LASSALLE
GESAMMELTE
REDEN UND
SCHRIFTEN
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FERDINAND LASSALLE
GESAMMELTE REDEN
UND SCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN
UND EINGELEITET
VON
EDUARD BERNSTEIN
VOLLSTÄNDIGE AUSGABE
IN ZWÖLF BÄNDEN
VERLEGT BEI PAUL CASSIRER. BERLIN
1920
FERDINAND LASSALLE
GESAMMELTE REDEN
UND SCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN
UND EINGELEITET
VON
EDUARD BERNSTEIN
ZWÖLFTER BAND.
DAS SYSTEM DER ERWORBENEN RECHTE
11,2
VERLEGT BEI PAUL CASSIRER. BERLIN
1920
ALLE RECHTE VORBEHALTEN
DRUCK VON OSCAR BRAND STETTER, LEIPZIG
XXVI. Der suus und der Grundsatz nemo pro
parte testatus usw. Fortsetzung der Erörte-
rung über das Verhältnis des Intestaterbrech-
tes zum testamentarischen. — Die Dialektik
des Begriffes als Ursache der quantitativen
Erbteilsunterschiede bei Einsetzung und Prä-
terition des suus.
' Haben wir jetzt die hohe spekulative Konsequenz dieser
Bestimmungen des alten Zivilrechtes nachgewiesen, die
bisher unverstanden bleiben mußten, so drängt sich zugleich
hier von selbst eine Betrachtung hervor, die das, was wir
oben über das Verhältnis des Intestat- zum Testaments-
rechte nachgewiesen haben, auf das glänzendste zu be-
stätigen geeignet ist.
Wie kommt es nämlich, daß das, was wir soeben aus
Gajus mitgeteilt haben, zusammenbestehen kann mit jener
Hauptregel des zivilen Erbrechtes : Nemo pro parte testa-
tus, pro parte intestatus decedere potest ? Statt den Wider-
spruch dieser Regel und jenen Sätzen des Gajus über
den präterierten suus, der nicht filius ist, aufzulösen, ist,
soviel wir uns mindestens augenblicklich erinnern, dieser
Widerspruch nirgends auch nur hervorgehoben und kon-
statiert worden ! Und doch ist er offen zutage liegend und
unleugbar. Der Erblasser wird als ein testatus beerbt,
denn es erben die scripti heredes. Er wird auch als ein
intestatus beerbt, denn es erbt auch der suus, den er nicht
eingesetzt hat.
Da der Widerspruch ein sinnlich in die Augen fallender
ist, so wird man sich also in die beliebte und bequeme
Ausrede flüchten, es liege hier eine ,,Aus nähme" von
1 Laf.aie, Gc». ScUriftaa. Baad XU. 353
jener Regel vor. Aber wenn irgendwo, sollten doch hier
die Worte einer schon früher bezogenen Stelle des Cicero
zeigen, wie skeptisch man sich bei jener Regel gegen
das Zulassen von Ausnahmen verhalten muß^): ..Unius
enim pecuniae plures dissimilibus de causis, heredes esse
non possunt, nee iinquam f actus est, ut ejusdem pecuniae
alius testamento, alius lege heres esset", zumal man es
hier nicht mit Verordnungen der Kaiserzeit, nicht mit der
privilegierten Sphäre des Soldaten, nicht mit den Auf-
lockerungen und Abweichungen zu tun hat, welche etwa
die querela inofficiosi durch ihre Entstehung an der Strenge
des alten Zivilrechtes hervorbringen könnte, sondern man
sich hierbei mitten im alten Zivilrecht selbst befindet; so
daß jenes von Gajus und Ulpian berichtete Adkreszieren
zur Hälfte geradezu die direkte zivilistische Verneinung
des ebenso zivilistischen Grundsatzes : Nemo pro parte etc.,
zu bilden und ihn Lügen zu strafen scheint.
Allein der Widerspruch ist überhaupt nur ein schein-
barer; er ist nur dann vorhanden, wenn man den bereits
von uns im allgemeinen entwickelten Begriff des Intestat-
rechtes (s. Nr, XXII) bloß nach seiner sinnlichen Er-
scheinung, d. h. falsch auffaßt, als das Recht, welches
eintritt, wenn der Erblasser ohne Testament stirbt, oder
mit anderen Worten, wenn man das bereits mehrfach von
uns erörterte Verhältnis des suus zum Intestaterbrecht
verkennt.
Das Intestaterbrecht ist, wie wir daselbst zeigten, kein
bloßer Gegensatz zum Testamentsrecht, es ist ein unter-
geordneter, d. h. auch schon in Einheit mit dem
eigenen Begriffe des Testamentsrechtes, der Willens-
perpetuierung, stehender Gegensatz gegen dasselbe. Und
^) De inventione, II, c. 21.
354
diese Einheit tritt eben sinnfällig und als besondere
Klasse heraus im suus. Der suus ist, sagten wir daselbst,
die indifferente Mitte zwischen Intestat- und Testa-
mentsrecht. Er ist die unmittelbar vorhandene Sich-
selbstfortsetzung des subjektiven Willens. Als
unmittelbar ist er Erbe ohne besonderes Setzen, ohne
Testament. Aber ebenso ist er als unmittelbar vor-
handene P'ortsetzung und als vom eigenen subjek-
tiven Willen ausgehende S e 1 b s t f ortsetzung desselben,
ohne Intestatgesetz, sine lege, vorhanden und von
selbst gegeben. Das Intestatgesetz kann ihm daher, wie
vvlr S. 307 fg. sahen, und wie Paulus in seinen Worten,
S. 318fg., sehr wohl herausfühlt, das Erbrecht gar nicht
erst qua lex übertragen, es kann nur das Faktum
konstatieren, daß er die von selbst vorhandene
Fortexistenz des subjektiven Willens des Erblassers, daß
er von selbst seiender Erbe ist. Das wahre und
eigentliche Intestatrecht im römischen Sinne, das In-
testatrecht in seinem Gegensatz zum Testament, tritt
erst ein, wo weder ein selbstgesetzter, noch von selbst un-
mittelbar daseiender Willensperpetuierer existiert, sondern
nur durch die subsidiäre Intervention des Staates und nach
seiner allgemeinen Ordnung Fürsorge für die Perpetuie-
rung des subjektiven Willens getroffen werden muß. Da
also der suus an und für sich schon nach seinem Begriffe
die Einheit von Testaments- und Intestaterbschaft, die
indifferente Mitte beider, bildet, kann bei ihm jener
Gegensatz von testatus und intestatus auch nicht
stattfinden. Es kann daher nach jenen Berichten des
Gajus und Ulpian im alten Zivilrecht der präterierte suus
dem fremden Testamentserben adkreszieren und so eine
Erbschaft eintreten, die halb Testaments-, halb Intestat-
erbschaft zu sein scheint, ohne daß jener Satz : Nemo
1- 355 .
pro parte testatus etc., im geringsten verletzt, ohne daß
nur eine Ausnahme von ihm gemacht wird, denn der
suus ist eben gar kein solcher intestatus. Wenn
Cicero also sagte: ,,Nec unqiiatn factum est, ut ejusdem
pecuniae alius testamento, alius lege heres esset", so wider-
spricht dem jenes zivilrechtliche zur Hälfte Adkreszieren
des übergangenen suus also gar nicht, denn der suus
ist ja eben gar nicht ,,lege'', sondern von selbst Erbe.
Es findet also auch hier das gar nicht statt, wovon Cicero
mit Recht sagt, daß es niemals stattgefunden habe. Oder
der Gegensatz von testatus und intestatus ist, wie die
Ciceronianische Stelle jetzt zur Evidenz deutlich zeigt,
der Gegensatz von testamentum und lex, vom Setzen durch
eigenen Willen und dem Gesetztsein durch das Gesetz,
dem allgemeinen Willen des Staates, zwischen welchen
beiden Dingen in der Tat natürliche pugna ist, nicht aber
der bloße Unterschied des Setzens oder unmittel-
baren Daseins des eigenen Willens^). Dieser Unter-
schied hat, als ein Unterschied innerhalb des eigenen
Willens, an diesem seine Einheit, vermöge derer er, wie
jene Adkreszenz zeigt, sehr wohl friedlich nebeneinander
bestehen kann.
Jetzt ist nun aber auch die volle innere Übereinstimmung
ersichtlich, mit welcher der filius, der gegen den einen der
eingesetzten Erben durchgedrungen, gegen den anderen
unterlegen ist, die teilweise Reszission des Testamentes
erlangen kann, ohne daß dem Grundsatz: Nemo pro
parte testatus etc., dadurch widersprochen wird (s. oben
^) Der ja auch, ob der suus durch Zeugung, Adoption usw.
hervorgebracht ist, immer in seiner Entstehung auf ein Setzen
durch den eigenen Willen zurückläuft und eben deshalb un-
mittelbares Dasein des eigenen Willens ist, weil er bereits ein
Gesetztsein desselben ist.
356
S. 215 fg.)- Denn der suus, auch wenn er ab intestato
durchdringt, ist eben kein Intestaterbe, sondern, wie wir
sahen, die Einheit und indifferente Mitte von beiden.
Und so wird denn jetzt die hohe Bestätigung ersichtlich
sein, welche die jetzt erst verständlichen Worte Papinians
(L. 15, § 2, de inoff. test. 5, 2) unserer Entwickelung
verleihen. ,,Nec absurdum videtur" — sagt Papinian in
bezug auf den in Rede stehenden Fall — ,,pro parte
intestatum videri." Also der Erblasser scheint nur teil-
weise ab intestato beerbt zu werden. Daß er es wirk-
lich wird, gibt Papinian nicht zu. Denn der filius
ist selbst so gut wie ein Testament, ist vom Erblasser
gesetzte Willensidentität mit ihm, und andererseits hatte,
wie wir sahen, die querela die Bedeutung, das faktische
Gewollthaben und AndersgewoUthaben des Testators zu
leugnen^).
Wenn der präterierte suus durch das bloße Faktum
jener Adkreszenz sich als die indifferente Mitte von Testa-
ments- und Intestaterben erweist, so tritt das nun auch
weiter realiter in der quantitativen Erbportion hervor, die
er erhält. In der Tat erbt er nicht ex testamento, denn
im Testament steht er nicht, und nach dem Testament
müßte er gar nichts erben. Er erbt aber auch nicht ab
intestato ; denn als Intestaterbe müßte er den extraneis
gegenüber alles erben, während er nur die Hälfte bekommt.
Aber auch eingesetzten suis gegenüber erbt er nicht
nach Intestatrecht. Es kann sich allerdings so
treffen, daß der präterierte suus durch seine Adicreszenz
den eingesetzten Erben gegenüber so erbt, wie er und sie
^) Siehe die bisherigen gescheiterten Versuche hierüber bei
Vangerow. Pandekten (Marburg 1852). II. § 479. und die
dort angegebene Literatur, sowie unsere Beilage zu Nr. XL
über die von Huschke versuchte Lösung.
357
nach dem Intestaterbrecht geerbt haben \vürden, z. B. wenn
der Erblasser seine zwei Söhne im Testament zu Erben
eingesetzt und den aus einem gestorbenen dritten Sohne
herrührenden einzigen Enkel präteriert hat. Die bei der
Adkreszenz des suus eintretende Verteilung pro parte virlli
trifft hier im Resultat mit der nach Intestatrecht in diesem
Fall eintretenden Erbfolge in stirpes völlig zusammen.
Jeder erhält ein Dritteil. Aber es kann der innere Unter-
schied vom Intestaterbrecht ebensogut auch äußerlich
hervortreten, z. B. wenn der Testator einen Sohn und
zwei aus einem zweiten toten Soline stammende Enkel
hinterläßt und nun den lebenden Sohn und den einen Enkel
jeden zur Hälfte einsetzt, den Bruder des letzteren aber
präteriert. Sollte hier nach Intestatrecht geerbt werden,
so würde der Sohn die Hälfte und jeder der beiden Enkel -
brüder ein Viertel erben. Die Worte des Gajus und
Ulpian dulden aber keinen Zweifel darüber, daß auch
hier pro parte virili geerbt N\ird, jeder der drei Erben
also ein Dritteil erbt. Der eingesetzte Enkel erhält daher
ebensoviel, der Sohn weniger und der präterierte Enkel
mehr, als er ab intestato geerbt haben würde. Dies
Resultat kann zunächst äußerst überraschen und als höchst
anomal erscheinen. Wie kann der Sohn, gerade weil er
auf die ihm ab intestato zukommende Hälfte auch noch
ausdrücklich eingesetzt ist, weniger erhalten, als
ihm ab intestato gebührt haben würde ? Wie kann der im
Testament verschwiegene suus gerade dadurch größere
Kraft gewinnen und mehr bekommen, als er bekommen
würde, wenn gar kein Testament vorläge? Allein das
römische jus civile ist das sich um solche Billigkeits-
reflexion und Verstandesverwunderung durchaus nicht küm-
mernde Recht des spekulativen Begriffes. Äußerlich nahe
kann man sich dieses anomale Resultat etwa dadurch
358
bringen, daß man sich z. B. vorstellt, der eingesetzte Enkel
habe durch die testamentarische Erbeinsetzung
die Kraft und Nähe eines filius zum Testator be-
kommen. Dann stimmt jenes Resultat mit dem Intestat-
recht überein. Denn dann ist durch das Dasein des
zweiten filius der erste Sohn von selbst auf ein Dritteil
zusammengedrückt, da jetzt der präterierte Enkel als
alleiniger Enkel, als alleiniger Repräsentant eines toten
Sohnes, ein Dritteil erhalten muß. — Allein diese Über-
einstimmung wäre eine sich sehr widersprechende Ver-
standesfiktion ! Denn die Übereinstimmung mit dem I n -
testatrecht wäre dann nur dadurch da, daß — welche
contradictio in adjecto ! — testiert worden ist! Der
wahre begriffliche Grund ist aber kein anderer als der
entwickelte, daß das Intestatrecht hier eben überhaupt
nicht eintritt, vielmehr das Testament ja bestehen
bleibt und somit alle Erben, auch der präterierte, als
Testamentserben erscheinen müssen, die einen als ein-
gesetzte, der präterierte als stillschweigend und von
selbst im Testament vorhandener; daß aber eben
darum auch die Erbquote des präterierten suus, da sie
im Testament nicht ausdrücklich bestimmt ist, als ebenso
von selbst und unmittelbar gegebene gelten muß,
wie sein Erbtum überhaupt. Indem sie aber, wo ihm
gleichfalls sui als eingesetzte Erben gegenüberstehen, über-
haupt nicht als durch seinen spezifischen Begriff
gegeben erscheinen kann, weil hier eben kein Unter-
schied im Begriffe stattfindet, und die Gegenüberstehen-
den das Gleiche sind, was er, oder mit anderen Worten:
das Verhältnis nicht ein Verhältnis von Eingesetzten zu
Unmittelbaren, sondern von einem zu mehreren der-
selben Art ist, so kann die Quote, wenn sie dennoch als
eine unmittelbar und stillschweigend gegebene
359
erscheinen soll, nur noch durch das Verhältnis seiner
Zahl zur Zahl der eingesetzten siii gegeben sein,
und der präterierte muß also hier jedenfalls den durch
die Kopfzahl bestimmten Bruchteil erben. Und so muß
er denn, weil die Quote hier eben nicht als die durch
seinen Begriff, sondern als durch das das Zahlen-
verhältnis, in dem er zu dem ihm Gleichen steht, be-
stimmte erscheint, hier sowohl mehr als weniger
erben können, als ihm nach dem Intestatverhältnis unter
sui zukommen würde ^).
XXVII. Die Unterschiede in der Exhereda-
tionsformel und die Legatshinzufügung.
Wir haben gezeigt, worin der materielle Unterschied
bei der Präterierung zwischen dem filius einerseits und
der Tochter oder dem Enkel andererseits, trotz der allen
dreien zukommenden Suität, besteht, und haben diesen
Unterschied des Rechtes als einen aus dem inneren Unter-
schied ihres eigenen Begriffes hervorfließenden nach-
gewiesen. Derselbe Begriffsunterschied versucht nun auch
in der Form der Exheredation, resp. Präterierung, sich
Dasein zu geben, kann aber hier keine Festigkeit gewinnen,
weil er mehr inhaltlicher Natur ist, und in formeller
Hinsicht die allen Kindern gemeinschaftliche Eigenschaft
^) Weniger würde er z. B. in dem Falle erben, wo der
Testator fünf Enkel aus zwei gestorbenen Söhnen hinterläßt,
vier aus dem einen, welche er einsetzt, einen aus dem anderen,
welchen er präteriert. Nach Intestatrecht würde dieser Enkel
die Hälfte haben, nach testamentarischer Adkreszenz hat er ein
Fünftel.
360
der Sultät, die Eigenschaft, Erben in der Form der Un-
mittelbarkeit zu sein, durchschlagen muß. Der filius,
welcher, wie wir sahen (S. 345, 348), allein in völliger
Identität mit dem Gewalthaber dies darstellt, zum Träger
und Subjekt eines Willenskreises zu werden, dem er
bisher substantiell angehörte, muß daher jedenfalls als
Subjekt, d.h. nicht bloß ausdrücklich, sondern auch
namentlich enterbt werden. Von der Tochter, die nicht
zum tragenden Subjekt eines Willenskreises, einer Willens-
reihe wird, sondern sich nur für sich in der Reihe der
Befreiten befindet; vom Enkel, der selbst erst durch die
Kategorie des filius vermittelt und somit immer ideelles
Glied einer Reihe ist, scheint es dagegen auch hinreichend,
wenn sie nur als solche Glieder der von jenem Subjekt
geführten Reihe, d. h. inter ceteros aufgehoben worden.
Ulpian^): ,, Filius qui in potestate est, si non instituatur
heres, nominatim exheredari debet; rellqul sui heredes
utriusque sexus aiit nominatim aut inter ceteros." Es bleibt
also hier zwischen beidem die Wahl. Indem aber diese
anderen Erben doch immer sui, unmittelbare Erben
sind, muß der Zweifel, ob ihre Unmittelbarkeit hinreichend
durch die nichtspezielle Negation, durch die bloße Ver-
neinung der Reihe, aufgehoben ist, besonders dann sich
geltend machen, wenn ihre Unmittelbarkeit erst
später als die Verneinung eingetreten ist, d. h.
wenn sie postumi sind^) und also die Frage entstehen muß,
ob sie in diese Verneinung inter ceteros, zu deren Zeit
sie noch gar nicht vorhanden waren, als miteinbegriffen
1) Fragm. XXII. 20.
^) Der filius postumus muß natürlich als filius immer no-
minatim exherediert werden, und die Formel lautet daher bei
ihm: ..Quicumque mihi filius genitus fuerit, exheres esto." Inst.,
§ 2 de exh. lib. (2. 13).
361
anzusehen sind. Dieser mangelnden Kraft und Bestimmt-
heit der nicht speziellen Aufhebung einer erst später ein-
tretenden Unmittelbarkeit gegenüber muß daher durch die
Hinzufügimg eines Legates für diese postumi nach-
geholfen werden. Und darum fährt Ulpian a. a. O. fort :
,,Postumus filius nominatim exheredandus est ; filia postuma
ceteraeque postumae feminae vel nominatim, vel inter
ceteros ; dummodo inter ceteros cxheredatis aliquld legetnr.
Nepotes et pronepotes, ceterique masculi postumi praeter
filium vel nominatim vel inter ceteros cum adjectione legati
sunt exheredandl" Die Institutionen geben als Grund
dieser Legatshinzufügung an: ,,Ne videantur praetentae
esse per oblivloncni." Es ist dieser Gmnd aber gleich-
falls nicht sowohl psychologisch, als vielmehr logisch
aufzufassen. Durch die besondere Legatshinzufügung für
sie ist erstens gesetzt, daß sie, obwohl ihre Unmittel-
barkeit erst nach der Verneinung eintrat, dennoch in die
Verneinung der Reihe einbegriffen sind. Und zweitens und
hauptsächlich muß jetzt, nach dem, was oben (Nr. XIVfg.)
über den direkten Gegensatz von Erben und Le-
gatar entwickelt worden ist, klar sein, daß sie gerade
dadurch, daß sie zu Legataren gemacht werden, nun
gewiß als Erben ausgeschlossen sind, da der Be-
griff beider dieses gegenseitige sich Ausschließen ist.
Allein dieses Aufheben ihres unmittelbaren Erbcharak-
ters durch ihr Gesetztwerden als Legatare bleibt immer-
hin ein implizites Aufheben und Ausschließen. Der
Begriff aber der Exheredation überhaupt war ja eben der
(S. 341), daß nicht implizite, sondern formell und
ausdrücklich aufgehoben werden müsse. Es kann daher
wieder hier der schwankende Zweifel entstehen, ob diese
Ausschließung, als implizite, eine dem Begriff der ganzen
Sphäre angemessene und entsprechende sei. Und so fährt
362
denn Ulpian, sehr deutlich die Bewegung dieser Momente
verratend/nach den zuletzt angeführten Worten fort: ,,sed
tutius^si tarnen nominafim Qos exheredari, et id observatur
magis."
XXVIII. Der necessarius heres oder der als
ein anderer gesetzte Erbe; der Sklave. — Der
Übergang zum extraneus heres oder dem Erben
überhaupt.
Ehe wir die Dogmatik des suus durch die Betrach-
tung der Bedingungen, deren Gegenstand er sein kann,
zu Ende führen, ist es hier am Ort, einen Blick auf einen
anderen Erben zu werfen, mit welchem der suus die eine
Seite seines Wesens gemein hat: auf den Sklaven, der
bloß heres necessarius, nicht suus ist, während dieser im
Unterschiede von ihm als suus et necessarius bezeichnet
wird.
Auch der Sklave steht in der Gewalt des Herrn, auch
er kann Erbe werden. Aber er ist, auch wenn er
Erbe wird^), dennoch niemals ein suus. Denn er ist
nicht von selbst und unmittelbar durch sein bloßes
Dasein Erbe, sondern bedarf hierzu der ausdrücklichen
Einsetzung des Testators. Zwar steht er, als in der Ge-
walt befindlich, mit diesem in Willenseinheit, aber so
wie die Sache mit ihrem Herrn, nicht wie die Substanz
mit ihrem von ihr durchdrungenen Subjekt. Nicht die Be-
stimmung in sich tragend, wie die Kinder, zu irgendeiner
Zeit zur eigenen Willenssubjektivität zu gelangen, ist —
^) Selbstredend kann nur dies eine kurze Beleuchtung zu er-
fordern scheinen ; nicht der Fall, wenn er überhaupt nicht erbt
und Sklave bleibt. Vgl. übrigens oben S. 306. Note 1.
363
und dies ist auch der Grund, aus welchem er nicht von
selbst zum Erben wird — die im Erbtum von ihm er-
langte Willenssubjektivität nicht das von selbst
erfolgende Hervortreten derselben als einer schon bisher
an sich in ihm vorhandenen, nicht das bloße un-
mittelbare Fürsichwerden dessen, was schon bisher,
nur in substantieller Gebundenheit, sein eigenes iden-
tisches Wesen bildete, sondern eine nur durch das
ausdrückliche Setzen eines anderen — durch die Erb-
einsetzung — ihm übertragene Subjektivität. Als eine ihm
durch einen anderen übertragene, ist sie eine seinem
bisherigen Wesen andere, eine demselben fremde und
neue Willenssubjektivität, somit aber auch gegen jenen
selbst, welcher das herrschende Subjekt seines bis-
herigen Wesens war, gegen den Herrn, neue und fremde
Subjektivität^). Der zum Erben eingesetzte Sklave er-
langt daher, wie der Sohn bei der Emanzipation, eine ihm
selbst und seinem bisherigen Herrn neue und fremde
Willenssubjektivität. Oder mit anderen Worten: er ist
dem Erblasser gegenüber wahrhafter extraneus heres")
^) Der Sklave steht überhaupt in Willenseinheit mit seinem
Herrn als ein ihm anderer, nicht wie der Sohn als ein
mit ihm identischer. Nur aus diesem Begriffsunterschiede
erlangen eine Masse von Erbrechtssätzen ihr Verständnis, auf
die hier nicht näher eingegangen werden kann, z. B. daß, wenn
ein fremder Sklave eingesetzt wird — in welchem Falle der
Herr desselben Erbe wird — dieser nach dem Testament oder
selbst nach dem Tode des Testators, aber vor der Adition
von seinem Herrn verkauft worden ist, jetzt der neue Herr
Erbe wird (Gajus. II, § 189; Ulpian. XXII. § 13).
^) Dies tritt am deutlichsten heraus, wenn die beiden im
Text unterschiedenen ideellen, aber gleichzeitigen Momente dazu
gelangen, auch zeitlich auseinanderzufallen, wenn nämlich
der vom Testator eingesetzte Sklave desselben noch vor dem
364
Zugleich aber ist er auch zum Erben gemacht, d. h. es
ist ihm Identität mit der eigenen Willenssubjek-
tivität des Herrn aufgedrückt worden. Er befindet sich
also in der Lage eines an sich fremden Willens, der
aber bereits die ihm übertragene Identität mit der
ihm fremden Willenssubjektivität des Erblassers über-
nommen hat, d.h. er ist em extraneus heres, der be-
reits die Adition geleistet hat.
Tode von ihm manumittiert wird. Hierdurch wird der Sklave
zum bloßen extraneus heres; d. h. er kann nicht nur die Erb-
schaft ausschlagen, sondern er muß auch, um sie zu erwerben,
zuvor Adition leisten; Gajus, II, § 188. Entscheidender
aber noch darin, daß, wenn der Testator den eigenen einge-
setzten Sklaven nach dem Testament veräußert hat, dasselbe
hierdurch nicht rumpiert wird, sondern durch die Adition
des Sklaven jetzt der neue Herr Erbe, der Erblasser also
durch eine ihm fremde Subjektivität fortgesetzt wird. Dies
muß aber schon vor der Veräußerung des zum Erben einge-
setzten Sklaven der Begriff der Sache gewesen sein, weil sonst
sicherlich dadurch das Testament rumpiert werden würde. Man
kann also sagen, daß, obwohl der Sklave in Gewalt und insofern
in Willensidentität mit dem Herrn steht, doch wegen des hier-
bei aufgezeigten begrifflichen Unterschiedes (s. oben S. 306
u. Note 1 das.) der Erblasser bei der Sklavenerbschaft immer
durch eine ihm fremde Willenssubjektivität fortgesetzt wird,
und es rein gleichgültig und zufällig ist, ob die den Sklaven
zur Zeit der Erbschaft beherrschende, dem testierenden Herrn
fremde Subjektivität die eigene frei gewordene des Sklaven,
oder die eines anderen und welches Herrn ist. Nur daß im
ersteren Falle, da gleichzeitig mit der Freiheit auch die
durch das Erbtum übergehende Willenssubjektivität des Herrn
im Sklaven schon vorhanden und diese Freiheit selbst schon
das Dasein dieses testamentarischen Willens ist, das Einge-
tretensein der Freiheit also schon das Eingetretensein des
Erbtums, und umgekehrt, beweist, und deshalb die Adition nicht
denkbar ist. Man kann also sagen, daß der Sklave ein extra-
neus heres invitus und ohne Adition ist.
365
Aus dem begrifflichen Ineinander dieser beiden ideellen
Momente folgt nicht bloß, warum der Sklave invitus heres
und ohne Adition sein muß, sondern es ergibt sich zugleich
daraus die innere Berechtigung der folgenden Kontroverse.
Weil auf den Sklaven im Erbtum die Willenssubjektivi-
tät des Herrn als eine ihm andere übertragen ^vird, so
folgt zunächst hieraus, daß auch in der Erbeinsetzung
beide Momente — ebenso wie das Erbesein oder die
Identität mit dem Herrn, so auch das Erben als eine
neue und fremde Willenssubjektivität gegen den
Herrn — ausdrücklich nebeneinander gesetzt wer-
den ; d. h. daß der Erbeinsetzung ausdrücklich die libertas
hinzugefügt werde. Dies ist die uns von Gajus
(II, 185) und Ulpian (XXII, 12) berichtete Folgerung
des alten Zivilrechtes, und die Formel lautet daher hier :
..Stichus servus meus liber heresque esto." Ist die Libertät
nicht ausdrücklich ausgesprochen (institutio sine libertate),
so wird es betrachtet, als wolle sich der Herr mit dem
Sklaven nicht als einer ihm anderen Willenssubjek-
tivität identifizieren. Als eine ihm nicht fremde, würde
er aber noch sein Sklave und somit als solcher noch
gar keine Willenssubjektivität, daher auch der Fortsetzung
einer solchen oder des Erbtums nicht fähig sein. Wenn
er aber inzwischen nach dem Testamente vom Testator
freigelassen oder veräußert worden ist, so würde er jetzt
zwar das Dasein einer Willenssubjektivität, aber einer
dem Testator fremden, und also gar nicht zum Erben
eingesetzt sein. Daher gilt hier die Institution sine
libertate überhaupt nicht, auch nicht in den letztgedachten
Fällen der vor dem Tode des Testators erfolgten Frei-
lassung oder Veräußerung (institutio omnino non consistit,
s. Gajus und Ulpian, a. a. O.).
Umgekehrt aber wird dem Erben vom Erblasser in
366
der Erbeinsetzung nicht dies und jenes Besondere, sondern
eben nichts anderes als die Identität selbst mit der
Willenssubjektivität des Erblassers verliehen. Ob
also die Freiheit ausdrücklich erwähnt sei, oder nicht,
so ist sie stillschweigend und notwendig schon durch die
Kraft dieser Identifizierung verliehen, durch welche
der Erblasser dem Erben jede Identität mit seinem eigenen
Willen verleiht, die überhaupt nur zu verleihen in seiner
Macht steht. Indem er ihn zum Fortsetzer seines Willens
erklärt, hat er ihn stillschweigend zum Flerrn seiner selbst
gemacht. Wegen des untrennbaren Ineinanderseins der
obigen Momente hat er den Sklaven, dessen Freiheit j a
nur von seinem Willen abhängt, indem er ihn als
Erben, d. h. als Dasein dieses seines Willens
setzte, hierdurch von selbst nur noch abhängig von einem
Willen, der jetzt der seinige ist, d. h. frei gemacht.
Dies ist die Seite, die Justinian hervorkehrt, indem
er unter anderem dabei ausruft^) : ,,Neque enim ferendum
est supponere, quosdam esse ita supinos, ut eundem servum
et heredem instituant sine libertate et iterum alii per legatum
eundem servum assignent." Er verfügt also, daß bei der
Erbeinsetzung (nicht beim Legat) auch ohne Hinzufügung
der Freiheit diese ,, quasi injuncta" vorhanden sein und
die Institution bestehen soll. Und er behauptet ausdrück-
lich, daß er hierin kein neues Recht mache, sondern nur
einer alten Kontroverse Autorität verleihe^): ,,Proprios
(servos) autem olim quidem secundum plurimn sententias
non aliter quam cum libertate recte instituere licebat ; hodie
vero etiam sine libertate ex nostra constitutione heredes
eos instituere permissum est, quod non per innovationem
^) L. 5 C. de necess. serv.
^') Inst. pr. de hered. iiist. (2, 14)
367
introduximus. sed quoniam et aequius erat et Atilicino
placuisse Paulus suis libris quos tarn ad Massurlum Sablnum
quam ad Plautium spripsit refert."
So plausibel und richtig aber auch das Argument ist,
daß niemand bei der Einsetzung des Sklaven ihm die
Freiheit werde vorenthalten wollen, so hat sich doch be-
reits gezeigt, um wieviel tiefer und spekulativer jene Forde-
rung des alten Zivilrechtes ist, welche jene begrifflich
entgegengesetzten Momente, die in dem Erbtum des Sklaven
vorliegen, deshalb auch in der Einsetzung formell gesetzt
verlangt.
Schon das Erbtum überhaupt ist seinem Begriffe zu-
folge der spekulative Gegensatz — der in einem und dem-
selben Satze auszudrücken und nur durch die verschiedene
Betonung desselben deutlich zu machen ist — , daß die
eigene Willenssubjektivität des Erblassers von
einer anderen fortgesetzt wird, somit aber auch eben:
daß sie von einer anderen fortgesetzt wird. Letzteres
Moment tritt besonders stark, wie wir sahen, bei der
Erbeinsetzung des Sklaven hervor, denn es bildet seinen
ganzen Unterschied vom suus. Es ist aber auch viel stärker
bei ihm vorhanden, als bei jedem gewöhnlichen extraneus
heres, und bildet auch von diesem seinen Unterschied.
Dieser nicht bloß quantitative, sondern auch begriffliche
Unterschied ist folgender: der extraneus ist an und für
sich, ist vor dem Erbtum eine andere Person gegen
den Erblasser. Bei ihm wird durch die Erbeinsetzung
gerade nur die Identität mit dem vorher anderen
hergestellt, die Anderheit nur aufgehoben und überwunden.
Umgekehrt ist der Sklave als das bloße Eigene des
Herrn bis zum Erbtum kein anderer gegen den Erb-
lasser. Er wird gerade erst durch die Erbschaft zu einem
solchen, und zwar so wesentlich, daß dies Moment (liber)
368
ausdrücklich in der Erbeinsetzung hervorgehoben werden
muß, wenn sie gültig sein soll. Man kann also sagen:
der Sklave ist der als ein anderer gesetzte Erbe^).
Hieraus begreift sich nun erst und wird erst wahrhaft
verständlich ein sehr naiver und interessanter Gebrauch,
den die Römer von der Erbeinsetzung der Sklaven machen.
Schuldenzerrüttete Herren setzen einen ihrer Sklaven zum
Erben ein, damit, wenn nun die Gläubiger die Güter ver-
kaufen lassen, nicht die Güter des Gestorbenen, sondern
eines anderen. Lebenden, verkauft zu werden scheinen
und die damit verbundene Infamie daher nur diesen
anderen, den Erben, nicht den Ruf des Erblassers be-
flecke.
Der Bericht des Gajus (II, 154) darüber ist zu naiv,
um nicht hierhergesetzt zu werden: ,,Unde qui facultates
suas suspectas habet, solet servum primo aut secundo vel
etiam ulteriore gradu liberum et heredem instituere, ut
si creditoribus satis non fiat, potliis hitjiis heredis quam
Ips'ms testatoris bona vendant, id est ut ignominia quae
accidit ex venditione bonorum, hunc potius heredem quam
ipsum testatorem contingat."
,,Mehr dem Erben als dem Testator selbst"
soll die Sache und ihre Schande zu widerfahren scheinen.
Nun besteht aber der Begriff der römischen Infamie darin,
daß es, wie Savigny richtig sagt^) : ,, immer eine eigene
Handlung ist, woran die Infamie als Folge geknüpft wird".
^) .Wobei natürlich im .Wort „Erbe" auch wieder die Iden-
tität liegt, so daß dieser Satz eigentlich heißt : er ist der a 1 s
ein anderer gesetzte Identische.
^) System, II, 185. — Savigny unterläßt aber (vgl. Note
mm das., wo er bloß die Ausnahme des Hochverrates aufführt,
und S. 179 das.) zu erklären, wie sich damit die Infamie des
erbenden Sklaven verträgt.
3 Lai.aUc. G». Sckriftea. Baad XU. 369
Daß den fremden Erben die Infamie der Insolvenz treffen
würde, kann keine Schwierigkeit machen, denn er hat wirk-
lich durch die eigene freiwillige Handlung der Adition
die Insolvenz selbst über sich gebracht und zu der sei-
nigen gemacht. Wie aber der Sklave, der als necessarius
heres nicht repudiieren, ja, sich nicht einmal prätorisch
enthalten konnte? der gar nicht handelte und zum Erb-
ium gepreßt war ? Es erhebt sich daher, auf diesen Be-
griff der Infamie gestützt, der zu der Erbmaterie eine
rationalistische Stellung einnimmt, der rationalistische Ver-
stand und rüttelt an jener spekulativen Schande. Gajus
fährt nämlich fort : ..quamquam apud Fufidium Sabino
placeat eximendum eum esse ignominia, quia non suo vitio,
sed necessitate juris bonorum venditionem pateretur". Aber,
fügt Gajus ganz einfach hinzu: ,,sed alio jure utimur",
d. h. wir aber bleiben beim spekulativen Begriff stehen.
Der Begriff des Erbtums ist der, daß die Identität
der beiden subjektiven Willen gesetzt ist, aber nicht
bloße Identität, sondern Identität als unterschiedener
Willenspersonen. Die Willenssubjektivität des Gestorbe-
nen ist foi"texistierend als die eines anderen und
Lebenden. Es ist daher im Begriff des Erbrechtes ganz
spekulativ konsequent, daß dieser Lebende dem Toten die
Schande ab- und auf sich genommen hat. Dies Ver-
hältnis kaim durch den Verstandeseinwurf, daß der erbende
Sklave statt ein durch eigenen Willen Erbender und
daher die Insolvenz auf sich Nehmender zu sein, durdi
die iniquitates juris gezwungen war, um so weniger ge-
schwächt werden, als hier vielmehr dieser Charakter des
Erben, ein anderer zu sein als der Erblasser, ausdrück-
lich betont ist. Weim dies Anderssein im gewöhnlichen
Erben zwar ebenso vorhanden ist als die Einheit —
Identität heißt ja für sich allein schon Identität Ver-
370
schiedener , beide Momente aber unier der for-
mellen Begriffsbestimmung der Einheit gesetzt sind, so
ist im Erbtum des Sklaven Identität wie Anderssein der
Personen gleichfalls vorhanden, beide Momente aber in
der vorwiegenden Form der Anderheit gesetzt. Der
erbende Sklave, weil sein Begriff gerade der ist, eine
Willenssubjektivität als eine ihm andere fortzusetzen,
kann sich deshalb für den Römer auch nicht beschweren,
wenn er auch die Schande der Insolvenz als eine ihm
andere, d.h. durch keine Willenshandlung von ihm
zur seinigen gemachte tragen muß. Und es ist ebenso
echt spekulativ konsequent, daß der insolvente Erblasser,
der selbst von der Schande getroffen werden würde, wenn
er erblos bleibt und seine Güter von den Gläubigern ver-
kauft würden, der Schande ledig ist, auch ohne daß ein
Willenssubjekt sie ihm abnimmt ; denn er hat sie jemandem
aufgedrückt, der die Bestimmung hat, ihn als ein ihm
anderer fortzusetzen, und daher die Schande nicht als
diejenige des Erblassers, sondern als ein ihm anderer
trägt. Deshalb nimmt selbst die prätorische Billig-
keit dem Sklaven diese Infamie nicht ab. Aber —
und hier erst gelangt der erörterte Begriffsunterschied des
Sklaven und des extraneus zu vollster sinnlicher Deut-
lichkeit — ein anderes muß ihm statt dessen gewährt
werden. Wenn der Erblasser sich durch den Sklaven als
einen ihm anderen fortsetzen läßt, wenn der Sklave
die Schande der Insolvenz ohne Willensantretung, d. h.
nicht als die seinige, sondern als eine ihm andere
trägt und sie gleichwohl nicht als die eigene Schande
des Erblassers trägt, sondern als ein anderer gegen
diesen, so muß der erbende Sklave diesen seinen spezi-
fischen Begriff, als Erbe dennoch als ein anderer
gegen den Erblasser zu gelten, auch seinerseits gegen
2' 371
den Erblasser betätigen können. Er muß daher
das Recht haben, was kein sonstiger Erbe hat und haben
kann, sich in seinem eigenen Vermögen, das er nach
dem Tode des Erblassers, sei es nach, sei es vor der
bonorum venditio, erwarb, als ein anderer gegen den
Erblasser zu behaupten und nicht für dessen Schulden
verhaftet zu sein. Die Gläubiger des insolventen Erb-
lassers haben also nur gegen den Erbnachlaß selbst,
nicht — wie bei dem extraneus, der diese Schulden durch
die Antretung zu den s einigen gemacht hat, oder wie
bei dem suus, welcher der mit dem Erblasser Identische
ist — gegen das persönliche Vermögen des erbenden
Sklaven ihren Angriffe), Gajus, II, 155: ,,pro hoc tamen
incommodo illud ei commodum praestatur, ut ea quae post
^) Selbstredend kann die Erbeinsetzung des Sklaven unter
Umständen eine betrügerische Benachteiligung der Gläubiger
darstellen. Aber aus den früheren Entwickelungen (S- 243
bis 251) muß von selbst hervorgehen, wie wenig das bloße
Privatrecht derselben gegen diese mit dem öffentlichen sub-
stantiellen Volksgeist identische Befugnis in Betracht kommen
kann. Die Freiheit der Legate, da diese bloß einzelne
Wirkungen des Willens darstellen, muß also durch das
Recht der Gläubiger beschränkt werden können. Die Freiheit
aber, der Willenssubjektivität überhaupt nach dem Tode Fort-
e.xistenz zu geben, muß als mit dem spezifischen und substan-
tiellen Inhalt des römischen Geistes zusammenfallend keine
solche rein privatrechtliche Beschränkung dulden, und sich da-
her hier wieder zeigen, wäe das Recht des Toten das des Leben-
den besiegt. Es heißt daher ganz offen und naiv in dem Reskript
des Kaisers Antoninus, L. 2 de necess. serv. her. (6, 27) :
„Is qui solvendo non est, heredem necessarium etiam in fraudem
creditorum relinquere potest." Lebend dagegen hat der Herr
nicht das Recht, den Sklaven in fraudem creditorum zu manu-
mittieren; denn hier wehrt es ihm die lex Aelia Sentia; s.
Gajus, Comm., I, § 36 fg.
372
mortem patroni sibi adquisierit, sive ante bonorum vendi-
tionem sive postea, ipsi reserventur".
Es ist dies durchaus nicht oberflächlich als menschliche
Billigkeit zu fassen, wie sich soeben bei der Infamie zum
Nachteil des Sklaven gezeigt hat, und sich bald ebenso
stark zu seinem Vorteil zeigen wird. Auch genießt ja
der erbende Sklave nicht einmal die prätorische Billig-
keit der Abstinenz^), sondern es ist schlechterdings nur
die notwendige heraustretende Folge seines entwickelten
theoretischen Begriffes, Erbe des Erblassers als ein
ihm anderer zu sein. Wenn dieser in ihm geeinte speku-
lative Begriff nicht erfaßt wird, wie er denn bisher nie-
mals erfaßt wurde ^), so bleibt dieser Satz, daß der Sklave
mit dem Eigenen nicht für die Schulden des von ihm
Beerbten einsteht — ein Satz, durch welchen die ganze
Substanz des Erbrechtes, die Identität der beiden Willens-
subjektivitäten, zerstört scheinen müßte — , schlechthin
unbegreiflich; aber ebenso unbegreiflich bleibt dann auch
die Infamie, die Notwendigkeit der hinzugefügten Libertät
^) Ulpian, XXII, § 24: „Necessariis autem tantum heredibus
abstinendi potestas non datur."
^) Gans (II, 178) fertigt daher, weil ihm dieser begrifflich-
kategorische Unterschied in der Erbeinsetzung des Sklaven gänz-
lich entgeht, das testamentarische Erbrecht des Sklaven in neun
Zeilen ab, alle oben seit S. 363 entwickelten konkreteren Sätze
desselben, von der Hinzufügung der Libertät usw., der Infamie,
der NichtVerhaftung für die Schulden mit dem Eigenen usw.,
gänzlich mit Stillschweigen übergehend und bloß sagend: ,,Ihr
Eingesetztsein setzt notwendig die Freiheit voraus und gilt
daher stillschweigend für Emanzipation," wobei er also offen-
bar nur an die Verordnung Justinians denkt und die entgegen-
stehenden Bestimmungen des alten Zivilrechtes, weil diese nur
aus jenem Begriffsunterschiede klar werden, völlig zu Ignorieren
gezwungen ist.
373
in der Erbeinsetzung, ja jeder detaillierte Satz des
Sklavenerbrechtes.
Natürlich aber hat der erbende Sklave dies Recht auf
Reservierung des Eigenen nur dann, wenn er selbst dies
setzt, daß er sich obv.ohl Erbe, als einen anderen
gegen den Erblasser festhält und festgehalten wissen will.
Er muß deshalb zur Verwirklichung dieses Rechtes,
ehe er die Güter des Toten berührt hat, das
Separationsdekret vom Prätor begehren. UlpianO- ..^ta
sciendum est, necessarium heredem servum cum libertate
institutum impetrare posse separationem, scilicet ut, si non
aftigerit bona pafroni, in ea causa sit, ut ei quidquid postea
acquisierit, separetur, sed et st quid ei a testatore debefur."
Statt also sich einfach zu abstinieren, muß er sich
gerade als Erbe betätigen, aber gerade in dieser
Betätigung durch die Separation setzen, daß er ein
anderer gegen den Erblasser ist.
Wie die letzten hervorgehobenen Worte Ulpians zeigen,
bleiben dem Sklaven dann sogar die Forderungen, die
ihm gegen den Erblasser etwa zustehen sollten, d. h. er
ist, obwohl Erbe, dennoch so sehr ein anderer gegen
den Erblasser, daß er. Erbe bleibend, sich gleichwohl
als Dritter, als Gläubiger gegen denselben behaup-
ten kann.
Indem jetzt aber dem Sklaven nur die Güter des
Herrn, und nicht, wie bei dem gewöhnlichen Erben,
der die Insolvenz des Erblassers zu der sein igen ge-
macht hat, auch die seinigen verkauft werden, ist es
jetzt ja nicht bloß wahr, sondern nunmehr auch gesetzt,
daß er die Schande nicht als die seinige, sondern als die
eines anderen trägt. Und jetzt erst ist daher der eigent-
0 L. 1. § 18, de separat. (42. 6).
374
liehe Sinn unserer obigen Begriffsbestimmung ganz evident,
in welcher beides zu betonen ist : e r trägt sie, der Sklave,
nicht der Herr, und er trägt sie als die eines ihm anderen.
Zugleich hat sich nun bereits, und zwar ohne jede
apriorische trichotomische Voreingenommenheit, durch
unsere Erörterung von selbst ergeben, daß die von den
römischen Autoren uns überlieferten drei Arten von Erben,
der suus (suus et necessarius), der necessarius und der
extraneus, eine strenge, nach dem spekulativen Gesetz des
logischen Begriffes sich selbst vollbringende Dreiteilung
bilden. Das Erbtum ist die Einheit der Willenssubjek-
tivität des Erblassers und des Erben. Der Erbbegriff ent-
hält drei Momente : den Erblasser, den Erben als ein
ihm anderer subjektiver Wille, und die Einheit beider.
Jeder Erbe ist, als Erbe, bereits diese Einheit. Aber
das treibende Prinzip der systematischen Entwickelung ist
dies, daß diese Totalität durch die Operation der ihr
immanenten Begriffsmomente gesetzt wird in der ein-
seitigen Form des einen, dann des unmittelbar ent-
gegengesetzten Momentes, und drittens in der Form
der Einheit.
Der suus ist der Erbe als der bloß identische des
Erblassers ; hierzu bildet, wie wir sahen, den unmittel-
baren und abstrakten Gegensatz der necessarius oder Sklave,
als der als anderer gegen den Erblasser gesetzte
Erbe. Der Sklave, ursprünglich in Willensidentität mit
dem Herrn, wird gerade erst durch die E r b einsetzung
als ein ihm anderer gesetzt. Dies schlägt wieder in den
direkten Gegensatz um, daß ein ursprünglich anderer
durch das Erbtum vielmehr in Identität mit dem Erb-
lasser gesetzt wird. Dieser Gegensatz ist aber nicht
mehr bloßer Gegensatz des letzten, er ist vielmehr be-
reits die Einheil der beiden vorigen Gegensätze: der
375
Erbe, von dem es durch den Akt der Identifizie-
rung selbst ebenso gesetzt ist, daß er ein dem Erb-
lasser anderer, als auch jetzt identisch mit ihm ist,
oder der als die Totalität beider Momente, als die Ein-
heit seiner und des Erblassers gesetzte Einheit, der
extraneus her es.
XXIX. Der bedingte suus oder der Übergang
des suus in den extraneus heres.
Es ist endlich noch von Interesse, zu sehen, wie auch
der suus seinerseits von selbst in den extraneus übergeht.
Der Erblasser, da er den suus sogar exheredieren kann,
kann ihm um so mehr auch Bedingungen stellen. Dies
ändert natürlich sein Wesen nicht. Er ist nun ein be-
dingter suus. Macht daher der Erblasser den suus in der
Bedingung irgendwie von objektiven Tatsachen abhängig,
so muß er ihn für den Fall des Nichteintretens derselben
formell exheredieren, wenn das Testameent gültig sein
soll. Macht er ihn aber von einer lediglich in seiner,
des suus, Willen gelegenen Bedingung abhängig, so —
hat der suus aufgehört, ein suus zu sein und erbt, auch
wenn er die Bedingung erfüllt, nicht mehr als suus,
sondern ist durch die Dialektik des Begriffes in einen
extraneus umgeschlagen.
Es muß dies aber bereits aus dem soeben Entwickelten
klar sein und dient seinerseits wieder dazu, die Wahr-
heit dieser Begriffsentwickelung auf das schärfste zu kon-
statieren. Wir sagten soeben, der suus ist der als der
376
bloß identische gesetzte Erbe. Dies ist nun so
wahr, daß, wenn durch die Erbeinsetzung im geringsten
daran erinnert wird, daß der suus doch auch — was er
natürhch als Persönlichkeit in der Wirklichkeit immer
bleibt — eine andere Willenssubjektivität als der Erb-
lasser sein könnte, hierdurch die Suität sofort auf-
gehoben und in ihr Gegenteil, in einen extraneus heres,
umgewandelt ist. Der suus, dessen Wesen durch die still-
schweigende Enterbung, die Präterierung, nicht gebrochen
werden kann, wird gerade durch die Erbeinsetzung selbst
als suus negiert, und in seinem Wesen zerstört, wenn
sie jene Erinnerung enthält. Begrifflich muß das natür-
lich so sein. Denn jene unbedingte und unmittelbare
Identität des suus mit dem Erblasser ist eben nur die
Rechtsfiktion, welche die Naturwahrheit, daß er
eine andere selbstwollende Willensperson ist, zurück-
drängen kann und so lange ein für allemal zurückgedrängt
hat, bis sie durch ausdrückliche Enterbung aufgehoben
wird. Aber wenn nun in das Testament selbst der Reflex
auf jene der Rechtsfiktion entgegenstehende Wirklich-
keit gesetzt wird, so ist durch dies positive Setzen
ebensogut wie durch die negative Enterbung die Rechts-
fiktion der Identität zerstört und der suus als das zum
Vorschein gekommen, was er in Wirklichkeit ist, als
eine andere Willensperson als der Erblasser, somit als
ein Nicht-suus, ein extraneus.
Wenn also die begriffliche Notwendigkeit dieses Satzes,
daß durch die geringste Erinnerung an eine mögliche
Willensverschiedenheit die Suität des eingesetzten suus
vernichtet wird, einleuchten muß, so läßt sich nicht weniger
die empirische Wirklichkeit dieses Satzes sofort aus den
Rechtsquellen nachweisen. Es zeigt sich dies nämlich in
der Lehre von den Bedingungen. Beim extraneus ist die
377
an die Willensbedingung : si volet gebundene Erbeinsetzung
eine unbedingte. Die Bedingung ist völlig wirkungs-
los und non scripta. Sie muß dies sein, weil es ohnehin
schon im Wesen des extraneus lag, seinen Willen frei
zu haben und ihn erst durch die Adition mit dem Erb-
lasser zu identifizieren. Beim suus aber, da dieser invitus
heres ist, fügt dieser Zusatz .,si volet" allerdings etwas
Neues hinzu : er gibt den Willen des suus frei und gilt
daher hier als wahre conditio, so daß der suus hier-
durch zunächst als ein sab conditione eingesetzter
suus erscheint. Hermogenian^) : Verbahaec: „Publius
Moevis, si volet, heres esfo, in necessario conditionem
faciunt, ut si nolit heres non existat : nam in volunfaria
heredis persona frustra adduntur, quum, etsi non fuerint
addita, invitus non efficitur heres."
Allein wenn der suus unter dieser Bedingung — oder
was auf dasselbe hinauskommt, unter der reinen Pote-
stativbedingung — eingesetzt ist, so ist er, da ja
der Erblasser ihn hierdurch als einen Wollenden und
möglicherweise auch Anders wollenden, somit
in jedem Falle als eine gegen ihn andere selbstän-
dige Willenssubjektivität gesetzt hat, als suus auf-
gehoben, und die erste Folge hiervon zeigt sich zu-
nächst darin, daß er für den Fall seines Nichtwollens
nicht, was er als suus müßte, formell exherediert zu
werden braucht. Mäcianus-): ,,Jam dubitari non potest,
suos quoque heredes sub hac conditione institui posse, ut.
si voluissent, heredes essent ; si heredes non essent, alium
quem visum erit, iis substituere ; negatumque, hoc casu
necesse esse, sub contraria conditione fUium exheredare,
1) .L. 12 de conduit. inst. (28. 7).
2) L. 86 de hered. inst. (28, 5).
378
primum, quia tiinc tantum Id exigeretur, quum in potesfate
ejiis non esset, an heres patri existeret, expectantis ex-
trinsecus positae conditionis eventum, deinde quod, etsi
quacunque posita conditione deberet filius sub contraria
conditione exheredari, in proposito ne possibilis quidem
reperiri posset ; certe si verbis exprimeretur, inepta fieret,
huic enim conditioni : sl volet, heres esto, quae alia verba
contraria concipi possunt, quam haec : si nolet, heres esse,
exheres esto, quod quam sit ridiculum, nulli non patet."
Aber' nicht die bloße Lächerlichkeit der Tautologie
ist der wahre Grund für die Überflüssigkeit der Exhere-
dation, sondern vielmehr jene Dialektik des begnfflichen
Verhältnisses, durch welche der suus, indem ihn der Erb-
lasser als einen anderen Willen gelten läßt, von ihm
als voluntarius i. e. exfraneiis heres gesetzt worden ist.
Und dies zeigt sich nicht nur darin, daß doch nach Mäcian
selbst auch bei der Potestativbedingung, bei welcher die
Tautologie der Worte nicht stattfinden würde, die Exhere-
dation überflüssig sein soll, sondern es tritt dies auch auf
das direkteste in den unmittelbar folgenden Worten Mäcians
hervor: ,,Non ab re autem hoc loco velut excessus hie
subjungetur, suis ita heredibus institutis si voliierint heredes
esse, non permittendum amplius abstinere se hereditate,
quum ea conditione instituti jam non iit neeessarii, sed
siia sponte heredes extiterunt; sed et ceteris conditionibus.
quae in ipsorum sunt potestate si sui pareant, jus abstinendi
assequi non debent." Die zweite reale Folge ist also
die, daß sie durch die Erfüllung der Willensbedingung
das prätorische Recht der Abstinenz verlieren, das den
suis zusteht. Sie haben aber dadurch in jedem Falle
aufgehört, sui zu sein. Denn erfüllen sie nicht, so sind
sie keine Erben und somit keine sui ; erfüllen sie aber, so
verlieren sie das Abstinenzrecht und hören somit gleichfalls
37Q
auf, sui zu sein. Und die begriffliche Einheit dieser Ver-
standesantithese ist eben die sich Mäcian deutlich genug
aufdrängende, daß sie durch die Freilassung ihres Willens
als andere gegen den Erblasser gesetzt, überhaupt zu
„sua sponte heredes" i. e. extranei geworden sind.
Die dritte sehr reale und praktisch wichtige Folge
muß daher die sein, daß, wenn ein so bedingter suus
und ein extraneus, jeder zur Hälfte, zu Erben eingesetzt
sind, und der suus die Willensbedingung nicht erfüllt,
das Testament nicht beseitigt und Intestaterbfolge
herbeigeführt wird, sondern ganz als wäre es einer von
zwei extranei, der ausschlägt, das Testament bestehen und
der andere extraneus der Erbe bleibt. So sagen Ulpian
und Julian übereinstimmend vom filius^): ,,et quidem sub
ea conditione quae est in potestate ipsius potest (institui)
de hoc enim inter omnes constat. Sed utrum ita demum
institutio effectum habeat, si paruerit conditioni, an et si
non paruerit et decessit ? Julianus putat, filium sub ejus-
modi conditione institutum, etiamsi conditioni non paruerit,
summotum esse ; et ideo si coheredem habeat ita institutus,
non debere eum expectare donec conditioni pareat filius,
quum etsi patrem intestatum faceret non parendo conditioni,
procul dubio exspectare deberet ; quae sententla probabilis
mihi videtur, ut sub ea conditione institutus quae in arbitrio
ejus sit, patrem Intestatum non faclat."
Dies ist doch aber ohne Erfüllung der testamentarischen
Bedingung und ohne Exheredation nur dann möglich, wenn
der suus völlig aufgehört hat, ein suus zu sein, und er
hat dies also aufgehört ohne Negation (Enterbung)
bloß dadurch, daß er positiv als ein Se Ib st wollen -
1) L. 4 de hered. inst. (28. 5).
380
der, als ein anderes Willenssubjekt als der Erblasser
gesetzt worden ist^).
Was den extraneus heres betrifft, so hat sich der Be-
griff desselben gleichfalls überall schon in dem Bisherigen
im Gegensatz zum suus und zum necessarius ergeben. Er
ist eine ursprünglich andere Willenssubjektivität, die sich
durch die Adition als identisch mit derjenigen des Erb-
lassers setzt. Er muß diese Einheit, die bei dem suus
von selbst, bei dem necessarius durch das alleinige Setzen
des Erblassers schon vorhanden ist, durch den Akt freier
Willensidentifizierung erst vollbringen (vgl. oben sub
Nr. VIII). Er ist so, wie wir sahen (vgl. S. 375), die
Einheit des suus und necessai"ius oder der Erbe über-
haupt.
XXX. Die Erbfähigkeit und ihre Bedingun-
gen. — Der Zeitpunkt der Fähigkeit. Die lex
Papia und die apertura tabularum.
Gehen wir jetzt zu der Frage nach der Erbfähig-
keit überhaupt über, so muß die Unfähigkeit zu erben
wiederum sich als ein strenger Ausfluß des Erbbegriffes
selbst erweisen. Wenn Gans (II, 175) sagt: ,,Die
Gründe, warum bestimmte Personen nicht zu Erben er-
nannt werden dürfen, fallen nun wiederum nicht in eine
Abhandlung des Systems der Willkür, sie werden hier
vielmehr vorausgesetzt und sind daher an dieser Stelle
nur aufzuzählen", so ist dieser Verzicht auf das be-
•^) Vgl. L. 3 de institut. (6, 25), in welchem Reskript des
Kaisers Alexander es deshalb sogar vom suus heißt: „et ideo
adire hereditatem non prohiberis."
381
greifende Erfassen der Erbunfähigkeiten nur eine not-
wendige Folge des nicht erfaßten Erbbegriffes über-
haupt. Freilich, wenn es sich so verhiehe, wie Gans
daselbst gleichfalls sagt, daß die Ernennung des Erben
nur ein , .Setzen eines Individuums für das Ver-
mögen" sei, so würde, da das Vermögen allerdings ,,ein
totes und widerstandsloses Objekt" ist^), aus dem Be-
griffe des Testamentes selbst niemals zu erfassen sein,
wie so hier der Wille auf Hindernisse in den einzusetzen-
den Personen stoßen kann. Man würde dann also mit
Gans ,,die konkreten Gestalten des Willens, die bürger-
liche Gesellschaft und den Staat" als solche Hinder-
nisse in das Testament hineinbringen müssen, obgleich
dennoch niemals wahrhaft zu begreifen wäre, warum, wenn
einmal, wie in Rom, die Familie der Testierfreiheit kein
Hindernis in den Weg legt, Staat und Gesellschaft hindern
sollten, solchen Personen im Tode das Vermögen zu ver-
abreichen, an die man sich desselben während des Lebens
entäußern kann-).
^) Gans, a. a. O. : ,,Wenn die Seite der Reflexion auf das
Vermögen die auf ein totes und widerstandsloses Objekt ist,
so hat es hier dagegen (in der Erbeinsetzung) der Wille mit
dem lebendigen Willen zu tun und mit den konkreten Gestalten
desselben, der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staate. Das
Setzen des Erben wird daher (?? woher?) nicht durch den
leeren Willen bestimmt oder wenigstens nur innerhalb des Krei-
ses, der dem leeren Willen vorher gegönnt ist (? dies ist aber
ja eben nicht der Fall; wer commercium hat, kann deshalb noch
nicht zum Erben eingeset2t werden) ; mit anderen Worten : die
Forderungen der substantiellen Sphäre schließen bestimmte Per-
sonen aus, welche die Willkür nicht zu Erben designieren kann
(warum?)."
^) Wohl aber begreift sich, daß, nachdem das Testament
einmal ist, was es ist, d. h. da es, statt ein bloßes Privatrecht
der Person zu bilden, für den Römer das innerste Herzensge-
382
Da aber in dem Erbbegriff etwas ganz anderes das
agens ist, als das „Setzen für das Vermögen", so werden
auch die Erbunfähigkeiten lediglich die Ausflüsse dieses
agens, die konsequenten Folgen des spekulativen Erb-
begriffes selbst sein. Dies ist in bezug auf die Erbunfähig-
keiten des alten jus civile auf das strengste der Fall,
und selbst die leges einer späteren Zeit, wie die lex Julia,
lex Papia, stellen sich in ihren betreffenden Bestimmungen
nur als analogische Erweiterungen und Fortführungen jenes
Grundgedankens dar.
Philosophischer daher als die eben zurückgewiesene
Auffassung ist bereits die Definition Ulpians von der
Erbfähigkeit insofern, als in sie bereits hineinscheint, wie
die Erbfähigkeit nur der Ausfluß des Erbbegriffes und
seines immanenten Inhaltes selbst ist^): ,,Heredes institui
possunt qui testamenti factionem cum testatore habent."
Zwar meint Ulpian den Satz ohne Zweifel nur in dem
äußerlichen Sinne, daß der einzusetzende Erbe die Fähig-
keit haben muß, den formellen Alvt des Manzipations-
testamentes mit dem Testator vorzunehmen. Aber indem
diese Fähigkeit dieselbe testamentifactio ist, welche auch
der Testator braucht, um testieren zu können, scheint in
diesen Satz bereits der wahre und tiefere Begriff hinein,
daß die notwendige Eigenschaft für die Erbfähigkeit darin
heimnis seines historischen Wesens, den eigensten Inhalt des
spezifischen römischen Volksgeistes in sich enthält, nach allem,
was wir oben (Nr. X u. XV) hierüber entwickelt haben, jede
Teilnahme einer nicht des römischen .Willens fähigen Person
an diesem den spezifischen Kultus des römischen Geistes dar-
stellenden Akte ausgeschlossen bleiben muß, daß also z. B. der
peregrinus auch kein Legat erhalten kann, v.as ebenso in bezug
auf den Latinus Junianus durch die lex Junia prohibiert wird.
') Ulpian, Fr. XXII, § 1.
3S3
besteht: dasselbe zu sein wie der Testator, In
der Tat, da das Erbtum nichts anderes als die Identi-
fizierung der beiden subjektiven Willen und die hier-
durch hervorgebrachte Perpetuierung des erblasse-
rischen Willens ist, so muß der Erbe, um ihn zu per-
petuieren, eine ebensolche Willenssubjektivität
sein wie der Testator. Er muß daher genau dieselbe
Willensfähigkeit haben, welche wir bei diesem als er-
forderlich aufgezeigt, und als aus dem Begriff der Sache
fließend entwickelt haben. Zwischen Ungleichen würde
nicht Identität und somit nicht Erbtum bewerkstelKgt
werden können. Wir haben daher bereits oben (S. 202)
\orgreifend den Begriff und die von ihm hervorgetriebenen
notwendigen Bedingungen auch für die Erbfähigkeit,
zugleich mit der Testierfähigkeit nachgewiesen, worauf
wir uns hier zurückbeziehen, nur wenige Punkte noch be-
sonders hervorhebend.
So wird jetzt erst wahrhaft ersichtlich sein, warum
nach römischer Lehre die Fähigkeit des Honorierten nicht
erst zur Zeit des Todes, sondern bereits zur Zeit des
Testamentes vorhanden sein muß. Savigny hat diese
,, auf fallende Erscheinung", wie er sie mit Recht nennt,
dadurch erklärt, daß durch die Manzipation, als der Grund-
form des römischen Testamentes, das Ganze die Gestalt
eines fingierten Erbvertrages, also eines Rechtsgeschäftes
unter Lebenden annahm (s. oben Bd. I, S. 705 fg.). Jetzt
wird nun aber auch der innere Grund, der in dieser
noch bloß formellen Begründung tätig ist, erhellen. Das
Testament ist der Akt der Identifizierung zw^eier un-
abhängiger Willenssubjektivitäten ^). Die zu dieser Wil-
^) Das Manzipationstestament ist daher nur (s. Nr. VIII)
seine angemessenste Form; mit anderen Worten: das Te-
stament ist nicht ein fingiertes Rechtsgeschäft unter Leben-
384
ienshandlung erforderliche Willensfähigkeit rnuß
daher nicht bloß zur Zeit, wo die Wirkung dieser
Identifikation eintreten soll — also zur Zeit des Todes — ,
sondern notwendig schon zur Zeit ihrer Vornahme
vorhanden sein, wenn sie überhaupt später wirken können
soll.
Hat das zivilistische Testament noch seine streng an-
gemessene, begrifflich-reinste Form — d. h. in der Zeit,
wo der familiae emptor noch selbst der Erbe ist
(Nr. VIII), so tritt diese innere Notwendigkeit auch schon
in der Form als etwas ganz Selbstredendes hervor. Denn
dies Testament kann gar nicht zustande kommen, wenn
nicht der Erbe sich zu diesem Willenserhalter erklärt
und also die für diesen Akt erforderliche Handlungs-
fähigkeit besitzt 0. Weil aber dieses Erfordernis eben
nicht in einer bloßen Form als solcher, sondern zugleich
mit dieser selbst in der Idee des Testa.mentes v/urzelt,
überlebt es dieselbe, und kann und muß sich selbst
dann erhalten, als bereits der Erbe eine andere Person
als der mitagierende familiae emptor ist, und also die
Notwendigkeit seiner Willens- und Handlungsfähigkeit zur
Zeit des Aktes nicht mehr in dem formellen Gerüste
desselben in die Augen springt. Es kann und muß diese
den, und zwar aus dem bloß formellen Grunde, weil ihm die
Form eines Manzipalionsaktes in unerklärter Sonderbarkeit
verliehen wurde, sondern umgekehrt : das Testament ist seiner
innersten Substanz nach ein Rechtsgeschäft unter Leben-
den, und deshalb erhält es die Form der Manzipation
(vgl. oben S. 163).
^) Der Erbe (familiae emptor) ist vom Momente der Te-
stamentshandlung an bereits Erbe, und gilt als solcher, wenn
dies auch erst zur Todeszeit Wirkung erlangt ; siehe Theophilus.
a. a. O.
3 Lu»»aUe. G«. Sctriften. Band XU. 385
und die Manzipationsform überhaupt deshalb überleben,
weil das zivilistische Testament mit derselben nur das
strenge Gesetztsein seines Begriffes innerhalb
der äußeren Form, aber noch nicht seinen begriff-
lichen Inhalt selbst verliert, die Willensidentifikation
zweier hierzu fähiger Willen darzustellen^).
In diesem Zusammenhange ist auch beiläufig die Kon-
sequenz begreiflich, welche die lex Papia genau aus dem-
selben Punkt, wenn auch gerade nach entgegengesetzter
Richtung hin, zieht.
Das zivilistische Testament, das Testament in seiner
ursprünglichen absoluten Angemessenheit, kann, sagten wir,
gar nicht zustande kommen, wenn nicht der Erbe sich zum
Willenserhalter erklärt, was er eben durch jene feierliche
^) Es zeigt sich also hier der Irrtum Savignys, welcher
meint (VIII, 461), ,,daß es konsequent gewesen wäre, diese
Lehre (von den drei Zeiten) im justinlaneischen Recht gänz-
lich aufzugeben, indem ja in diesem Recht der Gedanke der
Manzipation als Grundlage der Testamente völlig verschwim-
den war."
War der Gedanke der Manzipation völhg verschwunden, so
war dagegen der Gedanke des Erbtums, aus welchem die Man-
zipation wie jene Lehre hervorgegangen war, noch nicht
völlig verschwunden, vielmehr, wie sehr auch immer verblaßt
und durch das Vermögen zurückgedrängt, noch immer mit seiner
ursprünghchen ziviKstischen Wurzel innerhch zusammenhängend,
wie wir dies gedoppelte Verhältnis Justinians zum zivilisti-
schen Erbrecht bei den konkreten Instituten desselben genau
darzutun gesucht haben. Solange aber noch irgendein solcher
begrifflicher Zusammenliang da war, war die Aufhebung der
Lehre von den tria tempora nicht möglich. Erst in dem Testa-
römischen Volkssubstanz und durch den Einfluß der germani-
mentsrecht, wie es sich dm"ch die gänzliche Losreißung von der
sehen Ideen gestaltet, wäre sie wurzellos und inkonsequent.
386
Formel im Testamentsakt vollbringt (Nr. VIII). Nachdem
nun aber der Gebrauch aufgekommen ist, einen anderen als
den familiae emptor in den tabulis zum Erben zu machen,
und der Erbe also bei der Testamentsanfertigung gar
nicht mehr zu konkurrieren braucht, fehlt jetzt im Testa-
mentsakt dies Moment, daß der Erbe auch seinerseits
dabei präsent ist. Das Testament ist also jetzt noch gar
nicht für den Erben vorhanden und erscheint des-
halb, wenn auch fertig, doch noch unvollständig.
Dieser Gedanke ist es, den die lex Papia aufgreift, welche
das Testament erst in dem Augenblicke, in welchem es
in solenneller Weise für den Erben geworden ist,
d.h. durch die apertura tabularum, vollständig wer-
den läßt. Denn dies ist es, was offenbar durch dies
Gesetz vollbracht wird, indem nach ihm nicht nur der
Erbe, auch wenn er auf anderem Wege her weiß, daß
er der Erbe ist, erst nach der Eröffnung der Tafeln
die Adition gültig vornehmen kann, sondern sogar auch
der Zeitpunkt des dies credit für die Legate,
d. h. also die Wirksamkeit der einzelnen Willens-
bestimmungen erst von dieser Eröffnung ab, statt mit
dem Tode des Testators, eintritt. Justinian berichtet
hierüber^), indem er diese Bestimmungen aufhebt : ,,Quum
igitur materiam et exordium caducorum lex Papia ab
aditbnibiis, quae circa defunctorum hereditates procedebant,
sumsit, et ideo non a morte testatoris, sed ab apertura
tabularum dies cedere legatorum senatusconsulta quae circa
legem Papiam introducta sunt concesserunt, ut quod in
medio deficiat, hoc caducum fiat, primum hoc corrigentes
et antiquum statum renovantes sancimus, omnes habere
licentiam a morte testatoris adire hereditatem, similique
) L. un. § 1 C. de cad. toll. (6. 51).
387
modo legalorum \el fideiconiinissorum pure vel lii dlem
certam relictorum diem a morte testatoris cedere^).
Wenn Justinian sagt, daß er hierbei nur das alte Recht
wiederherstelle, so ist das im buchstäblichen Sinne zwar
richtig, aber auch nur in diesem-). Im alten Recht,
^) Wenn aber die apertura tabularum, die, wie gezeigt, nur
die letzte Vervollständigung des Testamentsaktes
darstellt, erforderlich war für die Adition des Erben, so war
sie es keineswegs für die Agnition der bonorum possessio secun-
dum tabulas. Ulpian, L. 1, § 2. de hon. poss. sec. tab. (37,
11). Der Grund liegt wieder darin, daß diese als eine bloße
Vermögensverfügung, die keine Identifizierung zweier Willen
hervorbringen soll, auch diese im Testament per aes et libram
vorhandene Gegenüberstellung und Präsenz der beiden Willen
nicht nachzuholen braucht, um in sich vollständig zu sein. —
Der, um uns dieses Ausdruckes nochmals zu bedienen, spiri-
tualistische Charakter des Erbrechtes tritt überhaupt am deut-
lichsten und unterscheidendsten überall hervor, wenn man ihn
mit der bonorum possessio vergleicht; nicht so im Vergleich
mit dem Legatenrecht. Denn jene ist bloße Vermögensver-
fügung, während das Legat, unbeschadet seines früher nachge-
^viesenen Gegensatzes zum Erbtum, mit diesem das gemein-
sam hat, daß es eine einzelne Wirkung des über den Tod hin-
aus im Erben fortexistierenden Willens darstellt, also
mit dem Erbtum auch in einer inneren Einheit steht, welche
die Bestimmungen des Legatenrechtes in vieler Hinsicht, z.B. in
bezug auf die Fähigkeit des Honorierten, den Anforderungen des
Erbbegriffes, als seines grundsätzlichen Bodens, unterwerfen muß.
^) Vgl. oben über diesen organischen Trieb des römischen
Rechtes, in seinem unter Justinian abschließenden totalen Selbst-
verlust dem Äußerlichen nach sich auf seine früheste Gestalt
zurückzuwenden, aber mit ganz geändertem Begriffsinhalt —
gerade wie eine Leiche m.anchmal die Gesichtszüge des Toten
in früheren Perioden in größerer Ähnlichkeit, als es während
der Zeit seines späteren, kämpfenden und krankenden Lebens der
Fall gewesen, hervortreten läßt, aber immer ohne das Leben,
welches dort die Ursache jener Alteration gewesen war.
solange der im Testaip.entsakt fungierende familiae emptor
selbst der Erbe war, war es freilich nicht einmal mög-
lich, erst mit der Eröffnung der Tafeln das Testament
vollständig werden und in Wirksamkeit treten zu lassen.
Nachdem es aber allgemein geworden, einen anderen als
den familiae emptor in den tabulis zum Erben zu machen,
füllt die lex Papia^), wie wir sahen, nur den hierdurch
entstandenen Mangel aus, indem sie erst mit der Eröffnung
des Testamentes dasselbe formelle Wirksamkeit erlangen
läßt^). Indem Justinian dies wieder aufhebt, ohne daß
aber zu dem ursprünglichen Gebrauch des alten Rechtes
zurückgekehrt wird, den familiae emptor Erbe sein zu
lassen, hat er sich von dem Gedanken des alten Rechtes
vielm.ehr nur weiter entfernt, statt sich ihm wieder
^) Denn daß jedenfalls schon zu ihrer Zeil dieser Gebrauch
allgemein war, steht historisch fest. Augustus testiert per aes
et libram. Sein familiae emptor ist Domitlus, der Vorfahr
Neros, seine Erben aber Tiberius und Livia; s. Sueton, Vita
Aug. c. 101, Vita Neron. c 4. Wie lange vor der lex Papia
die Spaltung zwischen Erben und familiae emptor schon all-
gemein gebräuchlich geworden war, dürfte sich schwerlich genau
feststellen lassen.
^) Aber die Adition des Erben, wenn sie auch erst nach der
apertura geschehen kann, muß, da das Erbtum die perpetuierende
Fortsetzung der Willenssubjektivität selbst ist, unmittelbar
an den Moment des Todes anknüpfen und auf ihn zurück-
schlagend (s. oben Nr. V) von da ab das Sein dieser Wil-
lenssubjektivität fortsetzen. Nur für die Legate ist es mög-
lich, daß sie, weil sie nicht das allgemeine Sein der Wil-
lenssubjektivität, sondern einzelne Willensäußerungen
derselben darstellen, erst von dem Moment ab wirksam werden,
wo diese Äußerungen des im Erben fortexistierenden Willens
dadurch, daß sie für den Erben werden, erst eine dem Erb-
begriff entsprechende Wirklichkeit und somit verbindliche Wir-
kung und Kraft erlangen.
389
zu nähern. Aber freilich ist dies so sehr der Fall, daß
bei ihm das Manzipationstestament sogar gänzlich ver-
schwunden und in das prätorische Testament übergegangen
ist. Und damit hat sich allerdings das Erbtum der bloßen
Vermögenszuwendung so entscheidend angenähert (s. oben
S, 131, Note 1, u. a. a. O.), daß jetzt kein Grund
mehr ist, dasselbe nicht ebensogut, wie es bei der bonorum
possessio seit je der Fall gewesen war (Note 1, S. 388),
auch vor der apertura tabularum antreten zu lassen. Daß
die lex Papia, die man mit Unrecht gewöhnlich als ein
bloßes fiskalisches Willkürgesetz auffaßt, eine wirkliche,
im Testamentsrecht — wir haben gesehen, woher — ent-
stemdene Lücke ausfüllt und so eine objektive Grundlage
hat, zeigt sich schon äußerlich daran, daß sie bestehen
blieb solange und. länger, als das Manzipationstestament
in Gebrauch war.
XXXI, Die Erbfähigkeit und ihre Bedingun-
gen; die incerta persona. Die geistige Indivi-
dualität.
Um inzwischen wieder zu der uns jetzt beschäftigen-
den Erbfähigkeit zurückzukehren, so haben wir oben ge-
sehen, warum der Erblasser, um testieren zu können, certus
de statu suo sein muß (s. S. 225 fg.). Es beruht nur
auf den daselbst entwickelten begrifflichen Gründen und
ist die entsprechende Erscheinung auf Seite des Erben,
daß auch derjenige, der zum Erben eingesetzt werden
soll, eine bestimmte und geschlossene Geistesindividualität
für den Erblasser sein muß. Hierin liegt bereits ein
Gedoppeltes: der Erbe muß an sich selbst ein für-
390
sichseiender Wille sein; sonst ist er überhaupt keine
Willenssubjektivität und kann sich daher auch mit keiner
gleichsetzen und sie perpetuieren. Es reicht aber noch
nicht hin, daß er an sich eine solche geistige Indi-
vidualität ist, er muß dies auch für den Erblasser
sein. Denn wenn er es auch an sich wäre, aber nicht
für den Erblasser ist, so kann dieser sich nicht mit ihm
identifizieren, da der subjektive Wille, wenn er sich mit
einem ihm unbekannten und somit für ihn un-
bestimmten identifizieren wollte, seine eigene Bestimmt-
heit, die gerade das zu perpetuierende Wesen ist, hier-
durch aufheben, sich nicht erhalten und fortpflanzen,
sondern sich dem Zufall preisgeben und sich somit
prinzipiell aufgeben würde. Der Erbe darf also in
keinem Sinne des Wortes eine persona incerta für den
Erblasser sein. Es darf also kein Erbe so eingesetzt
werden^): ,,Quisquis primum ad funus meum venerit,
heres esto", weil, wie Ulpian sagt, ,,certum consilium
debet esse testantis", oder weil, wie Gajus angibt, die-
jenige Person eine incerta ist, welche ,,per Incertani
opinionem animo süo testator subjicit"^). Es darf daher
auch keiner so honoriert^) werden: ,,Wer meinem Sohne
1) Ulpian, Fragm. XXII, § 4.
^) Gajus, Comm., II, 238.
^) Es leuchtet nämlich ein, warum man der incerta persona
ebensowenig legieren, als sie instituieren kann. Das Legat
ist, wie wiederholt hervorgehoben, nicht bloß Vermögensver-
fügung schlechthin, sondern es ist die (vgl. Nr. XIV) In der
Verfügung über das Vermögen sich betätigende Fortexistenz
des Willens. Der Wille zeigt jetzt, daß er es durch den
Erben dahin gebracht hat, fortzuexistleren. Indem er nun ein-
zelne Wirkungen, Willensakte setzt und als nach dem Tode
wirkend hervorbringt. Das Legat ist somit Immer gleichfalls
Selbst reallslerung und Fortsetzung des Willens —
391
seine Tochter zur Frau geben wird", oder: „Wer nach
diesem Testament zum Konsul ernannt werden wird^)."
Denn in allen diesen Fällen würde eine incerta persona
honoriert sein, d. h. der Testator würde wegen der Un-
bestimmtheit derselben seinen Willen, wie wir gesehen,
nicht gesetzt, sondern aufgegeben haben, ganz wie
bei der Erbeinsetzung quos Titius voluerit (s. Nr. XIII).
Warum darf nun aber, was zuerst dem Vorigen ganz
zu widersprechen scheint, der Testator jemand so hono-
rieren : ,,Ex cognatis meis qui nunc sunt, qui primus ad
funus meum venerit", wie Gajus a. a. O. berichtet? Hat
der Testator hier nicht gleichfalls das Selbst wollen
aufgegeben ? Aber es zeigt sich hier nur, wie Formeln
niemals ausreichen, den Begriff zu ersetzen. Der so
Honorierte ist keine incerta persona, weil die Bezeich-
nung hier auf einen Kreis von Personen beschränkt ist,
welche dem Erblasser bekannte, für ihn bestimmte
sind. Der Erblasser könnte jeden derselben zum Erben
einsetzen, und wie er sich mit jedem von ihnen identifi-
zieren kann, ohne seine eigene subjektive Bestimmtheit
aufzugeben, da sie gleichfalls lauter bestimmte Sub-
jektivitäten für ihn sind, so kann er auch, ihnen allen
die A4öglichkeit des Erbens lassend, jeden von ihnen
unter der Bedingung einsetzen, zuerst beim Begräb-
nis zu erscheinen. Sie sind ihm dann alle als Erben
und dies ist die Seite seiner Einheit mit dem Erbtum (s.
S. 388. Note 1) — , aber an seinem Gegenteil, der Sache-
Deshalb kann der incerta persona auch nicht legiert werden,
weil in einem solchen Legate der Wille sich nicht als
fortexistierend gesetzt, sondern im Gegenteil wegen der
Unbestimmtheit der durch den bloßen Zufall zu bestimmenden
Person das Wesen des Willens verleugnet und aufgehoben hätte.
1) Gajus, a. a. O. ; Ulpian. Fragm. XXIV, 18.
392
gleichrecht, wenn sie nur die Bedingung dieser Aufgabe
erfüllen, und wer von ihnen auch der Erbe werden möge —
der Erblasser hat sich immer nur an eine für ihn be-
stimmte und bekannte Willenssubjektivität hin-
gegeben und in dieser fortgesetzt. Der Zusatz ,,ex cognatis
meis" verwandelt also die persona incerta^) durch
die Beschränkung auf einen Kreis von lauter für den
Erblasser bestimmten Willenspersonen in eine certa per-
sona. Und sehr zu beachten ist die diese Erklärung auf
das evidenteste bestätigende Genauigkeit, mit der Gajus
wie Ulpian dem Zusatz ex cognatis meis hinzufügen ,,qui
nunc sunt". Denn freilich, die Kognaten müssen schon
zur Zeit des Testamentes geboren sein, um be-
stimmte Willenspersonen für den Erblasser zu sein;
ein Un geborener. Zukünftiger wäre eine durchaus un-
bestimmte für den Erblasser, weshalb auch der postumus
alienus nicht erbfähig ist, und auch von der eigenen Deszen-
denz des testierenden Gewalthabers immer nur ein solcher
erben kann, der zur Zeit seines Todes schon empfangen
^) Gajus wie Ulpian, a. a. O.. erklären daher diesen Fall
sehr irrig damit: „Sub mia tarnen demonstrotione incertae
personae recte legatur." Denn diese Person ist gar keine
incerta mehr, wie wir sahen. Und umgekehrt gerade die demon-
stratio bleibt auch nach dem Zusatz ex cognatis meis etc.
ebenso sehr eine incerta, wie vor demselben, da sie noch immer
eine Auswahl unter einer Vielheit zuläßt. (Ebenso wäre an-
dererseits die durch die erfüllte Bedingung allerdings gegebene
Sicherheit der Bezeichnung ebenso groß, wenn der Zusatz
ex cognatis elc. nicht dastünde; die demonstratio wäre also
in diesem Sinne auch dort eine certa zu nennen.) Was also
vorliegt, ist vielmehr gerade eine incerta demonstratio einer
certa persona, \venn auch die römischen Juristen, deren prak-
tische Rechtsvirtuosität ihr theoretisches Selbstverständnis so
weit über'rifft, die Sache umdrehen.
393
ist. Kognaten also, die zwar zur Zeit des Todes
vorhanden wären, es aber nicht zur Zeit des Testa-
mentes waren, würden somit immer solche bleiben, die
im Augenblick des Testierens incertae personae für den
Testator waren, und deren Honorierung also inutilis
bleibt 1).
Muß der einzusetzende Erbe aber sogar für den Erb-
lasser eine bestimmte Geistesindividualität, ein für sich
seiender Wille sein, so muß er dies, wie \vir schon voraus-
geschickt haben (S. 391), um so mehr an sich selbst
sein, um zum Erben gemacht werden zu können. Nur
was selbst eine Geistesindividualität, ein für sich seiender
Wille ist, kann sich auch mit einer solchen gleichsetzen
und sie perpetuieren. Deshalb können die Götter nicht
zu Erben eingesetzt werden (,,deos heredes instituere non
possumus etc.")^), denn sie sind abstrakte allgemeine
Wesenheiten, nicht sich zur Spitze des Fürsichseins zu-
sammenfassende Willenssubjektivitäten. Da sie dennoch
in der Religion die Form von Individualitäten haben, so
liegt in diesem Satze des Zivilrechtes die tiefe Ahnung,
daß dies vorgestellte Individualitäten, nicht wirk-
liche sind, individualisierte Allgemeinheiten und all-
gemeine substantielle Mächte, nicht in sich geschlossenes
Fürsichsein. Sie sind also erbunfähig, bis die Kaiser-
konstitutionen und Senatuskonsulte anfangen, hierein Bresche
^) Aber die bloße Vermögenszuvvendung — und daher das
Fideikommiß — an jede incerta persona, und darum auch
an den postumus alienus, ist im alten Recht wieder zulässig;
Gajus, II, 287: ,,Eadem aut simili ex causa autem olim in-
certae personae vel postumo alieno per fideicommissum relin-
qui poterat, quamvis neque heres institui neque legari ei possit" ;
bis Hadrian dies ändert.
2) Ulpian, XXII. § 6.
394
zu schießen und in Form von Privilegien einzelnen Göttern
die Erbfähigkeit zu übertragen^).
Wenn man, um Erbe sein zu können, geistiges Für-
sichsein sein muß, weil eben nur die Perpetuierung des-
selben die Idee und der Zweck des Erbtums ist, und
die geistige Subjektivität nur wieder von einer solchen fort-
gesetzt werden kann, so folgt hieraus schon von selbst,
daß Kollegien, Körperschaften, municipia, municipes, kurz,
sogenannte juristische Personen nicht Erbe sein
können. Denn diese bleiben stets abstrakte Kollektiva,
denen, welche andere Rechte man ihnen auch gebe, die
geistige Einheit, dies intensive In- und Fürsichsein
der Person, und somit der Begriff der Subjektivität über-
haupt fehlt. Sie werden daher mit Recht als eine incerta
persona behandelt, d. h. diesmal nicht bloß in dem Sinne,
daß sie für den Erblasser, sondern daß sie in sich
selbst eine incerta persona sind: ,,Nec municipia nee
municipes heredes institui possunt, quoniam Incertum corpus
est, ut neque cernere universi, neque pro berede gerere
possint, ut heredes fiant^)." Die Mangelhaftigkeit dieses
letzten, wieder ganz äußerlichen Grundes — die Schwierig-
keit, den äußeren Akt der Adition vorzunehmen — liegt
auf der Hand. Denn nichts wäre leichter, als dieser
Schwierigkeit abzuhelfen, die, wie wir gleich weiter sehen
werden, durchaus nicht das Entscheidende ist^). Das
^) Ulpian, a. a. O. — Vgl- über die vermögensrechtsfähige
Persönlichkeit einzelner Priester- und Tempelkollegien unter
eigenen Vorstehern: Dirksen, Zivilist. AbhandL, II. 50 fg.,
116 fg.
') Vgl. L. 8 C. de her. inst. (6, 24): „Collegium si nullo
speciali privilegio subnixum sit, hereditatem capere non posse
dubium non est."
'') So kann die bonorum possessio, weil sie eine bloße Ver-
mögenszuwendung, keine Willensfortsetzung ist, und der Be-
395
Waiire aber, w'as auch noch aus den Worten dieser un-
geschickten Begründung erkenntlich genug hindurchleuchtet,
ist eben dies, daß solchen Körperschaften das innere
Moment der Willenspersoneinheit und somit auch echter
Willensentschließung, daß ihnen der durchdringende Blitz
qualitativer geistiger Bestimmtheit und Einheit, d. h. also
der Begriff des Subjektiven, die Einzelheit, über-
haupt abgeht. Das römische Volk dagegen darf aller-
dings seit jeO zum Erben eingesetzt ^verden, denn der
historische Volksgeist ist eben eine solche bestimmte
Geistesindividualität, ist ein spezifisches und aus-
schließendes Eins, ist geistige Einheit anderen Volks-
geistern gegenüber und hat das durchdringende Selbst-
bewußtsein dieser seiner geistigen Individualität. Es be-
wahrheitet sich hier wieder im Rechte der Satz der speku-
lativen Logik, daß die absolute Allgemeinheit und die
absolute Einzelheit identisch sind. Das ganze Volk als
solches hat in der absoluten Allgemeinheit des Volks-
dachte daher hier auch keine Willenssubjektivität zu sein braucht,
allerdings den Muniziplen und Körperschaften verliehen werden,
und derselbe Ulpian findet hier gar keine Schwierigkeit dabei,
daß die Agnition der bon. poss. für die Körperschaft vorge-
nommen werden kann, obgleich doch das von ihm gegen die
Adition angegebene Argument ebenso gut auf diese Agnition
passen würde; s. Ulpian, L. 3, § 4, de bon. poss- (37, 1):
,,A municipibus et societatibus et decuriis et corporibus bonorum
possessio agnosci potest ; proinde sive actor eorum nomine ad-
mittat, sive quis alius, recte competet bonorum possessio. Sed
etsi nemo petat vel agnoverit bonorum possessionem nomine
municipii, habebit municiplum bonorum possessionem Praetons
Edicto " — Ebenso können die Körperschaften Fideikommisse
erhalten; s. Ulp., Fr., a. a. O.
^) Ja, aus Aulus Gellius, VI, Kap. 7, und Macrob. Saturn..
I, Kap. 1, würde man schließen müssen, selbst schon zu Ancus
M&rtius' und sogar zu Romulus' Zeit !
396
geistes auch das es zu einem Eins, zum Träger einer
für sich seienden, es durchdringenden geistigen Bestimmt-
heit, zur geistigen Individualität machende Band. Nur
die zwischen beiden in der Mitte stehende Besonder-
heit der Körperschaft mit ihren besonderen Inter-
essen ist, wie der das ganze Volk umschließenden All-
gemeinheit des Geistes, so darum auch der Einheit
der Individualität, der Einzelheit, beraubt.
Nur in einem Verhältnis kann man sagen, daß auch
Körperschaften sich wie eine Willenssubjektivität ver-
halten : im Verhältnis nämlich zu der ihnen eigentüm-
lichen Sache. Denn Eigentum ist Willensherr-
schaft. Ihrem eigenen Eigentume gegenüber nimmt
also auch die Körperschaft den Schein der Willenssubjek-
tivität an. Wenn ihr die bloße Besonderheit der
Interessen, weil sie nicht die absolute Allgemeinheit des
Geistes ist, auch die Einheit des Geistes und somit
das Wesen der Einzelheit nicht verleihen kann, so
gewinnt sie durch das Eigentums Verhältnis, durch welches
die ihr eigentümliche Sache ihrem Willen als einem
einigen unterworfen ist, dieser Sache gegenüber
jene Willenseinheit, das Fürsichsein der Einzelheit. Mit
anderen Worten : jedes Wesen, das einmal Eigentum be-
sitzen kann, ist dadurch, was es auch nach außen und
anderen Wesen gegenüber sein möge, immer notwendig
Subjekt der ihm eigenen Sache gegenüber. Gelangt
also diese Sache dazu, testieren zu können, d. h. wird
der emem municipium gehörige Sklave von ihm frei-
gelassen, so muß die Erinnerung, daß die Körper-
schaft diesem Sklaven gegenüber ein Subjekt
war und es insoweit noch ist, als selbst seine Freiheit
das Dasein ihres subjektiven Willens in bezug auf ihn
bekundet, bewirken, daß sie diesem ihrem Freigelassenen
397
gegenüber, weil als ein Subjekt, somit auch als erb-
fähig erscheint. Ulpian, a.a.O.: „Senatusconsulto
tarnen concessum est, ut (municipia) a llbertls suis heredes
inst Ulli possin i.
XXXII. Die Unteilbarkeit und Teilbarkeit des
Erbtums.
Allein wenn man, um Erbe sein zu können, geistige
Individualität und somit keine bloße Vielheit von
Personen, wie ein Kollegium, sein muß, so wäre es, um
das in diesem Zusammenhange aufzuführen, doch ein sehr
falscher Schluß, zu meinen, daß der Erblasser nicht
viele Erben einsetzen könne, wenn nur jeder von
ihnen eine geistige Individualität ist. Denn wie
schon die Persönlichkeit bei ihrer natürlichen Fortsetzung,
der Zeugung, nicht auf einfache Reproduktion beschränkt
ist, sondern sich vervielfältigen kann, so liegt es vollends
in dem rein geistigen Wesen des Willens, daß er un-
endlich viele Willen bestimmen und zu ihm gleichen
Abdrücken seiner selbst machen kann. Der Erblasser kann
daher unendlich viele Erben einsetzen. (Inst. §5
de her. inst. 2, 14. Paulus, R. S., III, 4.) Aber jeder
von ihnen stellt die totale Willenssubjektivität
des Erblassers dar, jeder ist der ganze erblasserische Wille.
Es können daher den Erben, weil Erbschaft im Prinzip
keine Vermögenszuwendung ist, auch nicht Stücke des
Vermögens zugewiesen werden, sondern indem jedem
Erben das ganze Vermögen gehört und das Recht eines
jeden derselben jedes einzelne Stück durchdringt, teilen
sie sich in das Ganze des Vermögens zunächst im
Verhältnis zu ihrer Anzahl. Indem sie so Quoten -
398
erben sind, zeigen sie hierin gerade, daß ihr Recht
nicht ein Vermögensrecht auf die einzelnen Dinge
als solche ist, die ihnen bei der Teilung zukommen,
sondern daß sie, über diese materielle Einzelheit hinaus-
greifend, jeder das Ganze des erblasserischen Willens
sind. Denn die Quote, wie dies bereits Gans beim
Quotenlegatar richtig hervorhebt (II, 209), ist eben der
auf das Ganze bezogene Teil, ein Teil, in dem das
Ganze als präsent ist, während nur die pars quanta ein
beziehungsloser, in seiner materiellen Dingheit beruhender
Teil ist. Wird dies aber zugegeben, so hätte man auch
einsehen sollen, wie darin, daß der Erbe vom Erblasser
niemals auf einzelne, bestimmte Stücke {ccrtariim rerum
heredem) eingesetzt werden kann, sondern immer zum
Erben einer Quote gemacht werden muß, sich eben nur
wieder eine Negation dessen darstellt, daß im Erb-
tum das Vermögen als solches verliehen wird, oder
ein Kennzeichen mehr, daß das Vermögen und sein Über-
gang im Erbrecht überhaupt nicht anders denn als bloße
sekundäre Folge des transszendentalen Prinzips
der Willensfortsetzung in Betracht kommt; d.h.
man hätte sich zur Kritik und Erkenntnis der ganz falschen
Basis erheben sollen, von der aus man bisher das römische
Erbrecht zu begreifen gesucht hat. Besonders deutlich
tritt dies aber gerade v/ieder darin hervor, wenn nur ein
Erbe eingesetzt ist. Das Vermögen nämlich ist eine in
materielle Einzelheiten aufgelöste Menge von Dingen.
Aber so soll es eben im Erbrecht nicht in Betracht
kommen. Eine Vielheit von Dingen, Vermögens-
gegenstände, sollen im Erbrecht nicht übertragen
werden. Sondern alle diese Dinge zusammen stellen nur,
als seiner Willensherrschaft unterworfen, das unmittel-
bare materielle Dasein der Willenssubjektivität des
399
Erblassers, den realen Körper derselben dar. Nur
als diese begrif Hiebe Einheit, nur als diese Kör-
perlichkeit seines Willens gehören sie der neuen Wil-
lenssubjektivität, welche durch ihren eigenen Willen
wie durch den des Erblassers sich als mit der seinigen
identisch und sie kontinuierend gesetzt hat. Darum läßt,
auch wo nur ein Erbe vorhanden ist, wo also gar kein
praktischer Anlaß dazu vorliegt, das römische Erb-
recht die VWmögensgegenstände des Erblassers nicht in
ihrer aulgelösten Form ruhiger Dingheit beharren, sondern
reißt sie aus dieser heraus und erhebt sie zu der künst-
lichen Einheit des ,,As". Das As drückt diese zu
einer begrifflichen Einheit aufgehobene Totalität des
Vermögens aus. Jeder alleinige Erbe ist sofort Erbe ,,ex
asse" ; dies heißt eben nichts anderes, als daß er nicht
die Gegenstände in ihrer natürlichen Vielheit
erben soll, sondern sie als Einheit gedacht, d. h. als
das unmittelbare Dasein des von ihm auf sich genomme-
nen Willens in der Sphäre der realen Wirklichkeit.
Sind mehrere Erben da, so teilt sich also das gegenständ-
liche Vermögen in die ideellen Quotenteile des As, die
Unzien, und zwar, wenn nichts anderes bestimmt ist, der
Zahl der Erben nach. Weil aber der Erblasser durch
Einsetzung beliebig vieler Erben die Quote jedes ein-
zelnen beliebig beschränken kann, und jeder Erbe, wie
klein auch seine Quote sei, dennoch immer die ganze
erblasserische Willenssubjektivität fortsetzt, die Größe
der Vermögensquote somit das für den Erbbegriff
schlechthin Gleichgültige und Äußerliche ist,
so kann gerade deshalb auch der Erblasser selbst die
Größe der Quote, aus welcher jemand Erbe sein soll,
beliebig und ungleich für die einzelnen Erben bestimmten.
Denn das Vermögen ist eben das dem Erbtum selbst
400
Äußerliche und Sekundäre, dessen Teilung daher keine
Teilung im Erbbegriffe, der Willensidentität, her-
vorbringt. Denn in diesem darf keine Teilung statt-
finden. Der Erbe darf daher nicht das tun, was schein-
bar dasselbe wäre wie die vom Testator vorgenommene
Teilung; er kann nicht, wenn ihm die ganze Erb-
schaft übertragen ist, nur für einen Teil antreten. Paulus,
L. 1 de acqu. vel. om. her. (29, 2) : „Qui totam here-
ditatem acquirere potest, is pro parte eam scindendo adire
non potest J* Die Mathematik verliert also hier ihre
Geltung, indem, wer das Größere kann, das Kleinere
nicht kann. Sie verliert aber ihre Geltung nur des-
wegen, weil es sich im Erbrecht eben nicht um Gegen-
ständliches, und also nicht um Größenverhält-
nisse, sondern um rein ideelle Faktoren handelt. In
der Tat würde der Erbe, der, zur ganzen Erbschaft be-
rufen, nur einen Teil antreten wollte, etwas ganz anderes
tun, als der Testator bei der Teilung. Denn während
dieser nur das Vermögen, das äußerliche unwesent-
liche Akzidenz des Willens, unter die Erben teilt, jedem
derselben seine ganze Willenssubjektivität aufdrückend,
würde der Erbe den Willen des Testators spalten,
teilen (scindendo), wie Paulus trefflich hervorhebt).
Der Willensbegriff aber ist als Geistiges ein Un-
teilbar-Einiges, in dem es keine quantitativen Be-
stimmungen, kein Größer oder Kleiner, Mehr oder Weniger
gibt. Wer den Willen des Testators nicht ganz akzep-
tiert, erweist sich als nicht identisch mit ihm und
somit als Nichterbe. Darum darf der Erbe nur die
ganze Erbschaft, nicht einen Teil derselben antreten.
Wohl aber wäre dieser Satz der unlogischste von der
Welt, wenn das Erbtum im Prinzip eine Vermögens -
Verfügung, eine Übertragung von Gegenständlichem
4 U«aUe, Ge, Scbr.ften. Band XII. 401
wäre. Denn hier würde allerdings, war das Größere
akzeptieren kann, auch das Kleinere akzeptieren können;
wie z. B. beim Verkauf, wenn verschiedene Größen ge-
meint worden sind, die kleinere gilt, als für welche Über-
einstimmung in beiden Willen vorhanden war (s. Savigny,
,, System", III, 274 fg.)- Jener Satz des Paulus ist viel-
mehr so wahr, daß er notwendig noch weiter geht, und
auch der Erbe, der vom Erblasser zu mehreren Teilen
eingesetzt ist, nur für alle, nicht für einige derselben
eintreten kann. Ulpian, L. 2 de acqu. her. (29,2): ,,Sed
etsi quis ex pluribus partibus in ejusdem hereditate insti-
tutus sit, non potest quasdam partes repudiare, quasdam
agnoscere." Denn wie auch der Erblasser das Akzidenz
des Vermögens verteilt hat, sein Wille bleibt ein
ideelles Unteilbares, das jeder Erbe ganz auf
sich nehmen und in sich darstellen muß. Eben deshalb
ist der Erblasser seinerseits gezwungen, jedem der Erben
stets eine Quote des Vermögens, wie klein sie auch
sei, zu übertragen. Denn wenn er ihm, ihn auf bestimmte
Sachen einschränkend, die Quote nähme, so würde er
ihm eben das nehmen, das Ganze seines Willenswesens
in sich zu haben und darzustellen, er würde ihm also
den Erbcharakter selbst entziehen. Darum darf er nur
insofern den Erben zu einem Erben certarum rerum
einsetzen, als diese selbst in sich eine Einheit und
Totalität bilden, und nur die Ziffer der Quote,
in welcher diese Einfieit zur Gesamttotalität steht, nicht
ausgedrückt ist; er darf ihn also einsetzen für ,,alle
Sachen, die er in der Provinz Mauritanien, oder auf
seinem Landgut, oder in der Stadt hinterlassen hat"
(s. die Stellen oben S. 275, Note 1).
402
XXXIII. Die Erbunfähigkeiten der lex Julia
und Papia Poppaea. Der Unterschied im
Zeitpunkt der Fähigkeit. Der Begriff der
Kaduzität.
Wenn sich uns nun die Erbunfähigkeiten des alten
Zivilrechtes im Vorhergehenden als die notwendigen und
konsequentesten Ausflüsse des Erbbegriffes selbst nach-
gewiesen haben, so stellen die späteren Unfähigkeiten der
lex Julia und Papia Poppaea eine zwar losere und will-
kürlichere, aber immer noch analogische Fortbildung des-
selben Grundgedankens dar.
Der Gedanke des Erbtums ist die Willensperpetuie-
rung, nicht also die Fortsetzung des Willens über den
Tod hinaus auf einen Augenblick, auch nicht auf die
bloße Lebensdauer des Erben, sondern Perpetuierung im
wirklichen Sinne, in das Unendliche. Auch wird diese
Willensunsterblichkeit wirklich durch das Erb tum erreicht.
Denn der Erbe hinterläßt wiederum einen Erben, der
dessen Willenssubjektivität, und somit ebenso die mit ihr
identische seines Erblassers, fortsetzt, und so in un-
endlicher Reihe. Sicher aber dieser Willensunsterb-
lichkeit, sicher, sie für sich selbst zu haben, und somit
auch, sie einem anderen gewähren zu können, ist nur der-
jenige, der sich einen suiis erzeugt hat. Denn er hat einen
unmittelbaren und einen notwendigen Willensfort-
setzer hinter sich. Ein anderer kann ohne Testament
sterben, sein Testament kann hinfällig werden, seine Testa-
ments- wie endlich auch seine Intestaterben können aus-
schlagen. Gesichert gegen dieses alles ist nur der Inhaber
des suus. Er hat, er mag mit oder ohne Testament sterben,
in ihm den unmittelbaren, er hat, dieser mag wollen
4- 403
oder nicht, den gezwungenen Willensfortsetzer, den
zivilrechtlich notwendigen Erben hinter sich. Er allein ist
nicht mehr bloßer wieder verschwindender Willenspunkt,
sondern er ist bereits unmittelbar Ausgangspunkt der un-
endlichen Reihe, die sich hinter ihm zeigt.
Dieser Gedanke ist es, unter dessen innerer Einwirkung
die lex Julia die coelibes für erbunfähig erklärt^). Und
daß dieser Begriffszusammenhang hier nicht bloß will-
kürlich in die lex Julia hineingetragen wird, zeigt deut-
lich die lex Papia durch ihre Bestimmungen über die
orbi, d. h. Kinderlosen. Wenn die Ehelosigkeit als ein
Willensfaktum dem Individuum zur Scheinde imputiert und
bestraft werden kann, so verhält es sich nicht so mit der
Kinderlosigkeit. Gleichwohl wird auch diese, da der
Kinderlose, weil er eben bloß Willenspunkt, nicht Aus-
gangspunkt der unendlichen Reihe ist und den Erbbegriff
so gleichsam nur zur Hälfte erfüllt, zur Ursache, ihnen
die Hälfte der Erbschaft zu entziehen. Gajus, II, 286") :
„Item orbi qui per legem Papiam ob id quod liberos non
habent, dinüdias partes hereditatum legatorumque perdunt.
olim solida fideicommissa videbantur capere posse." Und
nicht minder deutlich zeigt sich der Geist dieser Be-
stimmung noch nachträglich darin, daß, als dieselbe durch
das SC. Pegasianum auch auf die Fideikommisse aus-
gedehnt wird^), diese Hälften denjenigen Personen an-
^) Ulpian. XXII, 3: ,,Idem juris est in persona coelibis
propter legem Juliam." Gajus, II, § 111.
•') Vgl. Gajus. II. § 111. Ulpian. XV. XVI.
^) Gajus. II, 286: ,,. . . sed postea senatusconsulto Pega-
siano perinde fideicommissa quoque ac legata hereditates capere
posse prohibiti sunt." Wenn es zunächst auffallend scheinen
kann, daß so gerade in der späteren Zeit strengere Grundsätze
404
heimfallen, „qui testamento Liberos habent, aut si nullus
liberos habebit, ad populum etc."
Es ist noch hervorzuheben, daß nur bei diesen neu
aufgestellten Unfähigkeiten der lex Julia und Papia, sowie
der durch die lex Junia gegebenen Unfähigkeit des Latinus
Junianus, nicht, wie bei den Unfähigkeiten des alten Zivil-
rechtes, darauf gesehen wurde, ob die Fähigkeit zur Zeit
des Testamentes, ja, auch nicht einmal, ob sie ziu* Zeit
des Todes des Testators, sondern nur, ob sie zur Zeit
des Erwerbes der Erbschaft (Adition) da war. ,, Diese
letzte Vorschrift" — erklärt Savigny^) diese scheinbar
so befremdliche Anomalie — ,, hatte den praktischen
Zweck, daß gerade die dargebotene Erbschaft ein Beweg-
grund sein sollte, für den Ehelosen, sogleich in eine Ehe
in bezug auf das Fideikommiß platzgreifen, so muß sich dies
nach der oben (Nr. IX) über das SC Pegasianum gegebenen
Entwickelung von selbst als notwendig ergeben; denn je mehr
der Erbbegriff sich mit der Vermögenszuwendung identifiziert
und in diese übergeht, desto mehr muß zwar das Erbrecht von
seiner zivilistisch-rechtlichen Strenge verlieren, was aber von
dieser Strenge noch übrigbleibt, muß jetzt mehr und mehr
auch auf den Fideikommissar übertragen werden, gerade ^veil
dieser mehr und mehr sich dem wahren Erben assimiliert hat.
Diese Bemerkung erklärt also nicht bloß die eben erwähnte
Übertragung des SC Pegasianum, sondern den gesamten
Gang der späteren Rechtsgeschichte des Fideikommisses in
dieser Hinsicht. So waren früher, solange die Willensperpe-
tuferung im Gegensatz zur bloßen Vermögenszuwendung des
Fideikommisses noch als der echte Begriff des Erbtumes leben-
dig ist, Fideikommisse auch an die incerta persona, z. B. den
postumus alienus erlaubt. ,,Sed" — wie Gajus bald darauf
(II, 287) fortfährt — „senatusconsulto quod auctore dlvo Ha-
driano factum est, idem in fidekommissis, quod in legatis
hereditatibusque constitutum est."
1) VIII. 459.
405
zu treten, für den Latinus Junianus, sich des Jus Quiri-
tium schnell würdig zu machen." Aber dieser praktische
Zweck — der überdies nicht auf die Bestimmungen der
lex Papia über die Kinderlosen passen würde — bedarf
zuvor noch einer tieferen Rechtfertigung seiner inneren
Konkordanz mit dem Wesen des Rechtssystemes, die hier
nur kurz angedeutet werden soll. Alle die genannten Un-
fähigkeiten der lex Junia, Julia und Papia kommen darin
überein, daß sie Kaduzitäten schaffen. Diesen Be-
griff erklärt Ulpian, XVII, § 1, also: „Quod quis sibi
testamento relictum, ita ut jure civili capere possit, aliqua
ex causa non ceperit, caducum appellatur, veluti ceciderit
ab eo ; \erbi gratia, si coelibi vel Latino Juniano legatum
fuerit, nee intra dies centum vel coelebs legi paruerit vel
Latinus jus Quiritium consecutus sit, aut si ex parte heres
scriptus vel legatarius ante apertas tabulas decesserit vel
pereger f actus sit.'" Es liegt schon in diesen Worten offen
zutage, daß der Begriff der Kaduzität keine substan-
tielle Unfähigkeit in sich einschließt. Im Gegenteil,
es ist die ausdrückliche Voraussetzung, daß die eingesetzte
Person an sich zum Erben ist; nach Zivilrecht muß
er Erbe sein können (ita ut jure civili capere possit).
Er muß also ^römische Willensperson usw. sein. An
sich zur Fortsetzung einer Willenssubjektivität und somit
zum zivilrechtlichen Erbtum vollkommen fähig, ist es
jetzt vielmehr nur ein ihm in der äußeren zufälli-
gen Wirklichkeit entgegenstehendes positives Hinder-
nis, welches ihn in der Ausübung dieser an sich vor-
handenen Fähigkeit hindert, und'zu dessen Beseitigung
er wiederum an sich vollkommen befähigt ist^), wie
^) So liegt es in der Hand des Latinus Junianus, durch
seine eigenen Willenshandlungen die römische Zivität
7U erlangen (Ulpian. Fra;j.ni. III. §§ 1 — 6). und er ist daher.
106
dies in dem Ulpianschen Beispiel des vor der Eröffnung
der Tafeln abgereisten heres ex parte sinnfällig hervor-
tritt. Darum ist dies Recht, welches an sich an ihm
haftete, nur von ihm gleichsam abgefallen (veluti
ceciderit ab eo). Es kann sich daher hier nicht so ver-
halten, wie wenn ein an sich des Erbtums Unfähiger,
ein peregrinus, eine incerta persona eingesetzt worden ist,
daß nämlich von Haus aus inutiliter testiert worden ist :
sondern da er seinem substantiellen Begriff nach
des Erbtums vollkommen fähig, fragt es sich nur, ob er
bei der Ausübung desselben diese Fähigkeit wird ver-
wirklichen können, oder ob ihm hier Hindernisse der
Wirklichkeit gegen die \virkliche Ausübung dessen, wozu
er an sich fähig ist, entgegentreten werden. Darum kann
also bei dieser Art von Unfähigkeiten, weil sie nur
Hindernisse der Wirklichkeit gegen die Ausübung der
an sich seienden Fähigkeit darstellen, auch nur die
Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Zeit der Ausübung
des Erbtums, d. h. der Adition in Betracht kommen.
Oder mit anderen Worten: Wegen der an sich vor-
handenen Erbfähigkeit verwandelt sich das der Wirk-
lichkeit dieser Fähigkeit entgegenstehende Hindernis
realer Umstände von selbst in die Bedingung,
diese realen Umstände bis zur Adition zu be-
seitigen, und wird daher, wie bei der bedingten
Erbeinsetzung, nur auf die Fähigkeit zur Zeit des
Eintretens der Bedingung gesehen. Und zugleich
da dies nur von seinen Willenshandlungen abhängt, schon vor-
her seinem Wesen nach fähig, sich Zivität und Erbtum zu
erwirken. Vom coelebs ist dies selbstredend, aber auch der
orbus ist an sich als Mensch vollkommen fähig, Kinder zu
erzeugen, und wenn er dies nicht fertig bringt, so ist die Un-
i^i'nigkeit dazu keine aus seinem Begriffe entspringende.
107
hat sich uns in dieser Begriffserörterung auch der theo-
retische Grund für die innere Notwendigkeit dieses
Verhältnisses bei den bedingten Erbeinsetzun-
gen ergeben.
XXXIV. Die Identifikationshandlung des
Erben. Die Adition und ihre Bedingungen. Das
spekulative Wissen und sein Umfang.
Allein wie fähig des Erbtums der Eingesetzte auch
sei, durch die Fähigkeit allein ist er noch nicht Erbe.
Hierzu gehört vielmehr, daß er, diese Fähigkeit ver-
wirklichend, sich nun auch durch sein Wollen als
den identischen Willenserhalter des Erblassers setzt
und sich so selbst zum Erben macht. Dies bewirkt er
eben, wie wir früher sahen, durch den Akt der Adition.
Allein die Adition ist doch nur der äußere Akt, in
welchem jener Wille zutage treten soll, und be-
wirkt daher das, was sie bewirkt, nicht durch die äußere
formelle Handlung als solche, sondern nur durch
den in ihr lebenden Willen, den Erbbegriff zu
erfüllen^). Erbe sein zu wollen. Erbe sein wollen
heißt aber nach unserer Entwickelung nicht: die Ver-
mögenshinterlassenschaft des Toten erwerben
wollen — dieser Wille freilich tritt in jeder Adition
stets sehr deutlich zutage — , sondern, und während dies
^) Weshalb denn später auch jeder andere Akt, in wel-
chem dieser Wille zutage tritt, d. h. die pro herede gestio, die
solenneile Cretio ersetzen kann.
408
nur das Akzidentelle und Sekundäre, im alten Recht auch
wegen der Absorbierung der ganzen Hinterlassenschaft
durch Legate in der Regel realiter gar nicht Eintretende
ist (s. Nr. VII), heißt es vielmehr: den Willen haben,
geistige Willensidentität mit dem Erblasser
und daher Kontinuation seiner Willenssubjek-
tivität zu sein. Käme es also dazu, daß beides sich
spaltete, und daß ein Eingesetzter zwar durch die
Adition die Vermögenshinterlassenschaft erwerben will,
aber diesen geistigen Willen nicht hat, so würde —
ein neues und gewaltiges Fundament mehr für unsere
Lehre — die Adition, weil sie den transszendenten
Erbtumsbegrif f nicht erfüllt, eine ganz und gar
wirkungslose und nichtige sein müssen.
Es werden sich uns sofort die ebenso praktisch wie
theoretisch wichtigen Folgerungen ergeben, die sich aus
dem so entwickelten Satze ableiten müssen. Konstatieren
wir zuvor, daß dies der wahre Sinn des römischen Satzes
ist, daß die Erbschaft nicht durch irgendeine äußerliche
Handlung als solche, sondern ,, durch die Bestimmung
des Geistes", anlml destinaüone, erworben oder resp.
ausgeschlagen werde ^). Und wir haben früher schon ge-
sehen, daß diese destinatio animi, Identität mit dem erb-
lasserischen Willen zu sein, sogar bei dem suus und bei
dem necessarius da ist, nur hier als eine nicht erst
hervorzubringende und darum auch nicht erst zu
setzende, sondern als eine durch sein Verhältnis zum
Erblasser unmittelbar und notwendig vor-
handene. Allein bei dieser destinatio animi muß sich
1) Inst.. § 7 de her. quäl. (2, 19); L. 6 C. de jur. del.
(6, 30) (Diocletianus) ; vgl. Papinian, L. 76 de reg. jur.
(50, 17).
409
nun wieder zeigen, daß der Wille, weil er nur der
praktische Sich selbst Verwirklichungstrieb des Geistes
ist, seine Quelle notwendig im Geiste, d. h. im
Wissen hat (vgl. Bd. 1. S. 122fg., und §2, B. das.).
weshalb Papinian in der eben (Note 1 d. vor. Seite)
angezogenen Stelle sehr richtig sagt: ,,In totum omnia,
quae animi destinatione agenda sunt, non nisi vera et certa
scientia perfici possunt." In der Tat, wenn der Begriff
des Erbtums der ist, die Willens Subjektivität des Erb-
lassers forterhalten zu wollen, und zwar als ein mit
ihr identischer Wille, so ist, ehe und damit der Erbe
diesen Willen haben kann, zuvor jedenfalls erforderlich,
daß er auch wisse, daß der Wille des Erblassers
ihn zu seinem Erhalter und Kontinuator gewollt hat.
Denn wäre dies nicht der Fall, oder wüßte es der
Erbe auch bloß nicht, so würde er für sich selbst ja
bloß durch seinen alleinigen Willen den Erb-
lasser fortsetzen wollen ; dadurch aber würde er sich als
einen solchen zeigen und eingestehen, dessen Willens -
innerlichkeit eine von dem — von ihm selbst als
verschieden gedachten — Willen des Erblassers
verschiedene ist. Er würde sich also als einen ande-
ren für sich seienden Willen zeigen, als der Erblasser,
während er ein mit ihm identischer sein soll. Er würde
sich nicht als einen Willensaufrechterhalter, son-
dern vielmehr als einen Willensbeiseitesetzer des
Erblassers offenbaren, nicht als eine übereinstim-
mende Fortsetzung der Willenssubjektivität des Erb-
lassers, sondern im Gegenteil als eine dieser andere
und von ihr abstrahierende Negation derselben. Er
würde also durchaus dem transszendenten Begriff des
Erbtums ins Gesicht schlagen und sich durch eine solche
Adition nicht als Erben, sondern als das Gegenteil
410
eines solchen setzen 0. Darum muß also ohne dieses
Wissen, daß ihn der Erblasser zum Erben gewollt hat,
die Sache ganz so liegen und die Adition ganz ebenso
unwirksam sein, als wenn ihn dieser in der Tat gar
nicht eingesetzt hätte.
