (de
Oratore, I, c. 57), als er dem Redner Anweisung gibt,
wie er zugunsten des von seinem Vater übergangenen miles
das Testament des ersteren umwerfen solle, sagt: ,,. . . vel
si causam ageres militis, patrem ejus, ut soles, dicendo a
mortuis excitasses, statuisses ante oculos, complexus esset
filium, flensque eum centumviris commendasset, lapides
mehercule omnes flere ac lamentari coegisset, ut, totum
illud. uti lingiia nunciipasslt non in XII tabulis, quas tu
Omnibus bibliothecis anteponis, sed in magistri carmine
scriptum videretur." Cicero läßt hier also den Redner
gegen den Satz der zwölf Tafeln angehen: ,,Qui nexum
faciet mandplumque uti llngua nuncupassit , jus esto^'
(s. Festus, v*^ Pec. nunc, Cicero de Offic, II, 16),
während man, wie Dernburg, S. 103, Note 31, meint,
zunächst erwarten sollte, daß er ihn würde gegen den be-
kannten anderen Zwölftafelsatz : ,,uti legassit paterfamilias
etc. jus esto", als die Grundlage des Testamentsrechtes
sich wenden lassen. Allein näher betrachtet, muß Cicero
so verfahren. Der Satz uti legassit rüstet den Testator
nur mit dem materiellen Testamentsrecht, mit der
vorherrscht, daß derselbe (der Taube, resp. Stumme) seinen
■Willen nicht deutlich ausdrücken könne." Aber freilich war
es unmöglich, die Worte Ulpians richtig aufzufassen, solange
man nicht wahrhaft begriff, warum und inwiefern das Testa-
ment juris publici sei, was sich wieder nur aus seiner Grund-
idee ergibt. — Zum Formalismus wird die Unfähigkeit erst,
als das prätorische Testament auch das per aes et libram ver-
drängt hat und allein übrig geblieben ist. Jetzt ist diese Un-
fähigkeit um ihren Sinn gekommen, wird daher von Justinian
nur bei vereinigter Stummheit und Taubheit aufrecht erhalten
und von Ihm so behandelt, daß es ersichtlich Ist, wie er sie
bereits In demselben mißverständlichen Sinne, wie Gans, auf-
faßt; s. L. 10 C. qui test. fac. (6, 22).
212
Befugnis aus, beliebig über sein Vermögen zu verfügen.
Er kann so testieren. Die Kraft aber und Existenz
des gemachten einzelnen Testamentes beruht auf dem
Vollbrachtsein jener Identifikation und somit auf der
sie vollbringenden Formel, also schlechterdings auf
dem uti lingua nuncupassit. Es verhält sich somit mcht
so, wie Dernburg meint, daß aus dieser Äußerung Ci-
ceros ,, nicht undeutlich hervorzugehen scheine, daß es
sehr gewöhlich war, die Kraft eines Testamentes aus
dem Satze uti nuncupassit etc. abzuleiten". Sondern die
Kraft des besonderen Testamentes, sein Dasein, kann
stets und schlechterdings nur, und wir wissen jetzt warum,
auf der die Identität bewirkenden Formel beruhen. Der
Sinn Ciceros ist also : er läßt den Redner die Hörer so
erschüttern, daß es ihnen vorkommt, als wäre dies Testa-
ment gar nicht gemacht worden; nicht aber, als
hätte der Testator die Befugnis nicht gehabt, so zu
testieren. Gegen diese allgemeine Befugnis braucht der
Redner nicht anzugehen, und kann dies, zumal zu jener
Zeit, wo die eben erst in der Ent\vickelung begriffene
querela inofficiosi testamenti noch ganz auf der subjelc-
tiven richterlichen Kognition beruht (s. d. Abhandlung von
Zimmern in seinen und Neusteteis ,, Römisch-rechtliche
Untersuchungen" [Heidelberg 1821j, S. 48fg.), auch gar
nicht mit einer Aussicht auf Erfolg tun. — Durch die
vorstehenden Bemerkungen ist aber — so sehr schlagen
im römischen Recht formales und materielles Recht von
selbst ineinander um — zugleich die ganze Entstehung,
Bedeutung und Entwicklung der querela inofficiosi testa-
menti klar geworden. Diese charakterisiert sich eben da-
durch, daß nicht die Befugnis des Testators angegriffen,
sondern wegen der Unbilligkeit dieses Willens faktisch
bezweifelt wird, daß das Testament Ausdruck eines wahr-
213
haften Willens sei (L. 2 u. 5 de inoff. lest., 5,2:
,,. . . quasi non sanae mentls fuisse, quum testamentum ini-
que ordinaret"). Das Gemachtsein eines wahren Te-
stamentes wird also in Abrede gestellt. Hierdurch erklärt
sich, wie selbst in jener Zeit, wo bereits das Pflicht-
teil eingeführt ist und das Testament durch die Berück-
sichtigung desselben gegen die Inoffiziositätsquerel ge-
schützt wird, dennoch die bei Nichtberücksichtigung des
Pflichtteiles siegreiche Inoffiziositätsklage nicht die Er-
gänzung und Verabreichung des Pflichtteiles, sondern
konsequent das Nichtdasein eines wahrhaften Testa-
mentes und somit die — vielleicht zugunsten eines anderen
als des obsiegenden Klägers eintretende — Intestaterb-
folge nach sich zieht (s. Ulpian, L. 6, §1, h. t. : ,,Si
quis ex bis personis, quae ad successionem ab intestato non
admittuntur, de inofficioso egerit [nemo enim eum repellit]
et casu obtinuerit, non et prosit victoria, sed his qui habent
ab intestato sucessionem, nam intestatum patrem fa-
milias facit"). — Als Justinian dies abändert und ver-
fügt (Inst.. § 3 de inoff. test. 2, 18. — L. 30, § 2, L. 36
C. h. t., 3, 28), daß bei nicht vollständiger Hinterlassung
des Pflichtteiles bloß dieses ergänzt, das Testament aber
bestehen bleiben solle, so ist hierdurch — so notwendig
die Inoffiziositätsquerel diese Entwicklung auch haben
mußte — das testamentarische Erbrecht jetzt erst seinem
Begriffe wahrhaft entfremdet und eine Schranke
für die Befugnis des Testators und gegen das Recht
des Erben (dessen, der auch Erbe bleibt) gezogen
worden. Denn selbst die Einführung des Pflicht-
teiles, solange dies noch nicht erzwingbar ist, sondern
seine Verletzung nur das Testament umstößt — - womit
also auch der eingesetzte Erbe überhaupt fort-
fällt — , hat noch nicht die Bedeutung, die Befugnis
214
der testierenden Willensfreiheit und die Fortsetzung seiner
Totalität durch den Erben zu beschränken, sondern nur
diese, durch die Verabreichung der legitima den objek-
tiven Beweis von der normal -menschlichen Beschaffen-
heit des testierenden Willens, den Beweis gegen die Ver-
mutung ,, quasi non sanae mentis" und somit von dem
Dasein eines wahrhaften Testamentes zu geben. In-
dem jetzt aber auch der gültig eingesetzte Erbe,
d.h. der als solcher bestehen bleibt, von dem Ver-
mögen des von ihm fortgesetzten Testators gegen dessen
Willen abgeben muß, ist jetzt der gesamte spekulative
Erbrechtsbegriff zugrunde und, wie wir dies überall bei
Justinian gesehen haben und weiter sehen werden, in
menschliche Billigkeit untergegangen.
Wegen dieses bloß faktischen Zweifels, welchen
die Inoffiziositätsquerel darstellt, muß, wenn der Zweifel
selbst wieder zweifelhaft wird, die Vermutung zu-
gunsten des Testamentes ausschlagen, d.h. so erklärt es
sich, daß wenn, wie leicht vorkommen kann, der Intestat-
erbe gegen den einen Testamentserben vor den centum-
viris obgesiegt hat, gegen den anderen aber unterlegen ist,
die Entscheidung zugunsten des Testamentes die gegen
dasselbe ergangene besiegt und auch nicht einmal eine
teilweise Reszission des Testamentes stattfindet (s. Mar-
cellus, L. 10 de inoff. test. [5, 2]) : ,,Sie pars judicantium
de inoff icioso testamento contra testamentum, pars secun-
dum id sententiam dederit, quod interdum fieri solet, huma-
nius erit, sequi ejus partis sententiam quae secunaum te-
stamentum spectavit." Das ,,humanius erit" wäre für un-
sere heutige Anschauung unbegreiflich, da es nach uns
humaner gerade wäre, die Familie nicht zu enterben.
Aber der Römer findet es, da die Querel nicht die Rechts -
befugnis des Toten, sondern seine Willensintegrität an-
215
tastet, ganz konsequent humaner, in diesem Falle des
Zweifels dem Toten die Ehre der Annahme seiner Willens-
integrität nicht zu versagen. — Daß auch nicht einmal
eine teilweise Reszission des Testamentes erfolgt, hat
nicht etwa seinen Grund in der Regel : Nemo pro parte
testatus, pro parte intestatus etc. Denn einen Fall gibt
es allerdings, wo diese teilweise Reszission des Testa-
mentes eintritt — dann nämlich, wenn es der filius fa-
milias war, der gegen den einen Testamentserben siegte
und gegen den anderen unterlag. Papinian, L. 15, § 2 h. t. :
,, Filius qui inofficiosi actione adversus duos heredes ex-
pertus diversas sententias judicum tulit, et unum vicit, ab
altero superatus est, et debitores convenire et ipse a cre-
ditoribus conveniri pro parte potest, et corpora vindicare
et hereditatem dividere ; verum enim est, familiae ercis-
cundae Judicium competere, quia credimus eum legitimum
heredem pro parte esse factum ; et ideo pars hereditatis
in testamento remansit. Nee absurdum videtur, pro parte
intestatum videri"
Bei dieser absoluten Nähe der Personen, bei dieser
natürlichen Identität, die den Testator mit dem filius
verbindet, kann, wenn derselbe gegen den einen Erben
einmal durchgedrungen ist, dieser Zweifel am testie-
renden Willen nicht mehr vsie beim gewöhnlichen Intestat-
erben durch sein Unterliegen gegen den anderen heres er-
schüttert werden. Ebenso große Kraft hat aber noch der
Erbbegriff, und der einmal als gültig ein-
gesetzt anerkannte Erbe kann gleichfalls von
keinem mehr überwunden werden. Hier platzen
also die Gegenstände der natürlichen Identität und der
abstrakten Willensidentität in ihrer größten Kraft auf-
einander, und da keiner weichen kann, bleibt nichts übrig,
als sich zu teilen. In diesem Falle aber entsteht nun die
216
Frage : Wie verträgt sich dies mit der Regel nemo pro
parte? Die Erklärung, die Gans, II, 461, hiervon gibt
— um anderer hier zu geschweigen — , ist nicht richtig.
Denn wäre sie dies, so müßte sie notwendigerweise dazu
führen, dies auch auf die Querel jedes Intestaterben, nicht
bloß des filius, anzu\venden, während hier, wie wir eben
aus Marcellus sahen, das Gegenteil stattfindet. Auch ^vürde
sie innerlich nur auf die Erkämpfung eines Pflicht-
teiles durch den Intestaterben, nicht aber auf die Er-
streitung des Erbrechtes anwendbar sein. Allein hier
kann diese Frage nur aufgeworfen und auf ihre bisherige
Nichtlösung aufmerksam gemacht werden. Ihre wahrhafte,
mit dem faktischen Charakter der Querel völlig in Ver-
bindung stehende Lösung kann und wird sie erst nach der
Erörterung des Suitätsbegriffes empfangen.
Indem jetzt aber durch die angezogenen Verordnungen
Justinians auch der gültig eingesetzte Erbe, der
als solcher bestehen bleibt, wenn nur irgendein Teil
der legitima hinterlassen wurde, vom Vermögen des von
ihm fortgesetzten Testators ohne dessen Willen ab-
geben muß, wird jetzt also der aufrechtbleibende
Erbe vom Pflichtteilsberechtigten überwunden. Aber
noch bis in diesen Verderb des Begriffes hinem setzt sich
der fgiktische Charakter der Inoffiziositätsquerel und die
obige Auffassung des Pflichtteiles als eines Beweises
von dem Dasein eines normalen Willens beim Testator
deutlich fort. Denn nur wenn der Testator, indem er dem
Pflichtteilsberechtigten gar nichts hinterließ, einen ganz
unnatürlichen Willen bekundet hat, soll das alte Recht be-
stehen bleiben und die Inoffiziositätsklage das Testament
umstürzen; hat er dagegen dem Legitimar nur einiges
hinterlassen und so doch einen Beweis von der Normali-
tät seines Willens gegeben, so soll die Inoffiziositätsklage
217
ausgeschlossen und nur die actio ad supplementum
legitimae zulässig sein (de inofficioso querela quiescente
id quod iis deest etc. Inst., § 3, h. t. ; L. 30, § 2 ; L. 35,
§ 2 C. h. t.).
XI. Fortsetzung der Bedingungen der testa-
mentifactio. Der filius. Die Pubertät.
Daß der filius familias nicht testieren kann, da er noch
gar keine selbständige Willenssubjektivität darstellt, diese
sich vielmehr in der Gewalt eines anderen befindet, würde
hier als selbstredend gar keine Erwähnung verdienen. Was
dagegen Erwähnung verdient, ist, daß auch nicht einmal
die Genehmigung des väterlichen Gewalthabers ihm diese
Fähigkeit verleihen kann. (Gajus, L. 6 pr. h. t., 28, 1 :
,,Qui in potestate parentis est, testamenti faciendi jus non
habet, adeo ut quamvis pater ei permittat, nihilomagis tamen
jure testari possit.") Es spricht sich hier wieder auf das
deutlichste aus, daß das Testament etwas ganz anderes
als eine Vermögensverlügung ist. Zu Vermögens-
handlungen kann der Vater den Sohn ermächtigen, z. B.
zur Kontrahierung von Anleihen trotz des SC. Macedonia-
num (vgl. Bd. I, S. 485fg.)^), wie ja auch sein Wille
^) Oder zu Schenkungen, zu denen er ihn ebenso gut
vorher ermächtigen, kann, als, wenn sie ohne seinen Willen
geschehen sind, sie nachträglich (vgl. dagegen die folgende
Note) ratihabieren kann (s. Cicero, De legg., II, 20, p- 312,
Mos. ; Julian, L. 2 pr. und § 1 de donat., 39, 5 ; Ulpian,
L. 7 pr. und §§ 1, 2 eod. tit.). Ja, auch zur Schenkung
von Todes wegen — denn auch diese ist nur eine Ver-
218
und Recht allein hier in Betracht kommt ^). Aber auch
die väterliche Gewalt, so unbeschränkt sie ist, hat ihre
Grenzen an der Logik. Testieren ist der absoluteste
mögensverfügung — kann ihn der Vater ermächtigen, wie Ul-
pian (L. 7, §§ 4 u. 5) ausdrücklich sagt (quamvis enim ex
patris voluntate mortis qiioque causa donare possit), und es
tritt hier also der jeder Vermögensverfügung fremde idealistische
Charakter des Testamentes handgreiflich hervor.
^) Noch deutlicher vielleicht tritt dieser Unterschied beim
Erbschafts erwerb hervor. Der Vater kann den vom filius
familias ohne seinen Willen vorgenommenen Erbschaftsantritt
nicht nachträglich ratihibieren (L. 25, § 4 de acqu. vel om.
her., 29, 2) ; denn sich als Erbe konstituieren, heißt die Iden-
tifikation der eigenen Willenssubjektivität mit einer fremden
vornehmen. Der Erbe muß also vor allem ein eigener und un-
abhängiger subjektiver Wille sein. Der Vater kann also durch
den ihn repräseijtierenden Sohn die Adition der Erbschaft vor-
nehmen, die dann ihm erworben wird. Aber dann muß sein Be-
fehl vorausgehen (jussum ejus . . . praecedere debet). Ist
dies nicht geschehen, so vermag das Privatrecht des Vaters nicht
ex post zu bewirken, daß der Sohn hatte, was er nicht hatte,
eine selbständige Willenssubjektivität. Die Identifikation der
Willen, d. h. die Adition, ist also gar nicht eingetreten, und es
ist, als wenn nichts geschehen wäre. — Umgekehrt kann bei
der bonorum possessio, weil diese eben keine solche Iden-
tifikation von zwei subjektiven Willen, sondern einen bloßen
Vermögenserwerb darstellt, die ohne Wissen des Vaters oder
Herrn vorgenommene Agnition allerdings nachträglich
ratihabiert werden (L. 6, § 1 eod. tit. : ,,Sed in bonorum
pKJssessione placuirt, ratam haberi posse eam, quam citra volunta-
tem agnovit is, qui potestati subjectus est." Ulpian, L'. 3, § 7 de
bon. poss., 37, 1). Die Schulden der Erbschaft werden aber
bei der bonorum possessio wie bei der hereditas übernommen,
und es zeigt sich daher, daß die ständige Angabe der Autoren,
Kind oder Sklave könnten nur deshalb nicht ohne Wissen des
Gewallhabers eine Erbschaft antreten, weil sie ihn nicht ohne
seinen Willen mit Schulden belasten können, falsch ist.
21 Q
Akt des menschlichen Willens, denn es heißt im römischen
Sinne eben nicht über besondere Vermögensgegenstände
verfügen, wozu ihn der Vater autorisieren könnte, sondern
einen anderen, den Erben, zum Repräsentanten der eigenen
allgemeinen Willenssubjektivität machen. Der Sohn ist
aber eben dies, noch keine selbständige Willenssubjektivi-
tät zu sein. Der Vater kann ihm dieselbe geben — so
entläßt er ihn aus der väterlichen Gewalt. Was er aber
nicht kann, ist ihm dieselbe zugleich geben und zu-
gleich vorenthalten, imd dieser Widerspruch würde
also vorliegen, wenn er ihn ohne Emanzipation zum Te-
stieren ermächtigen wollte.
Wie aber der Sohn keine Willenssubjektivität hat, weil
sich dieselbe in der Gewalt des Vaters, so hat der Ver-
schwender keine, weil sich dieselbe in der Gewalt der sinn-
lichen Gegenständlichkeit befindet und also ebensowenig
ein selbständiges, geschlossenes Ich darstellt. Der Ver-
schwender muß deshalb unfähig sein, und es ist daher ge-
rade sehr spekulativ, ihn als einen solchen hinzustellen, der
tatsächlich gleichsam ,, seines Geistes nicht mächtig
(mentis suae non compos) wäre^).
1) L. 12. § 2 de tut. et cur. (26, 5). Mit Unrecht also
nennt Gans, II, 155, diese Auffassung des prodigus, als eines
partiell Wahnsinnigen, einen , .äußeren" Grund, der wie immer
im römischen Recht für das an und für sich Wahre noch
dazu gefunden werden müsse, welches Wahre er in der Sorgfalt
des Staates erblicken will, daß ,,der Wohlstand und das Glück
der Familien nicht durch Verschwendung untergraben werde."
Diese äußere Sorgfalt für den Wohlstand der Familie kann
nicht der Grund der Testierunfähigkeit des prodigus in Rom
sein, d. h. in einem Staate, wo nicht nur das unbedingteste
Enterbungsrecht gegen die Familie gesetzlich bestand, sondern
auch überaus häufig ganz grundlos von diesem Rechte Gebrauch
gemacht wird. (Es reicht hin, das Zeugnis der Institutionen an-
220
Daß der impubes testamentsunfähig ist, „quoniam non-
dum plenum Judicium animi habet ■^)', scheint ganz selbst-
redend zu sein. Aber dies scheinbare Licht verwandelt
sich sofort in völlige Dunkelheit, wenn nun auf das Wesen
der Pubertät eingegangen und weiter gefragt wird, warum
denn die geistige Reife an das Alter der physischen
Zeugungsfähigkeit geknüpft und diese zur Bedmgung
der Testierfähigkeit — und aller Handlungsfähigkeit über-
haupt — gemacht wird. Man hat sich bisher begnügt,
die Tatsache zu konstatieren, daß ,,das römische
Recht, soweit historische Nachrichten aufwärts reichen,
annimmt, mit der Geschlechtsreife sei zugleich auch
der volle Vemunftgebrauch wirklich vorhanden^)",
ohne die innere Quelle dieser Anschauung aufzu-
suchen^), und auffällig fast ist es, daß selbst denen,
die sich besonders mit dem Einfluß der griechischen Philo-
sophie auf das römische Recht beschäftigt haben, der hier
so deutlich vorliegende Zusammenhang entgangen ist. Der
zuführen: Quia plerumque parentes sine causa liberos suos
vel exheredant vel omittunt etc. Inst. pr. de inoff. test-, 2, 18.)
Die Testamentsiinfähigkeit des prodigus hat daher ihren inneren
Grund in dem Obigen, und dieser hat seinen äußeren Ausdruck
darin, daß dem prodigus sogar das commercium abgeht, was
wieder nur ein Ausfluß der ihm gänzlich fehlenden Willens-
subjektivität ist; s. Ulpian, Fr. XX, § 13.
^) Ulpian. Fr. XX. § 12; vgl. Gajus. Comm.. II. § 113;
Paulus, III. 4. A. § 1.
^) Savigny, System, III, 24 u. 54 — 68; Böcking, Pandekten
des römischen Privatrechtes (Bonn 1853), I, 152.
^) Dagegen wirft Savigny, a. a. O., S. 68, die andere
Frage auf: ,,Wie kam man überhaupt auf das Alter von
vierzehn Jahren als Zeitpunkt der Pubertät? Dieses könnte
zusammenhängen mit der alten Lehre griechischer Phi-
losophen von der Wichtigkeit der Zahl Sieben, so
daß die Jahre der Impubertät genau den doppelten Zeitraum
221
Vater dieser geistige*:! Anschauung ist nämlich kein anderer
als Herakleitos, der Dunkle von Ephesus, welcher auch
das Alter der Geschlechtsreife auf vierzehn Jahre
fixierte, und bei welchem dieser Gedanke der mit der
Zeugungsfähigkeit gegebenen geistigen Reife
nichts anderes als die notwendige und von ihm selbst ge-
zogene und weiter entwickelte Konsequenz seines systema-
tischen Grundgedankens war. Wir haben über den gei-
stigen Inhalt dieser physisch-ethischen Anschauung Hera-
klits anderwärts ausführlich gehandelt^) und können hier
nur darauf hinverweisen. Hier muß es genügen, an das
Resultat der dortigen Entwickelung kurz zu erinnern. Alle
Vollendung bestand dem Ephesier, wie wir daselbst sagten,
, ,nur in der Tätigkeit des SichselbstherVor-
bringens", in der Tätigkeit eines jeden, sich zu dem
,,zu machen, was es an sich schon ist" — diesem
wahren Inhalt des heraklitischen Bewegungsprinzipes. Dies
Prinzip durch das gesamte natürliche und geistige Uni-
versum hindurchführend, kam, wie wir dort zeigten, Hera-
kleitos notwendig zu der Konsequenz, wie die Vollendung
der Pflanze, so auch die Vollendung des Menschen, die
der Kindheit ausfüllen sollten." Allein Savlgny selbst ver-
wirft diese auf pythagoräische Philosopheme zurückgehende
Vermutung als unhaltbar. Durch die im Texte folgende Auf-
lösung erklärt sich auch die Fixierung auf vierzehn Jahre
zugleich mit dem geistigen Gehalt und Ursprung der Ver-
knüpfung von Geschlechts- und Verstandesreife von selbst.
^) S. unsere ,, Philosophie Herakleitos des Dunklen von
Ephesos" (Berlin 1858), II, 189—192 u. 636fg.; vgl. S.260fg.,
woselbst auch die Beweisstellen zu dem Obigen. — Es mag
hier noch beiläufig bemerkt werden, daß auch die Zahl der
dreißigjährigen heraklitischen yeved (s. das.) den Römern nicht
fremd ist; s. Varro ap. Censorinum de die nat., c. 14 und
Servius ad Virgil. Aen., IV, 653.
222
geistige Reife — die „Einsicht des Guten und
Bösen und der Belehrung darüber^)" — an die
erlangte Fähigkeit zu knüpfen, „sich auch selbst fort-
zeugend wieder hervorbringen zu können' , und sie
daher mit dem vollendeten vierzehnten Jalire als dem von
ihm angenommenen Zeitpunkt der Samenabsonderung ein-
treten zu lassen. Die Entstehung und der ursprüngliche
Gedanke der Verknüpfung von physischer Zeugungsfähig-
keit und Vernunftreife ist also, ebenso wie der Urheber
der vierzehn Jahre, in unzweifelhafter Weise nachgewiesen.
Wie dieser Gedanke, daß der Mensch dann vollendet,
seinem Begriff entsprechend, oder, wie die heu-
tige Philosophie etwa sagen würde, zu seinem wahrhaften
Fürsichsein gelangt sei, wenn er zu der Fähigkeit der
Selbstverwirklichung gekommen ist. sich selbst als
das zu setzen, was er an sich ist, wenn also das Er-
zeugte (das Kind) sich selbst wieder als einen Er-
zeugenden darstellen und hervorbringen kann, — wie
diese Anschauung durchaus geeignet dazu war, auch da,
wo sie um jeden Zusammenhang mit ihrer systematischen
Gedankengrundlage und somit um jedes innere Verständ-
nis gekommen, dennoch die weiteste Verbreitung und den
leichtesten Eingang bei den antiken Völkern zu finden,
ist aus dem objektiven Geiste dieser Völker^) von selbst
klar. Entsprach er doch völlig der Gesinnung der Völker,
welche in dem Leben für den Staat und darum in der
^) Wie Plut. Plac, V, 24, von ihm und den ihm in dieser
v.'ie in jeder Hinsicht folgenden Stoikern berichtet; siehe
a. a. O.
^) Sehr gut stellt Böcking, Pandekten, I, 152, unter Be-
ziehung auf Grimms Deutsche Rechtsaltertümer, S. 447, der
römischen Pubertät die deutsche ,, Mündigkeit" entgegen, welche
„die Reife des Willens, vermöge welcher die Person sich
223
Fortzeugung des Geschlechtes die sittliche Bestimmung
des Individuums sieht ; stellt er doch selbst nur das ge-
dankenmäßige Bewußtsein über die dunkle Vorstellung
dar, welche schon im orientalischen Altertum in der Ehe-
und Kinderlosigkeit eine Schande • — • eben die Schande,
dem eigenen Begriffe nicht zu entsprechen — erblickt.
Wenn daher einleuchtet, wie sich dieser Gedanlce seine
Aufnahme auch im Rechte erobern und als Norm mensch-
licher Vollendung auch zur Norm der juristischen Hand-
lungsfähigkeit im allgemeinen werden konnte, und mit
welcher echten und strengen Gedankenkonsequenz die Sa-
binianer, mit der normativen Bestimmung der vierzehn
Jahre sich nicht begnügend, die individuelle Unter-
suchung der geschlechtlichen Reife des pubes forderten,
so ist die noch ganz besonders angemessene Beziehung,
in welcher dieser Gedanke zur römischen Testaments-
fähigkeit steht, nicht weniger klar. Was in der E r b -
einsetzung vor sich geht, ist, nach unserer Entwicke-
limg, ganz dasselbe was in der Zeugung. Die Her-
vorbringung des eigenen Ich Ist es, die in beiden
geschieht, dort die geistig- willkürliche, hier die
natürliche. Nichts konsequenter daher, als daß die
Erlangung der realen Fähigkeit, das eigene Ich hervor-
bringen zu können, auch als Bedingung für seine v/lllkür-
liche Hervorbringung auftritt.
selbst zu schützen vermag, ausdrückt." Wie deutlich tritt
hier wieder die Geistesrichtung der germanischen Welt auf das
Besondere der Person, in ihrem Verhältnis zu anderen beson-
deren Persönlichkelten, im Gegensatz zu der objektiven Gesin-
nung der Alten hervor.
224
XII. Fortsetzung der Bedingungen der testa-
mentifactio. Das Wissen.
Allein wenn die Erbemennung die geistige Hervor-
bringung des eigenen Ich ist, so hat sie noch eine andere
Bedingung, denn wie alles Geistige muß sie dann ihre
Wurzel im Wissen haben.
Wenn man daher hier nachliest, was wir oben in der
Abhandlung über die faktische und Rechtsunwissenheit,
über das Wissen desjus suum als der einfachen Inner-
lichkeit des Individuums auseinandergesetzt haben
(s. Bd. I, S. 196 fg., und S. 199, Note 2), so wird die
unbedingte Notwendigkeit evident sein, weshalb jeder Irr-
tum und jedes Zweifeln über das Jus suum alle Testier-
fähigkeit aufheben muß. Denn diese einfache Inner-
lichkeit ist es ja eben, welche durch die Ernennung des
Erben fortgesetzt werden soll, ohne die Gewißheit über
das jus suum aber gar nicht da, sondern in Bewußt-
losigkeit zerflossen ist. Denn: Innerlichkeit oder
Subjektivität heißt nicht Sein, sondern Fürsich-
sein, Wissen seiner selbst. Ohne dies Sichselbst-
wissen ist also diese Spitze der Subjektivität, die in
sich reflektierte Innerlichkeit, gar nicht vorhanden, welche
gerade auf den Erben durch seine Einsetzung übertragen
werden soll. Und da das Wissen ebenso ausgeschlossen
wird von der Ungewißheit, wie von der objektiven
Unwahrheit, so muß hier der Zweifel ganz ebenso
wirken, vv'ie der Irrtum.
Paulus, L. 14 qui test. fac. (28,1): „Qui in testa-
mento domini manumissus est, si ignorat dominum de-
cessisse, aditamque ejus esse hereditatem, testamentum fa-
cere non potest, licet jatn paterfamilias et sui juris est;
nam qui incertus de statu suo est, certam legem testa-
15 Lassallc. Ges. Sc'nrift«n. Band XI. 225
mento dicere non potest" Ulpian, Fr. XX, § 11 : ,,Qui
de statu suo inceHus est, fac ita, quod pater jseregre
rriörtuo, ignorat, se sui juris esse, testamentum facere non
potest."
Ulpian, L. 15 D. h. t. : ,,De statu suo dubitantes vel
errantes testamentum facere non possunt etc."
Wenn irgend etwas, so zeigt wiederum dieser Unfähig-
keitsgrund, der nach der bisherigen Auffassung des Erb-
rechtes eigentlich schlechthin unerklärlich bleiben mußte,
auf das deutlichste, wie weit entfernt das römische Testa-
ment davon ist, seinem Begriffe nach eine Verfügung über
das Vermögen zu sein. Denn zu gültigen Vermögens -
handlungen ist das Individuum durch den Mangel dieser
inneren Gewißheit seiner selbst durchaus nicht un-
fähig^), und Paulus hebt deshalb mit Recht scharf her-
vor, daß auch der Unwissende dennoch bereits durch das
objektive Faktum sui juri ist. Aber eben weil die Erb-
einsetzung keine Vermögensverfügung, sondern die Fort-
setzung der eigenen Willenssubjektivität ist, welche ohne
diese Spitze des individuellen Fürsichseins gar nicht vor-
handen ist, kann sie ohne dieses innere Wissen von sich
selbst, weil nicht vorhanden, auch nicht übertragen wer-
den, oder, \vie dies Paulus charakteristisch ausdrückt, eine
„certa lex" dem Testament nicht geben.
^) So wenig unfähig, daß der Irrtxim darin sogar, wie der
Rechtsirrtum, in der Regel schädlich ist, das Individuum
also an seine Handlung gebunden bleibt; s, L. 3 pr. de ign.
jur. et facti (22. 6) ; L. 2, § 7 de jure fisci (49, 14) ;
vgl. Bd. l S. 195—205.
226
XIII. Unzulässigkeit der ungewissen Erbein-
setzung. Die kaptatorische Einsetzung. Die be-
dingte Einsetzung. Die objektive und die Wil-
lensbedingung.
Da es aber die eigene Willenssubjektivität des Testa-
tors ist, welche im Erben sich selbst fortsetzt, so er-
fordert gerade die Unbeschränktheit des Willens die
Beschränkung, daß der Testator die Erbeinsetzung
nicht von einem fremden Willen abhängig machen
kann, daß er also, ebensowenig, wie er — was eigentlich
erst zur Betrachtung der Erbfähigkeit gehört — den-
jenigen zum Erben einsetzen kann, den ein Dritter wollen
wird, einen bestimmten Erben unter der Bedingung ein-
setzen kann, daß ihn ein Dritter wollen wird. Denn durch
diesen dritten Willen wäre die geschlossene Identität zwi-
schen Erblasser und Erben nach beiden Seiten zerstört ;
die Fortsetzung des subjektiven Willens des Erblassers
wäre jemand übertragen, der nicht der Erbe ist, und der
Erbe wäre der Träger eines anderen als des erblasse-
rischen Willens. Der erblasserische Wille würde sich so
setzen und verleugnen zugleich.
Gajus^): ,,Illa institutio : Quos Titius voluerlt ideo
vitiosa est, quod alleno arbltrio permissa est, nam satis
constanter veteres decreverunt testamentorum jura ipsa per
se firma esse opertere, non ex alieno arbritrio pendere."
Pomponius^): ,,Atquin si quis ita scripserit: si Titas
voluerlt, Sempronius heres esto, non valet institutio."
Hieraus leitet sich von selbst auch die Ungültigkeit der
kaptatorischen Einsetzungen ab. Ungültig ist jede Ein-
1) L. 32 de her. inst. (28, 5).
2) L. 68 eod. tit.
227
Setzung, die an die Bedingung geknüpft ist, daß der ein-
gesetzte Erbe wiederum den Erblasser selbst, oder auch
einen Dritten zum Erben einsetze^). Es ist von Inter-
esse, sich ganz klar zu machen, warum dies unzulässig
ist, während doch die bedingte Erbeinsetzung überhaupt
gültig ist, die Bedingung sogar auch in eine reine
Willenshandlung des Erben gesetzt werden kann, und
dies also, da ja auch die von diesem seinerseits vor-
genommene Institution eine Willenshandlung desselben ist,
eine Inkonsequenz zu sein scheinen könnte. Ja, schon dies,
daß die Erbeinsetzung an eine Bedingung überhaupt ge-
knüpft werden kann, kann unserer Auffassung des Erben,
den subjektiven Willen des Erblassers selbst darzustellen
und fortzusetzen, zu widersprechen scheinen, da doch auch
hierin eine Abhängigmachung des Erben von Fremden
einerseits, eine Selbstverleugnung des testierenden Willens
andererseits zu liegen, und also die reine Willensidentität
zwischen ihm und dem Erblasser aufgehoben zu sein
scheinen kann. Bei Festhaltung dieses Begriffes müßte
zunächst nur die unbedingte Erbeinsetzung zulässig er-
scheinen, und es wäre daher zuerst zu zeigen, warum dies
nicht der Fall ist, worauf sich die vorerwähnten Punkte
von selbst rechtfertigen werden.
Der Wille ist zwar die freie und von der Außenwelt
unabhängige, ihr selbst entgegentretende Innerlichkeit
des Subjektes. Aber er ist, wie wir dies bereits oben bei
Beginn unserer Entwicklung hervorgehoben haben (S. 34,
40 fg.), stets auf die Außenwelt bezogen. Der Wille
ist die auf die Außenwelt als seinen Gegenstand ge-
richtete Tätigkeit des menschlichen Inneren. Als Gegen -
') Papinian. L. 70 de her. inst. (28, 5); Paulus. L. 71
eod. tit.
228
stand des Willens ist die Außenwelt seine Voraus-
setzung. Der Wille hat also an der äußeren Wirklich-
keit seine Voraussetzung. Wenn er aber in ihr seine
Voraussetzung hat, so ist er somit verschieden,
je nachdem die äußere Wirklichkeit diese oder jene ist.
Er ist deshalb noch nicht unfrei oder abhängig, denn er
kann sich ebensogut negativ als übereinstimmend gegen
diese seine Voraussetzung, die Wirklichkeit, verhalten,
d.h. er ist nicht von ihr bestimmt, sondern bleibt freie
Innerlichkeit. Da er aber in der äußeren WirkKchkeit
seine Voraussetzung hat und daher verschieden ist, je
nachdem diese äußere Wirklichkeit diese oder jene ist,
so ist er von ihr bedingt. Es liegt also wesentlich in
der Natur des Willens, von der äußeren Wirklichkeit
bedingt zu sein.
