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Sonnenfels
geſammelte
Sriften
Zweyter Band. 75
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Wien,
mit von Baum eiſteriſchen Schriften.
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An Herrn
Grafen von Frieß.
Ste haben mich mit einem ſchoͤnen
Fußteppiche beſchenket, ſchaͤtzbarſter
Graf! einem Erzeugniſſe ihrer Ma⸗
nufakturen, deren Sie ſo manche ent⸗
weder angelegt, oder unterſtuͤtzet ha⸗
ben: und ich eigne Ihnen dafuͤr den
zweyten Band meiner geſammelten
Schriften zu, um Ihnen nach meiner
Zuſage, fuͤr ihr Geſchenk öffentlich zu
danken. Wäre ich einer von den deuf-
ſchen Witzſchnappern, die, von dem ver⸗
derbten Geſchmacke der franzoͤſiſchen an⸗
geſteckt, uͤberall nach Gegenſaͤtzen oder
| a2 Aehn⸗
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Aehnlichkeiten haſchen, ſo wuͤrde ich
finden, daß ihr Teppich mir die Fuͤſſe
warm gehalten, wie meine Schriften
manchem» = » und manchem ⸗ » ven
Kopf erhitzt haben. Aber ſtatt dieſes
Flitters will ich mit mehrerer Richtig⸗
keit ſagen: woferne meine Bemuͤhun⸗
gen um die Wiſſenſchaften, ſo viel zur
Aufklaͤrung dieſer Provinzen gewirket
haben, als Ihre Unterſtuͤtzung zur
Belebung der Aemſigkeit, ſo ſind wir
beide, nuͤtzliche Buͤrger des Staates.
Das Haus der Grafen von Naraman
ruͤhmt ſich ſeiner Abkunft von Paul
Riquet, der durch den berühmten Has
nal von Lauguedoc zur Erleichterung
der franzoͤſiſchen Handlung zwey Meere
vereiniget hat. Die Grafen von Srieß
werden einſt von ihrem Stammſtifter
aufgezeichnet finden: Naiſer Joſeph der
II. hat ihn in Grafenſtand erhoben,
f weil
*
3c —
— — —
weil er der öſterreichiſchen Zandlung
mehr als einen Kanal eröffnet, und
die Nationalämſigkeit erweitert, uns
terſtützet hat. Ich habe zu ihrer Ein⸗
ſicht das Zutrauen, daß Sie, nach⸗
zem Sie eine fo ehrenvolle Unterſchei—
dung in der bürgerlichen Geſellſchaft
erhalten haben, nun nicht etwan die
Beſchaͤfftigung unter ihrem Stande
halten, die Ihnen von der lohnenden
Einſicht des Monarchen dieſe Unter⸗
ſcheidung erworben hat. Das waͤre,
als ſchaͤmte ſich Gideon Loudohn des
ſiegreichen Degens, der ihm den Mar—
ſchallſtab und die Unſterblichkeit erfoch-
ten hat. Genieſſen Sie ſelbſt, ſchaͤtz⸗
barſter Graf! in einem ruhigen und
geehrten Alter und in dem Gedeihen
einer liebenswuͤrdigen Familie, den
Wohlſtand, den Ihnen Fleiß und
Rechtſchaffenheit verſichert haben! Aber
laſſen Sie ihren hoffnungsvollen Erſt⸗
a 3 ge⸗
gebohrnen immer ein angefehenes Hand⸗
lungshaus fortführen , das dadurch ges
wiß nichts an feiner adelichen Würde
verlieren wird, weil es mit jedem
Geſchlechte neuen Zuwachs an Mitteln
erhaͤlt, dieſe Wuͤrde beſſer zu unter⸗
ſtuͤtzen.
Sonnenfels.
Der Mann
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Zweyte Abtheilung.
a 4
1,
Su der Zeit ich meinem aufgenomme⸗
nen Fremdlinge das Stillſchweigen aufer⸗
leget hatte, beherrſchte ihn beſtaͤndig ein
gewiſſer Tiefſinn, der meinem Vorhaben,
ihn vom Umgange der Menſchen zu ent⸗
fernen, bis er mit Anſtand unter ihnen
erſcheinen koͤnnte, ſehr zu Huͤlfe kam. Ich
kuͤndigte ihm endlich das End ſeiner Ein⸗
ſamkeit an. Ich verſprach mir, er wuͤrde
dieſe Nachricht mit freudiger Ungeſtuͤme
aufnehmen, und machte mich zum voraus
auf Erinnerungen gefaßt, dieſe Ungeſtuͤ⸗
me zu maͤſſigen. Meine Erwartung ward
betrogen. Kennbare Merkmale des Be—
truͤbniſſes ſchienen durch die gezwungene
Freudigkeit, womit er fi vor mir vers
bergen wollte.
Was fuͤr einer Urſache ſollte ich dieſes
Betruͤbniß zuſchreiben? Mein Freund!
ſagte ich, und druͤckte ihm freundſchaftlich
die Hand, um ihm Vertrauen einzufloͤſ⸗
fen: mein Freund ! du biſt nun genug
II. Theil. A vor⸗
1
2 Der Mann
vorbereitet: es iſt Zeit vorzufchreiten,
Die Beſtimmung des Menſchen iſt nicht
der Stand der Unthaͤtigkeit. Dazu gab
uns die Vorſicht nicht dieſen Verſtand,
der, nach Erkenntniſſen geizig, nie
ſtille ſteht; dazu rüſtete uns die Natur
nicht mit dieſen Händen aus, den ein⸗
zigen Werkzeugen, die zu allen Be⸗
dürfniſſen zureichend ſind. Der End⸗
zweck dieſer Werkzeuge iſt, fie zu ge⸗
brauchen, und der Endzweck des Ver⸗
ſtandes, ohne jenen edlern Endzweck,
die Weiſe des Gebrauchs anzuord⸗
nen. —
Ich ſchwieg, weil er feinen Mund
gleichſam zur Antwort geoͤffnet hatte. Aber
es war nur, um tiefgeathmeten Seufzern,
die ſeine Bruſt empor trieben, Ausgang
zu verſchaffen. Eine Thraͤnenfluth beglei⸗
tete dieſe Seufzer. Endlich brach das
Uebermaß ſeiner Empfindung in Klagen
aus — Wer ſchickt mich in die Walder
zurücke, die Sie Wüſteneyen heiſſen,
aber deren Erinnerung mir das einzige
Bild der Glückſeligkeit iſt, das ich mir
machen Fanny Dort, es iſt wahr, hat⸗
te ich weniger; aber ich bedurfte auch
nicht
ohne Vorurtheil. 3
nicht mehr: und das, was ich brauch⸗
te, bot ſich mir an; ungeſucht, ohne
meine Arbeit an: ich hatte Ueberfluß.
Die ganze Gegend war meine Speiſe⸗
kamer, und in jeder Guelle floß mein
Getränk. Ich ruhte auf dem Boden
ſanfter, als in den weichen Betten,
worin ich den Schlaf nicht ſelten ver⸗
gebens rufe: er kömmt nicht, und ich
bedaure das härtere Lager, von dem
ich immer munter, immer wie erneuert
wieder aufſtand. Dieſe Kleider be⸗
ſchweren mich. Dort konnte ich ihrer
entbehren, wo ich allein war, und
dieſe Anwandlunten der Schamhaftig⸗
keit nicht kannte, die vielleicht nur
eine Solge der Bedeckung find — So
ungefaͤhr, wenn vielleicht auch nicht ſo
redneriſch, bedauerte er ſeine Verſetzung
in das geſellſchaftliche Leben.
Es war hier darum zu thun, ihn die
Vortheile fühlen zu machen, die aus der
Geſellſchaft, auf jedes Mitglied derſel⸗
ben zuruͤckflieſſen. Das war das einzige
Mittel, ihn ſeiner Waͤlder vergeſſen zu
machen. Ich ſah ein, daß mich Gruͤnde,
aus der Weltweisheit hergeholt, verlafs
A 2 ſen
4 Der Mann
fen wuͤrden; ich mußte mir welche in
ſeinem Zerzen auffuchen.
Nach einigem Stillſchweigen hub ih
in dem lindernden Tone des Mitleides
an: guter Capa⸗ kaum! ſtuͤnde es bei
mir, dir deine einzige Gluͤckſeligkeit zu
verſchaffen, ich gäbe dich dieſen Augen⸗
blick deinen Waͤldern wieder.
Capa⸗ kaum. Ach daß Sie daß nicht
koͤnnen!
„Aber, wuͤrde deine Gluͤckſeligkett
dann ganz keinen Zuſatz mehr leiden? ge⸗
ſteh es deinem Freunde! waͤre ſie voll⸗
kommen v „
Capa⸗kaum ward nachdenkend. Hier,
antwortete er, hier in dieſem Herzen iſt
das Bild derjenigen, ) die meine Gluͤck⸗
ſeligkeit vollkommen machen kann. Aber
ich wuͤrde ihr wenigſtens naͤher ſeyn. Ich
wuͤrde der Hoffnung naͤher ſeyn, ſie auf⸗
zuſpuͤren, und — er hielt in, gleich als
wagte er es nicht, ſich mit ihrem Beſitze
zu ſchmeicheln.
„ Laß
) Man wird ſich aus dem II. Stücke der 1.
Abtheil. erinnern, daß der Wilde noch in ſei⸗
nen Wäldern ein Mädchen geſehen, deren
Verluſt Gelegenheit zu feiner Anherkunft gab.
ohne Vorurtheil. 5
„Laß uns denn annehmen, du habeſt
die Geliebte deiner Seele gefunden! dn
habeſt ihr deinen Schmerz uͤber ihre Ab⸗
weſenheit durch Gebehrden, die die ſinn⸗
reiche Liebe dich gelehret, geklaget! du
habeſt ihr deine Liebe zu erkennen gegeben!
ſie verſtehe dich! ſie ſey dein! „
Capa⸗ kaums Wangen gluͤhten bei
dieſer Vorſtellung. Sie ſey mein! —
rufte er aus — und ich habe von der
Vorſicht, die du mich verehren gelehret,
nichts weiter zu bitten.
„Das, dachte ich, würde deine Ant⸗
wort ſeyn. Wohl denn! deine Tage wer⸗
den der Liebe gewidmet, voruͤber fliegen.
Aber nur der Liebe? werden die Beduͤrf⸗
niſſe der Natur, wird der Hunger bei dir,
bei deiner Gattinn, denn nun wird fie
deine Gattinn ſeyn, ſchweigen? „
Capa⸗ kaum. Er wird ſich, er mag
ſich melden, wie leicht werden wir ihn be⸗
friedigen. In ihrer Geſellſchaft werde ich
den Wald durchirren, jeder Baum wird
uns Fruͤchte anbieten, ich werde ihn hinan
klettern, um die ſchoͤnſten fuͤr meine Ge⸗
liebte zu pfluͤcken, und die, die ich eſſe,
nur aus ihren Händen eſſen n
A 3 70 Du
6 Der Mann
„ Du gehſt nun an deiner Gattinn
Seite. Ein vor Roͤthe gluͤhender Apfel
machet ſie luͤſtern: hoch haͤngt ſie, ſehr
hoch die ſchoͤne Frucht. Immer! du ſteigſt
kuͤhn darnach, ſie ſteht am Fuſſe des Bau⸗
mes, und ſieht nach dir — Was fuͤr aͤngſt⸗
liches Geſchrey ſchallt ploͤtzlich zu dir hin⸗
auf! du ſiehſt herab; ein reiſſendes Thier
— die Waͤlder naͤhren uͤberall dergleichen
— koͤmmt auf die Verlaſſene herangelau⸗
fen. Du ſtuͤrzeſt vom Gipfel herab, und
befreyeſt fie. Die Liebe ſtaͤrket deinen Arm;
aber die Gefahr war groß! wirſt du ſie
kuͤnftig wieder derſelben ausſetzen duͤr⸗
fen? „
e e Wie behutſam wird wach
das machen! wie furchtſam!
„Wird die Furchtſamkeit ſie (Algen?
Es werden Umſtaͤnde kommen, wo deine
Geliebte dich zu begleiten, auſſer Stand
ſeyn wird; Umſtaͤnde, die das Gluͤck eu⸗
rer Verbindung ausmachen werden. Aber,
wenn nun die Fruͤchte in der Naͤhe alle
gepfluͤcket ſind, wenn du gezwungen biſt,
ſie ferne herbeizuholen — und ſie, die zum
Widerſtande zu ſchwach iſt, ſie bleibt zu⸗
an bleibt jeder Gefahr uͤberlaſſen ? „
Ca⸗
ohne Vorurtheil. 7
Capa⸗kaum. Finden Sie ein Vergnuͤ⸗
gen, mir dieſe kraͤnkenden Bilder vorzu-
halten? Alles, was ich empfinde, iſt: das
Loos der Menſchen iſt ungluͤcklich, wo ſie
ſich immer beſinden. 0
„ Laͤſtere nicht den, der die Menſchen
erſchaffen hat! Er hat ihnen nur Gluͤck
beſchieden: denn er hat ſie nicht huͤlflos
gelaſſen, dem Ungluͤcke auszuweichen —
Wenn du deiner Geliebten, wenn du den
Pfaͤndern, die fie deiner Liebe geben wird,
einen Huͤter laſſen kannſt, der, indeſſen
du abweſend biſt, die Gefahr von ihnen
treibt; ſo wird deine Liebe ihres Kummers
entladen ſeyn. Sey in Geſellſchaft! und
ſo viel du Nachbarn haſt, ſo viele Hüter
haft du den Deinigen bereitet. „
Capa⸗ kaums Stillſchweigen war mir
der Beweis, daß er das Beduͤrfniß der
Geſelligkeit zum Gluͤcke der Menſchen er⸗
kannte. Aber er ſuchte Einwuͤrfe, und er
glaubte ſie gefunden zu haben.
Wenn, ſagte er, die Sicherheit meiner
andern Seele, mich einen Freund wuͤn⸗
ſchen läßt, der ihr das werde, was ich
auf jedem Falle den Seinigen ſeyn wuͤrde;
| A 4 ſo
8 Der Mann
ſo bin ich noch ferne von dieſem Gewühle
der Städte — |
„„Aber, verſetzte ich, bereits auf dem
Wege, dahin zu gelangen; eben wie das
menſchliche Geſchlecht von den einfachſten
Geſellſchaften zu dieſen zuſammgeſetztern
gelanget iſt, aus welchen es nie wieder zu
ſeinen urſpruͤnglichen Wuͤſteneyen umkeh⸗
ren wird. Der Hang, der in beide Ge⸗
ſchlechter geleget iſt, dieſe wechſelſeitige
Anziehung ihrer Herzen, die Liebe, mach⸗
te zuerſt aus einzelnen Bewohnern der
Waͤlder ein Paar. Jedes hatte feine
Höhle für ſich, nun traten fie zuſamm,
um in einer zu wohnen. So lange ſie
keine Gefahr kannten, waͤhnten ſie, ſie
ſeyn ſicher. Aber dieſe zeigte ſich bald.
Nicht nur Raubthiere, auch zween Men⸗
ſchen, waren einem fuͤrchterlich, weil ſie
ihn uͤberwaͤltigen konnten ) Je unglei⸗
cher der Angriff kommen konnte, deſto
A 5 mehr
„) Capa kaum erzählte im I. Stlicke der
1. Abtheil. wenn er einem begegnete, wäre er
ungeſcheuet vorüber gegangen: aber zweenen
wärt er zur Seite gewichen. Das war Selbſt⸗
gefühl feiner geringern Kräfte.
ohne Vorurtheil. 9
mehr wuchs die Unſicherheit. Die slucht
— aber denke die Umſtaͤnde, worin dein
Weib, eure Kinder nicht fliehen koͤnnen.
Er dachte denn ſo: kann ich den Wider⸗
ſtand, den Anfall gleich machen, fo bin
ich geſchuͤtzet. Dieſes Gedankens voll,
begegnete er, fruͤher oder ſpaͤter, Einem,
der in eben den Umſtaͤnden war, er hatte
auch feine Geliebte. Sie flohen vorein=
ander nicht; ſie ſahen ſich von ferne an,
ſie maſſen ſtillſchweigend gegeneinander
ihre Kraͤfte, und fanden ſich bei gleicher
Vertheidigung gegeneinander gleich ſicher.
Sie naͤhern ſich, ihr Wunſch macht ſie
geſpraͤchig: der Antrag geſchieht; von
welchem, das iſt gleichguͤltig; er wird
von beiden freudig angenommen. Sie
ſchlagen nebeneinander die Wohnung auf.
Heute geht der eine nach Nahrung aus,
der andre bewachet die Zuruͤckgelaſſenen.
Morgen wechſeln ſie. Sieh da in dieſen
nachbarlichen Hoͤhlen den Grundriß zu ei⸗
nem groſſen Staate!
„Bald machte fie der Bund ‚ und
Gewohnheit vertraulich. Der eine arbei—
tete unter einer Laſt, die ihm zu ſchwer
ward. Sein Nachbar ſiehts, er huͤlft ihm
5 ſie
10 Der Mann
ſie uͤberwaͤltigen. Wann ich dir wieder
helfen kann, ſo rufe mich, ſagt er zum
Danke fuͤr den geleiſteten Dienſt. Das
eine Weib wird Mutter. Die andre
koͤmmt in ihre Hoͤhle: ſie ſieht ſeine Unbe⸗
huͤlflichkeit: ſie reicht ihm einen Trunk,
richtet ihm das Buͤndchen Kraͤuter zurechte,
worauf es gelagert iſt, legt ihm das Kind
an. Die Schwache fuͤhlet den Werth des
Dienſtes: ihre Augen, ein ſchmerzvolles
Laͤcheln, ein Haͤndedruͤcken ſagt ihren Dank,
und verheißt gleiche Bereitwilligkeit. Sie
erfahren nun, daß die Nachbarſchaft auch
noch zu etwas anderm als ihrer Sicher⸗
heit gut iſt. „
II.
Tr wollte Capa⸗kaum von dem Punkte,
wovon ich ausgegangen, bis zur Bildung
der Staaten hinanfuͤhren. Aber unſre Un⸗
terredung wuͤrde zu lange gedauert, er
wuͤrde mich zu oft unterbrochen haben. Ich
faßte alſo den Anfang davon in einen
Aufſatz, den ich weiter, wie er hier mit⸗
getheilt wird, fortſetzte:
„Sie
ohne Vorurtheil. 11
„Sie fodern ſich nun durch angebo-
tene Dienſte zur Gefaͤlligkeit auf. Die
Gelegenheiten dazu ereignen ſich taͤglich;
täglich nimmt dadurch ihre Sreundſchaft
zu. Die nachbarlichen Kinder wachſen
heran. Die Vertraulichkeit der Kindheit
reifet unter ihnen bald zur Liebe. Die Ver⸗
bindung der Kinder zieht das Band zwi⸗
ſchen den Aeltern in einen unauflöslichen
Knotten zu. Sie begleiten fie zur hoch⸗
zeitlichen Hoͤhle, die Verlobten ſind unter
ihrem gemeinſchaftlichen Schutze, find
ihre gemeinſchaftliche Sorge. Erfahrung
und Anläſſe gaben jenen manchen Unter
richt, den fie nun ihren Kindern vorher—
warnend mittheilen. Die Erziehung hat⸗
te dieſe zur Abhängigkeit gewoͤhnet; und
der Vortheil, deſſen Gepraͤge dieſe War:
nungen ſichtbar an ſich tragen, leitet ſie
zur freiwilligen Solgſamkeit ganz ein ;
Die Erinnerungen der Aeltern werden den
Kindern unuͤberſchreitbare Geſetze. ,,
„ Der Gau) war nun durch meh-
rere verbindungen ſchon an der Zahl,
und
2) Gau iſt ein veraltetes Wort, welches eine
ländliche Wohnung , nur umpfählet, oder
ul:
12 Der Mann
und Kräften anfehnlicher geworden. Bald
find die Srüchte der ganzen Gegend auf⸗
gezehret. Man holt fie von ferne: aber
die herbſtlichen Regen machen dleſe Be⸗
muͤhung beſchwerlich. Der Winter ent⸗
laubt die Baͤume vollends: wo iſt ſie
nun, deine Speiſekamer e — Die ganz
ze Nachbarſchaft fuͤhlt den Mangel. Die
Jüngeren find gewohnt, bei den Bejaͤhr⸗
ten ſich Raths zu erholen: die gegenwaͤr⸗
tige Noth macht ihnen dieſen Rath unent⸗
behrlich. Dieſe Beſchwerlichkeit, Spei⸗
fen von Serne herbeizubringen, erregt bei
ihnen den Wunſch: könnten wir Srüchte
rings um unſte Wohnungen erzielen Y
Erzielen » ſpricht ein Neſtor der Ver⸗
ſammlung: ich habe dieſen Baum da, er
ſteht am Eingange ſeiner Hoͤhle, in den
Jahren Flein geſehen, da auch ich wie
mein Enkel war: wie viele Kalte und
Sit
umzäuntt, von mehreren Hütten bedeutet:
das öſterreichiſche Sprichwort: in das Gäu
gehen; eben ſo viel, als ins Gehäge gehen:
behält uns die Bedeutung auf. Dorf war
Hier noch keines, darum wählte man den an⸗
gemeſſenen Ausdruck Sau.
ohne Vorurtheil. 18
Bi wechſelten über mir, ehe er mit
ſeinen Früchten die Wartung belohnte,
die ich ihm gab v die Noth iſt gegenwaͤr⸗
tig, und dieſe Rettung zu entfernet,
Sür itzt, fährt er fort, laßt uns verſuchen,
ob wir unter den Kräutern, und Erd⸗
gewächſen finden können, was unſern
Singer ſtillet. „
„Mit Erſtaunen muß die ganze Ver⸗
ſammlung den Rath des Alten aufgenom⸗
men haben. Stumme Bewunderung ward
der Lobſpruch der Weisheit. Aber er, er
rieth nicht des Cobſpruches wegen. Sorg⸗
falt und Liebe legten den weiſen Rath in
ſeinen Mund: er wird auch Vorgänger
zur Ausführung. Bald leitete die Na⸗
tur und Aufmerkſamkeit auf wohlriechende
Kraͤuter, auf ſchmackhafte Wurzeln. Ihr
Saum fand im Wechſel Niedlichkeit. „
„Die Jugend iſt ſtets kurzſichtig:
auch da muß ſie es geweſen ſeyn. So bald
die neue Speiſe entdecket war, dachte ſie
an nichts weiter. Aber nicht ſo ihr ſorg⸗
voller Greis. Der Wechſel der Zeiten
hatte ihn die Zerſtoͤrung der Kälte ken⸗
nen gelehrt. Macht Vorrath, meine
Rinder! wird er ihnen zugerufen haben:
macht
14 Der Mann
macht Vorrath! die Kalte wird die Br:
de härten, und dieſe Wurzeln feſthal⸗
ten. Dieſe Kräuter werden welken:
Sammelt, weil ihr möget! Das An⸗
ſehen dieſes Mannes war durch den gluͤck⸗
lichen Rath ſchon feſtgeſetzet. Alles ſam⸗
melte: und vielleicht waͤhlte jeder von ſei⸗
nem Haufen die beſten Gewaͤchſe, und
brachte ſie mit dankbarer Ruͤhrung dem
rathvollen Greiſen hin; wie einſt willige
Voͤlker Monarchen ihre Gaben anbieten
würden, die für ihr Wohl wachen. „
„„Die Nothwendigkeit, dieſen Vorrath
aufzubewahren, wird manche mislungene
Ver ſuche veranlaſſet, man wird zu dem
Orakel der Geſellſchaft ſeine Zuflucht ge⸗
nommen, und ſo werden die Kuͤnſte der
Hauswirthſchaft zu entſtehen, angefangen
haben. „
„„Die Sonne belebte die Erde wieder
Die Natur verjuͤngte ſich. Die Quellen
floſſen. Die Gewaͤchſe trieben, und unſre
Menſchen vergaſſen der voruͤbergegangenen
Noth. Aber beim ſtuͤrmiſchen Winter,
wenn ſich alles um ihn, ſorglos der Ruhe
uͤberließ, zu welcher die Witterung gleich⸗
ſam zwang, hatte der ſorgfaͤltige Alte nach⸗
ge⸗
ohne Borurtheil. 15
geſonnen, wie man der Noth wehren koͤnn⸗
te, damit ſie, wenn die rauhe Witterung
herum kaͤme, die Seinigen nicht mehr
uͤberfiel. „
„Denket an die Verlegenheit, in
der ihr waret! ſie kömmt mit dem
Umlaufe der Zeit wieder. Durch dieſe
Worte friſchte er das Bild der traurigen
Umſtaͤnde auf, das beinahe erloſchen war.
Er theilte nun die Fruͤchte feines Nach⸗
denkens mit. Er hatte mehrere Mittel,
damit, wenn eines fehlſchlug, man nicht
huͤlflos wäre. Er rieth, Kräuter und
Gewächſe zu bauen, die in einem Som⸗
mer reifen. Er rieth, weil es Zeit war,
Vorrath zu ſammeln. Er hieß, auch Baͤu⸗
me in der Naͤhe pflanzen, der jungen in
der Naͤhe warten. In ſo viel Jahren,
ſagte er, ſteht hier ein Wald, der euch
Srüchte zur Genüge anbiet. Die Pflan⸗
zungen foderten Werkzeuge. Auch die
zeigte ihnen der erfindſame Greis, ein-
fach zwar, aber den Anfang zu beſſeren. ,
„Die Pflanzungen waren gemein
ſchaftliche Sorge. Jeder wollte Hand
anlegen : und fo hinderte die Hitze des
Unternehmens den Fortgang der Arbeit.
Er,
16 Der Mann
Er, der gemeine Rathgeber, zeichnete nun
jedem ſeinen Ort, ſeine Verrichtung aus.
Die Abſicht war nicht das Wigenthum
einzufuͤhren: aber ſo entſtund es: und
Kigenthum gebiert Uneinigkeit. Der Ei⸗
ne gieng auf das Feld, welches der Andre
gebauet hatte, und zog Wurzeln aus.
Die Meinigen laſſe ich zum Vortheile
für den Winter ſtehen, dachte er. Aber
der, deſſen Schweiß fie waren, ſchrie:
ich habe ſie gepfleget. Er ſagte dadurch:
Ich — habe ein näheres Recht dazu.
Man zankte ſich daruͤber. Vielleicht auch
kam es zu Thätigkeiten: die Nachbarn
legten ſich in das Mittel. Die Zaͤnker
waren erbittert, jeder glaubte beleidiget
zu ſeyn: wer ſollte fie‘ ausſoͤhnen ? wer
anders, als ihr Greis. Er thats: und
feine Entſcheidung war eine Richtſchnur
auf kuͤnftig. So huben Eigenthumsgeſetze
an. „
„Doch dieſe Geſellſchaft von Men⸗
ſchen war auf der ganzen Erde nicht die
einzige. Dieſelbe Reihe von Vorfaͤl⸗
len und Umſtaͤnden mußte ſich bei jeder
ereignen. Aber, wenn ein Rathgeber fehl⸗
te, ſo hatten ſie andre Folgen. Man war
ge⸗
ohne Vorurtheil. 17
gezwungen, die Wohnung zu veraͤndern,
ſo oft die Fruͤchte in der Naͤhe, der ein⸗
zige Vorrath, aufgezehrt waren. Dieſe
Wanderungen geſchahen oft; und unver⸗
merkt kam eine ſolche ſchwärmende Horde
der unſrigen nah. Hier fand ſie Fruͤchte,
Pflanzungen die Menge. Sie fiel gleich
einem Zuge von Heuſchrecken daruͤber her.
Es war natuͤrlich, daß man ſich die Früchte
ſeiner Arbeit nicht ohne Vertheidigung
rauben ließ. Alſo ward Krieg; erſt eine
unordentliche Schlägerey; dann mit ei⸗
niger Ordnung, unter einem Auführer
Der Anführer » man iſt ſchon gewohnt,
ſeine Augen bei jeder Begebenheit auf ei⸗
nen einzigen Mann zu richten. „
„Jede neue Begebenheit ward für uns
ſere Geſellſchaft unterrichtend. Man er—
ſtreckte die Vorſehung auf die Beſchuͤtzung
ſeines Vorraths hinaus. So entſtund der
Gedanken von Gräben, von Umzäunen,
von Umpfählen, um die ploͤtzlichen An⸗
faͤlle abzuhalten. „
„Aber die Feinde hatten nun einmal
vom Fremden genoſſen. Die Fruͤchte der
Gewaltthaͤtigkeit ſind dem Gaume des Un⸗
gerechten ſchmackhaft, der Träge ſtihlt
II. Theil. B 2 lier
18 Der Mann
lieber, als er graͤbt. Alſo lagen fie be⸗
ſtaͤndig im Hinterhalte. Ein oͤfterer Ue⸗
berfall lehrte endlich die Unſern Behut⸗
ſamkeit; und ſie ſahen ein, daß ſie ſich
in die Verrichtungen theilen, die einen die
Erde bauen, und die Hausgeſchaͤfte beſor⸗
gen, die andern zur Abwendung des Ue⸗
berfalls bereit ſtehen mußten. So war
die erſte Eintheilung der Staͤnde in den
Waährſtand, und Nährſtand, woraus
bald mehrere erfolgen mußten. „
„Vielleicht noch immer wohnte unſere
ſchon ziemlich geordnete, ſchon ſehr zahl⸗
reiche Verſammlung in göhlen. Sie
daraus zu verdringen, brauchte es nur
eines ploͤtzlichen, eines ſtarken Regens,
der aus dem Gebirge in wildem Gewaͤſſer
herabſtuͤrzte, in die Böhlen einfiel, den
Vorrath verdarb, das Lager unter Waſſer
ſetzte, zwang auszutreten. Das erſte
Rettungsmittel, das ſich anbot, waren
die göhen, wovon das Waſſer abläuft.
Ich ſehe meine Geſellſchaft das Ge:
birg hinanklettern. Aber da ſind keine
Zöhlen. Der Felſen war gegen ihre un⸗
gehaͤrteten Werkzeuge hartnaͤckig. Sie
lagern ſich unter Bäume, die uͤberhaͤn⸗
’ gen:
ohne Vorurtheil. 19
genden Zweige werden ihr Dach. Man
fällt bald darauf, die Zweige zu verflech⸗
ten. Endlich gelingt es jemanden, einige
Pfähle zwiſchen die Steinkluͤfte einzuram⸗
meln: dieſe Pfaͤhle werden mit Seifen
verbunden, befeftiget, bedecket, dem Win:
de, der Sonne, dem Wetter den Eingang
zu verbieten. Da ſteht fie, die gütte,
der Anfang der ſo hoch gebrachten Bau⸗
kunſt! „,
III.
5 De Gemäͤchlichkeit iſt anlockend,
und die Gemaͤchlichkeit der gürte fälle ſehr
in die Augen. Sogleich alſo verſucht je⸗
derman', ſich dieſelbe zu verſchaffen, und
in kurzer Zeit wohnet alles in Huͤtten „
„ Ein einziger Schritt war noch zu
thun, fo werden dieſe Wohnungen um⸗
fangen, und zu einer Art von Stadt er-
hoben. Der Ueberfall der Feinde konnte
dieſen Schritt beſchleunigen. Vielleicht
auch dachte der Rathgeber den Fall, noch
ehe er ſich ereignete. Die Graͤben, und
Zaune der Pflanzungen waren das Mu⸗
ſter; und ihre eigenen Verſuche gaben
B 2 das
20 Der Mann
das Maß des nöthigen Widerſtandes,
das Maß der Hoͤhe und Staͤrke ihrer Be⸗
feſtigungswerke. Die Erfahrung lehrte
ſie in kurzem, die Mängel ihrer Arbeit
kellnen, und fuͤhrte ſie zugleich auf e
Spur der Verbeſſerungen.
„Nun verſuchen es die Feinde aber⸗
mal, die Eigenthümer der Pflanzungen
anzufallen. Sie hatten befchloffen , im
Sinſtern, wenn alles in tiefer Ruhe bes
graben ſeyn wuͤrde, den Ueberfall zu thun.
Aber wie erſtaunen ſie, als ſie das Hin⸗
derniß der neuen Befeſtigung aufſtoſſen?
Doch ſie verſuchen, die Umzaͤunung zu
überfteiten , oder umzureiſſen. Allein
das Gelärme der fehlgeſchlagenen Bemü⸗
hungen, der wechſelweiſen Aufmunte⸗
rungen, das Gelaͤrme der Unordnung
machet die Städter ) wache, und es iſt
ihnen nicht ſchwer, den Angriff abzutrei⸗
ben. „ nes
70
72 Städter, ein Einwohner der Stadt:
Wie? hebt der Städter an, kannſt du auf deinen
Höhen
8 biefem öden Wald dich ſo zufrieden ſehen?
Hagedorn.
obne Borurtheil. 21
„Nach e eee Gefahr erſt,
ſieht man ihre Gröſſe. Wenn die Seinde
im Sinftern eingedrungen wären 2 da,
als alles ſchlief wer würde unfre Weiz
ber, unſre Kinder gerettet haben e Das
ſind die Gedanken, die bei ihnen am erſten
entſtehen mußten: und dieſe Gedanken lei⸗
teten ſie zugleich auf die Vorſicht, ſich in
die Nachtwache zu theilen, und durch die
Munterkeit des einen Theiles, die Ruhe
des andern, und der ganzen Stadt zu ver⸗
ſichern. „
„In den taͤglichen Streifereyen, die
auf die angraͤnzende Zorde gemacht wur⸗
den, brachte man von einer und der ans
dern Seite Gefangene ein. Gleich An
fangs faͤhrt man dieſen Gefangenen auf
das unbarmherzigſte mit; man ſieht
ſie als das Opfer der allgemeinen Rache
an. Aber die Ungluͤckſeligen fanden in der
Mitte ihrer Feinde Sürſprecher. Gebt
mir ihn, ſchrie ein Weib aus den Haus
fen der Zuſchauer! mein Mann iſt ge⸗
fangen ! ich will ihn mir für dieſen
wieder ſchaffen. So rufte ein Vater uͤber
ſeinen Sohn: ſo ein Sohn uͤber ſeinen
Vater. Die Stimme des Weibes hatte
B die
22 Der Ma un
die Erinnerungen rege . be daß man
den Ihrigen eben ſo begegnen werde. Man
ſchonte alſo in feinen Feinden feine An⸗
gehörigen. „ *
„ Die Gefangenen werden entlaſſen,
und das Geſchenk ihrer Freyheit macht ſie
zu Freunden. Sie kommen zu den Ihri⸗
gen unbeſchädigt zuruͤcke , erzaͤhlen vie
Geſchichte ihrer Befreyung, und erhalten
zur Dankbarkeit die Freyheit derjenigen,
die bei ihrer Horde gefangen ſind. „
„Der Fried hat nun hier und dort
Mittler. Ein Gefangener, der eben den
Seinigen wiedergegeben worden, um den
die frohen Angehörigen in dichtem Kreiſe
verſammelt ſtehen, fpricht: Warum haſ⸗
fen wir ſie v und was haben fie uns ge⸗
than v daß fie uns dieſe Früchte, dieſe
Wurzeln nicht preis gegeben » fie ha⸗
ben dieſelben gebauet — und gewiß
nicht für uns, die wir kommen, und
ihren Schweiß eſſen wollen. Es iſt ihr
einziger Vorrath. Wenn ſie uns da⸗
von mittheilen, ſo iſt es, bei wieder⸗
kehrendem Froſte, weder ihnen genug,
noch uns. Lieber, laßt uns ſie bitten,
daß ſie uns lehren, wie man pflanzet!
und
ohne Vorurtheil. 23
und dann wollen auch wir arbeiten,
und wir werden nicht nöthig haben,
uns der Nahrung wegen, einander auf:
zureiben. Der Gefangene war der gan⸗
zen Geſellſchaft durch die Gefahr ſchaͤtzba⸗
rer, feine Worte hatten einen überreden-
den Nachdruck. Man berathſchlaget ſich:
wer ſoll den Antrag machen 2 Ich,
ruft derſelbe Mann, der der Rathgeber
zum Frieden geworden, und ein freudiger
Zuruf beſtaͤttiget das großmuͤthige Aner⸗
bieten. „,
„Von dieſer Seite wird es auch leicht
angenommen. Man iſt des ewigen Strei⸗
tens muͤde: man ſieht die Vortheile ein;
zwey kleine Voͤlker ſchmelzen nun in eines
zuſamm. Die neuen Bundgenoſſen legen,
nach dem Vorbilde der erſten Stadt, eine
zweyte an: fie werden in den Handgrif—⸗
fen des Erdbaues unterrichtet: die neue
Freundſchaft wird durch Heurathen befe—
ſtiget. Man theilet einander ſeine Einſich⸗
ten , feine Entdeckungen, feine Geſetze
mit. Man verbindet ſich zum wechſelſeiti⸗
gen Beiſtande, wenn Fremde die eine oder
andere Stadt anfallen ſollten. Die beiden
Orte find nur dem Platze nach geſoͤndert.
B 4 Sit⸗
24 Der Mann
Sitten, Geſetze, Rathſchlaͤge, Verthei⸗
digung, alles haben fie gemeinſchaftlich.
Die Gemeinſchaft des Vortheils verein⸗
baret ſie zu einem Staate. „
IV.
Ic hatte heute einen der ungelegenſten
Veſuche auszuſtehen. Alcindor kam mit
dem Tage in mein Zimmer getreten. Das
dachte ich auch — vernahm ich aus dem
Nebenzimmer — daß man euren Herrn
um dieſe Zeit nicht im Schlafe ſtört:
er ſitzt gewiß ſeit Mitternacht — Und
nun Öffnet er mit Ungeſtuͤme die Thuͤre —
am Pulte — ſchrie er über die Schwelle
hinein, und lachte. Es iſt ein ein trau⸗
riges, ein ungemächliches Zandwerk
um einen Schriftſteller. Ladet Sie
denn, guter Mann! der heitre Mor⸗
gen, der wiederkehrende Frühling nicht
ein, feiner zu genieſſen 2 Er warf ſich
auf das Soffa, ſchlug die Beine uͤber:
Sie zücken die Achfely Nicht wahr,
das würde ſchade ſeyn, Sie ſo dem vol⸗
len Zufluſſe ihrer Gedanden zu rauben
Sie haben Recht! jedes ſtrebt nach ſei⸗
ner
ohne Borurtheil. 25
ner Art bekannt zu werden, Sie durch
ihre geder, und ich — Und Sie, unter⸗
brach ich ihn, durch einen in die Augen
fallenden Aufwand, von dem die ganze
Stadt ſpricht — So? ſpricht fie von
meinem Aufwande, die Stadt e das iſt
wohl gethan! bald ſoll ſie mehr von
mir fprechen! ſehen Sie, §reund! wie
die Wege zum Ruhme ſo verſchieden
ſind! ich habe den kürzern gewählet.
Capa⸗ kaum trat ein: aber nach dem
Unterrichte, den er empfangen hatte, kehr—
te er mit einer Verbeugung zuruͤcke, ſo
bald er Geſellſchaft bei mir ſah. Nicht
doch, rief Aleindor, bleib immer! dein
Sührer, und ich ſind vertraut. Du
magſt vollenden, warum du hieher kamſt.
Mein Zoͤgling ſah nach mir, ich gab ihm
ein Zeichen, zu verbleiben.
Das iſt alſo, hub Aleindor an, der
wilde Junge, den Sie zu bilden unter⸗
nommen haben. gören Sie, machen
Sie ja keinen Kopfbanger aus ihm!
das ſind traurige Geſichter, ungerne
geſehen, wo ſie eintreten, ſie könnten
die Sreude ſelbſt weinen machen — Der
Gedanke mußte ſeinen groſſen Beifall ha⸗
ben,
26 Der Mann
ben, denn er wiederholte ihn noch eini⸗
gemal.
Capa⸗ kaum hatte ein beſchriebenes
Blatt in ſeiner Hand. Laß ſehen! fuhr
er fort, womit giebſt du dich ab. Es
war der Aufſatz, den ich ihm vom Ur⸗
ſprunge der Geſellſchaften mitgetheilt
hatte. Brich dir den Kopf mit Poſſen
nicht! wir find nun einmal da, warum e
das iſt gleichgültig; kannſt du es dn-
dern 2 Laß dir von deinem Prediger —
er wies auf mich — nichts anfchwägen ı
er iſt Rigoroſiſt, und da kömmt man
immer zu kurz. Es iſt eine ganz unbe⸗
liebte Sekte, zu der ſich niemand ſonſt
bekennen wird.
Alcindor, ſagte ich zu ihm, Sie wer⸗
den ſich ſelbſt verwickeln: ich koͤnnte Sie
auffodern, dieſem neuen Bürger die
Grundſätze der Rigoroſiſten bekannt zu
machen, und dann — Auffodern Y das
Wort iſt gewaͤhlet: man fat ſonſt, Sie
waͤhlten ihre Wörter: nun, ich nehme
fie anı die Auffoderung. Sehen Sie
zu, ob Sie gewinnen!
Junger Menſch! ich richte meine
Rede an dich. Wir find zum vergnü⸗
gen
ohne Vorurtheil. 27
gen gemacht: mein Beweis liegt in
deinem Gefühle, das alles flieht, was
dieſes Vergnügen ſtören könnte. Aber
es giebt Sauertöpfe , die dich dieſes
Gefühl verlaugnen heiſſen, die ſprechen:
das Uebel iſt gut, der Schmerz iſt eine
angenehme Empfindung, wenn die Urſache
dazu ruͤhmlich iſt. Du — wünſcheſt, daß
alles eine Beziehung auf dich habe:
dieſe — verſetzen dich aus dir ſelbſt,
du ſelbſt haft nur eine Beziehung auf
das Ganze. Und nun, nicht deine Nei⸗
gung mehr, nicht deine Lüfte, dürfen
gehöret werden: dort haſt du eine Richt⸗
ſchnur, nach der mußt du dich beftandig
wenden. Das Geſetz befiehlt: zwar du
biſt allein, aber du mußt gehorchen.
Wer weis es, wenn ich es übertrete:
niemand! aber das Ganze fodert Ueber⸗
einſtimmung der Theile. Du biſt dürf⸗
tig, das Glück biet dir Gelegenheit
an, reich zu werden, du ſtehſt an der
Spitze einer Einnahmkaſſe: wer zahlt
das Eingelaufene, um dir es zu wäh⸗
ren, daß du dir hülfſt 2 Bleib elend!
ſagt die ſtrenge Lehre, dein Glück ver⸗
letzet die Treue, das Band des Ganz
zen.
28 Der Mann
zen. Du haft Anverwandte, Leute,
ich will es zugeben, die unfähig find,
aber es ſind Anverwandte. Ein Amt,
das du an ſie vergeben könnteſt, darf
ihnen nicht werden! fie find unfaͤhig,
der Zug des Geblüts verliere feine
Kraft! Kin reizendes Weib hat deine
wünſche, und ſie hört ſie: der Mann
ſchläft auf ihre Tugend ſicher ein,
ſtündlich lacht euch die Gelegenheit.
Du mußt fie fliehen, denn fie iſt das
Weib eines andern — Stillt dieſer Troſt⸗
ſpruch das Brauſen deiner Leidenſchaf⸗
ten» hört die Ungeſtüme dein Wort,
und gehorcht fie ihm » Durchlauf fo
deine Begierden nach der Reihe alle,
um ſie alle zu unterdrücken, wo ſie
mit dem Wohl des Ganzen nicht über⸗
einſtimmen: das iſt der Inhalt — —
Nein, fiel ich hier Aleindorn ein, ich
kann es nicht zugeben, daß Sie fortfah⸗
ren, mit ihrem Geſpoͤtte Geſetz und Tu⸗
gend zu mishandeln, die beiden vereh⸗
rungswuͤrdigen Stuͤtzen der Geſellſchaften,
deren Schutz das Laſter ſelbſt ſuchet. Ich
will nun ihre Rechte vertreten, hoͤren
Sie! E
Sie
ohne Borurtheil, 29
Sie hören? ſagte Alcindor, und hub
ſich eilfertig von ſeinem Sitze: das mag
der ehrliche Burſche da! Ich kam eine
halbe Stunde bei ihnen hinzubringen:
er ſah nach der Uhr: meine Zeit iſt vor⸗
über: wir ſehen uns, wo nicht eher,
wenigſtens im Schauſpiele — Er gieng.
„Was duͤnkt dir, Capa⸗kaum, von
dieſem Manne ? von feinen Grundſaͤtzen 2,
Er koͤnnte, verſetzte dieſer, mir die
Geſellſchaft ſelbſt verleiden. Wie? bei
ihm alſo, werde ich nur ſo lange, an
allem, was mir ſchaͤtzbar iſt, unbeleidiget
bleiben, als es ſein Vortheil verlangt?
ſeine Begierden werden alſo die Graͤnzen
meiner Wohlfahrt, wenn er ſie befrie⸗
digen kann — 8
„Erinnere dich, antwortete ich ihm,
du fandeſt in unſrer geſtrigen Unterredung
die Strafen uͤberfluͤſſig / du fandeſt fie grau:
ſam. Alcindore find es, und die, die ihm
ähnlich ſind, welche die Strafen im Zu⸗
ſammenhange einer geordneten Geſellſchaft
nothwendig machen. Dieſe Menſchen,
die keine anderen Triebfedern ihrer Hand⸗
lungen kennen, als ihre unordentlichen
Begierden, die nicht in Stand ſind, bei
ſich
30 Der Mann
ſich zu ſagen: ich empfange Vortheile
von der Geſellſchaft, dafür bin ich ihr
wieder verpflichtet; dieſe wuͤrden alles
über und einſtuͤrzen, wenn nicht die Furcht
des Uebels ihren Naſen der gewaltige
Kappzaum wuͤrde, der ſie baͤndigte. Stelle
dir Aleindorn vor, wie er deinem Mäd⸗
chen in einem einſamen Haine begegnet!
feine Begierden uͤberwaͤltigen ihn, oder
vielmehr, er uͤberlaͤßt ſich denſelben gerne:
er ſchaut umher; nirgends ein Zeug, den
er zu ſcheuen hätte: er ruft: der Wieder:
hall allein antwortet ihm: alſo wird der
Flehenden niemand beiſpringen, alle ſeine
Beweggruͤnde zur Enthaltſamkeit ſind weg.
Aber das Geſetz gebiet nicht nur: es
drohet auch: die Beleidigte wird am Fuſſe
des Richterſtuhls durch Erroͤthung und
Seufzer klagen, und ihre Schmach wird
dort den Rächer finden: einen Rächer,
der eine übergehende Wolluſt mit dauer-
haftem Wehe vergelten wird. Dieſe Er—
innerung, durch das Wimmern der Bes
draͤngten rege gemacht, dringt ſich durch
die empoͤrten Begierden hindurch, und der
zur Schandthat ausgeſtreckte Arm des Boͤ—
ſewichts — ſinket. So weis der Geſetz⸗
ge:
ohne Vorurtheil. 3:1
geber der Unſchuld, ſelbſt in der Sohle des
Löwen einen Beſchützer zu erwecken. „
Ich verfolgte auf dem Geſichte meines
Zoͤglings die Kennzeichen der wechſelnden
Gemuͤthsbewegung. Er gluͤhte — er zit⸗
terte — er knirrſchte mit den Zaͤhnen —
und die lebhafteſte Freude breitete ſich
darauf aus, als die Gefahr ſo unvermu⸗
thet abgewendet ward —
8 1
Mein Herr!
Das Bild der Matrone in ihrem 24.
Stuͤcke iſt unverbeſſerlich. Ich bin zu we⸗
nig, dem ſchoͤnen Geſchlechte die gebuͤh⸗
renden Vorzüge abzuſprechen: aber ich
zweifle, ob Sie mir unter Hunderten ein
einziges, dem Bilde ihrer Matrone aͤhn—
liches Wunder, vergeben ſie mir den
Ausdruck, aufweiſen koͤnnen. Gleiche
Vorurtheile, welche Sie bei uns Maͤn⸗
nern durch ihren ſchon allmaͤhlich in der
groſſen Welt bekanntwerdenden Tapa⸗Kkaum,
auf die Seite zu raͤumen trachten, muͤſſen
auch bei der reizernden Halfte der Schö⸗
pfung
N
32 Der Mann
pfung gehoben werden, ehe ſolche Ma⸗
tronen erſcheinen koͤnnen, die durch kluge
Fuͤhrung ihrer Hauswirthſchaft, durch
weiſe Erziehung ihrer Kinder, dem Staate
ganze Familien erhalten, und keine ſoge⸗
nannten Wienerfrüchte, ſondern ver⸗
nuͤnftige Bürger, getreue Verehrer ihres
Vaterlandes, und der Geſetze zu bieten,
im Stande waͤren. „
„Die Erziehung der Kinder, die den
Frauen hauptſaͤchlich, wenigſtens bei der
erſten Bildung obliegt, iſt, wie ich denke,
fuͤr den Staat ein Werk von aͤuſſerſter
Wichtigkeit, wozu Sie, mein Herr, bei-
tragen koͤnnen. Wollten Sie nicht durch
eine Wilde — denn von gleichem Ges
ſchlechte laͤßt ſich ein Mädchen eher ber
lehren; eine Wilde muͤßte es alſo ſeyn;
nennen Sie ſie, wie Sie wollen! oder
wäre es nicht möglich Capa⸗kaums Ges
liebte herzubringen — Wollen Sie nicht
dem ſchoͤnen Geſchlechte die nur zu ſehr
eingeriſſenen Vorurtheile benehmen, und
durch ihre lehrenden Schriften wirklich
Matronen zu bilden ſuchen, die ihrem Ideal
ähnlich find, oder doch ihm ſich nähern.
. nebſt noch vier andern .... ihrer
Schrif⸗
ohne Vorurtheil. 33
Schriften verbinden uns, ungeachtet des
gegen den Eheſtand gefaßten Widerwillens,
auf das feyerlichſte, falls uns nicht eher
das Alter uͤberfaͤllt, bevor ſie ausgebildet
ſind, mit einem ſo vollkommenen Gegen⸗
ſtande die wahre Gluͤckſeligkeit unſers Le⸗
bens zu beſtaͤttigen: ich bin „
ihr === und beſtaͤndiger Lefer ...
VI.
Das iſt das groſſe Vorrecht der Tugend,
daß es dem Laſter mit aller ſeiner Unver⸗
fchämtheit Ehrfurcht abnöthiget. Da⸗
rum ſuchen Laſterhafte ſich ſo begierig von
dem Rechtſchaffenen loszumachen, weil ſei⸗
ne Gegenwart ſchon allein ihren Begier-
den Zwang anthut. Ein Blick, der fie
bei einer unanſtaͤndigen Handlung uͤber⸗
raſcht, iſt ein Verweis: das Lob einer
guten Handlung, die unterlaſſen worden,
da die Gelegenheit , fie auszuuͤben, ſich
anbot, iſt eine Strafpredigt. In dieſen
Augenblicken des ſich gelaſſenen Selbſtge⸗
fuͤhls duͤnkt ſich ein Prinz vor ſeinem red⸗
lichen Diener ein Sklav: er eilt, feine
Knechtſchaft zu endigen, uͤberladet den un⸗
II. Theil. C be⸗
34 Der Mann
bequemen Mann mit Lobſpruͤchen, haͤngt
ihm das guͤldene Halsgeſchmeid um, haͤu⸗
fet Gnadengehalt auf Gnadengehalt — und
entfernet ihn. Seht darin die ehrenvolle
urſache manche? unerwarteten Abdankung /
und Entlaſſung! Nicht einzelne Perſonen
allein, auch Völker geſtunden dieſe Ueber⸗
macht. Nato, der den Saͤtzen feiner Lehre
dadurch Anſehen verfchaffte , daß er fie
ausübte, war bei einem Spiele gegenwaͤr⸗
tig, das feinen Mitbuͤrgern gegeben ward.
Das Volk war des Wagenrennens, und
anderer Gefechte bereits uͤberdruͤſſig, es
wünſchte Mimos. (“ Aber in dieſen
Schauſpielen war die Zuͤgelloſigkeit der
Vorſtellung auf das hoͤchſte getrieben, und
Kato wuͤrde fie geſehen haben! Die Roͤ⸗
mer, deren Stimme das Schickſal der
maͤchtigſten Koͤnige entſchied, die Roͤmer,
die Krieg und Frieden befahlen, die —
hatten das Herz nicht, in den Augen
Ratons dieſe unehrbaren Spiele zu for
dern.
Wenn
„) Die Spiele der Mimen waren Poſſenſpiele,
(beinahe wie ——) worin die unflättigſten
Handlungen nach der Natur vorgeſtellet wus⸗
den —
ohne Vorurtheil. 35
Wenn nun ein ungleiches Band Sitt⸗
ſamkeit und Ausſchweifung zu täglicher
Geſellſchaft unaufloͤslich verknuͤpfet, man
kann es leicht begreifen, wie gewaltſam
die Stellung der letztern ſeyn muß, und
was ſie nicht verſuchen wird, um ſich des
ermuͤdenden Zwangs zu entledigen. Der
einfachfte Weg, den fie ergreift, iſt, die
Tugend zu ſich herabzuziehen, da es ihr
zu ſchwer faͤllt, ſich zu derſelben zu erheben.
Wir werden darin den Aufſchluß zu
mancher Haushaltung finden, die uns Er⸗
ſtaunen erwecket. — Wie, ſpricht eine gan⸗
ze Stadt, wie iſt es moͤglich, hat $ ===
allein keine Augen? ſeine Frau, von
Schwaͤrmern zu jeder Stunde des Tages
umlagert, haͤlt nicht das geringſte Maß,
wenigſtens den Schein ſeiner Ehre ſicher
zu ſtellen. Hundert Abentheuer von ihr
ſind die Unterhaltung aller Geſellſchaften
geweſen, man zeigt ſie mit Fingern, und
er — Er weis es, aber er iſt gezwun⸗
gen zu ſchweigen. Hier iſt ſeine Ge⸗
ſchichte — N
Eleonore war die Zierde ihres adeli⸗
chen Hauſes, und Geſchlechts. Ihre Er⸗
ziehung war un verbeſſerlich, ihr Herz vor⸗
C2 treff⸗
36 Der Mann
trefflich, ihre Sitten angenehm‘, fanft , fie
war der Gegenſtand aller vernünftigen '
Liebhaber, auch der Schwarm der Thoren
flatterte um fie herum. F === erſchien,
ſeine Mine iſt einnehmend. Welt, und
Reiſen haben ſeinen Umgang frey und
ſtaͤndig gemacht, Sein Haus iſt gut, u
ſeine Gluͤcksumſtaͤnde ſind lockend. Er
zeigte um Eleonoren eine ernſthafte Aem⸗
ſigkeit, die bald bei ihren Aeltern Eindruck
machte. Seine übrigen Mitwerber em-
pfanden, wie ſehr F = = ihnen vorgezo⸗
gen ward, nach und nach verloren ſich
alle. Kurz, er war der beneidete Gemahl
Eleonorens.
Das erſte Jahr war die Feyer der
Liebe. ==: wuͤrde das Glück, feine
Eleonore zu beſitzen, nicht um Throne
verwechſelt haben. Sie hingegen, die auf
ihren Mann von ſich ſchloß, ſie uͤberließ
ſich ihren lebhaften Empfindungen — zu
viel. Eine kluge Zuruͤckhaltung iſt die
Wuͤrze der Liebe. Das iſt die Freymäu⸗
rerey der Weiber, wovon Charlotte
Grandiſon fo viel Aufhebens macht. $===
ward des Nektars ſatt, weil er ihm im⸗
mer im vollen Becher gereichet ward. Die
Lieb⸗
ohne Vorurtheil. 37
Liebfofungen Eleonorens machten ſchon
einen geringern, und machten bald keinen
Eindruck mehr: bald aber wurden ſie
ihm läſtig, er vermied fie, und, um ih⸗
nen auszuweichen, ſuchte er Geſellſchaft.
Eleonore war der Einſamkeit ungewohnt,
ſie machte Vorwuͤrfe. Aber Vorwuͤrfe,
die auf den Lippen einer Geliebten, die
Loſung, fie zu beſoͤnſtigen, ſind, werden
in dem Munde eines Weibes, das uns
gleichguͤltig iſt, das Feldgeſchrey eines ewi⸗
gen Bruchs. Den Vorwuͤrfen ſeiner Ge⸗
mahlinn zu entfliehen, war $=== Tage
lang auſſer Hauſe, und Wochen lange auf
dem Lande.
Sein Herz war leer, aber es war ge⸗
wohnt, eingenommen zu ſeyn. Bei den
Ergoͤtzungen, denen er beiwohnte, waren
auch Freundinnen zugegen, anziehende Ger
ſtalten, wo er nicht lange gleichguͤltig blieb.
Ohne die Gaͤnge ſeiner Liebe durch einen
Roman zu beſchreiben, er liebte, ward
geliebt.
Das Haus ſelner Gemahlinn war ans
ſehnlich. Er konnte alſo mit Eleonoren
nicht offenbar brechen, ohne ſich der Em⸗
pfindlichkeit der ganzen Verwandtſchaft
aus:
—
38 Der Mann
auszuſetzen; und Eleonore war nicht von
denen, die leicht eingeſchlaͤfert werden
koͤnnen. Auf dem Lande, wohin ſeine
Gemahlinn ihn nicht begleitete, da war
es möglich, das neue Verſtaͤndniß mit
Alcinden geheim zu halten: aber der
Winter mußte in der Stadt, unter den
Augen der vielleicht ſchon argwoͤhniſchen,
der wachſamen Eleonore hingebracht wer⸗
den, und der endende Herbſt machte die
Landluſt ungemaͤchlich. Man berathſchlag⸗
te, und kam über folgenden Entwurf
uͤbereins.
F == lud zu ſich täglich zahlreiche Ger
ſellſchaft, alle ſchimmernden Juͤnglinge,
die auf Eroberungen lauren, alle Lieb⸗
haber von Gewerb, deren Ruhm gegruͤn⸗
det iſt, daß ihnen nie ein Weib widerſtan⸗
den hat. Dieſen gab er ſeine Gattinn
durch freywillige Unachtſamkeit preis. Zwar
fie widerſtand lange; lange erreichte $= ==
nicht ſeine Abſicht, in den Fehltritten ſei⸗
ner Gattinn, einen Vorwand fuͤr feine
Ausſchweifungen zu finden. Aber er brach⸗
te es endlich durch ſein uͤbles Begegnen
dahin, daß ſie ſich raͤchte. Sie nahm ei⸗
nen Liebhaber an: und det nun zufriedene
F
ohne Vorurtheil. 39
F⸗fuͤhrte Aleinden in das Haus ein.
Eleonore wollte Einwendungen machen,
weil ſie ſich unentdeckt hielt. Aber ihr
Gemahl ließ ſie nicht lange im Irrthume.
Sie huben alſo die Bitterkeit gegeneinan⸗
der auf: ihre wechſelweiſen Fehler wurden
ihnen wechſelweiſer Schutz gegen Vorwuͤr⸗
fe. F⸗⸗ hatte nicht Muth genug, eine
Buhlerinn der tugendhaften Eleonore un⸗
ter die Augen zu fuͤhren: er ſelbſt machte,
daß ſie die Tugend verlor, und darf er ſie
nun wieder fodern? Bleonore glaubt ihren
Liebhabern nicht mehr Anhänglichkeit
ſchuldig zu ſeyn, als ihrem Gemahle:
ſie uͤberlaͤßt ſich einem dahinreiſſenden Tem⸗
peramente: fie liebt nicht , fie hat die
Liebhaber nach der Reihe.
Ich bin gezwungen, dem maͤnnlichen
Verſtande Recht wiederfahren zu laſſen.
Es giebt in der That weniger Dummkö⸗
pfe von Ehemännern, als man wohl
glaubt. Viele ſcheinen es gerne, wenn
nur ihre Weiber wieder Dummköpfinnen
ſeyn wollen. Graͤfinn Tylney nimmt alle
männlichen Diener im Haufe auf. Ihr
Kamerdiener iſt einer der wohlgemacht⸗
ſten Figuren, alle ihre Bediente ſind Blond⸗
C 4 haa⸗
40 Der Mann
haare. Sollte das der Graf allein nicht
kennen? Es iſt zum Stadtſprichworte ge⸗
worden, wenn man einen ſchoͤnen Jungen
ſieht: der möchte bei Tylney Lakey
werden! Gewiß er kennt es, aber er
hat dieſe Freyheit ihr nur erſt eingeraͤu⸗
met, als ſie ihm die Mädchen zu ihrem
Dienſte aus zuſuchen überließ. Seine Wahl
iſt in dieſem Stucke eben fo einſichtsvoll,
als die Wahl ſeiner Gemahlinn. 5
So bald alſo ein Mann, fo bald ei—
ne Frau bei ſtadtruͤchtigen Entehrungen
überſehend ſind, kann man immer ſchluͤſ⸗
ſen, daß dieſes Ueberſehen nicht ſowohl
aus Unempfindlichkeit, als aus dem Selbſt⸗
gefuͤhle ihres eigenen Fehlers herruͤhrt.
In der That, wie darf ein Mann es wa⸗
gen, feinem Weibe eine zu freye Auffüh-
rung vorzuwerfen, wenn ſie ihm ſtatt aller
Antwort ſagen kann: Mein Herr! Sie
find das Muſter, nach dem ich mich
bilde! —
Hingegen, wenn die Gemahlinn eines
Mannes, der das Band der ehelichen Treue
hundertmal zerriſſen hat, mit dem feyer⸗
lichen Anſehen der Tugend bekleidet, er:
ſcheinet, wie muß ſich der ſeines Vorrechts
Ent:
ohne Vorurtheil. 41
Entſetzte krümmen » zu welchen nieder⸗
traͤchtigen Griffen muß er ſeine Zuflucht
nehmen? Der Brief, den Capa- kaum
erhalten, und deſſen Beantwortung man
vielleicht hier erwartet, iſt ein Beweis.
Er iſt unwuͤrdig anders, als durch die aͤuſ⸗
ſerſte Verachtung beantwortet zu werden.
Aber ihr Verehrungswuͤrdige! die ei⸗
nes beſſern Schickſals würdig, an der Sei⸗
te ſolcher Gatten eure ſchoͤnſten Tage zu-
zubringen verurtheilt ſeyd, haltet euch
uͤberzeuget: daß die ſtrengſte Tugend
der einzige Schild iſt, durch den ihr
wenigſtens eure häusliche Ruhe befchir:
men könnet. | | |
VII.
D.. ganze Begriff von der gemein
ſchaftlichen Wohlfahrt wird wankend,
wann ein Capa⸗ kaum auf einer Seite
Sülle, verſchwendung, Stolz, auf der
andern Mangel, unwillkührliche Spar:
ſamkeit, Erniedrigung erblicket. Er wird
ſchwer zu uͤberzeugen ſeyn, daß der, wel⸗
cher mit emporgeſchlagenem Haupte im
vergoldeten Wagen daher rollet, und der,
C 5 wel⸗
42 Der Mann
welcher vor dem belaſteten Karren geſpan⸗
net, keichend einhergeht; der, fuͤr deſſen
Gaumen vier Köche alle ihre Kunſt er-
ſchoͤpfen, und der, welcher in der mit⸗
taͤglichen Raſtſtunde ſein Stück Brodt an
der Sonne gelehnt, verzehret; der, den
ſiberiſches Pelzwerk unter Sammt geſchla⸗
gen, vor der Strenge des Winters ſchuͤ⸗
bet, und der nur halbdedeckte Elende, der
auf der Straſſe ſtarret, an dieſer Wohl⸗
fahrt gleichen Antheil nehmen.
An einem der heitern Tage, die uns
den nahen Fruͤbling ankuͤndigen, fuͤhrte ich
meinen Beobachter, alle die ſchoͤnen Ger
bäude zu beſehen, mit welchen die Mo⸗
narchinn ihr glückliches Wien verſchoͤ⸗
nert hat. Von Ungefaͤhr ward er eines
Mannes gewahr, der von einem zahlrei-
chen Gefolge begleitet ward. Er merkte
an, daß jedermann dieſem Mann aus dem
Wege trat; daß dieſer die ehrerbietigen Ver⸗
beugungen, die ihm gemacht wurden, mit
auf geworfenen Lippen annahm, und mit
einer kaum ſichtbaren Kopfwendung erwie⸗
derte. Dem neuen Bürger flieg die Roͤ—⸗
the in das Angeſicht: er fragte mit Hitze:
wer der waͤre, der freywillige Ehrenbe⸗
zeu⸗
ohne Vo rurtheil. 43
zeugungen ſeiner Mitbürger ſo gering⸗
ſchaͤtzig uͤberſieht? und warum nicht jeder⸗
mann ihm dieſe Verachtung zuruͤckgaͤbe,
und ihn unbeobachtet, mit zugekehrtem
Ruͤcken voruͤbergehen laſſe? -
Mein Freund — verſetzte ich, wir ver⸗
ehren in ihm den Vorzug ſeiner Geburt.
Der Fehler iſt ſeiner Seite, daß er durch
perſoͤnlichen Stolz ſich dieſer Verehrung
unwuͤrdig machet. 3
Es iſt mir unmoͤglich, war die Ant⸗
wort Capa⸗kaums, mich in eure Den⸗
kungsart zu verſetzen. Was fuͤr einen
vorzug kann Geburt geben?
Ich unterrichtete ihn von dem Vorzu⸗
ge des Adels, von der Stiftmaſſigkeit,
und ihren Vorrechten: er unterbrach mich
augenblicklich durch ſeine Fragen:
Ein Menſch alſo, ſagt er, der 24. Ah⸗
nen zaͤhlet, ift beſſer gebohren?
Nach unſern Begriffen —
Aber, da wir alle von einem Aelter⸗
vater abſtammen, wie die Religion lehret,
fo haben wir alle gleichviel Ahnen —
Wohl, wenn wir dieſe erweiſen koͤnn⸗
ten —
Da
44 Der Mann |
Da ift ja kein Beweis nothwendig,
wo kein Zweifel ſeyn kann: kann man
zweifeln, ob ich Großaltern gehabt habe?
Nein: aber waren dieſe Großdltern
Leute von e 2 das beißt een
e zn
Er verlangte m wiſſen „ wodurch wan
die Verdienſte der Ahnherren darthun
müßte: und als ich ihn auf die Adels:
briefe verwies; ſo warf er die unbeque⸗
me Frage auf: ob es denn eine nothwen⸗
dige Folge wäre, wenn der Uhraͤltervater
Verdienſte gehabt, daß auch der Aelter⸗
vater und ſeine Enkeln welche beſeſſen?
und geſetzt, fuhr er fort, wann der An⸗
herr der Geſellſchaft unterſcheidend nützbar
geweſen, ſeine Nachkoͤmmlingen aber ſich
dem Muͤſſiggange und Wohlleben ergeben
haben, pflanzt ſich der Adel dennoch fort?
Ich mußte ja antworten, ſo ſehr ich
das Verfaͤngliche der Frage einſah.
Das iſt alfo in der That glücklich fuͤr
die Enkeln, einen rechtſchaffenen Anherrn
zu haben. Aber geſtehen Sie mir, mein
Lehrer, finden Sie dieſe Begriffe nicht wi⸗
derſinnig, wenn man ſie ein wenig genauer
beleuchtet? Man ſetze: ein Mann hat durch
ſei⸗
ohne Borurtheil. 45
ſeine Tapferkeit den Staat vertheidiget:
dieſer tapfre Buͤrger wird geadelt, ſein
Adel heißt im eignen Verſtande immer
Tapferkeit. Unter ſeinen Nachkoͤmmlin⸗
gen iſt einer vom Mutterleibe zur Herz⸗
haftigkeit fo verwahrloſet, daß er die Spitze
einer Klinge nicht mit unverwandtem Blicke
ertragen kann: er läuft bei einem Ge⸗
fechte, wo das Vaterland ſeines Arms
noͤthig hatte, davon: aber er fuͤhrt den
Namen ſeines Großvaters, ich muß den
feigen Ausreiſſer tapfer heiſſen. Ich weis
nicht, warum ich den Jungen mit der
engliſchen Krankheit, den Sie mir juͤngſt
wieſen, nicht eben fo für einen guten Laͤu⸗
fer anſehen muͤßte, wenn ſein Vater von
Ungefaͤhr einer der beßten Laͤufer im Lande
wäre? —
Ich zuͤckte bei dieſer Anmerkung die
Achſel, ſtatt aller Antwort. Es gibt ein
maͤchtiges Volk, fuhr ich darauf fort, bei
dem der Adel nicht durch die Geburt, ſon⸗
dern durch perſönliches Verdienſt erwor—
ben wird. Aber wir polizirteren Natio⸗
nen heiſſen dieſes Volk Barbaren — In⸗
deſſen, lieber Capa⸗- kaum! dieſe Ein⸗
en hat wie ihre unvortheilhafte auch
eg
46 Der Mann
ihre ſchoͤne Seite. Der erbliche Adel ift
die Pflanzſchule der groſſen Maͤnner, eben
darum, weil er erblich iſt. Ein Sohn,
der einen Namen zu behaupten hat, darf
nicht, kann nicht unbemerkt unter dem
Haufen ſeiner Mitbürger ſtehen. Seine
Geburt ſetzt ihn gleichſam auf ein Fußge⸗
ſtell, wo er den Blicken aller Welt aus⸗
geſetzt iſt. Hier muß er ſich unterſchei⸗
den. Thut er es nicht, ſo mag er ſeine
Adelsbriefe an den Ecken ſeines Hauſes
anheften, er mag ſeine Wappen vor ſich
hertragen laſſen, er iſt Pöbel, wir ver⸗
achten ihn, und legen ihm den Namen
ſeiner ehrenvollen Ahnen bei, nur, um
ihn dadurch zu erniedrigen. —
VIII.
Die Neugier iſt eine von den Eigen⸗
ſchaften, die dem Menſchen, beides zum
Nutzen und Vergnuͤgen gegeben worden.
Wenn ſie erſt durch einen Anſtoß rege ge⸗
macht wird , fo muͤſſen ihr alle übrigen
Begierden weichen, oder beſſer zu fagen,
fie weis alle ihre übrigen Begierden zu
ihrer Befriedigung zu lenken. Dieſe Ber
obach⸗
ohne Vorurtheil. 47
obachtung koͤnnte in der Sittenlehre uͤber⸗
haupt treffliche Dienſte leiſten, wenn ſie
nicht als geringſchaͤtzig weggeworfen wuͤr⸗
de. Ich habe mit Capa⸗kaum darin man⸗
che Erfahrung angeſtellet, und ſtets mit
zuſagendem Erfolge. Ich durfte eine Sa—
che, die ihm ehe unbekannt war, blos
nennen: ſchon war feine Neugierde an—
gefachet, er ſuchte den genannten, den
ihm unbekannten Gegenſtand aller Orten
auf, er ſorſchte nach ſeinen Merkmalen,
um ihn nicht zu uͤberſehen, ſeine Vorſtel⸗
lung war damit unaufhoͤrlich geſchäftig,
alles uͤbrige war indeſſen ausgeſetzt, oder
alles bezog ſich darauf. Und wenn er
ihn gefunden hat, fo war feine Einbil-
dung einem Wagebalken aͤhnlich, der, wenn
er durch die Laſt auf die eine Seite ger
neiget, und nun frey gemacht wokden, ſich
nur erſt nach oft wiederholten Schwin-
gungen in ſeine Ruhe verſetzet.
Einige Tage her muß ich ihn der Schau⸗
bühne ganz und einzig uͤberlaſſen. Ich
hatte mich ſorgfaͤltig gehuͤtet, ihn auch den
Namen dieſer unſrer Liebesergoͤtzlichkeit
zu nennen. Ich wollte ihn damit über⸗
raſchen, und die Staͤrke der Bezauberung
auf
48 Der Mann
auf fein unzubereites Gemuͤth beobachten.
Aber meine Abſicht ward mir durch die
gütige Aufmerkſamkeit des Publikums
vernichtet. Man uͤberbrachte mir eben heu⸗
te einen Brief, welchen ich meinem =
ler abzuleſen gab, da ich den Inhalt nicht
vermuthen konnte. Er las: ee
Mein Herr!
AN Das geſittete Publikum iſt Ihnen für
den Dienſt, den Sie ihm geleiſtet haben,
verpflichtet. Ihre freye Stimme war
fuͤr diejenigen, die es auf ſich genommen
haben, unſre dem Vergnuͤgen gewidmeten
Stunden auszufuͤllen, eine wohlangebrach⸗
te Warnung, und man hoffet, daß fie ſich
dieſelbe zu Nutze machen werden. Man
ſieht es: Sie ſind der Mann, der ſich durch
die kleinen Natzenbalgereyen nicht irre
machen laͤßt. Ein guter Fechter wird durch
Zuftftreiche nicht aus feiner Faſſung ge⸗
bracht. „
„Erwarten Sie mit uns, daß der
würdige Mann, wie er nun einmal genen⸗
net ſeyn will !), feines Vortheils wahr⸗
zu⸗
9 Der Theatralunternehmer.
ohne Vorurtheil. 49
zunehmen weis, und wenn er unſer Geld
haben will, uns auch dafuͤr Schauſpiele
auffuͤhrt, wie wir ſie haben wollen. Wir
ſind ſo ungerecht nicht, zu fodern, daß er
ſeine Umſtaͤnde aus den Augen laſſen ſoll.