In der Transszendenz des spekulativen Erbbegriffes
wurzelt also die Notwendigkeit des Wissens und kann
lediglich Aon hier aus begriffen werden. Wir sagen, dieses
eine muß der Erbe wissen, daß und inwiefern der
Erblasser ihn als Erben gewollt hat, oder richtiger
noch und begrifflicher ausgedrückt: die geistige Be-
ziehung, welche zwischen der Willenssubjektivi-
tät des Erblassers und seiner eigenen besteht,
muß er wissen, wenn sie stattfinden soll, da sie
sonst gar keine geistige Beziehung wäre, keine ge-
wollte und identische Willensbeziehung des Erben
auf den Willen des Erblassers stattfände, und somit
Erbtum unmöglich wäre. Aus diesem Einen ergibt
sich, wie wir sehen werden, in der Tat alles, was der
Erbe zu wissen braucht. Denn alles das, was diesem
spekulativen Begriff des Erbtums, der Willensidentität,
nicht immanent ist, braucht der Erbe, in wie naher Be-
rührung es auch mit dem Erbrecht stehe, wie sich zeigen
wird, nicht zu wissen, ohne daß es ihm schadet. Die
zuvor belobten Worte Papinians sind daher, wie alle
allgemeinen Aussprüche der römischen Juristen, noch viel
zu vager und unbestimmter Natur, da nach ihnen die ,,vera
et certa scientia" des Erben alle objektiven Umstände
der Erbeinsetzung umfassen zu müssen scheinen könnte,
1) Vgl. deshalb Ulpian, L. 21 pr. de acqu. her. (29. 2):
,,Si quis extraneus rem hereditariam quasi surripiens vel ex-
pilans tenet, non pro herede gerit, nam admlssum contrariam
voluntatein declarat."
411
was aber keineswegs der Fall ist. Vielmehr erhebt sich
hier wieder von neuem die feinste begriffliche Dialektik,
in den verschlungensten Windungen zeigend, w^as alles der
Erbe wissen muß und nicht zu wissen braucht, eine
Dialektik der haarscharfsten Unterscheidungen, welche
einerseits ebensosehr der wunderbaren praktischen Sicher-
heit der römischen Juristen Ehre macht, die in ihren
konkreten Entscheidungen stets die von dem unbe\vaißt in
ihnen arbeitenden spekulativen Begriff gebotenen Folge-
rungen treffen, als sie andererseits die Omnipotenz des
spekulativen Begriffes zeigt, der sich auch hier wieder
als die alleinige Macht der Rechtsbestimmungen und als
der einzige Schlüssel zu ihrem Verständnis erweist ; ein
Verständnis, welches bisher vergeblich erstrebt \\erden
mußte, und zum Teil nicht einmal zu finden versucht
werden konnte.
Ehe %\ir aber zur begrifflichen Entwickelung dieser
Unterschiede im Wissen übergehen, muß zuvor hervor-
gehoben werden, daß der suus natürlich überhaupt
keines Wissens benötigt ist. Die Notwendigkeit hier-
von ist einleuchtend. Das Wissen ist, wie wir sahen,
erforderlich als die innere für sich seiende Vermitte-
lung im Geiste des Erben, als die geistige Tätig-
keit, durch welche er sich zur Willensidentität mit
dem Erblasser bestimmt. Der suus aber ist eben dies
(Nr. XXI fg.), keiner geistigen Vermittelung, keiner
für sich seienden Selbstbestimmung mehr zu bedürfen, um
Erbe zu sein, sondern unmittelbar, d.h. mit Aus-
schluß aller Vermittelung, dies zu sein. Der suus
ist bereits Erbe durch das seiende Verhältnis,
in welchem er zum Erblasser steht und welches
ihn sogar gegen seinen eigenen Willen zum not-
wendigen Erben macht. Bei ihm kann also, weil sein sub-
412
jektives Fürsichsein überhaupt nicht in Betracht
kommt — denn als ein bereits unmittelbar be-
stimmtes ist es als ein seiendes, naturbestimmtes
gesetzt und nicht mehr als Fürsichsein vorhanden — ,
auch das Wissen nicht erforderlich sein, denn Wissen
ist eben Fürsichsein des Geistes. Von dem suus heißt
es daher: sid autem heredes fiunt etiam ignomntes\
Und da sein Fürsichsein überhaupt nicht in Betracht
kommt, so ist es beim suus sogar notwendig völlig in-
different, ob er wahnsinnig ist. Denn auch der Wahn-
sinnige ist immer noch an sich subjektiver Geist, aber
ein solcher, der außer sich gekommen ist, sein
eigenes Fürsichsein verloren hat. Der suus — und
ebenso der unter derselben Begriffsbestimmung der Un-
mittelbarkeit stehende necessarius — ist aber der Erbe,
bei welchem alle Selbstvermittelung und Selbstbestimmung,
somit alles Fürsichsein als ausgeschlossen und gleichgültig
gesetzt ist. Der suus und der necessarius ist daher auch
als Wahnsinniger erbfähig und sofort Erbe. (Javo-
lenus, L. 63 de acqu. vel om. her., 29,2)-).
Es ist also nur der extraneus, weil nur dieser der
voluntarius ist, welcher, weil er sich selbst zu jener Identi-
tät erst machen und bestimmen muß, auch die Vermitte-
lung des Wissens braucht. Für ihn ist aber das Wissen
^) Inst., § 3 de hered. quae ab intest. (3. 1); vgl- L. 9,
§ 1, de reb. dub. (34, 5); L. 1, § 7, si qiiis om. caus.
(29, 4). Von dem suus wird daher nicht einmal die mortis
scientia gefordert; L. 8 C. de suis et legitimis etc. (6, 55).
^) nisi si necessarius patri aut domino heres existat.
— L. 7, § 2, C. de curat, furiosi (5, 70) : „Si vero perpetuo
furiosus sui juris sit, tunc in paterna quidem hereditate, quae
quasi debita ad posteritatem suam devolvitur, nulla est juris
veterum dubitatio, quum illico appareat • et suus heres existat
suis parentlbus."
413
nun auch die Prinzipalbedingung, um seinen Erbschafts-
antritt wirksam zu machen, gleichviel ob er in der solen-
nellen Adition, oder später in anderen Handlungen be-
steht, die den Willen, Erbe zu sein, offenbaren (,,. . . diini-
modo sciat, eum, in cujus bonis pro berede gerit, testatum
intestatumve obiisse et se ei heredem sse'')'^). Denn
wüßte er dies nicht, so würde er nur den Willen
haben, das Vermögen zu erwerben, nicht aber den Willen,
den transszendenten Begriff des Erbtums, die Willens-
identität mit dem Erblasser, zu erfüllen.
Wie aber dieser spekulative Begriff der einzige Grund
ist, weshalb das Wissen erforderlich, so ergibt sich auch
nur aus ihm, und in der strengsten geschlossensten Über-
einstimmung mit ihm, der Umfang dieses notwendigen
Wissens. Nicht darauf ist also hier der Ton zu legen,
daß der Erbe wissen muß, daß der Erblasser tot ist.
Zwar folgt auch dies aus dem Erbbegriff. Denn der
Testator wollte nicht früher durch eine andere Willens-
subjektivität fortgesetzt sein, bis seine eigene in natür-
licher Existenz nicht mehr vorhanden wäre, und folglich
wäre das Wollen dessen, der ihn früher oder ohne Rück-
sicht auf diesen Zeitpunkt repräsentieren wollte, kein mit
jenes Willen übereinstimmender, identischer Wille ^).
1) Inst.. § 7 de her. quäl. (2. 19).
^) Es wird also der Erbe, auch wenn der Testator wirk-
lich tot ist, er aber dies nicht weiß, nicht wirksam an-
treten können. Ulpian, L. 32 de acqu. her. (29, 2) : „Heres
institutus si pntet testatorem vivere, quamvis jam defunctus
sit, adire hereditatem non potest." Und ebenso dann nicht, wenn
er zweifelt; denn Wissen heißt Gewißheit, d. h. innerste
subjektive Überzeugung ; Ulpian, L. 13, § 1 eod. tit. : ,,Si
quis dubitet, vivat testator nee ne, repudiando nihil agit." Es
ergibt sich beiläufig von selbst aus vinserer ganzen Entwickelung,
wie irrig Heise und Cropp (II, 121) meinen, es käme darauf
414
Aber nicht hierin liegt das Spezifische des Wis-
sens beim Erbrecht. Denn auch der Wille, die Güter
eines noch Lebenden zu besitzen, würde ein in sich un-
wirksamer, und dieses Wissen (das des Todes) daher
auch für den bloßen Vermögenserwerb der bonorum
possessio erforderlich sein^). Das spezifische Wissen,
das hier erforderlich ist, besteht vielmehr darin, daß der
Erbe, wie wir sagten, die geistige Beziehung wissen
muß, die zwischen der Willenssubjektivität des Erblassers
und seiner eigenen besteht. Im Wissen dieses begriff-
lichen Verhältnisses liegt alles, was er zu wissen
an, daß rechtliche Gewißheit im objektiven Sinne
über den Tod des Erblassers vorhanden sei.
Was die Repudiation der Erbschaft betrifft, so wird sie
bekanntlich ganz durch dieselben Bestimmungen wie die Adl-
tion geregelt (Paulus, L. 18 de acqu. her.: ,,Is potest repw
diare qui et acquirere potest"). Die Notwendigkeit hiervon
ist einleuchtend. Repudiation ist nicht Nichterbenwollen in jenem
indifferenten Sinne, in welchem es zu jeder Zeit von uns gilt,
wenn wir überhaupt keine Erbschaft machen können und daher
auch keine zu machen vorhaben; sondern Repudiation heißt
Zurückstoßung, Negation der angebotenen Willens-
Identität. Somit muß diese Identität, um negiert zu wer-
den, vorher vom Erblasser seinerseits gesetzt, d. h.
offeriert worden sein. Früher kann sie, da sie vom Erben
allein nicht erzeugt werden kann, ebensowenig negiert als
bejaht werden. Hieraus folgt also, daß die Delation des
Erbtumes, und zwar unter Beobachtung aller jener Be-
stimmungen, die für die Adition aus dem Erbbegriff hervor-
fließen, gültig vorhergehen muß, ganz ebenso für die Negation
als für die Bejahung der Willensidentität, d.h. also, daß
man nur dann zur Repudiation fähig Ist, wenn es zur Adition
wäre, und umgekehrt.
^) Paulus, L. 19 de acqu. her. : ,,Qui hereditatem adire, vel
bonorum possessionem petere volet, certus esse debet, defunc-
tum esse testatorem."
415
und nicht zu wissen braucht. Er muß also zunächst wissen,
daß ihn der Testator zum Erben gewollt hat („et
se ei heredem esse", wie Justinian soeben sagte). Da
er aber dies nur wissen muß, weil er eben die qualitative
geistige Willensbeziehung des Erblassers auf ihn, das be-
griffliche Verhältnis, wissen muß, so liegt hierin schon,
daß er jene Willensbeziehung in ihrer qualitativen
Bestimmtheit wissen muß, also wissen muß, ob
sich der Erblasser durch ausdrückliche Willens -
entschließung, oder bloß durch das vorausgesetzte
Wesen seiner Willenssubjektivität auf ihn als Willens-
identität bezieht^) (testatum intestatumve obiisse). Ebenso
aber, wenn er vor allem den Willen des Erblassers als
einen auf ihn gerichteten kennen muß, so ist hierin be-
reits gegeben, daß er wissen muß, daß der Testator
auch willensfähig war. Denn wenn er dies nicht
einmal wollen konnte, hat er — es ist dies sogar
tautologisch — auch nicht gewollt, hat es eben nicht
wollen können^). Der Erbe muß cJso wissen, daß
der Testator pater familias war, und wird nicht wirksam
antreten können, wenn er ihn irrtümlich für einen filius
familias hält, da er sich dadurch, daß er den Testator
für willensunfähig zum Testieren hält, das Funda-
ment, auf welches er seine Willensidentität mit ihm
stützen muß, ganz ebenso selbst entzieht, als wenn der
Testator es wirklich gewesen wäre. Ulpian^): ,,Sed et
si de conditione testatoris incertus sit, pater familias an
fihus familias sit, non potent adire hereditatem, etsi ejus
"') Dies wird zur näheren Darlegung und Entwickelung kom-
men bei der letzten Betrachtung des Intestaterbrechtes, Nr. XL.
2) Vgl. Bd. 1, S. 670. über die „rechtliche Natur des
Testamentes".
') L. 32, § 2 eod. tit.
416
conditlonis sit in verltate, ut testarl potent" Allein, um
dies hier gleich in Antithese zu bringen, wenn der Erbe
über seine eigene Kondition zweifelt, ob er pater-
oder filiusfamilias sei, so hindert dies ihn nicht an der
Adition. Ulpian^): ,,Sed et si de sua conditione quis
dubitet, an filius familias sit, posse eam acquirere hereditatem
jam dictum est." Und es kann ihn nicht daran hindern,
denn seine eigene persönliche Selbständigkeit oder Un-
selbständigkeit hat nichts mit der geistigen Willens-
beziehung zu tun, welche der Erblasser zu ihm hat, und
ändert nicht sein Verhältnis zu demselben. Er würde
in beiden Fällen Erbe und der Adition fähig sein,
wenn er auch das eine Mal das Erbtum für seine noch
in seinem Gewalthaber befindliche Willens-
subjektivität (s. oben Nr. XXI), das andere Mal für
diese als eine nun selbst zum Subjekte und Träger ihrer
selbst gewordene erwirbt. Ulpian wirft daher selbst a. a. O.
die Frage auf, woher es käme, daß das Nichtwissen
über die Kondition des Testators hindere, nicht aber das
der eigenen, und beantwortet diese Frage, den richtigen
Punkt hier sehr genau treffend, wie folgt : ,,Cur autem
si ignoret conditionem, adire potest, si testatoris, non
potest ? lila ratio est, quod qui conditionem testatoris
ignorat, an valeatltestamentum, dubitat, qui de sua, de
testamento certus 'est" „Dieser ist über das Testament
sicher," Das Testament ist aber eben die Willens-
beziehung, die sich der Testator auf den Erben ge-
geben hat.
Aber wir haben früher gezeigt, warum das Testament
wesentlich kein bloßer formloser Wille, das Erbtum
kein bloßer Konsens zweier Privatwillen ist. Denn
^) L. 34 pr. eod. tit.; vgl. Ulpian. L. 6, § 4 eod. tit.
5 Las.alle. G«. Sctriften, Band XU. 417
dieser erst in der Zeit nach dem Tode des vinculum juris
empfangende Wille, dieser nach dem Tode wollende
Wille ist keine natürliche Fähigkeit des Menschen,
sondern ein Produkt dieses bestimmten Volksgeistes,
d. h. des öffentlichen Geistes^), und daher nur her-
vorzubringen durch die Formen und die Bestimmungen
des öffentlichen Rechtes^) (secundum hanc legem publi-
cam). Sind diese nicht beobachtet worden, so ist also
dieser im öffentlichen Geiste wurzelnde Wille gar nicht
von seinem Autor gesetzt und hervorgebracht
worden. Ein von der Kraft jener Bestimmungen nicht
getragenes Testament ist daher, weil die Testamentifactio
juris publici ist, nicht nur unwirksam in dem äußerlichen
Sinne, daß dem Willen das Hindernis eines positiven
Gesetzes entgegensteht, sondern es ist hier überhaupt kein
echter Wille, kein Wille kraft der in jedem einzelnen
als Fähigkeit vorhandenen — und allein hierzu be-
fähigenden — Substanz des Volksgeistes, sich den Willens-
perpetuierer zu erzeugen, dargelegt, oder auch nur inner-
lich produziert worden. So — aber auch nur so —
begreift sich, daß der Erbe, der, um dies sein zu können,
sich darüber gewiß sein muß, daß der Testator diesen
sein Erbtum erzeugenden Willen hatte, sich deshalb auch
ebenso gewiß darüber sein muß, daß der Testator
alle jene formellen Bestimmungen beobachtet hat;
daß er sich also ebenso gewiß darüber sein muß, daß
das Testament nicht irritum oder injustum ist, als er sich
darüber gewiß sein muß, daß das Faktische des
erblasserischen Willens auf ihn gerichtet war, d. h. also
z. B. daß das ihn einsetzende Testament nicht ge-
1) Siehe oben Nr. VIII, X und XV.
2) Siehe oben Nr. VIII.
418
fälscht ist. Darum heißt es also^): „Si certus sum,
non esse falsum testamentum, vel irritum, vel ruptum licet
(iicatur esse, possum adire hereditatem." Hierin ist aber
schon gegeben, daß er, weil er ja das Willensverhält-
nis wissen muß, das zwischen der Willenssubjektivität
des Testators und der seinigen besteht, er auch wissen
muß, ob diejenige des Testators nicht schon in einer
anderen, von ihm nicht negierten (exheredierten)
Willenssubjektivität, d. h. in einem suus, unmittelbar
vorhanden und kontinuiert ist. Denn in diesem
Falle würde der Testator, indem er diese seiende Willens-
identität nicht aufhob (Nr. XXIV), unmittelbar in
dieser und als diese noch fortexistieren und sie somit
keineswegs auf einen Fremden übertragen haben. Der
durch den suus ausgefüllte und nicht von ihm gereinigte
Platz macht, solange ihn der Testator nicht von da aus-
getrieben hat, es diesem unmöglich, ihn anders besetzen
zu wollen. Denn solange er den suus nicht ausgetrieben
hat, ist sein Wille: der suus, und existiert als dieser
weiter unmittelbar fort.
Wenn also der Testator einen etwaigen postumus nicht
exherediert hat, so muß der Erbe mehr wissen, als der
Testator selbst gewußt hat ; er muß wissen, ob ein solcher
suus postumus im Keime da ist oder nicht. Da es sich
hier nicht um Billigkeit oder praktische Rücksichten,
sondern schlechterdings um nichts als die unerbittliche
Konsequenz des spekulativen Begriffes handelt, so hilft
dem Erben nichts, er muß wissen, was er eigentlich*
schlechterdings gar nicht wissen kann; er muß
besser als die Frau des Toten, die sich für schwanger
ausgibt oder selbst dafür hält, wissen, ob sie schwanger
1) Ulpian. L. 30. § 8 eod. tit. ; vgl. L. 17 pr. eod. tit
419
ist oder nicht; er muß wissen, daß sie es nicht ist,
um wirksam antreten zu können : ,,Quod dicitur : «Proxi-
mus a filio postumo heres, dum mulier praegnans est,
aut putatur esse, adire hereditatem non potest, sed si sät
non esse praegnantern potest» accipe : pro:umus a ventre
qui suum heredem pariturus est^)." Ja, wenn das Weib
selbst sich nicht für schwanger hält, Hebammen aber es
behaupten, so muß er es besser wissen als diese ^).
Wissen heißt aber Gewißheit des Wahren, Ob-
jektiven^). Es nützt ihm also auch nichts, sie für
nicht schwanger zu halten, wenn sich später herausstellt,
daß sie es wirklich gewesen. Und auch aller äußere
Erfolg in der bloß faktischen Wirklichkeit hilft dem
Erben nichts. Denn wenn die Frau dann abortiert und
der suus somit gar nicht geboren wird, so war die Adition,
obgleich jetzt kein äußeres Hindernis (in einer anderen
Person) existiert, dennoch unnütz. Denn zur Zeit, als
er in die Willenssubjektivität des Toten eintreten wollte,
konnte er dies nicht. Sie war durch jene embryonische
Persönlichkeit damals okkupiert und ausgefüllt gewesen.
^) Ulpian, L. 30, § 1 eod. tit. ; vgl. § 2 das. : „Sive igitur
putem, sive sit re vera praegnans . . . adire hereditatem non
possum, quoniam in eo est ut rumpatur testamentum, nisi si
proponas ventrem institutum vel exheredatum." — Es bezieht
sich dies, wie Ulpian daselbst auch weiter sagt, auch auf den
Intestaterben. Und nach dem schon sub Nr. XXII Gesagten
wird dies von selbst klar sein, da das Intestatgesetz eben nur
den in Ermangelung ausdrücklicher Darlegung subsidiarisch-er-
gänzten Willen des Erblassers darstellt.
'^) Ulpian, 1. 1., § 3: Quid ergo, si ipsa non dicat
sed neget, alii dicant. praegnantem esse? Adhuc adiri hereditas
non potest, finge obstetrices dicere."
^) Ulpian, 1. 1., § 4: ,,Toties igitur ei sua praesumtio pro-
ficit, quoties concurrit cum veritate."
420
Die Identifikation des extraneus — diese Bedeutung des
Aditionsaktes — hat also nicht stattgefunden, und die
Adition ist wie nicht gewesen^): „Quid ergo, si praeg-
nans fuit, quum putaret heres, non esse praegnantem, et
adiit, mox abortam factum est? Procul dubio nihil
egerif^)." Einen einzigen Erben aber gibt es, der, so
befremdlich dies zunächst klingen muß, den suus als postu-
mus schlägt. Wenn nämlich die Frau selbst zum
Erben eingesetzt ist und mit einem postumus
schwanger ist, so kann sie, trotzdem sie dies weiß, an-
treten und das Erb tum erwerben^) : ,,Sed et si ipsa mulier
heres instituta sit, quae se praegnantem fingit, adeundo
acquiret hereditatem." Also nicht einmal die juristische
Regel, daß der präterierte suus postumus den extraneus
heres schlägt und das Testament bricht, ist allgemein gültig.
Auch sie hat hier ihre Ausnahme. Allein diese ist eben
nur eine Ausnahme von der juristischen Regel,
nicht vom Begriff, der keine Ausnahme erleidet und
sich vielmehr selbst sofort als die Tätigkeit erweist, welche
jene Ausnahme an der Regel hervorgebracht hat. Der
suus postumus ist zwar auch hier wie unter allen Um-
ständen unmittelbar Identität mit dem toten Vater. Allein
solange er im Leibe der Mutter ist, kann er auch gegen
diese nicht als eine andere Willenspersönlich-
keit als sie ausgegeben werden, ist vielmehr auch mit
ihr in ungetrennter physischer und geistiger Identität.
^) Ulpian. 1. 1.. § 4.
') Von hier aus leuchtet nun ein, was Savigny, VIII, 455,
nicht zu beseitigen vermag, und was auch von uns Bd. I, S. 705,
Note 1, noch nicht erklärt werden konnte, warum auch das
Testament, wenn der präterierte suus oder postumus vor dem
Testator gestorben, nach Zivilrecht dennoch nichtig bleiben muß.
') Das., § 5.
421
Da er keine andere Willensperson ist als sie, hindert
er sie nicht an der Adition, kann auch nicht das Testa-
ment des Erblassers infizieren und dessen Willen
fehlerhaft machen. Denn freilich konnte der Erblasser,
da er nicht exheredierte, keinen anderen einsetzen als
den suus. Allein solange dieser im Leibe der
Mutter ist, hat er auch keinen anderen eingesetzt,
indem er diese Mutter einsetzte; es ist, wegen jener
untrennbaren physisch -geistigen Identität, vermöge welcher
sie für das Kind in ihrem Leibe noch ißt und trinkt und
will, ganz so, als habe er den suus eingesetzt. Konnte
auch der Testator wegen seiner unmittelbaren Willens-
identität mit dem suus, ohne zu exheredieren, sich mit
einer anderen Willenssubjektivität als diesem nicht einmal
identifizieren wollen, so konnte er doch sich mit
jemand identifizieren, der mit dem suus ebenso un-
mittelbar identisch ist, wie er es seinerseits mit
ihm ist ; er konnte doch die eigene Willenssubjek-
tivität des suus einsetzen — und dies ist eben noch
die Mutter. Oder mit anderen Worten : Solange sie den
suus noch in ihrem Leibe trägt, hat sie um der Natur-
wahrheit willen dieselbe väterliche Gewalt über ihn
und dasselbe Verhältnis zu ihm, wie der römische Vater ^).
Warum fährt aber Ulpian nach den letztbezogenen
Worten fort : ,,per contrarium non acquiret, si se putet
praegnantem, quum non sit". Wenn die zum Erben ein-
gesetzte Frau sich für schwanger hält und antritt, und
hinterher ihre Schwangerschaft sich als ein Irrtum heraus-
stellt, soll ihre Adition unwirksam sein. Wer erklärt das ?
^^ Sie wird sich aber eilen müssen mit der Adition; denn
wenn sie erst nach ihrer Niederkunft antreten will, so wird
sie es nicht mehr können, da nun eben der suus ein anderer
geworden ist, als sie.
422
Wie kann gerade das Nicht dasein des suus, der doch
jedenfalls für ihr Erbrecht nur ein relatives Hindernis
war, ihre Adition vernichten? Wie kann das, was ihr
Recht vielmehr zu einem einfachen und unzweifelhaften
macht, die Erwerbung hindern? Wie kann also ihre
Adition unwirksam sein, wenn sie nicht schwanger ist,
da sie sogar, falls sie wirklich schwanger war, wirk-
sam gewesen wäre, und durch ihre Nichtschwanger-
schaft ihr Recht als eingesetzte Erbin doch jedenfalls
nur um soviel verstärkt wird? Wie kann also gerade
das zum Hindernis werden, daß sich herausstellt, ein
vermutetes relatives Hindernis finde nicht statt? Und
freilich wäre es ganz unmöglich, hierfür wie für so vieles
andere auch nur eine Scheinerklärung vom Stand-
punkt der bisherigen Auffassung des Erbrechtes als eines
Instituts, das in seinem Prinzip eine Vermögens-
sukzession sei, finden zu wollen. Ist aber erst der
spekulative Erbtumsbegriff gegeben, so erklärt sich auch
diese so paradox scheinende Entscheidung als eine ebenso
selbstredende wie notwendige Folge seiner transszendenten
Innerlichkeit. Die Frau ist zum Erben eingesetzt. Ihr
ist also vom Erblasser die Identität mit seiner Willens-
subjektivität übertragen. Allein direkt kann sie diese
nicht auf sich nehmen, denn dieselbe ist bereits
okkupiert durch die unmittelbare Identität des Erb-
lassers mit dem präterierten suus. Allein dieser suus ist
noch in ihrem Leibe, und daher ebenso unmittelbare
Identität mit ihr. Die Frau setzt sich daher in die an-
getragene Willensidentität mit dem Erblasser, nicht
direkt, wie sonst bei der Adition, sondern dadurch, daß
sie unmittelbar identisch mit dem suus ist, der seiner-
seits die unmittelbare Identität mit dem Testator
bildet. Die Frau schließt sich also in der Weise eines
423
Schlusses zur Identität der Willenspersönlichkeit mit
dem Testator zusammen, und dieser Schluß geht durch
den suus hindurch, ist durch ihn vermittelt. Erweist
sich also hinterher der Schluß als fehlerhaft, ist das Mittel-
glied gar nicht existent gewesen, so ist der Schluß
eben auch nicht zustande gekommen, und Erblasser
und Erbin sind also nicht zusammengeschlossen, die
geistige Willensidentifizierung, da sie sich innerlich durch
das Bindeglied der Identität mit dem nicht vorhandenen
suus vermitteln wollte, ist gar nicht hergestellt. Die
Adition ist also wirkungslos, und es muß resp. eine neue
stattfmden, bei welcher die Frau, indem sie sich jetzt
als nichtschwanger weiß, auch weiß, daß sie sich jetzt
direkt mit dem Testator identifiziert. Es bestätigt aber
dieser Fall der in ihrer Einbildung schwangeren, zur
Erbin eingesetzten Frau wieder die absolute Richtigkeit
dessen auf das evidenteste, was wir oben als den be-
grifflichen Umfang des notwendigen Wissens aus
dem Erbtumsbegriff selbst hergeleitet und als das innere
Gesetz der Sache aufgestellt haben, daß der Erbe die
Willensbeziehung wissen muß, die zwischen der
Willenssubjektivität des Erblassers und der seinigen besteht.
Muß also der Erbe, wie wir schon bisher an so vielen
Punkten gesehen haben, weil er dieses Willensverhält-
nis wissen muß, das der Testator zu ihm hat, um es
als Willen des Testators zu seinem eigenen Willen
machen zu können, — muß er deshalb alles wissen, was
die qualitative Willensbestimmtheit des Testators an-
geht ; muß er deshalb sogar wissen, daß der Testator
die formellen Bestimmungen in seinem Testament be-
obachtet hat (testamentum non irritum), weil diese Formen
von qualitativer Einwirkung auf das Dasein des
testierenden Willens sind; muß er deshalb selbst ihm
424
absolut fremde und fast nicht vvißbare Umstände der
objektiven Außenwelt wissen, wenn sie auf jenes Ver-
hältnis influenzieren, wie z. B. daß die sich für
schwanger haltende Frau es nicht ist: so hat er dagegen
nicht nötig, irgend etwas von dem zu wissen, wie leicht
wißbar es für ihn auch sei, was für den spekulativen
Erbbegriff, die Willensidentität, gleichgültig ist,
in einer wie nahen äußeren Berührung es auch
mit ihm stünde. Nichts also von alledem, was von keiner
qualitativen Einwirkung auf den Willen des Erb-
lassers ist, sondern nur quantitative Bedeutung in dem-
selben hat. Er braucht also nicht zu wissen, für welche
Quote ihn der Erblasser zum Erben eingesetzt hat^):
„Si quis partem ex qua institutus est, ignoravit, Julianus
scribit, nihil ei nocere, quominus pro berede gereret, quod
et Cassius probat etc." Und dies ist notwendig. Denn
diese quantitative Vermögensbestimmung, die in der
Quotenfixierung stattfindet, ist, wie wir oben (Nr. XXXII)
gesehen haben und wie sich hier bestätigt, dem speku-
lativen Erbbegriff selbst ganz gleichgültig und äußerlich.
Da jeder Erbe, für eine wie immer kleine Quote er
auch eingesetzt sein mag, immer Identität mit der ganzen
Willenssubjektivität des Erblassers darstellt, so wird das
Willensverhältnis, in dem der Erblasser zum Erben
steht, durch die Größe der Quote nicht im geringsten
berührt, und so braucht sie auch nicht gewußt zu werden.
In dieser Gleichgültigkeit der Vermögensquote für
das Wissen zeigt sich von neuem das Vermögen selbst
als das dem Erbbegriff andere und ihm Äußer-
liche.
Hieraus ergibt sich nun sofort eine sehr interessante
1) Ulpian. L. 21. § 2 eod. tit.
425
Folgerung in bezug auf den oben betrachteten Fall des
schwangeren Leibes. Zuerst diese, daß der suus postumus
(wie der suus überhaupt) nur auf irgendeine Quote
eingesetzt zu werden braucht, wie klein sie auch sei. Denn
die Größe der Quote, als das für den Erbbegriff
überhaupt Gleichgültige und Äußerliche, ist deswegen auch
für seinen Erbbegriff gleichgültig. Wie klein die Quote
auch sei, er ist immerhin durch die Einsetzung als un-
mittelbare Willensidentität anerkannt worden und brauchte
also nicht exherediert zu werden. Der Testator wird
dalier, nachdem er ihn zum Erben überhaupt aus einer
wie immer kleinen Quote gemacht hat^), neben ihm noch
einen extraneus einsetzen können-), ganz so wie er über-
haupt mehrere Erben ernennen kann. Wenn nun ein
postumus mit einem extraneus zusammen vom Testator
eingesetzt ist, und es zeigt sich nach dessen Tode, daß
keine Schwangerschaft vorliegt, so akkresziert jetzt dem
extraneus die andere, dem vermuteten postumus über-
tragene Vermögensquote im strikten Gegensatze zu dem
vorhin Erörterten, auch ohne daß er weiß, daß
die Frau nicht schwanger ist. Und unsere ge-
samte Entwickelung muß die Notwendigkeit hiervon be-
reits evident gemacht haben. Denn wenn der extraneus
neben dem postumus eingesetzt ist, so ändert es sein
Verhältnis zur Willenssubjektivität des Erblassers
^) Nur präteriert darf er nicht werden, worin sich wieder
zeigt, daß es ein begriffliches Verhältnis und nicht ein
Verniögensanrecht ist, welches das Erbrecht des suus bildet.
') Wäre das Erbrecht in seinem Prinzip eine Vermögens-
sukzession, so würde also hier wieder die unbegreifliche In-
konsequenz vorliegen, daß das Recht des präterierten suus —
denn dieser nimmt alles — größer ist als das des einge-
setzten.
426
nicht im geringsten, ob ein postumus da sei oder nicht.
Er bleibt in dem einen wie in dem anderen Falle Erbe,
Willensidentität mit dem Erblasser. Da also in
diesem Falle das Dasein oder Nichtdasein eines postumus
nicht auf sein begriffliches Verhältnis zum
Erblasser inf luenziert, so fällt es hier auch nicht
in den erforderlichen Umfang seines Wissens
hinein, daß die Frau nicht schwanger ist, und er muß
den Vermögensanteil des suus ohne dieses Wissen er-
werben. Darum heißt es also^): ,, Heredi cum postumo
instituto reliquae partes accrescunt, quae postumo datae
sunt, si certum sit, non esse praegnantem, licet heres
ignoret." Indem aber der Jurist so anerkennt, daß der
Erbe auch ohne Wissen den Vermögensanteil
des postumus erwirbt, bekundet er selbst aufs positivste,
daß das Wissen im Erbrecht nicht für den erbrecht-
lichen Vermögenserwerb erforderlich ist, resp. also
überhaupt nicht erforderlich wäre, wenn das Erbrecht,
wie es bisher stets aufgefaßt wurde, eine Sukzession in
das Vermögensrecht wäre, sondern nur durch jenen
spekulativen Begriff des Erbtums, durch jenen
transszendenten Begriff der Willensidentität ge-
fordert wird, welcher, in diesen wie in allen Teilen des
Erbrechtes stets übersehen, dennoch überall das einzige
reale Fundament und die alleinige lebendige Seele des-
selben bildet^).
1) Paulus. L. 31 eod. tit.
^} Ja noch mehr, der Erbe, d.h. der es einmal ist, also
die wirksame Adition hinter sich hat, erwirbt bloße ihm bis
dahin nich*. gehörige Vermögensteile nicht nur ohne sein
iWissen, sondern sogar noch nach seinem Tode, wo er
also gar kein Willenssubjekt mehr ist. Wenn nämlich jemand
pro parte unbedingt, und pro parte unter einer objektiven Be-
427
Wenn aber der Erbe nichts von der Größe seiner
Quote als der seinem begrifflichen Verhältnis gleich-
gültigen, nur quantitativen Vermögensäußerlichkeit
zu wissen braucht, so muß er dagegen wieder sehr genau
wissen, ob er unter einer Bedingung eingesetzt ist,
und unter welcher. Denn die Bedingung stellt wieder
eine qualitative Bestimmtheit und Modalität des
Willens des Erblassers dar und muß deshalb gewußt
werden. Der unbedingt eingesetzte Erbe wird also nicht
antreten können, wenn er ungewiß darüber ist, ob er un-
bedingt oder bedingt eingesetzt sei. Der bedingt Ein-
gesetzte wird nicht antreten können, wenn er sich zwar
als bedingt Eingesetzten überhaupt weiß, aber die be-
stimmte Bedingung nicht kennt, unter der er ein-
dingung eingesetzt ist und, nachdem er aus der unbedingten
Einsetzung antrat, stirbt, jene Bedingung aber nach seinem
Tode in Erfüllung geht, so gilt jetzt die bedingte Quote als
ihm gehörig, und geht auf seinen Erben über. Es ist Gajus,
der uns diesen sehr interessanten Fall setzt, L. 53 eod. tit. :
,,Qui ex duabus partibus heres institutus fuerit, ex alia pure,
ex alia suh conditione. et ex pura institutione adierit et de-
cesserit, posteaque conditio extiterit, ea quoque pars ad heredem
ejus pertinet." Es ist genau zu betrachten, was hierin enthalten
ist. Der Erbe des Erben ist es nicht, der den Teil erwirbt ;
denn der Erbe transmittiert nicht nach römischem Rechte,
es gehen also nicht-erworbene Rechte auf seinen Erben
nicht über, oder: der Erbe des Erben erbt nicht. x\ber
auch der erste Erbe kann jetzt, als tot, keinen Ve rmögens-
erwerb mehr machen, ebenso wie er auch jetzt nicht mehr
eine Erbschaft zu erwerben fähig wäre. Allein Erbe ist er ein-
mal aus der pura institutio von früher her. Und als Erbe ist
er im allgemeinen und schlechthin der Darsteller der erb-
lasserischen Willenssubjektivität, ist es also auch für den
Vermögensteil, in bezug auf den er es nur bedingt sein soll,
eo ipso wie die Bedingung objektiv eintrifft. Allein hierzu müßte
428
gesetzt ist; ja, wenn diese Bedingung eine ihm gestellte
Willensbedingung ist (conditio in arbitrium collocata)
und er dieselbe, ohne sie zu kennen, erfüllt hat,
muß seine Adition nichtsdestoweniger wirkungslos bleiben.
Denn die unwissentliche Erfüllung kann ihm in
keiner Weise helfen, da er sie dann nicht als den erb-
lasserischen Willen, sondern nur zufällig, und
somit als ein diesem fremder Wille erfüllt hat, diese
rein äußerliche Erfüllung daher nicht den Sinn
und somit auch nicht die Kraft in sich trug, die von
dem Erblasser an diese Aufgabe geknüpfte Willensidentität
mit ihm hervorzubringen.
Und so heißt es denn bei Ulpian, alle diese Folgerungen
des Begriffes bestätigend^): ,,Sed et si seit, se heredem
er noch leben, denn wie kann er, selbst tot, als noch vor-
handene Fortexistenz des erblasserischen Willens ausgegeben
werden ? Allein hier gerade zeigt sich recht sinnlich, wie, was
wir oft hervorgehoben, durch das Erbtum nicht die Fortdauer
der erblasserischen Willenssubjektivität um eine gewisse Zeit,
ein Menschenleben, verlängert, sondern in alle Ewigkeit
hinein zur wahrhaften Unsterblichkeit perpetuiert wird (vgl.
Nr. I und II). Wäre der Erbe nur unter einer Bedingung ein-
gesetzt, so kann er die Erbschaft, wenn er vor Eintritt der
Bedingung stirbt, nicht erwerben. Aber als auch pure ein-
gesetzt, ist er nach seiner Antretung einmal das Dasein des
erblasserischen Willens, und als Person ist er jetzt zwar
tot, als Fortexistenz des erblasserischen Willens
aber Ist er es nicht. Denn er hat seinerseits einen Erben,
und war er erst durch wirkliche Antretung zum Träger der
erblasserischen Willenssubjektivität geworden, so hat er nun
dieselbe durch sich hindurch in seinen Erben hineinkontlnuiert,
so daß er, der erste Erbe, als Fortdauer des ersten
Erblassers, noch Im zweiten Erben vorhanden ist und
in ihm erwirbt, und so weiter in alle Ewigkeit.
1) L. 32, § 1, eod. tit.
429
institutum, sed utrum pure an sub conditlone ignoret, non
poterit adire hereditatem, licet pure heres institutus sit,
et sab conditlone, licet paruerit^) conditioni."
Wiederum aber, wenn der Testator den Erben unter
einer nicht von dessen Willen abhängigen Bedingung
der objektiven Außenwelt^) eingesetzt hat, so wird
er zwar nach dem Vorigen n^cht antreten können, so-
lange er den Inhalt der Bedingung nicht weiß; er
wird natürlich auch, diesen wissend, nicht antreten können,
solange die Bedingung nicht objektiv eingetroffen ist. Aber
falls er nur die Bedingung und ihren Inhalt weiß,
und diese eingetroffen ist, so wird, wenn der spekulative
Begriff sich bis in seine strengsten und feinsten Kon-
sequenzen hinein als das Gesetz der Sache bewähren
soll, seine Adition auch dann wirksam sein, wenn
er auch das objektive Eingetroffensein der Be-
dingung nicht weiß. Denn das Eintreffen der Be-
dingung gehört nicht zu dem Willensinhalt des
Testators. Der Testator hat nicht gewollt, daß die Be-
dingung eintreffe. Hätte er dies gewollt, so hätte er
eine von der Willensfreiheit des Erben abhängige
Bedingung wählen müssen. Er hat bloß gewollt, daß,
wenn die Bedingung einträfe, jener der Erbe, und wenn
nicht, es nicht sei. Aber ob die Bedingung eintreffen
solle oder nicht, dies hat der Testator, als ein von
seiner Willensfreiheit nicht abhängiges Verhältnis, rein
in die objektive Außenwelt gesetzt und dieser
überlassen. Also nur der Inhalt der Bedingung, nicht
aber das Eintreffen derselben gehört zum Willens -
^) Durch diesen Ausdruck ergibt sich also von selbst, daß
hier eine Willensbedingung gemeint ist.
') Die Bedingung: ut quid obtingat, L. 60 pr. de condit.
(35. 1).
430
Inhalt des Erblassers. Weil also das Eingetroffensem
oder Nicht der Bedingung nicht in den Willensumfang
des Erblassers gehört, so gehört es nach dem von
uns entwickelten Begriff auch nicht in den Wissens-
umfang des Erben. Das Dasein und der Inhalt
der Bedingung muß von diesem gewußt werden, denn
sie bilden den Willensinhalt des Testators. Aber das
Eingetroffensein der Bedingung braucht nicht von
ihm gewußt zu werden, denn es ist bloße Tatsäch-
lichkeit, bloße Sache der dem Willen des Erblassers
fremden äußeren Wirklichkeit als solcher, und
darum muß auch das bloß objektive Eintreffen derselben
genügen. Und so muß denn Ulpian an einer schon oben
bezogenen Stelle fortfahren^) :,,... quod et Cassius probat
(nämlich, daß der Erbe antreten könne), si conditlonem,
sub qua heres institutus est, noti Ignorat, si tamen exstitlt
conditio, sub qua institutus est. Quid tamen si ignorat
conditionem exstitisse? Puto, posse adire hereditatem,
quemadmodum si ignoret, an coheredis cui substitutus est,
repudiatione portio ei delata sit-)." Der Vergleich, der
in den letzten Worten liegt, ist ein sehr richtig zutreffen-
1) L. 21. §2 eod. tit.: siehe oben S. 425.
^) Die Repudialion des coheres, dem ein anderer Quoten-
erbe substituiert ist, stellt gleichfalls eine Bedingung für
diesen dar, aber nicht eine Bedingung für die Erwerbung des
Erbcharakters, den er als heres ex parte bereits besitzt,
sondern nur eine für die Erwerbung des jenem coheres über-
tragenen Vermögensteiles. Das Vermögen also erwirbt er,
ohne die dafür gestellte Bedingung zu wissen. Dasselbe zeigt
sich In der L. 53 (s. oben S. 427, Note 2) ; denn da der
Erbe die bedingte pars auch nach seinem Tode erwirbt, so
wird er sie ebenso erwerben müssen, wenn er auch den Inhalt
der Bedingung, und daß er überhaupt auch noch für diese pars
bedingt eingesetzt war, gar nicht gewußt hat.
431
der. Denn auch ob der eingesetzte Miterbe annehmen
oder ausschlagen wird, hängt nicht vom Willen des Erb-
lassers noch des heres substitutus ab, gehört diesem
gegenüber gleichfalls nicht zum Willensinhalt des Erb-
lassers, sondern ist nur ein Faktum der objektiven Außen-
welt, das deshalb nicht in seinen notwendigen Wissens-
umfang hineingebort, um seine Adition wirksam zu machen.
Hieraus ergibt sich nun aber eine sehr interessante
spekulative Konsequenz, diese nämlich, daß unter Um-
ständen, so paradox dies scheint, zwei Irrtümer sich
werden aufheben, der zweite den ersten unschädlich machen
können.
Wenn nämlich der unbedingt eingesetzte Erbe irrig
sich für einen bedingten hält, und wenn er nun auch
noch zweitens irrtümlich glaubt, daß diese vom Testator
gar nicht hinzugefügte, an ein objektives Ereignis ge-
knüpfte Bedingung in Erfüllung gegangen sei, so
wird dieser zweite Irrtum den ersten aufheben, und der
Erbe wird wirksam antreten können. Die Not-
wendigkeit hiervon ergibt sich durch Folgendes.
Die Bedingung, an die der Erbe glaubt, war zunächst
als gar nicht vom Erblasser gestellt, auch keine qualifi-
zierende Bestimmtheit in dem Willen desselben. Allein
da der Erbe dies glaubt, so ist sie für ihn eine solche
qualitative Bestimmtheit des erblasserischen Wil-
lens, und diese Ungleichheit, wie der Wille im Erb-
lasser, und wie er für den Erben ist, hindert die geistige
Identifizierung und somit die Adition. Allein auch für
den Erben stellte die geglaubte Bedingung nur so
lange eine qualifizierende Bestimmtheit des erblasserischen
Willens dar, solange er sie als nicht in Erfüllung ge-
gangen annimmt. Denn nur solange sie dies nicht ist,
hält die Bedingung den Willen in suspenso und macht,
432
für den Erben, ihren Inhalt zur entscheidenden und
qualitativen Bestimmtheit des erblasserischen Willens.
Sowie aber der Erbe sie als eine in Erfüllung gegangene
annimmt, ist sie auch f ü r i h n nicht mehr eine bestimmende
Qualität des erblasserischen Willens. Denn gerade durch
das Eingetretensein der Bedingung ist jener Wille auch
für den Erben jetzt nicht länger ein bedingter,
sondern auch für ihn zu einem nunmehr unbeding-
ten gevv oralen. Jetzt, da er die Bedingung als ein-
getroffen annimmt, nimmt auch der Erbe den Willen des
Erblassers, ihn zum Erben zu haben, als einen absoluten
und entschiedenen an. Oder mit anderen Worten : Indem
die Bedingung nach der Unterstellung des Erben ein-
trat, hat sie gerade dadurch aufgehört, eine spannende
und bedingende Bestimmtheit des erblasserischen
Willens zu sein und ist jetzt nur als das hinter diesem
Willen Liegende vorhanden, wodurch sich derselbe ver-
mittelt hat; d.h. sie ist zu einem gleichgültigen
Motiv herabgesunken, denn das Motiv ist eben dies,
wodurch sich der Wille vermittelt. Die Motive
des erblasserischen Willens braucht aber der Erbe nicht
zu wissen, denn sie liegen eben hinter dem Willen
und seiner Entscheidung, sondern nur seine ent-
scheidende Bestimmtheit^). Durch den zweiten
^) Weshalb der Erblasser den Erben zum Erben will, d. h.
mit sich identisch setzt, ist natürlich gleichgültig, wobei jedoch
die begriffliche Grenze nicht zu übersehen ist, die sub Nr.
XXXVf aufgezeigt werden wird. — Die Gleichgültigkeit dessen,
wodurch sich der Wille vermittelt, für das Dasein des
Willens, spricht sich auch in einer Stelle des Paulus in bezog
auf das Wissen der Willensfähigkeit des Erblassers aus L. 33
eod. tit. : ,,Quodsi dubitet, apud hostes decessit, an civis Ro-
manus, quonlam utroque casii est jus adeundi et in re est, ut
possit adire. dicendum est, posse adire." Da der Erblasser
6 LueaUe. Ce>. Schriften. Band XH. 433
Irrtum gerät also die Sache in die Lage, daß sich
der Erbe nicht mehr über die qualitative Bestimmtheit
des erblasserischen Willens irrt, sondern nur falsche
Motive, durch welche er sich vermittelt habe, in
diesen hineinträgt. Indem der Erbe jetzt durch die Ver-
mittlung dieses zweiten Irrtums gleichfalls davon inner-
lich gewiß und durchdrungen ist, daß der Erb-
lasser ihn mit psremtorischer und frageloser, unbedingter
Bestimmtheit zum Erben will, ist hierdurch jetzt Gleich-
heit des Willens vorhanden, wie er im Erblasser,
und wie er für den Erben ist, und die Willensidenti-
fikation beider kann daher statthaben.
Ist dies aber der Fall, so muß dasselbe offenbar auch
der Fall sein, wenn die vom Erben irrtümlich an-
genommene Bedingung eine in eine Willenshandlung
desselben gestellte ist, und der Erbe, indem er dieser
angeblichen Bedingung nachkam, sich dadurch gleichfalls
das Bewußtsein erzeugte, daß der Wille des Erb-
lassers jetzt in unbedingter und absoluter Weise auf die
Identität mit ihm gerichtet ist. Und so muß es denn in
genauester Bestätigung alles Vorigen heißen^): ,,Sed et
si, quum esset pure institutus, piitavit sub conditione, et
impleta conditione quam injectam putavit, adiit, an possit
acquirere hereditatem ? Conscqiiens est dicere, posse eam
adire, maxime quam haec siisplcb nihil ei obfiierit, nee
periciilüin athilerit. Facilius quis admittet, si quis pure
institutus ;?«^aw/, se sub conditione institutum, conditionem-
hier nach Zivilrecht, dort nach der lex Cornelia willensfähig
ist, so ist es gleich, durch welche tatsächliche Situation —
sein Tod beim Feinde, oder seine Rückkehr — sich das Da-
sein eines Erbwillens beim Erblasser für das Wissen des Erben
vermittelt.
1) Ulplan, L.34. §1, eod. tlt.
434
que impletam quam in eventum putabat; nam in nullo
haec suspicio obfuit." Diese ungewissen und schwanken-
den Ausdrücke des Juristen maxime quum haec suspicio
nihil ei obfiierit, nee periciilum attulerit, in denen gleich-
wohl der spekulative Begriff innerlich erzittert, ohne ihm
zum theoretischen Bewußtsein zu kommen, werden nach
dem Vorangeschickten nun vollkommen deutlich sein. Denn
was ist das für eine suspicio, von der Ulpian spricht,
und die ihm hier nicht schaden soll ? Was ist das für
ein periculum, welches ihm hier nicht daraus entstehen
soll? Es ist der Verdacht gegen sich selbst, wegen
der hinzugedachten Bedingung nicht unbedingt identisch
mit dem Erblasser zu sein ; es ist die Gefahr des Erben,
durch dieses Hinzudenken die wahrhafte Willens-
beziehung, die der Erblasser zu ihm hat, und die
geistige Identität mit demselben in seinem Bewußt-
sein zu verfehlen. Aber diese Gefahr trifft hier
nicht, und dieser Verdacht an der eigenen inneren Identität
beseitigt sich durch die Annahme des Erfülltseins der
Bedingung, resp. durch ihre Erfüllung, indem nunmehr
diese Identität auch für den Erben zur innersten Ge-
wißheit geworden ist.
Wenn aber der Erbe, wie wir sagten und nun bereits
durch die Aufrollung aller dieser Unterschiede als das
begriffliche und unverletzliche Gesetz der Sache nach-
gewiesen haben, um die in der Adition liegende Willens -
Identifikation vornehmen zu können, zuvor die
geistige Willensbeziehung wissen muß, die zwischen
dem Erblasser und ihm besteht, so wird er, wenn sich
der Begriff absolut bewähren soll, nicht nur das zum
Willen des Testators Gehörige, sondern auch das
seine eigene Willenssubjektivität Betreffende,
insoweit dadurch die zwischen ihm und dem Erb-
6* 435
lasser bestehende Willensbeziehung beeinflußt wird,
notwendig zu wissen haben. Wir zeigten oben, daß der
Erbe über seine eigene Kondition ungewiß sein kann,
indem er nicht zu wissen braucht, ob er filiuslamilias
oder sui juris ist. Aber dies ist eine Eigenschaft, die
ihn nur für sich allein betrifft und die zwischen dem
Erblasser und ihm bestehende Willensbeziehung
nicht berührt.
Ob er aber der eigene (in der Gewalt stehende)
Sohn, oder der eigene Sklave des Testators selbst, ob
er also necassarius heres oder voluntarius ist, das muß
er wissen, um antreten zu können, weil hierdurch eben
das zwischen dem Erblasser und ihm bestehende Willens-
verhältnis qualifiziert wird. Und so sagt uns Ulpian,
Schritt für Schritt alle Folgerungen des spekulativen Be-
griffes belegend^): „Is qui se putat necessarium, quum
sit voluntarius, non poterit repudiare ; nam plus est in
opinione, quam in veritate." Und unmittelbar darauf^):
,,Et e contrario qui se putat necessarium, voluntarius
existere non potest."
Und warum kann die Adition des freiwilligen Erben,
welcher sich für einen necessarius hält, nicht wirksam sein ?
Weil dieser, indem er sich innerlich für einen not-
wendigen Erben, für bereits identisch mit dem
Erblasser hielt, nicht den entscheidenden inneren Willens-
akt vollziehen konnte, sich durch seinen freien Willen
zur Identität mit der Willenssubjektivität des Erblassers
zu bestimmen. Diese Selbstidentifikation seiner
mit jenem wurzelt beim extraneus nur in der Willens-
freiheit, ist lediglich das Produkt seiner höchsten eigenen
1) L. 15 eod. tit.
') L. 16 eod. tit.
436
Spontaneität, und kann daher ohne das Bewußtsein
über das Freiwillige dieses eigenen Setzens gar nicht
hervorgebracht werden. Hält er sich für gezwungen,
so findet ein Zwang statt, wenn auch nur ein ge-
glaubter, i.e. geistiger, der es aber eben darum zu
einer geistigen Identität aus freier Willens-
vollbringung nicht mehr kommen läßt. Hält er sich
für bereits unmittelbar identisch, so kann er die Iden-
tifikation nicht mehr erst bewerkstelligen wollen. Die
Identität ist also gar nicht vollbracht, nicht als un-
mittelbare; denn so ist sie objektiv nicht vorhanden;
nicht als frei durch den Willen vollzogene, denn
hierzu fehlt eben die Anstrengung des Willens, sich frei
durch eigene freie Entschließung mit einer fremden
Willenssubjektivität identisch zu setzen. Die geistige
Energie, diese Fremdheit selbständiger Willen gegen-
einander aufheben zu wollen, erzittert nicht in dieser
Adition, und darum bewirkt sie auch nicht die tatsäch-
liche Aufhebung dieser Fremdheit und die Herstellung
dessen, was hergestellt werden soll, sondern läßt nach
wie vor Erblasser und Erben als andere gegeneinander
bestehen. Die Adition ist daher hier nur Schein oder
Simulation, nicht die äußere Darlegung der innerlichen
Vollziehung der Identifikation. Ebenso natürlich,
wenn der freivv'illige Erbe sich für einen notwendigen hält
und nun dennoch repudiert. Wäre die Erbschaft ein Ver-
mögensrecht und eine Sukzession in ein solches, so hätte
er dasselbe, da er repudiieren kann und repudiiert hat,
und ebenso unleugbar hierin gezeigt hat, daß er es repu-
diieren will, gewiß und ohne allen Zweifel wirksam
von sich gewiesen, und man hat sich die Sache sehr leicht
gemacht, wenn man bei der bisherigen Auffassung des
Erbtums hierüber als ein ganz Selbstredendes fortgeblickt
437
hat. Der bloße Rechtsirrtum über das jus suiim
würde den Akt nicht ungültig machen 0- Aber es handelt
sich hier nicht um Vornahme oder Ausschlagung eines
Vermögenserwerbes, sondern um die geistige
Identität zwischen Erben und Erblasser. Und da diese
der Erbe in seinem Geiste für eine schon unmittel-
bar und notwendig gegebene hält, so hat für ihn
und in seinem Geiste der äußerliche Repudiationsakt auch
nicht die Kraft, die geistige Identität aufzuheben.
Wie im vorigen Fall die Adition nicht die Kraft hatte,
die geistige Identität herzustellen, so hat hier die
Repudiation nicht diejenige, sie zu negieren. Denn in
dem äußeren Negationsakt weiß sie der Erbe nichts-
destoweniger als vorhanden. Ja, sie kann und soll
diese Kraft nicht einmal haben. Denn was genau ge-
nommen durch die Repudiation des voluntarius negiert
wird, ist nicht die Identität selbst, sondern die Her-
stellung der Identität, die ja beim voluntarius noch
nicht vorhanden. Die Herstellung der Identität kann
aber verneint werden, ohne die Identität selbst zu
verneinen, da eine schon seiende nicht mehr erst her-
gestellt zu werden braucht, und der Erbe also für sich
selbst nichts tut als ein acta agere ausschlagen. Somit
hat also seine Repudiation auch nicht die Kraft, die
Identität zurückzuweisen.
Wie kommt es aber, daß uns hier Ulpian sogar die
allgemeine Maxime aufstellen kann ,,nam plus est in
opinione, quam in veritate", während wir anderwärts von
Paulus, und zwar wo es sich gleichfalls um Wissen und
1) Vgl. oben Bd. I, S. 199. Note 1. und speziell Im Erb-
recht da.s Reskript des Gordianus, L. 2 C. de ignor. jur. et
facti (1. 18).
438
Irrtum handelte^), den direkt umgekehrten Satz gehört
haben : plus est in re, quam in existimatione mentis ? Be-
reits muß sich aber dieser scheinbare Widerspruch in
völligen Akkord aufgelöst haben. Denn da das Erbtum,
wie wir von allen Seiten gesehen haben, nur das rein
geistige Verhältnis der Willensidentität, also ein im
Geiste stattfindendes Verhältnis ist, so ist hier
gerade die exlsümatio mentis die objektive Sache,
die res selbst, also die Wirklichkeit dieses Verhält-
nisses gar nicht vorhanden ohne die entsprechende
existimatio mentis. Darum muß sich im Erbrecht der
Satz des Paulus umkehren, und Ulpian hat also ebenso
recht mit seinem Satze fürs Erbtum, als Paulus mit
dem seinigen für Wissen und Irrtum im allgemeinen in
anderen Gebieten.
Wir haben also gesehen, daß der Umfang des Wis-
sens, das zur wirksamen Adition für den Erben er-
forderlich ist, kein anderer ist als der aus dem speku-
lativen Begriff mit Notwendigkeit fließende: die Wil-
lensbeziehung zu kennen, die zwischen dem Erblasser
und ihm besteht, und daß in der Tat dieses begriffliche
Prinzip es ist, welches, durch die feinste Mikrologie der
Fälle und Unterscheidungen hindurch von den römischen
Juristen überall festgehalten, sie bestimmen läßt, was
vom Erben gewußt werden muß und was nicht ^).
1) Siehe oben Bd. I, S.201, Note 1.
'') Für die Juristen mußte es wegen der Nichterfassung des
spekulativen Erbtumsbegriffes auch unmöglich sein, eine rich-
tige Definition dessen zu geben, was für die Adition gewußt
werden muß. So leidet schon die Definition, die Justinian
für den erforderlichen Inhalt dieses Wissens gibt : „dummodo
sciat, eum . . . testatum intestatumve obiisse et se ei heredem
esse" (Inst., § 7 de her. quak, 2, 19), Schiffbruch, und zwar
schon gleich an dem letzten Fall des voluntarius, der sich für
439
XXXV. Die exceptio doli im Erbrecht.
Aber ebenso müssen aus dem, was schon bisher über
die Notwendigkeit der inneren, geistigen Willens -
identität zur Wirksamkeit der Adltion gesagt worden
ist, viele der wichtigsten, das Gebiet des Erbrechtes be-
treffenden Fragen und Institute, die bisher unvermeidlich
und gänzlich mißverstanden werden mußten, ihr hellstes
und durchsichtigstes Licht empfangen. Es ist weder mög-
lich noch nötig, von hier aus auf alle sich daraus er-
einen necessarius hält. Der Erbe weiß hier sowohl, daß der
Erblasser testatus gestorben, als daß er sein Erbe ist, und
doch reicht dies Wissen nicht aus. Wenn aber von den Römern
selbst das theoretische Bewußtsein über ihren eigenen Geistes-
inhalt nicht verlangt werden kann, so konnten die späteren
Autoren aus demselben Grunde nicht glücklicher sein. Um
anderer zu geschwelgen, so definiert Donellus, der noch bis
heute das Erbrecht am scharfsinnigsten von allen Autoren,
und auch den hier in Rede stehenden Teil desselben relativ
am eli.igehendsten behandelt hat, mit sichtlicher Bemühung, eine
scharfe und umfassende Definition zu geben, diesen Wissens-
inhalt also, Lib. VII, c. V, p. 295: „Quapropter ita deflni-
mus: quibus rebus efficitur, ut nobis delata sit hereditas, etsi
omnes concurrent, si tamen de Ins aiit de una aliqiia incertus
sit aut dubltet heres, parlter eum heredltatem nee adlre posse,
nee repudiare." Es soll also erforderlich sein, alle jene Tat-
sachen zu wissen, durch welche die Delation bewirkt wird.
Diese Definition aber zerschellt schon daran, daß es (s. UI-
pian, oben S. 431) nicht nötig ist, als substitutus zu wissen,
ob der heres ausgeschlagen, während doch erst durch diese
Tatsache die Delation an den substitutus bewirkt wird, und
eine frühere eventuelle Aditlon seinerseits unwirksam wäre.
Auch daran zerschellt sie \\'ieder, daß die eingesetzte Frau,
wenn sie antritt, wissen muß, daß sie nicht schwanger sei
(s. oben S. 422 fg.), obgleich nicht durch ihr Nichtschwanger-
seln die Delation bewirkt wirkt, da sie auch als schwanger
antreten kann usw.
440
klärende Teile des Erbrechtes einzugehen, da die Auf-
hellung derselben nach unseren gesamten bisherigen Er-
örterungen für den Denkenden nunmehr von selbst gegeben
sein muß. Nur einige Exkursionen auf solche Fragen,
die noch Schwierigkeiten darzubieten scheinen könnten,
mögen hier ihre Stelle finden.
So erklärt sich erst jetzt die Stellung und Bedeutung
der doli exceptio im Erbrecht. Ulpian sagt^) : ,,Praeterea
sciendum est, si quis quid ex testamento contra voluntatem
petat, exceptione eum doli mali repelli solere, et Ideo
Savigny (System, III, 382) definitiv seinerseits: „Ist der
berufene Erbe über die Art derDelation (aus letztem
Willen oder gesetzlich usw.) im Irrtum, so ist seine ausdrück-
liche oder stillschweigende Antretung sowohl als seine Aus-
schlagung der Erbschaft ohne Wirkung." Diese Definition zer-
schellt — was auch noch gegen Donellus gilt — daran, daß
die ohne Bedingung deferierte Erbschaft vom Erben für eine
bedingte gehalten werden kann, wenn er die Bedingung für ein-
getroffen annimmt oder erfüllt hat (S. 431 fg.). während
er doch durch die Erfüllung der ungewußten Bedingung
die bedingte Erbschaft nicht erwirbt (S. 428). (Wollte man
also auch, was ohnehin schwerlich zulässig, im Interesse der
Savignyschen Definition behaupten, die Bedingtheit oder Un-
bedingtheit der Einsetzung ändere, mindestens wenn die Be-
dingung einmal erfüllt sei, die Art der Delation
nicht, so würde die Definition doch wieder an dem zweiten
Umstände scheitern, daß der Erbe bei der bedingten Einsetzung
trotz, des objektiven Eintreffens oder der zufälligen Erfül-
lung der Bedingung, ohne das Wissen derselben nicht er-
wirbt, da er dann etwas nicht zur Art der Delation Ge-
hörendes wissen müßte, um zu erwerben.) Sie zerschellt ferner
daran, daß bei der zur Erbin eingesetzten Frau ihre Schwanger-
schaft oder NichtSchwangerschaft die Art der äußerlichen
juristischen Delation nicht ändert usw.
1) L. 4. § 10. de doli except. (44. 4).
441
heres qii'i non habet vohmtatem, per exceptionem doli
repellitiir.'' Savigny sagt hierüber^): „Erklärt man den
letzten Satz von der Ausschließung der hereditatis
petitio, so ist unsere Behauptung widerlegt; allein diese
Erklärung muß verworfen werden, weil die doli exceptio
bei einem Dritten, vielleicht ganz unrecht-
mäßigen Besitzer völlig ohne Grund sein
würde. Die Stelle ist vielmelir von einem einzelnen An-
spruch des wahren Erben, z. B, gegen einen Erbschafts-
schuldner zu erklären usw." In den hervorgehobenen
Worten zeigt sich aufs deutlichste das tiefe Mißverständ-
nis, das über die doli exceptio im Erbrecht herrscht.
Savigny meint also, daß, weil und wenn der dritte Be-
sitzer noch weniger im Recht wäre als der die here-
ditatis petitio Anstellende, die doli exceptio gegen diese
Klage seitens eines solchen Besitzers völlig grundlos wäre,
d. h. er faßt den dolus und die doli exceptio im Erb-
recht als das auf, was diese Institute sonst sind, näm-
lich als auf einem Verhältnis des Klägers zum
Verklagten beruhend. Allein dies ist durchaus
nicht der Fall! Im Erbrecht beruht der dolus ledig-
lich auf dem Verhältnis des Erben zu seinem Erb-
lasser. Wer die hereditatis petitio anstellt oder sich
sonst als Erben geriert, behauptet sich als den Willens -
darsteiler des Erblassers und als Willens-
identität mit ihm. Und wer nun, indem er dies be-
hauptet^), einen anderen als den erblasserischen Willen
^) System, III. 378. Note c.
") Oder indem er zwar sich nicht selbst als Identität mit
dem Erblasser geltend macht, doch den Willen desselben als
einen nach dem Tode wirkenden mid noch fortexistieren-
den in Anspruch nimmt, d.h. ein Legat fordert (s.
Nr. XIV fg.).
442
zur Ausübung bringen will, begeht dadurch die Lüge
und die falsche Vorspiegelung des dolus, daß
er, diese Identität und diese Fortdauer jener Willens-
subjektivität vor sich hertragend, sie innerlich vielmehr
verneint, sich als nicht willensidentisch mit ihr betätigt,
und resp. jenen Willen als einen nichtmehrseienden
behandelt. Er will also auch nicht einmal — gleichviel
selbst, ob er es nach anderen Seiten hin ist oder nicht —
der identische Willensfortsetzer dieser Willenssubjektivi-
tät sein, sondern statt dies zu wollen, will er sie,
diese Behauptung bloß zu einem Vermögenserwerb miß-
brauchend, durch Abänderung ihres Willens vielmehr
negieren. Diese betätigte Nichtidentität bei der, somit
gegen besseres Wissen, behaupteten Willens-
identität mit dem Erblasser, dieser innere Be-
trug — dies allein ist der erbrechtliche Dolus. Der
begriffliche Schwerpunkt der Stelle ruht daher in den
Worten: heres qui non habet voluntatem. Wie versteht
Savigny diese Worte ? Offenbar so : qui non habet volun-
tatem testatoris, i. e. der Erbe, der den Willen des
Testators nicht für sich hat, ihm diesen oder jenen
„einzelnen Anspruch" zu gewähren. (Während vielmehr,
wer einmal den Willen des Erblassers für sich hat,
Darstellung seines Willens, Erbe zu sein, ihn
zu der Berechtigung für dies und jenes Einzelne
als Titel für seine Forderung gar nicht mehr braucht,
da ihm dasselbe vielmehr nun auf Grund seiner all-
gemeinen Qualität, Willensdarsteller des Toten zu
sein, gehört, wie die Akkreszenz und so vieles andere
zeigt.) Die Worte heres qui non habet voluntatem sind
vielmehr, um wahrhaft verstanden zu werden, zunächst
spekulativ zu nehmen: der Erbe, der zuvörderst selbst
nicht den Willen hat, Willenserhalter des
443
Toten, wahrer Erbe zu sein, da er ja gegen dessen
Willen angeht. Und freilich hat er eben deshalb auch
nicht den Willen des Testators für sich, sondern
muß ihn sich gegenüber haben ; aber nicht im Sinne eines
nicht gebenden und gewährenden, sondern eines nicht in
ihm vorhandenen Willens ist dies zu nehmen. Man
könnte zur größeren Deutlichkeit frei übersetzen: ,,Der
Erbe, insoweit er nicht den Willen des Testators in
sich hat, wird durch die exe. doli mali zurückgeworfen."
Die Stelle des Ulpian geht daher allerdings eben-
sowohl auf die Aktion der hereditatis petitio seitens
eines solchen, der sich ohne den Willen des Erblassers
für den Erben ausgibt, als gegen den einzelnen, den erb-
lasserischen Willen verletzenden Anspruch des wirklichen
Erben. Sie umfaßt beides, und beidemal bleibt das
Recht des dritten Besitzers und das relative Ver-
hältnis beider zueinander ganz aus dem Spiel.
Der Aktionierende muß von dem dritten Besitzer mit
der doli exceptio zurückgeworfen werden können, und
wenn dieser letztere, möchten wir sagen, ut latro besäße.
Denn einen erbrechtlichen dolus begehrt dieser letz-
tere noch immer nicht; er braucht nicht zu behaup-
ten, daß er Erbe sei; er wirft die Aktion des Erbklägers
durch den Nachweis jenes erbrechtlichen Dolus zurück
und schützt sich dadurch vorläufig im Faktischen seines
Besitzes, ohne daß die Beschaffenheit seines Rechtes
auch nur zur Sprache zu kommen hat. Und wollte jemand
dies noch bestreiten, so ist Papinian der Scharfe da, um
für uns zu zeugen. Er erklärt, daß die Legatare, die
schon bei unförmlichem Widerruf des Legates durch die
doli exceptio zurückgeschlagen werden, dies auch in dem
Falle werden, wenn der Erbe selbst unförmlich —
444
und deshalb unwirksam — widerrufen Vv^urde^), und
also den faktischen Willen des Erblassers, den er gerade
in jener Exzeption gegen die Legatare geltend macht,
doch ebensowenig in sich hat. Und hierauf fährt Papinian
^) Warum das Legat schon durch unförmlichen Wider-
ruf entkräftet wird, die Erbeinsetzung aber nicht, bedarf
nach allen früheren Erörterungen nur kurzer Andeutung. Das
Legat ist (s. Nr. XIV) die Willensverfügung über die Sache,
ist eine einzelne bestimmte Äußerung des Willens; die
Erbeinsefzung dagegen, die Fortexistenz der allgemei-
nen Willens Subjektivität selbst. Wie diese Fortexi-
stenz nur durch die Kraft des öffentlichen Rechtes und
seiner Formen hervorgebracht werden kann, weil der ein-
zelne nur durch seinen Anteil am öffentlichen Volks-
geiste die Fähigkeit dieser Hervorbringung überhaupt hat,
so kann die einmal hervorgebrachte auch nur einer von
derselben Kraft getragenen ausdrücklichen Auf-
hebung weichen. Ist also ein Testament vorhanden, so
muß, um die Erbeinsetzung zu entkräften, ein zweites
von denselben Formen des öffenllichen Rechtes getragenes Te-
stament vorhanden sein. Es ist in dieser Hinsicht, wie bei dem
suus, der, weil er einmal von selbst Erbe ist, auch durch
ausdrückliche exheredatio aufgehoben sein muß,
um nicht da zu sein (Nr. XXIV). Oder es zeigt sich hier
nur von neuem, was wir häufig hervorgehoben haben (vgl. Nr. X,
VIII, XV), daß das Erb tum nicht Produkt des bloß fak-
tischen Willens und seines Konsenses ist, weil es eben nicht
bloß Sache und Hervorbringung des bloßen privaten Willens,
sondern juris publici ist. Das Legat dagegen, als die bloß
einzelne, über eine Sache sich erstreckende Willensäußerung,
bedarf, als ein über den Tod hinaus existieren sollendes
und somit mit jener Willensunsterblichkeit, die nur das
Produkt und die Substanz des Volksgeistes ist, verknüpftes
Dasein des Willens, deshalb zwar zu seiner Hervorbrin-
gung der Kraft des öffenthchen Rechtes und der Solenni-
täten des Testamentes, nicht aber zu seiner Beseitigung.
Denn da bei der letzteren die Willensäußerung jener meta-
445
ausdrücklich so fort : „Cujus exceptionis vires ex persona
petentis aestimantur et alioquin potior est in re pari causa
possessoris'^)." Bei der bekannten Kürze des Papinian
ist in diese Worte alles zusammengedrängt, was wir soeben
gesagt haben. Ex persona petentis wird die Kraft der
doli exe. beurteilt, d. h. das Recht des Verklagten
selbst soll dabei gar nicht in Betracht kommen, ob-
gleich er in dem von Papinian dort gesetzten Falle als,
obwohl unförmlich, widerrufener Erbe, doch ebensosehr
gegen den faktischen Willen des Erblassers handelt,
gegen den zu handeln er dem aktionierenden Legatar durch
die doli exe. gerade vorwirft. Potior est in re pari causa
possessoris, d. h. wenn beide nicht den Willen des
physischen Fortexistenz über den Tod hinaus bloß nicht
teilhaftig werden soll (die Legatsverfügung fällt bloß fort,
ohne in eine andere überzugehen), so ist auch der Grund
nicht mehr vorhanden, jene Kraft des öffentlichen Rechtes
und seiner Formen anzurufen; zum Nichtfort wirken des
Willens über den Tod hinaus wäre der öffentliche Volksgeist,
sein Recht und seine Formalitäten nicht erforderlich. Hier
zeigt sich also der tiefe, bisher niemals ins Auge gefaßte Un-
terschied, warum der formlose Wille zur Beseitigung des
Legates ausreichen muß, zu seiner Hervorbringung nicht
ausreichen kann. Es kann daher der Gegensatz, der zwischen
Legat und Erbtum hierin stattfinden muß, auch so ausgedrückt
werden: Bei dem formlosen Widerruf des Legates geht diese
Willensverfügung nicht In eine andere über, sondern fällt
ganz fort, wie wir soeben schon hervorhoben. Beim Wider-
ruf des Erben dagegen hört nicht die Willensfortexistenz
des Erblassers auf, sondern es tritt nur ein anderer Erbe an
seine Stelle, der Intestaterbe. Einen Erben widerrufen, heißt
daher immer einen Erben hervorbringen und einsetzen,
und kann daher nicht durch formlosen faktischen Willen ge-
schehen, — Dies Ist die Erklärung, die wir Savigny, III, 378,
entgegenzusetzen haben.
1) L. 36, § 3, de test. mil. (29, 1).
446
Erblassers für sich anführen können, so schlägt das Faktum
des Besitzes als solches durch. Wenn man dies aber gleich-
wohl noch weiter bestritte, so ist die Entscheidung des
Julian und Ulpian über einen ebenso feinen wie kompli-
zierten Fall da, die aber eben hierdurch auf das schärfste
beweist, daß nichts anderes als der von uns ent-
wickelte Begriff den erbrechtlichen dolus konstituiert.
Einer ist ex uncia zum Erben eingesetzt, aus welcher
Einsetzung er 200 erhalten würde. Zugleich hat ihm
aber der Testator ein Legat von 100 vermacht. Die Be-
schwerden der Erbschaft scheuend, zieht er das Legat
vor und schlägt aus. Wird er jetzt das Legat fordern
können, oder durch die exe. doli abgewiesen werden^)?
,,Et ait Julianus, non esse eum summovendum" ; aber,
fährt er fort: „Quodsi a substituto pretium accepit, vel
quod pretii loco haberi posset, ne adeat hereditatem, petens
legatum, dolo, inquit, facere intelligetur ac per hoc doli
exceptione repelletur." Daß aber in dem ersten Falle
Julian und Ulpian sich auch nur die Frage aufwerfen
können, ob hier die doli exceptio begründet sei, beweist
unwidersprechlich, daß der erbrechtliche dolus ledig-
lich in dem aufgezeigten Verhältnis des Erben
zum Erblasser besteht. Denn wie würde dem sub-
stituierten Erben gegenüber der ausschlagende
Erbe bei der Legatforderung auch nur im geringsten in
den Verdacht eines dolus kommen können ? Offenbar in
keiner Weise. Denn diesem gegenüber hat er nur von
seinem unzweifelhaften Rechte Gebrauch gemacht, aus-
zuschlagen, und macht von einem ebenso unzweifelhaften
Rechte Gebrauch, indem er nun das ihm als Nichterben
zustehende Legat fordert. Es wäre also die bloße Frage,
^) Ulpian. L. 4, § 11, de dol. exe. (44, 4) „. . . an si
legatum petat, exceptione doli mali summoveatur ?"
447
ob hier ein dolus vorliege, schlechthin unbegreiflich.
Besteht aber der erbrechtliche dolus in dem erörterten
Verhalten des Erben zum Erblasser, so kann die Frage
allerdings entstehen. Denn indem der Erbe das deferierte
Erbtum ausschlug, hat er, soviel an ihm, die Fort-
dauer des erblasserischen Willens ausgeschlagen
und verneint. Wie kann er also diesen Willen, dessen
allgemeine Fortexistenz er verneint hat, im einzelnen
als einen für ihn fortexistierenden in Anspruch
nehmen, d.h. ein Legat reklamieren? Hier also gerät
er allerdings in die Gefahr jenes inneren Widerspruches
und jener geistigen Lüge, die wir oben als den Begriff
des Erbdolus auseinandergesetzt haben. Es ist aber zu
sagen, daß der ausschlagende Erbe dennoch das Legat
begehren könne. Denn indem ihm der Testator die Erb-
schaft übertrug, ihm aber auch einen Substituten gab
und ihm ein Legat vermachte, hat er ihm selbst zwei
Eigenschaften übertragen — Erbe und Legatar — , die
sich nicht nur nicht bedingen, sondern sogar im Gegen-
satz zueinander stehen (s. VII u. XIVfg.). Der
Testator selbst hat ihm also für den Fall seines
Ausschiagens des Erbtums das Legat übertragen; er hat
ihm selbst die Willensfreiheit eingeräumt,
sich nach eigenem Willen für eines von beiden zu
entscheiden, und indem er sich also nach seinem
eigenen Willen entscheidet, handelt er jedesmal in
Übereinstimmung mit dem Willen des Erblassers, und
negiert diesen nicht. Er kann das Legat also fordern,
und nun wird aber auch klar sein, warum er es in dem
zweiten Fall, wenn er sich von dem substituierten Erben
zur Ausschlagung der Erbschaft hat erkaufen lassen,
nicht kann. Wo kommt hier der dolus her? Den sub-
stituierten Erben gegenüber könnte von einem solchen keine
448
Rede sein. Denn nichts wäre ein gröberes Mißverständ-
nis, als zu glauben, daß Ulpian und Julian unterstellen,
es sei in dem von ihnen vorausgesetzten Falle ausdrück-
liebe oder auch nur stillschweigende Willensmeinung
zwischen dem substituierten und dem ausschlagenden Erben
gewesen, letzterer solle auch das Legat nicht haben,
wodurch dann ein gewöhnlicher Dolus des letzteren gegen
den ersteren entstände. Kein Wort des Textes läßt eine
solche Voraussetzung zu, und es wäre auch, wenn man
dieselbe machte, die Weise, in der Ulpian, sich auf Julian
berufend, den dann ganz trivialen und nicht fraglichen Fall
behandelt, ganz unmöglich. Es ist vielmehr scharf auf-
zufassen, daß der Substitutus bloß gewollt hat, der Erbe
solle das Erbtum ausschlagen. Er hat dann sogar selbst
notwendig den Erben als Legatar gewollt, denn er wollte
diese Erbschaft aus diesem Testament, also auch mit
allen darauf haftenden Legaten erwerben, und der erste
Erbe wird eo ipso durch sein Ausschlagen der Erbqualität
zum Legatar. Dem Substituten gegenüber, dessen Wille
sogar auf seiner Seite steht, kann also von einem dolus
des das Erbtum Ausschlagenden gar keine Rede sein.
Aber der dolus ist hier zwischen diesem ausschlagenden
Erben und dem Erblasser nun wirklich da. Denn
diesmal hat der Erbe nicht von jener eigenen
Willensfreiheit Gebrauch gemacht, die ihm der
Testator selbst einräumte, und durch deren Aus-
übung er daher in jedem der beiden Fälle in Über-
einstimmung ist mit dem Willen des Testators. Son-
dern indem er sich von einem dritten Willen er-
kaufen ließ — dem des Substituts, der in dem ge-
schlossenen Verhältnis zwischen ihm und seinem Erblasser
nichts zu tun hat und ein Fremder ist — und von
diesem bezahlt die Willenserhaltung des Testators aus-
7 LassaUe. Ge.. Sckriften. Band XU. 449
schlug, hat er, soviel an ihm ist, die Willensfortdauer
desselben überhaupt negiert. Nicht in Kongruenz
mit dem Testator nach dem ihm von diesem ein-
geräumten urselbständigen eigenen Wollen hat er sich
entschieden und optiert, sondern einen fremden Willen
hat er zum Entscheidenden gemacht, ihn zum Richter
darüber, ob und wie dieser Wille überhaupt fort-
existieren solle. Er hat also, soviel an ihm ist, die Willens-
fortdauer des Erblassers entschieden negiert. Wegen dieses
begrifflichen Verrates ist der dolus da, jener innere
Widerspruch gegen die Fortdauer des erblasserischen
Willens, aus dem nur ein äußerer Vorteil gezogen werden
soll. Da er die Fortdauer dieses Willens, soviel an ihm
ist, negiert hat, so kann er nun auch diesen Willen nicht
als einen für ihn fortexistierenden, d. h. ihm
legierenden, in Anspruch nehmen.
Nur aus dieser Auffassung des bisher so gänzlich
mißverstandenen erbrechtlichen dolus ist nun auch das
Reskript des Kaisers Antonius erst wahrhaft zu verstehen,
dessen Kenntnis wir Gajus, II, § 120, verdanken, daß
dem bonorum possessor secundum tabulas stets die ex-
ceptio doli gegen die Intestaterben zustehen
soll. Es ist nämlich, wie wir dies bei der gesamten
historischen Bewegung überall nachgewiesen haben, jeder
Schritt derselben in der späteren Zeit nur zu verstehen,
wenn gleichmäßig ins Auge gefaßt wird, wie durch
denselben der spekulative Begriff des alten Zivilrechtes
ebenso aufgegeben, als in diesem Aufgeben
noch festgehalten wird. Der durch das mangel-
hafte Testament begründete bonorum possessor secundum
tabulas ist, wie wir gesehen haben (vgl. Nr. V), über-
haupt nicht Willenserbe — die fehlerhafte Form
nahm dem Willen die nur im öffentlichen Recht liegende
450
Kraft jener übernatürlichen Kontinuierung — , sondern
er ist nur Vermögensnehmer, und muß daher im
älteren Recht jedem zivilistischen Willenserben
nachstehen, kann sich also nur behaupten, wenn kein
Intestaterbe da ist (Gajus, II, 119 ; Ulpian. Fr. XXIII, 6).
Je mehr aber jene oft geschilderte Bewegung sich voll-
bringt, daß das Erbtum, seinen spekulativen Begriff
veräußerlichend, sich mit dem Vermögensempfang
identifiziert, desto mehr muß nun der bonorum possessor
den zivilistischen Erben schlagen. Allein diese Bewegung
vollzieht sich selbst wieder immer unter Anknüpfung
und Festhaltung des spekulativen zivilrechtlichen Erb-
begriffes. Denn der bonorum possessor secundum tabulas,
der selbst nicht zivilistischer Willenserbe ist und dies
nicht zu sein braucht, schlägt jetzt den Intestaterben, indem
er ihm den Widerspruch vorwirft, daß er gegen den
Willen angehe, dessen Fortsetzung zu sein
er vorgebe, d.h. Erbdolus begehe. Dieser Vor-
wurf hat somit sein Fundament und seine Möglichkeit
wieder nur durch Rekurrieren auf den spekulativen Erb-
begriff, der daher — und dies ist das echt Spekulative
dieser historischen Bewegung — ebensosehr in ihr mäh-
lich aufgegeben, als immer noch festgehalten wird. —
Zugleich ist diese exe. doli gegen den Intestaterben ein
entscheidender Beweis für unsere Darstellung des
Erbdolus und des spekulativen Erbbegriffes
überhaupt. Denn ohne diese würde niemals abzu-
sehen sein, und ist deshalb auch noch nie abgesehen worden,
warum denn ein gesetzlicher Erbe gerade einen dolus
begehe, wenn er bei dem Nichtvorhandensein eines ge-
setzlich gültigen Testamentes das ihm vom Gesetz zu-
gesicherte Vermögen des Toten in Anspruch nimmt;
und warum er jetzt plötzlich einen dolus begehen soll,
?• 451
nachdem derselbe solange durch das Zivilrecht selbst
sanktioniert worden. Es ist also dieses bestimmte,
dem bonorum possessor gegebene Mittel ohne das Obige
gar nicht zu begreifen. — Zugleich zeigt sich hier auch
die Richtigkeit unserer Auslegung der Stelle des Ulpian
(oben S. 442 fg.) gegen Sa\igny. Denn dieser Intestat-
erbe ist ein solcher heres, qui non habet voluntatem, und
dessen hereditatis petitio daher durch die exe. doli zurück-
geworfen \vird.
XXXVI. Einzelne Folgerungen. Die heredita-
tis petitio. Die persönlichen Rechte. Die
Stellung des Irrtums im Gebiet des Erbrechtes
überhaupt.
Wir haben der hereditatis petitio Erwähnung getan,
und es mag hier bloß darauf hingedeutet werden, wie
sich erst jetzt die Schwierigkeiten, welche diese Aktion
darbieten mußte, beseitigen. Man hat sie vorwiegend für
eine dingliche (!!) Aktion ausgegeben, dann auch
wieder, wegen des jus succedendi, für eine persönliche,
und endlich für eine gemischte Aktion. Es muß jetzt
auf der Hand liegen, daß sie keines von allen dreien ist.
Es ist eine rein übernatürliche Aktion, eine Aktion
sui generis. Der Richter soll feststellen, daß in der
Willenssubjektivität des Klägers diejenige des
Toten fortexistiert, daß der "Wille von A der Wille
von B sei. In dem Sinne ist also die hereditatis petitio
eine vindicatio, daß der Erbe auf Grund der statt-
gehabten Identifizierung jene Willenssubjektivität,
452
die aber nichts Dingliches ist, als die seinige
vindiziert; nicht aber in dem Sinne, wie man es
gerade gewöhnlich^) versteht, daß er durch die here-
ditatis petitio die Objekte der Erbschalt vindiziert.
Denn die hereditatis petitio geht nur auf die Anerken-
nung jenes geistigen Identitätsverhältnisses.
Ist er aber einmal in dieser Identität, ist er als Erbe
anerkannt, so gehören ihm diese Objekte jetzt nicht als
Erben, d.h. auf Grund dessen als eines besonderen
Erwerbstitels, sondern — dies muß durchaus unterschieden
werden — als ursprünglichem Eigentümer -). Am
deutlichsten tritt dieser Unterschied darin heraus, daß
die res judicata über die hereditatis petitio dem Kläger
nicht bloß das Recht über die eingeklagten Ob-
jekte, sondern auch über die nicht eingeklagten Objekte
des Erblassers gibt und ihn zu ihrer Vindikation befähigt.
^) So sagt z.B. Vangerow, Pandekten, I, 190: Zu den
dinglichen Rechten gehöre: 1. Eigentum, 2. Freiheit,
3. Erbrecht, , .wobei man sich nur hüten muß, an das jus
succedendi zu denken, sondern es ist hier darunter das Recht
zu verstehen, welches für jemand nach gemachtem Erb-
schaftserwerb an dem Universum jus defuncti erwächst, und
welches mit einer sehr eigentümlichen dinglichen Klage, der
hereditatis petitio, verknüpft ist." Ganz im Gegenteil, gerade
das Recht, jemandem Erbe zu sein, also das jus succedendi
und das Recht, diese Identität anerkannt zu sehen, wäre
die Vindikation, die der hered. petit. eigentümlich ist.
„Nach gemachtem Erbschaftserwerb" dagegen liegt nicht
mehr Erbrecht als ein drittes und besonderes dingliches
Recht, wie in der Vangerowschen Aufzählung, vor, sondern
gewöhnliches Eigentumsrecht, und als solcher ursprüng-
hche Eigentümer besitzt und vindiziert er jetzt alles zum jus
defuncti Gehörende.
2) Inst. § 7 de her. quäl. (2, 19): Veteres enim heredes
pro dominis appellabant : vgl. S. 305 und Note 1 das.
453
So wenig stellt das Erbrecht einen Erwerb an den
Vermögensobjekten dar, daß, während ein solcher
nach römischem Recht nie ohne den Willen des Er-
werbenden möglich ist, auch die ihm vom Erblasser nicht
übertragenen Vermögensteile dem Erben durch Akkreszenz
sogar wider seinen Willen angehören. Gajus, L. 53,
§ 1, eod. tit. (29, 2) : ,,Qui semel aliqua ex parte heres
extiterit, deficientium partes etiam invitiis excipit, id est,
tacite ei deficientium partes etiam invito accrescunt" Da
er eben der ursprüngliche Eigentümer ist, so
kann er es nicht einmal durch seinen Willen ändern, daß
ihm sein Eigentum gehört, nur entäußern kann er
sich, wie jeder Eigentümer, desselben.
Wir sagen also, steht jene Identität der Willenssubjek-
tivität fest, so ergibt sich dann hieraus als Folge —
aber nur als solche — die angebliche successio in Uni-
versum jus defuncti ; aber zugleich ergibt sich hier auch
der bestimmte Umfang der Rechte, die vererbt werden
können, da, trotz des geläufigen Ausdruckes : successio
in omne oder in Universum jus defuncti alle Rechte doch
nicht vererbt werden können, die persönlichen Rechte
nämlich nicht, diejenigen, quibus personae conditio locum
facit (s. Bd. I, S. 715. und oben S. 22fg.). Es muß
aber jetzt auch klar sein, warum. Denn da nicht die
natürliche Person, sondern nur der subjektive Wille
durch die Erbtumsunsterblichkeit perpetuiert wird und
werden soll, so können nur solche Rechte auf den Erben
übergehen, welche Gegenstand der Willensherrschaft
des Erblassers und ihr unterworfen waren, nicht aber
solche Befugnisse, welche nur aus Qualitäten des
Erblassers herfließen, d. h. die rein persönlichen
Rechte und Fähigkeiten, die deshalb auch während
seiner Lebenszeit nicht von ihm übertragen werden konnten
454
und also, obgleich seiner Person anklebend, nicht Ob-
jekte seines subjektiven Willens waren. Weil aber
das Erbtum selbst wieder ein persönliches Verhältnis
des Erben zum Erblasser darstellt, so folgt beiläufig
daraus, daß es in demselben wieder Rechte geben muß,
die nur der Person des Erben inhärent, aber
nicht ein seiner Willensherrschaft unterworfenes Objekt
sind. Ein solches Recht ist z. B. das Recht des Erben,
in dem sepulcrum hereditarium des Erblassers begraben
zu werden, während er auf andere Personen dies Recht
nicht übertragen kann^).
Ebenso ergibt sich jetzt, und hat sich von selbst lange
ergeben, der wahre Sinn der Persönlichkeit der here-
ditas jacens (s. oben S. 30fg.); denn es ist überhaupt
ja nicht das Vermögen, welches der Inhalt des Erbtums
ist, sondern es ist die W i 1 1 e n s s u b j e k t i v i t ä t des
Toten, welche durch es erhalten, gegen jeden Unter-
gang gewahrt sein soll. Darum existiert sie unmittelbar
nach dem Tode weiter fort in dem erst später sich offen-
barenden Erben, manifestiert sich eben nur später als
dieser, wohnt ihm bereits von jetzt an ein, schwebt in
idealer Unsichtbarkeit über dem ihrer Willensherrschaft
unmittelbar unterworfenen Teile der Außenwelt, dem Ver-
mögen, und kann um dieser ihrer noch unsichtbaren Fort-
existenz willen Vermögenserwerbungen und Willenshand-
lungen ausüben.
Aber nicht das ganz Selbstredende und keine Schwierig-
^) Sondern nur provisorisch hineinstellen kann er sie lassen;
siehe L. 6 de relig. (11, 7) und Gutherius, De jure manium,
IIb. III. c. 10, p. 434 (ed. Par. 1615). — Das jus adeundi
(s. Bd. I, S. 713 fg.) würde hier nicht angeführt werden können,
da der Eingesetzte, solange er nicht Aditlon geleistet, auch
noch nicht Erbe ist.
455
keiten mehr Bietende hier weiter vorzutragen, ist der
Zweck dieser Exkursionen, sondern die ausnahmslose Herr-
schaft des Begriffes in solchen Punkten nachzuweisen,
wo noch scheinbare Zweifel entstehen und Abweichungen
vorzuliegen scheinen könnten.
Wir gehen daher jetzt dazu über, mit Bezug auf das,
was ^vir bei Gelegenheit der Adition über das geistige
Wissen entwickelt haben, die Stellung nachzuweisen,
welche der Irrtum im Erbrecht überhaupt ein-
nimmt.
Savigny sagt in seiner Abhandlung über ,, Irrtum und
Unwissenheit"-^): ,, Fassen wir alle diese Bestimmungen
zusammen, so müssen wir allerdings bei erbschaft-
lichen Handlungen dem Irrtum einen größeren
Einfluß zuschreiben, als bei Geschäften des gewöhn-
lichen Verkehrs. Allein es ist doch nur eine etwas
größere Zahl einzelner Fälle, worin der Irrtum
ausnahmsweise wirkt. Und so erscheint auch hier
das allgemeine Prinzip festgehalten und bestätigt, daß der
Irrtum an sich das Dasein des freien Willens
nicht ausschließt, also auch den Wirkungen des-
selben im allgemeinen nicht im Wege steht."
Es muß von selbst das Mißliche ins Auge fallen, eine
etwas größere Zahl einzelner und ausnahmsweiser Fälle,
in welchen im Erbrecht der Irrtum wirken soll, an-
zunehmen, ohne auch nur den Versuch zu machen, irgend-
ein gemeinschaftliches Prinzip aufzustellen, aus welchem
diese Ausnahmen im Erbrechte in innerer Übereinstim-
mung herflössen. Allein teils war dies nicht möglich, so-
lange der Begriff des Erbtums nicht erkannt woirde, teils
rächt sich darin an Savigny notwendig die von ihm dem
1) System. Bd. III. Beilage VIII. S. 384.
456
Irrtum überhaupt gegebene und früher von uns widerlegte
Behandlung (s. Bd. I, § 2, B.). In strenger Überein-
stimmung mit dem dort von uns Nachgewiesenen haben
wir daher dieser Ansicht Savignys nach zwei entgegen-
gesetzten Seiten hin gegenüberzutreten. Einmal der Be-
hauptung, daß der Irrtum das Dasein des freien Willens
nicht ausschließe, denn der Irrtum im Willensinhalt
schließt denselben allerdings aus. Zweitens dem Schein,
als ob der Irrtum im Erbrecht von den römischen Juristen
eine irgend andere und verschiedene Behandlung erfahre,
als in anderen Rechtsgebieten. Wir werden vielmehr sehen,
daß das hier Geltende nur die genaue und konsequente
Folge der Anwendung desselben in §2, B. des ersten
Bandes von uns entwickelten Prinzips über Wille und
Irrtum auf den Erbtumsbegriff ist, welches auch in
den anderen Rechtsgebieten als das herrschende von uns
nachgewiesen wurde, und daß also der Wirkung des Irr-
tums im Erbrecht durchaus kein ausnahmsweiser Cha-
rakter zukommt.
Wir haben aber bereits in dreifacher Weise die Savigny-
sche Lehre über den Irrtum im Erbrecht widerlegt und
die wahrhafte Stellung, welche Irrtum und Unwissenheit
auch in diesem Gebiete einnehmen, nachgewiesen.
Der eine Nachweis liegt in unseren gesamten Aus-
führungen über die doli exceptio (Nr. XXXV), speziell
über den Schlußsatz der L. 4, § 10 h. t. : ,,. . . et ideo
heres, qui non habet voluntatem, per exceptionem doli
repellitur." Savigny selbst gesteht^) : ,, Erklärt man diesen
Satz von einer Ausschließung der hereditatis petitio, so
ist unsere Behauptung — die Behauptung, daß <der
Erbeinsetzung in der Regel ein bloßer Irrtum im Beweg-
1) System, III. 378, Note c.
457
grund nicht schadet'> — widerlegt; allein diese Er-
klärung muß verworfen werden, weil die doli exceptio
bei einem dritten, vielleicht ganz unrechtmäßigen Besitzer,
völlig ohne Grund sein v/ürde."
Wir haben aber diesen Einwurf durch die Entwicke-
lung des Wesens der exe. doli im Erbrecht völlig wider-
legt und gezeigt, wie jene Stelle allerdings ebensosehr
und vorzüglich auf die Ausschließung der hereditatis petitio
selbst bezogen werden muß, als auf einen einzelnen An-
spruch des Erben, und können daher von dem Eingeständ-
nis Savignys Akt ergreifen.
Eine zweite fundamentale Widerlegung war folgende:
Savigny stützt (a. a. O.) seine Behauptung, daß der Erb-
einsetzung ,,in der Regel ein bloßer Irrtum im Beweg-
grund nicht schadet", überhaupt auf kein anderes Funda-
ment als darauf, daß, abweichend von den Legaten, die
Erbeinsetzung durch einen unförmlichen Widerruf nicht
entkräftet werde, aus welchem Prinzip nach Savigny die
Gleichgültigkeit des Irrtums im Beweggrund bei der Erb-
einsetzung ,,klar hervorgeht".
Nun stellt aber weder beim Legat noch bei der
Erbeinsetzung der Widerruf einen Irrtum im Beweg-
grund des Willens, sondern nur eine spätere Änderung
des Willens dar.
Weder in dem einen noch in dem anderen Fall ist
notwendig oder durch den Widerruf allein ersichtlich, daß
der Willensakt beim Legat oder der Erbeinsetzung ur-
sprünglich durch einen irrigen Beweggrund vermittelt
war, sondern der damals vollkommen mit sich überein-
stimmende Wille hat nur einem anderen Willen Platz
gemacht.
Nun haben wir in systematischer Weise gezeigt (S. 445,
Note 1), warum vermöge der notwendigen Konsequenz
458
des spekulativen Begriffes der formlose Widerruf die
Erbeinsetzung nicht entkräften kann und das Legat ent-
kräften muß. Denn einen eingesetzten Erben widerrufen,
heißt immer einen anderen Erben, und sei es auch nur
durch bloßen Widerruf, den Intestaterben selbst, ein-
setzen. Die Einsetzung des Willenserhalters, die
Zustandebringung der perpetuellen Willensfortexi-
stenz, hatte aber als dieser supranaturalistische Akt ihre
sie zustande bringende, produzierende Kraft
durchaus nicht in dem bloßen dazu ganz unfähigen Privat-
willen, sondern in dem Wesen dieses historischen Volks-
geistes, und somit ausschließlich in den Formen des
öffentlichen Rechtes (s. Nr. X, VIII. XV). Das
römische Recht, weil es n i e m a 1 s gänzlich den Zusammen-
hang mit dem spekulativen Begriff seines ursprünglichen
jus civile verliert, kann daher niemals, und selbst nicht
in seiner letzten justinianeischen Verkümmerung dazu ge-
langen, durch den bloßen formlosen Privatwillen eine
Erbeinsetzung bewirken zu lassen^). Um wieviel dünner
und verblaßter im Laufe der geschichtlichen Entwickelung
die Formen werden, welche zur Erbeinsetzung erforder-
lich sind, wie sehr auch der Begriff jedes lebendige Dasein
verliert, und sein schattenhafter Charakter sich ebenso in
den zu Schatten ihrer früheren Körperlichkeit herunter-
gesunkenen Formen, wie in den von uns überall nach-
gewiesenen, inhaltlichen Evolutionen kundgibt, — die
Form bleibt immer erforderlich, bleibt, wie vermöge
einer gewissen ahnenden Erinnerung des entschwundenen
ursprünglichen Begriffes das produktive, den Privatwillen
zu dieser erstaunlichen metaphysischen Leistung be-
1) Vgl. L. 29 C. de testam. et quemadm. (6, 23) ; Inst,
de test. ord. (2, 10).
459
fähigende Element. Und nie kann dämm der Widerruf
des Erben, der selbst eine Erbeinsetzung darstellt, form-
los Wirksamkeit haben.
Bei dem Legat aber produziert der Widerruf kein
neues, anderes Legat, d.h. keine neue, nach dem
Tode wirkende Äußerung des Willens. Nur ver-
zichtet wird auf eine solche. Um aber nach dem Tode
eine Willensverfügung nicht vorzunehmen, um einen
Willensakt nach dem Tode nicht stattfinden zu lassen,
dazu braucht der Privatwille keine produktive Kraft aus
dem Wesen des öffentlichen Geistes zu schöpfen ; dies
ist vielmehr das natürliche und an und für sich vorhandene
Verhältnis, und dazu ist idaher auch der Privatwille —
und deshalb auch jeder formlose Wille — voll-
kommen sich selbst genug.
Bei dem Legat muß daher entstehen, was vollständigster
Widerspruch für den Verstand, vollständigste Harmonie
für den Begriff ist, daß es nur formell verliehen und
formlos widerrufen werden kann.
Freilich war es nicht möglich, diesen Nachweis zu
führen, ohne daß die produktive Kraft der Form
und, was hierzu wieder erforderlich, der spekulative Erb-
tumsbegriff überhaupt erkannt war. Aber nachdem er nun
einmal geführt ist, ist das ganze und einzige und von
ihm selbst als solches eingestandene Fundament für die
Ansicht Savignys über die Einflußlosigkeit des Irrtums
im Beweggrund bei der Erbeinsetzung vollständig beseitigt.
Ein dritter und systematischer Beweis über die Stellung
des Irrtums im Gebiete des Erbrechtes ist aber durch
alles das geliefert, was wir^) über das zur Adition
erforderliche Wissen bereits nachgewiesen haben.
1) Siehe Nr. XXXIV.
460
Es karxn unsere Absicht nicht sein, das dort Entwickelte
hier zu wiederholen. Sieht man aber auf dasselbe zurück
und betrachtet es jetzt unter dem Gesichtspunkt, inwiefern
der bloße Irrtum im Beweggrund die Adition nichtig
macht oder nicht, so ergibt sich als Resultat, daß auch
jeder Irrtum im Beweggrund die Handlung der Adition
dann wirkungslos macht, wenn der irrige Beweggrund
den ganzen Inhalt des Willens deckt und erschöpft, so
daß sich also auch hier genau die Theorie be-
stätigt, welche wir in Bd. I, S. 180—196, über die
Einwirkung des irrigen Beweggrundes nachgewiesen haben ;
und schon in der Darstellung der Aditionsmaterie haben
wir diese Übereinstimmung häufig deutlich genug hindurch-
leuchten lassen.
Trete ich die Erbschaft an, weil ich sie irrigerweise
für größer halte als sie ist, so ist das ein bloßer Irrtum
im Beweggrund^). Ich hätte ebensogut trotz dessen und
aus vielen anderen Gründen antreten können. Es ist nur
eine causa remota des Willens, aus welcher ich mich
zu dem Willen der Willensidentität mit dem Toten be-
stimmt habe; zu dieser habe ich mich bestimmt, und
so ist jener hinter dem Willen liegende Beweggrund
(vgl. S. 433 und Note 1 das.) gänzlich einflußlos.
Trete ich aber die Erbschaft an, weil ich sie für eine
mir testamentarisch deferierte halte, während sie eine mir
^) Es ist mit anderen Worten ein gänzlich außerhalb des
Substantiellen. Begrifflichen des Verhältnisses liegender Irr-
tum. Savigny (System, III, 383) sagt: ,, Insbesondere kann
dem Erben nicht zugute kommen der vorzüglich wichtige
Irrtum über den reinen Wert des erbschaftlicacn Vermögens."
Dieser für den Verstand , .vorzüglich wichtige" Irrtum ist für
den Begriff des römischen Erbtumes und daher auch für
das römische Erbrecht selbst das Allergleichgültigste
und Unwichtigsie, was es gibt.
461
ab intestato deferierte ist, oder weil ich mich für einen
necessarius heres halte, während ich ein voluntarius bin
usw., so kann dieser Irrtum, wie schon in dieser Form
der Sätze heraustritt, zwar ebensogut als ein Irrtum im
Beweggrund dargestellt werden; denn es waren Tat-
sachen, über die ich mich im Irrtum befand und die
auf meine Antretung der Erbschaft einwirkten oder ein-
wirken konnten. Hier aber muß der Irrtum im Beweg-
grund die Handlung unwirksam machen, und zwar des-
halb, weil er zum Unterschied von den einzelnen oder
verständigen Motiven das erschöpfende oder b e -
.griff liehe Motiv derselben ist, Beweggrund und
Willensinhalt hier also in dem Verhältnis zueinander stehen,
sich zu decken. Der begriffliche Inhalt der Aditions-
handlung ist dies : die Willensidentität mit dem Erblasser
zu setzen. Dies ist aber zugleich das determinierende,
begriffliche Motiv der Erbschaftsantretung. Ich trete an,
weil ich innerlich meine Willenssubjektivität für eine mit
ihm identische betrachte. Irre ich mich hierin, halte
ich mich für einen gezvvomgenen Willenskontinuator
(necessarius), während ich ein freiwilliger bin, halte ich
mich für durch eine ausdrücklich durch den ausschließen-
den Willen des Erblassers übertragene Willensfortsetzung
geehrt (Testamentserbschaft), während ich nur ein sub-
sidiarischer, d. h. Intestaterbe bin^), so macht dieser
Irrtum über Dasein und Beschaffenheit des zwischen uns
stattfindenden Willensverhältnisses, obwohl es gleichfalls
ein Irrtum im Beweggrund ist, dem meine Handlung ent-
springt, dieselbe nichtig.
Wenn ich mich also über die zwischen uns statt-
findende Willensbeziehung irre, die mich zur
^) Vgl. Nr. XL über die L. 17 de acqu- vel. om. her.
(29, 2).
462
Antretung vermocht hat, so ist, trotzdem der Verstand
diesem Irrtum sehr gut die Stellung eines Motives geben
kann, die Handlung ungültig, weil dieser begriffliche
Beweggrund ein den Willensinhalt der Hand selbst er-
schöpfender ist, oder Motiv und Inhalt des Willens
hier zusammenfallen und sich decken.
Seitens des Erben wäre also bereits die von uns im
ersten Bande entwickelte Theorie über das quantita-
tive Verhältnis des Beweggrundes zum Willensinhalt
und über die hieraus folgende, Willen und Handlung auf-
hebende Einwirkung des irrigen Beweggrundes, wenn er
ein den ganzen Willen erschöpfender war, durch den in
der Abhandlung über das ,, spekulative Wissen" erörterten
Stoff durchaus bestätigt.
Alles, was daher hier noch übrig bleibt, ist, dasselbe
auch seitens des Erblassers nachzuweisen.
Wir zeigten oben^), daß es als eine hinter dem Willen
und seiner Entscheidung liegende Vermittlung ganz gleich-
gültig sei, warum der Erblasser den Erben zum Erben
will, d.h. ihn als Willensidentität mit sich setzt.
Da das Motiv dazu gleichgültig, so ist es natürlich ebenso-
sehr der Irrtum im Motiv. Allein, wenn es gleichgültig
ist, wenn sich der Erblasser in dem Beweggrunde irrt,
warum er den Erben als eine mit ihm identische Willens-
subjektivität annimmt, so wird es dagegen durchaus nicht
gleichgültig sein, wenn er sich darin irrt, daß er ihn
für eine mit ihm identische Willenssubjektivität annimmt,
d. h. also : ihn fälschlich für einen suus hält.
In der Tat, wer den suus einsetzt, hat ihm dadurch
nicht erst die Willensidentität mit sich übertragen, ihn
zu einer solchen gemacht, sondern er hat ihn nur als
0 S.433. Anm.l.
463
bereits bestehende Willensidentität anerkannt.
Er erklärt ihn nur zur Willensidentität, weil er ihn
bereits für seiende Willensidentität mit sich hält. Be-
weggrund und Handlung sind hier von absoluter Identität
miteinander, von solcher Identität, daß sie nicht einmal
etwas Neues gegeneinander bewirken. Die Handlung der
Erbeinsetzung liefert kein Produkt, das nicht auch schon
nach dem bloßen Beweggrund, der vermeintlichen Suität,
ohnehin der Fall gewesen wäre. Es ist also in der Hand-
lung gar nichts vorhanden, was nicht auch schon in dem
Beweggrund vorhanden wäre. Irrt sich der Erblasser also
hier über den Beweggrund, irrt er sich in dem Punkte,
daß der als identische Willenssubjektivität Erklärte
auch wirklich eine solche mit ihm sei, irrt er sich —
um dies in derselben Form wie früher beim Irrtum des
Erben auszusprechen — in der zwischen seiner und des
Erben Willenssubjektivität aufeinander bestehenden Be-
ziehung, indem er sie für bereits vorhandene Iden-
tität hält, so muß dieser erschöpfende Irrtum im Motiv
der Erbeinsetzung, der Irrtum über das begriffliche Ver-
hältnis, die Einsetzung ungültig machen. Und so erklären
denn die Pandekten selbst, daß, wenn einer ut filius zum
Erben eingesetzt sei, hinterher aber für ein untergeschobenes
Kind erklärt werde, die Einsetzung ungültig sei^) : ,,Aufer-
tur ei quasi indigno successio, qui, quum heres institutus
esset /// filliis, post mortem ejus, qui pater dicebatur,
suppositus declaratus est^)."
1) Hermogen., L. 46 de jur. fisc (49. 14).
2) Vgl. L. 4 C. de her. inst. (6, 24) : „Si pater tuus cum
quasi filiiim suuni heredem instituit, quem falsa opinione ductus
suum esse credebat, non institutiirus, si alienum nosset, isque
postea subditius esse ostensus est, auferendam ei successionem
Divi Severi et Antonini placitis continetur."
464
Sofort aber zeigt sich auch das Umgekehrte : die
Enterbung des suus muß ungültig sein, wenn sie nur
deshalb eintrat, weil ihn der Erblasser irrig für unter-
geschoben hielt, oder wenn sie inter ceteros eintrat, weil
ihn der Erblasser für tot hielt. Der Grund ist ganz der-
selbe. Der Testator schloß die Willensidentität mit
dem suus nur aus, weil er sie für bereits tatsächlich
nicht bestehend hielt. Beweggrund und Inhalt des
Willens decken sich daher wieder genau und erschöpfend.
Das Motiv ist hier nicht eine bloße hinter dem Willen
liegende, nur vor dem Entschließen wirkende Vermitte-
lung ; es ist der i m Willen selbst vorhandene und ihn
gänzlich ausfüllende Inhalt. Die Exheredationsformel
des Testators, der sich so über das Verhältnis seiner
Willenssubjektivität zu der seines schon bestehenden
Erben irrte und ausgesprochenermaßen ihn deshalb exhere-
dierte, muß also kraftlos sein. Vermöge der Bd. I,
S. 180 — 196, entwickelten, zwischen Irrtum im Beweg-
grund und Irrtum im Objekt (error substantialis, mangeln-
der Wille) stattfindenden Dialektik läßt sich wieder dieser
Irrtum im Bev/eggrund auch ebensogut als ein Irrtum im
Objekt, in der Person (mangelnder Wille) aus-
sprechen. Der Testator wollte den alienus ausschließen,
und hat den suus ausgeschlossen. Er wollte den Nicht-
identischen nicht identisch sein lassen. Er hat den Iden-
tischen als nichtidentisch gesetzt. Ebenso natürlich,
wenn er den tot geglaubten suus durch die Formel inter
ceteros enterbte. Er wollte ihn nicht enterben, und
hat ihn enterbt.
Beide Fälle stehen auf einer Linie. Denn .in beiden
Fällen wird die ausgeschlossene Identität mit dem suus
nur deshalb für ausgeschlossen erklärt, weil sie für schon
8 LaaeaUe. Gm. Sckriftea, Band XH. 465
nicht bestehend erachtet wird, dort durch die ver-
meintliche Unterschiebung, hier durch den Tod.
In beiden Fällen müssen uns daher die Pandektenjuristen
bekunden, daß die Enterbung machtlos sei, und zwar nicht
infolge irgendeiner Billigkeit, sondern als strenges
Rechtsprinzip. So zunächst Africanus, der auch den Fall
durchaus wie den eines Irrtums im Beweggrund be-
handelt^): „Si quis ita scripserit: äle, quem sdo ex me
natum non esse, exheres esto, hanc exheredationem ita
nullius monienti esse ait, si probetur ex eo natus ; non
enim videri quasi filiuni exheredatum esse, quum elogium
pater, quum filium exheredaret, proposuisset et adjecisset,
propter eam cöwsc/TZexheredare, probaturque patrem circa
causam exheredationis errasse." Ebenso Ulpian-) und
Paulus 3).
Auf diese Fälle wird sich aber in Gemäßheit des
spekulativen Begriffes die Einwirkung des Irrtums im
Beweggrund bei der Erbeinsetzung beschränken
müssen. Die Einwirkung, sagen wir, wird sich auf diese
Fälle beschränken müssen. Denn überall, wo ein ex-
traneus zum Erben eingesetzt wird, ist und kann ja
die Willensidentität vor der Einsetzung nicht vorhanden
sein, sondern soll erst durch diese hervorgebracht
werden. Der begriffliche Inhalt der Erbeinsetzung
oder der begriffliche Grund zu derselben, die
Willensidentität mit diesem Subjekt, und der Grund,
warum ich mich dazu entschließe, dieses Subjekt als
Willensidentität mit mir zu setzen, bestimmen sich also
1) L. 14, § 2. de lib. et post. (28. 2).
2) L. 15 cod. tit.
2) L. 25 eod. tit. Man vgl. die Erzählung bei Valerius
Maximus, lib. VII, c 7, p. 87, ed. Argent., von dem für tot-
gehaltenen Sohn.
466
als begrifflich andere und getrennte gegeneinander.
Oder der Grund wird hier zur hinter dem Entschluß
zur Willensidentität mit diesem Subjekt liegenden Ver-
mittelung, und bleibt also so gleichgültig, wie wir dies
schon oben S. 433, Note 1, gezeigt haben. Nur beim
suus kann der Irrtum einwirken, da, wenn hier in bezug
auf die zu ihm bestehende Willensbeziehung geirrt wird,
im begrifflichen Erbtumsverhältnis selbst geirrt wird, in
einem Punkt, der sich für den Verstand zwar als Be-
weggrund für die Erbeinsetzung, resp. Enterbung dar-
stellt, für den Begriff aber mit dem begrifflichen
Inhalt des Willens schlechtliin identisch ist; ein
Irrtum, der nicht das Warum (causa remota) der
Willensidentität, dieses begrifflichen, allein er-
schöpfenden Motives der Einsetzung, sondern das D a -
sein, resp. Nichtdasein der Willenssubjektivität be-
trifft. Es muß daher auch beim suus jeder andere
irrige Grund, weshalb der Vater ihn enterbt (z. B. ver-
meintlicher Ungehorsam usw.), gleichgültig bleiben, ebenso
gleichgültig, wie der Grund zur Einsetzung des extraneus ;
nur der Irrtum über die fälschlich angenommene oder
nicht angenommene Suität selbst, über das Dasein
der stattfindenden Willensbeziehung ist jenes erschöpfende,
mit dem Inhalt des Willens selbst identische, weil be-
griffliche Motiv, und darum von Einfluß.
Die Pandekten bestätigen dalier unsere Theorie über
den Irrtum im Beweggrund ebensosehr wie unsere Theorie
über das Erbtum, und zwar noch glänzender als durch
das Setzen jener Einwirkungsfälle, auch dadurch, daß
sie in keinem anderen Falle den Irrtum im Be-
weggrund auf die Erbeinsetzung von Einfluß sein lassen.
Ein Fall aber muß noch entstehen, wo die Dialektik
des Begriffes in voller Gegensätzlichkeit aufeinanderplatzt
8- 467
und eine nicht geringe Schwierigkeit der Entscheidung er-
zeugen kann.
Wie nämlich, wenn die Erbeinsetzung eines extraneus
ersichtlich durch irrige Annahme bewirkt wurde, daß ein
früher eingesetzter extraneus oder ein gewöhnlicher
Intestaterbe (d. h. nicht suus) verstorben sei ?
Die Dialektik, die sich hier erhebt, ist folgende :
Ich bin, sagt der zuletzt eingesetzte Erbe, zum iden-
tischen Willenserhalter eingesetzt. Das Warum, aus
welchem sich der Erblasser dazu entschloß, Willens -
identität gerade mit mir sein zu wollen, ist sehr gleich-
gültig. Es ist dies nur eine Vermittelung dieses
Willensentschlusses und Willensinhaltes, und daher ein
hinter dem Willen und seinem Inhalt liegender, ver-
schwundener Grund, der nicht, wie bei der Exhere-
dation des irrtümlich für unecht gehaltenen suus, den
präsenten Willensinhalt der Handlung selbst
bildet. Das begriffliche, erschöpfende Motiv der
erblasserischen Handlung und deren Willensinhalt sind
vollständig in Übereinstimmung. Er setzte mich ein zum
Willensfortsetzer — und dies ist der Willensinhalt seiner
Handlung — , weil er in mir eine ihm adäquate Willens-
identität erblickte — und dies ist das erschöpfende
oder begriffliche Motiv jener Handlung — , und
nur der einzelne Grund wieder, warum er dieselbe ge-
rade in mir zu sehen sich entschloß, war jenes irr-
tümliche Totglauben des früheren Erben. War dies auch,
was ich zugebe, faktisch der einzige Grund seines
neuen Willens, so ist dies doch nur zufällig der Fall :
es war nicht der erschöpfende Beweggrund dieser
Kategorie von Willenshandlung (Erbeinsetzung), denn die-
selbe kann ebensogut, wie durch diesen Irrtum, durch
tausend andere mögliche Gründe vermittelt werden.