Es ist also, wegen dieses im Begriff des Willens selbst
gelegenen Verhältnisses zur Außenwelt als seiner Voraus-
setzung, kein Widerspruch mit dem Wesen des Willens,
wenn derselbe ein anderer ist und sich einen anderen Fort-
setzer gibt, je nachdem diese oder jene äußere Wirklich-
keit eingetreten sein wird^).
Rechtfertigt sich hierdurch die durch das Eintreten
äußerer Tatsachen bedingte Erbeinsetzung, so verhält es
sich nicht anders, wenn die Bedingung in die Willens -
handlung eines Dritten gesetzt wird, wenn also z.B.
testiert wird : Titius sei Erbe, wenn Mävius auf das Ka-
pitol gegangen sein wird, während, wie wir früher sahen,
die Bedingung : wenn Mävius wollen wird, das Testament
ungültig machen würde. Denn darauf, daß die Kapitol-
besteigung vom Willen des Mävius abhängt, fällt der
Reflex nicht, wie die Bedingung ja auch erfüllt sein
1) Inst., §§ 9, 10 de her. inst. (2, 14).
229
würde, wenn es gelungen wäre, den Mävius gegen seinen
Willen zu veranlassen, das Kapitol zu besteigen. Für
das Subjekt bleibt auch die Handlung eines Dritten bloße
äußere Tatsache, schlechthin Außenwelt als solche, und
ob diese Tatsache durch Willensvermittelung oder irgend-
welche andere entstanden ist, ist um so gleichgültiger, als
alle äußere Wirklichkeit selbst wiederum das Produkt
der mamnigfachsten und nicht übersehbaren Vermitte-
lungen ist.
Wird aber endlich die Bedingung der Erbeinsetzung in
eine vom Willen des Erben selbst abhängige Handlung
gesetzt, so liegt auf der Hand, daß dies optimo jure zu-
lässig sein muß. Denn der Erblasser läßt dann den Erben
nach seinem, des Erblassers, Willen handeln, was den
wahren Begriff des Erbverhältnisses bildet, imd bewährt
so die zwischen ihm und dem Erben stattfindende Willens -
Identität, Es ist hier also bloß als Bedingung gesetzt
und zu einzelnen Folgerungen getrieben, was ohnehin die
Substanz des Erbverhältnisses bildet, wie z. B. die Be-
dingung der Erbschaftsantretung stets stillschweigend vor-
liegen würde.
Ganz anders bei der kaptatorischen Einsetzung. Auch
diese ist zunächst eine bedingte, und die Bedingung ist in
eine Willenshandlung des Erben gesetzt. Indem aber jede
Erbeinsetzung nichts anderes als die Übertragung und
Fortpflanzung der eigenen unendlichen Willenssubjektivität
ist, würde der Erblasser, der hierin seinem Erben eine
Vorschrift machen wollte, demselben nichts Geringeres als
überhaupt seine allgemeine Willenssubjektivität rauben.
Der Erblasser würde also bei dieser Bedingung nicht
den Willen des Erben als einen mit ihm identischen und
in diesem fortexistierenden Willen seinen eigenen
Erhalter und Träger setzen, welche Identität er deshalb
230
durch einzelne Willenshandlungen, die er ihm aufgibt, be-
währen kann, sondern er würde in den ungeheueren Wider-
spruch verfallen, eben diese Fortexistenz der all-
gemeinen Willenssubjektivität, die ihn selber fortsetzen
soll, selbst aufzuheben. Diese Bedingung wäre also
nicht nur eine nichtige, non scripta, sondern diese Erb-
einsetzung muß, als eine sich selbst zerstörende, eine un-
gültige sein. Da es nichts anderes als die metaphysische
Willensunendlichkeit selbst ist, die sich in der Ernennung
des Erben Dasein gibt, so woirde jedes Binden und jeder
Eingriff hierin, statt eine Identität zwischen beiden Wil-
len zu setzen, dem Erben diese Willensunendlichkeit ge-
rade entziehen^) und ihm das vernichten, was das
innerste Wesen des Willens ausmacht, und ihn so-
mit auch unfähig machen, die Fortsetzung des erblasse-
rischen Willens zu sein. Ganz vortrefflich definiert da-
her Papinian, a, a. O., kaptatorische Einsetzungen seien
solche ,,quarum conditio confertur ad secretum alienae
voluntatis". Es ist ein Eingriff in das innerste Willens-
heiligtum, der hierin vorgeht, und Papinian übersieht nur,
daß, ohne den spekulativen Erbrechtsbegriff und die aus
demselben im Vorstehenden entwickelte Unterscheidung,
seine Worte sich auch auf jede andere zur Bedingung ge-
machte Willenshandlung würden anwenden lassen.
Aus dem angeführten Grunde muß es auch gleichgültig
sein, ob der Erblasser dem Erben zur Bedingung macht,
ihn selbst oder einen anderen Dritten einzusetzen. Denn
^) Daher auch der römische Haß gegen die Erb ver-
trage, die im germanischen Recht sich solcher Gunst er-
freuen. Sie stellen dem Römer eine solche Veräußerung der
unveräußerlichen Willensfreiheit dar; nicht eine Ver-
pflichtung des Willens, sondern ein Aufgeben seines Wesens.
231
nicht, daß der Erblasser sich selbst einen Vorteil zu-
wenden will, macht die Bedingung unerlaubt, sondern jener
negierende Eingriff in das Wesen des Willens macht sie
unmöglich. Dieser ist aber ebenso vorhanden, wenn ein
Dritter der vorgeschriebene Erbe ist, und darum erklärt
Paulus, a.a.O., dies für gleich unmöglich: ,,. . . veluti
si ita scripserit : Titius, si Maevlum tabulis testamentl siil
heredem a se scriptum ostenderlt probaveritque, heres esto;
quod in sententiam Senatusconsulti incidere non est du-
btum."
Sind dagegen die Erbeinsetzungen zwar gegenseitig,
aber auf gegenseitiger Freiwilligkeit beruhend,
ohne daß die eine die Bedingung der anderen ist, so
findet jener Eingriff nicht statt, und folglich sind die In-
stitutionen gültig : Papinian, a. a. O. : ,,Captatorias insti-
tutiones non eas Senatus improbavit, quae mutuis affectio-
nibus judicia provocaverunt."
Es kann aber auch die eine Erbeinsetzung offen als
Grund der anderen auftreten, nur nicht als Bedingung.
Denn tritt das Testament des einen als Grund auf für
das Testament des anderen Erblassers, so ist dies nur eine
Vermittelung für den freien Willen des letzteren, und
der Wille ist eben dies, sich aus tausend beliebigen Tat-
sachen zu vermitteln, und seine Freiheit besteht eben darin,
daß ihm hierin nichts vorgeschrieben werde, während* es.
als Bedingung gesetzt, gerade die Willensfreiheit des
ersten Erblassers aufheben würde. Wird aber eine Erb-
einsetzung als Grund gesetzt für die andere, so muß die
erstere schon vorher geschehen sein, während sie, wo
sie als Bedingung auftritt, in die Zukunft verlegt
wird. Vortrefflich genug sagt also Paulus, a. a. O., diesen
Unterschied von Grund und Bedingung in dem aus ihm
hervorfließenden Unterschied der Zei'en hervortreten las-
232
send : ,,Illae autem institutiones captatoriae non sunt, veluti
si ita heredem quis instituit : qua ex parte Tiüiis me here-
dem instituit, ex ea parte Maevius heres esto, quia in prae-
teritum, non in futurum institutio collata est."
XIV. Das Legat.
Es ist endlich, um den von uns entwickelten Begriff
Aq;?> römischen Erb tu ms zur unuiderleglichsten Evidenz
zu bringen, nur noch erforderlich, einen Blick auf das,
was mit diesem Erbtum auf das innigste verknüpft, aber
als sein absolutes Gegenteil mit ihm verknüpft ist,
auf das Legat, zu vverfen. Wir haben zwar schon hin
und wieder den Begriff des Legates vorw^eggenommen, weil
es gar nicht möglich ist, den reinen Begriff dieses Erb-
tums zum Vorschein zu brmgen ohne die Antithese mit
diesem seinen Gegenpol. Ebendarum wird sich aber erst
in der Dogmatik des Legates, in der Stellung, die der
Erbe zu ihm einnimmt, und in den hieraus hervorfließen-
den erbrechtlichen Bestimmungen, durch die blendende
Helle dieses Unterschiedes, der Begriff beider
zur absoluten Gewißheit bringen.
Das Legat ist eine Vermögens Verfügung. Das
Legat ist also im jus civile in Wahrheit das, was man
trotz allem, was man bisher von der Personenidentität im
Erbrecht und deshalb hin und wieder auch von einem ge-
wissen metaphysischen Charakter im Erbrecht gesprochen
hat, bisher für den Begriff der Erbschaft gehalten oder
doch mit diesem als ein integrierendes Moment desselben
durcheinandergeworfen hat. Das Legat ist, um dies etwa
233
in eine kurze Antithese zusammenzudrängen, reines Ver-
mögens Vermächtnis, das Erbtum reines Willens-
vermächtnis.
Wir haben bereits S. 88 fg. gezeigt, warum die Legate
hinfällig werden müssen, wenn der eingesetzte Erbe nicht
£mtritt. Die Willensherrschaft des Eigentümers über seine
Vermögensgegenstände kann nur wirken, solange sein
Wille selbst währt, kann also nach seinem Tode nur wir-
ken, wenn sein Wille dennoch — im Erben — als
daseiend und fortdauernd gesetzt ist^), was eben
nach uns die wahre und ganze Bedeutung des römischen
Erben ist. Auf das entscheidendste ist dies ersichtlich bei
dem Vindikationslegat, welches ja in keiner Weise mit dem
Erben zusammenhängt und keine persönliche Schuld des-
selben bildet. Wenn gleichwohl auch dieses Legat ohne
die Antretung des Erben hinfällig wird, so zeigt sich hier
auf das deutlichste, wie jede auch mit dem Erben selbst
nicht verbundene Willensbestimmung des Testators eben
nur durch die im Erben gegebene Fortexistenz seines
Willens Kraft hat. Es ist derselbe Grund, weshalb auch
formell vor der Erbeinsetzung kein Legat im Testamente
^) Ist die Willensherrschaft, welche die Sache zum Eigen-
tum macht, erloschen, ohne daß vorher der Gegenstand in das
Eigentum eines anderen übergegangen ist, so würde das Eigen-
tum aufhören, Eigentum (individuelles) zu sein, und die Sache
wieder zur bloßen Gegenständlichkeit geworden sein. Von hier
aus ist daher die abstrakte, aber strenge Konsequenz erst
begreiflich, vermöge welcher vor der lex Julia (s. Ulpian,
Fr. XXVIII, 7) das auch im prätorischen Sinne erb lose
Vermögen herrenlos und Sache des primus occupans wurde,
wie Savigny aus der Stelle des Cicero, De legibus, II, 19
bis 21, entscheidend nachgewiesen hat. (In der Zeitschrift für
geschichtliche Rechtswissenschaft, II, 378.)
234
hinterlassen werden kann; denn, wie Ulpian sehr durch-
sichtig in dem von ihm angegebenen Grunde hervortreten
läßt, die ganze Kraft des Testamentes beruht auf dem
fortdauernden Dasein des Willens im Erben : Ante
heredis institutionem legari non potest ; quoniam et po-
testas testamenti, ab heredis institutlone inclpit'^).
Auf das schärfste tritt dies nun auch konsequent weiter
darin hervor, daß, ebenso wie nur, wenn das Dasein des
erblasserischen Willens im Erben als fortdauernd gegeben
ist, legiert werden kann, auch nur solange dieses Dasein
fortdauert, legiert werden kann. Es ist also spekulativ
ganz notwendig, was Ulpian (das. §16) weiter sagt:
,,Post mortem heredis legari non potest, ne ab heredis
berede legari videatur; quod juris civilis ratio non pa-
titur." Warum duldet es die ratio des jus civile nicht, daß
von dem Erben des Erben legiert werde ? Sicher, wäre
die Erbschaft eine Vermögensübertragung, so würde
dieser Verfügung, daß erst nach dem Tode des Erben
ein Legat ausgezahlt werden solle, ja sogar, daß dies aus-
drücklich von dem Erben des Erben geschehe, ebenso-
wenig etwas entgegenstehen, wie im deutschen Rechte, wo
dies sogar zur Grundlage ganzer Institute, wie z. B. der
Familienfideikommisse, wird. Aber weil die Erbschaft
eine Willensübertragung ist, so kann sie sich nur
auf den Erben selbst erstrecken, mit welchem die Identität
wie eine Gleichung geschlossen ist. Des Erben Erbe steht
außerhalb dieser Gleichung, und kann nicht mehr von dem
ersten Erblasser den Willen desselben empfangen.
Wenn aber nicht auf die Zeit nach dem Tode des Erben,
so kann doch auf die Zeit seines Todes legiert werden,
Ulpian, a.a.O.: ,, In mortis autem heredis tempus legari
') Ulpian, Fr. XXIV, § 15.
235
potest, velut : cum heres moriatur." Denn diese Zeit des
Todes, welche nicht die Zeit nach dem Tode sein soll/
ist der ideelle Zeitmoment, wo der Erbe als sterbend,
aber darum auch noch als daseiend gedacht wird.
Und so lange nur irgend der erblasserische Wille durch
das Dasein des Erben als fortexistent gesetzt ist, kann er
wirken.
XV. Das Vindikationslegat. Seine Wirkung,
quiritarisches Eigentum zu bilden. Der Testa-
tor ein Gesetzgeber. DieSabinianerundProku-
lejaner. Der Tote stärker als der Lebende. Das
bedingte Vindikationslegat. Die Kontroverse
der beiden Schulen und ihr Ergebnis. Die qui-
ritarische Sache und die Quantität. Die Ak-
kreszenz.
Aus dem Gegensatze, welchen das Legat zum Erbtum
bildet, entwickelt sich nun die erste Erscheinungsform
des Legates sofort von selbst.
Der Erbe ist der Kontinuator und Träger der all-
gemeinen Willenssubjektivität des Erblassers. Alles, was
sich also im Augenblick des Todes im Eigentum des Erb-
lassers vorfindet, ist notwendig von selbst dieser Willens-
herrschaft unterworfen, gehört somit, wenn auch nur folge-
weise, dem Erben mit demselben Recht, mit dem es bis-
her Eigentum des Erblassers war. Soll also dennoch eine
Vermögenszuwendung an andere Personen eintreten, so
kann dies zunächst nur dadurch geschehen, daß ein oder
mehrere individuell bestimmte Gegenstände von der Hinter-
lassenschaftsmasse ausgeschieden und unmittelbar als
236
das Eigentum einer dritten Person (des Legatars)
gesetzt werden. Dies geschieht durch das sogenannte
legatum per v'mdicationem'^). Dies Legat vollbringt sich
daher durch den Willensstoß: do lego-). So lautet die
Formel, insofern auf die Ausstoßung des Gegenstandes
aus der Hinterlassenschaftsmasse Rücksicht genommen
wird. Da aber auch dabei auf den Gegensatz im Ver-
hältnis des Erben und des Legatars zum Erblasser
Rücksicht genommen werden kann, kann die Formel auch
lauten, sumito, sibi habeto, capito^). Es tritt nämlich
hierbei schon in der Formel auf das deutlichste, und ganz
unserer Entwicklung entsprechend, der Gegensatz im
Wesen des Erben und des Legatars hervor. Der Erbe
soll etwas sein, der Legatar etwas haben, und darum
heißt es von jenem : heres esto, vom Legatar : sumito,
capifo, sibi habeto.
Ausgeschieden aber aus der Willensherrschaft des Erb-
lassers ist die Sache nur dann, wenn sie Eigentum eines
anderen geworden ist. Darum wird durch dies Legat,
sowie das Weiterdasein des erblasserischen Willens
durch die Antretung der Erbschaft durch den Erben ge-
wiß ist, im selben Gedankenmomente die Sache sofort
und unmittelbar zum Eigentum des Legatars; sie
steht in keinem Verhältnis zum Erben, und dieser hat
keine Obligation und Verpflichtung in bezug auf sie und
nicht vom Erben zu fordern, sondern durch Vindika-
^) Diese Abschneidung und Ausstoßung von der
Masse, die im Vindikationslegat geschieht, tritt wie in allem
Folgenden, so besonders auch in der Identität des legatum per
vindicationem mit dem legatum per praeceptionem deutlich
hervor.
-) Ulpian, XXIV. § 3; Gajus, Comm., II, § 193.
^) Ulpian, a. a. O. ; Gajus, a. a. O.
237
tlon als seine eigene quiritarische Sache hat sie
der Legatar allerwärts zu reklamieren.
Gajus^) : „Ideo autem per vindicationem legatum appel-
latur, quia post aditamherediiatem^) statim ex jure Quiri-
^) Comm., II. § 194.
'^) Es ist daher nicht richtig, mit Gans, II, 195, von diesem
Legat zu sagen, es sei so ,,als wenn bloß der Legatar und
die bestimmte Sache vorhanden wären." Der Erbe kommt aller-
dings, aber nur als der Gegensatz des Legats, als der da-
seiende Wille dabei in Betracht. Aber das Einwirken und
NIchteinwirken dieses Faktors erklärt sich eben nur aus der
Erfassung des konkreten spekulativen Begriffes des Erben,
durch dessen Nichterfassimg Gans auch diesen Gegensatz not-
wendig verfehlen mußte. Gans erfaßt diesen Begriff nur ebenso
wie die positiven Juristen in ganz ahnender, abstrakter und
unbestimmter, und deshalb unwahrer Weise. Hierdurch ge-
schieht es, daß die Ausdrücke, in denen er den Erb- und Le-
gatsbegriff beschreibt, hin und \vieder zu dem wahren Wesen
der Sache zu stimmen scheinen können, unmittelbar daneben
aber wieder solch estehen, bei denen dies durchaus nicht mehr
zutrifft, und das r^eelle Verfehlen des wahren Begriffes auf
das gewichtigste dann bei der Auffassung der einzelnen realen
Rechtsbestimmungen heraustritt. So sagt Gans (II, 186), richtig
fühlend, dem Verhältnis des Erben zum Testator komme „ein
gewisser Charakter von Idealität zu". Aber das Mangel-
hafte ist eben, daß nicht erfaßt wird, worin dieser „gewisse"
Charakter von Idealität besteht. Darum folgen bei ihm un-
mittelbar hierauf die nicht mehr richtigen Worte, das Ver-
hältnis des Erben zum Testator sei „ein konkretes, die Einheit
von vielfachen Bestimmungen". Dies ist nicht mehr rich-
tig, denn nicht in der Einheit von vielfachen Bestimmungen,
sondern schlechthin nur in der einfachen Bestimmung, das Dasein
seines Willens zu bilden, besteht der Begriff des Erben.
Jenes Ahnen des Begriffes verliert sich daher hierbei bei Gans,
wie bei den positiven Juristen, in die schwankende und nebel-
hafte Wortbildnerei, wenn er sagt, daß im Erben ein „Leben-
diges und Persönliches" liege, daß (S. 187) der Testator im
238
tüim res legatarii fit ; et si eam rem legatarius vel ab
herede vel ab alio quocumque qiiL eam possidet, petat,
vlndicare debet, id est intendere rem suam ex jure Quiri-
tium esse."
Erben „eine volle, lebendige und vielseitige Per-
sönlichkeit erzeugt," welches letztere gar nicht mehr zu-
treffend ist. — Gans ist so genötigt, den Unterschied zwischen
Erben und Legatar darin zu sehen, daß der Erbe vom Testator
die Totalität des Vermögens, der Legatar nur eine be-
stimmte, einzelne Sache erbt. Der Erbe sei es, der
..nicht bloß vom Testator etwas Bestimmtes, Einzelnes
erhalten hat," während bei dem Legatar , .nicht das Ideelle,
die Einheit von Vielfachem, die Wesenheit sei" (S. 186)
und das Legat als das von jedem Zusammenhang in der Sache
mit der Totalität des Vermögens sich Lossagende, die Spitze
der Willkür in der testierenden Willkür sei (S. 184, 187).
Auch insofern in diesen Sätzen ein richtiges Moment
unterläuft, bildet dasselbe doch nicht den herrschenden
Begriff der Sache, sondern nur eine Folge desselben,
und ist daher keineswegs geeignet, den Gegensatz von Erbe
und Legatar zu erklären, sondern erhält selbst erst seine
Erklärung aus jenem herrschenden Begriffe. Es läuft aber
eben in dieser Auffassiing nur ein richtiges Moment unter, und
sie selbst ist weit entfernt davon, richtig zu sein. Dies zeigt
sich seitens des Erben darin, daß er, wie wir so ausführlich
nachgewiesen haben, auch gar nichts vom Verm.ögen zu er-
halten braucht und in den früheren Zeiten so überwiegend häufig
nichts davon erhält. Seitens des Legatars zeigt es sich auf das
deutlichste darin, daß auch der Legatar so gut wie der Erbe
— nämlich als legatarius pariiarius — eine ,,Einheit von
Vielfachem" sein, eine Beziehung auf die „Totalität des
Vermögens" empfangen kann. Ja, daß der generische Begriff
des Legates nicht In der „atomistlschen Zusammenhangslosig-
keit" der Einzelheit mit der Totalität des Vermögens besteht,
zeigt sich schon in dem legatum per damnatlonem, in welchem
dieser Zusanmienhang allerdings gesetzt ist. Der Unterschied
von Vermögenstotalität imd Vermögens einzelheit ist
239
Es ist daher nicht richtig, wenn Gajus (II, 195 fg.)
in der Benennung dieses Legates als legatum per vindi-
daher weit entfernt davon, den Unterschied zwischen dem Be-
griff des Erben und des Legatars anzugeben. Der wahre und
einfache begriffhche Unterschied von Erbschaft und Legat ist
vielmehr der Unterschied von Wille und Sache. In der
Erbschaft wird jener, im Legat dieser übertragen, und erst
aus diesem begrifflichen Unterschied erhält jener andere von
Vermögenstotalität und einzelnem Vermögensstück sein rela-
tives Dasein, seine Richtigkeit und sein Verständnis.
Eben weil ihm so der wahrhafte Begriffsunterschied zwi-
schen Erbe und Legat abgeht, gelangt Gans zu dem großen,
oben gerügten (S. 106, Note 2; vgl. S. 131, Note 1) histo-
rischen Irrtum, daß zur Zeit der Zwölftafeln wegen der — •
gerade durch den echten Begriff des Erbt ums gegebenen —
unbedingten Freiheit, zu testieren und das Vermögen durch
Legate ganz zu erschöpfen, ein Unterschied zwischen beiden
noch gar nicht vorhanden gewesen sei : ,,die testierende Willkür
ist hier noch nicht zu der Reflexion gekommen, zwischen der
Persönlichkeit und Substantialität des Erben und der Unleben-
digkeit und Leerheit des Legatars zu unterscheiden. Die Will-
kür ist hier noch in ihrer einfachsten Abstraktion ; sie will bloß
wollen können ; was dieser Wille hervorbringt, ist gleichgültig.
Testamentserbschaft und Legat sind nach dem Ausspruch der
Zwölf tafeln, uti legassit, noch ganz ineinander und gegen-
einander gehalten von völlig gleicher Bedeutung."
(Gans, das. S. 187 fg.) Die Größe dieses Irrtums ergibt sich,
außer allem anderen, schon historisch aus dem flüchtigsten
Blicke auf das Recht der sacra, da noch nach der älteren
der beiden von Cicero erwähnten Sacraltheorien die sacra auf
den Legatar, wenn ein Zivilerbe da ist, niemals, und
selbst nach der neueren dortigen Theorie nur dann auf ihn
übergehen, wenn er, nach der lex Voconia, für sich allein
ebenso viel empfangen hatte, als alle Erben zusammen (s.
sub Nr. III), während jeder Erbe, wie klein immerhin auch se.n
Anteil, zu den sacris verpflichtet war. — Es Imuß ebenso als ein
gewisses Ahnen des Begriffes bezeichnet werden, wenn Gans
hin und wieder, wie schon in den zuletzt angeführten Worten,
den Erben im Verhältnis zum Legatar als das ,, Höhere, Sub-
240
cationem eine unpassendere, weil nar vom Hinterher der
Wirkung entlehnte, Bezeichnung sieht, als in der Be-
nennung legatum do lego. Denn in diesem Hinterher der
Wirkung — der Vindikation — tritt vielmehr aufs stärkste
die eigentliche begriffliche Natur dieses Legates hervor,
daß ein Gegenstand von der Vermögenshinterlassenschaft
des Erblassers abgeschnitten und als unmittelbares Eigen-
tum eines anderen gesetzt worden ist.
Ebenso ist es nicht richtig, wenn Gans meint, daß in
der Bezeichnung dieses Legates als legatum do lego ,, dieses
letzte subjektive Wollen der Willkür liegt". Die Will-
kür ist vielmehr in gleichem Maße bei allen Arten der
Legate vorhanden. Was in dieser gehäuften und schnellen
stoß^v'eisen Aufeinanderfolge der Worte do lego etwa
stantielle, gegenüber der Leerheit der Willkür," charak-
terisiert. Fragt man aber bei Gans nach der Bedeutung und
dem Inhalt dieses Substantiellen, das im Testamenterben liegen
soll, so erhält man — da Gans die wirkliche Substantialität
nur in der Intestaterbschaft sieht — zur Antwort, daß die
Erbeinsetzung wiederum selbst nichts anderes als diese höchste
Leerheit der absoluten Willkür sei, die sich selbst aber, in
einer durchaus unerklärten Weise, als etwas höchst Heiliges
und Substantielles vorgekommen sei (z. B. S. 183 fg. u. a.
and. O.). Damit fällt aber auch wieder jener Gegensatz von
Erbe und Legatar völlig in sich selbst zusammen, wie anderer-
seits eben dadurch die wahre Bedeutung des römischen Erb-
rechtes und damit der kulturhistorische Fortschritt der
römischen Geistesstufe überhaupt, das positive Moment,
welches Rom in der weltgeschichtlichen Entwicklung der Frei-
heit bildet, verfehlt wird.
Wenn daher Gans, zur Erklärung dessen, daß die Legate
durch das Ausschlagen des Erben hinfällig werden, sagt (das.
S. 188), daß „jene Einzelheit nur in diesem Substantiellen ihre
Wurzel haben könne," so ist auch dies nur ein Sagen und
Versichern jenes positiven Rechtssatzes, der deshalb gleich-
falls bei ihm noch gänzlich unbegriffen und unbewiesen bleibt.
16 La?«Ue. Ge.. Srhnft<fn. Bard XI • 241
liegen kann, ist offenbar die Abschneidung des Gegen-
standes von der Vermögens masse des Testators.
Wir haben gezeigt, warum durch dies Legat, sowie die
Fortdauer des erblasserischen Willens durch die Erb-
antretung gewiß ist, die Sache sofort und unmittelbar zur
quiritarischen Sache des Legatars werden muß. Dieser
Punkt verdient eine besonders scharfe Beleuchtung, weil
in ihm wieder in besonders markiger Weise das gesamte
Wesen des Testamentes hervortritt.
Hier wird also quiritarisches Eigentum übertragen,
ohne daß eine in jure cessio, noch eine Manzipation mit
dem Erwerber stattgefunden hat ; ja, nicht einmal eine
Tradition ist vorgegangen. Es müßte dies allen römischen
Rechtsbegriffen zu widersprechen scheinen, aber jetzt, nach
unserer begrifflichen Analyse, ist nichts notwendiger und
nichts beweisender als dieser Punkt. In der Tat, wie sollte
hier von einem Eigentum ex jure gentium die Rede sein
können, da diese Fähigkeit, über den Tod hinaus wollen
und etwas nach dem Tode zum Eigentum eines anderen
machen zu können, gar nicht ex jure gentmm ist^)? Nur
in dem Dasein dieses spezifischen Volksgeistes wurzelt
sie, und man könnte daher sagen, sie sei die am spezi-
fischsten römische Übertragungsweise von allen. Dieser
spezifische Volksgeist feiert in diesem Akte seine höchste
Selbstbetätigung, die höchste Gewißheit seines Daseins
und Inhaltes. Mit der ganzen Wucht dessen, was den
wahrhaften welthistorischen Inhalt des römischen Geistes
bildet, und diesen besiegelnd, testiert jeder Römer, und
der Satz, daß dies Legat quiritarisches Eigentum
wird, hat daher gar keinen anderen Inhalt, als der Satz
testamenti factio juris publici est nach unserer obigen Er-
^) Vgl. hiermit oben S 163 und Nr. X.
242
klärung (Nr. X). Wenn aber jeder Römer so mit der
ganzen Wucht des öffentlichen Geistes und öffentlichen
Rechtes in seiner einzelnen Hand testiert, so ist jetzt wahr-
haft durchsichtig die Definition, die Ulpian, Fr. XXIV,
§ 1 vom Legate gibt : ,,Legatum est, quod legis modo,
id est imperative, testamento relinquitur." Das Legat ist
ein Gesetz, denn der absolute Inhalt des gesamten römi-
schen Volksgeistes, das allgemeine Schicksal und Dasein
desselben steht eben dabei auf dem Spiele, daß diese
menschliche Unendlichkeit, dieses Wollenkönnen über den
Tod hinaus, da sei.
Wenn daher sein Wille bei seinem Leben Privatwille
war, so ist er öffentlicher Wille bei seinem Tode.
Wie oft hat man nicht den Satz gesagt, daß der römische
Testator einem Gesetzgeber vergleichbar sei! Aber
dieser Satz war stets in dem flachen Sinne gemeint wor-
den, dadurch nur die unbeschränkte Freiheit des testieren-
den Privatwillens zu bezeichnen, respektive das Komitien-
testament als ein Gesetz wegen der Beseitigung der auf
Gesetz beruhenden Intestaterbfolge zu erklären^). Wir
zeigten aber daselbst bereits, daß durch den circulus vitio-
sus solcher nichts erklärenden Erklärungen immer nur als
das Erklärende gesetzt wird, was vielmehr vor allem selbst
einer Erklärung bedürftig wäre und diese nur aus dem zu
Erklärenden empfangen würde. Das Testament kann nicht
eine lex, der Testator ein Gesetzgeber sein, weil das
Testieren in den Volkskomitien vor sich geht ; sondern um-
gekehrt: nur wenn das Testament eine lex, der Testator
em Gesetzgeber ist, wird sich hieraus begreifen lassen,
wie so er dazu kommen kann, in den Komitien zu testieren.
Mehr vielleicht als alles andere hat dieser ganz allgemein
1) Vgl. oben S. 42. .^nm.
16- 243
bei den Juristen grassierende Formalismus des Den-
kens — sehr verschieden von dem alten produktiven
Formalismus des römischen Rechtes, der durch seinen
geistigen Inhalt zugleich bewirkt, daß die römischen Ju-
risten bei der Gesetzes au siegung unter dem Schein des
Wortformalismus immer den spekulativen Gedanken
treffen und festhalten — die Resultatlosigkeit juristischer
Untersuchungen verursacht. Es wird bei dieser Methode
des Räsonnierens immer so zu Werke gegangen, als wenn
nicht die geistige Bedeutung eines Aktes oder Institutes
das tätige Prius wäre, welches seine Form nach sich
zieht und in ihr sich Ausdruck gibt, sondern als wenn
diese, man weiß nicht woher geflogene, Form das Prius
wäre, aus welchem sich erst die Befugnisse und Bedeu-
tung des Aktes entwickelten. Das positive Material er-
mangelt nie, die gänzliche Nichtigkeit solchen angeblichen
Erklärens haarscharf nachzuweisen. Aber an diesem posi-
tiven Material wird dann mit fest zugedrückten Augen vor-
übergegangen. Sprechend zeigt sich das wieder an dem in
Rede stehenden Fall. Und zwei Beweise mögen hier ge-
nügen, von denen der zweite in dem uns eben beschäftigen-
den Vindikationslegat liegt, der erste aber eine kurze Ab-
schweifxmg auf das jus sepulcrorum erfordert. — Die rö-
mischen Grabstätten waren, als loca religiosa, extra com-
mercium. Aber abgesehen von der Nichtigkeit der Ver-
äußerung und von der Strafe, welche dieselbe infolge der
lex Julia de sacrilegis nach sich ziehen konnte, war es
Sitte, daß der Erblasser auch in den Inschriften der
Grabmonumente, die er sich häufig schon während
seiner Lebzeiten zu errichten pflegi:e, eine beliebige Ver-
mögensstrafe für den Fall der Veräußerung, Ver-
mietung oder Verpfändung gegen die Zuwiderhandelnden
festsetzte, Strafen, welche nach diesen Inschriften immer
244
an die Vestalinnen oder die Kasse der Pontifices oder an
das öffentliche Ärarium zu zahlen waren. Man sehe zahl-
reiche solche Grabinschriften mitgeteilt bei Gutherius, De
jure manium^). Diese Vermögensstrafen waren häufig
sehr bedeutend"). Daß diese vom Erblasser in den In-
schriften \ erhängten Strafen im älteren Recht nicht ohne
Effekt, nicht zum Spaß dahin geschrieben sein konnten,
ergibt sich schon aus dem Dasein dieser Inschriften von
selbst^). Nun brauchte ein solcher Erblasser aber die
Strafandrohung auf der Inschrift nicht im Testamente
zu wiederholen. Ja, er konnte überhaupt intestatus sterben.
Woher also, wenn das Testament nur deshalb em Gesetz
ist, weil es in den Komitien errichtet ist, kommt dem Erb-
lasser bei dieser Grabmäler Verfügung, die nicht in dem
Testament zu stehen braucht, die von dem intestatus ge-
troffen werden kann, die gesetzgeberische Stellung,
die Straf gewalt zu? Aber noch mehr! Nach allen
heutigen Begriffen vom römischen Erbrecht würde er diese
1) Lib. III. c. 5, 6. p. 413-419. ed. Par. 1615.
^) Eine dieser Inschriften, bei Gutherius, S. 410, eine
Brundisische, verfügt sogar die Konfiskation des ganzen Ver-
mögens der Zuwiderhandelnden: SI QUI ADVERSUS ID
FECERINT. EORUM BONA PERTINERE DEBE-
BUNT AD REMPUBLICAM BRUNDISINORUM.
^) Siehe Gutherius. S. 418 fg. — Vgl. was wir noch in
den Rechtsquellen über die Strafen, unter welchen der Te-
stator dem Erben gültig auferlegen kann, ihm ein Monument
zu setzen, finden. L. 27 de condit. et demonstrat. (35, 1).
Zu Justinians Zeit wußte man damit nicht mehr viel anzufangen
und setzte es in den Titel de conditionibus etc. Aber es ist
keine conditio, und diese Versetzung ist falsch, nach Mar-
cianus selbst, L. 2 de his quae poenae causa (34, 6) : „Poe-
nam a conditione voliintas lestatoris separat, et an poetia, an
conditio, an translatio sit. ex voluntate defuncti apparet idque
Divi Severus et Antoninus rescripseinint."
245
Kompetenz doch höchstens nur haben könn^i seinen Erben
und den Erben derselben gegenüber. Die Inschriften aber
zeigen das Gegenteil. Nach denselben bestraft der Erb-
lasser den fremden Käufer ebenso und mit der-
selben Strafe wie den Verkäufer (s. Inschrift auf
S.415 daselbst: ...ET EI CUI DONATUM VEL
VENDITUM FUERIT, EADEM POENA TENE-
BITUR. Inschrift auf S.416: . . . DARE DAMNAS
ESTO AERARIO POPULI ROMANI . . . EMP-
TOR ET VENDITOR). Wenn das Testament nur in-
sofern ein Gesetz ist, als es an Stelle der gesetz-
lichen Intestaterbfolge tritt, und zur Dispensation von
dieser daher die Errichtung in den Komitien nötig ist, und
dem Testamente hierdurch den formellen Charakter einer
lex gibt, — \vie kann der Erblasser oder Testator, wenn
man selbst seine Verfügung auf dem Grabmonument um der
ideellen Gleichartigkeit willen als einen letzten Willen,
als ein Testament auffaßt, über den ihm ganz fremden
Käufer, der weder Erbe noch Legatar aus dem Testament
ist und mit dem Intestatgesetz und der Dispensation von
demselben gar nichts zu tun hat, wie kann er über dieses,
in gar keinem Verhältnis zu ihm stehende andere dritte
Subjekt Strafen verhängen ? Woher schöpft er diese
höchst materielle gesetzgeberische Gewalt?
