Skip to main content

Full text of "Gesammelte Schriften zum Vergnügen und Unterricht"

See other formats


j 8 
e 
22 K 


* > 


Pu Kin 
ARD 
* 


N 
* NN 


„ 
2 W u 
— een u” Ex 


17 4 
Rn 


* 


Geſammelte 


z u m 
Bergnüge U 
un d 
5 unterricht 


E 


Zeate Zurın 
„Sünftes Stu . 


W̃ g € N 
druckt 32 . Thomas Edlen von Trattnern 
kaiser. königl. . und Buchhändlern. 


* 


e 


* * 


Ve 


ö 


8 0 6 6 


Schäferſpiel 


in Verſen 
von einem Aufzuge. 


Per ien 


Chryſant, ein vornehmer Buͤrger aus 

der Stadt. | 
Hylas, ein junger Schäfer, 
palämon, fein Vater. 
Margaris, eine junge Schaͤferinn. 
Myrtha, ihre Mutter. 


Der Schauplatz iſt in einem 
Walde. | 


een namen e 


. 
555 , 


5 5 = 
7 


EEE 


Exfier auftritt 
Chryſant (allein mit einer Hacke in der 


Hand, die er voll Verzweif⸗ 
mus IE 5 


4 

M 0 ein Graben iſt umſonſt. Nun 
855 bin ich ganz verloren. 

ran * Grauſamer Jupiter! bin ich 

| denn nur geboren 

i Der nor der Sterblichen zu feyn ? ! 

Ach! warum gabſt du mir den tollen Anſchlag 

ein, 


D 


en 


Mein Gold dem eiteln Schutz der Faunen zu 
vertrauen? 
5 Doch res mich nicht ein ahnungsbolles 
Grauen, 


A 3 


ER 


6 Deer Schag 


Indem ich das Gefaͤß mit Erde zugedeckt? 

O warum hat mich nicht dein Donner abgeſchreckt? 
Doch, dieſen brauchſt du nur um Welten um⸗ 
zukehren, 
um dein und unſer Werk tyranniſc zu zer⸗ 

ſtoͤren. 
So ward mein Marmorhaus ein aft dei⸗ 
ner Wuth, 
Und mich, verwuͤnſchter 1 entriß dein Arm 
der Gluth. 
Ich ſollte laͤnger noch fuͤr neue Martern leben. 
Doch, was du mir verſagſt, den Tod, kann ich 
mir geben. 
Ich will barmherziger, als alle Goͤtter ſeyn. 
Zu lang verſparter Dolch, erloͤſe mich! (Er 
will ſich ermorden) 


Zweyter Auftritt 
— — 


ee Sylas (der aus einem Buſche 
| hervor ſpringt und den 
Arm des Chryſants 
aufhaͤlt ?: 
| Halt ein, 
Verzweiflungsvoller Grets! e 
8 Chryſant. 
Wie? 


ein Schaͤferſpiel⸗ 7 


- Sylas. 
ut Gib mir dieſes Eiſen. 
| „ 
Laß mich. 
Bylas. ' 
So muß ich es dir mit Gewalt entreiſſen. 
(Er windet es ihm aus der Hand.) 
Euch Goͤttern ſey gedankt! Ihr ſtaͤrket meine 
Hand, 


Und habt mir wahrlich ſelbſt mein buntes Schaf 


enfwandf , 
Damit, wenn ich es hier im Walde ſuchen wollte, 


Ich dieſen fremden Mann vom Tod erretten ſollte. 


Chryſant. | 
Verlaß mich, kuͤhner Hirt, mein Herze dankt 
dir nicht, | 
Und haßt dich, weil dein Mund vom Schutz der 
Goͤtter ſpricht. 

Bylas. 


Ich zittre. Doch wohlan, kann mich dein Herz da 


| haſſen, 
Ich liebe dich, und will dich darum nicht ver⸗ 
laſſen. 
Des hohen Pans Gebot: Sey deines Feindes 
Freund, 


Iſt viel zu ſchoͤn, und du, du biſt mein erſter 


> 
— 
. 
N 
1 


Feind. 
Mich liebt die ganze Flur. 
Chryſant. 
So muß auch ich dich l lieben; 
A 4 


8 Der Schatz 
Du kleiner Zauberer haſt meine Wuth vertrieben. 
Nimm dieſen Ring zum Lohn fuͤr deine en an, 
Und ſuche nun dein Schaf. | 
Sylas (traurig) 
Was hab ich dir gethan? 
Du ſprichſt, du liebeſt mich, und willſt mich von 
dir treiben? 
Behalte deinen Ring und laß mich 15 dir 
bleiben. 
Chryſant. 
Nein, nein. 
HPylas. 

So nimm ihn doch, ich danke dir dafür. 
Sieh nur, ich habe ja ſchon einen ſchoͤnern hier. 
Den meine Margaris aus Veilgen uud Narciſſen 
Mir vr geflochten hat. D Ring ich muß dich 


kuͤſſen! der kuͤßt ihn) 
Chryſant. 
Begluͤckter Juͤngling! doch entfleuch mit deinem 
Gluͤck, 


Sein Anblick ſtuͤrzet mich in meinen Gram zuruck. 


Ach! 
5y air 
Lieber alter Mann, was groſſes muß . 
x qualen. 7 

Doch warum willſt du denn mir deinen Schmerz 
verhoͤhlen? | | 
Es ift ja niemand hier, der uns belauſchen kann. 
Ich weinte gern mit dir. 


ein Schaͤferſpiel. 9 


Chryſant. 
So hoͤre mich denn an. 
Bylas. 
Wie ſtoͤhnet deine Bruſt! wie zittern deine Glieder! 
Komm, laß dich neben mir auf dieſen Raſen 
nieder: 
(Hylas unterſtuͤtzt ihn indem er ſich niederſetzt) 
Chryſant. | 
Ich war ein reicher Mann, der in der groſſen 
Stadt 
Ein koͤnigliches Haus als Herr bewohnet hat. 
Der fuͤrchterliche Krieg, durch den ſeit zweyen 
| Jahren, 
Die Graͤnzen unſers Lands ſo oft verheeret war en, 


Bewog mich, alles Geld, das mein Gewoͤlb 


verſchloß, 
Der Raubſucht zu entziehn. Die Summe war 
ſehr groß, 


| Und ⸗ doch vernimm zuvor den erſten Streich 


* erh TEE 
> ww 


ge * 


der Goͤtter: 
Vor einer Woche ſchlug ein fuͤrchterliches Wetter, 
Das dieſe Sluren auch, doch nur gelinde traf⸗⸗ 
a Sylas. 


Gelinde ſageſt du? Es raubte mir ein Schaf, 
Und hat die fettſte Trift durch ſeine Flut zer⸗ 


ſtoͤret. 
Chryſant. 


ö und r mir hat es mein Haus zu Staub und Graue 


n | 


2 5 


10 | Der Schatz 


Doch nicht mein Haus allein, mein ganzes 
1 groſſes Gut 
Ward unter ſeinem Dach ein Raub der ſchnellen 
Glut. ö 
Bylas. 
D damals hat Damöt von jenen ſchoffen 
Hoͤhen, | 
Wie er mir ſelbſt erzaͤhlt, ein fernes * ger 
ſehen. | 
Chryſant. 
Ich brachte nichts davon, als dieſes ſchlechte 
Kleid. 
Und die Verzweiffung⸗⸗ 
HBylas. | 
Ach wie vühret mich dein Leid! 
Doch⸗⸗⸗ 8 
Chryſant. 
Hoͤre mich erſt ganz. Ich wußte viele Stunden 
Vor Wuth nicht, wo ich war. Als ich mich ſelbſt 
gefunden, 
So winkte mir ein Troſt in dem verborgnen 


Schatz. 
Ich ſelbſt vergrub ihn, hier auf dieſen Zauber⸗ 
Platz. 
Allein, ihr Goͤtter, lacht! auch dieſer if ver⸗ 
ſchwunden. 
Bylas (für ſich) 
D Himmel! (laut) Freue dich, ich bob ihn 
juͤngſt gefunden. | 
In einem Augenblick komm ich zu dir zurück, 


7a 


5 Wie? wos 49 


ein Schaͤferſpiel 11 


Dritter Auftritt. 
Chryſant (allein indem er ſich aufrichtet.) 


Bab ich auch recht gehoͤrt? D wunderbares 


luͤck, 
Das dieſen jungen Hirt zu mir hieher geſendet! 
Wie aber, wenn er ſich nicht wieder zu mir 
wendet? 

Nein, er iſt redlich. Doch warum nahm er die 

| Flucht? 
Wenn er mich auch betruͤgt, ſo ſey 9 er ver⸗ 

flucht! 

Allein was ſeh ich! 


in, 


Vierter Auftritt. 
= S = - 1 4 818 9 
Chryſant, „Sylas (mit einem Hut 


voll Geld ) 


35 las. 
Hier, ſind deine Schaͤtze wieder. 


g wie fag leg ich ſie zu deinen Fuͤſſen nieder! 


Chryſant. 


A 6 


75 Der Scha 


Bylas. m 
Ich habe zwar vie. Stücke nicht geräte 5 


Allein ich glaube nicht, daß nur ein einzigs fehlt. 


Sie lagen unverſehrt in einer hohlen Fichte. 
9 Chryſant. 
Sn diefe Scene nicht ein füffes Traumgeſichte? 
Welch ein erhabnes Herz! O komm, umarme 
mich, 
Geliebter beſter Freund, der Himmel ſegne un ! 
| Bylas. 
> Wolluſt, innres Feſt, das ich noch nie em⸗ 
pfunden! 
Ihr Goͤtter! ſeyd gelobt, daß ich den Topf ge⸗ 
funden! 
Doch lieber guter Greis⸗⸗ = 
Chryſant. 
Ich merke dich, mein Sohn: 
Bier iſt mein ganzes Gut, nimm, was du willſt, 
davon. 
Bylas. | 
Wer? Ich? Was denkeſt du? Wie 155 du 
| | mich fo kraͤnken? 
Was nuͤtzte mir dein Schatz? Willſt du mir et⸗ 
was ſchenken, 
So gieb mir > + > > 
Chryſant. 
Und was denn? 
Bylas. 
Den 88 ; der * berſchoh. 


Er 


ein Schäferipiel. 13 


Chryſant. a 
Wie machſt du mich ſo klein, und wie biſt du 
ſo groß! 
Bylas. 

Mein alter Vater wird bald ſein Geburtsfeſt 
feyern, \ ü 
Da will ich das Gefäß mit zartem Sande 3 

Und es, voll ſuͤſſen Rahms, mit Blumen aus⸗ 
geziert, 

Den guten Goͤttern weihn. 

Chryſant. 
O tugendhafter Hirt! 
Wie felig, wie erlaucht iſt jener Greis zu nennen, 
Der dir das Leben ga 
Bylas. 
O moͤchteſt du ihn kennen! 
Es kann kein froͤmmerer, kein beßrer Vater ſeyn. 
Komm lieber Alter, komm, der Abend bricht 
herein, 

Ich will dich gleich zu ihm in unſre Huͤtte leiten, 
Und dir ein kuͤhles Mahl von Brod und Milch 
bereiten. 

Du ſollſt di Nacht hindurch auf weichen Fellen 
ruhn. 

8 komm „ wir wollen dir mit Freuden er 

thun! 


— 


14 Der Schatz 


Fünfter Auftritt 


Margaris, die vorigen. 
Margaris. 


Ach Hylas! biſt du hier? Man kann dich gar 


nicht finden; 
Ich ſuchte dich umſonſt am Bach und bey den 


Linden. 

(leiſe) 
Was will der fremde Greis? 
Sylas. 


| | Der Greis? er liebet mich. 
Und weiß er, wer du biſt, ſo liebet er auch dich. 
Chryſant. 
Iſt das die Schaͤferinn von der du mir erzaͤhlet? 
Hylas. a 


Ja, das if Margaris, die ſich mein Berz er⸗ 


waͤhlet. 
Chryſant. 
Sey tauſendmal gegruͤßt, mein Kind. 
Margaris. Wr 
| Ich danke dir. 
Ach! | 
Hylas. 
Warum ſeufzeſt du? 
Margaris. 
Nun iſt es / aus mit mir! 


’ 


ein Schaͤferſpiel⸗ 15 


Bylas. 
Wie bebt mein Herz! 
Margaris. 
Ich weiß, ich werde dich betruͤben. 


f Ich ſoll 3 
N Bylas. 


Nun was? 
Margaris. | 
Ich ſoll den alten Damon leben. 
N Sylas. 
Ihr Götter! welch ein Schlag! Was hab' ich 
8 euch gethan? 
Den reichen Damon? 7 
| Margaris. 3 
Ja. Heut hielt er um mich an, 
Und meine Mutter hat ihn alles hoffen laſſen. 
Bylas. 
Eh du die feine wirft, mußt du mich ſehn erblaſſen. 
Margaris. 
Die Stunde PH Bands wird meine letzte gyn. 
Chryſant. 5 
Ihr Goͤtter, nimmt euch nicht ein edles Mitleid 
ein? 
5 Iſt das der fehöne Lohn der tugendhaften Triebe? 2 
1 2 warum ſchafft ihr denn die Herzen für die 
1 3 i Liebe? 
ach, Kinder „holdes Paar, wie rührt mich 
x euer Schmerz: 


e e 


„ Schah 


Bylas. 
Welch ein Donners für meines e 
Herz 

Er weihte meine Gluth mit heilgen Freuden⸗ 

zaͤhren, 

Und wollte morgen dich zu meiner Braut be⸗ 

gehren. 

Doch nun, nun iſts umſonſt! 

Chryſant. | | 
Ermannet, troͤſtet euch, 1 
Wer weiß? vielleicht =: = > 
Sylas. 
Ach nein, der Hirt iſt allzu teich 

Er laßt auf unfrer Flur bey fünfzig Schafen 

weiden, 

Und ich nur zwoͤlfe. Doch, was ſoll ich ihn be⸗ 

neiden? 
Der Himmel ſegnet ihn, auch ich war niemals 
arm. 

N Chryſant. 
Du De! 

Margaris. 
Komm „Hylas, komm, wir wollen uns 
| fern Harm 

und unſre Zaͤrtlichkeit vor meine Mutter bringen. 
N läßt. ſich zuletzt ihr gutes Herz bes 

zwingen; 4 
Sie liebte dich ja ſonſt, und ſprach mir oft von dir. 9 
Bylas. 
Hilf großer Pan! Sie kommt. 


ein Schaͤferſpiel. 1 


Gecrer Auftritt 


Myrtha „die Vorigen. 
- Myrtha. 
| So, Maͤdgen, biſt du hier? 
Gewiß, es ſteht recht fein, die Laͤmmer irren laſſen, 
Um in dem dunklen Wald den Schaͤfern aufzu⸗ 


paſſen. 
Nur fort! f 
Margaris. 
Vergebt es mir, der arme Hylas⸗ 
Sylas. 
Ach! 
| myrtha. 15 
Der arme Hylas! Ey, du laͤufſt ihm ſchmach⸗ 
tend nach, 
h Und denkſt nicht mehr an das, was ich vor einer 
| Stunde > » 
Doch, Bylas „ hör es nun aus meinem eignen 
Munde. 
Ich weiß, du goͤnnſt es uns, weil du vernuͤnf⸗ 
u tig biſt, 
Daß Margaris die 5 des reichen Damons if, 
ylas. 
* Götter! (er m ohnmaͤchtig ins Gras) 
Margaris. 
Ach er ſtirbt! (ſie ſinkt neben ihn hin) 


18 Der Schatz 
Chryſant. | 
Nun weide deine let, 
Grauſame Mutter! 
„Moreche. u 
Ach! ich wollte beyder Gluͤcke. 
Ihr Kinder wachet auf! 
Chryſant. 
Mein Sohn cchole dich ; 
Sylas (mit ſchwacher Stimme.) 
Wo biſt du Margaris? 
Margaris (ohnmaͤchtig) 
Wie ? ruft mein Hylas mich? 
| Myrtha. 
Steht auf ihr Kinder! 
Margaris. 
Nein, laß uns dein Knie umfaſſen, 
Und wenn dein Wort uns trennt, vor dir zugleich 
| erblaſſen. i 
Myrtha. | 
Es kann, es kann nicht ſeyn. Mein Ben bedau⸗ 
ret euch. 
Allein ihr ſeyd zu arm. 2 
Bylas. * 
Die Götter ſind noch teich. 
Ihr milder Segen hilft den Tugendhaften leben, 
Mein guter Vater will mir ſteben Schafe geben. 2 
Chryſant. . 7 
8 du die Tugend liebſt, ſo knuͤpfe dige 
Band. g 


ein Schaͤferſpiel. 19 


Myrtha. 
Und Damon? 
Chryſant. 
Dieieſer hat kein Recht auf ihre Hand. 
Sie liebet ihn ja nicht. 
| Margaris. 
Man zwingt mich ihn au haſſen. 
Sylas. 
D Myrtha! 
Chryſant. 
Kannſt du ſie vergebens flehen laſſen 2 2 
Myrtha. 
Ihr Nymphen rathet mi! 
Chryſant. 
Gehorche der Beh, 
Bis morgen iſt der Hirt der reichſte dieſer Flur. 
(zum Hylas) Mein Sohn ich kaufe dir zum 
Brautſchatz eine Heerde. 
Geſegnet ſey der Tag, an dem ich faͤhig tverde 
Sy Werkzeug zu dem Gluͤck der Redlichen 


zu ſeyn. 
Ich will zum erſtenmal mein Gold den Göttern 
weihn. 
eee 
o Sim hub 
Bi Beſter Greis, 2 N dich belohnen. ; 
| Chryſant. 


nem eich, holdes Paar, fuͤr euch a 
Kronen. 


20 Der Schatz 


| Myrtha. 
Betruͤget mich kein Traum 2 a dir 1 * 
Mann! | 


Siebenter Auftritt 
. 


Pala mon, die vorigen. 
Paldmon (ohne die andern zu fehen ) 
Ihr Faunen! ſaget mir, wo ich ihn finden kann. 
Margaris. 
Diraͤngt nicht Palaͤmon ſich durch jene dichten 
| Buchen? 
Bylas (laͤuft ihm entgegen) 
DO Vater! 
pala mon. | 
Lieber Sohn! kaum konnt ich dich noch ſuchen. 
Dem Himmel ſey gedankt, der über dich gewacht. 
Bylas. 
Wie quaͤlet fich mein Herz, daß ich dir Auf 
gemacht! 
Doch Vater „ wenn ich dir mein groſſes Sie | 
erzähle, 
Ich weiß, du freueſt dich mit deiner ganzen Seele. 
Paldmon. (fuͤr ſich) | 
Es kann nicht moͤglich ſeyn, daß er ſchon alles 
weiß. 
Bylas. 
So hoͤre mich denn an, und liebe dagen chr 


5 


ein Schaͤferſpiel. 21 


Jure will ich hier im Wald, bey Phoͤbus er⸗ 
ſten Blicken, 
Für meine Margaris, bethaute Himbern pfluͤcken; 
A Phylax, der die Spur von einem Maulwurf 
roch, | 
Scharrt neben dieſem Buſch ein tiefes tiefes Loch. 
Itzt blick ich einmal hin, und ſehe recht mit 
Schrecken, 
Ein roſtiges Gefaͤß im Schoos der Erde ſtecken. 
Ich deck es endlich auf, noch bebte mir das Herz, 
Und fand den ganzen Topf voll runder Stuͤckchen 
Erz. 
Pala mon. 
Das weiß ich alles nicht. 
Sylas. 
Du mußt es mir verzeihen, 
Ich wollte dich damit an deinem Feſt erfreuen. 
Ich warf das unnuͤtz Erz in jenen hoblen Stamm, 
Und heute ſucht ich hier mein buntes Mutter⸗ 
lamm, 
Als meinem irren Blick der beſte Greis begegnet, ; 
Dem alles zugehoͤrt. 
Pala mon. 
D Fuͤgung ſey geſegnet! 
7 Bylas. 
© Allein du weißt noch nicht, was er an mir gethan. 
Damit ich Margaris auch gluͤcklich machen kann, 
Sie, deren ſchoͤne Hand der reichſte Hirt begehrte, 
So kauft er ſuͤr ſein Gold mir morgen eine 
Heerde. 


22 Der | Schatz 


Pald mon. 


Erhabner fremder Freund, wie febe beweg du 


5 mich! 

Sie, die du nachgeahmt, die Götter ſegnen dich. 
FR nimm nur dein Geſchenk mit . 5985 
zuruͤcke, 

Mein er, bedarf nichts mehr. 
| Senn 


Soll ich an dieſem Tag denn fine erniedrigt 
ſeyn? 
Ä Myrtha. 
Doch⸗⸗ "u 
Paldmen (zu Hylas und Margaris) 
Damon ſetzet euch zu ſeinen Kindern ein. 


Mpyrezs 
Wer? Damon? 
Bylas. 
Himmel! was? 
Chryſant. 
W Ich muß den Schaͤfer ſprechen. 
Wo iſt er? A 
Pal mon. | 
Ach! mein Freund, er wollte Kirſchen 
brechen, 
Und fiel, indem ich matt vor feinem Garten 3 
ſaß, 1 
Vom hoͤchſten Aſt herab. 
Margaris. 


Ihr Götter, was iſt das! 


Tyranniſches de 1 


dr 


ein Schaͤferſpiel. 23 
5 pal mon. | 
Ich eilte zu ihm bin. Er ſprach mit können 
Munde: 
Wie gluͤcklich bin ich doch in meiner lezten 
Stunde! 
Palaͤmon höre mich: dein Hylas muß allein 
Beſitzer meiner Braut und meiner Heerde ſeyn. 
Er liebt die Margaris, die ich ihm rauben 


wollte, 
Der Himmel gab nicht zu, daß es geschehen 
| ſollte. a 
Sein ſtets gerechter Zorn ſtraft meine Grau⸗ 
ſamkeit. 
Doch, fuhr er heiter fort, er laͤßt mir ja noch 
Zeit, 
Am Rande meines Grabs mein Unrecht auszu⸗ 
ſoͤhnen, | 
Und eine ſchoͤne Glut, die von ihm ſtammt, zu 
k | 
Heil! Heil! ! dem frommen Paar. Jetzt lief auf 
mein Geſchrey 


Die ganze Nachbarſchaft beſtuͤrzungsvoll herbey. 
Ihr Freunde, weinet nicht, weil ich mit Freu⸗ 
den ſterbe. 
e wohl: Palaͤmons Sohn, mein a iſt 
| mein Erbe, 
So reach er und verſchied. 
(Sie weinen alle.) 


24 Der Schatz 
Cbryſant. 
Nun hab ich es ie. 
das Schickſal haͤlt mich nicht der ſüſſen Ehre 
werth, a 
Durch eine ſchoͤne That die Tugend zu belohnen. 
(zum Palaͤmon indem er ihm fein Geld zeiget) 
Freund, nium mein ganzes Gut und laß mich 
bey dir wohnen. 
Ich will mein ſchnoͤdes Herz der hohen Unſchuld 
weihn, 
Und ferne von der Welt noch endlich gluͤcklich 
ſeyn. 
Zylas. (laͤuft auf ihn zu, und 
| kuͤßt ihm die Hand) 
O wie entzuͤckſt du mich! 
| Paldmon. 
Ich habe reich zu leben. 
Willſt du der Goͤtter Gut den Goͤttern wieder 


5 geben . 
Wohlan 4 5 4 
ö Bu, rr 8 
Was ſoll ich thun? 
Pala mon. 


Zween Schäfer an dem Fluß 4 
Verloren juͤngſt ihr Vieh durch einen Wetter⸗ 
Gu 


f. | 
Für dieſe, theurer Greis, für dieſe kaufe Den 
den 
So wist du ſelbſt ein Gott auf unſren Fluren 
werden. 


“ Chry⸗ 3 


Die geprüfte Freundſchaft. 25 


Chryſant. 
Ich kann nicht reden. 
Pala mon. | 
Auf! die Dämmerung bricht ein; 
Du ſollſt von jegund an, mein Gaſt und Bruder 
ſeyn, 
und morgen dieſes Paar zu dem Altar begleiten. 
Chryſant. 
Kommt, Freunde, lehret mich der Tugend Se⸗ 
ligkeiten. a 


5 Die ee Freundschaft. 


Eine woralich. Erzähl. 


6 23 einer von den es der Sittlichkeit, in 
welchen die englaͤndiſche Jugend in den Pflichten 
des Menſchen und des Buͤrgers unterrichtet, in 
welchen ihr Verſtand gebildet, und ihre Seele 
erhoͤhet wird, hatten Nelſon und Blenford ſich 
durch eine Freundschaft hervorgethan, die der aͤl⸗ 
feſten Zeiten würdig war. Da fie anf eine voll 
kommene Uebereinſtimmung der Grundſaͤtze und 
Empfindungen ſich ſtuͤtzete, fo wurde ſie durch die 
Zeit immer mehr befeſtigt; und wie jeder Tag 
ihre Herzen mehr entfaltete, ſo vermehrte jeder 
Tag ihre Vertraulichkeit. Aber diefe Freund⸗ 

ſchaft wurde einer ſchweren Pruͤfung ausgeſetzt. 

Zweyter Jahrgang V. St. B 


26 Die geprüfte Freundſchaft. 


Nachdem ihre Studien geendiget waren, waͤhl⸗ 
te jeder von ihnen den Stand, dazu ihn die Na⸗ 
tur berief. Der herzhafte, ſtarke und thaͤtige 
Blenford ergriff den Soldatenſtand, und gieng 


zur See. Langwierige Reiſen waren ſeine Schule. 


Durch Arbeit gehaͤrtet, durch Gefahren unter⸗ 
richtet, brachte er es nach und nach dahin, daß 
ihm ein eigen Schiff anvertrauet wurde. Nel⸗ 
ſon hatte bey einem richtigen und tiefen Verſtan⸗ 
de die Gabe einer maͤnnlichen Beredſamkeit. Man 
waͤhlte ihn zum Mitgliede des Senats, den ſich 
die Nation ſelbſt ſetzt, und er wurde in kurzer 
Zeit beruͤhmt. 

Auf die Art diente ein jeder ene Vaterlande, 
und war durch dieſen Dienſt gluͤcklich. Wenn 


Blenford im Kriege und gegen die Elemente 


kaͤmpfte, ſo widerſtand Nelſon der Gunſt und dem 
Ehrgeize. Beyde Muſter eines heldenmuͤthigen 
Eifers, haͤtte man glauben ſollen, daß ſie um 
den Vorzug an Tugend und Ehre mit einander 
ſtritten, oder vielmehr daß an beyden Enden 
der Welt derſelbe Geiſt ſie beyde belebte? 
Getroſt, ſchrieb Nelſon dem Blenford, ehre 


die Freundſchaft, indem du dem Vaterlande die⸗ 


neſt. Erhalte mir dein Leben, wenn es moͤglich 
iſt: ſtirb fuͤrs Vaterland, wenns ſeyn muß. 
Der Tod, der ihm Thraͤnen auspreßt, iſt mehr 


werth, als das laͤngſte Leben. 
Getroſt, ſchrieb Blenford dem Nelſon, ver⸗ 
theidige die Rechte der Freyheit und des Volks. 


* 


— N 8 


Die geprüfte Freundſchaft. 


Das Laͤcheln der Mitbuͤrger iſt mehr werth, als 
die Gunſt der Koͤnige. 

Blenford bereicherte ſich, ohne von ſeinen 
Pflichten abzuweichen. Mit der Beute, die er 
in Indien gemacht hatte, kam er zuruͤck nach 
London. Aber das Koſtbarſte unter feinen Schaͤ⸗ 
gen war eine junge Indianerinn, von einer in als 
len Gegenden ſeltnen Schoͤnheit. Ein Bramine 
hatte dieſe Tochter zur Belohnung ſeiner Tugenden 
vom Himmel erhalten, und im Tode ſie dem 
edelmuͤthigen Englaͤnder uͤbergeben. 

Coraly, noch nicht funfzehen Jahr alt, war 
die Freude ihres Vaters, und der ſuͤßeſte Ge⸗ 
genſtand ſeiner Sorgen. Das Dorf, darinn er 
wohnt, wird von den Englaͤndern eingenommen 
und geplündert, Solinzeb — fo hieß der Bra⸗ 
mine — tritt unter feine Hausthuͤre: Haltet ein, 
ruft er den Soldaten zu, die bis zu ſeiner Huͤtte 
gekommen waren, haltet ein! Wer ihr auch ſeyn 
moͤget, der Gott der ganzen Natur, der wohlthaͤ⸗ 
tige Gott iſt euer und auch mein Gott! Ehret in 
mir ſeinen Diener. 

Dieſe Worte, der Ton ſeiner Stimme und ſein 


ehrwuͤrdiges Anſehen halten die Kuͤhnſten zurück. 


Aber der ungluͤckliche Schuß iſt geſchehen; toͤdt⸗ 

lich verwundet faͤllt der Bramine in die A rme ſei⸗ 

ner ‚sitternden Tochter. 

In dieſem Augenblicke erſcheint Blenford. 

