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ROBERT FRANZ.
Gesammelte Schriften über
die Wiederbelebung Bach'scher
und Händel'scher Werke.
Mit einem Begleitwort
des Königlichen Universitätsmusikdirektors Professor
0. Reubke zu Halle a. S.
und einem Anhang enthaltend Notenbeispiele
/
herausgegeben von
Robert Bethge.
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Leipzig,
Verlag von F. E. C. L e u c k a r t.
lüiü.
Alle Rechte vorbehalten.
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'R/3F73
Es ist eine auffallende Erscheinung, daß bei den in neuerer
Zeit wieder in lebhaften Fluß gekommenen Verhandlungen über
die Bearbeitung der Meisterwerke Bach 's und Hände l's der
Mann, der um die Wiederbelebung derselben sich mit die
größten Verdienste erworben hat, Robert Franz, von den
meisten Wortführern entweder vollständig ignoriert oder doch
mit einigen nichtssagenden Worten als durch die „neusten
F^orschungen" überwunden und abgetan beiseite geschoben wird.
Man gewinnt den Eindruck, als wenn oft einer vom andern —
häufig fast mit denselben Worten — dies ablehnende Urteil
über ihn unbesehen übernimmt, ohne auch nur eine Partitur
desselben in der Hand gehabt und sie samt ihren gehaltvollen
Vorworten studiert zu haben, ohne also die Arbeiten dieses
edlen großen Meisters wirklich gründlich zu kennen. Um eine
richtige Wertung dieser Arbeiten zu gewinnen, genügt eine
etwaige flüchtige Einsicht in die Klavierauszüge nicht, bei deren
Herstellung die Rücksichtnahme auf den Klangcharakter des
Flügels und auf die annähernd möglichste Wiedergabe des
Orchcsterklanges ganz besondere Modifikationen für den Klavier-
satz erforderlich macht, — sondern es ist dazu das eindringende
Studium der Orchesterpartituren selbst mit den in Ausführung
der Generalbaßschrift hinzugefügten Fr anzusehen Ergänzungen,
deren eingehende Vergleichung mit Bach"s Originalpartituren.
die F'ranz selbst immer uiid immer wieder fordert, sowie die
aufmerksame Lektüre der sowohl über die Grundsätze als auch
über viele wichtige Einzelpunkte Aufschluß gebenden Franz-
schen \'orbemerkungen durchaus erforderlich.
Es erscheint als ein glücklicher Gedanke, diese in den ver-
schiedenen Partituren und Klavierbearbeitungen zerstreuten \'or-
bemerkunjen zusammen mit den selbständigen Schriften Robert
Franz 's über denselben Gegenstand in chronologischer Fulge
in einer Sammlung zusammenzustellen und durch eine Xeu-
veröffentlichung der Verborgenheit und N'ergessenheit zu ent-
reißen: und ich bin gern dem Wunsche des Herausgebers gc-
— I\^ —
folgt, diese Sammlung mit einem kurzen Vorwort zu begleiten,
in welchem ich zugleich der dankbaren Verehrung gegen meinen
großen Vorgänger an der Universität und an der Robert
Fr anz- Singakademie freudigen Ausdruck gebe.
Die Aufsätze haben einen so reichen Inhalt, gewähren nicht
nur einen klaren Einblick in das Wesen der vorliegenden Be-
arbeitungsfrage, sondern enthalten daneben auch eine Fülle der
feinsinnigsten Bemerkungen allgemeinerer künstlerischer Natur,
daß sie dem Leser neben der Belehrung auch großen Genuß
bereiten werden, zumal ihr Stil von großer Klarheit und Schön-
heit ist. Ein sehr richtiger Gedanke des Herausgebers ist es,
daß in nachstehender Sammlung von allen Zusätzen, Erläute-
rungen von dritter Hand Abstand genommen ist: der Meister
soll allein zu Worte kommen und auf alle Fragen, Ausstellungen
u. a. m. selbst die authentische Antwort geben.
Wer diese Aufsätze vorurteilslos liest, der muß meines
Erachtens schon aus ihnen die Überzeugung gewinnen, daß in
dem Streit über die Bearbeitungsfrage die Gegner Robert
Fr anz 's den wirklichen Sachverhalt meist völlig verschieben,
indem sie — nur auf diese beiden Hauptgesichtspunkte sei es
mir gestattet kurz hinzuweisen — vor allem die Wahl der von
ihm vorgeschlagenen ausführenden Instrumente als der B ach-
schen Übung nicht entsprechend bemängeln und von .da aus
zu ihrem ablehnenden Urteil kommen , während sie auf den
Kernpunkt der Sache, die künstlerische Beschaft'enheit des Ton-
satzes, entweder gar nicht eingehen oder denselben nur mit
ganz allgemeinen Redewendungen als der Generalbaßschrift
nicht "streng entsprechend abzutun suchen, ohne diesen V^or-
wurf im einzelnen zu begründen.
Die Sache verhält sich gerade umgekehrt: Robert Franz
kam es bei seinen Arbeiten vor allem und in erster
Linie auf die künstlerische Besc ha f f e nheit des er-
gänzenden Tonsatzes an. Vgl. hierzu seine trefflichen
Ausführungen in dem „Offenen Briefe", unten Seite 45, und in
der „Vorbemerkung zu den Händel'schen Arien", unten S. 41.
Niemand hat es öfter und nachdrücklicher als er betont, daß
dieser auf Grund der Generalbaßschrift herzustellende Tonsatz
— \' —
stilvoll sein, an dem Ausdruck des vorliegenden Stückes lebens-
vollen Anteil nehmen , aus dem Innern Gehalt desselben wie
von selbst hervorwachsen, in das Ganze des Stücks sich orga-
nisch eingliedern muß, so daß alles wie aus einem Gusse klingt.
Und daß es ihm in den veröffentlichten Partituren gelungen
ist, — freilich nicht mit ..schülerhafter Ängstlichkeit", aber mit
Daransetzung seines besten künstlerischen Verstehens und
Könnens — , einen derartigen, den höchsten künstlerischen An-
sprüchen entsprechenden Tonsatz herzustellen, beweist der Um-
stand, daß, was auch Kritiker und Historiker seit Jahrzehnten
über und wider Rob e rt Fr an z gesagt haben und sagen, noch
heute viele namhafte Künstler, z. B. Felix Mottl, Hans
Richter u. a. m., seinen Tonsatz für mustergültig, sachlich
durchaus richtig und dem Geiste der alten Meister ent-
sprechend erklären.*) Wer diesen Tonsatz aufmerksam in allen
seinen Teilen studiert, muß, wenn er nicht zuvor schon aut
das entgegengesetzte Dogma geradezu eingeschworen ist, zu-
geben, daß er nichts enthält, was nicht in der Generalbaßschrift
schon angedeutet, in den von den alten Meistern selbst aus-
geführten Teilen und in den vorliegenden Stimmen im Keime
schon vorhanden wäre, und daß er sich auf dessen Entfaltung
und damit auf das Notwendige undSell^stverständliche beschränkt.
Wenn andere Bearbeiter nach Franz unter Berufung auf dessen
oder ähnliche Grundsätze Fremdartiges und Fernliegendes in ihren
ergänzenden Tonsatz hineingetragen haben, so darf man dies doch
nicht Robert Franz zur Last legen. Seine Grundsätze sind
durchaus richtig, aber sie müssen auch richtig verstanden und
richtig ausgeführt werden, ebenso , wie er selbst es getan hat.
*) ?"elix Mottl schreibt unterm 17. Januar 1910 an den Herausgeber:
„Ich halte die musikalische (harmonisch-melodische) Ausführung der Bach-
schen bezifferten Bässe durch K. Franz für mustergültig und — im Gegen-
satz zu einer steifen, einfach harmonischen Bearbeitung — für " unbedingt
richtig und im Sinne des alten Meisters."
Und Hans Richter schreibt unterm l. Februar 1910 an den Heraus-
geber: „Die Nachschaffung der Begleitung bei Stücken, die nur mit einem be-
zifferten Baß versehen sind, ist mustergültig bei Robert Franz und wird es
auch bleiben; daran soll man ja nicht deuteln und rütteln."
— VI -
Die Franz "sehen Arbeiten aber mit solchen banalen Ausdrücken
wie „Überpinseln alter Gemälde", „Modernisieren", „freie Phan-
tasien" u. a. m. abtun wollen , davon sollte man doch endlich
Abstand nehmen : dazu steckt doch zuviel ehrliches Wollen
und künstlerisches Können, zuviel echt Bach 'scher Klang
und Geist in ihnen.
Dagegen ist ihm die Wahl der den neu hinzu-
gefügten Tonsatz ausführenden Instrumente, wie
der Leser aus zahlreichen Aussprüchen ersehen wird, erst
eine Frage zweiter Ordnung, die er sogar in ge-
wissem Umfange offen läßt und deren Entschei-
dung er dem einzelnen Dirigenten nach dessen
Überzeugung und nach Lage der \'erschiedenen
örtlichen Verhältnisse überläßt. Dieser Punkt, die
weitherzige und freie Stellungnahme Robert Franz 's zur
Instrumentenfrage, wird von seinen Gegnern — wissentlich
oder unwissentlich — einfach totgeschAviegen. Im Lichte jener
zahlreichen Aussprüche gewinnen also diese Teile seiner Parti-
turen den Charakter von Vorschlägen , die er allerdings aus
den sorgsamsten Erwägungen heraus, aus der Rücksichtnahme
sowohl auf den von den alten Meistern intendierten Klang-
charakter wie zugleich auf die praktischen Verhältnisse und
Bedürfnisse der Gegenwart heraus macht. Wer also z. B. über-
zeugt ist, daß er an Stelle des von Franz meist gewählten
Holzbläser- oder Streicherquartetts mit der Orgel den Intentionen
Bachs noch näher kommt, der wähle die Orgel. Das ist
keineswegs gegen den Sinn von Robert Franz, wie er ja
selbst für mehrere Bach 'sehe Werke neben seinen Orchester-
Partituren selbständige durchgehende Orgelstimmen für das
Akkompagnement geschrieben hat. Allerdings was er in seinem
),Oftenen Briefe", unten Seite 49 über den Flügel als Ersatz
des Cembalo, über die Orgel mit ihrer Stimmung und Tempe-
ratur, über den starren und unbiegsamen Charakter ihres
Tones, — sowie über die Beweglichkeit, Mannigfaltigkeit und
Ausdrucksfähigkeit des heutigen Orchesters sagt, erscheint mir
auch noch für die Gegenwart mit ihren modernen Orgeln und
für die Zukunft höchst beachtenswert und bedeutunfrsvoU. —
— VIT —
Wenn er an Stelle einzelner Instrumente tles Bach'schen
Orchesters neuere in Vorschlag bringt, so bedarf es darüber
keines Wortes, daß er damit die Bach sehen Originalinstrumente
nicht hat verdrängen, sondern nur für nicht mehr vorhandene
einen Ersatz mit möglichst ähnlichem Klangcharakter hat vor-
schlagen wollen. Und wo er — übrigens stets mit äußerster
Zurückhaltung und Beschränkung auf das Notwendigste, zu-
gleich aber mit feinster musikalischer Empfindung — zu dem
Bach'schen Orchestersatze aus Gründen der Verstärkung oder
des Kolorits Instrumente hinzugefügt, hat er in den betreffenden
Vorworten die Weglassung derselben dem Dirigenten, der etwa
dergleichen feine Wirkungen aus irgendeinem Grunde scheut,
j;tets anheimgegeben. Meines Erachtens sollte aber bei der
Entschließung im einzelnen Falle nicht schon der äußere Um-
stand, daß Instrumente hinzugefügt sind, entscheidend sein,
sondern vielmehr die aufmerksame Prüfung der künstlerischen
Art, wie diese verwendet sind.
Die nachstehenden Aufsätze wollen und können, wie schon
oben angedeutet, die Einsichtnahme und das Studium der
Franz sehen Partituren nicht ersetzen, sondern wollen gerade
zu diesem Anstoß geben ; letztere erst geben über die Franz-
schen Arbeiten vollen Aufschluß. Wenn z. B. an dem „Oftenen
Briefe" bemängelt worden ist, daß er eine klare Darlegung
über die Prinzipien der „Bearbeitung" vermissen lasse, so meine
ich, kann keiner, der ihn aufmerksam durchliest, über die
Tendenz desselben und über die Grundsätze, von denen
Robert Franz sich leiten ließ , im Zweifel sein ; die
Illustrierung derselben aber im einzelnen liegt eben in den
Arbeiten der Partituren vor, wo sie in dem ausgeführten Ton-
satz für jeden Kundigen klarer und vollkommener gegeben ist,
als dies in der bestgesetzten Rede je geschehen kann. Und wenn
man gegen ihn die Vorwürfe ausgesprochen hat, daß er keine
genügende Kenntnis von der Ausführungspraxis Bachs selbst
gehabt und sich zu wenig streng an die Generalbaßschrift ge-
halten habe, so erledigen sich diese Vorwürfe meines Erachtens
durch den Inhalt der nachstehenden Aufsätze und den Tc»nsatz
seiner Orchesterpartituren von selbst. Ich weise hier auch auf
— VIII —
den sehr wichtigen Umstand hin, daß die Generalbaßbezififerung
in den verschiedenen Kompositionen sehr verschieden ist • neben
Stücken mit reichster Bezifferung finden sich andere mit se.ir spar-
samer und noch andere, in welchen gar keine Bezifferung vorliegt.
Nun glaube ich nicht, daß der Streit über die Bearbeitungs-
frage in absehbarer Zeit beendet werden wird; er wird noch
lange währen, denn es handelt sich hier um verschiedene
grundsätzliche Anschauungen und um verschiedene Ausgangs-
punkte, für die schwerlich eine Einigung zu finden sein wird.
Aber ich gebe mich der Hoffnung hin, daß mancher von denen,
welche sich bisher mehr auf die äußerliche Autorität der gegne-
rischen Wortführer hin dem ablehnenden Urteile über Robert
Franz anschlössen, ohne selbst die Sache eingehender zu
prüfen, durch die aufmerksame Lektüre nachstehender Aufsätze
und durch ein sich anschließendes eindringendes Studium der
Franz 'sehen Orchesterpartituren zu einer Korrektur des Urteils
und einer anderen gerechten Wertung seiner Arbeiten gelangen
wird. Den Eindruck wird jeder vorurteilsfreie Leser gewinnen,
daß es sich hier um einen edlen, genialen Meister handelt, der
— selbst ein Liedermeister von Gottes Gnaden, — in be-
geistertster Verehrung eines Bach und eines Händel und in
tiefster Beugung vor ihrer Größe, in selbstloser Hingabe an
ihre Kunst und in vorbildlicher Pietät gegen ihre Schöpfungen,
— es, wie er auch mir persönlich oftmals ausgesprochen hat,
als das größte Glück seines Künstlerlebens betrachtete, daß er
diesen Horocn deutscher Tonkunst — weit entfernt, sie auch
nur in einem Punkte meistern zu wollen, — mit seinem
künstlerischen Können hat dienen und an der Wiederbelebung
ihrer unvergleichlich großen , unsterblichen Werke an seinem
bescheidenen Teile in positiver Arbeit mit hat helfen dürfen.
Möge denn diese Sammlung bei dem musikalisch inter-
essierten Publikum günstige Aufnahme finden.
Halle a. S., den i. März 1910.
Professor Otto Reubke.
Königl. Universiläts-Musikdirektor.
Vorbemerkung
zu Johann Sebastian Bach, 36 Arien aus ver-
schiedenen Kantaten
mit Begleitung des Pianotbrte
bearbeitet von R. F. *j
Die hauptsächlichste Absicht bei der \'eröffentlichung der
nachfolgenden Bearbeitungen ist nur die, den Werken Bach"s
auch in weiteren Kreisen die Teilnahme vermitteln zu helfen,
worauf sie den vollsten Anspruch haben. Sie wollen durch
eine den modernen Geschmack berücksichtigende Auswahl auch
die Fernerstehenden in B a c h 's Ausdrucksweise einführen, sie
wollen dem größeren Publikum , welchem die umfangreiche
Partiturausgabe der Bach-Gesellschaft in Leipzig für den un-
mittelbaren Gebrauch nicht dienen kann, den Weg zu den
Schätzen dieser Ausgabe bahnen helfen.
Dieser Zweck meiner Arbeit führte mich zu einer freieren
Stellung den Originalen gegenüber: ein Klavierauszug in dem
gewöhnlichen Sinne konnte denselben schwerlich erfüllen. Zu-
nächst waren die' Lücken, welche zn Bach 's Zeiten durch den
freien Hinzutritt der Orgel ergänzt wurden, nach Anleitung der
Baßbeziti'erung und — wo möglich — in Bach 's Geiste durch
Hinzufügung von bewegten Füllstimmen zu beseitigen. Die
Übertragung der Instrumentalstimmcn auf das Klavier, wo der
Zug der Stimmführung und die X'erschiedenheit der Klang-
farben nicht ausgleichend zu wirken vermögen, wie im Orchester,
*j Mit Genehmijjung der Verlagsfirraa C. F. Peters ia Leipzig.
R. Franz, Gesammelte Schriften. I
erheischte sodann öfters eine Veränderung der Stimmlagen,
bald Verengerung, bald Erweiterung derselben. Die Mittel der
modernen Klaviertechnik mußten vielmehr im vollsten Maße
benutzt werden, um das einigermaßen klaviermäßig wieder-
zugeben, was Bach einigen obligaten Stimmen und der hinzu-
tretenden Orgel anvertrauen durfte. Selbst in der Singstimme
schienen gelegentlich Modifikationen geboten, um Härten zu
vermeiden, welche in den weiten Hallen einer Kirche ver-
schwinden, bei der Ausführung am Klavier in beschränkteren
Räumen aber sich — gewiß gegen die Absicht des Kom-
ponisten — fühlbar machen würden. Dies führte dahin, die
Gesangs- und begleitenden Stimmen stellenweise ineinander
übergehen zu lassen. Endlich schien es erlaubt, da das Original
zu verlassen, wo es ohne Zweifel nur dem Herkommen seiner
Zeit folgte. Dahin darf man die ausgedehnten Wiederholungen
rechnen, in denen sich das vorige Jahrhundert gefiel, die aber
unseren an knappe Formen gewöhnten Sinn verletzen, den
Gesamteindruck für uns eher beeinträchtigen, als fördern. Die
von mir demnach versuchten Zusammenziehungen des ersten
Teils der Arien, wenn ihn Bach ausdrücklich durch das
Da Capo verlangt, fassen die wesentlichsten Momente desselben
in eine gedrängte Form und werden hoffentlich auf den Ver-
lauf des ganzen nicht störend einwirken. Wer übrigens das
Bedürfnis der Wiederholung des vollständigen ersten Teiles der
Arie hat, findet an den betreffenden Stellen das D. C- und
Fine-Zeichen angegeben.
Um ein rascheres Verständnis anzubahnen, sind A^ortrags-
bezeichnungen beigefügt worden, welche zugleich den Gang
der musikalischen Entwicklung andeuten. Sie sollen auch den
Vorurteilen entgegentreten, welche betreffs Bach 'scher Musik
vielfach hergebracht sind.
Der äußerlich gleichmäßige Gang seiner Kompositionen
im Fortschritt aller Stimmen führt in der Praxis sehr häufig —
Ausnahmen hiervon heben übliche und verkehrte Gebräuche
nicht auf — zu einer verwerflichen Monotonie der Darstellung
und der Klangfarben, — man hält es für angemessen, das
Ganze eintönig, mit gleichmäßig erhobenem Organe vorzu-
tragen ; der Art des Gesanges schließen sich natürlich die be-
gleitenden Instrumente meist an. Solche Ausführung beweist
nur, daß man das Verständnis für die polyphone Ausdrucks-
weise verloren hat, welche jeder Stimme Melodie, d. h.
Ausdruck, zu geben sucht, deren Eigentümlichkeit gerade
in der größten Beweglichkeit und Biegsamkeit aller Stimmen
besteht. Der pol\'phone Stil verlangt das volle Gegenteil von
dem Sänger. Derselbe muß sich freilich den begleitenden In-
strumenten einigermaßen gleichstellen, sich ihnen gelegentlich
selb.-t unterordnen, da es vor allem gilt, den harmonischen Zu-
sammenhang des Ganzen klar zu machen, in dem die Gesang-
stimme bestimmend, selbständig einzugreifen berufen ist. Die
\'okalpartie wird hier nicht von harmonischen Massen getragen,
der Sänger muß sich nur um so mehr die lebendigste Be-
ziehung zu den begleitenden Instrumenten erhalten, immer in
die stets werdende, nie fertige Harmonie hineinsingen, das
harmonische Ganze immer mit herstellen helfen, — es ist aber
vor allem weiter seine Aufgabe, den musikalischen Gehalt der
ganzen Komposition in seinem Bewußtsein zusammenzufassen,
mit dieser Auffassung den Gesang zu beleben, in dieses Leben
die Begleitung mit fortzureißen. Die Stimme muß nicht, wie
im homophonen Stile der späteren Zeiten, das Ganze beherr-
schen, wohl aber dem Ganzen Leberf, charakteristischen Aus-
druck zu geben wissen; der Sänger muf3 auch aus derrl Figuren-
werke, aus den instrumental behandelten Teilen der Gesangs-
partie die melodischen Grundformen, damit die richtigen
Akzente und Betonungen der Einzelheiten, herausfühlen und
auf dieser Grundlage Schattierung in den Vortrag bringen, der
im ganzen und großen festen Halt und die beste Stütze am
Texte findet. Dieser ist für die Bach 'sehe Musik von größerer
Wichtigkeit, als gewöhnlich angenommen wird. Kr muß nicht nur
deutlich ausgesprochen, sondern mit richtigem Gefühl deklamiert
werden im engsten Anschlüsse an die wechselnden Wendungen
der Musik. Diese legt bei Bach, wie man richtig gesagt hat,
den Text aus: es ist umgekehrt Sache des Sängers, durch
sinnvollen Vortrag der Worte die musikalische Absicht Bachs
zu verdeutlichen. So groß die Schwierigkeiten sind, welche
einzelne Stellen solchen Ansprüchen gegenüber bieten, so groß
sind die Vorteile, welche sich aus steter Rücksicht auf den
Text ergeben: in den meisten Fällen wird dieselbe die musika-
lische Nüancierung auf den richtigen Weg führen, der gute
Vortrag des Textes wird die musikalische Bedeutung einzelner
Stellen erst klar machen, die richtige Betonung musikalischer
Phrasen vielfach erleichtern. Dies ist auch der Grund, weshalb
von einer Veränderung der unserem Geschmacke zuweilen
widerstrebenden Texte fast durchweg abgesehen worden ist.
Kein Zweifel, daß die herkömmliche Gesangstechnik, deren
ganzes Streben auf glänzende Darstellung einer üppig aus-
gebildeten, alles beherrschenden Kantilene gerichtet ist, sich
diesen Zielen vielfach nicht gewachsen zeigen wird, — aber ein
Grund mehr, die Bach 'sehen Arbeiten den Sängern zn emp-
fehlen, die bei ernstem Studium unendlich viel daraus lernen
können und immer neue Schönheiten feiner und innerlich be-
wegter Melodik unter scheinbar verschnörkelten kontrapunk-
tischen Formen entdecken werden. Diese Wahrnehmung wird
dann von selbst zu einer lebendigen, intensiven, mannigfach
schattierten Vortragsweise und über die Auffassung hinaus-
führen, nach der es genügte, Bach 'sehe Musik sicher und
tüchtig, in biederem oder gar derbem Tone wiederzugeben. —
Mancherlei Schwierigkeiten müssen sich für den Sänger
daraus ergeben, daß seit der Zeit B a c h ' s die Stimmung der
Instrumente eine andere, bedeutend höhere geworden ist. Er-
innert man sich daran, daß in Frankreich schon der Anfang
gemacht ist, sich der älteren Tonhöhe wieder zu nähern, daß
der — von der Stimmung unabhängige — Charakter der Ton-
art für jedes Musikstück ein wesentliches Moment ist, dessen
Änderung das Ganze auf einen anderen, den ursprünglichen
Intentionen nicht entsprechenden Boden stellt, daß endlich eine
Transposition jene Schwierigkeiten nie für alle, sondern nur für
den beseitigen kann, dessen Stimmitteln sie angepaßt ist, so
wird dies genügen, die Beibehaltung der von Bach gewählten
Tonarten selbst da zu rechtfertigen, wo, wie besonders in den
Tenorarien , eine ganz ungezwungene und durchweg gleich-
mäßige Ausführung der Kantilene für den Augenblick kaum
möglich erscheint. Es steht zu hoffen , daß die Rückkehr zu
den älteren Vokalkompositionen und der unvergängliche Wert
derselben der älteren , der Natur der Menschenstimme mehr
entsprechenden Tonhöhe wieder zu ihrem guten Rechte ver-
helfen wird.
Aufgabe der Begleitung ist es, dieselben Intentionen in
ihrem Bereiche zu verfolgen , in gebundener Weise den Gang
der einzelnen Stimmen in ihrer Selbständigkeit und ihrer steten
Beziehung zueinander zum Gehör zu bringen, diese Stimmen
aber an allen dazu geeigneten Steilen zu einer in sich einigen,
elastischen, abgerundeten Klangmasse, zu einer tragenden Unter-
lage der Singstimmc zu verbinden.
Es versteht sich übrigens von selbst, daß m.eine Klavier-
begleitung auf die freiestc Benutzung des Pedals berechnet ist.
Ich habe es unterlassen , die üblichen Zeichen dafür in An-
wendung zu bringen, weil die stete Beweglichkeit und Unruhe
der Stimmführung eine Fixierung dieser Signatur sehr erschwert,
ja oft ganz unmöglich macht. Dem Gcschmacke und der
Diskretion des Akkompagnierendcn muß es daher anheim-
gestcllt bleiben, wann und wie lange er sich des Pedals be-
dienen will: weite Akkordlagen bedingen dasselbe aber unter
allen Umständen.
Nach allem Gesagten bin ich weit entfernt davon, in den
vorgenommenen Umgestaltungen etwa Verbesserungen, in den
Andeutungen über den Vortrag irgend etwas anderes zu sehen,
als was klar in den Werken selbst gegeben war, — es kam
mir nur darauf an , die entsprechende, zeitgemäße Form der
Übertragung zu fmden. Ich kann versichern , hierbei mit der
größten Pietät zu Werke gegangen zu sein, und darf mit dem
Wunsche schließen, daß alle die, welche von dieser Bearbeitung
Gebrauch machen, von dem gleichen Gefühle bei der Ausführung
beseelt sein mögen.
. August 1859.
lalle, im
Dezember I0G0.
Robert Franz.
n.