468
Der Wille selbst aber ist dieser Akt, alle bloß zu-
fälligen Vermittelungen, aus denen er sich fak-
tisch bildet, aufzuheben in den Inhalt seines Ent-
schlusses und also hinter sich in Staub und Vergangen-
heit sinken zu lassen.
Nein, sagt der früher eingesetzte Erbe, es kommt hier
nur zum Vorschein, daß (s. oben Nr. XIII) es in der
Natur des subjektiven Willens selbst liegt, immer durch
eine Wirklichkeit, weil er in ihr seine Voraussetzung hat,
bedingt zu sein, auch wenn er diese Bedingung nicht
ausdrücklich setzt. Mein Tod war nicht ein zufälliges
Motiv, er war die einzige Voraussetzung und Bedingung,
unter welcher sich der Erblasser zur Willensidentität mit
dir entschloß, welche er vor allem in mir zu haben wußte.
Du bist und bleibst also, wenn du auch im Testament
nicht so hingestellt bist, der Sache nach immer nur ein
bedingter, ein an die Bedingung und Voraussetzung meines
Nichtseins gebundener Erbe. — Überdies, da ich einmal
eingesetzter Erbe war, so muß ich, um nicht Erbe
zu sein, als Erbe aufgehoben sein, sonst bin ich es
noch, gleichwie der suus exherediert werden muß. In
diesem Akt des Aufhebens aber — dem neuen Testa-
ment, zu dem sich der Testator allerdings entschloß —
fällt der Inhalt des Willens mit dem Beweggrund
desselben ganz ebenso identisch und sich deckend zu-
sammen, wie bei der Exheredation des fälschlich für un-
echt oder tot gehaltenen suus. Denn der Testator hob
das frühere Testament, hob mich als Erben nur
auf, weil er mich schon für aufgehoben hielt. Bei
diesem Akt hat also, weil hier der Beweggrund des
Willens den ganzen Willensinhalt der Handlung deckte und
erschöpfte, der Irrtum in diesem erschöpfenden Beweg-
grund die Wirksamkeit des Aufhebens verhindert, wie
469
bei der Exheredation des suus, und folglich bin ich
gar nicht wirksam aufgehobener Erbe, und bin weiter
Erbe.
Behüte ! repliziert der zuletzt Eingesetzte. Es ist wahr,
daß Grund und Bedingung viel miteinander gemeinsam
haben, aber sie unterscheiden sich dadurch, daß der Grund
die bereits eingetretene Bedingung und die Be-
dingung der in die Zukunft gesetzte Grund ist. Mit
dem Eingetretensein verliert die Bedingung ihre
Spannung und Hemmung und sinkt zur gleich-
gültigen Vergangenheit des Grundes zusammen,
worüber du schon oben bei den kaptatorischen Einsetzungen
nachlesen kannst, und weiter bei der Lehre von den Be-
dingungen (Nr. XIII) ^). Wenn also auch der Testator
dich und deinen Tod in dem Testament ausdrücklich als
den Grund meiner Einsetzung setzte, so hat er dich
doch nicht als ein Spannendes und Zukünftiges, sondern
gerade als ein solches zur Gleichgültigkeit Zu-
sammengesunkenes und Vergangenes gesetzt,
und du kannst daher keinesfalls mehr darankommen. —
Auch deine Parallele mit der Exheredation des suus trifft
nicht zu. Als der Erblasser den suus exheredierte, befand
er sich im Irrtum über das zwischen ihnen beiden
bestehende Verhältnis der Willenssubjektivität zueinander.
Dieser Irrtum im begrifflichen Verhältnis, dieser Irrtum
in dem mit dem Willensinhalt der Exheredationshandlung
identischen und ihn erschöpfenden Beweggrund, machte
die Exheredation unwirksam. Blieb der suus aber nicht
exherediert, so war als bloße Folge hiervon der ein-
gesetzte Erbe nicht gültig eingesetzt. Anders bei uns. Als
1) Vgl. auch z. B. L. 17. §§ 2, 3 de condit. (35. 1)
§ 31 Inst, de legat. (2. 20).
470
der Erblasser mich zum Erben einsetzte, irrte er sich
nicht in mir, nicht in dem zwischen ihm und mir be-
stehenden Willensverhältnis, sondern nur über eine ganz
außerhalb desselben gelegene Tatsache, über deinen
Tod. Da der Irrtum nicht das spekulative Willens-
verhältnis zwischen uns betraf, welches der Erblasser
vielmehr als das zweier noch formell anderer, erst zu
identifizierender Willenssubjektivitäten zueinander kannte,
so ist der Irrtum im Beweggrund hier ein Irrtum im
zufälligen und darum gleichgültigen Motiv, nicht
ein Irrtum im begrifflichen und darum den Willens-
inhalt deckenden Motiv der Handlung. Oder da der
Irrtum nur einen außerhalb seines Willensverhältnisses
zu mir liegenden Beweggrund betraf, so lag dieser eben
überhaupt — außerhalb desselben, und kann also um
so weniger Anspruch darauf erheben, sogar der seinen
Willensinhalt erschöpfende Beweggrund zu sein, der
vielmehr einzig und allein in dem Verhältnis der beiden
Willenssubjektivitäten zueinander liegt. Meine Ein-
setzung an und für sich ist also durch keinen solchen
Irrtum unwirksam. Du aber könntest erst darankommen
als Folge davon, daß meine Einsetzung ungültig oder
wieder aufgehoben wäre, während umgekehrt der gegen
den exheredierten suus eingesetzte Erbe nur Erbe sein
kann infolge davon, daß der suus gültig exherediert ist.
Du aber hast eben im Unterschiede vom suus keine be-
sondere Exheredation zu fordern, und bist daher mit meiner
an und für sich gültigen Einsetzung auch gültig aufgehoben.
Es kann nicht fraglich sein, daß dieses Plaidoyer
zwischen dem zuletzt und dem früher eingesetzten Erben
vor dem Richterstuhle des alten jus civile zugunsten des
zuletzt eingesetzten Erben entschieden worden wäre!
(Siehe unten S. 474 fg.)
471
Anders aber denken bereits die Kaiser und müssen so
denken, da in ihnen die gegen die Strenge des spekulativen
Begriffes reagierende Billigkeit das weit Überwiegende
ist. Als daher ein Testator, die früher eingesetzten Erben
infolge eines irrigen Gerüchtes für tot haltend, ausdrück-
lich so testiert: ,,Quia heredes, quos volui habere, mihi
continere non potui, Novius Rufus heres esto", kommt
der Kaiser der irrtümlich tot geglaubten Erbin zu Hilfe,
sie an die Stelle des Novius Rufus setzend. Es ist Paulus,
der uns dies berichtet 0. Aber zum Unterschied von
den früher betrachteten Fällen des fälschlich für echt
oder unecht, resp. tot gehaltenen suus wissen die römischen
Juristen sehr genau, wie hier nicht von einer Rechts -
regel, sondern von bloßer Billigkeit die Rede ist, und
Paulus läßt durch die Ausdrucksweise seines Berichtes
deutlich genug hervortreten, daß nach seinem zivilistischen
Gewissen die Entscheidung eine andere gewesen wäre :
,,. . . et cognitione suscepta, licet modus irisütutbne con-
fincretiir, qaia falsiis non solct obesse, tarnen ex voluntate
testantis piitavit Imperator ei (der früheren Erbin) sub-
veniendum etc.^)."
1) L. 92 de her. instit. (28, 5).
") Genau dasselbe, was der früher eingesetzte testamentari-
sche Erbe kann auch der irrtümlich für tot gehaltene gewöhn-
liche Intestaterbe (nicht suus) für sich geltend machen. Dies
begreift sich freilich erst nach dem von uns (s. Nr. XXII)
dem Intestaterbrecht zugewiesenen Begriffe, wonach der Intestat-
erbe die Bedeutung hat, der vorausgesetzte Willensfort-
setzer des Toten, d. h. der aus dem eigenen Willen des sich
nicht ausdrücklich äußernden Erblassers vorausgesetzte
Willensfortsetzer desselben zu sein. Bin ich also, sagt der
Intestaterbe, der aus dem eigenen Willen des Toten vor-
ausgesetzte Willensträger desselben, so muß man mich auch
als solchen gelten lassen, und ebenso sehr, wie ich dann einem
472
Nicht weniger deutlich bestätigt sich unsere Theorie
vom Irrtum in dem Beweggrunde bei den Legaten. Die
ausdrücklich gesetzten Willensträger (Testamentarerben)
weiche, ebensowenig weiche ich, wenn dieses Setzen nur durch
die falsche Voraussetzung des Todes meiner als der voraus-
gesetzten Willensidentität des Erblassers vermittelt ist. Wollt
ihr mich nach meinem präzisen Begriff behandeln, so müßt ihr
vielmehr, wenn diese falsche Voraussetzung bei dem testamen-
tarischen Setzen seiner Willensidentität durch den Erblasser
stattfand, annehmen, daß ohne dieselbe nichts herausgekommen
wäre, als der, welcher eben die vorausgesetzte Identität
des erblasserischen Willens ist. Sonst leugnet ihr den
Geist eures Intestatrechtes. Folglich müßt ihr annehmen, da ja
der Testator setzte, und andererseits, da ich, sofern er rnjch
nicht wissend umging, der als von ihm gesetzte Voraus-
gesetzte bin, daß ich der von ihm gesetzte, d.h. daß ich
jetzt testamentarischer Erbe geworden bin.
Die Lage dieses Intestaterben ist also um nichts schlechter
und nichts besser als die des früher eingesetzten testamentari-
schen Erben. Wieder ist es die Billigkeit der Kaiser, die ein-
greift und dem Intestaterben zu Hilfe kommt, wie Paulus be-
richtet, L. 28 de inoff. test. (28, 5). Aber das ist höchst inter-
essant und erst aus dieser spekulativen Begriffsentwickelung
zu verstehen, daß nicht, wie bei der querela inofficiosi des In-
testaterben, das Testament fortfällt und der Intestaterbe ab
intestato drankommt, sondern daß, wie Paulus berichtet und wie
spekulativ not\vendig ist, der Intestaterbe um jener unaufgehobe-
nen Voraussetzung des Intestatrechtes willen durch das nicht
auf ihn lautende Testament zum Testamentserben wird,
d. h. als heres scriptus angesehen wird und die Legate prä-
stieren muß. Bei dem oben im Text behandelten Falle tritt
dies gleichfalls ein und ist hier freilich ganz klar, da der früher
eingesetzte Erbe jedenfalls heres scriptus war und nur als
solcher drankommen kann. Bei dem Intestaterben aber wird nur
durch die Dialektik seines Begriffes, der beim Nichtsetzen des
Testators aus dessen Willen Vorausgesetzte zu sein, klar, wie
er durch ein auf einen anderen lautendes Testament selber
zum Testamentserben umschlagen kann.
473
Beweggründe haben zum Willen ein nur quantitatives
.Verhältnis. Ist also der hinzugefügte Beweggrund des
Legates auch irrig, so bleibt das Legat dennoch be-
stehen, denn der Testator kann ebensogut auch noch andere
Motive beim Testieren als das ausgesprochene gehabt
haben, und Papinian sagt daher richtig^) : ,,Falsam causam
legato non obesse, verius est, quia ratio legandi legato
non cohaeret^)."
Allein da das Motiv ein quantitatives Verhältnis
zum Willen hat, so kann ihn jedes einzelne Motiv auch
erschöpfen, ganz wie wir dies Bd. I, S. 180fg., ge-
zeigt haben. Und ob ein bestimmtes Motiv das erschöp-
fende gewesen war, ist eine rein faktische, nur aus
den Umständen erhellende Frage. Wird also nachgewiesen,
daß der irrige Beweggrund der einzige und somit den
Willen erschöpfende war, so ist mit dem Irrtum in
demselben auch das Dasein des Willens selbst im
Legat aufgehoben und dasselbe unwirksam. Papinian fährt
daher a. a. O. fort : ,,sed plerumque doli exceptio locum
habebit, si probe far, alias legatunis non fulsse^)."
Man sieht, daß der Unterschied zwischen der Ein-
wirkung des Irrtums bei der Erbeinsetzung und beim Legat
nicht in einer verschiedenen Behandlung des Irrtums,
sondern, unter strenger Festhaltung seines Begriffes und
seines Einflusses auf den Willen, nur in der Verschieden-
heit des Begriffes von Erbtum und Legat seinen
Grund hat.
Das Legat ist nicht Fortpflanzung der gesamten idealen
Willenssubjektivität, sondern ein einzelner Willens-
1) L. 72. § 6. de condit. (35. 1).
2) Vgl. L. 17. §§ 2. 3 eod. tit. ; § 31 Inst, de leg. (2. 20).
3) Vgl. oben Nr. XXXV.
474
akt des fortexistierenden Willens, Geben einer Sache.
Der begriffliche und erschöpfende Beweggrund
zu dieser Willensäußerung ist hier — jeder noch so zu-
fällige und unbedeutende Umstand, der den Willen zu
dieser Äußerung sollizitiert hat, wenn nur bewiesen wird,
daß er allein das Sollizitierende war. Wird dies be-
wiesen, so enthält jeder solche noch so zufällige, allein
sollizitierende Beweggrund, und wenn er in nichts anderem
bestand, als daß der Legatar eine rote Nase hat, den
ganzen Willen des Erblassers in sich und absorbiert diesen
ganzen Willen durch seinen Irrtum.
Die Erbeinsetzung dagegen ist nicht Geben von
Vermögen, ist nicht einzelner, verschwindender
Willensakt, ist nicht Äußerung eines einzelnen be-
stimmten Willensinhaltes. Sie ist weit mehr und
ein begrifflich ganz anderes. Sie ist metaphysische Identi-
fizierung der gesamten Willenssubjektivität, meiner ge-
samten Willens Wesenheit mit einer anderen Willens-
subjektivität. Dies ist der wahre Willensinhalt dieser
Handlung. Dieselbe hat daher zu ihrem erschöpfen-
den Beweggrund einzig und allein den begrifflichen:
die streng geschlossene, zwischen dem Wesen meiner und
einer anderen Willenssubjektivität bestehende Beziehung.
Ich setze eine andere Willenssubjektivität als identisch
mit mir, weil ich sie als solche Willensgleichheit mit
mir anschaue. Alle anderen einzelnen endlichen Beweg-
gründe sind nicht mehr das Warum der Erbeinsetzung,
sondern nur das Warum des Warum, nicht die causae,
sondern die causae remotae derselben, und dürfen somit
niemals als der erschöpfende Beweggrund dieser
idealen Gleichung gelten. Der einzige einwirkende
Irrtum im Beweggrund kcuin daher hier bei der Suität
vorkommen, wenn ich jemand für schon identisch mit
475
mir halte, der es nicht ist, oder für nicht schon iden-
tisch halte, der es ist.
Als die Kaiser in den obigen zwei Fällen dem Irrtum
im Beweggrund Einwirkung geben, tut sie somit nichts
anderes, als daß sie anfangen, auch in dieser Hinsicht die
Erbeinsetzung einem einzelnen Willensakt, dem Legat,
resp. einem Vermögensgeben zu assimilieren,
was, wie wir überall gezeigt haben, der konstante Ver-
lauf der römischen Rechtsgeschichte ist.
Wenn also die Behandlung des Irrtums in der Erb-
einsetzung und im Legat eine innerlich und begrifflich
streng übereinstimmende ist, so hat sich jetzt eben solche
Übereinstimmung zwischen der allgemeinen Behandlung
des Irrtums im Beweggrunde im Rechtssystem überhaupt,
wie wir sie im ersten Bande darstellten, und im Erb-
recht gezeigt. Es verhält sich nicht so, wie Savigny
sagt, daß dasselbe ,, singulare Ausnahmen" jener Irrtums-
einwirkung darstelle; es verhält sich nicht so, v.ie er
gleichfalls sagt, daß daselbst die Einwirkung des irrigen
Beweggrundes eine weitere sei. Nicht eine weitere,
nicht eine engere, sondern genau dieselbe ist sie, ja in
bezug auf die Erbeinsetzung müßte sie hier sogar
scheinen, eine engere zu sein, ein Schein, den wir gleich-
falls bereits aufgelöst haben.
Selbstredend aber erwächst aus dieser gegenseitigen
Übereinstimmung unserer Theorie des Irrtums mit der
des Erbrechtes jeder von beiden eine nicht geringe Be-
stätigung.
476
XXXVII. Die Identifikation seitens des Erben;
Fortsetzung. Der Wahnsinnige und das Kind.
Wir kehren von diesen Exkursionen nunmehr zur Adition
zurück. Wir haben gezeigt, daß und warum die Adition
ohne jenes oben erörterte vorhergehende Wissen nicht
stattfinden kann, resp. unwirksam bleiben muß. Deshalb
nämlich, weil, um dies nochmals kurz zusammenzufassen,
das, was eigentlich in der Adition vor sich geht, die
geistige Identifizierung der Willenssubjektivität des
Erben mit der des Erblassers ist, und dieser Prozeß natür-
lich also gar nicht vollbracht werden kann, wenn nicht
zuvor der Wille des Erblassers und seine zu ihm, dem
Erben, bestehende Beziehung für den Geist des Erben
vorhanden, ihm bekannt ist. Wäre der Wille des Erb-
lassers nicht für den Erben vorhanden, so würde Erbe
wie Erblasser, selbst in dem Willensinhalt, worin sie
etwa zufällig übereinstimmten, jeder bloß ein unmittelbar
für sich seiender und für sich wollender Wille sein.
Der Erbe hätte sein Fürsichsein nicht dazu bestimmt,
Identität mit dem Fürsichsein des Erblassers zu sein,
hätte sich also nicht als das identische Dasein und die
Fortexistenz seiner Willenssubjektivität gesetzt.
Das Gesagte läuft also darauf hinaus, daß, wer Erbe
sein will, sich zuvor durch diesen Prozeß der inneren
Willensidentifizierung innerlich zum Erben
machen muß.
Ist dem so, so folgt also hieraus mit Notwendigkeit,
daß der Wahnsinnige, da dieser eben überhaupt kein
geistiges Fürsichsein mehr ist und also diesen Prozeß
nicht \ornehmen kann, deshalb auch nicht Erbe werden
und durch keines Tutors Aushilfe dazu in den Stand ge-
477
setzt werden kann. Marcellus ^) : „Furiosus acquirere sibi
commodum hereditatis ex testamento non potest etc." Aber
natürlich kann dies nur von dem Wahnsinnigen gelten,
der nicht suus oder necessarius, also Sohn oder Sklave
des Erblassers ist"). Denn der suus und der necessarius
braucht überhaupt kein Wollen und somit kein Wissen.
Soweit freilich leuchtet dies ganz unmittelbar ein und hat
seit je eingeleuchtet. Was aber die Hauptsache ist, ist
dies nicht, wie stets geschieht, so aufzufassen, daß der
suus oder necessarius vom Wollen oder Wissen aus-
genommen, dispensiert sei. Dies wäre ganz un-
möglich. Sondern es ist zu sagen, daß beim suus und
necessarius Wollen wie Wissen schon ohne seine eigene
Vermittelung unmittelbar vorhanden ist. Es ist dies
ja auch gar nicht anders möglich. Denn der suus oder
necessarius ist ja gar nicht selbst Subjekt und Träger
seiner Willenssubjektivität, sondern hat dasselbe außer
ihm, im Vater oder Herrn, der zugleich der Erblasser
ist. In diesem also hat er sein Fürsichsein, in diesem
will und weiß er, und die Identität ist daher schon voll-
zogen und bedarf nur deshalb keiner neuen vermitteln-
den Herstellung mehr, die bloß auf ein acta agere hinaus-
liefet). (Vgl. oben Nr. XXI fg.)
1) L. 63 de acqu. vel om. her. (29. 2) ; vgl. L. 7. § 3.
C. de curat, für. (5. 70).
-) Weshalb e3 an der eben angezogenen Stelle der Dig.
sofort so weiter geht : „nisi si necessarius patri aut clomino heres
existat."
^) Wenn Justinlan sagt (L. 7, § 2, C 1. L) : ,,Sin vero
perpetuo furiosus sui juris sit, tunc in paterna quidem hereditate,
quae quasi debita ad posteritatem suam devolvitur, nulla est
juris veterum dubitatio, quum illico appareat et suus heres
existat suis parentibus," so ist es nur ganz natürlich, daß er
478
Man könnte also etwa sagen wollen, daß der Wahn-
sinnige (vom suus und necessarius nunmehr abgesehen)
nicht fähig zur Erbschaft sei. Allein es liegt auf der
Hand, wie ungenau und gedankenverwirrend diese Be-
zeichnung hier wäre. Denn was ihn hindert, ist nicht
eine rechtliche Eigenschaft, sondern nur der bloß fak-
tische Mangel jener inneren Tätigkeit, wie er
ebensosehr bei dem vernünftigen Erben, der aber zufällig
nicht weiß, hindernd stattfindet, wenn er auch bei
diesem eben in zufälligen, bei jenem in natürlichen,
eben deshalb aber für das Recht gleichfalls nur zu-
fälligen Gründen beruht, wie denn auch dieser Mangel
bei ihm auf eine ebenso zufällige und rein faktische Weise,
durch Wiedererlangung der Vernunft, jederzeit wieder ver-
schwinden könnte^). — Es ist von Interesse, dies hervor-
sich dies in einer den Begriffen seiner Zeit angemessenen Weise
als eine „hereditas quasi debita," also durch Motive der Fa-
milienliebe usw., erklärt. Allein wie falsch diese Erklärung
ist, ist am einfachsten damit bewiesen, daß ja auch, wie die
L. 63 zeigt, der eingesetzte Sklave dasselbe Vorrecht hat,
wie der suus, und bei ihm doch gewiß von keiner hereditas
quasi debita die Rede sein kann ! Es zeigt sich also hierin
wieder unwiderleghch, daß alles im zivilen Erbrecht Wurzelnde
lediglich aus der Strenge des spekulativen Begriffes, wie er
sich hier durch seine Komplikation mit dem Im Verhältnis der
Personengewalt vorliegenden Begriff der Willensiden-
tität gestaltet, herfließt und lediglich aus Ihm erklärt werden
kann, während von einem ,, Recht der Familienglieder", welches
(siehe z. B. Böcking, Pandekten, I, 133, Note 8) die eigent-
liche Substanz des römischen Erbrechtes sein soll, wie wir
dies nun schon so oft nachgewiesen haben, gar keine Rede Ist.
■^) Weshalb denn also auch keine Rede davon sein kann, daß
das Testament wegen Einsetzung eines furlosus nichtig wäre.
Vielmehr wird es auch nach streng zivilrechtlichen Grundsätzen
wirksam sein, wenn der furlosus nur zur Zelt der Aditlon
wieder gehellt ist.
479
zuheben, weil sich von hier aus der innere Fortgang zu
der Verordnung des Justinian in den §§ 7 und 8 der
L. 7 C. de cur. für. ergibt. Nach derselben soll nämlich der
Kurator des Wahnsinnigen vorläufig antreten und die Güter
verwalten mit der Bestimmung, daß, wenn der Wahnsinnige
vernünftig wird — und also in die faktische Lage kommt,
jene Tätigkeit auszuüben, und die Erbschaft annimmt — ,
sie als eine ihm erworbene gelte, daß dagegen, wenn er
im Wahnsinn stirbt oder, vernünftig geworden, sie aus-
schlägt, die Erbschaft als ihm niemals erworben betrachtet
wird und an diejenigen gelangt, an die sie gelangt wäre,
si non in medio erat.
Freilich ist auch hier wieder ersichtlich, wie sehr dabei
die Anschauung des Erbtums als eines Vermögenserwerbes
den zivilistischen Erbtumsbegriff in den Flintergrund ge-
drängt hat und nur dadurch der von Justinian ergriffene
Weg möglich ist. Denn bei strenger Festhaltung des Erb-
begriffes könnte der Kurator auch nicht einmal vor-
läufig antreten, da, solange der Erbe nicht weiß, die
Erbschaft ihm — wir \verden später sehen, warum —
auch noch nicht einmal deferiert ist^).
Wenn aber der nicht Wissende, und darum auch der
Wahnsinnige, nicht antreten kann, so müßte es als eine
Forderung der Konsequenz erscheinen, daß auch der Un-
mündige nicht antreten könne. Denn sowohl als infans
wie auch noch als impubes, der älter als sieben Jahre,
fehlt ihm gleichfalls noch wie dem Wahnsinnigen dies :
fürsich seiender Geist zu sein. Es fehlt ihm dies
Fürsichsein der Vernunft aus einem Altersgrunde,
somit gleichfalls, wie bei dem Wahnsinnigen, aus einem
^) Vgl. vorläufig Ulpian, L. 1, § 5. de succ. ed. (38, 10):
,,Furiosi curator nequaquam potent repudiare, quia necdum
delata est." und Paulus. L. 90 pr. eod. tit-
480
natürlichen Grunde. Es scheint daher, daß beide, das
Kind wie der Wahnsinnige, nur ganz gleichmäßig zu be-
handeln sein müßten. Gleichwohl kann der Unmündige
unter Assistenz des Tutors antreten. Und vielleicht könnte
man in der Tat meinen, daß hier der einzige Punkt wäre,
wo sich das Zivilrecht eine Abweichung von jener un-
erbittlichen Konsequenz des spekulativen Begriffes aus
Billigkeitsrücksichten gestattet habe. In Paulus wenigstens
lebt noch genug von jener rigorosen Strenge des zivil-
rechtlichen Geistes, um ihm dies als eine solche Ab-
weichung erscheinen zu lassen. Er sagt, indem er selbst
auf diesen Vergleich zwischen dem Unmündigen und dem
Wahnsinnigen gerät ^) : ,,Pupillus, si fari possit, licet hujus
aetatis sit, ut causam acquirendae hereditatis non inteiligat,
quamvis non videtur scire hujusmodi aetatis puer — neque
enim scire, neque decernere talis aetas potest, non magis
quam furiosus — tamen cum tutoris auctoritate, here-
ditatem acquirere potest ; hoc enim favorabiliter Vis praesta-
tiir." Die letzten hervorgehobenen Worte zeigen deutlich
genug, daß Paulus dies als eine nicht im Geiste des Zivil-
rechtes liegende äußerliche Hilfe und beneficium be-
trachtet^).
Es verhält sich dies jedoch nicht ganz so. Ein Unter-
schied ist allerdings zwischen Kind und Wahnsinnigen.
Das Kind wird eines Tages Vernunft haben, was vom
Wahnsinnigen nicht gilt. Das Kind ist also in der Tat
geistiges Fürsich sein, aber nur erst noch im Keime.
1) L. 9 de acqu. vel om. her. (29. 2).
2) Vgl. Paulus, L. 32. § 2. de acqu. poss. (41. 2): „In-
fans possidere recte potest. si tutore auctore coepit; nam jiidi-
cium infantis suppletur auctoritate tutoris; utüitatis enim causa
hoc receptum est, nam alioquin nullus consensus est infantis
accipienti possessionem."
9 LMsaUe. G«. Sckrift«n. Band XU 481
Es ist das An sich eines fürsichseienden Geistes.
Der Wahnsinnige aber, gerade weil er bereits ein Für-
s ichsein gewesen ist und dies verloren hat, hat es nun-
mehr überhaupt verloren und erlangt es durch keine nor-
male und notwendige Entwickelung mehr zurück.
Er ist also nur noch ansichseiender Geist, Geist an
sich, aber nicht mehr das An sich eines Fürsich-
seins. Sehr gut trifft diesen Unterschied Alciatus^):
..Quapropter ei infantl proprie dicitur delata (hereditas)
qui, quamvis ignoret, tarnen praesumitur, quod f actus adul-
tior seiet; at fiirlosiis nee seit nee seitiinis praesumitur,
unde illi non pleno jure, sed miserationis causa ratione
fructuum providetur." Deshalb kann also der Unmündige
antreten, aber es kann deshalb nicht der Tutor für ihn
antreten, sondern er muß es selbst unter Assistenz
des Tutors^), welcher nur die Ergänzung^) seines
an sich vorhandenen Fürsichseins darstellt. Wie dies
überhaupt die Bedeutung des Tutors ist, äußerlich die
in dem Unmündigen nur als Anlage immanente, aber noch
nicht zum Fürsichsein gelangte Vernunft darzustellen, so
bildet er zusammen mit dem Tutor ein wahrhaftes
geistiges Fürsichsein.
XXXVIII. Die Delation und das Wissen.
Aus der bisherigen Erörterung über das zur Adition
erforderliche Wissen ergibt sich nun erst die innere
Auflösung eines fast komischen circulus vitiosus, in welchem
^) Comm. in ff. tit. de verb. sign., II, 1023 (ed. Francof.
1617).
") Bis Theodosius dies ändert. L. 18 C de jur. del- (6. 30).
^) Judicium infantis suppletar auctoritate (wofür besser noch
gesagt w'diYQ. judiäo) tutoris; s. Note 2 auf S. 481.
482
sich die Juristen unbewußt über die Delation und Adition
der Erbschaft bewegen.
Fragt man nämlich, wann kann die Adition der Erb-
schaft erfolgen, so geben die Juristen zur Antwort : Wenn
die Erbschaft deferiert ist. Und in der Tat kann keine
andere juristische Antwort gegeben werden. Denn der er-
folgte Tod des Testators reicht durchaus noch nicht
hin, um antreten zu können. Die Erbeinsetzung kann be-
dingt, kann substitutarisch sein; die Frau kann sich für
schwanger halten usw. Kurz, eine Reihe objektiver Um-
stände kann die Wirkung haben, daß trotz des erfolgten
Todes die Delation noch nicht erfolgt ist, und es be-
ruht also auf guten Gründen, daß auf die Frage, wann
kann die Adition erfolgen, geantwortet werden muß :
Dann, wenn die Delation erfolgt ist. Ulpian^): ,,Sed
ita demum pro berede gerendo acquiret hereditatem, sl
lam Sit et delata!' Fragt man aber nun weiter: Und
wann ist die Delation erfolgt, so erhält man von
den Juristen zur Antwort: wenn die Adition erfolgen
kann^). ,,Delata hereditas intelligitur, quam quis possit
adeundo consequU'
Ein offenbarerer circulus vitiosus, bei dem man sich
gleichwohl harmlos zufrieden gibt, kann also wohl schwer-
lich in irgendeiner Wissenschaft gefunden werden.
Allein die Auflösung und der Ursprung dieses Zirkels muß
sich jetzt aus den früheren Erörterungen von selbst ergeben.
Werfen wir, um dies ganz deutlich hervortreten zu
sehen, zunächst die folgende Frage auf : Ohne das
Wissen des Erben kann, wie wir sahen, die Adition
nicht wirksam stattfinden. Kann man aber so weit gehen,
zu sagen, daß ohne jenes Wissen auch die Delation
1) L. 21, § 2. de acq. her. (29. 2).
2) L. 151 de verb. sign. (50. 16).
ö* 483
nicht einmal erfolgt sei, die Erbschaft also dem Erben,
solange er nicht weiß, auch noch nicht deferiert ist?
Alciatus behauptet dies (a.a.O., Note 1 zu S. 482).
Die Meinung dagegen ist die entgegengesetzte, daß das
Wissen des Erben nur zur Adition gehöre, nicht aber
zur Delation der Erbschaft an ihn^). Und es läßt
sich nicht verkennen, welche unwiderlegliche Verstandes-
gründe hierfür sprechen. Die Delation soll ja eben dem
Erben gegenüber die objektive Seite der eingetretenen
Erbschaft bezeichnen, das seitens des Erblassers und
resp. der objektiven Rechtsnormen erfolgte außerhalb
des Erben liegende Angebot der Erbschaft an ihn;
sie kann also die subjektive eigene Tätigkeit des
Erben, sein Wissen und Tun, nicht als Requisit in
sich einschließen. Ja, dies Wissen selbst des Erben
soll ja gerade darin bestehen: die Delation der
Erbschaft zu wissen, z.B. Donellus^): ,,Generales
conditiones tres sunt, quibus voluntate acquiri hereditas
potest; prima . . . secunda, si heres sibl delatam sciat";
oder z. B. Savigny, der das erforderliche Wissen des
Erben als ein Wissen „über die Art der Delation"
definiert"^). Das Wissen setzt also hiemach die
Delation schon als seine eigene Voraussetzung
und seinen Gegenstand voraus, und es kann somit
•^) Siehe Heise und Cropp, Jur. Abhandlungen, 11, 123 fg.
2) Comm.. IIb. VII, c. IV, p. 293. und c. V. p. 295:
,,Non est satls ita delatam hereditatem esse, ut acquiri possit ;
altera conditio est, ut sciat heres extraneus sibi delatam."
Die Juristen beziehen sich hierbei stets, wie auch Donellus da-
selbst, auf die Inst., § 7 de her. quäl. (2, 19). Dort ist aber
keineswegs dasselbe gesagt; denn dort wird nicht von Dela-
tion gesprochen, sondern es heißt nur ,,dummodo sciat . . .
se ei hcredem esse".
^) Siehe oben In der Note zu S. 440-
484
nicht wieder die Delation jenes Wissens voraus-
setzen, ohne daß der trostloseste Zirkelgang vorläge.
So unangreifbar dies nun auch vom Verstandesstand-
punkt wäre, so irrig ist es gleichwohl, da im Erbrecht
überall der spekulative Begriff das Herrschende ist, vor
welchem die abstrakte Trennung und Unterscheidung jener
beiden Momente, der Delation und des Wissens, sich
nicht behaupten kann. Es muß dies aber auch bereits
durch die bisherigen Entwickelungen evident geworden
sein. Denn wir haben bereits oben (Nr. XXXIV) als
das Gesamtresultat jenes zur Adition erforderlichen
Wissens eben dieses nachgewiesen : daß der zum Erb-
tum Berufene sich zuvor innerlich zum Erben, zur
Willensidentität mit dem Erblasser, selbst machen muß,
ehe er realiter antreten kann. Der Erbe ist es also
selbst, der durch sein inneres Fürsichsein die
Sache in die Lage bringt, daß er antreten kann; er ist
es selbst, der sich die Möglichkeit des Erwerbes der
Erbschaft erst selber bereitet; er ist es in letzter
und entscheidender Instanz somit selbst, der
sich die Erbschaft deferiert.
Wie der Angerufene nur dann ein wirklich Angerufener
ist, wenn er vernommen hat, dies Hören aber ein Akt
der inneren physiologischen Tätigkeit des
Hörenden selbst ist, so ist die Erbschaft nur dann
für den Erben vorhanden, nur dann ihm deferiert,
wenn sie eben in sein Fürsichsein eingetreten ist. Denn im
Erbtum handelt es sich ja eben nicht um eine Sache,
die auch ohne Wissen — z. B. ex lege oder durch
Vindikationslegat (s. oben Nr. XV) — sogar erworben
werden kann^), sondern es ist nichts Geringeres, als die
^) Daß die per vindicationem legierte Sache auch ohne
Wissen des Legatars ihm jedenfalls schon angeboten ist.
48S
geistige Identität des Fürsichseins selbst mit
einem anderen Fürsichsein, die zustande kommen soll,
und die eben deshalb, weil der Gegenstand der Offerte
hier der Austausch und die Gleichsetzung des Fürsich-
seins selbst ist, erst dann dem Erben angeboten ist,
wenn dieser Wille des Erblassers an das Fürsichsein des
Erben herangetreten und für dasselbe geworden ist.
Wie es in dem testamentum per aes et libram in seiner
alten Gestalt — welches Testament, wie wir sahen
(Nr. VIII), nichts anderes als das entwickelte Gesetzt-
sein aller Momente der Testaments i d e e in der for-
mellen Handlung des Testaments a k t e s darstellt —
gar nicht einmal möglich wäre, zu testieren, ohne das
Wissen des wahren Erben (des familiae emptor) ; wie
dieser also als Mit fungierender es ist, welcher dem Testator
das Testieren erst ermöglicht : so \vird nun in der späteren
Gestalt des Testamentes diese geschlossene Gleichzeitig-
keit der Handlung in der Form zwar entzweigerissen,
aber von den Momenten der Idee, die in jener Form
vorlagen, fällt keins hinweg, und sie verlangen daher jetzt
als inhaltliche Momente ihre nunmehr zeitlich aus-
einanderliegen könnende Erfüllung, damit eine Delation
des Erbtums erfolgt sei. Und darum ist jetzt das Wissen
des Erben, das Präsent werden des erblasserischen
Willens für ihn erforderlich, damit Delation vorhanden sei.
Erst der Erbe selbst ist es also, der durch sein
Wissen die Delation der Erbschaft bewirkt und
die Sache in die Lage bringt, daß er antreten oder repu-
diieren kann. Alciatus hat daher ganz recht, daß das
geben auch die Prokulejaner zu (siehe a. a. O.), und so zeigt
sich hier wieder in scharfem Nebeneinander der Unterschied
zwischen dem Willens erbtum und dem Ve r m ö g e n s Ver-
mächtnis.
486
Wissen des Erben für das Dasein der Delation not-
wendig ist. Und wie dies mit unabweislicher Evidenz
aus dem spekulativen Begriffe folgt, so zeigen es ebenso
unumstößlich die positiven Beweisstellen, vor allem die
bedeutungsvollen, schon oben (S. 480, Note 1) angezoge-
nen Worte Ulpians, daß die Erbschaft des Wahnsinnigen
nicht nur nicht angetreten werden könne, sondern ihm
sogar noch nicht deferiert sei (quia necdiim delata
est, weshalb sie auch nicht ausgeschlagen werden kann).
Und ebenso die gleichfalls bereits bezogene L. 151, welche
die Delation erst dann für eingetreten erklärt, wenn
der äußere Aditionsakt, dem, wie wir zeigten, das Wissen
ideell vorhergehen muß, bereits eintreten kann.
Dies Resultat, daß es erst der Erbe selbst ist,
welcher die Delation der Erbschaft an sich hervorbringt,
ist ein höchst bedeutsames, und mit dem Geiste unserer
gesamten Darstellung in tiefster Übereinstimmung stehen-
des. Es zeigt, wie im höchsten Maße der Erbschafts-
erwerb ein überall nur aus der eigenen Willensaktion
des Erben entspringender ist, wie er nicht nur die Wirk-
lichkeit des Erwerbes (Adition), sondern auch die
Möglichkeit des Erwerbes (Delation), die ihm äußer-
lich nur vom Erblasser dargereicht zu sein scheint, viel-
mehr sich selbst darreicht und seinem eigenen Fürsichsein
verdankt. Und dies kann nicht wundern, daß bei einem
Erwerb, der gerade darauf gegründet ist, daß er W i 1 1 e n s -
identität mit der Willenssubjektivität des Erblassers
ist, sein Wille als Subjekt der ganzen Bewegung er-
scheint^).
^) Was auf den Erblasser allein Icommt, getrennt vom
Erben, ist nur dies, daß er dem Erben die Delation möglich
macht. — Und mehr kann ja in der Tat auf den toten Willen,
487
Freilich, wenn wir sagen, der Erbe bringe erst durch
sein Wissen die Delation der Erbschaft hervor, so scheinen
wir immer rettungslos in den obigen Kreislauf zu ver-
fallen. Denn dies Wissen scheint eben nur das Wissen
davon zu sein, daß ihm die Erbschaft deferiert ist, setzt
also immer die Delation, die es erst hervorbringen soll,
voraus. Allein der Schein dieser Zirkelbcv/egimg liegt
jetzt nur noch an dem juristischen Terminus: Erbschaft,
und verschwindet, sowie man diesen in die Sprache des
Begriffes auflöst. Denn dann wird der Satz vielmehr
heißen: Der Erbe bringt durch sein Wissen davon, daß
der einseitige Wille des Erblassers sich zur Willens-
identität mit ihm bestimmt hat, die Delation der
hereditas und alles von ihr Dependierende sich hervor :
er bringt erst durch sein Wissen, daß der Erblasser
geistige Identität mit ihm sein will, die Mög-
lichkeit für seinen eigenen Willen hervor, geistige
und also bewußte Identität mit jenem zu sein. Und
so gefaßt ist der Satz ebenso klar wie ohne jeden Zirkel.
— Durch das Vorstehende hat sich nun aber auch jener
zuerst berührte Zirkel bei der Frage nach der Delation
und Adition ebenso aufgelöst, als in seinem Ursprünge
erklärt. Er entspringt einfach daraus, daß man mit dem
einfachen Ausdruck der Adition das Ganze der Willens-
handlung des Erben zu belegen, und dennoch nur an ihren
äußerlichen Akt, die solenneile Erklärung, zu denken
pflegt, i n dieser Adition selbst aber, damit ihr äußerer
der nach dem Tode, also zu einer Zeit, wo er an sich nicht
mehr existiert und wollen kann, fortgesetzt sein will, nicht
kommen, als daß er einem geltenden Willen den Anstoß zu
der Erwägung gibt, ob er ihn fortsetzen will oder nicht. Er für
sich allein also ruft oder beruft nur, aber deferiert
noch nicht.
488-
Akt wirksam eintreten kann, wie wir oben zeigten, ein
innerlicher Prozeß und eine innere Tätigkeit
seitens des Erben vorhergeht und vorhergehen muß, welche
das Wissen und somit die Hervorbringung der
Delation erst in sich enthält. Delationswirklich-
keit und Aditionswirklichkeit sind daher absolut
identische Momente des Begriffes, die nur in
ihrer juristischen Verstandestrennung als unterschieden,
als ein Vorher und Nachher erscheinen können. Auf die
Frage, wann die Delation da ist, wie auf die Frage,
wann die Adition eintreten kann, wird es daher
nur die eine begriffliche Antwort geben: wenn der Erbe
die Wiilensbeziehung des Erblassers auf ihn als eine zur
kontinuierenden Identität mit seiner Willenssubjektivität
berechtigende, und zwar in der genauen qualitativen
Bestimmtheit dieser Willensbeziehung, weiß^). Die
Frage nach dem einen, wie nach dem anderen Zeit-
punkt wird daher auch in ihrer juristischen Beantwortung
stets absolut zusammenfallen müssen, eine Identität, die
aber erst dann begriffliche Identität statt sinnlosen Zirkels
ist, wenn man eben begi-^ift, wie es das eigene Fürsich-
sein des Erben ist, welches erst die Delation hervorbringt.
^) Es liegt aber jetzt auf der Hand, weshalb die von Savigny
(siehe oben S. 484, Note 3) und anderen gegebene Definition
des zum Erbtum notwendigen Wissens : es bestehe in dem
Wissen über die Art der Delation, gänzlich unzulässig Ist,
da die Delation selbst erst durch das Wissen zustande kommt.
489
XXXIX. Das jus adeundi. Die Transmission.
Das SC, Silanianum. Das karbonianische Edikt.
Die transmissio theodosiana und justinianea.
Aus dem, was wir bisher über die Adition entwickelt
haben, ist jetzt nun zugleich die innere Notwendigkeit
ersichtlich, weshalb nach römischem Recht der Erbe die
noch nicht angetretene Erbschaft (also das bloße jus
adeundi) auf seine Erben nicht transmittiert und unmög-
lich transmittieren kann^). Denn er ist noch gar nicht
Erbe, solange er sich nicht durch den dargelegten inner-
lichen, in der Adition vor sich gehenden Willens-
prozeß zum Erben gemacht hat, und es ist nur ein
uneigentlicher und verwirrender Sprachgebrauch, vor
dieser entscheidenden Entschließung, die ihn erst als
Erben, als Willensidentität mit dem Erblasser hervor-
bringt, ist durch Antizipation einen Erben zu nennen.
Was fehlt, solange die Adition fehlt, ist nicht ein äußerer
Akt, eine Erklärung, die dann etwa durch den Sukzessor
seiner Rechte nachgeholt werden könnte, sondern es fehlt
jetzt das Substantielle selbst, worauf dies Recht
des äußeren Antretens beruht ; denn es fehlt dies, daß
er sich zur inneren Identität mit der Willens-
subjektivität des Erblassers bestimmt und ge-
macht hat, es fehlt also das, ohne was der Erbe selbst,
wenn er lebte, nicht antreten könnte. Wäre das Erbtum
in einem Wesen ein Vermögenserwerb, so könnte
es, da die Vermögensrechte auf die Erben übergehen.
1) L. un. C. § 5 de cad. toll. (6, 51) „. . . hereditatem
etenim, nisi fuerit adita, transmitti, nee veteres concedebant nee
nos patimur."
490
logisch sein, daß des Erben Erben antreten können. Allein
da dies supranaturalistische Institut, weit entfernt ein
solcher Vermögenserwerb zu sein, vielmehr nur die Perpe-
tuierung der Willenssubjektivität des Erblassers dadurch,
daß sich der Erbe mit derselben identisch und sie als
die seinige setzt, zu seinem Wesen hat, wovon dann der
Vermögenserwerb nur die notwendige und sekundäre Folge
ist, so kann hiervon nicht die Rede sein. Denn die Sache
steht nun so, daß der vom Erblasser zur Willensidenti-
fikation mit ihm Berufene diese Identifikation seiner-
seits nicht vollbracht, sich nicht zur Willensidentität mit
ihm bestimmt hat, und des Erben Erben dies nicht können,
weil sie vom Erblasser nicht als Willensidentität mit
ihm gesetzt sind. Die Sache liegt also für die Erben
des Erben wesentlich und ganz so, wie sie auch für
jeden anderen beliebigen Nichterben liegen würde. Frei-
lich war der Rechtsvorgänger jener zum Erbtum berufen,
und hätte sich also zur Willensidentität mit dem Erb-
lasser machen können, wenn er nur gewollt hätte, oder
noch lebte. Aber ebenso könnten dies alle anderen
Menschen auch, wenn sich nur der Erblasser zur Willens-
identität mit ihnen bestimmt hätte. Für den Begriff, und
darum auch für das Recht, wiegen sich diese beiden bloßen
Möglichkeiten vollkommen auf; welcher der beiden
Willen auch zur Herstellung der Willensidentität fehlt,
das Erbtum ist in beiden Fällen gleichmäßig nicht zu-
stande gekommen, und das Verhältnis des ersten Erb-
lassers zu des Erben Erben ist daher kein anderes, als
das zu allen Menschen überhaupt.
Von hier aus ist nun beiläufig auch erst in seiner
innersten Tiefe klar, warum (vgl. B. I, S. 705 — 722) im
römischen Recht bei der Erbschaft von einem erworbe-
nen Rechte vor der Adition nicht die Rede sein
491
kann^), und daher jeder vor derselben eintretende
Rechtswechsel ebenso wie die faktische Veränderung
des Todes einwirken muß.
Das Prinzip also, daß nach römischem Erbrecht die
Erben nicht transmittieren, heißt mit anderen Worten gar
nichts anderes, als daß ohne Adition kein Erbtum ist.
Und dieser Gmndsatz ist, wie wir gesehen, so sehr das
innerste Fundament alles römischen Erbrechtes, daß das-
selbe ohne ihn eine absolute Unmöglichkeit, ein völlig
um seinen Begriff gekommenes Institut wäre. Er durch-
dringt das gesamte römische Erbrecht und gleichmäßig,
weil zum Erbtum überhaupt erforderlich, Testaments- wie
Intestatrecht, und zwar so sehr, daß er auch beim suus
nicht fortfällt. Denn auch bei ihm ist die Adition, resp.
das, was durch sie gesetzt wird (Willensidentifikation),
nicht etwa überhaupt nicht erforderlich, sondern
sie ist es nur deshalb nicht mehr, weil sie bei ihm schon
vorliegt, schon stattgefunden hat durch den Akt
des Eintretens in die Familie, deren ungelöstes Glied er
ist, durch die Geburt (s. oben S. 313fg.).
Dennoch wird die Autorität der Juristen die Trans-
mission zuerst in gewissen Fällen, dann durch die Konsti-
tutionen der Kaiser bei gewissen Personen, endlich durch
eine Verordnung Justinians in gewisser Weise bei allen
Erben eingeführt. Dies scheint dem eben Gesagten zu
widersprechen. Denn es würde hierdurch scheinen, im
Laufe der historischen Bewegung dahin gekommen zu
sein, daß das Prinzip der Adition aufgehört habe, die
Grundlage des Erbtums zu sein. Dann aber würde das
römische Erbrecht fortan nur noch ein wirrer und sinn-
••■) Speziell über das Intestaterbrecht in dieser Hinsicht siehe
SUD Nr. XL. . .
492
loser Widerspruch gegen sich selbst gewesen sein. Eine
solche Veränderung konnte selbst zur Zeit Justinians
nicht möglich sein. Wir haben vielmehr bisher überall ge-
zeigt, daß durch alle historische Entwickelung und durch alle
allmählich in dieser vor sich gehende Entäußerung seines
ursprünglichen spekulativen zivilrechtlichen Begriffes hin-
durch, und selbst bis in die Umwandlung hinein, die das Erb-
recht unter Justinian erfährt, immer noch ein, wenn auch
immer dünnerer Zusammenhang mit dem speku-
lativen Begriff des zivilen Erbrechtes bewahrt wird:
daß derselbe in dieser historischen Bewegung ebenso
Schritt für Schritt aufgehoben, als noch festgehal-
ten wird. Das Prinzip der Adition aufgeben, im Sinne
des Verstandes, würde nichts anderes geheißen haben,
als alles römische Erbrecht aufheben. Es war dies für
das römische Recht unmöglich, solange die römische Welt
auch nur den leisesten und entferntesten Zusammenhang
mit ihren geistigen Traditionen bewahrte, solange dies
Recht nicht radikal in einen anderen Volksgeist überging.
Es wird daher unsere letzte Aufgabe sein müssen, über-
einstimmend mit dem, was wir bisher stets an den ver-
schiedenen Instituten und Sätzen des Erbrechtes in bezug
auf die historische Entwickelung desselben nachge\viesen
haben, auch hier wieder zur Darstellung zu bringen, wie
sich das, was sich uns als der Begriff der Adition
ergeben hat, und was also den Grundsatz der Nicht-
transmission hervorbringt, durch alle Zulassungen der
Transmission hindurch und bis in die justinianeische Ver-
ordnung hinein prinzipiell, wenn auch in mählich erblassen-
der Lebendigkeit immer noch festgehalten wird.
In den Digestenstellen, in welchen die Transmission
zugelassen wird, ist dies Festhalten des begrifflichen Prin-
zipes noch in aller Kraft vorhanden und völlig evident.
493
Der erste Fall Ist derjenige des SC. Silanlanum.
Wenn der Testator ermordet worden, so zeigt sich die
innere und wahre Identität der Willenssubjektivität des
Erben mit ihm gerade darin, daß der Erbe vor allem
zur Rache seines Mordes eilt^).
Das SC. Silanianum bestimmt daher, daß die Er-
öffnung der tabulae und die Antretung der Erbschaft
(s. Nr. XXX) nicht stattfinden kann, bis an den Sklaven,
die mit dem Ermordeten unter einem Dache waren, die
peinliche Frage vollzogen und die Schuldigen bestraft
worden^). Ja, das Edikt sagt sogar, daß der Erbe sich
eines dolus malus schuldig mache, der früher zur Er-
öffnung der Tafeln schreitet. Wie hier, wo man zunächst
nur an eine culpa denken sollte, von einem dolus die
Rede sein kann, würde schlechthin unbegreiflich sein, wenn
es nicht seine Erklärung in dem oben (Nr. XXXV) über
den Erbdolus Entwickelten in Verbindung mit dem soeben
Gesagten fände. Denn der Erbe, der an sich und seine
Antretung denken würde, ehe jene pflichtmäßige Unter-
suchung und Strafe an den schuldigen Sklaven vollzogen
ist, würde eben zeigen, daß er sich durchaus nicht
identisch mit dem Erblasser fühlt. Er würde somit
zeigen, daß er nur Vermögensnehmer des Toten, nicht
aber, wofür er sich ausgibt, Willensidentität mit ihm und
seinem um Rache schreienden Blute ist ; er würde also
gerade das begehen, was wir oben als das Wesen des
Erbdolus nachgewiesen haben. Das wahre Wesen des
Erben erfordert hier also gerade, daß die Adition solange
1) Marclanus. L. 15, §§ 1 u. 2. de SC. Silan. (29. 5):
, .Heredibus autem qui in ulciscenda morte defuncti cessaverunt,
tarn testamento quam ab intestato auferuntur bona, forte et si
quasi patronus venit. quamvls hi suo jure admittuntur."
2) Ulpian. L. 3. § 18. de SC. Silan. (29, 5).
494
unterbleibt. Wenn nun aber der Erbe in dieser Zwischen-
zeit gleichfalls stirbt? Wenn es feststeht, daß es nur
wegen des SC. Silanianum die Antretung nach dem Vorigen
unterlassen hat, so hat er in diesem Falle gerade durch
diese einstweilige Unterlassung der Adition und
seines mit ihr gegebenen persönlichen Erwerbes sich eben
als echten Erben, als echte Identität mit dem Erblasser
gezeigt und betätigt, wie sonst durch die Adition selbst.
Darum transmittiert er in diesem Falle. Und dennoch
soll er selbst in diesem Falle, da es zu jener for-
mellen Identifikation, die vorzunehmen er diesmal gerade
durch den inneren Begriff des Erbtums gehindert
wurde, nicht gekommen ist, nur utiles actiones, nicht direkte
erhalten^): ,, Eleganter Scaevola ait, ut quis ad heredem
suum utiles actiones transmittat, si forte ante aditionem
decessit, exploratum esse debere idclrco eum non adire,
quod senatusconsulto Edictoque terreatur." Wie wenig
dies aber etwa in dem Sinne einer bloßen Billigkeit zu
nehmen ist, zeigt sich sofort darin, daß, wenn außer
diesem Hindernis noch ein anderes zeitweiliges Hinder-
nis der Adition obwaltete, z. B. wenn die hinterlassene
Frau des Ermordeten fälschlich für schwanger gehalten
wurde, der Erbe nicht transmittiert^).
Würde nämlich, wie man dies allerdings allgemein hat
auffassen wollen, die Transmission hier nur deswegen zu-
gelassen, weil der Erbe durch das positive y^ selbst an
1) Ulpian, L. 3. § 30 h. tit. (29. 5).
^) § 32 1. 1. : „Si et aliud, impedimentum sit de non adeunda
hereditate, vel aperiundarum tabularum, sit et senatusconsulti,
nihil prodesse impedimentum senatusconsulti, si et aliud fuit,
veluti si praegnans uxor occisi fuit, vel etiam putabatur, et
propterea adire hereditatem institutus non potuerit" ; vgl. Pa-
pinian, L. 4 eod. tit.
495
der Adiiiön gehindert ist und hierunter nicht leiden soll,
so würde diese Billigkeit auch dann Platz greifen müssen,
wenn neben diesem Hindernis noch ein anderes und gleich-
falls vorübergegangenes bestanden hat. Denn was könnte
für jene Billigkeit darauf ankommen, ob der Erbe in
einer Zeit, in welcher er trotz alles Wissens durch das
jus an der Adition gehindert war^. wußte, ob die Frau
nicht schwanger war ? Allein, wenn ein solches Hinder-
nis konkurrierte, so hat sich der Erbe auch gar nicht
innerlich als Erben gewußt, und die Nichtadition
kann also hier auch nicht als die Betätigung jener ent-
scheidenden Erbgesinnung, als Darlegung jener die äußere
Adition zurückdrängenden inneren substantiellen Identität
ausgegeben werden, als welche sie bei den bloß durch
das SC. gehinderten Erben ausgelegt wird.
Nach dem Karbonianischen Edikt kann der testamen-
tarische Erbe, der den unmündigen präterierten filius als
untergeschoben bestreitet, die bonorum possessio secundum
tabulas inzwischen nicht begehren, dieselbe wird vielmehr
contra tabulas dem filius erteilt und die Entscheidung des
Rechtsstreites bis zur Zeit der eingetretenen Mündigkeit
ausgesetzt^). Wenn nun der geschriebene Erbe während
dieser Zeit stirbt, so soll — entscheidet Papinian —
seinen Erben dennoch die Transmission eingeräumt
werden^). Hier scheint bloße Billigkeit, damit das statt-
findende Rechtshindernis nicht zum Schaden gereiche, vor-
zuliegen. Gleichwohl unterläßt Papinian selbst nicht in
^) Es könnte darauf ebensowenig ankommen, als es darauf
ankommt, ob der von einer objektiven Bedingung abhängig ge-
machte Erbe vor dem Eintreffen der Bedingung vom Testament
und der Bedingung weiß.
2) L. 1 ; L. 3 de Carb. Ed. (37, 10) ; L. 2 de b. p. sec.
tab. (37, 11).
3) L. 12 de Carb. Ed. (37. 10).
496
dem Schlußgrunde, den er dafür angibt, auf den tieferen
Zusammenhang hinzudeuten: ,,Quid enim, si non po-
tuerunt adire hereditatem jure cessante, vel ob litem in
dubio constituti ? Er reduziert also diesen Fall auf den
anderen, daß die Adition wegen eines bereits im Laufe
befindlichen Rechtsstreites gehemmt ist. In der Tat ist
dies aber gar kein anderer Fall, sondern es ist jener
Fall selbst, der hier in Sprache steht. Der Rechtsstreit
mit dem unmündigen angeblichen Sohn hat der Sache nach
bereits begonnen, nur daß er mit einer Fristerteilung
für letzteren beginnt. Wer aber einen Rechtsstreit über
die Adition führt, zeigt dadurch sehr entschieden, daß
er sich innerlich als Erben auffaßt und betätigt. Es ist
wieder nur eine andere äußere Weise, die inner-
liche Willensidentifikation, die, wie wir zeigten,
das allein Wirksame und Lebendige und das Erbtum Pro-
duzierende im Aditionsakt ist, an den Tag zu legen.
Es wird daher selbstredend erforderlich sein, daß der
Erbe, um transmittieren zu können, auch wirklich weiß,
daß der Solin untergeschoben ist, was Papinian still-
schweigend voraussetzt. Denn ohne dies entschiedene
Wissen würde der Erbe auch sich nicht als Erben wissen
und in seiner Willensinnerlichkeit dazu machen und als
solchen festhalten können.
Daß dies wirklich die stillschweigende Voraussetzung
Papinians ist, ergibt sich schon daraus, daß, wenn die
hinterlassene Frau schwanger zu sein behauptet, der ein-
gesetzte fremde Erbe nicht antreten kann, wenn er nicht
weiß, daß die Frau nicht schwanger ist, in welchem
Fall er es allerdings kann^). Wie also, wenn nun
1) Siehe L.30. § 1, de acqu. her. (29,2). u. oben S. 419 fg.
darüber, und Papinian selbst in der bald zu beziehenden L. 84
eod. tit.
10 Laeeall«, G«. SoLriften. BaaJ XU. 497
dieser eingesetzte fremde Erbe während der angeblichen
Schwangerschaft der Frau stirbt und der Leib sich darauf
als leer erweist? Wird der Erbe auch in diesem Falle
transmittieren ? Er wird es nicht ^), und es tritt wieder
hier hieraus, wie wenig die Transmission aus der so-
genannten Billigkeit zu erklären ist. Es wird sich schwer-
lich als eine Billigkeit darstellen, daß der Erbe gerade
durch die billige Beachtung eines möglichen präterierten
postumus, also gerade durch die Beachtung eines mög-
lichen Familienrechtes des Erblassers, sein Erbrecht ver-
lieren soll. Aber der spekulative Begriff schlägt durch,
da durch jenen Zweifel der Erbe gehindert war, sich
zur entschiedenen Willensidentifikation mit der Willens-
subjektivität des Erblassers zu entschließen. Aber einen
Fall gibt es dennoch, wie Papinian entscheidet, in welchem
der während der Ungewißheit über die Schwanger-
schaft der Frau sterbende Erbe transmittiert. Und dieser
Fall läuft darauf hinaus, wenn der eingesetzte Erbe zu-
gleich auch als Intestaterbe des Verstorbenen mit
dem etwa präterierten postumus geerbt hätte ^):
,,Ergo si ventre pleno sit mulier, nonne iniquum erit,
interea defunctum filium heredi suo relinquere nihil ? Et
ideo decreto filio succurrendum est, quia sive frater ei
nascatur, sive non nascatur, patri heres futurus est^).
') L. 3. § 32 (29, 5).
^) L. 84 de acqu. vel om. her. (29, 2); vgl. L. 4. § 3;
L. 5 de b. p. contra tab. (37, 4).
*) Bis hierher spricht Papinian von einem filius, welcher
der suus des Erblassers ist, und es kann dies vielleicht auf-
fällig scheinen, weil ja der suus, da er eo ipso ohne Adition
erwirbt, immer transmittiert, oder, richtiger gesagt, niemals
transmittiert, da er stets die Erbschaft als eine schon
erworbene auf seine Erben überträgt. Diese scheinbare
Schwierigkeit aber beseitigt sich dadurch, daß hier von dem
498
Eademqiie ratio facit, ut emancipato quoque subveniri
debeat, qui altemtro casu rem omnimodo habiturus est."
Worauf gründet sich nun aber dieser scheinbare Vorzug
der gleichzeitigen Intestaterbqualität ? Es muß nach dem
Vorigen schon ganz evident sein, daß dies gar kein Vor-
zug des Intestaterbrechtes ist, sondern die Sache
vielmehr folgenden mit dem Vorhergehenden genau über-
einstimmenden begrifflichen Zusammenhang hat : Wer eben
so erben würde, wenn kein postumus geboren wird, als
mit diesem zugleich, wo durch seine Geburt das Testa-
ment rumpiert wird und Intestaterbschaft eintritt, der ist
sich, weil er eben auf alle Fälle erbt (alterutro casu),
nicht mehr ungewiß über seinen Erbcharakter, ist also
Falle eines präterierten postumus gehandelt wird, in welchem
Falle, da durch seine Geburt das Testament fortfiele, die
Erbschaft bis zur Entscheidung auch nicht einmal defe-
riert wird (Papinian, a. a. O. : ,,quamdiu rumpi testamentum
potest. non defertur ex testamento hereditas"). ohne Dela-
tion aber auch der suus nicht erwerben kemn. Stirbt nun in-
zwischen der suus und wird kein postumus geboren, so hat
sich freilich herausgestellt, daß er der Erbe war. Wird aber
ein pofetaimus geboren, so kann gegen den suus eingewendet
werden, daß er, da er zu der Zeit, wo es gewiß wurde, daß
der Erblasser als intestatus gestorben ist, nicht mehr lebt,
aus der erst nach seinem Tode eingetretenen Intestatdela-
tion nicht mehr erben kann. Dies wird nun eben von Papinian
in der oben weiter erklärten Weise durch die Bemerkung be-
seitigt, daß der suus auf alle Fälle Erbe war, sein Erbtum
auch für jeden derselben festgehalten hat, weshalb ihm
im letzteren Falle die Transmission eingeräumt wird. Denn
es ist genau unterscheidend festzuhalten, daß dieser Fall —
der vor der später erfolgten Geburt des präterierten postumus
eingetretene Tod des suus — der einzige ist, in welchem
der suus die Erbschaft nicht als erworbene vererbt,
sondern bloß das Recht auf dieselbe transmittiert.
10» 4Q0
nicht gehindert, sich als Willensidentität mit dem Erb-
lasser festzuhalten. Nur über die bloße Tatsache, ob
ein postumus geboren werden wird, nicht aber darüber,
ob er Willensidentität mit dem Erblasser ist, ist
er im ungewissen. Nur über seine Erbportion — die
aber (s. oben S. 424 fg.) nur das dem spekulativen Begriff
schlechthin Äußerliche und Gleichgültige ist — , nicht
aber über sein Erbtum ist er in Zweifel. Da er sich
also jedenfalls innerlich als Willensidentität mit dem Erb-
lasser festhält, somit die eigentlich geistige Tätig-
keit und Bedeutung des Aditionsaktes ausübt, und nicht
die Entscheidung über sein Erbtum, sondern bloß
die quantitative Feststellung seiner Erb-
portion abwartet, so transmittiert er. Und es trans-
mittiert daher auch der emanzipierte Sohn, seitdem ihm
einmal das Intestaterbrecht zugleich mit dem suus ein-
geräumt ist. — So tritt schon in dieser Entscheidung
Papinians das Wissen seines Erbtums für sich
allein als die das Erbrecht dem Erben zu eigen
machende (erwerbende) und daher transmittierende Tätig-
keit hervor, wenn auch zunächst nur in einem Falle, in
welchem dies Wissen durch das objektive Recht gehindert
wird, auch eine Entschließung an den Tag zu legen,
und in welchem daher mit Recht vorausgesetzt wird, daß
mit diesem Sichwissen als Erben auch das Sichwollen
als solchen verbunden sei.
Wenn dies die besonderen Fälle sind, in welchen die
Digesten die Transmission zulassen, und diese Fälle, wie
gezeigt, sämtlich darin übereinkommen, daß die geistige
Tätigkeit der inneren Willensidentifikation, welche das
Wesen der Adition ausmacht, ausgeübt worden, und nur
der äußere Aditionsakt infolge der vom Erbrecht selbst
gesetzten Hindemisse noch nicht vollzogen sei und sein
500
konnte, so gelangen wir nun mit den Kaiserkonstitutionen
zu besonderen Klassen von Erben, denen die Trans-
mission eingeräumt wird. So verordnet Theodosius zuerst
im Jahre 426, daß^), wenn einem Kinde (infans) eine
Erbschaft hinterlassen worden, der väterliche Ge-
walthaber desselben sie auch noch nach dem Tode des
Kindes antreten kann.
Es ist unschwer zu sehen, daß auch diese Transmission
im Prinzip eigentlich keine solche ist, die zugrunde liegende
Anschauung vielmehr die ist, daß das Subjekt des
Willens, welchem die Willensidentifikation angetragen
worden ist — der gewalthabende Vater - — , eben noch
lebt, und diese Willensidentifikation jetzt daher von gar
keiner anderen Willenssubjektivität vorgenommen wird,
als von der, der sie in letzter Instanz auch bisher schon
angetragen war, und auf welche sie auch bei Lebzeiten
des Kindes durch dieses hindurch und zurückwirkte. Und
diese Veränderung ist bei Theodosius konsequent, weil
er, während früher das Kind selbst die Adition unter
der Zustimmung des Vaters oder der Autorität des Tutors
vornehmen mußte (s. oben Nr. XXXVII), dies in der-
selben Verordnung dahin abändert, daß jetzt Vater wie
sogar Tutor ohne Beisein des Kindes (infans) in dessen
Namen antreten können^).
Fünfundzwanzig Jahre darauf erläßt Theodosius eine
andere Verordnung^), nach welcher alle direkten Deszen-
0 L. 18 C. de jur. del. (6, 30).
") Während er in bezug auf den mehr als siebenjährigen
Pupillen es beim alten Recht, daß er persönlich antreten muß,
bewenden läßt, und daher ganz konsequent diesem die Trans-
mission nicht einräumt.
^) L. un. C. de his qui ante etc. (6. 52) ; vgl. L. un.,
§ 5 C. de cad. toll. (6, 51).
501
denten, Söhne ^) oder Töchter, Enkel, Urenkel usw., wenn
sie von ihren Aszendenten zu Erben eingesetzt worden
sind, die Erbschaft, wenn sie auch vor der apertura tabu-
larum, und somit vor der Adition sterben, wieder auf
ihre Deszendenz in direkter Linie transmittieren.
Wenn diese Verordnung einerseits durch den Gedanken
der natürlichen Berechtigung der Familie auf das Ver-
mögen der Eltern hervorgebracht zu sein scheint, wie
sie in der Tat auch erst in einer Zeit möglich ist, in
welcher das Erbtum bereits seit lange in die Anschauung
einer Ver mögen shinterlassenschaft übergegangen ist.
und in der sich infolgedessen die Familie seit lange die
Stellung eines Noterben erkämpft hat, so ist dieser Ge-
danke dennoch offenbar unfähig, für sich allein die prin-
zipale Erklärung der hier verordneten Transmission ab-
geben zu können. Denn prinzipaliter ist dieselbe \iel-
mehr gerade wiederum an die willkürliche Freiheit der
testamentarischen Einsetzung als ihre Bedingung
gebunden, und die Transmission tritt daher hier keines-
wegs als ein aus eigener Berechtigung herfließendes
Intestaterbrecht der Familie auf (oder als gegen
das Testament gerichtetes Noterbrecht derselben). Fühlt
man daher dieser Verordnung an, daß sie in irgendeiner
Weise mit der Idee der natürlichen Familienberechtigung
in Zusammenhang steht, so wird man aber auch anfühlen
müssen, daß sie ebenso wieder mit der Idee der un-
beschränkten testamentarischen Erbeinsetzung verwachsen
erscheint. Denn man wird zugeben müssen, daß sie der
Idee des Familienrechtes nur unter der Voraus-
setzung ihres eigenen Gegenteils, nämlich nur
_ ^) Es ist also in bezug auf den Vater von emanzipier-
ten Söhnen, und in bezug auf die Mutter von Söhnen überhaupt
hier die Rede.
502
unter der Voraussetzung der willkürlichen testamentarischen
Einsetzung der Familie durch den subjektiven Willen
des Testators, eine Einräumung macht. Der Widerspruch
dieser beiden Gedanken scheint daher diese Verordnung
zu einer unbegreiflichen zu machen, wie sie denn in der
Tat durch keinen derselben anders als auf eine höchst
abstrakte, d. h. durchaus unwahre und den Begriff ver-
fehlende Weise woirde erklärt werden können. Ihre kon-
krete begriffliche Erklänmg ist vielmehr folgende.
Wir haben früher gesehen, wie und warum der suus,
und zwar in ältester Zeit und nach strengstem Zivilrecht,
unmittelbarer Erbe ist, und wie er dies allerdings
infolge seines Familienzusammenhanges mit dem
Erblasser ist. Nicht aber durch ein ihm zustehendes
Erbrecht — denn sonst würde ihm dasselbe niemals
durch den bloßen und unbeschränkten Willen des Testators
entzogen werden können — , sondern deshalb, weil er
unmittelbare Willensidentität mit dem Erblasser
ist, und daher, wenn er nicht aufgehoben wird, von
selbst das schon ist, wozu ein anderer Erbe durch den
Prozeß der Willensidentifikation erst gemacht werden soll.
Diese unmittelbare Willensidentität des suus
wird, wie sie in der durch die väterliche Gewalt gegebenen
Willenseinheit ihre begriffliche Grundlage hat, durch die
Emanzipation des Sohnes natürlich aufgehoben. Der
Sohn tritt dadurch aus dieser Willenseinheit heraus,
er tritt aus der Familie selbst heraus, da der Begriff
der römischen Familie eben nichts anderes ist als die
Willensidentität eines Personenkreises, der allein in
dem Träger derselben seine berechtigte, für sich seiende
Willenssubjektivität ^) hat.
^) Dies ist auch der einzige und wahrhafte begriffliche
Zusammenhang der Familie mit dem alten zivilen Erb-
503
Wer aber hier das sub Nr. XXI Gesagte, sowie unsere
Entwackelung über den Inhalt des Erbbegriffes über-
haupt, sorgfältig erwägt, wird es begreiflich finden, wenn
wir sagen, daß durch die Erbeinsetzung des eman-
zipierten Sohnes das zerschnittene Band der Familie
gleichsam wiederhergestellt wird^). Natürlich!
Was die Emanzipation bewirkte, war, daß der Sohn
aufhörte, Willensidentität mit dem Vater zu sein,
daß er fremder, selbständiger Wille ^vird. Was aber
durch die Erbeinsetzung bewirkt wird, ist gerade,
daß er wieder als Willensidentität mit dem früheren
Gewalthaber gesetzt wird. Durch das Erb tum wird
also der Emanzipierte gleichsam zu einem wieder-
hergestellten 5////5-), Die große Härte, aber strenge
recht. Die Familie ist koexistierende Willensiden-
tität; das Erbtum ist aufeinanderfolgende, sukze-
diercncle Willensidentität. Gerade darum hat die Fa-
milie nichts vor dem Erbtum voraus, kein begriffliches Recht
auf Erbtum. Denn das Erbium ist selbst familienbil-
dend; dies Institut erzeugt selbst das. was in Rom auch die
Idee der Familie ist. Die Familie ist, als schon vorhandene
Identität, nur unmittelbarer Erbe, wenn der Wille sich nicht
betätigt hat, kann aber, da das Interesse lediglich in den sub-
jektiven Willen und dessen Perpetuierung fällt, nicht die
Substanz des Erbrechtes und keine Instanz gegen den Willen
bilden, da dieser, um dessen Erhaltung es sich allein handelt,
gerade in unbeschränkter Freiheit, im Setzen und Aufheben
sein Wesen hat, und das selbst schon in sich hat, was in Rom
die Substanz auch der Familie bildet.
^) Wie «man auch analog sagen kann, daß der suus durch
die exheridatio gleichsam aus der Familie entlassen, eman-
zipiert wird.
^) Von dem eigentlichen suus kann natürlich die Rede
nicht sein; denn dessen Begriff besteht gerade darin, von
selbst und ohne Vermittlung da zu sein, während es der
504
begriffliche Konsequenz des alten Zivilrechtes
zeigt sich auch darin, daß, wenn der emancipatus zum
Erben eingesetzt wird, kein Schatten der Erinnerung auf
sein früheres Verhältnis zum Erblasser fällt. Er ist und
bleibt, einmal gegen denselben fremd und selbständig ge-
worden, wie jeder andere fremde Erbe für ihn. Die all-
mähliche Entwickelung und Erstarkung der Familienidee
bewirkt jetzt aber, daß zur Zeit des Theodosius, wenn
der Emanzipierte zum Erben eingesetzt ist, sein frühe-
res Verhältnis nun durchschlägt und als gleichsam
wiederhergestellt erscheint. Diese Metamorphose in der
Anschauung ist aber ebenso natürlich wie notwendig. Denn
dieser Zeit, die ein an und für sich seiendes Intestat-
erbrecht der Familie kennt, das der Testator nur bis zu
einem gewissen quantitativen Punkte schmälern und auf
einen Pflichtteil zusammendrücken kann, scheint durch
die freiwillige Erbeinsetzung des emanzipierten Sohnes
die an sich seiende Berechtigung desselben —
die jetzt als eine stets vorhandene angesehen wird und
der der Vater nur entgegenhandeln kann — vom
Vater nur anerkannt, dadurch die Aufhebung des
ursprünglichen Zusammenhanges nur ihrerseits auT-
gehoben und hierdurch die frühere Berechtigung
und Ursprünglichkeit wiederhergestellt zu sein. Es
fällt für diese Zeit bei der Einsetzung des Emanzipierten
das Gewicht darauf, daß der Sohn eingesetzt worden,
daß er als Sohn eingesetzt worden, wodurch das, was
bei dem noch ungelösten Zusammenhang des suus von
selbst da ist, nun durch die ihm übertragene Willensidentität
in der früheren substantiellen Unmittelbarkeit wiedergekehrt
zu sein scheint. Diese Metamorphose in der Anschauung
emancipatus erst durch Vermittlung der Erbeinsetzung wie-
der wird.
305
ist um so natürlicher, als für diese Zeit der suus selbst
sein Recht nur aus der natürlichen Familienabstammung
zu schöpfen scheint, woher die falschen Definitionen von
der ,, quasi debita hereditas" des suus fließen, die, nicht
lange nach Theodosius, Justinian und zum Teil schon
lange vor ihm Gajus gibt. Für den feinen begrifflichen
Unterschied, der für das alte Zivilrecht zwischen dem
suus und dem eingesetzten emancipatus trotz der Ein-
setzung vorhanden ist — denn dieser wird durch die Ein-
setzung noch nicht Willensidentität, er wird es erst
durch die Antretung, während es der suus von selbst
ist; es muß also auch bei ihm erst Identifikation
stattfinden, ehe das frühere Verhältnis wiederhergestellt
ist, nach der Identifikation besteht aber zu jedem anderen
extraneus dasselbe Verhältnis — , für diesen Unter-
schied hat diese Zeit keinen Sinn mehr. Der suus ist
Sohn und Erbe. Der zum Erben eingesetzte
Emanzipierte ist gleichfalls Sohn und Erbe, und
so scheint er durch die Einsetzung dasselbe, was jener
ohne dieselbe, und mit einem Schimmer von Suität um-
geben zu sein.
Als wiederhergestellter suus kommt ihm daher
nunmehr die Unmittelbarkeit und die eigene, von
selbst vorhandene Berechtigung desselben zu, so daß
ihm die Erbschaft, die als ein durch die Einsetzung
nur anerkannter, d.h. als ein hierdurch nur zur gül-
tigen Wirklichkeit erhobener, an sich seiender^) natür-
licher Rechtsanspruch des Sohnes aufgefaßt wird, jetzt
schon vor der Adition zu gebühren scheint. Darum
also transmittiert er, analog dem suus, und muß trans-
mittieren, wenn diese Anschauung einmal gegeben. Nur
^) Vgl. die Entwickelung in Bd. I, § 10, der Theorie.
506
daß erstens, da seine Unmittelbarkeit durch das Ver-
hältnis der natürlichen Abstammung vermittelt ist, diese
seine Unmittelbarkeit in ihm selbst nur so weit
reicht, so weit jenes Verhältnis in Betracht kommt;
d. h. es tritt die begriffliche Konsequenz ein, daß er
nur seiner Deszendenz, nicht, wie der echte suus, auch
seinen fremden Erben transmittiert. Und zweitens, daß
er in der Tat nur transmittiert, während der suus
die Erbschaft als eine erworbene überträgt (außer in
Fällen wie S. 498, Note 3).
Wollte man behaupten, daß durch diese Auffassung des
zum Erben eingesetzten Emanzipierten, als eines wieder-
hergestellten suus, ein Gedanke in die Verordnung des
Theodosius hineingetragen wird, der ihr auch nicht in
unbewußter Form zugrunde liegt, so ist diese Be-
hauptung so irrig, daß jene Konstitution sogar in ihren
Worten diese Anschauung auf das deutlichste heraus-
treten läßt. So drückt sich Theodosius daselbst von dem
emanzipierten Sohne, Enkel usw. so aus: ,,. . . licet non
sint invicem substitui seu cum extranels seu soli sint in-
stitui." Indem er also die emanzipierten Söhne, Enkel usw.,
die doch selber extranel sind, den extranels entgegen-
setzt, zeigt er deutlich genug, wie sie ihm eben keine
extranei zu sein scheinen und der Begriff des extraneus
sich ihm in denjenigen eines der Familienabstammung nach
fremden Erben verzogen hat. Entscheidender noch ist
zweitens der Umstand, daß Theodosius ihnen die Trans-
mission des Erbtums einräumt, ,,sive se novennt scriptos
heredes, slve ignoraverint''. Dies aber, daß nicht einmal
das Wissen erforderlich ist, ist schlechterdings ein
Umstand, den wir vor wie nach Theodosius nur beim
suus finden (vgl. oben S. 411fg.) und das Kenn-
zeichen der Suität ausmacht. Selbst noch für die
507
Justinianeische Transmission muß jeder wissen, der
nicht suus ist. Drittens endlich bezeichnet Theodosius diese
Erbschaft der Deszendenten als QmQ ,,tanquamdebitam",
d. h. genau so, \vie sonst nur vom suus gesprochen wird
(s. oben Nr. XXI).
Justinian endhch durch die L. 19 C. de jure del. (6, 30)
gibt allen Erben, wenn sie während des Deliberations-
jahres sterben, das Recht, das Erbrecht allen ihren
Erben zu transmittieren, so daß diese nun innerhalb des
von dem Deliberationsjahre noch übrig gebliebenen Zeit-
raumes antreten können. Hier scheint also eingetreten zu
sein, was wir S. 493 für unmöglich erklärten, und das
Prinzip, daß erst durch die in der Adition vor sich gehende
innere Willenstätigkeit die bis dahin bloß faktische Mög-
lichkeit des Erben zum erworbenen und individuellen Recht
werde, aufgegeben zu sein. Dennoch ist dies nicht der
Fall, und selbst noch in dieser seiner entartetsten Gestalt
bewahrt das römische Erbrecht seinen Zusammenhang mit
dem spekulativen Begriff des alten jus civile, bei jeder
Entfernung von demselben und jeder Umgestaltung immer
noch in dem eigenen Prinzip desselben das Prinzip
der Entfernung und Umgestaltung selbst suchend. Die
conditio sine qua non nämlich, unter welcher Justinian
dem Erben dies Transmissionsrecht auf seine Suk-
zessoren einräumet, ist die, daß er das oben entwickelte
(Nr. XXXIV), zum Erbtum erforderliche Wis-
sen gehabt habe^). Es bedarf aber nur der Erinnerung
an das daselbst über dies Wissen und später über die
Delation (Nr. XXXVIII) Gesagte, um den Gedanken
^) ,,. . . is, qui sciens, hereditatem sibi esse vel ab inte-
stato vel ex testamento delatam etc." Und bald darauf: ,,Si
enim ipse, postquam testamentum fuerit insinuatum vel ab inte-
stato vel aliter ei cognituin sit etc.'"
308
dieser Verordnung und seine genaue Übereinstimmung mit
dem dort Erörterten klar hervortreten zu sehen. Auch
das Wissen ist bereits, und vor der Entschließung
des Willens, eine innere, und zwar die ideellste Tätigkeit
des subjektiven Fürsichseins, dessen Herzensangelegenheit
das römische Erbtum bildet. Indem der Erbe weiß,
hat er bereits durch diese Tätigkeit den Willen des Erb-
lassers zum Inhalt seines Fürsichseins gemacht
und ihn so in erster Instanz sich angeeignet, zu
seinem eigenen Fürsichsein erhoben. Darum ist es
das Wissen, wie wir früher sahen, durch welches erst
der Erbe die Delation bewirkt, sich selbst die Erb-
schaft anbietet. Dieses im Wissen gegebene Sichselbst-
anbieten seitens des Erben, diese erste vom Fürsich-
sein des Erben an demjenigen des Erblassers
ausgeübte und dasselbe sich geistig aneignende Tätigkeit
ist es, die Justinian hier — im Falle des Todes des
Erben — als subjektive Aneignung und daher
als ein erworbenes Recht begründend auffaßt, dessen
Wirksamkeit er nur durch eine äußere positive Frist be-
grenzt, und dem er daher innerhalb derselben transmittie-
rende Kraft einräumt. Weil es die durch das Wissen
bewirkte Delation als Sichselbstanbietung ist, die
Justinian als diese die Entschließung des Annehmens oder
Ausschiagens dem freien Willen noch vorbehaltende, an-
eignende Willensaktion auffaßt, so bringt er dies Recht
mit der Deliberation in Verbindung und erregt so den
Schein, es auf ein besonderes jus deliberandi zu gründen.
Allein die Deliberation ist gar kein besonderer Rechts-
faktor oder das Produkt eines solchen. Die Deliberation
ist nichts anderes als der durch das Wissen und die
von ihm hervorgebrachte Sichselbstanbietung, als
welche sich uns die Delation ergeben hat, gegebene
509
geistige Zustand des Erben, Was Justinian also daselbst
von der Deliberation spricht, geht auf gar kein
anderes begriffliches oder rechtliches Moment zurück, als
auf jenes sich selbst deferierende Wissen, und
dieses somit ist das die Transmission bewirkende Moment.
Wenn daher der geistvolle Donellus diese Justinianeische
Transmission so erklärt^): die Erben wöirden angesehen
„deliberare de hereditate et id jus dellberandl, atque ex
eo jus adeundi, si expediat, sibl sumere, quod sumtum et
velut siium factum, non mirum, si ad heredes suos trans-
ferunt", so lassen die zuletzt hervorgehobenen Worte
auf das trefflichste den wahren Begriff der Sache zum
Vorschein kommen, und nur dies ist irrig daran, daß es
eine besondere Tätigkeit des Deliberierens und
ein besonderes jus deliberandt j sei , was die Trans -
mission begründe. Sondern es ist, wie gezeigt, lediglich
das Wissen, welches, wie es die Delation bewirkt,
soeben hierdurch von Justinian als die aneignende und darum
das jus adeundi transmittierende Tätigkeit angeschaut wird.
Wie wenig das Deliberieren als ein besonderes Recht
und Moment dabei in Betracht kommt, zeigt sich am deut-
lichsten daran, daß gerade, wer sich eine Delibera-
tionsfrist ausgewirkt hat (si deliberationem meruerit),
häufig sein Transmissionsrecht dadurch nur verklei-
nert. Denn wenn er nun stirbt, verbleibt seinen Erben
nur der von jener Frist ^) etwa noch vorhandene
Rest zum Antreten, während, wemi er sich gar keine
Deliberationsfrist erwirkt und gar keine Absicht zu
deliberieren an den Tag gelegt hat (deliberatione minime
1) Comm., lib. VII, c. IV, p. 294.
^) Und eine längere Frist als von neun Monaten und resp.
einem Jahre kann gar nicht gewährt werden ; siehe L. 22,
§ 3 C. eod. tit. Dies ist das gesetzliche Maximum.
510
petita), der zu einem vollen Jahre seit der Delation noch
übrige Zeitraum zum Antreten bleibt; zwei Punkte, die
sich mit voller Deutlichkeit aus der Verordnung ergeben
und auch anerkannt sind^).
XL. Der konkrete Begriff des zivilen Intestat-
erbrechtes und die Zwölf Tafeln. — Die alte
usucapio pro herede. — Der Übergang zur
prätorischen bonorum possessio.
Wir haben bereits wiederholt (s. die Nrn. XXII und
XXVI) die Stellung des Intestaterbrechtes zum testa-
mentarischen, oder, was dasselbe ist, die besondere
Stellung des Intestaterbrechtes zum Erbtum über-
haupt, oder, was wieder dasselbe, den Begriff des
Intestaterbrechtes in allmählicher Entwickelung hervor-
treten lassen.
^) Siehe Donellus. a. a. O. — Ebensowenig beabsichtigt
Justinlan, wie man irrig geglaubt hat, eine Deliberations-
frist durch diese Verordnung einzuführen und also den Grund-
satz aufzuheben, daß es für den zivlllstlschen Erben keine
gesetzliche Frist zum Antreten oder Ausschlagen gibt (Gajus,
II, 167), sondern nur als Transmissionsfrist, nicht De-
liberationsfrist (nicht also als Frist für den fortleben-
den Erben) wird jener einjährige Zeltraum von Ihm eingeführt.
Daß Justinlan gar keine Deliberationsfrist festgesetzt hat, noch
festsetzen wollte; Ist bereits nachgewiesen von Vangerow Im
Zivil. Archiv. XXII. 7; vgl. Puchta und Arndts In Richters
krit. Jahrb., 1840. S. 7 fg., 17 fg.; Mühlenbruch, Fortsetzung
zu Glück. XLI. 295 fg.: Mayer, Erbrecht. § 118. Note 22
und 23.
511
Allein diese Entwickelimgen, die immer nur gelegent-
lich durch unsere Untersuchungen über das Erbtum über-
haupt herbeigeführt waren, konnten eben deshalb nur den
ersten, noch bloß formellen und abstrakten, noch
nicht den konkreten Begriff des römischen Zivil-
intestaterbrechtes ergeben.
So wenig es nun auch in dem Plane dieses Werkes
liegen kann, Dogmatik und Geschichte des Intestaterbrech-
tes mit derselben Ausführlichkeit zu behandeln, mit welcher
hier nur das römische Erbtum überhaupt — und
deshalb auch sein begrifflich adäquatester Repräsentant,
das testamentarische Erbtum — behandelt werden
mußte, so würde unsere Aufgabe doch keineswegs gelöst
sein, wenn wir nicht noch den konkreten Begriff des
Intestaterbrechtes in seiner ganzen Bestimmtheit zur
scharfen Entwicklung und zum positiven Erweis brächten.
Sowie aber der Begriff des Intestaterbrechtes in seiner
wahren Konkretion nachgewiesen sein wird, werden
verhältnismäßig wenige Bemerkungen genügen, um, im
Verein mit dem, was bereits über den gesamten Gang
der geschichtlichen Bewegung des römischen Erbrechtes
dargetan worden ist, so\vie im Verein mit dem, was, außer
über das zivile Intestaterbrecht selbst, bei der Inoffiziosi-
tätsquerel und an verschiedenen anderen Orten von uns
bemerkt worden ist, die dogmatischen Unterschiede wie
die geschichtliche Bewegung des römischen Intestaterbrech-
tes in das hellste Licht zu setzen.
Das alte Intestaterbrecht des römischen jus civile kennt
bekanntlich weder Noterbenrecht noch Pflichtteil.
Dies juristische Faktum, in die Sprache des Gedankens
übersetzt, heißt somit nichts anderes, als daß das Intestat-
erbrecht keine selbständige Instanz dem Testator
512
gegenüber bildet^), mit anderen Worten, daß es nur
subsidiarisch Platz greift, wenn der individuelle Wille
des Erblassers nicht gesprochen hat. Jeder dieser beiden
Sätze heißt aber, in seinem Begriffe ausgedrückt, nichts
anderes als: daß das zivile Intestaterbrecht nicht die
Bedeutung haben soll, als ein dem individuellen Willen
prinzipiell Anderes und Gegenüberstehendes
in Betracht zu kommen.
Das Intestatgesetz tritt also nicht qua Gesetz ein,
als ein gegen den individuellen Willen Selbständiges
und ihm Gegenüberstehendes, sondern nur als ein
mit ihm Identisches, d.h. nur als der voraus-
gesetzte individuelle Wille tritt es ein; nur als
solche Ergänzung des eigenen, nicht ausgedrück-
ten Willens des Individuums (voluntas tacita) greift es
Platz.
Es ist dies somit derselbe Begriff des Intestaterbrechtes,
der sich uns schon früher ergeben hat, nur daß wir ihn
hier in einer verschiedenen Weise entwickelt haben. Gingen
wir zuerst (vgl. S. 41, Note 2, und Nr. XXII und
XXVI) von dem römischen Hauptsatze, dem Satze Ulpians
(L. 39 de acqu. her. 29, 2), daß die Intestaterbschaft
nur subsidiarisch deferiert wird, als von dem Be-
weise aus, daß das Intestaterbrecht nicht das Prin-
zipale und Substantielle , und ebensowenig das
^) Wie groß erweist sich also beim ersten Schritt eingehen-
der Gedankenbetrachtung der Irrtum der Autoren, welche bisher
das Testament vielmehr als eine Dispensation von der
primo loco vorhandenen gesetzlichen In'estaterbfolge, und diese
als das Wesentliche des Erbrechtes überhaupt, aus welchem
sich das Testament erst als Surrogat entwickelt habe, oder
beide, Testament und Intestaterbrecht, als gleichberechtigte und
kämpfende Gegensätze auffassen !
11 U««l!i. G« Schrift«.. Ban<lXII. 513
gleichberechtigt und kämpfend Koordinierte des römischen
Erbtums sein könne, so haben wir umgekehrt jetzt und
schon in den angezogenen Nummern, in denen wir uns
mit dem Intestaterbrecht beschäftigten, diesen Satz Ulpians
als eine notwendige Folge des inwendigen Begriffes
der Sache entwickelt. War unsere Entwickelung in den
vorbezogenen Abschnitten die, daß wir von dem speku-
lativen Begriff des Erbtums überhaupt als der
Willensfortexistenz ausgingen und so zu der not-
wendigen Konsequenz gelangten, daß, wenn alles Erbtum
nur Perpetuierung der Willenssubjektivität
durch eine andere mit ihr identische ist, das Intestat-
erbtum, wenn es und da es noch Erbtum überhaupt
sein soll, nichts anderes als diese Fortexistenz durch
den aus dem eigenen Willen des Toten voraus-
gesetzten Willensträger sein kann, — so sind wir jetzt
zu diesem selben Satze auf eine weniger vom Begriff als
vielmehr vom Positiven des römischen Rechtes ausgehende
Weise gelangt. Denn wir sind jetzt zu ihm gelangt
von der bloßen positiv-materiellen Tatsache des
römischen Zivilintestaterbrechtes aus, daß es weder Not-
erben noch Pflichtteil kennt, eine Tatsache, die
nur als inhaltlicher Gedanke dasselbe ausdrückt, was
die subsidiäre Stellung des Intestaterbrechtes in for-
meller Hinsicht. Und freilich mußten beide Wege
zu demselben Resultat führen, denn diese positive
Tatsache ist gar nichts anderes als das im Intestat-
erbrecht sich manifestierende Dasein seines Begriffes.
Aber weiter als früher sind wir mit dieser bloß ver-
schiedenen Herleitung noch nicht gekommen. Der hier
entwickelte Begriff des Intestaterbrechtes ist noch ganz
derselbe, und daher auch ganz ebenso abstrakt und nur
noch formell, wie er dies in unseren früheren Erörte-
514
rungen in den Nrn. XXII und XXVI war, auf welche
wir hier vor allem in allen ihren Punkten zurückverweisen
müssen.
Das heißt: In Wahrheit scheint hier wie dort der
Begriff nur noch abstrakt und bloß formell zu sein,
weil das bereits in ihm ruhende Inhaltliche oder
Konkrete noch nicht zum Vorschein gebracht wor-
den ist.
Um dies zu leisten, um den inhaltlichen Begriff
des römischen Zivilintestaterbrechtes in seiner ganzen
Konkret heit hervortreten zu lassen, wird zunächst nur
eine Frage erforderlich sein. Die Frage nämlich: Wenn
alles Intestaterbtum, wie wir sahen, nur als der voraus-
gesetzte Wille des Individuums Platz greift, wenn
dies sein formeller Begriff ist, nur der nicht aus-
gedrückte Wille des Individuums und die Ergänzung
desselben zu sein — welches ist denn der nicht aus-
gedrückte Wille des Individuums ?
Mit der sich in einen kurzen Satz zusammenfassenden
Beantwortung dieser einen Frage wird sich — so groß
ist die Macht des konkreten Begriffes — von selbst
alles Weitere über Dogmatik und geschichtliche Bewegung
des Intestaterbrechtes ergeben, in noch reicherer und spe-
ziellerer Weise, als wir, die wir es hier unserem Zweck
nach eigentlich nur mit der festen Konstatierung
dieses Begriffes und nicht mit einer besonderen selbstän-
digen Behandlung der intestaterbrechtlichen Materie zu
tun haben, hier auszuführen vermögen.
Welches ist also der nicht ausgedrückte Wille
des Individuums ?
Wenn das Individuum keinen besonderen subjek-
tiven Willen ausgedrückt, wenn es sich nicht als be-
sonderen Willen gesetzt hat, so bleibt als sein
11» 515
Wille nur — das allgemeine Wesen des Willens
übrig. Oder schärfer : der sich nicht besondernde
Wille — ist der allgemeine Wille.
Denn der besondere Wille ist ja selbst erst diese
Tätigkeit des allgemeinen Willens, sich als be-
sonderen zu setzen. Ehe er sich also zu einer Be-
sonderheit bestimmt hat, ist seinem eigenen logischen
Begriffe nach im Willen eben nur sein substantiell-
allgemeines Wesen vorhanden.
Dieser tiefe Satz der spekulativen Logik^)
ist es, den das römische jus civile erfaßt und in seinem
Intestaterbrecht mit gewaltiger begrifflicher Konsequenz
verwirklicht. Der sich nicht als ein besonderer
setzende individuelle Wille ist also identisch mit dem
allgemeinen Wesen des individuellen Willens, oder
dem Volksgeist, dem das Individuum angehört.
Dieser Wille hat also keinen anderen Inhalt als den
allgemeinen Willen des Volkes, oder den Staat,
in dessen Organisation derselbe verwirklicht ist. Die
durch das Band der Gewalt vermittelte Personen-
gemeinschaft^) oder die Agnaten, die Einheit des
Stammes oder die Gentilen, sind daher, als die Basen,
auf welchen die römische Gesellschaft überhaupt
•^) Denn er ist nur eine Folge des logischen Fundamental-
gesetzes, daß das Besondere überhaupt nur die Tätigkeit
des Allgemeinen ist, sich zum Besonderen zu be-
stimmen, zu differentiieren. Siehe Hegels Logik, Bd. II,
Die Lehre vom Begriff und seine Momente : das Allgemeine,
Besondere und Einzelne.
^) Es wird nützlich sein, sich dieses genaueren Aus-
druckes zu bedienen, als des Wortes: Familie, mit welchem
nun einmal in germanischer Zeit stets der Begriff der natür-
lichen Verwandtschaft verbunden, und so sein römischer
Sinn durchaus verändert wird.
516
beruht, auch die Basen des Intestaterbrechtes.
Oder das zivile Intestaterbrecht ist, wie wir das bald
noch näher aufzeigen werden, im strengsten Sinne ein
Erbrecht der ordo ; es ist ein Einrücken der
Reihenfolge von Grundlagen, in die das All-
gemeine, der Staat, sich organisch gliedert^).
^) Von hier aus erklärt sich nun auch sofort nicht nur da,s
spätere Erbrecht des Fiskus, sowie das Recht desselben auf
die Kaduzitäten, sondern auch das Erbrecht der Kurie
(Tbeodosius, L. 4 C. de her. dec-, 6. 22), des coUegii navi-
cularionxm, des cohortalis, das von Konstantinus erteilt wird
(siehe L. 1 u. 3 C. de her. dec, 6, 62) ; das Erbrecht des
collegii fabricensium, das von Theodosius (L. 5 C. eod. tit.),
das Erbrecht der Legionen, das schon von Hadrian, und das
Erbrecht der Reiterei, das von Konstantin erteilt wird (L. 17
D. de just. rupt. et irr. test.. 28, 3. — L. 4, 17 D. de
fideic. 40, 5. — L. 2 C- de her. dec, 6, 62), sowie das
von Theodosius gegebene Erbrecht der Kirche (L. 10 C de
episc et der., 1, 3). Als ein Erbrecht der Standesgemein-
schaft! Lange nachdem das jus gentilitium untergegangen,
weil die Stamm- und Geschlechtereinteilung aufgehört hat, die
Grundlagen des römischen Volkslebens zu bilden, und selbst
bis auf die Erinnerung zugrunde gegangen ist, lange nachher
kami und muß an die Stelle der Gentilen nun das Intestaterbrecht
dieser Standesgenossenschaften treten. Denn bei der ganz ver-
änderten Gestalt, welche die römische Gesellschaft inzwischen
erhalten hat, sind diese ordines, die durch die Lebensbe-
schäftigung gebildeten Reihen und Klassen, Stände und
Kreise, auf welchen die Gesellschaft jetzt beruht und
in die sie sich gliedert, eben das, was an die Stelle der
früheren gentes getreten ist. — Es ist also von der höchsten,
folgenreichsten Wichtigkeit, zu begreifen, wie in diesem Erb-
recht der Beschäftigungs- und Erwerbsgenossenschaft noch un-
verändert derselbe In testaterbf olgebegrif f tätig ist,
der früher den Gentilen die Intestaterbschaft überträgt, nur
daß eben in der so veränderten Gesellschaft jene statt dieser
zu den Grundlagen derselben geworden sind. Die Wirklich -
517
Fassen wir zunächst den konkreten Begriff der rö-
mischen Intestaterbfolge, wie er sich uns nunmehr be-
stimmt hat, scharf zusammen.
Der wahre und konkrete Begriff der römischen Intestat-
erbfolge ist also :
der allgemeine Wille des Volkes, aufgefaßt,
vorausgesetzt und geltend als der Wille
dieses bestimmten Individuums^).
keit der römischen Gesellschaft hat sich geändert, und damit
tritt unter Festhaltung desselben Intestatbegriffes dieses Erb-
recht der Genossenschaften an Stelle dessen der verschwundenen
gentes.
•'■) Es ist vielleicht nicht ohne Interesse zu sehen, wie in dem
romanischen Geist der Päpste, trotz aller Umgestaltungen
der Begriffe wie der Verhältnisse, immer in gewisser Weise
dieser ursprüngliche Geist des altrömischen jus ci\ile fort-
lebt. Denn nichts anderes als der oben entwickelte Begriff liegt
der gegen die französische Krone geltend gemachten Forderung
des Papstes Innozenz IV. zugrunde, daß die Güter aller
intestato verstorbenen Geistlichen, gleichviel ob sie
noch so nahe Blutsverwandte hinterließen oder nicht, der Kirche
zufallen sollten (s. Matthieu, Paris. Hist., p. 774 an 1246,
Regierung von Heinrich III.). Die in der vorigen Note ange-
zogenen Kaisergesetze über das Erbrecht der Kirche und des
Standes bilden durchaus keine ausreichende Analogie hierfür,
da sie alle nur für den Fall verfügen, daß keine erbfähigen
Verwandten da sind. Zum Verständnis dieser Forderung muß
man sich erinnern, daß die Geistlichen im Mittelalter überall
unter römischem Recht standen, statt unter Landesgesetz.
Nach dieser Bemerkung muß die Analogie mit dem Obigen
klar sein. Nicht nur in geistlicher, sondern auch in Rechts -
gemeinschaft nur mit der Kirche, ist es das rein All-
gemeine dieser letzteren selbst, womit der einzelne Geistliche
zusammenfällt, wenn er keinen besonderen Willen gesetzt
hat. An die Stelle der Agnaten und Gentllen des jus civile rückt
die keine solche Gliederung innerhalb ihrer kennende einfach
allgeineine Substanz der Kirche selbst.
518
Es ist von der höchsten Wesentlichkeit, keine von
diesen beiden Seiten des altrömischen Intestaterb-
begriffes zu übersehen. Welche von beiden man über-
sieht, fällt man jedesmal notwendig in ein immenses und
gänzliches Mißverständnis des Geistes des römischen
Intestaterbrechtes, und zwar, obwohl aus entgegengesetzten
Gründen, dem Resultat nach immer in dasselbe Miß-
verständnis, wie wir später noch zeigen werden.
Nur durch die Erfassung des römischen Intestaterb-
rechtes, als der Einheit dieser entgegengesetzten
Momente, begreift sich die Einheit, in welcher es mit
dem testamentarischen Erbrecht steht und gleich
diesem, individuelle Willensfortexistenz bildet,
d. h. den Begriff des Erbtums überhaupt erfüllt, und wie
es dennoch in jenen bestimmten und schneidenden Gegen-
satz mit der testamentarischen Willensgeltung treten
muß, der den Satz: ,,Nemo pro parte testatus, pro parte
intestatus decedere potest", zu seinem notwendigen Aus-
druck hat^).
Noch einmal ergibt sich hier das Verständnis dieses,
das gesamte römische Erbrecht beherrschenden Prinzips.
Denn da der individuelle Wille nur dadurch, daß er
sich nicht als besonderer setzt, als identisch mit dem
allgemeinen Willen vorausgesetzt wird, so ist, wo einmal
diese Voraussetzung gemacht werden muß, jede Be-
sonderheit im Inhalt des Willens schlechthin aus-
geschlossen und die strenge Identität mit dem Allgemeinen
gesetzt, was den Schein gibt, daß das Gesetz als solches
Bloße Habsucht reicht zur Erklärung der Möglichkeit
einer so exorbitanten Forderung nicht aus, auch schon deshalb
nicht, weil sie sich dann ebenso sehr und vor allem gegen das
Recht der Geistlichen, zu testieren, hätte richten müssen.
1) Vgl oben Nr. XXVI.
519
verfüge. Und umgekehrt : Wenn zugegeben wird, daß
der Wille sich tätig als besonderer gesetzt habe, kann
nicht davon die Rede sein, ihn als identisch mit seiner
ruhenden Allgemeinheit aufzufassen und also die Intestat-
ordnung eintreten zu lassen. Eine Teilung, welche mög-
lich und logisch wäre, wenn der Begriff des römischen
Erbrechtes eine V e r m ö g e n s Übertragung wäre, ist eben
deshalb schlechthin unmöglich, weil es nur Perpetuie-
rung der Willenssubjektivität ist, die durch ihr
ausdrückliches Sichselbstsetzen das Eintreten ihres
bloßen Vorausgesetztseins unzulässig und logisch-
unmöglich macht. Solange man also diesen Satz: Nemo
pro parte etc., als ein im geringsten Befremdendes oder
als ein äußerlich-historisch zu Erklärendes, oder
solange man ihn mit Gans — obwohl diese Ansicht be-
reits einen Fortschritt darstellt — als den Ausdruck eines
Kampfes zwischen Intestatrecht und Testaments-
recht als zwei entgegengesetzter Prinzipien,
als den Gegensatz ,,der Willkür des Individuums" und
der ,, Sittlichkeit der Familie" auffaßt, oder solange man
ihn überhaupt anders auffaßt als ein bei Zugrundelegung
des historischen Begriffes des römischen Geistes
notwendiges logisches Denkgesetz, liefert man hierin
den besten Beweis, den Geist des gesamten römischen Erb-
rechtes verfehlt zu haben ^).
Sehr richtig sagt Pomponius : dazwischen, d. h.
zwischen diesen Tatsachen, finde ein natürlicher
Kampf statt {eammque renim naturaliter pugna est),
ob jemand testato oder intestato gestorben sei, und
dieser Gegensatz ist eben oben entwickelt; aber er sagt
^) Siehe als Anmerkung hierzu die Kritik des Huschke-
schen Aufsatzes als besondere Beilage am Schluß dieser
Nummer.
520
nicht, daß zwischen Testaments r e c h t und Intestat r e c h t
ein Kampf stattfinde, wie es Gans (II, 451 fg.) völlig
umdeutend und höchst irrtümlich auffaßt. Es ist viel-
mehr gerade die ruhige Einheit von Testaments- und
Intestatrecht, die Idee des Erbtums als der Willens -
perpetuierung, welche jenen sich ausschließenden Gegensatz
in der Form, in welcher der Wille eines bestimmten Toten
fortexistiert, hervorbringt. Gerade durch diese irrige Auf-
fassung des Testaments- und Intestaterbrechtes als eines
sich bekämpfenden Dualismus wird nun auch die gesamte
Auffassung der historischen Bewegung bei Gans
genötigt, eine falsche zu werden, oder vielmehr es ist
ein sich gegenseitig bedingendes Verkennen des Erbrechtes
auf allen seinen Punkten. So faßt Gans und andere diese
historische Bewegung, z. B. die Inoffiziositätsquerel (II,
116 fg.), als ein Einbrechen der Idee des Intestat-
rechtes in das System der testamentarischen Willkür.
Allein was hat die Inoffiziositätsquerel mit dem Ge-
danken des Intestaterbrechtes zu tun?
Ist sie ein Recht der ordo der Agnaten und Gentilen ?
S i e steht vielmehr von vornherein auf dem p r ä t o r i -
sehen Boden der natürlichen Familie (Kognation),
denn sie ist allen Kognaten gegeben. Sie ist wirklich
das, wofür man bisher mit Unrecht die Intestaterbfolge
des jus civile gehalten hat, sie ist wirkl-ich das erste
Hereinbrechen der Idee der ,, natürlichen Erbfolge"
der verwandten Personen oder des Familien-
rechtes, und eben deshalb von dem Intestatsystem
der ordo und dem testamentarischen System gleich weit
entfernt. Wir haben gezeigt, welches der wahre
Kampf und das wirkliche Bewegungsprinzip des
römischen Erbrechtes ist. Es ist der Kampf und die Ab-
reibung des erblasserischen Willens an dem erben -
521
den Willen oder der leise Übergang des Erbtums als
Willensfortsetzung in den Gedanken des Vermögens-
erwerbes 0- Sowie das Vermögen anfängt, das Erb-
tum als Substanz zu durchdringen, ist es natürlich, daß
sich jetzt auch das natürliche Recht der Familienglieder
geltend zu machen anfängt, zumal jetzt auch der Erbe
notwendig mit Vermögen befaßt ist, während früher die
Familienglieder durch Legate weit reichlicher bedacht
^) D. h. wir zeigen hier, das sub Nr. VII Gezeigte rekapi-
tulierend, wie innerhalb des reinen Zivilrechtes selbst diese
Bewegung schon vorhanden ist, es zum Vermögenserbtum um-
zubilden. Innerhalb des reinen Zivilrechtes kann aber diese
Bewegung, wegen der Festigkeit seines Begriffes, nicht zu
ihrem notwendigen Ziele dringen; innerhalb des reinen
Zivilrechtes bleibt daher die lex Falcidia der äußerste Schritt
auf dieser Laufbahn. Aber wir werden noch zu Ende der
gegenwärtigen Nummer sehen, wie das Zivilrecht selbst noch
den ar deren Trieb in sich hat, das Erbrecht qua- Vermögen s -
erwerb als ein von ihm verschiedenes und anderes
Recht außerhalb seiner zu setzen — das prätorische Erb-
recht der bonorum possessio. Die Bewegung des römischen
Rechtes ist daher die gedoppelte: die Bewegung des reinen
Zivilrechtes innerhalb seiner selbst dem Prinzip des prätorischen
Erbrechtes, dem Erbrecht als Vermögenserwerb, entgegenzu-
kommen, und diese Bewegung führt nicht sehr weit in ihren
praktischen Resultaten. Dann aber die Bewegung des von
Zivilrecht selbst, auf Grund seines in ihm vorhandenen
Keimes, als ein gegen es anderes Recht außerhalb seiner
gesetzten prätorischen Erbrechtsprinzipes, welches, sich
selbständig entwickelnd, in den Kreis des Zivilrechtes einzu-
brechen und sich an seine Stelle zu setzen sucht — und diese
Bewegung hat die entscheidende Auflösung des jus zivile zu ihrer
Folge. In beiden Bewegungen aber herrscht ein Prinzip. Nur
durch das Erfassen dieser beiden Bewegungen kann die römi-
sche Rechtsgeschichte begriffen werden. Zu seinem konkreteren
Verständnis aber wird das hier Gesagte erst am Ende dieser
Nummer gelangen.
522
werden konnten als der Willenskontinuator. Sowie im
zivilistischen Erbtum überhaupt die Willenssubjektivität
des Erblassers anfängt, statt die des Erben zu verschlingen
und als ihre Fortexistenz zu setzen, vielmehr negiert
zu werden und unterzugehen in diejenige des Erben,
der bei diesem einbrechenden Dualismus zu seiner Sub-
stanz und seinem Interesse das Vermögen hat, da muß
dasselbe Ankämpfen wie gegen das zivilistische Prinzip
des Erbtums überhaupt, so auch gegen das des Intestat-
rechtes insbesondere einzutreten anfangen.
Es ist daher wieder eine chronologische Gleichzeitig-
keit von hohem spekulativen Interesse, daß gleichzeitig
mit der Bewegung der lex Furia — Voconia — Falcidia,
die jenes erste Ankämpfen, wie wir gesehen haben, dar-
stellt, auch die querela inofficiosi sich zu entwickeln be-
ginnt, die, indem sie von vornherein auch den Kognaten
gegeben ist, dieselbe innerliche Reaktion gegen das Prin-
zip des zivilen Intestatrechtes darstellt, die sie
gegen das Testament offen vollbringt, ein Ankämpfen,
dessen zitternde, sich selbst verleugnende Form, in der
es zuerst auftritt, wir bereits mit seiner weiteren Ent-
wickelung betrachtet haben (Nr. X), und welches gleich-
wohl von vornherein der erste Schritt des prätorischen
Prinzipes ist, sich in das Zivilrecht hinein und an
dessen Stelle zu setzen.
Wir sagten aber noch vorher, daß, welche von den
beiden Seiten, die in dem spekulativen Begriff des Intestat-
rechtes geeint sind, man auch übersehe, man jedesmal in
ein immenses und, obwohl aus entgegengesetzten Gründen,
im Resultat in dasselbe Mißverständnis des Intestat-
rechtes verfallen müsse. Dies ist nun zunächst zu zeigen.
Alle bisherigen Autoren stimmen darin überein, das
zivile Intestaterbrecht als ein wahres Familienrecht
523
aufzufassen. Die Folgerung, die Gans hieraus zieht, ist,
daß ihm Intestaterbrecht und testamentarisches in einem
bloßen einheitslosen Dualismus zueinander stehen.
Hier wird also die begriffliche Einheit beider ver-
kannt, die sich schon ganz äußerlich darin ausspricht, daß
beide eben Erbrecht sind. Diese Institute werden ihm
so zu schlechthin miteinander kämpfenden Ge-
danken, die keinerlei Gemeinschaftlichkeit
ihres Gedankeninhaltes haben, deren Nebeneinander-
bestehen daher schlechthin unbegreiflich bleibt und
deshalb von ihm als eine historische Stammesverschie-
denheit der Patrizier und Plebejer zu erklären versucht
wird, eine Erklärung, die einerseits historisch völlig un-
haltbar, und andererseits nichts anderes als der von vorn-
herein ausgesprochene Verzicht auf die Forde-
ning des Begriffes ist, den römischen Geist als eine Ein-
heit seiner Gegensätze zu begreifen. Und sicherlich, wenn
die Gegensätze, weil sie spekulative Gedanltengegensätze
sind, scharf und schneidend sind und sein müssen, so kann
doch nirgendswo weniger als gerade in Rom und gerade
im römischen jus civile die schlechthin geschlossene
geistige Einheit, welche diese Gegensätze durchdringt,
geleugnet werden.
Gans, der große Gegner der historischen Schule, ver-
fällt daher, indem er die Gegensätze, statt sie als Momente
aus der Einheit des spekulativen Begriffes hervorgehen
zu lassen, als eine durch keinen Gedanken geeinte, sich
bloß äußerlich gegenüberstehende historische Stammes -
Verschiedenheit hinstellt, hier selbst in den von ihm
der historischen Schule so lebhaft vorgeworfenen
Fehler, das aus dem Gedanken Abzuleitende als ein
äußerlich und historisch Gegebenes voraus-
zusetzen. Selbstredend wird bei dieser Anschauung.
524
die nur eine Folge davon ist, daß Gans gar nicht den
spekulativen Erbtumsbegriff überhaupt, sondern nur die
empirische Verstandesvorstellung von demselben in der
Hand hat, der Geist des Intestaterbrechtes in seiner Be-
stimmtheit ebenso verfehlt, wie der des testamentarischen.
Da diese einheitslose Anschauung mit Recht kein Glück
machen konnte, so haben Böcking und andere, immer von
jenem Grundirrtum ausgehend, daß das römische Intestat-
erbrecht seinem Gedanken nach wahres Familienrecht sei,
die andere Folgerung gezogen (vgl. oben S. 41, Note 2),
daß das Familienerbrecht die prinzipale Substanz alles
römischen Erbrechtes überhaupt sei, deshalb die gesetz-
liche Erbfolge sei, und daß der rechtlichen Willkür
des einzelnen nur gestattet sei, davon abzuweichen usw.
Allein fast noch mehr als bei der vorigen Auffassung
wird bei dieser die Stellung beider Systeme zueinander
verkannt und der Geist eines jeden von beiden mißverstan-
den. Dies spricht sich am kürzesten schon in der hier
vorgegangenen totalen Verrückung der formellen Stellung
aus, welche beide Systeme zueinander haben. Diese
Autoren übersehen, daß sie hierdurch das Testamentsrecht
zu einem subsidiarischen gegen das Intestatrecht
machen und sich dadurch in den offensten und direktesten
Widerspruch mit den Texten versetzen, welche das In-
testaterbrecht vielmehr für das, was es ist, für ein sub-
sidiarisches des testamentarischen Rechtes
(Ulpian, L. 39 de acqu. her. 29, 2) erklärten.
Wenn aber beide Irrtümer nur die Folge von der Auf-
fassung des Intestatrechtes als eines auf die Verwandt-
schaft basierten Familienrechtes sind, so ist dieser Grund-
irrtum selbst wieder, wie sich jetzt zeigt, nur die not-
wendige Folge von dem Übersehen der einen der
beiden oben erörterten Seiten, die im Begriff des römischen
525
Intestaterbrechtes geeint sind. In der Tat, welche von
diesen beiden Seiten man auch übersieht, so wird es beide-
mal dahin führen müssen, das Intestaterbrecht als Familien -
recht aufzufassen. Übersieht man das Moment des (voraus-
gesetzten) individuellen Willens, so erscheint das Intestat-
erbrecht als das eigene und vom Gesetz als solchem
anerkannte Recht der Familie. Übersieht man da-
gegen das Moment des allgemeinen Willens, mit
welchem der sich nicht besondernde Wille des Individuums
zusammenfällt, so erscheint das Intestaterbrecht als
bloßer präsumtiver Wille der Person und daher
als Präsumtion ihrer individuellen, auf die Familie
gerichteten Gesinnung (Familienliebe als Prinzip).
Wie wenig aber das Intestaterbrecht ein Familienrecht
in dem mit diesem Worte stets verbundenen Sinne ist,
liegt unter anderem z. B. ganz deutlich schon darin, daß,
wenn der nächste berufene Agnat ausschlägt oder stirbt,
das Erbrecht der ganzen Klasse der Agnaten fortfällt.
Es zeigt sich hierin wieder nur, daß es nicht die ver-
wandten Personen sind, die als solche einen eige-
nen Rechtsanspruch haben, oder denen vom Gesetz ein
solcher gegeben wird, oder die als Gegenstand der Familien-
liebe als Erben präsumiert werden, sondern daß es die
strenge Idee der ordo ist, die dem alten Intestatrecht
zugrunde liegt, und werden wir hierauf später noch näher
zurückkehren^).