Statt diese Fragen zu lösen, hat man vorgezogen, sie,
wie so viele andere, niemals auf zuwerfen und jenes jus
sepulcrale, etwa wie einen archaistischen Schnörkel, gänz-
lich unbeachtet zu lassen. Als wenn nicht gerade jene
Gräberverfügung eben um ihrer gedoppelten Stellung wil-
len, formell kein Testament, nach ihrem geistigen In-
halt aber dasselbe, was ein Testament, letztwillige Ver-
fügung über die Fortbewahnmg des eigenen aufgehobenen
Ichs zu sein, am schneidendsten hätte hervortreten lassen
246
müssen — und, wie man sieht, auch wirklich hervortreten
läßt — , was aus der geistigen Bedeutung, aus dem
Begriffe des Testamentes folgt.
Die Lösung der aufgeworfenen Fragen ergibt sich von
selbst, wenn wir uns dem zweiten Beweise, dem uns be-
schäftigenden Vindikationslegat wieder zuwenden. Wir
können die Eigentümlichkeit desselben, die wir jetzt be-
trachten wollen, ebensogut aus jenem jus sepulcrale, als
jenes aus dieser erklären. Denn beide sind eben nur die
Darstellung und der Ausdruck des in ihnen hervor-
tretenden gemeinschaftlichen Begriffes. Beide sind
schon in jenem obigen Satze enthalten, daß der Wille der
Person, wenn er Privatwille war bei ihrem Leben,
zum öffentlichen Willen wird bei ihrem Tode.
In der Tat, die Wahrheit des Satzes, daß der Te-
stator ein Gesetzgeber sei, liegt nicht darin, daß
das Testament in den Komitien errichtet wird, sondern sie
liegt, zugleich mit dem Grund, warum dieses Testieren in
den Komitien überhaupt möglich Ist^), in dem oben ent-
wickelten Sinne, daß jene Willens fortdauer das Innerste
des öffentlichen Geistes bildet, dem der Testator Dasein
gibt, weshalb seine Verfügung mit der ganzen Kraft
des öffentlichen Geistes bekleidet ist. Im Tode
steht dem Römer zu, was er im Leben niemals ver-
mochte. Im Tode erweitern sich seine Befugnisse; im
Tode verklärt er sich zum Gesetzgeber. Er muß
sich zum Gesetzgeber verklären infolge seines eigenen Be- ,
griffes und in dessen Interesse, denn er soll jetzt ja seinen
Willen als einen fortdauernden und aller Außen-
welt gegenüber bestehenden, d. h. als Gesetz,
setzen. Er muß und kann sich aber auch zum Gesetz-
1) Siehe oben S. 203 fg.
247
geber verklären den anderen Rechtssubjekten gegenüber
und deren Rechtsspbäre verletzen. Denn diesem meta-
physischen Interesse des öffentlichen Geistes
gegenüber, welches in ihm ruht, kommen die anderen
Rechtspersonen, welche gegen ihn, den Toten, bloße
Privatwillen, bloße Lebende sind, gar nicht in
Betracht. Und darum muß diese gesetzgeberische Kraft,
noch viel stärker und entscheidender als in der Definition
Ulpians, in den realen juristischen Konsequenzen
hervortreten, sowohl in dem jus sepulcrale^) als in dem
Vindikationslegat. Während nämlich alles Eigentum nie
ohne den Willen des Erwerbers übertragen werden kann,
während dieses Moment des Wissens und Wollens gerade auch
beim Erbrecht, wie wir später sehen werden, von fun-
damentalster Wichtigkeit und ohne dasselbe ein Erbschafts-
^) Hier hat er das stärkste Attribut des Gesetzgebers, die
Strafgewalt, weil er hier nur über seine eigene Fort-
dauer, die Fortexistenz seines aufgehobenen Ichs, dekretiert.
— So unterscheidet sich auch diese poena von dem legatum
poenae nomine, welches im älteren Recht (s. Gajus, II.
235; Ulpian, XXIV, 17) unzulässig war, unter welchem aber
immer ein solcher Befehl verstanden wird, welchen der Te-
stator dem Erben in bezug auf dessen ihn selbst (den Erben)
persönlich betreffendes Handeln erteilt (weshalb auch immer
das Beispiel angeführt wird: Si heres meus filiam suam Titio
in matrimonium collocaverit, X Millia Sejo dato), nie aber
ein solcher Befehl, durch welchen ein auf den Erblasser
selbst bezügliches Handeln geboten wird, wie wir ganz klar
aus der in Note 3, S. 245, angez. L. 27 ersehen, wo die vom
Erblasser über den Erben in bezug auf ein ihm zu errich-
tendes Grabmonument verhängte Strafe als eine gültige be-
handelt wird. Eben wegen dieses Unterschiedes aber können
wir uns hier der Untersuchung entschlagen, ob das legatum
poenae nomine, welches, im älteren Recht ungültig, von Ju-
stinian erlaubt wird (L. un. C. de his quae poenae causa
245
erwerb nicht denkbar ist, steht dem Testator bei diesem
Legat ein Größeres zu. Durch seine alleinige Dis-
position und ohne Wissen und Wollen des Legatars macht
er die Sache zum Eigentum desselben, gerade wie durch
ein Gesetz das Individuum ohne sein Wissen und Wollen
sofort mit dem Eigentum befaßt wird, das es verleiht^).
Dies ist in jener Kontroverse, deren tiefe Notwendig-
keit von hier aus klar wird, die Meinung der Sabinianer,
welche ausdrücklich behaupten, sofort durch den Erb-
schaftsantritt werde die durch das Vindikationslegat ver-
machte Sache auch ohne Wissen des Legatars zu dessen
Eigentum, und höre nur auf solches zu sein, wenn er
sie ausschlage, während umgekehrt die Prokulejaner, fest-
haltend daran, daß Eigentumsübertragung im allgemeinen
etc., 6, 41), schon in einer ältesten Zeit gültig war und
von Justinian nur wiederhergestellt wird, freilich mit
einem, durch die Verschiebung des gesamten Erbbegriffes, ganz
anderen Begriffsinhalte, als es in jener ältesten Zeit gehabt
haben würde, — wie wir einen ähnlichen organischen Trieb
in der römischen Rechtsbildung, am Ende auf das ur-
sprünglichste, aber mit einem nun ganz geänderten gei-
stigen Inhalt, zurückzukehren, schon oben bei der jus'cinia-
ncischen Befreiung des Testators von der falzidischen Quart
gesehen haben und weiter gelegentlich konstatieren werden.
^) Während es bekanntlich heißt, Ulpian. L. 19, § 2 de
donat. (39, 5): ,,Non potest llberalitas nolenti acquiri." —
Kami ihm wider seinen Willen zugewendet werden, so wu"d
er auch wider seinen Willen beschädigt werden können,
und so werden wir später sehen, wie noch die Kaiserkonsti-
tutionen dem Testator ausdrücklich das Recht zuerkennen,
,,ln fraudem creditorum" die Sklaven durch Testament frei-
zulassen, was er bei Lebzeiten niemahi können würde. Aber
im Leben ist er auch nur ein Rechtssubjekt gegen andere Rechts-
subjekte. Im Testament dagegen sind die Kreditoren, wie wir
oben sagten, ,,bloß Lebende" gegen ihn, den Toten.
249
und aller Erbschaftserwerb insbesondere nur durch das
Wissen und ^X^ollen des erwerbenden Individuums ver-
mittelt und angeeignet werden kann, die legierte Sache erst
durch den Willen des Legatars in sein Eigentum über-
gehen lassen.
Gajus, Comm., II, 195: „In eo vero dissentiunt pru-
dentes ; nam Sabinus quidem et Cassius ceterique nostri
praeceptores quod ita legatum sit, statim post aditam here-
ditatem putant fieri legatarii, etiam s'i Ignoret sibi legatum
esse dimissum, et posteaquam sclerlt et sprevent legatum,
perinde esse atque si legatum non esset. Nerva vero et
Proculus ceterique illius scholae auctores non aliter pu-
tant rem legatarii fieri, quam sie voluerit eam ad se per-
tinere; sed hodie ex divi Pii Antonini constitutione hoc
magis jure uti videmur quod Proculo placuit etc."
Wir haben diese Kontroverse eine notwendige genannt.
Ihre Notvv'endigkeit entsteht nämlich aus dem Konflikt, in
welchen m diesem Legat die Souveränität der beiden
Ich. die miteinander in Beziehung treten (des Erblassers
und Legatars), geraten muß. Die Souveränität des im
Legatar vorhandenen Ich verlangt, daß seiner streng ge-
schlossenen Unabhängigkeitssphäre nichts ohne seinen
Willen einverleibt werden kann. Die im Testament trium-
phierende Unendlichkeit des subjektiven Willens, welche
das innerste pulsierende Herz des römischen Volksgeistes
bildet, bringt aber hervor, daß der Testator mit der ganzen
Wucht des öffentlichen Geistes testiert, und verlangt somit
umgekehrt, daß, da im Legat nicht, wie in der Erb-
einsetzung, der Wille, sondern nur die Sache ver-
macht wird, auf den Willen des Legatars überhaupt
nicht gesehen, sondern ihm die Sache wie durch
ein Gesetz ohne seinen Willen angeeignet wird. Der
Wille des Toten ist mächtiger und wichtiger, weil die
250
Substanz des Volksgeistes darstellend, als der des
Lebenden.
Vom Standpunkte des Erbrechtes aus betrachtet, zeigt
sich daher die Ansicht der Sabinianer als die strengere
und konsequentere. Aber gerade deswegen mußte sie in
der späteren Zeit erliegen. Ebenso ist die tiefe Konse-
quenz evident, durch welche diese Ansicht mit der ent-
wickelten spezifischen Natur des Vindikationslegates
— bei welchem allein diese Kontroverse möglich ist —
verbunden ist. Denn aus der Willensherrschaft des Erben,
welche diejenige des Erblassers ist, kann, sagten wir, die
einzelne Sache überhaupt nur dann herausgeraten sein,
wenn sie schon zum wirklichen Eigentum eines Dritten
geworden ist. Ist sie dies im Moment des Erbschafts-
antrittes noch nicht, so vs^rde sie immer noch unter diese
Willensherrschaft gehören und somit dem Erben, da er
ja keinen Auftrag in bezug auf die so legierte Sache
empfangen hat, verbleiben müssen^).
Dies begriffliche Moment wird im römischen Recht mit
so schneidend scharfer Bestimmtheit festgehalten, daß jetzt
wieder die Prokulejaner, unter der treibenden Dialektik
dieses Begriffes die Konsequenz der Sabinianer über-
treffend, behaupten: die durch ein bedingtes Vindika-
tionslegat vermachte Sache sei während der hängigen
^) Darum sagen auch die Sabinianer nicht, daß die legierte
Sache durch Ausschlagung des Legatars zum Eigentum des
Erben, etwa durch Akkreszenzrecht, wird; denn die Entäuße-
rung der Sache durch den Legatar würde an und für sich
noch nicht imstande sein, sie unter die Willensherrschaft
des Erben zurückzubringen, sondern sie stellen dies so dar,
als sei dies Legat gar nicht dagewesen, ,,et posteaquam
sciverit et spreverit legatum, perinde esse atque 'si legatum non
esset".
251
Bedingung nicht des Erben, sondern die Sache
niemandes.
Gajus. II, § 200: ,,Illud quaeritur, quod sub conditione
per vindicationem legatum est pendente conditione cujus
esset; nostri praeceptores heredis esse putant exemplo
statu liberi id est ejus servi, qui testamento sub aliqua
conditione über esse jussus est, quem constat interea here-
dis servum esse ; sed dtversae scholae auctores putant
nullius Interim eam rem esse." Und notwendig nehmen sie
auch dasselbe von der pure legierten Sache an, so daß sie,
wenn sie dieselbe auch zum Eigentum des Legatars erst
durch dessen Wissen und Willen werden lassen, sie doch
immerhin darin mit den Sabinianern übereinstimmen, daß
sie dieselbe schon vorher als res nullius von der Willens-
herrschaft des Erben abgeschnitten betrachten^).
Da, wie v.'ir sahen, die Sache durch -dieses Legat zum
unmittelbaren quiritari sehen Eigentum, des Legatars wer-
den muß, weil sie sofort als die seinige gesetzt wird
^) Aber wenn die pure legierte Sache bis zum Wissen und
Willen des Legatars, und die sub conditione legierte bis zur
Erfüllung der Bedingung nach den Prokulejanern res nullius
sein soll, warum kann sie nicht okkupiert und usukapiert
werden? Und wieder umgekehrt, die Sablnlaner anlangend, wenn
die Sache nach diesen durch dies Legat so sehr der Willens-
herrschaft entzogen Ist, daß sie selbst vor dem Wissen und
Willen des Legatars unmittelbares Eigentum desselben ist, wie
kann sie während der hängigen Bedingung noch unter der Wil-
leusherrschaft des Erben stehen ? Auf keine dieser beiden Fragen
gibt es eine Antwort. An diesen äußersten dialektischen Spitzen
zeigt sich also das notwendige Scheitern der beabsichtigten Kon-
sequenz der juristischen Verstandesbestim.mungen, ein Scheltern,
notwendig deshalb, well diese Bestimmungen auf der Gnmdlage
eines fingierten Begriffes (Willensfortdauer nach dem
Tode) stattfinden. Das einzige konsequente Testamentsrecht ist
das römische — und dieses muß Inkonsequent sein.
252
und so gesetzt wird auf Grund jener nur dem römischen
Geiste einwohnenden Willensunsterblichkeit, so ergibt sich
als Folge beider Sätze von selbst, daß per vindicationem
vom Erblasser nur legiert werden kann, was er selbst in
seinem quiritarischen Eigentum hat. Gajus, II, § 196 :
,,Eae autem solae res per vindicationem legantur recte,
quae ex jure Quiritium ipsius testatoris sunt.' Aber hier-
mit ist die Reihe der Konsequenzen, zu welcher sich der
Begriff dieses bestimmten Legates abrollen muß, noch
lange nicht erschöpft.
Das Vindikationslegat, sagten wir, stellt nicht eine Ver-
mögensverfügung des Erblassers überhaupt, sondern eine
Abschneidung und Ausstoßung einer bestimmten
Sache von der Vermögensmasse des Testators und somit
von seiner auf den Erben übergehenden Willensherrschait
dar. Stellte es eine Vermögensverfügung überhaupt dar,
so würde es, wie wir später bei den anderen Legaten
sehen werden, auch auf die res futura sich erstrecken
können. Wenn es aber die Abschneidung und Entlassung
einer Sache aus der Willensherrschaft und Vermögens-
hinterlassenschaft des Erblassers ist, so muß diese be-
stimmte Sache, um so von ihr abgetrennt und entlassen
werden zu können, logisch notwendig vorher in dieser
Vermögensmasse und Willensherrschaft gewesen sein, und
daher auch schon zu dieser Zeit mit eben jenem ent-
scheidenden quiritarischen Rechte, welches wir
als die notwendige Bedingung für die gesetzgeberische und
durch bloße Willensverfügung die Sache als quiritarisches
Eigentum des Legatars setzende Bestimmung erkannt
haben. Dies also ist der begriffliche Grund, weshalb das
Vindikationslegat allein sich nur auf solche Sachen er-
strecken kann, die nicht bloß zur Zeit des Todes, son-
dern schon zur Zeit der Testamentsanfertigung
253
im quiritarischen Eigentum des Testators ge-
wesen sind.
Uipian, Fr. XXIV, § 7 : ,,Per vindicationem legari
possunt res, quae utroque tempore ex jure Quiritium testa-
mentoris, mortis et quando testamentum faciebat^)''
Hiervon gibt es eine Ausnahme. ,,Praeterquam," fährt
Uipian fort, ,,si pondere, mimero, mensura contineantiir,
m his enim satis est si vel mortis duntaxat tempore fuerint
ex jure Quiritium -)." Es gibt nichts Interessanteres als diese
Ausnahme, die keine Ausnahme ist, wenn auf den speku-
lativen Begriff gesehen wird. Denn was wir vorhin sagten,
gilt notwendig nur von der individuell bestimmten
Sache. Die Sache muß als diese individuell be-
stimmte schon zur Zeit der Verfügung im quiritarischen
Eigentum des Testators gewesen sein, um in dieser Be-
stimmtheit von ihm aus seiner Vermögensmasse abgetrennt
und als quiritarisches Eigentum des Dritten gesetzt zu
werden. Diejenigen Sachen aber, welche , .durch Ge-
wicht, Zahl, Maß bestimmt werden", sind gar
keine geschlossene Individualitäten, individuell bestimmte
Sachen ; sie sind vielmehr — Quantitäten. Die Quan-
tität ist ja aber eben die logische Kategorie der sich
gleichgültigen Veränderung, oder des in der
Veränderung mit sich Gleichbleibenden, und es
zeigt sich hier, daß das Recht diesen Satz der objek-
tiven spekulativen Logik wohl zu berücksichtigen
weiß. Weil das Wesen des Quantitativen dies beständige
Fließen und Außersichkommen ist, das aber in
^) Vgl. Uipian, das. § 11; Gajus, Comm., II, § 196:
„. . . alioquin inutile est legatum."
^) Gajus führt als Beispiel an, a. a. O. : „veluti \anum,
oleum, frumentum, pecuniam numeratam."
254
dieser Veränderung stets mit sich identisch,
stets Quantität bleibt, so ist durch diese Verände-
rung nichts geändert, sondern das Wesen des Gegen-
standes geblieben, w^s er war. Ja, es ist eben wegen der
objektiven Wirklichkeit des Spekulativen gar keine
andere Rechtsbestimmung möglich. Denn smnlich aus-
gedrückt : Hätte der Testator diese Quantität Öl, Wein
usw. zur Zeit der Testamentsanfertigung besessen, so
könnte er sie gar nicht mehr — außer durch höchsten
Zufall — auch noch zur Zeit des Todes besessen haben,
und besäße er dieselbe Quantität noch, so wäre nur das
Quantitative der Sache (100 Maß Öl, Wein) das-
selbe, aber es wäre schwerlich diese Quantität der da-
mals besessenen Sache, desselben Weines, Öles usw. Es
liegt im wirklichen Schicksal des Quantitativen, weil im
Wesen der Quantität, beständig ab- oder auch zuzu-
nehmen. Die vorhandenen Quantitäten zur Zeit des
Testamentes und zur Zeit des Todes können sich also
gar nicht entsprechen, weil die Quantität eben nicht Qua-
litatives, Bleibendes ist, und bei Dingen, die ihr
Wesen im Quantitativen haben ,,quae pondere, nu-
mero, mensura contineantur", reicht es daher, weil diese
die Kategorie des gegen seine Veränderung Gleichgültigen
darstellen, hin, wenn sie nur zur Zeit des Todes vorhanden
sind.
Wir haben den Begriff des Vindikationslegates aus dem
Gegensatz zwischen Erben und Legatar, zwischen
Willens- und S ach Vermächtnis überhaupt, abgeleitet
und ihn infolgedessen als die Abschneidung einer be-
stimmten Sache von der Hinterlassenschaft des Te-
stators erkannt, wodurch allein diese Sache der in den
Erben fortdauernden Willensherrschaft über das Vermögen
entzogen werden kann.
255
Wir zeigten, wie vermöge begrifflicher Notwendigkeit
diese Abschneidung nur durch die unmittelbare Entäuße-
rung der Sache zur Sache eines Dritten sich vollbringen
kann, so daß durch das Dasein dieses Legates die Sache
auf das vollständigste von der Vermögenshinterlassenschaft
des Testators abgetrennt ist.
Diese radikale Abtrennung der einzelnen Sache von der
Willensherrschaft des Testators zeigt sich wieder ent-
scheidend in den Bestimmungen über die Akkreszenz.
Wenn nämlich dieselbe Sache per vindicationem Zweien
legiert ist, sei es conjunctim, sei es disjunctim, und der eine
Legatar konkurriert nicht, so akkresziert der Teil des aus-
fallenden Legatars nicht dem Erben (wie dies beim
Damnationslegat der Fall), sondern dem anderen Le-
gatar. Denn das Dasein des Legates würde erst durch
das Ausfallen sämtlicher Legatare fortfallen. Durch den
konkurrierenden disjunktiven oder den conjunctim gesetzten
Kollegatar aber wird immer gleichmäßig das Dasein des
Legates f estgehalten-*^), durch dies Dasein aber die
Sache so entscheidend von dem Vermögen des Erblassers
abgetrennt, daß die Akkreszenz nur zugunsten des Kolle-
gatars, statt des Erben, gehen kann.
^) Tiefer daher als der bald folgende äußerliche Bericht
des Gajus, sagt uns Ulpian (das. § 12). bei dem conjunctim
gesetzten Vindikationslegat entständen nach Zivilrecht die
Teile erst durch die reale Konkurrenz der Legatare: „. . . si
vero conjunctim, velut ,,„Titio et Sejo hominem Stichum do,
lego" " jure civili concursii partes ficbant; non concurrente
ajtero, pars ejus alteri adcrescebat." Durch dieses erst Ent-
stehen der Teile durch die reale Konkurrenz ist die Not-
wendigkeit gegeben, daß hierbei die Akkreszenz überhaupt ein-
tritt, welche erst durch die lex Papla Poppaea beseitigt und in
Kaduzität umgewandelt wird.
256
Gajus, Comm. II, §199: ,,Illud constat, si duobus
pluribusve per vindicationem eadem res legata sit, sive con-
junctim, sive disjunctim, si omnes veniant ad legatum,
partes ad singulos pertinere et deficientis portionem coUe-
gatario adcrescere."
XVa. Das Vindikationslegat als Präzeptions-
legat.
Es ist jetzt nötig, eine Bestimmung hervorzuheben,
welche alle Arten von Legaten betrifft und den begriff-
lichen Gegensatz zwischen Legatar und Erben auf das
hellste bloßlegt: ,,A legatario legari non potest^)." In
der Tat, da das, was dem Legatar übertragen wird, nicht
der Wille, sondern die bloße Sache ist, so kann e r zu
keinem Willensvollstrecker gemacht und zu keinem wei-
teren Abgeben veranlaßt werden. Diesem Satze entspricht
auf der Seite des Erben der umgekehrte : ,, Heredi a semet
ipso legari non postest^). ' Dem Erben kann nicht von
sich selbst legiert werden. In der Tat ist dies ebenso un-
möglich, als bewirken, daß dem Eigentümer seine Sache
noch mehr gehört, als sie ihm schon gehörte. Als der
Willensherr ist er der Eigentümer der gesamten Hinter-
lassenschaft, insoweit nicht Stücke von dieser abge-
schnitten worden sind, indem sie als Eigentum eines
Dritten gesetzt wurden. Aber eben weil das Vindikations-
legat diese Abschneidung der einzelnen Sache von der
Erbschaft vollbringt, so kann gerade durch das Le-
gat per vindicationem, und nur durch dieses, der ab-
1) Ulpian, XXIV. § 20.
2) Ulpian, XXIV. § 22.
17 Lassalle. Ges. Setriften, Band XI. 257
geschnittene Gegenstand, eben weil er nicht mehr zur
Erbschaft gehört, auch besonders dem Erben gegeben wer-
den. In bezug auf diesen kann also auch der Erbe Le-
gatar sein, — und gerade hierdurch tritt auf das aller-
entscheidendste jenes Abgeschnittensein des Gegen-
standes von der Erbschaft als der Charakter dieses Le-
gates hervor. Zwar hat nun dieses Vindikationslegat, wenn
der Erbe selbst der Legatar ist, einen besonderen Namen
empfangen : legatum per praeceptionem. Allein die völlige
substantielle Identität desselben mit dem Vindikationslegat
liegt offen am Tage. Sie tritt schon in den Worten Ul-
pians hervor : ,,Per praeceptionem legari possunt res, quae
etiam per vindicationem^)." Noch deutlicher aber zeigt
sie sich gerade in der Kontroverse, welche dies Legat
zwischen den Sabinianern und Prokulejanern veranlaßt hat,
wobei sich zugleich der einzige Unterschied ergibt, der
etwa noch zwischen ihm und dem Vindikationslegat ge-
funden werden kann.
Wenn nämlich der gewöhnliche Legatar bei diesem
Legat durch die Vindikation die Sache von der Erbschaft
abschneidet, so wird dieses Abschneiden, sobald der Erbe
der Legatar ist, notwendig von selbst zu einem Voraus-,
Vorherabschneiden, vor Übernahme der Erbschafts-
masse. Denn hätte der Erbe sich erst in die Erbschafts -
masse einsetzen lassen, so kann er die Sache doch nicht
mehr von sich selbst vindizieren, besäße sie also nicht
legati modo, und deshalb muß auch, wenn mehrere
Erben sind, sofort durch das Judicium familiae erciscundae
dem Erben der ihm legierte Gegenstand zugesprochen
werden^). Hieraus fließt also die Ansicht der Sabinianer
^) Fr. XXIV § 11.
^) Gajus, II, § 219: ,,Ilem nostri praeceptores, quod ita
legatum est, nulla ratione putant consequi eum, cui fuerit lega-
258
hervor, daß per praeceptionem nur dem Erben legiert
werden könne, denn bei dem bloßen Legatar fehlt das
Hinterher der Erbschaft, welches jenes Abschneiden
zu einem Vorabschneiden macht, wie er deshalb auch
immer vindizieren kann.
Gajus, II, §217: ,,Sed nostri quidem praeceptores
nuUi alii eo modo legari posse putant, nisl ei qui aliqua
ex parte heres scriptus esset; praecipere enim esse prae-
cipuum sumere; quod tantum in ejus persona procedit, qui
aliqua ex parte heres institutus est, quod is extra portionem
hereditatis /7/-ö^cipuum legatum habiturus sit."
Aber ebenso ergibt sich hieraus, daß der ganze Unter-
schied beider Legate doch nur der Unterschied von A b -
schneiden und Vorabschneiden sei, daß er sich also
auf die Silbe ,,vor" reduziere, welche, in bezug auf den
gewöhnlichen Legatar hinzugefügt, sinnlos und unverbind-
lich sei, aber doch sein Legat nicht umwerfen könne, so
daß sich bei ihm das Präzeptionslegat von selbst
als einfaches Vindikationslegat darstelle.
Gajus, II, § 221 : ,,Sed diversae scholae auctores pu-
tant etiam extraneo per praeceptionem legari posse, proinde
ac si ita scribatur : Titius hominem Stichum capito, super-
vacuo adjecta Prae syllaba ; ideoque per vindlcationem
eam rem legatam videri, quae sententia dicitur divi Ha-
driani constitutione confirmata esse."
tum, praeterquam judicio familiae erciscundae, quod inter heredes
de hereditate erciscunda, id est dividunda, accipi solet; officio
enim judicis id contineri, ut et quod per praeceptionem lega-
tum est, adjudicetur.
17« 259
XVb. Der Widerspruch des Vindikations-
legates und seine Selbstentwickelung zum
Damnationslegat.
Überschauen wir nun, was sich bei Betrachtung des
Vindikationslegates ergeben hat, so ist es zunächst der dia-
lektische Widerspruch, in welchem dieses Legat mit
seinem eigenen Begriff steht, und zweitens die Auf-
hebung dieses Widerspruches, die an sich bereits ein-
getreten ist.
Durch die souveräne Willensverfügung dieses Legates
wird die Sache, sowie die Fortsetzung des erblasserischen
Willens durch den Erbschaftsantritt des eingesetzten Erben
gewiß ist, unmittelbar entäußert und als das quiritarische
Eigentum eines Dritten gesetzt. Allein ebendeshalb ist sie
dadurch auf das radikalste von der Willensherrschaft
des Testators, und darum des Erben, abgetrennt (s.
oben S. 236 fg.). Der dialektische Widerspruch ist also
der. daß, während der Begriff des testamentarischen
Rechtes überhaupt die Realisierung der subjek-
tiven Willensunendlichkeit ist und diese auch einer-
seits ihren Triumph durch das unmittelbare gesetz-
geberische Setzen der Sache als Eigentum eines Dritten
feiert (s. S. 241 fg.), andererseits gerade durch diese Ab-
trennung der Sache von der Willensherrschaft des Testa-
tors der Wille desselben — in bezug auf diese be-
stimmte Sache — fortzugehen aufgehört hat. In-
dem der Wille tut, was er kann, ist er untergegangen ; in-
dem er von seiner Befugnis Gebrauch macht, hat er sich
selbst negiert und ist in dieser Sache erloschen. Sie ist
nicht mehr Dasein dieses Willens und steht, absolut ge-
260
trennt von ihm. in keinerlei Bezug mehr auf ihn^). Der
Legatar reklamiert sie als die seinige, als res siia, nicht
auf Grund eines fortdauernden Willens des Testators,
sondern gerade auf Grund dessen, daß sie dieser Willens-
herrschaft entzogen und entäußert, daß dieselbe in bezug
auf sie zugrunde gegangen ist. — Der Wille hat sich also
in seinem Setzen und Verwirklichen ebenso vollständig
aufgehoben als gesetzt. Dies ist also noch das Un-
angemessene und dem Begriffe des Testamentes, der reali-
sierten Willensunendlichkeit des erblasserischen
Willens, Widersprechende an diesem Legat, weil durch
dasselbe der Wille des Erblassers über die Sache gerade
sein Ende gefunden hat. Dies ist also das Treibende
und Fortentwickelnde in dem Begriff des Vindikations-
legates. Soll das Legat wahrhaft und harmonisch dem Be-
griffe des Testamentes entsprechen, soll es die unendliche
Willensfortdauer des Testators verwirklichen, ohne
sie zugleich aufzuheben, so muß die Sache auf Grund
des noch fortdauernden Willens des Erblassers,
und also als Eigentum desselben — und daher auch,
was immer notwendig identisch ist, als Eigentum des
Erben — in den Besitz des Legatars übergehen.
Das Mittel zu dieser höchsten adäquaten Realisierung
des Legates ist bereits gegeben. Es liegt im Willens-
erhalter, im Erben, vor und hat sich ebenso auch schon
im Legat selbst herausgestellt: im Präzeptionslegat.
Indem nämlich dem Erben selbst die Sache legiert wurde,
^) Daher, wie wir S. 256 sahen, die Akkreszenz zugunsten
des Kollegatars. Der dialektische Widerspruch treibt sich so
weit, daß die Sache erst dann wieder zu dem Willen des Te-
stators (Erben) in Beziehung tritt, wenn gerade sein Wille auf-
hört, d. h. wenn es durch das Fortfallen sämtlicher Legatare
ist, als wenn das Legat nicht da wäre.
2f)\
mußte er, jenes Vorabschneiders wegen, genötigt werden,
in bezug auf das Legat zu handeln. Es durfte daher
beim Erben nicht mehr heißen, mit Benutzung der anderen
Formel des Vindikationslegates : Praehabeto, sondern
lediglich : Praecipito. Der Erbe muß also hier auch in
bezug auf die von der Erbschaft und Willensherrschaft
abgetrennte Sache handeln. Ist dies aber gegeben, so
liegt überhaupt kein Grund mehr vor, die legierte Sache
von der Willensherrschaft abzutrennen ; oder vielmehr die
Trennung derselben ist überwunden und das Legat hat die
Form angenommen, daß es zu einem verpflichtenden
Willensauftrag des Testators an den Erben wird, eine
bestimmte Handlung des Gebens und Verab-
reichens vorzunehmen.
Dies ist das legatum per damnationem, durch welches
bewirkt wird, was sich uns eben als notwendiges Postulat
ergeben, daß die Sache auf Grund des noch fortdauern-
den Willens des Testators und als Eigentum desselben
wie des Erben auf den Legatar übergeht.
Gajus, II, § 204: ,,Quod autem ita legatum est, post
aditam hereditatem, etiam si pure legatum est, non, ut
per vindicationem legatum, continuo legatario adquiritur,
sed nihilominus heredis est; ideo legatarius in personam
agere debet, id est intendere heredem rem sibl dare opor-
tere." Die Sache bleibt also bei dem Tode des Testators,
trotz des Legates, Eigentum des Erben, und der Le-
gatar hat jetzt auf Grund des noch fortdauernden
Willens des Erblassers gegen den Erben die persön-
liche Klage, daß dieser ihm das Eigentum daran ab-
trete.
262
XVIa Das Damnationslegat als das seinem Be-
griff adäquate Legat (optimum jus legati). Die
bonitarische Sache. Der Eigentumsübergang
der per damnationem legierten Sache durch
Manzipation, in jure cessio oder Tradition.
Das Damnationslegat ist also die höchste wahrhafte
Form des Legates, weil in ihr der testamentarische Erb-
rechtsbegriff, die subjektive Willensfortdauer, in seinem
Gegensatz selbst zu seiner affirmativen Realisierung ge-
langt ist. Im Damnationslegat bleibt das Legat zwar
immer noch der Gegensatz der Erbeinsetzung, Sachüber-
tragung im Gegensatz zur Willensübertragung, weil dies
der allgemeine Begriff des Legates überhaupt ist, der da-
her alle Formen des Legates beherrschen muß. Aber
dieser Gegensatz ist hier nicht mehr, wie beim Vindika-
tionslegat, ein bloß abstrakter, sondern das Legat ist
hier selbst von seinem Gegensatze, dem Erbbegriff,
durchdrungen, indem der Erbe hier zum tätigen
Subjekt des Legates selbst gemacht worden ist. Der
früher abstrakte Gegensatz zwischen Wille und Sache,
Erben und Legatar, realisiert sich hier so, daß der Wille
zum Übergreifenden beider, zur Einheit seiner
und seines Gegenteiles sich bestimmt und somit nach
seinem wahrhaften Wesen verwirklicht hat. Oder der
Triumph des Erbbegriffes in diesem Legat besteht darin,
den Erben handeln zu machen, worin sich, wie uir
dies schon früher überall zeigten, der Begriff des Erb-
iums, die Willensidentität z^vischen Erblasser und Erben,
erst wahrhaft bewährt. Und zwar bewährt sich hier
der Begriff des Erben gerade am Gegenteile seiner
?eibst, der Sachverfügung des Legates, und ist so erst
263
zur herrschenden Einheit der ganzen Sphäre aus der
früheren bloßen Gegensätzlichkeit erhoben worden. Zu-
gleich bewährt er sich durch das Fortgehen der
Sache als das interesselose reine Dasein des erb-
lasserischen Willens.
Weil also in diesem Legat die Willensfortdauer des
Erblassers, welche in der abstrakten Gegenübersetzung
von Wille und Sache im Vindikationslegat ebenso gesetzt
als negiert war, zur affirmativen Verwirklichung in ihrem
eigenen Gegensatz gelangt, so muß dciher dieses Legat, als
das vom Begriffe der gesamten Sphäre des Testament-
rechtes affirmativ durchdrungene, dem römischen Geiste
als das seinem Begriffe adäquateste, d.h. als das
beste, erscheinen. Und so sehr ist unsere Entwicklung
nichts janderes als der eigene Geist des römischen Erb-
rechtes, daß uns deshalb vom römischen Rechte das
Damnationslegat ausdrücklich als das ,,opümum jus le-
gati" bezeichnet wird. Ulpian, Fr. XXIV, §11:,,... quo
cautum est (nämlich durch das SC. Neronianum), ut quod
minus aptis verbis legatum est, perinde sit, ac si optimo
jure legatum esset ; Optimum autem jus legati per dam-
natlonem est/' Und Gajus, Comm., II, § 197: „Sed sane
hoc ita est jure civili ; postea vero auctore Nerone Caesare
senatusconsultum factum est, quo cautum est, ut si eam
rem quisque legaverit, quae ejus nunquam fuerit, perinde
utile sit legatum, atque si optimo jure relidum esset;
Optimum autem jus est per damnationem legatum.''