Wir kennen die Zufchauer, die er zu be⸗
friedigen hat: es find zwo Partheyen:
die Parthey des grünen gutes, und —
unſer kleiner Haufen. Denn, laſſen Sie
ſich nicht irre fuͤhren, der Haufen iſt noch
ſehr klein, der an einer rührenden Stel⸗
lung eines Stuͤckes, an der Vorſtellung
einer edelmuͤthigen Handlung in der That
ein groͤſſeres Vergnuͤgen findet, als an
einer Sraze: aber viele find wenigſtens
ſo eingetrieben, daß ſie ſich ſchaͤmen,
es oͤffentlich zu geſtehen, und das iſt ſchon
etwas. Nun muß man nur auf ſeiner
Hut ſeyn, und wie ein Feldherr, deſſen
Heer groſſen Theils aus verdächtigen Ue⸗
berlaͤufern beſteht, es zu keinem Treffen
kommen laſſen, damit ſie nicht ausreiſſen
koͤnnen: zum Mansboriren kann man fie
gleichwohl mitgebrauchen. — „
„Unter dieſe zwo Partheyen, deren
Geld nach gleichem Muͤnzfuſſe gepraͤget
iſt, wird er alſo, Zweifels ohne, ſeine
II. Theil. D Auf⸗
50 Der Mann
Aufmerkſamkeit theilen: Spaß, und fei⸗
ner Scherz werden wechſelweiſe die Buͤh⸗
ne einnehmen: heute wird das Parterre
über den guten alten Zanſen aus vollem
Halſe lachen, und wir werden mit la⸗
chen; morgen wird die Reihe an uns
ſeyn, zu empfinden, gerührt zu werden,
und auch zu Lächeln; umzaͤhlig wird ein
Tag der Zerftrenung und wieder ein Tag
des geſitteten Vergnügens erſcheinen:
und da bei einer ſolchen Eintheilung die
Mannigfaltigkeit ſelbſt zu dem Vergnuͤ⸗
gen etwas beitraͤgt; ſo wird die Kaſſe nicht
dabei zu kurz kommen: aber auch unſer
Geſchmack von den haͤufigen Fremden
nicht auf die Schandſaͤule geſetzt werden.
Alles, was ſie bei einem ſolchen Wechſel
an ihre Landesleute uͤberſchreiben koͤnnen,
wird ſeyn : in Wien iſt das gemeine
volk kein Philoſoph: und wir werden
ihnen antworten: in ‚Paris, in London,
in Berlin, in Dresden, und ſonſt ir⸗
gend iſt daſſelbe es eben fo wenig — „
„ Nun da, mein Herr! das find un⸗
ſre Erwartungen, die wir guten Theils
als Folgen ihrer Freymüthigkeit anſehen.
Das publikum oo dafür, daß ein Mann,
N der
1
ohne Vorurtheil. 51
der fuͤr ſeine Ergoͤtzungen ſorget, es we⸗
nigſtens nicht auf eigene Koſten thun muͤſ⸗
ſe. Es uͤberſendet Ihnen hier ein Abon⸗
nement *) für Sie, und ihren Schüler,
Es wuͤnſcht, daß Sie es als einen Ber
weis feiner Erkenntlichkeit gegen Sie an—⸗
ſehen, und fortfahren moͤchten, es durch
Mittheilung der Anmerkungen, die ihr
Capa⸗ kaum unter ihrer Anleitung ma⸗
chen wird, zu verbinden. Wenn Sie ein
Amt annehmen wollen, das vielleicht mehr
muͤhſam als anſehnlich iſt, ſo bevoll⸗
maͤchtigen wir Sie hiemit zum Gberauf⸗
ſeher der Schauſpiele von unſrer Seite.,
„Vielleicht iſt es Ihnen noch ein Ge⸗
heimniß daß Sanswurſt ihrem Capa⸗
D kaum
Man weis wohl, daß dieſes Schreiben nut
ein Uebergang zu den Betrachtungen über die
Schaubühne iſt: aber das Anerbirten des
Abbonnements geſchah wirklich, vonsreunden, .
denen der Nationalgeſchmack, und ein geſit⸗
tetes Vergnügen an der Seele lag. Ich ver⸗
bat ihre Großmuth, und verachtete den Aus⸗
fall, der mir von Sanswurften im Ernſte
von der Bühne herab zugedacht war, und nur
darum unterblieb, um mit ardferre Wuth
in einer eignen Palliſotade loszubrechen.
52 Der Mann
kaum eine feyerliche Bewillkommung
zugedacht hat? In der That! das hat er.
Dieſe zügelloſe Freyheit der Schaubuͤhne,
die Ehre der Buͤrger oͤffentlich anzutaſten,
gehoͤrt noch mit unter den alten Sauer⸗
teig, den wir, nebſt manchen andern, ger⸗
ne hinausgeworfen wiſſen wollten. Doch,
wir denken, Sie werden es ihm gerne
uͤberſehen. Die Frau vom Hauſe lacht wohl
gar darüber, daß der Zausnarr, der von
ihren Wohlthaten lebt, fie eine .
ſchilt. Machen Sie es gleichfalls ſo mit
dieſem. „ den wir bezahlen, und der
uns ausſchilt. „ |
„Aber, wie wäre es, wenn Sie
etwan ihren Gefährten auf eine Gegen⸗
antwort vorbereiteten? das waͤre wenig⸗
ſtens luſtig, wenn der Zuſchauer einmal
eine Rolle unter den Schauſpielern mit⸗
ſpielte, da die Schauſpieler ſo oft mit
den Zuſchauern ſpielen. Wir ſind u. ſ.
W. „
r
IX.
ohne Vorurtheil. 53
IX. |
Diga werde ich mit meinen Leſern
ohne Mittler zuſammtreten. Mein Schü⸗
ler iſt beſchaͤftiget, ſeine Gedanken vom
Schauspiele ſelbſt nieder zu ſchreiben.
Ich habe es ihm auf Befehl einer Dame
aufgetragen, die den ungekuͤnſtelten Aus⸗
druck dieſes Neulings von einem Schrift⸗
ſteller, zu ſehen verlanget, und zwar in
einer Sache, worin er eben ſo neu iſt.
Wir werden ſehen, ob er kuͤnftig mit Ehren
die Feder zu fuͤhren, im Stande ſeyn wird.
Ich bin uͤber die Wahl meines Stoffs
nicht im geringſten unſchluͤſſig, nachdem mir
folgender Brief behaͤndiget worden.
Mein Herr Schriftſteller!
3 Ich bin immer boͤſe auf Sie: kaum
kommen Sie auf einen guten Weg, da iſt
ihre ſchriftſtelleriſche Behutſamkeit bei der
Hand und — da hoͤren Sie auf der fuͤnften
Seite auf, wie Sie es im VII. Stüde
gethan haben. Welche Perl haben Sie da
aus Haͤnden geworfen! Aber ich will ſo
gut ſeyn, und ſie aufheben, ſie Ihnen
wieder uͤberreichen, und Sie erſuchen,
D 3 ihre
34 Der Mann
ihre Betrachtungen weiters daruͤber anzu⸗
ſtellen. Sie haben einen gewiſſen, bei uns
ganz fremden Ton der Freymuͤthigkeit,
der macht, daß man ſtets wuͤnſchet, ihre
Stimme da zu hoͤren, wo ſonſt der Schi
an Fans 2
RE chorus
turpiter obticuit - di
„ Sollten Sie ee ma⸗
chen? — Das ſollen Sie nicht! ich will
Ihnen vorkommen. Der Adel, duͤrften
Sie ſagen, iſt ein verehrungswürdiger
Stand, er muß in den Augen der Welt
nicht herabgeſetzt werden — ihren Aus-
druck zu borgen — Vollkommen recht! Es
liegt mir ſelbſt daran, einem Stande nichts
von ſeinen Vorzuͤgen zu rauben, wovon
ich bin. Das ſollen Sie alſo auch nicht!
aber zeigen ſollen Sie, worin die Vorzuͤge,
die wahren Vorzüge dieſes Standes be=
ſtehen! — Weiters, Sie können fürch⸗
ten, ſich den Haß eines mächtigen
Körpers im Staate auf den Hals zu
ziehen. Herr Autor, das iſt beiſſend.
Glauben Sie, daf unſer Adel ſo wenig
die
*
ws 15 de arte poet.
ohne Vorurtheil. 55
die Probe haͤlt? glauben Sie, daß er eine
freymuͤthige Beſchreibung der wahren Vor⸗
zuͤge nicht mit aufgerichtetem Haupte er⸗
tragen, daß er Sie als eine Satire anſe⸗
hen wird? Und noch einmal, glauben Sie,
daß wir andre mit dieſem gefen gemeine
Sache machen werden, deſſen wir uns ſelbſt
ſchaͤmen? nein! mein Herr! ſo tief ſind
wir noch nicht geſunken. Ich hoffe, Sie
ſelbſt werden aus unſerm Mittel eine Men⸗
ge verehrungswürdiger Bürger kennen!
und den Haufen der Wappentraͤger, den
ganzen Haufen geben wir Ihnen Preis. „„
„Nun denn, keine Ausflucht, Herr!
wenn Ihnen der Beifall lieb iſt von
ihrem Leſer, dem Grafen
von S'“. )
Ich kehre alfo auf meinem Wege zu⸗
ruͤcke. Gewiſſe gröſſere, gemeinnützigere
Dienſte, die ein Bürger dem Staate gelei—
ſtet hatte, mußten ihn in den Augen ſeiner
übrigen: Mitbürger unterſchieden haben.
Dienſte alſo, und dafür die Dankbarkeit
unterſchied zuerſt die Staͤnde. Die Tapfer⸗
keit fand vielleicht am erſten Gelegenheit,
ſolche unterſcheidende Dienſte zu leiſten.
DO 4 Der
56 Der Mann
Der Vater fuͤhrte den Sohn auf det
Bahn fort, die er ſelbſt gewandelt: der
Sohn ſtritt an der Seite ſeines tapfern
Vaters: das haͤusliche Beiſpiel entflammte
ſeinen Muth, ſtaͤrkte ſeinen Arm, man
ſah in ihm den gelden, der zu anderer
Zeit die Bruſtwehre des Staats geweſen,
verjüngt: die Achtung konnte nicht aus⸗
bleiben, wo die Verdienſte nicht ausblie⸗
ben. In einer Gefahr, die den Enkeln
drohete, flohen ſie unter ſeinen Schutz.
Deine Ahnen — ſagten ſie vielleicht —
waren ſtets unſre Beſchützer: ſey der
würdige Sprößling ſo tapferer Bürger!
Dieſe Worte, dieſes Zutrauen find begei⸗
ſterend. Ich werfe mich mitten in den
Tod, um meiner Abkunft keine Schande
zu machen, um bei meinem Namen nicht
die Augen unterzuſchlagen — Das Andens
ken, ich bin der Sohn eines ßelden,
machte zu dem, was ihre Ahnen was
ren. Es iſt glaubwuͤrdig, daß ſie die
Zeichen der Siege in ihren Haͤuſern aufs
bewahret, daß fie dieſelben , oder den
Schild, den der Großvater im Streite ge⸗
fuͤhrt, zur Aufmunterung vor ſich her⸗
tragen lieſſen — Wer wollte ſich die Eh⸗
ren⸗
ohne Borurtheil. F
renzeichen, mit dem Blute der Vorfahren
erworben, entreiſſen laſſen? — ihr Auge
war an dieſe haͤuslichen Zierrathen ge⸗
heftet: wo ſie hingewendet wurden, da
folgte Muth und Entſchloſſenheit, da floh
der Feind, da wandelte der Sieg. Das
iſt der Urſprung des Adels, und ſeiner
Abreneiche oder doch, das eie er
ſeyn! 3
Aber Tapferkeit ift dem Staate nicht
mit Ausſchlieſſung andrer Eigenſchaften,
nutzbar. Die Weisheit im Rathe iſt eben
fo nothwendig. Eben for die Tapferkeit
iſt nur, wenn die Gefahr erſcheint, noth⸗
wendig, die Weisheit iſt es ſtets. Der
dankbare Buͤrger wird an dem Munde des⸗
jenigen gehangen haben, deſſen Ausſpruͤche
ihm fo) oft heilſam geworden. Ich ſehe
ihn, den allgemeinen Rathgeber, er wan⸗
delt in Mitte der Buͤrger: das Gedraͤng
iſt um ihn her; aber vor ſeinen Schritten
theilen ſich die Wellen der Verſammlung;
er wandelt zwiſchen Reihen verehrender
Buͤrger. In der aͤuſſerſten Entfernung
dort, ſetzt eine Mutter ihren noch ſtam⸗
melnden Sohn auf ihr Haupt: ſieh! dort
geht er, ſagt ſie, in deſſen Mund ſtets
D 5 RNath,
58 Der Mann
Rath, deſſen Wort ſtets Weisheit iſt!
und nun, da fie ihn herablaͤßt, druͤckt fie
ihn mit ſchneller Empfindung an, und
wuͤnſcht, daß er einſt ſeyn er wie
diefer —
Weisheit im Rathe, und Tapferkeit
in Gefahr find die edeln Stämme des
Adels: aber ſind die Sproͤßlinge mie aus⸗
geartet?
Vor dieſem Manne, der nie ſich aus
dem Arme der Wolluſt gewunden, Herku⸗
les im Schlafgemache, Heliogabel an der
Tafel, ein ungetreuer Gemahl, ein forg-
loſer Vater, ein eigenſinniger Zerr, ver⸗
achtungsvoll gegen das Volk, unter wel⸗
ches ihn feine Denkungsart, feine Hand⸗
lungen tief erniedrigen, ſoll ich mich vor
ihm beugen, weil er einen Titel hat, den
er entehret? — Soll die Vergeltung der
Tugend bei einem Geſchlechte feſtgeſetzt
ſeyn , wo es die Tugend ſelbſt nicht iſt? —
Aber wenigſtens werde ich das Geblüt
der Ahnen ſchaͤtzen ſollen? — Beweiſen
Sie mir dieſes Gebluͤt! beweiſen Sie mir
die Reinigkeit deſſelben! Ich trotze ihrem
Geſchlechtsbuche! Sie — zeugen wider
daſſelbe. Wie ein Fluß, je mehr er von
ſei⸗
22 ˙ ZZ Be a Ze
obne Vorurtheil. 89
ſeinem Urſprunge ſich entfernet, deſto mehr
von fremden Waſſer zu ſich nimmt, und
nur den Namen noch von der erſten Quelle
behaͤlt, ſo geſchieht es oft mit dem Ge⸗
bluͤte der Ahnen, von welchem vielleicht
nicht ein Tropfen in ihren Adern quillt.
Es giebt verſchiedene Stufen des Adels:
der groſſe Adel, der mittere, der gea⸗
delte Bür ger. Der groſſe verachtet die
beiden andern, der mittere ſchimpft auf
den groſſen, den er im Herzen beneidet,
und deſſen Affe er iſt. Der geadelte Bür-
ger ſpricht von der Redutte, ſeinem ein⸗
zigen Vorrechte, laͤßt ſich die Gnade ge⸗
ben, haͤlt Geſellſchaften, und ſtirbt viel⸗
leicht gerne, nur damit man ſeine Wap⸗
pen an dem Sarge und auf dem Trauer⸗
altare auskramen kann, von denen viel-
leicht ſonſt die Welt nie etwas ſehen wuͤr⸗
de. Der groſſe Adel ſoͤndert ſich ab, und
macht einen Koͤrper fuͤr ſich allein aus:
aber zum Gluͤcke des Staates oͤfnen ſelbſt⸗
erworbene Verdienſte den Eintritt in ſeine
Ver ſammlungen. Wir ſehen heutige Men:
ſchen unter ihm herumwandeln, und dieſe
neuen Ankoͤmmlinge L ee dem Kern
Ehre. MN
Der
60 Der Mann
Der mittlere Adel pralt mit ſeinem
Gelde, und ſucht diejenigen, die er mit
Unwillen über ſich ſieht, durch ungemaͤſ⸗
ſigten Aufwand zu verdunkeln: ein ſtill⸗
ſchweigendes Geftändniß , daß er feinen
Schimmer in fich ſelbſt zu finden, ſich nicht
getraut ! —
Der adeliche Bürger, ein Mittelding
zwiſchen Buͤrger und Adel, raͤcht ſich we⸗
gen der Unachtſamkeit, die er von bei⸗
den dulden muß, an dem gemeinen Hau-
fen der Arbeiter , unter dem er doch fo
manche Tante, und Gnkeln zaͤhlet.
Der groſſe Adel — Aber ich bin unge⸗
recht, wenn ich Menſchen unter den groſſen
Adel zaͤhle, die nur der Zufall der Geburt
erhebet, die Urſache find, daß man dem
Gluͤcke Ungerechtigkeit vorwirft, weil es
Unwuͤrdigen einen Platz angewieſen, den
ſie ſtuͤndlich ſchaͤnden, die, wenn man ih⸗
nen Rutſche und Gefolg, Kleidung, und
Wappen, und dieſe beleidigende, nicht
hohe, ſondern hochmüthige Mine, und
manche unterſcheidend ruchloſe That,
raubte, worin fie ihre ganze Groͤſſe beſte⸗
hen laſſen, vielleicht die veraͤchtlichſten un⸗
ter allen Menſchen ſeyn wuͤrden.
Der
ohne Vorurtheil. 6:
Der wahre Adel bedarf diefer dufe
ſerlichen, erborgten Vorzuͤge nicht: er
ſtralt in eigenem Glanze. Ein gerz,
groſſer Empfindungen fähig, ein gerz, zu
ſtolz , eine unredliche, eine kleine That
zu thun, ein Herz, fuͤhlbar bei der Noth
der Tugend , ſtrenge, unbiegſam gegen
das Laſter; eine Hand, ausgeſtreckt zu
helfen, ausgeſtreckt, das Verdienſt zu
umfaſſen, und zu unterſtützen — Wo
ich dieſe finde, da iſt Adel, oder da ſollte
er ſeyn!
Er gebrauche ſich feines Verſtandes,
um Rath zu ertheilen! Er gebrauche ſich
ſeines Vermögens, um Wohlzuthun, und
nur ſeinen Wohlthaͤtigkeiten ſeyn ſeine
Schaͤtze zu klein! Seine Stunden ſeyn
zwiſchen dem Dienſte, den er dem Vater—⸗
lande erweiſt, und den Angelegenheiten,
wodurch er einzelne Verwandtſchaften ver⸗
bindet, zwiſchen Pflicht und Menſchen⸗
liebe getheilet.
Nie erinnere er ſich ſeiner Ahnen, als
um ſeinen Geiſt zu edlen Thaten anzu⸗
flammen ! nie feiner Würde, als wann
fie das Mittel iſt, zu verbinden! nie ſei⸗
ner Gröſſe, als um ſich nicht bis in die
Tie⸗
62 Der Mann
Tiefe unedler Handlungen dee
men! „28
Sein Wandel fey nete bei⸗
ſpielvoll! und ſtrafe, die ihm, bei gleicher
Geburt unaͤhnlich ſind. Kurz! Geburt
und Glück ſeyn an ihm das kleinſte! und
wir wollen ſeinen Namen nennen, ſo oft
uns unedle Groſſe reizen werden, e
Hochmuth eee er — l
1 * — X.
Fragment eines Geſpraͤchs
zwiſchen Ryen-Thyan und Pymora,
- gween Einſiedlern auf dem Berge
Ther r bas. |
Wlan meine Leſer es ein wenig uͤber⸗
denken wollen, daß es in der That ſchwer
iſt, Sie ordentlich die Woche zweymal
mit Originalſtuͤcken zu unterhalten ; fo
werden Sie mir ganz gerne vergeben, daß
ich Ihnen einmal auch eine Ueberſetzung
liefre, um fuͤr mich ein wenig Athem zu
holen. Es ſoll, wenn Sie es durchaus
fodern, nicht hart fallen, ein Haͤckchen zu
finden, um dieſes fremde Stuͤck meinen
ei⸗
2
r
ohne Vorurtheil. 63
eigenen anzuheften. Zum Beiſpiele: ich
will ſprechen: mein armer Capa⸗ kaum
ſey feit des Eigenſinnigen mit einer an⸗
haltenden Schlafſucht behaftet. Alle Arz⸗
ney waͤre unwirkſam geweſen, und mein
freundſchaftlicher Arzt habe mir gerathen,
dieſe Krankheit durch geiſtwirkende Mit⸗
tel zu bekaͤmpfen. Die Melancholey werde
durch die Muſik verſcheuchet: vielleicht hebe
die Lektur eines ergoͤtzlichen Buchs dieſe
hartnäckige Schlafſucht! Er fange dar-
auf eine ſehr gelehrte Abhandlung von der
Schlafſucht an, um mich zu uͤberzeugen,
daß feine Anordnung nicht auffer der Me—⸗
thode ſchreite; womit aber den Leſern we⸗
nig gedient ſeyn duͤrfte, wenn ich ſie gleich
auswendig behalten haͤtte, wie ich es,
wegen einer Menge fürchterlicher Woͤr⸗
ter nicht thun konnte. Genug, ich wollte
einen Verſuch nach ſeinem Rathe machen.
Was. würde ich für meinen lieben Schuͤ⸗
ler nicht verſucht haben?
Unter allen den Buͤchern, welche ich in
dieſer Abſicht nachſchlug, fand ich den
arabiſchen Schriftſteller Aben⸗-Aly⸗Bur,
welcher die Geſchichte der Therbiten be⸗
ſchrieben, am ſchuͤcklichſten. Er war ſelbſt
aus
u
64 Der Mann
aus ihrem Mittel; daher ift alles das
Gute, ſo er von dieſen orientaliſchen Ein⸗
ſiedlern aufzeichnet, gar nicht verdaͤchtig:
und Böſes hat er ſich wohl gehuͤtet, zu
ſchreiben. Die Ueberſetzung, der ich mich
bediene, iſt etwas altmodiſch. Ich habe mie
erlaubt, ſie ein wenig zuzuputzen, damit
ſie des niedlichen Geſchmacks unſeres
Jahrhunderts wuͤrdiger eee
möge. — |
Ich ſchlug auf. Auf dem za. Blatte
— die arabiſchen Geſchichtſchreiber zaͤhlen
nur die Blaͤtter — ſchreibt er: nachdem
der Berg Therbas, von dem dieſe Ein⸗
ſiedler ihren Namen fuͤhren, ſeit 2000.
Jahren, da er auf Geheiß ihres Stifters
aus der Erde aufgeſtiegen, unbewegt ge⸗
ſtanden, „hat in der 5. Nacht des Mon⸗
des If — nach ihrer geheimnißreichen
Sprache — die Seite, die gegen das Meer
ſieht, ſich zu neigen angefangen. Die
frommen Therbiten waren verſammelt,
ſich zu berathſchlagen, was ſie den öſtli⸗
chen Anwohnern ') des Berges heute
er⸗
„) Anwobner mußte ich geben, wenn ich das
Wort eben fo kurz und nachdrücklich überſe⸗
tzen
ohne Vorurtheil. 65
erzählen würden — Dieſe Landleute ka⸗
men ordentlich, wann die Sonne den Berg
hinab war, bei ihnen zuſamm, brachten
ihre Gaben mit ſich auf den Gipfel des
Berges, wo dann wechſelweiſe einige der
Bur- hin ) aufſtunden, und der Ver⸗
ſammlung durch eine Erzählung die Zeit
vertrieben. Damals eben entſtund eine
gefährliche Spaltung. Die alten Ther⸗
biten hatten bis itzt die ſeltſamſten Dinge
erzaͤhlet, wobei die gutherzigen Leute be⸗
gierig den Mund aufgeſpreitet haben, aber
immer ſo dumm zuruͤckgiengen, als ſie ge⸗
kommen waren. Pymora, ein Therbit
von vieler Hoffnung, jung und munter,
mit einer freyen Stirne, ſchwarzen fun⸗
kelnden Augen, einem ſtets ordentlich ge⸗
kaͤmmten Barte, beredtſam, wenn es je
ein Therbit geweſen, und hauptſaͤchlich
un⸗
tzen wollte, als es in der Urſchrift iſt. Der
alte Ueberſetzer hat es durch eine Umſchrei—
bung gegeben: aber man ſagt Inwohner
ineola , warum nicht Anwohner accola ?
) So nennen ſich die Therbiten untere inan⸗
der; und wird vermuthlich Brüder in ihrer
beſondern Sprahe heiſſen.
II. Theil. E
66 Der Mann
unerſchrocken, feine Meynung frey und
nachdrücklich zu ſagen, ſtund bereits bei
ſeinen Mitgenoſſen in einigem Anſehen.
Dieſer Bymora hatte ſchon lange das ar⸗
me Landvolk bemitleidet, das ſeine Ge⸗
ſchenke dafür braͤchte, um eine ungereimte
Fabel zu empfangen, als z. B. vom Ramele,
auf deſſen Ruͤcken zehn tauſend Staͤdte er⸗
bauet waͤren, welche zu Grunde gehen wuͤr⸗
den, wenn dieſes Thier, das nun ſchlum⸗
merte, erwachen, und aufſpringen ſollte:
oder vom Gürtel, den Dia ⸗ ben, der
erſte Therbit, um den Erdballen gezo⸗
gen, als er durch eine Erſchuͤtterung einen
gewaltigen Riß bekommen, und deſſen
Knotten in der nördlichen Höhle dieſer
Einoͤde, welche der Vorſteher bewohnet,
zuſammgezogen wäre; daß es alſo in ſei⸗
ner Macht ſtuͤnde, woferne er den Knot⸗
ten aufloͤſete, die Erde in Millionmal
millionen Trümmer zerfallen zu laſſen;
welches Ungluͤck die beſorgten Thalinwoh⸗
ner durch manche Geſchenke abwenden muß⸗
ten: u. w. d. m. ») Er hatte bereits unter
eis
„) Vielleicht erhält dieſes Stück einigen Werth,
wenigſtens eine mehrere Aufmerkſamkeit, wenn
der
ohne Borurtheil. 67
einigen Vertrautern ſeiner Bruͤder etwas
davon lauten laſſen, und ſeine Vorſtel⸗
lungen hatten Eindruck gemacht. Als nun
Ryen⸗Thyan, der zweyhundert fünf und
achtzigſte Großtherbit die Erzählung ab⸗
geleſen, welche morgen dem Volke gege⸗
ben werden ſollte, und die vollkommen im
gewöhnlichen Geſchmacke war; da ſtund
dieſer Neuerer auf, deſſen geheimer An⸗
hang ſchon gewaltig zu werden anfieng:
er neigte ſich tief erſt gegen Ryen⸗Thyan,
dann gegen alle Burhin, und ſprach: du
Krone des Berges Therbas! aus deinem
Munde quillt Honig der Weisheit, und
deine Worte ſammeln die unfichtbaren Gei⸗
ſter, und verſetzen ſie an das Gewoͤlb des
Himmels, daß ſie dort als Sterne leuchten
uͤber den Erdboden. Aber du weißt es,
jeder Bur- hin hat auch aus der Quelle
geſchluͤrft, die dem Volke unten, verſchloſ⸗
ſen iſt. Ich will reden, was mich gut
| E 2 daͤucht:
der Leſer erinnert wird, es ſey im Jahre
1766. geſchrieben worden; und zu einer Zeit,
da gegen den Neuerer ein saft voll heftigſten
Beſchuldigungen bei. eingereicht worden. Die
Füte der Taube und Sanftmuth des Lamm⸗
geſchlechts war gewiſſen Leuten bedeutend.
68 Der Mann
daͤucht: Höre mich! Das Volk, das taͤg⸗
lich ſeine Geſchenke am Eingange deiner
Höhle niederlegt, das Volk, das von fei-
ner Tiefe heraufklettert, auf dieſen ſpitzen
Berg, willſt du da ſtets mit Maͤhrchen
ſpeiſen? oder wird es der Quelle des
Lichts nicht anſtaͤndiger ſeyn, einen Fun⸗
ken auch auf dieſe zu ſenden, die — ,
„Ryen⸗Thyan unterbrach feine Rede
Verwegener! fiel er mit enbranntem Ange⸗
ſichte ein: du getrauſt dich, deinen heu⸗
tigen *) Rath auszuathmen, und fuͤrch⸗
teſt nicht —
5 Symora wollte es nicht zum Streite
kommen laſſen: Du, ſprach er, in deſſen
Herzen die Güte der Taube, auf deſſen
Lippen die Sanftmuth des Lammge⸗
ſchlechts wohnet, ich denke nicht arges:
ich lehne mich nicht gegen den auf, in
deſſen Hand der Ring liegt, der die Welt
zuſammhaͤlt. Das ſey ferne, daß ich die
Grundfeſte erſchuͤttere, auf welcher die
reine Verſammlung erbauet iſt. Aber,
wenn ich reden darf, ſo unterrichte du
mich!
*) Das iſt ein orientaliſcher Ausdruck, ihm feine
Jugend vorzuwerfen.
ohne Vorurtheil. 69
mich! warum erzaͤhlt man dem Volke ſo
oft Dinge, die ungereimt find — „
„Ryen⸗Thyan: Koͤmmt es nicht, um
nach der Arbeit ſich hier zu ergötzen 2 „
„ Kpymora : Allerdings, du Licht der
Burhin! koͤmmt es darum. Aber koͤnnte
dieſe Ergoͤtzung nicht auch in einer Erzaͤh⸗
lung von den herrlichen Beiſpielen, dei⸗
ner auf den Regenbogen verſetzten Vor—
fahrer beſtehen? — koͤnnte ihnen nicht die
Geſchichte eines Mohals ) erzählt wer⸗
den, der ſich begnuͤget, einem Reiſenden
ſeine Kamele wegzunehmen, aber ihn nicht
todt geſchlagen hat, und welcher um ſo
groſſer Tugend willen, nach ſeinem Tode
zu dem Amte verherrlichet worden, daß er
deinen Vorfahren zur Bruͤcke dient, wann
ſie des Abends von Sterne zu Sterne ſpa⸗
zieren gehen? oder die Geſchichte einer
Nah theron, *) welche nur die fünf
juͤngern Bruͤder zu Maͤnnern genommen,
und als der ſechſte, der als Mohal in den
benachbarten Gegenden gelebt, uach Hauſe
E 3 kam,
) Ein Rauber.
0 Iſt ungefähr ſo ein Ausdruck, wie bei uns
Lukretia.
0 Der Mann
kam, ihn nicht noch dazu heurathen woll
te, ungeachtet er ſchon zwey und neun⸗
zig Jahre, und den ſchoͤnſten grauen Bart
hatte? glaubſt du nicht, daß dieſe Erzaͤh⸗
lungen fie eben ſo ergoͤtzen würden? daß
ſie nicht aufhoͤren wuͤrden, uns Gaben zu
bringen? daß aber vielleicht dadurch meh⸗
rere fo tugendhafte Mohals und Nah⸗
therons unter ihnen entſtehen würden 2 „
„Die ganze Verſammlung der Ther⸗
biten theilte ſich bei dieſer Frage. Die
Jungen fielen dem Bymora bei: die Al⸗
ten, die die Tage des Ryen⸗Thyan zaͤhl⸗
ten, und wenn er zu ſeinen Vorfahren
verſcheiden wuͤrde, an ſeine Stelle zu kom⸗
men hofften, traten auf die Seite des
Großtherbits. Zwar ſie ſahen wohl ein,
daß Bymora nicht fo ganz unrecht hatte:
aber, ſagten ſie, wenn die Thalinwohner
einmal gewohnt ſind, ſolche Erzaͤhlungen
zu hoͤren, ſo werden ſie immer dergleichen
haben wollen: und die tugendhaften Mo⸗
hals, die nur Kamele wegnehmen, nicht
auch todtſchlagen, und die Nah therons,
die mit fünf Männern ſich begnuͤgen, find
gleichwohl nicht ſo haͤufig, daß man taͤg⸗
lich davon Beiſpiele anfuͤhren koͤnnte. Auch
iſt
ohne Vorurtheil. 71
iſt es ſo leicht nicht, Muſter der Tu⸗
genden aus zudenken — Aber Erzählungen,
wie bis itzt, die werden wohl auch wir
zuwege bringen: denn, wenn wir verlegen
ſeyn ſollten, ſo ſteht uns das ganze Reich
der Wunderwerke und Erdichtung zu Ge⸗
bot: wir bringen eine Huͤlfe vom Geſtirne,
oder laſſen ſie aus der Erde aufſteigen,
das koſtet keinen Kopf, nur Worte.
„Und einige unter ihnen, die von
Pymorans Anhängern belauſcht wurden,
ſagten unter ſich: wenn das Volk viele ſol⸗
che Geſchichten hörte, fo wuͤrde es anfan⸗
gen zu denken: und da wuͤrden — — „
„Eben unter dieſen Reden kreiſchte
der Berg, und die ganze Verſammlung
gerieth in Schrecken, und fuͤrchtete den
Einſturz des Therbas. Aber, als er nicht
einſtuͤrzte, und ſich das erſte Schrecken ges
leget hatte, da ſchrie Ryen⸗Thyan: des
Berges Spitze hat ſich gekruͤmmet, um die
Rotte der Bymoraner in das Meer aug-
zuſchuͤtten; aber die Bymoraner ſchrien:
er droht dem Ryen⸗Thyan, der die
Hier war das ſehr alte Buch von Motten
zerfreſſen, daß man nicht weiter leſen konn⸗
ke. „
E. 4 Und
72 Der Mann
Und mein Capa⸗kaum hub einigemale
zu gaͤhnen an: woraus ich für die Her⸗
ſtellung deſſelben gute Hoffnung ſchoͤpfte,
weil ich mit dem Scherze den Schluß
machte: |
Wer gähnt, der wacht.
XI.
10 O Freund! wenn Sie ihren Schuͤler
zu einer Beſchaͤftigung beſtimmen; wenn
Sie ihn, irgend ein Amt, irgend ein Brod
verſchaffen wollen; o! ſo laſſen Sie ſich
nicht durch den Strom dahin reiſſen, ihn
einem von den Dienſten anzuhaͤften, die
fo ſehr der Wunſch derjenigen. find, die
ein Wort, ein Namen, ein gewiſſes
Auſſenwerk des vorzugs blendet. Wie
gerne wollten wir ihnen alles das uͤber⸗
laſſen! wie zufrieden wollten wir unſre
Tafel, mit dem Mittagsbrode des Tag⸗
loͤhners, dem Hunger ſeine Speiſe wuͤr⸗
zet, unſre Kleidung, mit ſeinem Küttel,
der ihm zureicht, unſre Kutſche mit ſeinen
gefunden Fuͤſſen vertauſchen! Ich ver—
ſchlinge meine Speiſen, ohne ſie zu ſchme⸗
cken, und eile zu der meiner wartenden
Ar⸗
ohne Vorurtheil. 73
Arbeit. Ich muß mich den Umarmungen
meiner Familie entreiſſen, um die Raths⸗
ſitzung nicht zu verſaͤumen; und werde
meinem Haufe fremde. Ich darf den Be—
ſuch des werthgeſchaͤtzten Freundes nicht
annehmen: meine Augenblicke ſind zuge⸗
zaͤhlet: der Morgen, der Arbeit: dann
uͤberlaufen mich entweder Ungluͤckliche, ge⸗
gen die ich mich von Amtes wegen ver=-
haͤrten muß; und mein Auge haͤlt kaum
die Thraͤne zuruͤcke; oder unbillige haſtige
Menſchen, die mich durch ihrige Foderun—
gen ſchimpfen, weil ſie mich fuͤr den Mann
anſehen, der ihnen zu willfahren, faͤhig
ſeyn wird. Nun ruft mich der Rath.
Dem frohen Arbeiter läutet die Mittags-
glocke Erholung herbei; mir zeigt ſie wie
eine Meilenſckule kaum die Hälfte meines
Weges. Wann ich gluͤcklich bin, ſo faͤhrt
mich eine mit vielen Paͤcken beladene Kut⸗
ſche um zwey Uhr nach Hauſe. Schriften
begleiten mich an die Tafel: ich hoͤre die
ermunterenden Unterredungen nicht; ich
weis kaum, wer neben mir ſitzet; meine
Hand fuͤhrt den unſchmackhaften Biſſen
zum Munde, mein Auge iſt in dem vor
mir offenen Papiere, meine Gedanken ſind
E 5 bei
74 Der Mann
bei meinen Gefchäften — Ich kann das
Ende der Tafel nicht abwarten : mein Praͤ⸗
ſident will mich ſprechen: ich fliege zu ihm.
Nur ſpaͤt erſt entlaͤßt er mich; entläßt mich
mit zehn neuen Auftraͤgen beladen, gleich
als wartete nicht ſchon eine ungeheure Laſt
meiner zu Hauſe. Itzt, will ich anders
meine Pflicht beobachten, will ich Gekraͤnk⸗
ten ihre Rechte nicht vorenthalten, will
ich Ehre erndten; ſo muß die Mitternacht
mein Aug nicht ſchlieſſen: ich habe noch
dieß, und noch das, und — Doch der
Schlaf uͤberwaͤltiget mich; ich traͤume
eonclufa, Vorträge: mein Schlaf iſt un⸗
ruhige, ſorgenvoll, und nach wenigen
Stunden erwache ich, eben den Kreis von
Verrichtungen wieder abzulaufen, nie mein
eigen, ſtets ein Knecht der Geſchaͤfte, ſtets
dem Eigenſinne eines Obern ausgeſetzt zu
ſeyn. u f
„Aber halten Sie nun auch die Be-
lohnungen dagegen, die mich fuͤr alles die⸗
ſes ſchadlos halten ſollen. Ein prächtig
klingender Titel! ein ſtarker Gehalt!
Dieſer Titel iſt ein Schall, ſeitdem er von
fo vielen geſchaͤndet worden, die ihn ge—
fuͤhret haben! dieſer Titel iſt eine Laſt,
feit>
ohne Vorurtheil. 75
ſeitdem er zu einem Regulativ des Auf⸗
wands geworden, das den Unterhalt ei⸗
ner Familie theurer, die Erziehung mei⸗
ner Kinder koſtbarer, und eben darum
verderbter, das ihre kuͤnftige Verſorgung
ſchwerer gemacht hat. Dieſer Titel er⸗
theilt nur den traurigen Vorzug, ſich von
Standes wegen zu Grunde zu richten —
Und der Gehalt! Es iſt wahr, vier tau⸗
ſend Gulden! ein Wort, das groß klingt.
Aber der Tagloͤhner, der fuͤnf Groſchen
durch ſeine Arme erwirbt, und nur drey
verzehret, iſt er nicht reicher, als ich,
den die Tyranney des Vorurtheils, unter
dem Namen Wohlſtand einem Aufwande
von eben ſo viel, wann es noch gluͤcklich
geht, unterwirft? — Vier tauſend Gul⸗
den! aber eine Frau, die ich nicht betruͤ⸗
ben will, daß ich ihr dasjenige verſage,
was alle Weiber ihres Standes haben,
welche Ausgaben! aber Kinder, die mei:
nen Namen tragen, was fodern die!
aber ich ſelbſt, was muß ich nicht, mit
widerſtrebender Hand dem Joche der Mei⸗
nungen aufopfern! „
„ Gewiß! mein Freund! wenn der
rechtſchaffene Mann nicht die Verguͤtung
ſei⸗
76 Der Mann
feiner Mühe in dem Beifalle feines eigenen
Herzens faͤnde; wenn nicht ſchon das ein
Vergnuͤgen waͤre, der Geſellſchaft, deſſen
Mitglied man iſt, zu dienen; die Gelegen-
heit zu haben, Ungluͤckliche zu vertheidi⸗
gen; wenn es nicht ſchon ein Vergnuͤgen
waͤre, ſeine erkannte Pflicht zu erfuͤllen;
und wenn fuͤr den unrechtſchaffenen Mann
nicht der Gewinnſt der Ungerechtigkeit ei⸗
ne Lockung waͤre; ich zweifle ſehr, ob der
Staat zu dieſen Aemtern, nach denen
ſo ſehr geſtrebt wird, um die man uns
beneidet, weil man, wie jenes Süllen bei
Gellerten
Den blanken Jaum für eine Würde
Der zugerittnen pferde halt,
ob, ſage ich, der Staat zu dieſen Aemtern
nicht durch Befehle, durch oft wiederholte
Befehle rufen, zwingen muͤßte. Da Sie
den Adel mit der Freymüthigkeit, die ſo
ſelten, und eben darum ſo ſchaͤtzbar iſt,
betrachtet haben; ſo wird die Reihe ohne
Zweifel an uns kommen. Ich habe ihren
Betrachtungen uͤber die ſogenannten ge⸗
lehrten Dienſte durch dieſes Schreiben
eine Art von Einleitung geben wolleu,
und
obne Vorurtheil. 77
und erwarte eine Ausfuͤhrung, wie wir
von Ihnen zu leſen gewohnt find — „
„Wenn der Verfaſſer dieſer Blaͤtter
der iſt, den man dafür hält; wie gluͤck⸗
lich iſt er! Von allem andern, als von
ſeiner Pflicht, unabhaͤngig, ruft ihn ſeine
Stunde zu einer der angenehmſten Be—
ſchaͤftigungen. Wenn er eintritt, umgiebt
ihn ein Kreis liebender ... ler, die
von ſeinem Munde begierig jedes Wort
ſammeln. Seine Berufsarbeit iſt Freude
und Ergoͤtzung. Er bildet ... Aber ich
darf keinen Strich mehr machen, wenn
ich nicht eben ſo viel thun wollte, als
ihren Namen herſetzen. Hat Ihnen Na-
tur, oder Betrachtung den Vortheil ver-
ſchafft, daß Sie auream mediocritatem
lieben, daß Sie den guͤldnen Mittelſtand
zu ſchaͤtzen wiſſen, der nach dem Wunſche
des Weiſen, gleich ferne von Armuth und
Reichthum iſt; dabei man nicht im Ue⸗
berfluſſe ſchwimmet, aber auch, wenn die
Thraͤne eines Elenden unſer Mitleid auffo-
dert, nicht ſeufzen darf, daß man dieſe
Thraͤne abzutrocknen, nicht das Vermoͤgen
hat: daß Sie ihren Stolz mit dem Ruhme
eines rechtſchaffenen Mannes, eines
Men⸗
78 Der Mann
Menfchenfreundes befriedigen, wer kann
ſich ruͤhmen, aus der Hand der Vorſicht
mehr zu feinem Gluͤcke empfangen zu ha⸗
ben? Ich bin, u. ſ. w. „ 5
ö ide: SR
Dieſes Schreiben hat mich gegen fei-
nen Verfaſſer mit wahrer Ehrerbietigkeit
erfuͤllet. Die ſchaͤtzbarſten Merkmale ei⸗
nes fuͤhlbaren Herzens, einer ſeltnen Recht⸗
ſchaffenheit, eines von nichts getaͤuſchten
Selbſtkenntniſſes! Warum muß zur Voll⸗
endung des vollkommenen Gemaͤldes noch
die edle Dreiſtigkeit abgehen, ſich uͤber das
Vorurtheil ſeiner Standesgenoſſen hinweg⸗
zuſetzen, und einen beſchwerenden Auf-
wand einzuſchraͤnken! — Soll es ihm dann
an Gruͤnden fehlen, ſein Betragen zu recht⸗
fertigen? oder, wird ein Mann von ſeiner
Denkungsart ſich zu rechtfertigen haben?
wird nicht eher das ſeinige fuͤr andre eine
Richtſchnur werden?
Im naͤchſten Blatte will ich die mir
vorgeſchlagene Materie nach meiner Weiſe
behandeln: und im folgenden diejenige,
die mir von ihm gleichſam wider Willen
an die Hand gegeben worden, und fuͤr die⸗
ſe
ohne Borurtheil. 79
fe verſchwenderiſche Stadt, wo die Pracht
auf das hoͤchſte getrieben wird, gemein⸗
nuͤtzig iſt.
Ich kuͤndige dieſe Betrachtuug mit gu⸗
ten Vorbedacht vorher an. Weil ich bei
derſelben Beiſpiele anfuͤhren muß; ſo will
ich einigen beruͤchtigten Verſchwendern
die kurze Friſt laſſen, ſich einzuſchraͤnken.
Thun fie es nach dieſer Warnung nicht, fo
ſey ihre Schande uͤber ſie und uͤber ihre
Kinder! wenn jedermann ſie mit Fingern
zeigen, und ausrufen wird: der iſt es,
der im Manne ohne wenne ge⸗
ſchildert iſt.
Ich kuͤndige dieſes beſonders ie
gerren ... an, die mit prächtigen Zü⸗
gen herumfahren, ihre armen Frauen zu
Hauſe aber mit aller Noth kaͤmpfen, und
den Anlauf ungeſtuͤmer Schuldner aus:
halten laſſen: gewiſſen gerren, an deren
Finger ich ungeheure Brillianten geſe⸗
hen habe, deren Ankauf ſie genoͤthiget,
wenigſtens auf drey Jahre ihre Einkuͤnfte
vorhinein zu verſchreiben: gewiſſen Herz
ren, in deren Häufern ich boiſirte Zim-
mer mit praͤchtigem verguͤldeten Schnitz⸗
werke, und fuͤrſtliches Hausgeraͤth wahr⸗
ge⸗
/
80 Der Mann
genommen, und nach eingezogener Erkun⸗
digung, gehoͤret habe, daß ſie ihrem Haus⸗
geſinde vier und fünfjährigen Lohn ſchul⸗
dig find: gewiſſen Zerren, die täglich für
ſechs oder acht Fremde offene Tafel halten,
aber zu deren Beſtreitung ihre Gattinn die
Kleider verpfaͤnden muß, welches ſie nun,
unter Beguͤnſtigung der Hoftrauer unbe⸗
merkt thun konnte. Ich kuͤndige dieſes
auch gewiſſen Frauen an, die durchaus
für zehntauſend Gulden Juwelen haben
mußten, ohne zu uͤberdenken, daß fuͤnf⸗
hundert Gulden jaͤhrige Zinſe davon weit
beſſer zu einer Mitgabe für ihre Toͤchter
haͤtten hingelegt werden koͤnnen: gewiſſen
Frauen, die ein Treſſet, welches geringer
als einen Dukaten geſpielt wird, ein Bet⸗
telſpiel nennen; da, nach einer genauen
Berechnung, doch die taͤgliche Einnahme
ihrer Männer nur fünf Gulden ausmachet:
gewiſſen Srauen, die durchaus Namer⸗
jungfern haben mußten, da fie nur erſt
vor fünf Jahren ſelbſt Kindermaͤgde ge⸗
weſen; gewiſſen Srauen, die ſich jährlich
mit nicht weniger als zwey Kleidern fuͤr
jede Saiſon begnuͤgen, deren zwey Kinder
aber miteinander nicht mehr als ſieben
Hem⸗
ohne Borurtheil, 81
Hemde von der groͤbſten Leinwand anzu⸗
ziehen haben; gewiſſe Frauen, deren
Männer ſich den Hausfrieden mit Pferd
und Rutſche erkaufen, und nun das Recht
der Partheyen feilbieten muͤſſen, um die
fuͤnfhundert Gulden wieder hereinzubrin—
gen.
Allen dieſen und ihres gleichen kuͤndige
ich es an: woferne ich in baldem nicht
augenſcheinliche Beweiſe ihres Selbſter—
kenntniſſes habe, ſie, wie einen ſichern
andern jungen Verſchwender, — der,
weil er nicht Herz genug hat, ſich zu beſe
ſern, ſo verwegen iſt, zu drohen — dem
Gelaͤchter der ganzen Stadt preis zu ge⸗
ben.
Sie, und ihres gleichen moͤgen ſich den
Tag aufzeichnen! Wenn ich nun von heute
über acht Tage bei jemanden eine Rutſche
ſehe, der nur 3000 Gulden Einkuͤnfte hat
und beſonders Fine lafirte Kutſche; oder
einen brilliantnen Ring an dem Finger
eines Mannes von 2000; oder Juwelen
bei einer Frau, die nicht wenigſtens vom
mittleren Adel iſt, und deren Gemahl
15000 jaͤhrliches Einkommen hat, ohne
dazu noch etwas darauf ſchuldig zu ſeyn;
II. Theil. F ſo
82 Der Mann
fo ſoll er ſich fo leibhaft in dieſem Blatte
da erblicken, daß ihm ſeine eigene Geſtalt
in einem Spiegel nicht leibhafter aͤhnlich
ſeyn kann. |
XII. Re
ch bitte meine Leſer um Rath, wie fol
ich mich bei folgendem Schreiben verhal⸗
ten, das mir von einem Unbekannten in
das Haus gebracht, und mit einer eben
fo trotzigen Mine, als der Inhalt iſt, be⸗
haͤndiget worden? |
* Herr Wochenblaͤttner! Wo bei allen
T. .. nehmen Sie die Unverſchaͤmtheit
her, jede Woche zweymal uns ſo beleidi⸗
gendes Zeug ins Geſicht zu ſagen? Sind
ie, wenigſtens ein Vorfechter, daß Sie
ch gegen die Anfälle, die Ihnen unmoͤg⸗
lich ausbleiben koͤnnen, zu vertheidigen
getrauen? — Haben Sie es aufgegeben,
in irgend einem Hauſe Zutritt zu haben?
Denn, wahrhaftig, wer wird einen Men—
ſchen itzt uͤber ſeine Schwelle laſſen, der
aus keiner andern Urſache koͤmmt, als
| aus:
ohne Vor urtheil. 83
auszuſpaͤhen » — Aber ich will im ern⸗
ſten Tone mit Ihnen reden. „
„Wiſſen Sie, daß Sie alle Welt bes
leidigen, ohne jemanden zu beſſern? Das
iſt der Ton nicht, der in unſre Herzen
dringt, der uns zum Selbſterkenntniſſe
noͤthiget, der uns unſre Ruͤckkehr ange⸗
nehm machet. Es iſt wahr, Sie treten
dem Laſter mit Freyheit unter die Augen;
Sie beiſſen ſich gar nicht in die Lippen
bei dem Laͤcherlichen; Sie lachen ihm ge⸗
rade zu ins Geſicht! gut! was iſt die
Folge? Wollen Sie mirs glauben, wenn
ich es Ihnen ſage? „
„9m ſchuͤttelte nicht vor langem i in mei⸗
ner Gegenwart ein Mann von einigem An⸗
ſehen das Haupt! das iſt zu weit gegan⸗
gen: man muß dieſem dreiſten Pur-
ſchen das handwerk legen — Wie Yrufte
die Frau! wer hat ihn zum Richter
unſrer gandlungen geſetzt y wer hat ihn
dazu befreyet, mit wöchentlichen Be⸗
ſchimpfungen einen gandel zu treiben Y
wenn ſich der Menſch wenigſtens er⸗
innerte, daß er ſich Seinde macht —
Seinde » fiel eine andre ein: o nein! die
macht er ſich nicht. Das wäre zu viel
J 2 Eh⸗
84 Der Mann
Ehre: man läßt ihn fchwägen ! Der
gute Sittenrichter! Wie lange iſt es,
mein Sohn ! daß ihr zuſamm noch
in die Schule gienget e — Vier oder
fünf Jahre, gnädige Frau! antwortete
dieſer — Nun, ſehen Sie, fuhr ſie fort,
ſo einen neuen, nagelneuen Menſchen
würde man zu wichtig machen, wenn
man ihn im Ernſte der Ehre würdigte,
über ihn zu zürnen. Man muß ihn
unbemerkt dahinſchleichen laſſen! Ich
wette, wenn der junge Menſch ein paar
Tage nichts von feinen albernen Blat⸗
tern ſchwaͤtzen hört — denn, er ſchreibt
doch nur, um Aufſehen zu machen
er geht hin, ſetzt ſich in eine Ecke ſei⸗
ner Rauchſtube, ſingt fein Schwanen
lied, und ſtirbt. „
„Sehen Sie, das find die Unterre⸗
dungen, die man uͤber Sie haͤlt. Aber ich
habe auch einige von ganz anderm In⸗
halte gehört. Ich habe gehoͤrt, wie man
ſich zuſammgeſchworen: Ihnen für eine
gewiſſe ſehr beziehende Anſpielung den
Kopf entzwey zu ſchlagen. Ich habe
gehoͤrt, wie man ſich Zeit und Stunde
beſtimmet, Sie des Abends mit einer
Trache
ohne Borurtheil, 85
Tracht Schläge nach gauſe zu ſchicken.
Ich habe gehört, wie man überein gekom⸗
men: weil Sie ſelten zu Nacht auſſer
Baufe wären, in ihrem Haufe ſelbſt ei⸗
nen Beſuch abzuſtatten, der Ihnen
nicht angenehm ſeyn dürfte: und was
fonft habe ich nicht gehoͤret? „
„Ueberlegen Sie alles das einmal, ehe
Sie die verſprochenen ) Materien ber
handeln! Denken Sie den Schwarm, den
Sie aufs neue gegen ſich empoͤren! Und
wenn Sie ſich etwa eine Gewiſſensſache
daraus machen, von einer Sache zu ſchwei⸗
gen, uͤber welche Sie ihr ſchriftſtelleriſches
Ehrenwort von ſich gegeben haben; ſo ſeyn
Sie wenigſtens behutſam! fo ſeyn Sie we-
nigſtens nicht ſo beiſſend! ſo huͤten Sie ſich
wenigſtens, perſoͤnlich zu werden! „
„Ich rede in der That mit Ihnen eine
Sprache, die mir ſonſt nicht eigen iſt: ich
ermahne, und mein eigentlicher Ton iſt,
drohen. Ich bin ein Offizier, der ſeine
Klinge fuͤhret, der geſchwind warm vor der
Stirne wird, der — Aber was geht das
alles Sie an. Nach den Grundſaͤtzen mei⸗
nes Standes muß ich mich ſchlagen, ohne
zu
) XI. Blatte.
—
86 Der Mann
zu drohen: und nach den Grundſaͤtzen ih⸗
res Standes, duͤrfen Sie laufen, ohne
ſich zu beſchimpfen. Doch nehmen Sie
ſich in Acht! ich warne Sie, warne Sie
mit gutem Vorbedachte, warne Sie, da
die Gefahr nahe, da der Arm ſchon auf⸗
gehoben iſt, der auf Sie donnern ſoll! „,
„ Don wem» das dürfen Sie eben
nicht wiſſen. Aber denken Sie an ihr letz⸗
tes: ich kuͤndige dieſes gewiſſen ger⸗
ren . . . an. Unter dieſen gewiſſen gerren
ſind einige ſehr gewiſſe, die es nicht gerne
ſehen, daß man ſie ſo leibhaft ſchildert,
und die den ungebettenen Portraitmaler,
der ſo gut iſt, ſie mit einer Narrenkape
auf dem Markte auszuſetzen, ſeine Muͤhe
übel lohnen wuͤrden. — Damit fie gar
nicht an der Zuverlaͤſſigkeit zweifeln duͤr⸗
fen, ſo will ich Ihnen bekennen, daß ich
ſelbſt einer der Mitverſchwornen bin:
nicht zwar, als ob ich meine Rutſche,
oder Brillianten ungerne verlierte: dem
Himmel ſeys Dank! wir Leute von Sortun
ſind mit ſolchem Geraͤthe nicht beſchweret:
aber die offene Tafel von 6 oder 8 Srem⸗
den, die verliert man ungerne; und ich
will nur erwarten, ob Sie es wagen wer⸗
den,
ohne Borurtheil. 87
den, dieſe Saite zu berühren — Thun Sie
es, wehe Ihnen, der Werkzeug ihrer Bes
ſtrafung liegt hier vor mir, „
dem H.. ruck
Herr H.. . ruck iſt der einzige, der
mir nach der Offenherzigkeit ſeiner gewaͤhl⸗
ten Lebensart Vorwuͤrfe machet, aber er
iſt nicht der einzige, dem meine Betrach—⸗
tungen ungelegen ſind. Die Antwort, die
ich ihm geben werde, gebe ich zugleich al⸗
len, die uͤber dieſen Punkt, wie er, den⸗
ken. Damit man mir nicht etwan die Une
terlaſſung der üblichen Foͤrmlichkeiten vor-
werfe, will ich ſie ebenfalls in einen Brief
einkleiden, dieſe Antwort.
Hochzuehrender Herr H...
Wir leben hier unter dem Schutze der
oͤffentlichen Wachſamkeit ſo ſicher, daß man
alle Drohungen einer perſoͤnlichen Beleidi—
gung mit kaltem Gebluͤte anhoͤren darf.
Ich ſchlafe in dem Schooſſe der Ruhe,
nicht aus Zuverſicht auf meine Sechtlek⸗
tionen — ob ich vielleicht auch von dieſer
Seite einige Zuverſicht werfen duͤrfte —
ſondern auf die Geſetze. Die Furcht alſo
5 4 wird
se Der Mann
wird mich nicht von meinem Wege wedet
zur Rechten noch zur Linken abweichen
machen.
Aber ich ſehe es als eine Pflicht an,
meinen Befreyungsbrief aufzuzeigen, uͤber
Laſter, über Thorheiten, auch über Un⸗
gereimtheiten zu eifern. Ich bin ein
Bürger. Der Vorwurf der Jugend iſt
mir ſchon ſeit mehreren Jahren her ges
macht worden. Alſo kann er heute nicht
mehr dieſelbe Kraft haben. Die Welt iſt
in der That hoͤchſt widerſinnig, hoͤchſt un⸗
gerecht. Maͤdchen will man nach einigen
Jahren nich jung ſeyn, und mich nie dlter
werden laſſen.
Jedoch jung v oder alt koͤmmt es bei
Schriften darauf an, wer ſie ſagt? oder
darauf, was man ſagt? wird eine Luͤge
zur Wahrheit, wenn ſie eine zitternde
Hand des Greiſen niederſchreibt? wird
eine Wahrheit Luͤge, die aus dem Kiele
eines Mannes von den munteren Jahren
fließt? — Gnaͤdige Frau! ich rechne mirs
zur Ehre an, noch vor wenigen Jahren
auf der hieſigen hohen Schule der Schul:
gefaͤhrte ihres Sohnes geweſen zu ſeyn!
Hund ich wuͤnſche, daß es ihm nicht zur
Schan⸗
ohne Vorurtheil. 89
Schande gereiche, der meinige geweſen
zu ſeyn!
Die Befreyung, zu ſchimpfen, wie Sie
es nennen, ruͤhrt daher, daß man Laſter,
Thorheiten, Ungereimtheiten ausübet.
Alles Lächerliche, fo ich ſage, liegt gar
nicht in dem Worte, es liegt in der Sache:
und die kömmt nicht von mir her; die
wird mir angeboten. Es iſt nur ein ein⸗
ziger, aber gar nicht ſchwerer Weg, mir
das gandwerk zu legen. Man laſſe mirs
am Stoffe fehlen; und ich will meine
muͤſſige Feder in dem Tempel der Tugend
aufhängen , und darüber die Auffchrift
feßen:
Sie ſtrafte die Thoren, da fie waren.
Aber, wann wird die Welt ſo gluͤcklich
ſeyn, mir auf ſolche Art den Kiel aus
Haͤnden zu reiſſen? Und dennoch, iſt es
nicht die unverſchaͤmtſte Foderung des Las
ſterhaften, des Thoren, daß er die Frey—
heit haben fol, zu thun, was mir unter:
ſagt ſeyn ſoll, zu ſagen.
Sollen mich aber die Seindͤſchaften
abſchrecken? welche Foderung? wer ſind
fie dieſe Feinde? gewiß nicht die vereh⸗
rungswuͤrdigen Tugendhaften, denen ich
8 5 zu
90 Der Mann
zu jeder Stunde eine Lobrede zu halten
bereit bin, gewiß keine Tirine. Die ſind
es, denen meine kuͤhne Hand die Larve
abreißt! Und, o Sie koͤnnen nicht meine
Feinde werden: ich war nie ihr Sreund:
und nie werde ich es ſeyn.
Welche Haufer werden mir verſchloſſen
ſeyn? die, die ihrer Fehler ſich bewußt,
das Aug eines Scharfſehenden ſcheuen,
die vor dem rauſchenden Blatte zittern,
die fürchten muͤſſen, zur Lehre der Wohl⸗
geſitteten, zur Beſchaͤmung der Untugend
aufgeſtellet zu werden: ſolche Haͤuſer al⸗
lein, die die Unordnungen, welche darin
herrſchen, verborgen zu halten, Urſache
haben, dieſe allein werden mir den Ein⸗
tritt verſagen —
Und nun, nach dieſer Betrachtung laſſe
ich mich ankuͤndigen: wer iſt es, der, ſo
ſehr feiner Ehre uneingedenk, es waget,
mich auszuſchlüſſen v
Sie ſehen mein Herr! ich habe Gruͤnde
fuͤr mich: und habe mehrere; aber ich
darf fie nicht erſt anführen. Der dem
Prediger das Recht ertheilet, das Laſter
zu beſtrafen, der dem Schauſpieler das
Recht ertheilet, den Laͤcherlichen eg der
B —
ohne Vorurtheil. 91
Buͤhne zu kopiren, der giebt mir das
Recht zu ſagen: der Thor iſt Thor. De⸗
ſto übler für jeden, der ſich fuͤhlet, und
ſagen muß: der Thor bin ich.
XIII.
F ee begleitete mich dieſer Tagen
zu dem geſchickten Herrn Pergauer ),
und ſah einige von den vortreflichen Uhren
dieſes Kuͤnſtlers, die es mit allen franzö⸗
ſiſchen und engliſchen aufnehmen koͤnnen.
Er bewunderte die Erfindung dieſer Zeit⸗
meſſer, die in die Ordnung, welche in
unſern Geſellſchaften herrſchet, fo grof-
ſen Einfluß haben; er betrachtete den
Mann, deſſen Hand ſie erſchafft, mit ei⸗
nem tiefen Stillſchweigen, und einer Art
von Ehrerbietung. Als wir von ihm Ab⸗
ſchied genommen, fo war feine erſte Fra⸗
ge: dieſer verdienſtvolle Künftler müſſe
| oh⸗
) Johann Michael Pergauer , Kleinuhrma⸗
cher in der Kärntnerſtraſſe bei dem Schwan.
Dieſer verdienſtvolle Bürger, hätte in Lon⸗
don gebohren werden, und weniger Geſchick⸗
lichkeit beſitzen ſollen, damit Wien ſeinen
Werken Gerechtigkeit wiederfahren lieſſe.
92 Der Mann
ohne Zweifel ſehr hoch geſchätzet wer⸗
dene — So hochgeſchaͤtzt, mein lieber
Capa : kaum ! daß er vielleicht feinem
Nachbarn, dem wahren Werthe nach, un⸗
bekannt iſt — Deſto übler, fuhr er fort,
für dieſen Nachbarn, der ſich eines ſo
groſſen Vergnügens beraubet, fo viel
es möglich, dieſem Manne zuzuſehen.
Aber fchon feine Beſchaͤftigung / die fo
viele Geſchicklichkeit erfodert, und in
welcher, wie Sie ſagen, er ſich ſo ſehr
unterſcheidet, macht ihn ohne Zweifel
ſehr angeſehen — Seine Beſchaͤftigung
mache ihn angeſehen? ſagte ich —
Wir hatten unfte Wohnung erreichet,
und kaum trat ich uͤber die Schwelle, als
ich eines von den Dekreten, die eben auf
dem Tiſche lagen, ergriff, und ihm uͤber⸗
gab. Betrachte, fuhr ich nunmehr fort,
dieſe ſchoͤne Hand! — Ich habe ſie ge⸗
ſehen: — und hiemit gab er ſie mir im
Augenblicke zuruͤcke — Wie ? du konnteſt
dich an Pergauers Uhren nicht ſatt ſehen:
und dieſe ſchoͤne Hand! dieſe regelmaͤſſigen
Zuͤge! ſieh — Sie ſchertzen! unterbrach
er mich; ich habe auf zwoen Zeilen alle
24 Buchſtaben geſehen: und in den
übri⸗
ohne Vorurtheil. 93
übrigen kommen immer dieſelben wie⸗
der — Nun, fragte ich, wer alſo aus
beiden, wuͤrdeſt du waͤhlen, zu ſeyn?
pergauer, oder der dieſes Blatt be⸗
ſchrieb e' — Er ſah mich verwundernd an
— Meine Frage iſt Ernſt, fuhr ich fort —
Mich daucht, verſetzte er, meine Wahl
kann für meinen Sührer kein Räthſel
ſeyn. Ich würde Pergauern fo in mei⸗
ner Wahl, wie in meiner Achtung den
Vorzug geben.
Sehet, ihr Herren! die ihr, weil die
Maſchine eurer Hand zu gewiſſen gleich⸗
förmigen Bewegungen eingerichtet iſt, bei
denen ihr Verſtand, und alle Kenntniſſe
entbehren koͤnnet, die ihr darum euch ſehr
wichtige Menſchen duͤnket, die ihr einen
Kuͤnſtler, deſſen Beſchaͤfftigung Nachden⸗
ken, Beurtheilung, Verbindung, und
hundert vorlaͤufige Geſchicklichkeiten fodert,
mit Geringſchaͤtzung anſchauet, ſeht! ſo
urtheilet ein Menſch, der die unbillige
Rangordnung nicht kennet, die das Vor⸗
urtheil unter uns eingefuͤhrrt hat, und
welche feſtzuhalten, der Unwiſſenheit, zu
ſehr daran liegt. Aber ich will mit meinen
Betrachtungen auffteigen.
Der,
94 Der Mann
Der, welcher den Aufſatz eines ſolchen
Dekrets gemacht, der wird ſich ohne Zwei⸗
fel ſehr beleidiget halten, wenn ich zwiſchen
ihm, und einem Kuͤnſtler, der der Nation
Ehre machet, Vergleichungen anſtelle.
Ich bitte ihn um Vergebung! Ich werde
es dennoch thun, und, wie ich voraus fehe,
der Vortheil wird nicht auf ſeiner Seite
ſeyn. Was iſt es, worauf er ſtolz, einen
Vorzug fodern kann? — Ich ſinne nach,
was er antworten koͤnnte; und ich geſtehe,
ich finde es nicht. Seyn Sie offenherzig,
meine Herren, und bekennen Sie, daß
Sie es eben ſo wenig wiſſen! daß Sie nur
den Vortheil annehmen, den ihnen der ein⸗
geadelte Irrthum anbietet! Dieſer Offen⸗
herzigkeit zu Liebe will ich nachſehend ſeyn.
Woferne ſie aber ſich blaͤhen ſollten, ſo
will ich ihre Aufbrauſung ſogleich zu Bo⸗
den ſchlagen, und ehe dieſes halb nieder-
gebrannte Licht erliſcht, meinen Schuͤler
zu einem SKoncipienten machen, der mit
Beihuͤlfe des Sfterreichifchen Sekretärs,
oder fonft eines guten Sormularbuche fein
Handwerk wenigſtens eben ſo treflich, als
Sie verſtehen ſoll.
‚Dies |
ohne Vorurtheil. 95
Dieſe unbillige Austheilung der Ach⸗
tung, des Vorzugs, und auch oft des
Vortheils iſt für die Wohlfahrt der Ge:
ſellſchaft nicht ſo gleichguͤltig, als es den
Schein hat. Nach unſrer Erziehung wird
der Stolz in den Jahren der Kindheit ſehr
oft ein Triebwerk unſrer Handlungen, und
in den Jahren unſrer Reife ein Triebwerk
unſrer Entſchluͤſſungen. Wann ein Vater
feinen Sohn zu einer kuͤnftigen Beſchaͤff—
tigung beſtimmet; wenn der Juͤngling ſelbſt
uͤber die Lebensart, die er ergreifen ſoll,
zu Rath geht, der Inhalt ihrer Ueberle⸗
gung wird ungefaͤhr folgender ſeyn:
„Mein Sohn! wird der Vater ſpre—
chen: die Jahre kommen heran, in welchen
du den Grund legen ſollſt: ich habe deine
Faͤhigkeit geprüft, du haft viele, du biſt
ſie dem Vaterlande ſchuldig. Du haſt dei⸗
ne Schulen, deine Rechte: nun iſt es Zeit
ſich die praftifchen Kenntniſſe zu erwerben.
Ich habe mit ... geſprochen: er erlaubt
dir bei ſich Zutritt, du wirft in kur⸗
zem mit ein wenig Anwendung im Stande
ſeyn, auf eine Bedienung Anſpruch zu
machen; und dieſe wird dir dann, bei un⸗
ſern
96 Der Mann
ſern Verbindungen, bei den Empfehlungen,
die ich dir bereite, nicht fehlen. „ f
Der Sohn wird, weil er Fahigkeit
hat, von ſeinem Vater einem Dienſte ge⸗
widmet, wo er ſie zur Haͤlfte, wo er ſie
vielleicht ganz entbehren kann. Dieſe Faͤ⸗
higkeit, die nun dem Staate unnütz, die
fuͤr ihn verloren iſt, wuͤrde bei einer an⸗
dern Beſchaͤfftigung, bei der Handlung,
bei einer Kunſt, bei einem Handwerke
brauchbar, vortheilhaft geweſen ſeyn.
„mein Sohn, zur Zgandlung! mein
Sohn, zu einer Runft! zu einem gand-
werke! mein Sohn, ein gandwerks⸗
mann! - „ Ja mein Herr! Sie find ver⸗
nuͤnftig: Sie haben es ſelbſt geſagt: ihr
Sohn iſt feine Sähigkeit dem Staate
ſchuldig. Glauben Sie, daß er dieſer
Pflicht Genuͤge leiſte: wenn er ſich ver⸗
legt, ein von Ihro Röm. u. ſ. w. anzu⸗
fügen: immer mutatis mutandis ſchreiben
zu koͤnnen. Ich ſehe da nicht, wozu ihm
ſeine Faͤhigkeit nuͤtzen kann. Aber der Aem⸗
ſigkeit neue Wege oͤffnen, feinem Vater⸗
lande Reichthuͤmer erwerben, indem man
die ſeinigen vergroͤſſert; durch Erfindungen
ſeinem Verſtande Ehre machen, die Wege
der
ohne Vorurtheil. 97
der Erwerbung erweitern, u. d. g. das
fodert die Faͤhigkeit, die Sie ihm zueignen,
die Sie dem Vaterlande ſchuldig ſind.
Dieſer Vater, der ſonſt vernuͤnftig ſprach,
kann unmoͤglich meine Gründe nicht ein⸗
ſehen: er bekennt es, daß Vernunft und
Gruͤnde auf meiner Seite ſtehen; aber, ſagt
er: wollen Sie, daß ich meinen Sohn weg⸗
werfe, daß ich ihn gleichſam abwürdige *),
daß ich es mit einer allgemein angenom⸗
menen Meinung aufnehme? der Wahn,
wenn Sie ſo wollen, hat einmal dieſe Be⸗
ſchaͤfftigung erniedriget, und ich bin der
Achtung meines Hauſes verpflichtet = = Die
Vernunft aufzuopfern, werde ich fagen,
und mich zu einem andern wenden, der mit
feiner Familie berathſchlaͤgt , in welche
Kanzley er ſeinen Sohn unterbringen koͤnne.
Ich menge mich in ihre Unterredung —
Warum wollen Sie dieſen Sohn das Gluͤck
nicht goͤnnen, das Sie genieſſen? Sie ſind
| reich,
„) Degradiren, weis ich nicht anders zu geben.
Damals ſetzte ich die Anmerkung bei, weil
ich das Wort als neu vertheidigen wollte.
Heute iſt es allgemein im Gange.
II. Theil. G
98 Der Mann
reich, Sie können jedem vernünftigen
Wunſche ihres Herzens ein Genuͤgen lei⸗
ſten — Gut, unterbricht er mich, alles
gut! ich bin reich, meine gandtbierung
hat mich dazu gemacht; und was das
anbelangt, ſo wird mein Sohn nie ſo
glücklich ſeyn, als ich. Aber mein herr!
es ſchmerzt, wenn man ſich bei allem
feinen Reichthum verachtet ſteht. Ich
will meinen Sohn wenigſtens dieſe
Kränkung erſparen, ſich von Schreibern
über die Schulter anſehen zu laſſen: er
ſoll einer aus ihnen ſeyn! und hiemit
verläßt er mich, ſchiebt feinen Sohn ir⸗
gend in eine Stelle ein, entzieht der
gandlung, oder fonft einem anſehnlichen
Zweige der Beſchaͤfftigung einen groſſen
Fond, ber fie ſchwaͤchet, und in die all⸗
gemeine Nahrung nachtheilige Folgerun⸗
gen verbreitet.