Vorbemerkung
zu Johann Sebastian Bach, Duette aus ver-
schiedenen Kantaten und Messen
mit Begleitung des Pianoforte
bearbeitet von R. F.*j
Indem ich den Freunden Bach 'scher Musik hiermit eine
Keihe von Duetten aus verschiedenen seiner Kantaten und
Messen übergebe, kann ich mich v\ohl im allgemeinen auf die
Bemerkungen**) beziehen, die meinen Bearbeitungen der vier
Arienhefte vorangestellt wurden; die Grundsätze, weiche mich
dort leiteten, sind auch hier maßgebend gewesen. Zur be-
sonderen Empfehlung der vorliegenden Kompositionen etwas
zu sagen, mochte überflüssig erscheinen, der flüchtigste Ein-
blick wird zeigen, daß sie Duette im höchsten Sinne des
Wortes sind und, im Kirchenstil wenigstens, die Vollendung
•dieser Kunstform repräsentieren.
Halle, im November iS6o.
Robert Franz.
*) Verlag F. E. C. Lcuckart in Leipzig.
**j Siehe oben S. I.
in.
Mitteilungen
über Johann Sebastian Bach's ,,Magnificat"
von Robert Franz.*)
Obschon nicht in Abrede gestellt werden kann , daß die
Teilnahme an den \'okahverken Bach's in den letzten Jahren
zugenommen hat, ist dieselbe, dem Werte dieser Kunst-
schöpfungen gegenüber, doch nur als eine schwache und ver-
einzelte zu bezeichnen. Die Gründe für dies mangelnde Inter-
esse mögen teils in den technischen Schwierigkeiten, die hier
überwunden sein wollen , teils in der skizzenhaften Form , in
der Bach diese Werke der Nachwelt hinterließ, teils, und das
dürfte wohl hauptsächlich zu betonen sein, in der anspruchs-
vollen Gewohnheit des Publikums liegen, musikalische Leistungen
wesentlich unter dem Gesichtspunkte einss unmittelbar wirken-
den Genusses zu betrachten. Die Ansicht, was nicht alsbald
„verstanden" werden kann, für verfehlt, dem Wesen der wahren
Kunst widersprechend zu halten, ist leider eine so weit ver-
breitete und durch tausenderlei dieser seltsamen Forderung
gemachte Zugeständnisse scheinbar gerechtfertigte, daß man
sich über geringe Teilnahme an Werken, die nur durch die
ernsteste und selbstverleugnendstc Hingabe zu erfassen sind,
eigentlich kaum wundern sollte. Seinerseits will niemand der
Kunst etwas entgegentragen, — er will von ihr nur zerstreuendes
Wrgnügen haben. Kommt noch dazu, daß sich die musikalische
F'achkritik zu Bach's Kirchenkompositionen im allgemeinen
•j Verlag von F. E. C. Lcuckurl in Leipzig.
— 8 —
so gut wie schweigend verhält, daß, vielleicht die ^Nlatthäus-
Passion und die H-moll - Messe ausgenommen, kaum eine der
zahlreichen derartigen Her\-orbringungen des Meisters eine er-
erschöpfendere und die Aufmerksamkeit größerer Kreise auf
sich lenkende Besprechung erfuhr, so tritt jene oben berührte
Teilnahmslosigkeit sogar mit einer gewissen Berechtigung auf.
Ein jeder glaubt nun annehmen zu dürfen: „was die heutige
Kunstkritik ganz unbeachtet läßt, kann unmöglich den wahren
Bedürfnissen der Gegenwart entsprechen, — wir überlassen
deshalb die Teilnahme an Bach's Vokalwerken den sogenannten
»Kennern und Gelehrten'; für die soll sie der alte Herr ja zu-
meist geschrieben haben, — die mögen sich an ihnen nach
Herzenslust erbauen !"
Es liegt nicht in unserer Absicht, die Gründe, welche diese
eigentümliche Stellung der Kunstkritik zu den in Rede stehen-
den Objekten erklärlich machen — schwerlich würden sie zu
einer Heiligsprechung derselben führen — spezieller auseinander
zu setzen, es genügt zu konstatieren, daß nach dieser Seite hin
das Publikum im großen und ganzen des ihm so notwendigen
Hinweises, dessen vermittelnde und ausgleichende Wirkungen
bald genug zutage treten würden, bisher entbehren mußte.
Gern geben wir uns der Hoffnung hin, es möchten sich dazu
Berufene endlich bereit linden lassen, dem großen Toten eine
alte und schwere Schuld abziitragen und damit der künftigen
Bildung Elemente zuzuführen, die sicher vom segensreichsten
Einflüsse sein werden.
So wenig wir nun auch dazu Beruf und Fähigkeit in uns
zu erblicken vermögen, den zuletzt berührten Übelständen
nachdrücklicher begegnen zu können, halten wir es doch für
Pflicht, die öfi'enthche Meinung auf ein Werk zu lenken, das
bisher vergeblich der Feder harrte, die es den Menschen warm
ans Herz legte.
Zwar trug sich seit geraumer Zeit die Sage von der Existenz
desselben und man redete von ihm auch mit großem Respekt, —
aber bekannter war es deshalb nicht um ein Jota geworden*):
*) Seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Schriftchens fanden
häutige Aufführungen des Bach'schen Magnificat statt.
— 9 -
wie früher die H- m oll- Messe als eine der tiefsinnigsten und
großartigsten Leistungen Bachs galt und dem ohngeachtet
ihr ruhiges Traumleben in der Partitur ungestört fortsetzen
konnte, ebenso lief seit Jahren das dunkle Gerücht von einem
berühmten Magnificat des Meisters. Vielleicht mag auch
hier jener unbegreifliche Instinkt gewaltet haben, der das
Menschengemüt geheimnisvoll dem Bedeutenden zuzieht, dessen
wahres Verständnis nach und nach vorbereitet.
B a c h's Magnificat ist eine v.on den wenigen seiner
Kirchenkompositionen, die schon vor den Ausgaben der Bach-
Gesellschaft dem Publikum gedruckt vorlagen. W. Rust teilt
uns in seiner treti'lichen Vorrede zur ersten Lieferung des
II. Jahrganges der Werke Seb. Bach's mit, daß es bereits
im Jahre iSii (bei Simrock) in Partitur erschien. Freilich
weicht diese Edition von der der Bach -Gesellschaft in nicht
unwesentlichen Punkten ab. Sie zeigt eine andere Tonart,
statt D-dur, Es-dur und läßt außerdem nichts von den Ver-
änderungen wahrnehmen, die ofit'enbar von der später bessern-
den Hand des Meisters herrühren. Selbstverständlich legen
wir nicht diese, sondern die von der Bach-Gesellschaft ver-
öffentlichte Partitur des Magnificatüen nachfolgenden Unter-
suchungen zugrunde, wobei wir, Rust folgend, die verschiedenen
Einlagen Bach's von dem Werke selbst trennen und sie als nicht
in unmittelbarem Zusammenhange mit ihm stehend betrachten.
Der Text des Magnificat ist jener bekannte Lobgesang
der Maria aus dem Evangelisten Lukas Kap. i, Vers 46—55:
..meine Seele erhebet den Herrn usw." Obschon die Bibel
diese Worte nur einer Persönlichkeit in den Mund legt, wurden
sie doch wohl infolge ihres allgemeineren Inhaltes und der
trefflichen Kontraste, die sie der musikalischen Behandlung
boten, schon von den Komponisten der altitalienischen Schule
für eine größere Kunstform benutzt, in der Einzelngesänge mit
Chören wechselten. Bach hat sich diesem Vorgange in seinem
Magnificat angeschlossen; es liegt uns in einer Reihe von
12 Nummern vor. Zunächst wollen wir versuchen, jede ein-
zelne derselben einer besonderen Betrachtung zu unterziehen,
und dann spater das Werk als Ganzes aufzufassen bemüht sein.
lO
Die erste Nummer, ein Chor in D-dur ^ ^ Takt, behandelt
die Worte: „Magnificat anima mea Dominum". In einem weit
ausgeführten Vorspiele exponiert der Meister die Grundstoffe,
welche späterhin durch den Vokalsatz zur bewußteren Er-
scheinung gebracht werden. Das Orchester umfaßt in seiner
für die damalige Zeit reichen und glänzenden Besetzung das
Streichquartett, 2 Flöten, 2 Oboen, 3 Trompeten, Pauken und,
wie in allen B a c h'schen Kirchenwerken, die Orgel. Sämtliche
Partien sind äußerst selbständig gehalten und gruppieren sich
zu drei verschiedenen Chören in dem Streichquartett, den
Holzblasinstrumenten und den Messingbläsern mit den Pauken.
Die Orgel, von der aus Bach die Kirchenmusik bekanntUch
zu leiten pflegte, mußte sicher sehr verschiedenen Absichten
dienen: hier unterstützend, dort vorherrschend, hier aus-
gleichend, dort vermittelnd war sie in der Hand des Meisters
hauptsächlich das Werkzeug, mit dem er seine persönlichen
Einflüsse zur Geltung zu bringen verstand. Es kann nicht
genug beklagt werden, daß uns Bach — was hier nebenbei
bemerkt sei — zu seinen Kirchenstücken keine ausgeführte
Orgelstimme hinterlassen hat: mit ihr würden wir sie nicht
nur in ganzer Vollendung besitzen, sie würde uns vielmehr
noch Ausdrucksformen offenbaren, von deren Tiefe und Be-
deutung wir kaum eine Ahnung haben dürften ! Wer da weiß,
mit welcher unerhörten Meisterschaft Bach dies Instrument
behandelt hat, wird diese Behauptung gewiß nicht übertrieben
finden.
In jenen erwähnten drei Instrumentalgruppen entwickelt
sich nun auf die ungezwungenste Weise eine entsprechende
Anzahl von Motiven, mit welchen der Verlauf der Nummer
bestritten wird. Das schwunghafte, elastische Hauptmotiv tritt
zuerst in den Oboen auf; ihm gesellt sich ohne weiteres ein
Begleitungsmotiv bei, das die Trompeten bringen; aus diesem
wieder entwickelt sich endlich ein kurzes Seitenmotiv, dem
innerhalb der späteren Ausarbeitung eine äußerst bewegliche,
vielgeschäftige Aufgabe zugeteilt wird. Bach pflegt seine
Themata so zu erfinden, daß sie die verschiedenartigsten Um-
stellungen und \'ersetzungen erlauben, mithin nach den Regeln
— II —
des 2, 3, 4 und 5 lachen Kontrapunktes geschrieben sind.
Außerdem liegt in ihnen eine rhythmisch-melodisch- harmonische
Schwungkraft, die von vornherein jenes erhebende Gefühl her-
vorruft: es werde hier alles durch sich selbst, durch den den
Stollen innewohnenden Trieb vollzogen und die ordnende
Meisterhand trete nur leitend auf, um vor willkürlichen Aus-
schreitungen zu wahren.
Nach einer Ausweichung in die Dominante kehrt das Vor-
spiel, sein Hauptmaterial eng konzentrierend, zur Tonika zurück,
in der es nun vollständig abschließt. Die Singstimmen, 2 So-
prane, I Alt, I Tenor und i Jiaß, ergreifen darauf zweistimmig
und ohne Instrumentalbegleitung einen Teil des Hauptmotives,
das alsbald in voller Gestalt vom Orchester wieder aufge-
nommen wird, welches die erste Hälfte des Vorspiels Note
für Note repetiert. Wir erwähnten schon oben der außer-
ordentlich selbständigen und polyphonen Haltung der In-
strumentaleinleitung, und doch ist es Bach noch möglich ge-
worden, in dieselbe nun efnen fast völlig neuen 5 stimmigen
Vokalsatz hineinzuschreiben I Wäre der große Meister bei
seinem unerschöpflichen Reichtume nicht zugleich ein ebenso
unerreichbares Muster edelster Einfachrieit, — schwerlich würde
es haben gelingen können, dergleichen Wagnisse ungestraft
auszuführen. — Wie ist es aber unserem Ohr möglich, eine
solche Vielstimmigkeit zu fassen, alle die \'erschiedenen Gänge
und Wendungen im wirbelnden \'orüberschweben als Einheit
zu begreifen ? Wir erlauben uns hierüber einige andeutende
Worte.
Nach unserercm Dafürhalten kommt es bei Bach viel
weniger darauf an, das sogenannte Stimmgewebe in allen Details
zu verfolgen: wie in einem Dome die unzähligen Einzelheiten
und \'erzierungen nur dazu dienen, dem großen Ganzen Leben
und Bewegung zu geben, nicht aber die Aufmerksamkeit des
Beschauers von ihm abzulenken , ebenso möchte es sich mit
der Bach sehen Polyphonie verhalten. Bach 's Harmonie-
folgen entfalten sich meist in großen, breiten Verhältnissen —
die Grundbässc weisen es deutlich genug nach — ; diese
Gruppen löst er durch melodisch-lließende Stimniführuni; schein-
— 12 —
bar in kleinere auf, wodurch eine Menge Nebenharmonien ent-
stehen, die geschäftig hin und her drängen. W^er nun diese
flüchtig vorüberschwebenden Wesen zu verfolgen suchen wollte,
würde daran scheitern, daß, ehe noch das eine abgeschlossene
Form erhalten hat, schon das andere hervordrängt, um eben
so schnell einem Dritten zu weichen, daß alles einzelne dem
Ohre zu entschlüpfen scheint. Die wahre Bedeutung des De-
tails, wie des Ganzen geht verloren, wollte man Bach so hören.
Man muß vielmehr jene großen Verhältnisse aufzufassen, sie
innerlich in sich nachzubilden suchen und von dieser festen
Basis aus mit sicherem Blick in das scheinbar verworrene, in
Wahrheit aber höchst kunstreich, organisch entwickelte Gewirr
der einzelnen Stimmen hineinsehen lernen. Dann werden die
Einzelheiten, in denen an jeder Stelle der Schwerpunkt liegt,
die das entscheidende Wort zu reden haben, die die haupt-
sächlichsten Träger der künstlerischen Absicht sind, ohne
Schwierigkeit wie von selbst heraustreten, und das, was nur
stützen, die musikalische Gestaltung nur stilvoll abrunden soll,
wird keine störende und beirrende Wirkung mehr üben. Das
Geheimnis der Bach'schen Stimmführung beruht in der engen
Beziehung jeder einzelnen Stimme zum Ganzen, — dement-
sprechend muß das Verständnis in erster Linie die Entwick-
lung des Ganzen im Auge behalten und durch diese sich
über das einzelne zu orientieren suchen. Selbst der Musiker
wird bei dem eindringendsten Studium, bei dem Eingehen auf
die kleinsten Details, dies nicht außer acht lassen dürfen, wenn
er nicht Bach mißzuverstehen Gefahr laufen will.
Unser erster Chor entwickelt sich nun, trotz der reichsten
Fülle und Mannigfaltigkeit wesentlich in den einfachsten For-
men. Zunächst wird die Hauptdominante herbeigeführt, von
der aus der weitere Verlauf die Seitenrichtung nach der Pa-
ralleltonart nimmt. Von ihr biegt die Modulation ungezwungen
nach der Tonika zurück, berührt noch flüchtig die Unter-
dominante, um zuletzt in der Tonika voll abzuschließen. Zier-
liche melodische Kadenzen bezeichnen die Endpunkte der Haupt-
tonarten und geben den großen, majestätischen Formen einen
zarten, Ivrischen Anhauch. Nachdem der Vokalsatz zu Ende,
— I? —
tritt das Orchester wieder mit einem selbständigen Nachspiele
auf, das der zweiten Hälfte des Vorspiels entnommen ist.
Man sieht, wie einfach und übersichtlich Bach seine Grund-
verhältnisse zu bilden weiß! Glänzende Pracht und jubelnde
Freude, die sich in den anmutigsten Tonverschlingungen be-
gegnen, sind die Haupteigenschaften der ersten Nummer. In
treftlicher Spannung bereitet sie das Nachfolgende vor und ist
gleichsam der festlich geschmückte Eingang zum Tempel, in
welchem Lob- und Danklieder der Macht und Gnade des
Herrn erschallen.
Demgegenüber bringt der nächste Satz ein Solo D-dur
•^g Takt, das dieselben Stimmungen, denen der Chor breiten,
gew^ichtigcn Ausdruck verlieh , als Einzelempfindung lieblich
zurückstrahlt. Die Singstimme, ein zweiter Sopran, behandelt
die Textworte : „et cxultavit Spiritus mens in Deo salutari
meo" und wird vom Streichquartett begleitet, das hin und
wieder die Orgel unterbricht. Ein sanft aufstrebendes Motiv,
von einer im leichten Spiel dazwischentretenden Baßfigur
sekundiert, welche sich in erweiterter Ausführung später der
ersten \'ioline zierlich mitteilt, bestreitet fast ausschließlich die
Entwicklung dieses weichen, milden Arioso. Es rundet sich
hier alles so zum schönsten Ebenmaß der Formen ab, daß
die Nachsätze wie von selbst aus ihren Vordersätzen zu fließen
scheinen. Nur der lauteren Reinheit eines jungfräulichen
Herzens konnte eine solche kindlich-heitere Freude, die so völlig
gegensatzlos und ungetrübt verläuft, entspringen.
Ganz anders verhält es sich dagegen mit der folgenden
Nummer, einer Arie für den ersten Sopran H-moll * ^ Takt, der
sich ein Chor im unmittelbarsten Zusammenhange anschließt.
Der Solostimme sind die Worte; „quia rcspexit humilitatem
ancillae suae: ecce enim. ex hoc beatam me dicent", — dem
Chor deren Fortsetzung: „omnes generationes" zugrunde ge-
legt. So schlicht und einfach die Arie äußerlich disponiert er-
scheint, — der Gesang wird nur von einer Oboe d'amore und
der Orgel begleitet, — ebenso tiefsinnig und erschütternd ist
ihr Inhalt. Bach begreift die Textworte nicht allein inner-
hiilb der Situation, in der sie auftreten, seine musikalische
— 14 —
Auffassung ragt oft'enbar weit über sie hinaus. In der Maria
erblickt er nicht nur die demütige, niedrige Magd, welcher
soeben der Weltheiland verkündigt ist und die - sich dieses
Glückes in seligem Frieden bewußt wird, — er sieht in ihr
vielmehr mit dem Blick eines Propheten jene Mutter-Gottes,
deren Sohn die Sünden der Welt in Knechtesgestalt tragen
und sühnen soll. Wie wäre sonst wohl der unheimliche, bange
Klagelaut, der wie ein dunkler Schleier über all der stillen
Ruhe und Ergebung lagert, zu erklären ? Und noch mehr
findet sich diese mystische Auffassung Bach's bestätigt, wenn
man den Charakter des rasch einfallenden Chores, Fis-moll
*ii Takt, ins Auge faßt. In wilder Hast stürzen sich die Sing-
stimmen in den abschließenden Solosatz und türmen sich, wie
von dämonischen Gewalten getrieben , zu einer so kolossalen
Höhe des Ausdrucks, daß der Gedanke, der Meister habe hier
eine Welterschütterung der unerhörtesten Art von ihrem fernsten
Ausgangspunkte her vergegenständlichen wollen, nahe genug
liegt. Vielleicht umschwebten seinen tiefen Geist im Momente
des Schaffens die Worte Christi: „Ihr sollt nicht wähnen, daß
ich gekommen sei, Frieden zu senden auf Erden. Ich bin
nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert."
Das äußerst energische Thema wird zunächst vom Baß
ergriffen, um den sich der zweite Sopran, Alt und Tenor
wirbelnd bewegen. Dann erfolgen die weiteren Eintritte des
Themas, das stets eine mächtige, wild aufgeregte Figur hinter
sich herzieht, in halben Takten Schlag auf Schlag. Eine weit
ausgreifende Sequenz drängt es Ton für Ton aufwärts, um es
endlich einen flüchtigen Ruhepunkt in der Paralleltonart, A-dur,
finden zu lassen. Aber ohne Rast und Frieden toben die auf-
gewühlten Massen im neuen Anlaufe, der sich womöglich noch
kühner und gigantischer gestaltet, weiter, einem anderen Ziele,
der Tonart der Dominante, Cis-moU zutreibend. Bisher um-
brauste die Singstimmen eine grollende Baßfigur, die sich,
jener Sequenz gehorchend, unwiderstehlich aus der dunklen
Tiefe emporarbeitete. Plötzlich wird dem Continuo Halt ge-
boten: heftige Orchesterschläge, den Dominantakkord von Fis-
moll auf dem ersten und dritten Viertel mit voller Kraft
— 1? —
markierend, erfolgen und bilden so eine Art Orgelpunkt, über
und in welchem jetzt das Hauptthema die fabelhaftesten Eng-
führungen zu Gehör bringt. Fünffache kanonische Ver-
schlingungen im Einklang und in der Oktave, die sich auf
\'iertelschlägen imitieren, drängen einer unheimlichen Fermate
zu, die gewissermaßen die entscheidende Krisis unseres ge-
waltigen Chores bildet. Denn nach ihr treten die Stimmen,
dem Schlüsse rasch zueilend, in fast homophoner Führung,
wie zur festen Einheit verschmolzen , auf, • — der Läuterungs-
prozeß, wenn auch nach schweren Kämpfen, ist an ihnen voll-
zogen !
Vor einigen Jahren sprach ich mich bereits in einem
Artikel, den die ,,Xeue Zeitschrift für Musik" brachte, über
die Symbolik Bachs spezieller aus; da nicht vorausgesetzt
werden kann, daß jedem Leser jene Zeitschrift zur Hand ist,
so erlaube ich mir, die Hauptpunkte der damaligen Unter-
suchungen hiermit zu wiederholen:
„In seinen Kirchensachen kommt Bach eine Behandlung
der Formen zu Hilfe, die ihm eigentümlich ist. Die Form
gibt ihm nicht nur die Mittel zur Darstellung des Gegen-
standes, — er weiß auch noch eine besondere symbolische Be-
deutung hineinzulegen, die überkommefhen Formen dadurch zu
heben, daß er ihre Grundverhältnisse in Beziehung zum Gegen-
stande und dessen tieferer Bedeutung zu setzen weiß. Ohne
Bedenken kann man es wohl als Regel hinstellen: je tief-
sinniger Bach in seinen formalen Kombinationen auftritt, desto
sicherer läßt sich darauf rechnen, daß hinter dem ungewöhn-
lichen Ausdruck ein ebenso überraschender Gedanke verborgen
liegt. Poetisches Eingehen in den Sinn der Worte wird durch-
schnittlich rasch und sicher das Rätsel lösen. Eine Menge
von Fällen spricht für diese Tatsache, — zum Teil hat sie
die Kritik bereits ans Licht gezogen, zum Teil liegt noch
manches im Dunkel, das liebevolle Hingebung früher oder
später klären wird."
Wer diesen Ansichten beizupflichten vermag, wird auch
in den oben mitgeteilten Auffassungen schwerlich haltlose
Hypothesen erblicken, — in Wort und Note finden sie ja die
— i6 —
klarste Bestätigung. Obschon die meisten Interpretationsver-
suche, wie sie häufig an Instrumentahverken geübt werden, ihr
sehr MißHches haben und oft genug in den -entgegengesetzten
Anschauungen auslaufen, — so erblickt der eine in der Beet-
hoven'schen A-dur-Sinfonie die Schilderung einer fröhlichen
Bauernhochzeit, während der andere sie für die größte Tra-
gödie seit König Lear hält, — dürften derartige Untersuchungen
bei musikalischen Kunstwerken, denen ein bestimmter Text
zugrunde liegt, nicht nur unbedenklich, sondern ' sogar not-
wendig sein. Das Wort gibt dem Tone bestimmte Richtung
und Sinn, es schützt durch die ihm innewohnenden Eigenschaften
vor willkürlich-allegorisierenden Ausschreitungen und wird viel
leichter eine Vereinigung auseinandergehender Ansichten her-
beiführen, als sie bei Werken rein instrumentaler Art mög-
lich ist.
Doch zurück zum Magnificat! — Der wilden Unruhe
der eben besprochenen Nummer tritt nun ein Baßsolo, A-dur
^,4 Takt, mit den Worten: „quia fccit mihi magna, qui potens
est, et sanctum nomen ejus" — herrlich kontrastierend gegen-
über. Alles atmet hier warmen, innigen Dank für das Große,
Avas der Herr an uns getan, und preiset seinen heiligen Namen.
Die Ökonomie dieser Arie ist wahrhaft bewunderungswürdig
und dürfte leicht unübertroffen dastehen. Ein charakteristi-
sches und ausdrucksvolles Motiv des Continuo, vier Takte bil-
dend, wiederholt sich unausgesetzt in den verschiedensten Lagen
und Intervallen durch den ganzen Satz. Zunächst lenkt es
zur Dominanttonart, von der aus es in einem sanften Über-
gange die Parallele, Fis-moll, erreicht. Darauf wird man in
die Mediante geführt, aus welcher die Tonika wie neugeboren
wieder hervortritt. Die Singstimme entnimmt ihre Stoffe teils
diesem Thema, teils bewegt sie sich in freien, selbständigen
Figuren, die wie ein Dankopfer wallend über ihm empor-
steigen, würdevoll und ruhig einher. Die edle Form ihrer
Kantilene gibt uns erwünschte Gelegenheit, einige Bemerkungen
über Wesen und Art des Bach 'sehen Gesanges hier einzu-
schalten.
Es ist eine weit verbreitete Ansicht, daß Bach seine Sing-
stimmen vorwiegend instrumental behandle: „er sei ausschließ-
lich Orgelspieler gewesen und habe den hier gebräuchlichen
Stil auch auf den Vokalsatz ausgedehnt", hört man oft be-
haupten. Ist es schon an und für sich etwas voreilig, einem
großen Künstler derartige Mißgritit'e und \^erirrungen zuzu-
trauen, so steht das anderweitige Verhalten unseres Meisters
mit einer so leichtfertigen Annahme aucli ini direktesten Wider-
spruche. Wenn Bach für die Orgel komponiert, schreibt er
nicht klaviermäßig und ebenso umgekehrt; seine ^^t, die
X'iüline, das Violoncell, die Oboe, die Flöte — kurz alle übrigen
Instrumente zu behandeln, ist so charaktervoll und muster-
gültig, daß es sich heutzutage niemand ernsthaft einfallen
läßt, ihn hier meistern zu wollen. Allerdings mutet er dem
Material häufig das Äußerste zu, aber Unmögliches und Un-
ausführbares wohl schwerlich! Er kannte nicht nur die for-
malen Eigenschaften der Instrumente auf das genaueste, weit
tiefer war er noch in ihr eigenstes Sein und Wesen gedrungen.
Wir können uns hier auf vollgültige Autoritäten, wie die eines
Joachim berufen, welche sogar behaupten, Bach wäre seiner
Zeit z. B. in dem, was er der Violine bietet, weit vorausgeeilt:
er habe im Geiste bereits alle Möglichkeiten späterer tech-
nischer Entwicklungen vorausgesehen und in Anwendung ge-
bracht. Sollte er nun das Material, für welches er das
Intensivste schrieb, was sein reicher Geist dichtete, die Menschen-
stimme — sie ist ja auch in ihrer Art ein Instrument —
weniger gekannt und unpassender benutzt haben als ver-
hältnismäßig Lebloseres, Unorganischeres? Hätte diesen Zweifel
eine vernünftige Praxis nicht längst gehoben, so müßte schon
die aufgeworfene Frage an und für sich einigermaßen scheu
und bedenklich gegen solche Urteile machen. Das Haupt-
hindernis, welches dem Sänger in der Bach 'sehen Kantilenc
entgegentritt, besteht wesentlich in der herkömmlichen Ge-
.sangsmethode. Bach's Vokalsatz ruht auf dem Boden der
altdeutschen Musik, welche schon früh dem Worte selb-
ständigere Bedeutung gab und es zum eigentlichen Träqer der
Melodie zu machen suchte: in Eccard tritt der Gegensatz einer
R. Franz, Gesammelte Schriften. 2
— i8 —
deutschen und italienischen Schule in diesem Sinne deutlich
hervor.
