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Full text of "Gesammelte Schriften"

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Sonnenfels 


geſammelte 


Sriften 


Zweyter Band. 75 
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Wien, 


mit von Baum eiſteriſchen Schriften. 


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An Herrn 


Grafen von Frieß. 


Ste haben mich mit einem ſchoͤnen 
Fußteppiche beſchenket, ſchaͤtzbarſter 
Graf! einem Erzeugniſſe ihrer Ma⸗ 
nufakturen, deren Sie ſo manche ent⸗ 
weder angelegt, oder unterſtuͤtzet ha⸗ 
ben: und ich eigne Ihnen dafuͤr den 
zweyten Band meiner geſammelten 
Schriften zu, um Ihnen nach meiner 
Zuſage, fuͤr ihr Geſchenk öffentlich zu 
danken. Wäre ich einer von den deuf- 
ſchen Witzſchnappern, die, von dem ver⸗ 
derbten Geſchmacke der franzoͤſiſchen an⸗ 
geſteckt, uͤberall nach Gegenſaͤtzen oder 
| a2 Aehn⸗ 


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Aehnlichkeiten haſchen, ſo wuͤrde ich 
finden, daß ihr Teppich mir die Fuͤſſe 
warm gehalten, wie meine Schriften 
manchem» = » und manchem ⸗ » ven 


Kopf erhitzt haben. Aber ſtatt dieſes 


Flitters will ich mit mehrerer Richtig⸗ 
keit ſagen: woferne meine Bemuͤhun⸗ 
gen um die Wiſſenſchaften, ſo viel zur 
Aufklaͤrung dieſer Provinzen gewirket 
haben, als Ihre Unterſtuͤtzung zur 


Belebung der Aemſigkeit, ſo ſind wir 


beide, nuͤtzliche Buͤrger des Staates. 


Das Haus der Grafen von Naraman 
ruͤhmt ſich ſeiner Abkunft von Paul 
Riquet, der durch den berühmten Has 
nal von Lauguedoc zur Erleichterung 
der franzoͤſiſchen Handlung zwey Meere 
vereiniget hat. Die Grafen von Srieß 
werden einſt von ihrem Stammſtifter 
aufgezeichnet finden: Naiſer Joſeph der 
II. hat ihn in Grafenſtand erhoben, 

f weil 


* 


3c — 
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weil er der öſterreichiſchen Zandlung 
mehr als einen Kanal eröffnet, und 
die Nationalämſigkeit erweitert, uns 


terſtützet hat. Ich habe zu ihrer Ein⸗ 
ſicht das Zutrauen, daß Sie, nach⸗ 
zem Sie eine fo ehrenvolle Unterſchei— 
dung in der bürgerlichen Geſellſchaft 
erhalten haben, nun nicht etwan die 
Beſchaͤfftigung unter ihrem Stande 
halten, die Ihnen von der lohnenden 
Einſicht des Monarchen dieſe Unter⸗ 
ſcheidung erworben hat. Das waͤre, 
als ſchaͤmte ſich Gideon Loudohn des 
ſiegreichen Degens, der ihm den Mar— 
ſchallſtab und die Unſterblichkeit erfoch- 
ten hat. Genieſſen Sie ſelbſt, ſchaͤtz⸗ 
barſter Graf! in einem ruhigen und 
geehrten Alter und in dem Gedeihen 
einer liebenswuͤrdigen Familie, den 
Wohlſtand, den Ihnen Fleiß und 
Rechtſchaffenheit verſichert haben! Aber 
laſſen Sie ihren hoffnungsvollen Erſt⸗ 
a 3 ge⸗ 


gebohrnen immer ein angefehenes Hand⸗ 
lungshaus fortführen , das dadurch ges 
wiß nichts an feiner adelichen Würde 
verlieren wird, weil es mit jedem 
Geſchlechte neuen Zuwachs an Mitteln 
erhaͤlt, dieſe Wuͤrde beſſer zu unter⸗ 


ſtuͤtzen. 


Sonnenfels. 


Der Mann 
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Zweyte Abtheilung. 


a 4 


1, 


Su der Zeit ich meinem aufgenomme⸗ 
nen Fremdlinge das Stillſchweigen aufer⸗ 
leget hatte, beherrſchte ihn beſtaͤndig ein 
gewiſſer Tiefſinn, der meinem Vorhaben, 
ihn vom Umgange der Menſchen zu ent⸗ 
fernen, bis er mit Anſtand unter ihnen 
erſcheinen koͤnnte, ſehr zu Huͤlfe kam. Ich 
kuͤndigte ihm endlich das End ſeiner Ein⸗ 
ſamkeit an. Ich verſprach mir, er wuͤrde 
dieſe Nachricht mit freudiger Ungeſtuͤme 
aufnehmen, und machte mich zum voraus 
auf Erinnerungen gefaßt, dieſe Ungeſtuͤ⸗ 
me zu maͤſſigen. Meine Erwartung ward 
betrogen. Kennbare Merkmale des Be— 
truͤbniſſes ſchienen durch die gezwungene 
Freudigkeit, womit er fi vor mir vers 
bergen wollte. 

Was fuͤr einer Urſache ſollte ich dieſes 
Betruͤbniß zuſchreiben? Mein Freund! 
ſagte ich, und druͤckte ihm freundſchaftlich 
die Hand, um ihm Vertrauen einzufloͤſ⸗ 
fen: mein Freund ! du biſt nun genug 

II. Theil. A vor⸗ 


1 


2 Der Mann 


vorbereitet: es iſt Zeit vorzufchreiten, 
Die Beſtimmung des Menſchen iſt nicht 
der Stand der Unthaͤtigkeit. Dazu gab 
uns die Vorſicht nicht dieſen Verſtand, 
der, nach Erkenntniſſen geizig, nie 
ſtille ſteht; dazu rüſtete uns die Natur 
nicht mit dieſen Händen aus, den ein⸗ 
zigen Werkzeugen, die zu allen Be⸗ 
dürfniſſen zureichend ſind. Der End⸗ 
zweck dieſer Werkzeuge iſt, fie zu ge⸗ 
brauchen, und der Endzweck des Ver⸗ 
ſtandes, ohne jenen edlern Endzweck, 
die Weiſe des Gebrauchs anzuord⸗ 
nen. — 

Ich ſchwieg, weil er feinen Mund 
gleichſam zur Antwort geoͤffnet hatte. Aber 
es war nur, um tiefgeathmeten Seufzern, 
die ſeine Bruſt empor trieben, Ausgang 
zu verſchaffen. Eine Thraͤnenfluth beglei⸗ 
tete dieſe Seufzer. Endlich brach das 
Uebermaß ſeiner Empfindung in Klagen 
aus — Wer ſchickt mich in die Walder 
zurücke, die Sie Wüſteneyen heiſſen, 
aber deren Erinnerung mir das einzige 
Bild der Glückſeligkeit iſt, das ich mir 
machen Fanny Dort, es iſt wahr, hat⸗ 
te ich weniger; aber ich bedurfte auch 


nicht 


ohne Vorurtheil. 3 


nicht mehr: und das, was ich brauch⸗ 
te, bot ſich mir an; ungeſucht, ohne 
meine Arbeit an: ich hatte Ueberfluß. 
Die ganze Gegend war meine Speiſe⸗ 
kamer, und in jeder Guelle floß mein 
Getränk. Ich ruhte auf dem Boden 
ſanfter, als in den weichen Betten, 
worin ich den Schlaf nicht ſelten ver⸗ 
gebens rufe: er kömmt nicht, und ich 
bedaure das härtere Lager, von dem 
ich immer munter, immer wie erneuert 
wieder aufſtand. Dieſe Kleider be⸗ 
ſchweren mich. Dort konnte ich ihrer 
entbehren, wo ich allein war, und 
dieſe Anwandlunten der Schamhaftig⸗ 
keit nicht kannte, die vielleicht nur 
eine Solge der Bedeckung find — So 
ungefaͤhr, wenn vielleicht auch nicht ſo 
redneriſch, bedauerte er ſeine Verſetzung 
in das geſellſchaftliche Leben. 

Es war hier darum zu thun, ihn die 
Vortheile fühlen zu machen, die aus der 
Geſellſchaft, auf jedes Mitglied derſel⸗ 
ben zuruͤckflieſſen. Das war das einzige 
Mittel, ihn ſeiner Waͤlder vergeſſen zu 
machen. Ich ſah ein, daß mich Gruͤnde, 
aus der Weltweisheit hergeholt, verlafs 

A 2 ſen 


4 Der Mann 


fen wuͤrden; ich mußte mir welche in 
ſeinem Zerzen auffuchen. 

Nach einigem Stillſchweigen hub ih 
in dem lindernden Tone des Mitleides 
an: guter Capa⸗ kaum! ſtuͤnde es bei 
mir, dir deine einzige Gluͤckſeligkeit zu 
verſchaffen, ich gäbe dich dieſen Augen⸗ 

blick deinen Waͤldern wieder. 

Capa⸗ kaum. Ach daß Sie daß nicht 
koͤnnen! 

„Aber, wuͤrde deine Gluͤckſeligkett 
dann ganz keinen Zuſatz mehr leiden? ge⸗ 
ſteh es deinem Freunde! waͤre ſie voll⸗ 
kommen v „ 

Capa⸗kaum ward nachdenkend. Hier, 
antwortete er, hier in dieſem Herzen iſt 
das Bild derjenigen, ) die meine Gluͤck⸗ 
ſeligkeit vollkommen machen kann. Aber 
ich wuͤrde ihr wenigſtens naͤher ſeyn. Ich 
wuͤrde der Hoffnung naͤher ſeyn, ſie auf⸗ 
zuſpuͤren, und — er hielt in, gleich als 
wagte er es nicht, ſich mit ihrem Beſitze 
zu ſchmeicheln. 

„ Laß 


) Man wird ſich aus dem II. Stücke der 1. 
Abtheil. erinnern, daß der Wilde noch in ſei⸗ 
nen Wäldern ein Mädchen geſehen, deren 
Verluſt Gelegenheit zu feiner Anherkunft gab. 


ohne Vorurtheil. 5 


„Laß uns denn annehmen, du habeſt 


die Geliebte deiner Seele gefunden! dn 


habeſt ihr deinen Schmerz uͤber ihre Ab⸗ 
weſenheit durch Gebehrden, die die ſinn⸗ 
reiche Liebe dich gelehret, geklaget! du 
habeſt ihr deine Liebe zu erkennen gegeben! 
ſie verſtehe dich! ſie ſey dein! „ 

Capa⸗ kaums Wangen gluͤhten bei 
dieſer Vorſtellung. Sie ſey mein! — 
rufte er aus — und ich habe von der 
Vorſicht, die du mich verehren gelehret, 
nichts weiter zu bitten. 

„Das, dachte ich, würde deine Ant⸗ 
wort ſeyn. Wohl denn! deine Tage wer⸗ 
den der Liebe gewidmet, voruͤber fliegen. 
Aber nur der Liebe? werden die Beduͤrf⸗ 
niſſe der Natur, wird der Hunger bei dir, 
bei deiner Gattinn, denn nun wird fie 
deine Gattinn ſeyn, ſchweigen? „ 

Capa⸗ kaum. Er wird ſich, er mag 
ſich melden, wie leicht werden wir ihn be⸗ 
friedigen. In ihrer Geſellſchaft werde ich 
den Wald durchirren, jeder Baum wird 
uns Fruͤchte anbieten, ich werde ihn hinan 
klettern, um die ſchoͤnſten fuͤr meine Ge⸗ 
liebte zu pfluͤcken, und die, die ich eſſe, 
nur aus ihren Händen eſſen n 

A 3 70 Du 


6 Der Mann 


„ Du gehſt nun an deiner Gattinn 
Seite. Ein vor Roͤthe gluͤhender Apfel 
machet ſie luͤſtern: hoch haͤngt ſie, ſehr 
hoch die ſchoͤne Frucht. Immer! du ſteigſt 
kuͤhn darnach, ſie ſteht am Fuſſe des Bau⸗ 
mes, und ſieht nach dir — Was fuͤr aͤngſt⸗ 
liches Geſchrey ſchallt ploͤtzlich zu dir hin⸗ 
auf! du ſiehſt herab; ein reiſſendes Thier 
— die Waͤlder naͤhren uͤberall dergleichen 
— koͤmmt auf die Verlaſſene herangelau⸗ 
fen. Du ſtuͤrzeſt vom Gipfel herab, und 
befreyeſt fie. Die Liebe ſtaͤrket deinen Arm; 
aber die Gefahr war groß! wirſt du ſie 
kuͤnftig wieder derſelben ausſetzen duͤr⸗ 
fen? „ 

e e Wie behutſam wird wach 
das machen! wie furchtſam! 

„Wird die Furchtſamkeit ſie (Algen? 
Es werden Umſtaͤnde kommen, wo deine 
Geliebte dich zu begleiten, auſſer Stand 
ſeyn wird; Umſtaͤnde, die das Gluͤck eu⸗ 
rer Verbindung ausmachen werden. Aber, 
wenn nun die Fruͤchte in der Naͤhe alle 
gepfluͤcket ſind, wenn du gezwungen biſt, 
ſie ferne herbeizuholen — und ſie, die zum 
Widerſtande zu ſchwach iſt, ſie bleibt zu⸗ 
an bleibt jeder Gefahr uͤberlaſſen ? „ 

Ca⸗ 


ohne Vorurtheil. 7 


Capa⸗kaum. Finden Sie ein Vergnuͤ⸗ 
gen, mir dieſe kraͤnkenden Bilder vorzu- 
halten? Alles, was ich empfinde, iſt: das 
Loos der Menſchen iſt ungluͤcklich, wo ſie 
ſich immer beſinden. 0 

„ Laͤſtere nicht den, der die Menſchen 
erſchaffen hat! Er hat ihnen nur Gluͤck 
beſchieden: denn er hat ſie nicht huͤlflos 
gelaſſen, dem Ungluͤcke auszuweichen — 
Wenn du deiner Geliebten, wenn du den 
Pfaͤndern, die fie deiner Liebe geben wird, 
einen Huͤter laſſen kannſt, der, indeſſen 
du abweſend biſt, die Gefahr von ihnen 
treibt; ſo wird deine Liebe ihres Kummers 
entladen ſeyn. Sey in Geſellſchaft! und 
ſo viel du Nachbarn haſt, ſo viele Hüter 
haft du den Deinigen bereitet. „ 

Capa⸗ kaums Stillſchweigen war mir 
der Beweis, daß er das Beduͤrfniß der 
Geſelligkeit zum Gluͤcke der Menſchen er⸗ 
kannte. Aber er ſuchte Einwuͤrfe, und er 
glaubte ſie gefunden zu haben. 

Wenn, ſagte er, die Sicherheit meiner 
andern Seele, mich einen Freund wuͤn⸗ 
ſchen läßt, der ihr das werde, was ich 
auf jedem Falle den Seinigen ſeyn wuͤrde; 

| A 4 ſo 


8 Der Mann 


ſo bin ich noch ferne von dieſem Gewühle 
der Städte — | 

„„Aber, verſetzte ich, bereits auf dem 
Wege, dahin zu gelangen; eben wie das 
menſchliche Geſchlecht von den einfachſten 
Geſellſchaften zu dieſen zuſammgeſetztern 
gelanget iſt, aus welchen es nie wieder zu 
ſeinen urſpruͤnglichen Wuͤſteneyen umkeh⸗ 
ren wird. Der Hang, der in beide Ge⸗ 
ſchlechter geleget iſt, dieſe wechſelſeitige 
Anziehung ihrer Herzen, die Liebe, mach⸗ 
te zuerſt aus einzelnen Bewohnern der 
Waͤlder ein Paar. Jedes hatte feine 
Höhle für ſich, nun traten fie zuſamm, 
um in einer zu wohnen. So lange ſie 
keine Gefahr kannten, waͤhnten ſie, ſie 
ſeyn ſicher. Aber dieſe zeigte ſich bald. 
Nicht nur Raubthiere, auch zween Men⸗ 
ſchen, waren einem fuͤrchterlich, weil ſie 
ihn uͤberwaͤltigen konnten ) Je unglei⸗ 
cher der Angriff kommen konnte, deſto 

A 5 mehr 


„) Capa kaum erzählte im I. Stlicke der 
1. Abtheil. wenn er einem begegnete, wäre er 
ungeſcheuet vorüber gegangen: aber zweenen 
wärt er zur Seite gewichen. Das war Selbſt⸗ 
gefühl feiner geringern Kräfte. 


ohne Vorurtheil. 9 


mehr wuchs die Unſicherheit. Die slucht 
— aber denke die Umſtaͤnde, worin dein 
Weib, eure Kinder nicht fliehen koͤnnen. 
Er dachte denn ſo: kann ich den Wider⸗ 
ſtand, den Anfall gleich machen, fo bin 
ich geſchuͤtzet. Dieſes Gedankens voll, 
begegnete er, fruͤher oder ſpaͤter, Einem, 
der in eben den Umſtaͤnden war, er hatte 
auch feine Geliebte. Sie flohen vorein= 
ander nicht; ſie ſahen ſich von ferne an, 
ſie maſſen ſtillſchweigend gegeneinander 
ihre Kraͤfte, und fanden ſich bei gleicher 
Vertheidigung gegeneinander gleich ſicher. 
Sie naͤhern ſich, ihr Wunſch macht ſie 
geſpraͤchig: der Antrag geſchieht; von 
welchem, das iſt gleichguͤltig; er wird 
von beiden freudig angenommen. Sie 
ſchlagen nebeneinander die Wohnung auf. 
Heute geht der eine nach Nahrung aus, 
der andre bewachet die Zuruͤckgelaſſenen. 
Morgen wechſeln ſie. Sieh da in dieſen 
nachbarlichen Hoͤhlen den Grundriß zu ei⸗ 
nem groſſen Staate! 

„Bald machte fie der Bund ‚ und 
Gewohnheit vertraulich. Der eine arbei— 
tete unter einer Laſt, die ihm zu ſchwer 
ward. Sein Nachbar ſiehts, er huͤlft ihm 

5 ſie 


10 Der Mann 


ſie uͤberwaͤltigen. Wann ich dir wieder 
helfen kann, ſo rufe mich, ſagt er zum 
Danke fuͤr den geleiſteten Dienſt. Das 
eine Weib wird Mutter. Die andre 
koͤmmt in ihre Hoͤhle: ſie ſieht ſeine Unbe⸗ 
huͤlflichkeit: ſie reicht ihm einen Trunk, 
richtet ihm das Buͤndchen Kraͤuter zurechte, 
worauf es gelagert iſt, legt ihm das Kind 
an. Die Schwache fuͤhlet den Werth des 
Dienſtes: ihre Augen, ein ſchmerzvolles 
Laͤcheln, ein Haͤndedruͤcken ſagt ihren Dank, 
und verheißt gleiche Bereitwilligkeit. Sie 
erfahren nun, daß die Nachbarſchaft auch 
noch zu etwas anderm als ihrer Sicher⸗ 


heit gut iſt. „ 
II. 


Tr wollte Capa⸗kaum von dem Punkte, 
wovon ich ausgegangen, bis zur Bildung 
der Staaten hinanfuͤhren. Aber unſre Un⸗ 
terredung wuͤrde zu lange gedauert, er 
wuͤrde mich zu oft unterbrochen haben. Ich 
faßte alſo den Anfang davon in einen 
Aufſatz, den ich weiter, wie er hier mit⸗ 
getheilt wird, fortſetzte: 


„Sie 


ohne Vorurtheil. 11 


„Sie fodern ſich nun durch angebo- 
tene Dienſte zur Gefaͤlligkeit auf. Die 
Gelegenheiten dazu ereignen ſich taͤglich; 
täglich nimmt dadurch ihre Sreundſchaft 
zu. Die nachbarlichen Kinder wachſen 
heran. Die Vertraulichkeit der Kindheit 
reifet unter ihnen bald zur Liebe. Die Ver⸗ 
bindung der Kinder zieht das Band zwi⸗ 
ſchen den Aeltern in einen unauflöslichen 
Knotten zu. Sie begleiten fie zur hoch⸗ 
zeitlichen Hoͤhle, die Verlobten ſind unter 
ihrem gemeinſchaftlichen Schutze, find 
ihre gemeinſchaftliche Sorge. Erfahrung 
und Anläſſe gaben jenen manchen Unter 
richt, den fie nun ihren Kindern vorher— 
warnend mittheilen. Die Erziehung hat⸗ 
te dieſe zur Abhängigkeit gewoͤhnet; und 
der Vortheil, deſſen Gepraͤge dieſe War: 
nungen ſichtbar an ſich tragen, leitet ſie 
zur freiwilligen Solgſamkeit ganz ein ; 
Die Erinnerungen der Aeltern werden den 
Kindern unuͤberſchreitbare Geſetze. ,, 

„ Der Gau) war nun durch meh- 
rere verbindungen ſchon an der Zahl, 

und 
2) Gau iſt ein veraltetes Wort, welches eine 
ländliche Wohnung , nur umpfählet, oder 
ul: 


12 Der Mann 


und Kräften anfehnlicher geworden. Bald 
find die Srüchte der ganzen Gegend auf⸗ 
gezehret. Man holt fie von ferne: aber 
die herbſtlichen Regen machen dleſe Be⸗ 
muͤhung beſchwerlich. Der Winter ent⸗ 
laubt die Baͤume vollends: wo iſt ſie 
nun, deine Speiſekamer e — Die ganz 
ze Nachbarſchaft fuͤhlt den Mangel. Die 
Jüngeren find gewohnt, bei den Bejaͤhr⸗ 
ten ſich Raths zu erholen: die gegenwaͤr⸗ 
tige Noth macht ihnen dieſen Rath unent⸗ 
behrlich. Dieſe Beſchwerlichkeit, Spei⸗ 
fen von Serne herbeizubringen, erregt bei 
ihnen den Wunſch: könnten wir Srüchte 
rings um unſte Wohnungen erzielen Y 
Erzielen » ſpricht ein Neſtor der Ver⸗ 
ſammlung: ich habe dieſen Baum da, er 
ſteht am Eingange ſeiner Hoͤhle, in den 
Jahren Flein geſehen, da auch ich wie 
mein Enkel war: wie viele Kalte und 


Sit 


umzäuntt, von mehreren Hütten bedeutet: 
das öſterreichiſche Sprichwort: in das Gäu 
gehen; eben ſo viel, als ins Gehäge gehen: 
behält uns die Bedeutung auf. Dorf war 
Hier noch keines, darum wählte man den an⸗ 
gemeſſenen Ausdruck Sau. 


ohne Vorurtheil. 18 


Bi wechſelten über mir, ehe er mit 
ſeinen Früchten die Wartung belohnte, 
die ich ihm gab v die Noth iſt gegenwaͤr⸗ 
tig, und dieſe Rettung zu entfernet, 
Sür itzt, fährt er fort, laßt uns verſuchen, 
ob wir unter den Kräutern, und Erd⸗ 
gewächſen finden können, was unſern 
Singer ſtillet. „ 

„Mit Erſtaunen muß die ganze Ver⸗ 
ſammlung den Rath des Alten aufgenom⸗ 
men haben. Stumme Bewunderung ward 
der Lobſpruch der Weisheit. Aber er, er 
rieth nicht des Cobſpruches wegen. Sorg⸗ 
falt und Liebe legten den weiſen Rath in 
ſeinen Mund: er wird auch Vorgänger 
zur Ausführung. Bald leitete die Na⸗ 
tur und Aufmerkſamkeit auf wohlriechende 
Kraͤuter, auf ſchmackhafte Wurzeln. Ihr 
Saum fand im Wechſel Niedlichkeit. „ 

„Die Jugend iſt ſtets kurzſichtig: 
auch da muß ſie es geweſen ſeyn. So bald 
die neue Speiſe entdecket war, dachte ſie 
an nichts weiter. Aber nicht ſo ihr ſorg⸗ 
voller Greis. Der Wechſel der Zeiten 
hatte ihn die Zerſtoͤrung der Kälte ken⸗ 
nen gelehrt. Macht Vorrath, meine 
Rinder! wird er ihnen zugerufen haben: 

macht 


14 Der Mann 


macht Vorrath! die Kalte wird die Br: 
de härten, und dieſe Wurzeln feſthal⸗ 
ten. Dieſe Kräuter werden welken: 
Sammelt, weil ihr möget! Das An⸗ 
ſehen dieſes Mannes war durch den gluͤck⸗ 
lichen Rath ſchon feſtgeſetzet. Alles ſam⸗ 
melte: und vielleicht waͤhlte jeder von ſei⸗ 
nem Haufen die beſten Gewaͤchſe, und 
brachte ſie mit dankbarer Ruͤhrung dem 
rathvollen Greiſen hin; wie einſt willige 
Voͤlker Monarchen ihre Gaben anbieten 
würden, die für ihr Wohl wachen. „ 

„„Die Nothwendigkeit, dieſen Vorrath 
aufzubewahren, wird manche mislungene 
Ver ſuche veranlaſſet, man wird zu dem 
Orakel der Geſellſchaft ſeine Zuflucht ge⸗ 
nommen, und ſo werden die Kuͤnſte der 
Hauswirthſchaft zu entſtehen, angefangen 
haben. „ 

„„Die Sonne belebte die Erde wieder 
Die Natur verjuͤngte ſich. Die Quellen 
floſſen. Die Gewaͤchſe trieben, und unſre 
Menſchen vergaſſen der voruͤbergegangenen 
Noth. Aber beim ſtuͤrmiſchen Winter, 
wenn ſich alles um ihn, ſorglos der Ruhe 
uͤberließ, zu welcher die Witterung gleich⸗ 
ſam zwang, hatte der ſorgfaͤltige Alte nach⸗ 

ge⸗ 


ohne Borurtheil. 15 


geſonnen, wie man der Noth wehren koͤnn⸗ 
te, damit ſie, wenn die rauhe Witterung 
herum kaͤme, die Seinigen nicht mehr 
uͤberfiel. „ 

„Denket an die Verlegenheit, in 
der ihr waret! ſie kömmt mit dem 
Umlaufe der Zeit wieder. Durch dieſe 
Worte friſchte er das Bild der traurigen 
Umſtaͤnde auf, das beinahe erloſchen war. 
Er theilte nun die Fruͤchte feines Nach⸗ 
denkens mit. Er hatte mehrere Mittel, 
damit, wenn eines fehlſchlug, man nicht 
huͤlflos wäre. Er rieth, Kräuter und 
Gewächſe zu bauen, die in einem Som⸗ 
mer reifen. Er rieth, weil es Zeit war, 
Vorrath zu ſammeln. Er hieß, auch Baͤu⸗ 
me in der Naͤhe pflanzen, der jungen in 
der Naͤhe warten. In ſo viel Jahren, 
ſagte er, ſteht hier ein Wald, der euch 
Srüchte zur Genüge anbiet. Die Pflan⸗ 
zungen foderten Werkzeuge. Auch die 
zeigte ihnen der erfindſame Greis, ein- 
fach zwar, aber den Anfang zu beſſeren. , 

„Die Pflanzungen waren gemein 
ſchaftliche Sorge. Jeder wollte Hand 
anlegen : und fo hinderte die Hitze des 
Unternehmens den Fortgang der Arbeit. 

Er, 


16 Der Mann 


Er, der gemeine Rathgeber, zeichnete nun 
jedem ſeinen Ort, ſeine Verrichtung aus. 
Die Abſicht war nicht das Wigenthum 
einzufuͤhren: aber ſo entſtund es: und 
Kigenthum gebiert Uneinigkeit. Der Ei⸗ 
ne gieng auf das Feld, welches der Andre 
gebauet hatte, und zog Wurzeln aus. 
Die Meinigen laſſe ich zum Vortheile 
für den Winter ſtehen, dachte er. Aber 
der, deſſen Schweiß fie waren, ſchrie: 
ich habe ſie gepfleget. Er ſagte dadurch: 
Ich — habe ein näheres Recht dazu. 
Man zankte ſich daruͤber. Vielleicht auch 
kam es zu Thätigkeiten: die Nachbarn 
legten ſich in das Mittel. Die Zaͤnker 
waren erbittert, jeder glaubte beleidiget 
zu ſeyn: wer ſollte fie‘ ausſoͤhnen ? wer 
anders, als ihr Greis. Er thats: und 
feine Entſcheidung war eine Richtſchnur 
auf kuͤnftig. So huben Eigenthumsgeſetze 
an. „ 

„Doch dieſe Geſellſchaft von Men⸗ 
ſchen war auf der ganzen Erde nicht die 
einzige. Dieſelbe Reihe von Vorfaͤl⸗ 
len und Umſtaͤnden mußte ſich bei jeder 
ereignen. Aber, wenn ein Rathgeber fehl⸗ 
te, ſo hatten ſie andre Folgen. Man war 

ge⸗ 


ohne Vorurtheil. 17 


gezwungen, die Wohnung zu veraͤndern, 
ſo oft die Fruͤchte in der Naͤhe, der ein⸗ 
zige Vorrath, aufgezehrt waren. Dieſe 
Wanderungen geſchahen oft; und unver⸗ 
merkt kam eine ſolche ſchwärmende Horde 
der unſrigen nah. Hier fand ſie Fruͤchte, 
Pflanzungen die Menge. Sie fiel gleich 
einem Zuge von Heuſchrecken daruͤber her. 
Es war natuͤrlich, daß man ſich die Früchte 
ſeiner Arbeit nicht ohne Vertheidigung 
rauben ließ. Alſo ward Krieg; erſt eine 
unordentliche Schlägerey; dann mit ei⸗ 
niger Ordnung, unter einem Auführer 
Der Anführer » man iſt ſchon gewohnt, 
ſeine Augen bei jeder Begebenheit auf ei⸗ 
nen einzigen Mann zu richten. „ 

„Jede neue Begebenheit ward für uns 
ſere Geſellſchaft unterrichtend. Man er— 
ſtreckte die Vorſehung auf die Beſchuͤtzung 
ſeines Vorraths hinaus. So entſtund der 
Gedanken von Gräben, von Umzäunen, 
von Umpfählen, um die ploͤtzlichen An⸗ 
faͤlle abzuhalten. „ 

„Aber die Feinde hatten nun einmal 
vom Fremden genoſſen. Die Fruͤchte der 
Gewaltthaͤtigkeit ſind dem Gaume des Un⸗ 
gerechten ſchmackhaft, der Träge ſtihlt 

II. Theil. B 2 lier 


18 Der Mann 


lieber, als er graͤbt. Alſo lagen fie be⸗ 
ſtaͤndig im Hinterhalte. Ein oͤfterer Ue⸗ 
berfall lehrte endlich die Unſern Behut⸗ 
ſamkeit; und ſie ſahen ein, daß ſie ſich 
in die Verrichtungen theilen, die einen die 
Erde bauen, und die Hausgeſchaͤfte beſor⸗ 
gen, die andern zur Abwendung des Ue⸗ 
berfalls bereit ſtehen mußten. So war 
die erſte Eintheilung der Staͤnde in den 
Waährſtand, und Nährſtand, woraus 
bald mehrere erfolgen mußten. „ 
„Vielleicht noch immer wohnte unſere 
ſchon ziemlich geordnete, ſchon ſehr zahl⸗ 
reiche Verſammlung in göhlen. Sie 
daraus zu verdringen, brauchte es nur 
eines ploͤtzlichen, eines ſtarken Regens, 
der aus dem Gebirge in wildem Gewaͤſſer 
herabſtuͤrzte, in die Böhlen einfiel, den 
Vorrath verdarb, das Lager unter Waſſer 
ſetzte, zwang auszutreten. Das erſte 
Rettungsmittel, das ſich anbot, waren 
die göhen, wovon das Waſſer abläuft. 
Ich ſehe meine Geſellſchaft das Ge: 
birg hinanklettern. Aber da ſind keine 
Zöhlen. Der Felſen war gegen ihre un⸗ 
gehaͤrteten Werkzeuge hartnaͤckig. Sie 


lagern ſich unter Bäume, die uͤberhaͤn⸗ 
’ gen: 


ohne Vorurtheil. 19 


genden Zweige werden ihr Dach. Man 
fällt bald darauf, die Zweige zu verflech⸗ 
ten. Endlich gelingt es jemanden, einige 
Pfähle zwiſchen die Steinkluͤfte einzuram⸗ 
meln: dieſe Pfaͤhle werden mit Seifen 
verbunden, befeftiget, bedecket, dem Win: 
de, der Sonne, dem Wetter den Eingang 
zu verbieten. Da ſteht fie, die gütte, 
der Anfang der ſo hoch gebrachten Bau⸗ 
kunſt! „, 


III. 


5 De Gemäͤchlichkeit iſt anlockend, 
und die Gemaͤchlichkeit der gürte fälle ſehr 
in die Augen. Sogleich alſo verſucht je⸗ 
derman', ſich dieſelbe zu verſchaffen, und 
in kurzer Zeit wohnet alles in Huͤtten „ 
„ Ein einziger Schritt war noch zu 
thun, fo werden dieſe Wohnungen um⸗ 
fangen, und zu einer Art von Stadt er- 
hoben. Der Ueberfall der Feinde konnte 
dieſen Schritt beſchleunigen. Vielleicht 
auch dachte der Rathgeber den Fall, noch 
ehe er ſich ereignete. Die Graͤben, und 
Zaune der Pflanzungen waren das Mu⸗ 
ſter; und ihre eigenen Verſuche gaben 
B 2 das 


20 Der Mann 


das Maß des nöthigen Widerſtandes, 
das Maß der Hoͤhe und Staͤrke ihrer Be⸗ 
feſtigungswerke. Die Erfahrung lehrte 
ſie in kurzem, die Mängel ihrer Arbeit 
kellnen, und fuͤhrte ſie zugleich auf e 
Spur der Verbeſſerungen. 
„Nun verſuchen es die Feinde aber⸗ 
mal, die Eigenthümer der Pflanzungen 
anzufallen. Sie hatten befchloffen , im 
Sinſtern, wenn alles in tiefer Ruhe bes 
graben ſeyn wuͤrde, den Ueberfall zu thun. 
Aber wie erſtaunen ſie, als ſie das Hin⸗ 
derniß der neuen Befeſtigung aufſtoſſen? 
Doch ſie verſuchen, die Umzaͤunung zu 
überfteiten , oder umzureiſſen. Allein 
das Gelärme der fehlgeſchlagenen Bemü⸗ 
hungen, der wechſelweiſen Aufmunte⸗ 
rungen, das Gelaͤrme der Unordnung 
machet die Städter ) wache, und es iſt 
ihnen nicht ſchwer, den Angriff abzutrei⸗ 


ben. „ nes 
70 


72 Städter, ein Einwohner der Stadt: 
Wie? hebt der Städter an, kannſt du auf deinen 
Höhen 
8 biefem öden Wald dich ſo zufrieden ſehen? 
Hagedorn. 


obne Borurtheil. 21 


„Nach e eee Gefahr erſt, 
ſieht man ihre Gröſſe. Wenn die Seinde 
im Sinftern eingedrungen wären 2 da, 
als alles ſchlief wer würde unfre Weiz 
ber, unſre Kinder gerettet haben e Das 
ſind die Gedanken, die bei ihnen am erſten 
entſtehen mußten: und dieſe Gedanken lei⸗ 
teten ſie zugleich auf die Vorſicht, ſich in 
die Nachtwache zu theilen, und durch die 
Munterkeit des einen Theiles, die Ruhe 
des andern, und der ganzen Stadt zu ver⸗ 
ſichern. „ 

„In den taͤglichen Streifereyen, die 
auf die angraͤnzende Zorde gemacht wur⸗ 
den, brachte man von einer und der ans 
dern Seite Gefangene ein. Gleich An 
fangs faͤhrt man dieſen Gefangenen auf 
das unbarmherzigſte mit; man ſieht 
ſie als das Opfer der allgemeinen Rache 
an. Aber die Ungluͤckſeligen fanden in der 
Mitte ihrer Feinde Sürſprecher. Gebt 
mir ihn, ſchrie ein Weib aus den Haus 
fen der Zuſchauer! mein Mann iſt ge⸗ 
fangen ! ich will ihn mir für dieſen 
wieder ſchaffen. So rufte ein Vater uͤber 
ſeinen Sohn: ſo ein Sohn uͤber ſeinen 
Vater. Die Stimme des Weibes hatte 

B die 


22 Der Ma un 


die Erinnerungen rege . be daß man 
den Ihrigen eben ſo begegnen werde. Man 
ſchonte alſo in feinen Feinden feine An⸗ 
gehörigen. „ * 
„ Die Gefangenen werden entlaſſen, 
und das Geſchenk ihrer Freyheit macht ſie 
zu Freunden. Sie kommen zu den Ihri⸗ 
gen unbeſchädigt zuruͤcke , erzaͤhlen vie 
Geſchichte ihrer Befreyung, und erhalten 
zur Dankbarkeit die Freyheit derjenigen, 
die bei ihrer Horde gefangen ſind. „ 
„Der Fried hat nun hier und dort 
Mittler. Ein Gefangener, der eben den 
Seinigen wiedergegeben worden, um den 
die frohen Angehörigen in dichtem Kreiſe 
verſammelt ſtehen, fpricht: Warum haſ⸗ 
fen wir ſie v und was haben fie uns ge⸗ 
than v daß fie uns dieſe Früchte, dieſe 
Wurzeln nicht preis gegeben » fie ha⸗ 
ben dieſelben gebauet — und gewiß 
nicht für uns, die wir kommen, und 
ihren Schweiß eſſen wollen. Es iſt ihr 
einziger Vorrath. Wenn ſie uns da⸗ 
von mittheilen, ſo iſt es, bei wieder⸗ 
kehrendem Froſte, weder ihnen genug, 
noch uns. Lieber, laßt uns ſie bitten, 
daß ſie uns lehren, wie man pflanzet! 
und 


ohne Vorurtheil. 23 


und dann wollen auch wir arbeiten, 
und wir werden nicht nöthig haben, 
uns der Nahrung wegen, einander auf: 
zureiben. Der Gefangene war der gan⸗ 
zen Geſellſchaft durch die Gefahr ſchaͤtzba⸗ 
rer, feine Worte hatten einen überreden- 
den Nachdruck. Man berathſchlaget ſich: 
wer ſoll den Antrag machen 2 Ich, 
ruft derſelbe Mann, der der Rathgeber 
zum Frieden geworden, und ein freudiger 
Zuruf beſtaͤttiget das großmuͤthige Aner⸗ 
bieten. „, 

„Von dieſer Seite wird es auch leicht 
angenommen. Man iſt des ewigen Strei⸗ 
tens muͤde: man ſieht die Vortheile ein; 
zwey kleine Voͤlker ſchmelzen nun in eines 
zuſamm. Die neuen Bundgenoſſen legen, 
nach dem Vorbilde der erſten Stadt, eine 
zweyte an: fie werden in den Handgrif—⸗ 
fen des Erdbaues unterrichtet: die neue 
Freundſchaft wird durch Heurathen befe— 
ſtiget. Man theilet einander ſeine Einſich⸗ 
ten , feine Entdeckungen, feine Geſetze 
mit. Man verbindet ſich zum wechſelſeiti⸗ 
gen Beiſtande, wenn Fremde die eine oder 
andere Stadt anfallen ſollten. Die beiden 
Orte find nur dem Platze nach geſoͤndert. 

B 4 Sit⸗ 


24 Der Mann 


Sitten, Geſetze, Rathſchlaͤge, Verthei⸗ 
digung, alles haben fie gemeinſchaftlich. 
Die Gemeinſchaft des Vortheils verein⸗ 
baret ſie zu einem Staate. „ 


IV. 


Ic hatte heute einen der ungelegenſten 
Veſuche auszuſtehen. Alcindor kam mit 

dem Tage in mein Zimmer getreten. Das 
dachte ich auch — vernahm ich aus dem 
Nebenzimmer — daß man euren Herrn 
um dieſe Zeit nicht im Schlafe ſtört: 
er ſitzt gewiß ſeit Mitternacht — Und 
nun Öffnet er mit Ungeſtuͤme die Thuͤre — 
am Pulte — ſchrie er über die Schwelle 
hinein, und lachte. Es iſt ein ein trau⸗ 
riges, ein ungemächliches Zandwerk 
um einen Schriftſteller. Ladet Sie 
denn, guter Mann! der heitre Mor⸗ 
gen, der wiederkehrende Frühling nicht 
ein, feiner zu genieſſen 2 Er warf ſich 
auf das Soffa, ſchlug die Beine uͤber: 
Sie zücken die Achfely Nicht wahr, 
das würde ſchade ſeyn, Sie ſo dem vol⸗ 
len Zufluſſe ihrer Gedanden zu rauben 
Sie haben Recht! jedes ſtrebt nach ſei⸗ 

ner 


ohne Borurtheil. 25 


ner Art bekannt zu werden, Sie durch 
ihre geder, und ich — Und Sie, unter⸗ 
brach ich ihn, durch einen in die Augen 
fallenden Aufwand, von dem die ganze 
Stadt ſpricht — So? ſpricht fie von 
meinem Aufwande, die Stadt e das iſt 
wohl gethan! bald ſoll ſie mehr von 
mir fprechen! ſehen Sie, §reund! wie 
die Wege zum Ruhme ſo verſchieden 
ſind! ich habe den kürzern gewählet. 

Capa⸗ kaum trat ein: aber nach dem 
Unterrichte, den er empfangen hatte, kehr— 
te er mit einer Verbeugung zuruͤcke, ſo 
bald er Geſellſchaft bei mir ſah. Nicht 
doch, rief Aleindor, bleib immer! dein 
Sührer, und ich ſind vertraut. Du 
magſt vollenden, warum du hieher kamſt. 
Mein Zoͤgling ſah nach mir, ich gab ihm 
ein Zeichen, zu verbleiben. 

Das iſt alſo, hub Aleindor an, der 
wilde Junge, den Sie zu bilden unter⸗ 
nommen haben. gören Sie, machen 
Sie ja keinen Kopfbanger aus ihm! 
das ſind traurige Geſichter, ungerne 
geſehen, wo ſie eintreten, ſie könnten 
die Sreude ſelbſt weinen machen — Der 
Gedanke mußte ſeinen groſſen Beifall ha⸗ 

ben, 


26 Der Mann 


ben, denn er wiederholte ihn noch eini⸗ 
gemal. 

Capa⸗ kaum hatte ein beſchriebenes 
Blatt in ſeiner Hand. Laß ſehen! fuhr 
er fort, womit giebſt du dich ab. Es 
war der Aufſatz, den ich ihm vom Ur⸗ 
ſprunge der Geſellſchaften mitgetheilt 
hatte. Brich dir den Kopf mit Poſſen 
nicht! wir find nun einmal da, warum e 
das iſt gleichgültig; kannſt du es dn- 
dern 2 Laß dir von deinem Prediger — 
er wies auf mich — nichts anfchwägen ı 
er iſt Rigoroſiſt, und da kömmt man 
immer zu kurz. Es iſt eine ganz unbe⸗ 
liebte Sekte, zu der ſich niemand ſonſt 
bekennen wird. 

Alcindor, ſagte ich zu ihm, Sie wer⸗ 
den ſich ſelbſt verwickeln: ich koͤnnte Sie 
auffodern, dieſem neuen Bürger die 
Grundſätze der Rigoroſiſten bekannt zu 
machen, und dann — Auffodern Y das 
Wort iſt gewaͤhlet: man fat ſonſt, Sie 
waͤhlten ihre Wörter: nun, ich nehme 
fie anı die Auffoderung. Sehen Sie 
zu, ob Sie gewinnen! 

Junger Menſch! ich richte meine 


Rede an dich. Wir find zum vergnü⸗ 
gen 


ohne Vorurtheil. 27 


gen gemacht: mein Beweis liegt in 
deinem Gefühle, das alles flieht, was 
dieſes Vergnügen ſtören könnte. Aber 
es giebt Sauertöpfe , die dich dieſes 
Gefühl verlaugnen heiſſen, die ſprechen: 
das Uebel iſt gut, der Schmerz iſt eine 
angenehme Empfindung, wenn die Urſache 
dazu ruͤhmlich iſt. Du — wünſcheſt, daß 
alles eine Beziehung auf dich habe: 
dieſe — verſetzen dich aus dir ſelbſt, 
du ſelbſt haft nur eine Beziehung auf 
das Ganze. Und nun, nicht deine Nei⸗ 
gung mehr, nicht deine Lüfte, dürfen 
gehöret werden: dort haſt du eine Richt⸗ 
ſchnur, nach der mußt du dich beftandig 
wenden. Das Geſetz befiehlt: zwar du 
biſt allein, aber du mußt gehorchen. 
Wer weis es, wenn ich es übertrete: 
niemand! aber das Ganze fodert Ueber⸗ 
einſtimmung der Theile. Du biſt dürf⸗ 
tig, das Glück biet dir Gelegenheit 
an, reich zu werden, du ſtehſt an der 
Spitze einer Einnahmkaſſe: wer zahlt 
das Eingelaufene, um dir es zu wäh⸗ 
ren, daß du dir hülfſt 2 Bleib elend! 
ſagt die ſtrenge Lehre, dein Glück ver⸗ 
letzet die Treue, das Band des Ganz 
zen. 


28 Der Mann 


zen. Du haft Anverwandte, Leute, 
ich will es zugeben, die unfähig find, 
aber es ſind Anverwandte. Ein Amt, 
das du an ſie vergeben könnteſt, darf 
ihnen nicht werden! fie find unfaͤhig, 
der Zug des Geblüts verliere feine 
Kraft! Kin reizendes Weib hat deine 
wünſche, und ſie hört ſie: der Mann 
ſchläft auf ihre Tugend ſicher ein, 
ſtündlich lacht euch die Gelegenheit. 
Du mußt fie fliehen, denn fie iſt das 
Weib eines andern — Stillt dieſer Troſt⸗ 
ſpruch das Brauſen deiner Leidenſchaf⸗ 
ten» hört die Ungeſtüme dein Wort, 
und gehorcht fie ihm » Durchlauf fo 
deine Begierden nach der Reihe alle, 
um ſie alle zu unterdrücken, wo ſie 
mit dem Wohl des Ganzen nicht über⸗ 
einſtimmen: das iſt der Inhalt — — 
Nein, fiel ich hier Aleindorn ein, ich 
kann es nicht zugeben, daß Sie fortfah⸗ 
ren, mit ihrem Geſpoͤtte Geſetz und Tu⸗ 
gend zu mishandeln, die beiden vereh⸗ 
rungswuͤrdigen Stuͤtzen der Geſellſchaften, 
deren Schutz das Laſter ſelbſt ſuchet. Ich 
will nun ihre Rechte vertreten, hoͤren 
Sie! E 
Sie 


ohne Borurtheil, 29 


Sie hören? ſagte Alcindor, und hub 
ſich eilfertig von ſeinem Sitze: das mag 
der ehrliche Burſche da! Ich kam eine 
halbe Stunde bei ihnen hinzubringen: 
er ſah nach der Uhr: meine Zeit iſt vor⸗ 
über: wir ſehen uns, wo nicht eher, 
wenigſtens im Schauſpiele — Er gieng. 
„Was duͤnkt dir, Capa⸗kaum, von 
dieſem Manne ? von feinen Grundſaͤtzen 2, 
Er koͤnnte, verſetzte dieſer, mir die 
Geſellſchaft ſelbſt verleiden. Wie? bei 
ihm alſo, werde ich nur ſo lange, an 
allem, was mir ſchaͤtzbar iſt, unbeleidiget 
bleiben, als es ſein Vortheil verlangt? 
ſeine Begierden werden alſo die Graͤnzen 
meiner Wohlfahrt, wenn er ſie befrie⸗ 
digen kann — 8 
„Erinnere dich, antwortete ich ihm, 
du fandeſt in unſrer geſtrigen Unterredung 
die Strafen uͤberfluͤſſig / du fandeſt fie grau: 
ſam. Alcindore find es, und die, die ihm 
ähnlich ſind, welche die Strafen im Zu⸗ 
ſammenhange einer geordneten Geſellſchaft 
nothwendig machen. Dieſe Menſchen, 
die keine anderen Triebfedern ihrer Hand⸗ 
lungen kennen, als ihre unordentlichen 
Begierden, die nicht in Stand ſind, bei 
ſich 


30 Der Mann 


ſich zu ſagen: ich empfange Vortheile 
von der Geſellſchaft, dafür bin ich ihr 
wieder verpflichtet; dieſe wuͤrden alles 
über und einſtuͤrzen, wenn nicht die Furcht 
des Uebels ihren Naſen der gewaltige 
Kappzaum wuͤrde, der ſie baͤndigte. Stelle 
dir Aleindorn vor, wie er deinem Mäd⸗ 
chen in einem einſamen Haine begegnet! 
feine Begierden uͤberwaͤltigen ihn, oder 
vielmehr, er uͤberlaͤßt ſich denſelben gerne: 
er ſchaut umher; nirgends ein Zeug, den 
er zu ſcheuen hätte: er ruft: der Wieder: 
hall allein antwortet ihm: alſo wird der 
Flehenden niemand beiſpringen, alle ſeine 
Beweggruͤnde zur Enthaltſamkeit ſind weg. 
Aber das Geſetz gebiet nicht nur: es 
drohet auch: die Beleidigte wird am Fuſſe 
des Richterſtuhls durch Erroͤthung und 
Seufzer klagen, und ihre Schmach wird 
dort den Rächer finden: einen Rächer, 
der eine übergehende Wolluſt mit dauer- 
haftem Wehe vergelten wird. Dieſe Er— 
innerung, durch das Wimmern der Bes 
draͤngten rege gemacht, dringt ſich durch 
die empoͤrten Begierden hindurch, und der 
zur Schandthat ausgeſtreckte Arm des Boͤ— 
ſewichts — ſinket. So weis der Geſetz⸗ 
ge: 


ohne Vorurtheil. 3:1 


geber der Unſchuld, ſelbſt in der Sohle des 
Löwen einen Beſchützer zu erwecken. „ 

Ich verfolgte auf dem Geſichte meines 
Zoͤglings die Kennzeichen der wechſelnden 
Gemuͤthsbewegung. Er gluͤhte — er zit⸗ 
terte — er knirrſchte mit den Zaͤhnen — 
und die lebhafteſte Freude breitete ſich 
darauf aus, als die Gefahr ſo unvermu⸗ 
thet abgewendet ward — 


8 1 
Mein Herr! 


Das Bild der Matrone in ihrem 24. 
Stuͤcke iſt unverbeſſerlich. Ich bin zu we⸗ 
nig, dem ſchoͤnen Geſchlechte die gebuͤh⸗ 
renden Vorzüge abzuſprechen: aber ich 
zweifle, ob Sie mir unter Hunderten ein 
einziges, dem Bilde ihrer Matrone aͤhn— 
liches Wunder, vergeben ſie mir den 
Ausdruck, aufweiſen koͤnnen. Gleiche 
Vorurtheile, welche Sie bei uns Maͤn⸗ 
nern durch ihren ſchon allmaͤhlich in der 
groſſen Welt bekanntwerdenden Tapa⸗Kkaum, 
auf die Seite zu raͤumen trachten, muͤſſen 
auch bei der reizernden Halfte der Schö⸗ 
pfung 


N 


32 Der Mann 


pfung gehoben werden, ehe ſolche Ma⸗ 
tronen erſcheinen koͤnnen, die durch kluge 
Fuͤhrung ihrer Hauswirthſchaft, durch 
weiſe Erziehung ihrer Kinder, dem Staate 
ganze Familien erhalten, und keine ſoge⸗ 
nannten Wienerfrüchte, ſondern ver⸗ 
nuͤnftige Bürger, getreue Verehrer ihres 
Vaterlandes, und der Geſetze zu bieten, 
im Stande waͤren. „ 

„Die Erziehung der Kinder, die den 
Frauen hauptſaͤchlich, wenigſtens bei der 
erſten Bildung obliegt, iſt, wie ich denke, 
fuͤr den Staat ein Werk von aͤuſſerſter 
Wichtigkeit, wozu Sie, mein Herr, bei- 
tragen koͤnnen. Wollten Sie nicht durch 
eine Wilde — denn von gleichem Ges 
ſchlechte laͤßt ſich ein Mädchen eher ber 
lehren; eine Wilde muͤßte es alſo ſeyn; 
nennen Sie ſie, wie Sie wollen! oder 
wäre es nicht möglich Capa⸗kaums Ges 
liebte herzubringen — Wollen Sie nicht 
dem ſchoͤnen Geſchlechte die nur zu ſehr 
eingeriſſenen Vorurtheile benehmen, und 
durch ihre lehrenden Schriften wirklich 
Matronen zu bilden ſuchen, die ihrem Ideal 
ähnlich find, oder doch ihm ſich nähern. 
. nebſt noch vier andern .... ihrer 

Schrif⸗ 


ohne Vorurtheil. 33 


Schriften verbinden uns, ungeachtet des 
gegen den Eheſtand gefaßten Widerwillens, 
auf das feyerlichſte, falls uns nicht eher 
das Alter uͤberfaͤllt, bevor ſie ausgebildet 
ſind, mit einem ſo vollkommenen Gegen⸗ 
ſtande die wahre Gluͤckſeligkeit unſers Le⸗ 
bens zu beſtaͤttigen: ich bin „ 

ihr === und beſtaͤndiger Lefer ... 


VI. 


Das iſt das groſſe Vorrecht der Tugend, 
daß es dem Laſter mit aller ſeiner Unver⸗ 
fchämtheit Ehrfurcht abnöthiget. Da⸗ 
rum ſuchen Laſterhafte ſich ſo begierig von 
dem Rechtſchaffenen loszumachen, weil ſei⸗ 
ne Gegenwart ſchon allein ihren Begier- 
den Zwang anthut. Ein Blick, der fie 
bei einer unanſtaͤndigen Handlung uͤber⸗ 
raſcht, iſt ein Verweis: das Lob einer 
guten Handlung, die unterlaſſen worden, 
da die Gelegenheit , fie auszuuͤben, ſich 
anbot, iſt eine Strafpredigt. In dieſen 
Augenblicken des ſich gelaſſenen Selbſtge⸗ 
fuͤhls duͤnkt ſich ein Prinz vor ſeinem red⸗ 
lichen Diener ein Sklav: er eilt, feine 
Knechtſchaft zu endigen, uͤberladet den un⸗ 
II. Theil. C be⸗ 


34 Der Mann 


bequemen Mann mit Lobſpruͤchen, haͤngt 
ihm das guͤldene Halsgeſchmeid um, haͤu⸗ 
fet Gnadengehalt auf Gnadengehalt — und 
entfernet ihn. Seht darin die ehrenvolle 
urſache manche? unerwarteten Abdankung / 
und Entlaſſung! Nicht einzelne Perſonen 
allein, auch Völker geſtunden dieſe Ueber⸗ 
macht. Nato, der den Saͤtzen feiner Lehre 
dadurch Anſehen verfchaffte , daß er fie 
ausübte, war bei einem Spiele gegenwaͤr⸗ 
tig, das feinen Mitbuͤrgern gegeben ward. 
Das Volk war des Wagenrennens, und 
anderer Gefechte bereits uͤberdruͤſſig, es 
wünſchte Mimos. (“ Aber in dieſen 
Schauſpielen war die Zuͤgelloſigkeit der 
Vorſtellung auf das hoͤchſte getrieben, und 
Kato wuͤrde fie geſehen haben! Die Roͤ⸗ 
mer, deren Stimme das Schickſal der 
maͤchtigſten Koͤnige entſchied, die Roͤmer, 
die Krieg und Frieden befahlen, die — 
hatten das Herz nicht, in den Augen 
Ratons dieſe unehrbaren Spiele zu for 


dern. 
Wenn 


„) Die Spiele der Mimen waren Poſſenſpiele, 
(beinahe wie ——) worin die unflättigſten 
Handlungen nach der Natur vorgeſtellet wus⸗ 
den — 


ohne Vorurtheil. 35 


Wenn nun ein ungleiches Band Sitt⸗ 
ſamkeit und Ausſchweifung zu täglicher 
Geſellſchaft unaufloͤslich verknuͤpfet, man 
kann es leicht begreifen, wie gewaltſam 
die Stellung der letztern ſeyn muß, und 
was ſie nicht verſuchen wird, um ſich des 
ermuͤdenden Zwangs zu entledigen. Der 
einfachfte Weg, den fie ergreift, iſt, die 
Tugend zu ſich herabzuziehen, da es ihr 
zu ſchwer faͤllt, ſich zu derſelben zu erheben. 

Wir werden darin den Aufſchluß zu 
mancher Haushaltung finden, die uns Er⸗ 
ſtaunen erwecket. — Wie, ſpricht eine gan⸗ 
ze Stadt, wie iſt es moͤglich, hat $ === 
allein keine Augen? ſeine Frau, von 
Schwaͤrmern zu jeder Stunde des Tages 
umlagert, haͤlt nicht das geringſte Maß, 
wenigſtens den Schein ſeiner Ehre ſicher 
zu ſtellen. Hundert Abentheuer von ihr 
ſind die Unterhaltung aller Geſellſchaften 
geweſen, man zeigt ſie mit Fingern, und 
er — Er weis es, aber er iſt gezwun⸗ 
gen zu ſchweigen. Hier iſt ſeine Ge⸗ 
ſchichte — N 

Eleonore war die Zierde ihres adeli⸗ 
chen Hauſes, und Geſchlechts. Ihre Er⸗ 
ziehung war un verbeſſerlich, ihr Herz vor⸗ 

C2 treff⸗ 


36 Der Mann 


trefflich, ihre Sitten angenehm‘, fanft , fie 
war der Gegenſtand aller vernünftigen ' 
Liebhaber, auch der Schwarm der Thoren 
flatterte um fie herum. F === erſchien, 
ſeine Mine iſt einnehmend. Welt, und 
Reiſen haben ſeinen Umgang frey und 
ſtaͤndig gemacht, Sein Haus iſt gut, u 
ſeine Gluͤcksumſtaͤnde ſind lockend. Er 
zeigte um Eleonoren eine ernſthafte Aem⸗ 
ſigkeit, die bald bei ihren Aeltern Eindruck 
machte. Seine übrigen Mitwerber em- 
pfanden, wie ſehr F = = ihnen vorgezo⸗ 
gen ward, nach und nach verloren ſich 
alle. Kurz, er war der beneidete Gemahl 
Eleonorens. 

Das erſte Jahr war die Feyer der 
Liebe. ==: wuͤrde das Glück, feine 
Eleonore zu beſitzen, nicht um Throne 
verwechſelt haben. Sie hingegen, die auf 
ihren Mann von ſich ſchloß, ſie uͤberließ 
ſich ihren lebhaften Empfindungen — zu 
viel. Eine kluge Zuruͤckhaltung iſt die 
Wuͤrze der Liebe. Das iſt die Freymäu⸗ 
rerey der Weiber, wovon Charlotte 
Grandiſon fo viel Aufhebens macht. $=== 
ward des Nektars ſatt, weil er ihm im⸗ 
mer im vollen Becher gereichet ward. Die 

Lieb⸗ 


ohne Vorurtheil. 37 


Liebfofungen Eleonorens machten ſchon 
einen geringern, und machten bald keinen 
Eindruck mehr: bald aber wurden ſie 
ihm läſtig, er vermied fie, und, um ih⸗ 
nen auszuweichen, ſuchte er Geſellſchaft. 
Eleonore war der Einſamkeit ungewohnt, 
ſie machte Vorwuͤrfe. Aber Vorwuͤrfe, 
die auf den Lippen einer Geliebten, die 
Loſung, fie zu beſoͤnſtigen, ſind, werden 
in dem Munde eines Weibes, das uns 
gleichguͤltig iſt, das Feldgeſchrey eines ewi⸗ 
gen Bruchs. Den Vorwuͤrfen ſeiner Ge⸗ 
mahlinn zu entfliehen, war $=== Tage 
lang auſſer Hauſe, und Wochen lange auf 
dem Lande. 

Sein Herz war leer, aber es war ge⸗ 
wohnt, eingenommen zu ſeyn. Bei den 
Ergoͤtzungen, denen er beiwohnte, waren 
auch Freundinnen zugegen, anziehende Ger 
ſtalten, wo er nicht lange gleichguͤltig blieb. 
Ohne die Gaͤnge ſeiner Liebe durch einen 
Roman zu beſchreiben, er liebte, ward 
geliebt. 

Das Haus ſelner Gemahlinn war ans 
ſehnlich. Er konnte alſo mit Eleonoren 
nicht offenbar brechen, ohne ſich der Em⸗ 
pfindlichkeit der ganzen Verwandtſchaft 

aus: 


— 


38 Der Mann 


auszuſetzen; und Eleonore war nicht von 
denen, die leicht eingeſchlaͤfert werden 
koͤnnen. Auf dem Lande, wohin ſeine 
Gemahlinn ihn nicht begleitete, da war 
es möglich, das neue Verſtaͤndniß mit 
Alcinden geheim zu halten: aber der 
Winter mußte in der Stadt, unter den 
Augen der vielleicht ſchon argwoͤhniſchen, 
der wachſamen Eleonore hingebracht wer⸗ 
den, und der endende Herbſt machte die 
Landluſt ungemaͤchlich. Man berathſchlag⸗ 
te, und kam über folgenden Entwurf 
uͤbereins. 

F == lud zu ſich täglich zahlreiche Ger 
ſellſchaft, alle ſchimmernden Juͤnglinge, 
die auf Eroberungen lauren, alle Lieb⸗ 
haber von Gewerb, deren Ruhm gegruͤn⸗ 
det iſt, daß ihnen nie ein Weib widerſtan⸗ 
den hat. Dieſen gab er ſeine Gattinn 
durch freywillige Unachtſamkeit preis. Zwar 
fie widerſtand lange; lange erreichte $= == 
nicht ſeine Abſicht, in den Fehltritten ſei⸗ 
ner Gattinn, einen Vorwand fuͤr feine 
Ausſchweifungen zu finden. Aber er brach⸗ 
te es endlich durch ſein uͤbles Begegnen 
dahin, daß ſie ſich raͤchte. Sie nahm ei⸗ 
nen Liebhaber an: und det nun zufriedene 


F 


ohne Vorurtheil. 39 


F⸗fuͤhrte Aleinden in das Haus ein. 
Eleonore wollte Einwendungen machen, 
weil ſie ſich unentdeckt hielt. Aber ihr 
Gemahl ließ ſie nicht lange im Irrthume. 
Sie huben alſo die Bitterkeit gegeneinan⸗ 
der auf: ihre wechſelweiſen Fehler wurden 
ihnen wechſelweiſer Schutz gegen Vorwuͤr⸗ 
fe. F⸗⸗ hatte nicht Muth genug, eine 
Buhlerinn der tugendhaften Eleonore un⸗ 
ter die Augen zu fuͤhren: er ſelbſt machte, 
daß ſie die Tugend verlor, und darf er ſie 
nun wieder fodern? Bleonore glaubt ihren 
Liebhabern nicht mehr Anhänglichkeit 
ſchuldig zu ſeyn, als ihrem Gemahle: 
ſie uͤberlaͤßt ſich einem dahinreiſſenden Tem⸗ 
peramente: fie liebt nicht , fie hat die 
Liebhaber nach der Reihe. 

Ich bin gezwungen, dem maͤnnlichen 
Verſtande Recht wiederfahren zu laſſen. 
Es giebt in der That weniger Dummkö⸗ 
pfe von Ehemännern, als man wohl 
glaubt. Viele ſcheinen es gerne, wenn 
nur ihre Weiber wieder Dummköpfinnen 
ſeyn wollen. Graͤfinn Tylney nimmt alle 
männlichen Diener im Haufe auf. Ihr 
Kamerdiener iſt einer der wohlgemacht⸗ 
ſten Figuren, alle ihre Bediente ſind Blond⸗ 

C 4 haa⸗ 


40 Der Mann 


haare. Sollte das der Graf allein nicht 
kennen? Es iſt zum Stadtſprichworte ge⸗ 
worden, wenn man einen ſchoͤnen Jungen 
ſieht: der möchte bei Tylney Lakey 
werden! Gewiß er kennt es, aber er 
hat dieſe Freyheit ihr nur erſt eingeraͤu⸗ 
met, als ſie ihm die Mädchen zu ihrem 
Dienſte aus zuſuchen überließ. Seine Wahl 
iſt in dieſem Stucke eben fo einſichtsvoll, 
als die Wahl ſeiner Gemahlinn. 5 

So bald alſo ein Mann, fo bald ei— 
ne Frau bei ſtadtruͤchtigen Entehrungen 
überſehend ſind, kann man immer ſchluͤſ⸗ 
ſen, daß dieſes Ueberſehen nicht ſowohl 
aus Unempfindlichkeit, als aus dem Selbſt⸗ 
gefuͤhle ihres eigenen Fehlers herruͤhrt. 
In der That, wie darf ein Mann es wa⸗ 
gen, feinem Weibe eine zu freye Auffüh- 
rung vorzuwerfen, wenn ſie ihm ſtatt aller 
Antwort ſagen kann: Mein Herr! Sie 
find das Muſter, nach dem ich mich 
bilde! — 

Hingegen, wenn die Gemahlinn eines 
Mannes, der das Band der ehelichen Treue 
hundertmal zerriſſen hat, mit dem feyer⸗ 
lichen Anſehen der Tugend bekleidet, er: 
ſcheinet, wie muß ſich der ſeines Vorrechts 

Ent: 


ohne Vorurtheil. 41 


Entſetzte krümmen » zu welchen nieder⸗ 
traͤchtigen Griffen muß er ſeine Zuflucht 
nehmen? Der Brief, den Capa- kaum 
erhalten, und deſſen Beantwortung man 
vielleicht hier erwartet, iſt ein Beweis. 
Er iſt unwuͤrdig anders, als durch die aͤuſ⸗ 
ſerſte Verachtung beantwortet zu werden. 
Aber ihr Verehrungswuͤrdige! die ei⸗ 
nes beſſern Schickſals würdig, an der Sei⸗ 
te ſolcher Gatten eure ſchoͤnſten Tage zu- 
zubringen verurtheilt ſeyd, haltet euch 
uͤberzeuget: daß die ſtrengſte Tugend 
der einzige Schild iſt, durch den ihr 
wenigſtens eure häusliche Ruhe befchir: 
men könnet. | | | 


VII. 


D.. ganze Begriff von der gemein 
ſchaftlichen Wohlfahrt wird wankend, 
wann ein Capa⸗ kaum auf einer Seite 
Sülle, verſchwendung, Stolz, auf der 
andern Mangel, unwillkührliche Spar: 
ſamkeit, Erniedrigung erblicket. Er wird 
ſchwer zu uͤberzeugen ſeyn, daß der, wel⸗ 
cher mit emporgeſchlagenem Haupte im 
vergoldeten Wagen daher rollet, und der, 
C 5 wel⸗ 


42 Der Mann 


welcher vor dem belaſteten Karren geſpan⸗ 
net, keichend einhergeht; der, fuͤr deſſen 
Gaumen vier Köche alle ihre Kunſt er- 
ſchoͤpfen, und der, welcher in der mit⸗ 
taͤglichen Raſtſtunde ſein Stück Brodt an 
der Sonne gelehnt, verzehret; der, den 
ſiberiſches Pelzwerk unter Sammt geſchla⸗ 
gen, vor der Strenge des Winters ſchuͤ⸗ 
bet, und der nur halbdedeckte Elende, der 
auf der Straſſe ſtarret, an dieſer Wohl⸗ 
fahrt gleichen Antheil nehmen. 

An einem der heitern Tage, die uns 
den nahen Fruͤbling ankuͤndigen, fuͤhrte ich 
meinen Beobachter, alle die ſchoͤnen Ger 
bäude zu beſehen, mit welchen die Mo⸗ 
narchinn ihr glückliches Wien verſchoͤ⸗ 
nert hat. Von Ungefaͤhr ward er eines 
Mannes gewahr, der von einem zahlrei- 
chen Gefolge begleitet ward. Er merkte 
an, daß jedermann dieſem Mann aus dem 
Wege trat; daß dieſer die ehrerbietigen Ver⸗ 
beugungen, die ihm gemacht wurden, mit 
auf geworfenen Lippen annahm, und mit 
einer kaum ſichtbaren Kopfwendung erwie⸗ 
derte. Dem neuen Bürger flieg die Roͤ—⸗ 
the in das Angeſicht: er fragte mit Hitze: 
wer der waͤre, der freywillige Ehrenbe⸗ 

zeu⸗ 


ohne Vo rurtheil. 43 


zeugungen ſeiner Mitbürger ſo gering⸗ 
ſchaͤtzig uͤberſieht? und warum nicht jeder⸗ 
mann ihm dieſe Verachtung zuruͤckgaͤbe, 
und ihn unbeobachtet, mit zugekehrtem 
Ruͤcken voruͤbergehen laſſe? - 

Mein Freund — verſetzte ich, wir ver⸗ 
ehren in ihm den Vorzug ſeiner Geburt. 
Der Fehler iſt ſeiner Seite, daß er durch 
perſoͤnlichen Stolz ſich dieſer Verehrung 
unwuͤrdig machet. 3 

Es iſt mir unmoͤglich, war die Ant⸗ 
wort Capa⸗kaums, mich in eure Den⸗ 
kungsart zu verſetzen. Was fuͤr einen 
vorzug kann Geburt geben? 

Ich unterrichtete ihn von dem Vorzu⸗ 
ge des Adels, von der Stiftmaſſigkeit, 
und ihren Vorrechten: er unterbrach mich 
augenblicklich durch ſeine Fragen: 

Ein Menſch alſo, ſagt er, der 24. Ah⸗ 
nen zaͤhlet, ift beſſer gebohren? 

Nach unſern Begriffen — 

Aber, da wir alle von einem Aelter⸗ 
vater abſtammen, wie die Religion lehret, 
fo haben wir alle gleichviel Ahnen — 

Wohl, wenn wir dieſe erweiſen koͤnn⸗ 
ten — 


Da 


44 Der Mann | 


Da ift ja kein Beweis nothwendig, 
wo kein Zweifel ſeyn kann: kann man 
zweifeln, ob ich Großaltern gehabt habe? 

Nein: aber waren dieſe Großdltern 
Leute von e 2 das beißt een 
e zn 

Er verlangte m wiſſen „ wodurch wan 
die Verdienſte der Ahnherren darthun 
müßte: und als ich ihn auf die Adels: 
briefe verwies; ſo warf er die unbeque⸗ 
me Frage auf: ob es denn eine nothwen⸗ 
dige Folge wäre, wenn der Uhraͤltervater 
Verdienſte gehabt, daß auch der Aelter⸗ 
vater und ſeine Enkeln welche beſeſſen? 
und geſetzt, fuhr er fort, wann der An⸗ 
herr der Geſellſchaft unterſcheidend nützbar 
geweſen, ſeine Nachkoͤmmlingen aber ſich 
dem Muͤſſiggange und Wohlleben ergeben 
haben, pflanzt ſich der Adel dennoch fort? 

Ich mußte ja antworten, ſo ſehr ich 
das Verfaͤngliche der Frage einſah. 

Das iſt alfo in der That glücklich fuͤr 
die Enkeln, einen rechtſchaffenen Anherrn 
zu haben. Aber geſtehen Sie mir, mein 
Lehrer, finden Sie dieſe Begriffe nicht wi⸗ 
derſinnig, wenn man ſie ein wenig genauer 
beleuchtet? Man ſetze: ein Mann hat durch 

ſei⸗ 


ohne Borurtheil. 45 
ſeine Tapferkeit den Staat vertheidiget: 


dieſer tapfre Buͤrger wird geadelt, ſein 


Adel heißt im eignen Verſtande immer 
Tapferkeit. Unter ſeinen Nachkoͤmmlin⸗ 
gen iſt einer vom Mutterleibe zur Herz⸗ 
haftigkeit fo verwahrloſet, daß er die Spitze 
einer Klinge nicht mit unverwandtem Blicke 
ertragen kann: er läuft bei einem Ge⸗ 
fechte, wo das Vaterland ſeines Arms 
noͤthig hatte, davon: aber er fuͤhrt den 
Namen ſeines Großvaters, ich muß den 
feigen Ausreiſſer tapfer heiſſen. Ich weis 
nicht, warum ich den Jungen mit der 
engliſchen Krankheit, den Sie mir juͤngſt 
wieſen, nicht eben fo für einen guten Laͤu⸗ 
fer anſehen muͤßte, wenn ſein Vater von 
Ungefaͤhr einer der beßten Laͤufer im Lande 
wäre? — 

Ich zuͤckte bei dieſer Anmerkung die 
Achſel, ſtatt aller Antwort. Es gibt ein 
maͤchtiges Volk, fuhr ich darauf fort, bei 
dem der Adel nicht durch die Geburt, ſon⸗ 
dern durch perſönliches Verdienſt erwor— 
ben wird. Aber wir polizirteren Natio⸗ 
nen heiſſen dieſes Volk Barbaren — In⸗ 
deſſen, lieber Capa⸗- kaum! dieſe Ein⸗ 
en hat wie ihre unvortheilhafte auch 

eg 


46 Der Mann 


ihre ſchoͤne Seite. Der erbliche Adel ift 
die Pflanzſchule der groſſen Maͤnner, eben 
darum, weil er erblich iſt. Ein Sohn, 
der einen Namen zu behaupten hat, darf 
nicht, kann nicht unbemerkt unter dem 
Haufen ſeiner Mitbürger ſtehen. Seine 
Geburt ſetzt ihn gleichſam auf ein Fußge⸗ 
ſtell, wo er den Blicken aller Welt aus⸗ 
geſetzt iſt. Hier muß er ſich unterſchei⸗ 
den. Thut er es nicht, ſo mag er ſeine 
Adelsbriefe an den Ecken ſeines Hauſes 
anheften, er mag ſeine Wappen vor ſich 
hertragen laſſen, er iſt Pöbel, wir ver⸗ 
achten ihn, und legen ihm den Namen 
ſeiner ehrenvollen Ahnen bei, nur, um 
ihn dadurch zu erniedrigen. — 


VIII. 


Die Neugier iſt eine von den Eigen⸗ 
ſchaften, die dem Menſchen, beides zum 
Nutzen und Vergnuͤgen gegeben worden. 
Wenn ſie erſt durch einen Anſtoß rege ge⸗ 
macht wird , fo muͤſſen ihr alle übrigen 
Begierden weichen, oder beſſer zu fagen, 
fie weis alle ihre übrigen Begierden zu 
ihrer Befriedigung zu lenken. Dieſe Ber 
obach⸗ 


ohne Vorurtheil. 47 


obachtung koͤnnte in der Sittenlehre uͤber⸗ 
haupt treffliche Dienſte leiſten, wenn ſie 
nicht als geringſchaͤtzig weggeworfen wuͤr⸗ 
de. Ich habe mit Capa⸗kaum darin man⸗ 
che Erfahrung angeſtellet, und ſtets mit 
zuſagendem Erfolge. Ich durfte eine Sa— 
che, die ihm ehe unbekannt war, blos 
nennen: ſchon war feine Neugierde an— 
gefachet, er ſuchte den genannten, den 
ihm unbekannten Gegenſtand aller Orten 
auf, er ſorſchte nach ſeinen Merkmalen, 
um ihn nicht zu uͤberſehen, ſeine Vorſtel⸗ 
lung war damit unaufhoͤrlich geſchäftig, 
alles uͤbrige war indeſſen ausgeſetzt, oder 
alles bezog ſich darauf. Und wenn er 
ihn gefunden hat, fo war feine Einbil- 
dung einem Wagebalken aͤhnlich, der, wenn 
er durch die Laſt auf die eine Seite ger 
neiget, und nun frey gemacht wokden, ſich 
nur erſt nach oft wiederholten Schwin- 
gungen in ſeine Ruhe verſetzet. 

Einige Tage her muß ich ihn der Schau⸗ 
bühne ganz und einzig uͤberlaſſen. Ich 
hatte mich ſorgfaͤltig gehuͤtet, ihn auch den 
Namen dieſer unſrer Liebesergoͤtzlichkeit 
zu nennen. Ich wollte ihn damit über⸗ 
raſchen, und die Staͤrke der Bezauberung 

auf 


48 Der Mann 


auf fein unzubereites Gemuͤth beobachten. 
Aber meine Abſicht ward mir durch die 
gütige Aufmerkſamkeit des Publikums 
vernichtet. Man uͤberbrachte mir eben heu⸗ 
te einen Brief, welchen ich meinem = 
ler abzuleſen gab, da ich den Inhalt nicht 
vermuthen konnte. Er las: ee 


Mein Herr! 