^) Es ist übrigens selbstredend, daß alle diese Irrtümer eine
unvermeidliche Konsequenz des ersten und fundamentalen Irr-
tumes sein mußten, das römische Erbrecht überhaupt als Ver-
mögensrecht und Vermögenserwerb statt in seiner spe-
kulativen Wahrheit als Willensperpetuierung aufzu-
fassen. Natürlich lag dann täuschend nahe, das Intestaterbrecht
der Agnaten für einen Rechtsanspruch dieser Personen auf das
Vermögen des Hingeschiedenen zu nehmen.
526
Mit dem entwickelten Begriffe des römischen Intestat-
erbrechtes, dem allgemeinen Willen, vorausgesetzt
und geltend als der individuelle Wille dieses be-
stimmten Individuums, stimmt nun alles Reale und For-
male des römischen Intestatrechtes bis in seine kleinsten
Einzelheiten genau überein.
Zuerst stimmt damit auf das schlagendste überein die
feststehende Tatsache)^, daß in den Zwölf Tafeln
die testamentarische Erbschaft den Bestimmungen über
die Intestaterbfolge vorangestellt ist^).
^) Siehe die gelehrten Untersuchungen Dirks ens über die
Zv/ölftafelfragmente (Leipzig 1824), S. 290.
^) Ebenso ergibt sich jetzt die innere Notwendigkeit der
in den Zwölf Tafeln befolgten „Verbindung des Erbrechtes
mit der Vormundschaft; denn die letztere erscheint im
alten römischen Zivilrecht hauptsächlich auf die Voraus-
setzung der Erbfolge gegründet" (Dirksen, a. a. O.,
S. 289). Das Warum hiervon muß jetzt durchaus evident sein.
Wenn das Erbtum nur die fortexistierende Willenssubjektivität
des Toten ist, so ist die Verbindung desselben mit der Tutel
so einleuchtend, daß wir es für überflüssig gehalten haben,
dieselbe einer besonderen Erörterung zu unterziehen, welche
den Ausgangspunkt zu einer selbständigen Darstellung der Tutel
bilden müßte. Nur die Bemerkung mag hier ihren Platz finden,
daß die Ansicht von Gothofredus, die Behandlung der Vor-
mundschaft habe in den Zwölf Tafeln einen bloßen Anhang
der Darstellung vom Erbrecht ausgemacht, jetzt eine große
innere Bestätigung gewinnt gegen Dirksens Meinung (a. a. O.),
daß jene Lehre , .ungleich natürlicher den Übergang von dem
Familienrecht zum Erbrecht vermittelt habe," weshalb er die
betreffenden Fragmente auch an den Anfang der fünften Ge-
setzestafel stellt (vgl. daselbst S. 728). Davon, daß die Tutel
den Übergang vom Familienrecht zum Erbrecht vermittele,
wird jetzt offenbar nicht mehr die Rede sein können, sondern
umgekehrt das Erbrecht als Ausgangspunkt der Tutel
zu fassen sein.
527
■ Die betreffenden Zwölftafelstellen lauten in ihrer Auf-
einanderfolge also :
Uti legassit super pecunia tutelave suae rei, ita jus
esto.
Si intestato moritur, cui suus heres nee sit, adgnatus
proximus familiam habeto.
Si adgnatus nee escit, gentilis familiam nancitor^).
In gewaltigster monumentaler Steinschrift enthalten diese
drei kurzen Sätze durch das, was sie sagen und nicht
sagen, ausdrücklich verfügen und voraussetzen, vor- und
nachstellen, in graphischster Kürze das Ganze der von
uns vorangeschickten Auflösungen.
Zuvörderst tritt, statt befremden zu können, jetzt sehr
bedeutsam hervor, daß die Zwölf Tafeln eigentlich über
das testamentarische Erbtum selbst, über die
Freiheit dieser Erbeinsetzung nichts verfügen und er-
wähnen. Nur über die Freiheit des Legierens wird ver-
fügt, derjenigen der testamentarischen Erbeinsetzung nicht
einmal Erwähnung getan. Aber mit der Frage nach diesem,
auf den ersten Moment befremdenden Umstand ergibt sich
jetzt auch zugleich die Antwort.
Niemals, außer in Zeiten höchster Reflexion, wird ein
Volk unmittelbar und verfügend das in seinen Gesetzen
aussprechen, was die gesamte Substanz seines Geistes, die
ganze Voraussetzung seines geistigen Daseins, und mit
diesem identisch ist. Die testamentarische Erbeinsetzung
und ihre Freiheit, dies, was bei anderen Völkern gar
nicht vorhanden ist oder sich von außen her spät, langsam
und mit großen Beschränkungen entwickelt, ist für den
römischen Geist nicht eine Befugnis, die ihm zu
^) Siehe die fünfte Tafel, Fr. 3 — 5, bei Dirksen, a. a. O-,
S. 729.
528
gewähren und zu verbriefen wäre, es ist seine gesamte
religiös-metaphysische Grundlage, ist mit der stillen Not-
wendigkeit des Seins in ihm vorhanden, ist identisch mit
diesem historischen bestimmten Volksgeist selbst, ist für
ihn dasselbe, wie sein geistiges Dasein überhaupt.
Diese gesamte Voraussetzung seines geistigen Daseins
wird daher in einer altertümlichen Zeit von einem Volke
ebensowenig verbrieft und dekretiert werden, wie etwa
ein solches Volk sich seine Existenz überhaupt dekretieren
würde. Die testamentarische Erbeinsetzung und ihre Frei-
heit ist für den Römer jene absolute Notwendigkeit seines
geistigen Daseins, welche über und außerhalb der
Sphäre des Dekretierbaren und Gesetzlichen für
ihn fällt. Sie muß außerhalb der Sphäre des Gesetz-
lichen für ihn fallen, weil sie sogar — innerhalb dieses
Volksgeistes — außerhalb der Sphäre des Geschicht-
lichen fällt, ein keinem Zeitwechsel Unterliegendes, mit
seinem gesamten Dasein Zusammenfallendes ist. Die Ge-
schichte selbst beweist dies. Die Freiheit der Legate
unterliegt im Lauf derselben Fluktuationen, — die testa-
mentarische Erbeinsetzung selbst und ihre Freiheit ist,
solange Rom und römisches Recht existiert, niemals an-
getastet worden^). Es ergibt sich erst von hier aus die
der römischen Geschichte und zuletzt mit Justinian bekommen.
Die Freiheit der Erbeinsetzung ist geblieben, und selbst die
Kinder können, nach den früheren Verordnungen Justinians,
für das Pflichtteil durch Legate abgefunden werden (vgl. oben
Nr. X). Erst durch die Novelle 115 wird dies von Justinian
geändert, indem jetzt die Deszendenten, wenn nicht die von ihm
bestimmten Enterbungsgründe vorliegen, für das Pflichtteil zu
Erben eingesetzt werden sollen. So würde denn hier, am
letzten Ende des römischen Rechtes, das Untergegangen-
sein desselben insofern von ihm selbst gesetzt sein; aber noch
12 LassaUe. G«. Schriften. Band XH. 52Q
ganze Oberflächlichkeit der allgemein verbreiteten An-
sicht, welche in dem G e s e t z e s charakter der Intestat-
erbfolge eine dieser zukommende größere Substantialität,
Bedeutung und Ursprünglichkeit sieht, zu welcher das
Testament nur eine derogierende Stellung einnehme.
Man könnte hierauf etwa antworten, daß auch der testa-
mentarische Erbe wegen des uti legassit auf dem Zwölf-
tafelgesetz beruhe, wie Ulpian dies von dem Legate
wirklich sagt^). In der Tat aber wäre diese Antwort
nicht weniger schief als das, was damit beseitigt werden
soll. Dasjenige, was iür ein Volk, wie gezeigt worden,
außerhalb der Zeit fällt, was den gesamten Kreis
seiner Geschichte bis an die äußersten Enden derselben
ausfüllt, das fällt nicht mehr in das Gesetzliche und
deshalb im Zeitenlaufe Wechselnde, sondern weit
darüber hinaus, in das Urgesetzliche dieses Volkes
hinein, als der von vornherein mit dieser Gestalt des Geistes
vorhandene, mit ihr auftretende und mit ihr verschwindende
Typus dieses Geistes, von dem wohl alle bestimmte
Gesetze Ausflüsse sind, den er sich aber nicht in freier
in diesem Untergang wäre wieder die Freiheit der testamen-
tarischen Erheinsetzung auch noch aufrecht erhalten. Denn das
Pflichtteil, für welches die Deszendenten eingesetzt werden
sollen, ist unverändert das frühere Quantum, und neben die-
sen Noterben hat daher die testamentarische Einsetzung noch
ihren freien Spielraum. — Faßt man übrigens mit Donellus,
Comm., VI, 13, und anderen überwiegenden Autoren die Vor-
schriften der Novelle nicht als Nullitätsgründe gegen das Testa-
ment auf, so fehlt in derselben auch noch dieser Untergang,
indem dann bei Nichtbeobachtung der Novelle nur wieder zur
querela inofficlosi zu greifen ist, die durch das Pfllchttell-
legat beseitigt wird.
^) Fr. XIX, § 17: „Lege nobis adquiritur . . . item lega-
tum ex lege duodecim labularum."
530
Objektivität gegenüberstellt, sondern der ihn wie die all-
gemeine und unmittelbare unveränderliche Notwendigkeit
seines Lebens unausgesprochen durchdringt.
Wohl aber zeigt sich daran, daß die Zwölf Tafeln
über die testamentarische Erbeinsetzung und ihre Frei-
heit nichts sagen und zu sagen nötig haben (ebenso wie
in der Bekanntheit, mit welcher der dogmatische Begriff
des suus vorausgesetzt wird), wie unendlich alt und wie
unendlich lange den Zwölf Tafeln vorhergehend, das von
diesen nur vorgefundene, nicht geschaffene, das von
ihnen nur als die ruhende unbewegte Substanz ihres Ver-
ordnens vorausgesetzte und nicht in den Kreis dieses Ver-
ordnens aufgenommene testamentarische Erbtum ist. Und
so ist es denn auch und hat, wie im Zwölf tafelgesetze,
seinen Beweis in den Überlieferungen der alten Autoren.
Ebensowenig wie ein Ende, kennen wir dem testamen-
tarischen Erbtum einen Anfang in der römischen Ge-
schichte ; ebensowenig wie ein Vergehen, hat es inner-
halb derselben ein Entstehen. So weit die Erinnerungen
dieses Volkes nur reichen, in allen seinen auf die Grün-
dung Roms zurücklaufenden und ihr noch vorhergehenden
historisch-mythischen Traditionen erscheint das testamen-
tarische Erbtum als ein unbefangenes Voraus-
gesetztes, mit allen diesen Erinnerungen Verfloch-
tenes. Dies Volk weiß nichts davon, daß ihm das testa-
mentarische Erbtum entstanden sei. Mit der mythi-
schen Acca Laurentia, der Amme des Romulus, der in
den Fasten Roms ein Kalendertag geheiligt ist und welcher
der flamen Quirinalis ein öffentliches Opfer vollzieht,
mit ihr, die nach Sabinus Massurius als Stifterin der
arvalischen Brüderschaft, und demn wieder in mystischer
Bedeutsamkeit als Gottesbuhlerin auftritt, mit ihr bereits
erscheint das testamentarische Erbtum untrennbar vereint
12» 531
und gegeben. Denn aus den ältesten Schriftstellern wird
berichtet, daß ihr der Kalendertag in den Fasten Roms
geweiht worden sei, weil sie, wie die einen sagen, Romulus,
wie die anderen wollen, das römische Volk zu Erben
ihres aus der Heirat mit dem Tusker gewonnenen Ver-
mögens — • dieses ihr indirekt aus der Buhlschaft mit
dem Gott hervorgegangenen Reichtums — eingesetzt
habeO- Schon zur Zeit des Proka, des Vaters des Vaters
der Rhea Sylvia, erwähnt Livius^) des Testamentes als
eines Selbstredenden. — Und diese Mythen treten nicht
auf und sind nicht etwa bewußt geschaffen zu einer inter-
essierten Verherrlichung des testamentarischen Erbtums.
Einem ganz anderen Zusammenhange hingegeben, blitzt
dasselbe immer nur in ihnen durch als die Tatsache, daß
es der geistige Boden dieses Volkes ist, auf dem sie
sich bewegen. Wie durch den spekulativen Begriff a priori,
ist es also auch durch die positiven Zeugnisse erwiesen,
daß das Testament, welches seine Entstehung mit Rom
hat, keine Entstehung in Rom hat. Was das wahrhaft
Positive in diesen Zeugnissen ist, ist, daß der römische
Geist, nicht einmal in seinen ältesten und dunkelsten Tra-
ditionen, eine Epoche in seiner Erinnerung hat, wo er
ohne testamentarisches Erbtum gewesen. Es ist für ihn
mit seinem Dasein selbst gegeben, die mit diesem Dasein
selbst zusammenfallende Voraussetzung desselben. Wenn
das testamentarische Erbtum ein innerhalb der römischen
Geschichte entstandenes wäre, wenn es für sie eine Zeit
^) Siehe über die Acca Laurentia: Gellius, Noct. att., VI,
c. 7; Macrobius, Saturnal., I, c. 10, p. 241 sqq., ed. Bip. ;
Plutarch, Quaest. Rom., XXXV, p. 116, ed. Wytt. ; Plutarch.
Romul., p. 19 F.; Augustinus, De civ. dei, VI. 7; Lac-
tantius, Instit. div., I, c. 20.
2) Lib. I, c. 3.
532
ohne Testament gegeben hätte, niemals und unmöglich
hätte sich bei der immensen Bedeutung, welche die Ein-
fühi-ung des Testamentes haben mußte, bei dem groß-
artigen Umschwung, den diese Änderung darstellte, jede
Erinnenmg derselben bis auf die letzte Spur verwischen
können. Dies wäre ohne Möglichkeit, ohne Beispiel, ohne
Analogie in der Weltgeschichte. Statt dessen tritt uns
überall in den ersten mythisch-religiösen Erinnerungen
Roms das Testament als ein schon vorhandenes bestimmt
entgegen. Wenn dies für den rationalistischen Verstand
unfaßbar sein muß, so hat sich dagegen gezeigt, daß es
für den spekulativen Begriff sogar ein a priori Notwendiges
ist. Dies, was innerhalb der Geschichte eines Volkes
nicht verschwindet, ist auch kein innerhalb dieser Ge-
schichte Entstehendes; was kein Ende in der Zeit hat,
hat auch keinen Anfang in ihr. Für die allgemeine
Weltgeschichte ist es ein Zeitliches und Geschicht-
liches; für dieses bestimmte Volk ist es dies nicht. Es
ist für es ein Ur gesetzliches, ist identisch mit dieser
Physiognomie des Geistes, welche dieses Volk darstellt,
ist selbst diese Physiognomie. So ist es ein mit ihm
Auftretendes, mit ihmVerschv/indendes, trotz aller
mißverstandenen Rudera, die es in der Welt zurückläßt^).
Wohl werden wir in der folgenden Nummer einen,
wie wir hoffen, hellen Blick in das Woraus v/erfen, aus
welchem sich das testamentarische Erbtum der Römer
entwickelt hat. Aber daselbst werden wir auch sehen,
daß dieses Woraus nicht in das GeschichtHche, sondern
in das Urgeschichtliche des römischen Volkes, in
^) Und es wird sich bei unserer Betrachtung des germani-
schen und resp. nriodernen Erbrechtes zeigen, daß das testa-
mentarische Erbium trotz jener Rudera mit Rom verschwun-
den ist.
533
das Vorgeschichtliche desselben fällt, mit dessen
Überwindung erst römischer Geist da ist, seine geistige
Stätte gründet und das Pfund, das er mitbringt, wuchernd
entwickelt.
Wenn aber die sich selbst perpetuierende Übertragung
der Willenssubjektivität, oder die Erbeinsetzung, für den
Römer nicht eine Befugnis, sondern die Voraussetzung
aller Befugnisse, seine geistige Physiognomie überhaupt
ist, so stellt dagegen der einzelne Willensakt des
Legates, dieser nur auf diesem Boden der Willens-
unsterblichkeit stehende, dieser selbst aber prinzipiell
entgegengesetzte und daher sogar gegen den
Willensfortsetzer, negativ angehende Akt der Sachen-
vergabung^), so gut wie jede andere Sachenver-
fügung unter Lebenden, eine Befugnis für den Römer
dar. Diese Legatenfreiheit ist in der Tat das im Zeiten-
laufe Wechselnde und Fluktuierende, das Geschicht-
liche, und darum kann und muß sie von dem Zwölf -
tafelgesetz festgestellt werden, so daß nun in den Worten
uti legassit das testamentarische Erbtum selbst nur als
die vorausgesetzte Substanz, als der ruhende Boden dieser
verbrieften Befugnis indirekt hervortritt^).
^) Vgl. über den Begriff des Legates Nr. XIV fg.;
S. 297 fg.. S. 278. Note 1.
^) Hiernach beseitigt sich auch von selbst die Verwirrung,
welche in der von Huschke (Rhein. Mus.. VI, 292) sich ge-
stellten Frage liegt : ..warumi der Akt. der seinem materiellen
Inhalt nach legare hieß, doch nicht mit diesem Ausdruck, son-
dern testari genannt wurde." Die hier zum Vorschein kom-
mende Verwechslung des Testaments- und Legatsbegriffes hat
ihre Quelle in der dialektischen Gegensätzlichkeit, vermöge
welcher letzterer Gegensatz und Betätigung des ersteren
zugleich ist, und verschwindet daher sofort bei scharfer Fest-
haltung unserer Entwickelungen des Legatsbegriffes.
534
Wenn aber der Erblasser nicht ausdrücklich seinen
Willensträger gesetzt hat, si intestato moritur, so geht
nun das Zwölf tafelgesetz dazu über, ihm den voraus-
gesetzten Wiilensträger zu bestimmen, einen Willens -
träger, den es bestimmt und einsetzt aus dem voraus-
gesetzten individuellen Willen des Erblassers
heraus, welcher, weil sich nicht besondernd, als mit
dem allgemeinen Willen zusammenfallend angeschaut
wird.
Schritt für Schritt entfaltet sich alles zu blendender
Klarheit, wenn dieser konkrete Begriff des Intestat-
erbrechtes: der allgemeine Wille vorausgesetzt, und
zwar mit logischer Notwendigkeit vorausgesetzt, als der
individuelle Wille des sich nicht besondernden
Individuums, festgehalten wird.
Zunächst ergibt sich hieraus jetzt erst in seiner ganzen
Tiefe, warum das Intestatgesetz der Zwölf Tafeln dem
suus sein Erbrecht gar nicht verleiht, sondern seiner
nur mit einem negativen cui suus heres nee sit erwähnend,
sein Erbrecht nur als ein selbständiges, und ihm,
dem Intestatrecht, vorhergehendes anerkennt, als ein
ebenso vorhergehendes anerkennt, wie in demselben Satze
durch die Worte si intestatus moritur das Testamentsrecht
anerkannt wird. Es ergibt sich jetzt erst wahrhaft, in-
wiefern der suus die Mitte und Einheit zwischen Testa-
ments- und Intestatrecht bildet^), oder mit anderen Worten,
daß der suus gar nicht als eigentlicher Intestat-
erbe zu betrachten ist. Denn beim suus ist der
Wille des ohne Testament sterbenden Erblassers nicht
als ein vorausgesetzter vorhanden, sondern als ein
ausdrücklich gesetzter. Der suus ist gesetzte
) Siehe oben Nr. XXII und XXVI.
535
Identität mit der Willenssubjektivität des Erblassers,
nur daß dies Setzen nicht erst zur Zeit des Todes
stattfand, sondern schon damals, als das Band der Suität
(Willensidentität) vom Erblasser gleichviel wodurch, durch
Zeugung, Arrogation, in manum conventio, geknüpft wurde.
Als nicht aufgehoben, ist die Willensidentität geblieben,
und zwar notwendig geblieben, was sie war: ausdrück-
lich gesetzte. Die Unmittelbarkeit im Verhält-
nis des suus ist nur vorhanden, wenn man auf die Zeit
des Todes sieht. Sieht man auf ihren Ursprung, so ist
sie immer durch eine Willensaktion gesetzt, denn
auch die Zeugung ist eine solche, und wie wenig ihr
spezifischer Charakter der Blutsverwandtschaft dabei in
Betracht kommt, zeigt sich ja darin, daß reine Willens-
aktionen, wie Arrogation und in manum conventio, die
ganz gleiche Suität erzeugen.
Wenn also ein suus da ist, so kann nicht davon die
Rede sein, daß der Wille des Erblassers sich nicht be-
sondert habe, und darum als identisch mit seinem all-
gemeinen Wesen, dem allgemeinen Willen, voraus-
gesetzt werden müsse, sondern der suus ist eben die
durch die besondere Willenssubjektivität des Erblassers
gesetzte individuelle Willensidentität mit ihm. Im suus
ist stets der Wille des Testators als ein besonderer,
sich besondert habender, ausdrücklich gesetzter
vorhanden. Der suus ist daher, begrifflich gesprochen, ein
lebendiges Testament, womit sofort die juristische
Notwendigkeit übereinstimmt, daß er, wie ein Testament
umgestoßen werden muß, so seinerseits erst exhere-
diert werden muß, um nicht als Erbe da zu sein. So
sehr dies daher auch paradox klingen kann, so absolut
w£ihr ist es, daß der suus gar nicht Intestaterbe ist.
Er ist vielmehr stets beides zugleich, Intestat- und
53ö
testamentarischer Erbe, ist die Einheit von beiden, und
so begreift sich erst in letzter Instanz, warum gerade
auf den suus die Regel : Nemo pro parte testatus, pro
parte intestatus, nicht angewendet werden kann. Sein Be-
griff selbst ist von vornherein die prinzipielle Aus-
schließung dieser Regel. Freilich ist jetzt aber auch
klar, warum, solange man, wie bisher, diese Stellung und
Bedeutung des suus übersehend, denselben als erste
Klasse der Intestaterben auffaßte, hierdurch die
Erkenntnis nicht nur des suus selbst, sondern des ganzen
Charakters des Intestaterbrechtes völlig versperrt
wurde und auf dasselbe der im suus vorhandene Schein
einer natürlichen Familienerbfolge fallen mußte.
Verfolgen wir weiter Schritt für Schritt das Zwölf-
tafelgesetz, geben wir wirklich ein sich starr an die Worte
und Buchstaben anklammerndes Interpretieren, welches,
wenn es sich nur so starr anklammert, daß es die Worte
absolut deckt, auch immer mit der Interpretation des
spekulativen Begriffes zusammenfallen wird^).
Wenn also kein testamentarischer Erbe und wenn
kein suus da ist, so beginnt nun das Intestatrecht
der Zwölf Tafeln sein Verfügen. Es beruft den
nächsten Agnaten. Aber wie drückt es sich denn aus ?
Sagt es ein Wort davon: die Familie soll die Erb-
schaft haben, wie unsere Autoren seine Verfügung stets
aufzufassen belieben? Behüte! Es sagt ,,agnatus proxi-
mus familiani habeto ' '. Der Agnat soll die Familie,
familia, haben. Die familia ist also nicht das berufene
Subjekt der Erbschaft, sondern das Objekt derselben ;
sie ist nicht das erbende, sie ist das vererbte Prin-
zip. — Was ist denn aber der wahre ursprüngliche und
1) Vgl. oben S.308. Note 1.
537
wirkliche Begriff dieses vielschillernden Wortes : familia,
dieser römischen Familie, die, statt zu erben, vererbt
wird, wenn wir strikte dem Ausdruck der Zwölf Tafeln
folgen ? Hätte sich dieses Wort nicht als Familie,
famille, family, in alle modernen Sprachen verschleppt
und dadurch unmerklich für uns, so oft der bekannte Ton
an unser Ohr schlug, immer die von uns damit verbundene,
ganz geänderte Vorstellung in unser Bewußtsein hinein-
getragen, und hätte mem sich nicht, wo etwa ein ernsterer
Anlauf genommen wurde, sofort mit den nebulosesten,
breitspurigsten Wortbildungen, mit Kompositis, die sich
gegenseitig einander aufessen, wie ,, Vermögensfrei-
heit", als Erklärung von familia begnügt, die gleichsam
gebildet sind, um sich selbst die eigene Gedankenunklar-
heit zu verstecken, eben deshalb aber diese sofort bei jedem
Schritte in der Sacherklärung auf das grellste zum Vor-
schein kommen lassen müssen ■'^) — wäre man ein einziges
Mal darauf ausgegangen, den Begriff der familia wie ein
uns ganz Unbekanntes und Fremdes streng zu erfassen,
man wäre mit denselben vielleicht lange in den Begriff
des römischen Erbrechtes eingebrochen. Man hätte dann
keinesfalls, wie sich bald zeigen wird, das alte Zivil-
intestaterbrecht als ein ,, Familienerbrecht" auffassen
können.
Der Begriff der familia ist nun aber gar nichts anderes
als: die Willensherrschaft des Subjekts und das
ihr Unterworfene; eine Willensherrschaft, die
also einfache Willensherrschaft ist, sofern sie der selbst-
losen Sache, oder einem als Sache Geltenden (dem
Sklaven) gegenübersteht, und die sich von selbst als
^) Siehe hierüber ausführlich in der Beilage zu dieser
Nummer.
538
Willensidentität bestimmt, insofern das dieser Wii-
lensherrschaft Unterworfene nicht eine Sache, son-
dern gleichfalls an sich freie Subjekte sind, die, selbst
zur Freiheit bestimmt, an jenem Subjekte nur den
zeitlichen berechtigten Träger ihrer Willenssubjektivität
haben ^).
Dieser Begriff von familia, durch dessen beide in
der Willensherrschaft wurzelnde Seiten sich alles
Weitere sofort erklärt, erweist sich zunächst auf das
schärfste durch den etymologischen Ursprung des Wortes.
Denn familia kommt ursprünglich von demselben Stamm
wie famulus, famulor, Diener, dienen, und bedeutet
also: das einer Willensherrschaft Unterwor-
fene, und daher auch diese Willensherrschaft selbst,
die ja In dem Ihr Unterworfenen schon vorhanden ist.
Dieser etymologische Ursprung Ist sofort von selbst klar,
wird aber zum Überfluß noch von Festus berichtet, welcher
positiv bezeugt, famulus komme von dem oskischen Wort
famel, welches einen servus, Sklave, Diener, bedeute,
„woher auch die familia Ihren Namen hat". ,, Famuli
origo ab Oscis dependet, apud quos'^servus famel nomina-
batur, linde et familia vocata est^)." Daher kommt also,
daß die Römer unter familia alles verstehen, wovon der
Wille das Subjekt Ist^), also einerseits Sklave, Geld
^) Vgl. oben beim suus. Nr. XXI fg., und S. 503.
Note 1.
') Festus. v" Famuli, p. 87. ed. Müller.
^) Oder daher kommen die beiden Bedeutungen „in
res et In personas" der ..familiae appellatio", wie Ulpian,
L. 195, § 1, de V. s. (50, 16) sich ausdrückt, von welchem
nicht verlangt werden kann, daß er die begriffliche Einheit
derselben bewältige.
539
und Gut, wie andererseits Weib und Kind^). Diese sub-
jektive Willensherrschaft ist es also, die der
Agnat haben soll, die durch das Erbtum übertragen wird,
und es bestätigt sich von hier aus von neuem alles, was
wir über den spekulativen Begriff des römischen Erbcums
gesagt haben. Natürlich aber kann der Agnat, obgleich
er diese subjektive Willensherrschaft nun ergreift, die
derselben unterworfen gewesenen Subjekte, Weib und
Kind, die Willensherrschaft qua Willensidentität mit den
zeitlich neben ihr stehenden Subjekten, nicht mit er-
greifen. Denn diese sind eben ihrem Begriffe nach dies,
von Haus aus zu dereinstigem freien Fürsichsein bestimmte
Subjekte zu sein, woher die Römer selbst ihren Namen :
Üben, ,,die Freien", etymologisieren^). Ihr Begriff ist
von Haus aus dies, bloß den zeitlichen Träger ihrer
Willenssubjektivität an den Vater zu haben und mit seinem
Hinscheiden sui juris, freie Subjekte, zu sein, so
daß sein Recht, wenn es bei seinen Lebzeiten das des
Lebens und Todes über sie ist, bei seinem Sterben, wenn
^) Ebenso nimmt schon das Zwölf tafelgesetz selbst
nicht minder familia in diesem, auf das Verhältnis der Willens-
herrschaft zum Personenkreise gehenden Sinne, wie ja ganz
entscheidend sich durch das achte Fragment derselben fünften
Gesetzestafel (Dlrksen, a. a. O., S- 729) beweist, wo das
Zwölftafelgesetz, vom Erbrecht des patronus beim Tode des
libertus sprechend, sagt : ,,ex ea familia in eam familiam",
worauf Ulplan, a. a. O., selbst aufmerksam macht; d.h. nun
aber, das Zwölftafelgesetz nimmt überhaupt nicht das Wort
in zwei verschiedenen Bedeutungen, wenige Zeilen vorher
als Sache, Vermögen, und wenige Zeilen nachher als per-
sönliches Verhältnis, sondern beidemal eben in der Ein-
heit jener entwickelten begrifflichen Bedeutung der subjek-
tiven Willensherrschaft, die in dem ihr Unterworfenen,
Sachlichen wie Persönlichen, gleichmäßig vorhanden ist.
-) Vgl. oben S.306. Note 1.
540
sie mündig sind, null ist. Da er nicht übertragen kann,
was nicht mehr in seiner Willensherrschaft ist, so kann
er sie auch mit seinem Tode nicht mit derselben über-
tragen. Sie waren von Anfang an nur auf solange in
derselben, und der Agnat findet sie daher nicht mehr in
ihr vor, wenn er die familia ergreift^). Es zeigt sich
jetzt erst genau, mit welchem präzisen Rechte wir oben
sagten: die römische Familie ist dieselbe Willens -
identität im zeitlichen Nebeneinander der Per-
sonen, welche das römische Erbtum im zeitlichen
Nacheinander derselben darstellt, und Identität wie
Unterschied der familia und hereditas, die Berührung und
das Auseinandergehen beider Ideen sind hiermit vollständig
erschöpft und gegeben^).
Bleiben wir also zunächst noch beim Zwölftafelrecht
stehen, so \\ird gar nicht der Familie vererbt, sondern
die Familie wird dem Agnaten vererbt. Davon, daß der
Agnat auch zur Familie gehöre, diese irgendwie in
sich darstelle und qua Familienglied erbe — davon
sagt das Zwölftafelgesetz selbst jemandem, der dies nicht
von anderswoher als vorgefaßte Meinung mitbringt und
entschlossen ist, sich zunächst an den Wortlaut der Zwölf
Tafeln zu halten, kein Wort!
Wenn nun aber auch das Zwölftafelgesetz nichts davon
sagt, liegt es nicht dennoch im Begriff der Familie,
daß der Agnat zu ihr gehöre, und ist diese Familien-
^) Hier tritt wieder die größere subjektive Freiheit des rö-
mischen Geistes gegen das Attische Erbrecht hervor, wo die
Töchter mit dem Vermögen vererbt werden, insoweit also
die Familie in einem dem unserigen verwandten Sinne ver-
erbt wird und auch in der filia die geringere Freiheit der
griechischen Subjektivität sich zeigt.
2) Vgl. oben S. 503. Note 1.
541
mitgliedschaft nicht gerade der, wenn auch unaus-
gesprochene Grund seines Erbrechtes ? Und ist dies nicht
auch das, was uns die römischen Juristen selbst ausdrück-
lich sagen?
Aber gerade die Antwort auf diese beiden Fragen wird
das Wesen des Intestatrechtes in noch viel entscheidendere
Klarheit setzen.
Wie soll denn dem Begriffe der römischen familia
nach der Agnat zu derselben gehören ? Wir haben soeben
durch die scharfe und etymologisch nachgewiesene Be-
griffsbestimmung der familia gesehen, daß der Begriff
der familia, insofern sie nicht nur Sachen, sondern Per-
sonen umfaßt, daß also der Begriff der römischen
Familie nur derjenige der Willensidentität ist: zwei
oder mehrere Personen von einem sie identisch durch-
dringenden Willen, der sein Fürsichsein nur in einem
von ihnen hat, so daß sie gegen ihn nur ans ich Subjekte,
er allein fürsichseiende Willenssubjektivität, subjek-
tiver Träger des in diesem Personenkreise ausgegossenen
Willens ist, worüber wir bei der Suität schon das Hin-
reichende entwickelt haben. In dieser Willensidentität
befindet sich nun aber der Agnat zu dem Sterbenden
nicht, und folglich gehört er auch nicht zu dessen
Familie.
Daß den Agnaten nicht die Idee der Familie in
unserem (germanischen) Sinne, daß ihnen nicht die Idee
der Blutsverwandtschaft in irgendwelcher physischen
Auffassung zugrunde liegt, das zeigt sich ja — abgesehen
davon, daß diese ganze Auffassung durch die Bestimmung
des spezifisch-römischen Begriffes der familia schon aus-
geschlossen ist — ganz entscheidend daran, daß sogar
die durch Männer vermittelten Verwandten, ohne Unter-
schied der Nähe, keine Agnaten sind, wenn die Männer,
542
durch die sie verwandt sind, durch willkürliche Hand-
lungen, wie Emanzipation usw., aus der Willens-
identität herausgetreten sind. Es zeigt sich
daran, daß der Vater sogar und der eigene Sohn desselben,
wenn dieser emanzipiert ist, ebensogut wie keine Familie,
auch kein Agnationsverhältnis zueinander darstellen,
während ihre physische Blutsverwandtschaft doch nicht
gelitten hat und das prätorische Recht diesen Gesichts-
punkt daher trefflich zu handhaben weiß. Um so ent-
scheidender aber tritt in diesem spezifischen Unterschied
des prätorischen Rechtes und des jus civile hervor, daß
aus dem zivilrechtlichen Begriff der Familie jede
Idee der physischen Blutsverwandtschaft vollkommen aus-
geschlossen ist.
Der strenge Begriff der römischen Familie würde
sich hiernach — dies ist die erste Folgerung aus dem
Vorigen — auf das Verhältnis des Römers zu den sui
beschränken. Denn nur hier ist Willensidentität.
Inwiefern bilden aber nun dennoch auch die Agnaten
eine solche Willensidentität, und somit auch eine römische
familia ?
Nun, zuvörderst bilden sie eben unter sich keine
solche, und darum keine römische Familie. Aber sie
haben ihre Willensidentität außerhalb ihrer an
ihrem gemeinschaftlichen Willenssubjekt, dem
paterfamilias, sind daher, wie die Augen am Rebstock,
an diesem gemeinsamen Subjekte einander angeboren,
angereiht (adgnati). Stirbt der paterfamilias nun auch,
so findet zwar keine Willensidentität bei ihnen mehr statt,
weil sie eben keine zwischen ihnen direkt bestehende
war. Aber es bleibt die Erinnerung an die in ihm,
dem Toten, gewesene Willensidentität, und diese
bildet nun ihr Gemeinschaftliches und ihren Zusammen-
543
hang. Die Willensidentität ist in dieser Erinnerung zu
einer nur ideellen, gewesenen aufgehoben, die ihre
wirkliche Willensselbständigkeit gegeneinander nur
wie ein aufgehobenes Ansich, wie eine über-
wundene ursprüngliche Anlage, wie ein dunkler
Hintergrund, wie eine frühere Voraussetzung oder
ein hinter ihnen liegender Ausgangspunkt ihres
Wesens, durchzieht.
Dies wäre nach dem entwickelten Begriff der familia
das begrifflich notwendige konkrete Verhältnis der
Agnaten zueinander, und dies wäre also keine familia
in dem streng begrifflichen zivilistischen Sinn des Wortes.
Warum sagen uns denn nun aber die römischen Juristen
dennoch — und dies \var oben die zweite Frage — , daß
die Agnaten eine solche familia bilden ?
Nun natürlich, sie sagen es uns auch gar nicht! Wie
sollten die römischen Juristen dazu kommen, uns etwas
realiter Falsches zu sagen? Nur die flüchtige und un-
begriffliche Betrachtung wird die Schuld haben, wenn ein
solches in ihnen gefunden wird.
Was uns die römischen Juristen wirklich sagen, ist
vielmehr durchaus das eben begrifflich Entwickelte, und
dasselbe wird jetzt Wort für Wort in der klassischen Stelle
Ulpians über die familia wiedererkannt werden. Ulpian
sagt-*^): ,, Jure proprio familiam dicimus plures personas,
quae sunt sub iinius potestate, aut natura aut jure^) sub-
jectae ... et quum paterfamilias moritur, quotquot capita
ei subjecta fuerint, singulas familias incipiunt habere."
Also: der strenge Begriff der Familie (/«/•^ proprio)
1) L. 195. § 2. de V. s. (50. 16).
") Es ist also ganz gleichgültig, ob sie aut natura aut jure
subjectae sind, d.h. die Natur liegt nicht im Begriff des
Verhältnisses.
544
besteht nur in der Willensidentität (Gevvaltband)
und geht eben deshalb nicht auf die Agnaten über;
sie bilden, wenn der paterfamilias tot ist, jetzt nur jeder
mit seinen suis und nicht unter sich eine Familie
(singulas familias incipiunt habere, wie wir dies soeben
zeigten). ,,. . . Communi jure familiam dicimus omnium
agnatorum, nam etsi patrefamilia mortuo singuli singulas
familias habent (nochmalige Hervorhebung des Vorigen),
tamen omnes qui sub unius ''potestate fuemnt (die in der
Erinnerung vorhandene, gewesene Willensidentität)
recte ejusdem famiUae appellabuntur (sie, die Agnaten,
sind auch in dieser verallgemeinerten, abgeschleifteren Be-
deutung des Wortes, immer noch nicht unter sich
eine ,, Familie", sondern nur seine, des Toten, Familie
[ejusdem famihae]; nur in bezug auf ihn, in der Er-
innerung an dies ihr gewesenes Willenssubjekt
sind sie gemeinsam oder Familie) qui ex eadem domo
et gente proditi sunt''
Ulpian also sagt es uns mit dürren Worten : jure
proprio bilden die Agnaten gar keine Familie. Was
ist denn aber in einem strengeren, höheren, ausschließ-
licheren Sinne jus proprium bei den Römern als das
Zwölftafelgesetz? Ulpian sagt also auch das mit
dürren Worten : für das Zwölftafelgesetz bilden
und sind die Agnaten gar keine Familie, sondern
für seinen Standpunkt sind nur die sui des Erblassers
eine solche^). Diesen aber, die allein für das Zwölf-
^^ Ulpian sagt dies sogar noch entscheidender! Denn er
leitet diese gedoppelte Bedeutung der familia damit ein, daß
sie einen Körper bezeichne (ad corporis cujusdam significa-
tionem refertur), der aut jure proprio ipsomm aiit communi
universae cognationis continetur. Die zweite Bedeutung der
familia, wonach auch die Agnaten — ■ wir haben von ihm selbst
13 La«8»nc, G«. Schritten. BanJ XII. 545
tafelgesetz Familie^ wären, überträgt das Intestatrecht
der Zwölf Tafeln das Erbtum nicht, sondern setzt
sie, wie wir früher gesehen haben, nur als von selbst
gehört, warum — eine Familie, d.h. seine Familie bilden,
und die er mit den Worten einleitet: „Communi jure familiam
dicimus omnium agnatorum etc.", ist also diejenige, welche
communi (jure) universae cognationis continetur. Steht denn
aber das Zwölftafelgesetz auf dem Standpunkte der universa
cognatio und kann es von diesem herunter interpretiert werden ?
Was also Ulpian selbst sagt, ist: Stellt man sich auf den
Standpunkt der gesamten Kognation, auf welchem das
Zwölftafelgesetz eben nicht steht, auf den Standpunkt der na-
türlichen Blutsverwandtschaft — der cognatus um-
faßt ja dem Römer schon den väterlichen wie den mütterlichen
Verwandten, den Agnaten wie den bloßen Kognaten — , also
auf den Standpunkt des prätorischen Rechtes, des jus gen-
tium etc., so erscheint mm von diesem Standpunkt, der
nicht der spezifisch-zivilistische ist, unser spezifisch-zivi-
listisches Agnationsverhältnis noch als eine beson-
dere Gemeinschaftlichkeit — noch vor der bloßen Bluts-
familie der Kognaten, von der Ulpian erst in § 4 daselbst
spricht — , als eine Familie und besondere Familie
unter sich, weil sie, von hier aus gesehen, gleichsam seine,
des Toten, zivilistische Familie genannt werden können. — Und
In der Tat ist es dieser Satz, den das prätorische Erbrecht
verwirklicht, indem es, sich auf den Standpunkt der natürlichen
Familie, der universae cognationis stellend, das Recht der blo-
ßen Kognaten anerkennt und die Agnaten dennoch bevor-
zugt. — Die Agnaten also unter sich oder die Agnation, sagt
Ulpian, sind hiernach vom zivilistischen Standpunkt aus
keine Familie, kein Familienkörper, erscheinen aber
so. wenn man sie vom prätorischen Standpunkt der universa
cognatio aus betrachtet. Und daß sie dann so erscheinen, das
hat sich an unseren Autoren allerdings sehr bestätigt!
^) Aber wieder nicht Familie in unserem germanischen
Sinne, weil es glelchgühig ist, ob natura aut jure subjectae (s.
oben), sondern nur im römischen der Willensidentität.
546
eintretende Erben voraus. Gleich die erste Klasse
von Erben, denen es, das Intestatgesetz der Zwölf
Tafeln, das Erbtum, wenn Testamentserbe und suus
nicht da ist, überträgt, sind also solche Personen,
welche das Zwölftafelgesetz, wie Ulpian uns aufs schärfste
konstatiert hat, nicht als Familie des Toten be-
trachtet.
Und wie soll hiernach auch nur die Rede davon
sein, daß das Intestaterbrecht der Zwölf Tafeln ein
„Familienerbrecht" darstelle, und ist es nicht wahr-
haft erstaunlich, wie eine solche das römische Recht in
sein Gegenteil verwandelnde Auffassung unbesehen bei
uns von der Hand des einen Autors in die des anderen
gehen und den gesamten Autorenkreis einmütig und ohne
Ausnahme beherrschen kann? Und ist nicht ersichtlich,
wie, wäre man nur ein einziges Mal wahrhaft von
strenger konkreter Wortinterpretation ausgegangen, von der
man beim römischen Recht so viel spricht, wäre man
wirklich strikte bei den Worten der Zwölf Tafeln wie
Ulpians stehen geblieben, man genau zu demselben Resul-
tate hätte kommen müssen, wie vom spekulativen Be-
griffe aus ?
Aber die Verstandes Vorstellung ist eben dies, den
Geist wie das körperliche Wort gleichmäßig ver-
fehlen zu müssen und nur den verblaßten Schemen ihrer
eigenen Unklarheit überall in der Hand zu haben.
Treiben wir weiter Wortinterpretation, und immer
schärfer, konkreter und lebendiger wird sich uns der Geist
des Intestatrechtes der Zwölf Tafeln aufrollen, wie wir
ihn aus dem Begriffe heraus bestimmt haben.
Die Zwölf Tafeln sagen also nicht, daß die Familie
die Intestaterbschaft haben soll, und meinen auch nicht,
daß der Agnat Familie des Toten sei.
13- 547
Welches Erbprinzip haben sie denn ? Wir haben
es oben begrifflich bestimmt; suchen wir hier es noch
genauer aus den Worten zu entwickeln.
In der Tat liegt es auf das deutlichste in den Worten
aufgerollt, die wir soeben von Ulpian gehört haben :
..... tamen omnes qui sub unius potestate fuerunt recte
ejusdem familiae appellabuntur. qui ex eadem domo et
gente proditL sunt" — ,,. . . so werden doch alle solche,
welche unter der Willensherrschaft eines Individuums
gewesen sind, mit Recht seine, dieses Individuums,
Familie genannt, als solche, die aus demselben Haus
und derselben gens hervorgegangen sind."
Aufs äußerlichste erkennbar springt aus diesen Worten
hervor, wie das agnatische Erbrecht schon von
demselben Prinzip durchzuckt und getragen ist,
auf welchem auch das Erbrecht der Gentilen be-
ruht, welches letztere man doch nicht wird als ein
,. Familienerbrecht" ausgeben wollen^).
Agnaten und Gentilen erscheinen schon in diesen
Worten als zwei Abstufungen desselben Gedankens,
als die Voraussetzungen, aus deren Hintergrund die
Willenssubjektivität hervorgegangen.
Mit anderen Worten: Das Intestatgesetz ist ein
Suchen des Individuums.
Wenn sich das Individuum nicht selbst perpetuiert
hat, wenn es weder als testamentarischer Erbe noch als
suus da ist, so tritt nun das Intestatgesetz auf, um es
^) Vgl. vielmehr oben S- 517 u. Note 1 das. Auch die
Geschichte des römischen Intestaterbrechtes beweist dies;
denn während das gentilitische Erbrecht früh verschwindet,
ist die Geschichte des zivilen Intestaterbrechtes vielmehr die,
unter dem Einfluß des prätorischen Rechtes sich zum Familien-
erbrecht hin zu bewegen.
548
zu suchen und zu perpetuieren, und sucht es in seinen
Voraussetzungen.
Wo es dasselbe findet, wird sich aus dem be-
stimmen müssen, was es eigentlich sucht. Denn wenn wir
sagen, das römische Intestatrecht sucht das Individuum,
so meinen wir natürlich nicht, daß es dasselbe als
Mensch sucht, was ein sehr weiter und nichtssagender
Ausdruck ist, da alles darauf ankommt, was man als
Mensch (resp. als was der Mensch sich) auffaßt,
sondern es sucht das Individuum qua römischer Mensch
oder xjua Willenssubjektivität. Als Identität
(Testamentserbe, suus) kann es die Willenssubjektivität
nicht mehr vorfinden, denn sonst brauchte es erst gar
nicht zu suchen und zu verfügen. So sucht es nun das-
selbe (vgl. oben S. 544) in den Voraussetzungen
seiner Willenssubjektivität, in dem hinter ihr liegenden
übervMindenen Ausgangspunkt, von dem diese aus-
gegangen, in der im Willen eines dritten Subjektes ge-
wesenen Willensidentität oder als Agnat ion, und was
dieser gewesenen Willensidentität zur wirklichen
Willensidentität abgeht, das ergänzt nun das Gesetz
durch die Kraft seines gesetzlichen Verfügens^).
^) Hier tritt also auf das deuthchste auch in der Sache
der subsidiarische Charakter des Intestaterbrechtes hervor,
der seine formell-subsidiarische Stellung nur als not-
wendige Folge nach sich zog. Hier begreift sich auf das realste,
wie bei dem bloß durch die Erinnerung an die gewesene
Willensidentität vermittelten Charakter des Intestatrechtes es
dem Römer bei seinem Begriff vom Erbtum keineswegs genügen
konnte, von den Agnaten nach Intestaterbrecht beerbt zu werden
(vgl. sub Nr. VII und XXII), und warum er solchen Wert
darauf legen mußte, denselben Intestaterben testamentarisch ein-
zusetzen.
549
Und von Voraussetzung zu Voraussetzung
zurückgehend, sucht es das Individuum, wenn es auch keine
Agnaten findet, wieder in der Voraussetzung dieser,
in dem Hintergrunde, aus welchem auch diese gewesene
Willensidentität hervorgegangen ist, in dem Hintergrund
des Stammes oder in der Gentilität. Gentilen und
Agnaten sind dem Prinzip nach dasselbe, wie schon in
den Worten Ulpians über die Agnaten qui ex eadem . . .
gente proditi sunt hervortritt, und nur dem Grade nach
ist der Agnat das Nähere. Darum zeigt sich dasselbe
auch geschichtlich. In derselben Zeit, in welcher das
Recht der Gentilen in Vergessenheit fällt, hat auch
das Recht der Agnaten durch das im prätorischen
Recht zur Entwickelung gelangende Prinzip der Familie
oder der Kognation schon seine Unterminierung erfahren.
Wir haben jetzt näher gesehen, wie das Intestatrecht,
das Individuum in seinen Voraussetzungen suchend und
von Voraussetzung zu Voraussetzung zurückgehend, um
es zu finden, sich auf das konkreteste als das herausstellt,
als was wir es oben definiert haben, als: der voraus-
gesetzte Wille des Individuums.
Wir haben zugleich gesehen, als was das Intestatgesetz
das Individuum sucht, nämlich nicht nach der Seite seiner
sonstigen menschlichen und natürlichen Beziehungen, son-
dern als Willenssubjektivität.
Es bleibt übrig, eine dritte Seite nur noch hervor-
zuheben, da sie in dem Vorigen bereits enthalten ist.
W i e sucht das Intestatrecht das Individuum ? Wir haben
oben (S. 5 15 fg.) den spekulativen Begriff des Intestat-
rechtes sich durch sich selbst dahin entwickeln sehen,
daß es der vorausgesetzte Wille des Individuums sei,
welcher aber, weil sich nicht besondernd, aufgefaßt
werde als identisch mit dem allgemeinen Wesen des
550
Willens, oder mit dem allgemeinen Willen. Es
bestimmte sich uns demnach der konkrete Begriff des
Intestatrechtes als der allgemeine Wille des Volkes,
vorausgesetzt und geltend als der Wille dieses
Individuums. In der Tat liegt diese Seite des allgemei-
nen Willens im höchsten Maße beim Intestatrecht, nicht
etwa nur formell in seinem Gesetzescharakter über-
haupt, sondern ebensosehr inhaltlich vor, und ist be-
reits identisch mit der soeben konkreter erörterten Be-
trachtung, als was das Intestatrecht das Individuum
auffaßt.
Das Wesen des Volkes ist die Willensgemein-
schaft oder der allgemeine Wille. Diese Willens -
gemeinschaft, welche den Begriff des Volkes über-
haupt bildet, gliedert sich aber innerhalb desselben aus
verschiedenen Kreisen dieses Ganzen, aus welchen das
Volk erwächst. Die subjektivste Spitze derselben ist die
Willensidentität zwischen dem Ich und den suis,
hinter dieser die gewesene Willensidentität der Agnaten,
hinter dieser die Voraussetzung dieser gewesenen Wil-
lensidentität oder die Gentilen, hinter diesen endlich der
große, ganze Willenskreis oder das Volk. Indem also
das Intestatrecht das Prinzip der Willensgemein-
schaft zu seinem Inhalt nimmt, nimmt und hat es keinen
anderen Inhalt als den Begriff des Volkes oder des
allgemeinen Willens selbst, und die organischen
Gliederungen, aus welchen das Volk erwächst; nimmt
und hat es keinen anderen Inhalt als den Begriff, welcher
formell der Begriff eines jeden Volkes ist, aber
formell und inhaltlich der bestimmte Begriff des
römischen Volkes ist und die realen Basen bildet,
auf welchen diese Willensgesellschaft — wie man
das römische Volk charakterisieren könnte — beruht.
531
Es zeigt sich also hier konkreter, mit welchem Recht
vAr oben sagten, der Begriff des Intestaterbrechtes sei
der allgemeine Wille, vorausgesetzt, aufgefaßt und
geltend als der Wille dieses Individuums. Was das
Intestaterbrecht zu seinem Inhalt hat, ist der all-
gemeine Wille oder das Prinzip des Volkes, und
es kann nur deshalb den Willen des Individuums nicht
mit dem allgemeinen Willen schlechthin zusammenfallen
lassen (das Volk zum Erben einsetzen), weil es den
allgemeinen Willen zwar, aber ihn als den vor-
ausgesetzten Willen des sich nicht besondemden
Individuums, zum Inhalt hat. Weil der allgemeine
Wille im Individuum, auch ohne Besonderung und tätiges
Sichselbstsetzen von seiner Seite, immer sofort durch
diese organischen individualisierten Gliederungen
vermittelt ist, muß das Gesetz diese Gliederungen
zur Erbfolge berufen. Oder weil der als allgemeiner
vorausgesetzte Wille des Individuums das Prinzip
des Erbrechtes ist, muß es diesen gegliederten Kreisen
die Erbfolge übertragen; denn sie sind selbst die
realen, in physischer Gestalt existierenden
Voraussetzungen und Grundlagen, durch welche der
individuelle Wille mit dem allgemeinen vermittelt ist ;
sie sind die Voraussetzung von dem im Individuum
vorhandenen Zusammenhang mit dem allgemeinen
Willen. Der allgemeine Wille ist nur als voraus-
gesetzter (nicht als testamentarisch -ausgedrückter) im
Individuum, und sie selbst, diese Gliederungen, sind
gerade die existierende Voraussetzung davon,
daß der allgemeine Wille überhaupt in ihm vorhanden
ist, d. h. daß das Individuum diesem Volke angehört.
Sie sind also selbst, diese Kreise, ihrerseits materiell
eben dasselbe, was das Prinzip des Intestatrechtes
552
bildet; sie sind: der als Voraussetzung im Individuum
vorhandene allgemeine Wille.
Es hat sich durch diese Betrachtung also ergeben, daß
es der Begriff des Volkes oder des allgemeinen
Willens ist, welchem in den gegliederten Kreisen und
Genossenschaften, in welchen er im Volke realisiert ist,
das Intestatgesetz das Erbrecht überträgt. Sahen wir
also früher, das Intestatgesetz sei ein Suchen des Indi-
viduums, so sehen wir jetzt also, daß, wenn dies wegen
der spekulativen Identität beider Begriffsmomente auch
mit Recht gesagt werden kann, in bezug auf den inhalt-
lichen Gedanken des Intestatgesetzes noch tiefer und
konkreter gesagt werden muß : das Intestatgesetz sei ein
Suchen des Allgemeinen in seinen organischen Gliede-
rungen und habe dieses, das Prinzip des Volkes, zu
seinem Inhalt. Indem das Intestatgesetz aber darauf aus-
geht, den allgemeinen Willen, das Prinzip des Volkes,
in seinen sich abstufenden Gliederungen zu suchen,
muß es das Prinzip des (römischen) Individuums finden;
denn als diese Gliederungen des allgemeinen Willens muß
es die Willenskreise ergreifen und zu Nachfolgern
einsetzen, aus welchen der allgemeine Wille organisch
erwächst; es muß dies, weil der Inhalt dieses Volks-
geistes selbst der Willensbegriff ist. Eben deshalb
nun muß es, indem es diesen in seinen Gliederimgen
sucht, das Prinzip des Individuums, nämlich des
römischen Individuums, finden, weil dieses selbst
sich als nichts anderes auffaßt denn als Willens Sub-
jektivität. Daß dieses Übereintreffen nicht zufällig
ist, ist freilich sofort sehr durchsichtig. Wäre der Inhalt
dieses Volksgeistes nicht der Willensbegriff, so würde
das Individuum sein Wesen nicht ausschließlich darin er-
fassen: Willenssubjektivität zu sein. Und um-
553
gekehrt : Wenn das Individuum nicht sein geistiges
Wesen, das Wesen des Menschen überhaupt, gerade da-
hineinsetzte : Willenssubjektivität zu sein, so würde der
Willensbegriff nicht der inhaltliche Begriff de^
römischen Volksgeistes, und daher seine Realisierung und
Durchführung durch Erschaffung des Rechtssystems')
seine Tat sein.
Aber es reicht auch nicht hin, die begriffliche Identität
beider Momente, des Allgemeinen und des Individuellen,
als eine bloß vorhandene aufzufassen und sich so zu
erklären, daß das Intestatgesetz, indem es das All-
gemeine sucht, das Individuelle trifft; sondern alles
hängt davon ab, begreifend festzuhalten, daß diese Iden-
tität auch von vornherein schon im Prinzip des Intestat-
gesetzes gesetzt ist. Denn das Intestatgesetz sucht ja
den allgemeinen Willen, wie er im Individuum
als vorausgesetzt vorhanden ist, und die an sich vor-
handene Identität beider Momente ist somit von Haus
aus bereits im Prinzip des Intestatrechtes auch gesetzt.
Fassen wir also noch einmal die Dialektik der Be-
griffsmomente des Intestatrechtes — wir betonen sie so
sehr, weil nur durch die genaueste Bewältigung derselben
die logische Notwendigkeit des römischen Intestatrechtes
begriffen und seine scheinbaren Widersprüche beherrscht
werden können, und weil sich nur von dieser Grundlage
aus die weitere reale Entwickelung, die wir im Nach-
folgenden antreffen werden, sich verstehen und die
detaillierte Dogmatik und Geschichte desselben, die wir
hier nicht geben können, sich schi-eiben läßt — kurz in
zwei Sätze zusammen: Der formelle Begriff des In-
testatrechtes ist der vorausgesetzte Wille des sich
1) Vgl. oben S. 36.
554
nicht besondernden Individuums. Wird also auf den
formellen Begriff des Intestatrechtes gesehen, so steht
derselbe von Haus aus zunächst unter der vorherrschenden
Bestimmung des Individuellen, und dies ist daher das
Moment, welches festzuhalten ist, überall wo es auf die
formelle Stellung des Intestatrechtes, sein formelles
Verhältnis zum Testamentsrecht usw. ankommt.
Welches ist aber der inhaltliche Begriff des In-
testatrechtes, oder welches ist der Inhalt des voraus-
gesetzten individuellen Willens ?
Weil, wie wir oben (S. 515fg.) salien, der Wille, als
sich nicht besondemder, mit seinem allgemeinen Wesen,
mit dem allgemeinen Willen identisch ist, so ist
also — und zwar wie mit logischer Notwendigkeit durch
jenen formellen Begriff selbst gegeben ist — der in-
haltliche Begriff des Intestatrechtes der allgemeine
Wille. Hier scheint also das Moment des Individuellen,
indem es in seinen Gegensatz, das Allgemeine, um-
schlug, nur in einen Gegensatz umgeschlagen oder in
diesem untergegangen zu sein. Allein dies wäre ein bloßer,
und zwar ein ganz unmöglich festzuhaltender Schein. Denn
es ist ja als inhaltlicher Begriff des Intestatrechtes
der allgemeine Wille nur gesetzt seiner Identität mit
dem sich nicht besondernden individuellen Willen
halber. Es ist also die Identität des allgemeinen und
individuellen Willens auch im inhaltlichen Begriffe
des Intestatrechtes schon mitgesetzt. Oder es ist der
allgemeine Wille, wie er im Individuum als vor-
ausgesetzter, von selbst individualisierter vorhanden und
daher in jenen organischen individualisierten Gliederungen
und Willenskreisen gegeben ist, durch welche der allgemeine
Wille im Individuum da und mit ihm vermittelt ist.
Der gesamte Begriff des Intestatrechtes ist also eine
555
Identität, und zwar eine als solche gesetzte Iden-
tität seiner beiden Momente, des individuellen und all-
gemeinen Willens, eine Einheit, die in Bezug auf den
formellen Begriff des Intestatrechtes unter der vor-
herrschenden Begriffsbestimmung des Indi-
viduellen, in bezug auf den inhaltlichen Begriff
des Intestatrechtes unter der vorherrschenden Be-
griffsbestimmung des Allgemeinen gesetzt ist,
da sie aber beidemal als Einheit gesetzt ist, diese ihre
identischen und deshalb dialektisch ineinander übergehen-
den Bestimmungen ebensogut auch miteinander zu ver-
tauschen scheinen kann. Wird z. B. bei äußerlich -formeller
Betrachtung darauf gesehen, daß das Intestatgesetz qua
Gesetz ja den allgemeinen Willen darstellt, so kann
nun etwa auch gesagt werden, der formelle Begriff des
Intestatrechtes sei der allgemeine Wille und sein in-
haltlicher Begriff sei der, das Individuum und seinen
vorausgesetzten Willen zu suchen. Ebenso, wird bei dem
inhaltlichen Begriff des Intestatrechtes darauf gesehen,
daß das, was dabei festgehalten und zum Vorschein ge-
bracht wird, immer der individuelle Willensbegriff
ist, so kann gesagt werden, dieser sei das Inhalt-
liche des Intestatbe griff es, und das Allgemeine jener
Kreise und Genossenschaften nur die Form, in welcher
dieser individuelle Inhalt \ erwirklicht ist. Die Haupt-
sache besteht nur darin, sich von dem Spiel dieser Ab-
straktionen nicht täuschen zu lassen, sondern ihre sofort
ineinander übergehende und als solche gesetzte begriff-
liche Einheit festzuhalten.
Diese Einheit war aber auch schon in unserer ersten
Begriffsentwickelung des Intestatrechtes als: des all-
gemeinen Willens, vorausgesetzt und aufgefaßt und
geltend als der Wille dieses bestimmten Individuums
556
vollständig gesetzt, und, was wir jetzt näher betrachtet
haben, ist nur die sich gegeneinander fixierende Form, in
welche sich diese Momente, gerade weil jedes derselben
auch in das andere übergeht und mit ihm in Einheit
gesetzt ist, formell gegeneinander auflösen und täuschend
festsetzen können, wenn ihre begriffliche Einheit nicht
bewältigt wird.
Der inhaltliche Begriff des Intestatrechtes also,
sagten wir, ist die Einheit des individuellen und allgemeinen
Willens, gesetzt unter der herrschenden Begriffsbestim-
mung des Allgemeinen. Dies zeigt sich als die kon-
krete Wahrheit der Materie sofort daran, daß das Intestat-
gesetz bei seinem Suchen zwar das Prinzip des Indi-
viduums, wie wir sagten, findet, aber nicht mehr das
Individuum, die einzelne Willenssubjektivität und ihre
Identität (suus, Testamentserbe) selbst. Wäre dies
da, so begänne das Intestatrecht gar nicht sein Suchen.
In diesem Suchen entfernt es sich vielmehr immer mehr
von dem Individuum als solchem, immer mehr an das
rein Allgemeine des Volkes sich annähernd, und so
aufzeigend, welches von vornherein das Wie und Wo,
der Weg und die Richtung dieses Suchens ist. In der
Tat war dies aber auch schon damit ausgesprochen, daß
wir sagten, in seinem Suchen findet das Intestatgesetz
das Prinzip des Individuums, nicht dieses selbst. Denn
das Prinzip des Individuums ist eben der volksgeistige
Inhalt oder das rein Allgemeine desselben.
Es hat sich also — und hierin lag die notwendige
Ursache dieser auf die früheren Ausführungen zurück-
blickenden Betrachtung — als der letzte und tiefste Grund
von jenem: als was das Intestatgesetz das Individuum
sucht und findet, das Wie und Wo, der Weg und
die Richtung ergeben, auf welchen es dasselbe sucht.
557
Das Prinzip dieses Suchens ist es, welches dies kon-
krete Suchen selbst und sein Finden bestimmt. Und das
Prinzip und die Richtung dieses Suchens ist, das Indivi-
duum zu suchen in seinem Zusammenhang mit dem
allgemeinen Willen.
Es bleibt also dabei, daß der inhaltliche Begriff des
Intestatrechtes die unter der herrschenden Begriffsbestim-
mung des allgemeinen Willens gesetzte Einheit des
allgemeinen und individuellen Willens ist. Oder es bleibt
dabei, daß es der Begriff des Volkes oder des all-
gemeinen Willens ist, welcher in den gegliederten
Kreisen und Genossenschaften, in welchen er im
Volke realisiert ist, vom Intestatgesetz zur Erbfolge be-
rufen wird^).
^) Der einzige, dem hiervon eine ganz falsche Ahnung, aber
doch immer irgendeine Ahnung, dämmerte, ist Niebuhr
(Römische Geschichte, zweite Ausgabe, II, 381}. „Er hat",
sagt Huschke (Rhein. Mus., VI, 289, Note 51), ihn hart dar-
über anlassend, von ihm, ,,die ganz unjuristische Idee, das Volk
habe deshalb die Testamente bestätigen müssen (bei den Ko-
mitientestamenten), weil, wenn ein einzelner gestorben wäre,
das Vermögen mittelbar durch familia, gens, curia hindurch
eigentlich dem Volke gehört hätte." (Niebuhr sagt nämlich
daselbst: ,,Da das Vermögen eines ausgestorbenen Geschlechtes
der Kurie, dasjenige einer erloschenen Kurie dem publicum
der gesamten Bürgerschaft zufiel, bedurfte es der Einwilligung
des ganzen Populus, und hier liegt der Ursprung der Testamente
vor Pontifex und Kurien.") „Aber bekanntlich", fährt Huschke
fort, „wurden die bona vacantia ehemals herrenlos und erst
durch die lex Julia und Papia dem Ararium überwiesen. Und
wollte man jenen dem römischen Rechte ganz fremden Gedanken
überhaupt konsequent anwenden, so würden, wenn jemand Ag-
naten oder wenigstens Gentilen hinterlassen hätte, diese und
nicht das durch sie ausgeschlossene Volk haben genehmigen
müssen. Niebuhr kannte das Recht historisch, wußte
558
Verhält sich dies so, so ergibt sich sofort eine not-
wendige Konsequenz. Ist es die Gliederung des All-
gemeinen als solchen, welcher das Erbrecht über-
tragen wird, so sind es nicht die zu diesen Kreisen ge-
hörigen einzelnen Personen als solche, welchen
das Erbrecht gegeben wird, sondern sie nur insofern,
als sie die zeitigen Repräsentanten solcher Kreise
und Genossenschaften, die zeitigen Träger einer
solchen Gliederung des allgemeinen Willens sind. Oder
es ergibt sich hier nur noch weit konkreter und bestimmter,
daß und warum das Intestaterbrecht, wie wir schon S. 517
zeigten, ein Erbrecht der ordo ist, ein Erbrecht der
Stande sgenossenschaft, wie man sich vollkommen
wohl ausdrücken kann, wenn man festhält, daß der Inhalt
es aber nicht juristisch", schließt Huschke mit gesperrter
Schrift. — Es Ist nun freilich ganz falsch, daß das Testament
In den Komitien vom Volke bestätigt worden wäre; Huschke
hat auch recht, daß selbst unter Voraussetzung der Niebuhrschen
Annahme dann die Gentilen und Agnaten hätten genehmigen
müssen. Er hat auch recht, sich gegen Niebuhr darauf zu be-
rufen, daß im alten Recht die bona vacantia herrenlos wurden,
was aus unserer Begriffsentwickelung mit Notwendigkeit folgt,
wie wir später noch näher sehen werden. Er hat überhaupt recht,
die ganze Ansicht Niebuhrs, wenn ein einzelner gestorben wäre,
habe sein Vermögen eigentlich mittelbar dem Volke gehört, eine
vollkommen falsche und unjurlstlsche zu nennen. Das Vermögen
gehört nur dem Individuum. Wenn es stirbt, kann es nur dem
Individuellen Willensfortsetzer gehören. Wenn auch noch der
letzte, d. h. vorausgesetzte, durch die allgemeine Willensnatur
des Toten bestimmte individualisierte Fortsetzer diese zu geben
ausschlägt, die Fortexistenz des erblasserischen Willens
also negiert ist, muß es, individuaUtäts- und herrenlos, eine
Beute des ersten Okkupanten sein. Aber trotz alledem Ist,
wie aus dem Obigen von selbst folgt, auf dem Grunde dieser
Irrtümer immer noch die wahre Ahnung vorhanden, daß der
559
dieses Standes nichts anderes als jene Willensgemein-
schaft in einer ihrer Gliederungen ist. Nicht die In-
dividuen erben, sondern die Idee dieser Willens-
gliederung erbt, und das Individuum daher nur, in-
sofern es der zeitige Repräsentant dieser Gemein-
schaft für den Verstorbenen ist, und es muß daher
schlechterdings in den Zwölf Tafeln heißen: agnatus
proxinius habeto.
Wir haben aber hiermit im voraus einen Punkt in
seiner tiefen Notwendigkeit aufgezeigt, welcher nicht nur,
wie fast der ganze erbrechtliche Stoff, bisher niemals be-
griffen werden konnte, sondern von dem man sich selbst
kaum verhehlte, daß man ihn schlechterdings unbegreif-
lich fand, und den man deshalb, wie stets in solchen Fällen,
Vo Iksbegriff selbst das sukzedierende Subjekt des
römischen Intestatrechtes sei. In Niebuhrs Irrtum, so
radikal er ist, ist mehr geistige Wahrheit enthalten als in
hundert juristischen Richtigkeiten. Für einen solchen Irrtum
verdient man nicht so vornehm behandelt zu werden, wie Huschke
in jenem Gegensatz des , .historischen Kennens" und ,, juristischen
Wissens" tut. Wenn Huschke sich hätte rühmen wollen, daß
das ,, juristische Wissen" in ihm gipfelt, so wäre er hierzu
sehr berechtigt. Dies ist von allen Seiten anerkannt, imd nie-
mand wird es ihm bestreiten. Wenn Huschke aber das „juri-
stische Wissen" selbst rühmen will, so hat er sehr unrecht.
Das ,, juristische Wissen" hat keine Veranlassung, sich zu be-
lorbeeren, wie ihm ^vohl von jeder Seite dieser beiden Bände
aus klar geworden sein kann, obwohl wir alle Polemik soviel
als möglich vennieden haben. Damit es sich inzwischen dar-
über nicht täusche, werden wir im Laufe dieser Nummer und in
der Beilage zu derselben ohnehin noch Veranlassung haben, die
Natur dieses ,, juristischen Wissens" an Huschke selbst, gerade
weil dasselbe in ihm gipfelt, zur Darstellung zu bringen. —
Niebuhr aber wurde durch seinen historischen Blick, der
noch etwas ganz anderes ist als das ,, juristische Wissen", zu
dieser Ahnung befähigt.
560
auf den „starren Buchstabenformalismus" des römischen
Rechtes zurückwarf. Wir meinen den zivilistischen Grund-
satz, daß, wenn der zur Zeit des Todes nächste Agnat aus-
schlägt oder stirbt, das ganze Erbrecht der Agnatenklasse,
und nicht weniger auch das der Gentilenklasse fortfällt, statt
daß die anderen Agnaten und resp. die Gentilen an die
Reihe kommen, oder wie die Römer diesen Grundsatz aus-
drücken: ,,in legitimls hereditatibus successio non est^)."
Noch der neueste Schriftsteller Jherin^ in seinem ,, Geist
des römischen Rechtes"^) äußert sich, näher darauf ein-
gehend, hierüber folgendermaßen^): ,,Das Wort proxi-
mus (in den Zwölf Tafeln) mußte als Vorwand zur Aus-
schließung der successio graduum, die folgenden : si agnatus
nee escit zur Ausschließung der successio ordinum dienen.
Beide Passus nahm man nämlich im absoluten Sinn, d. h.
wenn ein nächster Agnat im Moment des Todes des Erb-
lassers existierte, am Leben war, mochte er im übrigen
auch die Erbschaft ausgeschlagen haben, oder vor der
Antretung derselben verstorben sein, so erklärte man den
nächstfolgenden Agnaten nichtsdestoweniger für beseitigt,
weil er im Moment des Todes des Erblassers nicht der
proximus gewesen, und ebenso ließ man in dem Falle
die Gentilen nicht zu, weil sie nur für den Fall si agnatus
nee escit gerufen waren, der spätere Tod oder Verzicht
des Agnaten aber die Existenz desselben nicht ungeschehen
machen konnte. Es war dies in der Tat ein Musterstück
der Wortinterpretation ( !), denn bei unbefangener
Betrachtung kann man sich doch nicht verhehlen,
daß bei der Intestaterbfol geordnung der Entferntere nicht
1) Paulus. R. S.. IV. 8. § 23; Ulplan. XXVI. § 5;
Gajus. III. §§ 11. 12.
2) II. 483 (Leipzig 1858).
3) Vgl. oben S.308. Note 1.
14 Laisalle. Gee. Schrift«., Band XH. 561
an sich und schlechthin, sondern nur im Interesse des
Näheren ausgeschlossen ist, daß mithin, wenn letzterer
später ausfällt, kein Grund abzusehen ist, warum der
Entferntere nicht einrücken soll, da er, wenn auch nicht
absolut, so doch relativ für diese Erbschaft jetzt der
Nächste geworden ist. Wir würden daher, wenn jene Aus-
drücke in einem heutigen Gesetz vorkämen, sie im rela-
tiven Sinne interpretieren, d. h. sagen : Der nächste Agnat
ist derjenige, dem für diese Erbschaft kein näherer im
Wege steht, und ebenso sind die Gentilen zuzulassen, wenn
in diesem Sinne kein Agnat existiert, d. h. sein Erbrecht
geltend machen kann oder wilP)."
Jhering hat ganz recht! Wenn man mit deutschem
Bewußtsein an das römische Recht herangeht, wenn
man die Erbschaft für eine Vermögenszuwendung, die
Intestaterbschaft für ein Recht der Familienglieder usw.
hält, kurz, wenn man alles für etwas anderes hält, als
es wirklich ist, wie sollte man nicht im römischen Recht
anderes zu finden erwarten, als man wirklich findet ? Und
so bleibt dann, weil doch alles seine Erklärung haben
will, freilich nichts anderes übrig, als diese in den starren
Buchstabenformalismus zu setzen, der, wenn er wirklich
als solcher dieses ,, Musterstück" von Wortmterpretation
geliefert hätte, damit nur ein Musterstück von Sinnlosig-
keit zutage gefördert haben würde. Denn wenn wirklich
,,die Agnaten", wie in diesem Räsonnement voraus-
gesetzt wird, die zur Intestaterbschaft Berufenen gewesen
wären, d.h. wenn ihnen als einzelnen Personen
ein eventuelles Erbrecht vom Zwölftafelgesetze übertragen
worden wäre-), so würden die römischen Juristen ohne
^) Ebenso in der Sache: Gans (II. 381 fg.), Savigny, und
überhaupt alle Autoren.
2) Vgl. Bd. I, S. 720.
562
Zweifel ebensogut wie die unserigen eingesehen haben,
daß dann der bloße Ausdruck proximus agnatus die ent-
fernteren Agnaten bei dem Fortfall des ersteren keines-
wegs ausgeschlossen haben würde. Im Gegenteil wäre
dies rechtlich unmöglich, wäre schlechthin u n -
juristisch gewesen; denn wäre durch das Intestatgesetz
den einzelnen zu der Agnation gehörigen Personen als
solchen ein eventuelles Erbrecht erteilt gewesen, so wäre
der Tod des vorhergehenden Agnaten ja gerade die
rechtliche Bedingung^) für die aktuelle Verwirk-
lichung des eventuellen Rechtes der auf ihn folgenden
Agnaten, nicht aber ein Grund für den Fortfall des
Rechtes derselben gewesen.
Die römischen Juristen würden dann also nicht ,, Wort-
interpretation", sondern schnödeste Wortmißhandlung und
sinnloseste Gesetzesverstümmelung getrieben haben; sie
würden das vom Gesetz den Agnaten gegebene Recht
schlechthin widerrechtlich fortgeleugnet haben.
In der Tat gibt dies ja auch die , .unbefangene Betrach-
tung" vollkommen zu, indem sie sich das Dasein des
Rechtes der entfernteren Agnaten ,, nicht verhehlen kann".
Was in diesem „Nicht verhehlen" heraustritt, ist nur
das Eingeständnis, daß das juristische Wissen von heute
von dem juristischen Wissen von damals sehr weit ent-
fernt ist und jedes Verständnis desselben verloren hat.
Bereits muß aber nach unseren vorhergehenden Erörte-
rungen der Grund, warum schlechterdings keine successio
graduum, keine Aufeinanderfolge der einzelnen agna-
tischen Personen im Intestaterbrecht stattfinden kann,
vollkommen evident sein.
^) Und als solche rechtliche Bedingung im Gesetz selbst
enthalten.
563
Sie kann nicht stattfinden, weil ja das Intestaterbrecht,
wie wir sahen, gar kein Erbrecht der einzelnen In-
dividuen, kein Erbrecht der Familienmitglieder,
sondern nur ein Erbrecht der ordo ist, ein Erbrecht
der Idee der in diese Kreise gegliederten allgemeinen
Willensgemeinschaft, vertreten durch den, der für den
Verstorbenen der zeitige wirkliche Repräsentant dieses
Kreises, der Träger dieser Idee, der nächste Agnat
und also der lebendige Durchgangspunkt ist, durch
den hindurch sich der Zusammenhang des Gestorbenen
mit diesem Willenskreise überhaupt vermittelt. Es ist
ein Erbrecht der ordines, d. h. der Reihen, in
welche die allgemeine Willensgemeinschaft
sich gliedert, vertreten und lebendig in dem Führer
dieser Reihe, dem nächsten Agnaten ! Ein Erbrecht
der Reihe, also nicht der Reihe, insofern sie nicht
Reihe ist, der Reihe, insofern sie aufgelöst ist in
Individuen — insofern wäre sie ja eben schon formell
keine Reihe, was aber inhaltlich nichts anderes heißt,
als daß in diesen Punkten (Individuen) ein rein per-
sönliches von Punkt zu Punkt gehendes Verhältnis
(Familienverwandtschaft) existent sein könnte, niemals
aber eine Gliederung des allgemeinen Willens
des Volkes vorhanden sein würde ^). Es ist ein Erb-
recht der Reihen, ein Erbrecht der Kolonnen, durch
welche die römische Individualität auf ihrem
Hintergrund, dem allgemeinen Volks willen,
steht und mit ihm vermittelt ist.
Hat also der Führer der Kolonne ausgeschlagen,
so hat die Kolonne ausgeschlagen! Oder vielmehr,
■^) Gliederung eines Allgemeinen in einer Vielheit
von einzelnen ist eben: Rei he.
564
sie hat gar nichts auszuschlagen, denn das Erbrecht war
niemals das ihrige als das der einzelnen, aus denen
die Kolonne sich zusammensetzt, sondern es war das Erb-
recht der Kolonne als solche und so in ihrem Führer
lebendig und repräsentiert.
Mit anderen Worten, die jetzt vollkommen durchsichtig
sein müssen: Es ist kein Erbrecht ,,der Agnaten und
Gentilen", wie man sich stets ausdrückt, schon in dieser
unmerklich geänderten Ausdrucksform das Falsche hinein-
tragend, sondern es ist ein Erbrecht der Agnation und
Gentilität; diese Begriffe sind es, die berufen sind,
in die Willenssubjektivität einzutreten und sie fortzusetzen,
wenn* sie stirbt, und wenn daher der zu dieser Zeit
nächste Agnat, derjenige, welcher als Durchgangspunkt
die gewesene Willensidentität in sich darstellt^
und das Individuum so mit dem Gesamtkreis der Agna-
tion verbindet, nicht will, die Willensidentifikation
mit der Willenssubjektivität des Toten (die Adition) nicht
vornimmt (ausschlägt oder stirbt), so hat der Begriff
des Agnationskreises selbst in seinem Träger nicht ge-
wollt, und von einer successio graduum kann auf diesem
Standpunkt nach dem eigenen Gedanken desselben gar
keine Rede sein.
Was ist es für ein Wunder, daß hier bei der ordo
succedendi, bei der Erbordnung, dasselbe formell
zum Vorschein kommt, was von Haus aus materiell
das Prinzip des Erbrechtes der Agnation war?
Da das materielle Erbrecht nur ein Erbrecht
der ordo als solcher ist, nicht der einzelnen In-
dividuen, sondern jener Gliederungen des All-
gemeinen ist, wie sollen bei der Erbordnung die
1) Siehe oben S. 544 fg.
565
einzelnen Personen sich aufeinander folgen können ? Es
ist vielmehr höchste geistige Notwendigkeit, es ist höchste
Einheit von Form und Inhalt, daß sie dies nicht können.
Es ist ganz unmöglich, daß sie es können, denn jedes
Gesetz wird dasselbe Prinzip in der Erbordnung
realisieren, v.as schon das materielle Prinzip seines Erb-
rechtes ist.
Es ist daher nur das formelle Zumvorscheinkommen
desselben Prinzips, was auch schon sein materielles
Erbrechtsprinzip war, welches diese successio gra-
duum im alten Intestatrecht ausschließt.
Wenn unsere Autoren das materielle Erbrecht
der Zwölf Tafeln nicht verstehen, sich aber hierüber
täuschen, so kommt in ihrer Verwunderung über das
formelle Erscheinen desselben Prinzips in bezug auf
die Erbfolge eben auch nur höchst formell zum Vor-
schein, daß und wie sehr sie sich über das materielle
Erbrechtsprinzip der Zwölf Tafeln getäuscht haben.
Der Begriff des Erbtums allein, der schon diese Ein-
heit von Erbrecht und Erbordnung in sich enthält,
weiß diese in ihnen zum Vorschein zu bringen.
Es zeigt sich zugleich aus dem Vorigen, daß es auf
eine bestimmte Nähe, auf eine absolute Nähe in
der Agnation für dieses Intestatrecht gar nicht ankommen
kann, d. h. daß dasselbe keinen Grad festsetzen kann,
Jens ei t dessen die Agnation nicht wirkt, was es nur
könnte, wenn es Familien-, Verwandtschaftsrecht
wäre. Hier dagegen ist jede Nähe und Entfernung gleich-
gültig. Jeder, auch der entfernteste Agnat ist nahe
genug, wenn er nur zur Zeit der relativ -nächste^),
^) Es ergibt sich beiläufig aus dem Obigen, mit welcher
merkwürdigen Begriffsver\vechselung Gans a. a. O. das Inte-
statrecht der Zwölf Tafeln, weil er dasselbe ebensowenig be-
566
d. h. wenn er nur der zeitige Führer der Willens-
kolonne ist.
Es zeigt sich hierin, wie dies Erbrecht eigentlich eine ■ —
was man jetzt nicht mehr mißverstehen können wird —
Erbordnung ohne Erbrecht ist^, oder richtiger, daß
Erbordnung und Erbrecht absolut in demselben Punkte
zusammenfallen und sich erzeugen. Es ist eine Erb-
ordnung ohne ein von dieser getrenntes, den Personen
der Agnaten einwohnendes Erbrecht. Es ist wie
in einer Schlacht. Auf Vordermanns Rumpf springt
Hintermann. Wenn er gerade in diesem Augenblick der
Nächste in der Reihe, in der Ordnung, sein wird,
wird er auch dies Recht haben und den Verblichenen
fortsetzen können. Ist er nicht der Nächste in der Reihe,
hat er auch kein Recht, kann nicht springen.
Durch diese Betrachtung wird vielleicht am deutlichsten,
warum von einer successio graduum nicht die Rede sein
greift, als das der ..absoluten Nähe", charakterisieren und
erklären will. Die absolute Nähe wäre eine bestimmte
Nähe, eine in sich selbst ruhende Nähe, jenseit welcher keine
Nähe mehr ist. Das Intestatrecht der Zwölf Tafeln ist viel-
mehr das der relativen Nähe. Der relativ Nächste ist
berufen.
^) Um dies deutlicher zu machen : In den deutschen Fa-
milienfideikommissen z.B. ist eine Erbordnung vorhanden,
die gleichfalls nur auf den nächsten Agnaten geht, und
ein Erbrecht, das der ganzen Familie übertragen Ist,
so daß das Erbrecht derselben von der Erbordnung ge-
trennt und selbständig ist und nur innerhalb dieser ordo suc-
cedendi in die Erbschaft einrückt. Ebenso in der durch Ju-
stinian vorgenommenen Umwälzung des Intestatrechtes, über die
wir noch sprechen werden. Nur das Begreifen dieses Unter-
schiedes von dem Obigen, wo außer der Erbordnung kein
über sie hinausgehendes Erbrecht da ist, gibt den Begriff des
alten Intestatrechtes.
557
kann. Denn der einzelne Agnat hat als solcher gar kein
Recht, und hat es nie gehabt; er wird es erst bekommen,
wenn er in jenem Zeitmoment an jenem Fleck stehen
wird. Es ist reine Ordnung, und von hier aus er-
klärt sich der innere Grund der großen Vorliebe, mit
welcher die römischen Juristen für das Intestaterbrecht
den Ausdruck ordo succedendi gebrauchen. Und ebenso
folgt daraus, wie, wenn die ganze Reihe nicht da ist,
jetzt die andere Reihe, die Gentilität, einrücken muß.
Aber, wird man vielleicht fragen, wenn die successio
graduum auch ausgeschlossen sein muß, warum ist auch
die successio ordinum ausgeschlossen ? Wenn auch mit
dem Nichtfortsetzenwollen des nächsten Agnaten der ganze
Agnatenkreis ausgeschlossen sein muß, warum kommen
die Gentilen nicht an die Reihe ? Und würde dies nicht
gerade durch jenes Erbrecht der ordo erfordert sein ?
Allein auch diese Frage würde nur be\veisen, daß man
den gesamten Begriff des Erbtums und des Intestaterbtums
insbesondere aus den Augen verloren hat.
Der Erbe ist die Willensidentität und Fortexistenz
der erblasserischen Willenssubjektivität, der testamen-
tarische Erbe der ausdrücklich gesetzte, der Intestat-
erbe der vorausgesetzte individuelle Wille des Toten.
Dies hatte sich uns als der allgemeine, formelle Begriff
des Intestaterbtums ergeben.
Wird also im Intestaterbrecht der individuelle Wille
des Toten auch als ein vorausgesetzter behandelt
und fortgesetzt, so muß er doch als ein bestimmter
behandelt werden, sonst würde er gar nicht als Wille
behandelt. Denn jeder Wille ist dies, ein bestimmter
zu sein. Der Wille des Toten ist also, obgleich ein
vorausgesetzter, doch immer als ein bestimmter vor-
ausgesetzt, d. h. auf den Willen eines anderen bestimm-
568
ten Individuums gerichtet. Oder durch den vorausgesetzten
individuellen Willen des Toten ist daher ein bestimmtes
Individuum, der nächste Agnat, dazu berufen: ihm durch
seinen Willen Fortexistenz zu geben. Folglich
kann, ohne diesen Willen des berufenen Agnaten,
also wenn er ausschlägt oder stirbt, dem Willen des Toten
keine Fortexistenz von einem anderen gegeben werden,
ebensowenig durch den Willen eines anderen Agnaten,
oder des Gentilen, wie durch den irgendeines beliebigen
Dritten.
Dasselbe, was von Seiten des individuellen Willens
des Sterbenden, zeigt sich aber auch — denn beides ist
identisch — von dem betrachteten inhaltlichen Be-
griffe des Intestatrechtes, von dem Erbbegriff der ordo
aus. So wenig wie ein entfernterer Agnat vorspringen
kann, weil er nicht an der Reihe ist, so v/enig kann natür-
lich der Gentile springen, denn der vor ihm stehende Agnat
hindert ihn. Die Reihe der Gentilität steht ja erst hinter
den Agnaten, und der letzte Agnat ist daher noch der
Vordermann des Gentilen. Oder, um von dem Bilde ab-
zusehen : Welches ist denn überhaupt der inhaltliche Grund
des gentilischen und agnatischen Erbrechtes ? Die Glie-
derung des allgemeinen Willens, in welcher sich dieser
mit dem individuellen Willen, und der individuelle Wille
mit dem allgemeinen vermittelt. Mit dem Willenskreise
der Gentilität ist aber der Römer erst durch den Agnaten
vermittelt, wie er erst durch die Gentilität mit dem all-
gemeinen Willen des Volkes vermittelt ist. Wie das
Individuum erst suus ist, dann gewesene Willensidenti-
tät oder Agnat, so ist es erst durch diese gewesene Wil-
lensidentität mit dem Hintergrunde ihres Willenskreises,
dem Willenskreise der Stammeseinheit, und durch diesen
erst mit der ganzen großen Willensgemeinschaft des Volkes
569
vermittelt. Wenn also jenes ..durch" noch vorhanden
ist, wenn ein zur Zeit des Todes vorhandener Träger
des Willenskreises, durch welchen das Individuum erst
mit dem Willenskreise der Stammeseinheit vermittelt ist.
direkt oder indirekt ausschlägt, der Willenssubjektivität
des Toten Fortexistenz zu geben (repudiiert oder stirbt),
so hat der Erbe, d.h. der in seinen Gliederungen
eingesetzte allgemeine Wille, der durch den voraus-
gesetzten Willen des Individuums berufen war, ihm Fort-
existenz zu geben, sich dessen geweigert^ und —
dies liegt schon im Begriff der Gliederung — der
Zusammenhang ist abgebrochen, die angebotene Identi-
tät ist ausgeschlagen. Wie wenn der testamentarische
oder ausdrückliche Erbe die Identität ausschlägt oder
stirbt, das Intestatrecht oder der vorausgesetzte Erbe
eintritt, so muß notwendig, wenn auch dieser voraus-
gesetzte Erbe, der allgemeine Willenszusammenhang in
seinem berechtigten Träger, ausschlägt, der Erblasser
erblos werden und sein Vermögen in der alten Zeit
des jus civile, d. h. vor der lex Julia et Papia, herren-
los sein, und nach dieser dem ungegliederten rein All-
gemeinen des Fiskus anheimfallen.
Alles, was wir hier entwickelt haben, ist nun schon
in der graphischen Wortfassung der oben mitgeteilten
Zwölftafelstellen vollständig enthalten. Darum also sagt
das Zwölftafelgesetz nur : agnatus proximus habeto, und
nichts davon, daß etwa die Agnaten nach dem Vor-
rang der Nähe haben sollen; darum beruft es den Gen-
tilen nur ,,si agnatus nee sit", wie es darum nur die
Familie vererbt, aber mit keinem Laute sie als das
erbende Prinzip bezeichnet und eben darum wieder
^) Der Tod ist gleichfalls — nur eine physische —
Weigerung dieses Willens.
570
den suus nur als einen seinem intestatgesetzlichen Ver-
fügen Vorhergehenden bezeichnet. Es sind dies alles nicht,
wie unsere Juristen glauben, bloße Worte, zufällige Aus-
drucksweisen, sondern in Stein geschnittene Be-
griffe. Es sind also reine Wortinterpretation,
die wir die ganze Zeit hindurch innerlich getrieben haben.
Aber freilich durch die bloße Wortinterpretation
wird niemand weder dies noch Ähnliches finden! Und
die römischen Juristen selbst würden es durch bloße
Wortinterpretation ebensowenig gefunden haben.
Aber in ihnen lebte die Substanz des Rechtes, wie der
religiöse Geist der Gemeinde, in voller religiöser Un-
mittelbarkeit^). In dieser Religion des Rechtes
oder, was dasselbe ist, des Willensbegriffes, welche
den historischen Inhalt des römischen Volksgeistes dar-
stellt, war der Gott nicht das Objekt, sondern vor allem
als in seiner Gemeinde gegenwärtiges und tätiges
Subjekt in ihnen; nicht durch die Wortinterpretation
des Zwölf tafelgesetzes als eines bloßen Gegenstandes
ihrer Betrachtung, sondern durch das Dasein und die
Fortwirkung desselben Geistes in ihnen, aus
welchem auch das Zwölftafelgesetz geflossen war, fanden
sie ihre zivilrechtlichen Sätze, und mit Recht heißen sie
darum in diesem tiefsten Sinne ,,Rechis quellen".
Denn aus ihnen ist es heraufgequollen, sie haben es aus
sich schaffend produziert in religiöser Inbrunst des Geistes,
wie die Griechen die Kunst, welche diese ebensowenig
nach dem freien Bewußtsein ästhetischer Theorien ge-
schaffen haben. Und so werden sie Rechtsquellen bleiben
für alle Zeiten, wie die Griechen Kunstquellen bleiben
werden für die Ewigkeit.
') Vgl. oben Nr. X und XV.
571
Mit dieser Unmittelbarkeit des Rechtes in uns ist
es notwendig und unwiderruflich vorbei, und diese Un-
mittelbarkeit werden wir durch keine Wortinterpre-
tation ersetzen. Das einzige, wodurch wir sie ersetzen
und den Gedankengang der römischen Juristen zu durch-
dringen vermögen, ist das höhere Bewußtsein des speku-
lativen Begriffes, der dann an der Wortfassung der
Zwölf Tafeln usw., wie dies bei den römischen Juristen
selbst der Fall war, nur ein Korrektiv, nicht den
produktiven Quell seiner Auffassung findet.
Wie wenig bei den römischen Juristen von ,, Wort-
interpretation" die Rede ist, zeigt nichts besser als gerade
das Intestatrecht. Diese Anschauung widerlegen und das
Intestatrecht positiv entwickeln, ist ganz dasselbe und läßt
sich ineinander leisten.
Wo spricht das Zwölftafelgesetz ein einziges Wort
von dem consanguineus ? Woher stammt also, wenn die
römischen Juristen Wortinterpretation treiben, die eigen-
tümliche Stellung, die sie dem consanguineus und der con-
sanguinea geben, denselben, wie aus dem Wortlaut des
Zwölftafelgesetzes folgt, nur wie einen Agnaten überhaupt,
und ihn dennoch ebenso wieder wie eine besondere Klasse
behandelnd, eine Frage, die schon häufig zu gerechter
Verwunderung Anlaß gegeben hat ?
Sehen wir, wie genau sie unter der Einwirkung des
entwickelten spekulativen Begriffes gearbeitet haben ! —
Wir sahen, daß der Begriff der Agnation der ist, daß
zwei Personen in einem dritten verschwundenen Subjekt
ihre gewiesene, nur ideelle, in der Erinnerung vorhandene
Willensidentität haben. Insofern ist jeder Agnat, wie nahe
oder entfernt er sei, nur dasselbe, was der andere, nur
näherer oder entfernterer Agnat. Aber eine Abteilung
in der Agnation gibt es, welche vermöge der natürlichen
572
Notwendigkeit dies, was ihr Begriff ist, ihre ideelle
Willensidentität in einem verschwundenen gemeinschaft-
lichen Dritten zu haben, auch irgendeinen Zeitraum
hindurch realiter in den Personen erfüllt haben muß,
so daß hier die Personen wirklich und selbstlebend
in dem Verstorbenen als Lebenden identisch ge-
wesen sein müssen. Dies sind die Brüder und die
Schwestern, der consanguineus und die consanguinea. Der
Neffe und der Onkel brauchen dies schon nicht. Denn
der Neffe kann geboren worden sein, als das gemein-
schaftliche Subjekt, welcher sein Großvater und des Onkels
Vater ist, schon gestorben war. Sie hatten also niemals
eine Zeit, wo sie reale Willensidentität mit ihm
sein mußten. Es ist ihnen dies auch für den Begriff
der Agnaten nicht erforderlich; denn da dieser nur der-
jenige ist, außerhalb ihrer an einem Dritten eine ge-
wesene Willensidentität zu haben, so ist es gleichgültig,
wann diese gewesen ist; oder als aufgehobene nur
in der Erinnerung an einen Dritten vorhandene Willens-
identität, ist es für diese Begriffsbestimmung gleichgültig,
als daseiende und unmittelbare aktuelle Willensidenti-
tät in ihnen existiert haben zu müssen. Überdies kann
der Onkel und der Neffe, die Tochter und der Enkel
dasselbe Verhältnis zueinander gehabt haben. Sie können
in dem gemeinschaftlichen Vater und Großvater ebenso
identisch gewesen sein, denn er kann bei ihrer aller Ge-
burt gelebt haben. Sie brauchen es nur nicht zu sein.
Von demselben Vater erzeugte Geschwister aber müssen
immer einen Moment gehabt haben, wo sie in ihm als
einem noch Lebenden aktuell willensidentisch waren.
Von selbst bestimmt sich hiemach der consanguineus und
die consanguinea als das adäquateste Gesetztsein
des Agnationsbegriffes, als diejenige Realität des-
573
selben, in welcher alle seine Momente, sowohl die ge-
wesene Willensidentität im Dritten, als das Ge-
wesensein derselben, in formeller Existenz ge-
setzt sind; als diejenige Abteilung der Agnation, über
welche hinaus der Begriff der Agnation, wie wir oben
an den Worten Ulpians zeigten (S. 548), bereits in die
ideelle Gemeinschaftlichkeit des Ursprunges, oder die
Gentilen überzugehen beginnt. Aber wieder nur der
Begriff der Agnation geht über; die Agnaten selbst
als Personen folgen diesem Übergang nicht, denn sie
können, in den verschiedensten Verwandtschaftsgraden
stehend, alle noch von der Gewalt desselben Gewalthabers
beherrscht und seine sui gewesen sein, wonach sie dann
auch realiter ganz dasselbe untereinander durchgemacht
haben, wie die consanguinei. Der consanguineus ist also
nur das formellere Gesetztsein des agnatischen Be-
griffes. Er ist nur das Gesetztsein dessen, daß jenes
Gewesene, welches den Begriff der Agnation bildet,
in ihm selbst einmal auch nicht ein Gewesenes, sondern
nur ein Seiendes war, während es dies im Agnaten
schlechthin nur gewesen sein kann.
So erweist sich denn aufs genaueste die begriffliche
Notwendigkeit jener scheinbar ebensosehr dem Zwölftafel-
gesetz als sogar sich selbst widersprechenden Behandlung,
welche die römischen Juristen dem consanguineus angedeihen
lassen, ihn bald als Agnaten schlechthin, bald \vieder als
etwas Besonderes nehmend. Und sofort ergibt sich aus
dem Gesagten eine sehr reale Konsequenz in bezug auf
die consanguinea. Die Tochter ist, wie wir das bei der
Suität gesehen haben, für sich selbst die freie, sui
juris gewordene Willenssubjektivität des Vaters, so gut
wie der Sohn. Aber sie kann, wie wir diesen Unterschied
bedeutungsvoll schon bei der Suität selbst hervorbrechen
574
sahen (s. S. 344 fg., 350 fg.). da sie ihrerseits nicht wieder
in der Gewalt haben kann, ihre Willenssubjektivität nicht
fortsetzen, nicht festhalten. In bezug auf das Verhältnis
der Schwester zum Bruder kann dies keinen Unterschied
machen. Sie war mit ihm notwendig in derselben Gewalt,
war mit ihm realiter in der Identität derselben Willens-
subjektivität eingeschlossen. Sie ist daher, nach dem Tode
derselben, gewesene Willensidentität mit ihm, sie hält
nicht fest, aber sie wird festgehalten von derselben
Willenssubjektivität in ihr und ihm, sie ist daher ebenso-
gut agnata wie jeder agnatus. Als consanguinea beerbt
sie ihn daher. Aber wie steht, wenn der Bruder tot ist,
ihr Verhältnis zu dessen Sohn? Mit diesem war sie
nicht mehr in derselben Gewalt. Oder mindestens wenn
der Vater bei Geburt dieses Enkels noch lebte, war dies
ein Zufälliges. Ihrem Begriffe nach ist es nicht ge-
setzt, daß sie mit ihm in derselben Gewalt gestanden haben
muß; ihrem Begriffe, d.h. dem Begriff ihres Ver-
hältnisses zueinander, ist dies fremd und zufällig, daß
der Gewalthaber bei der Enkelserzeugung noch gelebt
haben muß. Standen sie aber begrifflich nicht in der Ein-
heit desselben Willens, so ist sie auch nicht gewesene
Willensidentität oder Agnat in bezug auf ihn. Denn sie
als Weib ist eben dies, des Vaters Wiilenssubjektivität
nur für sich zu sein, nur von ihr festgehalten zu
sein, nicht aber sie in bezug auf andere Personen
festhalten und fortsetzen zu können. Umgekehrt
ist er in bezug auf sie Agnat, denn er ist eben als Mann
und Gewalthaber dies, die in ihm seiende Willenssubjektivi-
tät auch in bezug auf andere fortsetzen und festhalten zu
können. Festgehalten von ihrer Willenssubjektivität
und sie nicht in bezug auf andere festhaltend, ist er also,
der Neffe, mit ihr, sie nicht mit ihm gewesene Willens-
575
Identität ; oder sie ist für ihn nur Passiv-, nicht Aktiv-
agnat. Das heißt also, es ergibt sich hier die Lehre
der römischen Juristen: Das Weib erbt agna-
tisch nur als consanguinea ; in allen weiteren Graden
beerbt sie nicht die Agnaten, wird aber von ihnen
agnatisch beerbt, eine Lehre ^), von der zu keinem Teile
auch nur die geringste Spur in den Worten des Intestat-
gesetzes der Zwölf Tafeln nachgewiesen werden kann,
die diesen vielmehr fast zu widersprechen scheint und
dennoch, wie wir gesehen, unter der strengen Fortwirk-ung
des im Zwölftafelgesetz vorhandenen spekulativen Be-
griffes von den römischen Juristen erzeugt ist. Justinian
beschuldigt daher hier sogar die Juristen, durch willkür-
lich ausgeklügelte Subtilitäten das Zwölftafelgesetz korrum-
piert zu haben : ,, Media autem jurisprudentia, quae aut
lege duodecim tabularum junior, imperiali autem disposi-
tione anterior, subtilitate quadam excogitata, praefatam
differentiam inducebat etc.", wogegen er das Zwölftafel-
gesetz wiederherstellen zu wollen erklärt (,,nos vero legem
duodecim tabularum sequentes et ejus vestigia in hac parte
conservantes"), und eher noch begreift sich dieser Vor-
wurf, so falsch er ist und so sehr er die organische
Gedankenfortbildung übersieht, als die Ansicht unserer
Autoren über die „Wortinterpretation" der römischen Zivi-
listen.
Dasselbe, was uns das jus zivile gezeigt hat, zeigt uns
nun auch, wie eine Probe auf das Rechenexempel, die
negative Umgestaltung desselben, oder die Geschichte
des Rechtes. Justinian ist es, welcher, das zivile
Intestaterbrecht im Geiste unserer Autoren abändernd, die
■'^) § 3 Inst, de legit. succ. (3, 2) ; vgl. über den consangi-
neus Paulus. R. S.. IV, 8, 3; Gajus. III, 10, 14 u. a-
576
successio graduum in dasselbe einführt 0- Er selbst aber
behauptet nicht einmal, daß der Grundsatz in legitimis
hereditatibus successio non est bloß durch eine „subtilitas
quaedam" der Juristen in das Zwölftafelrecht hineingetragen
sei, wie er dies allerdings häufig tut, wenn er einen Punkt
des alten jus civile ganz und gar nicht mehr versteht^).
Er gibt vielmehr dies als das wirkliche Prinzip des alten
Rechtes zu^) und stellt seine Abänderung des-
selben dagegen offen auf den Boden des prätori-
schen Prinzips: „Quod iterum praetores imperfecto
jure corrigentes, non in totum sine adminiculo relinque-
bant, sed ex cognatorum ördine eos vocabant, utpote agna-
tionis jure iis recluso. Sed nos, nihil deesse perfectissimo
jure cupientes, nostra constitutione*) quam de jure patro-
natus humanltate siiggerente protulimus, sanximus, succes-
sionem in agnatorum hereditatibus non esse iis denegan-
dam, quum satis absurdum erat, quod cognatis a prae-
tore apertum est, hoc agnatis esse reclusum^y
^) § 7 Inst, de legit. adgn. succ (3, 2).
^) Z. B. gerade daselbst, § 3, in Bezug auf die consanguinea :
„Et haec quidem lex duodecim tabularum] nullo", modo intro-
duxit. . . . Media autem jurisprudentia quae erat lege duodecim
tabularum junior, imperlali autem dispositione anterior, sub-
tilitate quadani excogitata, praefatam differentiam inducebat etc."
^) „Placebat autem in eo generc percipiendarum heredi-
datum successionem non esse etc."
*) L. 4, C. 6. 4.
^) Zugleich zeigt sich hier erst das tiefste Fundament für
die Lehre, die wir im ersten Bande, in der Note zu S. 720,
in Bezug auf das ErworBensein der Intestatdelation entwickelt
haBen. Vor Justinian ist das Intestatrecht nicht einmal Familien-
recht; der einzelne Agnat als solcher ist gar nicht einmal
damit Befaßt, sondern nur, insofern er die Idee des Kreises
zur Todeszeit repräsentiert. Mit Justinian tritt nun allerdings,
wie wir dort Bereits zeigten, eine eventuelle Delation
15 L-iialU. Cef. Scbriftcn, Band XII. 577
Es gibt nichts Lehrreicheres, nichts begriffhch Inhalt-
volleres, nichts für unsere gesamten Entvvickelungen über
das Intestatrecht Beweisenderes, als was in den hier be-
rührten geschichtlichen Tatsachen enthalten ist.
für jeden einzelnen Agnaten ein, und als ein durch
die Familienzeugung vermitteltes Recht kann dies ein erwor-
benes Recht scheinen. Allein, was ist denn durch dies Recht
erworben? Keinesfalls doch mehr, als durch dasselbe ge-
geben ist. Und gegeben ist, vor wie nach Justinian, durch dies
immer noch ganz bedingte und eventuelle Recht nichts anderes
als dies: sich mit der Willenssubjektivität des Erblassers iden-
tifizieren zu können, wenn derselbe ohne Testament gestorben,
d.h. wenn man der durch seinen vorausgesetzten Willen (In-
testatgesetz) dazu beinifene Wille sein wird. Wenn sein Ruf
aufgehört hat, während man wartete, ist es zu spät, ihn erfüllen
zu wollen. Wenn der allgemeine Wille, mit dem der voraus-
gesetzte des Toten identisch ist, d. h. das Intestatgesetz, sich
geändert hat und einen anderen i-uft, so kann jetzt nur dieser den
Ruf erfüllen. Dai-um bleibt es dabei, daß man nach römischem
Recht die deferierte Intestaterbschaft durch ein vor der Adition
die Delation änderndes Intestatgesetz verliert. Man verliert,
wie wir schon a. a. O. zeigten, das Recht auf Adition ebenso
gut durch den physischen Untergang unserer Willens-
fähigkeit dazu (Tod), wie durch den rechtlichen Unter-
gang unserer Fähigkeit (Gesetzeswechsel). Beides entspricht
sich immer und muß sich entsprechen, denn Untergang bleibt
Untergang, und es ist wunderbar, wie dies so lange übersehen
werden konnte. Der germanische Erbe, der freilich durch
den Wechsel des Intestatgesetzes nach dem Tode des Erb-
lassers nichts verliert, verliert eben darum auch durch seinen
Tod nichts, sondern überträgt das schon ererbte Eigentum.
Ihn beruft aber das Intestatgesetz auch gar nicht zu einer
Willenshandlung, zur Fortsetzung eines Toten, und es beruft
ihn also überhaupt zu nichts, sondern es gibt ihm Sachen,
und die hat er dann freilich sofort mit diesem ideellen Moment
des gesetzlichen Gebens. Genauer wird sich der Unterschied
in der zweiten Abteilung enti,vickeln.
578
Das prätorische Prinzip der Kognation, weil
es wirklich das Erbrecht der Familie ist, wofür
unsere Autoren das Zivilintestatrecht stets halten, tritt
deshalb von vornherein mit dem Prinzip der
snccessio gradimm auf. Es kommt hier so zu seinem
positiven Beweise, was wir oben aus dem Begriffe
entwickelt haben, daf^ jedes Erbrecht, welches Familien-
erbrecht ist, die einzelnen Familienpersonen als
solche mit einem eventuellen Erbrecht befassen
und folglich die successio graduum in sich enthalten
muß; zu seinem umgekehrten Beweise somit, daß das
Zivilintestatrecht, welches dies nicht tut, auch kein
Familienerbrecht sein kann, und eben weil es kein solches
ist, auch eine solche successio nicht kennen kann.
Aber ferner! Der Grundsatz, daß im Zivilintestat-
recht keine Sukzession ist, er, der nach unseren Juristen
aus einer bloßen starren, innerlich unmotivierten Wort-
interpretation entsprungen ist, umfaßt unbewegt, un-
verändert, ohne daß auch nur an ihm gerüttelt wird,
den gesamten Zeitraum der eigentlichen Ge-
schichte des römischen Rechtes, von seinem
ersten uns historisch bekannten Anfang, dem Zwölf tafel-
gesetz an, bis zu seinem letzten Ende und Unter-
gang, der justinianeischen Gesetzgebung; einen Zeitraum
von einem Jahrtausend!
Diese Wortinterpretation zeigt sich so identisch mit
dem Begriffe und dem Bestehen des römischen Geistes
selbst.
Während dieses Jahrtausendes wankt, stürzt, ändert sich
alles in der Welt des römischen Geistes, die gewaltigsten
Umwälzungen vollbringen sich. Aber diese Wortinter-
pretation bleibt bestehen. Während dieser Zeit voll-
bringt sich natürlich auch auf dem Gebiete des Intestat-
15- 57g
rechtes — die römischen Revolutionen sind vor allen
anderen Rechtsrevolutionen — der gewaltigste Wechsel.
Der Prätor läuft mit der bonorum possessio in den ver-
schiedensten Gestaltungen Sturm auf es, das kognatische
Prinzip der Familie schießt Bresche in es, aber durch
alles dies wird das Zivilintestatrecht nur aus seinem Macht -
gebiet mehr und mehr in einen Winkel zurückgedrängt,
es muß mehr und mehr den Platz dem neben ihm und
außerhalb seiner sich erhebenden prätorischen Prinzip
der Familie und des Vermögens räumen. Allein
mindestens in diesem Winkel, der ihm noch bleibt,
innerhalb seiner und insofern ziviles Intestatrecht da
ist, behauptet es sich rein ! Nicht genug ! Auch inner-
halb seiner wechselt das Intestaterbrecht seinen
inhaltlichen Begriff. Mit der geänderten Gestalt der
römischen Gesellschaft tritt an die Stelle des verschwun-
denen Erbrechtes der Gentilen, unter den Kaisern das
Erbrecht der Standesgenossenschaften in einem
das Mittelalter anbahnenden Sinne, das Erbrecht der
Erwerbs- und Berufsgenossenschaften an Stelle
des Erbrechtes der altrömischen Willenskreise (s. oben
S. 507, Note 1).
Aber so hat das Intestatrecht nur seinen Inhalt ge-
ändert und mußte ihn ändern mit der organischen Um-
änderung, die im Dasein der Gesellschaft selbst
eingetreten ist. So hat es nur die Antwort auf die
Frage geändert, was denn der Inhalt des allgemeinen
Willens oder des Volkes sei, und hat sie naturgemäß aus
^der jetzigen Beschaffenheit desselben geschöpft. Aber
seinen formellen Begriff: der allgemeine Wille
vorausgesetzt als der Wille des Individuums zu sein,
hat es noch nicht geändert. Solange das Zivilintestatrecht
Zivilintestatrecht bleibt, muß es diesen seinen formellen
580
Begriff behaupten und die successio ausschließen. Erst
mit Justinian, als der römische Geist an seinem Ende
angelangt und zu Ende ist, erst jetzt, wo das prä-
torische Prinzip sich völlig in das Zivilrecht selbst
hinein und an dessen Stelle setzt; erst jetzt, wo.
wie wir an jedem Punkte unseres Stoffes besonders gezeigt
haben, das Erbtum sein wirkliches Prinzip verloren hat
und zum Vermögens- und Familienrecht (beides
an sich identische Begriffe im Erbtum) geworden ist,
über welchem sein früherer Geist nur noch als geister-
hafter Schatten schwebt^) und festgehalten wird; erst
jetzt, wo es an sich, d. h. als totes Ende seines langen
Prozesses und in sich selbst widersprechender Form sich
zu dem hingetrieben und angenähert hat, womit der
germanische Geist als seinem wirklich und
darum in wahrhaft begrifflicher Konsequenz
auftretenden Prinzip anfängt; — erst jetzt kann
die successio graduum im Zivilintestatrecht, das nicht
mehr Zivilintestatrecht und zum individuellen Rechte der
Familienglieder geworden ist, eintreten.
Eine Wissenschaft, die in den glänzendsten ihrer Ver-
treter, und ohne Ausnahme, ein so im tiefsten Sinne
des Wortes welthistorisches Faktum für eine
äußerliche ,, Wortinterpretation" auffassen kann, richtet
damit sich selbst, zeigt dadurch allein, wie sie es übrigens
auch auf jedem anderen Punkte wieder selbständig und
von neuem zeigt, daß ihr von den gesamten Adern
ihres Stoffes auch nicht eine einzige bekannt gewesen,
zeigt, daß sie ihre gesamte Methode umändern und ganz
von vom wieder anfangen muß, wenn sie Wissen-
schaft werden will.
') Vgl. oben S. 131. Note 1. und überall bei der Ent-
wickelung justlnianeischer Gesetze.
581
Wohin wir uns auch nun \venden im Gebiete des Intestat-
erbrechtes, ist alles klar und durchsichtig. Für den ent-
hüllten Begriff gibt es keine Schwierigkeit mehr. Das
konkrete Material -wird, statt eine Schwierigkeit für ihn
zu bilden, ihm vielmehr nur Anlaß geben, auch die
letzte verborgenste Falte hervorzukehren, die er
noch in sich trägt.
Betrachten wir zunächst das Wissen bei der intestat-
erbrechtlichen Adition und sein Verhältnis zum testamen-
tarischen.
Ulpian sagt^): ..Heres institutus idemque legitimus
si quasi institutus repudaverit, quasi legitimus non amittit
hereditatem ; sed si quasi legitimus repudiavit, si quidem
seit se heredem institutum, credendus est utrumque repu-
diasse ; si ignorat, ad neutrum ei repudiatio nocebit, neque
ad testam.entariam, quoniam hanc non repudiavit, neque
ad legitimam, quonium nondum ei fuerit delata."
Also erstens : Der testamentarische Erbe, wenn er
als testamentarischer ausschlug, verliert damit noch nicht
sein Intestaterbrecht. Zweitens : Der bloße Intestaterbe,
wenn er, glaubend, daß er im Testament eingesetzt sei,
ausschlug, verliert damit noch nicht sein Intestaterbtum.
Aber drittens : Der Intestaterbe, der als solcher ausschlug,
v.issend, daß er auch eingesetzter Erbe, verliert damit
nicht nur das Intestaterbtum, sondern auch das nicht aus-
geschlagene testamentarische ; während viertens : der In-
testaterbe, der als solcher ausschlägt, nicht wissend, daß
er auch testamentarischer sei, weder sein testamentarisches
Erbrecht, da er dieses nicht ausgeschlagen, noch sein
Intestaterbrecht, weil dieses ihm noch nicht deleriert war,
verliert.
n L. 17. § 1. de acqu. vel. om. her. (29.2).
582
Die Juristen scheinen es freilich hier leicht zu haben.
Denn sie werden mit Savigny sagen: daß der Erbe „die
Art der Delation" wissen muß, wenn seine Antretung
oder Ausschlagung von Wirksamkeit sein soll. Allein
wir haben früher nachgewiesen^), daß dies Prinzip, ,,die
Art der Delation" wissen zu müssen, durchaus nicht das
richtige ist; kann es die hier vorliegenden vier Fälle zu-
nächst zu decken scheinen, so deckt es, wie wir bewiesen
haben, andere Fälle nicht, und ist daher auch bei jenen,
wie sich übrigens noch beiläufig an ihnen selbst ergeben
wird, so wenig wie bei diesen das Gesetz der Sache.
Allein nicht nur das Prinzip unserer Juristen ist, wie
von früher her feststeht, nicht richtig, sondern Ulpians
eigenes Prinzip, das er im vierten Falle hierbei aus-
spricht, erweist sich als unrichtig, und er befindet sich,
wie es scheinen muß, im dritten und vierten Falle im
offenbarsten Widerspruch mit sich selbst. Denn
im vierten Falle sagt er, der Intestaterbe, welcher, eicht
wissend, daß er auch testamentarischer Erbe sei, die
Intestaterbschaft ausschlage, verliere damit die
testamentarische Erbschaft nicht. Warum nicht?
Qiioniam hanc non repudiavit. Weil er diese nicht aus-
schlug. Gut, aber warum beherzigt Ulpian dies nicht auch
im dritten Falle, wo er von dem Intestaterben, der,
wissend, daß er auch Testamentserbe sei, die Intestat-
erbschaft ausschlägt, sagt, daß er dadurch auch die
testamentarische verliere? Kann nach dem früheren
der Erbe hier nicht ebensogut sagen : hanc non repudiavi,
als Testamentserbe, oder die testamentarische
Erbschaft habe ich nicht ausgeschlagen ? Indessen, dies
ist nur der Anfang des Widerspruches, und Ulpian löst
'■) Siehe oben S. 439. Note 2.
ihn wenigstens in den Worten auf, indem er sagt: in
diesem Falle sei der die Intestaterbschaft aus-
schlagende Erbe so anzusehen (credendus), als habe
er beide, Intestat- und testamentarische Erbschaft
ausgeschlagen (utrumque repudiasse). Warum er hier
so anzusehen sei, sagt uns Ulpian freilich nicht. — Aber
der substantiellere, auch nicht einmal in den Worten
aufgelöste Widerspruch folgt nun erst. Im vierten Falle,
wenn der Intestaterbe, welcher weiß, daß er Intestat-
erbe ist, und bloß nicht weiß, daß er auch Testaments-
erbe ist, die Intestaterbschaft ausschlägt, soll das
nicht nur für die Testamentserbschaft, es soll ihm auch für
die wissend ausgeschlagene Intestaterbschaft
nicht schaden^). Warum? Quoniam nondum ei fuerit
delata; weil sie ihm noch nicht deferiert sei. Und warum
ist sie ihm noch nicht deferiert ? Aus einem sehr guten
Grunde, werden die Juristen sagen : Weil die Erbschaft
ab intestato erst dann deferiert wird, wenn die Testa-
mentserbschaft ausgeschlagen worden ist. Richtig;
aber wenn dies so ist, warum verliert im dritten Falle
der die Intestaterbschaft ausschlagende testamentarische
Erbe mit der testamentarischen zugleich auch die Intestat-
erbschaft ? Warum \var ihm also hier die Intestat-
erbschaft deferiert, ehe die Testaments-
erbschaft ausgeschlagen war? Man drehe und
zerre das Resultat in den Worten herum, soviel man wolle,
immer bleibt das sachliche Resultat, daß die Dela-
^) Es geht hier übrigens auch wieder das Prinzip von dem
Wissen der ,,Art der Delation" in Stücke; denn auch die ge-
wußte „Art der Delation", die Delation ab intestato,
verliert hier der ausschlagende Intestaterbe nicht, ohne daß
das quoniam nondum ei fuerit delata, wie sich oben sofort zeigt,
eine stichhaltige Antwort ist.