So denkt auch der Knab, ſo bald er
zu denken fähig iſt. Er ſieht dem Kuͤnſt⸗
ler, wenigſtens mit roher Art, er ſieht
dem Handwerker mit Verachtung begeg⸗
nen: er glaubt, dieſes rohe Betragen,
dieſe Verachtung ſey der beſchiedene An⸗
theil dieſer nuͤtzlichen Klaſſe der Buͤrger.
Die⸗
ohne Vorurtheil. 99
Dieſe Meinung ſetzt ſich in ſeinem kleinen
Herzen feſt, waͤchſt groͤſſer, wie er ſelbſt
waͤchſt, und durch wiederholte Beiſpiele
darin beſtaͤrkt wird.
Was willſt du werden frage ich den
Knaben — nicht den Sohn eines Mannes,
der eine anſehnliche Stelle bekleidet, nicht
einmal eines Kuͤnſtlers; nein, den Sohn
des gemeinſten Mannes — Ein gerr! ſagt
der kleine Schwaͤtzer hochmuͤthig. Und
wie willſt du es anſtellen, ein gerr zu
werden? — Ich will ſtudiren, verſetzt
er mir ſehr fertig. Die ſtudirten Leute
werden alle Herren — Aber, verfolge
ich, dein Vater, iſt der kein Zerr! —
Nein! und man ſieht es deutlich, der
kleine Uebermuͤthige blaͤht ſich bereits, und
ſetzet ſich in ſeinem Gedanken bereits uͤber
ſeinen Vater hinweg —
So ſind wir durch die unverſtellte Ant⸗
wort dieſes Kindes auf den Urſprung ge⸗
kommen, aus welchem das Vorurtheil
abgeleitet werden kann. Die Hochachtung,
die man gegen die Wiſſenſchaften hat,
wird auch den Ständen eigen, zu denen
dieſe Wiſſenſchaften gleichſam eine noth⸗
wendige Zubereitung ſeyn ſollten. Und
G 2 gleich
100 Der Mann
gleich als könnte die Achtung erſchöpfet
werden, behält man ins gemein für die uͤbri⸗
gen Staͤnde nichts davon mehr uͤbrig —
Sie ſehen, ſchaͤtzbare Leſer, ich dringe
nur erſt tiefer in meine Materie ein. Aber
es iſt wenig Raum mehr übrig , ich
kann heute nicht vollenden. Ich will alſo
mit zwo Zeilen einigen Korreſpondenten
antworten, von deren Zuſchriften der In⸗
halt ſich aus meinen Antworten ganz leicht
entnehmen laſſen wird.
Meine Frauen, und Herren!
4 Ich finde ihre Vorſtellungen gegrün⸗
det. Da kuͤnftig um einen guten Theil
weniger Geſchmeide, und Ringe getragen,
und nun ſo viele feilgeboten werden; ſo
wuͤrden Sie zu ſehr zu Schaden kommen,
wenn ich den eingeraumten Termin nicht
überlegte. Ich gebe Ihnen alſo noch
acht Tate länger Friſt, binnen welcher
Zeit Sie ſich bemühen mögen, ihr über-
fluͤſiges Prunkwerk anzuwerden. Dieſe
Friſt wird auch denen zu ſtatten kommen,
die Pferde und Wagen wegzugeben haben.
Ich ſehe wohl ein, daß alle das Zeug in
verſteigerungen ziemlich wohlfeil wird
hin⸗
ohne Vorurtheil. 101
hingegeben werden muͤſſen. Aber denken
Sie, alles iſt Gewinn, was Sie fuͤr eine
unnuͤtze Sache wieder erobern. Alſo be⸗
willige ich hiemit noch acht Tage; aber
mit der Verſicherung, nachher keinen Auf-
ſchub, unter was immer fuͤr einem Vor⸗
wande es verlangt werde, einzugeſtehen. „ 5
XIV.
Das ſey ferne von mir, daß ich die
Wiſſenſchaften ihres Ranges entſetzen, daß
ich auf die Seite des zu ſtrengen Gegners
aller Kenntniſſe treten, und die Menſchen
zuruͤcke in die Wildniſſe, zuruͤcke zu den
Eicheln fuͤhren wollte. Sie ſind die Fa⸗
keln der Welt; ſie hellen den Verſtand
auf, machen das Herz und die Sitten ge⸗
ſchmeidig; und nur der Mißbrauch der
ſelben, iſt, ſo wie der Mißbrauch aller
Sachen, die reiche Quelle fo manchen Ue⸗
bels, das die Welt verheeret. Aber, weil
ſich jemand mit Speiſen uͤberladen kann,
ſollte man darum der Nahrung entfagen ?—
Freuen Sie ſich nicht, meine Herren!
freuen Sie ſie nicht vergebens! Nichts von
dieſer kurzen Lobrede hat auf Sie eine Ber
63 zie⸗
102 Der Mann
ziehung. Der Namen, Wiſſenſchaft,
Gelehrſamkeit iſt — vergeben Sie mir!
ich kenne die gekünſtelten Ausdrucke nicht,
die, um etwas nicht gerade zu ſagen,
nichts ſagen — der Namen alſo der Ge⸗
lehrſamkeit und Wiſſenſchaften iſt ent⸗
ehret, wenn ein Menſch mit einem Bischen
Latein, das die Stalljungen Cicerons
beſſer geſprochen haben, mit einer Philo⸗
ſophie, wovon er nur ein Wortregiſter im
Kopfe behalten hat, mit einem Rechte,
wovon die Haͤlfte ganz nicht mehr brauch⸗
bar, die andre Haͤlfte ein Gewebe klei⸗
ner Raͤnke und Unterſcheidungen iſt, und
mit einigen Sormularen, die er eben ſo⸗
wohl in ſeiner Taſche, als in ſeinem Kopfe
behalten mag, wenn ein Menſch mit allen
dieſen ſchoͤnen Ausruͤſtungen auf ſie einen
Anſpruch machen zu koͤnnen, berechtiget
ſeyn ſollte. Ein ſchoͤnes, liebenswuͤrdiges
Maͤdchen, das die Ehrerbietung meines
ganzen Geſchlechts verdienet, wird ſich ſehr
beſchimpft halten, woferne ein Menſch,
von einer in die Augen fallender Unwür⸗
digkeit ſich ihrer Gewogenheit oͤffentlich
ruͤhmen, oder ſich mit in die Reihe ihrer
hoffenden Verehrer ſtellen ſollte. Die Frau
ſtoͤßt
ohne Vorurtheil. 103
ſtoͤßt ſie von ſich: tragen Sie ihre Wuͤn⸗
ſche zu der Magd, meine Herren! Sie
werden weniger abgewieſen werden.
In den ſehr, ſehr entfernten Zeiten, da
die Geſchaͤfte der Gerichtsſtelle durch einen
Gerichtsſchreiber, und zween Schöppen
verſehen wurden; wo die Prozeſſe noch für
kein Gewerb, wo ſie fuͤr ein Uebel ange⸗
ſehen wurden, das man floh, ſo ſehr es
ſich thun ließ; wo die Streitſucht noch
nicht zu einem ond geworden, der feine
Ein künfte ſicher abwirft; in den ent⸗
fernten Zeiten, wo die Kanzley des Fuͤr⸗
ſten, aus ihm ſelbſt, und ſeinem Geheim⸗
ſchreiber beſtund; wo man weniger ſchrieb,
weil man deſto mehr handelte; in dieſen
gewiß nicht ungluͤcklichen Zeiten, wo die
Gerechtſame durch Redlichkeit und Treue,
nicht durch ſchriftliche Kontrakte bewahret
wurden, damals waren die Wiſſenſchaften
eine nothwendige Vorbereitung in den Kanz⸗
leyen, damals auch war ein Schreiber des
Rönigs ein verehrungswuͤrdiger Namen.
Aber ſeit dem wir unſre Titulatur ſo ab⸗
gewürdiget haben, ſeit dem der Ehren⸗
veſte ein gochedelgebohrner, der Wohl:
deſtrenge ein gochgebohrner, der Wohle
G84 edle
104 Der Mann
edle noch etwas darüber geworden, was
ich nicht weis; ſeit dem die Geſtrengen
zu Gnaden, die Gnaden zu Excellenzen
aufgeſtiegen; ſeit dem der einmal unter
uns ſo anſehnliche Namen eines Raths
nicht die Bezeichnung des Amtes, ſondern
ein Titel iſt, der dem Knaben als ein
Schulpraͤmium, oder dem Maͤdchen zur
Ausſtattung gegeben, oder wie Waare um
Geld erkauft wird, und anſtatt des Ein⸗
tritts in die Rathsverſammlung, den
Eintritt in den Reduttenfal oͤffnet; feit
dem der Schreiber Sekretaͤr heißt; ſeit
dem alle Würden ſo hoch emporgehoben
worden, daß ſie ganz herabgeſetzt ſind, ſeit
dem iſt es auch von dieſen nothwendigen
Vorbereitungen abgekommen, ſeit dem
Könnte man die Sefretäre vom Schreib⸗
meiſter, die Raͤthe⸗ === Aber meine Be⸗
trachtungen wuͤrden mich zu weit fuͤhren.
Es iſt gewiß, daß der Stolz, der Vor⸗
zug, den ſich die Leute geben, die ihr Brod
mit der Feder in der Hand verdienen, vor
dem, der ſich ſolches mit dem Hobel, oder
Meiſſel erwirbt, einzig und allein von da⸗
her koͤmmt, weil ſie ſich in die Klaſſe der
Gelehrten zaͤhlen: und welche anſehn⸗
li:
ohne Vorurtheil. 105
liche Klaſſe iſt die Klaſſe der Gelehrten,
wenn ſie in der That mit darunter ge⸗
hoͤren?
Aber meine Herren, kommen Sie mit
mir beiſeite! wir wollen unter vier Augen
ſprechen, damit Sie offenherzig ſeyn, und
ſich nicht ſcheuen moͤgen! Nicht wahr, Sie
haben darum die Parthey ergriffen, ſich
auf die Feder zu verlegen, weil Sie zu
bequem zu einer andern Arbeit ſind? nicht
wahr, Sie haben fo, oder ungefähr fo
mit ſich geſprochen, als die Nothwendig⸗
keit herannahte, ihren Hunger ſelbſt zu
ſtillen, und ihre Bloͤſſe ſelbſt zu bedecken?
Lerne ich ein gandwerk, fo muß ich
fünf, oder ſieben Jahre hinbringen,
ehe ich die Lehrjahre erſtrecket habe:
dann muß ich arbeiten — Hier haben
Sie ihre Haͤnde angeſehen, und die waren
nicht abgehaͤrtet, und ihre Arme huben ſich
träge, und fielen = durch- eigenes⸗Gewicht⸗
danieder — und doch iſt mein Lohn
klein: der Morgen weckt mich zur Ar⸗
beit, der Tag geht im Schweiſſe des
Angeſichts dahin, die Nacht wird im⸗
mer mir zu fpat einbrechen. Lerne ich
eine Kunft, fo braucht es Uebung, Ge⸗
G5 ſchick⸗
106 Der Mann
ſchicklichkeit, Beurtheilung, ſo braucht
es Sleiß und Bewerben: das alles, habe
ich es v vielleicht nicht v und dann —
o ich will von dem Fluche Adams fo
wenig über mich nehmen, als ich kann.
Ich will hingehen, und ſchreiben ler⸗
nen, und ſonſt die kleine Zugehör. Ich
will dann einen Gönner erkriechen, da⸗
mit ich angeſtellet werde. Wenigſtens
ſitze ich bei meiner Arbeit, ſitze im
Schatten, kann mich ſatt und voll gaͤh⸗
nen, früh zu Bette gehen, fpdt auf⸗
ſtehen , und naͤhren, immer noch beffer,
als der arbeitſamſte gandwerker, beſſer
als der geſchickteſte Rünſtler, beſſer ale
Sampach ), der den Bau des menſch⸗
lichen Körpers, die Antiken, die Per:
ſpektiv, die Wirkungen des Schattens
und Lichts, das Coſtum, die Geſchich⸗
te, die Natur unaufhörlich ſtudiret, und
dem Staate Jöglinge gebildet, die einſt
auf ſeinem Wege folgen können.
So
) Profeſſor damals, itzt Direktor der hiſtori⸗
ſchen Zeichnung bei der Akademie der bilden⸗
den Klinke, ein nie genug zu belohender,
und zu wenig bekannter Künſtler.
ohne Vorurtheil. tor
So waͤre alſo ihrem eigenen Geſtaͤnd⸗
niſſe nach die Leichtigkeit, die Bequem⸗
lichkeit der Beweggrund, dem Staate
drey Singer bis in das Grab zu widmen,
und ſich auch dafuͤr bis in das Grab füt⸗
tern zu laſſen. Gehen Sie immer! ich
will es nicht ausſagen: aber mir haben
Sie nichts neues geſagt, ich habe das
Triebwerk ihres Berufs 17580 ausfindig
gemacht.
Die guten Leute! die Handwerker, die
Landleute! o! ſagen ſie, die Kopfarbeit,
die iſt ſchwer: ich will immer lieber meine
zween Arme daran ſpannen, und mich den
Tag uͤber plagen, als ſo mein Gehirn —
Und die guten Herren, die dieſes hoͤren,
wie ſehr lachen Sie uͤber den einfaͤltigen
Irrthum des Volkes! ſie wiſſen es gar zu
wohl, daß ihr Kopf hier uͤberfluͤſſig iſt;
aber ſie werden ſich wohl huͤten es zu
bekennen.
Weil ſich zu unſern Zeiten die Sederbe⸗
dienungen, wie die Abgaben, die Abga⸗
ben, wie die Schulden, die Schulden, wie
die Kriege, die Kriege, wie das Unrecht,
das Unrecht wie das menſchliche Geſchlecht
vermehret haben; und weil es einmal ein⸗
ge⸗
108 Der Mann
gealteter Wahn iſt, daß man zu dieſen
Bedienungen zu gelangen, in die Schule
gehen muͤſſe; und weil dieſe Sederbedie-
nungen noch dazu eine Art von Vorzug
und Anſehen an ſich reiſſen, und der Ehr⸗
geiz, wie der Ehebruch ſich auch in die
Strohhuͤtte eingeſchlichen hat; ſo ſchickt
der elendeſte Huͤttler ſeinen Jungen nach
der Stadt. Da muß er lernen; und das
erſte, was er lernet, iſt, daß er die Ar⸗
beitſamkeit verlernet. In dem Schatten
der Schule entwoͤhnt er die Sonne und
Hitze; ohne Uebung verlieren ſeine Arme
die ſtarke Spannung, ſeine übrigen Glied⸗
maſſen die Gelenkſamkeit; ohne anhalten:
de Beſchaͤftigung gewoͤhnt er das Muͤſſig⸗
gehen. Er, der von geſunden Aeltern
gebohren, an der Bruſt ſeiner Mutter
Staͤrke eingeſogen, durch die erſten War⸗
tungen nicht verzaͤrtelt worden, er verliert
hier auf der Schulbank dieſe Vortheile,
wird ein Weichling; und wann er ſeine
Aeltern beſucht, die uͤber einige lateiniſche
Woͤrter vor Freuden den Mund offen hal⸗
ten, die ſie ſo wenig als der Jung ver⸗
ftehen, da kann er nicht in der Sonne gehen,
ohne hundertmal zu nieſſen. Wann er dann
groß
ohne Vorurtheil. 109
groß gewachſen, und zwar gut und wacker
verzehren, aber nichts verdienen kann,
dann ſehen die gutherzigen Leute den latei⸗
niſchen Taugenichts, der ihnen, ſich, dem
Staate, und der Welt unnuͤtz iſt.
Hätte ich in den Hütten der Landleute,
oder in den Haͤuſern der ſogenannten ge⸗
meinen Klaſſen der Arbeiter, unter meh⸗
reren Soͤhnen Beſtimmungen vorzunehmen;
ſo wuͤrde ich, den kleinen Raufer, der ſich
zeitig mit einem groſſen Ringe verſieht, und
die Taſchen immer voll Steine traͤgt, zum
Soldaten waͤhlen: den ſtarken, der dem
Vater auf das Feld nachſchleicht, und gerne
der Roſſe wartet, der ſich freuet, wenn er
den Pflug von der Stelle heben, oder ſonſt
eine Laſt auf feinen kleinen Schultern tra⸗
gen kann, den wuͤrde ich zum Stammhal⸗
ter, zum kuͤnftigen Landwirthe ausſuchen:
und waͤre mir dann noch ein ſchwacher
unge übrig, der von der Mutter verwahr⸗
loſet, bei dem erſten Froſte den Ofen ſucht,
der ſpaͤte Tage wuͤnſcht, und ſich der frühen
Naͤchte freut, der, wenn er in den Wald,
Holz zu klauben, geſchickt wuͤrde, die Zeit
verſchlief, und leer, oder nur wenig bes
laden wieder kaͤm, der nur dem Hauſe un⸗
ter
110 Der Mann
ter den Beinen herumgieng, und jeder⸗
man irrte, den ſaͤhe ich gleichſam von der
Natur zu einem Schattendienfte vorher⸗
beſtimmt, den ließ ich in die Schule gehen,
weil ich ihn ſonſt nicht zu brauchen wuͤßte.
XV.
E. hat ihn geſehen, ihn,
Der von der Sürſten Macht nur eines
kennt,
Das Goͤttlichſte: durch Huld ſich zu ver⸗
| binden:
Der, wahre Freud’ als Herrfcher zu
empfinden,
Nicht fein Vergnügen von dem unſern
trennt.
Er geht: und jedes Aug bewahret ſeine
Tritte.
O ſproſſet Blumen! unter jedem feiner
Schritte!
Er thut ſie uns zu Lieb', uns, die er
gluͤcklich macht.
Von unſerm Wunſch begleit”, von unfrer
Lieb' bewacht,
Irrt
ohne Vorurtheil. 111
Irrt er in dem, durch ihn nun unver⸗
fchloffnen Hayne, )
Und ſucht, und findet ſie, in unſrer Luſt
die Seine —
Copa: kaum hat Ihn geſehen, dieſen
Sürſten, deſſen erſte Tage eine glaͤnzende
Morgenroͤthe ſind, die feinem Volke -
Aber vielleicht, daß Er dieſes Blatt eines
Anblicks wuͤrdiget, und dann mich fuͤr ei⸗
nen Schmeichler haͤlt, wenn er die groſſen
Hoffnungen lieſt, die wir uns von dem
Mittage ſeiner Regierung machen. Be⸗
ſtimmt, der Voͤlker Gluͤck zu ſeyn, wird er
Lobreden verdienen, aber anzuhoͤren —
verſchmaͤhe er fie !
Capa : kaum ſah, was er längft ge⸗
wuͤnſchet, den wuͤrdigen Sohn There⸗
ſiens / wie er die öffentliche Ergoͤtzlich⸗
keit, die er ſeinem Volke verſchaffte, durch
ſeine Gegenwart beſeelte; und er geſtund
mir,
„) Dem Pratter: der vorher nur im Monate
May und Junius für die Sahrenden offen
ſtund; ſonſt ganz und einzig den kaiſerlichen,
königlichen Hirſchen und Wildſchweinen aus⸗
ſchlieſſend vorbehalten.
112 Der Mann
mir, daß er in feinem Antlitze gewiſſe Züge,
gewiſſe edle Abdruͤcke erkennte, welche ihn
unterſcheiden, welche gleichſam Merkmale
find „der erhabenen Beſtimmung, der
güter unzähliger Menſchen zu
ſeyn. | |
Wir wandten unfre Blicke auf das
uͤbrige, unzaͤhlige Volk. Wir wurden ei⸗
nes Menſchen gewahr, der an dem allge⸗
meinen Vergnuͤgen keinen Antheil zu neh⸗
men, der in ſich ſelbſt verſchloſſen, alles,
was um ihn her vorgieng, zu uͤberſehen
ſchien. Der Ort, die Zeit, war zu Be⸗
trachtungen uͤbel gewaͤhlet. Wir wuͤnſch⸗
ten uns mit dieſem Traͤumer in eine Unter⸗
redung einzulaſſeu. Wir ſetzten uns an ſei⸗
ner Seite neben dem Rande eines Grabens
nieder. Wir ſprachen unter uns von gleich⸗
guͤltigen Sachen, aber ſo, daß er uns,
wegen der Naͤhe, nothwendig hoͤren mußte.
Es gelung uns. Er ſah ſich nach uns um,
und — wollte ſich entfernen. Vergeben Sie,
redte ich ihn an, wenn wir Ihnen beſchwer⸗
lich fallen. Sie ſcheinen zu uͤberlegen: wir
wollen Ihnen die Gelegenheit dazu nicht
rauben. In der That , verfeßte er, ich
uͤberlegte: aber da Sie eben ſo, wie ich,
die⸗
ohne Vorurtheil. 113
dieſem Gedraͤnge eines tollen Poͤbels aus⸗
zuweichen ſcheinen; ſo kann uns die Gleich⸗
heit der Geſinnungen vereinbaren — Ich
gab meinem Gefaͤhrten einen Wink zu
ſchweigen, und er verſtand ihn. Sie
fliehen alſo die Menge, fuhr ich fort, die
unbequeme Menge, die — Hier hielt er
mit einmal ſtille — Ich wuͤnſche zu wiſſen,
mit wem ich ſpreche, bevor ich mehr ſa⸗
ge — Mit demjenigen, antwortete ich ihm,
den alle Welt tadelt, und alle Welt lieſt,
dem hundert Menſchen Grobheiten, und
hundert andre Lobſpruͤche zuſchicken, den
man ſcheuet, und zu Gaſt bittet, der an
ſeinem Pulte Figuren nachzeichnet, die
man fuͤr portraite halten will, weil ſie
Koͤpfe von Menſchen haben, kurz mit —
Mit S === unterbrach er mich, und die⸗
ſer ihr Begleiter iſt der berufene Capa⸗
kaum! Ich danke es dem Zufalle, der mir
ihre Bekanntſchaft verſchaffet: ich hoffe,
Sie ſind meines Sinnes — Auf das Be⸗
dingniß, daß es der meinige iſt, fiel ich
ihm ein: denn ich bin immer nur des
Meinigen, oder ich muß eines andern
überzeugt werden — Das iſt unbeugſam,
mein Herr! aber dieſe Unbeugſamkeit ſelbſt
II. Theil. H ge⸗
114 Der Mann
gewinnt mich Ihnen: fie hat etwas Maͤnn⸗
liches, das nicht ohne Würde iſt — Ich
bin ein Menſch, antwortete ich ihm, das
iſt meine Würde: Ich bin ein Bürger, das
iſt mein Glück. Ich habe meine Wünfche
mäſſigen gelernet: das iſt mein Reich-
thum. Ich kann es Umgang haben, zu
ſchmeicheln, weil ich nichts wuͤnſche,
weil die Stufe, worauf ich ſtehe, fuͤr mei⸗
ne Begierde die hoͤchſte iſt, und ich glau⸗
be, derjenige iſt der wuͤrdigſte Buͤrger,
der ſeine Beſtimmung am beſten erfuͤllet —
Mein Unbekannter umarmte mich mit
einer Art von Enthuſiasmus. Sie ſehen,
ſagte er mir, in dieſem ihrem von nun an
ewigen Freunde, den Gefährten ihrer Ar⸗
beit, den Mitarbeiter in demſelben Wein⸗
garten, ihren Mitwerber ohne Eiferſucht,
den redlichen P....) 0
| So
„) Ich fand ſehr bei mir an, od dieſes Stück
feine Stelle behalten ſollte. Die Urſache ent⸗
ſchied, daß daraus ungefähr der innere Bebalt
der Wochenblätter abgenommen werden könne,
von denen in weniger dann 5 Monate einige
zwanzig angekündiget wurden, aber eben fo
ſchuell verſchwanden. Viele kamen gar nicht
an
r
obne Vorurtheil. 115
So tritt mit Beben der Wanderer zu⸗
rück, der, jeder Gefahr uneingedenk, auf
einer bebluͤmten Flur daher wandelt, und
von dem lieblichen Dufte der Veilchen
gereizt, ſich beugt, die geruchſtreuende
Blume zu ſuchen, und nun ſie ſieht, und
feine Hand ausſtrecket, fie zu pflüdenz
wenn dann ploͤtzlich eine Natter ziſchend
hervorſchießt, ſo tritt er bebend, ſo faͤhrt
er zuruͤcke — wie ich, als ich mich ſo nahe
bei dem Manne fand. Aber ich faßte
mich, und erwiederte ſeine freundſchaftli⸗
chen Begegnungen mit ſo weniger Gleich⸗
guͤltigkeit, als es mir moͤglich war.
Sie ſammeln ohne Zweifel Stoff, fuͤhr⸗
te er die Unterredung fort: o hier iſt eine
reiche Ernte für Leute unſers gleichen!
„Mein Herr! ich ſammle meinen Stoff
nie anderswo, als in dem Herzen der Men⸗
ſchen. Es verdruͤßt mich / daß ich demſel⸗
ben nicht ſo viele Lobreden halten kann,
als ich nun Strafreden halten muß — „
5 2 Sie
an die Ausgabe des erſten Stückes. Das,
woranf hier gezielt wird, erhielt ſich am läng⸗
ſten, wie es auch darunter das beſte war —
116 Der Mann
Ste find in der That gluͤcklich, unter:
brach er mich, wenn Sie einen ſolchen
Vorrath entbehren koͤnnen. Ueberlaſſen Sie
ihn mir ganz! ich bin ſehr oft an Stoff
verlegen, und war eben itzt im Begriffe,
ein Blatt zu uͤberdenken, welches ich von
dem Pratter geben ſollte —
„Das will ich gerne, mein —
Schreibgefaͤhrte. Aber vergeben Sie mir!
meine Offenherzigkeit verläßt mich nie: ich
habe es ihren Blaͤttern oft angemerkt,
daß es Ihnen am Stoffe fehlen mag: die
Bombuſe, die Bäberlen, die Korporalen
und ſolch Zeug aus dem unterſten Fache
ſind in der That Ingredienzien — wenn ich
mich ſo undeutſch vor Ihnen ausdruͤcken
darf — die ein wenig Theurung verrathen:
man ſetzt nicht Sackleinwandflecke auf
feines Leingeräth, als wenn es uns —,
Mein Schreibgefaͤhrte hatte bei meiner
unwillkommenen Offenherzigkeit gleich an⸗
fangs die Naſe geruͤmpfet, den Kopf ges
ſchuͤttelt, die Lippen eingebiſſen: und nun
riß der Faden ſeiner Geduld entzwey —
Wie! fuhr er mit leibhaftem Authorgrim⸗
me heraus, Sie koͤnnen ihre Biſſigkeit
auch 1 einen Augenblick, auch gegen
mich
ohne Vorurtheil. 117
mich nicht vergeſſen? gegen mich, der ich
das Werkzeug der Rache in meinen Haͤn⸗
den trage, der ich — aber ich will meinem
Zorne hier gebieten: Sie ſollen ſehen, was
das heißt, einen Mann zu beleidigen —
„Sie ſehen es für Beleidigung
an? wohl! kann ich es verbieten? Aber
ich verſichere Sie, ich habe Ihnen meine
Meinung, wie ich ſie jederman ſage, ganz
nicht in der Abſicht geſagt, Sie zu belei⸗
digen. Es iſt mir lieb, daß Sie mich ſo
unterbrechen: ich war auf dem Wege,
Ihnen noch freundſchaftliche Erinnerungen
zu geben, die Ihnen vielleicht hätten nuͤtzen
koͤnnen. „
Erinnerungen? ſagte er, und ſeine Au⸗
gen funfelten Rache: was für Erinnerun⸗
gen?
„Ich wollte, ſagte ich mit meiner ge⸗
woͤhnlichen Kaltbluͤtigkeit, Sie erſuchen,
daß Sie ſich ein wenig um unſre Sitten
erkundigten, wenn Sie ein Wochenblatt
für uns zu ſchreiben fortfahren, woran
der leſende Theil der Buͤrger Antheil neh⸗
men ſoll. Ich wollte Sie erinnern, daß
Sie uns nicht die gemeinſten Sitten ſchil⸗
bern möchten, weil doch die Stubenmaͤgde
5 3 und
119 Der Mann
und Gfenjungen noch nicht Wochenblaͤtter
leſen: ihre gnädigen Frauen aber, die
den Vorhang am Bette mit einem Dra⸗
gonerfluche oͤffnen, nichts anders als ſol⸗
che verkleidete Dirnen ſeyn koͤnnen, und
ihre Zerren von, Lakeyen, die ſich Nach⸗
mittags der Kleider und Waͤſche ihrer Her⸗
ten bedienen, um auf einem Tanzſaale zu
figuriren. Ich wollte Sie weiters auf Bit⸗
ten einiger ihrer Leſer erſuchen, auf die
Einkleidung ein wenig mehrere Sorgfalt
zu verwenden, abgenuͤtzte Materien we⸗
nigſtens durch die Neuheit des Vortrags,
durch die Schönheit der Wendungen, durch
die Wahl der Ausdrücke aufzuſtuͤtzen. Sle
wuͤrden ſonſt, haͤtte ich dann noch zuſetzen
wollen, auf eine ſehr kleine und ihre Muͤhe
nicht belohnende Anzahl von Leſern herab⸗
kommen, welches mir um Ihrer und der
Verlegerinn Willen Leid thun ſollte. Denn
an der Reinigkeit der Grammatik, der gu⸗
ten Korrektur, und einem guten waͤſſerich⸗
ten Stil läßt ſich der ekle Pefer einer Haupt⸗
ſtadt nicht genuͤgen. Endlich wollte ich
Sie noch warnen, nicht jede eingeſendete
Ueberſetzung, oder ſonſt misrathene Ger
burt eines ſchreibſuͤchtigen Juͤnglings ſo⸗
gleich
obne Vorurtheil. 119
gleich mit beiden Haͤnden anzunehmen, und 5
je eher je beſſer einzuſchalten. — Denn, ich
wuͤßte, was fuͤr ein artig Zeug man da
zu hunderten der Welt vorlegen koͤnnte,
wenn man fo gutherzig ſeyn wollte — Ich
wuͤrde noch fortgeſprochen haben: aber er
verließ mich ungeſtuͤmm: und hieß mich
im Weglaufen: einen Metaphern Thür⸗
mer, einen der nach Woͤrtern wegelauer⸗
te , der wie ein Mädchen Tage lang an
ſeinen Ausdrücken putzte, um recht un⸗
verftändlich zu werden tc. ꝛc. ic. 1c. „
XVI.
A. mir ſoll es wenigſtens nicht liegen,
daß nicht alles, was man gegen dieſes
Blatt einzuwenden hat, im Drucke er⸗
ſcheine: meine Korreſpondenten wiſſen es,
wie viel ich unterdruͤcke, was zu meinem
Vortheile geſagt, aber eben von mir nicht
wiedergeſagt wird. Der Brief, den ich
heute mittheile, iſt nicht ohne Witz: und
am Ende wird man fehen, daß der Ver⸗
faſſer mir eines zu verſetzen gedachte. Ich
will ihm ſein Vergnuͤgen nicht rauben, aber
ihn an einigen Oertern mit meinen An⸗
24 mer⸗
120 Der Mann
merkungen begleiten. Er mag ſich im⸗
mer etwas darauf zu gut thun, daß ich
mich bei ihm bis zum Gloſſator herablaſſe,
ich, der ich — Ei der Eigenliebe! meine
Feder laͤuft unaufhaltbar, wie der ge⸗
ſpornte Pegaſus eines Reimers, und ehe
ich michs vorſehe, ſteht etwas da, das in
fremdem Munde Vorwurf, in dem meinigen
Ruhmredigkeit waͤre. Ohne Umſchweif al⸗
ſo! Hier iſt der eingeſendete Brief!
Mein Herr!
In Endlich „ endlich ſcheint der Zeitpunkt
heranzunahen, wo die Verdienſte des Fleiſ⸗
ſes und der Arbeitſamkeit ihre alten Rechte
wieder erlangen. Sie find der Mann,
welcher in dem XIII. Stuͤcke das Herz
hat, der in Vorurtheile eingehuͤllten Welt,
die Binde von den Augen zu reiſſen. 1) Sie
zeigen uns den Uhrmacher, den Ranzley⸗
verwandten, und den Konzeptarbeiter
in einer Stellung, daß das Verhaͤltniß
zwiſchen ihnen nicht mehr zweifelhaft ſeyn
| fann.
10 Sch bin eingebildet genug, hier die Sprache
der Ironie als ein ernſthaft gemeintes Kom⸗
pliment anzunehmen.
— Du
ohne Vorurtheil. 121
kann. Die Wage des Vorzugs muß auf
die Seite des erſtern herabſinken. Welch
guͤldne Unternehmung! — Allein nach dem
ernſthaften Schritte, den Sie gethan ha=
ben, ſollten wir von ihrer Großmuth nicht
hoffen duͤrfen, daß Sie auch bis zu uns
herabſteigen, und unſre ſo nuͤtzliche und
noͤthige Beſchaͤftigung aus dem Staube
der Geringſchaͤtzung, womit die Herren von
der Feder uns bedecken, empor heben?
Ja! wir hoffen es, nach der gluͤcklichen
Entdeckung, die Sie gemacht haben, daß
dieſe aufgeblähten Herren maſchinmaͤſſig,
nach Muſtern und Formeln, das iſt, nicht
beſſer, als wir, nach dem Laiſte arbei⸗
ten. 2) 5
„Worin beſteht wohl der Vorzug, den
dieſe Herren ſich vor uns herausnehmen ?—
in dem Alter der Handthierung? o dann
haben wir gewonnen! es muͤßte denn gruͤnd⸗
lich erwieſen werden, daß Adam und ſeine
Abkoͤmmlinge bis auf die Zeit von Erfin⸗
dung der Buchſtaben, keine Schuhe getra⸗
gen haͤtten — Das waͤre ein Stuͤck Arbeit
fuͤr einen Gelehrten — in der Geſchicklich⸗
4 keit?
2) Mein gerr: Sie haben es geſagt!
122 Der Mann
keit? es iſt wahr, man ſchreibt Kurrent,
Kanzley, Fraktur, mit Zuͤgen, u. ſ. w. 3)
allein wir machen dafuͤr durchgenaͤhte, um⸗
gekehrte, geſpaltene Schuhe, Pantofel,
Stiefel: faͤllt die Verzierung der Frauen⸗
zimmerarbeit nicht ins unendliche 2 „
„Geſtehen Sie es nur mein Herr! daß
Sie unſrer Meinung find 4), Sie, der
Sie
3 Wenn man in einer Vertheidigung ſpricht;
fo wählt man immer das Stärkſte. Nun, die
Kurrent, Ranzley, Sraktur und Züge, ſoll
alſo das die vorwiegende Geſchicklichkeit ſeyn?
dann muß mancher Dorfſchulmeiſter vor dieſen
Herren allen den Vorzug behaupten; noch mehr:
dann muß der Abſchreiber vor dem Konei⸗
pienten den Vortritt haben. Wie hier die
Sache liegt, hat der Schuhmacher in der That
gewonnen. Aber ich denke, meine Herren!
ihr Sachwalter hat fie verrathen.
4) Sie fodern mich auf? wohl! ich geſtehe es,
ich geſtehe, daß ich einem jeden nützlichen
Handwerker, vor einer unnützen Kunſt, einem
Schuſter — denn über mich hat der Wahn
nicht die Gewalt, dem Worte einen verklei⸗
nernden Begriff anzuheften — vor einem Lau⸗
tenſchlaͤger, einem Ackersmann vor einem
Tanzmeiſter, daß ich einem Rünffler, der der
Ge⸗
ohne Vorurtheil. 123
Sie im Stande ſind, bei einem halb nieder⸗
gebrannten Lichte aus ihrem Capa⸗ kaum
einen Koneipienten zu machen 5), geſte⸗
hen Sie es, daß Sie nicht im Stande
ſind,
Geſellſchaft Ehre und Nutzen ſchafft, vor einem
bloſſen Schreiber, und damit Sie ſehen, daß
ich unpartheyiſch bin, auch vor einem Gelehr⸗
ten, der nur Gelehrter iſt, den Vorzug gebe.
5) Ich widerrufe mein Wort nicht: und ich kann
in der That Zeugen auftreten laſſen, die alle
Stunden einen Eid ablegen werden, daß es
keine eitle Großſprecherey iſt. Wenn der An⸗
führer eines jungen Stiliſten ihn dem Kunſt⸗
griff, ſich die prioa immer behändigen zu
laſſen, mitgetheilet; wenn er ihn mit einem
Nachdeme zum Anfange, zumalen aber zur
Verbindung, und iſt die Periode länger, mit
einem und nun gleichſam zum Unterbande, mit
einem als zum Endabſatze, mit einem ohn⸗
ermangeln zum Schluſſe ausgerüſtet; wenn
er in einem Formular ein Dem N. N. von...
anzufügen; als würdet: ꝛc. 1c. und: von
der ... Ihrö... in allerunterth. zu erin⸗
nern, was maſſen: jedoch beruhet u. ſ. w.
nebſt noch einigen ſolchen Sächelchen überant⸗
wortet; ſo darf der Mann gehen, er wird ſei⸗
ne Rolle ſpielen, fo gut — und unter uns,
hbeſſer; n ohne Anſtoß — als ein
5 Menſch,
124 Der Mann
ſind, bei einem ganzen ihn den gemein⸗
ſten Schuh machen zu lehren, und dann
ſprechen Sie, ob wir nach drey oder vier
ſauren Lehrjahren, bei unſerm Berufe Ver⸗
ſtand und Erfindung, ob wir unfern Kopf
entbehren koͤnnen? — und wir, wir ſoll⸗
ten fo tief unter ihnen ſtehen 2 „
„„Aber — ſpricht der gemeine Wahn 6)
das Amt von dem Landesfuͤrſten! die Be⸗
die⸗
Menſch, der mit Wiſſenſchaften, mit Spras
che, mit Lektur vorbereitet iſt, ſich in Aufſätzen
gelbt, und der nicht ſelten das Unglück hat,
ſich ganze Seiten wegſtreichen zu ſehen, weil
fie nicht recht biedermänniſch Kanzleyſtil wa⸗
ren.
6) Wahn iſts, und eben darum mußte er beſteit⸗
ten werden. Der Landesfürft wird hier zur
Unzeit eingemengt. Wenn ſeine Hand das⸗
jenige adelt, was von ihm berührt wird, gut,
auch die Stalljungen werden von ihm ange⸗
nommen; durch den Oberſtſtall meiſter, in
der That; aber werden dann Sie unmittelbar
von ihm angenommen? Gewiß mein Herr,
dieſe Vergleichung, wenn ich ſie weiter führte,
wäre für fie nicht günſtig. Bedienung: jeder,
der in Landesfürſtlichem Brode ſteht, hat eine
Bedienung: es kömmt alſo darauf an, was
für eine ? und nun ſchlüſſe ich gleich dit
folgende Anmerkung an: nicht der
ohne Borurtheil. 125
dienung, ſo ſie bekleiden! — Gut! gut,
ich verſtehe es, der Mann ohne Vorurtheil
dieſer groſſe Weltweiſe hat uns gelehrt,
uͤber dieſes Amt, dieſe Bedienung hinweg⸗
zuſehen, und nichts als den Mann 7) im
Geſichte zu behalten. Was hindert mich
nun, einem gofkon⸗⸗ einen Zofſchuſter
entgegen zu ſtellen? Laiſt bleibet Laiſt! Iſt
es aber nur um den Titel zu thun: Ei!
warum ſollte man nicht auch geheime Ra⸗
binetsſchuſter machen koͤnnen? 8) „
„Will man ſich auf Beiſpiele, auf die
Uebereinſtimmung geſitteter Nationen be⸗
rufen 9), welche dergleichen Handwerke
zu
7) Mann, ſondern feine Beſchäfftigung, ſondern
ſein Nutzen für das gemeine Wohl, ſondern
feine Kenntniſſe, dieſe will ich im Geſichte be⸗
halten, ohne durch abgewürdigte Titel ge⸗
blendet zu ſeyn: Utilitas, ſagt der Dichter,
magnos homines facit ——
8) Das war ein kleiner Runſtgriff, daß Sie die
Klaſſe vermengen. Eine Kurrent, Fraktur,
u. ſ. w. öffnet noch keinem das Kabinet: aber
macht ihm Hoffnung zu einer Dorfſchule.
9) Beifpiele erweiſen nur That, kein Recht.
Einer unſerer beſten Schriftſteller merkt an,
N daß
126 Der Mann
10) zu den niedrigſten Rangſtufen verwei⸗
fen; fo ruͤcke ich mit meinem Rlim heraus,
und zeige, daß andre Voͤlker, Innwohner
der untern Welt, vernünftige Potuaner,
uns uͤber die Kuͤnſtler, ja uͤber die Klaſſe
der Gelehrten hinaufſetzen. Sehen Sie,
mein Herr! die Gründe, worauf unſre
Anſpruͤche ruhen. Nichts geht ihnen ab,
als daß ſie aus ihrer uͤberzeigenden Feder
flüffen, und unſre Erhebung iſt nicht mehr
ferne. „
Nuͤ.
daß im vorigen Jahrhunderte an allen Höfen
Bofnarren und ... gewöhnlich geweſen,
und in Anſehen geſtanden; ſehen Sie, was
das heiſſen könnte, wenn Beiſpiele bewieſen!
10) Abermal vermengen Sie, und Sie haben
Recht, Sie e nur bei Verwirrung. Die
Sandwerker können vielleicht manchem das
Beiſpiel der Beſcheidenheit geben. Sie find
billig genug, den Rünften, welche gröſſere Ge⸗
ſchicklichkeit und Kenntniſſe ſodern, den Rang
zu laſſen: und ſelbſt unter ſich haben ſie eine
Art von Rangordnung, die ſich nach der meh⸗
reren oder wenigern Geſchicklichkeit richtet, die
zu dieſem oder jenem Handwerke erfodert wird.
ohne Vorurtheil. 127
„RNuͤcken Sie uns zu dieſen Federar⸗
beitern hinauf 11), oder ſtoſſen Sie die⸗
sg wenigſtens zu unt — zu dem Laiſte
her⸗
11) Ich würde der bürgerlichen Giſelſchaf einen
drr größten Dienſte erweiſen, wenn ich die
Klaſſe des Volkes, die aus Sandels leuten, aus
Künſtlern, aus Sandwerkern beſteht, in die
Achtung wieder einſetzen könnte, woraus ſie
ein unbilliges Vorurtheil verdrungen. Ich
würde dem Vaterlande ſo viele geſchickte, er⸗
findſame Talente erobern, die die Gränzen
der nützlichen Erfindung erweitern, die Er⸗
zeugniſſe der Künſte vollkommener machen,
die Handlung ausbreiten, der Nation Reich⸗
thum, Stärke, Ruhm verſchaffen könnten. Iſt
es nicht lächerlich, daß ein Mann, der einen
neuen Zugbuchſtaben erſonnen, den Vorzug
auch nur vor dem fodern darf, der den Brat⸗
tenwender erfunden? —
Aber ich muß mich erklären: Ich verlange nicht,
Bürger, die nützlich, die in gewiſſem Verſtan⸗
de nothwendig ſind, herabzuſetzen: ich wünſche
nur, daß ein vorurtheil aufhören möchte,
welches den Rünften und Zandwerken die fä⸗
higſten Köpfe geraubt: ich wünſche, daß die
nothwendigſte Gattung der Bürger wenigſtens
über den Dunſtkreis der verachtung ſteigen
möge: tm: wir wollen ein Bündniß einge⸗
hen:
128 Der Mann
herab, wie es Ihnen am ſchickſamſten
duͤnket. Ich bin nebſt der ganzen Lade
N Mein Herr |
Dero Verehrer: N. N.
Vorſteher und aͤlteſter einer
ehrſamen Schuhmacherzunft.
XVII.
Waun der Both des Ungluͤcks, der dro—
hende Komet, über den Haͤuptern der Men-
ſchen glaͤnzet, und ſeine furchtbare Ruthe
von einem Ende der Erde zu dem andern
ausſtrecket, dann zittert alles in banger
Erwartung, und harret, ob Krieg oder
Hunger, oder ſchleichendes Sterben die
Welt verheeren werde: jeder zieht dann
mit ſich ſelbſt Rechenſchaft, und verſagt
ſich
hen: ich bin bereit, die Herren von der eder
als ſehr anſehnliche Leute, als Leute, auf deren
Schultern der Staat ruht, anzuſehen: aber
fie ſollen fo billig ſeyn, meine rechtſchaffenen
Mitbürger, vom achtungswürdigen Sans
delsmann an, durch alle Stufen, bis auf
den ehrſamen und nügbaren Schuſter, nach
den Graden ihres Beitrags zum all gemei⸗
nen Beſten, zu ſchaͤtzen, und hochznachten!
ohne Vorurtheil. 129
ſich jede Luſt, und raubt ſich jede Freude,
die kommende Strafe abzuwenden, und
Menſchenliebe, und verſcheuchte Tugend
kehren zu den Wohnungen der Sterblichen
wieder — So herrſchet Sittſamkeit und
Maͤſſigung im Aufwande in Haͤuſern, wo
ſonſt Verſchwendung und Ueppigkeit haus⸗
hielten, ſeit der Zeit, da ich die beruͤch⸗
tigten Verſchwender und Verſchwenderin⸗
nen aus dem Haufen auszuleſen, und zum
Beiſpiele der Stadt auf ein Schandgeruͤſt
auszuſtellen drohte —
Ich will nicht unerbittlich ſeyn. Da
meine Abſicht nur ihre Beſſerung iſt; ſo ſoll
dießmal das ſchon gezuͤckte Schwert in die
Scheide wiederkehren, ohne zu ſchlagen.
Aber ſeine Streiche ſollen ſich verdoppeln,
fo bald fich die Verſchwendungsſuͤnden haͤu⸗
fen, und abermal alles Fleiſch ſeinen Weg
verderben wird.
Dieſe Verſoͤhnlichkeit ſoll inzwiſchen
niemanden irre fuͤhren: ich werde nie
ſchlummern. Es liegt bereits ein ziemlich
dickes Haͤft zur Hand, worin alle dieje⸗
nigen aufgezeichnet ſind, welche ſich durch
Kleider und Kutfchen, durch Ringe,
und Geſchmuck, durch Spiele, und Aka-
II. Theil. J de⸗
130 Der Mann
demien, und Magdalenen in der Stadt
zu Grunde gerichtet haben. Es geht nur
noch eine kleine Eroͤrterung ab, damit die⸗
ſes Baͤndchen vollkommen werde, welches
dann unter der Aufſchrift: Galerie der
verſchwendung: oder: Der glänzende
Weg zum Hofpitale, gewandert von
allen denen, welche in dieſem Bande
enthalten ſind; erſcheinen ſoll.
Die Eroͤrterung, die mir zur Vollendung
eines ſo erbaulichen Werkes abgeht, muß
mir von unfern Zandelsleuten, und Ju⸗
welirern mitgetheilet werden. Ich habe
dieſelben meinen Wunſch wiſſen laſſen, und
ſie haben ſich ſogleich willfaͤhrig gezeigt,
aus ihren Handlungsbuͤchern diejenigen mir
auszuzeichnen, welche den Aufwand, durch
den ſie ihre Nebenbuͤrger zu verdunkeln
geſucht, auf Borg gemacht haben. Sie
haben noch mehr verheiſſen, als ich gefo⸗
dert: ſie wollen auch anmerken, wie lange
es ſchon iſt, daß dieſe oder jene Waare
ausgenommen worden, und fie verſichern
mich, daß einige darunter faſt von un⸗
denklichen Zeiten, und ein ſehr groſſer
Theil derſelben bereits unter die verlor⸗
nen Poſten zu rechnen ſind.
f N Soll
ohne Vorurtheil. 131
Soll dieſes Buch wahrhaft lehrreich
ſeyn, ſo wuͤnſchte ich, mit allen denen ge⸗
naue Bekanntſchaft zu errichten, welche
ſo chriſtlich ſind, im Falle eines dringen⸗
den Beduͤrfniſſes, ihren Nebenmenſchen
auf ein vierfaches Unterpfand und gegen
leidlichen Zins von 20 pr. 100 zu lei⸗
hen, oder die ausgenommene Waare auch
um den halben Werth abzuloͤſen. Nichts
koͤnnte ergoͤtzender ſeyn, als wenn man
die wunderbare Wanderung eines Ringes
vom Juwelier zu Eriſten, von Kriſten
in das Pfandamt, dann wieder einige
Tage zu Kriſten, und abermal zu dem
Ausleiher, von dieſem letztlich, nach ge—
richtlicher Abſchaͤtzuug und Uebernehmung,
abermal in die Haͤnde eines andern, wo
er bald wieder denſelben Kreis ablaufen
wird, mit anſehen koͤnnte. Der pythago⸗
riſche Wanderungskreis wuͤrde hier wenig⸗
ſtens ein ſehr aͤhnliches Bild finden.
Doch ich vergeſſe, daß ich, die Straf-
ruthe der Ueppigkeit auf einige Zeit einzu⸗
ziehen, verheiſſen habe.
J 2 XVIII.
132 Der Mann
XVIII.
D as wäre alſo entſchieden: Capa⸗kaum
wird weder eine von den niederen Seder-
bedienungen ſuchen: denn dazu hat er
zu viele, noch eine von den höhern,
denn dazu hat er zu wenig Gelehrſam⸗
reit. Er hat nicht feine beſten Jugend⸗
jahre ruͤhmlich verwendet, eine Sprache zu
lernen, die er nie reden, noch ſeinen Kopf
darangeſtrenget, Renntniſſe zu ſammeln,
die er in ſeinem Leben niemals nuͤtzen wird.
Der Aermſte! kann weder Latein, noch
die griechiſchen Aoriſten. Man hat ihm
keine von den Anleitungen gegeben, die
man uns andern ſo wohlwollend mittheilt.
Rouſſeau! wage es, deine Wilden mit uns
zu vergleichen!
Wie ungluͤcklich waͤre der Vater meines
Zoͤglings, wenn er einen kennte! Sein
Junge waͤre groß gewachſen, und haͤtte
nicht Verſe gemacht, die wenigſtens Vir⸗
gilen beſchaͤmen koͤnnten; und haͤtte nicht,
wie Cicero vom Rednerftuble geredet: er
haͤtte Leibnigen und Locken mit feinen
bündigen Schluͤſſen nicht zum Schweigen
gebracht; nicht mit der Eilfertigkeit eines
Ike
ohne Vorurtheil. 133
Iſckus ) von allen Erſcheinungen der Nas
tur geſprochen; nicht mit a Xx b x be
wieſen, daß eine krumme Linie keine ge⸗
rade iſt, daß ein ſchwerer Koͤrper noth⸗
wendig fallen muß, und noch unendliche
Dinge mehr, uͤber die ein gluͤcklicher Va⸗
ter unſrer Geſellſchaft erſtaunet, wann er
voll zaͤrtlichen Vatergefuͤhls dem funfzehn⸗
jährigen Dichter, Redner, Philofophen,
Algebraiſten, Gröſſenkündigen, und was
weis ich, was noch alles mehr, die Arme
um den Nacken wirft, und dieſes, wie
man ihn nach dem drollichten Ausdrucke
eines Theatraldichters mit Rechte nennen
mag, Compendium aller Wiſſenſchaften,
mit ſtolzer Empfindung betrachtet, und bei
ſich ſaget:
„Wer gab, wie dieſer iſt, dem Staat
je einen Buͤrger?
„„Aber, ſagte mein lehrbegieriger
Freund, und Schuͤler: wenn ich beſtimmt
bin, in ihren Geſellſchaften zu leben, wenn
ich einen Theil derſelben ausmachen ſoll,
warum wollen Sie mir nicht diejenige An⸗
ſchickung geben, die mich faͤhig machet,
33 mei⸗
*) Sermo Iſœo torrentior, ſagt Juvenal.
134 Der Mann
meinen platz darin wuͤrdig zu behaupten?
warum — „
Guter Jüngling, fiel ich ihm ein, das
iſt nunmehr zu ſpaͤt: deine Zeit iſt voruͤ⸗
ber. Mit einigen zwanzig Jahren, wie
du haben magſt, lernet man ſolche Dinge
nicht mehr: das ſind die Beſchaͤftigungen
der Jugend: Beredtſamkeit, Dichtkunſt,
weltweisheit, das find Gedächtniß⸗
werke: dazu muß man die gluͤcklichen
Jahre anwenden, wo das Behältniß der
Kenntniſſe noch unangefuͤllt, wo das Ge⸗
hirn noch unverbärtet, noch jedes Ein⸗
druckes faͤhig iſt; faͤhig iſt, was hinein
getragen wird, in ſich zu verſchluͤſſen; die
gluͤcklichen Jahre, wo das Kind, gleich
einem Wachſe der bildenden Hand gehor—
chet, und gelehrig die Geſtalten annimmt,
die ſie ihm mittheilet.
Capa⸗kaum ſah mich mit ſehr zwey⸗
deutiger Mine an. Ich hatte ihm von der
Beredtſamkeit, der Dichtkunſt, der Welt⸗
weisheit ganz andre Begriffe beigebracht.
Er dachte bei dem Worte Beredtſamkeit
immer, einen Demoſthenes, einen Cicero,
aus deren Meiſterſtuͤcken ich ihm manche
Stuͤcke uͤberſetzter vorgeleſen. Wenn er
von
ohne Vorurtheil. 133
von Dichtern hoͤrte; fo fiel ihm Zomer
und Virgil, oder Klopſtock, Ramler,
Uz, Kleiſt, und ſolche Männer ein”);
und bei dem Namen Weltweisheit huͤllte
er ſonſt ſein Geſicht mit Ehrfurcht ein: ſo
einen groſſen Begriff hatte er ſich von der
Wiſſenſchaft gemacht, an deren Ehrentem⸗
pel, auf der einen Seite Sokrates, auf
der andern Leibnitze, Wolfe, und New⸗
tone unſterblich glaͤnzten — Und itzt hoͤrte
er, daß ich ſo freygebig mit dieſen Namen
war, ſie unbärtigen Knaben beizulegen;
daß ich dieſe Wiſſenſchaften Gedaͤchtniß⸗
34 wer⸗
) Seit dem preiswürdigen Nachdrucke, wo⸗
durch Patriot T = = die beſten Schriftſteller
unter uns bekannt, und die Genies von ganz
Deutſchland aufgemuntert hat, kann ich es
Umgang haben, bei den Namen dieſer wür⸗
digen Schriftſteller — welche Frankreich und
England bewundert, und nur noch eine Nach⸗
barinn neben mir nicht ſo viel will gelten
laſſen, ais — eine Anmerkung zu machen.
Aus dieſem Merkmale wird ein deutſcher Sko⸗
liaſt genau das Jahr errathen, worin dieſt
Blätter geſchrieben worden: denn noch ein
Jahr vorher hätte ich erklären müſſen: wer
it Blei? und Klopſtock ? 5
136 Der Mann
werke nennte. Ich errieth es, was für
ein Zweifel ihn quuͤlte, ohne daß er ſich
getrauet hatte, ihn zu entdecken. Denn ich
hatte ihm den Grundſatz eingefloͤſſet, der
manchem unſrer jungen Allwiſſenden nicht
genug eingeprägt werden koͤnnte: man
muͤſſe mit ſeinem Urtheile behutſam, zu⸗
ruͤckhaltend ſeyn, in allen Sachen, worin
wir uns nur eines geringen, eines oben⸗
hinigen Kenntniſſes bewußt ſind. Doch
da ſein Unterricht mein Endzweck iſt; ſo
brachte ich ihn ſelbſt auf den Weg, mir
ſeinen Zweifel zu eroͤffneu. Er that es
mit der Beſcheidenheit eines Menſchen,
der belehrt zu ſeyn wuͤnſchte. | :
Wohl, beantwortete ich ihm feine Fra⸗
ge: ich rede in dieſem Augenblicke, nicht
nach meinem Gefuͤhle, nicht nach dem,
was ſeyn ſollte, ſondern nach dem, was
wirklich iſt. Ich habe dir hier gleichſam
einen Grundriß der erſten Bildung unſrer
Jugend gegeben: man faͤngt da an, wo
man aufhören ſollte. Was der Knabe in
feiner Rindheit gelehret wird, erlernet
er nie: und was er wiſſen ſollte, was er
erlernen könnte, das wird er nicht ge⸗
lehret. Wundre dich uͤber die wiſſen⸗
ſchaft⸗
.
ohne Vorurtheil. 137
ſchaftliche Erziehung unſrer künftigen
Bürger! fie verdient bewundert zu wer:
den!
So bald der Knab anfaͤngt, das Werk⸗
zeug ſeiner Ausſprache durch einen Inſtinkt
zu üben; ſo bald ſich, bloß triebmäſſig,
die Zunge durch die erſten Lalltöne ent⸗
wickelt, fo iſt eine Amme, eine Binder:
wöärterinn ‚oder ſonſt ſolch ein Geſchöpf
zur Hand, die ihm Wörter vorſagen: und
es iſt dann ſehr natuͤrlich, daß alles in
verkehrter Ordnung geſchieht. Gemeinig—
lich fangen ſie bei den Benennungen der
Theile des Geſichtes an: Wo iſt dein
Auge v — hier — deutet die kleine Puppe!
und deine Naſe ? — hier — und dein
Berz das Kindchen zeigt auf feine Bruſt:
die gefaͤllige Mutter wundert ſich uͤber den
vorreifen Verſtand des Kindes, und
Der alberne Vater lachet, daß ſein
Kind durch unvernuͤnftige Weiber verdor—
ben wird. Wie viele Fehler mit einmal!
Warum uͤbet man das Kind an feinen ei⸗
genen Gliedern, die es nicht ſiehtv es
iſt gewiß, daß es auf dieſe Weiſe den
eiteln Schall des Worts merket, ohne
einen Begriff damit zu verbinden. Die
Ir⸗
138 Der Mann
Irrungen der Kinder, da ſie oft auf den
Mund weiſen, wann man ſie um die Naſe
fragt, dieſe Irrungen, worüber man la⸗
chet, weil man ihre Folgen nicht einſieht,
beweiſen es deutlich, daß ſie nichts von
dem verſtehen , was man fie fragt; und
daß ihre Antwort bloß ein Werk der thie⸗
riſchen Maſchine iſt; fo wie ungefähr das
kleine Aeffchen, Jungfer Liſe, in der
Huͤte des Gauklers, Verbeugungen macht,
und auf die Frage: Welches iſt die
ſchönſte Dame aus der ganzen hochan⸗
ſehnlichen Geſellſchaft y nach dem ge⸗
heimen Merkzeichen ſeines unbarmherzigen
Meiſters bei derjenigen in der Reihe ſtehen
bleibt, die am beſten bezahlet hat: ohne,
daß dieſe jemals in einem Wettſtreite der
Reize das Urtheil des haarichten Paris
zum Beweiſe anfuͤhren wird.
Wenn man ja fuͤrchtet, daß ein Kind
ſeine Gliedmaſſen zu ſpaͤt kennen lernen
wird; obfchon die Natur dafuͤr geſorget,
da der Gebrauch daſſelbe mit dieſen Werk⸗
zeugen nothwendiger Verrichtungen gar
bald bekannt machen wird; wenn man es
aber dennoch fuͤrchtet, warum zeigt die
Amme dem nachlallenden Papagey nicht
lie:
ohne Vorurtheil. 139
lieber ihre Naſe, ihre Augen: und ſagt:
fieb Männchen! das da iſt die Naſe!
das die Augen! Haͤtte es damit ange⸗
fangen, und ihm das, was fie ihm nen=
net, wirklich gezeigt, ſo wuͤrde in der Ein⸗
bildung des Kindes ſich das Bild feſtgeſetzt
haben: und nun waͤre die Magd mit dem
Kinde vor den Spiegel getreten. Nach
der erſten kindiſchen Bewunderung, feine,
Amme im Spiegel zu ſehen, nach den er=
ſten Spielungen an dem taͤuſchenden Glaſe,
nach erſchoͤpfter Neugierde, haͤtte ſie ge⸗
fragt: wo iſt die Naſe des kleinen Büb⸗
chens in dieſem Spiegel da ich müßte
mich ſehr betruͤgen, oder es wird bei dem
Worte Naſe gegen den Spiegel zufahren,
und ſie an dem Kinde darin zeigen wollen:
ob es zwar hernach ſehr verlegen ſeyn wird,
wenn ſeinem Haͤndchen auf der Oberflaͤche
des Glaſes ein anders entgegen gefahren
koͤmmt, das ſich mit ſeinem zu vereinba⸗
ren ſcheinet.
Nicht genug, das dem Kinde nur der
Schall der Woͤrter eingepraͤget wird; wann
ſie nachzulallen anheben, ſo lernen ſie
auch . Wörter immer nur ſchlecht aus⸗
ſpre⸗
140 Der Mann
ſprechen, in zweyfachem Verſtande ſchlecht;
und aus verſchiedenen Urſachen —
Aeltern! denket weniger, daß eure Kin⸗
der zu eurer Ergötzung ihr Daſeyn erhal⸗
ten haben, als um dereinſt Menſchen,
Bürger zu ſeyn! oder wenn ihr ja den
füffen Namen Vater nothwendig mit der
Ergötzung verbunden glaubt — es wird
das Gluͤck der Geſellſchaft ausmachen, wenn
dieſe Meinung allgemein iſt — ſo ſuchet
dieſe Ergötzungen nur nicht auf Unkoͤſten
des Kinds, das ihr glücklich zu machen
verpflichtet ſeyd, und wuͤnſchet. Suchet
dieſe Ergoͤtzungen nicht in den Gaukeleyen
der kleinen Spielthiere. Es ſind keine
Affen, die ihr vor euch habet: es ſind
Kinder , die Bürger werden, die eure
Stelle in der Geſellſchaft beſetzen, wann
ihr dereinſt abtretet, die Freude, der Stab
eures Alters werden ſollen. In Sachen,
die euch vorhinein zeigen, daß ſie eure
Hoffnung, daß fie ihre Beſtimmung er⸗
füllen werden;; in dieſen findet das Rei:
zende der Kindheit!
Kaum hat man die erſten Töne wahr:
genommen, da heißt es: das Kind faͤngt
ſchon an zu reden. Habt ihr es verſtan⸗
den?
ohne Vorurtheil. 141
den? nein! Wohl denn! es hat nicht ge⸗
redet, es hat einen thieriſchen Laut von
ſich gegeben, wie es andre Thiere auch thun,
ohne daß man das Winſeln des Hundes,
noch das Wiehern des Pferdes für Spra⸗
che halten will. Aber nein: es iſt ein
Menſch, es muß durchaus Sprache ſeyn!
Und weil man dieſe Sprache nicht verſteht;
fo quaͤlet man ſich, heraus zu bringen, was
das Kind gemeint haben koͤnnte. Verge⸗
bens rufe ich der vernaͤrrten Mutter zu:
das Rind kann noch nichts meinen! ſie
hoͤrt mich nicht, ſie raͤth auf dieß, auf
jenes; und weil endlich das Kind bei einem
Apfel, oder Zuckerbrod eine freudige Ge:
behrde gemacht, und ruhig geworden; ſo
heißt der unverſtändige Laut Zuckerbrod
und Apfel.
So macht man den Kindern immer eine
eigene Sprache. Wenn man ihnen Sachen
vorſagt, die fie wegen der Ungelenkſamkeit
ihrer Zunge nicht nachſprechen koͤnnen, und
verzerren und verunſtalten; ſo heißt die
zur Unzeit gefaͤllige Kindermagd, und die
unvernuͤnftige Mutter das Ding kuͤnftig
immer nach dem verunſtalteten Laute des
Kinds: und man ſollte ſagen, nicht das
Kind
142 Der Mann
Kind hat von ihnen, ſondern ſie von best
Kinde zu lernen.
Indem ſie ſich nun Muͤhe BR nicht
das Kind die rechte Ausſprache der Wörter
zu lehren, ſondern ſeine uͤbelausgeſprochene
zu errathen; ſo ergoͤtzt ſich Mama an dem
kleinen Schwäger, deſſen Zunge nach und in
nach Feſtigkeit erhält, aber noch nicht zur
wahren Sprache gelenk iſt. Wir wuͤrden
weniger Stotterer haben, weniger Leute,
die liſpeln, mit der Zunge anſtoſſen,
ſchnarren, dieſe oder jene Buchſtaben nicht
ausſprechen koͤnnen, wenn die Muͤtter we⸗
niger nachſehend — darf ich den Ausdruck
des nicht heuchelnden Unwillens wählen ?
weniger Närrinnen wären. Mit Verwun⸗
derung habe ich in einem Haufe von Anſe⸗
hen, einen einzigen Sohn in ſeinem eilften
Jahre den Löfel, Lölel nennen gehört, weil
man ihm in der erſten Kindheit darin nach⸗
geſehen. Der Knab, der ſonſt faͤhig, und
gut geartet war, vermied mit aller Sorg⸗
falt dieſes Wort, und eine feurige Roͤthe
uͤberzog ſeine Wangen, wann es ihm beim
Tiſche entfuhr. f
Sind Aeltern, welche die erſte Sprache
ihrer- Kinder fo verderben laſſen, nicht in
der
ohne Vorurtheil. 143
der That gegen ſie ſehr grauſam? ſie ver⸗
doppeln ihre Muͤhe, und rauben ihnen eine
koſtbare Zeit, die zu einem beſſern Gebrauch
haͤtte verwendet werden koͤnnen. Denn der
heranwachſende Knabe muß die kindiſche
Sprache verlernen; und nun erſt menſch⸗
lich reden lernen.
XIX.
Als dem artigſten Munde unſrer jungen
adelichen Schoͤnen habe ich uͤberhaupt die
pöbelhafteſte Ausſprache ſchallen gehört,
Das iſt wie eine Perlenmuſchel, die dem
Auge liebkoſet, aus welcher, da man ſie
Öffnet, ein unflaͤttiger Froſch hervorſpringt.
Ich weis nicht, ob mehrere Männer von
meinem Geſchmacke ſind: aber ich, kann
verſichern, daß das Niedre der Sprache
mir korallene Lippen, und ſtatt der Zaͤhne
gereihte Perlen, verekeln koͤnnte. So, wie
fonft ein ſchoͤner Mund dem artigen Aus-
drucke neue Reize mittheilet; ſo wird durch
die poͤbelmaͤſſige Sprache ein Geſicht, wor⸗
auf die Grazien thronen, und der Fruͤh⸗
ling der Jugend ſeine Noſen und Lilien ge—
ſtreuet
144 Der Mann
ſtreuet hat, das Geſicht der huldlaͤchelnden
Venus ſelbſt, verzerret.
Ihr Schoͤnen! deren Schrecken ich bin,
wo ich immer eintrete; die, bei meinem
Anblicke zuſammfahren, in ihren Gebehr-
den ſittſam, in ihren Minen anſtaͤndig, in
ihren Reden behutſam werden! Ihr Schoͤ⸗
nen, deren Reize beſtimmet ſind, der Lohn
des tugendhaften Juͤnglings, das Gluck,
die Erquickung des verdienſtvollen Mannes,
das Leben der Geſellſchaften zu ſeyn! glau⸗
bet einem Manne, der jeden eurer kleinſten
Winke beobachtet; der, ſo weit er kann,
jede geheime Falte eures Herzens ausſpaͤ⸗
het, und euch ſelbſt in dem Inneren eurer
Zuruͤckziehung mit ſcharfſehendem Blicke
verfolget; dieſem Manne, der in euch die
ſchoͤngeſtaltete Schoͤpfung ehret; der euch,
ſo wenig ihr es auch denket, hochſchaͤtzet;
dieſem, wenn ihr es erlaubt zu ſagen, eu⸗
rem Bewundrer glaubet! eure Reize fliehn,
ſobald der Mund ſich oͤffnet. Und waͤret
ihr gegen mich mistrauiſch, ſo fragt euren
Freund, den ihr fo oft des Tages zu Rath
zieht, den Spiegel, er wird euch in ſei⸗
ner Sprache ſagen: Elmire! du ſprichſt:
das Grübchen deiner Wange zieht ſich
in
ohne Vorurtheil. 145
in einen laͤnglichten Streifen, und ſcheint
eine Runzel zu ſeyn. Dein Mund wird
eine unebenmäflige Oeffnung, die gleich⸗
ſam aus ihren Angeln geſprungen. Die
ſchönen Zalbzirkel deiner Augenbrau⸗
nen, von deren Zöhe der Liebesgott
feine unfehlendſten Pfeile abdrücket,
firduben ſich zu einem unregelmaͤſſigen
Gebüſche empor. Die ganze bezau:
bernde Bildung — weg iſt ſie.
Zuͤrnet uͤber die Waͤrterinnen eurer
Kindheit! ſie ſind es, die daran Schuld
tragen: oder vielmehr uͤber die, die es den
gemeinſten Maͤgden uͤberlaſſen, eure erſten
nachahmenden Toͤne zu bilden. Dieſe Haͤn⸗
de, dieſe Zuͤge, dieſer Wuchs und ganze
Bau des Koͤrpers iſt edel: aber die Spra⸗
che — iſt Pöbel.
Auch ſo geht es mit dem Knaben, der
doch kuͤnftig ſich mit einem gewiſſen Anſtan⸗
de ausdruͤcken, der vielleicht in einem Amtt
‚Öffentlich ſprechen ſoll. Seine Sprachwerk⸗
zeuge werden von einem Weibe geuͤbet,
das die Sprache ihres Dorfes ſpricht: ihr
Zoͤgling nimmt die ihrige an. Und nun,
wenn wir den Vortrag eines Mannes im
Amte mit geſchloſſenen Augen anhoͤren,
II. Theil. K wer⸗
146 Der Mann
werden wir denken, wir haben einen Win⸗
zer oder Dorfrichter gehoͤrt, und es war
ein — Hofrath.
Nunmehr hat der Knab ſein ſechſtes
Jahr erreicht. Man muß ihm einen
Lehrmeiſter geben! ſagt der Vater, und
eilet einen aufzuſuchen, der dem hoff»
nungsvollen Kinde die lateiniſche Sprach⸗
lehre beibringet, damit es bald ſtudieren
koͤnne. Denn Latein lernen, heißt man
immer Studieren.
Wie lange denkſt du, mein lieber Ca⸗
pa kaum, daß über dieſer Sprache hin⸗
gebracht wird? du daͤchteſt wohl nicht,
daß es ſechs Jahre ſind, die man dazu
verwendet! Sechs volle Jahre uͤber einer
Sprachen, die in der That vor tauſend
etlich hundert Jahren zu Rom am Zofe
im Schwange war, und von allen artigen
Leuten geredet worden, die aber zu unſern
Zeiten aus allen Geſellſchaften, bloß in die
finftre Studierſtube des . .. verbannet,
nirgend bei einer Nation uͤblich iſt, und
von der wir nicht einmal wiſſen, ob wir
nur die rechte Ausſprache noch übrig haben
Man hat in der That Muͤhe, etwas zu
finden, womit man die Jugend durch eine
ſol⸗
ohne Borurtheil. 147
ſolche Ewigkeit wenigſtens beſchäftige.
Die vier erſten Jahre dehnt man den
Unterricht fo ſehr aus, daß man erſt ges
gen das End des vierten dahin gelangt,
wohin ein gemeiner Sprachmeiſter in jeder
andern Sprache feinen Lehrling in den er⸗
ſten vier oder fuͤnf Monaten bringt.
Die Betrachtung, die ich mache, iſt
nicht neu, viele Väter haben fie vor mir
gemacht: aber fie find dennoch den Weg
aller Vaͤter gewandelt, und haben ihre
Soͤhne ſechs koſtbare Jahre verlieren laſſen.
So viel Gewalt hat das Beiſpiel und die
Surcht, auch in offenbaren Verbeſſerungen,
ein Sonderling zu heiſſen.
In meinen Augen haben die Alten fuͤr
uns Neuere immer als die Quelle des
ſchoͤnen Denkens gegolten: und das, was
der lateiniſche Geſetzgeber des guten Ge—
ſchmacks, Zoraz feinen Roͤmern zuruft:
Blättert in griechiſchen Schriftſtel⸗
lern Tag und Nacht!“)
das kann man denen, welche in dem Fache
der ſchoͤnen Wiſſenſchaften etwas zu lei⸗
K 2 ſten
*) — — exemplaria græca
Nocturna verfate manu, verfate diurna?
148 Der Mann
ſten Willens find, nicht zu ſehr zurufenz
Jünglinge! blättert mit unverdroßner
mühe die Alten, ſowohl Lateiner als
Griechen durch! fie find die Mufter,
aus denen ihr euch bilden könnet. Sie
haben in dem Buche der Natur geleſen,
und uns ihre Entdeckungen überliefert.
Wer alſo nur etwas leiſten will, der kann
die Sprache der ſchoͤnen Geiſter des Alter⸗
1 thums nicht entbehren. Aber iſt dieſe lang⸗
weilige Art, ſie zu erlernen, nothwendig?
iſt es nothwendig, die gluͤcklichſten Jahre
zu verlieren ?