Die nächste Xummer des Magnificat bringt ein Duett
zwischen Alt und Tenor, E-moU ^-g Takt, zu den Worten: „et
misericordia a progenie in progenies timentibus eum". Auch
hier bewährt sich Bach wieder als geistvollen Interpreten der
Textworte und feinen Kenner des menschlichen Herzens. Die
Barmherzigkeit und Gnade des Herrn in ihrer Rückwirkung
auf die, welche ihn fürchten, ist in meisterhaften Zügen musi-
kalisch gezeichnet. Die Singstimmen werden vom Streich
quartett — \'iolinen und Viola mit Sordinen, die ersteren noch
durch Flöte verdoppelt, — unterstützt. In dieser V^erdopplung
tauschen die Geigen und Flöten ihre glänzenden und weichen
Klangfarben aus, als wollte Bach die zugleich erhebende und
beschwichtigende Gewalt der göttlichen Barmherzigkeit über
das sich ihr zuwendende Herz andeuten. Bei den Worten:
„timentibus eum" schweigt die Instrumentalbegleitung zumeist
und überläßt der Orgel die Begleitung. Die Schlußwendung
der Singstimmen ist von erschütternder Wirkung durch staunens-
werte Kühnheit der Modulation.
Einen grandiosen Kontrast bildet der diesem milden Duett
folgende Chor. Sein weit ausgreifendes, machtvolles Haupt-
thema, das majestätisch in einem Umfang von anderthalb
Oktaven einhcrschreitet, bringt zunächst die Worte : „fecit
potentiam". Der sich nach allen Seiten .verbreitenden, unend-
lich beweglichen „potentia" stellt Bach ein Motiv über die
Worte : „in brachio suo" entgegen, das ein gegensätzliches und
doch verwandtes Element, gedrungene, in sich ruhende und
dennoch spannungsvolle Kraft zu verkörpern scheint. Das
Hauptthema, zuerst im Tenor auftretend, wird gleich von vorn-
herein durch markige, rhythmische Schläge der übrigen Sing-
stimmen begleitet, denen sich das Orchester — aber ohne
Trompeten und Pauken — , sie in anderen Battuten imitierend,
zugesellt. Darauf ergreift es der Alt, während der Tenor das
schon oben erwähnte Gegenmotiv: „in brachio suo" entwickelt
und die anderen Sing- und Orchesterstimmen ihre kräftige
rhythmische Bewegung fortsetzen. Das Thema wird jetzt dem
— 19 —
zweiten Sopran, dann dem Baß, später dem ersten Sopran und
schließlich dem Orchester überwiesen. Die Singstimmen jedoch,
welche es bereits ausführten, überlassen jene rhythmisch wirkende
l-'igur mehr und mehr dem Orchester und nehmen eine immer
freiere Haltung in den reichsten kontrapunktischen Formen an,
so daß kurz vor dem Eintritt des Hauptmotives im Orchester
alle in völlig selbständiger Bewegung begriffen sind. Mittler-
weile haben sich zwei neue Nebenmotive zu dem Worte:
„dispersit" eingeführt, die es in malerischen Formen versinn-
bildlichen. Der Continuo stützt diesen wunderbaren Bau seiner-
seits in nur ihm eigenen Rhythmen, die gleichfalls dem Charakter
des Ganzen trefflich entsprechen. Zuletzt bleibt das eine Xeben-
motiv des „dispersit" allein auf dem Platze und treibt das zu
ihm gehörige „superbos" plötzlich in schrillem Abbruch hervor. —
und hier tritt nun ein Fall ein, der uns zum ersten Male
Veranlassung bietet, Bach gegenüber ein bescheidenes Be-
denken zu äußern. Der Text der X'ulgata stellt nämlich die
Worte: „dispersit superbos mente cordis sui" als zueinander-
gehörend hin und folgt darin nur dem griechischen Originale.
Bach dagegen trennt sie auf das gewaltsamste, indem er bei
dem Worte: „superbos" scharf absetzt und ihm nach einer
großen Pause in einem feierlichen Adagio die Worte: „mente
cordis sui' entgegenstellt. Vielleicht ließ sich aber der
Meister durch das nicht eben klassische Latein verleiten, das
„sui" nicht auf „superbos" sondern auf Gott zu beziehen. Dann
konnte er der ganzen Stelle möglicherweise den Sinn beigelegt
haben : „er zerstreuet die 1 loffärtigen — mit dem Hauche seines
Mundes". Die Textworte so aufgefaßt, ist der musikalische
Verlauf des Satzes nun ganz gerechtfertigt und von vollendeter
.Schönheit. Wollte man eine weitere Erklärung suchen, dann
wurde kaum anderes übrig bleiben, als Bach die Geschmack-
losigkeit zuzumuten, „den Sinn der Hoffärtigen" mit den ge-
waltigsten und erhabensten Ausdrucksmitteln der Kunst ver-
herrlicht haben zu wollen. — Wir messen uns in diesem F'alle
jedoch durchaus keine Kompetenz bei und überlassen dazu be-
rufeneren Händen gern die gründlichere Untersuchung.
Dem eben besprochenen Chore reiht sich ein Ten<jrsülo,
— 20 —
Fis-moU ^/^ Takt an, das in seinen Grundzügen eine verwandte
Stimmung zeigt Es behandelt den Text: „deposuit potentes
de sede, et exaltavit humiles". Natürlich hat sich Bach auch
hier die naheliegenden Gegensätze nicht entgehen lassen und
weiß sie energisch und charakteristisch genug darzustellen.
Die darauf folgende Nummer, ein Altsolo in E-dur *j^ Takt,
hebt sich wieder stark kontrastierend ab. 2 Flöten, der Continuo
und die zuweilen einfallende Orgel begleiten den Gesang zu
den VV^orten : „csuricntes implevit bonis et divites dimisit
inanes". Die Arie hat jenen Ausdruck der Milde und Ruhe,
der unser Gemüt so schön berührt, ohne es durch Monotonie
zu ermüden. Die Flöten bewegen sich meist in Sexten und
Terzen, einen höchst eigentümlichen Rhythmus festhaltend und
treten nur dann und wann in sinnigem Spiel einander gegen-
über. Meisterhaft sind die Worte: „implevit bonis" und dann
wieder: „dimisit inanes" ausgedrückt: wie mit einem Füllhorn
des Segens werden die „esuricntcs" überschüttet, während die
„divites" mit einer öden Figur leer ausgehen. Der Verlauf des
Ganzen vollzieht sich so natürlich und ruhig, das unmittelbare
Eingreifen des Höchsten in die Schicksale der Menschen hat
so viel herzgewinnende Züge, daf.5 man das rasche Vorüber-
gleiten der schönen Nummer fast beklagen muß. —
Ihrem unmittelbar erfassendem Reize läßt Bach eine tief-
sinnige Konzeption folgen, die in entlegene Fernen, in eine
andere Welt einführt, einen Satz, der wohl den eigentlichen
Mittel- und Kernpunkt des Ganzen ausmachen dürfte. Die
uralte Melodie des Magnificat, deren sich die Kirche zu-
gleich auch für die Bencdictio bediente — man verlegt ihre
Entstehung bis ins 7. Jahrhundert hinauf, — erscheint jetzt als
cantus firmus in den Oboen und von drei Frauenstimmen (zwei
Soprane und ein Altj mit den Worten : „suscepit Israel puerum
suum, recordatus misericordiae" geheimnisvoll umspielt. In
zarten Strichen markiert das Violoncell die harmonischen Grund-
verhältnisse, indem es sie mehr andeutet, als wirklich ausführt.
Der Cantus firmus schwebt, einem Sterne gleich, mildleuchtend
über den Singstimmen, sie wie im sanften Zuge zu sich empor-
hebend. Der Vokalsatz seinerseits wallt und wogt ihm ent-
— 21 —
gegen in lieblichen Imitationen, welche die verschiedenen
Stimmen in kunstreichen Verschlingungen einander abnehmen
und übertragen: Alles scheint Leben und B< aus den
uralten Klängen zu schöpfen. Zu den zwei Z ~ Chorals
bedient sich der Meister auch eines doppelten Begleitungsstoffes:
der ersten wird das: „susccpit Israel puerum suum", der zweiten
das: „rccordatus misericordiae"' untergelegt. Beide Textabschnittc
finden wieder ihre besondere musikalische Behandlung. Das
Motiv zu : ,,suscepit Israel puerum suum" wird gerade und in
der Umkehrung benutzt, eine Darstellungsform, welche der
hilfreichen Hand des Herrn charakteristisch genug entspricht;
das : ,,recordatus misericordiae'' entwickelt sich dagegen ohne
Anwendung solcher Kunstmittel, verherrlicht aber in nur um
so eindringlicherer Art die ewige Gnade und Erbarmung.
Ooschon sich die Singstimmen in ihren kreisenden Be-
wegungen zuweilen schneidend berühren, werden diese momen-
tanen Härten doch stets durch den selbständigen Zug der
Stimmführung wieder ausgeglichen und dienen vielmehr dazu,
dem Satze das Gepräge des Außerordentlichen, Mystischen zu
verleihen. Und auf die Darstellung eines solchen dürfte es
Bach wohl auch hauptsächlich hiefr angekommen sein. Die
Verbindung gerade jener Textworte, welche die erlösende Barm-
herzigkeit, die der Herr seinem Diener Israel widerfahren läßt,
schildern, mit den ehrwürdigen Klängen des Magnificat oder
der im Sinne der Kirche noch bedeutsameren Benedictio, ist
sicher keine zufällige und deutet auf eine solche Auffassung
hin. Wenn wir endlich noch auf den Gegensatz dieser Nummer
zu dem Chore: ..omnes generationes" die Aufmerksamkeit lenken,
darauf hinweisen, wie in beiden das Christentum zuerst in seiner
welterschütternden und dann in seiner welterlösenden Bedeutung
vorgeführt wird, so gewinnen wir damit einen neuen Gesi -
punkt, der Fachs unermeßliche Größe im hellsten Lichte
Form und Inhalt des eben analysierten Stückes erinnerten
uns wiederholt an einen jener unvergänglichen Ausspr
Luthers, die darum so überzeugend wirken, weil sie aus .
tiefsten Gemütsanschauung hervorgingen. Wir lassen ihn hier
wörtlich folgen :
„\^ o die natürliche Musica durch die Kunst geschärft und
poliert wird, da sieht und erkennt man erst mit Verwunderung
die große und vollkommene Weisheit Gottes in seinem wunder-
lichen Werke der Musica, in welcher vor allem das seltsam
und zu verwundern ist, daß einer die schlechte Weise hersingt,
neben welcher drei, vier oder tünf andere Stimmen aber auch
gesungen werden , die um solche schlechte Weise gleich als
mit Jauchzen ringsherum spielen und springen und mit
mancherlei Art und Klang dieselbige Weise wunderlich zieren
und schmücken und gleich wie einen himmlischen Tanzreigen
führen, freundlich einander begegnen und sich herzen und
lieblich umfangen."
Kräftig das Vorhergehende bestätigend schließt sich nun
ein Chor, D-dur, alla breve, mit den Worten an: „sicut locutus
est ad patres nostros, Abraham et scmini ejus in secula".
Seinem Inhalte angemessen wird der Text zu einer Vokalfuge
benutzt, die der Continuo und die Orgel energisch unter-
stützen. Daß Bach in der Fugenform unerreichter Meister
ist, darüber herrscht heutzutage wohl allgemeine Überein-
stimmung. So löst er denn auch hier seine Aufgabe mit
spielender Leichtigkeit und vollendetem Geschick. Dem kernigen
Hauptthema: „sicut locutus est ad patres nostros" werden nach
und nach verschiedene Nebenmotive zugeführt, das erste mit
den Worten: „Abraham et semini ejus", das zweite mit: „sicut
locutus est" und das dritte mit: „in secula", die sich bei dem
vorletzten Eintritt des Themas im Baß sämthch vereinigen.
Der sinnvollen Übereinstimmung zwischen Wort und Ton
bedart kaum der Erwähnung. — Bach 's Fugen sind gewöhn-
lich in einem so vielfachen Kontrapunkte geschrieben, als eben
Stimmen beschäftigt werden sollen. Durch ein zweckmäßiges
Umstellen dieser erzielt der Meister mit den einfachsten Mitteln
oft die größten Wirkungen. Im allgemeinen arbeitet er sein
Hauptthema drei-, vier- oder fünfstimmig aus und gibt jeder
einzelnen Partie einen möglichst selbständigen, individuellen
Charakter: mit diesem Material bestreitet sich dann der weitere
Verlauf des Satzes fast ausschließlich. Demnach könnte man
nun glauben, daß hier im Grunde genommen mehr Mechanik
als Organik walte. Bis auf einen gewissen Punkt kann dies
auch ohne weiteres zugegeben werden — aber die Art und
Weise, in der Bach seine Themen erfindet, dürfte denn doch
nicht ganz zu übersehen sein : er haucht ihnen eine so elastische
Kraft ein , daß sie in allen Lagen und Verhältnissen immer
wieder frisch und neu erscheinen. — Gegen das Ende hin ge-
staltet sich unsere Fuge ziemlich frei und bereitet damit den
Charakter der Schlußnummer treulich vor.
Mit dem : „sicut locotus est" endigt eigentlich der Lob-
gesang der Maria. Um eine bestimmtere Abrundung zu ge-
winnen, ist dem Magnificat aber noch der \''ers: „gloria
Patri, gloria Filio, gloria Spiritui sanctol Sicut erat in prin-
cipio, et nunc et semper, et in secula seculorum, Amen", hin-
zugefügt, der das Ganze in einer großen und weiten Stimmung
noch einmal zusammenfaßt.
Dieser Schlußsatz spaltet sich nach seiner äußeren Struktur
in zwei Hauptteile, deren erster die Worte: „gloria Patri,
gloria Filio, gloria et Spiritui sancto" und deren zweiter das:
„Sicut erat in principio" usw. aufnimmt. Die fünf Chor-
stimmen, \'om Orchester mit Ausnahme der Trompeten und
Pauken , die erst später bei dem : ,,g|loria spiritui sancto" hin-
zutreten, und der Orgel begleitet, brechen zuerst in einen
kurzen, energischen Ruf: „gloria !" — aus. Der Continuo, tasto
solo der Orgel, hält darauf das tiefe a als Orgelpunkt aus, auf
welchem sich nun ein unerhörtes Tongebilde aufbaut. Der
Baß, dem die übrigen Singstimmen in Eintritten von halben
Takten folgen , entrollt ohne alle weitere Begleitung eine ge-
waltig aufsteigende Triolenfigur, die sich nach einer Ausführung
von drei Takten in das wie im überirdischen Glänze strahlende :
„gloria Patri", bei dem das Orchester wieder mit aller Macht
einfällt, jenen Ruf von neuem aufnehmend, stürzt. Diese An-
laufe wiederholen sich auf dem Orgelpunkte e, nur mit ent-
gegengesetzten Stimmeintritten zu dem: „gloria Filio" und dann
wieder auf dem Orgelpunkte h, jedoch mit einem neuen Motive
zu dem: „gloria Spiritui sancto". — Die Stimmen scheinen im
Drange des Aufschwunges zu dem dreieinigen Gott sich zu
überstürzen, bis sie das Bedürfnis tler Gemeinschaft auf weit
— 24 —
ausklingenden Quintsexten-Akkorden wieder einigt, sie scheinen
den Himmel stürmen zu wollen, vor dem -ewigen Glänze
aber, nicht zerknirscht, sondern jauchzend in die Knie
zu sinken. Und hier zeigt die Musik recht klar das nur
ihr eigentümliche Vermögen, Stimmungen höchster Trans-
zendenz in voller Realität darzustellen; die Ausdrucksfähigkeit
der übrigen Künste reicht nach dieser Seite hin nicht entfernt
an sie heran.
Der eben besprochenen Einleitung folgt nun die zweite
Hälfte des Chores mit den Worten: „Sicut erat in principio,
et nunc et semper et in secula seculorum, Amen." Bach
lenkt hier auf die Eingangsnummer zurück, indem er die Haupt-
motive derselben in gedrängter Form noch einmal vorüber-
schweben läßt. Die befriedigende Abrundung, welche er damit
dem ganzen Werke gibt, reiht sich den vorausgegangenen
Zügen vollendeter Schönheit würdig an.
Nachdem wir jede einzelne Xummer des Magnificat
einer besonderen Besprechung unterzogen und ihren hohen
Wert nachzuweisen versucht haben, bleibt uns nun noch
übrig, das Werk als Ganzes zu betrachten. Je ausführlicher
wir dort verfuhren, um so kürzer werden wir uns hier fassen
können.
Alle Werke Bach 's zeigen die geschlossenste Stimmung,
die sich fest und sicher durch den Verlauf zieht. Unserer
Zeit, deren Blick so sehr vom einzelnen beherrscht wird, kommt
es fast unbegreiflich vor, wie die alten Meister bei aller Liebe,
die sie dem Detail zuwandten, stets das Auge klar und frei
zu erhalten wußten, um über ihm die allgemeinen Grundver-
hältnisse und deren harmonischen Zusammenhang nicht zu
vernachlässigen. Ihr künstlerisches Empfinden war noch ein
durchaus einheitliches, — eine reine und durchsichtige Atmo-
sphäre breitet sich ungetrübt über ihren Werken aus, ein gleich-
mäßiges Licht, der Abglanz der eigenen Scelenstimmung des
Künstlers, durchleuchtet die Welt, die sie schatten, und alle
ihre Gebilde: nirgends erblickt man Zufälliges oder Über-
flüssiges, vielmehr bedingt eins das andere so notwendig, daß
alles wie aus einem gemeinsamen Mittelpunkte entsprungen
zu sein scheint. Auch unser Magnificat bestätigt diese Wahr-
nehmung. Bei aller Mannigfaltigkeit, die es in den einzelnen
Teilen bieten mag, bei den gewaltigsten Kontrasten, die ein-
ander gegenübertreten, trotz der stets fortschreitenden Steige-
rung, waltet doch im ganzen wieder eine Naivetät und Kind-
lichkeit, die alle Schwierigkeiten scheinbar spielend löst und
in volier Unbefangenheit das Höchste wagt und erreicht.
Bach war eben ein ganzer Mensch, dessen Inneres keine
Widersprüche dulden konnte: wie im Detail seiner Musik die
verwandten Stofte gleichsam kristallisierend zusammenschießen
und alles Fremdartige abweisen, ebenso instinktartig vereinigen
sich ihm die größeren Verhältnisse zu einem Ganzen, das nichts
Unharmonisches in sich duldet.
Solchen Erscheinungen gegenüber hört eigentlich jede
Kritik auf, — sie muß sich bescheiden , den wunderbaren
Leistungen des Meisters lauschend und beobachtend nachzu-
gehen : kann sie ihre negativen EigeÄischaften an derartigen
Werken nur wenig üben, mag sie sich ihrer dafür um so posi-
tiver annehmen. In diesem Sinne erlauben wir uns noch einige
flüchtige Bemerkungen.
In der Form unterscheidet sich das Magnificat von
vielen der übrigen Bach sehen Kirchenwerke durch eine be-
sonders konzise und knappe Gestalt der Chöre wie der Solo-
gesänge. Namentlich zeigen die letzteren eine große Präzision
der Konturen: kann an ihnen auch die Grundform der Arie,
die Dreiteiligkeit, wahrgenommen werden, so erscheint sie
doch mehr angedeutet, als wirklich ausgeführt. Teils bedingte
dies der Text, der in den einzelnen Versen wenig Gegensätz-
liches bietet, teils der allgemeinere Verlauf des Werkes, das
seiner Xatur nach rasch und entschieden vorwärts schreitet.
— Ebenso sind die Chöre, vielleicht mit Ausnahme des ersten,
sehr gedrängt und kompakt gehalten und legen ein vollgültiges
— 26 —
Zeugnis ab, wie sehr Bach unter Umständen der Selbstbe-
schränkung fähig war.
Die Behandlung der Singstimmen ist im allgemeinen eine
glückhche und gelungene zu nennen. Nirgends wird der
Sänger genötigt, die außergewöhnlichen Lagen seines Organs
in Anwendung zu bringen, — er kann sich vielmehr dessen
Frische und Kraft bis ans Ende bewahren. Die Kantilenen
sind meist leicht faßlich, immer eindringlich, und erleichtern
auch dadurch die ausdrucksvolle Wiedergabe.
Das Orchester bietet desgleichen keine namhaften
Schwierigkeiten: mit Ausnahme der Trompeten, denen aller-
dings Dinge zugemutet werden, welche die heutige Technik
nicht mehr leisten kann, läßt sich alles bequem ausführen.
Demnach wären dem Werke hinlänglich die Wege geebnet,
in entsprechender Darstellung vor die Welt zu treten: hoften
wir, daß es nur dieser Andeutung bedurft hat, ihm zu diesem
seinem guten Rechte zu verhelfen. Hohe Zeit dürfte es sein,
der gänzlichen Verflachung des Geschmackes durch Wieder-
belebung dieser und ähnlicher Schöpfungen der älteren Kunst
entgegen zu wirken. Die Aufführung der Matthäus-Passion
durch Mendelssohn war eine epochemachende Tat, welche
das im starren Todesschlafe liegende Lieblingskind der
Bach 'sehen Muse zu neuem Leben erweckte, — mögen solche
Taten an ähnlichen Werken des Meisters bald und in großer
Anzahl vollzogen werden ! Das Kunstwerk gewinnt seine wahre
Bedeutung erst, wenn es die Macht, die der Künstler ihm ver-
lieh, vor aller Welt wirklich üben kann: dieser hat seine
Pflicht getan, mögen nun die, welche sich seine Nachfolger
nennen, die ihre tun I Das Publikum kann durch solche Be-
strebungen nur gewinnen.
Was nun schHeßlich unsere ^Mitteilungen betrifft, fürchten
wir fast, die Geduld der Leser hart in Anspruch genommen
zu haben. Sollen sie aber einigermaßen fruchtbringend wirken,
dann müssen wir sogar noch fordern, ihre Stichhaltigkeit an
der Partitur selbst zu prüfen. Diese wird dem aufmerksamen
Blicke noch eine Menge Schönheiten offenbaren, die hier un-
erwähnt bleiben mußten, um unseren Erörterungen einen ein-
heitlichcn Charakter zu bewahren. Sollten diese nun ein Ge-
ringes dazu beitragen, das öfifentliche Interesse dem Magni-
ticat lebhafter zuzuwenden, so würden wir darin reichen Lohn
für die mancherlei Mühen einer ungewohnten und wenig ge-
übten Tätigkeit erblicken, die sich nur einigermaßen aus dem
oben erwähnten Schweigen der musikalischen Presse recht-
fertigen läßt.
IV.
Vorbemerkung
zu Joh. Seb. Bach Magnificat (in D-dur)
bearbeitet von R. F. Partitur.*)
Die nachfolgende Bearbeitung des Magnificat wurde ur-
sprünglich lediglich zum Zwecke einer hiesigen Aufführung
des Werkes von mir unternommen. Obwohl dieselbe sich bei
dieser Gelegenheit, wie ich nach dem Urteile anderer an-
nehmen darf, praktisch schon bewährt hat, glaube ich bei der
nunmehrigen Veröffentlichung durch den Druck diese, wie
einen derartigen Versuch überhaupt, doch noch mit einigen
Worten rechtfertigen zu müssen.
Das Magnificat eignet sich vor manchen anderen Werken
des großen Meisters zu öffentlichen Aufführungen durch seine
künstlerische Gesamthaltung Avie durch die schlagende Wirkung
vieler Einzelheiten, worüber ich auf eine kürzlich veröffentlichte
Schrift (Mitteilungen über Joh. Seb. Bach's Magnificat von
R o b. Franz) hier verweisen muß. Eine vollständige Auf-
führung nach der Originalpartitur ist aber unmöglich, weil die-
selbe hin und wieder nach dem früheren Gebrauch nur Skizzen
gibt, welche erst durch die hinzutretende Orgel volles Leben
und volle Entwicklung finden sollten, an anderen Stellen aber
nicht mehr gebräuchliche Instrumente aufführt oder der In-
strumentalstimme Aufgaben stellt, die heutzutage unlösbar sind.
Die größere Ausdrucksfähigkeit, das Vermögen auf alle
Nuancen des Gesanges einzugehen, welche dem Orchester im
Gegensatz zur Orgel eigen sind, veranlaßten mich, behufs der
*) Verlag von F. E. C. Leuckart in Leipzig.
29 —
Ergänzung in der ersten Richtung wesentlich die Kräfte des
Orchesters heranzuziehen , je nach den Umständen also die
beiden \'iolinen und die Mola, der Regel nach zwei Klari-
netten und zwei Fagotte, an Stellen, wo die großartige An-
lage dies zu rechtfertigen schien, eine Baßposaune dafür zu be-
nutzen. Zuweilen beschränken sich solche Instrumente, um dem
Chore eine festere Haltung zu geben oder einzelne besonders be-
deutungsvolle Motive hervortreten zu lassen, darauf, Stimmen
der Originalpartitur zu verdoppeln; an anderen Stellen — be-
sonders in den Arien: „cjuia fecit mihi magna" und „deposuit
potentes" — war der Versuch zu machen, die harmonische
Füllung im polyphonen Stile der ganzen Komposition, also in
frei geführten, das thematische Material aufnehmenden Stimmen
zu geben. Eine solche Bearbeitung für Orchester forderte dazu
auf, den neu gesetzten wie den Stimmen des Originals Vor-
tragszeichen hinzuzufügen, um dadurch einheitliche Auffassung
und Ausführung einigermaßen zu sichern.
Der orchestrale Satz will hiernach die Orgel völlig ent-
behrlich machen. Da aber nur sie den erhabenen Glanz, den
die Haltung der Chöre zu fordern scheint, wirklich zu geben
vermag, so war für die Chöre eine der Bearbeitung ent-
sprechende Orgelstimme zu setzen, zur Benutzung in allen
Fällen, wo eine Orgel neben dem Orchester mitwirken kann.
Die Orgclstimme für die Solosätzc ist nur zum Gebrauch der-
jenigen beigefügt, welche aus irgendeinem Grunde oder Be-
denken von dem neu hinzugebrachten orchestralen Satze keinen
Gebrauch machen wollen.
Die erwähnten rein technischen Gcsiclitspunkte werden
die — nach Möglichkeit beschränkte — Vertretung der Trom-
peten durch C-Klarinettcn, die überall zur Hand sind und sich
durch ihren durchdringenden Ton dazu eignen, rechtfertigen.