AN Das geſittete Publikum iſt Ihnen für 
den Dienſt, den Sie ihm geleiſtet haben, 
verpflichtet. Ihre freye Stimme war 
fuͤr diejenigen, die es auf ſich genommen 
haben, unſre dem Vergnuͤgen gewidmeten 
Stunden auszufuͤllen, eine wohlangebrach⸗ 
te Warnung, und man hoffet, daß fie ſich 
dieſelbe zu Nutze machen werden. Man 
ſieht es: Sie ſind der Mann, der ſich durch 
die kleinen Natzenbalgereyen nicht irre 
machen laͤßt. Ein guter Fechter wird durch 
Zuftftreiche nicht aus feiner Faſſung ge⸗ 
bracht. „ 

„Erwarten Sie mit uns, daß der 
würdige Mann, wie er nun einmal genen⸗ 
net ſeyn will !), feines Vortheils wahr⸗ 

zu⸗ 


9 Der Theatralunternehmer. 


ohne Vorurtheil. 49 


zunehmen weis, und wenn er unſer Geld 
haben will, uns auch dafuͤr Schauſpiele 
auffuͤhrt, wie wir ſie haben wollen. Wir 
ſind ſo ungerecht nicht, zu fodern, daß er 
ſeine Umſtaͤnde aus den Augen laſſen ſoll. 
Wir kennen die Zufchauer, die er zu be⸗ 
friedigen hat: es find zwo Partheyen: 
die Parthey des grünen gutes, und — 
unſer kleiner Haufen. Denn, laſſen Sie 
ſich nicht irre fuͤhren, der Haufen iſt noch 
ſehr klein, der an einer rührenden Stel⸗ 
lung eines Stuͤckes, an der Vorſtellung 
einer edelmuͤthigen Handlung in der That 
ein groͤſſeres Vergnuͤgen findet, als an 
einer Sraze: aber viele find wenigſtens 
ſo eingetrieben, daß ſie ſich ſchaͤmen, 
es oͤffentlich zu geſtehen, und das iſt ſchon 
etwas. Nun muß man nur auf ſeiner 
Hut ſeyn, und wie ein Feldherr, deſſen 
Heer groſſen Theils aus verdächtigen Ue⸗ 
berlaͤufern beſteht, es zu keinem Treffen 
kommen laſſen, damit ſie nicht ausreiſſen 
koͤnnen: zum Mansboriren kann man fie 
gleichwohl mitgebrauchen. — „ 

„Unter dieſe zwo Partheyen, deren 
Geld nach gleichem Muͤnzfuſſe gepraͤget 
iſt, wird er alſo, Zweifels ohne, ſeine 

II. Theil. D Auf⸗ 


50 Der Mann 


Aufmerkſamkeit theilen: Spaß, und fei⸗ 
ner Scherz werden wechſelweiſe die Buͤh⸗ 
ne einnehmen: heute wird das Parterre 
über den guten alten Zanſen aus vollem 
Halſe lachen, und wir werden mit la⸗ 
chen; morgen wird die Reihe an uns 
ſeyn, zu empfinden, gerührt zu werden, 
und auch zu Lächeln; umzaͤhlig wird ein 
Tag der Zerftrenung und wieder ein Tag 
des geſitteten Vergnügens erſcheinen: 
und da bei einer ſolchen Eintheilung die 
Mannigfaltigkeit ſelbſt zu dem Vergnuͤ⸗ 
gen etwas beitraͤgt; ſo wird die Kaſſe nicht 
dabei zu kurz kommen: aber auch unſer 
Geſchmack von den haͤufigen Fremden 
nicht auf die Schandſaͤule geſetzt werden. 
Alles, was ſie bei einem ſolchen Wechſel 
an ihre Landesleute uͤberſchreiben koͤnnen, 
wird ſeyn : in Wien iſt das gemeine 
volk kein Philoſoph: und wir werden 
ihnen antworten: in ‚Paris, in London, 
in Berlin, in Dresden, und ſonſt ir⸗ 

gend iſt daſſelbe es eben fo wenig — „ 
„ Nun da, mein Herr! das find un⸗ 
ſre Erwartungen, die wir guten Theils 
als Folgen ihrer Freymüthigkeit anſehen. 
Das publikum oo dafür, daß ein Mann, 
N der 


1 


ohne Vorurtheil. 51 


der fuͤr ſeine Ergoͤtzungen ſorget, es we⸗ 
nigſtens nicht auf eigene Koſten thun muͤſ⸗ 
ſe. Es uͤberſendet Ihnen hier ein Abon⸗ 
nement *) für Sie, und ihren Schüler, 
Es wuͤnſcht, daß Sie es als einen Ber 
weis feiner Erkenntlichkeit gegen Sie an—⸗ 
ſehen, und fortfahren moͤchten, es durch 
Mittheilung der Anmerkungen, die ihr 
Capa⸗ kaum unter ihrer Anleitung ma⸗ 


chen wird, zu verbinden. Wenn Sie ein 


Amt annehmen wollen, das vielleicht mehr 
muͤhſam als anſehnlich iſt, ſo bevoll⸗ 
maͤchtigen wir Sie hiemit zum Gberauf⸗ 
ſeher der Schauſpiele von unſrer Seite., 

„Vielleicht iſt es Ihnen noch ein Ge⸗ 


heimniß daß Sanswurſt ihrem Capa⸗ 


D kaum 


Man weis wohl, daß dieſes Schreiben nut 
ein Uebergang zu den Betrachtungen über die 
Schaubühne iſt: aber das Anerbirten des 
Abbonnements geſchah wirklich, vonsreunden, . 
denen der Nationalgeſchmack, und ein geſit⸗ 
tetes Vergnügen an der Seele lag. Ich ver⸗ 
bat ihre Großmuth, und verachtete den Aus⸗ 
fall, der mir von Sanswurften im Ernſte 
von der Bühne herab zugedacht war, und nur 
darum unterblieb, um mit ardferre Wuth 
in einer eignen Palliſotade loszubrechen. 


52 Der Mann 


kaum eine feyerliche Bewillkommung 
zugedacht hat? In der That! das hat er. 
Dieſe zügelloſe Freyheit der Schaubuͤhne, 
die Ehre der Buͤrger oͤffentlich anzutaſten, 
gehoͤrt noch mit unter den alten Sauer⸗ 
teig, den wir, nebſt manchen andern, ger⸗ 
ne hinausgeworfen wiſſen wollten. Doch, 
wir denken, Sie werden es ihm gerne 
uͤberſehen. Die Frau vom Hauſe lacht wohl 
gar darüber, daß der Zausnarr, der von 
ihren Wohlthaten lebt, fie eine . 
ſchilt. Machen Sie es gleichfalls ſo mit 
dieſem. „ den wir bezahlen, und der 
uns ausſchilt. „ | 
„Aber, wie wäre es, wenn Sie 
etwan ihren Gefährten auf eine Gegen⸗ 
antwort vorbereiteten? das waͤre wenig⸗ 
ſtens luſtig, wenn der Zuſchauer einmal 
eine Rolle unter den Schauſpielern mit⸗ 
ſpielte, da die Schauſpieler ſo oft mit 
den Zuſchauern ſpielen. Wir ſind u. ſ. 
W. „ 


r 


IX. 


ohne Vorurtheil. 53 
IX. | 


Diga werde ich mit meinen Leſern 
ohne Mittler zuſammtreten. Mein Schü⸗ 
ler iſt beſchaͤftiget, ſeine Gedanken vom 
Schauspiele ſelbſt nieder zu ſchreiben. 
Ich habe es ihm auf Befehl einer Dame 
aufgetragen, die den ungekuͤnſtelten Aus⸗ 
druck dieſes Neulings von einem Schrift⸗ 
ſteller, zu ſehen verlanget, und zwar in 
einer Sache, worin er eben ſo neu iſt. 
Wir werden ſehen, ob er kuͤnftig mit Ehren 
die Feder zu fuͤhren, im Stande ſeyn wird. 
Ich bin uͤber die Wahl meines Stoffs 
nicht im geringſten unſchluͤſſig, nachdem mir 
folgender Brief behaͤndiget worden. 


Mein Herr Schriftſteller! 


3 Ich bin immer boͤſe auf Sie: kaum 
kommen Sie auf einen guten Weg, da iſt 
ihre ſchriftſtelleriſche Behutſamkeit bei der 
Hand und — da hoͤren Sie auf der fuͤnften 
Seite auf, wie Sie es im VII. Stüde 
gethan haben. Welche Perl haben Sie da 
aus Haͤnden geworfen! Aber ich will ſo 
gut ſeyn, und ſie aufheben, ſie Ihnen 
wieder uͤberreichen, und Sie erſuchen, 
D 3 ihre 


34 Der Mann 


ihre Betrachtungen weiters daruͤber anzu⸗ 
ſtellen. Sie haben einen gewiſſen, bei uns 
ganz fremden Ton der Freymuͤthigkeit, 
der macht, daß man ſtets wuͤnſchet, ihre 
Stimme da zu hoͤren, wo ſonſt der Schi 
an Fans 2 
RE chorus 
turpiter obticuit - di 

„ Sollten Sie ee ma⸗ 
chen? — Das ſollen Sie nicht! ich will 
Ihnen vorkommen. Der Adel, duͤrften 
Sie ſagen, iſt ein verehrungswürdiger 
Stand, er muß in den Augen der Welt 
nicht herabgeſetzt werden — ihren Aus- 
druck zu borgen — Vollkommen recht! Es 
liegt mir ſelbſt daran, einem Stande nichts 
von ſeinen Vorzuͤgen zu rauben, wovon 
ich bin. Das ſollen Sie alſo auch nicht! 
aber zeigen ſollen Sie, worin die Vorzuͤge, 
die wahren Vorzüge dieſes Standes be= 
ſtehen! — Weiters, Sie können fürch⸗ 
ten, ſich den Haß eines mächtigen 
Körpers im Staate auf den Hals zu 
ziehen. Herr Autor, das iſt beiſſend. 
Glauben Sie, daf unſer Adel ſo wenig 
die 


* 


ws 15 de arte poet. 


ohne Vorurtheil. 55 


die Probe haͤlt? glauben Sie, daß er eine 
freymuͤthige Beſchreibung der wahren Vor⸗ 
zuͤge nicht mit aufgerichtetem Haupte er⸗ 
tragen, daß er Sie als eine Satire anſe⸗ 
hen wird? Und noch einmal, glauben Sie, 
daß wir andre mit dieſem gefen gemeine 
Sache machen werden, deſſen wir uns ſelbſt 
ſchaͤmen? nein! mein Herr! ſo tief ſind 
wir noch nicht geſunken. Ich hoffe, Sie 
ſelbſt werden aus unſerm Mittel eine Men⸗ 
ge verehrungswürdiger Bürger kennen! 
und den Haufen der Wappentraͤger, den 
ganzen Haufen geben wir Ihnen Preis. „„ 
„Nun denn, keine Ausflucht, Herr! 
wenn Ihnen der Beifall lieb iſt von 
ihrem Leſer, dem Grafen 
von S'“. ) 


Ich kehre alfo auf meinem Wege zu⸗ 
ruͤcke. Gewiſſe gröſſere, gemeinnützigere 
Dienſte, die ein Bürger dem Staate gelei— 
ſtet hatte, mußten ihn in den Augen ſeiner 
übrigen: Mitbürger unterſchieden haben. 
Dienſte alſo, und dafür die Dankbarkeit 
unterſchied zuerſt die Staͤnde. Die Tapfer⸗ 
keit fand vielleicht am erſten Gelegenheit, 
ſolche unterſcheidende Dienſte zu leiſten. 

DO 4 Der 


56 Der Mann 


Der Vater fuͤhrte den Sohn auf det 
Bahn fort, die er ſelbſt gewandelt: der 
Sohn ſtritt an der Seite ſeines tapfern 
Vaters: das haͤusliche Beiſpiel entflammte 
ſeinen Muth, ſtaͤrkte ſeinen Arm, man 
ſah in ihm den gelden, der zu anderer 
Zeit die Bruſtwehre des Staats geweſen, 
verjüngt: die Achtung konnte nicht aus⸗ 
bleiben, wo die Verdienſte nicht ausblie⸗ 
ben. In einer Gefahr, die den Enkeln 
drohete, flohen ſie unter ſeinen Schutz. 
Deine Ahnen — ſagten ſie vielleicht — 
waren ſtets unſre Beſchützer: ſey der 
würdige Sprößling ſo tapferer Bürger! 
Dieſe Worte, dieſes Zutrauen find begei⸗ 
ſterend. Ich werfe mich mitten in den 
Tod, um meiner Abkunft keine Schande 
zu machen, um bei meinem Namen nicht 
die Augen unterzuſchlagen — Das Andens 
ken, ich bin der Sohn eines ßelden, 
machte zu dem, was ihre Ahnen was 
ren. Es iſt glaubwuͤrdig, daß ſie die 
Zeichen der Siege in ihren Haͤuſern aufs 
bewahret, daß fie dieſelben , oder den 
Schild, den der Großvater im Streite ge⸗ 
fuͤhrt, zur Aufmunterung vor ſich her⸗ 
tragen lieſſen — Wer wollte ſich die Eh⸗ 

ren⸗ 


ohne Borurtheil. F 


renzeichen, mit dem Blute der Vorfahren 
erworben, entreiſſen laſſen? — ihr Auge 
war an dieſe haͤuslichen Zierrathen ge⸗ 
heftet: wo ſie hingewendet wurden, da 
folgte Muth und Entſchloſſenheit, da floh 
der Feind, da wandelte der Sieg. Das 
iſt der Urſprung des Adels, und ſeiner 
Abreneiche oder doch, das eie er 
ſeyn! 3 

Aber Tapferkeit ift dem Staate nicht 
mit Ausſchlieſſung andrer Eigenſchaften, 
nutzbar. Die Weisheit im Rathe iſt eben 
fo nothwendig. Eben for die Tapferkeit 
iſt nur, wenn die Gefahr erſcheint, noth⸗ 
wendig, die Weisheit iſt es ſtets. Der 
dankbare Buͤrger wird an dem Munde des⸗ 
jenigen gehangen haben, deſſen Ausſpruͤche 
ihm fo) oft heilſam geworden. Ich ſehe 
ihn, den allgemeinen Rathgeber, er wan⸗ 
delt in Mitte der Buͤrger: das Gedraͤng 
iſt um ihn her; aber vor ſeinen Schritten 
theilen ſich die Wellen der Verſammlung; 
er wandelt zwiſchen Reihen verehrender 
Buͤrger. In der aͤuſſerſten Entfernung 
dort, ſetzt eine Mutter ihren noch ſtam⸗ 
melnden Sohn auf ihr Haupt: ſieh! dort 
geht er, ſagt ſie, in deſſen Mund ſtets 

D 5 RNath, 


58 Der Mann 


Rath, deſſen Wort ſtets Weisheit iſt! 
und nun, da fie ihn herablaͤßt, druͤckt fie 
ihn mit ſchneller Empfindung an, und 
wuͤnſcht, daß er einſt ſeyn er wie 
diefer — 

Weisheit im Rathe, und Tapferkeit 
in Gefahr find die edeln Stämme des 
Adels: aber ſind die Sproͤßlinge mie aus⸗ 
geartet? 

Vor dieſem Manne, der nie ſich aus 
dem Arme der Wolluſt gewunden, Herku⸗ 
les im Schlafgemache, Heliogabel an der 
Tafel, ein ungetreuer Gemahl, ein forg- 
loſer Vater, ein eigenſinniger Zerr, ver⸗ 
achtungsvoll gegen das Volk, unter wel⸗ 
ches ihn feine Denkungsart, feine Hand⸗ 
lungen tief erniedrigen, ſoll ich mich vor 
ihm beugen, weil er einen Titel hat, den 
er entehret? — Soll die Vergeltung der 
Tugend bei einem Geſchlechte feſtgeſetzt 
ſeyn , wo es die Tugend ſelbſt nicht iſt? — 

Aber wenigſtens werde ich das Geblüt 
der Ahnen ſchaͤtzen ſollen? — Beweiſen 
Sie mir dieſes Gebluͤt! beweiſen Sie mir 
die Reinigkeit deſſelben! Ich trotze ihrem 
Geſchlechtsbuche! Sie — zeugen wider 
daſſelbe. Wie ein Fluß, je mehr er von 

ſei⸗ 


22 ˙ ZZ Be a Ze 


obne Vorurtheil. 89 


ſeinem Urſprunge ſich entfernet, deſto mehr 
von fremden Waſſer zu ſich nimmt, und 
nur den Namen noch von der erſten Quelle 


behaͤlt, ſo geſchieht es oft mit dem Ge⸗ 


bluͤte der Ahnen, von welchem vielleicht 
nicht ein Tropfen in ihren Adern quillt. 

Es giebt verſchiedene Stufen des Adels: 
der groſſe Adel, der mittere, der gea⸗ 
delte Bür ger. Der groſſe verachtet die 
beiden andern, der mittere ſchimpft auf 
den groſſen, den er im Herzen beneidet, 
und deſſen Affe er iſt. Der geadelte Bür- 
ger ſpricht von der Redutte, ſeinem ein⸗ 
zigen Vorrechte, laͤßt ſich die Gnade ge⸗ 
ben, haͤlt Geſellſchaften, und ſtirbt viel⸗ 


leicht gerne, nur damit man ſeine Wap⸗ 


pen an dem Sarge und auf dem Trauer⸗ 
altare auskramen kann, von denen viel- 
leicht ſonſt die Welt nie etwas ſehen wuͤr⸗ 
de. Der groſſe Adel ſoͤndert ſich ab, und 
macht einen Koͤrper fuͤr ſich allein aus: 
aber zum Gluͤcke des Staates oͤfnen ſelbſt⸗ 
erworbene Verdienſte den Eintritt in ſeine 
Ver ſammlungen. Wir ſehen heutige Men: 
ſchen unter ihm herumwandeln, und dieſe 
neuen Ankoͤmmlinge L ee dem Kern 
Ehre. MN 

Der 


60 Der Mann 


Der mittlere Adel pralt mit ſeinem 
Gelde, und ſucht diejenigen, die er mit 
Unwillen über ſich ſieht, durch ungemaͤſ⸗ 
ſigten Aufwand zu verdunkeln: ein ſtill⸗ 
ſchweigendes Geftändniß , daß er feinen 
Schimmer in fich ſelbſt zu finden, ſich nicht 
getraut ! — 

Der adeliche Bürger, ein Mittelding 
zwiſchen Buͤrger und Adel, raͤcht ſich we⸗ 
gen der Unachtſamkeit, die er von bei⸗ 
den dulden muß, an dem gemeinen Hau- 
fen der Arbeiter , unter dem er doch fo 
manche Tante, und Gnkeln zaͤhlet. 

Der groſſe Adel — Aber ich bin unge⸗ 
recht, wenn ich Menſchen unter den groſſen 
Adel zaͤhle, die nur der Zufall der Geburt 
erhebet, die Urſache find, daß man dem 
Gluͤcke Ungerechtigkeit vorwirft, weil es 
Unwuͤrdigen einen Platz angewieſen, den 
ſie ſtuͤndlich ſchaͤnden, die, wenn man ih⸗ 
nen Rutſche und Gefolg, Kleidung, und 
Wappen, und dieſe beleidigende, nicht 
hohe, ſondern hochmüthige Mine, und 
manche unterſcheidend ruchloſe That, 
raubte, worin fie ihre ganze Groͤſſe beſte⸗ 
hen laſſen, vielleicht die veraͤchtlichſten un⸗ 
ter allen Menſchen ſeyn wuͤrden. 

Der 


ohne Vorurtheil. 6: 


Der wahre Adel bedarf diefer dufe 
ſerlichen, erborgten Vorzuͤge nicht: er 
ſtralt in eigenem Glanze. Ein gerz, 
groſſer Empfindungen fähig, ein gerz, zu 
ſtolz , eine unredliche, eine kleine That 
zu thun, ein Herz, fuͤhlbar bei der Noth 
der Tugend , ſtrenge, unbiegſam gegen 
das Laſter; eine Hand, ausgeſtreckt zu 


helfen, ausgeſtreckt, das Verdienſt zu 


umfaſſen, und zu unterſtützen — Wo 
ich dieſe finde, da iſt Adel, oder da ſollte 
er ſeyn! 

Er gebrauche ſich feines Verſtandes, 
um Rath zu ertheilen! Er gebrauche ſich 
ſeines Vermögens, um Wohlzuthun, und 
nur ſeinen Wohlthaͤtigkeiten ſeyn ſeine 
Schaͤtze zu klein! Seine Stunden ſeyn 
zwiſchen dem Dienſte, den er dem Vater—⸗ 
lande erweiſt, und den Angelegenheiten, 
wodurch er einzelne Verwandtſchaften ver⸗ 
bindet, zwiſchen Pflicht und Menſchen⸗ 
liebe getheilet. 

Nie erinnere er ſich ſeiner Ahnen, als 
um ſeinen Geiſt zu edlen Thaten anzu⸗ 
flammen ! nie feiner Würde, als wann 
fie das Mittel iſt, zu verbinden! nie ſei⸗ 
ner Gröſſe, als um ſich nicht bis in die 

Tie⸗ 


62 Der Mann 


Tiefe unedler Handlungen dee 
men! „28 

Sein Wandel fey nete bei⸗ 
ſpielvoll! und ſtrafe, die ihm, bei gleicher 
Geburt unaͤhnlich ſind. Kurz! Geburt 
und Glück ſeyn an ihm das kleinſte! und 
wir wollen ſeinen Namen nennen, ſo oft 
uns unedle Groſſe reizen werden, e 
Hochmuth eee er — l 


1 * — X. 


Fragment eines Geſpraͤchs 
zwiſchen Ryen-Thyan und Pymora, 
-  gween Einſiedlern auf dem Berge 
Ther r bas. | 


Wlan meine Leſer es ein wenig uͤber⸗ 
denken wollen, daß es in der That ſchwer 
iſt, Sie ordentlich die Woche zweymal 
mit Originalſtuͤcken zu unterhalten ; fo 
werden Sie mir ganz gerne vergeben, daß 
ich Ihnen einmal auch eine Ueberſetzung 
liefre, um fuͤr mich ein wenig Athem zu 
holen. Es ſoll, wenn Sie es durchaus 
fodern, nicht hart fallen, ein Haͤckchen zu 
finden, um dieſes fremde Stuͤck meinen 
ei⸗ 


2 


r 


ohne Vorurtheil. 63 


eigenen anzuheften. Zum Beiſpiele: ich 
will ſprechen: mein armer Capa⸗ kaum 


ſey feit des Eigenſinnigen mit einer an⸗ 


haltenden Schlafſucht behaftet. Alle Arz⸗ 
ney waͤre unwirkſam geweſen, und mein 
freundſchaftlicher Arzt habe mir gerathen, 
dieſe Krankheit durch geiſtwirkende Mit⸗ 
tel zu bekaͤmpfen. Die Melancholey werde 
durch die Muſik verſcheuchet: vielleicht hebe 
die Lektur eines ergoͤtzlichen Buchs dieſe 
hartnäckige Schlafſucht! Er fange dar- 
auf eine ſehr gelehrte Abhandlung von der 
Schlafſucht an, um mich zu uͤberzeugen, 
daß feine Anordnung nicht auffer der Me—⸗ 
thode ſchreite; womit aber den Leſern we⸗ 


nig gedient ſeyn duͤrfte, wenn ich ſie gleich 
auswendig behalten haͤtte, wie ich es, 


wegen einer Menge fürchterlicher Woͤr⸗ 
ter nicht thun konnte. Genug, ich wollte 
einen Verſuch nach ſeinem Rathe machen. 
Was. würde ich für meinen lieben Schuͤ⸗ 
ler nicht verſucht haben? 

Unter allen den Buͤchern, welche ich in 
dieſer Abſicht nachſchlug, fand ich den 
arabiſchen Schriftſteller Aben⸗-Aly⸗Bur, 
welcher die Geſchichte der Therbiten be⸗ 
ſchrieben, am ſchuͤcklichſten. Er war ſelbſt 

aus 


u 


64 Der Mann 


aus ihrem Mittel; daher ift alles das 
Gute, ſo er von dieſen orientaliſchen Ein⸗ 
ſiedlern aufzeichnet, gar nicht verdaͤchtig: 
und Böſes hat er ſich wohl gehuͤtet, zu 
ſchreiben. Die Ueberſetzung, der ich mich 
bediene, iſt etwas altmodiſch. Ich habe mie 
erlaubt, ſie ein wenig zuzuputzen, damit 
ſie des niedlichen Geſchmacks unſeres 
Jahrhunderts wuͤrdiger eee 
möge. — | 
Ich ſchlug auf. Auf dem za. Blatte 

— die arabiſchen Geſchichtſchreiber zaͤhlen 
nur die Blaͤtter — ſchreibt er: nachdem 
der Berg Therbas, von dem dieſe Ein⸗ 
ſiedler ihren Namen fuͤhren, ſeit 2000. 
Jahren, da er auf Geheiß ihres Stifters 
aus der Erde aufgeſtiegen, unbewegt ge⸗ 
ſtanden, „hat in der 5. Nacht des Mon⸗ 
des If — nach ihrer geheimnißreichen 
Sprache — die Seite, die gegen das Meer 
ſieht, ſich zu neigen angefangen. Die 
frommen Therbiten waren verſammelt, 
ſich zu berathſchlagen, was ſie den öſtli⸗ 
chen Anwohnern ') des Berges heute 
er⸗ 


„) Anwobner mußte ich geben, wenn ich das 
Wort eben fo kurz und nachdrücklich überſe⸗ 
tzen 


ohne Vorurtheil. 65 


erzählen würden — Dieſe Landleute ka⸗ 
men ordentlich, wann die Sonne den Berg 
hinab war, bei ihnen zuſamm, brachten 
ihre Gaben mit ſich auf den Gipfel des 
Berges, wo dann wechſelweiſe einige der 
Bur- hin ) aufſtunden, und der Ver⸗ 
ſammlung durch eine Erzählung die Zeit 
vertrieben. Damals eben entſtund eine 
gefährliche Spaltung. Die alten Ther⸗ 
biten hatten bis itzt die ſeltſamſten Dinge 
erzaͤhlet, wobei die gutherzigen Leute be⸗ 
gierig den Mund aufgeſpreitet haben, aber 
immer ſo dumm zuruͤckgiengen, als ſie ge⸗ 
kommen waren. Pymora, ein Therbit 
von vieler Hoffnung, jung und munter, 
mit einer freyen Stirne, ſchwarzen fun⸗ 
kelnden Augen, einem ſtets ordentlich ge⸗ 
kaͤmmten Barte, beredtſam, wenn es je 
ein Therbit geweſen, und hauptſaͤchlich 
un⸗ 


tzen wollte, als es in der Urſchrift iſt. Der 
alte Ueberſetzer hat es durch eine Umſchrei— 
bung gegeben: aber man ſagt Inwohner 
ineola , warum nicht Anwohner accola ? 


) So nennen ſich die Therbiten untere inan⸗ 
der; und wird vermuthlich Brüder in ihrer 
beſondern Sprahe heiſſen. 


II. Theil. E 


66 Der Mann 


unerſchrocken, feine Meynung frey und 
nachdrücklich zu ſagen, ſtund bereits bei 
ſeinen Mitgenoſſen in einigem Anſehen. 
Dieſer Bymora hatte ſchon lange das ar⸗ 
me Landvolk bemitleidet, das ſeine Ge⸗ 
ſchenke dafür braͤchte, um eine ungereimte 
Fabel zu empfangen, als z. B. vom Ramele, 
auf deſſen Ruͤcken zehn tauſend Staͤdte er⸗ 
bauet waͤren, welche zu Grunde gehen wuͤr⸗ 
den, wenn dieſes Thier, das nun ſchlum⸗ 
merte, erwachen, und aufſpringen ſollte: 
oder vom Gürtel, den Dia ⸗ ben, der 
erſte Therbit, um den Erdballen gezo⸗ 
gen, als er durch eine Erſchuͤtterung einen 
gewaltigen Riß bekommen, und deſſen 
Knotten in der nördlichen Höhle dieſer 
Einoͤde, welche der Vorſteher bewohnet, 
zuſammgezogen wäre; daß es alſo in ſei⸗ 
ner Macht ſtuͤnde, woferne er den Knot⸗ 
ten aufloͤſete, die Erde in Millionmal 
millionen Trümmer zerfallen zu laſſen; 
welches Ungluͤck die beſorgten Thalinwoh⸗ 
ner durch manche Geſchenke abwenden muß⸗ 


ten: u. w. d. m. ») Er hatte bereits unter 
eis 


„) Vielleicht erhält dieſes Stück einigen Werth, 


wenigſtens eine mehrere Aufmerkſamkeit, wenn 
der 


ohne Borurtheil. 67 


einigen Vertrautern ſeiner Bruͤder etwas 
davon lauten laſſen, und ſeine Vorſtel⸗ 
lungen hatten Eindruck gemacht. Als nun 
Ryen⸗Thyan, der zweyhundert fünf und 
achtzigſte Großtherbit die Erzählung ab⸗ 
geleſen, welche morgen dem Volke gege⸗ 
ben werden ſollte, und die vollkommen im 
gewöhnlichen Geſchmacke war; da ſtund 
dieſer Neuerer auf, deſſen geheimer An⸗ 
hang ſchon gewaltig zu werden anfieng: 
er neigte ſich tief erſt gegen Ryen⸗Thyan, 
dann gegen alle Burhin, und ſprach: du 
Krone des Berges Therbas! aus deinem 
Munde quillt Honig der Weisheit, und 
deine Worte ſammeln die unfichtbaren Gei⸗ 
ſter, und verſetzen ſie an das Gewoͤlb des 
Himmels, daß ſie dort als Sterne leuchten 
uͤber den Erdboden. Aber du weißt es, 
jeder Bur- hin hat auch aus der Quelle 
geſchluͤrft, die dem Volke unten, verſchloſ⸗ 
ſen iſt. Ich will reden, was mich gut 
| E 2 daͤucht: 
der Leſer erinnert wird, es ſey im Jahre 
1766. geſchrieben worden; und zu einer Zeit, 
da gegen den Neuerer ein saft voll heftigſten 
Beſchuldigungen bei. eingereicht worden. Die 
Füte der Taube und Sanftmuth des Lamm⸗ 
geſchlechts war gewiſſen Leuten bedeutend. 


68 Der Mann 


daͤucht: Höre mich! Das Volk, das taͤg⸗ 
lich ſeine Geſchenke am Eingange deiner 
Höhle niederlegt, das Volk, das von fei- 
ner Tiefe heraufklettert, auf dieſen ſpitzen 
Berg, willſt du da ſtets mit Maͤhrchen 
ſpeiſen? oder wird es der Quelle des 
Lichts nicht anſtaͤndiger ſeyn, einen Fun⸗ 
ken auch auf dieſe zu ſenden, die — , 

„Ryen⸗Thyan unterbrach feine Rede 
Verwegener! fiel er mit enbranntem Ange⸗ 
ſichte ein: du getrauſt dich, deinen heu⸗ 
tigen *) Rath auszuathmen, und fuͤrch⸗ 
teſt nicht — 

5 Symora wollte es nicht zum Streite 
kommen laſſen: Du, ſprach er, in deſſen 
Herzen die Güte der Taube, auf deſſen 
Lippen die Sanftmuth des Lammge⸗ 
ſchlechts wohnet, ich denke nicht arges: 
ich lehne mich nicht gegen den auf, in 
deſſen Hand der Ring liegt, der die Welt 
zuſammhaͤlt. Das ſey ferne, daß ich die 
Grundfeſte erſchuͤttere, auf welcher die 
reine Verſammlung erbauet iſt. Aber, 
wenn ich reden darf, ſo unterrichte du 

mich! 


*) Das iſt ein orientaliſcher Ausdruck, ihm feine 
Jugend vorzuwerfen. 


ohne Vorurtheil. 69 


mich! warum erzaͤhlt man dem Volke ſo 
oft Dinge, die ungereimt find — „ 
„Ryen⸗Thyan: Koͤmmt es nicht, um 
nach der Arbeit ſich hier zu ergötzen 2 „ 
„ Kpymora : Allerdings, du Licht der 
Burhin! koͤmmt es darum. Aber koͤnnte 
dieſe Ergoͤtzung nicht auch in einer Erzaͤh⸗ 
lung von den herrlichen Beiſpielen, dei⸗ 
ner auf den Regenbogen verſetzten Vor— 
fahrer beſtehen? — koͤnnte ihnen nicht die 
Geſchichte eines Mohals ) erzählt wer⸗ 
den, der ſich begnuͤget, einem Reiſenden 
ſeine Kamele wegzunehmen, aber ihn nicht 
todt geſchlagen hat, und welcher um ſo 
groſſer Tugend willen, nach ſeinem Tode 
zu dem Amte verherrlichet worden, daß er 
deinen Vorfahren zur Bruͤcke dient, wann 
ſie des Abends von Sterne zu Sterne ſpa⸗ 
zieren gehen? oder die Geſchichte einer 
Nah theron, *) welche nur die fünf 
juͤngern Bruͤder zu Maͤnnern genommen, 
und als der ſechſte, der als Mohal in den 
benachbarten Gegenden gelebt, uach Hauſe 
E 3 kam, 


) Ein Rauber. 


0 Iſt ungefähr ſo ein Ausdruck, wie bei uns 
Lukretia. 


0 Der Mann 


kam, ihn nicht noch dazu heurathen woll 
te, ungeachtet er ſchon zwey und neun⸗ 
zig Jahre, und den ſchoͤnſten grauen Bart 
hatte? glaubſt du nicht, daß dieſe Erzaͤh⸗ 
lungen fie eben ſo ergoͤtzen würden? daß 
ſie nicht aufhoͤren wuͤrden, uns Gaben zu 
bringen? daß aber vielleicht dadurch meh⸗ 
rere fo tugendhafte Mohals und Nah⸗ 
therons unter ihnen entſtehen würden 2 „ 
„Die ganze Verſammlung der Ther⸗ 
biten theilte ſich bei dieſer Frage. Die 
Jungen fielen dem Bymora bei: die Al⸗ 
ten, die die Tage des Ryen⸗Thyan zaͤhl⸗ 
ten, und wenn er zu ſeinen Vorfahren 
verſcheiden wuͤrde, an ſeine Stelle zu kom⸗ 
men hofften, traten auf die Seite des 
Großtherbits. Zwar ſie ſahen wohl ein, 
daß Bymora nicht fo ganz unrecht hatte: 
aber, ſagten ſie, wenn die Thalinwohner 
einmal gewohnt ſind, ſolche Erzaͤhlungen 
zu hoͤren, ſo werden ſie immer dergleichen 
haben wollen: und die tugendhaften Mo⸗ 
hals, die nur Kamele wegnehmen, nicht 
auch todtſchlagen, und die Nah therons, 
die mit fünf Männern ſich begnuͤgen, find 
gleichwohl nicht ſo haͤufig, daß man taͤg⸗ 
lich davon Beiſpiele anfuͤhren koͤnnte. Auch 
iſt 


ohne Vorurtheil. 71 


iſt es ſo leicht nicht, Muſter der Tu⸗ 
genden aus zudenken — Aber Erzählungen, 
wie bis itzt, die werden wohl auch wir 
zuwege bringen: denn, wenn wir verlegen 
ſeyn ſollten, ſo ſteht uns das ganze Reich 
der Wunderwerke und Erdichtung zu Ge⸗ 
bot: wir bringen eine Huͤlfe vom Geſtirne, 
oder laſſen ſie aus der Erde aufſteigen, 
das koſtet keinen Kopf, nur Worte. 
„Und einige unter ihnen, die von 
Pymorans Anhängern belauſcht wurden, 
ſagten unter ſich: wenn das Volk viele ſol⸗ 
che Geſchichten hörte, fo wuͤrde es anfan⸗ 
gen zu denken: und da wuͤrden — — „ 
„Eben unter dieſen Reden kreiſchte 
der Berg, und die ganze Verſammlung 
gerieth in Schrecken, und fuͤrchtete den 
Einſturz des Therbas. Aber, als er nicht 
einſtuͤrzte, und ſich das erſte Schrecken ges 
leget hatte, da ſchrie Ryen⸗Thyan: des 
Berges Spitze hat ſich gekruͤmmet, um die 
Rotte der Bymoraner in das Meer aug- 
zuſchuͤtten; aber die Bymoraner ſchrien: 
er droht dem Ryen⸗Thyan, der die 
Hier war das ſehr alte Buch von Motten 
zerfreſſen, daß man nicht weiter leſen konn⸗ 
ke. „ 
E. 4 Und 


72 Der Mann 


Und mein Capa⸗kaum hub einigemale 
zu gaͤhnen an: woraus ich für die Her⸗ 
ſtellung deſſelben gute Hoffnung ſchoͤpfte, 
weil ich mit dem Scherze den Schluß 
machte: | 
Wer gähnt, der wacht. 


XI. 


10 O Freund! wenn Sie ihren Schuͤler 
zu einer Beſchaͤftigung beſtimmen; wenn 
Sie ihn, irgend ein Amt, irgend ein Brod 
verſchaffen wollen; o! ſo laſſen Sie ſich 
nicht durch den Strom dahin reiſſen, ihn 
einem von den Dienſten anzuhaͤften, die 
fo ſehr der Wunſch derjenigen. find, die 
ein Wort, ein Namen, ein gewiſſes 
Auſſenwerk des vorzugs blendet. Wie 
gerne wollten wir ihnen alles das uͤber⸗ 
laſſen! wie zufrieden wollten wir unſre 
Tafel, mit dem Mittagsbrode des Tag⸗ 
loͤhners, dem Hunger ſeine Speiſe wuͤr⸗ 
zet, unſre Kleidung, mit ſeinem Küttel, 
der ihm zureicht, unſre Kutſche mit ſeinen 
gefunden Fuͤſſen vertauſchen! Ich ver— 
ſchlinge meine Speiſen, ohne ſie zu ſchme⸗ 
cken, und eile zu der meiner wartenden 
Ar⸗ 


ohne Vorurtheil. 73 


Arbeit. Ich muß mich den Umarmungen 
meiner Familie entreiſſen, um die Raths⸗ 
ſitzung nicht zu verſaͤumen; und werde 
meinem Haufe fremde. Ich darf den Be— 
ſuch des werthgeſchaͤtzten Freundes nicht 
annehmen: meine Augenblicke ſind zuge⸗ 
zaͤhlet: der Morgen, der Arbeit: dann 
uͤberlaufen mich entweder Ungluͤckliche, ge⸗ 
gen die ich mich von Amtes wegen ver=- 
haͤrten muß; und mein Auge haͤlt kaum 
die Thraͤne zuruͤcke; oder unbillige haſtige 
Menſchen, die mich durch ihrige Foderun— 
gen ſchimpfen, weil ſie mich fuͤr den Mann 
anſehen, der ihnen zu willfahren, faͤhig 
ſeyn wird. Nun ruft mich der Rath. 
Dem frohen Arbeiter läutet die Mittags- 
glocke Erholung herbei; mir zeigt ſie wie 
eine Meilenſckule kaum die Hälfte meines 
Weges. Wann ich gluͤcklich bin, ſo faͤhrt 
mich eine mit vielen Paͤcken beladene Kut⸗ 
ſche um zwey Uhr nach Hauſe. Schriften 
begleiten mich an die Tafel: ich hoͤre die 
ermunterenden Unterredungen nicht; ich 
weis kaum, wer neben mir ſitzet; meine 
Hand fuͤhrt den unſchmackhaften Biſſen 
zum Munde, mein Auge iſt in dem vor 
mir offenen Papiere, meine Gedanken ſind 
E 5 bei 


74 Der Mann 


bei meinen Gefchäften — Ich kann das 
Ende der Tafel nicht abwarten : mein Praͤ⸗ 
ſident will mich ſprechen: ich fliege zu ihm. 
Nur ſpaͤt erſt entlaͤßt er mich; entläßt mich 
mit zehn neuen Auftraͤgen beladen, gleich 
als wartete nicht ſchon eine ungeheure Laſt 
meiner zu Hauſe. Itzt, will ich anders 
meine Pflicht beobachten, will ich Gekraͤnk⸗ 
ten ihre Rechte nicht vorenthalten, will 
ich Ehre erndten; ſo muß die Mitternacht 
mein Aug nicht ſchlieſſen: ich habe noch 
dieß, und noch das, und — Doch der 
Schlaf uͤberwaͤltiget mich; ich traͤume 
eonclufa, Vorträge: mein Schlaf iſt un⸗ 
ruhige, ſorgenvoll, und nach wenigen 
Stunden erwache ich, eben den Kreis von 
Verrichtungen wieder abzulaufen, nie mein 
eigen, ſtets ein Knecht der Geſchaͤfte, ſtets 
dem Eigenſinne eines Obern ausgeſetzt zu 
ſeyn. u f 

„Aber halten Sie nun auch die Be- 
lohnungen dagegen, die mich fuͤr alles die⸗ 
ſes ſchadlos halten ſollen. Ein prächtig 
klingender Titel! ein ſtarker Gehalt! 
Dieſer Titel iſt ein Schall, ſeitdem er von 
fo vielen geſchaͤndet worden, die ihn ge— 


fuͤhret haben! dieſer Titel iſt eine Laſt, 
feit> 


ohne Vorurtheil. 75 


ſeitdem er zu einem Regulativ des Auf⸗ 
wands geworden, das den Unterhalt ei⸗ 
ner Familie theurer, die Erziehung mei⸗ 
ner Kinder koſtbarer, und eben darum 
verderbter, das ihre kuͤnftige Verſorgung 
ſchwerer gemacht hat. Dieſer Titel er⸗ 
theilt nur den traurigen Vorzug, ſich von 
Standes wegen zu Grunde zu richten — 
Und der Gehalt! Es iſt wahr, vier tau⸗ 
ſend Gulden! ein Wort, das groß klingt. 
Aber der Tagloͤhner, der fuͤnf Groſchen 
durch ſeine Arme erwirbt, und nur drey 
verzehret, iſt er nicht reicher, als ich, 
den die Tyranney des Vorurtheils, unter 
dem Namen Wohlſtand einem Aufwande 
von eben ſo viel, wann es noch gluͤcklich 
geht, unterwirft? — Vier tauſend Gul⸗ 
den! aber eine Frau, die ich nicht betruͤ⸗ 
ben will, daß ich ihr dasjenige verſage, 
was alle Weiber ihres Standes haben, 
welche Ausgaben! aber Kinder, die mei: 
nen Namen tragen, was fodern die! 
aber ich ſelbſt, was muß ich nicht, mit 
widerſtrebender Hand dem Joche der Mei⸗ 
nungen aufopfern! „ 

„ Gewiß! mein Freund! wenn der 
rechtſchaffene Mann nicht die Verguͤtung 

ſei⸗ 


76 Der Mann 


feiner Mühe in dem Beifalle feines eigenen 
Herzens faͤnde; wenn nicht ſchon das ein 
Vergnuͤgen waͤre, der Geſellſchaft, deſſen 
Mitglied man iſt, zu dienen; die Gelegen- 
heit zu haben, Ungluͤckliche zu vertheidi⸗ 
gen; wenn es nicht ſchon ein Vergnuͤgen 
waͤre, ſeine erkannte Pflicht zu erfuͤllen; 
und wenn fuͤr den unrechtſchaffenen Mann 
nicht der Gewinnſt der Ungerechtigkeit ei⸗ 
ne Lockung waͤre; ich zweifle ſehr, ob der 
Staat zu dieſen Aemtern, nach denen 
ſo ſehr geſtrebt wird, um die man uns 
beneidet, weil man, wie jenes Süllen bei 
Gellerten 

Den blanken Jaum für eine Würde 

Der zugerittnen pferde halt, 
ob, ſage ich, der Staat zu dieſen Aemtern 
nicht durch Befehle, durch oft wiederholte 
Befehle rufen, zwingen muͤßte. Da Sie 
den Adel mit der Freymüthigkeit, die ſo 
ſelten, und eben darum ſo ſchaͤtzbar iſt, 
betrachtet haben; ſo wird die Reihe ohne 
Zweifel an uns kommen. Ich habe ihren 
Betrachtungen uͤber die ſogenannten ge⸗ 
lehrten Dienſte durch dieſes Schreiben 
eine Art von Einleitung geben wolleu, 
und 


obne Vorurtheil. 77 


und erwarte eine Ausfuͤhrung, wie wir 
von Ihnen zu leſen gewohnt find — „ 
„Wenn der Verfaſſer dieſer Blaͤtter 
der iſt, den man dafür hält; wie gluͤck⸗ 
lich iſt er! Von allem andern, als von 
ſeiner Pflicht, unabhaͤngig, ruft ihn ſeine 
Stunde zu einer der angenehmſten Be— 
ſchaͤftigungen. Wenn er eintritt, umgiebt 
ihn ein Kreis liebender ... ler, die 
von ſeinem Munde begierig jedes Wort 
ſammeln. Seine Berufsarbeit iſt Freude 
und Ergoͤtzung. Er bildet ... Aber ich 
darf keinen Strich mehr machen, wenn 
ich nicht eben ſo viel thun wollte, als 
ihren Namen herſetzen. Hat Ihnen Na- 
tur, oder Betrachtung den Vortheil ver- 
ſchafft, daß Sie auream mediocritatem 
lieben, daß Sie den guͤldnen Mittelſtand 
zu ſchaͤtzen wiſſen, der nach dem Wunſche 
des Weiſen, gleich ferne von Armuth und 
Reichthum iſt; dabei man nicht im Ue⸗ 
berfluſſe ſchwimmet, aber auch, wenn die 
Thraͤne eines Elenden unſer Mitleid auffo- 
dert, nicht ſeufzen darf, daß man dieſe 
Thraͤne abzutrocknen, nicht das Vermoͤgen 
hat: daß Sie ihren Stolz mit dem Ruhme 
eines rechtſchaffenen Mannes, eines 
Men⸗ 


78 Der Mann 


Menfchenfreundes befriedigen, wer kann 
ſich ruͤhmen, aus der Hand der Vorſicht 
mehr zu feinem Gluͤcke empfangen zu ha⸗ 
ben? Ich bin, u. ſ. w. „ 5 

ö ide: SR 


Dieſes Schreiben hat mich gegen fei- 
nen Verfaſſer mit wahrer Ehrerbietigkeit 
erfuͤllet. Die ſchaͤtzbarſten Merkmale ei⸗ 
nes fuͤhlbaren Herzens, einer ſeltnen Recht⸗ 
ſchaffenheit, eines von nichts getaͤuſchten 
Selbſtkenntniſſes! Warum muß zur Voll⸗ 
endung des vollkommenen Gemaͤldes noch 
die edle Dreiſtigkeit abgehen, ſich uͤber das 
Vorurtheil ſeiner Standesgenoſſen hinweg⸗ 
zuſetzen, und einen beſchwerenden Auf- 
wand einzuſchraͤnken! — Soll es ihm dann 
an Gruͤnden fehlen, ſein Betragen zu recht⸗ 
fertigen? oder, wird ein Mann von ſeiner 
Denkungsart ſich zu rechtfertigen haben? 
wird nicht eher das ſeinige fuͤr andre eine 
Richtſchnur werden? 

Im naͤchſten Blatte will ich die mir 
vorgeſchlagene Materie nach meiner Weiſe 
behandeln: und im folgenden diejenige, 
die mir von ihm gleichſam wider Willen 
an die Hand gegeben worden, und fuͤr die⸗ 

ſe 


ohne Borurtheil. 79 


fe verſchwenderiſche Stadt, wo die Pracht 
auf das hoͤchſte getrieben wird, gemein⸗ 
nuͤtzig iſt. 

Ich kuͤndige dieſe Betrachtuug mit gu⸗ 
ten Vorbedacht vorher an. Weil ich bei 
derſelben Beiſpiele anfuͤhren muß; ſo will 
ich einigen beruͤchtigten Verſchwendern 
die kurze Friſt laſſen, ſich einzuſchraͤnken. 
Thun fie es nach dieſer Warnung nicht, fo 
ſey ihre Schande uͤber ſie und uͤber ihre 
Kinder! wenn jedermann ſie mit Fingern 
zeigen, und ausrufen wird: der iſt es, 
der im Manne ohne wenne ge⸗ 
ſchildert iſt. 

Ich kuͤndige dieſes beſonders ie 
gerren ... an, die mit prächtigen Zü⸗ 
gen herumfahren, ihre armen Frauen zu 
Hauſe aber mit aller Noth kaͤmpfen, und 
den Anlauf ungeſtuͤmer Schuldner aus: 
halten laſſen: gewiſſen gerren, an deren 
Finger ich ungeheure Brillianten geſe⸗ 
hen habe, deren Ankauf ſie genoͤthiget, 
wenigſtens auf drey Jahre ihre Einkuͤnfte 
vorhinein zu verſchreiben: gewiſſen Herz 
ren, in deren Häufern ich boiſirte Zim- 
mer mit praͤchtigem verguͤldeten Schnitz⸗ 
werke, und fuͤrſtliches Hausgeraͤth wahr⸗ 

ge⸗ 


/ 


80 Der Mann 


genommen, und nach eingezogener Erkun⸗ 
digung, gehoͤret habe, daß ſie ihrem Haus⸗ 
geſinde vier und fünfjährigen Lohn ſchul⸗ 
dig find: gewiſſen Zerren, die täglich für 
ſechs oder acht Fremde offene Tafel halten, 
aber zu deren Beſtreitung ihre Gattinn die 
Kleider verpfaͤnden muß, welches ſie nun, 
unter Beguͤnſtigung der Hoftrauer unbe⸗ 
merkt thun konnte. Ich kuͤndige dieſes 
auch gewiſſen Frauen an, die durchaus 
für zehntauſend Gulden Juwelen haben 
mußten, ohne zu uͤberdenken, daß fuͤnf⸗ 
hundert Gulden jaͤhrige Zinſe davon weit 
beſſer zu einer Mitgabe für ihre Toͤchter 
haͤtten hingelegt werden koͤnnen: gewiſſen 
Frauen, die ein Treſſet, welches geringer 
als einen Dukaten geſpielt wird, ein Bet⸗ 
telſpiel nennen; da, nach einer genauen 
Berechnung, doch die taͤgliche Einnahme 
ihrer Männer nur fünf Gulden ausmachet: 
gewiſſen Srauen, die durchaus Namer⸗ 
jungfern haben mußten, da fie nur erſt 
vor fünf Jahren ſelbſt Kindermaͤgde ge⸗ 
weſen; gewiſſen Srauen, die ſich jährlich 
mit nicht weniger als zwey Kleidern fuͤr 
jede Saiſon begnuͤgen, deren zwey Kinder 
aber miteinander nicht mehr als ſieben 
Hem⸗ 


ohne Borurtheil, 81 


Hemde von der groͤbſten Leinwand anzu⸗ 
ziehen haben; gewiſſe Frauen, deren 
Männer ſich den Hausfrieden mit Pferd 
und Rutſche erkaufen, und nun das Recht 
der Partheyen feilbieten muͤſſen, um die 
fuͤnfhundert Gulden wieder hereinzubrin— 
gen. 

Allen dieſen und ihres gleichen kuͤndige 
ich es an: woferne ich in baldem nicht 
augenſcheinliche Beweiſe ihres Selbſter— 
kenntniſſes habe, ſie, wie einen ſichern 
andern jungen Verſchwender, — der, 
weil er nicht Herz genug hat, ſich zu beſe 
ſern, ſo verwegen iſt, zu drohen — dem 
Gelaͤchter der ganzen Stadt preis zu ge⸗ 
ben. 

Sie, und ihres gleichen moͤgen ſich den 
Tag aufzeichnen! Wenn ich nun von heute 
über acht Tage bei jemanden eine Rutſche 
ſehe, der nur 3000 Gulden Einkuͤnfte hat 
und beſonders Fine lafirte Kutſche; oder 
einen brilliantnen Ring an dem Finger 
eines Mannes von 2000; oder Juwelen 
bei einer Frau, die nicht wenigſtens vom 
mittleren Adel iſt, und deren Gemahl 
15000 jaͤhrliches Einkommen hat, ohne 
dazu noch etwas darauf ſchuldig zu ſeyn; 

II. Theil. F ſo 


82 Der Mann 


fo ſoll er ſich fo leibhaft in dieſem Blatte 
da erblicken, daß ihm ſeine eigene Geſtalt 
in einem Spiegel nicht leibhafter aͤhnlich 
ſeyn kann. | 


XII. Re 


ch bitte meine Leſer um Rath, wie fol 
ich mich bei folgendem Schreiben verhal⸗ 
ten, das mir von einem Unbekannten in 
das Haus gebracht, und mit einer eben 
fo trotzigen Mine, als der Inhalt iſt, be⸗ 
haͤndiget worden? | 


* Herr Wochenblaͤttner! Wo bei allen 
T. .. nehmen Sie die Unverſchaͤmtheit 
her, jede Woche zweymal uns ſo beleidi⸗ 
gendes Zeug ins Geſicht zu ſagen? Sind 

ie, wenigſtens ein Vorfechter, daß Sie 

ch gegen die Anfälle, die Ihnen unmoͤg⸗ 
lich ausbleiben koͤnnen, zu vertheidigen 
getrauen? — Haben Sie es aufgegeben, 
in irgend einem Hauſe Zutritt zu haben? 
Denn, wahrhaftig, wer wird einen Men— 
ſchen itzt uͤber ſeine Schwelle laſſen, der 


aus keiner andern Urſache koͤmmt, als 
| aus: 


ohne Vor urtheil. 83 


auszuſpaͤhen » — Aber ich will im ern⸗ 
ſten Tone mit Ihnen reden. „ 

„Wiſſen Sie, daß Sie alle Welt bes 
leidigen, ohne jemanden zu beſſern? Das 
iſt der Ton nicht, der in unſre Herzen 
dringt, der uns zum Selbſterkenntniſſe 
noͤthiget, der uns unſre Ruͤckkehr ange⸗ 
nehm machet. Es iſt wahr, Sie treten 
dem Laſter mit Freyheit unter die Augen; 
Sie beiſſen ſich gar nicht in die Lippen 
bei dem Laͤcherlichen; Sie lachen ihm ge⸗ 
rade zu ins Geſicht! gut! was iſt die 
Folge? Wollen Sie mirs glauben, wenn 
ich es Ihnen ſage? „ 

„9m ſchuͤttelte nicht vor langem i in mei⸗ 
ner Gegenwart ein Mann von einigem An⸗ 
ſehen das Haupt! das iſt zu weit gegan⸗ 
gen: man muß dieſem dreiſten Pur- 
ſchen das handwerk legen — Wie Yrufte 
die Frau! wer hat ihn zum Richter 
unſrer gandlungen geſetzt y wer hat ihn 
dazu befreyet, mit wöchentlichen Be⸗ 
ſchimpfungen einen gandel zu treiben Y 
wenn ſich der Menſch wenigſtens er⸗ 
innerte, daß er ſich Seinde macht — 
Seinde » fiel eine andre ein: o nein! die 
macht er ſich nicht. Das wäre zu viel 


J 2 Eh⸗ 


84 Der Mann 


Ehre: man läßt ihn fchwägen ! Der 
gute Sittenrichter! Wie lange iſt es, 
mein Sohn ! daß ihr zuſamm noch 
in die Schule gienget e — Vier oder 
fünf Jahre, gnädige Frau! antwortete 
dieſer — Nun, ſehen Sie, fuhr ſie fort, 
ſo einen neuen, nagelneuen Menſchen 
würde man zu wichtig machen, wenn 
man ihn im Ernſte der Ehre würdigte, 
über ihn zu zürnen. Man muß ihn 
unbemerkt dahinſchleichen laſſen! Ich 
wette, wenn der junge Menſch ein paar 
Tage nichts von feinen albernen Blat⸗ 
tern ſchwaͤtzen hört — denn, er ſchreibt 
doch nur, um Aufſehen zu machen 
er geht hin, ſetzt ſich in eine Ecke ſei⸗ 
ner Rauchſtube, ſingt fein Schwanen 
lied, und ſtirbt. „ 

„Sehen Sie, das find die Unterre⸗ 
dungen, die man uͤber Sie haͤlt. Aber ich 
habe auch einige von ganz anderm In⸗ 
halte gehört. Ich habe gehoͤrt, wie man 
ſich zuſammgeſchworen: Ihnen für eine 
gewiſſe ſehr beziehende Anſpielung den 
Kopf entzwey zu ſchlagen. Ich habe 
gehoͤrt, wie man ſich Zeit und Stunde 
beſtimmet, Sie des Abends mit einer 


Trache 


ohne Borurtheil, 85 


Tracht Schläge nach gauſe zu ſchicken. 
Ich habe gehört, wie man überein gekom⸗ 
men: weil Sie ſelten zu Nacht auſſer 
Baufe wären, in ihrem Haufe ſelbſt ei⸗ 
nen Beſuch abzuſtatten, der Ihnen 
nicht angenehm ſeyn dürfte: und was 
fonft habe ich nicht gehoͤret? „ 
„Ueberlegen Sie alles das einmal, ehe 
Sie die verſprochenen ) Materien ber 
handeln! Denken Sie den Schwarm, den 
Sie aufs neue gegen ſich empoͤren! Und 
wenn Sie ſich etwa eine Gewiſſensſache 
daraus machen, von einer Sache zu ſchwei⸗ 
gen, uͤber welche Sie ihr ſchriftſtelleriſches 
Ehrenwort von ſich gegeben haben; ſo ſeyn 
Sie wenigſtens behutſam! fo ſeyn Sie we- 
nigſtens nicht ſo beiſſend! ſo huͤten Sie ſich 
wenigſtens, perſoͤnlich zu werden! „ 
„Ich rede in der That mit Ihnen eine 
Sprache, die mir ſonſt nicht eigen iſt: ich 
ermahne, und mein eigentlicher Ton iſt, 
drohen. Ich bin ein Offizier, der ſeine 
Klinge fuͤhret, der geſchwind warm vor der 
Stirne wird, der — Aber was geht das 
alles Sie an. Nach den Grundſaͤtzen mei⸗ 
nes Standes muß ich mich ſchlagen, ohne 
zu 
) XI. Blatte. 


— 


86 Der Mann 


zu drohen: und nach den Grundſaͤtzen ih⸗ 
res Standes, duͤrfen Sie laufen, ohne 
ſich zu beſchimpfen. Doch nehmen Sie 
ſich in Acht! ich warne Sie, warne Sie 
mit gutem Vorbedachte, warne Sie, da 
die Gefahr nahe, da der Arm ſchon auf⸗ 
gehoben iſt, der auf Sie donnern ſoll! „, 

„ Don wem» das dürfen Sie eben 
nicht wiſſen. Aber denken Sie an ihr letz⸗ 
tes: ich kuͤndige dieſes gewiſſen ger⸗ 
ren . . . an. Unter dieſen gewiſſen gerren 
ſind einige ſehr gewiſſe, die es nicht gerne 
ſehen, daß man ſie ſo leibhaft ſchildert, 
und die den ungebettenen Portraitmaler, 
der ſo gut iſt, ſie mit einer Narrenkape 
auf dem Markte auszuſetzen, ſeine Muͤhe 
übel lohnen wuͤrden. — Damit fie gar 
nicht an der Zuverlaͤſſigkeit zweifeln duͤr⸗ 
fen, ſo will ich Ihnen bekennen, daß ich 
ſelbſt einer der Mitverſchwornen bin: 
nicht zwar, als ob ich meine Rutſche, 
oder Brillianten ungerne verlierte: dem 
Himmel ſeys Dank! wir Leute von Sortun 
ſind mit ſolchem Geraͤthe nicht beſchweret: 
aber die offene Tafel von 6 oder 8 Srem⸗ 
den, die verliert man ungerne; und ich 
will nur erwarten, ob Sie es wagen wer⸗ 

den, 


ohne Borurtheil. 87 


den, dieſe Saite zu berühren — Thun Sie 
es, wehe Ihnen, der Werkzeug ihrer Bes 
ſtrafung liegt hier vor mir, „ 

dem H.. ruck 


Herr H.. . ruck iſt der einzige, der 
mir nach der Offenherzigkeit ſeiner gewaͤhl⸗ 
ten Lebensart Vorwuͤrfe machet, aber er 
iſt nicht der einzige, dem meine Betrach—⸗ 
tungen ungelegen ſind. Die Antwort, die 
ich ihm geben werde, gebe ich zugleich al⸗ 
len, die uͤber dieſen Punkt, wie er, den⸗ 
ken. Damit man mir nicht etwan die Une 
terlaſſung der üblichen Foͤrmlichkeiten vor- 
werfe, will ich ſie ebenfalls in einen Brief 
einkleiden, dieſe Antwort. 


Hochzuehrender Herr H... 


Wir leben hier unter dem Schutze der 
oͤffentlichen Wachſamkeit ſo ſicher, daß man 
alle Drohungen einer perſoͤnlichen Beleidi— 
gung mit kaltem Gebluͤte anhoͤren darf. 
Ich ſchlafe in dem Schooſſe der Ruhe, 
nicht aus Zuverſicht auf meine Sechtlek⸗ 
tionen — ob ich vielleicht auch von dieſer 
Seite einige Zuverſicht werfen duͤrfte — 
ſondern auf die Geſetze. Die Furcht alſo 
5 4 wird 


se Der Mann 


wird mich nicht von meinem Wege wedet 
zur Rechten noch zur Linken abweichen 
machen. 

Aber ich ſehe es als eine Pflicht an, 
meinen Befreyungsbrief aufzuzeigen, uͤber 
Laſter, über Thorheiten, auch über Un⸗ 
gereimtheiten zu eifern. Ich bin ein 
Bürger. Der Vorwurf der Jugend iſt 
mir ſchon ſeit mehreren Jahren her ges 
macht worden. Alſo kann er heute nicht 
mehr dieſelbe Kraft haben. Die Welt iſt 
in der That hoͤchſt widerſinnig, hoͤchſt un⸗ 
gerecht. Maͤdchen will man nach einigen 
Jahren nich jung ſeyn, und mich nie dlter 
werden laſſen. 

Jedoch jung v oder alt koͤmmt es bei 
Schriften darauf an, wer ſie ſagt? oder 
darauf, was man ſagt? wird eine Luͤge 
zur Wahrheit, wenn ſie eine zitternde 
Hand des Greiſen niederſchreibt? wird 
eine Wahrheit Luͤge, die aus dem Kiele 
eines Mannes von den munteren Jahren 
fließt? — Gnaͤdige Frau! ich rechne mirs 
zur Ehre an, noch vor wenigen Jahren 
auf der hieſigen hohen Schule der Schul: 
gefaͤhrte ihres Sohnes geweſen zu ſeyn! 
Hund ich wuͤnſche, daß es ihm nicht zur 
Schan⸗ 


ohne Vorurtheil. 89 


Schande gereiche, der meinige geweſen 
zu ſeyn! 

Die Befreyung, zu ſchimpfen, wie Sie 
es nennen, ruͤhrt daher, daß man Laſter, 
Thorheiten, Ungereimtheiten ausübet. 
Alles Lächerliche, fo ich ſage, liegt gar 
nicht in dem Worte, es liegt in der Sache: 
und die kömmt nicht von mir her; die 
wird mir angeboten. Es iſt nur ein ein⸗ 
ziger, aber gar nicht ſchwerer Weg, mir 
das gandwerk zu legen. Man laſſe mirs 
am Stoffe fehlen; und ich will meine 
muͤſſige Feder in dem Tempel der Tugend 
aufhängen , und darüber die Auffchrift 
feßen: 

Sie ſtrafte die Thoren, da fie waren. 

Aber, wann wird die Welt ſo gluͤcklich 
ſeyn, mir auf ſolche Art den Kiel aus 
Haͤnden zu reiſſen? Und dennoch, iſt es 
nicht die unverſchaͤmtſte Foderung des Las 
ſterhaften, des Thoren, daß er die Frey— 
heit haben fol, zu thun, was mir unter: 
ſagt ſeyn ſoll, zu ſagen. 

Sollen mich aber die Seindͤſchaften 
abſchrecken? welche Foderung? wer ſind 
fie dieſe Feinde? gewiß nicht die vereh⸗ 
rungswuͤrdigen Tugendhaften, denen ich 

8 5 zu 


90 Der Mann 


zu jeder Stunde eine Lobrede zu halten 
bereit bin, gewiß keine Tirine. Die ſind 
es, denen meine kuͤhne Hand die Larve 
abreißt! Und, o Sie koͤnnen nicht meine 
Feinde werden: ich war nie ihr Sreund: 
und nie werde ich es ſeyn. 

Welche Haufer werden mir verſchloſſen 
ſeyn? die, die ihrer Fehler ſich bewußt, 
das Aug eines Scharfſehenden ſcheuen, 
die vor dem rauſchenden Blatte zittern, 
die fürchten muͤſſen, zur Lehre der Wohl⸗ 
geſitteten, zur Beſchaͤmung der Untugend 
aufgeſtellet zu werden: ſolche Haͤuſer al⸗ 
lein, die die Unordnungen, welche darin 
herrſchen, verborgen zu halten, Urſache 
haben, dieſe allein werden mir den Ein⸗ 
tritt verſagen — 

Und nun, nach dieſer Betrachtung laſſe 
ich mich ankuͤndigen: wer iſt es, der, ſo 
ſehr feiner Ehre uneingedenk, es waget, 
mich auszuſchlüſſen v 

Sie ſehen mein Herr! ich habe Gruͤnde 
fuͤr mich: und habe mehrere; aber ich 
darf fie nicht erſt anführen. Der dem 
Prediger das Recht ertheilet, das Laſter 
zu beſtrafen, der dem Schauſpieler das 
Recht ertheilet, den Laͤcherlichen eg der 

B — 


ohne Vorurtheil. 91 


Buͤhne zu kopiren, der giebt mir das 
Recht zu ſagen: der Thor iſt Thor. De⸗ 
ſto übler für jeden, der ſich fuͤhlet, und 
ſagen muß: der Thor bin ich. 


XIII. 


F ee begleitete mich dieſer Tagen 
zu dem geſchickten Herrn Pergauer ), 
und ſah einige von den vortreflichen Uhren 
dieſes Kuͤnſtlers, die es mit allen franzö⸗ 
ſiſchen und engliſchen aufnehmen koͤnnen. 
Er bewunderte die Erfindung dieſer Zeit⸗ 
meſſer, die in die Ordnung, welche in 
unſern Geſellſchaften herrſchet, fo grof- 
ſen Einfluß haben; er betrachtete den 
Mann, deſſen Hand ſie erſchafft, mit ei⸗ 
nem tiefen Stillſchweigen, und einer Art 
von Ehrerbietung. Als wir von ihm Ab⸗ 
ſchied genommen, fo war feine erſte Fra⸗ 
ge: dieſer verdienſtvolle Künftler müſſe 
| oh⸗ 
) Johann Michael Pergauer , Kleinuhrma⸗ 
cher in der Kärntnerſtraſſe bei dem Schwan. 
Dieſer verdienſtvolle Bürger, hätte in Lon⸗ 
don gebohren werden, und weniger Geſchick⸗ 
lichkeit beſitzen ſollen, damit Wien ſeinen 
Werken Gerechtigkeit wiederfahren lieſſe. 


92 Der Mann 


ohne Zweifel ſehr hoch geſchätzet wer⸗ 
dene — So hochgeſchaͤtzt, mein lieber 
Capa : kaum ! daß er vielleicht feinem 
Nachbarn, dem wahren Werthe nach, un⸗ 
bekannt iſt — Deſto übler, fuhr er fort, 
für dieſen Nachbarn, der ſich eines ſo 

groſſen Vergnügens beraubet, fo viel 
es möglich, dieſem Manne zuzuſehen. 
Aber fchon feine Beſchaͤftigung / die fo 
viele Geſchicklichkeit erfodert, und in 
welcher, wie Sie ſagen, er ſich ſo ſehr 
unterſcheidet, macht ihn ohne Zweifel 
ſehr angeſehen — Seine Beſchaͤftigung 
mache ihn angeſehen? ſagte ich — 

Wir hatten unfte Wohnung erreichet, 
und kaum trat ich uͤber die Schwelle, als 
ich eines von den Dekreten, die eben auf 
dem Tiſche lagen, ergriff, und ihm uͤber⸗ 
gab. Betrachte, fuhr ich nunmehr fort, 
dieſe ſchoͤne Hand! — Ich habe ſie ge⸗ 
ſehen: — und hiemit gab er ſie mir im 
Augenblicke zuruͤcke — Wie ? du konnteſt 
dich an Pergauers Uhren nicht ſatt ſehen: 
und dieſe ſchoͤne Hand! dieſe regelmaͤſſigen 
Zuͤge! ſieh — Sie ſchertzen! unterbrach 
er mich; ich habe auf zwoen Zeilen alle 


24 Buchſtaben geſehen: und in den 
übri⸗ 


ohne Vorurtheil. 93 


übrigen kommen immer dieſelben wie⸗ 
der — Nun, fragte ich, wer alſo aus 
beiden, wuͤrdeſt du waͤhlen, zu ſeyn? 
pergauer, oder der dieſes Blatt be⸗ 
ſchrieb e' — Er ſah mich verwundernd an 
— Meine Frage iſt Ernſt, fuhr ich fort — 
Mich daucht, verſetzte er, meine Wahl 
kann für meinen Sührer kein Räthſel 
ſeyn. Ich würde Pergauern fo in mei⸗ 
ner Wahl, wie in meiner Achtung den 
Vorzug geben. 

Sehet, ihr Herren! die ihr, weil die 
Maſchine eurer Hand zu gewiſſen gleich⸗ 
förmigen Bewegungen eingerichtet iſt, bei 
denen ihr Verſtand, und alle Kenntniſſe 
entbehren koͤnnet, die ihr darum euch ſehr 
wichtige Menſchen duͤnket, die ihr einen 
Kuͤnſtler, deſſen Beſchaͤfftigung Nachden⸗ 
ken, Beurtheilung, Verbindung, und 
hundert vorlaͤufige Geſchicklichkeiten fodert, 
mit Geringſchaͤtzung anſchauet, ſeht! ſo 
urtheilet ein Menſch, der die unbillige 
Rangordnung nicht kennet, die das Vor⸗ 
urtheil unter uns eingefuͤhrrt hat, und 
welche feſtzuhalten, der Unwiſſenheit, zu 
ſehr daran liegt. Aber ich will mit meinen 


Betrachtungen auffteigen. 
Der, 


94 Der Mann 


Der, welcher den Aufſatz eines ſolchen 
Dekrets gemacht, der wird ſich ohne Zwei⸗ 
fel ſehr beleidiget halten, wenn ich zwiſchen 
ihm, und einem Kuͤnſtler, der der Nation 
Ehre machet, Vergleichungen anſtelle. 
Ich bitte ihn um Vergebung! Ich werde 
es dennoch thun, und, wie ich voraus fehe, 
der Vortheil wird nicht auf ſeiner Seite 
ſeyn. Was iſt es, worauf er ſtolz, einen 
Vorzug fodern kann? — Ich ſinne nach, 
was er antworten koͤnnte; und ich geſtehe, 
ich finde es nicht. Seyn Sie offenherzig, 
meine Herren, und bekennen Sie, daß 
Sie es eben ſo wenig wiſſen! daß Sie nur 
den Vortheil annehmen, den ihnen der ein⸗ 
geadelte Irrthum anbietet! Dieſer Offen⸗ 
herzigkeit zu Liebe will ich nachſehend ſeyn. 
Woferne ſie aber ſich blaͤhen ſollten, ſo 
will ich ihre Aufbrauſung ſogleich zu Bo⸗ 
den ſchlagen, und ehe dieſes halb nieder- 
gebrannte Licht erliſcht, meinen Schuͤler 
zu einem SKoncipienten machen, der mit 
Beihuͤlfe des Sfterreichifchen Sekretärs, 
oder fonft eines guten Sormularbuche fein 
Handwerk wenigſtens eben ſo treflich, als 
Sie verſtehen ſoll. 


‚Dies | 


ohne Vorurtheil. 95 


Dieſe unbillige Austheilung der Ach⸗ 
tung, des Vorzugs, und auch oft des 
Vortheils iſt für die Wohlfahrt der Ge: 
ſellſchaft nicht ſo gleichguͤltig, als es den 
Schein hat. Nach unſrer Erziehung wird 
der Stolz in den Jahren der Kindheit ſehr 
oft ein Triebwerk unſrer Handlungen, und 
in den Jahren unſrer Reife ein Triebwerk 
unſrer Entſchluͤſſungen. Wann ein Vater 
feinen Sohn zu einer kuͤnftigen Beſchaͤff— 
tigung beſtimmet; wenn der Juͤngling ſelbſt 
uͤber die Lebensart, die er ergreifen ſoll, 
zu Rath geht, der Inhalt ihrer Ueberle⸗ 
gung wird ungefaͤhr folgender ſeyn: 

„Mein Sohn! wird der Vater ſpre— 
chen: die Jahre kommen heran, in welchen 
du den Grund legen ſollſt: ich habe deine 
Faͤhigkeit geprüft, du haft viele, du biſt 
ſie dem Vaterlande ſchuldig. Du haſt dei⸗ 
ne Schulen, deine Rechte: nun iſt es Zeit 
ſich die praftifchen Kenntniſſe zu erwerben. 
Ich habe mit ... geſprochen: er erlaubt 
dir bei ſich Zutritt, du wirft in kur⸗ 
zem mit ein wenig Anwendung im Stande 
ſeyn, auf eine Bedienung Anſpruch zu 
machen; und dieſe wird dir dann, bei un⸗ 
ſern 


96 Der Mann 


ſern Verbindungen, bei den Empfehlungen, 
die ich dir bereite, nicht fehlen. „ f 
Der Sohn wird, weil er Fahigkeit 
hat, von ſeinem Vater einem Dienſte ge⸗ 
widmet, wo er ſie zur Haͤlfte, wo er ſie 
vielleicht ganz entbehren kann. Dieſe Faͤ⸗ 
higkeit, die nun dem Staate unnütz, die 
fuͤr ihn verloren iſt, wuͤrde bei einer an⸗ 
dern Beſchaͤfftigung, bei der Handlung, 
bei einer Kunſt, bei einem Handwerke 
brauchbar, vortheilhaft geweſen ſeyn. 
„mein Sohn, zur Zgandlung! mein 
Sohn, zu einer Runft! zu einem gand- 
werke! mein Sohn, ein gandwerks⸗ 
mann! - „ Ja mein Herr! Sie find ver⸗ 
nuͤnftig: Sie haben es ſelbſt geſagt: ihr 
Sohn iſt feine Sähigkeit dem Staate 
ſchuldig. Glauben Sie, daß er dieſer 
Pflicht Genuͤge leiſte: wenn er ſich ver⸗ 
legt, ein von Ihro Röm. u. ſ. w. anzu⸗ 
fügen: immer mutatis mutandis ſchreiben 
zu koͤnnen. Ich ſehe da nicht, wozu ihm 
ſeine Faͤhigkeit nuͤtzen kann. Aber der Aem⸗ 
ſigkeit neue Wege oͤffnen, feinem Vater⸗ 
lande Reichthuͤmer erwerben, indem man 
die ſeinigen vergroͤſſert; durch Erfindungen 


ſeinem Verſtande Ehre machen, die Wege 
der 


ohne Vorurtheil. 97 


der Erwerbung erweitern, u. d. g. das 
fodert die Faͤhigkeit, die Sie ihm zueignen, 
die Sie dem Vaterlande ſchuldig ſind. 
Dieſer Vater, der ſonſt vernuͤnftig ſprach, 
kann unmoͤglich meine Gründe nicht ein⸗ 
ſehen: er bekennt es, daß Vernunft und 
Gruͤnde auf meiner Seite ſtehen; aber, ſagt 
er: wollen Sie, daß ich meinen Sohn weg⸗ 
werfe, daß ich ihn gleichſam abwürdige *), 
daß ich es mit einer allgemein angenom⸗ 
menen Meinung aufnehme? der Wahn, 
wenn Sie ſo wollen, hat einmal dieſe Be⸗ 
ſchaͤfftigung erniedriget, und ich bin der 
Achtung meines Hauſes verpflichtet = = Die 
Vernunft aufzuopfern, werde ich fagen, 
und mich zu einem andern wenden, der mit 
feiner Familie berathſchlaͤgt , in welche 
Kanzley er ſeinen Sohn unterbringen koͤnne. 
Ich menge mich in ihre Unterredung — 
Warum wollen Sie dieſen Sohn das Gluͤck 
nicht goͤnnen, das Sie genieſſen? Sie ſind 
| reich, 

„) Degradiren, weis ich nicht anders zu geben. 
Damals ſetzte ich die Anmerkung bei, weil 


ich das Wort als neu vertheidigen wollte. 
Heute iſt es allgemein im Gange. 


II. Theil. G 


98 Der Mann 


reich, Sie können jedem vernünftigen 
Wunſche ihres Herzens ein Genuͤgen lei⸗ 
ſten — Gut, unterbricht er mich, alles 
gut! ich bin reich, meine gandtbierung 
hat mich dazu gemacht; und was das 
anbelangt, ſo wird mein Sohn nie ſo 
glücklich ſeyn, als ich. Aber mein herr! 
es ſchmerzt, wenn man ſich bei allem 
feinen Reichthum verachtet ſteht. Ich 
will meinen Sohn wenigſtens dieſe 
Kränkung erſparen, ſich von Schreibern 
über die Schulter anſehen zu laſſen: er 
ſoll einer aus ihnen ſeyn! und hiemit 
verläßt er mich, ſchiebt feinen Sohn ir⸗ 
gend in eine Stelle ein, entzieht der 
gandlung, oder fonft einem anſehnlichen 
Zweige der Beſchaͤfftigung einen groſſen 
Fond, ber fie ſchwaͤchet, und in die all⸗ 
gemeine Nahrung nachtheilige Folgerun⸗ 
gen verbreitet. 

So denkt auch der Knab, ſo bald er 
zu denken fähig iſt. Er ſieht dem Kuͤnſt⸗ 
ler, wenigſtens mit roher Art, er ſieht 
dem Handwerker mit Verachtung begeg⸗ 
nen: er glaubt, dieſes rohe Betragen, 
dieſe Verachtung ſey der beſchiedene An⸗ 


theil dieſer nuͤtzlichen Klaſſe der Buͤrger. 
Die⸗ 


ohne Vorurtheil. 99 


Dieſe Meinung ſetzt ſich in ſeinem kleinen 
Herzen feſt, waͤchſt groͤſſer, wie er ſelbſt 
waͤchſt, und durch wiederholte Beiſpiele 
darin beſtaͤrkt wird. 