Er kommt die Wuth der Soldaten zu hemmen, 

er ruft, dringt durch ſie hindurch, und ſieht den 
+ 3 


28 Die geprüft Freundſchaft. 


Braminen auf ein junges Maͤgdchen hingelehnt, 
die ſelbſt wankend ihn kaum noch erhaͤlt, und 
ihn mit Thraͤnen netzet. Natur, Schoͤnheit und 
Liebe vereinigen ſich bey dieſem Anblick, und er⸗ 
heben ihre Rechte in Blenfords Seele. Er er⸗ 
kennet mit leichter Muͤhe in Solinzeb den Vater 
derjenigen, die ihn mit einer ſo ruͤhrenden Trau⸗ 
rigkeit umfaſſet. Zuruͤck, Verruchte! ſagt er 
zu ſeinen Soldaten, iſt es Schwachheit und Un⸗ 
ſchuld, ſind es Greiſe und Kinder, die ihr be⸗ 
kriegen ſollt! Und du, mir heiliger Mann, ſagt 
er zum Braminen, lebe, und laß mich das Ver⸗ 
brechen dieſer wilden Seelen ausſoͤhnen. Hier⸗ 
auf nimmt er ihn in ſeine Arme, legt ihn nie⸗ 
der, beſieht die Wunde, und ruft alle Mittel der 
Kunſt ihm zu Huͤlfe. Coraly ſieht die Froͤm⸗ 
migkeit, das Mitleid dieſes Fremdlings, und 
glaubt einen Gott zu ſehen, der vom Himmel ge⸗ 
ſtiegen iſt, ihren Vater zu retten. 

Blenford verließ den Solinzeb nicht, und ſuch⸗ 
te den Schmerz ſeiner Tochter zu beſaͤnftigen; aber 
ſie ſchien ihr Ungluͤck vorher zu ſehen, und ihre 
Thraͤnen floſſen Tag und Nacht. 

Der Bramine fuͤhlte ſein herannahendes En⸗ 
de. — — Ich erwarte den Tod, ſagte er zu Blen⸗ 
ford, wie einen ſanſten Schlummer, Was wird 
aber nach mir aus meiner Tochter werden? Ich 
ſehe nichts mehr in meinem Vaterlande als Ver⸗ 
wuͤſtung und Knechtſchaft. Meine Tochter hatte 
nur mich in dieſer Welt, und in wenigen Augen⸗ 


® 


Die geprüfte Freundſchaft. 29 


blicken werde ich nicht mehr ſeyn. D! fagfe 
Blenford, wenn ihr Verhaͤngniß will, daß fie 
ihres Vaters beraubt werde, ſo vertraue ſie mei⸗ 
ner Sorgfalt. Ich nehme den Himmel zum 
Zeugen, daß ihre Unſchuld und Freyheit als ein 
unverletzliches Pfand ſollen bewahrt werden. Und 
in welchen Grundſaͤtzen willſt du fie erziehen? — 
In den deinigen, wenn du es ſo willſt; in den 
mei nigen, wenn du zu mir Zutrauen haft: doch 
jederzeit in den Geſinnungen der Ehrbarkeit und 
Beſcheidenheit, die uͤberall der Ruhm einer Frau 
ſind. Juͤngling, ewiederte der Bramine mit ei⸗ 
nem erhabnen und drohenden Geſichte, Gott hat 
deine Worte gehoͤrt, und der Greis, mit dem du 
redeſt, wird vielleicht in einer Stunde bey ihm 
ſeyn. Du baſt nicht noͤthig, ſprach Blenford „ 
mich an die Heiligkeit meines Verſprechens zu erin⸗ 
nern; ich bin zwar nur ein ſchwacher Menſch; 
aber unter dem Himmel iſt nichts unveränderli: 
cher, als die Ehrlichkeit meines Herzens. Er 
ſprach dieſe Worte mit einer Herzhaftigkeit, die 
den Braminen ruͤhrte. Komm, Coraly, ſagte 
er zu ſeiner Tochter, komm, umarme deinen ſter⸗ 
benden Vater, umarme deinen neuen Vater: laß 
ihn, wenn ich nicht mehr ſeyn werde, deinen 
Fauͤhrer und Beſchuͤtzer ſeyn. Hier, meine Toche 
ter, iſt der Veidam, das Buch des Geſetzes dei⸗ 
ner Väter; lies es, denke nach, und wenn du 
in dem Glauben dieſes tugendhaften Fremdlings 
dich wirſt haben unterrichten laſſen, ſo waͤhle von 


30 Die geprüfte Freundſchaft. 
beyden Religionen die, die dir am tuͤchtigſten ſcheint, 
rechtſchaffne Menſchen zu bilden. 

Die folgende Nacht ſtarb der Bramine. Sei⸗ 
ne Tochter fuͤllte die Luft mit ihren Klagen, und 
warf ſich auf den blaſſen erſtarrten Leichnam, den 
ſie mit ihren Thraͤnen benetzte. Endlich wurden 
ihre Kraͤfte durch die Betruͤbniß erſchoͤpft, und 
man machte ſich ihre Schwachheit zu Nutze, um 
fie dieſem traurigen Orte zu entreißen. 

Blenford, der dem Rufe ſeiner Pflicht folg⸗ 
te, die ihn nach Europa zuruͤckkehren hieß, nahm 
alſo fein Muͤndel mit, und ob ſte gleich ſchoͤn und 
leicht zu verfuͤhren, er jung und von ihren Rei⸗ 
zungen ſehr eingenommen war, ſo ſchonte er doch 
ihrer Unſchuld. Er bemuͤhte ſich waͤhrend der 
Reiſe, ſie etwas engliſch zu lehren, ihr einen 
Begriff von den europaͤiſchen Sitten beyzubrin⸗ 
gen, und ihren biegſamen Verſtand von den Vor⸗ 
urtheilen ihres Landes zu befreyen. 

Nel ſon war feinem Freunde entgegen gegan⸗ 
gen. Sie umarmten einander mit der lebhafte⸗ 
ſten Freude; aber der Anblick der Coraly mach⸗ 
te Nelſon beſtuͤrzt. Das machſt du mit dieſem 
Kinde? ſagte er zu Blenford in einem ſtrengen 
Tone. Iſt es eine Gefangne, eine Sklavinn? 
Haſt du ſie ihren Aeltern geraubt? Haſt du der 
Natur Seufzer ausgepreßt? Blenford erzaͤhlte 
hierauf, was ihm begegnet war: er malte die 
Unſchuld, die Offenherzigkeit und die feinen Em⸗ 
pfindungen der jungen Indianerinn mit fo lebbaf⸗ 


1 


Die geprüfte Freundſchaft. 31 


ten Farben, daß Ylelfon felber gerührt wurde. 
Mein Vorſatz iſt, fuhr er fort, ſie zu meiner 
Mutter zu bringen, und unter ihren Augen ſie 
von unſern Sitten unterrichten zu laſſen. Ich 
will ſuchen ihr unſchuldiges Herz zu bilden, und 
kann ſie mit mir gluͤcklich ſeyn, ſie heirathen. 
Nun, ſagte Nelſon, bin ich ruhig; ich e 
nen Freund wieder. 

Die Verwunderung und die verſchiednen Kühe! 

sungen einer jungen Perſon, die aus fremden 
Laͤndern kommt, und welcher alles neu iſt, hat 
man ſchon öfters beſchrieben. Coraly empfand 
alle dieſe Bewegungen, aber durch eine gluͤckliche 
Leichtigkeit alles zu faſſen, alles zu begreifen, 
kam ſie der Bemuͤhung, ſie zu unterrichten, be⸗ 
ſtaͤndig zuvor. Verſtand, Talente und Anmuth 
waren ihr angebohrne Gaben, welche nur durch 
eine leichte Cultur brauchten entwickelt zu werden. 
Sie gieng in ihr ſechzehntes Jahr, und Blenford 
wollte ſich mit ihr vermaͤhlen, als der Tod ihm 
feine Mutter entriß. Coraly beweinte dieſen Ders 
luſt wie den Verluſt ihrer eignen Mutter, und 
durch die Muͤhe, Blenford zu reöften, rührte ſie 
ihn am meiſten. 
Waͤhrend der Trauer, welche die Verm hlung 
verſchoben hatte, bekam Blenford Befehl, ſich 
zu einer neuen Unternehmung einzuſchiffen. Er 
lief zu ſeinem Freunde, und vertraute ihm nicht 
den Schmerzen, ſich von ſeiner jungen Indianerinn 
zu trennen — Nelſon hätte ihn gezwungen z er⸗ 
| B 4 


32 Die geprüfte Freundſchaft. 


roͤthen — fondern feine Beſorgniß, ſie ihrer eig⸗ 
nen Fuͤhrung mitten in einer ihr noch unbekann⸗ 
ten Welt zu uͤberlaſſen. Lebte meine Mutter noch, 
ſagte er, ſo waͤre ſie ihre Fuͤhrerinn; aber das 
Unglück, das dies arme Kind verfolgt, hat es 
dieſer einzigen Stuͤtze beraubt. Habe ich keine 
— Schweſter, ſagte Nelſon ‚und iſt mein Haus 
nicht dein? O! Nelſon, erwiederte Blenford, 
indem er ſeinen Blick feſt auf die Augen ſeines 
Freundes heftete, was fuͤr ein Kleinod ſoll ich 
dir anvertrauen! Dieſe Beſorgniß macht uns 
beyden viel Ehre! ſagte Nelſon, mit bittern Laͤ⸗ 
cheln. Mir ein Maͤgdchen anzuvertrauen, darfſt 
du nicht wagen! Blenford erroͤthete und ward 
beſchaͤmt. Vergieb meiner Schwachheit, ſagte 
er, ſie fand Gefahr, wo deine Tugend keine fin⸗ 
det. Ich habe dein Herz nach dem meinigen be⸗ 
urtheilt; mich allein erniedrigt meine Furcht. 
Doch genug, ich reiſe, und laſſe ruhig unter dem 
Schutze der Freundſchaft das Pfand der Liebe zu⸗ 
ruͤck. Aber liebſter Nelſon, darf ich hoffen, 
daß du, wenn ich ſterbe, meine Stelle nehmen 
wirſt? — Ja, die Stelle eines Vaters, das 
verſpreche ich dir: mehr fordre nicht. — Ich 
bin zufrieden, nichts haͤlt mich mehr zuruͤck. 
Die Trennung der Coraly und des Blenford 
geſchah nicht ohne Thraͤnen: aber die Thraͤnen 
der erſtern waren nicht Thraͤnen der Liebe. Ge⸗ 
ſinnungen der lebhaften Dankbarkeit und einer 
ehrfurchtsvollen Freundſchaft waren alles, was 


* 


Die a, Freundſchaft. 


Blenford ihr eingefloͤßt hatte. Ihre eigne Em⸗ 
pfindbarkeit war ihr noch unbekannt, und dem Nel⸗ 
ſon war es vorbehalten, ſie zu entwickeln; ein 
| gefährlicher. Vorzug! 
a Blenford war ſchoͤner als ſein Freund; aber 
ſeine Schoͤnheit war, wie ſein Charakter, maͤnn⸗ 
lich, ſtolz und ernſthaft. Seine Geſinnungen 
gegen ſein Muͤndel ſchienen mehr aus dem Herzen 
eines Vaters, als eines Liebhabers zu kommen. 
Es waren Bemuͤhungen ohne Hoͤflichkeit, Guͤte 
ohne Anmuth, eine zaͤrtliche aber traurige Sorg⸗ 
falt, und nicht ſo wohl das Verlangen mit ihr 
gluͤcklich zu werden, als ſie gluͤcklich zu machen. 
Nelſon hatte bey einem ſanftern Charakter 
auch mehr Annehmlichkeit in den Geſichtszuͤgen 
und der Sprache. Die Beredſamkeit der Seele 
war in ſeinen Augen; ſein Blick, ſein ruͤhrender 
Blick drang tief in die Herzen, und ſchien ein 
heimliches Verſtaͤndniß mit ihnen zu wirken. Sei⸗ 
ne Stimme donnerte laut, wenn er die Sache des 
Vaterlands, ſeine Geſetze, ſeine Ehre, ſeine Frey⸗ 
heit vertheidigte: aber im Geſpraͤch war ſie ruͤh⸗ 
rend und voll eines füßen Reizes. Ein beſcheid⸗ 
nes Weſen, das uͤber ſeine ganze Perſon ſich ver⸗ 
breitete, erhoͤhete ſeine Anmuth. Der Mann, 
der an der Spitze der Nation einen Tyrannen zum 
Zittern gebracht haͤtte, war in Geſellſchaft furcht⸗ 
ſam und blöde. Ein Wort su feinem Lobe mach⸗ 
te ihn ſchamroth. | 


5 


34 Die geprüfte Freundſchaft. 

Lady Juliette Albury, feine Schweſter, 
eine Wittwe, war eine ſehr vernünftige Perſon, 
und hatte ein vortreffliches Herz; aber dabey ei⸗ 
ne gewiſſe aͤngſtliche Klugheit, die dem Ungluͤcke 
allezeit entgegen laͤuft, und anſtatt ihm auszuwei⸗ 
chen, es beſchleunigt. Ihr war aufgetragen, die 
junge Indianerinn zu troͤſten. Ich habe meinen 
zweyten Vater verlohren, fagte das liebensmwürs 
dige Maͤgdchen. Nur du und Nelſon, ihr ſeyd 
mir in der Welt gelaſſen. Euch beyde will ich 
lieben, euch folgen: mein Leben und mein Herz 
ſind euer. Indem ſie Julietten umarmt, tritt 
Nelſon herein, und Coraly ſteht auf mit einem 
beiterlächelnden Geſichte noch von Thraͤnen ber 
netzt. 

Haſt du ſie ein wenig getröſtete fragte Nelſon 
ſeine Schweſter. Ja, rief die ſchoͤne Indianerinn, 
indem ſie ihre ſchwarzen Augen trocknete, ja, 
ich bin getroͤſtet, ich bin nicht mehr zu beklagen. 
Darauf ließ ſie den Nelſon ſich neben ſeine Schwe⸗ 
ſter ſetzen, und indem ſie vor beyden auf die 
Knie fiel, nahm ſie eines jeden Haͤnde, druͤckte 
ſie ſanft mit den ihrigen zuſammen, und ſagte zu 
Nelſon mit einem Blicke, der den Marmor er⸗ 
weicht haben wuͤrde: Dies iſt meine Mutter, und 
du ge was wirſt du mir ſeyn? Ich, Ma⸗ 
demoiſelle ? ihr guter Freund. — Mein guter 
Freund? Das iſt allerliebſt! Ich werde alſo 
auch deine gute Freundinn ſeyn! Nenne mich bey 
keinem andern Namen mehr. — Ja, meine gute 


* 


Die geprüfte Freundſchaft. 3 | 


Freundinn, meine liebe Coraly! Ihre DAB 
entzuͤckt mich. 

DOD Himmel! ſagte er zu ſeiner Schweſter, 
was iſt das fuͤr ein angenehmes Kind! Sie wird 
das Gluͤck deines Lebens machen. — Wenn ſie 
nicht das Ungluͤck des deinigen macht, antworte⸗ 
te feine ſcharfſichtige Schweſter. Nelſon fieng 
hoͤhniſch an zu lächeln. Nein, ſagte er, nies 
mals wird die Liebe in meiner Seele die Rechte 
der heiligen Freundſchaft uͤberwiegen. Sey ruhig 
Schweſter, und uͤbernimm ohne Furcht die Be⸗ 
muͤhung, dies gluͤckliche Naturell zu bilden. Blen⸗ 


ford wird entzuͤckt ſeyn, wenn fie bey feiner Zu⸗ 


ruͤckkunft die Sprache vollkommen verftcht. Man 
merkt, daß ſie Begriffe hat, und daß es ſie ſchmerzt, 
die verſchiednen Grade ihrer Empfindungen nicht 
an den Tag legen zu koͤnnen. Ihre Augen, ihre 
Geberden, ihre Geſichtszuͤge, alles zeigt an, daß fie 


voll ſcharfſinniger Gedanken iſt, die nur auf Wor⸗ 


fe warten, um hervorzubrechen. Welch ein Vergnuͤ⸗ 
gen fuͤr dich Schweſter! Du wirſt ihren Derſtand | 
fich entfalten ſehn, wie eine Blume. — Ja, wie 
eine Blume, die verborgne Bibeln bey 1% 
i führt. 

Lady Albury gab ihrer Schülerin Aeiffigen ! 
Unterricht im Engliſchen, und dieſe machte ihre 
Uebungen jedesmal angenehmer, indem ſie Zuͤge 
von einer ſo lebhaften und feinen Empfindung 
blicken ließ, als nur die bloße Natur eingeben 


kann. Die Entdeckung eines neuen Worts, wo⸗ 
B 6 


36 Die geprüfte Freundſchaft. ö 


durch ein ſanfter Affekt ausgedruͤckt wurde, war 
fuͤr ſie ein wahrer Triumph. Sie machte die 
ruͤhrendſten und naivſten Anwendungen davon. 
Kam Welſon, fo flog fie ihm entgegen, und wie⸗ 
derholte ihre Lection mit einer Freudigkeit und 
Einfalt, daran er ſich beluſtigte. Nur Juliette 
ſah die Gefahr davon ein, und men ihr 3 
zu kommen. 

Sie fieng an der Coraly zu erstehen zu gaben 5 
die Hoͤflichkeit erlaube nicht, ſich unter einander 
Du zu nennen, es ſey denn zwiſchen Bruder und 
Schweſter. Coraly ließ ſich erklaͤren, was die 
Höflichkeit ſey, und fragte, wozu fie nüßen koͤnn⸗ 
te, da man ſie unter Geſchwiſtern nicht noͤthig 
haͤtte? Man ſagte ihr, daß ſie in der Welt die 
Stelle des Wohlwollens vertraͤte: daraus ſchloß 
ſie, daß ſie bey denen Leuten unnuͤtz waͤre, die 
ſich wirklich wohl wollten. Man fuͤgte hinzu, 
daß ſie die Begierde zu verbinden und zu gefallen 
anzeigte: ſie antwortete, dieſe Begierde zeige 
ſich von ſelbſt, ohne Hoͤflichkeit, und indem ſie 
das Exempel des Schooshundes der Juliette an⸗ 

führte, der beſtaͤndig um fie war, und ihr ſchmei⸗ 
chelte, fragte ſie: ob der auch hoͤflich wäre? Ju⸗ 4 
liette ſchraͤnkte ſich auf den Wohlſtand ein, wel⸗ 
cher, wie ſie ſagte, den freyen Umgang mit Nel⸗ 
fon nicht verſtattete, und Coraly, die den Ba 
griff der Eiferſucht hatte, weil die Natur dies 
Gefuͤhl hervorbringt, bildete ſich ein, die Schwe⸗ 
ſter ſey auf die Liebkoſungen ihres Bruders eifer⸗ 


; i 


Die geprüfte Freundſchaft. 37 


ſuͤchtig. Nein, ſagte fie, ich will fie nicht bes 
truͤben; ich liebe fie, ich bin ihnen unterwuͤrfig, 
und ich werde den Nelſon Sie nennen. 

Nel ſon war über dieſe Veraͤnderung der Spra⸗ 
che der Coraly verwundert, und beklagte ſich dar⸗ 
uͤber bey ſeiner Schweſter. Das Sie, ſagte er, 
mißfaͤllt mir in ihrem Munde; es kleidet ihre 
Einfalt nicht. Es mißfaͤllt mir auch, ſetzte die 
Indianerinn hinzu; es zeigt eine gewiſſe Strenge 
und Entfernung an; Du hingegen klingt vertrau⸗ 
licher, füßer — Hoͤrſt du Schweſter, ſie faͤngt 
an die Sprache zu verſtehen! O dafuͤr bin ich 
nicht beſorgt, mit einer Seele, wie die ihrige, 
druͤckt man ſich nur zu gut aus. 

Sagen fie mir, ſprach Coraly zu Nelſon, 
woher kommt die laͤcherliche Gewohnheit, Sie 
zu ſagen, wenn man mit einer einzigen Perſon 
ſpricht. — Mein Kind! das kommt vom Stolze 


und der Schwaͤche des Menſchen. Er fuͤhlt, dag 


er als ein einzelnes Geſchoͤpf nur wenig iſt; er 
ſucht ſich in Gedanken zu verdoppeln, zu verviel⸗ 
faͤltigen. — Ich begreife dieſe Thorheit; aber 
du Nelſon, biſt ja nicht eitel genug — Schon 
wieder unterbrach fie Juliette in einem ſtrengen 
Tone. — Schweſter, du wirſt fie ja nicht ſchel⸗ 
ten! Kommen fie, Coraly, kommen fie zu mir. — 
Ich verbiete es ihr. — Du biſt grauſam, kann 
ſie bey mir in Gefahr ſeyn? Kannſt du mich im 
Verdacht haben, ihr nachzuſtellen? Laß ihr dies 
unbefleckte Gemuͤth, laß ihr die angenehme Offen⸗ 
| B 


7 
* 


38 Die geprüfte Freundschaft. 


herzigkeit ibres Landes und ihres Alters. Warum 
ſoll dieſe Bluͤthe der Unſchuld, die koͤſtlicher als 
die Tugend ſelbſt, und durch unſre gekuͤnſtelt 
Sitten nicht zu erſetzen iſt, warum ſoll fie ihrer 
Glanzes beraubt werden? Mich duͤnkt, die Natur 
betruͤbt ſich, wenn der erſte Begriff des Uebels 
in eine Seele dringt. Ach! Das giftige Unkraut 
kommt von ſelbſt; man hat nicht noͤthig es zu 
ſaͤen. — Das klingt ſehr ſchoͤn, antwortete Ju⸗ 
liette, aber weil das Uebel in der Welt iſt, ſo 
muß man es meiden, und um es zu meiden, muß 
man es kennen. O du armes Kind, ſagte Nel⸗ 
ſon, in was fuͤr eine Welt biſt du verſetzt! Was 
ſind das fuͤr Sitten, die uns noͤthigen, eine Haͤlfte 
der Unſchuld aufzuopfern, um die andre zu reiten 
So wie fich die Begriffe der Sittlichkeit in dem 
Verſtande der jungen Indianerinn haͤuften, vers 
lohr ſie ihre natuͤrliche Munterkeit und Offenher⸗ 
zigkeit. Jede neue Regel ſchien ihr ein neuer 
Zwang. Schon wieder eine Pflicht, ſagte ſie, 
ſchon wieder ein Verbot! Meine Seele iſt damit 
verſtrickt, wie mit einem Netze: bald wird man ſie 
unbeweglich machen. Daß man aus dem, — 
ſchaͤdlich iſt, ein Verbrechen machte, kon te Cora 
leicht begreifen. Aber warum wurde das, Uebel 
geheißen, woraus fuͤr niemand ein Uebel floß 2 
Was kann uns gluͤcklichers begegnen ‚ fagte fie, 
als diejenigen mit Vergnügen zu ſehen, mit denen 
man leben muß? Und warum ſoll man einen fo 
ſuͤßen Eindruck verbergen? Iſt das Vergnuͤgen 


0 


Die geprüfte Freundſchaft. 39 


nicht eine Wohlthat? Warum ſoll man es demje⸗ 
nigen entziehn, der es hervorbringt? Bey denen, 
die man nicht liebt, ſoll man ſich vergnügt, bey 
denen die man liebt, mißvergnuͤgt ſtellen? Wer 
dieſe Sitten erdacht hat, der iſt ein Feind der 
Wahrheit geweſen. 
Dieſe Betrachtungen machten fie ſchwer⸗ 
muͤthig, und wenn Juliette ihr deswegen Vor⸗ 
wuͤrfe machte, antwortete fie: Sie wiſſen den 
Grund meiner Schwermuth. Alles, was der 
Natur widerſpricht, ſchlaͤgt ſie nieder, und in 
ihren Sitten widerſpricht ihr alles. | 
Coraly hatte bey ihrer kleinen Ungeduld 
dennoch ſo viel Sanftes und Ruͤhrendes, daß 
Lady Albury ſelbſt ſich ein Gewiſſen machte, 
fie durch eine gar zu große Strenge zu betruͤ⸗ 
ben. Um ſie zu troͤſten und ihre Munterkeit 
ihr wieder zu geben, pflegte ſie oft einige ge⸗ 
ringe Dienſte von ihr zu fodern, und ihr wie ih⸗ 
rem Kinde zu befehlen. Der Gedanke, daß ſie 
nuͤtzlich waͤren, ſchmeichelte ihr beſonders. Sie 
kam bey jeder Gelegenheit der Juliette zuvor: 
aber ſie war bereit, eben die Dienſtfertigkeit 
dem Nelſon zu bezeigen, und war außer ſich, 
wenn man darinn ihrem Eifer Graͤnzen ſetzte. 
Die Dienſte der Knechtſchaft, ſagte ſie, ſind von 
keinem Werthe, weil fie nicht freywillig geſche⸗ 
hen: wenn man ſie aber aus freyem Wil⸗ 
len verrichtet, fo fällt die Geringſchaͤtzung weg, 
und die Freundſchaft erhoͤhet den Dienſt. 


40 Die geprüfte Freundſchaft. 


Nelſon ſelbſt ſchien zuweilen über ihre Bea 
muͤhungen zu erroͤthen. Sie ſind ſehr hoffaͤr⸗ 
tig, ſagte ſie ihm, weil ſie ſich ſchaͤmen, meiner 
noͤthig zu haben. Ich bin ſo ſtolz nicht: be⸗ 
dienen ſie mich, es wird mir gefallen. 

Dieſe Zuͤge einer unſchuldsvollen und fäblba⸗ 
ren Seele beunruhigten Lady Albury. Ich 
fürchte, ſagte fie zu ihrem Bruder, ich fürchte, 
fie liebt dich, und dieſe Liebe wird ihr Unglück 
ſeyn. Nelſon nahm dieſe Warnung als eine Beleidi⸗ 
gung der Unſchuld auf. Da ſieht man, ſagte 
er, wie der Mißbrauch der Woͤrter die Begriffe 
verwirret und verunſtaltet. Coraly liebt mich, 
ich weiß es, aber ſo wie ſie dich liebt. Iſt es 
nicht natuͤrlich, ſich der Perſon zu ergeben, die 
uns Gutes thut? Iſt es die Schuld dieſes Kin⸗ 
des, wenn der ſuͤße und lebhafte Ausdruck einer 
ſo gerechten Empfindung in unſern Sitten ent⸗ 
heiligt iſt? Iſt der laſterhafte Begriff, den wir 
damit verbinden, ihr jemals eingefallen? — Nein 
mein Freund, du verſtehſt mich nicht. Nichts 
iſt unſchuldiger, als ihre Liebe; aber — aber 
warum ſoll es denn eben Liebe ſeyn ? Es iſt 
eine gute, aufrichtige Freundſchaft, die fie für 
dich fo gut als für mich empfindet. — Du 
glaubft, Nelſon, daß es dieſelbe Empfindung 
ſey: wollen wir eine Probe machen? Laß uns 
eine Trennung vorgeben und ſie noͤthigen, einen 
von uns zu waͤhlen. — Da haben wirs! Fall⸗ 
ſtricke! Umwege! warum ſoll man ſie hinter⸗ 


1 


Die geprüfte Freundſchaft. 41 


gehen! Warum fie die Verſtellung lehren! Hat 
ihre Seele ſich wohl jemals verhoͤhlt? — Ja, ich 
fange an, ihr zur Laſt zu ſeyn; ſie fuͤrchtet 
mich, ſeitdem fie dich liebt. — Und warum haft 
du zu dieſer Furcht Anlaß gegeben? Man fordert 
Offenherzigkeit, und ſetzt doch Gefahr drein, fie 
zu zeigen: man empfiehlt die Wahrheit, und 
belohnt fie mit Vorwuͤrfen! O die Natur 
hat nicht unrecht; ſie wuͤrde aufrichtig ſeyn, 
wäre fie frey. Die Kunſt allein, die ihr Feſ⸗ 
ſeln anlegt, bringt fie zur Falſchheit. — Das 
ſind ſehr ernſthafte Gedanken bey einem ſehr 
ſcherzhaften Vorſchlage! Denn worauf kommt es 
hier an? Coraly auf einige Augenblicke zu bes 
unruhigen, um zu ſehn, wohin ihr Herz ſich 
neigt: das iſt alles. — Das iſt alles, ja, 
aber das iſt eine Verſtellung, und was mehr iſt, 
eine kraͤnkende Verſtellung. — Wir wollen nicht 
mehr daran denken; es iſt unnoͤthig, das zu 
unterſuchen, was man nicht ſehen will. — Was 
meynſt du damit Schweſter? Ich verlange nur 
mich zu unterrichten, um darnach mein Betra⸗ 
gen abzumeſſen. Das Mittel allein hat mir 
mißfallen; aber ich gebe nach: was verlangſt du 
von mir? — Stillſchweigen und eine ernſthafte 
Miene. Coraly kommt: du wirſt uns hoͤren. 
Was ſehe ich! ſagte Coraly, indem ſie her⸗ 
ein trat. Nelſon in einem Winkel, Juliette in 
dem andern! Sind fie boͤſe? Wir haben einen 
Entſchluß genommen, ſagte Juliette, der uns 


42 Die geprüfte Freundſchaft. 


zwar nahe geht, aber noͤthig iſt. Wir werden 


nicht mehr beyſammen wohnen; ein jeder wird 


ſein beſonders Haus haben, und wir ſind einig 
geworden, ihnen Coraly, die Wahl zu laſſen. 

Bey dieſen Worten war der Coraly Blick 
unver wandt auf Julietten gerichtet, und Schmerz 


und Beſtuͤrzung waren in ihren Augen. Ich 


bin die Urſache, rief fie, warum fie den Nel⸗ 
ſon verlaſſen wollen; ſie ſind boͤſe, daß er mich 
liebt; ſie ſind durch das Mitleid beleidigt, daß 


er einer armen Waiſe goͤnnt. Ach! was wer⸗ 


den fie nicht beneiden, wenn fie ſogar das Mit⸗ 
leid beneiden; wenu fie es derjenigen beneiden, 
die ſie liebt, die ihr Leben, das einzige Gut, 
was ihr uͤbrig iſt, fuͤr ſie hingaͤbe? Sie ſind 
ungerecht, Miladyn, ja, fie find ungerecht. 