Da das Damnationslegat kein Geben des Erblassers
darstellt, sondern einen den Willen des Erben bestimmen-
den, vom Erblasser ausgegangenen Willensbefehl, daß er,
der Erbe, die zu seinem Eigentum gewordene Sache
fortgebe — die Formel lautet deshalb konsequent : Heres
meus Stichum ser\Tim meum dare damnas esto oder
264
dato — , so ist es natürlich schon deshalb nicht mehr
erforderlich, daß die Sache, wie beim Vindikationslegat,
quiritarisches Eigentum des Testators sei, und daß sie be-
reits zur Zeit der Testamentsanfertigung in seinem Eigen-
tum, quiritarischen oder bonitarischen, sich befinde. Denn
daraus, daß die Sache erst vom Erben gegeben wird,
folgt, daß die Sache unter Lebenden gegeben wird,
und hieraus wieder, daß der Zeitpunkt der Testaments-
emfertigung überhaupt ganz gleichgültig ist. Da der Erb-
lasser die Sache nicht dem Legatar gegeben, son-
dern nur den Willensauftrag hierzu für den Erben Kinter-
lassen hat, so ist notwendig zunächst schon das ganz einer-
lei, ob er die Sache bereits zur Zeit des ersten Willens-
ausdruckes oder erst zur Zeit der im Tode vor sich
gehenden Willensbestätigung (vgl. Bd. I, sub III, Nr. VI)
im Eigentum gehabt hat.
Femer, wenn die Sache, weil durch den Erben ge-
geben, unter Lebenden gegeben wird, so folgt daraus,
daß dieses Legat, obgleich es Legat optimo jure ist,
dennoch nicht den gesetzgeberischen und spezi-
fisch-römischen Charakter haben kann, den wir oben
(Nr. XV) als eine begrifflich notwendige Seite des Vin-
dikationslegates entwickelt haben ; d. h. es folgt hieraus
schon, daß die Sache überhaupt nicht im quiritarischen
Eigentum des Erblassers gestanden zu haben braucht, son-
dern durch dieses erst durch den Erben wirkende Legat
auch bonitarische Sachen gerade so gegeben werden
können, wie sie überhaupt unter Lebenden ver-
äußert werden können. Denn das quiritarische Eigentum
des Testators war, wie wir oben sahen, nur deshalb nötig,
weil dasselbe durch den Toten selbst — beim Da-
sein des Erben, d.h. bei der durch die Erbantretung ge-
wiß gewordenen Willensfortdauer des Testators — ge-
265
geben, also, wie wir daselbst sagten, auf die römisch-
ste Weise von der Welt gegeben wird und wegen
dieser gesetzgeberischen, d. h. mit der ganzen Wucht des
bestimmten öffentlichen Volksgeistes ausgerüsteten Weise
des Gebens unmittelbar als spezifisch-römisches Eigen-
tum des Legatars gesetzt wird, weshalb aber eben diese
Weise des Gebens sich nur auf Sachen erstrecken kann,
an denen dem Testator zuvor selbst dies spezifisch -
römische, quiritarische Eigentum zustand.
Soll das aber alles richtig sein, was v/ir hier sagten,
so würde zunächst noch ein anderes folgen müssen. Es
würde nämlich hier wieder hell und deutlich hervortreten
müssen, mit welchem Rechte wir oben (S. 243 fg.) sagten,
daß der Tote stärker und mächtiger sei als der
Lebende. Da nämlich die per damnationem legierte
Sache nicht vom Toten selbst, sondern durch den
Erben, und also unter Lebenden gegeben wird, so
würde die legierte Sache nicht durch das Legat als solches,
auch nicht durch ihre Überlassung seitens des Erben, nicht
selbst durch ihre Übergabe durch den Erben an den Le-
gatar in das Eigentum des letzteren übergehen
können, sondern dieser Übergang in das Eigentum des-
selben wird nur bewerkstelligt werden können durch das
Hinzutreten jener Formen, welche, je nach der Be-
schaffenheit der Sache, allein Eigentumsübertrag
unter Lebenden hervorzubringen imstande
sind. Und so sagt Gajus ausdrücklich, II, § 204 :,,.... et
tum heres, si mancipii sit, mancipio dare aut in jure cedere
possessionemque tradere debet ; si nee mancipii sit, suff icit
si tradiderit ; nam si mancipii rem tantum tradiderit, nee
mancipaverit, usucapione dumtaxat pleno jure fit lega-
tarii."
Die Sache muß also, wenn sie res mancipii ist, vom
266
Erben dem Legatar manzipiert oder in jure zediert werden,
um sie zum Eigentum dessellx^n zu machen ; wenn sie res
nee mancipii ist, ist mindestens die Tradition erforderlich.
Es muß dies sein, und der Begriff behauptet mit jedem
Schritt sein siegreiches Recht ; denn das Damnationslegat
ist, weil bei ihm der Erbe die -Sache als sein Eigentum
gibt, nicht mehr ein Geben des Toten, und also der
Kraft desselben beraubt, die Sache durch bloßen Willens-
akt als Eigentum des Dritten zu setzen ; sondern es ist
ein Geben unter Lebenden geworden^), und daher
nur in denjenigen Formen zu vollbringen, welche für Ver-
äußerungen unter Lebenden maßgebend sind.
■*) Und man bemerke, wie Schritt für Schritt die Vollendung
des Testamentsrechtes, um der fiktiven Natur des zugrunde
liegenden Begriffes willen, sich als em ebenso fortgesetztes
beständiges Scheitern darstellt. Es ist die ungeheure
riesenhafte Anstrengung, das zu vollbringen, was gar nicht voll-
bracht werden kann. Beim Vindikationslegat scheitert der Wille,
der sich im Testamente fortsetzen will, daran, daß er, wie wir
oben gesehen haben (S. 260 fg.). sich In diesem Setzen vielmehr
negiert. Durch seine Verfügung hat er In Bezug auf die Sache
zu sein aufgehört, sie von sich abgetrennt, und der Le-
gatar reklamiert sie nicht als die Sache des Testators, sondern
als die seinige.
So erhebt sich das Legat zu seiner adäquatesten Blüte, zum
Optimum jus des Damnationslegates. Jetzt erhält der Legatar
die Sache auf Grund des fortdauernden Wdlens des Te-
stators, muß sie als Sache des Testators und des Erben be-
gehren. Aber nun hat das Legat überhaupt aufgehört, als
testamentarische Verfügung die Sache zu geben und Ist
zu einem Akte unter Lebenden geworden, was sich
eben am deutlichsten In der Notwendigkeit der Manzlpatlons-
handlung ausspncht !
267
XVIb- Das Damnationslegat als das reale Ge-
setztsein der Momente des Erbbegriffes, in
seinen drei Formen: als Legat der dem Erben
gehörenden Sache, als legatum rei alienae und
als legatum rei futurae. Die Akkreszenz.
Aber hiermit kann der Kreis der vom Begriff hervor-
getriebenen Konsequenzen noch nicht geschlossen sein. Das
Damnationslegat ist dasjenige Legat, welches, wie wir
sahen, vom Erbbegriffe selbst durchdrungen ist. Indem
also in ihm der Erbbegriff selbst erschemt, und zwar nicht
mehr als bloß ruhig seiende Willensfortsetzung, son-
dern mdem er hier als das Tätige, auf sein Gegen-
teil, die legierte Sache, Gespannte und Bezogene auf-
tritt, muß gerade hier, in dieser scharfen und gegensätz-
lichen Stellung des Erben, der wahre und wirkliche Be-
griff des Erbtums wie unter dem Reflex eines plötzlichen
grellen Lichtes in der schneidendsten Markierung heraus-
treten. Wenn also wirklich das der wahrhafte Begriff des
Erbtums ist, was wir vom Anfang dieser Abhandlung an
entwickelt haben, daß nicht die Vermögensüber-
tragung, sondern nichts anderes als die Willensfort-
pflanzung, die subjektive Willensunsterblich-
keit, der Begriff des Erbtums ist, so wird hier der Ort
sein, wo dies in der gegensätzlichsten und jeder Ver-
wischung unzugänglichen grellen Schärfe der Züge zum
Vorschein kommen muß. Und in der Tat findet der ent-
wickelte spekulative Begriff hier seinen souveränen und
]eden Widerspruch abschneidenden Beweis in drei Sätzen ^) :
Der Erblasser kann die Sache legieren, die gar nicht sein,
1) Gajus. II. §§ 202, 203. 210: Ulplan. XXIV. §§ 8. 10.
268
f
sondern nur des Erben Eigentum ist. Er kann ferner die
res aliena, d.h. die Sache legieren, die weder sein noch
seines Erben Eigentum, sondern das eines beliebigen
Dritten ist. Er kann endlich die res futura legieren,
d. h. die Sache, die noch gar nicht in rerum natura ist,
sondern erst künftighin einmal existieren wird.
In dem ersten Satz zeigt sich die zutreffende Wahr-
heit des schon früher von uns zur Erklärung des Erb-
begriffes (vgl. S. 159) angerufenen Verses des Plautus in
seinen beiden Hälften. Wenn das Testament eine V e r -
m ö g e n s Übertragung wäre, so würde der Testator nie-
mals dazu kommen können, über das selbständige Eigen-
tum des Erben zu disponieren. Da aber der Begriff der
Erbeinsetzung vielmehr der ist, einen anderen subjektiven
Willen als die Fortexistenz und das identische Da-
sein des eigenen Willens zu setzen, so findet eben
Willensidentität zwischen beiden statt, und der Erb-
lasser wird also notwendig ebenso Willensherr über das
Vermögen des Erben, als dieser über das Vermögen des
Erblassers, wie dies (vgl. Nr. VIII) als aus dem Be-
griffe folgend näher gezeigt worden ist und sich hier nur
an diesem Legate praktisch bestätigt.
Auf das stärkste tritt in dem zweiten Satze, dem Le-
gate der weder Erben noch Erblasser gehörenden Sache,
der wahre geistige Begriff des Erbtums in seiner von uns
entwickelten kulturhistorischen Tiefe und Bedeutung (vgl.
S. 44 fg.) her\'or. Wenn das Erbtum in seinem Begriffe
eine Vermögenszuwendung, das Testament eine Verfügung
des Testators über sein Vermögen wäre, so würde es keine
Brücke geben, welche dahin führte, die Sache eines Dritten
legieren zu können.
Der testamentarische Erbe ist aber, sagten wir, die
römische Unsterblichkeit, d.h. diejenige geistige
269
Unsterblichkeit, welche sich der welthistorische Geist auf
der römischen Stufe erobert, die Unsterblichkeit
des subjektiven Willens. Der Wille ist aber, wie
wir gleich anfangs als seinen Begriff entwickelten
(S. 34 fg.), nichts anderes als der Trieb des Sub-
jektes, sich in der Außenwelt zu realisieren und die-
selbe sich zu unterwerfen. Der subjektive Wille ist durch-
aus nicht, wie wir, worauf hier Bezug genommen werden
muß, schon oben (S. 46) als begrifflich notwendig und
als besonders kennzeichnend nachgewiesen haben, auf das
Eigene der wollenden Person, auf ihr Eigentum be-
schränkt. Er hat in dem eigenen Vermögen der Person
nur die unmittelbar gegebenen Mittel seiner Ausfüh-
rung, aber durchaus nicht die Grenze und das ausschließ-
liche Objekt seines Wollens, die er vielmehr nur in der
gesamten Außenwelt hat. Soll also die von uns in
Anspruch genommene, gleichsam supranaturalistische Be-
deutung der subjektiven Willensfortdauer wirklich
die zentrale Bedeutung des Erbtums sein, soll diese Fort-
dauer eine reale sein, so muß der Wille des Testators
noch nach seinem Tode fortleben und der gesamten
Außenwelt gegenüber fortwirken und fort-
gelten können, ganz wie während des Lebens des In-
dividuums.
Darum muß der Testator durch das Damnationslegat,
durch welches er den Erben nach seinem Willen handeln
läßt, auch die res aliena legieren können, und der Erbe
ist nun verpflichtet, die Sache herbeizuschaffen, oder,
wenn des Testators Wille an der Souveränität eines an-
deren Ich, an der Unabhängigkeit des Eigentümers, der
sie nicht verkaufen will, zerschellt und auf Unmöglichkeit
stößt, und er also die Sache in ihrer spezifischen Körper-
lichkeit nicht übergeben kann, mindestens das Mögliche
270
aus dem testierenden Willen zu erfüllen und ihren all-
gemeinen Tauschwert dem Legatar abzuführen (Ga-
jus, II, 202: . . . -dwi aestimationem ejus dare debet").
Vgl. Bd. I. S. 184. iNote 3, S. 347, Note 1.
In dem legatum rei alienae feiert also die subjektive
Willensfortdauer deshalb ihren höchsten Triumph, weil sie
sich durch dasselbe der gesamten ob jektivenAuDen-
welt gegenüber als fortbestimmend und fort-
wirkend betätigt. Und ganz merkwürdig deutet uns
in einem nunmehr ganz klaren, obwohl bisher gleichfalls
stets übersehenen Sinnzusammenhange Gajus an, eben-
deshalb sei das legatum per damnationem das Optimum
jus, weil durch dasselbe die res aliena legiert werden
könne. ,,Comm., II, §197: ,,... Optimum autem jus est
per damnationem legatum, quo genere etiam aliena res
legari potest, sicut inferius apparebit ! ..."
Wenn aber das Erbtum wahrhaft die realisierte Willens-
fortdauer des Toten sein soll, so darf der Wille des Toten
nicht etwa, wie wir gleichfalls schon früher zeigten
(S. 42 fg.), nur einen Augenblick über den Tod hinaus
fortdauern, um dann zu erlöschen, wie dies für die bloße
Vermögensübertragung hinreichend wäre, sondern er muß
überhaupt und ins Unendliche als fortexistierend gesetzt
sein, d.h. so lange natürlich, als der Erbe, der das Da-
sein dieses Willens bildet, da ist, wodurch aber, da der
Erbe wieder seinerseits einen Erben, d. h. Willenserhalter
hinterläßt, das Dasein dieses Willens ins Unendliche kon-
tinuiert ist. Ist der subjektive Wille so für alle Zukunft
als daseiend gesetzt, so braucht er sich in seinen Wir-
kungen nicht auf die zur Zeit des Todes vorhandene Welt
zu beschränken, sondern hat die Bewährung seiner Un-
endlichkeit gerade darin, dtiß er auch über die in Zu-
kunft erst entstehende Sache schalten und walten
271
kann. Er kann also über noch gar nicht Vorhan-
denes, über ein Kind, das künftig einmal eine Sklavin
gebären wird, oder über Früchte, die in Zukunft auf einem
Acker gewachsen sein werden, verfügen. Gajus, II, 203:
,,Ea quoque res quae in rerum natura non est, si modo
futura est, per damnationem legari potest, velut fructus
qui in illo fundo nati erunt, aut quod ex illa ancilla
natum erit."
Kaum bedarf es noch der Erwähnung, daß bei dem
Damnationslegat, weil hier die Sache zunächst Eigentum
des Erben bleibt, wenn von konjunktim gesetzten Lega-
taren einer fortfällt, die Akkreszenz seines Anteiles, im
Unterschiede vom Vindikationslegat, zugunsten des Erben,
unter dessen Willensherrschaft die Sache ja steht, laufen
und der Anteil also jure civilt in der Erbschaft bleiben
mußi).
XVII. Das Damnationslegat als das auf den
Erbbegriff, und damit auf die Totalität der
Erbschaft bezogene Legat, oder das legatum
partitionis. — Der heres ex certa re.
Der Begriff des Legates überhaupt ist, daß Sachen
übertragen werden, im Gegensatz zum Willen, der auf
den Erben übertragen wird. Der besondere Begriff des
Damnationslegates ist, daß dies S a c h Vermächtnis durch
den Willensträger selbst, dem ein Handeln auf-
getragen wird, zur Ausführung gebracht werden soll.
1) Ulpian, Fr. XXIV, § 13; Gajus. II. § 206.
272
Durch das Vindikationslegat können immer nur
einzelne Sachen vermacht werden, zwar alle einzelnen
Sachen, aber immer nur als einzelne, und zwar not-
wendig deshalb, weil der Begriff dieses Legates, wie wir
gesehen haben, der ist, die Sache von der Willensherr-
schaft des Testators abzustoßen, abzuschneiden.
Bei dem Damnationslegat dagegen, welches nicht mehr bei
dem abstrakten Gegensatz von Wille und Sache stehen
bleibt und das Vermächtnis durch die Abtrennung der
Sache vom Willen vollbringt, sondern den Erben selbst
zum Handelnden macht, kann also diese Beschränkung
nicht mehr stattfinden. Weil der Begriff des Le-
gates prinzipiell durchaus nicht im Gegensatze vom
Einzelnen und Ganzen der Erbschaft, sondern schlech-
terdings nur in dem angegebenen Gegensatze von Wille
und Objekt liegt, muß es hier gestattet sein, ebensogut wie
einzelne Sachen auch einen universellen Anteil der
Erbschaftsmasse, und z^^'ar jede beliebige Quote
derselben zu legieren. Dies zeigt sich im legatum
partitionis, welches sich, da der Erbe darin zum Han-
delnden gemacht ist, als eine einfache begriffliche Unter-
art des Damnationslegates darstellt.
Ulpian, Fr. XXIV, § 25 : Sicut singulae res legari
possunt, ita universarum quoque summa legari potest, ut
puta hoc modo, heres meus cum Titio hereditatem meam
partito, dividito ; quo casu dimidia pars legata videtur.
Potest autem et alia pars, velut tertia, vel quarta legari,
quae species partitio vocatur-"^).
Nichts kann also entscheidender zeigen, als das Parti-
tionslegat, daß der Gegensatz des Einzelnen und des
Ganzen des Vermögens gar nicht, wie Gans überall meint
1) Vgl. Gajus, Comm., II, § 254.
18 L?£5al]* Ges. Sctriften. B=..d XI. 273
und überdies allgemein angenommen wird, den Begriff
des Legates bildet. Gans wiederholt gerade noch bei
diesem Anlaß (II, 209) : ,,Das Legat verhält sich zur
Erbschaft wie ein Einzelnes zum Ganzen." Nein!" Das
Legat verhält sich zur Erbschaft wie das Objekt zum
Willen, und nur weil der Wille das Allgemeine
(nicht Ganze) der einzelnen Objekte bildet, die unter
seiner Herrschaft stehen, hat auch jener Satz von Gans
seine relative, häufig äußerlich zutreffende Richtigkeit,
kann aber niemals den Begriff und die geistige Bedeu-
tung von Legat und Erbrecht angeben, und ebensowenig
auch nur äußerlich-praktisch überall zutreffen^). Der
durch solche Verfügung Bedachte erhält in dem von Ul-
pian gesetzten Fall ganz dieselbe Totalität der
Hinterlassenschaft, wie der Erbe; er erhält sie
nicht nur fsiktisch, d.h., wie Gans (S. 210) sehr will-
kürlich und gegen die direkte Tatsache sagt ,,zu lauter
Einzelnen und diesen (Gegenständen) abgezählt", sondern
er erhält sie auch ausdrücklich als Totalität: heredi-
tatem meam partito, dividito. Er ist also gesetzt als
^) So scheitert er z. B. völlig, wie beim Partitionslegat, auch
beim legatum rei alienae, und schon beim Legat der Sache
des Erben. Denn wäre der Gegensatz des Einzelnen zum Ganzen
der Erbschaft der Begriff, so könnte nun immer ein Einzelnes
aus der Erbschaft, also aus dem eigenen Vermögen, legiert
werden. Da aber der Begriff des Erbtiuns nur die Wdlens-
erhaltung ist, und der Wille zu seinem begrifflichen Gegenstand
nur die gesamte Außenwelt hat, der Gegensatz von Erbe und
Legat also nur der von Wille und Objekt überhaupt
ist, so muß auch das fremde Objekt vermacht werden können,
was daher bei Gans (II, 200) gleichfalls eine nicht begriffene
Tatsache bleiben muß. So scheitert also dieser Begriff ebenso
sehr an dem Legat selbst, wie wir früher gesehen haben, daß
er unfähig ist, das Erbium zu erklären.
274
ein solcher, der dieselbe Vermögenstotalität
haben soll, wie der Erbe. (Er kann selbst, wie die
Worte Ulpians zeigen, somit die lex Falcidia nicht ver-
letzt wird, noch einen viel größeren Totalitätsanteil er-
halten, als der Erbe). Gleichwohl bleibt der so Bedachte
immer nur ein bloßer Legatar, denn was ihm so übertragen
wird, ist immer nur — ob als Einzelnes, ob als Totalitäts-
anteil — Gegenständlichkeit, materielle Vermögens-
hinterlassenschalt, Sache, nicht Wille, was allein den
Begriff des römischen Erben konstituiert^).
^) Dies ist so sehr der Begriff des Erben, daß ihm gar
keine Sache gegeben werden kann. Hierdurch würde er
zum Sachempfänger, d.h. Legatar werden. Der Erbe kann
die Sachen immer nur als Folge dessen haben, daß er ist
(heres esto\ der daseiende Wille des Testators ist; aber
die Sache geben kann ihm selbst der ausdrückliche
iWille des Testators nicht, ohne, wie wir gleich sehen werden,
ihn zum Legatar zu machen. Dies zeigt sich mit der streng-
sten und interessantesten spekulativen Konsequenz beim heres
ex certa re. Wird nämlich jemand ausdrücklich vom Testator
für eine bestimmte Sache zum Erben eingesetzt,
so schlägt und beseitigt der ihm einmal aufgedrückte Charakter
als Willensinhaber des Toten die Beziehung auf die
Sache, deren Erbe allein er sein sollte, und er ist Erbe
überhaupt, als wäre nichts von der Sache hinzugefügt.
Ulpian, L. 1, § 4 de her. inst. (28, 5): „Si ex fundo fuisset
ahquis solus institutus, valet institutio detracta fundi mentione."
Der Erbe kann also negativ auf eine Sache beschränkt
werden, indem die anderen Sachen sämtlich von der Erbschaft
abgestoßen werden (Vindikationslegat), oder ihm aufgetragen
wird, sie abzugeben. Aber in positiv-direkte Beziehung
auf die Sache kann er selbst durch den Willen des Testators
nicht gebracht werden. Der Willensbegriff in ihm greift sofort
über und beseitigt die unmittelbare Beziehung. Es kann ihm
rachts vom Testator gegeben werden; denn sowie ihm der
speziellste Gegenstand mit der Erbformel gegeben wird, stößt
i8» 275
Und ebensowenig hört der Erbe dadurch auf, Erbe zu
sein, obwohl er dieselbe oder größere Vermögenstotalität
als solche, die er bekommt, abzugeben angewiesen wird.
sein hierdurch erzeugter Begriff, Willenskontinuator zu sein,
die Sache ?ls eine gegebene von sich ab und unterwirft sie,
wie alles, was in der Erbmasse vorhanden ist, seiner eige-
nen, aus seinem eigenen Rechte als Willensdasein des
T.qteii fließenden Herrschaft. Die entwickehe Natur des Be-
griffes tritt endlich noch deutlicher hervor, wenn nicht ein,
sondern mehrere Erben ex certa re eingesetzt sind.
iWieder Nvird durch die Kraft des zivilrechtlichen Begriffes
jeder von ihnen zum Erben zu gleichen Teilen, als lautete
die Erbeinsetzung nicht auf eine bestimmte Sache; die hin-
zugefügte Sache aber wird zum Präzeptionslegat, d.h.
es wird zur Bestätigung dessen, was wir am Eingang dieser Note
sagten, daß der Testator dem Erben als solchem nicht geben
kann, dieser vielmehr hierdurch notwendig zum Legatar würde,
der Erbe tatsächlich und durch die bloße Operation des Be-
griffes von selbst zum Legatar für die gegebene Sache
verwandelt. Ulpian, L. 35 pr. de her. inst. (28, 5): „Dice-
bam receptum esse, rcnini heredem instituti posse (schon die
bloße Versicherung, es könne in gewisser Weise ein rerum heres
eingesetzt werden, hätte unseren Autoren die größte Verwun-
derung und dadurch ihr Nachdenken veranlassen sollen, da sie
bisher ja jeden Erben inhaltlich immer nur als einen rerimi
heredem auffaßten), nee esse inutilem stipulationem ; sed ita
ut officio Judicis familiae herciscundae cognoscentis continsa-
tur, etc. ; emnt qiiidcm lieredes ex aequis partibns quasi suis
partibus instituti ; verumtamen officio Judicis tenebuntur, ut
unicuique eoruni fundus qui relictum est adjudicetur aut attri-
buatur." Papinian, L. 78 pr. eod. tit. : „. . . jure semisses
ambos habere constitit, sed arbitnim dividendae hereditatis su-
premam voluntatem etc." Gajus, L. 17 de lest. mil. (29, 1):
„Si certarum rerum instituerit miles, veluti alium urbanorum
praediorum, alium rusticorum, alium ceterarum rerum, valebit
institutio, perindeqiie habebitur atque si sine partibus heredes eos
instituisset, resque omnes suas per praeceptionem cuique le-
gando distribuisset."
276
Denn abgebend bekundet er sich gerade als der, den der
Testator handeln macht als der echte Willensträger
i. e. Erbe desselben.
Es ist daher nur die Folge dieses Verkennens des wal-
tenden Begriffes, welche Gans dazu bringen muß, das
Partitionslegat als eine ,, Unangemessenheit" zu bezeichnen
(S. 210) und die Rache für diese Unangemessenheit des
Verstandes darin zu sehen, daß die Schulden allein auf
den Erben übergehen, dieser sich daher erst mit dem Le-
gatar durch besondere Stipulationen partis et pro parte
wegen der Schulden sichern muß. Es ist dies vielmehr
nur die konsequente und echt spekulative Folge des zivil -
rechtlichen Erbbegriffes, während der Legatar, der nur em
Vermögensaktivum empfangen hat, an und für sich mit
den Schulden nichts zu tun haben kann.
Wenn aber der Testator dem Erben dies Abgeben des
gleichgroßen und größeren Anteiles, den er selbst emp-
fängt, auftragen kann, so kann er ihn zunächst doch nicht
beauftragen, die gesamte Totalität als Totalität
abzugeben. Denn wenn er ihn sehr wohl zum Abgeben
des ganzen Vermögens durch Verfügung über alle ein-
zelnen Objekte beauftragen, oder durch Vindikations-
legate alle diese von seiner Willensherrschaft abstoßen
kann, so würde es doch, wie wir schon früher gesehen
haben, formell den Begriff des Erben verletzen (s. hier-
über oben S. 192 fg.), die gesamte Totalität als Totalität
fortzugeben. Denn das Vermögen der Person als ein-
faches Ganzes gesetzt, drückt nicht mehr bloß einzelne
Sachen, oder einen Umfang von Sachen, sondern die
Realität ihres Willens aus, das gegebene unmittel-
bare reale Dasein dieser Willenssubjektivität.
Der Erbe soll nun selbst das reale Dasein des erb-
lasserischen Willens darstellen. Es muß daher wider-
277
sprechend erscheinen, während er selbst diese Realität sein
soll, ihm dieselbe als solche, als einfache Einheit,
wieder abzusprechen. Soll dies gleichwohl geschehen, so
muß es also mit Berücksichtigung jenes for-
mellen Rechtes des Erben, d.h. bittweise ge-
schehen (Fideikommiß), bis dann die Dialektik des Um-
standes, daß nach jus civile durch Einzelverfügungen das-
selbe Resultat zu erreichen freistand, der Bitte Zwang
verleiht. (S. hierüber genauer oben sub Nr. IX.)
Das Fideikommiß erweist sich so seitens des Fidei-
kommissars als ein Ausfluß des Damnationslegates.
XVIII. Die Selbstaufhebung des Damnations-
legates. Das Gesetztsein seiner Widersprüche,
oder das legatum sinendi modo.
Wir haben aber bereits gezeigt (S. 265 — 268), daß der
Begriff des Testamentes im Damnationslegat nicht we-
niger, wenn auch in umgekehrter Weise, scheitert als im
Vindikationslegat, Denn aus der testamentarischen Ver-
fügung ist jetzt ein Geben der Sache als Eigentum
des Erben und folgeweise ein Akt unter Lebenden
geworden, so daß, wie wir an der Notwendigkeit der
Manzipationshandlung gesehen haben, der Erbe
erst die Gültigkeit der Eigentumszuwendung
hervorbringen muß, die ja gerade als Wille des
Toten Gültigkeit haben soll.
Das Testament versucht daher, auch diese Negation
seiner selbst aufzuheben und, indem es durch den Erben
278
handelt, doch den Erben wieder zu beseitigen und
durch sich selbst zu geben, was es gibt.
Diese neue Anstrengung, welche die dritte und letzte
Form des Legates, das legatum sinendi modo, erzeugt,
bringt es aber nur zu dem offenen Heraustreten der
bisher innerlich im Legat verborgenen Wider-
sprüche, so daß das legatum sinendi modo als die voll-
ständige Auflösung des Legates überhaupt erscheint,
und die jetzt offen hervorgetretenen Widersprüche des
Begriffes Schritt für Schritt das Aufeinanderplatzen der
Kontroversen nach sich ziehen müssen.
Die Formel dieses Legates lautet: ,,Heres meus dzim-
nas esto sinere Lucium Titium hominem Stichum sumere
sibique habere^)." Schon in dieser äußerlichen Formel
tritt der Begriff dieses Legates vollkommen klar zutage.
Es ist kein unmittelbares Geben durch den Testator, wie
das Vindikationslegat, sondern ein Handeln desselben durch
den Erben, ein Willensauftrag an diesen. Es ist daher ein
Damnationslegat, und darum heißt es auch in der
Formel ,,damnas esto". Andererseits soll aber der Erbe
wieder verdrängt werden, damit der Testator selbst als
der Handelnde zum Vorschein komme. Die Handlung
welche dem Erben aufgetragen wird, ist daher ein Nicht-
handeln, ein Nichtgeltendmachen seines Erbrechtes, eine
reine Passivität. Damit also das Testament selbst als
das Handelnde zum Vorschein kommt, hat der Erbe nur
zuzulassen, und zwar dies zuzulassen, daß der Legatar
selbst auf Grund des Testamentes, wie beim Vindikations-
legat, die Sache nimmt und für sich hat, und es werden
deshalb konsequent vom Vindikationslegat die Worte und
die Formel aufgenommen: ,, sumere sibique habere". Dieser
0 Gajus, II, § 209.
270
Charakter des Vindikationslegates wird aber wieder da-
durch aufgehoben, daß das Legat durch den Erben gehen
soll, und also ein Damnationslegat ist, und dies wird
wieder dadurch aufgehoben, daß der Erbe sich beiseite
halten und der Legatar sich direkt auf Grund des Testa-
mentes nehmen soll, daß es also ein Vindikationslegat ist,
und dies wird wieder in unaufhörlichem Wechsel negiert
durch das erste Glied, wie dieses durch das zweite, und
umgekehrt ins Unendliche. Das legatum sinendi modo ist
also nicht die Einheit^) des Damnations- und Vindi-
kationslegates, sondern der herausgesetzte Wider-
spruch eines jeden von beiden mit sich selbst,
der geoffenbarte Widerspruch und die objektiv
gewordene Unmöglichkeit, die im gesamten
Legats- und testamentarischen Erbbegriff liegt.
Der Wille kann wohl sagen : Titius soll mein Dasein sein,
ohne sich dabei schon in sich selbst zu widersprechen. Er
stellt damit nur ein unmögliches Postulat auf, dem bloß
die Realität widerspricht, weil Titius in alle Ewigkeit
ein anderer subjektive Wille als der Sagende ist und bleibt.
Wenn aber der Wille nun weiter geht und zum Beweise
seiner realen Fortdauer sich von selbst unter-
scheiden und reale Bestimmungen (Legate)
treffen will, dann muß die von Anfang an vorhandene Un-
möglichkeit des fiktiven Begriffes ihm als Widerspruch
^) Wie Gans, II, 201 fg., meint, der aber bei dieser An-
sicht deshalb stehen bleiben muß, weil er völlig übersieht, wie
sowohl das Vindikations- als das Damnationslegat jedes schon
seinem eigenen Begriffe widerspricht und die testamen-
tarische Willensfortdauer ebenso aufhebt wie verwirklicht,
wie wir dies oben ausführlich nachgewiesen haben. Erst durch
diese Darstellung wird dem testamentarischen Erbrecht mit semer
objektiven Entwicklung auch seine objektive Kritik zuteil.
280
mit sich selbst zu allen Poren herausschlagen, und das
Ringen gerade, diesen Widerspruch, in welchen der Wille
jedesmal im Vindikations- wie im Damnationslegat inner-
lich mit sich selbst gerät, zu überwinden, kann, weil dieser
Widerspruch sein not\vendiges Schicksal, in nichts anderes
als in den offenbar gewordenen und heraus-
gesetzten Widerspruch als solchen, d. h. in die voll-
ständige Auflösung des Legates münden, eine Auf-
lösung, welche aber der an seine eigene Substanz gläubige
Geist ganz naiv wieder als eine dritte und neue Form
des Legates auffaßt.
Das Gesagte wird sich sofort zum näheren Nachweis
bringen. Die Folge dieser totalen Auflösung des Le-
gates selbst, die im legatum sinendi modo vor sich ge-
gangen, äußert sich sofort darin, daß hier bei jedem Schritt
die Kontroversen aufeinanderstoßen, welche nur der Aus-
druck der in diesem Legat gesetzten Widersprüche sind.
Diese Kontroversen können hier auch nicht bloß diejenigen
der beiden Schulen sein, denn ihr Quell liegt hier durch-
aus nicht bloß in der Auffassungsweise, in einem inneren
Widerspruch, sondern dieser ist eben äußerlich her-
ausgetreten. In der Tat ist bei diesem Legat nichts
sicher, als daß der Testator auf diese Weise nur seine
Sache und diejenige, welche schon zur Zeit seines Todes
dem Erben gehörte, nicht aber die res aliena, legieren
kann^). 1
Dieser Punkt ist nach beiden Seiten hin notwendig.
Der Testator muß die Sache des Erben so legieren können,
denn als Auftrag für den Erben wirkt dies Legat durch
den mit dem Erblasser identischen Willen desselben,
und verfügt also ebensowohl über die der Willensherrschaft
des Erben als des Testators unter\vorfenen Gegenstände.
1) Ulpian, Fr. XXIV, § 10; Gajus, II. § 210.
281
Als Auftrag dagegen zu einem bloßen Zulassen kann
dies Legat den Erben nicht zu einem Handeln nach
außen in Bewegung setzen und ihn daher nicht zwingen,
die Sache herbeizuschaffen und zu erwerben.
Von hier ab ist alles streitig und der Streit kein zu
schlichtender, weil er eben nur der Ausdruck des
inneren Widerstreites des Begriffes ist. Zunächst muß
schon streitig sein, ob zur Gültigkeit des Legates erforder-
lich ist, daß die Sache schon zur Zeit des Todes im
Eigentum des Erben war, oder ob es auch dann gültig ist,
wenn sie erst später in sein Eigentum gelangt. So viel
zwar muß feststehen, daß die Sache keineswegs scholl zur
Zeit der Testamentsanfertigung dem Erben zu ge-
hören braucht, denn . da dies Legat nicht (vgl. oben
S. 252 fg., 265 fg.) eine Abtrennung der Sache, sondern ein
Auftrag an den Willen des Erben darstellt, so muß
es jedenfalls völlig hinreichend sein, wenn der Gegenstand
in dem Momente unter der Willensherrschaft des Erben
steht, in welchem seine Willensidentität mit dem Erb-
lasser — rückwirkend durch die spätere aditio — reell
geworden und er als sein Fortsetzer eingetreten
ist. Ist es nun aber nötig, daß die Sache schon zu dieser
Zeit des Todes dem Erben gehört, oder bleibt das Legat
gültig, wenn er sie auch erst später erwirbt ? Diese Frage
ist schon nicht mehr zu lösen. Denn einerseits hat der zur
Zeit des Todes wirksam werdende Wille des Testators
den Erben nur zu einem Lassen bestimmt, er konnte also
nur über das bereits damals Seinige verfügen. Oder
tiefer gesagt : Durch das legatum sinendi modo wollte ja
eben, und deshalb verschmähte er das Damnationslegat,
der Testator den Erben verdrängen und selber als der
testamentarisch Gebende zum Vorschein kommen. So
konnte er über die Objekte des Erben verfügen ; aber als
282
Handelnder und somit auch als künftig Erwerben-
der sollte derselbe ja gerade nach dem Begriff dieses Le-
gates beiseite bleiben, und die Konsequenz dieses Begriffes
erfordert daher, daß sich dasselbe auf die künftigen Er-
werbshandlungen des Erben nicht erstrecken kann. Um-
gekehrt ist aber der Wille, den der Erblasser dem Erben
aufdrückt, ein bleibender. Der Erbbegriff ist gerade,
wie wir häufig gesehen haben, dies, daß der Erbe nicht
bloß einen Augenblick nach dem Tode, sondern das fort-
dauernde Dasein des erblasserischen Willens ist. Der
Erbe muß also jederzeit lassen, d.h. jederzeit das
zulassen, was sich durch sein bloßes Lassen bewirken läßt.