Was willſt du werden frage ich den 
Knaben — nicht den Sohn eines Mannes, 
der eine anſehnliche Stelle bekleidet, nicht 
einmal eines Kuͤnſtlers; nein, den Sohn 
des gemeinſten Mannes — Ein gerr! ſagt 
der kleine Schwaͤtzer hochmuͤthig. Und 
wie willſt du es anſtellen, ein gerr zu 
werden? — Ich will ſtudiren, verſetzt 
er mir ſehr fertig. Die ſtudirten Leute 
werden alle Herren — Aber, verfolge 
ich, dein Vater, iſt der kein Zerr! — 
Nein! und man ſieht es deutlich, der 
kleine Uebermuͤthige blaͤht ſich bereits, und 
ſetzet ſich in ſeinem Gedanken bereits uͤber 
ſeinen Vater hinweg — 

So ſind wir durch die unverſtellte Ant⸗ 
wort dieſes Kindes auf den Urſprung ge⸗ 
kommen, aus welchem das Vorurtheil 
abgeleitet werden kann. Die Hochachtung, 
die man gegen die Wiſſenſchaften hat, 
wird auch den Ständen eigen, zu denen 
dieſe Wiſſenſchaften gleichſam eine noth⸗ 
wendige Zubereitung ſeyn ſollten. Und 

G 2 gleich 


100 Der Mann 


gleich als könnte die Achtung erſchöpfet 
werden, behält man ins gemein für die uͤbri⸗ 
gen Staͤnde nichts davon mehr uͤbrig — 
Sie ſehen, ſchaͤtzbare Leſer, ich dringe 
nur erſt tiefer in meine Materie ein. Aber 
es iſt wenig Raum mehr übrig , ich 
kann heute nicht vollenden. Ich will alſo 
mit zwo Zeilen einigen Korreſpondenten 
antworten, von deren Zuſchriften der In⸗ 
halt ſich aus meinen Antworten ganz leicht 
entnehmen laſſen wird. 


Meine Frauen, und Herren! 


4 Ich finde ihre Vorſtellungen gegrün⸗ 
det. Da kuͤnftig um einen guten Theil 
weniger Geſchmeide, und Ringe getragen, 
und nun ſo viele feilgeboten werden; ſo 
wuͤrden Sie zu ſehr zu Schaden kommen, 
wenn ich den eingeraumten Termin nicht 
überlegte. Ich gebe Ihnen alſo noch 
acht Tate länger Friſt, binnen welcher 
Zeit Sie ſich bemühen mögen, ihr über- 
fluͤſiges Prunkwerk anzuwerden. Dieſe 
Friſt wird auch denen zu ſtatten kommen, 
die Pferde und Wagen wegzugeben haben. 
Ich ſehe wohl ein, daß alle das Zeug in 


verſteigerungen ziemlich wohlfeil wird 
hin⸗ 


ohne Vorurtheil. 101 


hingegeben werden muͤſſen. Aber denken 
Sie, alles iſt Gewinn, was Sie fuͤr eine 
unnuͤtze Sache wieder erobern. Alſo be⸗ 
willige ich hiemit noch acht Tage; aber 
mit der Verſicherung, nachher keinen Auf- 

ſchub, unter was immer fuͤr einem Vor⸗ 
wande es verlangt werde, einzugeſtehen. „ 5 


XIV. 


Das ſey ferne von mir, daß ich die 
Wiſſenſchaften ihres Ranges entſetzen, daß 
ich auf die Seite des zu ſtrengen Gegners 
aller Kenntniſſe treten, und die Menſchen 
zuruͤcke in die Wildniſſe, zuruͤcke zu den 
Eicheln fuͤhren wollte. Sie ſind die Fa⸗ 
keln der Welt; ſie hellen den Verſtand 
auf, machen das Herz und die Sitten ge⸗ 
ſchmeidig; und nur der Mißbrauch der 
ſelben, iſt, ſo wie der Mißbrauch aller 
Sachen, die reiche Quelle fo manchen Ue⸗ 
bels, das die Welt verheeret. Aber, weil 
ſich jemand mit Speiſen uͤberladen kann, 
ſollte man darum der Nahrung entfagen ?— 
Freuen Sie ſich nicht, meine Herren! 
freuen Sie ſie nicht vergebens! Nichts von 
dieſer kurzen Lobrede hat auf Sie eine Ber 
63 zie⸗ 


102 Der Mann 


ziehung. Der Namen, Wiſſenſchaft, 
Gelehrſamkeit iſt — vergeben Sie mir! 
ich kenne die gekünſtelten Ausdrucke nicht, 
die, um etwas nicht gerade zu ſagen, 
nichts ſagen — der Namen alſo der Ge⸗ 
lehrſamkeit und Wiſſenſchaften iſt ent⸗ 
ehret, wenn ein Menſch mit einem Bischen 
Latein, das die Stalljungen Cicerons 
beſſer geſprochen haben, mit einer Philo⸗ 
ſophie, wovon er nur ein Wortregiſter im 
Kopfe behalten hat, mit einem Rechte, 
wovon die Haͤlfte ganz nicht mehr brauch⸗ 
bar, die andre Haͤlfte ein Gewebe klei⸗ 
ner Raͤnke und Unterſcheidungen iſt, und 
mit einigen Sormularen, die er eben ſo⸗ 
wohl in ſeiner Taſche, als in ſeinem Kopfe 
behalten mag, wenn ein Menſch mit allen 
dieſen ſchoͤnen Ausruͤſtungen auf ſie einen 
Anſpruch machen zu koͤnnen, berechtiget 
ſeyn ſollte. Ein ſchoͤnes, liebenswuͤrdiges 
Maͤdchen, das die Ehrerbietung meines 
ganzen Geſchlechts verdienet, wird ſich ſehr 
beſchimpft halten, woferne ein Menſch, 
von einer in die Augen fallender Unwür⸗ 
digkeit ſich ihrer Gewogenheit oͤffentlich 
ruͤhmen, oder ſich mit in die Reihe ihrer 
hoffenden Verehrer ſtellen ſollte. Die Frau 
ſtoͤßt 


ohne Vorurtheil. 103 


ſtoͤßt ſie von ſich: tragen Sie ihre Wuͤn⸗ 
ſche zu der Magd, meine Herren! Sie 
werden weniger abgewieſen werden. 

In den ſehr, ſehr entfernten Zeiten, da 
die Geſchaͤfte der Gerichtsſtelle durch einen 
Gerichtsſchreiber, und zween Schöppen 
verſehen wurden; wo die Prozeſſe noch für 
kein Gewerb, wo ſie fuͤr ein Uebel ange⸗ 
ſehen wurden, das man floh, ſo ſehr es 
ſich thun ließ; wo die Streitſucht noch 
nicht zu einem ond geworden, der feine 
Ein künfte ſicher abwirft; in den ent⸗ 
fernten Zeiten, wo die Kanzley des Fuͤr⸗ 
ſten, aus ihm ſelbſt, und ſeinem Geheim⸗ 
ſchreiber beſtund; wo man weniger ſchrieb, 
weil man deſto mehr handelte; in dieſen 
gewiß nicht ungluͤcklichen Zeiten, wo die 
Gerechtſame durch Redlichkeit und Treue, 
nicht durch ſchriftliche Kontrakte bewahret 
wurden, damals waren die Wiſſenſchaften 
eine nothwendige Vorbereitung in den Kanz⸗ 
leyen, damals auch war ein Schreiber des 
Rönigs ein verehrungswuͤrdiger Namen. 
Aber ſeit dem wir unſre Titulatur ſo ab⸗ 
gewürdiget haben, ſeit dem der Ehren⸗ 
veſte ein gochedelgebohrner, der Wohl: 
deſtrenge ein gochgebohrner, der Wohle 

G84 edle 


104 Der Mann 


edle noch etwas darüber geworden, was 
ich nicht weis; ſeit dem die Geſtrengen 
zu Gnaden, die Gnaden zu Excellenzen 
aufgeſtiegen; ſeit dem der einmal unter 
uns ſo anſehnliche Namen eines Raths 
nicht die Bezeichnung des Amtes, ſondern 
ein Titel iſt, der dem Knaben als ein 
Schulpraͤmium, oder dem Maͤdchen zur 
Ausſtattung gegeben, oder wie Waare um 
Geld erkauft wird, und anſtatt des Ein⸗ 
tritts in die Rathsverſammlung, den 
Eintritt in den Reduttenfal oͤffnet; feit 
dem der Schreiber Sekretaͤr heißt; ſeit 
dem alle Würden ſo hoch emporgehoben 
worden, daß ſie ganz herabgeſetzt ſind, ſeit 
dem iſt es auch von dieſen nothwendigen 
Vorbereitungen abgekommen, ſeit dem 
Könnte man die Sefretäre vom Schreib⸗ 
meiſter, die Raͤthe⸗ === Aber meine Be⸗ 
trachtungen wuͤrden mich zu weit fuͤhren. 
Es iſt gewiß, daß der Stolz, der Vor⸗ 
zug, den ſich die Leute geben, die ihr Brod 
mit der Feder in der Hand verdienen, vor 
dem, der ſich ſolches mit dem Hobel, oder 
Meiſſel erwirbt, einzig und allein von da⸗ 
her koͤmmt, weil ſie ſich in die Klaſſe der 
Gelehrten zaͤhlen: und welche anſehn⸗ 


li: 


ohne Vorurtheil. 105 


liche Klaſſe iſt die Klaſſe der Gelehrten, 
wenn ſie in der That mit darunter ge⸗ 
hoͤren? 

Aber meine Herren, kommen Sie mit 
mir beiſeite! wir wollen unter vier Augen 
ſprechen, damit Sie offenherzig ſeyn, und 
ſich nicht ſcheuen moͤgen! Nicht wahr, Sie 
haben darum die Parthey ergriffen, ſich 
auf die Feder zu verlegen, weil Sie zu 
bequem zu einer andern Arbeit ſind? nicht 
wahr, Sie haben fo, oder ungefähr fo 
mit ſich geſprochen, als die Nothwendig⸗ 
keit herannahte, ihren Hunger ſelbſt zu 
ſtillen, und ihre Bloͤſſe ſelbſt zu bedecken? 
Lerne ich ein gandwerk, fo muß ich 
fünf, oder ſieben Jahre hinbringen, 
ehe ich die Lehrjahre erſtrecket habe: 
dann muß ich arbeiten — Hier haben 
Sie ihre Haͤnde angeſehen, und die waren 
nicht abgehaͤrtet, und ihre Arme huben ſich 
träge, und fielen = durch- eigenes⸗Gewicht⸗ 
danieder — und doch iſt mein Lohn 
klein: der Morgen weckt mich zur Ar⸗ 
beit, der Tag geht im Schweiſſe des 
Angeſichts dahin, die Nacht wird im⸗ 
mer mir zu fpat einbrechen. Lerne ich 
eine Kunft, fo braucht es Uebung, Ge⸗ 

G5 ſchick⸗ 


106 Der Mann 


ſchicklichkeit, Beurtheilung, ſo braucht 
es Sleiß und Bewerben: das alles, habe 
ich es v vielleicht nicht v und dann — 
o ich will von dem Fluche Adams fo 
wenig über mich nehmen, als ich kann. 
Ich will hingehen, und ſchreiben ler⸗ 
nen, und ſonſt die kleine Zugehör. Ich 
will dann einen Gönner erkriechen, da⸗ 
mit ich angeſtellet werde. Wenigſtens 
ſitze ich bei meiner Arbeit, ſitze im 
Schatten, kann mich ſatt und voll gaͤh⸗ 
nen, früh zu Bette gehen, fpdt auf⸗ 
ſtehen , und naͤhren, immer noch beffer, 
als der arbeitſamſte gandwerker, beſſer 
als der geſchickteſte Rünſtler, beſſer ale 
Sampach ), der den Bau des menſch⸗ 
lichen Körpers, die Antiken, die Per: 
ſpektiv, die Wirkungen des Schattens 
und Lichts, das Coſtum, die Geſchich⸗ 
te, die Natur unaufhörlich ſtudiret, und 
dem Staate Jöglinge gebildet, die einſt 
auf ſeinem Wege folgen können. 
So 
) Profeſſor damals, itzt Direktor der hiſtori⸗ 
ſchen Zeichnung bei der Akademie der bilden⸗ 
den Klinke, ein nie genug zu belohender, 
und zu wenig bekannter Künſtler. 


ohne Vorurtheil. tor 


So waͤre alſo ihrem eigenen Geſtaͤnd⸗ 

niſſe nach die Leichtigkeit, die Bequem⸗ 
lichkeit der Beweggrund, dem Staate 
drey Singer bis in das Grab zu widmen, 
und ſich auch dafuͤr bis in das Grab füt⸗ 
tern zu laſſen. Gehen Sie immer! ich 
will es nicht ausſagen: aber mir haben 

Sie nichts neues geſagt, ich habe das 
Triebwerk ihres Berufs 17580 ausfindig 
gemacht. 

Die guten Leute! die Handwerker, die 
Landleute! o! ſagen ſie, die Kopfarbeit, 
die iſt ſchwer: ich will immer lieber meine 
zween Arme daran ſpannen, und mich den 
Tag uͤber plagen, als ſo mein Gehirn — 
Und die guten Herren, die dieſes hoͤren, 
wie ſehr lachen Sie uͤber den einfaͤltigen 
Irrthum des Volkes! ſie wiſſen es gar zu 
wohl, daß ihr Kopf hier uͤberfluͤſſig iſt; 
aber ſie werden ſich wohl huͤten es zu 
bekennen. 

Weil ſich zu unſern Zeiten die Sederbe⸗ 
dienungen, wie die Abgaben, die Abga⸗ 
ben, wie die Schulden, die Schulden, wie 
die Kriege, die Kriege, wie das Unrecht, 
das Unrecht wie das menſchliche Geſchlecht 
vermehret haben; und weil es einmal ein⸗ 


ge⸗ 


108 Der Mann 


gealteter Wahn iſt, daß man zu dieſen 
Bedienungen zu gelangen, in die Schule 
gehen muͤſſe; und weil dieſe Sederbedie- 
nungen noch dazu eine Art von Vorzug 
und Anſehen an ſich reiſſen, und der Ehr⸗ 
geiz, wie der Ehebruch ſich auch in die 
Strohhuͤtte eingeſchlichen hat; ſo ſchickt 
der elendeſte Huͤttler ſeinen Jungen nach 
der Stadt. Da muß er lernen; und das 
erſte, was er lernet, iſt, daß er die Ar⸗ 
beitſamkeit verlernet. In dem Schatten 
der Schule entwoͤhnt er die Sonne und 
Hitze; ohne Uebung verlieren ſeine Arme 
die ſtarke Spannung, ſeine übrigen Glied⸗ 
maſſen die Gelenkſamkeit; ohne anhalten: 
de Beſchaͤftigung gewoͤhnt er das Muͤſſig⸗ 
gehen. Er, der von geſunden Aeltern 
gebohren, an der Bruſt ſeiner Mutter 
Staͤrke eingeſogen, durch die erſten War⸗ 
tungen nicht verzaͤrtelt worden, er verliert 
hier auf der Schulbank dieſe Vortheile, 
wird ein Weichling; und wann er ſeine 
Aeltern beſucht, die uͤber einige lateiniſche 
Woͤrter vor Freuden den Mund offen hal⸗ 
ten, die ſie ſo wenig als der Jung ver⸗ 
ftehen, da kann er nicht in der Sonne gehen, 
ohne hundertmal zu nieſſen. Wann er dann 
groß 


ohne Vorurtheil. 109 


groß gewachſen, und zwar gut und wacker 
verzehren, aber nichts verdienen kann, 
dann ſehen die gutherzigen Leute den latei⸗ 
niſchen Taugenichts, der ihnen, ſich, dem 
Staate, und der Welt unnuͤtz iſt. 

Hätte ich in den Hütten der Landleute, 
oder in den Haͤuſern der ſogenannten ge⸗ 
meinen Klaſſen der Arbeiter, unter meh⸗ 
reren Soͤhnen Beſtimmungen vorzunehmen; 
ſo wuͤrde ich, den kleinen Raufer, der ſich 
zeitig mit einem groſſen Ringe verſieht, und 
die Taſchen immer voll Steine traͤgt, zum 
Soldaten waͤhlen: den ſtarken, der dem 
Vater auf das Feld nachſchleicht, und gerne 
der Roſſe wartet, der ſich freuet, wenn er 
den Pflug von der Stelle heben, oder ſonſt 
eine Laſt auf feinen kleinen Schultern tra⸗ 
gen kann, den wuͤrde ich zum Stammhal⸗ 
ter, zum kuͤnftigen Landwirthe ausſuchen: 
und waͤre mir dann noch ein ſchwacher 
unge übrig, der von der Mutter verwahr⸗ 
loſet, bei dem erſten Froſte den Ofen ſucht, 
der ſpaͤte Tage wuͤnſcht, und ſich der frühen 
Naͤchte freut, der, wenn er in den Wald, 
Holz zu klauben, geſchickt wuͤrde, die Zeit 
verſchlief, und leer, oder nur wenig bes 
laden wieder kaͤm, der nur dem Hauſe un⸗ 

ter 


110 Der Mann 


ter den Beinen herumgieng, und jeder⸗ 
man irrte, den ſaͤhe ich gleichſam von der 
Natur zu einem Schattendienfte vorher⸗ 
beſtimmt, den ließ ich in die Schule gehen, 
weil ich ihn ſonſt nicht zu brauchen wuͤßte. 


XV. 


E. hat ihn geſehen, ihn, 
Der von der Sürſten Macht nur eines 
kennt, 
Das Goͤttlichſte: durch Huld ſich zu ver⸗ 
| binden: 
Der, wahre Freud’ als Herrfcher zu 
empfinden, 
Nicht fein Vergnügen von dem unſern 
trennt. 


Er geht: und jedes Aug bewahret ſeine 
Tritte. 

O ſproſſet Blumen! unter jedem feiner 

Schritte! 

Er thut ſie uns zu Lieb', uns, die er 
gluͤcklich macht. 

Von unſerm Wunſch begleit”, von unfrer 
Lieb' bewacht, 


Irrt 


ohne Vorurtheil. 111 


Irrt er in dem, durch ihn nun unver⸗ 
fchloffnen Hayne, ) 

Und ſucht, und findet ſie, in unſrer Luſt 

die Seine — 


Copa: kaum hat Ihn geſehen, dieſen 
Sürſten, deſſen erſte Tage eine glaͤnzende 
Morgenroͤthe ſind, die feinem Volke - 
Aber vielleicht, daß Er dieſes Blatt eines 
Anblicks wuͤrdiget, und dann mich fuͤr ei⸗ 
nen Schmeichler haͤlt, wenn er die groſſen 
Hoffnungen lieſt, die wir uns von dem 
Mittage ſeiner Regierung machen. Be⸗ 
ſtimmt, der Voͤlker Gluͤck zu ſeyn, wird er 
Lobreden verdienen, aber anzuhoͤren — 
verſchmaͤhe er fie ! 

Capa : kaum ſah, was er längft ge⸗ 
wuͤnſchet, den wuͤrdigen Sohn There⸗ 
ſiens / wie er die öffentliche Ergoͤtzlich⸗ 
keit, die er ſeinem Volke verſchaffte, durch 
ſeine Gegenwart beſeelte; und er geſtund 

mir, 


„) Dem Pratter: der vorher nur im Monate 
May und Junius für die Sahrenden offen 
ſtund; ſonſt ganz und einzig den kaiſerlichen, 
königlichen Hirſchen und Wildſchweinen aus⸗ 
ſchlieſſend vorbehalten. 


112 Der Mann 


mir, daß er in feinem Antlitze gewiſſe Züge, 
gewiſſe edle Abdruͤcke erkennte, welche ihn 
unterſcheiden, welche gleichſam Merkmale 
find „der erhabenen Beſtimmung, der 
güter unzähliger Menſchen zu 
ſeyn. | | 
Wir wandten unfre Blicke auf das 
uͤbrige, unzaͤhlige Volk. Wir wurden ei⸗ 
nes Menſchen gewahr, der an dem allge⸗ 
meinen Vergnuͤgen keinen Antheil zu neh⸗ 
men, der in ſich ſelbſt verſchloſſen, alles, 
was um ihn her vorgieng, zu uͤberſehen 
ſchien. Der Ort, die Zeit, war zu Be⸗ 
trachtungen uͤbel gewaͤhlet. Wir wuͤnſch⸗ 
ten uns mit dieſem Traͤumer in eine Unter⸗ 
redung einzulaſſeu. Wir ſetzten uns an ſei⸗ 
ner Seite neben dem Rande eines Grabens 
nieder. Wir ſprachen unter uns von gleich⸗ 
guͤltigen Sachen, aber ſo, daß er uns, 
wegen der Naͤhe, nothwendig hoͤren mußte. 
Es gelung uns. Er ſah ſich nach uns um, 
und — wollte ſich entfernen. Vergeben Sie, 
redte ich ihn an, wenn wir Ihnen beſchwer⸗ 
lich fallen. Sie ſcheinen zu uͤberlegen: wir 
wollen Ihnen die Gelegenheit dazu nicht 
rauben. In der That , verfeßte er, ich 
uͤberlegte: aber da Sie eben ſo, wie ich, 
die⸗ 


ohne Vorurtheil. 113 


dieſem Gedraͤnge eines tollen Poͤbels aus⸗ 
zuweichen ſcheinen; ſo kann uns die Gleich⸗ 
heit der Geſinnungen vereinbaren — Ich 
gab meinem Gefaͤhrten einen Wink zu 
ſchweigen, und er verſtand ihn. Sie 
fliehen alſo die Menge, fuhr ich fort, die 
unbequeme Menge, die — Hier hielt er 
mit einmal ſtille — Ich wuͤnſche zu wiſſen, 
mit wem ich ſpreche, bevor ich mehr ſa⸗ 
ge — Mit demjenigen, antwortete ich ihm, 
den alle Welt tadelt, und alle Welt lieſt, 
dem hundert Menſchen Grobheiten, und 
hundert andre Lobſpruͤche zuſchicken, den 
man ſcheuet, und zu Gaſt bittet, der an 
ſeinem Pulte Figuren nachzeichnet, die 
man fuͤr portraite halten will, weil ſie 
Koͤpfe von Menſchen haben, kurz mit — 
Mit S === unterbrach er mich, und die⸗ 
ſer ihr Begleiter iſt der berufene Capa⸗ 
kaum! Ich danke es dem Zufalle, der mir 
ihre Bekanntſchaft verſchaffet: ich hoffe, 
Sie ſind meines Sinnes — Auf das Be⸗ 
dingniß, daß es der meinige iſt, fiel ich 
ihm ein: denn ich bin immer nur des 
Meinigen, oder ich muß eines andern 
überzeugt werden — Das iſt unbeugſam, 
mein Herr! aber dieſe Unbeugſamkeit ſelbſt 
II. Theil. H ge⸗ 


114 Der Mann 


gewinnt mich Ihnen: fie hat etwas Maͤnn⸗ 
liches, das nicht ohne Würde iſt — Ich 
bin ein Menſch, antwortete ich ihm, das 
iſt meine Würde: Ich bin ein Bürger, das 
iſt mein Glück. Ich habe meine Wünfche 
mäſſigen gelernet: das iſt mein Reich- 
thum. Ich kann es Umgang haben, zu 
ſchmeicheln, weil ich nichts wuͤnſche, 
weil die Stufe, worauf ich ſtehe, fuͤr mei⸗ 
ne Begierde die hoͤchſte iſt, und ich glau⸗ 
be, derjenige iſt der wuͤrdigſte Buͤrger, 
der ſeine Beſtimmung am beſten erfuͤllet — 

Mein Unbekannter umarmte mich mit 
einer Art von Enthuſiasmus. Sie ſehen, 
ſagte er mir, in dieſem ihrem von nun an 
ewigen Freunde, den Gefährten ihrer Ar⸗ 


beit, den Mitarbeiter in demſelben Wein⸗ 


garten, ihren Mitwerber ohne Eiferſucht, 
den redlichen P....) 0 
| So 


„) Ich fand ſehr bei mir an, od dieſes Stück 
feine Stelle behalten ſollte. Die Urſache ent⸗ 
ſchied, daß daraus ungefähr der innere Bebalt 
der Wochenblätter abgenommen werden könne, 
von denen in weniger dann 5 Monate einige 
zwanzig angekündiget wurden, aber eben fo 
ſchuell verſchwanden. Viele kamen gar nicht 

an 


r 


obne Vorurtheil. 115 


So tritt mit Beben der Wanderer zu⸗ 
rück, der, jeder Gefahr uneingedenk, auf 
einer bebluͤmten Flur daher wandelt, und 
von dem lieblichen Dufte der Veilchen 
gereizt, ſich beugt, die geruchſtreuende 
Blume zu ſuchen, und nun ſie ſieht, und 
feine Hand ausſtrecket, fie zu pflüdenz 
wenn dann ploͤtzlich eine Natter ziſchend 
hervorſchießt, ſo tritt er bebend, ſo faͤhrt 
er zuruͤcke — wie ich, als ich mich ſo nahe 
bei dem Manne fand. Aber ich faßte 
mich, und erwiederte ſeine freundſchaftli⸗ 
chen Begegnungen mit ſo weniger Gleich⸗ 
guͤltigkeit, als es mir moͤglich war. 

Sie ſammeln ohne Zweifel Stoff, fuͤhr⸗ 
te er die Unterredung fort: o hier iſt eine 
reiche Ernte für Leute unſers gleichen! 

„Mein Herr! ich ſammle meinen Stoff 
nie anderswo, als in dem Herzen der Men⸗ 
ſchen. Es verdruͤßt mich / daß ich demſel⸗ 
ben nicht ſo viele Lobreden halten kann, 
als ich nun Strafreden halten muß — „ 


5 2 Sie 
an die Ausgabe des erſten Stückes. Das, 


woranf hier gezielt wird, erhielt ſich am läng⸗ 
ſten, wie es auch darunter das beſte war — 


116 Der Mann 


Ste find in der That gluͤcklich, unter: 
brach er mich, wenn Sie einen ſolchen 
Vorrath entbehren koͤnnen. Ueberlaſſen Sie 
ihn mir ganz! ich bin ſehr oft an Stoff 
verlegen, und war eben itzt im Begriffe, 
ein Blatt zu uͤberdenken, welches ich von 
dem Pratter geben ſollte — 

„Das will ich gerne, mein — 
Schreibgefaͤhrte. Aber vergeben Sie mir! 


meine Offenherzigkeit verläßt mich nie: ich 


habe es ihren Blaͤttern oft angemerkt, 
daß es Ihnen am Stoffe fehlen mag: die 
Bombuſe, die Bäberlen, die Korporalen 
und ſolch Zeug aus dem unterſten Fache 
ſind in der That Ingredienzien — wenn ich 
mich ſo undeutſch vor Ihnen ausdruͤcken 
darf — die ein wenig Theurung verrathen: 
man ſetzt nicht Sackleinwandflecke auf 
feines Leingeräth, als wenn es uns —, 

Mein Schreibgefaͤhrte hatte bei meiner 
unwillkommenen Offenherzigkeit gleich an⸗ 
fangs die Naſe geruͤmpfet, den Kopf ges 


ſchuͤttelt, die Lippen eingebiſſen: und nun 


riß der Faden ſeiner Geduld entzwey — 
Wie! fuhr er mit leibhaftem Authorgrim⸗ 
me heraus, Sie koͤnnen ihre Biſſigkeit 
auch 1 einen Augenblick, auch gegen 
mich 


ohne Vorurtheil. 117 


mich nicht vergeſſen? gegen mich, der ich 
das Werkzeug der Rache in meinen Haͤn⸗ 
den trage, der ich — aber ich will meinem 
Zorne hier gebieten: Sie ſollen ſehen, was 
das heißt, einen Mann zu beleidigen — 

„Sie ſehen es für Beleidigung 
an? wohl! kann ich es verbieten? Aber 
ich verſichere Sie, ich habe Ihnen meine 
Meinung, wie ich ſie jederman ſage, ganz 
nicht in der Abſicht geſagt, Sie zu belei⸗ 
digen. Es iſt mir lieb, daß Sie mich ſo 
unterbrechen: ich war auf dem Wege, 
Ihnen noch freundſchaftliche Erinnerungen 
zu geben, die Ihnen vielleicht hätten nuͤtzen 
koͤnnen. „ 

Erinnerungen? ſagte er, und ſeine Au⸗ 
gen funfelten Rache: was für Erinnerun⸗ 
gen? 

„Ich wollte, ſagte ich mit meiner ge⸗ 
woͤhnlichen Kaltbluͤtigkeit, Sie erſuchen, 
daß Sie ſich ein wenig um unſre Sitten 
erkundigten, wenn Sie ein Wochenblatt 
für uns zu ſchreiben fortfahren, woran 
der leſende Theil der Buͤrger Antheil neh⸗ 
men ſoll. Ich wollte Sie erinnern, daß 
Sie uns nicht die gemeinſten Sitten ſchil⸗ 
bern möchten, weil doch die Stubenmaͤgde 

5 3 und 


119 Der Mann 


und Gfenjungen noch nicht Wochenblaͤtter 
leſen: ihre gnädigen Frauen aber, die 
den Vorhang am Bette mit einem Dra⸗ 
gonerfluche oͤffnen, nichts anders als ſol⸗ 
che verkleidete Dirnen ſeyn koͤnnen, und 
ihre Zerren von, Lakeyen, die ſich Nach⸗ 
mittags der Kleider und Waͤſche ihrer Her⸗ 
ten bedienen, um auf einem Tanzſaale zu 
figuriren. Ich wollte Sie weiters auf Bit⸗ 
ten einiger ihrer Leſer erſuchen, auf die 
Einkleidung ein wenig mehrere Sorgfalt 
zu verwenden, abgenuͤtzte Materien we⸗ 
nigſtens durch die Neuheit des Vortrags, 
durch die Schönheit der Wendungen, durch 
die Wahl der Ausdrücke aufzuſtuͤtzen. Sle 
wuͤrden ſonſt, haͤtte ich dann noch zuſetzen 
wollen, auf eine ſehr kleine und ihre Muͤhe 
nicht belohnende Anzahl von Leſern herab⸗ 
kommen, welches mir um Ihrer und der 
Verlegerinn Willen Leid thun ſollte. Denn 
an der Reinigkeit der Grammatik, der gu⸗ 
ten Korrektur, und einem guten waͤſſerich⸗ 
ten Stil läßt ſich der ekle Pefer einer Haupt⸗ 
ſtadt nicht genuͤgen. Endlich wollte ich 
Sie noch warnen, nicht jede eingeſendete 
Ueberſetzung, oder ſonſt misrathene Ger 
burt eines ſchreibſuͤchtigen Juͤnglings ſo⸗ 
gleich 


obne Vorurtheil. 119 


gleich mit beiden Haͤnden anzunehmen, und 5 


je eher je beſſer einzuſchalten. — Denn, ich 
wuͤßte, was fuͤr ein artig Zeug man da 
zu hunderten der Welt vorlegen koͤnnte, 
wenn man fo gutherzig ſeyn wollte — Ich 
wuͤrde noch fortgeſprochen haben: aber er 
verließ mich ungeſtuͤmm: und hieß mich 
im Weglaufen: einen Metaphern Thür⸗ 
mer, einen der nach Woͤrtern wegelauer⸗ 
te , der wie ein Mädchen Tage lang an 
ſeinen Ausdrücken putzte, um recht un⸗ 
verftändlich zu werden tc. ꝛc. ic. 1c. „ 


XVI. 


A. mir ſoll es wenigſtens nicht liegen, 
daß nicht alles, was man gegen dieſes 
Blatt einzuwenden hat, im Drucke er⸗ 
ſcheine: meine Korreſpondenten wiſſen es, 
wie viel ich unterdruͤcke, was zu meinem 
Vortheile geſagt, aber eben von mir nicht 
wiedergeſagt wird. Der Brief, den ich 
heute mittheile, iſt nicht ohne Witz: und 
am Ende wird man fehen, daß der Ver⸗ 
faſſer mir eines zu verſetzen gedachte. Ich 
will ihm ſein Vergnuͤgen nicht rauben, aber 
ihn an einigen Oertern mit meinen An⸗ 


24 mer⸗ 


120 Der Mann 


merkungen begleiten. Er mag ſich im⸗ 


mer etwas darauf zu gut thun, daß ich 
mich bei ihm bis zum Gloſſator herablaſſe, 
ich, der ich — Ei der Eigenliebe! meine 
Feder laͤuft unaufhaltbar, wie der ge⸗ 
ſpornte Pegaſus eines Reimers, und ehe 


ich michs vorſehe, ſteht etwas da, das in 


fremdem Munde Vorwurf, in dem meinigen 
Ruhmredigkeit waͤre. Ohne Umſchweif al⸗ 
ſo! Hier iſt der eingeſendete Brief! 


Mein Herr! 


In Endlich „ endlich ſcheint der Zeitpunkt 
heranzunahen, wo die Verdienſte des Fleiſ⸗ 
ſes und der Arbeitſamkeit ihre alten Rechte 
wieder erlangen. Sie find der Mann, 
welcher in dem XIII. Stuͤcke das Herz 
hat, der in Vorurtheile eingehuͤllten Welt, 
die Binde von den Augen zu reiſſen. 1) Sie 
zeigen uns den Uhrmacher, den Ranzley⸗ 
verwandten, und den Konzeptarbeiter 
in einer Stellung, daß das Verhaͤltniß 
zwiſchen ihnen nicht mehr zweifelhaft ſeyn 
| fann. 


10 Sch bin eingebildet genug, hier die Sprache 
der Ironie als ein ernſthaft gemeintes Kom⸗ 
pliment anzunehmen. 


— Du 


ohne Vorurtheil. 121 


kann. Die Wage des Vorzugs muß auf 
die Seite des erſtern herabſinken. Welch 
guͤldne Unternehmung! — Allein nach dem 
ernſthaften Schritte, den Sie gethan ha= 
ben, ſollten wir von ihrer Großmuth nicht 
hoffen duͤrfen, daß Sie auch bis zu uns 
herabſteigen, und unſre ſo nuͤtzliche und 
noͤthige Beſchaͤftigung aus dem Staube 
der Geringſchaͤtzung, womit die Herren von 
der Feder uns bedecken, empor heben? 
Ja! wir hoffen es, nach der gluͤcklichen 
Entdeckung, die Sie gemacht haben, daß 
dieſe aufgeblähten Herren maſchinmaͤſſig, 
nach Muſtern und Formeln, das iſt, nicht 
beſſer, als wir, nach dem Laiſte arbei⸗ 
ten. 2) 5 

„Worin beſteht wohl der Vorzug, den 
dieſe Herren ſich vor uns herausnehmen ?— 
in dem Alter der Handthierung? o dann 
haben wir gewonnen! es muͤßte denn gruͤnd⸗ 
lich erwieſen werden, daß Adam und ſeine 
Abkoͤmmlinge bis auf die Zeit von Erfin⸗ 
dung der Buchſtaben, keine Schuhe getra⸗ 
gen haͤtten — Das waͤre ein Stuͤck Arbeit 
fuͤr einen Gelehrten — in der Geſchicklich⸗ 

4 keit? 


2) Mein gerr: Sie haben es geſagt! 


122 Der Mann 


keit? es iſt wahr, man ſchreibt Kurrent, 
Kanzley, Fraktur, mit Zuͤgen, u. ſ. w. 3) 
allein wir machen dafuͤr durchgenaͤhte, um⸗ 
gekehrte, geſpaltene Schuhe, Pantofel, 
Stiefel: faͤllt die Verzierung der Frauen⸗ 
zimmerarbeit nicht ins unendliche 2 „ 
„Geſtehen Sie es nur mein Herr! daß 
Sie unſrer Meinung find 4), Sie, der 
Sie 


3 Wenn man in einer Vertheidigung ſpricht; 
fo wählt man immer das Stärkſte. Nun, die 
Kurrent, Ranzley, Sraktur und Züge, ſoll 
alſo das die vorwiegende Geſchicklichkeit ſeyn? 
dann muß mancher Dorfſchulmeiſter vor dieſen 
Herren allen den Vorzug behaupten; noch mehr: 
dann muß der Abſchreiber vor dem Konei⸗ 
pienten den Vortritt haben. Wie hier die 
Sache liegt, hat der Schuhmacher in der That 
gewonnen. Aber ich denke, meine Herren! 
ihr Sachwalter hat fie verrathen. 


4) Sie fodern mich auf? wohl! ich geſtehe es, 
ich geſtehe, daß ich einem jeden nützlichen 
Handwerker, vor einer unnützen Kunſt, einem 
Schuſter — denn über mich hat der Wahn 
nicht die Gewalt, dem Worte einen verklei⸗ 
nernden Begriff anzuheften — vor einem Lau⸗ 
tenſchlaͤger, einem Ackersmann vor einem 
Tanzmeiſter, daß ich einem Rünffler, der der 

Ge⸗ 


ohne Vorurtheil. 123 


Sie im Stande ſind, bei einem halb nieder⸗ 
gebrannten Lichte aus ihrem Capa⸗ kaum 
einen Koneipienten zu machen 5), geſte⸗ 
hen Sie es, daß Sie nicht im Stande 


ſind, 
Geſellſchaft Ehre und Nutzen ſchafft, vor einem 
bloſſen Schreiber, und damit Sie ſehen, daß 
ich unpartheyiſch bin, auch vor einem Gelehr⸗ 
ten, der nur Gelehrter iſt, den Vorzug gebe. 


5) Ich widerrufe mein Wort nicht: und ich kann 
in der That Zeugen auftreten laſſen, die alle 
Stunden einen Eid ablegen werden, daß es 
keine eitle Großſprecherey iſt. Wenn der An⸗ 
führer eines jungen Stiliſten ihn dem Kunſt⸗ 
griff, ſich die prioa immer behändigen zu 
laſſen, mitgetheilet; wenn er ihn mit einem 
Nachdeme zum Anfange, zumalen aber zur 
Verbindung, und iſt die Periode länger, mit 
einem und nun gleichſam zum Unterbande, mit 
einem als zum Endabſatze, mit einem ohn⸗ 
ermangeln zum Schluſſe ausgerüſtet; wenn 
er in einem Formular ein Dem N. N. von... 
anzufügen; als würdet: ꝛc. 1c. und: von 
der ... Ihrö... in allerunterth. zu erin⸗ 
nern, was maſſen: jedoch beruhet u. ſ. w. 
nebſt noch einigen ſolchen Sächelchen überant⸗ 
wortet; ſo darf der Mann gehen, er wird ſei⸗ 
ne Rolle ſpielen, fo gut — und unter uns, 

hbeſſer; n ohne Anſtoß — als ein 

5 Menſch, 


124 Der Mann 


ſind, bei einem ganzen ihn den gemein⸗ 
ſten Schuh machen zu lehren, und dann 
ſprechen Sie, ob wir nach drey oder vier 
ſauren Lehrjahren, bei unſerm Berufe Ver⸗ 
ſtand und Erfindung, ob wir unfern Kopf 
entbehren koͤnnen? — und wir, wir ſoll⸗ 
ten fo tief unter ihnen ſtehen 2 „ 
„„Aber — ſpricht der gemeine Wahn 6) 
das Amt von dem Landesfuͤrſten! die Be⸗ 
die⸗ 
Menſch, der mit Wiſſenſchaften, mit Spras 
che, mit Lektur vorbereitet iſt, ſich in Aufſätzen 
gelbt, und der nicht ſelten das Unglück hat, 
ſich ganze Seiten wegſtreichen zu ſehen, weil 
fie nicht recht biedermänniſch Kanzleyſtil wa⸗ 
ren. 
6) Wahn iſts, und eben darum mußte er beſteit⸗ 
ten werden. Der Landesfürft wird hier zur 
Unzeit eingemengt. Wenn ſeine Hand das⸗ 
jenige adelt, was von ihm berührt wird, gut, 
auch die Stalljungen werden von ihm ange⸗ 
nommen; durch den Oberſtſtall meiſter, in 
der That; aber werden dann Sie unmittelbar 
von ihm angenommen? Gewiß mein Herr, 
dieſe Vergleichung, wenn ich ſie weiter führte, 
wäre für fie nicht günſtig. Bedienung: jeder, 
der in Landesfürſtlichem Brode ſteht, hat eine 
Bedienung: es kömmt alſo darauf an, was 
für eine ? und nun ſchlüſſe ich gleich dit 
folgende Anmerkung an: nicht der 


ohne Borurtheil. 125 


dienung, ſo ſie bekleiden! — Gut! gut, 
ich verſtehe es, der Mann ohne Vorurtheil 
dieſer groſſe Weltweiſe hat uns gelehrt, 
uͤber dieſes Amt, dieſe Bedienung hinweg⸗ 
zuſehen, und nichts als den Mann 7) im 
Geſichte zu behalten. Was hindert mich 
nun, einem gofkon⸗⸗ einen Zofſchuſter 
entgegen zu ſtellen? Laiſt bleibet Laiſt! Iſt 
es aber nur um den Titel zu thun: Ei! 
warum ſollte man nicht auch geheime Ra⸗ 
binetsſchuſter machen koͤnnen? 8) „ 
„Will man ſich auf Beiſpiele, auf die 
Uebereinſtimmung geſitteter Nationen be⸗ 
rufen 9), welche dergleichen Handwerke 
zu 
7) Mann, ſondern feine Beſchäfftigung, ſondern 
ſein Nutzen für das gemeine Wohl, ſondern 
feine Kenntniſſe, dieſe will ich im Geſichte be⸗ 
halten, ohne durch abgewürdigte Titel ge⸗ 
blendet zu ſeyn: Utilitas, ſagt der Dichter, 
magnos homines facit —— 


8) Das war ein kleiner Runſtgriff, daß Sie die 
Klaſſe vermengen. Eine Kurrent, Fraktur, 
u. ſ. w. öffnet noch keinem das Kabinet: aber 
macht ihm Hoffnung zu einer Dorfſchule. 


9) Beifpiele erweiſen nur That, kein Recht. 


Einer unſerer beſten Schriftſteller merkt an, 
N daß 


126 Der Mann 


10) zu den niedrigſten Rangſtufen verwei⸗ 
fen; fo ruͤcke ich mit meinem Rlim heraus, 
und zeige, daß andre Voͤlker, Innwohner 
der untern Welt, vernünftige Potuaner, 
uns uͤber die Kuͤnſtler, ja uͤber die Klaſſe 
der Gelehrten hinaufſetzen. Sehen Sie, 
mein Herr! die Gründe, worauf unſre 
Anſpruͤche ruhen. Nichts geht ihnen ab, 
als daß ſie aus ihrer uͤberzeigenden Feder 
flüffen, und unſre Erhebung iſt nicht mehr 
ferne. „ 


Nuͤ. 


daß im vorigen Jahrhunderte an allen Höfen 
Bofnarren und ... gewöhnlich geweſen, 
und in Anſehen geſtanden; ſehen Sie, was 
das heiſſen könnte, wenn Beiſpiele bewieſen! 


10) Abermal vermengen Sie, und Sie haben 
Recht, Sie e nur bei Verwirrung. Die 
Sandwerker können vielleicht manchem das 
Beiſpiel der Beſcheidenheit geben. Sie find 
billig genug, den Rünften, welche gröſſere Ge⸗ 
ſchicklichkeit und Kenntniſſe ſodern, den Rang 
zu laſſen: und ſelbſt unter ſich haben ſie eine 
Art von Rangordnung, die ſich nach der meh⸗ 
reren oder wenigern Geſchicklichkeit richtet, die 
zu dieſem oder jenem Handwerke erfodert wird. 


ohne Vorurtheil. 127 


„RNuͤcken Sie uns zu dieſen Federar⸗ 
beitern hinauf 11), oder ſtoſſen Sie die⸗ 
sg wenigſtens zu unt — zu dem Laiſte 


her⸗ 


11) Ich würde der bürgerlichen Giſelſchaf einen 
drr größten Dienſte erweiſen, wenn ich die 
Klaſſe des Volkes, die aus Sandels leuten, aus 
Künſtlern, aus Sandwerkern beſteht, in die 
Achtung wieder einſetzen könnte, woraus ſie 
ein unbilliges Vorurtheil verdrungen. Ich 
würde dem Vaterlande ſo viele geſchickte, er⸗ 
findſame Talente erobern, die die Gränzen 
der nützlichen Erfindung erweitern, die Er⸗ 
zeugniſſe der Künſte vollkommener machen, 
die Handlung ausbreiten, der Nation Reich⸗ 
thum, Stärke, Ruhm verſchaffen könnten. Iſt 
es nicht lächerlich, daß ein Mann, der einen 
neuen Zugbuchſtaben erſonnen, den Vorzug 
auch nur vor dem fodern darf, der den Brat⸗ 
tenwender erfunden? — 


Aber ich muß mich erklären: Ich verlange nicht, 
Bürger, die nützlich, die in gewiſſem Verſtan⸗ 
de nothwendig ſind, herabzuſetzen: ich wünſche 
nur, daß ein vorurtheil aufhören möchte, 
welches den Rünften und Zandwerken die fä⸗ 
higſten Köpfe geraubt: ich wünſche, daß die 
nothwendigſte Gattung der Bürger wenigſtens 
über den Dunſtkreis der verachtung ſteigen 
möge: tm: wir wollen ein Bündniß einge⸗ 

hen: 


128 Der Mann 


herab, wie es Ihnen am ſchickſamſten 
duͤnket. Ich bin nebſt der ganzen Lade 
N Mein Herr | 
Dero Verehrer: N. N. 
Vorſteher und aͤlteſter einer 
ehrſamen Schuhmacherzunft. 


XVII. 


Waun der Both des Ungluͤcks, der dro— 
hende Komet, über den Haͤuptern der Men- 
ſchen glaͤnzet, und ſeine furchtbare Ruthe 
von einem Ende der Erde zu dem andern 
ausſtrecket, dann zittert alles in banger 
Erwartung, und harret, ob Krieg oder 
Hunger, oder ſchleichendes Sterben die 
Welt verheeren werde: jeder zieht dann 
mit ſich ſelbſt Rechenſchaft, und verſagt 
ſich 


hen: ich bin bereit, die Herren von der eder 
als ſehr anſehnliche Leute, als Leute, auf deren 
Schultern der Staat ruht, anzuſehen: aber 
fie ſollen fo billig ſeyn, meine rechtſchaffenen 
Mitbürger, vom achtungswürdigen Sans 
delsmann an, durch alle Stufen, bis auf 
den ehrſamen und nügbaren Schuſter, nach 
den Graden ihres Beitrags zum all gemei⸗ 
nen Beſten, zu ſchaͤtzen, und hochznachten! 


ohne Vorurtheil. 129 


ſich jede Luſt, und raubt ſich jede Freude, 
die kommende Strafe abzuwenden, und 
Menſchenliebe, und verſcheuchte Tugend 
kehren zu den Wohnungen der Sterblichen 
wieder — So herrſchet Sittſamkeit und 
Maͤſſigung im Aufwande in Haͤuſern, wo 
ſonſt Verſchwendung und Ueppigkeit haus⸗ 
hielten, ſeit der Zeit, da ich die beruͤch⸗ 
tigten Verſchwender und Verſchwenderin⸗ 
nen aus dem Haufen auszuleſen, und zum 
Beiſpiele der Stadt auf ein Schandgeruͤſt 
auszuſtellen drohte — 

Ich will nicht unerbittlich ſeyn. Da 
meine Abſicht nur ihre Beſſerung iſt; ſo ſoll 
dießmal das ſchon gezuͤckte Schwert in die 
Scheide wiederkehren, ohne zu ſchlagen. 
Aber ſeine Streiche ſollen ſich verdoppeln, 
fo bald fich die Verſchwendungsſuͤnden haͤu⸗ 
fen, und abermal alles Fleiſch ſeinen Weg 
verderben wird. 

Dieſe Verſoͤhnlichkeit ſoll inzwiſchen 
niemanden irre fuͤhren: ich werde nie 
ſchlummern. Es liegt bereits ein ziemlich 
dickes Haͤft zur Hand, worin alle dieje⸗ 
nigen aufgezeichnet ſind, welche ſich durch 
Kleider und Kutfchen, durch Ringe, 
und Geſchmuck, durch Spiele, und Aka- 

II. Theil. J de⸗ 


130 Der Mann 


demien, und Magdalenen in der Stadt 
zu Grunde gerichtet haben. Es geht nur 
noch eine kleine Eroͤrterung ab, damit die⸗ 
ſes Baͤndchen vollkommen werde, welches 
dann unter der Aufſchrift: Galerie der 
verſchwendung: oder: Der glänzende 
Weg zum Hofpitale, gewandert von 
allen denen, welche in dieſem Bande 
enthalten ſind; erſcheinen ſoll. 

Die Eroͤrterung, die mir zur Vollendung 
eines ſo erbaulichen Werkes abgeht, muß 
mir von unfern Zandelsleuten, und Ju⸗ 
welirern mitgetheilet werden. Ich habe 
dieſelben meinen Wunſch wiſſen laſſen, und 
ſie haben ſich ſogleich willfaͤhrig gezeigt, 
aus ihren Handlungsbuͤchern diejenigen mir 
auszuzeichnen, welche den Aufwand, durch 
den ſie ihre Nebenbuͤrger zu verdunkeln 
geſucht, auf Borg gemacht haben. Sie 
haben noch mehr verheiſſen, als ich gefo⸗ 
dert: ſie wollen auch anmerken, wie lange 
es ſchon iſt, daß dieſe oder jene Waare 
ausgenommen worden, und fie verſichern 
mich, daß einige darunter faſt von un⸗ 
denklichen Zeiten, und ein ſehr groſſer 
Theil derſelben bereits unter die verlor⸗ 
nen Poſten zu rechnen ſind. 

f N Soll 


ohne Vorurtheil. 131 


Soll dieſes Buch wahrhaft lehrreich 
ſeyn, ſo wuͤnſchte ich, mit allen denen ge⸗ 
naue Bekanntſchaft zu errichten, welche 
ſo chriſtlich ſind, im Falle eines dringen⸗ 
den Beduͤrfniſſes, ihren Nebenmenſchen 
auf ein vierfaches Unterpfand und gegen 
leidlichen Zins von 20 pr. 100 zu lei⸗ 
hen, oder die ausgenommene Waare auch 
um den halben Werth abzuloͤſen. Nichts 
koͤnnte ergoͤtzender ſeyn, als wenn man 
die wunderbare Wanderung eines Ringes 
vom Juwelier zu Eriſten, von Kriſten 
in das Pfandamt, dann wieder einige 
Tage zu Kriſten, und abermal zu dem 
Ausleiher, von dieſem letztlich, nach ge— 
richtlicher Abſchaͤtzuug und Uebernehmung, 
abermal in die Haͤnde eines andern, wo 
er bald wieder denſelben Kreis ablaufen 
wird, mit anſehen koͤnnte. Der pythago⸗ 
riſche Wanderungskreis wuͤrde hier wenig⸗ 
ſtens ein ſehr aͤhnliches Bild finden. 

Doch ich vergeſſe, daß ich, die Straf- 
ruthe der Ueppigkeit auf einige Zeit einzu⸗ 
ziehen, verheiſſen habe. 


J 2 XVIII. 


132 Der Mann 
XVIII. 


D as wäre alſo entſchieden: Capa⸗kaum 
wird weder eine von den niederen Seder- 
bedienungen ſuchen: denn dazu hat er 
zu viele, noch eine von den höhern, 
denn dazu hat er zu wenig Gelehrſam⸗ 
reit. Er hat nicht feine beſten Jugend⸗ 
jahre ruͤhmlich verwendet, eine Sprache zu 
lernen, die er nie reden, noch ſeinen Kopf 
darangeſtrenget, Renntniſſe zu ſammeln, 
die er in ſeinem Leben niemals nuͤtzen wird. 
Der Aermſte! kann weder Latein, noch 
die griechiſchen Aoriſten. Man hat ihm 
keine von den Anleitungen gegeben, die 
man uns andern ſo wohlwollend mittheilt. 
Rouſſeau! wage es, deine Wilden mit uns 
zu vergleichen! 

Wie ungluͤcklich waͤre der Vater meines 
Zoͤglings, wenn er einen kennte! Sein 
Junge waͤre groß gewachſen, und haͤtte 
nicht Verſe gemacht, die wenigſtens Vir⸗ 
gilen beſchaͤmen koͤnnten; und haͤtte nicht, 
wie Cicero vom Rednerftuble geredet: er 
haͤtte Leibnigen und Locken mit feinen 
bündigen Schluͤſſen nicht zum Schweigen 
gebracht; nicht mit der Eilfertigkeit eines 

Ike 


ohne Vorurtheil. 133 


Iſckus ) von allen Erſcheinungen der Nas 
tur geſprochen; nicht mit a Xx b x be 
wieſen, daß eine krumme Linie keine ge⸗ 
rade iſt, daß ein ſchwerer Koͤrper noth⸗ 
wendig fallen muß, und noch unendliche 
Dinge mehr, uͤber die ein gluͤcklicher Va⸗ 
ter unſrer Geſellſchaft erſtaunet, wann er 
voll zaͤrtlichen Vatergefuͤhls dem funfzehn⸗ 
jährigen Dichter, Redner, Philofophen, 
Algebraiſten, Gröſſenkündigen, und was 
weis ich, was noch alles mehr, die Arme 
um den Nacken wirft, und dieſes, wie 
man ihn nach dem drollichten Ausdrucke 
eines Theatraldichters mit Rechte nennen 
mag, Compendium aller Wiſſenſchaften, 
mit ſtolzer Empfindung betrachtet, und bei 
ſich ſaget: 

„Wer gab, wie dieſer iſt, dem Staat 

je einen Buͤrger? 

„„Aber, ſagte mein lehrbegieriger 
Freund, und Schuͤler: wenn ich beſtimmt 
bin, in ihren Geſellſchaften zu leben, wenn 
ich einen Theil derſelben ausmachen ſoll, 
warum wollen Sie mir nicht diejenige An⸗ 
ſchickung geben, die mich faͤhig machet, 

33 mei⸗ 


*) Sermo Iſœo torrentior, ſagt Juvenal. 


134 Der Mann 


meinen platz darin wuͤrdig zu behaupten? 
warum — „ 

Guter Jüngling, fiel ich ihm ein, das 
iſt nunmehr zu ſpaͤt: deine Zeit iſt voruͤ⸗ 
ber. Mit einigen zwanzig Jahren, wie 
du haben magſt, lernet man ſolche Dinge 
nicht mehr: das ſind die Beſchaͤftigungen 
der Jugend: Beredtſamkeit, Dichtkunſt, 
weltweisheit, das find Gedächtniß⸗ 
werke: dazu muß man die gluͤcklichen 
Jahre anwenden, wo das Behältniß der 
Kenntniſſe noch unangefuͤllt, wo das Ge⸗ 
hirn noch unverbärtet, noch jedes Ein⸗ 
druckes faͤhig iſt; faͤhig iſt, was hinein 
getragen wird, in ſich zu verſchluͤſſen; die 
gluͤcklichen Jahre, wo das Kind, gleich 
einem Wachſe der bildenden Hand gehor— 
chet, und gelehrig die Geſtalten annimmt, 
die ſie ihm mittheilet. 

Capa⸗kaum ſah mich mit ſehr zwey⸗ 
deutiger Mine an. Ich hatte ihm von der 
Beredtſamkeit, der Dichtkunſt, der Welt⸗ 
weisheit ganz andre Begriffe beigebracht. 
Er dachte bei dem Worte Beredtſamkeit 
immer, einen Demoſthenes, einen Cicero, 
aus deren Meiſterſtuͤcken ich ihm manche 
Stuͤcke uͤberſetzter vorgeleſen. Wenn er 

von 


ohne Vorurtheil. 133 


von Dichtern hoͤrte; fo fiel ihm Zomer 
und Virgil, oder Klopſtock, Ramler, 
Uz, Kleiſt, und ſolche Männer ein”); 
und bei dem Namen Weltweisheit huͤllte 
er ſonſt ſein Geſicht mit Ehrfurcht ein: ſo 
einen groſſen Begriff hatte er ſich von der 
Wiſſenſchaft gemacht, an deren Ehrentem⸗ 
pel, auf der einen Seite Sokrates, auf 
der andern Leibnitze, Wolfe, und New⸗ 
tone unſterblich glaͤnzten — Und itzt hoͤrte 
er, daß ich ſo freygebig mit dieſen Namen 
war, ſie unbärtigen Knaben beizulegen; 
daß ich dieſe Wiſſenſchaften Gedaͤchtniß⸗ 

34 wer⸗ 


) Seit dem preiswürdigen Nachdrucke, wo⸗ 
durch Patriot T = = die beſten Schriftſteller 
unter uns bekannt, und die Genies von ganz 
Deutſchland aufgemuntert hat, kann ich es 
Umgang haben, bei den Namen dieſer wür⸗ 
digen Schriftſteller — welche Frankreich und 
England bewundert, und nur noch eine Nach⸗ 
barinn neben mir nicht ſo viel will gelten 
laſſen, ais — eine Anmerkung zu machen. 
Aus dieſem Merkmale wird ein deutſcher Sko⸗ 
liaſt genau das Jahr errathen, worin dieſt 
Blätter geſchrieben worden: denn noch ein 
Jahr vorher hätte ich erklären müſſen: wer 
it Blei? und Klopſtock ? 5 


136 Der Mann 


werke nennte. Ich errieth es, was für 
ein Zweifel ihn quuͤlte, ohne daß er ſich 
getrauet hatte, ihn zu entdecken. Denn ich 
hatte ihm den Grundſatz eingefloͤſſet, der 
manchem unſrer jungen Allwiſſenden nicht 
genug eingeprägt werden koͤnnte: man 
muͤſſe mit ſeinem Urtheile behutſam, zu⸗ 
ruͤckhaltend ſeyn, in allen Sachen, worin 
wir uns nur eines geringen, eines oben⸗ 
hinigen Kenntniſſes bewußt ſind. Doch 
da ſein Unterricht mein Endzweck iſt; ſo 
brachte ich ihn ſelbſt auf den Weg, mir 
ſeinen Zweifel zu eroͤffneu. Er that es 
mit der Beſcheidenheit eines Menſchen, 
der belehrt zu ſeyn wuͤnſchte. | : 
Wohl, beantwortete ich ihm feine Fra⸗ 
ge: ich rede in dieſem Augenblicke, nicht 
nach meinem Gefuͤhle, nicht nach dem, 
was ſeyn ſollte, ſondern nach dem, was 
wirklich iſt. Ich habe dir hier gleichſam 
einen Grundriß der erſten Bildung unſrer 
Jugend gegeben: man faͤngt da an, wo 
man aufhören ſollte. Was der Knabe in 
feiner Rindheit gelehret wird, erlernet 
er nie: und was er wiſſen ſollte, was er 
erlernen könnte, das wird er nicht ge⸗ 
lehret. Wundre dich uͤber die wiſſen⸗ 
ſchaft⸗ 


. 


ohne Vorurtheil. 137 


ſchaftliche Erziehung unſrer künftigen 
Bürger! fie verdient bewundert zu wer: 
den! 

So bald der Knab anfaͤngt, das Werk⸗ 
zeug ſeiner Ausſprache durch einen Inſtinkt 
zu üben; ſo bald ſich, bloß triebmäſſig, 


die Zunge durch die erſten Lalltöne ent⸗ 


wickelt, fo iſt eine Amme, eine Binder: 
wöärterinn ‚oder ſonſt ſolch ein Geſchöpf 
zur Hand, die ihm Wörter vorſagen: und 
es iſt dann ſehr natuͤrlich, daß alles in 
verkehrter Ordnung geſchieht. Gemeinig— 
lich fangen ſie bei den Benennungen der 
Theile des Geſichtes an: Wo iſt dein 
Auge v — hier — deutet die kleine Puppe! 
und deine Naſe ? — hier — und dein 
Berz das Kindchen zeigt auf feine Bruſt: 
die gefaͤllige Mutter wundert ſich uͤber den 
vorreifen Verſtand des Kindes, und 

Der alberne Vater lachet, daß ſein 
Kind durch unvernuͤnftige Weiber verdor— 
ben wird. Wie viele Fehler mit einmal! 
Warum uͤbet man das Kind an feinen ei⸗ 
genen Gliedern, die es nicht ſiehtv es 
iſt gewiß, daß es auf dieſe Weiſe den 
eiteln Schall des Worts merket, ohne 
einen Begriff damit zu verbinden. Die 

Ir⸗ 


138 Der Mann 


Irrungen der Kinder, da ſie oft auf den 
Mund weiſen, wann man ſie um die Naſe 
fragt, dieſe Irrungen, worüber man la⸗ 
chet, weil man ihre Folgen nicht einſieht, 
beweiſen es deutlich, daß ſie nichts von 
dem verſtehen , was man fie fragt; und 
daß ihre Antwort bloß ein Werk der thie⸗ 
riſchen Maſchine iſt; fo wie ungefähr das 
kleine Aeffchen, Jungfer Liſe, in der 
Huͤte des Gauklers, Verbeugungen macht, 
und auf die Frage: Welches iſt die 
ſchönſte Dame aus der ganzen hochan⸗ 
ſehnlichen Geſellſchaft y nach dem ge⸗ 
heimen Merkzeichen ſeines unbarmherzigen 
Meiſters bei derjenigen in der Reihe ſtehen 
bleibt, die am beſten bezahlet hat: ohne, 
daß dieſe jemals in einem Wettſtreite der 
Reize das Urtheil des haarichten Paris 
zum Beweiſe anfuͤhren wird. 

Wenn man ja fuͤrchtet, daß ein Kind 
ſeine Gliedmaſſen zu ſpaͤt kennen lernen 
wird; obfchon die Natur dafuͤr geſorget, 
da der Gebrauch daſſelbe mit dieſen Werk⸗ 
zeugen nothwendiger Verrichtungen gar 
bald bekannt machen wird; wenn man es 
aber dennoch fuͤrchtet, warum zeigt die 


Amme dem nachlallenden Papagey nicht 
lie: 


ohne Vorurtheil. 139 


lieber ihre Naſe, ihre Augen: und ſagt: 
fieb Männchen! das da iſt die Naſe! 
das die Augen! Haͤtte es damit ange⸗ 
fangen, und ihm das, was fie ihm nen= 
net, wirklich gezeigt, ſo wuͤrde in der Ein⸗ 
bildung des Kindes ſich das Bild feſtgeſetzt 
haben: und nun waͤre die Magd mit dem 
Kinde vor den Spiegel getreten. Nach 
der erſten kindiſchen Bewunderung, feine, 
Amme im Spiegel zu ſehen, nach den er= 
ſten Spielungen an dem taͤuſchenden Glaſe, 
nach erſchoͤpfter Neugierde, haͤtte ſie ge⸗ 
fragt: wo iſt die Naſe des kleinen Büb⸗ 
chens in dieſem Spiegel da ich müßte 
mich ſehr betruͤgen, oder es wird bei dem 
Worte Naſe gegen den Spiegel zufahren, 
und ſie an dem Kinde darin zeigen wollen: 
ob es zwar hernach ſehr verlegen ſeyn wird, 
wenn ſeinem Haͤndchen auf der Oberflaͤche 
des Glaſes ein anders entgegen gefahren 
koͤmmt, das ſich mit ſeinem zu vereinba⸗ 
ren ſcheinet. 

Nicht genug, das dem Kinde nur der 
Schall der Woͤrter eingepraͤget wird; wann 
ſie nachzulallen anheben, ſo lernen ſie 
auch . Wörter immer nur ſchlecht aus⸗ 


ſpre⸗ 


140 Der Mann 


ſprechen, in zweyfachem Verſtande ſchlecht; 
und aus verſchiedenen Urſachen — 
Aeltern! denket weniger, daß eure Kin⸗ 

der zu eurer Ergötzung ihr Daſeyn erhal⸗ 
ten haben, als um dereinſt Menſchen, 
Bürger zu ſeyn! oder wenn ihr ja den 
füffen Namen Vater nothwendig mit der 
Ergötzung verbunden glaubt — es wird 
das Gluͤck der Geſellſchaft ausmachen, wenn 
dieſe Meinung allgemein iſt — ſo ſuchet 
dieſe Ergötzungen nur nicht auf Unkoͤſten 
des Kinds, das ihr glücklich zu machen 
verpflichtet ſeyd, und wuͤnſchet. Suchet 
dieſe Ergoͤtzungen nicht in den Gaukeleyen 
der kleinen Spielthiere. Es ſind keine 
Affen, die ihr vor euch habet: es ſind 
Kinder , die Bürger werden, die eure 
Stelle in der Geſellſchaft beſetzen, wann 
ihr dereinſt abtretet, die Freude, der Stab 
eures Alters werden ſollen. In Sachen, 
die euch vorhinein zeigen, daß ſie eure 
Hoffnung, daß fie ihre Beſtimmung er⸗ 
füllen werden;; in dieſen findet das Rei: 
zende der Kindheit! 

Kaum hat man die erſten Töne wahr: 
genommen, da heißt es: das Kind faͤngt 


ſchon an zu reden. Habt ihr es verſtan⸗ 
den? 


ohne Vorurtheil. 141 


den? nein! Wohl denn! es hat nicht ge⸗ 
redet, es hat einen thieriſchen Laut von 
ſich gegeben, wie es andre Thiere auch thun, 
ohne daß man das Winſeln des Hundes, 
noch das Wiehern des Pferdes für Spra⸗ 
che halten will. Aber nein: es iſt ein 
Menſch, es muß durchaus Sprache ſeyn! 
Und weil man dieſe Sprache nicht verſteht; 
fo quaͤlet man ſich, heraus zu bringen, was 
das Kind gemeint haben koͤnnte. Verge⸗ 
bens rufe ich der vernaͤrrten Mutter zu: 
das Rind kann noch nichts meinen! ſie 
hoͤrt mich nicht, ſie raͤth auf dieß, auf 
jenes; und weil endlich das Kind bei einem 
Apfel, oder Zuckerbrod eine freudige Ge: 
behrde gemacht, und ruhig geworden; ſo 
heißt der unverſtändige Laut Zuckerbrod 
und Apfel. 

So macht man den Kindern immer eine 
eigene Sprache. Wenn man ihnen Sachen 
vorſagt, die fie wegen der Ungelenkſamkeit 
ihrer Zunge nicht nachſprechen koͤnnen, und 
verzerren und verunſtalten; ſo heißt die 
zur Unzeit gefaͤllige Kindermagd, und die 
unvernuͤnftige Mutter das Ding kuͤnftig 
immer nach dem verunſtalteten Laute des 
Kinds: und man ſollte ſagen, nicht das 

Kind 


142 Der Mann 


Kind hat von ihnen, ſondern ſie von best 
Kinde zu lernen. 

Indem ſie ſich nun Muͤhe BR nicht 
das Kind die rechte Ausſprache der Wörter 
zu lehren, ſondern ſeine uͤbelausgeſprochene 
zu errathen; ſo ergoͤtzt ſich Mama an dem 


kleinen Schwäger, deſſen Zunge nach und in 


nach Feſtigkeit erhält, aber noch nicht zur 
wahren Sprache gelenk iſt. Wir wuͤrden 
weniger Stotterer haben, weniger Leute, 
die liſpeln, mit der Zunge anſtoſſen, 
ſchnarren, dieſe oder jene Buchſtaben nicht 
ausſprechen koͤnnen, wenn die Muͤtter we⸗ 
niger nachſehend — darf ich den Ausdruck 
des nicht heuchelnden Unwillens wählen ? 
weniger Närrinnen wären. Mit Verwun⸗ 
derung habe ich in einem Haufe von Anſe⸗ 
hen, einen einzigen Sohn in ſeinem eilften 
Jahre den Löfel, Lölel nennen gehört, weil 
man ihm in der erſten Kindheit darin nach⸗ 
geſehen. Der Knab, der ſonſt faͤhig, und 
gut geartet war, vermied mit aller Sorg⸗ 
falt dieſes Wort, und eine feurige Roͤthe 
uͤberzog ſeine Wangen, wann es ihm beim 
Tiſche entfuhr. f 

Sind Aeltern, welche die erſte Sprache 
ihrer- Kinder fo verderben laſſen, nicht in 

der 


ohne Vorurtheil. 143 


der That gegen ſie ſehr grauſam? ſie ver⸗ 
doppeln ihre Muͤhe, und rauben ihnen eine 
koſtbare Zeit, die zu einem beſſern Gebrauch 
haͤtte verwendet werden koͤnnen. Denn der 
heranwachſende Knabe muß die kindiſche 
Sprache verlernen; und nun erſt menſch⸗ 
lich reden lernen. 


XIX. 


Als dem artigſten Munde unſrer jungen 
adelichen Schoͤnen habe ich uͤberhaupt die 
pöbelhafteſte Ausſprache ſchallen gehört, 
Das iſt wie eine Perlenmuſchel, die dem 
Auge liebkoſet, aus welcher, da man ſie 
Öffnet, ein unflaͤttiger Froſch hervorſpringt. 
Ich weis nicht, ob mehrere Männer von 
meinem Geſchmacke ſind: aber ich, kann 
verſichern, daß das Niedre der Sprache 
mir korallene Lippen, und ſtatt der Zaͤhne 
gereihte Perlen, verekeln koͤnnte. So, wie 
fonft ein ſchoͤner Mund dem artigen Aus- 
drucke neue Reize mittheilet; ſo wird durch 
die poͤbelmaͤſſige Sprache ein Geſicht, wor⸗ 
auf die Grazien thronen, und der Fruͤh⸗ 
ling der Jugend ſeine Noſen und Lilien ge— 
ſtreuet 


144 Der Mann 


ſtreuet hat, das Geſicht der huldlaͤchelnden 
Venus ſelbſt, verzerret. 

Ihr Schoͤnen! deren Schrecken ich bin, 
wo ich immer eintrete; die, bei meinem 
Anblicke zuſammfahren, in ihren Gebehr- 
den ſittſam, in ihren Minen anſtaͤndig, in 
ihren Reden behutſam werden! Ihr Schoͤ⸗ 
nen, deren Reize beſtimmet ſind, der Lohn 
des tugendhaften Juͤnglings, das Gluck, 
die Erquickung des verdienſtvollen Mannes, 
das Leben der Geſellſchaften zu ſeyn! glau⸗ 
bet einem Manne, der jeden eurer kleinſten 
Winke beobachtet; der, ſo weit er kann, 
jede geheime Falte eures Herzens ausſpaͤ⸗ 
het, und euch ſelbſt in dem Inneren eurer 
Zuruͤckziehung mit ſcharfſehendem Blicke 
verfolget; dieſem Manne, der in euch die 
ſchoͤngeſtaltete Schoͤpfung ehret; der euch, 
ſo wenig ihr es auch denket, hochſchaͤtzet; 
dieſem, wenn ihr es erlaubt zu ſagen, eu⸗ 
rem Bewundrer glaubet! eure Reize fliehn, 
ſobald der Mund ſich oͤffnet. Und waͤret 
ihr gegen mich mistrauiſch, ſo fragt euren 
Freund, den ihr fo oft des Tages zu Rath 
zieht, den Spiegel, er wird euch in ſei⸗ 
ner Sprache ſagen: Elmire! du ſprichſt: 
das Grübchen deiner Wange zieht ſich 

in 


ohne Vorurtheil. 145 


in einen laͤnglichten Streifen, und ſcheint 
eine Runzel zu ſeyn. Dein Mund wird 
eine unebenmäflige Oeffnung, die gleich⸗ 
ſam aus ihren Angeln geſprungen. Die 
ſchönen Zalbzirkel deiner Augenbrau⸗ 
nen, von deren Zöhe der Liebesgott 
feine unfehlendſten Pfeile abdrücket, 
firduben ſich zu einem unregelmaͤſſigen 
Gebüſche empor. Die ganze bezau: 
bernde Bildung — weg iſt ſie. 

Zuͤrnet uͤber die Waͤrterinnen eurer 
Kindheit! ſie ſind es, die daran Schuld 
tragen: oder vielmehr uͤber die, die es den 
gemeinſten Maͤgden uͤberlaſſen, eure erſten 
nachahmenden Toͤne zu bilden. Dieſe Haͤn⸗ 
de, dieſe Zuͤge, dieſer Wuchs und ganze 
Bau des Koͤrpers iſt edel: aber die Spra⸗ 
che — iſt Pöbel. 

Auch ſo geht es mit dem Knaben, der 
doch kuͤnftig ſich mit einem gewiſſen Anſtan⸗ 
de ausdruͤcken, der vielleicht in einem Amtt 

‚Öffentlich ſprechen ſoll. Seine Sprachwerk⸗ 
zeuge werden von einem Weibe geuͤbet, 
das die Sprache ihres Dorfes ſpricht: ihr 
Zoͤgling nimmt die ihrige an. Und nun, 
wenn wir den Vortrag eines Mannes im 
Amte mit geſchloſſenen Augen anhoͤren, 
II. Theil. K wer⸗ 


146 Der Mann 


werden wir denken, wir haben einen Win⸗ 
zer oder Dorfrichter gehoͤrt, und es war 
ein — Hofrath. 

Nunmehr hat der Knab ſein ſechſtes 
Jahr erreicht. Man muß ihm einen 
Lehrmeiſter geben! ſagt der Vater, und 
eilet einen aufzuſuchen, der dem hoff» 
nungsvollen Kinde die lateiniſche Sprach⸗ 
lehre beibringet, damit es bald ſtudieren 
koͤnne. Denn Latein lernen, heißt man 
immer Studieren. 

Wie lange denkſt du, mein lieber Ca⸗ 
pa kaum, daß über dieſer Sprache hin⸗ 
gebracht wird? du daͤchteſt wohl nicht, 
daß es ſechs Jahre ſind, die man dazu 
verwendet! Sechs volle Jahre uͤber einer 
Sprachen, die in der That vor tauſend 
etlich hundert Jahren zu Rom am Zofe 
im Schwange war, und von allen artigen 
Leuten geredet worden, die aber zu unſern 
Zeiten aus allen Geſellſchaften, bloß in die 
finftre Studierſtube des . .. verbannet, 
nirgend bei einer Nation uͤblich iſt, und 
von der wir nicht einmal wiſſen, ob wir 
nur die rechte Ausſprache noch übrig haben 

Man hat in der That Muͤhe, etwas zu 
finden, womit man die Jugend durch eine 

ſol⸗ 


ohne Borurtheil. 147 


ſolche Ewigkeit wenigſtens beſchäftige. 
Die vier erſten Jahre dehnt man den 
Unterricht fo ſehr aus, daß man erſt ges 
gen das End des vierten dahin gelangt, 
wohin ein gemeiner Sprachmeiſter in jeder 
andern Sprache feinen Lehrling in den er⸗ 
ſten vier oder fuͤnf Monaten bringt. 


Die Betrachtung, die ich mache, iſt 
nicht neu, viele Väter haben fie vor mir 
gemacht: aber fie find dennoch den Weg 
aller Vaͤter gewandelt, und haben ihre 
Soͤhne ſechs koſtbare Jahre verlieren laſſen. 


So viel Gewalt hat das Beiſpiel und die 
Surcht, auch in offenbaren Verbeſſerungen, 
ein Sonderling zu heiſſen. 

In meinen Augen haben die Alten fuͤr 
uns Neuere immer als die Quelle des 
ſchoͤnen Denkens gegolten: und das, was 
der lateiniſche Geſetzgeber des guten Ge— 
ſchmacks, Zoraz feinen Roͤmern zuruft: 

Blättert in griechiſchen Schriftſtel⸗ 
lern Tag und Nacht!“) 

das kann man denen, welche in dem Fache 

der ſchoͤnen Wiſſenſchaften etwas zu lei⸗ 

K 2 ſten 


*) — — exemplaria græca 
Nocturna verfate manu, verfate diurna? 


148 Der Mann 


ſten Willens find, nicht zu ſehr zurufenz 
Jünglinge! blättert mit unverdroßner 
mühe die Alten, ſowohl Lateiner als 
Griechen durch! fie find die Mufter, 
aus denen ihr euch bilden könnet. Sie 
haben in dem Buche der Natur geleſen, 
und uns ihre Entdeckungen überliefert. 
Wer alſo nur etwas leiſten will, der kann 
die Sprache der ſchoͤnen Geiſter des Alter⸗ 
1 thums nicht entbehren. Aber iſt dieſe lang⸗ 
weilige Art, ſie zu erlernen, nothwendig? 
iſt es nothwendig, die gluͤcklichſten Jahre 
zu verlieren ? 

Auf den Haiden des Koͤnigreichs Hun⸗ 
garn habe ich oft einen Jungen hinter dem 
Vieh hergehen geſehen, der mich, obgleich 
nicht in zierlichem, dennoch in ganz ver⸗ 
ſtaͤndlichem Lateine um ein kleines Geſchenk 
anflehte. Der junge Viehhirt hat wenig⸗ 
ſtens dieſe Fertigkeit nicht auf der Schul⸗ 
bank erworben; und er beweiſt, daß dieſe 
Sprache ſich eben ſowohl, wie jede andre, 
durch die bloſſe Uebung beibringen laſſe. 
Aber ich kann ein noch uͤberzeugenderes 
Beiſpiel anfuͤhren. 