Ihr Bruder liebt ſie darum nicht weniger, daß 


er mich liebt; und wenn es moͤglich waͤre, wuͤr⸗ 
de er ſie mehr lieben; denn ſeine Seele wuͤrde 


meine Empfindungen annehmen, und ich koͤnnte 


ihm nichts als Gefaͤlligkeit und Liebe gegen ſie 
einfloßen. 
Obgleich Juliette fie verficherte, daß ſie fi 


als gute Freunde trennten, wollte fie es dene 


noch nicht glauben. Das iſt nicht moͤglich, 


ſagte ſie; ſie waren eins des andern Freude; 


nd ſeit wenn haben ſie zwey Haͤuſer noͤthig? 
Perſonen, die ſich lieben, ſind niemals zu nahe 


beyſammen; nur denen gefaͤllt die Entfernung, 


die ſich haſſen. Die ſich haſſen? was ſage ich! 


* 


Die geprüfte Freundſchaft. 43 


und wer wird fich lieben, wenn zwey Herzen fo 
voller Guͤte, ſo voller Tugend es nicht thun? 
Ich Ungluͤckliche habe die Unruhe in dies fried⸗ 
ſame Haus gebracht. Aber ich will mich ent⸗ 
fernen: ja ich bitte ſie, ſchicken ſie mich in 
mein Vaterland zurück, Ich werde dort Gemuͤs⸗ 
ther finden, die mein Ungluͤck und meine Thraͤ⸗ 
nen erweichen, und die es mir nicht zum Ver⸗ 
brechen anrechnen werden, wenn ich Mitleid er⸗ 
rege 
Sie vergeſſen, ſagte Juliette „daß ſie un⸗ 
ſern Haͤnden anvertrauet ſind. Ich bin frey, 
antwortete die junge Indianerinn mit einem edlen 
Stolze. Es iſt mir erlaubt, mein Schickſal 
ſelbſt zu beſtimmen. Und was ſollte ich hier 
machen? Bey wem ſollte ich bleiben? Mit wel⸗ 
chen Augen wuͤrde eins von ihnen diejenige Per⸗ 
fon anſehn, die an der Entfernung des andern 
Schuld waͤre? Wuͤrde wobl Nelſon mich ſeiner 
Schweſter gleichachten? Wuͤrde ich ſie uͤber den 
Verluſt eines Bruders troͤſten? Ich, die ich 
beſtimmet bin, diejenigen, die ich liebe, ungluͤck⸗ 
lich zu machen. Nein, ſie muͤſſen ſich nicht ein⸗ 
ander verlaſſen; meine Arme ſollen eine 
Kette für fie ſeyn. Hier ergriff fie den Nelſon 
bey der Hand; kommen ſie, ſagte ſie zu ibm, 
und ſchwoͤren ſie, daß ſie auf der Welt nichts 
ſo ſehr lieben, als ihre Schweſter. 
Nelſon wurde bis ins innerſte der Seele ge⸗ 
ruͤhrt; er ließ ſich zu den Fuͤßen ſeiner Schwe⸗ 


44 Die geprüfte Freundschaft. 


ſter fuͤhren, und Coraly warf fish um ihren 
Hals. Wenn ſie meine Mutter ſind, ſprach 
ſie, ſo vergeben ſie ihm, daß er ihr Kind liebt: 
in ſeinem Herzen iſt Raum fuͤr uns beyde; 
und wenn ſie etwas dabey verlieren, ſo ſoll mei⸗ 
ne Liebe fie ſchadlos halten. Die Engellaͤnderinn 
wurde erweicht. Gefaͤhrliches Maͤgdchen, rief 
ſie, was wirſt du uns fuͤr Sorgen machen! 
O meine Schweſter, ſagte Nelſon, den Coraly 
an den Buſen ihrer Freundinn druͤckte; wie 
kann man das Herz haben dies And zu be 
truͤben? | 

Coraly, voll Entzuͤcken . e Sieg, 
umarmete Julietten, in dem Augenblicke, da Nel⸗ 
ſon ſein Geſicht an das ihrige gelehnt hatte. 
Er fühlte die brennenden Wangen der Coraly 
noch naß von ihren Thraͤnen, und ploͤtzlich bes 
fiel ihn eine innere Unruhe, ein ungewoͤhnli⸗ 
cher Schauer. Dieß iſt zum Gluͤck nur eine Re⸗ 
gung der Sinne, dachte er, die Seele iſt da⸗ 
bey nicht betroffen, ich kenne mich ja, und 
weiß mich zu beherrſchen. Indeſſen verhoͤhlte er 
doch ſeiner Schweſter, was er gern vor ſich 
ſelbſt verborgen gehalten hätte. Coraly wur 
de getroͤſtet, indem er ihr geſtund, daß alles 
was ſie vorgenommen haͤtten, ſie zu beunruhi⸗ 
gen, nur ein Scherz geweſen waͤre. Was ſie 
aber nicht fuͤr einen Scherz halten muͤſſen, ſetzte 
er hinzu, iſt der Rath, den ich Ihnen geben werde: 
Trauen ſie ihrem eigenen Herzen nicht zuviel. 


K 


Die geprüfte Freundſchaft. 45 


Es iſt voll Unſchuld, voll Empfindungen, und 
nichts iſt bezaubernder, als der Liebreiz eines 
ſolchen Charakters; aber das Uebermaß iſt 
in den beſten Sachen gefaͤhrlich. — 

Beſaͤnftigen ſie meine Unruhe, ſagte Coraly 
zu Julietten, ſo bald Nelſon weggegangen war. 
Ich kann nicht glauben, daß fie zum Scherz mich 
haben betruͤben wollen; ſie haben eine ernſthaf⸗ 
te Abſicht gehabt. Sie ſind traurig und geruͤhrt. 
Nelſon ſelbſt ſchien erſchrocken zu ſeyn; da ich 
ihn bey der Hand nahm, fühlte ich, daß fie zitter⸗ 
te. Unſre Blicke begegneten ſich, und ich ſah in 
ſeinen Augen Zaͤrtlichkeit und Schmerz zugleich. 
Er trauet meinen Empfindungen nicht, er ſcheint 
zu fuͤrchten, daß ich mich ihnen uͤberlaſſen moͤch⸗ 
te. — Sagen fie mir, ‚Meine Freundinn, iſt die 
Liebe ein Uebel? — Ja, mein Kind, fuͤr ihn 
und für fie, Eine Frau, fie haben es in In⸗ 
dien wie bey uns bemerken fönnen, eine Frau 
ift beſtimmt, einem einzigen Manne zur Geſell⸗ 
ſchaft zu dienen, und indem ſie ſich durch ein 
feyerliches und heiliges Band mit ihm verbindet, 
ſo wird das Vergnuͤgen zu lieben fuͤr ſie eine 
Pflicht. Das weiß ich, ſagte Coraly mit ihrer 
gewoͤhnlichen „Freymüthigkeit; man nennt das 
Hetrath. — Ja, Coraly, und dieſe Neigung iſt 
loͤblich bey Vermaͤhlten, bis dahin aber muß fie 
unterdrückt werden. — Das iſt unrecht, erwie⸗ 
derte die junge Indianerinn: denn ehe man ſich 
verbindet, muß man doch wiſſen, ob man ſich 


46 Die geprüfte Freundſchaft. 


lieben wird, und nur denn, wenn man ſich wirk⸗ 
lich liebt, kann man ſicher ſeyn, daß man ſich 
ferner lieben wird. Wenn Nelſon, zum Exempel, 
mich liebte, wie ich ihn liebe, ſo waͤre es klar, 
daß jeder von uns feine Haͤlfte gefunden hätte, — 
Aber ſehen fie denn nicht, von wie vielen aͤuſſern 
Umſtaͤnden wir beherrſcht werden, und daß ſie 
nicht dem Nelſon beſtimmt ſind? — Ich verſtehe 
ſie, ſagte Coraly, indem ſie die Augen nieder⸗ 
ſchlug: ich bin arm, und Nelſon iſt reich. 
Aber mein Ungluͤck verbietet mir doch nicht, ſeine 
wohlthaͤtige Tugend zu ehren und hochzuſchaͤtzen. 
Wenn ein Baum Gefuͤhl haͤtte, ſo wuͤrde er ſich 
freuen, den, der ihn gezogen, unter ſeinem 
Schatten ruhen, den Wohlgeruch ſeiner Bluͤthen 
athmen, und die Suͤßigkeit ſeiner Fruͤchte koſten 
zu ſehen. Ich bin der Baum, durch ſie beyde 
gezogen, und die Natur hat mir eine Seele 
gegeben. 

Jiuliette lächelte über dieſes Gleichniß, zeigte ihr 
aber bald, daß dasjenige, was ihr ſo richtig 
ſchien, hoͤchſt unſchicklich ſeyn wuͤrde. Coraly 
hoͤrte ſie an, erroͤthete, und von dem Augen⸗ 


blicke nahmen Furchtſamkeit und Zuruͤckhaltung 


bey ihr die Stelle der Offenherzigkeit und Freude. 
Die ſehr ungleiche Austheilung der Reichthuͤmer 
war ihr am meiſten zuwider, ob ſie gleich Bey ⸗ 
ſpiele genug davon, ſelbſt in Indien hätte ſehen 
koͤnnen. Webs nismals war fie durch dieſen 


Die geprüfte Freundſchaft. 47 


Gedanken gedemuͤthigt worden: ſie wurde es 
itzt zum erſtenmale. 

milady, ſagte fie den en Tag zu 
Julietten, mein Leben vergeht, und ich lerne 
nichts als entbehrliche Dinge. Es wird mir 
nuͤtzlicher ſeyn, meinen Fleiß auf Sachen zu rich⸗ 
ten, die Unterhalt bringen. Verſchaffen ſie 
mir dazu die Gelegenheit. Das werden ſie nie⸗ 
mals noͤthig haben, antwortete die Engellaͤnderinn; 
denn meiner nicht zu gedenken, ſo hat Blenford 
nicht umſonſt den Titel eines Vaters angenom⸗ 
men — Die Wohlthaten binden uns oft mehr, 
als man gerne wollte, antwortete Coraly. Es 
iſt zwar keine Schande ſie anzunehmen; aber ich 
fühle doch, daß es ruͤhmlich iſt/ ſich ohne dieſel⸗ 
ben zu behelfen. Juliette beſchwerte ſich um⸗ 
ſonſt über die allzu große Empfindlichkeit: Cora⸗ 
ly wollte nichts mehr von Ergoͤtzlichkeit oder ei⸗ 
teln Beſchaͤfftigungen hören. 

Unter den Arbeiten, die ſich fuͤr ſchwache 
Haͤnde ſchicken, waͤhlte ſie diejenigen, die am 
meiſten Geſchicklichkeit und Verſtand erfordern. 
Ihre einzige Bekuͤmmerniß war nur, ob ſte zu 
ihrem Unterhalte wuͤrden hinreichend ſeyn. Sie 
wollen mich alſo verlaſſen? fragte Juliette. Co⸗ 
raly antwortete, ich will mich uͤber alle Beduͤrf⸗ 
niſſe hinwegſetzen, nur nicht uͤber ihre Liebe. Ich 
will es dahin bringen, ſie von meiner Gegen⸗ 
wart befreyen zu koͤnnen, wenn fie ihrem Eluͤ⸗ 
er ſchadet; kann ſte es aber nn ſo blei⸗ 


48 Die geprüfte Freundſchaft. 


be ich gewiß. Ich bin ihnen unnuͤtz und doch 
lieb: dieſe Großmuth iſt ein Beyſpiel, welches 
ich mich wuͤrdig halte, nachzuahmen. 

Nelſon wußte nicht, was er von der Arbeit⸗ 
ſamkeit der Coraly und von ihrem Widerwillen 
gegen alle Ergoͤtzlichkeiten denken ſollte. Mit 
nicht weniger Verwunderung ſah er ihren ſchlech⸗ 
ten Anzug und die Einfalt ihres Putzes. Er 
fragte nach der Urſache. Ich verſuche wie es thut, 
wenn man arm iſt, antwortete ſie laͤchelnd, und 
in ihren niedergeſchlagnen Augen ſammelten ſich 
Thraͤnen. Dieſe Worte, die Zaͤhren, die ihr 
entfallen waren, bewegten ſein ganzes Herz. Him⸗ 
mel! ſagte er, ſollte meine Schweſter ihr in der 
Zukunft, Armuth und Duͤrftigkeit haben ſehen laſ⸗ 
ſen! Sobald Juliette allein war, bat er ſie, 
ihn aus ſeiner Ungewißheit zu reißen. ’ 

Ach, ſagte er, nachdem er fie angehört hatte, 
wie biſt du auf eine grauſame Art bemuͤht, Bit⸗ 
terkeit auf die uͤbrigen Tage ihres und meines Le⸗ 
bens auszuſtreuen! Wenn ihre Unſchuld dich auch 
nicht ſicher ſtellte, ſollte es nicht meine Ehrlich⸗ 
keit thun? — Ach Nelſon! nicht euer Berges 
hen, euer Ungluͤck befuͤrchte ich. Du ſiehſt, mit 
welcher gefährlichen Zuverſicht fie ſih dem Ver⸗ 
gnuͤgen dich zu ſehn uͤberlaͤßt; wie fie unvermerkt 
ſich dir ergiebt; wie die Natur ſie unwiſſend in die 
Schlingen hereinzieht, die ihr verborgen ſind. 
Mein Freund, in eurem Alter iſt der Name Freund⸗ 
ſchaft nur ein Schleyer, Mochte es mir doch er⸗ 

laubt 


Die geprüfte Freundschaft. 


laubt ſeyn „ dich in deinen Irrthuͤmern zu laſſen! 
Aber deine Pflicht Nelſon, iſt mir lieber als 
deine Ruhe. Coraly iſt fuͤr deinen Freund be⸗ 
ſtiuumt, er ſelbſt hat fie dir anvertraut, und wi⸗ 
der deinen Willen entreißeſt du ſie ihm. — Ich, 
Schweſter? was ſagſt du mir da? — Was du 
vermeiden mußt. Geſetzt, daß ſie ungeachtet 
ihrer Liebe gegen dich, dem Blenford ihre 
Hand gaͤbe; geſetzt, daß er ſich ſchmeichle ge⸗ 
liebt zu werden, und mit ihr gluͤcklich ſey, wird 
ſie denn gluͤcklich mit ihm ſeyn? Und wenn du 
auch nur das Mitleid fuͤhlteſt, deſſen ſie ſo wuͤr⸗ 
dig iſt, welcher Schmerz wuͤrde es fuͤr dich ſeyn, 
die Ruhe dieſer Ungluͤckſeligen geſtoͤrt, vielleicht 
auf ewig geſtoͤrt zu haben! Aber ein Wunder waͤ⸗ 
re es, wenn du mit der bloßen Empfindung des 
Mitleidens es anſehn koͤnnteſt, wie die Liebe fie 
verzehrt. Du wirſt ſie lieben. Was ſage ich! 
D Nelſon, wollte der Himmel, es wäre noch 
Zeit! — Ja, Schweſter, es iſt noch Zeit, jedwede 
Entſchließung zu faſſen, die du nur immer fuͤr 
gut finden wirſt. Ich verlange nur, daß die Zaͤrt⸗ 
lichkeit dieſer unſchuldigen Seele geſchont, und ſie 
nicht zu ſehr betruͤbt werde. — Deine Abweſen⸗ 
heit wird ſie freylich betruͤben, aber dies einzige 
Jann ſie nur heilen. Die ſchöne Jahrszeit iſt da. 
Ich ſollte dir aufs Land folgen, und Coraly mit; 
nehmen. Du wirſt itzt allein reiſen: Wir bleiben 
in London. Schreib indeſſen an Blenford, daß 
ſeine Gegenwart noͤthig iſt. N 

Zweyter Jahrgang V. St. C 


50 Die geprüfte Freundſchaft. 
Sobald die Indianerinn ſah, daß Nelſon fie 

mit Julietten in London zuruͤckließ, glaubte fie 

in eine Einoͤde verſetzt, und von der ganzen Natur 


verlaſſen zu ſeyn. Aber ſie hatte nunmehr ge⸗ 
lernt zu erroͤthen, und folglich ſich zu verſtellen: 


\ 


€ 


daher gab fie zur Urſache ihrer Betruͤbniß den 


Vorwurf an, den ſie ſich machte, Schuld an bey⸗ 
der Trennung zu ſeyn. Ihr Vorſatz war, ihm 
zu folgen, ſagte ſie zu Julietten, und ich Un⸗ 
glückliche halte fie zuruͤck: Ach! Laſſen fie mich 
allein, verlaſſen ſie mich. Sie weinte bey dieſen 
Worten, und je mehr Juliette bemuͤht war fie 
zu zerſtreuen, deſto mehr vermehrte ſich ihr 
Schmerz. Kaum wurden ihre Sinne von den 
Gegenſtaͤnden, die ſie umringten, geruͤhrt. Ein 
einziges Bild fuͤllte ihre Seele; man mußte ge⸗ 


wiſſermaßen Gewalt brauchen, ſie davon abzu⸗ 


ziehen, und ſo bald ſie ſich ſelber uͤberlaſſen wur⸗ 
de, flogen ihre Gedanken wieder dem Gegenſtande 
zu, dem ſie waren entriſſen worden. Wurde der 
Namen Nelſon in ihrer Gegenwart ausgeſprochen, 


ſo faͤrbte ſich ihr Geſicht mit einer lebhaften Roͤthe, 


ihr Buſen hob ſich, ihre Lippen bebten, ihr gan⸗ 


zer Leib wurde mit einem fi ichtbaren Zittern be⸗ 


fallen. 
Juliette bemerkte, daß ſie auf den Spabiers 
gaͤngen im Sande den Namen ihres Geliebten 


ſchrieb. Sein Bildniß hieng in Juliettens Jim» | | 


mer, und die Augen der Eoraly hefteten fich 
darauf, fo bald fie frey waren. Umſonſt wandte 


* 


Die geprüfte Sreunöfhaft. 51 


fie. fie weg: ſie fielen von ſelbſt wieder dahin, 
durch eine von denen willenloſen Bewegungen, 
daran die Seele Theil nimmt, ohne ihren Grund 
zu kennen. Dann wurde ihr Gemuͤth erheitert, 
die Arbeit entfiel ihren Haͤnden, und alle Rei⸗ 
zungen der Betruͤbniß und Liebe vermehrten ihre 
Schoͤnheit. | 
Lady Albury glaubte, fie müßte auch die⸗ 
ſes Bild wegnehmen; dies war ein harter Schlag 
fuͤr Coraly: Sie maͤßigte ihre Verzweiflung nicht 
mehr. Grauſame Freundinn, ſagte ſie zu Ju⸗ 
lietten, ſie haben ihre Luſt an meiner Betruͤb⸗ 
niß. Sie wollen, daß mein ganzes Leben von 
Schmerz und Kummer angefuͤllt ſey; ſie nehmen 
mir alles, was meine Sorgen erleichtern kann. Sie 
find nicht zufrieden, den, den meine Seele liebt, von 
mir entfernt zu haben; auch ſein Schatten hat zu 
viel Reizungen fuͤr mich. Sie beneiden mir das 
Gluͤck, das ſchwache Gluͤck fein Bild zu ſehen! — 
Ach unglückliches Kind, was wollen ſie? — Ihn 
lieben, ihn anbeten, fuͤr ihn leben, indeß daß er 
für eine andre lebt. Ich hoffe nichts, ich fordre 
en nichts. Ich brauche zu meinem Unterhalte nichts 
als meine Haͤnde, zu meiner Liebe nichts als mein 
Herz. Ihnen bin ich beſchwerlich, vielleicht ver⸗ 
haßt: entfernen ſie mich von ihnen, aber laſſen 
ſie mir dies Bild, darinn ich feinen Geiſt zu fes 
hen glaube. Ich werde es anſehn, ich werde es 
anreden, ich werde mir vorſtellen, daß er meine 
Thraͤnen ſieht, und daß meine Seufzer ihn ruͤh⸗ 
2 


. 


32 Die gepruͤfte Freundſchaft. | 


ren. — Liebſte Coraly, warum wollen fie das 
Feuer, das ſie verzehrt, unterhalten? Ich betruͤbe 
fie, aber ihr Gluͤck, und Nelſons Ruhe erfordern 
48. Wollen fie, daß er ungluͤcklich ſey? Und 
er wird es ſeyn, wenn er weiß, daß ſie ihn lieben: 
Noch ungluͤcklicher, wenn er fie liebt. Sie find 
itzt nicht im Stande meine Gruͤnde zu hoͤren; 
aber dieſe Neigung, die ihnen ſo ſuͤß ſcheinet, 
wuͤrde ſein ganzes Leben mit Wehmuth anfuͤllen. 
Schonen ſie meinen Bruder und ihren Freund, 
mein liebenswuͤrdiges Kind. Erſparen ſie ihm eine 
Reue und einen Kampf, der ihn ins Grab brin⸗ 
gen würde, Coraly erſchrack bey dieſen Worten; 
ſie bat Julietten, ihr zu offenbaren, was Nel⸗ 
ſons Liebe gegen ſie ſo gefährlich machen koͤnnte? 
Wenn ich mich deutlicher erklaͤrte, antwortete Ju⸗ 
liette, ſo wuͤrde ich ihnen das verhaßt machen, 
was ſie ewig lieben muͤſſen. Aber die heiligſte 
von allen Pflichten verbietet meinem u Bender an 
ſie zu gedenken. | 

Wer kann den Schmerz 15 jungen India⸗ 
nerinn beſchreiben? Was fuͤr Sitten! ſagte ſie, 


welch ein Land! wo man uͤber ſich ſelbſt kein Recht 
hat! wo das höchfte Gut, eine gegenseitige Liebe, 


zum aͤrgſten Uebel wird! Ich muß alſo zittern, 
Nelſon wieder zu ſehn! ich muß mich fürchten , 
ihm zu gefallen! Ihm zu gefallen! O Himmel, 
mein Leben haͤtte ich gegeben, um einen Augen⸗ 
blick ihm fo liebenswuͤrdig zu ſcheinen, als er mir 


7 


7 


Die geprüfte Freundſchaft. 53 


ſcheint. Laßt uns dieſe unſeligen Gegenden fllehn, 
wo es ein Ungluͤck iſt, geliebt zu werden. 
Coraly hoͤrte taͤglich von Scifen reden, die 
nach ihrem Vaterlande ſeegelten: fie entſchloß 
ſich ohne Juliettens Vorwiſſen, ſich einzuſchiffen. 


Als ſie einsmals des Abends von einander gien⸗ 
gen, merkte Juliette, daß fie mit mehrerer Zaͤrt⸗ 


lichkeit als ſonſt ihr die Hand kuͤßte, und daf 
tiefe Seufzer ihr entfuͤhren. Was geht wieder in 
ihrer Seele vor? ſagte Juliette voller Unruhe zu ſich 
ſelbſt: fie war mehr als gewoͤhnlich gerührt. In ihr 
ren Augen habe ich den Ausdruck des Schmerzens 
und der Zaͤrtlichkeit lebhafter als ſonſt geſehen! Mit 
dieſer Beſorgniß brachte ſie die ganze Nacht zu, 
und des andern Morgens ganz fruͤh erkundigte fie 
ſich, was Coraly machte. Man ſagte ihr, daß 
ſie ganz allein in einem ſchlechten Kleide aus dem 
Hauſe, und nach der Seite des Hafens gegan⸗ 
gen wäre, Lady Albury ſteht in der aͤußerſten 
Beſtuͤrzung auf, und läßt ihr nachſetzen. Man 


findet ſie am Bord eines Schiffes, wo ſie um einen 
Platz anhält, umringt von Matroſen, die ihre 


Schoͤnheit, ihre Anmuth, ihre Jugend, die Lieb⸗ 


lichkeit ihrer Stimme und die Seltſamkeit ihrer 
Bitte mit gleichem Erſtaunen bewundern. Alles, 
was ſie koſtbares beſaß, batte ſie zuruͤckgelaſſen; 


nur die nothwendigſten Sachen hatte fie bey ſich, 


und ein kleines kriſtaunes Herz, das Nelſon ihr 


geſchenkt hatte. 
€ 2 


54 Die geprüfte Sreumpfgeft, 


So bald man den Namen Lady Albury 
nannte, ließ fie ſich geduldig zurückführen. Sie 
ſchien uͤber ihre heimliche Entweichung etwas be⸗ 
ſchaͤmt zu ſeyn; aber auf die Vorwuͤrfe, die ihr 
gemacht wurden, antwortete ſie: ſie waͤre un⸗ 
gluͤcklich und frey. — Wie, meine liebe Coraly, 
ſehn fie denn hier für ſich nichts als Ungluͤck? — 
Wenn ich nur das meinige hier ſaͤhe, ſo wuͤrde 
ich mich niemals entfernen. Nelſons Ungluͤck iſt 
es, was mich ſchreckt, und ſeiner Ruhe wegen 
will ich fliehn. 

Juliette wußte darauf nichts zu antworten. 
Sie durfte Blenfords Anſpruͤche auf ihre Perſon 
nicht anfuͤhren; das waͤre das Mittel geweſen, 
ihn als den Urheber ibres Ungluͤcks ver haßt zu 
machen: ſie ſuchte lieber ihre Furcht zu vermin⸗ 
dern. Ich habe ihnen die Gefahr einer hoffnungs⸗ 
loſen Liebe nicht verhoͤhlen duͤrfen, ſagte ſie, aber 
deswegen muͤſſen fie nicht verzweifeln. Eine Ab⸗ 
weſenheit von ſechs Monaten, die Vernunft, die 
Freundſchaft, wer weiß? Ein andrer Gegenſtand 
vielleicht — Sagen ſie der Tod, fiel een 
ins Wort; das iſt meine einzige Huͤlfe. Wie! 
ſollte die Vernunft mich von der Liebe des Be 
kommenſten, des wuͤrdigſten unter allen Menſchen Be; 
zuruͤckbringen! Sollte eine Abweſenheit von ſechs 
Monaten mir eine Seele geben, die ihn nicht 
liebt! Kann die Zeit die Natur aͤndern? Die 
Freundſchaft wird mich beklagen, aber nicht hei⸗ 
len. Ein andrer Gegenſtand! — Sie ſelbſt glau⸗ 


5 


Die geprüfte Freundſchaft. 55 


ben das nicht, ſo ſehr beleidigen fie mich nicht. 
Es iſt nur ein Nelſon in der Welt; waͤren aber 
auch ihrer tauſend, ſo habe ich nur ein Herz, 
und das iſt ſein. Dies iſt ein gefaͤhrliches Ge⸗ 
ſchenk, ſagen ſie; ich begreife es nicht; ſollte es 
aber dennoch ſeyn, fo erlauben fie mir, daß ich 
mich von Nelſon entferne, und meine Thraͤnen 
vor ihm verberge. Er iſt nicht unempfindlich, 
fie wuͤrden ihn rühren, und wenn es für ihn ein 
Ungluͤck iſt, mich zu lieben, ſo koͤnnte das Mit⸗ 
leid ihn dahin bringen. Ach! wer kann mit 
Gleichguͤltigkeit ſich als einen Vater lieben, als 
einen Gott verehren, wer kann ſich ſo lieben 
ſehn, wie ich liebe, und nicht wieder lieben! Sie 
werden ihn dieſer Gefahr nicht ausſetzen, erwie⸗ 
derte Juliette, ſie werden ihm ihre Schwaͤche ver⸗ 
hoͤhlen, und ſie beſiegen. Gewiß, Coraly, es 
fehlt ihrer Tugend nicht an Staͤrke, an Muth fehlt 
es nur. — Ach! gegen das Ungluͤck bin ich ge⸗ 
waffnet; aber was hilft der Muth gegen die Lies 
be! und welche Tugend ſoll ich ihm entgegenſetzen? 
Sie find alle auf feiner Seite. Nein, Milady, 
ihr Zureden verfinſtert meine Seele, anſtatt ſie zu 
erheitern. Ich muß Nelſon ſehn und ihn hören! 
Er wird mein Schickſal entſcheiden. 