Weil also der Testator hier wieder nicht direkt über die
Sache, wie durch das Vindikationslegat, sondern über den
Willen des Erben verfügt, muß die Wirkung eine
dauernde sein, gleichviel zu welcher Zeit der Gegenstand
in sein Eigentum gelangt. Es ist also ganz gleichgültig, für
welche von beiden Meinungen man sich entscheidet. Gleich
richtig und gleich falsch, sind sie nur das unvermeid-
liche Aufeinanderplatzen des aufgezeigten begrifflichen
Widerspruches. Eine Entscheidung vom zivilistischen Stand-
punkt ist hier nicht möglich. Und daß auch die erstere
Meinung Verteidiger findet, ja, daß diese gerade die Mehr-
zahl bilden, wie Gajus bezeugt, beweist nur, mit welcher
Stärke im römischen Bewußtsein der von uns entwickelte
Begriff dieses Legates, als das zum Vorscheinkommen und
Verdrängen des im Damnationslegat vom Erben verdrängt
gewesenen Testators, tätig ist. Gajus, II, § 212 : ,,Quod si
post mortem testatoris ea res heredis esse coeperit, quae-
ntur, an utile sit legatum, et plerique putant inutile esse."
Noch stärker aber tritt immer derselbe Widerspruch bei
der Frage hervor, wie denn die so legierte Sache über-
haupt in das Eigentum des Legatars übergeht.
283
Da hier die Sache nicht durch die gesetzgeberische Ver-
fügung des Vindikationslegates unmittelbar als die eigene
Sache des Legatars gesetzt worden ist, oder mit anderen
Worten, da sie nicht von der im Erben fort-
existierenden Willensherrschaft des Erb-
lassers, wie im Vindikationslegat, abgestoßen und
abgeschnitten worden ist — denn diese Selbstnegierung
des Willens im Vindikationslegat will der Wille eben ver-
meiden, indem er die Sache als die seinige reicht — ,
so steht sie noch unter der Willensherrschaft des Erben,
gehört ihm also noch, und fes wird darum am Erben
sein müssen, sie zur Sache des Legatars zu machen.
Darum sagt Gajus, II, § 213: ,,Sicut autem per damna-
tionem legata res non.statim post aditam hereditatem lega-
tarii efficitur, sed manet heredts eo usque donec is heres
tradendo vel mancipando vel in jure cedendo legatarii eam
fecerit, Ita et in sinendl modo legato juris est\ et ideo
liujus quoque legati nomine in personam actio est : Qiiid-
qiiid heredem ex testamento dare facere oportet."
Allein, wenn der Erbe so die sinendi modo legierte
Sache gleichfalls erst durch Manzipation zum Eigentum
des Legatars machen muß, so ist ja das legatum sinendi
modo als eine eigene Art des Legates ganz fortgefallen
und schlechthin zum gewöhnlichen Damnationslegat
geworden. Die testamentarische Verfügung, die gerade,
um als solche zu wirken und zum Vorschein zu kommen,
vom Damnationslegat abgehen und eine neue Art des Le-
gierens schaffen wollte, hat diesen Zweck gänzlich ver-
fehlt und ist wieder, ganz wie beim Damnationslegat, in
den Akt unter Lebenden umgewandelt, welcher ihr
erst die Kraft und Wirksamkeit der Eigentumsübertragung
verleiht.
Da es aber gerade der Begriff dieses Legates war, den
284
Erben als Gebenden zu verdrängen und den Testator selbst
durch diese testamentarische Verfügung als das Gebende
zum Vorschein zu bringen, somit gerade den Akt unter
Lebenden zu beseitigen — und deshalb eben wurde
der Erbe nur angewiesen, zu lassen, und der Legatar
direkt, wie beim Vindikationslegat, ,,zu nehmen und für
sich zu haben" — , so muß diese Konsequenz falsch
und die Vornahme der Manzipation, in jure Zession oder
Tradition durch den Erben hier überflüssig sein. Und
darum fährt Gajus fort, II, § 214: ,,Sunt tamen qui pu-
tant ex hoc legato non videri obligatum heredem, ut man-
cipet aut in jure cedat aut tradat, sed sufficere, ut lega-
tarium rem sumere patiatur, quia nihil ultra ei testator im-
peravit quam ut sinat, id est patiatur^ legatarium rem sibi
habere." Diese Ansicht ist, wie die ihr von uns gegebene
Entwickelung zeigt, keine bloße Wortreiterei, sondern
beruht vielmehr, da die Formel selbst nur der Ausdruck
des Begriffes ist, auf dem innersten Begriffe dieses
Legates.
Aber gleichwohl ist diese Ansicht ebenso falsch, wie
die vorige. Denn es ist offenbar, daß auf diese Weise das
Eigentum der Sache auf den Legatar gar nicht über-
gehen würde. Wodurch sollte das Eigentum über-
gegangen sein ? Der Testator hatte die Sache nicht von
der Willensherrschaft des Erben abgetrennt, und es wird
niemand einfallen zu behaupten, daß der Legatar sie vin-
dizieren könne ; er hat vielmehr nur, vvie Gajus deshalb
mit Recht hervorhob, eine in personam actio gegen den
Erben. Indem der Testator dem Willen des Erben einen
Auftrag in bezug auf die Sache gab, erkannte er vielmehr,
daß sie unter diesem Willen stehen, bei seinem Tode
Eigentum desselben sein solle, was nicht bestritten werden
kann. Wenn aber die Sache nun einem Lebenden ge-
285
hört, so kann ihre Veräußerung wiederum nur durch die
Formen bewirkt werden, welche allein Veräußerung
unter Lebenden zu bewirken vermögen, und es wird
daher hier mit derselben Notwendigkeit, wie beim legatum
per damnationem, die Manzipation usw. nötig sein, um das
Eigentum zu übertragen. Damit tritt aber wieder der
vorige Widerspruch ein, und so geht das Ballspielen des-
selben mit sich selbst fort ins Unendliche.
Wir hatten also Recht zu sagen, daß das legatum si-
nendi modo nur die vollständige Auflösung und das
Scheitern des Legates überhaupt darstellt, das Her-
austreten des inneren Widerspruches im Legatsbegriffe
selbst, welches wiederum nur die Äußerung jener fik-
tiven Natur des Erbbegriffes ist, vermöge welcher der
Wille nach seinem Erlöschen fortexistieren und sich als
fortexistierend bewähren will.
Es ist immer nur eine Folge desselben Begriffswider-
spruches, daß eine ebensowenig zu entscheidende Kontro-
verse darüber ausbrechen muß, was eintreten soll, wenn
sinendi modo mehreren Legataren disjunctim dieselbe Sache
legiert ist. — Wenn per damnationem zwei Legataren
dieselbe Sache legiert ist, so wird sie jedem von beiden
vom Erben ganz geschuldet^). Denn der Wille desselben
ist angewiesen, sie jedem von beiden zu geben, und der
Erbe muß daher, nachdem er sie dem einen Legatar über-
liefert, in bezug auf das andere Legat, wie bei der res
aliena, welche ihr Eigentümer nicht ablassen will (vgl.
oben S. 270), mindestens das Mögliche tun, und wenn
er die Sache nicht in ihrer spezifischen Körperlichkeit
herbeischaffen kann, doch ihre allgemeine Materia-
^) Ulpian, Fr. XXIV, § 13: „quod sl disjunctim, singulis
solidum debetur."
286
lität, den Tauschwert, dem anderen Legatar über-
geben^).
Wie aber beim Legat sinendi modo ? Die legierte Sache
ist unter den Willen des Erben gestellt und dieser für
jeden von beiden Legataren auf gleiche Weise an-
gewiesen worden, ihm eine Sache zu überlassen, welche
auch im Augenblick des erblasserischen Todes dem Erb-
lasser respektive Erben gehörte, und daher sinendi modo
legiert werden konnte. Der Erbe schuldet sie also auf
gleiche Weise jedem von beiden Legataren und muß
den Willen des Testators jedem von beiden gegenüber
zum Dasein bringen. Er muß also, wenn er den einen
Legatar die spezifische Sache nehmen ließ, dem anderen
gegenüber nichtsdestoweniger seine Willensverpflich-
tung erfüllen und ihn, wie bei der nicht beizuschaffen-
den res aliena, das Sein der Sache für den Men-
schen, d. h. ihren allgemeinen Tauschwert nehmen
lassen-). Oder mit anderen Worten: das legatum sinendi
modo ist, wie wir früher sahen, weil auch das Lassen
immer eine innere Willenshandlung darstellt, die-
jenige nämlich: von seinem Rechte keinen Gebrauch zu
machen, immer auch ein Damnationslegat, und da-
her die Verpflichtung dieselbe. Ja, da Lassen gleichfalls
eine Willenshandlung ist, kann man sogar sagen, daß der
^) Gajus, II, § 205 : ,,si vero disjunctim singulis solida res
debetur, ut scilicet heres alteri rem, alteri aestimationem ejus
praestare debeat."
') Mit Unrecht meint daher Gans, II, 202, der die gesamte
Reihe dieser Kontroversen nicht entwickelt, weil ihm der wahre
Testamentsbegriff entgeht, welcher in ihnen waltet und schei-
tert, bei der Erwähnung dieser letzten Kontroverse, daß die
andere bald folgende Ansicht die konsequentere sei wegen des
Wortes: lassen. — Der Erbe könnte ja ebenso gut den zwei-
ten Legatar den Tauschwert nehmen lassen.
287
Erbe dem zweiten Legatar zur Entschädigung ver-
pflichtet ist, weil er die für diesen bestimmte und in seiner
Willensherrschaft befindliche Sache von einem anderen
— dem ersten Legatar — nehmen ließ^).
Und diese Ansicht gerade ist es, die am meisten durch-
gedrungen ist^).
Aber umgekehrt sagt der Erbe mit demselben Recht :
der Testator hat, indem er sinendi modo legierte, mich
gerade außer Spiel bringen, und selbst als der Gebende
zum Vorschein kommen wollen. Es existiert also bei
diesem Legat nur der Testator und der Legatar als die
tätigen, gebenden und nehmenden Parteien ; ich selbst
existiere nur als ein Lassender, sich beiseite Hal-
tender, und halte mich daher ebenso beiseite dem
zweiten Legatar gegenüber, der die Sache nicht mehr,
wie dem erstgekommenen, der die Sache noch in meinem
Besitze vorfindet. Und so berichtet Gajus, II, 215:
,, Major illa dissensio in hoc legato intervenit, si eandem
rem duobus pluribusve disjunctim elegasli ; qiildam putant
utrisque solidum deberi, sicut per damnationem ; nonniilH
occupantis esse meliorem conditionem aestimant quia cum
in eo genere legati damnetur heres patientiam praestare,
ut legatarius rem habeat, sequitur ut si priori patientiam
praestiterit et is rem sumpserit, securus sit adversus eum
qui postea legatum petierit, quia neque habet rem, ut pa-
tiatur eam ab eo sumi neque dolo malo fecit quo minus
eam rem haberet."
Dies sind die drei Formen des Legates, von welchen
die anderen Legate (per praeceptionem und per parti-
^) Hierin zielt das letzte Moment in der Antwort, welche
die Anhänger der anderen Ansicht bei Gajus, II, § 215, er-
teilen : „neque dolo malo fecit, quo minus eam rem haberet."
") Celsius, L. 14 de usu et usufr. (33, 2).
288
tlonem) nur Unterarten bilden. Das Legat mußte sich,
wie wir gesehen haben, seinem eigenen Begriff zufolge,
weil es den Gegensatz vom S ach Vermächtnis zum Wil-
lens Vermächtnis darstellt, zuerst als legatum per vindica-
tionem bestimmen. Die Unangemessenheit aber, in welche
in diesem Legat der testierende Wille mit sich selbst ge-
rät, indem er, seine Fortexistenz an der Sache bewähren
wollend, sich vielmehr selbst negiert, muß dieses Legat
dazu treiben, über sich selbst hinauszugehen und sich zum
legatum per damnationem zu entwickeln, in welchem der
testierende Wille die Sache als die seinige, und so-
mit in affirmativer Bewährung seiner Fortexistenz verab-
reicht. Aber auch diese adäquateste Realisierung und
vollendetste Gestalt des Legates, in welcher dasselbe dem
Erbbegriff nicht mehr abstrakt gegenübersteht, sondern
von ihm durchdrungen und vermittelt ist, ist erst recht
die höchste Selbstent äußerung des testierenden Wil-
lens. Denn die testamentarische Verfügung ist jetzt völlig
untergegangen und zum AktunterLebenden geworden.
Indem der Wille des Toten gegen diese neue Negation
angehen und sich als das Selbstgeltende bewähren
wollen muß, schafft er das legatum sinendi modo, kann
aber sachgemäß durch dasselbe nichts anderes zustande
bringen, als das offene und positive Heraus- und
Gegenübersetzen dieser bisher nur innerlichen Wider-
sprüche, so daß dieselben jetzt nicht mehr bloß innerlich
als Widersprüche des Begriffes und für den Begriff vor-
handen, sondern, als herausgesetzte, auch für das posi-
tive Recht da sind, und sich in jedem Punkt die auf-
einanderplatzende Masse unlösbarer Kontroversen erzeugt,
in welchen sich die Auflösung des Legates und das
Scheitern des Testamentsbegriffes an seiner realen Un-
möglichkeit objektives Dasein gibt. So ist beim Erb-
19 LaseaUe, Gee. Sckriftec. Band XI 28Q
begriff, wie anderwärts, seine objektive Darstellung und
Entwickelung zugleich seine alleinige und wahrhafte
Kritik. Dem in seine Substanz versenkten und zum Be-
wußtsein über sich selbst aber noch nicht gelangten Geist
kann diese objektive Kritik, die er selbst in seinem Ent-
wickelungsdrange vollzieht, noch nicht als Kritik er-
scheinen. Er faßt sie vielmehr immer nur als ein neues
objektives Produkt und folglich das legatum sinendi modo,
welches nur die herausgetretene Selbstauflösung des Te-
stamentsbegriffes ist, ruhig als eine neue und dritte Form
des Legates, welche friedlich neben die beiden anderen
tritt.
XIX. Die historische Entwickelung des Le-
gates. Das SC. Neronianum und Justinian.
Die Umbildung aber, welche später durch das SC. Ne-
ronianum und endlich durch Justinian^) mit dem Legate
vorgeht, würde bereits kaum einer näheren Zergliederung
bedürfen, da sie nur den ganz analogen, auf dem allmäh-
lichen Absterben des Begriffes beruhenden Verlauf nimmt,
v/elchen wir oben bei dem Fideikommiß und der querela
inofficiosi bis ins einzelne dargetan haben, und ihr Ver-
ständnis also für jeden unter analoger Festhaltung jener
parallelen Bewegung völlig klar zutage liegen muß.
In Kürze ausgeführt, ist diese geschichtliche Entwicke-
lung folgende: Was in den Unterschieden der Legaten-
dogmatik das gliedernde Element bildete, war, wie wir
1) L. 1 C. Comm. de leg. (6, 43) ; vgl. L. 21 G. de leg.
C. de leg. (6, 37).
290
näher gesehen haben, die Anstrengung des erblasserischen
Willens in der Betätigung und Äußerung seiner Willens-
lortexistenz, die in der Legatenverfügung vor sich geht,
sich und seinen Willen als das allein Fortexistierende
und Geltende, Vermögen vvie Erben gegenüber, zur mar-
kierten Unterscheidung zu bringen und in betonter Diffe-
renzierung hervorzuheben ; ein Streben, welches, wie wir
ebenfalls sahen, ihm stets mißglücken und notwendig in
das Gegenteil umschlagen mußte, vielmehr sein Unter-
gegangensein in den Legatar oder Erben hinein immer
deutlicher zu manifestieren, so daß das dritte Legat, das
legatum sinendi modo, nur das positive Gesetztsein
dieser Widersprüche seines Wollens und Erreichens dar-
stellt. Indem jetzt aber in dieser Legatsform das Zer-
schellen dieses Unterscheidens, das Nichterreichen
dessen, was durch jenen Differenzierungstrieb erreicht
werden sollte, gesetzt ist, sind somit auch dadurch schon
die Unterschiede dieser Legatsformen zu an sich
gleichgültigen, indifferenten geworden.
Der Erblasser muß jetzt einsehen, daß er es zu einer
höheren, reineren Willensfortdauer als der im Erben
gegebenen auf dem gesamten erbrechtlichen Gebiete nicht
bringen kann, und daß sein Trieb, auch diesem gegen-
über und in Unterscheidung von dem eigenen Willen
desselben sich als die fortwollende Kraft aufzuzeigen, ein
höchst illusorischer ist. Er hat in der Erschöpfung dieser
Unterschiede gesehen, daß er bei diesem Triebe nur von
der Scylla in die Charybdis, von dem Untergang im Erben
in den noch schlimmeren Untergang in den bloßen Sach-
empfänger hineinfällt. So bleibt ihm denn nichts übrig,
als gegen den Untergang im Erben die Augen zuzudrücken
und die andere Seite hervorzuheben, daß er in ihm ja den
Willenserhalter haben soll. Aber freilich, das Geständ-
ig* 291
nis von der Gleichgültigkeit dieser Unterschiede, von der
Vergeblichkeit dieser Zermarterung an der unmöglichen
Aufgabe, ^vird er nicht eher ablegen können, den Mut der
Resignation, die zu diesem Eingeständnis erforderlich,
wird er nicht eher in sich finden können, als bis er sich
schon einige Zeit überhaupt daran gewöhnt hat, im
Erben sein Grab zu finden und von seinem Willenserhalter
sich Zwang antun zu lassen, d.h. bis einige Zeit nach
der lex Falcidia verflossen, von der wir ja gesehen haben,
wie gerade hierin ihre Tat und Bedeutung besteht^).
Und so steht denn wieder Begriff wie Chronologie und
ebenso die Entwickelung des Erbtums, wie die parallele
des Legatensystems, in vollster innerer Übereinstimmung
bei der Hauptbresche, welche durch das unter Nero er-
lassene und nach ihm benannte Senatuskonsult in die Dog-
matik der Legatsunterschiede geschossen wird. Durch das
SC. Neronianum wird verfügt, daß jedes bestimmte
Legat, welches in seiner Bestimmtheit nichtig wäre
— also ein Vindikationslegat, weil die legierte Sache nicht
zu beiden Zeiten (des Testamentes und des Todes) quiri-
tarisches Eigentum des Testators ^var, oder ein legatum
sinendi modo, w^enn die Sache eine res aliena ist — , doch
so, als wäre es optimo jure legiert worden, d.h. als
Damnationslegat aufrecht bleiben solle.
Ulpian^): ,,Si ea res, quae non fuit utroque tempore
testatoris ex jure Quiritium, per vindicationem legata sit,
licet jure civili non valeat, tamen senatusconsulto Nero-
niano firmatur, quo cautum est, ut quod minus aptis verbis
legatum est, perinde sit, ac si optimo jure legatum esset;
Optimum autem jus legati per damnationem est^).
1) Siehe oben Nr. VII.
2) Fragm. XXIV, § \\\
') Vgl. Gajus. II. §§ 197. 212. 222.
292
Vom juristischen Standpunkt aus kann man in diesem
Senatuskonsult die größte Freiheit der Legaten Verfügung,
somit eine höhere Entwickelung derselben und alles Be-
liebige sehen. Vom Standpunkt des streng logischen Be-
griffes aus hat dasselbe, in präzisester Anpassung an die
von ihm gegebene materielle Vorschrift, nur eine präzise
Bedeutung : die Unterschiede des Vindikationslegates,
Damnationslegates, legatum sinendi xnodo sind zwar nicht
aufgehoben. Denn jedes derselben soll ja in seiner Eigen-
tümlichkeit und mit seinen ihm eigentümlichen zivilrecht-
lichen Wirkungen bestehen bleiben, wenn zivilrechtlich in
der bestimmten Form legiert werden konnte, in der legiert
worden ist. Die Unterschiede der Legate bleiben
also noch bestehen und werden als bestehende er-
halten. Aber wenn das Legat in seiner bestimmten
Unterschiedenheit nichtig wäre, dann soll es von
selbst seine Form wechseln, dann sollen diese Unter-
schiede ihre unterscheidende und ausschließende Kraft
gegeneinander verlieren, und es soll angesehen werden, als
ob es schlechthin Legat überhaupt, Damnationslegat,
wäre.
D. h. also : die Unterschiede der Legatendogmatik
bleiben bestehen, werden aber als gleichgültige
gesetzt, als indifferente eingestanden. Das
SC. Neronianum ist das seufzende Eingeständnis des er-
matteten Testators: ,,Es ist ja alles einerlei!"
Wenn die Unterschiede aber als gleichgültige gesetzt
werden, so sind sie doch damit an sich aufgehoben —
und was tut dann Justinian anders, als daß er dem durch
das SC. Neronianum schon innerlich Geschehenen nur
Ausdruck gibt? daß er das Geständnis des Testators,
es sei ja alles einerlei, nur beim Wort nimmt und
aus Tatsachen in Worte übersetzt, wenn er in der
293
schon oben angezogenen Konstitution^) sagt: die gesamten
Unterschiede in der Legatendogmatik seien eine bloße
S u b t i 1 i t ä t (quis vel vindicationis vel sinendi modo
aliorumque generum legatorum subtilitatem prono animo
admittet?), welche schon die Zeit vor ihm unerträglich
gefunden (quam posteritas, optimis rationibus usa, nee
facile suscepit etc.), und er wolle daher alle Legate auf
eine Natur zurückfahren (omnibus vero tam legatariis
quam fideicommissariis iinam naturam imponere?).
Allein freilich, gerade durch dieses ,,beim Wort nehmen'
des Testators entsteht notwendig ein großer inhaltlicher
Unterschied zwischen der Verordnung Justinians und dem
SC. Neronianum, der ebensowenig übersehen werden darf.
Durch das SC. Neronianum waren die Unterschiede
der Legatendogmatik hoch als bestehende anerkannt worden,
und so erzeugte jedes Legat, das in gültiger Weise hinter-
lassen worden war, noch die ihm eigentümliche Wirkung,
das Vindikationslegat die actio in rem, das Damnations-
legat die actio in personam usw. Allerdings hatte der
Erblasser durch die Bestimmung, daß jedes in seiner Be-
stimmtheit nichtige Legat als Legat überhaupt (optimo
jure) oder Damnationslegat fortwirken solle, die Unter-
schiede als gleichgültige gesetzt und das Geständnis ab-
gelegt, daß alles einerlei sei. Allein auch dieses Geständ-
nis hatte er erst an sich oder für uns gesetzt. Für sich
selbst hält er noch, worauf bereits oben hingedeutet, an
der anderen Seite der Sache, an ihrem noch positiven
Scheine fest.
Das Legatum per damnationem ist ja, wie wir früher
gezeigt, als Geben durch den fortexistierenden Willen
(den Erben), die adäquateste Realisation des Erbbegriffes ;
^) L IC. Comm. de leg. (6. 43).
294
gerade darum ist es Legat par excellence (Legat optimo
jure) oder Legat überhaupt. Indem nun jedes für
sich nichtige Legat noch als Legat überhaupt, als Legat
optimo jure bestehen bleibt, klammert sich der Erblasser
noch an den Trost an, daß er ja dadurch seine höchste
Willensbetätigung und Fortdauer habe! Nachdem seine
Anstrengung zerschellt ist, durch das Vindikationslegat
und durch den Übergang von dem schon gefundenen Dam-
nationslegat zum Legat sinendi modo sich gegen dem
Erben als das Fortwirkende zu differenzieren und ihm
gegenüber aufzuzeigen, kehrt er — und darum jetzt, wie
wir früher sagten, mit zugedrückten Augen, zugedrückt
gegen die Resultate seines eigenen Tuns und die Er-
fahrungen seines eigenen Dogmatisierens — zu dem illusio-
nären Trost zurück, daß er in dem Erben ja seine höchste
Willenserhaltung habe, und jedes Legat, wenn es nichts
anderes sei, mindestens diese höchste Willensbetäti-
gung per damnationem, ein Gesetz für den Erben, sei.
Aber wie er sich diesen illusionären Trost auf dem rein
erbrechtlichen Felde wird vergehen lassen müssen, so muß
er ihn auch ganz parallel auf dem Legatengebiete rettungs-
los sich auflösen sehen, und gerade durch diese höchste
Stellung des Damnationslegats ist schon an sich die Auf-
hebung desselben und dieser seiner trostreichen Bedeutung
gegeben.
Denn ^vas ist denn dem Erblasser zerschellt ? Eben
nur jenes Bestreben, das Legat als eine reale Betätigung
seines Selbstgebens und seiner fortwirkenden Willens-
äußerung zu vernutzen. Dies war der begriffliche Existenz-
grund des Legates, dies das treibende Prinzip seiner
Dogmatologie, seiner Gliederung zu jenen begrifflichen
Unterschieden gewesen. Aber dies gerade, dieser spiritua-
listisch-begriffliche Tic, den der Erblasser im Legat aus-
295
zuführen strebt, hat Schiffbruch gelitten. Mit jenem
resignierten Eingeständnis: „es ist ja alles einerlei", das
der Erblasser durch das Neronianische Senatuskonsult ab-
legte in bezug auf die Form der Legate, hat er somit
zugleich an sich in bezug auf den Inhalt des Legats-
begriffes das Geständnis abgelegt : mit jenem in seinem
Legieren Sichselbst zum Vorschein bringen
wollen, mit jener Anstrengung, die fortexistierende
Eigenwilligkeit als das herrschende und geltende Prin-
zip in der Form des Legates an den Tag legen zu wollen,
sei es nichts; das Legat sei nur das Geben von
Sachen überhaupt; gleichviel welche Form das Legat
habe, es lasse sich eben nur geben, und, gleichviel wie,
gegeben sei gegeben.
Mit dem Geständnis von dem Alleinerlei der Legaten-
f orm ist also zugleich in bezug auf den Inhalt des Legats-
gedankens an sich eine entscheidende Umwendung, ein
totaler Verderb des Prinzips eingetreten.
Während ursprünglich das Legat oder die Sache nur
der Boden war, an dem und auf dem der Erblasser
die Lebendigkeit seines Willens durch die oszillieren-
den Schwingungen desselben zum Erben gegenüber äußern
und bewähren wollte, während also das Legat oder
die Sache nur die Bedeutung für ihn hatte, der Boden zu
sein, den er von sich erzittern machte, so ist jetzt
erst die Sache aus diesem Boden des Willens zu seinem
Inhalt geworden. Jetzt erst hat das Legat, weit ent-
fernt, die bloße Resonanz jenes Subjektivismus zu sein,
der gerade an seinem Gegenteil, der Sache, durch seine
Macht über sie seine Lebendigkeit am meisten bewährt,
sie an ihr äußert und ausläßt, die substantielle
Bedeutung erhalten, bloßes Fortgeben von Ver-
mögen zu sein. Der tätige Begriff des Legates ist damit
296
dialektisch in sein Gegenteil umgeschlagen, er ist unter-
gegangen in die Sache und ihren Empfänger. Er
ist jetzt nur zu jener Selbstaufhebung des Willens
geworden, die in dem bloßen Fortgeben von Sachen liegt.
Wie die Willenssubjektivität im Erben, in dem sie ihren
Erhalter finden wollte, seit der lex Falcidia ihren nega-
tiven Unterdrücker und somit ihr Grab gefunden hat,
so hat sie mit dem SC. Neronianum im Reich des Legates,
durch welches sie ihre im Erben fortdauernde Existenz
gegen denselben äußern und setzen wollte, im bloßen
Vermögensnehmer, dem Legator, ihr Grab gefunden.
Alles dies ist an sich im SC. Neronianum mit der
eingestandenen Alleinerleiheit der Legatsform enthalten, a n
sich ist daher in demselben auch schon das Dam-
nationslegat als solches — das Damnationslegat in
seiner spezifischen begrifflichen Bedeutung als
adäquateste Äußerung des supranaturalistisch fortexistie-
renden Willens, wie wir es oben hatten — zugrunde
gegangen.
Daß das Damnationslegat hier schon an sich zugrunde
gegangen, obgleich es als die vorherrschende Form aller
Legate gesetzt ist, zeigt sich unschwer auch in folgender
Weise: Das Damnationslegat, welches gegen ^eine
Form gleichgültig ist, welches in jedem Vindikations-
legat, Sinendilegat usw. enthalten sein soll, kann ja nicht
mehr seiner Bedeutung nach identisch sein mit jenem
ursprünglichen Damnationslegat, welches a n
seine Form, in deren spezifischer Natur gerade der
Punkt lag, weshalb dieses Legat optimum jus bildete
(s. oben S. 261 fg.), ausschließlich gebunden war. Das
Damnationslegat, als allgemeines, in jedem Legat vor-
handenes Legat gesetzt, weil es das Legat optimo jure
ist, verliert dadurch gerade das, wodurch es Legat
297
optimo jure war; dieses Damnationslegat ist also jetzt
gar nicht mehr, was nur in seiner Form lag, Dam-
nationslegat, d.h. jene die Fortexistenz des erblasse-
rischen Willens auf die adäquateste Weise, weil durch
sein Handeln im Erben siegreich aufzeigende Selbst-
betätigung, sondern es ist Legat überhaupt, bloßes Ver-
mögensgeben, entleert von dieser begrifflichen splritua-
listischen Bedeutung, geworden.
Alles dies liegt aber nur an sich im SC. Neronianum.
Justinian spricht diese inhaltliche Seite nun nicht weniger
aus, als er das Auf gehobensein aller Legatsunter-
schiede durch dieses Senatskonsult ausspricht. Da sich
doch einmal durch das Legat nur geben läßt, und gar
nichts anderes tun noch beweisen, so sei beim Legat eben
nur vom Geben die Rede, und gegeben sei gegeben,
mehr als eine Sache geben könne man nicht, und wer
eine Sache gebe, der. gebe sie eben auf alle Weise.
Dies ist die Sprache des innerlichen Begriffes, in welche
sich seine Verordnung übersetzt und welche sogar aus
den Worten hin und wieder nicht undeutlich herausklingt.
( Si enim testator ideo legata vel fideicommissa dereli-
quit, ut omni modo personae ab eo honoratae ea percipiant
etc." Das heißt doch also ganz direkt: nur um das Geben
handle es sich beim Legat, und wer eine Sache irgendwie
gebe, gäbe sie auf alle Weise.) Aber auf das stärkste
tritt es in den realen Vorschriften seiner Verordnung
hervor. Denn weil das Legat nur gebe, und geben heiße
auf alle Weise geben, wird jetzt auch das Dam-
nationslegat aufgehoben und die Wirkungen aller
Legatsformen, die actio in rem aus dem Vindikations-
legat, die actio in personam aus dem Damnationslegat,
und noch eine actio hypothecaria, wird also alles mög-
liche und noch einiges darüber auf dieses eine Legat
298
des bloßen Vermögensgebens gehäuft („apparet",
heißt es nach den zuletzt angeführten Worten unmittelbar
weiter, „ex ejus [testatoris] voluntate etiam praefatas
acticMies contra res testatoris esse instituendas, nioninibiis
möflf/s voluntati ejus satisfiat"). So zertritt denn auch hier
mit ehernem Fuße der jetzt zur Herrschaft gekommene
stupide Vermögensstandpunkt alle jene feinen und orga-
nischen Unterschiede des Begriffes, welche im Legat
herrschten, solange Legat Legat und Erbrecht Erbrecht
war.
Unsere Juristen aber haben die schöne Unbefangenheit
gehabt, Justinian zu glauben, daß das Legat immer das
gewesen sei, wozu es durch ihn erst wird; daß es immer
das gewesen sei, wozu es erst in einer Zeit wird, in
welcher Legatar wie Erbe beide so sehr den spannen-
den Gegensatz ihres Wesens verloren haben, daß
beide jetzt an sich dasselbe sind, und der Legatar daher
den Erben sogar verdrängen und seinen Platz
einnehmen kann^), weil Legat wie Erbtum eben sich
gleichmäßig zum bloßen Vermögensnehmen degradiert
haben, und der Begriff nur noch wie ein Schatten seiner
früheren Wirklichkeit über den Figurationen und Ein-
teilungen des Rechts schwebt.
Wir gehen jetzt aber dazu über, die Operation des Erb-
begriffes nun auch auf der besonderen Seite des Erben
hervortreten zu lassen.
■^) Siehe oben die Note 1 zu S. 131.
299
XX. Die Operation des Begriffes seitens des
Erben. Rückblick auf den allgemeinen Begriff.
Wir haben gesehen, daß der Begriff des Erbtums die
Willensidentität zwischen Erblasser und Erben ist.
Sie ist es, welche seitens des Erblassers durch die Erb-
einsetzung erzeugt wird, und letztere besteht in nichts anderem
als darin: eine andere Person als das Dasein des
eigenen Willens zu setzen, wodurch sich der
Testator jene unendliche Fortdauer seiner Willens-
subjektivität, jene subjektive Willensunsterblich-
keit erzeugt, welche wir als das innerste Geheimnis und
die wahre welthistorische Bedeutung des römischen Geistes,
als die geistige Unsterblichkeit in ihrer römischen
Auffassung, oder, was- dasselbe ist, als die unmittel-
bare Vorstufe der christlichen Unsterblichkeit,
kennen gelernt haben, in welcher der individuelle Geist
sich nicht mehr als auf dieAußenwelt bezogen (als
endlicher Wille), sondern als insichseiender, als rein
auf .sein eigenes Wesen bezogener (als Geist),
als unsterblich setzt. Man kann daher das Verhältnis und
den Gegensatz von Römertum und Christentum kurz in
die Antithese von Willensunsterblichkeit und Un-
sterblichkeit des Geistes zusammendrängen. Der
Gegensatz besteht eben darin, daß dort noch der indivi-
duelle Geist als auf die Außenwelt bezogener, d. h.
also gerade als endlicher subjektiver Wille, als der
gerade auf diese Sphäre der Endlichkeit (der Gegen-
ständlichkeit) bezogene Trieb, hier dagegen, im Christen-
tum, der individuelle Geist als auf sein unendliches
Wesen bezogener, der alle Außenwelt und jeden Trieb
gegen dieselbe (Wille) daher abgestreift hat, also als
reine Seele, als das Unendliche gesetzt wird.
300
Wenn dieses kulturhistorische Verhältnis beider Geistes-
gestalten zueinander, auf welches näher einzugehen hier
nicht der Ort ist, bloß in seinem Begriffe angegeben zu
werden braucht, um sich sofort durch sich selbst zu be-
weisen und in Zeitfolge und Geschichte seine glänzenden
Belege zu finden, die erst von hier aus ihr wahres Ver-
ständnis erlangen, so mußte dagegen die römische Rechts-
materie aus diesem spekulativen Begriffe entwickelt werden.
Und wir haben gesehen, wie die religiöse Bedeutung des
römischen Testamentes, die sacra als Grundlage und sub-
stantielle Wurzel alles römischen Erbrechts, die Formen
der Testamente und ihr Übergang ineinander, die Be-
dingungen der Fähigkeit des Erblassers und seine materielle
Befugnis, seine Unbeschränktheit und seine Schranke, das
Verhältnis des Erben und des Legatars und der verschiede-
nen Legate untereinander, formales und materielles Recht,
jus civile und prätorisches Recht, kurz die Dogmatik des
testamentarischen Erbrechts wie seine Fortbewegung und
Veränderung in der Geschichte, — wie sich alles dies,
und zwar bis in seine einzelnsten, detailliertesten und sich
am meisten kreuzenden Bestimmungen, aus der dialektischen
Tätigkeit dieses spekulativen Begriffes von selbst abgeleitet
hat. Allein wir haben bisher die Institute des römischen
Erbrechts vorzüglich in bezug auf den Erblasser betrachtet,
wenn es auch nicht möglich war, einen Schritt zu tun,
ohne das mit ihm identische Wesen des Erben zum Vor-
schein kommen zu sehen. Gegenwärtig wird es unsere
Aufgabe sein, den Erben als solchen zu betrachten und
die Bestimmungen zu entwickeln, welche semerseits aus
der Tätigkeit des spekulativen Begriffes herfließen müssen.