Nicht ferne von den Graͤnzen, die 


Steyermark von Kaͤrnten abſoͤndern, lebte 
ein 


ohne Borurtheil. 149 


ein Mann, der lange Zeit im Felde ge⸗ 
dient, und der der Ehre ſowohl als der 
Muͤhe ſatt, ſich ein kleines Dorf zur 
Freyſtadt erwaͤhlet hatte, wo er in Geſell⸗ 
ſchaft einer noch in ihren reifern Jahren 
angenehmen Gattinn ſeine uͤbrigen Jahre 
verleben wollte. Dieſes Paar, das ſich aus 
Liebe geehliget, durch Freundſchaft feine 
Ehe vergnuͤgt gemacht hatte, war einander 
zur Geſellſchaft hinlaͤnglich. Doch ſeufze⸗ 
ten ſie oͤfters, daß ihrem Wunſche der 
Segen der Ehe nicht gewaͤhret worden. 
Endlich ward ihrer Sehnſucht ein Erb ge⸗ 
ſchenkt, der beider ganze Sorgfalt auf 
ſich zog. Die Mutter, eine Frau, werth 
dieſen Namen zu tragen, wartete mit klu⸗ 
ger Hand des zarten Sproͤßlinges, und be⸗ 
ſchuͤtzte ihn wider jeden Hauch einer uͤblen 
Neigung: nur Tugend durfte unter ihrer 
Hand aufkeimen. In ſeinem vierten Jahre 
uͤbernahm ihn der Vater, und gab der nun 
ſich verſtaͤrkenden Pflanze die Richtung, die 
fie in ihrem Wachsthume annehmen follte. 
Der Vater hatte in dem Umgange mit der 
Ehre des Alterthums zu viel Vergnuͤgen 
genoſſen, als daß er ſeinem Kinde, nicht 
eben daſſelbe zu verſchaffen, begierig ge: 
K 3 wer 


150 Der Mann 


weſen waͤre. Aber an dieſem einſamen Orte, 
wo kaum jemand zu finden war, der leſen 
konnte, wo waͤre der Mann geweſen, der 
ihm in der lateiniſchen Sprache einen Un⸗ 
terricht haͤtte geben koͤnnen? Ungeachtet ich 
taͤglich in den Werken des Cicero, hoͤrte 
ich ihn erzaͤhlen, ungeachtet ich taͤglich in 
den Geſchichtbuͤchern des Livius, des Ta⸗ 
citus, in den beſten Dichtern der Lateiner 
las, die ich vollkommen verſtand, und 
deren Sprache ich, ſo wie es fuͤr unſre 
Zeit moͤglich iſt, auch redte; ſo konnte ich 
es mir weder zutrauen, noch mich dazu 
entſchluͤſſen, meinem Sohne die Regeln der 
Sprache zu lernen; und ich entſchloß mich, 
einen Verſuch zu machen, ob es nicht auf 
einen andern Weg angehen wuͤrde, ihm 
das Latein zu geben. Ich hub es ſo an. 
Meine Gattinn machte ſich, ſo wenig als 
moͤglich mit dem Kinde zu ſchaffen, ich aber 
ließ es deſto weniger aus den Augen: es 
mußte beſtaͤndig um mich ſeyn, in meiner 
Stube ſchlafen, ſpielen, alles verrichten. 
Und waͤhrend dieſer ganzen Zeit ſprach ich 
mit ihm nur Latein, und ließ es, was es 
verlangte, in eben der Sprache verlangen. 
Weil ich auf diefen Einfall etwas zu ſpaͤt 
ge: 


2 — A En 


— 


ohne Vorurtheil. 151 


gerathen, ſo koſtete es anfangs einige Muͤ⸗ 
he: doch zuletzt brachte ich es in Gang. 
Der Knab redte die lateiniſche Sprache 
ohne Regel, bloß durch die anhaltende 
Uebung, etwa fo, wie wir in der Kind- 
heit unſer Deutſch, ohne die Sprachlehre 
zu wiſſen, fertig reden; und da ich ihm, 
ſo bald er wortreicher ward, die leichteren 
Schriftſteller vorlegte, ſo ward er nach und 
nach ſo ſtark, daß er, ſelbſt einige Reden 
Cicerons mit ziemlicher Fertigkeit in feinem 

achten Jahre zu erklaͤren wußte. — Da⸗ 
mals ſtarb die wuͤrdige Gattinn dieſes 
Mannes, und ihr Todfall zwang ihn, 
wegen der Erziehung ſeines Kindes, andre 
Maßregeln zu ergreiſen. 

Ich ſehe nicht, worin die Schwierig⸗ 
keit beſtehen ſoll, dieſes Beiſpiel nach—⸗ 
zuahmen, und warum man das Latein, 
nicht wie das Franzöſiſche, in zwey Jah⸗ 
ren mit Huͤlfe eines Sprachmeiſters ſollte 
erlernen koͤnnen. Denn ich will immer 
Vaͤtern, die ihre Soͤhne wochenlang nicht 
ſehen , nicht zumuthen, ihre ernſthaften 
Beſchaͤfftigungen, ihre Spiele, ihre Klubbs 
und Geſellſchaften zu verlaſſen, um einer 
ſolchen Kleinigkeit willen, an der Erzie⸗ 

K 4 hung 


152 Der Mann 


hung eines Kindes zu arbeiten, welches 
ein Miethling ganz leicht für ein Stuͤck 
Geldes und einige Mahlzeiten, verrichten 
kann, da fie ihrer Schuldigkeit genug ges 
than, daß fie dem Kinde das Dee 
ertheilt haben. 


XX. 


N. ſo vielen nicht ſtets im feinften 
Stile abgefaßten Zunöthigungen meiner 
Korreſpondenten, ihre eingeſendeten Briefe 
im Druck zu geben, ſey dann ein Sünden⸗ 
bock hinausgeſtoſſen, der die Verbrechen als 
ler andern trage, und durch feine Beſcha⸗ 
mung ein warnend Beiſpiel werde, ihre 
Wuͤnſche nicht bis zur Unverſchaͤmtheit zu 
treiben.) Gerade koͤmmt mir ein Schrei- 
ben ein, welches ich nicht bloß wörtlich, 
fondern buchfizblich einruͤcken werde. Es 
waͤre Schade, wenn die kleinſte von ſeinen 
Schönheiten verloren gieng. Damit ich 
dem Vergnuͤgen der Leſer auch nicht das 
Mindeſte raube, ſo will ich nichts davon 
| vor- 
) Das wäre alſo ein Original, und der Ton 
der Sprache, und Höflichkeit des 1765ften 
Jahres. 


ohne Vorurtheil. 153 


vorhinein melden, als daß ich die beſon⸗ 
ders wohl gewaͤhlten, und hervorſtechen⸗ 
den Ausdruͤcke durch den Druck unterſchei⸗ 
de, damit kein Wort davon auf die Erde 

falle. 5 8 


Mein Herr! 


3 been e uͤberleſe ich eines ihrer 
Wochenſchriften mit ausnehmendem Ver⸗ 
gnuͤgen, und bedaure nur, daß, ſoferne 
von einem Gelehrten, wenn es in ihren 
Augen noch einen giebt; zu ihren Ruhm 
Entſcheidungen gemacht wuͤrden, oder 
ihre lebhafte und gründliche Beurthei⸗ 
lung anrühmen wollte, ſich der Schu⸗ 
ſterausdruͤcke bedienen muͤſſe, um ihre be⸗ 
ſitzende Weltweisheit, und dem Staate 
ſo heilſame Abſichten wuͤrdig erproben zu 
können: Ja! und dieſes verdienen Sie, 
und um deſto mehr verdienen Sie es, da 
Sie ein genug bekannter, aber nicht ge— 
nug belobter Schriftſteller find. „ 

„Daß ihre Wochen- Blätter die Sit⸗ 
ten und eingealte Mißbraͤuche zu berbeſſe⸗ 
ren zum Grunde haben; alſo ſprechen Sie 
Herr M. o. V.: andere aber ſagen alſo: 
Was man nicht verbeſſeren kann, und wo⸗ 

K 5 zu 


154 Der Mann 


zu die werckthaͤtige Mittel abgehen, dieſes 
ſeye ein leeres Geſchwaͤz, ein Großthuen, 
ein mit Gewalt erzwingende laͤcherliche 
Gelehrſamkeit: und daß man alſo ſpricht, 
dauor kann ich eben ſo wenig, als daß 
ihren ſo weiſen Lehren nicht Folge geleiſtet, 
und ſogar die angedrohte Straf-Ruthe ge= 
hoͤhnet wird. „ 

„Daß ihre Wochen - - Blätter in die 
Canzleyen, und ihr ſchon halb gelehrter 
Capacaum in die Raths- Stube, in die 
Concepte, in die Amts⸗Verrichtungen und 
ſ. w. gleich dem gunde in die Kirchen 
ſich eindringen; daß Sie von Hoͤheren und 
Vorſteheren (o Weltweisheit) beftimmte 
Beamte haͤcheln, und erſtere in denen letz⸗ 
teren dem pövel veraͤchtlich machen, be= 
urtheile jene ſo ſtrenge, welche ſie glau⸗ 
ben, getroffen zu haben. Doch dieſes 
gar nicht: dieſe koͤnnen ihnen aus dem 
Rang Streit der Thiere des gelehrten 
Hrn. Loͤſſings mit dem Loͤwe antworten: 
„Der Rangs⸗Streit iſt ein unnuͤtzer Streit, 
„ ſetzet mich zum erſtern oder letzten an, ich 
„kenne mich „! und mit ſolcher Denkungs⸗ 
art werden fie die übrig verbleibende Par 
they wohl nicht ſeyn wollen. „ 
| „ Wol⸗ 


r . ²ð Q w D  o u an 


ohne Vorurtheil. 155 


„Wollen Sie vielleicht Herr Mann o. 
V. von ihren Zoͤglingen einige Muſter zu 
denen Aemtern liefern? Sie werden gewiß 
ihren Nahmen verewigen; aber ich befoͤrch⸗ 
te, dieſe lobenswuͤrdige Unternehmung wuͤr⸗ 
de ſehr ſpat ausfallen, weilen Ihnen ſelbſt, 
mein Herr Tadler, bis jetzo die Begrieffe 
von Canzley⸗Verrichtungen manglen, und 
noch viele Duzend halb nieder gebrennte 
Lichter verbrauchen werden, bis Sie 
ſich einige dieſer Kanntnüſſen beyle⸗ 
gen. „ 

„Daß Sie in ihren Wochen- Blaͤttern 
einen Eigennutz ſuchen, das wirft man 
Ihnen mit Unrecht vor: es iſt ja nach je= 
dem Poſt⸗Tag ein guter Theil deren Exem- 
plarien noch zu überkommen; nicht wegen 
des uͤbertriebenen Preiſes: um 3 kr. laͤßt 
ſich nicht viel Gelehrſamkeit kauffen, 
noch zum Beyfall des geſammten Publici 
aufklauben, und zweymahl die Woche 
hindurch mit Authormäſſiger Ernſthaf⸗ 
tigkeit auftretten. Aber ſeit der Schu: 
ſter - Correfpondenz trägt es doch ſchon 
um ein merkliches mehr ein, beſonders, da 
es ſich die Tagloͤhner, und was von der 
Gattung mehr, beyſchaffen. „, 

„ Was 


156 Der Mann 


„Was man weiters dem unnacham⸗ 
lichen Herrn Schriſtſteller ausſezet, was 
vom Tadlen, vom Geſchwaͤze, von Ruhm⸗ 
redigkeit, von Schreiben ohne erzielen⸗ 
den Ende und erweißlichen Grunde Ih⸗ 
nen vorgeworffen wird, da habe ich ſchon 
viele ermahnet, ſolche in Geheim zu hal⸗ 
ten, ſollten Sie es, H. M. o. V. irgends 
inne werden, dann dieſes iſt ihre meiſte 
Beſchaͤfftigung, diejenigen Derter zu ber 
ſuchen, wo dergleichen Reden von ſtachel⸗ 
haften Müſſiggangern, oder ſich weiſe 
dünkenden Schüllern gehalten werden, 
wodurch ſie den Stoff zu Fortſezung der 
gelehrten Bemuͤhung erlangen, ſo wuͤrde 
man gewiß uͤbles Spiel haben. „, 

„In Erwartung einer mich beehrenden 
Antwort, welche ich ſchon lange meinem 
Schneider verſprochen, der daran groſſen 
Theil haben wird, gleich denen Schuſtern 
in die gelehrte Geſellſchaft zu kommen, ver⸗ 
bleibe mit erſinnlicher Hochachtung, 

| Mein Herr 

Ihr Leſer aller ihrer bekannten 
Ausarbeitungen. 


Ich 


u 


e 


n — * 


E a u de rn ee 


ohne Vorurtheil. 157 


Ich habe zu dem Geſchmacke meiner 
Leſer ein ſo gutes Zutrauen, daß ich 
es ihnen uͤberlaſſe, dieſen Brief zu beur⸗ 
theilen. Er iſt mit der gewiſſenhafteſten 
Genauheit kopirt; und es ſoll jedem, der 
es verlangen wird, das Original bei dem 
Ausgeber dieſer Blaͤtter gezeigt werden. 
Was ich auch immer davon ſagen wuͤrde, 
koͤnnte der Genugthuung nicht gleich kom⸗ 
men, die ich mir gebe, daß ich dieſen Brief 
einruͤcke, und dadurch den Verfaſſer der 
Verachtung und dem Gelächter des Publi⸗ 
kums uͤberlaſſe. Dieſes mag urtheilen, ob 
ich nicht noch ſehr gelinde verfahre, wenn 
ich ſo einen mechaniſchen Menſchen mit ei⸗ 
nem ehrbaren Handwerker in eine Klaſſe 
verſetze. Doch bin ich auch nicht ſo un⸗ 
billig, ihn mit einer Menge rechtſchaffener 
Leute zu vermengen, die die Nanzleyfor⸗ 
meln beibehalten, weil es einmal ſo ein⸗ 
gefuͤhrt iſt; die aber weit entfernet ſind, 
ſie zu billigen, oder zu glauben, daß alle 
Schriften, die ſich davon unterſcheiden, 
und in einem edleren Tone geſchrieben 
werden, nichts taugen — 

Ich habe mit dieſem Briefe die Geduld 
meiner Lefer gemißbrauchet, und bin nun 

, ver⸗ 


IR: Der Mann 


verbunden, Sie darüber in etwas ſchad⸗ 
los zu halten. Ich glaube, es nicht beſſer 
zu thun, als durch die angenehme Nach- 
richt: daß vor kurzem Herr Jacob Schmu⸗ 
tzer, ein wuͤrdiger Schuͤler Herrn Willes, 
aus Frankreich wiedergekehret, und nun 
ſeinem Vaterlande ſeine ſchaͤtzbaren Talente 
widmen wird. Er gieng vor vier Jahren, 
bereits mit vieler Faͤhigkeit vorbereitet, nach 
Paris, und ward H. Willen empfohlen. 

Dieſer groſſe Kuͤnſtler erkannte bald die 
ſchoͤne Anlage ſeines neuen Schuͤlers, und 
ſah in ihm ſeinen kuͤnftigen Nachfolger. 
Die Anwendung Schmutzers ſagte ſeiner 
Gabe zu, und er ward in dem Wettſtreite 
der Geſchicklichkeit von der Akademie der 
Kuͤnſte zu Paris für einen Rünſtler der 
erſten Klaſſe erkläret. Er iſt ein vortref⸗ 
licher Zeichner. Seine Zeichnung iſt rich⸗ 
tig, und edel; feine Hand kuͤhn, fein Grab⸗ 
ſtichl ſicher, angenehm, wechſelnd, ſanft, 
aber auch nachdruͤcklich, wenn es das 
Subjekt fodert. Das groͤßte Zeugniß er⸗ 
hielt er von feinem unuͤbertrefflichen Mei⸗ 
ſter dadurch, daß dieſer eine von Schmu⸗ 
tzern geſtochene Blatte, die den koͤnigl. 
polnifchen Hofmaler H. Dietrich vorſtellet, 

gleich⸗ 


ohne Vorurtheil. 159 


gleichſam fuͤr ſeine eigene Arbeit erklaͤret, 
da er ſie eben dieſem Dietrich, einem 
überall hochgeſchaͤtzten Kuͤnſtler und feinen 
Freunde in feinem eigenen Namen zuge- 
eignet hat. Frankreich iſt den Vorzug, 
den es in den ſchoͤnen Kunſterzeugniſſen 
vor andern Staaten behauptet, der Hoch⸗ 
achtung, welche es den Kuͤnſtlern wieder⸗ 
fahren laͤßt, groͤßtentheils ſchuldig. Eine 
ruͤhmliche Nebeneiferung ſoll auch uns an⸗ 
flammen, Kuͤnſtler von unterſcheidendem 
Talente durch oͤffentliche Beweiſe der Hoch⸗ 
ſchaͤtzung aufzumuntern. 


XXI. 


An Fraͤulein 


ein Brieffragment. 


u Seen Sie nicht in Zenobie und 
Rhadamiſt die traurigen, die ſchrecklichen 
Folgen der Eiferſucht? — 

Ich nehme zu vielen Antheil an ihrem 
Vergnuͤgen, als daß ich nicht wuͤnſchen 
ſollte, Sie moͤchten das Schauſpiel geſehen 
haben, womit die Impreſa den, dieſen 

Staa: 


160 Der Mann 


Staaten glücklichſten Tag zu verhertli⸗ 
chen, ſich beſtrebet. Das Publikum dankt 


derſelben durch meine Stimme. Alles, 
Schauſpiel, Ballet, Muſik vereinbarte ſich, 
unſer Vergnuͤgen zu vergroͤſſern. Das 
Schauſpiel war von einem der beruͤhm⸗ 
teſten Dichter Frankreichs, ertraͤglich über⸗ 
ſetzt: und Zenobie, und der Geſandte 
Rome! fo drückt ſich edler Unwillen aus, 
ſo die beleidigte Liebe — das iſt das Bild 
des Todes? Der Ballet iſt von vortreff⸗ 
licher Erfindung, der Zeit angemeffen , 
zuſammhangend, wechſelnd, und von dem 
Stile der Muſik, wenn ich ſo ſagen darf, 
auf das gluͤcklichſte unterſtuͤtzet. 

Haben Sie, meine Freundinn! nicht 
mit mir die Anmerkung gemacht, welche 
Aufmerkſamkeit und Stille auf dem Par⸗ 
terre herrſchte? welche gluͤckliche Ahndung 
des ſich bildenden Geſchmacks, ein ge⸗ 
draängtes Parterre in einem Trauer⸗ 
ſpiele! Und wie beſchaͤmte die Sittſamkeit 
dieſes Platzes die Gallerie und ſo manche 
Loge! Waͤre es Ihnen, fo wie mir gegan⸗ 
gen, fo bedaure ich Sie vom Herzen. 
Gleich anfangs waren die Büchel alle 
aufgekauft, ob ich mit meiner Geſellſchaft 

gleich 


Ä | ohne Vorurtheil. 161 


gleich fruͤhe genug kam. Aber dieſes war 
mir vielmehr ein angenehmer Beweis, von 
dem, was ich oͤfters geſagt habe: das 
gute Schauſpiel hat die ſtaͤrkſte Parthey — 
Ich ſah neben mich; zwar von meiner 
Nachbarſchaft verſprach ich mir gleich an⸗ 
fangs wenig gutes; aber fo arg erwar⸗ 
tete ich es dennoch nicht. Wenigſtens um 
die Haͤlfte lauter, als die Schauſpieler, 
ſprachen meine Nachbarinnen; und der 
galbbaß der einen, war fuͤr Leute, die 
zu hören gekommen waren, nicht ſehr er⸗ 
goͤtzend. Mein Ungluͤck wollte es dießmal 
ſo, daß ich das ganze Stuͤck verlieren 
ſollte. Vergebens zeigte ſich der Unwille 
in meinen Minen; vergebens ſprach ich 
vernehmlich genug, von Ungeberdig ſeyn; 
vergebens wiederholte ich abermal und aber⸗ 
mal giſch! und St! Nichts half; ich muß⸗ 
te das Geſpraͤch, von hundert Nichtswuͤr⸗ 
digkeiten, die ungeſchmackte Liebeserklä⸗ 
rung eines aus dem Orden der Hundert 
Eroberer , die unſchickliche Antwort der 
Nymphe auf dieſe Erflärung, eine Beſtel⸗ 
lung , einen Vorwurf, der durch Ge— 
genvorwürfe beantwortet ward, und noch 
andre Saͤchelchen mehr mit anhoͤren, die, 
II. Theil. 2 da⸗ 


162 Der Mann 


damit ich alles auf einmal ſage, ein vor⸗ 
treffliches Stuͤck in dem. ., und ge⸗ 
rade das Gegenſtück zu der gnaͤdigen 
Stau von Artemiſie ausgemacht haben 
wuͤrden. 

Gluͤck zu! dem herzhaften Manne, der 
es wagen darf, eine ſolche Pentheſilea) 
in ſein Haus zu fuͤhren, die nicht im min⸗ 
deſten aus ihrer Faſſung gebracht wird, 
wann die Augen von mehr dann achthun⸗ 
dert Zuſchauern nach ihr gekehret ſind, 
wann der ſichtbare Unwillen aller Anwe⸗ 
ſenden ihr gleichſam zuruft: ihr, wer ihr 
auch ſeyd! koͤnnet ihr gleich vergeſſen, was 
ihr eurer Geburt, der Sittſamkeit eu⸗ 
res Geſchlechts, der Wohlanſtaͤndigkeit, 
eurem Ruhme ſchuldig ſeyd; fo erinnert 
euch wenigſtens, daß eine Verſammlung 
von Bürgern das Recht hat, Achtung 
von euch zu fodern! zu fodern, daß ſie 
die Ergötzungen, die ſie der liebreichen 
Dorforge ihrer Beherrſcher ſchuldig iſt, 
ungeſtört genieſſe! zu fodern, daß ſie 
durch euch das Geld, ſo ſie für dieſe 

Er⸗ 


) Die grimmige Amazone, die Virgil Penthe⸗ 
ſilea ferox nennet. 


ohne Vorurtheil. 163 


Ergötzungen mit Sreuden anbiet, nicht 
verliere, nicht bedaure! zu fodern, daß 
fie ſich, ohne euer euch entehrendes 
gohngelächter, dem Gefühle, zu dem 
eure Gemüther zu roh ſind, überlaſſen, 
bei der kämpfenden Tugend aufmerk⸗ 
ſam, bei ihrem Leiden von Mitleid, 
bei ihrem Siege von Freude gerührt 
ſeyn könne! 

Meine Freundinn! noch ſind Sie in 
dem gluͤcklichen Alter, welches alle Reize 
ihres Geſchlechts an ſich hat, ohne die 
Gefahren derſelben zu theilen. Bald wer— 
den Sie auf der Schaubuͤhne der Welt 
eine Rolle annehmen muͤſſen. Ein ſchoͤnes 
Maͤdchen wird bald groß. Wann Sie dann 
auftreten; o ſo huͤtten Sie ſich vor allem, 
die Dreuſtigkeit derer zu ihrem Muſter zu 
wählen , die das, ungezwungene Le⸗ 
bensart befigen heiſſen, eine gehartete 
Stirne haben, das Aug eines kuͤſternen 
ohne zu blinken ertragen, vor einer Welt 
von Menſchen nicht zurückzie hend ſeyn! 
Die Art des Weltmannes, des Soldaten 
iſt nicht die Art, die dem Mädchen ge⸗ 
ziemet, deſſen Zierde Schüchternheit iſt, 
die es nicht abgelegt haben kann, ohne 

L 2 b zu 


164 Der Mann 


zu ſehr mit der Welt vertraulich ges 
worden zu ſeyn — 


XXII. 
Fortſetzung des XIX. Stuͤckes. 


De. Knabe, der mit Muͤhe und Noth 
lateiniſche Woͤrter zuſammzuſetzen ange⸗ 
leitet worden, der Knab, bei dem nur 
etwas Gedaͤchtniß, keine Beustheilunen 
feine Beleſenheit, kein Kenntniß der Welt, 
des menſchlichen Herzens, der Tugend, des 
gafters , der Triebfeder der menſchlichen 
Handlungen, keine aͤhnlichen Faͤlle aus der 
Geſchichte, keine — mit einem Worte alles 
zu fagen, der Knab ſoll nun anfangen, 
die Sprache der Götter zu ſprechen, er, 
der die Sprache der Menſchen kaum lallet. 

Die Dichtkunſt, ſpricht ein vortreffli⸗ 
cher Kunſtrichter, „, ift die Kunſt, auf eine 
herzruͤhrende Weiſe zu malen. Man un⸗ 
terſcheidet die Arten von Leidenſchaften, 
die man erregen kann; ſo hat man die 
Dichtungsarten! Die Idylle bringt uns 
ſanfte und ruhige Empfindungen hervor. 
Die Epopee erregt Bewunderung. Die 

Ro- 


ohne Vorurtheil. 165 


Komödie macht uns lachen. Wenn dieſe 
uns Schmerz und Betruͤbniß verurſachte, 
ſo waͤre ſie eben ſo wenig Komoͤdie, als 
eine Tragödie ſehr wenig tragiſch waͤre, 
wenn fie uns lachen machte. — — Eben fo 
verhält es ſich mit allen übrigen Gattun⸗ 
gen. Ein jeder Leſer erwartet davon ei⸗ 
nen Eindruck von dieſer oder jener Art — 

Und dieſen Eindruck, welcher einen 
uͤberdenkten plan, einen Plan, zu dem 
alle einzelnen Theile ein uͤbereinſtimmendes 
Verhaͤltniß haben, zu deſſen Ausfuͤhrung 
ein beſonderer Schwung der Einbildungs⸗ 
kraft, Genie des Verfaſſers erfodert wird, 
dieſen Eindruck, der ſo ſelten der Lohn des 
gereiften Dichters iſt, aber wenn er ihm zu 
Theil wird, der größte Lohn iſt, der ihn 
mit 

Emporgehobenem Haupte dem Geſtirne 

naͤhert. 
dieſen Ausdruck, wird der Knab von funf- 
zehen Jahren auf uns machen! 

Ihr, denen die Fuͤhrung der Jugend 
auf der Bahn der Wiſſenſchaften anver⸗ 
trauet worden! iſt es nicht Verwegenheit, 
ſo vergoͤnnet mir zu fragen: in welcher 
Abſicht alle Knaben der Dichtkunſt ein: 

„ L 3 9 ge: 


166 Der Mann 


geweihet werden? Mein Sohn foll in 
eine Banzley! ſagt ein Vater — wozu 
ſoll dieſem Sohne die Kunſt, gezaͤhlte Syll⸗ 
ben zu paaren? die Dichtkunſt wird nicht 
ſeine Beſchaͤfftigung ſeyn, warum macht 
ihr ihn ein Jahr daruͤber verſchwenden? 
Noch eine andre Frage: die Dichtkunſt 
wird nie jemandes eigentliche Beſchaͤffti⸗ 
gung ſeyn, beſonders die lateiniſche Dicht⸗ 
kunſt; ich weis alſo nicht, warum jemand 
in der erſten Jugend dazu angeleitet wird? 
Man ſieht das Latein nun entweder als 
eine Sprache an: läßt man uns nicht 
andre Sprachen lernen, ohne uns mit der 
Dichtkunſt aufzuhalten? der, der nie die 
geringſte Anleitung zur franzoͤſiſchen Dicht⸗ 
kunſt erhalten, aber ſonſt mit Geſchicklich⸗ 
keit in dieſer Sprache angefuͤhret worden, 
lieſt einen Boileau und Voltaͤr mit Ver⸗ 
gnuͤgen: wenn es nur um das Vergnügen 
zu thun iſt, kann ich ein Meiſterſtuͤck der 
Baukunſt nicht bewundern, ohne ein Vi⸗ 
truve zu ſeyn? muß ich, um von den 
Werken eines Raphael entzuͤckt zu wer⸗ 
den, ſelbſt ein Raphael ſeyn? — Oder man 
ſieht dieſe Sprache ſelbſt als eine Wiſſen⸗ 
ſchaft an: auch dann noch iſt es über⸗ 
. fluͤſ⸗ 


ohne Vorurtheil. 167 


flüffig , die edle Zeit dazu anzuwenden, 
elende Stuͤmper zu bilden, die noch gegen 
die Bave des auguſteiſchen Jahrhundertes 
Bave ſeyn werden — 
Und wo hat eine Schule einen Demoſt⸗ 
henes, einen Cicero hervorgebracht? Man 
iſt ungerecht, es der Abnahme der Faͤhig⸗ 
keiten zuzuſchreiben: die Tillotone, Maſſi⸗ 
lione, die Slechier, die Bourdaloue, die 
Mosheime, und Jeruſaleme widerlegen 
dieſe Beſchuldigung: bei uns wird ſie Wurz 
im balden widerlegen — und wie viele welt- 
liche Redner kann ich anführen , die den 
Griechen und Roͤmern nur in ſo ferne nach⸗ 
gehen, als ſie von ihrem Stoffe, ſie zu er⸗ 
reichen, zuruͤckgehalten werden. Aber, wie 
darf ich von der Anleitung der Schule das 
fodern, was nur erſt eine Frucht vieler 
Arbeit, eines maͤnnlichen Nachſinnens, 
maͤnnlicher Beurtheilung, eine Frucht der 
reifern Jahre ſeyn kann — | 
„Wozu, mein ſchaͤtzbarer Führer! un- 
terbrach mich Capa- kaum, beeifern Sie 
ſich, mir eine Sache zu erklaͤren, die mir 
wenig nuͤtzen kann — Erlauben Sie mir, 
daß ich alles von dem Geſichtspunkte an⸗ 
ſehe, von dem es auf mich Beziehung hat. 
24 Es 


168 Der Mann 


Es iſt gleichviel, ob ich meine Jugend in 
meinem wilden Aufenthalte muͤſſig hinge⸗ 
bracht, oder ſie in dem Staube der Schule 
unnuͤtz verſeſſen haͤtte. Ich ſtehe hier mit 
jenem gleich weit vom Ziele, und ich habe 
noch einen fernen Weg zu machen — Hier 
warf ſich mir der empfindliche Schuͤler mit 
einmal zu Füffen , und indem er meine 
Knie umfaßte, fuhr er fort: Zuͤrnen Sie 
nicht, mein theuerſter Lehrer! ich will Ih⸗ 
nen einen Stolz bekennen, der nur eine 
Frucht ihrer Sorgfalt, eine Frucht des 
Eindrucks iſt, den ihre Lehren auf mich 
machen — Ihre Wohlthaten fallen mir 
ſchwer! „ a 

Er ſah mit unabgewendeten Blicken auf 
mich, gleich als wollte er in meinem Ge⸗ 
ſichte leſen, wie ich feine Rede aufgenom- 
men: als ich aber mein Stillſchweigen nicht 
brach, verfolgte er: „Nennen Sie mich 
nicht undanfbar ! dieſer Vorwurf wuͤrde 
mir mein Herz zerreiſſen. Ich werde nie 
den Werth der Guͤte verkennen, die Sie 
uͤber mich gehaͤufet haben! Wenn ich je⸗ 
manden Verbindlichkeit haben muß; ſo will 
ich ſie Ihnen haben. Aber, haben Sie mich 
nicht gelehret, daß ein Menſch, der ſeine 

| ſitt⸗ 


ohne Vorurtheil. 169 


ſittlichen, und phyſiſchen Kraͤften anzu⸗ 
wenden das Herz hat, nie unter der Laſt 
erliegen dürfe, von jemanden abzuhaͤngen. 
Ich will ein Menſch ſeyn, will meine Un⸗ 
terhaltung mir ſelbſt geben! Vollenden 
Sie nur ihr Werk, und zeigen Sie mir 
den Weg, den ich zu waͤhlen habe — „ 

Unmoͤglich konnte mir der Entſchluß 
meines Zoͤglings nicht gegen ihn wahre 
Achtung einflöffen. Er fühlte feine Würde, 
die Würde der Menfchheit. Ich umarmte 
ihn mit wahrer Freundſchaft, und indem 
ich ihn aufhub, ſprach ich: Mein Sreund ! 
ich ehre dieſe eöle Regung deines ger⸗ 
zens: und ich will fie in dir beſtändig 
unterhalten. Laß uns alle Stände 
nach der Reihe überſehen, und wenn ich 
ſie dir, nicht in dem falſchen Lichte, 
ſo das Vorurtheil auf dieſelbe wirft, 
wenn ich ſie dir in ihrer wahren Be⸗ 
ſchaffenheit gezeiget, wenn ich ihre ur⸗ 
ſprünglichen Eigenſchaften, von den 
Zufälligkeiten abgeſöndert habe, dann 
wird es dir zukommen, dich zu dem⸗ 
jenigen zu beſtimmen, der mit deiner 
Denfungsart, mit deinen Kräften am 
verträglichſten ſeyn wird. | 

L 5 Mei⸗ 


170 Der Mann 
228 78 

Meine Abſicht iſt erreichet, in welcher 
ich dem XX. Stuͤcke das Schreiben eines 
ungebetenen Vertheidigers der Kanzleyver⸗ 
wandten in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt ein⸗ 
geruͤcket habe. Ich konnte es vorherſehen, 
es wuͤrde beinahe unglaublich fallen, daß 
jemand ſo wenig Selbſterkenntniß beſitzen, 
und ſo elendes Zeug an mich — mich, 
der ich in dem Augenblicke gegen meinen 
Widerſacher gewiß einen ſtrengen Kunſt⸗ 
richter machen wuͤrde — einſenden koͤnnte. 
Von den mehrern Zeichen des Unwillens, 
und der Verachtung, mit welcher mich das 
Publikum wegen der Unhoͤflichkeit dieſes 
Menſchen raͤchet! nur folgender Brief! 


Mein Herr! 


4 Beſchaͤmt lege ich die Feder nieder, 
in dem fefien Vorſatze, fie nimmermehr 
zur Vertheidigung einer ungewiſſen Sache 
wieder zur Hand zu nehmen. Ich war 
beſchaͤftigt, ihre Anmerkungen, ſo Sie uͤber 
mein Schreiben im XVI. St. gemacht, zu 
beantworten. Freylich die Stalljungen in 
der 6ten Note preßten mir Seufzer aus: 
al⸗ 


ohne Vorurtheil. 1717 


allein ich entſchuldigte dieſen Einfall, in⸗ 
dem ich mich an ihren Sleck von Sadlein- 
wand erinnerte, und in dem folgenden 
wahrnahm, daß Sie mich verkennen muß⸗ 
ten. Beſſere Begriffe mein Herr, von den 
Geſchaͤfften eines Roncipiſten, wollte ich 
Ihnen — Sieh da ihr XX. Stuͤck — Ver: 
wuͤnſchter Brief! der alle meine Arbeit 
zernichtet! in welche Verlegenheit — — 
Ja! mein Herr, wenn ſo ein Menſch, 
der, wie der Verfaſſer, den Namen Kon: 
cipiſt mit feinem Gekleckſe brandmarkt, 
ſich zu der Klaſſe der Roncipienten zählt, 
dann ſage ich es noch einmal, beſchaͤmt 
lege ich meine Feder nieder. Leſſings 
Sabel haͤtte nicht in aͤrgere Haͤnde gera⸗ 
then koͤnnen; und dennoch auch zerſtuͤm⸗ 
melt liegt Sie noch da, wie eine in den 
Unflath gefallene Perle. „ 

„Sagen Sie nicht mehr, daß Bei- 
ſpiele nichts beweiſen! Haͤtten Sie mich 
wohl nachdruͤcklicher demuͤthigen, ſtaͤrker 
widerlegen koͤnnen, als durch ein ſolches 
Beiſpiel, welches mich treulos machet, daß 
ich faſt meine Fahne verlaſſen, und zu 
ihrer Parthey uͤbergehen moͤchte? Genug, 
10 gebe ihnen gewonnen, und begehre 

auf⸗ 


172 Der Mann 


aufrichtig Frieden. Sie haben mir Ver⸗ 
gleichspunkte vorgelegt: wohlan, mein 
Herr! ich will ihre Bürger, ihre Rünſt⸗ 
ler, ihre Zandwerker für nuͤtzliche Glie⸗ 
der des Staates, mit der gehörigen Ach⸗ 
tung erkennen. Sie aber ſollen zur Wie⸗ 
dervergeltung niemals mehr einen frucht⸗ 
bringenden Garten ausſchaͤnden, der un⸗ 
ter ſeinen Pflanzen Unkraut hegt! Zuͤrnen 
Sie meinetwegen mit dem Gärtner, der 
es nicht ausrottet! Ich bin mehr als je⸗ 
mals „ 
Dero 
Verehrer 
der ungluͤckliche Sachwalter. 
— 
XXIII. 


neh ſoll den erſten, den ehrwür⸗ 
digſten aller Staͤnde nicht von ferne ken⸗ 
nen lernen! nicht hier, wo unſre verwoͤhn⸗ 
ten Augen alles, wie in einem umkehren⸗ 
den Glaſe betrachten; wo die Verhaltniſſe 
durch den Eigenſinn beſtimmet ſind; wo 
der unabhaͤngigſte aller Stände denen un⸗ 
tergeordnet iſt, die ſeiner nicht entbehren 
koͤnnen! Aber fo mußte es ſeyn: die Weich 
lich⸗ 


ohne Vorurtheil. 173 


lichkeit mußte dem Fleiſſe ſeine Wuͤrde rau⸗ 
ben, oder ſie ſelbſt verlieren. 

Copa : kaum ſoll die Stadt verlaſſen, 
und den Landmann bei ſeinem Pfluge, bei 
ſeiner Heerde, in ſeiner ſtillen Huͤtte, und, 
wo iſt die Zeit, wo man ſagen konnte, in 
ſeiner Freyheit? ſehen. Lebe denn wohl, 
Wien! du Stadt voll Gepraͤng ohne Höf- 
lichkeit, voll Anſtand ohne Sitten, Stadt 
voll eiteln Laͤrmen ohne Beſchaͤfftigung; wo 
die Mittage verſchlafen, die Nächte ver- 
ſpielet werden; wo Maͤnner Weiber, die 
Weiber Puppen ſind; wo die Ehe ohne 
Liebe, der Umgang ohne Freundſchaft, der 
Geck oft geehret, die Armuth ſtets eine 
Schande iſt; lebe wohl! mich ziehen gluͤck⸗ 
lichere Gegenden an. 

O anerſchaffner Standort des Men- 
ſchen! deine Reize verlieren nie ihren Ein⸗ 
fluß. Schon athme ich eine ungewohnte 
reinere Luft; ſchon ſtroͤmet mit derſelben 
ſuͤſſe Sorglofigfeit in mein Herz. Ich wen⸗ 
de mich nicht zuruͤcke nach dem Verfloſſenen: 
ich ſtaͤmme mich nicht empor, meine Aus⸗ 
ſicht vor mir hinaus zu verlaͤngern: das 
Gegenwaͤrtige nur beſchaͤfftiget mich: die 
Gegenſtaͤnde meiner Augen ſind die Veran 

ſtaͤn⸗ 


174 | Der Mann 


ſtaͤnde meiner Gedanken — und meiner 
Unterredung. | | 
Ich mache meinen Weg, wie Emil mit 
ſeinem Fuͤhrer, zu Fuſſe, um deſto leichter 
vom Wege abtreten zu koͤnnen. Siehſt du, 
mein gelehriger Freund! ſage ich zu mei⸗ 
nem Reiſegefaͤhrten, die beſchweißte Muͤhe 
des Landmannes, die reifenden Saaten! 
auf ihnen beruhet die Hoffnung der ſtolzen 
Stadt. Eine Trockne, die dem Korne die 
Nahrung raubt, von der es ſchwillt; eine 
Wolke, die verwuͤſtenden Hagel uͤber die 
Felder ausgießt; ein Heer von Heuſchre⸗ 
cken, das ſich darauf niederſtuͤrzt, und ſie 
abweidet; hundert andre Zufaͤlle koͤnnen die⸗ 
ſe Hoffnung zernichten. Aber ſie, die ſorg⸗ 
loſen ſchlemmen. — Capa- kaum unter⸗ 
bricht mich; er ſieht da einen Pflug, dort 
eine Egge, dort ſonſt ein Ackerbaugeraͤth: 
er wuͤnſcht von ihrem Gebrauche unter⸗ 
richtet zu ſeyn. Auf feine Bitte, unter- 
ſuchen wir den Unterſchied des Waizen 
vom Korne, den der Staͤdter nie anders⸗ 
wos, als in Gerichten durch feinen Eckel 
bemerket; nähern wir uns einer ſpringen⸗ 
den Heerde, ſchweifen zu einem Weinge— 
birge aus, gehen laͤngſt dem bebuͤſchten 
Ufer 


ohne Borurtheil. 175 


ufer eines Baches hin, und erreichen 
unter dieſen Beſchaͤfftigungen ein kleines 
Dorf. | 
Voll Ungeduld, zieht mich mein Rei⸗ 
ſender in die naͤchſte Huͤtte: er pochet an 
die Thuͤre: man oͤffnet, und er faͤhrt zu⸗ 
ruͤcke. Ich errathe die Urſache feiner Ue⸗ 
berraſchung; aber ich ſtelle mich an, als 
erriethe ich ſie nicht: er ſoll ſie ſelbſt ſagen! 
„Wie iſt meine Erwartung hintergan—⸗ 
gen, faͤngt er endlich nach einem laͤngern 
Schweigen an! wie iſt dieſer Anblick ſo 
ſehr von demjenigen unterſchieden, den ich 
mir verſprach, und wornach ich eilte! Be⸗ 
trachten Sie dieſe Frau! wo iſt die Rein⸗ 
lichkeit, die mit der edeln Einfalt, der 
reizende Putz der laͤndlichen Wirthinn ſeyn 
ſoll? dieſe Lappen, womit fie nur halb- 
bedeckt iſt, find das Kennzeichen des Elen— 
des, und erwecken Grauen. Dort dieſe 
nackten auf der Erde herumkriechenden 
Kinder, dieſes im Winkel unfauber hinge⸗ 
ſtreute Stroh ſcheint ihr Lager zu ſeyn. — 
Wo iſt die Gaſtfreyheit, die von den Land- 
fitten fo ſehr geruͤhmet wird? zwingt fie 
uns, bei ſich einzuſprechen? biet ſie uns 
nur einen Trunk, nur ein Dach an — „ 
Nichts 


176 Der Mann 


Nichts mangelte, als daß er noch hin⸗ 
zugeſetzt haͤtte: machet ſie ſich fertig, 
uns unfre Süffe zu waſchen v denn dieſe 
Frage war ganz wohl zu dem Bilde der 
laͤndlichen Gaſtfreyheit ſchicklich, das mein 
guter Schuͤler aus den Beſchreibungen des 
Zomers abgezogen hatte. Da uns dieſe 
weniggaftfreye Frau nicht zu uͤbernach⸗ 
ten zwang, ſo luden wir uns ſelbſt ein, 
und baten ſie, uns zu behalten. Ich ſetz⸗ 
te hinzu: daß wir ihre Gefaͤlligkeit nicht 
ohne Bezahlung und unſern Dank verlang⸗ 
ten — und nun traten wir in das Zim⸗ 
mer, wenn man einen Aufenthalt der Ar⸗ 
muth und aͤuſſerſten Muͤhſeligkeit, einen 
Ort, der einer Rauchſtube aͤhnlich, zu ſei⸗ 
nem ganzen Geraͤthe einen übel zuſammge— 
zimmerten Pflock ſtatt des Sitzes, einen 
hoͤkrichten Tifch, und einen ausgebrochenen 
Topf zum Waſſergeſchirre hatte, wenn man 
dieſen Ort ein Zimmer nennen darf — 

Die Hauswirthinn war nicht nur un⸗ 
reinlich, ſie war auch ſcheu, und entſchluͤpf⸗ 
te bei der erften Gelegenheit aus dem Zim- 
mer, um ſich vor uns zu verbergen. Itzt 
konnten wir unbehorcht unſre Anmerkun⸗ 
gen machen. Capa⸗ kaum war nicht im 

Stan⸗ 


ohne Vorurtheil. 177 


Stande, ſich von ſeiner Verwunderung zu 
erholen: er durchlief mit ſchnellen Blicken 
unſre Herberg, und Elend! und Armuth! 
war das einzige, was er ſagen konnte. 
Inzwiſchen kam der Inhaber des Hau: 
ſes von ſeinem Felde zuruͤcke. Gerippe 
von Pferden, die kaum ſich ſelbſt trugen, 
ſchleppten mit Noth einen Karren nach ſich 
her, und wurden, nachdem ſie ausgeſpan⸗ 
net worden, ſtatt alles Futters auf eine 
Weide getrieben, worauf nur wenige Gras- 
ſpitzen hervorſtechen, die der Staub dem 
Viehe vollends ungenußbar macht. Er 
ſelbſt, ihr Eigenthuͤmer, trat endlich be⸗ 
ſchweißt uͤber die Schwelle, und erſtaunte, 
zween Fremde bei ſich zu finden. Eben ſo 
abgeriſſen, als feine Hälfte, war er eben 
ſo ſcheu. Er wollte gleich zuruͤckkehren, 
als ich ihm zurufte: er moͤchte ſich ſeinen 
Gaͤſten nicht entziehen; wir waͤren Willens 
bei ihm zu uͤbernachten — Bei mir die 
gerren e übernachten? — Nicht anders — 
Ich habe euch nichts vorzuſetzen — Auch 
kein Brod — keine Milch, ſetzte mein Ge- 
fährte hinzu, der feinen Kopf mit den 
groſſen Milchtoͤpfen, und dem aufgeſchuͤrz⸗ 
ten Mädchen des Dichters voll hatte — G! 
II. Theil. M gab 


178 Der Mann 


gab der Bauersmann mit einem Seufzer 
zur Antwort: ihr werdet das Brod, das 
wir eſſen, nicht hinabbringen. Mit 
dieſen Worten langte er aus einer Blinde 
ein Stuͤck in einem Lappen eingehuͤllet, 
hervor, das neben einer unglaublichen 
Schwaͤrze den widerſtehendſten Geruch hat⸗ 
te — Und auch dieſes, ſagte er, habe 
zich von meinem Nachbarn geborget, 
damit ich Weib, und Vindern heute 
einen Mundvoll geben kann. Ich habe 
noch keinen Biſſen genoſſen, und will 
zich meine Rinder nicht vor gunger 
ſchreyen laſſen — | 
Mir und meinem Freunde traten Thrä- 
nen in die Augen: ich konnte ihn nicht 
vollenden laſſen, und bat ihn, auſſer Sor⸗ 
ge zu ſeyn: wir waͤren nicht gekommen, 
ihn und die Seinigen zu berauben. Neh⸗ 
met, ſprach ich, dieſes Wenige! und 
erquicket eure ſchmachtende Familie damit! 
der Mann ſegnete uns und die Vorſicht, 
die uns ihm geſendet, mit aufgehobenen 
Haͤnden — 

Ich ſehe es, fuhr ich fort, wir wuͤr⸗ 
den euer kleines Haus in Unordnung brin⸗ 
gen, wenn wir hier blieben. Iſt ein Gaſt⸗ 

hof 


ohne Borurtheil. 179 


hof hier, wo wir die Nacht zubringen koͤn⸗ 
nen, ſo begleitet uns dahin, und uͤberlaͤßt 
eurem Weibe, fuͤr das Haus zu ſorgen! 
Er that es, und wir nahmen ihn mit zu 
Tiſch. 

Der Mann war anfangs zu bloͤde, ſich 
zu ſaͤttigen. Unſer Zureden machte ihm 
Muth; er genoß, und der Wein machte 
ihn froh und vertraulich. Die Neugierde 
meines Begleiters war auſſerordentlich, zu 
erfahren, wie ein Mann, der ſelbſt einen 
Feldbau hätte, fo an allem Mangel leiden 
koͤnnte. Er vermuthete alles eher, als die 
wahre Urſache, die er aus dem Munde des 
Landmannes hoͤrte. 

„So arm, wie ihr mich findet — hub 
er in ſeiner treuherzigen Sprache an — 
ſind alle meine Nachbarn, ſind alle Bauern 
im ganzen Lande. Arbeit und Zlend iſt 
unſer Antheil im Leben, und das Erbtheil 
unſrer Kinder nach unſerem Tode. Wie 
waͤre es auch moͤglich das geringſte vor ſich 
zu bringen? o, der Krieg! der Krieg! wir 
werden ihn noch lange nicht verwinden! — 
Mein Gott! verfolgte er mit einem Seuf; 
zer, was fuͤr ein Elend iſt es, Bauer zu 
ſeyn! der Sommer in Schweiß, der Win⸗ 

M 2 ter 


180 Der Mann 


ter in Noth! und was hilft alle meine 
ſaure Arbeit! die Felder geben kaum eine 
doppelte Saat, weil man ihnen das ihri⸗ 
ge nicht geben kann. Wo naͤhmen wir 
Dünger her, da man mit Muͤhe und Noth 
zwey Ackerpferde erhalten kann! Weide 
fuͤr Hornvieh, iſt im ganzen Lande nicht. 
Denn die duͤrren Gemeinweiden; ja doch, 
wenn das arme Vieh von Luft und Staub 
leben koͤnnte — Iſt ein Fehljahr, fo koͤmmt 
der Jammer unangemeldet: und ſegnet auch 
der Himmel unfre Saaten; fo ſegnet er fie 
nicht uns. Der Zebend, die Gaben, die 
Saat aufs kuͤnftige Jahr, das, was man 
erborget hat, wann ich das alles hergebe, 
ſo bleibt mir ſo viel, als auf dieſer flachen 
Hand. Noch wollten wir den Zehenden 
gerne geben, hinderte er uns nur nicht, 
unſer Erdreich zu nuͤtzen. Mein Grund 
liegt hoch, der Sonne ausgeſetzt, es wuͤr⸗ 
de vortrefflicher Wein wachſen. Ich darf 
keinen Weingarten daraus machen, der 
Zehend im Getraide iſt darauf gegruͤndet. 
Mein Weingarten iſt im Grunde, er giebt 
nur geerlinge, die nie reif werden: ich 
darf ihn nicht in ein Ackerfeld verwandeln. 
Meine Wieſe, wenn ſie noch ſo ſchlechtes 
| ſau⸗ 


ohne Vorurtheil. 181 


ſaures Riedgras bringt, muß ewige Wieſe 
bleiben. Alſo koͤmmt uns armen Leuten 
auch unſre Arbeitſamkeit nicht einmal zu 
Huͤlfe. Glaubt meine Herren, wenn uns 
ſre Kaiſerinn alles wuͤßte, ſie hätte ge: 
wiß mit uns Mitleiden. Unſre Gaben 
fuͤr das Land und die Herrſchaft, richten 
uns noch ganz zu Grund, nicht ſowohl 
wegen der Groͤſſe, als wie, und wann 
man ſie geben muß. Der Bauer muß 
Geld geben, muß es zu einer gewiſſen 
Zeit geben: das macht unſer groͤßtes Un⸗ 
gluͤck aus; das zwingt uns, unſre Frucht, 
oft noch in der Saat zu verkaufen; das 
läßt uns nicht etwan doch einen mittel⸗ 

mäſſigen Preis abwarten. Das groſſe 
Brod, das ihr in der Stadt eſſet, iſt 
Thraͤnenbrod der Bauren. Was wir ſonſt 
aus drey Metzen loͤſen wuͤrden, dafuͤr 
muͤſſen wir ſechs hingeben, ſonſt koͤmmt 
Exekution, und ißt unſern hungerigen 
Kindern den Biſſen vom Maule weg. Ha⸗ 
ben die Herren Zeit, ſo will ich ſie ein 
wenig auf unſre Felder fuͤhren; ſie koͤnn⸗ 
ten ſchlechter nicht beſtellt ſeyhn. Mehr 
als zwey Drittheil haben abgewirthſchaf⸗ 
tet, und die uͤbrigen werden mit mir, ehe⸗ 

M 3 ſtens 


182 Der Mann 


ſtens davon laufen. Jeder Hanßlanget 
in der Stadt hat es beſſer, als der beſt⸗ 
Bauer. Das ganze Jahr koͤmmt nichts 
uͤber unſre Zungen, als ſolch Brod, wie 
ihr geſehen, in warmen Waſſer geweicht, 
und ein wenig roh Sauerkraut. In mei⸗ 
nem Leben werde ich nie wieder ſo einen 
Tag haben, wie dieſer! Haͤtte ich nur mei⸗ 
nen Kindern, jeden einen Mundvoll Fleiſch 
reichen koͤnnen! Wer weis, ob ſie in ihrem 
Leben je eines koſten werden. „ 

Wir befahlen ihm, aus dem Gaſthauſe 
Fleiſch fuͤr ſeine Kinder mit nach Hauſe zu 
nehmen, und uͤberlieſſen uns, nachdem 
er uns unter tauſend Dankſagungen und 
Wuͤnſchen verließ, den Betrachtungen über 
das Elend des Landvolkes — 


XXV. 


Von.. dorf den 23. May 1766. 
Theuerſter Freund! 


3 Waden es ihre Geſchaͤfte wohl zuge⸗ 

ben — denn von ihrer Gewogenheit bin ichs 

zum vorhinein uͤberzeuget — daß Sie einen 

Auftrag uͤbernehmen, der vielleicht nicht 
| oh: 


ohne Vorurtheil. 183 


ohne Beſchwerlichkeit ſeyn wird? Ferne 
von meinen Leſern muß ich einen Mittler 
ſuchen, durch den ich der Verbindlichkeit 
genug thue, die ich als Schriftſteller auf 
mich genommen habe; muß ich einen fin⸗ 
den, der zweymal die Woche mein Dolls 
metſch bei ihnen werde. Und wer wuͤrde 
dieſe Stelle mehr zu meinem Vortheile und 
ihrem Vergnuͤgen bekleiden, als Sie — 
Sie, deſſen Kiel meinen Gedanken das 
Gefaͤllige, an dem es ihnen mangeln mag, 
mittheilen wird? — „ 

„Ihre Plage ſoll nicht auf lange ſeyn. 
Mein Herumſchweifen auf dem Lande wird 
nicht laͤnger waͤhren, als es braucht, die 
Beobachtungen zu machen, die ich zum 
Unterrichte meines Schuͤlers noͤthig habe. 
Nach wenigen Wochen will ich Sie davon 
los ſagen: nur bis dahin leihen Sie ſich 
mir, zu zweyerley Abſichten: 

„Erſtlich: will ich Ihnen ein getreues 
Tagebuch uͤber alles das mittheilen, was 
uns begegnet, und einer unterrichtenden 
Betrachtung Gelegenheit geben kann. Der 
Stil meines Tagebuchs foll fo einfach, 
als die Sachen ſelbſt ſeyn, die er beſchrei⸗ 
ben wird. Ihnen gebe ich freye Hand, 

M4 der 


184 Der Mann 


der nackten Wahrheit das Kleid umzuwer⸗ 
fen, fo Sie für fie am ſchicklichſten fin⸗ 
den. Nur machen Sie es, wie geſchickte 
Maler, die ihre Drapperie ſo werfen, daß 
der Wuchs ihrer Figuren nicht verunſtal⸗ 
tet wird. Aber, wozu dieſer Praͤceptorton 
an Sie — Kleiden Sie, mit einem Worte, 
meine ländlichen Wahrnehmungen, nach 
ihrem Wohlgefallen ein! „ 

„Jedoch in einer Zeit von einigen 
Wochen, wie viel meiner Neugierde wuͤr— 
diges wird ſich da nicht in einer Stadt 
ereignen, die von Th.... wimmelt? — 
Laſſen Sie es nicht geſchehen, daß ich, 
wann ich in die Stadt zuruͤckkehre, in ih⸗ 
ren Gewohnheiten neu ſey! Laſſen Sie es 
auch nicht geſchehen, daß ſich Gecken mei⸗ 
ner Abweſenheit freuen, und wie die Fle⸗ 
dermaͤuſe, bei Abweſenheit des Lichtes, 
das fie beleuchtet, aus ihren Loͤchern her⸗ 
vorkriechen! Theilen wir uns untereinan⸗ 
der in die Provinzen! indeſſen ich, das 
offene Land ausſpaͤhe, ſo halten Sie die 
Stadt in Athem, und das Schrecken un⸗ 
ſers Namens wa das Land von enen 
Ende n andern! , 


ss Er. 


ohne Borurcheil. 185 


„Erlauben Sie mir auch, daß ich die 
Weiſe unſers Briefwechſels feſtſetze. Der 
Mann, der dieſes Schreiben an Sie über: 
bringt, ſoll bei ihnen bleiben, bis ein 
zweytes von mir einlaͤuft. Dann ſenden 
Sie mir ihre Antwort durch den erſtern, 
und behalten Sie den zweyten abermal bei 
ſich. So werde ich mit zween Bothen im 
Stande ſeyn, woͤchentlich Ihnen von mei⸗ 
nen Neuigkeiten mitzutheilen, und wechſel⸗ 
weiſe die Ihrigen zu empfangen. „ 

„„ Ich werde den Anfang zu meinem 
kleinen Tagebuche machen, ſobald ich von 
Ihnen die Verſicherung erhalte, daß Sie 
durch keine Nebenumſtaͤnde gehindert wer⸗ 
den, zu willfahren, „ 


ihrem ergebenſten — 


Wien, denſelben Abend noch. 
Freund! 


„Es ſtraͤube fich das heuchleriſche Maͤd⸗ 
chen bei dem Kuſſe, dem ſeine Lippen ſich 
doch in Geheim entgegen werfen, nicht ich, 
bei dem Antrage eines Freundes! Es ver⸗ 
bitte das ſchlaue Maͤdchen mit erkuͤnſtelter 
e die Lobſpruͤche des Liebhabers, 
M 5 um 


186 Der Mann 


um ihn zu zwingen, daß er ſie wiederhole! 
Ich will uͤber das Kompliment, ſo Sie 
meiner Feder machen, hinwegfahren, und 
alle Foͤrmlichkeiten der kleinen Schreibſuͤch⸗ 
tigen, und alle Authorbedenklichkeiten bet 
Seite legen, und Ihnen mit der Freymuth 
der Freundſchaft geſtehen, daß meine Ge⸗ 
ſchaͤfte mich gar nicht hindern, einen ihrer 
Briefe zu leſen, und Ihnen einen andern 
dafuͤr zu uͤberſchreiben. Wenn ich mich mit 
meinen Geſchaͤften nicht entſchuldigen kann, 
womit ſollte ich es gegen einen Freund ſonſt 
wohl 7 „ 

„Senden Sie mir alſo immer ihr Ta⸗ 
gebuch! ich will mir darüber alle die Frey⸗ 
heiten nehmen, die Sie mir einraͤumen, 
und ihre Leſer ſollen ihren halben Bogen 
Mittwoche, und Samſtag ſo regelmaͤſſig 
bekommen, als beſorgten Sie alles ſelbſt 
gegenwärtig. „ 

„Auch dazu will ich mich vom Herzen 
gerne bequemen, daß ich Ihnen die Stadt⸗ 
neuigkeiten uͤberſchreibe: wohlverſtanden, 
daß ich in ihrem Blatte keine Hauptperſon 
zu ſpielen gezwungen werde. Ich mag ſo 
gerne mein Haupt ſanfte zur Ruhe legen: 
und wenn der Ruhm des Schriftſtelles nur 

mit 


ohne Vorurtheil. 137 


mit Furcht erkauft wird; ſo ſage ich mit 
jenem guten Schleſier, dem ein Werber, 
die Ehre fuͤr den Koͤnig zu ſterben, pries: 
ich verlange nach dieſer Ehre nicht. „ 

„Ich will meine Nachrichten gleich mit 
dieſem Briefe einleiten. Der berühmte 
Bereuter hat ſeine Taxe, als ein rech⸗ 
nender Englaͤnder, herabgeſetzt, und nun 
iſt der Zulauf ungemein. Einige finden 
ſeine Geſchicklichkeit auſſerordentlich, an⸗ 
dre halten ihn fuͤr einen Gaukler — und 
ich fuͤr einen Menſchen, der uns in kurzer 
Zeit einige dreyſſig tauſend Gulden aus 
dem Lande ſchleppen wird, die fir den 
Staat unwiederbringlich verloren ſind. Es 
mag ſeyn, daß ich irre: aber koͤnnte man 
nicht glauben, man ſende dieſe Leute ei⸗ 
gends dazu aus, um fremde Staaten arm 
zu machen 2 „ 

„Ich habe laͤngſt einen Gedanken ge⸗ 
habt, den ich hier ein wenig auseinander 
ſetzen, und ihre Meinung daruͤber hoͤren 
will. Waͤre es nicht nuͤtzlich, eine eigene 
Pflanzſchule von Zalsbrechern zu errich⸗ 
ten, wo man Jungen, die den Beruf, 
Taugenichts zu werden, durch unzwey⸗ 
deutige Streiche an den Tag legen, in 

den 


188 Der Mann 


den Kuͤnſten der Türkete und Bateſe mit 
vieler Sorgfalt unterrichten ließ? Hievon 
nun ſendete man jaͤhrlich drey in alle Welt. 
Laſſen Sie uns den Vortheil berechnen! 

„Drey ſolche Waghälſe von verſchie⸗ 
denem Talente gehen von hier in das Reich, 
ſchweifen nach Polen und Rußland aus, 
und gehen auf einem andern Wege wieder 


zuruͤcke bis nach Hamburg. Auf einer fol ° 


chen Reife ſammelt jeder ganz leicht funf; 
zigtauſend Gulden, zuſamm fl. 180000 
„Bei den ſparſamen gol- 
Ländern werden fie kaum mit⸗ 
einander beilegen 10000 
„Aber fie gehen nach Eng⸗ 
land. Der Englaͤnder iſt von 
Natur ein Freund von Wage⸗ 
ſtuͤcken. Wo ein Deutſcher 
4 Gulden giebt, da giebt er 
gerne eine Guinee. Drey 
recht ſchreckliche Meiſter⸗ 
ſpringer — aber recht ſchreck⸗ 
lich muͤßten ſie ſeyn — ſollten 
da wohl noch zwanzigtau⸗ 
ſend Guinee davon tragen: 
nach unſerem Gelde ungefähr 180000 
* 


— Aus 


n Pe We | — 


obne Borurtheil. 189 


„ Aus England ſetzen fie 
nach Srankreich über, wo ſie 


ſich leicht 80000 

erſpringen. f f 
„Spanien und Portugal | | 

gering gerechnet, truͤgen 100000 
„Die Schweiz nur = 5000 


weil die Grundſaͤtze Rouſſeaus 

hier doch zu ſehr uͤber Hand 
nehmen. Aus der Schweiz | 
gehen fie nach 

„Italien, wo fie hie und 

da gleichwohl auch einige tau⸗ ! 

ſend — beiläufig = fl. 40000 
aͤrnten, mithin über Tyrol zu⸗ 
ruͤcke mit einer Beute von fl. 375000 
fremden Gelds ankommen. 

„Stellen Sie ſich vor, von was für 
einem Umfange und Abſatz eine Fabrikation 
ſeyn müßte, die jährlich 375000 fl. netten 
Gewinnſt durch die Ausfuhr in den Staat 
zu leiten im Stande waͤre — Der Entwurf, 
hoffe ich, verdient erwogen, und ihr Freund 
dafür belohnet zu werden. „ 

„ Sonſt hat ſich, ſeit ihrer Abweſen⸗ 
heit nichts zugetragen, das ihre Aufmerk⸗ 
ſamkeit verdiente, als ein Vorfall, der 


auf 


190 Der Mann 


auf eine ganz ſonderbare Art, einer Frau 
die Wiederkehr ihres Mannes zuwege 
brachte. „ 

„ Tindarine, Sie wiſſen welcher Frau 
wir dieſen Namen ſonſt beilegten — iſt 
ſchoͤn, und artig im Umgange; aber wel⸗ 
ches Weib bleibt das lange in den Augen 
ihres Mannes » Der ſonſt zaͤrtliche Semahl 
Tindarinens gieng endlich den Weg aller 
Männer, und erkaltete. Die Gattinn em⸗ 
pfand ſeine Gleichguͤltigkeit um deſto ſchmerz⸗ 
licher, je weniger ſie dieſelbe verdiente. 
Von ungefaͤhr wirft Selimor die Augen 
auf ſie; und da es ihm nicht gelingt, ihr 
Aufwärter zu ſeyn, will er wenigſtens 
dafuͤr gehalten werden. In dieſer Abſicht 
verfolgt er ſie, wie ihr Schatten, aller Or⸗ 
ten, und draͤngt ſich beſonders an oͤffent⸗ 
lichen Deftern an ihre Seite. Sein Auge iſt 
ſtets auf ſie gehaͤftet, ſtets reicht er ihr 
den Arm, ſitzt im Schauſpiele naͤchſt an ih⸗ 
rem Sitze. Koͤmmt fremder Beſuch, ſo 
thut er unzufrieden. Erweiſt Tindarine 
jemanden Freundlichkeiten, ſo ſcheint er zu 
eifern; und was das ſonderbarſte iſt, ſelbſt 
bei den Liebkoſungen ihres Mannes faltet 


er die Stirne. „ 
1 Cin- 


ohne Vorurtheil. 191 


„Tindarinens Gemahl ward endlich 
dieſes ungeſtümmen Aemſigen gewahr, 
ward unruhig. Und dieſe Unruhe hatte 
fuͤr die Gattinn die vortheilhafteſten Fol⸗ 
gen. Die Sorge, ein Herz zu verlieren, 
das er zu beſitzen, einſt fuͤr ſein Gluͤck hielt, 
veraͤndert den gleichguͤltigen Mann wieder 
in den unverdroſſenen, gefaͤlligen, zuvor⸗ 
eilenden Liebhaber, der fie itzt, als eine 
Geliebte gegen den Nebenbuhler, und ge⸗ 
gen den Betrug ihres eigenen Herzens be⸗ 
wahret. Leben Sie wohl auf ihrem Lande. 


„ „ „ an 


XXVII. 
. ſtein den 31. May 1766. 


Mein Freund! 


„Das Wetter war hier die ganze Zeit 
her ſehr unfreundlich, und hielt uns gleich⸗ 
ſam in unſerm Gaſthauſe gefangen. Ob 
ſich gleich von den elenden Dorfleuten ein 
jeder anbot, ein Schreiben an Sie zu uͤber⸗ 
bringen; ſo hatte ich zu ſehr mit ihnen 

| Mit⸗ 


192 Der Mann 


Mitleiden, als daß ich ihr Anerbieten haͤt⸗ 
te annehmen ſollen. „, 

„O, mein gerr! ſagte einer darun⸗ 
ter, dem ich es abſchlug, ihn, bei einem 
ſtarken und anhaltenden Regen abzuſchi⸗ 
cken: wir find der Witterung ſchon ge⸗ 
wohnt. Wenn unſre Srohnfuhren ) 
treffen; und die Durchmarſche der Sol⸗ 
daten machen, daß ſie oft herumkommen, 
da ſchaut niemand, was für ein Wetter 
ſeyn mag. Wir kommen eben vom gelde 
zurücke, wir, unſer armes Vieh, beide 
gleich müde und matt: aber da wartet 
der Richter auf uns, und ihm zur Seite 
ein Soldat: ihr müßt, heißt es, gleich 
mit dieſen zerren da — „ 

„Gevatter! wie iſt es möglich die 
armen Gerippe pflügen ſeit Anbruch des 
Tages: ſie ſind heute noch nicht ein⸗ 
mal gefüttert — „ 

„Der Richter zückt die Achſel Er 
wohnt mitten unter dem Elende, er 
kennt es. Aber fein Gefährte, ein une 
barmberziger Mann — eine ganz beſon⸗ 

| de⸗ 

) Robathen nennt es der Bauer in der Pro⸗ 


vinzialmundart, nach dem ſlapiſchen Robota, 
Arbeit. 


ohne Vorurtheil. 193 


dere Art von Menſchen, die alle Em⸗ 
pfindungen abgeſchworen zu haben ſchei⸗ 
nen — macht mich auf einmal ſtumm. 
53 . ſcher Bauer, ſchreyt er, wei⸗ 
gre dich lange! ſo wird dieſer Stock da, 
dir Süſſe machen ! und er ſetzt ſich in 
die Stellung, mir feinen nachdͤrückli⸗ 
chen Arm fühlen zu laſſen. „, 

„Ich ſeufze, weniger über mich, 
als über das arme lechzende Dieb, über 
mein Weib und Kinder. Ich muß mich 
auf den Weg mit Sutter verſehen; zu 
Haufe hülft die Gemeinweide doch et⸗ 
was. Ich muß mich mit Brod, mit 
Zehrung verſehen: und da zwingt uns 
oft die Noth, daß wir den Unſrigen 
den Biſſen aus dem Munde reiſſen, den 
letzten pfenning / den wir für die Ga⸗ 
ben hingelegt, angreifen müſſen. Und 
indeſſen, unſre armen Kinder zu gauſe 
vor Hunger weinen, ſchleppet man uns 
einige Meilen — im Kriege nicht ſel⸗ 
ten einige Tage — weg. „ 

„ Oft, wann das kraftloſe Vieh 
unter der Laſt und Müdigkeit fällt, 
Labt es der Begleiter mit einem knot⸗ 
tigten Prügel, wobei er, nach ſeinem 

II. Theil. N men⸗ 


194 Der Mann 


menſchenliebvollen Sprüchworte, einen 
Streich auf das Vieh, zween auf den 
Bauern thut; bis endlich das Thier, 
das feinen gerrn mit geſtreckter Zunge 
gleichſam um Mitleiden anfleht, und 
uns oft die Thraͤnen auspreßt, auf der 
Straſſe liegen bleibt. „ 

„Da komm ich, unglücklicher Mann, 
des einen treuen Gefährten meiner Ar⸗ 
beit verluſtig, nun nur mit dem andern 
zu gauſe an, habe indeſſen vielleicht die 
ſchönſte Zeit zur Einfuhr meiner $eld- 
früchte verabfäumet, muß itzt beim Re⸗ 
gen damit in die Scheune eilen, wo 
mir, ehe ich ausdreſche, die galbſcheide 
auswächſt, oder auf eine andre Art zu 
Grunde geht — „ 


„Das Landvolk iſt unerſchoͤpflich in 


ſeinen Klagen. Um uns war ein Kreis 
geſammelt, wovon einer bald dieſes, bald 
jenes erinnerte; überhaupt aber ein jeder 
die Rede ſeines Dorfgenoſſen mit Kopf: 
nicken beftättigte. Er, der mit mir ſprach, 
ſchien gleichſam ihr Redner zu ſeyn: und 
ich verſichere Sie, feine ungefünftelte , 
nachdruͤckliche, ruͤhrende Sprache, mit 
Gebehrden begleitet, die Natur und Em⸗ 
pfin⸗ 


I 
2 Sr. 


ohne Vorurtheil. 195 


pfindung ihn lehrte, hat in meiner Ueber: 
ſetzung ſehr verloren. „ 

„Unſre unfuͤhlbaren Mitſtaͤdter, ha⸗ 
ben die mich bei dem Bilde des laͤndlichen 
Elendes nicht einer Uebertreibung be⸗ 
ſchuldiget? ich kenne ihre Denkungsart zu 
gut, als daß ich es nicht errathen ſollte. 
Und wie koͤnnte es auch anders feyn ? „ 

„Viele unter ihnen kennen das Land 
nur von ihren Luſtfahrten; und in ihrer 
Einbildung gehen dem Begriffe des Land⸗ 
lebens immer die Ergötzlichkeiten zur 
Seite, die ſie da genoſſen haben. Sie 
denken ſich ein Arkadien, wo man mit in⸗ 
einander geſchlagenen Armen ſich am Ba⸗ 
che lagert, oder durch lachende Fluren 
irret, oder Waͤlder jagend durchſtreichet, 
oder Netze und Angeln in Weyern, wie in 
Fiſchbehaͤltern, auswirft; wo man Höhen 
hinanklimmt, um der Ausſicht zu genief- 
fen ; wo man mit dem Spiele der Arbeit 
ſich Muͤdigkeit zur Luſt erwecket, um deſto 
ſanfter zu ſchlafen; wo die Vergnuͤgen an⸗ 
einander gereihet ſind, und Tafeln, die ſich 
unter der Laſt der Gruͤchte kruͤmen, und 
Taͤnze, und Buhlereyen dieſe Reihe ſchluͤſ⸗ 
ſen. 1 

N 2 M Die 


196 Der Mann 


„„Die meiften kennen wenigſtens das 
Land, nur aus dem Bezirke, der auf eini⸗ 
ge Meilen die Stadt umzingelt. Aber ſie 
ſollen aus dieſem engen Kreiſe hinaus, 
der von dem Wohlleben, von dem die 
ſchlemmende Stadt uͤberfluͤſſet, Nutzen zieht, 
und fie werden über ben Unterſchied erftau- 
nen! Ich werde fie mit meinem Schüler 
dahinfuͤhren, wenn ſie erſt den Inhalt un⸗ 
ſers Geſpraͤchs angehört haben werden. „ 

„Sieh! ſprach ich zu Capa; kaum, 
als wir allein waren, ſo unbillig iſt die 
Geſellſchaft gegen ihre nuͤtzlichſten Mit⸗ 
glieder! Sie läßt fie unter einem uner- 
traͤglichen Joche ſeufzen, und niemand iſt, 
der ſie hoͤret, niemand der ihre Klage bis 
an den Ort bringet, wohin nie eine Klage 
vergebens gebracht worden. Koͤnnte ich 
alle Staͤnde um mich her verſammeln! waͤre 
mein Wort ihnen allen vernehmbar, ich 
wuͤrde „ 

„Zu den Mächtigen ſprechen: Hier, 
bei dieſen, muß eure Vorſorge ihren An⸗ 
fang nehmen! ſie ſind der groͤßte Theil des 
Volkes. Wenn eure ſchützende Hand von 
ihnen abgewendet iſt, wer wird ſie gegen 
eigennuͤtzige Unterherren, gegen unbarm⸗ 

her⸗ 


ohne Vorurtheil. 197 


herzige Beamte, wer wird ſie ſchuͤtzen? ihr 
Schweiß iſt die Speiſe der uͤbrigen, der 
gegen ihre Nährer undankbaren Bürger. 
Wenn Unterdruͤckung ihre Sehnen ſchlaff 
machet, wenn unmaͤſſige Foderung ihr Mark 
verzehret; ſo wird der von der Natur theu⸗ 
re Namen vater verabſcheuet werden: wer 
haͤtte Luſt Kinder der Muͤhſeligkeit zu zeu⸗ 
gen? ſo werden ihre Wohnungen Einoͤden, 
ſo werden ihre Felder Wuͤſteneyen werden; 
ſo wird endlich das Elend von dem Lande 
bald in die Staͤdte ſchleichen, bald allge⸗ 
mein werden. „ 

„Wer wird dann, wuͤrde ich den Un: 
terherren ſagen, welche die Duͤrftigkeit ſo 
nahe zu betrachten das Herz haben, ohne 
davon geruͤhrt zu werden, wer wird dann 
die Wellen des Ueberfluſſes, worin ihr euch 
erſaͤuft, unterhalten? — Sind eure Ein⸗ 
kuͤnften in Zehnten, in natürlichen Ent⸗ 
richtungen; ſchauet da, wie ſparſam die 
Garben auf euren zinsbaren Aeckern ſtehen! 
wie licht es dann in euren Scheunen, wie 
vermindert der Haufen in euren Speichern 
ſeyn wird! Sind fie im Gelde, woher ſol⸗ 
len zugrundgerichtete Unterthanen die Ga⸗ 
ben nehmen? woher? — Ihr koͤnnet zwar 

N 3 das 


198 Der Mann 


das traurige Recht gegen ſie ausuͤben, ih⸗ 
nen mit aller Schaͤrfe zuſetzen, ihnen grau⸗ 
ſame Eintreiber ) in das Haus zu legen! 
Aber wird es dem, der unter einer erdruͤ⸗ 
ckenden Laſt keuchet, dadurch leichter ge⸗ 
macht, wenn ich ihm noch einen Centner 
zulege? — Ihr koͤnnet auch noch ein an⸗ 
ders Recht ausuͤben, und eure Unterthanen 
abſtiften! “) Wohl! ihr werdet dieſes 
traurige Recht ſehr oft, ihr werdet es fo 
lange ausuͤben, bis auf euren Guͤtern eine 
ſchreckliche Leere ſeyn wird. Ihr moͤget 
dann, wie der Tyrann des Lybiſchen San⸗ 
des in Wuͤſten, auf duͤrren Haiden herr⸗ 
ſchen! „ 


XXVI. 


) Extauirer. 