Auf den Haiden des Koͤnigreichs Hun⸗
garn habe ich oft einen Jungen hinter dem
Vieh hergehen geſehen, der mich, obgleich
nicht in zierlichem, dennoch in ganz ver⸗
ſtaͤndlichem Lateine um ein kleines Geſchenk
anflehte. Der junge Viehhirt hat wenig⸗
ſtens dieſe Fertigkeit nicht auf der Schul⸗
bank erworben; und er beweiſt, daß dieſe
Sprache ſich eben ſowohl, wie jede andre,
durch die bloſſe Uebung beibringen laſſe.
Aber ich kann ein noch uͤberzeugenderes
Beiſpiel anfuͤhren.
Nicht ferne von den Graͤnzen, die
Steyermark von Kaͤrnten abſoͤndern, lebte
ein
ohne Borurtheil. 149
ein Mann, der lange Zeit im Felde ge⸗
dient, und der der Ehre ſowohl als der
Muͤhe ſatt, ſich ein kleines Dorf zur
Freyſtadt erwaͤhlet hatte, wo er in Geſell⸗
ſchaft einer noch in ihren reifern Jahren
angenehmen Gattinn ſeine uͤbrigen Jahre
verleben wollte. Dieſes Paar, das ſich aus
Liebe geehliget, durch Freundſchaft feine
Ehe vergnuͤgt gemacht hatte, war einander
zur Geſellſchaft hinlaͤnglich. Doch ſeufze⸗
ten ſie oͤfters, daß ihrem Wunſche der
Segen der Ehe nicht gewaͤhret worden.
Endlich ward ihrer Sehnſucht ein Erb ge⸗
ſchenkt, der beider ganze Sorgfalt auf
ſich zog. Die Mutter, eine Frau, werth
dieſen Namen zu tragen, wartete mit klu⸗
ger Hand des zarten Sproͤßlinges, und be⸗
ſchuͤtzte ihn wider jeden Hauch einer uͤblen
Neigung: nur Tugend durfte unter ihrer
Hand aufkeimen. In ſeinem vierten Jahre
uͤbernahm ihn der Vater, und gab der nun
ſich verſtaͤrkenden Pflanze die Richtung, die
fie in ihrem Wachsthume annehmen follte.
Der Vater hatte in dem Umgange mit der
Ehre des Alterthums zu viel Vergnuͤgen
genoſſen, als daß er ſeinem Kinde, nicht
eben daſſelbe zu verſchaffen, begierig ge:
K 3 wer
150 Der Mann
weſen waͤre. Aber an dieſem einſamen Orte,
wo kaum jemand zu finden war, der leſen
konnte, wo waͤre der Mann geweſen, der
ihm in der lateiniſchen Sprache einen Un⸗
terricht haͤtte geben koͤnnen? Ungeachtet ich
taͤglich in den Werken des Cicero, hoͤrte
ich ihn erzaͤhlen, ungeachtet ich taͤglich in
den Geſchichtbuͤchern des Livius, des Ta⸗
citus, in den beſten Dichtern der Lateiner
las, die ich vollkommen verſtand, und
deren Sprache ich, ſo wie es fuͤr unſre
Zeit moͤglich iſt, auch redte; ſo konnte ich
es mir weder zutrauen, noch mich dazu
entſchluͤſſen, meinem Sohne die Regeln der
Sprache zu lernen; und ich entſchloß mich,
einen Verſuch zu machen, ob es nicht auf
einen andern Weg angehen wuͤrde, ihm
das Latein zu geben. Ich hub es ſo an.
Meine Gattinn machte ſich, ſo wenig als
moͤglich mit dem Kinde zu ſchaffen, ich aber
ließ es deſto weniger aus den Augen: es
mußte beſtaͤndig um mich ſeyn, in meiner
Stube ſchlafen, ſpielen, alles verrichten.
Und waͤhrend dieſer ganzen Zeit ſprach ich
mit ihm nur Latein, und ließ es, was es
verlangte, in eben der Sprache verlangen.
Weil ich auf diefen Einfall etwas zu ſpaͤt
ge:
2 — A En
—
ohne Vorurtheil. 151
gerathen, ſo koſtete es anfangs einige Muͤ⸗
he: doch zuletzt brachte ich es in Gang.
Der Knab redte die lateiniſche Sprache
ohne Regel, bloß durch die anhaltende
Uebung, etwa fo, wie wir in der Kind-
heit unſer Deutſch, ohne die Sprachlehre
zu wiſſen, fertig reden; und da ich ihm,
ſo bald er wortreicher ward, die leichteren
Schriftſteller vorlegte, ſo ward er nach und
nach ſo ſtark, daß er, ſelbſt einige Reden
Cicerons mit ziemlicher Fertigkeit in feinem
achten Jahre zu erklaͤren wußte. — Da⸗
mals ſtarb die wuͤrdige Gattinn dieſes
Mannes, und ihr Todfall zwang ihn,
wegen der Erziehung ſeines Kindes, andre
Maßregeln zu ergreiſen.
Ich ſehe nicht, worin die Schwierig⸗
keit beſtehen ſoll, dieſes Beiſpiel nach—⸗
zuahmen, und warum man das Latein,
nicht wie das Franzöſiſche, in zwey Jah⸗
ren mit Huͤlfe eines Sprachmeiſters ſollte
erlernen koͤnnen. Denn ich will immer
Vaͤtern, die ihre Soͤhne wochenlang nicht
ſehen , nicht zumuthen, ihre ernſthaften
Beſchaͤfftigungen, ihre Spiele, ihre Klubbs
und Geſellſchaften zu verlaſſen, um einer
ſolchen Kleinigkeit willen, an der Erzie⸗
K 4 hung
152 Der Mann
hung eines Kindes zu arbeiten, welches
ein Miethling ganz leicht für ein Stuͤck
Geldes und einige Mahlzeiten, verrichten
kann, da fie ihrer Schuldigkeit genug ges
than, daß fie dem Kinde das Dee
ertheilt haben.
XX.
N. ſo vielen nicht ſtets im feinften
Stile abgefaßten Zunöthigungen meiner
Korreſpondenten, ihre eingeſendeten Briefe
im Druck zu geben, ſey dann ein Sünden⸗
bock hinausgeſtoſſen, der die Verbrechen als
ler andern trage, und durch feine Beſcha⸗
mung ein warnend Beiſpiel werde, ihre
Wuͤnſche nicht bis zur Unverſchaͤmtheit zu
treiben.) Gerade koͤmmt mir ein Schrei-
ben ein, welches ich nicht bloß wörtlich,
fondern buchfizblich einruͤcken werde. Es
waͤre Schade, wenn die kleinſte von ſeinen
Schönheiten verloren gieng. Damit ich
dem Vergnuͤgen der Leſer auch nicht das
Mindeſte raube, ſo will ich nichts davon
| vor-
) Das wäre alſo ein Original, und der Ton
der Sprache, und Höflichkeit des 1765ften
Jahres.
ohne Vorurtheil. 153
vorhinein melden, als daß ich die beſon⸗
ders wohl gewaͤhlten, und hervorſtechen⸗
den Ausdruͤcke durch den Druck unterſchei⸗
de, damit kein Wort davon auf die Erde
falle. 5 8
Mein Herr!
3 been e uͤberleſe ich eines ihrer
Wochenſchriften mit ausnehmendem Ver⸗
gnuͤgen, und bedaure nur, daß, ſoferne
von einem Gelehrten, wenn es in ihren
Augen noch einen giebt; zu ihren Ruhm
Entſcheidungen gemacht wuͤrden, oder
ihre lebhafte und gründliche Beurthei⸗
lung anrühmen wollte, ſich der Schu⸗
ſterausdruͤcke bedienen muͤſſe, um ihre be⸗
ſitzende Weltweisheit, und dem Staate
ſo heilſame Abſichten wuͤrdig erproben zu
können: Ja! und dieſes verdienen Sie,
und um deſto mehr verdienen Sie es, da
Sie ein genug bekannter, aber nicht ge—
nug belobter Schriftſteller find. „
„Daß ihre Wochen- Blätter die Sit⸗
ten und eingealte Mißbraͤuche zu berbeſſe⸗
ren zum Grunde haben; alſo ſprechen Sie
Herr M. o. V.: andere aber ſagen alſo:
Was man nicht verbeſſeren kann, und wo⸗
K 5 zu
154 Der Mann
zu die werckthaͤtige Mittel abgehen, dieſes
ſeye ein leeres Geſchwaͤz, ein Großthuen,
ein mit Gewalt erzwingende laͤcherliche
Gelehrſamkeit: und daß man alſo ſpricht,
dauor kann ich eben ſo wenig, als daß
ihren ſo weiſen Lehren nicht Folge geleiſtet,
und ſogar die angedrohte Straf-Ruthe ge=
hoͤhnet wird. „
„Daß ihre Wochen - - Blätter in die
Canzleyen, und ihr ſchon halb gelehrter
Capacaum in die Raths- Stube, in die
Concepte, in die Amts⸗Verrichtungen und
ſ. w. gleich dem gunde in die Kirchen
ſich eindringen; daß Sie von Hoͤheren und
Vorſteheren (o Weltweisheit) beftimmte
Beamte haͤcheln, und erſtere in denen letz⸗
teren dem pövel veraͤchtlich machen, be=
urtheile jene ſo ſtrenge, welche ſie glau⸗
ben, getroffen zu haben. Doch dieſes
gar nicht: dieſe koͤnnen ihnen aus dem
Rang Streit der Thiere des gelehrten
Hrn. Loͤſſings mit dem Loͤwe antworten:
„Der Rangs⸗Streit iſt ein unnuͤtzer Streit,
„ ſetzet mich zum erſtern oder letzten an, ich
„kenne mich „! und mit ſolcher Denkungs⸗
art werden fie die übrig verbleibende Par
they wohl nicht ſeyn wollen. „
| „ Wol⸗
r . ²ð Q w D o u an
ohne Vorurtheil. 155
„Wollen Sie vielleicht Herr Mann o.
V. von ihren Zoͤglingen einige Muſter zu
denen Aemtern liefern? Sie werden gewiß
ihren Nahmen verewigen; aber ich befoͤrch⸗
te, dieſe lobenswuͤrdige Unternehmung wuͤr⸗
de ſehr ſpat ausfallen, weilen Ihnen ſelbſt,
mein Herr Tadler, bis jetzo die Begrieffe
von Canzley⸗Verrichtungen manglen, und
noch viele Duzend halb nieder gebrennte
Lichter verbrauchen werden, bis Sie
ſich einige dieſer Kanntnüſſen beyle⸗
gen. „
„Daß Sie in ihren Wochen- Blaͤttern
einen Eigennutz ſuchen, das wirft man
Ihnen mit Unrecht vor: es iſt ja nach je=
dem Poſt⸗Tag ein guter Theil deren Exem-
plarien noch zu überkommen; nicht wegen
des uͤbertriebenen Preiſes: um 3 kr. laͤßt
ſich nicht viel Gelehrſamkeit kauffen,
noch zum Beyfall des geſammten Publici
aufklauben, und zweymahl die Woche
hindurch mit Authormäſſiger Ernſthaf⸗
tigkeit auftretten. Aber ſeit der Schu:
ſter - Correfpondenz trägt es doch ſchon
um ein merkliches mehr ein, beſonders, da
es ſich die Tagloͤhner, und was von der
Gattung mehr, beyſchaffen. „,
„ Was
156 Der Mann
„Was man weiters dem unnacham⸗
lichen Herrn Schriſtſteller ausſezet, was
vom Tadlen, vom Geſchwaͤze, von Ruhm⸗
redigkeit, von Schreiben ohne erzielen⸗
den Ende und erweißlichen Grunde Ih⸗
nen vorgeworffen wird, da habe ich ſchon
viele ermahnet, ſolche in Geheim zu hal⸗
ten, ſollten Sie es, H. M. o. V. irgends
inne werden, dann dieſes iſt ihre meiſte
Beſchaͤfftigung, diejenigen Derter zu ber
ſuchen, wo dergleichen Reden von ſtachel⸗
haften Müſſiggangern, oder ſich weiſe
dünkenden Schüllern gehalten werden,
wodurch ſie den Stoff zu Fortſezung der
gelehrten Bemuͤhung erlangen, ſo wuͤrde
man gewiß uͤbles Spiel haben. „,
„In Erwartung einer mich beehrenden
Antwort, welche ich ſchon lange meinem
Schneider verſprochen, der daran groſſen
Theil haben wird, gleich denen Schuſtern
in die gelehrte Geſellſchaft zu kommen, ver⸗
bleibe mit erſinnlicher Hochachtung,
| Mein Herr
Ihr Leſer aller ihrer bekannten
Ausarbeitungen.
Ich
u
e
n — *
E a u de rn ee
ohne Vorurtheil. 157
Ich habe zu dem Geſchmacke meiner
Leſer ein ſo gutes Zutrauen, daß ich
es ihnen uͤberlaſſe, dieſen Brief zu beur⸗
theilen. Er iſt mit der gewiſſenhafteſten
Genauheit kopirt; und es ſoll jedem, der
es verlangen wird, das Original bei dem
Ausgeber dieſer Blaͤtter gezeigt werden.
Was ich auch immer davon ſagen wuͤrde,
koͤnnte der Genugthuung nicht gleich kom⸗
men, die ich mir gebe, daß ich dieſen Brief
einruͤcke, und dadurch den Verfaſſer der
Verachtung und dem Gelächter des Publi⸗
kums uͤberlaſſe. Dieſes mag urtheilen, ob
ich nicht noch ſehr gelinde verfahre, wenn
ich ſo einen mechaniſchen Menſchen mit ei⸗
nem ehrbaren Handwerker in eine Klaſſe
verſetze. Doch bin ich auch nicht ſo un⸗
billig, ihn mit einer Menge rechtſchaffener
Leute zu vermengen, die die Nanzleyfor⸗
meln beibehalten, weil es einmal ſo ein⸗
gefuͤhrt iſt; die aber weit entfernet ſind,
ſie zu billigen, oder zu glauben, daß alle
Schriften, die ſich davon unterſcheiden,
und in einem edleren Tone geſchrieben
werden, nichts taugen —
Ich habe mit dieſem Briefe die Geduld
meiner Lefer gemißbrauchet, und bin nun
, ver⸗
IR: Der Mann
verbunden, Sie darüber in etwas ſchad⸗
los zu halten. Ich glaube, es nicht beſſer
zu thun, als durch die angenehme Nach-
richt: daß vor kurzem Herr Jacob Schmu⸗
tzer, ein wuͤrdiger Schuͤler Herrn Willes,
aus Frankreich wiedergekehret, und nun
ſeinem Vaterlande ſeine ſchaͤtzbaren Talente
widmen wird. Er gieng vor vier Jahren,
bereits mit vieler Faͤhigkeit vorbereitet, nach
Paris, und ward H. Willen empfohlen.
Dieſer groſſe Kuͤnſtler erkannte bald die
ſchoͤne Anlage ſeines neuen Schuͤlers, und
ſah in ihm ſeinen kuͤnftigen Nachfolger.
Die Anwendung Schmutzers ſagte ſeiner
Gabe zu, und er ward in dem Wettſtreite
der Geſchicklichkeit von der Akademie der
Kuͤnſte zu Paris für einen Rünſtler der
erſten Klaſſe erkläret. Er iſt ein vortref⸗
licher Zeichner. Seine Zeichnung iſt rich⸗
tig, und edel; feine Hand kuͤhn, fein Grab⸗
ſtichl ſicher, angenehm, wechſelnd, ſanft,
aber auch nachdruͤcklich, wenn es das
Subjekt fodert. Das groͤßte Zeugniß er⸗
hielt er von feinem unuͤbertrefflichen Mei⸗
ſter dadurch, daß dieſer eine von Schmu⸗
tzern geſtochene Blatte, die den koͤnigl.
polnifchen Hofmaler H. Dietrich vorſtellet,
gleich⸗
ohne Vorurtheil. 159
gleichſam fuͤr ſeine eigene Arbeit erklaͤret,
da er ſie eben dieſem Dietrich, einem
überall hochgeſchaͤtzten Kuͤnſtler und feinen
Freunde in feinem eigenen Namen zuge-
eignet hat. Frankreich iſt den Vorzug,
den es in den ſchoͤnen Kunſterzeugniſſen
vor andern Staaten behauptet, der Hoch⸗
achtung, welche es den Kuͤnſtlern wieder⸗
fahren laͤßt, groͤßtentheils ſchuldig. Eine
ruͤhmliche Nebeneiferung ſoll auch uns an⸗
flammen, Kuͤnſtler von unterſcheidendem
Talente durch oͤffentliche Beweiſe der Hoch⸗
ſchaͤtzung aufzumuntern.
XXI.
An Fraͤulein
ein Brieffragment.
u Seen Sie nicht in Zenobie und
Rhadamiſt die traurigen, die ſchrecklichen
Folgen der Eiferſucht? —
Ich nehme zu vielen Antheil an ihrem
Vergnuͤgen, als daß ich nicht wuͤnſchen
ſollte, Sie moͤchten das Schauſpiel geſehen
haben, womit die Impreſa den, dieſen
Staa:
160 Der Mann
Staaten glücklichſten Tag zu verhertli⸗
chen, ſich beſtrebet. Das Publikum dankt
derſelben durch meine Stimme. Alles,
Schauſpiel, Ballet, Muſik vereinbarte ſich,
unſer Vergnuͤgen zu vergroͤſſern. Das
Schauſpiel war von einem der beruͤhm⸗
teſten Dichter Frankreichs, ertraͤglich über⸗
ſetzt: und Zenobie, und der Geſandte
Rome! fo drückt ſich edler Unwillen aus,
ſo die beleidigte Liebe — das iſt das Bild
des Todes? Der Ballet iſt von vortreff⸗
licher Erfindung, der Zeit angemeffen ,
zuſammhangend, wechſelnd, und von dem
Stile der Muſik, wenn ich ſo ſagen darf,
auf das gluͤcklichſte unterſtuͤtzet.
Haben Sie, meine Freundinn! nicht
mit mir die Anmerkung gemacht, welche
Aufmerkſamkeit und Stille auf dem Par⸗
terre herrſchte? welche gluͤckliche Ahndung
des ſich bildenden Geſchmacks, ein ge⸗
draängtes Parterre in einem Trauer⸗
ſpiele! Und wie beſchaͤmte die Sittſamkeit
dieſes Platzes die Gallerie und ſo manche
Loge! Waͤre es Ihnen, fo wie mir gegan⸗
gen, fo bedaure ich Sie vom Herzen.
Gleich anfangs waren die Büchel alle
aufgekauft, ob ich mit meiner Geſellſchaft
gleich
Ä | ohne Vorurtheil. 161
gleich fruͤhe genug kam. Aber dieſes war
mir vielmehr ein angenehmer Beweis, von
dem, was ich oͤfters geſagt habe: das
gute Schauſpiel hat die ſtaͤrkſte Parthey —
Ich ſah neben mich; zwar von meiner
Nachbarſchaft verſprach ich mir gleich an⸗
fangs wenig gutes; aber fo arg erwar⸗
tete ich es dennoch nicht. Wenigſtens um
die Haͤlfte lauter, als die Schauſpieler,
ſprachen meine Nachbarinnen; und der
galbbaß der einen, war fuͤr Leute, die
zu hören gekommen waren, nicht ſehr er⸗
goͤtzend. Mein Ungluͤck wollte es dießmal
ſo, daß ich das ganze Stuͤck verlieren
ſollte. Vergebens zeigte ſich der Unwille
in meinen Minen; vergebens ſprach ich
vernehmlich genug, von Ungeberdig ſeyn;
vergebens wiederholte ich abermal und aber⸗
mal giſch! und St! Nichts half; ich muß⸗
te das Geſpraͤch, von hundert Nichtswuͤr⸗
digkeiten, die ungeſchmackte Liebeserklä⸗
rung eines aus dem Orden der Hundert
Eroberer , die unſchickliche Antwort der
Nymphe auf dieſe Erflärung, eine Beſtel⸗
lung , einen Vorwurf, der durch Ge—
genvorwürfe beantwortet ward, und noch
andre Saͤchelchen mehr mit anhoͤren, die,
II. Theil. 2 da⸗
162 Der Mann
damit ich alles auf einmal ſage, ein vor⸗
treffliches Stuͤck in dem. ., und ge⸗
rade das Gegenſtück zu der gnaͤdigen
Stau von Artemiſie ausgemacht haben
wuͤrden.
Gluͤck zu! dem herzhaften Manne, der
es wagen darf, eine ſolche Pentheſilea)
in ſein Haus zu fuͤhren, die nicht im min⸗
deſten aus ihrer Faſſung gebracht wird,
wann die Augen von mehr dann achthun⸗
dert Zuſchauern nach ihr gekehret ſind,
wann der ſichtbare Unwillen aller Anwe⸗
ſenden ihr gleichſam zuruft: ihr, wer ihr
auch ſeyd! koͤnnet ihr gleich vergeſſen, was
ihr eurer Geburt, der Sittſamkeit eu⸗
res Geſchlechts, der Wohlanſtaͤndigkeit,
eurem Ruhme ſchuldig ſeyd; fo erinnert
euch wenigſtens, daß eine Verſammlung
von Bürgern das Recht hat, Achtung
von euch zu fodern! zu fodern, daß ſie
die Ergötzungen, die ſie der liebreichen
Dorforge ihrer Beherrſcher ſchuldig iſt,
ungeſtört genieſſe! zu fodern, daß ſie
durch euch das Geld, ſo ſie für dieſe
Er⸗
) Die grimmige Amazone, die Virgil Penthe⸗
ſilea ferox nennet.
ohne Vorurtheil. 163
Ergötzungen mit Sreuden anbiet, nicht
verliere, nicht bedaure! zu fodern, daß
fie ſich, ohne euer euch entehrendes
gohngelächter, dem Gefühle, zu dem
eure Gemüther zu roh ſind, überlaſſen,
bei der kämpfenden Tugend aufmerk⸗
ſam, bei ihrem Leiden von Mitleid,
bei ihrem Siege von Freude gerührt
ſeyn könne!
Meine Freundinn! noch ſind Sie in
dem gluͤcklichen Alter, welches alle Reize
ihres Geſchlechts an ſich hat, ohne die
Gefahren derſelben zu theilen. Bald wer—
den Sie auf der Schaubuͤhne der Welt
eine Rolle annehmen muͤſſen. Ein ſchoͤnes
Maͤdchen wird bald groß. Wann Sie dann
auftreten; o ſo huͤtten Sie ſich vor allem,
die Dreuſtigkeit derer zu ihrem Muſter zu
wählen , die das, ungezwungene Le⸗
bensart befigen heiſſen, eine gehartete
Stirne haben, das Aug eines kuͤſternen
ohne zu blinken ertragen, vor einer Welt
von Menſchen nicht zurückzie hend ſeyn!
Die Art des Weltmannes, des Soldaten
iſt nicht die Art, die dem Mädchen ge⸗
ziemet, deſſen Zierde Schüchternheit iſt,
die es nicht abgelegt haben kann, ohne
L 2 b zu
164 Der Mann
zu ſehr mit der Welt vertraulich ges
worden zu ſeyn —
XXII.
Fortſetzung des XIX. Stuͤckes.
De. Knabe, der mit Muͤhe und Noth
lateiniſche Woͤrter zuſammzuſetzen ange⸗
leitet worden, der Knab, bei dem nur
etwas Gedaͤchtniß, keine Beustheilunen
feine Beleſenheit, kein Kenntniß der Welt,
des menſchlichen Herzens, der Tugend, des
gafters , der Triebfeder der menſchlichen
Handlungen, keine aͤhnlichen Faͤlle aus der
Geſchichte, keine — mit einem Worte alles
zu fagen, der Knab ſoll nun anfangen,
die Sprache der Götter zu ſprechen, er,
der die Sprache der Menſchen kaum lallet.
Die Dichtkunſt, ſpricht ein vortreffli⸗
cher Kunſtrichter, „, ift die Kunſt, auf eine
herzruͤhrende Weiſe zu malen. Man un⸗
terſcheidet die Arten von Leidenſchaften,
die man erregen kann; ſo hat man die
Dichtungsarten! Die Idylle bringt uns
ſanfte und ruhige Empfindungen hervor.
Die Epopee erregt Bewunderung. Die
Ro-
ohne Vorurtheil. 165
Komödie macht uns lachen. Wenn dieſe
uns Schmerz und Betruͤbniß verurſachte,
ſo waͤre ſie eben ſo wenig Komoͤdie, als
eine Tragödie ſehr wenig tragiſch waͤre,
wenn fie uns lachen machte. — — Eben fo
verhält es ſich mit allen übrigen Gattun⸗
gen. Ein jeder Leſer erwartet davon ei⸗
nen Eindruck von dieſer oder jener Art —
Und dieſen Eindruck, welcher einen
uͤberdenkten plan, einen Plan, zu dem
alle einzelnen Theile ein uͤbereinſtimmendes
Verhaͤltniß haben, zu deſſen Ausfuͤhrung
ein beſonderer Schwung der Einbildungs⸗
kraft, Genie des Verfaſſers erfodert wird,
dieſen Eindruck, der ſo ſelten der Lohn des
gereiften Dichters iſt, aber wenn er ihm zu
Theil wird, der größte Lohn iſt, der ihn
mit
Emporgehobenem Haupte dem Geſtirne
naͤhert.
dieſen Ausdruck, wird der Knab von funf-
zehen Jahren auf uns machen!
Ihr, denen die Fuͤhrung der Jugend
auf der Bahn der Wiſſenſchaften anver⸗
trauet worden! iſt es nicht Verwegenheit,
ſo vergoͤnnet mir zu fragen: in welcher
Abſicht alle Knaben der Dichtkunſt ein:
„ L 3 9 ge:
166 Der Mann
geweihet werden? Mein Sohn foll in
eine Banzley! ſagt ein Vater — wozu
ſoll dieſem Sohne die Kunſt, gezaͤhlte Syll⸗
ben zu paaren? die Dichtkunſt wird nicht
ſeine Beſchaͤfftigung ſeyn, warum macht
ihr ihn ein Jahr daruͤber verſchwenden?
Noch eine andre Frage: die Dichtkunſt
wird nie jemandes eigentliche Beſchaͤffti⸗
gung ſeyn, beſonders die lateiniſche Dicht⸗
kunſt; ich weis alſo nicht, warum jemand
in der erſten Jugend dazu angeleitet wird?
Man ſieht das Latein nun entweder als
eine Sprache an: läßt man uns nicht
andre Sprachen lernen, ohne uns mit der
Dichtkunſt aufzuhalten? der, der nie die
geringſte Anleitung zur franzoͤſiſchen Dicht⸗
kunſt erhalten, aber ſonſt mit Geſchicklich⸗
keit in dieſer Sprache angefuͤhret worden,
lieſt einen Boileau und Voltaͤr mit Ver⸗
gnuͤgen: wenn es nur um das Vergnügen
zu thun iſt, kann ich ein Meiſterſtuͤck der
Baukunſt nicht bewundern, ohne ein Vi⸗
truve zu ſeyn? muß ich, um von den
Werken eines Raphael entzuͤckt zu wer⸗
den, ſelbſt ein Raphael ſeyn? — Oder man
ſieht dieſe Sprache ſelbſt als eine Wiſſen⸗
ſchaft an: auch dann noch iſt es über⸗
. fluͤſ⸗
ohne Vorurtheil. 167
flüffig , die edle Zeit dazu anzuwenden,
elende Stuͤmper zu bilden, die noch gegen
die Bave des auguſteiſchen Jahrhundertes
Bave ſeyn werden —
Und wo hat eine Schule einen Demoſt⸗
henes, einen Cicero hervorgebracht? Man
iſt ungerecht, es der Abnahme der Faͤhig⸗
keiten zuzuſchreiben: die Tillotone, Maſſi⸗
lione, die Slechier, die Bourdaloue, die
Mosheime, und Jeruſaleme widerlegen
dieſe Beſchuldigung: bei uns wird ſie Wurz
im balden widerlegen — und wie viele welt-
liche Redner kann ich anführen , die den
Griechen und Roͤmern nur in ſo ferne nach⸗
gehen, als ſie von ihrem Stoffe, ſie zu er⸗
reichen, zuruͤckgehalten werden. Aber, wie
darf ich von der Anleitung der Schule das
fodern, was nur erſt eine Frucht vieler
Arbeit, eines maͤnnlichen Nachſinnens,
maͤnnlicher Beurtheilung, eine Frucht der
reifern Jahre ſeyn kann — |
„Wozu, mein ſchaͤtzbarer Führer! un-
terbrach mich Capa- kaum, beeifern Sie
ſich, mir eine Sache zu erklaͤren, die mir
wenig nuͤtzen kann — Erlauben Sie mir,
daß ich alles von dem Geſichtspunkte an⸗
ſehe, von dem es auf mich Beziehung hat.
24 Es
168 Der Mann
Es iſt gleichviel, ob ich meine Jugend in
meinem wilden Aufenthalte muͤſſig hinge⸗
bracht, oder ſie in dem Staube der Schule
unnuͤtz verſeſſen haͤtte. Ich ſtehe hier mit
jenem gleich weit vom Ziele, und ich habe
noch einen fernen Weg zu machen — Hier
warf ſich mir der empfindliche Schuͤler mit
einmal zu Füffen , und indem er meine
Knie umfaßte, fuhr er fort: Zuͤrnen Sie
nicht, mein theuerſter Lehrer! ich will Ih⸗
nen einen Stolz bekennen, der nur eine
Frucht ihrer Sorgfalt, eine Frucht des
Eindrucks iſt, den ihre Lehren auf mich
machen — Ihre Wohlthaten fallen mir
ſchwer! „ a
Er ſah mit unabgewendeten Blicken auf
mich, gleich als wollte er in meinem Ge⸗
ſichte leſen, wie ich feine Rede aufgenom-
men: als ich aber mein Stillſchweigen nicht
brach, verfolgte er: „Nennen Sie mich
nicht undanfbar ! dieſer Vorwurf wuͤrde
mir mein Herz zerreiſſen. Ich werde nie
den Werth der Guͤte verkennen, die Sie
uͤber mich gehaͤufet haben! Wenn ich je⸗
manden Verbindlichkeit haben muß; ſo will
ich ſie Ihnen haben. Aber, haben Sie mich
nicht gelehret, daß ein Menſch, der ſeine
| ſitt⸗
ohne Vorurtheil. 169
ſittlichen, und phyſiſchen Kraͤften anzu⸗
wenden das Herz hat, nie unter der Laſt
erliegen dürfe, von jemanden abzuhaͤngen.
Ich will ein Menſch ſeyn, will meine Un⸗
terhaltung mir ſelbſt geben! Vollenden
Sie nur ihr Werk, und zeigen Sie mir
den Weg, den ich zu waͤhlen habe — „
Unmoͤglich konnte mir der Entſchluß
meines Zoͤglings nicht gegen ihn wahre
Achtung einflöffen. Er fühlte feine Würde,
die Würde der Menfchheit. Ich umarmte
ihn mit wahrer Freundſchaft, und indem
ich ihn aufhub, ſprach ich: Mein Sreund !
ich ehre dieſe eöle Regung deines ger⸗
zens: und ich will fie in dir beſtändig
unterhalten. Laß uns alle Stände
nach der Reihe überſehen, und wenn ich
ſie dir, nicht in dem falſchen Lichte,
ſo das Vorurtheil auf dieſelbe wirft,
wenn ich ſie dir in ihrer wahren Be⸗
ſchaffenheit gezeiget, wenn ich ihre ur⸗
ſprünglichen Eigenſchaften, von den
Zufälligkeiten abgeſöndert habe, dann
wird es dir zukommen, dich zu dem⸗
jenigen zu beſtimmen, der mit deiner
Denfungsart, mit deinen Kräften am
verträglichſten ſeyn wird. |
L 5 Mei⸗
170 Der Mann
228 78
Meine Abſicht iſt erreichet, in welcher
ich dem XX. Stuͤcke das Schreiben eines
ungebetenen Vertheidigers der Kanzleyver⸗
wandten in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt ein⸗
geruͤcket habe. Ich konnte es vorherſehen,
es wuͤrde beinahe unglaublich fallen, daß
jemand ſo wenig Selbſterkenntniß beſitzen,
und ſo elendes Zeug an mich — mich,
der ich in dem Augenblicke gegen meinen
Widerſacher gewiß einen ſtrengen Kunſt⸗
richter machen wuͤrde — einſenden koͤnnte.
Von den mehrern Zeichen des Unwillens,
und der Verachtung, mit welcher mich das
Publikum wegen der Unhoͤflichkeit dieſes
Menſchen raͤchet! nur folgender Brief!
Mein Herr!
4 Beſchaͤmt lege ich die Feder nieder,
in dem fefien Vorſatze, fie nimmermehr
zur Vertheidigung einer ungewiſſen Sache
wieder zur Hand zu nehmen. Ich war
beſchaͤftigt, ihre Anmerkungen, ſo Sie uͤber
mein Schreiben im XVI. St. gemacht, zu
beantworten. Freylich die Stalljungen in
der 6ten Note preßten mir Seufzer aus:
al⸗
ohne Vorurtheil. 1717
allein ich entſchuldigte dieſen Einfall, in⸗
dem ich mich an ihren Sleck von Sadlein-
wand erinnerte, und in dem folgenden
wahrnahm, daß Sie mich verkennen muß⸗
ten. Beſſere Begriffe mein Herr, von den
Geſchaͤfften eines Roncipiſten, wollte ich
Ihnen — Sieh da ihr XX. Stuͤck — Ver:
wuͤnſchter Brief! der alle meine Arbeit
zernichtet! in welche Verlegenheit — —
Ja! mein Herr, wenn ſo ein Menſch,
der, wie der Verfaſſer, den Namen Kon:
cipiſt mit feinem Gekleckſe brandmarkt,
ſich zu der Klaſſe der Roncipienten zählt,
dann ſage ich es noch einmal, beſchaͤmt
lege ich meine Feder nieder. Leſſings
Sabel haͤtte nicht in aͤrgere Haͤnde gera⸗
then koͤnnen; und dennoch auch zerſtuͤm⸗
melt liegt Sie noch da, wie eine in den
Unflath gefallene Perle. „
„Sagen Sie nicht mehr, daß Bei-
ſpiele nichts beweiſen! Haͤtten Sie mich
wohl nachdruͤcklicher demuͤthigen, ſtaͤrker
widerlegen koͤnnen, als durch ein ſolches
Beiſpiel, welches mich treulos machet, daß
ich faſt meine Fahne verlaſſen, und zu
ihrer Parthey uͤbergehen moͤchte? Genug,
10 gebe ihnen gewonnen, und begehre
auf⸗
172 Der Mann
aufrichtig Frieden. Sie haben mir Ver⸗
gleichspunkte vorgelegt: wohlan, mein
Herr! ich will ihre Bürger, ihre Rünſt⸗
ler, ihre Zandwerker für nuͤtzliche Glie⸗
der des Staates, mit der gehörigen Ach⸗
tung erkennen. Sie aber ſollen zur Wie⸗
dervergeltung niemals mehr einen frucht⸗
bringenden Garten ausſchaͤnden, der un⸗
ter ſeinen Pflanzen Unkraut hegt! Zuͤrnen
Sie meinetwegen mit dem Gärtner, der
es nicht ausrottet! Ich bin mehr als je⸗
mals „
Dero
Verehrer
der ungluͤckliche Sachwalter.
—
XXIII.
neh ſoll den erſten, den ehrwür⸗
digſten aller Staͤnde nicht von ferne ken⸗
nen lernen! nicht hier, wo unſre verwoͤhn⸗
ten Augen alles, wie in einem umkehren⸗
den Glaſe betrachten; wo die Verhaltniſſe
durch den Eigenſinn beſtimmet ſind; wo
der unabhaͤngigſte aller Stände denen un⸗
tergeordnet iſt, die ſeiner nicht entbehren
koͤnnen! Aber fo mußte es ſeyn: die Weich
lich⸗
ohne Vorurtheil. 173
lichkeit mußte dem Fleiſſe ſeine Wuͤrde rau⸗
ben, oder ſie ſelbſt verlieren.
Copa : kaum ſoll die Stadt verlaſſen,
und den Landmann bei ſeinem Pfluge, bei
ſeiner Heerde, in ſeiner ſtillen Huͤtte, und,
wo iſt die Zeit, wo man ſagen konnte, in
ſeiner Freyheit? ſehen. Lebe denn wohl,
Wien! du Stadt voll Gepraͤng ohne Höf-
lichkeit, voll Anſtand ohne Sitten, Stadt
voll eiteln Laͤrmen ohne Beſchaͤfftigung; wo
die Mittage verſchlafen, die Nächte ver-
ſpielet werden; wo Maͤnner Weiber, die
Weiber Puppen ſind; wo die Ehe ohne
Liebe, der Umgang ohne Freundſchaft, der
Geck oft geehret, die Armuth ſtets eine
Schande iſt; lebe wohl! mich ziehen gluͤck⸗
lichere Gegenden an.
O anerſchaffner Standort des Men-
ſchen! deine Reize verlieren nie ihren Ein⸗
fluß. Schon athme ich eine ungewohnte
reinere Luft; ſchon ſtroͤmet mit derſelben
ſuͤſſe Sorglofigfeit in mein Herz. Ich wen⸗
de mich nicht zuruͤcke nach dem Verfloſſenen:
ich ſtaͤmme mich nicht empor, meine Aus⸗
ſicht vor mir hinaus zu verlaͤngern: das
Gegenwaͤrtige nur beſchaͤfftiget mich: die
Gegenſtaͤnde meiner Augen ſind die Veran
ſtaͤn⸗
174 | Der Mann
ſtaͤnde meiner Gedanken — und meiner
Unterredung. | |
Ich mache meinen Weg, wie Emil mit
ſeinem Fuͤhrer, zu Fuſſe, um deſto leichter
vom Wege abtreten zu koͤnnen. Siehſt du,
mein gelehriger Freund! ſage ich zu mei⸗
nem Reiſegefaͤhrten, die beſchweißte Muͤhe
des Landmannes, die reifenden Saaten!
auf ihnen beruhet die Hoffnung der ſtolzen
Stadt. Eine Trockne, die dem Korne die
Nahrung raubt, von der es ſchwillt; eine
Wolke, die verwuͤſtenden Hagel uͤber die
Felder ausgießt; ein Heer von Heuſchre⸗
cken, das ſich darauf niederſtuͤrzt, und ſie
abweidet; hundert andre Zufaͤlle koͤnnen die⸗
ſe Hoffnung zernichten. Aber ſie, die ſorg⸗
loſen ſchlemmen. — Capa- kaum unter⸗
bricht mich; er ſieht da einen Pflug, dort
eine Egge, dort ſonſt ein Ackerbaugeraͤth:
er wuͤnſcht von ihrem Gebrauche unter⸗
richtet zu ſeyn. Auf feine Bitte, unter-
ſuchen wir den Unterſchied des Waizen
vom Korne, den der Staͤdter nie anders⸗
wos, als in Gerichten durch feinen Eckel
bemerket; nähern wir uns einer ſpringen⸗
den Heerde, ſchweifen zu einem Weinge—
birge aus, gehen laͤngſt dem bebuͤſchten
Ufer
ohne Borurtheil. 175
ufer eines Baches hin, und erreichen
unter dieſen Beſchaͤfftigungen ein kleines
Dorf. |
Voll Ungeduld, zieht mich mein Rei⸗
ſender in die naͤchſte Huͤtte: er pochet an
die Thuͤre: man oͤffnet, und er faͤhrt zu⸗
ruͤcke. Ich errathe die Urſache feiner Ue⸗
berraſchung; aber ich ſtelle mich an, als
erriethe ich ſie nicht: er ſoll ſie ſelbſt ſagen!
„Wie iſt meine Erwartung hintergan—⸗
gen, faͤngt er endlich nach einem laͤngern
Schweigen an! wie iſt dieſer Anblick ſo
ſehr von demjenigen unterſchieden, den ich
mir verſprach, und wornach ich eilte! Be⸗
trachten Sie dieſe Frau! wo iſt die Rein⸗
lichkeit, die mit der edeln Einfalt, der
reizende Putz der laͤndlichen Wirthinn ſeyn
ſoll? dieſe Lappen, womit fie nur halb-
bedeckt iſt, find das Kennzeichen des Elen—
des, und erwecken Grauen. Dort dieſe
nackten auf der Erde herumkriechenden
Kinder, dieſes im Winkel unfauber hinge⸗
ſtreute Stroh ſcheint ihr Lager zu ſeyn. —
Wo iſt die Gaſtfreyheit, die von den Land-
fitten fo ſehr geruͤhmet wird? zwingt fie
uns, bei ſich einzuſprechen? biet ſie uns
nur einen Trunk, nur ein Dach an — „
Nichts
176 Der Mann
Nichts mangelte, als daß er noch hin⸗
zugeſetzt haͤtte: machet ſie ſich fertig,
uns unfre Süffe zu waſchen v denn dieſe
Frage war ganz wohl zu dem Bilde der
laͤndlichen Gaſtfreyheit ſchicklich, das mein
guter Schuͤler aus den Beſchreibungen des
Zomers abgezogen hatte. Da uns dieſe
weniggaftfreye Frau nicht zu uͤbernach⸗
ten zwang, ſo luden wir uns ſelbſt ein,
und baten ſie, uns zu behalten. Ich ſetz⸗
te hinzu: daß wir ihre Gefaͤlligkeit nicht
ohne Bezahlung und unſern Dank verlang⸗
ten — und nun traten wir in das Zim⸗
mer, wenn man einen Aufenthalt der Ar⸗
muth und aͤuſſerſten Muͤhſeligkeit, einen
Ort, der einer Rauchſtube aͤhnlich, zu ſei⸗
nem ganzen Geraͤthe einen übel zuſammge—
zimmerten Pflock ſtatt des Sitzes, einen
hoͤkrichten Tifch, und einen ausgebrochenen
Topf zum Waſſergeſchirre hatte, wenn man
dieſen Ort ein Zimmer nennen darf —
Die Hauswirthinn war nicht nur un⸗
reinlich, ſie war auch ſcheu, und entſchluͤpf⸗
te bei der erften Gelegenheit aus dem Zim-
mer, um ſich vor uns zu verbergen. Itzt
konnten wir unbehorcht unſre Anmerkun⸗
gen machen. Capa⸗ kaum war nicht im
Stan⸗
ohne Vorurtheil. 177
Stande, ſich von ſeiner Verwunderung zu
erholen: er durchlief mit ſchnellen Blicken
unſre Herberg, und Elend! und Armuth!
war das einzige, was er ſagen konnte.
Inzwiſchen kam der Inhaber des Hau:
ſes von ſeinem Felde zuruͤcke. Gerippe
von Pferden, die kaum ſich ſelbſt trugen,
ſchleppten mit Noth einen Karren nach ſich
her, und wurden, nachdem ſie ausgeſpan⸗
net worden, ſtatt alles Futters auf eine
Weide getrieben, worauf nur wenige Gras-
ſpitzen hervorſtechen, die der Staub dem
Viehe vollends ungenußbar macht. Er
ſelbſt, ihr Eigenthuͤmer, trat endlich be⸗
ſchweißt uͤber die Schwelle, und erſtaunte,
zween Fremde bei ſich zu finden. Eben ſo
abgeriſſen, als feine Hälfte, war er eben
ſo ſcheu. Er wollte gleich zuruͤckkehren,
als ich ihm zurufte: er moͤchte ſich ſeinen
Gaͤſten nicht entziehen; wir waͤren Willens
bei ihm zu uͤbernachten — Bei mir die
gerren e übernachten? — Nicht anders —
Ich habe euch nichts vorzuſetzen — Auch
kein Brod — keine Milch, ſetzte mein Ge-
fährte hinzu, der feinen Kopf mit den
groſſen Milchtoͤpfen, und dem aufgeſchuͤrz⸗
ten Mädchen des Dichters voll hatte — G!
II. Theil. M gab
178 Der Mann
gab der Bauersmann mit einem Seufzer
zur Antwort: ihr werdet das Brod, das
wir eſſen, nicht hinabbringen. Mit
dieſen Worten langte er aus einer Blinde
ein Stuͤck in einem Lappen eingehuͤllet,
hervor, das neben einer unglaublichen
Schwaͤrze den widerſtehendſten Geruch hat⸗
te — Und auch dieſes, ſagte er, habe
zich von meinem Nachbarn geborget,
damit ich Weib, und Vindern heute
einen Mundvoll geben kann. Ich habe
noch keinen Biſſen genoſſen, und will
zich meine Rinder nicht vor gunger
ſchreyen laſſen — |
Mir und meinem Freunde traten Thrä-
nen in die Augen: ich konnte ihn nicht
vollenden laſſen, und bat ihn, auſſer Sor⸗
ge zu ſeyn: wir waͤren nicht gekommen,
ihn und die Seinigen zu berauben. Neh⸗
met, ſprach ich, dieſes Wenige! und
erquicket eure ſchmachtende Familie damit!
der Mann ſegnete uns und die Vorſicht,
die uns ihm geſendet, mit aufgehobenen
Haͤnden —
Ich ſehe es, fuhr ich fort, wir wuͤr⸗
den euer kleines Haus in Unordnung brin⸗
gen, wenn wir hier blieben. Iſt ein Gaſt⸗
hof
ohne Borurtheil. 179
hof hier, wo wir die Nacht zubringen koͤn⸗
nen, ſo begleitet uns dahin, und uͤberlaͤßt
eurem Weibe, fuͤr das Haus zu ſorgen!
Er that es, und wir nahmen ihn mit zu
Tiſch.
Der Mann war anfangs zu bloͤde, ſich
zu ſaͤttigen. Unſer Zureden machte ihm
Muth; er genoß, und der Wein machte
ihn froh und vertraulich. Die Neugierde
meines Begleiters war auſſerordentlich, zu
erfahren, wie ein Mann, der ſelbſt einen
Feldbau hätte, fo an allem Mangel leiden
koͤnnte. Er vermuthete alles eher, als die
wahre Urſache, die er aus dem Munde des
Landmannes hoͤrte.
„So arm, wie ihr mich findet — hub
er in ſeiner treuherzigen Sprache an —
ſind alle meine Nachbarn, ſind alle Bauern
im ganzen Lande. Arbeit und Zlend iſt
unſer Antheil im Leben, und das Erbtheil
unſrer Kinder nach unſerem Tode. Wie
waͤre es auch moͤglich das geringſte vor ſich
zu bringen? o, der Krieg! der Krieg! wir
werden ihn noch lange nicht verwinden! —
Mein Gott! verfolgte er mit einem Seuf;
zer, was fuͤr ein Elend iſt es, Bauer zu
ſeyn! der Sommer in Schweiß, der Win⸗
M 2 ter
180 Der Mann
ter in Noth! und was hilft alle meine
ſaure Arbeit! die Felder geben kaum eine
doppelte Saat, weil man ihnen das ihri⸗
ge nicht geben kann. Wo naͤhmen wir
Dünger her, da man mit Muͤhe und Noth
zwey Ackerpferde erhalten kann! Weide
fuͤr Hornvieh, iſt im ganzen Lande nicht.
Denn die duͤrren Gemeinweiden; ja doch,
wenn das arme Vieh von Luft und Staub
leben koͤnnte — Iſt ein Fehljahr, fo koͤmmt
der Jammer unangemeldet: und ſegnet auch
der Himmel unfre Saaten; fo ſegnet er fie
nicht uns. Der Zebend, die Gaben, die
Saat aufs kuͤnftige Jahr, das, was man
erborget hat, wann ich das alles hergebe,
ſo bleibt mir ſo viel, als auf dieſer flachen
Hand. Noch wollten wir den Zehenden
gerne geben, hinderte er uns nur nicht,
unſer Erdreich zu nuͤtzen. Mein Grund
liegt hoch, der Sonne ausgeſetzt, es wuͤr⸗
de vortrefflicher Wein wachſen. Ich darf
keinen Weingarten daraus machen, der
Zehend im Getraide iſt darauf gegruͤndet.
Mein Weingarten iſt im Grunde, er giebt
nur geerlinge, die nie reif werden: ich
darf ihn nicht in ein Ackerfeld verwandeln.
Meine Wieſe, wenn ſie noch ſo ſchlechtes
| ſau⸗
ohne Vorurtheil. 181
ſaures Riedgras bringt, muß ewige Wieſe
bleiben. Alſo koͤmmt uns armen Leuten
auch unſre Arbeitſamkeit nicht einmal zu
Huͤlfe. Glaubt meine Herren, wenn uns
ſre Kaiſerinn alles wuͤßte, ſie hätte ge:
wiß mit uns Mitleiden. Unſre Gaben
fuͤr das Land und die Herrſchaft, richten
uns noch ganz zu Grund, nicht ſowohl
wegen der Groͤſſe, als wie, und wann
man ſie geben muß. Der Bauer muß
Geld geben, muß es zu einer gewiſſen
Zeit geben: das macht unſer groͤßtes Un⸗
gluͤck aus; das zwingt uns, unſre Frucht,
oft noch in der Saat zu verkaufen; das
läßt uns nicht etwan doch einen mittel⸗
mäſſigen Preis abwarten. Das groſſe
Brod, das ihr in der Stadt eſſet, iſt
Thraͤnenbrod der Bauren. Was wir ſonſt
aus drey Metzen loͤſen wuͤrden, dafuͤr
muͤſſen wir ſechs hingeben, ſonſt koͤmmt
Exekution, und ißt unſern hungerigen
Kindern den Biſſen vom Maule weg. Ha⸗
ben die Herren Zeit, ſo will ich ſie ein
wenig auf unſre Felder fuͤhren; ſie koͤnn⸗
ten ſchlechter nicht beſtellt ſeyhn. Mehr
als zwey Drittheil haben abgewirthſchaf⸗
tet, und die uͤbrigen werden mit mir, ehe⸗
M 3 ſtens
182 Der Mann
ſtens davon laufen. Jeder Hanßlanget
in der Stadt hat es beſſer, als der beſt⸗
Bauer. Das ganze Jahr koͤmmt nichts
uͤber unſre Zungen, als ſolch Brod, wie
ihr geſehen, in warmen Waſſer geweicht,
und ein wenig roh Sauerkraut. In mei⸗
nem Leben werde ich nie wieder ſo einen
Tag haben, wie dieſer! Haͤtte ich nur mei⸗
nen Kindern, jeden einen Mundvoll Fleiſch
reichen koͤnnen! Wer weis, ob ſie in ihrem
Leben je eines koſten werden. „
Wir befahlen ihm, aus dem Gaſthauſe
Fleiſch fuͤr ſeine Kinder mit nach Hauſe zu
nehmen, und uͤberlieſſen uns, nachdem
er uns unter tauſend Dankſagungen und
Wuͤnſchen verließ, den Betrachtungen über
das Elend des Landvolkes —
XXV.
Von.. dorf den 23. May 1766.
Theuerſter Freund!
3 Waden es ihre Geſchaͤfte wohl zuge⸗
ben — denn von ihrer Gewogenheit bin ichs
zum vorhinein uͤberzeuget — daß Sie einen
Auftrag uͤbernehmen, der vielleicht nicht
| oh:
ohne Vorurtheil. 183
ohne Beſchwerlichkeit ſeyn wird? Ferne
von meinen Leſern muß ich einen Mittler
ſuchen, durch den ich der Verbindlichkeit
genug thue, die ich als Schriftſteller auf
mich genommen habe; muß ich einen fin⸗
den, der zweymal die Woche mein Dolls
metſch bei ihnen werde. Und wer wuͤrde
dieſe Stelle mehr zu meinem Vortheile und
ihrem Vergnuͤgen bekleiden, als Sie —
Sie, deſſen Kiel meinen Gedanken das
Gefaͤllige, an dem es ihnen mangeln mag,
mittheilen wird? — „
„Ihre Plage ſoll nicht auf lange ſeyn.
Mein Herumſchweifen auf dem Lande wird
nicht laͤnger waͤhren, als es braucht, die
Beobachtungen zu machen, die ich zum
Unterrichte meines Schuͤlers noͤthig habe.
Nach wenigen Wochen will ich Sie davon
los ſagen: nur bis dahin leihen Sie ſich
mir, zu zweyerley Abſichten:
„Erſtlich: will ich Ihnen ein getreues
Tagebuch uͤber alles das mittheilen, was
uns begegnet, und einer unterrichtenden
Betrachtung Gelegenheit geben kann. Der
Stil meines Tagebuchs foll fo einfach,
als die Sachen ſelbſt ſeyn, die er beſchrei⸗
ben wird. Ihnen gebe ich freye Hand,
M4 der
184 Der Mann
der nackten Wahrheit das Kleid umzuwer⸗
fen, fo Sie für fie am ſchicklichſten fin⸗
den. Nur machen Sie es, wie geſchickte
Maler, die ihre Drapperie ſo werfen, daß
der Wuchs ihrer Figuren nicht verunſtal⸗
tet wird. Aber, wozu dieſer Praͤceptorton
an Sie — Kleiden Sie, mit einem Worte,
meine ländlichen Wahrnehmungen, nach
ihrem Wohlgefallen ein! „
„Jedoch in einer Zeit von einigen
Wochen, wie viel meiner Neugierde wuͤr—
diges wird ſich da nicht in einer Stadt
ereignen, die von Th.... wimmelt? —
Laſſen Sie es nicht geſchehen, daß ich,
wann ich in die Stadt zuruͤckkehre, in ih⸗
ren Gewohnheiten neu ſey! Laſſen Sie es
auch nicht geſchehen, daß ſich Gecken mei⸗
ner Abweſenheit freuen, und wie die Fle⸗
dermaͤuſe, bei Abweſenheit des Lichtes,
das fie beleuchtet, aus ihren Loͤchern her⸗
vorkriechen! Theilen wir uns untereinan⸗
der in die Provinzen! indeſſen ich, das
offene Land ausſpaͤhe, ſo halten Sie die
Stadt in Athem, und das Schrecken un⸗
ſers Namens wa das Land von enen
Ende n andern! ,
ss Er.
ohne Borurcheil. 185
„Erlauben Sie mir auch, daß ich die
Weiſe unſers Briefwechſels feſtſetze. Der
Mann, der dieſes Schreiben an Sie über:
bringt, ſoll bei ihnen bleiben, bis ein
zweytes von mir einlaͤuft. Dann ſenden
Sie mir ihre Antwort durch den erſtern,
und behalten Sie den zweyten abermal bei
ſich. So werde ich mit zween Bothen im
Stande ſeyn, woͤchentlich Ihnen von mei⸗
nen Neuigkeiten mitzutheilen, und wechſel⸗
weiſe die Ihrigen zu empfangen. „
„„ Ich werde den Anfang zu meinem
kleinen Tagebuche machen, ſobald ich von
Ihnen die Verſicherung erhalte, daß Sie
durch keine Nebenumſtaͤnde gehindert wer⸗
den, zu willfahren, „
ihrem ergebenſten —
Wien, denſelben Abend noch.
Freund!
„Es ſtraͤube fich das heuchleriſche Maͤd⸗
chen bei dem Kuſſe, dem ſeine Lippen ſich
doch in Geheim entgegen werfen, nicht ich,
bei dem Antrage eines Freundes! Es ver⸗
bitte das ſchlaue Maͤdchen mit erkuͤnſtelter
e die Lobſpruͤche des Liebhabers,
M 5 um
186 Der Mann
um ihn zu zwingen, daß er ſie wiederhole!
Ich will uͤber das Kompliment, ſo Sie
meiner Feder machen, hinwegfahren, und
alle Foͤrmlichkeiten der kleinen Schreibſuͤch⸗
tigen, und alle Authorbedenklichkeiten bet
Seite legen, und Ihnen mit der Freymuth
der Freundſchaft geſtehen, daß meine Ge⸗
ſchaͤfte mich gar nicht hindern, einen ihrer
Briefe zu leſen, und Ihnen einen andern
dafuͤr zu uͤberſchreiben. Wenn ich mich mit
meinen Geſchaͤften nicht entſchuldigen kann,
womit ſollte ich es gegen einen Freund ſonſt
wohl 7 „
„Senden Sie mir alſo immer ihr Ta⸗
gebuch! ich will mir darüber alle die Frey⸗
heiten nehmen, die Sie mir einraͤumen,
und ihre Leſer ſollen ihren halben Bogen
Mittwoche, und Samſtag ſo regelmaͤſſig
bekommen, als beſorgten Sie alles ſelbſt
gegenwärtig. „
„Auch dazu will ich mich vom Herzen
gerne bequemen, daß ich Ihnen die Stadt⸗
neuigkeiten uͤberſchreibe: wohlverſtanden,
daß ich in ihrem Blatte keine Hauptperſon
zu ſpielen gezwungen werde. Ich mag ſo
gerne mein Haupt ſanfte zur Ruhe legen:
und wenn der Ruhm des Schriftſtelles nur
mit
ohne Vorurtheil. 137
mit Furcht erkauft wird; ſo ſage ich mit
jenem guten Schleſier, dem ein Werber,
die Ehre fuͤr den Koͤnig zu ſterben, pries:
ich verlange nach dieſer Ehre nicht. „
„Ich will meine Nachrichten gleich mit
dieſem Briefe einleiten. Der berühmte
Bereuter hat ſeine Taxe, als ein rech⸗
nender Englaͤnder, herabgeſetzt, und nun
iſt der Zulauf ungemein. Einige finden
ſeine Geſchicklichkeit auſſerordentlich, an⸗
dre halten ihn fuͤr einen Gaukler — und
ich fuͤr einen Menſchen, der uns in kurzer
Zeit einige dreyſſig tauſend Gulden aus
dem Lande ſchleppen wird, die fir den
Staat unwiederbringlich verloren ſind. Es
mag ſeyn, daß ich irre: aber koͤnnte man
nicht glauben, man ſende dieſe Leute ei⸗
gends dazu aus, um fremde Staaten arm
zu machen 2 „
„Ich habe laͤngſt einen Gedanken ge⸗
habt, den ich hier ein wenig auseinander
ſetzen, und ihre Meinung daruͤber hoͤren
will. Waͤre es nicht nuͤtzlich, eine eigene
Pflanzſchule von Zalsbrechern zu errich⸗
ten, wo man Jungen, die den Beruf,
Taugenichts zu werden, durch unzwey⸗
deutige Streiche an den Tag legen, in
den
188 Der Mann
den Kuͤnſten der Türkete und Bateſe mit
vieler Sorgfalt unterrichten ließ? Hievon
nun ſendete man jaͤhrlich drey in alle Welt.
Laſſen Sie uns den Vortheil berechnen!
„Drey ſolche Waghälſe von verſchie⸗
denem Talente gehen von hier in das Reich,
ſchweifen nach Polen und Rußland aus,
und gehen auf einem andern Wege wieder
zuruͤcke bis nach Hamburg. Auf einer fol °
chen Reife ſammelt jeder ganz leicht funf;
zigtauſend Gulden, zuſamm fl. 180000
„Bei den ſparſamen gol-
Ländern werden fie kaum mit⸗
einander beilegen 10000
„Aber fie gehen nach Eng⸗
land. Der Englaͤnder iſt von
Natur ein Freund von Wage⸗
ſtuͤcken. Wo ein Deutſcher
4 Gulden giebt, da giebt er
gerne eine Guinee. Drey
recht ſchreckliche Meiſter⸗
ſpringer — aber recht ſchreck⸗
lich muͤßten ſie ſeyn — ſollten
da wohl noch zwanzigtau⸗
ſend Guinee davon tragen:
nach unſerem Gelde ungefähr 180000
*
— Aus
n Pe We | —
obne Borurtheil. 189
„ Aus England ſetzen fie
nach Srankreich über, wo ſie
ſich leicht 80000
erſpringen. f f
„Spanien und Portugal | |
gering gerechnet, truͤgen 100000
„Die Schweiz nur = 5000
weil die Grundſaͤtze Rouſſeaus
hier doch zu ſehr uͤber Hand
nehmen. Aus der Schweiz |
gehen fie nach
„Italien, wo fie hie und
da gleichwohl auch einige tau⸗ !
ſend — beiläufig = fl. 40000
aͤrnten, mithin über Tyrol zu⸗
ruͤcke mit einer Beute von fl. 375000
fremden Gelds ankommen.
„Stellen Sie ſich vor, von was für
einem Umfange und Abſatz eine Fabrikation
ſeyn müßte, die jährlich 375000 fl. netten
Gewinnſt durch die Ausfuhr in den Staat
zu leiten im Stande waͤre — Der Entwurf,
hoffe ich, verdient erwogen, und ihr Freund
dafür belohnet zu werden. „
„ Sonſt hat ſich, ſeit ihrer Abweſen⸗
heit nichts zugetragen, das ihre Aufmerk⸗
ſamkeit verdiente, als ein Vorfall, der
auf
190 Der Mann
auf eine ganz ſonderbare Art, einer Frau
die Wiederkehr ihres Mannes zuwege
brachte. „
„ Tindarine, Sie wiſſen welcher Frau
wir dieſen Namen ſonſt beilegten — iſt
ſchoͤn, und artig im Umgange; aber wel⸗
ches Weib bleibt das lange in den Augen
ihres Mannes » Der ſonſt zaͤrtliche Semahl
Tindarinens gieng endlich den Weg aller
Männer, und erkaltete. Die Gattinn em⸗
pfand ſeine Gleichguͤltigkeit um deſto ſchmerz⸗
licher, je weniger ſie dieſelbe verdiente.
Von ungefaͤhr wirft Selimor die Augen
auf ſie; und da es ihm nicht gelingt, ihr
Aufwärter zu ſeyn, will er wenigſtens
dafuͤr gehalten werden. In dieſer Abſicht
verfolgt er ſie, wie ihr Schatten, aller Or⸗
ten, und draͤngt ſich beſonders an oͤffent⸗
lichen Deftern an ihre Seite. Sein Auge iſt
ſtets auf ſie gehaͤftet, ſtets reicht er ihr
den Arm, ſitzt im Schauſpiele naͤchſt an ih⸗
rem Sitze. Koͤmmt fremder Beſuch, ſo
thut er unzufrieden. Erweiſt Tindarine
jemanden Freundlichkeiten, ſo ſcheint er zu
eifern; und was das ſonderbarſte iſt, ſelbſt
bei den Liebkoſungen ihres Mannes faltet
er die Stirne. „
1 Cin-
ohne Vorurtheil. 191
„Tindarinens Gemahl ward endlich
dieſes ungeſtümmen Aemſigen gewahr,
ward unruhig. Und dieſe Unruhe hatte
fuͤr die Gattinn die vortheilhafteſten Fol⸗
gen. Die Sorge, ein Herz zu verlieren,
das er zu beſitzen, einſt fuͤr ſein Gluͤck hielt,
veraͤndert den gleichguͤltigen Mann wieder
in den unverdroſſenen, gefaͤlligen, zuvor⸗
eilenden Liebhaber, der fie itzt, als eine
Geliebte gegen den Nebenbuhler, und ge⸗
gen den Betrug ihres eigenen Herzens be⸗
wahret. Leben Sie wohl auf ihrem Lande.
„ „ „ an
XXVII.
. ſtein den 31. May 1766.
Mein Freund!
„Das Wetter war hier die ganze Zeit
her ſehr unfreundlich, und hielt uns gleich⸗
ſam in unſerm Gaſthauſe gefangen. Ob
ſich gleich von den elenden Dorfleuten ein
jeder anbot, ein Schreiben an Sie zu uͤber⸗
bringen; ſo hatte ich zu ſehr mit ihnen
| Mit⸗
192 Der Mann
Mitleiden, als daß ich ihr Anerbieten haͤt⸗
te annehmen ſollen. „,
„O, mein gerr! ſagte einer darun⸗
ter, dem ich es abſchlug, ihn, bei einem
ſtarken und anhaltenden Regen abzuſchi⸗
cken: wir find der Witterung ſchon ge⸗
wohnt. Wenn unſre Srohnfuhren )
treffen; und die Durchmarſche der Sol⸗
daten machen, daß ſie oft herumkommen,
da ſchaut niemand, was für ein Wetter
ſeyn mag. Wir kommen eben vom gelde
zurücke, wir, unſer armes Vieh, beide
gleich müde und matt: aber da wartet
der Richter auf uns, und ihm zur Seite
ein Soldat: ihr müßt, heißt es, gleich
mit dieſen zerren da — „
„Gevatter! wie iſt es möglich die
armen Gerippe pflügen ſeit Anbruch des
Tages: ſie ſind heute noch nicht ein⸗
mal gefüttert — „
„Der Richter zückt die Achſel Er
wohnt mitten unter dem Elende, er
kennt es. Aber fein Gefährte, ein une
barmberziger Mann — eine ganz beſon⸗
| de⸗
) Robathen nennt es der Bauer in der Pro⸗
vinzialmundart, nach dem ſlapiſchen Robota,
Arbeit.
ohne Vorurtheil. 193
dere Art von Menſchen, die alle Em⸗
pfindungen abgeſchworen zu haben ſchei⸗
nen — macht mich auf einmal ſtumm.
53 . ſcher Bauer, ſchreyt er, wei⸗
gre dich lange! ſo wird dieſer Stock da,
dir Süſſe machen ! und er ſetzt ſich in
die Stellung, mir feinen nachdͤrückli⸗
chen Arm fühlen zu laſſen. „,
„Ich ſeufze, weniger über mich,
als über das arme lechzende Dieb, über
mein Weib und Kinder. Ich muß mich
auf den Weg mit Sutter verſehen; zu
Haufe hülft die Gemeinweide doch et⸗
was. Ich muß mich mit Brod, mit
Zehrung verſehen: und da zwingt uns
oft die Noth, daß wir den Unſrigen
den Biſſen aus dem Munde reiſſen, den
letzten pfenning / den wir für die Ga⸗
ben hingelegt, angreifen müſſen. Und
indeſſen, unſre armen Kinder zu gauſe
vor Hunger weinen, ſchleppet man uns
einige Meilen — im Kriege nicht ſel⸗
ten einige Tage — weg. „
„ Oft, wann das kraftloſe Vieh
unter der Laſt und Müdigkeit fällt,
Labt es der Begleiter mit einem knot⸗
tigten Prügel, wobei er, nach ſeinem
II. Theil. N men⸗
194 Der Mann
menſchenliebvollen Sprüchworte, einen
Streich auf das Vieh, zween auf den
Bauern thut; bis endlich das Thier,
das feinen gerrn mit geſtreckter Zunge
gleichſam um Mitleiden anfleht, und
uns oft die Thraͤnen auspreßt, auf der
Straſſe liegen bleibt. „
„Da komm ich, unglücklicher Mann,
des einen treuen Gefährten meiner Ar⸗
beit verluſtig, nun nur mit dem andern
zu gauſe an, habe indeſſen vielleicht die
ſchönſte Zeit zur Einfuhr meiner $eld-
früchte verabfäumet, muß itzt beim Re⸗
gen damit in die Scheune eilen, wo
mir, ehe ich ausdreſche, die galbſcheide
auswächſt, oder auf eine andre Art zu
Grunde geht — „
„Das Landvolk iſt unerſchoͤpflich in
ſeinen Klagen. Um uns war ein Kreis
geſammelt, wovon einer bald dieſes, bald
jenes erinnerte; überhaupt aber ein jeder
die Rede ſeines Dorfgenoſſen mit Kopf:
nicken beftättigte. Er, der mit mir ſprach,
ſchien gleichſam ihr Redner zu ſeyn: und
ich verſichere Sie, feine ungefünftelte ,
nachdruͤckliche, ruͤhrende Sprache, mit
Gebehrden begleitet, die Natur und Em⸗
pfin⸗
I
2 Sr.
ohne Vorurtheil. 195
pfindung ihn lehrte, hat in meiner Ueber:
ſetzung ſehr verloren. „
„Unſre unfuͤhlbaren Mitſtaͤdter, ha⸗
ben die mich bei dem Bilde des laͤndlichen
Elendes nicht einer Uebertreibung be⸗
ſchuldiget? ich kenne ihre Denkungsart zu
gut, als daß ich es nicht errathen ſollte.
Und wie koͤnnte es auch anders feyn ? „
„Viele unter ihnen kennen das Land
nur von ihren Luſtfahrten; und in ihrer
Einbildung gehen dem Begriffe des Land⸗
lebens immer die Ergötzlichkeiten zur
Seite, die ſie da genoſſen haben. Sie
denken ſich ein Arkadien, wo man mit in⸗
einander geſchlagenen Armen ſich am Ba⸗
che lagert, oder durch lachende Fluren
irret, oder Waͤlder jagend durchſtreichet,
oder Netze und Angeln in Weyern, wie in
Fiſchbehaͤltern, auswirft; wo man Höhen
hinanklimmt, um der Ausſicht zu genief-
fen ; wo man mit dem Spiele der Arbeit
ſich Muͤdigkeit zur Luſt erwecket, um deſto
ſanfter zu ſchlafen; wo die Vergnuͤgen an⸗
einander gereihet ſind, und Tafeln, die ſich
unter der Laſt der Gruͤchte kruͤmen, und
Taͤnze, und Buhlereyen dieſe Reihe ſchluͤſ⸗
ſen. 1
N 2 M Die
196 Der Mann
„„Die meiften kennen wenigſtens das
Land, nur aus dem Bezirke, der auf eini⸗
ge Meilen die Stadt umzingelt. Aber ſie
ſollen aus dieſem engen Kreiſe hinaus,
der von dem Wohlleben, von dem die
ſchlemmende Stadt uͤberfluͤſſet, Nutzen zieht,
und fie werden über ben Unterſchied erftau-
nen! Ich werde fie mit meinem Schüler
dahinfuͤhren, wenn ſie erſt den Inhalt un⸗
ſers Geſpraͤchs angehört haben werden. „
„Sieh! ſprach ich zu Capa; kaum,
als wir allein waren, ſo unbillig iſt die
Geſellſchaft gegen ihre nuͤtzlichſten Mit⸗
glieder! Sie läßt fie unter einem uner-
traͤglichen Joche ſeufzen, und niemand iſt,
der ſie hoͤret, niemand der ihre Klage bis
an den Ort bringet, wohin nie eine Klage
vergebens gebracht worden. Koͤnnte ich
alle Staͤnde um mich her verſammeln! waͤre
mein Wort ihnen allen vernehmbar, ich
wuͤrde „
„Zu den Mächtigen ſprechen: Hier,
bei dieſen, muß eure Vorſorge ihren An⸗
fang nehmen! ſie ſind der groͤßte Theil des
Volkes. Wenn eure ſchützende Hand von
ihnen abgewendet iſt, wer wird ſie gegen
eigennuͤtzige Unterherren, gegen unbarm⸗
her⸗
ohne Vorurtheil. 197
herzige Beamte, wer wird ſie ſchuͤtzen? ihr
Schweiß iſt die Speiſe der uͤbrigen, der
gegen ihre Nährer undankbaren Bürger.
Wenn Unterdruͤckung ihre Sehnen ſchlaff
machet, wenn unmaͤſſige Foderung ihr Mark
verzehret; ſo wird der von der Natur theu⸗
re Namen vater verabſcheuet werden: wer
haͤtte Luſt Kinder der Muͤhſeligkeit zu zeu⸗
gen? ſo werden ihre Wohnungen Einoͤden,
ſo werden ihre Felder Wuͤſteneyen werden;
ſo wird endlich das Elend von dem Lande
bald in die Staͤdte ſchleichen, bald allge⸗
mein werden. „
„Wer wird dann, wuͤrde ich den Un:
terherren ſagen, welche die Duͤrftigkeit ſo
nahe zu betrachten das Herz haben, ohne
davon geruͤhrt zu werden, wer wird dann
die Wellen des Ueberfluſſes, worin ihr euch
erſaͤuft, unterhalten? — Sind eure Ein⸗
kuͤnften in Zehnten, in natürlichen Ent⸗
richtungen; ſchauet da, wie ſparſam die
Garben auf euren zinsbaren Aeckern ſtehen!
wie licht es dann in euren Scheunen, wie
vermindert der Haufen in euren Speichern
ſeyn wird! Sind fie im Gelde, woher ſol⸗
len zugrundgerichtete Unterthanen die Ga⸗
ben nehmen? woher? — Ihr koͤnnet zwar
N 3 das
198 Der Mann
das traurige Recht gegen ſie ausuͤben, ih⸗
nen mit aller Schaͤrfe zuſetzen, ihnen grau⸗
ſame Eintreiber ) in das Haus zu legen!
Aber wird es dem, der unter einer erdruͤ⸗
ckenden Laſt keuchet, dadurch leichter ge⸗
macht, wenn ich ihm noch einen Centner
zulege? — Ihr koͤnnet auch noch ein an⸗
ders Recht ausuͤben, und eure Unterthanen
abſtiften! “) Wohl! ihr werdet dieſes
traurige Recht ſehr oft, ihr werdet es fo
lange ausuͤben, bis auf euren Guͤtern eine
ſchreckliche Leere ſeyn wird. Ihr moͤget
dann, wie der Tyrann des Lybiſchen San⸗
des in Wuͤſten, auf duͤrren Haiden herr⸗
ſchen! „
XXVI.