584
tion der Intestaterbschaft eingetreten ist —
denn sonst hätte diese nicht wirksam ausgeschlagen werden
können — ehe die Testamentserbschaft aus-
geschlagen war: ein Resultat, das allen juristischen
Regeln über die Delation mit offenem Hohne ins Ge-
sicht lacht, vollständig dem vorigen Fall widerspricht,
wo der sich als Intestaterbe wissende Testaments- und
Intestaterbe wirkungslos die Intestaterbschaft — also die
gewußte Art der Delation — ausschlagen soll, weil
sie ihm vor seinem Ausschlagen der Testamentserb-
schaft noch nicht deferiert gewesen sei, und also Ulpian
selbst des grellsten Widerspruches mit dem quoniam non-
dum fuerit delata beschuldigt*).
Der Widerspruch ist um so flagranter, als Ulpian selbst
in einer kurz vorhergehenden Stelle^) sagt: „Is qui heres
institutus est, vel is cui legitima hereditas delata est, repu-
diatione hereditatem amittit. Hoc ita verum est, si in
ea causa erat hereditas, ut et adirl passet!' Also : ,,Der,
welcher zum Erben eingesetzt ist, oder der, welchem ab
intestato die Erbschaft deferiert ist, verliert die Erbschaft
durch die Repudiation. Dies ist jedoch in dem Sinne
zu nehmen, daß er die Erbschaft nur dann verliert, wenn
sie auch schon in der Lage war, von ihm angetreten
werden zu können." Über das Antreten sagt doch aber
wieder derselbe Ulpian: ,,quamdiu potest ex testamento
adiri hereditas. ab intestato non defertur" (L. 39 eod. tit.).
*) Die Juristen scheuen sich daher, statt Ulpian von seinem
Widerspruch zu erlösen, den Fall zu berühren. Savigny, a. a. O-,
III. 382. Note b. zieht dafür, daß der Erbe ..die Art der Dela-
tion, aus letztem Willen oder gesetzlich usw." wissen müsse,
alle möglichen Pandektenstellen an, die L. 13, 14, 15, 16, 19.
22, 23 usw. dieses Titels, aber an der L. 17 wird vorbeigegangen.
=) L. 13 eod. tit.
585
Antreten kann also der Intestaterbe nur dann die Erb-
schaft, wenn die testamentarische Erbschaft ausgeschlagen
ist. Ist er selbst beides zugleich, testamentarischer und
Intestaterbe, so kann er immerhin durch das Ausschlagen
des Testamentes sich die Intestaterbschaft nur deferieren,
und darum hörten wir ja soeben, daß auch der die Intestat-
erbschaft wissend ausschlagende gedoppelte Erbe nichts
vollbringe, weil sie vor seiner wirksamen Ausschlagung
des Testamentes noch gar nicht deferiert sei. Hier
gehen also wieder mit Krach alle juristischen Regeln über
die Delation in Stücke.
Hatten wir früher gezeigt 0. daß die juristischen Regeln
über die Delation und Adition den trostlosesten und inhalts-
losesten circulus vitiosus bilden, so sehen wir jetzt, daß
sie sich sogar gegeneinander empören und sich Lügen
strafen. Und gleichwohl ist, soviel wir uns wenigstens
augenblicklich erinnern, niemals auch nur der Versuch
gemacht worden, diese Stelle Ulpians aufzulösen, und
mit den durch sie auf das schneidendste widerlegten Regeln
über die Delation und die Adition in Einklang zu bringen.
Aber nicht nur die juristischen Regeln widerlegen sich
und Ulpian widerspricht sich hier, sondern auch unser
eigenes Prinzip, das wir sub Nr. XXXIV über das zur
Adition oder Repudiation erforderliche spekulative Wissen
entwickelt haben, scheint hier Schiffbruch zu leiden.
Denn wir sagten dort : Das Wissen, das zur wirksamen
Adition oder Repudiation des Erben erforderlich sei, sei
dies, die Willensbeziehung zu kennen, die sich der
erblasserische Wille zu seiner, des Erben, Willenssubjek-
tivität gegeben habe. Nun ist doch aber beides, Intestat-
erbtum wie testamentarisches, immer Erb tum, also ge-
1) Siehe oben S. 482 fg.
586
setzte Identität der Willenssubjektivität des Erblassers
und des Erben. Sooft der Erbe sich also als Erben weiß,
weiß er sich als Willensidentität mit dem erblasserischen
Willen, und es scheint wenig darauf ankommen zu können,
ob er sich als testamentarisch, oder ab intestato berufenen
Erben weiß. Zwar sagten wir schon dort, alles komme
darauf an, daß der Erblasser die bestimmte qualita-
tive Beziehung wisse, die sich der erblasserische Wille
auf ihn gegeben habe. Aber sollte uns hierbei nicht in
bezug auf den Unterschied der testamentarischen und
Intestaterbschaft gleichfalls zugestoßen sein, was wir den
Juristen so häufig nachv/iesen, daß wir einen Unterschied
in den Worten statuierten, ohne einen in der Sache
angegeben zu haben ? Denn zumal, wenn nach unserer Auf-
fassung die Intestaterbschaft gleichfalls von dem indivi-
duellen Willen des Erblassers ausgeht, nur von seinem
vorausgesetzten, wie kann es darauf ankommen, ob
der Erblasser durch seinen ausdrücklichen oder durch seinen
vorausgesetzten Willen den Erben zur Identität mit seiner
Willenssubjektivität bestimmt hat ? Der vorausgesetzte
Wille ist, da er ja eben als sein individueller voraus-
gesetzt wird, nicht weniger sein Wille, als der testa-
mentarische. Femer bleibt Willens identi tat immer
Identität; mehr als Identität kann zwischen zwei Willens-
subjektivitäten nicht stattfinden, und so scheint es ja gerade
für die Willensbeziehung, die sich die erblasserische Wil-
lenssubjektivität auf die des Erben gegeben hat, realiter
völlig gleichgültig und unterschiedslos, ob er ihm diese
Identität durch seinen ausdrücklichen oder durch seinen
vorausgesetzten Willen angetragen, und jener Unterschied
im Qualitativen der Willensbeziehung, ob der indi-
viduelle Wille durch seinen testamentarischen oder intestat-
gesetzlichen Ausdruck den Erben zu dieser Identität be-
587
stimmt hat, scheint nur ein inhaltsloser Wortunterschied
zu sein.
vSo konnte es allerdings vielleicht noch oben (S. 416)
scheinen, und wir eilten daher dort über die Notwendig-
keit des Wissens, ob man testamentarischer oder Intestat-
erbe sei, so schnell als möglich hinwegzukommen, weil
sich der letzte Grund derselben allerdings erst im gegen-
wärtigen Zusammenhange nach Erörterung des inhalt-
lichen Begriffes des Intestatrechtes ergeben kann.
Jetzt muß dieser Grund, aber bereits in der vollen
Realität seines Inhaltes, offen vorliegen.
Wohl ist Intestaterbtum, wie testamentarisches, Iden-
tität der beiden Willenssubjektivitäten^), wohl geht in
beiden Fällen diese Willensidentität vom individuellen
Willen des Erblassers aus, in dem einen Falle von seinem
vorausgesetzten Willen, wie in dem anderen Falle
von seinem ausdrücklichen. Aber in diesem Unterschiede
der Form liegt ja bereits der ganze inhaltliche Unter-
schied, den wir aus ihr als den Inhalt des Intestaterbrechtes
entwickelt haben. Der Wille des sich nicht besondem-
den Individuums, der vorausgesetzte Wille, ist iden-
tisch mit dem allgemeinen Willen, und nur um
dieser Identität willen mit dem allgemeinen
Willen ist er seinerseits auf den Intestaterben bezogen;
\\ne dieser für sich selbst genommen gleichfalls nur dadurch,
daß er in bezug auf den Erblasser der Träger und das
Dasein des in jenen Willenskreisen gegliederten all-
gemeinen Willens ist, zur Identität mit der Willens-
subjektivität des Erblassers bestimmt ist. Haben wir also
bei der Adition und dem zu ihr erforderlichen Wissen
^) D. li. natürlich, was erst später zu seiner Entwickelung
gelangen kann, nach der Adition des Intestaterben.
588
das begriffliche Gesetz sich ergeben sehen : der Erbe müsse
die zwischen der erblasserischen Willens-
subjektivität und der seinigen bestehende Wil-
lensbeziehung wissen, um wirksam antreten zu können,
so sehen wir jetzt, wie der Erbe dadurch schlechterdings
genötigt ist, zu wissen, ob er testamentarischer oder Intestat-
erbe ist. Nichts würde er über die wahrhaft zwischen
ihm und der erblasserischen Willenssubjektivität bestehende
Willensbeziehung, nichts über dieses spekulative Willens-
verhältnis wissen, wenn er dies nicht wüßte. Mit der-
selben Notwendigkeit also, mit welcher wir in Nr. XXXIV
sahen, daß der Erbe wissen muß, ob er suus oder extra -
neus, necessarius oder voluntarius heres ist usw., und ganz
aus demselben Grund muß er also auch wissen, ob er
durch die Selbstbestimmung der erblasserischen Willens -
Subjektivität schlechthin, oder durch ihre in ihrer Nicht-
besonderung vorhandene Identität mit dem all-
gemeinen Willen, zur Identität mit der erblasserischen
Willenssubjektivität bestimmt ist. Er würde, sagten wir,
die spekulative Beziehung und Willensidentität, zu
der er berufen ist, denn er würde die Substanz selbst
dieser Willensidentität nicht wissen, solange er ihr Ver-
mitteltsein durch die inhaltliche Identität mit dem all-
gemeinen Willen nicht weiß^). Ohne das Wissen dieser
Vermittelung weiß er also die wirklich zwischen
ihren Willenssubjektivitäten bestehende Beziehung, das sie
^) Daß er das Vermögen haben oder die Kreditoren
befriedigen, was unsere Juristen stets als die Substanz der
Erbschaft angeben, oder, wenn es hoch kommt, daß er „die
Kreditoren befriedigen und die sacra fortsetzen soll" (s. Huschke
in Richters Krit. Jahrbüchern, 1839, S. 11 fg.), das freilich
würde der Erbe in jedem Falle wissen, ob er sich für einen
Testaments- oder Intestaterben hält.
589
zur Identität Zusammenschließende 0 nicht. Wenn
der Verstand hier wieder hervorbrechen und dieser sub-
stantiellen Vermittelung des Willens den Schein eines
Grundes geben wollte, sagend: aber der Intestaterbe
weiß doch bloß das Warum nicht, aus welchem der
Testator ihn zur Willensidentität mit sich gewollt hat,
ein Warum, das doch also ein ebenso gleichgültiges
Motiv ist, wie das reale Motiv, aus welchem der
Erblasser beim testamentarischen Erbtum gerade diese
bestimmte Person als Willensidentität mit sich setzt ^), —
so würden wir ihn sofort wieder in seinen Käfig ein-
sperren mit der Antwort: Wenn für den sich ausdrück-
lich setzenden Willen das reale Motiv der Wahl seines
Erben ein zufälliges Motiv ist, neben welchem ebenso-
gut andere Motive vorwalten konnten und können, so
ist für den vorausgesetzten Willen des intestatus
seine Identität mit dem allgemeinen Willen, wenn man
sie als Motiv darstellen will, das notwendige, den
Willen erschöpfende und quantitativ deckende
Motiv seines bestimmten Verfügens. Und es ü"itt also
nur wieder zum Vorschein die Wahrheit und absolute
Bestätigung der Theorie, die wir in diesem gesamten Werke
über Wille, Irrtum und Motiv aufgestellt und nachgewiesen
haben ^), daß der quantitativ den Willen deckende und
erschöpfende Beweggrund nicht mehr gleichgültiger
Beweggrund ist, sondern identisch ist und zusammenfällt
mit dem Inhalt der Willenshandlung selbst. Es
tritt nur zum Vorschein, daß das erschöpfende Motiv
eben darum nicht mehr Motiv ist, dessen Begriff es ist
^) Vgl. oben S. 419 — 425, bei der sich für schwanger hal-
tenden Frau.
2) Siehe oben S. 433. Note 1.
«) Zuletzt sub Nr XXXV.
5Q0
.
ein einzelnes gegen den Inlialt des Willens zu sein,
sondern zur Substanz des Willens selbst geworden ist.
Für den Intestatwillen des Erblassers ist seine Iden-
tität mit dem allgemeinen Willen und das in der bestimmten
Person des Agnaten oder Gentilen gegebene Dasein dieser
Beziehung das begriffliche Motiv, d.h. das not-
wendige und kein anderes neben sich zulassende Motiv
seines Verfügens, also absolute Substanz. Diese in ihm
wie im Erben als Träger vorhandene Identität mit dem
allgemeinen Willen als ein Motiv für den Intestat-
willen hinstellen wollen, wäre an und für sich schon
eine jener ewigen Täuschungen des Verstandes über die
Kategorien, mit denen er wirtschaftet, eine Täuschung,
die aber sogar als solche nach unserer Entwickelung über
die Theorie des Irrtums und das Verhältnis von Wille
und Beweggrund realiter unschädlich und einflußlos bleiben
würde.
Wenden wir uns also jetzt von dem entwickelten Be-
griff aus wieder auf die L. 17 zurück, so wird natürlich
jede Schwierigkeit verschwinden, und es wird sich wieder
das so oft von uns betrachtete Verhältnis zeigen, daß,
wenn die Gründe Ulpians auch nicht richtig und sich
daher widersprechend sind, doch die von ihm gegebenen
Entscheidungen absolut richtig und im innersten Ein-
klang sind.
Betrachten wir also die vier Fälle, in die wir oben
die L. 17 aufgelöst haben. Nach dem ersten Fall soll
der testamentarische Erbe, wenn er als solcher ausschlägt,
damit noch nicht sein Intestaterbtum verlieren. Natür-
lich nicht ; denn w^ls er ablehnt, ist die Identität mit dem
gesetzten, nicht mit dem vorausgesetzten Willen
des Erblassers, ist seine Identität mit ihm als bloßen
individuellen Willen, ist nicht seine Identität mit ihm durch
die Vermittelung des noch zu Hilfe gerufenen
allgemeinen Willens. Wenn er sich um ihn, als
bloßes Individuum genommen, vielleicht wenig kümmern
würde, so kann er es doch als Agnat grausam finden,
seine Willenssubjektivität untergehen zu lassen. Im Testa-
mente fleht ihn bloß der individuelle Wille des Erb-
lassers um Fortsetzung an. Im Intestat willen fleht ihn
der individuelle Wille des Erblassers und der all-
gemeine Wille des Volkes, mit dem derselbe identisch
ist, flehen ihn beide an, schon um der in ihm vorhandenen,
durch die gesamte Willensgemeinsamkeit des Volkes desi-
gnierten Eigenschaften willen, jenem Fortsetzung zu geben.
Wer jenem ersten Flehen widerspricht, von dem ist durch
nichts gegeben, daß er auch diesem vereinigten Flehen
beider widerstehen wird. — Wenn er also das Testa-
mentserbe ausschlägt, schlägt er eben nur die Testaments-
erbschaft aus, und eröffnet sich gerade dadurch die Intestat-
erbschaft. — Der zweite Fall, wenn der bloße Intestat-
erbe, irrig glaubend, daß er Testamentserbe sei, die
Testamentserbschaft ausschlägt, ist natürlich ganz mit jenem
identisch, wird darum auch von Ulpian mit jenem ersten
ungetrennt zusammen behandelt (,,heres institutus idemque
legitimus si quasi institutus repudiaverit"). und ist nur
von uns größerer ÜbersichtKchkeit wegen besonders ge-
stellt worden. Gehen wir nun gleich zum vierten Falle
über. Der Intestaterbe, der zugleich Testamentserbe ist,
dies aber nicht weiß, schlägt die Intestaterbschaft aus.
Da er gar nicht weiß, daß er Testamentserbe ist, hat
er natürlich auch die Testamentserbschaft nicht impli-
zite ausgeschlagen 0 . Ihn kümmert vielleicht sein Agnaten-
^) Nicht, wie Ulpian sagt, „quoniam hanc non repudiavit" ;
den« dieses hanc non repudiavit würde auch im dritten Falle
zutreffen; nur in dem Wissen liegt der Unterschied, wie wir
5Q2
Verhältnis wenig, während die ausdrückliche und aus-
schließliche Willensidentität mit ihm, zu der sich
der Testator bestimmt hat, während der honor dieser
Willensübertragung ^) ihm vielleicht geschmeichelt und ihn
gerührt haben würde. Hat er aber die Testamentserbschaft
weder explizite noch implizite gültig ausgeschlagen, so ist
auch die Intestaterbschaft noch gar nicht eröffnet, und
darum sein vorzeitiges Ausschlagen einer noch nicht an
ihn gerichteten Bitte, eines noch nicht an ihn ergangenen
Rufes ist daher ungültig, ebenso, als wenn der Erblasser
noch am Leben wäre. Erst wenn diese Bitte und dieser
Ruf an ihn ergangen sein wird, wird es sich finden, ob
er ausschlagen wird. — Kehren wir nun auf den dritten
Fall zurück. Wie, wenn der Erbe weiß, daß er auch
testamentarisch eingesetzt ist, und als Intestaterbe
ausschlägt? Hier tritt der von uns entwickelte Begriff
des Intestatrechtes, ein vom Individuum ausgehender
vorausgesetzter Wille desselben und zugleich —
weil dies eben der vorausgesetzte, der sich nicht be-
sondemde Wille des Individuums notwendig ist — identisch
mit dem allgemeinen Willen zu sein, in voller Rein-
heit und Prägnanz hervor. Niemals würde, wenn das
Intestaterbrecht nur ,, Gesetz", wenn es nicht vom erb-
lasserischen Individuum ausgehender Wille wäre,
der Erbe mit dem Ausschlagen der bloß intestat g e s e t z -
liehen Nachfolge auch die testamentarische aus-
zuschlagen scheinen können, und alles, was man bisher
über das Intestatrecht geschrieben hat, bricht schon an
sehen werden. Das Wissen des Erben tritt auch hier wieder
als das die Delation an denselben erst bewirkende
Moment hervor, ganz wie wir dies sub Nr. XXXVIII nach-
gewiesen haben.
^) Siehe oben S. 86-
16 Lasealle. Ges. Schriften. Band XII. 593
dieser einen Entscheidung Ulpians in Stücke. Indem aber
das Intestaterbrecht seinem Begriffe nach beides ist,
der vorausgesetzte individuelle Wille des Erblassers
und der allgemeine Wille, mit dem er als voraus-
gesetzter identisch ist, indem also, wie wir vorher bei
dem nur als Testamentserben ausschlagenden Agnaten
sagten, im Intestat willen beides, der individuelle
Wille und der allgemeine Wille des Volkes, vereinigt
den Erben anflehen, dem Erblasser Fortexistenz zu geben,
nimmt hier, wo der Erbe sich zugleich als testamentarischen
weiß, sein Ausschlagen der Intestaterbschaft die
Stellung eines ,,ne quidem", eines ,, nicht einmal" zur
testamentarischen Erbschaft ein. Nicht einmal durch
beide Willen gerufen, den individuellen Willen des
Erblassers und den allgemeinen Willen des Volkes, die
beide im Intestatwillen rufen, hat der Erbe die Willens-
subjektivität des Erblassers fortsetzen zu wollen erklärt ;
nicht einmal durch den vorausgesetzten Willen
des Toten, der aber deshalb eben erstens eigener Wille
des Toten, als solcher vorausgesetzter Wille desselben
ist, und zweitens um seiner Voraussetzung willen nur
noch durch die gesamte zu Hilfe gerufene Substanz
der allgemeinen Willensgemeinsamkeit vermittelt ist, ge-
rufen, hat der Erbe die ihm angebotene Willensidentität
annehmen zu können erklärt, und hat eben deshalb und
um so mehr den bloßen eigenen Willen des Toten, hat
diesen schon i m Intestatwillen ausgeschlagen. E r kann
nicht sagen, daß er bloß den vorausgesetzten Willen ab-
gelehnt habe und die Identifizierung mit dem ausdrück-
lichen Willen nicht abgelehnt haben würde. Denn er
wußte sich auch als testamentarischen Erben, und wollte
er daher bloß den vorausgesetzten Willen ablehnen, so
hat er dazu das einfache und positive Mittel, die
594
Testamentserbschaft anzutreten, wodurch es von
selbst zu dem vorausgesetzten Willen nicht gekommen
wäre. Indem er nicht dies positive Mittel des Unter-
scheidens ergriff, sondern einfach den vorausgesetzten
Willen des Erblassers, welchen das Intestatrecht darstellt,
negierte, hat er in dem vorausgesetzten Willen des
Erblassers beides negiert, wovon das Intestaterbrecht,
ja die bloße Begriffsbestimmung: ,, vorausgesetzter Wille"
schon die Einheit ist, sowohl den Willen, als sein
Vorausgesetztsein, sowohl das in seiner Voraus-
setzung enthaltene Allgemeine, als den individuellen
Willen, als dessen Inhalt dieses Allgemeine auftritt.
Da beides im Intestaterbtum vorliegt, hat er mit dem
nichtunterscheidenden Negieren des Intestaterbtums auch
beides abgelehnt, hat auch die testamentarische Erb-
schaft oder die Willensidentität überhaupt aus-
geschlagen. Und nur wenn er von seiner testamentari-
schen Einsetzung nichts weiß, käme ihm dies — wie auch
die Aufeinanderfolge der Fälle bei Ulpian zeigt — als
ein den logischen Umfang seiner Willenshandlung beschrän-
kendes Moment zugute.
Es zeigt sich also, mit welcher begrifflichen Not-
wendigkeit Ulpian sagen muß, jener sich auch als ein-
gesetzter Erbe wissende und die Intestaterbschaft ausschla-
gende Erbe sei anzusehen, als ob er beides ausgeschlagen
habe, credendus est, utrumque repudiasse. Die juristi-
schen Regeln über Delation und Adition bleiben aber
auch nach dieser Auflösung zerschellt. Denn immer bleibt
wahr, daß der Intestaterbe hier eine Intestaterbschaft wirk-
sam ausschlägt, die ihm noch nicht deferiert ist usw. Und
auch abgesehen vom Begreifen und Erklären, werden die
Juristen sich keine Illusion darüber machen können, daß sie,
die Hand aufs Herz, diesen Fall, wenn er nicht von Ulpian
''' 595
entschieden wäre, ganz entgegengesetzt entschieden haben
würden, nämlich ganz wie den vierten Fall bei Ulpian.
Sie würden gesagt haben : Der Intestaterbe schlägt eine
Intestaterbschaft aus, die noch nicht eröffnet ist ; nihil agit.
Und die Testamentserbschaft verliert er ebensowenig, weil
er sie nicht ausschlägt ; quoniam hanc non repudiavit.
Es zeigt sich also auch hier wieder^), was sich freilich
von jeder Seite dieses Werkes aus zeigen läßt, daß auch
0 Zum Beweise: Wir irrten, scheint es, als wir oben sag-
ten, die Juristen vermeiden von dieser Stelle Ulpians zu spre-
chen. Huschke ruft vielmehr denselben § 1 derselben L. 17,
der uns beschäftigt hat, ausdrücklich an (Studien des Rom.
Rechtes, I, 235, Note 64). Und was sagt er? Folgendes:
„Weil der Inhalt der Erklämng des Erben, welcher eine ge-
setzliche und welcher eine Testamentserbschaft an-
nimmt, hiemach ein ganz verschiedener (!) ist, kann auch
niemand antreten, der nicht weiß, ob ihm ex testamento oder
ab intestato deferiert worden, und kann, wer die eine An-
tretung ablehnt, die andere noch nachholen. L. 17, § 1.
de acqu. vel. om. her. !" Das „juristische Wissen", welches
Huschke gegen Niebuhr rühmt, muß also hier der vor ihm
liegenden, von ihm zitierten Rechtsquelle ins Angesicht hinein
das Gegenteil von derselben sagen. Während Ulpian die Regel
aufstellt, daß, wer die Intestaterbfolge ablehnt, auch die
Testamentserbschaft ablehne, und nur als Ausnahme hiervon!
den Fall des Nichtwissens von der Testamentserbschaft
statuiert — wie ja alles Nichtwissen die Natur einer juri-
stischen Ausnahme hat, von den Juristen auch stets so be-
handelt wird und bei dem hier in Rede stehenden Verhältnis auch
faktisch eine Ausnahme sein wird, da der Intestaterbe in der
Regel sehr wohl wissen wird, ob er im Testament eingesetzt ist
-— , muß das „juristische Wissen" erstens die Regel verschweigen,
zweitens die Ausnahme zur Regel machen und drittens, indem es
die materielle Bedingung der Ausnahme — das Nicht-
wissen — fortläßt, die Regel in ihr positives Gegenteil ver-
wandeln und so, unter Berufung auf die das Umgekehrte sagende
596
das rein positive „juristische Wissen" nur im theoreti-
schen Begreifen seine wahre Grundlage haben kann.
Wenden wir uns zu dem höchst interessanten Unter-
schied der Intestaterbschaft und der testamentarischen, wel-
cher in der in jure cessio stattfindet und bisher gleichfalls
jedem Erklärungsversuch unzugänglich bleiben mußte, nach
dem enthüllten Begriff des Intestaterbrechtes aber gleich-
falls keinerlei Schwierigkeiten mehr bieten kann, sondern
diesen nur der letzten Entwickelung seines begrifflichen In-
haltes zuführen wird.
Der Intestaterbe kann die Erbschaft vor der Antretung
durch in jure cessio übertragen, also ehe er Erbe ge-
worden ist, und wenn er dies tut, so geht das Erbtum
gerade so auf den Zessionar über, als wenn dieser
selbst der gesetzliche Intestaterbe wäre^). Der Zessionar
wird heres.
Der Testamentserbe dagegen kann nicht das Erbtum
Stelle Ulpians, in die positiv falsche Versicherung ausbrechen:
„und kann, wer die eine Antretung abgelehnt, die andere noch
nachholen." Man sieht, wir haben im Texte zu wenig gesagt,
als wir sagten, unsere Juristen würden das Gegenteil lehren,
wenn zufällig diese einzelne Entscheidung Ulpians nicht da wäre.
Sie lehren das Gegenteil von derselben, obgleich sie da
ist! Aber freilich nötigen dazu alle dabei auf dem Spiele
stehenden Regeln über die Adition und Delation, wie sie von
unseren Juristen aufgestellt werden! Freilich nötigt Huschken
noch ganz besonders dazu seine merkwürdige Entdeckung, daß
die Aditionserklärung des Intestaterben einen „ganz ver-
schiedenen Inhalt" von der des testamentarischen
Erben habe!
1) Gajus, II, § 35: „Nam si is ad quem ab intestato legi-
tim© jure pertinet hereditas, in jure eam alii ante aditionem cedat,
id est [antequant heres extiterit, perinde fit heres is cui in jure
cesserit, ac si ipse per legem ad hereditatem vocatus esset."
- Ulpian. Fragm. XIX. 11-14.
durch die cessio in jure übertragen ; tut er es vor der Adi-
tion^), so tut er gar nichts, nihil agit, wie Gajus daselbst
sagt 2).
Zuerst drängt sich die Frage auf : Wenn der Begriff
des Erbtums der ist, die identische Fortexistenz der erb-
lasserischen Willenssubjektivität zu sein, wie kann der
hierzu durch Testament oder durch Intestatgesetz berufene
Erbe diese Willensidentität annehmen und ablehnen z u -
gleich? Denn offenbar tut er dies doch, indem er sich
nicht als diese Willensidentität setzt, nicht antritt und
dennoch über dieselbe, durch seinen Willen verfügt, indem
er sich weigert, der Erblasser zu sein, und dennoch, als
wäre es jener, ihm eine andere Willenssubjektivität, als
die berufene, zum identischen Fortsetzer gibt ? Er müßte
also, scheint es, diese Willensidentität entweder nur an-
treten oder nur ablehnen können, wie dies beim testamen-
tarischen Erben wirklich zutrifft. Wie kann er femer vor
der Adition, also vor der Identifikation mit der erblasse-
^) Nach der Adition, d.h. nachdem er zum Erben, zum
Dasein der erblasserischen Willenssubjektivität
durch Identifikation mit derselben geworden ist, kann er dies
natürlich so wenig los werden — und zwar der Intestaterbe so
wenig wie der testamentarische Erbe — , wie jemand seine eigene
iWlllenssubjektivität los werden kann. Sie ist ja jetzt als seine
eigene gesetzt. Nach der Adition wird also der Intestaterbe
ganz ebenso behandelt wie der testamentarische, die hinterlassene
Sachentotalität, die zur Erbschaft gehört, kann er durch
cessio in jure übertragen; aber Erbe bleibt er trotz der-
selben : ,,nihiloniinus ipse heres permanet", wie Gajus a. a. O.
sagt, und worin sich wieder so sinnfällig, so handgreiflich zeigt,
wie wenig das Erbtum mit dem ,, Vermögen" oder der ..Ver-
mögenstotalität" oder der ..Vermögensfreiheit" zu
schaffen hat.
') II, § 36.
598
rischen Willenssubjektivität überhaupt über diese verfügen ?
Er muß es also vor der Adition, wo er noch nicht jener
Wille, sondern noch ein anderer gegen ist, ebensowenig
zu können scheinen, wie nach der Adition, wo es zu spät
ist, weil er bereits zu jenem geworden ist. Und endlich,
wie kann gerade der Intestaterbe, der die weniger ad-
äquate, die schwächere Realisation des Erbbegriffes
ist, ein größeres Recht haben als der Testamentserbe?
Aber das römische Recht ist, wie wir durchgehends gesehen
haben, das Recht des spekulativen Begriffes, in welchem
die Unterschiede der Mathematik ihre Bedeutung verlieren,
und es wird sich zeigen, daß der Intestaterbe ein stär-
keres Recht hat als der testamentarische, gerade weil
sein Recht das schwächere ist.
Huschke^) gesteht zu, daß die früheren Erklärungsver-
suche von Mühlenbruch ^) ^veder richtig noch tief genug
sind. Aber hören wir die Erklärung, die er selbst an deren
Stelle setzt! Er will ,,die Natur der in jure cessio here-
ditatis etwas genauer entwickeln", wie er selbst sagt, und
beginnt mit dem Satze : ,,Eine deferierte Intestaterbschaft
kann mit dem Erfolge in jure zediert werden, daß der
Vindikant durch die Addiktion ebenso Erbe wird, als wenn
er als berufener legitimus heres die Erbschaft angetreten
hätte." Dies ist richtig; das wissen wir eben aus Gajus.
Aber Huschke wollte den Satz erklären, und wir fürch-
ten sehr, daß der zu erklärende Satz der einzig richtige
Satz in der ganzen Erklärung bleiben wird. Huschke be-
ginnt jetzt die versprochene Erklärung unmittelbar nach
dem zitierten Satze also: „Überhaupt kann nämlich
der Erbe, obgleich er die Erbschaft noch nicht erworben,
sie doch schon übertragen, weil der Erwerb bloß von
^) Studien des römischen Rechtes, I, 233 fg.
^) Zession der Forderungsrechte, 2. Ausg.. S. 25—28, § 4-
5QQ
seinem Wollen abhängt." Aber wenn es „der Erbe
überhaupt" könnte, so müßte es ja auch der testamentarische
können. Und besonders: wenn das der Grund dieses Kön-
nens ist, ,,weil der Erwerb bloß von seinem Wol-
len abhängt," so müßte es ja unter allen Umständen und
ganz sicher auch der testamentarische Erbe können, da
ja auch bei ihm, ebensogut wie beim Intestaterben, ,,der
Erwerb der Erbschaft bloß von seinem Wollen abhängt."
Bei einem so grundfalschen Anfang, der den Grund des
Könnens beim Intestaterben ganz verfehlt, braucht man
kern Prophet zu sein, um vorherzusehen, daß Huschke
auch niemals dazu gelangen wird, einen Grund für das
Nichtkönnen des Testamentserben anzugeben. Die Sache
steht nämlich, wne wir später sehen werden, gerade um-
gekehrt. Sie steht nicht so, daß der Erbe überhaupt,
der Erbe nach seinem reinen Begriffe, dies kann, und
nur der Testamentserbe ausnahmsweise es nicht kann,
sondern gerade so, daß der Erbe überhaupt, der Erbe nach
dem adäquaten Begriffe es nicht kann und niemals
können würde, und gerade nur der subsidiäre, aus-
hilfsweise Charakter des Intestaterben diesen dazu be-
fähigt. Doch bleiben wir bei Huschke. Zum besseren Be-
weise, daß ,,der Erbe überhaupt" das Erbrecht übertragen
können müsse, fährt nach einer kurzen Bemerkung über
die der cessio in jure zugrunde liegende Rechtsstreits -
fiktion Huschke also fort: ,,Auch widerspricht die Na-
tur der Erbschaft ihrer Übertragbarkeit nicht: denn
sie ist zwar eine unkörperliche Sache, wie ususfructus
und obligatio, unterscheidet sich aber von diesen Rech-
ten dadurch, daß sie nicht, wie <üese, in einem Verhältnis
zweier Gegenstände zueinander^) besteht, welches mit Ver-
^) Das Verhältnis zweier Personen zueinander in bezug
auf einen bestimmten einzelnen Willensakt oder meh-
000
änderung des einen Gegenstandes notwendig ein anderes,
sondern gleich körperlichen Sachen eine Sache
in sich ist, unkörperlich bloß deshalb, weil der
körperliche Träger derselben, die Person, gestor-
ben ist."
Das „juristische Wissen" von der unkörperlichen Sache,
welches die immense Verwechselung begeht, die Übertra-
gung der gesamten geistigen Willenssubjektivität, welche
sich im Erbtum vollbringt, mit dem einzelnen Willens -
akt der obligatio gleichstellen zu wollen, muß für diese
Verwirrung selbst Rache an sich nehmen. Denn es muß
selbst zeigen, daß ihm die Erbschaft — immer im direkten
Sinne des Erbrechtes, das der Intestaterbe in jure ze-
diert, und von dem Huschke hier also spricht -~ nicht nur
bloß eine unkörperliche Sache sei, sondern es muß ge-
rade in dieser Zusammenstellung auf das deutlichste zeigen,
wie ihm das vom Intestaterben zedierte Erbrecht etwas
noch viel Körperlicheres als die unkörperliche Sache der
obligatio geworden ist, d. h. es muß die schon in diesem
Vergleich nur zum Vorschein kommende Auffassung des
Erbtums als eines Vermögenserwerbes in aller ihrer
Körperlichkeit und Schwerkraft hindurchbrechen, und das
schon anfangs für eine Sache, aber den Worten nach
wenigstens noch für eine ,, unkörperliche Sache" ausge-
gebene Erbrecht sofort in eine körperliche Sache,
in eine Sache sans phrase verwandeln. Nach Huschkes
ausdrücklichen Worten ,, unterscheidet sich" daher die Erb-
schaft dadurch von der unkörperlichen Sache der obligatio,
daß sie noch viel körperlicher ist als diese. Sie ist
rere solche, was das Wesen der obligatio bildet, wird Huschken
zu einem Verhältnis , .zweier Gegenstände zueinander". Doch
wir schreiben hier nicht die Obllgationenlehre !
601
erst eine ,,z\var unkörperliche Sache", wird dann
„gleich körperlichen Sachen", und endlich zur
,, Sache in sich". Nachdem so die Erbschaft alle Stadien
durchlaufen hat und zur Sache sans phrase geworden ist,
soll sie nichtsdestoweniger auf einmal wieder un körper-
lich werden, aber ,, unkörperlich bloß deshalb,
weil der körperliche Träger derselben, die Person,
gestorben ist."
Wenn schon bei der Erbschaft von einem Unkörper-
lichen und einem Körperlichen die Rede sein soll, so würde
man etwa begreifen können, daß man sich unter diesen bei-
den Faktoren der Erbschaft, mit denen man es dann zu tun
hat, die P e r s o n des Erblassers als das Unkörperlichc,
Persönliche (Ideelle), und die Sache als das körper-
liche Moment vorstellt. Dann freilich wird mit dem Fo r t -
fall des persönlichen Momentes, des Erblassers, die
Sache nicht unkörperlicher, als sie früher war. Für
Huschkes gequälte Abstraktionen stellt sich die ganze Sache
auf den Kopf! Die Erbschaft als Sache wird unkörper-
lich, und die ,, Person" ist der ,, körperliche Träger
derselben" ! ! Das Ergötzlichste aber ist, daß die Sache,
die schon ..gleich körperlichen Sachen" und zur ,, Sache
in sich", zur Sache sans phrase geworden war, jetzt wieder
unkörperlich wird, und zwar ausdrücklich ,, unkörperlich
bloß deshalb, weil der körperliche Träger der-
selben, die Person, gestorben ist". Sonst pflegte eine in
sich körperliche Sache, wenn ihr körperlicher Träger fort-
fällt, erst recht ihre Körperlichkeit zu zeigen, indem sie
nun mit aller Schwerkraft der Körperlichkeit krachend zu
Boden fällt. Bei der Huschkeschen Sache ist das umge-
kehrt. Sie wird, obwohl bis dahin körperlich, wahrschein-
lich durch den Wirbelwind der Worte, den das „juristi-
sche Wissen" erregt, hoch oben in der Luft erhalten, ver-
602
flüchtigt sich aus Ärger über diesen widernatürlichen Zu-
stand in ein fades Gas, und ist so glücklich zur,,, unkörper-
lichen Sache" geworden !
Wir werden ohnehin auf die wüsten Verwirrungen,
welche das , .juristische Wissen" vermöge seiner Auffas-
sung der Erbschaft als eines Vermögenserwerbes anrichten
muß, in der Beilage zu dieser Nummer noch näher ein-
gehen, und können uns daher überheben, hier noch genauer
alle die Irrtümer zu entwickeln, die in dem zuletzt ange-
führten Satze enthalten sind. Wir bemerken daher nur,
daß bisher Huschke zwar ganz falsch erklärt hat, warum
der Intestaterbe die Erbschaft in jure zedieren kann, aber
noch nirgends angedeutet, warum es der testamentarische
Erbe gleichwohl nicht kann. Denn alle diese Gründe,
als aus der Natur der Erbschaft überhaupt entnommen,
würden dann auch den Testamentserben treffen müssen.
Ist die Erbschaft ihrer Natur nach eine ,, unkörperliche
Sache", so ist sie dies auch für den testamentarische»
Erben und daher auch für ihn übertragbar. Aber Gajus
sagt uns nun einmal, daß sie dies für ihn nicht ist, und
wohl oder übel, mit geraden oder ungeraden Dingen, wird
daher das ,, juristische Wissen" schon einen Unterschied
zwischen beiden zu finden wissen, wie beschaffen er auch
immer sei. Darum fährt Huschke nach den letzten Worten
fort: ,, Endlich kann eine Höchstpersönlichkeit der
legitima hereditas auch aus dem Grunde nicht behauptet
werden, daß das Gesetz sie nur einer bestimmten Person
angetragen habe." Also das ist es und darauf läuft die
, .genauere Entwicklung" Huschkes hinaus! In den reinen
Wortunterschied der Persönlichkeit und Höchst -
persönlichkeit rettet sich das , .juristische Wissen" hin-
ein! Aber im juristischen Begriff der Persönlichkeit
gibt es keine Unterschiede von mehr und weniger, die
603
Unterschiede von Persönlichkeit und höchster oder
allerhöchster Persönlichkeit haben hier keinen Platz. Alle
Erbschaft, auch die Intestaterbschaft, ist entweder eine
Persönlichkeit oder sie ist es nicht. Der Unterschied
der Persönlichkeit und Höchstpersönlichkeit, den Huschke
auch nicht im geringsten expliziert, so wenig wie dies ein
anderer vermöchte, ist also nichts als die krampfhafte An-
strengung des juristischen Wissens, doch wenigstens in den
Worten einen Scheinunterschied — den Unterschied von
Mensch und Höchstmensch, Subjekt und Höchstsubjekt —
sich vorzuspiegeln, weil es ihn in der Sache nicht finden
kann. Und warum ist die Intestaterbschaft nicht ebensogut
eine ,, Höchstpersönlichkeit" wie die testamentari-
sche ? Das ,, juristische Wissen" scheint wesentlich darin
zu bestehen, an dem einen Orte alles zu vergessen, was es
an dem anderen gesagt hat und was ihm hier unbequem
wäre. Denn anderwärts^) bekennt sich Huschke zu der all-
gemeinen gang und geben Ansicht der Autoren, daß das
Intestaterbrecht Familienerbrecht sei, auf der ,, Drei-
einheit von Mann, Weib und Kind", auf dem physischen
Prinzip der natürlichen Zeugung usw. beruhe. Ist dies so,
so müßte man ja gerade geneigt sein, den Intestaterben,
weil er als Familienglied ja auch noch die .physische Seite,
die reale natürliche Persönlichkeit des Erblassers in sich
vereinigt, weil er Erbe und Familienglied ist und
als Familienglied erbender Erbe, am meisten und noch
mehr als den bloßen Testamentserben für eine ,,Höchst-
persönlichkeit" des Erblassers zu halten. Wie dem aber
auch sei, hier begründet Huschke den Satz, daß die In-
testaterbschaft keine Höchstpersönlichkeit sei, unmittelbar
nach den letzten Worten also fortfahrend: ,,Denn die ge-
^) Siehe die Beilage.
604
setzliche Erbschaft ist, wie auch der Name schon es aus-
drückt, etwas an sich Vorhandenes, wozu das Ge-
setz nur irgend jemand als Erwerber beruft."
Aber ist denn die testamentarische Erbschaft, man halte
den Erbbegriff wofür man wolle, nicht gleichfalls ,,etwas
an sich Vorhandenes", wozu das Testament „nur irgend
jemand als Erwerber beruft" ? Faßt man die Erbschaft als
Fortsetzung der erblasserischen Willenssubjektivität, so ist
diese vorhanden, denn sonst könnte sie nicht fortgesetzt
werden. Faßt man sie als Übertragung des Vermögens,
oder als körperliche oder unkörperliche, oder eigentlich mit
Huschke als „körperlich-unkörperliche" Sache, so ist diese
immer ,, etwas an sich Vorhandenes", denn sonst könnte sie
nicht übertragen werden. Testamentarische wie Intestaterb-
schaft müssen natürlich, eine so sehr wie die andere, etwas
an sich Vorhandenes sein, sonst könnte kein Mensch dazu
berufen werden, und das Testament enthält ja nicht weniger
eine Delation oder Berufung zu dieser Erbschaft, als
das Intestatgesetz. Das juristische Wissen aber, mit diesen
Lorbeeren noch nicht zufrieden, fährt da, wo wir seinen
Satz abgebrochen haben, also fort: ,,Und es kann-nicht
behauptet werden, daß die Erbschaft nur durch die Be-
rufung einer.bestimmten Person in ihrer Existenz
bedingt sei." Soviel Sätze und Satzteile das , .juristische
Wissen" im Laufe dieser Erörterung aufstellt, soviel posi-
tive Falschheiten! Es „kann" nicht behauptet werden!
Huschke leidet nicht, daß dies behauptet wird ! Wie aber,
wenn man es doch behauptete ? Wie, wenn man Huschke
erwiderte: Der Hauptgrundsatz des zivilen Intestaterb-
rechtes, daß eine successio in demselben nicht sei, daß also,
wenn der nächste Agnat des Erblassers ausschlägt oder auch
nur stirbt, der Erblasser erb los und die Erbschaft zur
herrenlosen Sache wird, zeige ja gerade aufs ent-
605
schiedensle und durch das monumentale Zeugnis des alten
Zivilrechtes selbst, daß gerade die Intestaterb-
schaft „nur durch die Bemfung einer bestimmten
Person in ihrer Existenz bedingt sei"? Gerade also
von der Intestaterbschaft würde der Satz gelten, der nach
Huschke nicht \on ihr und nur von der testamentarischen
gelten soll. Mit der Existenz dieser einen Person des
berufenen Agnaten fällt die Existenz der ganzen Erbschaft
überhaupt fort. Umgekehrt gilt dieser Satz gerade beim
Testamentsrecht weit weniger. Denn in einem Testamente
können mehrere Erben eingesetzt sein, wo dann, wenn
eine bestimmte Person ausschlägt, die andere von selbst
ihren Platz ausfüllt; oder es kann eine Reihe von Sub-
stituten aufgeführt sein, wo immer eine Person an Stelle
der anderen tritt, was beim Intestaterbrecht unmöglich ist.
Gerade also beim Testament ist es viel weniger wahr, ,,daß
die Erbschaft durch die Berufung einer bestimmten Person
in ihrer Existenz bedingt sei". Und schlagen selbst alle
Testamentserben aus, so hört die Erbschaft zwar auf, eine
testamentarische zu sein, aber sie wird nun doch nach
Intestatrecht deferiert, und bleibt somit doch noch im-
mer Erbschaft, ist mindestens nicht in ihrer Existenz als
Erbschaft durch die bestimmte berufene Person bedingt,
während dies beim Intestatrecht, wo die Erbschaft mit dem
Fortfall der bestimmten berufenen Person überhaupt zu
existieren aufhört, im höchsten Grade der Fall ist.
Das juristische Wissen muß also, um den illusorisch-
phantastischen Wortunterschied der Persönlichkeit und
Höchstpersönlichkeit sich selbst nur einigermaßen plau-
sibel zu machen, sofort mit seinem ganzen positiven Stoff
In den entschiedensten Widerspruch treten und grundfalsche
Regeln aufstellen, die, ließe sich in solchen Abstraktionen
überhaupt etwas Wahres zutage fördern, gerade weit eher
606
immer für das entgegengesetzte Gebiet von dem, für
welches sie gegeben werden, wahr sein würden.
Aber bisher hat Huschke uns nur immer sagen wollen,
weshalb die Intestaterbschaft keine „Höchstpersönlich-
keit" ist. Noch fehlt der Grund, weshalb die testamentari-
sche Erbschaft ihrerseits, im Unterschied von jener, eine
„Höchstpersönlichkeit" ist, oder irgendwelche andere Re-
densart, die Huschke wird ausfindig machen wollen, um
zu zeigen, warum der Testamentserbe die in jure cessio
nicht vornehmen kann. Huschke fährt also unmittelbar
nach den letzten Worten fort: „Hierin unterscheidet sich
die legitima hereditas wesentlich von der testamentaria, zu
welcher wir daher sogleich übergehen. Eine testamentari-
sche Erbschaft wird vor der Antretung von dem eingesetz-
ten Erben nichtig zediert." Richtig, das ist wieder der
Satz, den wir aus Gajus wissen. Huschke aber wollte er-
klären, warum? Er fährt daher fort: ,,Denn der An-
spruch des Testamentserben beruht bloß darauf,
daß in ihm der materielle Teil ( ? !) der Bedeutung
des familiae emptor liegt, welcher nach dem ursprünglichen
Rechte unmittelbar mit dem Tode des Erblassers dessen
successor per universitatem wurde, mitliin auf einem Ver-
trage nicht über die hereditas, sondern über die /ß-
milia des Verstorbenen, welche nur im Augenblick
des Erwerbes, wo von keiner Zession einer nicht erwor-
benen Erbschaft mehr die Rede sein kann, sich als here-
ditas gestaltet."
Hat das juristische Wissen bisher so viel Verwirrungen
angerichtet, als es Sätze hervorgebracht, so gipfelt diese
Fruchtbarkeit in diesem Satze, aus welchem fast so viel
Irrtümer als Zeilen in ihm sind, herausgeschält werden
könnten. Die Hauptverwirrung, welche diese Irrtümer er-
zeugt, ist hier die tiefsinnige Unterscheidung Huschkes
607
von familia und hereditas. Inzwischen wir müssen in der
Beilage ohnehin ausführlich auf diese neue Wortunter-
schiedstheorie Huschkes eingehen und den Knäuel von
Widersprüchen aufrollen, der in ihr enthalten ist. Hierauf
wollen wir also verweisen. Hier wollen wir uns begnügen,
eine andere und sehr entscheidende Antwort zu geben.
Nach Huschke beruht also der Unterschied des Intestat-
erben und Testamentserben darauf, daß der ,, Anspruch des
Testamentserben" infolge seines Manzipationsvertrages
, ,n i c h t über d i e hereditas, s o n d e m über d i e familia
des Verstorbenen" sich erstreckt! Aber somit vergißt das
,, juristische Wissen" ja, daß das positive Zwölf tafelgesetz
ja gerade vom Intestaterben sagt: familiam habeto, ihm
also gerade die familia überträgt. Es ist also kein
Unterschied zwischen familia und hereditas, und der In-
testaterbe hat die erstere so gut wie der Testamentserbe.
Oder hätte Huschke recht, und wäre wirklich ein Unter-
schied zwischen beiden, so beruhte gerade ,,der Anspruch
des Intestaterben" auf einer Übertragung derfamilia,
nicht der hereditas, und gerade dem Testamentserben,
von dem es dagegen heißt : heres esto, wäre vielmehr die
hereditas übertragen!
Das ,, juristische Wissen" hat also das entschiedene Un-
glück, sobald es den Ehrgeiz hat, sich auf das Denken ein-
lassen zu wollen, mit jedem Worte seinem positiven Stoff
ins Gesicht schlagen und das Gegenteil von dem sagen zu
müssen, was dieser sagt. Es hat entschieden und fortgesetzt
das Unglück, nicht nur Unterschiede zu produzieren, die
keine sind, sondern die, wenn sie welche wären, unglück-
licherweise weit eher für das entgegengesetzte Gebiet
von dem, welches sie charakterisieren sollen, zutreffen
würden.
So ist denn, wie wir es voraussagten, in dieser ganzen
608
Erklärung des Gajusschen Satzes, die Huschke unter-
nimmt, der positive Satz des Gajus das einzige wahre Wort
geblieben. Alles andere hat nicht nur nichts erklärt, son-
dern nur die greulichste Verwirrung im ganzen Erbrechts -
Stoff hervorgebracht. Und das ,, juristische Wissen" krönt
diese Verwirrung, indem es mit triumphierender Miene
diese ,, genauere Entwickelung" in einer Anmerkung damit
schließt: ,, hiernach" sei auch der ,,Inhalt der Er-
klärung des Erben, welcher eine gesetzliche und welcher
eine Testamentserbschaft annimmt", also der Inhalt der
Aditionserklärung ,,ein ganz verschiedener"! Man
kann alles beim Intestat- und Testamentsrecht verschieden
finden wollen, die Art der Berufung, auch noch in einem
gewissen Sinne, wie sich bald zeigen wird, das, wozu
berufen wird, aber nun und nimmermehr den Inhalt
der Aditionserklärung! Hier wie dort, beim Intestat-
wie Testamentserben ist der Inhalt dieser Erklärung nur
der eine : Erbe, d.h. Willensidentität mit dem Erb-
lasser sein zu wollen. Dies ist so klar, so absolut-not-
wendig, so sehr der einfache Ausspruch des Rechtsstoffes
selbst, daß gerade alle Verschiedenheiten des Testaments-
und Intestatrechtes nur jenseits der Aditionserklärung
fallen, nur bis zur Adition reichen. Die Aditionselbst
ist gerade wegen dieser Identität ihres Inhaltes die aus-
wischende Hand des Erben, welche sich über jene Unter-
schiede breitet und sie verschwinden macht. Mit der Adi-
tion sind alle zivilistischen Unterschiede beider Delations-
systeme zugrunde gegangen, der Erbe hat sie durch die
absolute Identität der Erklärung, Erbe sein zu wollen,
getilgt; durch die Adition ist jeder Unterschied in ihm,
ob er testaments- oder intestatrechtlicher Erbe war, zivi-
listisch durchaus zugrunde gegangen und aufgehoben, er
ist jetzt Erbe überhaupt geworden, und es ist ihm
17 Lasaalle, G«. Sckriften, Band XII. 609
zivilreclitlich nicht mehr das geringste davon anzusehen,
was er früher war.
Sicher, wenn die römischen Juristen wieder auferstün-
den, sie würden unseren Autoren alles glauben, nur dies
eine nicht, daß es ihr Recht ist, von dem sie handeln!
Kürzer, als die Verwirrungen des juristischen Wissens
zu analysieren, wird es sein, die wahre Notwendigkeit jenes
Unterschiedes bei der in jure cessio aufzuzeigen. Sie ent-
rollt sich aus unserer Begriffsentwickelung ganz von selbst.
Der testamentarische Erbe ist die ausdrück lieh -ge-
setzte Willensidentität des Erblassers. Als ausdrück-
liches Sichselbstsetzen ist dasselbe notwendig negativ
gegen jedes nicht von ihm Gesetzte. Wer sagt: Ich bin
Paul, sagt dadurch zugleich, daß er nicht Peter oder Lud-
wig ist. Derjenige also, welchen der Testator gesetzt hat,
Willensidentität mit ihm zusein, kann diese entweder
nur sein — so ist er Erbe — , oder nicht sein wollen —
so ist er ein ganz rechtloser Dritter gegen ihn. Übertragen
könnte er diese Willenssubjektivität nur, wenn sie erst die
seinige ist, wenn er sie erst in sich aufgenommen
hat, und dann natürlich nur in jener Weise, in welcher
man seine gesamte Willenssubjektivität übertragen kann,
also wieder durch Erbeinsetzung, oder indem er sich arro-
gieren läßt usw.
Daß also derjenige, von dem der Testator gesagt hat :
Peter soll Willensidentität mit mir sein, nicht sagen kann :
Nein, ich will es nicht sein, sondern Paul soll es sein, ist
äußerst einfach und folgt aus dem reinen Erbbegriff oder
aus dem Begriff ,,der Erbschaft überhaupt", aus dem es
nach Huschke gerade nicht folgen soll, von selbst, da ja
der Wille des Testators sonst nicht erhalten, sondern
negiert werden würde. Und sicher, wäre nicht im Intestat-
erben ein subsidiarischer, aushilf sweiser Charak-
610
ter, wäre er ebenso adäquate Realität des Erbbegrlffes wie
der Testamentserbe, so würde er es ebensowenig können wie
dieser. Nun aber zum Intestaterben! Der Intestaterbe ist
der vorausgesetzte Wille des Toten, nicht sein ge-
setzter. Inzwischen, auch als vorausgesetzter Wille ist
er immer noch ein bestimmter, denn er ist ja nun eben
die vorausgesetzte Bestimmtheit im erblasserischen Willen,
Wir zeigten daher schon oben (S. 569), v/ie auch vom
Intestatrecht ,,der Wille des Toten, obgleich ein voraus-
gesetzter, doch immer als ein bestimmter Wille vor-
ausgesetzt, d.h. auf den Willen eines anderen bestimm-
ten Individuums ger-ichtet sein" und so behandelt werden
muß. Wir zeigten daselbst, wie daher ,, durch den voraus-
gesetzten individuellen Willen des Toten ein bestimm-
tes Individuum, der nächste Agnat, dazu berufen ist: ihm
durch seinen Willen Fortsetzung zu geben", wie
„folglich ohne diesen Willen des berufenen Agnaten
dem Willen des Toten keine Fortexistenz von einem an-
deren gegeben werden", und also von irgendeiner successio
keine Rede sein könne. Dies entwickelten wir oben, und
gewannen so jenen HauptgrundsaLz des Zivilintestatrechtes.
Sollten wir vielleicht beabsichtigen, gewissen Methoden
folgend, hier, wo es zu unseren Zwecken nicht mehr paßt,
dies wieder zurückzunehmen ? Keineswegs.
Aber was ist denn durch das Obige ausgeschlossen!
Betrachten wir nur die eben angeführten dortigen Worte
selbst. Ausgeschlossen ist dadurch, daß, ,,ohne diesen
Willen des bestimmten berufenen Agnaten, dem Willen
des Toten Fortexistenz von einem anderen gegeben werden
kann." Aber ist denn damit ausgeschlossen, daß sie ihm
nicht durch seinen Willen — wie bei der in jure
cessio geschieht — von einem anderen gegeben werde?
Wozu ist denn der Intestaterbe berufen ? Dazu, wie es
17« 611
in den eben rekapitulierten Sätzen selbst heißt : „ihm (dem
Toten) durch seinen Willen Fortexistenz zu geben",
nicht aber somit dazu, ihm Fortexistenz zu sein. Ist das
nicht vielleicht auch ein bloßer Wortunterschied, den wir
plötzlich geltend machen ? Statt ein solcher zu sein, ent-
hält er vielmehr den gesamten realen Begriff des Intestat-
rechtes, der uns hier erst in seiner letzten Entfaltung auf-
gehen wird, eine Entfaltung, die aber nichts anderes als
nur die bestimmte Heraushebung des von Anfang
an entwickelten subsidiären Begriffes dessel-
ben ist.
Das Intestatgesetz, sagten wir bei dieser Entwickelung,
geht darauf aus, das Individuum zu suchen. Aber, sagten
wir daselbst bereits (S. 549), dasselbe in reeller Willens-
identität finden kann es nicht. Denn läge eine Willens-
identität vor, ein testamentarischer Erbe oder ein suus,
so brauchte das Intestatgesetz gar nicht zu suchen und
könnte gar nicht suchen; es könnte und brauchte gar
nicht intestatgesetzlich zu verfügen. Gerade weil es nicht
eine adäquate Willensidentität finden kann, gerade
hierin liegt ein subsidiärer, aushilfsweiser Charakter, ge-
rade deshalb muß es als Gesetz ergänzen.
Um dasselbe Moment zunächst noch deutlicher von
Seiten des vorausgesetzten individuellen Willens des Toten
zu betrachten, so kann derselbe nicht zu dem Agnaten usw.
sagen: Sei Willensidentität mit mir, sei meine Willens -
fortexistenz. Denn er selber, der Erblasser, hatte ja noch
gar nicht seinerseits gesetzt, daß er Willensiden-
tität mit ihm sei. Der Agnat ist dies also noch nicht, und
kann somit nicht einfach aufgefordert werden, etwas zu
sein, was er nicht ist.
In der Intestatberufung rufen also der individuelle In-
testatwille des Erblassers und der allgemeine Wille des
612
Volkes dem Berufenen nicht zu: Sei Willensidentität mit
dem Erblasser, sei seine Willensfortexistenz, was du nicht
bist, sondern sie rufen beide ihm zu und können ihm nur
zurufen: Ergänze das Nichtseiende; gib Ihm Wil-
lensfortexistenz !
So angerufen, im Unterschiede von der seienden Fort-
existenz der erblasserischen Willenssubjektivität, ihr Fort-
existenz zu geben, hat dieser hierzu angerufene Wille das
volle Recht, sie Ihr zu geben durch sich oder einen an-
deren, wenn er nur der Gebende ist. Er hat auch bei
der in jure cessio den Ruf, der an ihn ergangen ist, und
zv/ar nicht nur ä la lettre, er hat ihn in seiner ganzen
begrifflichen Tiefe erfüllt. Denn was war der reale
Begriff des Intestatrechtes ? Er war die Fortexistenz der
sich nicht besondemden Willenssubjektivität, vermittelt
durch die allgemeine Willensgemeinsamkeit des Volkes In
ihren gegliederten Kreisen. Nun, diese Fortexistenz der
Willenssubjektivität überhaupt ist eingetreten, und durch
diese Vermittelung der allgemeinen Willensgemelnsam-
keit des Volkes In dem Träger des gegliederten Kreises
ist sie hindurchgegangen und vermittelt worden, und so sind
beide Momente des Begriffes erschöpft. Daß es ein sich
nicht-besondernder individueller Wille ist, der fort-
gesetzt wird, das kommt hier wieder zum Vorschein, nicht
in dem zum Geben der Willensfortexistenz Berufenen,
welcher durch die Identität des sich nicht besondernden
Willens mit dem allgemeinen Willen durchaus ausschlie-
ßend persönlich bestimmt ist — nicht aber qua Person,
sondern qua diesen Begriff zeitig repräsentierende
Person — , sondern es kommt wieder zum Vorschein In der
Gleichgültigkeit der besonderen Person, die der aus-
schließend Angerufene logisch konsequent dem sich nicht
besondernden Individuum zum Träger geben kann.
613
Die schlechthinnige Wahrheit dieser Entwickelung zeigt
sich nun sofort darin, daß aus eben denselben Gründen,
aus weichen der Intestaterbe in jure zedieren kann, der
suus es nicht kann. Er kann es nicht können, obwohl er
formell Intestaterbe ist, denn da er eben, wie der testamen-
tarische Willenserbe, schon gesetzte Willensidentität mit
dem Erblasser ist, so ist er nicht berufen, diesem eine Wil-
lensidentität zu geben, sondern eine solche zu sein. Dar-
über ist daher auch kein Streit^) zwischen den beiden
Schulen der Sabinianer und Prokulejaner, daß der suus
nicht, wie der sonstige Intestaterbe, das Erbrecht in
jure zedieren kann, sondern die Differenz ist nur diese:
Die Sabinianer sagen, daß der suus, wenn er in jure
zediere, einen überhaupt nichtigen Akt vornehme, während
die Prokulejaner diesem Akte doch die Wirkung gönnen
wollen, welche beim Testamentserben die in jure cessio
nach der Adition hat, also eine keinesfalls mehr das
Erbtum berührende Wirkung. Es tritt somit auch hier
wieder hervor, wie der suus, obwohl formell Intestaterbe,
doch realiter nicht ein solcher und deshalb auch vom
Intestatgesetz nicht berufen, d.h. nicht verfügend
eingesetzt, sondern ebensosehr Testamentserbe ist und
ganz die Stellung eimiimmt, die wir in unseren gesamten
Ausführungen ^achge^viesen haben.
Wenden wir uns nun \vieder zum Zwölftafelgesetz, so
zeigt sich als ein weiterer Beweis, daß wir in der ge-
gebenen Begriffsentwickelung wieder nichts anderes als
heimliche Wortinterpretation getrieben haben ! Denn jetzt
wird nun klar sein, warum das Zwölftafelgesetz sagt:
Familiam habeto, er habe die Willensherrschaft, wäh-
^) Siehe Gajus, II, 37; III, 87. Was er in der ersten
Stelle vom necessarius heres sagt, beschränkt er in der zweiten
selbst auf den suus et necessarius.
614
rend das Testament sagen muß : Heres esto, er s e i Erbe.
Das Zwölftafelgesetz läßt den Bemfenen die Willens-
herrschaft haben. So hat er sie in der Hand, kann sie
selbst fortsetzen, wenn er sich durch die Adition mit ihr
identifiziert, kann sie fortgeben. Haben und Geben
widerspricht sich nicht. Im Gegenteil, was einer hat,
kann er geben, und was einer fortgeben will, muß
er erst haben. Aber was einer ist, das kann er nicht
fortgeben^). Darum ist heres esto ausschließend, und
famiiiam habeto übertragbar. Der Testator kann und
muß sagen: heres esto^); denn dadurch, daß er selbst
im Testament der Setzende ist, setzt er hierdurch eben
den von ihm Berufenen seinerseits schon als seiende
Wiilensidentität mit ihm. Dieser hat also die Identi-
tät nur fort zu sein, als die er bereits vom Testator
gesetzt und vollbracht ist, und nur auch seinerseits dies
Sein, als daß er selbst von selten des Testators schon
gesetzt ist, anzuerkennen. Bei dem Intestaterbrecht fehlt
es ja aber eben an einer seienden Willensidentität des
Testators, und darum gerade muß das Intestatgesetz erst
ergänzend eine solche ihm geben^). Täte ferner das
Intestatgesetz dies mit den Worten: Proximus agnatus
heres esto, so würden die römischen Juristen ganz un-
bedingt und mit höchstem Rechte aufgefaßt haben, daß
dieser vom Gesetz ausgehende Befehl, etwas zu
^) Er gäbe dann eben das ganze eigene Sein fort, durch
Erbeinsetzung, arrogatio, in manum conventio ; s. oben S. 610.
") Abgesehen davon, daß die Formel nur die Abbreviatur
der im testamentum per aes et libram in seiner ursprüng-
lichen Form in der beiderseitigen dramatischen Handlung
schon vollbrachten .Willensidentifizierung ist,
s. Nr. VIII und V.
^) Man vergleiche dagegen Huschkes Erklärung des fami-
iiam habeto und heres esto im Rhein. Mus., VI, 297, Note 64.
615
sein, verbindende Kraft habe, d.h. also, daß der
Intestaterbe ein heres invitus sei, wie der suus. Sie würden
bei ihrer Weise zu interpretieren, d. h. bei der Schärfe
des römischen Geistes, so haben auffassen müssen. Denn
kein Mensch kann sich dem entziehen, rechtlich das
zu sein, was ihm der Gesetzgeber zu sein befiehlt. Er
ist es schon eo ipso dadurch geworden, daß das Gesetz
ihm dies zu sein befiehlt. Der an das Sein des Menschen
gerichtete Befehl des Gesetzes wirkt als eine Quali-
fikation desselben, die ihn ohne sein Zutun sofort be-
faßt^). Der Intestaterbe würde also dann dies Sein nicht
nur nicht haben fortgeben, nicht wieder los werden,
in jure zedieren können, er würde es auch nicht haben
ausschlagen können. Durch den gesetzlichen Befehl
wäre er statim und ohne seinen Willen Erbe gewesen.
Darum kann der Befehl nur an das Haben des Be-
rufenen gerichtet sein. Was einer hat, das kann er nicht
nur einem Bestimmten fortgeben, das kann er ergreifen
und festhalten, kann es auch nicht ergreifen und fort-
werfen, kann es ausschlagen. Seines gesetzlichen Habens
kann man sich immer entäußern, nur seines gesetzlichen
Seins nicht. Darum darf der gesetzliche Befehl, wenn
er die individuelle Willkür des Berufenen freilassen soll,
nur an sein Haben gerichtet sein.
Haben wir hier aber bloß Wortinterpretation getrieben
und vielleicht übertrieben ? Werfen wir die Worte ganz
fort und sehen wir jetzt bloß auf den realen Begriff
der Sache, und jetzt erst werden wir die innere Not-
wendigkeit alles bisher Entwickelten in ihrer prä-
zisesten und evidentesten Form zum Vorschein
bringen, und nun erst hierbei die letzte Falte im Be-
0 Vgl. unseren Bd. II [IX], § 1.
616
griff des Intestatrechtes in voller Klarheit hervortreten
sehen.
Wir sagten soeben: Bei dem Intestatrecht fehlt es an
einer schon seienden Willensidentität des Testators,
und gerade darum muß das Intestatgesetz aus dem bloß
vorausgesetzten Willen des Toten erst ergänzend ihm
eine solche geben. Und dies war ja der bestimmte Be-
griff des Intestatrechtes, aus dem wir von Anfang an
alles Weitere desselben entwickelt haben. Wie aber ?
Kann das Gesetz selbst ihm eine solche geben?
Wenn es selbst, das Gesetz, das Gebende sein wollte,
so würde es ja, welcher Worte es sich auch immer be-
dienen möchte, immer die Freiheit des Berufenen ver-
letzen müssen. Es würde dies ja gerade wollen, wenn
es selber, das Gesetz, das der erblasserischen Willens-
subjektivität den Fortsetzer Gebende sein wollte. Das
Gesetz kann also, da es die Willensfreiheit des Berufenen
nicht verletzen will, nicht selber dasjenige sein, was
dem Toten die Willensfortsetzung ergänzt und gibt.
Die Berufung des Intestatgesetzes hat also vielmehr die
Bedeutung, daß der Berufene derjenige sein soll,
welcher dem Erblasser die Willensidentität und Fort-
setzung ergänzt und gibt, d. h. das Intestatgesetz über-
trägt in höchster Einheit von Inhalt und Form
seines Begriffes das, was sein eigener inhalt-
licher Begriff ist, seinen eigenen Charakter des Aus-
helfens und Ergänzens, seine eigene gesetzliche
Befugnis — auf den Berufenen! Nicht das Intestat-
gesetz ergänzt, sondern es beruft bloß einen, der die
Befugnis, das Dasein der Willensidentität zu
ergänzen, haben soll. Dies also ist erst die kon-
krete und wahrhafte Bedeutung der intestatgesetzlichen
Berufung. Nicht Erbe des Toten zu sein, sondern
617
lebendiges Intestatgesetz zu sein, ausübender
Träger der Befugnis desselben zu sein, dem Toten
die Fortexistenz seiner Willenssubjektivität zu ergänzen
und zu geben — dazu ist er berufen; berufen vom
Intestatgesetz, berufen vom vorausgesetzten
individuellen Willen des Toten selbst, mit dem
jenes nur identisch ist. Da er überhaupt nur zu diesem
intestatgesetzlichen Tun, zu diesem Geben, Aushelfen und
Ergänzen berufen ist, so liegt es also von vornherein in
seinem Begriff, der erblasserischen Willenssubjektivität
ebensogut durch einen anderen wie durch sich selbst ihre
Fortexistenz ergänzen und geben zu können.
Es zeigt sich also, wie gerade nur v/egen des Subsidiären
und Unadäquaten, was im Intestatgesetz überhaupt liegt
und deshalb in dem ab intestato Berufenen als dem leben-
digen Träger der intestatlichen Aushilfe wiederkehrt, das
weitere Recht des Intestatberufenen gegen den Testaments-
erben, das Recht der in jure cessio gegeben ist^).
Es zeigt sich femer, wie, wenn man bloß von dem
substantiellen Begriff des Intestatrechtes als einem aus dem
vorausgesetzten Willen des Toten ergänzenden Geben der
■'■) Aber ebenso zeigt sich wieder, daß die Adition des
Intestaterben keinen anderen Inhalt hat als die des testamen-
tarischen. Denn durch die Adition erklärt der Intestaterbe, daß
er die Fortexistenz der Willenssubjektivität, die er dem Erb-
lasser überhaupt nur geben soll, gleichviel in welcher Willens-
individualität, ihm in der seinigen geben wolle, daß er
selbst Erbe, Willensidentität mit ihm sein und von seiner
Befugnis, ihm einen anderen dazu zu geben, keinen Gebrauch
machen wolle. Es tritt hier also nur noch deutlicher heraus,
wie die Adition das in beiden Systemen inhaltlich Gleiche,
wie sie, wie wir oben sagten (S. 609), die auswischende Hand
des Erben, der einheitlichen Idee des Erbtums überhaupt
ist, die sich über die Unterschiede der beiden Berufungen breitet.
618
Fortexistenz ausgeht, welches aber, um die Freiheit anderer
Personen nicht zu verletzen, nicht selber geben kann, son-
dern diese Befugnis notwendig auf den Berufenen über-
tragen muß, man genau zu demselben Resultate kommt,
zu welchem man von der Wortinterpretation des familiam
habeto der Zwölf Tafeln gegen das heres esto gelangt.
Wort und Begriff sind überhaupt im römischen Zivil-
recht schlechthin identisch und sich deckend, und müssen
es da sein, wo beide in solcher höchsten Schärfe genommen
werden, von welcher freilich lange jede Ahnung unter-
gegangen ist.
Es zeigt sich drittens endlich jetzt erst in seiner ganzen
Entfaltung der Begriff des Intestaterben.
Von dem vorausgesetzten individuellen Wil-
len des Toten, wie von dem allgemeinen Willen
des Volkes selbst, welcher mit jenem, als einem sich
nicht besondemden, nur identisch ist, geht ein Schreien
nach Fortexistenz überhaupt für den Toten aus!
Es handelt sich nicht mehr um Fortexistenz in einem
bestimmten individuellen Willen und kann sich
nicht mehr darum handeln, sonst hätte der Tote sich selbst
in einem bestimmten individuellen Willen, in einem Testa-
mentserben oder suus, setzen müssen. Da er dies nicht
getan, so kann es sich mit logischer Notwendigkeit
für diesen bloß vorausgesetzten Willen nur noch um Fort-
existenz in einer Willenssubjektivität des Volkes über-
haupt handeln. Die Allgemeinheit, in welche der
bloß vorausgesetzte, der sich nicht besondernde Wille
des Individuums zusammenfallend versinkt, tritt hier in
dieser Gleichgültigkeit gegen den bestimmten Willens-
fortsetzer am realsten heraus^). Aber eben weil der bloß
^) So wenig liegt im Intestaterbrecht ein „Familienerbrecht"
vor!
619
vorausgesetzte individuelle Wille, als sich nicht besondern-
der, identisch ist mit der allgemeinen Willensgemeinsam-
keit des Volkes — und wäre er dies nicht, d. h. trüge
er nicht diesen Volksgeist in sich, so würde er frei-
lich überhaupt nicht nach Fortexistenz schreien — , so
schreit, in beständiger höchster begrifflicher Identität der
Momente von Form und Inhalt, der als identisch -mit der
allgemeinen Willensgemeinsamkeit vorausgesetzte indivi-
duelle Wille des Toten, daß ihm durch das, wodurch
er selbst individuell mit dieser allgemeinen Willens-
gemeinsamkeit vermittelt ist, also durch die Ver-
mittelung dieser allgemeinen Willensgemeinsamkeit in
ihren gegliederten Trägern^), Fortexistenz gegeben
werde. Das „durch" der Willenssubjektivität, durch
welche die Fortexistenz gegeben werden soll — nicht
diejenige, in der sie gegeben werden soll — , ist be-
stimmt, ist durch einen Begriff bestimmt, und zwar
gerade durch den Begriff dieser Willensgemeinsamkeit
selbst, welche das Agens dieses Schreies bildet ; es ist
auf den zeitigen individuellen Träger dieses Begriffes
bestimmt, nicht aber individuell bestimmt. Das fortsetzungs-
süchtige Wesen des Toten schreit nach Fortsetzung über-
haupt, gleichviel in wem. Nur weil er als voraus-
gesetzter Wille identisch ist mit dem allgem.einen Willen —
was auch allein den wirklichen Grund bildet, diesen Schrei
überhaupt bei ihm vorauszusetzen — , ist in den Gliede-
rungen, durch welche sich der vorausgesetzte Wille mit
dem allgemeinen individuell vermittelt, auch das Ohr
bestimmt, an welches zunächst dieser Schrei anschlagen soll.
Aber eben deshalb darf auch dies nur ein ,, zunächst"
sein, und in jener Gleichgültigkeit gegen die fortsetzende
^) Siehe oben S. 552 fg.
620
Willenssubjektivität ist schon gegeben, daß es hierbei sein
Bevv'enden nicht haben wird. Lassen die gegliederten Ver-
mittler seiner Willensgemeinsamkeit mit dem Volke, die
Agnaten oder Gentilen, dies fortsetzungsfähige V/esen des
Toten im Stich, kommen sie nicht herbei, seinen Ruf zu
erfüllen, so tönt dieser Ruf weiter und weiter. So im
Stich gelassen von den Gliederungen, die ihn individuell
mit der Willensgemeinsamkeit des Volkes vermittelten,
muß er, weil er als sich nicht besondernder Wille mit
dem allgemeinen Willen identisch ist, jetzt von den
Gliederungen nicht gehört, an den rein allgemeinen
Willen sich wenden, an den großen, ganzen, ungegliederten
Willen des Volkes, in welcher Individualität er auch
existiere^)! Ist er nicht Agnat, ist er nicht Gentile, so
ist er doch Quirite! Diese letzte, rein allgemeine
Willensgemeinsamkeit kann man ihm nicht rauben. Und
so ergeht denn weiter und weiter der Schrei dieses fort-
setzungssüchtigen Wesens in alles Volk hinein, an jeden
ersten und besten des Volkes, an jeden, der nur als
Individualität diesen Volksgeist in sich trägt, der seinigen
Fortexistenz zu geben.
Und so gibt ihm denn jeder eine solche, ohne Berufung
und Titel, ohne Testament noch Intestatgesetz, durch die
bloße Einlebung in sein Vermögen.
Es ist natürlich die alte usucapio pro berede, von der
wir sprechen, infolge deren jeder durch den bloßen jährigen
Besitz der Erbschaftssachen vor dem Antritt der Erben
das Erb tum, das heredem esse erzeugt, ein Institut,
welches durch diese Entwicklung um seinen ganzen bisher
so rätselhaften Charakter, um seine so allgemein angestaunte
1) Vgl. oben S. 552 fg.. u. resp. S. 517 nebst Note 1,
u. S. 558. Note 1.
621
Dunkelheit gebracht, und in seinem organischen Zusammen-
hange mit dem Intestaterbrecht aufgezeigt ist^-
^) Und nun werden die Worte des Gajus selbst (II, 55)
dies aufs evidenteste heraustreten lassen. Er sagt von der
usucapio pro berede : ,,Quare autem omnino tarn improba pos-
sessio et usucapio concessa sit, illa ratio est, qiiod voUierunt
veteres matimus hereditates adiri, ut essent qui sacra facerent,
quorum Ulis temporibus summa observatio fuit, et ut credi-
tores haberent, a quo suum consequerentur." Der erste Grund,
den Gajus mit ,,weil" anführt, die Alten lassen die usucapio
des Erbiums zu, weil sie wollen, daß Erben da sein
sollen, daß die Willenssubjektivität des Toten fortexi-
stieren soll (und erst hiernach auch in zweiter Linie,
daß sie baldmöglichst fortexistieren, die zur Erbschaft
Berechtigten schnell antreten sollen und nicht, wie dem Zivil-
erben zusteht, das fortsetzungssüchtige Wesen des Toten un-
berechenbar lange in Ungewißheit lassen, ob sie ihm Fort-
existenz geben werden), läßt das Obige jetzt klar für uns
und unklar nur für Gajus selbst hervortreten. Der zweite
Grund, ,,damit welche da sind, welche die sacra besorgen
und die Kreditoren befriedigen", dieser Grund des Grundes
enthält nur den schiefen Versuch des Gajus, das, was ihm
traditionell von der alten Anschauung überkommen, sich für
seinen Verstand zu vermitteln. Dieser Versuch ist
schief und muß es sein, well Gajus dabei nur die einheitliche
Idee des Erbtums In ihre einzelnen Wirkungen auflöst,
sie aber eben dadurch verlieren muß. Gajus hätte ebenso gut
sagen können, ,,well die Alten wollten, daß welche da seien,
welche die Aktivobligationen des Toten einkassieren, seine Güter
als die seinigen besitzen usf.". Hätte Gajus so die Idee des
Erbtums in die gesamte Reihe seiner einzelnen Wirkungen
aufgelöst, so würde er freilich den wahren Grund nur In seiner
außer sich gekommenen. Inkongruenten, nicht durchsichtigen
Form In Händen gehabt haben. Aber dann wäre schon auf dem
Verstandeswege für jedermann zum Vorschein gekommen, daß
er eben nur alle einzelnen Wirkungen statt des elnhelt-
hchen Grundes dieser Wirkungen setzt, und daß Gajus, alle
fi22
Die alte usucapio pro Iierede ist so ein Subsidiäres
im Intestatrecht. Wie das Intestatrecht das Subsidiäre
Wirkungen des Erbiums als Grund aulzählend, eben nur sagt:
die Alten wollten es, weil sie wollten, daß Erbtum da sei.
Weil der Verstand des Gajus aber wieder — und in dieser
•Form ganz mit Recht — nicht begreifen würde, was die Alten
daran "für ein Interesse nehmen, daß jemand die Aktivobli-
gationen eines Toten einkassiere, seine Güter als die seini-
gen besitze usw., beschränkt er die Gesamtreihe der einzelnen
Wirkungen auf die zwei, daß die sacra und die Kreditoren be-
friedigt werden. Aber gerade hierdurch fällt er nun in den noch
weit substantielleren und totalen Irrtum, den Schein zu er-
regen, als wäre es ein anderes als das eigene Interesse des
Erblassers, als wäre es das selbständige Interesse
dieser Dritten, der Kreditoren und Götter, welches, um be-
friedigt zu werden, die usucapio pro berede hervorrufe und das
Interesse, das „Weil" des Erbtums bilde; ein Irrtum, in den
ihm natürlich die Juristen, Huschke voran, dem Gajus tapfer
nachsagend, was er sagt, getreulich folgen (siehe oben S. 589,
Note 1, wo von Huschke als Grund der usucapio pro berede
angegeben wird, daß „bald Götter und Menschen befriedigt"
und „für Götter und Kreditoren ein baldiger Nachfolger ge-
liefert" werde; wobei die den Worten nach bei Gajus
noch ganz richtige erste Hälfte des Grundes: ut essent qui
Sacra facerent, nun in noch immer tiefere Unrichtigkeiten ver-
wandelt wird). Aber noch in diesem totalen Irrtum bei Gajus
ist. insofern die Fortsetzung der sacra als Grund angegeben
wird, die Ahnung des wirklichen Begriffes verknorpelt; denn
wenn das Interesse der Kreditoren als lebendiger Rechtsper-
sonen ein Interesse dritter Personen gegen den Erblasser ist,
so ist doch der Gott nur das eigene herausgesetzte Wesen
des menschlichen Geistes, und es würde daher, selbst abgesehen
von der genaueren Begriffsentwickelung, welche wir über die
Idee der Perpetuität der sacra als notwendigen Ausdruck der
Unsterbhchkeit des subjektiven Willens gegeben haben (Nr. II),
durch diese eine Bemerkung einleuchtend sein müssen, daß das
Interesse, welches der Gott an der Fortexistenz der sacra des
623
des Testamentsrechtes ist, so ist die usucapio pro herede
das Subsidiäre des Intestatrechtes : ein Subsidiäres
des Subsidiären! Auf alle Weise schreit das Wesen
des Toten nach Fortsetzung. Weist ihn der ausdrück-
lich angerufene Testamentserbe zurück, so schreit er als
vorausgesetzter Wille im Intestatrecht, daß ihm durch
seine individuelle Vermittelung mit der allgemeinen Wil-
lensgemeinsamkeit des Volkes Fortexistenz in irgendwem
gegeben werde: hören ihn diese individuellen Vermittler
nicht, so schreit er immer weiter als vorausgesetzter
Toten nimmt, nicht, wie der Verstand meint, dem alles immer
im festen Außereinander bleibt, eine ,, Pietät" gegen den Gott
als ein drittes, außerhalb des Toten existierendes Wesen,
sondern irgendwie ein Interesse des Geistes an sich selber ist.
Schon in dieser naiven und eigentümlichen Gleichstellung von
Gläubigem und Göttern, von der schwer zu sagen ist, ob die
Götter in Ihr mehr als Gläubiger oder die Gläubiger mehr als
Götter erscheinen, zeigt sich, daß weder Götter noch Gläu-
biger und die „Lieferung" für diese, sondern das, worin sich
gemeinschaftlich das Interesse der Fortexistenz der sacra
und der Obhgatlonen auflöst, also dies: daß diese Wil-
lenssubjektivität fortexistierend da sei, das „Weil"
bilde, aus welchem die Alten die usucapio pro herede wollten.
Nicht minder aber zeigt der Verstand in dem ersten noch
richtigen Satze : quod voluerunt veteres maturius hereditates
adiri, schon durch das erklärende Einschiebsel maturius, daß
er, das traditionell Überkommene nicht begreifend, um es zu
erklären, es fälschen muß, und zwar wird dies gleichfalls
wieder der Verstand durch seine eigene Konsequenz zeigen.
Gajus begreift nicht mehr recht — wie fern die Zelten, von
denen er spricht, seinem Bewußtsein liegen, legt er ja noch
recht deutlich durch die Bemerkung über die sacra : ,,quorum
Ulis temporlbus summa observatlo fult", an den Tag — , was
für ein so großes Interesse doch eigentlich die Alten an dem
Zustandekommen des Erbtums nahmen, um die usucapio pro
herede zu gestatten. Er will es sich in einer dem Verstände
624
Wille — also wieder als ecliter, begril f licKer
Intestatwille — , daß ihm durch die ganz allgemeine
Willensgemeinsamkeit, durch die er mit jedem Volks-
individuum überhaupt verbunden ist, durch den ersten besten
Vorübergehenden Fortexistenz gegeben werde.
Er schreit so heftig, schreit so gebieterisch, daß er
nicht einmal des Rechtes der Intestaterben, die sein voraus-
gesetzter Wille berufen hat, achtet. Wenn sie zögern,
wenn sie sich besinnen, wenn sie seine Fortexistenz ver-
schleppen^), nun so schreit auf Grund derselben Vor-
faßlichen Form erklären, und schiebt daher ein „maturius"
ein. Die Alten gestatteten sie deshalb, damit ,,die Erbschaften
früher angetreten würden" (weil nun nämlich der Zivilerbe
zu fürchten hatte, daß Usukapienten, ihm zuvorkommend, wenn
er nicht bald antrat, irgendwelche Stücke der Erbschaft dauernd
entzögen). Aber wie? Nur, damit sie früher angetreten wür-
den? Nicht auch, damit sie überhaupt angetreten würden?
Wenn jeder dem Erben, auch in der Voraussetzung,
daß dieser noch später antreten würde, die Sachen vor der
Nase weg pro berede usukapieren konnte, war jeder hierbei
stattfindende Grund, er möchte sein, welcher er wollte, nicht
noch weit stärker, insofern man die Voraussetzung machte,
der Erbe würde niemals antreten? Der Verstand zeigt also
durch sich, daß das maturius nur ein erklärendes Ein-
schiebsel, und zwar ein fälschendes Einschiebsel ist,
und daß der Satz des Gajus : quod voluerunt veteres matunus
hereditates adiri, vielmehr in Wahrheit einfach heißen muß :
quod voluerunt veteres hereditatis adiri, was absolut und genau
dasjenige ist, was sich uns im Text vom spekulativen Gedanken
aus entwickelt hat, d. h. hier wie immer fällt wahre Kritik
urid spekulative Entwicklung in eins zusammen.
^) Aber wenn sie ausschlagen, so haben sie ihn sogar
negiert; es ist dann gar kein Fortgespanntsein des erb-
lasserischen Willens (hereditas jacens) mehr vorhanden. Der
Wille, auf den er sich bezog, damit ihm eine Fortexistenz ge-
geben werde, hat ihm auch das Gegeben v/ erden einer sol-
18 Lassalle, Ges. Sckriften, Band XU. 625
aussetzung dieser vorausgesetzte V/ille logisch konsequent
weiter, daß der erste beste Vorübergehende jenen zuvor-
komme und ihm Fortexistenz gebe. War es ihm ja schon
im Intestatrecht selbst nur um Fortsetzung überhaupt
und gleichviel in wem zu tun, nur daß ihm diese Fort-
setzung durch die Vermittelung der allgemeinen Willens -
gemeinsamkeit gegeben werden sollte. Ungegliedert aber
liegt zuletzt diese Willensgemeinsamkeit in jedem Träger
desselben Volksgeistes vor, und es ist daher nur die logisch
notwendige Abstufung der sie berufenden Voraussetzung
selbst, daß sie nur die erstberechtigten sind, an die
der Ruf sich wendet, und die herbeikommen können, ihm
Erfüllung zu geben, daß aber, solange sie nicht hören
wollen, der Intestatschrei über sie hinausgeht an jeden,
der in die allgemeine Willensgemeinsamkeit eingeschlossen
ist. Dem testamentarischen Erben aber kann dies
nicht passieren, solange er in seiner echten und
chen negiert und ihn somit vernichtet, umgebracht. Darum ist
er jetzt erblos und sein Vermögen vor der lex Julia herren-
los und Gegenstand der Okkupation, nicht der Usu-
kapion, daher auch nicht der usucapio pro berede. Wenn
eine Fortbeziehung des erblasserischen Willens auf einen Fort-
setzungsgeber überhaupt nicht mehr existiert, so kann auch keiner
mehr für diesen einspringen, pro berede usukapieren. Die
Fortexistenz des erblasserischen Willens haftet an dem In-
testaterben, und sinkt dem Erblasser ins Grab nach, wenn der
Intestaterbe ihn abschüttelt oder selbst stirbt. Dann ist der
Erblasser zum zweitenmal gestorben, dann ist auch sein Wille
tot, und nun kann ihn keiner mehr ins Leben bringen. Die usu-
capio pro berede setzt also notwendig voraus, daß der Wille
des Erblassers noch an einem Erben hafte, um ihn ergreifen
zu können, woraus sich erst die Einzelheiten dieses Institutes
verstehen. Dies von Gajus nicht bewältigte Moment ist es auch,
welches ihn (siehe S. 622, Note 1) zu dem Einschiebsel ma-
turius veranlaßt.
626
adäquaten begrifflichen Weise existiert. Denn dann
ist er ja (s. Nr. VIII) schon bei Lebzeiten des Erb-
lassers durch die beiderseitige Willensidentifikation
als daseiende Willensidentität desselben gesetzt,
wie wir dort bei der echten und ursprünglichen Form des
zivilistischen Testamentes, wo der familiae emptor selbst
der Erbe ist, gesehen haben, und wie bei zweien Willen,
die sich — ohne Hilfe eines Gesetzes, was nur
beim Intestatrecht der Fall — miteinander identifizieren
sollen, ja auch ganz notwendig ist, daß sie sich noch als
Willen lebend gegenüberstehen. Der echte Testaments-
erbe, der Testamentserbe in der alten Zeit, bedarf also,
wie nicht etwa bloß aus dieser Form, sondern aus dieser
Form nur als dem realen Dasein der Idee folgt
und sich von allen Teilen unserer Entwickelung von selbst
ergibt^), gar keiner neuen Adition^); er ist schon
als Erbe da, ist diese fortexistierende Willenssubjektivi-
tät, als welche er sich bereits gesetzt hat. Erst der, wie
wir in Nr. VIII ausdrücklich zeigten, in vollständige
Inkongruenz mit seinem eigenen Begriff tretende
Testamentserbe, erst dieser Verderb des zivilistischen
Begriffes desselben kann dem Testamentserben dieselbe
Inkongruenz auch in seinem materiellen Recht erzeugen.
Die usucapio pro berede erweist sich so als ein echter
Intestatschrei. Sie nimmt, was der letzte für ihre
entwickelte Bedeutung erforderliche Nachweis ist, im alten
jus civile nur eine spezifische Stellung zum Intestat-
1) Vgl. S. 615 und Note 2 das. mit Nr. VIII.
2) Man vergleiche nur den Bericht des Theophilus, II, Tit. X,
§ 1, welcher deshalb die alte Testamentsform abkommen läßt,
weil der familiae emptor, als der von selbst vorhandene Erbe,
dem Erblasser nach dem Leben getrachtet habe.
18- 627
recht, keine zum testamentarischen ein, kann nur
als eine mögliche Modifikation des ersteren, nicht des
zweiten auftreten, und legt auch dadurch ihren nach-
gewiesenen Begriff, eine innerliche Abstufung des Intestat-
rechtes zu sein, entschieden an den Tag.
So hat sich denn der Begriff des Intestatrechtes zu
seiner organischen Entwickelung und zu seiner letzten über
das Intestatrecht selbst hinausgehenden Konsequenz ge-
trieben. Die usucapio pro berede ist — inhaltlich wie
formell — ebenso Intestatrecht, wie sie es nicht ist;
gerade wie der suus ebenso testamentarischer Erbe ist,
wie Intestaterbe. In dieser letzten organischen Abstufung
und umschlagenden Konsequenz, zu der sich der Begriff
des Intestatrechtes treibt, ist nur am sinnfälligsten klar
geworden, wie weit das Intestatrecht von Anfang an davon
entfernt ist, ,, Familienerbrecht" zu sein.
Es kann nicht die Absicht sein, hier auf das einzelne
bei der usucapio pro berede näher einzugehen, da ja nicht
einmal auf das eigentliche Detail des Intestatrechtes selbst
eingegangen werden konnte. Nur ihr Begriff und ihre
allgemeine Stellung im Erbrecht sollte klargelegt werden.
Aber gerade hierfür sind wenigstens einige Bemerkungen
noch unerläßlich.
Hat die usucapio einer einzelnen Sache des Erb-
lassers schon die Usukapion des Erbtums zur Folge?
Oder ist noch ein weiteres nötig, damit der Usukapient
pro berede usukapiert ? Gajus selbst äußert sich darüber
nicht genau ; denn er spricht zuerst von einer Usukapion
der rerum hereditariarum, während er bald darauf und
an späteren Stellen immer von res und eam rem spricht.
Nimmt man an, daß Gajus die pro berede Usukapion
als bei der Usukapion einer einzelnen Sache des Erb-
lassers eintretend bezeiclmen will, so ist sein Bericht nicht
628
genau, d. h. er ist nur für eine spätere Zeit des jus
civile genau, nicht für die älteste desselben. Dies folgt
mit der unumstößlichsten Gewißheit schon aus den beiden
Sakraltheorien, die uns Cicero vorträgt und die wir sub
Nr. II und III näher betrachtet haben. Denn dort sagt
ja Cicero mit ausdrücklichen Worten, die ältere Theorie
habe die Verpflichtung zu den sacris übergehen lassen
hereditate aut si majorem partem pecuniae capiat. Erst
die jüngere Sakraltheorie läßt, wie Cicero daselbst be-
zeugt, schon mit der Usukapion einer einzelnen Sache,
si ullam rem ceperit, die Verpflichtung zu den sacris ein-
treten. Der Usukapient muß also, nach der älteren Theorie,
den größeren Teil des Vermögens des Toten usukapieren,
um zu den sacris verpflichtet zu sein. Ein Erbcharakter
ohne Verpflichtung zu den sacris ist aber vermöge der
absoluten Identität beider nicht möglich (vgl. Nr. II), und
so steht denn entschieden fest, daß zur Zeit der älteren
Theorie die Usukapion bloß dann eine usucapio pro berede
war, bloß dann das Erbtum übertrug und den Erbcharakter
erzeugte, wenn sie den größeren Teil des Ver-
mögens des Toten umfaßte. Es ist aber nur nötig, dies
Resultat auszusprechen, um nun in völliger Evidenz hervor-
treten zu lassen, daß, was wir sub Nr. III über die Be-
deutung dieser major pars des Vermögens und über den
ideellen Grund, weshalb eine subsidiäre Verpflichtung
zu den sacris durch diesen quantitativen Vermögenserwerb
auferlegt werden kann, erörtert haben, nichts anderes
ist als — so wenig wir dort auch, noch ehe das Intestat-
recht entwickelt war, davon sprechen konnten — die ent-
wickelte eigene Bedeutung der usucapio pro herede.
Der überwiegende quantitative Zusammenhang, zeigten
wir dort, in welchem jemand die Sachen des Toten
übernimmt, läßt durch diesen fortexistierenden Zusam-
629
menhang derselben den Widerschein der früheren
Willensherrschaft auf den neuen Besitzer fallen
und verpflichtet ihn dadurch subsidiär zu den sacris.
Dieser in dem fortexistierenden Zusammenhang der Sachen
gegebene Widerschein der früheren Willensherrschaft ist
es also, welcher eine Einheit in der in Einzelnes
auseinanderfallenden Sachenwelt selbst erzeugt, die vielen
Sachen in den Begriff des (individuellen) Vermögens
umsetzt, diesen erst erschafft und wirklich jene ,, Ver-
mögenspersönlichkeit" erzeugt, die unsere Autoren für den
Begriff des Erbrechtes halten, und die statt dessen nur
das Subsidiäre des Subsidiären in ihm ist. .
Der Ruf also, welcher sich in der usucapio pro berede
an jeden Vorübergehenden richtet, geht, wie wir schon
oben sagten, dahin, dem Toten Fortsetzung zu geben durch
die bloße Einlebung in sein Vermögen, Worte,
die erst jetzt zur ganzen Durchsichtigkeit ihres Inhaltes
gelangen; das heißt also: Die Bedingung bei der Usu-
kapion ist eine rein faktische. Hat der erste beste
Jemand, der den Toten fortsetzen will, kein Recht,
hat er weder Testament, noch Intestatgesetz in
seiner Hand, hat er keinerlei individuelle Beziehung
zum Toten und nur die allgemeine Gemeinsamkeit des
Volksgeistes zu ihm, nun so muß er sich, um der indivi-
duellen Willenssubjektivität des Toten Fortsetzung zu
geben, wenigstens faktisch in diese Individualität
hineinleben, indem er sich in das individuelle Ver-
mögen derselben hineinlebt, indem er es leistet, die
Sachen desselben in einem solchen Zusammenhange an
sich zu bringen, daß durch die Fortexistenz dieses vom
Toten begründeten Zusammenhanges der Widerschein
seiner individuellen Willensherrschaft auf ihm weilt. Dies
ist die faktische individuelle Fortsetzung des Usu-
630
kapienten, die bei ihm an die Stelle eines ihn berufenden
Rechtes tritt, oder dies, dieses Sichhineinindividua-
1 i s i e r e n in den Toten, ist die E r f ü 1 1 u n g der Bedingung,
unter welcher die Berufung des individuellen Intestat-
willens an ihn ergangen ist, oder die Erfüllung der Auf-
gabe individueller Fortsetzung, die an ihn gestellt
ist. Es ist diese faktische Leistung der Sichhineinindivi-
dualisierurg in den Toten, die ihn von jedem anderen Volks-
individuum und vom Usukapienten pro suo unterscheidet.
Während der echte Erbe (der Testamentserbe) in der
alten Zeit des jus civile nicht nur kein Vermögen braucht,
um Erbe zu sein, nicht nur keines erhält, sondern auch,
um seinen Begriff des Willensträgers rein zu betätigen,
keines erhalten darf, ist es bei diesem subsidiarischsten
Subsidiarerben gerade diese Leistung des Vermögens-
e r w e r b e s , durch welche er sich dem Toten assimiliert und
sich zum individualisierten Willensfortsetzer desselben, zum
Erben macht. Dies ist also die Bedeutung der major pars,
und es muß entschieden daran festgehalten werden und ist
durch die Stelle des Cicero peremtorisch bewiesen, wenn
auch merkwürdigerweise, soviel wir uns erinnern, stets über-
sehen, daß die älteste usucapio pro berede an die Usu-
kapierung der major pars pecuniae gebunden ist.
Aber wie? Was wir in Nr. III von dieser major pars,
von dem durch diesen fortexistierenden Zusammenhang des
Vermögens entstehenden Widerschein der früheren Wil-
lensherrschaft gesagt und soeben wiederholt haben, was wir
dort nur hingeworfen, hier aber erst in seinem tiefen
organischen Zusammenhange entstanden und begründet ge-
funden und somit hier erst wahrhaft bewiesen haben, das
behaupteten wir in Nr. III ja geradezu als das subsidiäre
unterscheidende Prinzip des prätorischen Rechtes der
bonorum possessio. Und hier finden wir es wieder im
631
ältesten Zivilrecht selbst und wollen es für solches aus-
geben.
Aber mit dieser bloßen Frage fällt nun auch der letzte
Schleier, der bisher das römische Erbrecht verhüllte, und
dasselbe tritt nunmehr in seiner ganzen leuchtenden Einheit,
in der ganzen blendenden Helle seiner begrifflichen und ge-
schichtlichen Entvvickelung hervor.
Ja, das jus civile selbst trägt in diesem subsidiären
Intestatrecht, in diesem Subsidiären des Subsidiären bereits
den Keim in sich, aus welchem sich das prätorische
Erbrecht der bonorum possessio entwickelt hat, den
Keim seines eigenen Verderbens. Und trüge es nicht
selbst schon diesen Keim in sich, n i e hätte das prätorische
Erbrecht entstehen können. Dieser Keim des prätorischen
Rechtes, das Dasein seines Prinzipes im jus civile
— das ist eben jene letzte subsidiäre Abstufung desselben,
die zivilistische usucapio pro berede ! Und wäre hier noch
von einem einzelnen Beweise zu reden, wo alles Beweis
ist, so würde er darin liegen, daß die römischen Juristen
selbst den prätorischen bonorum possessor zu den Usu-
kapienten pro berede rechnen^) und also die Einheit des
zivilistischen und prätorischen Erbprinzipes in ihm hier
auch äußerlich hervortritt.
Die zivilistische usucapio pro berede trägt schon in
ihrer äußeren Erscheinung als ein bona possidere des Toten
so sehr ihre genetische Verknüpfung mit der bonorum pos-
sessio in sinnlich handgreiflichen Zügen auf die Stirn ge-
schrieben, daß schon bisher das Dasein eines solchen Zu-
sammenhanges nicht unbemerkt bleiben konnte, und die ver-
schiedensten Vermutungen darüber aufgestellt worden sind.
1) Ulpian. L. 11 de H. P. (5, 3): „Sed enim et bc
possessor pro berede videtur possidere."
632
Savigny in seiner ersten Abhandlung über das Inter-
dictum quor. bonor.O denkt sich denselben also: Bei der
Einführung des prätorischen bonorum possessio sei es der
Zweck gewesen, gewisse Personen, die nicht Erben waren,
namentlich die Emanzipierten, doch praktisch den Erben
gleichzustellen, sowohl hinsichts der Obligationen wie des
Eigentums. Für erstere sei dieser Zweck einfach dadurch
erreicht worden, daß der Prätor diesen Personen utilis actio
für jede einzelne Schuldklage gegeben habe. Für das Eigen-
tum aber habe sich der Prätor eben an die usucapio pro
berede angelehnt. Da diese den vom Prätor begünstigten
Personen ebensogut zugestanden, wie jedem anderen, hätten
nicht andere Personen schon vor ihnen sich in den Besitz
der Sachen gesetzt, so hätte es für sie eines besonderen
Rechtsmittels gar nicht bedurft 2). Hätte aber ein anderer
schon zu usukapieren angefangen gehabt, so sei nun frei-
lich eine Rechtshilfe notwendig gewesen, indem der Prätor
durch das Interdikt diese anderen zwang, die Sachen her-
auszugeben, und den von ihm begünstigten Personen dadurch
die Möglichkeit verschaffte, die usucapio pro berede vor-
nehmen zu können. Später, nach Einführung des bonitari-
schen Eigentums, habe man dies natürlich dem bonorum
possessor sogleich nach Erteilung der bonorum possessio
zugestanden, und nachdem man sich so mehr und mehr daran
gewöhnt habe, die bonorum possessio als ein der hereditas
gleichartiges Recht anzusehen, habe man auch die eigentüm-
lichen Rechtsmittel derselben auf sie angewendet; so sei
auch bei ihr die successio in Universum jus, namentlich die
possessoria hereditatis petitio allmählich entstanden.
*) Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, V, 14 fg.
') Insofern wären sie ja aber auch gar nicht prätorische
633
Es wäre überflüssig, die einzelnen Irrtümer und Unmög-
lichkeiten, welche diese Ansicht enthält, bloßzulegen.
Der wesentlichste Irrtum derselben, den auch die ihr
entgegentretenden Juristen übersehen, ist der, daß über-
haupt durch sie gar nichts erklärt, sondern das zu Er-
klärende einfach vorausgesetzt wird. Wenn einmal
vorausgesetzt wird, daß der Prätor gewisse Personen ,, be-
günstigen" und den Erben praktisch gleichstellen wollte
und konnte, nun so ist das Prinzip des prätorischen
Erbrechtes ja schon da, ist schon selbst als bestehend
vorausgesetzt, und von einer Genesis desselben aus
der usucapio pro berede keine Rede ! Wird anderen Per-
sonen, die zu usukapieren angefangen haben, dies zivilisti-
sche Recht zugunsten jener Personen, die der Prätor eben
den Erben gleichstellen will, durch das Interdikt entzogen,
nun so ist ja eben das prätorische Erbrechtsprinzip schon
fix und fertig unterstellt und nicht als aus der usucapio pro
berede entstanden genetisch erklärt, vielmehr ist es sogar
gegen dies zivilistische Recht ins Leben getreten. Und auf
Grund welcher Befugnis ? Auf Grund der anderen prätori-
schen Rechtsidee! Aber deren Entstehung zu erklären,
darum handelte es sich ja eben ! Wird sie einmal als vor-
handen angenommen, so können die einzelnen Ma-
noeuvres, die sie zu ihrer Ausführung gebraucht, an und
für sich schon nur ein ganz sekundäres Interesse haben.
Übrigens ist evident, daß auch im einzelnen nichts auf diese
Weise entstanden sein kann. Ist die Idee eines prätori-
schen Erbrechtes einmal da, so ist die successio in
Universum jus und die possessoria hereditatis petltio des
prätorischen Erben ja schon ganz gegeben und kann nicht
erst später entstehen.
Anders denkt sich Huschke jenen Zusammenhang. Er
versucht eine Erklärung dieser Genesis der prätorischen
634
bonorum possessio aus der zivilen usucapio pro herede —
in den Worten. In der Sache verfällt er ganz in denselben
Zirkel, das prätorische Prinzip, statt seine Genesis zu er-
klären, als schon vorhanden vorauszusetzen, und in noch
substantiellere Unrichtigkeiten. Er denkt sich die Ein-
führung der bonorum possessio also ^) :
Die usucapio pro herede habe mit der Zeit einen un-
würdigen und gehässigen Charakter angenommen. Früher
sei sie eine pia et honesta gewesen, die besonders nur von
dem Erblasser nahestehenden Personen ( ! die pure Vor-
aussetzung, die gegen den ganzen ausdrücklichen Inhalt
dieses Rechtes angeht!) in Anwendung gebracht worden
sei, welche ihr Gewissen zu einer solchen schleunigen Be-
sitzergreifung getrieben, damit nämlich bald Götter und
Menschen befriedigt würden (vgl. hierüber oben S. 622,
Note 1) ; da später aber die Gewinnsucht sich über Reli-
gion und Ehrenhaftigkeit erhoben hätte, so sei sie dadurch
zu einer improba et lucrativa geworden. Hierdurch sei es
sehr gewöhnlich geworden, daß der Nachlaß den würdig-
sten Kompetenten (wer waren diese?) entzogen und so
sehr zersplittert sei, daß die einheitliche Idee der bona
darüber fast verloren gegangen und auch der ursprüngliche
Zweck, für Götter und Kreditoren einen baldigen Nach-
folger zu liefern, ganz verfehlt worden sei. Dieser Zustand
der Dinge habe den Prätor zu einer Intervention auffordern
müssen, und so habe er denn in den Edikten über bonorum
possessio ursprünglich nur seine Hilfe für das schon längst
bestandene bona possidere angeboten, wobei ihn vorzüglich
der zwiefache Gesichtspunkt geleitet, einmal, daß die ein-
heitliche Natur der bona ( ! ) festgehalten, und zweitens,
^) Siehe seine Rezension der Schrift von Fabricius in Rich-
ters Krit. Jahrbüchern, 1839. S. 11 fg.
635
daß beim Streite der Kompetenten über die Erbschaft nur
die Würdigsten zu der vom Prätor autorisierten Besitz-
nahme zugelassen würden. Zugleich habe er auch, da alles
darauf angekommen sei, dem Erbvermögen recht bald
einen faktischen Vorsteher zu geben ( ! ) ^), die Anerbietung
der bonorum possessio auf eine gewisse Zeit beschränkt und
nach deren Ablauf den nächsten würdigen Kompeten-
ten berufen (successorium edictum) usw.
Wir haben dieses Referat von Huschkes Ansicht mit
den Worten Vangerows gegeben ^), der darin einen ,, geist-
reichen Einfall" sieht, ihm aber selbst die Unmöglichkeit
entgegenhält, daß aus dieser ..prätorischen Besitz-
einweisung zum Zweck der usucapio pro berede"
sich ein gesamtes abgerundetes Erbrechtssystem habe ent-
wickeln und überdies noch eine so eigentümliche (es all-
mählich verschlingende) Stellung zum Zivilerbrecht habe
einnehmen können, weshalb er Savigny und Huschke gegen-
über — und soweit mit vollem Recht — bei der im ganzen
^) Das „Vermögen" ist bei Huschke ein wahres Götzenbild
für den Römer, in dessen Dienst er sich unablässig schindet
und aufopfert. Dies selbstlose Ding, diese bloße Sache, die
das Subjekt genießt, will einen , .faktischen Vorsteher" haben,
einen, der es bedingt (vgl. oben 25 — 35; S- 589, Note 1),
will eine , .einheitliche Natur" und eine , .einheitliche Idee"
haben, wehrt sich gegen Zersplitterung, wehrt sich auch gegen
den ersten besten, dem die usucapio es doch unterwirft, und
will einen haben, der seiner , .würdig" sei, und der Römer hat
nichts zu tun. als nicht nur alle Verhältnisse der Vernunft über-
haupt umzukehren, sondern auch alle Sätze seines eigenen
jus civile, seines eigenen historischen Geistes, in Stücke zu
schlagen, um nur die tyrannischen Launen dieses Quälgeistes
zu befriedigen! — Ist es die Philosophie oder die positive
Jurisprudenz, die sich in Abstraktionen ergeht?
2) Pandekten. II, 13 (Marburg 1852).'
63Ö
herrschenden Ansicht von Fabricius ^) stehen bleiben zu
wollen erklärt, nach welcher die bonorum possessio ur-
sprünglich aus einer vorläufigen Besitzeinweisung zum
Zwecke eines gerichtlichen Erbschaftsstreites hervorgegan-
gen sei.
Wir unsererseits vermögen auch das „Geistreiche" in
dem Einfall keineswegs zu finden.
Vor allem ist ja wieder die vollkommen leere, tauto-
logische petitio principii dieser angeblich genetischen Er-
klärimg völlig evident! Nach welchem Prinzip bestimmt
denn der Prätor die ,,würdigsten Kompetenten" zur
Usukapion? Usukapieren heißt Ersitzen. Wer ist zum
Ersitzen der ,, Würdigste" ? Wer sich zuerst auf die Sache
setzt. Das zeigt die Vernunft, und ganz besonders das
römische Zivilrecht.
Wenn der Prätor statt dessen schon irgendein anderes
Prinzip in der Hand hat, sei es welches es wolle, wel-
ches die ..würdigsten Kompetenten" und die ..nächst
Würdigsten" bestimmt, so hat er eben schon das fix und
fertige Prinzip des prätorischen Erbrechtes
von vornherein in der Hand, und es braucht und kann
dasselbe nicht mehr aus der usucapio pro berede allmäh-
lich entstehen. Das Prinzip, welches bestimmt, welche
Personen mit Ausschluß andei^er die würdigsten sind,
das Vermögen eines Toten an sich zu nehmen, pflegt man
eben gemeinhin — v/ie der „geistreiche Einfall" übersieht
— Erbrecht zu nennen! Nicht nur das Prinzip des prä-
torischen Erbrechtes ist dann gar nicht aus der usucapio
pro berede entstanden, sondern bleibt vor wie nach, man
weiß nicht woher geflogen, und der Prätor kann dafür die
^) Historische Forschungen Im Gebiete des römischen Pri-
vatrechtes, Heft 1 (Berlin 1837).
637
usucapio pro herede auch gar nicht mehr benutzen. Denn
wenn er den Besitz des Toten erteilt nach einem die Wür-
digsten bestimmenden Prinzip, so erteilt er eben gar nicht
mehr Usukapion, so wenig pro herede wie pro suo,
sondern eigenes, selbständiges Erbrecht, nur frei-
lich nicht zivilistisches, sondern prätorisches. Und freilich
ist dies eben die Wahrheit, daß er dies erteilt; aber
dies ist eben das Gegenteil der in Rede stehenden Ansicht,
und aus ihr heraus niemals zu begreifen. Und ebensowenig
könnte die usucapio pro herede, die ja nur eintritt, solange
die Testaments- und Intestaterben nicht antreten, dies prä-
torische Prinzip jemals befähigen, die zivilrechtlichen
Erben selbst zu verdrängen.
Es ist hiernach überflüssig, die weiteren Gegenteile des
Wahren noch näher zu entwickeln, die in der obigen An-
sicht enthalten sind, und die bei Huschke um so natürlicher
sind, als er überhaupt einfach die usucapio pro herede für
, .einen Irrtum der Alten" hält^).
Durch die erwähnten Erklärungen ist also das prätori-
sche Erbrecht «icht nur nicht aus der usucapio pro herede
abgeleitet, sondern das prätorische Erbrecht bleibt über-
haupt unerklärt. Es bleibt, was es war, prätorische Willkür,
prätorisches Besserwissen, prätorische Eigenmächtigkeit
gegen das jus civile !
Es mag sein, daß Niebuhr kein Jurist ist. Es ist auch
wahr, daß die Erklärung, die er seinerseits von der Ent-
stehung der prätorischen bonorum possessio gibt — ilaß
sie nämlich aus dem Besitz des ager publicus hervorge-
gangen sei ^) — , eine äußerst verunglückte und wirklich
unjuristisch zu nennende ist. Aber die Antwort, die er
^) Studien des römischen Rechtes, I, 237.
2) Niebuhr, Römische Geschichte. II. 173 fg.
638
dabei den Juristen gibt : „Eine Magistratur, die es sich hätte
anmaßen dürfen, ein Erbrecht einzuführen, wodurch das
gesetzlich bestehende untergraben werden sollte, ist eine
Monstrosität, welche kein verständiger Mann, sobald er
sich die Sache verwirklicht denkt, für möglich halten kann,"
ist niemals von ihnen widerlegt worden, und trifft alle ihre
Erklärungsversuche gleichmäßig.
Die wahrhafte genetische Entwickelung des prätori-
schen Erbrechtes aus der usucapio pro berede ist nun
aber aus dem Obigen bereits evident. Das jus civile trägt
von Anfang an, zwar nur als seine äußerste versteckte
Falte, als seine subsidiärste Abstufung des Subsidiären,
diesen Entwickelungskeim des zivilistischen Verderbens in
sich, aber es trägt ihn bereits in sich selber. Wie er
zum Vorschein kommt, wie er sich entfaltet und allmählich
das zivilistische Erbrecht selbst verdrängt, — diese ganze
Entwickelung ist schon gegeben, wenn man von hier aus
das nachliest, was wir in Nr. III über die Entwickelung
der jüngeren Sakraltheorie aus der älteren nach-
gewiesen haben. Es ist absolut derselbe Prozeß, derselbe
Gedankengang, wenn wir auch dort seine Tragweite noch
nicht entfalten konnten. Es ist das Schicksal des gesamten
jus civile, das wir dort in dem inneren Verhältnis der beiden
Sakraltheorien zueinander nachgewiesen haben. Das Sub-
sidiäre, welches im zivilistischen Recht als Subsidiäres
enthalten ist, tritt zunächst als selbständiges, aber noch
untergeordnetes, als ein noch subsidiäres, aber,
als außerhalb des jus civile befindlich, ihm koordi-
niertes Recht neben das zivilistische Recht, und nachdem
es dies Nebeneinander mit dem zivilistischen Recht er-
langt hat, hat es dasselbe an sich schon aufgehoben und setzt
sich allmählich an die Stelle desselben. Wir haben bereits
(S. 630 fg.) hervorgehoben, wie in dieser seiner subsidiär-
639
sten Falte das Prinzip des zivilen Er-brechtes an sich in
sein absolutes Gegenteil umgeschlagen ist. Wenn der
Begriff des echten zivilistischen Erbtums die subjektive
Willensunsterblichkeit ist, die nicht nur mit der Vermögens-
übertragung nichts zu tun hat, sondern durchaus negativ
gegen diese ist, so daß der echte und wahre Erbe nur der
vermögenslose enterbte Willensträger, dieser Triumph des
Erblassers, ist, so ist mit dem äußerst- Subsidiarischen der
usucapio pro berede ein Erbtum eingetreten, welches sich
gerade nur durch den Vermögenserwerb erzeugt. Der
Erbe hat hier nicht die Willens Subjektivität des Toten
übertragen bekommen und beherrscht in sekundärer Folge
davon dessen Vermögen, sondern gerade nur durch das
Vermögen lebt er sich hinein in dessen Willen,
wie wir gesehen haben und wie überdies durch die von der
Sache ausgehende Usukapion unter allen Umständen evi-
dent ist. Es ist somit ein a n d e r e s und entgegengesetz-
tesErbrechtsprinzip, das Erbrecht als Ve rmögens-
erwerb, welches als subsidiärste Abstufung im jus civile
selbst an sich enthalten ist. Dieses Prinzip gesetzt als
das, als was es so im jus civile bereits an sich vorhanden
ist: als ein zwar anderes und selbständiges, dem zi-
vilen Erbrecht aber noch subsidiäres, besonderes Erb-
rechtsprinzip, das Erbrecht als Vermögenserwerb
— dies ist das prätorische Erbrecht!
Genau so, wie es sich hier durch die notwendige Konse-
quenz des Begriffes bestimmt und entwickelt hat, tritt es
in der Geschichte auf. Als ein anderes und besonderes
Erbrecht; denn so tritt es als prätorisches neben das
zivilistische hin, und steht auch dem zivilistischen
E r b e n als ein von seinem zivilistischen Erbrecht getrenn-
tes und verschiedenes zu, läßt ihm die Wahl zwischen
diesem neuen bloßen Vermögenserbrecht, der bonorum pos-
640
sessio, und seinem zivilistischen Rechte, und umfaßt testa-
mentarisches und Intestaterbrecht, wenn es auch ursprüng-
lich, wie dem Gedanken nach, so auch historisch, von letz-
terem ausgegangen ist. Aber gerade in diesem nachgiebigen
Anschmiegen an den zivilistischen Erben, gerade darin,
daß es ihm erlaubt, trotzdem er ein solcher ist, auch bloße
bonorum possessio zu agnoszieren, zeigt es, daß es nun ein
besonderes Erbrecht ist, das Erbrecht als bloßer
Vermögenserwerb, welches unabhängig von jenem
ist und seinen inneren, noch verhüllten Antagonismus wird
entfalten müssen. Als ein bloß Subsidiäres des jus
civile tritt es neben dasselbe. Denn selbst noch bis zu Ga-
jus' Zeit gilt der Satz-^), daß der zivilistische Erbe dem
bonorum possessor die Erbschaft abrufen kann und dieser
sie nur behält, si nemo sit alius jure civili heres. Statt in
einen Konflikt mit dem Zivilrecht zu treten, erfaßt es
sich zunächst als ein Recht supplendi juris civilis gratia.