) Das iſt das geſetzliche Wort, wenn der 
Grundherr feinen ſogenannten Grundholden 
kraft eines ihm durch die Verfaſſung zugeſtan⸗ 
denen Rechts des Hauſes und Grundes ent⸗ 
ſetzet. Dieß Recht, das bei unbewahrten 
Gränzen das ältere Recht des Eigenthums 
vereitelte, hat zum Wohl der bürgerlichen 
Geſellſchaft und Ehre der Regierung, nun 
enge Schranken erhalten. 


ohne Borurtheil. 199 
XXVI. | 


A Us ihr — Zandelsleute! würde ich 
zu dieſen gewendet, rufen, ihr Sroſſen! 
die ihr vom Aufgange zum Niedergange an 
eurem Pulte die Erde zinsbar machet! und 
ihr Kleinern, deren Namen nicht mit den 
Fuͤrſten gleich genennet wird! ihr ſeht die 
Armuth des Landmannes ohne Theilneh⸗ 
mung? fein Betruͤbniß, glaubet ihr, koͤnne 
euch nicht erreichen? welcher Wahn! koͤnnt 
ihr ein Glied einer Kette in den Abgrund 
werfen, das nicht die Glieder alle nach 
ſich zoͤge ? koͤnnt ihr die Wurzeln unter⸗ 
graben, und den gegen den Himmel ſtei⸗ 
genden Wipfel des Baumes, und ſeine 
ausgeſpreiteten Zweige aufrecht erhalten? 
— Wenn euer Fleiß, eure Faͤhigkeit Rei⸗ 
chen wohlthaͤtig iſt; wenn von euren Fruͤch⸗ 
ten Länder gefättiget, und unter eurem 
Schatten Provinzen erquicket werden, o, 
fo ſeht hier die Wurzel eures Wachsthu⸗ 
mes, in dieſem verkennten, niedergetre⸗ 
tenen Landmanne! Den Ueberfluß, den ihr 
duͤrftigen Provinzen mittheilet, aus weſſen 
Hand empfängt ihr ihn? er — iſt es, dem 
ihr ihn zu verdanken habt: durch feine be- 
N 4 ſchweiß⸗ 


200 Der Mann 


ſchweißte Mühe iſt er erzielet. Die Schaͤ⸗ 
tze alſo, die dafür in eure Kuͤſte einfluͤſſen, 
ſeht, wem ihr fie zu verdanken habet! 
Laſſet ihn nun elend, laſſet ſeine Hand 
kraftloß ſeyn! Laßt ihn euren Manufak⸗ 
turen, allen den koſtbaren Zweigen eurer 
Ausfuhr den erſten Stoff nicht mehr lie⸗ 
fern! -= == Laſſet dann eure Schiffe mit 
vollen Segeln in die See ſtechen! = 

„„Dein Schickſal aber, geſchickter 
Rünſtler! arbeitſamer Zandwerker! dein 
Schickſal graͤnzet zunaͤchſt an dem feinigen. 
Er faͤllt nicht, ohne dich am erſten mit 
ſich in den Abgrund zu ziehen. Der Lohn 
deiner Arbeit, deines Fleiſſes, deiner Erz 
findſamkeit und Anſtrengung, wird genau 
genug ausgemeſſen; du empfaͤngſt ihn mit 
einer Hand, um mit der andern ihn fuͤr 
die Bedürfniſſe deines Lebens wieder da— 
hin zu geben. Aber dieſe Beduͤrfniſſe, 
wann fie der nicht gefchüßte Landmann 
zu erzielen unterlaͤßt, wann er ſie dir, 
wann er ſie der Geſellſchaft zu liefern, 
keine Aufmunterung erhält, wann verlaf- 
ſene Felder ein ewiges Jubeljahr feyern — 
Du ſiehſt dein Schickſal: ich brauche dein 

Au⸗ 


ohne Vorurtheil. 201 


Auge mit einem abſcheuvollen Bilde nicht 
weiter zu beleidigen. „„ 

„„ Auch den raſchen Krieger, ihn vor⸗ 
züglich wuͤnſche ich vor mir! ihn, der 
vielleicht nun eben den Pflug aufgehangen, 
und noch mit ungewohnter Hand, ein Neu⸗ 
ling in ſeinem itzigen Stande, die Waffen 
fuͤhret — Ungeſtuͤmer! mit welcher Blind⸗ 
heit biſt du geſchlagen? verkenneſt du ſchon 
in dieſem Manne, deſſen Ruͤcken von Ar⸗ 
beit gekruͤmmet iſt, verkenneſt du deinen 
Bluts verwandten — den Hüter deiner Ju⸗ 
gend — den Geſpielen deiner Kindheit — 
deinen Bruder vielleicht — Er — iſt es 
nicht, gegen den das Vaterland deine 
Herzhaftigkeit heiſchet; zu ſeinem Schutze 
hat es dich gedungen. Wenn das Schwert 
des Feindes auf ihn gezuͤcket iſt, ſo ſollſt 
du dich dem Streiche entgegen werfen, um 
denſelben von ihm abzuwenden! ungluͤck⸗ 
licher! und du ſelbſt ſchlaͤgſt ihm die Wun⸗ 
de? Wenn die Fakel des Krieges ſeinen 
Saaten, ſeiner Huͤtte drohet, du ſollſt ſie 
abhalten, du den Brand, waͤre es noth- 
wendig, auch mit deinem Blute loͤſchen; 
und nicht ſelten unterhaͤltſt, oft entzuͤndeſt 
du ihn! Wenn Raubſucht ſeinen Heerden 

N 5 nach⸗ 


202 Der Mann 


nachſtellet « du ſollſt ihr Hüter ſeyn! und 
du ſelbſt wuͤrgeſt unter ſeinen Schaafen! — 
Mehr als einmal war ich ein bethraͤnter 
Zuſchauer ſo grauenvoller Scenen, wenn 
der Muthwillen Saaten zu Boden trat, 
wenn Gewalt das Weib, wenn Verfuͤh⸗ 
rung die Tochter — ich kann nicht fort⸗ 
fahren; ich kann nicht vollenden — „ 
„Unter dieſen traurigen Vorſtellungen 
war die Mitternacht herangeruͤcket. Wir 
uͤberlieſſen uns dem Schlafe. Die Wach⸗ 
ſamkeit des Landvolkes weckte auch uns, 
noch ehe die Sonne über unſern Geſichts⸗ 
kreis heraufgeſtiegen war. Auf einen reg⸗ 
neriſchen Abend folgte der heiterſte Tag, 
Wir hatten uns ſehr nach einem ſolchen 
Tage geſehnet, der unſre Gefangenſchaft 
enden möchte. Wir werden nun davon 
Vortheil ziehen, und unſre Reiſe fortſetzen. 
Da wir derſelben kein gewiſſes Ziel vor⸗ 
geſteckt haben; fo ſenden Sie mir den Bo» 
then nicht, bis ich Ihnen eine Nachricht 
von meinem Aufenthalte mitzutheilen, im 
Stande bin. Aber bereiten Sie ihrem 
Freunde ein Paͤckchen feiner, anmuthiger 
Neuigkeiten, die mein durch die vorherge⸗ 
henden Vorſtellungen ganz finſter gewor⸗ 
. de⸗ 


ohne Vorurtheil. 203 


denes Gemuͤth wieder aufheitern! Es kann 
Ihnen daran nicht . Ich bin: u. 
ſ. w. „, 
ergebenſter der 
Verfaſſer 


eck in Steyermark den 2. dun 
Hechinverchrender Herr! 


28 daß ich des betruͤbten Auftrages an 
Sie zu ſchreiben, uͤberhoben waͤre! Was 
fuͤr eine Nachricht werden Sie da leſen! 
Mein Fuͤhrer, mein theurer Lehrer, mein 
Freund iſt krank — krank, in einem Dorfe, 
wo er keine Wartung, keine Linderung 
findet, wo auf einige Meilen herum kein 
Arzt, wo in dem ganzen Orte kein Arz- 
neymittel zu haben, wo zu aller Huͤlfe ein 
elender Bader iſt, deſſen ganzer Werkzeug 
in einigen halbverſchliffenen Bartmeſſern, 
deſſen ganzes Kenntniß im Aderlaſſen be- 
ſteht! um welchen Preis muß ich die Huͤlf⸗ 
loſigkeit des armen Landvolkes kennen ler⸗ 
nen! „ 

„ Wie pocht mir das Herz! nie habe 
ich eine ſolche Hufe gehabt! ich bin 
nicht 


204 Der Mann 


nicht im Stande, fie Ihnen auszudruͤcken: 
mir iſt — enge um die Bruſt — meine 
Hand zittert — ich bin unfaͤhig zu den⸗ 
ken — zu ſchreiben. Vergeben Sie, ich 
kann nicht fortfahren. Hier liegt Sie, die 
meiner Hand entfallene Feder! — „ 

„Du, die du mich an deiner Hand 
hieher geleitet, wo ich dich kennen, wo ich 
dich verehren lernen, ewige Vorſehung! 
hier liege ich auf meinen Knieen, und flehe 
dich um ſeine Erhaltung, flehe dich um ſein 
Leben an — Aber ich will mich faſſen: ich 
will mich troͤſten: ſie wachet gewiß, dieſe 
Vorſehung; und wachet über dieſe Gegen- 
den beſonders, wo das verlaſſene Landvolk 
ſonſt die Beute jeder Krankheit, jedes Zu⸗ 
falls, der fruͤhe Raub aller Gebrechlichkei⸗ 
ten ſeyn müßte. „ 

„Wie aͤngſtiget mich der Gedanke, daß 
ich die Urſache dieſer ihm angeſtoſſenen 
Krankheit bin! Mir zu Liebe that er dieſe 
beſchwerliche Reiſe: mir zu Liebe ſtieg er 
den Berg, der Oeſterreich von Steyer- 
markt ſoͤndert ), hinan, und kam von 
der Hitze, die geſtern ſehr groß war, bes 
reits ſehr abgemattet hier an. Er klagte 

uͤber 
) Der Semering. 


ohne Vorurtheil. 205 


über Kopfwehe, und begab fich zeitlich zur 
Ruhe. Um meine Nacht nicht unruhig 
zu machen, ſagt er mir, habe er ſich 
nichts merken laſſen, daß er ſich ſehr uͤbel 
befinde. „ 

„Heute kam ich gleichwohl ſehr frühe 
vor ſein Lager. Er hielt eben ſeinen Kopf 
mit der einen Hand. Fuͤhlen Sie die Kopf⸗ 
ſchmerzen noch? fragte ich ihn: ſie haben, 
antwortete er ſehr leiſe, die ganze Nacht 
fortgedauert, und heute gegen Morgen ſehr 
zugenommen — Er ſah die Unruhe, in die 
mich dieſe Nachricht verſetzte, und um mich 
zu beruhigen, zwang er ſich gefaͤllig zu ei⸗ 
nem Lächeln, aber es war ein Lächeln, wo 
der Schmerz zu merklich durchſchien — Ich 
habe dieſe Nacht nicht geſchlafen, fuhr er 
fort, ich will mir nun ein wenig Ruhe 
goͤnnen; ſo wird es bald voruͤber ſeyn. 
Inzwiſchen, befahl er mir, ſollte ich Ih⸗ 
nen von unſerm Aufenthalte, und nur 
von dieſem Nachricht geben — Ich will 
zuſehen ob er eingeſchlafen iſt. „ 


Copa-faum, 


Nach: 


206 Der Mann 


Nachmittag um 3 Uhr. 


6 Ich will an dem Schreiben meines gut⸗ 
herzigen Gefährten nichts abändern , ob 
gleich ſein Schrecken ohne Grund war, 
dann ich bin nun wieder auf meinen Fuͤſ⸗ 
fen. Aber ich hätte es nicht gerne geſe⸗ 
hen, daß er weniger unruhig geweſen waͤre. 
In meinen Augen iſt ein Undankbarer ein 
Ungeheuer, den Himmel, und die menſch⸗ 
liche Geſellſchaft verabſcheuen muͤſſen. Die 
Dankbarkeit iſt die Grundlage aller Tu- 
genden, die Grundlage unfrer Verehrung 
gegen Gott, unſers Eifers für das Vater⸗ 
land, unfrer Pflicht gegen unſre Aeltern 

„„Es war gleichwohl ein Gluͤck für 
ihren Freund, daß es nur ein voräberraus 
ſchender Pfeil war. Denn wehe dem, der 
hier von einer Krankheit befallen wuͤrde! 
Mein Schuͤler hat ſich, ohne mein Heiſſen 
und Wiſſen, nach Huͤlfe umgeſehen: aber 
wo haͤtte er ſie gefunden, wenn ich ihrer 
beduͤrftig geweſen wäre? — Die Gefells 
ſchaft ſcheint in dieſem, wie in manchem 
andern Stuͤcke, dieſer armen Glieder voͤl⸗ 
lig uneingedenk zu ſeyn. Aerzte, Apothes 
cken, ee ſind in mo. ges 

haͤu⸗ 


ohne Vorurtheil. 207 


haͤufet, hier — gar keine. Die verlaſſene 
Menſchlichkeit zwar iſt genug gerächet, da 
die Natur dieſe ihre Lieblinge mit dauer- 
hafteren Körpern begabet, als die bei ei⸗ 
nem geringen Hauche kraͤnkelnden Staͤdter, 
welchen die Verzaͤrtelung der Erziehung, 
die Kuͤnſteley der Kuͤche, und ihre traͤge 
Unbehuͤlflichkeit, ein fruchtbarer Urſprung 
ſo mancher unter den ſich ſelbſt gelaſſenen 
Landleuten fremder Krankheit, dieſe Heere 
von Aerzten unentbehrlich machen. „ 
„Und wer wird die Aerzte unter 
Leuten bezahlen, welche, wie Sie ſelbſt 
ſagen, nur kümmerlich ihr Leben durch⸗ 
ſchleppen v ft Ihnen die Frage nicht ent⸗ 
weder ſelbſt beigefallen? oder von andern 
gemacht worden? — Wer ꝛ der Staat! 
Kann eine Ausgabe beſſer als zu Erhal- 
tung ſo mancher tauſend ſeiner Buͤrger an⸗ 
gelegt ſeyn? Und muß dann der Arzt eben 
ſo uͤberzahlet werden? Ich weis zwar, daß 
es fein Beruf iſt, das Leben der Bürger. 
durch ſeine Kunſt zu ſichern: daß er es iſt⸗ 
Schaͤtze zu ſammeln, das weis ich nicht. „ 
„Aber wle ? wenn der Staat die Orden, 
denen frommer Beruf es zur Pflicht macht, 
der Kranken zu warten, und die durch die 
Vor⸗ 


208 Der Mann 


Vorſorge der Landesfürften, oder die Mild⸗ 
thaͤtigkeit ſo mancher Patrioten in Stand 
geſetzt ſind, der Menſchlichkeit und ihren 
Mitbuͤrgern dieſen Dienſt zu erweiſen, 
ohne dagegen einen Lohn zu erwarten, 
wenn er dieſe aus den Staͤdten, wo an 
Aerzten, an Wartung, an wohlgeſtifteten 
Krankenhaͤuſern kein Abgang iſt, auf das 
offene Land, wo es an allen dieſen fehlet, 
verſendete? Wie manchen zu frühen Raub 
wuͤrden ſie dem Tode entreiſſen! wie man⸗ 
chen Buͤrger dem Staate erhalten! Durch 
welche heilige Bande wuͤrden ſie ſich die 
allgemeine Dankbarkeit verpflichten! Wie 
wuͤrde ſie der Landmann — als Engel 
wuͤrde er ſie verehren. „ 

„Waͤre doch dieſer Brief fo glücklich, 
in die Haͤnde derjenigen zu verfallen, die ei⸗ 
nen nur hingeworfenen Vorſchlag bis zu 
feiner Reife hinan zu führen, den Willen 
und die Gewalt haben! welche Freude et⸗ 
was zum Wohl der Geſellſchaft beigetragen 
zu haben, fuͤr „ 

ihren ergebenſten = 
den Verfaſſer. 


XXVII. 


ohne Borurtheil. 209 
XXVII. 


Wien den 10. Jun. 1766. 
Mein Freund!? 


* Das waͤren nun freylich Toͤne, die 
in den Ohren ihrer Hinterlaſſenen keine 
liebliche Muſik find, dieſe pathetiſchen Kla⸗ 
gen uͤber das Elend des Landmannes, um 
welches wir uns ſehr wenig bekuͤmmern, 
und von dem wir eilfertig die Augen ab- 
wenden, um in unſrer weichlichen Fuͤhl⸗ 
loſigkeit nicht durch unwillkuͤhrliches Mit⸗ 
leiden geſtoͤret zu werden. Haben Sie 
denn keine angenehmere Dinge an uns zu 
überſchreiben? — — Im Ernſte nicht? 
wohl! fo kommen Sie immer wieder zu⸗ 
ruͤcke, wo ihrer eine reiche Aerndte wartet! 

„Wie lang iſt es, daß Sie uns ver: 
laſſen haben? ungefaͤhr, drey Wochen? mit 
jeder Woche find die Geſichter unſrer Pu— 
pen um ein paar Zoll gewachſen, und 
ſie machen nun von der Spitze des Kins 
an, bis zur oberſten Locke gemeſſen, ges 
rade einen und ein Viertel hieſigen Wert: 
ſchuh aus. Ich erhielt von einem ganz 
artigen Maͤdchen, das in der Kunſt, einen 

II. Theil. O Kopf 


210 Der Mann 


Kopf aufzuſtuͤtzen, eine Gattung von Wolf 
iſt; fo methodiſch weis fie die Urſache an⸗ 
zugeben, warum eine Locke da ſteht, 
wo ſie ſteht, und warum ſie nicht an⸗ 
ders ſteht; von dieſem Maͤdchen erhielt 
ich eine umſtaͤndliche Beſchreibung eines 
neumodiſchen Kopfes, im Ganzen, und in 
allen feinen Theilen, und nach den Ver- 
hältniſſe aller Theile unter ſich. Ich 
gab vor, ich waͤre von einer Freundinn 
aus der Provinz darum erſucht worden, 
welche durch dieſen Aufſatz in einer Ge⸗ 
ſellſchaft die hochmuͤthige Frau von === 
wollte aus der Haut fahren machen, die 
nicht lange von Wien gekommen wäre , 
und an der Geſtalt ihrer Blenden) und 
an dem Schnitte ihrer Saloppe, und an 
dem Schwunge ihrer Manſchetten ſehr 
viel auszuſetzen wüßte; die ſich ſogar haͤt⸗ 
te verlauten laſſen, fie finde ihre ganze 
Tracht ſo altfraͤnkiſch, als ſie ſchon vor 
vier Monaten in Wien nicht mehr geſehen 
worden. Ich weis nicht, ob Sie mich mit 
allen den Kunſtwoͤrtern verſtehen werden, 
ü die 


) Was die Franzbſinnen in ihrer Technologie 
les papillons nennen. 


ohne Vorurtheil. 271 


die in dieſes Meiſterſtuͤck einer cypaſſiſchen 
) Schilderey mit eingeflochten find. „ 
V Sie ſagte mir alſo: das ſchoͤnſte 
Ebenmaaß eines Frauenkopfes waͤre ein 
Viertheil der Breite zu einem Ganzen 
der Hohe, dergeſtalt, daß ein Geſicht, 
alles, Eigenes und Fremdes mit begriffen, 
gerade viermal ſo hoch, als breit ſeyn 
ſoll. “) Sind nun von einem Ohre zum 
andern vier Zoll — welches das ſchoͤnſte 
Ebenmaaß eines Geſichtes, und gerade 
das ihrige waͤre — ſo muͤſſe es ſechszehn 
O 2 Zoll 


*) Cypaſſis, eine berühmte Zaarkrauſerinn der 
Rbmerinnen. 


%%) Ungefähr nach dieſem Blatte läßt ſich der 
Lauf der Moden in ihrem Kreiſe, und ihre 
Wiederkehr beinahe mit eben der Genauheit 
beſtimmen, als Lalande den zagenden Pari⸗ 
ſerinnen die Wiederkehr des Kometen beſtimm⸗ 
te, deſſen furchtbarte Schweif das Opernhaus 
zerſtöhren, und das Bois de Bonlogne ſengen 
ſollte. Da der gethürmte Kopfſchmuck, der 
in Mitte des 1766ſten Jahres Mode war, zum 
Anfange des 1781ſten Jahres auf unſerm Ge⸗ 
ſichtskreiſe wieder ſichtbar geworden, ſo iſt der 
Lauſkreis der Mode auf 14 Jahre 7 8 Mo⸗ 

Nate zu berechnen. 


212 Der Mann 


Zoll im Ganzen „das iſt, wie ich geſagt 
habe, einen ein viertelſchuh ausmeſſen. 
„In dieſem Ganzen muͤßte, nach ih⸗ 
rer genauen Ausmeſſung, das Geſicht ſie⸗ 
ben Zoll ausmachen, und reine neun Zoll 
fuͤr den Haarputz uͤbrig gelaſſen, von die⸗ 
ſen neun Zollen aber, fünf unabaͤnderlich 
fuͤr das Stirnhaar eingeraͤumet, die vier 
andern unter die Locken vertheilet werden. 

„Die Friſur mit dem ganzen Kopfe 
zuſamm muß die Geſtalt von zween ſtum⸗ 
pfen mit der Grundfläche aufeinander ge⸗ 
ſtellten Zuckerhuͤte nachahmen. Die Friſur 
allein ſtelle vollkommen eine Terraſſe vor, 
wovon das Stirnhaar vorne in einen Win⸗ 
kel zuſammlaͤuft, die Locken aber drey uͤber⸗ 
einander gelegte Baluſtraden, oder Ge⸗ 
Länder abgeben. „ 

„Die Locken haben abermal ihre rich⸗ 
tigen verhaͤltniſſe gegeneinander, ihre ei⸗ 
genen Benennungen. Die unterſten, wel⸗ 
che gerade auf dem Vorgrunde aufliegen, 
duͤrfen nicht mehr als drey Viertel zoll 
meſſen: fie heiſſen la premiere Rangée, 
die erſte Lage: die zweyten: les ſurveil- 
lans, die Aufſeher genannt, muͤſſen im 


vollen maſſe, fuͤnf Viertelzoll haben: die 
ober⸗ 


ohne Vorurtheil. 213 


oberſte Lage, les petits oeufs des Dindons, 
die kleinen Truteneyer, von ihrer Ge: 
ſtalt ſo genennet, haben zwey Zoll. Ruͤck⸗ 
waͤrts iſt eine groſſe lange Locke, die man, 
wie ſie ſagt, Frimas, den Reifen, oder auch 
die Contreſcarpe nennet, die zur Gegen: 
ſtütze dienet, worauf die gethuͤrmte Laſt 
von Haaren ruhet. „ 

V Dieſe Art von Kopſputz wird ala 
Guipfon getaufet, weil das Stirnhaar ei⸗ 
ner Art von Bürſte nicht unaͤhnlich iſt, wo⸗ 
mit der Boden der Schiffe geteeret wird. 
Seine gewoͤhnliche Verzierung iſt, von 
vorne eine von der Mitte gegen die Linke 
fallende Guirlande, und ruͤckwaͤrts eine 
Voile ferlèe, das iſt: ein eingezogenes 
Segel, um unter den Wind zu fahren. „ 

„Es giebt, ſagte fie, noch eine andre 
Art von Aufſatze, die ſeit einiger Zeit mit 
dieſer um den Vorzug ſtreit, aber ihn, wie 
ſie ſich gewiß vorher zu ſagen getrauet, 
nimmermehr behaupten wird. Die Ans 
haͤnger und Befoͤrderer derſelben nennen 
ſie la Gargouille, nach dem Kunſtworte der 
Wappenkunſt, fo ſchlangenförmig bedeu⸗ 
tet; welches Wort aber die Gegner dieſer 
verunſtaltenden Neuerung mit einem Wort⸗ 

O 3 ſpie⸗ 


214 Der Mann 


ſpiele in Barbouille abgeändert haben. Das 
Ebenmaaß des Ganzen ift mit der à la 
Guipfon ganz uͤbereinſtimmend: aber die 
drey Range verlaufen ſich hier in einander 
in das Stirnhaar, und machen halbmond⸗ 
foͤrmige, gegen einen gemeinſchaftlichen 
Mittelpunkt zulaufende Locken aus, die 
dem Kopfe eine etwas ſpitzſaͤulenmaͤſſige 
Form geben, welches das groſſe Hinderniß 
ihrer allgemeinen Aufnahme iſt, ob ſie gleich 

mit einem eignen Boten uͤber Aachen hie⸗ 
her geſendet, und durch drey der liebrei⸗ 


zendſten Köpfe empfohlen worden. „ 


„Damit ich meiner vorgegebenen Freun⸗ 
dinn ein vollſtaͤndiges Werk liefern koͤnnte, 
welches ſie in keinem Falle verlaͤßt; ſo war 
meine Lehrmeiſterinn von der vorſorgenden 
Güte, noch die mancherley Abmeſſungen 
und Geſtalt des Haarputzes im Verhaͤlt⸗ 
niſſe mit den gauben hinzuzuſetzen. Sie 
unterſcheidet ſehr weislich eine Haube à 
pleine caprice — à demi caprice — und 
a Tavanture, „ 

„A pleine caprice heißt ſie, wenn 
auf der Terraſſe des Stirnhaares ſchon la 
premiere rangee, und les ſurveillans fer- 
tig ſtehen; aber die unzufriedene Schoͤne 

aus 


ohne Vorurtheil. 215 


aus eitelm Eigenſinne ſtatt der letztern 
Reihe Locken ein gaubchen aufleget, deſſen 
beide Blendchen die Sylphenſchwingen 
des laurenden Amors vorſtellen — Sie er⸗ 
innert ſehr vorſichtig: es muͤſſe ſich jedes 
Geſicht ſelbſt wohl unterſuchen, ob ihm 
dieſes Kopfzeug vortheilhaft waͤre? weil 
gewiſſe Bildungen, z. B. die runden, fett⸗ 
lichten Geſichter dadurch ganz unertraͤglich 
wuͤrden; auch das hintere Segel zu wer⸗ 
fen, eine ſehr geſchickte Hand erfoderlich 
ſey — 

„Es laͤßt ſich nun leicht erachten, was 
eine Haube à demi caprice iſt: nämlich 
diejenige, wo die Schoͤne, nach der erſten 
Lage der Locke eine Laune befaͤllt, und ſie, 
wie etwan ein Baumeiſter, den der Win⸗ 
ter uͤberfallen hat, nur unter Dach zu kom⸗ 
men eilet. Hier muß demnach der Srimas 
ganz wegbleiben, weil die Haube zur Haͤlf⸗ 
te uͤber den Chignon hinabſteigt. Es ſoll, 
nach ihrer Erinnerung, von einer Blende 
zur andern wenigſtens ein Zwiſchenraum 
von drey Zollen gelaſſen, und die Zang⸗ 
ſtreife “) in dem guͤnſtigen Ebenmaaſſe in 

O 4 drey 


) Madam La ... wird es einem deutſchen 
Au⸗ 


216 Der Mann 


drey auch vier verlorne Stufenfalten ges 
legt ſeyn. „ | 
„Jedoch die Haube à P'avanture, die 
muß ihr Guͤnſtling ſeyn. Sie ſcheint ih⸗ 
ren Namen von der Bequemlichkeit oder 
der Beſtimmung empfangen zu haben. 
Sie fodert nur ſehr wenige Augenblicke, 
und huͤlft den offenen laͤchelnden Geſich⸗ 
tern, oder auch den läſſigen Laurerin⸗ 
nen auſſerordentlich auf. Koͤnnte Venus 
ihre goldnen Haare jemals unter eine Hau⸗ 
be zwingen; ſo wuͤrde ſie dieſe Tracht waͤh⸗ 
len, wenn ſie den reiſigen Jaͤger Adonis 
am fruͤhen Morgen zu belauſchen, und ſei⸗ 
ne Niederlage beſchloſſen haͤtte. Sie wuͤr⸗ 
de dann zu ihrem Vulkan wiederkehren, 
ohne Unordnung, ohne Verdacht — eg 
5 E 


Autor vergeben, der verwegen genug, einen 
Verſuch zu wagen, ob es möglich ſeyn möch⸗ 
te, der Eleganz und Kigenthümlichkeit der 
franzöſiſchen Putzſprache, in etwas nahe zu 
kommen. Er fühltes ſelbſt, wie weit Zang⸗ 
ſtreif noch hinter Barbe gelaſſen iſt, womit 
fie und ihre Kunſtverwandtinnen den langen 
Streifen bezeichnen, welcher an den Frauen⸗ 
hauben zu beiden Seiten rückwärts hinab⸗ 
ſteigtt. 


ohne Borurtheil, 217 


läſſige Putz iſt dennoch nicht ohne alle 
Kunſt. Das Stirnhaar muß hoͤher, als 
bei den andern allen emporſteigen. Das 
Loͤckchen, in welches ſonſt das Seitenhaar 
zulaͤuft, wird weggelaſſen, an deſſen ſtatt 
die Haare mit kuͤnſtlicher Unachtſamkeit 
hinter das Ohr gelegt werden, wobei ein 
kleines, wohlangedruͤcktes Ohr — eine 
Schoͤnheit, die ſonſt immer verborgen 
bleibt — ſehr in die Augen faͤllt. Es darf 
nicht uͤbergangen werden, daß die Blen⸗ 
den ſo genau an beide Schlaͤfe angedruͤckt 
ſeyn muͤſſen, daß keine Lage des Kopfes 
daran leicht eine Verwuͤſtung anzuſtellen 
fähig iſt — „ 
„ Was deucht Ihnen von dieſer puͤnkt⸗ 
lichen Beſchreibung aller Kopftrachten ? 
Ihr geſchickter Freund, Herr Schmutzer, 
hat mir verheiſſen, die verſchiedenen Koͤpfe 
alle in Kupfer zu bringen, in den Erhoh: 
lungsſtunden, die ihm fein Rubens) 
übrig laͤßt. Wir find Willens, zu je⸗ 
dem Kopfe ein ſchönes Original unter 
. un⸗ 
) Dieſer vortreffliche Kunftler arbeitete an einer 


Grablegung von Rubens, aus der fürftlich 
Lichtenſteiniſchen Bilderſammlung. 


218 Der Mann 


unfern Mädchen aufzuſuchen, um mehr 
Reiz und Leben hineinzubringen, und dann 
ein vollſtaͤndiges Werk auf Praͤnumeration 
zu veranſtalten, welches, wie ich hoffe, 
guten Abzug finden ſoll — „ 

„Ich ſehe Sie mit Ungeduld das Blatt 
umſchlagen. Ich hoͤre Sie fragen: wie ? 
wußten Sie einen halben Bogen mit nichts 
Wichtigerem anzufuͤllen? und ich antworte 
Ihnen: nein, nichts, das einen krank 
geweſenen Freund, der mir ſeine Gefahr 
aus gefaͤlliger Sorgfalt vielleicht nur ver⸗ 
kleidet, zum Laͤcheln aufzuheitern faͤhiger 
waͤre. Wann ich erſt eine Beſtaͤttigung 
ihres hergeſtellten Wohlſeyns erhalten ha⸗ 
ben werde, dann ſollen Sie ernfihaftere 
Neuigkeiten erhalten von „ 


ihrem Freunde 
56565 5 „ „ „ „ „ A 


XXVIII. 


ohne Vorurtheil. 219 
XXVIII. 
Wien den 11. Juny 1766. 


Mein Freund! 


* Eue, ſagte ich zu dem Boten, der Ih⸗ 
nen dieſes Schreiben behaͤndigen wird, und 
weiche weder zur Rechte noch zur Lin. 
re ab, und ſieh nicht hinter dich, damit 
du nicht ſaͤumeſt, und er bald wieder⸗ 
kehre, an den ich dich ſende! — denn 
nun, Sie duͤrfen durchaus nicht ihre Reiſe 
vollenden — „ 

„Das war fie eben, die ernſthafte 
Neuigkeit, mit der ich Sie nicht gerne un⸗ 
terhalten wollte, ſo lange Sie krank ſeyn 
duͤrften: aber es iſt durchaus nothwendig, 
daß Sie ſolche wiſſen, ehe Sie ihren Staab 
weiter ſetzen. Die Foderungen ihrer Leſer 
werden ungeſtuͤmm. Einige rufen Sie zu⸗ 
ruͤcke aus Ungeduld, einige aus Unzu⸗ 
friedenheit uͤber mich — denn ich weis 
nun zuverſichtlich, daß ich die Ehre habe, 
manchem ſpitzen Kopfe, und manchem an⸗ 
gedruͤckten Haͤubchen zu mißfallen — und 
endlich einige ſprechen in dem drohenden 

Tone. 


220 Der Mann 


Tone. Urtheilen Sie ſelbſt, was Sie zu 
thun haben werden, aus dieſen Bin⸗ 
ſchlüſſen! Ich habe wegen der Verfaſſer 
einige Muthmaſſungen; aber ich behalte 
es mir vor, fie Ihnen bei ihrer Nuͤckkunft 
mitzutheilen. Wenn ich recht muthmaſſe, 
ſo ſind es Geheimniſſe, die nur ins Ohr 
wollen geſagt werden. „ i 

„ In der That, ſo gerne ich uach ihre 
Anmerkungen uͤber einen wichtigen, einen 
von aller Welt hingeworfenen Gegenſtand, 
geleſen haben wuͤrde; ſo ziehe ich doch das 
Vergnuͤgen ihrer Gegenwart und perſoͤn⸗ 
lichen Unterredung allen ſchoͤnen Betrach⸗ 
tungen, die Sie mir von ferne zuſenden 
muͤſſen, vor, und ſage es Ihnen hundert⸗ 
mal lieber, als ich es einmal ſchrelbef daß 
‘ ich bin „ 
ihr ergebenſter 


Erſter Einſchluß. 
Mein Herr Mann ohne Vorurtheil! 
3 Dee Wochen gehen unſre Thoren mit 
emporgeſchlagenem Haupte, und ſind, wie 


die Roſſ' und Maͤuler, die beinen Verſtand 
ha⸗ 


ohne Vorurtheil. 221 
haben. Eilen Sie, mit Zaume und Kinn⸗ 


kette ihre Backen anzuziehen, und ihre Naſe 


zu baͤndigen! oder die Frucht ihrer halb⸗ 
jaͤhrigen Arbeit iſt dahin. Wahrlich, gu⸗ 
ter Schriftſteller, der Einfall war ſo ziem⸗ 
lich launhaft — denn ich will nicht grül⸗ 
lenhaft ſagen — ſich da auf das Land zu 
verlaufen. Sie wollten doch den Bauern 
nicht etwa ihr Elend dadurch empfindlicher 
machen — daß Sie ihnen ſagten: ihr ſeyd 
elende! Die guten Leute mußten es wohl 
fuͤhlen, daß ſie es ſind. Und wollten 
Sie es uns etwa ſagen; ſo kaͤme mir das 
eben ſo vor, als wenn Sie nach Indien 
reiſen wollten, um uns von den Leckerbiß⸗ 
chen der neuen Welt zu warnen. Der 
Prediger muß ſich zu den Zuhörern ver⸗ 
fügen, wenn dieſe ihm nicht nachgehen; 
und da haben wir nicht eben Luſt, die 
Stimme des Rufenden in der Wuͤſte auf⸗ 
zuſuchen. „ 

„Noch eines, mein Herr! glauben 
Sie wohl, daß der Gegenſtand, uͤber den 
Sie im XXV. und XXVL Blatte fo 
heftig deklamirten, ein beliebter Gegen- 
ſtand iſt? Ein Maler, der einen ſiechen 
Menſchen zeichnet, deſſen Wunden von 

Ei⸗ 


— 


222 Der Mann 


Eiter triefen, wuͤrde defio mehr Ekel er⸗ 
wecken, je genauer er die Natur traͤfe. 
Was iſt denn ihrem lieben Landmanne mit 
l unfruchtharen en Ber 
net? 


.. Verba nil proßicienkin, fruſtra 


„Kehren Sie alſo bald wieder zuruͤcke, 
wo Sie unter Gegenſtaͤnden waͤhlen koͤn⸗ 
nen! unter anziehenden Gegenſtaͤnden, die 
den herzhaften Mann ohne Vorurtheil ſo 
eigentlich charakteriſiren, und von den fro⸗ 
ſtigen Alletagswochenblaͤttern unterſchei⸗ 
den! Bei ihrer Wiederkunft wird Ihnen 
der ganze Kreis meiner Freunde zufauch⸗ 
zen, und in ihrer Mitte 

ihr beſonderer Verehrer 
und eifriger Leſer P.. 


Zweyter Einſchluß. 


Mein Lieblingsſchriftſteller! 


ak Aber nicht vom ſchwarzen Brode, nicht 
von der lumpichten Hauswirthinn, von 
allen den Dingen nicht, die Sie uns ei⸗ 
nige Zeit her zu leſen geben! — Was habe 
ich 


ohne Vorurtheil. 223 


ich Ihnen — tauſend Dinge habe ich Ihnen 
zu ſagen! Ich bin ein Mädchen von ſte⸗ 
benzehn Jahren, in dem Alter, wo die 
Maͤdchen ganz von feuerfangendem Stoffe 
ſind, wo unſre Augen — Doch hiſch! ich 
moͤchte gleichwohl auch nicht fuͤr ein boͤſes 
Maͤdchen bei Ihnen angeſchrieben ſtehen. 
Ich will vor meinem Spiegel meine zuͤch⸗ 
tige Mine wieder aufſuchen — Nun da 
habe ich ſie erhaſcht, und trete nun, wie 
eine Nonne vor ihre wuͤrdige Mutter, mit 
beſcheiden niedergeſchlagenen Augen und 
ſittſamen Gebehrden vor Sie hin — „ 
„Wirklich weis ich itzt nichts von den 
tauſend Dingen, die ich Ihnen zu ſagen 
hatte; und ſie waren, daͤuchte mich, ſo 
wichtig, ſo nothwendig — Doch da faͤllt mir 
zum Gluͤcke das allerwichtigſte, das aller⸗ 
nothwendigſte, gerade dasjenige ein, wes⸗ 
wegen ich eben an Sie ſchreibe. Ich will 
mir nun ein feyerliches Anſehen geben. 
Hören Sie! Es iſt hier eine fuͤrchterliche 
Verſchwoͤrung von eiteln Maͤdchen gegen 
ihr Blatt. Ich ſelbſt habe aus dem Becher 
der Verſchwoͤrung getrunken, und es iſt 
mir von meinen Mitſchweſtern aufgetra⸗ 
gen, Ihnen zu bedeuten: woferne Sie in 
drey⸗ 


124 Der Mann 


dreymal vier und zwanzig Stunden nicht 
wieder in dieſe Stadt zuruͤck kaͤmen, ſo 
wuͤrde nicht nur keine von unſerm Mittel 
ein Blatt leſen; ferner wir wuͤrden auch 
unſern Liebhabern, bei der empfindlichen 
Strafe, uns drey Monate lang keine Thor⸗ 
heit vorzuſagen, auferlegen, unſer Beifpiel 
nachzuahmen — Das waͤre ein ewiger Hohn 
fuͤr unſere Reize: wie? die franzoͤſiſchen 
Maͤdchen ſollen im letzten Kriege auf dieſe 
Art eine Flotte errichtet haben, und wir 
Wienerinnen, wir ſollen nicht im Stande 
ſeyn, eine Wochenſchrift zu unterdruͤcken —,, 

Wir find mit ihrem beiſſenden Kor⸗ 
reſpondenten durchaus nicht zufrieden, und 
wollen Sie nun einmal ſelbſt wieder hier. 
Verachten Sie unſre Drohung nicht! Sie 
ſind klug genug, die Groͤſſe der Gefahr 
einzuſehen. Denken Sie! bis funfzig 
Verſchworne, worunter ich nur von mit⸗ 
terem Range bin — und die ſchaalen Koͤ⸗ 
pfe, die um mich herum klaffen, mitge⸗ 
zähle, entfuͤhre ich allein Ihnen etlich und 
zwanzig Leſer. Rechnen Sie nun auf zehn 
des erſten Rangs fuͤr jede dreyſſig; nur 
zwanzig auf zwanzig von mitterem Schla⸗ 
ge; und auf die übrigen zwanzig vom 

Troſ⸗ 


— 


ohne Vorurtheil. 225 


Troſſe überhaupt nur zehn — Rechnen 
Sie ein wenig! Armer Verleger! armer 
Schriftſteller! — Aber noch ſteht es bei 
Ihnen, das Schreckengewitter, das ſich 
uͤber ihrem Haupte zuſammgezogen, zu 
zerſtreuen, wenn Sie gehorchen 

ihrer, aber nur ihrer begierigen 

Leſerinn Cͤcilie. 


Dritter Einſchluß. 


In einem Umſchlage: an den zurück⸗ 
gelaſſenen Rorreſpondenten des Man⸗ 
nes ohne Vorurtheil. 


Mein Herr! 


55 Sie ſind der Bevollmaͤchtigte des Man⸗ 
nes ohne Vorurtheil! melden Sie ihm 
von mir in zwey Worten: er habe ſu waͤh⸗ 
len — zwiſchen einem anfehnlichen Ehren⸗ 
gelde, wenn er die Materie verlaͤßt, in 
die er eingeſchlagen — da, wo er ſteht, 
ohne einen Schritt vor ſich zu ruͤcken — 
oder zwiſchen der härtſten Begegnung, 
wo er gegen den Stachel ausſchlaͤgt, und 
tiefer in das eindringt, was nie ein Ohr 
hoͤren, noch ein Aug ſehen ſollte — 
II. Theil. P „Mel: 


226 Der Mann 


„Melden Sie ihm auch: er ſoll aus 
Liebe zu denen, fuͤr die er eifert, dießmal 
feiner Hartnaͤckigkeit, oder wenn er fo will, 
Standhaftigkeit gebieten. Wenn unſre 
Hunde entlaufen wollen; ſo befehlen wir 
den Jaͤgern, die Stricke deſto feſter an⸗ 


zuziehen.) 
ohne Unterſchrift. 
XXX. 


8 

) In Mitte meiner Über das Landvolk, Über 
der Hülfloſigkeit, worin ſie die öffentliche 
Aufſicht läßt, über die Bedrückungen der un⸗ 
tergeordneten Deſpoten, erhielt ich Befehl, 
von dieſem Gegenſtande zu ſchweigen. Man 
hatte, dieſen Befehl zu bewirken, ſich des 
Vorwandes bedienet, daß die kleine Unruhe, 
welche das Landvolk in einigen Gegenden er⸗ 
regte, eine Folge dieſer Blätter wäre. Welch 
elendes Geſchwätz! Das Landoolk las nicht: 
aber einige ihrer Unterdrücker laſen, und es 
bewies, daß die darin vorkommenden Ge⸗ 
mählde treffend waren, weil man dem Ma⸗ 
ler wenigſtens den Pinſel aus den Händen zu 
reiſſen, nichts unverſucht ließ. Man hätte 
ihm freylich lieber die Hand gelähmt. Erſt 
nach vielem Betriebe und Anliegen, ward mir 
das nächſte Blatt auszugeben bewilliget, um 
doch eine Art von Ausgang zu finden. 


ohne Borurtheil, 227 
XXX. 


Dietl habe ich der Zunoͤthigung des 
Freundes Gehör gegeben, und hier. if 
meine Urſache! Der, der mich, nicht nach 
dem, was ich ſchreibe, ſondern nach dem, 
was ihm Leidenſchaft eingiebt, richtet — 
der lange ſchon nichts unverſuchet laͤßt, die 
freymuͤthige Feder mir aus den Haͤnden zu 
winden; bei dem man nicht ehrerbietig 
if, man waͤlze dann ſich im Staube; nicht 
gehorſam, man hoͤre dann auf, den Vor⸗ 
theil des Gehorſams zu empfinden, und 
werde eine Maſchine; der hoͤre ſie be⸗ 
ſonders, dieſe Urſache! 

Als ich die Stadt verließ, dachte ich, 
mit meinem Zoͤglinge den Kreis aller Pro⸗ 
vinzen abzugehen, und eine Staͤtte zu fin⸗ 
den, wo ich ſagen koͤnnte: hier iſt es gut 
wohnen, wir wollen uns zwo gütten 
bauen — Es war zu vermuthen, daß ich 
dieſe Stätte, zunaͤchſt vor den Linien dieſer 
Stadt weder ſuchen, noch finden wuͤrde. 
Wenn ein Schiffbruͤchiger den kleinen Ue⸗ 
berreſt ſeiner geborgten Guͤter bei dem 
Sonnenſcheine trocknet, ſo leget er ſie 
nicht nahe an das Geſtad, wo die uͤber⸗ 

x P 2 ſchla⸗ 


228 Der Mann 


ſchlagende Welle fie abermal netzen koͤnn⸗ 
te, er entfernt ſie bis an den Platz, wohin 
die Flut nie reichet — Es war aber auch zu 
vermuthen, daß ich auf dieſer Reiſe nicht 
in den Schloͤſſern der Reichen abtreten 
wuͤrde. Wir, ſie und ich, haben zu we⸗ 
nig Gemeinſchaft mit einander; und man 
wuͤrde Reiſende, die vor dem Thore des 
öden Palaſtes zu Suffe angekommen wären, 
auch nie da aufgenommen haben. Vier 
Pferde, einige Bediente wenigſtens, muͤſſen 
ſich zeigen, wenn die Zuͤgbruͤcke fallen ſoll. 
Man nimmt Gaͤſte nicht auf, die nur we⸗ 
nige Ungelegenheit machen werden: man 
muß die Einkünfte vieler Tage verzehren, 
um ein gaſtfreyes Nachtlager zu erhal⸗ 
ten — 

Gleichwohl wird man nicht etwa fo⸗ 
dern, daß wir unter dem freyen Himmel 
uͤbernachten ſollten. Wir waͤhlten alſo eine 
niedere Schaubhuͤtte, und nun, ihr Her- 
ren! wie haͤtte ich es hier machen ſollen, 
um es euch recht zu machen? Haͤtte ich 
geſagt: Bei unſerem Eintritte empfieng 
uns mit ungekünſtelter Offenherzigkeit 
eine Frau, ungeputzet aber reinlich, 
in einem Stoffe gekleidet , den ſie 

mit 


ohne Vorurtheil. 229 


mit ihren Töchtern ſelbſt verfertiget — 
Seyn Sie mir willkommen liebe Rei⸗ 
ſende — haͤtte ſie ausgerufen — daß Sie 
unſre gütte lieber, als eine andre be⸗ 
ſuchen! Sie werden hier nicht fo wohl 
bewirthet werden, als bei jedem an⸗ 
deren unſerer Nachbarn: aber Sie kön⸗ 
nen wenigſtens niergend lieber bewir⸗ 
thet werden. Nach dieſer freundlichen 
Anrede hätte uns die gute Zauswir⸗ 
thinn eine eigene Kamer angewieſen, 
worin für jeden ein gethürmtes Bett 
geſtanden wäre. Dieſe Ramer wäre 
fonft die Vorrathskamer der Bäurinn. 
Auf zween Stangen, die in die Gue⸗ 
re ſchwebten, wären ungeheure Laibe 
Brod gereihet geweſen. Geräucherte 
Schinken, und halbe Maſtſchweine wa⸗ 
ren an den hölzernen Wänden gehan⸗ 
gen, oder gelehnet; in der einen Ecke 
in einem Safle ausgelaſſene Butter, in 
der andern Erbſen, Bohnen, gefauret 
Rraut, und andrer Vorrath für den 
Winter geſtanden. Alles dieſes hätte 
das Raͤmerchen mit einem nicht wider 
ſtehenden Geruch angefüllet. Wir hat⸗ 
ten nun davon Beſitz genommen; und 
P 3 da 


230 Der Mann 


da hatte ſich inzwiſchen die gröſſere der 
Töchter in dieſem Nämerchen viel zu 
ſchaffen gemacht, um meinen jungen 
Gefährten mit vergnügen zu betrach⸗ 
ten — Inzwiſchen wären ſieben fette 
Kübe, die durch ihr Geſchrey die Magd 
gleichſam herbeigerufen, durch den wei⸗ 
ten Sof geſchritten, worin es von Ge⸗ 
flügel gewimmelt hätte. Man hatte 
die Kühe ſogleich gemelket; und unſre 
ſorgfaͤltige Wirthinn hatte uns in ei⸗ 
ner hölzernen, wohl geſcheuerten Schüf- 
ſel, bis das Abendmahl bereit wäre, 
Thaumende Milch, und Brod von dem 
beſten Weizen vorgeſetzt — Nun wäre 
der Bauer, von zween Söhnen beglei⸗ 
tet, von feinem Felde wiedergekehret. 
Sechs Ochſen wären vor ihm berge- 
zogen, wie die Maſtochſen zu einem 
Gaſtmahle. Das groſſe Maͤdchen wäre 
ihm entgegen geeilet, und hätte ihm 
von ferne zugerufen: Vater! wir ha⸗ 
ben Gaͤſte! — deſto beſſer! hätte er ihr 
wieder zugerufen: forget, daß es fie 
nicht gereue, bei uns eingeſprochen zu 
haben, u. ſ. w. — Hätte ich fo eine Be⸗ 
ſchreibung gemacht, wie ungefähr ein jun; 
ger 


ohne Borurtheil. 231 


ger Dichter, der ſein Kenntniß des Land⸗ 
lebens aus dem laͤndlichen Dichter geſchoͤ⸗ 
pfet, oder vielleicht ſeinen Wunſch fuͤr 
Wahrheit hingeſetzt hat: was — wuͤrdet 
ihr mir zugerufen haben — wo habet 
ihr in der Welt ſolches Landvolk ge⸗ 
funden, Träumer! Recht! ich habe kei⸗ 
nes gefunden; aber nun ich es ſo beſchrei⸗ 
be, wie es iſt, da erwecke ich den Anklaͤ⸗ 
ger, der nur ſchlummerte. 

Aber ich hatte von dem Landvolk ganz 
ſchweigen mögen — Verzaͤrtelte See⸗ 
len! ertraͤgt ihr das Bild des Elendes 
nicht; ſo hoͤret auf, es durch eure Schuld 
wahr zu machen! Es iſt nuͤtzlich, daß man 
euch dahin zu ſehen zwingt, daß man vie⸗ 
len unter euch ſage: ſieh da das Werk 
deiner Hände! daß man zu den andern 
ſpreche: er, deſſen Noth du ſiehſt, iſt 
dein Bruder! — Der erſte, und ehr⸗ 
würdigſte unter allen Künften iſt der 
Ackerbau: aber Vorurtheil, Weichlich⸗ 
keit, Eigennutz, haben ihn aus feinem 
Range verdraͤnget, haben ihn zur letzten, 
zur ungluͤcklichſten aller Beſchaͤfftigungen 
gemacht. Defto übler für die Geſellſchaft! 
fuͤr den Staat! 

P 4 Was 


232 Der Mann 


Was man immer ſchreibt; fo giebt es 
haſtige Wortverdreher, die gleichſam mit 
ihrem Hauche das Wort vergiften, das 
durch ihren Mund faͤhrt. Wer haͤtte er⸗ 
wartet, daß man das Mitleiden eines 
Reiſenden, die Unterſuchung eines Men⸗ 
ſchen, der fi) und einen andern unter⸗ 
richtet, ſo kuͤhn ausdeuten, daß man ge⸗ 
heimen Verſtand darin ſuchen, daß man 
Anwendungen machen duͤrfte? Man hat 
es gethan, und diefes ‚, nicht die Ver⸗ 
ſchwoͤrung Caͤciliens, noch die Drohung 
des Unbekannten hat mich bewogen, mit 
meinem Gefaͤhrten in die Stadt wieder zu 
kehren. Er hat genug geſehen, um mir 
zu ſagen: ich ſehe, ich würde als Land⸗ 
mann nicht glücklich ſeyn. | 

Wird er es bei einer anderen Beſchaͤffti⸗ 
gung, und bei welcher wird er es ſeyn? — 
Ich wuͤnſche, daß wir in der Ueberlegung, 
die wir zuſamm daruͤber anſtellen werden, 
nicht wieder geſtoͤret werden moͤgen! 


r 


An 


ohne Borurtheil. 233 


2 * % 
An den Herren Verfaſſer des 
b XXVIII Blattes. 


Mein Herr! 


7 Die ſchönen Röpfe, wie Sie es nen⸗ 
nen, in der ganzen Stadt ſind durch ihre 
geometriſche Feder laͤcherlich geworden; 
nun traͤfe die Reihe auch die naͤrriſchen 
Köpfe, mit ihrer Erlaubniß, fo zu re⸗ 
den. Einem ſo fruchtbaren Geiſte wird 
es nicht an angemeſſenen Kunſtwoͤrtern feh⸗ 
len koͤnnen, womit er die mancherley Fri⸗ 
ſuren bezeichne, und unterſcheide. Ich 
empfehle beſonders das hohe Toppee ei⸗ 
nes gewiſſen jungen W... zu geneigtem 
Wohlwollen. Es hat nach meinem Au⸗ 
genmaſſe gute fünf Zoll; und wenn ich 
nicht zuverlaͤßlich von ſeinem Friſeur wuͤß⸗ 
te, daß er es ſich mit beiden Haͤnden ei⸗ 
gens untergraͤbt, damit es nur recht hoch 
empor ſtehe; ſo glaubte ich, er haͤtte eine 
Beile an dem Kopfe, und ſein Verſtand 
duͤrfte Gefahr laufen. „ 

„Wie bei uns in freye Köpfe und 
Bauben, fo koͤnnen Sie hier die Einthei⸗ 
P 5 lung 


234 Der Mann 


lung in eigen Haar und Perücken machen! 
Es wird jede nicht weniger poſſirliche Un⸗ 
tertheilungen darbieten. Wir wollen ſe⸗ 
hen, ob Sie ſich getrauen unpartheyiſch 
zu ſeyn, und ſich verbindlich machen wol⸗ 
len „ | 

| | Eleonoren. 


1. 


D a der Stand, worin man allein un⸗ 


abhaͤngig leben kann, uns nicht anſteht; 
fo iſt es nothwendig, unter denen eine 
Wahl zu treffen, wobei man auf die Un⸗ 
abhaͤngigkeit Verzicht thun muß — Ich ſe⸗ 
he deine Unruhe, mein Freund! ein Herz, 
wie das deinige / laͤßt ſich nur mit vielem 
Zwange Ketten anlegen. Aber hebe deine 
Augen auf! ſieh um dich her! und, wenn 
du kannſt, fo waͤhle, wo du frey ſeyſt — 
Dieſer Seufzer, der vor mir vergebens un⸗ 
terdruͤckt wird, iſt eine deutliche Antwort. 
Laß dich denn leiten, da dein Schritt al⸗ 
lein wankend iſt! 

Der naͤchſte an dem Stande des Land⸗ 
mannes iſt der Stand des gandwerkers, 
Er wuͤrde gluͤcklich ſeyn, wenn er durch die 

Ver⸗ 


nnn re 


E 


ohne Vorurtheil. 235 


Verpflanzung in die Staͤdte nicht gleichſam 
ausgeartet waͤre. Was fage ich, ausge⸗ 
artet er iſt verdorben, fo ſehr, als man 
es bei dem Elende ſeyn kann; und das 
Verderbniß des Elenden iſt ohne Heilung, 
es erſticket jeden Funken der Rechtſchaffen⸗ 
heit; denn er iſt durch keine aͤuſſeren Be⸗ 
ziehungen zuruͤckgehalten — Die Nieder⸗ 
traͤchtigkeit iſt ganz ſein Eigenthum. 
„Wenn ſie, um zu leben — ſagt Rouſ⸗ 
ſeau, den wir hier vor Augen haben, zu 
ſeinem Emil — zu ihren Haͤnden und dem 
Gebrauche, wozu ſie dieſelben anzuwen⸗ 
den wiſſen, ihre Zuflucht nehmen; ſo ver⸗ 
ſchwinden alle Schwierigkeiten, ſo werden 
alle Kunſtgriffe unnuͤtz. Das Zufluchtsmit⸗ 
tel iſt ſtets in dem Augenblicke bereit, da 
man es brauchet. Die Redlichkeit, die 
Ehre ſind keine Hinderniſſe mehr zu dem 
Leben. Sie haben nicht mehr noͤthig, nie⸗ 
dertraͤchtig und luͤgenhaft vor dem Groſſen, 
geſchmeidig, und kriechend vor den Schel⸗ 
men, auf eine veraͤchtliche Art gefaͤllig ge⸗ 
gen jederman zu ſeyn; einem etwas ab⸗ 
zuborgen, oder zu ſtehlen, welches, wenn 
man nichts hat, einerley if. Die Mei: 
nung andrer Leute ruͤhret ſie nicht. Sie 
5 ha⸗ 


236 Der Mann 


haben niemanden ihre Aufwartung zu mar 
chen, keinen Thorſteher zu bewegen, keine 
Buhlerinn zu bezahlen, und, was noch 
aͤrger iſt, ihr Weyhrauch zu ſtreuen. Daß 
= „ die groſſen Angelegenheiten führen , 
daran liegt ihnen wenig; das wird ſie nicht 
hindern, in ihrem unbekannten Leben, ein 
rechtſchaffener Mann zu ſeyn, und Brod 
zu haben — Sie treten in die erſte Werk⸗ 
ſtatt des Handwerkes, das ſie gelernet ha⸗ 
ben. Meiſter ich brauche Arbeit — Setzet 
euch Geſelle! da arbeitet! — Ehe die 
Stunde zur Mittagsmahlzeit gekommen iſt, 
haben ſie ihr Mittagsbrod verdienet. Wenn 
ſie fleiſſig ſind, ſo werden ſie, ehe acht Ta⸗ 
ge vergehen, ſo viel haben, daß ſie andre 
acht Tage davon leben koͤnnen. Sie wer- 
den frey, geſund, wahrhaftig arbeitſam, 
gerecht gelebet haben. Rouſſeaus Buch iſt 
in dieſen Gegenden nicht geſchrieben wor- 
den, es iſt eben ſo wenig für dieſelben: 
und fuͤr welche Weltgegend, fuͤr welchen 
Staat iſt es? 

Es iſt nicht genug, daß man arbeiten 
kann. Wenn man nicht arbeiten darf, ſo 
iſt man bei aller Geſchicklichkeit ungluͤcklich. 
Das iſt das Schickſal des n 


ohne Vorurtheil. 237 


Ihr ſeyd vortrefflich in dieſer, in jener 
Handthierung; ihr habet die Handgriffe 
derſelben durch euer Nachſinnen erleich⸗ 
tert, verkuͤrzet, ihr brauchet weniger Zeit, 
eure Arbeit zu foͤrdern, ihr koͤnnet dieſel⸗ 
be um einen geringern Preis fertigen: 
dieſe Vorzuͤge, helfen ſie euch? Man fragt 
nicht: könnet ihr dieſe Zandthierung !? 
man fragt: habet ihr fie gelernet e — 
Und wenn ihr eure Lehrjahre erſtrecket ha⸗ 
bet, ihr moͤget es nun verſtehen, oder 
nicht — ich muß euch meine Arbeit über- 
laſſen — | 

Man ſollte in der Geſellſchaft nichts 
weiters wuͤnſchen, als daß jeder Buͤrger 
arbeiten wollte! und man verhindert, daß 
er es könne. Das Befugniß zu arbeiten 
iſt in Zünfte eingeſchloſſen: wer nicht aus 
der Zunft iſt, muß ein Schurke werden. 
Die Wege, ſich auf eine ehrbare Art zu 
naͤhren, find ihm verſchraͤnket. Ihr, die 
ihr Verbrechen zu beſtrafen verordnet 
ſeyd, wundert ihr euch, daß euer ausge⸗ 
ſtreckter Arm faſt niemals eingezogen wer⸗ 
den kann? daß die Gefaͤngniſſe von Mif- 
ſethaͤtern wimmeln? daß fo viele Beiſpiele 
der Strenge gegeben werden muͤſſen, und 

doch 


238 Der Mann 


doch alle verloren find ? Höret auf unge» 
recht zu ſeyn, und die menfchliche Natur 
anzuklagen! Es ſind nur zween Wege uͤbrig, 
ſeinen Unterhalt zu erwerben, wenn man 
kein angeerbtes Vermoͤgen hat: die Ar⸗ 
beit, oder das Schurkenhandwerk: wem 

man den erſten verſchluͤßt, den zwingt 
man, auf den andern zu wandeln. 

Sieh da die groffe Schwierigkeit bei ei- 
nem gandwerke, das ausſchlüſſende Recht, 
es zu treiben! Welche Reihe uͤbler Folgen 
iſt damit verbunden! Wenn unſre Erzeug⸗ 
niſſe unvollkommen ſind; wenn wir nach 
fremden Waaren geluͤſten; wenn Fremde 
unſere zu ihnen gebrachte Waaren mit Ver⸗ 
achtung zurückweiſen; ſo iſt auf dieſe Aus⸗ 
ſchlüſſung ganz allein die Schuld zu waͤl⸗ 
zen. Der Sporn des Fleiſſes iſt die Nach⸗ 
eiferung; die Nacheiferung bringt die 
Kuͤnſte zu ihrer Vollkommenheit — Wenn 
unſre Handwerker ungeſchmeidig, wenn 
ſie tückiſch, wenn ſie voll kleiner Griffe 
und Betrügereyen ſtecken; abermal, dieſe 
Ausſchluͤſſungen allein haben zu allem die⸗ 
ſen beigetragen. Sie ſind unter ſich ganz 
leicht eins geworden; und wir, was ha⸗ 


ben wir für ein Mittel auszuweichen? — 
Die⸗ 


ohne Borurtheil. 239 


Dieſe kleinen Geſellſchaften in der groſ⸗ 
ſen haben ihre geheimen Verabredungen, 
wodurch ſie alle Welt ihnen unterwerfen; 
und fie wiſſen es ganz wohl zu veranftal- 
ten, daß nicht ſobald ein Fremder eintritt, 
und das Geheimniß bekannt macht — Der 
Junge hat ſeine Jahre ausgehalten: er 
wird frey. Er wandert '), nach einigen 
Jahren kehrt er wieder, mit vieler Ge⸗ 
ſchicklichkeit, die er ſich auf feiner Wan⸗ 
derung erworben: nun wird er wenigſtens 
ſeine Geſchicklichkeit anwenden duͤrfen? Iſt 
er eines Meiſters Sohn — das iſt er 
nicht! Schade! er mag ſehen, wo er 
irgend die Tochter eines Meiſters, oder 
eine Wittwe freyet, ſonſt iſt ihm nicht 
zu helfen — Ich frage: wer hat euch 
das 


) Vielleicht erwartet man hier umfändlichere 
Betrachtung über die Länge der Lehrjahre, 
über die üble Verwendung dieſer Zeit, Be⸗ 
trachtungen über den Mißbrauch des Wan⸗ 

derns, welches dem Stagte fo manchen ge⸗ 
ſchickten Arbeiter raubt, Betrachtungen über 
alle Mißbräuche der Handwerke! Aber man 
erinnere ſich, daß ich davon nichts mehr mit⸗ 
nehmen ſoll, als was auf meinen Schüler 
und ſeine Ueberlegung Beziehung hat. 


240 Der Mann 


das Recht eingeraͤumet, den Staat zu hin⸗ 
dern, daß er von einem Buͤrger nicht allen 
den Nutzen zieht, den er von ſeiner Ge⸗ 
ſchicklichkeit ziehen koͤnnte? — Man langet 
mir aus einer Lade groſſe pergamentne 
Briefe hervor, an denen hoͤlzerne Buͤchſen 
hangen: ich oͤfne ſie, ich ſehe das Sigill 
— mache eine Verbeugung, und ſchweige. 

Aber, lieber Capa - kaum, wenn du 
auch dieſe Schwierigkeit uͤberwunden, wenn 
du durch deine Anſtrengung den Mangel 
der Zeit erſetzet, und die mechaniſchen 
Griffe, wobei die Haͤnde alles thun, bald 
erlernet haͤtteſt; pruͤfe dich, ob du auch zu 
den unrechtſchaffenen Kuͤnſten faͤhig waͤreſt, 
wovon ein groſſer Theil der Handwerker 
mehr, als von ihrer Geſchicklichkeit leben? 
Muß ich denn fie treiben, diefe Nünſte v 
Die Frage iſt natuͤrlich: willſt du leben? 
willſt du dich, dein Haus, eine Familie 
ernaͤhren? deine Gaben entrichten? ſo weis 
ich nicht, wie du ihrer entbehren kannſt, 
da deine Zunftgenoſſen um und neben dir, 
ſie alle treiben: vielleicht auch durch die 
Kargheit ihrer Kunden, fie zu treiben ge⸗ 
zwungen ſind, die dem arbeitſamen Manne 


einen billigen Lohn ſeiner Bemuͤhung ver⸗ 
ſa⸗ 


_ 
D . 


ohne VBorurtheil. 241 


ſagen, den fie nachher zur Strafe unter 
verſchiedenen Rubriken ohne Dank, und 
dreyfach bezahlen muͤſſen. Indeſſen wird 
dadurch der Preis des Handlohns gleich⸗ 
fan feſtgeſetzet, um welchen aber derieni- 
ge, der vor Betrug, und Diebereyen zu: 
ruͤckbebet, nicht arbeiten kann, und bei 
ſeiner Rechtſchaffenheit darbet. 

Es giebt Handwerke, wobei es erlaubt 
iſt, ehrlich zu ſeyn, die muͤhſamſten unter 
allen, die am wenigſten belohnten. Sie 
wuͤrden dir unter allen Beſchaͤfftigungen 
am beſten zuſtehen, wenn du das Hinder⸗ 
niß der Lehrjahre zu uͤberſteigen, und 
einſt dein eigen Haus zu bauen hoffen 
duͤrfteſt — | 


11. 


Wes ſollte ich thun? ich frage Site um 
Rath, meine Leſer — Der Verfaſſer des 
Aufſatzes, den ich Ihnen heute mittheile, 
dringt ſich mir mit Gewalt auf, und be⸗ 
rufet ſich auf ihr Urtheil. Sie moͤgen denn 
alſo durch ihren Beifall, oder durch ihren 
Unwillen entfcheiden ‚ ob feine Foderung 
rechtmaͤſſig iſt! — ne 
II. Theil. | 2 Herr 


242 Der Mann 
Herr Mann ohne Vorurtheil! 


7 Sie reiſeten auf das Land — Stand 
es fuͤr die Muͤhe um einiger Anmerkungen 
Willen, die Sie ſehr bequem hier in der 
Stadt, oder ſehr nahe an der Stadt ma⸗ 
chen konnten? — Zwar ſagen Sie uns mit 
halben Worten, und wir errathen das 
uͤbrige, daß Sie in Mitte ihres Laufes 
aufgehalten worden — Gut! Sie kommen 
denn zuruͤcke. Ihr Capa⸗kaum hat genug 
geſehen, um zu ſagen: ich ſehe, ich 
würde als Landmann nicht glücklich 
ſeyn. Sie gehen mit ihrer Ueberlegung 
einen Schritt vorwaͤrts. Hier ſtehen Sie 
abermal: ſoll ich ein Zandwerk ergrei⸗ 
fen ihr Schüler fodert ihren Rath — Sie 
zeigen ihm, den Mißbrauch der Zünfte: 
Sie zeigen ihm, wie ſchwer es iſt, Meiſter 
zu werden: Sie zeigen ihm, daß ein 
Mann, der ſich keine unredlichen Griffe 
erlauben wuͤrde, bei den meiſten darben 
müßte — Und ſchon gehen Sie wieder ab ? 
Wie? haben Sie nichts mehr bei einem ſo 
reichhaltigen Stoffe zu erinnern? Ich be⸗ 
rufe mich auf ihre Leſer, ob ſie mit dieſen 
obenhinfahrenden Anmerkungen geſckreiget 
a find? 


ohne Vorurtheil. 243 


ſind? Ich errathe es zwar, aus welcher 
Hoͤhle die Stimme koͤmmt, die Ihnen zu⸗ 
ruft: bis hieher ſollſt du kommen, und 
nicht weiter! — Treten Sie nun unter 
den Haufen der Zuhoͤrer, und laſſen Sie 
mich an ihrer Stelle die Emporbuͤhne be⸗ 
ſteigen: ich bin uͤber die Bedenklichkeiten, 
die Sie zuruͤckhalten, hinweg — ; 
„Wer, eine Beſchaͤfftigung zu wählen; 
feinen künftigen Stand zu beſtimmen, zu 
Rathe geht, der muß zuvor mit ſich einig 
werden, was er ſuchet. Ehre in einer 
gewiſſen Bedeutung, Unabhängigkeit, 
vermögen, Gemaͤchlichkeit, unter die⸗ 
ſen vier Ausſichten eine wird ihn an ſich 
ziehen. Wiſſe zu wählen! Es find Aus⸗ 
ſichten von entgegen ſtehenden Gegenden. 
Aber man kann mit demſelben Winde nicht 
nach Norden und nach Süden gelangen. 
Ehe du in die See ſtichſt, habe den Ent⸗ 
ſchluß gefaſſet, nach welcher Gegend deine 
Segel gerichtet werden ſollen! „ 
„Ehre — Es war eine Zeit, wo Ehre 
das Eigenthum nuͤtzlicher Handgeſchaͤfte 
war. Jabel und Tubalkain werden von 
der Schrift wie Nimrod genennet; und 
* 2 2 u un 


244 Der Mann 


das dankbare Alterthum zählte Vulkanen 
*) wie den Mars in der Schaar feiner 
Gottheiten. Rauhe Kuͤnſte, Kuͤnſte des 
Krieges, Kuͤnſte der Verwuͤſtung haben 
dieſe wohlthaͤtigen Kenntniſſe aus ihrem 
Platze verdrungen. Aber kann Gewalt 
auch das Recht verändern? — „, 
„Sparta, Rom, kriegeriſche Staa⸗ 
ten! ihr uͤberlieſſet die friedſamen Beſchaͤff⸗ 
tigungen den Haͤnden der Sklaven! Habet 
ihr dadurch dieſe Beſchaͤfftigungen veraͤcht⸗ 
lich gemacht? nein! eure Sklaven habt 
ihr geadelt. Unbeſonnene! ſeht ihr es 
nicht, ihr haͤnget von euren Leibelgenen 
ab; und dieſe Abhängigkeit iſt nicht zufaͤl⸗ 
lig, nicht von einem ſelbſt geſchloſſenen 
Pertrage, der ſich auf Worte gründet; es 
iſt eine Abhaͤngigkeit der Natur. Herren 
der 
„) Der Namen vulkan iſt unſtreitig von Tu⸗ 
balkain — nach einer verderbten Ausſprache. 
So dankten die erſten Menſchen den Erfindern 
der nothwendigen Künſte. War es nachher 
nicht lächerlich, wann vulkan, wann Miner⸗ 
va, Ceres, u. a. m. Altäre hatten, aber die 
abgöttiſch geehrten Spartaner, ſich zu edel 
dünkten, das auszuüben , wodurch jene Al⸗ 
täre verdienet hatten! 


ohne Vorurtheil. 245 


der Welt! ihr ſeyd Sklaven eurer Sklaven; 
und da dieſe das Joch eurer Knechtſchaft 
abſchuͤtteln koͤnnen; ſo ſeyd ihr e 
das ihrige ewig zu tragen — 

| „Wie ehe die Gewalt , 117 machet 
heute das Vorurtheil die unbillige Rang⸗ 
ordnung. Der Tauſenden das Leben 
geraubet, prangt mit dem Sterne, dem 
Zeichen des Verdienſtes auf ſeiner Bruſt: 
der Tauſende ernaͤhret, erhaͤlt, gluͤcklich 
machet, ſchleicht unberuͤhmt bei ihm vor⸗ 
über, und buͤcket ſich tief vor dem M. er 
rer e ic, wie 
leicht wäre es euch, nuͤtzliche Kuͤnſte, eu⸗ 
ren Platz zu erhalten, wenn ihr mehr dar⸗ 
nach ſtrebtet, geehrt zu ſeyn, als die Ehre 
zu verdienen! Sprechet! — Du Acker- 
bau ſage! undankbare Geſellſchaft! 
mein Pflug ſoll ruhen! warum ſollen 
diefe Bande ſäen, damit unerkenntliche 
meine Aernte theilen und leben! — — 
Du Webkunſt ſage! ich ſoll dir Kleider 
verfertigen, darin du prangen mögeſt e 
das Lamm behalte ſeine Wolle! Erde, 
ich fodre keinen Leinen von dir! koſt⸗ 
bare Rauppe, fpinne dir kein königlich 
Ruhgemach! Stolze undankbare ver⸗ 

2 die⸗ 


246 Der Mann 


dienen es nicht, daß ich euch um ihrer 
Willen beraube! Die Bettler ſollen mich 
verachten — aber nackt. Du Schmied⸗ 
kunſt, fage! meine Werkfiätte ertöne 
nicht mehr von ſchweren Zammerſchlaͤ⸗ 
gen, unter denen das gelehrige Metall 
die Geſtalt annimmt, die ich befehle — 
geh Ruhmſüchtiger, erobre ohne Waf⸗ 
fen! geh Prächtiger, zeige deine 
Pracht ohne Gold und Silbergeſchmei⸗ 
de! geh Gemächlicher! wirf dich in 
Seine Rutſche, und habe Füſſe zum Si- 
gen — Ihr Kuͤnſte fäninitlich , errichtet 
unter euch ein Buͤndniß, verſaget euren 
Veraͤchtern euren Beiſtand, und ſeht bald 
den Fuͤrſten, den Praͤlaten, den Helden, 
den Gelehrten, den Adelichen, den Reichen, 
die Welt, zu euren Fuͤſſen! Aber ihr ge⸗ 
nuͤget euch, wohlthaͤtig zu ſeyn, und laſſet 
die Laſt, euch verbindlich zu bleiben, ih⸗ 
nen uͤber! „ 

„Die Zandgewerbe, fie allein find 
unabhängig; ihnen nur koͤmmt es zu, zu 
ſagen: ich trage alles das Meinige mit 
mir. Der Müſſiggaͤnger, den man einen 
Weiſen nennet, ſprach, als er dieſes von ſich 
ſprach, eine ſtolze Luͤge. Diogenes, haſt du 

dei⸗ 


* 
ohne Vorurtheil. 247 


deine Tonne dir ſelbſt gezimmert? und du 
wollteſt nicht Alexander ſeyn! Windichter 
Philoſoph! nur aus Hochmuth genuͤgſam, 
wollteſt du dem Eroberer Aſiens fuͤr nichts 
verbunden ) ſeyn, und du wareſt es 
dem Böttcher — Nur die Handgewerbe 
ſind ſich ſelbſt genug. Keinem Umſtande, 
keiner Zeit, keinem Orte unterworfen, träge 
der gandwerksmann alle Beduͤrfniſſe in 
ſeinen beiden Haͤnden, iſt uͤber den Muth⸗ 
willen des Gluͤcks, uͤber alle Faͤlle, bald 
ſagte ich, uͤber das Schickſal erhoben, 
wenn der oberſte Geſetzgeber ſich nicht das 
Geſchenk der Geſundheit vorbehalten hätte, 
das ihn unterwuͤrfig erhaͤlt. „ i 
„Indeſſen iſt er unabhängiger, als je⸗ 
der Stand in der Welt. Dionyſtuſe muß⸗ 
ten Schulmeiſter werden, Beliſariuſe 
A ha⸗ 
) Man weis, daß der unflättige Philoſoph Ale⸗ 
randern auf fein gütiges Anerbieten zur Ant⸗ 
wort gegeben: er hätte nichts zu bitten, als 
daß er ihm die Sonne nicht verſtelle. Man 
bewundert dieſe Antwort des Diogenes. Ich 
bewundre Alexanders Gelaſſenheit, der eine 
ſolche grobe Antwort ertrug. Vielleicht aber 
hielt er den Weiſen für einen Narren, und 
er hatte Grund dazu — 


248 Der Manu 


haben gebetelt — Wo iſt der Handwerker, 
der nicht traͤge war, und einen ſolchen Um⸗ 
ſturz erlitten hat? Pen, mehr als Ly⸗ 
rurg, mehr als Solon, du gabſt deinen 
Bruͤdern Geſetze, fuͤr die ihre ſpaͤtſten 
Nachkoͤmmlinge noch deinen Namen mit 
dankbaren Andenken, und gebeugten Knieen 
ausſprechen ſollen! aber unter ſo vielen 
weiſen Geſetzen das weiſeſte, das, wofuͤr 
ſie dir am meiſten verbunden ſeyn werden, 
iſt dieſes: daß jeder ein gandgewerb zu 
lernen verpflichtet iſt, um auf jeden 
all ein Zufluchtsmittel gegen Noth 
und Dürftigkeit zu haben — „, 

„Ich bin verſucht, zu argwohnen, 
daß andern Staͤnden dieſe Vortheile der 
Handgewerbe zu fehr in die Augen ges 
leuchtet, daß niedertraͤchtige Eiferſucht ſie 
verleitet habe, dieſelben zu verringern, 
und durch abgeredete Verträge dem Stans 
de Faͤſſel umzulegen, der allein frey war. 
Dieſe Zünfte, die die Geſchicklichkeit 
ausſchluͤſſen, dieſe unnuͤtzen geldſplittern⸗ 
den Meiſterſtücke ), dieſe ſinnloſen Ge⸗ 

N braͤu⸗ 
„) So mliſſen z. B. die Sattler einen Tour⸗ 
nierfarsel zum Meiſterſtlcke fertigen. Es ift 
ſehr 


ohne Vorurtheil. 249 


brauche ), die ſchon lange entwurzelt 
ſeyn müßten, wenn es anders Ernſt wä- 
re, daß ſie es ſeyn ſollten; dieſe langen 
Lehrjahre, ohne Unterſchied der Faͤhig⸗ 
keiten; dieſe nicht zur Erlernung des Ge⸗ 
werbes angewendeten, dieſe in haͤuslichen 
Verrichtungen der Kindermaͤgde verlornen 
Jahre; dieſer Zwang der Wanderung, 
dieſes unſinnige geduldete Verbot der Ver⸗ 
ehligung, dieſe unter dem Vorwande eis 
nes Anſtandes aufgebuͤrdeten Beobachtun⸗ 
gen gleichguͤltiger Dinge, dieſes ſind die 
gerne uͤberſehenen Unanſtaͤndigkeiten, durch 
welche die Handwerke einen Theil ihrer 
Gluͤckſeligkeit entrathen muͤſſen — „ | 


2 5 III. 