Lady Albury ſah mit angſtvoller Beſtuͤrzung, 
wie die ungluͤckliche Coraly in Thraͤnen und Kum⸗ 
mer ſich verzehrte, und beſtaͤndig fortzureiſen 
wuͤnſchte. Endlich entſchloß fie ſich, ihrem Bru⸗ 
der zu ſchreiben, daß er zuruͤckkommen moͤchte, 

C 4 


36 Die geprüfte Freundschaft 8 


um das arme Kind, von ihrem Vorſatze, nach 
Indien zuruͤck zu gehn, abzubringen, und fie 
wieder mit dem Leben, das eee geworden 
war, zu verſoͤhnen. un 

Aber Nelſon ſelbſt war nicht weniger zu be⸗ 
klagen. Kaum hatte er ſich von Coraly entfernt, 
ſo ſchloß er aus dem, was er in ihrer Abweſen⸗ 
heit empfand, wie gefaͤhrlich ihre Gegenwart fuͤr 
ihn waͤre. Alles, was er bis dahin nur fuͤr 
ein Spiel gehalten, wurde nunmehr ernſthaft. 
In der Stille der Einſamkeit hatte er feine Seele 
befragt. Er hatte gefunden, daß ſeine Freund⸗ 
ſchaft erkaltet, fein Eifer für das gemeine Beſte 
beynahe verloſchen war, und daß die Liebe allein 
mit der füßen und unwiderſtehlichen Gewalt darinn 
herrſchte, die ſie uͤber gute Herzen ausuͤbt. Mit 
Schrecken wurde er gewahr, daß ſeine Vernunft 
ſelbſt war beruͤckt worden. Blenfords Rechte 
waren nicht mehr fo heilig, wenigſtens ließ es 
ſich entſchuldigen, daß er ihm wider Willen das 
Herz der Coraly entriſſen. Die Indianerinn 
war ja frey, und Blenford ſelbſt wuͤrde ihre 


Gunſt nicht als eine Pflicht gefordert haben. — 


Ungluͤcklicher! unterbrach er ſich ſelbſt, uͤber ſel⸗ 
ne eigne Gedanken erſchrocken: Wohin verfuͤhrt 
mich eine blinde Leidenſchaft! das ſchleichende 
Gift des Laſters faßt mein Herz, ſchon iſt es 
verderbt. Steht es mir an zu unterſuchen, ob 
das Pfand, das mir anvertraut iſt, demjenigen 
gehoͤrt, von dem ich es empfangen habe? Und 


2 


Die geprüfte Freundſchaft. 


habe ich mich zum Richter darüber aufgeworfen, 
da ich verſprach es zu bewahren. Coraly iſt 
frey , aber bin ichs? Würde ich Blenfords Rech⸗ 
te in Zweifel ziehen, wenn es nicht waͤre, um ſte 
mir anzumaßen ? Mein Verbrechen war nicht 
vorſetzlich; aber es wird es, wenn ich ihm itzt 
nicht widerſtehe. Ich ſollte einen Meineid recht⸗ 
fertigen! Ich die Treuloſigkeit eines Freundes 
entſchuldigen? D Nelſon! wer haͤtte dir geſagt, 
als du den tugendhaften Blenford umarmteſt, 
daß du bald wuͤrdeſt berathſchlagen, ob es erlaubt 
ſey, ihm diejenige zu rauben, die ſeine Gemah⸗ 
linn ſeyn ſoll, die er deiner Treue uͤbergeben hat? 
Wie ſehr erniedrigt die Liebe den Menſchen, und 
welche Veraͤnderung bringt ihre Trunkenheit in 
unſern Herzen hervor! Ha! ſie mag das meinige 
zerreißen, aber es wird weder treulos noch nies 
dertraͤchtig werden, und wenn meine Vernunft 
mich verlaͤßt, ſo wird mein Gewiſſen mir rathen. 
Dieß Licht iſt unverloͤſchlich: es dringt durch den 
Nebel der Leidenſchaften; dieß ſey mein Fuͤhrer, 
und Freundſchaft, Ehre und Redlichkeit werden 
noch nicht ohne Stuͤtze ſeyn. — 

Indeſſen verfolgte ihn der Coraly Bild beſtaͤn⸗ 
dig. Waͤre ſie ihm nur in allen Reizungen er⸗ 
ſchienen, durch die einzige Schoͤnheit geſchmuͤckt, 
die Heiterkeit der Unſchuld auf der Stirne, das 
Laͤcheln der Freymuͤthigkeit auf den Lippen, und 
das Feuer der Liebe in ihren Augen, ſo haͤtte ihn 
ſeine Denkungsart und die Strenge ſeiner Sitten 

E „ 


V 
8 


58 Die geprüfte Freundſchaft. ; 


gegen die Verſuchung genugſam geſchuͤtzt. Aber 
er ſtellte ſich dies liebenswuͤrdige Kind vor, wie 


ſie mit gleich ſtarken Empfindungen, mehrerer 


Schwaͤche, ohne mit einer unbekannten Klugheit 4 
an ihre Vertheidigung zu denken, ſich voller Uns. 


ſchuld einer Neigung uͤberließ, die ihr Ungluͤck 
machen wuͤrde: und das Mitleid, das Coraly 
in ihm erregte, diente der Liebe zur Nahrung. 
Es ſchien ihm unrecht, ſie zu lieben, aber ſie zu 
bedauren ſchien ihm erlaubt. Er fuͤhlte den Kum⸗ 
mer, den er ihr verurſachte, und konnte nicht 
an ihre Thraͤnen denken, ohne ſich die Augen vor⸗ 
zuſtellen, die ſie vergoſſen, den ſchwellenden Bu⸗ 
ſen, der ſie empfieng. So wurde ſie ſelbſt, durch 
den Vorſatz, ſie zu vergeſſen, ihm ſtets werther! 


Er wurde ſtaͤrker gefeſſelt, indem er ihr entſagte; 


aber ſo wie ſeine Schwaͤche zunahm, wuchs ſein 
Muth. Umſonſt, ſagte er, bemuͤbe ich mich zu 
geneſen. Ich muß dieſen Anfall auswuͤten u 
fen. Ich fühle zwar ein inneres Feuer, das 

mich verzehrt; ich ſehe meinen Tod; aber das al⸗ 
les ſind Leiden, die nur mich betreffen, und ich 
bin mir allein Rechenſchaft ſchuldig von dem, was 
in mir vorgeht. Wenn ich aͤußerlich nichts bli⸗ 


cken laſſe, wodurch meine Liebe entdeckt wird, 
ſo hat mein Freund keine Urſache zu klagen. 
Schwach zu ſeyn iſt nur ein Ungluͤck, und ich 


habe das Herz ungluͤcklich zu ſeyn. 
Bey dieſer Entſchließung, eher zu ſterben ‚als 
treulos gegen ſeinen Freund zu werden, fand ihn 


7 


— 


Die geprüfte Freundſchaft. 59 


der Brief feiner Schweſter. Er las ihn mit ei⸗ 
ner unbeſchreiblichen Ruͤhrung. D du zartes 
Opfer, ſagte er, du leideſt! Du willſt meiner 
Ruhe und meiner Pflicht dich ſelbſt aufopfern! 
Vergieb es mir! der Himmel weiß, daß ich die 
Leiden, die ich dir verurſache, lebhafter fuͤhle, 
als du ſelbſt. Moͤchte doch mein Freund, dein 
Gemahl, bald deine koͤſtlichen Thraͤnen abtrock⸗ 
nen. Er wird dich lieben, wie ich dich liebe; er 
wird aus deinem Gluͤcke das ſeinige machen! — 
Indeſſen fuhr er fort, muß ich fie ſehn, fie tro⸗ 
ſten und zuruͤckhalten. — Sie ſehn! o wie ge⸗ 

faͤhrlich iſt das? Ihr einnehmendes Weſen, ih⸗ 

re Betruͤbniß, ihre Liebe, die Thraͤnen, die um 
mich fließen, und die ich ſo gern wuͤrde auffangen, 
die Seufzer, die ihrem unſchuldigen Herzen ent⸗ 
fahren; jene Sprache der Natur, wodurch die 
reinſte und fuͤhlbarſte Seele ſich offenbaret! Was 
ſind das fuͤr Pruͤfungen! Wie werde ich ihnen 
begegnen? Was werde ich ihr ſagen? Ich muß 
ſie dennoch ſehn; ich muß als Freund, als Va⸗ 
ter mit ihr reden. Freylich werde ich nachher 
noch unruhiger, noch ungluͤcklicher ſeyn, als itzt. 
Aber nicht auf meine Ruhe, auf die ihrige kommt 
es an; auf die Gluͤckſeligkeit eines Freundes, 


dem Coraly muß erhalten werden, kommt es an. 


Des Sieges uͤber mich ſelbſt bin ich gewiß, und 
ſo ſchwer auch der Kampf ſeyn mag, ſo waͤre es 
doch ſchimpflich, ihn zu vermeiden. 


C 6 


co Die Anne Sieundſchaft. 


Als Nelſon angekommen war, ſcheute ſich die Ä 


zitternde und beſtuͤrzte Coraly, fich vor ihm ſehn 
zu laſſen. Sie hatte feine Zuruͤckkunft eifrigſt ges 
wuͤnſcht; itzt aber ſchlich ſich ein toͤdtender Froſt 
in ihre Adern. Sie erſchien vor ihm, wie vor 


einem Richter, der durch ein einziges Wort ihr 


Schickſal entſcheiden ſollte. 


Wie groß war Nelſons Ruͤhrung, als er das 


jugendliche Roth auf ihren Wangen erblaßt, das 
Feuer ihrer Augen erloͤſcht ſah. Komm, ſagte 
Juliette zu ihrem Bruder, komm und beruhige 
dies Kind, und zerſtreue ihre Melancholie. Sie 
findet bey mir nichts, das fie vergnuͤgt; fie 
wuͤnſcht ſich nach Indien zuruͤck. — Nelſon rede⸗ 
te ihr freundſchaftlich zu, er ſuchte durch gelinde 
Vorwuͤrfe ſie dahin zu bringen, daß ſie in Ge⸗ 
genwart ſeiner Schweſter ſich erklaͤrte. Aber Co⸗ 
raly ſchwieg. Juliette merkte den Zwang, und 
entfernte ſich. 
Was fehlt ihnen, Coraly, ſagte Nelſon/ wat 
haben wir ihnen gethan? Was fuͤr ein heimli⸗ 
cher Schmerz betruͤbt fie? ? — Wiffen fie es nicht? 


Haben fie nicht ſehn muͤſſen, daß meine Traurig⸗ 


keit und meine Freude nur von einer Urſache 


herruͤhren koͤnnen? Grauſamer Freund! ich lebe 
nur durch ſie, und ſie fliehen mich! Sie wollen, 
daß ich ſterben ſoll! — Doch nein, fie wollen 
es nicht; man lenkt ihren Willen; noch mehr, 
man verlangt von mir, daß ich ihnen entfage, 
daß ich fie vergeſſe. Man ſchreckt mich, man er» 


Die geprüfte Bremöfgaft, 61 


niedrigt meine Seele, man zwingt fie, mich in 
Verzweiflung zu ſetzen. Nur eine Gnade bitte 
ich mir aus, fuhr fie fort, indem ſie ſich zu ſei⸗ 
nen Fuͤßen warf: Sagen fi fie mir, wen ich belei⸗ 
dige, indem ich ſie liebe: was fuͤr Pflichten ich 
verletze, was für Ungluͤck ich ſtifte? Giebt es 
hier Geſetze, die grauſam genug, Tyrannen, die 
ſtrenge genug ſind, mir den edelſten Gebrauch 


meines Herzens und meiner Vernunft zu unterſa⸗ 


gen? Darf man nichts in der Welt lieben, oder, 
wenn lieben mir erlaubt iſt, konnte ich beſſer 
wählen? 

Liebſte Coraly „ antwortete nelſon „nichts 
iſt aufrichtiger, nichts iſt zaͤrtlicher, als die 
Freundschaft, die ich fuͤr ſie unterhalte. Es 
wuͤrde ſchwer, ja es wuͤrde ungerecht ſeyn, wenn 
ſie dabey ganz ohne Empfindung blieben! — Ha, 
das heißt vernuͤnftig geſprochen, ich lebe wieder 
auf, — Aber, ob es mir gleich ſehr angenehm 
waͤre, das zu ſeyn, was ſie auf der Welt am 
liebſten haben, ſo kann ich es doch nicht verlan⸗ 
gen, und darf ſelbſt nicht drein willigen. — Ach! 


ich verſtehe fie ſchon nicht mehr! — Als mein 


Freund fie mir anvertrauete, war er ihnen 
lieb. — Er iſt es noch. — Sie würden es für iht 
Gluͤck gehalten haben, die Seinige zu werden. — 
Ich glaube ja. — Sie liebten auf der Welt 
nichts fo ſehr, als ihn. — Ich kannte fie nicht. — 
Blenford, ihr Erretter , der treue Bewah⸗ 
ver ihrer Unſchuld, hat, indem er fie liebt, ein 
C 7 


62 Die geprüfte Freundſchaft. 


Recht auf ihre Gegenliebe. — Ich habe ſeine 
Wohlthat beſtaͤndig vor Augen „ ich ehre ihn 
als meinen zweyten Vater. — Run fo muß ich 
ihnen ſagen, daß er entfchloffen iſt, durch ein 
ſuͤßeres und heiligeres Band, als die Wohltha⸗ 
ten ſind, ſich mit ihnen zu verbinden. Er hat 
mir die Haͤlfte ſeiner ſelbſt anvertrauet, und 
wuͤnſcht nichts mehr als das Gluͤck, nach ſeiner 
Zuruͤckkunft ihr Gemahl zu werden. — D! ſagte 
Coraly mit erleichtertem Herzen, iſt dies das 
Hinderniß, welches uns trennte? Seyn ſie ru⸗ 
hig, es iſt gehoben. — Wie ſo? — Niemals, 
ich ſchwoͤre es ihnen, niemals wird Coraly des 
Blenfords Gemahlinn werden. — Sie muͤſſen.— 
Das iſt unmoͤglich, Blenford ſelbſt wird es 
geſtehn. — Wie! derjenige, der ſie von der 
Hand eines ſterbenden Vaters empfangen, der 
ſelbſt als Vater ſie beſchuͤtzt hat! — Unter die⸗ 
ſem heiligen Namen werde ich Blenford beſtaͤn⸗ 
dig verehren: mehr muß er nicht fordern. — 
Sie haben alſo ſein Ungluͤck beſchloſſen! — Ich 
habe beſchloſſen niemand zu hintergehn: Haͤtte 

ich mich dem Blenford uͤberlaſſen, und Nelſon ü 


forderte mein Leben, ſo gaͤbe ich mein Leben dem | 3 


Nelſon, und wuͤrde meineidig gegen Blenford. — 
Was fagen fie da? — Was ich dem Blen⸗ 
ford ſelbſt ſagen wuͤrde — Und warum ſollte ich 
es verhoͤhlen? Habe ich die Liebe in meiner Ges 
walt? — Ach! wie ſtrafbar machen fie mich! — 
Strafbar! warum? daß. fie mir gefallen 2 


. 


Die geprüfte Freundſchaft. 


D! der Himmel beſtimmt unſer Schickſal. Er 
hat dem Nelſon die Anmuth, die Tugend gege⸗ 
ben, die mich entzuͤcken, mir dieſe Seele, die 
fir Nelſon allein geſchaffen iſt. Wenn man wuͤß⸗ 
te, wie mächtig er darinn herrſcht, wie unmoͤg⸗ 
lich es ihr iſt, einen andern mehr als ibn, einen 
andern ſo wie ihn zu lieben! O! ich entſage dem 
Leben, wenn ich für ihn nicht leben kann. — 
Und eben das ſetzt mich in Verzweiflung. Was 
fuͤr Vorwuͤrfe wird mein Freund mir zu machen 
berechtigt ſeyn? — Ey woruͤber kann er ſich 
beſchweren? Was hat er verloren? Was haben 
ſie ihm geraubt? Ich liebe Blenford wie einen 
zaͤrtlichen Vater, ich liebe fie wie mich ſelbſt, 
und mehr als mich ſelbſt. Dieſe Empfindungen 
vertragen ſich gar wohl mit einander. Wenn 
Blenford mich ihren Haͤnden uͤbergab, als ein 
Pfand das ihm zugehörte, fo iſt er ungerecht, 
nicht fie — Ich aber bin Schuld, daß fie von 
ihm das Gut zuruͤckfordern, was er beſaß; es 
wuͤrde noch das feinige ſeyn, haͤtte ich es ihm 
nicht geraubt. — Nein, mein Freund, ſeyn ſie 
billig. Nur mir kommt es zu, mein Herz zu 


vergeben: es gehoͤrte mir, itzt gehoͤrt es ihnen. 


Andem ſie der Freundſchaft mit Unrecht, Vorrech⸗ 
tte zuſchreiben, die fie nicht hat, fo machen fie 

ſich der Gewalt, die man mir anthut, mit ſchul⸗ 
dig. — Wie! mein Freund ſollte ihnen Gewalt 
anthun? — Iſt es nicht eben das, ob er ſelbſt 
ſie ausuͤbt, oder ſie an ſeiner Stelle? Nur ſein 


64 Die geprüfte Freundſchaft. 
Vortheil beſchaͤfftigt und rührt fie: wenn aber 
ein andrer mich gefangen halten wollte, wuͤrden 
ſte nicht, anſtatt drein zu willigen, ſich eine Eh⸗ 
re daraus machen, mich zu befreyen? Sie vers 
rathen alſo die Natur, um der Freundſchaft zu 
dienen. Was ſage ich? Die Natur! die Lie⸗ 
be! Nelſon! Hat nicht die Liebe auch ihre Rech⸗ 
te? Iſt hier unter den Geſetzen keins zum Schutz 
fuͤhlbarer Seelen? Iſt es recht, iſt es edelmuͤ⸗ 
thig, ohne Mitleid ein Herz zu zerreißen, und 
in Verzweiflung zu ſetzen, deſſen einziges Ver⸗ 
brechen iſt, ſie zu lieben? 

Die heftigſten Seufzer unterbrachen ihre Re⸗ 
de, ſie fiel athemlos nieder, und Nelſon hatte 
nicht Zeit ſeine Schweſter zu rufen. Er eilte die 
Baͤnder los zu machen, die ihre Bruſt zu enge 
eingeſchloſſen hielten. Das Schrecken machte ihn 
anfangs unempfindlich: als aber die Indiane⸗ 
rinn wieder zu ſich ſelbſt kam, mit ihren halb 
eroͤffneten Augen den ſeinigen entgegen blickte, 
und ein ſanfter Schauer von Liebe und Freude 
in ſeinen Armen ſie uͤberfiel; da wankte ſeine 
Tugend, da rief er: Ihr Kraͤfte des Himmels 
ſtaͤrket mich! Lebe, meine Coraly, lebe! — 
Sie wollen, daß ich leben ſoll, Nelſon, fie | 
wollen alfo, daß ich fie liebe! — Nein, das 
waͤre ein Verrath gegen die Freundſchaft. Ich 
wuͤrde meines Freundes, ich wuͤrde des Lichts 
unwuͤrdig ſeyn. Ach! er ſagte es mir vorher, 
und ich wollte es ihm nicht glauben. Ich habe 


Die geprüfte Freundſchaft. 65 


meinem Herzen zu viel getraut. Coraly, haben 
ſie Mitleid mit dem Herzen, das ſie zerreißen; 
laſſen ſie mich fliehn und mich uͤberwinden! — 
O! du willſt meinen Tod, rief fie, und fiel zu 
feinen Füßen nieder. Nelſon glaubt in dem Aus 
genblick fie ſterben zu ſehn. Er ſtuͤrzt mit aus 
gebreiteten Armen ihr entgegen und faͤhrt zuruͤck, 
indem er feine Schweſter kommen fieht. Hilf 
ihr Schweſter, ſagt er im Weggehn, mein Loos 
iſt zu ſterben. 9 | \ 

Wo iſt er? fragte Coraly, indem fie die Aus 
gen aufſchlug. Was habe ich ihm gethan? Wa⸗ 
rum flieht er mich? Und ſie, noch grauſamere 
Juliette, warum bringen ſie mich ins Leben 
zuruͤck? | 

Ihr Schmerz vermehrte ſich, da fie erfuhr, 
daß Nelſon abgereiſet waͤre: aber das Nach⸗ 
denken gab ihr Muth und Hoffnung wieder. Er 
hatte die gewaltſamen Bewegungen ſeines Ge⸗ 
muͤths nicht verbergen koͤnnen; die Angſt, die 
ihn uͤberfallen, die zaͤrtlichen Worte, die ihm ent⸗ 
fahren, die Gewalt, mit der er ſich losgeriſſen, 
alles uͤberzeugte Coraly, daß ſie geliebt wuͤrde. 
Wenn das wahr iſt, fagfe fie, fo bin ich glück 
lich. Blenford wird wiederkommen; ich werde 
ihm alles bekennen. Er iſt zu gerecht, zu groß⸗ 
muͤthig, mir einen Zwang aufzulegen. Doch die⸗ 
fe Hoffnung verſchwand ſehr bald. i 
Nelſon empfieng auf dem Lande einen Brief 
von ſeinem Freunde, darinn er ſeine baldige Zu⸗ 


zur 


66 Die geifte — 


ruͤckkunft ihm berichtete. Ich hoffe, 1 er 
am Ende ſeines Briefs, mich in drey Monaten 
mit allem was ich liebe, wieder vereinigt zu ſehn. 
Vergieb mir, mein Freund, wenn in meinem 
Herzen die zaͤrtliche und liebenswuͤrdige Coraly 
dir zugeſellt wird. Lange war meine Seele dir 
allein ergeben; itzt theilt ſie ſich. Ich habe mei⸗ 
ne füßeften Hoffnungen dir anvertrauet; ich ha- 
be die Wahl der Liebe durch die Freundſchaft ge⸗ 
billigt geſehn; ich ſchaͤtze mich in beyden glücklich. 
Gluͤcklich, wenn ich bedenke, daß durch deine 
und deiner Schweſter Bemuͤhungen der Verſtand 
meiner lieben Coraly, mit neuen Kenntniſſen 
geſchmuͤckt, ihre Seele mit neuen Tugenden be⸗ 
reichert, und ihr Herz vielleicht geneigter gewor⸗ 
den iſt mich zu lieben. Die reinſte Gluͤckſelig⸗ 
keit werde ich genießen, wenn ich in ihr ein Ge⸗ 
ſchenk von deiner Hand beſitze. 4 

Nelſon ſchickte dieſen Brief feiner Schwester 
Lies ihn, ſchrieb er, und laß ihn Coraly le⸗ 
ſen. Welche Warnung fuͤr mich! Welcher Vor⸗ 
wurf fir fiel 

D Yıelfon ! fagte Coraly, nachdem ſie ihn 

geleſen hatte; nie werde ich die Deinige ſeyn: 
aber erwarte nicht, daß ich mich einem andern 
ergebe. Die Freyheit dich zu lieben iſt ein Gut, 
dem ich nicht entſagen kann. Dieſer Entſchluß 
ſtaͤrkte ſie. Nelſon hingegen war in ſeiner Ein 
ſamkeit viel unglüdlicer, | 


Die geprüfte Freundſchaft. 67 


Durch welches Verhaͤngniß, ſagte er, muß 
das meine Folter ſeyn, was den Reiz der gan⸗ 
zen Natur, die Wonne aller Herzen ausmacht? 
Geliebt zu werden, ach! das allein iſt nichts! 
Aber von der geliebt zu werden, die ich liebe, 
mein Gluͤck ſo nahe vor mir zu haben, daß ich 
mich ihm nur uͤberlaſſen darf! — Heilige und 
unverletzliche Freundſchaft! Alles was ich vermag 
iſt, zu fliehen, fordre von mir nicht mehr! in 
welchem Zuſtande habe ich ſie geſehen, in wel⸗ 
chem Zuſtande verlaſſen? Sie hat wohl Recht, 
ſie iſt die Sklavinn meiner Pflicht. Sie iſt das 
Opfer, das geſchlachtet wird; auf ihre Koſten 
bin ich großmuͤthig. O mein Freund! moͤchteſt 
du die Fruͤchte meiner Selbſtverlaͤugnung ein⸗ 
aͤrnten, das Gut, das ich dir abtrete, befigen 
und durch mein Unglück gluͤcklich werden! Ja, 

ich wuͤnſche, daß fi ſie dich lieben moͤge; der Him⸗ 
mel iſt mein Zeuge, daß ich es wuͤnſche: und 
daß groͤßte meiner Leiden iſt, daß ich an der Er⸗ 
fuͤllung dieſes Wunſches zweifeln muß. 

In dieſem gewaltſamen Zuſtande konnte die 

Natur unnoͤglich ſich lange erhalten. Nelſon 
ſuchte nach vielem Kampfe Ruhe, aber die 
Ruhe war entflohn. Endlich wurde feine Stand⸗ 
haftigkeit erſchoͤpft; fein niedergeſchlagener Geiſt 
verfiel in die tiefeſte Traurigkeit. Die Schwaͤ⸗ 
che ſeiner Vernunft, ſeine kraftloſe Tugend, 
das Bild eines kummervollen Lebens, das Leere, 
das Nichts, worein ſeine Seele fallen wuͤrde, 


68 Die geprüfte Freundschaft. ; 


wenn er aufhoͤrete Coraly zu lieben, die beſtaͤn⸗ 
dige Qual, die er wuͤrde leiden muͤſſen, wenn 
er ſie weiter liebte, dies alles, und mehr als 
dies alles, die ſchreckhafte Vorſtellung, in ſei⸗ 
nem treueſten Freunde einen Nebenbuhler zu 
ſehn, ihn zu beneiden, vielleicht ihn zu haſſen, 
machte ſein Leben ihm zur Marter, und reizte 
ihn, es zu verkuͤrzen. Höhere Bewegungsgruͤn⸗ 
de hielten ihn zuruͤck. Auch konnte, ſeinen 
Grundſaͤtzen nach, ein Menſch und ein = | 
kein Recht über fein eignes Leben haben. 4 
zwang ſich zu leben, aber niedergeſchlagen > 
traurig; unempfindlich gegen alles ſetzte er ſei⸗ 
nem itzigen Ungluͤcke nichts als die Hoffnung ent⸗ 
gegen, der Welt dereinſt noch nuͤtzlich zu ſeyn. 
Indeſſen kam die Zeit heran, in welcher Blen⸗ 
ford zuruͤck erwartet wurde. Die Nothwendig⸗ 
keit erforderte alles ſo zu veranſtalten, daß das 
Uebel, welches ſeine Abweſenheit geſtiftet, ver⸗ 
borgen bliebe: und wer anders als Nelſon 
konnte Coraly zur Verſtellung uͤberreden? Er 
kam alſo zuruͤck nach London, aber ſo abge⸗ 
fallen, ſo entkraͤftet, daß er voͤllig unkenntlich war. 
Juliette konnte ihn ohne die aͤußerſte Wehmuth 
nicht anſehn, und was empfand dabey die Seele 
der armen Coraly? Nelſon ſuchte ſich ſtark zu 
machen, um fie zu beruhigen: aber eben dieſen 
Zwang ſchlug ihn vollends nieder. Das ſchleich⸗ 
ende Fieber, das ihn verzehrte, nahm zu; er 
mußte nachgeben, und hier entſtund ein neuer 


— 
7 


Die geprüfte Freundschaft. 69 


Streit zwiſchen ſeiner Schweſter und der jungen 
Indianerinn. Dieſe wollte Nelſons Zimmer 
nicht verlaſſen. Sie bat flehentlich, man moͤchte 
ihr erlauben, ihn zu bedienen, ihn zu bewachen: 
und wenn man aus Mitleid gegen ſie, und aus 
Vorſorge fuͤr ihn, ſie entfernte, ſo genoß ſie 
dennoch der Ruhe nicht, die man ihr verſchaffen 
wollte. In allen Stunden der Nacht irrte ſie 
um das Zimmer herum, worinn er lag, oder 
ſie ſtund unbeweglich auf der Schwelle, mit 
Thraͤnen in den Augen, ihre Seele auf den Lip⸗ 
pen, und horchte mit bangem Ohre auf das ge⸗ 
ringſte Geraͤuſch. | 

Nelſon bemerkte, daß feine Schweſter fie ungern 
zu ihm ließ. Betruͤbe ſie nicht, ſagte er, 
das iſt unnoͤthig. Die Strenge bin nichts mehr 
helfen. Gelindigkeit und Geduld ſind die Din 
tel unſrer Geneſung. 

Coraly, meine Freundinn, ſagte er ihr ei⸗ 5 
nes Tages, da ſie mit Julietten allein waren, 
nicht wahr, ſie gaͤben was drum mich geſund 
zu ſehn? — O Simmel! ich gäbe mein Leben. — 
Sie koͤnnen mir mit wenigerm helfen. Unſere 
Vorurtheile ſind vielleicht ungerecht, unſere Grund⸗ 

ſaͤtze vielleicht zu ſtrenge, aber der ehrliche Mann 
iſt ſchlechterdings daran gebunden. Ich bin ſeit 
meiner Kindheit Blenfords Freund geweſen; 
er verlaͤßt ſich auf mich, wie auf ſich ſelber, und 
der Verdruß ihm ein Herz entzogen zu haben, 
das er mir anvertraut hatte, bringt mich alle 


70 Die geprüfte het 


Tage naͤher zum Grabe. Sie ſehen, cb ich 
zu viel ſage. Ich verberge ihnen nicht die Quel⸗ 
le des ſchleichenden Gifts, das mich verzehrt; 
es ſteht bey ihnen, ihren Lauf zu hemmen. 
Ich will ſie nicht dazu zwingen: ſie haben voll⸗ 
kommne Freyheit, aber man wuͤrde umſonſt ein 
ander Mittel zu meiner Beſſerung ſuchen. Blen⸗ 
ford wird bald hier ſeyn; ſollte er ihre Abneie 
gung merken, ſollten ſie ihm die Hand entziehn, 
die ſie ihm gegeben hatten, wenn ich nicht ge⸗ 
weſen wäre, fo werde ich fein Unglück und meine 
Reue nicht überleben. Unſre erſte Umarmung 
wird unſer Abſchied fern. Bedenken ſie ſich, 
mein liebes Kind, und wenn ſie wollen, daß ich 
leben ſoll, ſo geilen fie mich mit mir ſelber, 
rechtfertigen ſie mich gegen meinen Freund. — Ach 
leben ſie, und beſtimmen ſie mein Schickſal, 
ſagte Coraly, ihrer ſelbſt vergeſſend; und biefe 
Worte, ſchrecklich fuͤr die Liebe, brachten die 
Freude in den Buſen der Freundſchaft zuruͤck. 
Nach einem langen Stillſchweigen ſetzte die 
Indianerinn hinzu: aber wie kann ich mich dem⸗ 
jenigen uͤberlaſſen, den ich nicht liebe, mit 
einem Herzen, worinn die Liebe eines andern 
herrſcht? — Mein Kind! bey einem ehrliebenden 
Gemuͤthe ſiegt die Pflicht über alles. Sie wer⸗ 


den mit der Hoffnung auch den Gedanken ver 


lieren, die Meinige zu werden. Es wird ih⸗ 


nen frepfich etwas koſten; aber mein Leben haͤngt 


davon ab, und fie werden den Troſt haben, mich 


* 


Die geprüfte Freundſchaft. 71 


gerettet zu ſehn. — Das iſt mir genug, um die⸗ 
ſen Preis gebe ich mich hin. Als ein Opfer gebe 
ich mich hin, zwar ſeufzend, aber doch gehorſam. 
Sie aber, Nelſon, ſie, der Mann der Wahr⸗ 
heit, ſie wollen, daß ich mich anders zeige, als 
ich bin, daß ich ihren Freund hintergehe! Koͤn⸗ 
nen ſie mich Verſtellung lehren. — Nein, Co⸗ 
raly, Verſtellung iſt unnoͤthig. Ich habe nicht 
das Ungluͤck gehabt, die ſuͤßen Empfindungen der 
Dankbarkeit, der Hochachtung, der Freundſchaft 
in Ihnen zu erſticken: dieſe ſind ſie ihrem Wohl⸗ 
thaͤter ſchuldig, und dieſe ſind genug fuͤr ihren 
Gemahl; laſſen ſie nur dieſe ihm blicken. Jene 
Neigung aber, die nicht für ihn iſt, davon ma⸗ 
chen fie ibm ein Opfer, kein Geſtaͤndniß. Dass 
jenige muß ewig verborgen bleiben, was ſchaden 
wuͤrde, wenn es bekannt waͤre : gefaͤhrliche 
Wahrheiten nimmt das Scinfgreigen in feinen 
Schutz. 