Die successio in Universum jus defuncti, die possessoria he-
reditatis petitio bringt es von Haus aus mit aus seinem müt-
terlichen Erdreich, und muß sie mitbringen. Denn es ist
Erbrecht, nur Erbrecht auf dem bloßen Standpunkt des
Güterbesitzes, Erbrecht aufgefaßt als Vermögens-
erwerb. Es ist darum alles in ihm, was in dem zivi-
listischen Erbrecht ist, alles spiegelt sich in
ihm wider, alles kommt in ihm wieder zum Vorschein,
nur entleert von dem zivilistischen Begriff der Willensfort-
existenz, entleert von dem, was in dem zivilistischen Recht
das Zivilistische ist. Wird daher gefragt, wer die Erb-
berechtigten auf diesem Boden sein können, so ist zunächst
die Antwort, daß dies natürlich ja wiederum nur die Erb-
berechtigten des jus civile sein können ! Nicht die Erbbe-
i) Gajus. II. § 149.
19 Laj.aUe. Ges. Schraten. Band XII. 641
reclitigung, sondern nur der Boden ist geändert, auf wel-
chem sich dieselbe bewegt. Auf diesem neuen Boden
rollt sich daher noch einmal sachgemäß das ganze System
des Zivilrechtes mit seinen Unterschieden auf. Daher
das häufig von den Autoren bemerkte ängstliche Anklam-
mem der bonorum possessio an das System der Zivilerb-
schaft, daher die „so sichtbar hervor-tretende Berücksichti-
gung der Agnaten und in gewisser Weise selbst der Sui-
tät" ^). Nur daß sich auf diesem Boden, der von vornherein
die Abstraktion vom zivilistischen Recht, das
Hinwegsehen vom Begriff des spezifisch-römischen
historischen Volksgeistes ist, sich nichts in ausschließender
Geltung erhalten kann, was nur durch den Begriff dieses
spezifischen historischen Volksgeistes gegeben ist, so
daß hier nun das allgemein Menschliche hervorbricht, zu-
nächst hinter jenem besteht und dann, es nach seiner eigenen
Reihenfolge gliedernd, es allmählich aufhebt. Daher also
auch wieder das relativ Wahre in der Meinung derjenigen
Autoren^), welche die bonorum possessio auf das jus gen-
tium basieren, annehmend, daß sie aus dem Edikt des prae-
tor peregrinus in dasjenige des praetor urbanus hinüber -
gewandert sei. Sie ist nicht so gewandert und nicht so
entstanden. Aber als Abstraktion von dem im jus civile
waltenden spezifisch-römischen Geistesbegriff, bewegt sie
sich dem Prinzip nach von vornherein auf dem Boden des
jus gentium, bis sie sich auch in realster Wirklichkeit, ihre
unvermeidlichen Gedankenkonsequenzen ziehend und sich
an die Stelle des Zivilrechtes setzend, sich immer mehr zu
einem jus gentium abreibt. Beide Ansichten der Autoren,
die sich als entgegenstehende bekämpfen, haben sich so
^) Fabricius. a. a. Ö., S- 7 fg. ; Löhr in seinem und Groll-
manns Magazin, III, 250 fg. ; Vangerow, Pandekten. II, 14.
2) Siehe oben S. 94, Note 1.
642
von selbst in die Einheit jenes begrifflidien Verhältnisses
aufgelöst.
Zugleich zeigt sich hier, daß auch das, was wir sub
Nr. V über die bonorum possessio sagten, zwar richtig, aber
noch abstrakt und einseitig war. Wir konnten dort nur die
Seite des Gegensatzes zwischen der bonorum possessio und
dem zivilen Erbrecht hervorheben. Die Seite, nach wel-
cher sie an sich in ihm enthalten ist, aus ihm entsteht und
die sie mit ihm gemeinsam hat, konnten wir dort noch nicht
darlegen. Auch eine Vorausweisung hätte nichts genützt
und nichts deutlich gemacht. Alles Wahre entsteht nur
schrittweise. Wohl aber gewinnen erst von hier aus die
häufigen Bemerkungen ihr wahres begriffliches Verständ-
nis, in welchen wir oft auch in Einzelheiten den Gegensatz
wie die gemeinschaftliche Seite beider Institute — den
Widerschein des zivilistischen Prinzipes in der bono-
rum possessio — klar zu legen suchten^). Wohl aber ge-
winnt jetzt ihr ganzes Verständnis jene gedoppelte Be-
wegung, die wir vor kurzem (S. 522, Note 1) als die Be-
wegung des römischen Rechtes geschildert haben. Der Satz :
Sacra cum pecunia stellt bereits eine gedoppelte Be-
wegung dar : die Bewegung, daß der Übergang der sacra,
oder das Erbtum, das Vermögen nach sich ziehen solle, und
die Bewegung, daß das Vermögen den Übergang der sacra
oder das Erbtum in sich schließe. Beides sind somit nur
zwei Seiten des einen ihnen zugrunde liegenden Be-
griffes, daß das Erbtum im Vermögenserwerb bestehe,
einen Begriff, welchen das jus civile in jener äußersten sub-
1) Vgl. z. B. oben S. 65-69 u. S. 74-81 mit S. 131.
Note 1; S. 157; S. 219. Note 1; S. 319. Note 1; S. 328.
Note 1: S. 370fg.; S. 395. Note 3: S. 415; S. 421. Note 2;
S.498; S. 545. Note 1; S. 548, Note 1; S. 576 fg.. 629 fg..
649 fg.. und besonders S. 670 fg.. 709—724.
19* 643
sidiarischen Falte, in der usucapio pro herede, im Keime
schon in sich trägt. Dieser Keim beginnt nun seine ge-
doppelte Bewegung, nach jenen beiden Seiten hin. Er
beginnt sie, indem er sich als das, was er ist, als das andere
und von dem zivilistischen Prinzip verschiedene Prinzip
des Erbtums als Vermögenserwerbes im prätorischen Recht
heraussetzt, und er beginnt sie, indem er im Zivilrecht selbst
die Verbindung des Vermögens mit dem Erbtum, die Über-
tragung der pecunia mit der Übertragung der sacra er-
zwingen will. Wie die erstere Bewegung zum Teil schon
sub Nr. III, so haben wir diese zweite Bewegung schon
in der Bewegung, welche die lex Furia, Voconia, Falcidia
darstellt, sub Nr. VII betrachtet und auf ihre Einheit häufig
hingewiesen. Schon die lex Furia, Voconia, Falcidia, ist
also das Dasein und die Bewegung des prätori-
schen Prinzipes im jus civile. Und so haben \vir sie
ja schon dort, wo uns die volle Erkenntnis des prätorischen
Rechtes noch fehlte, als die Abreibung des erblasseri-
schen Willens Em dem widerstrebenden erbenden Willen,
der in diesem Gegensatze zu seinem Interesse und zu
seiner Substanz das Vermögen hat, als die Abreibung
jenes idealistischen römischen Erbtums sich vollziehen
sehen. Diese letztere Bewegung des prätorischen Prinzipes
innerhalb des jus civile, oder des jus civile zum prätorischen
Prinzip des Vermögens hin bringt es aber nicht sehr weit.
Sie bleibt bei dem Viertel der lex Falcidia stehen. Sie
braucht es aber auch nicht weiter zu bringen, weil nun
inzwischen infolge der ersten Bewegung das als besonderes
prätorisches Recht aus sich herausgesetzte Prinzip
des Erbtums als Vermögens er werb stark und entwickelt
genug geworden ist, um nun von außen in das jus civile ein-
zubrechen, es zu modifizieren und dann zu verschlingen.
So haben wir denn gesehen, wie der letzte Verderb des
644
zivilistischen Prinzipes, wie Justinlan selbst und seine Ein-
führung der Erbschaft sub beneficio inventarii, durch
welche der Erbe den Vermögenserwerb als das Substan-
tielleundAlleinige seines Verhältnisses zum Erblasser
proklamiert (L. 22. C. 6. 30, vgl. unten S. 749fg.).
an sich schon im ältesten Zivilrecht enthalten ist. Justinian
liegt ganz und gar schon im alten Zivilrecht, wie im Kinde
der Greis liegt.
Zugleich sahen wir, wie es gerade das Extrem seines
spezifischen historischen Geistesbegriffes ist, wie
es gerade jener Überschrei nach einem Willens fortsetzer
ist, den das fortsetzungssüchtige Wesen des römischen
Toten zuletzt an jeden Vorübergehenden ausstößt, welcher
dieses Prinzip zwingt, in sein Gegenteil umzuschlagen, sich
zum Vermögensbegriff zu entwickeln und in schrittweiser
ununterbrochener Kontinuität jene geschichtliche Abrei-
bungs- und Entnationalisierungsarbeit an sich zu vollziehen,
die erst mit Justinian endet.
Warum aber schreit dies fortsetzungssüchtige Wesen
des römischen Toten gar so sehr ?
Zwar ist die Antwort hierauf dies ganze Werk. Aber
den geistigen Urgrund, aus welchem dieser Schrei her-
auftönt, werden wir noch tiefer erst in der folgenden Num-
mer, die sich scheinbar von dem erbrechtlichen Thema ganz
abwendet, betrachten.
Haben wir den Greis im Kinde erkannt, so hilft nichts,
wir müssen das Kind jetzt in seinem Embryo aufsuchen.
645
BEILAGE ZU S. 520.
Sehr richtig beginnt Huschke seinen Aulsatz über die
Rechtsregel „Nemo pro parte testatus etc.", im Rhein. Mu-
seum, 1834, VI, 257 — 369, mit der Bemerkung: „Als einer
der überzeugendsten Beweise, wie wenig wir noch nach
so vielen Anstrengungen der tieferen Grundlagen
des römischen Rechtes mächtig geworden sind, kann
wohl die Erscheinung gelten, daß es bis jetzt nicht hat gelingen
wollen, den Fundamentalsatz des römischen Erbrechtes, näm-
lich die Rechtsregel nemo etc., seinem Sinne und Ursprünge
nach zu erklären."
Allein Huschke ist dies, so sehr sein — ihm mit Gans ge-
meinsames — Streben das richtige ist, diese Erklärung aus
dem Innern des römischen Erbrechtes abzuleiten, ebensowenig
gelungen. Es ist dies derselbe Aufsatz Huschkes, den wir
schon S. 27, Note 2, angezogen und in welchem er das Wesen
der Erbschaft überhaupt ausführlich zu eruieren sucht. Dieser
Aufsatz ist eine der größten und anerkennenswertesten Zer-
marterungen des denkenden Verstandes, dem Begriff ohne be-
griffliches Denken nahe zu kommen — und muß daher das
ewige Schicksal der angestrengtesten Verstandesreflexion teilen,
ihn, gerade immer da, wo sie sich ihm am meisten genähert
zu haben scheint, wieder am vollständigsten zu verfehlen und
einen Schatten zu umarmen. Wegen dieses gedoppelten Inter-
esses, welches jetzt der Aufsatz Huschkes gewähren muß,
zu zeigen, wie sich das Ahnen des Begriffes durch ihn hin-
durchzieht, und wie er denselben bei jedem Punkte wegen der
empirischen Verstandesvorslellung, von der er ausgeht, immer
wieder gänzlich verfehlen muß, wegen der hohen Wichtigkeit,
welche dieser Aufsatz für die Charakterisierung der Ver-
646
Standesmethode überhaupt hat, mag es gestattet sein,
so weit die Rücksicht auf den Raum es irgend erlaubt, den-
selben einer eingehenden kritischen Betrachtung zu unterwerfen.
Warum Huschke die Bedeutung der Regel : Nemo pro parte
etc. nicht eruieren kann, davon ist der Grund bei ihm selbst
sehr deutlich ausgesprochen. ,,Um der Bedeutung der Regel
nemo pro parte etc." — beginnt er S. 271 — ,,auf den Grund
zu sehen, bedarf es der Erkenntnis dreier Stücke: was
eigentlich Erbschaft und Vererbung (hereditas) sei, worin das
Wesen der Testaments- und Intestaterbfolge bestehe und wie
sich diese gegenseitig zueinander verhalten." Und nun gibt er
sofort den Begriff der Erbschaft dahin an: ,, Erbschaft ist
nicht bloß die Menge von Sachen, nicht bloß der
Erwerb vieler solcher Sachen, welche durch den Tod ihren
Eigentümer verloren haben; im Wesen der Erbschaft liegt
vielmehr eine Beziehung auf die Einheit jener Menge von
Sachen in der Person des Verstorbenen, welche wichtiger
ist als die einzelnen Sachen selbst."
Somit ist wieder von vornherein die Einheit der Menge
von Sachen, d.h. das Vermögen, als Substanz des Erb-
tum3 gesetzt; es ist in der Weise von Gans unterschieden zwi-
schen den einzelnen Sachen und ihrer Einheit, welche eben
den Begriff der Totalität des Vermögens bildet. Aber das
Vermögen ist hier, trotz des halben Ankämpf ens dagegen,
welches in jenen Worten schon unterläuft, von vornherein als
Begriff und Objekt der Erbschaft gesetzt, und auf diesem Boden
können selbst gute Blicke nur unfruchtbar bleiben. Das Per-
sönliche und Sachliche der Erbschaft kämpfen daher bei
Huschke einen beständigen, sich abmarternden und in den Wor-
ten hin und her wogenden Kampf.
Zu einer Einheit können diese Widersprüche nicht kommen,
außer wiederum im Worte, in dem sich widersprechenden
Wortkompositum „vermögensrechtliche Persönlich-
keit" (s. oben S. 27 fg.). Es ist die ewige Manier des
Verstandes, die außer Hegel schon Humboldt mit so schöner
Ironie geschildert hat (Kosmos, I, 17) : „Aus unvollständigen
Beobachtungen und noch unvollständigeren Induktionen entstehen
irrige Ansichten von dem Wesen der Naturkräfte, Ansichten,
die, durch bedeutsame Sprachformen gleichsam
647
verkörpert und erstarrt, sich wie ein Gemeingut der
Phantasie durch alle Klassen einer Nation verbreiten."
Wie bei den Naturphänomenen, ist es auch bei den Phänomenen
des Geistes, und die ,, vermögensrechtliche Persönlich-
keit" ist eine solche ,, bedeutsame Sprachform", welche sich
durch die ganze Klasse der Juristen verbreitet hat, ein Gemein-
gut der juristischen Phantasie geworden ist ! Der alte ehrliche
Hugo Grotius sagte uns oben (S. 24) noch kurz und gut :
Hercs personam defuncti in_bonis icrcrt. Damit waren doch
die Person des Toten und die Güter noch als andere gegen-
einander stehen geblieben, und es trat hier schon in den Worten
deutlich genug heraus, daß trotz jenes personam referre das
Persönliche untergegangen, und das Vermögen die Substanz
der Erbschaft geworden war, wie wir das in Nr. I ausführlich
nachgewiesen. Aber eben das. obwohl es nicht in der Sache
geändert wird, soll jetzt in den Worten vermieden werden. Die
Ahnung dieses Untergegangenseins des Persönlichen im Ver-
mögen, trotz aller Versicherung, daß es noch da sei, das theo-
retische Bedürfnis nach einer Einheit des Widersprechenden,
dessen Widerspruch sich der Verstand doch wieder nicht ver-
bergen kann, erzeugt den buhlenden Ausdruck , .vermögens-
rechtliche Persönlichkeit", um durch diese Wortzusam-
menkoppelung des Widersprechenden den Schein zu erregen, als
ob beides geeint, und das Persönliche noch Im Vermögen ent-
halten sei.
Diese ,, bedeutsame Sprachform" der ,, vermögensrechtlichen
Persönlichkeit" ist vor allem der Standpunkt Huschkes ; er
kehrt bei Ihm auf jeder Zeile wieder, er hat Ihn am meisten zu
den anderen Autoren verbreitet ; er hat ihn mit einer Reihe
ähnlicher ,, bedeutsamen Sprachformen" umgeben, er kennt ein
„Vermögensleben" des scheidenden Testators (das. S. 276),
wobei also wahrscheinlich nicht das Vermögen das Tote und
die Materie ist, von der der Testator gelebt hat, sondern In
Irgendeiner Weise mit im Leben lebendig ist. Er definiert die
familia als die ,, Vermögensfreiheit", wobei also nicht die Frei-
heit die Freiheit und das Vermögen der Gegensatz davon, das
Unfreie, Sachliche Ist, sondern In irgendwelcher Welse selbst
an der Freiheit teil hat usw. ,,Denn Immer, wo Begriffe fehlen,
da stellt ein Wort usw."
648
Sehen wir also, was auf diesem Standpunkte der Wort-
berauschung geleistet werden kann.
Da Huschke. wie die bereits zitierten Sätze zeigen, von
vornherein in ,,der Einheit der Menge von Sachen", also im
Vermögen den Begriff der Erbschaft sieht, so kann, sagten
wir, auch jede gute Bemerkung auf diesem Boden nur un-
fruchtbar bleiben und muß selbst wieder in substantiellen Irr-
tum umschlagen. Dies zeigt sich sofort.
Es wird gleich nach den vorher zitierten Worten die gute
Bemerkung gemacht, daß hereditas „nach seiner Ableitung von
herus so viel als Herrn Schaft bedeutet, so daß also der
Erbe nicht sowohl in die Sachen als in die Herrnschaft,
die der Verstorbene über seine Sachen hatte, eintritt" (das.
S. 272). Aber mit dieser etymologischen Annäherung an den
Begriff ist derselbe ebenso wieder gänzlich verfehlt, denn es
wird mit dieser Herrnschaft nicht die absolute Herrnschaft
des Toten oder seine geistige Willenssubjektivität, son-
dern seine Herrnschaft über „seine Sachen", die , .vermö-
gensrechtliche Persönlichkeit" gemeint, und es wird
uns daher auch sofort (s. Note 24 das.) gesagt, daß es sich
ebenso, wie mit der hereditas, mit der — gerade den spezi-
fischen Unterschied zu dieser darstellenden — prätori-
schen bonorum possessio verhalte, weil beide eine successio
in Universum jus defuncti bilden, ein Prinzip, welches in der
Tat auch noch mit der Nachfolge in das Vermögen als einer
einheitlichen Totalität verträglich und deshalb auch der bon.
poss. und der Erbschaft gemeinsam ist, oder vielmehr richtiger
ein Prinzip, welches bei der Zivilerbschaft eine notwendige,
natürliche und lebendige Folge des spekulativen Begriffes der
fortexistierenden Willenssubjektivität, im prätorischen Recht
aber nur der Schatten ist, welchen der Erbtumsbegriff des
Zivilrechtes noch auf den von ihm abweichenden und gegen
ihn reagierenden Standpunkt des Vermögens wirft, und daher,
wie es hier nur als solcher Schatten entstanden, nur aus
dem diesen Schatten werfenden jus civile zu begreifen ist.
Dieses durch die Erbschaft übergehende Universum jus wird
daher unmittelbar darauf erklärt als des Toten „Vermögens-
fähigkeit als Realität gefaßt", wobei die Erbschaft trotz
alles Zwanges der Worte und des Bestrebens, das Unvereinbare
649
zu einen, zu einer bloßen Sache geworden iit, und nun kann
es daher nicht mehr wundernehmen, wenn dieser erste Teil
der Untersuciiung (S. 275) mit dem Eingeständnis schließt,
es sei die hereditas „von der lebenden Person nur darin ver-
schieden, daß sie die vermögensrechtliche Person von
der wirklichen getrennt darstellt und als solche eine Sache
bildet." Trotz aller Beiworte, die ihre Hauptworte, und aller
Hauptworte, die ihre Beiworte verneinen, wird also zuletzt doch
realiter in das Eingeständnis ausgebrochen, daß, was durch
die Erbschaft übertragen werde, eine Sache sei, und Huschkc
hebt dies noch deutlicher hervor, indem er hinzufügt, bei Leb-
zeiten falle die Erbschaft noch mit der persönlichen Freiheit
zusammen und werde dadurch gehindert, als Sache sich
darzustellen, „mit dem Tode hört dieses Hindernis auf und
das Vermögen zeigt sich als eine sächliche univer-
sitas". Abgesehen von dem wiederholten Eingeständnis, wie
kann das Vermögen, ohne ein Hexenmeister zu sein, sich als
etwas anderes zeigen, als es ist? V/ie soll es sich als eine
.^sächliche universitas" zeigen können? Das Vermögen ist eine
Menge einzelner Stücke, und kann sich daher auch nur so
zeigen. Die universitas oder vielmehr der Schein der univer-
sitas, der in ihm entsteht, wird ledigHch dadm'ch erzeugt, daß
das Lebendige, nämlich die Willenssubjektivität, statt „das
Hindernis" für die sächliche universitas zu sein, vielmehr ein
noch weiter Lebendiges, im Erben als fortdauernd Gesetztes
ist und durch seine ideelle Einheit, der jene Vielheit von
Stücken untenvorfen ist, in dieser den bloßen Schein einer
universitas hervorbringt, wie iin Leben. Bei keinem Volk
„zei^ sich das Vermögen als eine sächliche univer-
sitas", weil es nichts ist als eine Menge einzelner zusammen-
hangloser Sachen. Bei den Römern zeigt es sich auch nicht
als solches, sondern nur durch die fortbestehende Willens-
subjektivität wird es in der Einheit ihrer Herrschaft zu-
sammengehalten und hierdurch dieser Schein erregt, so daß
die universitas auch bei ihnen nicht auf seiten des ,, Sächlichen"
liegt und diesem zukommt, und nie würden die Römer bei
der bonorum possessio eine universitas im Erbschaftsvermögen
haben annehmen können, wenn dies nicht bei ihnen der ebenso
natürliche als notwendige Widerschein und die F ort wir -
650
kung ihres spekulativen zlvilisiisciien Erbtunisbegriffes noch
in der prätorlschen Reaktion des Vermögensstandpunktes gegen
denselben gewesen wäre (vgl. oben S. 640 — 645).
Huschke konkludiert nun, daß man (S. 276) ,,die Ver-
erbung geradezu als eine vermögensrechtliche Fort-
pflanzung der Familie (!!) bezeichnen könne", und ge-
langt so zu seinem Resultat, zum Unterschied der zwei Seiten,
des persönlichen und des vermögensrechtlichen Da-
seins im Individuum, von denen aber merkwürdigerweise auch
die letztere ebenso „lebendig" sein soll, wie das von ihr unter-
schiedene Persönliche. „Da aber das vermögensrechtliche
Dasein nicht weniger lebendig ist als das persön-
liche, so ist auch die Vererbung nicht anders denkbar als so,
daß in demselben Moment dieses vermögensrechtliche Dasein
als solches gleich einem Samen sich trennt usw." Wie das
von dem persönlichen als unterschieden und getrennt
gesetzte vermögensrechtliche Dasein desselben dennoch gleich-
falls ein lebendiges bleiben soll, ebenso gut wie das per-
sönliche, wird stets ein unbegreifliches Geheimnis bleiben, das
natürlich von Huschke ebensowenig begriffen wird, sondern an
dem er sich in beständigem Sagen, Versichern und Herum-
wenden dieses Unmöglichen in den mühsamsten Wendungen
rastlos zermartert, und an dessen Stelle er immer wieder ein
Unlebendiges, Totes, einen bloßen Sachenkomplex in der Hand
behält. Das Interesse dieser Anstrengung ist eben dies, daß in
Huschke der Widerspruch seiner eigenen Auffassung, der
Widerspruch der persönlich-lebendigen und der vermögenssach-
lichen Auffassung des Erbtums, zu einem inne'"en unklaren
Gären und Ringen gekommen ist und sich In endlosen Be-
mühungen erschöpft, sich über sich selbst hinwegzusetzen.
Huschke arbeitet sich daher (S. 276—279) jetzt ebenso resul-
tatlos ab, den Unterschied von famllla und hereditas festzu-
setzen. Statt zu sehen, daß beide eben nur den Begriff der
Willensherrschaft haben und die familia, insofern auch
Personen In sie einbegriffen sind, nur dieselbe Willensiden-
tität als nebeneinander existierende darstellt, welche
die hereditas als nacheinander setzt (siehe oben S. 503,
Note 1), daß also beide nur denselben Begriff verwirklichen,
die familia im Raum, die hereditas in der Zeit, wird die
651
hereditas als jene Seite des Verhältnisses bestimmt, welche
„etwas Unlcbendiges ist" (S. 276), wogegen sich die familia
also als das Lebendige des Verhältnisses bestimmt. Da beide
so einen Unterschied haben sollen, der nicht stattfindet, können
sie ihn nicht festhalten, und müssen vielmehr den Unterschied
verletzen, der wirklich zwischen ihnen stattfindet. Es wird
daher (S. 277) auch die familia als eine „vermögensrecht-
liche familia" näher bestimmt — was bei ihr noch deutlicher
unrichtig, da ja auch die Kinder in die familia, aber nicht
in das Vermögensrecht fallen — , es wird immer vorausgesetzt
(S. 278), daß der Erbe ,,in die familia des Erblassers ein-
tritt", während wir bereits beim Testament per aes et libram
als hauptsächlich gesehen haben, daß er nicht in die familia
des Erblassers eintritt oder aufgenommen wird, sondern diese
in sich aufnimmt, und nun wird der Unterschied beider dahin
festgestellt: ,,was vom Erblasser als familia hinterlassen
wird, ist nach der Seite des Erben hin hereditas", und noch-
mals hinzugefügt : ,,da nun die Möglichkeit der Zustimmung des
Erben, ja des Erwerbes überhaupt immer voraussetzt, daß der
Erblasser schon gestorben sei (wir haben im Gegenteil
gesehen, daß dem Wesen der Sache nach, wie in der alten
zivilistischen Testamentsform nur heraustritt, s. Nr. VIII, ur-
sprünglich eine Hauptsache die ist, daß die Identifikation zwi-
schen zwei lebenden Willen vor sich geht, daß die Zustim-
mung also schon bei Lebzeiten gegeben sei, solange jene Wil-
lenssubjektivität noch existiert), so muß die familia für ihn
notwendig sich als hereditas gestalten." Abgesehen von der
in der Parenthese berührten Unwahrheit der Sache, zumal für
die ältere Zeit, wo jedes Moment der inhaltlichen Idee auch
noch drastisch in der Form gesetzt ist, geben diese Sätze einen
sehr guten logischen Sinn. Aber keinen anderen als eben den
alten, daß, was der Erblasser als familia, d. h. nach Huschke
als Gegenstand jener lebendigen Vermögensfreiheit hinterläßt,
für den Erben eben nicht mehr ein solches Lebendige,
sondern eine tote Sachengesamtheit, eine bloße Gegen-
ständlichkeit sei. Dies ist es auch, was Huschke von An-
fang an gesagt hat. Aber da Huschkes Bedeutung eben darin
besteht, bei diesem Satze, in den er immer aufs neue zurück-
fällt, sich selbst nicht beruhigen zu können, werden wir gleich
652
sehen, wie er ihn bald wieder leugnen wird, um ihn sofort
wieder zu setzen. Zuerst wiederholt er denselben Gedanken,
den wir oben in jenen Worten konstatierten, nochmals sehr
deutlich: „familia und hereditas sind also dieselbe Sache, und
sind es auch nicht, je nachdem man die Sache ansieht. Sie sind
dasselbe dem Objekte nach, sie sind verschieden der Rich-
tung nach." Man kann nicht deutlicher sprechen. Das Ob-
jektive, Gegenständliche im Vermögen und in der Erbschaft
ist dasselbe, die Sachen. Aber die Richtung, in der sie
genommen werden, ist verschieden. Für den Erblasser selbst
sollen sie zu seiner „Vermögensfreiheit" gehören, und für
ihn und in ihm also eine lebendige Seite haben; für den Erben
dagegen eine „unlebendige" tote Gegenständlichkeit darstellen.
Huschke wiederholt das daher noch schärfer als bisher noch-
mals: „Das Objekt ist die Vermögensfreiheit des Erb-
lassers; aber gleichwie die Gegenwart zugleich als die Ver-
gangenheit beschließend und die Zukunft beginnend betrachtet
werden muß, wie sie von der Zukunft nur als ein ihr zugeeignetes
Moment betrachtet werden kann, dann aber doch ganz, d. h.
auch mit ihrem der Vergangenheit zugewandten Momente in sie
übergeht, und so dennoch ein lebendiger Übergang der Ver-
gangenheit in die Zukunft stattfindet, so wird auch die vom
Erblasser als familia hinterlassene Vermögensfrei-
heit vom Erben als hereditas begriffen." Und nachdem
er so auf das nachdrücklichste und häufigste festgestellt, was
gar keiner solchen Anstrengung bedurfte und ganz selbstredend
ist, daß diese Sachengesamtheit, die in Wahrheit auch für den
Erblasser niemals eine lebendige Bedeutung in sich hatte, jeden-
falls für den Erben, zum Unterschiede von der Lebendigkeit
der familia, nur als hereditas, als bloße Sachengesamtheit be-
griffen wird, fährt er unmittelbar, also ohne jede weitere
Vermittelung und Begründung fort: „indem er sie aber als
solche (als hereditas) ergreift, hat er sie zugleich als
familia."
Als wessen familia? Als familia des Toten? Das wäre
die reine Hexerei! Wie kann der Erbe, für den, wie Huschke
so ausdrückhch expliziert hat, jene familia nur wenn der Erb-
lasser schon gestorben, nur als hereditas da sein soll, er, für
den sich „die familia des Erblassers notwendig als here-
653
ditas gestalten muß." er, dessen Stellung zu den Sachen von
Huschke genau und unterscheidend dahin bestimmt wird, daß
er, was „vom Erblasser als familia hiiiterlassen" wird, seiner-
seits „als hereditas begreift", — wie kann er dadurch,
daß er sie als solche hereditas im Unterschiede von der
familia ergreift, sie als familia in der Hand haben?
Dies ist Zauberei !
Huschke fährt fort: „Somit ist also auch hereditas nichts
Unlebendiges" — aber zwei Seiten vorher (S. 276) hatten
wir direkt gehört, daß diese geiade , .etwas Unlcbendi^es" im
Unters chi.d von der familia sei — , ..sondern nur die un leb en-
digere, nach einer Wiederbelebung (sie ist also voilaufig
tot) sich sehnende Seite dessen, was zugleich hinter sich
(aber somit eben hinter sich, somit auch hier nach Huschke
selbst als tot und vergangen) die lebendigere der familia hat."
Die Erbschaft, die als das Unlebendige des Vermögens im
Gegensatz zu dem Lebendigen der familia bestimmt war. soll
jetzt also aufhören — obgleich kein Mensch begreifen kann wie-
so, und Huschke nicht den geringsten Grund dafür angibt —
das Unlebendige zu sein. Aber sie soll auch wieder nicht
aufhören, soll nicht ein lebendiges, wie die famiha sein.
Sie wird daher zu einem „Unlebendigeren", wobei jedes
Prinzip für das Quantitative dieses angeblichen Unterschiedes
aufgegeben ist. Der Jurist wird in der Verlegenheit zmn Poeten
und leiht dem toten Vermögen das ..Sehnen" nach einer ..Wie-
derbelebung". Aber wenn sich die hereditas nach ..Wiederbe-
lebung sehnt", so ist ja auch hierdurch eingestanden, daß sie
einstweilen nicht lebendig ist, sondern Sache geworden, totes
Vermögen. Wenn es tot ist und wiederbelebt werden muß,
so ist ja das Belebende nicht die familia des alten Herrn,
sondern es kommt nur zum Leben in einem anderen, neuen
Herrn, zu einem , .Vermögensleben", wie sich Huschke des-
halb auch S. 276 ausdrückt. — und so zeigt sich denn hier,
daß Huschke, wenn er vorher den Erben das Vermögen, das
er als hereditas ergreift, als familia in der Hand haben
läßt, mit dieser familia nur die eigene Vermögensfreiheit des
neuen Herrn meinen kann, — und das ist freilich ganz klar, daß,
wenn man sich einmal auf solche wirre, begriffswidrige Vor-
stellungen einlassen will, man sagen kann, daß jedes Vermögen
654
in seinem Herrn Lebendigkeit habe. Aber somit ist, was der
Tote hinterlassen hat, erst recht als tote Sache gesetzt,
die nur wieder einmal an dem Leben eines anderen Herrn
teilnimmt, was mit der familia des Erblassers nichts zu tun
hat, diese tot läßt und gar nicht das Verhällnis der Sachen
als Erbschaft, sondern höchstens als Eigentum betrifft.
Und darum fährt Huschke fort: „Und dieses sagt auch der
Ausdruck hereditas, welcher, genau genommen, die den Herrn
erwartende Verm.ögensfreiheit bezeichnet, also auf die Zukunft
hinzielt." Der Ausdruck hereditas besagt nun zwar nicht das
geringste von ,, Erwartung". Aber abgesehen davon, wenn dies
das Resultat sein sollte, daß die hereditas gegenwärtig unleben-
diges Vermögen, toter Sachenkomplex ist und später wie-
der einmal von einem Lebendigen, von einem Herrn besessen
und zusammengerüttelt werden wird, — um zu diesem trockenen'
Satze und diesem das Vermögen nach wie vor zur Substanz
machenden Resultat zu gelangen, dazu bedurfte es dieses Unge-
heuern A.nlaufes nicht, denn davon wurde von Anfang an aus-
gegangen. Und damit, daß der Verstand, wie dies seine Weise
ist, das denkend nicht Begriffene durch unklare Bilder, sich in
sich selbst widersprechende Vorstellungen und die Vereinigung
unmöghch zu vereinigender Worte sich gewaltsam plausibel
machen will, hat er dies nur in seiner Illusion erreicht; in der
Sache ist er nicht von der Stelle gekommen, hat sich nur noch
tiefer und gründlicher in Widersprüche verstrickt. So sich selbst
aufhebende Worte, wie ,, Vermögensleben" usw. — denn nur
das Leben ist Leben und das Verm.ögen ist das Tote — können
wohl in den Mund, nie in den Geist genommen werden. Und
könnten sie dies selbst, so würde sich immer nur dabei das
Vermögen als die Substanz dieses angeblichen Lebens und
Verhältnisses, es würde sich jenes ,,Vermögensroulement" er-
geben, welches wir schon oben (S. 25 — 33) als den wahren
Inhalt dieser Ansicht nachgewiesen haben und das nach
ihr die als Fiktion gewußte Fiktion eines Subjektes in
den Dienst seines Funktionierens genommen hat, eine Fik-
tion, die hier Huschke selbst sogar noch als bloße Fik-
tion fahren läßt. Denn wenn die hereditas ihre Wieder-
belebung erst von dem neuen Herrn erwartet, so ist es
nicht wahr und als nicht wahr eingestanden, daß mit
655
der hereditas selbst etwas Lebendiges und PersönlicKcs, ein
ideales Subjekt hinterlassen und auf den Erben übergegangen
sei. Dies ideale Subjekt ist jetzt als bloße Fiktion eingestanden,
und gerade, indem sie näher zu begründen versucht wurde, als
unwahr aufgegeben. Wenn also Huschke jetzt die hereditas als
die ,, ihren Herrn erwartende Vermögensfreiheit" definiert, so
heißt dies, nach diesen Worten selbst, wie nach allem vorigen,
in reines Deutsch übersetzt, nichts anderes als: das Ver-
mögen erwartet den Herrn, die hereditas ist ein „den Herrn
erwartendes Vermögen", — und freilich stimmt dies auch
genau überein mit alledem, was Huschke uns vorher darüber
gesagt hat, daß die hereditas , .etwas Unlebendiges" sei und
daß die vom Erblasser als familia hinterlassene ..Vermögens-
freiheit" für den Erben als hereditas, bloßes Vermögen,
sich darstelle, so daß die derselben dann doch wieder zuge-
sprochene, aber ,.un lebendigere" Art von Lebendigkeit
sich jetzt nur als diese in das Vermögen hineingetragene poetische
..Erwartung eines Herrn" herausstellt, eine Er\vartung, womit
erstens das Verm.ögen als solches der Begriff des Erbtums
geblieben ist, zweitens dem Vermögen eine Tätigkeit geliehen
wird, die es unmöglich haben kann; denn während die familia
des Erblassers tot hinter ihm liegt, ist das Vermögen ein Sach-
liches, das nichts erwartet, noch erwarten kann, und dem es
sehr gleichgültig ist, einen Herrn zu haben oder nicht. Drittens
aber Ist es noch schlimmer, als wenn Huschke gesagt hätte:
die hereditas sei ein den Herrn erwartendes Vermögen, denn
indem er sie In der sich zermarternden Anstrengung, in den
bloßen Worten das Lebendige zu gewinnen, das Ihm In der
Sache entgeht, als die ,,den Herrn erwartende Vermögens-
freiheit" definiert, verfällt er wieder In jene unablässige con-
tradictio in adjecto. die den Aufsatz von einem Ende zum an-
deren charakterisiert. Denn Freiheit Ist vielmehr dies: kei-
nen Herrn zu erwarten, sondern selber der Herr zu sein.
Frei sein und Herr sein Ist ganz Identisch, und nirgends
tritt diese Identität strenger und deutlicher heraus als Im rö-
mischen Erbtum.
So gleicht dieser Aufsatz dem beständigen Versuche eines
Menschen, fliegen zu wollen ohne Flügel, einem Aufschwünge,
bei dem er Immer schwerer auf die Füße wieder zurückfallen
656
muß. Es ist der rastlose Anprall des Verstandes gegen die
Eisenstäbe seines Käfigs, ein Anprall, bei dem er aber nur
ein rasselndes Geräusch erregt und diese Eisenstäbe nicht zu
erschüttern vermag.
Aus dieser von ihm in den Worten versicherten, in der Sache
aber in ihr striktes Gegenteil untergegangenen „persönlichen
Natur der Vererbung" folgert Huschke nun (S. 279), daß,
wie man ein Tier nur ganz oder gar nicht fangen oder frei-
lassen, eine Ehe nicht teilweise abschließen kann usw., so auch
die Erbschaft — als familia genommen — nur ganz oder gar
nicht vererbt werden könne. Aber auch bei diesem äußerlich
dem Richtigen sich annähernden Satze kann, weil er eben nur
in den Worten gewonnen worden, in der Sache aber das
Gegenteil einer „persönlichen Natur der Vererbung" sich
heerausgestellt hat, von Huschke nicht stehen geblieben werden.
Er muß ihn vielmehr sofort wieder als unwahr aufzeigen, muß
selber aufzeigen, daß nach seiner Auffassung des Erbbegriffes
auch hier re vera das Gegenteil eintreten muß. ,,Aber, wie
verträgt es sich hiermit", fährt Huschke S. 279 fort, „daß
doch die hereditas eine teilbare Sache ist, daß mehrere, jeder
auf einen Teil, zu Erben eingesetzt werden können?" Und er
antwortet: „Auch hier müssen wir wieder jene beiden Sei-
ten ins Auge fassen. Insofern die Erbschaft dem Erben
zugekehrt ist, ist sie Sache und ebenso teilbar, wie jedes
Eigentum an einer beweglichen Sache." Aber der Begriff der
Erbschaft ist ja immer dies: einem Erben zugekehrt, auf einen
Erben bezogen zu sein! Eine Erbschaft, die dies nicht wäre,
wäre gar nicht Erbschaft mehr, weil diese Beziehung eben
der Begriff des Verhältnisses selbst ist. Aber Huschke sieht
selbst, daß dies ,, eigentlich" der Fall ist, und fährt, selber die
Konsequenz hiervon ziehend, fort: ,,Da sie nun aber nach
dieser Seite hin eigentlich den Namen hereditas führt,
so müssen wir die hereditas geradezu ein teilbares Recht
nennen!!" Ist ein größerer Irrtum denkbar? Weil das zur
hereditas etwa gehörige und ihr ganz äußerliche Vermögen
(vgl. oben Nr. XXXII) teilbar ist, wird für Huschke hier die
hereditas selbst, die hereditas als Recht, das, was nach ihm
selbst „eigentlich" allein Erbschaft ist, teilbar! Die here-
ditas ist, wie wir in der bezogenen Nummer sahen, ein stets
20 La..fialle. Gss. Sclxriften. Band XII. 657
und absolut unteilbares Recht, und nur das ihr gleichgültige,
ihrem Begriff überhaupt äußerliche, nur zufällig mit ihr ver-
knüpfte Akzessorium, welches in der Zeit des echten jus civlle
sogar in Gegensatz zur hereditas tritt, ist teilbar. Dieses ist
teilbar, wie jede Quantität, während die hereditas, wie alles
Begriffliche und Qualitative, unteilbar ist. Huschke aber
muß, weil er tatsächlich den Begriff der Erbschaft im Ver-
mögen sieht, auch ausdrücklich eingestehen, daß hiernach die
hereditas selbst, die hereditas als Recht, ,, geradezu ein teil-
bares Recht" geworden sei. und muß so selbst dem wider-
sprechen, was er soeben über ihre Unteilbarkeit den Worten
nach, aber im Widerspruch mit dem tatsächlichen Inhalt seines
Begriffes vom Erbtum, gesagt hat. Huschke fährt fort: „So-
fern sie (die hereditas) dagegen dem Verstorbenen zuge-
kehrt ist, ist sie eine Person, und darum unteilbar." Was ist
denn das aber überhaupt für eine Unterscheidung : die Erbschaft,
insofern sie dem Erben zugekehrt, auf ihn bezogen, und inso-
fern sie dem Verstorbenen zugekehrt ist ! Was würden die Ju-
risten wohl, und zwar mit Recht, gegen einen Philosophen sagen
— ein wirklicher wird es freilich nicht tun — , der diese son-
derbarste aller Unterscheidungen aufstellen wollte ! Insofern
eine Erbschaft nicht dem Erben zugekehrt ist, ist sie ja
überhaupt nicht Erbschaft. Ein Subjekt, oder eine familia,
das nicht auf einen Erben bezogen ist, sondern bloß als auf
sich selbst bezogen gedacht wird, ist gar nicht Erblasser,
sondern ein lebendiges Subjekt. Ein Vermögen, das nicht
auf einen Erben bezogen, ihm zugekehrt ist, ist nicht Erb-
schaft, sondern Eigentum und Vermögen überhaupt!
Diese rasende Verstandesanstreagung, dieses entsetzliche
Wortgeringe langt also wieder, auf den Tod erschöpft, bei dem
Resultat an: Insofern etwas nicht Erbschaft sei, insofern es
lebendiges Subjekt und Eigentum eines solchen sei —
sei es lebendig, persönlich und unteilbar, was freilich nie von
irgend jemand übersehen worden ist; insofern dieses selbe aber
,, einem Erben zugekehrt" sei, das heißt, insofern überhaupt
von Erbtum allein die Rede sein kann, insofern ,, eigent-
lich" hereditas vorhanden ist, sei sie ein Unlebendiges, Totes
und Teilbares. Der Verstand sucht umsonst über seinen eigenen
Schatten zu springen. Dieser springt immer mit, und jeder neue
658
Anlauf langt daher notwendig immer wieder auf dem alten Ver-
mögensstandpunkt an.
Aus der Unteilbarkeit der Erbschaft, in wahrer, begrifflicher
Weise aufgefaßt, würde sich sofort die Regel nemo pro parte
etc. ergeben. Denn wenn es die Willenssubjektivität
ist, die sich durch den Idenlifikationsprozeß des Erbtums per-
petuiert. und das Erbtum nichts mit dem Vermögen und „Ver-
mögensleben'" zu tun hat, so ist es klar, daß diese ideale Un-
teilbarkeit des Ichs sich nur in bestimmter Weise über-
tragen kann, weil jede Bestimmtheit die andere Bestimmt-
heit ausschließt, und wer sich selbst identifiziert, und erklärt:
mein Wille ist = A, nicht noch von dem Intestatsystem mit
anderen identifiziert werden kann, ohne diesen Willen, der ja
gerade im Erbtum erhalten werden soll, zu negieren. Die
scheinbare Ausnahme des nicht eingesetzten suus, der nur des-
halb mit Testamentserben teilen kann, weil er stets selbst-
gesetzter Wille des Testators ist (S. 534 fg.), bestätigt dies
gerade ganz entscheidend. Allein freilich wird sich diese Regel
aus der von Huschke in den Worten versicherten, in der Tat
aber mit seiner Argumentation im striktesten Widerspruch ste-
henden Unteilbarkeit der Erbschaft nicht ergeben können. Denn
was würde hindern, zu sagen: Insofern ein Erblasser Erben
einsetzt, ist er ja „den Erben zugekehrt", und schafft
also jenes ,, geradezu teilbare Recht der hereditas", das
er somit teilen, nach Testamentsrecht wie Intestatrecht sich
übertragen lassen kann? Huschke sieht daher selbst ein, daß
er jene Regel noch keineswegs erklärt hat, und fährt deshalb
fort (S. 281): „Allein hiermit ist doch die Möglichkeit noch
nicht ausgeschlossen, daß ebenso, wie man mehrere Erben im
Testament einsetzen kann, man auch die eine Hälfte durch Te-
stament, andere dagegen durch das Gesetz sich vererben lassen
könne."
Er schlägt daher (S. 282) den an sich ganz richtigen Weg
ein, das Wesen der Intestaterbfolge und die Verschiedenheit
ihrer Prinzipien von der testamentarischen untersuchen zu wollen.
„In dieser Beziehung," sagt er, „fällt in die Augen, daß die
Testamentserbfolge auf dem Prinzip der Freiheit, die
Intestaterbfolge auf dem Prinzip der Notwendigkeit be-
20« 659
ruht, jene daher eine ethische, diese eine physische Grund-
lage hat."
Dies ist also von vornherein wieder der alle Dualismus der
bisherigen Ansichten über Testament und Intestaterbfolge. Es
ist wieder das allgemein herrschende Gerede von dem Intestat-
erbrecht als einem physischen oder Familienprmzip im Gegen-
satz zu dem Freiheitsprinzip des Testamentes, welches in seiner
konsequentesten Auffassung zu seinem Kern eben die Gans-
sche, von diesem auch in denselben Worten bekannte und
nur in geistreicherer Weise durchgeführte Ansicht über beide
Erbsysteme als den Gegensatz des Prinzipes der „Freiheit"
und der ,, Notwendigkeit" hat. Dies Gerede ist das für das
römische Erbrecht grundsätzlich falsche. Solange nicht begriffen
wird, daß in Rom das Intestatrecht gleichfalls nur dasselbe
ethische Willensprinzip ist, daß es gleichfalls nur den
subjektiven Willen des Erblassers zu seiner Quelle und
zum Inhalt hat, solange ist von einer Erkenntnis des Intestat-
erbrechtes nicht die Rede und der Weg dazu überall grundsätz-
lich versperrt. Freilich ist aber auch dieses Verfehlen des
Intestaterbrechtes nur eine Folge davon, daß der Begriff des
Erbtums überhaupt verfehlt worden Ist. Denn hat man
dieses erst als die subjektive Willensunsterblichkeit begriffen,
so folgt dann freihch von selbst, daß auch das Intestaterbrecht,
da es doch Erbtum überhaupt erzeugen soll. Immer nur von
dem subjektiven Willen selbst ausgehen und daher nur
die Bedeutung eines bei fehlendem Sichselbstsetzen voraus-
gesetzten Inhaltes desselben haben kann.
Durch diese ganz falsche Basis, von der Huschke auch hier
ausgeht, macht er sich also jedes wahrhafte Resultat seiner
Vergleichung der Intestatdelation mit der testamentarischen von
vornherein unmöglich, und langt daher, nach einer Reihe von
ebenso mühsamen und sich selbst aufhebenden Wendungen, die
aufs neue speziell zu betrachten der Raum nicht erlaubt, bei
dem Resultat an (S. 296) : „Was für eine Verschiedenheit
bleibt uns nun also noch zwischen der testamentarischen und
der gesetzlichen Erbesernennung? Offenbar nur die, daß jene
vom Testator, diese vom Gesetz ausgeht." Das ist frei-
lich das äußerliche, sinnliche Faktum, bei welchem anzulangen
es gar keiner Untersuchung bedurft hätte, und welches den seit
660
Menschengedenken ganz kursiven Irrtum über die Natur des
römischen Intestatrechtes bildet, die vielmehr darin besteht,
ebenso sehr vom subjektiven Willen des Testators auszu-
gehen, wie das Testament. Huschke fährt fort: ,,Diese (Ver-
schiedenheit) ist aber auch von der größten Wichtigkeit, wie
sich sogleich zeigen wird, wenn wir jetzt zum dritten oben
hervorgehobenen Punkte, der Untersuchung des Verhältnisses
dieser beiden Berufsarten zur Natur der Erbschaft, über-
gehen." Huschke kehrt also jetzt zu dem Punkte, bei welchem
er bei der Bolrachtung der Erbschaft überhaupt stehen ge-
blieben ist, zurück, und zwar mit folgenden Worten : ,,Wir
sahen oben, daß der eigentliche Gegenstand, zu wel-
chem ein Erbe berufen wird, die familia, d.h. die ver-
mögensrechtliche Person des Erblassers, und daß sie
als solche unteilbar sei." Durchaus unwahr! Kein Wort
davon haben wir ,,oben" gesehen, sondern nur das strikteste
Gegenteil ! Denn wir hörten ja „oben" vielmehr, daß, „insofern
die Erbschaft dem Erben zugekehrt ist," sie ,,Sache
und teilbar", ein ,, geradezu teilbares Recht" sei. Der
„eigentliche Gegenstand", zu welchem ein Erbe berufen
wird, ist doch aber dies, was ,,ihm zugekehrt ist". Und
auch Huschke selbst hatte oben deshalb eingestanden, daß diese
dem ,, Erben zugekehrte" Seite das sei, was , .eigentlich"
die hereditas bilde, also den , .eigentlichen Gegenstand, zu
dem der Erbe berufen" sei. Nur ,, sofern sie dagegen dem
Verstorbenen zugekehrt ist", hieß es oben, nur insofern sie
also nicht das. oder mindestens doch nicht , .eigentlich" das
ist, wozu der Erbe berufen ist, sei sie Person und unteil-
bar! — Weil der Verstand, unfähig, eine Lösung in der Sache
hervorzubringen, sich schließlich nach aller Qual immer damit
zufrieden stellen muß, sich in Worten zu berauschen und zu
beruhigen, und sich in den Worten zu versichern, daß er er-
langt habe, wovon er in der Sache das reine, unversöhnte
Gegenteil in den Händen hat, so muß — denn irgendwo muß
doch über den Graben gesprungen sein — Huschke hier ver-
sichern, daß er „oben" das Gegenteil von dem gezeigt habe,
was er nicht nur der Sache nach, sondern sogar mit ausdrück-
lichen Worten gezeigt und auf das stärkste hervorgehoben hat.
Aber auch bei diesem Sprunge springt immer die Vermögens-
661
auffassung des Erbiums mit Huschke mit. Huschke versichert
gerade bei diesem Sprunge aufs neue: die familia sei die
, .vermögensrechtliche Person" des Erblassers, und als
solche unteilbar. Wenn es aber das Vermögensrechtliche
in der Person ist, welche der ,, eigentliche Gegenstand", das
W'^esen der Erbschaft ist, so muß sie vielmehr notwendig teil-
bar sein; denn alles Vermögensrechtliche ist, weil ein
Materielles, auch ein Quantitatives und somit Teilbares,
nur das Ideelle ist unteilbar. Und dies ändert sich nicht,
mit welchem Schein des Persönlichen man auch in den Worten
das Vermögensrechtliche bekleide. Selbst noch der eigene
Leichnam des Toten, so sehr hier dem Materiellen noch der
Schein der Person anklebt, wäre seiner Natur nach teil-
bar. Es tritt immer das schon oben (S. 28fg.) Nachgewiesene
ein, daß bei der geistvollen Verknüpfung solcher Gegensätze,
wie ,, vermögensrechtliche Persönlichkeit", das Vermögensrecht-
liche die Persönlichkeit verschlungen hat. Für wen überhaupt,
der sich nicht mit bloßen Worten, mit , .bedeutsamen Sprach-
formen", wie Humboldt ironisch sagt, bezahlt, kann ein Unter-
schied sein zwischen ,, vermögensrechtlicher Person" und ,,per-
sönlichem Vermögensrecht"? Nur um sich sein eigenes,
ihm ahnend aufdämmerndes Fiasko zu verstecken, braucht die
Verstandesreflexion statt des einfachen und gesunden Aus-
druckes : , .persönliches Vermögensrecht", den in Wahrheit doch
nur dasselbe besagenden, gequälten und widerspruchsvollen Aus-
druck, die , .bedeutsame Sprachform ", einer , .vermögensrecht-
lichen Person". Die ,, vermögensrechtliche Person" ist,
wie alles, was einmal in die Sphäre des Vermögens und
somit der Materie gesetzt ist, durchaus nicht persönlich und
unteilbar, und das zeigt gerade am besten das römische Erb-
recht selbst, indem es zwei und mehr Erben zu ernennen ge-
stattet und so das Vermögensrechtliche in der Person
beliebig teilen läßt.
Weil dies alles sich so verhält, kann es aber nicht genügen,
daß dies die wahre Konsequenz von Huschkes Lehre gegen
Huschkes Worte sei, sondern Huschke, gerade weil er es
ernster nimmt als andere, wie durch Fatalität dazu bestimmt,
das Schicksal des Verstandes mit seltener Normalität an sich
zu vollziehen, wird uns auch selbst sehr bald sagen müssen,
6Ö2
daß es sich so verhält. — Er hatte soeben gesagt, man habe
„oben" gesehen, daß der „eigentliche Gegenstand, zu welchem
der Erbe berufen wird," die familia sei. Nun hatte man zwar
„oben" nicht das Geringste hiervon, sondern das direkte Gegen-
teil gesehen, daß das. wozu „eigentlich" der Erbe berufen
oder was ihm zugekehrt sei, eine sachliche und teilbare here-
ditas sei. Weil Huschke aber, sagten wir, auch bei diesem
Sprunge immer fortfährt, die familia als eine „vermögensrecht-
liche Persönlichkeit" aufzufassen, nützt ihm der Sprung nicht
einmal, und er wird uns sofort wieder das Gegenteil von dem
sagen, was er hier versichert, oben gesagt zu haben. Zunächst
fährt er unmittelbar so fort: „Wenn nun jemand sich selbst
einen "Erben ernennt, so ist es wiederum diese Person, welche
diesen Akt vornimmt. Also (?!) fallen in dem Akt der Erbes-
ernennung Subjekt und Objekt in eins zusammen (was
nach Huschke durchaus nicht wahr ist), die familia will
sich dem Erben übertragen, sie vererbt sich selbst,
und hiermit ist der Grund unserer Regel gefunden." Wer sollte
bei diesem äußeren Anklang der Worte an das wirkliche begriff-
liche Verhältnis nicht glauben, daß Huschke, obwohl dieser
Satz nicht bei ihm begründet, obwohl nach dem Früheren nur
das Gegenteil davon wahr ist, hier nahe daran sei, und sei es auch
nur infolge einer Intuition, in das Heiligtum des Begriffes ein-
zudringen? Noch nicht zwar in den Grund der Regel nemo
pro parte etc., wie er selbst glaubt, aber doch mindestens in
den Begriff des Erbtums überhaupt? Behüte! Da Huschke
unter der „familia", die sich übertragen will, immer nur die
vermögensrechtliche Person versteht, ist es nur ein Klingen
und Anklingen der Worte; in der Sache ist er hundert Meilen
weit davon entfernt und legt das sofort in einer erklärenden
Anmerkung zu diesen Worten treulich an den Tag. ,,Wenn
nämlich auch," erklärt Huschke diese Worte, „der Vererbende
und das Vererbte im Objekt zusammenfällt, so ist doch
dieser Gegenstand ein anderer als vererbendes Sub-
jekt und als vererbtes Objekt (!!!), gleichwie auch das
Bewußtsein, als von sich gesetztes, schon ein anderes ist, als
das Bewußtsein an sich. Nun ist aber familia, wie gezeigt, der
Ausdruck für die Vermögensfreiheit, insofern sie dem
Erblasser zugekehrt ist und mit ihm zusammenfällt, folg-
663
lieh die Vermögensfreiheit, insofern sie sich vererbt,
aber nicht, insofern sie von sich vererbt wird"!!!
Der Wortwirrwarr des Verstandes erreicht hier seinen Gipfel.
Die babylonische Sprachverwirrung ist Harmonie dagegen. Der
Widerspruch begnügt sich hier nicht, einige Zeilen hintereinander
aufzutreten ; wütend geworden, stellt er sich sich selbst gegen-
über und schneidet sich Gesichter! Was ist das für eine Ver-
mögensfreiheit oder sonst ein Dmg, welches ein anderes ist,
insofern es sich selbst vererbt oder insofern es von sich selbst
vererbt wird ? ! Da die ganze Tretmühlenarbelt des Verstandes,
weil ihm der Gedanke unfaßbar bleibt, von vornherein genötigt
ist, nur ein sprachliches Geräusch hervorzubringen, sich nur
in Worten, in ,, bedeutsamen Sprachformen" berauschen und
mit Worten illusorisch in Ruhe einwiegen zu können, so bricht
Huschke hier ernstlich in das Geheimnis der ihn treibenden
Methode durch und meint, der Unterschied müsse darin liegen,
ob er, Huschke, denselben Akt, denselben Inhalt in der Aktiv-
oder Passivform des Verbums ausspreche!
Aber diese Grimasse, zu der sich der Verstand verzerren
muß in dem Schmerze, sich dem ihn hin- und herreißenden
Widerspruche nicht entwinden zu können, Ist noch nicht alles !
Im Text hatte uns Huschke versichert, daß, weil jemand sich
selbst einen Erben ernannt, Subjekt und Objekt in diesem
Akt in eins zusammenfallen, die f amilia sich dem Erben über-
tragen wolle. Aber weil familla den Begriff des Vermögens-
rechtlichen für Ihn hat, muß er uns in der Anmerkung gestehen,
daß davon kein Wort wahr ist, daß familla nur das dem
Erblasser Zugekehrte und mit ihm Zusammenfallende sei, daß
daher trotz des Zusammenfallens von Subjekt und Objekt, von
dem der Text spricht, doch dieser Gegenstand ,,ein anderer
als vererbendes Subjekt und als vererbtes Objekt" bleibt,
daß sie also wieder nicht zusammenfallen und andere gegen-
einander sind. Woher kommt dieser Widerspruch? Er erhellt
sich bei schärferer Betrachtung der Worte der Anmerkung:
,,Wenn nämlich auch der Vererbende und das Vererbte im
Objekt zusammenfällt, so ist doch usw." Also nur im Ob-
jekt, d.h. im Vermögen, nicht als Selbstobjekt der
Handlung, läßt Huschke den Vererbenden und das Ver-
erbte zusammenfallen. Es ist wieder die alte Weisheit, daß
664
das Vermögen vererbt wird, wonach freilich Vererbendes
und Vererbtes, Person und Vermögen, andere gegeneinander
bleiben. Es war also wieder nur Schein, wenn es im Text
hieß: „die familia will sich dem Erben übertragen, sie ver-
erbt sich selbst". Es ist mit dem „sich selbst" nicht gemeint,
die familia vererbt sich selbst als ideale Fähigkeit, sondern sie
vererbt ihren Gegenstand, das Vermögen. Hiermit, meint
Huschke, sei der Grund der Regel nemo pro parte etc. ge-
funden: „denn wenn Testator und Erbschaft sich indiffe-
renzieren (wir hörten aber soeben in der Anmerkung, daß
sie vielmehr fortfahren, sich zu differenzieren), so
folgt, daß auf dieselbe Weise, wie die Erbschaft ob-
jektiv unteilbar ist, auch der subjektive, mit ihr zu-
sammenfallende Wille unteilbar, mithin jede Konkurrenz
eines anderen Willens mit sich ausschließend sei,
und daß also usw." Huschke schließt in diesen Worten seinen
Beweis mit der grandlosesten Umkehrung seines Beweisthemas,
die denkbar ist. Bisher handelte es sich darum, zu beweisen,
daß die Erbschaft objektiv unteilbar sei, wovon wir von
Huschke selbst immer das Gegenteil gehört haben. Daß der
subjektive Wille unteilbar sei, das würde jeder Mensch
Huschken von so einem idealen Dinge, wie der subjektive Wille
ist, aufs bloße Wort geglaubt haben! Weil jede Sache doch
ein Ende haben muß, nimmt Huschke den Anschein, als habe
er bisher schon bewiesen, daß die Erbschaft objektiv
untedbar sei, wovon er uns nie etwas als das Gegenteil sagte,
und als habe er nur zu beweisen, daß der subjektive Wille
unteilbar sei, was freilich kein Mensch je bestritten hat.
Huschke gewinnt aber nicht einmal etwas mit dieser totalen
Verwechselung des Beweisthemas ; denn da bei ihm ,,das Ver-
erbende und das Vererbte zwar im Objekt zusammenfällt",
aber doch „ein anderer als vererbendes Subjekt und
als vererbtes Objekt" gegeneinander bleibt (wie Person
und Vermögen natürlich immer gegeneinander bleiben müssen),
warum sollte der unteilbar vererbende Wille das , .vererbte
Objekt", das ja „ein anderes" gegen ihn ist und bleibt,
nicht teilweise nach Testamentsrecht und teilweise nach In-
testatrecht übertragen wollen können? Er würde hierdurch eine
Teilung nicht in sich, sondern nur in dies Objekt, das, als ein
665
anderes als er, dieser Teilung fähig ist, hineinbringen. Oder
mit anderen Worten : warum sollte der testierende Wille nicht
selbst die gesetzliche Erbfolge für einen Teil wollen können?
Huschke antwortet : deshalb nicht, weil der Wille, als unteilbar,
, .mithin jede Konkurrenz eines anderen Willens
mit sich ausschließend sei". Und hierin ist nach ihm
,,der Grund unserer Regel gefunden".
Aber dieser Grund ist höchst irrig ! Es ist nicht wahr, daß
der Wille im Testament ,,jede Konkurrenz eines anderen
Willens mit sich ausschließend" sein müsse, und wenn das In-
testaterbrecht wirklich, wie Huschke freilich glauben muß, ein
anderer Wille als der des Testierenden wäre, so würde die
Regel nemo pro parte etc. gerade nie haben entstehen
können! Es ist leicht, beides zu zeigen.
Nichts hindert den Testator, seinen Intestaterben einzusetzen.
Freilich fällt dann der Reflex gar nicht darauf, daß dieser
auch Intestaterbe wäre, und er hat ihn in einen testamentarischen
verwandelt. Nichts hindert aber auch den Testator, ohne nament-
liche Bezeichnung des Erben zu bestimmen : mein Intestaterbe
sei mir Erbe. Diese Einsetzung ist gültig, denn von einer in-
certa persona kann dabei nicht die Rede sein (vgl. S- 391 fg.).
Freilich würde hier noch keine Teilung eintreten. Aber der
Testator kann ebenso gut sagen: mein Intestaterbe und
Paul Peter seien mir Erben. Man wird sagen, daß immerhin
der Intestaterbe, indem er eingesetzt sei, in einen testamen-
tarischen verwandelt worden sei. Richtig. Aber verwandelt oder
nicht — eine ..Konkurrenz eines anderen Willens" (wenn
das Intestaterbrecht, wie Huschke glaubt, ein solches wäre),
eine Konkurrenz des Intestatgesetzes mit dem testamentari-
schen Willen hat hier jedenfalls stattgefunden. Der In-
testaterbe ist hier nicht bloß eingesetzt, weil er nach dem
Intestatgesetz Erbe sein würde — was einen gleichgültigen
Grund darstellen würde — , sondern der ist eingesetzt, der
nach dem Willen des Intestatgesetzes Erbe sein würde, ohne
namentliche Bezeichnung, und so Ist die Konkurrenz dieses
Intestatgesetzlichen Willens vom testierenden Willen selbst ge-
setzt; es ist gerade der Reflex gesetzt auf den intestatgesetz-
lichen Willen und den, den dieser wollen wird. Es ist
also nicht wahr, daß der testierende Wille seiner Natur nach
666
notwendig „jede Konkurrenz eines anderen Willens mit
sich ausschließend sei". — Wir haben aber auch gesagt: wäre
das Intestatgesetz, wie Huschke meint, ein anderer Wille
gegen den Willen des Testators, so würde gerade dann die
Regel nemo pro parte etc. nicht haben entstehen können und
unwahr sein. Es ist ebenso leicht, dies zu zeigen. In der Tat,
nach unserer Entwickelung des Intestaterbrechtes ist dasselbe
ja nicht ein anderer Wille als der Testator, sondern wie-
derum der eigene (vorausgesetztte) Wille desselben. Und wir
zeigten bei dieser Entwickelung bereits, wie die Regel nemo
pro parte etc. gerade nur daraus folge, weil das Intestaterb-
recht der eigene Wille des Testators sei. Gerade nur, weil
beides der eigene Wille des Testators ist, schließt das Sich-
setzen desselben in der einen Form, in der Form aus-
drücklicher Bestimmtheit, das Sichsetzen desselben als eine
andere Bestimmtheit aus. Wer sich selbst nicht bestimmt,
ist noch unbestimmt, und kann bestimmt werden. Wer sich aber
selbst bestimmt, sich als A bestimmt, der kann, wenn von
Selbstbestimmung die Rede sein soll, nicht behandelt werden,
als habe er sich selbst als Nicht-A bestimmt.
Folglich wurzelt die Regel nemo pro parte etc. immer nur
darin, daß beides, testamentarisches wie Intestaterbrecht, die
eigene, ausdrückliche oder vorausgesetzte Selbstbestim-
mung der erblasserischen Willenssubjektivität ist. Wäre das
Intestatrecht aber ein ,,an derer Wille", als der des Testie-
renden, so könnte die Regel nicht gelten. Dies zeigt auf das
deutlichste das Noterbenrecht. Hier tritt das Gesetz als
ein anderer Wille gegen den Testator, hier tritt es als Ge-
setz auf — und sofort zeigt sich, daß dann kein Grund vor-
handen ist, die Konkurrenz dieses ,, anderen" Willens mit dem
Testierenden auszuschließen. Die Regel nemo pro parte etc.
bleibt unter Justinian bestehen, aber das hindert nicht, daß.
wenn der Testator den Noterben weniger als das Pflichtteil
hinterlassen hat, dieses ergänzt wird und das Testament den-
noch ruhig bestehen bleibt (s. oben sub Nr. X). Und frei-
lich muß das eintreten; denn wenn erst das Gesetz qua Ge-
setz, wenn es als ein anderer Wille zwingend gegen den
Testator auftritt, wie dies beim Noterbenrecht der Fall (welches
daher gar nicht mehr genau als I n t e s t a t gesetz im römischen
667
Sinne zu bezeichnen ist, rlenn dies ist nur ein solches, v/elches
eintritt, wenn der Testator nicht verfügt hat, wenn er in -testa-
tus moritur; nicht ein gegen sein Testament eintretendes Recht),
so muß dann dieses zwingende und qua Gesetz verfügende
Gesetz um der Normalität willen, die es dem individuellen
Willen zur Pflicht macht, auch als dem abweichenden indivi-
duellen V/illen rechtlich einwohnend gedacht werden.
Weil Huschke also nach keiner Seite hin in die Bedeutung
des Grundsatzes nemo pro parte etc. eingebrochen ist, und die-
jenige, die er dafür nimmt, eine ganz unwahre und kontradik-
torische Ist, muß er fortfahren, mit Recht drückten sich die
römischen Juristen gerade so aus : ,,es sei unmöglich, daß je-
mand zum Teil testatus, zum Teil intestatus sterbe, nicht
aber: daß er zum Teil durch Testament, zum Teil durch
Gesetz beerbt versterbe. Der erstere Ausdruck nämlich, das
rein Negative, daß mit einem Testament nicht zugleich eine
Delation, die nicht dieses Testament sei, nach Teilen kon-
kurrieren könne, trifft damit den eigentlichen Grund der Regel,
die Ausschließlichkeit und Unteilbarkeit der testamentarischen
Sukzession, wogegen die andere andeuten würde, daß in
der Art des testamentarischen oder gesetzlichen Willens etwas
Widersprechendes liege, was nicht der Fall ist. Ciceros
oben angeführte Fassung der Regel (nämlich de invent., 2,
21 : „Nee unquam factum est, ut ejusdem pecuniae alius testa-
mento, alius lege heres esset), die dieses Mißverständ-
nis begünstigt, ist eben deshalb tadelnswert." So muß
Huschke dazu kommen, gerade das Beste, Richtigste und
Auf k lärend ste, was, wie wir früher zeigten (S. 353 fg.).
uns über diesen Grundsatz gesagt worden ist, tadeln und als
ein Mißverständnis hinstellen zu müssen! Wir sahen a. a.
O., daß gerade nur aus diesen Worten Ciceros sich erklärt,
warum das Erbewerden des präterierten suus neben dem te-
stamentarischen Erben die Regel nemo pro parte etc. nicht
verletze, weil nämlich der suus doch Immer nicht durch Ge-
setz Erbe wird, sondern die Indifferente Mitte des Testaments-
und Intestatrechtes darstellt. Wir zeigten daselbst, wie das
ganze Verständnis dieser Regel, wie des Intestaterbrechtes über-
haupt, davon abhängt, zu begreifen, daß der Gegensatz, den
die Regel ausdrückt, der Gegensatz des eigenen Setzens und
668
des, in Ermangelung eines solchen, durch Gesetz eintre-
tenden Voraussetzens sei, und daß nur deshalb der suus, weil
er ja immer eine vom Testator selbst gesetzte, nicht
bloß durch Gesetz eingesetzte Willensidentität mit ihm sei,
daher von vornherein diesem Gegensatze entzogen sein könne
und müsse. Huschke findet diesen tief in das Wesen des In-
testaterbrechtes führenden Ausspruch Ciceros falsch und tadelns-
wert; er findet es falsch, die Regel so aufzufassen, daß der
Testator nicht „zum Teil durch Testament, zum Teil durch
Gesetz beerbt versterben" könne, weil hierdurch ange-
deutet sein würde, „daß in der Art des testamentarischen oder
gesetzlichen Willens etwas Widersprechendes liege, was nicht
der Fall ist". Freilich würde das dadurch angedeutet sein, und
freilich ist dies auch, wie von uns nachgewiesen, durch-
aus und allein der Fall und gibt allein die Bedeutung
und logische Notwendigkeit der Regel. Worin sollte denn sonst
noch der Widerspruch liegen, wenn nicht ,,in der Art des
testamentarischen oder gesetzlichen Willens"? Im Subjekt
dieses Willens liegt er nicht; dies ist bei beiden dasselbe: der
Testator. In dem. Objekt oder der Substanz (Inhalt) des
Willens liegt er nicht; dies ist bei beiden dasselbe: Erbtum;
nur in der Art des Willens, ob er sich durch ausdrückliches
Sichselbstsetzen oder durch subsidiarisches gesetzliches Vor-
aussetzen kontinuiert, — nur darin liegt der Widerspruch,
von dem die Regel spricht.
Huschke bekundet also gerade durch diese Explikation auf
das deutUchste, wie unendlich weit er davon ist, trotz aller
Sprünge, und abgesehen von allen Versicherungen, das bewiesen
zu haben, wovon er das Gegenteil bewiesen hat, auch nur im
allerentfemtesten den wahren Smn der Regel erraten zu haben.
Die ganze Wortjägerei des Verstandes hat zu gar nichts ge-
führt und konnte von vornherein zu gar nichts führen, weil sie
den Vermögensbegriff als Begriff des Erbtums, trotz aller
Anstrengung, dies in den Worten herunterzuwürgen, immer mit-
nahm, und dies natürlich jede weitere Erkenntnis des konkreten
Stoffes notwendig versperren mußte. Und nur, weil doch alles
sein Ende haben muß, nimmt dieser rastlose Widerspruch hier
die Miene, einer herbeigeführten ruhigen Lösung an !
Huschke fährt fort: eine „Probe für die Richtigkeit seiner
669
Deduktion" sei sofort der Satz, ,,daß nicht bloß die Erb-
folge ab intestato, sondern auch die Erbfolge aus einem
anderen Testament mit der testamentarischen Erbfolge un-
verträglich sein muß". Wenn dieser Satz wirklich eine Probe
für die Richtigkeit von Huschkes Ansicht ist, so wird die Probe
traurig ausfallen ! Denn soweit der Satz richtig ist, beruht er
einfach auf dem ganz anderen Grunde, daß durch das spätere
Testament das frühere notwendig aufgehoben ist, und folg-
lich überhaupt nicht zwei Testamente, sondern nur eins, vor-
liegen. Tritt dies Auf gehobensein nicht ein, so tritt auch
die Unzulässigkeit der Erbfolge aus zwei Testamenten nicht
ein. Und zum Beweise dieses Satzes wollen wir uns nicht auf
die L. 1, § 6, de bon. poss. sec tab. (37, 11) berufen, durch
die Huschke in der Anmerkung sich selbst widerlegt (,,Sed
etsi in duobus codicibus simul signatis alios atque alios he-
redes scripserit et utrumque extet: ex utroque quasi ex uno
competit bonorum possessio, quia pro unis tabulis habendum
est et supremum utrumque accipiemus") ; denn was Ulpian
in dieser Stelle sagt, handelt nur von der bonorum possessio,
nicht von der Zivilerbschaft, die Huschke freilich in seiner
ganzen Untersuchung, eben v.-ei) er den Erbschaftsbegriff des
jus civile gänzlich verfehlt, als ein mit der bonorum possessio
Gleichstehendes behandelt, während beide nur durch ihren Un-
terschied richtig erfaßt werden können. Aber diese Stelle
widerlegt Huschkes Ansicht auch noch in zwei Hinsichten.
Sie zeigt gegen ihn, daß, wäre die Zivilerbschaft das, wofür
Huschke sie hält, nämlich die Übertragung der ,,vermögens-
rechtlichen Persönlichkeit", die Erbfolge aus mehreren
Testamenten einander nicht ausschließen würde, insofern die
Testamente gleichzeitig vollzogen sind und daher kein spä-
teres vorliegt, durch welches der individuelle Wille selbst
sein früheres Produkt wieder aufgehoben hat. Die bonorum
possessio ist wirklich in gewisser Weise diese Übertragung
der , .vermögensrechtlichen Persönlichkeit", wofür Huschke die
zivile hereditas hält. Denn ihr Standpunkt und ihre Substanz
ist eben, zum Unterschiede von der Willensperpetuierung
des Zivilerbrechtes, der Vermögenserwerb (siehe Nr.
V), und indem der Geist des Zivilrechtes noch seinen W i -
derschein und Schatten über die durch Billigkeit und jus
670
gentium hervorgebrachte gegensätzliche prätorische Abwei-
chung wirft, entsteht hier genau, was hiernach entstehen muß :
nicht mehr die Übertragung des Willens, sondern der Wi-
derschein und Schatten desselben im Vermögen und
auf dem Vermögensstandpunkt oder „die vermögens-
rechtliche Persönlichkeit", ein Widerschein und Schat-
ten, den unsere Juristen für einen aus sich selbst entstandenen
selbständigen Körper und für das wahre Wesen des Erbrechtes
halten, der aber bei jeder Annäherung an ihn verschwinden muß
und sich nur aus der leibhaftigen Gestalt, die diesen
ihren Schatten auf das ihrer Persönlichkeit entgegengesetzte Ele-
ment der Erde geworfen hat, erkennen läßt.
Was also Huschke, indem er dem Zivilrecht nachläuft, wirk-
lich in der Hand behält, ist so immer der Widerschein und
Schatten des prätorischen oder justinianeischen
Rechtes. Beide stehen in dieser Hinsicht im Prinzip einander
gleich; denn die prätorische bonorum possessio ist eben
das Erbrecht in der Reaktion und Absonderung vom zivilisti-
schen Erbrecht oder das Erbrecht als Vermögenserwerb,
auf welches der Geist des neben ihm bestehenden jus civile
als Widerschein fällt und es noch in seinem Abweichen
gliedert und bestimmt (vgl. S. 640 fg. und S. 643 fg., Note 1).
Das justinianeische Recht dagegen ist im Prinzip nur das
dieses Nebeneinanderbestehen aufgehoben habende, an
die Stelle dieses zivilistischen Rechtes getretene und somit
selber zivilistisch gewordene prätorische Recht; ein
Recht, in welchem daher der Geist des jus civile, der im
prätorischen Recht wegen des Nebeneinander beider sich
als Widerschein bestimmt, hier, wegen des Gewesen-
seins des Zivilrechtes, nur noch als Schatten tätig ist.
Da sich aber Widerschein und Schatten immer nur aus dem
beurteilen und erkennen lassen, aus welchem sie geworfen wer-
den, so erkennt Huschke notwendig auch diese nicht.
So zeigt Huschke eben deshalb das Irrige seiner gesamten
Auffassung des Zivilerbrechtes durch Bezugnahme auf diese
Stelle dadurch auf, daß er bonorum possessio und Zivilerbrecht
dabei als ihrem Begriffe nach ganz identische Dinge behandelt.
Bei dem Testament ex jure civili würde schon durch die
Form desselben die Gleichzeitigkeit zweier Testamente,
671
von der Ulpian hier beim prätorischen Testament spricht, ganz
unmöghch sein.
Eben deshalb ist aber Huschke nun noch nicht in bczug auf
das zivilrechtliche Testament in seiner Behauptung wider-
legt, daß ,,die Erbfolge aus einem anderen Testament mit der
testamentarischen Erbfolge unverträglich sein muß". Ja, es
scheint, daß sich hier diese Widerlegung gar nicht erbringen
lassen wird, weil hier wegen der unmöglichen Gleichzeitigkeit
der Testamente der individuelle Wille durch das zweite Te-
stament immer das erste von selbst aufgehoben haben wird.
Allein auch hier ist die Widerlegung zur Hand. Und zwar be-
steht sie in nichts anderem als in dem vorhin schon angezogenen
Falle des übergegangenen und dem eingesetzten Erben zur
Hälfte akkreszierenden suus (s. oben Nr. XXV und XXVI).
Der suus ist, wie wir sahen (siehe S. 535), selbst ein leben-
diges Testament, weil er selbst durch das eigene und
ausdrückliche Tun des Testators — durch die Zeugung
— von ihm gesetzte Willensidentität mit ihm ist,
und nur, weil er selbst ein lebendiges Testament ist, kann er
mit dem Testamentarerben teilen. Zugleich ist der suus ein
solches Testament, welches nicht stillschweigend durch
ein anderes, sondern nur durch ausdrückliche Exheredation
wieder aufgehoben werden kann. Ist dies nicht eingetreten,
so kann, wie sich in diesem Falle zeigt, das lebendige Testa-
ment mit dem anderen Testament sehr gut nebeneinander be-
stehen und sich vertragen.
Die Probe also, welche Huschke selbst für die Richtigkeit
seiner Deduktion vorschlug, ist nach allen Seiten hin höchst
kläglich ausgefallen.
Aber Huschke ruht nicht! Es reicht ihm nicht hin, teils
Dinge gesagt zu haben, die objektiv Irrig sind, teils sich selbst
Innerlich widerlegt zu haben. Es treibt Ihn rastlos, es auch
wieder herauszusagen, daß er nichts gesagt, daß er sich
nur In einem fort widersprochen habe. Und so sehen wir Ihn
denn, nachdem er lange schon scheinbar vollkommen beruhigt,
„den Grund unserer Regel gefunden", S. 301 in das Geständnis
ausbrechen : ,,An sich würde nämlich, wie auch oben bemerkt
wurde. In der Freiheit, auf welcher die Testamentserbfolge
beruht, kein Grund liegen, weshalb sie mit der notwendigen
672
Erbfolge nicht sollte konkurrieren können; umge-
kehrt müssen wir behaupten, daß der Erblasser zu-
gleich die gesetzliche Erbfolge für einen Teil
wollen könnte."
Ist es erhört! Oben, wenige Seiten vorher, erfuhren wir
als den letzten und wahren Grund unserer Regel, daß der
Wille, weil er unteilbar ist, „jede Konkurrenz eines an-
deren Willens mit sich ausschließend sei''. Dort
hatten wir das noch zu widerlegen und zu zeigen, daß nichts
von alledem wahr und ihm überdies durch Huschkes Lehre
beständig innerlich widersprochen sei. Hier zeigt Huschke, daß
er unserer Widerlegung gar nicht bedurfte; daß er das selbst
vollkommen einsieht! Jetzt gesteht er ein, es liege kein Grund
vor, daß der testamentarische Wille und derjenige ,,der not-
wendigen Erbfolge (die Intestaterbfolge, dasjenige, was nur
ganz subsidiarisch eintritt, wenn es einem Individuum ge-
fallen hat, nicht zu wollen, wird für Huschke, wie für die
Autoren überhaupt, zur notwendigen Erbfolge! Welche Lo-
gik!) nicht sollte konkurrieren können" ! Jetzt aber muß Huschke
„umgekehrt behaupten", daß eben die Unendlichkeit der Frei-
heit dahin führen würde, daß der Erblasser auch selbst
die Intestaterbfolge pro parte wollen, den Willen der-
selben als einen konkurrierenden in sich aufnehmen könne !
D. h. : Huschke muß jetzt alles das sagen, wovon wir oben
gegen seine Worte zeigten, daß er es von seinem Stand-
punkt aus notwendig sagen müsse! Aber wo bleibt denn nun,
v,'enn alles bisher Gesagte jetzt wieder umgeworfen ist, die
Regel nemo pro parte etc. und ihr Grund bei Huschke? Aber
Huschke fährt mit einem ,,Aber" fort, und wenn er ihn uns
also auch bis jetzt nicht gesagt hat, jetzt wird er ihn uns
sagen: „Aber," fährt Huschke fort, , .diese Freiheit steht, wie
v;ir jetzt sehen, noch unter einem Gesetze" (bis jetzt haben
wir ja eben nichts davon gesehen; das angebliche Gesetz ist
ja soeben zurückgenommen worden ! Aber das tut nichts ; war
das Gesetz auch bis jetzt nicht gesagt worden, so wird es uns
doch in den jetzt folgenden Worten mitgeteilt) : ,, indem der freie
Wollende selbst das Objekt seines Wollens ist, und dieses
Objekt nicht Produkt, sondern Voraussetzung seines freien Wil-
lens ist, fängt sich gleichsam die Freiheit in sich selbst, findet
21 LasMlle. Ges. ScKriften, Bsnd XII. 673
in sich selbst ihre Beschränkung, und in dieser Be-
schränkung durch sich selbst liegi der Giund unserer Regel!!"
Nicht die Freiheit fängt sich, sondern Huschke fängt sich !
Die Wortjägerei des Verstandes fängt sich, fängt sich in einem
Gewirr gebirgshoch sich türmender Worte, in einem Satze,
der, wenn er von einem Philosophen herrührte, allein hin-
gereicht hätte, um bei den Juristen die Philosophie auf Jahre
wegen nebulosester Unklarheit, Abstraktion und Wortreiterei
in Verruf zu bringen! Hinter diesem Wortgebirge, hinter dem
der Verstand sich vor sich selbst versteckt hat. fühlt er sich
endlich vor sich und anderen sicher 1 Das ,,Nest von Wider-
sprüchen", um mit Kant zu reden, in das sich der Verstand
durch dieses Wortgeräusch geflüchtet hat, wollen wir nicht
hier noch einmal entwirren! Es sind immer die alten, stets
wiederkehrenden, an denen der Verstand würgt und würgt, bis
ihm vor Anstrengung die Augen aus dem Kopfe treten, ohne
sie doch hinunterwürgen zu können. Aber was wir noch zeigen
müssen, ist, wie er bei jedem neuen Versuche, sich zu retten,
sich in immer größeren Widerspruch mit seinem Stoffe ver-
wickelt. Der Grundsatz nemo pro parte etc. soll also, nach
Huschkes Schlußerklärung, darin seinen Grund haben, daß die
Freiheit des Testators in sich selbst eine ,, Beschränkung"
findet ! Aber es ist ja wie mit Händen zu greifen, daß der
Grundsatz gar keine Beschränkung für den Testator
und seine Freiheit darstellt! Worin sollte denn die Wil-
lensfreiheit des Testators durch ihn beschränkt sein? Der Te-
stator kann ja ganz beliebig, wie er will, Testamentserben und
Intestaterben bunt durcheinander würfeln und in jedem belie-
bigen Verhältnis einsetzen! Also nicht im geringsten für die
testierende Freiheit, sondern nur die außerhalb des Testa-
mentes Stehenden und dasselbe Beurteilenden enthält der
Grundsatz eine Beschränkung! Mit anderen Worten: der
Grundsatz enthält nur eine Regel der logischen Interpre-
tation des im Testament vorhandenen Willens und nicht im
geringsten eine Beschränkung des testierenden Willens und seiner
Freiheit !
Es ist die einfachste Regel der logischen Interpretation, daß,
wer schwarz sagt, nicht angesehen werden könne, als ob er
weiß sage, wer testatus stirbt, notwendig nicht intestatus stirbt,.
674
wer sagt: icli heiße von jetzt ab Paul, niclit gerufen werden
könne: Peter!
Und um dieses einfachsten Satzes willen, der, sowie der
römische Erbiumsbegriff erst verstanden ist, zur höchsten 1 ri-
vialität herabsinkt — weshalb Papinian den Verstoß dagegen
auch mit Recht absurd nennt — , diese rasenden, fünfzig
Seiten füllenden Anstrengungen Huschkes und ein so gänz-
hch gescheitertes Resultat !
Auf einer solchen Grundlage lassen sich natürlich dann
auch keine wahrhaften Konsequenzen gewinnen, und Huschkes
weiteres Bestreben, die Wirkungen der Regel zu durchdringen,
muß ebenso vergeblich bleilx;n, wie dasjenige, die Regel selbst
zu gewinnen.
Nach wie vor laufen richtige Ahnungen und die höchsten
Verkennungen auf jedem Punkte, sich untrennbar durchdringend,
durcheinander ; nach wie vor bleiben die Auflösungen der erb-
rechtlichen Sätze, die Kuschke beleuchtet, bloße Schein-
und Wort auf lösungen, im günstigsten Falle in reiner Tauto-
logie dasselbe wiederholend, was uns die römischen Juristen
in den betreffenden Sätzen sagen, und ob dieser Tautologie den
befriedigten Schein innerer begrifflicher Erkenntnis annehmend ;
nach wie vor vollzieht sich an Huschke das Schicksal des
Verstandes, daß gerade, je richtiger die Ahnung ist, die in
ihm arbeitet, desto größer und abgrundartiger der Irr-
tum ist, in den er fallen muß. Huschke (S. 306, 307), alles
immer sehend, was mit dem Verstände gesehen werden kann,
wirft zuerst und allein von allen Autoren den trefflichen Blick,
daß das Intestaterbrecht nicht erst selbst den suus ein-
setze und berufe, noch berufen könne, sondern indem es
sich ausdrückt: ,,cui suus heres nee escit", dadurch sein ,, durch
Naturgesetz schon vorhandenes Erbrecht als ein solches
erwähne und dadurch anerkenne" (vgl. oben Nr. XXI und
XXVI und S. 534 fg.). Wer sollte nicht glauben, daß Huschke
durch diese Bemerkung sich auf den besten Weg gebracht hat,
in den Begriff des suus einzubrechen? Aber nein! Auch dieser
richtige Blick, den er selbst wirft, bleibt bei ihm — gläsern!
Kein geistiger Strahl der Erkenntnis der Suität entzündet sich
aus ihm. und wir sahen bereits, wie Huschke trotzdem den
Cicero tadelt, der durch seine Worte gerade dies nicht durch
21- 675
das Gesetz eingesetzte Wesen des suus so deutlich her-
vortreten läßt, und wie er den suus in seinem Wesen als ebenso
testamentarischen wie Intestaterben, als die Einheit von beiden,
die dann sowohl das Verständnis des ganzen Intestatrechtes,
sowie die Bedeutung des Grundsatzes nemo pro parte etc.
von selbst aufschließt, in keiner Weise begriffen hat. Aber
nicht nur der Blick bleibt gläsern — ■, sondern jeder rich-
tige geistige Inhalt, der auf die verschiebende Netzhaut des
Verstandes geworfen wird, muß sich zum Ungeheuerlichen
der Karikatur verzerren. Oder, wie wir soeben sagten, je
richtiger die Ahnung ist. die in dem Verstände arbeitet, desto
größer und abgrundartiger muß der Irrtum sein, in den er
fällt. Und Huschke legt das wieder auf das schlagendste dar!
Denn weil er den richtigen Verstandesblick wirft, daß das
Zwölftafelgesetz durch jene negative Wortfassung den suus gar
nicht selbst einsetzt, so faßt er nun — an derselben Stelle —
das Wesen des suus also auf: ..Daher beruht denn auch das
Erbrecht der sui heredes als solches eigentlich auf gar
keinem def erierenden Willen, nicht auf dem des
Testators, wie sich von selbst versteht (!!), ebenso-
wenig aber auf dem des Gesetzes usw." Alles hängt lediglich
und allein davon ab, zu begreifen, wieso der Wille des
Testators im suus als schon vorhanden und fort-
existierend gesetzt ist, — Huschke kommt umgekehrt
dazu, den suus als nicht auf dem Willen des Testators be-
ruhend, einen römischen Erben ohne den Willen des Testa-
tors, ja, zu der noch größeren Ungeheuerlichkeit, ein
römisches Erbrecht, das auf gar keinem def erierenden
Willen beruht, zu kennen! Und nochmals hebt Huschke in
dem soeben abgebrochenen Satze dies auf das bestimmteste her-
vor: „. . . ebensowenig aber auf dem des Gesetzes, welches,
die Natur dieses Verhältnisses richtig auffassend, nur sagte:
wenn jemand ohne Testament sterbe, der keinen suus heres
habe, so sollte der nächste Agnat Erbe sein — also still-
schweigend dieses Erbrecht als dem, welches auf einem
Willen beruht, vorausgehend betrachtete". Das Zwölf-
tafelgesetz läßt zwar den Satz vom testamentarischen
Erb tum diesem Satze, welcher den suus erwähnt, unmittelbar
vorhergehen, und zeigt so schon durch seine formelle Stel-
676
lung, daß es das Erbrecht, welches, um mit Huschke zu reden,
„auf einem Willen beruht", als dem suus ,,vo raus gehend"
betrachtet! Das Zwölftafelgesetz wiederholt dies zwar noch
in dem Satze selbst, in welchem es den suus erwähnt, indem
es ihn nur erwähnt — si intestatus moritur. Macht nichts! Für
den Verstand wird umgekehrt dadurch das angeblich auf kei-
nem Willen beruhende Erbrecht des suus zu einem von dem
Zwölftafelgesetz als dem, welches ,,auf einem Willen beruht",
,,vor ausgehend" betrachteten. Sehen wir jetzt nach dieser
näheren Betrachtung den zuerst von uns belobten Satz Huschkes,
das Intestatgesetz könne bei dem suus ,,nur sein durch Natur-
gesetz schon vorhandenes Erbrecht als ein solches erwähnen
und dadurch anerkeniien", nochmals an, so sehen wir jetzt, wie
schon hier neben und in dem Richtigen auch das ganz Falsche in
untrennbarer Durchdringung vorhanden war. Denn jetzt hat
sich uns nur erklärt, was Huschke unter dem ,,durch Natur-
gesetz" vorhandenen Erbrecht des suus gemeint hat, nämlich
ein im Gegensatz zum Willen des Testators vorhandenes
selbständiges Familienrecht, also ganz wieder das alte Ge-
rede vom Intestaterbrecht, als einem Recht der natürlichen
Familienverwandtschaft und der Naturnotwendigkeit; eine Auf-
fassung, die bei Gans zu ihrer geistvollsten Verklärung gekom-
men, und die Huschke, wie wir schon früher sahen, trotz allem,
was er gegen Gans sagen mag, im Grunde vollständig mit
ihm teilt.
Da Huschke den Begriff der sui so vollständig verfehlt,
so kann es natürlich auch nicht wundernehmen, daß er den Grund
ihres erbrechtlichen Verhältnisses und ihrer Benennung in ganz
derselben durchaus unwahren Weise erklärt, wie wir dies oben
bei Gajus u. a. (Nr. XXI) gefunden haben. Huschke erklärt
also (S. 306) die sui dadurch, sie seien vermöge ihrer Per-
soneneinheit mit dem Erblasser , .gewissermaßen schon bei
seinen Lebzeiten in ihm Eigentümer des Ve r m ö g e n s ,
und der Tod des Erblassers bewirkt nur, daß dieses ihr
Recht (nämlich Eigentümer des Vermögens zu sein), welches
bis dahin noch in des Erblassers potestas oder manus ver-
borgen lag, frei hervortritt". Also ganz wieder das alte, mit
sich selbst und dem Rechtsfaktum vollständig in Widerspruch
stehende Gerede des Gajus von dem ,,quodammodo domini"
677
des Vermögens sein, welches wir bereits oben (S. 303) aus-
reichend widerlegt und vielmehr als ein „nullo modo domini"
nachgewiesen haben.
Aber warum muß denn Huschke den Begriff des suus ver-
fehlen, warum kann ihm auch jene Bemerkung dazu keinen
Weg bahnen ? Nun, notwendig wieder wegen der alten Ve r -
mögensauffassung der Erbschaft. Dies ist in dem eben zitier-
ten Satze schon sehr deutlich hervorgetreten und zeigt sich noch
deutlicher m einem anderen Satze. Er sagt (S. 305) : ,,Wcnn
jemand Deszendenten hinterläßt, welche durch seinen Tod in
seiner familia siii juris werden, so sind diese nach der Natur
der familia sui heredes, d.h. sie beerben in diesem Ver-
mögen gleichsam sich selbst." Aber was hat denn das zum
Erben seiner selbst werden des suus (s. oben S- 311)
mit dem ,,in diesem Vermögen" zu tun? Der suus als
Erbe wird suus heres oder Erbe seiner selbst, indem die
ideale Willenssubjektivität, die ihm der Erblasser als Erben
überträgt, auch bisher schon an sich die seinige war,
er also jetzt nur zum Subjekt seiner selbst, seines bis-
herigen Selbst umgewandelt w ird (während er, enterbt, zwar
auch sui juris v/ird, aber als eine andere, neue Willens-
subjektivität gegen den Erblasser, wie der emancipatus). Irgend
etwas von diesem Verhältnis dämmert auch, wenn auch noch
so sehr in täuschend ahnungsvoller Verschwommenheit, dem
Verstände ; das zeigt sich deutlich, indem er auf das „sui
juris werden" Bezug nimmt. Huschke möchte gern durch-
brechen dahinein, daß der suus als Erbe nur sich selber, sein
eigenes Subjektsein, findet, und so bricht er denn durch in
— das Vermögen xmd läßt den suus ,,in diesem Ver-
mögen" gleichsam sich selber beerben! ,,Im Vermögen"
freilich kann der suus sich und seine eigene Subjektivität nicht
finden ! Sonst werden wir nächstens noch zu hören bekommen,
daß die römische Subjektivität im Vermögen liegt und aus
diesem vom Subjekt erworben wird! Und so treibt denn gerade
auch jene leise, sch\\anke Ahnung den Verstand immer nur in
das tapfere, gedoppelte und komische Fiasko, den suus, der
grundsätzlich nie etwas haben kennte, zu einem zu machen, der
„gewissermaßen" seit je ,,EigeRtümer des Vermögens"
ist, und ihn zu einem Erben zu machen, der nicht — sich
678
selbst erbt, sondern, obgleich er gesund und munter und
noch gar nicht gestorben ist, sich selbst ..beerbt"!
So gehen denn auch bei der Suität dieselben ächzenden,
stöhnenden, würgenden Wortabmarterungen fort, dasselbe sich
Sichselbstgegenüberstellen und Sichgesichterschneiden der Wi-
dersprüche tritt ein. ganz wie oben bei der hereditas. nur dali
es überflüssig wäre, dies noch einmal ganz in derselben Aus-
führlichkeit darzustellen.
Die höchste Beruhigung, zu der es diese Methode bringen
kann, ist die rein tautologische Versicherung dessen, was uns
die römischen Juristen in sinnlichen Ausdrücken und Fällen
sagen, in anderen, abstrakter und allgemeiner klingenden Wor-
ten, wobei mit jedem Ansatz, in dieser Tautologie einen gei-
stigen Grund zum Vorschein zu bringen, sofort aus der nichts-
sagenden Tautologie in den entschiedensten Irrtum verfallen
werden muß. So will Huschke erklären, warum die präterierte
Tochter und der präterierte Enkel, obwohl sie sui sind, dennoch,
wenn ein extraneus eingesetzt, nur zur Hälfte akkreszieren, wo-,
von wir oben (Nr. XXV) die tiefe begriffliche Notwendigkeit
entwickelt haben. Huschke seinerseits begründet dies Resultat
so (S. 310 fg.): Der Sohn gehöre wesentlich ,.zu der Drei-
einheit, aus welcher die familia besteht", wie sich auch in den
Namen pater, mater, filius familias zu erkennen gebe. Er
erinnert an das indische Gesetz des Menn, IX, 45 : ..Der voll-
kommene Mann besteht aus sich selbst, seinem Weibe und seinem
Sohne." ..Weit vollständiger und tiefer aber" habe noch ,,das
römische Recht diese Naturwahrheit aufgefaßt und angewandt".
— Unglücklicherweise ist der römische Geist und das römische
Recht dieser indischen Anschauung des Menschen als eines
erst in der Familie zu seiner Vollständigkeit gelangenden Glie-
des sehr fern! Der römische Geist schaut den Menschen viel-
mehr schlechterdings als Subjekt, als die Selbständig-
keit der für sich seiendenWillenssubjektivität, nicht
als Familienperson in dem hier entwickelten Sinne an. Außer
dem. daß dies dieser ganze Band beweist, genüge es, dafür
anzurufen, daß. wie uns die römischen Juristen nicht umsonst
berichten, der Sohn sofort dadurch, daß er sui juris wird,
wenn er auch weder Weib noch Kind hat, schon paterfamilias
ist! (Ulpian, L. 195. § 2, de V. S. 50. 16.) Diese Fähig-
67Q
kcit des für sich seienden Willens, nicht der reale
Inhalt, den sich derselbe gibt, ist es also, der den Römer zum
paterfamilias macht. Huschke läßt vielmehr in jenem Satze
von der ,, Dreieinheit, aus welcher die familia besteht",
nur auf das deutlichste hervortreten, daß er, trotz alles Stu-
diums des römischen Rechtes ein guter Germane, die (römi-
sche) familia und die (deutsche) Familie vollständig mit-
einander verwechselt. Dem Römer bedeutet familia — und
solange man dies nicht erkennt, ist freilich gar kein Verständnis
des römischen Erbrechtes möglich — nicht Familie, nicht
ein Verwandtschaftsverhältnis, sondern, wie wir früher gezeigt
haben (vgl. S- 538fg.), einfach die Willensherrschaft
des Subjektes und das ihr Unterworfene. Daher kommt auch
familia ursprünglich von famulus, famulor, Diener, die-
nen, wie dies von selbst klar ist und wir dies außerdem von
Feslus bereits positiv bezeugt gesehen haben. Daher kommt,
daß bei den Römern unter familia nicht bloß Weib und Kind,
sondern Sklave, Geld und Gut, kurz alles, wovon der Wille
das Subjekt ist, befaßt wird. Daher kommt es, daß es
heißt : paterfamilias, materfamilias, filiusfamilias, filiaf amilias,
das erste als Subjekt dieser Willensherrschaft, die anderen
als die ihr Unterworfenen. Daher kommt es endlich,
daß, worüber Huschke in der Anmerkung daselbst seine Ver-
wunderung nicht ganz unterdrücken kann, die Zwölf Tafeln
,,familia schlechthin für eine einzelne Person" setzen kön-
nen, z. B. agnatus familiam habeto, d. h. er habe des Toten
Willensherrschaft. — So führt uns denn der Begriff, die
Sprache und die positiven Zeugnisse gleichmäßig von der phan-
tasievollen indischen Anschauung des Menn bei den Römern
zu dem Begriff der selbständigen subjektiven Willens herr-
schaft und des ihr Dienenden hin, wobei es nun freilich
mit der ,,Dreieinheit , aus welcher die familia besteht",
nichts ist.
Huschke fährt fort: deshalb habe nun der filius „auch
ebenso unmittelbaren und vollen Anspruch auf das Familien-
vermögen nach des Vaters Tode, wie dieser es bei seinen
Lebzeiten hat". Soviel Zeilen, soviel schwerste Irrtümer! Er-
stens gibt es gar kein römisches Familienvermögen. Zweitens
hat ja der suus überhaupt gar keinen Anspruch auf das Ver-
680
mögen, sondern höchstens nur auf das Erb tum. Um nicht
Erbe zu sein, muß er exherediert werden. Hierin kann also
ein gewisser Anspruch auf da3 Erbe sein liegen. Aber abge-
sehen davon, daß der Vater dem suus als Erben vor der
Falcidia das Vermögen durch Legate entziehen kann, kann er
ihn ja auch auf Eintausendstel usw. als Erbe einsetzen, und
hiergegen hat der suus keinen Schutz. Also auch wenn er
Erbe ist, wenn er in gewisser Weise darauf, Erbe zu sein,
Anspruch hat, — auf das Vermögen hat der suus keinerlei
Anspruch, auch nicht bei des Vaters Tode. Statt aber hieran
zu sehen, daß Erb tum und Vermögen im römischen Recht
ganz auseinanderfällt, leiht Huschke dem suus kurz und gut
einen „unmittelbaren und vollen Anspruch auf das Fami-
lienvermögen nach des Vaters Tode". Aber Huschke soll
erklären, warum das nun nicht in gleichem Maße bei der
Tochter und dem Enkel stattfindet, und fährt daher fort: ,, So-
wohl Tochter als Enkel dagegen gehören nicht absolut und
vollständig zur familia (?!); die Tochter nicht, obgleich sie
auch filiafamilias heißt" (mit der ,,Dreiemheit" ist es also
nichts), ,,weil sie das Kindesverhältnis nicht vollkom-
men ursprünglich und eigentümlich" (warum), ,, son-
dern bloß sekundär als geschlechtlich-mindere Ab-
zweigung des filiusfamilias in sich enthält" (aber warum
enthält sie es denn in , .geschlechtlich-minderer Abzweigung"
in sich ? Danach fragt man ja eben ! Das römische Recht macht
ja sonst keinen Unterschied zwischen dem Erbrecht der filia
und des filius), ,,und eben deshalb nicht in dem Gattungs-
gliede (?) des Vaters als Kind, sondern vielmehr als mafer-
familias in dem Hause ihres zukünftigen Ehemannes ihre wahre
Bedeutung hat." Es ist stark und originell von Huschke, der
Tochter zu bestreiten, daß sie ebenso gut , .vollkommen ur-
sprünglich und eigentümlich" ein Kind ihres Vaters
sein und also das ..Kindesverhältnis in sich enthalten" könne,
wie auch ein Sohn ! Jedenfalls aber ist der von ihm angegebene
Grund, die Tochter habe , .nicht in dem Gattungsgliede des
Vaters als Kind, sondern vielmehr als mß/^rf amilias in dem
Hause ihres zukünftigen Ehemannes ihre wahre Bedeutung",
gerade das Gegenteil des richtigen Grundes. Es ist um-
gekehrt: als Kind stellt die Tochter das Kindesverhältnis
681
ebenso vollkommen, ebenso ursprünglich und eigentümlich dar
wie der filius; als Kind füllt sie ihre Stellung ebenso gut
aus wie der filius. Aber geraüo als ma/^/-familias, in dem
Hause ihres zukünftigen Ehemannes, füllt sie die ,, wahre Be-
deutung" des Erben, die Ro'le der \Vi llcnsub jek tivi tat,
nicht mehr aus. Denn sie steht nur in der Gewalt des
Vaters — darum ist sie, als Kind genommen, dasselbe, was
der filius — , aber sie kann nicht in der Gewalt haben;
also gerade als maferiamiWas ist sie mangelhaft und entspricht
somit nur zur Hälfte dem Begriff, perpetuierende Fortexistenz
der Willenssubjektivität zu sein.
Huschke, nachdem er den Grund bei der Tochter nicht er-
klärt hat, will nun den Enkel erklären, und fährt fort : ,,Der
Enkel nicht" (d. h. gehöre nicht absolut und vollständig zur
familia), ,,weil er gar nicht mehr eine von jenen drei Posi-
tionen, Vater, Mutter, Kind, in der Familie des Gewalt-
habers einnimmt — daher auch nicht neposfamilias — , sondern
vielmehr zu der Dreieinheit seines Vaters als Sohn gehört
und naturgemäß erst durch den Tod des Großvaters in
der Familie seines Vaters als filiusfamiUas seine wesentliche
Gattungsbedeutung erhalten wird." Hier also muß die ,,Drei-
einheit" herhalten, von der wir schon oben gesehen haben,
daß es nichts mit ihr ist. Der Enkel also gehört nicht mehr
zur „Dreieinheit der familia", ist nicht mehr ,,Kind ". Aber,
wenn dies der Fall, warum beerbt er, wenn sein Vater tot ist,
den Großvater dennoch als suus ? Und besonders, warum be-
erbt er ihn, als einziger Sohn eines toten suus, zu gleichen
Teilen und also zu gleichem Recht mit einem anderen noch
lebenden filius? Es ist ein Glück, daß Huschke sich dies in
diesem Augenblicke nicht einfallen zu lassen beliebt, sonst
würden wir wieder zu hören bekommen, v/Ie der Enkel, ob-
wohl er nicht Kind sei, dennoch Kind sei, und wie, obwohl er
keine von jenen drei Positionen einnehme, er dennoch eine von
jenen drei Positionen einnehme, und wie, obwohl er nach
Huschke erst „durch den Tod des Großvaters seine Gattungs-
bedeutung erhalten" kann, er doch nicht erst durch den Tod
des Großvaters seine Gattungsbedeutung erhält ; d. h. die Wider-
sprüche würden wieder anfangen, sich hin und her zu zerren und
ihren tollen, wirbelnden Sankt -Veitstanz aufzuführen.
682
Durch diese Erklärungsmethode des Verstandes, wobei er
die gute, derbe, sinnliche Erscheinung — den Bericht der
römischen Juristen — nur mit triumphierender Miene in reflek-
tierte, verallgemeinernde Ausdrücke übersetzt, durch diese Er-
klärungsmethode, die Moliere schon so unsterblich charakteri-
siert hat, indem er den Bakkalaureus auf die Frage, warum das
Opium einschläfert, antworten läßt: „Quia ei vis inest quaedam
dormitiva" — durch diese Erklärungsmethode ist natürlich nicht
nur nicht das Geringste gewonnen, sondern das gesunde, sinnliche
Faktum nur noch verdorben, indem ihm diese verallgemeinernden^
Ausdrücke eine Beziehung auf ein Wesen gegeben, welches, wie
wir gesehen haben, gar nicht das sein ige ist.
Warum überhaupt das Intestatrecht dieser sul anders sein
muß, als das ihrer testamentarischen Akkreszenz, warum die
filia und der ncpos nach seines Vaters Tode sowohl sind als
nicht sind, was der filius, warum der Unterschied ihrer nur
bei dem Eindringen in das Testament, nicht ab intestato zum
Vorschein kommen kann, warum sie — worin besonders dies
begriffliche Verhältnis erst in seiner Bestimmtheit her-
vortritt — als präterierte sul unter Umständen besser
und schlechter daran sein müssen, denn als ab intestato be-
rufene sui — eine wahrhafte Erklärung dieser Fragen, die
wir sub Nr. XXV und XXVI zur Entwicklung gebracht, kann
von dieser Methode auch nicht nur einmal versucht v.'erden.
Wir könnten in derselben Weise wie bisher den Huschkeschen
Aufsatz noch Zeile für Zeile bis an sein Ende begleiten; wir
glauben aber, daß das Bisherige mehr als hinreicht. Unser
Zweck, der über und über erfüllt sein muß, war, an dem muster-
haften und glänzenden Beispiel dieses Aufsatzes einen Beitrag
zur Physiologie des Verstandes zu liefern, der In der
juristischen Materie ausschließlicher als irgendwo wütet und
von jeher — seit dem Untergange Roms — gewütet hat; unser
Zweck war nicht der, Huschke zu verunglimpfen oder zu ver-
kleinern. Im Gegenteil! Wäre sein Verstand nicht der
höchste, sein Scharfsinn nicht der begabteste und nor-
malste — er v/ürde sich gar nicht dazu geeignet haben, an
seinem Beispiel diesen Sektionsprozeß durchzuführen, und wir
haben es schon früher ausgesprochen (S. 26, Note 1), daß
dieser Aufsatz, so sehr er sich überall selbst vernichtet und
683
überall in die radikalsten Irrtümer fällt, so wenig er auch —
schon 1834 erschienen — in der späteren Literatur eine be-
fruchtende Einwirkung hervorgebracht hat und hervorbringen
konnte, uns dennoch als das Höchste erscheint, was bisher
auf dem erbrechtlichen Gebiet geschrieben worden, und in ge-
wisser Hinsicht selbst Gans überlegen ist. Denn auch Gans
gehl lediglich von dem empirisch-verständigen Erbschaftsbegriff,
von dem Vermögen als dem Begriff der Erbschaft aus, wie
wir dies überall nachgewiesen haben, und bei ihm ist der Wider-
spruch desselben noch nicht einmal sich fühlbar und zur Marter
geworden wie bei Huschke. — Die Auflösung dieses schein-
baren Widerspruches in unserer Beurteilung des Huschkeschen
Aufsatzes ist sehr einfach. Es gibt drei Sorten von Verstand.
Der eine ist der, der immer nur die eine Seite der Sache
sieht — dies ist der beschränkte Verstand. Der andere Ver-
stand ist derjenige, welcher entwickelt genug ist, um beide
Seiten der Sache zu sehen, aber sie immer nur abwechselnd,
nie gleichzeitig sieht. Dies ist der gebildete, ent-
wickelte Verstand. Da er die beiden Seiten der Sache nur
abwechselnd sieht, so fühlt er ihren Widerspruch nicht.
Er lebt daher mit Gott und der Welt zufrieden, vor allem mit
sich selbst, stellt jede Seite der Sache in einen besonderen
Winkel und vergißt jedesmal die eine ganz, wenn er die andere
braucht und hervorholt. Der seltenste und höchste Ver-
stand ist der, welcher gleichzeitig beide Seiten der Sache
sieht, eben deshalb aber auch ihren Widerspruch fühlt.
Da er ihn fühlt, so bildet er seine Marter, und darum voll-
zieht sich gerade an diesem höchsten Verstände jenes Strafge-
richt: er will den Widerspruch der beiden Seiten gewaltsam
ausgleichen, der ihn rastlos wie einen Ball sich in die Arme
wirft, will, da er ihn in der Sache nicht versöhnen kann, ihn
mindestens in den Worten verlöschen, und nun beginnt jene
wilde Jagd der Worte, aus jeder noch so verwischten Fassung
derselben schallt ihm aus der Tiefe seines Gewissens aufs neue
das gelle Hohngelächter des einmal erkannten Widerspruches
entgegen, er kann ihn nicht zum Schweigen bringen, und mit
allem Hin- und Herzerren hat er sich den Marterpfahl des
Widerspruches nur um so tiefer in den Leib gerannt, ist nur
684
in einen um so tieferen Abgrund des Falschen und Widerspre-
chenden hineingefallen, und wenn er zuletzt endlich atemlos,
schweißtriefend, zitternd die tolle Jagd aufgeben muß. so ist
es nur die Verzweiflung an der unmöglichen Aufgabe, die
Ihn bestimmt, endlich mit vor Resignation geschlossenen Augen
bei einem Satze stehen zu bleiben, dem er selbst schon zwanzig-
mal widersprochen und dem er, wenn er noch weiter darüber
fortführe, noch andere zwanzigmal widersprechen würde.
Zum Begriff, welcher keine zwei Selten mehr hat, son-
dern für welchen dann die zwei Seiten des Verstandes eben
nur sinnliche, täuschende, aus seiner Inneren Einheit her-
ausgeschickte Reflexionsaußenseiten sind, vermag der
Verstand auf dieser tollen Jagd nie durchzudringen! Je mehr
er sich ihm zu nähern scheint, desto mehr entfernt er sich von
ihm. Denn es geht nicht mit dem Begriff wie mit der Königs-
krone, die David fand, als er ausging, seines Vaters Esel zu
suchen. Wer nicht vom Begriff ausgeht, wird Ihn nicht
finden!
Einerseits sieht man jetzt erst, mit welcher Notwendigkeit
die Savignysche Verstandesklarheit, dieses unaufhörlichen Wi-
derspruches müde, das Persönhche in der Erbschaft nun auch
bewußt aufgab (s. oben S. 26 — 35). Andererseits ist aber
die geschilderte Selbstfolterung das höchste Stadium, zu dem
es der Verstand bringen kann, und nur der höchste Verstand
kann in diese Qual verfallen. Es läßt sich deshalb mit einem
ganz anderen Rechte, als dasjenige ist, mit welchem Huschke
dem Vermögen das , .Sehnen" nach Wiederbelebung zu-
schreibt, dieser Aufsatz als ein Sehnen des Verstandes nach
dem Begriff charakterisieren!
Der Huschkesche Aufsatz stellt Insofern seinerseits einen
der stärksten Beweise für die Wahrheit und Objektivität
unserer Auffassung und Entwlckelung des Erbrechtes dar, und
bekräftigt jetzt auf das entschiedenste das, was wir schon sub
Nr. I über die Selbstauflösung in den bisherigen Ansichten
über das Erbrecht nachgewiesen haben.
Nicht indes zum Zweck dieses literarhistorischen Beweises,
den unsere Arbeit, die zu ihrem wahrhaften Beweis das ge-
samte Material des römischen Erbrechtes hat, entbehren könnte,
685
haben wir diese Physiologie des Verstandes geschrieben. Wir
haben sie vielmehr geschrieben einzig um der Hoffnung willen,
dadurch vielleicht mindestens den jüngeren Juristen an dem
Beispiel jenes scharfsinnigsten Mannes bis zur Evidenz klar
zu machen, zu welcher notwendigen Resultatlosigkeit sie ihr
Streben verdammen, wenn sie sich nicht der Methode be-
mächtigen, die allein Erkenntnis hervorbringen kann.
686
XLI. Die religiöse Substanz und die pelas-
gisch-etruskische Vorzeit.
Schon im Anfang dieser Untersuchung, seitdem wir das
Testament als die ,,römische Unsterblichkeit", als die
Unsterblichkeit der Willenssubjektivität entwickelt, war be-
reits der religiös-metaphysische Grundcharakter des
römischen Erbtums bloßgelegt, und von allen Seiten aus
hatte uns die Untersuchung immer von selbst wieder darauf
zurückgeführt und diese religiös-metaphysische Anschauung
als die gestaltende und produzierende Stelle des erbrecht-
lichen Stoffes erwiesen.
Allein noch haben wir nur diese religiöse Substanz in
dem realisierten Ausdruck betrachtet, den sie sich
im Recht gibt; noch haben wir sie nicht in ihrer eigensten
und ursprünglichsten Heimat aufgesucht, noch haben wir
sie nicht a 1 s religiöse Substanz oder im Gebiete des Re-
ligiösen selbst betrachtet und nachgewiesen. — Dies ist
es, was noch übrig bleibt. Wenn unsere Lehre richtig sein
soll, so wird sich auch noch nachweisen lassen müssen, wie
dasselbe, von dem wir gesehen haben, daß es im Erbrecht
herausgesetzt und entwickelt ist, auch schon in der spezi-
fisch-römischen Religionssubstanz in embryonisch-zusam-
mengefaltetem Zustand typisch vorhanden ist. Als die
Grundlage dessen, was sich im Recht und zum Recht
nur entwickelt, würde dieser Nachweis nach streng logischer
Konsequenz selbst formell den Ausgangspunkt unserer Un-
687
tersuchungen haben bilden, und noch vor der Behandlung
der Sacra (Nr. II) seine Stelle haben finden müssen.
Allein das logische Interesse trat hier in zu großen
Gegensatz mit der psychologischen Rücksicht auf den
Leser, um dieser nicht aufgeopfert zu werden. Wer die
Organisation des entwickelten Menschen kennt, mag bei
scharfer Betrachtung sie im Embryo vorbildlich wieder-
finden können. Niemals aber wird umgekehrt, ohne die
Beziehung auf jene schon bekannte entwickelte Gestalt, das
im Embryo Enthaltene verstanden zu werden vermögen.
Diese Betrachtung also kann jetzt erst statthaben. Dazu
aber, sie überhaupt vorzunehmen, drängt auch noch eine
andere Erwägung.
Wir haben darauf ausgehend, das römische Erbrecht
zu begreifen, die Geschichte des römischen Geistes
geschrieben. Wir haben gesehen, was der römische Geist
ist, das kulturhistorische Prinzip der subjektivenWil-
lensunsterblichkeit, das er darstellt und das ihn be-
fähigt, der welthistorische Vorgänger der subjektiven
Geistesunsterblichkeit, oder des Christentums zu
sein ; wir haben gesehen, wie er mit diesem Begriff von
Haus auf auftritt, wie er sich vermöge der, in ihm selbst
liegenden Keime und Bewegungsgesetze diesen seinen spe-
zifisch-römischen, oder, was dasselbe ist, zivilistischen Be-
griff mehr und mehr in den geschilderten emzelnen Phasen
seiner Bewegung abreiben, und in dieser fortlaufenden Ent-
nationalisierungsarbeit endlich sich selbst zu jenem geistigen
jus gentium, zu jenem allgemein -menschlichen und kosmo-
politischen Residuum seines Prozesses entwickeln muß,
in welchem er selbst, nach seiner historisch-geistigen Be-
stimmtheit, in sein striktes Gegenteil untergegangen, und so
nur noch — aber auch so gerade — zu dem geeigneten
Boden geworden ist, den christlichen Geist in sich auf-
688
zunehmen. Der römische Geist vollbringt also auch in
seiner Bewegung nichts anderes als dies, sich auch realiter
dahin fortzubewegen, als dessen Vorstufe er sich
seinem eigenen Begriffe nach uns von Haus aus be-
stimmt hatte. Er vollbringt in seiner Geschichte und Be-
wegung nichts anderes, als dies, diesen logischen Zu-
sammenhang seines Begriffes durch die eigene Dialektik
desselben auch weltgeschichtlich zu erfüllen.