— 


ſehr vernünftig, daß fie das machen können, 
was man nicht braucht; damit ſie das nicht 
können, was man braucht. 


*) Der Sornträger der Buchdrucker und an⸗ 
dre derley artigen Gepränge bei der Aufdin⸗ 
gung und dem Freyſprechen der Lehrjungen — 


250 Der Mann 
III. 


Jo nehme die in dem I. Stuͤcke unter⸗ 
brochenen Betrachtungen auf das neue zur 
Hand. Ich fahre fort meinem Lehrlinge 

zu ſagen: daß es ihm erlaubt ſeyn wuͤrde, 
bei einigen Handgewerben ehrlich zu blei⸗ 
ben; daß es aber gerade die mühſamſten, 
gerade diejenigen waͤren, die am wenig⸗ 
ſten belohnt wuͤrden, die ihm ein be⸗ 
ſchweißtes Alter der Nräfte, und ein 
hülfloſes Alter der Schwachheit ver⸗ 
heiſſen. 

Sollteſt du wohl denken, ſage ich ihm, 
wer unter allen Beſchaͤfftigungen, die uns - 
ter dem Worte gandgewerbe verſtanden 
werden, am leichtſten etwas fuͤr das er⸗ 
ſchoͤpfte Alter hinzulegen fähig it? Höre, 
und urtheile! 

Siehſt du dieſen Mann, der mit hinter 
den Hut geſtrichenem Haare ſeinen Tag an 
der Sonne hinbringt! mit ſicherer Fauſt 
ſchwingt er ein Beil, und gleichet den 
runden Stamm des Baumes zu einem ge⸗ 
glaͤtteten Vierecke. Seine Arbeit iſt an⸗ 
haltend: mit dem fruͤhen Morgen hebt ſie 
an; eine Raſtſtunde zum Morgenbrode; 

elsa 


ohne Borurtheil. a5: 


eine einzige zur mittäglichen Erhohlung; 
dann erſt mit Sonnenuntergange e ſei⸗ 
ne Hand ſinken — 

Sieh hingegen jenen andern mit eilfer⸗ 

tigem Schritte uͤber die Gaſſe laufen: ſein 
Geraͤth traͤgt er in dieſem ledernen Sacke, 
der ihm zur Taſche herausragt. Er tritt 
ein; die Frau ſetzet ſich an den Putztiſch, 
er kaͤmt ihre Haare durch, legt ſie nach 
ſelbſtgeſchaffener Mode in Locken, erzaͤhlt 
ausgeſpaͤhte Geheimniſſe des Hauſes, aus 
dem er eben koͤmmt, ſtaͤubt rothe Haare 
blond, und eilet in ein anders Haus zu 
eben dieſer Verrichtung - 
Laß uns ein wenig ſtille ſtehen, 
mein Freund! Nimm meine Boͤrſe! und 
belohne dieſe beiden nach deinem Ermeſ⸗ 
ſen = 

Wie ? mein Herr! fo höre ich den letz⸗ 
ten ſpottend ausrufen, mir getrauen Sie 
dieſe wenigen Kreuzer anzubieten? mir! — 

Aber, guter Menſch, antwortet ihm 
Capa⸗kaum, er hat zu feiner Verrichtung 
nur ein halbes Stuͤndchen verwendet. Wenn 
er fuͤr jede halbe Stunde des Tages eben 
ſo viel bekoͤmmt, ſo kann er ſein Tagwerk 
hoch bringen — 

„Mein 


252 Der Mann 


„Mein Tagwerk — wiederholt er auf⸗ 
gebracht — Aus welchem Lande ſind Sie 
heruͤber zu uns gekommen, daß Sie die 
Geſchicklichkeit eines Friſeurs nach dem 
Tagwerke abmeſſen ? „ | 

Capa = kaum will ihn unterbrechen; 
aber ich gebe es nicht zu, ich will der 
Beredtſamkeit dieſes Menſchen ein freyes 
Feld laſſen, ſeine Rede wird fuͤr meinen 
Neuling, und vielleicht für meine Leſerin⸗ 
nen ungemein unterrichtend ſeyn. Um ihn 
alſo auf die rechte Bahn zu bringen, ſage 
ich ihm: Guter Freund! dieſer Menſch 
iſt ganz Fremdling, der von den Por» 
zügen eurer Beſchafftizung nicht un⸗ 
terrichtet iſt — 

„„Das habe ich errathen — unter- 
bricht mich unſer beleidigter Friſeur — das 
habe ich aus ſeinen Anbieten abnehmen 
koͤnnen. Mein Herr! lernen Sie unſre 
Wichtigkeit ſchaͤtzen! lernen Sie unſre Kunſt 
von den groben Handarbeiten unterſchei⸗ 
den, die man nach dem Tage miethet. Wie 
Sie mich ſehen; ſo darf mich eine Fuͤrſtinn 
nicht beleidigen! — und thut ſie es, ſo 
koͤmmt ihr meine Beſaͤnftigung theuer zu 
ſtehen. Ich theile mit dieſen meinen Haͤn⸗ 

den 


ohne Vorurtheil. 253 


den Anmuth und Reize aus. Sie wiſſen 
vielleicht nicht, wie viel auf die Hand ei⸗ 
nes Friſeurs ankoͤmmt, eine Geſtalt zu er⸗ 
heben. Darum auch ſetze ich meiner Ars 
beit einen Preis, wie er mir gefaͤllt — 
Einen Dukaten fuͤr einen Kopf — Ja ei⸗ 
nen Dukaten, und laſſe noch einigemal 
nach mir ſchicken — Komme ich denn, und 
man wagt es, ſich unfreundlich anzuſtel⸗ 
len; ſo bin ich noch unfreundlicher: man 
poltert, ich werfe; und man koͤmmt 
gut davon, wenn ich mich durch das An⸗ 
bieten eines Fruͤhſtuͤckes, oder eines Ge⸗ 
ſchenkes zu guter Laune bringen laſſe. So 
koſtbar, wie ich Ihnen vorkomme, ſo habe 
ich dennoch unter Kunden zu waͤhlen. Die 
gemeineren Weiber vom kleinen Adel, Hof: 
raͤthinnen, und dergleichen, ſollen ſichs bei⸗ 
weitem nicht einkommen laſſen, nach mir 
zu ſchicken. Zwar zahlen ſie vortrefflich, 
aber ich halte ſehr auf Ehre. Selbſt un⸗ 
ter dem groſſen Adel laſſe ich diejenigen 
fahren, die mir nicht Nebengeſchenke ma⸗ 
chen; und ich kann Sie verſichern, daß 
man ſich darinn oft ſehr uͤberſteigert. Die 
Groͤfinn von“ * hat mir nicht lange ganz 
beſondere Bedingniſſe angeboten, wenn ich 


mich 


234 N Der Mann 


mich verpflichten wuͤrde, auſſer ihr und 
ihrem Fräulein, keinen Kopf aufzuſetzen. 
Wir ſtehen nun miteinander in Unterhand⸗ 
lungen, und ich kann mich nur noch nicht 
bequemen, an der Tafel ihrer Hausoffiziere 
zu eſſen; denn ich denke, es iſt eine ganz 
billige Foderung, daß man mir die Spei⸗ 
ſen auf mein Zimmer beſonders bringt, da 
man es dem Sekretär des Grafen gleich: 
falls thut — | 
Er würde 3 laͤnger W 1 
ich ihn nicht erinnerte, er duͤrfte irgend ei⸗ 
ne Fuͤrſtinn auf ſich warten laſſen, und 
ſich ihre Ungnade zuziehen — Ungnade, 
ſagt er ſpoͤttiſch — und zieht eine goldne 
Uhr heraus — das Geſchenk einer Freyinn, 
der zu Liebe er an einem Familiengalatage 
alle Frauen, die er zu bedienen hatte, ſitzen 
ließ. Das war, erzaͤhlte er uns, ein tol⸗ 
ler Streich, den ich ihnen ſpielte; ſie ſa⸗ 
hen gegen die freygebige Baroninn an die⸗ 
ſem Tage wie Affen. Doch es iſt die Stunde, 
welche ich der Graͤfinn * gegeben, mit 
der ich heute zu ſchluͤſſen gedenke. Hie⸗ 
mit wirft er einen verächtlichen Blick auf 
Capa⸗kaum, und entfernet ſich. 


Kaum 


obne Vorurtheil. 253 


Kaum trauet mein Schuͤler ſeinen Oh⸗ 
ren — Habe ich recht gehoͤrt? fragt er zu 
wiederholtenmalen. Dieſe Gattung, fuͤr 
die der Namen Handwerker beinahe zu ehr⸗ 
wuͤrdig iſt, die ſo ganz entbehrlich ſind, 
duͤrfen ſolche Foderungen machen? 

Das iſt Irrthum, lieber Unwiſſender, 
daß ſie entbehrlich ſind, ſeit dem es eine 
Schande geworden, ſeine Haare zu tragen, 
wie ſie uns die Natur zur Zierde aner⸗ 
ſchaffen: der Miniſter, der Rath, der 
Gelehrte, der Soldat, der Handelsmann, 
der Stutzer, der Prieſter ſelbſt kann ſie nicht 
entrathen: aus Anſtand einige, aus Eitel⸗ 
keit die andern — und oft dient der An⸗ 
ſtand nur der Eitelkeit zum Vorwande — 

Und das Frauenvolk — Aber wir wol⸗ 
len uns nicht laͤnger dabei aufhalten. Wir 
haben den arbeitſamen Zimmermann zu 
lange warten laſſen; ihn, der der Ruhe 
ſo ſehr bedarf. Er tritt nun demuͤthig 
herbei. Mein Schuͤler, der ſeine Muͤhe 
nach der Muͤhe des geſchwaͤtzigen Friſeurs 
abwiegt, langet einen Dukaten aus der 
Boͤrſe, und erwartet, ob er auch damit 
vorlieb nehmen werde — Ich bin ein er: 
mer Mann; wie käme ich dazu, dieſes 

| Gold- 


256 Der Mann 


Goldſtück zu wechſeln — mit dieſen 
Worten giebt er es zuruͤcke — Was iſt 
alfo euer Taglohn, arbeitſamer Mann? 
Tägliche neun Groſchen! aber ich wer⸗ 
de für Sie beten, wenn Sie mir einen 
Groſchen zulegen. Ich habe Weib, und 
drey Kinder , und das Brod iſt um 6 
Loth kleiner geworden. Tape = kaum 
ſieht mich an: ich verſtehe ſeinen fragen⸗ 
den Blick, und winke ihm meinen Beifall. 
Er druͤcket mit freudiger Ungeduld dem ar⸗ 
beitſamen Mann das ganze Goldſtuͤck in 

die Hand. Habet es, ſagt er ihm, für 
euch, und machet euren Kindern einmal 
eine gute Stunde — und gegen mich ges 
wendet ſetzt er hinzu: Unbillige Aus: 
theilung! wäre es dem Geſetze nicht 
möglich, zwiſchen der Arbeit und dem 
Lohne ein billiges Gleichgewicht ein⸗ 
zuführen e 


IV. 
55 
Ich will unterſuchen: ob es möglich iſt, 


ein gefegmäfliges Gleichgewicht zwi⸗ 


ſchen der Arbeit, und dem Lohne ein⸗ 


zuführen Dieſe Unterſuchung wird mich 
weis 


ohne Vorurtheil. 257 


weiter führen, als es anfänglich den Schein 
hat. Ich werde mich genoͤthiget ſehen, die 
Beſchaͤfftigungen der Handgewerbe unter 
gewiſſe Eintheilungen zu bringen, und je⸗ 
dem unter ihnen ſeinen Ort anzuweiſen, an 
dem es ſteht, und an dem es ſtehen ſollte. 
Werde ich gluͤcklich genug ſeyn, einen ſol⸗ 
chen Stoff, der der Satire ſo ganz nicht 
angemeſſen iſt, auf eine Art zu behandeln, 
daß der Deuter nicht einſchlaͤft? daß er 
unterrichtend, oder, wenn man ſo will, 
verbeſſerend fuͤr die einen, ergoͤtzend fuͤr 
den Haufen meiner Leſer ſey, die dieſen 
Blaͤttern, wie ihrer Hausrechnung, die 
verworfene Minute widmen, die ſie in dem 
Tagebuch ihrer Zerſtreuungen nicht unter⸗ 
zutheilen wiſſen? — Und Sie Thereſie! ) 
deren gewogenheitvoller Zuſpruch mir oft, 
die uͤber den Tadel des Boshaften, uͤber 

den 


*) Die Neugierde fragt: wer mag fie ſeyn, 
dieſe Thereſie? Glückliche Gatten, wenn ihr 
viele nennen möget, die Thereſten ſeyn könn⸗ 
ten? — Für mich kenne ich nur dieſe einzi⸗ 
ge — und eine noch, die des Glücks würdig 
wäre, Thereſiens Mutter zu ſeyn — Aber wit 
ferne von uns! f 


II. Theil. R 


2535 Der Mann 


den feyerlichen Ausſpruch des Dunſen bin: 
geworfene Feder, die Feder, die mir auch 
oft aus Beſorgniß gegruͤndeter Kritiken 
entfiel, aufs neue ergreifen hieß; Sie, 
ſanfte Freundinn, die ein feines Gefuͤhl 
getreuer, als die Vorſchriften des Kunſt⸗ 
richters, leitet; deren Empfindung Beifall, 
deren geiſtvolles Laͤcheln mir Belohnung 
iſt; wo werde ich in dieſer oͤden Gegend 
Blumen finden, die verdienen, zum Kranze 
gewunden, ſtolz in ihren Locken zu verbluͤ⸗ 
hen? — Doch, ich ſehe dieſen ermuntern⸗ 
den Blick, den Sie mir zumerfen, und die 
oͤde Gegend wird mir eine blumenreiche 
Flur: ich ſchreibe — 

Da das menſchliche Geſchlecht nur noch 
in wenigen beſtund, die den Erdboden un⸗ 
ter ſich theilten, da waren die Begierden 
klein, weil der Gegenſtand fuͤr dieſelben zu 
groß war. Abel hatte eine groͤſſere Vieh⸗ 
weide, als alle Chane aller Horden, in 
allen Tatareyen: und Kain haͤtte ſeine 
Felder nicht bepfluͤgen koͤnnen , wenn er 
alle vierzigtauſend Pferde aus den Staͤllen 


ſeines Nefen Salomons vorgeſpannet haͤt⸗ 
te. So wie die Erde mehr bevoͤlkert wur⸗ 


de, ward das Eigenthum eingeſchraͤnkter, 
weil 


1 


ohne Borurtheil. 259 


weil es in mehrere Theile zerſtuͤcket wer⸗ 
den mußte; bis ſich die Beſitzer genoͤthiget 
fanden, ihre Beſitzungen zu umzaͤunen, und 
zu ſprechen: bis hieher! dieſes gehoͤrt mir 
an. Noch immer aber wuchs ihre Anzahl, 
und da fuͤr die Nachfolgenden nichts mehr 
in Beſitz zu nehmen übrig war; fo muß⸗ 
ten ſie auf Mittel denken, ſich unabhaͤngig 
von liegendem Eigenthume, Unterhalt zu 
verſchaffen: ſo entſtunden Handwerke und 
Kuͤnſte — 

Die Soͤhne Kains waren Ackersleute. 
Die Erde ohne Werkzeuge umzugraben, 
welche ſchweiß volle Mühe! Und wie wenig 
konnten ſie fortruͤcken! Ihre Haushaltun⸗ 
gen waren zahlreich, ihre Kraͤfte zu ein⸗ 
geſchraͤnkt, ſo viel zu bebauen, als ganze 
Heerden von Kindern, und Kindskindern 
verlangten. Und haͤtten fie auch da aus⸗ 
gelanget, wer gab ihnen Kleider? wer 
verzaͤunte ihre Felder? wer erweiterte ih- 
re Wohnungen? wer verbauete ſie gegen 
Wind, gegen den Regen, gegen alle Un⸗ 
geſtuͤme der Witterung? wer ſetzte einen 
Damm, der den Anfall des Sturzwaſſers 
brach, und ableitete? Wenn es mit dem 
Umgraben der Erde nur ſchleuniger vor ſich 

R 2 ge⸗ 


266 Der Mann 


ſehen möchte ! ſagte der Vater zu feiner 
Gehuͤlfinn nach einem beſchweißten Tage, 
und uͤberſah unzufrieden den kleinen Fle⸗ 
cken, ſein ganzes Tagwerk. 

Tubalkain erfand die Kunſt, das Eiſen 
in Schippen, und anderes Grabgeraͤthe zu 
formen. Denn die ſchwere Beſchaͤfftigung 

der Schmiede war keine Erfindung eines 
Muͤſſiggaͤngers, der zum Zeitvertreibe ei⸗ 
nen Stecknadelknopf glaͤttet, und zur be⸗ 
ſtimmten Arbeit, ißt und ſchlaͤft. Hier habt 
ihr, ſagt er feinem Nachbarn, ein Werk⸗ 
zeug, das eure Tagwerke verkuͤrzen kann! 
verſuchet es damit, die Erde umzugraben! 

Und er verſuchte es, und er erſtaunte 
uͤber den Fortgang ſeiner Arbeit, und 
wuͤnſchte ſich, dieſen Schatz zu beſitzen. 
Ich kann mir vorſtellen, er wird fo une 
gefaͤhr ſeinen Ueberſchlag gemacht haben. 
Mit dieſem Werkzeuge kann ich meine Fel⸗ 
der ganz beſtellen. Ich baue dann fuͤr mich, 
und mein Haus, und lege noch Vorrath 
bei, auf mancherlei Faͤlle, die ſich unvor⸗ 
geſehen ereignen koͤnnen. So macht mich 
dieſes Geraͤth reich, denn es verſchaft mir 
Ueberfluß. Ich will ſehen, es an mich zu 
bringen. Was gebe ich euch dafuͤr? — 

Der 


ohne Borurtheil. 261 


Der Schmied mußte feine Zeit in feiner 
Werkſtatt zubringen. Sie fehlte ihm alfo 
zum Feldbau. Vielleicht, daß er auch kein 
Stuͤck Erde hatte, und eines an ſich zu 
bringen ſuchte, welches ſeine Kinder um⸗ 
ſtuͤrzen ſollten. Nach ihren Beduͤrfniſſen 
maſſen fie wechſelſeitig ihre Waare , und 
beſtimmten nach den Vortheilen ihren Preis 
— Was ihr mir dafuͤr gebet — ſagt Tu⸗ 
balkain — Getraid fo viel — und das Stuͤck 
Feld zunaͤchſt an meiner Huͤtte. Hier nach⸗ 
gelaſſen, dort zugeſtanden, ſo wurden ſie 
eins, und jeder kam vergnuͤgt zuruͤck. 

Der Ackersmann hatte noch nicht Zeit 
gehabt, alle Vortheile feiner neuen Erwer⸗ 
bung kennen zu lernen. Der Bach ſtaͤmm⸗ 
te ſich an ſeine Felder, und floß auf die⸗ 
ſelben uͤber; ſeine Saat ward ausgetraͤnkt, 
oder ſeine Garben weggeſchweift. Koͤnnte 
ich dem Waſſer einen Abfluß oͤffnen! denkt 
er bei ſich, und verſucht es, ein neues 

Beet zu graben, und leitet den Bach ab, 
und ſetzet ſeine Flur in Sicherheit. Bald 
faͤllt der Regen ſeiner Huͤtte unbequem, 
und dringt an dem Fuſſe ihrer Waͤnde ein, 
und verdirbt ihm ſeinen Vorrath. Mit 
ſeiner Schippe zieht er rings um dieſelbe 

R 3 ei⸗ 


262 Der Mann 


einen Graben, und weiſt dem fich ſam⸗ 
melnden Gewaͤſſer einen andern Weg ar. 

Nun kann er feine Saaten nicht uͤber⸗ 
ſehen: Brod, vielleicht auch andere Ge- 
waͤchſe, im Ueberfluſſe: aber Kleider, Klei⸗ 
der, woher ſoll er dieſe nehmen? Der die 
Schippe gemacht hat, wird gar bald auf 
andere Werkzeuge verfallen ſeyn, deren 
Nutzbarkeit in die Augen leuchten muß. Er 
wird eine Axt geſchmiedet haben, und ſich 
damit hohe Baͤume gefaͤllet, und Pfaͤhle 
zugeſpitzet, und ſeine Wohnung bequemer 
eingerichtet, und hundert andere Gemaͤch⸗ 
lichkeiten verſchaffet haben, alles durch 
ſeine neuerfundene Axt. 

Der Ackersmann, der Viehhirt wird 
ihn um dieſelbe beneiden — 

Ich habe keine Weide, keine Felder zum 
Kornbaue: mir mangelt es am Brode, an 
Bedeckung! wie kann ich dieſem Mangel 
fuͤr mein Haus abhelfen? ſo uͤberlegt eine 
ſorgfaͤltige Hauswirthinn in langen, unlu⸗ 
ſtigen Naͤchten des Winters. Sie ſinnet 
nach, ob die Beduͤrfniſſe der Menſchen alle 
ſchon erſchoͤpfet ſind. Noch nicht, ſagt 
ihr ein genaues Nachdenken. Zwar der 
Schafhirt hat die Felle ſeiner Schafe zu 

feir 


ohne Vorurtheil. 263 


ſeiner Huͤlle, aber dieſe Felle ſind roh, 
trocken, hart, unbiegſam: ihrer geſchick⸗ 
ten Hand gelingt es, nach manchem Ver⸗ 
ſuche, fie zuzubereiten, gelinde, biegſam, 
geſchmeidig zu machen. Das bearbeitete 
Fell ſitzt nun genau am Leibe, es ſchmiegt 
ſich nach jedem Gelenke, es laͤßt nicht mehr 
die Luft ein, es ſchuͤtzet gegen die Kaͤlte. 
Nun iſt ihr Mangel zu Ende. Sie zeigt 
ſich in ihrem Kleide. Alles verſammelt ſich 
umher, alles bewundert ſie, alles verlangt 
nach fo. bequemer Bedeckung. Der Ackers⸗ 
mann biet ihr Fruͤchte an, und empfaͤngt 
gegaͤrbte Felle; der Hirt biet ihr Schafe 
an, unb empfaͤngt gegaͤrbte Felle; der 
Schmied biet ihr eine Axt an, um dafür 
Felle zu erhalten — Dieß iſt die erſte Ge⸗ 
meinſchaft der Beſchaͤfftigungen: ein Ackers⸗ 
mann, der Speiſe, ein Viehhirt, der die 
Huͤlle verſchafft, eine Gaͤrberinn, die ſie 
zubereitet, und ein Schmied, der allen 
dreyen ihre Werkzeuge liefert. 5 
Bei dieſem Zuſtande ungefähr muß die Er⸗ 
findſamkeit fo lange verharret ſeyn, als die 
Menſchen ſich an den ſtrenggenommenen 
Beduͤrfniſſen genuͤgen laſſen. Aber das Ziel, 


ſo der Schoͤpfer den natuͤrlichen und ſitt? 


R 4 li⸗ 


264 Der Mann 


lichen Kräften vorgeſtecket, war noch nicht 
erreichet. Er hatte es ſo geordnet, daß 
man weiter fortruͤcken mußte. Er hat die⸗ 
ſes Sehnen nach der Vergroͤſſerung unſe⸗ 
rer Bequemlichkeit nicht vergebens in un⸗ 
ſere Herzen geleget. Jeder anerſchaffne 
Trieb iſt ein Faden, dem man nachgehen 
darf, um zu einem Theile der fuͤr uns be⸗ 
ſtimmten Gluͤckſeligkeit zu gelangen. Der 
Philoſoph, der dieſes laͤugnet, der uns 
Faͤhigkeiten ohne Abſicht, Triebe mit ſchaͤd⸗ 
lichen Folgen andichtet, entehret die Weis⸗ 
heit des Schoͤpfers, oder laͤſtert ſeine Ge⸗ 
rechtigkeit. Es iſt keine, bis auf die ge⸗ 
mißgebrauchte Faͤhigkeit eines Sailgauk⸗ 
lers, die nicht zum Nutzen des menſchli⸗ 
chen Geſchlechts abzweckte. Ohne dieſe 
Faͤhigkeit, das Gleichgewicht auf einem 
Stricke zu halten, wuͤrde man es in der 
Schiffahrt, und der ſogenannten Gegla- 
tion nie ſo weit gebracht haben. 
Rouſſeau! mit aller Verehrung fuͤr deine 
ſchaͤtzbaren Talente, und menſchenliebvol⸗ 
les Herz, ich fobere dich auf, einen 
Trieb in mir aufzuſpuͤhren, der, wenn 
ich ihm nachhange, mich nur zu ſchaͤdli⸗ 
chen Folgen verleitet! die Begierde zu ha⸗ 
ben 


ohne Vorurtheil. 265 


ben — fie iſt der Sporn des Fleiſſes — 
die Ehrbegierde — ſie iſt die Mutter ſo 
mancher ſchoͤnen Handlung, die den Jahr⸗ 
buͤchern des menſchlichen Geſchlechts Ehre 
machen — das Gefuͤhl der Tapferkeit — 
fie bereitet dem Vaterlande, dem ſchwaͤ⸗ 
cheren Bedraͤngten Schutz und Sicherheit — 
der gegenſeitige Geſchlechtshang — er iſt 
das Band der Familien, ihr Vermehrer, 
der Bevoͤlkerer der ohne ihn oͤden Erde — 
Aber der Geizige, der Räuber, der Unter- 
druͤcker, der Ehebrecher — das heißt, weil 
Pyrrho die Vernunft zum Zweiflen an⸗ 
wendet, ſo iſt das ihre Beſtimmung: weil 
Alexander der Raͤuber der Welt geworden; 
ſo iſt Leonidas nicht tapfer: weil Helena 
dem Paris folgte, ſo war Arria ihrem 
Paͤtus nicht getreu: weil der gekroͤnte 
Schlemmer Roms Millionen verbanfetirte, 
ſo iſt kein maͤſſiger Joſeph irgend auf dem 
Throne — Ich glaube inzwiſchen nicht, 
daß der Hang nach der Gemaͤchlichkeit die 
Zahl der Erfindungen gemehret habe: die 
Nothdurft der Erfinder hat es gethan, 
aber fie waren der Gemaͤchlichkeit ſehr 
willkommen. 


R 5 V. 


266 Der Mann 
| | v 


Be einzelnen Menſchen, bei Nomaden, 
bei irrenden Horden, die ungefaͤhr den 
arabiſchen Horden gleichen, welche den 
andaͤchtigen Reiſegeſellſchaften nach Meka 
auflauern, gab es wenige Beduͤrfniſſe: 
darum waren auch die Erfindungen in ge⸗ 
ringer Zahl. Auf die Erfindung eines Werk⸗ 
zeuges, die Erde zu bearbeiten, auf eine 
Schippe und Axt iſt man bald verfallen: 
aber es ſind einige tauſend Jahre verlau⸗ 
fen, ehe die ſtahlenen Uhrhacken gemacht 
wurden, womit die Toͤchter Evens die 
Uhren an ihrem Guͤrtel befeſtigten. 


Indeſſen iſt ein unendlich groͤſſerer Weg 


von leeren Haͤnden bis zu einer Schippe 
zu hinterlegen, als von einer Schippe bis 
zur Uhrkette. Ein Menſch mußte ſagen: 
ich will die Erde aufwuͤhlen, und in ihrem 
Eingeweide einen Stein ſuchen, der kein 
Stein ſeyn ſoll! Ich will dieſen Stein 
nehmen, und uͤber Feuer roͤſten, und dann 
in einem noch heftigern Feuer flieſſen laſ⸗ 
fen, und dann ſchmieden, und ihm die Ge⸗ 
ſtalt geben, die meiner Abſicht bequem iſt, 
eine keilfͤrmige Geſtalt — Wie viele 
Kennt: 


ohne Vorurtheil. 267 


Kenntniſſe der Naturkunde, der Metall: 
kunde, der Mechanik! Kurz, um die Schip⸗ 
pe zu machen, mußte man erfinden, und 
um die Uhrkette zu machen, ware man 
nur vervollkommen. 

Darin beſteht der Vorzug des wahren 
Nothwendigen: fein Mangel wird em⸗ 
pfunden, und dieſe Empfindung leitet da⸗ 
hin, wo ihr Genuͤge geſchehen kann. Ein 
Kind weis ſogleich ſeine Nahrung an den 
Mund zu fuͤhren, aber es weis nicht, was 
es mit einem Kleide anfangen ſoll, das man 
ihm vorlegt — 

Ich haͤtte alſo nicht einmal ſagen ſol⸗ 
len: die Erfindungen waren der Gemaͤch⸗ 
lichkeit willkommen: fie find vor der Ge- 
maͤchlichkeit hergegangen, und haben ſie 
gleichſam erſchaffen. 

Aber wir ſind in der Geſchichte der 
Kuͤnſte und Handwerke noch nicht ſo weit 
fortgeruͤcket. Laßt uns den Menſchen un⸗ 
ter verſchiedenen Himmelsgegenden betrach- 
ten! Wir werden Kuͤnſte entſtehen ſehen, 
welche durch den Einfluß des Klimas ver: 
anlaſſet werden: Kuͤnſte, die an einem Or⸗ 
te Ueberfluß, Bedürfniß an dem an⸗ 
dern ſind. 

Das 


263 Der Mann * 
Das Stammhaus des menſchlichen Ge⸗ 
ſchlechts war ohne Zweifel unter einem ge⸗ 
linderen Himmel. Die Schrift ſagt es: 
aber auch ohne die Offenbarung muß uns 
die Muthmaſſung darauf leiten. Wollte 
der Schoͤpfer nicht Wunder auf Wunder 
haͤufen, und ſein Geſchoͤpf an der Hand 
zu jeder Erfindung leiten, oder wollte er 
es nicht bei dem erſten Geſchlechte ausge⸗ 
hen ſehen; ſo mußte er es weder an die 
Spitze von Neu Jembla verſetzen, wo die 
kriſtallene Feuchtigkeit im Auge ſtarret, we⸗ 
der in die Wuͤſte Sarra, deren gluͤhender 
Sand die Sohlen des Wanderers brene 
net. Huͤlflos, und ſeinen noch unentwi⸗ 
ckelten Faͤhigkeiten überlaffen, mußte er ihm 
da einen Platz anweiſen, wo es die we⸗ 
nigſte Huͤlfe brauchte, und ſeine Faͤhigkei⸗ 
ten fuͤr ſeine Beduͤrfniſſe zureichend waren. 
Dieſer Platz war der gemaͤſſigte Erde 
guͤtel, aber mehr Suͤdwaͤrts, als gegen 
Norden. Dort muͤſſen die Erdbeſchreiber 
den niedlichen Garten, der ein Ausdruck 
der Wohnung der Seligen geworden, das 
Eden, und den Brunn der groſſen Fluͤſſe 
ſuchen, die den Erdboden uͤberſchwemmen. 
Von 


ohne Vorurtheil. 269 


Von da aus ruͤckte die Bevoͤlkerung ſtuͤck⸗ 
weiſe auf der Oberflaͤche der Erde fort. 

Wohin wendeten ſich die Menſchen eher? 
gegen den Nordpol? oder gegen Süden? 
Oſtwrts e oder Weſtwarts v Setzen wir 
uns an die Stelle unſrer Stammvaͤter! aber 
entbloͤſſen wir uns, wenn wir koͤnnen, der 
Kenntniſſe der Erdbeſchreibung, oder ihrer 
Irrthuͤmer! ſehen wir, was wir gethan 
haben wuͤrden! Wir ſagen, wenn wir an 
einem Hirſchen etwas wahrnehmen: fo 
leitet ihn ſein Inſtinkt. Der unausge⸗ 
bildete Verſtand war mehr noch Inſtinkt, 
als verſtand. Wir duͤrfen alſo ſagen: die 
Enkel hatten, die Väter alſo haben es 
gethan. Es ſcheint ſogar, daß dieſe Art 
zu ſchluͤſſen, ziemlich zuverſichtlich ſeyn muͤß⸗ 
te, wenn wir ſo leicht die hinzugekom⸗ 
menen, ſpaͤter erworbenen Kenntniſſe ab⸗ 
zulegen faͤhig waͤren. Aber ſie ſind beinahe 
ein Theil von uns ſelbſt geworden, dieſe 
Kenntniſſe. Gelagert zwiſchen Perſien und 
dem Gebiete des Mogols , oder wahr⸗ 
ſcheinlicher, ſelbſt in dem Gebiete des Mo: 
gols zwiſchen dem Indus und der Kette 
der Bergen, die dieſes Reich von Norden 
gegen Suͤden durchſchneiden, wuͤrde ich 
. mich, 


270 Der Mann 


mich, allem Anſehen nach, zuerſt vor mir 
hin Nordwärts gewendet haben, wenn 
mein Wohnplatz mit Menſchen und Heer⸗ 
den uͤberfuͤllet geweſen waͤre. Ich wuͤrde 
mich hinter mich zu wenden, von der ſen⸗ 
genden Hitze abgeſchrecket worden ſeyn. In 
dieſer Lage war der erquickende Schatten 
das Bild der Gluͤckſeligkeit. Er ſetzte den 
Menſchen in den Garten der Wolluſt, 
ſagt der Geſchichtſchreiber Moſes: die Kuͤh⸗ 
le alſo wuͤrde fuͤr mich anlockend geweſen, 
ich wuͤrde ihr nachgezogen ſeyn. 

Man erinnere ſich, daß ich damals kei⸗ 
nen Nachen, oder anderes Mittel, einen 
Fluß zu uͤberſetzen, gekennet haͤtte. Ich 
wuͤrde alſo dem Indus in ſeinem Laufe im⸗ 
mer zur Seite haben wandern muͤſſen, bis 
mich die Berge gezwungen hätten, Weſt— 
wärts zu lenken. Denn ich wuͤrde nicht 
gerne die Hoͤhen beſtiegen haben, ſo lange 
ich Ebenen vor mir erblicket haͤtte: waͤre 
es auch nur geweſen, um mich nicht von 
den Quellen zu entfernen, deren Nothwen⸗ 
digkeit fuͤr mich und meine Heerden ich fruͤh 
genug wuͤrde erkennet haben. Und ohne ihn 
geſehen zu er kann es uns nicht ein⸗ 

ſal⸗ 


ohne Vorurtheil. 271 


fallen, den Urſprung der Fluͤſſe in den Ge⸗ 
birgen aufzuſuchen. 
So bald die wandernden Menſchen ein⸗ 
mal diefe Richtung erhalten haben, fo wa⸗ 
ren ſie gezwungen, ihr beſtaͤndig zu folgen. 
Sie lieſſen, ſo wie ſie ſich vermehrten, be⸗ 
ſtaͤndig Haufen auf den Rüden‘, die fie 
vorwaͤrts draͤngten, und es ihnen unmoͤg⸗ 
lich machten, wiederzukehren. Sehet dann 
die Menſchen auf dem Wege, Perſien zu 
bevoͤlkern, und auf der einen Seite von 
Caucaſus, auf der andern von dem Meere 
eingeſchraͤnkt, ihren Weg immer mehr noͤrd⸗ 
lich fortſetzen. Ich will hier die Wander 
rung der Voͤlker nicht weiter beſtimmen: 
ich wuͤrde mich mit Erdebeſchreibern und 
Auslegern zu ſchlagen haben, wenn ich 
meine Meinung weiter durchſetzte: und ich 
will ihnen tauſendmal ehe Recht laſſen, in 


einer Sache, wo fie, fo wie ich, nun 


muthmaſſen duͤrfen, als mit ihnen zanken: 
denn ich denke, auch bei einer gewonne⸗ 
nen Schlacht iſt Verluſt. So moͤgen ſie 
dann alſo ihre Pflanzvoͤller hinſenden wo 
ſie wollen; ich ſpreche zu ihnen: Seht! 
die ganze Erde iſt vor euch! 


Aber 


272 Der Mann 


Aber welche Beduͤrfniſſe zeigen ſich bel 
den aus ihrem erſten Wohnplatze ver⸗ 
pflanzten Menſchenkindern? Es iſt ſehr 
wahrſcheinlich, daß ſie die Unbequemlich⸗ 
keit ihrer Kleidung vor allem gefuͤhlet ha⸗ 
ben moͤgen. Sie trugen Schaffelle. Dieſe 
Huͤlle iſt fuͤr die Hitze des Tages, und die⸗ 
ſer Gegend zu beſchwerlich. An einigen 
abgenuͤtzten Kleidern werden fie die Er⸗ 
fahrung gemacht haben, daß die Wolle 
ſich von der Haut ſoͤndern laͤßt. Nun wer⸗ 
den ſie es mit ganzen Fellen verſucht haben, 
und es gieng an. Sie bereiteten ſich Klei⸗ 
der aus enthaarten Fellen, und ſie fanden 
ſie bequem, gering, gegen die Biſſe der 
Flieginſekte, und ſelbſt gegen die Sonnen⸗ 
hitze ſchuͤtzend. 

Aber des Herbſtes rauhe Witterung 
ruͤckt heran. Die Naͤchte werden kalt, 
feucht, ungeftüm : die ledernen Kleider 
zeigen nun gleichfalls ihre Maͤngel. Der er⸗ 
ſte Gedanke, der ſich hier anbieten mußte, 
war, eine doppelte Bekleidung, fuͤr den 
Tag eine, eine fuͤr die Nacht — Ich ſehe 
die erſten Keime des verderbenden Prachts, 
der Verſchwendung, die unſre Zeiten ver⸗ 
wuͤſten, wenn Thoren Anfehen und Vor⸗ 

zug 


ohne Vorurtheil. 273 


zug darin ſuchen, viel zu brauchen, und 
Haͤuſer zu miethen, um ihre Kleiderſchraͤnke 
zu ſtellen. Doch, wir wollen nichts voraus 
nehmen. Die erſterbenden Fluren, der 
ſich entlaubende Wald, der anhaltende Re⸗ 
gen zeigte bald noch einen andern Mangel. 
In den waͤrmern Gegenden wohnte man 
unter einem Aſte, den ein dickbelaubter 
Baum wohlthaͤtig uͤber das Haupt aus⸗ 
ſtreckte. Er hielt am Tage die Stralen 
der Sonne ab, und fieng Abends den Thau 
auf. Bei dem Wechſel der Witterung in 
dieſem Erdſtreife, von dem ſich nun die 
Sonne immer mehr und mehr entfernte, 
war ein Laubdach eine unzulaͤngliche Zu⸗ 
flucht. Man mußte Wind und Regen, 
und Froſt abhalten, man mußte bauen. 

Es war mit der Baukunſt, wie mit 
allen andern Kuͤnſten. Wer dem, der am 
erſten einige Pfaͤhle in die Erde ſtieß, und 
ſie mit Zweigen verflocht, und da der Wind 
die Fugen durchſtrich, die Zweige mit ge⸗ 
weichter Erde umzog, und, wenn er gluͤck⸗ 
lich er findſam war, Pfaͤhle fchief, um dem 
Waſſer einen Abfluß zu verſchaffen, darauf 
befeſtigte, und Stroh oder Binſen darauf 
band, wer dem geſagt haͤtte: das iſt der 

U, Theil. S Anz 


274 Der Mann 


Anfang einer Kunſt, wodurch nach einigen 
tauſend Jahren Vitruve und Palladie un⸗ 
ſterblich ſeyn, wodurch der Stolze ſeine 
Groͤſſe, und der Verſchwender ſeine Hirn⸗ 
loſigkeit zeigen werden, den haͤtte er wer 
nigſtens fuͤr einen Ausſchweifenden, und 
Sinnloſen gehalten. Indeſſen wuͤrde we⸗ 
der das Vatikan, noch das Louvre die 
Fremden jemals in Erſtaunen ſetzen, wenn 
dieſer erſte nicht in ſeiner ungeſtalteten 
Huͤtte den Grund zur Baukunſt geleget 
hätte. 

Eben dieſer Klumpen ward nicht er⸗ 
richtet, ohne daß die Natur dem Beobach⸗ 
ter einige Kunſtgriffe der gebefunft ent⸗ 
decket haͤtte. Ich ſehe alſo auch den Lehr⸗ 
meiſter der Archimedes und Belidore in 
dem Erbauer dieſer Huͤtte. — 


VI. 


De einfachſten Erfindungen, diejenigen, 
die gleichſam auf der Oberflaͤche liegen, und 
ſich ſelbſt anbieten, waren den erſten Men⸗ 
ſchen am koſtbarſten. 


Es 


ohne Vorurtheil. 273 


Es war ein langer Baum, ein untrag⸗ 
barer Stein, ſonſt eine ſchwere Laſt von 
der Stelle zu bringen, aufzuheben. Der 
Menſch fand ſehr bald das Unvermoͤgen 
feiner Hände. War die Laſt, die er fort⸗ 
zuruͤcken hatte, auf der Erde, ſo hat der 
Mechanismus feiner Kräfte ihn zwar na⸗ 
tuͤrlich zur Verlaͤngerung der Linie, durch 
die Anſtaͤmmung angefuͤhrt: aber, man iſt 
nicht im Stande, eine ſolche beſchwerliche 
Stellung lange auszuhalten, man ermuͤdet, 
bevor die Arbeit merklich von der Stelle 
geht. Man bilde ſich nun den ein, der bei 
ſeinem widerſpenſtigen Klumpen keuchet! er 
hat ihn mit vieler Muͤhe ein Stuͤck empor 
gehoben: ſoll er nun ſeine Haͤnde unter⸗ 
legen, um ihn nicht wieder ſinken zu laſſen? 
er wird ihre Zerquetſchung fuͤrchten: er 
wird einen Stein, ein Stuͤck Holz, er wird 
ſonſt eine Unterlage unterſchieben, um ſei⸗ 
ne Laſt empor zu halten — Er hat ſich nun 
erholt, er ſieht, daß die Bewegung leich⸗ 
ter geſchehen wuͤrde, wenn er ſeine Laſt an 
der emporgehobenen Grundflaͤche angreift. 
Aber, er traut der Beharrlichkeit ſeiner 
Kraͤfte nicht: ſollten die Haͤnde kraftlos, 
und von der Schwere uͤberwaͤltiget wer⸗ 

S 2 ben, 


276 Der Mann 


den, ſo iſt er in Gefahr, darum zu kom⸗ 
men. Anſtatt feine Finger zu wagen, er⸗ 
greift er die zunaͤchſt liegende Stange, mit 
welcher er die Bewegung verſucht. Eine 
Menge Vortheile fallen ihm ſo zu ſagen 
ſelbſt in die Hand, ſo bald er einmal auf 
den Einfall gerathen iſt. 

Je aufgerichteter er bei dem Heben ſte⸗ 
hen kann, deſto gemaͤchlicher iſt ihm ſeine 
Arbeit. Bewundern wir die weiſen Geſetze 
der Vorſicht, welche die nuͤtzlichſten Vor⸗ 
theile ſo geordnet hat, daß man nicht konn⸗ 
te, nicht bald darauf verfallen! Um nicht 
gekruͤmmt zu ſtehen, um gemaͤchlicher zu ar⸗ 
beiten, entfernet ſich der Laſtheber immer 
mehr und mehr von der Laſt, und wie er 
ſich entfernet, fühlt er feine Kraft ver- 
groͤſſert. Er kennet nun zwar das erſte 
Geſetz des gebels nicht, aber den Zebel 
ſelbſt gebrauchet er: und wie es uns ganz 
natürlich eigen iſt, Verſuche anzuſtellen, 
ſo wird er bald auf die Unterlage ſelbſt, 
und durch eine Kette von Erfahrungen auf 
alle Erleichterungen, die der Zebel ver: 
ſchaft . kommen. 

Der Laſttraͤger verfaͤhrt taͤglich nach 
allen mechaniſchen Geſetzen des Zebels, 

oh⸗ 


ohne Vorurtheil. 277 


ohne daß er es weis: daß die Kraft nach 
Maſſe der Entfernung von dem Auf: 
liegpunkte vergröſſert wird. 

Der Keil war die erſte Entdeckung, auf 
die man geleitet war: die Axt, womit die 
Baͤume umgehoben wurden, war ſelbſt ein 
Keil, Alſo war es leicht, denſelben all⸗ 
gemeiner zu gebrauchen. Man wollte ei⸗ 
nen Baum ſpalten, man bediente ſich der 
Axt, man hieb ein. Die Spaltſamkeit des 
Holzes zeigte ſich bald durch die Fuge: 
aber dieſe Fuge verſchwand, ſobald die Axt 
herausgezogen ward. Damit ſie nun er⸗ 
halten wuͤrde, wird ein Stein, oder das 
naͤchſte, das erſte Stuͤck Holz hineinge⸗ 
ſteckt. Man darf eben nicht ſehr erfindſam 
ſeyn, um dieß zu thun. Der wiederholte 
Streich dringt nun tiefer ein, das Holz 
reißt weiter: man ſteckt ein ſtaͤrker Stuͤck 
Holz in die Fuge, man befeſtiget es mit 
einem Schlage, und ſieh, der Schlag ſelbſt 
ſpaltet das Holz, weil der Keil tiefer hin⸗ 
eindringt: die Schlaͤge werden nun ver⸗ 
doppelt, und man ſieht, wie man durch 
ben bloſſen Keil mit leichter Mühe mit der 
Spaltung der groͤßten Baͤume zu Stande 
koͤmmt. | 


63 Uns 


278 Der Mann 


Unſre Holzhauer, welche taͤglich vor 
unſerm Angeſichte ſo verfahren, ſind der 
Beweis, daß es der erſte von ihrem Gewer⸗ 
be eben ſo gemacht hat: ſie haben ſo wenig 
als er, uͤber die Mechanik ein Kollegium 
gehört; fie klieben täglich die größten Baͤu⸗ 
me, ohne zu wiſſen: das die Richtungen 
des Neils, nach welchen er gegen die 
beiden Theile des Körpers getrieben 
wird, mit ſeinen zwoen Seiten rechte 
Winkel machen. 

Ich zaͤhle unter die erſten Entdeckungen 
der gebekunſt auch die ſchiefe Slaͤche, und 
ſeht, wie man darauf verfallen ſeyn mag! 
Man hatte eine Laſt von einer Hoͤhe zu 
bringen, die Höhe war abſchuͤſſig und jaͤh, 
der kleinſte Anſtoß war maͤchtig genug: ſo 
bald ſie einmal bewegt war, ſtuͤrzte ſie 
unaufhaltſam fuͤr ſich ſelbſt dahin. Aber 
wenn ſo etwas auf einem Berge zu thun 
war, deſſen Hang ſich ſanfter verlor; ſo 
empfand man zwar gleichfalls das Beſtre⸗ 
ben der Schwere, nach dem Thale zu ſin⸗ 
ken, aber mit einer gemaͤſſigteren Kraft, 
mit einer Kraft, die durch wiederholte An⸗ 
ſtoͤſſe gleichſam von Zeit zu Zeit erwecket 
werden mußte. Dieſe Beobachtung mußte 

gar 


ohne Borurtheil. 279 


gar bald genuͤtzt werden. Obgleich manche 
Weltweiſen durch die verwickeltſten Schluͤſ⸗ 
ſe zu beweiſen ſuchen, daß die Menſchen 
nicht ſo bald ſchlüſſen; ſo mag das wahr 
ſeyn, wenn ſie eine Schlußrede nach ih⸗ 
ren Figuren verſtanden haben. Ich ge⸗ 
ſtehe ihnen gerne zu, daß Adam keine 
Schlußrede von drey Gliedern zu machen 
gewußt: aber thaͤtige Schlüſſe, die bin 
ich fo kuͤhn , nicht einmal meinem Hunde 
abſprechen zu laſſen. 

Ich gebe dem armen Thiere taͤglich aus 
meinen Händen feine Nahrung, ich ſtreich⸗ 
le, und liebkoſe es: es ſpringt mir bei 
meinem Eintritte in das Haus freudig ent⸗ 
gegen, wedelt mit feinem Schweife, bes 
lekt meine Haͤnde, vertheidiget mich mit 
ſeinem Geſchrey, mit ſeinem Beiſſen, wenn 
man zum Scherze nur nach mir ſchlaͤgt. 
Einer meiner Beſuche, ein unfreundlicher 
Menſch, kann die Vertraulichkeit des ge⸗ 
treuen Geſchoͤpfes nicht vertragen, er ſchlaͤgt 
es. Sobald dieſer Menſch in das Haus 
tritt, empfaͤngt ihn der Hund mit unzu⸗ 
ſtillendem Gebelle, laͤuft vor ihm, ver⸗ 
birgt ſich. Wie Freund Philoſoph! weil 
mein Hund nicht ſagt: wer mich näbret, 

S 4 mich 


230° Der Mann 


mich ſtreichelt, mich IiebFofer, iſt mein 
Sreund: mein gerr thut dieß alles: al⸗ 
fo iſt mein gerr mein Freund — Wer 
mich fchlagt, iſt mir 8eind; der Frem⸗ 
de ſchlug mich; alſo iſt der Fremde 
mein Seind. — Wer mein Freund iſt, 
wird mir nichts zu Leid thun, vor dem 
darf ich mich alſo nicht fürchten: vor 
meinem gerrn alſo darf ich mich nicht 
fürchten: meinen Sreund bin ich zu lie⸗ 
ben verbunden; meinen Seren alfo bin 
ich zu lieben verbunden. — Wer mein 
Seind iſt, der will mir Böſes thun, vor 
dem muß ich mich verbergen: alſo muß 
ich mich vor dem Fremden verbergen. — 
Weil mein Hund kein ſolcher unertraͤglicher 
Schwaͤtzer iſt, ſo hat er nicht das Vermoͤ⸗ 
gen zu ſchluͤſſen, ungeachtet er nach Lo⸗ 
ckes Geſetzen in der That LiebFofer, ent⸗ 
gegenſpringt, fich verbirgt » Sage eben 
ſowohl: Peter der Groſſe habe bei Pul⸗ 
tava nicht geſchloſſen, weil er feine gand⸗ 
Lung nicht in dieſe Schlußrede eingeklei⸗ 
det: wenn ich meinen Seind in eine 
Einöde locke, wo feine Soldaten drey 
Tage gunger leiden; fo werden fie ent⸗ 
kraftet; und entkraͤftete Leute find ge: 
gen 


ohne Vorurtheil. 281 


gen meine wohlgenaͤhrten Truppen nicht 
fähig auszuhalten; ich will Karin den 
XII. dahin locken: alſo und ſo weiter: 
Karl der XII., denke ich, haͤtte ihm die 
Schlußrede verziehen, haͤtte es Peter bei 
der Rede bewenden laſſen — 

Die Menſchen haben alſo immer Schluͤſ⸗ 
fe gemacht, auch die, welche Lockes Verſuch 
uͤber den menſchlichen Verſtand nicht gele⸗ 
ſen hatten: und eine geringe Aufmerkſam⸗ 
keit, mußte ſie lehren: ein Koͤrper, den 
ſie von einer Hoͤhe abwaͤrts zu bringen ha⸗ 
ben, ziehe nach einer Jaͤhe ſo ungeſtuͤm 
fort, daß es nicht in ihrer Macht ſteht, 
ſeine Bewegung aufzuhalten: daß hinge⸗ 
gen die Bewegung auf einem ſanftern Ab⸗ 
hange ſich nach ihrer Willkuͤhr beſchleuni⸗ 
gen, und zuruͤckhalten laͤßt Und nun war 
es eben fo ſchwer nicht, den Schluß um⸗ 
zuwenden, und zu ſagen: daß eine auf 
eine gewiſſe Höhe zu bringende Laſt leich- 
ter nach einer ſchiefen, als geraden Rich⸗ 
tung fortgeruͤcket wird; und ich denke, der 
menſchliche Verſtand habe beide Schluͤſſe zu 
gleicher Zeit gemacht. Ich gebe gerne zu, 
daß die guten Leute nicht gewußt haben 
moͤgen: daß die Kraft der fallenden 

K 5 Rör⸗ 


282 Der Mann 


Körper mit ihren Maſſen, und den 
Muadratwurzeln des durchzulaufenden 
Raumes in entgegengeſetztem Derbält- 
niſſe ſtehen; noch: daß ſich die Ge⸗ 
ſchwindigkeit des freyen alls verhal⸗ 
te, wie die Linie AB zur Länge AC, 
wenn A B die ſenkrechte Erhöhung des 
Körpers, und A die ſchiefe Linie, auf 
welcher ſie herabfaͤllt, anzeiget; noch auch: 
daß die Reibung den Ueberreſt der Kraft 
überwältigt: aber ich ſehe, daß unſere 
Faßzieher, die alle dieſe Geheimniſſe eben 
ſo wenig wiſſen, gleichwohl auf ihren Wein⸗ 
leitern taͤglich die groͤßten Laſten Weins mit 
vieler Geſchicklichkeit aus den tiefſten Kel⸗ 
lern auf und hinablaſſen. 

Wenn einmal ſo viel gethan iſt, ſo iſt 
es nicht ſchwer fortzuruͤcken. Die Mecha⸗ 
nik, als eine dem menſchlichen Geſchlechte 
ſo nutzbare Kunſt, muß ſehr bald groſſe 
Wege hinter ſich gelegt haben. Die nach⸗ 
folgenden Erfindungen gruͤnden ſich groſſen 
Theil auf ihre Huͤlfe — 


ohne Vorurtheil. 283 
VII. 


De auf einen gewiſſen Punkt gebrachte, 
und allgemeiner gewordene Mechanik wird 
insbeſondere der Zimmerey wohl zu ſtat⸗ 
ten gekommen ſeyn, die in dieſer Kindheit 
der Kuͤnſte mit der Baukunſt eines war: 
ſie wird dadurch Wunderwerke verrichtet 
haben. Schade, daß dieſe Zeiten nicht ir 
gend einen Geſchichtſchreiber gehabt, oder, 
daß wir wenigſtens von einem ſolchen keine 
Ueber bleibſel aufzuweiſen haben! wir wuͤr⸗ 
den darin von manchem Wunderwerke ge⸗ 
leſen, und die Zahl der ſteben merklich 
vergroͤſſert haben. Freylich wuͤrde es mit 
dieſen Wunderwerken ziemlich ohne Zau⸗ 
berey hergegangen ſeyn, ungefaͤhr ſo, wie 
mit den ſchwebenden Gaͤrten der Semi⸗ 
ramis, mit denen es auf einen groͤſſern 
Erker hinauslief, der auf einer ungeform: 
ten, durchbrochenen Bogenreihe ruhte, und 
mit groſſen Gartengefaͤſſen beſetzt war. 
Allein, wir wuͤrden, dem Alterthume zur 
Ehre, es immer gerne fuͤr ein Wunder 
angenommen, und haͤtten wir von irgend 
einer groͤſſern Huͤtte Nachricht, daraus 
wenigſtens ein Belveder gemacht haben. 
Man 


2864 Der Mann 


Man ſieht aus den zu uns heruͤberge⸗ 
brachten aͤltſten Erzählungen , daß der 
Reichthum der Menſchen in den erſten Jahr⸗ 
hunderten unfrer Zeitrechnung in geerden 
von mancherley Vieh beſtanden. Die Nord⸗ 
laͤnder hatten ſogar fuͤr den Reichthum an 
Ländereyen keine Benennung ; als le⸗ 
ganda Säh, liegendes Vieh. Noch in 
den Zeiten der Patriarchenwanderungen 
war der gewoͤhnliche Ausdruck des Reich⸗ 
thums: und er hatte Schaafe und Rin⸗ 
der, und Biel und Rnechte, und Mäg- 
de, und Eſelinnen und Namele. Da: 
mals hatte Aegypten bereits feine feſtge⸗ 
ſetzte Thronfolge. Es war ſchon uͤblich, 
den Fuͤrſten die ſchoͤnen Weiber anzuruͤh⸗ 
men, und Bruͤdern, die ſchoͤne Schweſtern 
hatten, Gutes zu thun. Es gehoͤrt eine 
lange Reihe von Jahren dazu, ehe die Sit⸗ 
ten bis zu einer ſolchen Geſchmeidigkeit ge⸗ 
langen. Wir koͤnnen hieraus eine Muth⸗ 
maſſung bis zu einer gewiſſen Wahrſchein⸗ 
lichkeit erheben: naͤmlich, daß anfaͤnglich 
nicht leicht jemand eine unwandelbare Woh⸗ 
nung aufgeſchlagen habe, und daß die Ge⸗ 
zelte und beweglichen Huͤtten unter die 
erſten Erfindungen der Menſchen gehören, 

Groſ⸗ 


ohne Vorurtheil. 285 


Groſſe Heerden fodern zu ihrem Unterhalte 
weitlaͤuftige Strecken , die dennoch bald 
abgeweidet ſind, und daher oft veraͤndert 
werden muͤſſen. Darum war das Leben 
der alten Araber eine anhaltende Reiſe, 
darum ziehen noch heute die mungaliſchen 
Tataren beſtaͤndig hin und wieder. Ber 
gegneten ſich zwo groſſe Haushaltungen, 
ſo ſchlugen ſie ſich um einen Grasflecken 
ſo hartnaͤckig, wie in neuern Zeiten die 
Englaͤnder und Franzoſen um die Kuͤſte 
von Nordamerika, wo der Stockfiſch ge⸗ 
fangen wird. 

Jaabel, oder Jobal, wie ihn der Ge⸗ 
ſchichtſchreiber der jüdiſchen Alterthümer 
nennet, war der Vater derer, welche in 
Gezelten wohnen. Bis auf ihn alſo hat⸗ 
ten die Menſchen in Hoͤhlen der Erde, oder 
ſonſt unter Baͤumen gewohnet. Der Sohn 
Ada lehrte fie eine bequemere Wohnung er⸗ 
richten. Der Namen eines ſolchen Wohl- 
thaͤters der Menſchen verdiente in den Ge: 
ſchichtbuͤchern Moſis verewiget zu werden. 
Die Welt ſcheint ihm die geſittetere 
Menſchlichkeit, und der Gegner der Ger 
ſellſchaft feinen Fluch ſchuldig zu ſeyn. 


Von 


2386 Der Mann 


Von welcher Art waren die Gezelr, 
Sabelsy Ich verſtehe hier nicht, von 
welcher Geſtalt v ich verſtehe, aus wel⸗ 
chem Stoffe ? aus gewebtem Zeuge? von 
Matten? aus Binſen, oder ſonſt einem 
Riedgraſe geflochten? aus Fellen? oder 
waren es fahrbare Huͤtten, dergleichen die 
alten Deutſchen fuͤhrten, die Tacitus Plau- 
ſtra nennet, die erſten Urbilder unfrer Waͤ⸗ 
gen, in denen es die Verſchwendung ſo 
hoch gebracht hat? — Die Vernunft macht 
nie einen Sprung, ſie ſchreit beſtaͤndig von 
dem Einfachen zu dem Zuſammgeſetzten. 

Ich entſcheide alſo ohne Anſtand fuͤr die 
Selle, weil fie die einfachſte Art find, und 
man am erſten darauf verfallen konnte. Der 
Gebrauch der Felle war bereits bekannt. 
Jabel wird eines davon, oder mehrere an 
ihren Enden an Stangen befeſtiget haben; 
es war nur eine Art von Dach, das erſte 
Gezelt. 

Ich will hier unſern Malern im Vor⸗ 
beigehen eine kleine Anmerkung mittheilen. 
Wenn ſie eine Geſchichte aus jenen erſten 
Zeiten malen, ſo duͤrften ſie immer ein 
wenig die Betrachtung zu Rathe ziehen, 


daß alle Erfindungen ſtufenweiſe fortſchrei⸗ 
ten, 


ohne Vorurtheil. 287 


ten, und daß ſie in Gemaͤlden, die eine 
Handlung der erſtern Haushaltungen vor⸗ 
ſtellen, wider das Cuſtume verſtoſſen, wenn 
fie die Hütte Sems zu einem Gberſten 
Gezelte mit einem doppelten Markeſen 
machen, und an den Wänden des Schlaf⸗ 
gemachs von Abraham Trümeau befeſti⸗ 
gen. Das Hausgeraͤth dieſer Leute war 
etwas von dem Hausgeraͤthe unſrer Wechs⸗ 
ler unterſchieden. Ich werde eben ſo 
gerne einen Alexander mit einer Scherpe 
und Federhut, als unſern Uhranherrn Noe 
auf einer Ottomanne erblicken. Sprache, 
Sitten, Kleidung, Hausgeraͤth, alles war 
ſchlecht und recht. Die Kunſt des Malers 
beſteht nicht in ſteifem Schnirkelwerke, 
ſondern in der Wahrheit der Zuſammenſe⸗ 
tzung und des Ausdrucks, wodurch die 
Taͤuſchung, die man ſo hochſchaͤtzet, zu⸗ 
wege gebracht wird. 

Kehren wir zu Jabeln wieder. Eben 
das Fell, welches von oben der Sonne, 
dem Wetter, dem Regen wehret, wird ſie 
auch von der Seite abhalten, wenn es von 
dorten vorgeſpannet wird. Was vorher 
nur allein Dach war, bekoͤmmt nun Sei⸗ 
tenwaͤnde, bis eine von allen Seiten ein⸗ 


ge: 


288 Der Mann 


geſchloſſene Hütte hingeſtellt iſt, deren Ge⸗ 


maͤchlichkeit ſehr in die Augen faͤllt, und 
darum bald Nachahmer findet. War die 
Gegend abgeweidet, und man ſah ſich ge⸗ 
noͤthiget, den Platz zu aͤndern; ſo bedauerte 
man itzt nicht mehr eine zu kurze Zeit ge⸗ 
nuͤtzte Mühe, die Erde auszuhoͤhlen, oder 
eine Hütte von Zweigen zu flechten , die 
man zuruͤcklaſſen muß: man verpflanzt 
ſeine wandelbare Wohnung mit geringer 
Mühe an den Ort, den man gewaͤhlet, 
um daſelbſt Halt zu machen. 

Man wird dabei nicht ſtille geſtanden, 
man wird verſuchet, gekuͤnſtelt, ſo lange 
gekuͤnſtelt haben, bis ein Ungefaͤhr, oder 
ein gluͤcklicher Umſtand neue Vortheile 
gleichſam in die Haͤnde fallen gemacht hat. 
Die Haͤute, aus denen die Gezelte zu- 
ſammgeſetzt waren, haben eine ſehr ſicht⸗ 
bare Unvollkommenheit, der man ohne 
Zweifel abzuhelfen gewuͤnſchet. Wenn es 
regnet, ſo ſaugen ſie, beſonders da, wo 
die Gaͤrberey noch unvollkommen, und die 


Bereitung des Leders mit dem Thrane nicht 


bekannt iſt, die Feuchtigkeit ſehr in ſich; 
und werden fie dann der Sonne ausge⸗ 


ſetzet, ſo ſchrumpfen ſie in Falten auf, 


wer 


N ee 


ohne Vorurtheil. 289 


werden hoͤkericht, unbeugſam, unbrauch⸗ 
bar: wie, wenn man etwas faͤnde, 
welches den Regen abhielte, ohne davon 
durchdrungen zu werden? wahrſcheinlicher 
Weiſe wird die Begierde einer fo nutzba⸗ 
ren Entdeckung die Aufmerkſamkeit auf die 
Gegenſtaͤnde verdoppelt haben, welche ſie 
umgaben, bis es jemanden gelungen, die 
geſuchte Eigenſchaft an dem biegſamen 
Schilfhalme aufzuſpuͤren. Die erſte Mat⸗ 
te, die an einem Gezelte geſehen worden, 
hat wenigſtens mehr Aufſehen erwecket, 
als die praͤchtigen Teppiche, welche von 
den Brüdern Gobelins nach den Zeich: 
nungen Le Bruns verfertiget worden. 
In dieſen Zeiten hatte das Auge noch kei⸗ 
ne Beduͤrfniſſe: man erfand nicht, um zu 
ſehen, man war zufrieden, zu genieſſen. 

Andere trieben die Gemaͤchlichkeit auf 
das hoͤchſte, und erdachten eine Art Ge⸗ 
zelte, die von einem Orte an den andern 
uͤbertragen werden konnten, ohne die Muͤ⸗ 
he, ſie hie abzunehmen, und dort aufzu⸗ 
richten. Alles blieb in der naͤmlichen Stel⸗ 
lung, wie es war, und ward an den be— 
ſtimmten Ort geſchaffet. Eine groſſe, eine 
empfindliche Noth muß bieſe Anſtrengung 

II. Theil. = der 


290 Der Mann 


der Erfindſamkeit zuwege gebracht haben, 
welche dazu gehoͤret, ein wandelndes Haus 
zu erſchaffen. Nichts geringers konnte es 
ſeyn, als die Schwachheit einer Kindsmut⸗ 
ter, oder einer ſonſt ſo nahe verwandten 
Perſon, und eine zweyfache Unmoͤglichkeit; 
die eine, noch laͤnger an demſelben Orte 
auszuhalten; die andre, die niederliegende 
Perſon der beſchwerlichen Witterung auf 
einer Trage auszuſetzen. Der erſte Ge— 
danken, die Bewegung aller Sterne um 
ihren Mittelpunkt die Sonne, nach ihren 
verſchiedenen Monaten und Richtungen in 
ein Verhaͤltniß zu bringen, ihren Lauf durch 
gegeneinander berechnete Triebwerke ein— 
zurichten, und, wenn ich ſo ſagen darf, 
das Weltſyſtem im Kleinen nachzuahmen, 
dieſer Gedanken, fo kuͤhn er bei dem Ver- 


fertiger der ſchoͤnen Maſchine war, welche | 
die Fremden in der kaiſerlichen Bibliothek 


in Bewunderung ſetzet, machet mich we— 
niger erſtaunen, als wenn ich den, der zu 
erſt die fahrbaren Gezelte gemacht, ſpre⸗ 
chen hoͤre: ich will dieſes Gezelt unver⸗ 
ändert einige Tagreiſen fortrücken, und 
mein Weib und meine Kinder ſollen kei⸗ 
ner n der Luft ausgeſetzet 
ſeyn, 


0 


ohne Vorurtheil. 291 


ſeyn! alles ſoll auf feiner Stelle, alles 
in der Ordnung bleiben, in der es iſt! 
Er hat es nicht geſprochen: er hat es 
unternommen, zu Stande gebracht. Bei 
Fortſchaffung eines ungezimmerten Bau⸗ 
mes hatte er wahrgenommen, daß die Be⸗ 
wegung eines walzenförmigen Balkens 
ſehr leicht vor ſich gehe. Er giebt alſo 
einer auf einem tragbaren Boden errichte⸗ 
ten Huͤtte an beideu Enden cylindriſche Un⸗ 
terlagen, und zieht, oder ſtoͤßt fie mit 
Huͤlfe ſeiner Hausgenoſſen an den Ort, 
den er zu ſeinem Aufenthalt auserſehen. 


VIII. 
Vorbericht. 


s iſt nicht ſo ſeltſam, daß man Schrift⸗ 
ſteller pluͤndert, als daß man, wie ich 
es mit gegenwaͤrtigem Stuͤcke thue, 
ihnen etwas unterſchiebt. Ich ſtelle 
mir das Erſtaunen des Mannes ohne 
Vorurtheil ſehr luſtig vor. Er er⸗ 
wartet um die gewoͤhnliche Stunde den 
Korrefturbogen, man bringt ihn nicht. 
Wie » ſagt er zu feinem Bedienten, 
habt ihr nicht das Manuſkript be⸗ 
T 2 ſor⸗ 


292 Der Mann 


forget v— Allerdings Nun wo bleibt 
heute die Rorrektur v — Ich denke 
eben darauf — Seht darnach! Der 
Bediente bringt zur Antwort: es waͤ⸗ 
re eine jaͤhlinge unverſchiebliche Arbeit 
dazwiſchen gekommen. Es wuͤrde den⸗ 
noch alles bis Morgen richtig beſtellet 
werden. So ward die Abrede mit dem 
Setzer genommen. Folgenden Tags 
koͤmmt abermal kein Bogen, und ſchon 
iſt es Mittag. Der Bediente muß dar⸗ 
nach laufen, und bringt ſtatt der Kor- 
rektur — das abgedruͤckte Blatt. Wie ; 
wasY wer hat mir fo mitgeſpielt v 
Er lieſt: G“ iſt es: denn das iſt 
unſer Geſpraͤch Wort für Wort! Ja 
mein Herr! ich bin es. Ihre Leſer, 
die Stadt erwartet ihr Urtheil, und ich 
ſah Sie zum Schweigen verhaͤrtet. Ich 
bediente mich dieſer Liſt, und ſchrieb 
unſre Unterredung nieder, und theile 
ſie hier ohne ihr Wiſſen mit. Ent⸗ 
ſchuldigen Sie mich! Werden Sie mich 
entſchuldigen? ) 
Ge⸗ 


) Unter manchen weggelaſſenen Blättern war 


ouch dieſes bereits verurtheilt, als ihm fol⸗ 
gen⸗ 


ohne Vorurtheil. 293 


Geſperaͤch. 


K Auch nicht ein Wort? 

Der Mann o. v. Nicht ein Wort! ich 
habe mehr als eine Urſache dazu. 

E. Darf ich eine nur von dieſen meh⸗ 
reren wiſſen? 5 

M. o. v. Darf ich mich entſchuldigen = 

E. In der That, das duͤrfen Sie nicht. 
Unſre Vertraulichkeit berechtiget mich zu 

23 die⸗ 


gende Betrachtung die Wiederaufnahme ver⸗ 
ſchaffte. Es bleibe ein Denkmal, wie einſt 
unbedeutende Leutchen aus gewiſſen Gegen⸗ 
den ſich mit eben der verwegenheit zu un⸗ 
ſern Lehrern herbeidringen wollten, mit 
der heute eine ahnliche Gattung ſich zu 
Richtern unſeres Sortgangs aufzuwerfen, 
oder was bei uns von irgend einem Schrift⸗ 
ſteller geleiſtet wird, zu ihrem Unterrichte 
zurückzuführen, den lächerlichen Anſpruch 
machen. Nur noch vor kurzem las ich in einem 
Journal, wo man mir endlich die Freundſchaft 
erwies, mich nicht mehr zu loben, da man mich 
ſonſt wegen der Schriften, davon ich Verfaſſer, 
und auch wegen derer, davon ich nicht Verfaſſer 
war, umbarmherzig erhoben hatte; in dieſem 
Jburnale las ich, daß ich damals zu einiger 
Bil⸗ 


294 | Der Mann 


dieſer Ungeſtuͤm. So werden Sie es heif- 
ſen, daß ich in Sie dringe. Aber kurz, 
alle ihre Leſer, die ganze Stadt fragt durch 
mich: warum dieſes Stillſchweigen? waͤre 
es, daß Sie ſich vor dem verban 
fuͤrchteten? Sie? vor ihm? 

M. o. v. Freund, ich kenne dieſe tleine 
Liſt: Sie wollen mich aufbringen, aber 
ich bin heute bei guter Laune. 

E. Deſto uͤbler! der Mann wird trium⸗ 
phiren: er hat ſcharf gegen Sie losgezo⸗ 
gen: wenigſtens lieſt man ſeine zwo erſten 
Seiten, und denkt an Sie. 

M. o. v. Das mag ſeyn: aber dann 
iſt die Schuld nicht ſeine, dann iſt ſie 
derer, die mich dabei denken. 


2. 


Bildung gekommen, weil ich proteſtanti⸗ 
ſche Bücher zu leſen angefangen. Die⸗ 

fer Ausdruck würde mir faßlich ſeyn, wenn 

ich allenfalls ein Theolog wäre: aber Demoſt⸗ 
hen und Cicero oder Plato, Montesquieu, 
Sully und Sortbonais waren von keiner der 
beiden Konfeſſionen — Der verbeſſerer trat 
noch zweymal in dieſen Blättern auf; aber 

die Folge trägt nichts mehr zur Abſicht bei, 

in welcher dieſes Stück ſich hier erhalten hat. 


ohne Vorurtheil. 295 


E. Vortrefflich! ihn noch entſchuldi⸗ 

gen? das iſt verdaͤchtig. Ich weis, was 
ich argwohne. f 
Mm. o. v. Was Sie belieben. 

E. Dieſe Gleichguͤltigkeit iſt mir un⸗ 
begreiflich. Ich weis, daß Sie ſichs zur 
andern Zeit zur Pflicht gemacht, ſchlechte 
Schriftſteller einzutreiben. Der Aufſeher! 
— oder halten Sie den Verbeſſerer, nach 
ſeiner Ankuͤndigung zu urtheilen, fuͤr beſſer, 
als jenen? fuͤr etwas mehr als einen ſehr 
mittelmaͤſſigen Kopf, deſſen Verdienſt ein 
bischen Grammatik, und einige abgedro— 
ſchene Sittenſpruͤchelchen ſind? 

M. o. v. Sie entlocken mir mein Ur⸗ 
theil. Doch was ſchadet es! unter uns 
will ich es ſagen, aber oͤffentlich, nim⸗ 
mermehr. Ich ſtehe ſehr an, ob ich den 
Ankuͤndiger des Verbeſſerers nicht mit dem 
Aufſeher “) in eine Klaſſe bringen fol. 
Das ganze Blaͤttchen iſt ſchwuͤlſtig, ger 
ſchraubt, verwirrt, unverſtaͤndlich, wenn 

T 4 man 

„) Eine Wochenſchrift, die nach der Ankündi⸗ 

gung vor dem erſten Stücke Urlaub nahm. 

Der Spielkampf, der mit dieſem Schrifter⸗ 

linge in dieſen Blättern geführt worden, iſt 

hinweggelaſſen. 


296 Der Mann 


man nicht mehr darauf ſieht, was der 
Verfaſſer ſagen will, als was er wirk⸗ 
lich ſagt. Ich wuͤrde ihm auch laͤngſt 
Recht haben wiederfahren laffen , hätten 
mich nicht zwo Betrachtungen abgehalten: 
die eine, daß vielleicht häusliche Umſtaͤn⸗ 
de dem Manne die Feder in die Hand ge⸗ 
ben, die zweyte, damit es nicht laſſe, als 
vertruͤge ich in meinem Felde keinen Ne⸗ 
benbuhler — vielleicht bloß um einer nach⸗ 
theiligen Vergleichung zu entgehen. Ich 
weiß, man giebt meiner Strenge auch dieſe 
Auslegung. 

E. Ruͤhret Sie die Meinung der Men⸗ 
ſchen, ſo mußten Sie nie dieſen freymuͤ⸗ 
thigen Ton angenommen haben, der ſo oft 
dem Laſter und dem Lächerlichen ſchreck⸗ 
bar geworden. Nun iſt es nicht mehr 
Zeit, umzukehren. Ich will Ihnen frey 
ſagen, was ich von ihren beiden vorge⸗ 
ſchuͤtzten Urſachen denke. Das Publikum 
bringt die Umſtände des Schriftſtellers 
nicht in die Rechnung; es fodert, was 
auch immer ſeinen Beruf veranlaſſe, es 
fodert ihn vor den Richterſtuhl der Kritik, 
und urtheilt ihn nach dem Schwunge ſei⸗ 
nes Anbaues ab: Ihnen mit einem Bluͤm⸗ 


chen 


ohne Borurtheif 297 


chen von Verbeſſerers Art aufzuwarten. 
Wenn häusliche Umſtaͤnde den Kritiker ent⸗ 
waffnen ſollten, wehe uns armen Leſern! 
der Muͤſſiggaͤnger wuͤrde kuͤnftig nicht mehr 
betteln, er wuͤrde ſchreiben. Ich fuͤr mei⸗ 
nen Theil werde einem ſolchen beſtaͤndig ant⸗ 
worten: es giebt einen Pflug, einen 
gammer, eine Schütze, eine Muskete. 
Ich fage dieß nicht gerade auf den Ver⸗ 
beſſerer, ich ſage es uͤberhaupt auf jeden, 
der ſchreibt, um nicht zu arbeiten. Was 
ihre zweyte Urſache belangt, Sie duͤrfen 
es nur einmal bekannt werden laſſen, daß 
Sie von dieſer Seite nicht in die Fluten 
des Stixs getauchet worden, ſo wird man 
alle Pfeile nach dem verwundbaren Fleck⸗ 
chen abdruͤcken. 

M. o. v. Aber Freund! ich kann gleich⸗ 
wohl die erſten Stuͤcke des Blattes abwar⸗ 
ten. Aus einer oder ein paar Seiten — 

E. Auf dieſe wenigen Seiten, gerade 
darauf muß ihm ſein Proceß gemacht wer⸗ 
den. Was? der Mann, der unter uns 
ganz unbekannt iſt, hat das Herz, gleich auf 
zwo elenden geſchraubten Oktavblaͤttchen 
zu ſagen: daß er die Talente unſrer wer⸗ 
denden Gellerte, Rabener, Klopſtocke, 

T5 Lei: 


298 Der Mann 


Leſſinge poliren werde» Laſſen Sie ſich 
von einem Schneider ein Kleid machen, 
Sie haben denn von ihm Probearbeit ge- 
ſehen? fern ſey es! ſpricht Freund Ver⸗ 
beſſerer, der neue Talentenpolirer, deſ⸗ 
ſen die ganze Nation beleidigenden Hoch⸗ 
muth nichts entſchuldigen kann, als das 
demuͤthige Selbſtgefuͤhl, daß die Edelge— 
ſteine auf ſehr rauhen Scheiben zuge⸗ 
ſchliffen werden. 