Wem Kornetts zur Verfügung stehen, mag die hohen Trom-
petenlagen durch» diese ausführen lassen. Weiter war die
Oboe d'amore teils der jetzt gebräuchlichen Oboe anzupassen,
teils durch die A-Klarinette zu ersetzen. — Endlich schien es
zweckmäßig, die Kontrabaßstimmc so zu schreiben, wie sie
wirklich auszuführen ist, die \'ersetzung der den Umfang des
— 30 —
Instrumentes öfters überschreitenden Originalstimme also nicht
lediglich der Diskretion der Ausführenden zu überlassen. Das
Violoncell bringt den Bach'schen Satz unverändert.
Aus alledem wolle man entnehmen, daß meine Absicht
zunächst nur dahin gegangen ist, die mancherlei Schwierig-
keiten, welche einer Aufführung des Werkes entgegenstehen,
nach Kräften aus dem Wege zu räumen. Man mag in aller
Freiheit von diesen meinen Vorschlägen Gebrauch . machen
und sie vor allem nach der Originalpartitur, — welche durch
die vorliegende nicht ersetzt werden soll, weshalb auch die
neu hinzugefügten Stimmen und die des Originals nicht ver-
schieden bezeichnet sind, — immer neuen Prüfungen unter-:
werfen. Ähnliche Arbeiten anzuregen und so eine gleichmäßige
Tradition für die Wiederbelebung Bach'scher Werke anzu-
bahnen, ist einer der Gesichtspunkte, die mich bestimmt haben,
auf den uneigennützigen Vorschlag des Verlegers, das ganze
Werk in dieser Form drucken zu lassen, einzugehen.
Der vor kurzem in demselben Verlag erschienene Klavier-
auszug des Magnificat stimmt mit der vorliegenden Partitur
im wesentlichen überein.
Halle, im Januar 1864.
Robert Franz.
V.
Vorbemerkung
zu Johann Sebastian Bach Trauer-Ode
bearbeitet von R. F. Partitur. *)
Die Grundsätze, welche mich bei der Bearbeitung^ der
Trauer-Ode leiteten, sind im allgemeinen dieselben, die ich in
der Vorbemerkung zum B a c h "sehen Magnificat **j bereits aus-
einandergesetzt habe. Indem ich auf sie verweise, möge an
dieser Stelle nur gestattet sein, von den Abänderungen zu
reden, die eine Bearbeitung des vorliegenden Werkes im Sinne
heutiger Bedürfnisse als notwendig erscheinen läßt.
Zunächst habe ich von dem Gottsched 'sehen Texte aus
den im Vorwort der dritten Lieferung des 13, Jahrgangs der
Bach 'sehen Werke angegebenen Gründen abgesehen und be-
diente mich deshalb der ümdichtung, welche W. Rust eben-
daselbst mitteilt. Zwar hat die Trauer-Ode durch diese Arbeit
Rust 's eine allgemeinere Bedeutung erhalten, — hofit'en wir
aber, nur zu ihrem Vorteil: sie erweitert ungezwungen den
poetischen Inhalt und schmiegt sich dem musikalischen Aus-
druck ganz vorzüglich an. — Das Direktorium der Bach-
Gesellschaft war so freundlich, die Benutzung jener Ümdichtung
tür meine Bearbeitung zu gestatten, wofür ich ihm hiermit den
verbindlichsten Dank sage.
In der Trauer-Ode bedient sich Bach verschiedener Instru-
mente, die gegenwärtig außer Gebrauch gekommen sind. Es
mußten daher die beiden „Viola da gamba" dem X'^ioloncell
zugewiesen werden: eine Umgestaltung, welche den Bach sehen
*) Mit F.rlaubnis der Verlagsfirma Fr. Kistner in Leipzig.
♦♦) Siehe oben S. 28.
— 32 —
Intentionen wohl am nächsten kommen möchte. Ferner er-
scheinen im Original : Liuto I u. II, die desgleichen im heutigen
Orchester fehlen. Da sie Bach fast überall mit dem
Continuo unisono gehen läßt, glaubte ich ihrer ganz entbehren
zu dürfen und benutzte nur in dem Altrezitative C>Von hoch
herab"), wo sie selbständig auftreten, statt ihrer 2 Violen. Die
ursprüngliche Viole wurde hier einer dritten Violine zugeteilt.
Bei starker Besetzung des Orchesters können übrigens 2 Violon-
cells im Pizzikato die beiden Lauten da, wo sie von Bach
ausdrücklich vorgeschrieben sind, mit guter Wirkung vertreten.
— Im Tenorrezitativ („Im Leben fromm") habe ich die beiden
Oboe d'amore, die unsere Oboen in den tieferen Lagen nicht
ausführen können, durch Klarinetten besetzt. — Als Ergänzungs-
material würden außerdem noch 2 Klarinetten, 2 Fagotte und
2 Hörner gebraucht. Letztere erwiesen sich an vielen Stellen
als besonders dienlich, die höheren und tieferen Tonverhältnisse
des Bach 'sehen Orchesters auszugleichen. Dem etwaigen
Widerspruche, daß sich Bach in seinen Passions- und Trauer-
musiken der Blechinstrumente meist enthalten habe, hoffe ich
damit begegnen zu können, daß man in jener Zeit von diesen
Mitteln einen etwas einseitigen Gebrauch machte: man wandte
sie nur zum Ausdrucke glänzender Freude an. Das moderne
Orchester hat die Effekte der Blechinstrumente wesentlich zu
erweitern gewußt, und sie erweisen sich gegenwärtig auch ganz
entgegengesetzten Absichten dienstbar.
Schließlich kann ich nur nochmals wiederholen, „daß mein
Streben lediglich darauf gerichtet war, die mancherlei Schwierig-
keiten, welche einer Aufführung des Werkes entgegen stehen,
nach Kräften aus dem Wege zu räumen. Man mag in aller
Freiheit \^on diesen meinen Vorschlägen Gebrauch machen und
sie vor allem nach der Originalpartitur, welche durch die vor-
liegende nicht ersetzt werden soll, immer neuen Prüfungen
unterwerfen. Ahnliche Arbeiten anzuregen und so eine gleich-
mäßige Tradition für die Wiederbelebung Bach 'scher Werke
anzubahnen, ist einer der Hauptgesichtspunkte, die mich zur
Herausgabe der Trauer-Ode in dieser Gestalt bestimmt haben."
Halle, im Mai i866. Robert Franz.
M.
Vorbemerkung
zu Job. Seb. Bacb's Passionsmusik nach dem
Evangelisten Matthäus
mit ausgeführtem Akkompagnement
bearbeitet von R. F. Partitur. *)
Es ist eine historisch nicht anzuzweifelnde Tatsache, daß
bei der Aufführung der Matthäuspassion wie anderer Vokal-
kompositionen B a c h ' s zu den in der Partitur speziell aus-
geführten Stimmen noch freies Akkompagnement getreten ist,
welches sich nicht nur an den Solosätzen, sondern durchweg
je nach den Umständen mehr oder -»Weniger beteiligte. Wahr-
scheinlich ist, daß für die Passion zu diesem Zwecke sogar
zwei Orgeln und ein Cembalo benutzt wurden. Die von Bach
den beiden Continuos höchst sorgfältig beigefügte General-
baßschrift läßt, während es an jeder Tradition über die beim
Akkompagnement befolgte Methode im einzelnen fehlt, ebenso-
wenig darüber in Zweifel, daß diese Begleitung sehr wesent-
liche Lücken der Partitur auszufüllen hatte.
Bei der Wiederbelebung des großen Werkes hat man seit-
her meist hiervon abgesehen, sich genau an die Noten der
Partitur gehalten oder, wenn man eine Orgclstimme hinzutreten
ließ, dies doch nur in ungleicher und schwankender Weise
gewagt, betreffs der Solosätze sich aber damit geholfen, daß
man die größere Zahl derselben vollständig überging. Die
natürliche Folge war, daß die Rezitativc ganz in den Vorder-
♦) Mit Erlaubnis der Vcrlagsfirma Breitkopf u. Härtel in Leipzig.
R. Franz, Gesammelte Schriften. 3
— 34 —
grund traten und die Chormassen nur ein unzureichendes
Gegengewicht in wenigen Arien fanden. Die großen auch mit
solchen Aufführungen erzielten Erfolge ließen zunächst trotz
aller Rügen der Kritik über jene Unzuträglichkeiten wegsehen,
dennoch drängt die Einsicht in die Mißstände der bisherigen
Praxis wie jene historische Gewißheit nunmehr dazu, das jetzt
Gebräuchliche durch eine den Intentionen Bach 's näher
tretende, allerdings erst neu zu bildende Tradition zu ersetzen.
Hierzu will die nachfolgende Bearbeitung den ersten Schritt
tun. Sie will, da ein freies Akkompagnement im Sinne Bach 's
ein der Gegenwart unerreichbares Ziel sein möchte, dasselbe
durch anderweite, uns zugängliche Mittel in diskreter Weise
zu ersetzen, damit vollständige Aufführungen des ganzen \\'erkes
zu ermöglichen und denselben einen einheitlicheren Verlauf zu
sichern suchen.
Nur diese Erwägungen haben den Unterzeichneten die
natürliche Scheu, einem solchen Werke selbsttätig nahe zu
treten, überwinden lassen : er hat nichts gewollt, als den An-
deutungen der Generalbaßschrift im engsten Anschluß an den
Stil des großen Meisters, wie er ihn nirgends verleugnet, eine
bestimmte, in sich abgeschlossene Form zu geben. —
Im einzelnen ist folgendes zu bemerken.
Die vorliegende Ausgabe markiert den neu hinzugefügten
Satz überall durch das Zeichen (F) und gibt im übrigen das
Original treu wieder. Nur sind, im Interesse schnellerer Orien-
tierung und einheitlicher Auffassung bei. der Aufführung, dem
Original — wie den neuen Stimmen Vortragsbezeichnungen
beigesetzt, vorkommende Vorschläge je nach den Umständen
als kurze oder lange bezeichnet, außer Gebrauch gekommene
Instrumente durch die entsprechenden neueren ersetzt, was —
z. B. in der Baßarie: „Komm, süßes Kreuz" zu einigen Modi-
fikationen der ursprünghchen Form nötigte. Weiter ist der
Versuch gemacht, das Tempo der einzelnen Sätze nach den
jetzt üblichen Bezeichnungen anzudeuten. In einigen Arien ist
die Repetition des ersten Teils in gedrängterer, verkürzter
Form gegeben, — durch eingeklammerte Da Capo- und Fine-
Zeichen ist daneben jedoch die ursprüngliche Fassung ersieht-
lieh cjcmacht. Der Raumersparnis wejjcn ist in der Re^jel die
Bach 'sehe Generalbal.lschrift weggelassen; sie schien ent-
behrlich, weil sie in anderer, anschaulicher Form ohnehin durch
das ihr genau entsprechende Akkompagnemcnt wiedergegeben
wird.
Letzteres ist wesentlich (^rchestcrinstnunenten, je nach den
Umständen dem Streiche juartett oder den Holzbläsern, über-
tragen. Die Mehrzahl der Stimmen hat sich in neuerer Zeit
für die Anwendung solcher Mittel erklärt, die namentlich der
Orgel gegenüber den \'orzug größerer Beweglichkeit und
Schmiegsamkeit haben, der für Bearbeitungen Bach 'scher
Werke um so höher anzuschlagen ist, als auch das Akkom-
pagnemcnt durch die Stimmführung des Originals zu poly-
jjhoner Plaltung unvermeidlich gedrängt wird. Trotz dieser
Ähnlichkeit liegt es jedoch, wie ich, um Mißverständnissen zu
begegnen, ausdrücklich hervorhebe, nicht in der Absicht, bei
der Ausführung das Akkompagnemcnt als etwas gleich Selb-
ständiges und Bedeutungsvolles wie die Originalstimmen be-
handeln zu lassen. Der von mir vorgeschlagene Satz soll nur
den fernen Hintergrund der Orgel vertreten, deren Stimm-
gewebe die von Bach fixierten Vokal- und Instrumental-
stimmen nirgends verdecken und erdrücken darf, sondern nur
wie in einem feinen, durchsichtigen Netze auffangen und tragen
soll. Nur wenn man dies im Auge behält, wird richtige
Verteilung von Licht und Schatten gewonnen werden. Frei-
lich setze ich hierbei \oraus, daß sich die Ausführenden, die
Sänger eingeschlossen, auch darüber klar sind, daß Bach 's
obligate X'okal- und Instrumentalstimmen an einzelnen Stellen
absichtlich in der Art der Mittelstimmen geführt werden, um,
wie die ganze Anlage deutlich ergibt, dem Akkompagnemcnt
Raum für eine weitere Entwicklung der llauptthemen zu lassen.
Ich verweise in dieser Beziehung auf den Verlauf der Tenor-
arie: „Geduld . —
Obschon Bach in der l'assion keine Blechinstrumente und
Pauken angewendet hat, glaubte ich auf ihre Mitwirkung nicht
ganz Verzicht leisten zu müssen. Vielleicht war es ja über-
haupt mehr eine Forderung des kirchlichen Herkommens in
• - 36 -
der Passionszeit, die den Meister von jenen Instrumenten auch
da absehen Heß, wo sie ohne Zweifel von gewaltigem Efitekt
waren. Außerdem benutzte man in jener Zeit diese Mittel fast
ausschließlich zum Ausdruck glänzender Freude und kannte
ihre charakteristischen Eigenschaften weniger nach der ent-
gegengesetzten Richtung. Die von mir eingeführten Hörner,
Posaunen und Pauken sind übrigens mit möglichster Zurück-
haltung gebraucht worden, — hoffentlich rechtfertigen die be-
treffenden Stellen einigermaßen ihre Anwendung. Nötigenfalls
können diese Stimmen, wenn man den erstrebten Effekt scheut,
weggelassen werden, da für Vollständigkeit der Harmonie schon
im übrigen gesorgt ist.
Bei diesen Grundlagen war die Mitwirkung der Orgel auf
die Begleitung der Choräle und der entscheidenden Stellen der
Chöre zu beschränken, um die eigentümliche Wirkung der
Bach 'sehen Instrumentierung möglichst wenig zu beeinträch-
tigen. Wo es an einer Orgel gebricht, wird das Orchester sie
ganz entbehrlich machen ; andererseits ergeben die Stimmen
des letzteren das Material für eine etwa wünschenswert er-
scheinende Erweiterung der Orgelstimmen.
Zur Begleitung der Sekkorczitati\e ist die Orgel ihres
starren Tons wegen wenig geeignet, die Benutzung des Streich-
quartetts verbot sich durch Bach 's deutliche Absicht, es nur
bei den Jesu-Rezitativen eintreten zu lassen. Abgesehen von
einigen ausdrucksvollen Stellen, in denen die Bczifierung durch
Klarinetten und Fagotte ausgeführt wird, ist daher hier die
Begleitung dem Flügel übertragen. Hierfür spricht seine,
namentlich bei zweckmäßiger Benutzung des Pedals wohltätig
abstechende Klangfarbe, die größere Beweglichkeit der Spiel-
weise, endlich das neuerer Zeit zu wenig beachtete ältere Her-
kommen, an dem nach den Ausführungen von Rietz (Joh,
Seb. Bach's Werke, 4. Jahrgang, Vorrede S. 22) unzweifelhaft
auch Bach bei der Aufführung der Passion festgehalten hat.
Der Hinzutritt der Kontrabässe (und Violoncells) *) zum Flügel
*) Wie II. Keimann in der Vorrede zu seiner Partitur der Johannes-
passion zu der Behauptung kommt, Franz habe den Hinzutritt der Violon-
— 37 —
ist aber nicht ratsam, — letztere sind daher in der Partitur für
die Dauer des Fliiggclakkompagncmcnts als wegfallend markiert,
dagegen zu benutzen, wenn man aus irgendwelchen (iründen
die Begleitung dieser Rezitative mit Ausschlu(3 des Flügels den
ViolonccUs in der herkömmlichen Weise überläßt. Für einen
solchen Fall ist bei diesen Bässen die Generalbaßschrit't bei-
behalten.
Die Viola da Gamba des Originals ist durch das Violoncell,
die Oboe damore und Oboe da caccia durch Klarinetten, an
deren Stelle englische Hörner, wenn solche zur Verfügung
stehen, sich vielleicht der Klangfarbe wegen noch mehr emp-
fehlen würden, ersetzt. In der Baßarie „Mache dich, mein
Herze, rein" schien die intendierte Klangwirkung der beiden
Oboe da caccia nur durch Kombination zweier Oboen und
Klarinetten zu erreichen. — Die den Cantus firnius des ersten
Chors verstärkende Diskantposaune kann, wo solche nicht v'or-
handen, durch eine Trompete ersetzt werden.
Aus Pietät gegen den großen Schöpfer des Werks wie aus
schuldiger Rücksicht auf die erheblichen Opfer, welche die
Herrn Verleger in gleichem Sinne zu bringen sich bereit ge-
funden haben, hat der Unterzeichnelfc seine ganze Kraft an
diese Bearbeitung gesetzt; er empfiehlt dieselbe der Teilnahme
des musikalischen Publikums. Sonst ist er weit entfernt zu
glauben, allen Ansprüchen, die von ganz verschiedenen Stand-
punkten aus erhoben worden, gleichmäßig entsprochen zu
haben, hofft aber doch, die gebotene Lösung des gegebenen
Problems nicht unwesentlich durch seine Arbeit gefördert zu
haben. In diesem Sinne wird er stets bereit sein, ähnHchen
Versuchen, denen es gelingt, dem erstrebten Ziele noch näher
zu kommen, seine freudige Zustimmung nicht zu versagen, und
jeder Kritik, die sich in solch positiver Weise zu betätigen weiß,
sich willig u'^tcrzuordnen.
Halle, im Januar 1867.
Robert Franz.
cells — nur nicht der Kontrabässe — zu dem Flügel gewollt, ist na. h S. 21
der Franz'schen l'artilur unerklärlich, l). Herausgeber.
VII.
Vorbemerkung zu
Jubilate von Georg Friedrich Händel
mit ausgeführtem Akkompagnement
herausgegeben von R. F. Partitur.*)
H ä n d e 1 's Jubilate wurde in Verbindung mit dem Utrechter
Te Deum im Jahre 1713 komponiert und von John Walsh
in Partitur herausgegeben. Das Werk ist in Deutschland als
100. Psalm durch eine bei Breitkopf und Härtel erschienene
Bearbeitung bekannt geworden. Leider stellt diese im Grunde
genommen nur eine Korrumpierung des Originals dar, denn
mit unbegreiflicher Rücksichtslosigkeit sind fast in jeder Nummer
die gewaltsamsten Abänderungen vorgenommen : willkürlichen
Kürzungen und Dehnungen, unmotivierten Korrekturen des
Satzes, sowie endlich unschönen Formen in der Deklamation
und im Rhythmus begegnet man allenthalben. Zwar hat Chry-
sander in seinem Leben Handels (Bd. I S. 402 3) bereits auf
diese wenig erfreulichen Tatsachen hingewiesen und damit das
Original eigentlich wieder in sein gutes Recht eingesetzt: in
seiner ursprünglichen Gestalt wird dasselbe aber wohl kaum
zu Aufführungen benutzt werden können, da die Mitwirkung
des Akkompagnements wesentliche Vorbedingung ist. Aus
diesem Grunde hielt ich eine Bearbeitung des Jubilate im engen
Anschluß an llanders Partitur für notwendig und übergebe
dasselbe hiermit dem musikalischen Publikum.
Im allgemeinen leiteten mich dabei dieselben Grundsätze,
welche ich in der Vorbemerkung zu Bach 's Magnificat**)
*) Verlag von F. E. C. Leuckarl in Leipzig.
**) Siehe oben S. 28.
— 39 —
schon ausführlich dargelegt habe, — ich brauche mich also
hier nur über Einzelnes und Zufälliges zu erklären.
Die erste Nummer betretit'end schien es nicht unangemessen,
der das Altsolo begleitendcnden Trompete eine C-Klarinette
zur Seite zu stellen; ist ein Blaser vorhanden, der über einen
leichten Ansatz in der Höhe verfügt, so wird man Iländel's
Text aus meiner Bearbeitung unschwer restituieren können. In
Xr. 3 erlaubte ich mir, um eintretenden Härten einigermaßen
zu begegnen, hier und da kleine Vorschlagsnoten; wer an ihnen
etwa Anstoß nehmen sollte, mag sie einfach weglassen. In
Xr. 5 endlich hielt ich eine Umgestaltung der Stimmbesetzung
aus praktischen Gründen für geboten. Händel hat dies Terzett
für zwei Alte und einen Baß und zwar in der Art geschrieben,
daß der erste Alt überall den zweiten, mit alleiniger Ausnahme
der Schlußstelle, unterschreitet. Außerdem bewegt sich der
Oberalt durchweg in Lagen, die es fast unmöglich machen, ihn
durch weibliche Stimmittel zu einer wirkungsvollen Geltung
zu bringen. Ich habe ihn daher dem Tenor, der ihn ganz
bequem auszuführen vermag, übergeben; nur bei jener bereits
erwähnten Schlußstelle vertauschte ich beide Partien und ließ
sie ineinander übergehen. Auch hicc wird sich Handels Satz
mühelos wieder herstellen lassen, falls ein Kontraalt zur \'er-
fügung steht.
Die Instrumentation ist in der vorliegenden Bearbeitung
durch folgende Mittel erweitert: Flöten, Oboen (diese jedoch
nur teilweise), Klarinetten, Fagotte, Hörner. Posaunen, Pauken
und Orgel. Letztere erscheint nur verstärkend und bei den
entscheidenden Stellen ; sie kann, weil außerdem für die \^olI-
ständigkeit der Harmonie Sorge getragen ist, nötigenfalls weg-
bleiben. Die übrigen Instrumente treten teils das Akkompagne-
ment ergänzend, teils die Klangverhältnisse ausgleichend, aul.
Das neu hinzugefügte Material ist überall durch das Zeichen
(F) kenntlich gemacht; — im übrigen wird das Original treu
Aviedergegeben.
In betreff der Textunterlage mußte ich natürlich, sobald es
die Umstände erheischten, von Luther's Übersetzung absehen,
indem ich bemüht war, die Deklamation des Originals mög-
— 40 —
liehst unversehrt zu erhalten. Die mit beigefügten englischen
Worte mögen die hier und da nötig gewordenen Abweichungen
markieren.
Schließlich wurde auf Wunsch des Verlegers in die Partitur
ein Klavierauszug mit eingetragen, der für das Einstudieren
vielleicht nicht ganz unerwünscht sein dürfte.
So sei denn das Jubilate als ein Werk, welches einer jeden
größeren Musikaufführung zur Zierde gereichen wird, d«r Be-
nutzung dringend empfohlen. Diese vorausgesetzt, würde es
dem Unterzeichneten die höchste Genugtuung gewähren, eine
Komposition, mit welcher Händel den Reigen seiner unsterb-
lichen Großtaten auf dem Gebiete der religiösen Musik gewisser-
maßen eröffnete, der Teilnahme der Mitwelt um ein Geringes
näher geführt zu haben.
Halle, 1868.
Robert Franz.
MII.
Vorbemerkung
zu Georg Friedrich Händel
Arien aus verschiedenen Opern
mit Begleitung des Pianoforte
bearbeitet von R. F.
(Von verschiedenen Nummern sind auch die Orchester-Partituren und Orchester-
Stimmen gedruckt.)*)
Eine Reihe von Kunstwerken ersten Ranges dem Publikum
wieder zugänglich zu machen, ist die Absicht dieser Sammlung
Händel 'scher Opern-Arien.
Dieselben sind schon bei Handels Lebzeiten gedruckt;
sie sind voll einfacher, schlagender Melodik, zugleich Muster
von Sangbarkeit und haben im Munde großer Sänger bereits
Händel's Zeitgenossen entzückt; sie sind voll dramatischen
Lebens, von mannigfachster, abstechender Charakteristik; sie
entfalten den ganzen Reichtum des Menschenherzens in Freude
und Schmerz, Liebe und Haß, in majestätischem Aufschwung
und harmlosem Sichgehenlassen, — wie konnten sie der \'er-
gesscnheit anheimfallen ?
Die vornehme, exklusive Haltung der Hände Ischen Oper,
die gleichmäßige Höhe, auf der sie sich, alles extreme, wiiste
Wesen ablehnend, zu halten, die Reinheit des Ausdrucks, welche
jede Leidenschaft zu adeln und zu klären weiß, das demcnt-
sprechende Festhalten an den lyrischen Grundelemcnten der
dramatischen Situation im Gegensatz zur spateren Dramatik,
*j Mit Erlaubnis der Verlagstirm;i K. Kistner zu Liip/ic.
— 42 —
die damit zusammenhängende Breite und Fülle der Behandlung
der musikalischen Stoffe, dieses alles reicht nicht aus, jene
Tatsache zu erklären, am wenigsten für die, welche die höchsten
Ziele der Kunst nicht aus dem Auge verloren haben.
Der Grund dafür ist vielmehr in erster Linie in der frag-
mentarischen Form zu suchen, welche Händel selbst im An-
schlüsse an die Traditionen seiner Zeit diesen Kompositionen
fast durchweg gegeben hat. Sie setzt eine Ergänzung, ein
hinzutretendes Akkompagnement, eine der Neuzeit verloren ge-
gangene Kunst der Improvisation voraus, für die, wie wohl
niemand mehr bestreitet, ein Ersatz gefunden werden muß.
Man ist nur in Dift'erenz über die Methode, welcher solche
rekonstruierende Tätigkeit zu folgen hat. Die einen wollen
sie auf das Notdürftigste beschränken, sie dulden etwa eine
Stimme, welche die bei Händel fehlenden Akkordintervalle
ausfüllt und in befremdlicher Beweglichkeit überall da ein-
springt, Avo sich solche Lücke zeigt, und glauben, aus Pietät
alles weitere zurückweisen zu müssen.
Andere lassen einen reichlichen Gebrauch der Harmonie
neben den H an del'schen Stimmen zu, halten aber doch beide
Elemente möglichst gesondert, um dem Meister nicht zu nahe
zu treten.
Diesen Diskussionen gegenüber ist hier auszusprechen, daß
es schließlich doch nur darauf ankommen kann, eine einmal ge-
gebene Aufgabe künstlerisch, d. h. mit künstlerischem Formen-
sinn, mit künstlerischer Freiheit, womöglich mit künstlerischem
Erfolge, also durch Herstellung eines einheitlichen, organisch
entwickelten Ganzen zu lösen. Nur so können, wie auch Kri-
tiker und Historiker über die berührten Fragen denken mögen,
jene vergessenen Werke wieder in ihr Recht eingesetzt werden.
Diejenigen, die gegen solches Unterfangen Bach's und
Hände l's Geister aufrufen, haben ihnen die Lippen zu lösen
nicht vermocht und ihnen nur die eigene Weisheit in den
Mund legen können. Es ist aber auch für die praktische
Übung der Kunst gleichgültig, wie man sich etwa in früheren
Zeiten beholfen haben mag, — was schön, d. h. unter
anderem, was in seiner Gesamterscheinung wohltuend und be-
— 43 —
friedigend sei, darüber kann und muß die Geujenwart , wenn
sie selbst Hand anzulegen einmal genötigt ist. nur nach der
eigenen t'berzeugung und Bildung entscheiden.