) Extauirer.
) Das iſt das geſetzliche Wort, wenn der
Grundherr feinen ſogenannten Grundholden
kraft eines ihm durch die Verfaſſung zugeſtan⸗
denen Rechts des Hauſes und Grundes ent⸗
ſetzet. Dieß Recht, das bei unbewahrten
Gränzen das ältere Recht des Eigenthums
vereitelte, hat zum Wohl der bürgerlichen
Geſellſchaft und Ehre der Regierung, nun
enge Schranken erhalten.
ohne Borurtheil. 199
XXVI. |
A Us ihr — Zandelsleute! würde ich
zu dieſen gewendet, rufen, ihr Sroſſen!
die ihr vom Aufgange zum Niedergange an
eurem Pulte die Erde zinsbar machet! und
ihr Kleinern, deren Namen nicht mit den
Fuͤrſten gleich genennet wird! ihr ſeht die
Armuth des Landmannes ohne Theilneh⸗
mung? fein Betruͤbniß, glaubet ihr, koͤnne
euch nicht erreichen? welcher Wahn! koͤnnt
ihr ein Glied einer Kette in den Abgrund
werfen, das nicht die Glieder alle nach
ſich zoͤge ? koͤnnt ihr die Wurzeln unter⸗
graben, und den gegen den Himmel ſtei⸗
genden Wipfel des Baumes, und ſeine
ausgeſpreiteten Zweige aufrecht erhalten?
— Wenn euer Fleiß, eure Faͤhigkeit Rei⸗
chen wohlthaͤtig iſt; wenn von euren Fruͤch⸗
ten Länder gefättiget, und unter eurem
Schatten Provinzen erquicket werden, o,
fo ſeht hier die Wurzel eures Wachsthu⸗
mes, in dieſem verkennten, niedergetre⸗
tenen Landmanne! Den Ueberfluß, den ihr
duͤrftigen Provinzen mittheilet, aus weſſen
Hand empfängt ihr ihn? er — iſt es, dem
ihr ihn zu verdanken habt: durch feine be-
N 4 ſchweiß⸗
200 Der Mann
ſchweißte Mühe iſt er erzielet. Die Schaͤ⸗
tze alſo, die dafür in eure Kuͤſte einfluͤſſen,
ſeht, wem ihr fie zu verdanken habet!
Laſſet ihn nun elend, laſſet ſeine Hand
kraftloß ſeyn! Laßt ihn euren Manufak⸗
turen, allen den koſtbaren Zweigen eurer
Ausfuhr den erſten Stoff nicht mehr lie⸗
fern! -= == Laſſet dann eure Schiffe mit
vollen Segeln in die See ſtechen! =
„„Dein Schickſal aber, geſchickter
Rünſtler! arbeitſamer Zandwerker! dein
Schickſal graͤnzet zunaͤchſt an dem feinigen.
Er faͤllt nicht, ohne dich am erſten mit
ſich in den Abgrund zu ziehen. Der Lohn
deiner Arbeit, deines Fleiſſes, deiner Erz
findſamkeit und Anſtrengung, wird genau
genug ausgemeſſen; du empfaͤngſt ihn mit
einer Hand, um mit der andern ihn fuͤr
die Bedürfniſſe deines Lebens wieder da—
hin zu geben. Aber dieſe Beduͤrfniſſe,
wann fie der nicht gefchüßte Landmann
zu erzielen unterlaͤßt, wann er ſie dir,
wann er ſie der Geſellſchaft zu liefern,
keine Aufmunterung erhält, wann verlaf-
ſene Felder ein ewiges Jubeljahr feyern —
Du ſiehſt dein Schickſal: ich brauche dein
Au⸗
ohne Vorurtheil. 201
Auge mit einem abſcheuvollen Bilde nicht
weiter zu beleidigen. „„
„„ Auch den raſchen Krieger, ihn vor⸗
züglich wuͤnſche ich vor mir! ihn, der
vielleicht nun eben den Pflug aufgehangen,
und noch mit ungewohnter Hand, ein Neu⸗
ling in ſeinem itzigen Stande, die Waffen
fuͤhret — Ungeſtuͤmer! mit welcher Blind⸗
heit biſt du geſchlagen? verkenneſt du ſchon
in dieſem Manne, deſſen Ruͤcken von Ar⸗
beit gekruͤmmet iſt, verkenneſt du deinen
Bluts verwandten — den Hüter deiner Ju⸗
gend — den Geſpielen deiner Kindheit —
deinen Bruder vielleicht — Er — iſt es
nicht, gegen den das Vaterland deine
Herzhaftigkeit heiſchet; zu ſeinem Schutze
hat es dich gedungen. Wenn das Schwert
des Feindes auf ihn gezuͤcket iſt, ſo ſollſt
du dich dem Streiche entgegen werfen, um
denſelben von ihm abzuwenden! ungluͤck⸗
licher! und du ſelbſt ſchlaͤgſt ihm die Wun⸗
de? Wenn die Fakel des Krieges ſeinen
Saaten, ſeiner Huͤtte drohet, du ſollſt ſie
abhalten, du den Brand, waͤre es noth-
wendig, auch mit deinem Blute loͤſchen;
und nicht ſelten unterhaͤltſt, oft entzuͤndeſt
du ihn! Wenn Raubſucht ſeinen Heerden
N 5 nach⸗
202 Der Mann
nachſtellet « du ſollſt ihr Hüter ſeyn! und
du ſelbſt wuͤrgeſt unter ſeinen Schaafen! —
Mehr als einmal war ich ein bethraͤnter
Zuſchauer ſo grauenvoller Scenen, wenn
der Muthwillen Saaten zu Boden trat,
wenn Gewalt das Weib, wenn Verfuͤh⸗
rung die Tochter — ich kann nicht fort⸗
fahren; ich kann nicht vollenden — „
„Unter dieſen traurigen Vorſtellungen
war die Mitternacht herangeruͤcket. Wir
uͤberlieſſen uns dem Schlafe. Die Wach⸗
ſamkeit des Landvolkes weckte auch uns,
noch ehe die Sonne über unſern Geſichts⸗
kreis heraufgeſtiegen war. Auf einen reg⸗
neriſchen Abend folgte der heiterſte Tag,
Wir hatten uns ſehr nach einem ſolchen
Tage geſehnet, der unſre Gefangenſchaft
enden möchte. Wir werden nun davon
Vortheil ziehen, und unſre Reiſe fortſetzen.
Da wir derſelben kein gewiſſes Ziel vor⸗
geſteckt haben; fo ſenden Sie mir den Bo»
then nicht, bis ich Ihnen eine Nachricht
von meinem Aufenthalte mitzutheilen, im
Stande bin. Aber bereiten Sie ihrem
Freunde ein Paͤckchen feiner, anmuthiger
Neuigkeiten, die mein durch die vorherge⸗
henden Vorſtellungen ganz finſter gewor⸗
. de⸗
ohne Vorurtheil. 203
denes Gemuͤth wieder aufheitern! Es kann
Ihnen daran nicht . Ich bin: u.
ſ. w. „,
ergebenſter der
Verfaſſer
eck in Steyermark den 2. dun
Hechinverchrender Herr!
28 daß ich des betruͤbten Auftrages an
Sie zu ſchreiben, uͤberhoben waͤre! Was
fuͤr eine Nachricht werden Sie da leſen!
Mein Fuͤhrer, mein theurer Lehrer, mein
Freund iſt krank — krank, in einem Dorfe,
wo er keine Wartung, keine Linderung
findet, wo auf einige Meilen herum kein
Arzt, wo in dem ganzen Orte kein Arz-
neymittel zu haben, wo zu aller Huͤlfe ein
elender Bader iſt, deſſen ganzer Werkzeug
in einigen halbverſchliffenen Bartmeſſern,
deſſen ganzes Kenntniß im Aderlaſſen be-
ſteht! um welchen Preis muß ich die Huͤlf⸗
loſigkeit des armen Landvolkes kennen ler⸗
nen! „
„ Wie pocht mir das Herz! nie habe
ich eine ſolche Hufe gehabt! ich bin
nicht
204 Der Mann
nicht im Stande, fie Ihnen auszudruͤcken:
mir iſt — enge um die Bruſt — meine
Hand zittert — ich bin unfaͤhig zu den⸗
ken — zu ſchreiben. Vergeben Sie, ich
kann nicht fortfahren. Hier liegt Sie, die
meiner Hand entfallene Feder! — „
„Du, die du mich an deiner Hand
hieher geleitet, wo ich dich kennen, wo ich
dich verehren lernen, ewige Vorſehung!
hier liege ich auf meinen Knieen, und flehe
dich um ſeine Erhaltung, flehe dich um ſein
Leben an — Aber ich will mich faſſen: ich
will mich troͤſten: ſie wachet gewiß, dieſe
Vorſehung; und wachet über dieſe Gegen-
den beſonders, wo das verlaſſene Landvolk
ſonſt die Beute jeder Krankheit, jedes Zu⸗
falls, der fruͤhe Raub aller Gebrechlichkei⸗
ten ſeyn müßte. „
„Wie aͤngſtiget mich der Gedanke, daß
ich die Urſache dieſer ihm angeſtoſſenen
Krankheit bin! Mir zu Liebe that er dieſe
beſchwerliche Reiſe: mir zu Liebe ſtieg er
den Berg, der Oeſterreich von Steyer-
markt ſoͤndert ), hinan, und kam von
der Hitze, die geſtern ſehr groß war, bes
reits ſehr abgemattet hier an. Er klagte
uͤber
) Der Semering.
ohne Vorurtheil. 205
über Kopfwehe, und begab fich zeitlich zur
Ruhe. Um meine Nacht nicht unruhig
zu machen, ſagt er mir, habe er ſich
nichts merken laſſen, daß er ſich ſehr uͤbel
befinde. „
„Heute kam ich gleichwohl ſehr frühe
vor ſein Lager. Er hielt eben ſeinen Kopf
mit der einen Hand. Fuͤhlen Sie die Kopf⸗
ſchmerzen noch? fragte ich ihn: ſie haben,
antwortete er ſehr leiſe, die ganze Nacht
fortgedauert, und heute gegen Morgen ſehr
zugenommen — Er ſah die Unruhe, in die
mich dieſe Nachricht verſetzte, und um mich
zu beruhigen, zwang er ſich gefaͤllig zu ei⸗
nem Lächeln, aber es war ein Lächeln, wo
der Schmerz zu merklich durchſchien — Ich
habe dieſe Nacht nicht geſchlafen, fuhr er
fort, ich will mir nun ein wenig Ruhe
goͤnnen; ſo wird es bald voruͤber ſeyn.
Inzwiſchen, befahl er mir, ſollte ich Ih⸗
nen von unſerm Aufenthalte, und nur
von dieſem Nachricht geben — Ich will
zuſehen ob er eingeſchlafen iſt. „
Copa-faum,
Nach:
206 Der Mann
Nachmittag um 3 Uhr.
6 Ich will an dem Schreiben meines gut⸗
herzigen Gefährten nichts abändern , ob
gleich ſein Schrecken ohne Grund war,
dann ich bin nun wieder auf meinen Fuͤſ⸗
fen. Aber ich hätte es nicht gerne geſe⸗
hen, daß er weniger unruhig geweſen waͤre.
In meinen Augen iſt ein Undankbarer ein
Ungeheuer, den Himmel, und die menſch⸗
liche Geſellſchaft verabſcheuen muͤſſen. Die
Dankbarkeit iſt die Grundlage aller Tu-
genden, die Grundlage unfrer Verehrung
gegen Gott, unſers Eifers für das Vater⸗
land, unfrer Pflicht gegen unſre Aeltern
„„Es war gleichwohl ein Gluͤck für
ihren Freund, daß es nur ein voräberraus
ſchender Pfeil war. Denn wehe dem, der
hier von einer Krankheit befallen wuͤrde!
Mein Schuͤler hat ſich, ohne mein Heiſſen
und Wiſſen, nach Huͤlfe umgeſehen: aber
wo haͤtte er ſie gefunden, wenn ich ihrer
beduͤrftig geweſen wäre? — Die Gefells
ſchaft ſcheint in dieſem, wie in manchem
andern Stuͤcke, dieſer armen Glieder voͤl⸗
lig uneingedenk zu ſeyn. Aerzte, Apothes
cken, ee ſind in mo. ges
haͤu⸗
ohne Vorurtheil. 207
haͤufet, hier — gar keine. Die verlaſſene
Menſchlichkeit zwar iſt genug gerächet, da
die Natur dieſe ihre Lieblinge mit dauer-
hafteren Körpern begabet, als die bei ei⸗
nem geringen Hauche kraͤnkelnden Staͤdter,
welchen die Verzaͤrtelung der Erziehung,
die Kuͤnſteley der Kuͤche, und ihre traͤge
Unbehuͤlflichkeit, ein fruchtbarer Urſprung
ſo mancher unter den ſich ſelbſt gelaſſenen
Landleuten fremder Krankheit, dieſe Heere
von Aerzten unentbehrlich machen. „
„Und wer wird die Aerzte unter
Leuten bezahlen, welche, wie Sie ſelbſt
ſagen, nur kümmerlich ihr Leben durch⸗
ſchleppen v ft Ihnen die Frage nicht ent⸗
weder ſelbſt beigefallen? oder von andern
gemacht worden? — Wer ꝛ der Staat!
Kann eine Ausgabe beſſer als zu Erhal-
tung ſo mancher tauſend ſeiner Buͤrger an⸗
gelegt ſeyn? Und muß dann der Arzt eben
ſo uͤberzahlet werden? Ich weis zwar, daß
es fein Beruf iſt, das Leben der Bürger.
durch ſeine Kunſt zu ſichern: daß er es iſt⸗
Schaͤtze zu ſammeln, das weis ich nicht. „
„Aber wle ? wenn der Staat die Orden,
denen frommer Beruf es zur Pflicht macht,
der Kranken zu warten, und die durch die
Vor⸗
208 Der Mann
Vorſorge der Landesfürften, oder die Mild⸗
thaͤtigkeit ſo mancher Patrioten in Stand
geſetzt ſind, der Menſchlichkeit und ihren
Mitbuͤrgern dieſen Dienſt zu erweiſen,
ohne dagegen einen Lohn zu erwarten,
wenn er dieſe aus den Staͤdten, wo an
Aerzten, an Wartung, an wohlgeſtifteten
Krankenhaͤuſern kein Abgang iſt, auf das
offene Land, wo es an allen dieſen fehlet,
verſendete? Wie manchen zu frühen Raub
wuͤrden ſie dem Tode entreiſſen! wie man⸗
chen Buͤrger dem Staate erhalten! Durch
welche heilige Bande wuͤrden ſie ſich die
allgemeine Dankbarkeit verpflichten! Wie
wuͤrde ſie der Landmann — als Engel
wuͤrde er ſie verehren. „
„Waͤre doch dieſer Brief fo glücklich,
in die Haͤnde derjenigen zu verfallen, die ei⸗
nen nur hingeworfenen Vorſchlag bis zu
feiner Reife hinan zu führen, den Willen
und die Gewalt haben! welche Freude et⸗
was zum Wohl der Geſellſchaft beigetragen
zu haben, fuͤr „
ihren ergebenſten =
den Verfaſſer.
XXVII.
ohne Borurtheil. 209
XXVII.
Wien den 10. Jun. 1766.
Mein Freund!?
* Das waͤren nun freylich Toͤne, die
in den Ohren ihrer Hinterlaſſenen keine
liebliche Muſik find, dieſe pathetiſchen Kla⸗
gen uͤber das Elend des Landmannes, um
welches wir uns ſehr wenig bekuͤmmern,
und von dem wir eilfertig die Augen ab-
wenden, um in unſrer weichlichen Fuͤhl⸗
loſigkeit nicht durch unwillkuͤhrliches Mit⸗
leiden geſtoͤret zu werden. Haben Sie
denn keine angenehmere Dinge an uns zu
überſchreiben? — — Im Ernſte nicht?
wohl! fo kommen Sie immer wieder zu⸗
ruͤcke, wo ihrer eine reiche Aerndte wartet!
„Wie lang iſt es, daß Sie uns ver:
laſſen haben? ungefaͤhr, drey Wochen? mit
jeder Woche find die Geſichter unſrer Pu—
pen um ein paar Zoll gewachſen, und
ſie machen nun von der Spitze des Kins
an, bis zur oberſten Locke gemeſſen, ges
rade einen und ein Viertel hieſigen Wert:
ſchuh aus. Ich erhielt von einem ganz
artigen Maͤdchen, das in der Kunſt, einen
II. Theil. O Kopf
210 Der Mann
Kopf aufzuſtuͤtzen, eine Gattung von Wolf
iſt; fo methodiſch weis fie die Urſache an⸗
zugeben, warum eine Locke da ſteht,
wo ſie ſteht, und warum ſie nicht an⸗
ders ſteht; von dieſem Maͤdchen erhielt
ich eine umſtaͤndliche Beſchreibung eines
neumodiſchen Kopfes, im Ganzen, und in
allen feinen Theilen, und nach den Ver-
hältniſſe aller Theile unter ſich. Ich
gab vor, ich waͤre von einer Freundinn
aus der Provinz darum erſucht worden,
welche durch dieſen Aufſatz in einer Ge⸗
ſellſchaft die hochmuͤthige Frau von ===
wollte aus der Haut fahren machen, die
nicht lange von Wien gekommen wäre ,
und an der Geſtalt ihrer Blenden) und
an dem Schnitte ihrer Saloppe, und an
dem Schwunge ihrer Manſchetten ſehr
viel auszuſetzen wüßte; die ſich ſogar haͤt⸗
te verlauten laſſen, fie finde ihre ganze
Tracht ſo altfraͤnkiſch, als ſie ſchon vor
vier Monaten in Wien nicht mehr geſehen
worden. Ich weis nicht, ob Sie mich mit
allen den Kunſtwoͤrtern verſtehen werden,
ü die
) Was die Franzbſinnen in ihrer Technologie
les papillons nennen.
ohne Vorurtheil. 271
die in dieſes Meiſterſtuͤck einer cypaſſiſchen
) Schilderey mit eingeflochten find. „
V Sie ſagte mir alſo: das ſchoͤnſte
Ebenmaaß eines Frauenkopfes waͤre ein
Viertheil der Breite zu einem Ganzen
der Hohe, dergeſtalt, daß ein Geſicht,
alles, Eigenes und Fremdes mit begriffen,
gerade viermal ſo hoch, als breit ſeyn
ſoll. “) Sind nun von einem Ohre zum
andern vier Zoll — welches das ſchoͤnſte
Ebenmaaß eines Geſichtes, und gerade
das ihrige waͤre — ſo muͤſſe es ſechszehn
O 2 Zoll
*) Cypaſſis, eine berühmte Zaarkrauſerinn der
Rbmerinnen.
%%) Ungefähr nach dieſem Blatte läßt ſich der
Lauf der Moden in ihrem Kreiſe, und ihre
Wiederkehr beinahe mit eben der Genauheit
beſtimmen, als Lalande den zagenden Pari⸗
ſerinnen die Wiederkehr des Kometen beſtimm⸗
te, deſſen furchtbarte Schweif das Opernhaus
zerſtöhren, und das Bois de Bonlogne ſengen
ſollte. Da der gethürmte Kopfſchmuck, der
in Mitte des 1766ſten Jahres Mode war, zum
Anfange des 1781ſten Jahres auf unſerm Ge⸗
ſichtskreiſe wieder ſichtbar geworden, ſo iſt der
Lauſkreis der Mode auf 14 Jahre 7 8 Mo⸗
Nate zu berechnen.
212 Der Mann
Zoll im Ganzen „das iſt, wie ich geſagt
habe, einen ein viertelſchuh ausmeſſen.
„In dieſem Ganzen muͤßte, nach ih⸗
rer genauen Ausmeſſung, das Geſicht ſie⸗
ben Zoll ausmachen, und reine neun Zoll
fuͤr den Haarputz uͤbrig gelaſſen, von die⸗
ſen neun Zollen aber, fünf unabaͤnderlich
fuͤr das Stirnhaar eingeraͤumet, die vier
andern unter die Locken vertheilet werden.
„Die Friſur mit dem ganzen Kopfe
zuſamm muß die Geſtalt von zween ſtum⸗
pfen mit der Grundfläche aufeinander ge⸗
ſtellten Zuckerhuͤte nachahmen. Die Friſur
allein ſtelle vollkommen eine Terraſſe vor,
wovon das Stirnhaar vorne in einen Win⸗
kel zuſammlaͤuft, die Locken aber drey uͤber⸗
einander gelegte Baluſtraden, oder Ge⸗
Länder abgeben. „
„Die Locken haben abermal ihre rich⸗
tigen verhaͤltniſſe gegeneinander, ihre ei⸗
genen Benennungen. Die unterſten, wel⸗
che gerade auf dem Vorgrunde aufliegen,
duͤrfen nicht mehr als drey Viertel zoll
meſſen: fie heiſſen la premiere Rangée,
die erſte Lage: die zweyten: les ſurveil-
lans, die Aufſeher genannt, muͤſſen im
vollen maſſe, fuͤnf Viertelzoll haben: die
ober⸗
ohne Vorurtheil. 213
oberſte Lage, les petits oeufs des Dindons,
die kleinen Truteneyer, von ihrer Ge:
ſtalt ſo genennet, haben zwey Zoll. Ruͤck⸗
waͤrts iſt eine groſſe lange Locke, die man,
wie ſie ſagt, Frimas, den Reifen, oder auch
die Contreſcarpe nennet, die zur Gegen:
ſtütze dienet, worauf die gethuͤrmte Laſt
von Haaren ruhet. „
V Dieſe Art von Kopſputz wird ala
Guipfon getaufet, weil das Stirnhaar ei⸗
ner Art von Bürſte nicht unaͤhnlich iſt, wo⸗
mit der Boden der Schiffe geteeret wird.
Seine gewoͤhnliche Verzierung iſt, von
vorne eine von der Mitte gegen die Linke
fallende Guirlande, und ruͤckwaͤrts eine
Voile ferlèe, das iſt: ein eingezogenes
Segel, um unter den Wind zu fahren. „
„Es giebt, ſagte fie, noch eine andre
Art von Aufſatze, die ſeit einiger Zeit mit
dieſer um den Vorzug ſtreit, aber ihn, wie
ſie ſich gewiß vorher zu ſagen getrauet,
nimmermehr behaupten wird. Die Ans
haͤnger und Befoͤrderer derſelben nennen
ſie la Gargouille, nach dem Kunſtworte der
Wappenkunſt, fo ſchlangenförmig bedeu⸗
tet; welches Wort aber die Gegner dieſer
verunſtaltenden Neuerung mit einem Wort⸗
O 3 ſpie⸗
214 Der Mann
ſpiele in Barbouille abgeändert haben. Das
Ebenmaaß des Ganzen ift mit der à la
Guipfon ganz uͤbereinſtimmend: aber die
drey Range verlaufen ſich hier in einander
in das Stirnhaar, und machen halbmond⸗
foͤrmige, gegen einen gemeinſchaftlichen
Mittelpunkt zulaufende Locken aus, die
dem Kopfe eine etwas ſpitzſaͤulenmaͤſſige
Form geben, welches das groſſe Hinderniß
ihrer allgemeinen Aufnahme iſt, ob ſie gleich
mit einem eignen Boten uͤber Aachen hie⸗
her geſendet, und durch drey der liebrei⸗
zendſten Köpfe empfohlen worden. „
„Damit ich meiner vorgegebenen Freun⸗
dinn ein vollſtaͤndiges Werk liefern koͤnnte,
welches ſie in keinem Falle verlaͤßt; ſo war
meine Lehrmeiſterinn von der vorſorgenden
Güte, noch die mancherley Abmeſſungen
und Geſtalt des Haarputzes im Verhaͤlt⸗
niſſe mit den gauben hinzuzuſetzen. Sie
unterſcheidet ſehr weislich eine Haube à
pleine caprice — à demi caprice — und
a Tavanture, „
„A pleine caprice heißt ſie, wenn
auf der Terraſſe des Stirnhaares ſchon la
premiere rangee, und les ſurveillans fer-
tig ſtehen; aber die unzufriedene Schoͤne
aus
ohne Vorurtheil. 215
aus eitelm Eigenſinne ſtatt der letztern
Reihe Locken ein gaubchen aufleget, deſſen
beide Blendchen die Sylphenſchwingen
des laurenden Amors vorſtellen — Sie er⸗
innert ſehr vorſichtig: es muͤſſe ſich jedes
Geſicht ſelbſt wohl unterſuchen, ob ihm
dieſes Kopfzeug vortheilhaft waͤre? weil
gewiſſe Bildungen, z. B. die runden, fett⸗
lichten Geſichter dadurch ganz unertraͤglich
wuͤrden; auch das hintere Segel zu wer⸗
fen, eine ſehr geſchickte Hand erfoderlich
ſey —
„Es laͤßt ſich nun leicht erachten, was
eine Haube à demi caprice iſt: nämlich
diejenige, wo die Schoͤne, nach der erſten
Lage der Locke eine Laune befaͤllt, und ſie,
wie etwan ein Baumeiſter, den der Win⸗
ter uͤberfallen hat, nur unter Dach zu kom⸗
men eilet. Hier muß demnach der Srimas
ganz wegbleiben, weil die Haube zur Haͤlf⸗
te uͤber den Chignon hinabſteigt. Es ſoll,
nach ihrer Erinnerung, von einer Blende
zur andern wenigſtens ein Zwiſchenraum
von drey Zollen gelaſſen, und die Zang⸗
ſtreife “) in dem guͤnſtigen Ebenmaaſſe in
O 4 drey
) Madam La ... wird es einem deutſchen
Au⸗
216 Der Mann
drey auch vier verlorne Stufenfalten ges
legt ſeyn. „ |
„Jedoch die Haube à P'avanture, die
muß ihr Guͤnſtling ſeyn. Sie ſcheint ih⸗
ren Namen von der Bequemlichkeit oder
der Beſtimmung empfangen zu haben.
Sie fodert nur ſehr wenige Augenblicke,
und huͤlft den offenen laͤchelnden Geſich⸗
tern, oder auch den läſſigen Laurerin⸗
nen auſſerordentlich auf. Koͤnnte Venus
ihre goldnen Haare jemals unter eine Hau⸗
be zwingen; ſo wuͤrde ſie dieſe Tracht waͤh⸗
len, wenn ſie den reiſigen Jaͤger Adonis
am fruͤhen Morgen zu belauſchen, und ſei⸗
ne Niederlage beſchloſſen haͤtte. Sie wuͤr⸗
de dann zu ihrem Vulkan wiederkehren,
ohne Unordnung, ohne Verdacht — eg
5 E
Autor vergeben, der verwegen genug, einen
Verſuch zu wagen, ob es möglich ſeyn möch⸗
te, der Eleganz und Kigenthümlichkeit der
franzöſiſchen Putzſprache, in etwas nahe zu
kommen. Er fühltes ſelbſt, wie weit Zang⸗
ſtreif noch hinter Barbe gelaſſen iſt, womit
fie und ihre Kunſtverwandtinnen den langen
Streifen bezeichnen, welcher an den Frauen⸗
hauben zu beiden Seiten rückwärts hinab⸗
ſteigtt.
ohne Borurtheil, 217
läſſige Putz iſt dennoch nicht ohne alle
Kunſt. Das Stirnhaar muß hoͤher, als
bei den andern allen emporſteigen. Das
Loͤckchen, in welches ſonſt das Seitenhaar
zulaͤuft, wird weggelaſſen, an deſſen ſtatt
die Haare mit kuͤnſtlicher Unachtſamkeit
hinter das Ohr gelegt werden, wobei ein
kleines, wohlangedruͤcktes Ohr — eine
Schoͤnheit, die ſonſt immer verborgen
bleibt — ſehr in die Augen faͤllt. Es darf
nicht uͤbergangen werden, daß die Blen⸗
den ſo genau an beide Schlaͤfe angedruͤckt
ſeyn muͤſſen, daß keine Lage des Kopfes
daran leicht eine Verwuͤſtung anzuſtellen
fähig iſt — „
„ Was deucht Ihnen von dieſer puͤnkt⸗
lichen Beſchreibung aller Kopftrachten ?
Ihr geſchickter Freund, Herr Schmutzer,
hat mir verheiſſen, die verſchiedenen Koͤpfe
alle in Kupfer zu bringen, in den Erhoh:
lungsſtunden, die ihm fein Rubens)
übrig laͤßt. Wir find Willens, zu je⸗
dem Kopfe ein ſchönes Original unter
. un⸗
) Dieſer vortreffliche Kunftler arbeitete an einer
Grablegung von Rubens, aus der fürftlich
Lichtenſteiniſchen Bilderſammlung.
218 Der Mann
unfern Mädchen aufzuſuchen, um mehr
Reiz und Leben hineinzubringen, und dann
ein vollſtaͤndiges Werk auf Praͤnumeration
zu veranſtalten, welches, wie ich hoffe,
guten Abzug finden ſoll — „
„Ich ſehe Sie mit Ungeduld das Blatt
umſchlagen. Ich hoͤre Sie fragen: wie ?
wußten Sie einen halben Bogen mit nichts
Wichtigerem anzufuͤllen? und ich antworte
Ihnen: nein, nichts, das einen krank
geweſenen Freund, der mir ſeine Gefahr
aus gefaͤlliger Sorgfalt vielleicht nur ver⸗
kleidet, zum Laͤcheln aufzuheitern faͤhiger
waͤre. Wann ich erſt eine Beſtaͤttigung
ihres hergeſtellten Wohlſeyns erhalten ha⸗
ben werde, dann ſollen Sie ernfihaftere
Neuigkeiten erhalten von „
ihrem Freunde
56565 5 „ „ „ „ „ A
XXVIII.
ohne Vorurtheil. 219
XXVIII.
Wien den 11. Juny 1766.
Mein Freund!
* Eue, ſagte ich zu dem Boten, der Ih⸗
nen dieſes Schreiben behaͤndigen wird, und
weiche weder zur Rechte noch zur Lin.
re ab, und ſieh nicht hinter dich, damit
du nicht ſaͤumeſt, und er bald wieder⸗
kehre, an den ich dich ſende! — denn
nun, Sie duͤrfen durchaus nicht ihre Reiſe
vollenden — „
„Das war fie eben, die ernſthafte
Neuigkeit, mit der ich Sie nicht gerne un⸗
terhalten wollte, ſo lange Sie krank ſeyn
duͤrften: aber es iſt durchaus nothwendig,
daß Sie ſolche wiſſen, ehe Sie ihren Staab
weiter ſetzen. Die Foderungen ihrer Leſer
werden ungeſtuͤmm. Einige rufen Sie zu⸗
ruͤcke aus Ungeduld, einige aus Unzu⸗
friedenheit uͤber mich — denn ich weis
nun zuverſichtlich, daß ich die Ehre habe,
manchem ſpitzen Kopfe, und manchem an⸗
gedruͤckten Haͤubchen zu mißfallen — und
endlich einige ſprechen in dem drohenden
Tone.
220 Der Mann
Tone. Urtheilen Sie ſelbſt, was Sie zu
thun haben werden, aus dieſen Bin⸗
ſchlüſſen! Ich habe wegen der Verfaſſer
einige Muthmaſſungen; aber ich behalte
es mir vor, fie Ihnen bei ihrer Nuͤckkunft
mitzutheilen. Wenn ich recht muthmaſſe,
ſo ſind es Geheimniſſe, die nur ins Ohr
wollen geſagt werden. „ i
„ In der That, ſo gerne ich uach ihre
Anmerkungen uͤber einen wichtigen, einen
von aller Welt hingeworfenen Gegenſtand,
geleſen haben wuͤrde; ſo ziehe ich doch das
Vergnuͤgen ihrer Gegenwart und perſoͤn⸗
lichen Unterredung allen ſchoͤnen Betrach⸗
tungen, die Sie mir von ferne zuſenden
muͤſſen, vor, und ſage es Ihnen hundert⸗
mal lieber, als ich es einmal ſchrelbef daß
‘ ich bin „
ihr ergebenſter
Erſter Einſchluß.
Mein Herr Mann ohne Vorurtheil!
3 Dee Wochen gehen unſre Thoren mit
emporgeſchlagenem Haupte, und ſind, wie
die Roſſ' und Maͤuler, die beinen Verſtand
ha⸗
ohne Vorurtheil. 221
haben. Eilen Sie, mit Zaume und Kinn⸗
kette ihre Backen anzuziehen, und ihre Naſe
zu baͤndigen! oder die Frucht ihrer halb⸗
jaͤhrigen Arbeit iſt dahin. Wahrlich, gu⸗
ter Schriftſteller, der Einfall war ſo ziem⸗
lich launhaft — denn ich will nicht grül⸗
lenhaft ſagen — ſich da auf das Land zu
verlaufen. Sie wollten doch den Bauern
nicht etwa ihr Elend dadurch empfindlicher
machen — daß Sie ihnen ſagten: ihr ſeyd
elende! Die guten Leute mußten es wohl
fuͤhlen, daß ſie es ſind. Und wollten
Sie es uns etwa ſagen; ſo kaͤme mir das
eben ſo vor, als wenn Sie nach Indien
reiſen wollten, um uns von den Leckerbiß⸗
chen der neuen Welt zu warnen. Der
Prediger muß ſich zu den Zuhörern ver⸗
fügen, wenn dieſe ihm nicht nachgehen;
und da haben wir nicht eben Luſt, die
Stimme des Rufenden in der Wuͤſte auf⸗
zuſuchen. „
„Noch eines, mein Herr! glauben
Sie wohl, daß der Gegenſtand, uͤber den
Sie im XXV. und XXVL Blatte fo
heftig deklamirten, ein beliebter Gegen-
ſtand iſt? Ein Maler, der einen ſiechen
Menſchen zeichnet, deſſen Wunden von
Ei⸗
—
222 Der Mann
Eiter triefen, wuͤrde defio mehr Ekel er⸗
wecken, je genauer er die Natur traͤfe.
Was iſt denn ihrem lieben Landmanne mit
l unfruchtharen en Ber
net?
.. Verba nil proßicienkin, fruſtra
„Kehren Sie alſo bald wieder zuruͤcke,
wo Sie unter Gegenſtaͤnden waͤhlen koͤn⸗
nen! unter anziehenden Gegenſtaͤnden, die
den herzhaften Mann ohne Vorurtheil ſo
eigentlich charakteriſiren, und von den fro⸗
ſtigen Alletagswochenblaͤttern unterſchei⸗
den! Bei ihrer Wiederkunft wird Ihnen
der ganze Kreis meiner Freunde zufauch⸗
zen, und in ihrer Mitte
ihr beſonderer Verehrer
und eifriger Leſer P..
Zweyter Einſchluß.
Mein Lieblingsſchriftſteller!
ak Aber nicht vom ſchwarzen Brode, nicht
von der lumpichten Hauswirthinn, von
allen den Dingen nicht, die Sie uns ei⸗
nige Zeit her zu leſen geben! — Was habe
ich
ohne Vorurtheil. 223
ich Ihnen — tauſend Dinge habe ich Ihnen
zu ſagen! Ich bin ein Mädchen von ſte⸗
benzehn Jahren, in dem Alter, wo die
Maͤdchen ganz von feuerfangendem Stoffe
ſind, wo unſre Augen — Doch hiſch! ich
moͤchte gleichwohl auch nicht fuͤr ein boͤſes
Maͤdchen bei Ihnen angeſchrieben ſtehen.
Ich will vor meinem Spiegel meine zuͤch⸗
tige Mine wieder aufſuchen — Nun da
habe ich ſie erhaſcht, und trete nun, wie
eine Nonne vor ihre wuͤrdige Mutter, mit
beſcheiden niedergeſchlagenen Augen und
ſittſamen Gebehrden vor Sie hin — „
„Wirklich weis ich itzt nichts von den
tauſend Dingen, die ich Ihnen zu ſagen
hatte; und ſie waren, daͤuchte mich, ſo
wichtig, ſo nothwendig — Doch da faͤllt mir
zum Gluͤcke das allerwichtigſte, das aller⸗
nothwendigſte, gerade dasjenige ein, wes⸗
wegen ich eben an Sie ſchreibe. Ich will
mir nun ein feyerliches Anſehen geben.
Hören Sie! Es iſt hier eine fuͤrchterliche
Verſchwoͤrung von eiteln Maͤdchen gegen
ihr Blatt. Ich ſelbſt habe aus dem Becher
der Verſchwoͤrung getrunken, und es iſt
mir von meinen Mitſchweſtern aufgetra⸗
gen, Ihnen zu bedeuten: woferne Sie in
drey⸗
124 Der Mann
dreymal vier und zwanzig Stunden nicht
wieder in dieſe Stadt zuruͤck kaͤmen, ſo
wuͤrde nicht nur keine von unſerm Mittel
ein Blatt leſen; ferner wir wuͤrden auch
unſern Liebhabern, bei der empfindlichen
Strafe, uns drey Monate lang keine Thor⸗
heit vorzuſagen, auferlegen, unſer Beifpiel
nachzuahmen — Das waͤre ein ewiger Hohn
fuͤr unſere Reize: wie? die franzoͤſiſchen
Maͤdchen ſollen im letzten Kriege auf dieſe
Art eine Flotte errichtet haben, und wir
Wienerinnen, wir ſollen nicht im Stande
ſeyn, eine Wochenſchrift zu unterdruͤcken —,,
Wir find mit ihrem beiſſenden Kor⸗
reſpondenten durchaus nicht zufrieden, und
wollen Sie nun einmal ſelbſt wieder hier.
Verachten Sie unſre Drohung nicht! Sie
ſind klug genug, die Groͤſſe der Gefahr
einzuſehen. Denken Sie! bis funfzig
Verſchworne, worunter ich nur von mit⸗
terem Range bin — und die ſchaalen Koͤ⸗
pfe, die um mich herum klaffen, mitge⸗
zähle, entfuͤhre ich allein Ihnen etlich und
zwanzig Leſer. Rechnen Sie nun auf zehn
des erſten Rangs fuͤr jede dreyſſig; nur
zwanzig auf zwanzig von mitterem Schla⸗
ge; und auf die übrigen zwanzig vom
Troſ⸗
—
ohne Vorurtheil. 225
Troſſe überhaupt nur zehn — Rechnen
Sie ein wenig! Armer Verleger! armer
Schriftſteller! — Aber noch ſteht es bei
Ihnen, das Schreckengewitter, das ſich
uͤber ihrem Haupte zuſammgezogen, zu
zerſtreuen, wenn Sie gehorchen
ihrer, aber nur ihrer begierigen
Leſerinn Cͤcilie.
Dritter Einſchluß.
In einem Umſchlage: an den zurück⸗
gelaſſenen Rorreſpondenten des Man⸗
nes ohne Vorurtheil.
Mein Herr!
55 Sie ſind der Bevollmaͤchtigte des Man⸗
nes ohne Vorurtheil! melden Sie ihm
von mir in zwey Worten: er habe ſu waͤh⸗
len — zwiſchen einem anfehnlichen Ehren⸗
gelde, wenn er die Materie verlaͤßt, in
die er eingeſchlagen — da, wo er ſteht,
ohne einen Schritt vor ſich zu ruͤcken —
oder zwiſchen der härtſten Begegnung,
wo er gegen den Stachel ausſchlaͤgt, und
tiefer in das eindringt, was nie ein Ohr
hoͤren, noch ein Aug ſehen ſollte —
II. Theil. P „Mel:
226 Der Mann
„Melden Sie ihm auch: er ſoll aus
Liebe zu denen, fuͤr die er eifert, dießmal
feiner Hartnaͤckigkeit, oder wenn er fo will,
Standhaftigkeit gebieten. Wenn unſre
Hunde entlaufen wollen; ſo befehlen wir
den Jaͤgern, die Stricke deſto feſter an⸗
zuziehen.)
ohne Unterſchrift.
XXX.
8
) In Mitte meiner Über das Landvolk, Über
der Hülfloſigkeit, worin ſie die öffentliche
Aufſicht läßt, über die Bedrückungen der un⸗
tergeordneten Deſpoten, erhielt ich Befehl,
von dieſem Gegenſtande zu ſchweigen. Man
hatte, dieſen Befehl zu bewirken, ſich des
Vorwandes bedienet, daß die kleine Unruhe,
welche das Landvolk in einigen Gegenden er⸗
regte, eine Folge dieſer Blätter wäre. Welch
elendes Geſchwätz! Das Landoolk las nicht:
aber einige ihrer Unterdrücker laſen, und es
bewies, daß die darin vorkommenden Ge⸗
mählde treffend waren, weil man dem Ma⸗
ler wenigſtens den Pinſel aus den Händen zu
reiſſen, nichts unverſucht ließ. Man hätte
ihm freylich lieber die Hand gelähmt. Erſt
nach vielem Betriebe und Anliegen, ward mir
das nächſte Blatt auszugeben bewilliget, um
doch eine Art von Ausgang zu finden.
ohne Borurtheil, 227
XXX.
Dietl habe ich der Zunoͤthigung des
Freundes Gehör gegeben, und hier. if
meine Urſache! Der, der mich, nicht nach
dem, was ich ſchreibe, ſondern nach dem,
was ihm Leidenſchaft eingiebt, richtet —
der lange ſchon nichts unverſuchet laͤßt, die
freymuͤthige Feder mir aus den Haͤnden zu
winden; bei dem man nicht ehrerbietig
if, man waͤlze dann ſich im Staube; nicht
gehorſam, man hoͤre dann auf, den Vor⸗
theil des Gehorſams zu empfinden, und
werde eine Maſchine; der hoͤre ſie be⸗
ſonders, dieſe Urſache!
Als ich die Stadt verließ, dachte ich,
mit meinem Zoͤglinge den Kreis aller Pro⸗
vinzen abzugehen, und eine Staͤtte zu fin⸗
den, wo ich ſagen koͤnnte: hier iſt es gut
wohnen, wir wollen uns zwo gütten
bauen — Es war zu vermuthen, daß ich
dieſe Stätte, zunaͤchſt vor den Linien dieſer
Stadt weder ſuchen, noch finden wuͤrde.
Wenn ein Schiffbruͤchiger den kleinen Ue⸗
berreſt ſeiner geborgten Guͤter bei dem
Sonnenſcheine trocknet, ſo leget er ſie
nicht nahe an das Geſtad, wo die uͤber⸗
x P 2 ſchla⸗
228 Der Mann
ſchlagende Welle fie abermal netzen koͤnn⸗
te, er entfernt ſie bis an den Platz, wohin
die Flut nie reichet — Es war aber auch zu
vermuthen, daß ich auf dieſer Reiſe nicht
in den Schloͤſſern der Reichen abtreten
wuͤrde. Wir, ſie und ich, haben zu we⸗
nig Gemeinſchaft mit einander; und man
wuͤrde Reiſende, die vor dem Thore des
öden Palaſtes zu Suffe angekommen wären,
auch nie da aufgenommen haben. Vier
Pferde, einige Bediente wenigſtens, muͤſſen
ſich zeigen, wenn die Zuͤgbruͤcke fallen ſoll.
Man nimmt Gaͤſte nicht auf, die nur we⸗
nige Ungelegenheit machen werden: man
muß die Einkünfte vieler Tage verzehren,
um ein gaſtfreyes Nachtlager zu erhal⸗
ten —
Gleichwohl wird man nicht etwa fo⸗
dern, daß wir unter dem freyen Himmel
uͤbernachten ſollten. Wir waͤhlten alſo eine
niedere Schaubhuͤtte, und nun, ihr Her-
ren! wie haͤtte ich es hier machen ſollen,
um es euch recht zu machen? Haͤtte ich
geſagt: Bei unſerem Eintritte empfieng
uns mit ungekünſtelter Offenherzigkeit
eine Frau, ungeputzet aber reinlich,
in einem Stoffe gekleidet , den ſie
mit
ohne Vorurtheil. 229
mit ihren Töchtern ſelbſt verfertiget —
Seyn Sie mir willkommen liebe Rei⸗
ſende — haͤtte ſie ausgerufen — daß Sie
unſre gütte lieber, als eine andre be⸗
ſuchen! Sie werden hier nicht fo wohl
bewirthet werden, als bei jedem an⸗
deren unſerer Nachbarn: aber Sie kön⸗
nen wenigſtens niergend lieber bewir⸗
thet werden. Nach dieſer freundlichen
Anrede hätte uns die gute Zauswir⸗
thinn eine eigene Kamer angewieſen,
worin für jeden ein gethürmtes Bett
geſtanden wäre. Dieſe Ramer wäre
fonft die Vorrathskamer der Bäurinn.
Auf zween Stangen, die in die Gue⸗
re ſchwebten, wären ungeheure Laibe
Brod gereihet geweſen. Geräucherte
Schinken, und halbe Maſtſchweine wa⸗
ren an den hölzernen Wänden gehan⸗
gen, oder gelehnet; in der einen Ecke
in einem Safle ausgelaſſene Butter, in
der andern Erbſen, Bohnen, gefauret
Rraut, und andrer Vorrath für den
Winter geſtanden. Alles dieſes hätte
das Raͤmerchen mit einem nicht wider
ſtehenden Geruch angefüllet. Wir hat⸗
ten nun davon Beſitz genommen; und
P 3 da
230 Der Mann
da hatte ſich inzwiſchen die gröſſere der
Töchter in dieſem Nämerchen viel zu
ſchaffen gemacht, um meinen jungen
Gefährten mit vergnügen zu betrach⸗
ten — Inzwiſchen wären ſieben fette
Kübe, die durch ihr Geſchrey die Magd
gleichſam herbeigerufen, durch den wei⸗
ten Sof geſchritten, worin es von Ge⸗
flügel gewimmelt hätte. Man hatte
die Kühe ſogleich gemelket; und unſre
ſorgfaͤltige Wirthinn hatte uns in ei⸗
ner hölzernen, wohl geſcheuerten Schüf-
ſel, bis das Abendmahl bereit wäre,
Thaumende Milch, und Brod von dem
beſten Weizen vorgeſetzt — Nun wäre
der Bauer, von zween Söhnen beglei⸗
tet, von feinem Felde wiedergekehret.
Sechs Ochſen wären vor ihm berge-
zogen, wie die Maſtochſen zu einem
Gaſtmahle. Das groſſe Maͤdchen wäre
ihm entgegen geeilet, und hätte ihm
von ferne zugerufen: Vater! wir ha⸗
ben Gaͤſte! — deſto beſſer! hätte er ihr
wieder zugerufen: forget, daß es fie
nicht gereue, bei uns eingeſprochen zu
haben, u. ſ. w. — Hätte ich fo eine Be⸗
ſchreibung gemacht, wie ungefähr ein jun;
ger
ohne Borurtheil. 231
ger Dichter, der ſein Kenntniß des Land⸗
lebens aus dem laͤndlichen Dichter geſchoͤ⸗
pfet, oder vielleicht ſeinen Wunſch fuͤr
Wahrheit hingeſetzt hat: was — wuͤrdet
ihr mir zugerufen haben — wo habet
ihr in der Welt ſolches Landvolk ge⸗
funden, Träumer! Recht! ich habe kei⸗
nes gefunden; aber nun ich es ſo beſchrei⸗
be, wie es iſt, da erwecke ich den Anklaͤ⸗
ger, der nur ſchlummerte.
Aber ich hatte von dem Landvolk ganz
ſchweigen mögen — Verzaͤrtelte See⸗
len! ertraͤgt ihr das Bild des Elendes
nicht; ſo hoͤret auf, es durch eure Schuld
wahr zu machen! Es iſt nuͤtzlich, daß man
euch dahin zu ſehen zwingt, daß man vie⸗
len unter euch ſage: ſieh da das Werk
deiner Hände! daß man zu den andern
ſpreche: er, deſſen Noth du ſiehſt, iſt
dein Bruder! — Der erſte, und ehr⸗
würdigſte unter allen Künften iſt der
Ackerbau: aber Vorurtheil, Weichlich⸗
keit, Eigennutz, haben ihn aus feinem
Range verdraͤnget, haben ihn zur letzten,
zur ungluͤcklichſten aller Beſchaͤfftigungen
gemacht. Defto übler für die Geſellſchaft!
fuͤr den Staat!
P 4 Was
232 Der Mann
Was man immer ſchreibt; fo giebt es
haſtige Wortverdreher, die gleichſam mit
ihrem Hauche das Wort vergiften, das
durch ihren Mund faͤhrt. Wer haͤtte er⸗
wartet, daß man das Mitleiden eines
Reiſenden, die Unterſuchung eines Men⸗
ſchen, der fi) und einen andern unter⸗
richtet, ſo kuͤhn ausdeuten, daß man ge⸗
heimen Verſtand darin ſuchen, daß man
Anwendungen machen duͤrfte? Man hat
es gethan, und diefes ‚, nicht die Ver⸗
ſchwoͤrung Caͤciliens, noch die Drohung
des Unbekannten hat mich bewogen, mit
meinem Gefaͤhrten in die Stadt wieder zu
kehren. Er hat genug geſehen, um mir
zu ſagen: ich ſehe, ich würde als Land⸗
mann nicht glücklich ſeyn. |
Wird er es bei einer anderen Beſchaͤffti⸗
gung, und bei welcher wird er es ſeyn? —
Ich wuͤnſche, daß wir in der Ueberlegung,
die wir zuſamm daruͤber anſtellen werden,
nicht wieder geſtoͤret werden moͤgen!
r
An
ohne Borurtheil. 233
2 * %
An den Herren Verfaſſer des
b XXVIII Blattes.
Mein Herr!
7 Die ſchönen Röpfe, wie Sie es nen⸗
nen, in der ganzen Stadt ſind durch ihre
geometriſche Feder laͤcherlich geworden;
nun traͤfe die Reihe auch die naͤrriſchen
Köpfe, mit ihrer Erlaubniß, fo zu re⸗
den. Einem ſo fruchtbaren Geiſte wird
es nicht an angemeſſenen Kunſtwoͤrtern feh⸗
len koͤnnen, womit er die mancherley Fri⸗
ſuren bezeichne, und unterſcheide. Ich
empfehle beſonders das hohe Toppee ei⸗
nes gewiſſen jungen W... zu geneigtem
Wohlwollen. Es hat nach meinem Au⸗
genmaſſe gute fünf Zoll; und wenn ich
nicht zuverlaͤßlich von ſeinem Friſeur wuͤß⸗
te, daß er es ſich mit beiden Haͤnden ei⸗
gens untergraͤbt, damit es nur recht hoch
empor ſtehe; ſo glaubte ich, er haͤtte eine
Beile an dem Kopfe, und ſein Verſtand
duͤrfte Gefahr laufen. „
„Wie bei uns in freye Köpfe und
Bauben, fo koͤnnen Sie hier die Einthei⸗
P 5 lung
234 Der Mann
lung in eigen Haar und Perücken machen!
Es wird jede nicht weniger poſſirliche Un⸗
tertheilungen darbieten. Wir wollen ſe⸗
hen, ob Sie ſich getrauen unpartheyiſch
zu ſeyn, und ſich verbindlich machen wol⸗
len „ |
| | Eleonoren.
1.
D a der Stand, worin man allein un⸗
abhaͤngig leben kann, uns nicht anſteht;
fo iſt es nothwendig, unter denen eine
Wahl zu treffen, wobei man auf die Un⸗
abhaͤngigkeit Verzicht thun muß — Ich ſe⸗
he deine Unruhe, mein Freund! ein Herz,
wie das deinige / laͤßt ſich nur mit vielem
Zwange Ketten anlegen. Aber hebe deine
Augen auf! ſieh um dich her! und, wenn
du kannſt, fo waͤhle, wo du frey ſeyſt —
Dieſer Seufzer, der vor mir vergebens un⸗
terdruͤckt wird, iſt eine deutliche Antwort.
Laß dich denn leiten, da dein Schritt al⸗
lein wankend iſt!
Der naͤchſte an dem Stande des Land⸗
mannes iſt der Stand des gandwerkers,
Er wuͤrde gluͤcklich ſeyn, wenn er durch die
Ver⸗
nnn re
E
ohne Vorurtheil. 235
Verpflanzung in die Staͤdte nicht gleichſam
ausgeartet waͤre. Was fage ich, ausge⸗
artet er iſt verdorben, fo ſehr, als man
es bei dem Elende ſeyn kann; und das
Verderbniß des Elenden iſt ohne Heilung,
es erſticket jeden Funken der Rechtſchaffen⸗
heit; denn er iſt durch keine aͤuſſeren Be⸗
ziehungen zuruͤckgehalten — Die Nieder⸗
traͤchtigkeit iſt ganz ſein Eigenthum.
„Wenn ſie, um zu leben — ſagt Rouſ⸗
ſeau, den wir hier vor Augen haben, zu
ſeinem Emil — zu ihren Haͤnden und dem
Gebrauche, wozu ſie dieſelben anzuwen⸗
den wiſſen, ihre Zuflucht nehmen; ſo ver⸗
ſchwinden alle Schwierigkeiten, ſo werden
alle Kunſtgriffe unnuͤtz. Das Zufluchtsmit⸗
tel iſt ſtets in dem Augenblicke bereit, da
man es brauchet. Die Redlichkeit, die
Ehre ſind keine Hinderniſſe mehr zu dem
Leben. Sie haben nicht mehr noͤthig, nie⸗
dertraͤchtig und luͤgenhaft vor dem Groſſen,
geſchmeidig, und kriechend vor den Schel⸗
men, auf eine veraͤchtliche Art gefaͤllig ge⸗
gen jederman zu ſeyn; einem etwas ab⸗
zuborgen, oder zu ſtehlen, welches, wenn
man nichts hat, einerley if. Die Mei:
nung andrer Leute ruͤhret ſie nicht. Sie
5 ha⸗
236 Der Mann
haben niemanden ihre Aufwartung zu mar
chen, keinen Thorſteher zu bewegen, keine
Buhlerinn zu bezahlen, und, was noch
aͤrger iſt, ihr Weyhrauch zu ſtreuen. Daß
= „ die groſſen Angelegenheiten führen ,
daran liegt ihnen wenig; das wird ſie nicht
hindern, in ihrem unbekannten Leben, ein
rechtſchaffener Mann zu ſeyn, und Brod
zu haben — Sie treten in die erſte Werk⸗
ſtatt des Handwerkes, das ſie gelernet ha⸗
ben. Meiſter ich brauche Arbeit — Setzet
euch Geſelle! da arbeitet! — Ehe die
Stunde zur Mittagsmahlzeit gekommen iſt,
haben ſie ihr Mittagsbrod verdienet. Wenn
ſie fleiſſig ſind, ſo werden ſie, ehe acht Ta⸗
ge vergehen, ſo viel haben, daß ſie andre
acht Tage davon leben koͤnnen. Sie wer-
den frey, geſund, wahrhaftig arbeitſam,
gerecht gelebet haben. Rouſſeaus Buch iſt
in dieſen Gegenden nicht geſchrieben wor-
den, es iſt eben ſo wenig für dieſelben:
und fuͤr welche Weltgegend, fuͤr welchen
Staat iſt es?
Es iſt nicht genug, daß man arbeiten
kann. Wenn man nicht arbeiten darf, ſo
iſt man bei aller Geſchicklichkeit ungluͤcklich.
Das iſt das Schickſal des n
ohne Vorurtheil. 237
Ihr ſeyd vortrefflich in dieſer, in jener
Handthierung; ihr habet die Handgriffe
derſelben durch euer Nachſinnen erleich⸗
tert, verkuͤrzet, ihr brauchet weniger Zeit,
eure Arbeit zu foͤrdern, ihr koͤnnet dieſel⸗
be um einen geringern Preis fertigen:
dieſe Vorzuͤge, helfen ſie euch? Man fragt
nicht: könnet ihr dieſe Zandthierung !?
man fragt: habet ihr fie gelernet e —
Und wenn ihr eure Lehrjahre erſtrecket ha⸗
bet, ihr moͤget es nun verſtehen, oder
nicht — ich muß euch meine Arbeit über-
laſſen — |
Man ſollte in der Geſellſchaft nichts
weiters wuͤnſchen, als daß jeder Buͤrger
arbeiten wollte! und man verhindert, daß
er es könne. Das Befugniß zu arbeiten
iſt in Zünfte eingeſchloſſen: wer nicht aus
der Zunft iſt, muß ein Schurke werden.
Die Wege, ſich auf eine ehrbare Art zu
naͤhren, find ihm verſchraͤnket. Ihr, die
ihr Verbrechen zu beſtrafen verordnet
ſeyd, wundert ihr euch, daß euer ausge⸗
ſtreckter Arm faſt niemals eingezogen wer⸗
den kann? daß die Gefaͤngniſſe von Mif-
ſethaͤtern wimmeln? daß fo viele Beiſpiele
der Strenge gegeben werden muͤſſen, und
doch
238 Der Mann
doch alle verloren find ? Höret auf unge»
recht zu ſeyn, und die menfchliche Natur
anzuklagen! Es ſind nur zween Wege uͤbrig,
ſeinen Unterhalt zu erwerben, wenn man
kein angeerbtes Vermoͤgen hat: die Ar⸗
beit, oder das Schurkenhandwerk: wem
man den erſten verſchluͤßt, den zwingt
man, auf den andern zu wandeln.
Sieh da die groffe Schwierigkeit bei ei-
nem gandwerke, das ausſchlüſſende Recht,
es zu treiben! Welche Reihe uͤbler Folgen
iſt damit verbunden! Wenn unſre Erzeug⸗
niſſe unvollkommen ſind; wenn wir nach
fremden Waaren geluͤſten; wenn Fremde
unſere zu ihnen gebrachte Waaren mit Ver⸗
achtung zurückweiſen; ſo iſt auf dieſe Aus⸗
ſchlüſſung ganz allein die Schuld zu waͤl⸗
zen. Der Sporn des Fleiſſes iſt die Nach⸗
eiferung; die Nacheiferung bringt die
Kuͤnſte zu ihrer Vollkommenheit — Wenn
unſre Handwerker ungeſchmeidig, wenn
ſie tückiſch, wenn ſie voll kleiner Griffe
und Betrügereyen ſtecken; abermal, dieſe
Ausſchluͤſſungen allein haben zu allem die⸗
ſen beigetragen. Sie ſind unter ſich ganz
leicht eins geworden; und wir, was ha⸗
ben wir für ein Mittel auszuweichen? —
Die⸗
ohne Borurtheil. 239
Dieſe kleinen Geſellſchaften in der groſ⸗
ſen haben ihre geheimen Verabredungen,
wodurch ſie alle Welt ihnen unterwerfen;
und fie wiſſen es ganz wohl zu veranftal-
ten, daß nicht ſobald ein Fremder eintritt,
und das Geheimniß bekannt macht — Der
Junge hat ſeine Jahre ausgehalten: er
wird frey. Er wandert '), nach einigen
Jahren kehrt er wieder, mit vieler Ge⸗
ſchicklichkeit, die er ſich auf feiner Wan⸗
derung erworben: nun wird er wenigſtens
ſeine Geſchicklichkeit anwenden duͤrfen? Iſt
er eines Meiſters Sohn — das iſt er
nicht! Schade! er mag ſehen, wo er
irgend die Tochter eines Meiſters, oder
eine Wittwe freyet, ſonſt iſt ihm nicht
zu helfen — Ich frage: wer hat euch
das
) Vielleicht erwartet man hier umfändlichere
Betrachtung über die Länge der Lehrjahre,
über die üble Verwendung dieſer Zeit, Be⸗
trachtungen über den Mißbrauch des Wan⸗
derns, welches dem Stagte fo manchen ge⸗
ſchickten Arbeiter raubt, Betrachtungen über
alle Mißbräuche der Handwerke! Aber man
erinnere ſich, daß ich davon nichts mehr mit⸗
nehmen ſoll, als was auf meinen Schüler
und ſeine Ueberlegung Beziehung hat.
240 Der Mann
das Recht eingeraͤumet, den Staat zu hin⸗
dern, daß er von einem Buͤrger nicht allen
den Nutzen zieht, den er von ſeiner Ge⸗
ſchicklichkeit ziehen koͤnnte? — Man langet
mir aus einer Lade groſſe pergamentne
Briefe hervor, an denen hoͤlzerne Buͤchſen
hangen: ich oͤfne ſie, ich ſehe das Sigill
— mache eine Verbeugung, und ſchweige.
Aber, lieber Capa - kaum, wenn du
auch dieſe Schwierigkeit uͤberwunden, wenn
du durch deine Anſtrengung den Mangel
der Zeit erſetzet, und die mechaniſchen
Griffe, wobei die Haͤnde alles thun, bald
erlernet haͤtteſt; pruͤfe dich, ob du auch zu
den unrechtſchaffenen Kuͤnſten faͤhig waͤreſt,
wovon ein groſſer Theil der Handwerker
mehr, als von ihrer Geſchicklichkeit leben?
Muß ich denn fie treiben, diefe Nünſte v
Die Frage iſt natuͤrlich: willſt du leben?
willſt du dich, dein Haus, eine Familie
ernaͤhren? deine Gaben entrichten? ſo weis
ich nicht, wie du ihrer entbehren kannſt,
da deine Zunftgenoſſen um und neben dir,
ſie alle treiben: vielleicht auch durch die
Kargheit ihrer Kunden, fie zu treiben ge⸗
zwungen ſind, die dem arbeitſamen Manne
einen billigen Lohn ſeiner Bemuͤhung ver⸗
ſa⸗
_
D .
ohne VBorurtheil. 241
ſagen, den fie nachher zur Strafe unter
verſchiedenen Rubriken ohne Dank, und
dreyfach bezahlen muͤſſen. Indeſſen wird
dadurch der Preis des Handlohns gleich⸗
fan feſtgeſetzet, um welchen aber derieni-
ge, der vor Betrug, und Diebereyen zu:
ruͤckbebet, nicht arbeiten kann, und bei
ſeiner Rechtſchaffenheit darbet.
Es giebt Handwerke, wobei es erlaubt
iſt, ehrlich zu ſeyn, die muͤhſamſten unter
allen, die am wenigſten belohnten. Sie
wuͤrden dir unter allen Beſchaͤfftigungen
am beſten zuſtehen, wenn du das Hinder⸗
niß der Lehrjahre zu uͤberſteigen, und
einſt dein eigen Haus zu bauen hoffen
duͤrfteſt — |
11.
Wes ſollte ich thun? ich frage Site um
Rath, meine Leſer — Der Verfaſſer des
Aufſatzes, den ich Ihnen heute mittheile,
dringt ſich mir mit Gewalt auf, und be⸗
rufet ſich auf ihr Urtheil. Sie moͤgen denn
alſo durch ihren Beifall, oder durch ihren
Unwillen entfcheiden ‚ ob feine Foderung
rechtmaͤſſig iſt! — ne
II. Theil. | 2 Herr
242 Der Mann
Herr Mann ohne Vorurtheil!
7 Sie reiſeten auf das Land — Stand
es fuͤr die Muͤhe um einiger Anmerkungen
Willen, die Sie ſehr bequem hier in der
Stadt, oder ſehr nahe an der Stadt ma⸗
chen konnten? — Zwar ſagen Sie uns mit
halben Worten, und wir errathen das
uͤbrige, daß Sie in Mitte ihres Laufes
aufgehalten worden — Gut! Sie kommen
denn zuruͤcke. Ihr Capa⸗kaum hat genug
geſehen, um zu ſagen: ich ſehe, ich
würde als Landmann nicht glücklich
ſeyn. Sie gehen mit ihrer Ueberlegung
einen Schritt vorwaͤrts. Hier ſtehen Sie
abermal: ſoll ich ein Zandwerk ergrei⸗
fen ihr Schüler fodert ihren Rath — Sie
zeigen ihm, den Mißbrauch der Zünfte:
Sie zeigen ihm, wie ſchwer es iſt, Meiſter
zu werden: Sie zeigen ihm, daß ein
Mann, der ſich keine unredlichen Griffe
erlauben wuͤrde, bei den meiſten darben
müßte — Und ſchon gehen Sie wieder ab ?
Wie? haben Sie nichts mehr bei einem ſo
reichhaltigen Stoffe zu erinnern? Ich be⸗
rufe mich auf ihre Leſer, ob ſie mit dieſen
obenhinfahrenden Anmerkungen geſckreiget
a find?
ohne Vorurtheil. 243
ſind? Ich errathe es zwar, aus welcher
Hoͤhle die Stimme koͤmmt, die Ihnen zu⸗
ruft: bis hieher ſollſt du kommen, und
nicht weiter! — Treten Sie nun unter
den Haufen der Zuhoͤrer, und laſſen Sie
mich an ihrer Stelle die Emporbuͤhne be⸗
ſteigen: ich bin uͤber die Bedenklichkeiten,
die Sie zuruͤckhalten, hinweg — ;
„Wer, eine Beſchaͤfftigung zu wählen;
feinen künftigen Stand zu beſtimmen, zu
Rathe geht, der muß zuvor mit ſich einig
werden, was er ſuchet. Ehre in einer
gewiſſen Bedeutung, Unabhängigkeit,
vermögen, Gemaͤchlichkeit, unter die⸗
ſen vier Ausſichten eine wird ihn an ſich
ziehen. Wiſſe zu wählen! Es find Aus⸗
ſichten von entgegen ſtehenden Gegenden.
Aber man kann mit demſelben Winde nicht
nach Norden und nach Süden gelangen.
Ehe du in die See ſtichſt, habe den Ent⸗
ſchluß gefaſſet, nach welcher Gegend deine
Segel gerichtet werden ſollen! „
„Ehre — Es war eine Zeit, wo Ehre
das Eigenthum nuͤtzlicher Handgeſchaͤfte
war. Jabel und Tubalkain werden von
der Schrift wie Nimrod genennet; und
* 2 2 u un
244 Der Mann
das dankbare Alterthum zählte Vulkanen
*) wie den Mars in der Schaar feiner
Gottheiten. Rauhe Kuͤnſte, Kuͤnſte des
Krieges, Kuͤnſte der Verwuͤſtung haben
dieſe wohlthaͤtigen Kenntniſſe aus ihrem
Platze verdrungen. Aber kann Gewalt
auch das Recht verändern? — „,
„Sparta, Rom, kriegeriſche Staa⸗
ten! ihr uͤberlieſſet die friedſamen Beſchaͤff⸗
tigungen den Haͤnden der Sklaven! Habet
ihr dadurch dieſe Beſchaͤfftigungen veraͤcht⸗
lich gemacht? nein! eure Sklaven habt
ihr geadelt. Unbeſonnene! ſeht ihr es
nicht, ihr haͤnget von euren Leibelgenen
ab; und dieſe Abhängigkeit iſt nicht zufaͤl⸗
lig, nicht von einem ſelbſt geſchloſſenen
Pertrage, der ſich auf Worte gründet; es
iſt eine Abhaͤngigkeit der Natur. Herren
der
„) Der Namen vulkan iſt unſtreitig von Tu⸗
balkain — nach einer verderbten Ausſprache.
So dankten die erſten Menſchen den Erfindern
der nothwendigen Künſte. War es nachher
nicht lächerlich, wann vulkan, wann Miner⸗
va, Ceres, u. a. m. Altäre hatten, aber die
abgöttiſch geehrten Spartaner, ſich zu edel
dünkten, das auszuüben , wodurch jene Al⸗
täre verdienet hatten!
ohne Vorurtheil. 245
der Welt! ihr ſeyd Sklaven eurer Sklaven;
und da dieſe das Joch eurer Knechtſchaft
abſchuͤtteln koͤnnen; ſo ſeyd ihr e
das ihrige ewig zu tragen —
| „Wie ehe die Gewalt , 117 machet
heute das Vorurtheil die unbillige Rang⸗
ordnung. Der Tauſenden das Leben
geraubet, prangt mit dem Sterne, dem
Zeichen des Verdienſtes auf ſeiner Bruſt:
der Tauſende ernaͤhret, erhaͤlt, gluͤcklich
machet, ſchleicht unberuͤhmt bei ihm vor⸗
über, und buͤcket ſich tief vor dem M. er
rer e ic, wie
leicht wäre es euch, nuͤtzliche Kuͤnſte, eu⸗
ren Platz zu erhalten, wenn ihr mehr dar⸗
nach ſtrebtet, geehrt zu ſeyn, als die Ehre
zu verdienen! Sprechet! — Du Acker-
bau ſage! undankbare Geſellſchaft!
mein Pflug ſoll ruhen! warum ſollen
diefe Bande ſäen, damit unerkenntliche
meine Aernte theilen und leben! — —
Du Webkunſt ſage! ich ſoll dir Kleider
verfertigen, darin du prangen mögeſt e
das Lamm behalte ſeine Wolle! Erde,
ich fodre keinen Leinen von dir! koſt⸗
bare Rauppe, fpinne dir kein königlich
Ruhgemach! Stolze undankbare ver⸗
2 die⸗
246 Der Mann
dienen es nicht, daß ich euch um ihrer
Willen beraube! Die Bettler ſollen mich
verachten — aber nackt. Du Schmied⸗
kunſt, fage! meine Werkfiätte ertöne
nicht mehr von ſchweren Zammerſchlaͤ⸗
gen, unter denen das gelehrige Metall
die Geſtalt annimmt, die ich befehle —
geh Ruhmſüchtiger, erobre ohne Waf⸗
fen! geh Prächtiger, zeige deine
Pracht ohne Gold und Silbergeſchmei⸗
de! geh Gemächlicher! wirf dich in
Seine Rutſche, und habe Füſſe zum Si-
gen — Ihr Kuͤnſte fäninitlich , errichtet
unter euch ein Buͤndniß, verſaget euren
Veraͤchtern euren Beiſtand, und ſeht bald
den Fuͤrſten, den Praͤlaten, den Helden,
den Gelehrten, den Adelichen, den Reichen,
die Welt, zu euren Fuͤſſen! Aber ihr ge⸗
nuͤget euch, wohlthaͤtig zu ſeyn, und laſſet
die Laſt, euch verbindlich zu bleiben, ih⸗
nen uͤber! „
„Die Zandgewerbe, fie allein find
unabhängig; ihnen nur koͤmmt es zu, zu
ſagen: ich trage alles das Meinige mit
mir. Der Müſſiggaͤnger, den man einen
Weiſen nennet, ſprach, als er dieſes von ſich
ſprach, eine ſtolze Luͤge. Diogenes, haſt du
dei⸗
*
ohne Vorurtheil. 247
deine Tonne dir ſelbſt gezimmert? und du
wollteſt nicht Alexander ſeyn! Windichter
Philoſoph! nur aus Hochmuth genuͤgſam,
wollteſt du dem Eroberer Aſiens fuͤr nichts
verbunden ) ſeyn, und du wareſt es
dem Böttcher — Nur die Handgewerbe
ſind ſich ſelbſt genug. Keinem Umſtande,
keiner Zeit, keinem Orte unterworfen, träge
der gandwerksmann alle Beduͤrfniſſe in
ſeinen beiden Haͤnden, iſt uͤber den Muth⸗
willen des Gluͤcks, uͤber alle Faͤlle, bald
ſagte ich, uͤber das Schickſal erhoben,
wenn der oberſte Geſetzgeber ſich nicht das
Geſchenk der Geſundheit vorbehalten hätte,
das ihn unterwuͤrfig erhaͤlt. „ i
„Indeſſen iſt er unabhängiger, als je⸗
der Stand in der Welt. Dionyſtuſe muß⸗
ten Schulmeiſter werden, Beliſariuſe
A ha⸗
) Man weis, daß der unflättige Philoſoph Ale⸗
randern auf fein gütiges Anerbieten zur Ant⸗
wort gegeben: er hätte nichts zu bitten, als
daß er ihm die Sonne nicht verſtelle. Man
bewundert dieſe Antwort des Diogenes. Ich
bewundre Alexanders Gelaſſenheit, der eine
ſolche grobe Antwort ertrug. Vielleicht aber
hielt er den Weiſen für einen Narren, und
er hatte Grund dazu —
248 Der Manu
haben gebetelt — Wo iſt der Handwerker,
der nicht traͤge war, und einen ſolchen Um⸗
ſturz erlitten hat? Pen, mehr als Ly⸗
rurg, mehr als Solon, du gabſt deinen
Bruͤdern Geſetze, fuͤr die ihre ſpaͤtſten
Nachkoͤmmlinge noch deinen Namen mit
dankbaren Andenken, und gebeugten Knieen
ausſprechen ſollen! aber unter ſo vielen
weiſen Geſetzen das weiſeſte, das, wofuͤr
ſie dir am meiſten verbunden ſeyn werden,
iſt dieſes: daß jeder ein gandgewerb zu
lernen verpflichtet iſt, um auf jeden
all ein Zufluchtsmittel gegen Noth
und Dürftigkeit zu haben — „,
„Ich bin verſucht, zu argwohnen,
daß andern Staͤnden dieſe Vortheile der
Handgewerbe zu fehr in die Augen ges
leuchtet, daß niedertraͤchtige Eiferſucht ſie
verleitet habe, dieſelben zu verringern,
und durch abgeredete Verträge dem Stans
de Faͤſſel umzulegen, der allein frey war.