M. o. v. In der That kann dem Unbe⸗ 
kannten ſein gegen uns geaͤuſſerter Stolz 
nicht guͤnſtig ſeyn; und ich wuͤrde ihm, 
wenn ich mit ihm zuſammkaͤme, mit einer 
holprichten Stelle feines eigenen Vorlauf: 
blaͤttchens zurufen: daß dieſes Publikum 
ſich wegen der verächtlichen und klei⸗ 
nen Begriffe, die er ſich von ihm zu 
machen an Tag leget, rächen werde. 
Nichts koͤmmt der Vermeſſenheit dieſes 
Menſchen, nichts der Unhoͤflichkeit bei, mit 
welcher er einem ganzen Lande in das Ge⸗ 
ſicht ſagt: ein andrer Beweggrund, den 
mir beſonders die hieſigen Gegenden 
darbieten, treibt mich noch mehr zu 
dieſem Unternehmen. Sollte die Natur 
an ſchönen Geiſtern hier ſparſamer, als 

* an: 


ohne Vorurtheil. 299 


anderswo geweſen ſeyn » ich ea es 
nicht glauben — Mein Zuruf ſey ihre 
Einladung aus dem Schlafe an das 
Licht! Das froſtige: ich kann es nicht 
glauben; macht dieſes die varpergeheube 
Grobheit wieder gut? 

E. Und Brutus ſchläft e 

M. o. v. Weder immer, noch allent⸗ 
halben! Das iſt der Stolz der meiſten ver⸗ 
laufenen. . 2., von E““ bis auf N, 
daß ſie uns fuͤr Aetzung, Bedeckung und 
Knaſter, umgeſtalten wollen. So gieng eh⸗ 
mals, als Amerika entdeckt ward, mancher 
Spanier zu Schiffe, in der Hoffnung, un⸗ 
ter den Barbaren ein Fuͤrſtenthum zu er⸗ 
richten. Die Hoffnung, ein Reich des 
Witzes unter den barbariſchen Defterrei- 
chern zu gründen, hat unter den Korref- 
toren und Ueiſtern der freyen Nünſte 
in L. . bereits eine Theurung gemacht: 
und die guten Leutchen, wenn ſie bei einer 
Kanne Bier und ihrem Pfeifchen Taback 
ihre Reichstaͤge halten, ſagen einander ge= 
troſt, daß ſie die Urheber der Verbeſſerung 
ſind, welche ſeit einiger Zeit unter uns 
wahrgenommen wird. Zeigt uns doch, ihr 
Herren, was wir euch ſchuldig ſind? Wir 

ſind 


300 Der Mann 


find nicht undanfbar. Zeigt ung, wen ihr 
gebildet! — Wir laͤugnen es nicht, wir 
ſind unſern itzigen, und den kuͤnftigen, 
ohne Zweifel noch groͤſſeren Fortgang den 
vortrefflichen Schriften der — Doch wer 
kennet ſie nicht, die ewigen Schriften, de⸗ 


nen wir ihn ſchuldig ſind: aber, was ha⸗ 


ben ihre Verfaſſer mit euch gemein? daß 
manche darunter eure Landsleute find ı 
fo mag der englifche Bootsknecht ſich ruͤh⸗ 
men, daß er uns von dem Calculus dif- 
ferentialis unterrichtet, denn Newton war 
ein Englaͤnder! 

E. Itzt erkenne ich den Mann ohne 
Vorurtheil. Das ift feine Sprache. 

M. o. v. Sie haben mich bei meiner 
Schwaͤche gefaßt. Ich ſchmeichle gewiß 
unſerer Eigenliebe nicht: aber ich kann 
auch nicht vertragen, daß Leute, die nichts 
vor uns voraus haben, als daß ſie ſich 
verkennen, ſich von uns ſo veraͤchtliche Be⸗ 
griffe machen, und es wagen duͤrfen, uns 
in das Geſicht zu ſagen: ihr guten Leu⸗ 
te, die ihr unter einem groben Himmel 
gebohren, und von der Natur nur ſtief⸗ 
mütterlich mit Geiſte hegabet worden, 
wir find geſendet, die Sinfternifle zu 

zer⸗ 


* 
ohne Vorurtheil. 301 


zerſtreuen, u. ſ. w. Wie geſagt: jeder 
Spanier gab ſich fuͤr einen Abgeſandten 
des groͤßten Monarchen der Welt aus. 
E. Ich geſtehe es, es gehört ſehr vie⸗ 
le Dreiſtigkeit dazu, etwas ſolches zu un⸗ 
ternehmen, als der Verbeſſerer thut. Ein 
Wochenblatt, von der Art, wie er es an⸗ 
kuͤndigte, hat nur drey Gegenſtaͤnde: Liz. 
teratur, Moral, und Sitten. Wird er 
uns in dem erſten etwas beſſers ſagen, als 
die Rammler, die Schlegel, die Weiſſe, 
die Briefe, u. d. n. L. 2 wir koͤnnen da 
ſelbſt leſen, wo er abſchreiben wird. Die 
Moral iſt in der That ſo abgenuͤtzt, daß 
ſie eben dadurch ihren Eindruck ganz ver⸗ 
loren hat. Es geht uns, wie den ungluͤck⸗ 
lichen Buͤrgern einer belagerten Stadt: ſie 
ſind des Donners ſchon ſo gewohnt, daß 
ſie zuletzt bei dem Gebruͤlle der Stuͤcke 
ſchlafen. Die Sitten da ſollte er ſich 
an feinen verungluͤckten Vorgaͤngern ſpie⸗ 
geln. Ein Wochenblatt muß, ſoll es an⸗ 
ders anziehend ſeyn, ſich auf den Ort, fuͤr 
den es geſchrieben wird, beziehen: es muß, 
wenn ich ſo ſagen darf, ein bewegliches 
Bild der Stadt ſeyn, welches uns immer 
einen neuen Auftritt vorſtellet. Was kann 
ein 


3-2 Der Mann 


ein Fremdling von unſerm Umgange, von 


unſern Sitten kennen? was ein Mann, 
den man in dem Vorzimmer warten, nie 
in das innere Gemach kommen laͤßt, wo 
er die Geſellſchaft ſelbſt beobachten koͤnnte. 
Etweder wird er uns feine Idealvorſtel⸗ 
lung ſchildern, vielleicht den Junker mit 
einer Schmauchpfeife, den Kandidaten 
zu den Fuͤſſen der Superintendentinn, und 
ſeine Zeichnung wird unwahr ſeyn: oder 


er wird, gleich den Malern der flam⸗ 


mandfchen Schule, nur Wachſtuben und 
Bierhäuſer malen, und fein Bild wird 
Erbrechen machen. 

M. o. v. Wir wollen es erwarten, 
mein lieber E**, und bis dahin unſer 
Urtheil verſchieben. 


IX. 
Fortſetzung des VII. Stuͤckes. 


De Begriffe wechſeln, nach des Dich- 


ters Ausſpruch: 
Wie 


— a 


ohne Borurtheil, 303 


wie in dem Wald, da, wann das 
Jahr ſich neigt, 

Der dicht belaubte Baum ſich bald 

entblättert zeigt.) 

Die aͤltſten fallen am erſten dahin. 
Das vermögen, vielen Bedürfniſſen 
Genüge zu thun, heißt bei uns Reich⸗ 
thum: in den vor uns herverlaufenen Zei⸗ 
ten war es Reichthum, wenige Bedürf- 
niſſe zu haben. Daher ruͤhret der Unter- 
ſcheid unſers Beſtrebens. Wir, ſinnen 
unaufhoͤrlich, um zu bedürfen: und jene, 
dachten ſtets, wie ſie entbehren konnten. 
Eine Erfindung zu einem doppelten Ge— 
brauche war ihnen daher von unſchaͤtzba⸗ 
rem Werthe. 

Ich ſtelle mir vor, daß die Noth⸗ 
wendigkeit, fuͤr die waͤrmeren Tage und 
Jahreszeit mit einem andern Kleide, und 
abermal mit einem andern für die ſtuͤr⸗ 
miſche Witterung und die kuͤhlen Naͤchte 
verſehen zu ſeyn, den Einfall veranlaßt 
habe, ein Geweb, von welcher Beſchaf— 
fenheit es immer geweſen ſeyn mag, an 

die 
*) Ut fylvæ foliis pronos mutantur in annos 
Prima cadunt - - 


304. Der Mann 


die Stelle beider Kleidungen zu ſetzen, 
welches durch ſeine Leichtigkeit in der 
Hitze nicht ſo beſchwerlich, durch ſeine 
Geſchmeidigkeit hingegen, auch gegen 
den Froſt beſchuͤtzend waͤre. Es war fuͤr 
die damaligen Zeiten ein groſſer Wunſch, 
Eines zu beſitzen, um Zwey zu entübri⸗ 
gen! Minerva, welche von vielen mit 
Grunde für Noema, Tubalkains Schwe⸗ 
ſter gehalten wird *) , war des Altars 
werth, den ihr die dankbare Menſchheit 
errichtete. Wir ſehen, weil wir es nun 
gewohnt find, über das Gewebe und def- 
ſen Erfindung weg, die, wenn ſie uns 
neu waͤre, uns in Erſtaunen ſetzen ſollte. 


2 


*) Der Geſchichtſchreiber der erſten Zeiten nen⸗ 
net in dem Geſchlechtbuche der erſten Men⸗ 
ſchen dieſe Noema insbeſondere: und 
die Schweſter Tubalkains war 
Noema. Gen. 4. K. 22. V. Man hat wenig⸗ 
ſtens Recht daraus zu urtheilen, daß No e ma 
ein berühmres Weib derſelben Zeiten geweſen. 
Da in dieſem Kapitel nur der Erfinder mit 
Ruhme gedacht wird, ſo iſt wahrſcheinlich, 
daß Noema unter fie gehöret. Eine alte 
Ueberlieferung hat übrigens ihr die Erßn⸗ 
dung des Gewebes zugeeignet. 


ohne Vorurtheil. 305 


Betrachten wir, was dazu gehoͤrte, das 
erſte Gewebe auszuſinnen! 

Der Faden gehört unter diejenigen Er⸗ 
findungen, die dem Verſtand mehr Ehre 
machen, als das beruͤhmte Verhaͤltniß, 
über welches Pythagoras, nach der Er- 
zaͤhlung des Apollodorus den Goͤttern hun⸗ 
dert Ochſen geſchlachtet hat. Ich geſtehe 
ſogar, daß ich nicht einmal eine Muth⸗ 
maſſung wagen kann, wie man darauf 
hätte geleitet werden koͤnnen. 

Wenn wir die Philoſophen hoͤren, wel⸗ 
che dem Menſchen die Ehre erweiſen, ihn 
zum groͤßten Viehe unter allen Thieren zu 
machen; ſo haben wir die meiſten Dinge 
den letzten abgelernet. Der Kaftor war 
der Lehrmeiſter des Ditruvius, der Maul⸗ 
wurf hat Coehorn und Vauban unterrich⸗ 
tet. Wir haben nach der chineſiſchen Goͤt— 
terlehre die Fortpflanzung des Geſchlechtes 
von einem Vogel, vom Nautilus die Se⸗ 
gel, das Ruder, von, was weis ich, 
welchem Fiſche, und von der Spinne das 
Geſpinnſt gelernet. Nichts iſt deutlicher, 
als dieſes: man nennet ja das Fadenzie⸗ 
hen, nach dem Namen dieſes Thieres Spin- 
nen. — Wenigſtens iſt es offenbar, daß 

II. Theil. U die 


306 Der Mann 


die Spinne in Deutſchland ſo wohlthaͤtig 
geweſen. Denn was andre Länder und 
Sprachen betrifft, da moͤchte der etymo⸗ 
logiſche Beweis uns ein wenig ſtecken laſ⸗ 
ſen. Man hat uns nicht dieſes einzige 
Maͤhrchen mit der ernſthafteſten Mine auf⸗ 
dringen wollen. f 
Ich will zugeben, daß die Beſchaͤffti⸗ 
gung dieſes Gewuͤrmes gleichſam das Urs 
bild dazu gegeben; daß Noema, als ſie 
die Spinne ihren Faden ziehen, und dann 
eine Art von Gewebe verbinden ſah, ge⸗ 
dacht habe, daß es fuͤr uns ſehr nuͤtzlich 
ſeyn wuͤrde, wenn man auf aͤhnliche Weiſe 
Faͤden untereinander verweben koͤnnte. 
Aber was nuͤtzte dieſer Gedanken! Die 
Materie des Geſpinnſtes kam aus dem 
Leibe der Spinne ſelbſt; die ganze Me⸗ 
chanik des Fadenziehens iſt ſo beſchaffen, 
daß es nie jemand beifallen kann, dieſelbe 
nachzuahmen. Wenn man dem bauenden 
Naſtor, den ſegelnden Nautilus, ihre 
Kunſtwerke ablernte; ſo geſchah es, weil 
man nicht nur das Werk dieſer Thierchen, 
weil man auch die Art bemerken konnte, 
womit ſie ihr Werk verfertigten. Hier muß 
der Zufall, den die weiſe Vorſicht ſo oft zu 
einem 


ohne Vorurtheil. 307 


einem Werkzeuge ihrer Güte machet, alles 
gethan haben. 

Die von den Fellen der Schafe abge⸗ 
ſoͤnderte, und ohne Nutzen dahingeworfe⸗ 
ne Wolle kann durch ungefaͤhre Bewegun⸗ 
gen ſich leicht aneinander gehangen, und 
einen nur etwas laͤngern, ungeſtalteten 
Faden gebildet haben. Die gekraͤuſelten 
Faͤſerchen der Wolle find eine Art von 
Haͤckchen, die aneinander feſthalten, und 
bei einer gewaltſamen Verlaͤngerung ei⸗ 
nen Faden, oder etwas Fadenähnliches 
ziehen. 5 

Wenn die Wolle vielleicht zu einem an⸗ 
dern Gebrauche der Haushaltung diente, 
ſo war der Zufall deſto naͤher. Es iſt eine 
Eigenſchaft der Wolle, daß ſie ſich ballet, 
und in Knaͤule zuſammzieht. Die Haushalte⸗ 
rinn darf nun dieſe Wolle wieder haben ab⸗ 
föndern wollen, fie darf den widerſpenſti⸗ 
gen Knaul mit Gewalt gezogen haben! ſo 
erhielt ſie eine Art von Stricke, der ſich 
durch laͤngeres Zerren, allmaͤhlig in einen 
Faden verduͤnnet, und von einer Beobach⸗ 
terinn nicht weggeworfen wird. Ich muth⸗ 
maſſe zwar in der That nur: aber endlich, 
wo es uns an Gewißheit mangelt, da 

U 2 ſind 


” 


38 Der Mann 
find wir gezwungen, uns mit Muthmaſ⸗ 


ſungen zu ſpeiſen. Man nahm lange mit 
den Wirbeln des Karteſius, und wohl 


mit Romanen in Sachen von groͤſſerer 
Wichtigkeit vorlieb, weil man nichts bef- 
ſer wußte. Die Vernunft, wo ſie die 
Wahrheit nicht erreichen kann, ergreift 
gerne das, was ihr wenigſtens nicht wi⸗ 
derſpricht. | 5 PR 

Nach der einmal gereisten Aufmerk⸗ 
ſamkeit machte Noema in ihrer Entdeckung 
eilfertigere Schritte. Der Nutzen des Sa= 
dens iſt von groſſer Mannigfaͤltigkeit. So, 
wie ſie mehrere zu was immer fuͤr einer 
Abſicht drehte, erlangte fie durch die Ue⸗ 
bung groͤſſere Fertigkeit, entdeckte ſie meh⸗ 


rere Kunſtgriffe, mehrere Erleichterung, 


machte ſie die Sache bis zu einer gewiſſen 
Stuffe vollkommen. Nun werde ich ſie 
auf das Kunſtgewebe der Spinne aufmerk- 
ſam ſeyn, und derſelben den Gedanken 
ſchuldig werden laſſen, einen, ſo ſehr es 
thunlich ſeyn wird, feinen Faden zu zie⸗ 
hen, und durch vielfaͤltige Verſchlingung 
deſſelben, ein Gewebe zuzurichten. Sie 
bedarf dazu keines Webeſtuhls, keiner 
Schuͤtze: ihre Arbeit durfte kein Beſchau 
aus:; 


N 


ohne Vorurtheil. 309 


aushalten, und der Vollkommenheit der 
Tuͤcher von Worceſter, oder Abbeville 
den Rang nicht ſtreitig machen. Sie vol⸗ 
lendete ihr Werk mit einem ſpitzen Schif⸗ 
chen, an deſſen Ende ſie den Faden feſt 
machte, und ſo den Einſchlag durch die 
wechſelnden Faͤden des Aufzugs durchfuͤhr⸗ 
te. Die Beharrlichkeit, die zu einer fol- 
chen Arbeit erfodert wird, die Genauheit, 
und die Nettigkeit ſind der natuͤrliche An⸗ 
theil ihres Geſchlechtes. 

Es iſt leichter vollkommen zu machen, 
als zu erfinden. Man theilet einander ſei⸗ 
ne Gedanken mit; man verſucht, verſucht 
wieder; es mißlingt, und oft fuͤhret eben 
dieſes Mißlingen auf neue Wege. Nach 
und nach gewinnt die Arbeit eine beſſere 
Geſtalt. Eine Koge, denn fo ungefähr 
wird das vollkommenſte Stuͤck Arbeit aus 
Noemens Fabrike beſchaffen geweſen ſeyn, 
eine Kotze ) war der Anfang der Manu⸗ 
fakturen zu Lion. 

u 3 Ohne 


) Die Aehnlichkeit, welche die Lexikographen 
zwiſchen dieſem und dem böhmiſcheu Bo- 
Zig, Pelz ergriffen, möchte zur Noth auch 

11 auf 


310 Der Mann 


Ohne die Menſchen noch in groͤſſeren 
Geſellſchaften zu betrachten, haben wir 
ſchon Ackersleute, Viehhirten, Leder⸗ 
zurichter, Schmiede, Zimmerleute, 
Gezelt und Jeugmacher. Die Mens 
ſchen hätten ſich an dieſen einfachen Ber 
ſchaͤfftigungen genuͤgen koͤnnen, wenn ſie 
der Trieb zur Geſelligkeit, oder welche 


Urſache es auch ſonſt geweſen iſt, nicht 
in 


auf die Ableitung führen, wegen der Aehn⸗ 
lichkeit zwiſchen dem Pelze und dieſem zot⸗ 
tigten Wollengewebe. Dann wäre alſo das 


Wort aus dem Slaviſchen herübergenom⸗ 


men. H. Adelung beſchränkt den Gebrauch 
deſſelben auf Oberdeutſchland. Was hat Nie⸗ 
derdeutſchland für ein anderes? das ſagt er 
nicht. Was für eines hat das ſogenannte 

Hochdeutſche? keines. Aber in der Hand⸗ 
lung weis jeder Junge die Bedeutung die⸗ 
ſes Worts: und wenn man cs ſchon in 
Ludovici Raufmannslerifon nicht findet, 
das kann es in der Handlungsſprache fo 
wenig aus Gang und Giebigkeit ſetzen, als es 
den Namen Rlingberger Gang und Sie- 
bigkeit verſichern wird, daß Ludovici von 
dieſem Namen eines Partikularhandelsmanns 
in einem allgemeinen Handlungswörterbuche 
einen Artikel macht. 


— 4 4 
r ² ˙ü—⏑ꝛͤ —w——i'ͤ!. . UT . —1˙⏑ . h Q ˙ůQVNA 2 


ohne Vorurtheil. 311 


in groͤſſere Horden, und bald in Staͤdte 
vereinbaret hätte. Hier fiengen die Be⸗ 
dürfniſſe an, und mit ihnen, das Beftres 
ben, denſelben Genuͤge zu leiſten - 


«; 


Ich wuͤrde folgenden Brief nie einge⸗ 
ruͤcket haben, wenn ich ihn nicht einigen 
meiner Leſer als einen Beweis vorlegen 
wollte, daß ich mit dieſer durch einige 
Blaͤtter fortgefuͤhrten Abhandlung nicht 
jedermann befriedige; und daß die Zwi⸗ 
ſchenmaterien fuͤr manche derſelben eben 
ſo nothwendig ſind, als die Ruhebaͤnke 
auf einem laͤngern Spaziergange — 


Mein Herr Schriftſteller! 


er Was haben fie mit ihrem Capa⸗ 
kaum angefangen, daß er ſo lange 
nicht zum Vorſcheine koͤmmt? Ich hoͤre 
den Jungen gar zu gerne, ob Sie gleich 
feine Einfaͤlle nur ſparſam mit einmengen. 
Laſſen ſie ihn wieder an das Tagslicht 
kommen! Ihre itzige Materie mag ganz 
vortrefflich, und von verbreiteten Nutzen 
ſeyn! ich weis es zwar ſo eigentlich nicht: 
u 4 denn 


312. Der Mann 


denn fo bald ich ſehe: Sortfegung: fo 
draͤnge ich mich nicht ſehr zum Leſen. In⸗ 
zwiſchen habe ich mir ſagen laſſen; Sie 
waͤren da recht erbaulich zu leſen; und 
es hätte ſich wenigſtens niemand zu ber 
ſchweren, daß Sie ihn durchziehen. Allein, 
ich fuͤr meinen Theil will mich immer lie⸗ 
ber ein wenig getroffen finden; als fro⸗ 
ſtig Zeug leſen, das ehe in eine Geſchich⸗ 
te der Weltweisheit tauget, als in eine 
Wochenſchrift. „ 

„Nehmen ſie guten Rath an, mein 
Herr! laſſen ſie ihren Wilden alles das 
leſen, ohne daß ich es mitleſen muß! und 
fuͤhren Sie ihn — die Zeit muß ihm oh⸗ 
nehin lang werden — wieder in Geſell⸗ 
ſchaft, in Schauſpiele, in Gaͤrten, 
auf Spatziergaͤnge! das ſind ſeine Plaͤtze, 
und auch unſre Sachen; da giebt es et⸗ 
was fuͤr die Sat ire, die bei ihren erſten 
Menſchen in ihrer altmodiſchen Froͤmmig⸗ 
keit, ihren Stachel nirgend eindruͤcken 
kann. Dieſe Erinnerung, oder ſollte ich 
um ihren Stolz nicht zu beleidigen, ſa⸗ 
gen: dieſe Bitte ergeht an Sie von 
einem f 
ihrer Leſer, Namens D = de 

XX. 


— A 


ohne Vorurtheil. 313 
u: 


Wi ſind nun in den Städten ange⸗ 
langet, wo man uns mit Ungeduld er- 
wartet! Es ſind nur wenige, die an Un⸗ 
terſuchungen Antheil nehmen, welche auf 
ſie keine Anwendung haben. Wir werden 
bei den Gegenſtaͤnden, die wir vor uns 
haben, weniger ſchlüſſen als beobach⸗ 
ten. Wir ſtehen vor dem Bilde ſelbſt, 
und koͤnnen feine Theile nach Muffe un⸗ 
terſuchen. 

Gehen wir uͤber die erſte Geſtalt der 
Staͤdte fluͤchtig hinweg, um uns unfern 
Zeiten zu naͤhren! So bald eine Gefell- 
ſchaft ſich in einen gewiſſen Raum gleich⸗ 
ſam einſchloß, weil ſie daſelbſt einen fe⸗ 
ſten Sitz waͤhlte, waren ihre Beſitzungen 
begraͤnzt. Aber die Anzahl der Bewohner 
nahm durch den Zuwachs der Fremden, 
durch die Ehen taͤglich zu. Je groͤſſer die 
Zahl derjenigen ward, unter die eine ge⸗ 
wiſſe Groͤſſe von Beſitzungen zu zertheilen 
kam, deſto kleiner ward der Antheil ei— 
nes jeden, bis daß einige davon ganz oh- 
ne Erbtheil blieben. Ungerechtigkeit und 
Unterdruͤckung vergroͤſſerten bald die Zahl 

| u 5 der 


314 Der Mann 


der Unbeguͤterten; und die verſchiedenen 
Untertheilungen des Vermoͤgens, vom Ue⸗ 
berfluſſe bis zur Armuth, kamen zum 
Vorſcheine. 

Die Untertheilung der Stände folgte 
ihnen auf dem Fuſſe nach. Es ereigneten 
ſich Uneinigkeiten, ſo bald die Guͤter durch 
die Seltenheit einen groſſen Werth erhiel— 
ten. Es waren Richter nothwendig, die 
dieſe Uneinigkeiten beilegten. Um den kuͤnf⸗ 
tigen Streitigkeiten vorzubeugen, machte 
man Geſetze, die Beſitzungen zu verſi⸗ 
chern, die Erwerbungen zu ordnen. Die 
Friedensſtifter erwarben ſich Ehrfurcht 
und Anſehen, die durch freywillig beige⸗ 
legte Merkmale bezeichnet wurden. So⸗ 
bald die Zeichen eine Art von Vorzug 
andeuteten, ſtrebte der Ehrgeiz darnach. 

Eine groſſe Gefahr von auſſen oͤffnete 
der gerzhaftigkeit das Feld der Ehre. 
Der Tapfere, der durch ſeinen Muth, mit 
Ausſetzung ſeines Lebens geſieget hatte, 
ward unter Zurufungen und Gluͤckwuͤnſchen 
empfangen, als er wieder kam. Man 
fieng an, mit Unterſcheidung auf diejeni⸗ 
gen zu ſehen, die ſich ſolcher Zurufungen 
werth machten. 

Die 


ohne Vorurtheil. zı5 


Die Dankbarkeit bleibt bei den un⸗ 
fruchtbaren Ehrenbezeugungen nicht lange 
ſtehen: man begleitet dieſelben mit Ge⸗ 
ſchenken, die in Abgaben, in Beſol⸗ 
dungen ausarteten. Die, welchen die 
Geſchenke zu Theil wurden, uͤberlieſſen 
ſich nunmehr, da fie die Sorge der Nah: 
rung nicht mehr zerſtreute, den Gefchäff- 
ten ihrer Mitbuͤrger ganz. Aber von die⸗ 
ſem Augenblicke an, ward Nichts arbei⸗ 
ten, fuͤr etwas Unterſcheidendes ange⸗ 
ſehen. So wie heute ein unbeſchaͤfftigter 
Stutzer, in feinem Wagen bingewor- 
fen, die Stirne faltet, eine nachdenkende 
Mine annimmt, und wohl gar mit ſich 
ſelbſt ſpricht, um fuͤr einen Mann von 
Wichtigkeit und Geſchaͤfften angeſehn zu 
werden; ſo gieng damals jemand mit ge⸗ 
kreuzten, oder auf den Ruͤcken gelegten 
Haͤnden die Straſſen auf und nieder, um 
fuͤr einen Mann gehalten zu werden, den 
das Nachdenken Über das Wohl feiner Mit⸗ 
buͤrger der Arbeit entledigte. Noch mehr: 
ſobald der Arbeit überhoben ſeyn, ein 
Anſehen gab, ward Arbeiten müſſen, zur 
Schande. 


Es 


316 Der Mann 


Es gab, wie ich angemerkt habe, bei 
dem taͤglichen Anwachſe der Buͤrger mit⸗ 
telloſe Leute, für die keine liegenden Guͤ⸗ 
ter uͤbrig waren, die ihre Zuflucht zu ih⸗ 
rer Aemſigkeit nehmen mußten, und froh 
waren, für den Müſſiggaͤnger zu arbei⸗ 
ten, um ihren Unterhalt zu gewinnen. 
Einige verdingten ſich auf laͤngere Zeit: 
andere wurden fuͤr ein gewiſſes Stuͤck Ar⸗ 
beit gemiethet. Die einen wurden un⸗ 
terhalten, die andern hatten ſich uͤber ei⸗ 
ne gewiſſe Belohnung verabredet. 

Die viele Uebung erwarb den Arbeiten⸗ 
den Fertigkeit: ſie ſannen auf Verkuͤrzun⸗ 
gen, und erleichternde Handgriffe, wel⸗ 
ches ihnen einen Vorſprung gab, ſo daß 
ihre Arbeiten einen Vorzug erhielten, und 
jederman, der derlei benoͤthiget war, ſich 
an ſie wendete. 

Da ſie ſahen, daß ſie nicht in allen 
Gattungen die Fertigkeit gleich erreichen 
konnten, daß eine einzige Art von Be⸗ 
ſchaͤfftigung hinlaͤnglich war, ſie mit Fuͤl⸗ 
le zu naͤhren, fo lieſſen fie alles ande⸗ 
re fahren, um ſich auf eines zu verwen⸗ 
den. So theilten die Arbeitenden ſich in 
alle Beſchaͤfftigungen, ſo entſtunden die 

man⸗ 


ohne Borurtheil. 317 


mancherley Gewerbe. Aber der Namen 
Zandwerk war noch nicht, alles war da⸗ 
mals Nunſt. | 

Der Gegenſtand dieſer Gewerbe waren 
die Bedürfniſſe, welche ihre beſtimmten 
Graͤnzen haben. Alſo waren ſie nur einer 
kleinen Anzahl Menſchen Unterhalt zu ge⸗ 
ben faͤhig. Sollte eine groͤſſere Anzahl 
der vermehrten Mittelloſen genaͤhrt wer⸗ 
den; fo mußte man bedacht ſeyn, die Be⸗ 
duͤrfniſſe gleichſam zu erweitern. Zum 
Gluͤcke hat die menſchliche Natur recht 
ſehr die Anlage, dazu die Haͤnde zu bie⸗ 
ten. Die Noth machte erfindſam. Man 
ſann hunderterlei Bequemlichkeiten aus, 
die, ſo bald ſie nur bekannt wurden, die 
Begierden reizten. Buͤrger, deren Ver— 
moͤgen nicht uͤberfluͤſſig, nur zureichend 
war, konnten ihre Augen nicht nach den⸗ 
ſelben erheben, und dieſes machte ſie den 
Vermögendern werther. Der Beſitz ſol— 
cher Bequemlichkeiten ward eine neue Art 
von Unterſcheidung, denn er war ein Zei⸗ 
chen des Reichthums. 

Die, welche ſich mit Verfertigung der 
Bequemlichkeitswaaren abgaben, er⸗ 
warben gar bald ein groſſes Vermoͤgen, 

f und 


318 Der Mann 


und ſetzten ſich denen ſelbſt an die Seite, 
fuͤr die ſie ehe gearbeitet hatten. Der 
Hochmuth ward durch dieſe Gleichheit be⸗ 
leidigt, und ſah ſich nach neuen Unter⸗ 
ſcheidungen um. Auf der andern Seite 
hatten die Beſchuͤtzer ihrer Buͤrger und die 
Magiſtrate, Abkoͤmmlinge, die nicht ger- 
ne unter dem Haufen der gemeinen Buͤr⸗ 
ger unkennbar herumwandeln wollten. 
Auch dieſe verlangten nach Dingen, die 
nicht gemein wären, Die Begierde zu bar 
ben, die nach dem Maſſe zunahm, nach 
dem Viel haben, ein Vorzug war, ver- 
ſchaffte ihnen bald die Nahrungen ihres 
Stolzes. Die Handlung holte ſie aus 
fremden Gegenden. Ihren ganzen Werth 
machte das aus, daß ſie fremd waren. 
Es ſcheint, daß die Neigung nach frem⸗ 
den Oingen, mit den uͤbrigen menſchlichen 
Neigungen unabſoͤnderlich verflochten ifk, 
Man entdeckt ſie bei den ungebildeten 
Wilden, wie bei den geſitteten Voͤlkern. 
Als die erſten Europäer nach Amerika ka⸗ 
men, und den Bewohnern dieſer Halb⸗ 
kugel von unſerm Glaswerke, und andern 
Flitterzeuge Geſchenke machten, ſahen ſie 


bald darauf die Wilden damit auf ſeltſa⸗ 
me 


ohne Vorurtheil. 319 


me Weiſe geputzet erſcheinen, und ſich auf 
dieſe neuen Zierrathen ſehr viel zu gut 
thun. So macht es manchmal unter uns 
ein unpatriotiſcher Hoͤfling, der die Er- 
zeugniſſe ſeines Vaterlandes verachtet, 
weil ſie Erzeugniſſe ſeines Vaterlandes 
ſind, und ſich laͤcherlich, in fremden Lum⸗ 
pen, ohne Geſchmack, bruͤſtet, deren gan⸗ 
zer Vorzug oft darauf ankoͤmmt, daß ſie, 
wie der, der ſie traͤgt, gereiſet ſind. 

Die Handlung brachte von allen Ge⸗ 
genden Koſtbarkeiten zuſamm, und ver- 
kaufte ſie um willkührlichen Preis. Nun 
fieng die Gewohnheit an, in vielen Zim⸗ 
mern zu wohnen, taͤglich in neuen Klei⸗ 
dern, ſtets mit vielem Gefolge zu erſchei— 
nen, nun ward der Reichthum, an ſich, 
an ſeinem Gefolge, in ſeinen Gemaͤchern 
ausgekramt, nun durfte die Erfindſam⸗ 
keit auf ihre Talente einen Werth ſchla⸗ 
gen. Die verſchoͤnernden Kuͤnſte nahmen 
an dem Ueberfluſſe Theil. Sie boten 
die Hand auch den uͤbrigen Erzeugniſſen, 
und machten ſie vollkommen. Nun war 
man nicht mehr zufrieden, ſeinen Vorzug 
an ſich ſelbſt, und von innen zu zeigen: 
das Aeuſſere, ſchon der Anblick des Hau⸗ 

ſes 


320 Der Mann 


ſes ſollte die Groͤſſe des Beſitzers ankuͤn⸗ 
digen. Die Pracht ſtieg auf das Hoͤchſte. 
Die Geburt wollte den Reichthum über- 
holen, der Reichthum mit der Geburt 
in gleichem Schritte gehen. Dieſer wech⸗ 
ſelweiſe Wetteifer machte eine allgemeine 
Verwirrung. Da jedermann ſich zu un⸗ 
terſcheiden ſuchte, war es niemand. 

Mein Freund! es war nicht nothwen⸗ 
dig, hier weitlaͤuftiger zu ſeyn; du haſt 
Augen, das Bild dieſer Verwirrung ſteht 
vor dir — Nach dieſer Unterſuchung werde 
ich deine Frage von dem Gleichgewichte 
der Belohnungen *) nach Gründen ent⸗ 
ſcheiden koͤnnen. 

Du ſiehſt die Beſchaͤfftigungen der Men⸗ 
ſchen haben einen zweyfachen Rang: die 
Natur hat ſie nach einem andern, nach 
einem andern unſre Einbildung geord⸗ 
net. Nach dem erſten ſtehen diejenigen, 
welche unſre wahren Bedürfniſſe beſor⸗ 
gen, oben an. Der Ackersmann geht 
dem Jiergärtner, der Zimmermann dem 
Architekte, der Schmid dem Uhrmacher 
vor. Die Einbildung hat alles umgewen⸗ 
det, die entbehrlichſten Beſchaͤfftigungen 

wer⸗ 
) X. Stück. 


ohne Vorurtheil. 321 


werden tefchagt, belohnt, ſchwimmen 
im Ueberfluſſe, indeſſen daß diejenigen, 
ohne deren Huͤlfe das menſchliche Ge— 
ſchlecht zu Grunde gehen wuͤrde, nur 
kuͤmmerlich ſich erhalten. Die Urſache iſt, 
weil unſer Zang, unſre Lüſte, unſer 
Stolz die Belohnungen ausmeſſen. 

Wir geben fuͤr einen Tragſeſſel, der 
uns nur über die Gaſſe bringt, ohne Be- 
denken ein Zwanzigerſtück hin; aber mit 
dem, der fuͤr das Haus eine Klafter Holz 
kliebet, und einen halben Tag bei der be- 
ſchwerlichſten Arbeit hinbringt, mit die⸗ 
ſem won feiner Mühe ganz beſchweißtem 
Manne find wir grauſam genug, um ei: 
niger Kreuzer willen zu handeln. Was 
kann deutlicher beweiſen, daß wir die Ber 
lohnung nie nach der Mühe, ſondern nach 
der Beziehung, die eine Sache unmittel⸗ 
bar auf unſre Perſon hat, abmeſſen? Du 
ſiehſt aller Orten den Koch beſſer als den 
Leibarzten, den gaarkrauſer beſſer als 
den Sekretär, den Vertrauten der Lüſte 
beſſer als den Zauskaplan, den Lorſtmei⸗ 
ſter beſſer als den gaushofmeiſter, den 
Bereuter beſſer als den, der die Kinder 
unterrichtet, den Lautenſchlaͤger beſſer 

II. Theil. * als 


322 Der Mann 


als alle übrigen Zausleute beſoldet, weil 
der, ſeinem Gaumen die Geſundheit, der, 
einem wohlgekaͤmten Haare ſeine Geſchaͤff⸗ 
te, der, der Befriedigung feiner Lüfte das 
Gewiſſen, der, einem jagdrechtem Hirſchen 
feine Wirthſchaft, der den Pferden, feine 
Kinder, der endlich, einer rauſchenden 
Symphonie alles in der Welt nachſetzet. 
Beſonders aber war dem Zochmuthe 
daran gelegen, die Ordnung der Beſchaͤff⸗ 
tigungen unter und über zu ſtuͤrzen , und 
die nothwendigſten, die, worin er allen 
Menſchen gleich gehalten ſeyn muß, in 
dem Staube zu druͤcken, damit fig ihm 
kein ſtiller Vorwurf wuͤrden. Jener in⸗ 
dianiſche Fuͤrſt ſpeiſet, und geht nie in 
Gegenwart eines Menſchen zu Stuhl, 
damit feine Unterthanen aus dieſen Noth⸗ 
wendigkeiten nicht etwa ſchluͤſſen, er waͤ⸗ 
re mit ihnen von gleichem Fleiſche. Die 
Groſſen von Europa thun etwas Aehnli⸗ 
ches: ſie ſind karg gegen die, von welchen 
ſie die Bedürfniſſe des Menſchen erhal⸗ 
ten muͤſſen: ſie ſind verſchwenderiſch gegen 
die, welche ihnen die Bedürfniſſe ihrer 
Gröſſe darreichen; ſie wollen nicht Men⸗ 


ſchen, ſie wollen nur Groſſe ſcheinen. 
XI. 


ohne Vorurtheil. 323 
XI. 


Wen keine Groſſen waͤren, ſagte mein 
Capa⸗kaum: ſo gaͤbe es alſo keine Kuͤnſte 
der Ueppigkeit, und, ſetzte er hinzu, wenn 
keine Kuͤnſte der Ueppigkeit waͤren, gaͤbe 
es dann Groſſe? 

Es gaͤbe dann, verſetzte ich, nur wahr⸗ 
haft Groſſe. Ihre Zahl würde betraͤchtlich 
kleiner, aber dadurch um ſo verehrungs⸗ 
würdiger ſeyn. Man geht itzt bloß darum 
bei ihnen voruͤber, weil man nicht gerne 
vor ſo manchem Taugenichts ſtehen bleibt, 
der ſich die Kennzeichen der Groͤſſe wider⸗ 
rechtlich umgeworfen hat. 

Dieſe Rede erregte bei meinem Freunde 
Verwunderung. Wie, hub er an, iſt der 
Stand der Groſſen ſo unbeſtimmt? ſind 
ihre Kennzeichen fo zweydeutig? unter⸗ 
richten Sie mich doch: was iſt groß ? 

Frage, antwortete ich ihm, frage den 
Samojeden, mitten unter den ſchoͤnen Da⸗ 
men des ruſſiſchen Hofes um die Schoͤnheit 
einer Frau: o, iſt ſeine Antwort, unſre 
Weiber ſind doch wohl ſo ſchön, als 
ihr ſeyd! Dieſe Schönheit hat eine gel⸗ 
be Haut, kaum ſichtbare Augen, aufge⸗ 

& 2 dun⸗ 


324  . Der Mann 


dunfene Backen, und eine Bruſt, trotz 
dem ſchoͤnſten Ebenholze — Frage einen 
Neger: ſchön, wird er dir ſagen, ſind, 
eine ſanfte ſchwarze Baut, tiefliegende 
Augen, eine aufgeflugte Naſe, und 
Baare, krauſer, dann die Wolle: er 
zeichnet dir in ſeinen Worten das Bild 
ſeiner Geliebten, die in ſeinen Augen eine 
vollkommene Schoͤnheit iſt. Frage eine 
unfrer europaͤiſchen Schoͤnen, wohin die 
Ohrgehaͤnge gehoͤren? in die Ohren, ohne 
Zweifel » Nein, ruft ſein Weib aus einem 

andern Welttheile, ſie gehören in die 
Naſe, und man heißt fie nicht Ohrge⸗ 
hänge, man heißt fie Naſengehange. 
Ruͤhme dem Weibe eines Cinguleſen das 
wohlgebildete Ohr deiner Geliebten! Pfui, 
ſpricht ſie, wie klein es iſt! es reicht 
nicht auf ein Viertheil an das meinige 
— Zu Bali gegen Oſten von Groß java 
heiſſen die Weiber ihre Maͤnner Böcke, 
wenn ſie baͤrtig ſind: dieſe beraufen ſich 
daher auch das Kin: aber der Maldiver 
ſchilt die Natur grauſam, wenn ſie ihn 
nicht uͤber und uͤber mit Haaren beguͤnſti⸗ 
get — Wir laſſen unſre Zaͤhne wachſen, 


und beſchneiden unſre Naͤgel: die Java⸗ 
ner 


ohne VBorurtheil. 325 


ner laſſen Nägeln und Haaren den natuͤr⸗ 
lichen Wachsthum, und befeilen die Zaͤhne. 

So wenig als die Menſchen uͤber die 
Begriffe des Schönen einig geworden, ſo 
wenig ſind ſie es uͤber den Begriff des 
Groſſen. Hoͤre den Reichen! die Gröſſe 
ſpricht er, beſteht in Schätzen: wer 
Schatze hat, hat Rang, hat Titel, hat 
Verdienſte. Nein! faͤllt ihm Adelswerth 
ein, ein Stammbaum, von einigen 
Klaftern, der macht groß: nur Ahnen 
find es, die Gröſſe geben — So denken 
Sie, unterbricht ihn ein Marius: von 
niederer Geburt abſtammen, ſich bis 
zum Romandoſtab aufſchwingen, auf 
gethürmten Leichen feiner Seinde da⸗ 
hinfahren, und ihre Schädel unter den 
Rädern feines Triumphwatens knarren 
hören: das iſt Gröſſe! oder war ich et⸗ 
wan nicht groß y — Nicht fo groß als 
ich, ſagt der Fakir: ich trage Retten 
an meinen Süſſen, um meine Lenden 
Stachel; ich ſpeiſe mein Brod beſudelt 
mit Roth: daß heißt groß ſeyn! — Auf 
feinen Folianten, als auf einem Fußge⸗ 
ſtelle, ſitzt der Bücherſchreiber, und ſieht 
mit Verachtung auf Geld und Ahnen, und 

3 Schlacht⸗ 


326 Der Mann 


Schlachtfeld und Heiligkeit, und duͤnkt nur 
ſich groß, weil er mehr Baͤnde herausge⸗ 
geben, als ein Kamel zu tragen im Stan⸗ 
de iſt. Wer wird unter allen dieſen Rich⸗ 
ter ſeyn? jeder beſtimmt das Weſen det 
Groͤſſe auf ſich. 

Betrachte zween Menſchen bei ihrem 
Sterben! der eine geht mit ſtandhafter 
Gelaſſenheit nach dem Richtplatze; er oͤff⸗ 
net ſeinen Mund nicht, weder gegen ſeine 
Verurtheiler, noch gegen ſeine Henker: er 
kniet willig auf das Sterbgeruͤſt hin, fal⸗ 
tet ſeine Haͤnde gegen den Himmel fuͤr ſei⸗ 
ne Feinde, legt freudig ſeinen Hals unter 
das Beil, und — ſtirbt. Der andre tritt 
ſingend und mit muthwilligem Huͤpfen un⸗ 
ter dem Haufen ſeiner Peiniger einher: er 
ſchmaͤht ſie unaufhoͤrlich; er fodert ihre 
Grauſamkeit gleichſam auf, ihm alles an⸗ 
zuthun, was fie nur Schreckliches aus⸗ 
zudenken weis. Stuͤcke Fleiſch werden aus 
ſeinem Leibe geriſſen, wuͤtende Weiber ver⸗ 
ſchlingen ſie in ſeinem Angeſichte. Deſto 
beſſer! er unterdruͤckt das Gefuͤhl! beißt 
ſeine Zaͤhne, und ſingt ein Siegeslied auf 
ſeine Nation. Nun iſt er auf dem Platze, 
wo er feinen Feinden zum Gaſtmahle die- 

nen 


ohne Vorurtheil. 327 


nen ſoll; er ſieht die Spieſſe, ſieht das 
Feuer bereitet; nichts macht ihn zaghaft, 


er wird nun am Feuer umgewendet, hun⸗ 


grige Kinder fallen uͤber ihn her, und zer⸗ 
fleiſchen ihn, ehe der Braten gar iſt: ſein 
letztes Wort iſt ein Schimpfwort auf ſei⸗ 
ne Feinde. Frage den Huronen: wie ſtarb 
der letzte? als ein geld: mein Tod ſey 
wie der Tod dieſes Mannes! antwortet 
er. Frage einen Europaͤer, wie war das 
Ende des erſten? großmüthig! wird er 
verſetzen: das iſt der Tod der groſſen 
Geiſter. Der eine ſtarb als ein Lamm, 
der andre als ein Löw: aber der Aus: 
ſpruch verſchiedener Voͤlker erweiſt ihrem 
Tode gleiche Ehre. So ſchwankend iſt der 
Begriff des Groſſen. ö 

Dieſes Weib hat etwas Groſſes in ih⸗ 
rem Anblicke! dieſer Mann hat etwas 
Groſſes in feinem Betragen. Dieſes Ger 
baͤu iſt etwas Groſſes! 

Dieſes Weib, mit einem ſtolzen Gange, 
mit einem dreiſten Blicke, mit einem Tone 
der Zuverſicht, mit einer Bildung, die 
weniger einnehmend, als ehrerbietungers 
weckend iſt, dieſes Weib, wenn ſie eine 
Eliſabeth, eine Thereſia, eine Ratha⸗ 

* 4 ri⸗ 


328 Der Mann 


rina iſt, dann hat fie etwas Groſſes. Laßt 
eben dieſes Weib eine gemeine Buͤrgerinn 
ſeyn, und fie wird laͤcherlich. Eleonora 
Galigai war eben die, welche die Mar⸗ 
ſchallinn d' Anere war: aber nur bee letz⸗ 
tern Anblick war groß. 

Dieſer Mann biet jederman ſeinen Schutz 
an; wer ihm dienet, den belohnet er fuͤrſt⸗ 
lich; ſeinen Kutſchen, ſeine Pferde, ſein ganz 
Gefolg ſind mit Geſchmack gewaͤhlet; er 
zeigt ein edles Selbſtgefuͤhl in ſeinem Bli⸗ 
cke. Wohl! wenn er ein Miniſter iſt, 
wenn ſein Vermoͤgen ſeinem Aufwande zu⸗ 
ſaget; ſo iſt er leutſelig, großmüthig, 
prächtig. Wenn aber ein Landjunkerchen 
mir feinen Schutz anbiet, fo werde ich be⸗ 
leidiget; wenn ein Mann von mittelmaͤſ⸗ 
ſigem Vermögen, wie ein Lichtenſtein be⸗ 
lohnet, fo heiß ich ihn einen Verſchwen⸗ 
der; wenn ein Zugrundgerichteter ſeinen 
Zug, wie ehe fortſetzet, ſo heiß ich ihn 
einen Thoren. 

Wer wohnet in dieſem Pallaſte 2 weſſen 
ſind dieſe praͤchtigen Gaͤrten? weſſen dieſe 
koſtbaren Bildſaͤulen? dieſe corinthiſchen 
Gefuͤſſe? dieſe Sammlung von Seltenhei— 
ten? des Lukullus, fie find die Srüchte 

ſei⸗ 


ohne Vorurtheil. 329 


ſeiner Siege. Ich bin zufrieden, und 
ſage: ſie zeigen von der Gröſſe ihres 
Beſitzers. Aber man antwortet mir: ei⸗ 
nem gewiſſen Popilius, einem Dekurio 
aus der sten Legion: und ich werde laͤ⸗ 
cheln: man ſetzet hinzu, dem Mörder 
Cicerons, er hat ſie von dem Lohne 
ſeines Meuchelmordes angekauft: und 
ich enthalte mich nicht, Schande Roms! 
auszurufen. 

Umſtaͤnde, die, mit dem Begriffe der 
Groͤſſe ſogar zu ſtreiten ſcheinen, koͤnnen 
dieſen Widerſpruch ablegen. Sieh dieſen 
Elenden, der auf uns zukoͤmmt! Er wird 
unſer Mitleid zu erwecken ſuchen. Ich ha⸗ 
be, ſagt er, da er uns nahe iſt, ein Weib 
und drey Kinder zu ernaͤhren; der Winter 
iſt heftig, und kaum, daß ich dieſe weni⸗ 
gen Lappen umzuwerfen habe, die nur mei⸗ 
ne Bloͤſſe bedecken, nicht wider den Froſt 
ſchuͤtzen. Viele Tage ſchon habe ich kei⸗ 
nen Verdienſt, mein Weib liegt darnieder, 
meine Kinder ſtarren in einer unbewahrten 
Huͤtte, und ſchreyen nach Brod, wovon ich 
ihnen nicht einen Mundvoll reichen kann — 
Das Bild ſeines Elendes iſt wahrhaft, iſt 
nach dem Leben gezeichnet. Du frageſt: 

25 Wer: 


330 Der Mann 


Warum ich dadurch nicht gerührt wer⸗ 
de w warum ich ihn mit einigen Kreu- 
zern von mir weiſe !? Weil er ein Müſſig⸗ 
gänger iſt, der ſich aus Faulheit in dieſe 
elenden Umſtaͤnde verſetzet hat, der das 
Geld, welches ihm die Mildthaͤtigkeit ge⸗ 
ruͤhrter Buͤrger zuwirft, verſchlemmet; der 
ſeine Kinder zu ruchloſen Thunichts, gleich 
ſich ſelbſt, erzieht, und wie ein ſchaͤdliches 
Inſekt, wann er ſtirbt, eine ſtaͤrkere, un⸗ 
austilgbare Brut hinterlaͤßt. Sein Elend 
erregt Erbarmung; aber die Urſache ſei⸗ 
nes Elendes, bringt wider ihn auf: meine 
ſchon ausgeſtreckte Hand zieht die Betrach⸗ 
tung der buͤrgerlichen Pflicht zuruͤcke: ſtatt 
ihm beizuſpringen, ſtatt Oel in ſeine Wun⸗ 
den zu gieffen , und ihn mit lindernden 
Worten zu troͤſten , ſage ich ihm: das 
Juchthaus ſey deine gerberg! 


Aber leſe folgende Erzählung von Irinen: 


Bis hin in eine Hoͤhle 

Verfolgete mit Ungluͤck 

Das Schickſal ſeine Tugend. 

Gepeiniget von Schmerzen 

Des Leibes und der Seele, 
Rief 


ohne Vorurtheil. 331 


Rief er, daß es die Felſen 
Der Wuͤſte wiederhallten: 

Ihr Götter! o ihr Götter! 
was habet ihr für Quaalen, 
Dem Srommen zubereitet n 
Und, weinend ſeinen Jammer 
War er ſchon ein Rebelle 
Der Goͤtter in Gedanken. 


Als ſich ein weiſer Dichter, 
Ein frommer Freund der Götter, 
Fuͤr Jupiters Geſandten 

Ausgab, und ſeines Gottes 
Entſchluͤſſung offenbarte. 


Zevs — ſprach der weiſe Dichter, 


„ Hat, Frommer deine Klagen 
„ Gehört, und will dich troͤſten, 
„Und gluͤcklich machen. Irin! 
„Dein Leben voll der Quaalen 
„War eine Luſt der Götter, 
„Denn zwoͤlfe waren gluͤcklich 
„Weil du nicht gluͤcklich wareſt — 
„Nun aber dich zu troͤſten 
„Soll ihnen keine Sonne, 
„Des Gluͤckes weiter ſcheinen! 
„„In 


332 Der Mann 


„In ſolchen Jammerhoͤhlen, 

„ Wie deine da, ſoll jeder, 

„ Sein ungluͤckvolles Leben 

„ Verſeufzen: ſieh das wollen 
„Nunmehr die guten Götter: 
„Und unter dieſen Zwoͤlfen 

„ Iſt Pylades der fromme: 

„ Dein Freund, und Orondates 
„ Der Freund der weiſen Dichter! 


Schnell betete der Arme: 
„ Vergebet o ihr Götter 
„ Mir meines Jammers Klage! 
„Vergebt fie mir, und laſſet, 
„Mein Ungluͤck, meinen Jammer 
„Noch einſt fo lange dauren, 
„Als ihr zuerſt nur wolltet, 
„Um zwoͤlf der Menſchen Willen! 


Sieh hier einen Armen — freywillig 
Armen: aber welche Groͤſſe in dieſer Frey⸗ 
willigkeit! Titus, deſſen Menſchenliebe noch 
immer ein Zuruf neugewaͤhlter Regenten 
bleibt, weil ſie keiner deiner Nachfolger 
uͤbertroffen, Titus ſteig herab von deinem 
Throne! Irin iſt wuͤrdiger als du, darauf 


iu ſitzen — 
XII. 


ohne Borurtheil, 333 
| XII. 


Man iſt nicht mehr uͤber die Zeichen der 

Groͤſſe einſtimmig, als uͤber die Gröſſe 
ſelbſt. In Bantam, erzaͤhlen die Reiſe⸗ 
beſchreiber, rechnet man ſichs zur Schande, 
Schuhe zu tragen; und in Randi Ceylan 
iſt derjenige der beleidigten Majeftät ſchul⸗ 
dig, der ſich in Schuhen blicken laͤßt: denn 
die Ehre, Schuhe zu tragen, iſt dem Koͤ⸗ 
nig allein vorbehalten. Nur die Edelſten 
unter den Sueven hatten das Recht, ihre 
Haare zu winden, und in einen Rnotten 
zu ſammeln, wie ihn der verwildete Junge 
traͤgt, der auf den unbegraͤnzten Heiden 
Panoniens hinter einer Heerde Ochſen zieht, 
und keinen Kamm kennet. Bei den Juden 
war ein durchbohrtes Ohr das Kennzei— 
chen der ewigen Knechtſchaft ), und die 
Inkaſe erhuben die verdienten Maͤnner da⸗ 
durch in den Ritterorden, daß ſie denſel⸗ 
ben das Ohr mit einer guͤldnen Stifte 
durchſtachen. Der Orden der Nühe bei 
dem Banian, der Urinorden bei den Hot⸗ 
tentoten, ſind ein wenig von dem güldnen 

Vlieſ⸗ 
) Exod, 21. 6. 


334 Der Mann 


Dlieffe und dem blauen Kordon verſchie⸗ 
den. Bei unſern Vorfahren waren lange 
Haare eine Unterſcheidung des Adels, aber 
bei mehr dann einer oſtindiſchen Nation 
traͤgt nur der Sklave dergleichen, der hin⸗ 
ter ſeinem Herrn hergeht, und ihm Betel 
in einem Beutel nachtraͤgt. Wiſſen die 
Menſchen jemals unveraͤndert bei einem 
Gedanken ſtehen zu bleiben? Nimm hin⸗ 
wer, ſagten einsmals die Weiber zu ei⸗ 
nem Manne, nimm hinweg von uns die 
Schande der Eheloſigkeit.) Was da⸗ 
mals Schande war, iſt heute zu einem 
vollkommenern Stande, folglich zur Ehre 
geworden. Jederman ruͤhmet die Reiſe 
Trajans, die er zu Suffe durch fo viele 
Provinzen feines Kaiſerthums gethan, je⸗ 
derman ruͤhmet ſie; aber jederman will 
Pferde und Kutſche, nicht bloß zur Ge⸗ 
maͤchlichkeit, auch als ein Zeichen der Un⸗ 
terſcheidung. Mein Stand fodert unum⸗ 
gaͤnglich eine Equipage, ſagt der Rath, 
und vielleicht ſchon jemand unter ihm, und 
ſeit dem iſt Gehen eine Erniedrigung ge⸗ 
worden; nur gemeine Leute duͤrfen es 
kön⸗ 


) Ifai, 4. 1. 


ohne Vorurtheil. 335 


können. Bis auf die kleinſten Ehrenbe⸗ 
zeugungen erſtrecket ſich dieſe Wandelbar⸗ 
keit. Die Morgenländer werden vor eis 
nem Manne, dem ſie mit Ehrerbietigkeit 
begegnen wollen, nie ihr Haupt entbloͤſſen, 
und wir daſſelbe vor unſern Obern nie be⸗ 
decken. Zoutmanns Tagebuch der oſtin⸗ 
diſchen Schiffart erwaͤhnet einer ſeltſamen 
Art von Ehrenbezeugung, womit ihm die 
Indianer begegneten: ſie nahmen, ſagt 
er, feinen linken Suß, und fuhren da⸗ 
mit an ihrem rechten Beine bis an das 
Knie hinauf, von hier bis an das Ger: 
ſicht von unten auf, und endlich bis 
an den Wirbel des Kopfes. Unſre Art 
zu gruͤſſen, naͤmlich mit dem einem Beine 
hinter ſich aus ſtreichen, iſt wenigſten für 
den Gegruͤßten nicht ſo beſchwerlich. 

Bei dieſer Mannigfaͤltigkeit der Begrif⸗ 
ſe und Zeichen ſind wenigſtens alle Voͤlker 
uͤber einen Punkt vollkommen einig: daß 
die Gröſſe auf Verdienſt gegründet iſt; 
nur weichen ſie voneinander ab in der Be⸗ 
ſtimmung des verdienſtes ſelbſt. 

Die Voͤlker von Europa, welche ſich 
ſelbſt die polizirten nennen, raumen dem 

erb⸗ 


336 Der Mann 


erblichen Verdienſte, das iſt, der Geburt 
die erſte Stelle ein. N 

Ich begreife dein Befremden, ich ſehe 
deine Fragen voraus. Es ſoll die Reihe 
kommen, mir ſie vorzutragen. Dieſes 
Verdienſt, das ein Geſchenk des Gluͤckes 
iſt, welches allein dem Reichthume nicht 
feil ſteht, hat Tadler, weil es beneidet 
wird. Was hat der Enkel mit dem 
Derdienfte des Anherrn gemein iſt die 
allgemeine Frage derer, die eine ſolche Fra⸗ 
ge ſehr ungeſchickt finden wuͤrden, wenn 
es ihr Anherr geweſen waͤre. Ein neuer 
Schriftſteller hat fie auf eine ſehr ſinnrei⸗ 
che und gruͤndliche Art beantwortet, dieſe 
Frage. Er fuͤhret den Cyniker Diogenes 
mit einem gewiſſen Rabutin auf, die ſich 
in dem Aufenthalte der Abgeſchiedenen un⸗ 
terreden. Diogenes iſt wegen ſeiner Of— 
fenherzigkeit, die oft in das Unhoͤfliche 
faͤllt, beſchrieen, Rabutin iſt als der eitel⸗ 
fie Menſch aus feinen fonft ſchoͤnen Briefen 
bekannt. Diogenes redet den franzoͤſi⸗ 
ſchen Grafen an: 

Glaube mir! ſagt er, laß dieſen leicht⸗ 
ſinnigen Reimer, mit dem ich dich ſo oft 


finde, und unterhalte dich mit mir! 
Re: 


# ohne Vorurtheil. 337 


Rabutin. 

Du ſprichſt ſehr frey von einem Manne, 
wie Ovid war, den alle Voͤlker einſtimmig 
fuͤr einen der witzigſten Geiſter des Alter⸗ 
thums anſehen. 

B | 
In der That, das war er; aber was 


iſt das auch! 
Rabutin. 


Was ein Schriftſteller vom erſten Kane 
ge ift, der die Zierde, das Ergoͤtzen der 
Geſellſchaft ausmacht? 

Diogenes. 

Ja, wie das Flitterwerk gewiſſe Klei⸗ 
der putzet. Welches weſentliche Verbienſt 
findeſt du an dem Verfaſſer der Verwand⸗ 
Lungen und was weis ich, welcher an⸗ 
deren Taͤndeleyen noch? 

Babutin, 
Ich ſehe hier einen tiefſinnigen Welt⸗ 
weiſen, der ſich hinter die Blumen des 
Scherzes und der Galanterie verbirgt. 
Diogenes. 

Du mußt in jener Welt ſelbſt ſehr ga⸗ 
lant geweſen ſeyn, daß du hier noch die 
ſo ſehr liebeſt, die es waren. | 


II. Theil. 9 Ra⸗ 


338 Der Mann 


Rabutin, 

Ich war es weniger, als der Roͤmer; 
aber es ſind zwiſchen uns manche andre 
Aehnlichkeiten. Er war ein Mann von 
Wiſſenſchaften; ich machte mein Werk 
daraus, ſie anzubauen. Er lebte unter 
einem Kaiſer, einem Befoͤrderer der Wiſ⸗ 
ſenſchaften und Kuͤnſte. Ludwig der late, 
deſſen Unterthan ich zu ſeyn, die Ehre 
hatte, heißt er nicht Frankreichs Auguſt y 
Ovid verfiel in die Ungnade ſeines Fuͤr⸗ 
ſten; ich war fo ungluͤcklich, meinem Koͤ⸗ 
nige zu mißfallen. Er wurde in die Inſel 
von Thalaſſien verwieſen „ich auf meine 
Guter. | 

Diogenes, 

Setze noch hinzu, daß er in een 
Elende Verſe gemacht, die zu witzig waren, 
als daß ſie ruͤhrend ſeyn konnten; und 
daß deine Briefe zu geputzt ſind, um pa⸗ 
thetiſch zu ſeyn. 

Rabutin. 

An dieſem Zuge erkenne ich den Dloge⸗ 
nes. Aber ich vergaß in meiner Verglei⸗ 
chung, daß Ovid ein roͤmiſcher Ritter war, 
und ich von einem der beſten abelichen 
Haͤuſer abſtamme. 

Dio⸗ 


ohne Vorurtheil. 339 


Diogenes. 

es ſollte mich Wunder genommen ha⸗ | 

ben, wenn du deines Adels nicht erwaͤh⸗ 

net haͤtteſt. Das iſt ein Punkt, den du 

uns nicht erlaͤßt, ohne uns auch deine 
Dienſte herzurechnen. 
Rabutin. 

In der That waren ſie eines beſſern 
Schickſals wuͤrdig, und du wirſt geſtehen, 
daß ein Mann von meinem Range ⸗ 

Diogenes. 

Aber nun, was iſt er denn dieſer Nang 
dieſer angebliche Adel, wovon du ſo viel 
Aufhebens macheſt? — Ich will es hin⸗ 
gehen laſſen, wenn man ihn ſelbſt erwor⸗ 
ben hat: dann iſt es ein Eigenthum, eine 
Erwerbung, dann iſt es billig, daß man 
es genießt. Aber wie koͤmmt der Sohn 
dazu? will er adelich ſeyn, ſo fange er 
von Vorne an, er mag ſich beſtreben es 
zu werden. Es waͤre ſonderbar, daß er 
Verdienſte und Unterſcheidung foderte, weil 
ſein Vater ſie hatte. 

Rabutin. 

Dieſes Geſchwaͤtz taͤuſcht durch einen 
Schein von Philoſophie. Sage mir Dio⸗ 
genes, wenn dein Vater durch ſeine Muͤhe, 

Y 2 und 


340 Der Mann 


und Haͤuslichkeit groſſes Vermögen erwor⸗ 

ben haͤtte, und nach ſeinem Tode machte 

man es dir ſtreitig, einzig darum, weil 

du ſolches nicht ſelbſt erworben hätteft , 

was wuͤrdeſt du dazu ſprechen? | 
Diogenes, 

Daß es die hoͤchſte Ungerechtigkeit und 
Thorheit waͤre: und daß dieſes Vermoͤgen 
mir ſehr rechtmaͤſſig angehoͤrte, weil ich 
der einzige Erbe meines Vaters bin, der 
es unbeſtritten beſeſſen. 

Rabutin. 

Nun denn, warum machſt du mir mei⸗ 
nen Adel ſtreitig, der von meinen Ahnen 
auf mich gefallen. 

Diogenes. 

Der Fall iſt ſehr verſchieden. 

| Rabutin. 

Weniger als du dir einbildeſt. Dieſer 
Adel macht einen Theil meines Erbtheils 
aus, wie die Schaͤtze deines Vaters das 
Deinige. 

Diogenes. 

Aber wenn du durch deine Thaten ihn 

erniedrigeſt — 


Re: 


ohne Vorurtheil. 341 


Rabutin. 

Und wenn du das Vermoͤgen verſplit⸗ 
terſt? — 6 
Diogenes. 

Das iſt meine Sache, es vernünftig 
zu verwalten, will ich davon Eigenthuͤmer 
bleiben. 

Rabutin. 

Muß ich nicht gleichfalls meine Geburt 
unterſtuͤtzen, woferne ich mich nicht enteh⸗ 
ren will? Aber dann, wann ich edel hand- 
le, ſo ſetze ich ſelbſt dem ererbten Adel zu, 
wie du den Reichthum deines Vaters durch 
kluge Haushaltung vergroͤſſern wuͤrdeſt. 

Diogenes. 
Die Eitelkeit allein kann dieſe erfunden 


haben. 
Rabutin. 

Eben als ſagte ich, der Geiz habe das 
Geſetz der Erbfolge gefchriebens Sieh, 
wohin die Haſtigkeit verleitet! ſie graͤnzet 
ſo nahe an den Irrthum, als die Unbe⸗ 
ſonnenheit. 

Diogenes. b 

Welche Thorheit, einen Menſchen we⸗ 
gen der Verdienſte ſeines Vaters zu ehren! 
Ich finde nichts ſo tolles, es ſey denn das 

Y 3 Vor⸗ 


342 Der Mann 


Vorurtheil, das wegen eines Spitzbuben 
eine ganze Verwandtſchaft mit een be’ 
legt, wenn = = 

Rabutin. 

Neuer Irrthum! was du unvernünftig 
ſchiltſt, iſt eines der beſten Grundgeſetze 
der Geſellſchaft. Nichts konnte beſſers er⸗ 
dacht werden, den Abſcheu vor dem Laſter, 
und die Liebe zur Tugend in den Familien 
fortzupflanzen, als dieſe Vererbung des 
Ruhmes, oder Schande. 

Diogenes. 

Welch eitles Huͤlfsmittel des Stolzes, 
der immer ſinnet, ſeine Kleinheit, und 
Elend zu vermummen! der Weiſe kennt 
keinen Adel als die Tugend, keinen Poͤbel 
als in dem Laſter. 

Rabutin. 

Ich fürchte ſehr, daß der Unadeliche die⸗ 
ſen ſchoͤnen Spruch nicht aus der Urſache 
mißbrauche, aus welcher der Arme gegen 
die Reichen ſchreyt. Die Tugend iſt ohne 
Zweifel das Kennzeichen des wahren Adels; 
aber eben darum verdient der Adel Unter- 
ſcheidung, und Achtung, weil die Tugend 
ſeine Quelle iſt. Der Adeliche, der ſeinen 
Titel wuͤrbig fuͤhret, iſt das bereits, was 
der 


ohne Vorurtbeil. 343 


der gemeine Tugendhafte zu werden ſuchet. 
Der Adel der Geburt ſchließt den Adel der 
Handlungen nicht aus; er ſetzt ihn vor⸗ 
aus, er fodert ihn. Die niedrige Geburt 
kann der Tugend keinen Glanz geben, 
aber ſie kann durch ie erlaucht werden — 
u. ſ. w. 


XIII. 


„ ee brachte den Philoſophen zum 
Stillſchweigen, womit dieſer ohne Zweifel 
ſehr unzufrieden war: denn ein Philoſoph 
ſchweigt nicht gerne ſtille. Aber der Sran⸗ 
zoſe hatte in der That auch eine Sache zu 
vertheidigen, bei der es nicht ſchwer iſt, 
Gruͤnde zu finden. Ich weis nicht, wa⸗ 
rum die Menſchen von edelm Geſchlechte 
mehr als die Pferde ausarten ſollen. In 
Arabien hat man ſorgfaͤltig die Geſchlecht⸗ 
bücher aller berühmten Stuͤttereyen. Alle 
Zeiten haben den Werth der Geburt er⸗ 
kennet. Es ift, *) ſagt der Dichter, der 
das Lächerliche der Roͤmer fo oft mit ſa⸗ 
tiriſchem Witze durchgezogen, es iſt in dem 
diene das angeerbte Feuer der Vaͤter, 
Y 4 und 
) EA in equis Patrum Virtus. 


344 Der Mann 


und furchtſame Tauben erzeugen keine Ad⸗ 
ler. Homer, und fein Schüler Pirgil, 
der feinen Meiſter oft übertrifft, nen⸗ 
nen ihre Helden fo vielmal Söhne der 
Goͤttinnen, als der ſtarke Achilles, der 
fromme Aeneas. Woferne alſo der Adel 
der Geburt wirklich ein Vorurtheil waͤre; 
ſo waͤre er wenigſtens von denjenigen, 
welche das Alterthum und eine beſtaͤndige 
Ueberlieferung aller Zeiten geheiliget, und 
ehrwuͤrdig gemacht haben. — 

Capa⸗ kaum erwartete die Zeit, mir 
Einwuͤrfe zu machen, mit Ungeduld. Wenn, 
ſagte er, ich ihrem Rabutin haͤtte zu ant⸗ 
worten gehabt; ſo haͤtte ich ihm eine ein⸗ 
zige Frage gemacht. Woferne, hätte ich 
geſprochen, woferne das Verdienſt der 
Aeltern auf die Kinder, wie das Geld 
erblich uͤbertragen wird; ſo ſind die Kin⸗ 
der eines Helden alle Helden, die Kinder 
eines Staatsklugen alle Staatskluge, wie 
die Kinder des reichen Vaters alle reich 
ſind. Ich weis nicht, was der von ſei⸗ 
nem Adel fo ſehr eingenommene Graf ges 
antwortet haͤtte; aber das Verfaͤngliche 
der Frage wuͤrde er ohne Zweifel einge- 
ſehen haben. Ich haͤtte dann geſchloſ⸗ 


ſen, 


ohne Vorurtheil. 345 


ſen, daß der Sohn Alexanders, deſſen 
kriegeriſche Thaten ſo manchen Geſchicht⸗ 
ſchreiber beſchaͤfftiget, wenigſtens eben ein 
ſo guter Feldherr geweſen ſeyn muͤßte, als 
fein Vater: und, hätte Richelieu einen 
Sohn gehabt, ſo muͤßte deſſen Mini⸗ 


ſterſchaft nicht weniger beruͤhmt geweſen 


ſeyn, als die ſeines Vaters. Ich haͤtte 
ihn noch weiter verfolget, ich haͤtte ihn 
gebeten, mir den Adel der Töchter zu er⸗ 
klaͤren, der nach des Franzoſen Ableitung 
in der That ganz unbegreiflich wird. Denn 
wie Rabutin auch immer die Sache wen⸗ 
den mag; ſo kann das Erbrecht des Adels 
fuͤr nichts anders geltend gemacht werden, 
als fuͤr eine Fortſetzung derjenigen Eigen⸗ 
ſchaften, welche dem Stammvater ſeine 
Adelung erworben haben. Wenn wir al: 
ſo ein Fraͤulein, deſſen Uraͤltervater ſich 
durch Tapferkeit verewiget hat, hochge— 
bohrnes Fraͤulein heiſſen, ſo ſagen wir in 
der That, tapferes Fraͤulein! welches eine 
Schmeicheley von ſeltſamer Art iſt, und 
nur in dem Reiche der Amazonen gerne 
gehoͤret werden muß. 

Es iſt noch nicht alles, verfolgte er, 
da er nun einmal auf den Weg gerathen 

9 5 war, 


1 


346 | Der Mann 


war, witzig zu thun: der franzsfifche Graf 
ſoll mir mit ſeinem Gleichniſſe zwiſchen dem 
Erbrechte des Vermoͤgens und Verdienſtes 
antworten, warum der Reichthum eines 
Erblaſſers unter die mehreren Kinder ger 
theilet, und jeder Erbe nur einen Antheil 
erhaͤlt, der alſo geringer iſt, als das 
vaͤterliche Vermoͤgen? wie es hingegen 
komme, daß ein adelicher Erblaſſer einem 
jeden ſeiner Nachkommen ſein Erbtheil 
ganz und ungetheilt, und alſo mehr hin⸗ 
terlaͤßt, als er ſelbſt beſaß? Er wuͤrde 
ſehr verlegen ſeyn, ſich herauszuwickeln, 
wenn ich ihm das Unrecht zeigte, ſo man da⸗ 
durch dem wahren Verdienſte der Stamm⸗ 
vaͤter erweiſet, daß der Adel durch die 
Laͤnge der Zeit erhöhet wird: denn, um 
wieder Alexandern zum Beiſpiele zu nehmen, 
wenn feine Familie nicht untergangen iſt, 
ſo mag ein Spaͤterenkel in irgend einem 
Winkel der Welt noch ſo ein unruͤhmliches 
Leben hinbringen, er iſt adelicher als ſein 
Uraͤltervater: der die Welt mit ſeinen Sie⸗ 
gen erfuͤllet hat, und um alles mit einem 
Worte zu faſſen, der Vater des menſchli⸗ 
chen Geſchlechts, Adam war der elendſte, 


poͤbelhaftſte von allen feinen Kindern, weil 
le; 


ohne Vorurtheil. 347 


jeder unter ihnen mehr Ahnen als er zaͤh⸗ 
let — 

Mein Freund, war meine Antwort, mit 
ein wenig Witz und einer groſſen Anlage 
von Neid, faͤllt es nicht ſchwer, an den 
nuͤtzbareſten Einrichtungen und Anſtalten, 
eine laͤcherliche Seite zu entdecken. Der 
Adel iſt in der That von dieſer Art. Die 
Erinnerung der Ahnen, deren Ruhm man 
zu unterſtuͤtzen hat, macht im Gewuͤhle 
des Streites unerſchrocken, in der Naths⸗ 
verſammlung ſcharfſehend, uneigennuͤtzig, 
getreu. Man fuͤrchtet ſich einen Namen zu 
verunehren, wenn man einen Namen hat. 
Was wird die Welt von mir fagen Y 
Dieſe Erinnerung hat manche edle That ver: 
anlaſſet, von manchem entehrenden Schrit⸗ 
te zuruͤckgehalten. Aber bei wem kann ſie 
wirkſam ſeyn, als bei demjenigen, den 
ſchon ſeine Geburt gleichſam auf ein Schau⸗ 
geruͤſt ausgeſetzet, wo er keine edle Hand⸗ 
lung verrichtet, ohne die Zurufungen der 
Welt zu erhalten, aber auch keinen Fehl: 
tritt thun kann, ohne ihrer befchämenden 
Spottreden gewaͤrtig zu ſeyn. 

Weit entfernet alſo, daß es nuͤtzlich 
waͤre, den erblichen Adel aufzuheben, ich 
glau⸗ 


348 Der Mann 


glaube vielmehr, daß der Staat nie zu 
ſehr beſorgt ſeyn kann, denſelben feſtzu⸗ 
ſetzen. In einem Lande, wo die Vater⸗ 
terlandsliebe unkraͤftig iſt, da ſoll die Fa⸗ 
milienliebe ihre Stelle vertreten. Das Gute 
geſchehe, man handle großmuͤthig, unei⸗ 
gennuͤtzig, es geſchehe durch was immer fuͤr 
eine Triebfeder! es gereicht darum nicht 
weniger zum gemeinſchaftlichen Beſten. 
Alle Welt, die Welt der gemeinen Buͤr—⸗ 
ger ſchreyt: wir wollen dem Adel ſeine 
Wuͤrde nicht ſtreitig machen, aber ſein 
Stolz iſt unertraͤglich. Floͤſſet, rufen ſie 
zu den Hofmeiſtern, die ſich mit Erziehung 
des Adels beſchaͤfftigen, floͤſſet euren Zoͤg⸗ 
lingen nur nicht dieſes Bewußtſeyn ihres 
Vorzugs ein! — Nicht meine Herren! hoͤ— 
ret die unbedachtſamen Reden dieſer Un⸗ 
verſtaͤndigen, hoͤret ſie nicht! Ihr koͤnnt 
ſie vielmehr nicht zu ſehr auf die Vorzuͤge 
aufmerkſam machen, ihr koͤnnet ihren Stolz 
nicht zu ſehr anfachen. Vielmehr von ih⸗ 
rer zarteſten Kindheit an, bedienet euch 
keiner andern Strafrede als: wie niedrig, 
wie unedel! keines anderen Lobſpruchs, 
keiner andern Ermunterung, als: ban= 


deln Sie, ihrer Geburt wuͤrdig zu ſeyn! 
Sie 


ohne Vorurtheil. 349 


Sie haben einen Namen zu behaupten! 
Sie beſchimpfen ihr Haus! 