Daß ich hiermit nicht schrankenlose Willkür predige, da-
gegen habe ich mich schon bei der von mir vertiftentlichten
Bearbeitung Bach'scher Arien verwahrt. Jene Auffassung fuhrt
vielmehr zu dem Ansprüche stilvoller Haltung aller Zusätze i
diese müssen sich den polyphon geführten Hauptstimmen durch-
weg leicht anschmiegen; sie müssen in ihren wesentlichen Ele-
menten den Hauptstimmen selbst entnommen, aus ihnen her-
geleitet werden ; sie sind dem Gesamtausdrudke allenthalben
dienstbar zu machen und haben so auch ihrerseits die Grund-
stimmung, deren poetischen Gehalt, zur Darstellung zu bringen.
Für diese Konsequenz spricht jede Note der \'on
den älteren Meistern selbst in ihren Partituren
wirklich ausgeführten Stücke; in diesen aber be-
sitzen wir die einzigen authentischen Muster, die
einen Anhalt gewähren können. Es handelt sich also
in allem Ernste um den Wetteifer mit den großen Männern
selbst, um die Ausführung der \on ihnen hinterlassenen Skizzen
nach den \'orbildern, die wir \'on il/nen besitzen.
Ob und inwieweit ich dies hochgesteckte Ziel erreicht
habe, muß ich dem Urteil des Publikum^ überlassen. Ich bitte
nur, beachten zu wollen, daß es mir auf diesem Standpunkte
nicht in den Sinn kommen konnte, einen Klavierauszug in
herkömmlicher Weise zu geben, den Satz also der notdürftigsten
Technik des Klavierspiels anzupassen oder vor allem die Be-
quemlichkeit der Spieler im Auge zu behalten, z. B. die Noten
der rechten Hand ausschließlich dem oberen , die der linken
nur dem unteren Systeme zu überweisen. Es mußte mir liei
der Schreibvveise vielmehr daran liegen, das Stimmgewebe
übersichtlich zu erhalten , um so über Unsicherheiten in der
Phrasierung und Akzentuation, wo möglich, hinwegzuführen, im
übrigen das Ganze — den zweckmäßigen Gebrauch des Pedals
und einige Gewandtheit des Spielers in den Seitenbewegungen
des Handgelenks vorausgesetzt — in den Grenzen tUr Austühr-
— 44 —
barkeit zu erhalten. Jeder geübte Spieler wird bei einigem
Studium auch die schwereren Stellen bewältigen können.
So glaube ich nur getan zu haben, was mir die Pietät
gegen Händel zu gebieten schien ; ihm mit schülerhafter Ängst-
lichkeit zu nahen, halte ich für ein viel vermesseneres Be-
ginnen, als das Beste, worüber ich verfügen konnte, alles, was
im Bereiche meiner Kraft lag, daran zu setzen, um diesen
Kompositionen eine ihrem Gehalte entsprechende Tonfülle zu
geben. In gleichem Sinne habe ich kein Bedenken getragen,
die Repetitionen des ersten Teils angemessen zu kürzen, jedoch
— für ängstliche Gemüter — daneben an den betreffenden
Stellen das Da Capo- und Fine-Zeichen hinzugefügt, aus denen
sich die Originalform ergibt.
Die Arien selbst, denen sich später ähnliche Zusammen-
stellungen für die übrigen Stimmen anschließen werden, sind
einem Sammelwerke, das in der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts unter dem Titel „Apollo's Feast" bei Walsh in
London erschien und von dem mir ein Exemplar von der
Großherzoglichen Bibliothek zu Schwerin auf das liberalste
zur Disposition gestellt worden ist, entnommen, mit alleiniger
Ausnahme der Arie „Mio bei tesoro" aus Alcina, vrelche der
von der deutschen Händel-Gesellschaft veröffentlichten Partitur
entlehnt ist.
Die italienischen Originaltexte, denen Handels Musik
auf das feinste angepaßt ist, sind schon deshalb beibehalten;
im Interesse weiterer Verbreitung wurde eine deutsche Über-
setzung hinzugefügt, welche ich der kunstgewandten Feder von
VV. Osterwald verdanke.
Halle, den 22. April 1S69.
Robert Franz.
IX.
Offener Brief
an Eduard Hanslick über Bearbeitungen älterer
Tonwerke namentlich Bach'scher und Händel-
scher Vokalmusik
von R. F. *j
Ihr freundliches Interesse an meinen Bearbeitungen
Bach'scher und Händel scher Tonwerke gibt mir erwünschte
Veranlassung, mich über einen Gegenstand, der für die Praxis
älterer Vokalmusik von höchster Wichtigkeit sein dürfte, aus-
führlicher gegen Sie auszusprechen. Die Frage, nach welchen
Grundsätzen die Bearbeitung des Äkkompagnements solcher
Kompositionen herzustellen sei, kann gegenwärtig mit vollem
Rechte eine brennende genannt werden: daher ist möglicher-
weise dem einen oder dem anderen eine Orientierung über
dieselbe nicht ganz unwillkommen. Die nachfolgenden Aus-
einandersetzungen sind als das Resultat einer Reihe von Er-
fahrungen, die ich in dieser Kunstangelegenheic machte, zu
bezeichnen ; — gerade deshalb haben sie vielleicht einigen
Wert, wenn dieser auch nur in dem Nachweise bestehen S' »litt.-,
daß ich es an ernsten Anstrengungen schwierigen Aufgaben
gegenüber nicht fehlen ließ. Der persönliche Charakter, den
meine Darstellungen an sich tragen werden , entschuldigt
hoft'entlich die Wahl einer erzählenden Form , der ich mich
um so lieber bediene, als sie die Möglichkeit bietet, die etwas
spröde Natur des zu behandelnden Stoffes zwangloser hand-
•) Verlag von V. E. C. Lcuckart in Leipzig.
- 46 -
haben zu können. Demnach referiere i-ch ernes breiteren, wie
ich überhaupt zu jenen Bearbeitungen gekommen bin, welchen
praktischen Bedürfnissen ich mit ihnen zu genügen suchte, und
deute nebenbei an, welche künstlerische Ziele ich mir steckte.
Neigung, vielleicht auch natürliche Anlage, zogen mich
seit Jahren zu B a c h 's und Handels Musik. Mein bescheidener
Wirkungskreis in Halle war diesen Bestrebungen nicht ganz
ungünstig, — sie wurden bald der Mittelpunkt der von mir
geleiteten Singakademie. Damals, ich rede von den ersten
vierziger Jahren, mußte man sich zu behelfen suchen, wie es
die Verhältnisse gerade mit sich brachten. Händel 's Ora-
torien beschränkten sich für uns auf die von Mozart und
Mosel bearbeiteten, — Bachs Kantaten und Messen auf die
von Marx besorgten Ausgaben. Wir führten die Sachen auf,
wie sie die Vorlagen darboten, und nahmen naiv genug an, daß
mit ihnen der Inhalt jener Kunstwerke völlig erschöpft sei.
Zwar machte das Publikum zuweilen große Augen, wenn ihm
in einer Bach "sehen Kantate ein seltsames Zwiegespräch
zwischen Flöte und Kontrabaß vorgetragen wurde, oder wenn
gar der Continuo einen langen, grämlichen Monolog zum Besten
gab, — dergleichen focht uns aber weiter nicht an und kam
auf Rechnung der guten, alten Zeit, die man hinnehmen zu
müssen glaubte, wie sie eben war.
In diese jugendliche Tätigkeit fielen nun die Gesamtaus-
gaben der Bach 'sehen, später die der Händel sehen Werke,
den Autführungen eine Fülle neuen Materials in wohlverbürgten
Formen bietend. Da nahmen sich denn freilich Bach 's Kan-
taten ganz anders aus, als bei Marx: überall reiche Be-
zifferungen, die doch nicht zwecklos vorhanden sein konnten
und auf eine früher geübte Kunstpraxis bestimmte Rückschlüsse
gestatteten. Meine Zweifel an der Ausführbarkeit dieser Vor-
lagen gingen jedoch nicht tief genug, um mich vom Ein-
studieren der einen oder der anderen abzuhalten. Die im
Tonsatz ziemlich abgeschlossenen Chöre stellten sich keineswegs
als Hindernisse dar, dafür aber die Solonummern, der vielen
defekten Stellen wegen, um so mehr.
Anfangs griff ich zu einem verzweifelten Mittel, das man
— 47 —
auch jetzt noch vielfach in Anwendung bringt, — ich strich
munter darauf los und benutzte höchstens die Piev;en, deren
Begleitung Bach einigermaßen vorgesehen hatte. Auf die
Dauer konnte das freilich nicht so fortgehen: einmal wurde
der Zusammenhang des Ganzen oft bedenklich in Frage ge-
stellt und dann standen wieder einzelne Arien in gar zu herr-
lichen Umrissen da, als daß man sie ohne weiteres übersehen
durfte, — kurzum, ich entschloß mich zu dem Versuche, ein
Akkompagnement auszuarbeiten. Zuerst probierte ich es mit
akkordischen Ausführungen, merkte aber bald, daß damit hier
nicht durchzukommen war: die Harmonien fielen bleischwer
in die Bach sehen Stimmen hinein und fanden nirgends an
dem geschmeidigen Continuo festen Halt: — statt zu unter-
stützen, hemmten dergleichen Zutaten nur den Verlauf. Längere
Zeit hielt ich es für ganz unmöglich, einen Satz nach Wunsche
zustande zu bringen und bedauerte lebhaft, auf manche fein
skizzierte Arie Verzicht leisten zu müssen.
Eines Tages ging ich jedoch wieder ans Werk, diesmal
aber mit dem Vorsatze, es der Abwechslung wegen mit der
polyphonen Schreibart zu versuchen. Und siehe da: zu meiner
freudigen Überraschung wurde plötzlich alles lebendig, die
Stimmen schienen nur darauf gewartet zu haben, daß man sie
niederschriebe, und waren oti'enbar prämeditiert worden. Schnell
begrift ich, daß die Skizzen keineswegs flüchtige Entwürfe seien,
sondern ebenso vollendet und abgeschlossen, wie der übrige
wirklich ausgeführte Tonsatz. Indem die alten Meister dieselben
aufzeichneten, schufen sie zugleich das noch fehlende Stimm-
gewebe im Geiste mit und konnten sich wohl um so mehr
darauf verlassen, es wieder zu finden, als sie gewöhnlich selbst
für die Ausführung des Akkompagnements Sorge trugen. Es
muß also die Hauptaufgabe des Bearbeiters sein, hinter die
eigentlichen Absichten der Autoren zu kommen und denen
gemäß sich zu verhalten : bleibt auch die Rekonstruktion aus
naheliegenden Gründen für uns stets problematisch, so wird
doch in vielen Fällen ein Ergebnis zu gewinnen sein, das mit
den Intentionen der Meister nicht gar zu sehr difteriert.
Bach 's Bczifterungen namentlich dringen oft bis in das
- 48 -
kleinste Detail, — es bedarf nur eines scharfen Auges und
einer geschickten Hand, um dann zuversichtlich die letzten
Entscheidungen treffen zu können. Demohngeachtet geht die
Arbeit nicht überall so leicht vonstatten: manch liebes Mal
habe ich tagelang ratlos vor ein Paar Takten gesessen und
kenne Stücke, die befriedigend zu lösen der gegenwärtigen
Kunstteclinik kaum gelingen dürfte.
Der gewonnenen Überzeugung gemäß, daß hier der poly-
phone Stil durchschnittlich vorbedacht sei, galt es nun die ver-
schiedenartigsten Proben anzustellen: mißglückte eine Arbeit,
faßte ich sie anders an und ruhte nicht eher, bis brauchbare
Resultate zum Vorschein kamen. Allmählich bildete sich auf
diese Weise eine Methode heraus, die, auf dem Material der
Skizzen fußend, mit deren Bestandteilen die Ausführung be-
streiten lernte. Sowohl in der Struktur des Basses als in dem
Figurenwerke der Kantilene stellten sich Momente dar, die sich
zu Motivbildungen eigneten und mit denen gearbeitet werden
konnte; — waren sie nur erst aufgefunden, dann entwickelte
sich der weitere Verlauf wie von selbst. Begreiflich genug:
der Stil der alten Meister entsprang aus den einfachsten,
elementarsten Gesetzen, — ihren Kunstgebilden liegt ein ganz
ähnliches Prinzip zugrunde wie das, nach welchem Pflanze,
Blüte und Frucht aus einem Keime emportreiben.
Aber auch die größte Formgewandtheit würde noch kein
sicheres Gelingen verbürgt haben, wenn sie sich ohne stete
Rücksicht auf die der Skizze innewohnende Stimmung hätte
durchsetzen wollen: Beides mußte vielmehr Hand in Hand
gehen und sich wechselseitig unterstützen.
So war ich denn hinsichtlich des Akkompagnements der
Solosätze ziemlich im reinen und untersuchte nun weiter die
Chöre. Um nicht unnütze Worte zu verlieren : das Akkom-
pagnement hatte fast überall mitzuwirken, und zwar lag in ihm
recht eigentlich der SchAverpunkt derartiger Musik. Ob der
mit ihm Betraute an der Orgel, ob er am Cembalo fungierte;
er war der Xer\- des Ganzen, in ihm vereinigten sich sämt-
liche Fäden. —
Es kam also vor allen Dingen darauf an , einen Tonsatz
— 49 —
herzustellen, der ungezwungen in die eben vorliegende Kom-
position paßte, der die Grundstimmung derselben nicht störte,
wohl aber ihren Ausdruck hob. Selbstverständlich mußte er
im Stil und Geist des Meisters gehalten werden, — eine Auf-
gabe, die eine sichere Herrschaft über die damaligen F"ormen
voraussetzte. Die Künste des einfachen und doppelten Kontra-
punkts, der Imitation, des Kanons und der Fuge: den Alten
waren sie keine Schranken gewesen, der Bearbeiter durfte sich
durch dieselben ebenfalls nicht beengt fühlen.*)
War ein Tonsatz in diesem Sinne gewonnen, so handelte
es sich demnächst um das Material, mit welchem er dargestellt
werden sollte. Zu Bach 's und Händel 's Zeit hatte man
sich des Cembalo und der Orgel bedient; zuweilen sollen sogar
zwei Cembali und zwei Orgeln in Tätigkeit gewesen sein. Ab-
gesehen davon, daß gegenwärtig niemand die sehr wichtige
Vorfrage, wann jenes Instrument und wann dieses mitzuwirken
habe, bestimmt zu entscheiden vermag, mahnen noch andere
Gründe von einer zu ausgedehnten Anwendung beider ab.
Das Cembalo ist im Strome der Zeiten untergegangen und
mit ihm eine Menge kontrastierender Klangfarben, die, aus der
Mischung des 4, 8 und 16-Fußtons efhtspringend, ohne Zweifel
überraschende Wirkungen hervorgebracht haben mögen. So
sehr dieser \'erlust zu bedauern ist, wird man sich ihm doch
fügen müssen : schwerlich ist der heutige Flügel ein passendes
Äquivalent für das alte Cembalo. Haben z. B. die \"iolinen
in hohen Tonlagen einen begleitenden Kontrapunkt zur Kaiiti-
lene auszuführen, indem sie sich dabei nur auf den weit ab-
*) Um Mißverständnissen vorzubeugen und von gegnerischer Seile aus-
gesprochene unverständige Insinuationen abzuweisen , sei hier darauf hinge-
wiesen, daß Franz mit den obigen Ausführungen selbstverständlich nur da
für das Akkompagnement den j^olyphonen Stil verlangt, wo die vorhandi-nen
OrigJnalstimmer diesen tragen. Wie die diesbezüglichen Stellen seiner Schritten
und besonders seine Partituren unwiderleglich beweisen , ist es ilim niclit bei-
gefallen, das einfach akkordische .Akkompagnement ganz in den Bann zu tun ;
seine künstlerische Überzeugung geht nur dahin, daß mit einseitiger Be-
schränkung auf das einfach .\kkordische das Ziel nicht zu erreichen
ist. Welche Begleilformen zu wählen seien, ob einfache, ob kompliziertere,
hat die jedesmalige Vorlage zu lehren. D. Herausgeber.
R. Franz, Gesammelte Schriften. 4
— 50 —
stehenden Continuo stützen, so werden dergleichen Klangver-
hältnisse durch den hinzutretenden Flügel keineswegs ausge-
glichen, sondern klaffen noch weit schneidender auseinander.
Unser durch das moderne Orchester verfeinertes Ohr wird aber
mit Recht wider solche Unvollkommenheiten protestieren und
Abhilfe fordern dürfen.
Was nun die Benutzung der Orgel anbelangt, steht sie
wohl bei Aufführungen in der Kirche , weit seltener aber bei
denen im Konzertsaale zur Verfügung. Solange diese m Übel-
stande nicht abgeholfen ist, wird man oft genug auf die Mit-
wirkung derselben verzichten müssen. Aber auch noch andere,
nicht minder wichtige Gründe sprechen wider einen zu aus-
gedehnten Gebrauch des mächtigen Instrumentes: selten stimmt
es rein zum Orchester, weil seine Temperatur eine gleich-
schwebende, die des letzteren dagegen eine ungleichschwebende
ist. Weiter hat sein Ton einen starren, unbiegsamen Charakter,
der nicht in allen Registern leicht anspricht und durch einen
äußerst komplizierten Mechanismus hervorgebracht wird.
Diese Bedenken schienen mir erheblich genug zu sein,
um dem Cembalo und der Orgel beim Akkompagnement eine
beschränktere Tätigkeit anzuweisen. Ersteres, dem natürlich
der Flügel zu substituieren war, eignete sich vorzüglich zur
Begleitung der Sekkorezitative , letztere konnte bei den ent-
scheidenden Stellen, den etwa noch fehlenden Glanz hinzu-
fügend, als VerStärkungsmittel dienen. Das eigentliche Akkom-
pagnement, also der aus den Baßsignaturen gezogene Tonsatz,
wurde aber dem Orchester überwiesen. Dieses hatte ja seitdem
an Beweglichkeit, Mannigfaltigkeit und Ausdrucksfähigkeit,
Eigenschaften, die ihm dem früheren Begleitungsmaterial gegen-
über eine große Überlegenheit sicherten, außerordentlich ge-
wonnen: es lag nahe, von solchen Vorzügen mäßigen Ge-
brauch zu machen. — Die Klarinetten und Fagotte empfahlen
sich, weil ihre Klangwirkungen so ziemlich denen der Orgel
entsprachen und sie außerdem ein treffliches Mittel zur Aus-
führung des vierstimmigen Satzes abgaben , der sich in unge-
zwungener Natürlichkeit überall einlegen ließ. Bei Aufführungen
war dafür Sorge zu tragen, dies Bläserquartett in der Nähe des
— 51 —
ersten Kontrabasses, mit dem es im genauesten Verkehr stand,
aufzustellen. So schmiegte sich das Hegleitungsmaterial elastisch
der Singstimme an und ließ fast vergessen, daß es nicht in der
Hand einer Person, der des früheren Akkompagnenten, lag. —
Die weichen Hörncr deckten die Schärfe der hochgeführten
Trompeten, Oboen und l*"K)tcn setzten hin und wieder feinere
Lichter auf und dergleichen mehr. —
Demgemäß trat ich also meine Hinrichtungen und war
über den Erfolg, den sie hatten, freudig erstaunt. Das Orchester
fand sich bald zurecht; die Sänger gewannen an Zuversiclit,
weil sie von jenem teilnehmend getragen wurden, und den
obligaten Instrumenten war eine Unterstützung, die wie ein
feiner Kitt weit auseinanderliegende Tonverhältnisse sauber
verband, auch nur erwünscht. Außerdem sahen sich meine
Arbeiten reichlich belohnt durch gar nicht zu verkennende Teil-
nahme des Publikums, das kaum glauben wollte, sich noch jener
alten, wunderlichen Musik, die ihm schon manche schwere
Stunde bereitet hatte, gegenüber zu befinden: — kurzum, alles
trug dazu bei, mich von der Wahrheit meiner Prinzipien und
deren Wert für die Praxis zu überzeugen.
Dafjsich meine Tätigkeit im allgemtinen mit den Grundsätzen,
denen Mozarts Bearbeitungen folgen, in Übereinstimmung be-
fand, konnte ich damals, wo der Einblick in die Originale noch sehr
erschwert war, kaum ahnen: erst später nahm ich es nicht ohne
Genugtuung wahr. Wenn ich in dieser Tatsache keinen Zufall
erblicke, vielmehr eine Notwendigkeit, die mit der natürlichen
Beschaffenheit der Vorlagen zusammenhängt, so wird mir dies
hoft'entlich nicht als Anmaßung ausgelegt werden.
Der Wunsch lag nun nahe, die in Halle gewonnenen
Resultate auch iür weitere Kreise nutzbar zu machen. Bald
bot sich Gelegenheit zur Veröffentlichung einiger Partituren,
so daf^ nach und nach folgende Bearbeitungen erschienen :
Bach 's „Magnificat", die Kantaten: „ich hatte viel Bekümmer-
nis", „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit", „o ewiges Feuer, o
Ursprung der Liebe", „die Trauerode" und endlich : „die Matthäus-
passion". Außerdem : H ä n d e l's „Jubilate", A s t o r g a 's „Stabat
mater" und Durante's „Magnificat".
4*
— 52 —
Von sämtlichen Publikationen versprach ich mir raschen
Erfolg, — fand mich aber sehr getäuscht. Der Verdacht, daß
die Mehrzahl der Künstler 5eb. Bach 's Namen lieber im
Munde führe, als daß ihr die Verbreitung seiner Werke ernst-
lich am Herzen läge, schien sich leider zu bestätigen. Über-
dies mochte man es für unangemessen halten, sich von einem
der Zeitgenossen in Dingen vorschreiben zu lassen, die sich
jeder ebensogut, wenn nicht besser auszuführen getraute.
Dazu gesellte sich noch die unsicher tastende Haltung der
Tageskritik: statt die betreffenden Werke als Novitäten, welche
sie doch im Durchschnitt für die Gegenwart waren, aufzufassen
und den lange genug vorenthaltenen Nachweis ihres außer-
ordentlichen Wertes endlich zu führen , ließ man sie ganz un-
beachtet und nörgelte dafür um so kleinlicher an meiner Tätig-
keit. Daß es sich hier möglicherweise um eine Angelegenheit
handeln könne, an deren guten oder schlechten Austrag das
nächste Schicksal dieser Werke geknüpft sei, davon mochten
die Herren Rezensenten wohl kaum eine Vorstellung haben.
Dergleichen Arbeiten fielen nach ihrer Meinung in die Kategorie
der Arrangements, die sich schon glücklich preisen durften, wenn
man sie in die kleine Schrift der Musikzeitungen verwies.
Um aber meine Lage noch zu verschlimmern, tauchte da-
mals eine Richtung auf, die sich zwar vorwiegend mit historisch-
archäologischen , die Musik betreffenden Studien beschäftigte,
jedoch wohl auch gelegentlich die Hand an rein Artistisches
legte. Die Koryphäen derselben traten mit starkem Selbst-
gefühl, aber leider nur sehr mäßiger Kunstbegabung auf, —
dessenohngeachtet wußten sie sich, da sie mit der Feder einen
nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die musikalischen P'ach-
blätter ausübten , rührig zur Geltung zu bringen. Natürlich
wurde die Frage, nach welchen Grundsätzen die Bearbeitung
älterer Tonwerke gegenwärtig stattzufinden habe, alsbald in
den Kreis ihrer Untersuchungen gezogen, — fand sie auch keine
befriedigende Lösung, so kam sie doch wenigstens in Be-
wegung. Hinsichtlich des Begleitungsmaterials ging man, wie
sich das hier von selbst verstand, direkt auf die Darstellungs-
mittel der Altvordern, also auf das Cembalo und die Orgel,
— 53 —
zurück. In diesem Punkte waren alle untereinander einig:
weniger über die Methode, welcher die ergänzende Tätigkeit zu
folgen habe. Wahrend einige die kuriose Forderung einer „größt-
möglichen Neutralität der Ausfüllungen" stellien, letztere mithin
auf das bescheidenste Maß beschränkt wissen wollten, zeigten
sich dagegen andere minder skrupulös und meinten, man
brauche nur eine klare Hinsicht in das ABC dieser Sache (der
Akkompagnementskunst) zu haben, um sich leicht überall selbst
helfen zu können; jeder geschickte Musiker, ja jeder musik-
kundige Dilettant wäre befähigt, den Weg, der hier einzu-
schlagen sei, ohne langwierige Studien mit Sicherheit zu be-
treten. Daß die ..größtmögliche Neutralität der Ausfüllungen"
notwendig zur Charakterlosigkeit, die „klare Einsicht in das
ABC dieser Sache" aber zu offenbaren Leichtfertigkeiten führen
müsse, kam dabei nicht weiter in Betracht.
Besonders ließ es sich die Redaktion der ,, allgemeinen
musikalischen Zeitung" angelegen sein, hier die Leitung zu
übernehmen und führte dabei eine Sprache, daß man hätte
glauben sollen, sie handle unter ganz bestimmten höheren \'oll-
machten. Namentlich behielt sie die Gesanginstitute, welche
Händel'sche Vokalmusik zur Aufführung brachten, scharf im
Auge. Ihre Forderungen beschränkten sich aber keineswegs
auf eine treue Wiedergabe der Originale, ebenso energisch
wurde auf das historische Akkompagnementsmaterial gedrungen,
und zwar fand l:)esondere Gnade, wer sich so eng als möglich
den Partituren der „Deutschen Händel-Gesellschaft" anschloß,
deren Redaktion bekanntlich mit der der „Allgemeinen musi-
kalischen Zeitung" zusammenfällt.
Dagegen erfreuten sich die sogenannten „Bearbeitungen"
durchaus nicht des Wohlwollens der „Allgemeinen musikalisclun
Zeitung". Mozart direkt anzugreifen, schien zwar aus nahe-
liegenden Gründen inopportun, obschon die Klavierbegleitung
der „Deutschen Händel-Gesellschaft" zum Alexanderfest indirekt
wenigstens eine eigentümliche Kritik des Mozart'schen Ton-
satzes liefert*), — dafür wurde mit Mendelssohn um so
*1 Als Beispiel dieser Kritik diene der 2. u. 3. Takt des kitorncUs der
Sopranarie; „Krieg o Held". Mozart 's Tonsatz lautet:
— 54 —
weniger Federlesens gemacht*), und nun gar das übrige ob-
skure Gelichter ohne Umstände über Bord geworfen. So ließ
sich unser Blatt noch vor kurzem **j, veranlaßt durch ein
Referat über die Aufführung des H ä n d e 1 ' sehen . „Allegro" in
der Wiener Singakademie, folgendermaßen vernehmen:
„Hoffentlich wird die Akademie nach diesem ihr abermals
gelungenen Versuche eine vollständige Aufführung des „Allegro"
zuwege bringen, wobei wir uns dem Wunsche des obigen
Referenten um Benutzung der ursprünglichen Orchester-
begleitung (m.it Ausschluß der leidigen modernen ***) „Bearbei-
Die Klavierbegleitung der „Deutschen Iländcl-Gesellschaft" bemüht sich,
die Mittelstimme etwas melodischer zu führen und überrascht uns bei der Ge-
legenheit mit einem nicht eben wohllautenden Quintenpaar; vielleicht wollte sie
auch nur Mozart 's verdeckte Quinten ironisch durch offene illustrieren.