Juliette verkürzte dieſe allzu ruͤhrende Stene: 
Sie fuͤhrte Coraly mit ſich fort, und verſchwen⸗ 
dete alle moͤgliche Liebkoſungen, alles moͤgliche 
Lob, um ſie zu troͤſten. Die junge Indianerinn 
antwortete ihr mit einem erzwungenen Laͤcheln: 
ſo bemuͤht man ſich an den Ufern des Ganges, 

den Schmerz einer jungen Wittwe zu zerſtreuen, 
die dem brennenden Scheiterhaufen ihres Gemaͤhls 
ſich naht; ſie wird geſchmuͤckt, mit Blumen ge⸗ 
kraͤnzt, durch Lobgeſaͤnge betruͤbt! Ach! Ihr Opfer 
iſt bald vollendet; das meinige wird langwierig 


72 Die gepruͤfte Freundſchaft. 
und grauſam ſeyn. Meine Feeundinn, ich bin 
noch nicht achtzehn Jahr alt. Wie viel Thraͤnen 
habe ich noch zu vergießen, ehe die Zeit kommt, | 
die meine Augen auf ewig fehlieffen wird, Aus 
dieſer melancholiſchen Vorſtellung urtheilte Ju⸗ 
liette, daß ihre Seele tief verwundet waͤre, und 
daß man fie nicht troͤſten, ſondern ſich mit ihr 
betruͤben muͤßte. Hoͤflichkeit, Ueberredung, Nach⸗ 
ſicht, Mitleid, alles was die Freundſchaft zaͤrt⸗ 
liches hat, wurde angewendet: alles umſonſt. 
Endlich erfuhr man Blenfords Ankunft, und 
der kranke, der abgezehrte Nelſon eilte den Umar⸗ 
mungen ſeines Freundes entgegen. Blenford 
erſchrack als er ihn ſah, und verhoͤhlte ihm ſeine 
Beſorgniß nicht. Beruhige dich, antwortete 
Nelſon, ich bin ſehr ſchlecht geweſen, aber das 
Uebel iſt gehoben. Ich ſehe dich wieder, und die 
Freude iſt ein Balſam, der in kurzer Zeit mich 
ſtaͤrken wird. Ich bin nicht der einzige, deſſen 
Geſundheit durch deine Abweſenheit gelitten hat; 
auch Coraly hat ſich etwas veraͤndert. Unſer 
Clima trug vielleicht dazu mit bey; ſonſt aber 
bat fie ſehr zugenommen. Ihr Verſtand, ihre 
Talente ſind entwickelt; und iſt die Art von Schwer⸗ 
muth, darein ſie verfallen iſt, nur erſt entwickelt, 
dann wirft du das, was man felten findet, eine 
Frau beſitzen, der die Natur a Vollkommen⸗ 
heit verſagt hat. b 5 
Blenford verwunderte ſich alfo nicht, da er 
fein Muͤndel blaß und ſchwach fand, Aber er 
wur⸗ 


Die geprüfte Freundschaft. 73 


wurde ſehr dadurch geruͤhrt. Es ſcheint, ſagte 
er, der Himmel habe meine Freude mäfligen, 
und die Ungeduld beſtrafen wollen, mit der ich, 
entfernt von ihnen, meine Pflichten ausuͤbte. 
Itzt bin ich mir ſelbſt gelaſſen, itzt ſteht es mir 
frey, ganz der Liebe und Freundſchaft mich zu 
widmen. Bey dem Worte Liebe erſchrack Coraly. 
Blenford bemerkte ihre Verwirrung; er ſagte zu 
ihr: Sie werden zu dem Geſtaͤndniß, das ſte itzt 
hoͤren, durch meinen Freund ſchon vorbereitet 
feyn. — Ja, Blenford, ihre Güte iſt mir be 
kannt, aber kann ich es billigen, wenn ſie zu weit 
getrieben wird. — Das iſt eine Sprache, die von 
der europaͤiſchen Hoͤflichkeit entlehnt iſt, und die 
fie mit mir vergeſſen ſollten. Beſte Coraly, ich 

0 die Zeit, da ſie, wenn ich gefragt haͤtte: 

Willſt du, daß die Heirath uns verbinde? mir 
ohne Umſchweif geantwortet haͤtten: Ich bins zu⸗ 
frieden, oder das geht nicht an. Bleiben fie bey 
dieſer Offenherzigkeit. Ich liebe ſie, Coraly, 
aber ich will fie glücklich ſehen: Ihr Unglück 
1 das meinige nach ſich ziehn. 

Nelſon ſah mit Zittern auf Coraly, und durf⸗ 
te an ihre Antwort nicht denken. Sie wandte 
ſich gegen Blenford. Eine der ihrigen gleiche 

Furcht, ſagte ſie, haͤlt mich zuruͤck. So lange 
ich in ihnen nur einen Freund, einen zweyten Vater 
geſehen, ſagte ich zu mir ſelber: Er wird mit einer 
zaͤrtlichen Ehrerbietung zufrieden ſeyn; wenn aber 
zu dieſem heiligen Namen noch der Name Gemahl 
Zweyter Jahrgang V. St. D 


er 9 1 

2 | a 1 
74 Die geprüfte Freundſchaft. 
hinzukommt was find fie da nicht berechtigt zu | 
erwarten? Werde ich fle jemals befriedigen koͤn⸗ | 
nen? — O beſte Hälfte meiner ſelbſt, diefe ans 
genehme Beſcheidenheit iſt die wuͤrdige Krone dei⸗ 
ner Tugenden. Ja, deine Pflichten find erfüllt, 
wenn du nicht gleichguͤltig gegen meine Zärtlich | 
keit biſt. Dein Bild iſt mir überall. gefolgt. 
Meine Seele flog durch den weiten Raum, der 
uns trennte, zu dir. In einer andern Welt habe 
ich dem Echo den Namen Coraly gelehrt. Mi⸗ 
lady, ſagte er zu Julietten, vergeben ſie mir, 
wenn ich ihnen das Gluͤck, ſie zu beſitzen, benei⸗ 
de. Es iſt Zeit, daß ich ſelbſt fuͤr die Erhal⸗ 
tung einer ſo theuren Geſundheit ſorge. Nelſon 
bleibt ihrer Pflege uͤberlaſſen, er iſt mir nicht 
weniger werth. Wir wollen gluͤcklich leben, mei⸗ 
ne Freunde, durch fie werden meine Tage 4 
ſchaͤtzbar: ſo oft ich mein Leben wagte, habe ich 
gefuͤhlt, welche mächtige Bande 8 bier zuruͤck⸗ 
hielten. 

Es wurde beſchloſſen, daß Coraly in acht Ta⸗ . 
gen Blenfords Gemahlinn ſeyn ſollte. Indeſſen 
blieb ſie bey Julietten, und Nelſon gieng nicht 
von ihrer Seite. Aber ſeine Standhaftigkeit wur⸗ 
de erſchöͤpft, indem er die Indianerinn zu ſtaͤr⸗ 
ken ſuchte. Die Thraͤnen einer Geliebten abzu⸗ 
trocknen, und ſeine eignen zu verbergen; zu ſehn, 
wie ſie fuͤr Schmerz bald zu ſeinen Fuͤßen und bald 
in ſeine Arme fiel, und flehentlich um Mitleid 
bat; dabey ihr beſtaͤndig feinen grauſamen Ent 


15 


Die geprüfte Freundſchaft. 75 


ſchluß vorzuhalten, und keinen einzigen Augen⸗ 
blick Schwaͤche ſich zu erlauben, eine ſolche Qual 
ſcheint die Kraͤfte der menſchlichen Natur zu uͤber⸗ 
ſteigen. Auch verließ ihn ſein Muth jeden Au⸗ 
genblick. Ungluͤckliches Kind, ſagte er, laſſen 
ſie mich gehen! Ich bin kein Tieger, ich habe ein 
fuͤhlbares Herz, und ſie zerreißen es. Beſtim⸗ 
men ſie ſelbſt mein Schickſal; ich uͤberlaſſe ihnen 
mein Leben; aber laſſen ſie mir die Treue gegen 
meinen Freund. — Ä 
Ach Nelſon, wo bleibt die Freyheit meines Wil⸗ 
lens, da ihr Leben in Gefahr iſt? Verſprechen 
ſie mir nur zu leben, nicht meinetwegen, ihrer 
Schweſter wegen, ihrer Schweſter, die ſie anbe⸗ 
tet. — Coraly, ich wuͤrde fie hintergehen. Nicht 
daß ich einen Anſchlag auf mein eignes Leben 
haͤtte; aber ſie ſehn, wie weit mich die Betruͤb⸗ 
niß gebracht hat. Sie ſehn die Wirkung mei⸗ 
ner Reue und der Schande, die in der Zukunft 
ſich mir zeigt. Würde ich mir weniger verhaßt, 
weniger ſtrenge gegen mich ſelbſt ſeyn, wenn 
das Verbrechen ausgefuͤhret waͤre? — Sie reden 
vom Verbrechen, aber wenn ſie mir den aͤrgſten 
Zwang auflegen, iſt das kein Verbrechen? — Sie 
ſind frey, ich fordere von ihnen nichts, ich weiß 
nicht einmal, was ihre Pflicht iſt, aber die meini⸗ 
ge weiß ich, und ich will ihr folgen. 
Durch dergleichen Geſpraͤche vermehrten fie 
ihre Betruͤbniß. Aber Blenfords Gegenwart 
brachte ihnen noch größere Qual. Er unters 
D 2 


76 Die geprüfte Freundſchaft. 
hielt fie alle Tage ‚ nicht mit feichten gicheserkläcuns | 
gen, ſondern von feiner Bemuͤhung ihren Wuͤn⸗ 
ſchen zuvorzukommen, in feinem Haufe alles 
ſo einzurichten, das Zierlichkeit und Bequemlich⸗ 
keit darinn herrſchen möchten, um ihre Zufriedenheit 
auch darinn zu befoͤrdern. Sterbe ich ohne Kin⸗ 
der, ſagte er, fo iſt die eine Hälfte meines Ver⸗ 
moͤgens für meine Frau, die andre für denjeni⸗ 
gen, der nach mir ihr gefallen und ſie über mei⸗ 
nen Verluſt troͤſten wird. Nelſon, das geht 
dich an! In meinem Stande wird man ſelten alt. 
Du mußt, wenn ich nicht mehr ſeyn werde, mei⸗ 
ne Stelle einnehmen. Ich habe die gehaͤßige 
Ruhmbegierde nicht, von meiner Wittwe zu for⸗ 
dern, daß fie meinem Schatten treu bleibe. Eos 
raly iſt geſchaffen, die Welt zu verſchoͤnern, und 
in ihren Ebenbildern die Natur zu bereichern. 
Man kann ſichs eher vorſtellen, als beſchrei⸗ 
ben, was Nelſon und Coraly hierbey empfan⸗ 
den. Beyde wurden geruͤhrt, die Verwirrung 
war bey beyden gleich: aber Nelſon fand in 
den Gedanken, daß er Coraly ſolchen wuͤrdigen 
Haͤnden uͤberließe, eine Art von Erleichterung, da 
hingegen für fie jede neue Wohlthat des Blenfords 
eine neue Marter war. Da fie dem Welſon 
entſagen mußte, haͤtte fie ſich lieber von der gan⸗ 
zen Natur verlaſſen, als ſich durch Geſchenke, 
durch Liebesbezeugungen, die nicht von ihm kamen, 
geehrt geſehn. Indeſſen war es nach ihrem eig⸗ 


* 


Die geprüfte Freundſchaft. 72 


nen Geſtaͤndniſſe nicht möglich, zuruͤck zu gehn; 
ſie mußte ſich ihrem Schickſale unterwerfen. 

Man führte ſie alſo als ein Schlachtopfer in 
das Haus, das ehemals eine angenehme Wohnung 
für fie geweſen war, itzt aber ihr fuͤrchterlicher 
ſchien als das Grab. Blenford empfieng ſie 
als feine Beherrſcherinn. Er ſchrieb ihre ſichtba⸗ 
re Gemuͤthsbewegung der Bloͤdigkeit und der 
Furcht zu, die in ihrem Alter die Herannaͤhe⸗ 
rung der hochzeitlichen Feyer hervorbringt. 

Nelſon hatte alle Kräfte einer fteifchen Seele 
geſammlet, um mit heiterm Geſichte bey dieſem 
Feſte zu erſcheinen. 6 

Man las den Aufſatz, den Blenford hatte ma⸗ 
chen laſſen. Er war von einem Ende zum an⸗ 
dern ein wahres Denkmaal der Liebe, Wohlthaͤ⸗ 
tigkeit und Hochachtung. Niemand blieb unge⸗ 
ruͤhrt; Coraly ſelbſt vergoß Thraͤnen. Blen⸗ 
ford nahete ſich ihr mit einer ehrerbietigen Mie⸗ 
ne, und indem er ihr die Hand reichte, ſagte 
er: Kommen ſie, meine Geliebte, und bekraͤfti⸗ 
gen ſie dies heilige Band ihrer Treue und meiner 
Gluͤckſeligkeit. | 
Coraly, welche ihre letzten Kraͤften aufgefor⸗ 
dert hatte, konnte kaum die Feder in ihter Hand 
halten; indem ſie ſchreiben wollte, zog ſich ein 
Nebel vor ihre Augen, ihr ganzer Leib zitterte, 
ihre Knie wankten, ſie wuͤrde niedergeſunken feyn, 
wenn Blenford fie nicht gehalten haͤtte. Von 
Schrecken durchdrungen blickt er Nelſon an, und 
| D 3 i 


17 Die geprüfte Freundſchaft. 


und ſieht die Todesblaͤſſe auf feinem Geſichte. 
Juliette war herbey gelaufen. Himmel! was ſehe 
ich, rief Blenford aus, Schmerz und Tod umge⸗ 
ben mich! Was haͤtte ich bald gethan? Was hat | 
man mir verſchwiegen? Wie? mein Freund! iſt 
es moͤglich? Kommen fie ins Leben zuruͤck, mei⸗ 
ne liebe Coraly, ich bin nicht grauſam, nicht 
ungerecht: ich ſuche nur ihr Gluͤck. 

Indem die Frauenzimmer bemuͤhet waren, 
Coraly zu helfen, blieben Nelſon und Blenford | 
aus Wohlſtand etwas von ihnen entfernt. Aber 
Nelſon ſtund unbeweglich mit niedergeſchlagnen 
Augen wie ein Miſſethaͤter. Blenford tritt zu 
ihm, ſchlieſt ihn in ſeine Arme: Bin ich dein 
Freund nicht mehr, fagte er, biſt du nicht alles 
zeit noch die Haͤlfte meiner ſelbſt? Deffne mir 
dein Herz, ſage mir, was darinn fuͤr ein Ge⸗ 
heimniß verborgen iſt — Doch nein, ſage mir 
nichts, ich weiß alles. Dies Kind hat dich nicht 
ſehen, nicht mit dir leben koͤnnen, ohne dich zu 
lieben. Sie hat ein fuͤhlbares Herz; deine Guͤte, 
deine Tugenden haben ſie geruͤhrt: du haſt ihr das i 
Stillſchweigen auferlegt, du haſt von ihr gefor⸗ | 
dert, daß fie das allerſchrecklichſte Opfer vollende⸗ 
te. — Ha, Nelſon! welch Ungluͤck, wenn es 
vollendet waͤre! Der gerechte Himmel hat es nicht 
gewollt. Die Natur, der du Gewalt anthateſt, 
hat ihre Rechte behauptet. Sey zufrieden, ſie 
erſpart dir ein Verbrechen. — Ja! die Ergebung 


€ 


u ER 
Die geprüfte Freundfhaft. 79 


der Coraly war das r chen der Freund⸗ 
ſchaft. i 
Ich geſtehe es, antwortete Nelſon, indem er 

ſich ihm zu Fuͤßen warf, ich habe, ohne es zu 

wollen, dein Ungluͤck, das Unglück dieſes lies 
benswuͤrdigen Kindes, und das meinige gemacht; 
aber ich bezeuge bey dem, was Ehre und Freund⸗ 
ſchaft heiliges haben, — weg mit deinen Schwuͤ⸗ 
ren, unterbrach ihn Blenford, fie beleidigen uns 
beyde. Glaube mir, mein Freund, du wuͤrdeſt 
nicht in meinen Armen ſeyn, wenn ich dich einer 
Niedertraͤchtigkeit verdächtig hielte; was ich vor⸗ 
hergeſehn, iſt erfolgt, aber ohne dein Verſchul⸗ 
den. Ein Beweis davon iſt das, was ich fehe, 
und dieſer Beweis ſeibſt iſt unnoͤthig, dein 
Freund bedarf ihn nicht. — Es iſt wahr, ſagte 
Nelſon, daß ich mir nichts als Unvorſichtigkeit 
und ein zu ſtolzes Vertrauen auf meine eigenen 
Kraͤfte vorzuwerfen habe; aber das iſt genug, ich 
will mich ſelbſt beſtrafen. Coraly wird dir ent⸗ 
riſſen, und ich entſage ihr auf ewig. — Iſt das 
die Art, wie du einem großmuͤthigen Freunde 
begegneſt? erwiederte Blenford in einem ſtren⸗ 
gen Tone. Glaubſt du gegen mich zu kindiſchen 
Bedenklichkeiten verbunden zu ſeyn? Coraly 
wird meine Frau nicht werden, ſie waͤre mit 
mir nicht glücklich: aber daß fie einen ehrlichen 
Mann verliert, den ſie ohne dich geliebt haͤtte, 
daran biſt du ſchuld, und dieſen Verluſt mußt 
du ihr erſetzen. Der Contract iſt aufgeſetzt; die 

D 4 


80 Die geprüfte Freundschaft. 


Namen ſollen geaͤndert werden, aber ich verlan⸗ 
ge, daß die Punkte bleiben. Was ich als Ge⸗ 
mahl der Coraly beſtimmt hatte, gebe ich ihr 
als Freund, oder wenn du willſt, als Vater. 
Nelſon kraͤnke mich nicht durch eine Weigerung, 
die mich nur erniedrigen wuͤrde. — Ich erliege 
unter deiner Großmuth, ſagte Nelſon, fie 
beſchaͤmt mich, aber ſie verwundert mich nicht. 
Es bleibt mir nichts uͤbrig, als ſie ſtillſchweigend 
zu verehren, und deinem Willen mich zu unter⸗ 
werfen. Wenn ich nicht wuͤßte, wie ſehr Ehrer⸗ 
bietung und Freundſchaft ſich vereinigen laſſen, 
ſo wuͤrde ich mich nicht getrauen, dich laͤnger 
Freund zu nennen. * 
| aͤhrend dieſer Unterredung war Coraly wle⸗ 
der zu ſich ſelbſt gekommen, und oͤffnete mit Schre⸗ 
cken ihre Augen. Wie groß war ihr Erſtaunen, 
und die Veraͤnderung, die ploͤtzlich in ihrer Seele 
vorgieng! Man weiß alles, ſagte ihr Nelſon, 
indem er ſie umarmte, man hat alles vergeben; 
werfen ſie ſich ihrem Wohlthaͤter zu Fuͤßen; von 
ſeiner Hand empfange ich die ihrige. Coraly 
wollte ihre Dankbarkeit ihm zu erkennen geben; 
Blenford ließ ihr keine Zeit. Sie ſind ein Kind, 
ſagte er, ſie haͤtten mir alles geſtehen ſollen. 
Wir wollen nicht mehr davon reden; aber nie⸗ 
mals wollen wir vergeſſen, daß es Prüfungen giebt, 
denen die Tugend ſelbſt, ſich nicht ausfegen muß. 


Der Frühling, 
an Selinen, 
nad d dem eee des Metaſtaſio. 


Schon ſpielet mit den erſten Bilder 
Der leichte Weſt; 
Der Fruͤhling koͤmmt, die Huͤgel jauchzen . 
Es jauchzt das Thal. 

Die Eiche, die am Fuß AR Alpen, 
Schon hundert Jahr, 
Gleich ihnen furchtbar, Süürmen cot ; 
Begruͤßt den Lenz; 

Sie ſchuͤttelt vom bejahrten Haupte 
Geſchmolznes Eis, 
Und ſchmuͤcket jetzt die nackten Arme 
Mit neuem Laub. | 

Bon hohen Bergen flieht der Winter: 
Ihr Gipfel gruͤnt, 
Und ungehemmt rollt in ben Ufern 
Der ſchnelle Bach. 

Es ſtehen zitternd tauſend Bluͤnichen 
Im bunten Feld; 
Noch hat ſie nicht die ſchwere Pflugſchar 
Hinweggewuͤhlt. 

Vom Sand Aegyptens reist die S | 
Kühn übers Meer, 

D 5 


| * 13 12 
82 Der Frühling x 


Eilt nach der ſonſt bewohnten Gegend, 
Und baut ihr Neſt. 
Die Hirtinn, deren muntres Auge 
Von Freude ſpricht, 
Läuft an die oft beſuchte Quelle, 
Und ſchmuͤckt ihr Haar. 
Vom Zwitſchern kleiner Sänger tönet 
Der junge Wald, 
Und in dem weiten Thale bruͤllet 
Das ſatte Vieh. 
Der Schiffer der ſein kleines Erbtheil 
Im Meer verlor, 
Und nach erlittnem Schiffbruch traurig 
Zuruͤckgekehrt, 
Denkt jetzt nicht mehr an Sturm und Wellen; 
Bey ſtillem Meer 
Hebt er vergnuͤgt, voll ſuͤſſer Sefnung, 
Die Anker auf. 
Die ganze Schoͤpfung, alles freu ſich, 
Und alles lacht; 
Nur ich allein, ich kann nicht lachen 
Da alles lacht. 
Seline, ſoll dich dieſer Fruͤhling 
Nicht zaͤrtlich ſehn? 
Du wirſt die Thraͤnen einſt bereuen, h 
Die 18 geweint. 


— — * 


N 


A 


es Der 
N D 


* 
* 


e 
N PERS wre. 
Bin 


4 


ei U * 


G 4 


a 


. K HESR 0 
80 15 1 Zell 
HH 37 0 0 


57 N 
miete IN N 
län] MAN 
Allan | KENBR Me: 
Ar INT 
ah ei — . 
N ROSE 
— 8 | NN 127 
17 da IR | SIT 
|, Ina TR 
477 0 

17 5 7 


If 123 
m. N wa Sao 
ep ER I ER 


. 5 55 85 


— er 3 wei! ifel , 


Das Weltbezwinger voll von Krieg, = 
Durch Schlacht, Eroberung und Sieg, 
Die Buͤrger groß und gluͤcklich machen: i 
Das glaubt ich? — Nein! 
Doch, daß die Staaten reizend bluͤhn, 
Wo Fuͤrſten weiſe Buͤrger ziehn, 
Und uͤber die Geſetze wachen: 
Das könnte fyn! er 
Daß das Verdienſt am Hofe ſteigt, 

Das Laſter vor der Tugend ſchweigt, 
Vom Thron beſchaͤmt die Schmeichler eilen, 
Das glaubt ich? — Nein! 5 ER 
Daß Narrheit, Bosheit, Trug und Liſt, 
Zur Hoheit oft die Leiter iſt, 
Laquayen, Huld und Gnad ertheilen, 
Das koͤnnte ſeyn! 
Diaß jeder Prieſter heilig lebt, 

Der Philoſoph nach Weisheit ſtrebt, | 
Die Unſchuld vor Gerichte ſieget; 
Das glaubt ich? — Nein! 

Daß oft der Fromme menſchlich irrt, 
Der Philoſoph ſehr ſinnlich wird, 
Das Recht dem Gold oft unterlieget; 
Das könnte ſeyn! | | 
Diaß, wer aus goldnen Schuͤßeln ſpeiſt 

Den laut der Poͤbel glücklich preiſt„ 

D 6 


34 Der Zweifel. 


Des Lebens wahres Gluͤck empfindet; 
Das glaubt ich? — Nein! 

Doch daß der Mann fein Leben nutzt, 
Der nicht mehr wuͤnſcht, als er beſitzt, 
Sich nicht am Wahn des Poͤbels bindet; | 
Das konnte feyn! 

Mein Vetter ſchuͤttet Geld in Hut, 
Und ruft: dies iſt das hoͤchſte Gut! 

Sieh Kind das mußt du dir erwerben; 
Ihm glaubt ich? — Nein! e 
Doch wenn man nicht ſein Geld bergraͤbt, 
Mit Freunden davon freudig lebt, | 
Daß es denn ſchoͤn iſt, Geld z eben: 
Das könnte fyn! * 

Wenn ſich Beatrix ſchminkt und ſchmückt, = 
Liebäugelt, buhlt, die Hände drückt, | 
Daß fie dadurch ein Hertz entrißßen: 
Das glaubt ich? — Nein! 

Doch daß, wenn auch kein Putz ſie siert, 
Die göttliche Selinde rührt, | 

Und jeder Mund fie wuͤnſcht zu kuͤßen, 
Das könnte ſeyn! 

Daß, um geehrt und reich zu ſeyn, 
Ich mich demuͤthig, kriechend, klein, 
Wenn mich das Gluͤcke flieht, gebehrde; 
Das thaͤt ich? — Nein! 

Daß ich entfernt von Sklaverey, 
Freund, Vaterland und Maͤgdchen treu, 
Frey leben und frey ſterben werde: 

Das koͤnnte ſeyn! | we 


2 = 8 85 


| Von den 
geſellſcgaftlichen Unterhaltungen 
der Roͤmer. 


Aus dem Daniſchen. 


Die Roͤmer waren in den letzten Zeiten eben 
ſo eitel, verſchwenderiſch und wolluͤſtig, als wir; 
ja, ſie uͤbertrafen uns oft weit in dem, was die 
verderbte Welt zu allen Zeiten Galanterie, Ar⸗ 
tigkeit und Lebensart genannt hat. Allein, da 
wir doch durchaus dieſes alte Volk uns zum Mu⸗ 
ſter waͤhlen wollen; ſo ſollten wir auch darinn ih⸗ 
nen nachahmen, wodurch ſie ſich wohl noch mehr, 
als durch ihre Mahlzeiten und Gaſtereyen, von 
Barbaren unterſchieden. Ich will nur zweyerley 
Dinge anfuͤhren, welche der Lebensart in Rom, 
ſelbſt bey der groͤßten Ueppigkeit den Vorzug vor 
der unſrigen gaben, daß ſie dieſelben um eben ſo 
viel galanter machten, als fie wirklich vernuͤnfti⸗ 
ger war. Und dieſes war die Freyheit mit wel⸗ 
cher Leute von verſchiedenſtem Range mit einander 
umgehn konnten. Und die vernuͤnftige Mode ſinn⸗ 
liche Vergnuͤgungen mit den uͤbrigen geſellſchaftli⸗ 
chen Ergoͤtzlichkeiten zu verbinden. 
D 1 


86 Von den geſellſchaftlichen 2 


In Anfehung der Freyheit uͤbertrafen die roͤ⸗ 
miſchen Sitten die unfrigen eben fo ſehr, als die 


franzoͤſiſche Lebensart, der tuͤrkiſchen an Artigkeit 


vorzuziehen iſt. Noch hatten keine ungereimten 
Geſetze des Wohlſtandes die Trennung unter den 
Menſchen verurſacht, welche die Großen nicht nur 
ſo ungeſchickt macht die Pflichten ihres Berufs zu 
erfuͤllen, ſondern auch die groͤßte von allen geſell⸗ 
ſchaftlichen Vergnuͤgungen entzieht. Kein Vor⸗ 
nehmer hielt es damals fuͤr unanſtaͤndig an einem 
Drte zu erſcheinen, wo ſeine Gegenwart ihm ſelbſt 
oder dem Publico einiges Vergnügen oder Nutzen 
verſchaffen konnte. Er glaubte nicht, daß ſeine 
Wuͤrde darunter litte, wenn er mit einem Men⸗ 
ſchen ſpraͤche, der ihm entweder dienen oder feiner. 
Huͤlfe beduͤrftig ſeyn koͤnnte. Die Kaiſer ſpeiſeten 
oftmals in offenen Gezelten. Sie giengen ſelbſt 
zu Fuß ohne großes Gefolge in der Stadt herum. 
Sie riefen nicht allein Weltweiſe und Dichter zu 
ſich, ſondern kamen auch ſelbſt in ihre Schulen. 
Da wo itzt ein junger Edelmann erroͤthen würde, 
ſich ſehen zu laſſen, ſaß Marc Aurel ſelbſt, da 


er ſchon ein Mann, Kaiſer und Philoſoph war, 


und merkte in ſeiner Schreibtafel an, was er in 
des Sextus Vorleſungen hoͤrte. 8 
Das Ceremoniel war im Reden ſowohl als im 


Schreiben fo kurz, daß man ohne Umſchweife ſein 


Geſchaͤffte vortragen, viel mit wenigen Worten 
ſagen, und folglich manche wichtige Dinge in der 
Zeit ausrichten konnte, die itzt bey Titeln, Cere⸗ 


Unterhaltungen der Römer. 87 


monien, Formalitäten und tauſend unnoͤthigen 
Weitlaͤuftigkeiten verloren geht, welche zuletzt 
noch ſo weit gehen koͤnnen, daß die weſtlichen 
Völker den Morgenlaͤndern nichts weiter vorzu— 
werfen haben werden, als dieſes allein, daß wir 
etwa in der Kleidertracht ein wenig freyer und 
vernuͤnftiger ſind, als ſie. 