Dieſe Zünfte, die die Geſchicklichkeit
ausſchluͤſſen, dieſe unnuͤtzen geldſplittern⸗
den Meiſterſtücke ), dieſe ſinnloſen Ge⸗
N braͤu⸗
„) So mliſſen z. B. die Sattler einen Tour⸗
nierfarsel zum Meiſterſtlcke fertigen. Es ift
ſehr
ohne Vorurtheil. 249
brauche ), die ſchon lange entwurzelt
ſeyn müßten, wenn es anders Ernſt wä-
re, daß ſie es ſeyn ſollten; dieſe langen
Lehrjahre, ohne Unterſchied der Faͤhig⸗
keiten; dieſe nicht zur Erlernung des Ge⸗
werbes angewendeten, dieſe in haͤuslichen
Verrichtungen der Kindermaͤgde verlornen
Jahre; dieſer Zwang der Wanderung,
dieſes unſinnige geduldete Verbot der Ver⸗
ehligung, dieſe unter dem Vorwande eis
nes Anſtandes aufgebuͤrdeten Beobachtun⸗
gen gleichguͤltiger Dinge, dieſes ſind die
gerne uͤberſehenen Unanſtaͤndigkeiten, durch
welche die Handwerke einen Theil ihrer
Gluͤckſeligkeit entrathen muͤſſen — „ |
2 5 III.
—
ſehr vernünftig, daß fie das machen können,
was man nicht braucht; damit ſie das nicht
können, was man braucht.
*) Der Sornträger der Buchdrucker und an⸗
dre derley artigen Gepränge bei der Aufdin⸗
gung und dem Freyſprechen der Lehrjungen —
250 Der Mann
III.
Jo nehme die in dem I. Stuͤcke unter⸗
brochenen Betrachtungen auf das neue zur
Hand. Ich fahre fort meinem Lehrlinge
zu ſagen: daß es ihm erlaubt ſeyn wuͤrde,
bei einigen Handgewerben ehrlich zu blei⸗
ben; daß es aber gerade die mühſamſten,
gerade diejenigen waͤren, die am wenig⸗
ſten belohnt wuͤrden, die ihm ein be⸗
ſchweißtes Alter der Nräfte, und ein
hülfloſes Alter der Schwachheit ver⸗
heiſſen.
Sollteſt du wohl denken, ſage ich ihm,
wer unter allen Beſchaͤfftigungen, die uns -
ter dem Worte gandgewerbe verſtanden
werden, am leichtſten etwas fuͤr das er⸗
ſchoͤpfte Alter hinzulegen fähig it? Höre,
und urtheile!
Siehſt du dieſen Mann, der mit hinter
den Hut geſtrichenem Haare ſeinen Tag an
der Sonne hinbringt! mit ſicherer Fauſt
ſchwingt er ein Beil, und gleichet den
runden Stamm des Baumes zu einem ge⸗
glaͤtteten Vierecke. Seine Arbeit iſt an⸗
haltend: mit dem fruͤhen Morgen hebt ſie
an; eine Raſtſtunde zum Morgenbrode;
elsa
ohne Borurtheil. a5:
eine einzige zur mittäglichen Erhohlung;
dann erſt mit Sonnenuntergange e ſei⸗
ne Hand ſinken —
Sieh hingegen jenen andern mit eilfer⸗
tigem Schritte uͤber die Gaſſe laufen: ſein
Geraͤth traͤgt er in dieſem ledernen Sacke,
der ihm zur Taſche herausragt. Er tritt
ein; die Frau ſetzet ſich an den Putztiſch,
er kaͤmt ihre Haare durch, legt ſie nach
ſelbſtgeſchaffener Mode in Locken, erzaͤhlt
ausgeſpaͤhte Geheimniſſe des Hauſes, aus
dem er eben koͤmmt, ſtaͤubt rothe Haare
blond, und eilet in ein anders Haus zu
eben dieſer Verrichtung -
Laß uns ein wenig ſtille ſtehen,
mein Freund! Nimm meine Boͤrſe! und
belohne dieſe beiden nach deinem Ermeſ⸗
ſen =
Wie ? mein Herr! fo höre ich den letz⸗
ten ſpottend ausrufen, mir getrauen Sie
dieſe wenigen Kreuzer anzubieten? mir! —
Aber, guter Menſch, antwortet ihm
Capa⸗kaum, er hat zu feiner Verrichtung
nur ein halbes Stuͤndchen verwendet. Wenn
er fuͤr jede halbe Stunde des Tages eben
ſo viel bekoͤmmt, ſo kann er ſein Tagwerk
hoch bringen —
„Mein
252 Der Mann
„Mein Tagwerk — wiederholt er auf⸗
gebracht — Aus welchem Lande ſind Sie
heruͤber zu uns gekommen, daß Sie die
Geſchicklichkeit eines Friſeurs nach dem
Tagwerke abmeſſen ? „ |
Capa = kaum will ihn unterbrechen;
aber ich gebe es nicht zu, ich will der
Beredtſamkeit dieſes Menſchen ein freyes
Feld laſſen, ſeine Rede wird fuͤr meinen
Neuling, und vielleicht für meine Leſerin⸗
nen ungemein unterrichtend ſeyn. Um ihn
alſo auf die rechte Bahn zu bringen, ſage
ich ihm: Guter Freund! dieſer Menſch
iſt ganz Fremdling, der von den Por»
zügen eurer Beſchafftizung nicht un⸗
terrichtet iſt —
„„Das habe ich errathen — unter-
bricht mich unſer beleidigter Friſeur — das
habe ich aus ſeinen Anbieten abnehmen
koͤnnen. Mein Herr! lernen Sie unſre
Wichtigkeit ſchaͤtzen! lernen Sie unſre Kunſt
von den groben Handarbeiten unterſchei⸗
den, die man nach dem Tage miethet. Wie
Sie mich ſehen; ſo darf mich eine Fuͤrſtinn
nicht beleidigen! — und thut ſie es, ſo
koͤmmt ihr meine Beſaͤnftigung theuer zu
ſtehen. Ich theile mit dieſen meinen Haͤn⸗
den
ohne Vorurtheil. 253
den Anmuth und Reize aus. Sie wiſſen
vielleicht nicht, wie viel auf die Hand ei⸗
nes Friſeurs ankoͤmmt, eine Geſtalt zu er⸗
heben. Darum auch ſetze ich meiner Ars
beit einen Preis, wie er mir gefaͤllt —
Einen Dukaten fuͤr einen Kopf — Ja ei⸗
nen Dukaten, und laſſe noch einigemal
nach mir ſchicken — Komme ich denn, und
man wagt es, ſich unfreundlich anzuſtel⸗
len; ſo bin ich noch unfreundlicher: man
poltert, ich werfe; und man koͤmmt
gut davon, wenn ich mich durch das An⸗
bieten eines Fruͤhſtuͤckes, oder eines Ge⸗
ſchenkes zu guter Laune bringen laſſe. So
koſtbar, wie ich Ihnen vorkomme, ſo habe
ich dennoch unter Kunden zu waͤhlen. Die
gemeineren Weiber vom kleinen Adel, Hof:
raͤthinnen, und dergleichen, ſollen ſichs bei⸗
weitem nicht einkommen laſſen, nach mir
zu ſchicken. Zwar zahlen ſie vortrefflich,
aber ich halte ſehr auf Ehre. Selbſt un⸗
ter dem groſſen Adel laſſe ich diejenigen
fahren, die mir nicht Nebengeſchenke ma⸗
chen; und ich kann Sie verſichern, daß
man ſich darinn oft ſehr uͤberſteigert. Die
Groͤfinn von“ * hat mir nicht lange ganz
beſondere Bedingniſſe angeboten, wenn ich
mich
234 N Der Mann
mich verpflichten wuͤrde, auſſer ihr und
ihrem Fräulein, keinen Kopf aufzuſetzen.
Wir ſtehen nun miteinander in Unterhand⸗
lungen, und ich kann mich nur noch nicht
bequemen, an der Tafel ihrer Hausoffiziere
zu eſſen; denn ich denke, es iſt eine ganz
billige Foderung, daß man mir die Spei⸗
ſen auf mein Zimmer beſonders bringt, da
man es dem Sekretär des Grafen gleich:
falls thut — |
Er würde 3 laͤnger W 1
ich ihn nicht erinnerte, er duͤrfte irgend ei⸗
ne Fuͤrſtinn auf ſich warten laſſen, und
ſich ihre Ungnade zuziehen — Ungnade,
ſagt er ſpoͤttiſch — und zieht eine goldne
Uhr heraus — das Geſchenk einer Freyinn,
der zu Liebe er an einem Familiengalatage
alle Frauen, die er zu bedienen hatte, ſitzen
ließ. Das war, erzaͤhlte er uns, ein tol⸗
ler Streich, den ich ihnen ſpielte; ſie ſa⸗
hen gegen die freygebige Baroninn an die⸗
ſem Tage wie Affen. Doch es iſt die Stunde,
welche ich der Graͤfinn * gegeben, mit
der ich heute zu ſchluͤſſen gedenke. Hie⸗
mit wirft er einen verächtlichen Blick auf
Capa⸗kaum, und entfernet ſich.
Kaum
obne Vorurtheil. 253
Kaum trauet mein Schuͤler ſeinen Oh⸗
ren — Habe ich recht gehoͤrt? fragt er zu
wiederholtenmalen. Dieſe Gattung, fuͤr
die der Namen Handwerker beinahe zu ehr⸗
wuͤrdig iſt, die ſo ganz entbehrlich ſind,
duͤrfen ſolche Foderungen machen?
Das iſt Irrthum, lieber Unwiſſender,
daß ſie entbehrlich ſind, ſeit dem es eine
Schande geworden, ſeine Haare zu tragen,
wie ſie uns die Natur zur Zierde aner⸗
ſchaffen: der Miniſter, der Rath, der
Gelehrte, der Soldat, der Handelsmann,
der Stutzer, der Prieſter ſelbſt kann ſie nicht
entrathen: aus Anſtand einige, aus Eitel⸗
keit die andern — und oft dient der An⸗
ſtand nur der Eitelkeit zum Vorwande —
Und das Frauenvolk — Aber wir wol⸗
len uns nicht laͤnger dabei aufhalten. Wir
haben den arbeitſamen Zimmermann zu
lange warten laſſen; ihn, der der Ruhe
ſo ſehr bedarf. Er tritt nun demuͤthig
herbei. Mein Schuͤler, der ſeine Muͤhe
nach der Muͤhe des geſchwaͤtzigen Friſeurs
abwiegt, langet einen Dukaten aus der
Boͤrſe, und erwartet, ob er auch damit
vorlieb nehmen werde — Ich bin ein er:
mer Mann; wie käme ich dazu, dieſes
| Gold-
256 Der Mann
Goldſtück zu wechſeln — mit dieſen
Worten giebt er es zuruͤcke — Was iſt
alfo euer Taglohn, arbeitſamer Mann?
Tägliche neun Groſchen! aber ich wer⸗
de für Sie beten, wenn Sie mir einen
Groſchen zulegen. Ich habe Weib, und
drey Kinder , und das Brod iſt um 6
Loth kleiner geworden. Tape = kaum
ſieht mich an: ich verſtehe ſeinen fragen⸗
den Blick, und winke ihm meinen Beifall.
Er druͤcket mit freudiger Ungeduld dem ar⸗
beitſamen Mann das ganze Goldſtuͤck in
die Hand. Habet es, ſagt er ihm, für
euch, und machet euren Kindern einmal
eine gute Stunde — und gegen mich ges
wendet ſetzt er hinzu: Unbillige Aus:
theilung! wäre es dem Geſetze nicht
möglich, zwiſchen der Arbeit und dem
Lohne ein billiges Gleichgewicht ein⸗
zuführen e
IV.
55
Ich will unterſuchen: ob es möglich iſt,
ein gefegmäfliges Gleichgewicht zwi⸗
ſchen der Arbeit, und dem Lohne ein⸗
zuführen Dieſe Unterſuchung wird mich
weis
ohne Vorurtheil. 257
weiter führen, als es anfänglich den Schein
hat. Ich werde mich genoͤthiget ſehen, die
Beſchaͤfftigungen der Handgewerbe unter
gewiſſe Eintheilungen zu bringen, und je⸗
dem unter ihnen ſeinen Ort anzuweiſen, an
dem es ſteht, und an dem es ſtehen ſollte.
Werde ich gluͤcklich genug ſeyn, einen ſol⸗
chen Stoff, der der Satire ſo ganz nicht
angemeſſen iſt, auf eine Art zu behandeln,
daß der Deuter nicht einſchlaͤft? daß er
unterrichtend, oder, wenn man ſo will,
verbeſſerend fuͤr die einen, ergoͤtzend fuͤr
den Haufen meiner Leſer ſey, die dieſen
Blaͤttern, wie ihrer Hausrechnung, die
verworfene Minute widmen, die ſie in dem
Tagebuch ihrer Zerſtreuungen nicht unter⸗
zutheilen wiſſen? — Und Sie Thereſie! )
deren gewogenheitvoller Zuſpruch mir oft,
die uͤber den Tadel des Boshaften, uͤber
den
*) Die Neugierde fragt: wer mag fie ſeyn,
dieſe Thereſie? Glückliche Gatten, wenn ihr
viele nennen möget, die Thereſten ſeyn könn⸗
ten? — Für mich kenne ich nur dieſe einzi⸗
ge — und eine noch, die des Glücks würdig
wäre, Thereſiens Mutter zu ſeyn — Aber wit
ferne von uns! f
II. Theil. R
2535 Der Mann
den feyerlichen Ausſpruch des Dunſen bin:
geworfene Feder, die Feder, die mir auch
oft aus Beſorgniß gegruͤndeter Kritiken
entfiel, aufs neue ergreifen hieß; Sie,
ſanfte Freundinn, die ein feines Gefuͤhl
getreuer, als die Vorſchriften des Kunſt⸗
richters, leitet; deren Empfindung Beifall,
deren geiſtvolles Laͤcheln mir Belohnung
iſt; wo werde ich in dieſer oͤden Gegend
Blumen finden, die verdienen, zum Kranze
gewunden, ſtolz in ihren Locken zu verbluͤ⸗
hen? — Doch, ich ſehe dieſen ermuntern⸗
den Blick, den Sie mir zumerfen, und die
oͤde Gegend wird mir eine blumenreiche
Flur: ich ſchreibe —
Da das menſchliche Geſchlecht nur noch
in wenigen beſtund, die den Erdboden un⸗
ter ſich theilten, da waren die Begierden
klein, weil der Gegenſtand fuͤr dieſelben zu
groß war. Abel hatte eine groͤſſere Vieh⸗
weide, als alle Chane aller Horden, in
allen Tatareyen: und Kain haͤtte ſeine
Felder nicht bepfluͤgen koͤnnen , wenn er
alle vierzigtauſend Pferde aus den Staͤllen
ſeines Nefen Salomons vorgeſpannet haͤt⸗
te. So wie die Erde mehr bevoͤlkert wur⸗
de, ward das Eigenthum eingeſchraͤnkter,
weil
1
ohne Borurtheil. 259
weil es in mehrere Theile zerſtuͤcket wer⸗
den mußte; bis ſich die Beſitzer genoͤthiget
fanden, ihre Beſitzungen zu umzaͤunen, und
zu ſprechen: bis hieher! dieſes gehoͤrt mir
an. Noch immer aber wuchs ihre Anzahl,
und da fuͤr die Nachfolgenden nichts mehr
in Beſitz zu nehmen übrig war; fo muß⸗
ten ſie auf Mittel denken, ſich unabhaͤngig
von liegendem Eigenthume, Unterhalt zu
verſchaffen: ſo entſtunden Handwerke und
Kuͤnſte —
Die Soͤhne Kains waren Ackersleute.
Die Erde ohne Werkzeuge umzugraben,
welche ſchweiß volle Mühe! Und wie wenig
konnten ſie fortruͤcken! Ihre Haushaltun⸗
gen waren zahlreich, ihre Kraͤfte zu ein⸗
geſchraͤnkt, ſo viel zu bebauen, als ganze
Heerden von Kindern, und Kindskindern
verlangten. Und haͤtten fie auch da aus⸗
gelanget, wer gab ihnen Kleider? wer
verzaͤunte ihre Felder? wer erweiterte ih-
re Wohnungen? wer verbauete ſie gegen
Wind, gegen den Regen, gegen alle Un⸗
geſtuͤme der Witterung? wer ſetzte einen
Damm, der den Anfall des Sturzwaſſers
brach, und ableitete? Wenn es mit dem
Umgraben der Erde nur ſchleuniger vor ſich
R 2 ge⸗
266 Der Mann
ſehen möchte ! ſagte der Vater zu feiner
Gehuͤlfinn nach einem beſchweißten Tage,
und uͤberſah unzufrieden den kleinen Fle⸗
cken, ſein ganzes Tagwerk.
Tubalkain erfand die Kunſt, das Eiſen
in Schippen, und anderes Grabgeraͤthe zu
formen. Denn die ſchwere Beſchaͤfftigung
der Schmiede war keine Erfindung eines
Muͤſſiggaͤngers, der zum Zeitvertreibe ei⸗
nen Stecknadelknopf glaͤttet, und zur be⸗
ſtimmten Arbeit, ißt und ſchlaͤft. Hier habt
ihr, ſagt er feinem Nachbarn, ein Werk⸗
zeug, das eure Tagwerke verkuͤrzen kann!
verſuchet es damit, die Erde umzugraben!
Und er verſuchte es, und er erſtaunte
uͤber den Fortgang ſeiner Arbeit, und
wuͤnſchte ſich, dieſen Schatz zu beſitzen.
Ich kann mir vorſtellen, er wird fo une
gefaͤhr ſeinen Ueberſchlag gemacht haben.
Mit dieſem Werkzeuge kann ich meine Fel⸗
der ganz beſtellen. Ich baue dann fuͤr mich,
und mein Haus, und lege noch Vorrath
bei, auf mancherlei Faͤlle, die ſich unvor⸗
geſehen ereignen koͤnnen. So macht mich
dieſes Geraͤth reich, denn es verſchaft mir
Ueberfluß. Ich will ſehen, es an mich zu
bringen. Was gebe ich euch dafuͤr? —
Der
ohne Borurtheil. 261
Der Schmied mußte feine Zeit in feiner
Werkſtatt zubringen. Sie fehlte ihm alfo
zum Feldbau. Vielleicht, daß er auch kein
Stuͤck Erde hatte, und eines an ſich zu
bringen ſuchte, welches ſeine Kinder um⸗
ſtuͤrzen ſollten. Nach ihren Beduͤrfniſſen
maſſen fie wechſelſeitig ihre Waare , und
beſtimmten nach den Vortheilen ihren Preis
— Was ihr mir dafuͤr gebet — ſagt Tu⸗
balkain — Getraid fo viel — und das Stuͤck
Feld zunaͤchſt an meiner Huͤtte. Hier nach⸗
gelaſſen, dort zugeſtanden, ſo wurden ſie
eins, und jeder kam vergnuͤgt zuruͤck.
Der Ackersmann hatte noch nicht Zeit
gehabt, alle Vortheile feiner neuen Erwer⸗
bung kennen zu lernen. Der Bach ſtaͤmm⸗
te ſich an ſeine Felder, und floß auf die⸗
ſelben uͤber; ſeine Saat ward ausgetraͤnkt,
oder ſeine Garben weggeſchweift. Koͤnnte
ich dem Waſſer einen Abfluß oͤffnen! denkt
er bei ſich, und verſucht es, ein neues
Beet zu graben, und leitet den Bach ab,
und ſetzet ſeine Flur in Sicherheit. Bald
faͤllt der Regen ſeiner Huͤtte unbequem,
und dringt an dem Fuſſe ihrer Waͤnde ein,
und verdirbt ihm ſeinen Vorrath. Mit
ſeiner Schippe zieht er rings um dieſelbe
R 3 ei⸗
262 Der Mann
einen Graben, und weiſt dem fich ſam⸗
melnden Gewaͤſſer einen andern Weg ar.
Nun kann er feine Saaten nicht uͤber⸗
ſehen: Brod, vielleicht auch andere Ge-
waͤchſe, im Ueberfluſſe: aber Kleider, Klei⸗
der, woher ſoll er dieſe nehmen? Der die
Schippe gemacht hat, wird gar bald auf
andere Werkzeuge verfallen ſeyn, deren
Nutzbarkeit in die Augen leuchten muß. Er
wird eine Axt geſchmiedet haben, und ſich
damit hohe Baͤume gefaͤllet, und Pfaͤhle
zugeſpitzet, und ſeine Wohnung bequemer
eingerichtet, und hundert andere Gemaͤch⸗
lichkeiten verſchaffet haben, alles durch
ſeine neuerfundene Axt.
Der Ackersmann, der Viehhirt wird
ihn um dieſelbe beneiden —
Ich habe keine Weide, keine Felder zum
Kornbaue: mir mangelt es am Brode, an
Bedeckung! wie kann ich dieſem Mangel
fuͤr mein Haus abhelfen? ſo uͤberlegt eine
ſorgfaͤltige Hauswirthinn in langen, unlu⸗
ſtigen Naͤchten des Winters. Sie ſinnet
nach, ob die Beduͤrfniſſe der Menſchen alle
ſchon erſchoͤpfet ſind. Noch nicht, ſagt
ihr ein genaues Nachdenken. Zwar der
Schafhirt hat die Felle ſeiner Schafe zu
feir
ohne Vorurtheil. 263
ſeiner Huͤlle, aber dieſe Felle ſind roh,
trocken, hart, unbiegſam: ihrer geſchick⸗
ten Hand gelingt es, nach manchem Ver⸗
ſuche, fie zuzubereiten, gelinde, biegſam,
geſchmeidig zu machen. Das bearbeitete
Fell ſitzt nun genau am Leibe, es ſchmiegt
ſich nach jedem Gelenke, es laͤßt nicht mehr
die Luft ein, es ſchuͤtzet gegen die Kaͤlte.
Nun iſt ihr Mangel zu Ende. Sie zeigt
ſich in ihrem Kleide. Alles verſammelt ſich
umher, alles bewundert ſie, alles verlangt
nach fo. bequemer Bedeckung. Der Ackers⸗
mann biet ihr Fruͤchte an, und empfaͤngt
gegaͤrbte Felle; der Hirt biet ihr Schafe
an, unb empfaͤngt gegaͤrbte Felle; der
Schmied biet ihr eine Axt an, um dafür
Felle zu erhalten — Dieß iſt die erſte Ge⸗
meinſchaft der Beſchaͤfftigungen: ein Ackers⸗
mann, der Speiſe, ein Viehhirt, der die
Huͤlle verſchafft, eine Gaͤrberinn, die ſie
zubereitet, und ein Schmied, der allen
dreyen ihre Werkzeuge liefert. 5
Bei dieſem Zuſtande ungefähr muß die Er⸗
findſamkeit fo lange verharret ſeyn, als die
Menſchen ſich an den ſtrenggenommenen
Beduͤrfniſſen genuͤgen laſſen. Aber das Ziel,
ſo der Schoͤpfer den natuͤrlichen und ſitt?
R 4 li⸗
264 Der Mann
lichen Kräften vorgeſtecket, war noch nicht
erreichet. Er hatte es ſo geordnet, daß
man weiter fortruͤcken mußte. Er hat die⸗
ſes Sehnen nach der Vergroͤſſerung unſe⸗
rer Bequemlichkeit nicht vergebens in un⸗
ſere Herzen geleget. Jeder anerſchaffne
Trieb iſt ein Faden, dem man nachgehen
darf, um zu einem Theile der fuͤr uns be⸗
ſtimmten Gluͤckſeligkeit zu gelangen. Der
Philoſoph, der dieſes laͤugnet, der uns
Faͤhigkeiten ohne Abſicht, Triebe mit ſchaͤd⸗
lichen Folgen andichtet, entehret die Weis⸗
heit des Schoͤpfers, oder laͤſtert ſeine Ge⸗
rechtigkeit. Es iſt keine, bis auf die ge⸗
mißgebrauchte Faͤhigkeit eines Sailgauk⸗
lers, die nicht zum Nutzen des menſchli⸗
chen Geſchlechts abzweckte. Ohne dieſe
Faͤhigkeit, das Gleichgewicht auf einem
Stricke zu halten, wuͤrde man es in der
Schiffahrt, und der ſogenannten Gegla-
tion nie ſo weit gebracht haben.
Rouſſeau! mit aller Verehrung fuͤr deine
ſchaͤtzbaren Talente, und menſchenliebvol⸗
les Herz, ich fobere dich auf, einen
Trieb in mir aufzuſpuͤhren, der, wenn
ich ihm nachhange, mich nur zu ſchaͤdli⸗
chen Folgen verleitet! die Begierde zu ha⸗
ben
ohne Vorurtheil. 265
ben — fie iſt der Sporn des Fleiſſes —
die Ehrbegierde — ſie iſt die Mutter ſo
mancher ſchoͤnen Handlung, die den Jahr⸗
buͤchern des menſchlichen Geſchlechts Ehre
machen — das Gefuͤhl der Tapferkeit —
fie bereitet dem Vaterlande, dem ſchwaͤ⸗
cheren Bedraͤngten Schutz und Sicherheit —
der gegenſeitige Geſchlechtshang — er iſt
das Band der Familien, ihr Vermehrer,
der Bevoͤlkerer der ohne ihn oͤden Erde —
Aber der Geizige, der Räuber, der Unter-
druͤcker, der Ehebrecher — das heißt, weil
Pyrrho die Vernunft zum Zweiflen an⸗
wendet, ſo iſt das ihre Beſtimmung: weil
Alexander der Raͤuber der Welt geworden;
ſo iſt Leonidas nicht tapfer: weil Helena
dem Paris folgte, ſo war Arria ihrem
Paͤtus nicht getreu: weil der gekroͤnte
Schlemmer Roms Millionen verbanfetirte,
ſo iſt kein maͤſſiger Joſeph irgend auf dem
Throne — Ich glaube inzwiſchen nicht,
daß der Hang nach der Gemaͤchlichkeit die
Zahl der Erfindungen gemehret habe: die
Nothdurft der Erfinder hat es gethan,
aber fie waren der Gemaͤchlichkeit ſehr
willkommen.
R 5 V.
266 Der Mann
| | v
Be einzelnen Menſchen, bei Nomaden,
bei irrenden Horden, die ungefaͤhr den
arabiſchen Horden gleichen, welche den
andaͤchtigen Reiſegeſellſchaften nach Meka
auflauern, gab es wenige Beduͤrfniſſe:
darum waren auch die Erfindungen in ge⸗
ringer Zahl. Auf die Erfindung eines Werk⸗
zeuges, die Erde zu bearbeiten, auf eine
Schippe und Axt iſt man bald verfallen:
aber es ſind einige tauſend Jahre verlau⸗
fen, ehe die ſtahlenen Uhrhacken gemacht
wurden, womit die Toͤchter Evens die
Uhren an ihrem Guͤrtel befeſtigten.
Indeſſen iſt ein unendlich groͤſſerer Weg
von leeren Haͤnden bis zu einer Schippe
zu hinterlegen, als von einer Schippe bis
zur Uhrkette. Ein Menſch mußte ſagen:
ich will die Erde aufwuͤhlen, und in ihrem
Eingeweide einen Stein ſuchen, der kein
Stein ſeyn ſoll! Ich will dieſen Stein
nehmen, und uͤber Feuer roͤſten, und dann
in einem noch heftigern Feuer flieſſen laſ⸗
fen, und dann ſchmieden, und ihm die Ge⸗
ſtalt geben, die meiner Abſicht bequem iſt,
eine keilfͤrmige Geſtalt — Wie viele
Kennt:
ohne Vorurtheil. 267
Kenntniſſe der Naturkunde, der Metall:
kunde, der Mechanik! Kurz, um die Schip⸗
pe zu machen, mußte man erfinden, und
um die Uhrkette zu machen, ware man
nur vervollkommen.
Darin beſteht der Vorzug des wahren
Nothwendigen: fein Mangel wird em⸗
pfunden, und dieſe Empfindung leitet da⸗
hin, wo ihr Genuͤge geſchehen kann. Ein
Kind weis ſogleich ſeine Nahrung an den
Mund zu fuͤhren, aber es weis nicht, was
es mit einem Kleide anfangen ſoll, das man
ihm vorlegt —
Ich haͤtte alſo nicht einmal ſagen ſol⸗
len: die Erfindungen waren der Gemaͤch⸗
lichkeit willkommen: fie find vor der Ge-
maͤchlichkeit hergegangen, und haben ſie
gleichſam erſchaffen.
Aber wir ſind in der Geſchichte der
Kuͤnſte und Handwerke noch nicht ſo weit
fortgeruͤcket. Laßt uns den Menſchen un⸗
ter verſchiedenen Himmelsgegenden betrach-
ten! Wir werden Kuͤnſte entſtehen ſehen,
welche durch den Einfluß des Klimas ver:
anlaſſet werden: Kuͤnſte, die an einem Or⸗
te Ueberfluß, Bedürfniß an dem an⸗
dern ſind.
Das
263 Der Mann *
Das Stammhaus des menſchlichen Ge⸗
ſchlechts war ohne Zweifel unter einem ge⸗
linderen Himmel. Die Schrift ſagt es:
aber auch ohne die Offenbarung muß uns
die Muthmaſſung darauf leiten. Wollte
der Schoͤpfer nicht Wunder auf Wunder
haͤufen, und ſein Geſchoͤpf an der Hand
zu jeder Erfindung leiten, oder wollte er
es nicht bei dem erſten Geſchlechte ausge⸗
hen ſehen; ſo mußte er es weder an die
Spitze von Neu Jembla verſetzen, wo die
kriſtallene Feuchtigkeit im Auge ſtarret, we⸗
der in die Wuͤſte Sarra, deren gluͤhender
Sand die Sohlen des Wanderers brene
net. Huͤlflos, und ſeinen noch unentwi⸗
ckelten Faͤhigkeiten überlaffen, mußte er ihm
da einen Platz anweiſen, wo es die we⸗
nigſte Huͤlfe brauchte, und ſeine Faͤhigkei⸗
ten fuͤr ſeine Beduͤrfniſſe zureichend waren.
Dieſer Platz war der gemaͤſſigte Erde
guͤtel, aber mehr Suͤdwaͤrts, als gegen
Norden. Dort muͤſſen die Erdbeſchreiber
den niedlichen Garten, der ein Ausdruck
der Wohnung der Seligen geworden, das
Eden, und den Brunn der groſſen Fluͤſſe
ſuchen, die den Erdboden uͤberſchwemmen.
Von
ohne Vorurtheil. 269
Von da aus ruͤckte die Bevoͤlkerung ſtuͤck⸗
weiſe auf der Oberflaͤche der Erde fort.
Wohin wendeten ſich die Menſchen eher?
gegen den Nordpol? oder gegen Süden?
Oſtwrts e oder Weſtwarts v Setzen wir
uns an die Stelle unſrer Stammvaͤter! aber
entbloͤſſen wir uns, wenn wir koͤnnen, der
Kenntniſſe der Erdbeſchreibung, oder ihrer
Irrthuͤmer! ſehen wir, was wir gethan
haben wuͤrden! Wir ſagen, wenn wir an
einem Hirſchen etwas wahrnehmen: fo
leitet ihn ſein Inſtinkt. Der unausge⸗
bildete Verſtand war mehr noch Inſtinkt,
als verſtand. Wir duͤrfen alſo ſagen: die
Enkel hatten, die Väter alſo haben es
gethan. Es ſcheint ſogar, daß dieſe Art
zu ſchluͤſſen, ziemlich zuverſichtlich ſeyn muͤß⸗
te, wenn wir ſo leicht die hinzugekom⸗
menen, ſpaͤter erworbenen Kenntniſſe ab⸗
zulegen faͤhig waͤren. Aber ſie ſind beinahe
ein Theil von uns ſelbſt geworden, dieſe
Kenntniſſe. Gelagert zwiſchen Perſien und
dem Gebiete des Mogols , oder wahr⸗
ſcheinlicher, ſelbſt in dem Gebiete des Mo:
gols zwiſchen dem Indus und der Kette
der Bergen, die dieſes Reich von Norden
gegen Suͤden durchſchneiden, wuͤrde ich
. mich,
270 Der Mann
mich, allem Anſehen nach, zuerſt vor mir
hin Nordwärts gewendet haben, wenn
mein Wohnplatz mit Menſchen und Heer⸗
den uͤberfuͤllet geweſen waͤre. Ich wuͤrde
mich hinter mich zu wenden, von der ſen⸗
genden Hitze abgeſchrecket worden ſeyn. In
dieſer Lage war der erquickende Schatten
das Bild der Gluͤckſeligkeit. Er ſetzte den
Menſchen in den Garten der Wolluſt,
ſagt der Geſchichtſchreiber Moſes: die Kuͤh⸗
le alſo wuͤrde fuͤr mich anlockend geweſen,
ich wuͤrde ihr nachgezogen ſeyn.
Man erinnere ſich, daß ich damals kei⸗
nen Nachen, oder anderes Mittel, einen
Fluß zu uͤberſetzen, gekennet haͤtte. Ich
wuͤrde alſo dem Indus in ſeinem Laufe im⸗
mer zur Seite haben wandern muͤſſen, bis
mich die Berge gezwungen hätten, Weſt—
wärts zu lenken. Denn ich wuͤrde nicht
gerne die Hoͤhen beſtiegen haben, ſo lange
ich Ebenen vor mir erblicket haͤtte: waͤre
es auch nur geweſen, um mich nicht von
den Quellen zu entfernen, deren Nothwen⸗
digkeit fuͤr mich und meine Heerden ich fruͤh
genug wuͤrde erkennet haben. Und ohne ihn
geſehen zu er kann es uns nicht ein⸗
ſal⸗
ohne Vorurtheil. 271
fallen, den Urſprung der Fluͤſſe in den Ge⸗
birgen aufzuſuchen.
So bald die wandernden Menſchen ein⸗
mal diefe Richtung erhalten haben, fo wa⸗
ren ſie gezwungen, ihr beſtaͤndig zu folgen.
Sie lieſſen, ſo wie ſie ſich vermehrten, be⸗
ſtaͤndig Haufen auf den Rüden‘, die fie
vorwaͤrts draͤngten, und es ihnen unmoͤg⸗
lich machten, wiederzukehren. Sehet dann
die Menſchen auf dem Wege, Perſien zu
bevoͤlkern, und auf der einen Seite von
Caucaſus, auf der andern von dem Meere
eingeſchraͤnkt, ihren Weg immer mehr noͤrd⸗
lich fortſetzen. Ich will hier die Wander
rung der Voͤlker nicht weiter beſtimmen:
ich wuͤrde mich mit Erdebeſchreibern und
Auslegern zu ſchlagen haben, wenn ich
meine Meinung weiter durchſetzte: und ich
will ihnen tauſendmal ehe Recht laſſen, in
einer Sache, wo fie, fo wie ich, nun
muthmaſſen duͤrfen, als mit ihnen zanken:
denn ich denke, auch bei einer gewonne⸗
nen Schlacht iſt Verluſt. So moͤgen ſie
dann alſo ihre Pflanzvoͤller hinſenden wo
ſie wollen; ich ſpreche zu ihnen: Seht!
die ganze Erde iſt vor euch!
Aber
272 Der Mann
Aber welche Beduͤrfniſſe zeigen ſich bel
den aus ihrem erſten Wohnplatze ver⸗
pflanzten Menſchenkindern? Es iſt ſehr
wahrſcheinlich, daß ſie die Unbequemlich⸗
keit ihrer Kleidung vor allem gefuͤhlet ha⸗
ben moͤgen. Sie trugen Schaffelle. Dieſe
Huͤlle iſt fuͤr die Hitze des Tages, und die⸗
ſer Gegend zu beſchwerlich. An einigen
abgenuͤtzten Kleidern werden fie die Er⸗
fahrung gemacht haben, daß die Wolle
ſich von der Haut ſoͤndern laͤßt. Nun wer⸗
den ſie es mit ganzen Fellen verſucht haben,
und es gieng an. Sie bereiteten ſich Klei⸗
der aus enthaarten Fellen, und ſie fanden
ſie bequem, gering, gegen die Biſſe der
Flieginſekte, und ſelbſt gegen die Sonnen⸗
hitze ſchuͤtzend.
Aber des Herbſtes rauhe Witterung
ruͤckt heran. Die Naͤchte werden kalt,
feucht, ungeftüm : die ledernen Kleider
zeigen nun gleichfalls ihre Maͤngel. Der er⸗
ſte Gedanke, der ſich hier anbieten mußte,
war, eine doppelte Bekleidung, fuͤr den
Tag eine, eine fuͤr die Nacht — Ich ſehe
die erſten Keime des verderbenden Prachts,
der Verſchwendung, die unſre Zeiten ver⸗
wuͤſten, wenn Thoren Anfehen und Vor⸗
zug
ohne Vorurtheil. 273
zug darin ſuchen, viel zu brauchen, und
Haͤuſer zu miethen, um ihre Kleiderſchraͤnke
zu ſtellen. Doch, wir wollen nichts voraus
nehmen. Die erſterbenden Fluren, der
ſich entlaubende Wald, der anhaltende Re⸗
gen zeigte bald noch einen andern Mangel.
In den waͤrmern Gegenden wohnte man
unter einem Aſte, den ein dickbelaubter
Baum wohlthaͤtig uͤber das Haupt aus⸗
ſtreckte. Er hielt am Tage die Stralen
der Sonne ab, und fieng Abends den Thau
auf. Bei dem Wechſel der Witterung in
dieſem Erdſtreife, von dem ſich nun die
Sonne immer mehr und mehr entfernte,
war ein Laubdach eine unzulaͤngliche Zu⸗
flucht. Man mußte Wind und Regen,
und Froſt abhalten, man mußte bauen.
Es war mit der Baukunſt, wie mit
allen andern Kuͤnſten. Wer dem, der am
erſten einige Pfaͤhle in die Erde ſtieß, und
ſie mit Zweigen verflocht, und da der Wind
die Fugen durchſtrich, die Zweige mit ge⸗
weichter Erde umzog, und, wenn er gluͤck⸗
lich er findſam war, Pfaͤhle fchief, um dem
Waſſer einen Abfluß zu verſchaffen, darauf
befeſtigte, und Stroh oder Binſen darauf
band, wer dem geſagt haͤtte: das iſt der
U, Theil. S Anz
274 Der Mann
Anfang einer Kunſt, wodurch nach einigen
tauſend Jahren Vitruve und Palladie un⸗
ſterblich ſeyn, wodurch der Stolze ſeine
Groͤſſe, und der Verſchwender ſeine Hirn⸗
loſigkeit zeigen werden, den haͤtte er wer
nigſtens fuͤr einen Ausſchweifenden, und
Sinnloſen gehalten. Indeſſen wuͤrde we⸗
der das Vatikan, noch das Louvre die
Fremden jemals in Erſtaunen ſetzen, wenn
dieſer erſte nicht in ſeiner ungeſtalteten
Huͤtte den Grund zur Baukunſt geleget
hätte.
Eben dieſer Klumpen ward nicht er⸗
richtet, ohne daß die Natur dem Beobach⸗
ter einige Kunſtgriffe der gebefunft ent⸗
decket haͤtte. Ich ſehe alſo auch den Lehr⸗
meiſter der Archimedes und Belidore in
dem Erbauer dieſer Huͤtte. —
VI.
De einfachſten Erfindungen, diejenigen,
die gleichſam auf der Oberflaͤche liegen, und
ſich ſelbſt anbieten, waren den erſten Men⸗
ſchen am koſtbarſten.
Es
ohne Vorurtheil. 273
Es war ein langer Baum, ein untrag⸗
barer Stein, ſonſt eine ſchwere Laſt von
der Stelle zu bringen, aufzuheben. Der
Menſch fand ſehr bald das Unvermoͤgen
feiner Hände. War die Laſt, die er fort⸗
zuruͤcken hatte, auf der Erde, ſo hat der
Mechanismus feiner Kräfte ihn zwar na⸗
tuͤrlich zur Verlaͤngerung der Linie, durch
die Anſtaͤmmung angefuͤhrt: aber, man iſt
nicht im Stande, eine ſolche beſchwerliche
Stellung lange auszuhalten, man ermuͤdet,
bevor die Arbeit merklich von der Stelle
geht. Man bilde ſich nun den ein, der bei
ſeinem widerſpenſtigen Klumpen keuchet! er
hat ihn mit vieler Muͤhe ein Stuͤck empor
gehoben: ſoll er nun ſeine Haͤnde unter⸗
legen, um ihn nicht wieder ſinken zu laſſen?
er wird ihre Zerquetſchung fuͤrchten: er
wird einen Stein, ein Stuͤck Holz, er wird
ſonſt eine Unterlage unterſchieben, um ſei⸗
ne Laſt empor zu halten — Er hat ſich nun
erholt, er ſieht, daß die Bewegung leich⸗
ter geſchehen wuͤrde, wenn er ſeine Laſt an
der emporgehobenen Grundflaͤche angreift.
Aber, er traut der Beharrlichkeit ſeiner
Kraͤfte nicht: ſollten die Haͤnde kraftlos,
und von der Schwere uͤberwaͤltiget wer⸗
S 2 ben,
276 Der Mann
den, ſo iſt er in Gefahr, darum zu kom⸗
men. Anſtatt feine Finger zu wagen, er⸗
greift er die zunaͤchſt liegende Stange, mit
welcher er die Bewegung verſucht. Eine
Menge Vortheile fallen ihm ſo zu ſagen
ſelbſt in die Hand, ſo bald er einmal auf
den Einfall gerathen iſt.
Je aufgerichteter er bei dem Heben ſte⸗
hen kann, deſto gemaͤchlicher iſt ihm ſeine
Arbeit. Bewundern wir die weiſen Geſetze
der Vorſicht, welche die nuͤtzlichſten Vor⸗
theile ſo geordnet hat, daß man nicht konn⸗
te, nicht bald darauf verfallen! Um nicht
gekruͤmmt zu ſtehen, um gemaͤchlicher zu ar⸗
beiten, entfernet ſich der Laſtheber immer
mehr und mehr von der Laſt, und wie er
ſich entfernet, fühlt er feine Kraft ver-
groͤſſert. Er kennet nun zwar das erſte
Geſetz des gebels nicht, aber den Zebel
ſelbſt gebrauchet er: und wie es uns ganz
natürlich eigen iſt, Verſuche anzuſtellen,
ſo wird er bald auf die Unterlage ſelbſt,
und durch eine Kette von Erfahrungen auf
alle Erleichterungen, die der Zebel ver:
ſchaft . kommen.
Der Laſttraͤger verfaͤhrt taͤglich nach
allen mechaniſchen Geſetzen des Zebels,
oh⸗
ohne Vorurtheil. 277
ohne daß er es weis: daß die Kraft nach
Maſſe der Entfernung von dem Auf:
liegpunkte vergröſſert wird.
Der Keil war die erſte Entdeckung, auf
die man geleitet war: die Axt, womit die
Baͤume umgehoben wurden, war ſelbſt ein
Keil, Alſo war es leicht, denſelben all⸗
gemeiner zu gebrauchen. Man wollte ei⸗
nen Baum ſpalten, man bediente ſich der
Axt, man hieb ein. Die Spaltſamkeit des
Holzes zeigte ſich bald durch die Fuge:
aber dieſe Fuge verſchwand, ſobald die Axt
herausgezogen ward. Damit ſie nun er⸗
halten wuͤrde, wird ein Stein, oder das
naͤchſte, das erſte Stuͤck Holz hineinge⸗
ſteckt. Man darf eben nicht ſehr erfindſam
ſeyn, um dieß zu thun. Der wiederholte
Streich dringt nun tiefer ein, das Holz
reißt weiter: man ſteckt ein ſtaͤrker Stuͤck
Holz in die Fuge, man befeſtiget es mit
einem Schlage, und ſieh, der Schlag ſelbſt
ſpaltet das Holz, weil der Keil tiefer hin⸗
eindringt: die Schlaͤge werden nun ver⸗
doppelt, und man ſieht, wie man durch
ben bloſſen Keil mit leichter Mühe mit der
Spaltung der groͤßten Baͤume zu Stande
koͤmmt. |
63 Uns
278 Der Mann
Unſre Holzhauer, welche taͤglich vor
unſerm Angeſichte ſo verfahren, ſind der
Beweis, daß es der erſte von ihrem Gewer⸗
be eben ſo gemacht hat: ſie haben ſo wenig
als er, uͤber die Mechanik ein Kollegium
gehört; fie klieben täglich die größten Baͤu⸗
me, ohne zu wiſſen: das die Richtungen
des Neils, nach welchen er gegen die
beiden Theile des Körpers getrieben
wird, mit ſeinen zwoen Seiten rechte
Winkel machen.
Ich zaͤhle unter die erſten Entdeckungen
der gebekunſt auch die ſchiefe Slaͤche, und
ſeht, wie man darauf verfallen ſeyn mag!
Man hatte eine Laſt von einer Hoͤhe zu
bringen, die Höhe war abſchuͤſſig und jaͤh,
der kleinſte Anſtoß war maͤchtig genug: ſo
bald ſie einmal bewegt war, ſtuͤrzte ſie
unaufhaltſam fuͤr ſich ſelbſt dahin. Aber
wenn ſo etwas auf einem Berge zu thun
war, deſſen Hang ſich ſanfter verlor; ſo
empfand man zwar gleichfalls das Beſtre⸗
ben der Schwere, nach dem Thale zu ſin⸗
ken, aber mit einer gemaͤſſigteren Kraft,
mit einer Kraft, die durch wiederholte An⸗
ſtoͤſſe gleichſam von Zeit zu Zeit erwecket
werden mußte. Dieſe Beobachtung mußte
gar
ohne Borurtheil. 279
gar bald genuͤtzt werden. Obgleich manche
Weltweiſen durch die verwickeltſten Schluͤſ⸗
ſe zu beweiſen ſuchen, daß die Menſchen
nicht ſo bald ſchlüſſen; ſo mag das wahr
ſeyn, wenn ſie eine Schlußrede nach ih⸗
ren Figuren verſtanden haben. Ich ge⸗
ſtehe ihnen gerne zu, daß Adam keine
Schlußrede von drey Gliedern zu machen
gewußt: aber thaͤtige Schlüſſe, die bin
ich fo kuͤhn , nicht einmal meinem Hunde
abſprechen zu laſſen.
Ich gebe dem armen Thiere taͤglich aus
meinen Händen feine Nahrung, ich ſtreich⸗
le, und liebkoſe es: es ſpringt mir bei
meinem Eintritte in das Haus freudig ent⸗
gegen, wedelt mit feinem Schweife, bes
lekt meine Haͤnde, vertheidiget mich mit
ſeinem Geſchrey, mit ſeinem Beiſſen, wenn
man zum Scherze nur nach mir ſchlaͤgt.
Einer meiner Beſuche, ein unfreundlicher
Menſch, kann die Vertraulichkeit des ge⸗
treuen Geſchoͤpfes nicht vertragen, er ſchlaͤgt
es. Sobald dieſer Menſch in das Haus
tritt, empfaͤngt ihn der Hund mit unzu⸗
ſtillendem Gebelle, laͤuft vor ihm, ver⸗
birgt ſich. Wie Freund Philoſoph! weil
mein Hund nicht ſagt: wer mich näbret,
S 4 mich
230° Der Mann
mich ſtreichelt, mich IiebFofer, iſt mein
Sreund: mein gerr thut dieß alles: al⸗
fo iſt mein gerr mein Freund — Wer
mich fchlagt, iſt mir 8eind; der Frem⸗
de ſchlug mich; alſo iſt der Fremde
mein Seind. — Wer mein Freund iſt,
wird mir nichts zu Leid thun, vor dem
darf ich mich alſo nicht fürchten: vor
meinem gerrn alſo darf ich mich nicht
fürchten: meinen Sreund bin ich zu lie⸗
ben verbunden; meinen Seren alfo bin
ich zu lieben verbunden. — Wer mein
Seind iſt, der will mir Böſes thun, vor
dem muß ich mich verbergen: alſo muß
ich mich vor dem Fremden verbergen. —
Weil mein Hund kein ſolcher unertraͤglicher
Schwaͤtzer iſt, ſo hat er nicht das Vermoͤ⸗
gen zu ſchluͤſſen, ungeachtet er nach Lo⸗
ckes Geſetzen in der That LiebFofer, ent⸗
gegenſpringt, fich verbirgt » Sage eben
ſowohl: Peter der Groſſe habe bei Pul⸗
tava nicht geſchloſſen, weil er feine gand⸗
Lung nicht in dieſe Schlußrede eingeklei⸗
det: wenn ich meinen Seind in eine
Einöde locke, wo feine Soldaten drey
Tage gunger leiden; fo werden fie ent⸗
kraftet; und entkraͤftete Leute find ge:
gen
ohne Vorurtheil. 281
gen meine wohlgenaͤhrten Truppen nicht
fähig auszuhalten; ich will Karin den
XII. dahin locken: alſo und ſo weiter:
Karl der XII., denke ich, haͤtte ihm die
Schlußrede verziehen, haͤtte es Peter bei
der Rede bewenden laſſen —
Die Menſchen haben alſo immer Schluͤſ⸗
fe gemacht, auch die, welche Lockes Verſuch
uͤber den menſchlichen Verſtand nicht gele⸗
ſen hatten: und eine geringe Aufmerkſam⸗
keit, mußte ſie lehren: ein Koͤrper, den
ſie von einer Hoͤhe abwaͤrts zu bringen ha⸗
ben, ziehe nach einer Jaͤhe ſo ungeſtuͤm
fort, daß es nicht in ihrer Macht ſteht,
ſeine Bewegung aufzuhalten: daß hinge⸗
gen die Bewegung auf einem ſanftern Ab⸗
hange ſich nach ihrer Willkuͤhr beſchleuni⸗
gen, und zuruͤckhalten laͤßt Und nun war
es eben fo ſchwer nicht, den Schluß um⸗
zuwenden, und zu ſagen: daß eine auf
eine gewiſſe Höhe zu bringende Laſt leich-
ter nach einer ſchiefen, als geraden Rich⸗
tung fortgeruͤcket wird; und ich denke, der
menſchliche Verſtand habe beide Schluͤſſe zu
gleicher Zeit gemacht. Ich gebe gerne zu,
daß die guten Leute nicht gewußt haben
moͤgen: daß die Kraft der fallenden
K 5 Rör⸗
282 Der Mann
Körper mit ihren Maſſen, und den
Muadratwurzeln des durchzulaufenden
Raumes in entgegengeſetztem Derbält-
niſſe ſtehen; noch: daß ſich die Ge⸗
ſchwindigkeit des freyen alls verhal⸗
te, wie die Linie AB zur Länge AC,
wenn A B die ſenkrechte Erhöhung des
Körpers, und A die ſchiefe Linie, auf
welcher ſie herabfaͤllt, anzeiget; noch auch:
daß die Reibung den Ueberreſt der Kraft
überwältigt: aber ich ſehe, daß unſere
Faßzieher, die alle dieſe Geheimniſſe eben
ſo wenig wiſſen, gleichwohl auf ihren Wein⸗
leitern taͤglich die groͤßten Laſten Weins mit
vieler Geſchicklichkeit aus den tiefſten Kel⸗
lern auf und hinablaſſen.
Wenn einmal ſo viel gethan iſt, ſo iſt
es nicht ſchwer fortzuruͤcken. Die Mecha⸗
nik, als eine dem menſchlichen Geſchlechte
ſo nutzbare Kunſt, muß ſehr bald groſſe
Wege hinter ſich gelegt haben. Die nach⸗
folgenden Erfindungen gruͤnden ſich groſſen
Theil auf ihre Huͤlfe —
ohne Vorurtheil. 283
VII.
De auf einen gewiſſen Punkt gebrachte,
und allgemeiner gewordene Mechanik wird
insbeſondere der Zimmerey wohl zu ſtat⸗
ten gekommen ſeyn, die in dieſer Kindheit
der Kuͤnſte mit der Baukunſt eines war:
ſie wird dadurch Wunderwerke verrichtet
haben. Schade, daß dieſe Zeiten nicht ir
gend einen Geſchichtſchreiber gehabt, oder,
daß wir wenigſtens von einem ſolchen keine
Ueber bleibſel aufzuweiſen haben! wir wuͤr⸗
den darin von manchem Wunderwerke ge⸗
leſen, und die Zahl der ſteben merklich
vergroͤſſert haben. Freylich wuͤrde es mit
dieſen Wunderwerken ziemlich ohne Zau⸗
berey hergegangen ſeyn, ungefaͤhr ſo, wie
mit den ſchwebenden Gaͤrten der Semi⸗
ramis, mit denen es auf einen groͤſſern
Erker hinauslief, der auf einer ungeform:
ten, durchbrochenen Bogenreihe ruhte, und
mit groſſen Gartengefaͤſſen beſetzt war.
Allein, wir wuͤrden, dem Alterthume zur
Ehre, es immer gerne fuͤr ein Wunder
angenommen, und haͤtten wir von irgend
einer groͤſſern Huͤtte Nachricht, daraus
wenigſtens ein Belveder gemacht haben.
Man
2864 Der Mann
Man ſieht aus den zu uns heruͤberge⸗
brachten aͤltſten Erzählungen , daß der
Reichthum der Menſchen in den erſten Jahr⸗
hunderten unfrer Zeitrechnung in geerden
von mancherley Vieh beſtanden. Die Nord⸗
laͤnder hatten ſogar fuͤr den Reichthum an
Ländereyen keine Benennung ; als le⸗
ganda Säh, liegendes Vieh. Noch in
den Zeiten der Patriarchenwanderungen
war der gewoͤhnliche Ausdruck des Reich⸗
thums: und er hatte Schaafe und Rin⸗
der, und Biel und Rnechte, und Mäg-
de, und Eſelinnen und Namele. Da:
mals hatte Aegypten bereits feine feſtge⸗
ſetzte Thronfolge. Es war ſchon uͤblich,
den Fuͤrſten die ſchoͤnen Weiber anzuruͤh⸗
men, und Bruͤdern, die ſchoͤne Schweſtern
hatten, Gutes zu thun. Es gehoͤrt eine
lange Reihe von Jahren dazu, ehe die Sit⸗
ten bis zu einer ſolchen Geſchmeidigkeit ge⸗
langen. Wir koͤnnen hieraus eine Muth⸗
maſſung bis zu einer gewiſſen Wahrſchein⸗
lichkeit erheben: naͤmlich, daß anfaͤnglich
nicht leicht jemand eine unwandelbare Woh⸗
nung aufgeſchlagen habe, und daß die Ge⸗
zelte und beweglichen Huͤtten unter die
erſten Erfindungen der Menſchen gehören,
Groſ⸗
ohne Vorurtheil. 285
Groſſe Heerden fodern zu ihrem Unterhalte
weitlaͤuftige Strecken , die dennoch bald
abgeweidet ſind, und daher oft veraͤndert
werden muͤſſen. Darum war das Leben
der alten Araber eine anhaltende Reiſe,
darum ziehen noch heute die mungaliſchen
Tataren beſtaͤndig hin und wieder. Ber
gegneten ſich zwo groſſe Haushaltungen,
ſo ſchlugen ſie ſich um einen Grasflecken
ſo hartnaͤckig, wie in neuern Zeiten die
Englaͤnder und Franzoſen um die Kuͤſte
von Nordamerika, wo der Stockfiſch ge⸗
fangen wird.
Jaabel, oder Jobal, wie ihn der Ge⸗
ſchichtſchreiber der jüdiſchen Alterthümer
nennet, war der Vater derer, welche in
Gezelten wohnen. Bis auf ihn alſo hat⸗
ten die Menſchen in Hoͤhlen der Erde, oder
ſonſt unter Baͤumen gewohnet. Der Sohn
Ada lehrte fie eine bequemere Wohnung er⸗
richten. Der Namen eines ſolchen Wohl-
thaͤters der Menſchen verdiente in den Ge:
ſchichtbuͤchern Moſis verewiget zu werden.
Die Welt ſcheint ihm die geſittetere
Menſchlichkeit, und der Gegner der Ger
ſellſchaft feinen Fluch ſchuldig zu ſeyn.
Von
2386 Der Mann
Von welcher Art waren die Gezelr,
Sabelsy Ich verſtehe hier nicht, von
welcher Geſtalt v ich verſtehe, aus wel⸗
chem Stoffe ? aus gewebtem Zeuge? von
Matten? aus Binſen, oder ſonſt einem
Riedgraſe geflochten? aus Fellen? oder
waren es fahrbare Huͤtten, dergleichen die
alten Deutſchen fuͤhrten, die Tacitus Plau-
ſtra nennet, die erſten Urbilder unfrer Waͤ⸗
gen, in denen es die Verſchwendung ſo
hoch gebracht hat? — Die Vernunft macht
nie einen Sprung, ſie ſchreit beſtaͤndig von
dem Einfachen zu dem Zuſammgeſetzten.
Ich entſcheide alſo ohne Anſtand fuͤr die
Selle, weil fie die einfachſte Art find, und
man am erſten darauf verfallen konnte. Der
Gebrauch der Felle war bereits bekannt.
Jabel wird eines davon, oder mehrere an
ihren Enden an Stangen befeſtiget haben;
es war nur eine Art von Dach, das erſte
Gezelt.
Ich will hier unſern Malern im Vor⸗
beigehen eine kleine Anmerkung mittheilen.
Wenn ſie eine Geſchichte aus jenen erſten
Zeiten malen, ſo duͤrften ſie immer ein
wenig die Betrachtung zu Rathe ziehen,
daß alle Erfindungen ſtufenweiſe fortſchrei⸗
ten,
ohne Vorurtheil. 287
ten, und daß ſie in Gemaͤlden, die eine
Handlung der erſtern Haushaltungen vor⸗
ſtellen, wider das Cuſtume verſtoſſen, wenn
fie die Hütte Sems zu einem Gberſten
Gezelte mit einem doppelten Markeſen
machen, und an den Wänden des Schlaf⸗
gemachs von Abraham Trümeau befeſti⸗
gen. Das Hausgeraͤth dieſer Leute war
etwas von dem Hausgeraͤthe unſrer Wechs⸗
ler unterſchieden. Ich werde eben ſo
gerne einen Alexander mit einer Scherpe
und Federhut, als unſern Uhranherrn Noe
auf einer Ottomanne erblicken. Sprache,
Sitten, Kleidung, Hausgeraͤth, alles war
ſchlecht und recht. Die Kunſt des Malers
beſteht nicht in ſteifem Schnirkelwerke,
ſondern in der Wahrheit der Zuſammenſe⸗
tzung und des Ausdrucks, wodurch die
Taͤuſchung, die man ſo hochſchaͤtzet, zu⸗
wege gebracht wird.
Kehren wir zu Jabeln wieder. Eben
das Fell, welches von oben der Sonne,
dem Wetter, dem Regen wehret, wird ſie
auch von der Seite abhalten, wenn es von
dorten vorgeſpannet wird. Was vorher
nur allein Dach war, bekoͤmmt nun Sei⸗
tenwaͤnde, bis eine von allen Seiten ein⸗
ge:
288 Der Mann
geſchloſſene Hütte hingeſtellt iſt, deren Ge⸗
maͤchlichkeit ſehr in die Augen faͤllt, und
darum bald Nachahmer findet. War die
Gegend abgeweidet, und man ſah ſich ge⸗
noͤthiget, den Platz zu aͤndern; ſo bedauerte
man itzt nicht mehr eine zu kurze Zeit ge⸗
nuͤtzte Mühe, die Erde auszuhoͤhlen, oder
eine Hütte von Zweigen zu flechten , die
man zuruͤcklaſſen muß: man verpflanzt
ſeine wandelbare Wohnung mit geringer
Mühe an den Ort, den man gewaͤhlet,
um daſelbſt Halt zu machen.
Man wird dabei nicht ſtille geſtanden,
man wird verſuchet, gekuͤnſtelt, ſo lange
gekuͤnſtelt haben, bis ein Ungefaͤhr, oder
ein gluͤcklicher Umſtand neue Vortheile
gleichſam in die Haͤnde fallen gemacht hat.
Die Haͤute, aus denen die Gezelte zu-
ſammgeſetzt waren, haben eine ſehr ſicht⸗
bare Unvollkommenheit, der man ohne
Zweifel abzuhelfen gewuͤnſchet. Wenn es
regnet, ſo ſaugen ſie, beſonders da, wo
die Gaͤrberey noch unvollkommen, und die
Bereitung des Leders mit dem Thrane nicht
bekannt iſt, die Feuchtigkeit ſehr in ſich;
und werden fie dann der Sonne ausge⸗
ſetzet, ſo ſchrumpfen ſie in Falten auf,
wer
N ee
ohne Vorurtheil. 289
werden hoͤkericht, unbeugſam, unbrauch⸗
bar: wie, wenn man etwas faͤnde,
welches den Regen abhielte, ohne davon
durchdrungen zu werden? wahrſcheinlicher
Weiſe wird die Begierde einer fo nutzba⸗
ren Entdeckung die Aufmerkſamkeit auf die
Gegenſtaͤnde verdoppelt haben, welche ſie
umgaben, bis es jemanden gelungen, die
geſuchte Eigenſchaft an dem biegſamen
Schilfhalme aufzuſpuͤren. Die erſte Mat⸗
te, die an einem Gezelte geſehen worden,
hat wenigſtens mehr Aufſehen erwecket,
als die praͤchtigen Teppiche, welche von
den Brüdern Gobelins nach den Zeich:
nungen Le Bruns verfertiget worden.
In dieſen Zeiten hatte das Auge noch kei⸗
ne Beduͤrfniſſe: man erfand nicht, um zu
ſehen, man war zufrieden, zu genieſſen.
Andere trieben die Gemaͤchlichkeit auf
das hoͤchſte, und erdachten eine Art Ge⸗
zelte, die von einem Orte an den andern
uͤbertragen werden konnten, ohne die Muͤ⸗
he, ſie hie abzunehmen, und dort aufzu⸗
richten. Alles blieb in der naͤmlichen Stel⸗
lung, wie es war, und ward an den be—
ſtimmten Ort geſchaffet. Eine groſſe, eine
empfindliche Noth muß bieſe Anſtrengung
II. Theil. = der
290 Der Mann
der Erfindſamkeit zuwege gebracht haben,
welche dazu gehoͤret, ein wandelndes Haus
zu erſchaffen. Nichts geringers konnte es
ſeyn, als die Schwachheit einer Kindsmut⸗
ter, oder einer ſonſt ſo nahe verwandten
Perſon, und eine zweyfache Unmoͤglichkeit;
die eine, noch laͤnger an demſelben Orte
auszuhalten; die andre, die niederliegende
Perſon der beſchwerlichen Witterung auf
einer Trage auszuſetzen. Der erſte Ge—
danken, die Bewegung aller Sterne um
ihren Mittelpunkt die Sonne, nach ihren
verſchiedenen Monaten und Richtungen in
ein Verhaͤltniß zu bringen, ihren Lauf durch
gegeneinander berechnete Triebwerke ein—
zurichten, und, wenn ich ſo ſagen darf,
das Weltſyſtem im Kleinen nachzuahmen,
dieſer Gedanken, fo kuͤhn er bei dem Ver-
fertiger der ſchoͤnen Maſchine war, welche |
die Fremden in der kaiſerlichen Bibliothek
in Bewunderung ſetzet, machet mich we—
niger erſtaunen, als wenn ich den, der zu
erſt die fahrbaren Gezelte gemacht, ſpre⸗
chen hoͤre: ich will dieſes Gezelt unver⸗
ändert einige Tagreiſen fortrücken, und
mein Weib und meine Kinder ſollen kei⸗
ner n der Luft ausgeſetzet
ſeyn,
0
ohne Vorurtheil. 291
ſeyn! alles ſoll auf feiner Stelle, alles
in der Ordnung bleiben, in der es iſt!
Er hat es nicht geſprochen: er hat es
unternommen, zu Stande gebracht. Bei
Fortſchaffung eines ungezimmerten Bau⸗
mes hatte er wahrgenommen, daß die Be⸗
wegung eines walzenförmigen Balkens
ſehr leicht vor ſich gehe. Er giebt alſo
einer auf einem tragbaren Boden errichte⸗
ten Huͤtte an beideu Enden cylindriſche Un⸗
terlagen, und zieht, oder ſtoͤßt fie mit
Huͤlfe ſeiner Hausgenoſſen an den Ort,
den er zu ſeinem Aufenthalt auserſehen.
VIII.
Vorbericht.
s iſt nicht ſo ſeltſam, daß man Schrift⸗
ſteller pluͤndert, als daß man, wie ich
es mit gegenwaͤrtigem Stuͤcke thue,
ihnen etwas unterſchiebt. Ich ſtelle
mir das Erſtaunen des Mannes ohne
Vorurtheil ſehr luſtig vor. Er er⸗
wartet um die gewoͤhnliche Stunde den
Korrefturbogen, man bringt ihn nicht.
Wie » ſagt er zu feinem Bedienten,
habt ihr nicht das Manuſkript be⸗
T 2 ſor⸗
292 Der Mann
forget v— Allerdings Nun wo bleibt
heute die Rorrektur v — Ich denke
eben darauf — Seht darnach! Der
Bediente bringt zur Antwort: es waͤ⸗
re eine jaͤhlinge unverſchiebliche Arbeit
dazwiſchen gekommen. Es wuͤrde den⸗
noch alles bis Morgen richtig beſtellet
werden. So ward die Abrede mit dem
Setzer genommen. Folgenden Tags
koͤmmt abermal kein Bogen, und ſchon
iſt es Mittag. Der Bediente muß dar⸗
nach laufen, und bringt ſtatt der Kor-
rektur — das abgedruͤckte Blatt. Wie ;
wasY wer hat mir fo mitgeſpielt v
Er lieſt: G“ iſt es: denn das iſt
unſer Geſpraͤch Wort für Wort! Ja
mein Herr! ich bin es. Ihre Leſer,
die Stadt erwartet ihr Urtheil, und ich
ſah Sie zum Schweigen verhaͤrtet. Ich
bediente mich dieſer Liſt, und ſchrieb
unſre Unterredung nieder, und theile
ſie hier ohne ihr Wiſſen mit. Ent⸗
ſchuldigen Sie mich! Werden Sie mich
entſchuldigen? )
Ge⸗
) Unter manchen weggelaſſenen Blättern war
ouch dieſes bereits verurtheilt, als ihm fol⸗
gen⸗
ohne Vorurtheil. 293
Geſperaͤch.
K Auch nicht ein Wort?
Der Mann o. v. Nicht ein Wort! ich
habe mehr als eine Urſache dazu.
E. Darf ich eine nur von dieſen meh⸗
reren wiſſen? 5
M. o. v. Darf ich mich entſchuldigen =
E. In der That, das duͤrfen Sie nicht.
Unſre Vertraulichkeit berechtiget mich zu
23 die⸗
gende Betrachtung die Wiederaufnahme ver⸗
ſchaffte. Es bleibe ein Denkmal, wie einſt
unbedeutende Leutchen aus gewiſſen Gegen⸗
den ſich mit eben der verwegenheit zu un⸗
ſern Lehrern herbeidringen wollten, mit
der heute eine ahnliche Gattung ſich zu
Richtern unſeres Sortgangs aufzuwerfen,
oder was bei uns von irgend einem Schrift⸗
ſteller geleiſtet wird, zu ihrem Unterrichte
zurückzuführen, den lächerlichen Anſpruch
machen. Nur noch vor kurzem las ich in einem
Journal, wo man mir endlich die Freundſchaft
erwies, mich nicht mehr zu loben, da man mich
ſonſt wegen der Schriften, davon ich Verfaſſer,
und auch wegen derer, davon ich nicht Verfaſſer
war, umbarmherzig erhoben hatte; in dieſem
Jburnale las ich, daß ich damals zu einiger
Bil⸗
294 | Der Mann
dieſer Ungeſtuͤm. So werden Sie es heif-
ſen, daß ich in Sie dringe. Aber kurz,
alle ihre Leſer, die ganze Stadt fragt durch
mich: warum dieſes Stillſchweigen? waͤre
es, daß Sie ſich vor dem verban
fuͤrchteten? Sie? vor ihm?
M. o. v. Freund, ich kenne dieſe tleine
Liſt: Sie wollen mich aufbringen, aber
ich bin heute bei guter Laune.
E. Deſto uͤbler! der Mann wird trium⸗
phiren: er hat ſcharf gegen Sie losgezo⸗
gen: wenigſtens lieſt man ſeine zwo erſten
Seiten, und denkt an Sie.
M. o. v. Das mag ſeyn: aber dann
iſt die Schuld nicht ſeine, dann iſt ſie
derer, die mich dabei denken.
2.
Bildung gekommen, weil ich proteſtanti⸗
ſche Bücher zu leſen angefangen. Die⸗
fer Ausdruck würde mir faßlich ſeyn, wenn
ich allenfalls ein Theolog wäre: aber Demoſt⸗
hen und Cicero oder Plato, Montesquieu,
Sully und Sortbonais waren von keiner der
beiden Konfeſſionen — Der verbeſſerer trat
noch zweymal in dieſen Blättern auf; aber
die Folge trägt nichts mehr zur Abſicht bei,
in welcher dieſes Stück ſich hier erhalten hat.
ohne Vorurtheil. 295
E. Vortrefflich! ihn noch entſchuldi⸗
gen? das iſt verdaͤchtig. Ich weis, was
ich argwohne. f
Mm. o. v. Was Sie belieben.
E. Dieſe Gleichguͤltigkeit iſt mir un⸗
begreiflich. Ich weis, daß Sie ſichs zur
andern Zeit zur Pflicht gemacht, ſchlechte
Schriftſteller einzutreiben. Der Aufſeher!
— oder halten Sie den Verbeſſerer, nach
ſeiner Ankuͤndigung zu urtheilen, fuͤr beſſer,
als jenen? fuͤr etwas mehr als einen ſehr
mittelmaͤſſigen Kopf, deſſen Verdienſt ein
bischen Grammatik, und einige abgedro—
ſchene Sittenſpruͤchelchen ſind?
M. o. v. Sie entlocken mir mein Ur⸗
theil. Doch was ſchadet es! unter uns
will ich es ſagen, aber oͤffentlich, nim⸗
mermehr. Ich ſtehe ſehr an, ob ich den
Ankuͤndiger des Verbeſſerers nicht mit dem
Aufſeher “) in eine Klaſſe bringen fol.
Das ganze Blaͤttchen iſt ſchwuͤlſtig, ger
ſchraubt, verwirrt, unverſtaͤndlich, wenn
T 4 man
„) Eine Wochenſchrift, die nach der Ankündi⸗
gung vor dem erſten Stücke Urlaub nahm.
Der Spielkampf, der mit dieſem Schrifter⸗
linge in dieſen Blättern geführt worden, iſt
hinweggelaſſen.
296 Der Mann
man nicht mehr darauf ſieht, was der
Verfaſſer ſagen will, als was er wirk⸗
lich ſagt. Ich wuͤrde ihm auch laͤngſt
Recht haben wiederfahren laffen , hätten
mich nicht zwo Betrachtungen abgehalten:
die eine, daß vielleicht häusliche Umſtaͤn⸗
de dem Manne die Feder in die Hand ge⸗
ben, die zweyte, damit es nicht laſſe, als
vertruͤge ich in meinem Felde keinen Ne⸗
benbuhler — vielleicht bloß um einer nach⸗
theiligen Vergleichung zu entgehen. Ich
weiß, man giebt meiner Strenge auch dieſe
Auslegung.
E. Ruͤhret Sie die Meinung der Men⸗
ſchen, ſo mußten Sie nie dieſen freymuͤ⸗
thigen Ton angenommen haben, der ſo oft
dem Laſter und dem Lächerlichen ſchreck⸗
bar geworden. Nun iſt es nicht mehr
Zeit, umzukehren. Ich will Ihnen frey
ſagen, was ich von ihren beiden vorge⸗
ſchuͤtzten Urſachen denke. Das Publikum
bringt die Umſtände des Schriftſtellers
nicht in die Rechnung; es fodert, was
auch immer ſeinen Beruf veranlaſſe, es
fodert ihn vor den Richterſtuhl der Kritik,
und urtheilt ihn nach dem Schwunge ſei⸗
nes Anbaues ab: Ihnen mit einem Bluͤm⸗
chen
ohne Borurtheif 297
chen von Verbeſſerers Art aufzuwarten.
Wenn häusliche Umſtaͤnde den Kritiker ent⸗
waffnen ſollten, wehe uns armen Leſern!
der Muͤſſiggaͤnger wuͤrde kuͤnftig nicht mehr
betteln, er wuͤrde ſchreiben. Ich fuͤr mei⸗
nen Theil werde einem ſolchen beſtaͤndig ant⸗
worten: es giebt einen Pflug, einen
gammer, eine Schütze, eine Muskete.