Übrigens paßt das g der Mittelstimme hierher wie die Faust aufs Auge. Man sehe:
*) Ob M e n d e 1 s o h n 's Orgohtimme zu ,, Israel in Ägypten" in H ä n d e 1 's
■\Veise gehalten ist oder nicht, darüber möchte ich mir keine Entscheidung an-
maßen, hinsichtlich der von der „Deutschen Händel-Gesellschaft" gelieferten
Klavierbegleitung genannten Werkes braucht man schon weniger zweifelhaft zu sein.
**) Jahrgang VI. d. 19. S. 299.
***) Was mag hier das Wort „modern" zu bedeuten haben? Sind etwa
tungen'") anschließen, weil nur dadurch die volle Wirkung ver-
bürgt ist. Was wäre es anders als barbarische Geschmack-
losigkeit, wollte man alte Gemälde neu überpinseln r Ist es aber
in der Musik nicht genau dasselbe?' (Die Red.)
Was die zuletzt aufgeworfene Frage betrift't, so ist sie auf
das entschiedenste zu verneinen. Es ist keineswegs dasselbe,
ein fertiges Gemälde zu überpinseln, und die von dem Ur-
heber einer musikalischen Komposition offengelassenen
Liicken nach seinen gegebenen Andeutungen auszufüllen.
Hierüber ist weiter kein Wort zu verlieren ; wohl aber halte
ich mich für verpflichtet, den in obiger Anmerkung enthaltenen
Hetzereien, die wahrscheinlich auch auf meine Bearbeitungen
zielen werden (ja vielleicht gerade auf meine Partitur des
„Allegro", nach der damals in Berlin eine Aufführung statt-
gefunden hatte, vor welchem Unglück man jetzt Wien zu
schützen gedachte), mit einigen Bemerkungen entgegenzutreten.
Sie wollen in keiner Weise eine oratio pro domo sein, sondern
beabsichtigen nur die Konstatierung der Tatsache, daß, wenn
etwa den väterlichen Warnungen der „Allgemeinen musikalischen
Zeitung" Gehorsam geleistet würde, zurzeit noch nicht einmal
der Apparat zu Aufführungen irgendeines der größeren Vokal-
werke Händel's vorhanden sein dürfte; es sei denn, man
suchte diese Aufführungen ohne Mitwirkung des Cembalo und
der Orgel zu ermöglichen, oder mit dem Risiko einer Im-
provisation, so gut oder so schlecht sie der Augenblick eben
bringt. — Gelänge es mir übrigens, die so schnöde behandelten
„modernen Bearbeitungen" einigermaßen zu rechtfertigen und
sie damit wider die Angrift'e der „Allgemeinen musikalischen
Zeitung" in Schutz zu nehmen, so würde ich mich schon der
Sache wegen darüber freuen.
Diese Inschutznahme ließe sich z. B. recht wirksam durcli
den Nachweis führen, daß die \'erfasser der Klavierbegleitungen
und Orgelstimmen, welche die ,, Deutsche Händel-Gesellschaft"
bringt, ebenfalls nichts weiter tun, als Händel durcli „Be-
arbeitungen" zu „überpinseln", — jene Rechtfertigung aber
die Mo zart 'sehen und Mosel' sehen Bearbeitungen bei der naciifoljjenden
Verdächtigung ausgcsehlossen ?
— 56 —
könnte vielleicht am zweckmäßigsteh erzielt werden mittels
einer sorgfältigen Prüfung des Tonsatzes, dessen sie sich durch-
schnittlich zu bedienen pflegen.
Ersteres wird mit wenigen Worten geschehen sein. Die
„Deutsche Händel- Gesellschaft" ediert nicht allein die Originale,
sondern auch ein von fremder Hand, offenbar für praktische
Zwecke bestimmtes und ausgeführtes Akkompagnement, durch-
gehends für Klavier, teilweise für Orgel. Eine solche Tätigkeit,
die oft genug zu persönlichen Entscheidungen zwischen dieser
oder jener Ausdrucksform nötigt, fällt aber mit dem zusammen,
was mit dem Worte „Bearbeitung" — sofern sie überhaupt die
Vorlagen gewissenhaft respektiert und sich nicht grundlose
Verletzungen derselben zuschulden kommen läßt — bezeichnet
wird. Demnach wäre die natürliche Konsequenz aus obigen
Behauptungen der Redaktion: jede Ausführung des Akkom-
pagnements, wenn sie die Mitwirkung eines Zweiten oder
Dritten aus eigenen Mitteln erfordert, ist eine „barbarische Ge-
schmacklosigkeit"; mithin müssen die Klavierbegleitungen und
Orgelstimmen der „Deutschen Händel-Gesellschaft" derselben
Beurteilung unterworfen werden: — sie begehen ebenfalls die
„barbarische Geschmacklosigkeit", ältere Kunstwerke mit ihren
Zutaten „neu zu überpinseln".
Über den zweiten Punkt, über den künstlerischen Wert
jener Akkompagnementsausführungen, kann ich mich leider
auch nur kurz fassen und kaum das Allgemeinste zur Be-
sprechung bringen: wollte ich recht nach Wunsch verfahren
und namentlich neben der negativen Kritik noch eine positive
üben, so würde mein Brief leicht zu einem Folianten an-
schwellen.
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Herstellung des
Akkompagnements in erster Linie um einen Tonsatz, der, unter
steter Schonung des überlieferten Materials, den Intentionen
des Autors, hier also Händel'?, nach Form und Inhalt ent-
spricht. Es kann nicht oft und nachdrücklich genug gesagt
werden, daß dieser Tonsatz das Original ebenso zu
heben und zu s c h m ü c k e n , a 1 s e r es a b z u s c h -w ä c h e n
und zu \- e r u n z i e r e n imstande ist. Im ersten Falle
wird er das nur Angedeutete durch sachgemäße Ergänzungen
zu lebensvoller Geltung bringen, im letztern verwischt er sogar
die bedeutsamsten Umrisse, weil er sie in Umgebungen ver-
setzt, die mit ihrem Wesen im direkten Widerspruch stehen.
Was hier nicht wie aus einem Gusse klingt, muß so lange
Versuchen unterworfen werden , bis ein derartiges Resultat
wirklich eintritt: die Möglichkeit dazu ist aber stets
vorhanden. — Das Material, welches zur Darstellung der als
sachgemäß bezeichneten Ergänzungen in Anwendung kommt,
ob Orgel, Klavier oder Orchester, hat erst sekundäre Bedeutung :
die Wahl desselben mag füglich dem Geschmacke und der
Einsicht des Dirigenten überlassen bleiben "^j.
Prüfen wir also dieses Wichtigste an den Beglcitungs-
formen, die uns die „Deutsche Händel-Gesellschaft" in der 32.
ihrer Lieferungen bietet. Dieselbe enthält einen Teil der
italienischen Duette und Trios, eignet sich aber darum für unser
Vorhaben ganz besonders, weil hier die Singstimmen nur von
einem bezitierten Basse unterstützt sind, der ein selbständigeres
Akkompagnement bedingt, mithin einen volleren Blick in die
Werkstatt der rekonstruierenden Tätigkeit zu werten erlaubt.
Hoftentlich wird ein jeder mit mir darin übereinstimmen,
daß Händel's Stil keine Schulfehler: Quinten, Oktaven und
wie dergleichen verpönte Dinge sonst noch heißen mögen, aut-
gedrängt werden dürfen; nur wenn sie etwa der Zug der
Stimmtuhrung unter mildernden Umständen mit sich bringt,
oder höhere Gründe tur sie geltend gemacht werden können,
lassen sie sich zur Not entschuldigen. Leider kann der Ton-
satz jener 32. Lieferung von dem Vorwurfe, dergleichen nicht
zu rechtfertigende Schulfehler in Masse gebracht zu haben,
schwerlich freigesprochen werden. Sehen wir uns denselben
genauer an, wobei es gestattet sein möge, mit Notenbeispielen,
einer zwar umständlichen, dafür aber um so anschaulicheren
Beweisführung, vorzugehen.
*) Man wird sehr wohl tun, die \Verlverl)ällnissc zwischen Tonsalz und
Ausfühiungsmaterial unausgesetzt im Auge zu behalten; eine unbefangcnr Wür-
digung beider trägt nur zur Klärung der Ansichten, die bisher über die Hc-
hanillung des .\kkümiiagnements verbreitet waren, bei.
- 58 -
(Es folgt der Nachweis einer Anzahl von Quinten- und
Oktavenparallelen , welcher hier der Abkürzung halber aus-
gelassen ist. In den So er Jahren veröffentlichte Chrysander
eine neue 32. Lieferung. Der Herausgeber.)
Dieses Kontingent schwerer Verstöße gegen den reinen Satz
habe ich flüchtig herausgegriffen; mit geringer Mühe ließe es
sich verdoppeln und verdreifachen, wenn man noch Jagd auf
durchgehende, ungleiche oder verdeckte Quinten und Oktaven,
die doch ebenfalls ihr BedenkHches haben, machen wollte.
Dennoch lege ich auf dergleichen Vorkommnisse schon darum
kein großes Gewicht, weil sich ein jeder durch v^erständige
Korrekturen leicht selbst helfen kann: angesichts der anderen
Eigenschaften des Tonsatzes wird das leider erheblichere
Schwierigkeiten haben.
Was läßt sich denn wohl mit kontrapunktischen Führungen,
— ich zitiere nur einige Beispiele — wie sie Seite 8, Zeile 3
und 4, oder Seite 37, Zeile 2, 3 und 4 anzutreffen sind, be-
ginnen ? Nicht durch inneres Leben entwickelt sich hier der
Klavier- Tonsatz , sondern folgt höchstens einer mechanischen
Ordnung des Rhythmus. Darum stehen auch die Töne so
müde und gleichgültig nebeneinander, — es fehlt eben der
schwungvolle Impuls, welcher wie mit fatalistischer Notwendig-
keit einem bestimmten Ziele zutreibt. Diese drängende Ge-
walt, die, wie wir später sehen werden, auf der Gegenseitig-
keit melodischer, harmonischer und rh\-thmischer Elemente be-
ruht, ist einer der bedeutsamsten Züge des polyphonen Stils,
- auch in der Ausführung des Akkompagnements wird sie
eine hervorragende Rolle spielen müssen.
Und, um es nicht mit Stillschweigen zu übergehen , wie
seltsam kontrastieren dergleichen nichtssagende Gänge mit den
prachtvollen Formen der Händel'schen Originalstimmen! Hier
strömt es von sprudelnder Lebenskraft über, — dort herrscht
genau das Gegenteil davon.
Was soll man ferner zu der Haltlosigkeit der Stimm-
führung sagen, von der jede Seite, jede Zeile, ja jeder Takt
beredtes Zeugnis ablegen? Wird auch die Ausführung des
Akkompagnements nicht gar zu peinlichen Forderungen zu
— 59 —
unterwerfen sein, so müssen doch wenigstens überall Spuren
von den Gesetzen, nach denen sich reale Stimmen in künst-
lerischer Freiheit untereinander bewegen, sichtbar werden: die
Begleitung der Kammerduette weist sie fast nirgends auf. Bald
reproduziert der Klaxiersatz die Singstimmen ohne jede Zutat,
— kurz darauf dämpft er deren flüssige .Beweglichkeit durch
tote Klänge wieder ab; in diesem Takte geht es zweistimmig
her, im nächsten dreistimmig, dann plötzlich vier- oder gar
fünfstimmig. Seite 76, Zeile i, Takt 3, schreitet die Mittel-
stimme sogar unter den Continuo! Vergebens sucht man
nach Gründen, welche dergleichen Erscheinungen veranlassen
konnten: es herrscht eben die reine Willkür im Auftreten und
\'erschwinden der \erschiedenen Partien.
Außerdem scheint man auch der Tatsache, daß die Ton-
qualität des Klaviers eine bestimmte Abrundung und Ge-
schlossenheit der Harmonie verlange, wenig Berücksichtigung
geschenkt zu haben: unaufhörlich wird Auge und Ohr durch
verstümmelte Akkordformen gemartert, die doch nur eine spröde
Ergänzung in den Singstimmen finden können.
Weiter begegnen wir auf Schritt und Tritt, namentlich in
der ersten Hälfte der Lieferung, einam Klaviersatze, der den
Fingern geradezu vorsintflutliche Aufgaben zumutet. So hat
der Spieler Seite 42, Zeile 3 und 4. folgendes Tongespenst
vorzutragen :
:s^€^f=zi:
^^
=»-^*-
-30L
:i=?n
— 6o —
Das Hinzutreten der rollenden Singstimme wird nur geeignet
sein, die Fadenscheinigkeit der eben mitgeteilten Stelle noch
anschaulicher zu machen.
Das Gegenstück dazu liefert aber die 36. Seite, wo sich
der Klaviersatz in knäuelartiger Verwachsenheit ununterbrochen
hinschleppt.
Ferner dürfte die Bemerkung, so trivial sie auch klingen
mag, hier nicht ganz überflüssig sein, dalo sich ein gutes Musik-
stück in bezug auf Wohllaut stets befriedigend entwickeln
muß. Der ^langel an letzterem ist es aber vornehmlich, wo-
durch die Ausführung des Akkompagnements der Kammer-
duette glänzt. Unmotiviertes Abspringen des Leittons — sogar
in der Oberstimme, — stechende A^erdopplungen alterierter und
strebender Töne, unschöne Akkordlagen und was dergleichen
verletzende Züge mehr sind, drängen sich allenthalben, am auf-
fälligsten wieder in der ersten Hälfte der Lieferung, zutage.
Mag es immerhin einige Klavierstücke Bach 's und Händel's
geben, in welchen nicht viel Rücksicht auf äußere Klang-
schönheit genommen ist, so sind doch dafür andere Werke
von beiden Meistern vorhanden — und glücklicherweise bilden
sie die große Mehrzahl, — welche nach der Seite hin nichts
zu wünschen übrig lassen. Diese hat man sich bei Herstellung
einer Klavierbegleitung zum Muster zu nehmen , nicht aber
jene. An welche Vorbilder sich das Akkompagnement der
italienischen Duette durchschnittlich lehnt, mag nur ein Beispiel
zeigen. Seite 12, Zeile 2, Takt 2, 3 und 4, lesen wir:
-•— «-
1%
etc.
Bl^?£
— 6r —
Es wird nun keinen Augenblick befremden . wenn der-
artigen Erscheinungen gegenüber von einer lebensvollen Be-
teiligung des Akkompagnements an dem Inhalte der Originale,
der in den feinsten Färbungen überall durchschimmert, kaum
die Rede sein kann. Ein solcher Tonsatz stellt auch die v^oU-
endetsten Leistungen der Sänger in ein bedenkliches Eicht und
trägt außerdem sehr dazu bei, jene massiven, ein gebildetes
Ohr zur \'crzweinung bringenden Ansichten über Ausdruck
und Vortrag älterer Kompositionen zu verewigen.
Endlich ist noch zu bedauern, daß die 32. Lieferung der
„Deutschen H ä n d e 1 -Gesellschaft" keine Generalbaßschrift zu
den Duetten gebracht hat. Zwei mir zur \'erfügung stehende
alte Handschriften , für deren Echtheit ich allerdings nicht
bürgen kann, zeigen einen sorgfältig und reich bezifferten Baß.
Sollte das Handexemplar, von dem in dem \'orwort der
Lieferung wiederholt die Rede ist, keine Signaturen enthalten.^
Im Bejahungsfalle wäre es geradezu unverantwortlich, ein so
wertvolles Material ohne weitere Angabe der Gründe den
Kammerduetten entzogen zu haben, da es allein eine gewissen-
hafte Kontrolle des Satzes ermöglicht und überdies den Werken
Hände l's zugehört. — /
Weit bin ich nun von der Annahme entfernt, daß die.
welche sich mit der Ausführung des Akkompagnements der
italienischen Duette und Trios befaßten , nicht imstande ge-
wesen wären , einen wohltuenderen Tonsatz zu schreiben.
Wurde ein solcher nicht geliefert, so wird man schwerlich
fehlgreifen, wenn teils die Grundsätze, welche die Redaktion
der „Allgemeinen musikalischen Zeitung" gelegentlich über das
ABC der Akkompagnementskunst \erlauten ließ, teils gewisse
Ansichten über die Kunstmaximen vergangener Zeiten verant-
wortlich gemacht werden. Meinen Überzeugungen in betreff
dieser wichtigen Angelegenheit wurde bereits in der Vorbe-
merkung zu den von mir herausgegebenen Händel'schen
Opernarien Ausdruck gegeben ; da sie bisher zwar totgeschwiegen,
nicht aber widerlegt worden sind, werden Sie es mit mir ganz
zweckmäßig finden, sie hier wiederholt zu sehen. l*-s heißt
dort: „Schließlich kann es doch nur darauf ankommen , eine
— 62 —
einmal gegebene Aufgabe künstlerisch, das heißt mit
künstlerischem Formensinn, mit künstlerischer Freiheit, wo-
möglich mit künstlerischem Erfolge , also durch Herstellung
eines einheitlichen, organisch entwickelten Ganzen zu lösen.
Nur so können, wie auch Kritiker und Historiker über die be-
rührten Fragen denken mögen, jene vergessenen Werke wieder
in ihr Recht eingesetzt werden. Diejenigen, die gegen solches
Unterfangen Bach 's und Handels Geister aufrufen, haben
ihnen die Lippen zu lösen nicht vermocht und ihnen nur die
eigene Weisheit in den Mund legen können."
Man v.'ird nun vielleicht den Einwand erheben: „die
32. Lieferung repräsentiert ja nur einen kleinen Teil des großen
Unternehmens der „Deutschen Händel -Gesellschaft", — die
Ausführung des Akkompagnements jenes Bandes mag, wir
gestehen es schon zu, ihre Schwächen haben; dafür bleibt uns
noch eine lange Reihe anderer Lieferungen, deren Klavier-
begleitungen doch hofl'entlich mehr künstlerischen Wert bean-
spruchen können."
Da es gegenwärtig nicht in meiner Absicht liegt, ein-
gehendere Untersuchungen über diesen Punkt anzustellen, so
halte ich mein Urteil zurück. Die außerordentlichen Ver-
dienste, welche sich die Hauptredaktion der erwähnten Gesell-
schaft, der anzugehören ich mir zur großen Ehre anrechne,
sonst noch um Händel und die korrekte Herstellung seiner
unsterblichen Werke erworben hat, sind so über allem Zweifel,
daß sie gar nicht hoch genug in Anschlag gebracht werden
können. Diese Überzeugung darf mich jedoch nicht abhalten,
wider Prinzipien aufzutreten, die nicht die Ausgabe selbst, sondern
nur deren Akzidenz betreffen und mir geeignet scheinen, den
ungetrübten Genuß an des Meisters Schöpfungen in Frage zu
stellen.
Die Redaktion der „Allgemeinen musikalischen Zeitung",
statt die gelegentlichen Bearbeitungen anderer, die doch auch
nur auf Verbreitung Händel'scher Kunst gerichtet sind, bei
jeder Veranlassung zu verunglimpfen, hätte aber besser getan,
energisch auf die Tilgung offenbarer Mängel der Klavier-
begleitungen einer monumentalen Ausgabe, die ja stets
— 63 -
den höchsten Anforderungen nach allen Seiten hin zu ent-
sprechen hat, hinzuwirken.
Übrigens ist das grollende Eifern wider „leidige Bear-
beitungen" auch darum ungerecht, weil ihrer \"erniittlung es
hauptsächlich zu danken ist, daß sich eine Anzahl Händel scher
Oratorien in Deutschland einbürgerten: ich erinnere dabei nur
an den Messias. Selbst M o s e 1 s Arbeiten, so wenig ich deren
Rücksichtslosigkeiten in Schutz nehmen mag, haben, man
sträube sich dagegen wie man wolle, daraut segensreich hin-
gewirkt. Daß die unbearbeitet gebliebenen Oratorien Handels
— ich führe nur die Meisterwerke: Herakles, Semele, Susanna
und Theodora an — bisher so ziemlich ignoriert worden sind,
ist leider eine Tatsache, die gar nicht in Abrede gestellt werden
kann. Das Gegenteil davon möchte aber wahrscheinlich nicht
früher eintreten, als Bearbeitungen im Geiste Mozarts und
Me ndelssoh n 's zur Benutzung vorliegen. Sollte ich mich
hierin getäuscht haben, so wird mir ein \\'idcrruf gewiß nicht
schwer aufs Herz fallen. —
Nach diesen Abschweifungen, die jedoch im Interesse der
Sache nicht zu vermeiden waren, kehre ich zu meinen eigenen
Angelegenheiten zurück. /
Das vornehm ablehnende Verhalten der Kunstgenossen,
der kleinliche Widerspruch der Tageskritik, endlich die auf-
reizenden \'erdächtigungen der Historiker, — alles dies trug
dazu bei, daß in kurzer Zeit mancherlei schielende urteile über
meine Arbeiten in Umlauf kamen, die mich dem Publikum
entfremden und damit der kaum begonnenen Tätigkeit störend
in den Weg treten mußten.
Da spielte mir ein glücklicher Zufall die bereits erwähnten
Händel'schen Opernarien in die Hände, die meiner Lieblings-
beschäftigung neuen Aufschwung gaben. Sie standen in einem
alten englischen Sammelwerke: „Apollos Feast", das die Parti-
turen einiger 400 Nummern derselben enthielt. Mit geringen
Erwartungen — Händel's Opern waren ja sehr übel be-
leumundet — warf ich einen Blick auf die vergilbten Blätter,
prallte aber wie geblendet zurück, als ich mich plötzlich einer
lyrisch-dramatischen Musik gegenüber befand, nach der ich
- 64 -
mich schon seit Jahren vergebens gesehnt hatte. Hier zeigten
sich nicht einmal Spuren von jenen Äußerlichkeiten, die mit
einer energisch fortschreitenden Aktion unzertrennlich verbunden
zu sein scheinen, vielmehr Avar der Schwerpunkt in die psycho-
logische Charakteristik der auf die Bühne gestellten Persönlich-
keiten verlegt. Unter solchen Umständen konnte aber die
Musik ihre ganze Macht ungehemmt entfalten und trug denn
auch redlich das ihrige dazu bei, jenen innerlichen Prozessen
einen kaum geahnten Ausdruck zu geben. Trotz der unschein-
baren Formen, in denen sich die meisten Arien darstellten,
pulsierte in jeder Note reiches, individuelles Leben, das nur
darauf zu warten schien, sich mittels einer angemessenen Aus-
führung zu noch vollerer Plastik zu erheben.
Ohne einen Augenblick zu zaudern, befand ich mich Avieder
in Tätigkeit, die sich zunächst auf die Herstellung eines Ton-
satzes für Klavier richtete, der später, wenn sich überhaupt ein
Bedürfnis dazu herausstellte, ohne Schwierigkeiten für Orchester
ausgearbeitet werden könnte.
So wurden denn in rascher Folge je I2 Sopran- und
Altarien fertig, denen sich weiter 12 Duette anschlössen —
wie Sie wissen, sind diese drei Sammlungen bereits im Druck
erschienen.
Über die musikalische Bedeutung derselben kann ich mich
hier nicht verbreiten, weil dies ganz außerhalb der Aufgabe
liegen würde, die ich mir gestellt habe, — es genüge die Be-
merkung, daß es sich auch bei ihnen um Händel's hohe
Kunst handelt. Diese weiß aber stets in das Zentrum der
Dinge zu dringen: darum gibt sie im Besonderen zugleich das
Allgemeine, im Individuellen das Generelle, — auf Leistungen
solcher Art ruht aber die Weihe der Poesie, in ihnen gewinnt
die hehre Göttin gleichsam körperliche Gestalt.
Obschon mein Brief an dieser Stelle eigentlich schließen
sollte, da er den Verlauf meiner Bemühungen um Bach sehe
- 65 -
und Händerschc Werke bis auf die Gegenwart hcrabgeführt
hat, erlaube ich mir dcmohngeachtet noch einif^c Notizen, die
zunächst das Material betreffen, dessen man sich zur Darstellung
jenes aus den Baßbeziftcrungen gezogenen Tonsatzes zu be-
dienen haben wird, dann aber auch vielleicht als Ergänzungen
zu dem bereits Ausgeführten betrachtet werden können.
Die Redaktion der „Allgemeinen musikalischen Zeitung"
äußert sich hinsichtUch jenes Materials (Jahrg. 4, Nr. 23, S. 183)
folgendermaßen : „Jene »lückenhaften Stellen' sind durch Klavier
und Orgel, und im Händel'schen Geiste nur durch Klavier
und Orgel auszufüllen; alle Versuche mit Surrogatinstrumenten *)
(und niemand hat derartige Versuche öfter und unbefangener
angestellt, als der Herausgeber) haben nichts gelehrt, als daß
keine andere befriedigende Lösung hier möglich ist."
Mit einer solchen Behauptung wird nun gar nichts be-
wiesen, wohl aber ist sie ganz geeignet, die Ansichten in be-
treff dieser Frage noch mehr zu verwirren, als sie es schon
ohnehin sind. In Halle habe ich ebenfalls häufige und unbe-
fangene Versuche angestellt, um über das zweckmäßigste
Akkompagnementsmaterial ins klare zu kommen. Nach
meinem Dafürhalten wirkten die formen am meisten be-
friedigend, welche ich oben bei Gelegenheit der Einrichtung
meiner Partituren besprochen habe. Diese Überzeugung dränge
ich jedoch keinem auf und werde mich sehr hüten, ihr eine
absolute Geltung beizumessen. Sollte sich nun gar der doch
nicht unmögliche Fall bestätigen, daß man bei jenen „öfteren und
unbefangenen Versuchen" dem Orchester einen ähnlichen Ton-
satz, wie er in den Klavierbegleitungen der „Deutschen Händel-
Gesellschaft" durchschnittlich angetroffen wird, aufgebürdet
habe, so müssen allerdings merkwürdige Klangeffekte zu Ge-
*) In der ,, Allgemeinen musikalischen Zeitung" wird hüufig Klage geführt,
daß eine Verstärkung der Instrumentation nur dazu dienen könne, Händel's
C)riginalsatz zu erdrücken und zu verdunkeln. Gesclztenfalls, man brächte bei
einer .Aufführung des ,,Salomo" oder des Dettinger „Tc deum" die von der
„Deutschen Händel-Gesellschaft'' gelieferten Orgclstimmen in .Anwendung, was
würde da wohl von jenem überhaupt noch zu hören sein ?