Die Vergnuͤgungen der Sinne machten einen 
ſo weſentlichen Theil von den geſellſchaftlichen Ber 
luſtigungen der Roͤmer aus, daß jeder, der Ver- 
mögen hatte, unter feinen Bedienten einige hielt, 
die Buͤcher abzuſchreiben wußten und geuͤbt wa⸗ 


ren, angenehm und mit Nachdruck etwas vorzu⸗ 


leſen, um dadurch nicht nur ihren Herren ſondern 
auch feine Gäfte zu vergnügen. Man erzaͤhlt vom 
Titus Pomponius (einem Mann der ſeiner Le⸗ 
bensart und angenehmen Umgangs wegen eben ſo 


beruͤhmt war, als wegen ſeines Verſtandes und 


feiner Redlichkeit) daß alle feine Bedienten bis 


zum geringſten Aufwaͤrter beyde Stuͤcke verſtun⸗ 
den. So vernünftig waren die Bedienten in Rom, 
ob ſie gleich Sklaven waren. Ihre Herrſchaften 
ſelbſt ließen ſie in ſchoͤnen Wiſſenſchaften unter⸗ 


richten. Wenn alle Laquayen ſo viel verſtuͤnden, 
fo möchte man ſich nicht fo ſehr wundern, wenn 


es ihnen zuweilen einfaͤllt, Bedienungen zu ſuchen. 

Anſtatt ſich wie ſtumme Maſchinen um einen 
Tiſch herum zu feßen, ergößte dies Volk die Ges 
ſellſchaft mit Liedern, Concerten, mit Gedichten, 
Schauſpielen, Hiſtorien und andern ſchoͤnen Wer⸗ 


88 Von den geſellſchaftlichen b 


ken, die man vorlas. Ohne ſolche Vorleſungen 
haͤtte nie ein Roͤmer, wenn er irgend zu leben 
wußte, das prächtigſte Gaſtgebot geachtet, ſon⸗ 
dern wuͤrde von ſeinem Wirthe gedacht haben, 
daß er ſehr ſchlecht, Leute zu unterhalten wuͤßte. 

Bey allen Kuͤnſten, die die Römer erfunden hatten, 
den Gaumen zu kitzeln, Kuͤnſte, darinn fie die 
zaͤrtlichſten und lecker hafteſten Volker unſrer Zeit 
weit uͤbertrafen, war dennoch ihr Geſchenk fein 
genug, eine Geſellſchaft von Leuten, die einige 
Zeit mit nichts als mit Eßen beſchaͤfftigt geweſen 
waͤre, mit Eckel anzuſehen. Ein guter Vorleſer 
ward eben ſo begierig geſucht, als ein beruͤhmter 
Koch, und wenn er vorzuͤgliche Gaben hatte, ſo 
machte er ſeinem Herrn wenigſtens ſo viel Ehre, 
als jetzt kein Vornehmer von dem beſten Laͤufer 
oder anſehnlichſten Heiducken haben kann. 

Ohne zu behaupten, daß die Roͤmer damals 
vollkommner und tugendhafter waren, als wir: 
ſo iſt dieß doch hinreichend zu beweiſen, daß ſte 
galanter waren, und weit beßer ſich zu vergnuͤ⸗ 
gen wußten. Eine Geſellſchaft von ſtummen Ehern 
gehoͤrt zu einer thieriſchen Lebensart; ſo eine 
wuͤrde nicht einmal Barbaren vergnuͤgen. 

Aber womit ſoll man eine ſo große Verſamm⸗ 
lung unter halten? Mit jenen allgemeinen Redens⸗ 
arten, jenen abgenutzten Soͤflichkeiten, jenen 
kleinen Gefaͤlligkeiten, die allen beſchwerlich find, 
und niemand vergnügen ? Mit Aufmunterungen 
zum Trinken? Das beißt nicht Leute einladen fie 


Unterhaltungen der Römer. 89 


zu vergnügen, ſondern ihnen lange Weile zu ma⸗ 
chen, fie zu toͤdten. Das beſte und anſtaͤndigſte 
Mittel (wo nicht das einzige) dieſe lange Weile 
zu vertreiben, waͤre wohl, von Sachen zu reden, 
die vernuͤnftigen Leuten unterhaltend ſeyn koͤnnten. 
Aber wer ſoll dieſe Reden fuͤhren? In den meiſten 
Geſellſchaften find wohl wenige, die von ſelbſt ſehr 
vernünftig ſprechen koͤnnen. Es waͤre gut, wenn 
alle Einſichten genug haͤtten, an dem was andre 
ſagen, Geſchmack zu finden, und ſich ein Vergnuͤ⸗ 
gen daraus zu machen ⸗ zuzuhoͤren. Das Wort 
in einer Geſellſchaft allein zu führen, iſt fuͤr den 
Redner ſelbſt faſt eben fo beſchwerlich, als fuͤr ſeine 
Zuhörer, demuͤthigend; zu geſchweigen, daß es ſich 
nicht fuͤr jeden ſchickt, ſo viel als andre zu reden. 
Ein gewißes Alter, Rang oder Vermögen kann 
allein dieſen Vorzug geben, der zum Ungluͤck 
nicht allemal den Weiſeſten zum Theil wird. 
Aber was bleibt denn noch uͤbrig eine große Ge⸗ 
ſellſchaft zu beſchaͤfftigen? Nichts anders als zu le⸗ 
fen? wenn man eine Geſellſchaft unterhalten will, 
obne einen Theil zu ermuͤden, den andern zu bes 
ſchaͤmen, ohne entweder einige zum Stillſchwei⸗ 
gen zu verdammen, oder genöthiget zu werden 
ungereimte Gefpräche anzuhoͤren: ſo muß man 
ſchoͤne Stuͤcke aus ſolchen Werken ausſuchen, die 
in der Abſicht geſchrieben ſind, Geſellſchaften zu 
unterrichten, und zu vergnuͤgen; und einem jeden 
erlauben, ſo viel Theil daran zu nehmen als er 


1 den geſellſchaftlichen 


kann und will. So ſolgt man am beſten den Re⸗ 
geln der Höflichkeit und der Wohlanſtaͤndiskeit, 
und man beleidiget weder Vernunft noch Ge, 
ſchmack. Von den uͤbrigen weit wichtigern Fol⸗ 
gen, die ein ſolcher Umgang haben koͤnnte, die 
Sitten und den Geſchmack zu verbeßern, will ich 
nicht einmal reden. Meine Abſicht iſt nur zu 
beweiſen, daß die Römer viel galanter waren, 
und weit beßer zu leben wußten als wir. 
Aber vir haben vielleicht ſolche Vergnuͤgungen 
nicht noͤthig? Unſre Gaſtereyen ſind reich genug 
an Pracht und Ueberfluß, um uns gantz allein, 
ohne einige Mithuͤlfe der Vernunft zu befchäfftis 
gen. — — O nein! auch an Pracht uͤbertrafen 
uns die Roͤmer in ihren Gaſtmalen. Ich koͤnnte 
in einer eignen Abhandlung: — und fo ein wichti⸗ 
ges Stück der Lebensart verdiente die wohl — bes 
weiſen, daß unſre Koͤche große Pfuſcher gegen die 
roͤmiſchen find, und daß unfre prächtigften Gaſt⸗ 
male, den ihrigen nicht gleich kommen. Viel⸗ 
leicht ift aber der Umgang itzt fo vernünftig, freg 
und angenehm, daß man nicht noͤthig hat erſt zu 
Büchern, dem elenden betruͤbten Zeitvertreibe ſei⸗ 
ne Zuflucht zu nehmen, den feine Leute nicht ſu⸗ 
chen, als wenn fie krank oder eingeſperrt find ? 
Ja, wenn es darauf ankoͤmmt, wo das meiſte ge⸗ 
ſprochen wird, oder wo man viel ins Gelag bins 
ein redt, wenn dieß ein Zeichen der Vernunft 
und Freyheit iſt — — da glaube ich, daß wir 
die Roͤmer uͤbertreffen. Aus ihren Vorleſungen 


Unterhaltungen der Römer. 91 


ſollte man wenigſtens ſchluͤßen, daß fie mehr hör, 
ten und dachten, als fie redeten. Es muß wohl 
in einer Verſammlung, von Leuten deren Geſchmack 
zärtlich genug war, die ſchoͤnſten Stuͤcke ihrer 
Schriftſteller auszuſuchen, und ſie mit vielem 
Nachdruck ſich vorleſen zu laſen, gewiß nicht fo 
leicht geweſen ſeyn, etwas zu ſagen wodurch man 
die Geſellſchaft vergnuͤgen, oder ihre Aufmerk⸗ 
ſamkeit auf ſich ziehen konnte. Das groͤßte Genie 
wurde ſich wohl bedacht haben in einer ſolchen 
Geſellſchaft dem Leſer in die Rede zu fallen. Da 
hingegen der ſchlechteſte Einfall in einer andern 
Verſammlung ſchon vermoͤgend iſt, den beſten Vor⸗ 
leſer einem ausgelaßnen Gelächter Preis zu ge 
ben. Wie witzig die Herrſchaften ſelbſt in Rom 
geweſen, das iſt wohl uͤberhaupt ſchwer zu bes 
ſtimmen. So viel weiß man, daß es wenigſtens 
keine Schande war, ſich auf Wißenſchaften zu 
legen. Die beruͤhmteſten Schriftſteller waren 
entweder ſelbſt Leute vom Stande oder Freunde 
der Großen. Die Wiſſenſchaften ſetzten oft ſelbſt 
Sklaven in Freyheit und veredelten fie. Die 
Reichen wandten freylich dort, ſo wie anderwaͤrts 
mehr Zeit auf Geſellſchaften und Ergoͤtzlichkeiten 
als auf die Wiſſenſchaften. Aber man konnte 
auch bey den roͤmiſchen Gaſtmalen etwas lernen; 
und ein Reicher muͤßte ſehr dumm geweſen ſeyn, 
wenn er aus einer Geſellſchaft in die andre ge⸗ 
gangen waͤre, eine ſchoͤne Vorleſung nach der an⸗ 
dern gehört haͤtte, ohne kluger zu werden. Selbſt 


92 Von den geſellſchaftlichen 


ibre Laquayen muͤßen witziger geweſen ſeyn, als 
manche neumodige vornehme Herten. Denn ſie 


konnten doch wohl nicht fo viele fchöne Werke in 


ihrer Mutterſprache leſen, ohne etwas dabey zu 
denken. Man muͤßte denn glauben, daß die roͤ⸗ 
miſchen Laquayen ſolche Dummkoͤpfe waren, als 
diejenigen Gelehrten, die alle roͤmiſchen Scri⸗ 
benten durchgeleſen haben, ohne dadurch im ge⸗ 
cingſten ihren Geſchmack zu verbeßern. 

Ich glaube daher daß wir, ohne zu gering⸗ 
ſchaͤtzig von uns ſelbſt zu urtheilen, es als eine 
ausgemachte Sache annehmen koͤnnen, daß unſer 
Gaſtmal weder fo praͤchtig, noch unſer Umgang 
ſo vernuͤnftig iſt, daß wir dieſer Vorleſung nicht 
eben fo ſehr beduͤrftig waͤren ‚als die Römer, 
Außer den allgemeinen Unbequemlichkeiten großer 
Geſell ſchaften, die ich oben angefuͤhrt habe, und 
die ſich bey allen Voͤlkern zu allen Zeiten finden, 
haben wir einige, die die Roͤmer nicht kannten, 
und dadurch unfre Geſellſchaften weit beſchwerli⸗ 
cher und langweiliger werden als ihre. Dieß 
iſt eben das, wovon ich im Anfange redete: der 
Zwang und die Trennung, die ein uͤbertriebener 
Wohlſtand unter den Menſchen eingefuͤhrt hat, 
und die ihr Hochmuth, ihre Eitelkeit, Rang⸗ 
ſucht, Niedertraͤchtigkeit, und Heucheley taͤglich 

vermehret. 

Die morgenlaͤndiſche Eitelkeit, davon die Roͤ⸗ 


mer nichts wußten, muß entweder von den Sara⸗ 


cenen zuerſt nach Europa ſeyn gebracht worden, 


Unterhaltungen der Römer. 93 


oder die Europaͤer lernten ſie auf ihren Kreutz⸗ 
zuͤgen und Wahlfahrten. Dieſe hat, außer dem 
wirklichen Unterſchiede, den Macht, Reichthum 
oder Verdienſte unter den Menſchen machen koͤn⸗ 
nen, noch ſo manche eingebildete Unterſchiede 
eingefuͤhrt, und ſo viele Merkmale alle dieſe, 
ſo wohl wirkliche als eingebildete Vorzüge zu be⸗ 
zeichnen, erfunden, daß eine eben ſo weitlaͤuftige 
Rechnung dazu erfordert wird, die Achtung zu 
beſtimmen, welche jeder Perſon in einer Geſell⸗ 
ſchaft zukommt, als dazu gehört, den Gehalt al⸗ 
ler wirklichen und idealen Muͤnzen nach ihren 
verſchiednen Aufſchriften, Gewicht, Stempel und 
Wechſelcours feſt zu ſetzen. 

Eine jede Geſellſchaft, vornehmlich in den 
Landern, wo viele Heine Münze herumgeht, iſt 
einer Börfe gleich. Alle find beſchaͤfftigt den 
Werth jeder Perſon nach den verſchiednen Stem⸗ 
peln zu beſtimmen, womit man ſie bezeichnet 
hat, und aufs genaueſte zu berechnen, wieviel 
ein jeder in Verhaͤltniß gegen alle andre, gilt. 
So wie im Handel oft die geringſten Kleinigkei⸗ 
ten den Werth der eingebildeten Schaͤtze herunter 
ſetzen koͤnnen, ſo iſt auch ein Wort, eine Rede, 
ein Gruß, eine Miene, eine Geſundheit, ein Stuhl 
und tauſend andre gleich unbedeutende Dinge hin⸗ 
laͤnglich, das Vergnuͤgen einer Geſellſchaft zu 
verderben, und unter den Leuten eben ſo viel 
Verwirrung anzurichten, als eine Veraͤnderung 
im Wechſelcours oder im Preiſe der Actien mas 
chen kann. 


94 Von den geſelſchaftlchen unterh. 


Ich glaube auch, daß dieſe Eitelkeit, ſo 7 
cherlich ſie auch iſt, doch ihren Grund in einem 
ſo allgemeinen Verderben des Menſchen hat, daß 


die Roͤmer eben ſo kindiſch und ungeſellig als 


wir geweſen ſeyn wuͤrden, wenn ſie nicht eine 
Art, große Geſellſchaften zu beſchaͤfftigen, er» 
funden hätten, woran alle gleichen Theil nah⸗ 
men, und wodurch, zum wenigſten auf einige 
Zeit, das Anſehn der Perſon aufgehoben ward, 
das die beſten Geſellſchaften verdirbt. 

Aber haben wir denn gar nichts, das mit dem 
| Zeitvertreibe den die Roͤmer in ihren Vorleſungen 
ſuchten „in Vergleichung geſtellt werden koͤnnte? 
Ja. Unſre Spielparthien. Denn ohne dieſe 
wuͤrden unſre großen Geſellſchaften unausſtehlich 
ſeyn. Ich will ein andermal von dem Miß⸗ 
brauche dieſes Zeitvertreibs reden, und dießmal 
nur ein paar Worte von ſeinem großen Nutzen 
ſagen. Wenn man nicht ſpielte, ſo wuͤrden 
vernuͤnftige Leute bald einſchlafen, die Narren 
wuͤrden niemals ſchweigen und die Foͤrmlichkei⸗ 
ten nebſt den Ausfuͤllungen in der Rede, die man 
Complimente nennte, wuͤrden kein Ende haben. 
Nun kann man doch durch den Spieltiſch zum we⸗ 
nigſten, die Leute ohne viele Umſtaͤnde zum Si⸗ 
Gen bringen, da ein As oder ein Bauer, in der 
Geſchwindigkeit ausmacht, wer in der Gagel. 
ſchaft der vornehmſte ſeyn ſoll. 


Der Fuchs und der Kaͤfer. 


4 u 


E⸗ kroch ein Kaͤfer auf dem Lande 
An eines ſchnellen Fluſſes Strande, 
Und ſeiner ward ein Fuchs gewar, 
Der in derſelben Gegend war. 
Er that dem Käfer den Verdruß 
Und ſtieß ihn gaͤhlings in den Fluß. 
Doch kam er wieder friſch empor, 
Und kroch dem Strand nach, wie zuvor, 
Gleich aber kam der Bös wicht wieder, 
Und druͤckt ihn auf den Boden nieder, 
Und ſprach: Halt inn, du mußt nicht gehn, 
Fuͤr dießmal mußt du ſtille ſtehn. a 
Der Kaͤfer ſucht durch einen Flug 
Dem Schalk fuͤr immer zu entrinnen, 
Doch fruchtlos wurde ſein Beginnen, 
Weil er ihn wieder abwaͤrts ſchlug. 
Der Kaͤfer ſprach: Man ſollte glauben, 
Du thaͤteſt dieß um deßentwillen 
Mich meiner Freyheit zu berauben. 

Nimm ſie, gereicht dirs nicht zur Schmach; 
Ich frage nicht ſo viel darnach. 
Mein bleibt inzwiſchen doch der Willen. 
Biſt du gleich nunmehr meiner mächtig, 
Iſt doch der Nachruhm nicht gar prächtig, 


Der Fuchs und der Käfer. 


93 


96 Der Aal und deßen Bruder. 


Wenns bey den großen Thieren heißt: 
Der Fuchs kann einen Kaͤfer zwingen, 

Der weder ſchlaͤgt, noch ſtoͤſt, noch beißt. 
Dieß wird dir wenig Ehre bringen. 

Geh, ſprach der Kaͤfer, toller Sieger! 
Geh, wage dich an einen Tieger, 

Und laß mich, haſt du den zerrißen, 

Die That durch einen Boten wiſſen. 

Dann wird man, Fuchs von dir vermelden 
Du ſteheſt in der — der oe 


Der 10 um nns Bruder, 


3 ſeinem Bruder 9 ein Aal: 
Komm Bruder, laß uns auch einmal 
Zum Zeitvertreib mit andern Thieren 
Ein wenig auf dem Land ſpazieren, 
Ich wuͤnſcht' ich koͤnnte gehn und rennen 
Wie ſolches Viergefuͤßte koͤnnen. 

Noch ferner daß ich jemand kennte 2 
Der Aale⸗Schnaͤbel machen inte, 
Das Schnappen wird mir zu gemein, | 
Und Picken foll mir luſtig ſeyn. 1 
Sein Bruder forach, nicht ohne Lachen: 
Was find mir das für Siebenſachen? 
Ich halt es für ein Spottgedicht, 
Kurz, Bruder Aal, du kennſt dich nicht. 


Der Aal und deßen Bruder. 97 


Ich bitte dich doch anzuhören, 

Wie ungebundne Luͤſternheit, 

In einem ſchnellen Wink der Zeit 

Sich kann in Todesangſt verkehren. 

„Die Schnecke haßte jüngft, wie du, 

„ Sich, ihren Wohlſtand und die Ruh, 

„Als, wider ihrer Mutter Rath, 

„ Sie einen albern Weg betrat. 

„ Kaum aber ſchlich fie aus den Hecken, 

„So fühlte fie des Todes Schrecken, 

„ Dieweil der Storch mit langen e eg f 

„Ihr unverſehns entgegen kam. 

„Da half kein Klagen und kein Bitten, 

„Daß er ſie nicht begierig nahm. „ 

Such keine Wolluſt auf dem Land, 

Wo mancher ſchon ſein Ungluͤck fand, 

Der ſonſt im Waßer ſeine Zeit 

In ungeſtoͤrter Froͤlichkeit, 

In ſeinem angenehmen Bette, | 

Dem fanften Schlamm, verſchließen haͤtte. 

Der andre ſagte: Sind die Sachen 

Beſchaffen, wie du mir erzaͤhlt, 

So hatteſt du wobl Fug zu lachen, 

Da ich der Thoren Weg erwaͤhlt. 

Dir dank ich fuͤr den weiſen Rath, 

Der mich fuͤr einer wahren Noth, 

Ja fuͤr dem ſelbſt geſuchten Tod, 

So bruͤderlich beſchirmet hat. 

Die Treue will ich die indeſſen, 

Mein Bruder „ nimmermehr vergeßen. 
Zweyt. Jahrg. V. St, E 


Der ruhmſichtige Bär 


| En auf die Ehr' erpichter Baͤr | 
Saß in dem Schnee bey einem Strauch, 
Und dacht: Ey wuͤßts die Nachwelt auch, 
Wie groß mein Leib geweſen waͤr, 
Ich wuͤrde ſelbſt nach meinem Sterben 
Bey ſolcher Dank und Ruhm erwerben. 
Er ſprach daruͤber ſeine Jungen, 
Und ſagt: Ich ſehe mich gezwungen, 
Daß ich den großen Koͤrper meße, 
Damit ich deſſen ſeltne Groͤße 
Der Nachwelt ſo vor Augen lege, 
Daß fie es deutlich faſſen möge, 
Bald fielen ihm die Jungen bey, 
Und ſchwuren: Ja, bey unſrer Treu, 
Wir ſahen auch ſchon viele Baͤren; 
Jedoch es wird noch lange währen, 
Eh daß in unſrem Koͤnigreiche 
Sich einer dir an Groͤße gleiche. 
Deßwegen ſey darauf befliſſen, 
Daß es die ſpaͤten Enkel wiſſen. 
Der Alte dacht itzt allgemach 
Dem edlen Unternehmen nach, 
Und rief, als ers zuletzt erfunden, 
Indem d. Kinder um ihn ſtunden; 


Der ruhmſichtige Bär. 


Fuͤrwahr, es haben Kunſt und Witz 
In meinem Körper ihren Sitz. 

Stracks leget er ſich in den Schnee, 
Er ſtreckt die Pfoten in die Hoͤh, 

Und heißt die Kleinen auf ihn treten, 
Dann ſagt er: itzo will ich wetten, 

So ficht man Haut, fo ſieht man Haar, 
Zuſammt der Groͤſſe ſonnenklar. 
Kein Fuͤrſt hat noch in ſeinem Schild 
Von einem Baͤr ein ſchoͤners Bild. 

Ein jeder von den Jungen preiſt 
Des alten Bären feinen Geiſt, 
Indem den Abdruck ſie betrachten, 
Und ihn des Urbilds wuͤrdig achten. 

Ein jeder ſpricht: Es iſt gerathen; 
Fuͤrwahr, der Alte hats errathen. 

Sie dachten alle nicht ſo weit, 

Daß dieſes Werk, trutz ſeiner Wuͤrde, 
Trutz aller ſeiner Aehnlichkeit, 

Im naͤchſten Schnee vergehen wuͤrde, 
Der wirklich noch denſelben Tag 

Schon auf des Bären Kunſtſtuͤck lag, 


99 


* 


E. Krebs kroch auf dem trucknen Fe Ä 

Bey einem Sumpf im grünen Gras, 

Woſelbſt ein Froſch am gleichen Strande 

Nebſt andern frohen Quaͤckern ſaß. 
Wie bin ich doch ſo uͤbel dran, 

Sprach er, mein lieber Froſch, ich kann 

U moͤglich durch den Raſen kommen, 

Es hat ein Krampf mich uͤbernommen, 

Daneben tödfet mich die Hitze. 

Komm, ſchleppe mich doch in die Pfütze 

Mein wackrer Froſch, hilf mir aus Noth 

Und rette mich vom nahen Tod; 8 

Hi rzu haſt du ſchon Stärke gnung; 

E laube mir, daß ich ſo lange 

Dir an dein glattes Beinchen hange, 

Bis du durch einen friſchen Sprung 

Mit mir in unſre Pfuͤtze ſpringeſt, 

Und mich zu meinem Volke bringeſt. 

Du mutheſt mir nicht wenig zu, 

Verſetzt der Froſch, biſt heute dn 

Das erſtemal ans Land geſtiegen? 

Wenn Froſchen krank darnieder liegen, 

So rufen ſie nur ihren Bruͤdern, 

Die fie zu retten ſich nicht widern. 

Verzeih es mir, fuͤr meine Haut 


Der betrogne Fuchs. 101 


Mein Krebs, haſt du zu harte Schaͤren, 
Mich duͤnkts, wenn man fie recht beſchaut, 
Als wenn es ſcharfe Klauen waͤren. 
Daneben giebt es noch mehr kleine 
An jedem deiner kleinen Beine. 

Der Handel iſt fuͤr mich zu wichtig, 

Wer weiß, iſt deine Rede richtig? 
Sobald ein Starker Schwachen ſchmeichelt, 
So glaube man nur, daß er heuchelt, 
Und Heuchlern ſoll man niemals trauen, 

Genug mir grauts fuͤr deinen Klauen. 


Der betrogne Fuchs. 
— 
Dar Vögel geäufiche Verderber 
Der auf den Raub erpichte Sperber, 
Der ſtets auf hohen Baͤumen wohnte, 
Fieng ſo viel Voͤgel, als er konnte. 
Der Fuchs, dem dieſes wohlgefiel, 
Sprach: koͤnnt ich, wie der Sperber, fliegen, 
Wie haͤtt ich ein gewuͤnſchtes Spiel, 
Wie wollt ich viele Vögel kriegen; 
Jedoch es iſt mein Wunſch verloren; 
So wuͤnſchen ausgemachte Thoren. 
Er ſah den Marder bald darauf, 
Wie er in ungehemmtem Lauf 


E 3 


102 Der betrogne Fuchs. 


Das Eichhorn auf des Baumes Aſte r 
Im Sprung mit feinen Pfoten faßte. 
Gut, Gut, ſagt er, nun ſeh ich hier 
Selbſt auch ein viergefuͤßtes Thien 
Gantz hurtig auf den Baͤumen ſpringen; ; 
Nicht minder ſoll es mir gelingen, | 
Die Kunſt muß ich mit meinen Ba | 
Auch in der obern Luft probiren. 
Mißlingt die Abſicht des Verſuchs, 
So bleib ich wie vorhin ein Fuchs. 
Er ſtieg ſo bald auf eine Weide, 

Die ganz gebuͤckt gewachſen war; 

Er ſah auf ſolcher einen Staar; 
Ha, Ha, welch eine Schnabelweide! 
Dacht er, und wagte gleich den Sprung ; 
Der ihm abſcheulich wuͤſt mißlung. 

Er fiel, und ſank, und ſchrie: Ey! Ey! 
O ͤ weh! ich hab ein Bein entzwey. * 
So geht es, will man alles koͤnnen; 

Der Staar wird mir es hertzlich goͤnnen. 
Ich laße mir von hohen Bäumen 
Hinfort nicht mehr ſo naͤrriſch traͤumen. 


Der Safe und se 103 


Der Sat und der Käfer. 


E, Haſe kam des Abends aus dem Wald; 

Es ſah der Feige nicht ſo bald 

Den Käfer naͤchſt bey ihm mit fünf bis ſeche 
Ameiſen, 

Doch allzeit fliehend, ſich zerbeißen, 

So ſprach er: Ey was muß ich an dir ſehn, 

Darfſt du denn nicht vor dieſen ſtile ſtehn? 

O du verzagte Memme du! | 

Halt Stand, und ſchlage herzhaft auf fie zu; 

Du kannſt ſie ja mit deinen vielen Waffen 

Nach deinem Wohlgefallen ſtrafen. Ri. 

Der Kaͤfer giebt nichts drum, er doppelt fine 

Schritte | 

Damit er fich des kleinen Feinde entſchütte. 

Er flieht mit wohlbedachter Hurtigkeit, 

Bis er der Räuber ſich befreyt. | 

Und durch die vorgeſetzte Flucht fie uͤberwindet, 

Recht froh, daß er ſich itzt in Sicherheit bee 
findet. 