Glaubet ihr, wenn ihr dem unbedacht⸗ 
ſamen Geſchreye dieſer kein Gehoͤr gege— 
ben, wenn ihr den Grundſatz des Adels zu 
dem herrſchenden Grundſatze eurer Zoͤglin⸗ 
ge, zu ihrer allgegenwaͤrtigen Erinnerung 
gemacht haͤttet, ſie wuͤrden euch in ihren 
ſpaͤtern Jahren durch fo manche poͤbelhaf⸗ 
te That verunehren? Glaubet ihr, daß 
Eront, der in dem Ueberrocke feines Lau- 
fers an den Ecken der Straſſe gemeinen 
Dirnen auflauert, und die Sitten ſeiner 
Verkleidung ſo wohl anzunehmen weiß; 
glaubet ihr, daß er die Wuͤrde ſeiner Ge⸗ 
burt, die Ehre ſeines Hauſes vor Augen 
habe ? möchte er doch zu ſtolz ſeyn, um 
ſo pöbelhaft zu handeln! Glaubet ihr, 
daß geſikrat auf den Glanz feines Hau⸗ 
ſes denket, wenn er ſeine Guͤter in Pfer⸗ 
den und Kutſchen, in koſtbarem Hausge⸗ 
raͤthe, auf hundert andern Wegen der 
Verſchwendung dahin wirft, und ſich das 
Vermoͤgen raubet, mit einem ſeiner Ehre 
und Geburt gemaͤſſen Anſtande zu leben? 

Erinnert ſich Dor ant feiner Ahnen in 
dem Augenblicke, da er ſeine Gunſt um 

Geld 


380 Der Mann 


Geld anbiet, und eine Stelle, die er an 
den Verdientſten vergeben ſoll, an den 
Meiſtbietenden verkauft? Erinnert ſich 
wohl Eardon feiner Herkunft, wenn er 
ſich zu den Fuͤſſen einer Operdirne, um 
eine feilſtehende Nacht zu erhalten, nie⸗ 
dertraͤchtig kruͤmmet? Wenn Eilenor den 
Staub der Guͤnſtlinge lecket, um ſich em⸗ 
por zu ſchwingen, und das Verdienſt am 
Hofe durch unredliche Kunſtgriffe zu ver⸗ 
dunkeln, oder verdaͤchtig zu machen ſucht, 
vergiebt er nicht blos darum ſeinen Adel, 
weil er ihn nicht vor Augen hat? Wenn 
Speronten Schuldner uͤberlauſen, denen 
er durch abſcheuliche Raͤnke Geld entlocket 
hat, wenn er durch ſeinen Thorſteher ſich 
verlaͤugnen, und ſich in Gegenwart ſeines 
Dieners einen Betruͤger ſchelten laſſen, 
und, da er hinter dem Schiebgitter dieſe 
Beſchimpfungen ſelbſt mit anhöret , dieſe 
Reden noch dazu in feinem Herzen recht- 
fertigen muß; wo iſt damals das Gefuͤhl 
ſeines Adels? Wo war es bei Clelien, 
als ſie ihre Augen auf einen Mimen warf, 
und ſich von ihm muthwilliger behandeln 
laſſen mußte, als die elendſte Sklavinn 
eines Serails e Würde Eronde fi ih⸗ 
/ rer 


obne Vorurtheil. 351 


rer Magd zu liebkoſen herablaſſen, wuͤrde 
ſie die Verſchwiegenheit dieſer Mitbewuß⸗ 
ten, dieſer Vertrauten ihrer Ausſchwei⸗ 
fungen, ihrer ſchandbaren Liebe durch Er⸗ 
tragung ſo vieles Eigenſinnes erkaufen 
muͤſſen, wenn ſie, ehe ſie den entehrenden 
Schritt gethan, ſich erinnert haͤtte, du biſt 
die Tochter des: = die Gemahlinn deg = - = 
die Verwandte des 2 Argiſore, hätte 
dieſe durch Kinder von zweydeutiger Ge: 
burt eine ehrenvolle Reihe der edelſten 
Sproͤßlinge unterbrechen, und einen wuͤr⸗ 
digen Gatten durch den Schmerz ſeines 
befleckten Chebettes toͤdten koͤnnen, wenn 
ſie in der Stunde des Fehltrittes an die 
Groͤſſe des Hauſes gedacht hätte, welches 
nun durch ſie auf ewig geſchaͤndet worden? 
Kurz, weniger verfuͤhrte Maͤdchen, weni⸗ 
ger geſchaͤndete Verwandtſchaften, weniger 
befleckte Ehen, weniger Stuͤrzungen, we⸗ 
niger unwuͤrdige Dienſtvergebungen, we⸗ 
niger Bankerute wuͤrden die Fruͤchte dieſes 
gluͤcklichen Stolzes ſeyn, dieſes Selbſtge⸗ 
fuͤhles der Ehre, das man unbillig mit 


der Verachtung ſeines Mitbuͤrgers ver⸗ 
menget. N 


Ich 


352 Der Mann 


Ich fage noch mehr. Dieſer Stolz, 
den man zu tadeln waget, koͤnnte die Quel⸗ 
le der geſellſchaftlichen Gluͤckſeligkeit ſeyn; 
und die behauptete Wuͤrde des Adels, den 
Verluſt einigermaſſen erſetzen, den wir durch 
die allgemein verkannte Wuͤrde der Menſch⸗ 
heit erlitten haben. 


XIV. 


Ales, was gegen den Adel unter ſo 
verſchiedenen Wendungen geſchrieben, ge⸗ 
ſagt, und wieder geſagt wird, lauft kurz 
dahinaus, daß die Geburt allein kein Ver⸗ 
dienſt iſt. Es kann niemanden zum eigen⸗ 
thümlichen Vorzuge gereichen, adelich ge⸗ 
bohren zu ſeyn, weil es nicht in ſeiner 
Gewalt ſtund, nicht fo gebohren zu wer⸗ 
den. Wenn irgend etwas vorzuͤgliches da⸗ 


ran iſt, ſo iſt es ganz von Seite des Zu⸗ 


falls. Aber der wahrhaft Adeliche machet 


durch perſönliche Verdienſte, daß es auf⸗ 
hoͤrt Zufall zu ſeyn; er macht, daß das 
Ohngefaͤhr nicht geirret hat. 


Aber 


ohne Vorurtheil. 353 

Aber nichts iſt unbilliger, als wenn 
der angeerbte Adel den erworbenen zu 
verdunkeln, herabzuſetzen ſuchet. Ich gebe 
es zu, daß zwiſchen beiden ein weſentli⸗ 
cher Unterſchied iſt: aber ich fuͤrchte, bei 
der Vergleichung wird der Vortheil ganz 
auf der Seite des letztern ſeyn. Du ruͤhmeſt⸗ 
dich deiner Ahnen: ſeine Ahnen werden 
ſich ſeiner ruͤhmen. Du biſt durch deine 
Voraͤltern geadelt: er adelt die Seinigen. 
Er iſt auch ohne ſie edel: ob du es ſeyn 
wuͤrdeſt, ohne den Zufall deiner Geburt, 
das weis ich nicht — und ich zweifle. 

Nach dieſen Betrachtungen koͤnnen die 
Vortheile, die der betitelten Herkunft vor⸗ 
zuͤglich eingeraumet find , nicht mit gleich⸗ 
guͤltigem Auge betrachtet werden. Sie ſind 
eine Art von Ungerechtigkeit, die gegen das 
wahre Verdienſt begangen wird, deſſen 
Belohnungen nirgend ſeyn ſollen, wo es 
ſelbſt nicht iſt. 

Ich habe vor mir ein Buch offen liegen, 
welches unter andern Gegenſtaͤnden auch 
die Vortheile, die dem Adel der Herkunft 
beinahe in allen Staaten zugeſtanden ſind, 
beleuchtet. Da dieſes Buch ſeltner gewor⸗ 

II. Theil. 2 ben 


354 Der Mann 


den *), und wichtige Betrachtungen auf 
eine ſehr muntere Art eingekleidet, enthält ; 
ſo werde ich das, was zu meiner gegen⸗ 
waͤrtigen Behandlung gehoͤret, hieher übers 
ſchreiben. Zuvor aber muß ich eine merk⸗ 
wuͤrdige Stelle anfuͤhren, wodurch der 
Verfaſſer fuͤr nothwendig erachtet, ſich zu 
erklaͤren, auf wen feine Zuͤge eigentlich 
gedeutet werden muͤſſen. 

„Ich habe — heißt es auf der 38. 
Seite — das Joch der Vorurtheile, ſo 
weit es moͤglich war, von mir geworfen. 
Ich ziehe, wen ich immer ſehe, ſeine Klei⸗ 
dung, ſein geborgtes Auſſenwerk ab: Kut⸗ 
ſche, Gefolg, Wappen blenden mich nicht: 
alles das iſt nicht der Mann ſelbſt. Ich 
ſehe, wo andre den Groſſen, den Maͤch⸗ 
tigen, den Reichen ſehen, nur den Men- 

| ſchen, 
») Dieſes angeführte Buch wird unter die größ⸗ 
ten Seltenheiten der berühmten Bücherſamm⸗ 
lung von N. .. gezählet, und foll dem Ver⸗ 
nehmen nach, auſſer dieſem Exemplar nur noch 
eines in der Bibliothek des Markeſe veroboni 
vorhanden ſeyn. Es iſt ſchade, daß das 

Titeldlatt daran fehlet, ob es übrigens bis 

auf ein paar Blätter wohl behalten, und 
Rück und Ecken mit gelbem Bleche beſchlagen 

ſind. 


ohne Vorurtheil. 355 


ſchen, nur ihn. Hält er denn, auch nackt, 
wenn ich fo ſagen darf, meine Prüfung 
aus, finde ich ihn dann noch von andern 
Menſchen unterſchieden; ſo gebe ich ihm 
mit Ehrerbietung allen ſeinen Schmuck 
wieder, werfe ihm den Mantel der Ehre 
um, und gehe vor ihm her, und rufe: 
fo ehret man, den der König geehret 
haben will. Aber, wenn der entbloͤßte 
Menſch ſich durch nichts unterſcheidet, 
wenn er unter den Haufen verſtoſſen, den 
Zaufen nur vergroͤſſert; ſo gebe ich ihm 
ſeine Ehrenzeichen wieder, und ſehe ihn, 
als einen Waffenpfal ) an, an dem man 
den Schmuck der Helden aufhaͤngt, ohne 
daß man aus dem Klotze einen Helden zu 
machen denket. Ich ſchaͤtze alſo den Adel 
nicht nur, ich verehre ihn, aber dann nur, 
wenn die Anherren in das Leben zuruͤckge⸗ 
rufen, ſich ihres Sohnes ruͤhmen, und 
ſprechen wuͤrden: ſehet ihn! er giebt uns 
die Ehre, die wir ihm überliefert, mit 
Wucher wieder. Es iſt für ihn nicht 
ruhmwürdiger, daß er uns zu Voräl⸗ 
tern hat, als es für uns iſt, ihn zum 
Sohne zu haben. Aber wenn ſie bel dem 
3 2 | Anz 
*) Die ſogenannten Tropheen. 


356 Der Mann 


Anblicke ihres Spaͤterenkels in ihre Graͤ⸗ 
ber wiederfloͤhen, und ihres Sproͤßlinges 
ſich ſchaͤmten, wer kann es fodern, daß 
ich mehr Achtung fuͤr einen ſolchen zeige, 
als die eigenen Ahnen thun? Mit einem 
Worte: ich ehre den, der ſeine 24 Ahnen 
verdienet, nicht der fie hat — u. ſ. w. „ 
Nach einiger Einleitung aus der Ge⸗ 
ſchichte des Adels faͤngt der Verfaſſer auf 
der 43. Seite - an: „Eine lange Ahnen⸗ 
reihe iſt mit groſſen Vorzuͤgen verknuͤpft, 
und aller Orten iſt man von dieſer Art 
der Verdienſte unſtreitig uͤberzeugt. Dei⸗ 
ne Geburt, ſagen die Schmeichler, be⸗ 
ſtimmte dich zu den wichtigſten Be⸗ 
ſchäfftigungen des Staates: ob gleich 
die Geburt an und für ſich nur zum TLe⸗ 
ben beſtimmt. Wo dieſe Meinung die 

Oberhand gewonnen, da koͤmmt es bei 
den wichtigſten Ehrenaͤmtern nicht ſo ſehr 
auf die Frage an: iſt er fähig » als: 
wie viel hat er Ahnen Das ſonder⸗ 
barſte hiebei iſt, daß gewiſſe Bedienungen 
angebohren find , und die Natur ſehr 
oft laͤcherliche Fehltritte n wenn 
e . :e. Feldh 

ſie 

) Der alles benagende Zap der Zeit hat feine 


ohne Vorurtheil. 357 


Vt ſehen. „ 
mit krummen Fuͤſſen laufen 
Sen. . iſt alſo ſchon gluͤck⸗ 
lich wenn Aumal durch einen Vater der 
Grund zu dieſem Verdienſte gelegt wor⸗ 
den: nichts kann kuͤnftig die Nachkoͤmm⸗ 
linge deſſelben mehr berauben. Sie be— 
ſitzen es ſogar in einem hoͤheren Grade: 
denn, ſonderbar! das erbliche Verdienſt, 
das wir Adel nennen, gleichet dem Wei⸗ 
ne; es veredelt ſich von ſich ſelbſt, je 
aͤlter es wird. Es giebt daher dienſtfer⸗ 
tige Leute, die es ihre eigene Beſchaͤffti⸗ 
gung ſeyn laſſen, Geſchlechtsurkunden 
aufzuſuchen, und Stammbaͤume zu ver⸗ 
fertigen. Weil nun jeder, bis an Adam 
hinan von Vater und Mutter abſtammt, 
ſo geht ihre Geſchicklichkeit ſo weit, daß ſie 
um ein nicht ſehr groſſes Stuͤck Geld, in 
der Entfernung von einigen Jahrhunder⸗ 
ten einen gemeinſchaftlichen Stamm mit 
irgend einem maͤchtigen Haufe ausfindig 
machen, wodurch es geſchieht, daß dem 
33 er⸗ 
Gewalt auch hier über unſer Buch ausgeübet. 
Es iſt zu bedauren: denn, nach dem Zuſam⸗ 
menhange zu urtheilen, ſollte dieſe Stelle ſehr 
erbaulich zu leſen ſeyn. 


358 Der Mann 


erlauchten ... eine rechtsbewaͤhrte Fo⸗ 
derung auf irgend ein Königreich zufaͤllt, 
die wenigſtens den Titel mit einem gerr 
auf vergroͤſſert. „ 

Bis an die 49. Seite haͤlt der Schrift⸗ 
ſteller eine Unterſuchung, ob es den Staa⸗ 
ten nuͤtzlich geweſen, daß ſie den Adel ein⸗ 
gefuͤhret. Am Ende der 49. Seite lei⸗ 
tet er wieder in ſein voriges Geleis ein, 
und verfolget: „Der erbliche Adel giebt 
nicht nur einen ausſchlieſſenden Vorzug zu 
manchen Bedienungen: er hat auch dit 
Vermuthung fuͤr ſich, daß ihm Enthalt⸗ 
ſamkeit, Maͤſſigung und andre Tugenden 
von Natur eigen ſind, die mit gewiſſen 
Staͤnden unzertrennlich verbunden ſeyn 
muͤſſen. Ohne eine ſolche Vermuthung 
waͤre es ziemlich ſchwer zu begreifen, 
warum eintraͤglichere Pfruͤnden und Wuͤr⸗ 
den nur ſolchen vorbehalten ſind, welche 
fo und fo viel Ahnen, von Seite des Va⸗ 
ters und der Mutter erproben koͤnnen. Als 
lein iſt die Ahnenprobe nur einmal abge⸗ 
fuͤhrt, fo hat der Zochgebohrne die Ver⸗ 
muthung fuͤr ſich; und man machet da⸗ 
her keine Schwierigkeit mehr, dergleichen 
Pfruͤnden an Kinder von ſieben und weni⸗ 

| ger 


ohne Vorurtheil. 359 


ger Jahren zu übertragen, bei denen, nach 
dem gemeinen Laufe der Natur, dieſe Ei⸗ 
genſchaften noch nicht entdecket werden 
konnten. Aber die perſoͤnlichen Eigen⸗ 
ſchaften ſind hier ganz uͤberfluͤſſig; die 
Pfruͤnde wird nicht an das Kind, ſie wird 
an die Familie vergeben. „ 

Der Schriftſteller laͤßt nach einer Stel⸗ 

le der 50. Seite errathen, in welchen Ge⸗ 
genden er gelebet; denn er ſagt unter an⸗ 
dern: „ manches hochwuͤrdige Kind hat 
bald in den Zuͤnglingsjahren die Vermu⸗ 
thung von ſeiner Enthaltſamkeit deutlich 
widerlegt. Allein ein paar Ausnahmen 
machen darum die Regel noch nicht wan⸗ 
kend. Es kann auch ſonſt in Abfuͤhrung 
der Ahnenprobe ganz leicht etwas verſe—⸗ 
hen, oder, welches noch natuͤrlicher waͤre, 
einer unter 24 Stammmuͤttern ganz leicht 
etwas Menſchliches wiederfahren ſeyn, 
daß alſo das edle Gebluͤt durch einen frem⸗ 
den Zufluß verunedelt worden. Wenn die⸗ 
ſes iſt; fo wird dadurch die Vermuthung 
fuͤr eine ungeſtoͤhrte Stifftmaͤſſigkeit nur 
deſto ftärfer. „, 

Die Rechnung, welche von der 52. Sei⸗ 
te bis an die 60. ſehr ausfuhrlich gemacht 

3 * wird, 


360 Der Mann 


wird, verdienet, daß ich fie einruͤcks, 
aber ich will ſie ins Kurze zuſamm ziehen. 
Der Schriftſteller redet die Wucherer an, 
und ſtellet ihnen vor, daß ſie ihr Geld 
nicht beſſer, noch auf hoͤhere Zinſen anle⸗ 
gen koͤnnen, als wenn ſie ſich in den Adel⸗ 
ſtand erheben laſſen. „Ihr ſelbſt, ſagt 
er, nuͤtzet euer Vermoͤgen nicht; eure 
ganze Vorſorge geht fuͤr die Nachwelt. 
Wenn ihr nun tauſend Gulden anleget, 
und alle Zinſen zu dem Stocke ſchlaget, ſo 
wird euer Hauptſtamm in 400 Jahren 
nicht uͤber etlich und zwanzig tauſend Gul⸗ 
den ſteigen. Erwaͤget hingegen, daß eben 
dieſe tauſend Gulden zur Veredlung eures 
Gebluͤts verwendet, euren Nachkoͤmmlin⸗ 
gen fo viel Tauſend jährliche Einkuͤnfte durch 
den Beſitz einer reichen Pfruͤnde erwerben 
koͤnnen. „ Welche Ueberzeugung für 
Maͤnner, die ihre Gruͤnde zu berechnen 
pflegen! 

Von der ganzen uͤbrigen Abhandlung 
hat mir nur noch folgende Betrachtung 
S. 93 werth geſchlenen, mitgetheilt zu 
werden. „Es iſt merkwuͤrdig, daß der 
Rang des Adels und ſeine Vorzuͤge nicht 
erwogen, ſondern berechnet werden: daß 

der 


ohne Vorurtheil. 361 


der Sohn beſſer iſt als der Vater, der den 
Adel erworben hat, weil er um ein Ge⸗ 
ſchlecht älter iſt, und daß dieſer Stu⸗ 
fengang immer von Geſchlecht zu Ge: 
ſchlecht zunimmt, immer der Sohn den 
Vater geringſchaͤtzig machet, bis es endlich 
nach einigen Geſchlechtern ſo weit koͤmmt, 
daß der Spaͤterenkel, wenn der Uraͤlter⸗ 
vater durch ein Wunderwerk in die Welt 
zuruͤckkehrte, mit einem ſo Unadelichen 
umzugehen, ſich zur Schande rechnen 
würde; und daß der, der nur das einzi⸗ 
ge Verdienſt hat, ſein Sohn zu ſeyn, an 
manchem Orte den Zutritt hat, wo man 
den Vater ſelbſt mit Verachtung zuruͤck⸗ 
weiſen wuͤrde „ 

Gluͤcklicher Staat, wo die Geburt ih⸗ 
re Rechte behauptet, ohne dem perſoͤnli⸗ 
chen Verdienſte die Seinigen ſtreitig zu ma⸗ 
chen! Gluͤcklicher Fuͤrſt, wo der Adel auf 
ſeine Wuͤrde eiferſuͤchtig, ſich von neuen 
Leuten nicht uͤbertreffen laſſen will, und 
gemeine Buͤrger durch ſelbſtbeſeſſene Ei⸗ 
genſchaften die Wuͤrde des Adels zu ver⸗ 
dunkeln ſuchen! Gluͤckliches Volk, wo 
nichts edel iſt als die Tugend, nichts 
Pöbel als das Laſter; wo der Pöbel 

35 auch 


362 Der Mann 


auch unter einem Dey, der Adel auch im | 


Rüttel nicht verkennet wird! 


XV. 


0 
De letzteren Blaͤtter haben eine Sei⸗ 
te beruͤhret, die in manchem Ohre ange⸗ 
nehm ertoͤnet. Ich nehme es aus den 
Briefen ab, die von allen Orten einlau⸗ 
fen. Dankſagungen von beiden Seiten, 
von dem Adel, und von den Gemeinen. 
Sie haben, ſagen die einen, den Adel 
in ſeine Würde eingeſetzet — Sie ha⸗ 
ben, ſagen die andern, verdienſtloſe A⸗ 
deliche in Staub hingeſtrecket. Ein 
Schriftſteller iſt glücklich, der beiden Theis 
len genugthut: aber ein ſolches Gluͤck 
wird ihm eben fo ſelten, als einem Rich⸗ 
ter zu Theil, dem die Berurtheilten im: 
mer Ungerechtigkeit Schuld geben. Unter 
andern Zuſchriften ſind zwo, die als eine 
Art von Nachtrag zu meinen vorausge⸗ 
ſchickten Betrachtungen angeſehen werden 
koͤnnen, und von welchen ich urtheile, 


daß ſie den Leſern nicht unangenehm ſeyn 


werden, wenn ich fie mittheile. 


I. Herr 


n 


PP 


ohne Vorurtheil. 363 
1. Herr Mann ohne Vorurtheil! 


„Nicht der Adel der Geburt allein 
ſoll ihre Blicke auf ſich ziehen e werfen fie 
dieſelbe auch auf den erkauften! welcher 
fruchtbare Gegenſtand fuͤr Sie! ich bin 
aͤuſſerſt begierig, über dieſen Punkt ihre 
Meinung zu vernehmen. Unmoͤglich koͤn⸗ 
nen Sie den Mißbrauch billigen, daß 
man die Niedrigkeit der Geburt mit eini⸗ 
gen Hundert Gulden verbeſſern will. Wie 
laͤcherlich es iſt, wenn man die Sa⸗ 
che eigentlich uͤberdenket. Mein Bedien⸗ 
ter Johann z. B. iſt der Sohn eines 
pfannenflickers: es iſt ihm nie eingefal⸗ 
len, ſich ſeiner Geburt zu ruͤhmen. Der 
Menſch hat eine gute Handſchrift, er dies 
net mir getreu, und mit einem Eifer, der 
meine Gewogenheit erwirbe: ich bin ihm 
zu einem Dienſte verhuͤlflich, wo er die 
Liverey ablegt, er wird Kanzeliſt. Er hat 
Faͤhigkeit und Anwendung. Nach einigen 
Jahren hat er den Schlendrian, wie man 
ihn nennet, der Kanzleygeſchaͤffte innen, 
fein Gluͤck machet ihn zu einem Koncipi⸗ 
ſten. Nun hat er Eintritt in beſſere Haͤu⸗ 
ſer. Weil er jung, gut gebildet iſt, und 

. in 


364 Der Mann 


in meinem Dienſte den Umgang der beſſe⸗ 
ren Welt abgeſehen; ſo hat er das Gluͤck 
einer reichen Wittwe zu gefallen, die den 
Ekel, den fie noch von dem ausgemergel⸗ 
ten Gerippe ihres erſten Mannes empfin⸗ 
det, in den Armen dieſes munteren Gat⸗ 
ten zu vertreiben hoffet. Sie reichet ihm 
ihre Hand, und den Schluͤſſel zu ihrer 
Geldkuͤſte. Aber, mein Rind! fagt fie, 
ich möchte an deiner Zand nicht gerne 
herabgeſetzt werden: mein ſeliger Alter 
war von Stand — Er verſteht es: 
laͤuft zum Wappenmaler, laͤßt ſich eine 
ſilberne Taube, das Zeichen ſeiner Liebe, 
in purpurfarbenem Felde und gegenuͤber 
in einem weiſſen, einen Keſſel, zum An⸗ 
denken ſeiner Abkunft malen; ſetzt einen 
Helm mit Elephantenruͤſſeln darauf, legt 
alles fein auf Pergament gemalet bei, und 
wird, in Anſehen der von ihm und ſeinen 
Vorfahrern dem Staate geleiſteten treu⸗ 
gehorſamſten Dienſte, gerr von Tauben: 
feld — 

„Ich bin abweſend. Der dankbare 
Johann, der ſein ganzes Gluͤck meiner 
Empfehlung zueignet, uͤberſchreibet mit 
ſeine neue Veraͤnderung; und ich bin, dem 

Soh⸗ 


ohne Borurtheil, 365 


Sohne des Pfannenflickers, meinem Jo; 
hann, bei Strafe zehn Mark loͤthig Gol⸗ 
des, Wohledelgebohrner, oder nach dem 
heutigen erhöhten Schilde, Sochedel⸗ 
gebohrner zuruͤckzuſchreiben verbunden. 
Wenn die magiſche Kraft eines adelnden 
Talismanns ſolche Wunderwerke zu ver⸗ 
richten, und aus dem Sohne des Pfan⸗ 
nenflickers, der in einer Heuſcheune jung 
geworden, einen Zochedelgehohrnen zu 
machen faͤhig iſt; ſo weis ich nicht, wa⸗ 
rum es nicht eben ſo wohl angehen wuͤr⸗ 
de, eine triefaͤugigte, gnomenartige, hoͤ⸗ 
ckerichte Sanferluſch von einem Weibe, 
in ein wohlgewachſenes Maͤdchen umzu⸗ 
geſtalten, und jedermann, bei der ſchreck⸗ 
lichen Strafe ihres Kuſſes zu verbinden, 
dieſes Weib, ſchönes Sraulein zu nennen, 
„Legen Sie, mein Herr! ihrem Ca⸗ 
pa⸗kaum die Frage vor: ob es wohl moͤ⸗ 
glich waͤre, aus ihm, der ein gebohrner 
Indianer iſt, einen gebohrnen Europaker 
zu machen? und wann er nein! geant⸗ 
wortet; ſo unterrichten Sie ihn, daß wir 
das Geheimniß ausfindig gemacht, aus 
dem Sohne eines Reitknechts, oder einer 
. niedrigern Herkunft, einen edelge⸗ 
˖ bohr⸗ 


366 Der Mann 


dohrnen zu machen, und laſſen Sie mich 
ſeine Antwort darauf wiſſen! gewiß, wer 
dieſe wundervolle Verwandlung ein wer 
nig aufmerkſam uͤberdenket, und von gan⸗ 
zem Herzen zu glauben, im Stande iſt, 
dem wird es gar nicht ſchwer ankommen, 
an das beruͤhmte Geheimniß des Ray⸗ 
mundus Tullius zu glauben. 

„„Im Vorbeigehen angemerket: wir 
vernünftigen Buropder haben derlei ge⸗ 
heime Taſchenſtuͤcke mehr, gegen welche die 
Zauberkuͤnſte der pharaoniſchen Schwarz⸗ 
kuͤnſtler nur Poſſenſpiele ſind. Wir koͤn⸗ 
nen z. B. einen unehlich Gebohrnen zu 
einem eheligen Kinde machen: wir ma⸗ 
chen durch gewiſſe Foͤrmlichkeiten einen 
Schelmen in weniger als drey Minuten 

vollkommen ehrlich; und in einem gewiſ⸗ 
ſen Lande hat man es ſo weit gebracht, 
daß man durch einen Ehrenbrief eine 
Magdalena in der Stadt in eine ehr⸗ und 
tugendſame Jungfrau verwandelt. O 
Zorda ter! o Sohn Babuc! o Ovid! wo 
ſeyd ihr! — 

„Der verkäufliche Adel — um nun 
auch im Ernſte zu ſprechen — laͤßt be⸗ 
ſonders zwo ſchaͤdliche Folgen beſorgen: 

er> 


ohne Vorurtheil. 367 


erſtens: daß der Adel ſelbſt durch die 
Menge und Gemeinmachung ſeine Wuͤr⸗ 
de, und der Staat dadurch eines der 
ſchoͤnſten Mittel, die Verdienſte zu unter⸗ 
ſcheiden und! zu belohnen, verlieret: 
zweitens: daß niemand nach Verdienſten, 
jedermann nach Geld laufen wird, ſobald 
das, was nur erworben werden ſoll, 
erkauft werden kann. 

„Ich wuͤnſche ihre Meinung in einer 
Sache, die zu wichtig iſt, als daß Sie 
ihren Schuͤler daruͤber unbelehrt laſſen ſoll⸗ 
ten, und bin mit wahrer Hochachtung 


ihr ergebenſter Diener 
Freyherr von Selnheim. 


Ich habe Freyherrn von Selnheim 
wenig zu antworten. Seine Satire paſſet 
nur auf Leute, die ſich einer Herkunft 
ſchaͤmen, deren Dunkelheit ſie durch kei⸗ 
ne eigenthuͤmlichen Eigenſchaften in Ehre 

zu verwandeln faͤhig ſind: ſie paſſet auf 

die epidemiſche Gnadenſucht. Man ſey 

von unedeln Eltern entſproſſen, aber man 

ſey dem Staate, dem Regenten, dem 

Mitbuͤrger nuͤtzlich, man habe die Er⸗ 
kennt⸗ 


368 Der Mann 


kenutlichkeit des Vaterlandes verdlenet! 
und man iſt edel, ohne drey unbedeutende 
Buchſtaben erkauft zu haben. Ich ſage 
mehr: man iſt edler, als wenn uns die 
Herkunft den Eintritt zu Ehrenſtellen ges 
öffnet hat: Wenn zween Wettlaͤufer zu⸗ 
gleich eintreffen, fo iſt die Krone deſſen, 
der vom entferntſten Ziele abgelaufen. 
Aber ſoll der Adel feil ſtehen ? Er 
kann es: denn, wer dem Staate die Laſt 
feines Aufwandes tragen hilft, wer 
durch eine freywillige Entrichtung den 
Antheil, der ſonſt auf ſeine Mitbuͤrger 
fallen wuͤrde, verringert, machet ſich um 
das gemeine Wohl nicht weniger verdient, 
als der feinen Leib den Gefahren vor⸗ 
wirft, welche auf ſeine Mitbuͤrger her⸗ 
anſtuͤrzen. Die roͤmiſchen Feldherren er⸗ 
hielten von dem Volke zur Belohnung ih⸗ 
rer Siege das Recht des Triumphes: 
aber eben dieſes Volk beſtimmte auch den 
Matronen von Rom, das Recht des Eh- 
renwagens, als ſie in einer Noth, der 
Republik ihre guͤldnen Ohrgehaͤnge ange⸗ 
boten hatten — 


IL 


— 


ohne Vorurtheil. 369 
II. Mein Herr! 


8 Ich aͤrgere mich uͤber den Staat, uͤber 

die Geſetze, über alle Einrichtungen, über 
meine Eltern, uͤber die ganze Welt, mich 
ſelbſt nicht ausgenommen. Mußte ich 
denn gebohren, und eben von adelichen 
Eltern gebohren werden? oder, warum 
mußte ich der Zweyte ſeyn? waͤre ich der 
Sohn eines gemeinen Buͤrgers; ſo haͤtte 
ich mit meinem Geſchwiſter auf das Ver⸗ 
moͤgen meiner Eltern ein gleiches Recht. 
Aber ich bin Graf, und habe das ades 
liche Vorrecht der Zweytgebohrnen, von 
meinem aͤltern Bruder abzuhaͤngen, und, 
da er in Fuͤlle ſchwimmen wird, mit ei⸗ 
nem ſparſam ausgemeſſenen Cadetenan⸗ 
theil vor lieb zu nehmen. Die Majore: 
te, koͤnnen die durch Billigkeit und Ver⸗ 
nunft eingefuͤhrt ſeyn? gleiche Eltern! 
gleiche Anverwandte! aber weil einer der 
Erſte iſt, muß er alles, weil der andre 
der Zweyte iſt, muß er nichts haben. 
So viel ſoll ein Zufall auf mein kuͤnfti⸗ 
ges Gluͤck einflieſſen! ich bitte Sie, in⸗ 
ſtaͤndig bitte ich Sie, machen Sie dieſe 

II. Theil. A a Ein⸗ 


370 Der Mann ohne Borurtheif. 


Einrichtung recht herunter, um ſich zu 
verbinden 
den Grafen Tartzin. 


Ich werde mich ſehr huͤten, dieß zu 
thun. Einrichtungen, die nicht zu aͤndern 
ſind, wenn auch im Grunde vieles an ih⸗ 
nen auszuſetzen waͤre, muͤſſen nie gering⸗ 
ſchaͤtzig gemacht werden. Zu dem hat mein 
Cape = kaum an dieſem Gegenſtande kei⸗ 
nen Antheil. Dem unzufriedenen Gra⸗ 
fen, der wider den Zufall eifert, haͤtte 
ich Luſt zu ſagen: alles ſey Zufall; Zu⸗ 
fall, daß er der Zweyte, Zufall, daß er 
ein Graf, Zufall, daß er nicht ſeines 
Bruders Bedienter iſt. Es iſt Beruhi⸗ 
gung in dem Gedanken; ich hatte noch 
tiefer meinen plag erhalten können. 
Waͤre dieſes nicht, ſo haͤtte Targin noch, 
wenn er der Erſtgebohrne waͤre, ein 
Recht ſich zu beſchweren, warum er nicht 
ein Fuͤrſt, und dann abermal, warum er 
nicht ein Regent, und noch einmal, wa⸗ 
rum er nicht der mächtigſte Regent der 
Erde geworden. 


Verze 


i ch ui ß 


der Herren Praͤnumeranten auf Sonnen⸗ 


fels geſammelte 
20. Junius 1783. 


Schriften bis den 


A. 
Hr. v. Anſton. 
— Wolfgang v. Artner, 
J. U. D. 
— Anton Artner. 


— Chriſoſt. Armann ‚I 


Sekretär. 
— Aloiſius Arbeſſer, 
Ord. S. Pauli. 

— Aloiſtus, Ord. Ser. 
B. Virg. 

— Anton Aichhamer. 

— Joſeph Arbeſſer. 

— Joſeph Alborea. 

— Joh. Nep. All wayer, 
fürſtl. Schwarzenber⸗ 

giſcher Regierungsr. 

— Al Abbt zu 
Wie 
Ord. Ciſt. 

— Leopold von Auen⸗ 
brugg, Med, Doct. 

— Baptiſt v. Alxinger. 

— Albericus, Ord. Ciſt. 

— Baron von Aßbek. 

— Hier. Altram, reg. 

ram. Chorherr zu 
eraß. 

— Samuel Auguſtin, 

Ned. Doct. 

— Joſ. Appold, Pfleg⸗ 
gerichts⸗Gegenſchrei⸗ 
ber zu Wildenſtein. 

— Joſ. Auer, in Prag 


1 


ericus 
if ch Keugodt, | 


— — 
— — 


* — 


B. 

1 Gräfinn von Burg⸗ 

hauſen. 
Hr. Joſeph Berger. 
— Georg v. Bader, Hof⸗ 
kriegsſekretar. 
Franz Bürger, Rait⸗ 
offizier. f 
Fr. Baroneſſe von Baſſe⸗ 


witz. 
Hr. Canonicus Böhm. 

— Franz Joſ. Brunner, 

k. k. Rechnungsrevi⸗ 
ſors Adjunkt. 

— Maxim. Buchberg. 

— Gabriel Baroch. 

— Baron v. Bukoo. 

von Bühler, herzogl. 

Würtemb. Miniſter⸗ 
Reſident. 

— von Berks, k. Rath. 

— Joſeph Baſſi. 


— 


— . 


— b. Buchholz. 


— Franz von Barbolan 

k. k. Münz und Berge 

weſens Hofbuchhalte⸗ 

rey Offizial. ’ 
Soferh. Blank, Ord. 
8. Benedicti. 

Frans Brendel. 

ie Univerſitäte⸗Biblio⸗ 
thek ein Freyburg. 

r. Ernſt v. Breßler und 
Steinau, k.k. Hofag. 


Hr. Joſeph Berger, Ord. 
4 7 A 


— Franz König von 
Bamshauſen, k. k. 
Münzamts Praktik. 
in Kremniz. 

— Joſeph Freyherr von 
du Beine. 

— Joſ. Bogner, Hörer 
der Rechte. n 

— Chriſtoph Bonifaz 
Bayermann. 

— Franz Bernhard Bell. 

— Johann Buday. 

— Graf v. Buquoy. 

— Ignatz v. Born, des 
h. r. R. Ritter, k. k. 


Hofrath. 
— Benedikt, Prälat von 
Neuberg. 
— Karl von Benigni, in 
Müldenberge, k. k. 
Hofagent. 
— von Birkner. 
— Wenzel v. Bro 
— von Seer, 
in Bregenz. 
— Aloyſius M. von 
Brougnack, gräfl. 
Windpbagiſcher Stif⸗ 
tungs Gouverneur 
— 850 Bouvard. 
— von Boulanger, k. 
Reichsviskgl. 
— Auguſtin v. Berſuder. 
pherr v. Bietanb. 
1 * don Brod⸗ 


orb. l 
— Graf Franz v. Blü⸗ 


ard. 
cceſſiſt 


Hr. Graf Peter v. Blü⸗ 
meegen, k. k. Tribu. 
Aſſeſ. in Mähren. 

— Franz Bruttmann, 
Syndikus von Ho⸗ 

tzemplaz. 

— Bar. v. Bojakowsky. 

M. J. M. de Bors, Cha- 
noine de l'illu. Chap. 
S. Gereon in Cölln. 

— de Baumann inCblln 

Hr. Fr. Ant. Bernbecher 
in Brixen. 

— Graf Joſ. v. Blagay, 

in Lapbach. 

Die k. k. Univerſttäts⸗ 
Bibliothek in Prag. 

Hr. Joſeph Ignatz von 

utſchek, Prof. der 
polit. Wiſſenſchaften 
in Prag. 8 

— Graf Brunswik von 
Rorumpqa, der königl. 
hung. Hofkam. Rath. 


C. 


Hr. Joh. Bapt. Czepelak. 

— Graf v. Callemberg, 
General Feldmarſch. 
Lieutenant. 

— Graf von TCzernin. 

— Franz Chorniger, k. 
k. Hofkoneipiſt. 

— Leopold Chriſtian 

U. D. 


1. U 5 

— Adam Compere. 

P. Cajetan. Ord. Car. 

Hr. Benedikt Edler von 
Cache, des h. e. R. 
Kit. k k. Legations⸗ 


meegen, k. k. Sub. 
Aero 


ein Mähren. 


ſekretär in Warſchau. 


Hr. Feldm. Colloredo 
— Graf v. Cobenzel. 
— Catty. 

— Ant. Coenen, Med. 
Dod. in Brünn. 

— Graf Clary, Capitu⸗ 
larherr von Ollmütz. 

— Collegium piarum 
ee in Leuto- 
miſchl. 

— Joſ. Graf v. Coreth, 
k. k. Kämmerer und 
Gub. Rath in Inspr. 

— Anton Cremerp, k.k. 
Bücherreviſions Ac⸗ 
tuarius, in Linz. 

la Comteſſe Chretienne 
de Clam & Gallas, nèe 
Comteſſe de Spork , 
in Prag. 

la Comteſſe Caroline de 
Clam & Gallas, nec 
W de Spork, 
in Prag. 

Hr. Graf philipp von 
Clary, in Prag. 

— an v. TCzeyka, 

n Prag. 

— Im del Corto, in 

Prag. 


D. 


Fe. Gräf. v. Dietrichſtein 
geb. Gräf o. Thun. 


Hr. Karl Diewald, k. k. 


Münz und Bergwe⸗ 
ſens Buchhalterey 
Raithrath. 

— Hypolitus Graf von 
Durazzo. 


+ 


Hr. von Donhammer. 

— Anton Dietrich. 

— Joh. Dratſchmidt. 

— Michael Denis, k. k. 
Rath und Bibliothe⸗ 
for auf der Garrel⸗ 
liſchen Bibliothek am. 
Thereſiano. 

— Joh. Dworgadt. 

— Ferdin. v. Dillmont 
in Kronſtadt. 

— Borromäus Droh. 

il Marchefe Gieronimo 
Durraxzzo „ Amba- 
fciadore di Genua. 

Hr. Joh. Draſenberger. 

— Fog Dietrich, J. 


— 8 Weltprieſtet. 

— Graf Joſeph v. Die⸗ 
trichſtein. 

— 70125 Dünſtl von 


— Eduard Felix Dell a⸗ 
pina. 
— Heinrich Digelt. 
— Generalfeldmarſchall 
lieutenant Graf von 
Daun. 


— Karl Ignatz v. Dem⸗ 


nei 

— Boron von Dubiky, 
Tribunalsrath in M. 
Mähren. 

Madmoilf. Sara Dobruſca, 
in Brünn. 

M. de Debohri , in Prag. 

Hr. Eman. von Duban, 

in Prag. 


Hr. von During, Ober⸗ 
forſtmeiſter zu Dan⸗ 
nenberg. 


E. 


Hr. Joſeph Eflinger, 

farrer. 

— Leopold le Noble v. 
Edlersberg, k. k. 2 
merfourier und 
bilien Inſpektor. 

— Graf Franz v. Eſter⸗ 


hazy 

— Zonog Auguſt von 
Ernſt, Rathsherr in 
der k. Stadt Oedenb. 

— von Erla 

— Michael E bel, k. k. 
Münz und Bergwe⸗ 
ſens Hofbuchhalterey 
Official. 

— Bernardus Eberl, 
Ord, St. Bened. 

— Paul Jonath. Eber⸗ 
hard, Sekret. bei dem 
k. k. Tabaksgefälle. 

— Bernhard Eskeles. 

— Anton Rupprecht o. 
Eggenberg, k. k. nie⸗ 
derungar. Bergrath, 
Pr. der Scheidekunſt, 
der Bergrechte, und 
Berwerkswiſſenſchaſt. 

— v. Engbricht, Oberl. 

— Anſelm. Kberl, Ord. 
35 . 

— Ignatz v inger. 

— Thom. Eichber a 

— Joh. Engliſch, J. 
D. und Naa in 
Mähren. 


Hr. Eugen th, nie 


— Johann Frid. Eger, 
Burgerm. in Lapbach. 
— 2 d. Erlach. 
in Lin 

— Graf def Erdody 
E. K. 10 immerer un 
Statthalterey We 
in Presburg. 


* 


Hr. Joſ. Franz Suchs 
nied. bſt. Regterungs 
Dfficiant. 
— Joſeph Saber. 
— Eman. Joſ. Sridlberg. 
— Florian, Ord. Prem, 
zu A.. 
— — Lid le. 
avier Siericht. 
ranz Siſcher von 
ieſelbach „des h. r. 
R. Ritter, k. k. 
und Hofkommiſar in 
eier ain ag 
— zen 8 b. 5515 
lenbaum, J. U. D. 
2 u. Gerichtsadv. 
ohann Nepomuck 
3 
— Ehrenr. v. Sra , 
k. k. ee 


— Franz Su 
Fr. Sit 9. Br geb. 
Gräf. d. Eſterhazy. 
Hr. Franz Graf v. Sekete. 
— Graf d. Srieß. 
— Landgraf v. Sürften- 
berg. | 


J 


Hr. Seven Bapt. griz, 


J. U 
— Graf Faun v. anf 
kirchen, k. k. Trib. 
Aſſeſ. in Mähren. 
— Graf BR von 
Sünfkirchen, 
Rittmeiſter. 
— Anton Sremdl, Re⸗ 
gim. Adjutant von 
Prinz Hildburgsh. 
Fr. Vinzenzia Freyin v. 
Sreyenfels. 
Hr. Serſtel, Buchhändl. 
4 i „auf 28 Ex⸗ 


— Joseph FIrblich von 
Frölichsberg, der 
oberöſter. Landrechts 
Ratb, in Insprugg. 

— Forſthuber, Kapellan 
zu Kallham. 

— Leopold Sidler, Di⸗ 
rektor in der k. Frey⸗ 
ſtadt Ofen. 

— Went. Ant. Siſcher, 
in Prag. 


G. 


Fr. Mar. Anna Edle v. 
Gensinger- 

Hr. Franz Ferdinand 

Groppenberger. 

— Ant. 1 Kaſt⸗ 
ner zu O 

— Leopold Sur, Welt⸗ 
prieſter. 

Freyherr v. Gemmingen. 

Hr. Michael v. Geer 

— Joſeph Ant. Gall y 
Pfar.zu Burgſchleinitz 


Fr. von Graſern. 

Hr. Fürſt von Gallitzin, 
Rußiſch kaiſerl. Ge⸗ 
ſandter zu Wien. 

— Joſeph Freyherr von 
Gudenus. 


k. k. — Joſeph Göſtl, k. k. 


Münz u. Bergw. Hof⸗ 
buchh- Official. 

— von Bibel, Militärs 
Verpflegamts Ober⸗ 
verwalter. 

— N b. Lott inger , 


— 1555 e 


— Chriſtophv. Gmeiner, 
Senator in Regensb. 
— Georg v. Gumpelz⸗ 
haimer, Conſulent 
in Regensburg. 

— Weichard von Güh⸗ 
lenberg, Univerſal⸗ 
ſchuldenamtskaſſe Of⸗ 
ficiant. 

— Demetrius nobilis de 
Gürög, 

— Simon Grull, 

— Joſeph Grünzweig. 
— Ant. Joſ. Groppen⸗ 
berger, N. O. Land⸗ 
ſchafts Obereinneh⸗ 
meramts Kaſſier. 

— Joh. Glückſelig, k 

k. Rath, und der Ca⸗ 
meral⸗Tabaksgefallen 
in Mähren u. Schle⸗ 
ſien Hofkommiſär. 
— Ferd. v. Geißler, k. k. 
Kreisamts Subftitut 
im Brünner Kreis. 


97 


Hr. Abraham Freüſtnger , 
Kaufm. in Brünn. 
Mr. le Bacon de Gym 
nich, Prefident de 
Chambre aulique d 
S8. A. E. de Cologne. 
Hr. von Groß, Domherr 
zu Bamberg u. Würzb. 
Sig. Freyherr v. Guüſſich, 
in Leybach. 
Hr. von Gyorthowits, 
Prof. in Ofen. 
— Ern. von Gläßer, in 


Prag. 
— Adam Graf, in Prag. 


H. 
Hr. Ferd. v. Sacher in 


Zart. 

— Chriſtian v. Senſchel. 

— v. Sinterberg, J. U. 
D. Hof- und Gerichts 
Advokat. N 

— Joachim Euler von 
Hackher in Hart, Se⸗ 
kretär bei der oberſten 
Juſtizſtelle. 

— Joſeph Edler von 

ackher in Hart, k. 

k. Regierungsrath. 

— Philipp Edler von! 
Hackher in Hart, k. k. 
Appellationsrath. 

— Janatz Edler vou 
Hackher in Hart, 

— Aloys Ed. v. Sack⸗ 
ber in Hart. 

— Franz Anton Edl. v. 
Sillebrand. 

— Ant. Edl. v. Sainke. 


; 


Hr. Jos. Edl. v. Zeinke, 
k. k. Hoſkoncipiſt. 


— von Solzbauer, k. k. 


Hofagent. 

— Joſeph Habermann, 
k. k. Hofmedikus. 
be onen he 

u a 
r. Franz Silger , k. k. 
8 as Linien 


nſpektor. 

— Joſeph Hauſtein, k. k. 
Handgräfl. Linien 
Reviſor. 3 

— Mathias Sochleitner. 

— Lorenz Leop. Saska. 

— Leopold Edler von 
Hartenthal. 

— Abbe Sofſtaͤtter. 

— Johann Sorvath. 

— Joſeph v. seuchling, 
Koncipiſt in der hoch⸗ 
fürſtl. Schwarzenber⸗ 
giſchen Kanzley. 

— Andreas sofſchneider 

— Michael Sausegger. 

— Stephan Sauzenber⸗ 

er, Ord. Ciſt. 

N 5 Philipp Graf v. 

oyos. 
tanz Silburg. 

— Joſeph Silburg. 

P, Kolomann Sartner, 
Bibliothekar im Be⸗ 
nediktiner Stift zu 
Mole, 


Hr. Baron d. Saugvitz, 
k.k. General. 
Fr. Gräf. von Sarah, 


— — 


Hr. v. suszackb, Ober⸗ Die Herren Großhändler 
lieutenant u. Auditorſ[ Adam und Leopold 

— Ant. Theod.summel]] Sonig. ER 

— Georg Seilmayer k. [Hr. Joh. Säring Kaufe 
hungar. Adminiſtra⸗ mann in Brünn. 


tions Kanzelliſt. — Joh. Aloys Zanke, 
— Franz Paul Edler v. erſter Cuſtos auf der 
Hackher in Sart. k. k. Lycæums Bih⸗ 


— Franz v. Summelauer liothek in Ollmütz. 
— Leopold siesber ger. M. Ie Bar. de Hompefch, 
— Joſeph von seinzel. Miniſtre de Son A. 
— Adolph segg. 8. E. Palatine & Ba- 
— Reichshofrath v. Sep. viere, in Cölln. 
— Joſeph Suſſard. Hr. Barth. Zar mayer, 
— Jakob Hoffer, Welt⸗ Verwalter, in Laybach 


prieſter. — Anton Sofferl, in 
— Joſeph v. Seufeld. ] Linz. a 
— Franz v. Seine. — Franz Soffmenn, in 
— Joſeph Sauska. Prag 


— Oberamtsr. v. Sarrant[— Franz v. Sennewart, 
zu Bregenz. 4. . 45 
— Phil. Damian Mar-[— v. Herrmann, Guber— 
quis v. Soesbroech, nialrath, in Prag. 
Biſch. zu Rürmund. — Podiwin v. Söffling, 
— geld. Kreiskom. in Prag. 
— Franz A. Sofmeiſter.— Selwing, Juſtitzrath 
— Georg Hofbauer , in Detmold. 57 
Oberlieut. Ingenieur — Sanſing, Auditor in 


— Barrer. Harburg. 
— von Said, k. k. Hof⸗[(— von Hugo, Landkom⸗ 
ekretär. miffar zu Stolzenau. 
— Doktor SHoffinger , 1 


Kameralmedikus der 
k. Banat. Bergſtädte. [Hr. Joſeph Jedlitſchka. 
— Franz Xavier Edler v. — Max. Jakobi, k. k. 
Sackher in Zart. Hofkriegsräthl. Ar⸗ 
— vou Soffinger, k. k.] chivsadjunkt. 
Hofſekretär. — v. Jechner. 
— Herrmann, Ord.Præ. — Jacobi, Landſindi⸗ 
zu Pernegg. kus in Cölln. 


4 


Br 

Hr. Franz Bernd. Bafl- 
ner. 

— Michl Joh. Koſſir. 

— Michael Kleinrath. 

— 20 Rubal. 

— Karl Rohaut, k. k 

ofſekretär. 

— Leopold Kreutzer. 

— Leopold Kühnel. 

— Franz Kofler. 

— Franz Krammer. 

— Hof. Mich. Klieder. 

de. de von Kreſel. 

r. Ferdinand Graf von 
Kufſtein. 

Fr. Thereſia Gräfinn v. 
Kufſtein, gebohene 
w 88 

r. Joh. Bapt. in⸗ 

8 ger, k. Beamter. 

— Conrad Reifer. 

— Franz v. Raraffiat. 

— Joſeph Kreb. 

— Graf von Rollonig, 
Oberſter des k. k. Ri⸗ 
cheeburtiſchen Regt⸗ 
meinte, 2 

Die Herren Gebrüder 
Ker ſchbaumer, in 
Saltbürg. 

Hr. Joh. Graf d. Rote, 
der böhm. dit, Hof⸗ 
kanzley Kanzler. 

— Dominik Siegfried 
p,. Röfil. 


— Franz v. Br 


k. k. M. u. B. Ho 
buchhalterey Official. 
— Karl Klein, M. u. 
B. Hofbuchh. Official 
28 888 Koi 
eim Graf Noſtitziſch. 
Dragoner Regiment. 


— General Graf von 


Khevenhüller. 


— Baron Kaltſchmid, 


k. k. Oberlieutenant. 
— Joſeph kKrziwaneck, 

J. U. D. und Landes⸗ 

advokat in Mähren. 

— Graf Wenzel v. Fau⸗ 
nitz, k. k. General u. 
Eigenth. eines In⸗ 
fant. Regiments. 

— Leopold v. Röffiler , 
des h. r. R. Ritter, 
u. Eigenthümer einer 
prip. Tuchfabrike in 
Brünn. 

Fr. Charlotte Edle von 
Karcheji, 

Hr. Franz Rautfcher , 
Weltpr. u. Kapellan 
in Brünn. 

— Grof Leopold von 
Rinigl , k. k. Kam. 
u. Gubern. Viceprä⸗ 
ſident in Inſprugg. 

— Rleinmayer, Lands 
ſchaftsbuchdrucker, in 
Klagenf. 20 Exempl. 

— Frid. Salp. Kättner, 

evangeliſch. Paſtor du 
Goiſern. 


Hr. Franz Ritlig , in 
Prag. l 

— Sofeph von Krtizka, 

IJ. U. D. in Prag. 

— Elias Rolloros , in 


Prag. 
— Samuel v. Kubinsky, 
Phyſikus, in Presb. 
Be 


Hr. Ant. Edl. v. Lauch. 
— Karl Joſeph des For- 
temps de Loneuæ. 

—. Johann Alphons von 

Ingo. 
— Ferdin. Leidenfroſt, 


Verwalter in Traut⸗ 


mansdorf. 

Die freundſchaftlich ver⸗ 
einigte Leſegeſell⸗ 
ſchaft in Wien. 


Hr. Michael Lambacher.“ 
— Joſeph Leo, der Wie⸗ 


litzer Salinen Ober⸗ 


Amts⸗Gegenhandler ,,, 


und ſubſtituirter Sa⸗ 
linen Oberadminiſtr. 
Buchhalter. 5 
— Nikolaus Leeb, Grä⸗ 
nitzmautheinnehmer 
u Ordenberg. 
— Joſ. Lach, Dechant 


Fr. Gräf v. Lichtenſtein, 
gebohrne Gräfnnvon 
Thierheim. N 
Hr. Joh. Chriſtian Lich⸗ 
tenberger. 

— Chriſtoph Ludolph, 

Hauptmann. : 

— Georg Leſſacher , 

Profeſſor. 

— Joſeph Leberle. 

— Johann Lichtenſtern. 

— Kaſp. Langer, Welt⸗ 
prieſter. 

— Joſ. de Luca, Kon⸗ 
cipiſt bei dem wiener⸗ 
tifchen Stadtmagiſtr. 

— Graf Leoptvon Lam⸗ 
bert, hochfürſtl. erzb. 
oberſter Hoflehenrich⸗ 
ter in Kremſier. 

— Erneſt Freyherr von 
Loezella L k. 2 Rath 
und Gubern. Aſſeſ. in 
Mähren. 

M. Ie Bar. de Lutzerode, 

Chambellan de S. A. 

E. Palatine, & Ba- 

viere, in Cölln. 

Hr. Sraf von Lodron, 
Domherr zu Brixen. 

— Lippert, bürg. Buch⸗ 
binder in Presburg. 

3 Exempl. 


in Hradiſch. M f 
— Fran; Lechnau, Pro⸗ ß | 

feſſor der polit. Wiſſen⸗ br. Bernhard Samuel 

ſchaften in Agram. Matolay, k. Reichs⸗ 
— van der Lith. hofraths Agent. 
Freyherr von Legisfeld— Jakob Menninger, 

Oberſter. k. k. Wechſelſenſal. 

* 


5 


Hr. Ferdinand Müller vor. Jof. v. Mittermaye, 


Müllegg „ des h. r. 

R. Ritter, paſſauiſch. 

ofrath, und k. k. 
ofagent. 

— Joſeph Freyherr von 


oſer. 
— Joſ. Morgenbeſſer. 
— Bernhard Joſ. Edler 
v. Mitis, k. k. M. u. 
B. Hofbuchh. Official 
— Karl Marinnelli. 
— Joſeph Freyhere von 
Matruzzi. 7 
M. Chev. de Mückufch , 
Oberlieut. des löbl. 
Graf Callenberg. Reg 
Hr. Karl von Martines, 
k. k. Hofconcipiſt. 
— Nikolaus Merthen, 
k. k. Berggerichts No⸗ 
tarius und Beiſitzer 


Johann Mayr. 
— Franz Moſchitz. 
— Baron von Münich. 
Müller. he 
— Hofrath v. Markelick 
— Joſeph Müller. 
— Abbe Machwetz. 
— Baron Franz Medin- 
Sarfcky. 
— Ferdinand Moſer. 
— Graf Anton v. My⸗ 
trowsky, k.k. Gener. 
Major. 
— Graf Monte del abbate 
— von Mixovini, k. k. 
Oberſtlieutenant. 
Mlle Auger, in Brünn 
Hr. Joſeph von Mader, 
Prof. der Reichsgeſ. 
in Prag. 
— Franz Martin, in 


en 


in Schemnitz. 

— Franz Sales Ma⸗ 
riſchler. 

Freyherr Münch v. Bel⸗ 
linghauſen, wirklicher 
k. Reichshofrath. 


— Gotthard Moreau. 


— Leopold Mayer. 

— Mikoſch. 

— Ignatz Morgenbeſſer 

— Franz Aloys Mack, 
Edler von Magg, 
Med, Dod, 

— Joſeph Mayer, Hof 
kaplan. 

— Anton Mertens. 

— Anton Matzi, Welt⸗ 
prieſter. 


Prag. 
— Leonhard Müller, in 


Prag. 
— Meyer, Kammerſekr. 
in Hannover. 

— Meyneke, Kaſſier in 
Hannover. 


N. 


Hr. Profeſſor Novak. 

— Chriſtoph Nittel. 

— Leop. Alex. Nevery. 

— Karl Niebauer, Ober⸗ 
kriegskommiſſarius. 


Fr. Eleonore Freyinn v. 
Neffzern. 
Hr. Joſ. v. Nikorowitz. 


Hr. Feldmarfhalllieuten 
Graf von Noſtitz. 

— Friedrich Nitſche. 

— Joſ. Novak, Syndik 
zu Niklasburg. 

— D. Michael Neuſtäd⸗ 
ter, Stadt⸗Phyſikus 
in Herrmannſtadt. 

— Fan. Nowack, Verw 
zu Feldes in Ober⸗ 
krain. 

— Kajet. Nell von Nel⸗ 
lenburg, k. k. Offizier. 

— Heinr. von Neuber, 

aths verw. in Prag. 

— Niemann, Amtſchr. 
zu Lauenſtein. 

O. 

Hr. von Ott, ruſ. kaiſerl. 
Sekret. Intreprete. 

— Sof. Omayer, Sekr. 
bei dem k.k. Landrechte 

· . Gettel, der ältere. 

— Sof. Fan. Oberham⸗ 
mer, Kapellan bei St. 
Peter zu Trient. 

— Franz Otto, J. U. D. 
u. Landesadvokat in 
Mähren. 

— Franz Joſeph Op ner, 
Pfleg u. Landgerichts 
Verw. zu Wildenſtein 

Die Herren Grell, Geß⸗ 
ner, Süßli u. Komp. 
8 Exempl. 


F. 
Hr. Peter Peper mann. 
— Joſeyh v. Platzer. 


Hr Abbe Michael Anton 
Paintner. 

— Anton Phillebois. 

— Mart. Joſeph Prand⸗ 
ſtetter. We 

— Joſeph Paufer. 

— Maximil. v. Pilbach. 

— Graf Leopold Palftß 
von Erdsd. 

— Johann Pohlner. 

— Ignatz Ewald pfen⸗ 
ningpauer. . 

— Joan. Premlechner. 

— Graf Carl Palfy v. 
Erdöd, königl. Ungar. 
Sieb. Hofpicekanzler. 

— General Major Graf 
Podztatzky, 

— Ulrich Petrak, zu 
Mölk. 

Fr. Chatarina Edle von 
Puthon. 

Hr. Abbé peter Parkar. 

— Joſ. Pöõſchl, Sekret. 
bei Graf Rottenhann. 

— Franz von Pedroſſi. 

— Ignatz Pichl, Liqui⸗ 
dator im Univerſal⸗ 
kameralzahlamt. 

— Kavier von Pedroſſi. 

— Graf von Paar. 

— Michael Puffer. 

— Sebaſtian Pichler. 
— Joh. v. Falocsay, k. 
hung. Hofconcipiſt. 

— Franz Pauer. 

— Franz Joſ. Pollack. 
— E. von Phillipitſch. 
— Johann Nepomuck o. 
Purtſcher. 


Hr. Joſeph Parko. 

— Mortin Edler von 
Pflichtentreu, k. k. 
Sub. Sekr. in Mähr. 

— b. Paar, kk Hauptm. 

— Laurenz Pogg, Coo⸗ 
perat. v. Weißkirchen. 

— Franz v. Pillersdorf, 
k. k. Truchſes, und 
Kämerling bei der 
Mähr. Landtafel. 

— Max. Ant. Pontife⸗ 
ſter, Gub. Sekr. in 
Insprugg. 

— Ant. Podobnig, in 
Laybach. 

Fr. Thereſ. Gräfinn von 
Petazzi, in Lapbach. 

Hr. Joh. Pilz, bürgerl. 


Müllerm. zu Auſſen.“ 


— Prandſtetter, burgerl. 
Handelsm zu Maut⸗ 
hauſen. 

— von Palaſſy, Amts⸗ 
Syndikus in Ofen. 

— v. Pakits, Prof. der 
europ. Staatengeſch. 
in Ofen. 0 

— Franz Joſ. Poſtelt, 
in Prag. 

— Ant. Purkhard, in 
Prag. 


R. 


Hr. v. Koſchio, nied. öſt. 
Apvpellationsrath. 
— Phil. v. Rottmann. 
— Joſeph Edler von 
Roſenthal. 
— Fran; Regensdorfer. 


Hr. Joſ. Franz Rarfı 
rk ande 7 

— Anton Refch. \ 

— Anton Reng. 

— Benedikt Rittmans⸗ 

berger, aus den from⸗ 

‚men Schulen. 

Fräulein v. Roſenberg. 

Hr. Joſ. EM. v. Ketzer. 

— Fran: Renz. 

— Philipp Ranz. 

— Fridrich Rotter. 

— Mathias Rottweiler. 

— Franz Rott. b 

— Ludw. Robl, Dechant 


zu Ort. 
— Probſt Ruſchizka. 
— Graf v. Rotenhann, 
bei der böhm. öſter. 
ofkanzley Rath. a 


30 N90 5 5 
zu Wiennerherberg. 
— Johann Ruprecht, k. 

k. Raitofficier. 

— Rösler. 

— Prof. KRegelsberger. 

— Iranz Sebaſtian von 
Reichenau. 

— Franz; Rager. 

— Sanas Kuſterholzer. 

— Sof. Raneder, Prof. 

Hofagent. 

— Vincenz Edl. v. Ro⸗ 

ſenzweig, k. k. ſub⸗ 

ſtituirter Kreishaupt⸗ 

mann im Igl. Kreis. 


r 


Hr. Joh. Keinelt, Stadt⸗ 
advokat zu Ollmütz. 

Mr, de la Rogue, in Chlln 

Hr. von Reiſach, Geh. 
u. Regierungsrath in 

Neuburg a. d. Donau, 
in Erlangen. 

— Michael Freyherr v. 
Keigersfeld, k k. Lan⸗ 
deshauptmannſchaft. 
Rath, in Laybach. 

— Joſeph Roſwoda, in 
Prag. 7 

S. 
Hr. Joſeph Edler von 
Seitner, k. k. Hof⸗ 
conecipiſt. 

— Georg Spangler. 

— Jak. Ed. v. Smitmer, 
Banauier. 

— Anton Spendou, der 
erzbiſch. Kur Prieſter. 

— Ildephons Schwerd⸗ 


ling, Can. Reg. zu 


„ St. Pölten. 

— Joh. Joſ. Sebald. 

— Stephanie der altere. 

— Sof. Stuzicadenti. 

— Joh. Georg Schüler, 
Handge. Aufſchlags⸗ 

SGegenhandler. 

— Andreas Stifft. 

— Valentin Edler von 
Smitmer, Banquier. 

— Joh. Nep. Sortſchan 
J. U. D. H. und G. 
Advokat. 

— Vincenz von Salz⸗ 
geber. 


Hr. Johann Pet. Schle⸗ 
micher.. 

— Franz Schwoy, Ober⸗ 
amtm. zu Nikolsburg 

— Vincenz Ign. Edl. v. 
Seydel, der geheimen 
Reichshofkanzl. Offic. 

— Joſeph Schuh. 

— Graf v. Schönborn. 
— Ant. Edl. v. Seydel, 
k. k. Hofconeipiſt. 

— Joh. Wilh. Schmuck 
— Stitz, Can. reg. zu 

St. Dorothee. 
— Baron v. Sardagna. 
— Anton de Smetazek, 
Med. D. in Grain. 
— Erneſt v. Schweizer. 
— Franz Graf v. Sau⸗ 
rau, k. k. Kammerh. 
— Franz Xav. Sall iet. 
— Math. Joſ. Schmid. 
— Bened. Strattmann, 
zu Mölk. 
— Ant. Edl. v. Spiel⸗ 
mann, k. k. Hofrath. 
— Paulus Sajatovich , 
a. d. St. Barbaraſtift. 
— Elias Sivchich, J. 
U. D. 
Joh. v. Schwarzer, 
k. k. Hofſekretar. 
— Anton Seydel, Med. 
Doct. 


— Johann Schulz. 

— Abbe Joſ.Koſſen Ebl. 
v. Sternegg. 

Mr. le Comandeur de 

Smitmer, Chanoine 
de St. Etienne. 


He. Ignatz Steinninger. 
— Ludw. Edl. v. Sobeck 
— Schulte. 
— Profeſſor v. Stoll. 
— Karl Graf v. Stork. 
Joh. Bapt. Schwabe, 
J. U, D, H. U. Ge⸗ 
| richtsadvokat. 

— Francisk. Gilbertus 


— 


Schitt, Ord. Cift. in 


Monaſt. Zwetlenſi. 

— Jakobus Schmidt , 
Weltprieſter. 

— Karl Schreiber, k. k. 
Münz und Medaillen 
Kabinets Kuſtos. 

— Karl Schatten. 

— don Stockmayer, 
Miniſter Reſident 
von Baaden. 

— Joh. Schalte, Lehrer 
in der k. k. Normal⸗ 


chillitz. 

— Chriſtoph Stadler. 

— Joh. Schretter. 

— Karl Seth, Raitoffi⸗ 
zier bei der k. k. Ka⸗ 

meral Hofbuchdalt. 

— Anton Stadler. 

Fr. Joſ. v. Schwabel. 

Hr. Ignatz Schwingen: 
ſchlegel, Subprior 
in Lilienfeld. 

— Baron von Fang 9 
feld, an der k. k. Sa⸗ 
doviſchen Ritterakad 

— Joh. Edl. v. Schwei⸗ 
ger, J. U, D, 


Hr. Maximil. Großmann 
von Steineck. 
— Ignatz Sailler, Chor⸗ 
— zu St. Dorothee. 
er Abe Septeied, d 
zug] 1 led, Pro⸗ 
feſſor der Philoſophie 
zu Konſtanz. 
— Baron von Spindler, 
k. k. Capitaine. 
— Jsanatz Schmid, k. k. 
Zolllegſtadt Contro⸗ 
lor in Niklasdurg. 
— Baron Schoͤfl von 
Mannsberg, k. k. 
Gub. Aſſeſ. in Mähr. 
— Graf v. Schafgotſch, 
Eapitularhere von 
Ollmütz. 
— Graf Joſ. v. Sereni. 
— don S 7 
Inſpektor der k. k. 
Domainen in Mähr. 
und Schleſien. 
— Aloys v. Schweick⸗ 
bard, des h. r. N. 
Ritter u. Eigenthü⸗ 
mer einer priv. Tuch⸗ 
fabricke in Brünn. 
— Johann Günther von 
Sternegg, k. k. Rath 
Hund Landrechtsbeiſitz. 
in W 
— Baron d. Sternegg, 
k. k. Oberſtlieutenant. 
— Leopold Schultz, k.k. 
Rath, und Prof. der 
polit. Wiſſenſchaften 
in Ollmütz. 


Hr. Manfrony v. Son: 
nenthal, k. k. Ober 
lieutenant. 


— Franz Seydl, Prof.] 


auf dem Brün. Gym⸗ 
naſium. 

— von Schwarzbach, 
k. k. Hauptmann. 

— Sof. Segner, Jou⸗ 
rier von Prinz Hild⸗ 
burgshauſ. Regim. 

— Baron von Schwa⸗ 
nenberg, k. k. Guber⸗ 
nial Aſſeſſor in Mäh⸗ 
ren. 

— Fulgent Schwecher, 
Prieſter der frommen 
Schulen. 

— Stoſſek, k. k. In⸗ 
genteur. 

— v. Schlehlein, Hof⸗ 
rath zu Bamberg, in 
Erlangen. 

— von Sißler, Rath u. 
Oberamtm. zu Kall⸗ 
müntz, in Erlangen. 

— Schott, D. und Pro⸗ 
feſſor, in Erlangen. 

— Schunder, Studiof, 
Juris, in Erlangen. 

— Chriſtoph Freyb. von 
Schwizen, k.k. Rath 
u. Kreiskommiſſarius 
zu Marburg. 

— Karl Schwarzl, Pr. 
Theol. in Inſprugg. 

— Felix e 
heim, k.k. Kammerer. 

— Baron Anton von 
Schiedexer. 


Hr. Joſeph Smoller, in 
Laybach. f 

— Mich. v. Schmoll, 

Hauptmann. 

— Barth. Kan. Scharz, 

in Lay bach. . 

— Karl Scherb, der löbl. 

Landſch. ob der Enns 
erſter Kaſſier. 

— Con. v. Sorgenthal, 
k. k. wirkl. Hofrath 
in Linz. 

— Fr. Mich. von Seg⸗ 
müller, Hauptm. u. 

Audit. vom löbl.Stei⸗ 
niſchni. Inf. Reg. 

— Graf Johann Karl v. 

Spor, Oberſtlandiä⸗ 

germeiſt. in Böhmen. 

— Wenz. Stach, Welt⸗ 

prieſter, in Prag. 

— Thomas Sorger, in 


Prag. 
— Wenzel Sliwka, 
Rathsverwandter, in 


Prag. 
— Samuel Sathmary , 
in Presburg. 


ER: 


Fr Gräfinn v. Thun. 
Hr. Graf v. Thun. 
Hr. Joh. Nep. Tſcher⸗ 
nigoy, der erzbiſchbll⸗ 
Kur Prieſter. 
— Joh. David Trum⸗ 
mer, Sekretär bei ſei⸗ 
ner Excel. Grafen v. 
Cohenzel. 


Fr. Johanna Grafinn v.] 


Thurn, gebor. Gräf. 
v. Hrezan, u. Harra. 
Hr. Leopold Trattinnick. 
— Michael Türkes, 
Erneſt Tatter. 
— Trümel. N 
— Johann Thorwart. 
— Bartholom. v. Testa. 
— von Turzansky „ pen⸗ 
ſionirter Huf. Oberl. 
— Joſ. von Thoren. 
— Graf Adam v. Traun 
— Graf Ferdinand von) 
Troyer, k.k. Aſſeſſor 
bei dem Conſeſſu del. 
in C. S. P. & comifl. 
— Fon. Jo. des h. r. R. 
N. Graf d. Tannen⸗ 
berg, k. k. Kämmerer 
in Inſprugg. 
— Jakob Tſchadeſch, 
Raths verw. inLeybach 


U. 


Hr. Greg. Ueberlacher, 
Med, Doct. 

— Ueberlacker. 

— Euſebius Uhlich, des 
Stiftes der reg. Chor⸗ 
herrn zu St. Pölten 
Dechant. 

— J. J. Umfcheiden , 
Fürſt Aloys Lichtenſt. 
Kanzelliſt. 


— Joh. Conrad ulzky. 


— Graf v. Ueberracker 
— von Urbain, k. k 


Hauptmann: 


— 


Hr. Mart. Urbanſchitſch, 
Verwalttr zu Egg in 
Oberkrain. . 


. 

Hr. Canonicus Venuti. 
— Samuel Vulcan. 
— Graf von Veterani. 
— veert, in Erlangen. 
— Johann vagneck, in 

Herrmannſtadt. 
— Cajet. Vogel, Ord. 
Serv. in Prag. 


W. 


Hr. Ludw. Graf v. Wall; 
moden, Hannov. Ge⸗ 
ſandt. in Wien. 

— Karl von Wunſch. 


— Franz WR. 

— Graf von Wrbna. 

— Johann Bapt. Wei⸗ 

ninger. 

— J. N. Wirt, k.k. Kam⸗ 

mermedailleur. - 

— Johann Georg Wolf, 
Direktor von der k. k. 
Realakademie. 

— Joh. Bapt. Winter. 

— Franz Wolf. 

— Joſ. Weckebrod. 

— Joh. Nep. Wengel. 

— Abbe Joſ. Werſch⸗ 
hauſer. 

— Joſeph von Weck⸗ 
becker zu Sternfeld. 

Hr. Joh. Georg Weine 
gand. 


— Sebaſt. Wohlfarth. 


He. Joſeyh v. Walpach, 
k. k Salzamts Rath 
in Hall. f 

— Wenzel Auguſtin von 
Werſack. 

Fr. Gräfinn v. Wallen⸗ 
ſtein, geb. Grafinn 
von Uhlfeld. 

Hr. von Wells. 

— von Weinrotter. 

— Karl von Woller, 
J. U. D. H. und G. 
Advokat. 5 

Fr. Gräfun von Win⸗ 


diſchgraz. 5 

Hr. Franz Ant. Weigl, 
Großhändler. 

— Sevo. Walter, Chor⸗ 
herr zu Kloſterneub. 

— Reichshofrath von 
Welkern. 

— Wokurka, Oberlieut. 
Auditor. 

— Nikolaus v. Wiona, 
inful. Probſt von Ni⸗ 
kolsburg. 

— von Weyrothen, k. k. 
Unterlieutenant. 

— von Waͤſcher, k. k. 
Oberlieutenant. 

— Fr. Zav. Joſeph von 
Weinhard, in Ins⸗ 
pruck. 

— Karl Joſeph Weiß, 
Buchdr. in Bozen, 2 
Exempl. 

— Philipp Joſeph von 
Wallenſperg, in 
Lay bach. 


Hr. Joh. Franz Weber, 
Burgerm. der Stadt 


Linz. 
— Jak. Wimer, Pfarrer 
zu Alterſee. a 
Fr. Grafinn v. Wratis lau 
gebohrne Sräfinn von 


Kinsky. 

Hr. Hein. Wolf, Pro⸗ 
feſſor in Prag u. Ca- 
nonicus in Königrätz. 

— Graf von Wiſchnik, 

in Prag. f 

— von Wolf, Direktor, 

in Prag. 

— Kaſp. Widtmann, in 


rag. 

M. Ia Comt. de Witzay, 
nee Comt. de Graf- 
ſalkowitz, in Preſp. 

Hr. Wineke, Oberamt⸗ 
mann zu Uslar. 

— von Wüllen, Hofge⸗ 

richts Aſſeſſor in Han⸗ 

nover. 


Z. 


Hr. Profeſſor Zlobitzky. 

— Karl Graf v. Zichy. 

— Stephan Graf von 
Zichy. 

— Joſeph von Zamora, 
k. k. M. u. B. Buch⸗ 
halterey Rait⸗Rath. 

— Franz von Zailler, 

ordentl. Lehrer des 
Naturreichtes auf der 
Univerſität in Wien. 


0 


Hr. Simon Zeme, J. U. 


ee 

— Ignatz Zumpe. 

— Joſ. Küguſtin Zohr, 
Chorherr zu = Do⸗ 
rothee. 


„ 


D. Hof und Gerichts 


Hr. F. Paul den er 
mayer, k. k. Ty 
riatsregiſtrator, 1 
Herrmannſtadt. 

— Ziegler, Canon. und 


Bibliothekar zu St. 
woran 4 


40 Ungenannte. 


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REES 


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