R. Franz, Gesammelte Schriften. 5
— 66 —
hör gekommen sein: einen derartigen Stil vertuscht wohl das
farblose Klavier, nicht aber ein auf Selbständigkeit Anspruch
machender Instrumentalchor. Wenn letzterer nicht für poly-
phone Formen herangezogen wird, wirkt er nur als Farbentopf,
der freilich Bach 's und Händel's inhaltsvoller Musik gegen-
über übel genug angebracht wäre.
Dergleichen Erwägungen führen aber wie von selbst dazu,
die alte Frage hier aufzuwerfen : wann sind Töne von Inhalt
erfüllt, wann sind sie es nicht? Gern gestehe ich ein, mich
einer Lösung derselben nicht gewachsen zu fühlen, kann es
aber doch nicht unterlassen, einige charakteristische Merkmale,
die im Durchschnitt an streng geführten Stimmen beobachtet
werden können, einzuschalten: vielleicht trägt es dazu bei,
etwas Licht über jenes dunkle Problem zu verbreiten. Über-
dies fordert die musikalische Produktion der gegenwärtigen
Epoche dazu heraus, die Aufmerksamkeit wieder auf Er-
scheinungen hinzulenken, deren \A'ert ebensowenig zu bestreiten
ist, als sie mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten drohen.
Jede gut geführte Stimme wird sich durch besondere
melodische, harmonische und rhythmische Eigenschaften aus-
zuzeichnen haben. Durch melodische, sofern sich ihre Intervall-
fortschritte als natürlich und wohltuend darstellen ; durch har-
monische, sofern diese Intervallfortschritte die zugrunde liegenden
Akkordfolgen nicht allein andeuten, sondern in faßlicher Ent-
wicklung bestimmt ausführen ; endlich durch rhythmische, sofern
sich die Bewegung jener melodisch-harmonischen Formen in
charaktervoller, womöglich symmetrischer GHederung vollzieht.
Sehr deutlich lassen sich dergleichen Grundzüge an den soge-
nannten Hauptstimmen, also an Fugenthemen, oder an den
Motiven größerer Tonsätze — ich habe dabei Haydn's,
Mo zart 's und Beethoven's Sinfonien, Quartette usw.
zunächst im Auge — wahrnehmen. Letztere Tonwerke stehen
unserer Zeit näher und qualifizieren sich daher besonders für
die beabsichtigten Untersuchungen. Prüfen wir jene Eigen-
schaften an dem ersten besten Hauptmotive, z. B. an diesem
Thema der zweiten Beethoven' sehen Sinfonie :
- 6; -
t^mm^r- — ' b_;_^_ai ' 1— !
etc.
Wem leuchten nicht sofort die Vorzüge dieses Stoffes nach
jenen drei Seiten hin ein ? Als Melodie fesselt er durrh natür-
liche und wohltuende Führung der Intervallfortschrittc, deren
Plastik sich alsbald unwiderstehlich einprägt; als auseinander-
gelegte Harmonie stellt er den Dreiklang der Tonika dar; als
Rhythmus endlich läßt er an charaktervoller, symmetrischer
Gliederung gar nichts zu wünschen übrig. Demnach vereinigt
er in sich die Quintessenz sämtlicher Elemente, durch welche
sich die Musik ZAim verständlichen Ausdruck erhebt und wirkt
deshalb auch ohne w e i t e r e Z u t a t vollkommen befriedigend.
Wesentlich wird aber seine Bedeutung noch dadurch gesteigert,
daß er den größten Einfluß auf die melodische, harmonische
und rhythmische Entwicklung des Tonstücks, dem er zugrunde
gelegt wurde, ausübt. Wie die Skizzenbücher beweisen, hat
Beethoven dies Motiv erst nach und nach zu einer solchen
Prägnanz herausgearbeitet: er war sich völlig darüber klar, was
es mit der Motivbildung in bezug auf jene drei Eigenschaften
für eine Bewandtnis habe. — /
Ganz ähnliche Erscheinungen können auch an den meisten
Grundthemen der Haydn'schen und Mozart'schen Instrumen-
talwerke wahrgenommen und nachgewiesen werden.
Was soeben über dergleichen charakteristische Eigenschaften
der „Grundmotive" bemerkt wurde, trifft vielleicht in noch
höherem Grade bei jedem guten Eugenthema zu: Bachs
Orgelfugen und die P'ugen des wohltemperierten Klaviers bieten
eine Fülle mustergültiger Beispiele. Nur eins derselben, das
schöne Thema einer Orgelfuge in G-moU , schreibe ich hier
nieder und überlasse jedem, dasselbe hinsichtlich der oben be-
zeichneten Punkte näher zu untersuchen:
9 (T7-1 -7--i"1^^;^^^to^^
5*
— 68 —
Versteht es sich nun auch von selbst, daß man vornehm-
lich die Hauptstimmen mit allem Glänze melodischer, har-
monischer und rhythmischer Vorzüge auszustatten suchte, so
wurden doch, im strengen Stil wenigstens, die Nel^enstimmen
ebenfalls diesen Gesetzen gemäß durchgebildet. Abgesehen
von dem gesteigerten Ausdruck, den das kunstreiche Zusammen-
wirken so beschaffener Stimmindividualitäten dem Tonstücke
verlieh, war dies noch aus technischen Gründen geboten: wie
bekannt, spielt die Versetzung der Stimmen in der polyphonen
Schreibart eine sehr wichtige Rolle, — was also unter Um-
ständen die distinguierteste Stellung einzunehmen berufen ist,
muß nach allen Seiten höheren Ansprüchen zu genügen wissen.
Dabei darf freilich nicht verschwiegen werden, daß auch
die größte Gewissenhaftigkeit in Erfüllung dieser Vorschriften
allein nicht ausreicht, künstlerischen Erfolg zu erzielen:
manches Tonstück sieht recht gut aus, klingt aber dennoch
herzlich schlecht. Ist nicht das Einzelne wie das Ganze von
geisterfülltem Leben getragen, so dürfte die Vollendung der
Form eher verstimmend als wohltuend berühren. Worin nun
der Kern dieses geisterfüllten Lebens bestehe, gehört zu den
geheimnisvollen Fragen, die sich, wie alle letzten Gründe, jeder
Untersuchung entziehen, — dergleichen kann eben nur gefühlt,
nie begriffen werden. —
Niemand wird einen Augenblick darüber zweifelhaft sein,
daß die Mehrzahl der Bach'schen und Hände l'schen Kompo-
sitionen auf einer Technik wie die, deren äußere Signatur ich
zu schildern versuchte, basiert ist. Dieselbe waltet aber nicht
allein in den von ihnen wirklich ausgeführten Tonstücken,
sondern erstreckt sich ebenso über die Stellen, welche dem
Akkompagnement überlassen blieben. Eine derartige Behand-
lung verlangt zunächst die Einheit des Stils, dessen reizbare
Empfindlichkeit störende Unterbrechungen am allerwenigsten
verträgt, — außerdem die ganze Anlage der Skizzen. Alles
entfaltet sich hier in Intervallfortschritten, die von melodischen
und harmonischen Elementen förmlich überströmen, — schon
aus diesem Grunde ist eine stete Rücksichtnahme auf Prinzi-
- 69 -
picn , die vom Wesen der Polyphonie nun einmal nicht zu
trennen sind, unerliißlich.
Daraus erklärt sich denn auch, wie der Hinzutritt homo-.
phoner Bildungen jene Ausdrucksformen nur unangemessen
durchkreuzen kann und höchstens ausnahmsweise am rechten
Orte sein wird.
Wer mit der Technik der strengen Schreibart einiger-
maßen vertraut ist, erkennt schon aus der Führung des Grund-
basses, von welcher Beschaftenheit die ergänzenden Zutaten
etwa sein müssen : durchschnittlich werden sich diese Anzeigen
selten als trügerisch erweisen.
Soviel steht jedoch fest, daß man mit der bloßen Kennt-
nis der Regeln des Generalbasses , wie sie namentlich von
den Kompendien der neueren Harmonielehren im Orakelton
der Welt verkündet werden, bei der Ausführung des ^Akkom-
pagnements älterer Tonwerke schwerlich durchkommen wird.
Hier hat man sich den Gebräuchen, die zu ihrer Entstehungs-
zeit an der Tagesordnung waren, mcjglichst anzuschließen, um
zu erfreulicheren Resultaten gelangen zu können. Diesen Ge-
bräuchen gemäß erblickte man damals in den Akkorden weniger
streng voneinander geschiedene, auf ^ch selbst bezogene Kor-
per, die nach bestimmten Vorschriften gegenseitig in X'erbin-
dung gebracht worden wären, — man faßte sie vielmehr als
freies Produkt einer kunstreichen Stimmbewegung auf: indem
die melodisch geführten Kontrapunkte sich momentan be-
rührten, erzeugten sie harmonische Reihen, deren schwebende
Schönheit einen unaussprechlichen Zauber ausübte.
Freilich ist die Behandlung einer solchen Setzart mit nianrher-
lei Schwierigkeiten verknüpft; wer sich diesen nicht gewachsen
fühlt, wird die alten Kunstwerke am meisten ehren, wenn er
sie mit seinen Bearbeitungen unbehelligt läßt. So wurde z. B.
meine Feder sehr vielen Kompositionen Bachs gegenüber
schon längst ZAir Ruhe verwiesen. —
Mozart und Mendelssohn*) erkannten nun klar gc-
*) Auf die Orgelstimme zu „Israel in Ägypten" beziehe ich micli liier
nicht, wohl aber auf M e n d cl ss o h n's l'.earbcitung dieses i iratoriunis liir
Urchester.
— 70 —
nug, welcher Stil bei der Ausführuno^ des Akkompagnements
hauptsächlich in Anwendung zu bringen sei*); ihrem Vor-
gange wird man unbedingt folgen dürfen, nicht darum, weil
sie für uns Autoritäten sein müßten, sondern weil die Erfahrung
lehrt, wie tief sie diesen Dingen auf den Grund schauten.
Namentlich verlangen B a c h's so wunderbar gezeichnete Skizzen
fast immer eine polyphone Führung der Stimmen, die seinem
außerordentlichen Kombinationsvermögen ein natürliches Be-
dürfnis gewesen zu sein scheint; aber auch Händel's plasti-
schere Formen bedingen sie, obschon mit den ihrem Wesen
angemessenen Beschränkungen.
Sollen jedoch dergleichen Arbeiten einige Aussicht auf Er-
folg haben, ist es durchaus notwendig, daß die rekonstruierende
Tätigkeit auf einer wirklich produktiven Kraft, wäre sie auch
noch so eng begrenzt, ruhe; außerdem muß sie dem Geiste,
der in den \'orlagen herrscht, gewissermaßen verwandt sein,
weil sonst eine bedenkliche Zwiespältigkeit des Stils kaum aus-
bleiben kann. Unter der Voraussetzung solcher Qualitäten
wird aber die Bearbeitung stets eine bestimmte Physiognomie,
das notwendige Ergebnis jeder individuellen Auffassung, an-
nehmen. Je nachdem diese ausfällt, hat jene, die Bearbeitung,
ihre gute Berechtigung oder ist als eine hinfällige zu be-
zeichnen. Das sogenannte historische Reproduzieren dürfte sich
in der Kunst nur als ein leeres Hirngespinnst erweisen , dem
eben das Beste fehlt: Fleisch und Blut.
In der Mehrzahl der mir bekannt gewordenen Bearbei-
tungen— von den Mo zart 'sehen und M e n del ssohn'schen
ist hier natürlich nicht die Rede — vermißt man nun eine Be-
gabung in jenem Sinne recht sehr: darum sind sie denn auch
meist trocken und nüchtern ; die Verfasser scheinen sich über-
haupt wenig Sorge zu machen, ob ihre Zutaten den Stimmungen
*) Wem fiele hier nicht Mozart's herrliche Bearbeitung der Baßarie aus
dem Messias: ,,Das Volk, so im Dunkeln wandelt", ein? Um sich den Wert
einer Bearbeitung zum deutlichen Bewußtsein zu bringen, dürfte es geraten
sein, auf dergleichen Leistungen gelegentlich hinzuweisen, selbst auf die Gefahr
hin, sich nicht in Übereinstimmung mit der Meinung des berühmten Verfassers
von : „über Reinheit der Tonkunst" zu befinden.
der Vorlagen kongruent sind oder nicht. Überall sticht die
Ausfüllung der Lücken unvorteilhaft von dem übrigen Satze
ab: während dieser in blühendem Leben strahlt, bietet jene
nur eine mechanische Anhäufung von Akkorden , die in teil-
nahmloser Tätigkeit nebeneinander stehen und weder mit Sing-
stimme noch mit dem Basse in geschmeidige Verbindung zu
bringen sind. Mögen auch die Bearbeiter vom besten guten
Willen beseelt gewesen sein , durch ihre Ausführungen den
Originalen zu dienen, — der gute Wille, selbst wenn er von
den idealsten Anschauungen getragen wäre, kann nun und
nimmermehr für Leistungen ausreichen, wie sie hier verlangt
werden müssen.
Bedenkt man endlich, daß Bach und Händel stets als
Tondichter, und zwar im eminentesten Sinne des Wortes, auf-
zufassen sind, so vermehren sich damit die Schwierigkeiten
einer Bearbeitung jedenfalls in hohem Grade. Ihren Werken
wird nur gerecht werden, wer ihnen mit der bestimmten Vor-
aussetzung naht, daß sie in allen Teilen von der geheimnis-
vollen Macht eines poetischen Tonlebens durchdrungen sind.
Beide Meister unter anderen Gesichtspunkten begreifen zu
wollen, würde sicher zu der Gefahn führen, sich mehr und
mehr von ihren wirklichen Absichten zu entfernen.
Diese weit ausgesponnenen Mitteilungen könnten nun bei
Ihnen leicht den Verdacht erwecken , als hege ich im stillen
den vermessenen Glauben, der Mann zu sein, dessen Leistungen
den obengestellten Forderungen auf das beste entsprächen und
daß nur in ihnen wahres Heil zu finden sei. Damit würden
Sie mir aber entschieden unrecht tun. Stärker und bestimmter
kann das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit so schwierigen
Aufgaben gegenüber kaum an jemand herangetreten sein , als
es bei mir oft genug der Fall war. Die vielen Irrtümer —
freilich mußte ich sie meist selbst an mir aufdecken, ohne dabei
von der Kritik unserer Fachblätter irgendwie unterstützt zu
werden, — konnten ebenfalls nur dazu beitragen, jenes Gelühl
wesentlich zu erhöhen. So hatte ich mich bei früheren Be-
arbeitungen für Klavier, wenn ich mir durchaus nicht zu raten
und zu helfen wußte, durch leichte Abänderungen an den
Originalen versündigt, — später, als das Orchester mit heran-
gezogen wurde, fand ich keine Veranlassung mehr, bei diesen
fatalen Auskunftsmitteln einer mangelhaften Einsicht zu be-
harren. Es kostet mir nicht die geringste Überwindung, dies
hier in aller Freimütigkeit zu bekennen, auch hoft'e ich immer
in der Lage zu sein, reiferen Erfahrungen dadurch die Ehre zu
geben, daß ich ihnen das Recht einer nachsichtslosen Kritik,
am allermeisten den eigenen Handlungen gegenüber, einräume:
nur auf diese Weise kann ja der Mensch im erträglichen Gleich-
gewicht mit sich selbst bleiben. — Daß ich der Mängel aber
allmählich inne wurde und sie mit der Zeit vermeiden lernte,
gab mir stets von neuem den Mut, in meinen Arbeiten unbeirrt
fortzufahren, — jede Korrektur, die ich an mir selbst vollzog,
versprach ja den Werken zugute zu kommen, für welche mir
kein Opfer groß und schwer genug zu sein dünkte.
Einer ähnlichen Stimmung gab ich bereits in der Vor-
bemerkung der von mir bearbeiteten Bach 'sehen Matthäus-
passion Ausdruck; erlauben Sie, mit den dort gebrachten Worten
diesen Brief schließen zu dürfen :
„Sonst bin ich weit entfernt zu glauben, allen Ansprüchen,
die von ganz verschiedenen Standpunkten aus erhoben werden,
gleichmäßig entsprochen zu haben, hoft'e aber die gebotene
Lösung des gegebenen Problems nicht unwesentlich durch
meine Arbeit gefördert zu sehen. In diesem Sinne werde ich
stets bereit sein, ähnlichen Versuchen, denen es gelingt, dem
erstrebten Ziele noch näher zu kommen, meine freudige Zu-
stimmung nicht zu versagen, und jeder Kritik, die sich in
solch positiver \\'eise zu betätigen weiß, mich willig unter-
zuordnen."
Halle a. S., d. i. Juli 1871.
Robert Franz.
Vorbemerkung
zu L'Allegro, il Pensieroso ed il Moderato. Ora-
torische Komposition von Georg Friedrich Händel
mit ausgeführtem Akkompagnement
bearbeitet von R. F. Klavierauszug. *)
Über die Grundsätze, welche mich bei der Bearbeitung
des „Allegro" leiteten, habe ich mich teils in den Vorbe-
merkungen zu Bach 's Magnirikat*^^') und der Matthäuspassion***),
teils in einer vor kurzem veröffentlichten Broschüre: „Über Be-
arbeitungen älterer Tonwerke" f) bereits eingehender aus-
gesprochen, — ich verweise hiermit /auf diese Mitteilungen.
Nur einige Punkte, die vielleicht zu Mißverständnissen Anlaß
geben könnten, erlaube ich mir nachfolgend zu erörtern.
Um den Aufwand eines Flügels zu vermeiden, wurde die
Begleitung der wenigen Sekko-Rezitative dem Streichquartett
zuerteilt. Die etwa wünschenswerte Rückübertragung des Ton-
satzes auf das Klavier ist leicht herzustellen. — In Nr. 42 und 44
hat nach meiner Einrichtung die Orgel mitzuwirken. Sie tritt
aber nur als Verstärkungsmittel auf und kann, weil außerdem
für die Vollständigkeit der Harmonie gesorgt ist, nötigenfalls
wegbleiben.
Zur Beseitigung einer querständigen Lücke habe ich, der
Vorschrift des Originals entgegen, einen Takt beim ti^intritt
*) Verlag von F. E. C. Leuckart in Lcijizig.
**) Siehe oben S. 2S.
♦**) Siehe oben S. 33.
t) Siehe oben S. 45.
— 74 —
des Da Capo in Nr. 32 gestrichen. Wer hieran Anstoß nehmen
sollte, mag sich der ursprünglichen Lesart bedienen. — Nach
Chrysander's Angabe ist das zwischen Nr. 43 und 44
stehende Sopransolo von Händel bei den Aufführungen des
Allegro seit 1741 ausgelassen worden; die etwa zu streichenden
Takte findet man S. 177 u. 178 durch Sternchen bezeichnet. —
Händel 's Forderung einer Orgelimprovisation vor der Sopran-
arie Nr. 43: „Organo ad libitum il sogetto della Fuga.seguente"
wagte ich unter Benutzung der geeignet erscheinenden Orchester-
kräfte auf die Arie selbst zu übertragen. Das Fugenthema des
folgenden Chors ließ sich mit gewissen Modifikationen zwang-
los in den Tonsatz jener Nummer einlegen und macht hier
eine Wirkung, die den Intentionen des Autors vielleicht nicht
ganz widerspricht. —
Wer sich über die vorliegende oratorische Komposition
näheren Aufschluß verschaffen will, den verweise ich auf die
treffliche Analyse, Avelche Chrysander in der ersten Hälfte
des dritten Teils der Biographie H ä n d e T s von derselben
gibt; die wahre Bedeutung des Werkes findet hier den be-
redtesten Ausdruck.
Sollten bei Aufführungen etwa Kürzungen notwendig
werden, so erlaube ich mir, ohne damit dem Urteile anderer
.vorgreifen zu wollen, zu diesem Behufe Nr. 21, 24 und 25 im
ersten Teil, Nr, 30, 33, 36 und 38 im zweiten Teil, und end-
lich Nr. 49, 50 und 5 1 im dritten Teile vorzuschlagen.
In betreff der Stimmbesetzung wird hauptsächlich für
einen guten Koloratur-Sopran Sorge zu tragen sein; die Be-
setzung der übrigen Partien bietet keine Schwierigkeiten. End-
lich sind die Chöre derart gehalten, daß auch der Zahl nach
schwächere Kräfte eine volle Wirkung zu erzielen vermögen.
Aus den zuletzt angeführten Gründen eignet sich aber das
Werk ganz besonders zu Aufführungen im Konzertsaale; möge
es den Direktionen hiermit bestens empfohlen sein.
Halle, den i. September 1871.
Robert Franz.
XI.
Vorbemerkung
zu „Sie werden aus Saba alle kommen", Kantate
von Johann Sebastian Bach
bearbeitet von R. F. Partitur.*)
Obschon die nachfolgende Partitur der Kantaic „Sie werden
aus Saba alle kommen" im wesentlichen nach denselben Grund-
sätzen ausgeführt worden ist, die ich in der Vorbemerkung
zum Bach sehen Magrificat**) bereits entwickelt habe und auf
die ich daher einfach verweisen könnte, so mußte doch in der
vorliegenden Arbeit in einigen Punkten von den Einrichtungen
der Original-Partitur abgewichen werben, über die ich mich
hiermit erklären will.
Zunächst war von den beiden Oboe da caccia abzusehen
weil diese Instrumente jetzt außer Gebrauch gekommen sind.
Statt ihrer habe ich zwei englische Hörner eingeführt, die sich
der Klangfarbe wegen am meisten empfehlen dürften. Da sie
aber leider nicht überall zur Verfügung stehen, so wird man
sich in solchen Fällen schon notgedrungen zu Klarinetten be-
quemen müssen. Diese wurden selbstverständlich in die Partitur
nicht mit aufgenommen , man fmdet sie aber den- Orchester-
stimmen beigelegt. Die übrigen Instrumente der Original-
partitur konn*-cn unverändert beibehalten werden. — Als Er-
gänzungsmittel für das Akkompagnement dienten mir in den
Chorsätzen und in der Tenorarie zwei Oboen und zwei l-'agotte,
*) Verlag von F. E. C. I.euckart in Lci])zig.
**) Siebe oben S. 28.
- 76 -
in den Rezitativen und in der Baßarie dagegen das Streich-
quartett Bei Aufführungen, wo eine Orgel vorhanden ist,
wird deren Mitwirkung für die entscheidenden Stellen sehr
wünschenswert sein ; meine Partitur gibt über dieselben den
nötigen Aufschluß.
Daneben habe ich aber noch eine durchgehende Orgel-
stimme gesetzt, welche als selbständiges Material den Orchester-
stimmen beigegeben wird. Mit derselben greife ich auf die
Einrichtung zurück, die mir schon für das Bach 'sehe Magni-
fikat maßgebend war. Wer sich ihrer bedient, hat natür-
lich von dem neu hinzugebrachten orchestralen
Satze keinen Gebrauch zu machen. Die Bezeichnung
„durchgehend" findet jedoch auf einige Stellen im ersten Chore
und in der Tenorarie „Ximm mich Dir zu eigen hin" keine
Anwendung; — was namentlich die letztere betriftt, konnte
ich mich mit dem besten Willen nicht dazu entschließen, den
sonnenklaren Tonsatz Bachs, wo er in der Harmonie voll-
ständig ausgeführt ist, mit der Orgel zu belasten. Wer daran
Anstoß nehmen sollte, wird sich durch eine einfache Über-
tragung der Originalstimmen auf die Orgel leicht helfen können.
Noch merke ich einige Punkte an, wo ich mir Ab-
weichungen vom Original erlaubte; wer mit denselben jedoch
nicht einverstanden ist, kann sich die ursprüngliche Fassung
unschwer wiederherstellen. Seite 24, System 2, Takt 2 anti-
zipierte ich den Vorschlag der zweiten Oboe da caccia in
einem Zweiunddreißigteil und Seite 40, Takt 3 wurde das quer-
ständige G der zweiten Oboe da caccia und der Viola be-
seitigt, sowie in beiden Instrumenten das punktierte 2, Achtel
in ein einfaches verwandelt. Ferner verdoppelte ich die drei
oberen Stimmen des Schlußchorals durch Streichinstrumente
und änderte endlich ein Wort im Texte der Baßarie, wo meine
Version also lautet: „Gold aus Ophir ist zu schlecht".
Schließlich muß ich auch hier nochmals erklären, „daß
mein Streben lediglich darauf gerichtet war, die mancherlei
Schwierigkeiten, welche einer Aufführung Bach "scher Kantaten
entgegenstehen, nach Kräften aus dem Wege zu räumen. Man
mag in aller Freiheit von diesen meinen Vorschlägen Gebrauch
machen und sie vor allem nach der Originalpartitur, welche
durch die \'orliegende nicht ersetzt werden soll,
immer neuen Prüfungen unterwerfen. Ahnliche Arbeiten an-
zuregen und so eine gleichmäßige Tradition für die Wieder-
belebung Bach 'scher Werke anzubahnen ist einer der Ilaupt-
gesichtspunkte, die mich zur Herausgabe der Kantate „Sie
werden aus Saba alle kommen" in dieser Gestalt bestimmt
haben.
Halle, den 29. November 1876.
Robert Franz.
XII.
Vorbemerkung
zu „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig", Kantate
von Johann Sebastian Bach
bearbeitet von R. F. Partitur.*)
Die Form der vorliegenden Bearbeitung der Kantate „Ach
wie flüchtig, ach wie nichtig" machte in einigen Punkten Ab-
weichungen von dem Original nötig, über die ich mir in Nach-
folgendem Aufschluß zu geben erlaube.
Zur Verstärkung der Choralmelodie schreibt Bach's Par-
titur in Xr. I und Xr. 6 „Corno col Soprano" vor. Da der
Meister allem Anschein nach hier die Tonhöhe der Sing-
stimme beabsichtigte und diese von den jetzt gebräuchlichen
Hörnern zum Teil nur mit großer Anstrengung, zum Teil gar
nicht erreicht werden kann, so führte ich statt des Hernes eine
Trompete ein, wobei ich eine weiche Behandlung des sub-
stituierten Instrumentes als selbstverständlich voraussetze.
Um die dem Sänger und Flötenspieler bei der Tenorarie
gestellte sehr anstrengende Aufgabe einigermaßen zu er-
leichtern, zog ich die vom Autor geforderte Repetition des
ersten Teils zusammen und legte einen kurzen Übergang als
Verbindungsglied ein. — Wer mit obigen Abänderungen nicht
einverstanden ist, wird die ursprünglichen Formen leicht wieder
herstellen können.
Endlich sei noch bemerkt, daß ich auch für diese Kan-
*) Verlag von F. E. C. Leuckart in Leipzig.
— 79 —
täte eine durchgehende Orgelstimme schrieb, die man
als selbständiges Material den Orchesterstimmen beigegeben
finden wird. Bei Benutzung derselben kommt natürlich der
neu hinzugebrachte orchestrale Satz, welcher überall durch den
Buchstaben F. markiert worden ist, in Wegfall.
Halle, den 24. April 1877.
Robert Franz.
XIII.