Kaum das der kluge Käfer ausgeruht, 

Erfuhr er auch des Haſen Heldenmuth, 

Der kuͤrzlich ihn fuͤr einen Zagen hielt, 

Doch itzt die Zagheit bey ſich ſelber fuͤhlt: 

Ein Eichhorn warf ihm was von Graſe 

Von einem Eichbaum auf die Naſe. 

E 4 


104 Der Hafe und der 


D Noth! wie zaghaft floh der Held 
Mit ſchnellen Spruͤngen aus dem Feld. 
Noch hat die Scham mit Furcht vermiſcht 
Zur Flucht ihn ſtaͤrker angefriſcht. 
Drauf rief der Kaͤfer uͤberlaut: b 
Ey, halt, verzagte Haſenhau? 
Wle tief iſt doch dein Heldenmuth gefallen? 
Ja, ja, du biſt der Feigſte von uns allen. 
Der Haſe, wie gepeitſcht von kaltem Schrecken, 
Floh nach den naͤchſt gelegnen Hecken; 
Und als er ſie im Schrecken durchgebort, 
Rief er: Ey, Kaͤfer, noch ein Wort! 
Der kuͤhnſte Held bleibt nicht am gleichen Ort. 


2 * . 
28 KO A 
* — % en | 
Lv. e x 
"ns SG 2 
2 
* S 


e 105 


Ueber die A 
RNothwendigkeit 
n Geiſt eben fo ſorgfaͤltig „als den 


Körper, zu kleiden. 


Aus dem Engliſchen. | 


Ein gute Gemuͤthsart iſt für die Seele eben das 
was die Schönheit für den Körper iſt, und ein 
gefaͤlliges Betragen erweckt uns bey andern Leu⸗ 
ten Liebe und Hochachtung, ſo, wie eine ſchoͤne 
Geſtalt uns der Gewogenheit des fi choͤnen Geſchlechts 
empfiehlt. Es iſt gewiß, daß man einen kleinen 
Fehler in der Bildung eher uͤberſieht, als das 
wunderliche in der Gemuͤthsart, und wir haben 
einen weit laͤngern und groͤßern Widerwillen ge⸗ 
gen eine muͤrriſche Unhoͤflichkeit in den Sitten, 
als gegen einen Puckel oder ein paar krumme Bei⸗ 
ne. Was wir gute Auffuͤhrung nennen, iſt in 
der That eine fo liebens wuͤrdige Eigenſchaft, daß 
ein jeder gern den Schein haben will, ſie zu be⸗ 
ſitzen, und ſelbſt das Frauenzimmer wuͤrde es 
eben ſo uͤbel aufnehmen, wenn man ihm eine 
ſchlechte Gemuͤthsart Schuld gäbe, als wenn man 
ſeine Bildung tadelt. 17 koͤmmt es, daß die 
5 


106 Uuoeber die 1 


ungluͤcklichen bejahrten Maͤgdchen, die man ins⸗ 
gemein alte Jungfern nennt, ſich dieſe Beſchul | 
digungen beyde zugezogen haben, und daß man 
ihnen zur Laſt legt, fie waren haͤßlich und boͤs⸗ 
artig. | 
Einige Leute find mit einem guten Hertzen und 
einer Anlage zur guten Auffuͤhrung geboren; 
dieſe glücklichen Perſonen find in ſich ruhig, und 
allen, die um ſie ſind, angenehm. Sie ſind, ſo 
zu reden, von Natur und nothwendig gefaͤllig, 
und es iſt eben fo unmoͤglich, daß ſie im Umgan⸗ | 
ge nicht gefprächig und einnehmend ſeyn ſollten, 
als es unmöglich iſt, daß ein Hamilton und Ce- 
ventry anders als ſchoͤn und reizend ſchreiben koͤn⸗ ! 
nen. Doch ſelbſt dieſe, welche von Natur zum 
Umgange gemacht ſind, haben die Pflicht, dieſe 
Gabe nicht zu verderben oder zu mißbrauchen. Sie 
muͤſſen ſich nicht gar zu gewiß auf ihre angeborne 
Annehmſichkeit verlaßen; denn wir ſollten einen 
Mann, der ſich gar keine Muͤhe giebt zu gefallen, 
nicht anders anſehen, als wir eine Schöne vereh⸗ 
ren wurden, die in einem unordentlichen und nach⸗ 
laͤßigen Aufzuge erſcheinet. Eben fo wenig muͤ. 
gen fie auf der andern Seite ihr gutes natuͤrliches 
Weſen in einer Menge Complimente und uͤber⸗ 
mäßiger Höflichkeit ausſchweifen laßen denn eine 
gefaͤllige Aufführung wird eben fo oft durch dieſe 
beſchwerliche Feinheit verdorben, als ein ſchoͤner 
Wuchs durch Schnuͤrbruͤſte in ſchreckliche Kruͤm⸗ 


Nothwendigkeit 7c. 107 


E mungen gepreßt, und eine ſchoͤne Geſichtsfarbe 
durch Schminke voͤllig verdorben wird. 
Wenn aber dieſe Aufmerkſamkeit ſelbſt den we⸗ 
nigen noͤthig iſt, die mit einer angebornen Ars 
tigkeit begluͤckt ſind, wie viel nothwendiger iſt es 
denn nicht für den groͤßten Theil des menſchlichen 
Geſchlechts, daran zu arbeiten, daß man das Un⸗ 
regelmaͤßige in ſeiner Auffuͤhrung verbeſſere? Zu 
dieſem Endzwecke wuͤrde es völlig hinreichend ſeyn, 
wenn man nur halb die Kunſt anwendete, ſeine 
Seele auszubilden, die man fäglich auf feinen 
Leib verwendet. Um dieſen recht gefällig zu ma⸗ 
chen, nimmt man nicht nur weiblichen Putz, 
Schminke und wohlriechende Waſſer, geſtickte 
Kleider und franzoͤſiſche Peruquen zu Hulfe, ſon⸗ 
dern dieſe Aengſtlichkeit, jeden perfünlichen Feh⸗ 
ler zu entfernen, hat die Kuͤnſtler fo erfindſam 
und aͤmſig gemacht, daß nun kaum noch irgend 
ein aͤußerer Fehler iſt, den man nicht wegſchaf⸗ 
fen oder verbergen kann. Die Natur mag noch 
ſo unfreundlich gegen uns geweſen ſeyn, ſo kann 
man doch durch dergleichen Mittel ein Modell wer⸗ 
den, das ein Bildhauer oder ein Maler ſtudiren 
kann. Iſt man um einen Zoll zu kurtz, ſo kann 
unſer Schuſter dem Mangel abhelfen, und unſer 
Strumpfwirker kann uns ein paar Waden ſchaffen, 
die einen Irrlaͤnder beſchaͤmen koͤnnen. Ein Feh⸗ 
ler im Wuchs kann durch unſern Schneider un⸗ 
ſichtbar gemacht werden, und wenn der nicht hel— 
fen kann, ſo finden 1 gewiß noch ſinnreichere 
6 


108 Ueber die 9 


Kaͤnſtler. Man iſt es auch ſchon gewohnt keine 
Schmerzen zu achten, wenn man ſeine Bildung 
dadurch verſchoͤnern kann. Ich kenne einen Mann, 
der ſein Bein zum zweytenmale zerbrechen ließ, 
weil es ſchief war angeſetzt worden, und ich be⸗ 
ſinne mich auf ein Frauenzimmer, welches an el 4 
nem Krebs in der Bruſt ſtarb, der von zuruͤcktreiben⸗ 
den Pflaſtern entſtanden war, wodurch ſie ihre 1 
Milch hatte zuruͤckhalten wollen, damit ihr fchös 
ner Hals nicht dabey leiden möchte. Ich wuͤnſchte 
herzlich, daß man zur Verbeßerung der Gemuͤths⸗ 
art eine gleiche Entſchloßenheit haͤtte. Cicero 
ſagt, ſie werde durch jede heftiche Unruhe des Leis 
bes oder Seele verdorben. Es iſt zu bedauren, 
daß die Menſchen ſich nicht fuͤr dieſe Meynung er⸗ 
klaͤren wollen; ſonſt wuͤrden fie doch wohl keine 
Muͤhe ſparen, ihre Gemuͤther zu verbeßern, 
wenn es zur Verſchoͤnerung ihres Körpers diente. 
Und doch iſt es gewiß, daß ein Mann mit einem 
leeren Kopfe eine ſchlechtere Figur macht, als mit 
einer ungepuderten Peruque; und daß Einſicht ei⸗ 4 
ne größte Zierde für das Haupt iſt, als ein Haar: 
beutel, oder ein ſchoͤn aufgeſtutzter Hut; daß 
Verdruß und Unfreundlichkeit die Augen roth und 
haͤßlich macht, und ein freyes Herz hingegen, ſie 
mit Laͤcheln aufheitert, und jeden Geſtchtszug 
einnehmend und angenehm macht. | 
Wir wollen es immer nicht glauben, daß uns 
dieſe zumUmgange noͤthige Geſinnung fehlt, und hie: 
rinn liegt der Grund, daß wir uns fo wenig Mi, 


7 


Nothwendigkeit & 109 


he geben, ſie zu erlangen und zur Vollkommen⸗ 
heit zu bringen. Koͤnnte man ſich nur einmal 
von einer Unordnung in ſeiner Gemuͤthsart uͤber⸗ 
zeugen, ſo wuͤrde man finden, daß die Fehler des 
Gemuͤths leichter zu aͤndern und zu beßern ſind, 
als die Fehler und Haͤßlichkeiten des Koͤrpers; 
aber ein jeder iſt leider! nach ſeinen Gedanken 
umgaͤnglich und aufgeräumt genug. Es iſt zwar 
möglich, uns zu überzeugen, daß wir uͤbel ausſe⸗ 
hen, oder uns ſchlecht tragen, und wir ſuchen 
dieß durch Waſchwaßer und einen Tantzmeiſter zu 
verbeßern; klagt man aber die Gemuͤthsart an, 
ſo verleitet uns Eigenduͤnkel, die ſchaͤdlichſte 
Art der Schmeicheley zu der Meynung, daß der 
Fehler nicht in unſrer eigenen, ſondern in der Ge⸗ 
muͤthsart unſrer Nebenbuͤrger liege; ſo wie die 
unſinnigen Leute in Morrfields glauben, daß al⸗ 
le, die ſie beſuchen, unſinnig ſind. 

Dieſe thoͤrichte Schmeicheley laͤßt uns glauben, 
wir ſeyn im Guten unbeweglich, da wir doch wirk⸗ 
lich im Böfen hartnaͤckig ind, und macht uns un⸗ 
geſchickt, im Umgange ſelbſt ein wahres Vergnuͤ⸗ 

gen zu gewinnen, oder es andern zu verſchaffen. 
Ein Eigenſmniger klagt über die Unbeſtaͤndigkeit 
ſeiner Bekannten; und giebt ihnen immer Eigen⸗ 

ſinn und Hartnaͤckigkeit Schuld. Ein Wolluͤſt⸗ 
ling ſchillt den andern fuͤr einen Sonderling/ der ein 
Noͤſſelglaß ausſchlaͤgt, und ſieht den als einen 
ſchleichenden und ſchlechten Menſchen an, der nicht 
an ſeinen wilden Streichen Theil nehmen will, 

E 7 


110 Ueber die 


und nicht Luft hat, die ganze Nacht bey den Di | 
ſchern zu liegen. Der unbiegfame Grillenfaͤngee 
kann keinen von denen leiden, die um ihn find, 
und glaubt, er ſey der beleidigte Theil. Er klagt, 
daß keine Harmonie im Umgange ſey, ob er gleich 
ſelbſt der einzige iſt, der aus dem Tone koͤmmt. 
Es iſt freylich wahr, das Auge ſieht ſich ſelbſt 
nicht, wenn man aber dieſe blinde Partheylichkeit 
ſo weit treibt, daß man denjenigen die Thorheit 
Schuld giebt, welche uns dieſelbe merken laſſen, 
ſo iſt dieß gewiß ſo abgeſchmackt, als wenn man 
glauben wollte, die Haſenſcharten oder Rubinen⸗ 
naſe, die einer im Spiegel ſieht, gehoͤre zu der 
Figur im Spiegel, und nicht zu ſeinem eignen 
Geſichte. 

Vollkommenheit darf man eben ſo wenig in den 
Seelen, als an den Körpern der Menfchen er⸗ 
warten; natuͤrliche Fehler und Gebrechen muß 
man an beyden uͤberſehen und entſchuldigen. Man 
ſollte aber auch auf beyde gleich aufmerkſam ſeyn, 
ſich nicht aͤngſtlich bemuͤhn, den Körper zu kleiden, 
und zu gleicher Zeit die Seele nackt gehen laßen. 
Man folite eben fo aͤmſig drauf ſeyn, ſich Eins 
ſicht und Tugend zu erwerben, alß Treßen und 
Sammet zu tragen, und wenn nun unfre Gemüs 
ther vollkommen bekleidet waͤren, dann ſollten 
wir dahin ſehen, daß gute Lebensart und Ge⸗ 
faͤlligkeit das Ganze belebten und regierten, denn 
dieſe wird eben die Anmuth über unſre Tugenden 
und gute Eigenſchaften verbreiten, welche gute 


Nothwendigkeit. c“. 111 


Kleider erhalten, wenn fie den Modeſchnitt haben. 
Um dieſe guten Eigenſchaften zu erhalten, ſollten 
wir uns ſelbſt unpartheyiſch prüfen, uns nicht ſelbſt 
zu Richtern aufwerfen, noch alle uͤbrige Menſchen 
als Schuldige anſehen. Würde es nicht hoͤchſt 

laͤcherlich ſeyn, wenn eine Perſon vom Stande 
bey Hofe mit einer altvaͤtriſchen Krauſe, Man⸗ 


tel und Plunderhoſen gehen, und wenn er ſo an⸗ 


gezogen kaͤme, alle uͤbrigen Leute beſchuldigen 
wollte, ſie giengen nicht nach der Mode? 


112 Die Katze und die Beydeche 


Die K Katze und de Hendechs 5 


— 


D.. Katze war es einſt gelungen, 
| Daß fie für ihre liebe Jungen 

Im Garten eine Heydechs fieng, 
Mit welcher ſie nach Hauſe gieng. 

Es ſprach die Heydechs unterwegen: 
Ach Katze, was haſt du im Sinn, 
Sprich doch, wo willſt du mit mir hin? 

Der Katze Rede war dagegen: ; 
Komm du, und komm nur ungezwungen. 
Du mußt mit meinen ſchoͤnen Pflanzen, 
Mit meinen herzgeliebten Jungen, i 
Zum Zeitvertreib ein wenig tanzen. | 
Die Heydechs ſprach: das kann ich . 
Ich bin hierauf nicht abgericht. 
Die Katze trug ſie immer fort, = 
Und ſagte: ſchweige, rede dort BI 
Wenn du bey meinen Jungen biſt. 
Sey ſicher daß dich keines frißt. 

Kaum aber ſetzt fie ſolche nieder, 
So ſpringt ein Kaͤtzchen auf ſie loß, 
Und giebt ihr einen harten Stoß! N 
Und quetſchet Fleiſch und Haut und Glieder; 
Bald wieder fuͤhlte ſie mit Grauen 
Des andern ſcharfgewetzte Klauen; 


Die Zeit und die Raupe. 113 


Und dort henkt bey dem ecklen Tanz 
Ein drittes ihr an ihrem Schwanz, 
Bis er in manches Suͤck zerfiel. 
Sie ſchrie: D unbarmhertzigs Spiel ! 
Bey ſolchem Tanz verliert man Glieder! 
Ach, gieb mir meine Freyheit wieder! 
Die Freyheit! ſprach die Katze drauf; 
Ich nahm dich ja ſo zaͤrtlich auf, | 
Und ſchuͤtzte dich noch für den Feinden, 
Und waͤr es nur fuͤr jenen dreyen: 
Dem Rittelgeyer, Storch und Weyhen; ö 
Wie ſpoͤttiſch dankſt du deinen Freunden! 
Die Heydechs ſprach: dergleichen Freunde 
Sind graͤulicher als alle Feinde; 
Denn dieſe toͤdten in der Eile; 
Und ihr mit peinlich langer Weile. 


Die Zeit und 


u nn. — 
* — 


die Raupe. 


| Fur Raupe ſprach die ſchnelle Zeit: 

Du mußt hinfuͤr nur ſchlafend leben, 
Und dich des Raupenſtands begeben. 
Das heißt dich die Vergaͤnglichkeit. 

Was nennſt du, ſprach die Raupe drauf; 

Im Schlafe leben, ſonder eßen? 
Ich wuͤrde bald den Schlaf vergeßen, 
Befördert ich des Lebens Lauf 


114 Die Zeit und die Raupe. 


Nicht täglich mit gewohnten Sen. 
Die Zeit erwiederte dagegen: 
Du kannſt die Furcht bey Seite legen, 
Du wirſt dieß Schlafen nicht bereuen, 
Ein beßrer Stand wird dich erfreuen; 
Ein Wunder, daß ich mehr geſehn, 
Wird, weil du ſchlaͤfſt mit dir geſchehn. 
Du wirſt ohn einzige Beſchwerden 
Zum erſten eine Puppe werden, 
Hernach ein bunter Schmetterling. 
Halt meine Rede nicht gering, 
Koͤmmt dieſe Art Verwandlung dir 
Gleich itzt noch unbegreiflich für. 
Die Raupe ſchickte ſich darein, 
Sie ſagte: kanns nicht anders ſeyn, 
So will ich mich nicht laͤnger ſaͤumen, 
Ob mir es gleich am Sehen fehlt; 
Bin ic zum Schlafen auserwählt, 
So moͤge mir was ſuͤßes traͤumen. 
Drauf huͤllte fie ſich ſchleunig ein, 
Als fänfe fie ins Grab hinein; 
Darinnen ward ſie, ohn' ihr Wißen, 
Dem erſten Stande bald entrißen. 
Bald kroch der Schmetterling hervor, 
Und ſtieg auf einen Aſt empor. 
Er ſchwinget ſeine bunten Fluͤgel, 
Er ſieht auf ſolchen goͤldne Spiegel, 
Mit Purpur um den Rand geſchmuͤckt; 
Hier Silber, auf dem Sammt geſtickt, 


— 


Dier Feigenbaum. c. 115 


Dort roſenroth und veilchenbraun, 
Bedeckt mit gelbem Staub von Gold. 
Er konnte ſich nicht gnug beſchaun; 
Er ward ſich endlich ſelber hold. 
Beſeelet von der Sonnen Stral 
Erhebet er ſich in den Saal | 
Der fließenden unfichtbarn Luft; 
Er ſchwingt das praͤchtige Gefieder. 
Dann laͤßt er ſich im Garten nieder, 
Den licht gefärbte Blumen malen. 
Er trinket bier aus goldnen Schalen 
In einer Tulpe weichen Schoos, 
Worinn ein ſuͤßer Honig floft. 
Dann ſetzt er ſich auf Silberlilien; 
Er wechſelt Roſen mit Jonquilien; 
Er fliegt von Nelken zu Jeßminen, 
Und jetzo ſcherzet er im Gruͤnen. BEN 
O Goͤtter, ſprach er, welche Luſt! 
Wovon die Raupe nichts gewußt. 


Der Feigenbaum und die andern 
un Quitten⸗Birn⸗ und Aepfelbaͤumen 
Sprach ein noch junger Feigenbaum: 


Wie goͤnnt der Menſch euch ſo viel Raum? 
Man ſollt euch aus dem Wege raͤumen. 


116 Der Feigenbaum ꝛc. * 


Denn ſauer ſeyd ihr insgeſammt, N 
Wie ihr von ſauren Aeltern ſtammt. . 
Nur meine Frucht allein iſt ſuͤß 
Und jeder der noch in ſie biß, 
Der rief, fo bald er fie verſucht: f 
Ey, welche honigſuͤße Frucht! 1 
Koͤnnt ich nur von der Stelle gehen; | 
Ich f ſchaͤme mich bey euch zu ſtehen. 

Sie ſagten zu dem Feigenbaum: 
Wir alle geben, was wir koͤnnen; 
Und goͤnnt der Gaͤrtner uns den Raum, : 
Warum willſt du uns den mißgönnen? 
Weil er bisher uns ſtehen ließ, | 
So ſcheints, daß ihm für uns nichts ſchaure. 
Du ſchmeckſt ihm etwann allzu ſuͤß, | 
Und dann erwaͤhlt er ſich das Saure, 
Den Naͤchſten, fo wie du, verſchmaͤhn, 
Das heißt ſich all zu ſehr vergehn. 
Und wuͤßteſt du des Gaͤrtners Sinnen, 1 
So wuͤrdeſt du es anderſt faſſen; Rd 
Du wuͤrdeſt uns, ſtatt, uns zu ben, 
Noch heute herzlich liebgevinnen. a 
Denn waͤrſt du Feigenbaum, allen, 
So koͤnnt es wohl nicht anders ſeyn, 
Es waͤre deiner Fruͤchte Saft 
Dem Gaͤrtner aͤußerſt eckelhaft. 
Nothwendig muͤßt es ihn verdruͤßen, 
Kaͤmſt du ihm immerdar mit Suͤßen. 
Er wuͤrd' einſt uͤber dich ergrimmen, 
Und dich im Zorn zum Brand beſtimmen. 


Der air Pier. 
— ͥ 


Ein Haͤher ſah ſobald nicht einen Fuchſen, 

So ſetzt er ſchon fein Wald geſchrey n } 

Und fieng auf einer Fichten an 

Gleich einem zahmen Huhn zu gluchzen. 

Gut, dacht der Fuchs, giebts hier von die⸗ 
ſem Vieh, 

So ſpart es mir, ins Dorf zu gehn die Muͤh. 

Er ſchlich ſobald nach dieſem Dit 

Jedoch mit leiſen Schritten fort, 

Um dieſen leckern Fang zu nuͤtzen. 

Er ſchlich, und ſah zu ſeiner größten Schmach 

Nur einen loſen Haͤher ſitzen. 

zudem er voller Hohn und Unmuth ſprach: | 

Berfluchtes Maul, das mich fo wuͤſt betrog! 

Worauf der Häher weiter flog, 

Und in dem Dorf die Henne ſchreckte; 

Sie hielt den Haͤher an dem Schreyen, 

Fuͤr ihren Feind den boͤſen Weyen, 

o, daß fie gieich die Jungen ſorgſam deckte. 

Doch uͤber eine kurze Weile 

Sauchzt er nach Art der frohen Eule. 

Die Voͤgel ſaßen bald zu Scharen um ihn her, 

Er band mit jedem an, und jedes ſpottet er. 

Von ſolchen gab ihm einer dieſe Lehre, 
Er ſprach: Mein ausgelaßner Haͤher hoͤre: 


118 Die Warnung des Gürmers 


Spotten thut nicht ya — 
Um den Schimpf zu e e 10 
Muß oft eignes Blut, AR | 
Bon dem Spötter fließen. — 


Bald kam ein Jaͤger in den Wald; er 
Der Haͤher ſah ihn nicht fo bald, 5 a 
So drehet er ihm eine Rafe, 9 
Er ſchrie itzt, wie ein junger Haſe. 4 
Der Jager ſtund zwar ſtill, doch merket er den 

Poßen, | | 
Und wird darüber ganz verdroßen; 34 
In Unmutb faßt er den Wein 4 | 


Der Haͤher ſchrie 161 in der * — f 
Da er vom Baume fiel, und Hals u und Kopf zer 
bracht 


Die Warnung des Gaͤrtners 
an ſeine Blumen. 1 


N ach einem ſehnlich langen Warten 

Auf neue Pflanzen in dem Garten 

Drang endlich durch des Winters Nacht, 

Doch allgemach, des Lenzens holde Pracht. 
Die Blumen aͤchzten vor Verlangen 

Die Lebenswaͤrme zu empfangen, 


an ſeine Blumen. 119 


Und eilten ſaͤmmtlich um die Wette, 
Ber unter ihnen ſich, zuerſt verſchoͤnert haͤtte. 
Der Gaͤrtner gab itzt fleißig acht, 
Er war auf jede gleich bedacht. 
Doch bey dem unbedachten Eilen 
Fand er fuͤr gut, nach ſeiner Gaͤrtner Pflicht, — 
Den Blumen ſeinen Unterricht 
N n allen Treuen mitzutheilen. 
Er ſprach: Ihr Blumen eilet nicht, 
Scheint gleich der Sonne helles Licht, 
So duͤrft es ſich doch bald verdecken, 
nd Morgens euch der rauhe Nord erſchrecken; 
Seyd, doch, ich bitt euch, nicht ſo kuͤhn, 
Steigt noch nicht auf die Stengel hin, 
ie ſind noch nicht genug verwahrt, 
ie ſind fuͤr Stuͤrme noch zu zart 
ſt doch der ſchoͤne Lenz nicht mehr ſo weit, 
So wartet noch bis zur bequemen Zeit. 
Es gaben viele kein Gehoͤre 
Auf ihres treuen Gaͤrtners Lehre. 
Sie fuhren fort nach ihren Lüften 
Sich vor den andern auſzubeuͤſten. 
Bald aber kam des Nordwinds Blaſen 
Mit außerordentlichem Raſen, 
Ind trieb ſie wuͤtend hin und wieder 
nd warf die ſtolzen Bluͤmchen nieder. 
Anjetzt bereuten ſie zu ſpaͤt, 
Daß ſie des Gaͤrtners Rath verſchmaͤht. 
Die andern, die ſich ließen leiten, 
nd ſich nunmehr des Wohlſtands innig freuten, 


120 Die Warnung des Orters * 


Erhoben ſich, doch nach und un: | 1 
Und wuchſen, jedoch allgemach; | & 
Und endlich ward ihr bunter Flor fo ſchön 5 
Daß man ihn ſchwerlich praͤchtiger geſehn. 1 
Sie wurden durch der Farben Glaͤnzen 3 
Zur Zierde dieſes neuen Lenzen. | 9 


Es war ihr Fruͤhling recht begluͤckt, 1 
Und voller Anmuth um und um geſchmuͤckt. 
Es ſchien, als wollte durch die Stralen 
Die Sonne ſie mit voller Kunſt bemalen. a 
Man ſah davon bey tauſend Wunderſpuren 
In ſeltſam ausgekuͤnſtelten Figuren ‚ | 
So die Natur in reiner Pracht | 
Durch göttlich eingeprägten Fleiß n 

Und von ſo vielen Wunderſpielen 

Mußt alles lauter Wolluſt fuͤhlen. 
Bey dieſer Art Geſchoͤpfe war noch nie | 
Solch eine ſuͤß empfundne Harmonie. | | 


& 
* 


Der 


a on zer 


PR ungefähr in dem Gehaͤge 
Ein Gärtner einen Wildfang fand, > 
Nahm er bald Meßer, Keil und Säge 
Sammt Baſt und Wachs und Moos, zur Hand; 
Und faßt den Wildfang unverzoͤglich! 
Er ſprach: du ſollſt, ſo bald es moͤglich, 
Wofern mir Schnitt und Hieb gelingen, 
Gantz wunderſchoͤne Fruͤchte bringen. 
Der Wildfang ſprach: willſt du mir Schwachen 
Ein fruͤhezeitigs Ende machen? | 
Du kannſt es wohl noch mehr verſchieben; 
Mir graut es noch für Schnitt und Hieben, 
Nach Anſehn hab ich kein Verlangen; 
Bisher iſts mir noch wohl ergangen; 
Den Wohlſtand ſueh ich nicht zu beſſern, 
Ich werde mich von ſelbſt vergroͤßern. 
Der Gaͤrtner ſprach: du weißt noch nicht 
Der gut gepfropften Baͤume Tugend, 
Und folglich nicht, was dir gebricht; 
Das thut der Unverſtand der Jugend. 
Dieß mal weiß ich fuͤr dich nichts beßers 
Als eine Stuͤmmlung deiner Große 
Als meiner ſcharfen Saͤge Stoͤße, 
Und als die Schnitte meines Meßers. 
Zweyter Jahrgang V. St. 8 


X 


3 


122 Der Gärtner und der fung. 


Ein Zweig hilft deiner wilden Act, * = 
Duͤnkt gleich der Handgriff dich zu hat. 
Bald that der Gartner, was er fagte, De 


Db ſich das Baͤumchen gleich beklagte. 
Rach wenig Jahren kam er wieder, 
Und ſaß bey dieſem Baͤumchen nieder. 3 
Er ſprach: Wie biſt du ſchon fo groß; f 

Dir fehlet weder Laub noch Schoß. 8 

Noch mehr, mir ſcheinen deine Fruͤchte 
Mit voller Anmuth ins Geſichte. 

Das Baͤumchen ſprach: nun darf ich mich 
Nebſt deinen Liebſten ſehen laßen; 

Ich dank es dir hertzinniglich; | 
Was waͤr ich, haͤttſt du meinem Willen, 
Der Frucht von meinen eitlen Grillen, 
Mich jungen Wilden uͤberlaßen! 


Fa 
= 


if 


* N; N 5 W 
ee e e e 


17 
ln m 


‚2 I 


| Ne; Drpheus BEN feine Saiten 
Zu bangen Trauerliedern ruͤhrte, 
RMief Scho mit gebrochner Stimme: 
Euridice! | 


| Dies Wort ae die krummen Tha ler, 
| Die Weſte raufchten in den Boͤſcher,, 

| Mit zärtlich ſeufzendem “RR - 
Euridice! | 


| Noch toͤnt im n Teaelügen Gefilde, 
Noch hoͤrt man an den hohen Ufern 
In hellgeſtirnten ſtillen . : 


| Euridice! 4 


Und koͤnnt ich auch wie Natel ſpielen, 
nd riße dich, o meine Doris, 

Das unerbittliche . 