Allein für eine Geschichte des römischen Geistes reicht
es noch nicht hin, seinen Inhalt, die Phasen und Stadien
seiner Bewegung und sein Ende aufgezeigt zu haben. —
Wie das Wohin desselben, wäre es auch noch erforder-
lich, sein Woher nachzuweisen. Um die ganze kultur-
historische Rolle und Bedeutung des römischen Geistes zu
überblicken — und dies allein heißt die Geschichte eines
historischen Volksgeistes geben — wäre es auch
noch erforderlich, die Anfänge desselben, oder das Wor-
aus, aus welchem sich dieser bestimmte historische Geistes-
begriff entwickelt hat, nachzuweisen. Als das Woraus
seines Entstehens fallen diese Anfänge nicht mehr in die
Zeit und Bewegung seines Entstandenseins oder in
seine Geschichte. Dem entsprechend haben wir auch be-
reits früher (S. 528 — 535) die Notwendigkeit erkannt, daß
und warum die Idee des testamentarischen Erbtums nichts
innerhalb der römischen Geschichte Entstandenes ist und
sein kann, sondern die Physiognomie bildet, welche die-
ser bestimmte Geist sofort an sich trägt, als er auftritt.
Gerade wie beim einzelnen Menschen selbst die Anfänge,
aus denen er entstanden, nicht mehr in den Anfang sei-
ner eigenen Bewegung — seines Lebens — hinein-
fallen, sondern diesem vorhergehen und nur in dem in
einem anderen Leben vorhandenen embryonischen Zu-
stande gegeben sind, aus welchem sich dieses Individuum
22 Lwsalle. Ges. SeKriften. Band XII. 689
entwickelt hat, welcher aber nicht mehr innerhalb des eige-
nen Lebens dieses Individuums fällt, gerade so auch bei
einem Volksgeiste. Das Woraus seines geistigen Ent-
standenseins fällt hiemach nicht mehr in die Zeit, son-
dern in die Vorzeit, nicht in die Geschichte, sondern
in die Urgeschichte dieses Volkes.
Erst so in jenem vorgeschichtlichen Woraus seiner
Entstehung begriffen, würde dieser historische Geist völlig
erkannt sein. Denn dann erst würde die kulturhistorische
Schlagader bloßgelegt sein, welche er in der Geschichte
des menschlichen Geistes überhaupt bildet, die beiden
äußersten Enden, die seine Bewegung in diesem ver-
nünftigen Organismus miteinander verbindet.
Diese geistige Vorzeit und Vorgeschichte eines Volkes
ist wiederum nur aus seiner Religion erkennbar, in wel-
cher stets die ältesten Erinnerungen einer Nation über sich,
und die elementaren Mächte ihres Ursprunges und Bil-
dungsprozesses aufbewahrt sind. Wird aber mit wahrhaft
kritischem Blick zu Werke gegangen, so müssen sich gerade
bei den Römern diese geistigen Urstoffe aus dem reli-
giösen Gebiete um so bestimmter erkennen lassen, als der
römische Geist, der überhaupt nicht im Religiösen —
sondern im Rechte — den Höhepunkt seiner Bedeutung
und Entwickelungsarbeit hat, nie sehr weit gegangen ist in
der Umbildung seiner ursprünglichen religiösen Elemente,
sie vielmehr hauptsächlich nur mit dem später von ihm
akzeptierten griechischen Mythenstoffe in ein buntes Kon-
glomerat mehr durcheinandergeworfen und ihnen assimiliert
hat, aus welchem sich jene bei einem gesetzmäßig zu Werke
gehenden kritischen Unterscheiden mit großer Sicherheit
heraussondem lassen.
Zwar ist uns sehr wohl bekannt, welche Vorurteile wir
durch diese Untersuchung gegen uns erregen, welche Vor-
6Q0
urteile wir schon durch die Überschrift dieses Kapitels er-
regt haben können, und wie wir hierdurch selbst den Erfolg
unseres eigenen Werkes zu gefährden scheinen.
Denn bisher wird man uns vielleicht zugegeben haben,
daß jeder Schritt in der Begriffsentwickelung nur ein
Schritt im positiven Stoffe, jeder Schritt im positiven
Stoffe nur ein schrittweises Herausspringen der Idee war,
und daß hier somit Philosophie und der Positivismus des
empirischen Stoffes ihre Gegensätzlichkeit gegeneinander
verloren haben.
Die Zurückführung eines so positiven und scheinbar
selbständigen Gebietes aber, wie das Rechtsgebiet ist, auf
das Dunkel religiöser Ahnungen, das Sprechen von einem
vorgeschichtlichen pelasgischen Urgiimde, da uns doch im
Recht nichts über das Zwölftafelgesetz Hinausgehendes
historisch bekannt, und somit scheinbar von einem Beweise
gar keine Rede ist, kann sich als ein so überkühnes Tun
darstellen, daß darin der träumerische Charakter der Phi-
losophie nun doch wieder offen hervorzutreten, und durch
seine Ungunst auch die bisher gewonnenen Resultate zu
gefährden scheint.
Wir sind um diese Einwürfe und diese Gefahr sehr un-
bekümmert.
Das Recht ist wie die Religion ein geistiges Produkt.
Der Geist selbst aber ist eine Einheit, und darum kann
alles Geistige nur in der Einheit, die es in ihm hat,
eben deshalb aber nur durch die Einheit der Wissen-
schaften walirhaft begriffen werden. Und was jene man-
gelnden Beweise für die römische Vorzeit betrifft, so ver-
hält es sich damit so, wie Schelling^) bei einer ähnlichen
^) Einleitung in die Philosophie der Mythologie. Werke,
Abtlg. II. T. I. S. 112.
22« 691
Gelegenheit sagt: Es gibt einen Glauben des Forschers,
der darin besteht, daß trotz aller Unbilden der Zeit für
alles die Beweise noch vorhanden sind.
Und sie sind vorhanden, und in einem viel reicheren
Grade als hier, wo wir, die strengste Selbstbeherrschung
übend, uns auf das Notdürftigste beschränken müssen, ent-
wickelt werden kann.
So viel wird von selbst klar sein, daß jene, von uns
längst nachgewiesene religiös-metaphysische Grund-
anschauung des römischen Erbiums, jene überall dargelegte
Verbindung des Testamentes mit den religiösen Ideen über-
haupt, im Gebiete des Religiösen selbst nirgends anders
ihre substantielle Wurzel haben kann, als in dem alten
Manen- und Larenkultus, welcher auch in voller
Übereinstimmung hiermit überall als der spezifischste Mit-
telpunkt römischer Religion hervortritt und mit den sacris
privatis in enger Verbindung steht.
Es ist, wie bereits bemerkt, nicht möglich, diesen ebenso
dunkeln, als interessanten Gegenstand in vollster Ausführ-
lichkeit zu behandeln und zu gestalten, was vielmehr eine
selbständige Arbeit erfordern würde.
Aber die umfassendsten Hauptgrundlagen seiner inneren
Übereinstimmung mit dem von uns entwickelten Begriff
müssen gelegt, es muß nachgewiesen werden, wie in diesen
römisch-italischen Religionswesen nur derselbe Begriff vor-
liegt, den wir als den Begriff des Erbtums entwickelt
haben: die durch keinen Tod aufgehobene Fortexistenz
der subjektiven Willensindividualität.
So tritt zuvörderst, ganz abgesehen natürlich von der
sehr gleichgültigen Richtigkeit der Etymologie, jetzt als ein
entscheidendes Moment für den Begriff des Manentums
hervor, daß die Manen schon im Altertum definiert werden
von manere, als die Bleibenden, Beharrenden, wie
692
Martianus Capella^) uns berichtet. Sie sind nicht Tote,
Gewesene. Sie sind Bleibende, sie sind und bleiben
dasselbe, was sie waren ; sie sind und bleiben — und
das ist ihr großer und spezifischer Unterschied in der
Gesamtdämonologie des Altertums — geistige Indivi-
dualitäten, d.h. übereinstimmend mit dem, was sich
uns oben") als der römische Begriff der Geistesindi-
vidualität bestimmt hat, Willenssubjekte, und darum
auf die Außenwelt als ihren Gegenstand bezogene Wil-
lenssubjektivitäten. Sie verlieren diese Willensspan-
nung auf den einzigen und notwendigen Gegenstand
des Willens, die Außenwelt — so sehr dies ihr unter-
scheidendes Wesen von den Mythologen übersehen worden
ist, die sie stets mehr oder weniger in das allgemeine Dä-
monenwesen des Altertums untergehen lassen — , auch mit
dem Tode nicht, und lehrreicher als Bücher ist hierin
die eine Stelle des Livius^): ,,Pace parta instare tunc
tribuni Patribus, ut P. Valerii fidem exsolverent, instare
Claudio, ut collegae Deos manes fraude liberaret"^)
Vor allem aber ist bei einer systematischen Durch-
denkung dieses Gegenstandes auf eins zurückzugehen, auf
die Sitte der Bestattung der Leichname. Es ist einer der
genialsten Blicke, welche Creuzer geworfen hat, wenn er^)
sagt, es stelle ,,das Begraben oder das Verbrennen der
^) De nupt., § 162. p. 217. ed. Kopp.
2) Siehe oben S. 34, 40, 45fg.. 551 fg.; vgl. Nr. XIII.
^) III. c. 19; I. 613, ed. Drakenb.
*) Während in der homerisch-griechischen Götterwelt der
Tote ein bewußtloser und erinnerungsloser Schatten ist, der
erst mit dem Lebensquell, dem Blute, das ihm Opfernde zu
trinken geben, das Fürsichsein, die Erinnerung an sein ober-
weltliches Dasein wiedererhält. Das festere Haften der Sub-
jektivität in dem römischen Geiste ist hier unverkennbar.
'') Symbolik und Mythologie, 3. Ausg., I. 145.
693
Leichname zwei ganz verschiedene religiöse
Volks an sichten dar, und in dieser Differenz liegt ein
Hauptkriterium der Völkerabkunft und der Ver-
schiedenheit der Stämme bei größeren Nationen". In der
Tat wird nicht geleugnet werden können, daß es nichts so
Entgegengesetztes gibt, als z.B. die ägyptische Sitte,
durch das Mumisieren der Leichname die Individualität
des Toten in geschlossenster Weise zu bewahren,
und die griechische Sitte des Ver brennen s der Leich-
name. Schon die Alten wußten das, und führten diese Ver-
schiedenheiten auf Gegensätze in der geistigen Ge-
samtanschauung der Völker und theosophischen Sy-
steme zurück, wie z, B. Servius in Virg. Aeneid., III, 68,
die Sitte der Verbrennung daraus fließen läßt ,,ut statim
anima in generalltatem, id est in suam naturam redlreV'.*')
Gehen wir nun nach dieser Vorbemerkung auf die römi-
sche Sitte der Totenbestattung zurück, so hat schon Zoega-)
nachgewiesen, daß in der ältesten Zeit die Römer, wie
die alten Italier überhaupt, ihre Toten nicht nur begru-
ben, sondern in ihren Wohnhäusern begruben. Und
schon Servius^) und Isidorus^) berichten, daß dies seinen
Grund in der alten Laren- und Manenreligion gehabt habe,
um den Geist des Abgeschiedenen bei sich zu haben und
seiner besonderen Obhut und Hilfe um desto sicherer zu
sein^). Sonach erscheint aber schon hier der Geist des
^) Siehe meine Philosophie des Herakleitos, I [VII], 510,
und die anderen daselbst bezogenen Stellen des Servnis,
Tertullianus und J. Lydus-
*) De obeliscis, p. 269.
'') In Virg. Aeneid.. V. 64; VI. 152.
0 Orlgg.. XV. 11.
^) Vgl. hierzu und über die Larenreligion überhaupt Jere-
mias Müller, De diis Romanorum Laribus et Penatibus (Kopen-
694
Abgeschiedenen in einer besondersengen Beziehung auf
den früheren realen Schauplatz seines Wirkens und
Schaltens, auf den Schauplatz seiner Willensherr-
schaft.
Zwar kann es scheinen, daß wir hier noch kein spezi-
fisch-römisches Prinzip gewonnen haben. Denn Plato^)
erzählt uns, daß auch die Griechen ihre Toten ursprünglich
im Hause begruben. ,,Ja, die noch älteren als jene begruben
ihre Toten im Hause, wir hingegen tun nichts hiervon"
(ot d'av exeivcov jiQOjeQoi avxov xal e&anxov iv Ttj oty.ia
rovg äjiod^avövrag' f]jneTg de joincov'' ovdsv Jtoiovjuev).
Allein gerade hierdurch ordnet sich dieser Gegenstand zu
einer systematischen Klarheit. Denn wenn man die Stelle
in ihrem Zusammenhange betrachtet, so zeigt sich un wider -
sprechlich, daß Plato hier von einer Urzeit spricht. In
dem Satze vorher spricht er bereits von den ,, vormals"
{jzQorov) bei den Hellenen bestanden habenden Gebräuchen
des Opfemachschlachtens vor dem Heraustragen der Leich-
name und des Herbeiholens der lyyvxQioxQiai, d. h. v^e
Boeckh ^) nachgewiesen hat, von dem bereits uralten und
schon von Solon abgeschafften Dienst der Weiber,
die das ossilegium besorgten (die Gebeine der verbrannten
Leichname in eine Urne sammelten ; Knochenleserinnen,
wie es Schleiermacher übersetzt). Wenn nun Plato sagt,
daß „die noch früheren als jene" die Sitte des Toten-
begrabens im Hause gehabt, so läßt sich also an nichts
als eine Urzeit denken, somit an eine — pelasgische
Zeit.
Hagen. 1811). S. 67 fg.; K. O- Müller in seinen Etruskern.
Buch III. Kap. 4, und Creuzer, über die Gottheiten der Etrus-
ker. Symbol, und MythoL. 3. Ausg.. III. 553 fg.
1) Minos, p. 315. E.
2) In Piaton. Min., p. 57,
695
Und nun wäre allerdings sofort eine Grundlage von
höchster innerer Übereinstimmung gegeben, eine Grundlage,
die weitgreifender und zusammenhängender ist, als wir sie
zunächst hier verfolgen können, auf die uns aber der Lauf
der Untersuchung später von selbst vielleicht wieder zu-
rückführen dürfte.
Das pelasgische Zeitalter der Völkerstämme, die
sich später zu Hellenen und Römern entwickeln, steht noch,
bei beiden übereinstimmend, unter der Sitte einer grob-
sinnlichen Bewahrung der Individualität des
Toten.
Aber die Entvvickelung von dieser gemeinschaftlichen
Wurzel aus ist eine verschiedene und dem allgemeinen Ent-
wickelungsgang beider Völker vollkommen entsprechende.
Während bei den Griechen in frühester Zeit, mit ihrem
Hellenisierungsprozeß selbst, die Sitte um sich greift, die
Leichname zu verbrennen und so, wie Servius sagt: ,,die
Seele in das Allgemeine als in ihre Natur zurückkehren zu
lassen," wird in Rom sogar das Begraben in den Häu-
sern erst durch das Zwölftafelgesetz verboten ,,hominem
mortuum in urbe ne sepeäto, neve iirttd'^). Das Be-
graben selbst erscheint hier noch auf gleichem Fuß,
und ihm sogar vorangehend, mit dem Verbrennen, ja diese
grobkörnige Grundlage haftet in dem Individualismus des
römischen Volksgeistes so fest, kämpft in der nationalen
Substanz desselben so zäh gegen den neuen Gebrauch an,
daß fast bis ans Ende der Republik die Mitglieder der
Gens Cornelia sich noch beerdigen lassen (Cicero, De leg.,
II, 22 : ..gentemque Comeliam usque ad memoriam nostram
hac sepultura scimus esse usam'").
Allein Römertum wie Hellenentum haben ihre Bedeu-
1) Cicero. De legg.. II, 23.
6%
tung nicht in dem, wovon sie ausgehen, sondern in dem,
wozu sie diese Grundlage umgestalten. Und wie die Tat
und Bedeutung der Hellenen die ist, das Sinnliche und
Materiell -Natürliche orientalischer Anschauung, das bei-
den Völkern als gemeinschaftlicher verschwindender Aus-
gangspunkt und Substrat ihres Umformungsprozesses dient,
zu objektiv-geistiger Bedeutung zu verklären, zu all-
gemein sittlich-geistigen Potenzen zu verinner-
lichen, und damit zur Gestalt, zum objektiv-Idea-
len und, auf der höchsten Spitze dieser Leistung, zur Idee
durchzubrechen (vgl. hierüber meine Philosophie des Hera-
kleitos, I, 196 — 202, 554 — 561, 60, und an vielen anderen
Orten daselbst), — so besteht die Tat und Bedeutung des
anderen pelasgischen Entwickelungszweiges ,
des Römertums, darin, diese sinnlich-natürliche Substanz,
von der sie ausgehen, zu der noch intensiveren Inner-
lichkeit des für sich seienden Willens, der Wil-
lenssubjektivität, zu entwickeln. Die abgeschiedene
Individualität des Toten ist bleibende, unvergängliche
Willensinnerlichkeit, unsterbliche Willenssubjektivität.
Aber sie ist gerade durch den Tod reine Willenssubjektivi-
tät geworden ^ ) ; nach ihrer sinnlichen Gestalt hin, in
ihrer eigenen Verwickelung mit dem Stofflichen, ist sie
aufgehoben. Darum kann auch dies Auf gehobensein des
Sinnlichen an ihr gesetzt werden, und der Verbrennungs-
prozeß der Toten (zu Macrobius' Zeit war er bereits wie-
der außer Gewohnheit gekommen, Saturnal., VII, 7)
kann hier Eingang finden und herrschend werden. Aber was
so an ihnen aufgehoben ist, ist nur ihre Vermischung mit
^) Vgl. über das Verhältnis der einzelnen sinnlichen Wil-
lensakte zu der durch sie hindurchgehenden allgemeinen Willens-
subjektivität oben sub Nr. II.
697
dem Sinnliclien uiid Stofflichen an ihnen, wodurch sie jetzt
erst gerade als reine Willensherrschaft, als reine
Willenssubjektivitäten hervortreten. Darum bleibt
auch nach der Beerdigung der Leichnam außer dem Hause,
und nach der Verbrennung derselben immer das Haus,
in welchem ihnen das Lararium, die Hauskapelle, als Sitz
ihres geistigen Wesens eingeräumt wird, der unmittelbare
Ort ihrer geistigen Willensherrschaft ^). Das Haus, die
Stätte ihres Schaltens, dieses Stück der Wirklichkeit, das
ihrer Willensherrschaft im Leben unterworfen war, dieser
unmittelbare Schauplatz ihres Regierens, er bleibt ihnen
als die Außenwelt, auf die sie bezogen sind, die sie fort-
fahren zu regieren und zu beherrschen, und in dem Zentral -
punkt dieser Stätte, auf dem Herde, wird ihnen geopfert.
Der abgeschiedene Geist also als bleibende für sich
seiende Willenssubjektivität ist Mane, Deus Ma-
nis. Dieser selbe Geist gedacht in seiner bleibenden be-
sonderen Beziehung auf den früheren Schauplatz seines
Wollens und Herrschens — so ist er Lar. Dies ist
das nun hoffentlich sehr klare und sich von allen Seiten
bestätigende Begriffsverhältnis beider Wesenklassen zuein-
ander. Dasselbe ist noch mythisch- genealogisch voll-
ständig klar ausgedrückt, indem die Göttin Mania als Mut-
ter der Laren genannt wird: s. Macrobius, Saturnal., I,
c. 7, p. 232, ed. Bip. (wo noch eine von den nicht seltenen
Spuren des alten grausen Menschenopferkultus, durch wel-
chen die Manen besänftigt wurden, hervortritt: ,,. . . ut pro
familiarum sospitate pueri mactarentur Maniae Deae matri
Lamm"), und Varro ap. Arnob. adv. gent., III, c. 41,
p. 131, ed. Or.
^) Über die Lararia siehe J. Gutherius, De vet. jure Pon-
tificio. III. 10, in Graevii Thesaur. Antiqu. Rom., V. 139-
698
Diese bleibende Willensherrschaft über die
Stätte ihres Gewesenseins, über das Stück realer
Außenwelt, das unmittelbar ihrem Herrschervvillen un-
terworfen war, ist es, welche sich überall als das her-
vorstechende und charakteristische Wesen der Laren kund-
gibt. In allen ihren Benennungen bereits tritt dies frappant
hervor. Praestites,^(oa<amai,77^0£OTWT£^^),Vorsteher also,
werden sie genannt, denn dies ist eben ihr Wesen, bleibend
selbständige Subjektivitäten, nach wie vor Willens -
herren, herrschende Gebieter dieses Machtbe-
zirkes zu sein. Von dem Namen Lar selbst ist aus dem
Tuskischen — welches ja die anerkannte Quelle des römi-
schen Larenkultus ist — nachgewiesen (s. Jeremias Müller,
De diis Romanorum Laribus et Penatibus [Kopenhagen
1811], S. 53fg. ; vgl. Lanzi, Saggio di Ling. Etrusca,
II, 283 — 286; Döderlein, Handbuch der lateinischen Ety-
mologie, S. 95), daß es gar nichts anderes als Fürst,
Herr, TtQootdtrjg, prlnceps heißt; also (Döderlein, a.a.O.,
will sogar mit Bezug auf die Form Larth das englische
„Lord" parallelisieren) soviel wie Gebieter, Herr über-
haupt und absolut, ohne besondere Beziehung auf ein Eigen-
tum, als Ehrentitel, Willensherr schlechthin. (Man
vergleiche hier, was \vir S. 305, Note 1, über Etymologie
und Bedeutung von heres gesehen haben.) Es ist dies all-
gemein anerkannt und kann auch gar nicht geleugnet werden.
Denn noch tritt in den Namenszusammensetzungen : Lar-
Porsenna, Lar-Tolumnius (s. Cicero, Phil., IX, Kap. 2)
diese Titelbedeutung als Herr, Gebieter, tatsächlich
hervor. Vgl. K. O. Müller, Etrusker, II, 90 fg.: „Daß
die Laren dem tuslcischen Glauben angehören, davon über-
^) Plutarch, Rom. Quaest.. LI. II. 132. ed. Wytt- -
Ovid. Fast.. V. 133.
699
zeugt schon der Name, da sowohl Larth wie Lars bei den
Etruskern gewöhnliche Vornamen waren, die aus einem
Ehrennamen entstanden sein müssen"^).
So bleiben sie denn absolute Herren und Regierer
dieses Schauplatzes ihrer Willensherrschaft, auf welchem
nichts mehr wider ihren Willen vorfällt, und so werden
sie zu Schutzgöttern, zu Wächtern und Bewah-
rern des Hauses (dii aedium custodes, oder tectorum
doniuumque custodes. Bewahrer der Dächer und Häu-
ser, wie es bei Arnobius, Adv. gent. 1. 1., heißt); sie
verleihen somit den Familienschutz, werden lares fa-
miliäres, und insofern dieselbe Familie forterbend das Haus
ihrer Vorfahren bewohnt, scheinen sie somit zu Fami-
liengottheiten geworden zu sein.
Aber dies ist der erste der beiden äußerst wesent-
lichen Irrtümer, in welche die Altertumsforscher ganz all-
gemein in bezug auf die Laren verfallen sind, und der
sie verhindert hat, das Wesen derselben in seiner Wahrheit
zu erfassen. Denn so häufig auch von den Laren bei den
alten Schriftstellern in einem Sinne und Zusammenhange
die Rede ist, welcher auf den Begriff der Vorfahren
und. was uns so natürlich damit zusEunmenzufallen scheint,
der Familienvorfahren hinweist, so ist doch nur das
erstere der Fall, daß sie freilich immer Vorfahren über-
haupt, d.h. Gewesene bedeuten, mit den Familien -
vorfahren aber nur da und nur so lange zusammenfallen,
als dieselbe Familie im Besitz desselben Hauses ist. Mit
anderen Worten : Es ist in diesen Wesen — und darin be-
steht der Irrtum, von dem wir sprechen — auch nicht im
geringsten die Idee der Familienabstammung, der
^) Vgl. daselbst, I, 405: „Tuskische Fürsten heißen fast
immer Lars, und man konnte daher leicht Lars für eine Be-
zeichnung der Fürstenwürde halten."
700
Familiensubstanz vorhanden (so wenig wie im römi-
schen Erbrecht, wie wir von diesem auf das genaueste nach-
gewiesen haben); sondern nur dies ist ihr Begriff, die
schaltenden Willensherren der von ihnen fortbeherrschten
Stätte zu sein. Nur an den Ort, das Haus, nicht an die
Familie sind sie gebunden. Wäre die Blutseinheit der
Familie ihr Begriff, so würden sie den durch das Band der
Abstammung mit ihnen Verknüpften angehören. Sie
wären im Besitz der Familie, aber sie wären nicht
mehr die Schaltenden, die Machthaber, die ,, Mäch-
tigen", , .Potentes" (Lares Coilo Potentes), wie In-
schriften sie nennen^).
Am deutlichsten kommt diese Unterscheidung zum Aus-
trag, wenn die reale Trennung von Ort und Familie
eintritt. Hier kommt auch der angegebene Begriffsunter-
schied zu seinem realen Beweis. Der Lar verbleibt nicht
der Familie, sondern der Lar verbleibt dem Ort, weil
vielmehr der Ort ihm verbleibt; die fortziehende Familie
verliert ihn (v/odurch sich die Laren beiläufig sehr deut-
lich von den Penaten unterscheiden, mit denen sie durchaus
nicht identisch sind), und der neue Hausherr, der das
Haus verkauft hat, übernimmt die Laren des Ortes und
ihren Kultus, wie z. B. bei Plautus ^) der neue Hausherr
die Laren des eben von ihm gekauften Hauses bekränzt —
eine bis in späte Zeiten ^) fortdauernde Sitte — und an-
^) Siehe Ezech. Spanheim, De Vest. et Prytan. Graec in
Graevii Thesaur. Antiqu. Rom., V, 686 fg-
2) Trinum., I. 2. v. 1:
Larem corona nostrum decorari volo.
Uxor, venerare, ut nobis haec habitatio
Bona, fausta, felix, fortunataque eveniat.
^) Vgl. die Commentt. Herodot. von Creuzer, I, 235, Note,
und über die Lokalitäten dieser Culte Raoul-Rochette, Lettre
701
fleht, daß ihm die neue Wohnungsstätte glückbringend
sein möge. Der Lar fährt also fort, die Stätte zu beherr-
schen. Die fortziehende Familie verliert mit dem Orte
auch seine Laren, und darum kann Catilina bei Sallust^)
den ruinierten Verschwörern, die er durch Vergleichung
ihres elenden Loses mit der Lage der Reichen zur Wut
reizen will, zurufen: , .nirgends auf der ganzen Welt hät-
ten sie einen lar famillaris mehr." Und darum, wegen
dieses unpersönlichen V^erhältnisses, welches seitens
der lebenden Hausherren zu ihnen, die für sie nicht
Ahnen, sondern nur Abgeschiedene überhaupt sind, be-
steht, kann sie der Kirchenvater M. Minucius Felix ^)
mit den unbekannten Gottheiten zusammenstellen und
zu ihnen rechnen : ,,. . . dum aras exstruunt, etiam ignotis
numlnibiis et manibus.'' So zeigt sich denn also ganz scharf
und bestimmt, wie unrichtig und den Begriff der Laren
ganz entstellend es ist, wenn Creuzer^) von ihnen sagt:
,,Über dem Strahlenpunkt jeder individuellen Perso-
nalität, dem Charakter und dem Sinn jedes Men-
schenlebens schwebet als Herr und Regierer ein Genien -
paar, wovon der eine sorgsam und freundlich über die ihm
anvertraute Seele wacht usw." Nichts ist dem ur-
sprünglichen Wesen des tuskischen Lar fremder, als eine
solche Beziehung auf die „individuelle Personalität des
Menschen" oder dieser zu ihm ; nichts ist seinem ursprüng-
lichen Wesen mehr entgegenstehend, als ein solches posi-
tives fürsorgendes Verhältnis zu einer ,,ihm anvertrauten
Seele". Es v^ird hier in den Geist orientalischer Dämono-
ä Mr. Panofka, in den Annales de l'Institut de France, III.
415 fg.
') Catilln., c. 20.
^) Octav., c. VI. p. 31. ed. Lindn.
') Symbolik und Myth.. a. a. O-. III. 556.
702
logie und Genienlehre überhaupt hineingefallen und der Be-
griff dieser altitalischen Wesen gänzlich verkannt. Der
Lar hat überhaupt in seinem Begriff keine direkte Be-
ziehung auf die „menschliche Personalität" des Hausherrn,
sondern er ist dies, bleibender Schalter des Ortes seiner
früheren Herrschaft, der auf diesen bezogene fortexi-
stierende Willensherr und Gebieter zu sein.
Der zweite Hauptirrtum, von dem man sofort sehen
wird, wie eng er mit dem ersten zusammenhängt, ist fol-
gender :
Diese machthaberische Beziehung des Lar auf den
bestimmten Ort trat natürlich in allen Nachrichten der
Alten viel zu sehr und zu charakteristisch in den Vorder-
grund, um gänzlich als Tatsache von unseren Altertums-
forschern übersehen werden zu können. In dieser Tatsäch-
lichkeit ist sie vielmehr als das Wesen des Lar allgemein
anerkannt. Siehe z. B. K. O. Müller, Etrusker, II, 90 fg. :
,,Auch in bezug auf die Götter war Lar bei den Tuskern
und Römern eine sehr umfassende Ehrenbenennung, die
schwerlich eine bestimmte Anzahl von Personen bezeich-
nete, bei der aber der Schutz und Vorstand eines be-
stimmten Bezirkes (daher lares praestites) offenbar
das Charakteristische und die Hauptsache war."
Aber das ist alles, was er hierüber sagt. Auch Creuzer ist
weit entfernt, diese Tatsächlichkeit zu übersehen (s. a. a.
O., S. 556 fg., S. 561). Aber es fragt sich nur wieder,
wie man die Tatsache auffaßt, was man als ihre gei-
stige Begründung denkt. In den Darstellungen der
bildenden Kunst erscheint als das Attribut der Laren der
Hund (s. die bei Creuzer, a. a. O., S. 565, 569, ange-
führten Denkmäler) und, gleichviel welches das Alter die-
ser Darstellungen sein mag, eine spätere deutungssüchtige
Zeit faßt dies schon bei den Alten als ein Symbol ihrer
703
Treue auf gegen das Haus, als schützende und wachende
Hausgötter, furchtbar, feindselig gegen Frennde, zahm,
linde, mild gegen die Bewohner des Hauses. Und das soll
auch nicht geleugnet werden, daß sie später allmählich
— und wir werden noch einen Blick darauf werfen, wann
und wie — diese Umbildung im Volksglauben erfahren
haben. Aber von ihrem ursprünglichen, eigentlichen
und immer wieder durchblickenden Wesen ist das sehr
weit entfernt! Wenn im Hund ein Symbol der Treue zu
liegen scheinen kann, weil der Lar dem Ort treu bleibt,
so ist zu bemerken, daß, wenn der Lar dem Ort treu bleibt,
er nur sich selber, seiner Willensherrschaft über ihn
treu bleibt, und hierbei also von Treue nicht die Rede
wäre. Soll hier von Treue die Rede sein, so wäre viel-
mehr nur dieTreuedes Ortes zu bewundern, der immer
noch den gestorbenen Willensherren anhängt und angehört.
Wenn der Lar den Ort bewacht — und freilich tut er
dies — , so ist zu bemerken, daß er dies ursprünglich
durchaus nicht im plutarchischen Sinne tut, als ein schüt-
zender, wachender Haus- und Heilsgott, sondern er be-
wacht ihn als das ihm untergebene Machtgebiet, und
so allerdings auch eifersüchtig und abwehrend wie
ein Hund das Sein ige.
In jenem plutarchischen, milden Sinne fassen die Alter-
tumsforscher sehr irrig das ursprüngliche Wesen des tus-
kischen Laren. Wenn Creuzer also (a. a. O., S. 556)
zur Erklärung desselben sagt: ,,Auch wo Menschen bei-
sammen wohnen, ist unsichtbar ein Genius gegenwärtig.
Das liebe Gut, das wir unter der Vaterstadt zu denken
pflegen, jenes heimatliche Gefühl, das uns bei ihrem Namen
bewegt, eines wie das andere ist unter den Schirm des
Genius gegeben. So auch das Vaterhaus. Jedes teuerste
Gefülil, das ein Kind bei diesem Andenken empfinden mag,
704
jene Gewohnheit des Lebens in ihm von frühester Erinne-
rung an, die bergende Sicherheit, die stille Vertraulichkeit
jedes Winkels, der ruhige Verlaß auf dies von den Vätern
ererbte Eigentum, und wie die Beziehungen alle hießen
mögen, sie alle sind in den Begriff des Lar (Lars, Herr)
zusammengedrängt, der das Vaterhaus als unsichtbarer Ge-
bieter bewohnet — ", so ist in dieser schönen und gemüt-
lichen Explikation auch nicht eine Seite des alten ursprüng-
lichen Larentums getroffen. Nichts ist dem altitalischen
Geiste fremder als diese Gemütsseite, die erst das Produkt
sehr später und humanisierender Umbildungen ist, nichts
ist dem alt-römischen Geiste weiter abliegend, ihm, der
schon in seiner pelasgisch-etrurischen ^) Anlage nur dies
ist: Willenssubjektivität zu sein, und alles im sub-
stantiellen Keime in sich zu enthalten, was sich aus diesem
Keim entwickeln wird.
Wir haben vielmehr gesehen, welches der ganz be-
stimmte Begriff der Laren ist. Er ist dies : fortexistierende
selbständige Willenssubjektivitäten zu sein, fortherrschend
in dem Machtbezirk, welcher die Stätte ihres Schaltens
war. Der Deus Manis, gedacht als Lar, hat also direkt
zunächst gar keine Beziehung auf den späteren Haus-
herrn. Er hat direkt, in seinem Begriffe, nur jene fort-
herrschende Beziehung des Willensherm zu dem Ort.
Nur indirekt, weil durch denselben Ort vermittelt, tritt
er hierdurch in eine Beziehung auf den neuen Hausherrn
desselben. Und aus dieser bloßen Betrachtung schon er-
hellt auf den ersten Blick, daß diese Beziehung ursprüng-
lich keine sehr freundliche gewesen sein wird; daß sie
^) Nur für Leser, die zufälHg diesem Stoffe fernstehen soll-
ten, wird bemerkt, daß auch die alten Etrusker Pelasger sind,
tyrrhenische Pelasger, wie sie von den Alten überall
(auch Tyrrhener schlechtweg) genannt werden.
23 LassaUc. G» Schriften. Ba. XII. 705
vielmekr eine negative sein muß, denn dieser neufe
Herr greift nun ein in das Machtgebiet des Ab-
geschiedenen, dessen Willensherrschaft gleichfalls als
fortbestehend und bleibend gedacht wird, und ver-
letzt dadurch dessen Recht. So ist die Kollision gegeben,
und es ist ersichtlich, daß sie ursprünglich eine furcht-
bare sein muß, und nur durch furchtbare Abfindungen und
Besänftigungen dies negative Wesen des Lar gegen den
neuen Herrn überwunden werden kann. Und so tritt denn
als das erste und ursprüngliche Verhältnis jenes ne-
gative Verhältnis der Laren hervor, welches die Mytho-
logen ganz in den Hintergrund treten zu lassen pflegen.
Es ist der Menschenopferdienst der Laren und der
Mania-^), das Schlachten der eigenen Kinder an
ihren Altären für die Unversehrtheit der Fa-
milie: ... cum ludi per urbem in compitis agitabantur,
restitiiti scilicet a Tarquinio Superbo Larlbiis ac Maniae
ex responso Apollinis, quo praeceptum est, ut pro capi-
tibus capitibus supplicaretur ; idque aliquamdiu observatum,
ut pro familiamm sospifate paed mactarentiir Maniae
Deae matrl Lamm; Macrobius Saturn., lib. I, c. VII,
p. 232, ed. Bip.
Der Lar ist also ursprünglich so wenig Familienwesen,
daß, um ihm das Wohl derselben abzukaufen, die Kinder
vielmehr geschlachtet werden.
^) Das starke Hervortreten des etruskischen Menschenopfer-
kultus überhaupt wird gut hervorgehoben bei K. O. Müller,
Elrusker. II. 108; vgl. daselbst S. 21. und Bd. I. S- 197.
Note 28. Bekannthch schlachteten nach Livius, VII, 15, die
tuskischen Tarquinier einmal 307 von ihnen gefangene Römer
ihren Göltern auf einmal zum Opfer. Müller bemerkt auch
bereits, daß die römischen Menschenopfer tuskischen Ursprunges
sind.
706
Und man bemerke wohl, was in der Stelle des Ma-
crobius hervortritt. Schon während des Königtums ist dieser
Kultus in Rom unterdrückt gewesen. Von dem etrus-
ki sehen König T£Lrquinius wird er auf Grund eines Ora-
kels des Apollo^) wiederhergestellt. Aber die zivilisierende
Rolle der Republik stürzt mit dem Königtum auch diesen
grauenvollen Kultus ! Kaum hat Junius Brutus den Tar-
quinius vertrieben, so befiehlt er als Konsul, Mohn- und
Knoblauchköpfe abzuschlachten, damit dem Spruche des
Gottes Genüge geschehe. Und nun wird die Mania zu einem
milden heilbringenden Wesen und ,,ihre Bildnisse vor den
Türen der Familien aufgehängt, um Gefahr, die ihnen be-
vorstände, zu beschwichtigen" (s. alles dies bei Macrobius,
a. a. O.).
Aber noch immer stürmt hin und wieder das negative
Wesen des Laren in seiner alten Furchtbarkeit wieder
an, und immer tritt in den Überlieferungen der alten Schrif t-
^) Wer dieser Apollo, von dem Macrobius erzählt, gewesen,
daß er nämlich selbst niemand anders als der tuskische Manen-
gott Dispater gewesen, läßt sich mit Sicherheit feststellen. Auf
dem Berge Soracte befand sich ein Heiligtum, den Diis Mani-
bus und besonders dem Dispater geweiht, wie uns Servius (in
Virg. Aeneld.. XI, 785) berichtet. Virgil selbst aber (XI, 786)
läßt einen Tusker beten:
Summe deum, sancti cusios Soractis Apollo
Quem primi collmus.
Die von K. O. Müller, das. II, 68 fg., merkwürdig gefundene
Identifizierung von Dispater und Apollo, die er aus dem zu-
fäUigen Zusammentreffen erklärt, daß dem Apollo bei den
Griechen die Wölfe heilig waren und die Priester des Soranus
von Wölfen den Namen trugen, erklärt sich vielmehr sehr na-
türlich aus seiner eigenen negativen Nachtseite, jenem Prinzip
des Verderbens, das dem Apollo von seinem orientalischen Ur-
sprung her eigen ist; siehe hierüber meine Philosophie Hera-
klits. I. 198 fg.
23* 707
steller selbst hervor, daß es die Grundlage tuskischer
Substanz in der römischen Religion ist, welche durch
ihre Beschwichtigung und Versöhnung hindurch wieder zum
Vorschein zu kommen versucht. Als sich der bekannte Ab-
grund öffnet, in den sich Curtius dann stürzt, um ihn zu
schließen, da verkünden, wie uns Varro erzählt, die von
den Römern bekanntlich nur aus den Etruskern genom-
menen Haruspices, durch ein Senatuskonsult um Rat ge-
fragt, daß es der Manengott sei, welcher als Sühnopfer
fordere, daß ihm der tapferste Bürger geopfert werde ^) :
,,et id ex Sen. Cons. ad aruspices relatum esse, responsum
Deiini Manium postilionem postulare id, civem fortissimum
eo demitti."
Und noch lange ^) durchzittert den Volksgeist die nie
ganz verlöschende Erinnerung an das frühere Wesen dieser
bleibenden Willensherren! Je mehr sich spätere Schrift-
steller bestreben, sie als die Milden, Linden und Guten,
als Segen und Heilsquellen der Familien zu schildern ').
und je mehr alte Etymologien dies schon in ihren Namen
legen, indem sie denselben von dem alten mane, gut, er-
klären*), um so mehr beruht dies auf demselben alten
scheuen Euphemismus, der die Erinnyen als die ,, Wohl-
gesinnten" als Eumeniden darstellt. Und im Grunde sagt
uns dies ja Festus bei dieser Etymologie in der zuletzt an-
geführten Stelle selbst, und es ist nur ein Übersehen, das
1) Varro de L. L., lib. V. § 148.
2) Vgl. Pllnlus, H. N.. XXVIII, 3. und :XXX, 3. mit Dio
Cass.. XLIII, 24.
^) Siehe z. B. Apulejus, De genio Socrat., II, 152 sqq.,
ed. Bosch.
*) Macrobius, Saturnal., I, c. 3, p. 209. ed. Bip. Festus.
v*^ Mannuos, p. 146; v^ Manes. p. 157; v^ Matrem Matutam,
p. 122. ed. Müller.
708
nicht in seinen Worten zu sehen, was offen in denselben
ausgesprochen liegt. Denn er sagt daselbst: et inferi
dii manes wi supplidter appellati bono essent" Sie werden
also so genannt, nicht als solche, welche die Guten sind,
sondern als solche, welche flehentlich angerufen werden,
daß sie gut und zum Guten sein mögen, gerade weil sie es
nicht sind. So wird auch bei den römischen Geburten eine
Göttin Mana Geneta angerufen, daß niemand von den im
Hause Geborenen gut werde, und Plutarch, welcher uns
dies berichtet^), erklärt es selbst damit, daß die ..Guten"
hier die Verstorbenen bedeuten. Ja, selbst noch bei so
späten Dichtern, wie Horaz. klingt das negative, besänf-
tigungsbedürftige Wesen der Laren deutlich hindurch.
Od. III. 23, V. 2:
Si thure placaris et homa
Fruge Lares avidaque porca.
So weit ist es, wie hier vorerst in diesen Stoff einge-
gangen werden kann. Was haben wir denn aber eigentlich
in demselben gesehen ?
Wir haben in der religiösen Substanz der pelas-
gisch-etrurischen Vorzeit denselben geistigen Keim:
die unendliche Willenssubjektivität und ihre
bleibende Fortexistenz, die Unsterblichkeit der Wil-
lensindividualität und ihre fortschaltende Willensherrschaft,
gesehen, welchen das Römertum zur Ausführung und Ent-
wickelung bringt ?
Durch die Überwindung jener noch negativen
Richtung seiner in ihm fortwirkenden pelasgisch-etrurischen
Ursubstanz. eine Überwindung, welche sich durch die Mi-
schung derselben mit dem Einfluß eines anderen sittigenden
Elementes vollzieht, ist erst das höhere Dasein spezifi-
1) Quaest. Roman.. LH. 277; II. 133. ed. Wyttenb.
709
sehen Römertums oder quiritischen Geistes ge-
geben, und im Recht ist es, wo der Römer diese seine
nationale Ursubstanz zur Versöhnung, zum Abdruck
und zur gebildeten Entwickelung bringt.
Zur Versöhnung, sagen wir; denn der erste Schritt,
mit welchem das Dasein spezifischen Römertums in der
Geschichte erscheint, der testamentarische Erbe, ist
bereits die Versöhnung der negativen Stellung jener beiden
Willensherren, des alten und des neuen, zueinander. Der
Erbe ist es jetzt selbst, der die geistige Willens-
subjektivität des Toten fortsetzt, und er ist es,
in dessen unbeschränkt freier testamentarischer Wahl sie
sich selbst fortsetzt. Wenn bei den Tuskern der Ab-
geschiedene, der Lar, der ,,Herr" war, so ist jetzt viel-
mehr er, der neue Nachfolger, zum ,,Herrn", heres,
geworden^). Denn er hat jenen in sich aufgenom-
men, setzt ihn fort und ist selbst seine Fortexistenz, die
jener nun nicht mehr außer sich, sondern in sich hat. So
ist denn schon mit dem ersten Schritte spezifischen Römer-
tums diese Versöhnung gegeben. Es zeigt sich jetzt die
ganze innere Notwendigkeit, vermöge welcher (s. oben
S. 528 — 534) das testamentarische Erbtum keinen Anfang
hat und haben kann in der Geschichte dieses Geistes.
Denn solange dieses Erbtum noch nicht da wäre, wäre die-
ser Geist noch nicht spezifisch-römischer Geist, des-
sen Dasein gerade in diesem Versöhntsein besteht. Könnte
man dem testamentarischen Erbtum in Rom einen Anfang
nachweisen, wovon wir an dem angeführten Orte wie be-
grifflich, so auch historisch gezeigt haben, daß es nicht der
Fall ist, so würde gesagt werden müssen, daß damals noch
nicht römischer Geist vorhanden gewesen, daß er noch
1) Vgl. hierüber oben S.311. Note 1.
710
in dem Stadium seines vorgeschichtlichen Daseins
und Bildungsprozesses aus seinen verschiedenen Elementen
begriffen gewesen sei. Und der entscheidende Beweis hier-
für wäre, daß, wie wir oben gezeigt, in dem Bewußt-
sein dieses Volkes, in seinem geistigen Fürsich-
selbstsein, das Testament keine Entstehung hat. Te-
stamentarisch und von unbeschränkter Freiheit
muß dies Erbtum von Haus aus sein, wenn es jene Ver-
söhnung vollbringen soll. Denn wäre es dies nicht, so wäre
er es nicht, der Tote, der seine Willenssubjektivität im
Erben setzte und fortsetzte, sondern sein Wille hätte ge-
rade an dem ihm aufgezwungenen Erben seine Ne-
gation und seinen Untergang, und so stünde er noch
in dem alten negativen Verhältnis des Lar zu ihm. Erst
durch die unbeschränkte Willensfreiheit testamentarischen
Einsetzens nimmt auch das Intestatrecht den Charakter einer
vom Gesetze dem individuellen Willen geleisteten subsi-
diären Hilfe, eines Herbeieilens des ganzen Volkes und
Volksbegriffes zur Erfüllung seines vorausgesetzten
Willens an, und wir haben jetzt die historisch-reale
Gestalt der Notwendigkeit gesehen, vermöge welcher
dieser vorausgesetzte Wille als identisch mit dem all-
gemeinen Willen vorausgesetzt wird; eine Identität, die
schon mit dem Herbeieilen selbst des ganzen Volkes zu
seiner individuellen Ergänzung gegeben ist. Wir haben
jetzt erst die historisch-reale Gestalt der Notwen-
digkeit gesehen, vermöge welcher das Interesse an dem
fortexistierenden Dasein dieses vorausgesetzten — und um
so mehr an dem des testamentarisch selbst gesetzten —
Willens den ganzen historischen Geistesbegriff dieses Vol-
kes durchzittern muß, oder die Bedeutung des Satzes :
testamentif actio juris publici est (vgl. Nr. X und Nr. XV).
Wir haben jetzt erst die reale Gestalt der Notwendigkeit
711
gesehen, vermöge welcher das Zwölftafelgesetz mit der
höchsten Freiheit des Legierens beginnen muß, die Freiheit
der Erbeinsetzung aber als die gesamte stumme Sichselbst-
voraussetzung dieses ganzen historischen Volksgeistes nicht
einmal verfügen kann, und warum, statt von einem notwen-
digen Familienerben auszugehen, es vielmehr erst das Ende
der römischen Rechtsgeschichte ist, sich auf einen niemals
ganz erreichten Noterben hinzubewegen.
Wir sagten aber auch : im Recht ist es, in welchem der
Römer diese seine nationale Ursubstanz zur Versöhnung
bringt. Und dies ist nicht nur so aufzufassen als ein empi-
risch durch das Material des Erbrechtes Feststehendes und
von uns an ihm Nachgewiesenes. Es ist vielmehr vor allem
die begriffliche logische Notwendigkeit zu begreifen, ver-
möge welcher diese Versöhnung sich gerade im Recht
vollbringen und das Rechtssystem produzieren muß.
Die Versöhnung, welche der römische Geist vollbringt,
oder eigentlich nicht vollbringt, sondern ist, besteht darin,
daß die Vorstellung der unendlichen Willenssub-
jektivität, welche bereits als religiöse Vorstellung
in der pelasgisch-etrurischen Ursubstanz vorhanden ist, aus
diesem Elemente bloßen religiösen Insichseins, in
welchem sie sich negativ gegen den neuen Nachfolger be-
stimmt und bestimmen muß, weil dieser ein anderer
gegen den Lar ist, herausgerissen und zur Wirklich-
keit verwandelt werde. Der Orkus soll zur Oberwelt pro-
duziert werden. Die Versöhnung soll dadurch vor sich
gehen, daß der neue Nachfolger selbst den Toten in sich
aufnimmt und Perpetuierer seiner Willenssubjektivität wird.
Die Überwindung jenes negativen Verhältnisses soll da-
durch erfolgen, daß die Unendlichkeit der Willenssubjek-
tivität des Toten in dem Nachfolger selbst realisiert, und
so in der allgemeinen lebendigen Wirklichkeit selbst statt
712
in der Unterwelt verwirklicht werden soll. Die Realisation
eines geistigen Inhaltes in der Sphäre der allgemeinen
Wirklichkeit — dies und nichts anderes ist eben der
formelle Begriff des Rechtes. Ein geistiger Inhalt reali-
siert in dem Insichsein der Vorstellung, — so ist er Re-
ligion; hineingebildet in das Sinnliche und Stoffliche, —
so ist er Kunst ; ausgeführt im Reich des sich selbst durch-
sichtigen Begreifens, — so ist er Philosophie; verwirk-
licht aber in der allgemeinen geistigen Wirklich-
keit, — so ist er Recht. Es ist also eine begriffliche
Notwendigkeit, daß diese Versöhnung im Rechte ge-
schieht; sie ist selbst der Gedanke des Rechtes. Alle
Völker haben ein Recht. Denn alle Völker verwirklichen
einen geistigen Inhalt in der realen Wirklichkeit. Was der
Römer aber verwirklicht in dieser Sphäre des Rechtes,
das ist, wie wir sahen, der Gedanke der unendlichen
Willenssubjektivität, d.h. es ist der inhaltliche
Begriff des Rechtes selbst, den er in der for-
mellen Sphäre des Rechtes verwirklicht, und so hat
er nicht e i n Recht, sondern das Recht !
Die Unendlichkeit der Willenssubjektivität verwirklicht
in der realen allgemeinen Wirklichkeit, — dies ist nicht
bloß Erbrecht, sondern das Recht und das Rechts -
System überhaupt. Und so ergibt sich hier bestimmter
die welthistorische Notwendigkeit, die wir schon früher
kurz angedeutet (s. S. 36, vgl. S. 572 fg.), hier aber näher
zur Entwickelung gebracht haben, weshalb es der römische
Volksgeist ist, welcher aus seiner innersten Anlage heraus
das Rechtssystem produzieren muß.
Man kann in diesem Sinne sagen, die wahre Religion
des Römers sei das Recht, die Religion sei dagegen für ihn
eigentlich nur das Vorhistorische seines Ausgangspunktes,
so daß er nur in der Überwindung dieser Form der geistigen
713
Tätigkeit das Spezifische seines Geistes habe, und die Re-
ligion von ihm nur als das ihm und seinem Geiste
Fremde, welches aber die ihn noch mit ehrfurchtsvollem
Schauer durchzitternde Grundlage seines Ausgegangen-
seins und seines Zusammenhanges bilde, aufbewahrt worden
sei. Und mit dieser begrifflichen Entwickelung gelangt nun
ein anderes höchst merkwürdiges Verhältnis, das schon oft
hohe Verwunderung erregt hat und noch größere zu er-
regen verdient hätte, zu seiner vollen geistigen Klarheit,
gelangt nicht nur zu seiner eigenen Erklärung, sondern zur
Fleraussetzung der in ihm vorhandenen welthistorischen
Notwendigkeit und Bedeutung. Jedes Volk treibt seine Re-
legion selbst, denn es ist sein eigenes Wesen, das es
darin betätigt. Der Römer aber läßt, wie hier stofflich
nicht weiter dargelegt werden kann, aber jedem mit diesem
Stoffe Vertrauten hinreichend bekannt ist, — der Römer
läßt seine Religion, was ohne Beispiel in der Weltgeschichte
ist, als ein ihm Fremdes und ihn dennoch Durchzitterndes
von einem fremden Volke, und zwar gerade von den
Etruskern^), besorgen^). Handelt es sich um Haru-
spicin (Opferschau), Prodigia Portenta, Blitzdeutung und
Divination, um irgendeinen Teil religiöser Disziplin, so
wird vom Senat nach Etrurien gesendet, etruskische
Haruspices, Fulguratoren usw. werden herbeigeholt, um
den Willen der Götter zu erforschen. Diese hieratische Ab-
hängigkeit ist so drückend, daß während der Belagerung
Vejis die Prodigien nicht produziert werden können, weil
^) Livius, V, Kap. 1, nennt sie eine ,,gens ante omnes alias
eo magis dedita religionibus, quod excelleret arte colendi eas" ;
vgl. Livius, XXVII, 37, und XXXII, 1.
2) Siehe das Material hierüber in reichlicher Menge bei
K. O. Müller, Etrusker, Buch 3. bes. Kap. 1 u. 2. und
Kap. 5-7.
714
Etrurien, den Römern gerade feindlich, keine kundigen
Leute senden will^), und ein andermal diese Haruspices
hingerichtet werden müssen, weil sie, dem römischen Volke
feindlich gesinnt, das Gegenteil von dem angeben, was die
Prokuration erheischte^). Als Rom in der Blüte seiner
Macht steht, Etrurien lange unterworfen hat, und die von
den etruskischen Großen kastenmäßig fortgepflanzte reli-
giöse Disziplin in Gefahr des Verfalls gerät, da beschließt
der römische Senat, um sie hiergegen zu sichern, von
Staats wegen, daß immer zehn Söhne der Edlen in der
religiösen Disziplin unterrichtet werden sollen, aber zehn
Söhne etruskischer Edlen aus jeder der zwölf etrus-
kischen Völkerschaften^). Die Kunde des Religiösen soll
erhalten werden, der römische Geist erzittert bei der Ge-
fahr, den Zusammenhang mit seiner vorhistorischen Grund-
lage zu verlieren, die in ihm ein Aufgehobenes, aber noch
in diesem Auf gehobensein Fortwirkendes und Bestimmendes
ist; sie soll ihm erhalten werden, aber weil sie ein in
seinem spezifischen Volksgeiste Aufgehobenes ist, als ein
seinem Geiste Fremdes, als ein Buch, in dem er
nicht lesen kann, ein Buch der Ursprünge, das nur für
jene ältere Nation zu entziffern ist, die als Nation niemals
über dieses Stadium des Geistes hinausgekommen*).
') Livius. V, 15.
') Aul. Gellius. Noct. att., IV. 5. 5-
') Cicero. De divin., I. 41. 92, und Tacitus, Annal. XI, 15.
■*) Müller sagt a. a. O.. II. 2, sehr richtig, es sei dieser
Verkehr zwischen Rom und Etrurien ein solcher gewesen, „für
den man kaum ein anderes passendes Beispiel in der Geschichte
hat." Wenn er aber selbst, um das Unbegreifliche zu erklären,
hinzufügt: „und den man auch nur durch die sehr prak-
tische Ansicht der Religion bei den alten Römern erklären
kann, die von der trefflichen Kunde der Etrusker Nutzen ziehen
zu können glaubten, ohne sie selbst zu durchdringen," so ist es
715
Zugleich muß sich in diesen Andeutungen ein helles
Licht auf die kulturhistorische Bedeutung und die weltge-
besser, ehe man solche Erklärungen gibt, die Unerklärlichkeit
der Sache einzugestehen und nicht zu erklären. Noch viel prak-
tischer wäre es dann jedenfalls gewesen, sich um Religion und
religiöse Disziplin gar nicht zu bekümmern, wozu ja ein
Volk nie durch einen äußeren Zwang, sondern nur durch einen
inneren Drang getrieben wird, bei dem es dann aber wieder
unbegreiflich erscheinen muß, die Kunde desselben von sich
auszuschließen und grundsätzlich Fremden zu überlassen.
Ja. was das ,,Pr aktische" betrifft, so war die Sache davon
gerade das Gegenteil! Müller selbst erwähnt der oben fol-
genden Beispiele von dem Vejenterkrleg und den mit dem Tode
bestraften Harusplces. Ja, Müller sagt dabei selbst (II, 7) :
„Und doch konnte sich kaum ein Bienenschwarm in einem
öffentlichen Gebäude zeigen, ohne daß Harusplces herbeigeholt
wurden." Wo bei einer solchen drückenden Abhängigkeit von
einem fremden, so oft feindlichen Volke das Praktische
bleiben soll, ist nicht leicht abzusehen; zumal für einen Volks-
geist, der, wie der römische, selbst darüber befragt, wahrschein-
lich in der eigenen Selbständigkeit das „Praktische"
gesehen hätte. Nicht einmal zu Kunst und Wissenschaft, zu
denen ein solches rein praktisches Verhältnis doch weit eher
denkbar wäre, verhalten sich die Römer in dieser praktischen
Welse; sondern als sie diese von den Griechen empfangen,
Inokulieren sie dieselben, so viel ihnen nur möghch, dem eige-
nen Geiste, produzieren einen Plautus, Horaz, Virgll, die
Stoiker usw. Nur gerade die Kunde religiöser Disziplin, unter
der sie sich beugen und die ihre Geschicke bestimmt, versuchen
sie nicht, sich zu inokulieren und sie selbst zu durchdringen!
— Die Erklärung Ist nun aber Im Obigen gegeben ; sie besteht
darin, daß jener ,, Verkehr" zwischen Rom und Etrurien über-
haupt keinen Verkehr, sondern ein Verhältnis, ein geistiges,
kulturhistorisches Verhältnis darstellt. Auch nachdem sich der
römische Geist zu seinem spezifischen Wesen, zum Geist
des Rechtes entwickelt hat und die Religion nur die von Ihm
aufbewahrte Grundlage seines gegenwärtigen. Ihm eigentümlichen
Wesens geworden ist, besteht nun Im rein religiösen Ge-
71(1
schichtliche Stellung jenes in Dunkel gehüllten gewaltigen
Volkes ergossen haben, welches durch seine beiden Aus-
biete — und indirekt — die hieratische Oberherrlichkeit
der tusklschen Substanz noch fort. Die Auflehnung gegen die
direkte Herrschaft dieser hieratischen Oberherrllchkeit —
das ist die Bedeutung der Perlode der Tarquinler, ihres Sturzes
und der darauf folgenden, für Rom zunächst so unglücklichen
Kriege. Jene indirekte Herrschaft des tusklschen Elementes im
rein religiösen Gebiete aber besteht bis spät in die Kalserzelt
fort und muß fortbestehen. Denn Indem der römische Geist in
jenem oben genau entwickelten Prozeß von der Religion zum
Rechte überging, hat er nicht die Religion selbst zu einer
neuen, seinem gegenwärtigen geistigen Wesen entsprechenden
umgewandelt, sondern in ein anderes Gebiet ist er einge-
treten, und jenes hat er nur In einer Art von geistiger Ver-
gangenheit beibehalten, als das fortwirkende und dennoch auf-
gehobene Elementarische seiner Entwickelung. So, als ein Auf-
gehobenes, ist es ihm ein Dunkles geworden, das hinter ihm
liegt und in dem er nicht mehr lesen kann, weil es nicht das
seinem Wesen Entsprechende ist. Der pelasgische Etrusker
produziert die systematische religiöse Wissenschaft,
der Römer das System des jus. Als die Haruspices dem
Tiberius Gracchus vorwerfen, er habe bei den Komitien, die zur
Konsulwahl gehalten wurden, etwas in den Auspizien — also in
den mit dem öffentlichen Recht verknüpften religiösen
Gebräuchen, die deshalb auch nicht zur tusklschen Kompetenz
gehören — versehen, da antwortet er ihnen, so hohes Ansehen
auch die Haruspices im rein Religiösen genießen, mit der
höchsten Verachtung, sie auf jenen Unterschied hindrängend:
„An vos Tusci ac barbari auspiciorum populi Romani Jus
tenetls et interpretes esse comitionim potestis?" (Cicero, De
nat. deor. II, 4.) Das heißt: Wo Recht und Volkswille
ins Spiel kommen, da hört das Religiöse auf, und da Ist kein
Platz mehr für die tuskische Substanz, der nur das rein Reli-
giöse angehört. — Aus der vorherigen Entwickelung über die
notwendige Dunkelheit des Religiösen für die Römer ergibt
sich auch die Notwendigkeit, warum gerade bei ihnen der reli-
giöse Aberglaube gipfelt. Er muß dies, gerade weil ihnen
717
läufer, Griechen und Römer, so tief in die Menschheits-
geschichte eingreift, des Pelasgervolkes. Für Griechen
wie Römer ist es nur der verschwindende Ausgangspunkt
ihrer Entwickelung, das Material ihres negativen und um-
formenden Arbeitens und Gestaltens.
Aber gleichwohl bringen sie, die Pelasger, aus ihren
orientalischen Ursitzen in der Form religiöser Dumpfheit
und deren blutiger Gärung jenen unendlichen Inhalt, die
unendliche Willenssubjektivität, schon mit, welchen die
Hellenen zur Freiheit der Kunst, und die Römer zur
Freiheit des Rechtes umbilden und entwickeln.
Wollte aber jemand jenen von uns auf so positive und
so systematische Weise bewiesenen innersten Zusammen-
hang des römischen Erbrechtes und des pelasgisch-
etrurischen Larentums, des römischen heres und des
tuskischen Lar, gerade weil ihm zu viel Licht und Tages-
helle darin ist, in den Verdacht eines Träumens nehmen,
— nun, so würden wir einem solchen eine sehr nüchterne,
sehr trockene, rein erbrechtliche Anekdote erzählen,
oder vielmehr auf eine solche Bezug nehmen, die uns ein
vollkommen nüchterner, vollkommen geistloser und somit
doch gewiß vollkommen autoritätischer Schriftsteller er-
zählt 1 Es ist Valerius Maximus, den \vir m.einen, und dies
Geschichtchen ist gleich das erste, welches er uns in seinem
die Religion ein Fremdes und Ungegenwärtiges geworden ist,
ih welchem sie sich schlechthin nicht mehr sicher und selbst-
gewiß fühlen, und deshalb eine Beute jeder Superstition, jeder
schwankenden Vermutung werden müssen. Es ist die Unsicher-
heit, die daraus entsteht, das religiöse Prinzip nicht mehr in
sich zu haben, und daher jedem Glauben als einem möglichen
hingegeben zu sein. — Hieraus erklärt sich auch, warum Rom
ein Pantheon aller Götter wird und den Religionen aller be-
siegten Völker Tempel baut. Es ist dieselbe Unlebendigkeit des
Religiösen im römischen Geist, die dies ermöglicht.
718
Kapitel de testamentis rescissis berichtet^). Ein Krieger
kehrt aus dem Felde zurück. Aber durch das falsche Ge-
rücht seines Todes getäuscht, hat sein inzwischen gestor-
bener Vater ihn enterbt (wahrscheinlich inter ceteros, vgl.
S. 465 fg.), und andere Erben findet er im Besitz des ihm
verschlossenen väterlichen Hauses. Verzweifelnd steht er
da! Die Blüte der Jugend hatte er für die Republik hin-
gegeben, die höchsten Gefahren und Mühseligkeiten ge-
tragen! Da wendet er sich an das Volk, er zeigt die
Narben auf seiner Brust und ruft aus — es sind die ein-
zigen Worte in der Stelle, die Valerius, der Tradition
folgend, ihm selbst in den Mund legt — : „ne avitos ejus
ares odiosa^) ipsi urbi onera possiderent", ,,sie möchten
sich in acht nehmen, daß sie nicht seine väterlichen Laren
als der Stadt selbst feindselige Bürden besäßen." Und so
dringt er durch mit seinem Anspruch bei den Centumviri.
Jene von uns entv/ickelte innere Identität des Laren -
t u m s und des Erbrechtes — wir sehen sie hier in dieser
naiven Erzählung aus alter Zeit als das Positive des
erbrechtlichen Stoffes hervortreten. Den Lar ruft
der Jüngling auf, als er um sein Erbrecht streitet, und so
kommt dieser hier in der einfach nackten Erzählung als
der ideelle Träger und die innere Substanz dieses Rech-
tes zum Vorschein, und jene von uns entwickelte Lehre über
den geistigen Zusammenhang von Larenkultus und Erbrecht
erweist sich hier als die eigene Lehre des erbrechtlichen
Stoffes. Den Lar, den bleibenden Willensherrn, ruft er
auf, und zwar ruft er ihn auf als ein, wenn ihm der Bund
der Versöhnung gebrochen wird, dem Volke selbst und dem
ganzen Gemeinwesen feindseliges, drohendes Wesen. Denn
1) Memorab.. lib. VII, c. 7. no. 1, II. 87, ed. Blp.
-) Denn so muß offenbar statt des ganz sinnlosen otiosa
gelesen werden.
719
durch jene Versöhnung hat er in ihm, dem suus, diesem von
ihm selbstgesetzten Willensperpetuierer, seinen wahrhaften
unmittelbaren Erben, seine daseiende Willensfortexistenz,
die er nur durch jenen, durch seine eigene Voraussetzung
machtlosen Irrtum in den Worten verfehlte^). Wird ihm
dieser wahrhafte Willensperpetuierer nicht gegeben und
anerkannt, so ist ihm der Bund der Versöhnung gebrochen,
seine Willensfortexistenz ist negiert, statt realisiert zu
sein, und der Lar tritt wieder in sein altes negatives und
furchtbares Verhältnis im Volksgeist. Nicht etwa bloß
die usurpierenden Erben, sondern die urbs selbst, dieses
ganze spezifische Gemeinwesen, das auf dieser Versöhnung
beruht, hat mit Recht zu zittern bei diesem Bruch, bei die-
sem Wiederaufreißen des gähnenden pelasgischen Abgrun-
des, für dessen Schließung die Anerkennung der Fortexi-
stenz des Lar im Erben die unerläßliche Bedingung war !
Aber wir sagten oben, nicht nur vollbringt der Römer
diese Ve rsöhnung seiner nationalen Ursubstanz i m
Recht — oder richtiger vielmehr: er produziert durch
ihre Versöhnung das Recht — , sondern er bringt
diese seine nationale Ursubstanz im Recht auch noch
zum Aus- und Abdruck und zur gebildeten Ent-
Wickelung. In der Tat ! Noch auf dem Boden dieser
Versöhnung erhebt sich von neuem und muß sich er-
heben, jetzt in gebildeter Weise, das alte negative Ver-
hältnis des Lar und des Nachfolgers dieses bleibenden Wil-
lensherrn als das negative Verhältnis des Erblas-
^) Wir haben daher oben bei der rein erbrechtlichen Er-
örterung gezeigt (S. 462 — 466, vgl. Note 3 das.), daß und
warum ohne jede Bezugnahme auf Billigkeit, Gefühlsrücksicht
usw., der Jüngling nach der reinen Strenge des zivilistischen
Erbrechtsbegriffes siegen muß, und dies durch die römischen
Juristen bestätigt gesehen.
720
sers und Erben zueinander. Mit anderen Worten:
der Erblasser negiert den Erben, wie wir sahen (Nr.
VI und VII), indem er diesem das eigene Interesse und
somit die eigene Willenspersönlichkeit abzüchtigt, und
darin gerade die absolute Gewißheit seiner Fortexistenz
in ihm, seinen höchsten Triumph und metaphysischen Wil-
lenskitzel, die alleinige reine und adäquate Reali-
sation seines Begriffes hat.
Dieses negative Verhältnis muß sich erheben, wie sich
jetzt auch als reale historische Notwendigkeit zeigt.
Denn es ist ja nur dieselbe Substanz, die sich jetzt
auf dem höheren Boden dieser Versöhnung, auf dem Boden
des Rechtes, aufrollt und abspielt. Nur daß natürlich
jener negative Konflikt, der in der Dumpfheit religiösen
Insichseins den ganzen Menschen verzehrte, auf dem durch
diese Versöhnung hervorgebrachten gebildeten Boden der
Willensgeltung oder des Rechtes sich auf die Ne-
gation des erbenden Eigenwillens und des von ihm be-
herrschten Vermögens beschränken muß.
Alles, was wir früher überall über die tief -notwendige
Bedeutung des enterbten Erben als des echten und wahr-
haften zivilistischen Erbbegriffes gesagt haben, was wir
sub Nr. VII über den Kampf zwischen Erblasser und
Erben in der lex Furia, Voconia, Falcidia und über den
durch die lex Falcidia schon gegebenen Verderb des zivi-
listischen Erbbegriffes gesagt haben, was wir sub Nr. VII
und IX über die Sitte der Fiduziarerbschaft und über die
Treue gegen die Substanz des Volksgeistes, welche den
verläßlichen Boden dieser Sitte bildet, was wir sub Nr.
VIII über das formelle Gesetztsein dieser Enterbimg im
Manzipationstestament, sub Nr. X und XV über das testa-
mentum calatis comitiis, über den das Testament durch-
dringenden Charakter des öffentlichen Rechtes, über die
24 UssaU«, G«. Schriften. Band XII. 721
gesetzgeberische Befugnis des Testators, über die höhere
Kraft des Toten als des Lebenden, über das jus sepulcro-
rum und das legatum poenae nomine gesagt haben, was wir
sub Nr. XIV über den Gegensatz von Legatar und Erben,
und sub Nr. XV — XIX über die Bedeutung der Form
der Legate gesagt haben, in welcher der Erblasser sich als
den Fortgeltenden gegen den Erben zum Vorschein bringen
will usf. usf., empfängt jetzt noch eine ganz andere Be-
deutsamkeit. Wenn wir sub Nr. I noch assertorisch vor-
ausschickten, daß der dort entwickelte Begriff der histori-
sche Begriff des römischen Volksgeistes sei, und dies dann
an dem Stoffe nachgewiesen, so haben wir jetzt erst die
reale historische Notwendigkeit nachgewiesen, warum
dies der historische Geistesbegriff des römischen Volkes
sei und sein muß. Es ist keine Seite dieses Bandes, welche
nicht, von hier aus gelesen, noch eine ganz andere Per-
spektive, eine noch weit tiefere inhaltliche Bedeutung emp-
fängt. Jetzt auch haben wir erst die reale Notwendigkeit
jenes Überschreies nach Fortsetzung erkannt, den der Tote
in der usucapio pro berede an jeden Vorübergehenden rich-
tet, und den dunkeln Urgrund, aus welchem dieser Schrei
herauftönt, ein Überschrei, welcher mit unvermeidlicher
dialektischer Notwendigkeit der Keim und Zwang der Ab-
reibung seines zivilistischen Geistes, und sein eigenes Ver-
derben ist. Alles Entwickelte zeigt erst von hier aus seine
typische, ursprüngliche Notwendigkeit in der religiös-gei-
stigen Substanz auf, welche dieses Volk überkommen hat,
mit der es auftritt und zu wirtschaften hat, und deren Ent-
wickelung zur Freiheit des Rechtes sein eigenes spezifisches
Sein und seine historische Mission ist.
Als der Gegensatz auch in dieser gebildeten geistigen
Form überwunden ist, als der Erbe den Erblasser bewäl-
tigt und in der Erbschaft sub beneficio inventarii offen das
722
Vermögen als sein Prinzip proklamieren kann, — als so
der Lar zum zweitenmal gestorben ist, da ist der Gegensatz
nicht in dem römischen Volksgeiste überwunden — dies
wird er nie — , sondern dieser Volksgeist selbst ist
mit diesem Gegensatz erloschen, um einem anderen Volke
Platz zu machen, welches nun von Haus aus mit jenem
Prinzipe auftritt, auf welches sich hinzubewegen die
Geschichte des römischen Geistes war, und welches er
niemals erreichen konnte.
Noch aber kann die Frage entstehen, hat der römische
Geist niemals irgendein zusammenfassendes Bewußtsein
über sein hier nachgewiesenes Verhältnis zu seiner natio-
nalen vorgeschichtlichen Ursubstanz, über seinen hier ent-
wickelten geistigen Entstehungsprozeß und dessen
Bedeutung gehabt, und in deutlicher Weise ausgesprochen ?
So wenig wir auch beabsichtigen, das, wie wir glauben,
mit fester Hand Gewonnene dadurch zu gefährden, daß
wir uns weiter auf das schwankende Gebiet der Mythendeu-
tung begeben, so ist doch der Zwang zu groß, um nicht
das, was unsere Entwickelung war, auch noch als das in
unverkennbaren Zügen ausgedrückte eigene Selbstbe-
kenntnis des römischen Geistes nachzuweisen. Wenn das
Gebiet auch ein schwankender Boden ist, so kann der das
systematische Prinzip seines Gehens in sich selbst tragende
Schritt dennoch ein fester sein.
Es gibt einen dunkeln und wunderlichen Mythus in
Rom, welcher seit je das Kreuz der Mythologen gewesen.
Es ist die Acca Larentia, von der wir sprechen und die
wir bereits einmal im Laufe dieser Untersuchungen flüchtig
haben berühren müssen.
Ihr Mythus, wie er aus dem Geschichtschreiber Macer
bei Macrobius, aus Sabinus Massurius bei Gellius, aus
Verrius bei Lactantius und anderen erzählt wird, ist in
24- 723
Kürze folgender 0- So ist die Amme des Romulus, neben-
bei auch Mutter von zwölf Söhnen, von denen sie einen
durch Tod verliert, und an seine Stelle Romulus annimmt.
Auch nach diesen Berichterstattern, nach denen sie des
Romulus Amme ist, ist sie eine Hure-), und für den reichen
aus diesem Stande erzielten Gewmn setzt sie, nach den
einen den Romulus, nach den anderen das römische Volk
selbst zum Erben ein. — Ausgeführter wird ihr Mythus
bei anderen vorgetragen. Diese lassen sie unter der Herr-
schaft des Königs Ancus leben und erzählen, der Tempel -
hüler habe einst mit dem Gott Hercules Würfel gespielt.
Dem Sieger sollte der andere eine Mahlzeit und ein Freu-
denmädchen liefern. Hercules habe gewonnen, und so habe
ihm der Tempelhüter darauf die berühmteste Hure jener
Zeit, die Acca Larentia^), nebst der Mahlzeit in sein
Heiligtum eingeschlossen. Am anderen Tage aber ver-
breitet sie das Gerücht, sie habe nach dem Beischlaf keine
andere Belohnung von dem Gotte empfangen als die Pflicht
oder den Auftrag (munus)"^), daß sie nicht den Vorteil
1) Llvius, I. 4. Macrobius, Saturn., I, c. 10, p- 241 sqq.
A. Gellius. N. A.. VI. 7. Lactantius, Inst.. I, c. 20; p. 66.
ed. Bip. Plutarch, Romul., p. 19, F.. und Quaest. Rom..
XXXV, p. 116, ed. Wyttenb. Augustin, De civ. dei. VI. 7.
Festus, v° Larentaha. p. 119, M.
^) „Sed Acca Larentia corpus in vulgum dabat, pecuniam-
que emeruerat ex eo quaestu uberem; ea testamento ut in
Antiatis historia scriptum est. Romulum regem, ut quidem alii
tradiderunt. populum Romanum bonis suis haeredem fecit" ;
Gellius, a. a. O.
^) illum Accam Larentiam nobiHssimum per id tem-
pus scorlum intra aedem inclusisse'" ; Macrobius, a. a. O.
*) post concubitum Dei accepisset munus, ne commo-
dum primae occasionis. cum sc domum reciperet, offerendae
aspernaretur."
724
der ersten Gelegenheit, die sich hei ihrer Nachhausekunft
darböte, verachten möge. In der Tat wird sie, aus dem
Tempel heraustretend, von dem Tusker Carutius hegehrt;
dem Götterauftrag gehorchend, gibt sie sich ihm hin, wird
von ihm, einem sehr reichen Manne, dann geheiratet, ge-
langt nach seinem Tode in den Besitz aller seiner Güter,
und als sie stirbt, verkündet sie als Erben das römische
Volk^). Nach Macer lebt sie zur Zeit des Romulus und
ist dessen Amme, heiratet aber gleichfalls den reichen
Tusker Carutius, und setzt bei ihrem Tode den Romulus
zum Erben der von jenem erlangten Güter ein^). Nach
allen Berichterstattern gleichmäßig wird ihr wegen des
Verdienstes, das sie sich dadurch erwirbt, daß sie Romu-
lus oder das römische Volk zum Erben einsetzt, ein Tag
in den Fasten Roms gewidmet und der Flamen des Quiri-
nus vollbringt ihr das Opfer ^).
Man muß gestehen, es ist eine wunderliche Kalender-
heiHge, diese Acca Larentia, und es ist begreiflich, wenn
die Mythologen nichts mit ihr anzufangen gevvoißt haben.
Creuzer sieht kurz und gut nichts anderes in ihr, als einen
^) cum decederet, populum Romanum nuncupavit here-
dem" ; Macrobius, a. a. O.
'■') Macrobius. a. a. O.
^) Geüius, a. a. O. Es sind göttliche Ehren, honores
divinos, nach Augustin und Lactantius, a. a. O. So sagt auch
Minucius Felix (Octav., c. 25, p. 157, ed. Lind.): ,,San©
et Acca Larentia et Flora, meretrices propudiosae inter morbos
Romanorum et deos compufandac." — Der Zusammenhang mit
den Manen tritt bei ihrer Feier sofort in den Worten der
Schriftsteller bedeutungsvoll hervor ; Macrobius, a. a. O. : ,,Quo
Diis Manibus ejus per flaminem sacrificaretur", und Varro,
De L. L., VI, §§ 23, 24: ut ajunt quidam ad sepulcrum
Accae, ut quod ibi prope faciunt Dih Manibus Servilibus
sacer
dotes.'
725
,,aus einer italischen Herbstfeier entstandenen Mythus, des-
sen Elemente sind: Hercules, die Sonnenkraft, Acca La-
rentia, die von den Herbstregen getränkte Erde, welche
aus ihrem Schöße neue Saaten hervorbringt, wenn gewisse
Tage des Kalenders wieder gewonnen sind" ^), eine Deu-
tung, die schon vor lauter Willkür gar keine Widerlegung
verdient,
K. O. Müller wirft bereits einen besseren Blick ^).
Schon aus dem Namen der Larentia folgert er ihren
sich darin offen genug aussprechenden Zusammenhang mit
der Larenreligion, und belegt dies auch durch den
Zusammenhang der römischen Feste, indem er nachweist,
,,daß am elften vor den Kaienden des Januar ein Fest der
Laren und am zehnten die Larentinalien gefeiert wurden,
an welchen dem Jupiter als dem Seelengeber geopfert und
der Acca Larentia parentiert woirde".
Er ist deshalb sogar geneigt anzunehmen, daß sie von
der Larenmutter Mania kaum verschieden, und aus der
tuskischen Religion in die römische Mythologie hinein-
getragen worden sei, was nur noch eine gewisse Annäherung
an das Richtige hat, aber bereits nicht mehr richtig ist.
Wenn er aber sagt^), daß sie auf sonderbare Weise aller
göttlichen Würde entkleidet und schmählich erniedrigt wor-
den ist, wenn er die Sage eine ,, merkwürdig verworrene
Sage" nennt, wenn er sagt*): ,,eine Buhlerin, lupa, heißt
1) Symbolik und Mythologie. 3. Ausg.. I. 102.
2) Elrusker, II, 103-105.
^) A. a. O., S. 103: ,.Von der Larenmutter Mania ist wohl
kaum die Acca Larentia verschieden, die aus der tuskischen
Religion in die römische Mythologie hineingetragen, aber auf
sonderbare Weise aller göttlichen Würde entkleidet und schmäh-
lich erniedrigt worden ist."
*) A. a. O.. S. 104.
726 •
die Larentia wohl nur durch Mißverstand der Wölfin,
die hier nach den Wölfen des Dispater auf dem Berge
Soracte zu deuten sein möchte, aber zeitig mit der Wölfin
des Mars, welche den Romulus säugte, vermischt worden
ist"^), — so spricht sich hierin nur das substantiellste
Mißverständnis des Mythos und die daraus fließende un-
berechtigte Willkür aus, das, was gerade die charakte-
ristischsten und eigentümlichsten, ihre Echtheit gerade hier-
durch bekundenden Züge des Mythos sind, statt sie rein
aufzufassen, für eine schmähliche Erniedrigung und son-
derbare Entkleidung göttlicher Würde auszugeben.
Es ist vielmehr gerade das die frappante und rein auf-
^) Gerade das Umgekehrte dieser letzteren Vermutung
ist die Wahrheit. Eine Wölfin ist nur deshalb, dem gewöhn-
lichen Mythus zufolge, dem Romulus zur Säugerin gegeben,
weil die Acca Larentia seine Amme, und diese eine Hure war,
und weil lupa den Römern ebenso wohl Hure wie Wölfin be-
deutet. Darum gibt man ihm dann statt der tropischen auch
eine wirkliche lupa zur Säugerin. Unsere gesamte Deutung
des Mythos wird dies von selbst beweisen. Aber auch unab-
hängig von dieser und durch die bloße Stelle des Livius wird,
sowohl durch seine reale Darstellung als durch seine eigene
Erklärung, dieser Punkt fest bewiesen. Livius erzählt (I, 4),
wie nach der Sage eine Wölfin den ausgesetzten Romulus und
Remus gesäugt habe, und wie die Kinder darauf von dem
Hirten Faustulus gefunden und an sich genommen worden seien,
der ja von den Autoren so häufig als der Gatte der Larentia,
der Amme des Romulus, genannt wird (s. die obigen Stellen).
Demgemäß fährt auch Livius selbst fort: „Ab eo (Faustulo)
ad stabula Larentiae iixori educandos Mos. Sunt, qui Laren-
tiam, vulgato corpore, lupam inter pastores vocatam putent;
inde locum fabulae ac miraculo datum." Das also wußte man
schon in Rom selbst, daß den Romulus eine Wölfin nur
deshalb gesäugt hat, weil seine Amme, die Larentia, eine
Hure, lupa, war. Und es bleibt zunächst nur übrig, zu wissen,
warum die Amme des Romulus eine Hure gewesen sei.
727
zufassende Eigentümlichkeit des Mythos, daß er von An-
fang bis Ende einen gewissen nüchternen und auf der
Erde stehenden Charakter hat, und diesen in einer so
großen Zahl realster, wie aus der Wirklichkeit gegrif-
fener Züge durchführt. Die Acca Larentia ist keine Göt-
tin, und wird auch niemals zu einer solchen. Sie ist
purer Mensch und aus der allergewöhnlichsten Klasse.
Sie ist des Romulus Amme, sie ist ein Hirtenweib, sie ist
auch eine Hure, und zwar, wie es bei Macrobius heißt,
die berüchtigtste ihrer Zeit. Trotzdem sie schon einen
Mann, den Faustulus, hat, heiratet sie auch einen anderen,
und zwar, wie die Berichterstatter mit einem merkwürdigen
Realismus der Züge angeben, nicht irgendeinen anderen,
imd auch nach den Versionen, die sie erst zu Ancus' Zeit
leben lassen, nicht einen Römer, sondern gerade einen
Tusker. Nach dessen Tod erlangt sie seine Güter und
setzt das römische Volk zu Erben derselben ein, was
wiederum sehr materielle und an der Erde klebende Züge
smd-^). Schon dies zeigt, daß wir es hier mit einem jener
historisierenden Mythen zu tun haben, wie sie in
Rom gerade besonders häufig sind. Auch bei ihrem Tode
geht mit ihr selbst keine Verwandlung zu einer Göttin
vor. Aber obwohl sie im Tode wie im Leben Mensch
bleibt — und obgleich dies wohl noch nie ein Volk aus
solcher Ursache für jemanden, und zumal für eine öffent-
liche Dirne getan hat — , wird ihr ein Kultus gewidmet,
und selbst göttliche Ehren erwiesen. Ja, die Ver-
ehrung dieser öffentlichen Dirne tritt so stark als die
spezifischste römische Religion hervor, daß Lac-
tantius, nachdem er die heidnischen Religionen im allge-
^) Cato bei Macrobius will sogar noch die Äcker bezeich-
nen, die auf diese Weise in den Besitz des römischen Volkes
gekommen sind.
728
meinen besprochen hat und nun auf die spezifische
römische Religion übergehen zu wollen erklärt, sofort
mit der Verehrung dieser Larentia den Anfang macht ^).
Wie um die Verwirrung voll zu machen, blitzt in dies
Gewebe realistischer Züge einmal eine Beziehung auf einen
Gott hinein. Und hier ist wieder sehr eigentümlich, daß
es gerade ein nicht-italischer, fremder Gott ist,
daß es Hercules ist, zu dem Larentia in Beziehung tritt.
Noch eigentümlicher aber ist die Art dieser Beziehung.
Denn nachdem er sich mit ihr vermischt — was an und für
sich in jenen Mythologien nichts Eigentümliches wäre — ,
gibt er ihr statt jeder anderen Belohnung die Pflicht auf,
sich auch noch mit dem ersten besten anderen zu vermischen,
mit dem sich ihr die nächste Gelegenheit dazu bieten werde.
Dieser andere ist aber niemand anders, wie durch den
Effekt sich zeigt, als eben jener Tusker, der sie heiratet
und reich macht, und so ist denn in letzter Instanz die Ver-
mischung mit dem Gott und sein Auftrag die wirkende Ur-
sache der Vermischung mit dem Tusker und des hieraus
auf das römische Volk herabströmenden reichen Erbsegens.
Wenn schon durch diese bloße Betrachtung der geglie-
derten Züge im Zusammenhange mit unseren früheren Er-
örterungen das Dunkel des Mythus sich dämmernd zu lich-
ten beginnt, so ist es, um zur Helle hindurchzubrechen,
nur noch nötig, zuvor Aufschluß über das Verhältnis zu
bekommen, in welchem Hercules ursprünglich zu den ita-
lischen Völkerschaften erscheint.
Dies ist aber gar kein anderes, als daß er, nach einer
^) Inst, div., I, 20: „Venio nunc ad proprias Romanoruin
religionesy quoniam de communlbus dixi. Romuli nutrix Lupa
honoribus est affecta divinis. Et ferrem, si animal ipsum fuisset
cujus figuram gerit. Auetor est Livius, Larentinae esse simu-
lacrum et quidem non corporis, sed nientis et morum etc."
729
in geschlossenster Übereinstimmung bei den Alten ^) auf-
tretenden Sage, auf seinem Zuge durch Italien als sittigende
Potenz bei ihnen auftritt, indem er den bei ihnen bestehen-
den, dem Manen- und Unterweltsgott Dis geweihten Men-
schenopferkultus abschafft. Er tut dies dadurch,
daß er die (pcora, die sie nach dem Orakelspruche dem
Gotte opfern sollen, nach der doppelten Bedeutung dieses
Wortes als Lichter statt als Männer auslegt, und sie
Kerzen opfern heißt. Merkwürdig tritt hier sofort die
Ähnlichkeit dieser Rolle heraus mit dem ganz Überein-
stimmenden, was uns oben (s. S. 706 fg.) Macrobius von
dem Gründer der Republik, Junius Brutus, berichtet hat,
welcher den von dem etruskischen Tarquinius auf Grund
eines Orakels wiederhergestellten, den Laren gewidmeten
Menschenopferkultus durch Umdeutung der Köpfe in
Mohn- und Knoblauchköpfe abschafft. Aber — und es
ist wahrhaft unbegreiflich, wie nicht einmal die äußerliche
Zusamm.enstellung auf das richtige Verständnis derselben
geführt hat — beide Stellen des Macrobius sind überhaupt
ein und dieselbe, Macrobius macht selbst auf diese innere
Ähnlichkeit aufmerksam, und reiht beide Erzählungen des-
halb aneinander.
Und nun ist nur erforderlich, jenen übereinstimmenden
Bericht bei Macrobius u. a. in seinem Gesamtzusammen-
hange ausführlicher zu referieren, um eins der großartigsten
Facta der Religions-, Völker- und Kulturhistorie, und mit
diesem durch bloße Zusammenfassung der einzelnen Züge
das Verständnis des Mythos von der Acca Larentia zu
gewinnen.
^) Varro ap. Macrob., Saturn., I. c 7, p. 232, ed. Bip. ;
Dionys. Halic, Üb. I. c 24. p. 30, ed. Sylb. ; vgl. das.
c. 13—16. p. 15-19. ed. Sylb.; Stephan. Byz.. v« 'Aßooiy.
730
Aus ihren Sitzen ausgetriebene Pelasger — erzählt
Macrobius aus Varro •*•) — kommen, nachdem sie ver-
schiedene Länder berührt, nach Dodona, jenem bekannten
Sitze des alten pelasgischen Orakels, und ungewiß, wo sie
sich niederlassen sollen, erhalten sie auf ihre Frage vom
Orakel eine Antwort, welche ihnen aufgibt, nach Italien
zu gehen, sich dort mit den Sikelern und Aborigenern, den
bekannten Ureinwohnern dieses Landes, zu vermischen und
dann dem Phöbus den Zehnten zu entrichten, die Köpfe
dem Hades und die cp&Ta dem Saturn. Sie gehorchen dem
Orakel, erobern die Gegend und geben dem Apollo den
Zehnten ") der Beute, errichten dem Dis eine Kapelle und
dem Saturn einen Altar ^), und nachdem sie lange Zeit
^) „Quod Pelasgi, sicut Varro memorat, cum sedibus suis
pulsi, diversas terras petiissent, confluxerunt plerique Dodo-
nam, et incerti quibus haererent locis, ejusmodi accepere res-
ponsum :
ZreixEre jiiatö/uevoi ZixeXwv ZarovQviav alav
'Hö* 'AßoQiyEvecov Korvyrjv ov räoog öxeTxai
Oig ärajur/^evreg öexdrrjv eHTisjuipare 0oißcp
Kai xeq^aXäg "Adr] y.al toJ nargl 7ief.meze cp&xa."
Cf Dionys. Halic, I. c.'24. p. 16. ed. Sylb.
-) Man erinnere sich bei dem Zehnten, was Dionysius, a.
a. 0>, S. 19, erzählt, wie die Pelasger deshalb von den Göttern
mit Unglück heimgesucht, weil, nachdem sie ihnen den Zehnten
von allem Ertrage gelobt, sie ihnen zwar den Zehnten an Früch-
ten und Vieh, nicht aber den der Menschengeburt geopfert
(vgl. den latinischen ver sacrum), worauf sich die Pelasger
hierzu entschließen, nicht aber, ohne daß es zum Aufstand —
der von den Vornehmsten und den Vorstehern der Städte aus-
geht — und zur Spaltung kommt, weil sie sich über die Ver-
teilung des Zehnten nicht verständigen können, woraus nun die
weiteren Irrfahrten des fortziehenden Teiles der Pelasger ent-
stehen.
^) ,,. . . vastatisque Siciliensibus incolis occupavere regio-
nem, decima praedae, secundum responsum, Apollini consecrant,
731
hindurch dem Dis mit Menschenköpfen und dem Saturn
durch das Schlachten von Männern geopfert, kommt Her-
cules auf seinem Zuge mit den Rindern des Geryon in diese
Gegend und rät den Nachkommen jener Pelasger, daß
sie jene unseligen Opfer mit glückbedeutenderen vertauschen
und künstlich gebildete Menschengesichtchen (oscilla) statt
der Köpfe dem Dis darbringen und die Altäre des Saturn
nicht durch Menschenschlachten, sondern durch Anzündung
von Lichtern feiern sollen, den Sinn des Orakels so besser
erfüllend^).
Pelasger also sind es, welche zuerst jenen Menschen-
opferkultus des Unterweltgottes Dis zu den Ureinwohnern
Italiens bringen, den Avir oben als den Larenkultus der
Etnisker oder t}Trhenischen Pelasger, wie sie die Alten
nennen, näher betrachtet haben. Daß der Menschenopfer-
kultus der Pelasger, von dem Dionysius und Varro bei
Macrobius hier sprechen, gar nichts anderes ist, als ein
Larenkultus, wäre schon aus dem Manen gotte Dis"),
der als solcher eine so große Rolle in der etruskischen
Religion spielt ^), von selbst klar, tritt aber auch noch in
der ausdrücklichen und bedeutsamen Erwähnung der Laren
bei diesen Pelasgern, die bei Dionysius in der angeführten
erectisquc Diti sacello et Saturno ara. cujus festum Satumalia
nominarunt; cumque diu humanis capitibus Ditem et virorum
victimir. Satumum placare se crederent propter oraculum etc."
Macrobius, a. a. O.
^) Worauf nun Macrobius den Albinus Cäcina einwerfen
läßt, ganz dieselbe Opferumwandlung werde ja auch in bezug
auf den Tarquinius und Brutus berichtet, und diese Geschichte
erzählt.
-) Vgl. oben S. 707. Note 1.
3) Siehe K. O. Müller. Etrusker. II. 67 fg.
732
Erzählung von jener Krise auftaucht, besonders hervor^).
Und das so häufig konstatierte Übereintreffen, daß jede
griechische Stadt, welche den dort so oft wiederkehrenden
Namen Larissa trägt, sich historisch als ein Sitz und
eine Kolonie der Pelasger nachweise, empfängt jetzt
eine neue Durchsichtigkeit und eine neue Tragweite.
Kaum wäre es jetzt noch nötig, für das Verständnis
des Hercules daran zu erinnern, was Diodor, dem alten
Geschichtschreiber Timäus folgend, in den sinnlichen Zügen
größtenteils ganz und gar verschieden, aber in der Idee
schlechthin übereinstimmend, von dem Zuge des Hercules
in Italien erzählt"). Dieser Repräsentant der letzten pelas-
gisch- hellenischen Kolonie, die nach Italien kommt ^),
durchwandert nach Diodor das Land der Liguren und der
tyrrhenischen Pelasger (Etrusker)^) — wo also für ihn
kein Ort des Bleibens gewesen zu sein scheint — und
schlägt an der Tiber, da wo jetzt Rom steht, sein Lager
auf. Erst viele Menschenalter später sei Roma von Romu-
lus erbaut worden. Damals sei nur der palatinische Hügel
von Eingeborenen bewohnt gewesen, welche eine ganz kleine
Stadt innehatten. Hier trifft Herakles freundlichen Emp-
fang. Von den zwei angesehensten Männern dieser Hügel-
bewohner, Cacius und Pinarius, sei er äußerst gastfrei
aufgenommen und beschenkt worden. Nicht nur das An-
denken dieser Männer habe sich noch immer erhalten, son-
dern auch das Geschlecht der Pinarier, das älteste in Rom,
^) Dionys., I, c. 16, p. 19: „«at nolla Ecphxia (lares) ÖXa
i^'i]?Mq)'&r], fXEQOvg avrcov /.le&iora^uevov n. z. A."
n Diodor. Sic. lib. IV. c. 21, I. 335. ed. Dind.
^) Vgl. die Resultate der Forschungen von Raoul-Rochette
(Hist. des Colonies Grecques). Niebuhr. Dolomien u. a.
"*) f'Hgaxh'is de öieX&cbv ri]v re rcöv Aiyvcov xal t/jv xöjv
TvQ^Yjvwv xcÖQav X. X. X."
733
dauere noch jetzt zu seiner Zeit fort. Herakles habe sich
diese freundliche Gesinnung (rrjv evvoiav) der Hügelbewoh-
ner wohl gefallen lassen und ihnen verkündet : wer nach
seinem Heimgange zu den Göttern dem Hercules den
Zehnten von seinem Vermögen zu weihen ge-
loben werde, der werde ein beglückteres Leben
haben ^). Und wirklich dauere diese Sitte noch "fort bis
auf seine, Diodors, Tage. Viele Römer, nicht bloß solche
von mittlerem Vermögen, sondern auch von den reichsten
hätten gelobt, dem Herakles zu zehnten, und seien gerade
darauf so mit Gütern gesegnet {evöaitiovag) worden, daß
ihr Vermögen sich auf 4000 Talente belief. So habe Luc-
cullus sein Vermögen schätzen lassen und dem Gotte den
ganzen Zehnten ^geopfert durch Veranstaltung lan.g fort-
dauernder Schmausereien'). Die Römer hätten aber dem
Gotte einen Tempel an der Tiber errichtet, um die Opfer
aus dem Zehnten darzubringen.
Nach den vorher mitgeteilten Berichten kann die Be-
deutung dieser von Diodor nach Timäus gegebenen Er-
zählung nicht mehr dem geringsten Zweifel unterliegen.
Der Vermögenszehnte, den Herakles bei jenen, die ihn
freundlich empfangen, für sich einführt, der Zehnte, von
dem er verspricht, daß er denen, die ihn zu weihen ge-
loben, em wohlbeglückteres Leben schaffen werde, und
der — ganz wie in dem Mythus der Acca Larentia, die
durch den Rat des Gottes dem römischen Volke zustande
gebrachte reiche Erbschaft — in der Tat einen so reichen
irdischen Segen nach sich zieht, er ist nicht ein Zehn-
^) ., . . . TtQoeXjiEV avroTg, Sri /ueid ri]V eavzov fXExäoxaoiv
eig rovg &Eovg töig ev^auevocg ixöexazevoeiv 'Hgay-kel rijv
ovotav, ovtiß/joerai zöv ß'iov EvdaiuoveorsQov e^eiv."
-) Ebenso Sulla (siehe Plutarch, !, 474. A.) und auch
Crassus (siehe Plutarch, das.. S. 543, C.)-
734
t e n , den Herakles sich einführt, eristdieEinführung
des herakleischen Prinzipes in den Zehnten; er
ist jene Umwandlung des den Unterweltsgöttern
gespendeten Menschenzehnten in einen Vermö-
genszehnten, die wir nach Dionysius, Varro und Ste-
phan von Byzanz den Herakles bei den mit den Aborigenern
vermischten Pelasgern haben vollbringen sehen.
Und gleichsam damit dem eigenen Denken auch nicht
das geringste übrig bleibe, und um uns in den Stand zu
setzen, einen mathematischen Beweis zu führen,
ist uns bei Plutarch die Nachricht erhalten: Herakles
habe die Römer von einem Zehnten, den sie den
Etraskern bis dahin zu entrichten gehabt hät-
ten, befreit^), und es wird dabei von Plutarch die Frage
aufgeworfen, ob diese Tatsache nicht der Grund davon sei,
daß so viele reiche Römer dem Herakles ihr Vermögen
verzehnten. Herakles führt also gar nicht einen Zehnten
für sich ein, sondern er befreit die Römer von jenem
Zehnten, den siederetruskischen Substanz ent-
richten, er vollbringt und bedeutet die Umwandlung des
pelasgisch-etruskischen in den deshalb ihm gewidmeten
Vermögenszehnten.
Nachdem jetzt aber die Bedeutung des herakleischen
Prinzipes für die italische Mythologie ins Klare gestellt
ist, bedarf auch der Mythus der Acca Larentia nur noch
der Zusammenfassung seiner Züge, um in voller Klarheit
seine großartige Bedeutung zu enthüllen.
Wenn in der Erzählung des Varro und Dionysius ethno-
1) Plut. Quaest. Rom., .p. 267. E.. II. 95. ed. Wytt. :
,^Aia xl xop 'HQaxXet nolXol xo)V nXovoioiv iöexdrsvov xäg
ovoiag] . . . "li öxt Pco/uaiovg vno Tv^Qtjvöjv öexa-
xevo/UEVovg dTiip.Äa^Ev;"
735
graphische und religionsgeschichtliche Züge von hohem
Interesse hervortraten, so ist in dem Mythus der Acca
Larentia noch etwas ganz anderes gegeben.
Es ist einer der wunderbarsten und gewaltigsten Mythen,
die uns das Altertum hinterlassen hat, und statt irgend
entstellt und verdorben zu sein, bedarf er in wahrhaft künst-
lerischer Vollendung nicht eines Zuges mehr, und kann
nicht emen entbehren, um jenen ^v■eltbewegenden Hergang
auszusprechen, den er in tiefer Bedeutsamkeit ausspricht.
Acca Larentia, das Wesen, an dessen Brüsten Rom
gelegen hat, personifiziert in seinem Gründer Romulus, ist
ein Mischwesen, eine Hure, wie Rom den Charakter
der Völkermischung, aus dem es entsprungen, naiv und
treu darstellt.
Sie ist die Frau des Hirten Faustulus, der jenen pala-
tinischen Hügelbewohnern entspricht, die nach Diodor den
Herakles so bereitwillig aufnehmen. Doch sie ist Hure,
und als solche vermischt sie sich mit dem Tusker Caru-
tius. Aber sie hat sich auch mit Herakles vermischt und
den Einfluß dieses Prinzipes in sich aufgenommen.
Die Vermischung mit dem Gotte war nach dem Mythus,
der die Aufeinanderfolge umkehren muß, um die objek-
tive Entwickelung des Seins zu einem plan- und zwecklos
Gewollten göttlicher Fürsehung zu machen, die treibende
Veranlassung zu der Vermischung mit der tuskischen Sub-
stanz. Der hierauf hinauslaufende Rat ist die einzige und
höchste Belohnung, die ihr der Gott für ihre Vermischung
mit ihm geben kann, ein zukunftsvoller Götterauftrag, dem
Acca Larentia, treu ihrem Metier, gehorsamt.
Indem sie sich mit beiden mischt, mit der tuskischen
Substanz und dem herakleischen Prinzip, und so die Ver-
mischung beider miteinander in sich selbst bewirkt, ist hier-
736
durch jene negative Stellung der tusklechen Substanz (s.
oben S. 709fg., 711 — 719) überwunden. Das hera-
kleische Prinzip ist in sie eingeführt, der Abgrund der
Unterwelt ist geschlossen, der Vermögenszehnten ist an
die Stelle des Menschenzehnten, das Opfer von Kerzen
an die Stelle des Menschenopfers, das Opfer von Bildchen
und von Mohn- und Knoblauchköpfen an die Stelle des-
jenigen von Menschenköpfen getreten, und die Larenmutter
Mania aus ihrer unterweltlichen verzehrenden Stellung her-
ausgerissen und in ein heilbringendes Wesen der Leben-
digen verkehrt worden (s. oben S. 708). Das ist der reiche
irdische Segen, der aus der Mischung mit dem Etrusker
nach dem Beischlaf mit dem Gott auf das römische Volk
herabströmt. Jetzt wissen wir auch, warum es bei Ma-
croblus heißt, daß der Menschenopferkultus der Laren
und der Mania von dem etruskischen Tarquinlus nicht ein-
geführt, sondern wiedereingeführt, wiederherge-
stellt worden ist (restituti, s. oben S. 706).
Auf welche Weise gelangt denn aber im Mythus der
Acca Larentia das römische Volk zu jenem aus dieser
Überwindung der negativen Richtung der etruskischen Sub-
stanz auf es herabströmenden reichen irdischen Segen ? In
merkwürdiger Vollendung antwortet uns darauf der Mythus
selbst : ,,cum decederet, populum Romanum mincupavit he-
redeni"^). Als Larentia, die Amme des Romulus, stirbt,
^) Macroblus, a. a. C, S- 242. Es ist bemerkenswert, daß
die römische Tradition bei der Angabe, wie Acca Larentia
zuvor selbst das Vermögen von ihrem tuskischen Gatten nach
dessen Tode erlangt habe, nie von Testament, auch nicht
einmal von hereditas überhaupt spricht, sondern da heißt es
nur: „post obltum viri omniuni bonorum ejus facta compos";
siehe Macrobius, a. a. O.
25 La«»Ue, G« Schriften. Bind XII. 737
nunkupiert^) sie, verkündet sie das römische Volk als
testamentarischen Erben! Nicht das Objekt der Be-
reicherung, nicht die fabelhaften Äcker, sondern das Mit-
tel der Bereicherung selbst, das Testament, ist der
reiche Segen, der sich aus jener Überwindung der nega-
tiven Richtung seiner pelasgisch-tuskischen Substanz auf
das römische Volk herabergießt, der mit dieser durch die
Mischung vollbrachten Überwindung sofort gegeben und
vorhanden ist.
Die pelasgische Substanz, die unendliche Willenssub-
jektivität des Lar, aus seiner negativen Stellung, die er
in der religiösen Vorstellung einnimmt, herausgerissen, ist
der im Erben fortexistierende Lar und darum seine von
ihm selbst gesetzte Willensfortexistenz oder der
testamentarische Erbe! — Die unendliche Willens-
subjektivität aus der Unterwelt, in welche sie das dumpfe
Insichsein der religiösen Vorstellung versenkt, herausge-
rissen und gesetzt als geltend oben in der geistigen
Wirklichkeit der Lebenden — das ist das Recht
überhaupt. Durch das Testament, wie wir oben sag-
ten (s. S. 713), ist der Abgrund der Religion geschlossen
und der Orkus zur Oberwelt oder zum Recht herauf -
produziert. Das Testament und das Recht — das ist
der reiche irdische Segen, der ein ,, beglückteres
Leben hervorbringende" Segen {röv ßiov evdaijLioveoreQov
e'ieiv) des römischen Volkes, der ihm aus jener mischenden
windung seiner pelasgisch-tuskischen Substanz stammt !
So ist Acca Larentia nur die eigene Selbstpersoni-
fikation und Selbstanbetung Roms; es ist nur die
Gestalt, in welcher Rom seinen eigenen historischen
^) Bekanntlich der solennelle Ausdruck für die älteste zivi-
listische Testamentsform.
738
Genius anschaut und als göttlich verehrt. Alles,
was wir oben aus dem Begriff entwickelt, das haben wir
hier als die eigene, aber wieder nur dem Begriff lesbare
Runenschrift des alten Mythus wiedergefunden!^) •
Jetzt wissen wir auch, warum es bei Sabinus Massu-
rius ^) heißt, Acca Larentia sei Mutter von zwölf Söhnen
gewesen, von denen sie einen durch den Tod verloren und
an dessen Stelle sie Romulus eingesetzt habe.
Es ist die deutlichste Beziehung auf den berühmten
etruskischen Zwölfstädtebund, wie denn ja auch die
Etrusker bei der Ausbreitung ihrer Herrschaft im Tiber-
wie im Paduslande zwölf Städte gegründet haben sollen^)
und die frühere Abhängigkeit Roms von etruskischer ^)
Suprematie, die in der Periode der beiden Tarquinier so
deutlich ausgesprochen ist, im allgemeinen lange anerkannt
istO.
^) Jetzt sehen wir auch, daß es nchtig ist, wenn K. O.
Müller (siehe oben S. 726) im Namen der Larentia die klare
Beziehung auf Lar erkennt ; aber falsch, wenn er sie mit der
Larenmutter Mania identifizieren will. Sie ist das von den
Laren herkommende, aber überwundene, umgewan-
delte Wesen derselben. Jetzt begreift sich auch, warum
im alten Kalender unmittelbar auf das Fest der Laren das der
Larentia folgt.
2) Bei Gelllus. N. A.. VI. c. 7.
3) Siehe K. O. Müller, Etrusker. I. 73. 131, 168, 344 fg.
*) Jetzt begreift sich auch, wie so DIonysIus v. Halle.
(I, 29) bei so vielen griechischen Schriftstellern die Meinung
finden kann, daß Rom eine etruskische (tyrrhenische) Stadt
sei, und Herakleides Ponticus (ap. Plutarch. CamilL, 22) sie
dennoch eine hellenische Stadt nennen kann.
^) Niebuhr, Römische Geschichte. 2. Ausg., I, 425: „Ich
will hierüber nicht weiter grübeln, aber in dieser Darstellung,
wie In der gewöhnlichen von L. Tarquinius Priscus, ist die
Ansicht klar, daß Rom einst tuskische Formen von einem Für-
25» 739
Es hat sich uns so eine feste Grundlage für die Ent-
wirrung der gesamten Sagen- und Ursprungsgeschichte
Roms ergeben, die hier nicht weiter verfolgt werden kann,
tiber nur geistig festgehalten zu werden braucht, um zur
Aufwickelung dieses Knäuels zu führen.
Servius, den man den historischen Romulus nenner
könnte, dessen mythisch vorausgeworfener Schatten Romu-
lus nur ist, er, von dem wirklich spezifisch-römischer
Geist und Verfassung stammt, trägt wieder denselben
Mischcharakter, das Dasein der tuskischen Substanz
und die Überwindung derselben, durch seinen Ursprung
auf der Stirn. Auf dem Herde des etruskischen Königs
Tarquinius Priscus, da, wo die Römer die Sacra ver-
richten^), da entsteht plötzlich aus der Asche ein männ-
liches Zeugungsglied. Und zwar ist es, wie die Sage
ausdrücklich berichtet, der Lar, der diese Gestalt ange-
nommen hat. Er wird zuerst von einer latinischen Sklavin
gesehen, die es der Königin Tanaquil hinterbringt. Diese,
tief erfahren in etruskischer Divinationswissenschaft, ver-
kündet dem König, der Schicksalsbeschluß sei, daß ein
sten dieser Nation erhalten habe und die große und glän-
zende Hauptstadt eines mächtigen etruskischen
Staates war": vgl. K. O. Müller. Etrusker. I. 121-123.
— Insofern aber Niebuhr in den angeführten Worten von den
tuskischen Formen, welche Rom von einem Fürsten dieser
Nation erhalten hat, den von ihm zuerst durch die Rede des
Claudius in seiner Identität mit dem tuskischen Mastarna nach-
gewiesenen Servius Tullius meint, auf den die Römer ihre
Verfassung zurückführen, greift sein durch historischen Blick
nur ganz im allgemeinen in richtiger Richtung getriebenes Ver-
muten völlig fehl. Servius Tullius-Mastarna ist gerade ent-
tuskerndes, das spezifisch Römische produzierendes Moment,
worüber hier im Text nur eine kurze Andeutung folgen kann.
^) ,lEcp rjg äXXag xe avvxekovoi Pcojuacoi leQovgycag x. x. X.
740
mehr als menschliches Geschlecht^) aus dem
Weibe hervorgehe, welches sich mit diesem Zeugungsglied
vermischen werde. Aber Tarquinius beschließt zum Un-
glück seines Hauses, jenes Weib selbst, das ihn zuerst
gesehen, solle den Beischlaf mit ihm vollziehen. Und so
entspringt aus der Vermischung des tuskischen Lar
mit der latinischen Sklavin — Servius TuUius, der
König von Rom wird und die römische Verfassung
gründet^).
Also auch Servius, der spezifische Schöpfer des Römi-
schen, ist nur dies — ganz wie wir dies im Mythus der
Acca Larentia gesehen haben — : hervorgegangen zu
sein aus tuskischem Larentum, aber nur durch seine
mischende Überwindung^).
Dieser Servius selbst ist es nun, welcher nach
den Zeugnissen der Alten zur Erinnerung an seinen Ur-
^) „öxi yevog anb xriq eoriag xov ßaodsiov nenQcoxai yeveo-
■&ai. xqeTxxov f] xaxd xr]v dv&QCOJielav cpvotv ex xrjg /iux^etor]g
xcö (pavxdojtiaxi yvvaixog.'^
^) Siehe den Bericht bei Plinius, XXXVI, 70. DIonysius
V. Hahc, IV, 2, p. 207, ed. Sylb. (aus welchem die ange-
zogenen Stellen). Amobius, Adv. gent., V, c 17, p. 178.
Ovid, Fast., VI, 627. — Plinius sagt ausdrücklich lar, und
Dionyslub übersetzt das lateinische lar ganz richtig und genau,
wenn er Ihn einen }<ax olxiav ^JQcog nennt; vgl. über den aus
dem Larendienst entsprungenen Heroendienst der abgeschiedenen
Vorfahren Isaak Casaubonus zu Sueton. Caes., c. 88, p. 226,
ed. Wolf, und Raoult-Rochette In den Monumens Inedits,
wonach auf Denkmalen die abgeschiedenen Seelen häufig als
7]Qcoeg vorkommen und Ihre Grabmäler i]Qcoa genannt werden,
womit wieder die sprachliche Bemerkung über iJQcog oben,
S. 305. Note 1, zu vergleichen Ist.
^) Ja. diese Identität Ist so unleugbar, daß eben des-
wegen der Ursprung von Romulus selbst auf solche
Zeugung zurückgeführt wird; siehe Plutarch, Romul., c. 2.
741
Sprung den Laren die Spiele der Kompitalien stif-
tet^). Das sind aber eben die Laren in ihrer neuen Wen-
dung, die Laren, die jenen Scheideweg in sich schon
eingeschlagen haben, die Laren in ihrer versöhnten
Wendung zum Guten und als frohe Heilsgötter, zu denen
sie sich durch jene Überwindung ihres negativen Wesens
umwenden (siehe oben S. 706 fg.). Dies tritt, wie in dem
Namen") dieser Compitalia, nach welchen die Laren auch
lares compitales genannt werden, so auch in den Berichten
der Alten und in den Gebräuchen dieses Festes deutlich
hervor. Es sind Spiele und Freudenfeste, und es reicht
hier hin, an den charakteristischen Zug zu erinnern, daß
an diesen Festtagen der Laren die Sklaven volle Frei-
heit gleich ihren Herren genießen^), in deutlicher Erin-
^) Plinius, a. a. O. ; Dionysius v. Halic, IV, p. 219, ed.
Sylb. ; A. Gellius, N. A.. X. 24.
^) Compitalia werden nämlich diese Spiele genannt von com-
pitum, Scheideweg, weil sie ihnen nach Servius' Verord-
nung an Scheidewegen gefeiert werden, worin aber nichts
anderes als wiederum, unter Anspielung auf den bekannten
Mythos vom Scheideweg des Herakles — dem deshalb
auch die Scheidewege heilig sind — die Beziehung auf jenes
he rak leise he Prinzip und auf die durch dasselbe in ihnen
voll! rächte Umwendung zu freundlichen, versöhnten, durch
Spiele ergötzten Göttern hervortritt. So werden jetzt die Laren
auf Kreuz- und Scheidewege gesetzt (Servius bei Dionysius,
a. a. O., befiehlt, daß ihnen an allen Scheidewegen Heilig-
tümer errichtet werden müssen), zu denen sie, die Ins Innerste
des Hauses gehören, sonst nicht die geringste Beziehung haben,
und es entstehen lares compitales, viales usw. So begreift sich
auch das Verbot bei Cato in bezug auf die Laren : „Rem
divlnam nisi compitallbus in compito, aut in foco, ne faclat."
^) Siehe die Stellen Note 1, und Cicero, Epist. ad
Attlc, VII, 7; Horatlus. Od. III, 17, 14. und MItscherHch
dazu; vgl. Hempelius de Dlls Laribus, p. XLIII sqq., und
742
nerung daran, daß es ihr eigenes Freiheitsfest ist, das Fest
ihrer Befreiung von der religiös-hieratischen Herrschaft,
das die Römer hier feiern. So auch begreift sich erst die
große, von ihnen selbst nicht erklärte Wichtigkeit, mit
welcher Dionysius und andere die Gründung dieses Festes
als eine der Hauptverordnungen des Servius anführen.
Allein wenn wir sagten, nur den Laren in dieser ver-
söhnten Wendung stiftet Servius diese Compitalia, und
er ist es, der diesen Kultus ihrer als versöhnter Wesen
einführt, und dies ist die Bedeutung der Compitalia,
so ist dies alles ja am entscheidendsten dadurch erwiesen,
wenn wir uns noch einmal der Stelle des Macrobius (Sat.
I, c. 7) zuwenden. Denn aus dieser erfahren wir ja, daß
Tarquinius gerade gegen diese von Servius den Laren
gestiftete Compitalia auftritt und an Stelle dieser den
laribus compitalibus gefeierten Wendespiele den Laren
und der Mania den alten Menschenopferkultus
wiederherstellen will^).
Aber so sehr auch die alte etruskische Substanz gewaltig
von neuem anstürmt, sie kann des versöhnten Geistes nicht
mehr Herr werden. Die Periode des Tarquinius Superbus,
die Eroberung Roms durch Porsenna ist diese Periode
des römischen Kampfes für das spezifisch-römische
Bewußtsein, für seine Befreiung, Herausentwickelung und
Losreißung von der hieratischen Herrschaft des religiösen
Morestellus de fer. Rom-, Dialog. XI, in Graevii Thes,
Antiqu., VIII. 803 sqq.
^) „Quälern nunc permutationem sacrificii, Praetextate, me-
morasti, invenio postea Compitalibus celebratam, cum ludi per
urbeni in compitis agitabantur, restltnü scilicet a Tarquinio
superbo Laribus ac Maniae," heißt es bei Macrobius. Die
Lares, denen Tarquinius ihre Feier restituieren will, treten
in der Stelle von selbst in Gegensatz zu den lares compitales.
743
Elementes, die trotz der vorübergelienden tuskischen Waf-
fenerfolge nicht mehr aufgehalten werden kann. Die Re-
ligion kann des Rechtes nicht mehr Herr werden !