Vorbemerkung
zur Anthologie aus Opern und Oratorien von
Georg Friedrich Händel für eine Singstimme
mit Begleitung des Pianoforte
bearbeitet von R. F.*)
In betrefi' der Grundsätze, die mich bei der Ausführung
des Akkompagnements der vorHegenden Anthologie leiteten,
erlaube ich mir das Wesentliche meiner Vorbemerkung der im
Jahre 1869 erschienenen „36 Arien und Duette von G. F. Händel"
hier zu wiederholen und außerdem noch eine Bemerkung hinzu-
zufügen, die mein „oft'ener Brief an Ed. Hanslick" enthält.
Nachdem die Vorbemerkung der Differenzen über die
Methode, welcher die rekonstruierende Tätigkeit zu folgen habe,
gedacht hat, fährt sie fort: „Diesen Diskussionen gegenüber ist
hier auszusprechen . . . um diesen Kompositionen eine ihrem
Gehalte entsprechende Tonfülle zu geben." Siehe oben S. 42 — 44.
Seitdem sind diese Grundsätze oft genug verdächtigt
worden, — aber in keiner Weise wiederlegte man sie mit stich-
haltigen Gründen ! —
Der „oß'ene Brief" endlich bringt folgenden Passus: „Sollen
dergleichen Arbeiten einige Aussicht auf Erfolg haben, . . . dem
eben das Beste fehlt: Fleisch und Blut" Siehe oben S. 70.
Diese Ansicht hat nun in einer Reihe von Arbeiten, die
man auf Grund der Lehren unserer historischen Schule veröft'ent-
lichte, volle Bestätigung gefunden. Bereits beleuchtete Julius
*) Mit Erlaubnis der Verlagsfirma Fr. Kistner in Leipzig.
— 8i —
Seh äff er einen Teil solcher Leistungen in den Broschüren:
„Fr. Chrjsander in seinen Klavierauszügen zur deutschen
Händel -Ausgabe" und: Seb. Bach 's Kantate: „Sic werden
aus Saba alle kommen" (Leipzig, bei F. E. C. Leuckart); im wohl-
verstandenen Interesse der Bach 'sehen und Händel'schen
Tonwerke ist aber sehr zu wünschen, daß sich beiden Schriften
noch weitere der Art anschließen mögen. An neuem und
reichem Stoffe dazu fehlt es leider nicht.
Die vortreft'liehen Übertragungen der englischen und italie-
nischen Texte ins Deutsche verdankt die Anthologie der ge-
wandten Feder W. O s t e r w a 1 d 's.
Halle, den 2S. Februar iSSo.
Robert Franz.
R. Fran7, Oesammelte Schriften.
XIV.
Vorbemerkung
zu Johann Sebastian Bach Sonate aus dem
musikalischen Opfer
für Flöte, Violine und bezift'erten Baß
bearbeitet von R. F. *)
Bei seinem Aufenthalte in Potsdam bat sich S e b. Bach
von Friedrich dem Großen ein Thema zur Improvisation aus,
das er, nach Leipzig zurückgekehrt, einer Reihe kunstvoller
Formen zugrunde legte und diese dem König unter dem Titel
„Musikalisches Opfer" widmete. Die Widmung, jenen Vorgang
bestätigend, beginnt mit den Worten: „Ew. Majestät weihe
hiermit in tiefster Unterthänigkeit ein Musikalisches Opfer,
dessen edelster Theil von Deroselben hoher Hand selbst her-
rühret. Mit einem ehrfurchtsvollen Vergnügen erinnere ich mich
annoch der ganz besonderen Königlichen Gnade, da vor
einiger Zeit, bei meiner Anwesenheit in Potsdam, Ew. Majestät
selbst ein Thema zu einer Fuge auf dem Ciavier mir vor-
zuspielen geruhten, und zugleich allergnädigst auferlegten,
solches alsobald in Deroselben höchster Gegenwart auszuführen.
Ew. Majestät Befehl zu gehorsamen, war meine unterthänigste
Schuldigkeit. Ich bemerkte aber gar bald, daß, wegen Mangels
nöthiger Vorbereitung, die Ausführung nicht also gerathen
wollte, als es ein so treft'liches Thema erforderte. Ich fassete
demnach den Entschluß, und machte mich sogleich anheischig.
*) Mit Erlaubnis der Verlagsfirma Breitkopf u. Härtel in Leipzig.
— Si —
dieses recht Königliche Thema vollkommener auszuarbeiten,
und sodann der Welt bekannt zu machen.'
Diesem allgemeinen Urteile Seb. Bach 's über die Schön-
heit des Thema Regium erlaube ich mir noch die Bemerkung
hinzuzufügen, daß es einen seltenen Reichtum an harmonischen
Elementen in sich birgt. Es spaltet sich nämlich in zwei
Gruppen, deren erste dem diatonischen, die zweite dem chro-
matischen Tongeschlecht angehört, — eine Form, tue steten
Anlaß zu den herrlichsten Gegensätzen bietet.
Den Glanzpunkt des „Musikalischen Opfers" bildet nun
oftenbar die nachfolgende Sonate, als Trio für Flöte, Violine
und Continuo gesetzt. Letzterer enthält eine reiche Hezift'erung,
die über den harmonischen Kern des Akkompagnements ge-
nauesten Aufschluß gibt. Der zweite Satz bringt das Thema
Regium in ganzer Breite und der letzte Satz in melodischer
Umbildung. Das Largo und Andante deuten es nur leise an:
sie sind gleichsam als Vorspiele zu den bewegten Nummern
zu betrachten. —
So unvergleichlich schön die Sonate nun auch ist, wird
doch niemand behaupten wollen, daß sie bei dem musikalischen
Publikum eine ihrer Bedeutung entsprechende Beachtung ge-
funden habe — trotz des Kirnber^g er sehen Akkompagne-
ments. Vielleicht trägt aber gerade dieses die meiste Schuld
daran. Dr. Erich Prieger in Berlin machte mich zuerst
mit ihm bekannt, auf die Wertlosigkeit der Arbeit hinweisend.
Es liegt nicht in meiner Absicht, hier eine detailierte
Kritik des Kirn berger 'sehen Akkompagnements zu unter-
nehmen; doch kann ich nicht unbemerkt lassen, daß es den
Tonsatz Seb. Bach's total verschüttet, indem es die obligaten
Stimmen unaufhörlich mit Klängen bedeckt, die denselben ent-
weder direkt ins Gesicht schlagen oder gleichgültig als leb-
loses Getön auf ihnen lasten. Auch mangelt es keineswegs an
falschen Akkorden und Schulfehlern.
Um diesen Übelständen einigermaßen abzuhelfen, hielt ich
eine neue Ausarbeitung des Akkompagnements für geboten,
die hiermit den Kunstfreunden übergeben wird. \'on ihm hat
ebenfalls die Schlußbemerkung der Vorrede meiner Ausgabe
6-
- 84 —
der Matthäus -Passion volle Geltung: daß ich stets bereit
sein werde, ähnlichen Versuchen, denen es gelingt, dem er-
strebten Ziele noch näher zu kommen, meine freudige Zu-
stimmung nicht zu v^ersagen, und jeder Kritik, die sich in
solch positiver Weise zu betätigen weiß, mich willig
unterzuordnen. —
Schließlich erwähne ich noch, daß die Wiederholung des
ersten Teils der zweiten Nummer von mir zusammengezogen
wurde. Wer das Bedürfnis einer Repetition in kompletter
Ausdehnung hat, findet an den betreftenden Stellen das Dal
Segno- und Fine-Zeichen angegeben.
Halle a./S. (1883).
Robert Franz.
i
XV.
Vorbemerkung
zu ,,Der Messias", Oratorium von G. F. Händel.
Unter Zugrundelegung der Mozart'schen Partitur
mit den nötigen Ergänzungen
herausgegeben von R. F. Partitur. *)
Die zu Anfang die.ses Jahrhunderts im Verlag von Breit-
kopf und Härtel erschienene Partitur des Messias führt den
Titel: „G. F. Händel's Oratorium der Messias nach W. A. Mo-
zart's Bearbeitung". Schon das Wort „nach" läßt die Inter-
pretation zu, daß es sich hier um keine Arbeit handelt, für die
Mozart ausschließlich, wie es Icide^r oft genug geschehen ist
und noch geschieht, verantwortlich gemacht werden darf.
Diesem Übelstande wäre sofort Abhilfe geschafft worden, wenn
der mit der Redaktion des Werkes Betraute über Mozarts
Anteil und den einer fremden Hand, deren PLinwirkung, wie
wir demnächst sehen werden, gar keinem Zweifel unterworfen
ist, bestimmten Aufschluß gegeben hätte.
Es ist nun E. V. Baum gart's nicht hoch genug anzu-
schlagendes Verdienst, die Tatsache der Adam Hiller'schen
Autorschaft für die Bearbeitung der Arie im dritten Teil des
Messias: „Ist Gott für uns" entdeckt und nachgewiesen zu
haben. Seia Artikel: „Ein Falsum in Mozart's Messias-Parti-
tur" erschien 1862 in der „Niederrheinischen Musikzeitung" und
zeigte, daß die Sopran-.Axie „Ist Gott für uns", also die
Nummer, welche mit Recht bei der Kritik den meisten Anstoß
*) Mit Genehmigung der Vcrhigsfirma Kr. Kistner in Leijj/ig.
— 86 —
erregte, Note für Xote dem Manuskripte des von Adam Hill er
bearbeiteten Messias entnommen ist. Den weiter daran ge-
knüpften Vermutungen wird jeder Unbefangene nur beipflichten
können.
Seitdem hat Julius Seh äffe r in Breslau zu verschiedenen
Malen, am ausführlichsten in dem „Musikalischen Wochenblatt,
XII. Jahrgang, Nr. 43 und 44" diese Angelegenheit zur Sprache
gebracht, ohne daß jedoch die übrigen Fachblätter irgend-
welche Notiz davon genommen hätten , ein Verhalten , mit
welchem dem Märchen von der „Versündigung Mozart's an
der Messias-Partitur" leider von neuem Vorschub geleistet
wurde.
Die Nachweise Baum gart's und Schäffer's kann ich
nur bestätigen, weil mir in Halle ebenfalls ein Exemplar der
Hiller'schen Partitur zur Verfügung steht: — sie enthält in
der Tat unglaubliche Dinge!
Aber nicht allein aus der Arie „Ist Gott für uns", sondern
auch aus anderen Einzelheiten, die im Verlaufe der Chöre und
Arien erscheinen, geht mit Sicherheit hervor, daß Adam
HiUer's Bearbeitung bei der Herausgabe der Mozart'schen
Partitur benutzt wurde. Diese Einzelheiten haben desgleichen
Anlaß zu abfälligen Urteilen gegeben, denn sie bestehen in
rücksichtslosen Umgestaltungen der Händel'schen Original-
stimmen, welche doch unter jeder Bedingung intakt bleiben
mußten.
Außer diesen, das Original schädigenden Ubelständen zeigt
die Mozart'sche Partitur eine große Menge in der Harmonie
unausgeführt gebliebener Stellen, die der Meister ohne Zweifel
für das hinzutretende Akkompagnement offen ließ, wie es eben-
falls in seinen Bearbeitungen des Alexanderfestes, der Cäcilien-
Ode und des Pastorale Acis und Galatea geschehen ist. Daß
diese leeren Stellen — sie finden sich zumeist in den Arien,
doch sind auch einige Chöre davon nicht frei geblieben — in
der Harmonie ergänzt werden müssen, steht fest und wird auch
jetzt ^allerseits zugegeben.
Als ein weiteres Bedenken gegen die Mozart'sche Parti-
tur stellt sich die Unterlage des deutschen Textes heraus. Bei
- 8; -
derselben hat man sich augenscheinhch viel zu ängstlich an die
\\'orte der Bibelübersetzung Luthers gehalten und ihnen zu
Liebe Handels energische Deklamation oft gewaltsam abge-
ändert; es sei hier nur an den Anfang des Chores: „Sureh* he
hath borne cur griefs" erinnert. Die Übersetzung mit den
Worten : „Fürwahr, fürwahr , er trug unsere Schuld", welche
eine völlige Umänderung des Hände l'schen Tonsatzes not-
wendig machte, findet sich auch schon in der Partitur Adam
Hiller's. Die Kritik hat mit Recht gegen derartige Ab-
weichungen Protest eingelegt und ist daraufhin in den meisten
der neueren Klavierauszüge der Anfang jenes Chores mit dem
Tonsatze des Originals in Übereinstimmung gebracht worden.
Endlich fehlen in Mozart's Bearbeitung die beiden auf
die Himmelfahrt Christi bezüglichen Nummern, von denen die
Baßarie: „Du führest in die Höh" zu den herrlichsten Stücken
der Partitur gehört. Die der biblischen Überlieferung gegen-
über fühlbare Lücke ist im Originale vermieden.
Im Hinblick auf solche Mißstände lag es schon längst in
meinem Wunsche, nach Kräften zu deren Beseitigung beitragen
zu können. Stets hielt mich jedoch davon die leichtbegreif-
liche Scheu ab, Hand an ein Werk /zu legen , das sich trotz
alledem der lebhaftesten Sympathien des musikalischen Publi-
kums nicht nur in Deutschland, sondern auch in England und
Amerika seit fast einem Jahrhunderte erfreute. Nur die histo-
rische Schule, als deren Vertreter ich hier namentlich Thibaut
und Chrysander anführen will, stimmte nicht in den allgemeinen
Beifall ein. Ihre heftigen Angrifte auf Mozart forderten dazu
heraus, ja machten es schlechterdings zur Pflicht, des Meisters
Namen hinsichtlich der Bearbeitungsfragc von Vorwürfen zu
reinigen, die bei kritischer Würdigung des Sachverhalts gar
nicht erholten werden durften. So entschloß ich mich denn,
meine Zurü khaitung aufzugeben. Zunächst war ich bemüht,
das auszuscheiden, was Mozart unmöglich gesetzt halben
konnte, mußte hierbei aber, da die handschriftliche Partitur
Mozarts spurlos verschwunden ist, lediglich dem eigenen Ur-
teile über das zu Beseitigende oder Abzuändernde folgen. Ich
erkläre ausdrücklich, die volle Verantwortlichkeit (immer mit
— 88 —
Ausnahme der Arie: „Ist Gott für uns", wo ja die Tatsache
des Eingreifens einer fremden Hand unzweifelhaft feststeht)
dafür zu übernehmen. Die infolge solcher Ausscheidungen
und Abänderungen entstehenden Lücken ergänzte ich im engsten
Anschluß an die Stilformen Händel's, behielt jedoch im
übrigen jede Note gewissenhaft bei, die den Stempel des
M o z a r t'schen Genius an sich trug. Insonderheit blieben die
bis ins kleinste Detail fertig gestellten Nummern, in denen wir
ja Leistungen besitzen, welche hinsichtUch des Tonsatzes für
die Ausführungen des Akkompagnements geradezu mustergültig
sind, unversehrt bestehen. Sie sind es nicht allein wegen ihrer
genialen B'assung, sondern namentlich auch darum, weil zu der
Zeit, in der sie entstanden, die Traditionen des Akkompagne-
ments in der Praxis noch lebendig waren: — Mozart wird mit-
hin vollkommen darüber im Klaren gewesen sein, was man sich
überhaupt auf diesem Gebiete erlauben durfte und was nicht. —
Hinsichtlich jener in der Harmonie unausgeführt gebliebenen
Stellen ist nur zu bemerken, daß sie sowohl in den Chören als
auch in den Arien von mir sorgfältig im Tonsatze für die
Orchesterinstrumente ausgearbeitet wurden. Wo es anging, be-
nutzte ich dazu das von Mozart angewandte Tonmaterial, um
auf diese Weise einen möglichst einheitlichen Verlauf zu sichern.
— Den neu hinzutretenden Satz markiert die vorliegende Aus-
gabe durch das Zeichen (F.), den Mozarfs durch das Zeichen
(M. ) und den des Originals durch das Zeichen (H.) ; wo endlich
meine Ausführung in den von Mozart benutzten Instrumenten
sich fortsetzt, steht das Zeichen (M. F.).
Ferner wurde dem Vokalsatze dieser Ausgabe neben der
deutschen Übersetzung noch der englische Text untergelegt.
Wo beide Sprachen in der Silbenzahl voneinander abweichen,
gelten die kleinen Noten den englischen Worten, die großen
den deutschen ; übrigens bin ich nach Kräften bemüht gewesen,
hierin eine einheitliche Form herzustellen, besonders so charak-
teristischen Zügen gegenüber wie: ,,flohn wir zerstreut" in dem
Chore „Der Herde gleich". Hin und wieder hat mir dabei die
Übersetzung des Messias von Herder gute Dienste geleistet.
Daß der Text der Mozart' sehen Partitur Händel's Akzente
- 89 -
häufig unberücksichtigt läßt, ist eine Tatsache, der Abhilfe
geschatitt werden mußte, wenn das Original in möglichster
Reinheit und ve^lhvirkend dastehen soll. Überall ließ sich
Gleichmäßigkeit in der Deklamation für beide Sprachen leider
nicht erzielen.
Die zwei in Mozarts Partitur fehlenden Xunimern, also
der Chor „Lobsingt dem ewgen Sohn" und die Baßarie ,,Du
führest in die Höh" sind von mir an der rechten Stelle ein-
gefügt worden. —
Es erübrigt noch, wegen einiger Punkte, die vielleicht An-
laß zu Mißverständnissen bieten konnten, Auskunft zu geben.
In den Chören „Er wird sie reinigen", „Denn es ist uns
ein Kind geboren" und „Sein Joch ist sanft" folgte ich den
Einrichtungen der Mozart 'sehen Partitur und ließ Solostimmen
mit dem vollen Chore abwechseln. Bekanntlich liegen diesen
Nummern drei der italienischen Kammerduette zugrunde: sie
tragen daher an vielen Stellen Spuren des Sologesangs auch
in der neuen Form an sich. Doch möge es dem Ermessen
des Dirigenten anheimgestellt bleiben, wie er sich in den vor-
liegenden Fällen verhalten will.
Die Begleitung der Sekko-Rezit^tive des Messias richtete
ich für das Streichquartett ein. Gestatten jedoch die räum-
Hchen Verhältnisse die Aufstellung eines Flügels, so ist derselbe
als Begleitungsmaterial vorzuziehen und zwar nach meiner An-
sicht ohne Hinzutritt der Kontrabässe.*) Die Übertragung der
Harmonie auf den Flügel läßt sich leicht bewerkstelligen.
Für den ersten Teil der Baßarie „Sie schallt, die Posaun"
gab ich der abgekürzten Form in Mozart's Partitur den \'or-
zug, denn das Original dehnt sich mit dem von Händel vor-
geschriebenen Da Capo über 369 Takte aus, — eine Länge,
die schon aus praktischen Gründen zu beanstanden sein dürfte.
Den tiefsinnigen Mittelsatz derselben — er fehlt in der eben
genannten Ausgabe — bringe ich dagegen unverkürzt. —
Außerdem wurde noch die seltsame, schwerlich auf Mozart
*) .Auch ohne Hinzutritt der Violoncells. Siehe die Weisung K. Franz 's
in der Partitur der MalthUuspassion. Oben S. 36 u. 37.
— 90 --
zurückzuführende Vortragsbezeichnung dieser Arie: „Pomposo
ma non troppo" beseitigt und dafür die des Originals „Pomposo
ma non AUegro" wieder hergestellt.
Am Schluß der Sopran-Arie „Erwach' zu Liedern der
Wonne" legte ich eine Kadenz ein, die aus dem Figurenwerk
der Kantilene gezogen wurde ; wer mit ihr nicht einverstanden
ist, mag sie ruhig weglassen.
Die von mir ausgesetzte Orgelstimme begleitet die Chöre
nicht durchgehend, sondern tritt nur als Verstärkungsmittel
bei den entscheidenden Stellen ein. Wünscht man eine aus-
gedehntere Beteiligung der Orgel, so kann deren Tonsatz un-
schwer den Singstimmen der Chöre des Originals entnommen
Averden.
Endlich bemerke ich noch, daß mir als Material für die
kritischen Untersuchungen folgende Partituren vorlagen: I. die
erwähnte, bei Breitkopf und Härtel erschienene, 2. die von
Peters publizierte, 3. die Ausgabe der Handel-Society in London
und 4. das Fac-simile of the autograph score of Messiah by
Handel.
Vollkommen bewußt bin ich mir des Wagnisses, auf Grund
der Mozart 'sehen Partitur eine neue Ausgabe des Messias zu
veröffentlichen, weil die Menschen ein Werk, das ihnen so tief
ins Herz gewachsen ist wie jenes, nicht leicht wieder aufgeben
werden. Da jedoch meine Ausgabe Händel's Oratorium in
allen Teilen für Aufführungen fertig stellt, dabei den künst-
lerischen Ausdruck Mozart's hoch in Ehren hält und ihr
Streben zumeist darauf richtet, bedenkliche Zusätze fremder
Hand aus dem Wege zu räumen, so gebe ich mich der Hoft"-
nung hin, daß man in nicht allzu ferner Zeit von ihr in weiteren
Kreisen Gebrauch machen wird: ein Wunsch, den mir außer-
dem die schuldige Rücksicht auf die bedeutenden Opfer der
Verlagshandlung nahe genug legt.
Halle, im Mai 1884.
Robert Franz.
W'I.
Vorbemerkung
zu ,,Wer weiß, wie nahe mir mein Ende" Kan-
tate von Johann Sebastian Bach
mit ausgctuhrtem Akkompagncment
herausgegeben von R. F. Partitur.*)
Zur Verstärkung der Choralmelodien schreibt Bach 's
Partitur in Nr. i und Xr. 6 der vorliegenden Kantate „Corno
col Soprane" vor. Da die Tonhöhe beider Melodien von den
jetzt gebräuchlichen Hörnern zum Teil nur mit großer An-
strengung, zum Teil gar nicht erreich^ werden kann, so führte
ich statt des Hornes eine Trompete ein, wobei selbst\'erständlich
eine weiche Behandlung dieses Instrumentes vorausgesetzt wird.
Hinsichtlich der Alt-Arie (Nr. 3) untersuchte Dr. Erich
Prieger in Berlin auf meine Bitte das Autograph der Partitur
und teilte mir folgendes mit: „Unmittelbar nach dem Tenor-
Rezitative — , macht alles gut' — steht die Notiz : ,Aria ä
Hautb. da Caccia e Cembalo obligato'. Nun folgt ein Ent-
wurf zu der Es-dur-Arie und zwar für vier obligate Stimmen.
Die oberste ist offenbar für die Oboe da caccia ; bei der dritten
(im Baßschlüssel) steht ,Violono'; die beiden anderen Sj'steme
sind durch J verbunden. Nach dem »V^iolono' zu urteilen, muß
die nächst höhere Stimme eine Violine gewesen sein, die unteren
Systeme blieben also für das Cembalo. Diesen flüchtigen Ent-
wurf hat Bach durchstrichen und nun auf der anderen Seite
die Arie geschrieben, wie sie gedruckt ist."
*j Verlag von F. E. C. Leuckart in Leipzig.
— 92 —
Aus der Form des Entwurfs geht nach meinem Dafür-
halten hervor, daß Bach die Arie ursprüngUch mit Streich-
instrumenten und Cembalo begleiten wollte, wodurch dann die
von mir zur Ausfüllung gewählten zwei Violinen gerechtfertigt
sein dürften. Auch wird es nach obigen Angaben kein Ver-
brechen sein, wenn bei etwa fehlender Orgel der Flügel als ihr
Stellvertreter fungiert, da ja Bach selbst gegen die Benutzung
des Cembalo in einer seiner Kirchenkompositionen, obigen
Mitteilungen zufolge, nichts einzuwenden gehabt hat.
Die Takte 23 und 66 der Alt- Arie enthalten zwischen der
Kantilene und der Orgel Ouintenparallelen, die ich durch eine
Abänderung der Orgelstimme zu beseitigen suchte.
In Ermangelung des englischen Hornes empfiehlt sich eine
Klarinette in B. Für diesen Fall wurde eine gedruckte Stimme
derselben dem übrigen ^^lateriale beigelegt.
In Xr. 6 endlich entschied ich mich, entgegen der Ausgabe
der Bach -Gesellschaft, Takt 6 für „es" im Sopran, weil dieser
Ton der milden Stimmung des Chorals besser wie „e" zu ent-
sprechen scheint und „es" außerdem mit der autographen
Partitur Bach 's übereinstimmt.
Halle, im Juni 1886.
Robert Franz.
Inhaltsverzeichnis.
Seite.
Begleitwort von Prof. O. Reubke IH
1. Vorbemerkung zu Bach 36 Arien I
2. „ „ „ Duette . 6
3. Mitteilungen über Bach Magnificat 7
4. Vorbemerkung zu Bach Magnificat 28
5- .. „ „ Trauer-Ode 31
6. ,, ,, ,, Matthäuspassion ^' 33)
7- 11 ,. Händel Jubilate 38
8. ,, ,, „ Arien 41
9. Offener Brief über Bearbeitungen älterer Tonwerke 45
10. Vorbemerkung zu Händel L'AUegro 73
11. ,, „ Bach „Sie werden aus Saba alle kommen" ... 75
12. „ „ „ „Ach wie flüchtig" 78
13. „ „ Händel Anthologie aus Opern und Oratorien . . , ^&>
14. „ „ Bach Sonate aus dem musikalischen Opfer ... 82
15. „ „ Händel Messias 85
16. „ „ Bach „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende" . . 91
Inhalt 93
Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.
ii
Notenbeilagen.
I. Joh. Seb. Bach. Arie für Baß „Ouia fecit mihi ma^na"
aus dem Magnificat in D dur.
II. Joh. Seb. Bach. Arie für Tenor „Der Glaube ist das
Pfand der Liebe" aus der Kirchenkantate „Wer da glaubet
und getauft wird".
III. Georg Friedrich Händel. Siciliana für Tenor oder Sopran
„Laß mich wandern" aus L'AUegro, il Pensieroso ed il
Moderato.
Jede Nummer unter A genau nach der Originalpartitur, unter B nach der
Partitur von Robert Franz. — Beigefügt ist zur Bequemlichkeit des Lesers
bei B der von Robert Franz bearbeitete selbständige Klavierauszug.
F. E. C. I.. 6583.
I . Joh. Seb. Bach. Arie für Baß aus dem Magnificat in Ddur.
A. ri<"h der Orig-inalpartitur. Ausgabe der Bach-Gesellschaft
XI. Jahrgang 1. Lieferung Seite 36.
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II. Joh.Seb.Bach. Arie für Tenor aus der Kirchenkantate
„Wer da glaubet und getauft wird''
A. nach dci- Originalpartitur. Ausgabe der Bach- Gesellschaft.
VII. Jahrgang Seite 270 f.
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Robert Franz, Seite 17 ff.
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III. Georg Friedrich Händel. Siciliana fürTenoi
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A. nach der Originalpartitur. Ausgabe der Deutschen Händelgesellschaft
VI. Lieferung, Seite 58 f.
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B. mit ausgeführtem Acco^mpag-nement nach der Partitur von
Robert Franz, Seite 78 ff.
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Franz, Robert
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B13F73 über die Wiederbelebung