301
XXI. Der Erbe. Der suus heres oder der Erbe
seiner selbst. Der Begriff der Suität. Das
Zwölf tafelgesetz und die Definitionen der
Römer.
Wenn vom Erben die Rede ist, so beginnt jede zivi-
listische Abhandlung aus guten Gründen mit dem suus.
Der suus heres, berichten die römischen Juristen, ist
ein solcher, der in der Gewalt des Erblassers steht ^).
Allein auf den Sklaven wendet sich diese Bestimmung
nicht an, obwohl er doch auch in des Erblassers Gewalt
steht. Er ist, wenn er selbst zum Erben gem.acht wird,
wohl ein heres necessarius, was der suus auch ist, aber
niemals ein suus. Somit scheint der Begriff des suus auf
die natürliche Verwandtschaft zu gehen und das Recht
der Familie, des Blutes anzuerkennen. Allein auch die
in manum geheiratete Frau ist ein suus. Und wieder der
Enkel, welcher der suus des Großvaters wäre, wenn sein
Vater bei Lebzeiten desselben gestorben wäre, ist kein
suus, wenn sein Vater noch beim Tode des Großvaters
lebt, und zv/ar auch dann nicht, wenn er von letzterem
wirklich zum Erben eingesetzt wird. Und wiederum der
Sohn, welcher an sich ein suus vv'äre, wenn er zum Erben
eingesetzt wird, und sogar, wenn der Vater ab intestato
stirbt, als suus erbt, ist es dann nicht, wenn er enterbt
wird ; denn die Enterbung bricht wieder die Suität. Und
wie kann der suus, wenn, wie es scheint, sein Begriff
darin bestehen soll, daß er aus eigenem Rechte erbt,
überhaupt enterbt werden, und zwar durch die ganz un-
beschränkte Willkür des Testators ? Wiederum aber, wenn
er nicht aus eigenem Rechte erbt, warum bedarf er
1) Z. B. Gajus. II. § 156.
502
allein der Antretung der Erbschaft nicht, um sie zu
erwerben, sondern hat sie sofort ipso jure als die seinige ?
Und warum bricht er sogar als notwendiger Erbe das
Testament, in dem er präteriert ist ?
Die Schwierigkeiten, mit welchen der Begriff des suus
zu kämpfen hat, von denen hier nur einige der haupt-
sächlichsten angeführt worden sind, und die Unerkläriich-
keit dieses Namens haben daher seit je für unlösbar ge-
golten. Schon die römischen Juristen haben umsonst diese
Begriffs- und Namenserklärung zu finden versucht. Gajus
sagt, II, §157: ,,Sed sui quidem heredes ideo appellan-
tur, quia domestlcl heredes sunt et vivo quoque parente
quodam modo domini existimantur", und die Institutionen
Justinians haben (§2 de her. quai. II, 19) diese seine
Erklärung treu wiedergegeben. Aber abgesehen davon, daß
diese Erklärung keineswegs die Widersprüche der voraus-
geschickten realen Bestimmungen lösen würde, ist sie schon
in sich selbst sehr verunglückt. Denn im Hause können
viele leben, die keine sui sind, und die römischen sui sind
nichts weniger als domini während des Lebens des
Vaters ; denn während semes Lebens smd sie, statt Herren
zu sein, vielmehr ohne jedes Miteigentumsrecht nur selber
von ihm beherrscht, und bei seinem Tode kann er sie ent-
erben, so daß dieses ,, quodam modo domini" vielmehr
ein „nullo modo domini" darstellt. Und endlich, warum
v/ürde dann der gleichfalls im Hause lebende Enkel, der
bei Lebzeiten des Vaters zum Erben eingesetzt wird, kein
suus sein ? usw.
Diese Erklärung hat daher keinem, auch nur einiger-
maßen tieferen Bedürfnis genügen können, und die Sache
blieb als unerklärbar auf sich beruhen. Bekannt ist die
Anekdote, die Alciatus erzählt, daß, als Politianus sich
einst rühmte, den Accursius in seinen Glossen übertroffen
303
zu haben, Socinus ihn fragte, er möge ihm sagen, was ein
suus sei, worauf jener sofort verstummte.
Und so ist, von unrichtigen oder den Gajus bloß nach-
sprechenden Erklärungen abgesehen, die Sache geblieben
bis auf den heutigen Tag^).
Es ist daher ein Triumph des spekulativen Begriffes,
wenn aus ihm sich spielend und von selbst die Bedeutung
entwickelt, welche dieser bishel" rätselhaften Bestimmung
der Suität zukommt, und ebenso von selbst alle die ein-
zelnen Rechtssätze hervorfließen, zu denen sich dieselbe
treiben muß. Freilich wird dabei zugleich auch klar werden,
daß der Begriff der Suität gar nicht gefaßt werden
konnte, ohne den richtigen Begriff des Erbtums über-
haupt zu haben"), und daß daher die bei der Suität
entstehende Schwierigkeit nur ein helles Symptom von der
Dunkelheit war, in der sich jener befand.
Der Begriff des Erbtums ist, wie wir sahen, die
Willensidentität zwischen Erblasser und Erben. Der
Begriff der Erbeinsetzung ist also, genau gesprochen
(vgl. oben sub Nr. VIII), die Hervorbringung der
Identität, die Identifikation der beiden Willenssubjek-
tivitäten des Erblassers und Erben. Dies eben haben wir
schon als die symbolische Bedeutung des Testamentes per
aes et libram hervorgehen sehen, daß der Erbe (familiae
emptor) seitens des Testators durch dessen Wahl und
••) Ebenso z. B. auch bei Huschke, welcher (Rhein. Mus-,
VI, 306) ganz wie Gajus definiert : „Denn vermöge der Per-
soneneinheit mit dem Erblasser sind sie gewissermaßen
(quodam modo, wie Gajus sagt) schon bei seinen Lebzeiten
in ihm Eigentümer des Vermögens!!" Vgl. hierüber die
Beilage zu Nr. XL.
") Wie denn hieraus erst wieder, worauf schon oben hin-
gedeutet, der wahre Begriff der römischen familia sich er-
geben wird.
304
von ihm vorgenommene Handlung, seitens seiner durch
eben diese Handlung und die solenne Formel, gesetzt
wird als das fortdauernde Dasein, als der iden-
tische Träger des erblasserischen Willens. Um nichts
weniger ist dies Setzen und Hervorbringen zweier
an und für sich gegeneinander selbständiger Willen als
identischer aber auch später der Fall, wo ein anderer
als der emptor in den tabulis zum Erben eingesetzt wird.
Denn hier wird ebenso beiderseitig der Akt der Identifi-
zierung der beiden Willen vollbracht, seitens des Testators
in dem schriftlichen Testament durch den Befehl: ,,heres
mihi esto"^), und seitens des Erben durch den von diesem
^) Jetzt wird auch sprachlich diese Bedeutung des Erben
in die Augen fallen. Denn heres ist nichts anderes als Herr,
Wille nsherr, Gebieter, der Inhaber eines frei
schaltenden Willens, einer selbständigen Willens-
subjektivität überhaupt und ohne jede Beziehung auf ein
Eigentum. Heres mihi esto heißt also auch sprachlich gar
nichts anderes als : er sei der Inhaber, Träger, Herr meiner
Willenssubjektivität. Diese absolute, nicht auf ein Eigentum
bezogene Bedeutung von heres tritt zunächst in herus und hera,
Herr, Herrin, Herrscher, Gebieter (häufig bei Plau-
tus, z.B. Merc, 3. 4. 12; Horatius. Satir-, II. 2. 129 und
bei anderen) deutlich heraus, wo sich dieselbe bewahrt hat.
Es war aber dies nicht weniger auch die alte Bedeutung von
heres, wie uns Festus, v*^ heres, p. 99, ed. Müll., ausdrücklich
bezeugt : ,, Heres apud antiquos pro domino ponebatur," und
ebenso auch die Institutiones, § 7 de her. quäl., II, 19: ,,Ve-
teres enim heredes pro dominis appellahant." Es ist also genau,
was das deutsche, ja gleichfalls nicht in bezug auf ein Eigen-
tum, sondern als Titel gebrauchte Herr, welches nur eine
freie unabhängige Willenssubjektivität, einen Willens-
herrn, ohne Rücksicht auf Besitz, bezeichnet. Mit herus,
hera vergleicht bereits Passow das griechische fjQco;, welches
bekanntlich ja bei Homer noch jeden ehrenwerten freien
Mann überhaupt als allgemeiner Ehrenname bezeichnet. Daher
JO LawaU«. Ge». Sckrifteo. Bind XI. 305
ausgehenden Willensakt der Adition, durch welchen er
nun auch seinerseits jenen Willen des Erblassers als den
seinigen setzt.
Allein dies Setzen und Hervorbringen der Willens-
identität, der Akt der Identifikation, ist sowohl sei-
tens des Erblassers als des Erben vollständig über-
flüssig in bezug auf solche Personen^), welche
schon ohnehin und unmittelbar in Willens-
identität mit dem Erblasser, d.h. in seiner Gewalt
stehen. Denn die Gewalt, d.h. die Familie in ihrer
römischen Auffassung, stellt eben die Willens -
einheit körperlich getrennter Personen dar, welche
Identität in dem Gewalthaber nur ihr Subjekt, ihren
funktionierenden Träger hat. Es sind viele Per-
wird, genau gesprochen, einem römischen Erben ein Besitz vom
Erblasser nicht zur Erbschaft, sondern durch Erbschaft,
durch das Tragen seiner Willenssubjektivität, durch Erb Ver-
hältnis (Erbtum, wie wir deshalb sagen) hinterlassen; z.B.
Vellejus Paterculus, Hist. Rom., II, 4: „. . . mortuo rege
Attalo, a quo Asia populo Romano hereditate relicta erat,"
was man also mit Unrecht in hereditati hatte verbessern wollen,
oder Quinctilian, Declam., 308: „Servus aut domi natus est,
aut relictus hereditate"; vgl. Cicero, De Inv., I, 45. — Jene
Übereinstimmung der Wurzel und Grundbedeutung von heres
in den drei Sprachen weist offenbar auf eine sehr frühe Ent-
wicklung und ein substantielles Hervortreten dieses Be^griffes
hin. [Es ist indessen zu beachten, daß herus und heres ver-
schiedene Quantität haben, und wäre desKalb zu wünschen, daß
die Etymologie der beiden Wörter bis hinter das Griechische
zurück verfolgt würde. ^^^ ^^^ ^^^^j^^^ Ausgabe.]
■^) Hierin liegt der Unterschied vom Sklaven, welcher Sache
ist, nicht Person. Die Kinder dagegen sind freie römische
Personen (darum libcri, wie die Alten etymologisieren), deren
identischer Wille nur in dem Gewalthaber der Familieneinheit
sein Subjekt hat.
306
sonen, die aber trotz der individuellen Getrenntheit iden-
tischen Willens sind, und der Ausdruck und daher
der allein berechtigte Träger dieser ideellen Willens-
identität ist der jezeitige pater familias. Dies ist der Be-
griff der römischen Gewalt, oder, denn beides ist völlig
identisch, der römischen Familie^).
Der Erblasser braucht daher keinen Fortsetzer
seiner Willenssubjektivität erst einzusetzen, er braucht
keine Identifikation eines anderen subjektiven Willens
mit dem seinigen vorzunehmen, um einen solchen Kon-
tinuator zu haben ; er hat schon vorher an den in seiner
Gewalt stehenden Personen unmittelbare Erben,
denn er hat an ihnen Personen, welche unmittelbar
vorhandene Willensidentität mit ihm bilden und
daher die unmittelbare Fortexistenz seiner
Willenssubjektivität sind.
Diese in seiner Gewalt stehenden Personen müssen
daher, wenn der Erblasser ohne Testament stirbt, seine
ersten Intestaterben sein^), nicht in dem Sinne, daß
sie vom Gesetz dazu gemacht wären, sondern deshalb,
weil sie diese unmittelbaren Willensidentitäten,,
daseiende Fortdauer der erblasserischen Wil-
le nssubjektivität sind. Das Intestatgesetz wird dies
Verhältnis daher am schärfsten hervorheben, wenn es
diesen Erben die Intestaterbschaft gar nicht selbst
überträgt, sondern im Gegenteil dieselbe gerade nur auf
andere Klassen für den Fall überträgt, wenn keine
Erben von jener Art da sind. Das Zwölf tafelgesetz sagt
daher, des suus nur mit einer negativen Wendung
^) Siehe hierüber das fortlaufend Nachzuweisende, und be-
sonders sub Nr. XL.
2) Gajus. Comm.. III. 1; Ulpian, XXVI, § 1; Paulus.
R. S.. IV. 8, § 3 usw.
20- 307
gedenkend und gerade dadurch auf das deutlichste mar-
kierend, wie es dem suus gar nicht qua lex die Erbschaft
gibt, sondern ihn nur als diesen unmittelbar von selbst
vorhandenen Fortsetzer des eigenen erblasserischen Willens
anerkennen muß :
,,Si intestatus moritur, ad suus heres nee sit, agnatus
proximus familiam habeto^)."
^) Es verhält sich durchaus nicht so, wie Jhering in seiner
Abhandlung über die Wortinterpretation (Geist des Römi-
schen Rechtes [Leipzig 1858], II, 482 fg.) an diesem Zwölf -
tafelsatze zu zeigen versucht hat, daß das römische Zivilrecht
durch einen starren Geist bloßer Wortinterpretation geleitet
worden sei. ,,Fast jedes Wort ist hier," sagt er, ,,die Quelle
eines wichtigen Rechtssatzes geworden, und zwar eines Rechts-
satzes, an den der Gesetzgeber selbst gar nicht gedacht hat, der
also nicht in seinem Willen, sondern nur In dem Wort seinen
Grund hat." Es gibt gar keinen verhängnisvolleren und folgen-
reicheren Irrtum als diesen hier so prinzipiell vorgetragenen des
geistreichen Mannes, und deshalb möge es gestattet sein, so sehr
auch unsere ganze Entwicklung solche Anschauungen widerlegt,
an diesem von Jhering ausführlich behandelten Beispiel nachzu-
weisen, wie die Römer nach Ihm zu Ihrem jus clvile gekommen
■ sein sollen, und wie weit dies von jedem Anspruch auf Wahrheit
entfernt ist. , .Zuerst," sagt Jhering, ,,das Wort Intestato- Aus
ihm folgerte man, daß, wenn die Erbschaft nur von einem der
mehreren Testament Serben angetreten, die ausfallenden Teile
rieht, wie man erwarten könnte (d. h., wie wir bei Behandlung
des Satzes nemo pro parte testatus etc. sehen werden, wie das
deutsche Bewußtsein In Jhering, wie seme irrtümliche Auf-
fassung des Erbrechtes als eines Vermögensrechtes erwarten
könnte), an die Intestaterben gelangten; denn die Bedingung,
unter der sie gerufen, war das Intestato morl des Erblassers :
wessen Erbschaft aber auch nur von einem der mehreren
Testamentserben angetreten war, von dem ließ sich nicht be-
haupten, daß er Intestatus gestorben sei." Allein es folgt schon
aus dem Begriff der Akkreszenz (Nr. XVI^ u. XV), und wir
werden bei der Behandlung der Mehrheit von Erben (Nr. XXXII)
308
Bereits muß nun aber auch der Name und mit ihm
noch bestimmter der Begriff des suus klar geworden sein.
Der nicht in der Gewalt des Erblassers stehende Erbe ist
näher sehen, wie jeder Erbe die Willenssubjektivität des Erb-
lassers darstellt, und wie also nach dem spekulativen Be-
griff des Erbtumes, und ohne jedes Wort des Intestat-
gesetzes, notwendig die Willensherrschaft des Erben über die
nicht vergriffene Sache eintreten muß. — Jhering fährt fort :
,, Sodann das Wort moritur. Hierauf stützte man das Requisit,
daß, wer zur Erbschaft gelangen wolle, im Moment des Todes
des Erblassers, wenn auch nur im Mutterleibe, existiert haben
müsse." Allein wenn der Begriff des Erbtumes die Identifi-
zierung der beiden Willenssubjektivitäten des Erben und Erb-
lassers ist, so muß ja natürlich, ganz abgesehen von jedem
Wort jenes Intestatgesetzes, der Erbe bereits ein existenter
Wille und also eine lebende Person sein, sonst kann der Erb-
lasser seine Forterhaltung in ihm nicht finden (vgl. z. B. oben
S. 159, 163, 595). Jhering weiter: ,, Ferner: agnatus proximus.
Das Wort proximus mußte als Vor wand zur Ausschließung
der successio graduum dienen usw." (nämlich zur Beseitigung
der folgenden Agnaten, wenn der nächste ausgeschlagen hatte).
Aber wir werden sub Nr. XL nachweisen, wie ganz abgesehen
von diesem Wortlaut nach dem Begriff des alten Zivil-
intestatrechtes die successio graduum wie ordinum ausgeschlos-
sen sein mußte.
Ist es nun aber nicht merkwürdig, daß Jhering, der auf diese
Weise alles aus einer formalistischen starren Wortinterpretation
herleitet und jedes Wort des Zwölftafelsatzes so strikte zer-
gliedert, ebensowenig wie seine Vorgänger auf den einfachen
Gedanken kommt, zu sehen, daß, weil das Zwölftafelgesetz den
suus nicht einsetzt, sondern nur wenn er nicht da sei
verfügt, der suus gar kein Intestaterbe ist; ein Satz, der,
wie wir später sehen werden (Nr. XXII, XXVI u. XL), der
einzige Schlüssel zum Verständnis des Intestaterbrechtes ist?
Und wer schon einmal so strikteste Wortinterpretation treibt,
der hätte doch vor allem dies hier in den Worten so deutlich
Vorhandene herausfinden müssen, — wie denn die römischen
Juristen, wie wir sehen werden, dies zwar nicht theoretisch aus-
309
vor der Erbschaft ein selbständiges Ich gegen den Erb-
lasser, ein Ich außerhalb des erblasserischen Ichs, und
wird deshalb, wie nahe verwandt er auch dem Erblasser,
und wenn er sein eigener emanzipierter Sohn sei, extraneus
heres genannt. Er wird eines fremden Willens Fort-
setzer und erst durch die Erbschaft identisch mit ihm.
Gerade deshalb muß er die noch nicht vorhandene
Identität mit dem subjektiven Willen des Erblassers
erst durch Willensakt setzen, um Erbe zu sein; er
erwirbt also die Erbschaft erst durch den Akt der
AditionO-
gesprochen, eiber praktisch dieses Verhältnis des suus zum
Intestaterbrecht' sehr genau festgehalten haben!
Aber die bloße Wortinterpretation macht es eben nicht!
Es ist scheinbar starre Wortinterpretation bei den römischen
Juristen vorhanden. Um diese wirklich zu verstehen, muß man
zuvor die nie wieder erreichte konzlse Form begreifen, in wel-
cher (man sehe das eben In Rede stehende Beispiel) die römi-
schen Gesetze den spekulativen Gedanken wie In Stein
zu graben wissen, und dann die ebenso spekulative Tätigkeit des
römischen Volksgeistes begreifen, welcher, in den römischen
Juristen fortwirkend und Immer den spekulativen Geist des
alten jus civlle festhaltend, es Ihnen möglich macht,
gerade Indem sie unter der echten Herrschaft des Begriffes
stehen, scheinbare Wortinterpretation zu treiben, mit jener
graphischen Wortform des Gesetzes übereinzustimmen und
auch wirklich In Ihr, vermöge der Härte, mit welcher der speku-
lative Begriff hier In unnachgiebige P'ormen eingeschnitten ist,
ein Korrektiv ihrer geistigen Auslegungstätigkeit zu finden.
Wir werden dies positiv klar machen. Indem wir unsererseits
sub Nr. XL ein Beispiel von Wo r t Interpretation am Zwölf-
tafelgesetz geben werden. — Bei der breiartigen Sprache, in
welcher die modernen deutschen Gesetze abgefaßt sind, wäre
das freilich schwer möglich.
^) Die Kretlonsformel, welche die solennelle Darlegung die-
ser Identifikation ist, lautet: „Quod me Publius Maevius testa-
310
Der suus dagegen ist der Erbe und Fortsetzer
eines Willens, mit dem er schon vorher identisch
war; er ist also nicht eines fremden, sondern seines
eigenen Willens Erbe und Fortsetzer, und wird
darum auf das richtigste 5«//sheres, sein eigener Erbe,
Erbe und Fortsetzer seiner selbst genannt^).
mento suo heredem instituit, eam hereditatem adeo cemoque."
(Gajus. II. § 166; Ulpian. XXII. § 28.) Es reicht also nicht
hin zu sagen: ..Publii Maevii hereditatem adeo cernoque,"
sondern es muß das beiderseitige Setzen oder Vollbringen
der Identifizierung, die im Testament per aes et libram in der
beiderseitigen simultanen Handlung Hegt, hier mindestens Im
Satze ausdrücklich hervortreten.
^) Der einzige, der bisher etwas hiervon geahnt hat, ist
der geistvolle Donellus, der diese Bedeutung des suus als Eines,
der sich selbst Erbe ist, sprachlich erwies, aber freilich
bei der realen juristischen Rechtfertigung dieser sprach-
lichen Bedeutung wieder In den schon betrachteten großen Irr-
tum des Gajus und der Institutionen und einer bald noch näher
zu untersuchenden Stelle des Paulus verfällt. Donellus sagt,
Comm.. IIb. VII, c. 2 (Hanau 1612), S. 286: „Quid sIt
necessarlum heredem esse, omnes Intelllgunt ex significatlone
verbi nota. — — Quid sIt suum esse, parum llquet. Si dicemus
cum Justlnlano suos heredes Ideo appellarl, quia domestlci
heredes sunt, quasi suus heres significet domesticum heredem
et proprium, usus et significatio verbi nos coargiiet. Non enim
recte dicam: iste homo est mihi suus, pro eo quod est: iste
homo est mihi domesticus, aut mihi proprias. Ne multls morer ;
hie suus hetes plane eadem forma eodemque modo dicitur,
ut meus heres, tuus heres. Nam haec omnia mutatls tantum
personis Idem significant ; nempe possesslonem ejus, de quo
dicuntur. Unde a Grammaticis appellantur possessiva. Ergo
ut meus heres dicitur, qui mihi successit, tuus heres, qui tibi
successit, Ita recte et appositc dicetur suus heres qui successit
sibi, qui suus successor est, seu qui se ipsum sibi successorem
habet. Hanc vlm subesse hulc verbo prImus conjecit Vigllus ad
§ sul. Inst- de her. et quäl, diff., sed ita ut In eo nihil
311
Aber eben wegen dieser bei ihnen schon vorher vor-
handenen unmittelbaren Identität der Willenssubjektivitäten
brauchen und können die sui gar keine Identifizierung
certi habeat, nee tradat ceteris. Eodem enim loco scribit here-
dem suum esse, quasi domesticum, proprium heredem, et do-
minatum, quaslque sui ipsius heredem, inter quae multum in-
terest. Nam proprius et domesticus heres dicitur, qui proprius
est et domesticus patri heres. Nunc autem suum heredem dici-
mus qui ipse heres est sibi. — Er führt dies sprachlich noch
weiter aus und fährt dann, zur juristischen Rechtfertigung dieseif
sprachlichen Bedeutung übergehend, fort : „Rationent verbi, seu
Wide haec appellatio nata sit videamus. Et vero significatio
quam optime rei convenit. Sic enim res habet, ut cum filii sui
heredes succedunt patri mortuo, quamvis dici possint heredes
patri, nihilo tamen minus 5/^/ ipsis quoqiie succedere videantur
et vere sibi ipsis esse heredes." Das Thema des Beweises,
den er führen soll, hält also auch hier Donellus noch ganz fest.
Wie er aber nun endlich diesen Beweis selbst erbringen und die
begriffliche Angemessenheit dieser Bezeichnung, die juristische
Wirklichkeit der sprachlich entwickelten Bedeutung nachweisen
soll, sagt er nun, unmittelbar nach den letzten Worten fort-
fahrend : ,,Quod jus ex eo est, quod filii, qui sunt in potestate
morientls, etiam antequam heredes existerent, domini fuerunt,
qui etiam vivo patre domini exlstlmantur bonorum." Hier also
scheitert Donellus wieder gänzlich und verfällt in die gang und
gebe Gewaltsamkeit, zur Erklärung des suus fingieren zu ^vollen,
als hätten die römischen Kinder schon bei Lebzeiten des Vaters
ein Miteigentum an den Sachen ; ein Irrtum oder vielmehr —
denn weder er noch sonst jemand nimmt es mit diesem Irrtum,
außer für diesen einzigen Behuf, ernst — eine Gewalt, die für
ihn freilich unvermeidlich war, da er den Begriff des Erbtumes
nicht durchschaut hatte, und für die er sich noch auf das Falsche
in einer ibald zu zergliedernden, aus Wahrem und Falschem be-
stehenden Stelle des Paulus beruft. — Aber gerade um so mehr
ist bei Donellus die Scharfsinnigkeit seines Blickes zu bewun-
dern, die ihn von sprachlicher Seite her mindestens das Po-
stulat des Beweises richtig entwickeln ließ.
312
derselben erst noch vornehmen, und sind daher ohne
jede Adition durch den Tod des Erblassers statim ipso
jure^), d. h. durch die bloße Kraft jenes Begriffes, zu
Erben geworden.
Soll aber das Gesagte wahrhaft richtig sein, so muß
die Kraft dieser Unmittelbarkeit so groß sein,
daß sie ebensowenig wie sie der Adition benötigt, ebenso-
wenig auch zu der Repudiation befähigt sind. Sie
sind unmittelbare Willensidentitäten mit dem Erblasser,
und nicht sie, sondern nur er, das allein berechtigte Subjekt
dieser Willensidentität, kann dies ändern. In dem Augen-
blick, wo sie durch den Tod des Gewalthabers sui juris
werden, in demselben Augenblick bereits finden sie sich,
gleichviel, ob er sie einsetzte, oder ob er ohne Testa-
ment starb, schon als seine daseienden Willens-
fortsetzer, als seine sui juris gewordene Willens-
identitäten, also schon mit der Erbqualität be-
haftet vor ; sie finden sich durch die Kraft des Begriffes
genau in derselben Lage vor, wie der extraneus nach
der Adition, und können daher an dieser einmal ein-
getretenen Erbqualität nichts mehr ändern. Und so sind
denn in der Tat (nach Zivilrecht) die sui notwendige
Erben (sui et necessarli), die wider ihren Willen erben
müssen und die schuldenüberbürdete Erbschaft nicht aus-
schlagen können^).
^) Gajus, L. 14 de suis et legitim, hered. (38, 16) : ,,In suis
heredibus aditlo non est necessaria, quia statim ipso jure heredes
existunt." Dies existunt, nicht fiunt, ist bezeichnend. Sie wer-
den nicht Erben; sie sind schon als solche da.
^) Ulpian, XXII. § 24; Gajus. Comm.. II. 156-159. -
Erst die prätorische Billigkeit, welche durchgehends. wie wir
gesehen haben, die Abstraktion von dem im jus civile tätigen
spekulativen Begriff und die Rücksicht auf das Vermögen dar-
313
Gleichwohl muß nun aus der vorstehenden Entvvicke-
lung der überaus wichtige Punkt ganz deutlich sein, daß
die sui dennoch die Erbschaft durch ih'e Willens-
aktion erwerben, durch ihren Willen nämlich, der
durch den Willen ihres Gewalthabers vorgestellt ist.
Aber sei es, daß sie durch Testament desselben, sei es
selbst, daß sie ab intestato erwerben, so erwerben sie immer
durch den in ihnen daseienden Willen des Ge-
walthabers, und also um der Identität dieses Willens
halber durch eigenen Willen, wie bei der Personen-
repräsentation überhaupt-^).
Ehe wir aber in der Ableitung der Folgen, zu welchen
sich der nachgewiesene Begriff der Suität treiben muß,
weiter fortschreiten, wird es von Interesse sein, auf unsere
stellt, bewilligt den suis, wenn sie sich nicht eingemischt hatten,
das Recht der Abstinenz, den praktischen Wirkungen der
Repudiation beim extraneus entsprechend.
*) Dieser Punkt, daß, wie jetzt nachgewiesen, auch der suus
die Erbschaft durch innere Willensaktion erwirbt, ist von der
äußersten, weitgreifendsten Wichtigkeit für den Hauptgegen-
stand dieses Werkes. Denn er zeigt, wie der von uns durch-
geführte Begriff, daß erworbene Rechte nur solche sind,
welche durch individuelle Willensaktion vermittelt
werden, auch am Erbrecht, auch am suus sogar keine
Ausnahme findet. Hauptsächlich mit aus diesem Grunde
mußte die begriffliche Analyse des Erbrechtes von uns unter-
nommen werden. Denn bisher mußte freilich stets angenommen
werden, und wurde von allen Autoren ohne Ausnahme stets an-
genommen, daß der Erbschaftserwerb des suus lediglich durcn
eine objektive Tatsache vermittelt wird ; es genüge als Bei-
spiel dafür Böcking anzuführen, welcher (Einleitung In die
Pandekten usw. [Bonn 1853], I, 334, Note 4) ihn, weil er
„statlni ipso jure, ohne aditio" stattfindet, lediglich als aus
einem „natürlichen Ereignis" entspringend klassifiziert und
Ihn deshalb mit der Alluvlon vergleicht. Die Größe dieses
Irrtums muß jetzt ersichtlich sein.
314
Entwickelung dieses Begriffes rückwärts blickend, ihn mit
einigen Definitionen der römischen Juristen selbst zu ver-
gleichen. Denn es wird jetzt in denselben, und zwar gleich-
mäßig sowohl, soweit sie ihn treffen, als soweit sie
ihn verfehlen, der angegebene spekulative Begriff auf
das deutlichste als die instinktive Grundlage, als das
ringende und treibende Moment dieser Definitionen
sich kundgeben und daher eine neue, nicht geringe Bestäti-
gung unserer gesamten Entwickelung verleihen. Diese
Definitionen des Römers sind, weil derselbe nur unter der
Einwirkung seiner Substanz steht und noch nicht zur
bewußten Selbsterfassung seiner gelangt ist, nur die un-
geheuere Anstrengung, den Begriff zu sagen; sie
sind die Anstrengung des stummen Mundes, das Seelische
zu verlautbaren, was er ebensosehr in der Herausringung
erzitternder Töne erreicht, als er es m der stammelnden
Ungewißheit derselben wieder verfehlt.
So sagt Paulus ^) : ,,In suis heredibus evidentlus apparet,
continuationem dominil (also was wir stets als den be-
stimmten Begriff alles Erbrechts bezeichneten: die Kon-
tinuation der Willensherrschaft, nicht allgemein
die Personenidentität) eo rem perducere, ut nulla
videatur hereditas fuisse (hier tritt also auf das stärkste
hervor, was wir als den Begriff der Suität ent^vickelt haben :
die Unmittelbarkeit der Willensfortsetzung;
die Willensfortsetzung ist so sehr der Begriff alles
Erbrechts, und jene Unmittelbarkeit derselben so
sehr der Begriff der Suität, diese ist so sehr der hier
herrschende Begriff, daß Paulus deshalb sagen kann, es
finde hier gar keine Erbschaft statt. Das Wahre
und Falsche hiervon muß aus dem Obigen klar ssin : es
1) L. 11 de lib. et posth. her. (28. 2).
315
findet, wie wir S. 306 zeigten, keine Identifikation
der Willenssubjektivitäten, keine Hervorbringung
eines Erben statt, was Paulus dies zu sagen veranlaßt.
Aber es findet Identität der Willenssubjektivitäten,
Dasein eines identischen subjektiven Willens und somit
Erbschaft statt) ; quasi olim hi domini essent, qui etiam
vivo patre quodammodo domini existimantur (hier gerät
also Paulus von der Tiefe seiner bisherigen Bestimmungen
wieder ab und auf den so nahe liegenden völlig falschen
Abweg des Gajus, denn es gibt nichts Unwahreres, als
im römischen Recht, zumal im alten jus civile, von einem
Miteigentumsrecht der Kinder zu sprechen) unde etiam
f ilius/a/7z///as appellatur, sicut patei familias, sola ^ota hac
adjecta (hier ist Paulus wieder auf dem tiefsten Wege. Im
gemeinschaftlichen Anhang familias, den beide Bezeich-
nungen führen, tritt eben auch äußerlich die Einheit
des Willenskreises, dessen Dasein sie beide sind,
hervor, und die verschiedenen Vorsilben des Kompositum
unterscheiden, wie Paulus schön sagt, nur wie eine ,,nota"
den tätigen Ausdruck, das Subjekt dieser Willens-
einheit, von der ruhenden Substanz derselben) per
quam distinguitur genitor ab eo, qui genitus sit (hier gerät
Paulus, nicht sagen könnend, was er sagen will, wieder ins
Sinnlich-Äußerliche ; er will eigentlich sagen, wie wir eben
zeigten : durch welche [nota] die für sich seiende Einheit
von der an sich seienden, das Subjekt von seinem sub-
stantiellen Kreise unterschieden wird). Itaque post
mortem patris non hereditatem pcrclpere videntur; sed
magls liberam bonorum administraüonem consequuntur
(ebenso tief wahr, als völlig falsch ; tief wahr, wenn auf
den spekulativen Begriff des Erbtums gesehen
wird : Fortsetzung einer Willenssubjektivität
zu sein. Der suus übernimmt nicht, wie der extraneus,
316
eine ihm andere [fremde] Willenssubjektivität zur
Fortsetzung [also non percipit heredltaierri , sondern indem
er Erbe wird, wird er jetzt nur selbst zum Subjekt
desselben Willens, der schon bisher substantiell in
ihm vorhanden und der seinige war; er setzt nur
jetzt als Subjekt, für sich geworden, sich selber,
seine eigene bisherige Willenssubstanz fort. Indem dies
Fürsich werden des Willens, der Begriff des Subjektes,
allerdings das Moment der Freiheit ist, kann man mit
vollem Recht sagen, daß der suus durch die Erbschaft
nur die Freiheit dessen erlangt, was er bisher
schon war und vorstellte, und dies ist also das tief
Wahre auch in den folgenden Worten des Paulus : sed
magis liberam b. a, c. Wird aber der spekulative Erb-
begriff verfehlt und statt in jene spiritualistische Willens-
fortsetzung in seine bloße Folge, den Vermögens-
erwerb, gesetzt, so wird alles wieder völlig falsch, und
freilich stößt dies Paulus selbst zu. Denn indem er
sagt, daß der suus durch die Erbschaft nur die freie
Administration der Güter erlange, deutet er wieder,
wie dies auch seine Absicht und wenige Zeilen vorher
seine Worte sind, von neuem an, als habe der suus auch
schon vor dem Tode des Vaters irgendein gebundenes
latentes Eigentum an dem Vermögen gehabt, wie
z. B. etwa heute die Frau in der französischen Güter-
gemeinschaft. Es läßt sich hier gerade sehr scharf zeigen,
warum der, wie wir sahen, richtige Satz, daß der suus
durch die Erbschaft nur die Freiheit dessen erlangt,
was er schon bis dahin war, durch die falsche
empirische Auffassung der Erbschaft als eines Vermögens -
erwerbs notwendig falsch werden muß. Denn in substan-
tieller Willensidentität war der suus mit dem Gewalthaber
auch schon vor dessen Tode und bringt also allerdings
317
durch die Erbschaft sein bisheriges substantielles Sein nur
zur Freiheit, zum Subjektsein. Eigentum aber
ist erst Folge der Freiheit, des Subjektseins, und
vor diesem gar nicht möglich. Darum ist der suus, weit
entfernt, vor dem Tode des Gewalthabers irgendein Eigen-
tum zu haben, vielmehr selbst ein Eigentum des-
selben. So muß, merkwürdig genug, die falsche Auf-
fassung des Erbbegriffes als Vermögensübertragung,
wenn es zur Erklärung- der Suität kommt, im Munde der
römischen Juristen selbst einen Satz zur Folge haben,
den sie selbst sehr wohl als den positiv-falschesten
von der Welt wissen, und über den sie ihre Verlegenheit
vergeblich unter einem unbestimmten ,,quodammodo' und
„magis" zu verbergen suchen.) Haec ex causa licet non
sint heredes instituti, domini sunt (man vergleiche, was
wir oben S. 307 fg. über das Zwölftafelgesetz gesagt
haben), nee obstat, quod licet eos exheredare, quos et occi-
dere licebat." (Hier kommt also wieder die Verlegenheit
und Unmöglichkeit zum Vorschein, ein Eigentumsrecht bei
denen anzunehmen, die ganz willkürlich enterbt
werden können, eine Verlegenheit, die Paulus eigentüm-
lich genug dadurch zu beseitigen sucht, daß er sie noch
steigert, indem er darauf hinweist, wie die Kinder, statt
Eigentum haben zu können, vielmehr selbst Eigentum sind.)