Aber in der Erinnemng Roms behauptet sie sich noch als
die Grundlage seines Entstandenseins, wie sich dies (s.
oben S. 7 14 fg.) in dem eigentümlichen Verhältnis Roms
zu etruskischer religiöser Disziplin zeigt, und in den Iden
des Mai, im Frühlingsäquinoktium, stürzen noch zu des
Dionysius Zeit im feierlichen Aufzuge die Pontifices, die
Vestalinnen und die Prätoren — als sollte jenes Hervor-
gegangensein des Rechtes aus der Religion durch dieser
Gegenwart angedeutet werden — dreißig Bildchen von
Menschen von der heiligen Brücke in den Tiberstrom, und
Dionysius selbst erzählt, daß ihnen dieser Gebrauch von
Hercules gelehrt worden sei, der einen Altar auf dem
satumischen Hügel gegründet, die Menschenopfer bei ihnen
abgeschafft und, um die erzürnten Götter wegen der Ver-
nachlässigung der heimischen sacra zu versöhnen, jene bild-
liche Opferung angeordnet hätte ^).
So hat sich denn durch allmähliches und systematisches
Zurückgehen ein großes Stück Vorgeschichte unseren
Augen enthüllt, und wenn Niebuhr (a. a. O.) noch aus-
ruft, daß sich hier nur „von der Höhe her einige Punkte
in grauer Ferne kenntlich zeigen, die, wenn man herab-
stiege, um sich ihnen zu nähern, sich sogleich wieder aus
dem Blick verlieren"-), so haben sich uns vielmehr in
') Dionysius v. Halic. I, c. 24, p* 39, ed. Sylb.
') Der prinzipielle Unterschied der hier entwickelten .A.uf-
fassungswelse von der Niebuhrschen muß von selbst klar sein.
Niebuhr faßt den vorgeschichtlichen Stoff, insbesondere die
Perlode der Tarquinier, als freie Poesie auf; er sieht in
ihnen ein Heldenlied, ein Nibelungenlied ,,von der Helden
Not". GeschichlHche Sage und Mythos ist aber niemals freie
744
Bestimmtheit die scharf geschnittenen Umrisse dieses Ent-
stehungsprozesses und seiner geistigen Faktoren ergeben.
Der Zusammenhang aber, der uns zu diesen Unter-
suchungen trieb, war kein willkürlicher, er war die trei-
bende Seele des Stoffes selbst. Wo das Recht in seiner
Tiefe erfaßt wird, da wird ganz mit derselben Notwendig-
keit auf die Entstehungsgeschichte Roms hingetrieben, mit
welcher die Entstehung Roms sich zur Produktion des
Rechtes getrieben hat.
Das allgemeinste philosophische Resultat aber, das sich
uns aus diesen Entwickelungen ergeben hat und mit wel-
chem wir dieselben schließen wollen, ist folgendes. Pelas-
ger und Römer, Pelasger und Hellenen, dies, was wir
als ein reales völkergeschichtliches Verhältnis auszuspre-
chen pflegen, stellt ebenso sehr ein reines Verhältnis der
Poesie, und am wenigsten bei den Römern. Es ist mythische
Verarbeitung eines sehr realen, geistig-historischen Inhaltes, der
aus dieser seiner ihn oft bis zur Unkenntlichkeit treibenden
Umbildung nur herausgelöst sein will. Aus jenem Verhältnis
Niebuhrs zum geschichtlichen Stoff fließt seine Überlegenheit
in rein kritischer Beziehung, und seine Schranke, das Positive
in jenem Sagenstoffe zu erkennen. Daher der totale Gegensatz
In den Resultaten, zu denen sich seine Betrachtungsweise gegen
die obige treiben muß. So sieht er z. B. (2. Ausg., II, 572")
in der Erzählung, daß Tarquinlus Menschenopfer eingeführt
habe, eine aus bloßem Parteigeist entstandene Erdichtung, oder
(das. S 609) In der von Ihm selbst angezogenen Nachricht
des Plutarch, daß Herkules die Römer vom etruskischen Zehn-
ten befreit habe, den allegorischen Ausdruck davon, daß sie
es „durch eigene Kraft" getan haben, und will die Nachricht
deshalb auf die durch Porsenna den Römern auferlegte Ab-
hängigkeit beziehen. Wir glauben durch eine vollständigere Be-
trachtung des hier einschlagenden Stoffes gezeigt zu haben,
wie In dem letzten Faktum so wenig von einer Allegorie, als In
ersterem von einer Parteierdichtung die Rede ist. Beide Nach-
745
Idee, den Übergang und Durchbruch derselben Substanz
aus einer Form des menschlichen Geistes in eine höhere
dar, den Übergang der unendlichen Subjektivität aus der
Form der phantastischen Innerlichkeit der Religion, bei
den Hellenen in die höhere Form und Realisation der
Kunst, bei den Römern in die höhere Form und Reali-
sation des Rechtes.
Die Religion bleibt bei beiden Geistesgestalten hin-
ter ihnen liegen, bei den Römern als jener überwundene
Zusammenhang mit seiner mütterlichen Wurzel, wie wir
dies oben (S. 711 fg.) gezeigt, bei den Griechen, wo dies
nur sinnlich weniger stark in die Augen tritt, dadurch, daß
der religiöse Boden, wie schon bei Homer der Fall, nur
zum Ferment und Stoff für die umgestaltende Tätigkeit der
Kunst genommen wird.
richten, scheinbar so getrennt, hängen vielmehr ganz miteinander,
hängen wiederum ebenso, wie sich gezeigt hat, mit einer Masse
scheinbar ebenso unabhängiger und selbständiger Überlieferun-
gen auf das Innigste zusammen, und sind Züge in diesem
großen Gewebe, welches die rellgionsgeschlchtllche Umwälzung
und den Bildungsprozeß des spezifisch-römischen Geistes her-
austreten läßt. Wenn nach dem, was wir zuletzt über Servlus
angedeutet haben, die Acca Larentia, die des Romulus Amme
Ist, nach so vielen Berichterstattern erst unter Ancus Mar-
tius gelebt und zu seiner Zeit sich mit Herakles ver-
mischt haben soll, so leuchtet jetzt durch die bloße Be-
trachtung, daß dieser Ancus der König Ist, der unmittelbar
vor der tarquinischen Herrschaft (L. Tarquinius Priscus) und
dem in ihr erfolgenden Auftreten des Mastarna-Servius herrscht,
ohne daß dies hier weiter verfolgt werden kann, von selbst ein.
In welchem innigen Zusammenhange es mit dem oben Nach-
gewiesenen steht. — Nicht ein Heldenlied, sondern die Residua
eines der größten und wahrsten kulturhistorischen Prozesse, und
der wahrhafte Entwickelungsprozeß des spezifisch-römi-
schen Geistes Ist es, den wir In jenen Mythen vor uns haben.
746
XLII. Schluß.
Wir glauben nunmehr den Zweck, den wir uns gestellt,
vollständig erreicht und das römische Erbrecht in seiner
dogmatischen Entfaltung, wie in seiner historischen Bewe-
gung auf das strengste als das Dasein des spekulativen Be-
griffes nachgewiesen zu haben, den wir sub Nr. I als den
kulturhistorischen Inhalt des römischen Volksgeistes ent-
wickelt haben; des Begriffes der Unendlichkeit und Per-
petuierung des subjektiven Willens, oder, wie wir dies,
um Analogie und Unterschied mit zuideren Stufen des welt-
historischen Geistes bestimmt hervorzuheben, schon dort
darlegten: des Begriffes der Unsterblichkeit des
Geistes, der aber noch nicht als Geist aufgefaßt wird,
sondern sich vorerst nur auffaßt als der der objek-
tiven Außenwelt entgegengesetzte, und daher mit
ihr als seinem notwendigen Gegensatze behaf-
tete und sich auf sie beziehende subjektive
Wille der Person.
Aus dem so gefaßten spekulativen Begriff in dieser
seiner konkreten Präzision ergibt sich sofort das Gesamte
des römischen Erbrechtes, Dogmatik wie Geschichte.
Nur von diesem spekulativen historischen Begriff aus be-
greift sich der wahrhafte Geist des römischen Erbrechtes ;
nur so entwickelt und gestaltet sich von selbst der gesamte
erbrechtliche Stoff bis in seine einzelnsten Sätze hinein, wie
wir hinreichend zeigten, zu einem konsequenten Systeme im-
manenter Vernunft, während es sonst im ganzen wie in
seinen Einzelheiten durchaus mißverstanden wird. Nur so
begreift sich auch die Geschichte dieses Rechtes als
eine innerlich zusammenhängende Gedankenbewegung, bei
der das Spekulative und Interessante darin besteht, das G e -
747
doppelte zu begreifen: wae in dieser Fortbewegung der
ursprüngliche spekulative Begriff (das alte Zivilerbrecht)
ebenso sehr beständig schrittweise von sich abläßt, sich
veräußerlicht und in sein Gegenteil (die Erbschaft als
Vermögenserwerb) überzugehen anfängt, als diese Bewe-
gung andererseits wiederum beständig den inneren Zusam-
menhang mit dem spekulativen Begriff des Zivilerbrechtes
noch bewahrt, sich dieser Wurzel nie entäußert, und noch
in ihrem Ablassen von ihm unter seiner treibenden Ein-
wirkung steht. Charakter wie innere Notwendigkeit dieser
Fortbewegung haben wir aufgezeigt. Denn wir haben ge-
sehen, wie urspünglich der spekulative Begriff des Erb-
tums als der identischen Willensperpetuierung
sich ohne Rücksicht auf das Vermögen und selbst im
schroffsten Gegensatz zu dem Vermögen verwirk-
licht; wie aber das Erbtum eben hierin an dem selbstän-
digen subjektiven Willen des Erben, der im Gegensatz zum
Vermögen gebracht, immer häufiger auszuschlagen anfängt,
das innere Moment seiner Reibung findet^), und daher
den individuellen Willen des Erben für die Herstellung
der Willensidentität erst durch sein persönliches Inter-
esse interessieren muß (lex Falcidia), einen Übergang
des Erbtums, den man als den Grundsatz sacra non sine
pecunia aussprechen kann, und der somit innerlich durch-
aus übereinstimmt und zusammentrifft mit dem Grundsatz
Sacra cum pecunia, der sich inzwischen aus der äußersten
^) Daß der realiter enterbte Erbe ausschlägt, ist, wie wir
wiederholen müssen (s. Nr. VII), nicht äußerlich und zu-
fällig zu nehmen, sondern es zeigt sich darin nichts anderes,
als daß der Wille des Erben, den der Erblasser als das
Dasein seines Willens setzt, vielmehr ein anderer und ver-
schiedener von ihm ist; d.h. es zeigt sich darin der Kampf
des Erbtums mit seiner eigenen Voraussetzung.
748
J
subsidiären Falte des Intestaterbrechtes, der usucapio pro
berede, zu einem selbständigen, besonderen und subsidiären
Erbrecht, dem Erbrecht als Vermögenserwerb oder der
prätorischen bonorum possessio heraus entwickelt hat.
Mit der lex Falcidia ist also auch der zivilistische
Testamentsbegriff bereits an sich in dasselbe übergangen,
was das subsidiäre prätorische Erbrecht seinerseits ist.
Der Erblasser soll seine Fortexistenz sichern, indem er
den Erben für die Verwirklichung des testamentari-
schen Willens bestimmt. Dies hat er auch erreicht ; allein
indem er dies nur dadurch erreichte, daß er das per-
sönliche Interesse des Erben befriedigen mußte, hat
er an sich den Willen desselben bereits als einen an-
deren, übergreifenden und den Erblasser negieren-
den (während ja dieses letzteren Wille die zu perpe-
tuierende und als fortbestehend aufzuzeigende ursprüngliche
Substanz des Erbtums war) anerkannt. Er hat den
Erben als notwendigen Vermögens nehm er aner-
kainnt, oder als seine, des Erben, Substanz das Vermö-
gen gesetzt. So hat sich denn auch die zivilistische Sphäre
für sich selbst zu demselben Prinzip hingetrieben, wohin
sich jener, aus ihr als ein besonderes Recht herausgesetzte
subsidiäre Keim entwickelt hat; sie kann und muß daher
von nun an dasselbe wieder in sich aufnehmen und, ihren
zivilistischen Unterschied gegen dies besondere und subsi-
diäre prätorische Erbrecht allmählich aufgebend, sich mit
demselben zu einer Einheit durchdringen. So ist also auch
für das zivilistische und testamentarische Erb-
tum die Umwandlung des spekulativen Erbtumsbegriffes
in einen Vermögenserwerb gegeben, eine Umwandlung,
die in den mannigfaltigsten und feinsten Verschlingungen
immer noch an den Begriff der Willensidentität gebunden,
als Ende dieser langen Bewegung endlich die justinianeische
749
Erbschaft sub beneflclo in ventaril produziert ^ ) , in wel-
cher letzten Entäußerung seines spekulativen Begriffes,
die wir im römischen Recht eintreten sehen, der Vermö-
genserwerb die siegreiche Gleichstellung er-
langt, von dem Erben als das Substantielle seines
Verhältnisses offen gesetzt werden zu können.
Endlich gelangt man erst durch dieses Verständnis des
Erbrechtes zu dem wahrhaften und konkreten Verständnis
des welthistorischen Inhaltes des römischen Volksgeistes
und seines dialektischen Verhältnisses zu den ihm voran-
gehenden und ihm nachfolgenden Stufen der geistigen Ent-
wickelung. Ebenso hat sich dabei ein heller Blick in die
Bedeutung des jus civile überhaupt, und sein Verhältnis
zum römischen Geiste ergeben. Es hat sich ganz konkret
gezeigl, wie das jus civile nichts anderes ist als das Dasein
des spekulativen Begriffes, welcher den ursprünglichen In-
halt des römischen Volksgeistes ausmacht, in seiner uner-
schüttert substantiellen Gedrungenheit. Das prätorische
Recht ist nichts anderes als die Bewegung des römischen
Volksgeistes, in der Form der Ergänzung und Fortbildung,
sich die spezifische Substanz dieses Volksgeistes all-
mählich abzuarbeiten und abzuschleifen und in allgemein-
menschliche Verhältnisse münden zu lassen, eine Be-
wegung, welche ihrer äußeren Form nach jetzt von dem
unter der Form der Billigkeit gegen den spekulativen
Begriff reagierenden Verstand vollzogen wird. Das prä-
torische Recht ist so nichts anderes als die große und
langsame Arbeit der allmählichen Entnationalisie-
rung. Diese Arbeit trifft daher innerlich wie äußerlich in
ihren Endpunkten mit dem Christentum zusammen und
macht durch diese von ihr vollzogene Auflösung des spezi-
1) L. 22 C. (6. 30).
750
fischen Volksgeistes Rom fähig, den allgemein-
menschlichen, kosmopolitischen Geist des Chri-
stentums in sich aufzunehmen.
Wie die stoische Philosophie diesen selben auf-
lösenden und für die christliche Anschauung vorbereitenden
Prozeß im reinen Gedanken bezeichnet, so stellt ihn
das prätorische Recht als sich bereits in der Rechts -
Wirklichkeit des Volkslebens vollziehend dar. So
gestaltet sich die Historie zu einem überall zusammenhän-
genden, überall durchsichtigen und lichtvollen Ganzen ver-
nünftiger Bewegung. — Wenn bisher das römische Erb-
recht so sehr mißverstanden wurde, so liegt hier, wie bei
so vielem anderen, eine hauptsächliche Schuld daran, daß
bei der Beschäftigung mit römischem Recht immer von dem
justinianeischen Recht, also vom römischen Recht in
seiner letzten Gestalt ausgegangen wird. Das justiniane-
ische Recht ist aber eben ein letztes, das somit gar
nicht aus sich selbst begriffen werden kann. Um zu
wissen, was Rom sei, muß überall auf das älteste Zivil-
recht zurückgegangen, und von ihm der Ausgangspunkt
genommen werden. Von hier aus erhellt sich dann erst
auch jene letzte Gestalt, die das Moment ihres Gewor-
denseins, und somit das Moment ihrer Erklärung, nur
in ihm, durchaus nicht in sich selbst hat. —
Wenn es zwecklos wiederholend wäre, ausführlicher,
als in diesem flüchtigsten Rückblick auf das allgemeinste
Lineament der erbrechtlichen Bewegung geschehen ist, den
ideellen Gehalt und Gang desselben zu betrachten, der sich
aus der Zusammenfassung des bei dem konkreten Reich-
tum des Materials von uns eingehend Entwickelten von
selbst ergibt, und vom Geiste nur in einer ihm gegenwärtigen
Einheit mit jenem Detail erfaßt werden kann, so ist es
dagegen erforderlich, auf zwei Punkte nochmals hinzu-
751
weisen, zwei Punkte, welche den Faden bilden, durch wel-
chen die Darstellung des Erbrechtes mit dem Ganzen unse-
res Werkes zusammenhängt, und die uns die Veranlassung
zu dieser Darstellung gebildet haben.
Der eine Punkt ist jener, daß das Erbrecht vor der
Adition kein erworbenes Recht ist, wovon wir erst die
innere Notwendigkeit kennen gelernt haben, weil, wie das
Allgemeine nur aus allen Einzelheiten sich ergibt, so auch
wechselwirkend das einzelne erst aus dem Allgemeinen
sich wahrhaft begreift.
Dieser Punkt selbst ist aber nur eine in seinem Wesen
identische Folgerung aus jenem anderen Punkte, welcher
uns ebenso berechtigt wie genötigt hat, dem Erb-
recht eine so ausführliche und selbständige Entwickelung
zu widmen, und überhaupt nicht mehr ein bloßer Punkt zu
nennen ist. Er ist vielmehr die geistige Achse des gesamten
Erbrechtes. Wir meinen den in Bd. I, § 2, A., ver-
sprochenen Nachweis, daß das Erbrecht schlechterdings ein
durch die individuelle Willensaktion des Erben
vermitteltes und hervorgebrachtes Recht, und deshalb also
auch ein erworbenes Recht ist. Ohne diesen Nachweis
würde es entweder haben scheinen müssen, daß das Erb-
recht kein erworbenes Recht, oder daß unsere Theorie der
erworbenen Rechte, welcher das Erbrecht seiner sinnlichen
Erscheinung nach zu widersprechen scheint, falsch ist. Die-
ser Nachweis, daß das Erbrecht weder dem testamentari-
schen Erben durch eine andere dritte Person gege-
ben, noch dem Intestaterben durch das bloße Faktum
des Todes eines Dritten oder durch das Gesetz verliehen
wird — denn Testaments- wie Intestaterbe haben beide zu
ihrem gemeinschaftlichen Wesen den Begriff, sich durch
die Adition als identische Willenssubjektivität mit dem Erb-
lasser zu setzen — dieser Nachweis, sagen wir, konnte in
752
seiner inneren Tiefe nur durch eine mindestens das Wesentr
lichere des gesamten erbrechtlichen Stoffes in Dogmatik
wie Geschichte umfassende Darstellung erbracht werden.
Dafür hoffen wir ihn aber jetzt zu einer unumstößlichen
Gewißheit erhoben zu haben. Wir haben mit einer Über-
einstim.mung bis in die einzelnsten Details hinein, welche
jeden Zweifel ausschließt, gesehen, daß das Erbtum nichts
anderes als die die Willenssubjektivität des Erblassers
perpetuierende Willensidentität des Erben mit ihm ist,
alles Erbrecht also durch und durch auf der inneren
Willensaktion des Erben beruht und durch sie, als die
Erzeugerin jener Identität der Willenssubjektivität, erst her-
vorgebracht wird. Wir haben daher gesehen (Nr. V), daß
es erst der Wille des Erben ist, der dem testamentari-
schen Willen Dasein, Gültigkeit und Halt verleiht, so daß
das Testament ebenso gut als Wille des Erben wie des
Erblassers angesprochen werden kann. Und dies ist so
wenig eine verzerrende hyperidealistische Paradoxie, daß
es in der Tat so angesprochen wird, in dem Quasi -
kontrakt nämlich, welchen die Legate für den Erben
bilden sollen.
Wir haben gesehen, daß es ferner diefürsichseiende
Tätigkeit des Erben selbst erst ist, welche die De-
lation des Erbrechtes hervorbringt. Wenn der Erbe keine
wirksame A d i t i o n vornehmen kann, ohne daß er weiß,
so heißt das nichts anderes als: Ein Recht auf An-
nahme der Erbschaft, ein Erbrecht (jus adeundi) exi-
stiert nicht ^), wenn nicht der Erbe zuvor durch seine
^) Daß die Erbschaft nicht vor der Adition ein erwor-
benes Recht des Erben sein konnte, war freilich ganz sinnlich
offenbar. Aber das jus adeundi, das Erbrecht, welches exi-
stierte vor Annahme der Erbschaft und existiert hatte, auch
wenn diese später ausgeschlagen wurde, schien ein solches er-
26 Laasall«. Ges. Schrift«», Band XH. 753
eigene Willensaktion den Willen des Erblassers seinem
subjektiven Fürsichsein angeeignet hat. Und da die Sub-
stanz des Erbtums die Willensidentität der beiden
Personen ist, so kann es auch nicht wunder nehmen, wenn
überhaupt jeder der beiden Faktoren mit dem anderen ver-
tauscht werden könnte, da das Verhältnis eben dies ist, diese
beiden verschiedenen Willen als einen identischen und
einigen Willen erscheinen zu lassen. Kann einerseits alles
auf den Willen des Erblassers zurückgeführt werden, da
von ihm alles ausgeht, so kann ebenso gut alles dem Willen
des Erben imputiert werden, da durch diesen Willen erst
worbenes Recht sein zu können, und dies war es, was Savigny
irregeführt hat (siehe oben I, 673 fg.)- Aber es hat sich jetzt
gezeigt, daß das jus adeundi vor der Adition ebensowenig
ein erworbenes Recht ist, wie z. B. beim ursprünglichen testa-
mentum per aes et libram das Recht eines Bürgers, mit einem
Erblasser als familiae emptor ein Manzipationstestament vor-
zunehmen und dadurch Erbe zu werden, ein erworbenes
Recht vor der Testamentshandlung war. Sein legales Recht,
mit jedem zu gehen, der ihn zum familiae emptor rufen würde,
war 63 freilich, ein bloß legales Recht, welches bis zu seiner
Ausübung, ebenso gut wie durch einen geänderten Willen
des berufenden Erblassers auch durch ein neues Gesetz
über die für den familiae emptor erforderlichen Fähigkeiten
stets entzogen werden konnte. Wenn bei dem Erben in den
späteren Testamentsformen, indem jetzt die Adition erst nach
dem Tode des Erblassers, statthat, die MögUchkeit einer Wil-
lensärderung von Seiten des letzteren fortgefallen ist, so ist
dagegen jene andere Ursache der Änderung, die durch ein
neues Gesetz erforderte Fähigkeit für diese Handlung, wirk-
sam geblieben. Das jus adeundi ist, wie an diesem Beispiel
nur besonders deutlich gemacht werden soll, ein Recht, wel-
ches, bloß legal durch das Intestatgesetz oder den Willen
eines Dritten in eine Person hineingesetzt, zu einem erwor-
benen Rechte erst durch seine Ausübung wird, durch welche
es sich in Erbtum aufhebt.
754
jener andere rechtliches Dasein und fortexistierende Wirk-
samkeit erhält. Das testamentum per aes et libram in
seinem ursprünglichen Ritus (wo der lamiliae emptor der
heres ist) — dieses adäquate Gesetztsein aller Momente
der Testamentsidee in der äußeren Form — enthält in der
formellen Handlung und Formel selbst schon äußerlich die
notwendige Kooperation und gleiche Wirksamkeit der bei-
den Willen zum Zustandekommen des Testamentes. Wir
haben gesehen, wie das Transmissionsrecht des Erben, der
noch nicht angetreten, sich auf dieselbe innere Willens -
aktion zurückführt. Wir haben gesehen, wie selbst der suus
und necessarius nur durch innere Willensaktion erbt,
und der Akt der Adition bei ihm nur deshalb fortfällt, weil
seine Willensidentität mit dem Subjekte seines Willens
bereits gegeben ist (S. 313 fg.). Wir haben, mit einem
Wort, den gesamten Reichtum des erbrechtlichen Stoffes
von diesem einen spekulativen Begriff als seiner
tätigen Seele sich hervorbringen und zu einem lebendigen
Organismus gestalten sehen.
Das Erbrecht ist also in unwiderleglicher Weise als
ein durch die eigene individuelle Willensaktion
des Erben erzeugtes und nur darum auch als ein erwor-
benes Recht nachgewiesen.
Es ist jetzt klar, warum ein Gesetz, welches nach ein-
mal eingetretenem Erbtum (also beim extraneus nach der
Adition, beim suus nach eingetretener Delation) das
Erbrecht abändern wollte, durch individuelle Willensaktion
vermittelte Rechte aufheben, somit Willenshandlungen de-
naturieren, rückwirken würde.
Der letzte Pfeiler unserer Theorie der erworbenen
Rechte wäre also aufgeführt.
Aber wenn wir sagen, dieser Nachweis ist erbracht, so
meinen wir nur, daß er in bezug auf das römische Erb-
26- 755
recht erbracht sei. Gerade nachdem dasselbe in seinem
wirklichen und wahrhaftigen, spezifischen Geiste in
aller Schärfe desselben bloßgelegt worden ist, muß um so
mehr und von selbst die täuschende Analogie zwischen ihm
und dem germanischen Erbrecht verschwinden. Es wird von
selbst klar sein, daß nichts von dem hier über das römi-
sche Erbrecht Entwickelten, daß auch nicht ein Wort
davon auf das germanische Erbrecht passen würde ^).
Es entsteht also die Frage: Inwiefern stellt sich aber
auch nach germanischem Rechte, wenn solches mit
dem obigen in der historischen Substanz des römischen
Volksgeistes wurzelnden Begriffe nichts zu schaffen hat,
das Erbrecht als ein erworbenes Recht dar?
Diese Frage ist aber gar keine andere und fällt in ihrer
Beantwortung ganz zusammen mit der schon (Bd. I, S. 725)
aufgeworfenen Frage: Warum erwirbt nach allem ger-
manischen Recht der Erbe ipso jure durch den Tod des
Erblassers, während in Rom erst durch die Adition ?
Und zu der Beantwortung dieser Frage haben wir jetzt
überzugehen.
^) Es zeigt sich hier wieder, daß es genau genommen gar
kein ,, Erbrecht im allgemeinen", sondern nur römisches Erb-
recht, germanisches Erbrecht usw. gibt. Alle Disziplinen
des historischen Geistes haben nur In Ihrer historischen
Erscheinung ihren konkreten und Inhaltvollen spekulativen Be-
griff. Der formelle Begriff, den die gleichartigen Gestalten
verschiedener historischer Weltepochen, also z. B. römisches und
germanisches Erbrecht, als Erbrecht überhaupt miteinander ge-
mein haben, ist nur ein ganz abstrakter und Inhaltsloser, der durch
die Differenz und den Gegensatz des Volksgeistes in den ver-
schiedenen Perioden oft zu absolutem Gegensatz um-
schlägt. Das Folgende wird dies deutlich genug herausstellen.
756
II.
DAS WESEN DES GERMANISCHEN
ERBRECHTS
Mußten wir uns bei dem römischen Erbrecht einer selb-
sächlichen des Stoffes und seiner Geschichte erst hervor-
die verkannte geistige Bedeutung desselben aus dem Tat-
sächlichen des Stoffes und seiner Geschichte erst hervor-
treten zu lassen, so werden wir uns bei dem germanischen
Erbrecht um so kürzer fassen können. Denn teils sind hier
die Faktoren selbst, mit denen wir unseren Beweis zu
führen haben, infolge ihrer mit der Substanz des modernen
Geistes verwandten Anschauung bereits richtiger in ihrer
geistigen Bedeutung erkannt, so daß wir unsererseits diese
Prämissen nur zu ihren bisher übersehenen Folgerungen
zu treiben haben, teils und soforn dies auch nicht der Fall
ist, wird sich jetzt gerade aus dem scharfen Gegen-
satze des römischen Erbrechtbegriffes von selbst ein
helles und unzweifelhaftes Licht über das differente Wesen
des germanischen Erbrechtes ergießen. Hier wie überall
wird der Geist in seiner Bestimmtheit nur aus seinen
Gegensätzen klar. Es muß daher ausdrücklich hervor-
gehoben werden, daß das Nachfolgende Beweiskraft wie
Verständnis nur für denjenigen haben wird und kann,
welcher unsere Entwickelung des römischen Erbrechtes mit
Aufmerksamkeit mit uns durchgemacht hat.
Die uralte Rechtsmaxime: ,,Le mort saisit le vif,"
,,der Tote erbet den Lebenden," wie sie deutsch,
oder ,,mortuus aperit oculos viventis," wie sie lateinisch
ausgedrückt zu werden pflegt, eine Rechtsmaxime, die wir
bei allen germanischen Stämmen wiederfinden, ist es, welche
in jener den Rechtssprichwörtem eigenen energischen Form
759
die Anschauung in sich enthält, daß die Erbschaft sofort
und unmittelbar mit dem Tod des Erblassers ipso jure auf
den Erben übergehe^). Wir finden diese Anschauung als
seit den ältesten Zeiten dem deutschen Volksrechte zu-
grunde liegend^), und wo immer germanische Stämme sich
niederließen, in Holland und England, in Frankreich, Spa-
nien und Italien^), haben sie diese Anschauung mitgenomi-
men und ungeachtet aller dieser Vermischung mit fremden
und romanischen Elementen zum Rechte gestaltet. Ja, diese
Anschauung lebt mit solcher Kraft in der ursprünglichsten
Anlage des germanischen Geistes, daß sie, wenn sie natür-
lich dem römischen Rechte in den Ländern weichen mußte,
wo dieses zum gemeinen Rechte rezipiert \\airde, hierdurch
nicht beseitigt, sondern nur in das Innere des Volksgeistes
zurückgetrieben, mit ungeschwächter Kraft aus demselben
wieder in den modernen Gesetzgebungen dieser Völker
* *) Siehe Tiraquell, De regula: le mort saisit le vif; Opp.,
II, 1 sqq. In einer Urkunde von 1332 (s. Miraei Cod. diplom.
Belg., IIb. II, c. 82) wird sie schon als altes notorisches
vaterländisches Gewohnheitsrecht bezogen (,,se esse saisitum
per con&uetudinem patriae notariam, quod mortuus saisit vi-
vum", heißt es daselbst) ; vgl. Mittermaier, Grundsätze des
deutschen Rechtes. 5. Ausg.. § 466. Note 9—14. In Frank-
reich findet sich die Formel schon unter Ludwig IX. ; s.
Etabliss.. lib. II, c. 4, und Troplong sur les Coütumes dAmiens
in der Revue de legislation, XXV, 147.
*) Siehe z. B. die Leg. Alemannic-, Tit. 92 : „Si quis
mulier peperit puerum et in ipsa hora mortua fuerit et infans
vivus remanserit aliquanto spacio, vel unius horae, et postea de-
functus fuerit, hereditas materna ad patrem ejus pertineat."
'') Heineccius. Elem. jur. Germ.. Hb. II. Tit. 10. § 296;
Eiserhart, Grundsätze der teutschen Rechte in Sprichwörtern,
3. Ausg.. S. 329, Note 2 ; Eichhorn, Einleitung in das teutsche
Privatrecht, § 353.
760
hervorbricht, wie viele Bestandteile des romischen Rech-
tes auch sonst in dieselben aufgenommen sein möchten.
So bildet sie in Frankreich, wo sich die Formel : Le
mort saisit le vif, in den pays coutumiers das ganze Mittel-
alter hindurch erhalten hat, die erbrechtliche Grundlage
des Code Napoleon. Sie beherrscht das preußische Allge-
meine Landrecht ^), und findet sich nicht weniger im öster-
reichischen Gesetzbuch ^ ) .
Allein es ist ersichtlich, daß wir durch die Bezugnahme
auf diese Formel noch keinen Schritt vorwärts in der
Erklärung jener Anschauung getan haben. Weit entfernt,
aus dem Rechtssprichworte erklärt werden zu können, ist
dieses selbst vielmehr nur der gedrungene und körnige
Ausdruck jener Anschauung, und kann erst aus ihr seine
Erklärung empfangen.
Es muß sogar vorläufig scheinen, als ob jene Formel:
Le mort saisit le vif, auf das energischste unsere Behaup-
tung verneinte, daß auch nach germanischem Rechte das
Erbrecht auf der eigenen individuellen Willensaktion
des Erben beruht. Denn durch diese Formel wird ja eben
dies auf das stärkste ausgedrückt, daß durch das bloße
Faktum des erblasserischen Todes und ohne irgendein
weiteres hinzukommendes Moment die Erbschaft das ange-
fallene Eigentum des Erben sei, und eben dies wird auch
in den angeführten Gesetzgebungen auf das ausdrücklichste
bestimmt. Inzwischen, die Frage nach der begrifflichen
Erklärung jener Anschauung und die Frage nach dem
Nachweis, wie sie dennoch auch nach germanischem Recht
das Erbrecht durch die individuelle Willensaktion des
Erben vermittelt sei, sind innerlich, wie wir bereits be-
761
«) T.
II
Tit.
Tit
9. § 367-370.
8. bes. § 537.
merkt haben, eine Frage, und es wird sich zeigen, daß
wir mit der Beantwortung der ersten auch vollständig die
Basis zu der Beantwortung der zweiten gelegt haben.
Als die Germanen in der Geschichte auftreten, kennen
sie, wie bereits Tacitus bekundet, nur Intestaterbrecht^).
Aber schon dieser Name allein droht durch die scheinbare
Gleichartigkeit mit dem, was in Rom unter Intestaterb-
recht verstanden wird, gründlich irre zu führen, wenn nicht
der ganze Unterschied beider klargelegt wird, ein Unter-
schied, der groß genug ist, um ihnen nichts gemeinsam
zu lassen als die Benennung. Denn nicht von dem Unter-
schiede in den Rechtsvorschriften ist hier die Rede,
der, so ungeheuer er ist, immerhin auch noch Gemeinsames
übrig ließe ; sondern von dem Unterschiede in der Idee
beider Institute, die sie bei beiden Völkern zu etwas von
Grund aus anderem macht. Schon der flüchtigsten Betrach-
tung wird einleuchten müssen, daß Intestaterbrecht, welches
nur subsidiär zur Geltung kommt, wenn der indivi-
duelle Wille des Erblassers nicht gesprochen hat, wie
dies in Rom der Fall, und Intestaterbrecht als einziges
und exklusives, den abweichenden Willen des Erb-
lassers ausschließendes Recht zwei grundverschiedene
Dinge, von grundverschiedenen Ideen getragen sein müssen
und eigentlich, scharf ausgedrückt, nichts miteinander ge-
meinsam haben, als jenen, in dem Tode eines Erblassers
bestehenden A n 1 a ß , die Verschiedenheit ihrer Volks-
geister aufzuzeigen.
Der Begriff des römischen Intestaterbrechtes, auf dessen
genau nachgewiesenen Geist wir uns hier zurückbeziehen
müssen, war der allgemeine Wille des Volkes, vorausge-
^) Tacitus, German., c. 20: ..Heredes tarnen successoresque
sui culque liberi, nullum testamentum."
762
setzt, aufgefaßt und geltend als der Wille dieses be-
stimmten, sich nicht besondernden Individuums.
Es springt in die Augen, wie dieser Intestatbegriff
schlechterdings nichts mit demjenigen des germanischen
Erbrechtes gemeinsam haben kann: denn wenn jener Be-
griff ein Intestaterbrecht durchdringen muß, welches nur
subsidiarisch Platz greift, wenn der Erblasser von seiner
absoluten Freiheit zu testieren keinen Gebrauch gemacht
hat, — wie kann hiermit ein Intestaterbrecht irgendetwas
gemein haben, welches wie das der germanischen Völker
in seiner ursprünglichen und nationalen Gestalt aus-
schließliches, testamentarische Verfügung gar nicht
kennendes Erbrecht ist ; welches ferner diesen herrschen-
den und prinzipalen Charakter des Erbrechtes, In-
testatrecht zu sein, auch bis in seine spätesten und mo-
dernsten Fortbildungen als Noterbenrecht und Pflichtteil,
neben welchen der testamentarischen Freiheit immer nur
ein bescheidener und nur quantitativer Teil (disponible
Quantität) eingeräumt ist, unverrückbar beibehält ; und wel-
ches endlich, mindestens in seiner mittleren Periode, dies
substantielle und selbständige Recht der Intestaterben so
konsequent festhält, daß das Recht derselben nicht erst
mit dem Tode des Erblassers beginnt, sondern schon bei
seinen Lebzeiten wirksam vorhanden ist und ihm die Frei-
heit der Veräußerung des ,,Erbeigen" nimmt.
Schon die soeben angeführten Momente lassen hinrei-
chend deutlich hervortreten, daß das germanische Intestat-
erbrecht nun wirklich das ist, was von dem römischen mit
Unrecht behauptet wird^): wahres Familienrecht.
^) Und gerade infolge dieser germanischen Anschauung
von ihm behauptet wird, die, wie im ganzen heutigen Bewußtsein,
so auch in dem unserer modernen römischen Juristen unmerklich
fortlebt.
763
Es handelt sich nur darum, letzteren Begriff näher und
schärfer darzulegen.
Der Begriff der Familie ist die sittliche Identität
der Personen, die zu ihrer substantiellen Grundlage
nicht mehr das bloße Setzen des subjektiven Willens,
die Willensaneignung, sondern die sich empfindende
Einheit des Geistes oder die Liebe^) hat-). Da die
Empfindung das Unmittelbare oder Seiende im
Geiste ist, so Ist die Einheit hier als seiende vorhanden,
oder sie ist Identität des Blutes. Hier tritt also die
Zeugung in ihrem spezifischen Charakter hervor. Wenn
aber diese sittliche Personeneinheit der Begriff der Familie
ist, so ergeben sich mit Notwendigkeit daraus folgende be-
griffliche Konsequenzen: Das Vermögen wird seiner Sub-
stanz nach ein an sich gemeinsames Familien-
eigentum sein. Das Recht des Intestaterben auf das Ver-
mögen wird daher nicht erst beim Tode des Erblassers
entstehen und nicht durch dessen Willen verliehen sein.
Wie es sich vielmehr auf das seiende Verhältnis als
Familienglied gründet, so wird dies an sich seiende
Recht daher schon mit seinem Eintreten in die Familie,
mit seinem Erzeugtsein von Ihm erworben sein, und
nur mit dem Todesfall In Wirklichkeit treten. Endlich
wird demnach dies schon bei Lebzeiten des Erblassers an
sich vorhandene eigene Recht des Erben sich deshalb auch
schon bei Lebzelten des Erblassers als daseiend zeigen
^) Siehe Hegel, Rechtsphilosophie, § 158 fg.
^) Man könnte also in der Tat, wenn es um kurze Anti-
thesen zu tun ist, und wenn man den konkreten Inhalt der
darin eingeschlossenen begrifflichen Entwickelung in seiner be-
stimmten Begrenzung dabei vor Augen hat, etwa sagen,
der römische Volksgeist verhält sich zum germanischen wie
Wille zu Liebe.
764
und durch die Beschränkung seines individuellen Eigen-
tumsrechtes jene an sich seiende Gemeinsamkeit der Ver-
mögenssubstanz dartun müssen.
Und schließlich ist durch alles dieses schon gegeben,
daß das Erbrecht, während es in Rom in seiner Substanz
ein Recht auf die Willensfortsetzung des Individuums
war, und der Erbe sich nur infolge dessen durch das Ein-
treten in diese Willenssubjektivität alles von ihr Depen-
dierenden akzidentell bemächtigte, bei den germanischen
Völkern, als das eigene und selbständige Recht des
Familiengliedes, nicht mehr ein Recht auf Willenskonti-
nuität, sondern hier in der Tat auch seiner Substanz nach
nichts anderes als ein Vermögensrecht ist, ein Recht
auf seinen bei dem Eintritt in die Familie erworbenen
Anteil an dem an sich gemeinsamen Familienver-
mögen.
Diese Züge des Begriffes sind in so offen zutage lie-
gender Weise diejenigen des germanischen Erbrechtes, daß
ein detailliertes Eingehen hier durchaus nicht erforderlich
ist und wenige Erinnerungen hinreichen, um diese Überein-
stimmung völlig darzutun.
Wenn der erste Grundsatz des römischen Erbrechtes ist,
daß der Erbe mit seinem eigenen Vermögen für alle Schul-
den des Erblassers haftet, so ist der erste Grundsatz des
germanischen Rechtes, weil dieses in dem Erbtum keine
Willenskontinuität, sondern nur einen Vermögenser-
werb erblickt, daß die aus diesem Erwerbe entspringenden
Verpflichtungen den Erwerb selbst nie übersteigen, der
Erbe also nicht ultra vires hereditatis verhaftet sein kann^) :
„Hie behalte dies sonderlich, daß der erbe seines sonder-
^) Glosse zum Sachsenspiegel, I, 6.
765
liehen, vor sich gewonnen, eigenen guts nichts für des
verstorbenen schuld geben noch zahlen darf"^).
Lange nachdem die testamentarischen Dispositionen ge-
meinüblich geworden sind, darf doch nur derjenige, der
keine gesetzlichen Erben hat, beliebig testieren. Derjenige
aber, w^elcher gesetzliche Erben hat, darf nicht nur bloß
insoweit testieren, als dies die Rechte der nächsten Erben
gestatten, sondern selbst innerhalb dieser Grenzen häufig
^) Und es ist dies in der germanischen Erbanschauung so
notwendig, daß trotz aller Aufnahme von römischen Rechtsideen
das Allgemeine Landrecht das Prinzip aufstellt, wer durch pro
herede gestio eine Erbschaft antritt, solle vermutet werden,
dieselbe nur unter dem Vorbehalt der Rechts wohltat des
Inventars anzutreten (T. I, Tit. 9. § 420). Zur Beseiti-
gung dieser Rechtswohltat ist eine , .deutliche und be-
stimmte Entsagung" auf dieselbe — also ein beson-
derer Wille — erforderhch (das., § 414). Man sieht, wie
sich hier die Vermutung in das direkte Gegenteil ihrer Stellung
im römischen Recht umkehrt, und man sieht jetzt auch, warum
sie sich umkehrt. Was dort Ausnahme ist, wird hier Regel,
was dort Regel, hier Ausnahme, und zwar aus keinem anderen
Grunde, als weil den germanischen Völkern das Erbrecht von
vornherein und prinzipiell nichts anderes als Vermögens-
recht ist, während es im römischen Recht, und zwar auch erst
in seiner letzten, justinianeischen Gestalt, nxir durch beson-
deren Vorbehalt zu einem bloßen Vermögenserwerb
gemacht werden konnte. Wenn deutsche Juristen noch so sehr
römisches Recht machen wollen, so werden sie Rechtssätze
aus demselben aufnehmen, aber, unter einer ganz geänderten
Weltanschauung stehend, diese unbewußt in das begriff-
liche Gegenteil ihrer Bedeutung im römischen Rechte ver-
wandeln. — In Sachsen ist der Erbe gleichfalls nicht über
die vires hereditatis gehalten; siehe Haubold. Lehrb. d. sächs.
Rechtes, § 348.
766
nur dann, wenn er zugunsten eines Verwandten oder Ehe-
gatten verfügt^).
Das unbedingte Recht des nächsten Erben ist das
Eigen, Erbeigen (die Propres, Propres de heritage,
wie diese Güter in den französischen Coütumes, wo sie
ganz dieselbe rechtliche Stellung einnehmen, heißen), über
welches dem Erblasser die Befugnis testamentarischer Dis-
position nicht zusteht. „Ane erwen gelof mus nieman
sin egen gewen"^). Es ist für unseren Zweck überflüssig,
uns auf den Streit einzulassen, ob der Erblasser bloß über
die Fahrnis oder über die Fahrnis und die Errun-
genschaft (conquets) verfügen kann^). Der Gedanke
ist in beiden Fällen derselbe. Denn es wird emleuchtend
sein, daß das Verhältnis der Fahrnis und des Grund-
eigentums zueinander vom germanischen Rechte nicht
anders aufgefaßt wird als das Verhältnis der Substanz
des Vermögens, des fundus, zu ihren Früchten. Es be-
darf nur des flüchtigsten Blickes auf die ökonomischen
Verhältnisse jener Zeiten, in welchen diese Unterscheidung
von Fahrnis und Erbgut entstanden ist, auf die überwie-
gende Wichtigkeit des Grundeigentums dazumal, sowohl
im Verhältnis zu der Masse des mobilen Vermögens als
in Hinsicht auf den Erwerb desselben, der damals fast
ausschließlich aus dem Grundbesitz hervorging, um dies in
seiner ganzen Notwendigkeit als einen Ausdruck der tat-
sächlichen ökonomischen Verhältnisse jener Zeiten zu
begreifen. Die Fahrnis wird also nur als die Nutzung
1) Schwabenspiegel. Kap. 283. §§ 2. 3; Kap. 285. 290 bis
294. Senkenberg. Ausg. ; Sydow. Darstellung des Erbrechtes
nach den Grundsätzen des Sachsenspiegels. S. 304 fg.
2) Sachsenspiegel, I. 52.
^) Mlttermaler, Grundsätze des gem. deutschen Prlvatrechtes,
5. Ausg., § 467, und dagegen Eichhorn, Einleitung. § 332.
767
des Eigentums und als aus dieser entstanden auf-
gefaßt, und unterliegt daher, vvie die Nutzungen selbst,
während seines Lebens der Dispositionsbefugnis des Erb-
lassers.
Nur der Grundbesitz erscheint als die Substanz des
Vermögens und ist daher, wie sich dies schon oben bei der
begrifflichen Entvvickelung ergab, als Substanz der an
sich gemeinsame Vermögensstock der Familie, welcher
deshalb der freien Dispositionsbefugnis entzogen ist. Es
kann daher für das Interesse des Begriffes gleichgültig
sein, ob das von einem Individuum nicht geerbte, sondern
individuell erworbene Gut, die Errungenschaft (acquet),
der Fahrnis gleichgestellt wird, weil es wie diese
als aus den Nutzungen des Erbgutes hervorgegangen
angesehen wird, oder ob es wie das Erbgut, also als
Vermögens Substanz, behandelt wird, weil es selbst wie-
der die Form von Grundeigentum angenommen hat^).
Aber nicht nur testamentarisch kann der Erblasser nicht
über das Erbeigen disponieren, sondern auch unter Le-
benden kann er wegen jenes an sich vorhandenen Rechtes
der Erben nicht mit Gültigkeit darüber verfügen. Der
nächste Erbe kann die ohne seine Einwilligung vorgenom-
^) Es erhellt übrigens, - daß die erstere Meinung (Gleich-
stellung von Fahrnis und Errungenschaft) die bei weitem grö-
ßere begriffliche Konsequenz für sich hat, wie sie auch von
fast allen französischen coütumes bei den propres festgehalten
Nvird (und noch heute der französischen ehelichen Gütergemein-
schaft zugrunde liegt). Wenn der Sachsenspiegel und der land-
rechthche Richtsteig die zweite Meinung zu schützen scheinen,
während die Glossen zum Sachsenspiegel selbst widersprechen
(,,Hat och ein Mann Erbe und Eigen um sein wohlgewonnen
habe gekouft, er mag daz Gut geben und uf lassen, wem er
will." ,,Das Eigen, daz an uns irstirbet von Erbegangk,
daz heißt Erbeigen und daz mag man nicht lassen ohne
768
mene Veräußerung des Erbeigen durch den Eigentümer
binnen Jahr und Tag widerrufen, und wenn wir oben sahen,
daß der Erbe nicht mit seinem persönHchen Vermögen
für die Schulden des Erblassers verbunden ist, so ist
jetzt nun weiter hinzuzufügen, daß er auch nicht einmal
mit dem Erbeigen, sondern nur mit der ererbten
Fahrnis (und resp. der ererbten Errungenschaft) für die-
selben haftet^): ,,Swe so dat erwe nimmt, die sal dur
recht die scult geben also vorn, als it erwe geweret
anvarender hawe." Und der Landrechtliche Richtsteig
antwortet auf die Frage, wiefern die Witwe die Schuld
zahlen solle-) : ,,Also verrn dat erwe weret an varen-
der hawen; mit den eygenen en darff men geen
schold gelten, wan hut sonder sünreerwen orlowe
niet laten en mach." Ja, nicht einmal unter seinen
Söhnen selbst kann der Eigentümer eine beliebige Vertei-
lung des Erbeigen vornehmen. Es kommt nicht nur darauf
an, daß die Familiensubstanz überhaupt berück-
sichtigt sei, sondern jedes einzelne dieser Glieder hat
bei seinem Eintritt in die Familie für sich das indivi-
duelle Recht erworben auf gleichen Anteil an dem
Erben Laube"), und schon die alten Volksrechte diesen Un-
terschied kennen, so ist teils zu bemerken, daß man, wenn in
Gesetzesstellen, die über Erbrecht handeln, bloß Fahrnis und
Eigen einander entgegengesetzt werden, hieraus nach der obigen
Erörterung nun nicht mehr den Schluß machen kann, die
Errungenschaft sei dadurch, weil sie doch nicht Falirnis sei,
dem Eigen gleichgestellt ; teils hat man bereits die Ansicht auf-
gestellt, daß der Sachsenspiegier eine partikular-rechtliche An-
schauung, nicht diejenige des gemeinen deutschen Rechtes, darin
wiedergibt.
^) Sachsenspiegel, I. 6.
") Kap. 10, Senkenberg. Ausg.
27 LiäiaUe. C«e. Sctrift«. BanJ XII. 769
an sich gemeinsamen Familienvermögen, wie dies be-
reits in den alten Volksrechten hervortritt 0-
In dieser Dispositionsbeschränkung des Eigentümers,
selbst unter Lebenden, in dieser Nichtverhaftiing des Erb-
gutes für die Schulden des Erblassers zeigt sich auf das
unbestreitbarste, wie das Eigentum gemeinsames
Eigentum der Familie ist und somit das schon durch
die Geburt eines jeden Familiengliedes erworbene an-
sichseiende Eigentumsrecht des Erben auf dasselbe,
ein Charakterzug, der überall in den germanischen Rechten
zutage tritt. Wenn es im Sachsenspiegel heißt ^) : ,,Swat
man enem manne oder wiwe gift, dat sollen sie besitten dre
dage. Swat sie mit klage irvorderet oder uppe sie
geerwet wert, das en dorfen sie nicht besitten,"
so erhellt jetzt von selbst, warum gerade bei diesen beiden
Arten von Eigentumserwerb der Besitz nicht gefordert
wird. Beide Arten des Erwerbes, Rechtsstreit wie Erb-
schaft, stimmen nämlich darin überein, daß das Recht
selbst nicht erst jetzt erworben, sondern als an sich
schon früher vorhanden und als jetzt nur durch die Klage
resp. Erbschaft zur Anerkennung und Verwirk-
lichung gebracht angesehen wird^).
■^) Siehe z. B. Lex Burgundionum. Tit. I, c 1 : ,.Ut palri,
etiam antequam (cum filiis) dividat, de communi facultate et
de labore suo (individuelle Errungenschaft, in ihrem Begriffe
also mit der Nutzung ganz zusammenfallend und darum
labor) cuilibet dare liceat, absqne terra sortis titulo (Erbeigen)
acquisita."
2) III. 83.
*) Vgl. § 10 der Theorie, Bd. I, wo wir gesehen haben, daß,
wenn ein Erwerb von der gegenwärtigen Rechtsidee selbst nur
als die Realisierung eines schon früher als an sich vor-
handen gedachten Rechtes aufgefaßt wird, diese Verwirk-
lichung, doch ohne Berührung der rechtlichen Folgen in-
770
Die innere Notwendigkeit der Maxime: Le mort saisit
le vif, muß sich jetzt aus den vorstehenden Erörterungen
mit vollster Evidenz ergeben haben. Das Eigentum an der
Erbschaft muß ipso jure durch den Tod des Erblassers
auf den Erben übergehen, weil dasselbe schon vorher an
sich gemeinsames Familieneigentum war^), oder weil das
Eigentumsrecht des Erben weder durch den Willen des
Erblassers, noch erst zur Zeit seines Todes erwor-
ben wird, sondern schon durch die Geburt des Erben
ein an sich erworbenes war und nur jetzt aus diesem
ansich seienden, latenten Zustand aktuell oder für
sich wird. Das vinculum juris läuft daher, wie z.B. bei
einer bedingten Obligation, auf die Zeit der Geburt des
Erben zurück, und es kann daher, wenn die vorausbe-
stimmte Bedingung eintritt, von keiner Erwerbshand-
lung noch von einem neuen Willen zu erwerben die
Rede sein, weil überhaupt kein neuer Erwerb vorliegt.
Es ist nur das an sich Seinige, worüber der Erbe
nerhalb der Zeit des bloßen Ansichseins, auf die Zeit
des ansichseienden Rechtes zurücklaufen muß. Wir
sehen dies hier also auch durch das germanische Recht be-
stätigt.
^) Vgl. Fischer, Das erbschaftliche Versendungsrecht ohne
Besitzergreifung (Regensburg 1786), S. 73 fg. Es darf aber
nicht übersehen werden, wie daselbst geschieht, daß das Eigen-
tum nur an sich gemeinsames Eigentum der Familie, nicht
aktuelles Gesamtfamilieneigentum ist, und daher von vornherein
die Bestimmung hat, bei der Auflösung der Familie (Tod)
sich in die bei dem Eintritt eines jeden ihrer Glieder ideell
erworbenen Anteile auflösen zu können.
Deshalb bildet aber auch das Recht und der usus der Tei-
lung unter den Erben keinen Einwurf gegen den hier festge-
stellten Charakter des germanischen Eigentums als Gesamteigen-
tum der Familie.
27- 771
jetzt freie Dispositionsbefugnis erlangt, indem die Ge-
bundenheit desselben in Gemäßheit der beim Eintritt des
Erben in die Familie vorausbestimmten Weise fortfällt.
Wenn hiemach der mit dem Todesfall des Erblassers
eo ipso eintretende Übergang des Eigentums bei der Grund-
idee des germanischen Erbrechtes eine der Rechtsidee selbst
entfließende Konsequenz ist, wenn also die Maxime : Le
mort saisit le vif, darin ihre begriffliche Erklärung und
gebieterische Notwendigkeit hat, daß die Erbschaft kein
neues, jetzt erst entstehendes Recht des Erben, sondern
nur das Aktuellwerden seines schon früher erworbenen, a n -
sich seienden Eigentumsrechtes darstellt, so ist aber
auch nicht weniger klar, daß dieser Eigentumserwerb des
Erben nichtsdestoweniger durch eine individuelle Wil-
lensaktion desselben vermittelt, und also wahrhaft er-
worbenes Recht ist. Nur daß diese individuelle Willens-
aktion des Erben nicht zur Zeit der Erbschaft zu suchen
ist, sondern auf die seiner Geburt zurückläuft. Zwar
stellt sich die Geburt sinnlich als ein unpersönliches
Faktum seitens des Geborenen dar. Aber es tritt hier
wieder ein, was wir bereits Bd. I, § 2, A., von der
Personenrepräsentation überhaupt gesehen haben, infolge
derselben die durch die Geburt, da sie zwar seitens des
Erzeugten sich als eine Tatsache, seitens des Erzeugers
aber als W i 1 1 e n s a k t i o n darstellt, entstandenen Rechte
als durch die eigene individuelle Willensaktion
des Geborenen erworben angesehen werden müssen. Wenn
dies schon von der nur formellen römischen Personen-
repräsentation gilt, so gilt es nur um so stärker von der
sittlichen Identität der Personen, welche in der
Idee der germanischen Familie hervortritt. Es ist infolge
der Gesinnung der Liebe, in welcher (s. oben S. 764)
die sittliche Einheit der Personen besteht, die Absicht
772
und der Wille des Vaters, auf das Kind bei der Er-
zeugung alle die Rechte zu übertragen und für es zu er-
werben, welche ihm durch Geburt entstehen, und dieser
Wille des Erzeugers erscheint bei der in der sittlichen
Einheit derselben gegebenen Identität des Geistes und
der Gesittung deshalb hier nicht nur formell als die
eigeneWillensaktion des mit seinem Vater identischen
und in ihm wollenden Kindes 0. sondern auch inhaltlich
^) Die Auffassung des Erbrechtes, als in der sittlichen
Personenidentität der Familie beruhend, die ihre äußere
Realität in dem an sich gemeinsamen Vermögen hat, ge-
hört, worauf schon früher verwiesen (S. 480, Note 2), Hegel
an, und ist da in dem Vorangehenden nur näher expliziert wor-
den. Nur daß Hegel in den Irrtum verfiel, für die Idee des
Erbrechtes überhaupt zu nehmen, was eben nur die be-
stimmte historische Idee des germanischen Erb-
rechtes ist. Dem römischen Erbrecht ist dieser Begriff,
wie wir gesehen haben, durchaus fremd und unzupassend, sowohl
dem Intestatrecht wie dem testamentarischen. Es ist bis heran
noch ein in allen Wissenschaften, in Rechts- wie Kunst- und
Geistesphilosophie überhaupt sich fühlbar machender Mangel
der Philosophie, daß für eine absolute und logische Ka-
tegorie genommen wird, was nur der Begriff einer bestimm-
ten historischen Gestalt des Geistes, der Inhalt einer
bestimmten National- und Zeitidee, also historische
Geistes kategorie ist. (Wir werden z.B. noch im Verlauf
sehen, inwiefern es gerade beim Erbrecht Leibniz ähnlich er-
gangen Ist, wie Hegel.) Selbstredend wird hierdurch halbe
Wahrheil produziert, indem nämlich einerseits der wahrhafte
Begriff einer bestimmten historischen Geistesrealität, z.B.
des germanischen Erbrechtes, wirklich getroffen wird, anderer-
seits aber dieser bloß historische Geistesinhalt jetzt zum
logischen Begriff jener Geistesform in allen Zeiten und bei
allen Nationen gemacht werden soll, während er hier einen
ganz anderen, oft schlechthin entgegengesetzten gei-
stigen Inhalt hat. Diese halbe Wahrheit Ist daher, well zu einer
773
als die Willensaktion des für es, das Kind, wollenden
Vaters.
bestimmten Zeit zutreffend und hierdurch bestechend, für die
wirkliche begriffliche Erkenntnis solcher Institute häufig um so
hinderlicher. Worauf diese Verwechselung der absolut-logi-
schen und der historischen Kategorien des Geistes beruht,
das Wahre, das auch diesem Irrtum zugrunde liegt, und wie letz-
terer allein zu vermeiden ist, — dies auseinanderzusetzen kann
nicht mehr Gegenstand des gegenwärtigen Werkes sein. Es läßt
sich dies vielmehr nur durch die Nachweisung des Verhältnisses
erreichen, welches zwischen dem formellen Begriff des Gei-
stes und seinem historischen Inhalt, seinem historischen
Begriff, besteht, also nur durch eine systematische Ent-
wich elung der Philosophie des Geistes, eine viel-
leicht künftig von uns zu erbringende Arbeit, auf die wir bereits
früher hinzuweisen veranlaßt waren. Nur soviel ergibt sich
aus dem Vorigen von selbst, daß erst aus dem konkreten Ver-
ständnis der Idee der bestimmten historischen Erbrechts-
systeme, des orientalischen, römischen, germanischen, daß erst
aus der scharfen Erfassung des schlechthinnigen Gegen-
satzes, in welchem die Begriffe derselben zueinander stehen,
für welche das Erbrecht nur die gemeinsame Form und
Hülse Ist, die Verschiedenheit ihres Inhaltes dahinein
auszuschütten, festgestellt werden kann, inwiefern von Erb-
recht überhaupt gesprochen und was darunter verstanden
werden kann.
Weil Hegel den Begriff des germanischen Erbrechtes
für den des Erbrechtes überhaupt nimmt, kommt er auch
nur dazu, das Intestaterbrecht zu konstruieren. Das Te-
stamentsrecht dagegen macht Ihm Verlegenheit, und muß
ihm solche machen, weil Hegel eben nicht die Idee des römi-
schen Erbrechtes erfaßt hat, mit \velchem das Testaments-
recht seinem Begriffe nach identisch ist. Hegel erklärt daher
(^Rechtsphilosophie, § 179 fg.) das Testament für eine Nach-
bildung der Familie, durch Bildung eines Kreises von Freun-
den, Bekannten usw. Abgesehen davon, daß dies auf das römi-
sche Erbrecht durchaus nicht passen würde, enthält es aber
774
Allein wenn in dem Vorstehenden die geistige Notwen-
digkeit der Maxime: Le mort saisit le vif, für das ger-
aucli einen nicht zu versöhnenden inneren Widerspruch gegen
das. was Hegel als die Idee der Erbschaft überhaupt angegeben.
Denn wenn das durch die sittliche Identität der natürlichen
Familie bewirkte, an sich gemeinsame Eigentumsrecht derselben
der Begriff des Erbrechtes sein soll, so fehlt ja eben die
Befugnis zu jener Nachbildung in der Sphäre des
Vermögens, und es kann also mindestens in bezug auf das
Vermögen zu einer solchen Nachbildung gar nicht kommen.
Um diesem zu begegnen, soll nach Hegel durch das mit dem
Tod gegebene „Auseinanderfallen" (der Familie) diese
..Freiheit für die Willkür der Familienglieder" entstehen. Allein
hierdurch tritt der Widerspruch, weit entfernt, versöhnt zu
werden, nur um so schärfer hervor. Denn in demselben ideellen
Moment, in welchem durch dies Auseinanderfallen der
Familie diese Freiheit für das Individuum eintreten würde, ist
ja auch schon das an sich gemeinsame Vermögen in wirkliches
Eigeniumsrecht der einzelnen Familien glie der. in bestimmte
Anteile derselben übergegangen (le mort saisit le vif), und
wenn also vor dem Tode des Testators die Befugnis zu
testieren wegen des Familienrechtes fehlte, so fehlt nach dem
Auseinanderfallen der Familie, also nach dem Tode des Te-
stators, ihm auch noch die Substanz, über die sein Wille
verfügen könnte.
Es läßt sich also nicht verkennen, daß bei Hegel, so sehr
man dies allgemein übersehen hat, gar kein irgend stichhaltiger
Begriff des testamentarischen Rechtes zu finden ist. Und es
konnte dies auch gar nicht anders sein, da sein Begriff des
Erbrechtes überhaupt abgezogen ist von dem Geiste
eines Volkes, dessen Erbrecht wesentlich In testatrecht
ist. und dem daher der Begriff des testamentarischen innerlich
stets ebenso fremd bleibt, wie das Testament selbst semem
ursprünglichen nationalen Geiste unbekannt war.
Dies ist denn auch der Grund, weshalb Hegel (das.. § 180)
mit solcher Ungunst das Testament überhaupt betrachtet. Er
erklärt ausdrücklich, die bloße Willkür des Verstorbenen könne
nicht zum Prinzip für das Recht zu testieren gemacht
775
manische Erbrecht sich ergeben hat, so paßt doch alles
bisher Gesagte offenbar lediglich und ausschließlich nur
auf das Intestaterbrecht, wegen des diesem zugrunde
liegenden, an sich gememsamen Eigentums der Familie,
und es entsteht daher nun die Frage: Wie erklärt sich,
daß dieselbe Maxime auch das Testamentsrecht dieser
Völker bis auf die heutige Zeit beherrscht ?
Aber diese Frage kann bereits für keinen, der unserer
Entwicklung des römischen und germanischen Erbrechtes
mit Aufmerksamkeit gefolgt ist, eine Frage mehr sein.
werden, und das von derselben beherrschte römische Erbrecht
erscheint ihm daher nur als Unsittlichkeit, wird ausdrück-
lich so von ihm qualifiziert und mit dem Rechte des Vaters,
die Kinder zu verkaufen, verglichen. Man kann für heute
dem Testament ebenso abgeneigt sein, als Hegel, und es wird
sich vielleicht bald zeigen, daß sich aus unseren objektiven
Darstellungen zwar andere, aber noch radikalere Folgerungen
über das moderne Testamentsrecht von selbst ergeben. Aber
dies auch auf die Entstehung des Testamentes in der histo-
rischen Entwickelung des Geistes anwenden, und somit auch
in dem römischen Recht nur Willkür und Unsittlich-
keit sehen wollen, heißt demselben hohes Unrecht tun und
gegen die systematische Anforderung der Hegeischen Philoso-
phie selbst verstoßen, wonach die historischen Instanzen als
die stufenweisen Entwickelungen des vernünftigen und sittlichen
Geistes zu begreifen sind. Hegel war zu diesem Verstoß
gegen seine eigene Philosophie gezwungen, \veil natürlich auch
er, hereditas und bonorum possessio für begrifflich identisch
haltend, das römische Testament als eine Vermögensverfügung
auffaßt, und dann allerdings nur Willkür in ihm gesehen wer-
den kann. Bei der wahrhaften Erkenntnis des römischen Erb-
und Testamentsbegriffes erweist sich derselbe dagegen, wie
wir gesehen haben, als ein hoher Fortschritt in der kultur-
historischen Entwickelung der Idee des Geistes, dessen
römische subjektive Willenstranszendenz ebenso sehr durch-
gemacht werden mußte und ein Moment der Wahrheit und
776
Die germanischen Völker kennen, wie wir gesehen
haben, in ihrer nationalen Ursprünglichkeit, garkein Te-
stament. Als sie mit den Römern zusammentreten, finden
sie dasselbe bei diesen vor und entlehnen ihnen äußerlich
seinen Gebrauch, aber sie verstehen die geistige Be-
deutung des römischen Testamentes natürlich nicht; ver-
stehen sie um so weniger, als nicht einmal unsere Autoren
bis heute sie verstanden haben. Sie halten das römische
Totalität ist, wie die subjektive G e i s t e s transzendenz der
christhcKen Religion und ihres Himmelreiches. Und indem die-
ser Begriff des römischen Erbiums streng der objektiven Me-
thode der Hegeischen Philosophie entflossen ist und mit ihr
in der innersten Übereinstimmung steht, bleibt Hegel, ^venn
er ihn auch selbst verfehlte, nichtsdestoweniger der Miter-
zeuger und Urerzeuger desselben.
Endlich mag noch bemerkt werden, daß, was Stahl (Die
Philosophie des Rechtes nach geschichtlicher Ansicht, II,
255 — 261) über das Erbrecht sagt, wie jeder wahrhafte Ge-
danke, der sich in seinem Werke findet, nur der Hegeischen
Philosophie schlechthin entlehnt ist, ohne daß die Wendungen
vom ,, Reiche Gottes" und ,, Reiche des Menschen", in welche
der Hegeische Gedankeninhalt hier verkleidet ist, jemand dar-
über täuschen können. Weil aber Hegel, der mindestens kein
Jurist ex professo war, und dem bei der gigantischen univer-
sellen Aufgabe, der er sich unterzog, kein einzelnes Versehen
angerechnet werden kann, der Begriff des römischen Erb-
rechtes völlig entgangen ist, kennt ihn auch Herr Stahl nicht.
Weil Hegel das Versehen macht, die Idee des germanischen
Intestatrechtes für den Begriff alles Erbrechtes überhaupt zu
halten, stößt dasselbe auch Herrn Stahl zu, und weil Hegel
In der Verlegenheit in die soeben kritisierte Unmöglichkeit ver-
fällt, das Testament als eine Nachahmung und Nachbildung
der Idee der natürlichen Familie (der Idee der Familie
In Ihrer germanischen und Hegeischen Auffassung) zu er-
klären, erklärt es auch Herr Stahl dafür.
777
Testament für das, was es äußerlich und sinnlich zu sein
scheint, für eine Vermögensverfügung.
Als eine solche Vermögens Verfügung nehmen sie
nun das Testament von den Römern in Gebrauch, weil dies
ihrem Sinne für individuelle Freiheit schmeichelt und in-
sofern sich in dem Gedanken der individuellen
Arbeit (labor, Errungenschaft), im Gegensatz zu der
überkommenen Vermögenssubstanz, also in den
in Fahrnis und Akquest sich darstellenden Nutzungen
derselben, ein analoges Element und ein Raum für diese
Freiheit der Vermögensverfügung findet. Sie nehmen es
auf, nicht ohne Widerstand der nationalen Substanz gegen
den fremden Eindringling-^). Aber sie verstehen den Be-
griff des römischen Testamentes so wenig, daß sie lange
Zeit hindurch nicht einmal seinen äußerlichen juristi-
schen Charakter — diese Wirkungen des Begriffes
— aufzufassen verstehen, und da sie einmal das Testament
für eine Vermögens Verfügung nehmen, es ganz und
gar mit einer Schenkung unter Lebenden identifi-
zieren. Zahlreiche Urkundenbeweise belegen dies. Die
Prinzessin Irmina, Tochter des Königs Pipin, macht im
Jahre 690 ein Testament. „Sana mente testamentiim meum
fieri rogavi," heißt es darin, und am Ende nochmals : ,,Ego
Huncio presbyter hoc testamentum praescripsi . . . Ego
Irmina hoc testamentum meum per legi." Die Verfügung
des Aktes aber lautet : ,,Ista omnia ad memorata loca Sanc-
torum a die praesentl per praesentem paginam testamenti
1) Vgl. z. B. Lex Burgund.. Tit. XLIII, cap. 1 : ... . . Ideo-
que hoc ordine in populo nostro donationes factae et testa-
menla valebunt etc." Noch im Anfang des 16. Jahrhunderts
waren, wie Zasius bekundet (Consil. et resp., Lib. I, Resp. 3.
No. 76), die Testamente unter dem deutschen Bürgerstande noch
gar nicht üblich.
778
tradimus et transfundimus perpetualiter in Dei nomine pos-
sidendum," und stellt somit einen sofortigen Eigen-
tumsübergang oder eine Schenkung dar, Pipin selbst
sagt in einer Schenkung, die er zugunsten einer Abtei im
Jahre 706 macht : „Sed praesens donatio ad instar testa-
menti cum stipulatione adnixa omni tempore firma stabili-
tate capiat f irmitatem" ^ ) .
Ebenso zeigt sich in den Volksrechten-) diese Gleich-
stellung von Testament und Schenkung^). Und endlich tritt
der Charakter der Schenkung unter Lebenden in den deut-
schen Vergabungen von Todes wegen, aus welchen sich
auch die universellen akquisitiven Erbverträge ent-
wickeln*), darin aufs stärkste hervor, daß dieselben zuerst
einerseits unwiderruflich sind, andererseits einen so-
fortigen Vermögensübergang auf den Begabten enthalten,
indem der Vergabende nur bis zu seinem Tode Nießbrau-
cher bleibt, das Sondereigentum aber an den Begabten ver-
*) Siehe die angezogenen beiden Urkunden in den Preuves
de l'histoire de Lorraine von Dom Calmet, I, 261 und 263.
Dieselbe Nichtunterscheidung zwischen Testament und Schen-
kung findet sich in einer Menge der daselbst mitgeteilten Ur-
kunden.
^) Soweit sie überhaupt schon das Testament in sich auf-
nehmen ; in denen der ripuarischen und salischen Franken kommt
bekanntlich noch keine Spur von demselben vor.
^) Siehe Lex Burgund.. Tit. XLIII. c. 1 (oben S. 778,
Note 1), und das. Tit. LX, c. 1 : ,,Caeterum sl quis posthaec
barbarus vel testari volaerlt vel donare aut Romanam con-
suetudlnem aut barbaricam servandam sciat etc." Das römi-
sche Testament und die barbarische Schenkung (Ver-
gabung von Todes wegen) erscheinen hier — denn nur dies
Ist die richtige und offenbar zutage liegende Auffassung der
Stelle — als absolut korrelative Begriffe.
*) Hierüber und über die Vergabungen von Todes wegen
sehr gründlich : Beseler. Die Le'ire von den Erbverträgen.
779
äußert, oder resp. dieser in das deutsche Gesamteigentum
mit dem Vergabenden getreten ist^).
Ja, man muß sagen, dieser juristische Irrtum, diese
verwechsehide Identifizierung von Testament und Schen-
kung ist im höchsten Grade konsequent, wenn man zuvor
den begrifflichen Irrtum begeht, das Testament für
eine Vermögens Verfügung, eine Vergabung aufzu-
fassen.
Wenn das Testament, wie im römischen Geiste, die
Willensfortsetzung des Erblassers darstellt, so ist ebenso
begreiflich wie notv/endig, daß diese Willensfortsetzung
erst eintritt und eintreten kann, wenn die natürliche
Weise, in welcher der erblasserische Wille (als sinnliche
Persönlichkeit) existiert, erloschen ist, daß somit erst mit
diesem Augenblicke des Todes das Testament mit seinem
gesamten Inhalte in Wirksamkeit treten kann. Wenn aber,
wie im germanischen Geiste und Rechte, gar nicht mehr die
Rede davon ist, daß durch das Testament die Willenssub-
jektivität des Erblassers fortgesetzt werde, wenn also im
Volksgeist die Anschauung diese ist, daß dieser subjektive
Wille mit dem Tode wirklich erloschen ist, ohne
in dem Testament den Apparat einer künstlichen und über-
natürlichen Fortexistenz zu haben, so ist es auch ganz un-
möglich, diesen Willen, nachdem er erloschen, etwas
wollen und also jetzt erst wirksam werden und das
vinculum juris erlangen zu lassen.
Es ist dies für das germanische Recht notwendig ganz
ebenso unmöglich, als es für das alte römische jus civile
unmöglich war, eine Willensverfügung (ein Legat)
aufrecht halten zu wollen, wenn die Willens Subjek-
tivität selbst die Fortsetzung, die sie sich geben wollte.
^ ) Siehe Beseler, a. a. O.
730
infolge davon daß der Erbe ausschlug, nicht erlangt
hatte. Wenn das Testament eine Vermögensver gabung
ist, so war es offenbar unmöglich, diese Vermögens-
handlungerstdann vornehmen zu lassen oder als recht-
lich vorgenommen und also mit dem vinculum juris bekleidet
zu denken, wenn der Handelnde bereits tot und somit
nicht mehr fähig war, zu wollen und zu geben. Wie unmög-
lich dies ist, zeigt sich am besten daran, daß selbst die
römische donatio mortis causa, weil sie eben kein
Testament, sondern eine Vermögensver gabung ist, an-
erkanntermaßen^) und trotz ihrer Widerruflichkeit einen
sofortigen Vermögensübergang bewirkt, weshalb
auch Manzipation, resp. cessio in jure oder Tradition bei
ihr nötig ist^).
Dieses juristische Mißverständnis des römischen Te-
stamentes im germanischen Recht ist also bei Zugrunde-
legung des begrifflichen Mißverständnisses desselben
ein höchst logisches und konsequentes. Es ist ein Irrtum,
in dem größere Wahrheit enthalten ist, als in der Ver-
besserung desselben.
Dieser Irrtum ist nur ein Beweis von dem Widerstände,
welchen noch i n der Aufnahme des Testamentes die natio-
nale Anschauung und die gesunde Rechtslogik dem frem-
den unbegriffenen Wesen des Erbtums entgegensetzt, in-
^) Siehe z. B. Vangerow, Pandekten, II, 579 fg. ; Savigny,
System. IV, 266 fg.
^) Es bleibt, trotz aller Abweichungen, die erst durch eine
geschichtliche Entwickelung der donatio mortis causa im
Verband mit der von uns gegebenen des Erbrechtes klar gelegt
werden können, immer ihr Charakter: Praesens praesenti dat
(Marcell.. L. 38 de mort. caus. don., 39. 6), weshalb sie mit
Recht (L. 1 pr. de donat.. 39. 5) als eine gewöhnliche Schen-
kung, welche nur durch eine Bedingung wieder aufgelöst wird
(donatio quae conditione resolvitur) angeführt wird.
781
dem sie es unbewußt in eine Schenkung unter Lebenden
verwandelt.
Es dauert daher lange, bis dieser Irrtum über den juri-
stischen Charakter des Testamentes berichtigt, und dasselbe
auch bei den germanischen Nationen wie in Rom zu einem
allezeit und willkürlich \viderruflichen, erst mit dem Tode
Rechtskraft erlangenden Akte geworden ist, und diese Be-
richtigung vollbringt sich in vielfachen und allmählichen
Übergängen, deren Geschichte zu geben hier nicht der
Ort ist.
Aber als nun dieser juristische In'tuni berichtigt ist,
ist nichtsdestoweniger der begriffliche Irrtum, das rö-
mische Testament für eine Vermögensvergabung zu
halten und es a l s solche aufzunehmen, geblieben. Es ist
daher durch diese Berichtigung nicht nur nichts gewonnen,
sondern es ist jetzt gleichsam der Irrtum nur in seine zweite
und noch substantiellere Phase getreten. Denn der juri-
stische Charakter des römischen Testamentes ist jetzt dem
begrifflichen Boden, in welchem er allein seine gei-
stige Wurzel, seine innere Existenzmöglichkeit
hat und welcher allein jenen juristischen Charakter
hervortreibt, dem Begriff der Perpetuierung der Wil-
lenssubjektivität ^), entrissen, und ohne diese seine organi-
sche Grundlage auf die äußerlichste und begriffloseste
Weise in eine geistige Welt (Intestaterbtum, Erbtum als
eigenes Recht des Familiengliedes auf das an sich gemein -
0 Die germanischen Nationen können trotz ihres Prin-
zipes der geistigen Unsterblichkeit, oder vielmehr wegen des-
selben, keinen Sinn und darum auch kein Ve r s t ä n d n i s für
diese Willensunsterblichkeit besitzen, welche das höchste
Interesse und den höchsten Inhalt des römischen Geistes bildet,
und zwar deshalb, weil ihre Unsterblichkeit zwar auch noch
die des subjektiven Geistes, aber des nur auf sein inneres
782
saiiie Vermögen) und auf einen juristischen Boden (Ver-
mögenshandlung) übertragen, mit welchen sie nach allen
Seiten hin in dem widerspruchvollsten Konflikt,
in dem Verhältnis innerer Unmöglichkeit stehen.
Denn es braucht jetzt nicht mehr bewiesen zu werden --
da dieser Beweis vielmehr durch die gesamte Entwickelung
dieses Bandes in seiner objektivsten Weise und darum in
seiner unwiderleglichsten Schärfe erbracht worden ist — ,
sondern es braucht nur noch ausgesprochen zu wer-
den, daß, wie sich hierdurch ergeben hat, das gesamte Te-
stamentsrecht der germanischen Nationen nichts ist als —
ein großes Mißverständnis! Ein Mißverständnis,
dessen Entstehung, Natur und Beschaffenheit wir auf das
genaueste nachgewiesen haben.
Nationen haben gut fremde und darum in ihrem inner-
sten Wesen unverstandene Institutionen in sich aufnehmen
wollen. Juristen haben gut diesen Institutionen ihren äuße-
ren rechtlichen Charakter ablauschen und verpflanzen. Was
hieraus entsteht, ist dennoch niemals die wirkliche
Aufnahme des Fremden. Hierzu würde vor allem das be-
griffliche geistige Verständnis des Aufzunehmenden
gehören, aber in diesem Falle würde es wegen der Fremd-
heit dieses seines Begriffes für den anderen Volksgeist
gar nicht zur Aufnahme kommen. In ihrer Idee gründlich
mißverstanden wird vielmehr die Institution, resp. was
Wesen bezogenen, in sich zurückgezogenen Geistes
(Seele, individuelle Seligkeit) ist, nicht mehr die des noch auf
die Außenwelt bezogenen subjektiven Geistes, also
nicht mehr Willensunsterblichkeit ist. Die Objekte des
endlichen Willens kümmern die reine Seele des Christen
nicht mehr, und nicht mehr in der Fortdauer seiner Herr-
schaft über die Außenwelt, wie der römische Geist,
hat er die Gewähr seiner Unsterblichkeit.
783
von ihrem äußerlichen juristischen Charakter abstrahiert
worden ist, unter die Herrschaft der eigenen natio-
nalen Ideen des aufnehmenden Volksgeistes gestellt und
in gewaltsamster Weise zu einer rein äußerlichen
Einheit mit diesen verbunden. Während die Institution so-
mit hier, da sie um ihren Begriff gekommen, auch eine
ganz andere juristische Gestaltung annehmen muß, als auf
ihrem ursprünglichen Boden ^ ) , scheint sie gerade d a -
durch nach dem Verlauf längerer Zeitperioden zu dem
eigenen geistigen Inventar der aufnehmenden Nation
selbst zu gehören, ist und bleibt aber mit diesem Volksgeiste
nur in solcher Einheit, wie etwa ein Dorn mit dem ihn
umgebenden Fleische. Ihres Begriffes entäußert, bleibt sie,
ebenso wie sie einen totalen Widerspruch gegen ihre frühere
organische Gestalt darbietet, ebenso auch nach allen Seiten
hin im schneidendsten Widerspruch mit dem neuen Boden,
auf den sie verpflanzt, mit den nationalen Ideen, unter deren
Herrschaft sie gestellt worden ist, ist und bleibt sie : der
Widerspruch in sich selbst, eine innere Unmög-
lichkeit.
Dies ist das Schicksal des römischen Testamentes bei
den germanischen Nationen. Aufgenommen von einem
Volksgeist, der seiner eigenen nationalen Idee nach alles
Erbtum als Intestaterbtum, als das eigene Recht
des Erben auffaßt, wird bei diesen Nationen auch dem
testamentarischen Erbrecht der Charakter des
germanischen Erbtums überhaupt, der Charak-
ter des Intestatrechtes aufgedrückt und so die bei
^) Glaubt man vielleicht, ein alter Römer würde unser heu-
tiges Testamentsrecht noch als ein Testamentsrecht
überhaupt gelten lassen, oder würde es ihm nicht vielmehr
als eine reine Absurdität erscheinen müssen?
784
letzterem begrifflich notwendige Maxime: Le mort saisit
le vif, auch auf jenes ausgedehnt.
Will man einen noch augenfälligeren Beweis hierfür,
als die bisherige Auseinandersetzung enthält, so braucht
man nur einen Blick auf eine andere Maxime des fränkisch-
germanischen Testamentsrechtes zu werfen, eine Maxime,
in Verbindung mit welcher jener Grundsatz : Le mort saisit
le vif, erst sein wahres Verständnis erhält. Wir meinen
die Maxime •■ ) : Solus Deus heredem facere potest, non
homo"), oder, wie sie die französischen Coutümen aus-
drücken : Heritier ne s'institute point. Diese Regel, ent-
standen nach der Aufnahme des Testamentes aus dem römi-
schen Recht, um den Unterschied von demselben darzu-
legen, erreicht diesen Zweck in einem hohen Grade. Sie
zeigt auf das sinnfälligste, wie das Testament in seiner
Rezeption selbst in ein seinem römischen Sinne
schlechthin Entgegengesetztes und Fremdes ver-
wandelt wird. Sie zeigt, wie dem testamentarischen
Rechte selbst von den germanischen Nationen bei seiner
Aufnahme der Charakter des Intestaterbrechtes
aufgedrückt, wie es unter die Herrschaft der na-
tionalen Intestaterbidee gestellt wird, gerade wie
wir dies eben von der Geltung der Maxime: Le mort
saisit le vif, innerhalb des Testamentsrechtes gesehen
^) Glanville, De legibus Angliae. VII, 1 ; vgl. de Lauriere
sur Loisel, 2, 4, 5.
") Es gibt bei richtiger Auffassung gar keine konzentriertere
Parallele des Geistes des germanischen und des römischen Erb-
rechtes, als die Vergleichung dieses Satzes mit dem entspre-
chenden römischen: Praetor heredem non facere potest. Wie
im germanischen Geist das Erb tum nur durch die natür-
liche Gehurt (Gott, als Ursache derselben) hervorgebracht
werden kann, so in Rom nur durch den spezifischen histo-
rischen Volksgeist, das Jus civile.
28 L««ne. G«. Schriften. E^nd XII. 785
haben ^ ), und ganz unbekümmert um den radikalen Wider-
spruch, in welchen dadurch die aufgenommene Testaments-
idee mit sich selbst gerät.
Wir wiederholen es, das moderne Testamentsrecht ist,
wie sich gezeigt hat, nichts als ein großes Mißverständnis,
eine kompakte theoretische Unmöglichkeit!
Es würde nichts nützen, diesen Ausspruch kühn finden,
die Augen gewaltsam gegen ihn verschließen, ihm Neo-
logismus und negativen Kritizismus zur Last legen zu wol-
len. Wir sind nicht von einer subjektiven Polemik, nicht
einmal von einer Kritik gegen das Testament ausgegangen.
Wir haben dasselbe keineswegs von willkürlich von uns
mitgebrachten subjektiven Verstandesgrundsätzen herab be-
urteilt. Wir sind vielmehr durchaus positiv begreifend,
objektiv darstellend zu Werke gegangen. Wir haben
die große kulturhistorische Idee des römischen Testamentes,
seine geistige Wahrheit, sich ergeben sehen; wir haben
ihren objektiven Ent^vickelungsgang durch die Phasen der
römischen Rechtsgeschichte und bis zu den germanischen
Nationen verfolgt. Wenn es diese streng historische Ent-
wickelung selbst ist, welche mit immanenter Notwendigkeit
in jenes Resultat mündet, so ist dasselbe nicht mehr eine
willkürliche und subjektive Kritik, es ist die von
^) Es ist dies so wahr, daß selbst in den Zweigen des ger-
manischen Rechtes, in welchen die Maxime solus Deus etc.
nicht aufgenommen ist, ihr Sinn dennoch zutrifft. Denn auch wo
man einen Erben testamentarisch einsetzen kann, ist er doch
nur den Worten nach Erbe. In der Tat aber verhält er sich,
da er nicht Willensfortsetzer ist, zum römischen heres immer
nur ähnlich wie ein Legatar, ein Bedachter, etwa wie ein lega-
tarius partiarius, in dessen Anteil alle Erbschaftssachen hinein-
fallen. Daß man aber testamentarisch nur einen legataire uni-
versel, nicht einen Erben ernennen könne, ist eben was durch
jene Maxime besagt. wird.
786
der Geschichte selbst vollzogene und darum objek-
tive Kritik des Testamentes, es ist die vom menschlichen
Gattungsgeiste selbst vollbrachte Auflösung des Dogmas.
Jener Ausspruch hat daher keine geringere Bedeutung, als
das absolute Urteil der Wissenschaft zu bilden,
gegen welches weder Einwurf noch Appell möglich sein
wird.
Der große Irrtum der Neueren, daß das Testament
natu r rechtlich sei, hat durch die wahrhafte Entwicke-
lung der Idee und Geschichte des Testamentes seine so
erschöpfende Auflösung gefunden, daß seine wissen-
schaftliche Fortdauer fortan unmöglich ist.
Weit entfernt von diesem Irrtum, fassen die Römer,
statt das Testament für juris gentium zu halten, den öf-
fentlichen Geist für die wesentliche Bedingung nicht
nur der Hervorbringung, sondern auch der Fähig-
keit zum Testfmiente auf ^). Weit entfernt, das Testieren
für eine natürliche und darum naturrechtliche Fähigkeit
des Individuums zu nelimen, ist der Römer vielmehr
von der natürlichen Unfähigkeit des Individuums, nach
seinem Tode noch einen Willen auszuüben, so durchdrun-
gen, daß es des Zusammentreffens zweier Willen, des
Konkurses eines noch lebenden Willens bedarf, wel-
cher den des Toten zu dem seinigen macht, damit der
Wille des Toten, das Testament, ein gültiger sei. Wir
haben gesehen, wie dies schon in der äußeren Form des
klassischen Testamentsaktes heraustritt, in der älteren Ge-
stalt des testamentum per aes et libram, dessen Bedeutung
eben diese ist, alle Momente der Idee des Testa-
mentes in der äußeren Form zu setzen. Wir haben
ferner gesehen, wie dies auch nach dem Verfall dieser
1) Siehe Nr. X und XV.
28' 787
Testamentsform und zu allen Zeiten, solange römisches
Recht existiert, der inhaltliche Grundgedanke desselben
bleibt, indem der Wille des Verstorbenen (das Testament)
nurdannunddadurch fortbesteht, daß ihn der Lebende
zu dem seinigen macht, und mit dem Ausschlagen oder
dem Tode dieses letzteren die Nichtigkeit des toten, nicht
mehr wollen könnenden Willens, die Ungültigkeit des Te-
stamentes eintritt^). Es genügt, an diese zwei Punkte zu
erinnern. Überdies ist unsere gesamte Darstellung des römi-
schen Erbrechtes nur eine Durchführung und Entwickelung
dieses Gedankens gewesen. Das römische Recht unterstützt
also den Irrtum von der naturrechtlichen Natur des Testa-
mentes nicht nur nicht, es schließt ihn aus und ist gerade
seine beste Widerlegung. Das römische Recht, statt anzu-
nehmen, daß der Wille nach seinem Untergange noch
verfügen, ein vinculum juris hervorbringen könne — was
eine schlechthin sich in sich selbst widersprechende An-
nahme ist — , ist gerade die ungeheuere Anstrengung, den
Willen im Tode der natürlichen Person nicht untergehen
zu lassen, sondern ihn durch die Identifikation mit
einer lebenden Willensperson in alle Ewigkeit zu er-
halten (Nr. VIII). Das römische Erbtum stellt daher, wie
wir erschöpfend gesehen haben, nicht eme Vermögens -
Zuwendung, sondern die Forterhaltung der Wil-
lenssubjektivität dar. Nur hierin ist seine Substanz,
seine geistige Bedeutung, sein Interesse, weshalb wir das-
selbe als das Dogma der Unsterblichkeit in seiner
römischen Gestalt bezeichnen konnten. Dies ist so wahr,
daß zur Zeit, wo der nationale Geist noch in der Blüte
seiner ursprünglichsten Gedrungenheit steht, die Fortsetzung
der Willenssubjektivität sogar in Spaltung und nega-
') Siehe Nr. V
788
tiven Gegensatz gegen die Vermögenszuvvendung tritt
(s. Nr. VII). Ja, dieser Gegensatz ist sogar ein stets
bleibender, denn er ist die bleibende Grundlage des
Legates (s. Nr. XIV fg.). Und er muß ein bleibender
sein, denn erst in dem Sichabstoßen seiner von sich selbst,
in der sich zu einzelnen und bestimmten Willenswirkungen
treibenden Fortexistenz seiner allgemeinen Willenssubjek-
tivität, also erst in der von dem Erben abstoßenden und
seinem Interesse negativen Verfügung des Legates,
hat der Wille des Toten die echte Gewähr und Be-
tätigung, daß er es ist, der in dem erbenden Willen
fortexistiert. Das höchste Interesse des Erblassers, die
unzweifelhafteste Betätigung seiner Willensfortdauer ist
nicht, daß der Erbe hat, sondern daß der Erbe handelt,
wie sein, des Erblassers Wille ihn handeln läßt (s. Nr.
VI und VII).
Das römische Recht, weil es also wirklich die F o r t -
existenz des Willens des Toten durch die Identifi-
zierung ihrer Willenssubjektivität, die Erbe und Erblasser
vornehmen, hervorbringt, wenn auch natürlich in supra-
naturalistischer und idealistischer Weise, wie der Christ
seine Fortexistenz im Jenseits, ist daher das einzige in-
nerhalb seiner konsequente, das einzige in sich
mögliche Testamentsrecht. Zwar haben wir gesehen,
wie auch dieses Testamentsrecht an der Unmöglichkeit
seiner spiritualistischen Voraussetzung, daß A = B sei,
oder daß die Willenssubjektivitäten des Erblassers und des
Erben trotz aller gewollten Identifikation aufhören können,
andere gegeneinander zu sein, zerschellt und zer-
schellen muß, wie sich ebenso schon in der erbrechtlichen
Dogmatik an den äußersten Grenzen dieses Testaments-
rechtes als in der Geschichte desselben der Wider-
spruch dieser übernatürlichen Voraussetzung mit der
780
Wirklichkeit hervortreiben muß. Aber von der Un-
möglichkeit dieser Voraussetzung einmal abgesehen und
diese Anschauung einmal zugegeben, ist innerhalb der-
selben und somit innerhalb des Testamentsrechtes alles
vernünftig, konsequent und notwendig. Wenn einmal die
Willenssubjektivität trotz des Todes ihres natürlichen Sub-
strates fortexistiert, so ist es auch ganz natürlich, daß
dieser Wille noch nach dem Tode wirken und verfügen
kann.
Wenn aber, wie im germanischen Rechte, von einer
künstlichen Fortsetzung der geistigen Willenssubjektivität
durch das Testament gar keine Rede ist, wenn dieses als
bloße Vermögenszuwendung aulgefaßt, wenn der sub-
jektive Wille somit, wie er es in Wahrheit ist, als ein
mit seinem Tode erlöschender angesehen wird, — wie
ist es dann möglich, daß der Wille nach seinem Unter-
gange noch disponiert und Verfügungen trifft ? Und zu
leugnen ist es doch nicht, daß, da das Testament bis zum
erfolgten Tode stets willkürlich widerruflich bleibt, der
Wille erst nach dem Tode das \inculum iuris erzeugt,
rechtliche Willensverfügung wirkt.
Es wird nichts nützen, hiergegen mit Vorwürfen einer
atomistischen Rechtsanschauung usw. um sich werfen zu
wollen. Diese Vorwürfe wären schon um dessentwillen
ganz unangebracht, weil die vorstehende Argumentation ja
zunächst nur das Testamentsrecht, und nicht das
Intestaterbrecht trifft, welches man ohnehin bei uns als das
substantiellere ohne Schwierigkeit gelten läßt. Und auch
abgesehen davon, wäre dieser angebliche Atomismus mit
der Logik selbst identisch, da es der absolute Widerspruch
in sich selbst ist, daß der Wille, nachdem er zu sein auf -
gehört hat, wollen und geben kann. Es findet sich
daher dieser Widerspruch nur als Folge der erörterten miß-
790
verständlichen Auffassung des römischen Testamentes als
einer Vermögensverfügung im germariischen Rechte
vor. Oder vielmehr richtiger, eben wegen dieser irrtüm-
lichen Auffassung findet sich dieser unmögliche Wider-
spruch auch im germanischen Rechte nicht vor,
sondern es wird nun, wie wir gesehen haben, deshalb das
Testament von ihm in eine sofortige Vermögensentäuße-
rung, in eine Schenkung unter Lebenden umgewan-
delt. Erst Schritt für Schritt bringen es die romanischen
Juristen dahin, diese Reaktion der nationalen Rechtsver-
nunft zu besiegen und die rechtliche Wirkung des
römischen Testamentes in das germanische Recht empirisch
hinüber zu impfen.
Betrachtet man jetzt also, mit welchem Recht und auf
welchen Grund hin man das moderne Testament für ein
Naturrecht ausgegeben hat, so ergibt sich ein gar selt-
sames Resultat. Man hat ein Natur recht gemacht aus
dem, was vielmehr eine natürliche Unmöglichkeit
ist! Man hat ein Natur recht gemacht aus einem Rechte,
— welches sich nie und nirgends vorfindet, in dem
nationalen Rechte keines Volkes und keiner Zeit^),
weder im römischen, noch im germanischen! — Gerade
weil sie weder begriffen, warum sich dieses angebliche
Recht im germanischen Recht nicht findet, noch welche
ganz andere Natur und Bedeutung es im römischen
Rechte hat, — aus diesem doppelten Irrtum haben die
^) Es ist bekannt, daß der Orient nur Intestatrecht kennt.
Was das attische Recht betrifft, so ist nicht hier der Ort zu
beweisen, aber von selbst einleuchtend, daß das sehr späte
Aufkommen des Testamentes von Rom importiert ist. Die
attische Vermögensübertragung durch Adoption ist natürlich
etwas ganz anderes.
791
Juristen die erst durch ihr eigenes gelehrtes Mißverständ-
nis hervorgebrachte Fähigkeit des toten Willens, über
das Vermögen zu verfügen, zu dem stolzen Range einer
naturrechtlichen erhoben!
So blutig und schneidend die Ironie dieser Gegensätze
ist, so wenig wird man ihre nachgewiesene tatsächliche
Wahrheit bestreiten können. Aber auch die innere Verbin-
dungsbrücke, welche zwischen diesen schroffen Gegensätzen
besteht, liegt näher, als es auf den ersten Blick scheinen
sollte. In der Tat, gerade weil man den begrifflichen Zu-
sammenhang, die geistige Entstehung und Vermit-
tel ung des römischen Testamentes nicht begriff — und
deshalb natürlich auch nicht den Prozeß seiner Übertra-
gung in das Recht der germanischen Nationen —, weil
man also seine wahre historische Geistespositivi-
tät nicht verstand, mußte dies Recht zu testieren als ein
unmittelbar gegebenes erscheinen. Folglich konnte
und mußte es nach zwei entgegengesetzten Seiten hin miß-
verstanden werden, und i s t auch wirklich nach beiden
Seiten hin mißverstanden ^vorden, Man konnte es, als
unmittelbar gegebenes, als ein bloß äußerliches po-
sitives Rechtsinstitut auffassen, — und dieser nicht
weniger große Irrtum ist von allen begangen worden, welche
das Testament nicht für naturrechtlich halten. Dieser
Irrtum ist durch unsere Darstellung gleichfalls gänzlich
beseitigt. Wir haben gesehen, wie das römische Testament
vielmehr in der innersten Entwickelungsgeschichte des welt-
historischen Geistes selbst seine ideelle Genesis und not-
wendige Wurzel hat, wie es selbst eine Phase dieses
Werdensprozesses des Geistes darstellt, statt bloß äußer-
lich positiv zu sein.
Oder aber man konnte — hier wie immer gehen die
abstrakten Gegensätze ineinander über — als unmittel-
792
bar gegebenes das Testament als ein natürlich-ge-
gebenes, d.h. als Naturrecht auffassen.
Und die Flachheit des eben erörterten entgegengesetzten
Irrtums mußte freilich zu diesem nicht minder verkehrten
treiben.
Beide Irrtümer sind jetzt von uns aufgelöst, und es ist
in ihre Wahrheit hindurchgebrochen worden.
Es hat sich gezeigt, daß das Testament, weit entfernt
davon, ein nur positiv gegebenes Rechtsinstitut zu sein,
ein notwendiges Moment des Geistes m seiner histo-
rischen Entwickelung darstellt, und eben deshalb ebenso
weit entfernt, ein bleibendes oder natu r rechtliches
zu sein, mit dem Vorübergehen dieser Entwickelungsstufe
des welthistorischen Geistes, der römischen Stufe, um
jeden Sinn, Zusammenhang und innere Möglichkeit ge-
kommen ist, und nicht nationaler Rechtsschöpfung, son-
dern nur gelehrtem Mißverständnis seine widerspruchsvolle
Erhaltung verdankt.
Zugleich haben wir an diesem großen Beispiel des
Erbrechtes einen lehrreichen Nachweis, wie Gelehrte Ge-
schichte machen, wenn sie Produkte des geistigen Lebens
anderer Nationen in empirischer Auffassung unverstanden
übertragen.
Jetzt erst nach dieser Darlegung und Charakterisierung
der Beschaffenheit, welche die Aufnahme des Testamentes
durch die germanischen Nationen hat, begreift sich klar
und lichtvoll von innen heraus, wie in jener Periode, wo
mit allem bloß empirisch Überlieferten gebrochen wurde,
in jener Zeit, wo, wie Hegel sagt, ,,die Welt auf ihren
Kopf, die Vernunft, gestellt wurde," das Gesetz des fran-
zösischen Nationalkonventes vom 7./ 10. März 1793,
durch welches alle Fähigkeit, indirekter Linie
703
zu testieren^), abgeschafft wurde"), so möglich
wie notwendig war. Es \vürde bloß von gänzlicher Gedan-
kenlosigkeit zeugen, dasselbe auf Rechnung der beliebten
Deklamationen von abstrakter Gleichheitswut des Kon-
ventes setzen zu ^vollen. Wie der Instinkt stets der be-
wußten Theorie vorausgeht, war es nichts als der aus der
Reaktion gegen alles empirisch Überlieferte von selbst
entspringende, unbevvoißte Rückgang des Volksgeistes
auf seine eigene nationale Substanz''). Freilich
^) Vgl. hierüber und über die Fortsetzung des vom Konvent
erlassenen Erbrechtes im Code Napoleon genauer im ersten
Bande. S. 639 fg.
^) Brissot. der Chef der Gironde, tritt dabei mit großer
theoretischer Bewußtheit auf. ,,Le premier principe", sagt er,
,,c*est que le droit de tester est une de ces Conventions sociales,
qui ne tiennent leur existence que de la loi ; le second, c'est
que la loi peut ne pas faire executer la volonU d'un individu
qui n'est plus. La loi peut supprimer la Convention qu'elle ga-
rantit; le droit de tester peut donc etre aboli." (Moniteur vom
9. u. 10. März 1793-) Bei tieferer Betrachtung führen sich,
wie wir gesehen haben, diese beiden Prinzipien auf eine
Einheit zurück und das ,,la loi peut ne pas faire executer
etc." verwandelt sich in ein ,,ne peut pas faire executer la vo-
lonte d'un individu qui n'est plus," was auch Brissots Kon-
klusion innerlich zugrunde liegt.
^) Es zeigt sich hier wieder beiläufig, als wie seicht sich,
wenn man tiefer dringt, das unwissende Geschwätz der Tages-
publizisten a la Dietzel herausstellt, welche in der Französi-
schen Revolution von 1789 den Triumph des ,,Romanismu s"
und den Untergang des germanischen Elementes in
der französischen Nation erblicken. Wir sehen Im strikten Ge-
genteil, wie der Konvent es gerade ist, welcher, den seit Jahr-
hunderten empirisch aufgenommenen und in Deutschland
noch ruhig fortbestehenden Romanismus entfernend,
mit der größten Energie wieder auf den eigenen Gehalt des
germanischen Geistes zurückgeht. Da \v\r hier übrigens,
704
wird damit nicht bis in die germanischen Wälder zurück-
gegangen. Der begriffliche Unterschied von dem Charakter
des germanischen Erbrechtes besteht unter diesem Kon-
ventsgesetze nämlich darin, daß die Intestaterben (Kinder)
während des Lebens des Erblassers kein Recht (kein
ansich seiendes) auf das Vermögen desselben haben,
derselbe vielmehr (vgl. dagegen oben über das Erbeigen)
beliebig auf lästigen Titel veräußern kann, und deshalb
auch konsequent alle Teile der Erbschaft für die Schulden
haften. Die Intestaterben erben also nur, insofern etwas
beim Tode noch da ist, sie erben gesetzlich, insofern
irgend Vermögensgegenstände zur Vererbung über-
haupt kommen; sie haben aber kein Recht mehr darauf,
daß irgendein Teil von dem Vermögen des Lebenden
zur Vererbung komme. D. h. es hat sich jetzt gerade die
Idee der individuellen Freiheit so weit gegen das
germanische Recht entwickelt, daß der Eigentümer zum
wie schon mehreremal im Laufe dieses Werkes, dieses Dietzel -
sehen Räsonnements Erwähnung getan haben, welches gerade
seiner Oberflächlichkeit wegen so große Beliebtheit und Ver-
breitung gefunden und selbst Männer mit sich fortgerissen hat,
von denen man ein Besseres hätte erwarten sollen, so sei es
erlaubt, hier die Ansicht anzuführen, die ein anderer Mann,
ein Mann freilich auch von ganz anderen realen Studien, die
Eduard Gans über das Verhältnis der Französischen Revolution
zum germanischen und romanischen Geiste ausspricht. Gans
(Erbrecht, III, 480) schließt seine Auseinandersetzung über
das Verhältnis des romanischen und germanischen Gei-
stes in Frankreich mit den Worten: ,,Wenn seine romanische
Grundlage es schon im Mittelalter glänzen ließ, so hat die
freie Bewegung des germanischen Geistes in ihm sich ebenso
von diesem Mittelalter, freilich in Form einer gewaltigen Feuers-
brunst, zu befreien gesucht, und die neue Kultur, an deren Spitze
es getreten, läßt von einem alten Frankreich sprechen, das sich
von dem heutigen unterscheidet. "
795
alleinigen und unbedingten Eigentümer geworden
ist. Mit anderen Worten liegt aber hierin nur, daß das
Eigentum jetzt nicht mehr, wie Hegel v/ill, und wie im
germanischen Rechte wirklich der Fall ist, an sich ge-
meinsames Eigentum der Familie ist, und sich diese
ansichseiende Gemeinsamkeit beim Tode nur auflöst.
Denn hierzu wäre eben erforderlich, daß schon bei Leb-
zeiten des Eigentümers ein an sich vorhandenes und seine
Veräußerungsbefugnis beschränkendes, wenn auch erst nach
seinem Tode zur aktuellen Wirksamkeit gelangendes Recht
der Intestaterben da wäre. Da dies nicht der Fall, so ist
das Eigentum jetzt rein individuelles Eigentum,
nicht Familieneigentum. (Nur verschenken kann der
Eigentümer beim Dasein von Kindern auch während seines
Lebens nicht über die quotite disponible hinaus.) Au"f
welchem Prinzip beruht nun aber hier die Intestaterbfolge ?
Da der Eigentümer alles auf lässigen Titel veräußern und
verschenken kann, beruht sie nicht auf einem eigenen
Vermögensrechte der Intestaterben, welches sonst schon bei
Lebzeiten als ein An sich vorhanden sein müßte. Da der
Erblasser nicht testieren kann, so beruht sie auch nicht
auf einem präsumierten Willen desselben. Es ist also klar,
daß sie auf nichts anderem beruht, als auf dem die Ver-
mögenshinterlassenschaften regelnden allge-
meinen Willen des Staates. Sie beruht auf der Fa-
milie, da sie nur diese beruft, aber nicht mehr auf der
Familie als aus eigenem Recht erbender, auch nicht auf
der Familie als durch den präsumierten Willen des Toten
berufen, sondern auf der Familie als Staatsinsti-
tution. (Weshalb nun auch die Befugnis des Eigen-
tümers zu Schenkungen im Interesse der Familie be-
schränkt wird und werden kann.) Hier zeigt sich, in ihrem
Inneren betrachtet, eine jener geistigen Ähnlichkeiten
796
der Französischen Revolution mit dem altrömischen Volks-
geiste und seinem strengen jus civile. Doch ist ebensowenig
der Unterschied und Gegensatz zu übersehen. Dort (Nr.
XL) galt der allgemeine Staatswille nur als der
präsumierte Wille des Individuums, hier gilt viel-
mehr das individuelle Verhältnis der Familie nur
als Institution des Staates. Das Allgemeine ist
also hier gerade in viel tieferem und prinzipiellerem Sinne
der geistige Boden des Erbrechtes.
Selbstredend wird jedes Erbrecht, welches, wie der
Konvent die Testierfreiheit aufhebt, andererseits aber auch
ein ansichseiendes Vermögensanrecht der Intestaterben bei
Lebzeiten des Eigentümers nicht anerkennt, auf demselben
Prinzipe beruhen. Aber wenn auch nur, wie meist in den
gegenwärtigen Erbrechten der Fall, die letztere Be-
dingung zutrifft, Testierfreiheit aber innerhalb einer
quantitativen Grenze (quotite disponible) besteht, so
wird doch bis zu dem Punkte, wo diese quotite dis-
ponible und also mit ihr die Testierfreiheit eintritt, das
eben Entwickelte der Charakter dieses Erbrechtes sein.
(Denn soweit das Individuum nicht testieren kann,
soweit läßt sich das Intestatrecht nicht als präsumier-
ter individueller Wille auffassen.) Es ist also, wie sehr
dies auch verwundern oder erschrecken mag, bei der wahr-
haften Betrachtung dennoch der Fall, daß die meisten
heutigen Erbrechtssysteme, wie z. B. der Code Napoleon,
in ihrem innersten Grunde und bis zum Eintreten der dis-
poniblen Quantität, an sich oder im Prinzip nichts an-
deres darstellen, als eine Regelung der Hinterlassen-
schaften von Sozietäts wegen.
Wegen jenes inneren absoluten Widerspruches des Te-
stamentes ist es endlich noch keinem Philosophen ge-
lungen, einen wahrhaften und haltbaren Begriff des Te-
797
stamentes aufzustellen; und dies ist der letzte Nachweis,
den wir als Schluß dieser Darstellung zu erbringen haben.
Von Hegel haben wir bereits nachgewiesen, daß seine
Erbrechtstheorie lediglich eine Theorie des Intestaterb-
rechtes ist, und das Testament aus ihr heraus weder ge-
rechtfertigt ist noch werden kann. Der einzige Philosoph
außer Hegel aber, welcher eine Erbrechtstheorie aufgestellt
hat, die diesen Namen verdient, ist Leibniz. Seine Te-
stamentstheorie ist folgende ^) : ,,Testamenta vero mero
jure nullius essent momenti, nisi anima esset immortalis,
sed quia mortui revera adhuc vivunt, ideo manent domini
rerum, quos vero heredes reliquei-unt, concipiendi sunt ut
procuratores in rem suam." (,, Testamente aber wären mit
vollem Recht durchaus null undnichtig, wenn die Seele
nicht eine unsterbliche wäre. Aber weil die Toten in Wahr-
heit noch leben, so bleiben sie Eigentümer der Sachen, die-
jenigen aber, welche sie als Erben zurückließen, sind auf-
zufassen wie ihre stellvertretende Verwalter in dem Ver-
mögen.")
In mehi" als einer Hinsicht sind diese tiefen Worte des
tiefen Denkers vom größten Interesse ! Zunächst tritt deut-
lich hervor, wie nahe daran Leibniz war — und bei dem
Urheber der Monadenphilosophie, in welcher das Prinzip
der reinen Individualität seine höchste geistige Spitze ge-
funden hat, erhellt sofort die Notwendigkeit dieses Über-
eintreffens — , das Prinzip des römischen Erbrechtes aus
sich heraus zu reproduzieren. Das Testament hat ihm nur
deshalb Gültigkeit, weil die individuelle Seele des Erb-
lassers unsterblich ist, weil die Seelen auch nach dem Tode
manent domini rerum, ganz wie wir in der Tat den objek-
^) Nova Methodus Jurisprud., ed. Lips. et Halae 1748,
pars specialis, § 20, p. 43.
7Q8
tiven Her vor gang des römischen Testamentes aus dem Ma-
nenglauben nachgewiesen haben. Aber kein einzelner denkt
mit der Konsequenz eines Volksgeistes, und Leibniz ist,
indem er auf dem Wege ist, die Idee des römischen Testa-
mentes auf dem Boden des christlichen Geistes zu repro-
duzieren, durch den Einfluß dieses Bodens auch gezwungen,
wieder in das reine Gegenteil der römischen Erbrechtsidee
zu verfallen. Denn während die römische Testaments- und
Erbrechtsidee überhaupt die versöhnte Identifikation
der beiden Willenssubjektivitäten des Erblassers und Erben
ist, welche hervorbringt, daß ersterer in letzterem fort-
lebt, daß letzterer, der heres, selber der Erblasser und
seine Fortexistenz ist, kann auf dem Boden des christ-
lichen Geistes, der die Fortexistenz des Individuums wo
anders als in dem von ihm als endlich aufgegebenen sub-
jektiven Willen weiß, diese Auffassung nicht mehr statt-
finden, und der Erblasser bleibt daher der Eigentümer
des Vermögens, zu welchem sich der Erbe nur als sein
Verwalter bestimmt.
Kritisch betrachtet, widerlegt sich die Theorie von Leib-
niz sehr einfach.
Zunächst ist klar und wird von Leibniz gerade selbst
anerkannt und hervorgehoben, daß hiernach nur unter der
Voraussetzung der Unsterblichkeit der Seele von
einem Testamente die Rede sein kann. Aber selbst noch
unter dieser Voraussetzung ist seine Theorie in philosophi-
scher wie juristischer Hinsicht gleichmäßig unhaltbar. Er-
stens deshalb, weil bei der christlichen Unsterblichkeit,
im Gegensatze zu der römischen, der als reine Seele fort-
existierende Geist nicht mehr auf die irdische Außenwelt
und deren sachliche Teile bezogen sein kann. Er hat diese
Beziehung mit der Einkehr in den Himmel seiner reinen
Wesenheit abgestreift. Seine himmlische Fortexistenz ist
799
gerade dies, diese Endlichkeit in sich selbst und diese Be-
ziehungen auf Endliches aufgehoben zu haben. Bei der
christlichen Unsterblichkeit, bei der Unsterblichkeit der
Seele, kann daher der Tote nicht mehr fortfahren,
Eigentümer zu sein. Der Römer kann ihm diese Fort-
existenz geben, weil er die Unendlichkeit überhaupt im
Willen selbst erblickt, und daher dem Willen des Erb-
lassers die Unsterblichkeit indem subjektiven Willen eines
anderen Lebenden gibt. Der christliche Geist, der sich,
weil ihm die Unsterblichkeit Einkehr in sein reines Gat-
tungswesen ist, dieselbe nicht in einem anderen lebenden
Subjekt geben kann, sondern sie in den transzendenten
Himmel der absoluten Geistigkeit verlegen muß, zeigt eben
hieran, wie er nach seinem eigenen Gedanken prinzipiell
gar nicht fortfahren kann, Eigentümer zu bleiben.
Zweitens, wäre der Tote Eigentümer, ohne selbst in
dem Lebenden fortzuexistieren, so ist nach dem Früheren
philosophisch wie historisch klar, daß er dann gar nicht
diese positive und versöhnte Stellung zu dem Lebendigen
als seinem Stellvertreter und Prokurator einnehmen könnte,
wie sie ihm Leibniz in einer willkürlichen Vorstellung
leiht, sondern als bleibender Willensherr und Eigentümer
zu dem Lebenden, der kein Eigentümer ist, folgerecht in
das negative Verhältnis treten müßte, das sich uns philo-
sophisch als die erste Stufe dieses Verhältnisses heraus-
gestellt und historisch als die pelasgische ergeben hat.
Drittens endlich tritt zur philosophischen Widerlegung und
als eine notwendige Folge derselben die juristische, daß
nach Leibniz, wenn man von den beiden ersten Gründen
selbst absähe, zwar das testamentarische Erb tum gerettet,
aber das Eigentum untergegangen wäre. Nach der Theo-
rie Leibnizens wäre Adam, resp. der erste Testator, der
einzige Eigentümer, alle anderen Menschen nur in alle
800
Ewigkeit Verwalter und Prokuratoren desselben. Die juri-
stische Kategorie des Eigentums wäre untergegangen, und
diese Theorie steht daher mit dem gesamten juristischen
Stoff selbst in dem diametralsten Widerspruch.
So zerschellt auch die Leibnizsche Theorie vollständig.
— Endlich muß noch hervorgehoben werden, daß, ob-
gleich Leibniz das Angeführte nur in bezug auf das Te-
stament sagt, er dennoch durch dasselbe vermöge der not-
wendigen Konsequenz des Gedankens seiner eigenen Theo-
rie des Intestaterbrechtes widerspricht und sie aufhebt •'^).
Denn wenn Leibniz einmal den positiven Satz aufstellt,
daß wegen der Unsterblichkeit der Seele die Toten in
Wahrheit noch leben und deshalb weiter Eigentümer der
Sachen bleiben (sed quia mortui revera adhuc vivunt, ideo
manent domini renmi), so gilt das dann notwendig und um
so mehr auch von den ab intestato hinterlassenen
Sachen, und Leibniz hebt dadurch selbst auf, was er uns
(s. d. Note) über die Begründung des Intestaterbrechtes
sagt 2).
^) Diese faßt er in folgende zwei Sätze: ..Successio, quae
non producit novum jus, sed vetus transfert. Succedunt autem
ab intestato mero jure soli descendentes, in stirpes, sed ita
in ea tantum bona quae parentis erant, cum nascerentur, quia
anima eorum per traducem ex anima parentis orta est; caete-
rorum successio ab intestato pertinet ad fontem pactorum, quia
ex lege descendit."
^) Es wäre also für Leibniz erforderlich gewesen, auch das
Intestaterbrecht aus der Unsterblichkeit der Seele und
dem fortdauernden Eigentumsrecht des Toten zu entwickeln,
statt es, wie er in dem zweiten Satze tut, ex lege und resp.
selbst aus der Überleitung (per traduceni) der Seele bei
der Zeugung (man vergleiche die Rolle, welche dies bekannte
Dogma in der christlichen Theologie spielt) fließen zu lassen;
d.h. er hätte das Intestaterbrecht als eine subsidiäre Pro-
29 Lassalle. G«. Schriften, Band XII. 801
Es zeigt sich hier wieder in der direktesten Bestätigung
und Ergänzung des oben Gesagten (S. 773, Anmerkung),
wie die Leibnizsche Erbrechtstheorie nur Testaments-
theorie ist und das Intestatrecht nicht aus sich entwickeln
kann, gerade wie die Hegeische Erbrechtstheorie nur In-
testaterbrechtstheorie ist und das Testament nicht
aus sich zu erklären vermag,
Leibniz kann, weil er vom individuellen Geist ausgeht,
als Erbrechtstheorie nur eine Testamentstheorie produ-
zieren, wie Hegel, weil er vom allgemeinen Geist und resp.
der Familie ausgeht, nur eine Intestatrechtstheorie
produzieren kann. Letzterer muß deshalb das germanische
Erbrecht als identisch mit der Idee des Erbrechtes
überhaupt auffassen, wie Leibniz, trotz des diametralen
Unterschiedes, auf ein der römischen Erbtumsidee ana-
loges Prinzip geraten muß. Allein wenn sich auch die
Leibnizsche Theorie so nach allen Seiten hin auflöst, so
bleibt doch als das große Verdienst dieses mit gewaltigem
Blick von der Oberfläche der Dinge stets in das tiefste
Innere derselben eindringenden Denkers der tiefe Satz
übrig, mit welchem wir diese Darstellung schließen wollen :
,,Testamenta vero mero jure nullius essent momenti,
nisi anima esset immortalis.'"
kuration und Stellvertretung des Toten entwickeln müssen,
wie dies das römische jus civile tut, wobei sich wieder die
geringere Konsequenz des Individuums gegen den Volksgeist
802
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LOWE-MARTIN CO. UMITed