Ich fage dieß nicht gerade auf den Ver⸗
beſſerer, ich ſage es uͤberhaupt auf jeden,
der ſchreibt, um nicht zu arbeiten. Was
ihre zweyte Urſache belangt, Sie duͤrfen
es nur einmal bekannt werden laſſen, daß
Sie von dieſer Seite nicht in die Fluten
des Stixs getauchet worden, ſo wird man
alle Pfeile nach dem verwundbaren Fleck⸗
chen abdruͤcken.
M. o. v. Aber Freund! ich kann gleich⸗
wohl die erſten Stuͤcke des Blattes abwar⸗
ten. Aus einer oder ein paar Seiten —
E. Auf dieſe wenigen Seiten, gerade
darauf muß ihm ſein Proceß gemacht wer⸗
den. Was? der Mann, der unter uns
ganz unbekannt iſt, hat das Herz, gleich auf
zwo elenden geſchraubten Oktavblaͤttchen
zu ſagen: daß er die Talente unſrer wer⸗
denden Gellerte, Rabener, Klopſtocke,
T5 Lei:
298 Der Mann
Leſſinge poliren werde» Laſſen Sie ſich
von einem Schneider ein Kleid machen,
Sie haben denn von ihm Probearbeit ge-
ſehen? fern ſey es! ſpricht Freund Ver⸗
beſſerer, der neue Talentenpolirer, deſ⸗
ſen die ganze Nation beleidigenden Hoch⸗
muth nichts entſchuldigen kann, als das
demuͤthige Selbſtgefuͤhl, daß die Edelge—
ſteine auf ſehr rauhen Scheiben zuge⸗
ſchliffen werden.
M. o. v. In der That kann dem Unbe⸗
kannten ſein gegen uns geaͤuſſerter Stolz
nicht guͤnſtig ſeyn; und ich wuͤrde ihm,
wenn ich mit ihm zuſammkaͤme, mit einer
holprichten Stelle feines eigenen Vorlauf:
blaͤttchens zurufen: daß dieſes Publikum
ſich wegen der verächtlichen und klei⸗
nen Begriffe, die er ſich von ihm zu
machen an Tag leget, rächen werde.
Nichts koͤmmt der Vermeſſenheit dieſes
Menſchen, nichts der Unhoͤflichkeit bei, mit
welcher er einem ganzen Lande in das Ge⸗
ſicht ſagt: ein andrer Beweggrund, den
mir beſonders die hieſigen Gegenden
darbieten, treibt mich noch mehr zu
dieſem Unternehmen. Sollte die Natur
an ſchönen Geiſtern hier ſparſamer, als
* an:
ohne Vorurtheil. 299
anderswo geweſen ſeyn » ich ea es
nicht glauben — Mein Zuruf ſey ihre
Einladung aus dem Schlafe an das
Licht! Das froſtige: ich kann es nicht
glauben; macht dieſes die varpergeheube
Grobheit wieder gut?
E. Und Brutus ſchläft e
M. o. v. Weder immer, noch allent⸗
halben! Das iſt der Stolz der meiſten ver⸗
laufenen. . 2., von E““ bis auf N,
daß ſie uns fuͤr Aetzung, Bedeckung und
Knaſter, umgeſtalten wollen. So gieng eh⸗
mals, als Amerika entdeckt ward, mancher
Spanier zu Schiffe, in der Hoffnung, un⸗
ter den Barbaren ein Fuͤrſtenthum zu er⸗
richten. Die Hoffnung, ein Reich des
Witzes unter den barbariſchen Defterrei-
chern zu gründen, hat unter den Korref-
toren und Ueiſtern der freyen Nünſte
in L. . bereits eine Theurung gemacht:
und die guten Leutchen, wenn ſie bei einer
Kanne Bier und ihrem Pfeifchen Taback
ihre Reichstaͤge halten, ſagen einander ge=
troſt, daß ſie die Urheber der Verbeſſerung
ſind, welche ſeit einiger Zeit unter uns
wahrgenommen wird. Zeigt uns doch, ihr
Herren, was wir euch ſchuldig ſind? Wir
ſind
300 Der Mann
find nicht undanfbar. Zeigt ung, wen ihr
gebildet! — Wir laͤugnen es nicht, wir
ſind unſern itzigen, und den kuͤnftigen,
ohne Zweifel noch groͤſſeren Fortgang den
vortrefflichen Schriften der — Doch wer
kennet ſie nicht, die ewigen Schriften, de⸗
nen wir ihn ſchuldig ſind: aber, was ha⸗
ben ihre Verfaſſer mit euch gemein? daß
manche darunter eure Landsleute find ı
fo mag der englifche Bootsknecht ſich ruͤh⸗
men, daß er uns von dem Calculus dif-
ferentialis unterrichtet, denn Newton war
ein Englaͤnder!
E. Itzt erkenne ich den Mann ohne
Vorurtheil. Das ift feine Sprache.
M. o. v. Sie haben mich bei meiner
Schwaͤche gefaßt. Ich ſchmeichle gewiß
unſerer Eigenliebe nicht: aber ich kann
auch nicht vertragen, daß Leute, die nichts
vor uns voraus haben, als daß ſie ſich
verkennen, ſich von uns ſo veraͤchtliche Be⸗
griffe machen, und es wagen duͤrfen, uns
in das Geſicht zu ſagen: ihr guten Leu⸗
te, die ihr unter einem groben Himmel
gebohren, und von der Natur nur ſtief⸗
mütterlich mit Geiſte hegabet worden,
wir find geſendet, die Sinfternifle zu
zer⸗
*
ohne Vorurtheil. 301
zerſtreuen, u. ſ. w. Wie geſagt: jeder
Spanier gab ſich fuͤr einen Abgeſandten
des groͤßten Monarchen der Welt aus.
E. Ich geſtehe es, es gehört ſehr vie⸗
le Dreiſtigkeit dazu, etwas ſolches zu un⸗
ternehmen, als der Verbeſſerer thut. Ein
Wochenblatt, von der Art, wie er es an⸗
kuͤndigte, hat nur drey Gegenſtaͤnde: Liz.
teratur, Moral, und Sitten. Wird er
uns in dem erſten etwas beſſers ſagen, als
die Rammler, die Schlegel, die Weiſſe,
die Briefe, u. d. n. L. 2 wir koͤnnen da
ſelbſt leſen, wo er abſchreiben wird. Die
Moral iſt in der That ſo abgenuͤtzt, daß
ſie eben dadurch ihren Eindruck ganz ver⸗
loren hat. Es geht uns, wie den ungluͤck⸗
lichen Buͤrgern einer belagerten Stadt: ſie
ſind des Donners ſchon ſo gewohnt, daß
ſie zuletzt bei dem Gebruͤlle der Stuͤcke
ſchlafen. Die Sitten da ſollte er ſich
an feinen verungluͤckten Vorgaͤngern ſpie⸗
geln. Ein Wochenblatt muß, ſoll es an⸗
ders anziehend ſeyn, ſich auf den Ort, fuͤr
den es geſchrieben wird, beziehen: es muß,
wenn ich ſo ſagen darf, ein bewegliches
Bild der Stadt ſeyn, welches uns immer
einen neuen Auftritt vorſtellet. Was kann
ein
3-2 Der Mann
ein Fremdling von unſerm Umgange, von
unſern Sitten kennen? was ein Mann,
den man in dem Vorzimmer warten, nie
in das innere Gemach kommen laͤßt, wo
er die Geſellſchaft ſelbſt beobachten koͤnnte.
Etweder wird er uns feine Idealvorſtel⸗
lung ſchildern, vielleicht den Junker mit
einer Schmauchpfeife, den Kandidaten
zu den Fuͤſſen der Superintendentinn, und
ſeine Zeichnung wird unwahr ſeyn: oder
er wird, gleich den Malern der flam⸗
mandfchen Schule, nur Wachſtuben und
Bierhäuſer malen, und fein Bild wird
Erbrechen machen.
M. o. v. Wir wollen es erwarten,
mein lieber E**, und bis dahin unſer
Urtheil verſchieben.
IX.
Fortſetzung des VII. Stuͤckes.
De Begriffe wechſeln, nach des Dich-
ters Ausſpruch:
Wie
— a
ohne Borurtheil, 303
wie in dem Wald, da, wann das
Jahr ſich neigt,
Der dicht belaubte Baum ſich bald
entblättert zeigt.)
Die aͤltſten fallen am erſten dahin.
Das vermögen, vielen Bedürfniſſen
Genüge zu thun, heißt bei uns Reich⸗
thum: in den vor uns herverlaufenen Zei⸗
ten war es Reichthum, wenige Bedürf-
niſſe zu haben. Daher ruͤhret der Unter-
ſcheid unſers Beſtrebens. Wir, ſinnen
unaufhoͤrlich, um zu bedürfen: und jene,
dachten ſtets, wie ſie entbehren konnten.
Eine Erfindung zu einem doppelten Ge—
brauche war ihnen daher von unſchaͤtzba⸗
rem Werthe.
Ich ſtelle mir vor, daß die Noth⸗
wendigkeit, fuͤr die waͤrmeren Tage und
Jahreszeit mit einem andern Kleide, und
abermal mit einem andern für die ſtuͤr⸗
miſche Witterung und die kuͤhlen Naͤchte
verſehen zu ſeyn, den Einfall veranlaßt
habe, ein Geweb, von welcher Beſchaf—
fenheit es immer geweſen ſeyn mag, an
die
*) Ut fylvæ foliis pronos mutantur in annos
Prima cadunt - -
304. Der Mann
die Stelle beider Kleidungen zu ſetzen,
welches durch ſeine Leichtigkeit in der
Hitze nicht ſo beſchwerlich, durch ſeine
Geſchmeidigkeit hingegen, auch gegen
den Froſt beſchuͤtzend waͤre. Es war fuͤr
die damaligen Zeiten ein groſſer Wunſch,
Eines zu beſitzen, um Zwey zu entübri⸗
gen! Minerva, welche von vielen mit
Grunde für Noema, Tubalkains Schwe⸗
ſter gehalten wird *) , war des Altars
werth, den ihr die dankbare Menſchheit
errichtete. Wir ſehen, weil wir es nun
gewohnt find, über das Gewebe und def-
ſen Erfindung weg, die, wenn ſie uns
neu waͤre, uns in Erſtaunen ſetzen ſollte.
2
*) Der Geſchichtſchreiber der erſten Zeiten nen⸗
net in dem Geſchlechtbuche der erſten Men⸗
ſchen dieſe Noema insbeſondere: und
die Schweſter Tubalkains war
Noema. Gen. 4. K. 22. V. Man hat wenig⸗
ſtens Recht daraus zu urtheilen, daß No e ma
ein berühmres Weib derſelben Zeiten geweſen.
Da in dieſem Kapitel nur der Erfinder mit
Ruhme gedacht wird, ſo iſt wahrſcheinlich,
daß Noema unter fie gehöret. Eine alte
Ueberlieferung hat übrigens ihr die Erßn⸗
dung des Gewebes zugeeignet.
ohne Vorurtheil. 305
Betrachten wir, was dazu gehoͤrte, das
erſte Gewebe auszuſinnen!
Der Faden gehört unter diejenigen Er⸗
findungen, die dem Verſtand mehr Ehre
machen, als das beruͤhmte Verhaͤltniß,
über welches Pythagoras, nach der Er-
zaͤhlung des Apollodorus den Goͤttern hun⸗
dert Ochſen geſchlachtet hat. Ich geſtehe
ſogar, daß ich nicht einmal eine Muth⸗
maſſung wagen kann, wie man darauf
hätte geleitet werden koͤnnen.
Wenn wir die Philoſophen hoͤren, wel⸗
che dem Menſchen die Ehre erweiſen, ihn
zum groͤßten Viehe unter allen Thieren zu
machen; ſo haben wir die meiſten Dinge
den letzten abgelernet. Der Kaftor war
der Lehrmeiſter des Ditruvius, der Maul⸗
wurf hat Coehorn und Vauban unterrich⸗
tet. Wir haben nach der chineſiſchen Goͤt—
terlehre die Fortpflanzung des Geſchlechtes
von einem Vogel, vom Nautilus die Se⸗
gel, das Ruder, von, was weis ich,
welchem Fiſche, und von der Spinne das
Geſpinnſt gelernet. Nichts iſt deutlicher,
als dieſes: man nennet ja das Fadenzie⸗
hen, nach dem Namen dieſes Thieres Spin-
nen. — Wenigſtens iſt es offenbar, daß
II. Theil. U die
306 Der Mann
die Spinne in Deutſchland ſo wohlthaͤtig
geweſen. Denn was andre Länder und
Sprachen betrifft, da moͤchte der etymo⸗
logiſche Beweis uns ein wenig ſtecken laſ⸗
ſen. Man hat uns nicht dieſes einzige
Maͤhrchen mit der ernſthafteſten Mine auf⸗
dringen wollen. f
Ich will zugeben, daß die Beſchaͤffti⸗
gung dieſes Gewuͤrmes gleichſam das Urs
bild dazu gegeben; daß Noema, als ſie
die Spinne ihren Faden ziehen, und dann
eine Art von Gewebe verbinden ſah, ge⸗
dacht habe, daß es fuͤr uns ſehr nuͤtzlich
ſeyn wuͤrde, wenn man auf aͤhnliche Weiſe
Faͤden untereinander verweben koͤnnte.
Aber was nuͤtzte dieſer Gedanken! Die
Materie des Geſpinnſtes kam aus dem
Leibe der Spinne ſelbſt; die ganze Me⸗
chanik des Fadenziehens iſt ſo beſchaffen,
daß es nie jemand beifallen kann, dieſelbe
nachzuahmen. Wenn man dem bauenden
Naſtor, den ſegelnden Nautilus, ihre
Kunſtwerke ablernte; ſo geſchah es, weil
man nicht nur das Werk dieſer Thierchen,
weil man auch die Art bemerken konnte,
womit ſie ihr Werk verfertigten. Hier muß
der Zufall, den die weiſe Vorſicht ſo oft zu
einem
ohne Vorurtheil. 307
einem Werkzeuge ihrer Güte machet, alles
gethan haben.
Die von den Fellen der Schafe abge⸗
ſoͤnderte, und ohne Nutzen dahingeworfe⸗
ne Wolle kann durch ungefaͤhre Bewegun⸗
gen ſich leicht aneinander gehangen, und
einen nur etwas laͤngern, ungeſtalteten
Faden gebildet haben. Die gekraͤuſelten
Faͤſerchen der Wolle find eine Art von
Haͤckchen, die aneinander feſthalten, und
bei einer gewaltſamen Verlaͤngerung ei⸗
nen Faden, oder etwas Fadenähnliches
ziehen. 5
Wenn die Wolle vielleicht zu einem an⸗
dern Gebrauche der Haushaltung diente,
ſo war der Zufall deſto naͤher. Es iſt eine
Eigenſchaft der Wolle, daß ſie ſich ballet,
und in Knaͤule zuſammzieht. Die Haushalte⸗
rinn darf nun dieſe Wolle wieder haben ab⸗
föndern wollen, fie darf den widerſpenſti⸗
gen Knaul mit Gewalt gezogen haben! ſo
erhielt ſie eine Art von Stricke, der ſich
durch laͤngeres Zerren, allmaͤhlig in einen
Faden verduͤnnet, und von einer Beobach⸗
terinn nicht weggeworfen wird. Ich muth⸗
maſſe zwar in der That nur: aber endlich,
wo es uns an Gewißheit mangelt, da
U 2 ſind
”
38 Der Mann
find wir gezwungen, uns mit Muthmaſ⸗
ſungen zu ſpeiſen. Man nahm lange mit
den Wirbeln des Karteſius, und wohl
mit Romanen in Sachen von groͤſſerer
Wichtigkeit vorlieb, weil man nichts bef-
ſer wußte. Die Vernunft, wo ſie die
Wahrheit nicht erreichen kann, ergreift
gerne das, was ihr wenigſtens nicht wi⸗
derſpricht. | 5 PR
Nach der einmal gereisten Aufmerk⸗
ſamkeit machte Noema in ihrer Entdeckung
eilfertigere Schritte. Der Nutzen des Sa=
dens iſt von groſſer Mannigfaͤltigkeit. So,
wie ſie mehrere zu was immer fuͤr einer
Abſicht drehte, erlangte fie durch die Ue⸗
bung groͤſſere Fertigkeit, entdeckte ſie meh⸗
rere Kunſtgriffe, mehrere Erleichterung,
machte ſie die Sache bis zu einer gewiſſen
Stuffe vollkommen. Nun werde ich ſie
auf das Kunſtgewebe der Spinne aufmerk-
ſam ſeyn, und derſelben den Gedanken
ſchuldig werden laſſen, einen, ſo ſehr es
thunlich ſeyn wird, feinen Faden zu zie⸗
hen, und durch vielfaͤltige Verſchlingung
deſſelben, ein Gewebe zuzurichten. Sie
bedarf dazu keines Webeſtuhls, keiner
Schuͤtze: ihre Arbeit durfte kein Beſchau
aus:;
N
ohne Vorurtheil. 309
aushalten, und der Vollkommenheit der
Tuͤcher von Worceſter, oder Abbeville
den Rang nicht ſtreitig machen. Sie vol⸗
lendete ihr Werk mit einem ſpitzen Schif⸗
chen, an deſſen Ende ſie den Faden feſt
machte, und ſo den Einſchlag durch die
wechſelnden Faͤden des Aufzugs durchfuͤhr⸗
te. Die Beharrlichkeit, die zu einer fol-
chen Arbeit erfodert wird, die Genauheit,
und die Nettigkeit ſind der natuͤrliche An⸗
theil ihres Geſchlechtes.
Es iſt leichter vollkommen zu machen,
als zu erfinden. Man theilet einander ſei⸗
ne Gedanken mit; man verſucht, verſucht
wieder; es mißlingt, und oft fuͤhret eben
dieſes Mißlingen auf neue Wege. Nach
und nach gewinnt die Arbeit eine beſſere
Geſtalt. Eine Koge, denn fo ungefähr
wird das vollkommenſte Stuͤck Arbeit aus
Noemens Fabrike beſchaffen geweſen ſeyn,
eine Kotze ) war der Anfang der Manu⸗
fakturen zu Lion.
u 3 Ohne
) Die Aehnlichkeit, welche die Lexikographen
zwiſchen dieſem und dem böhmiſcheu Bo-
Zig, Pelz ergriffen, möchte zur Noth auch
11 auf
310 Der Mann
Ohne die Menſchen noch in groͤſſeren
Geſellſchaften zu betrachten, haben wir
ſchon Ackersleute, Viehhirten, Leder⸗
zurichter, Schmiede, Zimmerleute,
Gezelt und Jeugmacher. Die Mens
ſchen hätten ſich an dieſen einfachen Ber
ſchaͤfftigungen genuͤgen koͤnnen, wenn ſie
der Trieb zur Geſelligkeit, oder welche
Urſache es auch ſonſt geweſen iſt, nicht
in
auf die Ableitung führen, wegen der Aehn⸗
lichkeit zwiſchen dem Pelze und dieſem zot⸗
tigten Wollengewebe. Dann wäre alſo das
Wort aus dem Slaviſchen herübergenom⸗
men. H. Adelung beſchränkt den Gebrauch
deſſelben auf Oberdeutſchland. Was hat Nie⸗
derdeutſchland für ein anderes? das ſagt er
nicht. Was für eines hat das ſogenannte
Hochdeutſche? keines. Aber in der Hand⸗
lung weis jeder Junge die Bedeutung die⸗
ſes Worts: und wenn man cs ſchon in
Ludovici Raufmannslerifon nicht findet,
das kann es in der Handlungsſprache fo
wenig aus Gang und Giebigkeit ſetzen, als es
den Namen Rlingberger Gang und Sie-
bigkeit verſichern wird, daß Ludovici von
dieſem Namen eines Partikularhandelsmanns
in einem allgemeinen Handlungswörterbuche
einen Artikel macht.
— 4 4
r ² ˙ü—⏑ꝛͤ —w——i'ͤ!. . UT . —1˙⏑ . h Q ˙ůQVNA 2
ohne Vorurtheil. 311
in groͤſſere Horden, und bald in Staͤdte
vereinbaret hätte. Hier fiengen die Be⸗
dürfniſſe an, und mit ihnen, das Beftres
ben, denſelben Genuͤge zu leiſten -
«;
Ich wuͤrde folgenden Brief nie einge⸗
ruͤcket haben, wenn ich ihn nicht einigen
meiner Leſer als einen Beweis vorlegen
wollte, daß ich mit dieſer durch einige
Blaͤtter fortgefuͤhrten Abhandlung nicht
jedermann befriedige; und daß die Zwi⸗
ſchenmaterien fuͤr manche derſelben eben
ſo nothwendig ſind, als die Ruhebaͤnke
auf einem laͤngern Spaziergange —
Mein Herr Schriftſteller!
er Was haben fie mit ihrem Capa⸗
kaum angefangen, daß er ſo lange
nicht zum Vorſcheine koͤmmt? Ich hoͤre
den Jungen gar zu gerne, ob Sie gleich
feine Einfaͤlle nur ſparſam mit einmengen.
Laſſen ſie ihn wieder an das Tagslicht
kommen! Ihre itzige Materie mag ganz
vortrefflich, und von verbreiteten Nutzen
ſeyn! ich weis es zwar ſo eigentlich nicht:
u 4 denn
312. Der Mann
denn fo bald ich ſehe: Sortfegung: fo
draͤnge ich mich nicht ſehr zum Leſen. In⸗
zwiſchen habe ich mir ſagen laſſen; Sie
waͤren da recht erbaulich zu leſen; und
es hätte ſich wenigſtens niemand zu ber
ſchweren, daß Sie ihn durchziehen. Allein,
ich fuͤr meinen Theil will mich immer lie⸗
ber ein wenig getroffen finden; als fro⸗
ſtig Zeug leſen, das ehe in eine Geſchich⸗
te der Weltweisheit tauget, als in eine
Wochenſchrift. „
„Nehmen ſie guten Rath an, mein
Herr! laſſen ſie ihren Wilden alles das
leſen, ohne daß ich es mitleſen muß! und
fuͤhren Sie ihn — die Zeit muß ihm oh⸗
nehin lang werden — wieder in Geſell⸗
ſchaft, in Schauſpiele, in Gaͤrten,
auf Spatziergaͤnge! das ſind ſeine Plaͤtze,
und auch unſre Sachen; da giebt es et⸗
was fuͤr die Sat ire, die bei ihren erſten
Menſchen in ihrer altmodiſchen Froͤmmig⸗
keit, ihren Stachel nirgend eindruͤcken
kann. Dieſe Erinnerung, oder ſollte ich
um ihren Stolz nicht zu beleidigen, ſa⸗
gen: dieſe Bitte ergeht an Sie von
einem f
ihrer Leſer, Namens D = de
XX.
— A
ohne Vorurtheil. 313
u:
Wi ſind nun in den Städten ange⸗
langet, wo man uns mit Ungeduld er-
wartet! Es ſind nur wenige, die an Un⸗
terſuchungen Antheil nehmen, welche auf
ſie keine Anwendung haben. Wir werden
bei den Gegenſtaͤnden, die wir vor uns
haben, weniger ſchlüſſen als beobach⸗
ten. Wir ſtehen vor dem Bilde ſelbſt,
und koͤnnen feine Theile nach Muffe un⸗
terſuchen.
Gehen wir uͤber die erſte Geſtalt der
Staͤdte fluͤchtig hinweg, um uns unfern
Zeiten zu naͤhren! So bald eine Gefell-
ſchaft ſich in einen gewiſſen Raum gleich⸗
ſam einſchloß, weil ſie daſelbſt einen fe⸗
ſten Sitz waͤhlte, waren ihre Beſitzungen
begraͤnzt. Aber die Anzahl der Bewohner
nahm durch den Zuwachs der Fremden,
durch die Ehen taͤglich zu. Je groͤſſer die
Zahl derjenigen ward, unter die eine ge⸗
wiſſe Groͤſſe von Beſitzungen zu zertheilen
kam, deſto kleiner ward der Antheil ei—
nes jeden, bis daß einige davon ganz oh-
ne Erbtheil blieben. Ungerechtigkeit und
Unterdruͤckung vergroͤſſerten bald die Zahl
| u 5 der
314 Der Mann
der Unbeguͤterten; und die verſchiedenen
Untertheilungen des Vermoͤgens, vom Ue⸗
berfluſſe bis zur Armuth, kamen zum
Vorſcheine.
Die Untertheilung der Stände folgte
ihnen auf dem Fuſſe nach. Es ereigneten
ſich Uneinigkeiten, ſo bald die Guͤter durch
die Seltenheit einen groſſen Werth erhiel—
ten. Es waren Richter nothwendig, die
dieſe Uneinigkeiten beilegten. Um den kuͤnf⸗
tigen Streitigkeiten vorzubeugen, machte
man Geſetze, die Beſitzungen zu verſi⸗
chern, die Erwerbungen zu ordnen. Die
Friedensſtifter erwarben ſich Ehrfurcht
und Anſehen, die durch freywillig beige⸗
legte Merkmale bezeichnet wurden. So⸗
bald die Zeichen eine Art von Vorzug
andeuteten, ſtrebte der Ehrgeiz darnach.
Eine groſſe Gefahr von auſſen oͤffnete
der gerzhaftigkeit das Feld der Ehre.
Der Tapfere, der durch ſeinen Muth, mit
Ausſetzung ſeines Lebens geſieget hatte,
ward unter Zurufungen und Gluͤckwuͤnſchen
empfangen, als er wieder kam. Man
fieng an, mit Unterſcheidung auf diejeni⸗
gen zu ſehen, die ſich ſolcher Zurufungen
werth machten.
Die
ohne Vorurtheil. zı5
Die Dankbarkeit bleibt bei den un⸗
fruchtbaren Ehrenbezeugungen nicht lange
ſtehen: man begleitet dieſelben mit Ge⸗
ſchenken, die in Abgaben, in Beſol⸗
dungen ausarteten. Die, welchen die
Geſchenke zu Theil wurden, uͤberlieſſen
ſich nunmehr, da fie die Sorge der Nah:
rung nicht mehr zerſtreute, den Gefchäff-
ten ihrer Mitbuͤrger ganz. Aber von die⸗
ſem Augenblicke an, ward Nichts arbei⸗
ten, fuͤr etwas Unterſcheidendes ange⸗
ſehen. So wie heute ein unbeſchaͤfftigter
Stutzer, in feinem Wagen bingewor-
fen, die Stirne faltet, eine nachdenkende
Mine annimmt, und wohl gar mit ſich
ſelbſt ſpricht, um fuͤr einen Mann von
Wichtigkeit und Geſchaͤfften angeſehn zu
werden; ſo gieng damals jemand mit ge⸗
kreuzten, oder auf den Ruͤcken gelegten
Haͤnden die Straſſen auf und nieder, um
fuͤr einen Mann gehalten zu werden, den
das Nachdenken Über das Wohl feiner Mit⸗
buͤrger der Arbeit entledigte. Noch mehr:
ſobald der Arbeit überhoben ſeyn, ein
Anſehen gab, ward Arbeiten müſſen, zur
Schande.
Es
316 Der Mann
Es gab, wie ich angemerkt habe, bei
dem taͤglichen Anwachſe der Buͤrger mit⸗
telloſe Leute, für die keine liegenden Guͤ⸗
ter uͤbrig waren, die ihre Zuflucht zu ih⸗
rer Aemſigkeit nehmen mußten, und froh
waren, für den Müſſiggaͤnger zu arbei⸗
ten, um ihren Unterhalt zu gewinnen.
Einige verdingten ſich auf laͤngere Zeit:
andere wurden fuͤr ein gewiſſes Stuͤck Ar⸗
beit gemiethet. Die einen wurden un⸗
terhalten, die andern hatten ſich uͤber ei⸗
ne gewiſſe Belohnung verabredet.
Die viele Uebung erwarb den Arbeiten⸗
den Fertigkeit: ſie ſannen auf Verkuͤrzun⸗
gen, und erleichternde Handgriffe, wel⸗
ches ihnen einen Vorſprung gab, ſo daß
ihre Arbeiten einen Vorzug erhielten, und
jederman, der derlei benoͤthiget war, ſich
an ſie wendete.
Da ſie ſahen, daß ſie nicht in allen
Gattungen die Fertigkeit gleich erreichen
konnten, daß eine einzige Art von Be⸗
ſchaͤfftigung hinlaͤnglich war, ſie mit Fuͤl⸗
le zu naͤhren, fo lieſſen fie alles ande⸗
re fahren, um ſich auf eines zu verwen⸗
den. So theilten die Arbeitenden ſich in
alle Beſchaͤfftigungen, ſo entſtunden die
man⸗
ohne Borurtheil. 317
mancherley Gewerbe. Aber der Namen
Zandwerk war noch nicht, alles war da⸗
mals Nunſt. |
Der Gegenſtand dieſer Gewerbe waren
die Bedürfniſſe, welche ihre beſtimmten
Graͤnzen haben. Alſo waren ſie nur einer
kleinen Anzahl Menſchen Unterhalt zu ge⸗
ben faͤhig. Sollte eine groͤſſere Anzahl
der vermehrten Mittelloſen genaͤhrt wer⸗
den; fo mußte man bedacht ſeyn, die Be⸗
duͤrfniſſe gleichſam zu erweitern. Zum
Gluͤcke hat die menſchliche Natur recht
ſehr die Anlage, dazu die Haͤnde zu bie⸗
ten. Die Noth machte erfindſam. Man
ſann hunderterlei Bequemlichkeiten aus,
die, ſo bald ſie nur bekannt wurden, die
Begierden reizten. Buͤrger, deren Ver—
moͤgen nicht uͤberfluͤſſig, nur zureichend
war, konnten ihre Augen nicht nach den⸗
ſelben erheben, und dieſes machte ſie den
Vermögendern werther. Der Beſitz ſol—
cher Bequemlichkeiten ward eine neue Art
von Unterſcheidung, denn er war ein Zei⸗
chen des Reichthums.
Die, welche ſich mit Verfertigung der
Bequemlichkeitswaaren abgaben, er⸗
warben gar bald ein groſſes Vermoͤgen,
f und
318 Der Mann
und ſetzten ſich denen ſelbſt an die Seite,
fuͤr die ſie ehe gearbeitet hatten. Der
Hochmuth ward durch dieſe Gleichheit be⸗
leidigt, und ſah ſich nach neuen Unter⸗
ſcheidungen um. Auf der andern Seite
hatten die Beſchuͤtzer ihrer Buͤrger und die
Magiſtrate, Abkoͤmmlinge, die nicht ger-
ne unter dem Haufen der gemeinen Buͤr⸗
ger unkennbar herumwandeln wollten.
Auch dieſe verlangten nach Dingen, die
nicht gemein wären, Die Begierde zu bar
ben, die nach dem Maſſe zunahm, nach
dem Viel haben, ein Vorzug war, ver-
ſchaffte ihnen bald die Nahrungen ihres
Stolzes. Die Handlung holte ſie aus
fremden Gegenden. Ihren ganzen Werth
machte das aus, daß ſie fremd waren.
Es ſcheint, daß die Neigung nach frem⸗
den Oingen, mit den uͤbrigen menſchlichen
Neigungen unabſoͤnderlich verflochten ifk,
Man entdeckt ſie bei den ungebildeten
Wilden, wie bei den geſitteten Voͤlkern.
Als die erſten Europäer nach Amerika ka⸗
men, und den Bewohnern dieſer Halb⸗
kugel von unſerm Glaswerke, und andern
Flitterzeuge Geſchenke machten, ſahen ſie
bald darauf die Wilden damit auf ſeltſa⸗
me
ohne Vorurtheil. 319
me Weiſe geputzet erſcheinen, und ſich auf
dieſe neuen Zierrathen ſehr viel zu gut
thun. So macht es manchmal unter uns
ein unpatriotiſcher Hoͤfling, der die Er-
zeugniſſe ſeines Vaterlandes verachtet,
weil ſie Erzeugniſſe ſeines Vaterlandes
ſind, und ſich laͤcherlich, in fremden Lum⸗
pen, ohne Geſchmack, bruͤſtet, deren gan⸗
zer Vorzug oft darauf ankoͤmmt, daß ſie,
wie der, der ſie traͤgt, gereiſet ſind.
Die Handlung brachte von allen Ge⸗
genden Koſtbarkeiten zuſamm, und ver-
kaufte ſie um willkührlichen Preis. Nun
fieng die Gewohnheit an, in vielen Zim⸗
mern zu wohnen, taͤglich in neuen Klei⸗
dern, ſtets mit vielem Gefolge zu erſchei—
nen, nun ward der Reichthum, an ſich,
an ſeinem Gefolge, in ſeinen Gemaͤchern
ausgekramt, nun durfte die Erfindſam⸗
keit auf ihre Talente einen Werth ſchla⸗
gen. Die verſchoͤnernden Kuͤnſte nahmen
an dem Ueberfluſſe Theil. Sie boten
die Hand auch den uͤbrigen Erzeugniſſen,
und machten ſie vollkommen. Nun war
man nicht mehr zufrieden, ſeinen Vorzug
an ſich ſelbſt, und von innen zu zeigen:
das Aeuſſere, ſchon der Anblick des Hau⸗
ſes
320 Der Mann
ſes ſollte die Groͤſſe des Beſitzers ankuͤn⸗
digen. Die Pracht ſtieg auf das Hoͤchſte.
Die Geburt wollte den Reichthum über-
holen, der Reichthum mit der Geburt
in gleichem Schritte gehen. Dieſer wech⸗
ſelweiſe Wetteifer machte eine allgemeine
Verwirrung. Da jedermann ſich zu un⸗
terſcheiden ſuchte, war es niemand.
Mein Freund! es war nicht nothwen⸗
dig, hier weitlaͤuftiger zu ſeyn; du haſt
Augen, das Bild dieſer Verwirrung ſteht
vor dir — Nach dieſer Unterſuchung werde
ich deine Frage von dem Gleichgewichte
der Belohnungen *) nach Gründen ent⸗
ſcheiden koͤnnen.
Du ſiehſt die Beſchaͤfftigungen der Men⸗
ſchen haben einen zweyfachen Rang: die
Natur hat ſie nach einem andern, nach
einem andern unſre Einbildung geord⸗
net. Nach dem erſten ſtehen diejenigen,
welche unſre wahren Bedürfniſſe beſor⸗
gen, oben an. Der Ackersmann geht
dem Jiergärtner, der Zimmermann dem
Architekte, der Schmid dem Uhrmacher
vor. Die Einbildung hat alles umgewen⸗
det, die entbehrlichſten Beſchaͤfftigungen
wer⸗
) X. Stück.
ohne Vorurtheil. 321
werden tefchagt, belohnt, ſchwimmen
im Ueberfluſſe, indeſſen daß diejenigen,
ohne deren Huͤlfe das menſchliche Ge—
ſchlecht zu Grunde gehen wuͤrde, nur
kuͤmmerlich ſich erhalten. Die Urſache iſt,
weil unſer Zang, unſre Lüſte, unſer
Stolz die Belohnungen ausmeſſen.
Wir geben fuͤr einen Tragſeſſel, der
uns nur über die Gaſſe bringt, ohne Be-
denken ein Zwanzigerſtück hin; aber mit
dem, der fuͤr das Haus eine Klafter Holz
kliebet, und einen halben Tag bei der be-
ſchwerlichſten Arbeit hinbringt, mit die⸗
ſem won feiner Mühe ganz beſchweißtem
Manne find wir grauſam genug, um ei:
niger Kreuzer willen zu handeln. Was
kann deutlicher beweiſen, daß wir die Ber
lohnung nie nach der Mühe, ſondern nach
der Beziehung, die eine Sache unmittel⸗
bar auf unſre Perſon hat, abmeſſen? Du
ſiehſt aller Orten den Koch beſſer als den
Leibarzten, den gaarkrauſer beſſer als
den Sekretär, den Vertrauten der Lüſte
beſſer als den Zauskaplan, den Lorſtmei⸗
ſter beſſer als den gaushofmeiſter, den
Bereuter beſſer als den, der die Kinder
unterrichtet, den Lautenſchlaͤger beſſer
II. Theil. * als
322 Der Mann
als alle übrigen Zausleute beſoldet, weil
der, ſeinem Gaumen die Geſundheit, der,
einem wohlgekaͤmten Haare ſeine Geſchaͤff⸗
te, der, der Befriedigung feiner Lüfte das
Gewiſſen, der, einem jagdrechtem Hirſchen
feine Wirthſchaft, der den Pferden, feine
Kinder, der endlich, einer rauſchenden
Symphonie alles in der Welt nachſetzet.
Beſonders aber war dem Zochmuthe
daran gelegen, die Ordnung der Beſchaͤff⸗
tigungen unter und über zu ſtuͤrzen , und
die nothwendigſten, die, worin er allen
Menſchen gleich gehalten ſeyn muß, in
dem Staube zu druͤcken, damit fig ihm
kein ſtiller Vorwurf wuͤrden. Jener in⸗
dianiſche Fuͤrſt ſpeiſet, und geht nie in
Gegenwart eines Menſchen zu Stuhl,
damit feine Unterthanen aus dieſen Noth⸗
wendigkeiten nicht etwa ſchluͤſſen, er waͤ⸗
re mit ihnen von gleichem Fleiſche. Die
Groſſen von Europa thun etwas Aehnli⸗
ches: ſie ſind karg gegen die, von welchen
ſie die Bedürfniſſe des Menſchen erhal⸗
ten muͤſſen: ſie ſind verſchwenderiſch gegen
die, welche ihnen die Bedürfniſſe ihrer
Gröſſe darreichen; ſie wollen nicht Men⸗
ſchen, ſie wollen nur Groſſe ſcheinen.
XI.
ohne Vorurtheil. 323
XI.
Wen keine Groſſen waͤren, ſagte mein
Capa⸗kaum: ſo gaͤbe es alſo keine Kuͤnſte
der Ueppigkeit, und, ſetzte er hinzu, wenn
keine Kuͤnſte der Ueppigkeit waͤren, gaͤbe
es dann Groſſe?
Es gaͤbe dann, verſetzte ich, nur wahr⸗
haft Groſſe. Ihre Zahl würde betraͤchtlich
kleiner, aber dadurch um ſo verehrungs⸗
würdiger ſeyn. Man geht itzt bloß darum
bei ihnen voruͤber, weil man nicht gerne
vor ſo manchem Taugenichts ſtehen bleibt,
der ſich die Kennzeichen der Groͤſſe wider⸗
rechtlich umgeworfen hat.
Dieſe Rede erregte bei meinem Freunde
Verwunderung. Wie, hub er an, iſt der
Stand der Groſſen ſo unbeſtimmt? ſind
ihre Kennzeichen fo zweydeutig? unter⸗
richten Sie mich doch: was iſt groß ?
Frage, antwortete ich ihm, frage den
Samojeden, mitten unter den ſchoͤnen Da⸗
men des ruſſiſchen Hofes um die Schoͤnheit
einer Frau: o, iſt ſeine Antwort, unſre
Weiber ſind doch wohl ſo ſchön, als
ihr ſeyd! Dieſe Schönheit hat eine gel⸗
be Haut, kaum ſichtbare Augen, aufge⸗
& 2 dun⸗
324 . Der Mann
dunfene Backen, und eine Bruſt, trotz
dem ſchoͤnſten Ebenholze — Frage einen
Neger: ſchön, wird er dir ſagen, ſind,
eine ſanfte ſchwarze Baut, tiefliegende
Augen, eine aufgeflugte Naſe, und
Baare, krauſer, dann die Wolle: er
zeichnet dir in ſeinen Worten das Bild
ſeiner Geliebten, die in ſeinen Augen eine
vollkommene Schoͤnheit iſt. Frage eine
unfrer europaͤiſchen Schoͤnen, wohin die
Ohrgehaͤnge gehoͤren? in die Ohren, ohne
Zweifel » Nein, ruft ſein Weib aus einem
andern Welttheile, ſie gehören in die
Naſe, und man heißt fie nicht Ohrge⸗
hänge, man heißt fie Naſengehange.
Ruͤhme dem Weibe eines Cinguleſen das
wohlgebildete Ohr deiner Geliebten! Pfui,
ſpricht ſie, wie klein es iſt! es reicht
nicht auf ein Viertheil an das meinige
— Zu Bali gegen Oſten von Groß java
heiſſen die Weiber ihre Maͤnner Böcke,
wenn ſie baͤrtig ſind: dieſe beraufen ſich
daher auch das Kin: aber der Maldiver
ſchilt die Natur grauſam, wenn ſie ihn
nicht uͤber und uͤber mit Haaren beguͤnſti⸗
get — Wir laſſen unſre Zaͤhne wachſen,
und beſchneiden unſre Naͤgel: die Java⸗
ner
ohne VBorurtheil. 325
ner laſſen Nägeln und Haaren den natuͤr⸗
lichen Wachsthum, und befeilen die Zaͤhne.
So wenig als die Menſchen uͤber die
Begriffe des Schönen einig geworden, ſo
wenig ſind ſie es uͤber den Begriff des
Groſſen. Hoͤre den Reichen! die Gröſſe
ſpricht er, beſteht in Schätzen: wer
Schatze hat, hat Rang, hat Titel, hat
Verdienſte. Nein! faͤllt ihm Adelswerth
ein, ein Stammbaum, von einigen
Klaftern, der macht groß: nur Ahnen
find es, die Gröſſe geben — So denken
Sie, unterbricht ihn ein Marius: von
niederer Geburt abſtammen, ſich bis
zum Romandoſtab aufſchwingen, auf
gethürmten Leichen feiner Seinde da⸗
hinfahren, und ihre Schädel unter den
Rädern feines Triumphwatens knarren
hören: das iſt Gröſſe! oder war ich et⸗
wan nicht groß y — Nicht fo groß als
ich, ſagt der Fakir: ich trage Retten
an meinen Süſſen, um meine Lenden
Stachel; ich ſpeiſe mein Brod beſudelt
mit Roth: daß heißt groß ſeyn! — Auf
feinen Folianten, als auf einem Fußge⸗
ſtelle, ſitzt der Bücherſchreiber, und ſieht
mit Verachtung auf Geld und Ahnen, und
3 Schlacht⸗
326 Der Mann
Schlachtfeld und Heiligkeit, und duͤnkt nur
ſich groß, weil er mehr Baͤnde herausge⸗
geben, als ein Kamel zu tragen im Stan⸗
de iſt. Wer wird unter allen dieſen Rich⸗
ter ſeyn? jeder beſtimmt das Weſen det
Groͤſſe auf ſich.
Betrachte zween Menſchen bei ihrem
Sterben! der eine geht mit ſtandhafter
Gelaſſenheit nach dem Richtplatze; er oͤff⸗
net ſeinen Mund nicht, weder gegen ſeine
Verurtheiler, noch gegen ſeine Henker: er
kniet willig auf das Sterbgeruͤſt hin, fal⸗
tet ſeine Haͤnde gegen den Himmel fuͤr ſei⸗
ne Feinde, legt freudig ſeinen Hals unter
das Beil, und — ſtirbt. Der andre tritt
ſingend und mit muthwilligem Huͤpfen un⸗
ter dem Haufen ſeiner Peiniger einher: er
ſchmaͤht ſie unaufhoͤrlich; er fodert ihre
Grauſamkeit gleichſam auf, ihm alles an⸗
zuthun, was fie nur Schreckliches aus⸗
zudenken weis. Stuͤcke Fleiſch werden aus
ſeinem Leibe geriſſen, wuͤtende Weiber ver⸗
ſchlingen ſie in ſeinem Angeſichte. Deſto
beſſer! er unterdruͤckt das Gefuͤhl! beißt
ſeine Zaͤhne, und ſingt ein Siegeslied auf
ſeine Nation. Nun iſt er auf dem Platze,
wo er feinen Feinden zum Gaſtmahle die-
nen
ohne Vorurtheil. 327
nen ſoll; er ſieht die Spieſſe, ſieht das
Feuer bereitet; nichts macht ihn zaghaft,
er wird nun am Feuer umgewendet, hun⸗
grige Kinder fallen uͤber ihn her, und zer⸗
fleiſchen ihn, ehe der Braten gar iſt: ſein
letztes Wort iſt ein Schimpfwort auf ſei⸗
ne Feinde. Frage den Huronen: wie ſtarb
der letzte? als ein geld: mein Tod ſey
wie der Tod dieſes Mannes! antwortet
er. Frage einen Europaͤer, wie war das
Ende des erſten? großmüthig! wird er
verſetzen: das iſt der Tod der groſſen
Geiſter. Der eine ſtarb als ein Lamm,
der andre als ein Löw: aber der Aus:
ſpruch verſchiedener Voͤlker erweiſt ihrem
Tode gleiche Ehre. So ſchwankend iſt der
Begriff des Groſſen. ö
Dieſes Weib hat etwas Groſſes in ih⸗
rem Anblicke! dieſer Mann hat etwas
Groſſes in feinem Betragen. Dieſes Ger
baͤu iſt etwas Groſſes!
Dieſes Weib, mit einem ſtolzen Gange,
mit einem dreiſten Blicke, mit einem Tone
der Zuverſicht, mit einer Bildung, die
weniger einnehmend, als ehrerbietungers
weckend iſt, dieſes Weib, wenn ſie eine
Eliſabeth, eine Thereſia, eine Ratha⸗
* 4 ri⸗
328 Der Mann
rina iſt, dann hat fie etwas Groſſes. Laßt
eben dieſes Weib eine gemeine Buͤrgerinn
ſeyn, und fie wird laͤcherlich. Eleonora
Galigai war eben die, welche die Mar⸗
ſchallinn d' Anere war: aber nur bee letz⸗
tern Anblick war groß.
Dieſer Mann biet jederman ſeinen Schutz
an; wer ihm dienet, den belohnet er fuͤrſt⸗
lich; ſeinen Kutſchen, ſeine Pferde, ſein ganz
Gefolg ſind mit Geſchmack gewaͤhlet; er
zeigt ein edles Selbſtgefuͤhl in ſeinem Bli⸗
cke. Wohl! wenn er ein Miniſter iſt,
wenn ſein Vermoͤgen ſeinem Aufwande zu⸗
ſaget; ſo iſt er leutſelig, großmüthig,
prächtig. Wenn aber ein Landjunkerchen
mir feinen Schutz anbiet, fo werde ich be⸗
leidiget; wenn ein Mann von mittelmaͤſ⸗
ſigem Vermögen, wie ein Lichtenſtein be⸗
lohnet, fo heiß ich ihn einen Verſchwen⸗
der; wenn ein Zugrundgerichteter ſeinen
Zug, wie ehe fortſetzet, ſo heiß ich ihn
einen Thoren.
Wer wohnet in dieſem Pallaſte 2 weſſen
ſind dieſe praͤchtigen Gaͤrten? weſſen dieſe
koſtbaren Bildſaͤulen? dieſe corinthiſchen
Gefuͤſſe? dieſe Sammlung von Seltenhei—
ten? des Lukullus, fie find die Srüchte
ſei⸗
ohne Vorurtheil. 329
ſeiner Siege. Ich bin zufrieden, und
ſage: ſie zeigen von der Gröſſe ihres
Beſitzers. Aber man antwortet mir: ei⸗
nem gewiſſen Popilius, einem Dekurio
aus der sten Legion: und ich werde laͤ⸗
cheln: man ſetzet hinzu, dem Mörder
Cicerons, er hat ſie von dem Lohne
ſeines Meuchelmordes angekauft: und
ich enthalte mich nicht, Schande Roms!
auszurufen.
Umſtaͤnde, die, mit dem Begriffe der
Groͤſſe ſogar zu ſtreiten ſcheinen, koͤnnen
dieſen Widerſpruch ablegen. Sieh dieſen
Elenden, der auf uns zukoͤmmt! Er wird
unſer Mitleid zu erwecken ſuchen. Ich ha⸗
be, ſagt er, da er uns nahe iſt, ein Weib
und drey Kinder zu ernaͤhren; der Winter
iſt heftig, und kaum, daß ich dieſe weni⸗
gen Lappen umzuwerfen habe, die nur mei⸗
ne Bloͤſſe bedecken, nicht wider den Froſt
ſchuͤtzen. Viele Tage ſchon habe ich kei⸗
nen Verdienſt, mein Weib liegt darnieder,
meine Kinder ſtarren in einer unbewahrten
Huͤtte, und ſchreyen nach Brod, wovon ich
ihnen nicht einen Mundvoll reichen kann —
Das Bild ſeines Elendes iſt wahrhaft, iſt
nach dem Leben gezeichnet. Du frageſt:
25 Wer:
330 Der Mann
Warum ich dadurch nicht gerührt wer⸗
de w warum ich ihn mit einigen Kreu-
zern von mir weiſe !? Weil er ein Müſſig⸗
gänger iſt, der ſich aus Faulheit in dieſe
elenden Umſtaͤnde verſetzet hat, der das
Geld, welches ihm die Mildthaͤtigkeit ge⸗
ruͤhrter Buͤrger zuwirft, verſchlemmet; der
ſeine Kinder zu ruchloſen Thunichts, gleich
ſich ſelbſt, erzieht, und wie ein ſchaͤdliches
Inſekt, wann er ſtirbt, eine ſtaͤrkere, un⸗
austilgbare Brut hinterlaͤßt. Sein Elend
erregt Erbarmung; aber die Urſache ſei⸗
nes Elendes, bringt wider ihn auf: meine
ſchon ausgeſtreckte Hand zieht die Betrach⸗
tung der buͤrgerlichen Pflicht zuruͤcke: ſtatt
ihm beizuſpringen, ſtatt Oel in ſeine Wun⸗
den zu gieffen , und ihn mit lindernden
Worten zu troͤſten , ſage ich ihm: das
Juchthaus ſey deine gerberg!
Aber leſe folgende Erzählung von Irinen:
Bis hin in eine Hoͤhle
Verfolgete mit Ungluͤck
Das Schickſal ſeine Tugend.
Gepeiniget von Schmerzen
Des Leibes und der Seele,
Rief
ohne Vorurtheil. 331
Rief er, daß es die Felſen
Der Wuͤſte wiederhallten:
Ihr Götter! o ihr Götter!
was habet ihr für Quaalen,
Dem Srommen zubereitet n
Und, weinend ſeinen Jammer
War er ſchon ein Rebelle
Der Goͤtter in Gedanken.
Als ſich ein weiſer Dichter,
Ein frommer Freund der Götter,
Fuͤr Jupiters Geſandten
Ausgab, und ſeines Gottes
Entſchluͤſſung offenbarte.
Zevs — ſprach der weiſe Dichter,
„ Hat, Frommer deine Klagen
„ Gehört, und will dich troͤſten,
„Und gluͤcklich machen. Irin!
„Dein Leben voll der Quaalen
„War eine Luſt der Götter,
„Denn zwoͤlfe waren gluͤcklich
„Weil du nicht gluͤcklich wareſt —
„Nun aber dich zu troͤſten
„Soll ihnen keine Sonne,
„Des Gluͤckes weiter ſcheinen!
„„In
332 Der Mann
„In ſolchen Jammerhoͤhlen,
„ Wie deine da, ſoll jeder,
„ Sein ungluͤckvolles Leben
„ Verſeufzen: ſieh das wollen
„Nunmehr die guten Götter:
„Und unter dieſen Zwoͤlfen
„ Iſt Pylades der fromme:
„ Dein Freund, und Orondates
„ Der Freund der weiſen Dichter!
Schnell betete der Arme:
„ Vergebet o ihr Götter
„ Mir meines Jammers Klage!
„Vergebt fie mir, und laſſet,
„Mein Ungluͤck, meinen Jammer
„Noch einſt fo lange dauren,
„Als ihr zuerſt nur wolltet,
„Um zwoͤlf der Menſchen Willen!
Sieh hier einen Armen — freywillig
Armen: aber welche Groͤſſe in dieſer Frey⸗
willigkeit! Titus, deſſen Menſchenliebe noch
immer ein Zuruf neugewaͤhlter Regenten
bleibt, weil ſie keiner deiner Nachfolger
uͤbertroffen, Titus ſteig herab von deinem
Throne! Irin iſt wuͤrdiger als du, darauf
iu ſitzen —
XII.
ohne Borurtheil, 333
| XII.
Man iſt nicht mehr uͤber die Zeichen der
Groͤſſe einſtimmig, als uͤber die Gröſſe
ſelbſt. In Bantam, erzaͤhlen die Reiſe⸗
beſchreiber, rechnet man ſichs zur Schande,
Schuhe zu tragen; und in Randi Ceylan
iſt derjenige der beleidigten Majeftät ſchul⸗
dig, der ſich in Schuhen blicken laͤßt: denn
die Ehre, Schuhe zu tragen, iſt dem Koͤ⸗
nig allein vorbehalten. Nur die Edelſten
unter den Sueven hatten das Recht, ihre
Haare zu winden, und in einen Rnotten
zu ſammeln, wie ihn der verwildete Junge
traͤgt, der auf den unbegraͤnzten Heiden
Panoniens hinter einer Heerde Ochſen zieht,
und keinen Kamm kennet. Bei den Juden
war ein durchbohrtes Ohr das Kennzei—
chen der ewigen Knechtſchaft ), und die
Inkaſe erhuben die verdienten Maͤnner da⸗
durch in den Ritterorden, daß ſie denſel⸗
ben das Ohr mit einer guͤldnen Stifte
durchſtachen. Der Orden der Nühe bei
dem Banian, der Urinorden bei den Hot⸗
tentoten, ſind ein wenig von dem güldnen
Vlieſ⸗
) Exod, 21. 6.
334 Der Mann
Dlieffe und dem blauen Kordon verſchie⸗
den. Bei unſern Vorfahren waren lange
Haare eine Unterſcheidung des Adels, aber
bei mehr dann einer oſtindiſchen Nation
traͤgt nur der Sklave dergleichen, der hin⸗
ter ſeinem Herrn hergeht, und ihm Betel
in einem Beutel nachtraͤgt. Wiſſen die
Menſchen jemals unveraͤndert bei einem
Gedanken ſtehen zu bleiben? Nimm hin⸗
wer, ſagten einsmals die Weiber zu ei⸗
nem Manne, nimm hinweg von uns die
Schande der Eheloſigkeit.) Was da⸗
mals Schande war, iſt heute zu einem
vollkommenern Stande, folglich zur Ehre
geworden. Jederman ruͤhmet die Reiſe
Trajans, die er zu Suffe durch fo viele
Provinzen feines Kaiſerthums gethan, je⸗
derman ruͤhmet ſie; aber jederman will
Pferde und Kutſche, nicht bloß zur Ge⸗
maͤchlichkeit, auch als ein Zeichen der Un⸗
terſcheidung. Mein Stand fodert unum⸗
gaͤnglich eine Equipage, ſagt der Rath,
und vielleicht ſchon jemand unter ihm, und
ſeit dem iſt Gehen eine Erniedrigung ge⸗
worden; nur gemeine Leute duͤrfen es
kön⸗
) Ifai, 4. 1.
ohne Vorurtheil. 335
können. Bis auf die kleinſten Ehrenbe⸗
zeugungen erſtrecket ſich dieſe Wandelbar⸗
keit. Die Morgenländer werden vor eis
nem Manne, dem ſie mit Ehrerbietigkeit
begegnen wollen, nie ihr Haupt entbloͤſſen,
und wir daſſelbe vor unſern Obern nie be⸗
decken. Zoutmanns Tagebuch der oſtin⸗
diſchen Schiffart erwaͤhnet einer ſeltſamen
Art von Ehrenbezeugung, womit ihm die
Indianer begegneten: ſie nahmen, ſagt
er, feinen linken Suß, und fuhren da⸗
mit an ihrem rechten Beine bis an das
Knie hinauf, von hier bis an das Ger:
ſicht von unten auf, und endlich bis
an den Wirbel des Kopfes. Unſre Art
zu gruͤſſen, naͤmlich mit dem einem Beine
hinter ſich aus ſtreichen, iſt wenigſten für
den Gegruͤßten nicht ſo beſchwerlich.
Bei dieſer Mannigfaͤltigkeit der Begrif⸗
ſe und Zeichen ſind wenigſtens alle Voͤlker
uͤber einen Punkt vollkommen einig: daß
die Gröſſe auf Verdienſt gegründet iſt;
nur weichen ſie voneinander ab in der Be⸗
ſtimmung des verdienſtes ſelbſt.
Die Voͤlker von Europa, welche ſich
ſelbſt die polizirten nennen, raumen dem
erb⸗
336 Der Mann
erblichen Verdienſte, das iſt, der Geburt
die erſte Stelle ein. N
Ich begreife dein Befremden, ich ſehe
deine Fragen voraus. Es ſoll die Reihe
kommen, mir ſie vorzutragen. Dieſes
Verdienſt, das ein Geſchenk des Gluͤckes
iſt, welches allein dem Reichthume nicht
feil ſteht, hat Tadler, weil es beneidet
wird. Was hat der Enkel mit dem
Derdienfte des Anherrn gemein iſt die
allgemeine Frage derer, die eine ſolche Fra⸗
ge ſehr ungeſchickt finden wuͤrden, wenn
es ihr Anherr geweſen waͤre. Ein neuer
Schriftſteller hat fie auf eine ſehr ſinnrei⸗
che und gruͤndliche Art beantwortet, dieſe
Frage. Er fuͤhret den Cyniker Diogenes
mit einem gewiſſen Rabutin auf, die ſich
in dem Aufenthalte der Abgeſchiedenen un⸗
terreden. Diogenes iſt wegen ſeiner Of—
fenherzigkeit, die oft in das Unhoͤfliche
faͤllt, beſchrieen, Rabutin iſt als der eitel⸗
fie Menſch aus feinen fonft ſchoͤnen Briefen
bekannt. Diogenes redet den franzoͤſi⸗
ſchen Grafen an:
Glaube mir! ſagt er, laß dieſen leicht⸗
ſinnigen Reimer, mit dem ich dich ſo oft
finde, und unterhalte dich mit mir!
Re:
# ohne Vorurtheil. 337
Rabutin.
Du ſprichſt ſehr frey von einem Manne,
wie Ovid war, den alle Voͤlker einſtimmig
fuͤr einen der witzigſten Geiſter des Alter⸗
thums anſehen.
B |
In der That, das war er; aber was
iſt das auch!
Rabutin.
Was ein Schriftſteller vom erſten Kane
ge ift, der die Zierde, das Ergoͤtzen der
Geſellſchaft ausmacht?
Diogenes.
Ja, wie das Flitterwerk gewiſſe Klei⸗
der putzet. Welches weſentliche Verbienſt
findeſt du an dem Verfaſſer der Verwand⸗
Lungen und was weis ich, welcher an⸗
deren Taͤndeleyen noch?
Babutin,
Ich ſehe hier einen tiefſinnigen Welt⸗
weiſen, der ſich hinter die Blumen des
Scherzes und der Galanterie verbirgt.
Diogenes.
Du mußt in jener Welt ſelbſt ſehr ga⸗
lant geweſen ſeyn, daß du hier noch die
ſo ſehr liebeſt, die es waren. |
II. Theil. 9 Ra⸗
338 Der Mann
Rabutin,
Ich war es weniger, als der Roͤmer;
aber es ſind zwiſchen uns manche andre
Aehnlichkeiten. Er war ein Mann von
Wiſſenſchaften; ich machte mein Werk
daraus, ſie anzubauen. Er lebte unter
einem Kaiſer, einem Befoͤrderer der Wiſ⸗
ſenſchaften und Kuͤnſte. Ludwig der late,
deſſen Unterthan ich zu ſeyn, die Ehre
hatte, heißt er nicht Frankreichs Auguſt y
Ovid verfiel in die Ungnade ſeines Fuͤr⸗
ſten; ich war fo ungluͤcklich, meinem Koͤ⸗
nige zu mißfallen. Er wurde in die Inſel
von Thalaſſien verwieſen „ich auf meine
Guter. |
Diogenes,
Setze noch hinzu, daß er in een
Elende Verſe gemacht, die zu witzig waren,
als daß ſie ruͤhrend ſeyn konnten; und
daß deine Briefe zu geputzt ſind, um pa⸗
thetiſch zu ſeyn.
Rabutin.
An dieſem Zuge erkenne ich den Dloge⸗
nes. Aber ich vergaß in meiner Verglei⸗
chung, daß Ovid ein roͤmiſcher Ritter war,
und ich von einem der beſten abelichen
Haͤuſer abſtamme.
Dio⸗
ohne Vorurtheil. 339
Diogenes.
es ſollte mich Wunder genommen ha⸗ |
ben, wenn du deines Adels nicht erwaͤh⸗
net haͤtteſt. Das iſt ein Punkt, den du
uns nicht erlaͤßt, ohne uns auch deine
Dienſte herzurechnen.
Rabutin.
In der That waren ſie eines beſſern
Schickſals wuͤrdig, und du wirſt geſtehen,
daß ein Mann von meinem Range ⸗
Diogenes.
Aber nun, was iſt er denn dieſer Nang
dieſer angebliche Adel, wovon du ſo viel
Aufhebens macheſt? — Ich will es hin⸗
gehen laſſen, wenn man ihn ſelbſt erwor⸗
ben hat: dann iſt es ein Eigenthum, eine
Erwerbung, dann iſt es billig, daß man
es genießt. Aber wie koͤmmt der Sohn
dazu? will er adelich ſeyn, ſo fange er
von Vorne an, er mag ſich beſtreben es
zu werden. Es waͤre ſonderbar, daß er
Verdienſte und Unterſcheidung foderte, weil
ſein Vater ſie hatte.
Rabutin.
Dieſes Geſchwaͤtz taͤuſcht durch einen
Schein von Philoſophie. Sage mir Dio⸗
genes, wenn dein Vater durch ſeine Muͤhe,
Y 2 und
340 Der Mann
und Haͤuslichkeit groſſes Vermögen erwor⸗
ben haͤtte, und nach ſeinem Tode machte
man es dir ſtreitig, einzig darum, weil
du ſolches nicht ſelbſt erworben hätteft ,
was wuͤrdeſt du dazu ſprechen? |
Diogenes,
Daß es die hoͤchſte Ungerechtigkeit und
Thorheit waͤre: und daß dieſes Vermoͤgen
mir ſehr rechtmaͤſſig angehoͤrte, weil ich
der einzige Erbe meines Vaters bin, der
es unbeſtritten beſeſſen.
Rabutin.
Nun denn, warum machſt du mir mei⸗
nen Adel ſtreitig, der von meinen Ahnen
auf mich gefallen.
Diogenes.
Der Fall iſt ſehr verſchieden.
| Rabutin.
Weniger als du dir einbildeſt. Dieſer
Adel macht einen Theil meines Erbtheils
aus, wie die Schaͤtze deines Vaters das
Deinige.
Diogenes.
Aber wenn du durch deine Thaten ihn
erniedrigeſt —
Re:
ohne Vorurtheil. 341
Rabutin.
Und wenn du das Vermoͤgen verſplit⸗
terſt? — 6
Diogenes.
Das iſt meine Sache, es vernünftig
zu verwalten, will ich davon Eigenthuͤmer
bleiben.
Rabutin.
Muß ich nicht gleichfalls meine Geburt
unterſtuͤtzen, woferne ich mich nicht enteh⸗
ren will? Aber dann, wann ich edel hand-
le, ſo ſetze ich ſelbſt dem ererbten Adel zu,
wie du den Reichthum deines Vaters durch
kluge Haushaltung vergroͤſſern wuͤrdeſt.
Diogenes.
Die Eitelkeit allein kann dieſe erfunden
haben.
Rabutin.
Eben als ſagte ich, der Geiz habe das
Geſetz der Erbfolge gefchriebens Sieh,
wohin die Haſtigkeit verleitet! ſie graͤnzet
ſo nahe an den Irrthum, als die Unbe⸗
ſonnenheit.
Diogenes. b
Welche Thorheit, einen Menſchen we⸗
gen der Verdienſte ſeines Vaters zu ehren!
Ich finde nichts ſo tolles, es ſey denn das
Y 3 Vor⸗
342 Der Mann
Vorurtheil, das wegen eines Spitzbuben
eine ganze Verwandtſchaft mit een be’
legt, wenn = =
Rabutin.
Neuer Irrthum! was du unvernünftig
ſchiltſt, iſt eines der beſten Grundgeſetze
der Geſellſchaft. Nichts konnte beſſers er⸗
dacht werden, den Abſcheu vor dem Laſter,
und die Liebe zur Tugend in den Familien
fortzupflanzen, als dieſe Vererbung des
Ruhmes, oder Schande.
Diogenes.
Welch eitles Huͤlfsmittel des Stolzes,
der immer ſinnet, ſeine Kleinheit, und
Elend zu vermummen! der Weiſe kennt
keinen Adel als die Tugend, keinen Poͤbel
als in dem Laſter.
Rabutin.
Ich fürchte ſehr, daß der Unadeliche die⸗
ſen ſchoͤnen Spruch nicht aus der Urſache
mißbrauche, aus welcher der Arme gegen
die Reichen ſchreyt. Die Tugend iſt ohne
Zweifel das Kennzeichen des wahren Adels;
aber eben darum verdient der Adel Unter-
ſcheidung, und Achtung, weil die Tugend
ſeine Quelle iſt. Der Adeliche, der ſeinen
Titel wuͤrbig fuͤhret, iſt das bereits, was
der
ohne Vorurtbeil. 343
der gemeine Tugendhafte zu werden ſuchet.
Der Adel der Geburt ſchließt den Adel der
Handlungen nicht aus; er ſetzt ihn vor⸗
aus, er fodert ihn. Die niedrige Geburt
kann der Tugend keinen Glanz geben,
aber ſie kann durch ie erlaucht werden —
u. ſ. w.
XIII.
„ ee brachte den Philoſophen zum
Stillſchweigen, womit dieſer ohne Zweifel
ſehr unzufrieden war: denn ein Philoſoph
ſchweigt nicht gerne ſtille. Aber der Sran⸗
zoſe hatte in der That auch eine Sache zu
vertheidigen, bei der es nicht ſchwer iſt,
Gruͤnde zu finden. Ich weis nicht, wa⸗
rum die Menſchen von edelm Geſchlechte
mehr als die Pferde ausarten ſollen. In
Arabien hat man ſorgfaͤltig die Geſchlecht⸗
bücher aller berühmten Stuͤttereyen. Alle
Zeiten haben den Werth der Geburt er⸗
kennet. Es ift, *) ſagt der Dichter, der
das Lächerliche der Roͤmer fo oft mit ſa⸗
tiriſchem Witze durchgezogen, es iſt in dem
diene das angeerbte Feuer der Vaͤter,
Y 4 und
) EA in equis Patrum Virtus.
344 Der Mann
und furchtſame Tauben erzeugen keine Ad⸗
ler. Homer, und fein Schüler Pirgil,
der feinen Meiſter oft übertrifft, nen⸗
nen ihre Helden fo vielmal Söhne der
Goͤttinnen, als der ſtarke Achilles, der
fromme Aeneas. Woferne alſo der Adel
der Geburt wirklich ein Vorurtheil waͤre;
ſo waͤre er wenigſtens von denjenigen,
welche das Alterthum und eine beſtaͤndige
Ueberlieferung aller Zeiten geheiliget, und
ehrwuͤrdig gemacht haben. —
Capa⸗ kaum erwartete die Zeit, mir
Einwuͤrfe zu machen, mit Ungeduld. Wenn,
ſagte er, ich ihrem Rabutin haͤtte zu ant⸗
worten gehabt; ſo haͤtte ich ihm eine ein⸗
zige Frage gemacht. Woferne, hätte ich
geſprochen, woferne das Verdienſt der
Aeltern auf die Kinder, wie das Geld
erblich uͤbertragen wird; ſo ſind die Kin⸗
der eines Helden alle Helden, die Kinder
eines Staatsklugen alle Staatskluge, wie
die Kinder des reichen Vaters alle reich
ſind. Ich weis nicht, was der von ſei⸗
nem Adel fo ſehr eingenommene Graf ges
antwortet haͤtte; aber das Verfaͤngliche
der Frage wuͤrde er ohne Zweifel einge-
ſehen haben. Ich haͤtte dann geſchloſ⸗
ſen,
ohne Vorurtheil. 345
ſen, daß der Sohn Alexanders, deſſen
kriegeriſche Thaten ſo manchen Geſchicht⸗
ſchreiber beſchaͤfftiget, wenigſtens eben ein
ſo guter Feldherr geweſen ſeyn muͤßte, als
fein Vater: und, hätte Richelieu einen
Sohn gehabt, ſo muͤßte deſſen Mini⸗
ſterſchaft nicht weniger beruͤhmt geweſen
ſeyn, als die ſeines Vaters. Ich haͤtte
ihn noch weiter verfolget, ich haͤtte ihn
gebeten, mir den Adel der Töchter zu er⸗
klaͤren, der nach des Franzoſen Ableitung
in der That ganz unbegreiflich wird. Denn
wie Rabutin auch immer die Sache wen⸗
den mag; ſo kann das Erbrecht des Adels
fuͤr nichts anders geltend gemacht werden,
als fuͤr eine Fortſetzung derjenigen Eigen⸗
ſchaften, welche dem Stammvater ſeine
Adelung erworben haben. Wenn wir al:
ſo ein Fraͤulein, deſſen Uraͤltervater ſich
durch Tapferkeit verewiget hat, hochge—
bohrnes Fraͤulein heiſſen, ſo ſagen wir in
der That, tapferes Fraͤulein! welches eine
Schmeicheley von ſeltſamer Art iſt, und
nur in dem Reiche der Amazonen gerne
gehoͤret werden muß.
Es iſt noch nicht alles, verfolgte er,
da er nun einmal auf den Weg gerathen
9 5 war,
1
346 | Der Mann
war, witzig zu thun: der franzsfifche Graf
ſoll mir mit ſeinem Gleichniſſe zwiſchen dem
Erbrechte des Vermoͤgens und Verdienſtes
antworten, warum der Reichthum eines
Erblaſſers unter die mehreren Kinder ger
theilet, und jeder Erbe nur einen Antheil
erhaͤlt, der alſo geringer iſt, als das
vaͤterliche Vermoͤgen? wie es hingegen
komme, daß ein adelicher Erblaſſer einem
jeden ſeiner Nachkommen ſein Erbtheil
ganz und ungetheilt, und alſo mehr hin⸗
terlaͤßt, als er ſelbſt beſaß? Er wuͤrde
ſehr verlegen ſeyn, ſich herauszuwickeln,
wenn ich ihm das Unrecht zeigte, ſo man da⸗
durch dem wahren Verdienſte der Stamm⸗
vaͤter erweiſet, daß der Adel durch die
Laͤnge der Zeit erhöhet wird: denn, um
wieder Alexandern zum Beiſpiele zu nehmen,
wenn feine Familie nicht untergangen iſt,
ſo mag ein Spaͤterenkel in irgend einem
Winkel der Welt noch ſo ein unruͤhmliches
Leben hinbringen, er iſt adelicher als ſein
Uraͤltervater: der die Welt mit ſeinen Sie⸗
gen erfuͤllet hat, und um alles mit einem
Worte zu faſſen, der Vater des menſchli⸗
chen Geſchlechts, Adam war der elendſte,
poͤbelhaftſte von allen feinen Kindern, weil
le;
ohne Vorurtheil. 347
jeder unter ihnen mehr Ahnen als er zaͤh⸗
let —
Mein Freund, war meine Antwort, mit
ein wenig Witz und einer groſſen Anlage
von Neid, faͤllt es nicht ſchwer, an den
nuͤtzbareſten Einrichtungen und Anſtalten,
eine laͤcherliche Seite zu entdecken. Der
Adel iſt in der That von dieſer Art. Die
Erinnerung der Ahnen, deren Ruhm man
zu unterſtuͤtzen hat, macht im Gewuͤhle
des Streites unerſchrocken, in der Naths⸗
verſammlung ſcharfſehend, uneigennuͤtzig,
getreu. Man fuͤrchtet ſich einen Namen zu
verunehren, wenn man einen Namen hat.
Was wird die Welt von mir fagen Y
Dieſe Erinnerung hat manche edle That ver:
anlaſſet, von manchem entehrenden Schrit⸗
te zuruͤckgehalten. Aber bei wem kann ſie
wirkſam ſeyn, als bei demjenigen, den
ſchon ſeine Geburt gleichſam auf ein Schau⸗
geruͤſt ausgeſetzet, wo er keine edle Hand⸗
lung verrichtet, ohne die Zurufungen der
Welt zu erhalten, aber auch keinen Fehl:
tritt thun kann, ohne ihrer befchämenden
Spottreden gewaͤrtig zu ſeyn.
Weit entfernet alſo, daß es nuͤtzlich
waͤre, den erblichen Adel aufzuheben, ich
glau⸗
348 Der Mann
glaube vielmehr, daß der Staat nie zu
ſehr beſorgt ſeyn kann, denſelben feſtzu⸗
ſetzen. In einem Lande, wo die Vater⸗
terlandsliebe unkraͤftig iſt, da ſoll die Fa⸗
milienliebe ihre Stelle vertreten. Das Gute
geſchehe, man handle großmuͤthig, unei⸗
gennuͤtzig, es geſchehe durch was immer fuͤr
eine Triebfeder! es gereicht darum nicht
weniger zum gemeinſchaftlichen Beſten.