Aus meinem Arm: 


& könnt ich doch dem Wiederhalle 
Nicht deinen ſuͤßen Namen fingen ; 
Nein, die von Thraͤnen naße Saiten 
Extoͤnten nicht. 


F 2 


124 Orpheus. 


Ich wuͤrd an deiner Seit erkalten; 
Dich kuͤßend wuͤrd' ich eilend ſterben, 
Und aus dem mir verhaßten Körper 
Mit Freuden fliehn. 


Hielt aber eine ſtrenge Gottheit i 
Zur harten Strafe mich zuruͤcke: 

So braͤcht' ich die verhaßten Tage. 
Stillſchweigend hin. 


Bey welken, abgehaͤrmten Wangen, 
Bey muͤden, wund gerungnen Haͤnden, 
Bey Seufzern und ſchlafloſen Naͤchten 
Würd’ ich einſt alt. 


Wenn der erweichte Todesengel 

Mich denn durch feinen Schlag befreyte, 
So wuͤrd' ich in dem naͤchſten * 
Zur Nachtigall. 


Ihr die ihr dann in fruͤben Lenzen, 5 
In friſch belaubten Hainen irret, 

Und in den ſchattenreichen Tbilan 
Vertraulich ac . 


Wenn denn in Volf der Nachtigallen 
Ein Vogel girrt, und langer ſchlaͤget, 
Als die wetteifernden Schwach 
Dann bort ihr mich. 


a a Ar 


Das Privatleben 
des M. Poreius Cato, des Altern. 


M. Porcius Cato, der ungefähr zwey hun⸗ 
dert Jahr vor Chriſti Geburt in Rom beruͤhmt 
war, ſchwung ſich von einem Sachwalter und 
Redner bis zu den hoͤchſten Bedienungen in der 
Republik empor. Seine großen Eigenſchaften 
zur Verwaltung des Staats konnten nicht lange 
verborgen bleiben. Durch ſeine bewieſene Ta⸗ 
pferkeit in den Feldzuͤgen, denen er von ſeinem 
ſiebenzehnten Jahre beywohnte, bahnte er ſich den 
Weg zu den anſehnlichſten Ehrenſtellen. Er wur⸗ 
de erſtlich Kriegsobriſter, hernach Quaͤſtor, hier⸗ 
auf Conſul, und endlich Cenſor. Dieſe letzte 
Wuͤrde war, wie plutarch ſagt, auf gewiſſe 
Weiſe der Gipfel aller Ehrenaͤmter, und die 
Vollendung aller Ehrenſtellen, die einer im Staa⸗ 
te nur erlangen konnte. Sie war mit großer 
„Gewalt verſehen, und hatte die Aufſicht über 

den Lebenswandel und die Sitten der Buͤrger. 
Ich will nichts von den offentlichen Geſchaͤff⸗ 
ten, von den Kriegsthaten, von den Felozuͤgen, 
die er als Soldat oder als Heerfuͤhrer gethan, 
nichts von ſeinem gefuͤhrten Conſulat, von ſeinem 
gehaltnen Triumph anmerken. Wenn ich lerne, 
was war dieſer Feldherr, dieſer Conſul, dieſer 
ſtrenge Richtet der Sitten Roms, in ſeinem 
8 3 


126 Das Privatleben 


Haufe ? Dies wird für mich den größten Nuten 
haben. 


ſeliger Ehgemahl und ein guter Wirth. Seine 
Gemahlinn, mit welcher er ſich ver heirathet hats 


te, war mehr von vornehmer Herkunft, als 
von großem Vermoͤgen, weil er glaubte, daß 


Cato war ein rechtſchaffner Vater, ein leut⸗ 


. \ 
1 


von zwoen Frauen, welche einerley Stolz und 


Uebermuth beſaͤßen, die aus hohem Stande ſich 
mehr vor ſchaͤndlichen Dingen ſcheue, und ihrem 


Manne in loͤblichen Dingen deſto unterthaͤniger 4 


ſey. Er ſagte oft, daß diejenigen, welche ihre 
Weiber oder ihre Kinder ſchluͤgen, ihre Haͤnde 
an die größten Helligtbuͤmer legten, und daß er 
einen rechtſchaffenen Ehemann weit hoͤher, als 
einen großen Rathsherrn hielte. Und am So⸗ 
krates bewunderte er nichts fo ſehr, als die 
Sanftmuth, welche er gegen feine böfe Frau bes 
wieſen. 

Cato ließ ſich bey der Niederkunft ſeiner Ge⸗ 


mahlinn, auch nicht durch die noͤthigſten Ge⸗ 
ſchaͤffte, die öffentlichen Angelegenheiten ausge ⸗ 
nommen, abhalten, daß er nicht zugegen gewe⸗ 


ſen waͤre, wenn das Kind gebadet und eingewi⸗ 
ckelt wurde. Seine Gemahlinn ſtillte ihr Kind 
felbft, ja auch oͤfters die Kinder feiner Knechte, 


und floͤßte bieſen mit der Milch eine Liebe gegen 
ihren Sohn ein. Er nahm ſich auch ſelbſt, ſo 


bald ſein Sohn zu Verſtande kam, die Muͤhe, 
und führte ihn zum Leſen an, ob er gleich unter 


. 


des M. Por. Cato. 127 


ſeinen Knechten einen geſchickten Sprachlehrer, 
Namens Chilo hatte, welcher andre Kinder un⸗ 
terrichtete. Denn er wollte nicht haben, wie er 
ſelbſt ſagte, daß ein Knecht ſeinen Sohn, wenn 
er nicht fleißig genug lernte, ſchimpfen, oder bey 
den Ohren ziehen, noch dem Knechte wegen ſol⸗ 
cher Unterweiſung verbunden ſeyn ſollte. Er gab 
ſelbſt bey ſeinem Sohne einen Grammatik 

Rechtslehrer und Fechtmeiſter ab, und uͤbte i 

nicht nur im Spieß werfen, Fechten, Reiten, 
Ringen, ſondern gewoͤhnte ihn auch Hitze und 
Froſt zu ertragen, und uͤber gewaltige und rei⸗ 
gende Stroͤme zu ſchwimmen. Er ſchrieb viele 
Hiſtorien mit eigner Hand und groben Buchſta⸗ 
ben ab, damit ſein Sohn auch in ſeines Vaters 
Hauſe Gelegenheit haben moͤchte, ſich die alten 
Geſchichte und Gebraͤuche ſeines Vaterlandes be⸗ 
kannt zu machen. Er trug vor ſeinem Sohne 
wie vor den heiligen Veſtalen ſo viel Scheu, daß 
er in ſeiner Gegenwart kein einziges ſchaͤndliches 
Wort redete, auch ſich nicht einmal mit ihm ba⸗ 
dete. Den Manilius ſtieß er aus dem Rathe, 
weil er ſeine Gemahlinn am Tage und im Bey⸗ 


ſeyn feiner Tochter geküßt hatte. Bey dieſer Ges 
legenheit ſoll er ſich haben vernehmen laſſen, daß 
ihn ſeine Gemahlinn nie, als bey großem Don⸗ 


nerwetter umarmt haͤtte. Daher er auch im 
Scherz zu ſagen pflegte: Ich bin nicht eher gluͤck⸗ 


. als bis Jupiter donnert. Er bemuͤhte ſich 


4 


128 Das Privatleben 


aus ſeinem Sohne einen vollkommnen Menſchen zu 
machen, und ihn zur Tugend anzufuͤhren. 
Er hatte eine Menge Knechte, und kaufte ſich 
viele von den Kriegsgefangnen, vornehmlich ſol⸗ 
che, die noch jung waren Zucht und Unterwei⸗ 
ſung anzunehmen, und wie junge Hunde und 
Pferde noch konnten abgerichtet werden. Keiner 
von ſeinen Knechten gieng in ein fremdes Haus, 
er mußte vom Cato oder ſeiner Gemahlinn da⸗ 
hin geſchickt worden ſeyn. Er hatte ſie alle ſo 
gewoͤhnt, daß ſie, wenn jemand fragte, was 
Cato machte, keine andre Antwort gaben, als 
dieſe: Sie wuͤßten es nicht. Sie mußten zu 
Hauſe entweder arbeiten, oder ſchlafen, weil er 
gern ſolche Knechte hatte, die zu rechter Zeit 
ſchliefen, und glaubte, daß die, welche aus⸗ 
ſchliefen und durch den Schlaf fi fich erquickten, beſ⸗ 
ſer regiert, und zur noͤthigen Arbeit koͤnnten ge⸗ 
braucht werden, als andre, welche ſich durch 
das Wachen abmatteten. Er unterhielt beſtaͤn⸗ 
dig auf eine liſtige Art zwiſchen ſeinen Knechten 
Streit und Uneinigkeit, und glaubte, daß (ch 
Eintracht und Vertraulichkeit ſchaͤdlich wäre, 
Er ſtrebte mit großem Eifer nach Vermoͤgen 
und Reichthum, alſo, daß er allenthalben zu 
gewinnen ſuchte, und mit ſeinem Gelde einen 
beruͤchtigten Wucher zur See trieb, ob er gleich ; 
von Jugend an gelernt hatte, mäßig zu leben, 
und mit wenigem zufrieden zu ſen. Er hatte 
ſich von Jugend an den beruͤhmten Curius zum 


des M. Por. Cato. 129 


Muſter vorgeſtellt, deſſen Landgut nicht weit vom 
Landhauſe des Cato lag und ihn beſtaͤndig erin⸗ 
nerte, daß dieſer angeſehene Roͤmer nach dreyen 
Triumphen dieſe ſchlechte Huͤtte bewohnt. Er 
pflegte bey dem Anblicke dieſes Landhauſes oͤfters 
zu ſich ſelbſt zu ſagen: Hier war es, wo die 
Geſandten der Samniten den Curius beym Heer⸗ 
de ſitzen fanden, als er ſich Ruͤben kochte, und 
ihm eine große Summe Geldes anboten, wel⸗ 
ches er aber mit dieſen Worten ausſchlug: Wer 
mit ſolcher Koſt zufrieden iſt, der braucht kein 
Geld. Ich will lieber diejenigen uͤberwinden, 
die reich an Golde ſind, als ſolches ſelber beſitzen. 
Cato, der ſich oft mit dieſen Gedanken unterhielt, 
dieſes Muſter ſich vorſetzte, und allen Ueberfluß 
auſchräntte/ wucherte doch nach seo Vermoͤ⸗ 
gen. 
plutarch BA hierhey füctteffliche Anmer⸗ 
kungen, und man ſieht, daß der Weltweiſe den 
tadelt, der ſich aus der Vermehrung ſeines Reich⸗ 
thums einen Ruhm machte, ob er gleich ehemals 
andre Muſter gehabt, und andre Gedanken gehegt. 
Nicht der Reichthum, ſagt er, ſondern die Gnuͤg⸗ 
ſamkeit kann einem Staatsmanne bey der Ver⸗ 
waltung des Regiments ſehr vieles helfen, wel⸗ 
che von der ſteten Beobachtung des allgemeinen 
Beſten nicht abfuͤhrt, indem fie für ſich keiner 
uͤberfluͤßigen Dinge noͤthig hat. Gott braucht 
gar keines Dinges, und derjenige Menſch, wel⸗ 
cher am r braucht, hat es in der 
3 


130 Das Privatleben 


Vollkommenheit und Aehnlichkeit mit Gott am 
allerweiteſten gebracht. — Ich möchte den Cato 
ſelbſt fragen, da der Werth des Reichthums in 

dem rechten Gebrauche und in einer guten An⸗ 
wendung deſſelben beſteht, warum er ſich der 
Vermehrung feines Reichthung fo ſehr geruͤhmt 
hat, da er mit ſo wenigem vergnuͤgt geweſen? 
Denn er gieng fo weit, daß er ſagte: Derjenige 
ſey ein bewundernswuͤrdiger und goͤttlicher Mann, 


ja eines ewigen Gedaͤchtniſſes werth, aus deſſn 


Rechnungen man erſaͤhe, daß er mehr hinterlaſ⸗ 
ſen, als er von ſeinem Vater geerbt haͤtte. Er 
hielt ſeinen Sohn zu einer genauen Wirthſchaft 
an. Die Verringerung des Vermoͤgens, ſagte 
er, kann man wohl einer Wittwe, aber nicht eie 
nem Manne verzeihen. Denen er Geld liehe, 
die mußten mit 30 andern in Geſellſchaft treten, 
und ſo viel Schiffe ausruͤſten, auf deren jeden 
Cato einen Theil feines Vermoͤgens hatte, fo 
daß er nicht die ganze Summa ſondern nur einen 


kleinen Theil wagte, und doch viel gewinnen konn 


te. Konnte er mit wenigem zufrieden ſeyn, war 
rum that er dieſes? Plutarch beſchuldiget ihn 
nicht undeutlich des Geitzes. Iſt es ruͤhmlich, 
ſagte er, wie es denn in der That ruͤhmlich iſt, 
ſich mit gemeinem Brode begnuͤgen zu laſſen, kei⸗ 
nes Purpurs, keines uͤbertuͤnchten Hauſes noͤthig 
zu haben; ſo haben weder Ariſtides noch Epa⸗ 
minondas, noch Curius noch Sabricius ihre 
Pflichten vergeſſen, da ſie den Beſitz ſolcher Din ? 


* 


des M. Por. Cato. 131 


ge ausſchlugen, deren fir fich nicht gebrauchten, 
ſondern vielmehr entuͤbrigt ſeyn wollten. Denn 
ein Mann, deſſen herrlichſte Mahlzeit in Ruͤben 
beſtund, die er ſich ſelbſt kochte, und deſſen Ge⸗ 
mahlinn ſelbſt knaͤtete und backte, hatte nicht noͤ⸗ 


thig, über ein As viel Reden zu machen, und 


eine Anweiſung zu geben, durch welche Mittel 
man bald reich werden koͤnne. 

Nach dem Tode ſeiner erſten Gemahlinn hatte 
er ſich zwar entſchloſſen ein Wittwer zu bleiben, 
doch lebte er mit einer Magd in einem vertrauten 
Umgange. Sein Sohn, der dieſen Umgang merk⸗ 
te, gab ſein Mißfallen durch ein finſtres Geſicht 
gegen die Sklavinn daruͤber zu erkennen. Der al⸗ 
te Cato, dem dieſes zu Ohren kam, zeigte gegen 
feinen Sohn nicht den geringſten Verdruß, vers 
maͤhlte ſich aber ſogleich mit der Tochter ſeines 
Schreibers. Der junge Cato gieng in Beglei⸗ 
tung einiger Anverwandten zu ſeinem Vater, und 
fragte ihn: ob er ſich über ihn beſchweren könnte, 
oder ob er ihm etwas zu Leide gethan hätte, daß 


er eine Stiefmutter bekommen ſollte. Auf dieſe 


Frage rief der alte Cato laut, und ſagte: Mein 


Sohn, gieb dich zufrieden; ich habe an deiner 
ganzen Aufführung nichts auszuſetzen, noch an 
dir das geringſte zu tadeln. Ich will aber noch 


mehr ſolche Kinder, wie du biſt, zeugen, und 

noch mehr ſolche Buͤrger der Republik hinterlaſſen. 

Das war, ſagt der Weltweiſe, fuͤr einen ſo alten 

und betagten Mann nichts ruͤhmliches, daß er 
6 


132 a e Drivateben 


feinen BERATEN Sehne noch eine Stiefmutter 
gab, und ſich mit einem jungen Maͤgdchen verhei⸗ 
rathete, die eine Tochter ſeines Knechts war, 
der oͤffentlich um Geld diente. Er mag es aus 
Wolluſt, oder aus Rache gegen ſeinen Sohn we⸗ 
gen der Buhldirne gethan haben, ſo iſt doch ben⸗ 
des, die That und der Vorwand ſchaͤndlich. Die 
Antwort, die er ſeinem Sohne gab, war auch 
mehr hoͤhniſch, als wahr. Denn waͤre es im 
um noch mehr wohlgerathne Kinder zu thun ge⸗ 
weſen, ſo haͤtte er bald ſein Abſehn dahinrich ten, 
und ſich ſtandesmaͤßig vermaͤhlen koͤnnen. 

Seine Muße wandte er zum Buͤcherſchreiben 
und zum Feldbau an; beydes hielt er fuͤc eine ers 
quickende Ergoͤtzung bey muͤßigen Stunden. Doch 
blieb er auch in ſeinem hohen Alter unermuͤdet, 
das Beſte der Republik zu beſorgen, weil er glaub⸗ 
te, daß ein rechtſchaffner Buͤrger Zeitlebens ſei⸗ 
nem Vaterlande dienen und ſich fuͤr daſſelbe auf⸗ 
opfern muͤſſe. Gaſtereyen, die er oft auf ſeinem 
Landgute anſtellte und dazu er feine Graͤnznach⸗ 
barn und Freunde einlud, hielt er fuͤr eine bear Fi 
me Gelegenheit Freundſchaften zu machen, und 
hatte es bey ſich eingefuͤhrt, daß man uͤber Tiſche 
nur redliche und verdiente Buͤrger lobte, ohne an 
unnuͤtze und boͤſe Bürger zu gedenken, und Gele⸗ 
genheit zu geben, entweder im Guten, oder im 
Boͤſen ihrer Erwaͤhnung zu thun. Er hatte ein 
Hausbuch, nach deſſen Vorſchrift er alle Leute 
in feinem Hauſe heilte, und ihnen eine ordentli⸗ 


des M. Por. Cako. 133 


che Diaͤt vorſchrieb, durch welche er ſeine eigne 


Geſundheit dauerhaft erhalten. | 
Die ſo genannten Bon Mots, und die ſinnrei⸗ 
chen Ausſpruͤche großer Männer find anmerkungs⸗ 


wuͤrdig. Theils breiten fie über den Charakter 


des Mannes noch mehr Licht aus, oder wie plu⸗ 
tarch ſagt, ſie geben das Naturell eines Menſchen 
beſſer zu erkennen, als feine Geſichtszuͤge; theils 
find fie Sentenzen, die, prakt iſche Lebensregeln 
enthalten, und wie die Spruͤchwoͤrter viel Weis⸗ 
heit in wenig Worten ausdruͤcken. Ich will ei⸗ 


nige vom Cato anmerken. 


Bey Gelegenheit der dömiſchen Ueppigkeit, 
ſagte er: Eine Stadt kann ſchwerlich beſtehn, 
in welcher ein? Sich theurer, als ein Ochſe bezahlt 
wird. 5 

Er zeigte einsmals auf einen jungen Menſchen, 
der ſein vaͤterliches am Meer gelegnes Landgut 
verzehrt hatte, und ſagte, wie voll Verwunde⸗ 
rung: Was das Meer nicht hat verſchlingen koͤn⸗ 


nen, hat dieſer mit leichter Muͤhe verſchluckt. 


Oft ſagte er zu den Roͤmern: Wenn ihr durch 


Tugend und Maͤßigkeit groß geworden ſeyd, fo 
ſchlaget nicht um, und werdet nicht ſchlimmer; 


wenn es aber durch Unmaͤßigkeit und Bosheit ge⸗ 


ſchehen iſt, ſo beſſert euch, denn ihr ſeyd dadurch 
nun groß genug worden. 


Diejenigen, ſagte er oft, die mit zu großem 
Eifer nach den hoͤchſten Ehrenſtellen ſtreben, ſind 


mit Leuten zu vergleichen, die den Weg nicht wiſ⸗ 


F 7 


134 Das Privatleben 
ſen, und n die Lictoren zu Fuͤhrern und 
zu Begleitern, um nicht irre zu gehen. 


Wenn die Roͤmer das Conſulat oft — | 


Perſonen uͤberließen, verwies ers Ihnen mit dies _ 


fen Worten: Ihr müßt entweder das Conſulat 
für nichts wichtiges, oder nicht viele deſſelben 
wuͤrdig halten. 

Die Roͤmer ſchickten einmal drey Geſandten 


nach Bithynien, davon der eine ein Podagriſt, 
der andre trepanirt, und der dritte ein Narr war. 


Cato ſcherzte daruͤber und ſagte: Die roͤmiſche Ge⸗ 
ae hat keine Füße, keinen Kopf und kein 
erz 
Eines dicken Menſchen ſpottete er mit den Wor⸗ 
ten: Wie kann ein ſolcher Koͤrper der Stadt nuͤ⸗ 
tzen, der von der Gurgel bis zum Unterleibe lau⸗ 
ter Bauch iſt! 
Einen Wolluͤſtling, der ſeinen Umgang ſuchte, 
wies er mit den Worten ab: Ich kann mit ei⸗ 
nem Menſchen nicht leben, deſſen Gaum mehr 
Empfindung hat, als ſein Herz. 


Das Alter, ſagte er zu einem laſterhaften ; 
Greiſe, hat ſchon viel ſchaͤndliche Fehler an ſich ; 
ver mehre ſolche nicht noch mehr durch ein ſchaͤnd⸗ 


liches Leben. 


Sich ſelbſt pflegte er ohne Scheu zu laben, Ä 


Wenn er von einem feiner erfochtenen Siege redete, 


ſo ſagte er: Alle welche mir zuſahen, wie ich die 
Feinde verfolgte und zu Boden warf, bekannten, 


daß Cato dem Volke nicht ſo ſehr, als das Volk 


U 


des M. Por. Cato. 1 35 


dem Cato verbunden wäre, Der Eonful Acilius 
umarmte mich und rief aus, daß weder er, noch 
das roͤmiſche Volk mir meine großen Verdienſte 
wuͤrde vergelten koͤnnen! Plutarch laͤßt ihm dieſe 
Nuhmredigkeit nicht ohne folgende Anmerkung hin⸗ 

gehn: Derjenige ſcheint es in der Tugend zur Voll⸗ 
kommenheit gebracht zu haben, der auch nicht ein⸗ 
mal noͤthig hat, daß ihn andre loben. 


Doris. 


E. (ey, daß mich des Pöbels Freude, 
Das groſſe Nichts des Reichthums flieht. 
Es fen, daß mich im ſchlechten Kleide 

Kein Heer ver goldter Narren ſieht, | 
Es ſey, daß Gram und Unſtern wachen, 

Und Freunde ſelbſt mir grauſam ſind; 

Die Thoren kann ich leicht verlachen, 

Gefall ich dir nur, ſchoͤnſtes Kind. g 


Mein karger Nachbar ſammlet Guter ; 

Und Argus Augen huͤten fie. 4 
Mein Schatz braucht Feine ſchlauen Huͤter, 
Ich habe nichts, und ſammle nie. | 
Doch r Doris, fage, wer lebt beſſer? 
Er wird gehaßt, und ich geliebt. 1 
Wär ich auch Mogul, und noch groͤſſer, 
Und ohne dich ⸗⸗ das wär betruͤbt! 


5. pralt mit zweymal ſechzehn Ahnen, 
Der zeigt den neuen Ritterbrief, 

Der pocht auf Speer und morſche Fahnen, 
Die er im Tuͤrkenkrieg ergriff; 

Ich ſtamm aus keines Junkers Huͤften; 
Und niemals werd ich Herr * 


Zr 
* © 


an Doris. 137 


Mein Lob wird nie ein Feldzug ſtiften; | 


Die Weis heit zollt nur ſtillen Lohn. 


8 Ein Herz, das rein und menſchlich denket, 
Und fuͤr die Freundſchaft offen ſteht, 

Sich ganz den Wiſſenſchaften ſchenket, „ 
Doch niemals ſich voll Weisheit blaͤht, | 
Wer bey des Dichters Lied empfindet, 2 
Und ſo weint, als Voltaire denkt, f 
Braucht der, daß er fein Gluͤck erſt finder? 
Ihm iſt fein Gluͤck mit 14 geſchentt. 


Dis find die unberkälſchten Triebe 
Des Herzens, das fuͤr Doris ſchlaͤgt. 
Mein Herz, geſchaffen fuͤr die Liebe, 


Wird nie vom falſchen Schein bewegt. 


Ich liebe, um geliebt zu werden 1925 
Ich fühle mit bey fremdem Schmerz, 


Die Tugend macht mein Gluͤck auf Erden⸗ 
Sprich, Kind, gefaͤllt dir ſolch ein Herz? 


Ni Sapientem überum eſſe neminem 


Cicer. Paradox. V. Cap. if 
— e 


En Böſewicht iſt feigen Sklaven N 
Der Weiſe nur iſt frey zu nennen. 


138 Wer iſt wahrhaft frey? | 
Zwar ihm gehorcht kein Volk, und er beberrſh 
kein Reich, 
Doch wird er wuͤrdiger als Fuͤrſten handeln koͤnnen. 
Er liebt das Recht, thut feine Pflicht mit Luſt, 
Er denket gut, und handelt, wie er denket, 1 
Niemals verehrt die patriotſche Bruſt ui 4 
Das, voller Furcht, was ihm die Ruhe ſchenket; | 
Ein jegliches Geſetz ſieht er als heilſam an, # 
Und ſchwoͤrt dem Staat als Bürger und als 


5 | Mann. | 
Im Reden und im Ant herrſcht Freyheit ohne 
i Heu uchel in, 
Beſtcchen i er gram „doch doppelt mehr dem 
Schmeicheln. 1 
Er denket frey; nie vom Affekt verfuͤhrt, | 
Wird jedes Werk mit kluger Wahl regiert. x 
Das Helligſte ift ihm fein Wollen und fein 
Denken, 
und ſelbſt dem ſtolzen Gluͤck wird er nie Wuͤnſche 
ſchenken. 


Kurz, es trifft dieſe Wahrheit ein: 
Step kann kein Menſch, als nur der — 


ſeyn. 


DIL 1 
Sp 8 
{7 

$ 


* E * 230 


Die Welt 
ene 
Schaubuͤhne. 


Di Welt, das groſſe Schauspielhaus, 
Theilt jedem ſeine Rollen aus. 
Hier ſpielen die, die ſich ſtets Haͤupter hannten, 
Minifter, Prinzen, Conqueranten, 
Oft macht in ſchwarzer Liverey, 
Ein Abt und ein Praͤlat die ganze Handlung neu. 
Wir, die den letzten Rang des Schauſpielhauſet 
fuͤllen, 

Wir ſchn und hoͤren zu, oft wider unſern Willen. 
Wir zahlen alle unſer Geld: 
Doch wenn ein Stuͤck uns nicht gefällt, 

So goͤnnt man uns dies Recht in dieſem Schau⸗ 
. ſpiel haus: 8 
Wie pfeifen den Akteur und feine Rollen aus. 


Der Held. 
e — 


Ig der ein Held vor dem ein Volk in Feſſeln 
kniet? 

Man ſah vor dem Tiber bezwungne Völker 
Tiegen. 

Iſt der ein Held, deß Haß und Rache nichts ent⸗ 


flieht? | 
So war Auguſt ein Held, und war es mit Ver⸗ 
gqgn!uͤgen. 

St der ein Held, der ſtolz der Welt Befehle 
giebt? | 
Man bebt vor dem Sejan, doch ward er nicht 
geliebt. | 

Mer feinen Born in der Geburt erſticket, 

Sich ſelbſt beſiegt, wem nie der Stolz befällt, 
Wer allen gerne hilft, und keinen unterdruͤcket, 
Der iſt groß durch ſich ſelbſt, der iſt allein m ein 1 


Held. 


| 


* 


* * 2 


Inhalt. 
— 
Der Schatz, ein Schaͤferſpiel in Verſen, 
von einem Aufzuge. 
Die gepruͤfte Freundſchaft, eine morali⸗ 
ſche Erzaͤhlung, nach dem Franzoͤ⸗ 
ſiſchen. 5 
Der Fruͤhling, an Selinen, nach dem 
Italieniſchen des Metaſtaſio. 

Der Zweifel, ein Lied nebſt Muſik. 
Von den geſellſchaftlichen Unterhaltungen 
der Roͤmer, aus dem Daͤniſchen. | 

Der Fuchs und der Käfer. 

Der Aal und deßen Bruder. 

Der ruhmſuͤchtige Baͤr. 

Der Krebs und der Froſch. 

Der betrogne Fuchs. 

Der Haſe und der Kaͤfer. 

Ueber die Nothwendigkeit den Geiſt eben 
ſo ſorgfaͤltig als den Koͤrper zu klei⸗ 
den; aus dem Engliſchen. 


Die Katze und die Heydechs. 
Die Zeit und die Raupe. 


Der Feigenbaum und die andren Baͤume. 


1 SEE SEE ZE 
Der fpottende Haͤher. 
Die Warnung des Gaͤrtners an ene 
Blumen. 
Der Gaͤrtner und der Wildfang. 
Orpheus, Lied nebſt Muſik. | 
Das Privatleben des M. een Cato, 
des aͤltern. 
An Doris. 
Wer iſt wahrhaft frey ? 
Die Welt eine Schaubuͤhne. 
Der Held. 


- 0 2 1 
N * 
2 5 Ir x 
7 f 1 5 2 l / 
3 2 . 8 
4 5 5 
} ” 8 N Pi — * 
1 N 
3 — 5 N 2 
en ' er. 2 * x 2 . 
‘ > 7 1 * * 7 
T * + * r * 1 * — * 1 ® 
x - ‚ 
et i . 
* 
1 
* 
2 . „ 
0 
x „ 
4 ” e) * 
> „ 
* \