Dieselbe Bestätigung der von uns dem Begriff der Suität
gegebenen Entwicklung spricht sich in einer anderen Stelle
des Paulus aus^): ,,Quum ratio naturalis (man denke
hier nur nicht, wozu man allerdings unwillkürlich geneigt
ist, an das Gefühl der natürlichen Verwandt-
schaft, denn zu den suis gehört ja ebensogut wie die
Kinder auch die Ehefrau, und zwar wieder nicht die
^) L. 7 pr. de bonis damnat. (48, 20)-
318
Ehefrau überliaupt, sondern nur die in manum geheiratete ;
die ratio naturalis bedeutet hier in Wahrheit, ^vie auch die
unmittelbar folgenden Worte zeigen, nichts anderes als die
selbstredende Kraft des Begriffes, das selbst-
redende Dasein der Willensidentität in den Genossen
des Gewaltbandes, wodurch die sui unmittelbar Erben
sind) quasi lex qiiaedam tacifa (hier zeigt sich also deut-
lich das eben Gesagte) liberis parentum hereditatem addi-
ceret, velut ad debitam successionem eos vocando (hier
tritt wiederholt jene Unmittelbarkeit des im suus ge-
gebenen Erben und zugleich das hervor, was wir vorher
über das Zwölftafelgesetz gesagt haben, welches dem
suus nicht die Erbschaft überträgt, sondern nur das
Faktum konstatiert, daß er von selbst Erbe ist)
propter quod et in jure civili suomm heredum nomen iis
indictum est etc." Setzt man diese Namenserklärung
in Einheit mit den von uns aufgelösten Sätzen, mit welchen
sie durch das propter quod zusammengebunden ist, so
erhält man von selbst die von uns gegebene Auflösung
und Erklärung des Namens des suus als eines Erben
seiner selbst, d.h. als eines Fortsetzers seines
eigenen Willens^).
^) Beiläufig wird jetzt aus dem spekulativen Begriff auch
klar sein, warum das prätorische Erbrecht der Aszendenz
nicht dasselbe sein kann, wie das der Deszendenz. Wenn
auf die Verwandtschaft gesehen wird, so ist allerdings
der Vater dem Kinde so nahe verwandt, wie das Kind dem
Vater. Aber wenn die Kinder die unmittelbar daseiende Fort-
setzung der väterlichen Willenssubjektivität sind, so läßt sich
umgekehrt nicht ebenso sagen, daß der Vater die natürliche
Fortsetzung des Kindes sei, das vielmehr nur seine
Fortsetzung bildet. Aus dieser aus dem spekulativen Begriff
entspringenden mangelnden Gegenseitigkeit werden jetzt
z B. die Worte Papinians ganz klar sein, L. 7, § 1 unde
319
Jetzt zeigt sich auch erst der tiefere Grund und die
innere begriffliche Bedeutung dessen, daß der suus, der
enterbt wird, jetzt nicht mehr enterbter suus, sondern
überhaupt kein suus sein kann, d. h. daß der Begriff
der Suität durch die Enterbung gebrochen wird, und
dies bleibt, auch wenn der Betreffende dennoch das
Vermögen des Erblassers erlangt. Denn indem die
Identität mit dem Gewalthaber und die Unmittelbarkeit
der Willensfortsetzung im filius durch die Enterbung ge-
brochen und aufgehoben ist, er aber durch den Tod
des Vaters sui juris geworden ist — was man irrig mit
der Bedeutung des suus hat zusammenwerfen wollen — ,
setzt er jetzt nicht mehr die väterliche Willenssubjektivität,
also nicht mehr seine eigene und bisherige, fort,
sondern hat gleichsam, wie bei der Emanzipation, eine
neue und selbständige, seiner bisherigen andere er-
langt, was sich also auch dadurch nicht ändern kann, wenn
er auch als Fideikommissar das väterliche Ver-
mögen erhält, s. Ulpian^): ,,Multi non nota e causa
exheredant filios, nee ut iis obsint, sed ut iis consulant
utputa impuberibus, iisque fldeicoinmissam hereditatem
dant"-)." Mit anderen Worten: die Suität haftet, was
das vorige wiederum bestätigt, streng am zivilrecht-
lichen Erbbegriffe, dem Begriffe der Willens-
liberi (38, 6) : „Non sie parentibus liberonim, ut liberis paren-
tum debetur hereditas; parentes ad bona liberorum ratio mise-
rationis admittit, liberos naturae simiil et parentum eommune
Votum." — Das Fortwirken oder der Widerschein des
zivilistischen Geistes im prätorischen Erbrecht, trotz der Ge-
gensätzlichkeit desselben, kann seine volle Erklärung freilich
erst später (Nr. XL) finden.
') L. 18 de lib. et posth. (28. 2).
^) Siehe über die Auslöschung der Suität durch die Ent-
erbung Cujacius in Dig. 1. 1. et in Nov. I, part. I.
320
fortsetzung, und wird daher dadurch, daß der ent-
erbte Sohn zum fidelkommissarischen Erben gemacht wird,
nicht wiederhergestellt, weil der lideikommissarische Erbe
eben gar kein Erbe im Sinne des spekulativen Begriffes
oder des jus civile, nicht Willensfortsetzer, son-
dern nur Vermögensempfänger ist.
Wir haben bisher den Begriff und die Notwendigkeit
des suus, die Bedeutung seines Namens und den Grund,
warum .er weder der Adition benötigt, noch zivilrechtlich
der Repudiation fähig sein kann, kennen gelernt. Es ist
jetzt am Ort, die weiteren Konsequenzen des spekulativen
Begriffes zu entwickeln und als ebenso viele Sätze des
jus civile nachzuweisen.
Was zunächst den Umfang der Bezeichnung des suus
betrifft, so ist klar, daß, da der Begriff der Suität nichts
mit der natürlichen Verwandtschaft, noch mit der Familie
in unserem (heutigen) Sinne zu tun hat, sondern schlecht-
hin in der vorhandenen Willensidentität der in seiner Ge-
walt stehenden Personen mit dem Erblasser wurzelt, nur
alle solche, aber auch schlechthin alle solche, die in
seiner Gewalt stehen, sui sind. Die Ursache der Ge-
walt, ob eheliche Zeugung, Adoption, causae probatio,
Legitimation oder in manum conventio, ist daher gleich-
gültig und es erben daher die in manum übernommene
Frau, und die Tochter wie der Sohn, ja sogar die
Schwiegertochter als die in manum geheiratete Frau
des in der Gewalt stehenden Sohnes gleichmäßig als sui^).
Und da der Begriff des suus in der Unmittelbarkeit
der Identität, in der Willenseinheit als daseiender be-
steht, so kann hier nichts auf Wissen und Kennen an-
I 1) Gajus. Comm., III. § 1; Ulpian. XXII. § 14. XXVI.
' § 1; Paulus. R. S.. IV. 8. §§ 3. 4. 8. 10.
21 LasiiUc, Ges. Sckriften. Band XI. 321
kommen, welches alles V^ermittelungen und daher nur
da n'^tig sind, wo erst durch besonderes Wissen und
Wollen eine Identität hergestellt werden soll, und es
erbt deshalb der während unseres Lebens empfangene
postumus, wenn er nur bei seiner Geburt in unserer Gewalt
gestanden hätte (d. h. unser Sohn oder der Sohn eines
in unserer Gewalt Stehenden ist), gleichfalls als suus.
Ulpian^): Postiiini quoque liberi, ii qui in utero surt,
si tales sunt, ut nati in potestate nostra futuri sint, siionim
heredum numero sunt. Denn als seiende Willenseinheit,
als unmittelbar gegebene, dringt dieselbe bis in den
Uterus und ergreift die Person bis in die Anfänge ihres
Personseins hinein. Der postumus ist darum durchaus in
eben solcher Willenseinheit, er ist auch als Enkel us.v.
ein ebenso unmittelbarer Willensfortselzer des Ge-
walthabers, als es des postumus Vater gewesen wäre. Es
tritt hier wieder, wie bei jedem Schritt, hervor, wie das
gesamte Erbrecht nicht zu \erslehen ist ohne den \oa
uns entwickelten spekulativen Begriff. Wir werden später
sehen, daß und warum eine incerta persona zum Erben
nicht einmal eingesetzt werden darf. Es beruht dies
darauf, daß, damit der subjektive Wille sich als identisch
mit einer anderen Willenssubjektivität setzen kann, dieser
andere Wille ein für den ersten gewisser und be-
kannter Wille sein muß. Der postumus gilt aber im
römischen Zivilrecht als eine persona incerta; Gajus^):
,.Ac ne hercs quidem potest institui postumus alienus ;
est enim incerta persona.'' Hier scheint also ein Wider-
spruch vorzuliegen, da der postumus dennoch wieder suus
heres ist. Allein dieser scheinbare Widerspruch ver-
^J Fragm. XXII. 15.
-) II. 241. 242.
322
schwindet \'or der Kraft des Begriffes. Denn eine incerta
persona kann nur der fremde postumus sein. Der eigene
postumus aber, als identisches Dasein des eigenen
Willens des Gewalthabers, ist ihm, weil eine mit seinem
eigenen Willen identische, auch eine sehr ge-
wisse, sehr bekannte, ihm trotz seines noch unter-
irdischen Daseins gerade so gut wie er sich selbst
tekannte Willensperson! Er ist also gar keine
persona incerta für den eigenen Gewalthaber, sondern nur
für den Fremden.
XXII. Erste Andeutung des Verhältnisses des
testamentarischen zum Intestaterbrechte. Der
Satz nemo pro parte testatus usw. Der suus
als die indifferente Mitte von testamentari-
schem und Intestatrecht.
So widerlegt sich also bei dem wahren Erbbegriffe
von selbst, was Gans, II. Note 110, sagt: ,,Es könnte
vielleicht umgekehrt scheinen, daß, weil eine incerta p3r-
sona, wozu auch der alienus postumus gehört, als Erbe
des alten Rechtes nicht eingesetzt werden könne, diese
Ausnahme zugunsten des postumus suus auf eine Bestimmt-
heit und auf die gegenwärtige Liebe für die zu er-
wartenden Kinder deute. Aber gerade, daß die Römer
den postumus für eine incerta persona erklären, für den
suus aber die Einsetzung oder Exheredation gestatten,
macht diesen postumus suus nicht weniger zu
einer incerta persona, aber zu einer ausgenommenen."
Es hat sich vielmehr gezeigt, daß von einer Ausnahme
21- 323
gar nicht die Rede sein kann, der postumus vielmehr ledig-
lich für den Fremden eine persona incerta sein kann, für
den Gewalthaber aber eine certissima sein muß. Von
,, Liebe" kann bei dem römischen Erbrecht überhaupt so
wenig die Rede sein, daß dieselbe ebensowenig auch nur
als Gegensatz und kritischer Maßstab zu gebrauchen ist,
um dasselbe zu verstehen. Hierin wurzelt eben der das
Verfehlen alles Weiteren dann mit Notwendigkeit nach
sich ziehende Grundirrtum von Gans, daß er, statt den
konkreten römischen Erbbegriff aufzusuchen, das Intestat-
erbrecht seinem Prinzip nach als das System der Familien-
liebe auffaßt, dies dem testamentarischen Erbrecht als
gleichberechtigten begrifflichen Gegensatz gegenüberstellt,
und letzteres dann aus diesem Gegensatz und seiner Reibung
mit dem ersteren, als seinem inneren Faktor, erklären will
sowohl in bezug auf seine dogmatische Gliederung als ge-
schichtliche Bewegung, welches alles in gleichem Maße
irrig ist.
Die Stellung des römischen Intestaterbrechtes zum testa-
mentarischen ist vielmehr, um dies kurz hier anzudeuten
und so weit schon hier der Charakter des Intestatrechtes
dargelegt werden kann (s. später Nr. XXVI und XL),
folgende: Beide haben zunächst ihre Einheit in dem
von Gans nicht erkannten Grundgedanken alles römischen
Erbrechtes, der Unsterblichkeit des noch als sub-
jektiver Wille aufgefaßten Geistes, kürzer, der sub-
jektiven Wiilensunsterblichkeit. Dieser Begriff bildet die
Gattung der beiden Arten des Intestat- und Testaments-
erbrechtes, die bei Gans gar keine Gattungseinheit gemein-
sam haben, sondern bloße Gegensätze sind. Gerade um
der Einheit dieses Gattungsbegriffes willen gibt es auch
eine Einheit von testamentarischem und Intestaterbrecht,
eine indifferente Mitte beider. Diese indifferente
324
Mitte bildet nämlich eben der suus, der, als unmittelbar
von selbst daseiende Willensfortsetzung, sowohl erbt ohne
Testament (als präter i erter), als ohne Gesetz
(s. oben S. 307 fg. über den Zwölftafelsatz, welcher den
suus nicht einsetzt, sondern sein von selbst vorhandenes
Erbtum nur voraussetzt.) Nur wenn die im suus vor-
handene unmittelbare Willensfortsetzung nicht vorliegt,
wenn also kein suus da (oder wenn er durch Enterbung
beseitigt ist), tritt die Notwendigkeit ein, daß der subjek-
tive Wille sich selbst durch eigene Übertragung fort-
setzt (Testament), oder, wenn diese fehlt, durch Anordnung
des Staates übertragen und fortgesetzt wird (Intestat-
erbfolge). Daß der Intestaterbe gleichfalls dieselbe Fort-
setzung des subjektiven Willens ist ^vie der Testaments-
erbe, zeigt sich außer allem anderen schon daran, daß er
gleichfalls vor allem die sacra singuli hominis perpetuieren
muß. Das Intestaterbrecht des jus civile sucht daher die
Willensfortsetzung des Toten auf, und findet es keine
unmittelbaren Willensidentitäten mit ihm (sui), so bestimmt
es nun als jene Fortsetzer die mit ihm in dieser Willens -
identität Gewesenen, d. h. die Agnaten, die durch
das Gewaltband früher Geeinten. Das Intestaterbrecht,
auf welches wir uns einstweilen noch unmöglich näher
einlassen können, hat daher inhaltlich kein selbstän-
diges und kein dem testamentarischen Erbrecht ent-
gegengesetztes, hat kein anderes Prinzip als das testa-
mentarische selbst. Es ist ein Grundirrtum von Gans, daß
er — ein Vor^vurf, der auch alle positiven Juristen in
ganz demselben Grade trifft — statt sich, wo es sich um
das alte jus civile handelt, in den antik-römischen
Geist hineinzuversenken, unbewoißt von relativ -modernen
und in ihrer Substanz germanischen Anschauungen aus-
gehend, das römische Intestatrecht stets auffaßt als eine
325
Pflicht des Toten gegen die Hinterbliebenen,
ihnen sein Vermögen zu hinterlassen, während es um-
gekehrt begrifflich zunächst wurzelt in der Pietäts-
pflicht der Lebenden gegen den Toten, seine
Willenssubjektivität fortzusetzen (eine Pietätspflicht,
die eben deshalb bei der Nähe des suus sogar eine
Zwargspf licht ist), Vermögen und Erbtum über-
haupt dem römischen Geiste in ihrem Begriffe durchaas
nicht identisch sind und daher auch in der Wirklichkeit
dt-rchaus nicht notwendig zusammenfallen, wie wir dies
als den wahren und alleinigen Schlüssel zum Wesen des
römischen Zivilrechtes außer allen Z^veifel gesetzt zd
haLen hoffen. So verkehrt sich für Gans — und dii
Autoren überhaupt — das Intestaterbr2cht in einen selb-
siändigen und dem Testament als dem Prinzip der ,, reinen
persönlichen, auf sich beruhenden Willkür" gegenüber-
stehenden .Ausdruck des dieser Willkür entgegen-
gesetzten substantiellen Prinzips" (I, 31 und überall),
in ein Prinzip sittlicher Familienliebe und der
Anerkennung ihres Rechtes auf den Vermögensnachlaß,
obwohl Gans hierbei doch selbst wieder zugeben muß,
wie dieses angebliche Prinzip , .dieselbe Härte und Lieb-
lasigkeit", dieselbe „Hervorbringung der Willkür" (S. 51
und a. a. O.) ist, wie auch das testamentarische Erbrecht,
ein Zugeben, womit nichts anderes zugegeben ist, als
daß dieser ganze Gegensatz zwischen Testaments- und
Intestaterbrecht gar nicht stattfindet und ein lediglich von
Gans aus heutigen Anschauungen supponierter und fingier-
ter Gedanke ist. Wie fremd dem römischen Intestaterbrecht
ein solches Prinzip substantieller Familienliebe ist, be-
weist gerade, als dasselbe wirklich beim Untergang
echtrömischer Geisteswelt — beim Untergang der Repu-
blik — auflösend hereinzubrechen beginnt, die un-
326
gewisse, zitternde und sich selbst verleugnende unprinzipielle
Form, in der es auftritt (s. was wir oben sub Nr. X über
die querela inofficiosi gesagt haben). Ebensowenig wie
das Intestatrecht inhaltlich einen selbständigen Begriffs-
gegensatz gegen das Testamentsrecht bildet, ebensowenig
bildet es formell einen selbständigen und gleichberech-
tigten Gegensatz gegen dasselbe, wie Gans dies als das
,, plebejische und patrizische Prinzip" charakterisierend
darstellt. Da Erbtum überhaupt Fortsetzung des sub-
jektiven Willens ist, so ist die ihrem Begriff
adäquateste Fortsetzung diejenige, die durch den sub-
jektiven Willen selbst gesetzt ist, und es wird daher
vorzüglicher sein, sogar den suus, den unmittelbar seienden
Willensfortsetzer, lieber selbst einzusetzen, um zu
zeigen^), daß dies Verhältnis des unmittelbaren Seins vom
^) Besser als alle Texte der römischen Juristen zu zeigen
vermöchten, zeigt ein Fluch bei Plautus, welchen unendlichen
Vorzug im römischen Volksgeist das Testament über das Be-
erbtwerden ab iniesiaio hat, auch wenn gar nicht darauf Rück-
sicht genommen wird, ob nicht nach beiden Systemen dieselbe
Person Erbe sein würde. Es ist der Fluch bei Plautus, Cure,
V, 2, 24: ,, Jupiter te male disperdat, intestatus vivito." (,,Daß
Jupiter dich verderbe, mögest du Intestatus leben.") Was ist
denn das nun aber für ein Unglück, wenn man Kmder oder
Verwandte hat, die ebenso gut ab intestato dran kommen wür-
den, als wir sie wohl selbst zu Erben einsetzen? Wie kann
das also zum Fluch werden? Man versuche doch einmal heut
jemand zu fluchen : ,, Mögest du ohne Testament sterben,"
und sehe, ob ihm das einen Eindruck machen wird ! Es kann
nur da zum Fluch werden, wo es nicht sowohl darauf an-
kommt, wer erben, als vorzüglich wie geerbt werden wird.
Es kann nur darum zum Fluch werden, weil der Intestaterbe
als solcher nur der vorausgesetzte, vermutete, subsi-
diäre Willenserhalter des Subjektes und darum für den Volks-
geisi von unendlich geringerem Wert, von unendlich geringerem
327
subjektiven Willen selbst gewollt ist^). Mit anderen
Worten : das Testamentserbrecht ist als adäquateste Er-
Trost für die subjektive Fortdauer ist als 4er durch aus-
drücklichen subjektiven Willen Gesetzte (vgl. Nr. VII und
Nr. XL).
Um einem etwaigen Mißverständnis vorzubeugen, bemerken
wir: der Fluch bei Plautus wird vom Sprechenden gegen jemand
ausgestoßen, der sich geweigert hatte, ihm als Zeuge bei einer
in jus vocatio zu dienen, und so könnte man vielleicht entgegnen
wollen, daß das intestatus vivito bloß ganz allgemein heißen
solle, er möge auch unbezeugt leben, keinen Zeugen finden.
Allein nach unseren früheren Ausführungen muß schon ein-
leuchten, wie dies nur auf einem Umweg zu demselben Resultat
führt. Das Testament ist eben die testatlo mentis, die Be-
zeugung, Offenbarung des Geistes. Wer niemals einen
Zeugen findet, kann auch diese höchste und substanti-
ellste Selbstbezeugung nicht vornehmen, was eben erst diesem
zur Strafe für die Weigerung ausgestoßenen Wunsch die
innere Gerechtigkeit verleiht, ihn an die Weigerung des zum
Zeugen Ersuchten anzuknüpfen und zugleich andererseits die
von dem Sprechenden offenbar beabsichtigte Wirkung, etwas
zwar aus der Handlung des anderen Folgendes, aber noch
viel Schwereres ihm anzuwünschen ; was also erst den
Worten die schwere Bedeutung des Fluches und der Ver-
wünschung gibt (vgl. oben S. 36, Note 1).
^) Will man hierfür, außer dem bekannten ängstlichen Wert,
welchen die Römer darauf legen, nicht ohne Testament zu
sterben, selbst wenn sie nur dieselben einsetzen, die auch In-
testaterben gewesen wären, noch einen besonderen Beweis, so
tritt er auf das ausdrücklichste in dem gesamten Dlgestentitel :
„Sl quls omissa causa testamenti ab intestato vel allo modo
possldeat heredltatem" (29, 4), hervor.
Gerade in seinen Verschlingungen mit dem prätorlschen Recht
kann oft der wahre Geist des Zivilrechtes am deutlichsten sich
kundgeben. Denn es ist für das gesamte Verhältnis des prä-
torlschen Rechtes zum jus clvlle hauptsächlich wichtig, immer
festzuhalten, wie das prätorische Recht nicht nur die Auf-
lösung und Aufweichung des jus clvlle darstellt, sondern
328
scheinung des Erbtums überhaupt mit dem Begriffe des-
selben identisch und darum selbst die höhere Ein-
in dieser Auflösung immer noch von dem Geist des jus civile
selbst regiert bleibt (vgl. Nr. V, IX und XL). Der besagte
Digestentitel richtet sich dagegen, daß die eingesetzten Erben,
wenn sie zugleich die Intestaterben sind, die Testamentserb-
schaft prätermittleren, um die Intestaterbschaft anzutreten. Es
ist dies ihr strenges zivlllstlsches Recht, aber es ist unbillig
von ihnen gegen den Toten, daß sie, statt Ihm die ihrem
Begriff adäquateste, die vom subjektiven Willen aus-
drücklich gesetzte Willenserhaltung zu geben, ihm nur
die vom Staat subsidiarisch verordnete geben, aus Rücksicht
auf Ihren eigenen, aus der Beseitigung der Legate entsprin-
genden Vermögens vorteil. Darum tritt hier die prätori-
sche Billigkeit wieder zugunsten des zivilistischen
Erbbegriffes ein und zwingt diese Intestaterben das Te-
stament aufrecht zu erhalten. (Ulplan, L. 1 pr. hoc
tit. : ,, Praetor volunfafes defunctorum tnetiir et eorum calli-
ditati occurrlt, qui omissa causa testamenti ab intestato here-
dltatem partemve ejus possident ad hoc. ut eos circumvenlant,
quibus quid ex judicio defuncti deberi potuit, si non ab Intestato
possideretur hereditas et in eos actionem polllcetur.) Freilich
ist nichts näher liegender und plausibler, als auch hier wieder"
die Täuschung, das sei bloß eine Billigkeit gegen das Ver-
mögensrecht der bedachten Legatare. Aber dies ist nur
der Schein; sie sind wieder nur der Boden, auf welchem
sich die Rücksicht auf den In seiner Ausdrücklichkeit fort-
exlstlerenden erblasserischen Willen zeigt. Man wird dies
schon nach allen bisherigen Ausführungen von selbst evident
finden. Aber auch sämtliche reale Bestimmungen dieses
Digestentitels, die wir hier freilich nicht analysleren können,
beweisen dies; oft schimmert es selbst aus den Worten klar
genug her\or, z.B. Ulplan, L. 1, § 3 h- t. : ,,QuId ergo, si
servus ejus, quum juberetur adire hereditatem, diclo audiens
non fult? Sed compellendus est servus hoc facere; ideoque
dominus ab Intestato veniens In Edictum." Auf die innere
Willensbeziehung des Erben auf den erblasserischen Wil-
len kommt alles an, nicht auf das äußere Recht der Legatare.
32Q
heit seiner und des Intestaterbrechtes, oder, wie
die römischen Juristen diesen Satz ausdrücken : Intestat-
erbrecht wird erst ganz subsidiarisch, wenn die Erb-
folge auf keine Weise mehr aus einem Testament ge-
geben werden kann, verliehen. (L. 39 de acqu. vel om.
her. 29, 2.) In diesem Satze zeigt sich auf das durch-
schlagendste, daß das Intestaterbrecht nicht, wie Gans*
gesamter Entwickelung zugrunde liegt, ein formell -
Dies tritt nämlich sofort realiter darin hervor, daß, wenn nur
die Willensbeziehung des Erben auf den Erblasser eine
untadel hafte war, wenn ci also z. B. von dem Sklaven nicht
in Kenntnis gesetzt wurde und -o die Intestaterbschaft antrat, er
niclu unter das prätorische Edikt fällt und den Legataren
nichts zu leisten braucht, obgleich doch deren Recht und
seine Verkürzung hier ganz dieselbe ist; Ulpian, L. 1,
§ 4 h. t. : ,,Sin autem nee certioratus est dominus a servo, et
postea ipse ab intestato possedit hereditatem, non debet inci-
dere in Edictum, nisl fingit Ignorantiam." Es tritt ferner darin
hervor, daß, wenn etwa der Schein entsteht, das Aus-
schlagen des Testamentes geschähe mit dem Willen des
Toten, das Edikt nicht zur Anwendung kommt, dann also z. B.,
wenn ein Erbe prätermittiert, der vom Testator nicht nur in-
stituiert, sondern auch substituiert war, weil durch die Sub-
stitution der Testator selbst den Erben zu ermächtigen
schien, die Institution auszuschlagen und er also hierbei
ein anderes Verhältnis zu seinem Willen hat, als wenn er sie
nur auf Grund des ermächtigenden Gesetzes, resp. seines eigenen
Rechtes ausschlug; L. 1, § 5 h. t. : ,,Si proponatur idem et
institutus et substitulus, et praetermiserit institutionem, an inci-
dat in Edictum quaeritur ; et non puto incidere quasi testator
hanc ei dederit facultatem, qui eum substituit" ; vgl. L. 6 pr.
§ 1 h. t.
Die Billigkeit, mit welcher so der Prätor den zivilistischen
Erbbegriff gegen das formell-zivilistische Recht seiner Beein-
trächtigung aufrecht hält, findet aber auch dem testamentarisch
eingesetzten suus gegenüber statt, der sich des Testamentes
enthält und ab intestato antritt; L. 1, § 7, L. 23 h. t.
330
selbständiger, begrifflicher und darum gleich-
berechtigter Gegensatz zum Testamentserbrecht ist, sondern
von diesem als der übergreifenden Einheit zu einem
untergeordneten Momente seiner selbst herabgesetzt ist.
Wie kann begrifflich von einem prinzipiellen, formellen
begrifflichen Gegensatz die Rede sein, \venn das
eine Moment dem anderen nicht formell und gleichberech-
tigt gegenübersteht, sondern von diesem selbst zu einem
subsidiären Dasein, zu einem bloßen Dasein, falls es
selbst nicht da ist, also zu einem, wenn auch gegen-
sätzlichen Momente seiner eigenen Einheit herab.^ejwtzt
ist ? Wie kann historisch vom Testaments- und Intestat-
erbrecht als dem Gegensatz des „plebejischen und patri-
zischen Prinzips" die Rede sein, wenn das Intestaterbrecht,
also gerade das, was das patrizische Prinzip dar-
stellen soll, nur subsidiarisch gilt? Wir würden so
das patrizische Prinzip als die untergeordnete,
subsidiäre Aushilfe des plebejischen Prinzips
ge\\innen ! ! Und dieser Satz, daß alles Intestatrecht nur
subsidiarisch in Betracht kommt, läuft doch allermindestens
bis auf die Zeit des Zwölftaf elgesetzes zurück ! Zu so
erstaunlichen Irrtümern muß jedes Philosophieren auch
den Geist- und Verdienstvollsten notwendig treiben, sobald
es, im Abstrakten stehen bleibend, den konkreten Be-
griff verfehlt. Das Testamentsrecht kann somit durchaus
nicht, wie Gans v/ill, aus dem Intestatrecht, und aus seinem
Gegensatze zu diesem, wohl aber dieses aus jenem
erklärt werden, weil jenes eben schon selbst die Ein-
heit beider ist. Das Testamentserbrecht kann ebenso-
wenig, wie Gans tut, in seiner geschichtlichen Be-
wegung aus dem Intestatrecht und dem Kampfe mit dem
Prinzip desselben entwickelt werden, weil eben jener Kampf
gar kein prinzipaler, sondern zum ruhigen Gegensatze
331
innerhalb der Einheit des Testamentsrechtes herabgesetzt
ist, also gar nicht das treibende Moment der historischen
Entwickelung bildet. Indem nun aber die Fortsetzung und
Identifizierung des subjektiven Willens nur dann eine
wahrhaft ihrem Begriff adäquate ist, wenn sie vom sub-
jektiven Willen selbst gesetzt und vollbracht ist, schließt
jedes Selbstsetzen seiner Identität und Fortsetzung durch
den subjektiven Willen jede durch die positiven Gesetze
des Staates nach der ihm eigenen allgemeinen Ordnung
aushilfsweise als solche gesetzte und an-
erkannte Fortsetzung seiner aus, d. h. der Wille kann
nicht als ein aus seiner allgemeinen Natur zu ergänzender
gelten, wenn er sich selbst gesetzt hat (= alles In-
testaterbrecht gilt nur subsidiär) oder, was dasselbe ist
und mit Notwendigkeit daraus hervorgeht : der subjektive
Wille kann immer nur entweder als sich selbst setzen-
der oder als ein durch den Staat gesetzter vorhanden sein.
Denn durch sein Selbstsetzen hebt er jedes Gesetzt-
sein seiner durch andere auf, schließt es also aus (= nemo
pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest).
Pomponius hat also recht, zu sagen (L. 7 D. de reg.
jur. 50, 17): ,,earumque rerum naturallter inter sepugna
est, testatus et intestatus". Man hat diesen so einfachen
Satz nie zu begreifen vermocht, obwohl man ganze Bände
über ihn geschrieben ; man hat ihm die künstlichsten, wider-
sprechendsten und gequältesten angeblich historischen Aus-
legungen gegeben^). Das war wiederum nur die einfache
^) So erklärt ihn Haubold, „De causis cur idem et testato
et intestato decedere non potest" (Leipzig 1788), mit dem be-
liebten, von der Komitienform des Alten Testamentes herge-
nommenen Räsonnement; da die Intestaterbfolge ein Gesetz ge-
wesen sei, das in den Komitien gemachte Testament aber auch
die Form eines Gesetzes gehabt und so ein Abgehen von jenem
332
Folge davon, daß man das Erbrecht immer als eine Ver-
mögensverfügung auffaßte. Bei dieser Auffassung
früheren Gesetz dargestelU habe, so wäre in dieser äußerUchen
.Weise der Grundsatz von der Unvereinbarkeit beider entstan-
den. Auch wären bei den sacris die Intestat- und Testaments-
erben sonst leicht in ein mißliches Verhältnis gekommen. End-
lich habe die Form des Testamentes per aes et libram die
Manzipation der ganzen Familie verlangt (warum? Danach
fragt man ja eben! Denn freilich fällt die letzte begriffliche
Antwort auf die Frage, warum das Manzipationstestament diese
Form hat, warum es über das ganze Vermögen verfügen muß
— worauf die wahre Antwort ist: weil es überhaupt gar nicht
über das Vermögen, sondern nur über den Willen verfügt;
s. Nr. VIII — auch ganz und gar mit der Frage nach der Be-
deutung des obigen Grundsatzes zusammen). — Thibaut (Civil.
Abhandlungen, S. 70 fg.) widerlegt daher dies alles imd will
den Grundsatz bloß aus dem buchstäbhchen Anklammern an
das Wort intestato im Zwölftafelgesetz herleiten, wie ganz
ebenso der neueste Autor Jhering (s. oben S- 308, Note 1) :
einen innerlichen Grund habe die Regel nicht. Seuffert (Archiv
für zivil. Praxis, III, 117 fg.) begnügt sich zu gestehen, daß
man überhaupt keine befriedigende Antwort auf die Frage geben
kann. Demburg (Beiträge zur Geschichte der römischen Testa-
mente, S. 311 fg.) beantwortet sie mit der Hauboldschen pe-
titio principii von der Form des Manzipationstestamentes. Van-
gerow (Pandekten [Marburg 1852], II, 5) erklärt den „Sinn"
dieser Regel dahin: ,,der Sinn dieser Regel ist, daß das Testa-
ment als den ganzen Nachlaß erschöpfend angenommen werden
müsse" usw., wobei also unter ,,Sinn" die unmittelbare und
niemals in Streit gewesene Wortbedeutung der Regel verstanden
wird. Ganz genau genommen, ist aber nicht einmal diese Wort-
bedeutung richtig. Denn die Regel hat nicht den Sinn, daß das
Testament selbst als den Nachlaß erschöpfend ange-
nommen werden, sondern daß es diese forcierte Wirkung
haben müsse. Im übrigen meint Vangerow mit Seuffert, daß,
wie schon Cujacius früher unterschieden hat, nur ab initio nicht
so testiert werden, hinterher aber der Testator so beerbt
333
mußte dann freilich ganz unbeg'-eiflich bleiben, warum
nicht der eine Teil des Vermögens nach Testament, der
andere nach Intestatrecht sollte geerbt werden können.
Sowie aber der Erbbegriff als die identische subjektive
Willensfortexistenz erfaßt wird, verschwindet jede
Schwierigkeit, der Satz wird vielmehr zur selbstredendsten
logisch-notwendigen Folge, und man begreift, daß dem
Römer mit Recht jeder Widerspruch gegen denselben als
etwas ,, Absurdes" (s. Papinian, L. 15, §2, de inoff.
test. 5, 2), den Denkgesetzen Widerstreitendes erscheinen
muß. Denn der Wille ist ein ideeller, in sich unteilbarer
Akt. Hat der Wille sich durch eigenes Setzen s^ine
Fortexistenz bestimmt, so hat er durch dies Selbst-
bestimmen jeden ihm überhaupt nur aushilfs weise
gegebenen Fortsetzer -^ eine Ergänzung, die ja nur eben
bei seinem eigenen Schweigen eintreten kann und soll —
ausgeschlossen: gilt er dagegen als ein solcher, der
werden könne (vgl. Huschke, Rhein. Mus.. VI, 298 fg.j;
eine irrige Unterscheidung, welche nu.- auf der nicht verstandenen
Ausnahme der querela inofficiosi beruht, welche sich uns unten
(Nr. XXVI) ganz anders erklären wird. Über den Aufsatz von
Huschke endlich über diese Regel (Rhein. Mus., Bd. 6) siehe
ausführlicher in der Beilage zu Nr. XL.