Alle Welt, die Welt der gemeinen Buͤr—⸗
ger ſchreyt: wir wollen dem Adel ſeine
Wuͤrde nicht ſtreitig machen, aber ſein
Stolz iſt unertraͤglich. Floͤſſet, rufen ſie
zu den Hofmeiſtern, die ſich mit Erziehung
des Adels beſchaͤfftigen, floͤſſet euren Zoͤg⸗
lingen nur nicht dieſes Bewußtſeyn ihres
Vorzugs ein! — Nicht meine Herren! hoͤ—
ret die unbedachtſamen Reden dieſer Un⸗
verſtaͤndigen, hoͤret ſie nicht! Ihr koͤnnt
ſie vielmehr nicht zu ſehr auf die Vorzuͤge
aufmerkſam machen, ihr koͤnnet ihren Stolz
nicht zu ſehr anfachen. Vielmehr von ih⸗
rer zarteſten Kindheit an, bedienet euch
keiner andern Strafrede als: wie niedrig,
wie unedel! keines anderen Lobſpruchs,
keiner andern Ermunterung, als: ban=
deln Sie, ihrer Geburt wuͤrdig zu ſeyn!
Sie
ohne Vorurtheil. 349
Sie haben einen Namen zu behaupten!
Sie beſchimpfen ihr Haus!
Glaubet ihr, wenn ihr dem unbedacht⸗
ſamen Geſchreye dieſer kein Gehoͤr gege—
ben, wenn ihr den Grundſatz des Adels zu
dem herrſchenden Grundſatze eurer Zoͤglin⸗
ge, zu ihrer allgegenwaͤrtigen Erinnerung
gemacht haͤttet, ſie wuͤrden euch in ihren
ſpaͤtern Jahren durch fo manche poͤbelhaf⸗
te That verunehren? Glaubet ihr, daß
Eront, der in dem Ueberrocke feines Lau-
fers an den Ecken der Straſſe gemeinen
Dirnen auflauert, und die Sitten ſeiner
Verkleidung ſo wohl anzunehmen weiß;
glaubet ihr, daß er die Wuͤrde ſeiner Ge⸗
burt, die Ehre ſeines Hauſes vor Augen
habe ? möchte er doch zu ſtolz ſeyn, um
ſo pöbelhaft zu handeln! Glaubet ihr,
daß geſikrat auf den Glanz feines Hau⸗
ſes denket, wenn er ſeine Guͤter in Pfer⸗
den und Kutſchen, in koſtbarem Hausge⸗
raͤthe, auf hundert andern Wegen der
Verſchwendung dahin wirft, und ſich das
Vermoͤgen raubet, mit einem ſeiner Ehre
und Geburt gemaͤſſen Anſtande zu leben?
Erinnert ſich Dor ant feiner Ahnen in
dem Augenblicke, da er ſeine Gunſt um
Geld
380 Der Mann
Geld anbiet, und eine Stelle, die er an
den Verdientſten vergeben ſoll, an den
Meiſtbietenden verkauft? Erinnert ſich
wohl Eardon feiner Herkunft, wenn er
ſich zu den Fuͤſſen einer Operdirne, um
eine feilſtehende Nacht zu erhalten, nie⸗
dertraͤchtig kruͤmmet? Wenn Eilenor den
Staub der Guͤnſtlinge lecket, um ſich em⸗
por zu ſchwingen, und das Verdienſt am
Hofe durch unredliche Kunſtgriffe zu ver⸗
dunkeln, oder verdaͤchtig zu machen ſucht,
vergiebt er nicht blos darum ſeinen Adel,
weil er ihn nicht vor Augen hat? Wenn
Speronten Schuldner uͤberlauſen, denen
er durch abſcheuliche Raͤnke Geld entlocket
hat, wenn er durch ſeinen Thorſteher ſich
verlaͤugnen, und ſich in Gegenwart ſeines
Dieners einen Betruͤger ſchelten laſſen,
und, da er hinter dem Schiebgitter dieſe
Beſchimpfungen ſelbſt mit anhöret , dieſe
Reden noch dazu in feinem Herzen recht-
fertigen muß; wo iſt damals das Gefuͤhl
ſeines Adels? Wo war es bei Clelien,
als ſie ihre Augen auf einen Mimen warf,
und ſich von ihm muthwilliger behandeln
laſſen mußte, als die elendſte Sklavinn
eines Serails e Würde Eronde fi ih⸗
/ rer
obne Vorurtheil. 351
rer Magd zu liebkoſen herablaſſen, wuͤrde
ſie die Verſchwiegenheit dieſer Mitbewuß⸗
ten, dieſer Vertrauten ihrer Ausſchwei⸗
fungen, ihrer ſchandbaren Liebe durch Er⸗
tragung ſo vieles Eigenſinnes erkaufen
muͤſſen, wenn ſie, ehe ſie den entehrenden
Schritt gethan, ſich erinnert haͤtte, du biſt
die Tochter des: = die Gemahlinn deg = - =
die Verwandte des 2 Argiſore, hätte
dieſe durch Kinder von zweydeutiger Ge:
burt eine ehrenvolle Reihe der edelſten
Sproͤßlinge unterbrechen, und einen wuͤr⸗
digen Gatten durch den Schmerz ſeines
befleckten Chebettes toͤdten koͤnnen, wenn
ſie in der Stunde des Fehltrittes an die
Groͤſſe des Hauſes gedacht hätte, welches
nun durch ſie auf ewig geſchaͤndet worden?
Kurz, weniger verfuͤhrte Maͤdchen, weni⸗
ger geſchaͤndete Verwandtſchaften, weniger
befleckte Ehen, weniger Stuͤrzungen, we⸗
niger unwuͤrdige Dienſtvergebungen, we⸗
niger Bankerute wuͤrden die Fruͤchte dieſes
gluͤcklichen Stolzes ſeyn, dieſes Selbſtge⸗
fuͤhles der Ehre, das man unbillig mit
der Verachtung ſeines Mitbuͤrgers ver⸗
menget. N
Ich
352 Der Mann
Ich fage noch mehr. Dieſer Stolz,
den man zu tadeln waget, koͤnnte die Quel⸗
le der geſellſchaftlichen Gluͤckſeligkeit ſeyn;
und die behauptete Wuͤrde des Adels, den
Verluſt einigermaſſen erſetzen, den wir durch
die allgemein verkannte Wuͤrde der Menſch⸗
heit erlitten haben.
XIV.
Ales, was gegen den Adel unter ſo
verſchiedenen Wendungen geſchrieben, ge⸗
ſagt, und wieder geſagt wird, lauft kurz
dahinaus, daß die Geburt allein kein Ver⸗
dienſt iſt. Es kann niemanden zum eigen⸗
thümlichen Vorzuge gereichen, adelich ge⸗
bohren zu ſeyn, weil es nicht in ſeiner
Gewalt ſtund, nicht fo gebohren zu wer⸗
den. Wenn irgend etwas vorzuͤgliches da⸗
ran iſt, ſo iſt es ganz von Seite des Zu⸗
falls. Aber der wahrhaft Adeliche machet
durch perſönliche Verdienſte, daß es auf⸗
hoͤrt Zufall zu ſeyn; er macht, daß das
Ohngefaͤhr nicht geirret hat.
Aber
ohne Vorurtheil. 353
Aber nichts iſt unbilliger, als wenn
der angeerbte Adel den erworbenen zu
verdunkeln, herabzuſetzen ſuchet. Ich gebe
es zu, daß zwiſchen beiden ein weſentli⸗
cher Unterſchied iſt: aber ich fuͤrchte, bei
der Vergleichung wird der Vortheil ganz
auf der Seite des letztern ſeyn. Du ruͤhmeſt⸗
dich deiner Ahnen: ſeine Ahnen werden
ſich ſeiner ruͤhmen. Du biſt durch deine
Voraͤltern geadelt: er adelt die Seinigen.
Er iſt auch ohne ſie edel: ob du es ſeyn
wuͤrdeſt, ohne den Zufall deiner Geburt,
das weis ich nicht — und ich zweifle.
Nach dieſen Betrachtungen koͤnnen die
Vortheile, die der betitelten Herkunft vor⸗
zuͤglich eingeraumet find , nicht mit gleich⸗
guͤltigem Auge betrachtet werden. Sie ſind
eine Art von Ungerechtigkeit, die gegen das
wahre Verdienſt begangen wird, deſſen
Belohnungen nirgend ſeyn ſollen, wo es
ſelbſt nicht iſt.
Ich habe vor mir ein Buch offen liegen,
welches unter andern Gegenſtaͤnden auch
die Vortheile, die dem Adel der Herkunft
beinahe in allen Staaten zugeſtanden ſind,
beleuchtet. Da dieſes Buch ſeltner gewor⸗
II. Theil. 2 ben
354 Der Mann
den *), und wichtige Betrachtungen auf
eine ſehr muntere Art eingekleidet, enthält ;
ſo werde ich das, was zu meiner gegen⸗
waͤrtigen Behandlung gehoͤret, hieher übers
ſchreiben. Zuvor aber muß ich eine merk⸗
wuͤrdige Stelle anfuͤhren, wodurch der
Verfaſſer fuͤr nothwendig erachtet, ſich zu
erklaͤren, auf wen feine Zuͤge eigentlich
gedeutet werden muͤſſen.
„Ich habe — heißt es auf der 38.
Seite — das Joch der Vorurtheile, ſo
weit es moͤglich war, von mir geworfen.
Ich ziehe, wen ich immer ſehe, ſeine Klei⸗
dung, ſein geborgtes Auſſenwerk ab: Kut⸗
ſche, Gefolg, Wappen blenden mich nicht:
alles das iſt nicht der Mann ſelbſt. Ich
ſehe, wo andre den Groſſen, den Maͤch⸗
tigen, den Reichen ſehen, nur den Men-
| ſchen,
») Dieſes angeführte Buch wird unter die größ⸗
ten Seltenheiten der berühmten Bücherſamm⸗
lung von N. .. gezählet, und foll dem Ver⸗
nehmen nach, auſſer dieſem Exemplar nur noch
eines in der Bibliothek des Markeſe veroboni
vorhanden ſeyn. Es iſt ſchade, daß das
Titeldlatt daran fehlet, ob es übrigens bis
auf ein paar Blätter wohl behalten, und
Rück und Ecken mit gelbem Bleche beſchlagen
ſind.
ohne Vorurtheil. 355
ſchen, nur ihn. Hält er denn, auch nackt,
wenn ich fo ſagen darf, meine Prüfung
aus, finde ich ihn dann noch von andern
Menſchen unterſchieden; ſo gebe ich ihm
mit Ehrerbietung allen ſeinen Schmuck
wieder, werfe ihm den Mantel der Ehre
um, und gehe vor ihm her, und rufe:
fo ehret man, den der König geehret
haben will. Aber, wenn der entbloͤßte
Menſch ſich durch nichts unterſcheidet,
wenn er unter den Haufen verſtoſſen, den
Zaufen nur vergroͤſſert; ſo gebe ich ihm
ſeine Ehrenzeichen wieder, und ſehe ihn,
als einen Waffenpfal ) an, an dem man
den Schmuck der Helden aufhaͤngt, ohne
daß man aus dem Klotze einen Helden zu
machen denket. Ich ſchaͤtze alſo den Adel
nicht nur, ich verehre ihn, aber dann nur,
wenn die Anherren in das Leben zuruͤckge⸗
rufen, ſich ihres Sohnes ruͤhmen, und
ſprechen wuͤrden: ſehet ihn! er giebt uns
die Ehre, die wir ihm überliefert, mit
Wucher wieder. Es iſt für ihn nicht
ruhmwürdiger, daß er uns zu Voräl⸗
tern hat, als es für uns iſt, ihn zum
Sohne zu haben. Aber wenn ſie bel dem
3 2 | Anz
*) Die ſogenannten Tropheen.
356 Der Mann
Anblicke ihres Spaͤterenkels in ihre Graͤ⸗
ber wiederfloͤhen, und ihres Sproͤßlinges
ſich ſchaͤmten, wer kann es fodern, daß
ich mehr Achtung fuͤr einen ſolchen zeige,
als die eigenen Ahnen thun? Mit einem
Worte: ich ehre den, der ſeine 24 Ahnen
verdienet, nicht der fie hat — u. ſ. w. „
Nach einiger Einleitung aus der Ge⸗
ſchichte des Adels faͤngt der Verfaſſer auf
der 43. Seite - an: „Eine lange Ahnen⸗
reihe iſt mit groſſen Vorzuͤgen verknuͤpft,
und aller Orten iſt man von dieſer Art
der Verdienſte unſtreitig uͤberzeugt. Dei⸗
ne Geburt, ſagen die Schmeichler, be⸗
ſtimmte dich zu den wichtigſten Be⸗
ſchäfftigungen des Staates: ob gleich
die Geburt an und für ſich nur zum TLe⸗
ben beſtimmt. Wo dieſe Meinung die
Oberhand gewonnen, da koͤmmt es bei
den wichtigſten Ehrenaͤmtern nicht ſo ſehr
auf die Frage an: iſt er fähig » als:
wie viel hat er Ahnen Das ſonder⸗
barſte hiebei iſt, daß gewiſſe Bedienungen
angebohren find , und die Natur ſehr
oft laͤcherliche Fehltritte n wenn
e . :e. Feldh
ſie
) Der alles benagende Zap der Zeit hat feine
ohne Vorurtheil. 357
Vt ſehen. „
mit krummen Fuͤſſen laufen
Sen. . iſt alſo ſchon gluͤck⸗
lich wenn Aumal durch einen Vater der
Grund zu dieſem Verdienſte gelegt wor⸗
den: nichts kann kuͤnftig die Nachkoͤmm⸗
linge deſſelben mehr berauben. Sie be—
ſitzen es ſogar in einem hoͤheren Grade:
denn, ſonderbar! das erbliche Verdienſt,
das wir Adel nennen, gleichet dem Wei⸗
ne; es veredelt ſich von ſich ſelbſt, je
aͤlter es wird. Es giebt daher dienſtfer⸗
tige Leute, die es ihre eigene Beſchaͤffti⸗
gung ſeyn laſſen, Geſchlechtsurkunden
aufzuſuchen, und Stammbaͤume zu ver⸗
fertigen. Weil nun jeder, bis an Adam
hinan von Vater und Mutter abſtammt,
ſo geht ihre Geſchicklichkeit ſo weit, daß ſie
um ein nicht ſehr groſſes Stuͤck Geld, in
der Entfernung von einigen Jahrhunder⸗
ten einen gemeinſchaftlichen Stamm mit
irgend einem maͤchtigen Haufe ausfindig
machen, wodurch es geſchieht, daß dem
33 er⸗
Gewalt auch hier über unſer Buch ausgeübet.
Es iſt zu bedauren: denn, nach dem Zuſam⸗
menhange zu urtheilen, ſollte dieſe Stelle ſehr
erbaulich zu leſen ſeyn.
358 Der Mann
erlauchten ... eine rechtsbewaͤhrte Fo⸗
derung auf irgend ein Königreich zufaͤllt,
die wenigſtens den Titel mit einem gerr
auf vergroͤſſert. „
Bis an die 49. Seite haͤlt der Schrift⸗
ſteller eine Unterſuchung, ob es den Staa⸗
ten nuͤtzlich geweſen, daß ſie den Adel ein⸗
gefuͤhret. Am Ende der 49. Seite lei⸗
tet er wieder in ſein voriges Geleis ein,
und verfolget: „Der erbliche Adel giebt
nicht nur einen ausſchlieſſenden Vorzug zu
manchen Bedienungen: er hat auch dit
Vermuthung fuͤr ſich, daß ihm Enthalt⸗
ſamkeit, Maͤſſigung und andre Tugenden
von Natur eigen ſind, die mit gewiſſen
Staͤnden unzertrennlich verbunden ſeyn
muͤſſen. Ohne eine ſolche Vermuthung
waͤre es ziemlich ſchwer zu begreifen,
warum eintraͤglichere Pfruͤnden und Wuͤr⸗
den nur ſolchen vorbehalten ſind, welche
fo und fo viel Ahnen, von Seite des Va⸗
ters und der Mutter erproben koͤnnen. Als
lein iſt die Ahnenprobe nur einmal abge⸗
fuͤhrt, fo hat der Zochgebohrne die Ver⸗
muthung fuͤr ſich; und man machet da⸗
her keine Schwierigkeit mehr, dergleichen
Pfruͤnden an Kinder von ſieben und weni⸗
| ger
ohne Vorurtheil. 359
ger Jahren zu übertragen, bei denen, nach
dem gemeinen Laufe der Natur, dieſe Ei⸗
genſchaften noch nicht entdecket werden
konnten. Aber die perſoͤnlichen Eigen⸗
ſchaften ſind hier ganz uͤberfluͤſſig; die
Pfruͤnde wird nicht an das Kind, ſie wird
an die Familie vergeben. „
Der Schriftſteller laͤßt nach einer Stel⸗
le der 50. Seite errathen, in welchen Ge⸗
genden er gelebet; denn er ſagt unter an⸗
dern: „ manches hochwuͤrdige Kind hat
bald in den Zuͤnglingsjahren die Vermu⸗
thung von ſeiner Enthaltſamkeit deutlich
widerlegt. Allein ein paar Ausnahmen
machen darum die Regel noch nicht wan⸗
kend. Es kann auch ſonſt in Abfuͤhrung
der Ahnenprobe ganz leicht etwas verſe—⸗
hen, oder, welches noch natuͤrlicher waͤre,
einer unter 24 Stammmuͤttern ganz leicht
etwas Menſchliches wiederfahren ſeyn,
daß alſo das edle Gebluͤt durch einen frem⸗
den Zufluß verunedelt worden. Wenn die⸗
ſes iſt; fo wird dadurch die Vermuthung
fuͤr eine ungeſtoͤhrte Stifftmaͤſſigkeit nur
deſto ftärfer. „,
Die Rechnung, welche von der 52. Sei⸗
te bis an die 60. ſehr ausfuhrlich gemacht
3 * wird,
360 Der Mann
wird, verdienet, daß ich fie einruͤcks,
aber ich will ſie ins Kurze zuſamm ziehen.
Der Schriftſteller redet die Wucherer an,
und ſtellet ihnen vor, daß ſie ihr Geld
nicht beſſer, noch auf hoͤhere Zinſen anle⸗
gen koͤnnen, als wenn ſie ſich in den Adel⸗
ſtand erheben laſſen. „Ihr ſelbſt, ſagt
er, nuͤtzet euer Vermoͤgen nicht; eure
ganze Vorſorge geht fuͤr die Nachwelt.
Wenn ihr nun tauſend Gulden anleget,
und alle Zinſen zu dem Stocke ſchlaget, ſo
wird euer Hauptſtamm in 400 Jahren
nicht uͤber etlich und zwanzig tauſend Gul⸗
den ſteigen. Erwaͤget hingegen, daß eben
dieſe tauſend Gulden zur Veredlung eures
Gebluͤts verwendet, euren Nachkoͤmmlin⸗
gen fo viel Tauſend jährliche Einkuͤnfte durch
den Beſitz einer reichen Pfruͤnde erwerben
koͤnnen. „ Welche Ueberzeugung für
Maͤnner, die ihre Gruͤnde zu berechnen
pflegen!
Von der ganzen uͤbrigen Abhandlung
hat mir nur noch folgende Betrachtung
S. 93 werth geſchlenen, mitgetheilt zu
werden. „Es iſt merkwuͤrdig, daß der
Rang des Adels und ſeine Vorzuͤge nicht
erwogen, ſondern berechnet werden: daß
der
ohne Vorurtheil. 361
der Sohn beſſer iſt als der Vater, der den
Adel erworben hat, weil er um ein Ge⸗
ſchlecht älter iſt, und daß dieſer Stu⸗
fengang immer von Geſchlecht zu Ge:
ſchlecht zunimmt, immer der Sohn den
Vater geringſchaͤtzig machet, bis es endlich
nach einigen Geſchlechtern ſo weit koͤmmt,
daß der Spaͤterenkel, wenn der Uraͤlter⸗
vater durch ein Wunderwerk in die Welt
zuruͤckkehrte, mit einem ſo Unadelichen
umzugehen, ſich zur Schande rechnen
würde; und daß der, der nur das einzi⸗
ge Verdienſt hat, ſein Sohn zu ſeyn, an
manchem Orte den Zutritt hat, wo man
den Vater ſelbſt mit Verachtung zuruͤck⸗
weiſen wuͤrde „
Gluͤcklicher Staat, wo die Geburt ih⸗
re Rechte behauptet, ohne dem perſoͤnli⸗
chen Verdienſte die Seinigen ſtreitig zu ma⸗
chen! Gluͤcklicher Fuͤrſt, wo der Adel auf
ſeine Wuͤrde eiferſuͤchtig, ſich von neuen
Leuten nicht uͤbertreffen laſſen will, und
gemeine Buͤrger durch ſelbſtbeſeſſene Ei⸗
genſchaften die Wuͤrde des Adels zu ver⸗
dunkeln ſuchen! Gluͤckliches Volk, wo
nichts edel iſt als die Tugend, nichts
Pöbel als das Laſter; wo der Pöbel
35 auch
362 Der Mann
auch unter einem Dey, der Adel auch im |
Rüttel nicht verkennet wird!
XV.
0
De letzteren Blaͤtter haben eine Sei⸗
te beruͤhret, die in manchem Ohre ange⸗
nehm ertoͤnet. Ich nehme es aus den
Briefen ab, die von allen Orten einlau⸗
fen. Dankſagungen von beiden Seiten,
von dem Adel, und von den Gemeinen.
Sie haben, ſagen die einen, den Adel
in ſeine Würde eingeſetzet — Sie ha⸗
ben, ſagen die andern, verdienſtloſe A⸗
deliche in Staub hingeſtrecket. Ein
Schriftſteller iſt glücklich, der beiden Theis
len genugthut: aber ein ſolches Gluͤck
wird ihm eben fo ſelten, als einem Rich⸗
ter zu Theil, dem die Berurtheilten im:
mer Ungerechtigkeit Schuld geben. Unter
andern Zuſchriften ſind zwo, die als eine
Art von Nachtrag zu meinen vorausge⸗
ſchickten Betrachtungen angeſehen werden
koͤnnen, und von welchen ich urtheile,
daß ſie den Leſern nicht unangenehm ſeyn
werden, wenn ich fie mittheile.
I. Herr
n
PP
ohne Vorurtheil. 363
1. Herr Mann ohne Vorurtheil!
„Nicht der Adel der Geburt allein
ſoll ihre Blicke auf ſich ziehen e werfen fie
dieſelbe auch auf den erkauften! welcher
fruchtbare Gegenſtand fuͤr Sie! ich bin
aͤuſſerſt begierig, über dieſen Punkt ihre
Meinung zu vernehmen. Unmoͤglich koͤn⸗
nen Sie den Mißbrauch billigen, daß
man die Niedrigkeit der Geburt mit eini⸗
gen Hundert Gulden verbeſſern will. Wie
laͤcherlich es iſt, wenn man die Sa⸗
che eigentlich uͤberdenket. Mein Bedien⸗
ter Johann z. B. iſt der Sohn eines
pfannenflickers: es iſt ihm nie eingefal⸗
len, ſich ſeiner Geburt zu ruͤhmen. Der
Menſch hat eine gute Handſchrift, er dies
net mir getreu, und mit einem Eifer, der
meine Gewogenheit erwirbe: ich bin ihm
zu einem Dienſte verhuͤlflich, wo er die
Liverey ablegt, er wird Kanzeliſt. Er hat
Faͤhigkeit und Anwendung. Nach einigen
Jahren hat er den Schlendrian, wie man
ihn nennet, der Kanzleygeſchaͤffte innen,
fein Gluͤck machet ihn zu einem Koncipi⸗
ſten. Nun hat er Eintritt in beſſere Haͤu⸗
ſer. Weil er jung, gut gebildet iſt, und
. in
364 Der Mann
in meinem Dienſte den Umgang der beſſe⸗
ren Welt abgeſehen; ſo hat er das Gluͤck
einer reichen Wittwe zu gefallen, die den
Ekel, den fie noch von dem ausgemergel⸗
ten Gerippe ihres erſten Mannes empfin⸗
det, in den Armen dieſes munteren Gat⸗
ten zu vertreiben hoffet. Sie reichet ihm
ihre Hand, und den Schluͤſſel zu ihrer
Geldkuͤſte. Aber, mein Rind! fagt fie,
ich möchte an deiner Zand nicht gerne
herabgeſetzt werden: mein ſeliger Alter
war von Stand — Er verſteht es:
laͤuft zum Wappenmaler, laͤßt ſich eine
ſilberne Taube, das Zeichen ſeiner Liebe,
in purpurfarbenem Felde und gegenuͤber
in einem weiſſen, einen Keſſel, zum An⸗
denken ſeiner Abkunft malen; ſetzt einen
Helm mit Elephantenruͤſſeln darauf, legt
alles fein auf Pergament gemalet bei, und
wird, in Anſehen der von ihm und ſeinen
Vorfahrern dem Staate geleiſteten treu⸗
gehorſamſten Dienſte, gerr von Tauben:
feld —
„Ich bin abweſend. Der dankbare
Johann, der ſein ganzes Gluͤck meiner
Empfehlung zueignet, uͤberſchreibet mit
ſeine neue Veraͤnderung; und ich bin, dem
Soh⸗
ohne Borurtheil, 365
Sohne des Pfannenflickers, meinem Jo;
hann, bei Strafe zehn Mark loͤthig Gol⸗
des, Wohledelgebohrner, oder nach dem
heutigen erhöhten Schilde, Sochedel⸗
gebohrner zuruͤckzuſchreiben verbunden.
Wenn die magiſche Kraft eines adelnden
Talismanns ſolche Wunderwerke zu ver⸗
richten, und aus dem Sohne des Pfan⸗
nenflickers, der in einer Heuſcheune jung
geworden, einen Zochedelgehohrnen zu
machen faͤhig iſt; ſo weis ich nicht, wa⸗
rum es nicht eben ſo wohl angehen wuͤr⸗
de, eine triefaͤugigte, gnomenartige, hoͤ⸗
ckerichte Sanferluſch von einem Weibe,
in ein wohlgewachſenes Maͤdchen umzu⸗
geſtalten, und jedermann, bei der ſchreck⸗
lichen Strafe ihres Kuſſes zu verbinden,
dieſes Weib, ſchönes Sraulein zu nennen,
„Legen Sie, mein Herr! ihrem Ca⸗
pa⸗kaum die Frage vor: ob es wohl moͤ⸗
glich waͤre, aus ihm, der ein gebohrner
Indianer iſt, einen gebohrnen Europaker
zu machen? und wann er nein! geant⸗
wortet; ſo unterrichten Sie ihn, daß wir
das Geheimniß ausfindig gemacht, aus
dem Sohne eines Reitknechts, oder einer
. niedrigern Herkunft, einen edelge⸗
˖ bohr⸗
366 Der Mann
dohrnen zu machen, und laſſen Sie mich
ſeine Antwort darauf wiſſen! gewiß, wer
dieſe wundervolle Verwandlung ein wer
nig aufmerkſam uͤberdenket, und von gan⸗
zem Herzen zu glauben, im Stande iſt,
dem wird es gar nicht ſchwer ankommen,
an das beruͤhmte Geheimniß des Ray⸗
mundus Tullius zu glauben.
„„Im Vorbeigehen angemerket: wir
vernünftigen Buropder haben derlei ge⸗
heime Taſchenſtuͤcke mehr, gegen welche die
Zauberkuͤnſte der pharaoniſchen Schwarz⸗
kuͤnſtler nur Poſſenſpiele ſind. Wir koͤn⸗
nen z. B. einen unehlich Gebohrnen zu
einem eheligen Kinde machen: wir ma⸗
chen durch gewiſſe Foͤrmlichkeiten einen
Schelmen in weniger als drey Minuten
vollkommen ehrlich; und in einem gewiſ⸗
ſen Lande hat man es ſo weit gebracht,
daß man durch einen Ehrenbrief eine
Magdalena in der Stadt in eine ehr⸗ und
tugendſame Jungfrau verwandelt. O
Zorda ter! o Sohn Babuc! o Ovid! wo
ſeyd ihr! —
„Der verkäufliche Adel — um nun
auch im Ernſte zu ſprechen — laͤßt be⸗
ſonders zwo ſchaͤdliche Folgen beſorgen:
er>
ohne Vorurtheil. 367
erſtens: daß der Adel ſelbſt durch die
Menge und Gemeinmachung ſeine Wuͤr⸗
de, und der Staat dadurch eines der
ſchoͤnſten Mittel, die Verdienſte zu unter⸗
ſcheiden und! zu belohnen, verlieret:
zweitens: daß niemand nach Verdienſten,
jedermann nach Geld laufen wird, ſobald
das, was nur erworben werden ſoll,
erkauft werden kann.
„Ich wuͤnſche ihre Meinung in einer
Sache, die zu wichtig iſt, als daß Sie
ihren Schuͤler daruͤber unbelehrt laſſen ſoll⸗
ten, und bin mit wahrer Hochachtung
ihr ergebenſter Diener
Freyherr von Selnheim.
Ich habe Freyherrn von Selnheim
wenig zu antworten. Seine Satire paſſet
nur auf Leute, die ſich einer Herkunft
ſchaͤmen, deren Dunkelheit ſie durch kei⸗
ne eigenthuͤmlichen Eigenſchaften in Ehre
zu verwandeln faͤhig ſind: ſie paſſet auf
die epidemiſche Gnadenſucht. Man ſey
von unedeln Eltern entſproſſen, aber man
ſey dem Staate, dem Regenten, dem
Mitbuͤrger nuͤtzlich, man habe die Er⸗
kennt⸗
368 Der Mann
kenutlichkeit des Vaterlandes verdlenet!
und man iſt edel, ohne drey unbedeutende
Buchſtaben erkauft zu haben. Ich ſage
mehr: man iſt edler, als wenn uns die
Herkunft den Eintritt zu Ehrenſtellen ges
öffnet hat: Wenn zween Wettlaͤufer zu⸗
gleich eintreffen, fo iſt die Krone deſſen,
der vom entferntſten Ziele abgelaufen.
Aber ſoll der Adel feil ſtehen ? Er
kann es: denn, wer dem Staate die Laſt
feines Aufwandes tragen hilft, wer
durch eine freywillige Entrichtung den
Antheil, der ſonſt auf ſeine Mitbuͤrger
fallen wuͤrde, verringert, machet ſich um
das gemeine Wohl nicht weniger verdient,
als der feinen Leib den Gefahren vor⸗
wirft, welche auf ſeine Mitbuͤrger her⸗
anſtuͤrzen. Die roͤmiſchen Feldherren er⸗
hielten von dem Volke zur Belohnung ih⸗
rer Siege das Recht des Triumphes:
aber eben dieſes Volk beſtimmte auch den
Matronen von Rom, das Recht des Eh-
renwagens, als ſie in einer Noth, der
Republik ihre guͤldnen Ohrgehaͤnge ange⸗
boten hatten —
IL
—
ohne Vorurtheil. 369
II. Mein Herr!
8 Ich aͤrgere mich uͤber den Staat, uͤber
die Geſetze, über alle Einrichtungen, über
meine Eltern, uͤber die ganze Welt, mich
ſelbſt nicht ausgenommen. Mußte ich
denn gebohren, und eben von adelichen
Eltern gebohren werden? oder, warum
mußte ich der Zweyte ſeyn? waͤre ich der
Sohn eines gemeinen Buͤrgers; ſo haͤtte
ich mit meinem Geſchwiſter auf das Ver⸗
moͤgen meiner Eltern ein gleiches Recht.
Aber ich bin Graf, und habe das ades
liche Vorrecht der Zweytgebohrnen, von
meinem aͤltern Bruder abzuhaͤngen, und,
da er in Fuͤlle ſchwimmen wird, mit ei⸗
nem ſparſam ausgemeſſenen Cadetenan⸗
theil vor lieb zu nehmen. Die Majore:
te, koͤnnen die durch Billigkeit und Ver⸗
nunft eingefuͤhrt ſeyn? gleiche Eltern!
gleiche Anverwandte! aber weil einer der
Erſte iſt, muß er alles, weil der andre
der Zweyte iſt, muß er nichts haben.
So viel ſoll ein Zufall auf mein kuͤnfti⸗
ges Gluͤck einflieſſen! ich bitte Sie, in⸗
ſtaͤndig bitte ich Sie, machen Sie dieſe
II. Theil. A a Ein⸗
370 Der Mann ohne Borurtheif.
Einrichtung recht herunter, um ſich zu
verbinden
den Grafen Tartzin.
Ich werde mich ſehr huͤten, dieß zu
thun. Einrichtungen, die nicht zu aͤndern
ſind, wenn auch im Grunde vieles an ih⸗
nen auszuſetzen waͤre, muͤſſen nie gering⸗
ſchaͤtzig gemacht werden. Zu dem hat mein
Cape = kaum an dieſem Gegenſtande kei⸗
nen Antheil. Dem unzufriedenen Gra⸗
fen, der wider den Zufall eifert, haͤtte
ich Luſt zu ſagen: alles ſey Zufall; Zu⸗
fall, daß er der Zweyte, Zufall, daß er
ein Graf, Zufall, daß er nicht ſeines
Bruders Bedienter iſt. Es iſt Beruhi⸗
gung in dem Gedanken; ich hatte noch
tiefer meinen plag erhalten können.
Waͤre dieſes nicht, ſo haͤtte Targin noch,
wenn er der Erſtgebohrne waͤre, ein
Recht ſich zu beſchweren, warum er nicht
ein Fuͤrſt, und dann abermal, warum er
nicht ein Regent, und noch einmal, wa⸗
rum er nicht der mächtigſte Regent der
Erde geworden.
Verze
i ch ui ß
der Herren Praͤnumeranten auf Sonnen⸗
fels geſammelte
20. Junius 1783.
Schriften bis den
A.
Hr. v. Anſton.
— Wolfgang v. Artner,
J. U. D.
— Anton Artner.
— Chriſoſt. Armann ‚I
Sekretär.
— Aloiſius Arbeſſer,
Ord. S. Pauli.
— Aloiſtus, Ord. Ser.
B. Virg.
— Anton Aichhamer.
— Joſeph Arbeſſer.
— Joſeph Alborea.
— Joh. Nep. All wayer,
fürſtl. Schwarzenber⸗
giſcher Regierungsr.
— Al Abbt zu
Wie
Ord. Ciſt.
— Leopold von Auen⸗
brugg, Med, Doct.
— Baptiſt v. Alxinger.
— Albericus, Ord. Ciſt.
— Baron von Aßbek.
— Hier. Altram, reg.
ram. Chorherr zu
eraß.
— Samuel Auguſtin,
Ned. Doct.
— Joſ. Appold, Pfleg⸗
gerichts⸗Gegenſchrei⸗
ber zu Wildenſtein.
— Joſ. Auer, in Prag
1
ericus
if ch Keugodt, |
— —
— —
* —
B.
1 Gräfinn von Burg⸗
hauſen.
Hr. Joſeph Berger.
— Georg v. Bader, Hof⸗
kriegsſekretar.
Franz Bürger, Rait⸗
offizier. f
Fr. Baroneſſe von Baſſe⸗
witz.
Hr. Canonicus Böhm.
— Franz Joſ. Brunner,
k. k. Rechnungsrevi⸗
ſors Adjunkt.
— Maxim. Buchberg.
— Gabriel Baroch.
— Baron v. Bukoo.
von Bühler, herzogl.
Würtemb. Miniſter⸗
Reſident.
— von Berks, k. Rath.
— Joſeph Baſſi.
—
— .
— b. Buchholz.
— Franz von Barbolan
k. k. Münz und Berge
weſens Hofbuchhalte⸗
rey Offizial. ’
Soferh. Blank, Ord.
8. Benedicti.
Frans Brendel.
ie Univerſitäte⸗Biblio⸗
thek ein Freyburg.
r. Ernſt v. Breßler und
Steinau, k.k. Hofag.
Hr. Joſeph Berger, Ord.
4 7 A
— Franz König von
Bamshauſen, k. k.
Münzamts Praktik.
in Kremniz.
— Joſeph Freyherr von
du Beine.
— Joſ. Bogner, Hörer
der Rechte. n
— Chriſtoph Bonifaz
Bayermann.
— Franz Bernhard Bell.
— Johann Buday.
— Graf v. Buquoy.
— Ignatz v. Born, des
h. r. R. Ritter, k. k.
Hofrath.
— Benedikt, Prälat von
Neuberg.
— Karl von Benigni, in
Müldenberge, k. k.
Hofagent.
— von Birkner.
— Wenzel v. Bro
— von Seer,
in Bregenz.
— Aloyſius M. von
Brougnack, gräfl.
Windpbagiſcher Stif⸗
tungs Gouverneur
— 850 Bouvard.
— von Boulanger, k.
Reichsviskgl.
— Auguſtin v. Berſuder.
pherr v. Bietanb.
1 * don Brod⸗
orb. l
— Graf Franz v. Blü⸗
ard.
cceſſiſt
Hr. Graf Peter v. Blü⸗
meegen, k. k. Tribu.
Aſſeſ. in Mähren.
— Franz Bruttmann,
Syndikus von Ho⸗
tzemplaz.
— Bar. v. Bojakowsky.
M. J. M. de Bors, Cha-
noine de l'illu. Chap.
S. Gereon in Cölln.
— de Baumann inCblln
Hr. Fr. Ant. Bernbecher
in Brixen.
— Graf Joſ. v. Blagay,
in Lapbach.
Die k. k. Univerſttäts⸗
Bibliothek in Prag.
Hr. Joſeph Ignatz von
utſchek, Prof. der
polit. Wiſſenſchaften
in Prag. 8
— Graf Brunswik von
Rorumpqa, der königl.
hung. Hofkam. Rath.
C.
Hr. Joh. Bapt. Czepelak.
— Graf v. Callemberg,
General Feldmarſch.
Lieutenant.
— Graf von TCzernin.
— Franz Chorniger, k.
k. Hofkoneipiſt.
— Leopold Chriſtian
U. D.
1. U 5
— Adam Compere.
P. Cajetan. Ord. Car.
Hr. Benedikt Edler von
Cache, des h. e. R.
Kit. k k. Legations⸗
meegen, k. k. Sub.
Aero
ein Mähren.
ſekretär in Warſchau.
Hr. Feldm. Colloredo
— Graf v. Cobenzel.
— Catty.
— Ant. Coenen, Med.
Dod. in Brünn.
— Graf Clary, Capitu⸗
larherr von Ollmütz.
— Collegium piarum
ee in Leuto-
miſchl.
— Joſ. Graf v. Coreth,
k. k. Kämmerer und
Gub. Rath in Inspr.
— Anton Cremerp, k.k.
Bücherreviſions Ac⸗
tuarius, in Linz.
la Comteſſe Chretienne
de Clam & Gallas, nèe
Comteſſe de Spork ,
in Prag.
la Comteſſe Caroline de
Clam & Gallas, nec
W de Spork,
in Prag.
Hr. Graf philipp von
Clary, in Prag.
— an v. TCzeyka,
n Prag.
— Im del Corto, in
Prag.
D.
Fe. Gräf. v. Dietrichſtein
geb. Gräf o. Thun.
Hr. Karl Diewald, k. k.
Münz und Bergwe⸗
ſens Buchhalterey
Raithrath.
— Hypolitus Graf von
Durazzo.
+
Hr. von Donhammer.
— Anton Dietrich.
— Joh. Dratſchmidt.
— Michael Denis, k. k.
Rath und Bibliothe⸗
for auf der Garrel⸗
liſchen Bibliothek am.
Thereſiano.
— Joh. Dworgadt.
— Ferdin. v. Dillmont
in Kronſtadt.
— Borromäus Droh.
il Marchefe Gieronimo
Durraxzzo „ Amba-
fciadore di Genua.
Hr. Joh. Draſenberger.
— Fog Dietrich, J.
— 8 Weltprieſtet.
— Graf Joſeph v. Die⸗
trichſtein.
— 70125 Dünſtl von
— Eduard Felix Dell a⸗
pina.
— Heinrich Digelt.
— Generalfeldmarſchall
lieutenant Graf von
Daun.
— Karl Ignatz v. Dem⸗
nei
— Boron von Dubiky,
Tribunalsrath in M.
Mähren.
Madmoilf. Sara Dobruſca,
in Brünn.
M. de Debohri , in Prag.
Hr. Eman. von Duban,
in Prag.
Hr. von During, Ober⸗
forſtmeiſter zu Dan⸗
nenberg.
E.
Hr. Joſeph Eflinger,
farrer.
— Leopold le Noble v.
Edlersberg, k. k. 2
merfourier und
bilien Inſpektor.
— Graf Franz v. Eſter⸗
hazy
— Zonog Auguſt von
Ernſt, Rathsherr in
der k. Stadt Oedenb.
— von Erla
— Michael E bel, k. k.
Münz und Bergwe⸗
ſens Hofbuchhalterey
Official.
— Bernardus Eberl,
Ord, St. Bened.
— Paul Jonath. Eber⸗
hard, Sekret. bei dem
k. k. Tabaksgefälle.
— Bernhard Eskeles.
— Anton Rupprecht o.
Eggenberg, k. k. nie⸗
derungar. Bergrath,
Pr. der Scheidekunſt,
der Bergrechte, und
Berwerkswiſſenſchaſt.
— v. Engbricht, Oberl.
— Anſelm. Kberl, Ord.
35 .
— Ignatz v inger.
— Thom. Eichber a
— Joh. Engliſch, J.
D. und Naa in
Mähren.
Hr. Eugen th, nie
— Johann Frid. Eger,
Burgerm. in Lapbach.
— 2 d. Erlach.
in Lin
— Graf def Erdody
E. K. 10 immerer un
Statthalterey We
in Presburg.
*
Hr. Joſ. Franz Suchs
nied. bſt. Regterungs
Dfficiant.
— Joſeph Saber.
— Eman. Joſ. Sridlberg.
— Florian, Ord. Prem,
zu A..
— — Lid le.
avier Siericht.
ranz Siſcher von
ieſelbach „des h. r.
R. Ritter, k. k.
und Hofkommiſar in
eier ain ag
— zen 8 b. 5515
lenbaum, J. U. D.
2 u. Gerichtsadv.
ohann Nepomuck
3
— Ehrenr. v. Sra ,
k. k. ee
— Franz Su
Fr. Sit 9. Br geb.
Gräf. d. Eſterhazy.
Hr. Franz Graf v. Sekete.
— Graf d. Srieß.
— Landgraf v. Sürften-
berg. |
J
Hr. Seven Bapt. griz,
J. U
— Graf Faun v. anf
kirchen, k. k. Trib.
Aſſeſ. in Mähren.
— Graf BR von
Sünfkirchen,
Rittmeiſter.
— Anton Sremdl, Re⸗
gim. Adjutant von
Prinz Hildburgsh.
Fr. Vinzenzia Freyin v.
Sreyenfels.
Hr. Serſtel, Buchhändl.
4 i „auf 28 Ex⸗
— Joseph FIrblich von
Frölichsberg, der
oberöſter. Landrechts
Ratb, in Insprugg.
— Forſthuber, Kapellan
zu Kallham.
— Leopold Sidler, Di⸗
rektor in der k. Frey⸗
ſtadt Ofen.
— Went. Ant. Siſcher,
in Prag.
G.
Fr. Mar. Anna Edle v.
Gensinger-
Hr. Franz Ferdinand
Groppenberger.
— Ant. 1 Kaſt⸗
ner zu O
— Leopold Sur, Welt⸗
prieſter.
Freyherr v. Gemmingen.
Hr. Michael v. Geer
— Joſeph Ant. Gall y
Pfar.zu Burgſchleinitz
Fr. von Graſern.
Hr. Fürſt von Gallitzin,
Rußiſch kaiſerl. Ge⸗
ſandter zu Wien.
— Joſeph Freyherr von
Gudenus.
k. k. — Joſeph Göſtl, k. k.
Münz u. Bergw. Hof⸗
buchh- Official.
— von Bibel, Militärs
Verpflegamts Ober⸗
verwalter.
— N b. Lott inger ,
— 1555 e
— Chriſtophv. Gmeiner,
Senator in Regensb.
— Georg v. Gumpelz⸗
haimer, Conſulent
in Regensburg.
— Weichard von Güh⸗
lenberg, Univerſal⸗
ſchuldenamtskaſſe Of⸗
ficiant.
— Demetrius nobilis de
Gürög,
— Simon Grull,
— Joſeph Grünzweig.
— Ant. Joſ. Groppen⸗
berger, N. O. Land⸗
ſchafts Obereinneh⸗
meramts Kaſſier.
— Joh. Glückſelig, k
k. Rath, und der Ca⸗
meral⸗Tabaksgefallen
in Mähren u. Schle⸗
ſien Hofkommiſär.
— Ferd. v. Geißler, k. k.
Kreisamts Subftitut
im Brünner Kreis.
97
Hr. Abraham Freüſtnger ,
Kaufm. in Brünn.
Mr. le Bacon de Gym
nich, Prefident de
Chambre aulique d
S8. A. E. de Cologne.
Hr. von Groß, Domherr
zu Bamberg u. Würzb.
Sig. Freyherr v. Guüſſich,
in Leybach.
Hr. von Gyorthowits,
Prof. in Ofen.
— Ern. von Gläßer, in
Prag.
— Adam Graf, in Prag.
H.
Hr. Ferd. v. Sacher in
Zart.
— Chriſtian v. Senſchel.
— v. Sinterberg, J. U.
D. Hof- und Gerichts
Advokat. N
— Joachim Euler von
Hackher in Hart, Se⸗
kretär bei der oberſten
Juſtizſtelle.
— Joſeph Edler von
ackher in Hart, k.
k. Regierungsrath.
— Philipp Edler von!
Hackher in Hart, k. k.
Appellationsrath.
— Janatz Edler vou
Hackher in Hart,
— Aloys Ed. v. Sack⸗
ber in Hart.
— Franz Anton Edl. v.
Sillebrand.
— Ant. Edl. v. Sainke.
;
Hr. Jos. Edl. v. Zeinke,
k. k. Hoſkoncipiſt.
— von Solzbauer, k. k.
Hofagent.
— Joſeph Habermann,
k. k. Hofmedikus.
be onen he
u a
r. Franz Silger , k. k.
8 as Linien
nſpektor.
— Joſeph Hauſtein, k. k.
Handgräfl. Linien
Reviſor. 3
— Mathias Sochleitner.
— Lorenz Leop. Saska.
— Leopold Edler von
Hartenthal.
— Abbe Sofſtaͤtter.
— Johann Sorvath.
— Joſeph v. seuchling,
Koncipiſt in der hoch⸗
fürſtl. Schwarzenber⸗
giſchen Kanzley.
— Andreas sofſchneider
— Michael Sausegger.
— Stephan Sauzenber⸗
er, Ord. Ciſt.
N 5 Philipp Graf v.
oyos.
tanz Silburg.
— Joſeph Silburg.
P, Kolomann Sartner,
Bibliothekar im Be⸗
nediktiner Stift zu
Mole,
Hr. Baron d. Saugvitz,
k.k. General.
Fr. Gräf. von Sarah,
— —
Hr. v. suszackb, Ober⸗ Die Herren Großhändler
lieutenant u. Auditorſ[ Adam und Leopold
— Ant. Theod.summel]] Sonig. ER
— Georg Seilmayer k. [Hr. Joh. Säring Kaufe
hungar. Adminiſtra⸗ mann in Brünn.
tions Kanzelliſt. — Joh. Aloys Zanke,
— Franz Paul Edler v. erſter Cuſtos auf der
Hackher in Sart. k. k. Lycæums Bih⸗
— Franz v. Summelauer liothek in Ollmütz.
— Leopold siesber ger. M. Ie Bar. de Hompefch,
— Joſeph von seinzel. Miniſtre de Son A.
— Adolph segg. 8. E. Palatine & Ba-
— Reichshofrath v. Sep. viere, in Cölln.
— Joſeph Suſſard. Hr. Barth. Zar mayer,
— Jakob Hoffer, Welt⸗ Verwalter, in Laybach
prieſter. — Anton Sofferl, in
— Joſeph v. Seufeld. ] Linz. a
— Franz v. Seine. — Franz Soffmenn, in
— Joſeph Sauska. Prag
— Oberamtsr. v. Sarrant[— Franz v. Sennewart,
zu Bregenz. 4. . 45
— Phil. Damian Mar-[— v. Herrmann, Guber—
quis v. Soesbroech, nialrath, in Prag.
Biſch. zu Rürmund. — Podiwin v. Söffling,
— geld. Kreiskom. in Prag.
— Franz A. Sofmeiſter.— Selwing, Juſtitzrath
— Georg Hofbauer , in Detmold. 57
Oberlieut. Ingenieur — Sanſing, Auditor in
— Barrer. Harburg.
— von Said, k. k. Hof⸗[(— von Hugo, Landkom⸗
ekretär. miffar zu Stolzenau.
— Doktor SHoffinger , 1
Kameralmedikus der
k. Banat. Bergſtädte. [Hr. Joſeph Jedlitſchka.
— Franz Xavier Edler v. — Max. Jakobi, k. k.
Sackher in Zart. Hofkriegsräthl. Ar⸗
— vou Soffinger, k. k.] chivsadjunkt.
Hofſekretär. — v. Jechner.
— Herrmann, Ord.Præ. — Jacobi, Landſindi⸗
zu Pernegg. kus in Cölln.
4
Br
Hr. Franz Bernd. Bafl-
ner.
— Michl Joh. Koſſir.
— Michael Kleinrath.
— 20 Rubal.
— Karl Rohaut, k. k
ofſekretär.
— Leopold Kreutzer.
— Leopold Kühnel.
— Franz Kofler.
— Franz Krammer.
— Hof. Mich. Klieder.
de. de von Kreſel.
r. Ferdinand Graf von
Kufſtein.
Fr. Thereſia Gräfinn v.
Kufſtein, gebohene
w 88
r. Joh. Bapt. in⸗
8 ger, k. Beamter.
— Conrad Reifer.
— Franz v. Raraffiat.
— Joſeph Kreb.
— Graf von Rollonig,
Oberſter des k. k. Ri⸗
cheeburtiſchen Regt⸗
meinte, 2
Die Herren Gebrüder
Ker ſchbaumer, in
Saltbürg.
Hr. Joh. Graf d. Rote,
der böhm. dit, Hof⸗
kanzley Kanzler.
— Dominik Siegfried
p,. Röfil.
— Franz v. Br
k. k. M. u. B. Ho
buchhalterey Official.
— Karl Klein, M. u.
B. Hofbuchh. Official
28 888 Koi
eim Graf Noſtitziſch.
Dragoner Regiment.
— General Graf von
Khevenhüller.
— Baron Kaltſchmid,
k. k. Oberlieutenant.
— Joſeph kKrziwaneck,
J. U. D. und Landes⸗
advokat in Mähren.
— Graf Wenzel v. Fau⸗
nitz, k. k. General u.
Eigenth. eines In⸗
fant. Regiments.
— Leopold v. Röffiler ,
des h. r. R. Ritter,
u. Eigenthümer einer
prip. Tuchfabrike in
Brünn.
Fr. Charlotte Edle von
Karcheji,
Hr. Franz Rautfcher ,
Weltpr. u. Kapellan
in Brünn.
— Grof Leopold von
Rinigl , k. k. Kam.
u. Gubern. Viceprä⸗
ſident in Inſprugg.
— Rleinmayer, Lands
ſchaftsbuchdrucker, in
Klagenf. 20 Exempl.
— Frid. Salp. Kättner,
evangeliſch. Paſtor du
Goiſern.
Hr. Franz Ritlig , in
Prag. l
— Sofeph von Krtizka,
IJ. U. D. in Prag.
— Elias Rolloros , in
Prag.
— Samuel v. Kubinsky,
Phyſikus, in Presb.
Be
Hr. Ant. Edl. v. Lauch.
— Karl Joſeph des For-
temps de Loneuæ.
—. Johann Alphons von
Ingo.
— Ferdin. Leidenfroſt,
Verwalter in Traut⸗
mansdorf.
Die freundſchaftlich ver⸗
einigte Leſegeſell⸗
ſchaft in Wien.
Hr. Michael Lambacher.“
— Joſeph Leo, der Wie⸗
litzer Salinen Ober⸗
Amts⸗Gegenhandler ,,,
und ſubſtituirter Sa⸗
linen Oberadminiſtr.
Buchhalter. 5
— Nikolaus Leeb, Grä⸗
nitzmautheinnehmer
u Ordenberg.
— Joſ. Lach, Dechant
Fr. Gräf v. Lichtenſtein,
gebohrne Gräfnnvon
Thierheim. N
Hr. Joh. Chriſtian Lich⸗
tenberger.
— Chriſtoph Ludolph,
Hauptmann. :
— Georg Leſſacher ,
Profeſſor.
— Joſeph Leberle.
— Johann Lichtenſtern.
— Kaſp. Langer, Welt⸗
prieſter.
— Joſ. de Luca, Kon⸗
cipiſt bei dem wiener⸗
tifchen Stadtmagiſtr.
— Graf Leoptvon Lam⸗
bert, hochfürſtl. erzb.
oberſter Hoflehenrich⸗
ter in Kremſier.
— Erneſt Freyherr von
Loezella L k. 2 Rath
und Gubern. Aſſeſ. in
Mähren.
M. Ie Bar. de Lutzerode,
Chambellan de S. A.
E. Palatine, & Ba-
viere, in Cölln.
Hr. Sraf von Lodron,
Domherr zu Brixen.
— Lippert, bürg. Buch⸗
binder in Presburg.
3 Exempl.
in Hradiſch. M f
— Fran; Lechnau, Pro⸗ ß |
feſſor der polit. Wiſſen⸗ br. Bernhard Samuel
ſchaften in Agram. Matolay, k. Reichs⸗
— van der Lith. hofraths Agent.
Freyherr von Legisfeld— Jakob Menninger,
Oberſter. k. k. Wechſelſenſal.
*
5
Hr. Ferdinand Müller vor. Jof. v. Mittermaye,
Müllegg „ des h. r.
R. Ritter, paſſauiſch.
ofrath, und k. k.
ofagent.
— Joſeph Freyherr von
oſer.
— Joſ. Morgenbeſſer.
— Bernhard Joſ. Edler
v. Mitis, k. k. M. u.
B. Hofbuchh. Official
— Karl Marinnelli.
— Joſeph Freyhere von
Matruzzi. 7
M. Chev. de Mückufch ,
Oberlieut. des löbl.
Graf Callenberg. Reg
Hr. Karl von Martines,
k. k. Hofconcipiſt.
— Nikolaus Merthen,
k. k. Berggerichts No⸗
tarius und Beiſitzer
Johann Mayr.
— Franz Moſchitz.
— Baron von Münich.
Müller. he
— Hofrath v. Markelick
— Joſeph Müller.
— Abbe Machwetz.
— Baron Franz Medin-
Sarfcky.
— Ferdinand Moſer.
— Graf Anton v. My⸗
trowsky, k.k. Gener.
Major.
— Graf Monte del abbate
— von Mixovini, k. k.
Oberſtlieutenant.
Mlle Auger, in Brünn
Hr. Joſeph von Mader,
Prof. der Reichsgeſ.
in Prag.
— Franz Martin, in
en
in Schemnitz.
— Franz Sales Ma⸗
riſchler.
Freyherr Münch v. Bel⸗
linghauſen, wirklicher
k. Reichshofrath.
— Gotthard Moreau.
— Leopold Mayer.
— Mikoſch.
— Ignatz Morgenbeſſer
— Franz Aloys Mack,
Edler von Magg,
Med, Dod,
— Joſeph Mayer, Hof
kaplan.
— Anton Mertens.
— Anton Matzi, Welt⸗
prieſter.
Prag.
— Leonhard Müller, in
Prag.
— Meyer, Kammerſekr.
in Hannover.
— Meyneke, Kaſſier in
Hannover.
N.
Hr. Profeſſor Novak.
— Chriſtoph Nittel.
— Leop. Alex. Nevery.
— Karl Niebauer, Ober⸗
kriegskommiſſarius.
Fr. Eleonore Freyinn v.
Neffzern.
Hr. Joſ. v. Nikorowitz.
Hr. Feldmarfhalllieuten
Graf von Noſtitz.
— Friedrich Nitſche.
— Joſ. Novak, Syndik
zu Niklasburg.
— D. Michael Neuſtäd⸗
ter, Stadt⸗Phyſikus
in Herrmannſtadt.
— Fan. Nowack, Verw
zu Feldes in Ober⸗
krain.
— Kajet. Nell von Nel⸗
lenburg, k. k. Offizier.
— Heinr. von Neuber,
aths verw. in Prag.
— Niemann, Amtſchr.
zu Lauenſtein.
O.
Hr. von Ott, ruſ. kaiſerl.
Sekret. Intreprete.
— Sof. Omayer, Sekr.
bei dem k.k. Landrechte
· . Gettel, der ältere.
— Sof. Fan. Oberham⸗
mer, Kapellan bei St.
Peter zu Trient.
— Franz Otto, J. U. D.
u. Landesadvokat in
Mähren.
— Franz Joſeph Op ner,
Pfleg u. Landgerichts
Verw. zu Wildenſtein
Die Herren Grell, Geß⸗
ner, Süßli u. Komp.
8 Exempl.
F.
Hr. Peter Peper mann.
— Joſeyh v. Platzer.
Hr Abbe Michael Anton
Paintner.
— Anton Phillebois.
— Mart. Joſeph Prand⸗
ſtetter. We
— Joſeph Paufer.
— Maximil. v. Pilbach.
— Graf Leopold Palftß
von Erdsd.
— Johann Pohlner.
— Ignatz Ewald pfen⸗
ningpauer. .
— Joan. Premlechner.
— Graf Carl Palfy v.
Erdöd, königl. Ungar.
Sieb. Hofpicekanzler.
— General Major Graf
Podztatzky,
— Ulrich Petrak, zu
Mölk.
Fr. Chatarina Edle von
Puthon.
Hr. Abbé peter Parkar.
— Joſ. Pöõſchl, Sekret.
bei Graf Rottenhann.
— Franz von Pedroſſi.
— Ignatz Pichl, Liqui⸗
dator im Univerſal⸗
kameralzahlamt.
— Kavier von Pedroſſi.
— Graf von Paar.
— Michael Puffer.
— Sebaſtian Pichler.
— Joh. v. Falocsay, k.
hung. Hofconcipiſt.
— Franz Pauer.
— Franz Joſ. Pollack.
— E. von Phillipitſch.
— Johann Nepomuck o.
Purtſcher.
Hr. Joſeph Parko.
— Mortin Edler von
Pflichtentreu, k. k.
Sub. Sekr. in Mähr.
— b. Paar, kk Hauptm.
— Laurenz Pogg, Coo⸗
perat. v. Weißkirchen.
— Franz v. Pillersdorf,
k. k. Truchſes, und
Kämerling bei der
Mähr. Landtafel.
— Max. Ant. Pontife⸗
ſter, Gub. Sekr. in
Insprugg.
— Ant. Podobnig, in
Laybach.
Fr. Thereſ. Gräfinn von
Petazzi, in Lapbach.
Hr. Joh. Pilz, bürgerl.
Müllerm. zu Auſſen.“
— Prandſtetter, burgerl.
Handelsm zu Maut⸗
hauſen.
— von Palaſſy, Amts⸗
Syndikus in Ofen.
— v. Pakits, Prof. der
europ. Staatengeſch.
in Ofen. 0
— Franz Joſ. Poſtelt,
in Prag.
— Ant. Purkhard, in
Prag.
R.
Hr. v. Koſchio, nied. öſt.
Apvpellationsrath.
— Phil. v. Rottmann.
— Joſeph Edler von
Roſenthal.
— Fran; Regensdorfer.
Hr. Joſ. Franz Rarfı
rk ande 7
— Anton Refch. \
— Anton Reng.
— Benedikt Rittmans⸗
berger, aus den from⸗
‚men Schulen.
Fräulein v. Roſenberg.
Hr. Joſ. EM. v. Ketzer.
— Fran: Renz.
— Philipp Ranz.
— Fridrich Rotter.
— Mathias Rottweiler.
— Franz Rott. b
— Ludw. Robl, Dechant
zu Ort.
— Probſt Ruſchizka.
— Graf v. Rotenhann,
bei der böhm. öſter.
ofkanzley Rath. a
30 N90 5 5
zu Wiennerherberg.
— Johann Ruprecht, k.
k. Raitofficier.
— Rösler.
— Prof. KRegelsberger.
— Iranz Sebaſtian von
Reichenau.
— Franz; Rager.
— Sanas Kuſterholzer.
— Sof. Raneder, Prof.
Hofagent.
— Vincenz Edl. v. Ro⸗
ſenzweig, k. k. ſub⸗
ſtituirter Kreishaupt⸗
mann im Igl. Kreis.
r
Hr. Joh. Keinelt, Stadt⸗
advokat zu Ollmütz.
Mr, de la Rogue, in Chlln
Hr. von Reiſach, Geh.
u. Regierungsrath in
Neuburg a. d. Donau,
in Erlangen.
— Michael Freyherr v.
Keigersfeld, k k. Lan⸗
deshauptmannſchaft.
Rath, in Laybach.
— Joſeph Roſwoda, in
Prag. 7
S.
Hr. Joſeph Edler von
Seitner, k. k. Hof⸗
conecipiſt.
— Georg Spangler.
— Jak. Ed. v. Smitmer,
Banauier.
— Anton Spendou, der
erzbiſch. Kur Prieſter.
— Ildephons Schwerd⸗
ling, Can. Reg. zu
„ St. Pölten.
— Joh. Joſ. Sebald.
— Stephanie der altere.
— Sof. Stuzicadenti.
— Joh. Georg Schüler,
Handge. Aufſchlags⸗
SGegenhandler.
— Andreas Stifft.
— Valentin Edler von
Smitmer, Banquier.
— Joh. Nep. Sortſchan
J. U. D. H. und G.
Advokat.
— Vincenz von Salz⸗
geber.
Hr. Johann Pet. Schle⸗
micher..
— Franz Schwoy, Ober⸗
amtm. zu Nikolsburg
— Vincenz Ign. Edl. v.
Seydel, der geheimen
Reichshofkanzl. Offic.
— Joſeph Schuh.
— Graf v. Schönborn.
— Ant. Edl. v. Seydel,
k. k. Hofconeipiſt.
— Joh. Wilh. Schmuck
— Stitz, Can. reg. zu
St. Dorothee.
— Baron v. Sardagna.
— Anton de Smetazek,
Med. D. in Grain.
— Erneſt v. Schweizer.
— Franz Graf v. Sau⸗
rau, k. k. Kammerh.
— Franz Xav. Sall iet.
— Math. Joſ. Schmid.
— Bened. Strattmann,
zu Mölk.
— Ant. Edl. v. Spiel⸗
mann, k. k. Hofrath.
— Paulus Sajatovich ,
a. d. St. Barbaraſtift.
— Elias Sivchich, J.
U. D.
Joh. v. Schwarzer,
k. k. Hofſekretar.
— Anton Seydel, Med.
Doct.
— Johann Schulz.
— Abbe Joſ.Koſſen Ebl.
v. Sternegg.
Mr. le Comandeur de
Smitmer, Chanoine
de St. Etienne.
He. Ignatz Steinninger.
— Ludw. Edl. v. Sobeck
— Schulte.
— Profeſſor v. Stoll.
— Karl Graf v. Stork.
Joh. Bapt. Schwabe,
J. U, D, H. U. Ge⸗
| richtsadvokat.
— Francisk. Gilbertus
—
Schitt, Ord. Cift. in
Monaſt. Zwetlenſi.
— Jakobus Schmidt ,
Weltprieſter.
— Karl Schreiber, k. k.
Münz und Medaillen
Kabinets Kuſtos.
— Karl Schatten.
— don Stockmayer,
Miniſter Reſident
von Baaden.
— Joh. Schalte, Lehrer
in der k. k. Normal⸗
chillitz.
— Chriſtoph Stadler.
— Joh. Schretter.
— Karl Seth, Raitoffi⸗
zier bei der k. k. Ka⸗
meral Hofbuchdalt.
— Anton Stadler.
Fr. Joſ. v. Schwabel.
Hr. Ignatz Schwingen:
ſchlegel, Subprior
in Lilienfeld.
— Baron von Fang 9
feld, an der k. k. Sa⸗
doviſchen Ritterakad
— Joh. Edl. v. Schwei⸗
ger, J. U, D,
Hr. Maximil. Großmann
von Steineck.
— Ignatz Sailler, Chor⸗
— zu St. Dorothee.
er Abe Septeied, d
zug] 1 led, Pro⸗
feſſor der Philoſophie
zu Konſtanz.
— Baron von Spindler,
k. k. Capitaine.
— Jsanatz Schmid, k. k.
Zolllegſtadt Contro⸗
lor in Niklasdurg.
— Baron Schoͤfl von
Mannsberg, k. k.
Gub. Aſſeſ. in Mähr.
— Graf v. Schafgotſch,
Eapitularhere von
Ollmütz.
— Graf Joſ. v. Sereni.
— don S 7
Inſpektor der k. k.
Domainen in Mähr.
und Schleſien.
— Aloys v. Schweick⸗
bard, des h. r. N.
Ritter u. Eigenthü⸗
mer einer priv. Tuch⸗
fabricke in Brünn.
— Johann Günther von
Sternegg, k. k. Rath
Hund Landrechtsbeiſitz.
in W
— Baron d. Sternegg,
k. k. Oberſtlieutenant.
— Leopold Schultz, k.k.
Rath, und Prof. der
polit. Wiſſenſchaften
in Ollmütz.
Hr. Manfrony v. Son:
nenthal, k. k. Ober
lieutenant.
— Franz Seydl, Prof.]
auf dem Brün. Gym⸗
naſium.
— von Schwarzbach,
k. k. Hauptmann.
— Sof. Segner, Jou⸗
rier von Prinz Hild⸗
burgshauſ. Regim.
— Baron von Schwa⸗
nenberg, k. k. Guber⸗
nial Aſſeſſor in Mäh⸗
ren.
— Fulgent Schwecher,
Prieſter der frommen
Schulen.
— Stoſſek, k. k. In⸗
genteur.
— v. Schlehlein, Hof⸗
rath zu Bamberg, in
Erlangen.
— von Sißler, Rath u.
Oberamtm. zu Kall⸗
müntz, in Erlangen.
— Schott, D. und Pro⸗
feſſor, in Erlangen.
— Schunder, Studiof,
Juris, in Erlangen.
— Chriſtoph Freyb. von
Schwizen, k.k. Rath
u. Kreiskommiſſarius
zu Marburg.
— Karl Schwarzl, Pr.
Theol. in Inſprugg.
— Felix e
heim, k.k. Kammerer.
— Baron Anton von
Schiedexer.
Hr. Joſeph Smoller, in
Laybach. f
— Mich. v. Schmoll,
Hauptmann.
— Barth. Kan. Scharz,
in Lay bach. .
— Karl Scherb, der löbl.
Landſch. ob der Enns
erſter Kaſſier.
— Con. v. Sorgenthal,
k. k. wirkl. Hofrath
in Linz.
— Fr. Mich. von Seg⸗
müller, Hauptm. u.
Audit. vom löbl.Stei⸗
niſchni. Inf. Reg.
— Graf Johann Karl v.
Spor, Oberſtlandiä⸗
germeiſt. in Böhmen.
— Wenz. Stach, Welt⸗
prieſter, in Prag.
— Thomas Sorger, in
Prag.
— Wenzel Sliwka,
Rathsverwandter, in
Prag.
— Samuel Sathmary ,
in Presburg.
ER:
Fr Gräfinn v. Thun.
Hr. Graf v. Thun.
Hr. Joh. Nep. Tſcher⸗
nigoy, der erzbiſchbll⸗
Kur Prieſter.
— Joh. David Trum⸗
mer, Sekretär bei ſei⸗
ner Excel. Grafen v.
Cohenzel.
Fr. Johanna Grafinn v.]
Thurn, gebor. Gräf.
v. Hrezan, u. Harra.
Hr. Leopold Trattinnick.
— Michael Türkes,
Erneſt Tatter.
— Trümel. N
— Johann Thorwart.
— Bartholom. v. Testa.
— von Turzansky „ pen⸗
ſionirter Huf. Oberl.
— Joſ. von Thoren.
— Graf Adam v. Traun
— Graf Ferdinand von)
Troyer, k.k. Aſſeſſor
bei dem Conſeſſu del.
in C. S. P. & comifl.
— Fon. Jo. des h. r. R.
N. Graf d. Tannen⸗
berg, k. k. Kämmerer
in Inſprugg.
— Jakob Tſchadeſch,
Raths verw. inLeybach
U.
Hr. Greg. Ueberlacher,
Med, Doct.
— Ueberlacker.
— Euſebius Uhlich, des
Stiftes der reg. Chor⸗
herrn zu St. Pölten
Dechant.
— J. J. Umfcheiden ,
Fürſt Aloys Lichtenſt.
Kanzelliſt.
— Joh. Conrad ulzky.
— Graf v. Ueberracker
— von Urbain, k. k
Hauptmann:
—
Hr. Mart. Urbanſchitſch,
Verwalttr zu Egg in
Oberkrain. .
.
Hr. Canonicus Venuti.
— Samuel Vulcan.
— Graf von Veterani.
— veert, in Erlangen.
— Johann vagneck, in
Herrmannſtadt.
— Cajet. Vogel, Ord.
Serv. in Prag.
W.
Hr. Ludw. Graf v. Wall;
moden, Hannov. Ge⸗
ſandt. in Wien.
— Karl von Wunſch.
— Franz WR.
— Graf von Wrbna.
— Johann Bapt. Wei⸗
ninger.
— J. N. Wirt, k.k. Kam⸗
mermedailleur. -
— Johann Georg Wolf,
Direktor von der k. k.
Realakademie.
— Joh. Bapt. Winter.
— Franz Wolf.
— Joſ. Weckebrod.
— Joh. Nep. Wengel.
— Abbe Joſ. Werſch⸗
hauſer.
— Joſeph von Weck⸗
becker zu Sternfeld.
Hr. Joh. Georg Weine
gand.
— Sebaſt. Wohlfarth.
He. Joſeyh v. Walpach,
k. k Salzamts Rath
in Hall. f
— Wenzel Auguſtin von
Werſack.
Fr. Gräfinn v. Wallen⸗
ſtein, geb. Grafinn
von Uhlfeld.
Hr. von Wells.
— von Weinrotter.
— Karl von Woller,
J. U. D. H. und G.
Advokat. 5
Fr. Gräfun von Win⸗
diſchgraz. 5
Hr. Franz Ant. Weigl,
Großhändler.
— Sevo. Walter, Chor⸗
herr zu Kloſterneub.
— Reichshofrath von
Welkern.
— Wokurka, Oberlieut.
Auditor.
— Nikolaus v. Wiona,
inful. Probſt von Ni⸗
kolsburg.
— von Weyrothen, k. k.
Unterlieutenant.
— von Waͤſcher, k. k.
Oberlieutenant.
— Fr. Zav. Joſeph von
Weinhard, in Ins⸗
pruck.
— Karl Joſeph Weiß,
Buchdr. in Bozen, 2
Exempl.
— Philipp Joſeph von
Wallenſperg, in
Lay bach.
Hr. Joh. Franz Weber,
Burgerm. der Stadt
Linz.
— Jak. Wimer, Pfarrer
zu Alterſee. a
Fr. Grafinn v. Wratis lau
gebohrne Sräfinn von
Kinsky.
Hr. Hein. Wolf, Pro⸗
feſſor in Prag u. Ca-
nonicus in Königrätz.
— Graf von Wiſchnik,
in Prag. f
— von Wolf, Direktor,
in Prag.
— Kaſp. Widtmann, in
rag.
M. Ia Comt. de Witzay,
nee Comt. de Graf-
ſalkowitz, in Preſp.
Hr. Wineke, Oberamt⸗
mann zu Uslar.
— von Wüllen, Hofge⸗
richts Aſſeſſor in Han⸗
nover.
Z.
Hr. Profeſſor Zlobitzky.
— Karl Graf v. Zichy.
— Stephan Graf von
Zichy.
— Joſeph von Zamora,
k. k. M. u. B. Buch⸗
halterey Rait⸗Rath.
— Franz von Zailler,
ordentl. Lehrer des
Naturreichtes auf der
Univerſität in Wien.
0
Hr. Simon Zeme, J. U.
ee
— Ignatz Zumpe.
— Joſ. Küguſtin Zohr,
Chorherr zu = Do⸗
rothee.
„
D. Hof und Gerichts
Hr. F. Paul den er
mayer, k. k. Ty
riatsregiſtrator, 1
Herrmannſtadt.
— Ziegler, Canon. und
Bibliothekar zu St.
woran 4
40 Ungenannte.
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REES
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