Aber auch die Erklärung, die Gans von diesem Grundsatz
gibt, der in ihm die Darlegung des Kampfes der beiden sich
gleichberechtigt gegenüberstehenden Sphären des Intestatrechtes,
als des substantiellen Prinzipes, mit dem Testamentsrecht, als
dem Prinzip der Willkür sieht, ist nur glänzender und geistvoller,
aber, wie ^vir später genauer sehen werden, um nichts wahrer
als die vorhergehenden. Hier genügt es, darauf aufmerksam zu
machen, daß der Grundsatz gar nicht, wie Gans will, einen
Kampf zwischen Intestaterbrecht und Testaments recht aus-
drückt, sondern nur, daß ein bestimmtes Erbium nicht zu-
gleich ab intestato und durch Testament übertragen werden
könne.
334
in dem Falle dieses Schweigens ist, in welchem ihm das
Gesetz den Fortsetzer bestimmt hat, so kann er eben sich
nicht durch eigenes subjektives Setzen Ausdruck gegeben
haben. Jedes schließt, wie die Bestimmungen von positiv
und negati\', wie Reden und Schweigen usw., das andere aus.
Es ist somit allerdings ein Gegensatz, ein ,, natürlicher
Kampf", wie Pomponius sagt, zwischen Testaments- und
Intestaterbrecht vorhanden. Beides schließt sich so not-
wendig und einfach aus, \vie ich dadurch, daß ich durch
ausdrückliche Angabe über das, worin ich mein
Wesen setze, jede stillschweigende oder durch einen
anderen dieser Selbstoffenbarung gegebene Ergänzung
notwendig ausschließe. Aber dieser Gegensatz ist ein ein-
facher logischer Verstandesgegensatz innerhalb
der begrifflichen Einheit; dieser Gegensatz ist ein
kleiner seitwärts liegender ruhiger Kreis, welchen der groß^
Kreis des römischen d. i. testamentarischen Ei'.:i-
begriffes als der Kontinuation der Willenssubjektivität in
seiner Selbstentwickelung wirft. Dieser Gegensatz ist
also da, aber als ein untergeordneter unJ sein Wesen
nicht in sich, sondern in einem anderen haber.cbr als ehr
ruhige Gegensatz der Ergänzung, eine Ergänzung, dis,
schon als Ergänzung, notwendig in einer begriff-
lichen Einheit mit dem zu Ergänzenden steht, und nur
deshalb zu ihrem Prinzipale wieder in einem aus-
schließenden und von ihm ausgeschlossenen Ver-
hälti is stehen muß, weil die Frage beim Testament gar
nicht die ist, was alles gewollt w^orden ist (d. h. welche
Vermögensbestimmungen getrofien wurden: hier
wäre eine nicht ausschließende Ergänzung zulässig), son-
dern ob überhaupt ausdrücklich gev/ollt worden ist (ob
der Wille sich selbst den Perpetuierer erzeugt hat) eine
nur mit Ja oder Nein zu beantwortende qualitative Frage.
335
Indem nun aber Gans aus diesem seitwärts liegenden unter-
geordneten Kreise, aus dem Gegensatz von Intestat- und
Testamentsrecht das Ganze des Erbrechtes, seine dogma-
tische Gliederung und historische Bewegung erklären will,
gerät er dadurch zu demselben in die Stellung, die jemand
zu einem Bilde hat, das er von der Seitenfläche desselben
aus betrachtet. Alle Linien und Konfigurationen des Ge-
mäldes verschieben sich, und selbst das Richtige noch,
was m seiner Betrachtung liegt, nimmt einen schielen-
den Charakter an.
Das testamentarische Erbrecht hat vielmehr wie das
Prinzip seiner dogmatischen Gliederung, so auch,
wie bereits gezeigt worden ist, das seiner treibenden histo-
rischen Bewegung nirgends anderwärts als in seinem
eigenen spekulativen Begriffe. Der Wille, als das der
realen Außenwelt gegenüberstehende ideelle Subjek-
tive, muß diese seine spekulative Natur auch im Erben
zeigen, indem er denselben, diese Spaltung an ihm mani-
festierend, der Realität des Vermögensobjektes gegenüber-
stellt und, ihm nichts als den inane nomen heredis lassend,
realiter enterbt. Gerade in dieser Spaltung hat zugleich
der Erblasser den höchsten Triumph und die höchste Ge-
währ seiner uninteressierten reinen Willensfortdauer. Aber
dieses Interesse des Erblassers findet seinen Gegensatz am
Interesse des Erben, der, an sein eigenes Selbst denkend,
auszuschlagen beginnt, und nun entsteht der Kampf wie
die Reibung dieser beiden Selbst, die im Erbtum gerade
identifiziert werden sollen, als das entwickelnde Moment
der geschichtlichen Veränderung, wie wir es oben dar-
gestellt haben, erzeugt bei fortschreitender Abreibung des
spezifischen Römertums die für sich abgesonderte Berech-
tigung der Vermögensfolge als solcher, als die außer-
halb seiner, des zivilrechtlichen Erbkreises, liegende prä-
336
torische bonorum possessio, durchdringt sich in den mannig-
faltigsten Verwickelungen und Verschlingungen mit diesem
für sich selbständig gesetzten Prinzip, und übt dieselbe
gestaltende Einwirkung auch auf das Intestatrecht aus.
XXIII. Fortsetzung der Suität und ihrer be-
grifflichen Folgen. Die Vermittelung und ihre
Dialektik.
Wenn aber der Begriff des suus die Unmittelbar-
keit der Willensidentität ist, so ist die notwendige Folge
hiervon, daß dies Willensverhältnis nicht als ein ver-
mitteltes vorhanden sein darf. Es ist also eine höchst
spekulative Konsequenz des Begriffes, daß die Suität
ausgeschlossen ist, wenn noch ein Vermittler vor-
handen ist, durch welchen der in der Gewalt Stehende
mit dem Gewalthaber zusammengeschlossen und vermittelt
wird ; d. h. der Enkel, der der suus des Großvaters wäre,
ist es nicht, wenn sein Vater beim Tode des Groß-
vaters noch lebt und in dessen Gewalt steht ■^). Die
Rechtfertigung dieses Satzes liegt vollständig in dem Ge-
sagten vor. Aber je tiefer man ihn betrachtet, desto mehr
rechtfertigt er sich und unsere obige Begriffsentwickelung.
Denn wenn der suus heres, wie wir sagten, nur dies
ausdrückt, zum Subjekt und Träger seiner eigenen
Willenssubstanz zu werden, so kann der Enkel, wenn
beim Tode des Großvaters der Vater lebt, nicht suus
sein, weil er überhaupt noch nicht Subjekt (sui juris),
1) Gajus, Comm.. II. § 156; Paulus. R. S.. IV. 8. §§ 7
und 8; Inst.. § 2 de hered. quae ab int. def. (3. 1).
22 LiisaUe. Ge». Sebriften. Bona XJ 337
also auch nicht Subjekt seiner eigenen Willenssubstanz
(suus heres) wird, sondern dies Subjekt noch immer nach
wie vor in einem anderen, dem Vater, behält. Der Enkel
wird also nicht zum suus, wenn er, mit Enterbung des
Vaters, vom Großvater eingesetzt ist. Denn er ist dann
immer nur gesetzter, nicht vonselbstdaseiender
Erbe. Er wird ebensowenig — unter Voraussetzung der
justinianischen successio graduUxm — zum suus, wenn der
Großvater ab intestato stirbt und dann der Vater sich
enthält^). Denn immer erscheint sein Erbrecht dann durch
den Vater vermittelt. Indem vielmehr sein Begriff gerade
dann besteht, nicht vermittelt zu sein, muß die Maxime
sich bilden — und dies ist ihre Bedeutung — : ,, successio
in 5///s heredibus non est"^).
Aber wenn der Vater vor dem Großvater gestorben,
oder nicht mehr in seiner Gewalt steht, dann muß der
Enkel ein suus sein. Denn die Willensidentität zwischen
ihm und dem Gewalthaber ist jetzt nicht mehr eine durch
das Dasein des Vaters vermittelte. Durch das
Ausscheiden desselben ist aufgehobene Vermittelung,
also zur Unmittelbarkeit zusammengesunlcene Ver-
mittelung vorhanden.
Als verschvv'undene Vermittelung hebt dieselbe den
Charakter der durch ihr Verschwinden hergestellten
Unmittelbarkeit nicht auf, und die zur Zeit des Todes
unvermittelt in der Gewalt stehenden Enkel, Urenkel
und Ururenkel kömien daher, da sie jetzt gleichfalls un-
mittelbare Willensidentitäten mit dem Erblasser sind, durch
einen anderen noch lebenden Sohn des Erblassers nicht
^) Cujacius. Obss.. III. 21, ad Africanum L. 16 D. ds
post. et Üb.
^) Ulpian. L. 1, § 8, de suis et legit. hered. (28, 16).
338
ausgeschlossen werden, sondern erben trotz des näheren
Grades desselben gleichzeitig niit ihm^), und zwar eben-
falls als sui^).
Allein, wenn die gewesene Vermittelung die durch
ihr Verschwinden hergestellte Unmittelbarkeit auch nicht
hindert, Unmittelbarkeit zu sein, so kann es doch bei kon-
kreter Begriffserfassung nicht so sein, als ob die ge-
wesene Vermittelung niemals gewesen wäre; sondern
als gewesene und aufgehobene Vermittelung ist sie eben
aufgehoben, d.h. als verschwunden in der Er-
innerung aufgehoben und ideell bewahrt. Oder
näher : Der tote Sohn hat durch sein Ausscheiden die
von ihm Abstammenden in unmittelbare Einheit mit
dem Gewalthaber gesetzt. Aber er hat eben alle von
ihm Abstammenden, nicht sie als einzelne und jeden
insbesondere, sondern als die einheitliche Be-
stimmung der durch ihn Vermittelten, als die ein-
heitliche Bestimmung seiner Deszendenz, also als
eine Einheit unter sich, in die Unmittelbarkeit
der Beziehung zum Gewalthaber gebracht. Wenn die
einzelnen als solche schon früher in der Gewalt des Groß-
vaters, aber in der vermittelten, gestanden haben, so ist,
was durch das Ausscheiden des Sohnes in die Unmittel-
barkeit der Beziehung zum gewalthabenden Großvater
gekommen, was also wirklich und allein zum suus ge-
worden ist, diese Einheit der Deszendenz des Aus-
geschiedenen. Dieselbe kann also nur als Einheit, als
ein suus erben, wie sie nur als Einheit zum suus ge-
1) Gajus, Comm., III, § 7; Ulpian, XXVI, § 2; Inst..
§ 6 de her. quae ab int. (3, 1).
^) Siehe Acosta (gegen Cujacius), Comm. ad Instit. de
hered. quae ab int., No. 10; L. ult. C. de liber. praet. vel
exher. (6. 28).
22» 339
worden ist ; oder mit anderen Worten, es muß Erbfolge
in stirpes, nicht in capita, eintreten und die Enkel, aus
einem toten Sohne, obwohl sui, zusammen nur soviel er-
halten, wie jeder lebende Sohn^).
XXIV. Fortsetzung der Suität. Die Enterbung
und die Präterition. Die Enterbungsformel.
Der suus ist also unmittelbar daseiender Erbe.
Allein indem der Römer dies anerkennt, konstatiert er
nur gleichsam eine naturhistorische Tatsache, die
aber nicht die Bedeutung haben kann, eine Schranke
für die römische Geistesfreiheit zu bilden.
Sie kann keine solche Schranke bilden; denn der sub-
jektive Wille, der überhaupt den Inhalt des römischen
Geistes ausmacht und der im Erben als fortexistierend
gesetzt werden soll, ist seinem Begriffe nach eben dies,
an alles unmittelbare Dasein nicht gebunden zu sein,
sondern sich diesem auch gegenüberstellen und es auf-
heben zu können. Der Begriff der Erbeinsetzung for-
dert es also absolut, daß ihre Freiheit eine unbeschränlite
sei, daß der subjektive Wille seine daseiende Identität
auch aufheben, auch als Nichtidentität bestimmen
kann. Der suus muß also enterbt werden können. Da
der suus aber das unmittelbare Dasein des erb-
^) Siehe die Stellen oben in Anm. 1; Ulpian, a. a. 0-:
,,Si defuncto sit filius et ex altero filio mortuo jam nepos unus,
vel etiam plures, ad omnes hereditas pertinet, non ut in capita
dividatur, sed in stirpes, id est ut filius solus mediam partem
hfheat et nepotes quotquot sunt, alterani dimidiam."
340
lasserischen Willens ist, so muß er, wie alles unmittel-
bare Sein, wenn es nicht sein soll, zuvor auf gshoban
werden, d. h. der suus muß, um nicht Erbe zu sein,
ausdrücklich enterbt werden. Nicht durch bloßes
Hinwegsehen und Ignorieren beseitigt sich das Seiende,
welches hierbei vielmehr nach wie vor ein Seiendes bleiben
würde; es muß tätig negiert, ausdrücklich auf-
gehoben werden, um nicht zu sein, und der bloß prä-
terierte suus bricht daher notwendig das Testament.
Gajus, II, 123 : ,,Item qui filium in potestate habet, curare
debet, ut eum vel heredem instituat, vel nominatim ex-
heredet; aiioquin si eum silentio praeterierit, inutiliter
testabitur." Ulpian XXII, § 14 : ,,Sui heredes instituendi
sunt vel exheredandi."
Der Satz, daß der suus, obwohl er enterbt werden kann,
das Testament besiegt, wenn er bloß übergangen und ein
anderer als Erbe eingesetzt ist, daß also zu seiner wirk-
samen Beseitigung die Formel der exheredatio unerläßlich
ist, ist daher keine müßige Form, keine ,,formalis(:iscne"
Schrulle des römischen Rechtes, wofür man so geiieigt
sein mußte, ihn zu halten; er ist ebensowenig, wie Gang
meint ^), ,, bereits ein Sieg des Familiensystems über
das System der Willkür'", indem sich das letztere dss
ersteren ,,als der ihm eigentlich vorgehenden ( ! !) Ord-
nung erinnern muß""); er ist ebensowenig, wie Gans
1) Erbrecht. II. 94.
^) Es zeigt sich hier wieder recht deutlich, bis zu welcher
Unwahrheit und zu welchem Widerspruch gegen alles Positive
jede bloß abstrakte Begriff sauf fassung sich treiben muß.
Das „Fämiliensystem" als die dem Testament ,,ei gen t lieh
vorgehende Ordnung." während sie doch in Wirklichkeit
die ihm nachstehende, nur subsidiär — si intestatus moritur,
sagt das Zwölf tafelgesetz — zur Geltung kommende ist. Das
wirkliche Recht wird damit zum Uneigentlichen, und
341
ferner meint ^), als eine ,,Ehre" für den suus und anderer-
seits wieder als eine größere „Härte und Grausamkeit"
aufzufassen ; er ist überhaupt gar nicht psychologisch
oder menschlich aufzufassen, womit man sich von vorn-
herein auf einem falschen und darum notwendig zu falschen
Resultaten führenden Weg befände, sondern er ist einfach
rein logisch aufzufassen, als das Dasein der logischen
Notwendigkeit, daß das Unmittelbare, wenn es nicht
sein soll, tätig aufgehoben werden muß.
Sowohl dies wie unsere ganze Begriffsentwickelung des
suus empfängt eine neue Bestätigung durch die Formel
der Exheredation, wie denn überhaupt in den Formeln
des römischen Rechtes immer in graphischster Kürze und
monumentaler Gedrungenheit der ganze echt spekulative
Begriff liegt und durch genau-wörtliche Analyse
herausgelöst werden kann. Die Formel lautet: ,,Titius
filius meus exheres esto"-). Sie kann also nicht lauten:
non heres esto. In dem rxheres liegt aber, wie in jedem
schon dadurch allein hätte sich für einen Philosophen von der
Stärke von Gans ergeben sollen, daß in dieser Bezeichnung des
wirklich Nachstehenden als des eigentlich Vorgehenden,
und umgekehrt, eigentlich nichts anderes heraustritt als die
Verfehlung des eigentlichen Begriffes der Sache. — Es wird
übrigens wiederholt erinnert, daß, wenn \vir vorzugsweise Gans
kritisieren, dies nur deshalb geschieht, weil er eben der wür-
digste und den positiven Juristen weit überlegene Gegner ist.
^) A. a. O., S- 94 u. 105. Gans kommt hierdurch dahin,
sagen zu müssen: ,,Die allgemeine Qualität als Erbe
hat der exheres auch; in Beziehung darauf ist es, wie schon
gesagt worden, dieselbe Ehre, heres oder exheres zu sein."
Hiernach soll also dem exheres die Qualität als Erbe blei-
ben, was eine ebenso positive Unwahrheit ist, wie die in der
vorigen Note; denn die exheredatio ist ja eben dies, ihm diese
Qualität zu nehmen.
2) Gajus, II. § 127.
342
Kompositum mit ex, der genaue Sinn, daß der Zustand,
der verneint wird, der bisherseiende war, der jetzt
nun aufgehoben und beendigt sein soll, während non
heres esto nur das künftige Eintreten der hereditas
verhüten würde. Es tritt also in dem exheres deutlich
hervor, daß der suus schon bis dahin Erbe war^),
daß er unmittelbar daseiender Erbe war und dieser
bereits existierende Zustand daher erst gebrochen
und beendigt werden muß, um nicht fortzudauern.
Dieselbe Konsequenz tritt nun in der Stellung heraus,
welche die Exheredationsformel im Testamente einzuneh-
men hat. Wir haben oben gezeigt (Nr. V), warum die
Erbeinsetzung schlechthin das erste sein muß, womit das
Testament zu beginnen hat. Denn wenn nicht zuvor durch
den Erben das nach dem Tode fortexistierende Dasein
des Willens gegeben ist, kann der Wille auch keine Äuße-
rungen seiner vornehmen. Was muß nun aber vorher-
gehen, die Institution des Erben, oder die Enterbung des
suus ? Die Institution des Erben muß vorhergehen, denn
wenn und solange der Wille nicht seine Fortdauer hervor-
gebracht hat, kann er als nicht existierender keine Wir-
^) A.uch beim extraneus heres heißt es in der Kretionsformel :
„Qiiod iii ita creveris, exheres esto." Aber hier ist dies ganz
natürlich, da der extraneus durch das vorgängige ,, heres esto"
in den Zustand des Erben versetzt worden war. Beim suus da-
gegen hätte dies auffallen müssen, da hier keine Einsetzung
desselben vorhergegangen ist und somit etwas beendigt wird,
was niemals eingetreten zu sein scheint.
Dies empfängt nun durch den ent-Nvickelten Begriff des suus,
als seienden Erben, seine befriedigende Lösung, und es zeigt
sich hierbei wieder deutlich, wie der suus als die daseiende
Willensidentität vor und ohne Testament schon ganz in
derselben Lage ist, in die der exter erst durch die Einsetzung
und ihre Annahme kommt. Der exter kann daher ohne vorherige
Einsetzung nicht exherediert werden (vgl. Gajus, II, 140).
343
kungen und somit auch keine Enterbung hervorbringen.
Umgekehrt, die Enterbung des suus muß vorhergehen, denn
solange der daseiende Willensträger nicht aufgehoben und
also noch vorhanden ist, kann kein anderer an seine Stelle
gesetzt werden. Die Frage ist also wegen der fiktiven
Natur der Willenskontinuation eine notwendig unlösbare,
und in der Verzweiflung, eine begriffliche Entscheidung
derselben zu erlangen, entschließt sich daher der Römer,
es gleichgültig sein zu lassen, ob Exheredation oder
Institution einander vorhergehen ; nur daß beide unmittel-
bar aufeinander folgen und den Anfang des Testamentes
bilden müssen. Ulpian^: ..Qui testatur, heredis insti-
tutione plerumque debet initium facere testamenti, licet
etiam ab exheredatione quam nominatim facit ; nam Divus
Trajanus rescripsit, posse nominatim etiam ante heredis
institutionem filium exheredare^)."
XXV. Fortsetzung der Suität. Die Unter-
schiede, die innerhalb des Suitätsbegriffes
liegen, als erbrechtliche Unterschiede zwi-
schen den verschiedenen sui.
Aber der obige Satz, daß der suus als präterierter
das Testament bricht, muß, den Begriffsunterschieden
entsprechend, die der suus in sich hat, in formeller wie
materieller Hinsicht sich zu einem konkreten Reichtum
leiner Unterschiede entwickeln.
1) L. 1 de her. inst. (28. 5).
2) Vgl. L. 3, § 3, de lib. et post. (28. 2): L. 3. § 2.
de injusto (28, 3).
344
Der in der Gewalt stehende Sohn ist unmittelbare und
volle Identität mit dem Gewalthaber. Er schließt eben
deshalb, wie wir sahen (s. Nr. XXIII), den aus ihm
erlangten Enkel des Großvaters aus, weil er selbst durch
dessen Tod das berechtigte Subjekt eines Willenskreises
wird, zu dessen Substanz er bisher gehörte. Er ist so
das wahrhafte und volle Subjektwerden der bisherigen
Willenssubstanz, er kann der suus in seiner höchsten Potenz
genannt werden, und seine Identität ist, weil sie eine den
eigenen Begriff des väterlichen Gewalthabers selbst aus-
füllende und deckende ist, die totale.
Wenn aber der filius präteriert ist, so muß das Testa-
ment als solches durchaus ungültig, die heredes scripti
als non scripti zu betrachten sein, und der suus sukzediert,
als wenn kein Testament vorläge.
Aber nicht mehr ganz dasselbe Verhältnis wie der filius
hat die filia zum Gewalthaber. Zwar ist sie gleichfalls,
als in seiner Ge^valt stehend, Willensidentität mit ihm
und, als unvermittelt in diesem Verhältnis, unmittel-
bare Identität; sie ist deshalb ebenfalls sua, wie der filius,
denn sie stellt gleichfalls beim Tode des Vaters ein Frei-
und Für sich werden ihrer eigenen bisherigen Willens-
substanz dar. Aber wenn sie ebenso unmittelbare
Identität mit dem Vater ist, wie der filius, so ist sie doch
nicht ebenso totale Identität mit ihm. Denn sie stellt
nicht, wie der filius, dies dar: zum Subjekt eines
Willenskreises werden zu können, dem sie bisher sub-
stantiell angehörte. Da sie als Weib niemand in ihrer
Gewalt haben kann, da das Weib deshalb, wie der Römer
sagt, Caput et finis familiae suae ist, so stellt sie beim
Tode des Vaters nur die Vereinzelung und Auflösung,
nur das für sich frei werdende Herausfallen aus dem
substantiellen Wirkungskreise, nicht aber die
345
Fortsetzung eines bisher durch sie hindurchgehenden
identischen Willenskreises als Subjekt und Träger
desselben dar. Sie hat und deckt nur die eine Seite
des im Vater vorhandenen Willensbegriffes: frei
für sich zu sein, keinem anderen anzugehören. Sie
deckt und realisiert nicht die andere Seite des im pater
f amilias vorhandenen Willensbegriffes : Willenssubjekt
einer durch ihn hindurchgehenden identischen Willens-
substanz, einer Einheit von Willen zu sein. Oder
mit anderen Worten : sie erlangt ihren bisherigen sub-
stantiellen, durch sie hindurchgehenden Willen jetzt in
nur subjektiver, negativer Weise; seine posi-
tive, substantielle Seite, die darin besteht, nicht bloß
isoliert für sich, sondern zugleich positive Identität mit
anderen Willen zu sein (und die darin gerade wieder den
höchsten Triumph der Willenssubjektivität bildet), kann
sie als Subjekt nicht fortsetzen-'^).
Da die Tochter also nur die eine der beiden Seiten
deckt, die im väterlichen Willensbegriff gegeben sind, ist
sie nur die Fortsetzung der Hälfte seines Wesens,
oder ihre unmittelbare Identität mit dem Vater ist
nur die halbe^).
^) Der weibliche Wille ist deshalb auch seiner eigenen
unmittelbaren Fortsetzung nicht fähig. Das Weib kann keinen
suus haben.
^) Die aber um der Unmittelbarkeit der Identität willen
deimoch, wenn der Wille des Vaters schwieg, also bei der
Intestaterbschaft, jeden Nicht-suus ausschließen muß. Dieser
halbe Charakter der Identität kann also nur in Betracht kom-
men: entweder einem ebenso unmittelbaren Erben gegenüber,
und dies tut er stets, da natürlich, wenn auch nur ein suus
vorhanden, die Tochter ab intestato immer nur die Hälfte erben
kann, oder aber dem eingesetzten Erben gegenüber, der,
wenn er einmal rite eingesetzt ist, ebenso gut Erbe
346
Von einer anderen Seite her tritt dasselbe Resultat
notwendig aber auch beim Enkel ein, und zwar fließt
es hier aus demselben Begriff smoment, das wir schon
oben (S. 337 fg.) aufgezeigt haben, daß nämlich die Ver-
mittelung, in welcher der Enkel durch seinen Vater
zum Großvater steht, durch das Ausscheiden des Vaters
zur gewesenen, aufgehobenen Vermittelung und also
zur hergestellten Unmittelbarkeit der Willensidentität
wird, daß aber die gewesene Vermittelung nicht zu
einer solchen wird, die niemals gewesen, die auf-
gehobene Vermittelung vielmehr eben deshalb auch
wahrhaft aufgehoben, d. h. ideell aufbewahrt,
bleibt, und dieser als Erinnerung an der neuen Unmittelbar-
keit haftende und fortbestehende ideelle Charakter sich
daher auch zu seinen realen Folgen treiben muß.
Diese Folgen zeigen sich sehr deutlich beim Vergleich
des begrifflichen Verhältnisses zwischen Sohn und Enkel
zum Großvater, wie es im Intestatrecht hervortritt.
Der Sohn ist die unmittelbare Willensidenti-
tät mit dem Gewalthaber als solche. Er ist daher der
ausschließende Erbe desselben, der ausfüllende,
totale Erbe, der keinen Platz neben sich läßt. Denn
er duldet nichts, was nicht in derselben Unmittel-
ist. wie der suus, so daß die Frage nur die ist, ob er rite
eingesetzt war, d.h. ob ein Platz, eine logische Mög-
lichkeit zur Einsetzung (ohne Exheredation) vorhanden war,
und welcher Platz? Dies ist durch die Halbheit jener
Identität gegeben. Aber bei der Intestatfolge, wo also über-
haupt nicht eingesetzt worden, der vorhandene Platz nicht
benutzt worden ist, muß natürlich die Unmittelbarkeit
der Willensfortsetzung der bloß subsidiären Aushilfe ge-
genüber, also die filia dem Agnaten gegenüber, ausschließend
^\irken. — Dasselbe gilt bei der folgenden Erörterung über
den Enkel.
347
barkeit der Beziehung zum Gewalthaber steht, nichts,
was nicht gleichfalls filius oder filia ist. Den aus ihm
selbst erzeugten Enkel schließt er aus von jener Un-
mittelbarkeit der Identität, die ganz von ihm ausgefüllt
ist. Zwar teilt er als einzelner filius mit einem «mderen
filius oder filia. Aber so teilt er nur wieder mit sich
selbst. Der Begriff, die Kategorie des Sohnes
schließt jeden anderen Erben aus. Zwar teilt er auch mit
dem Enkel aus einem anderen ausgeschiedenen Sohne.
Aber hierbei tritt das Gesagte nur um so deuilicher hervor.
Denn er teilt mit dem Enkel nur, sofern dieser nicht
Enkel ist, sondern den Begriff des gewesenen Sohnes
erinnernd in sich darstellt (repräsentiert). Dies
zeigt sich daran, daß, wenn mehrere Enkel aus dem
gewesenen Sohne vorhanden sind, der filius nicht zu ihnen
als einzelnen, also nicht zu ihnen als Enkeln — denn
Enkel ist jeder einzelne von ihnen — ein Verhältnis
hat, sondern sie alle zusammendrückt auf den Begriff des
einen Sohnes, den sie ideell in sich darstellen (Erb-
folge der sui in stirpes, s. oben S. 339), und sie ihm also
nur qua filius gegenüberstehen. Es bleibt also wahr, daß
die Kategorie des Sohnes um der Unmittelbarkeit ihrer
Identität willen keinen cinderen Erben neben sich duldet.
Nicht dies ist die Stellung des Enkels. Er ist nicht
selbständiger Erbe, denn er ist ausgeschlossen durch
den noch lebenden filius, dessen Sohn er ist. Er hat
auch, insofern dieser aus der Gewalt ausgeschieden und
er selbst also zum suus wird, noch Raum neben sich für
einen anderen Erbbegriff als den seinigen; denn er
muß mit dem filius, der kein Enkel ist, teilen. Ja, er
kommt überhaupt nur dadurch zum Erbbegriff, daß er
nicht als er selbst, als Enkel, auftritt, sondern auf
einen anderen Begriff als den seinigen, auf den Repräsen-
348
tanten des filius in ihm, hinweist. Es liegt daher wesent-
lich im Erbbegriff des Enkels, nicht ausschließen-
der Erbe zu isin, sondern noch Platz für einen anderen
Erobegi-iff, für eine andere Erbkategorie neben sich
zu haben.
Oder um dasselbe Moment formeller zu ent\vickeln :
Durch das Ausscheiden des Sohnes ist die Identität des
Enkels mit dem Großvater als aufgehobene Vermitte-
lung zwar hergestellte Unmittelbarkeit geworden,
und so ist der Enkel ein suus. Aber aufheben heißt
ja wieder: vermitteln, und bestehe, in welcher Gestalt
es auch auftrete, tatsächlich in einem tätigen Akt der
Vermittelung. Diese sich hier erhebende Dialektik des
Begriffes bev.irkt daher, daß die Identität, in welcher
der Enkel jetzt zum Großvater steht, als eine gedoppelte
erscheint: als eine unmittelbare, denn die Vermitte-
lung ist aufgehoben; als eine vermittelte, denn dieses^
Aufheben war selbst ein neues Vermitteln.
Indem diese Unmittelbarkeit also nur einerseits eine
unmittelbare, andererseits aber wieder eine ver-
mittelte ist, bestimmt sie sich für den Verstand im
Widerstreit dieser beiden Seiten zur halben Unmittel-
barkeit.
Wenn also bei der Tochter die Identität mit dem
Willensbegriff des Vaters nur die halbe war, so ist
hier beim Enkel zwar die Identität die totale — denn
der Enkel kann pater familias sein — , aber dafür die
Unmittelbarkeit der Identität nur die halbe.
Weil also die Willensidentität oder resp. die Un-
mittelbarkeit derselben, in welcher sich Tochter und
Enkel zum Gewalthaber befinden, nur die halbe ist,
sind sie nicht in dem Sinne ausschließende Erben wie
der filius, sondern lassen neben sich einen ideellen Platz,
349
eine Möglichkeit für eine Erbeinsetzimg, einen Platz, aus
welchem sie nicht erst durch formelle Exheredation
ausgetrieben zu sein brauchen, um die Erbeinsetzung
wirksam vornehmen zu können.
Wenn daher der präterierte Sohn als die unbeseitigte
und den Willensbegriff des Gewalthabers in totaler Gleich-
heit und vollster Unmittelbarkeit ausfüllende Willens-
identität keinen anderen Erben dulden kann^), und des-
halb das Testament annulliert, so wird eine ganz andere
Folge eintreten m.üssen, wenn der präterierte suus eine
Tochter oder ein Enkel ist. Es wird nämlich in
strenger Konsequenz des entwickelten spekulativen Be-
griffes die Folge eintreten müssen, daß auch die Willens -
einsetzung, wie gezeigt, bestehen muß, da Tochter
oder Enkel, weil ihre Identität oder resp. die Unmittel-
barkeit ihres Daseins nur die halbe ist, auch ohne
ausdrückliche Aufhebung ihrer unmittelbaren Iden-
tität (ihres Erbtums, ihrer Suität) noch eine logische
Möglichkeit, einen ideellen Raum, für die durch subjek-
tives Setzen hervorzubringende Identifizierung des von
ihnen nicht ganz oder doch nicht ganz unmittelbar
ausgefüllten gewalthaberischen Willens übrig lassen ; daß
also einerseits die testamentarische Erb-
einsetzung gültig bleibt; daß aber andererseits
auch diese präterierten sui um der in ihnen vorliegenden
Unmittelbarkeit willen von selbst als Erben her vor-
schießen, als unmittelbar vorhandene Willensidentitäten
den gesetzten Willensidentitäten anwachsend; und
daß sie endlich, in diesem Anwachsen genau den Raum
einnehmend, der ihnen nach ihrem entwickelten Begriffe
^) Vgl. Ulpian, XXII, 16: ,,Ex suis heredibus filius qui-
dem neque heres institutus neque nominatim exheredatus, nori
patitiir valere lestamentum."
350
zukommt, jene eingesetzten Erben auf den Raum zu-
sammendrücken, der von ihrem eigenen konkreten Be-
griffe für jene übrig gelassen wird.
Und genau so berichtet Gajus, einen der glän-
zendsten Beweise für die fast wunderbare spekulative Kon-
sequenz des alten Zivilrechtes gebend, II, 124: ,,Ceteras
vero liberorum personas" (andere nämlich als der filius)
,,si praeterient testator, valet testamentum ; praeteritae istae
personae scriptis heredibus in partem adcrescunt ..."
Aber welches ist der ihnen gebührende quantitative
Raum ? Es ist dies durch die obige Begriffsentwickelung
bereits gegeben. Nur sind zwei Fälle zu unterscheiden.
Die eingesetzten Erben können gleichfalls sui sein,
oder aber sie können extranei sein.
Sie sind gleichfalls sui, so sind sie dasselbe, was
der präterierte suus ist. Hier findet dann also kein Ver-
hältnis von Begriff zu Begriff, von Kategorie zu Kategorie
statt, die vielmehr dann nur die durch alle gleichmäßig
hindurchgehende identische ist. Die eingesetzten Erben
und der präterierte müssen sich also hier zueinander ver-
halten wie einzelne zu einzelnen, von denen jeder
dasselbe, was der andere ist, d. h. alle einzelnen müssen
erben zu gleichen Teilen nach der Kopfzahl, pro parte
virili.
Sind aber die eingesetzten Erben extranei, so tritt erst,
indem sie etwas anderes sind als der präterierte suus,
der Begriff desselben in seine deutlichste unterschei-
dende Existenz. Denn er muß sich dann zu ihnen ver-
halten wie Begriff zu Begriff, wie Kategorie zu
Kategorie. Als unmittelbar vorhandene Willens-
identität, die, ohne aufgehoben zu sein, einer erst gesetzten
Identität gegenübersteht, muß daher hier der präterierte
suus (Enkel oder Tochter) zuvor allen Raum einnehmen,
351
der dem nichtexheredierenden Setzen des Testators gegen-
über in notwendig gegebener Weise durch seinen eigenen
Begriff schon ausgefüllt ist; nur was dann noch übrig
bleibt, für die Einsetzung der fremden Erben, wieviel ihrer
auch sein mögen, offen lassend. Der Präterierte muß
also, weil, wie wir vorher sahen, — bei der Tochter —
die Identität mit der Willenssubjektivität des Gewalt-
habers, oder — beim Enkel — die Unmittelbarkeit
der Willensidentität die halbe ist, vor allem diese von
ihm schlechthin ausgefüllte Erbtumshälfte behaupten,
der freien Willenseinsetzung des Testators nur in der
anderen von ihm nicht notwendig durchdrungenen Hälfte
weichen, und daher alle eingesetzten Erben, so-
viel deren auch sein mögen, auf die andere
Hälfte der Erbschaft zusammendrücken.
Und so fährt denn Gajus in der angeführten Stelle
unmittelbar fort: ,,in partem adcrescunt, sisull/istitiitisint,
in virilem; si extranei, in dimidiam; id est si quis tres
verbi gratia filios heredes instituerit et filiam praeterierit,
filia adcrescendo pro quarta parte fit heres . . . habitura
esset ; at si extraneos ille heredes instituerit et filiam
praeterierit, filia adcrescendo ex dimidia parte fit heres ;
quae de filia diximus, eadem et de ncpote deque ommbus
liberorum personis, sive masculini sive feminini sexus, dicta
intelligimus." Und ebenso Ulpian, XXII, 17: ,,Reliquae
vero personae liberorum velut filia, nepos, neptis, si prae-
teritae sint, valet testamentum, scriptis heredibus adcrescunt,
suis quidem heredibus in partem virilem, extraneis autem
in partem dimidiam."
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